UTOPIA SPITZENKLASSE CHARLES GREY
Utopischer Roman
Englischer Originaltitel: ENTERPRISE 2115 Ins Deutsche übertragen ...
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UTOPIA SPITZENKLASSE CHARLES GREY
Utopischer Roman
Englischer Originaltitel: ENTERPRISE 2115 Ins Deutsche übertragen von Botho Rainer Doddenhof
HÖNNE-VERLAG • BALVE/WESTF.
Verlags-Nr. 646 — 1. Auflage
Printed in Germany Copyright by Hönne-Verlag, Balve i. W. Gesamtherstellung: Gebr. Zimmermann, Balve gescannt und formatiert von Brrazo 07/2004 k-gelesen by heart
I. Kapitel In dem kalten Licht des fast vollen Mondes sahen die Poker Flats von dem sanften Anhang des Vorgebirges wie ein gefrorenes Meer aus. Leichte Dünen und wildzerklüftete Felsen warfen ihre Schatten auf die Oberfläche; schwarze Tümpel in dem kalkigen Grau, tiefschwarze Flecken und blauschwarze Linien, die die Einförmigkeit der Wüste unterbrachen. Diese bizarren Schattenmuster, das Spiel von Hell und Dunkel, wirkten eigenartig, fremd, ja, fast verwirrend in der tiefen Stille dieser Nacht. Während Curt Rosslyn sie betrachtete, konnte er sich fast vorstellen, nicht mehr auf der Erde zu sein. Er stützte sich auf einen Felsblock. Er war schlank, nicht sonderlich groß und kräftig, aber die Geschmeidigkeit und Leichtigkeit seiner Bewegung verriet verborgene Kraft. Hinter ihm reckten die Organ Mountains ihre zerklüfteten Gipfel in den sternenübersäten Himmel, während weit draußen fahle Lichter über die Einöde der Poker Fiats huschten, einen Moment lang aufleuchteten, um dann wie die Funken einer längst vergangenen Hoffnung wieder zu verlöschen. Während er die schattenbedeckte Wüste und die gezackten Berge betrachtete, seufzte er leicht auf, und seine grauen Augen wurden von Träumen überschattet. So ungefähr muß der Mars aussehen, dachte er. Oder vielleicht die luftleeren Krater des Mondes, oder sogar die sonnenversengte Seite des fernen Merkur. Er seufzte noch einmal, hob seinen Kopf, schaute in die glitzernde Pracht des Himmels, wobei seine Augen noch einmal über die altbekannten Konstellationen wanderten. Der Große Bär, der Polarstern und das langgestreckte Sternbild des Drachen. Das langgestreckte "W" der Kassiopeia und das eckige Bild der Andromeda mit ihrem Nebel. Das kreuzförmige 4
Sternbild des Bootes und die funkelnde Gruppe der Plejaden. Der funkelnde Fomalhaut und der Glanz von Vega. Fem am Horizont loderten Rigel und Beteigeuze im Bild des Orion, und über allen, leuchtend wie ein Teppich aus glitzernden Edelsteinen, der atemberaubende Glanz der Milchstraße. Er kannte sie alle, kannte sie, soweit seine Erinnerung zurückreichte. Die vertrauten Konstellationen waren alte Freunde für ihn. Schon durch die Linsen seines ersten ungeschliffenem Teleskopes hatte er sie gesehen. Dann, nach vielen ermüdenden Stunden, hatte er sie mit Hilfe eines Handgrundspiegels und der zusätzlichen Verstärkung eines 15-cm-Reflektors betrachtet, und neue, wunderbare Welten waren ihm erschlossen worden. Er hatte die Satelliten des Jupiter bewundern können, den Transit von Venus und Merkur, hatte die „Kanäle" des Mars studiert und war in seiner Phantasie über die staubigen Meeresböden des Mondes geschritten. Der Mond! Er lächelte ihn an, blinzelte in das fleckige Antlitz des Satelliten, als ihn sein sensitives Nervensystem sich plötzlich umdrehen und über die Wüste schauen ließ. Lichter und ein Geräusch kamen auf ihn zu. Zwei Lichtstrahle durchdrangen das Dunkel der Wüste, vertrieben die Schatten und verwandelten die fremdartige Atmosphäre in die nüchterne Realität der Gegenwart. Die Scheinwerfer kurvten um Felsblöcke, hoben und senkten sich, während sie über die trockenen Sanddünen hinweghüpften. Zusammen mit ihnen hallten die Jahrhunderte alten Felswände der Organ Mountains vom Geräusch eines Jeeps wider. Curt seufzte, lehnte sich gegen den Felsblock und suchte in seiner Tasche nach Zigaretten. „Rosslyn?" „Ja." Curt warf seine Kippe weg und ging auf das Fahrzeug zu. „Comain?" .Jawohl." Eine große, schlanke, fast ausgemergelte Gestalt kam hinter dem Steuer hervor, und in dem grellen Licht der Lampen 5
konnte Curt das blasse Gesicht und die starken Brillengläser seines Freundes erkennen. „Es ist Zeit, zurückzukehren, Curt. Ich habe mich freiwillig gemeldet, dich aufzustöbern, weil der Fahrer gerade dabei ist, im Spiel hundert Dollar zu gewinnen." „Das hatte noch Zeit gehabt." Curt schaute wieder zu den Sternen empor und vergaß fast, daß er nicht mehr allein war. „Sind sie nicht wundervoll?" „Ja." Es war irgend etwas im Tonfall dieser Stimme, das Curt aufblicken ließ. „Sie sind klar, hell, wundervoll, Curt, und sie warten. Neue Welten, neue Wesen, neue Ideale und Kulturen, neue Grenzen, Curt, und wir stehen auf der Schwelle, die diesen Weg freigibt." „Vielleicht, aber es wird noch eine gute Weile dauern." „Nein, Curt. Der erste Schritt ist immer der schwerste. Zuerst müssen wir die Anziehungskraft der Erde überwinden, die Rakete vom Erdboden freibekommen und freihalten. Nachdem das getan ist, kommt das andere von selbst. Zuerst eine Fahrt um den Mond und zurück, dann eine richtige Landung auf dem Satelliten. Danach Mars, Venus, ja, sogar Merkur und Jupiter. Es mag lange dauern, Curt, aber wir werden es schaffen." Als er in das leuchtende Antlitz des fast vollen Mondes schaute, verstummte dieser große Mann. Er war größer als Curt, hatte einen krummen Rücken, ein schmales Gesicht und sehr schlechte Augen. Und dennoch verrieten seine hohe Stirn und sein großer Schädel die Intelligenz, die in diesem linkischen Körper wohnte. Seine Hände waren dünn und schmal, die Finger lang und gelenkig. Es waren die Hände eines Künstlers, Idealisten und Träumers. In ihm brannte der Ehrgeiz, aber es war nicht der gewöhnliche Ehrgeiz der meisten Menschen, denn Reichtum bedeutete ihm nichts. Es war der rücksichtslose Ehrgeiz des Gelehrten. Wissensdurst und Forscherdrang waren die zwei Teufel in ihm, die ihn vorwärts trieben. Er war neugierig und konstruierte, er war wieder neugierig, und er konstruierte aufs 6
neue. So würde es sein, bis sich seine Augen für immer schließen würden. Er war so ein Typ. Ein schwacher Wind blies über die Wüste, wirbelte den Sand etwas auf und durchdrang sie mit seiner Kälte. Curt zitterte, schien sich aber zu schämen und versuchte dieses Warnzeichen seines Körpers zu übergehen. „Laß uns lieber zurückgehen", sagte Comain ruhig. „Du wirst dich doch jetzt nicht erkälten ■wollen." „Ich erkälte mich nicht." „Du hast gezittert, und es wird kälter." Comain ging auf den Jeep zu. „Komm, Curt." „Ich friere nicht", sagte der schlanke Mann gereizt. „Es liegt nur daran, daß Sie mich so lange hungern ließen, bis nicht ein Gramm Fett mehr an mir war." Er schaute auf seinen schmalen Arm. „Sieh mich an! Nur Haut und Knochen und ein bißchen Muskel! In meinem jetzigen Zustand könnte ich nicht einmal einen Zwerg niederschlagen." „Du weißt, daß es nicht so ist." Comain lächelte traurig, während er seinen eigenen Arm betrachtete. „Du hast Muskeln. Sie sind im höchsten Grade trainiert und entwickelt. Ich dagegen?" Er biß sich auf die Lippe und setzte seinen Weg in Richtung auf das Fahrzeug fort. „Wozu brauche ich schon Muskeln?" „Du brauchst sie nicht." Curt ging im Gleichschritt hinter dem großen Mann her, und ihre Füße scharrten auf dem Boden der Wüste, während sie auf den wartenden Jeep zuschritten. „Und ich brauche auch keine, jedenfalls nicht bei all den Vorrichtungen, die du konstruiert hast. Wozu denn, Menschenskind? Alles, was ich tun muß, ist, auf Knöpfe zu drücken). Diese ganzen Dinger, die du eingebaut hast, müßten eigentlich die Rakete von allein bedienen können."
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„Die Servo-Mechanismen?" Comain lächelte. „Sie werden dir helfen, aber sie können nur das tun, was du ihnen befiehlst. Die endgültige Entscheidung liegt in deinen Händen." Er blieb neben dem Jeep stehen und verstaute seine lange Gestalt hinter dem Steuer. Curt setzte sich neben ihn und hielt sich an dem Metallrahmen der Windschutzscheibe fest, während sie über die Wüste holperten. „Weißt du", sagte er über den Lärm des Motors hinweg, „ich habe schon darüber nachgedacht, ob es möglich wäre, für die erste Rakete einen Robotpiloten zu konstruieren. Könntest du das tun?" „Ja." Comain starrte vor sich hin und kniff seine, schwachen Augen zusammen, während er das Fahrzeug über den welligen Sand steuerte. Er war nicht enttäuscht, aber er dankte Curt im stillen dennoch dafür, daß er seinen inneren Schmerz zu besänftigen suchte. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten ihre Kindheit miteinander verlebt, hatten zusammen die Sterne entdeckt und waren zur gleichen Zeit in die Mysterien der Wissenschaft eingedrungen. Sie hatten beide dieselben Träume geträumt, und mit ihrer jugendlichen Vorstellungskraft unmögliche Welten romantischer Geheimnisse gewoben. Sie hatten gestritten, konstruiert, geplant, ja, sogar ein bißchen miteinander gekämpft. Einer hatte dem anderen geholfen, und im Laufe der Jahre waren sie sich nähergekommen. Aber nun mußten sie sich trennen. Kleinigkeiten hatten* darüber entschieden. Schwache Augen gegen ausgezeichnete Sehschärfe. Gewicht gegen Gewicht, Größe gegen Größe, Reflex gegen Reflex. Sie waren getestet worden, untersucht, überprüft, und Curt hatte gewonnen. Ihm war die Ehre zuteil geworden, der Columbus des Weltraumes zu werden. Comain wußte es jetzt mehr als fünf Jahre. Er hatte seinen zerbrechlichen, gebeugten und schwachen Körper beobachtet, und dann hatte er es gewußt. Diese Gewißheit hatte seinen 8
Ehrgeiz jedoch nicht ersterben lassen, sondern ihn nur auf einen anderen Weg gebracht. Nicht die Herrlichkeit des Weltraumes nahm einen großen Platz in ihm ein, sondern die Wissenschaft. Die Kybernitik zum Beispiel war etwas, woran er sich begeistern konnte. Deshalb hatte er sich dem Entwurf von immer komplizierteren Maschinen zugewandt, mit eingebauten Relais, die durch einen Hebeldruck eine Antwort im voraus geben konnten. Er hatte die Kontrolleinrichtungen für das Raumschiff entworfen und mit diesen Dingen aus Metall etwas geschaffen, das schneller und besser als die Muskeln irgendeines Menschen waren. Dennoch war er im innersten verletzt, und etwas von dem alten Schmerz war noch in ihm zurückgeblieben. „Ich könnte einen mechanischen Piloten konstruieren", sagte er. „Ich könnte einen konstruieren, der besser wäre als jeder Mensch. Aber das Gewicht setzt uns Grenzen, Curt, und keine Maschine, die uns bis jetzt bekannt ist, kann innerhalb dieser Grenzen das vollbringen, was ein Mensch kann." „Prima. Curt grinste und ließ seine weißen Zähne aufblitzen. „Es soll mir egal sein, was du später tust, Comain, aber ich freue mich, daß es jetzt noch nicht möglich ist. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, und ich würde es hassen, wenn du mich durch ein Ding aus Stahl und Draht ersetzen würdest." „Daran ist überhaupt nicht zu denken. Comain riß das Steuer herum, während er einem kantigen Felsbrocken auswich." Man ist viel zu interessiert daran, zu erfahren, wie es einem Menschen dort draußen ergeht. Du bist ein Meerschweinchen, Curt. Mein Tag wird kommen, wenn man endgültig einsieht, daß der menschliche Körper nicht so viele G ohne Schaden ertragen kann. Dann werden wir Schiffe haben, die von Robotern gelenkt werden, deren Passagiere in den Beschleunigungstanks untergebracht sind."
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„Vielleicht." Curt grunzte, als das Fahrzeug einen Satz machte, und anstieß. „Welche Fortschritte hat deine ,Große Idee' gemacht?" „Der Predictor?" Der schmale Mann zuckte mit den Schultern. „Er wird kommen, Curt, er wird kommen müssen. Wir haben schon Einac und es werden noch bessere Rechenmaschinen gebaut werden. Eines Tages aber wird man erkennen, daß, wenn unsere Zivilisation Fortschritte machen soll, es notwendig werden wird, eine Maschine zu konstruieren, die Informationen aufnehmen und die in logischem Schluß darauf folgende Ereignisse voraussagen kann." Er kniff seine Lippen zynisch zusammen, und er starrte auf die Wüste vor ihm. .Vielleicht wird es der nächste Krieg tun." „Glaubst du, daß es einen geben wird?" »Ja. Jeder denkende Mensch glaubt daran. Wir haben es fertiggebracht, mit unzähligen Verhandlungen ,den Frieden' zu erhalten, aber die Waffen sind fertig, die Menschen warten, und dieselben Spannungen sind immer noch vorhanden. Der Krieg wird kommen, Curt. Wir können ihn nicht vermeiden, und auf irgendeine Art hait er sogar sein Gutes." .Etwas Gutes? Bist du verrückt?" „Nein. Du mußt es von einer anderen Seite ansehen, Curt. Jeder Krieg hat uns einen schnellen wissenschaftlichen Fortschritt gebracht. Der erste Weltkrieg hat die Fliegerei entwickelt, hat Fortschritte auf dem Gebiet der Chirurgie und dem Gebrauch neuartiger Maschinen gebracht. Der zweite brachte uns den Düsenmotor, die Atombombe und den Frühzünder. Der dritte..." Er zuckte mit den Schultern. „Wer weiß? Vielleicht werden wir alle durch diese alphabetischen Bomben sterben, aber wenn nicht, werden wir vielleicht auf etwas völlig Neues stoßen." .Den Predictor?" „Natürlich, aber das habe ich nicht gemeint. Der Predictor ist nicht neu, und er wird kommen, ob es Krieg gibt oder nicht. Ich
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meine, es ist etwas anderes, Neues, etwas, an das wir vielleicht überhaupt noch nicht gedacht haben." Er räusperte sich, während der Jeep über den Rand einer breiten Straße hüpfte, und warf mit der Hand einen größeren Gang 'rein. Die tanzenden Scheinwerfer beruhigten sich, während sie die glatte Straße entlangfuhren. Der zitternde Zeiger des Tachometers kletterte höher, während er Gas gab. .Der Colonel war wütend über die Art, wie du dich aus dem Staub gemacht hast", erklärte er über das Rauschen des Fahrtwindes hinweg. »Ich versuchte ihm zu erklären, wie dir zumute ist, aber es hatte nicht den Anschein, als ob er Verständnis dafür hatte." .Der Colonel kann sich keine Vorstellung davon machen." Curt schaute in den leuchtenden Mond. .Manchmal muß ein Mann eben allein sein. Manchmal kann er es eben nicht ausstehen, daß Leute viel Aufhebens von ihm machen." Er schaute auf den schmalen Mann. .Du weißt, was ich meine?" „Ich verstehe." Comain kniff die Lippen zusammen, nickte, nahm die Hand vom Steuer und zeigte nach vorn. .Da ist es!" Lichter flammten vor Ihnen auf, Lichter und das sorgfältige Maschennetz einer Hochspannungsleitung. Links vor ihnen tat sich eine in die Landschaft hingeduckte Menge Abstellgleise auf. Die weißen und roten Warnlichter säumten das Gebiet ein, das ganz rechts und vor ihnen lag... Wie ein eigenartiger Kirchturm aus einem alten Traum überragte es alles andere. Glatt, glänzend in seiner stromlinienförmigen Vollendung, mit einer nadelscharfen Spitze ruhte es auf seinen riesigen Leitflächen. Die Schönheit dieses in der Mitte des Ganzen ruhenden Menschenwerkes konnte selbst von den es umgebenden weitausladenden Plattformen und Krangerüsten nicht verborgen werden. Es schien über den Sanddünen zu schweben, als hätte es weder Gewicht noch Substanz. Es ragte zu den herunterblickenden Sternen auf, und
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die das ganze Gebiet umsäumenden Lichter spiegelten sich funkelnd auf der blanken Außenfläche wieder. Ein Raumschiff. Fasziniert betrachtete es Curt, wie er es schon tausendmal zuvor betrachtet hatte, zuerst in seiner Phantasie und dann in Wirklichkeit. Für ihn war es die endgültige Verwirklichung des Ehrgeizes, der greifbare Beweis dafür, daß er nicht träumte. Vor ihm erhob sich das Raumschiff, wirklich, körperlich, eine Tatsache. Ein greifbar gewordener Traum, Tausende von Hoffnungen; der uralte Wunsch von zahllosen Menschen zur Wirklichkeit geworden in einem Ding, das nun endgültig nach den Sternen greifen sollte. Und er war der Pilot. Als der Jeep auf die Hochspannungsleitung zufuhr, trat Comain ärgerlich auf die Bremse, denn Wachmannschaften traten ihnen in den Weg. Lichter flammten auf und zwangen ihn, die Hand vor seine schwachen Augen zu halten. Nachdem die Wachen sie identifiziert hatten, fuhren sie mit heulendem Motor auf die innerhalb des umzäunten Gebietes liegenden Wohnquartiere zu. „Wenn du dem Colonel ausweichen willst, legst du dich am besten schlafen", schlug er vor. „ Schlaf kannst du sowieso gut gebrauchen." .Ich kann nicht schlafen." Curt wand sich in seinem Sitz und starrte auf das alles überragende Raumschiff. „Mensch! Wie soll ich schlafen können? Da steht es, Comain! Darauf habe ich mein ganzes Leben lang gewartet. In der Dämmerung starte ich, und du sprichst von Schlaf!" „Die Dämmerung?" Der dürre Mann runzelte die Stirn, während er auf seine Armbanduhr schaute. „In vier Stunden?" „Tatsächlich?" Curt zuckte mit den Schultern. „Ich trage keine Uhr. Der Punkt Null ist in der Dämmerung - sonst kümmere ich mich um nichts." .Was willst du denn sonst tun?" 12
„Ich weiß noch nicht. Vielleicht werde ich ein bißchen herumlaufen oder mich mit den anderen unterhalten, vielleicht sogar Poker spielen, irgend etwas. Denkst du denn nicht daran, daß das meine letzte Nacht auf der Erde ist? Morgen schon bin ich im Weltraum, gondele um den Mond, sehe die Sterne in ihrem ungetrübten Glanz und bin dem freien Fall ausgesetzt. Ich möchte mich an dem allen noch so lange erfreuen, wie ich kann. Ich habe keine Zeit zu schlafen." „Sprich doch nicht so, Curt." Comain schluckte, dann grinste er und brachte den Jeep zum Stehen. „Ich meine, du sollst nicht so sprechen, als ob das die letzte Nacht wäre, da du noch lebst. Du kommst bestimmt zurück. Du weißt selbst auch ganz genau, daß du zurückkommst. Und wenn du erst wieder hier bist, wirst du ein Held sein. Daran muß du denken, Curt. Du bist dann der erste Mensch, der um den Mond geflogen ist! Von jetzt an wird dein Name in jedem Geschichtsbuch stehen." Behende schwang sich der schlanke Mann hinter dem Sitz hervor und sah auf Comain hinunter. „Was wirst du denn tun?" „Ich glaube, ich werde noch einmal nach dem Radiogerät sehen. Du weißt doch, daß ich die ganze Zeit über mit dir in Verbindung stehen werde!" „Ja." „Schön, dann sehe ich dich bei Dämmerung." Comain kniff die Augen zusammen, als er aus einer der niedrigen Hütten eine besonders korrekt uniformierte Gestalt hervorkommen sah. „Paß lieber auf, wenn du dem Colonel nicht in die Hände laufen willst. Er ist eben aus seinem Quartier gekommen." „Tatsächlich?" Curt grinste und ging weg. „Ich kann ohne seine Gesellschaft auskommen. Auf bald, Comain." Er hob seinen Arm zu einem angedeuteten Gruß und entfernte sich schnell von dem Fahrzeug, wo die Schatten der strahlenden Scheinwerfer ihn sofort dem Blickfeld entzogen.
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Comain nickte, ohne zu antworten. Ein bitterer Zug trat in sein Gesicht. Er umklammerte das Lenkrad und starrte auf das blitzende Meisterwerk des wartenden Raketenschiffes. Als Adams ihn ansprach, gab er dem Colonel keine Antwort. Er schien weder den kalten Wind, der von der Wüste herüberwehte, zu bemerken, noch das langsam verlöschende Licht der Steme. Er saß nur da und wartete. Hinter seinen schwachen Augen arbeitete es. Sein gekrümmter Körper lag schlaff auf dem Steuer.
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II. Kapitel Die Dämmerung kam und mit ihr ein schwacher Wind; ein Wind, dessen Kälte einen frühen Winter versprach und der eine feine Staubwolke aus stechendem Sand mit sich führte. Im Osten übergoß ein rosa Schein den Himmel, und eine dünne, schnell dahinziehende Wolkendecke verbarg das langsam verlöschende Licht der Sterne. Der Mond war am Horizont untergetaucht. Es war ein eigenartiges Gefühl, den Männern zuzuschauen, die auf die Stelle blickten, wo er eben noch gestanden hatte, obwohl ihnen genau bekannt war, daß die Rakete nicht auf ein sichtbares Objekt abgefeuert wurde, sondern nach einem Koordinatensystem. Adams ließ sie alle zu einer letzten Besprechung in den Kontrollraum kommen. Auch dem Colonel sah man die Anstrengung an. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine schon leicht ergrauten Haare zerzaust. Das gleiche Bild bot seine sonst untadelige Uniform. Er funkelte Curt an, als wollte er ihn tüchtig dafür zusammenstauchen, daß er seiner Aufsicht entschlüpft war, zuckte dann aber mit den Schultern und kam zum Geschäftlichen. „Der Start findet in genau einer Stunde statt", sagte er abrupt. „Das Schiff ist aufgetankt worden, die Instrumente überprüft. Der Wetterbericht ist günstig. Berichten Sie mir der Reihe nach." „Radioanlage überprüft." Comain lehnte sich an die Tischkante und winkte Curt zu. .Medizinische Untersuchung beendet." Der Doktor gähnte und rieb sich seine müden Augen. „Ist denn das alles nötig, Adams? Ich sehe wirklich keinen Grund, weshalb ich hier herumstehen muß. Bis Rosslyn zurückkommt, kann ich nichts mehr tun." „Haben Sie ihm die Medikamente gegeben?" „Ja. Ein wahres Höllengebräu. Ein Zeug, um seine instinktive Muskelanspannung bei großer Anstrengung zu dämpfen. Ein 15
anderes Zeug, um Blutgerinnungen zu verhüten." Der Doktor sah Curt an. „Nebenbei gesagt, seien Sie vorsichtig damit. Wenn Sie sich schneiden, können Sie glatt verbluten." „Wenn ich verletzt bin, nehme ich die grüne Injektion. Stimmt's?" „Stimmt." Der Arzt gähnte wieder. „Zum Teufel mit dem ganzen Quatsch, Adams! Ich bin ein alter Mann, und ich brauche Schlaf. Kann ich jetzt gehen?" „Sie sind entschuldigt, Doktor," sagte der Co-lonel steif. „Selbstverständlich werden Sie keinen Versuch machen, das Gelände zu verlassen." „Und die Chance verpassen, einen Mann fast auseinanderzunehmen?" Der Doktor grinste Curt zu. „Mann! Warten Sie, bis Sie sehen, was ich alles für Sie bereit habe, wenn Sie wieder zurück sind. Dreihundert verschiedene Tests und zwanzig Tage lang kontrollierte Ernährung. Sie werden sich wünschen, daß Sie niemals geflogen wären." „Es wird es wert sein." Curt grinste hinter dem alten Mediziner her, als dieser den Raum verließ. „Ist die Rakete geprüft und okay?" Der Techniker nickte. „Jawohl. Ich habe die Venturies selber untersucht. Das Schiff wird Sie nicht im Stich lassen, Rosslyn." „Ich hoffe nicht", sagte Curt ruhig. „Es wird kaum eine Gelegenheit geben, es zu reparieren, wenn es trotzdem versagt." „Es wird Sie nicht im Stich lassen." Adams winkte mit dem Kopf, und der Techniker verließ das Zimmer. „Nun zu Ihnen, Comain. Sie werden in ständiger drahtloser Verbindung mit dem Schiff stehen Sie, Rosslyn, werden pausenlos über alle Geschehnisse berichten. Ich meine das wortwörtlich, Rosslyn. Ich will, daß Sie dauernd reden, über das Schiff als solches, über Ihre eigenen Reaktionen, ja, sogar über Ihre Gedanken und Gefühle. Ich verlange, daß Sie sich uns gegenüber nie in Schweigen hüllen. Die Sache hat zuviel Geld gekostet, daß ein temperamentvoller Pilot etwas falsch machen kann. Sie können 16
dabei sterben. Sie wissen das, aber wenn, dann will ich auch wissen, warum. Denken' Sie daran, daß Ihnen andere Schiffe folgen werden, ganz gleichgültig, was auch geschehen mag. Nach Ihnen werden andere Männer kommen, viele Männer sogar, und Sie können uns helfen, ihr Leben zu retten." „Ich verstehe, Adams.' »Ich will es hoffen." Der Colonel seufzte und rieb seine entzündeten Augen. „Ich wünsche, daß Sie lebend und gesund zu uns zurückkommen, Rosslyn. Sie wissen es, also passen Sie gut auf sich auf, ja?" Er grinste, und Curt war ihm innerlich dankbar für das, was er gesagt hatte. „Ich werde auf mich aufpassen", versprach er. „Ich..." Er brach ab, als eine Stimme aus dem Wandlautsprecher kam. „Null minus fünfzig." „Das wär's!" Adams erhob sich von seinem Sessel. „Begeben Sie sich zum Schiff, Rosslyn. Dort wird man Sie in den Anti-GAnzug stecken. Comain! Gehen Sie an Ihr Radio, und wärmen Sie es vor. Los jetzt." Es war psychologisch richtig. Ein Ausfüllen der letzten Minuten durch eine Flut von verschiedenen Beschäftigungen würde sie die Anstrengungen und die nervöse Erwartung vergessen lassen. Curt rannte fast aus dem Zimmer und sprang in den wartenden Jeep. Der kalte Wind zerrte an seinem Haar, während er auf das Gestell der Ladeplattform gefahren wurde. Noch ehe das Fahrzeug stillstand, zerrten ihn eilige Hände aus dem Jeep. Sie zogen ihn aus, steckten ihn in ein einteiliges Unterkleid aus nichtleitendem Nylon und dann in eine dicke Rüstung aus Segeltuch und Plastik. Langsam schwebte die Ladeplattform mit Curt und seinen Helfern zur Spitze der Rakete, und in nahezu unwahrscheinlich kurzer Zeit saß er in seinem gepolsterten Kontrollsessel. Die aufgeblasenen Teile des GAnzuges drückten hart gegen seinen Körper, und seine behandschuhten Hände griffen ruhig nach dem Schalter für die Heizung. 17
„Viel Glück, Rosslyn!" Der letzte seiner Helfer grinste, während er zu der schmalen Einstiegluke zurückkroch. Er warf sie hinter sich zu und preßte sie hart gegen die Gummiabdichtung. Abrupt trat das Radio in Aktion. „Curt. Alles klar?" „ Jawohl." „Gut. Jetzt ein Routinetest. Fertig?" „Schieß los." „ Sauerstofflaschen?" „Kontrolliert." „ Medikamente?" „Kontrolliert." „Wasser?" Die ruhige Stimme Comains erklang weiter und zwang Curt, sich auf die lebenswichtigen Vorräte des Schiffes zu konzentrieren, indem er ihn jede Kleinigkeit überprüfen ließ. Es war nicht etwa die Furcht, daß in letzter Minute noch ein Irrtum unterlaufen sein könnte, sondern, um die Gedanken des Piloten nicht auf das zu lenken, was kommen würde. Aus einem entfernten Lautsprecher hörte Curt das Zeitsignal. „Null minus sieben Minuten." Sieben Minuten! Vierhundertzwanzig Sekunden, bis er das Donnern der Windkanäle und den knochenerschütternden Beginn des Beschleunigungsdruckes fühlen würde. Sieben Minuten. Nicht einmal eine Zigarettenlänge, bis er sich auf feurigen Schwingen erheben würde, erheben durch die donnernde Kraft freigewordener Energie - zu den Sternen. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er spürte ein wahnsinniges Verlangen, die ganze Sache abzubrechen, sich aus seinem gepolsterten Sitz zu erheben, die Luke zu öffnen und in die sichere, geborgene Welt der normalen Menschen zurückzukehren. „Curt!"
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Comains Stimme riß ihn in die Wirklichkeit zurück, und er leckte sich über die Lippen, in der Absicht, das flaue Gefühl in seinem Magen zu beruhigen. Ja?' „Was ist los? Wirst du nervös? „Etwas", gab er zu. „Wie lange noch?" „Nur die Ruhe. Du wirst schon erfahren, wenn es soweit ist." Curt konnte fast sehen, wie die schmalen Lippen seines Freundes sich zu einem zynischen Lächeln formten. „Die letzten Instruktionen, Curt. Du weißt, was du zu tun hast?" „Ich weiß es. Praktisch überhaupt nichts." „Du hast recht. Der Start erfolgt automatisch. Die Gyroskope werden sich um den Kurs kümmern. Du sitzt nur da und tust nichts, bis irgend etwas havariert wird. Du wirst einen Kreis um den Mond beschreiben. Die Kameras sind ebenfalls automatisch, aber du überprüfst sie auf alle Fälle noch einmal." „Ich bin nur ein Passagier, nicht wahr?" „Nein. Mache nicht diesen Fehler, Curt. Du mußt andauernd alles beobachten, denn wir wissen ja nicht, welchen Einfluß die Strahlung im Raum auf die Instrumente hat, und denke bitte daran, du mußt das Schiff auch landen." „Das könnte ein Fallschirm auch erledigen." „Vielleicht. Auf alle Fälle hast du einen, aber so einfach ist das nun wieder nicht, Curt. Du bist genauso ein Instrument wie alles andere an Bord auch. Auf dein Konto kommt bei der endgültigen Auswertung der ganze Erfolg oder Mißerfolg dieses Fluges. Ein Instrument kann kaputtgehen, durch den Beschleunigungsandruck zum Beispiel, und dann mußt du dasein und seine Arbeit übernehmen. Darüberhinaus, und das ist vielleicht das wichtigste, bis du zurückkommst, wissen wir noch nicht einmal, ob ein Mensch überhaupt im Weltraum existieren kann." „Dann bin ich also jetzt ein Meerschweinchen." Curt lächelte in den Lautsprecher, und er war Comain dankbar, daß er ihm half, die nervöse Spannung zu überbrücken. Das Geräusch der 19
Zeitkontrolle kam schwach über den Lautsprecher, und Curt hörte den Aerger in Comains Stimme. „Dreh das Ding ab." „Wie lange noch, Comain?" Curt leckte sich über die trockenen Lippen. „Wie lange, verdammt noch mal!" „Ruhig, Curt. Du hast noch lange Zeit." „Du bist ein Lügner, Comain. Sag es mir. Wie lange?" Das Wispern der Zeitkontrolle gab die Antwort. „Null minus eine Minute!" Eine Minute! Es war zuviel. Jedem Menschen wäre es unmöglich gewesen, sich in diesem Moment nicht auf die Zeit zu konzentrieren. Später vielleicht, wenn die Raumfahrt eine so alltägliche Sache wie eine Fahrt mit dem Flugzeug geworden war, würde die Zeit keine so große Rolle mehr spielen. Aber jetzt... Während Curt auf das Einsetzen der Raketen wartete, konnte er fühlen, wie das Hera gegen seine Rippen pochte. Nun gab es kein Zurück mehr. Nun konnte er nur noch über fünfhundert Tonnen eines der heftigsten bekannten Explosivstoffe schweben und darauf warten, daß sie sich entzünden und ihn jenseits des Planeten, der ihn geboren hatte, schleudern würde. Er würde sich auf seinem donnernden Flammenkissen erheben, höher und höher, durch die Wolken, durch die dünner werdende Atmosphäre. Hoch und hinaus. In was? Der Raum war die große Unbekannte. Er war leer, das wußte man. Er war ein Vacuum, in dem die Planeten wie in einem ebenholzfarbenen Meer schwammen. Ohne jede Temperatur, ohne Wärme oder Licht, ohne Gewicht, erleuchtet von den schwachen Punkten der fernen Sterne und der unverhüllten Oberfläche der gleißenden Sonne. Der Raum war Leere. Oder was war er? Durch diese Leere strömte die Strahlung, die zertrümmerten Atome unvorstellbarer Catalysatoren, kosmische Strahlen, der Lauf freigewordener Elektronen, Gamma- und 20
Alphastrahlung und andere, fremde, unerdenkliche. Die Menschen waren immer vor ihr durch den Ozongürtel der Heavyside-Schicht geschützt gewesen, er aber verließ diesen Schutz, setzte seinen zarten und hilflosen Körper den sich überstürzenden Strömungen des Weltraumes aus. Er konnte erblinden, konnte als Krüppel zurückkehren, dessen Zellen und Knochen von dem Fluß der Strahlung verdreht und verkrümmt waren. Sein Gehirn konnte nachgeben und seine geschulte Ruhe in rasenden Wahnsinn verwandeln. Alles konnte passieren. Alles. Er richtete sich halb in seinem gepolsterten Sitz hoch. Seine Hände fuhren über seine Rüstung. Der Angstschweiß rann über sein Gesicht, biß in die Augen und befeuchtete seine ausgetrockneten Lippen mit dem salzigen Geschmack namenloser Furcht. Comains Stimme aus dem Lautsprecher riß ihn in die Wirklichkeit zurück. „Curt. Start in zehn Sekunden. Die Raketen fangen an, sich zu erhitzen. Ein Murmeln hallte durch das Schiff. Eine zitternde Vibration, die sich an der Metallhülle fortpflanzte, dann an den inneren Stützen, die von den Plastikoberflächen der Instrumente und der dünnen Folie der Kontrollbank ein leise singendes Geräusch hören ließen. Curt straffte sich. Er akzeptierte das Unvermeidbare. Die Furcht schwand, und er zurrte seinen Panzer fester. Blitzschnell überflog er die Kontrollzeiger und gab in knappen Worten Bericht: „Temperatur steigend. Düse Nummer vier stärker als die anderen sechs. Verstärkte Vibration. Wie sieht es aus, Comain?" „Herrlich!" Der Wind verfärbte seine Stimme. „Ich wünschte, ich könnte bei dir sein, Curt." „Das wünschte ich auch", sagte der schlanke Mann voller Inbrunst und hielt sich an den Armstützen fest, als das Murmeln lauter wurde. „Stelle die Radiouhr an, Comain. Ich..." Während 21
das Geräusch der Raketen zu einem kreischenden Schreien anstieg, biß er sich auf die Lippen und fühlte wieder den salzigen Geschmack des Angstschweißes. Das pfeifende Heulen schwoll noch mehr an, schrie mit der ganzen Kraft einer Million entfesselter Riesen und brüllte eine brutale Aufforderung zum Kampf gegen den fernen Horizont und die kalten Steme. Knisternd, wie ein hohes Pfeifen, pflanzte sich die Vibration durch die Außenhülle und die Verstrebungen fort, das Schrillen überbeanspruchter Atome, und verband sich mit dem pulsierenden Donner der feuernden Raketen, lieber das entfesselte Inferno hinweg, hörte er schwach die Stimme von Comain im Lautsprecher. „Viel Glück, Curt. Das wär's!" „Ja", keuchte dieser. „Es geht los." Das Gewicht drang auf ihn ein, warf ihn tief in die Polsterung seines Sessels, häufte Tonnen unsichtbaren Bleis auf seine Brust und den Magen und preßte seine Lungenflügel zusammen und seinen Kopf zwischen seine Schultern. Das Gewicht wuchs und wurde zu einem Alptraum pausenlosen Kampfes, einer schmerzenden, nicht endenwollenden Periode ewiger Qual. Blut strömte ihm aus Nase und Ohren, füllte seine Augen, pochte rasend aus dem überbeanspruchten Herzen und füllte mit seinem Geschmack den ganzen Mund aus. Er schnappte nach Luft, wand sich auf seinem gepolsterten Sitz, verrenkte sich in dem Käfig seines aufgeblähten G-Anzuges und wünschte sich, daß er tot sei. Nichts, was ihm vorher passiert war, ließ sich hiermit vergleichen. Es war, als ob die Knochen durch die Haut dringen wollten, als wenn der Beschleunigungsandruck ihm das Fleisch in Fetzen vom Körper reißen wollte. Er wollte ohnmächtig werden und kämpfte gleichzeitig dagegen. Er wollte das Schiff anhalten, 'rausspringen und die ganze Sache abblasen, und gleichzeitig ließ er die Raketen noch heftiger arbeiten, weil er wußte, daß seine Qual eine Ende haben würde, je eher er die Fluchtgeschwindigkeit erreichen würde. 22
Die Raketen verstummten urplötzlich, und kleinere Geräusche gewannen wieder an Bedeutung. Das leise Zischen der Sauerstoffbehälters, das Knacken und Rascheln der immer noch vibrierenden Verstrebungen, das Pulsieren des Stromes und, alles andere übertönend, das Ticken des Geigerzählers, der den Fluß der Strahlung, die das Schiff durchdrang, maß. Curt bewegte sich und versuchte eine bequemere Lage vor den Meßinstrumenten einzunehmen. Sein Gesicht fühlte sich naß an, stickig unbequem, steif und etwas gefühllos. Steif machte er seine Maske los und fuhr sich mit dem Handschuh ins Gesicht. Bei der Berührung zuckte er zusammen, und er hatte das Gefühl, als ob man ihn mit einem Gummischlauch geschlagen hätte. Dann starrte er auf die behandschuhten Hände. Sie waren mit Blut getränkt. Das Radio krachte, und eine verzerrte, vor Erregung zitternde Stimme tönte aus dem Lautsprecher. „Curt! Wie geht es dir, Curt? Curt! Antworte mir!" Er ignorierte es und schnallte die Gurte los. Obwohl er es erwartet hatte, ließ ihn die unheimliche Sensation des freien Falles sich in plötzlicher Furcht an der Lehne des Sitzes festhalten. Er schwebte völlig schwerelos, und der ganze Körper trieb leicht wie ein gasgefüllter Ballon. Während er schwebte, lächelte er. Er brauchte nicht durch die Luke in die Schwärze der Nacht des Raumes zu sehen. Er brauchte nicht hinauszuschauen zu den funkelnden Sternen, die sich mit ihrem hellen, kalten, weißen Feuer gegen das sanfte Samt des Leeren abhoben. Er kannte es. Von allen Menschen war er der erste, der neue Columbus, der Held in den Augen jedes Knaben und jedes Mannes, der schon einmal in den Himmel geschaut und sich Schwingen gewünscht hatte, um damit zwischen den Sternen zu reisen. Er war im Weltraum.
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III. Kapitel Das Zimmer war in eine dicke Wolke abgestandenen Rauches gehüllt, und die Luft hatte den widerlichen Geruch, den sie anzunehmen pflegt, wenn sie zu oft eingeatmet wird. Es schien, als ob jeder Mann, der noch irgendeine erdenkliche Ausrede gefunden hatte, sich in das überfüllte Zimmer zu begeben, dies getan hätte. Sie lehnten gegen die Wände, stützten sich an die Tisch- und Stuhlkanten, rauchten, keuchten. Ihre Augen waren schwer durch den Mangel an Schlaf und die nervliche Belastung. Adams hatte sich in einen Stuhl gesetzt. Sein Waffenrock war aufgeknöpft, sein graues Haar zerzaust und seine blutunterlaufenen Augen waren stumpf, während er der Stimme eines schmächtigen Mannes lauschte, der vor dem Radio saß. Comain wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, justierte ein wenig die Vernier Kontrolle und beugte sich noch näher über das Mikrofon. „Gurt. Hier ist Comain. Antworte mir, Curt. Antworte mir, verdammt noch mal!" „Vielleicht ist das Radio kaputtgegangen?" Irgend jemand sprach diese Vermutung leise aus, schwieg aber sofort, als er den nackten Haß in Comains Augen sah. .Nein! Das Radio wurde bis zu 50 G getestet. Es kann nicht kaputt sein. Was auch immer sein mag, das Zeichen geht durch." Er wandte sich wieder dem Mikrofon zu, und der verzweifelte Klang seiner Stimme hallte in der Stille des Raumes wider. „Selbst wenn er ohnmächtig geworden wäre, hätte er sich inzwischen wieder erholt." Der Mann, der vermutet hatte, daß vielleicht das Radio kaputtgegangen sei, flüstertete seinem Nachbarn, einem kleinen Techniker mit einer Narbe über der Backe, zu: „Ich vermute, daß Rosslyn es nicht ausgehalten hat."
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„Ich zweifle daran." Der Mann mit der Narbe schüttelte seinen Kopf. „Denken Sie daran, daß man ihn getestet hat. In der Zentrifuge hat er zehn G ausgehalten." „Ja, aber das Schiff hat auf seinem Weg nach oben zwölf gehabt. Es mußte soviel haben, wenn es die Fluchtgeschwindigkeit von sieben Meilen pro Sekunde erreichen wollte, bevor der Treibstoff alle wird. Ich vermute, daß ..." „Schweigen Sie", sagte Adams ruhig. „Wenn Sie Ihren Mund nicht halten können, machen Sie, daß Sie 'rauskommen." „Ich habe ja nur ..." „Sie haben mich verstanden." Adams hatte seine Stimme nicht erhoben, aber beim Tonfall der Stimme des Colonels war der Mann zusammengefahren. Er zuckte mit den Schultern, zündete sich eine neue Zigarette an und schwieg. „Curt! Hier spricht Comain. Gurt! Antworte mir bitte! Antworte mir!" .Wie lange schon?" Adams rieb sich seine blutunterlaufenen Augen, und Comain wand sich auf seinem Sitz, während er den Colonel ansah. „Drei Stunden. Er hätte längst antworten müssen. Er hätte sich innerhalb der ersten zehn Minuten melden müssen, selbst wenn er anfänglich ohnmächtig geworden wäre. Irgend etwas stimmt nicht, Colonel, Curt würde das nicht tun, wenn er es ändern könnte." „Nein." Adams rieb sich wieder seine Augen. „Ist das Schiff auf dem richtigen Kurs?" „Die Radarstationen berichten, daß es genau nach Plan gestartet ist. Die Observatorien berichten alle fünfzehn Minuten. Was das Schiff selbst betrifft, ist alles im Lot. Wenn doch Curt nur antworten würde." Comain biß sich auf seine schmalen Lippen und lehnte sich wieder über das Radio. „Curt! Hier ist Comain. Melde dich, Curt! Mach irgendein Geräusch. Verdammt noch mal! Lebst du noch?" 25
Das Radio summte, und draußen, hoch auf einem schlanken Turm, visierte der Strahl der Antenne den winzigen Punkt des Schiffes an, schwang herum, während er den Kurs des leuchtenden Flecks verfolgte. „Er kann tot sein", sagte Adams düster. „Die freie Strahlung kann ihn erwischt haben, die Schwerelosigkeit des freien Falles, irgend etwas. Gut" - er bewegte sich in seinem Stuhl - .wir können nur hoffen, daß die Automatik das Schiff wieder zurückbringt." „Er ist nicht tot", beharrte Comain wild. „Er kann nicht tot sein. Er..." Er brach ab, und seine Augen weiteten sich hinter den dicken Linsen, als ein Geräusch aus dem summenden Radio kam. „Comain . . . Hier Curt... ich werde .. . antworten." .Curt!" Die Hände des schmalen Mannes zitterten, während er das Radio schärfer einstellte. »Sprich etwas, Mann! Bist du in Ordnung?" „Ich ..." Das Radio zitterte durch eine plötzliche kosmische Störung, und abrupt festigte sich die dünne Stimme, schien an Kraft zu gewinnen, und dann war es, als wenn der Sprecher in demselben Raum wäre wie die angespannt zuhörenden Männer. „Comain! Mensch, tut das gut, deine Stimme zu hören." »Was ist passiert, Curt? Warum hast du nicht früher geantwortet?" „Die Beschleunigung hat einen Draht verbogen und das Radio aus dem Gleichgewicht gebracht. Dies oder die Strahlung hier draußen haben die Kapazität einer Spule verändert. Ich konnte dich hören, aber es schien nicht, als ob du mich hören konntest." „Stimmt." Comain drückte die Tasten von drei Tonbandgeräten und langte nach einem Notizblock. „Gib es mir durch, Curt. Du sagtest, du wärest krank. Bist du es?" „Ja." Der Pilot übergab sich, und das Geräusch ließ die lauschenden Männer sich gegenseitig anschauen. „Nichts allzu Gefährliches - hoffe ich. Der freie Fall ist kein Picknick, Comain. 26
Zuerst war es gar nicht so schlimm. Vielleicht war es die Erregung, die mich normal bleiben ließ. Aber kurz darauf fühlte ich, wie sich mein Magen in Knoten zusammenband. Meine letzten drei Mahlzeiten treiben noch immer in der Kabine herum." „Uebelkeit." Comain machte sich eine schnelle Notiz. .Sprich weiter, Curt." Er lehnte sich zu der eingesunkenen Gestalt hinüber. „Können wir den Doktor herbekommen? Vielleicht kann er etwas vorschlagen, um die Uebelkeit zu mindern?" .Holen Sie den Doktor", befahl Adams, und ein Mann stürzte hinaus, um den alten Arzt herbeizuholen. „Lassen Sie ihn weiterreden, Comain. Ist sonst noch etwas mit Ihnen nicht in Ordnung?" „Ich blute aus Nase und Ohren." Die Stimme im Lautsprecher wurde schwächer und kam dann mit voller Kraft wieder. „Die Blutzellen sind während des Startes aufgerissen. Normalerweise würde es nichts machen, aber mit diesem Gift in meinen Adern gerinnt das Blut nicht. Soll ich die grüne Injektion nehmen?" „Wir lassen den Arzt holen. Warte lieber, bis er kommt, bevor du etwas unternimmst. Wie funktioniert das Schiff?" „Die Vibration ist noch immer sehr ärgerlich. Ich fühle, wie die Hülle zittert. Die Verstrebungen haben sich noch nicht beruhigt." „Vibration!" Gomain blickte zu Adams. „Wie kommt das? Die Raketen sind fast drei Stunden außer Betrieb." „Ich weiß das." Curt übergab sich wieder, und während er sprach, konnten die Zuhörer sich vorstellen, welcher Qual er ausgesetzt war. „Ich bin m einem geschlossenen System, denkt daran. Hier oben ist keine Luft, die die Vibration dämpfen könnte, und glaubt mir, beim Start war mehr als genug da. Mit der Zeit wird sie wohl aufhören, aber es wird die Instrumente beeinflussen." „Das dürfte nicht sein." Comain machte eine schnelle Notiz auf seinem Blatt. „Wie ist die Strahlung?" 27
„Der Geigerzähler ist ganz im roten Feld. Kosmische Strahlen natürlich und, wie ich glaube, auch eine Menge Gammapartikelchen." Gurt machte eine Pause. „Ich hoffe, daß ich nicht blind werde." „Das wirst du nicht', sagte Comain mit falscher Ueberzeugung. Er wand sich in seinem Sessel, als der alte Arzt den Raum betrat, und wies ihn zum Radio. „Curt ist krank", sagte er ruhig. „Der freie Fall macht seinem Magen zu schaffen. Außerdem blutet er." „Ich werde mit ihm sprechen." Der Doktor grunzte, als er seinen massiven Körper auf den Stuhl niederließ. „Hallo, Curt, ich höre, daß du ein bißchen Aerger hast." „Hallo, Doktor. Können Sie mir etwas vorschlagen, wie ich meine Därme aufknoten kann?" „Tut mir leid, Curt, aber das wirst du wohl aushalten müssen. Du weißt, es liegt nur an deinem Verstand. Die Gleichgewicht haltenden Kanäle in deinem inneren Ohr sind aus dem Gleichgewicht und ohne eine konstante Schwerkraft, die ihnen sagt, welche Richtung ,unten ist. Dein Geist weiß, daß du nicht fällst, aber dein Körper weift es nicht. Du kannst ihn nicht dafür verantwortlich machen, schließlich ist der Körper nur ein Reflexmechanismus, der nur auf eine bestimmte Art und Weise auf äußerliche Reize reagieren kann. Sobald du ihn davon überzeugen kannst, daß alles in Ordnung ist, wirst du dein Uebelsein loswerden." „Danke schön, Doktor", sagte Curt trocken. „Sie sind mir eine große Hilfe. Und was sagen Sie zur Blutung?" „Kein Grund zur Aufregung. Du hast dir einige Blutzellen auf der Oberfläche zerrissen und wirst etwas Blut verlieren. Es wird rechtzeitig aufhören, denn dein Blut hat trotz allem noch die Möglichkeit, zu gerinnen. Du wirst nicht verbluten, falls du Angst davor gehabt haben solltest." „Soll ich die grüne Injektion gebrauchen1?"
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„Nein. Denn alles, was wir über die Strahlung dort oben wissen, ist, daß sie dein Blut verdicken kann, und wenn es normal wäre, würdest du sterben, weil es gerinnt. Laß es lieber wie es ist, Curt. Schließlich hast du ja nicht erwartet, daß es ein Picknickausflug wird, nicht wahr?" „Gehen Sie zum Teufel", sagte Curt, und der Doktor schüttelte seinen Kopf, als er aus dem Radio das Geräusch hörte, wie Curt sich kräftig übergab. „Wir können nichts tun", sagte er zu Comain. „Wenn wir Mitleid mit ihm haben, machen wir es nur noch schlimmer. Rosslyn ist tapfer. Er braucht keinen, der ihm seine Hand hält. Entweder kommt er von allein darüber hinweg oder überhaupt nicht. Er tut mir leid, aber ich würde immer noch meinen rechten Arm dafür geben, um dort zu sein, wo er jetzt ist." „Ich weiß, was Sie meinen", sagte Comain, und von den versammelten Männern kam ein murmelndes Einverständnis. Alle beneideten den Piloten. Sie alle teilten seine Schwierigkeiten, seine Gefahren, und alle hofften, Anteil an dem endgültigen Erfolg zu haben. Es war keiner unter Ihnen, der nicht freudig seine Hoffnung, in den Himmel zu kommen, fahren gelassen hätte, um an seiner Stelle zu sein. Adams erhob sich müde aus seinem Sessel. „Keiner von uns kann etwas tun, außer zu warten", sagte er schwer. „Comain, Sie bleiben am Radio und versuchen, daß Rosslyn unentwegt auf das Tonband spricht. Ihr anderen macht, daß Ihr hier 'rauskommt. Ich gehe mich ein wenig hinlegen. Nach Ihrem Aussehen zu urteilen, würden Sie am besten dasselbe tun. Ich werde Ihnen eine Ablösung schicken, Comain. Sie sehen schlecht aus." „Ich will keine Ablösung." »Schon möglich, aber Sie werden eine bekommen." Adams schaute den dünnen Mann aufmerksam an. „Seien Sie doch
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vernünftig, Mann. Die Rakete ist eben erst gestartet und wird vor drei Tagen nicht zurückkommen. Sie schlafen fast jetzt schon." „Ich kann es aushalten." „Sie werden tun, was ich Ihnen befehle!" „Nein, Adams." Der schlanke Mann starrte auf den Colonel. „Curt ist mein Freund, und ich werde hierbleiben, bis er wieder sicher auf der Erde ist. Senden Sie mir eine Ablösung, wenn Sie wollen, aber ich bleibe hier!" „Der Teufel soll Sie holen, Comain!" Die Uebermüdung und seine innerliche Verwirrung ließen die Stimme des Colonels schärfer werden. „Ich habe hier das Kommando, und Sie werden tun, was ich Ihnen sage!" „Nein." Comain kniff die Lippen zusammen, während er den Offizier fest ansah. „Ich stehe nicht unter Ihrer Befehlsgewalt. Ich bin Zivilist und kein Soldat, und meine erste Loyalität gilt meinem Freund." „Ich ..." Adams brach ab, als der alte Arzt ihm seine Hand auf den Arm legte. .Was ist los?' „Warum wollen Sie mit ihm streiten, Adams? Comains richtet keinen Schaden an. Unter Umständen hilft es Rosslyn sehr. Sie können ja eine Ablösung schicken, aber warum rennen Sie mit dem Kopf gegen eine Wand?" „Aber das Schiff kann doch vor drei Tagen nicht zurückkehren. Sie wissen doch, wie es vor sich geht, Doktor. Es wird nahe an den Mond heranfliegen, wird in das Gravitationsfeld des Satelliten gelangen und einen Kreis um ihn herum beschreiben. Im richtigen Moment werden die Raketen einen kurzen Stoß feuern, um das Schiff vom Mond frei zu bekommen und auf die Erde zurückzuschaudern. Was kann denn Comain tun, um dabei zu helfen? Was soll es für einen Sinn haben, drei Tage lang am Radio auszuharren?" „Keinen", gab der alte Arzt zu. „Aber lassen Sie ihm seinen Willen doch, Adams." 30
„Na, schön." Der Colonel zuckte mit den Schultern und holte den anderen aus dem Zimmer. Comain sah ihm einen Moment nach, und obwohl er sich selbst darüber ärgerte, daß er den Offizier so enttäuscht hatte, konnte ihn nichts davon abbringen, über den Sender Kontakt mit seinem Freund zu halten. Mit der langsam aufsteigenden Sonne wurde es wärmer in der Baracke. Die leere Wüste draußen flimmerte unter den ersten Strahlen der Sonne, und der Himmel erstreckte sich von Horizont zu Horizont wie eine umgekehrte Schale aus klarem Blau. Durch die Anstrengungen der Vorbereitungen zum Start bewegten sich die Männer müde und träge auf dem Startfeld umher, schielten in das Himmelsgewölbe, als würden sie hoffen, dort den winzigen Fleck der Rakete ausmachen zu können, die ihre schweigsame Bahn zum Mond zog. Comain sah von alledem nichts. Er saß mit angestrengten und ein wenig von gekränktem Ehrgeiz gezeichneten Gesichtszügen vor dem Sender und lauschte auf die Stimme eines Mannes, der von dort sprach, wo noch niemals ein Mensch gewesen war. „Das hier ist die Hölle, Comain. Es ist wie eine Seekrankheit, nur tausendmal stärker. Ein fürchterliches Schwindelgefühl und Uebelsein. Wir müssen unbedingt etwas dagegen bei künftigen Flügen tun." „Wir könnten das Schiff rotieren lassen und durch Zentrifugalkräfte eine künstliche Gravitation erzeugen. Ich mache mir noch immer Sorgen um die Vibration, von der du gesprochen hast. Ist sie noch immer schlimm?" „Sie nimmt ab. Fast kaum noch zu spüren." „Fein. Wie sieht es da daußen aus, Curt?" „Herrlich!" Selbst über die Uebelkeit hinweg konnte Comain fast die Begeisterung in der Stimme seines Freundes hören. „Der Raum ist natürlich schwarz, das weißt du, aber die Sterne sehen aus, als hätte man eine Million Diamanten auf ein Samttuch gestreut. Ich habe mir nie vorgestellt, daß es so viele Sterne geben könnte. Wir können sie auf der Erde nicht sehen, weil die Lufthülle so dicht ist. Aber hier 31
draußen glühen sie wie elektrische Lampen. Sterne vierter Größe sind hier heller als sonst die erster Größe, und die wirklich hellen Vega, Rigel, du kennst sie ja genauso gut wie ich, die scheinen wie Scheinwerfer in einer dunklen Nacht." „Wie fühlst du dich, Curt? Ich meine innerlich?" „Meine Temperatur ist gestiegen. Neununddreißig Grad, Puls fünfundneunzig. Außerdem schwitze ich schon die ganze Zeit seit dem Start, und meine Haut juckt etwas." „Schlimm?" „Nein. Ich glaube, es ist nur eine Nervenreaktion auf den Start. Ich konnte einen Schmerz in meinen Knochen feststellen. Auch meine Muskeln tun etwas weh. Das kann auf den freien Fall zurückzuführen sein. Ich mußte erst wieder lernen, mich zu bewegen. Habe mir wahrscheinlich ein paar Sehnen gezerrt. Eine Auswirkung der mangelnden Schwerkraft ist, daß mir meine Gedanken völlig klar erscheinen. Ich kann fast fühlen, wie mein Blut im Schädel pulsiert. Meine Gedanken sprudeln und kommen wie Hefe in gärendem Wein. An Dinge habe ich gedacht, Comain! Ideen habe ich gehabt! Wenn dieses schreckliche Schwindelgefühl nicht wäre, würde dies das Paradies sein. Trotz der Uebelkeit fühle ich mich hier auf dem Dach der Welt." „Du bist es ja auch." Comain biß sich auf die Lippen, als er fühlte, wie der Neid seine Stimme färbte, aber der Pilot schien es nicht zu bemerken. Curt gähnte. Das Geräusch kam ganz klar über den Lautsprecher, und er lachte entschuldigend. „Komisch. Ich bin müde. Ich glaube, ich werde wohl ein Weilchen schlafen." „Curt! Bist du verrückt. Bei all den vielen Antischlafmitteln, die man dir beim Start gegeben hat, kannst du nicht müde sein. Geht es dir nicht gut, Curt?" „Doch, doch. Ich bin nur ein bißchen schläfrig. Etwas später werde ich wieder wie neugeboren sein." „Bleib wach, Curt. Gib ihm nicht nach. Sprich weiter." 32
„Ich kann nicht. Ich bin zu müde ... müde .. . müde..." „Curt!" Hastig justierte Comain die Kontrollen und gab noch mehr Strom in den Sender. „Antworte mir, Curt! Curt!" Schweigen. Nichts als das Summen des Senders und das entfernte Knacken der statischen Störungen waren zu hören. Lange Zeit später gab sich der dünne Mann geschlagen. Er drückte auf einen Knopf und wartete, bis ein Mann in Uniform hereinkam und ihn ablöste. Dann ging er, die Füße übertrieben langsam voreinandersetzend, müde aus dem Zimmer. Ueber seinen gesenkten Kopf kroch die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel, und der Sand zu seinen Füßen wirbelte bei jedem Schritt kleine Wölkchen auf, während er erschöpft seinem Quartier zuschritt. Männer gingen an ihm vorbei, und sie schauten verwundert in seine gezeichneten Züge. Er schien sie nicht zu bemerken. Als er endlich eingeschlafen war, sah er im Traum exotische Welten, fremde Rassen, heroische Männer und gigantische Maschinen. Langsam verrann der Tag.
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IV. Kapitel Laute Befehle und scharfe Kommandos weckten ihn auf. Ein Mann packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn, daß seine schmale Hängematte zitterte und bebte. „Comain! Mann, wachen Sie auf. Aufwachen!" „Was?" Er öffnete seine Augen und versuchte den verschwommenen Fleck des Gesichtes über ihm zu erkennen. „Was ist los?" „Beeilen Sie sich. Wachen Sie auf." Er räusperte sich, suchte nach seiner Brille, setzte sie auf und blinzelte in das besorgte Gesicht des Colonel. Er fühlte sich krank, übermüdet. Sein Kopf faßte sich wie ein Haufen Baumwolle an, und sein Mund schmeckte wie ein Rohr mit Abwässern. Er schnappte nach Luft. Sein klammer Körper zitterte, als der Colonel die schweißgetränkten Decken beiseite zog. Er schwang seine dürren Beine über die Kante und bemühte sich angestrengt, völlig wach zu werden. „Adams! Was ist los?" „Stehen Sie auf, Comain. Wir brauchen Sie am Sender. Schnell!" „Ist etwas nicht in Ordnung?" Panischer Schrecken durchfuhr,ihn, und seine Hände zitterten, als er nach seinen Kleidern griff. Adams nickte. „Ja. Rosslyn hat sich gerade nach mehr als zwölfstündigem Schweigen gemeldet, und ich mache mir Sorge." „Zwölf Stunden." Comain sah zu dem Colonel hoch. „So lange?" „Ja." „Warum haben Sie nicht früher nach mir verlangt?" „Warum sollte ich?" Adams bewegte seine Schultern unter dem dünnen Stoff seiner Uniform. „Was hätte es für einen Zweck 34
gehabt? Sie waren übermüdet. Wir alle waren es, und ein Mann blieb ständig am Sender. Sie haben den Schlaf gebraucht, und sie haben ihn bekommen, zwölf Stunden." „Ja." Comain zog sich fertig an und leckte sich über die ausgedörrten Lippen. Dann ging er hinüber an den kleinen Wasserhahn, wusch sich das Gesicht und trank dann, nachdem er das laue Wasser einen Moment laufen gelassen hatte, drei Gläser der warmen Flüssigkeit. „Was stimmt denn nicht?" „Ich erzähle es Ihnen auf dem Weg." Adams rutschte nervös mit den Füßen hin und her. „Schon fertig?" „Fertig." Gemeinsam schritten sie in die langsam heraufkommende Nacht. „Das Schiff fährt nicht planmäßig", sagte Adams ruhig. Die Observatorien berichten, daß es sich zu schnell bewegt, daß es, obwohl es in das Schwerefeld des Mondes kommen wird, nicht eine Kreisbahn um den Satelliten beschreiben, sondern lediglich von seiner geraden Bahn abgelenkt werden wird." Er machte eine Pause, und Comain konnte das Geräusch ihrer Schuhe im Sand vernehmen. „Unmöglich." „Seien Sie kein Narr, Comain. Ich sage Ihnen, daß es so ist. Die Observatorien täuschen sich nicht." „Wie konnte das geschehen? Wir wissen doch genau, wissen es auf die dritte Stelle hinter dem Komma, welchen Schub wir von dem Treibstoff bekommen, wie lange die Turbinen arbeiten und die Geschwindigkeit des Schiffes, kurz alles. Es ist vorschriftsmäßig gestartet. Es müßte genau fortfahren. " „Es tut's aber nicht." Adams schaute den dürren Mann an. „Irgend etwas stimmt mit der Automatik nicht, Comain. Das ist offensichtlich. Wenn Rosslyn jetzt das Schiff nicht mit seinen Händen bedienen kann, wird er direkt in den Raum schießen'." „Ja", sagte der dünne Mann tonlos, „ich weiß es." 35
Dann sagte er nichts mehr. Auch der Colonel sprach nicht weiter. Jeder dachte dasselbe, aber jeder betrachtete, seiner Veranlagung gemäß, die Sache von einer anderen Seite. Adams dachte an das Schiff, das mit einem hilflosen Mann in den Weltraum hinausflog, Comain dachte an den Mann, an seinen Freund, der von einem rebellierenden Mechanismus in das Unbekannte hinausgetragen wurde. Er war froh, als sie endlich in die überfüllte Sendebaracke kamen. „Etwas Neues?" Als der Mann seinen Kopf schüttelte, riß er ihn beiseite und korrigierte mit zitternden Händen den Richtstrahl des Senders. „Curt! Hier Comain. Antworte bitte." „ Comain!" Der schlanke Mann errötete bei der Begrüßung durch die Stimme eines Mannes, der fast einer Viertelmillion Meilen entfernt war. „Hast du geschlafen?" .Ja. Als du dich entschlossen hattet, ein wenig auszuruhen, bin ich deinem Beispiel gefolgt." Er sah den Colonel fragend an, und dieser schüttelte den Kopf. .Sprich weiter, Curt, ich bin gleich wieder da." „Warum? Stimmt irgend etwas bei euch nicht?" .Natürlich nicht, Curt. Gib nur alle sachdienlichen Daten an, die du dir vorstellen kannst. Ich will die Peilantenne untersuchen gehen." Er gab dem Funker ein Zeichen und ging zu Adams hinüber. „Weiß er es nicht?" .Noch nicht. Ich wollte es ihm nicht sagen, bis wir wissen, was zu tun ist. Auf jeden Fall hat er ja jetzt erst wieder die Verbindung mit uns aufgenommen, und ich kann nicht verstehen, warum er überhaupt eingeschlafen ist." „Vielleicht die Strahlung?" Comain zuckte mit den Schultern. „Das spielt jetzt keine Rolle. Die Hauptsache ist, die Rakete wieder auf den alten Kurs zu bringen. Haben Sie die Berichte der Observatorien?
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„Ja. Das Schiff wird die Bahn des Mondes in einer Stunde erreichen. Das Schwerefeld wird die Raketenbahn beugen, und es wird für zwei Stunden aus dem Blickfeld verschwinden. Danach „Wenn er das Schiff nicht manuell bedienen kann, wird er auf einer geraden Bahn in den Weltraum hinausfliegen." Comain nickte, und seine schmalen Gesichtszüge bekamen einen grimmigen Ausdruck. „Dann muß das, was getan werden muß, schnell getan werden." „Ja. Sobald die Rakete hinter dem Mond verschwunden ist, werden wir keinen Kontakt mehr über den Sender bekommen, und bei der Geschwindigkeit, die sie hat, können wir nur mit einigen Minuten rechnen. Beeilen Sie sich, Comain! Beeilen Sie sich." „Ja." Comain ging an das Radio zurück und lehnte sich über das Mikrophon. „Curt. Kannst du mich hören?" „Ja." „Gut. Nun paß auf, Curt. Paß gut auf! Irgend etwas stimmt nicht mit dem Schiff. Du fliegst zu schnell. Du mußt es jetzt selbst bedienen. Verstehst du mich?" „Ich verstehe." „Gut. Folgendes mußt du tun: Drehe das Hauptgyroskop, bis du umgekehrte Positionen im Raum hast und die Strahldüsen in Flugrichtung zeigen. Wenn du das getan hast, laß sie genau zehn Sekunden feuern. Nicht mehr. Verstanden?" „Ja." Curt lachte, und die Spannung der in dem Raum wartenden Männer ließ etwas nach. „Sprich doch nicht so ernst, Comain. Dafür bin ich doch da, nicht wahr? Dem zum Trotz, was du gesagt hast, können deine Maschinen niemals einen Menschen ersetzen. Sie gehen kaputt und können sich nicht helfen. Entspanne dich, Comain. Ich werde dir dein Schiff schon wieder zurückbringen." „Du hast eine Stunde Zeit, Curt. Eine Stunde, in der du die Geschwindigkeit des Schiffes herabsenken und es auf die 37
geplante Fahrt bringen mußt. Danach wirst du für uns hinter dem Mond verschwunden sein, und wir können nicht mehr mit dir sprechen. Außerdem, und das ist sehr wichtig, hat das Schiff nicht genügend Treibstoff, um ohne die Hilfe des Schwerefeldes des Mondes einen Bogen zu beschreiben, die Geschwindigkeit herunterzusetzen und zurückzukehren. Arbeite schnell, Curt. Arbeite schnell." „Ich bin schon dabei", sagte der Pilot grimmig. „Hörst du mich?" Ueber das Radio hörte man das Heulen der Kreisel, während sie sich in den Lagern drehten, so das Schiff um seine kurze Achse bewegten und es in das direkte Verhältnis zu ihrer eigenen Masse brachten. Es war eine Sache, die Zeit in Anspruch nahm. Die Masse des Kreisels betrug nur ein Hunderttausendstel der des ganzen Schiffes, und es brauchte genau hunderttausend Umdrehungen, um das Schiff zu drehen. In dieser Zeit konnten sie nichts anderes tun als warten. Und sie warteten. Sie warteten, während der schmale Zeiger des Chronometers langsam auf Null kroch. Sie schwitzten Blut, während einer Viertelmillion Meilen entfernt ein Mann um sein Leben kämpfte. Es dauerte länger als dreißig Minuten, bis der Kreisel das Schiff gedreht hatte, dreißig lähmende Minuten des Wartens, bis die Turbinen in der Lage waren, die Geschwindigkeit des Schiffes zu drosseln. Und dann ... „Die Raketen wollen nicht feuern!" Comain zuckte zusammen, als er den erstaunten Fluch von Curt horte. „Die Turbinen! Sie wollen nicht reagieren? Comain!" „Ruhig!" Der schmale Mann biß sich auf die Lippen, als er auf den Sekundenzeiger des Chronometers blickte. „Es ist möglich, daß ein lockerer Draht beim Start abgerissen ist. Prüfe die Kontakte."
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Wieder Warten. In steigender Spannung saßen und standen sie, während der Sender den keuchenden Atem eines Mannes wiedergab, der unter unmöglichen Umständen an einer Notreparatur arbeitete. „Kontakte überprüft, aber es hat noch immer keinen Sinn, verdammt noch mal." „Warte!" Comain blickte zu Adams. „Curt. Jetzt kannst du nur noch eines tun: Oeffne die Luke und bediene das Abfeuerungsrelais mit der Hand. Kannst du das tun?" „Ich kann es versuchen", sagte der Pilot grimmig. „Wird die Automatik nicht zum richtigen Zeitpunkt einsetzen?" „Ja, aber dann wird es zu spät sein. Du hast nur noch fünfzehn Minuten, bevor du hinter dem Mond verschwindest. Die Automatik ist auf Zeit und nicht auf Entfernung eingestellt, und es dauert noch einige Stunden, ehe sie zu feuern beginnt. Die einzige Chance, die du hast, besteht darin, die Rakete mit der Hand zum Arbeiten zu bringen, und das muß in den nächsten dreißig Minuten geschehen sein." „Ich verstehe. Ich arbeitete jetzt an der Luke." Ueber den Sender hörte man das angestrengte Ein- und Ausatmen des Piloten und das schwache Geräusch von Metall auf Metall. Im Geiste folgte Comain den Bewegungen seines Freundes. Zuerst die dünne Metallluke, die den Raum abschloß. Sie war mit Schnappern befestigt, und es würde nicht lange dauern, sie zu öffnen. Ein blecherner Klang, und er wußte, daß sie beiseite geworfen war. Dann kam die keuchende Stimme Curts aus dem Lautsprecher. „Verdammte Handschuhe! Ich kann nichts anfassen. Ich werfe sie weg. So ist es besser. Da ist die Leitung zu den Feuerralais. Welche Drähte? Welche Drähte?" .Die roten", schnappte Comain. .Kannst du mich verstehen, Curt? Verfolge die roten."
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„Ich habe sie." Ein Murmeln und dann ein wilder Flucht. „Verdammter freier Fall! Zum Teufel damit! Zum Teufel mit allen Konstrukteuren, die sich nicht vorstellen könne, daß ein Mensch die Maschine reparieren muß. Wie zum Teufel komme ich dort hinunter?" „Curt! Comain biß sich auf die Lippen, bis ihm das Blut über diese rann. „Was ist denn nun los?" „Die Luke ist zu eng." Curts Stimme hallte durch den Raum. „Ich kann nicht tief genug hinuntergelangen, um das Relais zu erreichen." „Dein G-Anzug. Zieh ihn aus." „Ja. Das ist eine Idee. Komisch, daß ich daran noch nicht gedacht habe." Comain blickte zu Adams hinüber, während die Stimme des Piloten aus dem Lautsprecher erklang. Er kniff seine Lippen zusammen, als ein Verdacht in ihm auftauchte. Doch bevor er sprechen konnte, sagte Curt: „So. Der Anzug ist aus. Nun laß mich einmal sehen." Das Geräusch heftigen Erbrechens unterbrach die betont ruhige Stimme des Piloten. .Verdammt. Nun an die Arbeit. Ich halte mich mit einem Fuß am Sessel fest. Ich fasse die Kante der Luke. Ich strecke mich nach unten, strecke..." Seine Stimme klang bewegt, und heftiges Stöhnen und Keuchen kam aus dem Lautsprecher. (Domain blickte auf seine Chronometer, und auf seinem blassen Gesicht stand der Schweiß. .Beeile dich, Curt. Eile!" „Ich hab's." Comain seufzte vor Erleichterung, als er das Triumphieren in der Stimme des Piloten vernahm. „Nun drücke die Relais nieder, und ..." Nichts geschah. Kein Donnern kam aus dem Lautsprecher, kein Pulsieren der arbeitenden Raketendüsen, während sie die Geschwindigkeit des fernen Raketenschiffes herabsetzten, nur Schweigen und der keuchende Atem eines verzweifelten Mannes. „Curt. Wir hören nichts. Was ist denn jetzt los?" 40
„Was los ist?" Comain erkannte kaum die Stimme seines Freundes. .Ihr dreckigen Narren, ihr habt es besser gewußt, nicht wahr! Ihr habt dem Metall mehr getraut als Fleisch und Blut. Der Teufel soll dich holen, Comain. Zur Hölle mit dir!" „Curt! Reiß dich zusammen, Mann. Was ist los?" „Das Relais ist zerbrochen, das ist es. Das Metall ist in meiner Hand wie ein Stück Glas zerbröckelt." „Was?" Comain starrte auf Adams, und noch während er die Frage auf seinem Gesicht sah, wußte er, was geschehen war. Die Vibration des Schiffes hatte die Struktur des Metallrelais verändert. Es war kristallisiert, war brüchig geworden und durch die Vibration und die Strahlung zerfallen. Die Möglichkeiten waren 1:1000, und sie hatten nicht einmal daran gedacht, aber der Fall war eingetreten. Und jetzt. „Curt." Comain wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Du mußt hinter das Relais gelangen. Laß dich noch weiter durch die Luke nach unten und verbinde die beiden Drähte mit der Hand. Kannst du das tun, Curt? Curt. Antworte mir." „Ich höre dich, Comain. Ich werde es versuchen und tun, was du sagst, aber mein Kopf fühlt sich so komisch an. Ich habe Schwierigkeiten, daß mir meine Hände gehorchen. Ich soll die grünen Drähte miteinander verbinden, sagst du?" „Die roten, Curt. Die roten." „Stimmt, Comain. Ich will es versuchen. Die roten Drähte miteinander verbinden. Verbinden." Plötzliche Stille trat anstelle der wohlbekannten Laute, eine drückende Stille, die nur durch das Geräusch des Leitstrahls unterbrochen wurde. Fieberhaft arbeitete Comain an den Kontrollen, justierte die Stärke und veränderte die Fassung der Vernierskala mit raschen Griffen seiner schlanken Finger. Noch während er es tat, wußte er, daß es verschwendete Zeit war. Das Schiff war hinter dem Mond verschwunden.
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V. Kapitel Zwei Stunden hatten die Observatorien gesagt, zwei Stunden, ehe man das Schiff wieder sehen konnte, vorausgesetzt, daß es seinen Kurs nicht änderte. Es würde noch einen Moment dauern, ehe man den Radiokontakt wieder herstellen könnte, ehe das Schiff jenseits des Punktes geflogen wäre, von wo aus man sein Signal empfangen und verstärken könnte, und danach ... Comain wollte nicht darüber nachdenken. Er saß vor dem Sender und fühlte die Augen der Männer auf seinem Rücken brennen. Er verfluchte sich wohl zum tausendstenmal, daß er nicht an das Unvorhergesehene gedacht hatte. Adams saß neben ihm. Das kalte Licht der elektrischen Birne strahlte auf sein graues Haar, verstärkte die tiefen Linien, die von der Nase zum Mund liefen, und ließen ihn plötzlich alt und schwach erscheinen. „Wann werden wir Bescheid wissen?" „Wenn Curt die Raketen zum Feuern bringen kann, müßten wir es in einer Stunde wissen. Wenn nicht..." Comain zuckte mit den Schultern. „Kann er hingelangen?" „Ich weiß es nicht. Wer hätte daran denken können, daß das Schiff so schnell fliegt, oder daran, daß die Vibration gerade dieses Stück Metall verändern würde?" „Kann er zu dem Draht gelangen?" Mürrisch wiederholt Adams seine Frage. Er schien an nichts anderes zu denken. „Ich weiß es nicht", schnappte Comain gereizt. „Es ist möglich, ich weiß es aber nicht genau." „Stell dir vor", flüsterte einer der Männer, „er ist dort oben, hat hohes Fieber von der Strahlung und versucht sein Leben zu retten, indem er die Feuerkontrollen repariert. Ich habe an diesen Relais gearbeitet, und ich behaupte, er kann es nicht, nicht in dieser kurzen Zeit und ohne das geeignete Werkzeug. "
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„Ruhe." Adams funkelte den Mann an. „Wenn Sie sprechen müssen, sprechen Sie draußen." .Was ist denn los, zum Teufel?" Der Mann starrte auf den Colonel. „Das ist doch ein freies Land, nicht wahr? Darf man vielleicht seine Meinung nicht mehr sagen?" „Sie glauben also nicht, daß er hinkommt?" Comain starrte den Mann an. „Warum nicht?" „Weil das Schiff nicht so entworfen wurde, daß man vom Kontrollraum aus hingelangen kann. Darum. Ich habe daran gearbeitet, und ich habe mich immer ungemütlich bei dem Gedanken gefühlt, daß man sich so auf die Automatik verläßt. Wenn dieses Relais gebrochen ist, dann bedeutet das, daß er zunächst einmal die Hälfte aller Drähte aufwickeln muß, und selbst, wenn er das kann, muß er noch die Luke herunterdrücken und die Luke direkt verbinden. Sie wissen, was das heißt." „Glauben Sie, daß der Beschleunigungsandruck seine Kräfte übersteigen wird?" Der Mann zuckte mit den Schultern und griff in die Tasche, um eine Zigarette herauszuholen. „Sie haben das Schiff entworfen", erinnerte er ihn. „Was denken Sie?" Comain nickte. Ihm wurde immer schlechter. Der Mann hatte recht. Er hatte das Schiff konstruiert, und vielleicht hatte er unbewußt dazu geneigt, den menschlichen Faktor etwas zu vernachlässigen. Er hatte sich zu sehr auf die Maschinen verlassen, auf Dinge aus Metall, Plastik, Draht und Kristall. Er hatte mit dem Gedanken an ein automatisches Schiff gespielt, dessen Pilot mehr oder weniger ein Passagier war, statt ihn, wie es hätte sein sollen, als die Hauptsache anzusehen. Dadurch konnte er vielleicht schuld an dem Tod seines Freundes werden. Aber Sie hatten noch etwas Hoffnung. Curt konnte die Raketen mit der Hand abfeuern'. Er konnte die Geschwindigkeit des 43
Schiffes reduzieren, in das Schwerefeld des Mondes fallen und das Schiff auf seinen vorgezeichneten Weg bringen. Es war so einfach. Nur zwei rote Drähte müßten zusammengebracht werden. So eine Kleinigkeit, und trotzdem wurde Comain von Zweifeln erschüttert, wenn er an das dachte, was er wußte. Er verließ sich nicht gern auf menschliche Kräfte. Das Verhalten einer Maschine konnte man vorausbestimmen. Auf dem Gebiet der Kybernitik war noch soviel zu tun, und nur wegen Curt und seiner Jugendträume hatte er es übernommen, an dem Schiff zu arbeiten. Nun war Schluß. Nach dieser Sache würde er das Gebiet der Raketen verlassen und sich wieder der Kybernetik zuwenden. Er... „Eine Stunde ist vorüber", sagte Adams grimmig, und er schien noch tiefer in seinen Stuhl zu sinken. „Er kann es nicht machen." Der Mann, der vorher gesprochen hatte, schaute in die Runde. „Rosslyn ist so gut wie tot. Die Chance ist gleich Null, und wir wissen es." „Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt", sagte Adams ruhig. „Muß ich es Ihnen noch einmal sagen?" „Genauso gut könnte ich es sein." Der Mann ignorierte die unausgesprochene Drohung des Colonels. „Jeder von uns könnte es sein. Verdammt noch mal, ich habe nichts dagegen, eine Chance wahrzunehmen, keiner hat es, aber dort oben gefangen zu sein, ohne den geringsten Schimmer einer Hoffnung zu haben, nur wegen eines falschen Entwurfes ..." Er starrte auf Comain. „Für mich ist das dasselbe wie Mord." „Keiner kann etwas dafür. Oder glauben Sie, wir hätten es absichtlich getan?" Adams schaute den Mann an. Sein graues Haar und sein eingefallenes Gesicht gaben ihm einen besonders brutalen Ausdruck. „Zum Teufel mit Ihnen! Wenn man Sie sprechen hört, könnte man glauben, daß wir Rosslyn da hochgeschickt haben, obwohl wir genau wußten, daß er niemals wieder zurückkommen kann."
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„Sie konnten sich ja ein bißchen mehr Gedanken gemacht haben. Ist Ihnen denn niemals der Gedanke gekommen, daß etwas kaputtgehen könnte? Was hat das denn für einen Sinn, einen Mann in einem Schiff loszuschicken, in dem er nicht an alles heran kann?" „ Sie..." Adams kam von seinem Stuhl hoch. Seine Augen glühten vor Zorn. „Sie und Ihre große Schnauze. Ich werde ..." „Beruhigen Sie sich, Adams." Comain griff den Colonel am Arm und stieß ihn in den Stuhl zurück. „Beruhigen Sie sich, der Mann hat recht." „Was?" „Er hat recht, mit dem, was er sagt. Wir hätten das, was geschehen ist, voraussehen müssen. Eine Maschine hätte das tun können, aber wir sind keine Maschinen. Wie hätten wir erraten sollen, daß die Vibration beim Start das Relais verändern würde? Wir haben das nicht als Faktum erkannt. Wenn wir einen Kalkulator gehabt hätten, eine Maschine, die in der Lage ist, jede nur mögliche Tatsache in Erwägung zu ziehen, dann hätten wir es gewußt." „Ich verstehe Sie nicht." Adams runzelte seine Augenbrauen. „Wovon sprechen Sie, Comain?" „Ich nehme an, daß Sie schon von Einac gehört haben? Sie wissen doch, daß es große Elektronenrechner gibt, die in der Lage sind, eine Reihe von Tatsachen aufzunehmen und bei diesen das voraussichtliche Geschehen vorherzusagen. Die Versicherungsgesellschaften bedienen sich ihrer ständig. Sie können fast genau angeben, wie viele Menschen einer bestimmten Gruppe sterben werden. Sie können sogar das Durchschnittsalter einer bestimmten Berufsgruppe errechnen. Das ist Ihnen doch bekannt?" „Ja", gab Adams widerwillig zu. „Aber was hat das mit dem zu tun, was jetzt geschieht?"
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„Wenn wir so eine Maschine gehabt hätten, eine, die groß genug ist, um alle in Frage kommenden Faktoren aufzunehmen, dann hätten wir bis auf einen Strich hinter dem Komma sagen können, wie groß die Chance für Curt gewesen wäre, die Fahrt zu überleben. Wir hätten alle erdenklichen Möglichkeiten in der Maschine speichern können, um den höchsten Wahrscheinlichkeitsfaktor zu errechnen, und wir hätten im voraus gewußt, was geschehen würde. So wie die Dinge liegen, haben wir uns auf Glücksspiel eingelassen. Wir wußten nicht, was geschehen würde, nachdem das Schiff einmal gestartet war. Wir haben geraten, aber wir haben falsch geraten, und nun kann das dafür der Grund sein, daß ein Mensch sein Leben dadurch verliert." „Was schlagen Sie also vor? Daß wir keine Raumschiffe mehr bauen, bis die Maschine, die bis jetzt in Ihrem Geist existiert, gebaut worden ist?" Adams lächelte humorlos, und Comain wußte, daß er nur sprach, um seine innere Spannung zu überbrücken. Irgendwie hatte Adams recht. Comain gab es zu, aber während er die Zeiger des Chronometers beobachtete, wußte er, daß es mehr als nur das war. Er glaubte wirklich an eine solche Maschine. Wie alle körperlich schwachen Menschen fürchtete er sich vor dem Unbekannten. Es war ihm immer unangenehm gewesen, neue Menschen kennenzulernen, schnelle Entschlüsse zu fassen oder sich in den Vordergrund zu stellen. Es wäre alles so einfach, wenn es so eine Maschine geben würde, wie er sie beschrieben hatte. Dann könnte man, wenn immer ein neues Problem sich ergeben würde, den genauen Prozentsatz der Wahrscheinlichkeit herausfinden und danach handeln. Dann würde es keine vergeudete Zeit mehr geben, denn das Ergebnis eines Experimentes würde gefunden werden können, ohne daß das Experiment überhaupt stattzufinden brauchte. Die Maschine würde alles wissen, was wissenswert wäre. Sie würde in der Lage sein, das Wissen ganzer Zeitalter in sich aufzunehmen, würde dieses Wissen erforschen und auf Grund dieser Informationen
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neue Schlüsse ziehen und unvermeidbare Ereignisse vorhersagen können. Diese Maschine würde wie ein Orakel sein. Eine allmächtige, gegenwärtige Maschine. Sie würde aller Furcht ein Ende setzen. Sie würde alle Sackgassen und wertlosen Richtungen der Forschung unterbinden. Sie würde alle Menschen für immer frei machen von der harten Notwendigkeit, ihr Leben lang studieren zu müssen, so daß sie vor ihrem Tod nur eine neue Tatsache dem derzeitigen Wissen hinzufügen könnten. Das Räuspern einer der Männer riß ihn aus seinen Träumen in die Gegenwart zurück. „Fünf Minuten, bevor das Schiff wieder sichtbar wird." „Richten Sie die Peilantenne auf den Punkt, wo es auftauchen wird", rief Adams. „Wir haben nur kurze Zeit zur Verfügung, bis es aus unserer Reichweite ist." Comain nickte und stellte die Maschine vor ihm nach den Daten des Observatoriums ein. Auf dem hohen Sendeturm schwenkte sich die Radioantenne ein wenig und zeigte auf das leuchtende Antlitz des Mondes. Angespannt warteten Sie darauf, daß der Sender sich wieder bemerkbar machte, und in der tiefen Stille schien das undefinierbare Geräusch des Leitstrahls sie zum Narren halten zu wollen. Drei Minuten. Comain wischte sich den Schweiß von Nacken und Gesicht und überlegte verzweifelt, was er sagen sollte. Zwei Minuten. Er überprüfte die drei Tonbandgeräte, ob die Bandspulen voll wären und justierte den Sender letztmalig. Eine Minute. Comain stellte die Tonbänder an und vergewisserte sich, daß ihre Femsteuerung griffbereit lag. Jetzt. Jedermann starrte auf den schwarzen Lautsprecher. Comain lehnte sich vor und räusperte sich. „Curt!" Hier Comain. Kannst du mich hören?" Schweigen und das andauernde Pfeifen des Leitstrahls. 47
„Curt! Melde dich, Curt. Antworte! Antworte! " Ein Krachen. Ein statischen Surren, dann hörte man wie einen Geist die schwache Stimme eines Mannes an der äußersten Empfangsreichweite des Senders. „Comain. Dem Himmel sei, Dank, daß du gewartest hast." „Hast du es geschafft?" Er wußte, daß das, was er gesagt hatte, Unsinn war, aber es fiel ihm nichts anderes ein. Der Sender summte, wurde schwächer, krachte und surrte. Ungeduldig schaltete Comain die Zusatzdynamos ein, und die Stimme kehrte klar zurück. „Geschafft?" Es war nicht angenehm, das darauf folgende Lachen zu hören. „Ich hätte es schaffen können, jawohl. Wenn ich eine Bombe gehabt hätte, hätte ich es geschafft. Du und deine verdammten Maschinen!" „Was ist geschehen, Curt? Was ist geschehen?" „Ich konnte nicht 'rankommen, das ist geschehen. Ich versuchte an die Feuer-Steuerung hinunterzugelangen. Ich konnte sie genau hinter meinen Fingern sehen, aber ich konnte nicht weit genug hinuntergelangen. Kannst du das begreifen, Comain? Ich konnte sie richtig vor mir sehen." Die statischen Geräusche wurden wieder stärker, und die Männer traten näher, begierig, die letzten Worte des ersten Mannes im Weltraum mitzubekommen. „Ich habe den G-Anzug ausgezogen. Ich habe mein Unterzeug ausgezogen, trotzdem konnte ich nicht weit genug hinuntergelangen. Es ist eigenartig, wie verzweifelt ein Mensch werden kann, wenn er denkt, daß es noch eine Chance gibt. Ich schnitt mir eine Vene auf und bedeckte meinen Körper mit meinem eigenen Blut. Ich dachte, daß ich die letzten Zentimeter schlüpfen könnte, in einer Art Oel, weißt du, aber es klappte nicht. Ich konnte es nicht schaffen, Comain. Ein Zentimeter Unterschied in der Breite der Luke hätte genügt. Drei Zentimeter Unterschied in der Lage des Relais hätten gereicht. Ein einfaches
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Werkzeug, und ich hätte den Antrieb abfeuern können. Aber ich hatte es nicht, Comain, ich hatte es nicht." „Hätte er nicht seine Füße nehmen können?" Ein Mann flüsterte diesen Vorschlag, schwieg aber sofort, als der Sender wieder surrte. „Hast du schon einmal versucht, Draht aufzuwickeln und dann mit den Zehen zu verbinden, Comain? Ich habe es getan. Ich habe mir die Nägel beider Füße ausgerissen, aber es war zwecklos. Du hast deine Drähte gut ausgewählt. Man würde ein Messer brauchen, um durch die Isolierung zu gelangen, und ich hatte kein Messer. Ich hatte nichts außer meinen Zähnen." Curt lachte wieder. „Ich kann mein eigenes Blut schmecken." „Gott!" Ein Mann taumelte zur Tür. Sein Gesicht war weiß, die Augen krank in seinen überanstrengten Zügen. Adams sah ihm nach und ging dann auf den Sender zu. „Rosslyn. Wie sind Ihre physische Symptome?" „Ich habe Angst, Colonel; ich habe höllische Angst. Ich werde sterben. Sie wissen das, nicht wahr? Ich weiß es, also müßt ihr es auch wissen." „Denken Sie jetzt nicht daran. Wie sind Ihre physischen Symptome? Wie hat sich die Strahlung auf Sie ausgewirkt?" „Strahlung?" Curt schien verwirrt. „Wovon sprechen Sie?" „Reißen Sie sich zusammen. Mann." Adams starrte auf den Sender. „Sie wissen, was ich meine. Spüren Sie irgendwelche Auswirkung der Strahlung?" „Ich weiß es nicht. Woher soll ich es wissen? Ich habe mich damit beschäftigt, dieses glorreiche Feuerwerk zu reparieren. Zum Teufel mit Ihnen und Ihren Fragen. Warum, zum Teufel, soll ich Ihnen überhaupt antworten?" „Curt" Comain schob Adams beiseite „werde nicht bitter. Wir konnten es nicht verhindern, das weißt du. Du hast eine Chance
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ergriffen, und verloren, aber wenn du diese Chance noch einmol hättest, würdest du ablehnen?" „Danke, Comain, ich wußte, daß du mich verstehen würdest." Die schwache Stimme klang dankbar aus dem Lautsprecher. „Ob ich es noch einmal tun würde? Ich weiß es nicht. Es war nicht gerade schön hier. Ganz auf mich allein gestellt, todkrank und mit dem Bewußtsein, daß ich sterben muß. Ich will nicht sterben, Comain. Ich will leben und mich all der Dinge erfreuen, für die ich noch keine Zeit hatte. Ich will Pflanzen riechen, den Regen auf meinem Gesicht spüren, will den Sonnenuntergang und den Himmel bei Nacht sehen. Ich möchte heiraten, vielleicht ein paar Kinder haben, und ein alter Mann werden. Alle diese Dinge werde ich jetzt nicht haben, Comain. Ich werde niemals wissen, wie diese Dinge sind, die ich nicht gehabt habe. Alles, was mir geblieben ist, ist ein Tank mit Luft, ein Tank mit Wasser und das Universum, um darin umherzuschweifen. Es ist ein großes Universum, Comain, aber ich glaube nicht, daß ich viel davon sehen werde." „Curt." Comain biß sich auf die Lippen, bis ihm das Blut am Kinn herunterfloß. „Curt - es tut mir leid." „Leid? Warum, Comain? Weil ich an deiner Stelle sterbe? Sei meinetwegen nicht traurig. Paß nur auf, daß man meinen Namen in den Geschichtsbüchern richtig schreibt. Noch etwas anderes. Sag Adams, daß er sich nicht zu viel Sorgen wegen der Strahlung machen soll. Ich spüre nichts davon." Statische Geräusche kamen aus dem Lautsprecher, und eine schwache, geisterähnliche Stimme schwankte, zitterte, wurde schwächer. „Auf Wiedersehen, Comain. Mache dir keine Sorgen. Wenn nur die Luke etwas breiter gewesen wäre, nur einen halben Zentimeter." Comain runzelte die Stirn, während er auf die ersterbende Stimme lauschte. „Denke an meinen Namen, bitte. Der Gedanke, daß man mich nicht ganz vergißt, ist mir 50
angenehm. Du weißt, wie man ihn buchstabiert? Rosslyn. R ... o ... s ... s ..." Der Lautsprecher krachte. Ein wildes Ausbrechen von Lärm, Donnern, Pulsieren, und dann, als ob die Verbindung plötzlich abgerissen wäre, plötzlich Stille, bis auf das leere Pfeifen des Leitstrahls. .Die Automatik", flüsterte Comain krank. „Sie hat im richtigen Zeitpunkt gezündet." „Dann ist er gerettet?" Adams starrte auf den schlanken Mann, und der Schweiß stand in Perlen auf seinem Gesicht. Comain schüttelte seinen Kopf. „Nein. Der Feuerstoß kam zu spät. Wahrscheinlich hat die Ueberbeanspruchung die Hülle zerfetzt. Wenn das Metallrelai's kristallisiert ist, sind die anderen Teile zwangsläufig genauso erschlafft. Aber das ist jetzt gleichgültig." „Dann ist er also tot?" „Vielleicht. Aber was hat das jetzt schon zu bedeuten? Wenn die Hülle nicht gerissen ist und er durch die entweichende Luft nicht sofort getötet wurde, muß er trotzdem sterben. Er ist in einem Wrack eingeschlossen, mit wenig Luft, wenig Wasser und ohne Nahrung. Wir harten nicht daran gedacht, daß er auf einer Dreitagereise Nahrung brauchen würde. Was auch immer geschieht, tot oder nicht, wir werden ihn nie wiedersehen. " „Ich verstehe." Adams würgte, dann aber ließ ihn das lebenslange Training sich zusammenreißen. Er straffte sich und schritt zur Tür. .Wir müssen annehmen, daß er beim letzten Feuerstoß gestorben ist. Der Sender hätte nicht so abrupt abgebrochen, wenn die Pilotenkabine intakt geblieben wäre. Das muß ich melden. Wird er in die Sonne fallen?" „Ich zweifle daran. Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit und dem Kurs wird das Schiff weiter in den Weltraum hinausfliegen. Vielleicht trifft es auf einen Asteroiden, wird durch den Aufprall mit einem Meteor aus der Bahn gebracht, oder es wird in das Schwerefeld irgendeines Planeten gezogen. Das wissen wir noch 51
nicht, aber das spielt auch keine Rolle, nicht wahr? Curt ist tot. Mein Freund ist tot - und ich habe dazu beigetragen, ihn zu töten." Dann verließ er das Zimmer auf schwankenden Füßen mit gramzerfurchtem Gesicht. Seine Augen starrten ins Leere. Außerhalb des Zimmers warf der Mond sein mildes Licht auf das Startfeld. Er sah zu ihm hoch, und er haßte dieses einst freundliche Antlitz. Curt war tot. Seine erstarrte Leiche saß in dem Wrack des Schiffes, das einst sein Wunschtraum gewesen war, und seine leeren Augen starrten auf die kalte Pracht der glitzernden Sterne. Grausam waren diese Sterne. Erst riefen sie Träume in den Herzen der Männer hervor, und dann nahmen sie diese Träume wieder weg. Einst, wie es schien, vor langer, langer Zeit, hatten zwei Knaben zu diesen Sternen emporgeschaut und davon geträumt, eine phantastische, abenteuerliche Bahn zwischen den Himmelskörpern fremder Welten zu ziehen. Kindliche Träume, aber für sie waren sie Wirklichkeit gewesen. Curt und (Domain, zusammen auf einem unwahrscheinlichen Abenteuer. Und jetzt... Curt war tot. Er lief in einen Mann hinein, den er nicht gesehen hatte. Er taumelte und ging dann weiter in die Nacht hinaus. Der Mann blickte ihm nach, runzelte die Stirn und war halb entschlossen, dieser großen, schlanken Person mit dem totenbleichen Gesicht zu folgen. Er zuckte die Schultern, fühlte sich ein wenig unwohl und gleichzeitig etwas abgestoßen. Es kam nicht oft vor, daß ein erwachsener Mann über die Wüste lief und dabei wie ein Kind weinte.
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VI. Kapitel Der Mann hatte einen starken Nacken, starke Gelenke, einen untersetzten Körperbau und so dichte Augenbrauen, daß es aussah, als hätte er einen schwarzen Metallbalken über seinen Augen. Die Kleider umspannten den Körper eines Preisboxers, aber wenn er sprach, konnte man der Stimme entnehmen, daß es ein gebildeter Mensch war. .Mr. Comain?" „Ja?" Comain zögerte in der kleinen Vorhalle des Hauses, das er bewohnte. Den Schlüssel in der Hand, betrachtete er seinen Besucher. Der Mann lächelte. .Können wir hineingehen?" Man konnte keinen Akzent erkennen, und obwohl seine Sprache kultiviert war, wußte Comain, daß er nicht in seiner Muttersprache gesprochen hatte. In ihr lag eine gewisse Genauigkeit, eine unnatürliche Perfektion, wie sie nur von einem Erwachsenen erreicht werden konnte, der eine fremde Sprache erlernte und sich mit der reinen Perfektion zufrieden gab. Diese Ueberdeutlichkeit, mit der er gesprochen hatte, war es, die das verriet, was sie hatte verbergen sollen. Comain zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. Innen sah das Haus wüst aus. Comain lebte allein und nur seiner Arbeit. Technische Bücher bedeckten die Tische, füllten Stühle und lagen verstreut auf dem verblichenen Teppich umher. Sie sahen auf den abgeschabten Sesseln wie verschiedenfarbige Schachteln aus. Teile eines auseinander genommenen Apparates lagen auf einer Bank, und eine Decke aus schwarzem Isoliermaterial bedeckte die Scheiben mit Zählern. Der Fremde sah sich um, nahm die Bücher von einem der Stühle, staubte ihn ab, setzte sich und nahm sich aus einem silbernen Zigarettenetui, das mit Gold verziert war, eine Zigarette. Er bot sie dem schmächtigen Mann an, und Comain schüttelte den Kopf.
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.Nein, vielen Dank." Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und stützte seine Ellbogen auf das zerschrammte Holz des Tisches. .Was kann ich für Sie tun?" „Für mich?" Der Mann lächelte. „Vielleicht bin ich es, der etwas für Sie tun kann." Er zögerte. „Gestatten Sie mir, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist John Smith." Er runzelte die Stirn, als er Comain lächeln sah. „Ich amüsiere Sie?" „Ihr Mangel an Phantasie amüsiert mich." „Wie das?" „Die Wahl Ihres Namens kann schwerlich Vertrauen erwecken. Sind Sie Amerikaner?" „Nein." „Engländer?" „Spielt das eine Rolle?" „Höchst wahrscheinlich", sagte Comain freimütig. „Obwohl ich nicht mehr für die Regierung arbeite, falle ich dennoch immer noch unter ihre Sicherheitsmaßnahmen. Entweder sind Sie sehr naiv, oder Sie halten mich für dumm." Er erhob sich und schritt zur Tür. „Ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen." Der Fremde bewegte sich nicht. „Sie handeln voreilig", murmelte er, „und falsch. Ich habe nicht die Absicht, das in Sie gesetzte Vertrauen zu mißbrauchen." „Nein?" „Nein." Rauch quoll aus der dünnen Zigarette. „Bitte, setzen Sie sich. Wir haben noch viel zu besprechen." Er wartete, bis Comain mit leichtem Widerstreben seinen alten Platz auf dem Stuhl wieder eingenommen hatte. „Wissen Sie", sagte Smith beiläufig, „die Gruppe, die ich vertrete, weiß eine Menge über Sie. Man weiß, daft Sie auf dem Gebiet der Raketen beschäftigt waren und es vor fünf Jahren verlassen haben. Man weiß ferner, daß Sie wahrscheinlich der größte Experte auf dem Gebiet der Kybernetik und elektronischer Rechenmaschinen sind. Daran und an nichts anderes ist man interessiert." Er klopfte 54
die Asche von seiner Zigarette. „Ich bin hergekommen, um Ihnen auf diesem Gebiet eine Stellung anzubieten." „Ich verstehe." Comain schaute auf die Unordnung in seinem Zimmer. „Soll das ein plumper Versuch sein, mich zu bestechen? Ich bin vielleicht ein Wissenschaftler, und ich weiß, daß die Meinung des Volkes annimmt, daß alle Wissenschaftler irregeführte Idealisten sind, die nicht wissen, was in der Außenwelt vor sich geht, aber ich bin kein kompletter Narr. Ich gebe zu, daß ich nicht mehr für die Regierung arbeite, und es stimmt, daß ich für keinen, außer für mich selbst, arbeite. Aber das soll nicht heißen, daß ich zum Verräter für irgendeine fremde Macht werde, die mir einen Job anbietet." „Habe ich das Wort ,Verräter' gebraucht?" Smith schüttelte den Kopf. „Glauben Sie mir, das ist das letzte, was ich von Ihnen verlangen würde. Nein, ich bin lediglich hier, um Ihnen ein Angebot zu machen, ein Angebot, von dem Sie als Gentleman die völlige Freiheit haben, es ohne jeden Hintergedanken abzulehnen." Er zuckte mit den Schultern. „Es ist noch nicht lange her, daß solche Angebote einer Nation an den Bürger einer anderen Nation durchaus an der Tagesordnung waren. Jetzt, auf Grund der fanatischen Maßnahmen, die getroffen worden sind, ist es nicht mehr so alltäglich." „Es wäre ein Verbrechen, anzunehmen", sprudelte Comain heraus. „Sie wissen, daß ich Ihnen noch nicht einmal zuhören dürfte." „Warum eigentlich nicht?" Smith machte eine Geste mit seiner Zigarette. „Lassen Sie uns doch nicht kindisch sein. Was mache ich denn? Ich mache Ihnen ein Angebot. Ist das ein Verbrechen? Ich spreche mit Ihnen. Gehört sich das nicht? Handeln Sie falsch, wenn Sie mir zuhören? Können Sie die Existenz einer Tatsache verleugnen, Sie negieren, indem Sie ihr ihren Platz streitig machen? Wirklich, Comain, als Wissenschaftler sollten Sie es besser wissen."
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„Ihre Logik beeindruckt mich nicht", sagte Comain kalt. Er sah seinen Besucher an. „Ich gebe zu, daß es nicht gerade schadet, wenn ich Ihnen zuhöre, aber ich muß Sie warnen, daß ich es Ihnen nicht versprechen kann, dieses Gespräch vertraulich zu behandeln. Ich bin immer noch Bürger, und das ist immer noch mein Land." „Ein Patriot?" Smith schaute verwundert auf den Wissenschaftler. „Nach dem, was man Ihnen getan hat?" „Ich habe meinen Job verloren. Man hat mich aus den Forschungslaboratorien geworfen. Na und?" Comain versuchte nicht, seine Bitterkeit zu verbergen. „Man konnte es nicht vertragen, daß ich es ablehnte, die alte, sinnlose Spur auf Befehl weiterzuverfolgen, und als ich versuchte, ihnen zu zeigen, wo sie unrecht hatten, hat man mich hinausgeworfen." .Mißbrauch der Geräte", murmelte Smith. „Ungehorsam und unkorrekte Haltung gegen das Problem als solches." Er zuckte mit den Schultern. „Auf wirtschaftlichem Gebiet vielleicht, aber nein, die sind noch strenger." „Ich wurde auf die schwarze Liste gesetzt." Comain säuberte seine dicke Brille. „General Elektric, du Ponts, Amalgamated Power. Sie alle lehnten mich ab." Er lachte mit unterdrückter Wut. „Machen Sie einen falschen Schritt, dann sind Sie draußen für immer!" „Ich verstehe." Smith sah auf die Glut seiner Zigarette nieder. „Und jetzt arbeiten Sie zu Hause." Er warf einen Blick auf die Ausrüstung und auf seine ausdruckslosen Gesichtszüge. „Hatten Sie Erfolg?" „Wie konnte ich?" Voll Bitterkeit ließ Comain seine Schultern kraftlos sinken. „Sehen Sie sich das Zeug an. Dreck! Abfall von den Gebrauchtwarengeschäften. Ausrangiert, weil es nicht mehr gut war. Wie kann ich davon eine leistungsfähige Maschine bauen?" „Aber Ihre Theorien, haben die Fortschritte gemacht?" 56
„Ein wenig." Begeisterung erwärmte die belegte Stimme von Comain, während er von seinem Traum sprach. „Sie wissen natürlich, was ich vorhabe?" „Eine denkende Maschine, nicht wahr? Einen Robot?" Smith machte eine Bewegung mit seiner Zigarette. „Ich bin kein Wissenschaftier, denken Sie daran, aber ich habe eine allgemeine Vorstellung. " „Eine denkende Maschine!" Comain zuckte mit den Schultern. „Nennen Sie es so, das ist einfach. Einen Robot. Nennen Sie es so, und es ist noch einfacher." „Aber es gibt doch schon denkende Maschinen. Die großen Elektronenrechner, die ersten Maschinen ..." Smith machte eine Pause und hielt die Kippe seiner Zigarette hoch. Comain nahm sie ihm aus der Hand und trat sie auf dem Boden aus. „Sie haben die gleiche falsche Vorstellung wie die meisten. Sie erwähnen MANIAC, EINAC und andere anfängliche Maschinen. Sie sprechen von Elektronenrechnern, und in Wirklichkeit sprechen Sie nur von berühmten Addiermaschinen. Diese Maschinen denken nicht. Sie führen nur Routinearbeiten aus, und das mit unglaublicher Geschwindigkeit. Das ist aber auch alles. Es existiert nicht eine einzige Maschine, die man eine ,denkende Maschine' nennen könnte. Tatsache ist, daß die, die solche Maschinen bedienen, dazu neigen, mit dem Wort ,Denken' etwas auszudrücken, von dem sie genau wissen, daß es die Maschinen nicht tun können." „Aber. . ." Smith schaute verwirrt drein. „Ich verstehe ..." Comain zuckte mit den Schultern. „Sie verstehen, daß ich an dem Problem denkender Maschinen arbeite, und das stimmt." Er lehnte sich weiter über den Tisch. Lassen Sie uns das Problem einmal näher betrachten und sehen, was wir vorhaben. Es langt nicht, nur eine Maschine zu konstruieren, die irgendeine Information aufnimmt und behält. Solche Maschinen haben wir schon. Wir nennen sie Büchereien. Es langt nicht, eine Ansammlung von Glas und Draht zu 57
konstruieren, die schneller addiert oder schneller rechnen kann als das menschliche Gehirn. Diese Art existiert auch schon, angefangen bei den Addiermaschinen in den Büros bis zu den großen anfänglichen Maschinen in Washington. Sie sind lediglich Arbeitstiere. Sie können nichts anderes tun als das, wozu sie entworfen wurden. Sie können nur mathematische Routinearbeit durchführen. Sie können nicht mehr als denkende Maschinen bezeichnet werden, wie auch eine Selenzelle, die bei einfallender Dunkelheit automatisch das Licht anknipst, nicht eine denkende Maschine genannt werden kann. Das Prinzip ist in beiden Fällen das gleiche, Relais, die durch einen äußeren Einfluß geschaltet werden. Eine wirklich denkende Maschine muß aber mehr als das haben." „Ich folge Ihnen", murmelte Smith, und seine mächtige Gestalt rückt sich in dem Sessel zurecht. Comain zuckte mit den Schultern. „Ich erzähle Ihnen nur das, was Sie sowieso erfahren könnten. Das Problem ist allgemein bekannt. Nur die Ansichten, wie es gelöst werden kann, sind verschieden." „Natürlich! Und Ihre Lösung?" „Ich habe keine - noch nicht." Der schmächtige Mann sah auf die unordentlich verstreute Ausrüstung, die das ganze Parterre des kleinen Hauses bedeckte. „Um die Antwort zu finden, ist es wichtig, zu den Ausgangspunkten zurückzukehren. Was ist ein Gedanke? Was ist diese subtile Sache, die einen Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet? Sein Gehirn ist zumindest der Struktur nach dasselbe, und die Funktionen seines Körpers sind die gleichen wie bei einem Tier. Er ist ein Tier, aber - er kann denken. Wenn wir herausfinden, wieso und warum, dann sind wir auch in der Lage, wirklich denkende Maschinen herzustellen." „Ich kann Ihnen nicht ganz folgen." Smith runzelte die Stirn, und seine Augenbrauen krümmten sich krampfhaft auf seiner Stirn. „Ich nehme doch an, daß, wenn eine gnügend komplizierte Maschine gebaut wird, die das gesamte menschliche Wissen in 58
sich verkörpert, wir dann die Antwort haben würden, nicht wahr?" „Glauben Sie?" Comain lachte fast höhnisch. „Glauben Sie das? Dann beantworten Sie mir bitte eine Frage. Wie würden Sie das Wort .Nahrung' definieren?" „Als etwas, das man essen kann." „So. Ist Holz Nahrung? Termiten essen Holz, demnach müßte es unter diesen Begriff fallen. Ist Eisen Nahrung? Der Rost corrodiert, ,ißt' Eisen. Ist es Salz? Sodium Chlorid besteht aus zwei Giften, würde es da logisch sein, anzunehmen, daß man diese Gifte gesondert gefahrlos essen kann?" Comain lächelte, als er den Gesichtsausdruck seines Besuchers sah. „Wie Sie sehen, haben wir Menschen ein sehr wirkungsvolles und kompaktes System der Ideenassoziation. Wenn wir an .Nahrung' denken, denken wir vielleicht an ein Steak, ein Ei oder an ein Stück Sellerie. Das spielt keine Rolle, denn Nahrung ist nicht das, woran wir gerade denken. Das hilft uns nur als Gedankenidentifikation all dessen, was Nahrung ist, was sie tut, wie sie schmeckt, all das, was wir über Nahrung gelernt haben, um es vom Unterbewußtsein in das Bewußtsein aufzunehmen. Eine Maschine kann nicht so denken. Jede Einzelheit muß ihr separat eingegeben werden. Für eine Maschine ist Nahrung ein Steak oder ein Ei oder ein Stück Sellerie. Nicht aber und oder. Es ist nur ein einziges Wort, denken Sie daran, ein Konzept. Wenn Sie sich die Tausende von Wörtern1, Konzepten und Ideen vergegenwärtigen, mit denen ein durchschnittliches Gehirn im Laufe eines einzigen Tages umgeht, dann können Sie sich vielleicht eine ungefähre Vorstellung von dem machen, was wir vorhaben." „Dann ist also das Problem unlösbar?" „Das habe ich nicht gesagt." Comain stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu wandern, wobei er zwischendurch stehenblieb, um irgendeinen Teil seiner Ausrüstung anzufassen und zu inspizieren. „Vielleicht werden wir niemals in der Lage sein, eine Kopie des 59
menschlichen Gehirns zu konstruieren. Das wollen wir auch gar nicht. Es hätte keinen Sinn, das zu tun, wenn es schon viele leistungsfähige Maschinen gäbe." Er lächelte, als er den Ausdruck von Smith sah. „Ich beziehe mich natürlich auf Menschen. Es gibt Millionen von ihnen, und jeder hat ein hochentwickeltes Gehirn. Nein. Was wir tun müßten, ist eine Maschine zu konstruieren, die besser ist als das, was wir schon haben. Eine Maschine, die denken kann, die Wissen speichern kann, die dieses Wissen aufnehmen kann, um ihr eigenes Wissen zu vermehren, und die dann dieses gesammelte Wissen in der bestmöglichen Art anzuwenden versteht." „Ich fange an, zu verstehen, worauf Sie hinauswollen", sagte der große Mann langsam. „Eine Maschine kann natürlich nicht sterben. Deshalb würde es möglich sein, unwahrscheinlich viel Daten in ihr zu speichern. Wenn sie dann diese Informationen miteinander in Beziehung bringen könnte" - er blickte auf den schlanken Mann -„dann hätten wir eine Deus Machina?" „Auf eine Art ja, aber es liegt an den Menschen, zu verhindern, daß diese Maschine jemals ein Gott wird." Comain kehrte an den Tisch zurück und setzte sich nieder. „Sie haben recht, wenn Sie von der Maschine von potentieller Unsterblichkeit sprechen. Es liegt kein Grund dafür vor, warum sie keine Millionen Jahre halten sollte, und in dieser Zeit könnte sie Wissen speichern, neue Tatsachen herausfinden und all die Probleme lösen, zu denen wir ganz einfach keine Zeit haben. So wie die Dinge jetzt liegen, kann ein Wissenschaftler nicht schnell genug lernen, um noch Zeit für die Forschung zu haben. Abgesehen davon werden die einzelnen Gebiete immer mehr spezialisiert. Jemand, der sich mit Biologie beschäftigt, hat zum Beispiel keine Zeit, sich für Radioaktivität zu interessieren, und dennoch schließt es das Gebiet ,Strahlen der Energie', vielleicht die Antwort auf das Zusammenbrechen der einzelnen Zellen, Krebs, Anämi und virulenter Krankheiten ein. Ein Metallurge versteht wenig von Bakterien, und dennoch ist bewiesen worden, daß Bakterien, das heißt, zumindest einzelne davon, eine Auswirkung auf Metall 60
haben. Zeit ist die Antwort, Smith, Zeit. Und davon haben wir nicht genug." Er lehnte die ihm von dem Fremden angebotene Zigarette mit der Hand ab und starrte voll innerer Pein auf die Unordnung um ihn herum. Zeit. Vor fünf Jahren hatte er der Stimme seines Freundes gelauscht, der in der Endlosigkeit des Weltraumes starb, und dieser Verlust war seitdem eine ständige Wunde, die nicht heilen wollte. Sorgen waren gefolgt, nachdem er über die Stränge geschlagen hatte. Das war unvermeidbar, da er durch eine verwirrende Vielfalt von Gefühlen gehemmt wurde. Diese entsprangen sowohl dem unbewußten Wunsch, zu sterben, um seine Schuld zu büßen, als auch dem Wunsch, Rosslyn zu folgen, zumal die Haltung der Behörden sich nach dem fatalen Flug in den Weltraum dahingehend geändert hatte, daß man das Gebiet der echten Raketenfahrt aufgab, um statt dessen Raumstationen zu bauen. Einen Monat lang hatte er damit die Zeit vergeudet, daß er unerlaubte Nachforschungen über die Reaktion metallfressender Bakterien bei schweren Metallen anstellte. Es war ein Kampf mit einem Laborassistenten gefolgt, ein Kampf, der ihn schwach und krank gemacht hatte, durch die physische Bestrafung einerseits und den Haß andererseits. Die Angelegenheit war an die Psychologen weitergegeben worden und von dort an den Sicherheitsdienst. Man hatte ihm als ein untragbares Risiko den Zutritt zu allen wichtigen Informationsquellen verwehrt. Das andere war dann automatisch eingetreten. Dann kam eine Reihe von Stellenangeboten, eine schlechter als die andere, und schließlich endete es damit, daß er sich wegen des Diebstahls von fünf Gramm Platindraht vor Gericht zu verantworten hatte. Er war mit einer Geldstrafe und einer Bewährungsfrist- davongekommen. In den nächsten zwei Jahren aber war er ständig vom Sicherheitsdienst beobachtet worden. Er starrte auf das Gerumpel, die von den Gebrauchtwarenhändlern erworbenen Stücke. Es war eine primitive Ausrüstung. Grobe 61
Voltmeter, die er brauchte, um Mikrovolt zu messen, selbst hergestellte Strahlungsmesser, wo er Encehalographen brauchte, Strahlchassis, wo er antimagnetische Konduktoren, benötigte. „Das ist hart, nicht wahr?" Smith machte eine Geste mit seiner Zigarette, und Comain erkannte, daß der große Mann seinen Gedanken gefolgt war. „Ein Genie dürfte nicht durch kleinliche Sorgen und die Boshaftigkeit der Menschen aufgehalten werden. Wenn Sie Ihren Prediktor gebaut haben ..." „Prediktor?" Comain starrte auf den großen Mann, und seine Augen verengten sich hinter seinen starkwandigen Brillen. „Wer hat etwas davon gesprochen?" „Aber Ihre Maschine wird doch eine Vorhersage einschließen, nicht wahr?" „Vielleicht." Comain leckte sich nervös über die trockenen Lippen. „Ich glaube, ich habe es jetzt bald", sagte er gedankenvoll. „Sie sind bestimmt nicht an den vollen Kräften einer denkenden Maschinen interessiert. Alles, was Sie wollen, ist ein Prediktor, und ich kann mir vorstellen, warum." „Wirklich?" „Sie brauchen ihn für den Krieg. Sie brauchen ihn, um die Menschheit zu Staub zu machen, brauchen ihn, um einen Vorteil anderen Nationen gegenüber zu haben." .Vielleicht." Der große Mann lächelte durch den Rauch seiner Zigarette. .Hatte der erste Mensch, der das Feuer erfand, vor, seine Erfindung für Brandbomben zu benutzen? Natürlich nicht. Genauso wollen wir diese Maschine nicht für Kriegszwecke. Aber wenn sie dafür gebraucht werden kann ..." Er zuckte mit den Schultern. .Diese Welt ist hart, mein Freund, und wir müssen Realisten sein. Ihr Freund ist im Weltraum gestorben, aber sagen Sie mir, hat er sein Leben riskiert, damit der Mond als militärischer Stützpunkt eingerichtet werden kann, oder hat er es riskiert und verloren, damit der alte Traum interplanetarischer Flüge verwirklicht werden kann? Wir können nicht bestimmen, wie unsere Entdeckungen verwandt werden, aber heißt das, daß 62
wir keine neuen Entdeckungen machen sollen? Es gibt da ein schönes Sprichwort. Dieses Sprichwort heißt: ,Etwas ist besser als nichts.' Es ist besser, wenn Sie Ihre Maschine ohne Rücksicht auf ihren künftigen Verwendungszweck bauen, als sie überhaupt nicht zu bauen. Aber - es wird doch ein Prediktor werden, nicht wahr?" „Jawohl." „Sind Sie dessen sicher? Unsere Berichte..." Er lächelte. „Sie wissen, wie die Dinge liegen. Die Furcht hat den freien Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse unterdrückt, und es ist schwer, eine sichere Information in diesen Dingen zu erhalten." „Diese Maschine wird, wenn sie gebaut worden ist, der beste Prediktor sein, den es gibt." Comain sah seinen Besucher nicht an. „Abgesehen von der Tätigkeit des Denkens, ist es für eine genaue Voraussage notwendig, viele Daten zu haben. Je mehr, desto besser. Wenn die Wetterstationen1 Informationen über die Wolken, den Wind, die Temperatur und die Feuchtigkeit hätten, wäre die Korrektheit ihrer Berichte doppelt so groß. Das gleiche gilt für die Maschine. Füttern Sie die Maschine mit allem, was über dieses Problem bekannt ist, lassen Sie sie diese Informationen miteinander in Beziehungen bringen, lassen Sie sie Irrtümer mit einkalkulieren, dann werden Sie ein modernes Orakel haben." „Sind Sie dessen sicher?" Ja." „Ich verstehe." Smith nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, deren glühende Spitze sich gegen die Teilnahmslosigkeit seiner Gesichtszüge wie ein rotes Auge ausnahm. „Werden Sie eine Maschine für uns bauen?" „Nein." Smith schien nicht überrascht. Er saß da und inhallierte den blauen Rauch seiner Zigarette. Hinter seinen Augen aber lag eine versteckte Absicht.
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Comain bewegte sich auf seinem Stuhl unruhig hin und her. „Ich habe gewußt, daß das kommen würde, und ich habe Sie gewarnt. Ich werde mein Land nicht verraten." „Habe ich Sie darum gebeten?" „Nein, aber ..." „Ich, wir bieten Ihnen alle Voraussetzungen, um Ihre Maschine bauen zu können. Ich bitte Sie ja nicht, Ihre Stellung aufzugeben. Ich bitte Sie noch nicht einmal, für uns statt für Ihr Land zu arbeiten. Sie haben keine Arbeit. Ihr Land braucht weder Ihre Maschine, noch wird es Ihnen jemals die Möglichkeit geben, eine solche zu bauen. Wie können Sie dann zum Verräter werden, wenn Sie für uns arbeiten?" „Logik", sagte Comain bitter. „Sie kann alles bewiesen." „Lassen Sie mich offen mit Ihnen reden." Smith lehnte sich noch weiter über den Tisch. „Wir brauchen Sie und das, was Sie bauen können. Die, welche ich vertrete, haben alle materiellen Güter, die sie gebrauchen können. Aber bei diesen Gütern haben wir eine riesige Bevölkerung und dadurch das Problem der Versorgung. Die alten Methoden langen nicht mehr. Es genügt nicht mehr, eine Armee von Angestellten und ganze Hallen mit Rechenmaschinen zu haben. Es gibt Fragen, die Sie nicht beantworten können, Fragen, die aber beantwortet werden müssen. Wieviel Korn muß angepflanzt werden, um dem Bevölkerungszuwachs gerecht zu werden? Wo müssen Dämme angelegt werden, um ein Maximum an Bewässerung und Kraft zu bekommen? Wie viele Tonnen Eisen müssen gefördert werden, um wie vielen Plänen gerecht zu werden? Wo muß die Entwicklung vorwärts getrieben werden, und warum? Welche Tiere müssen gezogen werden und wie viele? Fragen, Comain, die das Leben einer Nation betreffen und indirekt das Wohlergehen der ganzen Welt." Er trat seine Zigarette aus. „Verstehen Sie mich?"
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„Wie viele Flugzeuge braucht man, um wie viele Bomben zu transportieren?" Comain gab sich keine Mühe, seinen Zynismus zu verbergen. .Warm Atomgeschosse abgefeuert werden müssen und wo? Wieviel Explosivkraft notwendig ist, um den Feind zu zerstören? Wann angegriffen werden muß, um die größtmögliche Erfolgschance zu haben? Ja, so ein Prediktor könnte Ihre Fragen beantworten, aber er könnte auch andere beantworten. " „Soll das ein Feuerverband werden, weil ich es verbrennen kann?" Smith zuckte mit den Schultern. „Ich bitte Sie nicht, für den Krieg zu arbeiten, sondern für den Frieden. Eine hungrige Nation ist ratlos - und bald werden die Menschen hungrig sein." „Ist das eine Drohung, Smith?" „Nein, Comain. Eine Voraussage." „Ich verstehe." Der schlanke Mann seufzte. Seine Augen schweiften wieder über das Gerumpel, das überall in seinem Zimmer umherlag. Tief in seinem Inneren wußte er, daß er versucht wurde. Und warum? In ihm stand der brennende Wunsch, wieder zu arbeiten, eine richtige Ausrüstung in Händen zu haben, um sich seinem Traum hingeben zu können, zu bauen, zu konstruieren, das subtile Gleichgewicht des menschlichen Gehirns zu ergründen und es in unvergänglichem Metall und Kristall nachzubauen. Er dachte an Rosslyn und das, was er dazu gesagt haben würde. Aber Rosslyn war tot, wanderte irgendwo im grenzenlosen Nichts, und er war allein. »Für den Frieden", flüsterte er. „Nicht für den Krieg." „Für den Frieden." Der Mann, der sich Smith nannte, lächelte beinah, aber er wußte, daß es klüger war, seinen Triumph zu verbergen. .Ich verspreche es Ihnen." .Und unumschränkte Gewalt über alle Materialien und jegliche Ausrüstung, die ich brauche?" „Ja. Wir haben am Ural ein Laboratorium, in dem Sie unumschränkter Herrscher sein werden." Er lehnte sich nach vorn1 und legte seine starke Hand auf das Knie des Wissenschaftlers. „Wir brauchen Sie, Comain, Sie und Männer 65
wie Sie. Unser Wohlstand bedeutet uns mehr als das Korn, das wir pflanzen, und das Metall, das wir schürfen. Er muß in dem Fortschritt, den wir machen, begründet liegen, in der wissenschaftlichen Ausnutzung all dessen, was wir besitzen, in der Ausschaltung des Unproduktiven - und Krieg ist unproduktiv. Werden Sie uns helfen, Comain?" Er machte eine Pause, und Schweigen lag über dem Zimmer, ein Schweigen, das widerstrebende Gefühle in sich barg. Zweifel stiegen in Comain hoch. Er fühlte die Berührung mit dem Dunkeln, aber er schob es beiseite, in Anbetracht der verwirrenden Aussichten, die ihm der große Mann offerierte: Werkzeuge, Materialien, Ausrüstung und Leute. Hinter ihm eine Nation, die ihn vorwärts trieb, das große Problem zu lösen und seinen Traum zu verwirklichen. Er nickte. .Gut." Smith lehnte sich zurück und lächelte zum erstenmal. .Sie werden diesen Entschluß niemals bedauern." Er warf einen Blick auf seinen dünnen goldenen Chronometer, der die verstreichenden Minuten anzeigte. „Ich werde alles arrangieren. Sie werden verstehen, daß es besser ist, unser Gespräch für sich zu behalten. Es ist möglich, daß man versuchen wird, Sie aufzuhalten, unter Umständen sogar zu inhaftieren. Man ist in dieser Hinsicht sehr egoistisch. Obwohl man für Sie keinen Bedarf hat, wird man Sie eher töten als zuzulassen, daß andere Ihnen eine Gelegenheit gäben, Ihren Plan zu verwirklichen." Er erhob sich. „Sagen Sie nichts. Tun Sie nichts. Ich werde mich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen." Eine Sekunde lang fühlte sich Comain einer Ohnmacht nahe. Einen Moment lang dachte er an Rosslyn und an das, was er gesagt und getan haben würde. Dann aber erinnerte er sich der nutzlos vergeudeten Jahre, wurde hart und verbannte seine Zweifel. „Ich werde auf Sie warten", sagte er ruhig. Er schaute auf den großen Mann. „Noch etwas." „Ja?" 66
„Der Prediktor, die Maschine, die ich Ihnen bauen soll, wird Zeit in Anspruch nehmen. Ja, sie kann sogar viel Zeit in Anspruch nehmen." „Das spielt keine Rolle." Smith zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Wir können warten. " „Vielleicht werden Sie lange warten müssen", wiederholte Comain, „sogar sehr lange." „Es spielt keine Rolle." Smith schritt zur Tür. „Wir haben Zeit." Er ging. Seine große Gestalt füllte die Tür fast völlig aus. Comain sah ihm lange nach. Dann kehrte er zu seinen Büchern zurück.
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VII. Kapitel Zehn Millionen Meilen jenseits des Mars, unterwegs vom Asteroidengürtel zu dem Roten Planeten, schwebte ein Raumschiff am sternen-übersäten Himmel des Weltraumes, das im schwachen Licht der entfernten Sonne etwas leuchtete. Ein kleines Etwas, kurz und dick, das Heck mit weitgeöffneten Turbinen besät, schien es leblos und tot, und nur das auf seiner rotierenden Hülle reflektierte Licht der Sterne täuschte Leben vor. Lars Menson lag in seiner Koje und betrachtete mißmutig das glatte Metall über ihm. Ihm gegenüber schien Jarl Wendis wie eine Fliege auf der anderen Seite des Abteils zu hängen. Er gähnte und brachte sich in eine bequemere Lage. „Wie spät ist es, Lars?" Menson grunzte, während er sich herumdrehte und auf das Armaturenbrett sah. „Zwanzig Uhr fünfzehn Minuten und sieben Sekunden. Standartzeit natürlich. Der Monat ist November und das Jahr, falls du dich dafür interessieren solltest, zweitausendzweihundertundzehn." Er runzelte die Stirn. „Warum, zum Teufel, willst du die Zeit wissen?" „Kein Grund." Wendis gähnte wieder. „Ich will nur wissen, wann diese Fahrt zu Ende ist." „Für mich ist sie viel zu schnell zu Ende. Denke daran, Jarl. Nur noch eine Fahrt, und dann werden wir lebenslänglich auf dem Boden bleiben müssen." „Vielleicht." „Was meinst du mit .vielleicht'?" Lars sah den anderen an. „Du weißt, was geschieht, wenn wir zurückkommen. Die Kolonie wird geschlossen, und die Kolonisten müssen auf die Erde zurückkehren. Wir haben das Ultimatum ja noch kurz vor unserem Start zu hören bekommen."
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„Wir haben von der Matriarchin gehört, was geschehen würde", verbesserte Wendis. „Wir haben aber nicht gehört, was nun im einzelnen mit uns geschehen soll." Er erhob sich und ging die Wand „'runter". Infolge des künstlichen Schwerefeldes lag jeder Punkt des Schiffes „unten". Er setzte sich auf den Rand seiner schmalen Schlafkoje. „Sieh mal, Menson", sagte er ruhig, „wir müssen ja nicht das tun, was die Matriarchin für richtig hält." „Rebellion?" Lars lächelte und schüttelte seinen Kopf. „Sprichst du wieder von dem alten Traum? Ich dachte, du seist intelligenter, Wendis. Wir hätten nicht die geringste Aussicht auf Erfolg." „Vielleicht nicht, vielleicht aber doch." .Wie meinst du das?" Wendis zuckte mit den Schultern, und seine stahlharten, blauen Augen glänzten. Wie Menson war er klein an Gestalt, hatte schlanke Glieder und wie alle anderen Marskolonisten einen starken Brustkorb. Obwohl man ihn schlank nennen konnte, war er dennoch kräftig. Ständiges Training und die ständige anderthalbfache Erdschwere, die im Schiff auch aufrechterhalten wurde, hatten ihn in Form gehalten. „Ich spreche nicht von Rebellion", sagte er ruhig. „Ich habe nicht die Absicht, das Matriarchat zu stürzen. Aber warum müssen wir denn auf die Erde zurückkehren? Uns geht es doch hier ganz gut." „Sag mal, bist du nie in die Schule gegangen?" Menson gab sich Mühe, seinen Unwillen zu verbergen. „Du weißt genau, daß wir wegen des Nachschubs auf unseren Heimatplaneten angewiesen sind. Solange die Kolonie gegründet wurde, und das sind schon über hundert Jahre, hat sie sich in fast allen Dingen auf das verlassen müssen, was von der Erde kam. Sogar unsere Nahrung kam von dort. Wie können wir uns jemals selbst versorgen?" „Wir könnten es." Wendis hatte die Sturheit des Fanatikers. „Unser Wasser könnten wir vom Pol bekommen, unsere Nahrung 69
von den Hefefässern und das Material von den oxydierten Mineralien aus dem Sand. Wir könnten Erz gewinnen, die radioaktiven Elemente herausholen. Das haben wir ja lange genug getan. Und damit könnten wir die Atommeiler in Betrieb halten, die uns mit Licht und Energie versorgen. Wir könnten sogar die Raumschiffe mit Treibstoff versorgen und auf dem Asteroidengürtel nach seltenem Metallen suchen. Verdammt, Menson, du weißt, daß wir das tun können." „Ich weiß, daß wir es nicht tun können, und wenn du endlich aufhören würdest, darüber nachzugrübeln, würdest du es auch wissen." Lars stützte sich auf seinen Ellbogen. „Wie die Dinge im Moment liegen, sind wir in bezug auf die Asteroidmetalle von dem Nachschub der Erde abhängig. Du sprichst davon, von Hefe zu leben. Hast du es schon einmal versucht? Natürlich nicht,.und wenn du es getan hättest, würdest du nach spätestens zwei Jahren gemerkt haben, daß du an Vitaminmangel stirbst. Und wie steht es mit Medikamenten, Werkzeugen und Teilen für die Maschinen? Nein, Wendis, wenn du mir aus Sand ein Radio bauen kannst, werde ich dir zuhören. Vorher nicht." „Wir können ohne Radio auskommen." „Zugegeben. Aber du sprichst davon, ein Raumschiff zu unterhalten. Wie willst du das mit einer Technologie machen, die nicht in der Lage ist, ein Radio herzustellen? Wir könnten auf dem Mars bleiben, aber es wäre eine primitive Existenz, und in zwei Generationen wären wir ausgestorben. " „Du willst also, daß wir auf die Erde zurückkehren?" „Was könnten wir anderes tun?" Menson betrachtete den anderen. „Verstehe mich bitte nicht falsch, Wendis. Ich- möchte ebenso auf dem Mars bleiben wie du auch. Es ist meine Heimat. Ich bin dort geboren, meine Eltern ebenfalls, aber ich habe nicht die Absicht, dort auf verlorenem Posten zu sterben. Wenn Menschen ohne fremde Hilfe dort hätten existieren können, hätten sie es schon seit langem getan."
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„Was mir an dir nicht gefällt, Menson, ist, daß du ein ganz elender Feigling bist!" „Und du bist ein blinder Narr." Die beiden Männer funkelten sich an, und jeder gab sich Mühe, seine Erregung zu beschwichtigen, da sie genau wußten, daß das ein vorübergehender Zustand war. Raumfahrer stritten immer. Schuld daran war die freie Strahlung, die umherschwirrenden Elektronen und Gammateilchen, die das neurovegetative System durcheinander und die Menschen in die schlimmsten Gemütsverfassungen brachten. Der ständige Stromfluß in der äußeren Hülle wirkte sich aus. Der Schutzschirm bot zwar einigen Schutz, aber er hielt nicht die ganze Strahlung ab und konnte die nervöse Spannung und die psychologische Anspannung, die in den engen Räumen eines Raumschiffes auftrat, nicht verhindern1. Viele hatten das schon mit dem Tode bezahlt. Rasend und von blutigem Haß erfüllt, waren sie gestorben. Ganze Mannschaften waren einer auf den anderen losgegangen. Manchmal fand man Schiffe, deren Besatzung seit langer Zeit tot war, deren Blut den ganzen Innenraum bedeckte. Wenn die Gewalttätigkeit über sie kam, war sie wie ein rasender Wahnsinn. Menson entspannte sich und zwang sich dazu, die haßerfüllten Blicke des Mannes an seiner Seite zu ignorieren. Nach und nach, wie es früher auch immer gewesen war, legte sich die Spannung. „Eines Tages werde ich dich töten", sagte Wendis beiläufig. „Ich fühle es." „Dann wirst du den Rest deines Lebens damit verbringen, diese Tat zu bedauern." Menson grinste und sah auf die Kontrolltafel. „Mit wem könntest du dich dann streiten?" „Ich werde heiraten und meine Frau mit mir nehmen. Ich..." Er brach ab und kniff die Augen zusammen, als ein rotes Licht sein Warnsignal gab. „Was . ..?"
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„Ein Meteor?" Menson erhob sich von der Koje und setzte sich auf den Kontrollsessel. „Möglich." Menson wandte sich zu dem Radarschirm und justierte das Elektro Spektro-skop. „Ziemlich groß und sehr langsam." Er grunzte, während er die Vemiersteuerung korrigierte. „Masse über fünfzig Tonnen Geschwindigkeit." Er feuchtete seine Lippen an. .Im Verhältnis zu uns wie 100:10." Er sah zu Menson hinüber. „Komisch. Bei dieser geringen Masse dürfte die Ausdehnung nicht so groß sein." „Vielleicht ist er hohl. Können wir eine Spektralanalyse machen?" „Dazu müssen wir erst halten und nähergehen. Sollen wir?" Menson runzelte die Stirn und sah auf die Steuerung. „Ich weiß es nicht. Die Chance, daß wir etwas Wertvolles erwischen, ist nicht groß, da wir so weit vom Asteroidengürtel entfernt sind. Wahrscheinlich ist es nur eine rohe Masse, die zur Sonne strebt. Dennoch ist es eigenartig, daß sie so groß ist und gleichzeitig so wenig Masse besitzt." „Wir könnten wenigstens einmal sehen, woraus sie besteht", schlug Wendis vor. „Wir haben genügend Platz und können alles gebrauchen, was wir erwischen können." „Das bedeutet freier Fall." Menson zögerte, während seine Hände auf der Steuerung lagen. „Kannst du es aushalten?" „Ich habe es schon öfter ausgehalten und kann es wieder. Sehen wir mal nach, was es ist, Lars. Vielleicht haben wir Glück. Wir können Geld gebrauchen." Er räusperte sich ärgerlich. „Wir werden es wahrscheinlich auf der Erde brauchen." „Stimmt." Menson warf einen Blick auf die Instrumente und legte einen Hebel 'runter. Ein Geräusch begann durch das ganze Schiff zu laufen, das dumpfe Dröhnen der fernen Raketen, aber so allmählich, daß keiner von ihnen den geringsten Andruck oder eine Anstrengung bemerkte, während das Rotieren im Schiff erstarb. 72
Mit dem Aufhören der Rotation erlosch das künstliche Schwerefeld, und der freie Fall mit seiner Begleiterscheinung, einem fürchterlichen Uebelsein, ergriff sie. Wendis würgte. Sein schmales Gesicht war leichenblaß. Er preßte die Lippen zusammen, während er durch das Spektroskop sah. „Geh noch näher heran", sagte er. „Ich kann nichts sehen." Menson nickte, und während er den Radardetektor im Auge behielt, flogen seine Hände über die Knöpfe der Antriebsaggregate. Flammenstöße schossen aus den Turbinen. In dem kleinen Bullauge, das die direkte Sicht nach draußen freigab, hob sich ein unförmiger, schwarzer Körper gegen den Sternenhimmel ab. „Da ist es. Kannst du eine Spektralanalyse machen?" „Der Körper hat keine Hitze." Wendis schüttelte den Kopf. „Ich werde ihn mit einer Rakete aufwärmen müssen." „Dann beeile dich. Ich' habe keine Lust, dem freien Fall länger als unbedingt notwendig ausgesetzt zu sein." Das Mündungsfeuer blitzte auf, und eine kleine Rakete steuerte auf das ominöse Etwas zu. Sie traf und explodierte mit einer grelleuchtenden Wolke. Nachdenklich blickte Wendis auf die farbigen Linien seines Spektroskops. „Kann man etwas damit anfangen?" „Das kann ich nicht sagen", sagte Wendis langsam. „Die Analyse zeigt Spuren von Eisen, etwas Kupfer, etwas Wolfram und eine Menge Beryllium. Irgendwie unnatürlich. Es macht zu sehr den Eindruck einer Legierung." „Was soll das heißen? Fünfzig Tonnen Beryllium sind es wert, daß man sie mitnimmt. Zieh deinen Anzug an und hole es bei." „Wie sollen wir das machen? Sollen wir es mit den Brennern in Stücke schneiden, es in Fetzen sprengen oder sollen wir es ins Schlepptau nehmen?"
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„Ich glaube, es ist besser, wir machen es an einer Leine fest. Wir können es dann in eine Kreisbahn um den Mars bringen und später abschleppen lassen. Es jetzt schon zu zerlegen, würde zu lange dauern, und ich habe nicht die Absicht, so lange im freien Fall zu arbeiten." Wendis nickte und zwängte sich in den Raumanzug. Ehe er seinen Helm schloß, kontrollierte er noch einmal die Armaturen auf seinem Gürtel. „Kontrolle", sagte er ruhig über den Lautsprecher in seinem Anzug. „Kannst du mich empfangen?" „Ja." Menson grinste. „Versiegle dich und geh los." Das Zischen der Luftschleuse hallte durch das ganze Schiff. „Ich bin jetzt draußen." Wendis Stimme kam klar und deutlich über die Sprechanlage. „Das Objekt ist ungefähr fünf Meilen von mir entfernt. Ich nehme die Schulterdüsen für den Weg." .Vergiß die Rettungsleine nicht. Ich will dich nicht wieder wie damals auf Ceres IV holen müssen'." „Keine Bange", sagte Wendis grimmig. „Das eine Mal hat mir gelangt, und vielleicht habe ich das nächste Mal nicht mehr so viel Glück." Ein schwaches Krachen im Sender zeigte an, daß die Düsen an seinen Schultern in Betrieb waren. Durch das Bullauge konnte man zwei dünne Feuerstreifen gegen das schwarze Nichts ausmachen. „Siehst du etwas?" „Noch nicht. Ich ..." Menson hörte seinen erstaunten Pfiff. „Lars, das ist kein Meteor. Der Umriß ist zu ebenmäßig." „Was ist es denn dann?" „Bin Raumschiff!" „Was?" Menson'lehnte sich weiter über den Lautsprecher. „Bist du dir sicher?"
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„Denkst du, ich weiß nicht, wie ein Schiff aussieht? Natürlich bin ich mir sicher." Bin dumpfer metallischer Klang ließ sich vernehmen. „Ich bin gerade auf der Hülle gelandet." „Welches Kennzeichen trägt es denn? Ist es eines von uns oder eines vom Matriarchat?" „Ich weiß es nicht." Wendis Stimme klang verwirrt. „Ich kann keinerlei Kennzeichen entdecken. Ich kann noch1 nicht einmal den Schiffstyp identifizieren, wenigstens habe ich noch niemals so einen gesehen." „Beschreibe es." Menson gab sich Mühe, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. .Wie sieht es denn aus?" „Es ist etwa sechzig Meter lang. Sehr schmal, viel zu schmal, um ein Transporter zu sein. Sieben Turbinen, aber keine Steuerdüsen. Drei große Leitflächen. Kein Anzeichen einer Landekufe oder rotierender Düsen. Die Hülle ist zerfetzt." Wendis schluckte. „Menson! Das Ding ist uralt!" „Bist du verrückt? Warum soll es denn alt sein?" „Darauf weiß ich keine Antwort, aber ich weiß, wie sich die Strahlung nach einem Jahrhundert oder mehr auf das Metall auswirkt. Die Hülle ist über und über mit Löchern besät. Sie ist fast zerfallen, und das bedeutet, daß das Schiff sehr alt sein muß." Wendis schluckte wieder. „Menson. Könnte das das Schiff einer fremden Rasse sein?" „Ich zweifle daran. Nach deiner Beschreibung zu urteilen, muß es sich um eines der ersten Schiffe handeln, mit denen man herumexperimentiert hat. Wahrscheinlich ist es eine Testrakete, die aus irgendeinen Grund außer Kurs gekommen ist." „Ich verstehe." Wendis schien enttäuscht zu sein. „Ich hatte gehofft, daß wir drinnen irgend etwas finden würden, irgendeine Waffe oder eine Maschine, die uns gegen das Matriarchat geholfen haben würde. Wenn es nur eine der alten automatischen Raketen ist, hat sie nicht viel Wert für uns."
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„Fünfzig Tonnen Beryllium sind immer wertvoll", erinnerte ihn Menson. „Mach die Leine fest und komm zurück." „Du hast recht." Schwach konnte man das Geräusch vernehmen, wie er an der Hülle arbeitete, indem er das Schleppseil an das alte Metall schweißte. Er keuchte schwer, als ob er seine ganze Kraft dazu hergeben würde, und Menson runzelte die Stirn, während er sich vorzustellen versuchte, was sein Partner tat. .Ich versuche den Riß in der Hülle weiter zu machen. Ich habe das Schleppseil festgemacht, und so zerfallen wie das Metall ist, dürfte es nicht schwer sein, die Außenhülle aufzukriegen. Ich bin neugierig, wie es drinnen aussieht." Er stöhnte wieder, während er die zerfetzte Kante ergriff und an dem dünnen Metall zerrte. „Heiliger Strohsackl" „Was ist denn los?" Menson erhob seine Stimme, während er die Frage kurz hervorstieß. „Was hast du gefunden?" „Du hattest unrecht, Menson", sagte Wendis unruhig. „Das ist keine der alten automatischen Raketen." „Nicht? Was ist es denn dann?" „Eine bemannte Rakete." „Unmöglich! Die ersten bemannten Schiffe haben nicht so ausgesehen wie das, was du beschrieben hast, und außerdem sind sie alle registriert." „Nicht alle, Menson." „Was meinst du damit?" „Ich meine, daß irgend jemand sich die Mühe machen muß, die Geschichtsbücher zu revidieren. Dies ist ein bemanntes Raumschiff, und wenn ich etwas von Metallen verstehe, dann ist es ungefähr zweihundertfünfzig Jahre alt. Soweit ich mich entsinnen kann, haben die ersten bemannten Schiffe vor hundert Jahren nur den Mars erreicht und den Mond vor ungefähr hundertzwanzig Jahren." „Das stimmt." 76
„Das stimmt nicht. Wir können es beweisen." „Wie denn?" .Mit diesem Schiff." Wendis seufzte, und das Geräusch kam deutlich über den Lautsprecher. „Es ist ein bemanntes Schiff, daran gibt es keinen Zweifel. Es muß die Erde vor mehr als zwei Jahrhunderten verlassen haben." „Das kann nicht möglich sein. Man kannte damals den Schutzschirm noch nicht. Täuschst du dich auch nicht?" „Nein. Dies ist ein bemanntes Schiff, Lars. Ich weiß es. Der arme Teufel sitzt noch immer in seinem Kontrollsessel." „Was?" „Hast du nicht gehört? Der Pilot ist immer noch im Schiff. Tot natürlich, erfroren. Er muß gestorben sein, als die Luft durch den Riß in der Hülle entwich, aber..." Wendis brach ab, und Menson griff nach der Steuerung. »Komm sofort zurück", rief er. „Ich spreche sofort mit dem Mars." Angespannt justierte er die Steuerung.
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VIII. Kapitel Das Zentrum des Mars lag im Bett eines längst vertrockneten Meeres und war ungefähr dreihundert Meilen vom Nordpol entfernt. Es sah wie immer aus, eine zusammengedrängte Ansammlung von kuppelartigen Ziegelsteinbauten, hergestellt aus dem chemisch bearbeitenden Sand des ausgetrockneten Planeten. Im Laufe der Jahre war die Siedlung größer geworden, und trotz des leichten Zuwachses der Bevölkerung sah das Ganze dennoch wie eine vorübergehende Sache aus, als ob seine Bewohner schon immer gewußt hätten, daß sie eines Tages wieder fortgehen müßten. Fünf Meilen von der Siedlung entfernt, erhob sich der gedrungene Atommeiler aus dem Staub. Etwa eine Meile südlich des dicken Kabels, das von der Siedlung zu den stillgelegten Maschinen der Raffinerie verlief, lag das beleuchtete Gebiet des Landungsfeldes mit seinem hohen Kontrollturm. Kein Anzeichen für bebautes Land war zu sehen, denn es existierte keines, da der radioaktive und sterile Sand des Mars nicht ein einziges Grashälmchen hervorgebracht haben würde. An seiner Stelle erhob sich der Aluminiumbau, der synthetischen Nahrungsmittelfabrik über die kuppelartigen Wohnviertel, während das zweitgrößte Gebäude des Planeten das Krankenhaus war. Der Mars war ein öder Planet. Dr. Lasser zitterte etwas, als der frühe Nachtfrost seine dicken Kleider durchdrang, und schaute unwillig auf seinen fettlosen Körper. Er war ein alter Mann, schlank, dessen hagere Gesichtszüge die Bitterkeit in seinem Herzen verrieten und dessen eingefallene Augen die innere Pein widerspiegelten. Er blieb einen Moment stehen und sah zu, wie die Sonne am Horizont versank. Er zuckte mit den Schultern und schritt durch die Doppeltür des Hospitals.
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„Dr. Lasser!" Aus einer Gruppe von drei Männern kam einer auf ihn zu. „Ich freue mich, daß Sie so früh gekommen sind." „Warum denn, Carter? Haben Sie es so eilig, von hier wegzukommen? Der alte Mann gab sich keine Mühe, seinen Sarkasmus zu verbergen, während er seinen Assistenten, den einzigen Arzt außer ihm auf dem Mars, ansah. Carter errötete. „Sie mißverstehen mich, Lasser. Es wäre vielleicht besser, wenn Sie sich Ihr Urteil aufheben würden, bis Sie gehört haben, was diese Männer Ihnen zu sagen haben." „Wer sind Sie?" „Wendis und Menson. Zwei Metallsucher auf dem Asteroiden. Sie sind eben angekommen. Erinnern Sie sich ihres Berichtes, den sie vor zwei Tagen über den Sender gehen ließen." „Ja." Lasser betrachtete die beiden Männer. „Wann sind Sie angekommen?" „Vor einer Stunde." Wendis schaute auf seinen Partner. „Von welchem Bericht sprechen Sie?" .Ich habe ihnen über unseren Fund berichtet. " Menson blickte zu der großen, schlanken Gestalt des alten Arztes. „Und, Doktor, können Sie es tun?" Lasser biß sich auf die Lippen. „Wie kann ich das beantworten? Ich hab' ihn ja noch nicht einmal gesehen, und abgesehen davon, was veranlaßt Sie, es für eine gute Idee zu halten, selbst wenn es möglich wäre?" „Kann es da einen Zweifel geben?" Carter schaute verwundert auf seinen Vorgesetzten. „Was könnten wir sonst tun? Als Aerzte ist es unsere Pflicht, und selbst wenn wir diese Pflicht ignorieren würden, gibt es noch einen anderen Grund." Ja?" .Wenn Sie selbst noch nicht daran gedacht haben, werde ich es Ihnen auch nicht sagen." Der junge Mann schien nah daran, zu explodieren. „Was ist mit Ihnen los? Was hat Sie in den letzten 79
Tagen so verändert? Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo Sie hell begeistert gewesen wären, wenn Sie die Gelegenheit gehabt hätten, das zu tun, was wir jetzt vorhaben." „Das fragen Sie mich?" Zwei rote Flecken erschienen auf seinen eingefallenen Backen, und seine eingefallenen Augen leuchteten. „Sie haben die Befehle der Matriarchin gehört. Sie haben das Ultimatum gehört. In zwei Wochen müssen wir den Mars evakuieren. In zwei Wochen wird eine hundert Jahre alte Hoffnung begraben und der Kampf umsonst gewesen sein. Sie wissen, was ich dabei empfinde. Können Sie sich da eine Sache vorstellen, an der ich Interesse haben könnte?" Er wandte sich ab und zog seinen dicken Mantel aus. „Für die jungen Männer bedeutet das nichts. Sie begrüßen wahrscheinlich die Gelegenheit, von hier fortzukommen und auf die Erde zu gehen mit dem ganzen Komfort, den dieser Planet bietet. Dinge, wie Patriotismus, Loyalität gegenüber den alten Wunschträumen, Unabhängigkeit, alle diese Dinge bedeuten ihnen nichts." „Sie haben unrecht, Lasser, sehr unrecht." Carter betrachtete den alten Mann. „Wir fühlen genauso wie Sie, und wenn auch nur die geringste Chance bestünde, die Ketten zu brechen, die uns an die Erde fesseln, würden wir es tun. Aber nun genug davon. Wollen Sie ihn jetzt sehen?" „Ich glaube, ich muß." Lasser sah zu Menson. „Ihr Bericht gab an, daß sie ihn in einem Schiff sehr alter Bauart gefunden haben, die seit mehr als zweihundert Jahren vergessen ist. Ich nehme an, daß Sie wissen, was Sie da behaupten." „Jawohl." „Der Pilot des Schiffes war die ganze Zeit über tot. Er ist vor dem Atomkrieg geboren worden und hat keine Ahnung, was seitdem geschehen ist. Dennoch schlagen Sie vor, ihn zum Leben wiederzuerwecken." „Ja." „Warum?" Menson schaute auf den alten Mann und hielt das halb für einen Scherz. „Meinen Sie das im Ernst?" 80
„Natürlich." Lasser seufzte etwas, während er den jungen Metallsucher betrachtete. „Ich bin ein alter Mann, Menson. Ich sehe die Dinge von einer anderen Warte als ihr jungen Leute. Wäre es menschlich, ihn zurückzubringen? Er hat den Tod schon einmal kennengelernt. Haben wir das Recht, ihn zu zwingen, ihm noch einmal ins Auge zu sehen?" „Ich glaube, ja." Menson betrachtete den großen Arzt ernst. „Es stimmt, daß er gestorben ist, aber es war kein natürlicher Tod. Er muß ein junger Mann gewesen sein, als es geschah. Abgesehen davon, könnte er uns viel von dem erzählen, was vor dem Atomkrieg geschah. Ich glaube, Sie sollten Ihr Bestes tun." „Ich verstehe. Ist er hier?" „Ja. Wir haben ihn tiefgekühlt. Das Schiff beschreibt eine Kreisbahn um Demios. Wir können es jederzeit holen, aber ich dachte, es wäre besser, wenn wir uns zuerst um ihn kümmern würden. " „Na schön. Ich werde ihn untersuchen." Lasser blickte auf seinen Assistenten, und zusammen mit den beiden Metallsuchern gingen sie in das Laboratorium, das mit blitzenden Apparaten, Hunderten von Medikamenten und chirurgischen Instrumenten ausgefüllt war. Sorgfältig hob Carter ein Tuch von einem hochwandigen Metallsarg, und sie blickten gebannt auf das, was einst ein lebender Mensch war. „Der Tod trat durch eine Pulsstockung und die plötzliche Kälte ein. Die Wunde an seinem Arm ist unbedeutend. Das Blut an seinem Körper scheint von dieser Wunde zu stammen. Natürlich sind einige Karpillaren zerstört worden, was auf den plötzlich mangelnden Druck zurückzuführen ist." „Glauben Sie, daß wir ihn wiederbeleben können?" „Ich weiß es nicht", sagte Lasser nachdenklich. „Es kommt auf so viele Dinge an. Ob sein Blut geronnen ist, oder ob innere Organe durch den Druckabfall zerstört worden sind..." Er zuckte 81
mit den Schultern. „Es sind wohl schon Menschen, die im Weltraum gestorben sind, wiedererweckt worden, aber auf jeden, der ins Leben zurückgebracht worden ist, kommen zwei, die bei der Behandlung gestorben sind. Darüber hinaus, und das dürfen wir nicht vergessen, ist er über zwei Jahrhunderte lang der freien Strahlung ausgesetzt gewesen. Sie muß irgendeine Spur bei ihm hinterlassen haben. Welche, das können wir uns noch nicht einmal vorstellen, aber das bedeutet einen zusätzlichen, unbekannten Faktor." „Der Zeitfaktor ist nicht so bedeutend", protestierte Carter. „Der Raum ist steril. Als er starb, fror jede seiner Zellen sofort ein. Irgendeine Entartung kann nicht eingetreten sein, denn er sieht noch genauso wie am Tage seines Todes aus." „Abgesehen von dem Auswirkungen der Strahlung", wendete Lasser ruhig ein. „Aber über das Fehlen einer Entartung stimme ich mit Ihnen überein." Er seufzte und betrachtete die anderen Männer. „Wir können anfangen. Die übliche Prozedur?" Carter nickte. „Ja. Eintauchen in eine Flüssigkeit, deren Temperatur kontrolliert wird. Langsames Auftauen, um innere Schäden zu vermeiden. Wirbelströmungen und elektronische Wellen um eine gleichmäßige Erwärmung zu gewährleisten. Energiefluß, um die Zellen wieder zu beleben. Stimulie für das Herz, künstliche Atmung, Herzmassage usw. Vielleicht haben wir Pech, aber wenn nicht..." .Ein Toter wird wieder leben." Lasser warf einen Bück auf die beiden Asteroiden Metallsucher. „Sie kehren am besten zu ihren Pflichten zurück. Wir brauchen hierfür eine ganze Weile. Wir müssen seinen Geist sehr sorgfältig ins Bewußtsein zurückrufen, damit der Nervenschock ihn nicht unwiederbringlich tötet." Wendis zögerte, und Menson blickte zu Carter. „Ich möchte, daß Sie dableiben", sagte der junge Arzt gelassen, „fetzt, da das Ultimatum in zwei Wochen abläuft, gibt es keinen Grund für Sie, Ihre Arbeit fortzuführen." Er zögerte und blickte 82
auf den alten Mann. „Ich kann Sie hier gut gebrauchen",1 sagte er abrupt. „Wir haben noch eine Menge zu tun, bevor wir von hier weggehen." Lasser nickte, denn jetzt, da der Traum seines Lebens, ein unabhängiger Mars, zu Ende war, kümmerte er sich nicht mehr intensiv um andere Dinge, und beugte seinen Körper über den Sarg. Vorsichtig befühlte er das kalte Fleisch, das eisenharte, festgefrorene Fleisch eines Mannes, der seit mehr als zwei Jahrhunderten tot war. Sorgfältig stellte er den Energiefluß ein, justierte eine Reihe von Vernier Steuerungen und öffnete langsam ein Ventil. „Kopfstütze und Gesichtsmaske!" Carter hob die Stütze unter dem Kopf des Toten und stülpte eine Maske über die verzerrten Gesichtszüge. „Fertig!" Lasser nickte, und eine grün schillernde Flüssigkeit schoß aus dem Ventil in seihe Hand. Lichter flammten auf, und von einer gedrungenen Maschine kam das leise Summen gebändigter, kontrollierter Kraft. Der Kampf um das Leben hatte begonnen. Es dauerte drei Tage, drei Tage, in denen die Temperatur der grünen Flüssigkeit langsam auf über Bluttemperatur gebracht wurde, in denen die unsichtbaren Wellen elektronischer Wirbelströmungen den toten Körper vollständig erwärmten, die kleinen Eisteilchen jeder Zelle auftauten und die steifen Glieder entspannten. Maschinen schalteten sich zu einem vorher genau berechneten Zeitpunkt ein. Eine künstliche Lunge pumpte fast reinen Sauerstoff in die schlaffe Brust. Injektionen unter die Haut enthielten Reiz-mittel für Nerven und Muskeln. Carter wich nicht von seinem Patienten. Seine ständige Aufmerksamkeit galt dem Energien-Generator, dessen Stromfluß jeder einzelnen Zelle neue Lebenskraft gab. 83
Aber dei Körper reagierte immer noch nicht. Lasser, dessen Züge von der Anstrengung und seinen Sorgen gezeichnet waren, starrte auf den Metallsarg. Der völlig in die grün schillernde Flüssigkeit eingetauchte Mann vor ihm schien eine Travestie des Lebens durchzumachen. Die künstliche Lungti hob und senkte den Brustkorb. Ein Aggregat hielt den Blutkreislauf aufrecht. Es sah aus, als wollte der Mann jeden Moment aufstehen und die Maske von sich werfen. Aber der alte Arzt wußte genau, wenn die Maschinen aufhören würden, zu arbeiten, daß der Mann dann endgültig sterben und es dann für ihn wirklich kein Zurück mehr geben würde. „Wie hoch ist der Energien-Prozentsatz?" „Zehn Prozent über normal, um einen extra Stimulus zu gewähren." Carter rieb sich seine übermüdeten Augen. „Körpertemperatur fast normal, Salzgehalt normal, Zirkulation um fünfzehn Prozent angestiegen; Luftzufuhr fast reiner Sauerstoff. Zum Teufel, Lasser, der Mann müßte längst wieder leben." „Irgendwelche Muskelreaktionen?" Der alte Mann ignorierte den Unwillensausbruch seines Assistenten. „Die motorischen Nerven reagieren. Automatische Reaktionen keine." „Gut." Lasser kniff die Lippen zusammen und betrachtete den Patienten. „Legen Sie das Herz frei", befahl er. „Wir werden es mit direkter Massage und Elektroschock versuchen. Wenn wir ihn nicht bald dazu bringen, aus eigener Kraft zu atmen, können wir es genauso gut aufgeben. Die Veränderung der motorischen Nerven muß schon begonnen haben. Wir dürfen nicht länger warten. " Carter nickte und griff nach einem großen Skalpell. Es dauerte zehn Stunden, zehn Stunden, in denen die steril behandschuhten Hände des alten Arztes das Herz des Toten im Rhythmus des Pulses massierten. Carter stand neben ihm, jeden Moment auf dem Sprung, einzuspringen, falls Lasser bei seiner 84
delikaten Aufgabe ermüden sollte. Er injizierte intramuskulär Stimuli und ließ die Instrumente nicht aus den Augen. Endlich begann das Herz zu schlagen, hörte wieder auf, schlug wieder und begann zuerst ganz schwach und dann immer kräftiger die Aufgabe der Pumpe zu übernehmen. Erschöpft lehnte sich Lasser zurück und beobachtete, wie Carter den Brustkasten wieder zunähte. „Wenigstens arbeitet sein Körper wieder", sagte er müde. „Wenn der Schock bei seinem Tode den Geist nicht angegriffen hat, müßte er sich erholen." „Soll ich die künstliche Atmung abstellen?" „Noch nicht. Wir müssen sein Herz so lange wie möglich entlasten, bis seine Lungen wieder arbeiten. Das ist unsere nächste Aufgabe." „Sollen wir die Schocktherapie anwenden?" „Nein. Die Gefahr, daß sein Gehirn dabei Schaden nimmt, ist zu groß. Versuchen Sie ihm psychische Schmerzen zu bereiten, und beachten Sie genau die Vorschrift. Sie wissen, was Sie zu tun haben." Bedächtig zog der alte Mann seine Handschuhe aus. „Lassen Sie mich rufen, wenn er zu sich kommt." Carter nickte und war innerlich schon bei dem Problem, das Bewußtsein und den schlafenden Verstand des Patienten zu wecken. Es war immer das gleiche schwierige Problem. Der Tod schien mehr zu sein als nur der Stillstand des Herzens. Eine noch wichtigere Rolle spielte das nicht meßbare elektrische Potential des Gehirns. Menschen, die wußten, daß sie gestorben waren, konnte man nicht wiederbeleben. Eine geistige Schranke wehrte sich dagegen, das Bewußtsein wiederzuerlangen, und obwohl der Körper lebte, schlief der Geist. Ohne das Erwachen der Persönlichkeit, blieben sie im Zustand der geistigen Umnachtung oder fielen sogar in völlige Bewußtlosigkeit zurück. 85
„Wer sind Sie?" Carter sprach durch ein Mikrophon. Seine Worte erreichten die Ohren des Patienten durch die Ohröffnungen der Maske. Während er seine Frage stellte, drückte er auf einen Knopf, und Elektrizität strömte in die Sinnesnerven des toten Gehirns. „Wer sind Sie?" Wieder die Frage, wieder ein Stromimpuls. „Wer sind Sie? Wer sind Sie? Wer sind Sie?" So ging es stundenlang, so lange, bis Carter den Klang seiner eigenen Stimme haßte, bis er über und über in Schweiß gebadet war und seine Hände beim Einstellen der Impulse zitterten. Er erwartete keine Antwort. Er hoffte im Höchstfall darauf, daß der Mann reagieren und zu Bewußtsein kommen würde. „Wer sind Sie?" Es war ein direkter Appell an das Ego, eine Herausforderung des Ichs, ein Ruf aus dem Licht des Lebens in das Dunkel des Todes. „Wer sind Sie?" Behutsam, Stück für Stück, stellte Carter die künstliche Atmung ab. Wenn sein Patient anfangen sollte, zu leben, dann mußte es jetzt sein, und je eher der Körper seine Funktionen selber übernahm, desto besser. In panischem Schrecken blieb Carter fast das Herz stehen, als das gleichmäßige Heben und Senken des Brustkorbes aufbohrte, aufhörte, zögerte und dann flatternd langsam wieder einsetzte. Der Mann atmete. Rasch entfernte er die Maske, setzte den Kopfhörer direkt an, und neue Kraft belebte seine Stimme, während er die monotone Frage wiederholte. „Wer sind Sie?" Der Mann zuckte. Sein Mund krampfte sich zusammen, und seine Arme schlugen aus. „Wer sind Sie?" „Ro . . ." Die Stimme erstarb in einem Gurgeln. „Wer sind Sie?" 86
„L ... y ... n ..." Es klang wie eine verkratzte Platte. Der innere Schmerz klang daraus hervor. Er krümmte sich erneut. Seine Lippen standen halb offen, und seine Muskeln zuckten unter der doppelten Anreizung durch die Stimme und den Strom. „Rosslyn .. . Rosslyn . .. Rosslyn." Carter strahlte vor Freude und Genugtuung. Um sicher zu gehen, mußte er jedoch grausam sein, damit die Tatsache des Ichbewußtseins nicht wieder aus dem gepeinigten Verstand wich. Er drückte wieder auf den Knopf, der den Strom auslöste. „Wer sind Sie?" „Rosslyn..." Eine entsetzliche Müdigkeit schien die Stimme hinwegzunehmen. Carter biß sich auf die Lippen und drehte an dem Generator. „Wer sind Sie?" „Rosslyn. Curt Rosslyn. Lassen Sie mich in Ruhe, ja. Lassen Sie mich in Ruhe." Carter lächelte und nahm das Mikrophon vom Kopf des Patienten. Sorgfältig schnallte er den steifen Körper fest und vergewisserte sich, daß der Patient sich keinen Schaden mehr zufügen konnte. Die sterilisierenden Lampen ließ er brennen und verließ das Zimmer. „Rosslyn", murmelte er, wähend er auf das Zimmer von Lasser zuschritt. „Ich möchte wissen, wer er war." Erschöpft weckte er seine Ablösung.
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IX. Kapitel Curt Rosslyn saß in einem Stuhl und schaute mit verwunderten Augen auf die Sandwüste des Mars. Durch die transparente Plastikkuppel des Krankenhauses sah er die Ansiedlung vor sich liegen. Die schmalen Straßen waren mit geschäftigen Männern und Frauen belebt, die dabei waren, die letzten Vorbereitungen für die Evakuierung zu treffen. Lasser, dessen schlanke Gestalt in einen Overall gezwängt war, schritt auf das Gebäude zu, während ein Wagen die Straße herunterraste und den sandigen Staub aufwirbelte. Carter folgte ihm auf dem Fuß, und Curt, der selbst nach zehn Tagen unter der heilenden Bestrahlung der Lampen des Krankenhauses immer noch schwach war, wartete ungeduldig darauf, daß sie zu ihm ins Zimmer traten. „Na, Curt?" Carter lächelte, während er sich den Staub von seinem Overall klopfte. „Wie geht es Ihnen heute?" „Nicht schlecht. Aber meine Brust schmerzt noch." .Nun, das ist kein Wunder, wenn Sie bedenken, daß wir den halben Brustkorb entfernen mußten, um Ihr Herz zu massieren." Lasser seufzte, während er sich in einen Stuhl fallen ließ. Der alte Mann schien in den letzten Tagen sehr gealtert zu sein. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Die pergamentartige Haut hatte eine ungesunde Röte bekommen. „Ob Sie fit sind oder nicht, morgen geht es los." „So schnell?" Curt schaute wieder auf die Marswüste hinaus. „Müssen wir? Würde es nicht möglich sein, daß ich mir den Planeten zuerst einmal ansehen darf?" Er lächelte entschuldigend. „Denken Sie daran, daß ich nur versuchte, den Mond zu erreichen, als..." Er stammelte, und Carter, der ihn verstanden hatte, nickte. „Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, Curt, aber Sie müssen versuchen, das Geschehene hinzunehmen. Sie sind auf Ihrer Fahrt gestorben, und wenn Sie sich nun weigern, diese Tatsache
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anzuerkennen, könnte sich ein pychologisches Trauma bilden, das zu ernsthaften Komplikationen führen könnte." „Danke", sagte Curt und atmete tief. „Ich bin gestorben, bevor ich den Mond erreichen konnte. Zu meiner Zeit war die Reise zum Mars nur ein Wunschtraum. Nun bin ich durch ein Wunder wirklich hier angekommen, und es sieht so aus, als ob ich ihn niemals sehen würde. Können Sie die Evakuierung nicht verzögern?" „Nein", sagte Lasser knapp, und Curt errötete. „Vielleicht hätte ich nicht fragen sollen", sagte er ruhig. „Ich habe nicht daran gedacht, daß Sie nicht verstehen können, wie mir dabei zumute ist." „Verstehen Sie ihn nicht falsch, Curt." Carter stand auf und schaute hinaus. „Wenn Lasser die Möglichkeit dazu hätte, würde weder er noch irgendein anderer hier weggehen. Aber wir haben keine Wahl." „Wegen der Versorgung?" „Ja. Sie wissen darüber Bescheid?" „Menson hat es mir erzählt. Aber ich habe es nicht ganz verstanden. Sie sind über hundert Jahre hier gewesen, und es muß Billionen gekostet haben, diese Siedlung zu errichten. Ich sehe wohl ein, daß sie sich nicht allein bezahlt machen kann, aber einfach alles aufzugeben, erscheint mir wieder unsinnig. Warum schickt man nicht einfach genügend Ausrüstung, damit die Kolonie sich allein erhalten kann?" „Warum?" Lasser betrachtete den jungen Mann. „Ich werde Ihnen erzählen, warum. Man will uns hier nicht haben, darum. Sie wollen uns wieder auf der Erde haben, damit Sie uns kontrollieren können wie alle anderen auch. Hier draußen sind wir zu unabhängig. Die Matriarchin will das nicht." „Die Matriarchin?" Curt runzelte die Stirn und schaute auf Carter. „Ich fürchte, ich muß eine ganze Menge lernen. Als ich ..." Er machte wieder eine Pause und sagte dann fast 89
entschuldigend: „Als ich starb, gab es kein Matriarchat. Soll das heißen, daß jetzt Frauen regieren?" „Ja. Carter wandte sich mit einem gequälten Ausdruck vom Fenster ab. „Die Frauen haben die Herrschaft nach dem Atomkrieg, der ungefähr zwanzig Jahre nach Ihrem Tod stattgefunden haben muß, übernommen. Eine östliche Gruppe von Nationen hat damals die Atomwaffen angewandt. Der Westen unterlag natürlich. Er hatte nicht die geringste Chance. Aber der Sieg war sinnlos. Man hatte radioaktiven Staub angewandt, der sich mit dem Wind und durch den Regen überall hin ausbreitete, und der Sieger litt genauso wie der Unterlegene. Man erzählte sich, daß damals über tausend Millionen Menschen gestorben sind und noch lange Zeit danach ein Großteil des fruchtbaren Bodens eine radioaktive Wüste gewesen ist." „So hat er also doch stattgefunden", flüsterte Curt schwach. „Wir hatten uns schon zu meiner Zeit immer davor gefürchtet. Aber wie ist es denn dazu gekommen, daß Frauen herrschen?" „Lange Zeit, ich glaube, es ist über fünfzig Jahre gewesen, daß die Männer unter den Degenerationserscheinungen gelitten haben. Männliche Babys waren für Mutationsveränderungen mehr anfällig, als weibliche, und die Sterbequote war eins zu drei zugunsten der Mädchen. Natürlich war es unvermeidlich, daß bei einem derartigen Uebergewicht an Frauen, nachdem bei Männern, die schwach und deren pysische und geistige Erbanlagen durch Radioaktivität besonders beeinträchtigt waren, ein Matriarchat kommen mußte. In der Zwischenzeit hat sich natürlich das Gleichgewicht der Geschlechter wieder eingespielt, und die Männer sind nicht mehr schwach. Aber es ist schwer, die alten Formen zu brechen." „Das ist es nicht allein, Carter." Lasser sprang nach vorn, während er auf seinen Assistenten starrte. „Obwohl Frauen schlecht regieren können, ist ein Matriarchat als solches gar nicht so schlecht. Aber es ist nicht nur die Gewohnheit, die die Menschen unter Kontrolle hält." 90
„Ich weiß das, aber es wäre dennoch möglich, sie mit dem, was sie haben, zu stürzen." „Wollen Sie das?" Curt betrachtete die beiden Männer. „Geht das nicht ein bißchen zu weit? Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist, wenn Sie gezwungen werden, Ihre Heimat aufzugeben. Aber ist das ein Grund, die Rebellion herbeizuwünschen?" .Rebellion?" Lasser lächelte, aber sein Gesicht zeigte keine Spur von Humor. „Nein, Curt, wir sprechen nicht von Armeen, Kanonen,. Flotten und Bürgerkrieg. Wir denken an eine Rebellion der Ideale. Wir wollen den Zwang aufheben, der allen Ehrgeiz und jeden Fortschritt im Keime erstickt." Er zeigte auf die Wüste. „Schauen Sie doch einmal hinaus. Seit mehr als hundert Jahren haben wir versucht, diesen Planeten in einen Platz zu verwandeln, wo Menschen leben können. Aber umsonst. Etwas anderes: die Räumfahrt ist uns seit mehr als zweihundert Jahren bekannt. Das erste Raumschiff hat den Mond kurz vor dem Atomkrieg erreicht, und man hat dort das erste Observatorium erbaut, fünfzig Jahre, ehe man den Mars erreichte. Seit dieser Zeit sind wir nicht mehr weitergekommen. Wir haben uns auf dem Mars niedergelassen, Venus gestreift, uns dem Merkur genähert und damit ist Schluß. „Ist das alles?" Curt runzelte die Stirn. „Bei dieser vielen Zeit, die man gehabt hat, um Fortschritte zu machen ..." „Das ist alles." Lasser triumphierte. „Inzwischen hätten wir Pluto erreichen, einen Hyperdrive entwickeln, uns auf die neuen Welten jenseits des Pluto begeben und Kolonien auf Alpha Centauri errichten müssen. Nichts von alledem ist geschehen." „Aber warum nicht?" „Comain." Lasser spie das Wort wie einen Fluch aus. .Was?!" Curt kam von seinem Stuhl hoch, und erst als die Schmerzen in seiner Brust gegen diese Bewegung protestierten, sank er zurück. „Comain. Kann es möglich sein, daß er immer
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noch lebt? Ich kannte ihn. Wir waren Freunde, aber was hat das damit zu tun?" „Er?" Lasser runzelte die Stirn. „Wovon sprechen Sie?" „Von Comain natürlich. Sie haben ihn erwähnt. Lebt er noch?" „Er? Ich spreche nicht von einem Mann." „ Dann..." Curt schaute hilflos auf den alten Mann, und die tausend Dinge, die er alle nicht kannte, fielen ihm wieder ein, die klaffende Lücke, die zwischen ihm und den anderen lag, eine Lücke von zweieinhalb Jahrhunderten. Carter drehte sich um und betrachtete den jungen Mann. „Comain ist eine Maschine", erklärte er ruhig. „Eine riesige Maschine, die das Geschick der Erde und jedes Mannes und jeder Frau darauf buchstäblich kontrolliert. Die Matriarchin stützt sich in allen Dingen diarauf, und deshalb müssen wir auf die Erde zurückkehren." .Eine Maschine!" Curt sank in seinen Stuhl. „Ich hatte gehofft..." Er schüttelte seinen Kopf. „Komisch. Comain war der letzte Mensch, mit dem ich sprach, ehe der automatische Antrieb losfeuerte und die Hülle auseinanderriß. Ich hatte ihn wegen seines falschen Entwurfs verflucht, und es tut mir heute leid, denn es war eigentlich nicht seine Schuld. Er schaute zu Carter. „Aber warum Comain? Warum benennen Sie eine Maschine nach einem Mann?" Carter zuckte mit den Schultern. „Wahrschein-lich nach dem Mann, der Sie erfunden hat. Die Legende erzählt, daß er vor dem Atomkrieg gelebt hat, und daß diese Maschine die Ursache allen Uebels war. Die angreifenden Nationen hatten ihn finanziert. Er und seine Teufelsmaschine hatten vorausgesagt, daß sie den Krieg gewinnen würden. Er.. ." Der junge Mann brach ab und schien zum erstenmal zu bemerken, wovon er sprach. .Comain. Sie haben gesagt, daß Sie ihn kannten. Lasser, haben Sie das gehört?"
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„Ja." Der alte Mann starrte Curt an. „Sie sagen, daß Sie ihn gekannt haben? Sie kannten ihn?" „Ich kannte einen Mann, der Comain hieß. Wir wuchsen zusammen auf, gingen zusammen zur Schule und versuchten beide, die Sterne zu erreichen, als ob wir eins wären." „Könnte es möglich sein? Und doch, warum nicht? Es war ein Wunder, daß wir Sie gefunden haben, Sie wiedererweckt haben. Warum sollte es nicht noch einen dritten Zufall geben. Sind Sie sich ganz sicher, daß Sie Comain kannten?" „Ja." Curt errötete, während er den alten Mann betrachtete. .Ich habe ihn gut gekannt. Er war ein sehr kluger Mann. Er sprach oft über den Wert der Kybernetik. Ich kann mich erinnern, daß er, kurz bevor ich zum Mond startete, zu mir über eine Maschine sprach, die Daten assimilieren und daraus eine Vorhersage von hoher Wahrscheinlichkeit geben konnte. Es war keine neue Idee, aber er hatte bestimmte Richtlinien, nach denen er sich richten wollte. Er hatte vor, das Problem sofort in Angriff zu nehmen, sobald ihm die Möglichkeiten dazu gegeben waren." Er schaute in die angespannten Gesichter der beiden Männer. „Ist das denn so wichtig?" „Es könnte sein", sagte Carter langsam, und er sah den alten Mann mit einem eigenartigen Ausdruck an. „Als wir Sie fanden, hatte ich eine unbestimmte Vorstellung davon, daß Sie uns in irgendeiner Art nützlich sein könnten, und jetzt..." Er kniff seine Augen gedankenvoll zusammen und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. „Lasser! Können wir ihn unbemerkt auf die Erde bringen?" „Ich weiß es nicht." Der alte Mann schaute Curt verwundert an. „Warum?" „Sie wissen, wie Comain arbeitet. In seine» Speichern ruht das gesamte Wissen und alle der Menschheit bekannten Informationen. Darüber-hinaus hat sie jeden lebenden Menschen auf der Erde und auf dem Mars erforscht und registriert. Jeden, denken Sie daran, jeden." 93
„So?" „Die Voraussagen beruhen auf der Vielzahl der bekannten Faktoren. Das Alter, die Höhe, das Geschlecht, die Farbe, die Eigenheiten, den ESP-Faktor jedes einzelnen Menschen. Jedes Menschen, denken Sie daran. Diese Maschine hat genaue Details über alles Bekannte. Fast bis zur Unendlichkeit. Deswegen will die Matriarchin uns wieder auf der Erde haben. Wir sind hier zu unabhängig, zu gefährlich, da wir etwas Unvorhergesehenes tun könnten. Comain hat nicht genügend Informationen von uns, vom Mars oder vom Weltraum, um eine Vorhersage, deren Wahrscheinlichkeit sechzig Prozent übersteigt, geben zu können, über das, was wir tun können. Das beeinträchtigt notwendigerweise auch die Voraussagen auf der Erde. Obwohl wir so entlegen sind, sind wir dennoch ein Ungewisser Faktor, der genügend Spielraum für Zweifel läßt. Sobald wir auf der Erde und unter der Aufsicht von Comain sind, wird der Wahrscheinlichkeitsfaktor bei Voraussagen neunundneunzig Prozent mit neun Neunen hinter dem Komma betragen. Mit anderen Worten, die Matriarche wird das Ergebnis jeder Handlung, jeder Entscheidung und jedes Experimentes, das sie wünscht, schon kennen, bevor es stattgefunden hat." „Ich weiß das alles", rief Lasser ungeduldig. „Es ist nur eine einfache mathematische Rechnung. Wenn ein Mensch oder eine Maschine alles weiß, kann sie aus dieser Kenntnis heraus alles voraussagen." Er lachte humorlos. „Sie kann alles voraussagen, was in Zukunft geschieht, und diese Narren auf der Erde sind so von Comain abhängig, daß Sie ihre Prophezeiungen wahrmachen, nur aus dem einzigen Grunde, weil sie daran glauben, daß das, was vorhergesagt würde, wahr sein muß. Deswegen richten Sie ihre eigenen Handlungen so ein, daß die Voraussagen stimmen." Er betrachtete Curt. „Können Sie mir folgen?" „Ich glaube schon. Zu meiner Zeit hatten wir etwas Aehnliches, und etwas Aehnliches hat schon immer existiert. Die Hohepriester primitiver Stämme machten es so und späterhin die Hexendoktoren. Sie sagten einem Menschen, daß er sterben 94
müsse, und weil er an die Wahrheit dessen, was der Doktor sagte, glaubte, starb er." Curt zuckte mit den Schultern. „Das war natürlich psychologisch bedingt, denn der Mensch starb, weil er davon überzeugt war, sterben zu müssen. Die Sache funktionierte natürlich nicht, wenn das Subjekt dem Hexendoktor keinen Glauben schenkte." „Comain hat nichts mit Psychologie zu tun", sagte Lasser trocken. „Wenn sie voraussagt, daß ein Mann sterben wird, dann wird er sterben. Und es ist noch nicht einmal notwendig, daß ihm diese Voraussage bekannt ist. Comain basiert auf Tatsachen und nicht auf zweifelhaftem Humbug." „Vielleicht", sagte Curt leichthin. „Aber der Glauben, sei es an einen Mann oder an eine Maschine, kann viel ausrichten." „Ja", sagte Carter finster. „Es zwingt uns, den Mars zu evakuieren." Er blickte wieder nach draußen und betrachtete die geschäftig hin und her eilenden Menschen. Curt hatte den Eindruck, als ob es in ihm kochte und gärte. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und wünschte sich, wieder ganz gesund zu sein. In ihm fing ein seltsames Feuer zu brennen an. „Na, Carter? Haben Sie sich schon entschlossen, was wir mit unserem Freund machen wollen? " Lasser seufzte. Er entspannte sich, und ein bitterer Zug trat in seine eingefallenen Augen. Langsam wendete sich der junge Arzt von der dunkler werdenden Szenerie draußen ab. „Können wir ihn auf die Erde bringen, ohne daß Comain davon erfährt?" „Ich glaube schon", sagte Lasser ungeduldig. „Wir sind hier alle registriert, und die Matriarchin weiß, wie viele von uns auf die Erde zurückkehren müssen. Warum?" „Ich habe eine Idee", sagte Carter langsam. „Vielleicht ist es eine verrückte Idee, aber was könnten wir sonst noch versuchen? Hören Sie. Nehmen wir einmal an, daß wir Curt auf die Erde bringen, ohne daß Comain davon erfährt. Er ist nicht registriert, 95
nichts ist von ihm bekannt, und er muß notwendigerweise durch seine bloße Gegenwart die Handlungen anderer beeinflussen." Er betrachtete den alten Mann. „Verstehen Sie mich jetzt?" „Nein. Ich ..." Lasser machte eine Pause, und der Anflug eines Lächelns huschte über seine Züge. „Ja. Bei allen Göttern des Raumes, Carter! Ob'das klappt?" „Was klappt?" Curt betrachtete sie mit einem unbehaglichen Gefühl, aber sie ignorierten ihn, da sie mit ihren eigenen Plänen zu beschäftigt waren. „Es hängt alles davon ab, ob wir ihn unentdeckt zurückbringen können. Wir können die anderen schwören lassen, dichtzuhalten. Wendis und Menson müssen aufpassen. Sie müssen der Registrierung entgehen. Den anderen können wir ja erzählen, daß er gestorben ist." „Ja, das dürfte nicht zu schwer sein." Lasser leckte sich nervös über die Lippen. „Schön. Die Raumschiffe der Matriarchin werden morgen ankommen. Sie werden die normale Besatzung tragen. Jedes Schiff wird einen Metamann an Bord haben. Wir könnten ihn in einem Ballen oder in etwas anderem verstecken und ihn durchschmuggeln." Er sah Carter an. „Es hängt alles davon ab, ob Comain uns bei unserer Ankunft überprüfen wird. Wie ich die Matriarchin kenne, wird das eine der ersten Handlungen sein, die geschehen." „Warum denn?" Curt erhob sich halb aus seinem Stuhl und ignorierte den rasenden Schmerz in seiner wunden Brust. „Ich dachte, daß ihr alle schon registriert seid?" „Das stimmt", sagte Carter trocken. „Aber Lasser hat recht. Die Matriarchin wird darauf bestehen, daß wir sofort nach unserer Ankunft vor Comain kommen. Man wird unsere Daten integrieren müssen, sonst wäre der ganze Grund für die Zurückberufung sinnlos." „Na und? Müssen Sie denn von meiner Existenz erzählen?"
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„Wir können es nicht vor Comain verbergen." Carters Stimme klang besorgt. „Sie müssen wissen, daß diese Maschine unsere Gedanken lesen kann. Es ist unmöglich, sie zu belügen." „Sie kann Gedanken lesen?" Curt ließ sich zurückfallen, und es kam ihm wieder zu Bewußtsein, wie gewaltig die Lücke in seinem Wissen war. „Wie ist denn das möglich?" „Durch Uebertragung des Elektro Potentials," auf die neuronischen Ströme im Gehirn." Der junge Mann lächelte, als er Curts verwundertes Gesicht sah. „Die Gedanken sind ein feines, aber meßbares Netz elektrischen Potentials und variieren von einem zum anderen. Irgendwie, genau weiß ich es selber nicht, kann Comain ein Duplo dieses Potentials in seinen Speicherwerken speichern. Das bedeutet, daß die Maschine alles weiß, was dieser Mensch weiß. Dieser Vorgang ist schmerzlos, vollzieht sich in Bruchteilen von Sekunden und ist dank der Matriarchin unvermeidbar. " „Ich verstehe. Nachdenklich betrachtete Curt seine Verbände. „Können Sie der Maschine nicht irgendwie ein Schnippchen schlagen? Durch Hypnose zum Beispiel?" „Hypnose?" Carter blickte ihn verwundert an. „Was ist denn das?" „Das wissen Sie nicht?" Curt gab sich keine Mühe, seine Ueberraschung zu zeigen. Wollen Sie damit sagen, daß Sie noch nie davon gehört haben? Sie, als Mediziner?" „Ich weiß, was er meint", sagte Lasser. Der alte Mann sah auf seinen Assistenten, und ein seltsames Feuer brannte in seinen eingefallenen Augen. „Im Trancezustand angewandte Autosuggestion. Sie können das nicht wissen, aber vor langer Zeit war das eine ganz gewöhnliche Angelegenheit. Als junger Student habe ich gelernt, wie man sie anwendet, aber da sie auch gefährlich sein kann, wurde sie von der medizinischen Fakultät vor eineinhalb Jahrhunderten verboten." Er lächelte schwach. „Sie werden verstehen, daß
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dieses Verbot für uns junge Leute damals gerade der Anlaß dafür war, sich besonders darin zu vertiefen." „Gut, aber können Sie meinen Vorschlag auch ausführen?* „Ich glaube schon." Lasser nickte, und seine schmalen Lippen kräuselten sich zu einem humorlosen Lächeln. „Wendis und Menson müssen wir damit behandeln. Glücklicherweise sind sie außer uns die einzigen, die davon wissen. Menson harte den richtigen Riecher, als er dem Funker bei seinem Bericht nichts über Sie erwähnte." „Dann können wir es also tun?" Carter brannte vor Begeisterung. „Dann können wir also unseren überschüssigen Mann auf die Erde bringen, ohne daß Comain etwas davon erfährt?" „Ich glaube ja. Wir müssen natürlich jegliche Vorsicht walten lassen und, nachdem wir von Comain examiniert wurden, eine Nachhypnose durchmachen, damit wir uns dann wieder an ihn erinnern." „Das will ich hoffen." Curt setzte sich bequemer. „Ich würde es nicht schön finden, wenn Sie mich nach ihrer Landung vergessen hätten. Dem, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, kann ich entnehmen, daß sich seit meiner Abreise sehr viel verändert hat." „Ja", sagte Carter ruhig. „Die Dinge haben sich verändert, sehr verändert, und sie werden sich wieder verändern, wenn Sie gelandet sind." Er betrachtete den alten Mann, und sein schallendes Gelächter unterbrach die Stille der Nacht. „Warten Sie, bis er all Ihre kleinen superklugen Vorhersagen auf den Kopf stellt. Warten Sie nur, bis wir unseren überschüssigen Mann auf die überorganisierte Erde bringen." Lasser nickte. Seine Züge waren finster, aber seine Augen leuchteten in dem sonst totenblassen Gesicht. „Der überschüssige Mann", murmelte er. ,1a. Das gefällt mir. Der Name ist gut und sicher. Ein überschüssiger Mann, und mit etwas Glück wird er, falls wir recht haben, den Mars für uns
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zurückgewinnen. Einen unabhängigen Mars, frei von der Matriarchin und von Comain." Die aufgewühlten Gefühle, die Curt der Stimme des alten Mannes entnehmen konnte, ließen ihn erzittern.
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X. Kapitel Die Matriarchin der Erde, Sarah Bowman, stand an einem hohen Fenster und sah auf das Betongebäude, das Comain repräsentierte. Wie ein künstlicher Berg erhob sich das 1 600 Meter hohe Gebäude von der glatten Ebene. Mit seinen Terrassen und eleganten Kurven und Bögen erhob es sich wie der Märchenpalast aus einem alten Märchen, ein Hügel, in dem sich Kunst und Wissenschaft zu einem dauerhaften Gefüge aus Stahl und Beton vereint hatten. Und dennoch war dies nicht eigentlich Comain. Tief unten, unter einer schützenden Schicht aus Felsen, Blei, Erde und fließendem Wasser, geschützt vor Atombomben, Strahlung und Naturgewalten lag die Maschine, die Comain war, wie sie seit zweihundert Jahren ruhte. Als ein unvorstellbares Ganzes aus Kristall, Draht, Rohren, Relais, abgeleiteten Atomen und hoch beanspruchten Molekülen ruhte die gewachsene Frucht des Genius eines Mannes, und Minute um Minute nahmen die unersättlichen Batterien der Speicherwerke jede erdenkliche Information aus den Gehirnen der Menschen auf. Das war Comain. Lange Zeit stand die Matriarchin an dem hohen Fenster und betrachtete das riesige Gebäude. Dann seufzte sie, drehte sich um und ging in das Zentrum des riesigen Büros. Nahe am Fenster stand ein herrlich polierter, wunderschöner Schreibtisch, der völlig mit Ordnern und unordentlich herumliegenden Blättern bedeckt war. Auf der anderen Seite reflektierte ein großer Fernsehschirm das Licht der untergehenden Sonne, während mehrere kleine Bildschirme ihre blinden Augen dem Schreibtisch zuwandten. Es war sehr still im Zimmer.
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Die Matriarchin ließ sich schwer in ihren Sessel fallen und betrachtete kurz ihre breiten, fast männlichen Hände. Sie war eine alte Frau. Das kurz geschnittene Haar war weiß, und die herben, fast männlichen Züge trugen viele Falten. Die Lippen waren blutleer. Tausend kleine Fältchen säumten ihre Augen. Sie hatte keinerlei kosmetische Mittel angewandt. Wie sie so an ihrem großen Schreibtisch saß, wirkte ihr formloser in ein schlichtes Grau gekleideter Körper wie der eines alten Mannes. Nur wenn sie in Erregung geriet und ihre Augen wie ehemals zu leuchten begannen, glich sie wieder der militanten Frau, die einst sich ihren Weg zu dem höchsten Amt der Regierung gebahnt hatte. Aber das war lange her. Eine Glocke läutete und unterbrach die drückende Stille, während einer der Bildschirme aufleuchtete und das farbige Bild einer Frau mittleren Alters wiedergab. „Madam?" „Ja? Die Matriarchin sah auf den Bildschirm. „Was ist?" „Ihre Sekretärin, Madam. Darf sie eintreten?" „Lassen Sie sie herein." Das Bild verschwand, und der Bildschirm wurde wieder dunkel. Im selben Moment schalteten die lichtempfindlichen Selenzellen die Beleuchtung ein und tauchten den Raum in ein warmes Licht. Behutsam öffnete sich die Tür, und eine Frau betrat das Zimmer. Sie war groß und schlank. Ihre bestechend schöne Figur bewegte sich mit der Grazie einer Tänzerin auf den Schreibtisch zu. Im Gegensatz zur Matriarchin trug sie ein eng anliegendes schwarzes Kleid, das mit wunderschönen, goldenen Arabesken verziert war. Ihr langes, tief-schwarzes Haar fiel in weichen Wellen von ihrer hohen Stim auf ihre Schultern. Die Haut war makellos weiß. Unter den starken Augenbrauen leuchteten zwei tiefschwarze Augen. „Guten Abend, Madam." 101
Die alte Dame murmelte etwas Unverständliches und rümpfte die Nase, als sie den Geruch des Parfüms wahrnahm. „Du darfst dich setzen, Nyeeda. * „Vielen Dank." Die Sekretärin setzte sich in den freien Sessel und zog ihr Kleid zurecht. „Haben Sie Ihr Studium über die landwirtschaftlichen Statistiken beendigt, Madam?" „Nein, das hat noch Zeit." „Ganz wie Sie denken. Sie sind sowieso nicht so wichtig, denn wir wissen zu fünfundneunzig Prozent, wie der Ertrag sein wird." „Das haben wir schon im letzten Jahr gewußt, noch ehe gesät war, aber ich glaube, ich muß sie mir dennoch einmal ansehen." Die alte Dame seufzte beim Anblick der vielen Bogen auf ihrem Schreibtisch. .Sind die Marsianer schon angekommen?" „Noch nicht. Sie kreisen zur Zeit um uns und werden in einer Stunde landen." Nyeeda betrachtete die alte Dame etwas argwöhnisch. „Erinnern Sie sich nicht an die Voraussage, die Comain über den Flugverlauf und die Landezeit gegeben hat?" .Natürlich erinnere ich mich daran, aber es ist mir wieder entfallen. Diese Details sind sowieso unbedeutend." „Alle Details sind wichtig." Das Mädchen sprach aus Ueberzeugung. „Je mehr Daten wir Comain geben können, desto genauer werden die Vorhersagen sein. Ich dachte, das wäre der Grund, warum die Kolonisten auf die Erde zurück sollen." „Das stimmt. Während die Handlungsweise einer unabhängigen Gruppe berücksichtigt werden muß, können die Voraussagen nicht so genau sein, wie wir es wünschen. Es ist nicht nötig, daß Sie mich über die Grundlagen unserer Zivilisation instruieren, Nyeeda. Ich habe Sie schon lange vor Ihrer Geburt gelernt." „Ja, Madam, es tut mir leid." „Vergiß es, Mädchen. Du bist zu jung, um dich einer alten Frau gegenüber entschuldigen zu müssen, und wir sind zu lange zusammen gewesen, um uns mißzuverstehen. Wie lange ist es jetzt schon her? Fünfzehn Jahre?" 102
„Nicht ganz. Ich bin jetzt zehn Jahre lang Ihre Sekretärin. " .Natürlich. Ich erinnere mich; Comain hat dich als die Person ausgewählt, die meinen Bedürfnissen am besten entspricht. Wie gewöhnlich war die Voraussage richtig, und ich habe keinen Grund zur Klage gehabt.' „Vielen Dank, Madam." Nyeeda lächelte und entspannte sich. .Sie wissen, daß ich es nicht schätze, wenn Frauen, die eine Position bei der Regierung bekleiden, Kosmetika anwenden, Parfüms benutzen, Schmuck und teure Kleider tragen. Aber Sie sind noch jung. Wenn Sie älter werden, werden Sie diese kindischen Vergnügungen von allein lassen." Die alte Dame zuckte mit den Schultern, und diese Geste nahm das Beleidigende in ihrem Ton. „Nun 2x1 den Marsianern. Sie müssen natürlich sofort nach ihrer Landung alle fünfhundert-zweiundsiebzig, wie sie da sind, registriert werden. Ich verlasse mich darauf, daß die notwendigen Befehle schon erteilt wurden." „Die Metamänner auf dem Flughafen haben Ihre Befehle bekommen. Sie werden die Kolonisten, sobald sie das Schiff verlassen, direkt zu den Zellen bringen. Die Voraussagen, das alles glatt verläuft, hat fünf Neunen hinter dem Komma." „Gut. Ist schon entschieden worden, was sie tun sollen, und wo sie leben werden?" „Noch nicht. Es ist für klüger erachtet worden, diese Details zurückzustellen, bis die Leute vor Comain gekommen sind. Diese zusätzlichen Daten werden wichtig sein, um sie zum größtmöglichsten Nutzen der Gesellschaft einzuordnen." „Ich verstehe. Hat der Rat schon irgendwelche diesbezügliche Ideen?" .Man hat der Diskussion dieses Problems einige Minuten gewidmet, einer weiteren Diskussion jedoch als Zeitverschwendung angesehen. Comain wird sowieso die richtige Entscheidung treffen." 103
„Ja", sagte die alte Dame. „Natürlich." Sie biß sich auf die Lippen und betrachtete den Stapel auf ihrem Schreibtisch. „Sag mir, Nyeeda", sagte sie ruhig, „hast du schon mal daran gedacht, daß wir uns vielleicht manchmal zu sehr auf Comain verlassen?" „Aber nein. Comain ist, wie wir wissen, hundertprozentig zuverlässig, und es wäre sehr unlogisch, nicht damit zu arbeiten." Nyeeda runzelte die Stirn, während Sie die Matriarchin betrachtete. „Sie überraschen mich, Madam. Sie waren doch eine der ersten, die für die völlige Anwendung von Comain waren. Sie waren es doch, die es eingeführt hat, daß die Posten bei der Regierung nicht mehr durch Volkswahlen, sondern nach der Wahl der Maschine besetzt wurden." „Ich weiß es." Die Stimme der alten Dame war überraschend scharf. .Es war meine erste Verfügung, nachdem ich das Matriarchat übernommen hatte. Der Grund dafür war, daß wir trotz aller Voraussagen, die Comain seit fast zweihundert Jahren gemacht hatte, immer noch Zeit durch politische Argumente und Manöver verloren. Das ist jetzt mehr als fünfzig Jahre her, nachdem meine politische Rivalin, Lucy Annsmith, Selbstmord begangen hatte, weil ich die Wahl gewonnen hatte. Sie war eine großartige Frau, aber sie konnte die Niederlage nicht überwinden." „Jetzt kann etwas Derartiges nicht mehr geschehen", sagte Nyeeda mit ruhiger Ueberzeugung. „Die Voraussagen der Maschine werden immer genauer. Der, der versuchen würde, dagegen anzugehen, wäre wahnsinnig. Wenn Comain eine Niederlage vorhersagt, versucht die betroffene Person erst gar nicht zu widersprechen, sondern gibt wortlos auf und versucht etwas anderes." „Ich freue mich sehr, das von dir zu hören, Nyeeda; es freut mich wirklich sehr." Es lag irgend etwas in der Stimme der alten Dame, was das Mädchen erstaunt und erschreckt aufblicken ließ. Die Matriarchin sah ihren Blick und schüttelte ihren Kopf. „Nein, Mädchen, ich werde nicht senil, aber wenn ein Mensch älter wird, 104
sieht er die Dinge in einem anderen Licht. Als ich ein Mädchen war, lebte und starb ich für Comain, und nichts lag mehr auf der Hand, als daß diese Maschine die Kontrolle über die gesamte Welt übernehmen müßte. Ich war damals wahrscheinlich ein Idealist, aber junge Menschen sind immer Idealisten." „Das ist doch vollkommen richtig." „Natürlich, aber in der letzten Zeit habe ich angefangen, darüber nachzudenken, ob ich richtig gehandelt habe. Die Voraussagen werden immer genauer, und weil sie einen immer höheren Prozentsatz der Wahrscheinlichkeit angeben, tun immer mehr Leute genau das, was Comain sagt, das sie tun werden. Sie tun es, und damit geben sie die Gewißheit, daß die Voraussage richtig ist. Auf irgendeine Art ist das ein magischer Kreislauf, und manchmal, wenn ich allein bin und es dunkel ist, erschreckt mich der Gedanke daran." .Er erschreckt Sie?" Nyeeda lachte. „Sie scherzen sicher, Madam?" „Nein, ich scherze nicht." „Dann..." „Hör zu, Nyeeda. Ich bin eine alte Frau, die schon über achtzig Jahre alt ist. Selbst bei den Fortschritten, die die Geriatik gemacht hat, ist das immer noch ein hohes Alter. In den fünfzig Jahren, die ich Matriarchin war, hat sich vieles geändert. Es gibt nicht mehr die Kämpfe, die es früher gegeben hat, und es gibt auch keinen Ehrgeiz mehr. Die Menschen sind heutzutage zu leicht zufrieden. Sie tun das, was die Maschine vorhersagt. Es ist mehr als zehn Jahre her, als gefordert wurde, daß die Informationen nur beschränkt ausgegeben werden durften. Wir sind sicher vor Kriegsgefahr, vor Hunger oder anderen Sorgen. Haben wir aber vielleicht, indem wir all dies gewonnen haben, etwas anderes verloren?" .Wenn der nicht mehr bestehende Wunsch, Krieg zu führen, ein Verlust ist, haben Sie vielleicht recht." Nyeeda gab sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verbergen. „Schon zu allen Zeiten hat 105
man auf die ,guten alten Tage' zurückgeblickt. Schon als ich ein Mädchen war, hat mein Vater der alten Zeit nachgehangen!, dia ein Mensch das tun konnte, was er wollte. Er las alte Bücher, in denen Männer mit Schwertern Krieg führten. Ja, er hat sogar einmal so eine Waffe hergestellt Selbstverständlich hat er sie nur zum Umhauen von Unkraut verwandt. Er war ein Träumer, der von der Zivilisation gern profitierte, aber ständig vorgab, sich nach Härten zu sehnen, die er niemals kennengelernt hatte." „Und du glaubst, daß ich auch so bin?" Die Matriarchin schüttelte den Kopf. .Nein, Nyeeda, ich bin kein Narr. Ich wünsche mir die alten Zeiten der harten Arbeit nicht zurück, aber es gibt da ein subtiles, nicht greifbares Etwas, das die Menschen immer hatten, von dem ich aber fürchte, daß es verlorengegangen ist. Ich meine den persönlichen Ehrgeiz." „Ein Mann kann vorwärtskommen, Geld verdienen und reich sein, dennoch gibt es weitere Möglichkeiten." „Meinen] Sie wirklich? Ich zweifle daran. Wenn jetzt jemand vorhat, etwas zu tun, wendet er sich an Comain. Wenn eine Voraussage günstig ist, tut er es. Aber es ist kein persönlicher Einsatz, was er dann tut. Warum sollte er auch? Er weiß, bevor er anfängt, daß das, was er vorhat, Erfolg haben wird. Wir haben keine Rückschläge mehr, keine verlorenen Fälle und kein hoffnungsloses Kämpfen gegen das Schicksal." „Warum sollten wir? Ein Mißlingen ist eine vergebene Mühe." »Stimmt, aber es war nicht immer so. Gegen alle Logik und alle Voraussagen haben die Menschen nach den Sternen gegriffen. Viele sind für diesen Traum gestorben. Aber schließlich hatte man Erfolg. Würden wir das heute tun? Würden wir Felle tragen und rohes Fleisch essen? Würden wir mit dem Stein Feuer schlagen oder heidnische Götter anbeten?" Nyeeda schüttelte ihren Kopf. ^Sie kennen die Antwort darauf, und die Antwort auf Ihre eigene Frage muß dieselbe sein. Warum sollten wir? Welchen Sinn hat es, nach den Sternen zu greifen? Wir haben 106
unsere Zivilisation. Sie ist eine gute, und die Menschen sind glücklich. Lassen Sie sie doch so bleiben. Welchen Sinn würde es haben, nutzlose Furcht und nutzloses Sehnen zu haben? Wir sind, was wir sind. Unsere Zivilisation ist das, was sie ist. Das Vergangene ist tot und vergessen." In der tiefen Stille, die ihren Worten folgte, hörte sich das Atmen der Matriarchin eigentümlich laut an. Die feurigen Linien der Stratoline am nächtlichen Himmel waren durch das Fenster zu erkennen, und weit unten in der Ebene, die das Gebäude umgab, leuchteten und funkelten die Lichter in einer farbigen Pracht. „Ich danke dir, Nyeeda." Die alte Dame lächelte und schien sich zu entspannen. „Ich wußte, daß ich recht hatte, aber das Alter und das Ersterben des jugendlichen Ehrgeizes ließen mich an mir selber zweifeln. Was du sagst, ist richtig. Wir sind jetzt in Sicherheit gewiegt, und die Bestrebungen, die zum Kriege führten, sind beseitigt. Jetzt, da die Marsianer zurückgerufen worden sind, gibt es keinen unbekannten Faktor mehr, und die Voraussagen werden auf neun Neunen hinter dem Komma stimmen. Comain wird ihre Daten aufnehmen, entscheiden, wo sie leben und arbeiten sollen, und die ganze Affaire der Raumfahrt kann in die Speicherwerke der Maschine aufgenommen und ad acta gelegt werden. Dort wird es bleiben, bis wir es wieder brauchen sollten. Aber ich zweifle daran. Nein, es war dumm von mir, mir jemals Sorgen zu machen. Alles wird planmäßig verlaufen Comain wird uns führen, uns vor falschen Entschlüssen bewahren und, wie du erwähnt hast, die Macht der Regierung übernehmen." Sie erhob sich langsam hinter ihrem Schreibtisch und schritt zu dem hohen Fenster. „Die Erde wird ein Paradies sein", flüsterte sie. „Das Matriarchat wird pro forma die Regierungsgewalt behalten. Aber alle Entscheidungen werden, wie jetzt auch, von Comain
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getroffen. Sobald die Marsianer gelandet sind, ist das unvermeidlich. Nichts kann den Lauf der Dinge mehr aufhalten." Flammenstrahlen zeichneten sich am nächtlichen Himmel ab, und ein entferntes Pfeifen drang in das ruhige Zimmer. Das Geräusch wurde stärker. Das Feuerwerk der Flammen nahm zu, und die Matriarchin seufzte, während sie auf die Flammen schaute:
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XI. Kapitel Fünf Männer saßen in einem Zimmer und sprachen über ihre Zukunft. Carter, dessen Züge von der für ihn dreifach so hohen als normalen Schwerkraft gezeichnet waren, ließ sich in einen Stuhl fallen und betrachtete die eingefallenen Wangen des alten Arztes. Wendis und Menson die durch ihre Raumfahrten an ein hohes G-Feld gewöhnt waren, schien die Schwerkraft nichts auszumachen, aber die dicke, feuchte Luft ließ sie schwitzen und keuchen. Curt lächelte, als er durch das Fenster auf die saftig grünen Felder und den blauen Himmel schaute, und sein genesener Körper zitterte vor Erregung bei dem Gedanken, daß die neue Welt darauf wartete, von ihm erforscht zu werden. .Ich habe von der Matriarchin gehört", sagte Lasser bitter, .daß man, wie ich befürchtet hatte, unsere Schiffe demontieren läßt. Wir müssen hierbleiben." Wendis ballte seine großen Fäuste. „Das bedeutet, daß wir niemals wieder in den Raum fahren, niemals mehr die kalten Sterne sehen und den Andruck der Raketen fühlen können." Er schluckte, als ob er sich seiner Worte schämte, und sah dann den alten Arzt fast herausfordernd an. „Ich habe mein ganzes Leben lang auf die Raumfahrt trainiert", sagte er rauh. „Ich kenne und kann nichts anderes. Was haben Sie jetzt mit mir vor?" „Der Rat wird mich davon informieren, sobald er die Antwort von Comain hat." Lasser wischte sich densSchweiß aus seinen gelben Zügen. „Wenn Sie Hiich fragen, so würde ich sagen, entweder die Wüste oder die Polargebiete oder, wenn es dort für uns Arbeit gibt, auf einem hohen Berg." „Wie kommen Sie darauf, Doktor?" „Logik, Menson. Wir brauchen ein trockenes Klima, geringe Schwerkraft und dünne, kalte Luft. Der einzige Platz auf der Erde, wo wir diese Dinge bis zu einem gewissen Grad bekommen können, ist auf einem hohen Berg. Die 109
Isolierung würde uns nichts ausmachen, denn wir sind daran gewöhnt. Von ihrem Standpunkt aus wäre das ideal." „Warum?" „Wir wären ihnen nicht im Wege und dennoch unter ständiger Aufsicht. Ohne Schiffe und Transportgelegenheiten könnten wir das Gebiet nicht verlassen. Wir müßten das tun, was man uns befiehlt, weil man uns sonst den Nachschub abschneiden würde." „Glauben Sie, daß man uns beieinander läßt?" Carter leckte über die Lippen und sah zu dem alten Mann. „Ich glaube, daß man uns trennen wird. Eine Familie hier, ein Mann dort usw." „Warum sollten sie? Wir sind keine Rebellen. Sie haben nichts von uns zu befürchten. Sie haben uns nur zurückbeordert, damit wir in das Schema eingefügt werden. Nein, Carter, ich denke, daß man uns alle beieinander lassen wird. Alle zusammen." „Und was ist mit Curt?" „Ja? Was wird mit mir?" Durch die Erwähnung seines Namens aufmerksam geworden, wandte sich der junge Mann vom Fenster ab und lächelte den alten Arzt an. „Ich bin wieder zu Hause. Ihnen gebührt der Dank. Jetzt möchte ich gern auf Entdeckungsreisen gehen. Was geschieht jetzt?" „Daß wissen wir noch nicht, bis die Matriarchin uns informiert hat, was mit uns geschehen soll." Lasser trocknete sich den Schweiß von Stirn und Nacken und sah zu dem jungen Mann auf. „Wie geht es Ihnen?" „Ausgezeichnet." Curt grinste und schlug sich auf die Brust, „Die Schmerzen sind vorüber. Ich fühle mich frisch wie ein Fisch im Wasser." „Gut. Haben Sie Ihre Reise schon verdaut?" „Ich bin gerade dabei. Ich möchte das alles nicht noch mal durchmachen. Die Reise nach hier war schön, und das Betäubungsmittel, daß Sie mir gegeben haben, hat mir wundervolle Traume vermittelt. Nach unserer Landung jedoch
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hatte ich ziemliche Angst, daß Sie sich meiner nicht erinnern würden." „Sie werden es nie wieder tun müssen", sagte Wendis grimmig. Die Menschen haben ihre letzte Raumfahrt gemacht." „Vielleicht." Curt zuckte mit den Schultern und sah zu dem alten Doktor. „Wie verlief die Registrierung?" „Wie ich erwartet hatte. Die Metamänner warteten auf uns und führten uns direkt zu den Zellen. Comain hat unsere Daten aufgenommen und arbeitet jetzt wahrscheinlich an dem Problem." „So lange?" Curt schaute überrascht. „Nein. Die Maschine gibt keine Informationen aus sich heraus. Sie muß warten, bis die richtige Frage gestellt wird. Wahrscheinlich arbeitet der Rat in diesem Moment an der Ausarbeitung dieser Fragen." „Ich verstehe." Der junge Mann schritt wieder zum Fenster hinüber und deutete auf das riesige Gebäude, das in der Morgensonne vor ihm lag. „Ist es das?" .Das ist Comain; wenigstens der Hauptteil davon. Der obere Teil des Gebäudes enthält die Büros der Regierung und Wohnungen der Priester, des Deus Machina." Wendds war bitter. Curt ignorierte den Ton des anderen. Er beobachtete das immense Gebäude, bewunderte seine Perfektion und versuchte sich seinen Freund vorzustellen, der den Grundstein für diese neue Zivilisation gelegt hatte. Tief in ihm stieg die Erinnerung an ihn auf. Ein großer, überschlanker Mann mit schlechten Augen tauchte nebelhaft vor seinem Inneren auf. Er lächelte, kräuselte seine Lippen ironisch, und eine geisterähnliche Stimme sprach aus dem geisterhaften Körper. „Guten, Tag, Curt." „ Comefri." „Es ist lange her. Der Fehler von damals tut mir leid." „Gomain."
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„Wir müssen wieder zusammengehen. Weißt du, wo ich wohne?" „Ja, ja, ich ..." Irgend etwas berührte ihn. Etwas berührte sein Gesicht- und der Schmerz durchdrang den \Tebel seiner Vorstellung. Schmerz und noch etwas anderes. Er ballte seine Fäuste und drehte sich wutentbrannt um. „Curt! Mann, kommen Sie zu sich! Was ist mit Ihnen los?" Carter stand vor ihm und hatte immer die Hand erhoben, um wieder zuzuschlagen. „Sie..." Curt holte aus, und eh der junge Doktor den Schlag abfangen konnte, hatte Curt zweimal zugeschlagen. Der Zorn regte ihn an, während er den anderen zerschlug. „Curt, du Narr! Hör auf! Wendis sprang nach vorn. Menson folgte ihm, und zusammen hielten sie seine Arme fest. Carter wischte sidi über seinen zerschlagenen Mund. „Mann, kommen Sie zu sich." Der junge Doktor betrachtete sein* blutgetränktes Taschentuch. „Was ist mit Ihnen los? Fühlen Sie sich nicht wohl?" „Sie haben mich geschlagen." „Ich habe sie geahrfeigt. Sie haben mit sich selber gesprochen, und ich habe nur versucht. Sie wieder zu sich zu bringen." Er zuckte zusammen, während er seinen Mund berührte. „Was war denn mit Ihnen los, Curt?" „Ich weiß es nicht." Plötzlich war all sein Zorn verraucht. Er fühlte sich schwach, krank, schutzlos und schämte sich dessen, was er getan hatte. „Es tut mir leid, Carter. Sie haben mich erschreckt. Ich dachte an einen alten Freund." „Comain?" „Ja," „Ich habe es mir gedacht. Sie haben seinen Namen ausgesprochen, zweimal. Da habe ich Sie geohrfeigt." Carter starrte verwundert auf seine Hand. „Sagen Sie einmal, wie oft haben Sie mich eigentlich getroffen?" 112
„Ich weiß es nicht? Warum?" .Ich dachte, daß ich sehr fix wäre, aber Sie haben sich schneller bewegt, als ich es jemals bei einem Menschen gesehen habe. Ich wußte noch nicht einmal, was geschah." Er nickte den beiden Metallsuchern zu. „Sie können ihn jetzt loslassen. Er wird es nicht wieder tun." Müde ließ sich sich Curt in einen Stuhl fallen und starrte zu Boden. Er fühlte sich krank, physisch krank, und gleichzeitig fühlte er eine noch unbekannte Kraft in sich. Irgend etwas stimmte mit ihm nicht. Er hatte an einen alten Freund gedacht, der schon weit über zweihundert Jahre tot war, und plötzlich war es ihm gewesen, als ob Comain vor ihm stehen, lächeln und sprechen würde, als wäre es Wirklichkeit. Er hatte Carter belogen. Er konnte sich noch an die Schläge erinnern, die er ausgeteilt hatte. Es waren fünf gewesen, und er hatte sie ausgeteilt innerhalb von . .. von . . . Er runzelte die Stirn. Es schien unglaublich, und er konnte sich' nicht erinnern, wie lange es gedauert hatte, aber er wußte, daß es in der Zeit geschehen war, während der Doktor zum Schlag ausgeholt hatte. Das bedeutete, daß er sich unglaublich schnell bewegt hatte. Ein dumpfes Dröhnen klang durch die Stille des Raumes. Licht flackerte auf, und von einem Leuchtschirm zeichneten sich die schärfer werdenden Konturen einer Frau ab, die in das Zimmer schaute. „Dr. Lasser?" „Ja?" „Entscheidung von Comain. Die Mehrzahl der Marskolonisten sollen auf den Mount Everest gebracht werden. Sie sollen dort ein Observatorium bauen. Die Maschinen zur Einebenung der Spitze sind schon abgegangen. Die Ueberführung des dafür ausgewählten Personals findet morgen in der Dämmerung statt." „Ich verstehe." Lasser betrachtete die ruhigen Züge der Frau. „Sie haben gesagt, die Mehrzahl. 113
Soll das bedeuten, daß einge von uns von dem Haupttrupp getrennt werden sollen?" „Ja. Sie und Ihre Assistenten müssen sich im Zentralkrankenhaus melden. Dort können Ihre Fähigkeiten am besten ausgenutzt werden. Die anderen werden wie verfügt eingesetzt. Die schriftliche Bestätigung dieser Meldung erhalten Sie binnen einer Stunde. Das ist alles." „Das ist alles." Lasser knurrte es dem verlöschenden Bildschirm zu. Ich werde also Pförtner in einem Krankenhaus. Was? Na, wir werden sehen!" Wutentbrannt drückte er einen Knopf unterhalb des Bildschirmes. „Auskunft." „Ja?" Ein gutmütig aussehender Mann blickte fragend auf den wütenden Arzt. „Was kann ich für Sie tun?" „Ich möchte Comain aufsuchen. Wie muß ich das anstellen?" „Wissen Sie das nicht?" Der Mann lächelte. „In jeder Stadt gibt es öffentliche Zellen. Suchen Sie sich eine, beachten Sie die Vorschriften und stellen Sie Ihre Frage." „Vielen Dank." Lasser schaltete das Gerät aus und ging zur Tür. „Wohin gehen Sie?" Carter vertrat ihm den Weg. „Sind Sie verrückt, Lasser? Sie wissen genau, daß man Sie nicht aus dem Gebäude läßt. Beruhigen Sie sich, Mann. Wir müssen erst einmal überlegen." „Warum? Wenn die Maschine mir sagt, daß ich in einem Krankenhaus arbeiten soll, dann kann sie mir auch sagen, wie ich das umgehen kann. Ich gehe auf jeden Fall, mir die Antwort anzuhören." „Und wenn sie Sie dazu anhält, den Helm aufzusetzen?" Carter nickte, als er plötzlich das Verstehen in den Augen des alten Mannes aufleuchten sah." Genau das. Wir haben eine ganze Menge angestellt, um Curt geheimzuhalten. Wollen Sie das alles wieder zunichte machen?"
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„Nein." Müde ließ der alte Mann sich in einen Stuhl fallen. „Was sollen wir tun, Carter? Wie sollen wir die Macht, die Comain auf diesem Planeten hat, brechen?" „Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß Curt unsere einzige Hoffnung ist. Er ist der einzige, der uns helfen kann." „Bevor ich das tun kann, muß ich noch viel lernen", sagte Curt, durchschritt das Zimmer und schaute zum Fenster hinaus. „Sie vergessen, daß ich von dieser Welt so gut wie nichts weiß. Wovon soll ich leben? Wie soll ich mich nennen? Was soll ich antworten, wenn mich jemand nach meiner Registriernummer fragt? Wenn ich Ihnen zu etwas nütze sein soll, muß ich alle diese Dinge wissen." „Er hat recht, Lasser." Carter betrachtete den alten Mann. „Es ist Zeit, daß wir uns einen Plan ausarbeiten. Zunächst müssen wir Curt eine Nummer geben." Er betrachtete die auf seinem Handgelenk tätowierte Nummer. „Das ist leicht." Wendis entblößte sein Handgelenk. „Wir können eine erfinden." .Nein. Wenn sie bei! Comain amfragen und herausfinden, daß seine Nummer nicht existiert, ist er sofort verdächtig. Nein. Ich halte es für vernünftig, ihm eine von unseren Nummern zu geben. Es wäre eine Art Alibi." „Das ist richtig." Wendis nickte und streckte seinen Arm vor. „Er kann meine haben." „Das wäre also erledigt. Ich werde die Nummer mit einer haltbaren Tinte kopieren. Das geht ganz schnell. Er kann sie, wenn nötig, mit einer chemischen Flüssigkeit wieder entfernen. Und nun zu den wichtigen Dingen!" Carter betrachtete den schweigenden jungen Mann am Fenster. „Jetzt werden Sie wahrscheinlich wissen, daß Comain diesen Planeten, wenn auch nicht dem Namen nach, regiert. Sie müssen immer aufpassen, daß Sie nicht registriert werden, dürfen auf keinen Fall einen Helm aufsetzen und sich auch von keinem überreden lassen etwas Derartiges zu tun." 115
„Ich verstehe." Curt wandte sich vom Fenster ab. „Wissen Sie", sagte er ruhig, „alles klingt etwas phantastisch. Sie sprechen von einer Maschine, die alle Daten aufnehmen und auf Grund dieser Informationen kommende Ereignisse voraussagen kann. Das habe ich mittlerweile verstanden. Aber die Sache ist zu schwierig, um sie sich richtig vorstellen zu können. Wie konnte man so etwas bauen?" „Es wurde nicht gebaut", sagte Lasser kurz. „Es wuchs." Er deutete auf das riesige Gebäude, das sich jenseits des Fensters vor ihnen abhob. „Dieser Bau ist jetzt seit zweihundertfünfzig Jahren ständig gewachsen. Zuerst war es nur eine phantastische Rechenmaschine, dann ein Prediktor von begrenztem Wert, und nun ist es fast ein Gott." „Comain war ein Atheist", sagte Curt ruhig. „Er würde es nicht dulden, daß man ihn einen Gott nennt." „Die Maschine will das auch nicht, Curt, aber die Menschen beten sie fast wie einen solchen an." „Vielleicht, aber das spielt jetzt keine Rolle. Wie soll ich leben?" „Ich weiß es nicht", gab Lasser düster zu. „Ich hatte gehofft, daß wir Ihnen jeder einen Teil unseres Gehaltes geben könnten, aber wenn wir getrennt werden, ist das nicht möglich. Sie können natürlich einen Job bekommen, aber das wird nicht so leicht sein." „Wie steht es mit dem Spielen?" Curt grinste, während er seine Frage stellte. „Ich hatte darin immer ziemlich großes Glück." „Glücksspiele sind legal. Jede Stadt hat seinen Vergnügungspalast mit einem Casino. Aber woher sollen wir das Geld für den Einsatz bekommen?" „Von Ihnen natürlich. Woher denn sonst?" Lasser nickte, und Wendis ging unruhig auf und ab. „Wir können ihm etwas geben von dem, was wir aus dem Verkauf unserer persönlichen Dinge erhalten werden", rief er. 116
„Was ich wissen will, ist, was wir danach tun sollen. Wie können wir Comain kaputtmachen?" „Wir werden Comain nicht zerstören." Lasser betrachtete den jungen Mann. „Wir werden die Matriarchin zwingen, uns einen unabhängigen Mars zu garantieren. Die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, ist, die Dinge hier so durcheinander zubringen, daß sie froh sein werden, uns wieder los zu sein. Jeder Versuch einer Rebellion oder einer Zerstörung wird uns die Metamänner auf den Hals bringen. Und Sie wissen, was das bedeutet. " „Gefängnis?" Ja. Jeder Sabotageversuch auf Comain wird mit fünfhundert Jahren Zwangsarbeit geahndet." „Was?" Curt sah zu dem alten Mann. „Sie müssen sich irren. Kein Mensch kann fünfhundert Jahre leben." „Kein Mensch hat fünfhundert Jahre gelebt", korrigierte Lasser grimmig. „Die Metamänner sind relativ neu." Humorlos lächelte er den jungen Mann an. „Sie sind ihnen noch niemals begegnet, nicht wahr? Warten Sie, bis Sie ihnen einmal begegnen, dann werden Sie verstehen, warum ein Mensch zu fünfhundert Jahren Zwangsarbeit verurteilt werden kann." Bei dem Geräusch schwerer Schritte außerhalb der Tür fuhr er herum, und die fünf Männer warteten darauf, daß die Tür aufgehen würde. Etwas betrat den Raum. Es war ein metallenes Etwas, etwa drei Meter hoch, mit einem komischen Kopf. Es bewegte sich mit mechanischer Präzision und sah wie die Karikatur eines Menschen aus. Es blieb stehen. Aus seinen eingebauten beiden Linsen flackerte ein dunkelrotes Licht. „Dr. Lasser?" Die Stimme war kalt, unmenschlich wie die Geräusche, die durch elektrischen Strom und vibrierende Plastik hervorgerufen wurden. „Ja?" Lasser schritt vor. 117
„Befehl von Comain." Das Etwas erhob seinen künstlichen Arm und hielt ihm ein paar Blätter entgegen. „Nehmen Sie." Lasser nahm die Papiere aus der metallenen Hand und blieb wie angewurzelt stehen, während das Ding sich umdrehte und aus dem Raum stampfte. „Was war das?" Curt wischte sich den Schweiß von Gesicht und Händen. „Ein Robot?" „Das war ein Metamann", sagte Lasser grimmig. „Die Matriarchin hat ihn uns wahrscheinlich geschickt, um uns daran zu erinnern, daß wir die Voraussage von Comain einhalten müssen." Er betrachtete Wendis. „Nun wissen Sie, warum Sie nicht einmal daran denken dürfen, diese Maschine zu zerstören. Diese Dinger sind praktisch unsterblich, und ich glaube kaum, daß es Ihnen Spaß machen würde, diese metallene Hülle zu tragen und die nächsten fünfhundert Jahre Zwangsarbeit zu leisten." „Diese Dinger", flüsterte Curt krank, „sind das Menschen?" „Die Gehirne von Menschen in mechanischen Körpern. Meistens sind es solche, die bei einem Unfall starben oder solche, die, um den unausbleiblichen Tod zu umgehen, lieber ein unsterbliches, robotähnliches Leben führen wollen. Das ist die Leibwache von Comain, die Diener der Matriarchin, gefühllos unempfindlich. Perfekte Diener und Polizei zugleich. Sie sind natürlich die Elite, denn kriminelle kommen auf den Mond ins Exil. Aber Elite oder nicht, diese Metamänner sind gefährlich und können einen Menschen zu Tode jagen." »Ich verstehe", sagte Curt und sah gedankenverloren zum Fenster hinaus. Plötzlich wünschte er sich sehnlichst, aus dem Zimmer herauszukommen.
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XII. Kapitel Es war Nacht, und die Stadt von Comain war von zehntausend Lichtern erhellt. Das große Zentralgebäude strahlte mit seinen vielen erleuchteten Fernstern und den beleuchteten Ländeplätzen!, Spiralen und Terrassen eine Lichtflut aus. Autos fuhren die breiten Straßen entlang, und müßige Menschen schlenderten zwischen den hohen Gebäuden, um den Feierabend zu genießen. Während Curt sich in dem Strom treiben ließ, schlug sein Puls schneller. Er trug einen grauen Gebrauchsanzug, der aus langen, breiten Hosen und einer Bluse mit einem hohen Kragen bestand und angenehm zu tragen war. In seinen Taschen hatte er den Erlös aus dem Verkauf aller persönlichen Besitztümer der Marsianer. Sein linkes Handgelenk kribbelte noch von der chemischen Flüssigkeit, mit der die unauslöschbare Nummer angebracht worden war. Lasser hatte ihm alles erzählt, was er wußte, und der alte Arzt wuße mehr über die Lebensbedingungen auf der Erde als irgendein anderer. Curt hatte sich mit Wendis daran gemacht, das riesige Gebiet der Hauptstadt zu erkunden. „Haben Sie schon etwas vor, Curt?" „Vielleicht." Curt runzelte die Stirn, als der Asteroidenmetallsucher näher zu ihm trat. Trotz allem traute Curt diesem Menschen nicht. Er war zu agil, zu sehr darauf aus, zu handeln, und vergaß darüber die Vorsicht, die er sich und den anderen schuldig war. Wendis war ein Fanatiker, der nur in einer Richtung denken konnte, ein Mensch, der rücksichtslos eine Stadt oder eine ganze Zivilisation vernichten würde, um seine Ziele zu erreichen. Curt hatte nichts Derartiges vor. Er machte sich keine Illusionen und wußte genau, warum die Marsianer ihn auf die Erde geschmuggelt hatten. Er war sich im klaren darüber, daß der hagere Doktor und der fanatische Wenidis ihn nur als Werkzeug benutzten, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. 119
Aber manchmal kann das Werkzeug seinen Herrn benutzen. Vor einem terrassenartigen Gebäude blieb er stehen und schaute auf das kaleidoskopartige Licht, das die Blicke der Passanten mit seinem Blau, Grün und Gelb auf sich zog. Durch die breiten Doppeltüren wogte eine bunte Menschenmenge. Sanfte Musik war zu hören. „Na?" Wendis deutete mit dem Kopf auf die großen Flügeltüren. „Gehen wir hinein?" „Ist das das Casino?" „Ja." Der junge Metallsucher schaute verachtungsvoll auf das Gebäude. „Hier erholen sich die Dekadenten, die sogenannten Erdenmenschen. Hier kann man Getränke, Drogen bekommen, am Glücksspiel sich beteiligen, kurz alles. Diese Vergnügungspaläste stellen zur Zeit den Hauptteil des Amüsements der Menschen." „Drogen?" Curt lächelte. „Was meinen Sie damit? Etwa Tabak?" „Ich meine es, wie ich es sage. Kommen Sie. Je schneller wir an die Arbeit gehen, desto besser." Ungeduldig lief er zu dem Portal, und Curt folgte ihm schulterzuckend. Vor ihnen breitete sich eine große Halle aus, deren glatte, von innen erleuchtete Wände ein warmes Licht ausstrahlten. Zu beiden Seiten führte eine Fülle von Treppen und Passagen in die verschiedenen Teile des Gebäudes. Rechts und links war je eine Reihe von Zellen, die Telefonzellen ähnelten. Ein ständiger Menschenstrom kam und ging zu ihnen. Fast alle Neuankömmlinge gingen zuerst in eine der Zellen, blieben ein paar Augenblicke, suchten sich dann ihren Weg oder verließen in den weitaus selteneren Fällen das Gebäude wieder. Curt nahm Wendis am Arm und deutete mit dem Kopf zu diesen Zellen. „Was ist das?" „Oeffentliche Befragungszellen. Diese Narren wollen im voraus wissen, ob sie sich heute amüsieren werden oder nicht. Wenn die 120
Voraussage einen hohen Prozentsatz angibt, bleiben sie, wenn nicht, gehen sie wieder und versuchen etwas anderes." „Wollen Sie damit behaupten, wenn Comain ihnen sagt, daß Sie keinen Spaß haben werden, daß Sie das dann glauben?" „Natürlich. Das hat Ihnen Lasser doch schon die ganze Zeit gesagt." Der junge Metallsucher runzelte die Stim und ging auf eine Treppenflucht zu. „Kommen Sie, wir wollen einmal sehen, ob Sie immer noch Glück haben." Die Spielsäle nahmen eine ganze Etage für sich ein. Curt überschaute dem hell erleuchteten riesigen Raum und versuchte die verschiedenen Maschinen und Glücksspiele zu erkennen. Menschen, deren Gesichter vor Erregung gerötet waren, drängten sich in diesem Saal, und ihre Stimmen vermischten sich mit denen der Croupiers und dem Klicken der Chips und der Münzen. „Was wollen Sie zuerst versuchen? Das Würfelspiel?" „Ich weiß es noch nicht. Ich werde mich erst einmal umsehen. Vergessen Sie nicht, daß mir dies alles neu ist." „Machen Sie sich's bequem", sagte Wendis. „Ich besorge mir einen Drink. Ich werde Sie an dem dritten Würfeltisch von hinten wieder treffen, denn dieses Herumgehen fällt mir auf die Nerven." „Vielleicht sollten Sie ins Hotel zurückgehen und Menson den Wachhund spielen lassen." Curt betrachtete das ärgerliche Gesicht des jungen Metallsuchers. „Es wird langsam Zeit, daß Ihnen klar wird, daß ich es nicht gern habe, kommandiert zu werden, Wendis. Ich bin nicht Ihr Eigentum und befolge nicht Ihre Befehle. Ich werde mir meine Zeit selbst gestalten." „Wie Sie wollen. Von mir aus können Sie sich ans Messer liefern oder zum Teufel gehen. Ich habe diese ganze Sache satt. Ich will wieder heim auf den Mars. Je schneller, desto besser." „Meinen Sie, daß es Zweck hat, wenn Sie sich betrinken?" „Ich weiß es nicht, zum Teufel, aber ich werde es versuchen." Er zögerte, grinste dann und sah erstaunlich jung und kindisch 121
aus. „Es tut mir leid, Curt, aber ich bin innerlich zu sehr aufgewühlt und verletzt. Sehe ich Sie später?" „Ja." Curt sah seiner sportlichen Figur nach, zuckte mit den Schultern und machte sich daran, die verschiedenen Spielarten zu untersuchen. Eine Maschine, die wie ein Spielautomat aussah, stand dicht neben ihm, und er studierte den erleuchteten farbigen Kasten. Ein schmaler Schlitz am oberen Ende der Maschine ließ eine kleine Kugel heraus, und man mußte wählen, in welchen der beiden Kanäle der Ball fallen sollte. Die Maschine zahlte doppelt oder nichts, und er wandte sich ab, um etwas zu finden, was ihm mehr zusagte. An den Wänden standen verschiedene Maschinen, die teils mit sehr hohen Einsätzen zu spielen waren, teils so simpel waren wie die, die er zuerst in Augenschein genommen hatte, die ihm aber nur einen neugierigen Blick entlocken konnten. Er blieb vor einer Maschine stehen, die ihn an eine alte Orgel erinnerte, und sah zu, wie eine Frau Münzen in den Schlitz warf. Hinter einer Plastikscheibe flammte Licht und leuchtete es in einem bestimmten Muster auf. Die Frau drückte eine Reihe Knöpfe, und eine Lichtflut schluckte die kleinen leuchtenden Punkte. Eine Sekunde lang schienen zwei Lichter miteinander einen unsichtbaren Kampf auszuführen, dann erstarb das Licht wieder. Die Frau biß sich auf die Lippen und entfernte sich. Nachdem Curt noch anderen dabei zugesehen hatte, entfernte auch er sich. Diese Maschine war nichts für ihn. Die Stimme des Croupiers, der auf einem erhöhten Sessel saß, zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und er beobachtete, wie die Spieler kleine Geldstapel auf ein kleines, viereckiges Brettchen legten. Das Rad hatte einen dreifachen Ring mit schwarzen und weißen Fächern. Die erhöhte Mitte des sich drehenden Rades war erleuchtet. Es kam zum Stillstand. Die leidenschaftslose Stimme des Croupiers unterbrach die momentale Stille. „Zentrales Weiß. Einsatz 100:1 Bitte das Spiel zu machen." 122
Curt zuckte gleichgültig mit den Schultern und ging weiter. Er fühlte sich rastlos, unwohl und erregt. Alles war ihm so fremd, die Kleider, die man trug, und die Gleichgültigkeit auf den Gesichtern, als ob keiner von ihnen Sorgen hätte. Nur an den Tischen fühlte er sich zu Hause. Obwohl die Gesichter der Menschen hier einen gespannten Ausdruck hatten und ihre Einsätze voller Erregung machten, trugen sie dennoch irgendeine Gleichgültigkeit zur Schau, als ob das, was sie taten, gar nicht so wichtig sei. An einem grünüberzogenen Spieltisch blieb er stehen und lächelte beim Anblick der ihm vertrauten Würfel. Das war etwas für ihn. Curt drängte sich nach vorn und holte Geld aus seinen Taschen. Ein Mann schüttelte die Würfel, warf sie und wandte sich ärgerlich ab. Curt nickte zu dem Croupier, ließ mehrere Noten auf den Tisch fallen und sah ihn fragend an. „Geht das?" „Natürlich." Geschickt deckte der Mann den Einsatz und warf ihm die Würfel zu. Curt nahm sie auf, fühlte über ihre glatten Oberflächen und rollte sie zwischen seinen Händen. Abrupt warf er sie an das Ende des Tisches. „Acht." Der Croupier gab ihm die Würfel zurück. „Die Acht gilt." „Hier ist sie." Curt rollte und warf. „Nein. Versuchen Sie es noch einmal." Die Würfel hüpften und lagen still. „Sieben. Verloren." Curt zuckte mit den Schultern und nahm die Würfel in Empfang. Er hatte nicht erwartet, daß er gewinnen würde, zumindest nicht anfangs, und er wartete geduldig, bis die Würfel die Runde um den Tisch gemacht hatten und zu ihm zurückkehrten.
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„Zehn Chips. In Ordnung?" „Sie sind gedeckt." Curt nickte und warf die Würfel. .Sieben! Gewonnen!" „Noch einmal." „Wieder sieben!" .Noch einmal." Curt leckte sich über die Lippen und fühlte die ihm vertraute Spannung eines Spielers, der eine glückliche Strähne hat. Langsam warf er die Würfel über den ganzen Tisch, bis sie an der Kante anstießen und ein Stück zurückrollten. „Wieder die Sieben!" Der Croupier sah der. jungen Mann an. „Noch einmal?" „Warum nicht? Noch einmal." Um sich herum konnte er die Stille und die Spannung der zusehenden Menschen fühlen. Drei Gewinne hintereinander waren zwar nicht ungewöhnlich, aber dennoch ungewöhnlich genug, um Interesse zu erwecken, und Curt lächelte, während er die Würfel auf seinen Handflächen spürte. Er konzentrierte sich darauf, eine Sieben zu werfen und ließ die Würfel rollen. Er gewann wieder und ließ den Haufen Geld stehen. Er konnte nun einhundertsechzig Chips gewinnen, wenn er wieder gewinnen würde. .. Und er gewann. Und wieder. Und wieder. Es wurde fast monoton. Die Würfel tanzten,, drehten sich in dem strahlenden Licht, blieben stehen und zeigten die unvermeidliche Sieben. Jedesmal, wenn er gewann, verdoppelte er seinen Einsäte, und die gebannt zuschauende Menschenmenge um ihn herum wuchs. „Er kann nicht ständig gewinnen", sagte eine Frau. „Ich wette tausend gegen diesen Wurf." „Welchen Einsatz?" 124
„5:1." „Ich halte mit", sagte der Mann und lachte, als er wieder die gewinnende Sieben sah. „Wollen Sie noch einmal wetten?" „Er kann nicht ständig gewinnen!" Die Stimme der Frau klang verzweifelt. „Noch einmal tausend." „Der gleiche Einsatz?" „Ja." Curt kniff die Lippen zusammen, während er die Würfel warf. Er könnte also nicht ständig gewinnen? Na schön, das würde er ja sehen. Grimmig konzentrierte er sich auf die fallenden Würfel und dachte scharf an die Sieben. Sie hüpften, wurden langsamer, schienen zu zögern' und blieben mit einem plötzlichen Ruck auf dem grünen Tuch liegen. „Das kann nicht möglich sein!" Schrecken und Ungläubigkeit klangen aus ihrer Stimme. „Wieder eine Sieben! Das ist doch nicht möglich!" „Sie schulden mir tausend", erinnerte sie der Mann ruhig. „Wollen Sie noch einmal wetten?" „Nein. Ich habe kein Geld mehr. Comain hat vorausgesagt, daß ich heute nacht nicht verlieren würde. Nun habe ich aber verloren. Ich kann das nicht verstehen!" „Wollen Sie noch einmal werfen?" Der Croupier starrte Curt an. Ja." „Sie haben das Limit dieses Tisches erreicht. Ich kann Ihren Einsatz nicht mehr decken." „Nicht?" Curt zuckte mit den Schultern und steckte den großen Haufen Chips ein. „Dann werde ich gehen. Hier." Beiläufig warf er die Würfel, ohne sich darauf zu konzentrieren. Sie fielen und schienen in dem hellen Licht zu leuchten. Schlangenaugen.
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Gleichgültig stand Curt auf und durchschritt den Raum. Er vermied den modernisierten Roulettetisch, das orgelpfeifenähnliche Gerät und die ihm fremden elektronischen Glücksautomaten. In einer Ecke des zweiten Raumes fand er das, was er gesucht hatte, blieb stehen und lächelte das ihm vertraute rot und schwarze Tuch eines altmodischen Rouletts an. Beiläufig setzte er und verlor. Er setzte wieder, sah zu, wie die kleine Kugel in das Fach fiel, und lächelte, als der Croupier sein Geld einstrich. Er setzte wieder, aber diesmal konzentrierte er sich auf die kleine Kugel, wie er es bei den Würfeln getan hatte. Er dachte an eine Farbe und konzentrierte seine Gedanken ganz darauf. „Zwanzig auf Schwarz." Der Croupier strich die Einsätze ein, zahlte die Gewinne aus, und Curt betrachtete das kleine Häufchen Chips vor ihm. Seine Augen verengten sich, und er konzentrierte sich auf die hüpfende Kugel, die wieder in ein schwarzes Fach fiel. Der Stoß Geld vor ihm wurde höher, und Curt merkte, wie die Spannung stieg. Das war nicht die gewöhnliche Glückssträhne eines Spielers. Schon früher hatte er immer Glück gehabt, aber so viel wie heute noch nie. Er dachte an die Würfel und daran, wie er sie mit seinem Willen gezwungen hatte, die richtigen Zahlen anzuzeigen. Er dachte an die rollende Kugel des Rouletts und wie er verloren hatte, ehe er sich darauf konzentriert hatte. Und jetzt.. . Es schien fast, als ob er die rollende Kugel in seiner Gewalt hätte. Er experimentierte. Er setzte auf Farben oder auf Nummern, kniff seine Augen zusammen und zwang die Kugel auf die von ihm gewünschte Zahl. Er gewann. Er gewann immer. Er gewann so lange, bis die Sache monoton und der Haufen Chips vor ihm größer und größer wurde. Er sah, wie der Croupier zu schwitzen begann. Die Zuschauer mehrten sich. Sie folgten seinen Einsätzen. Sie warteten, 126
bis er gesetzt hatte, und setzten ihre ganzen Chips genau wie er. Während er gewann, gewannen auch sie. Die Gesichter der Leute um den Roulettisch röteten sich vor Erregung. Ihre Gegenwart irritierte Curt, und er begann freiwillig zu verlieren, in der Hoffnung, daß man ihm dann weniger Beachtung schenken würde. „Zehntausend auf Rot." Das Rad drehte sich. Die kleine Kugel hüpfte, und der Croupier atmete erleichtert auf, als er auf die gewinnende Zahl schaute. „Zero. Schwarz." Seine Hände zitterten ein wenig, während er die Gewinne einstrich. „Bitte das Spiel zu machen." „Zehntausend auf Rot." Curt lächelte, als er auf das rotierende Rad sah, und er lächelte wieder, als er die enttäuschten Seufzer der Leute hörte. „Zehntausend auf Rot." Er verlor wieder und wieder. Hinter sich hörte er die enttäuschte Stimme einer Frau, die den Spieltisch verließ. Ein Mann fluchte, als er sah, wie der Croupier sein letztes Geld einstrich. „Die Strähne ist vorüber. Heute nacht kann er nicht mehr gewinnen." „Ich werde Comain befragen. Er hat mir einen angenehmen Abend vorausgesagt, und ich fühle mich hundeelend. Außerdem habe ich keinen Pfennig mehr." „Lassen Sie uns etwas anderes versuchen. Dieser Tisch bringt uns nur Unglück." „Zum Teufel damit. Er hat mich eine Menge gekostet." Curt grinste, während er die verschiedenen enttäuschten Kommentare hörte, und verlor mit jedem Schlag. Der Croupier wurde wieder ruhiger, als er sah, wie die Noten in die Bank zurückflössen. Seine Stimme nahm wieder den gleichgültigen Ton von vorher ein. „Bitte das Spiel zu machen. Nichts geht mehr." Das Rad drehte sich, und Curt verlor. .Bitte das Spiel zu machen." „Gewinnen Sie?" Wendis lehnte sich über den Tisch zu Curt, der den 127
süßlichen Duft der exotischen Liköre riechen konnte. „Wie geht es, Curt? Haben Sie schon genug Geld gewonnen, um sich zurückziehen zu können?" „Nein." „Ich habe es mir gedacht." Wendis schwankte und hielt sich am Rand des Spieltisches fest. „Sie können an diesem Tisch nicht gewinnen. Keiner kann hier gewinnen. Hier haben wir keine Chance." „Glauben Sie, daß es nicht geht?" „Ich weiß es. Dieses verdammte Ding ist wie alles andere auf diesem verfluchten Planeten. Die Maschine läßt Sie nicht gewinnen. Sie erlaubt Ihnen überhaupt nichts." „Sie hassen Comain, nicht wahr, Wendis?" Curt betrachtete das rotierende Rad. .Warum?" „Da fragen Sie mich?" Die Wut ließ den jungen Mann sich zusammenreißen. Er straffte sich und sah Curt scharf an. .Glauben Sie, daß es mir Spaß macht, von einer Ansammlung von Drähten und Spulen regiert zu werden? Natürlich hasse ich Comain. Wer tut das nicht? Doch nur diese kleinen Schweinchen, die zufrieden sind, in ihrer engen, sicheren Welt zu leben. Ich bin nicht wie sie. Ich bin ein Mann, und ich möchte auch wie ein Mann leben." „Sie wollen die Maschine in die Luft jagen, die Zivilisation zerstören und die Erde wieder zur Anarchie und zum Bürgerkrieg führen." „Warum nicht? Die Erde interessiert mich nicht. Mich interessiert nur der Mars." „Würde Ihnen Geld genügen?" „Was?" Wendis feuchtete seine Lippen an und versuchte trotz seines Rausches einen klaren Gedanken zu fassen. „Wovon sprechen Sie?" „Wenn Sie Geld hätten, viel Geld, würde Ihnen das genügen? Könnten Sie davon ein Raumschiff kaufen und Ihren Nachschub sicherstellen? Wenn Sie reich wären, würde Ihnen die 128
Matriarchin dann erlauben, das Geld für eine Kolonie auf dem Mars auszugeben?" „Ich weiß es nicht", sagte Wendis bedächtig. „Ich habe niemals darüber nachgedacht. Ja, ich glaube, das wäre möglich. Sie konnten uns nur zwingen, auf die Erde zurückzukehren, weil wir wegen des Nachschubs von ihr abhängig waren. Wenn wir ihn uns selbst kaufen könnten, würden wir niemals zurückkehren müssen." „Na schön", sagte Curt ruhig. „Ich werde Ihnen das Geld beschaffen, einen Haufen Geld, aber danach lassen Sie mich bitte gefälligst in Ruhe." Abrupt warf er den ihm verbliebenen Rest auf den Spieltisch. „Das Ganze auf Doppelzero." „Jawohl, Sir." Der Croupier lächelte, während er das Rad drehte. Curt verengte seine Augen und starrte auf die rollende Kugel. In seinem Schädel schienen das Gehirn und die Gedanken wie Feuer zu lodern. Das Blut pulsierte, und seine Gedanken waren kristallklar. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Seine Handflächen wurden feucht. Die Kugel lief langsamer und hüpfte in das Fach. „Doppelzero!" Der Croupier starrte ungläubig auf das: Roulett. „Sie haben gewonnen." „Lassen Sie es stehen, lassen Sie es stehen", rief Curt. „Drehen Sie wieder." ,Ja, Sir." Der Mann seufzte erleichtert auf, während er das Rad von neuem drehte. „Wie Sie wünschen, Sir." Er lehnte sich auf den Rand des Tisches und wartete ungeduldig auf das Anhalten des Rades. Der junge Mann war ein Narr. Es war gegen alle Wahrscheinlichkeit, daß er auf derselben Nummer wieder gewinnen würde. Die Chancen standen alle dagegen, und das Geld war so gut wie für die Bank gewonnen. Der Schweiß trat auf seine Stirn, und er starrte auf die kleine, weiße Kugel in ihrem Fach. Seine Stimme war belegt, als er die Gewinnzahl bekanntgab. 129
„Doppelzero!" „Lassen Sie es stehen." Curt lächelte, während er Wendis betrachtete. „Das Rad ist also verflucht, nicht wahr? Ein Mann kann nicht gewinnen, haben Sie gesagt. Na? Und was tue ich jetzt?" „Doppelzero!" Die Stimme des Croupiers klang irr. „Lassen Sie es stehen." „Doppelzero!" „Lassen Sie es stehen." Der Geldberg vor ihm wuchs an, bedeckte den Tisch und fiel auf den Boden. Wendis starrte darauf. Seine Augen wurden klar, und sein Atem ging schneller, während er zusah, wie der Croupier mechanisch mehr und mehr Geld dazulegte. „Curt! Was ist hier los?" „Bitte das Spiel zu machen", flüsterte der Croupier krank. „Lassen Sie es stehen." Curt blickte zu dem jungen Metallsucher. „Meinen Sie das Reich?" „Ich weiß es nicht." „Wieviel haben Sie gewonnen?" Curt zuckte mit den Schultern und beobachtete das rotierende Rad. Es blieb stehen, und die Ideine Kugel rollte in ihr Fach. „Doppelzero!" Der Croupier ließ die Geldharke fallen. „Wieder! Sie haben jedesmal gewonnen. Ich kann das nicht verstehen." „Drehen Sie Ihr Rad", befahl Curt. „Ich kann nicht. Sie haben die Bank gesprengt. Wir haben kein Geld mehr." „Was? Unmöglich! Dieser Tisch hat keine Bank. Es gibt kein Limit." Wendis schaute den bleichen Croupier an. „Drehen Sie das Rad!"
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„Hören Sie auf, Wendis." Curt betrachtete den Riesenberg Geld. „Hier liegt genug Geld für Ihre Zwecke." .Für meine Zwecke? Wollen Sie damit sagen, daß Sie das alles mir geben wollen?" „Nicht alles." Curt stopfte sich etwas davon in seine Taschen. „Sie können den Rest haben. Sie und die Kolonisten." Er sah den Croupier an. „Wieviel habe ich gewonnen?" „Mehr als irgend jemand zuvor", flüsterte der Croupier. „Das gesamte Geld in diesem Saal. Zwanzig Millionen Chips!" Niedergeschlagen betrachtete er den riesigen Haufen Chips, der fast den ganzen Tisch einnahm.
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XIII. Kapitel Nyeeda saß an ihrem Schreibtisch und verrichtete die normale Routinearbeit. Wie gewöhnlich trug sie schimmerndes Schwarz, und die späte Nachmittagssonne reflektierte sich in dem goldenen Armreif. Ihre Sekretärin, eine einfache Frau mittleren Alters, arbeitete ruhig an ihrem Schreibtisch. Abgesehen von dem leichten Klappern des Fernschreibers war es im Büro still. Ein Videophon leuchtete auf. „Ja?" „Bericht von der Trans Europäischen Fluglinie, Madam. Sie sagen, daß eines Ihrer Verkehrsflugzeuge überfällig ist. Die Vorhersage für diesen Flug hatte drei Neunen hinter dem Komma." „Dann wird das Flugzeug ankommen", sagte Nyeeda gleichgültig. „Drei Neuner ist eine hohe Wahrscheinlichkeit. Dem Stratoliner kann nichts geschehen sein." „Wie Sie sagen, MaJam." Die Frau auf dem Bildschirm zögerte und warf einen Blick auf etwas, das sie in ihrer Hand hielt. „Weitere Berichte. Drei unvorhergesehene Ereignisse im Stadtzentrum. Das Unfallkommando kam zu spät, um die Gehirne zu retten. Der Tod war endgültig. Fünf weitere Fälle, in denen man sich beklagt hat, daß Vorhersagen mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad nicht eingetreten sind. Eine Anfrage von den Besitzern des Casinos nach einer Konsultation mit Comain über den erlaubten Rahmen hinaus." „Was?" Nyeeda runzelte die Stirn, während sie auf den Bildschirm blickte. „Aus welchem Grund?" „Die Vorhersage für die Einkünfte waren vollkommen verkehrt. In der letzten Nacht ist das Casino nahezu Bankrott gegangen." „Na und? Wissen Sie denn nicht, daß es Comain unmöglich ist, etwas vorherzusagen, das auf bloßem Zufall beruht?"
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„Ja, Madam, aber sie fordern ein persönliches Interview mit der Matriarchin." „Ich werde sie empfangen. Sonst noch etwas?" „Nein, ich..." Die Frau unterbrach sich, als jemand außerhalb des Blickwinkels des Schirmes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. „Neue Nachricht von dem Stratoliner, Madam. Wrackteile sind fünfzig Meilen von der Küste entfernt gesichtet worden. Die Untersuchung ergab, daß sie von dem überfälligen Flugzeug stammen müssen." „Was?" Nyeeda schluckte. Ihre Sekretärin unterbrach ihre Arbeit und schaute sie an. „Ich werde mich darum kümmern", rief Nyeeda. „Informieren Sie mich über alle Neuigkeiten." „Ja, Madam." Der Bildschirm zitterte und erlosch. Einen Moment lang saß Nyeeda regungslos da. Dann stand sie grimmig auf. „Ich gehe zu Comain", rief sie ihrer Sekretärin zu. „Dann werde ich die Matriarchin aufsuchen. Berichten Sie mir alle wichtigen Ereignisse." Die ältere Dame nickte und begann wieder zu schreiben. Ein Lift fuhr Nyeeda tief in das Herz des Gebäudes hinunter. Neunzig Meter unter dem Meeresspiegel stieg sie aus. Ein Metamann mit dem flackernden roten Licht seiner Augen vertrat ihr den Weg und ließ sie, nachdem sie das Kennwort gesagt hatte, passieren. Der schmale Gang hörte auf, und sie überquerte einen großen Platz. Das Mädchen drückte sein Handgelenk gegen eine Selenplatte, die in einem Schlitz nahe der geschlossenen Tür untergebracht war. Die Maschinen fingen an zu summen, nachdem die Nummer registriert wurde, elektronische Relais klickten, und die Tür schob sich geräuschlos zur Seite. Sie führte in ein kleines Zimmer. In diesem Zimmer war Comain. Ein Stuhl, ein niedriges Bett, ein leuchtendes Auge, eine Sprechmuschel, ein Mikrofon und ein Helm aus einem undefinierbaren Metall, das war Comain. Natürlich war es nicht 133
die Maschine, nicht die Reihen der Speicherwerke und die verwickelten, unvorstellbar langen Drähte, nicht die Atommeiler und die Millionen Elektronenröhren. Diese waren weit unten verborgen. Nichts desto weniger war das Comain. Nyeeda saß auf dem Sessel und schaute in das leuchtende Auge. Ein Schalter wurde von ihr heruntergedrückt, und eine kalte, menschenunähnliche Stimme ertönte. Ja?' „Nyeeda, Sekretärin der Matriarchin, autori- . siert dazu, geheimste Fragen zu stellen." Während sie ihre Routineidentifizierung aussprach, entblößte sie ihr linkes Handgelenk und hielt es gegen das Auge. Ja?" „Ein Passagierflugzeug der Trans Europäischen Linie ist abgestürzt. Der Flug hatte eine Voraussage mit drei Stellen hinter dem Komma. Warum ist es abgestürzt?" „Ungenügende Daten. Setzen Sie den Helm auf." Gehorsam setzte Nyeeda den Mattenhelm auf ihr langes, schwarzes Haar. Eine rote Lampe leuchtete auf. Sie setzte den Helm wieder ab und wartete geduldig auf die Antwort. „Der Unbekannte Faktor", tönte es aus dem Lautsprecher. „Drei Neunen sind keine Gewißheit. " „Man ist ihr aber so nahe, daß kaum noch ein Unterschied besteht. Das ist das erste Mal, daß so etwas geschehen ist. Erkläre es." „Es wurde kein Unglück vorhergesagt. Es dürfte kein Unglück stattgefunden haben." „Es hat aber stattgefunden." „Der unbekannte Faktor." „Ich verstehe." Nyeeda biß sich auf die Lippen. „Was ist mit den anderen Begebenheiten?" „Drei unvorhergesehene Ereignisse deuten auf das Vorhandensein einer nicht registrierten Kraft. Solange keine vollständigen Angaben gemacht worden sind, muß jede Vorhersage angezweifelt werden."
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„Die Angaben sind vollständig", rief das Mädchen. „Mit der Registrierung der Marskolonisten sind die Informationen jedes Mannes und jeder Frau auf diesem Planeten in den Speicherwerken. Wie kann es da eine nicht registrierte Macht geben?" „Es ist aber so eine Macht vorhanden." „Ich verstehe." Nyeeda betrachtete die kahle Wand der Zelle. Wie gewöhnlich hatte sie den fast überwältigenden Eindruck, zu einem lebenden Wesen zu sprechen, statt zu einer hochentwickelten Maschine. Der Schreibstreifen des ursprünglichen Preddktors war schon vor langer Zeit durch ein Sprachorgan ersetzt worden, was die Leute unweigerlich dazu veranlaßte, die Maschine immer mehr als etwas Intelligentes und Lebendiges zu betrachten. Das stimmte natürlich nicht. Die Antworten kamen aus den Speicherwerken, wurden in Worte übersetzt und tönten aus dem Lautsprecher. Aber der Eindruck blieb, und es fiel schwer, sich unter Comain etwas anderes als einen Menschen vorzustellen. „Bestimme die Zeit, wann diese unbekannte Kraft entdeckt wird." „Eine paradoxe Frage. Da die Kraft unbekannt ist, ist es unmöglich, den Zeitpunkt ihrer Entdeckung zu bestimmen. Wenn so eine Voraussage möglich wäre, wäre die Kraft nicht unbekannt." „Ich verstehe." Nyeeda sah in das rote Licht des leuchtenden Auges. „Was ist mit dem Kasino?" „Für das sogenannte Wahrscheinlichkeitsgesetz gibt es keine Voraussage. Eine Münze kann ebensogut eine Million egal fallen, wie sie genauso oft auch anders fallen kann." „Aber du hast nicht vorausgesagt, daß das Casino fast bankrott gehen würde." .Der unbekannte Faktor." .Erkläre." 135
„Die Vorhersage basiert auf bekannten Daten. Die Kenntnis der in dieses Spiel eingeschlossenen Personen schloß von vornherein aus, daß einer von ihnen über ein bestimmtes Maß hinaus weiterspielen würde. Dabei hätte sich der normale Gewinn und Verlust des Casinos ausgeglichen. Irgendeine Kraft hat diese Vorhersage über den Haufen geworfen." „Ist es dieselbe Kraft, die die drei unvorhergesehenen Ereignisse verursacht hat und auch den Stratoliner zu Bruch gehen ließ?" „Voraussage eines unbekannten Faktors mit einer Wahrscheinlichkeit von neun Neunen." „Ist es ein Mann?" „Ungenügende Daten." .Es kann kein- Mann sein." Nyeeda betrachtete die Maschine hilflos. „Wir wissen, daß jeder Mann und jede Frau auf der Erde registriert wurde, und dennoch sagst du, daß es einen unbekannten Faktor gibt. Kannst du einen Zeitpunkt angeben, seit wann diese unbekannte Kraft aufgetreten ist?" „Vor der Landung der Marskolonisten ist keine derartige Kraft entdeckt worden." „Dann sind also sie dafür verantwortlich." Die Wut färbte die weißen Wangen der Sekretärin. „Sie haben nichts als Aerger verursacht, aber das werden wir jetzt abstellen. Ich werde dafür sorgen, daß sie alle erneut registriert werden. Das müßte Licht in diese Affaire bringen." Sie zögerte, betrachtete die Maschine, und wie immer fielen ihr all die Fragen ein, die sie stellen könnte, wenn sie es nur aushielt, auf die Antworten zu warten. Sie könnte den Zeitpunkt des Todes der Matriarchin erfahren, könnte erfahren, ob sie die Nachfolgerin würde oder nicht, ja, sie könnte sogar den Zeitpunkt ihres eigenen Todes erfahren, wenn sie es nur ertragen würde, die Antworten zu kennen. Aber das konnte sie nicht. Sie wußte es, aber sie wußte auch, daß, wenn sie diese Frage stellen würde, andere erfahren könnten, 136
daß sie diese Frage gestellt hatte. Langsam verließ sie die Zelle, und die Tür schloß sich hinter ihr. Der Metamann, an dem sie vorbeiging, sah sie an. Dann brachte sie der Lift wieder in das Obergeschoß. Als sie ankam, wartete die Matriarchin schon auf sie. „Na?" Die alte Dame kniff die Lippen zusammen und betrachtete ihre Sekretärin. „Hat dir Comain alle Antworten gegeben?" „Nein, Madam. Ich konnte nur erfahren, daß eine unbekannte Kraft am Werk ist, die alle Vorhersagen ungenau macht. Diese Kraft existiert seit der Landung der Marskolonisten und muß irgendwie mit ihnen zusammenhängen." „Das hätte ich dir selbst sagen können. Ich habe Comain sofort befragt, nachdem ich erfahren hatte, was in der vergangenen Nacht im Casino geschehen war." „Was sollen wir tun, Madam? Wenn uns Comain nicht helfen kann ..." Nyeeda sah die alte Dame hilflos an. „Dann müssen wir uns selbst helfen. Ich habe den Croupier interviewt, der das Roulettrad gedreht hat, an dem das ganze Geld verloren wurde. Er hat die Person, die gewonnen hat, beschrieben und diese Informationen selbstverständlich an Comain weitergegeben. Es ist ein Mann, ein nicht registrierter Mann. Darüber kann es keinen Zweifel geben." „Unregistriert?" Nyeeda sah sie erstaunt an. „Wie kann das möglich sein?" „Warum fragst du mich? Du warst für die Landung verantwortlich. Dieser Mann ist offensichtlich vom Mars gekommen." „Nein, dieser Mann kann kein Kolonist gewesen sein. Die Metamänner haben sie gezählt, registriert, und außerdem hätte Comain durch sie von dem Mann erfahren müssen." „Das ist wahr." Die Matriarchin runzelte die Stirn, während sie weitersprach. „Dennoch ist diese unbekannte Kraft ein Mano. Da 137
Comain ihn nach der Beschreibung durch den Croupier nicht erkennen konnte, müssen wir annehmen, daß er nicht registriert worden ist. Aber wer er auch immer sein mag, es steht fest, daß er gestern nacht zwanzig Millionen gewonnen, drei unvorhergesehene Unfälle verursacht und uns mit den Marsianern noch mehr Aerger bereitet hat als vorher." „Wieso?" „Sie wollen ein Raumschiff, wollen Verpflegung und Ausrüstung kaufen. Sie wollen zurück auf den Mars." „Warum sollten wir sie dann nicht gehen lassen?" „Bist du verrückt, Nyeeda? Warum, denkst du denn, haben wir sie auf die Erde zurückgeholt? Doch nur deswegen, weil wir sie ganz unter unserer Kontrolle haben wollten. Wir haben sie gezwungen, zurückzukommen, und sie kamen, weil sie wegen der Verpflegung von uns abhängig waren. Nun haben sie Geld, viel Geld, und es sieht so aus, als ob sie noch mehr bekommen könnten. Verstehst du nun das Problem?" „Verweigern Sie ihnen doch das Raumschiff. Sperren Sie ihnen die Ausreise." „Damit würde ich nur Streit heraufbeschwören." Die alte Dame schüttelte den Kopf. „Wenn wir einmal damit anfangen, Nyeeda, wissen wir nicht mehr, wo wir aufhören sollen. Nein. Ob Mann oder Frau, jedem muß das Recht garantiert werden, das Geld nach seinem eigenen Gutdünken auszugeben. Dieses Recht dürfen wir nicht verletzen. Das einzige, was wir tun können, ist, ihre Abreise zu verzögern. Das habe ich bereits veranlaßt und hoffe, daß sie nach einiger Zeit damit einverstanden sein werden, zu bleiben." Sie knirschte mit den Zähnen. „Unsere Hauptaufgabe besteht jetzt darin, diesen nicht registrierten Mann zu fassen. Bis dahin kann nichts unternommen werden." „Ist er denn so ungeheuer wichtig?" Nyeeda zuckte mit den Schultern, während sie die Reproduktion seines Bildes betrachtete, das nach den Aussagen der Leute, die ihn gesehen
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hatten, angefertigt worden war. „Er scheint sehr jung zu sein. Ist er denn so gefährlich?" „Gefährlich? Dieser Mann bedroht die Sicherheit unserer gesamten Zivilisation!" Die Matriarchin ließ sich in den Stuhl fallen. „Vor fahren noch hätte das keine so große Rolle gespielt, aber heute, da wir vollkommen auf Comain angewiesen sind, ist es das gefährlichste, was es überhaupt geben kann. Stell dir doch einmal vor, Nyeeda, alles, was er tut, jede seiner Handlungen, bringt die Voraussagen durcheinander, auf denen unsere Zivilisation basiert. Gestern nacht hat er zwanzig Millionen gewonnen. Diese bloße Tatsache hat die Voraussagen für drei Menschen verändert. Vielleicht sind sie, als sie ihn beobachteten, länger geblieben, als sie es sonst getan hätten. Vielleicht sind sie mit ihm zusammen gewesen, haben mit ihm gesprochen oder irgend etwas getan, was sie veranlaßt hat, zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle zu sein, einer Stelle und einem Zeitpunkt, bei dem sie unter normalen Umständen aus dem Bereich der Gefahr gewesen wären. Vielleicht hat der Pilot des Stratoliners über ihn nachgedacht, während sein Flugzeug verunglückte. Alles ist möglich. Wir müssen diesen Mann bekommen, Nyeeda, und das so schnell wie möglich." „Die Metamänner?" „Sie sind alarmiert worden. Sein Steckbrief wird an jeder öffentlichen Stelle ausgestellt. Für seine Verhaftung ist eine Belohnung von einer Million ausgesetzt." „Wird das nicht gerade das heraufbeschwören, was Sie am meisten befürchten? All diese unvorhergesehenen Aktionen werden es notwendig machen, daß Comain seine sämtlichen Daten revidiert. " „Na und? Wenn wir es nicht tun, stellt er sowieso alles auf den Kopf. Je schneller wir es jedoch tun, desto eher werden wir Informationen erhalten, die uns auf seine Spur bringen. Sobald wir wissen, wo er ist, wie er auf die Gefahr reagiert, wohin er wahrscheinlich gehen wird, kann Comain seine zukünftigen 139
Handlungen voraussagen und seine Verhaftung vereinfachen. Aber wir müssen mehr über ihn wissen." „Ein einzelner Mann", sagte Nyeeda langsam. „Es scheint unglaublich, daß ein überzähliger Mann so große Folgen hat." „Er war eine Gefahr, die wir nicht vorausahnen konnten. Jede Geburt und jeder Todesfall ist registriert. Es ist mir unvorstellbar, wie er seiner Registrierung entgangen sein kann." Die alte Dame betrachtete ihre Hände. „Das alles können wir später herausfinden. Zunächst müssen wir ihn wie einen Hund jagen, wenn nötig, sogar töten. Aber wir müssen ihn fassen, schnell fassen." „Bin ich dafür verantwortlich?" „Ja." „In Ordnung, Madam. Ich werde ihn Ihnen binnen zwei Tagen bringen." „Das rate ich dir", sagte die Matriarchin grimmig, und Nyeeda zitterte bei dem Gedanken an die unausgesprochene Drohung.
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XIV. Kapitel Im lärmenden Treiben der Stadt war der Park eine Oase der Ruhe. Zwischen blühenden Stauden und hohen Bäumen dehnten sich sanfte Wiesen in der späten Nachmittagssonne. Die Luft war schwer vom Duft der Blüten. Vögel trillerten und zirpten in den Zweigen. Zwischen den Wiesen wanden sich schmale Pfade, auf denen bequeme, aus einem plastischen Material hergestellte Bänke standen. Curt Rosslyn saß auf einer von ihnen und entspannte sich in der sommerlichen Wärme. Es war Zeit für ihn, einmal über alles nachzudenken. Bis jetzt war er nach ihrem Willen verfahren, hatte getan, was man ihm gesagt hatte und an das geglaubt, was er sollte. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Seine Wiedererweckung auf dem Mars, die Reise zur Erde und die Erregung, die das Zusammenprallen mit einer für ihn neuen Zivilisation mit sich gebracht hatte, ließ keinen klaren Gedanken in ihm aufkommen. Nun war er all diese Dinge los, war Wendis, Lasser, Carter und Menson, war ihre Propaganda und ihre selbstsüchtigen Interessen los. Gestern nacht nach dem Spiel im Casino war er untergetaucht und stundenlang durch die Straßen gewandert, bevor er diesen Park gefunden hatte. Seither hatte er wenig geschlafen und viel nachgedacht. Was war in ihm, daß er das Fallen von zwei Würfeln oder der Roulettkugel in ein bestimmtes Abteil bestimmen konnte? Früher war ihm das nicht möglich gewesen, obwohl er wie die meisten Spieler bemerkt hatte, daß Konzentration ihm gewinnen half. Das war aber mehr als das gewesen. Auf dem Pfad vor ihm hob sich ein grünes Blatt gegen den weißen Beton ab. Er starrte es an und konzentrierte seine Gedanken darauf. Das Blatt bewegte sich.
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Es hob sich ein kleines Stückchen und flatterte. Es rutschte ein Stück weiter und drehte sich, wie durch den Wind bewegt, obwohl die Zweige der Bäume sich nicht bewegten. Es war windstill. Er konzentrierte sich erneut, und es war ihm, als ob sein Gehirn in seinem Schädel brannte. Der kalte Schweiß stand auf seiner Stirn. Das Blatt bewegte sich wieder, stellte sich schräg und flog plötzlich fort. Telekinese! Curt hatte darüber gelesen, kannte sie und hatte sich darüber gewundert, daß solche paraphysikalischen Phänomene überhaupt existierten. Nun hatte er selbst den Beweis dafür erbracht. Die einzige logische Erklärung für die geschehenen Dinge war, daß er die Bewegungen der Würfel, der Kugel, des Rades und des Blattes mit seiner Geisteskraft beeinflußt hatte. Er hatte sie mit seinem Willen dazu gezwungen, sich zu bewegen. Irgendwie hatte irgend etwas ihn von einem normalen Menschen verwandelt in ein .. . In was? Er zuckte mit den Schultern und dachte nicht mehr darüber nach. Was er war und wieso er ungewöhnliche Kräfte besaß, war ein Problem, das er auch noch später lösen konnte. Zunächst mußte er sich über seinen nächsten Schritt klar werden. Nach dem, was Lasser und die anderen ihm gesagt hatten, empfand er wenig Sympathie für die Marsianer. Sie hatten ihn wiedererweckt, dafür war er ihnen dankbar, aber er hatte ihnen zwanzig Millionen geschenkt und betrachtete damit die Schuld als abgegolten. Es war nur natürlich, daß sie unzufrieden waren, aber er betrachtete das Problem auch von der anderen Seite. Es war unwirtschaftlich, ständig Güter in einer Kolonie zu investieren, die sich nicht erhalten konnte. Darüber hinaus ging es, wenn Lasser die Wahrheit gesprochen harte, nicht nur darum, ein paar hundert Menschen auf einem unfruchtbaren Planeten zu unterhalten, sondern viel mehr hing die Zukunft der gesamten Zivilisation davon ab, ob sie auf der Erde waren oder nicht. 142
Comain wollte sie wieder zu Hause haben. Er lächelte, während er an seinen Freund dachte. Es war schwer, sich vorzustellen, daß er und diese Maschine nicht dasselbe waren. Es schien so kurze Zeit her zu sein, daß er seine Stimme über den Lautsprecher gehört hatte, daß sie zusammen auf der Wüste der Poker Fiats gestanden, zu den fernen Stemenwelten hinaufgesehen und zusammen ihren Träumen nachgehangen hatten. Comain fehlte ihm. Jetzt mußte er für sich selber sorgen. Ein einzelner Mann konnte unmöglich ein Regierungssystem bezwingen. Ungeachtet dessen, was Lasser gesagt hatte, wußte Curt, daß das unmöglich war. Sein Problem' war in der Tat einfach. Er mußte zwischen einem verlorenen Mars und der Erde wählen. Der Erde! Er lächelte, während er die Bäume und Blüten betrachtete und an eine Frau, vielleicht sogar an Kinder und ein angenehmes Alter dachte. Alle diese Dinge hatte er für ewig verloren geglaubt. Jetzt wartete es auf ihn und darauf, daß er sich dieser neuen, interessanten Welt anpassen würde. Langsam erhob er sich und verließ den Park. Fast wäre er an der Zelle, die wie ein Telefonhäuschen aussah, vorbeigegangen. Dann bemerkte er, daß es das war, wonach er Ausschau gehalten hatte. Er trat ein, schloß die Tür hinter sich und fühlte eine eigenartige Erregung in sich aufsteigen, während er den schweren Helm, das rubinrot leuchtende Auge, den Sessel und das Armaturenbrett betrachtete. Comain! Nervös setzte er sich und drückte auf den Knopf. „Ja?" „Ich bitte um Auskunft." „Ihr Name und die Registrierungsnummer?" „Wendis. Nummer..." Er las sie laut ab und wurde unterbrochen. 143
„Halten Sie Ihr entblößtes Handgelenk gegen das Auge." „Ja. Wie Sie wollen." Nervös hielt er sein Handgelenk gegen das rotleuchtende Auge. „Ist es so richtig?" „Ja." „Gut." Während er dasaß, herrschte völliges Schweigen, und er rückte unruhig hin und her, darauf wartend, daß die Maschine sprechen würde. Nichts geschah, bis ihm plötzlich einfiel, daß er seinen Finger nicht mehr auf dem Auslösemechanismus hatte. Verbissen drückte er den Knopf. „Ja?" „Ich möchte eine Auskunft." „Identifizieren Sie sich." „Wendis." Curt hielt sein Handgelenk gegen das forschende Auge. „Ja?" Curt leckte sich nervös über seine ausgetrockneten Lippen, drückte seinen Finger fest auf den Knopf und wünschte sich, daß er sich schon vorher darüber informiert hätte, wie Comain zu sprechen- sei. „Welche Strafe steht auf Nichtregistrieren?" „Zehn Jahre Zwangsarbeit." „Ich verstehe. Wie registriert man sich?" „Indem man den Helm aufsetzt." „Ist das alles?" „Ja." Curt zitterte. Die kalten, unmenschlichen Worte aus dem Lautsprecher ließen ihn wünschen, niemals die Zelle betreten zu haben. Einen Augenblick lang kämpfte er gegen den Wunsch an, aufzustehen und die Zelle mit der unmenschlichen Stimme und
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der ihm fremden Steuerung zu verlassen. Dann fiel ihm ein, daß es ja nur eine Maschine war. „Wie ernährt man sich am besten in dieser Welt?" „ Ungenügende Daten." „Was meinen Sie?" „Ungenügende Daten." „Verdammt!" Curt starrte in das forschende Auge. Er erkannte, daß sogar einer Maschine, die fast jede.Frage beantworten konnte, Grenzen gesetzt waren. Es war eben nur eine Maschine. Sie hatte keine Willenskraft und konnte nur Fragen beantworten, die man ihr stellte. Sie konnte nur kalt und logisch antworten, der Antwort nichts hinzufügen und nicht, wie das ein Mensch tun würde, unausgesprochene Fragen beantworten, Vorschläge machen und aus sich heraus eine Auskunft geben. „Ich bin fremd in dieser Stadt", sagte Curd langsam. .Was soll ich am besten unternehmen?" „Setzen Sie den Helm auf." „Was?" Curt schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht." Schweigen, während die Maschine auf seine neue Frage wartete. „Sage meine zukünftigen Handlungen voraus." Curt grinste, während er an das dachte, was Lasser ihm gesagt hatte. „Was soll ich morgen tun?" „Nichts." „Warum nicht?" „Die Vorhersage richtet sich nach den Handlungen. Fünfundvierzig Prozent Wahrscheinlichkeit. Sie versuchen, ein Raumschiff zu kaufen." „Was?" Curt ließ fast den Knopf los, dann begann er zu verstehen und ließ sich in den Stuhl sinken. Die Vorhersage war richtig - für Wendis. Diese Maschine hatte ihn für den Aste-
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roidenmetallsucher gehalten. Genau das würde dieser junge Mann jetzt versuchen. Müde verließ er die Zelle und1 lief die Straße hinunter. Er hatte Hunger und sah sich nach einem Restaurant um. Er würde essen, dann einen Polizisten suchen und sich ergeben. Die Maschine konnte ihm nicht helfen. Er wollte nicht wie ein Ausgestoßener durch die Stadt irren. Nicht einmal seine Fähigkeit, zu gewinnen, würde den vollständigen Mangel an Gesellschaft und Verständnis ausgleichen können. Geld würde er immer gewinnen können. Die helle Lichtreklame eines Restaurants zog seine Aufmerksamkeit an. Er ging hinein, ließ sü in einen Stuhl fallen und betrachtete verständnislos eine Reihe Knöpfe zu seiner Rechten. Er drückte auf einige von ihnen und wartete gespannt darauf, was geschehen würde. Summend begann eine Maschine zu arbeiten. Ein Brett glitt zur Seite, und vor ihm erschien ein Tisch mit dampfenden Gerichten. Er hob das Tablett und lächelte, als er darin die Modernisierung einer alten Idee erkannte. Er hatte ein Selbstbedienungsrestaurant erwischt. Die Mahlzeit erwärmte ihn und beseitigte teilweise die kalte Furcht, die sich seiner bemächtigt hatte. Entspannt betrachtete er das überfüllte Restaurant Am Nebentisch saßen ein Mann und eine Frau, die sich mehr mit sich selbst als mit der Mahlzeit beschäftigten. Ihm fiel die ungezwungene Art auf, mit der sie ihre Zuneigung zur Schau stellten. In einer Hinsicht wenigstens hatte sich diese Welt nicht geändert. Auf einer Wand war ein riesiger, farbiger Bildschirm, von dem soeben eine Frau herunterblickte. Sie hatte langes, schwarzes Haar. Ihre beiden herrlichen dunklen Augen wurden von starken Augenbrauen umsäumt. Sie trug ein Kleid aus einem schimmernden, schwarzen Material. Ihre vollen Lippen hoben sich rot gegen ihre weiße Haut. Curt betrachtete sie und, von ihrer Schönheit gefangengenommen, entging ihm die plötzliche Ruhe im Restaurant. 146
„Eins wichtige Durchsage von der Matriarchin", sagte die Frau. „Es wurde heute festgestellt, daß ein Feind des Staates frei umherläuft. Dieser Mann gefährdet die Sicherheit jedes einzelnen von uns. Die Matriarchin hält ihn für so wichtig, daß sie für Informationen, die zu seiner Verhaftung führen, eine Belohnung von einer Million zahlen wird. Denken Sie daran, es ist von lebensnotwendiger Wichtigkeit, daß dieser Mann, so schnell wie irgend möglich, verhaftet wird. Sein Steckbrief wird so lange auf jedem öffentlichen Bildschirm gezeigt werden, bis die Matriarchin es nicht mehr für notwendig erachtet. Ende der Durchsage." Das Bild löste sich in ein Farbenspiel auf und: zeigte dann statt der ruhigen Züge dieser Frau ein anderes Bild. Curt starrte es an. Das Blut hämmerte in seinen Schläfen, und eine unsichtbare Hand zog ihm das Herz zusammen. Dort auf dem Schirm war in bemerkenswerter Deutlichkeit sein eigenes Bild zu sehen. Das Murmeln der vielen Stimmen und die Geräusche des Essens kamen wieder an sein Ohr. Er ignorierte sie. Er hatte nur Augen für das Bild auf dem Bildschirm. Sein eigenes Gesicht war bis auf einige unwichtige Einzelheiten deutlich zu erkennen. Er starrte es an und las die darunter stehenden Wort: „Eine Million Belohnung für die Verhaftung dieses Mannes!" Benommen stand er auf und schritt auf den Ausgang zu, jeden Moment gewärtig, gestellt zu werden. Während er zur Tür kam, lächelte ihn eine Dame an, und panischer Schrecken stieg in ihm hoch. „Ihre Rechnung, Sir." „Ja, natürlich." Er drückte ihr ein paar Banknoten in die Hand und schritt schnell weiter. Als er drei Schritte von der Tür weg war, hörte er ihren verwunderten Ausruf. „Dieser Mann! Halten Sie diesen Mann!" Was dann folgte, war eine Woge der Erregung. 147
Ein Mann sprang auf ihn zu und stürzte mit zerschmettertem Mund zurück. Ein anderer stellte ihm das Bein und schrie schmerzlich auf, als Curt ihm dagegen trat. Dann war er bei der Tür, stieß sie mit dem Fuß auf und raste aus dem Restaurant. Menschen starrten ihn an. Eine Frau schrie einen Warnungsruf. Aus einer Nische trat etwas Großes und Metallisches mit zusammengefügten Armen und schweren metallischen Füßen hervor. Curt bremste scharf ab, sah der entgegenkommenden Figur des Metamannes wild entgegen und rannte nach der anderen Seite. Ein bläulicher Feuerstrahl zischte durch die Luft, dorthin, wo er noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Ein zweiter blauer Strahl verpaßte ihn um Haaresbreite, und Curt fühlte, wie seine Beine gefühllos wurden. Verzweifelt rannte er zwischen ein paar Frauen hindurch, raste um eine Ecke und rannte in Richtung des ihm bekannten kleinen Parks. Er hatte keine Chance, und er wußte es. Er war als Fremder in einer fremden Stadt. Sie mußten ihn in wenigen Stunden fangen. Aber sein Instinkt ließ ihn weiterrennen und zwang ihn dazu, dem robotähnlichen Ding, das ihn verfolgte, zu entkommen. Wieder ließ ein blauer Strahl sein Blut gefrieren, verlangsamte seine Reflexe und paralysierte ihn. Der Schmerz drohte ihn zu überwältigen, während er seine ganze Kraft aufbot, sich auf den Beinen zu halten. Mit einem schrillen Aufheulen seiner Turbine raste ein Wagen an ihm vorbei. Der Fahrer starrte ihn an und brachte den Wagen mit kreischenden Rädern zum Stehen. Ein Mann stürzte heraus. Ein metallisch funkelnder Gegenstand lag in seiner Hand. Seine Worte überstürzten sich. „Hier lang, Gart! Spring in den Wagen." „Wendis!" „Curt, mach, was ich sage. Wütend biß der junge Mann die Zähne zusammen. Er hob den leuchtenden Gegenstand in seiner 148
Hand, und die Schüsse hallten von den Gebäuden wider. „Spring in den Wagen. Los!" Curt fluchte und stürzte auf die offene Tür des Turbinenwagens zu. Hinter sich hörte er Wendis fluchen, der ununterbrochen schoß. Dann traf ihn der blaue Feuerstrahl, und er fiel in einen bodenlosen dunklen Abgrund.
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XV. Kapitel Schmerzen und das Stöhnen schwer arbeitender Männer, Schmerzen und das dumpfe Gefühl schwerer Schläge, Schmerzen und der schreiende Protest gefühlloser Nerven und Muskeln, die wärmer wurden und den qualvollen Weg ins Bewußtsein zurückgingen. Curt stöhnte und wand sich unter dem Griff vieler Hände hin und her. Er erschauerte, krümmte sich und schrie vor Angst, als das Blut in ihm wieder zu pulsieren begann. Aus weiter Ferne hörte er eine bekannte Stimme. „Ruhig, Curt, es wird dir weh tun." Es tat weh. Es füllte seine Venen wie mit einer Säure, und es war ihm, als ob seine bloßliegenden Nerven mit Schmirgelpapier bearbeitet würden. Es war, als ob jede Zelle seines Körpers mit glühenden Zangen gefaßt würde. Die Schmerzen zerrten an seinem Gehirn und gingen durch das Mark seiner Knochen. Es war die Hölle. Dann wurde es schwarz um ihn, und er sank in tiefe Bewußtlosigkeit. Bereitwillig flüchtete er sich darein, um dem unsagbaren physischen Schmerz zu entrinnen. Irgend etwas riß ihn zurück in die Wirklichkeit. Die Schmerzen waren fast unerträglich. Lasser sah ihn mit seinen eingefallenen Augen an. „Reiß dich zusammen, Gurt. Es wird dir jetzt wieder besser gehen." „Was ist denn geschehen?" Curt leckte sich über die Lippen, als er den krächzenden Laut hörte, der aus seiner Kehle kam. Er hob seinen Arm hoch und schaute verwundert auf seine zitternden Finger. Er fuhr sich ins Gesicht und zuckte zusammen, als er die verletzte Haut berührte. „Der Metamann hat Sie mit seinem Para Strahl getroffen. Wendis hatte Glück. Er brachte es fertig, dessen forschende Augen zu zerstören und entkam der Menge. Seither haben wir ständig an Ihnen gearbeitet." 150
„An mir gearbeitet!" Curt schauderte und richtete sich auf. „Was haben Sie mit mir gemacht? Haben Sie mich auseinandergenommen?" „Nein. Sie waren paralysiert. Wir mußten ihnen eine künstliche Atmung geben, das Herz massieren, den Blutkreislauf aufrechterhalten und aufpassen, daß die Gehirnzellen nicht zerstört wurden. Wem wir kein Glück gehabt hätten, wären Sie ein zweites Mal gestorben, und diesmal wäre es für immer gewesen." „Aber...?" Curt stöhnte, während er sich in eine angenehmere Lage brachte. „Ich habe immer gedacht, daß ein paralysierender Strahl einen Mann nur umfallen läßt und ihn daran hindert, seine Glieder zu gebrauchen. Zu meiner Zeit haben wir das als Friedenswaffe der Zukunft angesehen. " „Friedenswaffe." Lasser nieste verächtlich. „Ich nehme an, daß Sie dachten, daß die Glieder paralysiert werden können, ohne daß der gesamte andere Mechanismus in Mitleidenschaft gezogen wird. Das geht nicht. Der Para Strahl kann einen Mann zum Krüppel, ihn hilflos machen, aber diese Waffe ist sehr gefährlich. Das Herz hört auf zu schlagen, die Lungen arbeiten nicht mehr, die Blutzirkulation bleibt stehen, das gesamte Muskelsystem wird gelähmt. Dasselbe geschieht bei einer Vergiftung mit Curare. Wenn man sofort handelt, und Glück hat, kann man einen Mann künstlich so lange am Leben halten, bis die Paralyse vorbei ist. Aber die Sache ist höchst gefährlich. Wenn ich nicht zufällig hiergewesen wäre, als Wendis Sie brachte, wären Sie jetzt schon tot." „Sie wollten mich also töten." Curt schauderte. „Warum? Was habe ich ihnen getan?" „Ist das nicht offensichtlich? Sie haben die Voraussagen von Comain durcheinandergebracht. Das allein schon würde genügen, daß die Matriarchin Sie zum Tode verurteilen würde. Aber Sie haben mehr getan." „Ja?" 151
„Da Sie das ganze Geld gewonnen haben, haben Sie uns unabhängig gemacht. Nun müssen wir nicht mehr auf dem Mont Everest arbeiten. Wir können alle zusammenbleiben und sind deswegen für die Regierung eine ständige Gefahrenquelle. " „Ist das nicht genau das, was Sie erreichen wollten?" „Vielleicht." Lasser sagte gedankenvoll zum Fenster hinaus: „Ich gebe zu, daß ich etwas Derartiges vorgehabt habe, aber das spielt jetzt keine Rolle. Sie wissen von Ihnen. Sie wissen, wie Sie aussehen, und ich möchte wetten, daß Sie auch wissen, wie Sie hierhergekommen sind. Das bedeutet, daß Sie keine geheime Kraft mehr sind, die gegen den Staat arbeitet. Sie sind gefährlich, bekannt und verdächtig. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Sie gefangen werden." „Ich verstehe." Curt gab sich keine Mühe, seine Bitterkeit zu verbergen. „Mit anderen Worten, ich habe meine Schuldigkeit getan." Er erhob sich. „Ich verstehe Ihren Wink, Lasser. Ich nehme an, daß ich Ihnen für die Rettung meines Lebens dankbar sein muß. Aber zwanzig Millionen können verdammt hohe Schulden decken. Kann ich sagen, daß wir quitt sind?" „Wovon sprechen Sie?" „Sie wollen mich nicht mehr, nicht wahr? Sie haben gesagt, daß ich gefährlich sei. Sie mögen recht haben, aber das spielt jetzt keine Rolle. Wenn Sie dabei erwischt werden, daß Sie mich verstecken, bedeutet das für Sie und alle anderen, Kolonisten Schwierigkeiten. Das aber will ich nicht." Er lächelte humorlos. „Und? Worauf warten Sie? Sie haben die Chance, noch eine Million dazuzuverdienen. Warum tun Sie es nicht?" „Ich weiß nicht, was Sie meinen?" Lasser betrachtete den jungen Mann, aber es lag etwas in seinen eingefallenen Augen, das Curt sagte, daß er die Gedanken des alten Mannes richtig gelesen hatte: „Sie glauben doch nicht etwa, daß wir Sie den Metamännern übergeben werden?"
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„Nein? Warum nicht? Wenn Sie es täten, wären Sie aus allem heraus. Los. Ich werde Sie nicht aufhalten." „Ich ..." Der alte Mann leckte sich über die Lippen, und seine bleichen Wangen röteten sich vor Scham. „Sie wissen, wie es ist, Curt", sagte er. „Die Dinge stehen schlecht genug für uns. Wenn man Sie hier findet..." Er schluckte und sah ungemütlich auf den Teppich zu seinen Füßen. „Denken Sie nicht mehr daran." Curt zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Er haßte den alten Arzt nicht. Er fühlte sich nicht betrogen oder beiseite geschoben. Für solche Gemütsbewegungen war er zu alt. Aber er hätte sich gewünscht, daß Lasser seine Meinung nicht zu offen gezeigt hätte. Er fühlte sich jetzt mehr denn je als Ausgestoßener und Fremder, der weder Freund noch Feind erwünscht war. Er fühlte sich plötzlich fürchterlich einsam. Die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann taumelte herein. „Lasser, sie haben Carter und Menson erwischt!" „Wendis!" Der alte Arzt griff ihn und sah ihm in die Augen. „Was ist geschehen?" „Wir waren zu den Docks in der Absicht heruntergegangen, ein Raumschiff zu kaufen, und plötzlich sahen wir uns von Metamännern umringt. Ich konnte entkommen, indem ich zwei von ihnen die forschenden Augen zerstörte und zum Wagen rannte." Er rang nach Luft und sah sich im Zimmer um. „Wo ist Curt? Wir müssen ihn von hier fortbringen." „Warum?" Curt, der hinter der Tür gestanden hatte, schlug sie zu und sah dem jungen Metasucher ins Gesicht. „Was ist geschehen?" „Können Sie sich erinnern, wie ich Sie vor dem Metamann gerettet habe?" Curt nickte. „Was ist danach geschehen? Ich hatte keine Gelegenheit, Sie zu sehen, seit ich Sie gestern nacht verließ."
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„Das hätten Sie nicht tun sollen. Sie hätten bei mir bleiben sollen." „Vielleicht. Aber was ist denn geschehen?" „Nachdem ich das Geld hierhergebracht hatte, habe ich mir einen Wagen gekauft und Sie gesucht. Das haben wir alle getan. Ich hatte das Glück, Sie zu sehen, als Sie aus dem Restaurant rannten. Was dann geschah, wissen Sie. Nachdem ich Sie hierher zurückgebracht hatte, habe ich die anderen gesucht und bin mit ihnen zu den Raumschiffen gegangen. Ich dachte, daß es am besten wäre, so schnell wie möglich ein Raumschiff zu kaufen. Als wir dort ankamen, gingen die Meta-männer auf uns los. Ich weiß nicht, warum, aber Sie haben Carter und Menson geschnappt, und Sie wissen, was das bedeutet." „Sie werden vor Comain gebracht, und die Matriarchin wird alles über mich wissen." Curt zuckte mit den Schultern. „Na und?" „Meinen Sie das im Ernst?" Wendis sah ihn verwundert an. „Das wollen wir doch gerade vermeiden. Wir müssen versuchen. Sie mit allen Mitteln zu verbergen, bis Sie die Gelegenheit haben, Comain zu zerstören." „Sie kommen' zu spät, Wendis", sagte Curt ruhig. „Ich habe soeben erfahren, daß ich nicht mehr erwünscht bin. Ja, je eher ich hier herauskomme und mich ergebe, desto besser." „Nein!" „Ja. Fragen Sie Lasser." „Ist das wahr?" Wendis starrte den alten Mann an. „Haben Sie ihm das gesagt?" „Nicht genauso, aber was er sagt, ist richtig. Er bedeutet jetzt eine Gefahr für uns, Wendis. Wenn wir ihn weiterhin verbergen, werden wir alle Schwierigkeiten bekommen. Er ist jetzt Comain bekannt. Sein Bild ist überall zu sehen, und er kann uns nicht mehr helfen."
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„Zum Teufel damit. Er ist immer noch nicht registriert. Er kann immer noch die Dinge so durcheinanderbringen, daß die Matriarchin wünscht, daß Sie uns niemals zurückbeordert hätte." „Es ist zu gefährlich", beharrte der alte Mann hartnäckig. „Wenn die Metamänner Carter und Menson gefangen haben, so heißt das, daß Sie hinter jedem von uns her sind. Wenn Rosslyn hier gefunden wird, werden wir entsetzliche Schwierigkeiten bekommen." „Was macht das schon? Wir treten den Dingen mutig entgegen, wenn sie auf uns zukommen. " „Nein, Wendis, Sie wissen, daß wir das nicht können. Außerdem kennen Sie die Strafe, wenn man uns fängt. Wollen1 Sie in einen Robot gesteckt werden?" „Natürlich nicht." Lasser zuckte mit den Schultern, sah auf den Teppich nieder und vermied es, in die wütenden Augen des jungen Mannes zu blicken. „Ich weiß jetzt, was ich tun muß", sagte Curt bitter. „Lassen Sie mich hier 'raus, bevor irgend jemand Schaden dadurch erleidet. Das ist nicht meine Absicht." Er schritt zur Tür. „Nein!" Wendis zog ihn in das Zimmer zurück. „Zum Teufel mit diesem Geschwätz. Verdammt noch mal, Lasser, wir können ihn doch nicht so hinausschicken. Wir sind ihm sehr verpflichtet. Es ist unser eigener Fehler, daß die Metamänner hinter ihm her sind. Was für Menschen sind wir denn? Was ist es denn schon, wenn die Robots wirklich kommen? Was heißt es denn schon, wenn das ganze verdammte Matriarchat kommt? Wir sind doch Kämpfer, nicht wahr? Na schön, dann kämpfen wir eben!" „Sind Sie wahnsinnig, Wendis? Welche Chance hätten wir denn?" Auf Lassers Zügen stand der Schweiß. „Wir haben eine ganze Menge Chancen." Der junge Asteroiden-Metallsucher kniff die Lippen zusammen und fauchte wie ein wütender Tiger. „Curt ist nicht das einzige, was wir vom 155
Mars hierher geschmuggelt haben. Ich habe auch ein paar Supergeschwindigkeitspistolen mitgebracht. Ich hatte das Gefühl, daß ich sie vielleicht brauchen könnte, und ich hatte recht. Sie töten die Metamänner zwar nicht, aber die Kugeln können ihre forschenden Augen zerstören und diese Teufel blind machen. Hier!" Er holte eine glitzernde Pistole aus seiner Bluse und warf sie Curt zu. „Nehmen Sie sie. Sie hat fünfzig Kugeln. Jede von ihnen tötet durch ihren hydrostatischen Schock einen Menschen, ganz egal, wo Sie treffen. Wenn die Metamänner kommen, zielen Sie auf das skandierende Auge." Er sah den alten Mann an. „Wollen Sie auch eine, Lasser?" „Nein," „Warum nicht? Haben Sie Angst?" „Wir kommen nicht auf den Mars zurück, wenn wir Menschen töten. Kämpfen wird uns nur Aerger und Sorgen bringen. Ich denke an die anderen, Wendis, die anderen fünfhundertsiebzig Menschen, die sich auf uns verlassen, daß sie wieder nach Hause kommen. Was Sie vorhaben, ist kriminell. Sie haben nicht das Recht, wegen einer fanatischen Laune alles aufs Spiel zu setzen." „Dann halten Sie es wohl für verrückt, zu einem Freund zu halten? Wendis lachte verächtlich, und die Pistole in seiner Hand reflektierte das Licht, während er sie unbewußt auf den alten Mann richtete. „Sie werden alt, Lasser. Sie glauben an Geschwätz und daran, alles hübsch ordentlich machen zu müssen. Daran ist nichts auszusetzen, außer, daß es uns nicht weiterbringt. Wenn wir uns jetzt nicht unserer Haut wehren, sind wir verloren, wir alle. Die Matriarchin wird mit uns machen, was sie will. Nein, Lasser. Ich habe Ihrer Logik zu lange Beachtung geschenkt. Wenn die Leute auf mich gehört hätten, wären wir heute noch auf dem Mars. Zum Teufel mit der Erde, mit Comain und der ganzen verdammten Sache."
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„Glauben Sie, daß wir nach Hause zurück-kommem, wenn wir ein paar Metamänner aufhalten?" „Vielleicht. Eines weiß ich: ich kann die Hände nicht kampflos in den Schoß legen. Ich kann keinen Freund verlassen, wenn er mich dringend braucht. Ob das richtig ist oder nicht, ich stehe zu Rosslyn, und wenn Sie nur halb der Mann wären, für den ich Sie gehalten habe, würden Sie auch zu ihm stehen." „Sie Narr, Wendis. Denken Sie denn, daß ich das gern tue?" Lasser wischte siich den Schweiß von der Stirn. „Aber was kann ich denn sonst tun? Sie wissen genau, daß wir nicht die leiseste Chance haben, ihn zu retten. Er weiß das auch selber. Wenn wir das Unmögliche versuchen, werden wir alle eine Strafkompanie werden. Was ist das Leben eines Mannes im Vergleich zu Hunderten? Ich denke nicht an ihn, Wendis, weil ich an den Mars denke. Ich denke immer an den Mars, und ich werde alles tun, uns alle dorthin zurückzubringen." „Er hat recht, Wendis." Curt lächelte und hielt ihm die Waffe hin. „Hier, nehmen Sie sie - und vielen Dank." „Meinen Sie das im Ernst?" ,, Jawohl." Wendis zögerte und sah auf die dargereichte Pistole. Seine Augen waren voll Bitterkeit, als er langsam danach griff. „Ich glaube. Sie machen einen Fehler", sagte er. „Ich ..." Er unterbrach sich. Sein Kopf drehte sich etwas. Er fletschte die Zähne wie ein Tiger, während er auf die Geräusche lauschte, die von draußen hereindrangen. Der schwere Schritt metallischer Füße und der Schrei einer Frau vor wahnsinniger Angst.
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XVI. Kapitel Einen Moment lang standen sie schreckerstarrt. Dann sprang Lasser an die Tür. Seine Züge verzerrten sich. „Nein", keuchte er. „Nein!" „Lasser!" Wendis versuchte ihn zu halten, aber seine Finger rutschten an der Bluse ab. Dann hatte der alte Arzt die Tür aufgerissen und rannte den Gang hinunter. „Halt!" Seine dünne Stimme erstickte vor Erregung. „Halt, sage ich. Rosslyn ist..." Seine Stimme erstarb, und um ihn flammte das blaue Licht eines Para-Strahls auf. „Lasser." Wendis schluckte. Er sprang in das Zimmer zurück, als er sah, wie das blaue Feuer den ganzen Korridor ausfüllte. „Curt! Hilf mir!" Verzweifelt zerrte er ein schmales Bett vor die Tür und baute mit Stühlen und anderen Gegenständen eine Barrikade. Curt half ihm, einen schweren Schreibtisch zu schieben. „Hier gehen die Para Strahlen nicht durch", keuchte der junge Metallsucher. „Wir können hinter diesem Zeug Deckung nehmen und auf ihre Augen zielen." Er schluckte schwer, als er den steifen Körper des alten Arztes sah. „Wahrscheinlich schießen Sie auf alles Lebende, was ihnen in die Quere kommt. Sie müssen es verdammt auf Sie abgesehen haben, wenn sie so etwas tun." „Ich möchte mich ergeben." Curt schauderte, als er sich der Schmerzen erinnerte, die er durch den Para Strahl erlitten hatte. „Wir können sie doch nicht alle anderen töten lassen." „Sie werden nicht sterben", sagte Wendis grimmig. „Das Wiederbelebungskommando wird hinter ihnen stehen. Jetzt dürfen wir uns nicht ergeben." Er warf seine Lippen auf und fletschte, wie es seine Art war, die Zähne wie ein Tiger, während er durch eine Lücke seiner Barrikade nach draußen spähte. „Es wird langsam Zeit, daß wir ihnen einmal zeigen, was los ist. Vielleicht können wir ein paar von ihnen zum Teufel schicken, 158
bevor sie uns erwischen." Er fluchte, und die Pistole in seiner Hand feuerte los. Gefühllos kauerte Curt hinter der ungenügenden Deckung und wartete, daß die Metamänner herankamen. In dem polierten Schild der Türklinke reflektierten sich ihre Gestalten. Es schien ihnen wie ein schrecklicher Alptraum. Riesige Figuren mit künstlichen Gliedern und einem konisch zulaufenden Kopf waren es. Die Para-Strahlen schienen aus ihrer Brust zu kommen. Das rote Licht ihrer skandierenden Augen leuchtete wie höllisches Feuer. Unbewußt krampfte er seinen Finger um den' Abzug der Waffe, und die kleine Kugel riß ein Stück aus der Mauer. Dann spie sie die Patronen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf den metallischen Körper. Er stöhnte und wartete auf ein besseres Ziel. Man hatte natürlich bei diesen Körpern zuerst mit Prothesen begonnen, mit künstlichen Armen und Beinen, dann mit Nieren und Hörgeräten, später künstliche Lungen und mechanischen Einrichtungen, um das Herz schlagen zu lassen, mit elektronischen Vorrichtungen für Blinde und Drähten, um zerstörte Nerven zu ersetzen. Dann mit Metallplatten, um das Gehirn' zu schützen und mit metallischen Teilen, die gebrochene Knochen zusammenhielten. Er wunderte sich, wie irgendein Genie darauf gekommen war, alle diese Dinge zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es war logisch, vielleicht etwas zu logisch. Die ganzen alten Träume, einen robotähnlichen Mann zu konstruieren, waren daran gescheitert, daß niemand wußte, wie man etwas dem menschlichen Gehirn Aehnliches bauen sollte. Man hatte es versucht, und der Versuch war mißlungen'. Comain, der dem menschlichen Gehirn am nächsten kam, wahr zehn Quadratmeilen groß und brauchte soviel Energie, daß man eine kleine Stadt damit versorgen konnte. Nichts Elektronisches oder Mechanisches könnte jemals dem menschlichen Gehirn gleichkommen deshalb . . . 159
Man hatte einen mechanischen Körper gebaut und ein menschliches Gehirn verwandt. Gurt schauderte, als er darüber nachdachte, was diese armen Teufel, die in ihren gefühllosen Metallkörpern gefangengehalten wurden, empfinden mußten. Vielleicht ließen sie es sogar freiwillig geschehen, um Unsterblichkeit zu erlangen. Vielleicht konnten sie sich sogar durch einen Sender miteinander verständigen. Sie konnten durch die »kandierendem Augen sehen, durch Membranen hören, ja sogar durch elektrische Impulse sprechen, aber sie konnten nichts fühlen. Sie konnten niemals physische Freude oder Schmerz empfinden. Sie konnten niemals irgendeine Empfindung haben, denn Empfindungen werden durch Drüsen kontrolliert, und sie hatten keine Drüsen. Sie waren Gefangene in ihrer beweglichen Hülle, ein paar Pfund Protoplasma in Metall konserviert. Er dachte darüber nach, ob sie sich jemals wünschten, zu sterben. Irgend etwas warf sich schwer gegen die Barrikade, und die blaue Flamme eines Para-Strahls zuckte durch den ungenügenden Schutz. Wendis fauchte wie ein böses Tier. Der Knall seiner Pistole vermischte sich mit den Instruktionen, die er gab. „Die Augen, Curt! Ziele auf die Augen." Ein Feuerstrahl schoß aus der kleinen Oeffnung der Supergeschwindigkeitspistole; eine Serie Kugeln strebte auf das rote Licht in dem konischen Kopf zu. Weißglühender Dampf kam aus der transparenten Plastik, und der rote Schein erstarb in einem blauweißen Strom elektronischer Energie. Abrupt hielt der Metamann in seinen Bewegungen inne. Das blaue Feuer des Para-Strahls erlosch zusammen mit dem roten Auge. Die Arme fielen herunter, das Ding brach zusammen. Der riesige Körper blockierte den Eingang, und sein metallischer Körper reflektierte das blaue Feuer seiner unverletzten Kollegen. Er war nicht tot. Irgendwie wußte Curt das. Dem Gehirn war nichts geschehen, aber wie das
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Durchschneiden eines einzigen Drahtes ein Auto stilllegen kann, so hatte das Zerstören der skandierenden Augen den riesigen Körper unfähig gemacht. Irgendwo im Dunkel und im Schweigen des metallenen Körpers lebte das Gehirn weiter und wartete auf einen Techniker, der es wieder zum Leben erweckte. Wahrscheinlich war der jetzige Zustand der, der dem Tod am nächsten kam.Wieder spie die Pistole in seiner Hand den tödlichen Strom. Rotes Feuer zerbrach unter der elektronischen Energie. Durch das Krachen der metallenen Körper konnte Curt die fanatischen Flüche von Wendis hören. „Na, wie schmeckt dir das, du verdammter Robot? Worauf wartest du? Komm her, ich schicke dich zur Hölle!" In der plötzlichen Stille konnte Curt hören, wie die schweren Tritte verstummten. Verwundert betrachtete er den jungen Metallsucher. „Sind sie weg?" „Ich weiß es nicht." Wendis biß sich auf die Lippen und schaute vorsichtig über die Barrikade. „Sie geben unmöglich auf. Die Metamänner machen das niemals. Wir haben nur vier von ihnen zum Stehen gebracht." Er schaute auf die riesigen Metallbrocken, die den Eingang versperrten. „Du bleibst hier, Curt. Ich gehe mal nachsehen." „Sei vorsichtig", warnte Curt ängstlich. „Vielleicht wollen Sie uns nur eine Falle stellen." „Vielleicht." Wendis zuckte mit den Schultern und schritt zur Tür. „Das ist die einzige Möglichkeit, um es herauszubekommen." Vorsichtig schritt er über eine bewegungslose Gestalt und blickte den Gang hinunter. „Es ist nichts zu sehen", sagte er leise. „Ich . . ." Der Knall seiner Pistole kam gleichzeitig mit dem blauen Strahl. „Wendis!" Curt sprang zur Tür. „Bist du verletzt?" „Ja." Der Schmerz verzerrte die Züge des jungen Metallsuchers, als er seinen steifen Arm massierte. „Der Strahl hat mich gestreift. Als meine Kugel traf, hat der Strahl mich nicht mehr 161
genau erwischt." Er stöhnte, und große Schweißtropfen standen auf seinem Gesicht. Curt empfand ein starkes Mitgefühl, während er ihm den tauben Arm massierte. „Haben wir eine Chance, hier herauszukommen?" „Nein." Wendis stöhnte wieder, während er versuchte, seine Finger zu bewegen, und die Blutzirkulation langsam wieder einsetzte. „Sie haben an jedem Ende des Korridors einen Metamann placiert. Sie halten uns so lange hier im Schach, bis Sie Verstärkung bekommen. Wahrscheinlich Beteubungsgas oder einen sonischen Strahl." „Können wir denn nichts tun?" „Nein." Wendis kniff die Lippen zusammen, während er überprüfte, wieviel Schuß noch in der Pistole waren. „Ich sehne mich danach, daß sie möglichst bald kommen. Sie werden uns auf jeden Fall bekommen, und mir wäre wesentlich wohler, wenn ich ein paar von ihnen mitnehmen könnte. Wir könnten uns mit Möbelstücken eine Art Schild machen und so vielleicht nahe genug herankommen, um schießen zu können. Vielleicht könnten wir mit etwas Glück durchbrechen." „Durchbrechen?" Curt schüttelte seinen Kopf. „Nein, Wendis. Vielleicht erwischen wir ein paar von ihnen, aber was würde uns das helfen? Wäre es nicht besser, wenn ich mich ergebe?" .Dazu ist es jetzt zu spät. Wir haben dich versteckt. Das ist ihnen bekannt, und sebst, wenn du jetzt zu ihnen gehen würdest, würde das in der Behandlung, die wir zu erwarten haben, nichts ändern." Wendis starrte wütend auf die stummen Metamänner. „Wenn Sie doch bloß aus Fleisch und Blut wären! Was können wir diesen Robots schon tun? Aber die Matriarchin schickt keine Menschen, denn der Wert eines Lebens wird zu hoch angesetzt." Er machte eine Pause, und seine Nasenflügel bebten, während er schnupperte. .Riechst du etwas?" „Nein." Curt atmete tief. .Warum fragst du?"
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„Nichts, ich..." Plötzlich explodierte draußen etwas mit einem dumpfen Knall. „Gas! Halt die Luft an, Curt. Sie wollen uns vergasen!" Durch die offene Tür drang ein dünner, weißlicher Nebel in das Zimmer. Wie der Rauch einer Zigarette zog dieser langsam durch den Raum. Als Curt einmal tief atmete, fühlte er wie seine Sinne schwanden. Wendis rannte zur Tür. Die Pistole funkelte in seiner Hand. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er durch den Nebel. Als sein Gesicht vom Luftanhalten blutrot angelaufen war, taumelte er zurück und rannte an die hohen Fenster des Zimmers. Wütend riß er sie auf, saugte die frische Luft tief ein, und Curt, der mit allen Mitteln gegen den unbändigen Wunsch, zu atmen, ankämpfte, tat es ihm gleich. „Wir müssen hier 'raus", keuchte Wendis. Er schaute zum Fenster hinaus, und seine Augen wurden schmaler, als er den Sims sah, der die ganze Häuserfront entlanglief. „Was hast du für Nerven, Curt." Er deutete auf den Sims. „Wenn wir auf diesem Sims bis zur Ecke kriechen und dann an den Ornamenten aufs' Dach hochklettem könnten, haben wir vielleicht noch eine Chance, zu entkommen. Glücklicherweise sind wir im Obergeschoß, und sie haben keine Chance mehr, ihr Gas anzuwenden, sobald wir im Freien sind." Curt schauderte, als er auf die tief unten liegende Straße hinabsah. Er zögerte. Währenddessen drang das Gas auf sie ein. Vom Korridor konnte man den Klang schwerer metallischer Schritte hören. „Los!" Behende kroch Wendis zum Fenster hinaus und ließ sich auf dem Sims hinunter. Er taumelte eine Sekunde lang, schaute mit schweißüberströmtem Gesicht zu Curt und begann Zentimeter für Zentimeter auf dem schmalen Betonstreifen zu balancieren. Curt folgte ihm. Die Pistole drückte ihm auf den Magen, weil er sie in
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den Gürtel hineingesteckt hatte. Ein schwacher Westwind irriterte sie beim Balancieren. ,Es ist eigentlich gar nicht so schwer', dachte Curt grimmig. Es ist ist nicht schwerer, als auf einem zweiundzwanzig Zentimeter breiten Brett zu gehen, das auf dem Boden liegt. Aber irgendwie konnte er die dreihundert Meter nicht vergessen, die es dicht neben ihm hinunterging. Die kleinen Pünktchen der Menschen, die von der Straße unten hinaufstarrten, was für Gesichter sie wohl machen würden, wenn er ausrutschte oder stolperte. Er preßte sich eng an die Mauer und fühlte mit beiden Händen darauf entlang. Zentimeter für Zentimeter schob er sich vorwärts, den Körper eng an das Mauerwerk gepreßt, und kämpfte mit aller Kraft das Verlangen nieder, hinunter auf die Straße zu blicken. Plötzlich stieß er auf Wendis. Der junge Mann hatte in der Mitte der Ecke haltgemacht, und Curt konnte den Schweiß auf seinem Gesicht sehen. „Nun kommt der schlimme Teil." Der junge Mann grinste breit. Der aufkommende Wind schien ihm die Worte aus dem Mund zu reißen. „Ich gehe vor. Wenn wir es fertigbringen, bis zu diesem überhängenden Teil zu gelangen, darüber zukommen, dann das Gesims zu erreichen und uns auf das Dach zu ziehen, sind wir sicher. Meinst dur du schaffst es?" „Ich kann es versuchen." Curt leckte sich über die Lippen und heftete seine Augen auf den Stein vor ihm. „Beeile dich ja. Ich kann das nicht zu lange aushalten." Wendis brummte etwas und griff nach einem steinernen Ornament. Ungeduldig wartete Curt darauf, daß Wendis hochkletterte und ihm Platz machte. Er hatte seine Wange an die Mauer gepreßt und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er zitterte. Seine Muskeln vibrierten1 vor Angst, und das Herz in seiner Brust klopfte so stark, daß es ihn fast schmerzte. Ob die Metamänner inzwischen in das Zimmer eingedrungen waren? Sie könnten ja durch das Betäubungsgas ungehindert 164
hindurchschreiten. Sie würden das offene Fenster sehen und wissen, was es zu bedeuten hat, und.. . Er schrie fast auf, da er den konischen Kopf aus dem Fenster herausblicken und das rote Licht flackern sah, als der Metamann den schmalen Sims, auf dem er stand, entlangblickte. Regungslos wartete er. Er hatte Angst, sich zu bewegen. Er hatte Angst, seinen Körper in die Stellung zu bringen, in der er seine Pistole erreichen und auf den roten Punkt des Auges schießen konnte. Starr vor Schrecken, wartete er auf das blaue Feuer des Para Strahls, der seinen Körper erstarren und ihn dreihundert Meter hinunterstürzen lassen würde. Aber es geschah nichts. Das flackernde Rot wurde ruhiger, während der Meramann ihn ansah. Einen schrecklichen Moment lang schwankte er auf dem Sims, als ein Reflex in seinen Muskeln ihn von der Wand wegdrückte. Dann erkannte er die Wahrheit und atmete erleichtert auf. Sie wollten ihn lebend. Der blaue Strahl tötete nicht, und auch das Gas war relativ harmlos. Die einzige Gefahr war sein eigenes Verhalten, und er fühlte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Er versuchte das Starren des robotähnlichen Dinges zu ignorieren. Über sich hörte er plötzlich den peitschenden Klang der Supergeschwindigkeitspistole. Weißlicher Rauch kam aus dem konischen Kopf. Er sah, wie die Kugeln einschlugen, und anstelle des roten Scheines der Augen trat eine blaue elektronische Flamme. Abrupt sackte der Metamann zusammen, und das Geräusch zu Boden stürzenden Metalls drang aus dem Zimmer. „Curt!" Die Stimme Wendis' war in dem aufkommenden Wind nur schwach zu hören. „Beeile dich, ehe ein anderer kommt." Gehorsam tastete Curt nach oben und begann an der Ecke hochzuklettem.
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Es war wie ein Alptraum. Von diesen Dingen hatte er geträumt, ehe er entdeckte, welch namenlose Furcht er vor Höhen hatte. Der Schweiß befeuchtete seine Handflächen, lief am Gesicht herunter und in die Augen, und seine Hände wurden schlüpfrig. Seine Füße zitterten. Der Wind schien ihm vom Gebäude wegdrücken zu wollen. Ueber sich hörte er Wendis' keuchenden Fluch. Angst trat anstelle seiner Wut. „Curt! Ich schaffe es nicht. Ich komme nicht über den Ueberhang!" „Was ist los?" Curt zwang sich dazu, nach oben zu blicken. „Meine Arme sind zu kurz. Ich kann keinen Halt finden. Curt, ich falle!" „Halt dich fest!" Grimmig kletterte er höher. „Ich werde unter dich gehen, mich gut festhalten, dann kannst du deinen Fuß auf meinen Kopf stellen. Gehe so hoch, wie du kannst." „Gut. Aber beeile dich, Curt. Beeile dich." Curt zuckte zusammen, als er die Verzweiflung in der Stimme hörte. Wenn Wendis losließ oder ausrutschte, würde er auf ihn herunterfallen, und sie würden beide dreihundert Meter tief auf die Straße stürzen. Krank vor Furcht, sah er sich nach einer Möglichkeit um. An einer Stelle der Ecke des Gebäudes war eine Art Plattform. Um dorthin zu gelangen, würde er wieder ein Stück hinunterklettem müssen. Er wußte, daß es viel zu lange dauern, er vorher ausrutschen oder Wendis vorher abstürzen würde. Er stöhnte, als ein Schuh ihn am Kopf traf. „Fertig?" Er langte nach einem Halt und preßte sich eng an den Stein. „Jetzt. Stelle deinen Fuß auf meinen Kopf. Ich drücke dich hoch, und du mußt versuchen, einen Halt zu finden. Wenn ich rufe, bewegen wir uns gleichzeitig. Verstanden?" „Und wenn ich daneben greife? Dann stürzen wir beide ab." „Wenn du fällst, stürzen wir sowieso beide ab. Also fertig?" „Ja." 166
„Jetzt!" Verzweifelt drückte er sich nach oben und versuchte den schrecklichen Druck gegen seinen Schädel zu ignorieren. Mit wütender Entschlossenheit krallte er sich an das Ornament und versuchte den nach unten und außen gehenden Druck des Fußes auszugleichen. Einen Moment lang schien es, als würden sie es nicht schaffen. Einen Moment lang pfiff der Wind zwischen Curt und dem Gebäude. Er konnte den keuchenden Atem des andern hören. Dann hörte der Druck auf, und der Wind pfiff nicht mehr zwischen ihm und der Mauer hindurch. Hart preßte er sein schweißnasses Gesicht gegen den kalten Stein. „Geschafft." Wendis Worte klangen wie ein Gebet. „Ist bei dir alles ins Ordnung, Curt?" „Ja. Und jetzt?" „Ich klettere jetzt auf das Dach. Dort zieh' ich meine Kleider aus, mache ein Seil und lasse es zu dir hinunter. Kannst du dich noch ein paar Minuten halten?" „Ich weiß es nicht." Curt spürte den salzigen Geschmack des Blutes seiner aufgebissenen Lippen. „Beeile dich!" Er wartete. Er wartete, während seine schmerzenden Muskeln schwächer wurden und der Schmerz Stiche in seinem Kopf auslöste. Eine Art Gefühllosigkeit überkam ihn, als ob das, was er tat, irgendwie unwirklich sei. Es wäre so einfach. Ein kurzer, scharfer Luftzug, ein schmerzloser Fall, ein plötzlicher Schock und dann ewige Ruhe. Es wäre auf jeden Fall besser als diese wahnsinnige Angst und diese rasende Schmerzen seiner überanstrengten Muskeln. Der Tod war ihm ja schon ein alter Freund. Er grinste humorlos, während er diesen Gedanken hatte. Können die Toten sterben? Er war schon einmal gestorben. Er war schon einmal in das große Dunkel, in das Unbekannte eingedrungen. Der Tod und er waren sich nicht mehr fremd. Er war gestorben und wieder erweckt worden. Von allen Menschen hätte er eigentlich der letzte sein müssen, der vor dem Ende Angst hatte. Er ... 167
Irgend etwas fiel ihm ins Gesicht. Eine lange, dünne Leine aus Kleidung, die unsorgfältig und hastig in verzweifelter Angst zusammengeknotet war. Sie schwankte im Winde vor ihm hin und her. Er sah sie eine Sekunde lang an, ehe er begriff, was es war. Dann faßte er danach und signalisierte, indem er einmal kräftig daran zog. „Fertig?" Wendis Stimme war in dem pfeifenden Wind schwach zu hören. „Halt dich daran fest, Curt. In einer Minute bist du sicher und geborgen." Verbissen klammerte er sich an das eigenartige Seil, während der junge Mann am anderen Ende zu ziehen begann. Langsam glitt das Gebäude an ihm vorbei. Die Ornamente, der Ueberhang, der Sims. Curt atmete erleichtert auf, als er den Dachrand vor sich sah. Er mußte sogar grinsen, als er die fast nackte Gestalt des jungen Mannes gewahrte. Dann sah er etwas anderes, und plötzlich war er wieder krank vor Furcht. Eine riesige metallische Figur mjt einem roten, flackernden Licht in dem konischen Kopf streckte seine künstlichen Arme nach der schweißnassen Gestalt des jungen Metallsuchers aus. Verzweifelt griff er an seine Hüfte und tastete nach dem Griff der Pistole. Er biß die Zähne zusammen, um nicht einen Warnungsschrei auszustoßen, aber es war nicht nötig, denn die Furcht schnitt ihm die Kehle zu. Der Metamann kam immer näher an Wendis heran. Wenn er rief. Wenn Wendis sich umblicken und sehen würde, was hinter ihm war. Wenn dieses Ding jetzt seinen Para-Strahl gebrauchen würde, während er noch hilflos am anderen Ende des Seiles dreihundert Meter über dem Erdboden hing ... Curt schluckte und giff nach der Pistole. Er berührte sie und fühlte das flache Metall des Griffes. Dann rutschten seine schweißigen Finger auf dem glatten Metall ab. Die Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen, als die Waffe auf die Straße hinunterstürzte. Wendis drehte sich um und sah den Metamann. 168
Das Seil rutschte ihm aus der Hand, als das blaue Feuer des Para Strahl ihn erstarren ließ. Curt fiel dreihundert Meter auf die Straße hinunter. Er fiel an dem Sims vorbei über den Ueber-hang. Der Wind wurde lauter, während Curt benommen auf die wie Ameisen großen Gestalten der Menschen weit unten hinuntersah. Dann riß ihm irgend etwas das Seil aus den Händen. Das Seil straffte sich, und es war ihm, als würden seine Arme aus den Schultern gerissen. Schnell wurde er auf das Dach hinaufgezogen. Er stieg mit unglaublicher Geschwindigkeit, und bevor er dazu kam, sich ein Bild zu machen, was geschehen war, fühlte er schon den festen Boden des Daches unter seinen Füßen und sackte nach vorn zusammen. Irgend etwas griff ihn fest um die Taille, hielt ihn im Fallen auf und preßte ihn gegen etwas Hartes. Benommen starrte er auf das glitzernde Metall und den künstlichen Arm des Metamannes.
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XVII. Kapitel Sarah Brown saß an ihrem Schreibtisch und schaute düster auf den Kalender. Im Licht des frühen Morgens sah sie abgemagert aus, mit dunklen Rändern unter den Augen und Gram in ihren männlichen Zügen. Ein farbiger Bildschirm flammte auf, und die alte Matriarchin blickte teilnahmslos auf das Bild des Mädchens vom Empfang. „Ihre Sekretärin ist hier, Madam. Darf sie eintreten?" .Ja.' „Vielen Dank, Madam." Der Bildschirm erlosch wieder. Die Tür öffnete sich, und Nyeeda trat in das Büro. Sie war wie gewöhnlich schwarz angezogen. Ihr Haar hob sich von der weißen Haut ab. Wie die alte Dame, die am Schreibtisch saß, machte auch sie einen überanstrengten Eindruck. Langsam durchquerte sie den Raum und setzte sich auf einen Stuhl. Das durch das Fenster eindringende Licht spiegelte sich in dem breiten goldenen Armband an ihrem Handgelenk wieder. „Na" die Matriarchin sprach, ohne das junge Mädchen anzusehen „ist wieder alles unter unserer Kontrolle?" „Ja, Madam." Nyeeda seufzte und massierte sich ihre Schläfen mit den Fingerspitzen. „Alle Marsianer sind gefangengenommen und erneut von Comain registriert worden. Die unbekannte Kraft wurde gefunden. Jede Person in der Stadt und jede Person, die eventuell mit den Marsia-nern Kontakt gehabt hat, hat den Helm aufsetzen müssen. Abgesehen von dem überzähligen Mann hat Comain die Daten über jeden einzelnen. Sobald der letzte registriert worden ist, werden die Dinge wieder ihren altgewohnten Lauf nehmen." „Sie meinen den normalen?" „Ja, Madam."
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„Gut." Die alte Dame seufzte, und ihre Augen wandten sich ungewollt dem Kalender zu. „Haben Sie schon irgend etwas über diesen überzähligen Mann erfahren können?" „Sein Name ist Rosslyn, Curt Rosslyn. Er wurde von zwei Asteroiden-Metallsuchern im Weltraum treibend entdeckt und auf der Marskolonie zum Leben wiedererweckt. Ihr Anführer, ein gewisser Dr. Lasser, kam auf die Idee, seine Gegenwart geheimzuhalten. Obwohl er es nicht zugibt, glaube ich, daß er gehofft hat, daß dieser überzählige Mann die Voraussagen von Comain so durcheinanderbringen würde, daß wir, um dem Aerger hier ein Ende zu bereiten, einverstanden gewesen wären, die Kolonisten wieder auf den Mars zurückgehen zu lassen." „Den Aerger hat er sich selbst bereitet", sagte die Matriarchin grimmig. „Sonst noch etwas?" „Ja. Dieser Mann namens Rosslyn ist eine Sehenswürdigkeit. Eine lebende Sehenswürdigkeit. Er lebte in der Tat noch vor dem Atomkrieg, ja, sogar noch vor Comain. Er war der erste Pilot, der den Versuch unternahm, zum Mond zu fliegen. Sein Schiff wurde durch das Aufspringen der Hülle leck. Die Kälte und der Mangel an Sauerstoff töteten ihn sofort. Dieser Mann weiß nichts über unsere heutige Zivilisation." „Die Marsianer wollten ihn natürlich als Werkzeug gebrauchen." Die Matriarchin nickte. „Wurde er registriert?" „Noch nicht." „Warum nicht?" „Seit seiner Verhaftung vor drei Tagen ist er bewußtlos." Nyeeda errötete etwas unter dem kritischen Blick der alten Dame. „Ich gebe zu, daß wir ihn wiedererwecken hätten können, aber ich hielt es so für besser. Wenn Sie meine Berichte gelesen haben, wissen Sie, daß er und einer der Marsianer, ein Mann namens Wendis, im Kampfe vier unserer Metamänner überwältigt haben. Auf ihrer Flucht versuchten sie von ihrem Zimmer auf das Dach des Gebäudes zu gelangen. Rosslyn wäre, wenn der Metamann 171
nicht das Seil ergriffen und seinen Fall aufgehalten hätte, zerschmettert worden. Dieses Ereignis hat ihn seelisch sehr erschüttert. Wenn Sie diese Dinge sowie die Tatsache berücksichtigen, daß er in eine völlig fremde Umgebung gebracht wurde und den noch unbekannten Auswirkungen der Strahlung im Weltenraum mehr als zwei Jahrhunderte ausgesetzt war, werden Sie verstehen, warum ich beschloß, ihn bis jetzt unangetastet zu lassen. Noch mehr Schocks würden sein Gehirn vielleicht unwiederbringlich zerstören. Es tut uns ja nicht weh, noch ein paar Stunden mit seiner Registrierung zu warten." „Glauben Sie?" Die Matriarchin blickte wieder auf den Kalender. „Für Sie machen ein paar Stunden vielleicht nichts aus, aber für andere sind sie entscheidend. Warum wurde er nicht registriert?" .Ich sagte es Ihnen bereits!" Nyeeda wand sich unter dem nackten Haß in der Stimme der alten Dame. „Er war bewußtlos. Was hätte ich tun sollen? Ihn töten?" „Das wäre besser gewesen, als ihn eine ständige Bedrohung unserer Sicherheit bleiben zu lassen." „Er kann jetzt keinen Schaden anrichten. Ein bewußtloser Mann kann nicht registriert werden. Ich werde ihn sofort, nachdem er aufgewacht ist, vor die Maschine bringen. Sie haben nichts zu befürchten, Madam." „Nein?" Die alte Dame blickte wieder auf den Kalender, und einen Moment lang schien eine namenlose Furcht aus Ihren Augen zu sprechen. „Nyeeda, manchmal denke ich, Sie seien verrückt, manchmal denke ich wieder das Gegenteil. Sie sagen, daß ein paar Stunden oder ein Tag niemandem schaden könne. Sie Närrin! Sehen Sie auf das Datum, Mädchen. Sehen Sie sich es an." „Und?" Nyeeda blickte verständnislos auf den Kalender. „Was ist damit los?" „Für Sie hat es nichts zu sagen, nicht wahr? Nur ein Tag, wie viele von Tausenden, die Sie leben werden. Nur ein einfacher 172
Tag. Schön, für Sie bedeutet es vielleicht nichts, aber für mich." Die alte Dame unterbrach sich, und wieder leuchteten ihre sonst trüben Augen vor innerer Erregung. „Für mich", flüsterte sie, „bedeutet er den Tod." „Den Tod?" „Ja, Sie Närrin! Den Tod!" „Aber...?" „Comain kann viele Dinge voraussagen", sagte die alte Dame, und es war, als wenn sie mehr mit sich selbst als mit dem jungen Mädchen an ihrem Tisch sprach. „Er kann den Erfolg einer Ernte voraussagen, die Wahrscheinlichkeit eines Sturmes und das Ergebnis eines Experimentes. Er kann die Lebensdauer eines Gebäudes oder einer Maschine voraussagen, und den Grad, bis zu dem man sich auf ein Fabrikat verlassen kann. Comain kann alle diese Dinge voraussagen. Comain kann alles voraussagen, und das bis zu einer Wahrscheinlichkeit von 99,999999999 Prozent. Er kann alle diese Dinge sagen - wenn er alle Daten hat." „Das weiß ich", sagte Nyeeda ungemütlich, „jeder weiß das." „So", fuhr die alte Dame fort, und es war, als hätte Nyeeda niemals gesprochen. „Wenn eine Maschine all das tun kann, ist es dann nicht verständlich, zu erwarten, daß sie dann noch ein bißchen mehr tun kann? Wenn sie auf den Tag, ja, sogar auf die Stunde die Lebensdauer eines Stückchens Stahl bestimmen kann, könnte sie dann nicht mehr tun? Könnte sie dann nicht die Lebensdauer eines Mannes oder einer Frau voraussagen? Könnte sie nicht sagen, daß es zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Person das Ende ihrer Tage erreicht?" Sie blickte auf Nyeeda, und das Mädchen schauderte, als sie den Ausdruck in den Augen der alten Dame sah. Antworte mir, Mädchen? Könnte sie das nicht tun?" „Ich weiß nicht, Madam. Ich ..." „Ja, Mädchen. Sie wissen es. Wie oft sind Sie schon versucht gewesen, Ihre eigene Zukunft erfahren zu wollen? Wie oft haben Sie gezögert, diese Frage zu stellen, die Ihr ganzes Leben 173
unglücklich macht? Wie oft wollten Sie wissen, wann Sie sterben?" Sie hatte recht. Nyeeda wußte es, und sie wußte auch, daß die alte Dame ihre geheimsten Gedanken erraten hatte. Die Versuchung war immer da, und nur die Tatsache, daß all ihre Fragen an Comain berichtet wurden, und die geheime Furcht hatten sie davon abgehalten, diese verhängnisvolle Frage zu stellen. Schweigsam blickten sie auf die alte Dame, und ihr Mitgefühl für die Matriarchin trieb ihr die Tränen in die Augen. „Für die Matriarchin ist es leicht", flüsterte die alte Dame. „Sie kann jede beliebige Frage stellen. Sie hat hier in ihrem eigenen Büro Zutritt zu Coinain, und es ist nicht notwendig, nach unten zu fahren, aus Angst, daß ihre Fragen berichtet werden. Vielleicht vergehen Jahre, bevor sie überhaupt daran denkt. Zehn Jahre, zwanzig, vielleicht mehr. Aber Tag für Tag und Stunde um Stunde ist die Versuchung da. Die Jahre vergehen, und sie wird alt. Viele Jahre vergehen, und es ist immer noch so viel zu tun, so viele Dinge zu bestimmen und zu ändern. So viele Dinge. Zu viele. Und die Versuchung wächst, wächst und wächst. Es ist so einfach, zu fragen, den nagenden Zweifel zu beenden und Gewißheit darüber zu erlangen, daß die enorme Aufgabe in ihrem Leben beendet werden kann. Es ist so einfach. Nur eine einzige Frage, und aller Zweifel, alle Furcht umd alles Zögern wäre für immer vorbei." Sie seufzte, und Nyeeda wand sich, als sie den Schmerz in den Augen der alten Dame sah. „Ich habe diese Frage gestellt. Es ist jetzt ungefähr zwanzig Jahre her. Zwanzig Jahre. Damals schien es mir, als hätte ich noch eine Ewigkeit vor mir. Dann jedoch, als die Jahre vergingen, kam langsam die Verzweiflung. Täglich habe ich Comain gefragt, täglich wurde meine Frage beantwortet. Und während die Zeit fortschritt, wurde die Wahrscheinlichkeit größer. Zwei Neunen! Drei. Fünf. Sieben. Neun. Gewißheit!" Ihre Stimme brach ab, und das letzte Wort klang fast wie ein Schrei. 174
Tiefes Schweigen folgte, das nur von den Seufzern der alten Dame unterbrochen wurde, deren Augen trocken waren, deren Herz aber brach. „Können Sie sich vorstellen, was ich gelitten habe? Können Sie sich nur ein klein wenig die Verzweiflung und die wahnsinnige Angst vorstellen? Ich habe versucht, meine Pläne willkürlich zu ändern, um die Voraussagen ungenau zu machen, damit die ursprüngliche Voraussage auf meine Lebensdauer sich ändert. Deswegen habe ich die Marskolonisten zurückbeordert. Ich hatte gehofft, daß mehr als fünfhundert neue Daten, fünfhundert neue Einflüsse in unserer Welt das ursprüngliche Zeitmaß irgendwie auf eine unbekannte Art ausdehnen würden. Ich hatte unrecht. " „Meinen Sie, daß keine Veränderung eintrat?" Zum ersten Male schien die Matriarchin zu bemerken, daß sie nicht allein war, und mit verängstigten Augen starrte sie auf Nyeeda. „Nein. Keine Veränderung. Keine Veränderung, obwohl alle Kolonisten erneut registriert wurden und auch alle Menschen in der Stadt. Keine Veränderung, obwohl wir Kämpfe und eine offene Rebellion hatten. Keine Veränderung, obwohl wir unter uns einen Mann haben, der von den Toten auferstanden ist." „Aber er ist noch nicht registriert worden." Nyeeda blickte die Matriarchin aufgeregt an. „Rosslyn ist immer noch ein unbekannter Faktor." „Was?" Die Hoffnung flammte in ihren Augen auf. ,Ja, natürlich! Ich hatte nicht daran gedacht. Bringen Sie ihn her, Nyeeda. Wecken Sie seinen Geist mit Elektrizität oder Drogen. Tun Sie alles, daß er zum Bewußtsein kommt und registriert werden kann. Bringen Sie ihn mir. Beeilen Sie sich." „Ja, Madam." Das Mädchen zögerte. „Habe ich ein Zeitlimit?" „Bringen Sie ihn so schnell wie möglich her." Wut flammte in ihren Augen auf. „Ich..." Die Matriarchin wand sich, fiel fast von ihrem Sessel und fuhr mit ihrer Hand in die Herzgegend. Sie sackte zusammen und wurde blaß. Der Atem ging schwer.
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Erschreckt sprang Nyeeda auf und beugte sich über die alte Dame. „Madam! Sie sind krank! Lassen Sie mich einen Arzt rufen!" „Nein!" Grimmig setzte sie sich aufrecht. „Lassen Sie mich. Es ist nur ein Schmerz, den ich oft bekomme. Es ist so, als ob eine Hand nach meinem Herzen greifen würde. Verlassen Sie mich jetzt. Ich habe noch Zeit." Ihre gramerfüllten Augen blickten auf die Uhr an der Wand. Es war eine wunderbare elektronische Uhr, die die vergehenden Stunden mit einem sonoren Klang anschlug. „Ich habe noch eine Stunde", flüsterte die alte Dame verzweifelt. „Comain kann jetzt nicht mehr falsch voraussagen; nicht nach zwanzig Jahren. Ich werde in einer Stunde, um elf Uhr genau, sterben. Comain hat es vorausgesagt." Sie keuchte, und der Schweiß stand auf ihren grauen Zügen. „Beeilen Sie sich, Mädel. Bringen Sie Rosslyn her. Bringen Sie ihn bei vollem Bewußtsein her." Sie drängte Nyeeda zur Tür. „Holen Sie Rosslyn!" Als die Sekretärin das Zimmer verlassen hatte, ließ sie sich wieder in den Sessel fallen. Ihre Augen blickten angsterfüllt auf die Uhr. Eine Hoffnung war ihr noch geblieben.
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XVIII. Kapitel Tief im Inneren des Gebäudes, das Comain war, saß Curt Rosslyn in einer fensterlosen Zelle vor einer verschlossenen Tür, die von einer Lampe erhellt war, und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er wußte nichts über die letzte Zeit. Er wußte nicht, wo er war, und warum er hier war. Zwischen seiner Gefangennahme durch den Metamann und dem Erwachen in der Zelle war eine leere Zeit, in der er in einer Art Dämmerzustand Angst vor seiner Wiedergeburt hatte. Nun saß er da und versuchte das Chaos in seinen Gedanken zu ordnen. Er wußte, daß sich auf irgendeine undefinierbare Art sein Gehirn durch die Strahlungen des Weltenraumes verändert hatte, während er in seinem lecken Raumschiff saß. Er war sich dieser Veränderung schon vorher halb bewußt geworden, als er seine Fähigkeit erkannt hatte, das Fallen der Würfel zu beeinflussen, das Fallen der Kugel und die Fortbewegung des Blattes, während er im Park saß, zu bestimmen. Diese Dinge hatten ihm gezeigt, daß er nicht so war wie andere, nicht so, wie er früher war. Jetzt.. . Schmerzen quälten sein Gehirn. Sein Hinterkopf schien sich durch den inneren Druck auseinanderpressen zu wollen. Er drückte seine Hände gegen den hämmernden Schädel, während er auf den Betonboden in seiner Zelle schaute. Telekinese war die Fähigkeit, tote Gegenstände mit der Kraft des Geistes zu bewegen. Er hatte diese Fähigkeit. Irgendwie hatte er in seiner jahrhundertelangen Reise diese Fähigkeit erworben. Welche unvermuteten Fähigkeiten schliefen wohl noch in seinem aktivierten Gehirn? Vielleicht Teleportation? Die Fähigkeit, sich allein durch die Kraft des Geistes und durch Paraphysikalische Wissenschaften an andere Orte zu versetzen. Telepathie? Er runzelte die Stirn, während er darüber nachdachte, und war sich
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nicht darüber klar, ob es ihm angenehm wäre, die Fähigkeit zu besitzen, die Gedanken anderer Menschen zu erraten. Gereizt betrachtete er das Licht, das seine Zelle erhellte. Es waren Elektronen, kleine Partikelchen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch einen Draht gingen. Vielleicht.. . Das Licht ging aus. In der nun herrschenden Dunkelheit mußte er grinsen, während er fühlte, wie sich seinem Gehirn neue Möglichkeiten eröffneten. Es war so einfach. Wenn es möglich war, einen Würfel, eine Kugel oder ein Blatt zu kontrollieren, wieviel einfacher mußte es dann sein, ein so kleines Ding wie ein Elektron zu beeinflussen. Er konzentrierte seine Gedanken, und sofort flammte das Licht so stark auf, daß es in seinen Augen schmerzte. Dann regulierte er den Strom und brachte ihn auf seine normale Stärke. Das langte ihm. Die Tür war das nächste. Plötzlich zitterte die verschlossene Tür. Die schweren Metallriegel bogen sich unter dem Einfluß einer riesigen Kraft. Das Licht zitterte. Curt stöhnte und ließ sich auf das schmale Bett fallen. Das Blut strömte aus seinen aufgebissenen Lippen. Er preßte seine Hände gegen seinen schmerzen Schädel. Einen Moment lang dachte er, daß er sterben müßte, so groß war sein Schmerz, daß er den Tod als eine Erlösung betrachtete. Einen tierähnlichen Schrei stieß er zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen hervor. Seine Muskeln zuckten und zitterten. Der Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper. Langsam ließen die Schmerzen nach, und erschöpft setzte er sich auf die schmale Pritsche und sah verwundert auf die verriegelte Tür. Warum hatte er solche Schmerzen gehabt? Wie kam es, daß er den Fluß der Elektronen beeinflussen konnte, und bei dem Versuch, die Tür zu öffnen, derartige Schwierigkeiten hatte? Plötzlich verstand er es, und seine Lippen umspielte ein verachtungsvolles Lächeln, das seiner eigenen Dummheit galt. Er war ein Narr gewesen. 178
Er war wie ein Kind, daß die Muskeln eines Mannes hatte, oder besser gesagt, ein Schwachsinniger, der mit neuen Kräften spielte. Ein Elektron war so winzig klein, daß man es fast kaum feststellen konnte. Es war deshalb sehr leicht, seinen Fluß zu beeinflussen. Dennoch hatte es eine Masse. Das hatte er vergessen. Seine neue geistige Kraft war noch nicht erforscht und er noch untrainiert. Er hatte den Erfolg verspürt und war ohne jede Uebung und ohne jede Logik an eine schwierige Aufgabe herangegangen. Bei seinem letzten Versuch wollte er ein riesiges Gewicht von mehreren Tonnen bewegen. Die Tür war aus Metall, einem harten magnetischen Metall mit starken Riegeln und Querverbindungen. Er hatte versucht, sie lediglich mit der Kraft seines Geistes zu bewegen und dabei einen Rückschlag erlitten. Wie ein Mann, der seine Muskeln überanstrengt, hatte er eine Art Ueberanstrengung seines Geistes erlitten und dafür bezahlt. Er fletschte seine Zähne, und wieder verdunkelte sich das Licht, flammte hell auf und schien dann wieder normal. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Tür, aber diesmal mit Vorsicht. Tief in seinem Gehirn schien irgend etwas langsam ins Bewußtsein zu kommen wie die Gegenwart eines halbvergessenen1 Gedankens. Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich auf den Metallriegel, der ihm den Weg in die Freiheit versperrte. Wieder bog sich die Tür und ruckte in ihren Schlössern. Wieder begann sein Gehirn' zu schmerzen. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er kristallisierte seine Gedanken, versuchte die ständige Irritierung durch andere Dinge zu unterbinden und seinen Entschluß, die Tür zu öffnen, an erster Stelle in seinem Bewußtsein rangieren zu lassen. Die Irritierung wuchs, schien wie kleine Funken geistiger Energie aufzuglühen. Dann aber ging die Tür auf. Curt betrachtete sie einen Moment und sah die blanke Oberfläche der schweren metallenen Riegel und das schwere metallene Gitter. Erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, was er getan hatte, und er lächelte. Wie ein Kind, das mit einem neuen
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Spielzeug spielt, ließ er die Tür ein paarmal in den gutgeölten Scharnieren hin und herschwingen. Etwas später stand er auf und ging in den verlassenen Korridor, der sich hinter der Zelle befand. Mit seiner erprobten geistigen Kraft öffnete er eine zweite verriegelte Tür und schlenderte auf eine Treppe zu. Irgend etwas rührte sich in einer Nische, ein metallisches Ding mit künstlichen Armen und einem konisch geformten Kopf. Rotes Licht flackerte aus den forschenden Augen, dann klapperte das Metall, während es auf den Betonfußboden niederfiel. Die künstlichen Arme klappten, unbrauchbar geworden, herunter. Curt ignorierte es. Sein Geist beschäftigte sich schon mit dem schwierigen Mechanismus der verschlossenen Tür eines Aufzuges. Der Mechanismus summte plötzlich, und gespannt lauschte Curt den Dingen, die da kommen würden. Er zögerte einen Moment, da er den Kräften der Teleportation noch nicht traute. Während er zweifelnd vor dem Aufzug stand, ging die Tür auf, und er blickte in die erstaunten Gesichtszüge einer schwarzhaarigen Frau. „Rosslyn!" Nyeeda sprang aus dem Aufzug, und hinter ihr hoben weibliche Wachen in einer Reflexbewegung ihre Waffen, so daß die kleinen Mündungen der Supergeschwindigkeitspistolen auf Curts Magen gerichtet waren. „Rosslyn? Wie sind Sie hierhergekommen?" Er zuckte mit den Schultern. Seine Augen verengten sich, als er auf die drohend auf ihn gerichteten Waffen blickte. Er wußte, daß er diese Wachen entwaffnen konnte. Er konnte ihnen die Pistolen aus den Händen reißen, sie gegen die metallenen Wände schleudern und über ihre zerschmetterten Körper hinweg in den Aufzug steigen. Er konnte entkommen, aber was hätte es für einen Sinn, ständig auf der Flucht zu sein? Wenn sie ihn hätten töten wollen, hätten sie es schon lange getan. Aber sie hatten sein Leben nicht vernichtet. Warum sollten sie es nun auf einmal tun? Er betrachtete die Frau. „Wer sind Sie?" 180
„Nyeeda. Sekretärin der Matriarchin. Aber wie sind Sie hierhergekommen?" Sie runzelte die Stirn, während sie die am Boden liegende Gestalt des Metamannes sah. „Fenshaw! Rufe die Wachen. " „Ja, Madam." Eine der Frauen steckte ihre Waffe ein, drückte auf einen Knopf an ihrem Gürtel und sprach in ein kleines Mikrofon an ihrem Handgelenk. „Sollen wir den Gefangenen in seine Zelle zurückbringen?" „Nein." Nyeeda biß sich auf die Lippen, während sie die ruhigen Züge des Mannes betrachtete. „Sie bleiben hier. Die anderen begleiten uns zur Matriarchin. Rosslyn, Sie kommen mit mir. Sofort!" „Wirklich?" Lächelnd kreuzte er seine Arme und betrachtete die schwarzhaarige Frau. „Warum sollte ich?" „Weil die Wachen, falls Sie sich weigern sollten, Ihren Körper durchlöchern würden." Irgend etwas glomm eine Sekunde lang in ihren schwarzen Augen auf, und Curt grinste, als er darin ihre Erregung erkannte. „Ich glaube kaum, daß sie das tun werden", sagte er ruhig. „Sie haben Sorgen, nicht wahr? Warum?" . „Bitte." Nyeeda deutete ungeduldig auf den Aufzug. „Kommen Sie mit mir, ohne zu fragen und ohne zu streiten. Ich verspreche Ihnen, daß Ihnen nichts geschieht. Aber bitte, vergeuden Sie nicht noch mehr Zeit." „Zur Matriarchin?" „Ja." „Ich verstehe." Curt zuckte mit den Schultern und schritt auf den Aufzug zu. „Ich nehme an, daß Sie mich kennen. Sie wissen sicher, wie ich hierherkam. Nicht wahr?" „Wir wissen alles über Sie." Nyeeda winkte den Wachen, die sich in den Aufzug drängten, warf die Tür zu und drückte auf den Knopf.
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„Das freut mich", sagte Curt ruhig. „Werde ich vor ein Gericht gebracht?" „Nein." „Dann also in die Freiheit?" „Bitte!" Nyeeda sah ihn verzweifelt an. „Wir haben keine Zeit, zu diskutieren. Es wird Ihnen nichts geschehen, aber Sie müssen tun, was ich Ihnen sage, und das sofort. Wenn nicht..." Sie schwieg, aber ihre Augen verrieten ihre Absicht, während sie auf die Wachen blickte. „Würden Sie mich töten?" Curt lächelte, und sie errötete, als sie die Erregung in seinen grauen Augen sah. „Ich glaube nicht. Nyeeda? Das ist doch Ihr Name?" „Das ist er." „Ein schöner Name", scherzte Curt. Unverhohlen betrachtete er die schwarze Schönheit. .Ich glaube, daß wir uns noch oft sehen werden, Nyeeda." „Ich zweifle daran", sagte sie kurz. „Ich bin die Sekretärin der Matriarchin." „Und ich", sagte er ruhig, „bin der Freund von Comain." Er lächelte und sah in ihre fragenden Augen.
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XIX. Kapitel Der Aufzug führte direkt in das Büro der Matriarchin. Curt sah sich verwundert um, als die dunkelhaarige Frau die Wachen entließ und die Lifttür zuschlug. Zerzaust, mit zerfetzten Hosen und zerfetzten Bluse stand er vor der Herrscherin der Erde und blickte mit seinen grauen Augen, durch die das Bewußtsein einer neuen Kraft leuchtete, auf die Matriarchin. Sarah Brownman betrachtete ihrerseits den Mann, der ihre einzige Hoffnung war. In den vergangenen dreißig Minuten war sie rapide gealtert. Ihre Backen waren eingefallen. In ihren Augen brannte die Verzweiflung. Die elektronische Uhr an der Wand schien sie spöttisch anzusehen. In ihrem Bedürfnis, der Enge zu entfliehen, hatte sie die hohen Fenster weit geöffnet. Sie führten auf eine schmale Terrasse. Ihre Erbauer hatten eine schmale Rampe darumgelegt, und manchmal pflegte die Matriarchin in der angenehmen Kühle einer Sommernacht auf sie hinauszutreten und von dort aus über die Stadt und die Ebene zu blicken. „Weiß er es?" Während sie diese Frage stellte, blickte sie unverwandt in die ruhigen Züge des Mannes. Nyeeda schüttelte den Kopf. „Nein, Madam. Soll ich ihn informieren?" „Nein, Sie Närrin!" Ungestüm stand die alte Dame auf und stellte sich. „Das würde Zeit in Anspruch nehmen, zuviel Zeit. Und ich habe jetzt so wenig Zeit, so wenig." „Wie Sie wünschen, Madam." Nyeeda trat vor, um der alten Dame behilflich zu sein. „Lassen Sie mich, Mädchen! Behalten Sie den Mann im Auge. Ich komme allein zurecht." Langsam schritt sie auf die Wand zu und drückte ihren Handballen gegen eine bestimmte Stelle. Ein elektronischer Mechanismus, der die Linien in ihrem Handballen erkannte, öffnete eine Tür, die in eine kleine Zelle führte. 183
„In dieser Zelle war Comain." Curt betrachtete das rote, forschende Auge, den Metallhelm, die niedrige Bank und den bequemen Sessel. Die Zelle ähnelte der, die er in der Stadt betreten hatte. Im großen und ganzen wies sie aber geringfügige Veränderungen auf. „Wollen Sie den Mann zuerst registrieren, Madam?" „Nein. Ich werde zuerst Comain befragen. Dann kann Rosslyn den Helm aufsetzen, und ich werde die Maschine erneut befragen. Wenn er die ursprüngliche Vorausasge ändern kann, werde ich ihm alles geben, was er wünscht, alles und jedes, womit der gesamte Planet aufwarten kann. Er kann um diese Welt bitten, und er wird sie bekommen. Aber wenn die ursprüngliche Vorhersage sich nicht verändert" ihre Augen wurden hart .dann wird er sterben." „Habe ich in dieser Angelegenheit nichts zu sagen?" Curt betrachtete die alte Dame. „Nein!" Er zuckte mit den Schultern und sah interessiert zu, wie sie sich in den Sessel setzte und den Kontakt herstellte. „Ja?" Die metallisch-unmenschliche Stimme klang klar durch das Zimmer. „Auskunft. Unbegrenzt. Die Matriarchin spricht selber." Die alte Dame hielt ihr entblößtes Handgelenk vor das forschende Auge. Ja?" „Bestimme meinen Tod." Einen Augenblick herrschte Schweigen, und Curt hörte, wie die schwarzhaarige Frau an seiner Seite schwer atmete. „Vorhersage, betreffend den Tod der Matriarchin. Eintreten des Todes um elf Uhr. Wahrscheinlichkeit neun Neunen." Die mechanische Stimme brach ab, und einen Moment lang sackte die alte Dame über die niedrige Bank. Die Schultern waren
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gekrümmt. Ihre Hände zitterten, während sie nach der Sessellehne griff. Dann stand sie gequält auf und blickte zur Curt. „Registrieren Sie diesen Mann." „Ja, Madam." Nyeeda schritt auf die Zelle zu. „Hierher. Tempo." „Nein." „Was? Sie blickte auf die Matriarchin. „Bitte, machen Sie keine Schwierigkeiten. Sie müssen von Comain registriert werden. Beeilen Sie sich!" .Ich weigere mich." Curt lächelte, als er ihre konsternierten Augen sah und setzte sich bedächtig auf die Kante des großen Schreibtisches. „Es sind gewisse Drohungen ausgesprochen worden", sagte er ruhig. „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Aber es hat den Anschein, als ob ich irgend etwas tun soll. Habe ich recht?" „Ja." „Na, schön, und wenn ich es tue, was hat das dann für mich zu bedeuten?" „Sie werden von Comain registriert." Die Matriarchin schritt auf den jungen Mann zu. Der nackte Haß entstellte ihre Züge. „Ich werde mit Ihnen nicht darüber verhandeln. Wenn Sie nicht einwilligen, werden Sie erschossen. Nyeeda, rufen Sie die Wachen." „Warten Sie." Curt ließ sich vom Schreibtisch herunter. „Kann Ihnen meine Leiche helfen?" „Jedenfalls kann sie mir nicht schaden." Die Matriarchin erblaßte, ais sie auf die elektronische Uhr sah. „Noch fünfzehn Minuten bis elf. Registrieren Sie sich. Registrieren Sie sich, bevor ich Sie mit meinen eigenen Händen töte!" Curt blickte auf eine kleine Pistole, die die alte Dame plötzlich in der Hand hielt. Dann hob er seinen Blick und sah in die entstellten Züge der Matriarchin.
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„Sie lassen mir keine Wahl", sagte er ruhig. „Was wollen Sie von mir?" „Zeigen Sie es ihm, Nyeeda." „Ja, Madam." Die Sekretärin deutete auf die Zelle. .Setzen Sie sich in diesen Sessel. Setzen Sie den Helm auf. Das andere werde ich besorgen." Schweigend setzte sich Curt in den bequemen Sessel und stülpte den Helm über. Er war aus einem schweren Metall und sah innen wie Platin aus. Ein dickes, isoliertes Kabel lief hindurch. Nyeeda beugte sich über seine Schultern und drückte auf verschiedene Knöpfe. „Eine neue Registrierung. Dringe tief ein und gib alle Daten." Eine rote Lampe blinkte auf dem Armaturenbrett auf, und das Mädchen seufzte, während Sie sich zur Matriarchin wandte. „Registrierung durchgeführt, Madam." „Gut." Die alte Dame funkelte Curt an. „Na? Worauf warten Sie? Stehen Sie von dem Stuhl auf." Schweigend gehorchte Curt. Seine Stirn legte sich in Falten, und seine Augen nahmen einen abschätzenden Ausdruck an. Er hatte nichts gespürt, keinen Stromfluß, keine Energie und nichts, das darauf schließen ließ, daß der Extrakt seines Geistes kopiert und auf die Speicherwerke von Comain übertragen worden war. Angespannt setzte sich die Matriarchin in den Sessel und identifizierte sich. „Ja?" „Bestimme den Tod der Matriarchin." „Vorhersage des Todes. Das Leben wird um elf Uhr enden. Wahrscheinlichkeit neun Neunen. " „Was!" Verzweifelt löschte die alte Dame die Armaturen und identifizierte sich von neuem. .Bestimm meinen Tod auf Grund aller verfügbaren Daten/
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Es herrschte einen Moment lang Schweigen, als ob die Maschine die Millionen und aber Millionen von Informationen erforschen würde. In dem herrschenden Schweigen konnte Curt den abgehackten Atem der alten Dame hören. Die Sekretärin neben ihm hatte sich nach vorn gelehnt. „Vorhersage des Todes." Die kalte, unmenschliche Stimme des Lautsprechers klang durch das Zimmer. „Tod tritt um elf Uhr ein. Wahrscheinlichkeit neun Neunen." „So!" Das ganze Leben, das noch in der alten Dame geblieben war, schien erloschen zu sein, als sie über die Bank sank. „Eine Wahrscheinlichkeit mit neun Neunen, daß ich um elf Uhr sterbe." Ein unterdrückter Laut drang aus Ihrer Kehle, als ob sie das Unvermeidliche endgültig akzeptieren würde. Sie straffte sich und verließ die Zelle. „Wissen Sie, was das heißt, Nyeeda?" „Eine Wahrscheinlichkeit von neun Neunen war immer schon Gewißheit." Die Sekretärin leckte sich über die Lippen und deutete mit einer nervösen Geste auf die elektronische Uhr. Die Matriarchin folgte ihrem Blick. „Fünf Minuten", sagte sie ruhig. „Während meiner ganzen Zeit hat die Maschine niemals falsch gearbeitet, wenn sie alle notwendigen Daten hatte. „Sie sah auf Curt, und die Pistole in ihrer Hand deutete drohend auf ihn. „Ich sollte Sie töten. Ich sollte Sie niederknallen wie einen tollwütigen Hund, so wie ich es versprochen habe..." Sie zuckte mit den Schultern, und die kleine Öffnung der Mündung zeigte auf sie selbst. „Nein!" Nyeeda sprang vor. „Nein, Madam, das können Sie nicht tun!" „Warum nicht? Comaiin hat meinen Tod vorausgesagt. Du weißt, was das bedeutet. Warum soll ich auf das Ende warten? Warum soll ich die letzten Minuten warten? Warum soll ich nicht alles beenden - jetzt." „Nein!" Curt bewegte sich nicht, aber die Pistole schien einen Satz zu machen, drehte sich und fiel mit einem dumpfen Laut auf den Teppich. „Sind Sie wahnsinnig. Wenn Sie sich töten, machen 187
Sie damit die Voraussage wahr. Wollen Sie denn das? Haben Sie so große Angst, daß Go-main sich irren könnte, daß Sie lieber sterben als der Maschine einen Fehler zuzugestehen?" „Comain hat immer recht." „Dann werden1 Sie sterben." Er war absichtlich grausam. „Warum wollen Sie das Unvermeidliche so schnell herbeiführen? Sie haben doch noch zwei Minuten Zeit. Glauben Sie mir, Madam, der Tod kann eine schrecklich lange Zeit dauern. Warum wollen Sie diese letzten zwei Minuten nicht noch Ihr Leben auskosten?" Sie zögerte, sah auf die Pistole, die auf so seltsame Art und Weise ihrer Hand entfallen war, und dann, als sie die hohen Fenster und das Sonnenlicht auf der Terrasse bemerkte, nickte sie. „Sie haben recht", flüsterte sie. „Es ist nur so kurze Zeit, aber ..." Langsam schritt sie auf die Fenster zu und sog die warme Luft tief ein und betrat dann die Terrasse. Sie stand nahe an der niedrigen Rampe und blickte über die Stadt von Comain. Die Zeiger der elektronischen Uhr an der Wand wanderten langsam auf die schicksalhafte Stunde zu. „Sie wird sterben", flüsterte Nyeeda, und Curt fühlte, wie ihr schlanker Körper zitterte, während Sie sich instinktiv an ihn lehnte. „Vielleicht." Er sah auf die Uhr und starrte dann auf die Gestalt der alten Matriarchin, während sie an der niedrigen Rampe der von der Sonne hellerleuchteten Terrasse stand. .Sie wird sterben", wiederholte Nyeeda mit kranker Stimme. „Jetzt." Gleichzeitig erklang der sanfte Schlag der elektronischen Uhr. Eins, zwei, drei. Die alte Dame auf der Terrasse schwankte, als sie den sonoren Glockenschlag vernahm. Sechs, sieben, acht.
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Sie schwankte stärker. Sie keuchte und fuhr mit ihrer Hand auf die Brust. Ihre Züge waren grau vor Schmerz und Furcht, und dann stürzte sie, erst langsam und dann immer schneller, über die Rampe in die Leere. Nyeeda schrie schrill auf. Ihr herzzerreißender Schrei hallte von den Wänden wider. Curt stöhnte und konzentrierte sich schmerzhaft auf einen Gedanken. Es war unglaublich, aber die alte Dame fiel nicht. Sie schwebte hilflos fünfzehnhundert Meter über der Ebene, während Curt der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand und er gegen den instinktiven Wunsch, vorwärts zu rennen und die Matriarchin zu halten, ankämpfte. Langsam, als herrschte ein sanfter Wind, trieb sie auf die Terrasse zurück, weg von der Rampe und dem sicheren Tod, der sie unten erwartet hätte. Sie schwebte, ruckte ein wenig und wurde dann mit erstaunlicher Sanftheit auf der Terrasse abgesetzt. In dem folgenden Schweigen hörte man Nyeedas schweres Atmen, als ob sie gerade eine lange Strecke gerannt wäre. Sie taumelte, fiel fast hin und rannte dann aus dem Zimmer, um sich sofort über die Gestalt der alten Dame zu beugen. Angestrengt wartete Curt, während ihre schmalen Finger fast zärtlich' den Puls fühlten. „Sie lebt." Das ungläubige Erstaunen ließ die Stimme der Sekretärin schrill, ja fast häßlich werden. „Sie lebt!" „Ja", sagte Curt. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich erschöpft auf dem Schreibtisch nieder. „Aber sie kann doch nicht leben, sie kann nicht leben." Nyeeda betrachtete den jungen Mann. „Comain hat gesagt, daß sie sterben würde. Die Maschine hat es vorausgesagt. Sie kann nicht leben. Sie kann nicht leben!" „Sie lebt aber." Curt deutete schwach auf die Matriarchin. „Sie lebt, und sie wird auch weiterhin leben, wenn sie nur vernünftig 189
genug ist, einen Arzt aufzusuchen, der sich um ihr Herz kümmert." „Aber ..." Die Sekretärin erhob sich, und ihre Augen weiteten sich vor Schrecken, während sie Curt ansah. „Es gibt nur etwas, das sie gerettet haben kann", flüsterte sie. „Ein unbekannter Faktor. Sie haben den Helm aufgesetzt und dennoch, obwohl Sie registriert wurden, haben Sie die Matriarchin vor dem sicheren Tode bewahrt. Comain müßte Ihre Kraft gekannt haben. Die Daten dafür müßten gespeichert sein, aber..." Ihre Stimme erstarb, als sie erkannte, was sie da sagte. „Sie sind nicht registriert." Auf irgendeine unbegreifliche Art und Weise hat Comain den Inhalt Ihres Gehirnes nicht aufgenommen. Sie sind immer noch eine Gefahr für unsere Sicherheit, immer noch eine unbekannte Macht." Sie schritt auf Curt zu, und ihre Gefühle spiegelten sich auf ihrem Gesicht wider. „Sie sind immer noch ein überzähliger Mann." Abrupt wandte sie sich um und rannte zur Tür. „Warten Sie." Curt lächelte, während sie sich herumdrehte und auf ihn zuschwebte. „Rufen Sie Ihre Wachen nicht. Es täte mir leid, wenn ich Sie töten müßte, aber wenn Sie sie rufen und sie mich bedrohen, werde ich nicht gerade sanft mit Ihnen verfahren." „Sie..." Sie wandte sich wieder um und rannte zur Tür. Curt seufzte, konzentrierte sich auf den Schmerz in seinem Gehirn und lächelte in ihre erstaunten Augen. „Entspannen Sie sich", sagte er sanft. „Es gibt nichts, über das Sie sich aufregen müßten. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich um die alte Dame kümmern würden?" „Wer sind Sie?" flüsterte das Mädchen. „Wer sind Sie?"
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„Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt", sagte er einfach. „Ich habe es Ihnen schon im Aufzug gesagt. Können Sie sich nicht daran erinnern?" „Nein." „Sie lügen. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir uns noch viel sehen werden. Wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu. Stimmt's?" „Sie Teufel!" Ihre bleichen Wangen röteten sich vor Zorn. „Können Sie auch so Gedanken lesen, wie Sie das andere können?" „Welches andere?" „Sie wissen, was ich meine." Sie errötete wieder und betrachtete den jungen Mann gedankenvoll. „Jetzt erinnere ich mich. Sie sagten, daß Sie ein Freund von Comain wären. Was wollten Sie damit sagen?" „Ich sagte, daß ich ein Freund von Comain wäre", sagte Curt einfach, „und ich'meine es genauso, wie ich es sage." Er rutschte vom Schreibtisch herunter und sah die Matriarchin an, die sich aufgesetzt hatte und wild um sich blickte. „Machen Sie sie wieder fit. Helfen Sie ihr. Beruhigen Sie sie. Wir müssen noch wichtige Dinge diskutieren." „Welche zum Beispiel?" „Zum Beispiel die Zukunft dieser Welt." Er lächelte etwas, als er ihren Ausdruck sah, ging sicheren Schrittes hinter den Schreibtisch und setzte sich. Es war der Stuhl der Matriarchin.
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XX. Kapitel Eine Stunde war vergangen. Die alte Matriarchin hatte sich erholt und saß schweigend in einem Sessel gegenüber dem Schreibtisch. Neben ihr saß Nyeeda. Ihre Augen hatten einen eigenartigen Ausdruck, während sie den jungen Mann betrachtete. Curt lächelte, lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und blickte in den blauen Himmel und die weißen Wolken, die klar durch die großen Fenster zu erkennen waren, während er seine Gedanken ordnete. „Na?" Die Matriarchin räusperte sich. „Und was geschieht jetzt?" .Glauben Sie immer noch an die Voraussagen von Comain?" „Natürlich." Die alte Dame runzelte die Stirn, während sie Curt betrachtete. „Obwohl ich zugebe, daß ich nicht genau weiß, wie es kommt, daß ich noch lebe." „Hat Nyeeda es Ihnen nicht erklärt?" „Sie hat irgend etwas gesagt, daß Sie mein Leben gerettet haben. Femer irgendeinen Unsinn, daß Sie von Comain nicht registriert worden sind." „Sie hat recht." „Lächerlich. Ich habe selbst gesehen, wie Sie den Helm aufgesetzt haben." „Und deshalb glauben Sie, daß ich automatisch registriert wurde." Curt wandte sich vom Fenster ab und sah sie voll an. „Ist Ihnen niemals der Gedanke gekommen, daß ich vielleicht nicht registriert wurde, wie Sie es nennen?" „Unmöglich. Die Assimilation der Daten ist eine sofortige, und Comain kann nicht anders, als Sie sofort aufzunehmen. „Nein?" Curt zuckte mit den Schultern. „Dann ist also nach Ihrer Logik all das, was hier geschieht, nicht wirklich, und Sie sind tot." 192
„Reden Sie keinen Unsinn. Natürlich bin ich nicht tot. Ich lebe, und wir sprechen in meinem Büro." Sie runzelte die Stirn, als sie bemerkte, daß er in ihrem Stuhl saß. „Ich halte es übrigens für besser, daß wir die Sitze tauschen. Das ist mein Schreibtisch und mein Stuhl." „Nein." „Nein!" Der Zorn rötete ihr Antlitz. „Wie können Sie es wagen! Ich bin die Matriarchin, und ich herrsche!" „Wirklich?" Curt lächelte und lehnte sich im Sessel zurück. „Vielleicht habe ich andere Absichten." „Rebellion?" Die offene Verachtung sprach aus ihrem Blick. „Nun weiß ich, daß Sie verrückt sind. Mann, ein Wort von mir, und meine Wachen reißen Sie in Stücke. So. Jetzt lassen Sie den Blödsinn und geben Sie mir meinen Stuhl." „Keine Rebellion, und außerdem sind Ihre Wachen mir gegenüber völlig machtlos." Abrupt lehnte er sich nach vorn, und seine Züge bekamen plötzlich einen harten Ausdruck. „Jetzt hören Sie mir einmal zu. Hören Sie und lernen Sie. Ich könnte Ihre Zivilisation zerstören. Ich ganz allein! Glauben Sie es mir. Falls Sie daran zweifeln sollten, fragen Sie sich einmal selbst, was es war, das Sie vom Rand des Todes weggerissen hat. So, jetzt hören Sie mir zu und versuchen Sie einmal, Ihren übertriebenen Stolz und Ihre Position zu vergessen." „Nyeeda, rufen Sie die Wachen." „Aber .. " „Rufen Sie sie, sage ich Ihnen!" Der Zorn ließ ihr Gesicht häßlich werden. „Tun Sie, was ich Ihnen befehle!" Plötzlich schlugen die hohen Fenster zu, und das Glas splitterte auf den Boden, trieb durch das Zimmer und wurde plötzlich mitten in der Luft krachend in Stücke gerissen. Ein Stuhl flog gegen die elektronische Uhr, und dann fielen der Stuhl und die Uhr durch das zersplitterte Fenster nach draußen. Das Zimmer
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bebte, während Mauerbrockchen von der Decke auf die weichen Teppiche fielen. „Na?" Curt wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Sind Sie überzeugt, oder soll ich das ganze Gebäude zerstören? Sie wissen, daß ich es tun kann. Ich kann das Ding, das sich Comain nennt, in Atome auflösen. Und was wird dann aus Ihrer Zivilisation?" „Das würden Sie nicht wagen." „Sind Sie so dumm, daß Sie das glauben?" Curt schüttelte den Kopf. „Was bedeutet mir Ihre Zivilisation? Ich bin ein Ausgestoßener, ein Fremder, ein Mann, der von den Toten wieder auferstanden ist. Ich bin, wie es Ihre Sekretärin ausdrückt, ein überzähliger Mann. Was kümmert mich Ihre Sicherheit, Ihre lächerliche kleine Welt?" „Ich glaube Ihnen", flüsterte die alte Dame. „Was wollen Sie von mir?" „Nichts." Curt entspannte sich und lächelte. „Sie und ich, wir haben wichtige Dinge zu diskutieren. Aber zunächst einmal war es wichtig. Ihnen einen kleinen Beweis zu liefern. Ihnen den Verdacht zu nehmen und Sie für die Gedankengänge aufgeschlossen zu machen." „Sie haben mein Leben gerettet", sagte die Matriarchin einfach. „Was wollen Sie von mir?" Einen Moment lang herrschte tiefes Schweigen. Dann lehnte Curt sich mit einem plötzlichen Entschluß nach vorn und stellte die Frage: „Was", sagte er ruhig, .ist Comain?" „Eine Maschine. Eine große elektronische Rechenmaschine. Warum fragen Sie das?" Die Matriarchin sah ihn erstaunt an. „Ist sie das?" Curt schüttelte den Kopf. „Ich glaube, daß es etwas mehr ist, als Sie sagen. Ich glaube, daß es über zwei Jahrhunderte her ist, fast schon so lange, wie die Maschine
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existiert, daß die Menschen vergessen haben, was es in Wirklichkeit ist." „Und das wäre?" „Ich kannte Comain", sagte Curt sanft. „Wir waren Freunde. Wir haben beide die gleichen Träume geträumt. Ich kannte seine Pläne für einen Superprediktor. Und hier liegt der Hase im Pfeffer, denn es war niemals seine Absicht, daß diese Maschine die ganze Welt beherrscht. Comain war kein Narr. Er wußte es genauso gut, wie es jeder andere Mensch wissen müßte, daß es notwendig wäre, in einer versiegelten Welt zu leben, wenn Comain solche Dinge voraussagen soll, wie Sie von ihm erwarten. Es müßte eine Welt sein, in der jeder Mann, jede Frau etikettiert, klassifiziert und in eine ganz bestimmte Ordnung eingeteilt sein müßte. Es wäre eine Welt von Sklaven." „Lächerlich." „Wie kann eine Maschine sonst voraussagen, was geschehen muß? Wie kann eine Maschine sonst den Lauf der Geschehnisse vorausbestimmen? Lassen Sie einen einzigen Menschen seine Phantasie gebrauchen oder auf irgendeine Art sich weigern, sich der Norm anzupassen, und sofort steht ihre ganze Zivilisation köpf. Ich habe das bewiesen. Ich, Ihr überzähliger Mann', habe Ihnen gezeigt, was in so einer Welt passieren kann." „Sobald Sie registriert sind, wird die Welt wieder normal. Comain kann dann mit einer Wahrscheinlichkeit von neun Neunen voraussagen, und wir werden wieder zufrieden sein." „In so einer Welt wären Sie schon tot." Curt betrachtete die Matriarchin. „Sie verstehen mich nicht. Ich argumentiere nicht mit den Theorien der Regierungsformen, ich spreche von Comain. Ich spreche von der herrlichsten Erfindung, die jemals von Menschengeist gemacht wurde. Eine Erfindung, die uns alle das geben könnte, was wir uns wünschten - wenn wir nicht vergessen hätten, wie sie zu gebrauchen ist." „Wovon sprechen Sie?"
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„Ich spreche von einer Maschine, die in ihren Speicherwerken das Wissen von Hunderten von Millionen von Gehirnen hat. Eine Maschine, die in der Lage wäre, jede beliebige Frage zu beantworten - wenn Sie wüßten, wie diese Frage gestellt werden muß." Er unterbrach sich und betrachtete die beiden Frauen, deren Augen unwillkürlich auf die kleine Zelle schauten, die Comain war. „Comain war mein Freund", flüsterte er. „Wie baute er diese Maschine? Verband er Millionen von Relais miteinander? Versuchte er nur zu verbessern, was andere vor ihm schon getan hatten, oder ging er einen völlig neuen Weg? Wie kommt es, daß niemals jemand versucht hat, die Wahrheit herauszufinden? Kommt denn keinem dieser Gedanke, wenn er den Helm aufsetzt?" „Sprechen Sie, Mann! Murmeln Sie nicht." Die alte Matriarchin1 rutschte unruhig auf ihrem Sessel hin und her und betrachtete Curt und dessen leuchtende graue Augen. „Worauf wollen Sie hinaus?" „Wie kommt es, daß Sie die Maschine nur befragen? Wie kommt es, daß Sie nach so langer Zeit Comain immer noch für eine Maschine halten? Sagen Sie mir, haben» Sie jemals um eine freiwillige Information gebeten? Haben Sie jemals mit Comain gesprochen. Wie Sie es mit einem Menschen tun würden?" „Niemals!" „Warum nicht?" „Comain ist eine Maschine", sagte die alte Dame verbohrt. „Wenn wir der Bevölkerung erlauben würden, sich an die Maschine wie an ein lebendes Wesen zu wenden, wie lange würde es dauern, bis sie es glauben würde? Wie lange, bis sie es für einen Gott halten würde?" „Sie haben recht." Curt nickte. „Es war von Anfang an verkehrt, jedem zu gestatten, Comain zu konsultieren. Sie haben die Speicherwerke mit trivialen Dingen überlastet. Sie haben die 196
Relais und Stromkreise mit unwichtigen Dingen vollgeladen. Sie haben das beste Forschungsinstrument, das jemals gebaut wurde, mit Ihren eigenen lächerlichen Nöten und Aengsten belastet. Sie haben Comain fast ruiniert." „Sie sind ein Narr." „Ein Narr?" Curt schüttelte den Kopf. Der Schweiß stand auf seiner Stirn. .Nein, Sie haben den Fehler gemacht, nicht ich. Sie, die die Wahrheit wissen sollten, haben bereitwillig die Augen geschlossen und darauf bestanden, daß dieser Unfug weitergetrieben wird. Sie haben den Fehler gemacht. Sie und Ihr eigensinniges Beharren in dem Glauben, daß Comain eine Maschine sei." .Wie betrachten Sie es denn?" Die Matriarchin gab sich keine Mühe, ihren Sarkasmus zu verbergen. „Ich denke mir Comain als einen Mann." Curt sah zu der Zelle hinüber. „Ich denke, daß das Transferieren elektronischen Potentials die Gedanken eines Mannes sind. Ich denke an die Moleküle. Atome und Drähte und dennoch glaube ich an das Transferieren eines Gehirnes auf gefühlloses Metall und Kristall. Ich denke an Comain als Mensch, und ich denke an Comain als Maschine. Ich weiß, daß ich dabei an ein und dasselbe denke. Denn Mensch und Maschine sind in diesem Falle ein und dasselbe." „Nein." Curt erhob sich hinter dem Schreibtisch. „Ich konnte den Inhalt meines Gehirnes nicht auf die Speicherwerke übertragen, weil mein Gehim von denen anderer Menschen differiert. Mein elektrisches Potential differiert von den anderen, und deshalb konnte der Helm meine Impulse nicht übertragen. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Was wichtig ist, ist, daß ich die Wahrheit kenne. Comain war der erste Mann, der sein Gehim auf die Speicherwerke übertragen hat. Andere folgten ihm. Zuerst die besten Wissenschaftler des damaligen Zeitalters, dann andere, immer mehr und schließlich jeder Mann auf diesem Planeten. 197
Stellen Sie sich einmal vor, welches Wissen in den Speicherwerken verborgen sitzt. Denken Sie an die verschiedenen Daten, die vielen Faktoren, die allein in den vielen Jahren zusammengekommen sind, an das harterworbene Wissen von zwei Jahrhunderten, das dort ruht und darauf wartet, gebraucht zu werden. Wir könnten schon das Geheimnis des Hyperantriebs haben. Wir könnten das Geheimnis der Unsterblichkeit, der kontrollierten Atomkernspaltung, des intradimensionaleni Raumfahrens lüften. Wir könnten Comain veranlassen, auf jedem nur vorstellbaren Gebiet zu arbeiten, wenn wir nur die Fragen richtig stellen würden." „Und Sie denken, daß Sie entdecken können, wie man diese phantastischen Fragen stellt?" Die Matriarchin lächelte höhnisch, und Nyeedas Gesicht rötete sich vor Zorn, als sie es sah. „Ich glaube, daß ich das kann", sagte Curt ruhig. „Wenigstens werde ich es versuchen." „Wie wollen Sie das tun?" Nyeeda sprang von ihrem Sitz auf und kam zu Curt herüber. Diesem wurde warm ums Herz, als er den Ausdruck in ihren Augen sah. „Mein Hirn scheint auf einer anderen Ebene zu arbeiten als das anderer Menschen. Vielleicht ist das auf die Strahlung im Weltenraum zurückzuführen, der ich so lange Zeit ausgesetzt war. Diese Strahlungen haben mein Gehirn aktiviert und mir die Fähigkeit gegeben, die paraphysikalische Wissenschaft anzuwenden. Ich hoffe, daß ich in der Lage sein werde, die Verbindung mit Comain herzustellen." „Sie meinen, daß Sie mit ihm sprechen können?" „Warum nicht? Sie tun es jedesmal, wenn Sie die Maschine konsultieren, aber ich hoffe, daß ich es auf eine andere Art tun kann. Ich hoffe, daß ich mich mit ihm direkt in Verbindung setzen kann, indem ich den Helm aufsetze. Wenn das, was ich mir vorstelle, Wirklichkeit wird, werden auf diesem Planeten gewaltige Veränderungen vor sich gehen."
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„Seien Sie vorsichtig, Curt." Nyeeda hielt ihn am Arm fest, und ihre dunklen Augen spiegelten ihre Erregung wider. „Bitte, seien Sie vorsichtig." Er lächelte und befreite sich sanft von ihrem Griff. Er lächelte immer noch, als er sich in den Sessel setzte, in das rote Licht des skandierenden Auges sah und den Knopf drückte, der die Maschine in Aktion setzte. Dann nahm er den Helm zwischen seine Hände und sondierte mit seinem Gehirn den komplizierten Mechanismus. Er atmete tief und zwang sich, die geistigen Ausströmungen der beiden Frauen zu ignorieren und seine Gedanken zu konzentrieren. Behutsam setzte er den Helm auf.
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XXI. Kapitel Zuerst empfand er nichts, kein Gefühl, sondern nur das Gewicht des Metalls, das auf seiner Schädeldecke ruhte. Die rote Lampe auf dem Armaturenbrett leuchtete zum Zeichen dafür auf, daß die Registrieiung beendet sei. Aber er ignorierte es und konzentrierte sich auf die neu ergründeten Energien, die in seinem Gehirn ruhten. Das Problem war einfach. Die Helme waren so entworfen worden, daß sie das normale elektrische Potential des menschlichen Gehirnes auf den elektronischen Strom übertragen konnten. Sein Gehirn operierte jedoch auf einer anderen Ebene. Vielleicht war die Frequenz höher. Wohlüberlegt sperrte er die bis dahin brachliegende Gehirnpartie, in der seine neu gefundene Kraft zu ruhen schien). Er schloß sie, befreite seinen Geist von den Strömungen paraphysikalischer Fähigkeiten und zwang seinen Geist in normale Bahnen. Wieder leuchtete die rote Lampe vor ihm auf. Curt betrachtete sie und konzentrierte sich dann darauf, an Comain zu denken. Nicht an die Maschine, nicht an das riesige Gebäude aus Stahl und Beton, nicht an die Kristalle und Drähte, die Speicherwerke, die Moleküle und die Atome, sondern an den großen, schlanken Mann mit den schwachen Augen, der sein Freund gewesen war. Er dachte an eine Nacht vor Jahrhunderten, als sie zusammen unter dem Sternenhimmel gestanden und von ihren geheimen Träumen gesprochen hatten. Er dachte an Comain, den Menschen. Langsam, wie ein Bild, das aus Nebel und Wolken geboren wurde, erstand eine Gestalt vor seinen Augen. Es war genauso wie damals, als er das Gebäude, das Comain war, zum erstenmal gesehen hatte. Das rote Licht des skandierenden Auges erlosch.
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Die Lautsprecher und Mikrofone, alles schien sich zu verändern und sich in Rauch aufzulösen. Und ... Comain stand vor ihm. Einen Moment lang saß Curt erstarrt und regungslos da. Er atmete nicht und veränderte den einmal eingeschlagenen Gedankenweg nicht. Dann begann er langsam und vorsichtig die bis dahin verschlossenen Regionen seines Geistes zu öffnen. „Guten Tag, Comain." „Curt! Du?" „Ja. Ueberrascht?" In Gedanken lachte Curt. „Sie haben mich gefunden, weißt du. Tot und erfroren haben sie mich in der Leere des Weltraumes gefunden. Sie haben mich wieder erweckt. Wie geht es dir, Comain?" Schweigen herrschte, während die Neuronen ihren subtilen, ungewohnten Weg in seinem Gehirn gingen. Der Nebel zitterte, und Curt biß sich auf die Lippen, als die Gestalt Comains vor seinen Augen schwankte. „Gut" „Wirklich? Ich glaube nicht, Comain. Ich glaube, daß du in diesen vergangenen Jahrhun1-derten die Hölle mitgemacht hast. Was ist geschehen, alter Freund? Haben die Menschen das Offensichtliche vergessen? Haben sie Apparate gebaut, um dich in das zu verwandeln, für das du nie vorgesehen warst? Haben sie dich gefesselt? Haben sie dich gehindert, deine Gedanken frei zu äußern? Haben sie dich in ein Gefängnis gesperrt, das ihrer eigenen Vorstellung entsprach?" „Du weißt es?" „Ich habe es vermutet, Comain1. Die Helme haben mich darauf gebracht. Als ich darüber nachdachte, war es mir klar. Du hast nicht mit Drähten und Röhren gebaut. Du hast mit empfänglichen Kristallen und empfindlich veränderten Atomen gebaut. Du hast Material aufs Höchste verfeinert und dann deinen eigenen Geist hineingebaut. Du bist die Maschine. Comain, der Mensch, wohnt 201
in diesem Gebäude. Körperlos, fast unzerstörbar und potentiell unsterblich. Du hast das elektronische Potential deines eigenen Gehirnes dem verfeinerten Mechanismus und den Speicherwerken beigefügt. Du hast dazu das genommen, was du warst, deine Gedanken, dein Wissen, deine Gefühle, dein Ich, alles, was in dir, Comain, den Menschen ausgemacht hat. Du hast alle diese Dinge aus deinem Geist genommen, aus deinem Körper, der alterte, und sie zu den Speicherwerken und deiner Konstruktion hinzugefügt. Dein Körper ist gestorben, Comain, aber du bist nicht gestorben. Du lebtest weiter. Du lebtest hier in der Maschine, die deine Konstruktion war, und du lebst immer noch." „Curt! Du weißt es?" „Ja, alter Freund, ich weiß es. Nun sage mir, Comain, wie kann ich dich aus deinem Gefängnis befreien?" „Ich..." Das Bild schwankte. Einen Moment lang verdeckte rötlicher Nebel den großen, schmalen Mann. Curt nickte und warf einen Schalter herum. „Benütze die Sprechanlage, Comain. Es sind noch andere da, die hören müssen, was du sagst." Er lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und war überrascht, daß seine Hände zitterten und sein Gesicht mit Schweiß bedeckt war. Nyeeda rannte zu ihm. Ihre schwarzen Augen blickten ihn angsterfüllt an. Sogar die alte Dame betrachtete ihn ein wenig schmerzlich. „Sie haben zu Comain gesprochen", sagte sie. .Was hat sie gesagt?" „Was hat er gesagt", verbesserte Curt. .Comain ist ein Mann, ein Mann, der gleich mir lange über seine Zeit hinaus gelebt hat. Vielleicht wußte er nicht, was er tat. Vielleicht war das, was er tat, nur ein Experiment, aber es gelang, und so hat Comain über zwei Jahrhunderte in dieser Maschine gelebt. Er war der erste. Alle anderen, die ihm folgten, die Wissenschaftler, alle waren nur eine Ergänzung der ursprünglichen Intelligenz. Sie leben als eine 202
Masse von Informationen. Es sind Wissen und Daten, die nicht mehr Leben haben als zum Beispiel eine Bibliothek. Aber Comain hat zu all diesen Informationen Zugang und Comain ist lebendig." „Sie meinen, daß er lebt?" Nyeeda blickte auf die kleine Zelle. „Wollen Sie damit sagen, daß Comain bei Bewußtsein ist wie ein Mensch?" „So würde ich es nicht nennen. Ich würde sagen, daß er wohl seine eigene Individualität hat, wie die Metamänner statt einem organischen Gehirn eines aus Kristall und veränderten Atomen haben." Er betrachtete das junge Mädchen. „Können Sie sich vorstellen, welche Qualen er in den vergangenen Jahren gelitten hat, Nyeeda? Können Sie sich vorstellen, in welche Gefahr sich diese Zivilisation begeben hat, da sie sich weigerte, zuzugeben, daß Comain ein Mensch ist? Was geschieht mit einem Menschen, der isoliert, nicht beachtet und mißhandelt wird? Nehmen Sie so einen Menschen, geben Sie ihm eine Position mit einer unvorstelbar großen Verantwortung, belasten Sie ihn bis zum Aeußersten, bis er sich nicht mehr darum kümmert und gleichgültig wird. Was geschieht dann?" „Wahnsinn", flüsterte sie, und ihre Augen weiteten sich vor Schrecken. Curt nickte. „Ja, es würden falsche Voraussagen, unvorhergesehene Ereignisse und willkürliche Sabotage auftreten. Die Leute würden alles dafür verantwortlich machen, außer dem eigentlich Verantwortlichen. Sie würden niemals auf die Idee kommen, daß der Fehler bei der Maschine läge. Sie würden sich weiter nach den Voraussagen richten und durch sie zugrunde gehen. Alles dies hätte geschehen können; aber jetzt nicht mehr, weil ich der Freund von Comain bin." Er wandte sich um und drehte an einem Schalter. Warnlichter flammten auf, und eine Stimme tönte aus dem Lautsprecher in der Zelle. „Ja?" 203
„Hier spricht Curt, Comain, hast du dein Problem gelöst?" „Ja, Curt." Die Stimme kam aus dem Lautsprecher. Die Matriarchin preßte sich angstvoll in ihren Sessel, als sie erkannte, daß die Maschine wie ein Mensch sprach. „Meine ursprüngliche Sorge war, daß ich herausgefunden hatte, daß es unmöglich war, eine Maschine zu konstruieren, die unseren Vorstellungen entsprach. Ich habe dann eine gebaut, die der Perfektion so nahe wie irgend möglich kam. Das war der Prediktor, der zum Atomkrieg führte. Aber er war nicht gut genug, Curt. Ich fand heraus, daß es unmöglich war, die Dinge genau zu kategorisieren. Was meinen wir zum Beispiel mit dem Wort ,Recht'? Es kann sowohl ein Gesetz sein wie ein Privileg oder aber auch eine Zustimmung. Nur das menschliche Gehirn kann solche Ausdrücke brauchbar definieren. Als ich entdeckte, wie man synthetische Kristalle sensitiviert, die eine besondere Atomstruktur haben, entschloß ich mich, mein eigenes Elektropotential zur Grundlage für die Maschine zu machen. Ich habe meine Kraft falsch eingeschätzt, Curt. Ich habe meinen eigenen Geist transferiert, aber ich brauchte mehr als nur eine Kopie. Deshalb entleerte ich mein Gehirn, und mein Körper starb. Kannst du dir vorstellen, was dann geschah, Curt?" „Deine Mitarbeiter wußten nicht, was geschehen war. Sie fanden dich tot und arbeiteten nach deinen Notizen weiter. Sie nahmen an, daß es dir gelungen sei, das Aggregat zu bauen, und betrachteten dich lediglich als Maschine." Curt nickte verstehend. Welch höllische Qualen mußt du in all diesen Jahren erlitten haben." „Ja. Aber das ist jetzt alles vorbei. Du hast die zensierender« Ströme unterbrochen, und ich kann jetzt von mir aus freiwillige Informationen geben." „Gut, und nun zu den Veränderungen, die ich versprochen habe." Curt betrachtete die Matriarchin grimmig. „Sie haben die Wahl, Madam. Entweder Sie führen die Regierung weiter und gebrauchen Comain als wissenschaftliche Forschungsmaschine, 204
die sie in Wirklichkeit ist, entweder Sie tun alles, was ich Ihnen sage, oder..." „Oder was?" Die alte Dame rutschte ungemütlich auf ihrem Stuhl hin und her, während sie den jungen Mann beobachtete. „Sie haben also besondere geistige Kräfte? Sie unterscheiden sich also von anderen Menschen, weil Sie von den Toten auferstanden sind. Das ist mir alles bekannt. Und aus einem unbegreiflichen Grunde heraus scheint meine Sekretärin viel von Ihnen zu halten. Ich jedoch nicht!" „Nein?" „Nein! Sie sind aus der Vergangenheit hierhergekommen und glauben, daß das, was bereits ein halbes Jahrhundert besteht, von Ihnen geändert werden kann. Das geht aber nicht! Ich habe mein Leben lang dafür gearbeitet, daß diese Welt für Männer und Frauen angenehm wurde. Dank Comain haben wir jetzt keine Furcht und keine Probleme mehr. Wir wissen, was geschehen wird, und da wir es wissen, akzeptieren wir es. Das ist etwas, das nicht so einfach beiseite geworfen werden kann." „Sie sprechen von der Vergangenheit, Madam. Das ist jetzt vorbei. Comain ist nicht mehr der Sklave eines jeden, der gern wissen möchte, was geschieht, wenn er täglich zwei Bäder nimmt." „Wollen Sie die Maschine demontieren?" Die Matriarchin zuckte die Schultern und lächelte verächtlich. „Die Menschen würden Sie in Stücke reißen, wenn Sie das versuchen würden." „Das ist das letzte, was ich vorhätte. Nein. Comain bleibt. Wir können sogar die Zahlen lassen, aber wir werden drastische Maßnahmen ergreifen, um den Zugang zu Comain zu beschränken. Von jetzt an werden die Menschen Comain durch ein Informationsbüro konsultieren. Dort werden sie alle erforderlichen Informationen bekommen. Niemand wird mehr den Helm aufsetzen, außer solchen Persönlichkeiten, die der Maschine etwas Neues anvertrauen können. Die Speicherwerke werden von allen unwesentlichen Informationen entlastet. Von 205
jetzt an wird sich Comain nur auf die wichtigsten Dinge konzentrieren." „Ich verstehe." Die alte Dame schien zusammenzusinken. „Und wenn ich mich weigere?" „Dann werden Sie des Amtes enthoben, und ein anderer wird Ihre Stelle einnehmen." „Rebellion!" Der Zorn rötete ihre Wangen. „Immer habt ihr Männer gegen das Bestehende gekämpft. Es waren Männer, die den Atomkrieg verursachten und die Welt in Kummer und Elend stürzten. Männer!" Ihre Stimme zitterte vor Verachtung. „Warum habe ich nur die Marsianer zurückgerufen? Warum war ich mit meinem von Comain vorgezeichneten Schicksal nicht zufrieden? Ich war verrückt!" Sie zuckte die Schultern, und ihre Augen leuchteten. „Na schön. Ein Dummkopf muß für seine Dummheit büßen." „Was wollen Sie damit sagen?" Nyeeda schritt auf sie zu, flüchtete aber, als sie den Ausdruck in den Augen der alten Dame sah, in Curts schützende Arme. „Das." Triumph und Haß brannten in ihrer Stimme. Sie stand auf und drückte auf einen Knopf, der an ihrem Gürtel war. „Die Metamän-ner werden sich um Sie kümmern. Meine Wachen, meine treuen Wachen, diese braven Frauen, die es vorgezogen haben, lieber ein Robot zu sein, als ihre Ideale zu verleugnen und sich nach dem Instinkt zu richten. Sie warten auf mein Signal, und wenn sie es erhalten ..." Sie lächelte, und Curt schauderte, als er den Wahnsinn in ihren Augen sah. „Sie werden dieses Zimmer mit Atomkraft in die Luft jagen." „Kann sie das tun?" Nyeeda nickte. „Ja. Die Wachen der Matriarchin sind auserwählt und fanatisch loyal. Sie befolgen ihre Befehle, ohne zu fragen." „Ich werde euch eure Rebellion geben!" Ihre Stimme klang sadistisch. „Sie haben noch fünf Sekunden, bevor Sie sterben! Fünf Sekunden." Sie begann langsam zu zählen, und bei dem 206
Rückwärtszählen glaubte Curt sich unwillkürlich zweihundertfünfzig Jahre in den Augenblick zurückversetzt, da er starten sollte. Nichts geschah. Nichts, außer dem schweren Fallen metallischer Körper außerhalb des Zimmers, in dem sie sich befanden. Verwundert sah Nyeeda Curt an, aber er schüttelte nur den Kopf und runzelte die Stirn, als wäre er selber verwundert. Abrupt tönte eine Stimme durch das tiefe Schweigen. „Ich habe mich um dich gekümmert, Curt." Aus dem Lautsprecher kam eine Stimme, die nicht mehr so mechanisch klang. „Erinnerst du dich, daß du den Helm aufgesetzt und die Frequenz deines Gehirns darauf eingestellt hast? Ich habe eine Kopie deines Geistes in meinen Speicherwerken. Eine Kopie deines Geistes, Curt. Damit habe ich gleichzeitig unbewußt die paraphysikalischen Kenntnisse erworben. Die Wachen können dir jetzt nicht mehr schaden. Niemand kann dir schaden, solange ich noch Ausmaße habe, die sich über den ganzen Planeten erstrecken." „Ich verstehe." Während die Spanung nachließ, zitterten Curts Hände. Grimmig betrachtete er die Matriarchin. „Na, Madam? Was jetzt?" „Ich..." Die innere Erregung verzerrte ihre Züge. Sie schien sich unter Schmerzen zu winden. Ihre Hand fuhr in die Gegend des Herzens. Ihr Atem war schrecklich anzuhören. Sie taumelte, stieß fast gegen die Wand und wankte dann blindlings auf die Terrasse. „Warten Sie!" Curt versuchte sich zu konzentrieren und spürte dann, daß ihn etwas davon abhielt, seine Kraft für die Rettung zu gebrauchen. Nyeeda schrie auf. Ihre Finger gruben sich tief in seinen Arm. Langsam stolperte die Matriarchin über die niedrige Rampe. Sie fiel, als wäre sie schon tot. Ihr Gesichtsausdruck war ruhig und friedlich, während sie fünfzehnhundert Meter hinunterstürzte.
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Curt sah sie fallen und ging dann schweigend in das Zimmer zurück. „Du hast sie getötet", sagte er, und die Antwort aus der Zelle überraschte ihn nicht. „Nein. Ihr Herz war krank. Sie war bereits tot, bevor sie unten aufschlug. Sie war gefährlich. Sie hatte einen häßlichen Charakter, der durch den jahrelangen Kampf entstanden war, während sie allem entsagte, was für eine Frau normal und notwendig ist. Ihre Nachfolgerin wird nicht so sein." „Ihre Nachfolgerin? Nyeeda?" „Ia. Die Welt braucht einen Regenten, Curt, und warum soll es keine Frau sein? Nyeeda wird den Posten der Matriarchin ausfüllen, und ihre und deine Kinder werden die Menschen dorthin zurückbringen, wo sie einst waren." „Zu den Sternen?" Curt nickte und schloß seine Arme um das Mädchen an seiner Seite. „Ja. Der Mensch braucht den Fortschritt. Er muß vorwärts stürmen nach draußen und hinauf zu den neuen Welten, die ihn in dem All erwarten. Der Mensch kann sich nicht auf eine kleine Sicherheit verlassen, sonst wird er dekadent und geht unter. Du und ich, wir haben unsere Lektion gelernt. Es wird keinen Atomkrieg mehr geben, keine Armut inmitten des Ueberflusses. Auch wird der Unternehmungsgeist nicht mehr unterdrückt werden. Der Ehrgeiz und auch die Aberv-teuerlust werden zu ihrem Recht kommen. Der Mensch muß sein Schicksal erleiden oder sterben." „Die Marsianer", flüsterte Curt. „Lasser und Carter, Wendis und Menson, jeder von ihnen sehnt sich danach, auf den Mars zurückzukehren. Sie werden auch zurückkehren, aber das ist natürlich nur der Anfang. Der Mars ist ein öder Ort, aber er ist günstig als Startplatz für künftige Raumschiffe gelegen." Er straffte sich, und seine Stimme spiegelte Autorität wider. „Du wirst dich mit dem Problem eines Hyper-antriebes beschäftigen, wirst an dem Problem der Unsterblichkeit arbeiten oder zumindest an Mitteln, das gewöhnliche Leben zu verlängern. 208
Du wirst die paraphysikalischen Wissenschaften erklären, damit alle Menschen an ihren Segnungen teilhaben können. All dies wirst du tun, aber zuerst müssen die Marsianer nach Hause zurückkehren." „Das werde ich alles tun." „Zusammen können wir alle Probleme der Menschen lösen", flüsterte Curt. „Nach weiteren anderthalb Jahrhunderten werden wir wieder zusammen sein — und die alten Träume werden ihre Kraft nicht verloren haben." Unbewußt zog er Nyeeda fester an sich. Sie versprach ihm all die Dinge, die er für ewig verloren geglaubt hatte: seine Frau zu werden, ihm Kinder zu schenken und mit ihm ein glückliches, zufriedenes Leben zu führen. Er würde glücklich sein, das wußte er, aber es war noch etwas anderes. Sie würde die Matriarchin sein, die anerkannte Herrscherin der Welt, und sie drei, Nyeeda, Curt und Comain, würden die vergessenen Hoffnungen und die alten Träume Wirklichkeit werden lassen. Denn Nyeeda und er waren eins, untrennbar verbunden durch die Bande der Liebe und den Glauben aneinander. Comain ruhte in der Maschine, die sein eigener Genius erbaut hatte, und die angefüllt mit dem Wissen von Jahrhunderten war. Curt lächelte, als er erkannte, was das bedeutete: Curt und Comain wieder vereint.
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