Chicago Band 9
Doppelt gestorben
Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro cken gelegt...
13 downloads
391 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Chicago Band 9
Doppelt gestorben
Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro cken gelegte‹ Nation konsumiert mehr Alkohol als jemals zuvor. Für den Nachschub sorgen gut organisierte Gangsterbanden, gegen die die Polizei einen vergeblichen Kampf führt. Nicht zuletzt, weil auch sie oft mit am Alkoholschmuggel verdient. Die Sitten sind rau und ein Men schenleben zählt wenig, wenn es um viele Dollars geht. Die Gangster bosse unterhalten ihre Privatarmeen von Killern und leben selbst wie Könige. In Chicago versucht der Privatdetektiv Pat Connor nicht zwischen die Fronten zu geraten und trotzdem der Gerechtigkeit Geltung zu ver schaffen. Um aber in diesem Haifischbecken zu überleben, muss man selbst auch die Zähne zeigen. * Ich neige nicht zu Übertreibungen, aber die Lady, die vor mir saß, hat te Klasse. Mitte dreißig, etwa in meinem Alter, aber besser erhalten, wie ich neidlos zugeben musste. Nobel angezogen und gepflegt. Ein Hauch von teurem französischem Parfüm wehte zu mir herüber. Das maßgeschneiderte weinrote Kostüm der Lady betonte die gerten schlanke Figur mit der erfreulich üppigen Oberweite. Die Jacke stand offen. Darunter befanden sich eine zartrosafarbene Seidenbluse und eine dreifach gelegte Perlenkette. »Hören Sie mir eigentlich zu, Mister Connor?«, fragte sie gerade. Ich gab den Versuch auf, die sich unter der Bluse abzeichnenden Konturen genauer zu definieren. »Mit meinen Ohren ist alles bestens, Madam.« »Ich dachte nur... weil sie etwas abwesend dreinschauen.« »Abwesend? Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, wie an wesend ich bin.« Am Schreibtisch rechts von mir hüstelte meine Sekretärin Betty Meyer, die vorgab, irgendwelche Papiere zu ordnen, in Wahrheit aber aufmerksam lauschte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ihre Oh ren aus dem sorgsam ondulierten Haar herausgewachsen wären. 4
»Trinken Sie einen Schluck Kaffee, Betty«, rief ich zu ihr hinüber. »Oder stopfen Sie sich Watte in die Ohren. Beides ist gut gegen Reiz husten.« Ich wandte mich wieder Mrs. Dexter zu und versuchte, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das hatte ich zwar vorhin auch schon getan, aber dieses Mal widmete ich mich nicht dem Wesentli chen im Leben eines Mannes, sondern dem Wesentlichen im Leben eines Privatdetektivs. »Sie sagten, Sie machen sich Sorgen um Ihren Bruder?« Mrs. Dexter nickte. »Er war immer schon das schwarze Schaf in unserer Familie, aber diesmal scheint er ernsthafte Probleme zu haben.« »Ernsthafte Probleme schwarzer Schafe haben meistens mit dem Schlachthof zu tun.« Sie schaute erschrocken drein. »Malen Sie bitte den Teufel nicht an die Wand, Mister Connor.« »Es sollte nur ein Scherz sein. Sagen Sie mir bitte, welche Proble me Ihr Bruder hat.« Ich sah Mrs. Dexter in die grünen, großen und unergründlich tie fen Augen. Einen Moment lang glaubte ich, darin ein intensiv loderndes Feuer zu entdecken. Es war diese Art Feuer, das rasch und über aus angenehm auf andere Körperteile übergreifen konnte. Auch auf fremde. Dann senkte sie den Blick und ich betrachtete stattdessen ihr kastanienrotes Haar, das in der Mitte gescheitelt und an den Seiten in Wellen gelegt war. Es war weit genug zurückgekämmt, um zierliche goldene Ohrringe mit kleinen Smaragden zur Geltung kommen zu las sen. »Ich weiß, dass er hohe Spielschulden hat und von Kriminellen bedrängt wird, die das Geld eintreiben wollen.« Ich nickte. Das alte Lied, das den Bariton eines Privatdetektivs gut vertragen konnte. Von solchen Liedern lebt unsereins nun mal. »Was für Kriminelle? Iren oder Italiener?« »Weder noch. Keine Leute aus Chicago, sondern aus New York.« 5
Das erstaunte mich. Ich dachte immer, ›The Jar‹, der Boss der iri schen Gangster und ›Il Cardinale‹, der Boss der italienischen Gangster, würden in Chicago keine auswärtige Konkurrenz dulden. »Kann er nicht zahlen oder will er nicht zahlen?«, fragte ich, ob wohl ich die Antwort schon kannte. »Er kann nicht.« Ich zündete mir eine Zigarette an, nahm einen Zug und blies den Rauch zur Decke. »Hat er Sie um Hilfe gebeten?« Die Lady schüttelte den hübschen Kopf. »Nein, dieses Mal nicht. Jedenfalls nicht direkt. Er hat es nur er wähnt. Wir - mein Mann und ich - haben ihm schon so oft aus dem Schlamassel geholfen, dass damit jetzt eigentlich Schluss sein sollte. Das weiß Jonathan auch. Ernest, das ist mein Mann, hat es ihm beim letzten Mal mehr als deutlich zu verstehen gegeben.« Aha, da hatten wir die ersten Namen. Ich machte mir Notizen. Er nest Dexter und Jonathan. »Wie heißt Ihr Bruder mit Nachnamen?« »Tackett.« »Ich soll Jonathan Tackett also beschützen?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nicht beschützen, nur finden. Sa gen Sie ihm, dass Ernest, das ist mein Mann...« »Sie erwähnten es schon«, unterbrach ich sie. »... dass Ernest bereit ist, ihm ein allerletztes Mal Geld zu geben. Er tut es nur meinetwegen.« »Sie müssen Ihren Bruder sehr lieben«, sagte ich feierlich wie ein Bestattungsunternehmer. Ich setzte noch einen drauf, um mein Fein gefühl unter Beweis zu stellen. »Und Ernest muss Sie sehr lieben.« »Ernest liebt mich, das ist wahr«, gab sie zur Antwort. Ich wartete auf mehr, aber über ihre eigenen Gefühle schwieg sie sich aus. Eine höchst bemerkenswerte Lady. Ich war ebenfalls mehr für das Praktische. Deshalb sagte ich: »Ich bekomme fünfundzwanzig Dollar pro Tag plus Spesen. Es ist üblich, einen Vorschuss zu bezahlen.« Sie öffnete ihr Handtäschchen aus Krokodilleder, kramte darin herum, nahm eine in der Mitte gefaltete Vollversammlung von Präsi 6
denten heraus und legte zwei Hamiltons und einen Lincoln auf den Schreibtisch. Heiliger Saint Patrick. Die Reichen sind immer am geizigsten. »Entschuldigung, Madam, aber üblicherweise zahlt man mir zwei Tagessätze plus Spesen als Vorschuss.« Eine feine Röte breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie strich die kleinen Scheine wieder ein und trennte sich von zwei Franklins. Die vielen hochrangigen Präsidenten im Notenbündel würden die Abgänge kaum vermissen. Ich nahm nur einen der Franklins, obwohl mich der andere her ausfordernd anblickte. Aber ich wollte es nicht übertreiben. »Auf den zweiten komme ich zurück, wenn es nötig sein sollte. Wo wohnt Ihr Bruder?« »88, West Schubert Avenue. Aber dort werden Sie ihn kaum fin den. Er war offenbar seit Tagen nicht mehr in seiner Wohnung.« Auf meinen fragenden Blick hin fuhr sie fort: »Ich habe mehrfach versucht, ihn telefonisch zu erreichen, ohne dass sich jemand meldete. Schließ lich bin ich hingefahren und habe Sturm geklingelt. Vergeblich. Da ich einen Schlüssel für die Wohnung besitze, habe ich schließlich aufge schlossen. Mein Bruder war wirklich nicht zu Hause. Der Hausbesitzer sagte mir, dass er seit Tagen versucht, Jonathan zu erwischen, weil dieser ihm mehrere Monatsmieten schuldet. Aber Jonathan lässt sich nicht blicken.« Dieses Problem war mir aus früheren Tagen nicht ganz unbe kannt. »Es gibt Mittel und Wege, aufdringliche Hausbesitzer auszutrick sen.« »Den nicht«, behauptete die Lady. »Ich glaube eher, dass Jona than untergetaucht ist.« »Hmm«, machte ich und nahm einen weiteren Zug von der Ziga rette. Diesmal blies ich den Rauch durch die Nasenlöcher. »Wie sieht Ihr Bruder aus? Wie kleidet er sich? Gibt es Auffällig keiten?« Sie kramte wieder in dem Täschchen und reichte mir ein Foto. Es war auf stabilen Karton aufgezogen und von einem Fotografen ge 7
macht worden, der sich darauf auch mit seinem Namen verewigt hat te: Abraham Goldman, 345, 214th Street, New York, Telefon Manhat tan 2135. Das Bild hatte sogar eine Nummer: 1308. Zu sehen war ein junger Mann mit sorgsam gescheiteltem Haar, der mit ernstem Gesicht stocksteif auf einem Stuhl saß und die Lehnen so fest umklammerte, als wollte er sie zusammen biegen. Helles Haar, eine etwas zu spitze Nase, ein schmaler Mund, der ganze Kerl in guten Zwirn gehüllt. »Er ist jetzt fünf Jahre älter als auf dem Foto, etwas dicker und trägt ein Menjoubärtchen«, erläuterte seine Schwester. »Er ist mittel groß, etwas größer als ich. Auffällig ist, dass er das linke Bein nach zieht. Und was die Kleidung angeht, so legt er einigen Wert darauf. Hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, dass er sich größte Mühe gibt, wie ein vornehmer Engländer auszusehen und sich entsprechend zu benehmen?« »Durchaus. Jonathan war in New York, als das Foto entstand?« »Möglich. Warum fragen Sie?« »Hier steht eine New Yorker Adresse.« »Er ist viel herumgereist, in Amerika und auch in Europa. Dort vor allem in England, für das er eine besondere Schwäche entwickelt hat.« Ich wollte das Foto einstecken, aber die Lady hinderte mich daran. »Bitte geben Sie mir das Foto zurück. Es ist das einzige Bild, das ich von Jonathan habe.« »Selbstverständlich, Madam.« Ich sah das Bild noch einmal an und prägte mir Jonathans Gesicht ein. Für alle Fälle notierte ich mir die Telefonnummer des Fotografen und die Bildnummer. Dann schob ich das Foto auf die Seite des Schreibtisches, wo die Lady saß. Sie nahm es sofort an sich und ver staute es in ihrem Täschchen. Währenddessen machte ich mir weitere Notizen. »Hat er eine Freundin?« »Jonathan macht sich nicht viel aus Frauen.« Das ist bei mir anders, wie ich zugeben muss. Aber ich wusste na türlich, dass manche Männer andere Vorlieben hatten. Solange sie mir nicht an die Wäsche gingen, hatte ich nichts dagegen einzuwenden. »Dann vielleicht einen Freund? Sie wissen schon.« 8
Die Lady sah mich indigniert an. »So einer ist er nicht.« Ich fragte mich, ob eine Schwester die geeignete Person war, um beurteilen zu können, ob sie einen warmen Bruder hatte oder nicht. »Kennen Sie irgendjemanden aus seinem Bekanntenkreis, der ihm Unterschlupf gewähren würde?« »Nein. Jonathan ist ein Einzelgänger. Die einzigen Menschen, die er näher kennt, sind Leute, denen er Geld schuldet.« »So kann man es auch zu einem breit gefächerten Bekanntenkreis bringen. Obwohl es nicht unbedingt die feine englische Art ist, auf die se Weise Bekanntschaften zu schließen.« Trotz der unbefriedigenden Auskünfte über Tacketts näheren Um gang war ich guter Dinge. Erstens sagten Brüder ihren Schwestern längst nicht alles. Und zweitens vertraute ich auf die Gläubiger, mit denen Mr. Tackett offenbar reichlich gesegnet war. Der unstillbare Trieb, an ihr Geld zu kommen, lässt diese oft eine Menge über die Le bensgewohnheiten des Schuldners herausfinden. Den Hausbesitzer merkte ich mir schon einmal vor. »Haben Sie den Schlüssel zu Jonathans Wohnung bei sich?« »Ja, gewiss, aber...« »Seien Sie unbesorgt, Madam. Ich bin Privatdetektiv und kein Dieb. Wenn Sie wollen, können Sie mich gern begleiten. Auf jeden Fall möchte ich mich gern in der Wohnung umsehen.« In ihrem Gesicht stand Misstrauen geschrieben. »Warum?« »Eine Wohnung verrät viel über ihren Besitzer. Ich wette, dass ich irgendetwas finde, das mir hilft, Jonathan auf die Spur zu kommen.« Nach kurzem Zögern reichte sie mir den Schlüssel. »Ich vertraue Ihnen.« Ich gönnte mir einen weiteren Zug von der Lucky. »Das trifft sich gut. Was mich angeht, so bin ich ebenfalls ein vertrauensseliger Mensch. Zum Beispiel vertraue ich auf die Wirkung eines guten Bour bon.« »Sie trinken, Mister Connor?«, fragte sie mit einer aparten Mi schung aus Vorwurf, Neugier und heimlicher Billigung. Ich winkte ab. »Nur berufsbedingt. Oder wenn ich eingeladen werde. Außerhalb der beruflichen Pflichten also eher selten.« 9
Nach dieser faustdicken Lüge kam ich wieder zum Thema zurück. »Wo treibt sich Jonathan denn üblicherweise herum, wenn es ihm in seinem trauten Heim zu langweilig ist?« Die Lady schenkte mir wieder einen tiefen Blick aus ihren grünen Feueraugen. »Überall dort, wo man viel Geld gewinnen oder verlieren kann. Die anderen gewinnen und er verliert.« Einige dieser Orte kannte ich auch, natürlich nur rein beruflich. Manche waren staatlich geduldet oder wurden wegen der stattlichen Steuereinnahmen sogar insgeheim gefördert: Wettbüros, Casinos, Pferderennbahnen, Hunderennbahnen. Andere waren es nicht: Die Hinterzimmer von irgendwelchen Spelunken, in denen Berufsspieler beim Pokern ihre Opfer wie Weihnachtsgänse ausnahmen. »Kennen Sie seine Lieblingskneipen?« »Wofür halten Sie mich?«, entrüstete sie sich. »In diesem Milieu verkehre ich nicht.« »Das versteht sich von selbst, Madam. Immerhin könnte Ihr Bru der mal den einen oder anderen Namen erwähnt haben.« »Er wusste, dass ich davon nichts hören wollte, aber...« Mrs. Dexter zögerte. Ich wartete. »In Zusammenhang mit den Kriminellen, die ihn bedrohen, fiel der Name Bella Napoli. Warten Sie...« Sie überlegte angestrengt. »Er sag te sinngemäß: ›Sie hindern mich sogar, das Geld zurück zu gewinnen. Sie tauchen überall auf. Nur im Bella Napoli bin ich im Moment noch sicher vor ihnen. Dafür sorgen Domenico und seine Jungs.‹« Bella Napoli. Kannte ich dem Namen nach. Es befand sich irgendwo in der Nähe vom Washington Park. Domenico und seine Jungs. Die kannte ich noch nicht, aber das würde sich zu beiderseitigem Missfal len wohl ändern. Ich wusste doch gleich, dass mir die Makkaronis nicht erspart bleiben würden. Es war an der Zeit, die Lady loszuwerden und einen Bourbon auf meine italienischen Freunde zu trinken. Mrs. Dexter schien durchaus Verständnis für mein unausgespro chenes Bedürfnis zu haben, denn sie erhob sich von ihrem Stuhl. Die Bewegung ließ die Bluse etwas enger anliegen und Dinge darunter in 10
leichte Schwingungen geraten, was meine vorhin unterbrochene Kur vendiskussion zu einem nicht nur für Mathematiker durchaus interes santen Ergebnis kommen ließ. Die Frage, wie das Ganze formstabil der Schwerkraft trotzte, hätte allerdings den Sachverstand eines Physikers erfordert. Was mich anging, so nahm ich als interessierter Laie die Dinge mit erfreuter Aufmerksamkeit einfach so, wie sie waren. »Mister Connor, ich höre dann von Ihnen?« »Aber gewiss doch, Madam«, sagte ich und lächelte gewinnend. »Wann?« »Wenn Sie mir Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer geben, werde ich Sie schon morgen über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis setzen. Vielleicht habe ich Ihren Bruder bis dahin auch schon gefunden.« Ich reichte ihr Bleistift und Zettel. Sie kritzelte im Stehen etwas darauf und rauschte dann ab. Auf dem Zettel stand: Sie sind ein interessanter Mann, Mister
Connor. Ich rufe Sie an. Judith Dexter.
»Soll ich die Adresse und die Telefonnummer in die Kartei aufneh men?«, fragte Betty, die sich inzwischen dem Bleistiftspitzen zuge wandt hatte. »Äh... Ich glaube, das wäre Mistress Dexter nicht recht«, erwider te ich und steckte den Zettel ein. Betty kicherte. »Sie sind ja völlig hin und weg, Pat.« »Was für ein Unsinn. Wenn ich anders als sonst wirke, dann nur, weil ich heute noch keinen Sprit im Tank hatte.« »Sie haben sie mit Ihren Blicken förmlich ausgezogen«, behaupte te meine viel zu gut bezahlte Bürokraft mit vorwurfsvollem Unterton. »Und Sie sollten beim Bleistiftspitzen beachten, dass die Dinger zum Schreiben gedacht sind und nicht zur Anfertigung von Holzspä nen«, erwiderte ich ärgerlich. »Wussten Sie das nicht? Der Stummel, den Sie in der Hand halten, war vor zehn Minuten noch ein langer Bur sche.« »Dieses Phänomen ist mir durchaus bekannt, wenn auch weniger in Bezug auf Bleistifte«, konterte sie spitz. »Aber so sind die Männer. 11
Wenn man Ihnen die Wahrheit ins Gesicht sagt, kommen sie einem mit Belanglosigkeiten.« Ich fragte mich, ob alle Chefs sich mit aufsässigen Mitarbeitern herumschlagen mussten. Manchmal hatte ich das dringende Bedürfnis, meine Büroblondine zu feuern. Aber dann sagte ich mir, dass Betty auch ihre guten Seiten hatte, obwohl sie sich große Mühe gab, sie zu verbergen. Und eigentlich hatte ich mich an ihre schnippische Art und ihre spitze Zunge schon so sehr gewöhnt, dass mir ohne sie etwas fehlen würde. Ich drückte die Zigarette aus und schenkte mir aus dem Flach mann einen Bourbon ein. Mein Magen lohnte es mir mit einem warmen Gefühl tiefer Dankbarkeit und ich fühlte mich wieder allen Xanthippen der Welt gewachsen. »Haben Sie eigentlich einen Bruder, Betty?«, fragte ich. »Wenn ich nur einen hätte, wäre ich froh. Ich habe zwei davon. Beide älter als ich und jeder von ihnen kehrt mir gegenüber den über legenen großen Gönner heraus.« »Vielleicht liegt es daran, dass Ihre Brüder das Wesen eines Blei stifts besser erkannt haben als Sie.« Bevor sie zu einem Gegenschlag ausholen konnte, fügte ich hinzu: »Sie haben doch alles mit angehört, Betty. Wie schätzen Sie das Verhältnis von Mistress Dexter zu ihrem Bruder ein? Geschwisterliebe pur?« »Auf gar keinen Fall!«, gab Betty zur Antwort. »Nicht?«, tat ich verwundert. In Wahrheit teilte ich Ihre Einschät zung. »Aber sie macht sich doch Sorgen um ihn und will ihm unbe dingt helfen.« »Behauptet sie.« »Wie meinen Sie das?« »Ihre Stimme klang ziemlich nüchtern, als sie von ihrem Bruder sprach.« Ich blieb in der Rolle des Pflichtverteidigers meiner Klientin. »Ist das ein Wunder? Schließlich hat er sie immer wieder enttäuscht.« »Sind Sie ein Privatdetektiv oder ein verliebter Gockel, Pat? Wenn Ihnen Männer oder ältere Frauen etwas erzählen, glauben Sie denen doch auch nicht alles.« 12
Ich griff mir meinen Hut. »Der Gockel geht jetzt Körner picken. Und Sie lassen die Bleistifte in Ruhe, okay?« * Es war ein milder Frühsommertag und die Sonne lachte vom Himmel. Ein solcher Tag war eigentlich bestens dazu geeignet, über die Michi gan Avenue zu bummeln, mit einem Ausflugsdampfer auf den See hinauszufahren oder sich am North Avenue Beach unter die Robinien in Weisman's Garden zu setzen. Wenn man dort eine Zitronenlimonade bestellte und dabei vor den Augen des Kellners die Serviette unauffäl lig zu einer Wurst verdrehte, bekam man die Limo mit einem kräftigen Schuss angeliefert, der dem Saft der Zitrusfrüchte die richtige Prozent zahl verlieh. Aber das musste warten. Im Moment war angesagt, das nötige Kleingeld für derartige Vergnügungen zu verdienen. Und die richtigen Prozentzahlen würde ich auch anderswo tanken können. Es galt, einen hinkenden, spitznasigen Schuldenmajor zu finden, der sich für einen Engländer hielt. Um genau zu sein: Ihn zu finden, bevor ihn andere fanden, die überhaupt keinen Spaß kannten, wenn es um Geld ging. Der Beginn der Suche gestaltete sich unerwartet schwierig. Als ich mich in meinen Plymouth setzte, den Anlasser betätigte und dabei Gas gab, war nur ein müdes Schaben zu hören. Ich versuchte es noch einmal. Dieses Mal weigerte sich der Anlasser, überhaupt etwas zu tun. Ich fluchte, aber das half mir auch nicht weiter. Schließlich zog ich im Hinblick auf das vor mir liegende schweißtreibende Geschäft das Ja ckett aus, stieg aus dem Wagen und fummelte die Kurbel aus der Hal terung. Als sie mich mit der Kurbel in der Hand zum vorderen Ende des Motorblocks gehen sahen, blieben sofort einige Passanten stehen. Erfreut über die Abwechslung, eilten weitere Leute herbei. Ich erntete gute Ratschläge und gehässige Kommentare, als ich die Kurbel ansetz te und mit beiden Händen Schwung holte. Ich kümmerte mich nicht um die Gaffer mit ihren losen Zungen. Der erste Versuch misslang. Ich 13
erntete Gelächter und den Ratschlag, mich angesichts meiner nur ru dimentär vorhandenen Muskeln lieber mit dem Aufziehen von Spieldo sen zu beschäftigen. Der zweite Versuch brachte auch nichts. Jemand schlug mir vor, ich sollte die Karre besser verschrotten und mir stattdessen ein Pferd kaufen. Es war der richtige Kommentar, um meinen Ehrgeiz anzusta cheln. In die nächsten Kurbelumdrehungen legte ich alles, was ich hatte. Und plötzlich lief die Kiste. Zufrieden schaute ich mich um. Zwei kleine Mädchen klatschten Beifall. Die anderen Gaffer wandten sich enttäuscht ab. Ich schenkte meinen Bewunderinnen einen Dirne für Süßigkeiten, stieg in den Ply mouth und zündete mir erst einmal eine Zigarette an. Ich überlegte, was zu tun war. Da ich nicht vorhatte, den Tag mit weiteren Freiübun gen dieser Art zu verplempern oder mir gar den Arm auszukugeln, würde mir die Werkstatt nicht erspart bleiben. Wenn ich Ärger mit dem Wagen hatte, ließ ich ihn meistens in Tom's Garage reparieren. Die lag nur ein paar Schritte von Dunkys Speakeasy entfernt, sodass ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnte. Ich bugsierte den Wagen aus der Parklücke und fädelte mich in den Verkehr auf der South Franklin ein. Vor mir fuhr ein Doppeldecker. Auf dem Oberdeck sonnten sich Dutzende von Männern, Frauen und Kindern. Die meisten Männer trugen wie ich Anzug und Hut, dazu manchmal einen Übergangsmantel, einige auch billige Arbeiterjacken und Ballonmützen, die Frauen Jackenkleider oder Kostüme und Hüte der verschiedensten Art. Die Mutigeren unter ihnen verzichteten wie Judith Dexter auf den Hut. Erst an der nächsten Haltestelle gelang es mir, den Bus zu über holen. Mit dem Ergebnis, dass ich wenig später einen anderen Bus vor der Nase hatte. Erst auf dem Wacker Drive konnte ich auf die linke Spur wechseln und kam etwas flotter voran. Trotzdem brauchte ich zwanzig Minuten, um die North Clark zu erreichen. Ich parkte vor der Garage, ließ den Motor laufen, stieg aus und erwischte Tom, wie er gerade in der Nase bohrte. Das war ein gutes Zeichen. Nicht dass es mich interessierte, ob Tom fündig wurde, aber 14
offensichtlich hatte er im Moment nichts anderes zu tun. Er nahm den Finger aus der Nase, wischte ihn an der speckigen Hose ab und kam herangewatschelt. »Probleme, Pat?«, fragte er und beäugte dabei schon mal meinen Plymouth. »Der Wagen wollte nicht anspringen. Mir blieb nur die Kurbel.« Tom grinste, was bei seinem breiten Mund bedeutete, dass die Ohren Besuch bekamen. »Erzählen Sie mir jetzt nichts über Spieldosen und Pferde«, warn te ich ihn. »Das musste ich mir vorhin schon anhören.« Tom winkte ab. »Dämliche Fußgänger. Lassen Sie mich mal ma chen.« Er fuhr den Wagen über die Grube, schaltete den Motor aus und das Licht ein. Dann startete er den Anlasser. Es klickte nur. »An der Batterie liegt's nicht«, erklärte der Mechaniker. »Ich wer de mir mal den Anlasser anschauen.« »Wie lange brauchen Sie?« Tom kratzte sich am Kopf und fügte der ohnehin nicht mehr sau beren Stirn einen weiteren schwarzen Fleck hinzu. »Schwer zu sagen. Wenn's nur ein loses Kabel oder ein Kontakt ist, eine halbe Stunde. Wenn ich den Anlasser reparieren muss...« Mir schwante nicht Gutes. »Ich habe einen Auftrag und brauche den Wagen dringend.« »Ich krieg das schon hin«, beruhigte er mich. »Kommen Sie in ei ner Stunde vorbei oder rufen Sie mich an.« »Okay, dann gehe ich auf den Schreck erst einmal einen trinken bei Dunky.« »Privatdetektiv musste man sein«, seufzte der Mechaniker und machte sich an die Arbeit. * Ich machte mich ebenfalls an die Arbeit. Bei Dunky war heute nicht viel los. Ich zählte außer mir nur sieben weitere Gäste. Dunky schaute dementsprechend noch missmutiger drein als sonst. Ich setzte mich an 15
die Theke, ließ mir einen Bourbon für die Kurbelei einschenken, kippte ihn gleich hinunter und bestellte einen zweiten zur Besänftigung des Autogottes. »Auf ein loses Kabel«, sagte ich und schickte den Whiskey zu sei nem Vorgänger. Dunky runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Er war es gewöhnt, dass seine Gäste die merkwürdigsten Trinksprüche von sich gaben. Am liebsten waren ihm allerdings Leute, die sich einfach nur voll laufen ließen, ohne viel zu quatschen. Er blieb aber mit der Flasche bei mir und sah mich fragend an. »Einen noch«, sagte ich. »Auf den schnellen Tom.« Dunky zuckte die Achseln und schenkte ein. Schließlich bequemte er sich doch zu einer Frage. »Ärger mit dem Auto?« Ich zählte die Wörter. Vier für drei Bourbon. Darauf konnte ich mir etwas einbilden. »Keinen ernsthaften, hoffe ich. Ich wollte eigentlich längst in der West Schubert sein.« Wenn ich gesagt hätte, ich sei mit dem Präsidenten verabredet, wäre dies von Dunky genauso kommentarlos hingenommen worden. Er wollte sich abwenden, aber ich hielt ihn zurück. »Kennst du zufällig einen hinkenden Typen mit Menjoubärtchen, der sich wie ein vornehmer Engländer benimmt und leidenschaftlich gern spielt? Er heißt Tackett.« Dunky starrte mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob seine Groß mutter mit dem Motorrad in den Rocky Mountains unterwegs sei. Er wischte ein imaginäres Staubkorn von der Theke, bevor er antwortete. »Ich kenne viele verrückte Engländer, sogar einen mit Gicht und einen, der eine riesige Glasmurmelsammlung hat, aber hinken tut von denen keiner.« »Er ist kein richtiger Engländer, sondern tut nur so.« Der dicke Dunky strich sich über die Glatze, als wollte er fühlen, ob nicht eventuell doch Haare nachgewachsen waren. »Dann müsste man ihn wegsperren. Nein, so einen kenne ich nicht.« »Hätte ja sein können.« Ich steckte mir eine Lucky an. »Verkehrst du in Spielerkreisen?« 16
»Ich gehe manchmal zu den White Socks.« Irgendwie schien es heute alle Welt darauf anzulegen, mich für dumm zu verkaufen. Sogar der Wirt meiner Stammkneipe. »Ach komm, Dunky, du weißt genau, dass es nicht um Baseball geht.« »Für Glücksspiele ist mir mein hart verdientes Geld zu schade.« »Du brichst ja auch nicht ein und kennst trotzdem ein paar Ein brecher. Wie sieht es also mit Spielern aus? Berufsspielern zum Bei spiel.« Dunky sah mich sinnierend an. Wahrscheinlich rechnete er den Morgenumsatz auf den Gesamtumsatz des Tages hoch und ermittelte seinen Bedarf an zusätzlichem Einkommen. Dann raunte er mir zu: »Ich kann dich eventuell hier und auf der Stelle mit jemandem zu sammenbringen, der sich in dieser Szene bestens auskennt.« Er wartete. Ich wusste worauf. Ich streifte die Zigarettenasche ab und zog einen Lincoln aus der Tasche. Er schüttelte den Kopf. Ich ersetzte den Lincoln durch einen Hamilton. Dunky steckte ihn ein und machte eine Bewegung mit dem Kopf. »Dort drüben, am hintersten Tisch. Der Mann mit der Fliege.« Ich sah in die angegebene Richtung. Dort saß ein älterer, ziemlich hager aussehender Bursche mit krausem silbergrauem Haar und stier te vor sich hin. Er führte einen eleganten dunklen Anzug nebst Weste spazieren und hatte sich in der Tat eine schwarze Fliege umgebunden. Vor ihm stand ein gefülltes Glas, daneben eine angebrochene Flasche Bourbon. Der Kerl schien größeren Durst mitgebracht zu haben. Ich drückte die Zigarette aus, zog meine Krawatte fest, nahm mein Whiskeyglas und steuerte den Tisch an. »Ist es erlaubt, sich zu setzen, Sportsfreund?« Mister Silberhaar schaute auf. Ich sah in stahlblaue Augen, in de nen ich absolut nichts lesen konnte. Diesen Kerl konnte ich mir ver dammt gut in einer Pokerrunde vorstellen. »Ich trinke lieber allein«, brummte er. 17
So leicht ließ ich mich nicht abwimmeln. »Ich bin Pat Connor, Pri vatdetektiv«, sagte ich. »Unser gemeinsamer Freund Dunky meinte, Sie könnten mir vielleicht mit einer fachlichen Auskunft weiterhelfen. Es dauert keine fünf Minuten. Dann bin ich wieder verschwunden.« Mister Silberhaar zauderte. »Na schön, Dunky zuliebe.« Er deutete auf einen freien Stuhl. Ich setzte mich und stellte mein Glas ab. Er zog eine silberne Taschenuhr an einer ebenfalls silbernen Kette aus der Westentasche und schaute darauf. »Fünf Minuten, Mister Con nor, nicht mehr. Die Zeit läuft.« Irgendwie hatte ich das Gefühl, bis dahin einen Royal Flush prä sentieren oder einen Schuldschein ausfüllen zu müssen. Trotzdem nahm ich mir die Zeit, eine frische Zigarette aus der Packung zu klop fen und sie anzuzünden. »Kennen Sie vielleicht einen Jonathan Tackett, Mister...« »Füller«, half mir Mister Silberhaar aus. »Frederic Füller.« »Mister Füller«, ergänzte ich. »Der erwähnte Jonathan Tackett soll ein Faible für Spiele aller Art haben, bei denen es um Geld geht. Wenn er Ihnen namentlich nicht bekannt ist, dann vielleicht vom Aussehen her. Er zieht das linke Bein nach, trägt ein Menjoubärtchen, hat eine spitze Nase und markiert den vornehmen Engländer.« Füller nahm einen guten Schluck von seinem Bourbon, bevor er antwortete. »Ja, den kenne ich flüchtig. Ich habe schon mehrmals mit ihm am Kartentisch gesessen.« »Im Bella Napoli?«, fragte ich betont beiläufig. »Nein, anderen Orts. Im Übrigen rede ich weder über Lokalitäten noch über Mitspieler. Sie wollten gehen?« »Moment, die fünf Minuten sind noch nicht um.« Ich zog an mei ner Zigarette. »Ich schätze Leute mit Prinzipien. Aber meine Klientin ist die Schwester von Jonathan Tackett und sie macht sich Sorgen um ihn. Sie wissen nicht, wo ich ihn finden kann?« »Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr gesehen und habe keine Ahnung, was er treibt, wenn er nicht am Kartentisch sitzt.« »Was für eine Art Spieler ist Jonathan Tackett?« »Ich sagte schon, ich rede nicht über...« 18
»Er kann nicht verlieren, stimmt's?«, unterbrach ich ihn. »Er spielt immer weiter und wenn ihm das Geld ausgeht, stellt er Schuldscheine aus. Oder?« Füller lachte laut heraus. »Wer hat Ihnen denn diesen Mist er zählt? Ich kenne nur wenige Spieler, die sich so unter Kontrolle haben wie Tackett. Er setzt sich ein festes Limit und hält sich daran bis auf den letzten Cent. Und nun reicht es mir, Mister Connor. Ich bin kein Auskunftsbüro.« Mir war klar, dass ich Frederic Füller keine weitere Silbe entlocken würde. Es war besser, mich zurückzuziehen, bevor der Bursche ernst haft ärgerlich wurde. Dann hätte ich es mir auch mit Dunky verdorben. Ich nahm mein Glas, nickte dem Griesgram mit Fliege zu und kehrte zu dem Griesgram mit Glatze zurück. »Zufrieden?«, fragte Dunky. »Ich habe etwas Interessantes erfahren, aber ich frage mich, ob das einen Hamilton wert war.« Dunky zuckte die Schultern. Er hatte einen Kontakt vermittelt und das war's. Was ich daraus machte, interessierte ihn nicht weiter. Wi derwillig musste ich zugeben, dass er aus seiner Sicht damit wohl Recht hatte. Was mich anging, stand ich vor einem Problem. Judith Dexter hat te ihren Bruder als hemmungslosen Spieler dargestellt. Laut Füller war er das Gegenteil davon. Kannte Judith ihren Bruder so wenig? Oder täuschte sich Füller in ihm? Hatte mich am Ende einer der beiden an gelogen? Wenn das der Fall war, tippte ich auf Füller. Vielleicht steckte er mit den Gangstern, die Jonathan bedrohten, unter einer Decke. Die Geschichte, die mir Judith erzählt hatte, schien dagegen Hand und Fuß zu haben. Nur ein Spieler, der sich nicht unter Kontrolle hatte, setzte Schuldscheine ein. Um überhaupt irgendetwas zu sagen, fragte ich Dunky: »Sagt dir der Name Ernest Dexter etwas?« Die Antwort kam erstaunlich prompt. »Meinst du den Immobilien makler Ernest Dexter? Schotter-Dexter?« »Hat er eine aufregend hübsche Frau namens Judith?« »Hat er.« 19
»Und wieso nennst du ihn Schotter-Dexter?« »Weil er Schotter ohne Ende hat. Und den kann er nicht allein durch den Verkauf von Immobilien gemacht haben, sagt man.« »Womit dann?« Dunky gestattete sich ein sparsames Lächeln, das ihm überhaupt nicht stand. »Ich wette, Präsident Hamilton könnte mehr darüber aus plaudern.« Ich trank meinen Bourbon aus. »Und ich wette, Präsident Lincoln weiß das Gleiche wie Präsident Hamilton.« Dunky gab sich geschlagen. »Weil du es bist.« Er kassierte den Lincoln und sagte leise: »Dexter bezahlt die besten Anwälte der Stadt und man kann ihm nichts beweisen. Aber man sagt ihm ziemlich enge Kontakte zu Rigobellos Syndikat nach. Mehr weiß ich nicht und mehr will ich auch nicht wissen.« Ich pfiff leise durch die Zähne. Ob Judith davon wusste? Eigentlich konnte es ihr nicht verborgen geblieben sein. Ich wusste zwar nicht, was Dexters krumme Geschäfte mit Jonathan Tackett zu tun haben sollten, aber interessant war die Sache doch. Immerhin wurde Jona than ebenfalls von Gangstern bedroht, wenn auch nicht von Il Cardina les Leuten, sondern von Zugereisten. »Dunky, jetzt gönne ich dir auch den Hamilton von vorhin«, sagte ich zufrieden. Ich schaute auf die Uhr. Die Stunde, die mir Tom vorgegeben hat te, war noch nicht ganz um, aber ein bisschen Bewegung würde mir jetzt gut tun. Und vielleicht war der Wagen ja tatsächlich schon start klar. Ich drückte die Lucky aus, zahlte für die Rachenputzer, setzte den Hut auf und verließ das Speakeasy. * Ich hatte Glück. Als ich in Tom's Garage eintraf, saß der gerade am Steuer meines Wagens und unternahm einen Probestart. Der Anlasser kam wie eine Eins. Er schaltete den Motor ab und startete erneut. Wieder tadellos. 20
»Was war denn?«, rief ich über den Motorenlärm hinweg. Tom brabbelte irgendetwas von abgenutzten Kohlestiften, die er ersetzt hätte, aber ich muss zugeben, dass ich mit technischen Einzel heiten nicht viel anfangen kann. Es erstaunte mich allerdings, dass ein Anlasser irgendwie mit Bleistiften betrieben wurde, aber dass die sich abnutzen konnten, leuchtete mir ein. Wenn ich jemals auf die dumme Idee kommen sollte, Betty Meyer den Wagen fahren zu lassen, würde dies gewiss noch erheblich schneller vonstatten gehen. Mit fünfzehn Dollar für die Reparatur kam ich glimpflich davon und ich war heilfroh, als ich wieder auf der North Clark unterwegs war. Ich kam ganz gut voran, passierte den Germania Park und hatte zur Rech ten nur noch Grünflächen, die sich bis zum North Avenue Beach er streckten. Bevor ich mich auf der Höhe des South Pond befand, bog ich in die North Lincoln Avenue ab, die mich am Lincoln Park und an der De Paul University vorbei direkt zur West Schubert führen würde. Der Verkehr war dicht, geriet aber nur an größeren Kreuzungen ins Stocken, wo Polizisten auf Podesten standen und mit den Armen und Trillerpfeifen den Verkehr lenkten. Vor und neben mir waren mehr schwere und nagelneue Limousi nen und Kabrios zu sehen als in anderen Teilen der Stadt. Die Häuser besaßen selten mehr als zwei Stockwerke und die meisten waren durch großzügig bemessene Vorgärten dem Lärm des Straßenverkehrs weitgehend entzogen. Vor den Häusern und in den Auffahrten größe rer Anwesen parkten Cadillacs, Auburns und Packards mit endlos lan gen Motorblöcken, die meisten davon tadellos im Lack, penibel gewa schen, sorgsam gewachst und mit Ausdauer poliert. Sicher nicht von den Besitzern, sondern von dienstbaren Geistern. An manchen blitzten verchromte Kühlerblenden, protzige Kühlerfiguren und Türgriffe. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Teil der Stadt sogar die Trittbretter der Autos gewienert wurden. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass hier die betuchteren Bürger Chicagos wohnten. In der West Schubert war es noch gediegener. Geschlossene Häu serzeilen gab es nur an wenigen Stellen und dort ballten sich Barber Shops, Drugstores, normale und koschere Metzgereien, Gemüse-, Fisch- und Milchläden. Die meisten anderen Häuser waren freistehen 21
de Villen, die oft hinter dichten Ketten von Büschen und Bäumen ver steckt lagen. Das Haus Nummer 88 gehörte auch dazu. Von der Straße aus waren nur ein verschnörkelter, schmiedeeiserner Zaun mit einem Briefkasten, auf dem in Form polierter Messingziffern die Hausnummer prangte und weiter hinten auf dem Grundstück das rote Ziegeldach einer riesigen zweistöckigen Villa zu erkennen. Am Straßenrand war reichlich Platz und ich parkte hinter einer eindrucksvollen Lincoln-Limousine direkt vor der Eingangspforte des Vorgartens. Ich stieg aus, zündete mir eine Zigarette an und öffnete die Pfor te. Ein von blühenden Magnolien gesäumter Weg führte zu einem herrschaftlichen Haus im Kolonialstil. Im nächsten Moment raste laut bellend ein dunkelbraunes Kraftpaket auf mich zu. Ich blieb ganz ru hig. Mit Hunden habe ich normalerweise keine Probleme. Dieser erwies sich als grimmiger Rottweiler, aber er blieb auf Distanz und beschränk te sich darauf, abwechselnd zu bellen und die Zähne zu fletschen. Der Lärm lockte einen Mann vor das breite Eingangsportal des Hauses. Er pfiff den Köter zurück und rief mir mit deutschem Akzent zu: »Was wollen Sie?« »Ich muss in die Wohnung von Mister Tackett«, antwortete ich, klemmte mir die Zigarette in den Mundwinkel und näherte mich ihm ohne Hast. Der Rottweiler hatte sich inzwischen einigermaßen beruhigt und saß leise knurrend neben seinem Dompteur. In der Tat trug der etwa fünfzig Jahre alte Bursche eine Art Uniform, die allerdings eher auf einen Berufsbajuwaren als auf einen Raubtierbändiger verwies: Knie lange Lederhosen, Träger mit Quersteg, auf den ein Edelweiß gestickt war, ein rot kariertes Hemd, rote Kniestrümpfe, dazu einen Sepplhut mit Gamsbart. Ich war angemessen beeindruckt und fragte mich, ob der Kerl als Schuhplattler in einem der deutschen Lokale auftrat. Wenn ihm dieses Haus gehörte, was ich vermutete, würde er das allerdings kaum nötig haben. Der Kerl war untersetzt und stiernackig und zwischen den buschi gen Augenbrauen und dem straff nach hinten gekämmten Haarschopf blieb höchstens drei Finger breit Platz für die nicht sonderlich edle 22
Denkerstirn. Er guckte genauso grimmig wie sein Hund und wirkte auch genauso knurrig. Die beiden passten gut zueinander, wie ich fand. Ich musste Judith Dexter Recht geben: An den beiden unbe merkt vorbeizukommen erforderte Chloroform in Hospitalmengen. »Gehören Sie zur Familie?«, wollte Mister Sepplhut wissen. »Aber gewiss doch«, versicherte ich ihm. »Gehören wir in Amerika nicht alle zu einer großen Familie?« Er blickte so giftig, dass ich schon dachte, er würde jetzt den Hund auf mich hetzen oder einen Maßkrug holen und auf meinem Kopf zerdeppern. »Verschwinden Sie, bevor ich grob werde!«, herrschte er mich an und baute sich breitbeinig vor dem Eingang auf. »Moment mal, mein Bester«, sagte ich. »Ich komme im Auftrag von Mistress Judith Dexter, die mir den Schlüssel für Mister Tacketts Wohnung mitgegeben hat. Sie kennen doch sicher ihren Mann, den bekannten Immobilienmakler Ernest Dexter, oder? Sie handeln sich riesigen Ärger ein, wenn Sie mir noch länger den Weg versperren.« Nach kurzer Bedenkzeit gab Mister Sepplhut missmutig den Ein gang frei. »Man sollte meinen, dass Ernest Dexter für die Mietschulden seines Schwagers aufkommt«, murrte er. »Aber was ist?« »Na was denn?«, fragte ich freundlich, wie es meine Art ist. Er spuckte aus. »Nix ist.« Ich hielt es für an der Zeit, dem Urviech ein wenig vom American Way of Life einzubläuen. »Der gute alte Ernest wäre wohl kaum so reich, wenn er sich nicht darauf verstünde, seinen Schotter zusam menzuhalten.« Ich warf die Zigarettenkippe fort und schob mich an dem Kerl vor bei in den Hausflur. Ockerfarben gefliester Fußboden, ein gleichfarbiger Ölsockel, Stuckrosetten an der Decke. Rechts befand sich eine massive, getäfel te Eichentür mit einem polierten Kupferschild, auf dem in verschnör kelten Buchstaben ›Alois Steinseifer‹ stand. Direkt vor mir führte eine Treppe in den ersten Stock. Der Stiernackige deutete mit dem breiten Daumen zur Treppe. »Da oben wohnt der Hallodri.« Finster fügte er hinzu: »Noch. Seit zwei 23
Wochen hat er sich nicht mehr blicken lassen. Wenn ich nicht bald Geld sehe, landen seine Möbel beim Trödler.« Dieser Müll interessierte mich nicht. »Mir ist völlig schnurz, was Sie in Ihrem Haus anstellen, solange Sie nicht von mir erwarten, dass ich Ihnen beim Ausräumen helfe, Mister Stiensieper.« »Steinseifer«, korrigierte er mich unwirsch. »Oder so.« Ich zuckte die Achseln. Die Deutschen haben fast so eigenartige Namen wie die Makkaronis, nur sind diese Namen noch schwieriger auszusprechen. Ohne den grantigen Kerl weiter zu beachten, stiefelte ich die Treppe hinauf und stand vor einer weiteren Wohnungstür. Der Baju ware schloss sich schnaufend an. Der Rottweiler kam auch mit. Ich zückte den Schlüssel und wollte aufschließen, aber Mr. Steinseifer hatte etwas dagegen. »Da haben Sie nichts zu suchen, Mis ter. Das ist die Wohnung meiner geschiedenen Frau. Die alte Kuh haut Ihnen ein Nudelholz zwischen die Hörner, wenn Sie Radau machen. Die Wohnung von Mister Tackett liegt im zweiten Stock.« Erwähnte ich schon, dass Bajuwaren für ihre sowohl unverblümte als auch überaus herzliche Art bekannt sind? Also stiefelte ich weiter und dieses Mal stand ich vor der richtigen Tür. ›Sir Jonathan Tackett‹ stand auf dem Türschild. Darunter war eine Krone eingraviert. Für meinen Geschmack übertrieb Jonathan es ein wenig mit sei nem Englandfimmel. Oder sollte ich ihm zu seiner vornehmen engli schen Zurückhaltung gratulieren, die ihn davon hatte Abstand nehmen lassen, sich den Titel eines Lords zuzulegen? Ich öffnete die Tür und betrat ein gut dreißig Quadratmeter gro ßes Wohnzimmer. Ich hatte keine bestimmten Erwartungen an die Behausung eines stark verschuldeten Möchtegern-Engländers und Spielers gehabt. Eine britische Fahne, ein Porträt von King George V. oder ein Stillleben mit Fish'n'Chips und Plumpudding hätten mich e benso wenig überrascht wie ein an die Wand genageltes Kartenspiel. 24
Was ich erblickte, amüsierte mich allerdings weniger als King George eine Trikolore. An den Wänden hingen dicht an dicht kubistische Gemälde. Der Inhalt von zwei Kommoden und einem Büfett lag nebst Schubladen auf den Holzdielen des Fußbodens verstreut, in einer Ecke türmten sich die Scherben von achtlos zu Boden geschleuderten Gläsern, Karaffen, Tee tassen und Figurinen. Einige kahle und deutlich hellere Flecken an den Wänden ließen vermuten, dass hier weitere Gemälde gehangen hat ten. Tatsächlich entdeckte ich sie mit zerbrochenen Rahmen in einer anderen Ecke des Raumes. Eines davon hatte einen Wandtresor ver deckt, dessen Tür sperrangelweit offen stand. Der Schlüssel steckte im Schloss. »Jesses!«, rief Mister Steinseifer aus. »Wollen Sie damit sagen, dass es hier nicht immer so aussieht?«, erkundigte ich mich. Der Lederhosenträger antwortete mir nicht, sondern ging zum Tresor und äugte hinein. »So ein Hundsfott!«, knurrte er. Den Ausdruck kannte ich ebenfalls nicht, aber der Sinn teilte sich mir irgendwie mit. »Langsam, langsam«, bremste ich ihn. »Mister Tackett selbst wird wohl kaum so achtlos mit seinen Sachen umgehen, oder?« Der Bajuware machte eine abfällige Handbewegung. »Ob er gern in einem solchen Saustall haust, ist mir Wurst. Aber dass der Saukerl seine Miete nicht zahlt, obwohl er teuren Schmuck, im Tresor hat, nehme ich ihm übel.« Ich überprüfte die Situation. Tatsächlich entdeckte ich im Tresor einige goldene Ringe und mit Brillanten besetzte Krawattennadeln, außerdem einen Stapel mit Papieren, die ich flüchtig durchblätterte. Es handelte sich um Aktien und Goldzertifikate. Ich bin kein Experte in diesen Dingen, aber das ganze Zeug musste mindestens fünftausend Dollar wert sein, vielleicht sogar das Doppelte, wenn die Aktienkurse gut standen. Dann sah ich mich weiter in der Wohnung um. Die auf dem Boden verstreuten Sachen gaben mir wenig Aufschluss. Notizbücher, Merkzet 25
tel oder dergleichen entdeckte ich nicht. Die kubistischen Bilder er weckten eher meine private als meine berufliche Neugier. Ich erkannte Drucke von Braque und Leger. Eines der kleineren Originale trug die Signatur von Kupka. Dieses Bild ließ meine Schätzung von Tacketts Vermögen um mindestens eintausend Dollar nach oben schnellen. An dere Originale sahen eher nach den Arbeiten von talentierten Amateu ren aus und die Signaturen sagten mir nichts. Das war bei zwei weite ren Bildern anders. Gut leserlich war dort der Name Jonathan Tackett verewigt. »Tackett ist Maler?«, fragte ich erstaunt. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er ein Hallodri ist«, schnaubte der Sepplhutträger, der immer noch begehrlich in den Tresor schielte. Ich machte dem ein Ende, indem ich die Tür schloss, den Schlüssel umdrehte und dann an mich nahm. »Das sagten Sie, aber was soll das heißen?« »Dass er mit den beiden Künstlern herum säuft und mit ihnen när risches Zeug über Farbklecksereien daherredet. Und natürlich selbst solche Bilder malt. Ich bin weiß Gott kein Kunstbanause und mag zum Beispiel die Madonnenbilder daheim in der Herz-Jesu-Kirche, aber die ser moderne Affenkram ist für mich keine Kunst. So was kann ja mein Beppo besser, wenn man ihn mit farbigen Pfoten über eine Leinwand laufen lässt.« »Wirklich?« Ich schaute mir den Rottweiler flüchtig an. Er begann sofort wieder zu knurren, als ich Augenkontakt herstellte. »Er sieht mir eher wie ein Wadenbeißer als ein Kubist aus.« Beppo fletschte die Zähne und erhielt von seinem Dompteur eins hinter die Ohren. Da ich nicht die Absicht hatte, mich mit ihm auf eine tiefer gehen de Diskussion über moderne Kunst einzulassen, nahm ich die beruflich interessanten Aspekte des Ganzen ins Visier. »Wissen Sie, wie die bei den Künstler heißen, aussehen und wo sie wohnen?« »Der eine heißt Charles Dubbel und trägt immer einen schäbigen braunen Ledermantel. Der andere heißt Mort mit Vornamen. Er hat eine Haarmähne wie ein Löwe. Die beiden wohnen auf der South-Side. Mehr weiß ich nicht.« 26
Ich ließ mir den Namen Dubbel buchstabieren. »Die South-Side ist ziemlich groß, Mister Stiensieper.« »Steinseifer!«, erwiderte mein Gegenüber gallig. »Sorry. Darum bleibt die South-Side trotzdem ziemlich groß.« Mister Steinseifer dachte angestrengt nach. Dabei rutschten Haar ansatz und Sepplhut bedrohlich tief zu den Augenbrauen herab. »Ich glaube, sie treffen sich manchmal mit anderen Spinnern in einem Lokal auf der South-Side.« »Im Bella Napoli?«, fragte ich neugierig. »Nix da Napoli. Ein anderer Name wurde genannt, nichts Italieni sches... Ah, ich hab's: Dixie Chicken.« Diesen Schuppen kannte ich nicht, aber ich hatte eine vage Ah nung, wo ich suchen musste. In der Nähe vom Sherman Park gab es ein Viertel, in dem Jazzmusiker und andere Künstler wohnten. Notfalls würde mir ein Taxifahrer weiterhelfen können. »Sie waren mir eine große Hilfe, Mister.« Vorsichtshalber ließ ich diesmal den Namen weg. Ohne ihn weiter zu beachten, durchsuchte ich den Rest der Woh nung. Interessant war ein gepackter Schrankkoffer im Schlafzimmer. Er war ebenfalls durchwühlt worden und die Hälfte des Inhalts lag auf dem Fußboden. Die Zusammenstellung der Garderobe ließ vermuten, dass Jonathan Tackett eine längere Reise plante. Dies wurde zur Ge wissheit, als ich in einem Seitenfach des Koffers das Billett einer Schiffspassage auf der S.S. Maryland von New York nach Havanna entdeckte, ausgestellt auf den 20. Juni. Das war in knapp vierzehn Tagen. Ich hatte interessante Dinge erfahren und mit dem Bella Napoli und dem Dixie Chicken boten sich mir gleich zwei Orte, an denen ich Tackett eventuell aufstöbern konnte. Es sprach einiges dafür, dass er bei seinen Künstlerkollegen Unterschlupf gefunden hatte. Ich ent schloss mich, einen Ortswechsel vorzunehmen und wandte mich zur Tür. »Was haben Sie denn eigentlich in der Wohnung gewollt?«, ver suchte Mr. Sepplhut mich auszuforschen. 27
»Das geht Sie nichts an«, beschied ich ihn. »Fragen Sie Mistress Dexter, wenn Sie vor Neugier nicht schlafen können. Bei der Gelegen heit können Sie ihr auch gleich von dem Einbruch erzählen und sie fragen, ob sie die Polizei einschalten will. Oder rufen Sie selbst die Polizei an. Ganz wie Sie wollen.« »Einbruch?« Der Kerl war wirklich begriffsstutzig. »Wofür halten Sie das hier?«, fragte ich. »Für die Hinterlassen schaft einer ausgelassenen Party?« »Aber es fehlt doch nichts. Sogar der Schmuck im Tresor...« »Die Einbrecher haben etwas anderes gesucht. Manche Leute ma chen sich eben nichts aus Wertsachen.« »Von einem Einbruch hätte ich was gemerkt«, nörgelte Mr. Steinseifer. »Und wenn nicht ich, dann Beppo. Und wenn nicht Beppo, dann meine Exfrau. Die hört das Gras wachsen.« »Dann fragen Sie sie.« »Die alte Kuh? Niemals!« »Waren Sie und Beppo in den letzten Tage dauernd zu Hause?« »Wir waren am Wochenende bei meinem Bruder in Milwaukee.« »Na also.« Ich stellte mir die Brüder beim gemeinschaftlichen Jodeln, Schuh plattlern und Stemmen von Drei-Liter-Maßkrügen vor. Da waren mir Hot Jazz und Bourbon doch um einiges lieber. Na ja, jedem das Seine. * Das Bella Napoli öffnete erst um am Abend, wie ich wusste. Das moch te beim Dixie Chicken anders sein, aber ich rechnete mir bessere Chancen aus, wenn ich dort frühestens am Spätnachmittag aufkreuzte. Dann dürften auch die versumpftesten Künstler aus den Federn gekro chen sein und den Wunsch haben, neu aufzutanken. Ich entschloss mich, für den Fall, dass es im Bella Napoli Ärger gab, meinen Smith & Wesson aus dem Büro zu holen. Mit Glück er wischte ich Betty dort noch. Ich war neugierig, ob Judith Dexter in der 28
Zwischenzeit angerufen hatte. Und vielleicht gelang es mir, mich an schließend entweder mit Brendon oder mit Hollyfield zum Mittagessen zu verabreden. Obwohl es mit meinem Auftrag nichts zu tun haben musste, wollte ich gern etwas Näheres über Ernest Dexter und seine Kontakte zur italienischen Tommy-Gun-Fraktion erfahren. Auf der Fahrt zum Büro ging mir einiges im Kopf herum und ich rauchte dabei eine Zigarette nach der anderen. Wer war dieser Jonathan Tackett in Wirklichkeit? Ein hemmungs loser Spieler, der bedenkenlos Schuldscheine unterschrieb und sich damit in Gefahr brachte? Dazu ein Einzelgänger, dessen Bekannten kreis sich einzig und allein aus Gläubigern zusammensetzte? Oder ein vorsichtiger Spieler, der niemals einen Schuldschein unterschreiben würde? Und ein Sammler von kubistischer Kunst, der sich auch selbst als Maler betätigte und mit anderen Künstlern befreundet war? Ich sortierte die Fakten. Die Bilder hatte ich selbst gesehen, auch Tacketts Signatur. Der Hausverwalter hatte keinen Grund, mich anzu lügen. Also stimmte es wohl auch, dass Jonathan mit zwei anderen Künstlern befreundet war. Unstrittig war ferner, dass er Mietschulden hatte, die er locker aus seinem Privatvermögen hätte begleichen kön nen. Und er wollte eine Reise nach Havanna unternehmen. Warum? Um sich den Gangstern zu entziehen, die ihn jagten? Ich konnte eigentlich auch keinen Grund sehen, weshalb Judith Dexter mich angelogen haben sollte. Also musste ich weiter davon ausgehen, dass Füller mich verladen hatte oder Tackett einfach falsch einschätzte. Wenn Jonathan Tackett wirklich hohe Spielschulden bei den falschen Leuten hatte und um sein Leben fürchten musste, mach te es durchaus Sinn, dass er mit dem Geldausgeben knauserig war und beispielsweise die Miete nicht bezahlte, weil er ohnehin verduften woll te. Vielleicht waren die Spielschulden wesentlich höher als das, was Tackett aufbringen konnte und er sagte sich, dass er sich mit dem Erlös seiner Wertsachen besser eine neue Existenz in Kuba aufbaute. Ein Rätsel blieb jedoch: Wer hatte bei Tackett eingebrochen und was hatte er gesucht? Die Gangster, die ihn jagten, konnten es schwerlich gewesen sein. Selbst dann nicht, wenn sie Tackett auf ir 29
gendeine Weise den Tresorschlüssel abgenommen hatten. Sie hätten die Wertgegenstände mitgenommen. Judith Dexter kam mir in den Sinn. Sie hatte den Wohnungs schlüssel und wusste möglicherweise auch, wo ihr Bruder den Tresor schlüssel versteckte. Sie war schon einmal in der Wohnung gewesen, offenbar in Begleitung von Mr. Steinseifer. War sie später zu rückgekehrt? Aber was sollte sie dort gesucht haben? Kubistische Kunst doch wohl kaum. Und war es wirklich der Stil der Lady, sich mit einer solchen Aktion gegen den eigenen Bruder die Finger schmutzig zu machen? Ich war so in Gedanken, dass ich fast auf einen Lastwagen von Wrighley's aufgefahren wäre, als der plötzlich bremste. Irgendwie schien heute nicht mein Tag zu sein, was Autofahren anging. Ich tät schelte das Lenkrad meines Plymouth und versprach Besserung. Eine Weile hatte ich dazu allerdings keine Gelegenheit, denn weder der Lastwagen vor mir noch die Autoschlange neben mir setzte sich in Bewegung. Es ging auf Mittag zu und die North State war wieder ein mal verstopft. Mir blieb nicht viel anderes übrig, als zu warten und mir eine weitere Lucky anzuzünden. Was die Zigaretten anging, war ich schon bei der im Wagen deponierten Reservepackung angelangt. Ich merkte mir vor, im Laufe des Tages Nachschub zu besorgen. Eine Fla sche Bourbon musste ich ebenfalls organisieren, denn sowohl der Flachmann im Büro als auch die Schlaftrunkpulle zu Hause zeigten be ängstigende Tiefstände. Auf dem Wacker Drive hatte ich endlich wieder freie Fahrt und zehn Minuten später stürmte ich die Treppen zu meinem Büro hinauf. In der Maklerfirma Hopkins & Abernathy, die meinem Büro gegen über lag, hatte offenbar schon die Mittagspause begonnen. Miss Col lins, eine ältliche und etwas verkniffen wirkende Angestellte mit einer unkleidsamen Hornbrille, verließ ausgehfertig das Maklerbüro und nick te mir wortlos zu. »Was essen wir denn heute Gutes, Schätzchen?«, rief ich ihr hin terher. Bei dem Wort Schätzchen zuckte sie leicht zusammen. Sie würdig te mich keiner Antwort und verschwand im Lift. Bei manchen Frauen 30
kam ich einfach nicht an. Gedanken würde ich mir aber erst dann dar über machen, wenn mich auch die weniger verbiesterten Jüngeren ohne Hornbrille abblitzen ließen. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich mal bei Mr. Abernathy vorstellig werden sollte und ihn über seinen Kollegen Ernest Dexter aushorchen sollte. Aber ich ließ es bleiben. Abernathy - sein Partner Hopkins, ein steinalter Mann, ließ sich so gut wie niemals blicken hielt sich für etwas Besseres und hatte wahrscheinlich Probleme damit, dass ein lausiger Privatdetektiv gegenüber von seinen heiligen Hallen residierte. Wenn ich ihm zufällig begegnete, versuchte ich mit ihm manchmal ein Männergespräch über Baseball, Schnaps, Autos oder Speakeasys zu führen, aber da er nicht trank, immer mit dem Taxi fuhr und Baseball hasste, gingen meine Bemühungen stets ins Leere. Ob ich es mal mit Kubismus probierte? Ich fürchtete allerdings, dass ich dann endgültig bei Mr. Abernathy verspielt hätte. Davon mal abgese hen, schätzte ich die Immobilienmakler in etwa so sehr, wie Abernathy die Detektivbranche schätzte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass in dem Gewerbe eine Krähe der anderen kein Auge aushackte. Ich wandte mich meinem Büro zu. Auf der Milchglasscheibe stand: PAT CONNOR PRIVATE INVESTIGATIONS Ich nahm es mit Wohlgefallen zur Kenntnis. Früher, als ich noch Polizist war, hatte ich mit einer Dienstnummer und einem schäbigen Schreibtisch in einem Büro auskommen müssen, das ich mit drei Kolle gen teilte. Letztendlich war es mir also doch ganz gut bekommen, dass mich die Blechmarkengilde zu Unrecht gefeuert hatte. Ich hatte in ge wisser Weise Fortschritte gemacht. Wie immer, wenn ich meinen einsamen Namen auf der Bürotür bewusst wahrnahm, fiel mir mein Partner Joe Bonadore ein, der jetzt Petrus die Schlüssel zur Himmelstür suchen half. Dass er Luzifers Großmutter zu Diensten sein musste, wollte ich weniger gern glauben. Aber ich schob die Erinnerung an Joe schnell beiseite. In meinem Flachmann war nicht mehr genug Whiskey für so was. 31
Betty hatte ihren hellblauen Topfhut schon aufgesetzt und griff nach ihrer Handtasche, als ich eintrat. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass für sie jetzt Feierabend war. Als Betty mich sah, fiel ihr die Kinnlade herab. »Ich bin für heute nicht mehr im Dienst«, warnte sie mich vorausschauend. Ich hob abwehrend die Hände. »Ich will auch gar nichts von Ih nen, Schätzchen.« Aber ich widersprach mir sofort selbst. »Gab es Anrufe?« »Von Mistress Dexter...«, begann Betty gedehnt. »Was hat sie...«, fragte ich dazwischen. »... kam leider kein Anruf«, beendete Betty den Satz und lächelte honigsüß. »Wahrscheinlich wartet sie darauf, dass Sie anrufen.« Es gefiel mir nicht sonderlich, von Betty verladen worden zu sein. Ich beschloss, sie bei passender Gelegenheit auflaufen zu lassen. Im Moment interessierte mich aber ihre Meinung zu Jonathan Tackett. »Was halten Sie von einem Kerl, der kubistische Malerei liebt und selbst malt, einen Fimmel für England hat, beim Kartenspiel mal pe nibel auf den Cent schaut und mal wahllos Schuldscheine unter schreibt, seine Miete nicht zahlt, vor Gangstern, die Geld eintreiben wollen, auf der Flucht ist, aber zehn Riesen gehortet hat und eine Rei se nach Kuba plant?« »Ich würde sagen, er ist ein Mensch wie Sie und ich«, meinte Bet ty lapidar. »Bis auf die zehn Riesen und die Gangster erkenne ich mich in ihm wieder. Ich mache auch heute die Sachen und morgen jene und es passt alles irgendwie nicht zusammen.« Das war so ziemlich die privateste Auskunft, die ich jemals von Betty bekommen hatte. Obendrein richtig philosophisch, wie ich fand. Ich war beeindruckt. Trotzdem hakte ich nach. »Aber ein bisschen schizophren ist es schon, oder?« »Na ja...« Betty zuckte die Schultern. »Sind Sie sicher, dass es sich nicht um zwei verschiedene Kerle handelt, die nur zufällig den gleichen Namen haben?« »Dann müssten es Zwillinge sein, die obendrein in der gleichen Wohnung hausen. Ich halte das für recht unwahrscheinlich.« 32
Betty rollte mit den Augen. »Ihr Problem, Boss. Mein Problem ist es, meinen Bus noch zu erwischen.« Bei den letzten Worten war sie schon an der Tür und dann hörte ich nur noch eilige Schritte auf dem Korridor, die sich entfernten. Ich entschloss mich, meine kleinen grauen Zellen ein bisschen auf Trab zu bringen und gönnte mir den letzten Schluck Bourbon aus dem Flachmann in der Schreibtischschublade. Bei der Gelegenheit nahm ich gleich das Hohlster mit dem Revolver an mich und befestigte es unter der linken Achsel. Schließlich war dies der Hauptgrund gewesen, im Büro vorbeizuschauen. Die Füße auf dem Schreibtisch, sinnierte ich beim blauen Rauch einer Zigarette weiter. Was war eigentlich los mit mir? Ich hatte schlicht und einfach den Auftrag, Jonathan Tackett zu finden und ihm die Jubelbotschaft zu überbringen, dass Judith und Ernest dem ›schwarzen Schaf‹ noch einmal auf die Beine helfen wollten. Nichts weiter. Und wie es aussah, hatte ich gute Karten, Jonathan bei seinen kubistischen Freunden aufzustöbern. Warum machte ich mir also Gedanken über Jonathan Tacketts seltsamen Charakter, einen zugegebenermaßen mysteriösen Einbruch und Dexters Kontakte zu dem Oberboss der Giovannis in Chicago? Das ging mich doch eigentlich gar nichts an. Unterforderte mich der Fall? Es lag wohl daran, dass mich einfache Sachen immer misstrauisch machen. Irgendetwas sagte mir, dass Jonathan Tackett die Jubelbot schaft desinteressiert oder sogar ungnädig aufnehmen würde. Dass er mir eine Stelle an seinem Körper benennen würde, wo ihn sein Schwa ger Ernest mal beehren konnte. Sicher, Jonathan hatte Angst vor den Killern und Judith indirekt um Hilfe gebeten. Aber der Schrankkoffer, die Schiffspassage und der Tresor mit den Wertsachen ließen vermu ten, dass er familiäre Hilfe längst abgehakt und seinen eigenen Weg gefunden hatte, mit den Problemen zurechtzukommen. Ich rief mich zur Ordnung. Ich musste Tackett finden und mein Sprüchlein aufsagen. Was er daraus machte, war seine Sache. Trotzdem ertappte ich mich dabei, dass ich die Sprechmuschel des Telefonapparats schon in der Hand hielt. Ich log mir vor, dass es 33
nichts weiter als Neugier und Langeweile war, die mich bewegten, die Nummer von Captain Hollyfield zu nennen, als ich die Vermittlung an der Strippe hatte. »Police Department, Lieutenant Quirrer«, meldete sich wenig spä ter eine Stimme, die etwa so angenehm klang wie eine Raspel, die über die Kante einer Sperrholzplatte gleitet. »Pat Connor«, sagte ich. »Was ist los, Lieutenant? Immer noch am Schreibtisch? Ich hörte, Sie seien strafversetzt worden und jetzt als Verkehrspolizist auf der North State im Einsatz.« »Das hätten Sie wohl gern, Connor!« »Durchaus nicht, Lieutenant. Man kommt auch so schon kaum durch die North State. Ich freue mich für uns beide, dass Sie dort nicht Dienst tun.« »Sie haben ein verdammtes Schandmaul, das ich Ihnen, eines Ta ges stopfen werde!«, kam die grimmige Antwort. »Was wollen Sie al so?« »Von Ihnen gar nichts. Geben Sie mir bitte Ihren Vorgesetzten.« »Captain Hollyfield ist in einer Dienstbesprechung.« »Na schön, es war auch nicht so wichtig. Und immer schön sauber bleiben, Lieutenant, sonst landen Sie wirklich eines Tages mit einer Trillerpfeife im Maul auf einem Podest in der North State.« Ich hängte auf, bevor er Gelegenheit bekam, mir Prügel anzubie ten. Die nächste Station war Brendon Smith, mein väterlicher Freund von der Chicago Tribune. Wie üblich wurde ich von Büro zu Büro wei ter verbunden, aber schließlich hatte ich ihn am Apparat. »Wie schaut es aus, Brendon?«, fragte ich. »Lust auf ein Steak und einen Schluck Nervennahrung bei Henry's?« »Tut mir Leid, Pat. Hier spielen heute alle verrückt und die Mit tagspause findet erst nächste Woche statt. Wie wär's heute Abend, so ab sieben?« »Geht nicht, da bin ich auf Achse.« »Probleme?« »Nicht wirklich. Der Fall, an dem ich arbeite, scheint sogar ziem lich einfach zu sein.« 34
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann...« Brendon war wirklich ein Pfundskerl, der immer gleich merkte, wenn mich irgendwo der Schuh drückte. »Es ist wirklich nichts Wichtiges. Nur Neugier.« »Lass hören.« »Was weißt du über den Immobilienmakler Ernest Dexter, seine Frau Judith und deren Bruder Jonathan Tackett?« »Über die beiden Letzteren gar nichts. Was dagegen SchotterDexter angeht...« »Du nennst ihn auch so? Ich muss ja wohl der Einzige in Windy City sein, dem dieser Name bis heute noch niemals untergekommen ist.« »Tröste dich, da gibt es bestimmt noch mehr. Falls du mit dem Mann zu tun hast, nenne ihn bloß nicht bei diesem Namen. Er kennt ihn zwar, kann ihn aber nicht ausstehen.« »Ich habe läuten hören, er steht ganz gut mit Il Cardinale.« »Noch etwas, was du nicht laut sagen darfst, wenn du dir nicht eine Verleumdungsklage einfangen willst.« »Ist was dran an den Gerüchten?« »Keine Ahnung. Und wenn es nicht lebenswichtig für dich ist, soll test du da nicht weiter bohren.« »Habt ihr in der Tribune irgendwas von Interesse über Dexter ge bracht?« »Nichts Negatives, wenn du das meinst. Es gab hier und da einen kleinen Artikel über spektakuläre Immobilienverkäufe, an denen er beteiligt war, karitative Veranstaltungen, an denen er mitgewirkt hat, oder großzügige Spenden von ihm für dieses und jenes. Oh, warte mal, jetzt erinnere ich mich an ein Foto, auf dem auch seine Frau zu sehen war. Deutlich jünger als er und sehr apart.« Dem konnte ich nicht widersprechen. »Sonst noch was?« »Wenn du wissen willst, wofür er gespendet hat und wie viel, kann ich es raussuchen.« »Kein Bedarf. Ruf mich an, Brendon, wenn du wieder Luft hast. Dann machen wir mal wieder einen Zug durch die South-Side.« 35
»Mach ich. Und denk an meine Warnung: Leg dich bloß nicht mit Schotter-Dexter an!« Er machte eine kleine Pause. »Er mag es übri gens auch nicht, wenn man seine Frau antatscht. Ich sag das nur für alle Fälle, Junge.« »Aber Brendon, du kennst mich doch!«, protestierte ich. »Eben«, meinte Brendon lakonisch und hängte auf. * Die Nachschubfrage in Bezug auf Zigaretten und Bourbon löste ich in einem Drugstore in der West Monroe, keine drei Blöcke vom Büro ent fernt. Dort kannte man meine Wünsche bereits. Ich kaufte eine Stange Lucky Strike und zahlte dafür zwei Eagles. Auf die Frage des Besitzers nach weiteren Wünschen reckte ich den Daumen in die Höhe, verließ kommentarlos den Laden und ging zum Hintereingang. Dort erwartete mich der Sohn des Besitzers bereits mit einer Papiertüte, in der sich eine Flasche Bourbon befand. Ich zahlte, kehrte ins Büro zurück und tankte den Flachmann auf. Die angebrochene Pulle wanderte zurück in die Tüte. Ich wollte sie mir gerade schnappen und ins Auto bringen, als das Telefon klingelte. »Pat Connor, private Ermittlungen«, meldete ich mich. »Ich bin es, Judith Dexter«, drang eine mir wohlbekannte weibli che Stimme an mein Ohr. »Mister Steinseifer hat mich angerufen und mir von dem Einbruch bei Jonathan erzählt. Mein Gott, Mister Connor, wer tut so etwas - und warum?« Ach komm, Mädchen, dachte ich, die Klosterschülerin kaufe ich dir
nicht ab.
Laut sagte ich: »Es gibt in unserer schönen Stadt ein paar guther zige Menschen, die ihr sauer verdientes Geld für die Armen und Be dürftigen ausgeben, ein paar unverbesserliche Menschen, die ihr sauer verdientes Geld für Schnaps ausgeben und leider auch ein paar böse Menschen, die ihr Geld nicht sauer verdienen wollen, sondern lieber ausgeben.« »Aber Mister Steinseifer sagte mir, sie haben den Tresor nicht ausgeräumt.«
36
»Ja, das ist richtig«, gab ich zu, während ich mir eine Zigarette anzündete. »Offenbar habe ich in der Aufzählung jene guten Men schen vergessen, die nicht einbrechen, um etwas aus einem Tresor zu stehlen, sondern um etwas in einen Tresor hineinzulegen.« »Sie meinen im Ernst, die Einbrecher haben die Wertsachen hin terlassen?«, fragte sie ungläubig. »Nein, ich habe mir nur einen Spaß erlaubt.« Ich erzählte ihr von dem Schrankkoffer und dem Schiffsbillett. »Ich darf wohl annehmen, dass Sie davon ebenso wenig wussten wie von dem Schmuck und den Wertpapieren?« »Ich habe nichts davon gewusst, Pat, das dürfen Sie mir glauben. Und ich bin entsetzt!« Dass Sie mich mit dem Vornamen anredete, registrierte ich durch aus und es war mir keineswegs unangenehm. »Entsetzt? Wieso das denn?« »Ja, liegt denn das nicht auf der Hand? Ich weiß definitiv, dass mein Bruder bis über die Ohren verschuldet ist und keine zwanzig Dol lar sein Eigen nannte, als wir uns zuletzt sahen.« »Wann war das?« »Vorgestern. Wenn es da plötzlich Wertsachen in seinem Tresor und ein Schiffsbillet gibt, muss alles noch viel schlimmer sein, als ich es mir vorgestellt habe.« »Was mich angeht, so fände ich es durchaus nicht schlimm, über ein paar tausend Dollar verfügen zu können.« »Aber verstehen Sie denn nicht, Pat? Als wir ihm nicht helfen woll ten, muss Jonathan in seiner Not irgendetwas Schlimmes getan haben, um an die Wertsachen zu gelangen.« »Das sehen Sie vielleicht etwas zu eng. Vielleicht ist seine Pech strähne beendet und er hat beim Pokern oder Wetten gewonnen.« Ich sagte es nur so daher, ohne es wirklich zu glauben. »Dazu hätte er einen hohen Einsatz bringen müssen und das konnte er nicht. Und vergessen Sie nicht, er ist überall bekannt wie ein bunter Hund und die Kriminellen verhindern, dass er um Geld spielt.« »Außer im Bella Napoli.« »Dort geht es nur um kleine Einsätze.« 37
»Woher wissen Sie das?« »Von Jonathan.« »Mistress Dexter...« »Judith«, unterbrach sie mich mit einem überaus interessanten Unterton in der Stimme. Ich entließ einen Schwall Rauch aus den Nasenlöchern. »Judith, es mag ja sein, dass Ihr Bruder die Sachen, die im Tresor liegen, gestoh len hat. Wahrscheinlich scheint mir allerdings zu sein, dass er im Laufe der Zeit das eine oder andere angeschafft und zurückgelegt hat. Ver abschieden Sie sich von der Vorstellung, dass Jonathan bettelarm ist. Er hat Ihnen etwas vorgemacht.« »Ausgeschlossen!«, protestierte sie. »Doch!«, beharrte ich. »Brüder sagen ihren Schwestern nun mal nicht immer die Wahrheit und umgekehrt soll es auch vorkommen. Wenn Jonathan gestern oder vorgestern auf irgendeine Weise überra schend zu Geld gekommen wäre, würde ein Bündel Geldscheine im Tresor liegen. Man kauft sich nicht auf die Schnelle Ringe, Krawatten nadeln und Aktien und obendrein noch ein Schiffsbillett. Außerdem sagt Mister Stiensieper, dass Jonathan seit zwei Wochen nicht mehr in der Wohnung war.« »Mister Steinseifer hat auch die Einbrecher nicht gehört.« »Das ist wahr. Er war am Wochenende in Milwaukee. Aber an sonsten passt er auf wie ein Luchs. Und wenn nicht er, dann Beppo. Sie haben selbst gesagt, dass da kein Durchkommen ist.« »Streiten wir uns doch nicht um unwichtige Details. Noch einmal: Was ist, wenn Jonathan dies alles, so wie es war, gestohlen hat?« »Vergessen Sie's. Das Billett und der gepackte Schrankkoffer re den eine andere Sprache. Wie viel Geld schuldet Jonathan den Leuten, die ihm auf den Fersen sind?« »Mindestens fünfzigtausend Dollar.« »Donnerwetter!«, entfuhr es mir. »Kein Wunder, dass Ihr Mann ihm die fünfzig Riesen nicht spontan in die Hand gedrückt hat. Aber so etwas ähnliches habe ich mir schon gedacht. Was Jonathan besitzt, reicht bei weitem nicht aus, seine Schulden zu tilgen. Also hat er be schlossen, sich mit dem, was er hat, nach Kuba zu verdrücken.« 38
Mir fiel der Tresorschlüssel ein, der noch in meiner Anzugtasche steckte. Ich zog ihn heraus und legte ihn in die Schreibtischschublade. Währenddessen fuhr ich fort: »Wie Ihnen Mister Stiensieper vielleicht erzählt hat, habe ich den Tresor abgeschlossen. Den Schlüssel gebe ich Mister Tackett, wenn ich ihn gefunden habe, andernfalls Ihnen. Haben Sie eigentlich die Polizei verständigt?« »Natürlich nicht! Wenn die Sachen gestohlen sein sollten, würde ich damit meinen Bruder ans Messer liefern. Jonathan soll selbst ent scheiden, ob er sich an die Polizei wendet.« »Kluges Mädchen«, lobte ich. »Wie weit sind Ihre sonstigen Ermittlungen gediehen, Pat?« »Ich kann nichts versprechen, aber ich bin guter Dinge, ihn aufzu spüren. Vielleicht sogar schon heute Abend. Aber nach allem bin ich mir nicht so sicher, dass er Ihr Angebot annehmen wird. Er scheint sich schon anders entschieden haben.« »Seien Sie unbesorgt, er wird es annehmen. Jonathan liebt Chica go viel zu sehr, um es freiwillig zu verlassen. Rufen Sie mich unbedingt an, wenn Sie ihn gefunden haben! Auch mitten in der Nacht, wenn es sein muss.« »Ich habe Ihre Nummer nicht«, erinnerte ich sie. »Auf dem Zettel, den Sie mir zurückgaben, standen andere interessante Dinge.« »Die vielleicht wichtiger sind als Telefonnummern, oder?«, sagte sie mit einer Stimme, die mir einen wohligen Schauer den Nacken hin ab laufen ließ. Aber dann bequemte sie sich doch, mir ihre Nummer zu geben. Ich notierte sie, versprach ihr, sie anzurufen, sobald ich mit Jona than gesprochen hatte und hängte ein. * Wenn es darum geht, Kneipen zu finden, bin ich ein Naturtalent. Wo andere eine Wünschelrute benötigen, reicht mir eine trockene Kehle. Meine Spürnase hatte mir gesagt, dass das Dixie Chicken in der Ge gend um den Sherman Park zu finden sein müsste. Ich hatte Recht. Na schön, ich suchte fälschlicherweise zuerst am südlichen Ende. Ein 39
Dirne für einen Schuljungen, der des Weges kam, brachte mich auf den richtigen Kurs. Auf der östlichen Seite des Parks, in der South Klasky, stolperte ich fast über den Schuppen. Die Bezeichnung Holzverschlag wäre passender gewesen. Das Ding befand sich in einer Baulücke zwischen zwei schäbigen Mietshäu sern. Wer immer ihn aufgestellt haben mochte: Ein Zimmermann konnte schwerlich daran beteiligt gewesen sein, zumindest kein nüch terner. Alles war schief und krumm, vom Dach bis zur Eingangstür. Kein Wunder, dass sich Kubisten hier wohl fühlten. Auf die Eingangstür war eine lebensgroße dralle nackte Lady ge malt worden, die ein riesiges Akkordeon trug und damit ihre Blößen bedeckte. Das Gemälde war mit Abstand das Wertvollste an der Fas sade. Darüber befand sich, ebenfalls gemalt, der Name des Lokals. Vier zur Straße liegende, verschieden große Fenster waren offenbar seit dem Großen Krieg nicht mehr geputzt worden und die rauchge schwärzten Gardinen dahinter sahen aus wie die Gitterroste eines Koh leofens. Ich drückte die Türklinke herab und wollte eintreten, aber die Tür war abgesperrt. Ich fragte mich, was die Auskunft des Hausverwalters wert war. Es konnte Monate zurückliegen, dass er den Namen des Lokals aufgeschnappt hatte. Vielleicht hatte der Besitzer den Laden längst dichtgemacht. »Sie sind viel zu früh dran, Mister«, sagte hinter mir eine brüchige Stimme. »Das Dixie Chicken öffnet erst um acht Uhr abends.« Ich wandte mich um. Vor mir stand ein betagter Dienstmann mit einer langen Lederschürze und einer zerknautschten Mütze. In den Händen hielt er die breiten Holme einer Sackkarre, auf der sich eine kleine Holzkiste befand. Er blinzelte gegen die Sonne, als er mich an sah. »Gehören Sie zum Personal des Ladens?«, fragte ich. »Gott bewahre, nein. Ich arbeite für Delius Ltd.« Er nickte, als würde das alles erklären. »Was bringen Sie?«, wollte ich wissen und zeigte auf die Kiste. »Whiskey?« »Gott bewahre, nein. Delius Ltd. stellt Seife her.« 40
»Wenn es in dem Schuppen drinnen genauso aussieht wie drau ßen, könnte Seife eine gute Idee sein.« Der Mann lachte heiser. »Könnte, aber auf solche Ideen kommen die bestimmt nicht. Die Seife ist für den Drugstore um die Ecke.« »Sie sind viel in dieser Gegend unterwegs?« »Kann man sagen. Außerdem wohne ich hier.« »In dem Lokal verkehren Künstler?« »Kann man sagen.« Der Mann schien seine Lieblingsausdrücke zu haben. »Kennen Sie einen Menjoubart-Typen, der hinkt, wie ein spleeni ger Engländer aussieht und Jonathan Tackett heißt? Oder einen Mort, der eine Löwenmähne spazieren führt? Oder Charles Dubbel, der im mer einen Ledermantel trägt?« »Gott bewahre, nein. Ich kümmere mich nicht um die schrägen Vögel, die hier ein- und ausgehen. Und nun muss ich weiter, Mister.« Mit diesen Worten stemmte er sich in seine Sackkarre und zog von dannen. Schlauer war ich nicht unbedingt geworden. Ich zündete mir eine Zigarette an und sah dann auf die Armbanduhr. Kurz nach fünf. Ich hatte einen Bärenhunger und einen guten Schluck konnte ich auch vertragen. Was Letzteres anging, hätte ich mich aus der Pulle im Wa gen versorgen können, aber ich trinke lieber aus Gläsern. Ein Restaurant, in dem ich wie bei Henry's ein Steak und hochpro zentigen Kaffee bekam, würde ich in dieser Gegend wohl kaum finden. Aber ich hatte Zeit genug, mir erst ein Diner und dann ein Speakeasy zu suchen. Oder in umgekehrter Reihenfolge, was auch seine Reize hatte. Meine Hoffnung, im Dixie Chicken sofort etwas über das kubisti sche Trio herauszufinden, müsste auf den späteren Abend vertagt werden. Wie es aussah, machte es Sinn, sich erst noch ein wenig in der Gegend umzuschauen und dann den Garfield Boulevard Richtung Westen zum Washington Park zu fahren. Vielleicht löste sich mein Problem ja bereits im Bella Napoli. Das kam ganz darauf an, ob Jo nathan Tackett heute lieber sein Poker- oder sein Künstlerblut kreisen ließ. 41
Ich ließ meinen Plymouth vor dem Dixie Chicken stehen und folgte der Richtung, die Mister Sackkarre genommen hatte. Tatsächlich kam er mir ohne Kiste bereits wieder entgegen. »Kennen Sie in der Nähe ein Speakeasy?«, fragte ich. »Gottbewahre, nein. Ich trinke nur Malzkaffee.« »Aber es gibt bestimmt eines, oder?« »Kann man sagen. Am besten fragen Sie da Silva im Drugstore.« Er tippte sich an die Mütze und trottete weiter. Ich hatte ohnehin vorgehabt, mich im Drugstore schlau zu ma chen. Mr. da Silva - ich nahm an, dass es sich um ihn handelte, denn er war der Einzige im Laden - öffnete gerade mit einem Stemmeisen die Seifenkiste. Er unterbrach die Tätigkeit, um mich zu bedienen. Ob wohl ich einen guten Vorrat hatte, kaufte ich eine weitere Schachtel Zigaretten und fragte bei der Gelegenheit nach einem Speakeasy. Der Mann sah mich abschätzend an. »Die sind hier aber nicht so nobel wie auf der North-Side«, meinte er. »Ich bin nicht wählerisch«, sagte ich. »Mir geht es nur um einen guten Schluck.« »Dann kommen Sie mal mit, Mister.« Mr. da Silva kam hinter dem Tresen hervor und führte mich zum Hinterausgang des Drugstores. Vor mir lag ein schmaler Hof. Er zeigte zum anderen Ende. »Dort drüben, der Anbau.« »Wie lautet das Passwort?« »Falls überhaupt jemand fragt, sagen Sie, da Silva hat sie ge schickt.« Ich nickte und machte mich auf den Weg. Als ich die Tür des An baus aufstieß, stand ich mitten in einer Waschküche. Zwischen einem riesigen Waschbottich, einer gusseisernen Mangel und zur Seite ge schobenen Waschbrettern und Zinkeimern gab es ein paar Tische und eine Anzahl von Stühlen. Mal was anderes, wenn auch nicht gerade heimelig. Immerhin hatten Trinker mit schwachem Magen hier kein Problem, ein geeignetes Becken zu finden, um sich zu erleichtern. In der Waschküche hielt sich niemand auf. Ein Durchgang mit nach unten führender Treppe ließ mich zu einem anderen Raum, of fenbar einem sehr großen, leer geräumten Keller, gelangen. Hier war 42
mehr los. Obwohl der Raum mit Zeitungspapier tapeziert war und zwei Deckenlampen das fehlende Tageslicht ersetzten, wirkte er um einiges gemütlicher als die Waschküche. An zwei der insgesamt fünf Tische saßen mehrere Typen, alle ziemlich schäbig gekleidet, rauchten, un terhielten sich laut und tranken Whiskey. Es gab einen Nachbarkeller, in dem ebenfalls ein paar lärmende Zecher saßen. Dicke Rauchschwaden wehten mir entgegen. Die Gespräche ver stummten, als ich eintrat. »Nur keine Panik, Leute«, sagte ich in die Runde. »Da Silva schickt mich.« Einer der Männer, ein Bursche mit dunklem Haar und einer Visage wie ein Preisboxer, die Nase offenbar mehrfach gebrochen, erhob sich und wandte sich mir zu. »Wir haben nur harte Sachen.« »Sehe ich wie ein Milchbubi aus?«, fragte ich und setzte mich an einen der freien Tische. Der Kerl ging in den Nachbarraum und kehrte mit einem Glas und einer angebrochenen Flasche zurück. Das Etikett auf der Flasche ver meldete Bourbon und die Farbe der darin befindlichen Flüssigkeit ten dierte auch in die Richtung. Aus Erfahrung wusste ich allerdings, dass das nicht viel zu bedeuten hatte. Er schenkte ein und wartete. Offen bar war es hier üblich, seinen Drink sofort zu bezahlen. Ich deutete auf einen freien Stuhl. »Trinken Sie auf meine Rech nung einen mit?« Mister Preisboxer zögerte kurz. Dann nickte er, setzte sich und schenkte sich selbst ein. Ich zündete mir eine Zigarette an, klopfte eine weitere heraus und hielt ihm die Packung hin. Er griff zu. Neben dem Aschenbecher lagen Streichhölzer, an denen er sich bediente. An den Nachbartischen und im Nebenraum kamen die Gespräche wieder in Gang. Ich nahm einen Schluck Whiskey. Er war besser, als ich befürchtet hatte. »Ich bin Privatdetektiv«, sagte ich, »und suche einen Jonathan Tackett.« »Wir halten hier ziemlich zusammen, Mister«, erwiderte der Wirt zugeknöpft. 43
»Das gefällt mir. Aber ich suche Tackett nicht, um ihm was anzu hängen, sondern um ihm eine wichtige Nachricht von seiner Schwester zu überbringen.« »Das kann wahr sein oder auch nicht.« »Sehen Sie in mein Gesicht, Mister. Trauen Sie mir eine Lüge zu?« Die Antwort kam sofort. »Ja.« »Ich mag es, wenn mir Leute keinen Honig um den Bart schmie ren. Trotzdem stimmt es, was ich gesagt habe. Wenn Sie Tackett ken nen und halbwegs mögen, dann sollten Sie mir sagen, wo ich ihn fin den kann. Er ist in Gefahr und die Nachricht seiner Schwester kann ihm das Leben retten.« »Hören Sie, Mister«, sagte der Wirt. »Ich kenne keinen Tackett. Was ich gesagt habe, galt ganz allgemein.« »Vielleicht nennt er sich hier anders. Wenn Sie ihn mal gesehen haben, ist er Ihnen bestimmt aufgefallen.« Ich hob die Stimme ab sichtlich an, damit die Leute an den Nachbartischen auch etwas davon hatten. »Ein Mann, der sich wie ein vornehmer Engländer kleidet und benimmt. Er zieht das linke Bein nach. Er hat eine spitze Nase und ein Menjoubärtchen. Er malt und hängt mit zwei anderen Malern herum, einem Charles Dubbel und einem Mort. Der eine trägt einen Leder mantel, der andere hat eine ziemlich imposante Wolle auf dem Kopf.« »Tut mir Leid, Mister«, meinte der Wirt, »ich kenne die Typen nicht.« Er hob jetzt ebenfalls die Stimme an und sagte in Richtung der anderen Gäste: »Keiner von uns kennt sie.« Er trank seinen Whiskey aus und erhob sich. »Danke für den Drink. Wollen Sie noch einen? Wenn ja, müssen Sie sich beeilen, denn wir machen bald dicht.« Ich verstand den Wink und zahlte. Dann rauchte ich die Zigarette zu Ende, trank mein Glas leer und machte meinen Abgang durch die Waschküche. Draußen schaute ich mich kurz um und entdeckte einen schmalen Weg zwischen zwei Häusern, der aus dem Hof hinausführte. Hinter mir hörte ich Schritte. Ich schaute mich um. Einer der anderen Zecher, ein kräftiger Kerl in derben Arbeiterklamotten, verließ das Speakeasy. Ich 44
kümmerte mich nicht weiter um ihn, aber er ging schneller als ich und holte mich ein, bevor ich die Straße erreicht hatte. »He, Schnüffler«, raunte er. »Was springt für mich heraus, wenn ich Ihnen einen Tipp gebe?« Ich wandte mich ihm zu. »Wenn er mich zu den Gesuchten führt, soll es mir einen Lincoln wert sein.« Er deutete mit dem Daumen nach hinten. »Die haben es nicht gern, wenn man quatscht.« »Bei Ihren Muskeln kann Ihnen das doch egal sein«, versuchte ich ihm zu schmeicheln. »Außerdem erfährt ja keiner davon. Und es stimmt, was ich gesagt habe. Ich will Tackett helfen.« »Geben Sie mir einen Hamilton und ich sage Ihnen, was ich weiß.« Heiliger Saint Patrick. Wo soll das hinführen, wenn sogar auf der South-Side ein Lincoln nichts mehr wert ist? »Sie wissen, wo Tackett wohnt?«, fragte ich. »Tackett habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen. Aber ich weiß, wo Charles Dubbel und Morton Liebkind wohnen.« Ich zog eine Zehn-Dollar-Note aus der Anzugtasche. »Sagen Sie es mir und der Schein gehört Ihnen.« »6l C, South Throop. 61 C ist ein Hinterhaus.« »Sicher?« »Mein Schwager wohnt schräg gegenüber. Da werde ich ja wohl wissen, wo die beiden Spinner hausen.« Er ballte die Fäuste. »Hören Sie mal, wenn Sie mich verscheißern wollen...« »Wer wird sich denn gleich so aufregen, Freundchen? Es war doch nur eine Frage.« Der Präsident wechselte sein Domizil. Ich bekam sogar noch einen Gratistipp, als wir die Straße erreicht hatten. »Nördlich vom Sherman Park.« Der Mann zeigte nach rechts die Straße hinauf. »Nächste links und dann die vierte rechts.« Ich wartete, bis er sich getrollt hatte und kehrte dann zu meinem Wagen zurück. Alles in allem war ich recht zufrieden. Die Sache ließ sich gut an und ich hatte noch nichts auf die Nase bekommen. Dass 45
mein Informant Tackett in letzter Zeit nicht gesehen hatte, wollte nicht viel heißen. Schließlich hatte Jonathan allen Grund, nicht in der Ge gend herumzuspazieren. * Ich gab dem Anlasser meines Plymouth Gelegenheit, sich für die Repa raturkosten erkenntlich zu zeigen und hatte kein Problem damit, die South Throop zu finden. Vor dem Haus Nummer 61 A stieg ich aus, zündete mir eine Zigarette an und sah mich um. Was ich erwartet hatte, wusste ich selbst nicht so genau. Vermut lich geisterte mir der Montmartre im Kopf herum, irgendetwas, das sich mit dem Flair des Pariser Künstlerviertels an der Sacré Coeur we nigstens andeutungsweise vergleichen ließ. Fehlanzeige. Die South Throop war nichts weiter als ein besonders hässlicher Teil eines öden Slums. Wenn hier Künstler wohnten, dann hatten sie nicht den Drang, dies alle Welt wissen zu lassen. Haus Nummer 61 A war eine fünfstöckige Mietskaserne aus dem 19. Jahrhundert, grau, verwahrlost, mit heruntergeschlagenem Fassa denschmuck. In der Mitte des Gebäudes befand sich ein Tor, das zum Hof führte. Ich ging hindurch. Schmutzige Kinder spielten zwischen Müll und Gerumpel und in einer Ecke des Hofes zankten sich Ratten um den Kadaver eines Artgenossen. 61 B glich im Wesentlichen dem Vorderhaus und das Gleiche galt für 61 C. Ich fragte eine fette Frau, die sich im Mieder aus einem der Fens ter im Erdgeschoss lehnte und die betörende Aussicht genoss, nach Dubbel und Liebkind. »Die Spinner wohnen im fünften Stock in der hinteren Wohnung«, beschied sie mich mürrisch und musterte mich dabei argwöhnisch aus kleinen, tückischen Augen. Der Ausdruck Spinner kam mir bekannt vor. Ich hatte den vagen Eindruck, dass sich die beiden Kubisten in ihrer Nachbarschaft keiner besonders großen Wertschätzung erfreuten. Das wunderte mich aller dings wenig. In dieser Umgebung galt ein zupackender Hafenarbeiter bestimmt mehr als ein kunstsinniger Pinselquäler. Vielleicht hatten sich 46
die beiden auch dazu hinreißen lassen, mit der alten Vettel über Kunst zu diskutieren. »Sind die beiden zu Hause, Madam?«, fragte ich. »Wenn sie Ihnen aufmachen, werden sie wohl zu Hause sein«, kam es bissig aus dem von herabhängenden Schlabberbacken umwog ten Mund der abgetakelten Fregatte. »Wirklich?« Ich entschloss mich, eine kleine Schmeichelei für die unfrische Maid hinzuzufügen, um sie aufzumuntern. »Das Mieder steht Ihnen übrigens hervorragend, Madam. Lassen Sie sich bloß nichts an deres einreden.« Ich betrat das düstere Treppenhaus, in dem es feucht und muffig roch und nahm die marode Treppe in Angriff. An einigen Stellen fehlte das Geländer. Wahrscheinlich hatte einer der Hausbewohner es für entbehrlich gehalten und in seinem Ofen verheizt. Ich fragte mich, wann er die Stufen unter seine Axt nehmen würde. Im obersten Stockwerk angekommen, ignorierte ich die beiden Wohnungen zur Linken und zur Rechten und ging einen engen Flur hinab, der zu einer weiteren Tür führte. Sie stand einen Spalt offen. Anhand des Türschilds vergewisserte ich mich, dass hier tatsäch lich Dubbel und Liebkind wohnten. Eine Klingel konnte ich nirgendwo entdecken. Ich klopfte. Niemand antwortete. Auch sonst war aus der Wohnung kein Ge räusch zu hören. Ich klopfte noch einmal, diesmal derber. Keine Reaktion. Ich stieß die Tür auf, trat ein und rief laut: »Hallo, ist jemand zu Hause?« Vor mir lag ein Flur, von dem mehrere Türen abgingen. An den Wänden hingen neben- und übereinander kubistische Gemälde der verschiedensten Größen und ließen kaum einen Fleck an den Wänden frei. Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich rechts eine hastige Bewe gung wahr und wirbelte herum. Ich entdeckte einen langen dünnen Kerl, der eine blaue Baumwollhose und ein beigefarbenes Hemd trug. Er hatte hinter der Tür gestanden. Im nächsten Moment flog eine Faust auf mich zu. 47
Ich duckte mich unter dem Hieb nach vorn. Da die Faust auf kei nen Widerstand traf, wurde der Kerl durch die Wucht des Schlags nach vorn getrieben. Ich bekam meine Rechte hoch und rammte sie dem Burschen in den Magen. Das trieb ihm die Luft aus den Lungen und er machte ein Ge räusch wie eine anfahrende Dampflokomotive. Dann klappte er zu sammen. Ich freute mich etwas zu lange über meinen Erfolg und vergaß darüber, dass in dieser Wohnung zwei Kerle residierten. Der andere Bursche musste sich von hinten an mich herangeschlichen haben. Als ich ein leises Geräusch hörte und mich umwandte, war es zu spät. Ich sah nur noch, dass sich ein rundes Ding, das große Ähnlichkeit mit einer Bratpfanne besaß, mit dem entschiedenen Eifer und der Durch setzungsfähigkeit einer Dampframme auf mich hinabsenkte. Dann knipste der Kerl, der in meinem Kopf haust und mir immer einflüstert, ich müsste dringend einen Bourbon trinken, erst mal für eine Weile das Licht aus. * Etwas Feuchtes auf meiner Stirn brachte einige meiner Lebensgeister zurück. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, dass ich auf den blank gescheuerten Holzdielen im Flur der Wohnung lag. Mein Kopf lag etwas erhöht. Jemand hatte eine zusammengefaltete Wolldecke dar unter geschoben. Das Feuchte erwies sich als Waschlappen auf meiner Stirn. Er fiel herab, als ich mich bewegte. Neben mir entdeckte ich die Bratpfanne, die mich niedergestreckt hatte und meinen verbeulten Hut, der den Schlag nicht wesentlich hatte mildern können und sich dafür bitter grämte. Der Kerl in meinem Kopf war immer noch reichlich missgestimmt und ließ alle Kirchenglocken der Stadt läuten. »Ich hatte schon Angst, zu fest zugeschlagen zu haben«, meinte hinter mir eine Stimme. Ich rappelte mich auf und blickte mich um. Im Eingang eines vom Flur abgehenden Zimmers stand der Bursche, der mir eins übergebra 48
ten hatte. Anhand seines ziemlich langen, abstehenden dunklen Haars identifizierte ich ihn als Morton Liebkind. »Irgendwie scheinen Sie nicht kapiert zu haben, was Ihnen Ihre Mutter über Bratpfannen erzählt hat«, sagte ich. »Man benutzt sie, um darin beispielsweise ein Steak zu braten. Besucher dagegen empfängt man mit einem freundlichen Lächeln. So jedenfalls war es bei uns zu Hause üblich. Bei Ihnen nicht? Davon, dass sich runde Pfannen für einen Kubisten sowieso nicht ziemen, will ich gar nicht erst reden.« »Es tut mir Leid«, beteuerte Liebkind zerknirscht. »Aber Charly und ich haben gedacht, die Italiener seien zurückgekehrt.« Ich starrte den Burschen an. »Die Italiener? Sagen Sie mal, Freundchen: Habe ich einen Schlag auf den Kopf bekommen oder Sie?« Hinter Liebkind tauchte der Dürre auf, der sich erfolglos als Boxer versucht hatte. Offenbar hatte er sich von dem Magenhieb ganz gut erholt. Jedenfalls machte er nicht mehr einen auf Lokomotive. »Nein, nein, Mort hat keinen Dachschaden«, versicherte er. »Wir wurden gestern hier in der Wohnung von drei Italienern überfallen. Seither sind wir etwas nervös, wenn überraschend Besuch kommt.« »Sehe ich etwa wie ein Makkaroni aus?«, fragte ich gekränkt. »Wir hatten nicht die Zeit, Sie genauer anzuschauen«, verteidigte sich der Bursche, bei dem es sich nur um Charles Dubbel handeln konnte. »Sie scheinen nicht nur Probleme mit der korrekten Verwendung von Bratpfannen, sondern auch von Wohnungstüren zu haben«, merk te ich an, während ich meinen Hut aufhob, tröstete und wieder eini germaßen in Fasson knuffte. »Nach meinem Kenntnisstand eignen sie sich im geschlossenen Zustand vorzüglich, um unerwünschte Besucher daran zu hindern, einfach hineinzuspazieren. Sie müssen dann zum Beispiel nicht dauernd mit Bratpfannen auf der Lauer liegen. Aber vermutlich sehen Sie das anders.« Dubbel zuckte nur mit den Schultern. »Die Gangster haben die Tür eingetreten und seither schließt sie nicht mehr richtig.« Er machte eine kleine Pause und schielte nach meiner Rechten, die ihn vorhin schachmatt gesetzt hatte. »Was wollen Sie überhaupt von uns?« 49
»Gut, dass wir endlich zur Sache kommen«, meinte ich und kram te nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug. Nachdem ich mir eine angezündet hatte, fuhr ich fort: »Ich bin Privatdetektiv...« »Das dachten wir uns schon, als wir die Waffe entdeckten«, platz te Liebkind heraus. Ich nahm zur Kenntnis, dass sie mich gefilzt hatten und verübelte es ihnen nicht. Umgekehrt hätte ich genauso gehandelt. Ich vergewis serte mich, dass sie mir die Waffe nicht abgenommen hatten und be endete meinen Satz. »... und habe einige Fragen an Sie.« »Das muss aber nicht hier im Flur sein, oder?« Dubbel deutete in den Raum hinter sich. Ich folgte den beiden Künstlern in das Zimmer. Auch hier hingen die Gemälde dicht an dicht. Im Unterschied zum Flur gab es jedoch einen Tisch und ein paar Stühle. Nachdem Liebkind und Dubbel sich gesetzt hatten, nahm ich ebenfalls Platz. Das Glockengeläut in meinem Kopf war einem Brummen gewichen, das mich an den Motor meines Plymouth erinnerte. Da mir nicht übel war, nahm ich allerdings an, dass ich um eine Gehirnerschütterung herumgekommen war. Ich be fühlte meinen Kopf. Das würde eine feine Beule geben. »Also, Jungs«, sagte ich und fasste die beiden Burschen ins Auge. Sie mochten Anfang zwanzig sein, was die Anrede rechtfertigte. Ich stellte erst jetzt fest, dass sie ziemlich mitgenommen aussahen. Dub bel hatte ein blaues Auge, Liebkind trug ein Pflaster über der linken Augenbraue und ein weiteres am Kinn. Ich konnte mich nicht erinnern, dafür verantwortlich zu sein. Auch sonst machten sie nicht den aller muntersten Eindruck, wie ich fand. Beide hatten sich inzwischen eben falls Zigaretten angesteckt, allerdings von einer Marke, die durchaus zu Gasangriffen verwendet werden konnte. »Um noch mal auf die Gio vannis zurückzukommen: Was waren das für Knilche und was wollten sie?« »Das waren Gangster von außerhalb«, antwortete Dubbel. »Je denfalls redeten sie in einem Slang, den ich in Chicago noch nicht ge hört habe. Sie haben wie gesagt die Tür eingetreten und uns beide zusammengeschlagen. Dann fingen sie an, unsere Bude zu durchsu 50
chen. Sie haben alle Schränke ausgeräumt und sogar die Matratzen aufgeschlitzt. Was sie suchten, ist uns ein Rätsel. Hier ist sowieso nichts zu holen. Schließlich sind sie abgezogen, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben.« »Was Giovannis erklären, versteht sowieso niemand. Also seien Sie froh, dass sie es gar nicht erst versucht haben.« »Wenn Sie meinen...« »Ich kenne noch jemanden, dem die Bude auf den Kopf gestellt wurde.« Ich streifte die Asche in dem auf dem Tisch stehenden riesi gen Aschenbecher ab, in dem sich die Kippen türmten. »Der hatte allerdings das Glück, nicht zu Hause zu sein, als die Makkaronis auf kreuzten. Ihr kennt diesen Burschen und seinetwegen bin ich hier: Jonathan Tackett.« »Johnny?«, fragte Dubbel verdutzt. »Bei ihm waren sie auch? Was hat das zu bedeuten?« »Es scheint sich um fanatische Kunstliebhaber zu handeln, die sich an kubistischen Bildern einfach nicht satt sehen können.« »Im Ernst?«, wollte Liebkind wissen. »Warum haben sie uns dann verprügelt?« Der Hellste war er also auch nicht, stellte ich resignierend fest. »Keine Ahnung. Vielleicht waren sie mit eurer Pinselführung nicht einverstanden.« »Aber gerade unsere Pinselführung ist doch revolutionär und hat eine völlig neue Variante in die kubistische Malerei gebracht. Wir be mühen uns...« »Kommen wir auf Tackett zurück«, unterbrach ich ihn. »Ich suche ihn, weil ich gute Nachrichten für ihn habe, aber er ist wie vom Erdbo den verschwunden. Wo ist er? Versteckt er sich bei euch?« Dubbel lachte scheppernd. »Johnny soll sich hier verstecken? Das würde ihm im Traum nicht einfallen. Er hat ein einziges Mal seinen Fuß in unsere Bude gesetzt, um sich unsere Bilder anzusehen. Die Bilder haben ihm gefallen, aber die South Throop hat ihn entsetzt. Das ist auch wirklich keine Umgebung für ihn. Außerdem wurde er dauernd angepöbelt.« »Von der fetten Lady in 61 B?« 51
»Von der auch, aber sie war nicht die Einzige. Johnny und die South Throop passen einfach nicht zueinander. Wenn Sie Johnnys Art kennen, dann wissen Sie warum.« Wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich ein Problem hatte. Ich war hergekommen, um Jonathan Tackett zu finden und mein Sprüchlein aufzusagen und war mir ziemlich sicher gewesen, ihn hier zu finden. Stattdessen war die Geschichte noch mysteriöser ge worden. Ich stand auf. »Was dagegen, wenn ich mich mal umschaue?« Die Antwort wartete ich gar nicht erst ab. Ich spazierte in den be nachbarten Raum, die beiden Kubisten im Gefolge. Es schien sich um das Atelier zu handeln. Bilder an den Wänden, wie gehabt, dazu aber zwei Staffeleien mit halb fertigen Gemälden. Das Lieblingsmotiv der beiden schienen Kieselstrände zu sein. Die Bilder, an denen die beiden arbeiteten, zeigten ebenfalls verschieden große Kieselsteine und dahin ter Wasser, alles natürlich kubistisch interpretiert. Der Raum war groß und hell. Letzteres hatte damit zu tun, dass ein Drittel der Decke wie bei einem Wintergarten verglast war. Ich konnte jetzt gut verstehen, warum sich Dubbel und Liebkind für diese Wohnung entschieden hat ten. Von nörgelnden Kommentaren begleitet, warf ich noch einen Blick in das Schlafzimmer, die Küche und das Gemeinschaftsklo für die drei Dachgeschosswohnungen, das sich draußen auf dem Korridor befand. Es roch dort ungut, aber Tackett war dafür nicht verantwortlich. »Glauben Sie uns jetzt, dass Johnny nicht da ist?«, fragte Dubbel. »Na schön. Aber ihr wisst, wo er sich verkrochen hat, oder?« »Keine Ahnung, Mister«, meinte Liebkind. »Wir haben ihn vor zwei Wochen zum letzten Mal gesehen.« »Hat er erwähnt, dass er nach Kuba reisen will?« »Nein, das ist mir neu«, antwortete Dubbel. »Aber wundern täte es mich nicht. Er macht öfters mal seltsame Andeutungen.« »Was für Andeutungen?« »Dass er sich einen Tapetenwechsel gut vorstellen kann. Und dass er mit einer fetten Erbschaft rechnet. So ein Zeug eben. Wir haben ihm das nicht abgekauft. Johnny redet vieles einfach so daher.« 52
»Er ist hoch verschuldet, oder?« »Hoch verschuldet? Das höre ich zum ersten Mal. Er ist nicht reich, jedenfalls glaube ich das nicht, aber im Vergleich mit uns beiden ein Krösus. Er hat uns sogar Bilder abgekauft und dafür einen anstän digen Preis hingelegt.« »Wussten Sie, dass er seit Monaten seine Miete nicht bezahlt hat?« Dubbel grinste. »Aber nur, um Steinseifer zu ärgern. Er kann ihn nicht ausstehen.« »Wollen Sie mir etwa auch weismachen, dass Tackett kein Spieler ist?« »Nein, natürlich nicht. Es stimmt, Wetten und Pokern gehören zu Johnnys Leidenschaften. Ich weiß wirklich nicht, was er daran findet. Manchmal, wenn wir uns im Dixie Chicken oder bei ihm zu Hause tra fen, war er geknickt, weil er Geld verloren hatte, manchmal aber auch bester Laune, weil er gewonnen hatte. Ich glaube, das hielt sich die Waage. Er sagte immer: ›Ein englischer Gentleman muss seine Lei denschaften im Zaume halten. Wer alles einsetzt, was er hat, ist dumm. Wer mehr einsetzt, als er hat, ist ein Lump. Und ich bin weder dumm noch ein Lump.‹« »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Tackett gewissen Leuten fünfzig Riesen schuldet. Geld, das er im Spiel verloren hat. Diese ge wissen Leute haben damit gedroht, ihn umzulegen, wenn er nicht zahlt. Und es deutet einiges darauf hin, dass es sich bei diesen gewis sen Leuten um die Gleichen handelt, die euch heimgesucht haben. Waren Sie jemals dabei, wenn Tackett gespielt hat?« »Nein, natürlich nicht.« »Sie haben selbst erzählt, dass er manches einfach so dahergere det hat. Wahrscheinlich waren seine Sprüche über den GentlemanSpieler mit Augenmaß nur Gefasel.« »Kennen Sie Johnny persönlich?«, warf Liebkind ein. »Wir wurden einander noch nicht vorgestellt.« »Dann haben Sie bis jetzt etwas verpasst, Mister. Finden Sie ihn und reden Sie mit ihm. Dann werden Sie verstehen, warum man nicht alles glauben darf, was er sagt. Und zugleich werden Sie verstehen, 53
dass er in bestimmten Dingen, die ihm wichtig sind, absolut glaubwür dig ist. Das Glücksspiel ist ihm wichtig. Seine Bewunderung für alles, was mit Old England zu tun hat, noch wichtiger. Über diese beiden Dinge redet er keinen Scheiß.« * Wo steckte Jonathan Tackett? Diese Frage kreiste in meinem Schädel, während ich den Garfield Boulevard in Richtung Lake Michigan fuhr. Mir wurde immer klarer, dass Tackett sein ganz eigenes Spiel spielte und sich dabei von nie mandem in die Karten schauen ließ, am wenigsten von seiner Schwes ter. Ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, dass Jonathan kein leichtsinniger Spieler war. Ich fragte mich, ob er außer den Mietschul den überhaupt noch andere Schulden hatte. Mir drängte sich der Ver dacht auf, dass er mit seiner Geschichte von Schuldscheinen über 50.000 Dollar Schotter-Dexter noch etwas Kleingeld aus den Rippen leiern wollte, bevor er nach Kuba abdampfte. Trotz alledem blieb die Tatsache, dass Gangster von außerhalb Jonathan im Visier hatten und dabei nicht an Wertsachen interessiert waren. Was wollten sie von ihm, wenn sie keine Schulden eintreiben wollten? Er musste irgendet was besitzen, was für sie oder ihren Aufraggeber von großer Wichtig keit war. Wo steckte Jonathan Tackett? Zu Hause war es ihm zu heiß geworden und in die South Throop wollte er nicht, vielleicht in der weisen Voraussicht, dass ihn die Goril las auch dort aufstöbern würden. Seiner Schwester wollte er sich e benfalls nicht anvertrauen. War er als Mr. Miller in irgendeinem Hotel abgestiegen und harrte dort der Dinge? Seiner Schwester hatte er scheinbar nebenbei erzählt, er könne nur noch im Bella Napoli spielen. Es schien Sinn zu ergeben, dass ihm der Name des MakkaroniSchuppens nicht zufällig herausgerutscht, sondern eine gezielte Infor mation gewesen war. War der gute Jonathan so clever? Rechnete er fest damit, dass Schotter-Dexter nachgab und jemanden mit der fro hen Botschaft ins Bella Napoli schickte? 54
Ein bisschen war das Ganze auch Wunschdenken, wie ich zugeben muss. Ich hatte wenig Lust darauf, in sämtlichen Hotels von Chicago nach einem hinkenden Engländer zu fragen, auch wenn mir das für mindestens eine Woche Vollbeschäftigung garantiert hätte. Ich hatte die East 55th erreicht. Wenig später tauchten die Rotei chen, Weymouth-Kiefern und Blauglockenbäume des Washington Park auf. Auf der Nord- und der Ostseite sah der Park ganz manierlich aus, aber ich wusste, dass es hier im Osten sowie im Süden weniger edel zuging. Da hausten im Sommer die Hobos und illegalen Einwanderer in selbst gezimmerten Verschlägen und ließen sich auch durch Razzien der Blechmarkengilde nur kurzfristig vertreiben. Ich strengte meine grauen Zellen an. Wo war mir ein Schuppen namens Bella Napoli aufgefallen? In der South Prairie Avenue? In der South Calumet? In der East 53rd? Plötzlich hatte ich es. In der South Indiana Ecke 53rd gab es einen Woolworth Store, ein Stück weiter eine Kirche der Baptisten und sinni gerweise direkt daneben ein Speakeasy. Dort hatte ich schon einmal aufgetankt, umgeben von Baptisten, denen der Schluck Wein beim Abendmahl zu wenig gewesen war. Als ich das Speakeasy verlassen hatte, war mir auf der anderen Straßenseite das Bella Napoli aufgefal len. Ich fand die Kreuzung unverändert vor, musste die East 53rd aber zweimal auf und ab fahren, bevor ich ein gutes Stück vom MakkaroniSchuppen entfernt endlich einen Parkplatz fand. Ich schaute auf die Uhr. Kurz nach sieben. Das machte mir Hoff nung. Wahrscheinlich waren im Bella Napoli die Pizza-Öfen bereits an geheizt. Und im Hinterzimmer wurden vielleicht gerade gezinkte Kar tenspiele deponiert, damit die Einsätze beim Pokern in den Taschen der Spieler landeten, die Il Cardinale einen angemessenen Bonus zu kommen ließen. Ich schlenderte die Straße entlang und rauchte dabei eine Zigaret te. Dass ich großes Verlangen danach hatte, mich in die Obhut von Weichnudelessern zu begeben, konnte ich wirklich nicht behaupten. Möglich, dass das Bella Napoli bereits geöffnet hatte. Aber Pokerrun 55
den bereits um sieben? Wohl kaum. Also würde Jonathan Tackett wohl erst später eintrudeln - wenn er denn überhaupt kam. Mein Magen funkte ein Telegramm an das Großhirn: Wo bleibt das Steak? Wo bleibt der Bourbon? Ich entschloss mich, weiteren Beschwerden dieser Art die Grund lage zu entziehen. Allerdings nicht im Bella Napoli. Ich steuerte statt dessen das Speakeasy auf der anderen Straßenseite an, das als Han delsagentur getarnt war. Mir war bekannt, dass man dort auch etwas zu essen bekam. Als ich an der Tür klopfte, öffnete sich im oberen Bereich eine klei ne Klappe und ein Ohr reckte sich mir entgegen, fast so wie in einem Beichtstuhl. Da ich mich an das Passwort erinnern konnte, hatte ich kein Problem damit. »Stille Wasser.« Mir wurde geöffnet. Ich passierte den Türsteher im Vorraum und fand mich in einer recht gemütlich eingerichteten Gaststube wieder. Im Gegensatz zu vielen Hinterhof-Speakeasys war diese Lokalität vor der Prohibition eine ganz normale Kneipe gewesen. Die holzverkleideten, stark nach gedunkelten Wände hatten in Jahrzehnten den Rauch von ungezählten Zigaretten und Zigarren gespeichert und der dicke braune Samtvor hang vor der Tür roch außerdem nach Whiskey und Bier. Außer mir hatten sich nur drei Liebhaber geistiger Getränke ver sammelt. Offenbar war es für die baptistische Stammkundschaft schon zu spät oder noch zu früh. Ich setzte mich an einen freien Tisch und bestellte eine Detektiv mahlzeit: Bourbon und Steak. Um genau zu sein, war es die Mahlzeit für Detektive mit Auftrag. Detektive ohne Auftrag mussten aus pekuni ären Gründen fünfzig Prozent der Mahlzeit einsparen, also das Steak. Der Bourbon war brauchbar und das Steak war auch in Ordnung. Als der zweite Whiskey ins Glas gluckerte, fragte ich den Wirt: »Macht Ihnen das Bella Napoli Konkurrenz?« Der rotnasige Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe die Protestan ten, die dort drüben die Katholiken. Bis auf die Iren. Die kommen auch lieber zu mir.« 56
»Aber die Makkaronis schenken schon harte Drinks aus?«
»Ja, in den Hinterzimmern. Vorn bleiben sie sauber.«
»Ich hörte, hinten wird auch gepokert.«
»Sind Sie Polizist?«, fragte der Wirt misstrauisch.
Ich winkte ab. »Privatdetektiv. Ich suche einen Burschen, der
hinkt, ein Menjoubärtchen trägt und wie ein Engländer aussieht. Man sagte mir, er würde im Bella Napoli sein Glück versuchen. Er schaut nicht zufälligerweise auch bei Ihnen auf einen Schluck vorbei?« »Mein einziger hinkender Kunde ist ein Kriegsveteran mit einem Holzbein. Aber der stammt aus Georgia und benimmt sich auch so.« »Aber das mit dem Pokern stimmt?« »Mister, ich will es mir nicht mit den Brüdern verderben. Wenn die meinen, ich hätte die falschen Sachen gesagt, werfen sie mir einen Pineapple der explosiven Art in meinen Laden. Glauben Sie einfach, was Sie gehört haben, oder glauben Sie es nicht.« * Gegen halb neun verließ ich das Speakeasy. Dank eines weiteren Bour bon war meine Makkaroni-Toleranz auf einen Wert gestiegen, der ma nierlichen Smalltalk selbst mit Giovannis der gröberen Art zuließ. Ich überquerte die Straße und betrat das Bella Napoli. An der Garderobe erwartete mich ein mit Lackschuhen, Gama schen und Smoking herausgeputzter Giovanni, der mich abfällig mus terte, als ich meinen Hut abgab und mein rotblondes Haar zum Vor schein kam. Ich rechnete mit dem üblichen Vortrag, dass irische Kar toffelfresser hier nichts verloren hätten, aber der Kerl war subtiler. »Wir servieren nur Pasta, Pizza und Scampis«, sagte er mit einem öligen Grinsen. »Ich fürchte, das wird nichts für Ihre etwas derberen Geschmacksnerven sein.« »Hör zu, Giovanni, ich interessiere mich nicht für weiche Nudeln und Restekuchen, sondern für lustig machende Wässerchen und reich machende volle Häuser.« 57
Das ölige Grinsen wurde durch ölige Beflissenheit ersetzt. Wie es aussah, hatte man hier zwar etwas gegen irische Esser, aber nicht unbedingt gegen irische Melkkühe. »Wer hat uns empfohlen?« »Jonathan Tackett.« Täuschte ich mich oder zuckte der Türsteher tatsächlich zusam men, als er den Namen hörte? »Warten Sie.« Der Giovanni verschwand im Lokal. Offenbar musste er sich höhe ren Ortes rückversichern. Es dauerte eine Weile, bis er zurückkehrte. »Gehen Sie quer durch das Lokal zu den Toiletten und daran vor bei. Am Ende des Korridors finden Sie eine weitere Tür. Klopfen Sie dreimal. Wenn man Ihnen öffnet und nach der Losung fragt, flüstern Sie ›Mortadella‹.« »Das kann ich mir nicht merken.« Der Giovanni grinste überlegen. »Der Angestellte wird sehen, dass Sie Ire sind und Ihr Gehirn nur begrenzt aufnahmefähig ist. Er wird sich mit Morta zufrieden geben.« »Danke für Ihr Verständnis, mein Bester. Wie schleusen Sie denn Ihre Landsleute ins Hinterzimmer? Genügt da ein M als Parole?« Bevor der Giovanni sich etwas Neues ausdenken konnte und - To leranz hin, Toleranz her - am Ende vielleicht doch noch die Fäuste flo gen, schob ich ihn zur Seite und betrat den Speisesaal. Ich achtete nicht weiter auf die Kellner und die Gäste. Zielstrebig begab ich mich zu der Tür des Hinterzimmers, klopfte und wurde eingelassen, nach dem ich die Parole aufgesagt hatte. Ich hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, mitten in eine Poker runde hineinzuplatzen. Meine Einschätzung erwies sich als richtig. Ich befand mich in einem Vorzimmer, von dem eine weitere Tür abging. Außer dem Wächter am Eingang lümmelten vier Gorillas mit unter den Achseln ausgebeulten Anzügen herum. Das Massenaufgebot über raschte mich. Alle starrten mich an, als hätten sie noch niemals einen Iren gese hen. Einen der Gorillas kannte ich flüchtig. Er hatte eine unvergessli che Visage, zu der ein Strick besser gepasst hätte als eine Krawatte. 58
Zweifellos waren das Domenico und seine Jungs, auf die Tackett so große Stücke hielt. Ob dem guten Jonathan bewusst war, dass diese Jungs im Sold von Il Cardinale standen? »Hallo Giovanni«, sagte ich locker zu meinem Bekannten. »Was ist los mit euch? Ihr guckt ja wie die Ölgötzen.« »Schnauze, Schnüffler!« Er kam näher. »Arme über den Kopf und Beine auseinander!« Ich mag es nicht, gefilzt zu werden, schon gar nicht von Weichnu delessern. Trotzdem tat ich ihm den Gefallen. Erstens hätte ich gegen fünf Gorillas keine Chance gehabt und zweitens war ich hier, um einen Auftrag auszuführen. Der Giovanni tastete mich ab und kassierte mei nen Revolver. »Den kannst du dir später wieder bei uns abholen«, knurrte er. »Macht ihr immer so einen Aufstand? Man könnte fast meinen, euer Boss sitzt da drinnen beim Kartenspiel.« Ich dachte schon, der Kerl würde zuschlagen. Aber er riss sich zu sammen. Offenbar hatte irgendjemand den Gorillas sehr genaue An weisungen gegeben, was sie zu tun und was sie zu lassen hatten. Er ließ sich sogar zu einer Art Erklärung herab. »Waffen werden hier nicht geduldet. Fremde sind in der Stadt.« »Soll vorkommen. Na und?« »Geht dich nichts an.« »Ist Tackett schon da?« Ein anderer Gorilla mischte sich ein. »Wir stellen hier die Fragen, Schnüffler. Halt uns nicht weiter auf. Du bist jetzt sauber und kannst passieren. Oder du nimmst deine Knarre und verschwindest. Also was ist?« Ich schätze es, wenn mir klare Alternativen aufgezeigt werden. »Bis später, Jungs«, sagte ich und ging zu der hinteren Tür. »Bleibt sauber und erschießt euch aus Versehen bloß nicht gegensei tig. Und ballert gefälligst nicht mit meinem 38er herum.« Ich erntete nur saure Mienen. Dann war ich im benachbarten Zimmer. Einer der Gorillas schloss die Tür hinter mir und bemühte sich, dabei leise zu sein. 59
Dies war immer noch nicht der Raum, wo gepokert wurde, son dern ein nüchtern eingerichteter Schankraum. Mehrere Figuren saßen herum und becherten. Ich fragte mich, wie viele Hinterzimmer dieser vertrackte Bau hatte. Jemand tippte mir auf die Schulter. Als ich mich umwandte, stand ich einem rachitisch aussehenden Kellner gegenüber. »Wollen Sie nur trinken oder auch pokern?«, fragte er. »Bringen Sie mir erst mal einen Bourbon.« Ich setzte mich an einen freien Tisch, fingerte mir eine Lucky aus der Packung und zündete sie an. Als der Kellner den Bourbon brachte, fragte ich ihn: »Gibt es mehrere Pokerrunden?« »Zwei, aber im gleichen Raum.« »Ich würde gern die Spieler studieren, bevor ich einsteige. Sind Kiebitze zugelassen?« »Ja, wenn Sie Abstand halten, sich ruhig verhalten und keiner der Spieler Einwände erhebt.« »Ist Mister Tackett anwesend? Er trägt einen Menjoubart, zieht das Bein nach und...« »Ich kenne Mister Tackett«, unterbrach mich der Kellner. »Ja, er spielt an Tisch 2.« Vor freudigem Schreck wäre mir fast die Zigarette aus der Hand und in das Whiskeyglas gefallen. »Dann möchte ich an Tisch 2 kiebitzen.« »Ich werde fragen, ob Ihre Anwesenheit erwünscht ist.« »Was soll das heißen? Ich habe weder die Krätze noch Tuberkulo se.« Der Kellner blieb ungerührt. »Die Regeln müssen eingehalten werden. Rechnen Sie mit einer Wartezeit von einer Stunde.« Das gefiel mir nicht, aber mir gefiel manches an diesem Laden nicht. Wahrscheinlich gehörte es zum Stil des Hauses, neue Leute erst einmal hinzuhalten, damit sie sich ausreichend mit Whiskey abfüllten. Das Bella Napoli machte Kasse und die Spieler waren anschließend leichter übers Ohr zu hauen. Es gab Schlimmeres, als dazu verdammt zu sein, eine Stunde lang Bourbon zu trinken. Kurz vor zehn hatte der schmächtige Kellner ein Einsehen. 60
»Kommen Sie.« Er ging voran. Ich folgte ihm mit der Kippe im Mundwinkel und dem Glas in der Hand durch eine weitere Tür nach nebenan. In der Mitte des Raums standen zwei Kartentische, an denen je weils vier Spieler saßen. Über jedem der Tische brannte eine tief hän gende Deckenlampe mit abgedunkeltem Schirm. Ansonsten war es in dem fensterlosen Raum dunkel. Nur schemenhaft waren ein paar Ges talten zu erkennen, die wie ich mit Gläsern in der Hand den Spielern zuschauten. Die Lampen badeten den Tisch, die darauf liegenden Karten und die Hände der Spieler in gleißendes Licht. Die Gestalten, zu denen die Hände gehörten, waren kaum auszumachen. Trotzdem entdeckte ich Tackett sofort. Die Ähnlichkeit mit dem Foto war unverkennbar, obwohl er, wie seine Schwester gesagt hatte, etwas älter und etwas dicker geworden war. Die spitze Nase, das Menjoubärtchen, die stocksteife Haltung, die dezent silberfarbene, sorgfältig gebundene Krawatte, der korrekt ge knöpfte dunkle Zweireiher, das blütenweiße Kavalierstuch - das war Mister Old England höchstpersönlich. Es fehlten nur noch der Bowler und der Regenschirm - und ich war mir ziemlich sicher, dass Jonathan diese beiden Accessoires in der Garderobe geparkt hatte. Tackett ließ sich gerade eine weitere Karte geben, betrachtete sie nahe am Körper, so dass keiner der Kiebitze sie sehen konnte. Dann fügte er sie seinem auf dem Tisch liegenden Blatt hinzu und legte eine andere Karte ab. Das Spiel schien in einer entscheidenden Phase angelangt zu sein. In der Mitte des Tisches türmten sich schon die Präsidenten. Das interessierte mich allerdings nicht die Bohne. Mir war völlig schnurz, ob Tackett gewann oder verlor. Da ich ihn schlecht aus der Runde herausreißen konnte, hoffte ich nur, dass es so oder so zu Ende ging und danach eine Pause eingelegt wurde. Tackett warf einen weiteren Präsidenten auf den Haufen. »Ich ge he mit und will sehen«, sagte er. Das war Pokersprache, aber Jona than sprach es in dem reinsten Oxford-Englisch, das ich seit Jahren gehört hatte und es klang so beiläufig, als habe er dem Butler aufge 61
tragen, den Tee zu servieren und dabei die Biskuits nicht zu verges sen. Nur ein gelegentliches Zucken des rechten Augenlids verriet die Anspannung. Zwei aus der Runde waren schon ausgestiegen. Nur der Spieler gegenüber war noch dabei und deckte seine Karten auf: Er hatte zwei Zehnen und drei Könige. Full House. Tackett machte es spannend. Dann drehte er die erste Karte um. Herzdame. Die zweite Karte. Karodame. Die dritte Karte. Kreuzdame. Die vierte Karte. Herz-Sieben. Das war bis jetzt nur ein Drilling. Zu wenig, um ein Full House zu übertreffen. Ohne eine Miene zu verziehen, präsentierte Tackett die letzte Kar te. Pikdame. Ein Vierling. Der Pott gehörte Jonathan Tackett. Was hatte Judith Dexter mir erzählt? »Die anderen gewinnen und er verliert.« Offenbar handelte es sich um eine weitere schwesterliche Fehleinschätzung, die Jonathan soeben in das Reich der Legenden verwiesen hatte. Der andere Spieler trug es mit Fassung und nickte nur. Jonathan stand auf, beugte sich über den Tisch und wollte die Präsidenten einsammeln. In diesem Moment wurde hinten im Raum eine Tür aufgerissen, deren Existenz mir bis dahin verborgen geblieben war und fünf Gorillas stürmten herein. Vier von ihnen hielten Tommy-Guns im Anschlag und zielten damit auf die Anwesenden. Der fünfte hielt lediglich einen Re volver in der Faust. Mit der anderen drehte er einen Lichtschalter und es wurde ziemlich hell im Raum. Wahrscheinlich legte er Wert darauf, dass alle seine hässliche Visage zu sehen bekamen. »Wer schreit oder sich bewegt, landet auf dem Friedhof!«, rief er, womit schon mal bewiesen war, dass er nicht nur über elektrisches Fachwissen verfügte, sondern auch ein paar Wörter beherrschte. Da er offenbar der Anführer war, durfte man dies von ihm billigerweise auch erwarten. Ansonsten sah er so bullig und grob gestrickt aus wie seine 62
Kollegen, besaß aber eindeutig den Hut mit der breitesten Krempe. Damit konnte er sich bequem jeden Regenschirm schenken. Alles erstarrte. Das galt sowohl für die Spieler an den beiden Ti schen als auch für die Kiebitze und den Kellner. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig nervös war. Tommy-Guns haben häufig Ladehemmungen, aber dass vier Maschinenpistolen im gleichen Moment versagten, davon hatte ich noch nie gehört. Im Geis te sah ich schon die Schlagzeile der morgigen Tribune: MASSAKER IM BELLA NAPOLI ZU DEN OPFERN GEHÖRT DER BERÜHMTE PRIVATDETEKTIV PAT CONNOR Na ja, was die Unterzeile anging, so hoffte ich darauf, dass Bren don sich gegen die Lokalredaktion durchsetzen und mir diesen letzten Liebesdienst erweisen würde. Das alles hinderte mich allerdings nicht daran festzustellen, dass die Gorillas zwar Giovannis waren, aber offenbar nicht zu Rigobellos Leuten gehörten. Und was der Typ, der sich als Friedhofslieferant auf spielte, von sich gegeben hatte, klang in meinen Ohren fast so fremd wie das Chinesisch in den Wäschereien auf der South-Side. Nur ge fährlicher. Es war New Yorker Slang. Jonathan Tackett war mitten in der Bewegung erstarrt. Vornüber gebeugt, eine Hand nach dem Geld ausgestreckt, machte er einen etwas kümmerlichen Eindruck, der mit britischem Understatement we nig gemein hatte. Er sah mehr aus wie sein eigener Butler, der gerade mit einem geklauten silbernen Löffel erwischt worden war. Ganz abge sehen davon, dass die Haltung äußerst unbequem war. Signore Revolvermann näherte sich Tackett und gönnte ihm ein gutes Wort. »Setz dich, schwuler Engländer.« Jonathan Tackett gewann an Würde zurück und leistete der Auf forderung mit aufreizender Langsamkeit Folge. Der Obergorilla zündete sich seelenruhig ein Zigarillo an und blies seinem Gegenüber den Rauch ins Gesicht. Jonathan musste husten. 63
Signore Revolvermann wischte mit dem Anzugärmel über den Tisch, knüllte die zusammengefegten Geldscheine achtlos zusammen und stopfte sie sich in die Anzugtaschen. »Fein, Tackett, dass wir mal wieder gewonnen haben. Aber du schuldest uns eine Menge mehr, nicht wahr?« »Ihnen schulde ich überhaupt nichts, Sir«, erwiderte Tackett mit blasiertem Tonfall. Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war. Jonathan hielt sich nicht nur hervorragend, sondern achtete auch weiterhin auf eine ak zentuierte Aussprache. »Wer wird denn so kleinlich sein«, tadelte ihn der Gangster. Dann wechselte er den Tonfall und herrschte den vor ihm Sitzenden an: »Du hast den Bogen überspannt, Tackett! Du weißt, was das bedeutet?« Jonathan blieb erstaunlich gelassen. »Leuten wie Ihnen bin ich keine Rechenschaft schuldig.« »Du irrst dich, Tackett! Aber sei unbesorgt, es war dein letzter Irr tum.« Ganz unvermittelt und ohne eine Miene zu verziehen, setzte der Gangster Tackett den Lauf des Revolvers ins Genick und drückte ab. Das Echo des Schusses wurde von den Wänden zurückgeworfen. Ohne Schlusswort rutschte Jonathan Tackett vom Stuhl und blieb reglos am Boden liegen. Lähmendes Entsetzen machte sich im Raum breit. Der Obergorilla überzeugte sich mit einem Fußtritt davon, dass sein Opfer wirklich tot war. Dann befahl er zwei seiner Leute zu sich. Sie hängten sich die Maschinenpistolen um, packten den Toten an Armen und Beinen und trugen ihn zum Hintereingang hinaus. Die rest lichen Gorillas hielten weiterhin die im Raum Anwesenden in Schach. Der Anführer trat seinen Zigarillo aus. »Schöne Grüße an Rigobel lo«, sagte er in die Runde. »Sagt ihm, dass unser Boss keinen Streit mit ihm sucht. Unser Besuch in Chicago war eine einmalige Angele genheit. Wenn Rigobello allerdings meint, daraus eine große Sache machen zu müssen, ist es uns auch recht.« Er wandte sich den Gorillas zu. »Los, Jungs, wir gehen.« 64
Die Waffen weiterhin auf die Anwesenden gerichtet, bewegten sich die Gangster rückwärts in Richtung Hinterausgang. Dann waren sie verschwunden. Draußen heulte ein Motor auf, Reifen quietschten, ein Auto raste davon. Im Kartenraum erhob sich Stimmengewirr, das an einen zornigen Bienenschwarm erinnerte. Der schmächtige Kellner flitzte zum Vorder eingang hinaus und die Tür knallte hinter ihm ins Schloss. Wenig später stürmten Il Cardinales Gorillas heran, die Revolver gezogen und wild um sich blickend. Ich sprach den Giovanni mit der Zuchthausvisage an. »Ich halte nichts von Pokerrunden, bei denen der Gewinner er schossen wird und möchte deshalb gehen. Leider kann ich euren La den nicht weiterempfehlen.« Er machte keinen Versuch, mich von meiner schlechten Meinung abzubringen. Er ignorierte mich einfach. Aber das war mir auch recht. Ich hatte keine Ahnung, wie der Geschäftsführer des Bella Napoli auf Hinrichtungen in seinem Lokal reagierte. Vielleicht war so etwas hier üblich. Italienische Folklore gewissermaßen. Oder er hielt das Ganze für eine Bagatelle und wollte dafür nicht riskieren, dass sein Speakeasy und der illegale Spielbetrieb aufflogen. Eigentlich blieb ihm angesichts der vielen Zeugen kaum etwas anderes übrig, als die Blechmarkengilde zu rufen. Meine Vermutung wurde zur Gewissheit, als Angestellte erschie nen und in Windeseile die Kartentische hinaus und dafür allerlei Müll herein trugen. Ich bezahlte im Nachbarraum meine Whiskeys und musste dafür ein nettes Sümmchen hinlegen. Hier wurde ebenfalls aufgeräumt. Angebrochene und volle Flaschen wanderten in Kartons und diese wurden zum Hinterausgang hinausbefördert. »He, Jungs, wenn ihr ein gutes Versteck sucht: Mein Wagen steht nicht weit von hier«, sagte ich, aber mein konstruktiver Vorschlag fand keinen Beifall. Die meisten Trinker und Spieler stahlen sich eilends davon. Ers tens gab es keinen Stoff und kein Spiel mehr und außerdem hatte kaum jemand Lust, in irgendetwas hineingezogen zu werden. Schon gar nicht, wenn es um Leute mit Tommy-Guns auf der einen und Leu 65
te mit Gummiknüppeln auf der anderen Seite ging. Nur ein paar Ty pen, die über einen besonders robusten Magen verfügen mussten, nahmen vorn Platz, um sich statt Alkohol Nudeln rein zu pfeifen. Was mich anging, so hatte ich ebenfalls keine Sehnsucht nach meinen ehemaligen Kollegen, am wenigsten nach dem verbohrten Lieutenant James Quirrer. Ich holte meinen Revolver ab und ver schwand. * Ich tat das Nahe liegende. Ich überquerte die Straße und kehrte in das als Handelsagentur getarnte Speakeasy zurück. Dort war jetzt mehr los. Offenbar gab es in der Gegend zahlreiche Protestanten, die im irdischen Jammertal ein Trostwässerchen benötigten, sich aber erst nach Sonnenuntergang in ein Speakeasy trauten. Ich setzte mich an die Theke und bestellte einen Whiskey. Ich hielt mich dabei an die alte Lebensweisheit, dass jemand, der zehn Whiskey getrunken hat, auch einen elften vertragen kann. Besonders glücklich kann ich nicht ausgesehen haben, denn der Wirt versuchte mich zu trösten. »Nehmen Sie es leicht, Mister. Pech im Spiel, Glück in der Liebe.« Ich winkte ab. »Ich habe keinen Cent verloren. Aber es soll Leute geben, die erst Glück im Spiel haben und dann ihr Ticket nach Kuba gegen ein Ticket nach Nirgendwo eintauschen müssen.« Der Wirt musterte mich seltsam. »Ich muss das nicht verstehen, oder?« Draußen waren Polizeisirenen zu hören. Der Wirt und einige Gäste wurden unruhig. »Beruhigen Sie die Leute«, sagte ich. »Das gilt nicht Ihnen, son dern dem Bella Napoli.« »Wenn Sie es sagen...« Der Wirt ließ es sich trotzdem nicht nehmen, vor die Tür zu treten und durch die Glasscheibe der Haustür zu spähen. Nach einer Weile kehrte er sichtlich erleichtert zurück. »Was ist dort passiert?«, fragte er mich. 66
»Keine Ahnung. Ich kann das Gequatsche der Giovannis nicht ver stehen. Wahrscheinlich ist einem der Gäste die italienische Lebensart nicht bekommen.« Er ließ mich in Ruhe. Ich trank einen Schluck und rauchte eine Zi garette, um meinen Denkapparat anzukurbeln. Ich hatte kein Problem mit der Erkenntnis, dass sich mein Auftrag erledigt hatte. Aber ich hatte entschieden ein Problem mit der Art und Weise, wie das passiert war. Ich war meine Botschaft nicht losgewor den. Wenn ich nicht gerade Tacketts Geist begegnete, würde ich sie niemals mehr loswerden. Im Grunde konnte ich nicht einmal stolz darauf sein, Jonathan Ta ckett gefunden zu haben. Ich hätte mir Mr. Sepplhut, Beppo und Lieb kinds Bratpfanne ersparen können, wenn ich mich auf die faule Haut gelegt und einfach Judith Dexters Hinweis gefolgt wäre. Wo immer sich die Lady sonst geirrt haben mochte, in diesem Fall lag sie gold richtig: Jonathan konnte nur noch im Bella Napoli spielen, hatte sie gesagt. Und was tat Johnny? Genau. Er spielte im Bella Napoli. So ein fach war das. Dass er dort, wo er sich sicher glaubte, dann doch von den New Yorker Gangstern aufgespürt und erschossen wurde, konnte niemand ahnen. Künstlerpech. Ein Kubist, der von einer runden Kugel erwischt wurde. Das war schon bitter. Ich kramte den Zettel hervor, auf dem ich Judith Dexters Nummer notiert hatte. Sie erwartete von mir, dass ich sie anrief, wenn ich ihren Bruder gefunden hatte. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Da ich nichts davon halte, Probleme auf die lange Bank zu schieben, fragte ich den Wirt nach dem Telefon. Er deutete zu einer Tür auf der anderen Seite der Gaststube und ich erhob mich. Auf dem Flur, der zu den Toiletten führte, hingen gerahmte Titel bilder und Fotos aus europäischen Nudistenmagazinen, auf denen ap petitliche nackte Mädchen zu sehen waren. Offenbar wusste der Wirt recht gut, für welche Sünden seine Baptisten sonst noch zu haben waren. Ich hob die Sprechmuschel ab und nannte der Vermittlung die Nummer der Dexters. 67
Es dauerte eine Weile, bis jemand abhob. »Bei Dexter«, meldete sich eine ältere weibliche Stimme, die ver mutlich einer Hausangestellten gehörte. »Ich möchte Mistress Dexter sprechen.« »In welcher Angelegenheit, Mister...« »Pat Connor«, half ich aus. »Sagen Sie einfach, Connor ist am Ap parat. Das wird genügen.« »Ich werde es ausrichten, Mister Connor. Warten Sie bitte einen Moment.« Ich hörte schwerfällige Schritte, die sich entfernten, ferne Stim men und schließlich flotte Schritte, die sich näherten. Dann hatte ich Judith Dexter an der Strippe. Sie fiel gleich mit der Tür ins Haus. »Haben Sie meinen Bruder gefunden, Pat?« Ich weiß, dass ich als salbadernder Pfarrer eine Fehlbesetzung wä re und machte deshalb ebenfalls keine Umschweife. »Jonathan ist tot.« Für ein paar Sekunden hörte ich nur ihr rasches Atmen. Dann sag te sie erstaunlich gefasst: »Damit war wohl leider zu rechnen.« Ich erstattete Bericht von den Ereignissen, die erst eine halbe Stunde zurücklagen. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen. Als ich endete, fragte sie: »Wo sind Sie jetzt, Pat? Auf der Polizei?« »Wo denken Sie hin! Ich habe mich natürlich verdrückt, bevor die Brüder eintrafen und erfrische mich im Moment ein wenig in einem Speakeasy.« »Aber...«, setzte sie an und brach dann ab. Irgendetwas in ihrer Stimme sagte mir, dass ihr an meiner Aus kunft etwas nicht gefallen hatte. Wäre es ihr lieber gewesen, ich säße jetzt allein zu Hause, jederzeit bereit, auch außerhalb beruf lieber Pflichten eine arme Schwester zu trösten, die ihr geliebtes Brüderchen verloren hatte? Dass Mrs. Schotter-Dexter zu diesem Behufe nicht in einem Speakeasy aufkreuzen würde, war mir klar. Ich überlegte schon, ob ich eine taktische Bemerkung der Art fallen lassen sollte, dass ich demnächst zu meinem Apartment aufbrechen würde. Aber sie kam mir zuvor und raubte mir brutal meine romantischen Illusionen. 68
zig.
»Sie hätten besser im Bella Napoli bleiben sollen«, sagte sie trot
»Wozu? Da gab es nichts mehr zu trinken.« »Wegen der Aussage.« »Das war doch eben eine klare Aussage, Schätzchen.« »Ach Pat...« Ihre Stimme bekam einen Unterton, in dem ich jetzt doch das Rascheln von seidener Unterwäsche zu hören glaubte. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll...« »Mir müssen Sie gar nichts erklären, Judith. Ich habe für alles Verständnis.« Im Geiste zupfte ich bereits an der Unterwäsche, aber für den Moment zog die Lady wieder das Kostüm an. »Sie wissen ja, das Verhältnis zwischen Jonathan und mir war durch seine Spielsucht und andere Eskapaden belastet. Aber er war nun mal mein Bruder. Und jetzt ist er tot. Seine Mörder haben nicht einmal seinen toten Körper zurückgelassen. Verstehen Sie? Ich kann Jonathan nicht im Familiengrab beisetzen lassen. Es wäre mir sehr, sehr wichtig, wenigstens einen Polizeibericht zu erhalten, in dem fest gestellt wird, dass Jonathan ermordet wurde. Das wäre für mich so eine Art Sterbeschein.« »Ich kann nicht erkennen, wo das Problem liegt. Die Polizei ist im Bella Napoli und stellt Ermittlungen an. Sie werden Ihren Bericht be kommen.« »Aber Pat, Sie sagten doch selbst, man versucht, der Polizei etwas vorzumachen und die meisten Zeugen sind genau wie Sie verschwun den. Wird man nicht einfach behaupten, ein Unbekannter sei im Vor ratslager erschossen und weggeschleppt worden?« Sie war ein kluges Mädchen, das musste ich zugeben. Und was sie sagte, klang plausibel. Die Spieler und Kiebitze hatten gute Gründe, sich nicht um Kopf und Kragen zu reden. Und der rachitische Kellner, der mir verraten hatte, dass Tackett anwesend war, würde wohl den Ahnungslosen spielen, der vorn im Speisesaal bedient und von allem nichts mitbekommen hatte. 69
»Bitte, Pat, Sie müssen Ihre Aussage zu Protokoll geben«, be schwor sie mich mit sanfter Stimme, die das Kostüm wieder zu Boden gleiten ließ. Ich blieb stur. »Il Cardinale hat es nicht gern, wenn ein irischer Privatdetektiv die Läden von Geschäftsfreunden madig macht.« »Sie müssen das Bella Napoli ja nicht madig machen. Beschränken Sie sich darauf, die Ermordung von Jonathan zu schildern.« »Das ist nicht so einfach, Schätzchen. Polizisten wollen immer al les ganz genau wissen.« »Sie schaffen das schon, Pat«, schmeichelte sie mir. »Wenn Sie mir diesen kleinen Gefallen erweisen, werde ich mich erkenntlich zei gen. Auf mancherlei Art.« Bei dem letzten Satz flog die seidene Wäsche sonst wohin. Ich konnte gar nicht anders, als ihr zu versprechen, mit Captain Hollyfield zu reden. Ich hängte ein. Meine Gedanken bewegten sich in eine ziemlich eindeutige Richtung und die Fotos der nackten Mädchen an den Wän den waren wenig geeignet, mich auf einen anderen Kurs zu bringen. Ich brauchte eine Weile, um mich wieder auf den Fall Jonathan Ta ckett zu konzentrieren. Die Unterredung mit Hollyfield verschob ich auf morgen. Aber ich brauchte jemanden, mit dem ich quatschen konnte und der Wirt des Speakeasy schien mir dafür nicht die geeignete Ad resse zu sein. Ich überlegte, ob ich auf einen Schluck bei Dunky vorbeischauen sollte. Dann hatte ich eine bessere Idee. Ich rief Brendon an. * Eine halbe Stunde später stapfte Brendon in das Speakeasy, erspähte mich sofort und steuerte meinen Tisch an. »Was ist los mit dir, Pat?«, begrüßte er mich schnaufend und schob seinen dicken Hintern auf einen Stuhl. »Um zwei hieß es noch, du hättest heute Abend keine Zeit und um elf scheuchst du mich von meinem Schlaftrunk hoch.« 70
Er bestellte Whiskey und wir zündeten uns Zigaretten an.
Ich zog an der Lucky und entließ einen gemächlich dahintrudeln-
den blauen Rauchring. »Brendon, ich habe vielleicht eine gute Story für euch.« Ich erzählte ihm von der Hinrichtung im Bella Napoli. Der Redakteur der Chicago Tribune zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. »Ich bin erst ab morgen Nachmittag wieder im Dienst, aber wenn die Polizei den Fall untersucht, werden die Kollegen in der Redaktion schon dran sein.« »Sie werden nur über einen mysteriösen Mord ohne Leiche schrei ben können. Ich weiß hingegen, wie der Tote heißt und dass Gorillas aus New York ihn ausgeknipst haben. Das alles werde ich zwar mor gen auch Hollyfield erzählen, aber ihr hättet einen Vorsprung.« Brendon trank erst mal seinen Whiskey, aber dann notierte er sich Einzelheiten und telefonierte anschließend mit der Redaktion. »Sie bringen es so, wie du es haben wolltest«, sagte er, als er wieder Platz genommen hatte. »Das Opfer heißt Jonathan Tackett und ist der Schwager des berühmten Ernest Dexter. Tackett wurde von auswärtigen Gangstern hingerichtet, weil er hohe Spielschulden hatte. Das Bella Napoli wird nicht namentlich erwähnt.« Er lehnte sich zu rück. »Und nun sag mir mal die Wahrheit.« Ich zuckte die Achseln. »Es ist die Wahrheit oder doch zumindest ein Teil davon.« Dann erzählte ich meinem besten Freund, was ich sonst noch he rausgefunden hatte. »Eine merkwürdige Geschichte«, schnaufte Brendon und kratzte sich am Kopf. Dann unternahm er etwas gegen die Ebbe in unseren Whiskeygläsern und steckte sich eine neue Zigarette an. So kannte ich Brendon von Jugend an, als er noch der beste Freund meines Vaters war und mir Süßigkeiten mitgebracht hatte, wenn er sich bei uns blicken ließ: Übergewichtig, schnaufend, sich am Kopf kratzend, wenn er überlegte, Whiskey trinkend und Zigaretten paffend. 71
»Eines will mir nicht aus dem Kopf«, sagte ich, während ich mir ebenfalls eine Zigarette anzündete. »Warum haben die Killer die Leiche mitgenommen?« »Vielleicht, um Spuren zu verwischen. Wahrscheinlich werfen sie sie irgendwo zwischen Chicago und New York aus dem Wagen. Sie konnten schließlich nicht wissen, dass du Zeuge der Hinrichtung warst und die Polizei informieren wirst.« »Verdammt, Brendon, die Kerle mögen strohdumme Gorillas sein, aber irgendjemand wird doch für sie mitgedacht und ihnen gesagt haben, wie sie vorgehen sollen. Wenn man Aufsehen vermeiden will, überfällt man nicht eine Kneipe und bringt vor Zeugen jemanden um. Der Obergorilla hat Tackett sogar mit seinem Namen angeredet. Wa rum haben sie ihm nicht draußen aufgelauert und ihn auf die übliche Spazierfahrt mit Todesfolge mitgenommen?« »Da ist etwas dran«, gab Brendon zu und trank einen Schluck Whiskey. »Okay, es war ihnen also unwichtig, ob sie Aufsehen erreg ten oder nicht. Oder es war sogar ihre Absicht, ein deutliches Zeichen zu setzen - möglicherweise, um Rigobello eins auszuwischen. Seltsam ist nur, dass es ihnen offenbar nicht um Geld ging. Wenn du Recht hast und die gleichen Leute in Tacketts Wohnung und bei den beiden Künstlern aufgekreuzt sind, haben sie dort nicht nach Wertsachen ge sucht. Und sie haben Tackett nicht die Möglichkeit gegeben, die Schul den doch noch zu bezahlen.« »Im Bella Napoli haben sie aber Tacketts Gewinn eingesteckt.« Brendon zog eine Grimasse. »Da war ihr Auftrag schon so gut wie erledigt und die alten Instinkte sind durchgebrochen. Behaupte ich mal.« Plötzlich kam mir eine Idee. »He, die haben doch in Tacketts Wohnung und bei den Kubisten irgendetwas gesucht, das Tackett im Besitz hatte. Vielleicht trug er es bei sich, oder die Killer haben zumin dest vermutet, dass er es bei sich hatte. Das wäre ein triftiger Grund, die Leiche mitzunehmen. Sie wollten den toten Tackett in Ruhe durch suchen.« »Gut möglich. Aber was kann Tackett bei sich gehabt haben? O der besser, was könnten die Gorillas bei ihm vermutet haben? Fünfzig 72
Riesen? Er könnte siegessicher ausposaunt haben, Schotter-Dexter würde ihm schon aus der Klemme helfen - was ja auch beinahe pas siert wäre.« »Und dann legen sie ihn trotzdem um?« »Da darfst du mich nicht fragen. Das ist dein Arbeitsgebiet.« »Hmm«, machte ich. »Ja, es gab schon solche Fälle. Wenn du be stimmte Syndikatsbosse zu sehr verarscht, wollen sie nicht nur deine Kohle, sondern auch deine Rübe. Es könnte passen.« Ich verstand immer noch nicht, warum die Gorillas Tacketts Wert sachen im Tresor verschmäht hatten. Aber für heute hatte ich keine Lust mehr herumzugrübeln. Da Brendon Jazz hören wollte, zahlten wir und nahmen einen Ta petenwechsel vor. * In bestimmten Ecken der South-Side sprudelte der Jazz aus allen Win keln und Ritzen. Man konnte sich die Läden gar nicht alle merken, in denen Bands sich ins Zeug legten, völlig ungeplant irgendwelche Ses sions stattfanden oder nur ein einsamer Bluessänger die Klampfe zupf te. Es machte auch wenig Sinn, sich die Namen der Lokale zu merken, denn es gab einen stetigen Wandel. Manche Schuppen wurden schon wenige Wochen nach der Eröffnung wieder geschlossen, weil der Be sitzer pleite war oder die Polizei den Laden auffliegen ließ. Dafür wur de zwei Häuser weiter vielleicht eine neue Kneipe eröffnet. Ich kannte kein Jazzlokal, in dem man verdursten musste. In den teuren Läden der Oberklasse wurden Geist und Körper erquickende Getränke ganz unverblümt ausgeschenkt, weil man die zuständigen Polizisten bestochen hatte. In den kleineren Läden gab es Hochprozen tiges verstohlen in Kaffee- oder Teetassen, oder man wurde in einem Hinterzimmer verarztet. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, in wie vielen Läden wir waren - ich denke, es waren vier oder fünf -, wie die Bands hießen und welche Stücke gespielt wurden. Tatsächlich hatte mein Bourbon pegel inzwischen eine Marke erreicht, bei der es mir schwer fiel, Dixie 73
land und English Waitz auseinander zu halten. Als ich feststellte, dass ich mich eine Weile angeregt mit einem Garderobenständer unterhal ten hatte, entschied ich mich, für heute die Segel zu streichen. Im merhin hatte ich am Morgen einiges vor und der Morgen war nicht mehr fern. Brendon war ebenfalls gut abgefüllt und hatte nichts dagegen, die Tischplatte, die er im Moment als Kopfkissen benutzte, gegen etwas Weicheres einzutauschen. Bevor wir aufbrachen, hatte ich allerdings in den bestimmten Be dürfnissen vorbehaltenen Einrichtungen noch etwas zu regeln und be gab mich auf den Weg, der zu meinem Missfallen als überaus kniffliger Slalomkurs abgesteckt war. Ich rammte dabei das Piano, aber der Ne ger, der darauf herumhämmerte, ließ sich keineswegs aus dem Takt bringen. Ich ermunterte ihn, nicht nachzulassen und gelangte mit Un terstützung anderer Sportsfreunde schließlich doch noch an den ge wünschten Ort. Ich regelte, was zu regeln war, wusch mir die Hände und über prüfte im Spiegel den korrekten Sitz meiner Krawatte. Sie saß keines wegs korrekt, aber ich stellte fest, dass mir das völlig schnurz war. Dann allerdings erblickte ich etwas im Spiegel, das mich von ei nem zum anderen Moment stocknüchtern machte. Ein Mann betrat gerade den Raum und sah flüchtig auf, als er mich bemerkte. Für den Bruchteil einer Sekunde kreuzten sich unsere Blicke. Dann verschwand er in einer Kabine. Ich kannte das Gesicht des Kerls bestens, denn ich hatte es mir lange genug eingeprägt. Ich kannte die verdammt spitze Nase und das zuckende Augenlid. Dass der Kerl kein Menjoubärtchen hatte, nicht hinkte und statt eines Zweireihers eine helle Leinenjacke trug, konnte mich in keiner Weise täuschen.
Dieser Mann sollte eigentlich tot sein und keinerlei Bedürfnisse mehr haben. Ich klopfte an die Tür der Kabine. »Mister Jonathan Tackett!«, rief ich. »Kommen Sie raus! Ich bin Pat Connor, Privatdetektiv. Ich habe eine Nachricht von Ihrer Schwes 74
ter Judith Dexter. Schotter-Dexter zahlt Ihnen die fünfzig Riesen. Was sagen Sie nun?« »Ich heiße nicht Tackett, sondern Williams!«, kam es in breitem Texanisch aus der Kabine. »Verpiss dich!« »Mir können Sie nichts vormachen, Tackett! Ich weiß, dass Sie feinstes Oxford-Englisch sprechen können, wenn Sie wollen!« »Hau ab, du Dumpfbeutel! Du solltest besser deinen Rausch aus schlafen!« »Ich bleibe hier, bis Sie herauskommen, Tackett!« Er dachte natürlich gar nicht daran, die Kabine zu verlassen. Wir kabbelten uns noch eine Weile, aber er wollte einfach keine Vernunft annehmen. Unser Dialog erregte ein gewisses Aufsehen, wohl auch wegen der Lautstärke, mit der er geführt wurde. Ich weiß nur noch, dass mehrere Typen versuchten, mich von der Kabine wegzuziehen. Ich wehrte sie alle ab. Am Ende weckten sie Brendon auf und schick ten ihn zu mir. »Was ist los, Pat?«, fragte er mit schwerer Zunge. »Ist hier im Klo eine zweite Bar eröffnet worden? Dann bestell mir einen Whiskey.« »Geht nicht«, erwiderte ich. »Der Kellner hat sich in der Kabine verbarrikadiert.« »Nicht nett von ihm. Das Personal säuft alles weg und unsereins schaut in die Röhre.« »Aber es ist Tackett, Brendon! Der verdammte tote Tackett!« Brendon sah mich besorgt an. »Das ist kein gutes Zeichen, Junge. Manche sehen weiße Mäuse, andere tote Tacketts. Du solltest für ein paar Tage auf Bourbon verzichten. Versuch doch mal, auf Brandy um zusteigen.« »Niemals!« Wir diskutierten noch eine Weile, aber schließlich gelang es Bren don, mich zum Gehen zu überreden. Als wir endlich im Taxi saßen, versuchte ich es noch einmal. »Es war wirklich Tackett. Irgendwie hat er uns alle verarscht!« »Und wenn schon«, meinte Brendon mit stoischer Ruhe. »Aber verstehst du denn nicht, Brendon? Er hat mich verarscht und vor allem seine Schwester verarscht. Und das Schlimmste daran 75
ist, dass ich nicht weiß, was er damit bezweckt. Will er als Geist her umspuken und Schotter-Dexter so viel Angst einjagen, dass er ihm mehr als die versprochenen fünfzig Riesen spendiert?« Brendon zuckte die Achseln. »Das kann dir doch egal sein, oder? Du hast Tackett im Bella Napoli aufgespürt, wo er leider für deine Nachricht nicht aufnahmebereit war. Jetzt hast du ihm doch noch die Nachricht überbracht. Was willst du noch?« Ich gab auf. »Eine Runde pennen.« * Als ich gegen neun Uhr frisch gewaschen und rasiert beim Kaffee saß, dachte ich über die Ereignisse der vergangenen Nacht nach. Ich be kam nicht mehr alle Einzelheiten zusammen, aber an die wesentlichen Dinge konnte ich mich gut erinnern. Jonathan Tackett war erschossen worden und mir Stunden später ziemlich lebendig in einer Jazzkneipe begegnet. Ich hatte allerdings den vagen Verdacht, dass ich zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon ein wenig angeheitert gewesen war. Hatte ich wirklich Jonathan Tackett oder seinen Geist gesehen? Einen Geist, der bei seiner irgendwie missglückten Himmelfahrt zwar den Menjoubart verloren hatte, aber trotzdem dringend aufs Klo musste? Oder hatte Mister Bourbon mir eine Halluzination beschert? Ich paffte an meiner ersten Morgenzigarette und rief Brendon an, der zum Glück schon wach und noch zu Hause war. »Hör mal, Brendon, das mit Tackett habe ich nicht geträumt, o der? Er war wirklich im...?« Mir fehlte der Name des Schuppens. »Brownie's Cave«, brummte Brendon Smith. »Wie auch immer. War er nun da oder nicht?« »Kann ich nicht sagen, Pat. Zumindest hast du es behauptet und das Klo belagert. Ich selbst habe den Kerl nicht gesehen. An deiner Stelle würde ich es für mich behalten. Du weißt ja, es gibt Leute, die weder viel von Sprit noch von Spiritismus halten.« »Nun mal langsam, Brendon«, protestierte ich. Meine grauen Zel len hatten sich berappelt und funktionierten schon wieder ganz gut. 76
»Es gibt vier Möglichkeiten. Nummer eins: Ich hatte eine Halluzination. Nummer zwei: Ich habe Tacketts Geist gesehen. Nummer drei: Tackett hatte einen Doppelgänger. Nummer vier: Es war der richtige Tackett.« »Vergiss die Nummer vier«, meinte Brendon. »Wenn sie zutrifft, landest du automatisch bei Nummer zwei.« »Wieso?« »Hast du nicht mit eigenen Augen gesehen, wie Tackett erschos sen wurde?« »Vielleicht war das eine Halluzination.« »Die dann aber von reichlich vielen Typen geteilt wurde. Was wird im Bella Napoli ausgeschenkt? Methylalkohol? Oder ist dort der Große Houdini aufgetreten?« Ich inhalierte tief und entließ den Rauch durch die Nasenlöcher. »Ja, schon gut, vergiss es.« »Du triffst dich heute mit Hollyfield?« »Ich rufe ihn an. Unterzeichnen kann ich das Protokoll meiner Aussage auch später. Mir ist heute mehr nach Seidenwäsche als nach Blechmarken.« »Was soll das heißen?« »Mir wurde eine gewisse Belohnung in Aussicht gestellt.« »Redest du von Judith Dexter, Pat? Lass die Finger von ihr! Ich habe dich gewarnt. Schotter-Dexter versteht keinen Spaß, wenn es um sein Eigentum geht oder um das, was er dafür hält.« »Schotter-Dexter interessiert mich nicht. Der ist allein Judiths Problem und ich denke, sie kann ganz gut damit umgehen.« »Bei dir ist wirklich Hopfen und Malz verloren«, seufzte Brendon. »Eines Tages jagt dir ein gehörnter Ehemann eine Ladung Schrot in den Hintern.« »Wenn er dabei die wichtigen Teile nicht trifft, nehme ich es in Kauf.« »Na schön, du bist erwachsen und musst selbst wissen, was du tust. Aber was Hollyfield angeht, nimmst du hoffentlich meinen Rat an. Halte dich an die Fakten und erzähl ihm nichts von übersinnlichen Er scheinungen. Er könnte sonst unerwünschte Schlüsse daraus ziehen und dich in einem ganz neuen Licht sehen.« 77
»Kein Sorge, Brendon. Mir ist völlig klar, dass der Captain ein ge wisses Interesse daran hat, dass Tote tot sind und es auch bleiben. Wenn überhaupt, rede ich nur mit Judith über die Wiederauferstehung ihres Bruders.« Ich hängte ein, nahm die Sprechmuschel aber gleich wieder ab, um sofort mit Hollyfield zu sprechen. Schließlich musste ich mir die Belohnung durch Lady Schotter-Dexter erst noch verdienen. Es dauerte lange, bis sich die Vermittlung meldete. Ich nutzte die Wartezeit, indem ich meine Anzugtaschen lehrte und die Notizzettel, die sich darin angesammelt hatten, auf den Schreibtisch legte und sortierte. Dabei geriet mir zufällig der Zettel ins Blickfeld, auf dem ich mir die Telefonnummer von Abraham Goldman und eine weitere Nummer notiert hatte. Im ersten Moment wusste ich damit nichts anzufangen, aber dann erinnerte ich mich: Goldman war der Fotograf des Bildes, das Jonathan zeigte. Die zweite Nummer galt dem Bild selbst und war wohl für Nachbestellungen gedacht. Mir fiel ein, dass ich mich gestern Morgen flüchtig gewundert hatte, dass ein New Yorker Fotograf die Aufnahme gemacht hatte. »Vermittlung«, drang eine weibliche Stimme an mein Ohr. Aus einem plötzlichen Impuls heraus sagte ich: »Geben Sie mir New York, Manhattan 2135.« * Als ich später mit Hollyfield sprach, ließ ich mir zunächst einmal Infor mantenschutz zusichern und das Versprechen geben, keine Razzia gegen das Bella Napoli zu unternehmen. Dann teilte ich ihm alles mit, was ich über den mysteriösen Mordfall in diesem Lokal wusste. Gegen Brendons Rat erzählte ich ihm auch von dem Kerl, der mir in Brownie's Cave begegnet war und von dem Telefongespräch mit Mr. Goldman. Captain Hollyfield nahm es gelassen auf und versprach mir, sich um die Sache zu kümmern. 78
Schlauer war ich eigentlich nicht geworden. Sicher war jetzt nur, dass jemand falsch spielte. Wer es war und warum er es tat, blieb mir dagegen ein Buch mit sieben Siegeln. Mr. Goldman verdankte ich allerdings die Gewissheit, dass ich be ruhigt weiter Bourbon trinken konnte. Ich goss mir einen guten Schluck ein und trank auf sein Wohl. Dann rief ich Judith Dexter an. Ich hatte sie sofort an der Strippe. Sie schien schon auf meinen Anruf gewartet zu haben. »Haben Sie meinen kleinen Wunsch erfüllt, Pat?«, fragte sie samtweich, nachdem ich mich gemeldet hatte. »Natürlich, Schätzchen«, sagte ich. »Die Polizei arbeitet bereits an der Sache.« »Das ist mir eine große Beruhigung«, seufzte sie. »Wirklich, Pat, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr es mich erleichtert. Ge rade heute, wo ich mich so einsam fühle. Ernest ist im Büro und kehrt erst spät am Abend heim und Mary hat heute ihren freien Tag. Ich bin völlig allein in dem großen Haus.« Eine traurige Geschichte, die mir das Herz brach. Wer mich kennt, der weiß, dass ich schönen Ladies, die sich einsam und allein fühlen, stets zu helfen versuche. Aus reiner Menschenliebe, versteht sich. »Ich könnte vorbeikommen und Ihnen einen vollständigen Bericht der Ereignisse geben«, schlug ich vor. »Das wird Sie auf andere Ge danken bringen.« »Das würden Sie für mich tun, Pat?«, flötete sie. »Für Sie tue ich doch alles, Schätzchen.« Sie gab mir ihre Adresse und ich versprach, in spätestens einer halben Stunde bei ihr zu sein. * Das Anwesen der Dexters am Sheridan Boulevard erwies sich als min destens so imposant, wie ich mir das vorgestellt hatte. Das riesige Grundstück sah eher wie ein Park aus, in dessen Mitte sich eine Villa erhob, die wohl ihresgleichen in Chicago suchte. Mit ihren unzähligen 79
Türmchen und Erkern glich sie der Miniaturausgabe eines europäi schen Märchenschlosses. Für meinen Geschmack wirkte das unecht und reichlich übertrieben und ich hatte eine vage Ahnung, wie wenig einem Kubisten wie Jonathan Tackett dieses Haus gefiel. Oder gefallen hatte. Zur Ehrenrettung der Dexters muss allerdings erwähnt werden, dass das Haus aus edelsten Materialien - Marmorfassaden, bleiverglas te Fenster und Kupferdächer - erbaut worden war und die riesigen Roteichen, die das Haus umgaben, eine Augenweide waren. Das Tor zur hauseigenen Zufahrt stand offen und ich betrachtete dies als Einladung. Ich parkte meinen Plymouth hinter einem nagel neuen Cadillac, bei dem es sich vermutlich um Judiths Wagen handel te. Ich redete meinem Wagen gut zu, damit er sich nicht schämte, steckte mir eine Zigarette an und läutete. An einem kleinen, offenen Erkerfenster im ersten Stock zeigten sich ein Frauenkopf mit kastanienrotem Haar und nackte Schultern. »Die Tür ist offen, Pat«, rief Judith mir zu. »Kommen Sie doch bitte zu mir herauf. Hier ist es gemütlicher als unten im Salon.« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Die nackten Schultern beflü gelten meine Schritte, als ich auf dicken Perserteppichen die pompöse Eingangshalle durchquerte. An den Wänden hingen allerlei Jagdtro phäen. Außerdem entdeckte ich einen Waffenschrank, randvoll gefüllt mit großkalibrigen Gewehren. Schotter-Dexter schien Großwildjäger zu sein. Offenbar machte er alles in großem Stil. Nur die Türmchen pass ten nicht ins Bild. Vielleicht war das Judiths Idee gewesen. Judith erwartete mich am oberen Ende der Treppe. Sie hatte ge nauso viel an wie die Mädchen auf den Fotos im Baptisten-Speakeasy, nämlich gar nichts. Oder so gut wie gar nichts, denn ein Kleidungs stück möchte ich nun doch nicht unterschlagen: Es handelte sich um ein lilafarbenes Strumpfband am rechten Bein. Meine Augen verengten sich, als ich sie sah. Aber ich kann wirklich nicht behaupten, dass mir der Anblick unangenehm war. Ich korrigier te das Ergebnis meiner gestrigen Kurvendiskussion, indem ich dem Ganzen einen dicken Sonderbonus hinzufügte. Die Wirklichkeit hatte die graue Theorie bei weitem übertroffen. Ich stellte fest, dass die 80
spitzen Türmchen des Hauses in hübscheren Farben auch an Judiths Körper zu finden waren und sich dort wesentlich besser machten. Lächelnd trat sie auf mich zu, nahm mir die Zigarette aus der Hand und drückte sie in einem Aschenbecher aus. Dann stupste sie mir den Hut vom Kopf, lockerte meine Krawatte und schmiegte sich an mich. »Gefalle ich dir?« »Ich kann nichts Gegenteiliges behaupten, Schätzchen.« Eine gewisse Schwellung, die sich unter meiner Hose abzeichnete, hätte mich ohnehin Lügen gestraft, wenn ich etwas anderes gesagt hatte. Ihre Hand glitt zu der genannten Stelle und verharrte dort. »Ich habe gehört, dass Detektive im Ernstfall ihre Waffe unheim lich schnell in Stellung bringen können«, hauchte sie lasziv. »Das ist mir ebenfalls zu Ohren gekommen.« »Dann beweise es mir, Liebling.« Ich ließ mich nicht länger bitten und erfuhr dabei ihre tatkräftige Unterstützung. Als sie mich zu ihrem Zimmer führte, wo uns ein brei tes, weiches Bett erwartete, hatte ich so wenig an wie sie. Allerdings fehlte bei mir das lila Strumpfband, da ich solche Accessoires nicht mein Eigen nenne. Aber ich denke, dass dies durch den Balken, über den sie nicht verfügte, wettgemacht wurde. * In der folgenden Stunde verstand ich sehr gut, dass Schotter-Dexter den Schatz, den er hütete, mit niemandem teilen wollte. Ich sprach sie später darauf an, als ich mir meine Zigaretten vom Flur geholt hatte, neben ihr lag und rauchte. Sie lachte. »Ernest weiß, dass ich mir ab und zu ein kleines Ver gnügen gönne. Es gefällt ihm nicht und er hat auch mal einen meiner Liebhaber verprügelt. Aber im Großen und Ganzen nimmt er es hin, muss er auch, wenn er mich halten will. Bei ihm schießen nämlich nur die großen Gewehre, mit denen er auf die Jagd geht.« 81
Ich nahm es zur Kenntnis. Offensichtlich konnte Dexter mit sei nem Schotter doch nicht alles kaufen. Ziemlich abrupt kam Judith zur Sache. »Was deinen Auftrag an geht, so ist er abgeschlossen. Ich erwarte dann deine Spesenrech nung.« »Für mich ist der Fall noch nicht ganz abgeschlossen«, erwiderte ich. »Wie meinst du das?«, fragte sie mit seltsamer Stimme. »Ich konnte Jonathan deine Nachricht nicht überbringen.« »Das hat sich ja wohl erübrigt, oder?« »Ich habe mich unklar ausgedrückt. Tatsächlich bin ich Jonathan nach seinem Tode noch einmal begegnet und zwar in der sanitären Einrichtung eines Jazzlokals auf der South-Side. Ich habe ihm die frohe Kunde in sein Sitzkabinett gerufen. Aber er wollte davon nichts wissen und sagte, er sei gar nicht Jonathan Tackett, sondern ein gewisser Williams - der schauerlichen Sprechweise nach ein Texaner. Was hältst du davon?« Judith war sichtlich unruhig geworden. »Was erzählst du mir da? Ja, es stimmt, Jonathan hatte einen Doppelgänger, hier in Chicago. Er ist ihm selbst einmal begegnet. Ich weiß wirklich nicht, warum du mir diesen Bullshit erzählst.« »Der richtige Bullshit kommt erst noch, Schätzchen«, sagte ich und nahm einen Zug von meiner Zigarette. »Erinnerst du dich an das Foto von Jonathan, das du mir gestern gezeigt hast? Von dem Foto grafen in New York? Ich habe ihn angerufen und Mister Goldman führt überaus akkurat seine Kundenkartei. Der Mann auf dem Bild 1308 heißt weder Jonathan Tackett noch Williams, sondern Alexander Saun ders und ist Schauspieler. Ein wenig erfolgreicher Kleindarsteller an New Yorker Bühnen, auf den Mister Goldman aber große Stücke hält, weil er ihn bei dem Fototermin ständig zum Lachen brachte. Und weißt du auch womit? Er konnte eine Menge Dialekte und Sprechweisen per fekt imitieren. Mister Goldman erinnert sich besonders an die Imitation eines englischen Aristokraten. Was sagst du nun?« »Ich... ich verstehe das nicht«, stammelte Judith. »Jonathan hat mir das Foto gegeben. Ich hatte keinen Argwohn. Das Foto zeigt wirk 82
lich Jonathan. Mister Goldman muss sich irren. Oder Jonathan hat sich einen schlechten Scherz mit mir erlaubt.« Sie stand auf. »Ich brauche jetzt erst einmal einen Whisky. Willst du auch einen?« »Aber immer, Schätzchen.« Sie warf sich einen Morgenrock über und verschwand. Ich nutzte die Gelegenheit, meine Klamotten auf dem Flur einzusammeln. Für den Fall, dass Minderjährige vorbeikamen, verstaute ich mein wichtigs tes Teil in dem dafür gedachten Kleidungsstück. Außerdem setzte ich den Hut auf, damit mein zweitwichtigstes Teil nicht auskühlte. Schließ lich schnallte ich mir noch das Hohlster mit meinem drittwichtigsten Teil um. Nach einer Weile kehrte Judith mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück und schenkte uns ein. Ich betrachtete das Etikett der Flasche, während ich trank. »Alle Achtung, echter Tennessee-Bourbon.« »Ernest sorgt dafür, dass die Hausbar stets gut bestückt ist. An Geld und Kontakten mangelt es ihm nicht.« Obwohl sie nur an dem Glas genippt hatte, war ihr offenbar warm geworden und sie ließ den Morgenrock zu Boden gleiten. »Pat?«, fragte sie und ihre Stimme klang sehr weich. »Hast du jemandem von der Sache mit dem Bild erzählt?« »Warum sollte ich? Ich denke, das geht nur uns beide etwas an, oder?« »Würdest du mir sehr böse sein, wenn ich zugebe, dass ich dir etwas vorgeflunkert habe?« Sie nahm eine Haltung ein, bei der ich gewisse Schwierigkeiten hatte, mich auf die Frage zu konzentrieren. Doch ich riss mich zusam men. »Aber nicht doch, Schätzchen. Schließlich bist du meine Klientin. Was hast du mir denn vorgeflunkert?« Draußen fuhr ein Wagen vor. Wenn Judith es hörte, schien es sie nicht zu kümmern. »Die Sache mit Jonathan... war etwas anders.« 83
Ich hörte die Haustür ins Schloss fallen, ein Poltern und Klirren in der Eingangshalle, dann eilige Schritte auf der Treppe. Das gefiel mir nicht. »Wie anders?« Judith lächelte nur. Die Schritte näherten sich dem Zimmer. »Ach weißt du... Das kann dir Ernest viel besser erklären als ich.« Die Tür wurde aufgestoßen und im Eingang stand ein Knilch mit einer Elefantenbüchse, deren Mündung auf mich gerichtet war. Es handelte sich um ein dünnes Männchen mit Halbglatze und Nickelbrille. Das Gewehr schien viel zu groß und zu schwer für ihn zu sein. Einen Kerl, der mit Gangstern kungelte, hatte ich mir anders vorgestellt. »Die Flossen hoch, aber dalli!«, schrie Schotter-Dexter. »Herrschen Sie Ihre Elefanten auch so an?«, fragte ich, während ich notgedrungen der Aufforderung nachkam. Mir war durchaus be wusst, dass ich mit Unterhose, Hut und Hohlster nicht hundertprozen tig korrekt gekleidet war. Das war die nackte Lady mit dem lila Strumpfband noch viel weni ger, aber sie benahm sich völlig ungezwungen und machte keinen Ver such, ihre Blößen zu bedecken. Wozu auch? Ich ging davon aus, dass ihr Göttergatte sie trotz seiner Ladehemmungen nicht zum ersten Mal nackt erlebte. »Ich war so frei, Ernest im Büro anzurufen«, säuselte sie. »Es macht dir doch hoffentlich keine Ungelegenheiten, Pat?« »Durchaus nicht, Schätzchen«, beruhigte ich sie. »Wenn es denn der Wahrheitsfindung dienlich ist...« Ich wandte mich dem Knilch zu: »Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen und so schnell erschienen sind.« Schotter-Dexter funkelte mich nur mit bösen kleinen Augen hinter seiner Nickelbrille an. »Das Büro von Ernest befindet sich nicht weit von hier«, antworte te Judith an seiner Stelle. »Connor«, knurrte der Elefantenjäger, »Sie hätten nehmen sollen, was Ihnen geboten wurde und ansonsten besser geschwiegen. Jetzt muss ich mit Ihnen leider das Gleiche machen, was ich mit Jonathan gemacht habe.« 84
Das machte mich neugierig. »Sie wollen mir fünfzig Riesen schen ken?« »Nein, ich werde Ihnen eine Ladung Blei in die Rippen jagen.« »Sie haben Tackett getötet?«, staunte ich. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht wieder erkannt habe. Im Bella Napoli sahen Sie wie ein Gorilla aus.« Judith kicherte. »Aber Pat, was du in dem Lokal gesehen hast, war eine eigens für dich inszenierte Scheinhinrichtung mit Platzpatro nen und das vermeintliche Opfer war nicht Jonathan, sondern Alexan der Saunders, den wir engagiert haben, weil er meinem Bruder ähnlich sieht. Jemanden, der Jonathan näher gekannt hat, hätten wir nicht täuschen können, aber du kanntest meinen Bruder ja nur von dem Foto und meiner Beschreibung.« So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht. »Wozu der riesi ge Aufwand?«, fragte ich. »Erwähnte ich es nicht?«, meinte Judith. »Wir brauchten eine Bes tätigung, dass Jonathan von New Yorker Gangstern umgelegt wurde. Von jemandem, dem die Polizei glaubt. Und die angebliche Leiche musste natürlich verschwinden. Dass Saunders, dieser Idiot, anschlie ßend nicht gleich nach New York zurückkehrte, sondern sich noch in Chicago herumtrieb, konnten wir ja nicht ahnen.« Langsam dämmerte mir die Tragweite des Ganzen. »Der richtige Jonathan Tackett lebt also nicht mehr?« »Sie haben es erfasst, Connor«, sagte Schotter-Dexter. »Er hat mir Schriftstücke gestohlen, aus denen meine Geschäftsbeziehungen zu Rigobello hervorgehen und mich erpresst. Erst waren es nur kleine re Summen, aber als er fünfzigtausend Dollar haben wollte, kam es zum Streit und ich habe ihn erschossen. Das war vor zwei Wochen. Wir haben die Leiche verschwinden lassen, aber uns war klar, dass Jonathans Verschwinden irgendwann auffallen und zu polizeilichen Ermittlungen führen würde. Deshalb haben wir den Plan mit dem Double ausgeheckt. Rigobello war uns behilflich, indem er Kollegen aus New York kommen ließ, um seine eigenen Jungs zu schonen und das Bella Napoli zur Verfügung stellte. Judith hat Jonathans Wohnung durchsucht und die belastenden Schriftstücke gefunden. Um das Gan 85
ze zu tarnen, haben die Jungs aus New York auch Jonathans Künstler freunde in die Mangel genommen.« »Ganz schön raffiniert«, gestand ich ein. »Aber es wäre überzeu gender gewesen, wenn Tacketts Wertsachen gefehlt hätten.« »Wir wollten die Polizei außen vor lassen«, sagte Dexter lapidar. »Ein Einbruch, bei dem nichts gestohlen wird, gelangt der Polizei nicht zur Kenntnis oder wandert schnell ins Archiv.« »Na schön, Mister Schotter-Dexter«, meinte ich. »Sie und Ihre mancherlei talentierte Lady haben Ihr Ding durchgezogen und mich dabei gehörig verarscht. Wie soll es nun weitergehen?« »Das habe ich Ihnen schon gesagt. Ich werde Sie erschießen.« »Dann landen Sie im Knast, Dexter.« »Keineswegs. Schauen Sie sich und Judith doch an. Ich habe Sie beide in flagranti erwischt und Sie für den Ehebruch zur Rechenschaft gezogen.« »Damit kommen Sie nicht durch.« »Oh doch. Ich bin als jähzornig bekannt und habe gute Anwälte. Ich denke, ich werde mit einer Geldstrafe davonkommen.« Draußen waren Polizeisirenen zu hören, die sich rasch näherten. Dexter sah irritiert auf und war einen Moment abgelenkt. Ich nutz te meine Chance, sprang auf ihn zu und schlug den Lauf seines Ge wehrs nach oben. Der Knilch drückte ab, aber der Schuss ging in die Decke. Mörtel und Steine prasselten herab. Bevor Dexter auf weitere dumme Ideen kommen konnte, richtete ich meinen 38er auf ihn. Ich nahm ihm sein Spielzeug ab und hielt ihn weiter in Schach. »Ich habe vorhin auch ein bisschen geflunkert«, sagte ich zu Ju dith, »und ich hoffe, du bist mir deshalb nicht böse, Schätzchen. Ich habe nämlich Captain Hollyfield von Alexander Saunders erzählt. Of fenbar hat er die richtigen Schlüsse daraus gezogen.« Die nackte Lady war sichtlich nervös geworden. Sie zeigte ankla gend auf ihren Göttergatten. »Er hat mich gezwungen, bei der Sache mitzumachen.« »Aber gewiss doch, Schätzchen«, beruhigte ich sie. »Das kannst du alles der Polizei erzählen.« 86
Als die Polizisten in den Raum stürmten, machten sie große Au gen. Die Lady mit dem Strumpfband durfte sich etwas mehr anziehen und anschließend bekam sie ebenso wie Schotter-Dexter ein Acces soire verpasst, das wenig standesgemäß aus einem unedlen Metall bestand. Es handelte sich um Handschellen. »Ganz schön leichtsinnig von Ihnen, Connor«, meinte Captain Hol lyfield, nachdem die Dexters abgeführt worden waren, ich Bericht er stattet und Tacketts Tresorschlüssel abgeliefert hatte. »Wenn wir die sen Saunders nicht so rasch aufgegriffen hätten und er alles ausge plaudert hätte, was er wusste, wären wir hier nicht mehr rechtzeitig aufgekreuzt.« Ich zündete mir eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Ich wäre auch allein zurechtgekommen, Captain. Dass die Lady ir gendwie mit krummen Dingen zu tun hatte, konnte ich anfangs nur vermuten. Dass sie sich aber sehr gut darauf versteht, aus einem krummen Ding ein kerzengerades Ding zu machen, war mir von An fang an klar. Und diese Sache interessierte mich. Rein beruflich natür lich.« Ende
87