Stephan A. Jansen · Birger P. Priddat · Nico Stehr (Hrsg.) Die Zukunft des Öffentlichen
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Stephan A. Jansen · Birger P. Priddat · Nico Stehr (Hrsg.) Die Zukunft des Öffentlichen
zu | schriften der Zeppelin University zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik
Stephan A. Jansen · Birger P. Priddat Nico Stehr (Hrsg.)
Die Zukunft des Öffentlichen Multidisziplinäre Perspektiven für eine Öffnung der Diskussion über das Öffentliche
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15282-0
Inhalt Stephan A. Jansen & Birger P. Priddat Einleitung .............................................................................................................. 7 Stephan A. Jansen & Birger P. Priddat Theorien der Öffentlichen Güter: Rekonstruktionen sozialer Konstruktionen – Politik- und wirtschaftswissenschaftliche Korrekturvorschläge......................... 11 Alexander Eisenkopf & Christian R. Schnöbel Die Zukunft des öffentlichen Infrastrukturauftrags im Verkehrssektor: Chancen und Risiken von Public Private Partnerships ....................................... 49 Barbara Drexler Geldpolitik und Öffentlichkeit – Anmerkungen zur Kommunikationsstrategie der Europäischen Zentralbank ............................................................................ 84 Gertraud Koch Bleibt Bildung ein öffentliches Gut? Zur Neuverteilung der Verantwortung für Bildung zwischen Individuum, Staat und Wirtschaft ..................................................... 107 Alihan Kabalak & Markus Rhomberg Die politische Öffentlichkeit der Medien ......................................................... 130 Rick Vogel Ökonomisierung des Öffentlichen? New Public Management in Theorie und Praxis der Verwaltung .................... 152
Andreas Huchler Grenzen der Reorganisation und Privatisierung der Daseinsvorsorge? Eine organisationsökonomische und risikosoziologische Perspektive............. 175 Christoph Henning Dialektik der Privatisierung. Zu einigen sozialen Nebenfolgen des Rückbaus des Öffentlichen................... 196 Karen van den Berg Der öffentliche Raum gehört den anderen. Postheroische Orte, Kaugummis und künstlerische Praxis als Wunschproduktion....................................................................................... 211 Jetta Frost und Claudia Queißer Organisation zwischen Markt- und Hierarchieversagen: Öffentliche Güter als neuer Steuerungsimpuls ................................................. 243 Eckhard Schröter Die Zukunft des öffentlichen Managements – Reformszenarios zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft ........................ 281 Joachim Landkammer My home is my cinema. Die Öffentlichkeit als Garant des Kulturellen?................................................. 303 Zu den Autorinnen und Autoren ....................................................................... 328
Einleitung. Zukunft des Öffentlichen
Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat Das Öffentliche ist ein weitaus größerer Bereich als die Öffentlichkeit. Ist die Öffentlichkeit vor allem festgelegt auf einen Raum des Medialen, so ist das Öffentliche hingegen, unabhängig von medialen (Re-)Präsentationen, der Raum, in dem die Gesellschaft sich selbst immer schon mitführt: als bewusste Entscheidung, nicht nur die privaten Interessen zu verfolgen, sondern auch die der anderen. Institutionell ist der Staat dieses Öffentliche, das klassisch betrachtet immer auch das Allgemeine heraushebt – im Gegensatz zum Individuellen und Besonderen. Genau dieses Öffentliche steht in einer sich ausdifferenzierenden, zentrifugalen, prekarisierenden Gesellschaft mit Hyper-Individualisierung zur Diskussion und Disposition. Einige Aufsätze in dem vorliegenden Herausgeberband behandeln genau diese Verschiebungen innerhalb des Verhältnisses von Staat, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Andere hingegen thematisieren die Öffentlichkeit im Hinblick auf Filme und Kunst. Als Ausgangsposition nehmen Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat eine politik- und wirtschaftswissenschaftliche Revision der Theorie öffentlicher Güter vor, untersuchen also das Verhältnis zwischen öffentlichen, meritorischen und privaten Güten – mit all den Hybriden und Übergängen, die heute gehandelt werden. Dabei wird eine historische Analyse der Entstehung der politischen Zuschreibung von öffentlichen Gütern aufgezeigt sowie die aktuellen Hybridisierungstendenzen skizziert. Anhand von fünf ausgewählten Paradoxien des öffentlichen Gutes werden konstitutionelle, monopoltheoretische sowie bildungspolitische Konsequenzen diskutiert. Das Thema ist insofern herausgehoben, als es die Rolle des Staates und seines Rückzuges aus der Gesellschaft betrifft, mit all den Konsequenzen der Erosion des Sozialstaates und des Erstarkens der Bürgergesellschaft. An der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur zeigen Alexander Eisenkopf und Christian R. Schnöbel die spezifischen Probleme der Public Private Partnerships (PPP) auf, also einer Kooperationsweise von Staat und Privat, der aktuell sowohl in Wirtschaft wie in Politik große Entwicklungschancen eingeräumt werden. Im Vordergrund steht vor allem die Frage, wie eine effiziente Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur in Deutschland sichergestellt werden
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kann und ob die öffentliche Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur noch eine Zukunft hat. Barbara Drexler behandelt ein exklusives Thema, das seltener dem Bereich des Öffentlichen zugerechnet wird, obwohl es einschlägig ist: Geldpolitik und Öffentlichkeit. Die Europäische Zentralbank muss ihre Position erst gewinnen, die die nationalen Zentralbanken – kulturell je verschieden – in der Öffentlichkeit ihrer Länder hatten. Drexler diskutiert Konsequenzen und stellt die Frage nach einer ‚europäischen Geldöffentlichkeit‘ und inwieweit die kulturell differenten Öffentlichkeiten unterschiedlich auf die EZB reagieren. Gertraud Koch behandelt die öffentlichen Gutsaspekte der Bildung, die zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft neu sortiert wird. In der Transformation zur Wissensgesellschaft wird der Rohstoff Bildung bedeutsamer und sortiert Markt- wie Staatsangebote neu. Alihan Kabalak und Markus Rhomberg erörtern die politische Ökonomie öffentlicher Medien. Die Medien sind für die Ökonomie kein fremder Raum, sondern unterliegen selber Knappheitsaspekten, die der Idee der Individualisierung und einer medial inszenierten Privatisierung der Politik Grenzen setzen. Rick Vogel bearbeitet die Ökonomisierung des Öffentlichen von der Seite der öffentlichen Verwaltung. Diese soll über New Public Management Effizienzmuster einführen, scheitert aber an Verwaltungsstrukturen. Deshalb werden – so Vogels Analyse – die Fortschritte der Verwaltungsreform mäßig bleiben, um dafür aber die Auslagerung von öffentlichen Aufgaben ins Private zu forcieren. Andreas Huchler analysiert die Grenzen der Reorganisation und Privatisierung der Daseinsvorsorge aus organisationsökonomischer und soziologischer Sicht, insbesondere die Risiken der Teilprivatisierung öffentlicher Aufgaben. Christoph Henning zeichnet die Dialektik der Privatisierung nach, um soziale Nebenfolgen des Rückbaus des Öffentlichen herauszustellen. Die fatale Dialektik dieser Verschiebung ist: Je mehr Markt wir haben, desto weniger Menschen werden sich vermarktlichte Mitspracherechte noch leisten können. Karen van den Berg diskutiert für die Kunst den öffentlichen Raum, der den anderen gehört. Der öffentliche Stadtraum ist – so transformiert – längst kein heroischer Repräsentationsraum mehr, weder für eine spezifische Ästhetik noch für eine ideologische Kritik. Er ist Raum für die Erfahrung des Fremden, für sich überlagernde Praktiken, Erzählungen, Texte und Selbstbeobachtungen. Jetta Frost und Claudia Queißer untersuchen Organisationen auf interne öffentliche Güter: Organisation zwischen Markt- und Hierarchieversagen. Öffentliche Güter werden so als neue Steuerungsimpulse konzeptionalisiert. Je höher der Anteil an Corporate Commons für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unter-
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nehmens ist, desto mehr versagen marktliche, d.h. preisbasierte aber auch traditionelle hierarchische Formen der Steuerung. Öffentliche Güter als neuer Steuerungsimpuls bedeutet stattdessen, dass die Unternehmensleitung Formen konsensbasierter Selbstabstimmung etabliert, um die Erzeugung strategisch relevanter Corporate Commons zu fördern. Eckhard Schröter stellt die Zukunft des öffentlichen Managements vor: drei Szenarien zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Die Reformszenarios zeigen, dass die Verwaltungsreform kein technokratisches Projekt sein kann, sondern ein politisches, das in die Zivilgesellschaft ebenso eingreift wie die Zivilgesellschaft in diesen Prozess neue Prozesse eintragen kann. Joachim Landkammer konzentriert sich auf ein Alltagsphänomen: das Privatkino. My home is my cinema. Er stellt damit die grundsätzliche Frage nach der Öffentlichkeit als Garant des Kulturellen, um sie, vorsichtig, in Richtung einer Privatisierung des Individuellen zu beantworten. Die Zukunft des Öffentlichen ist ein weitaus größeres Thema als die Zukunft der Öffentlichkeit: So wie sich die Öffentlichkeit wandelt von einem normativen Raum der Bildung von Politik in ein Medium diverser performances: politischer, marktlicher und medialer, so wandelt sich auch ‚das Öffentliche‘ in eine Arena, in der das, was früher privat schien und nicht gezeigt werden sollte, heute als offener Raum der Suche nach Individualität medial beobachtbar gemacht wird. Dem geht das Buch auf verschiedenen Spuren nach: auf den Spuren der Politik, der Wirtschaft, der Soziologie, der Verwaltung des Staates, der Privatkulturen, der Kunst, der Bildung, der Unternehmen etc.
Theorien der Öffentlichen Güter: Rekonstruktionen sozialer Konstruktionen – Politik- und wirtschaftswissenschaftliche Korrekturvorschläge
Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat
„Macht doch euren Staat alleene… …wenn euch der öffentliche Dienst egal ist!“ Anzeige des Deutschen Beamtenbundes (z.B. DIE WELT vom 15.02.06)
1.
Auf der Grenze des Öffentlichen und des Privaten: Aktuelle einleitende Begegnungen Der Staat ist eine Brausetablette. Er löst sich zunehmend an den Rändern auf. 1.1
Die Auflösung des Staates. Kapitel 1: Kommunen und Gemeinden Beginnen wir mit den Städten und Gemeinden: Im Jahr 2005 veräußerten allein die deutschen Städte und Gemeinden Vermögen im Wert von 5,7 Milliarden Euro (Schmid 2006: 19f.). Von der Wasserversorgung, der Straßenreinigung, den Gartenbaubetrieben, über Kliniken, Müllabfuhr, Messehallen und Busverkehr bis hin zu Wohnungen und Schulen – überall hier beteiligten sich private Investoren. Es scheint, als flüchte sich der Staat vor sich und seinen Schulden ins Private. Diese Flucht ins Private heißt aber nicht weniger, als mit einem lange als sakrosankt angesehenen Ziel deutscher Kommunalpolitik zu brechen: der Daseinsvorsorge. Der Begriff wurde 1938 vom Staatsrechtler Ernst Forsthoff geprägt (Forsthoff 1939, 1958). Fragt man den Deutschen Städtetag nach einer Grenze des privatisierenden Staates, die nicht überschritten werden sollte, führt der derzeitige Hauptgeschäftsführer Stephan Articus aus: „Eine feste Grenze, die prozentual zu bemessen wäre und die unabhängig von dem jeweiligen Aufgabengebiet unterschiedslos für alle Städte gilt, gibt es nicht“ (zitiert nach Schmid 2006: 19). Selbst hoheitliche Aufgaben gelten nicht mehr als geschützter Bereich. Die empirischen Belege für diese Haltung sind vielfältig.
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Cottbus
Vorinsolvenzlich notwendig gewordener Verkauf der Stadtwerke zu 74% an die Deutsche Kreditbank durch Darlehensumwandlung in Eigenkapital.
Berlin
Verkauf von 100.000 Wohnungen innerhalb der letzten zehn Jahre. Weitestgehende Privatisierung von Gas, Wasser und Strom für Einnahmen von ungefähr 1,5 Mrd. Euro.
Bautzen
Verkauf des Netzes sowie des Betriebs des Regionalbusverkehrs an die Gruppe Rhenus-Keolis AG.
Mülheim/Ruhr
Privatisierung der Wasserwerke, der Trinkwasserleitungen, der Müllabfuhr sowie von Abwasser, Gas, Fernwärme und Nahverkehr.
Dresden
Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Woba mit 48.000 Wohnungen sowie 1.300 Gewerbeeinheiten an die amerikanische Investorengruppe Fortress für netto ca. 982 Millionen Euro.
Abbildung 1: Beispiele für kommunale Privatisierungen (eigene Zusammenstellung, vgl. dazu auch Schmid 2006)
Wenn das Öffentliche den Fluchtreflex ins Private noch kontrollieren kann und will, dann werden gemeinsame Gesellschafter- bzw. Betreibermodelle durch Public Private Partnerships gelöst. Lange wurde darüber gesprochen. Seit 2004 wird realisiert: Das Institut für Urbanistik zählte in den vergangenen zwei Jahren mehr als 160 Projekte. 1.2
Die Auflösung des Staates. Kapitel 2: Der Bund Schauen wir uns nach der kommunalen Seite die aktuellen Entwicklungen auf der Ebene des Bundes an: Mit einer Steuerquote, der prozentualen Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt, von 20% im Jahre 2005 lasse sich kein moderner Sozialstaat finanzieren, so die Aussage von SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck. „Fiskalische Erschöpfung“ ist dafür die politisch korrekte Wortschöpfung. In der Tat ist es die historisch niedrigste Steuerquote in Deutschland und auch die niedrigste innerhalb der EU. Die interessierten politischen Interpretationen sind wie bei nahezu allen Quoten vielschichtig: So können auch Massenarbeitslosigkeiten durch geringe Lohn- und Einkommenssteuern die Steuerquo-
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ten senken. Andererseits werden fast nirgendwo so hohe Sozialabgaben erhoben wie hierzulande. Und gleichzeitig reduziert der Staat die sozialen Sicherungsnetze spürbar. Für viele Grenzbeobachter zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten noch aufschlussreicher ist die Staatsquote. Hat sie in den 1960er Jahren noch unter 40% gelegen, erreichte sie u.a. wiedervereinigungsbedingte Rekordwerte von bis 49,3%. Es wird immer wieder eine Korrelation zwischen Staatsquote und Wirtschaftswachstum hergestellt.1 Ökonomen fühlen sich in solchen Situationen nahezu genötigt, entsprechend ihrer Disziplinierung eine Optimierung durchzuführen: Die optimale Staatsquote läge – so der Berliner Finanzwissenschaftler Charles Blankart – bei 35%.
Abbildung 2: Wirtschaftswachstum in Abhängigkeit von der Staatsquote2
Danach wäre ein Eindrittel-Staat das gesellschaftlich effizienteste Modell. Das fortwährende Problem – allen Optimierungen zum Trotz – bleibt bestehen: die Quote erlaubt allein noch keine notwendige Unterscheidung zwischen Konsum und Investition. Betrachtet man die Entwicklung der Bundesbeteiligungen, dann zeigt sich, dass insbesondere in der Regierung Rot-Grün eine bis dahin in dem Ausmaß unbekannte Privatisierungswelle eingesetzt hatte. Sowohl die Erlöse stiegen 1 2
Vgl. z.B. die Darstellung in Jansen (2004: 14). Zahlen nach Blankart (2005), OECD 2005 (Darstellung in Klöpfer 2005: 38).
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deutlich an3 wie auch die Anzahl der unmittelbaren Bundesbeteiligungen sich in den letzten 15 Jahren halbierte (vgl. Abbildung 3). Zusammenfassend könnte man tatsächlich annehmen, dass einiges auf einen Staat als Brausetablette hinweist – es scheint lediglich eine Frage der Zeit zu sein, bis er sich in den Märkten aufgelöst hat. Gegebenenfalls mit einem unauflöslichen Rest – von 35%.
Abbildung 3: Rückgang der unmittelbaren Bundesbeteiligungen 1991–2005 (Bundesministerium der Finanzen 2006: 3)
1.3
Die Auflösung des Staates. Kapitel 3: Die Re-Verstaatlichung als Jojo-Diät Aber – wie immer an den Rändern – wird deutlich, dass diese Prognose zu simpel ist. Denn längst werden die Probleme der Privatisierung öffentlich und die Schwarz-Weiß-Modelle einer angelsächsischen Marktgesellschaft und der skandinavischen Staatsversorgungsgesellschaft bekommen farbenfrohe lebendige Zwischenräume. Jeweils nur ein Beleg: In Potsdam wurden im Jahr 1997 die 3
Vgl. Darstellung der Privatisierungserlöse des Bundes der Jahre von 1984 bis 2001 (Jansen 2004: 15).
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Wasserbetriebe zu 49% an Eurawasser verkauft. Die Preise stiegen im Nachgang um fast 80%. Mitte 2000 kündigte die Stadt Potsdam den Privatisierungsvertrag fristlos und erwarb die Anteile zurück. Ähnliche Probleme in der Steuerung ergaben sich bei der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb (G.e.b.b.), eine 100%-Tochter des Verteidigungsministeriums. Sie hat die Aufgabe, durch die Privatisierung bisher von der Bundeswehr durchgeführter Aufgaben Einsparungen im Verteidigungsetat zu erreichen. Kumuliert ergab sich nach eigenen Angaben für die Geschäftsjahre 2000 bis 2004 ein positiver Netto-Saldo von 687,6 Mio. Euro. Dennoch sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Ministerium und der „privatwirtschaftlichen“ Tochter gestört, da die Einsparungen erst an die Medien und dann an den Auftraggeber kommuniziert wurden (vgl. z.B. Leersch 2006: 4). Neben den Fällen der wiederentdeckten Daseinsvorsorge und der Notwendigkeit sich neu einspielender Kommunikationsstile zeigt sich auch auf Nationalstaatsebene eine überraschende Wendung: So ist in dem Land, in dem es – nicht ohne Grund – keinen analogen Begriff für den deutschen „Vater Staat“ gibt – eine Abkehr von der Marktgesellschaft erkennbar: In Großbritannien hingegen steigt die Produktion Öffentlicher Güter. Die Briten akzeptieren neuerdings – ohne jeden Protest – den erstarkenden Staat und finanzieren ihn. Labour weist ein robustes Wirtschaftswachstum, niedrige Inflation und – gleichzeitig – hohe Beschäftigungszahlen auf und reformiert den öffentlichen Dienst (vgl. Jungclausen 2006). Die aktuelle Grenzbegehung zeigte Tendenzen und Gegentendenzen. Sie zeigte vor allem, dass wie uns nicht mit simplen Prognosen und einem der komplexesten Kapitel der Gesellschaftskonstruktion ablenken würde: einer zeitgemäßen belastbaren Theorie der Öffentlichen Güter – ihrer Definition, Produktion, Finanzierung und dem Vertrieb. 2.
Die Entstehung des Öffentlichen Gutes: Geschichtliche Rückblenden Seit wann beobachten wir eigentlich das „Öffentliche Gut“? Der an der London School of Economics and Political Science arbeitende Wirtschaftswissenschaftler Meghnad Desai hat dazu gearbeitet (Desai 2003: 65ff.): Der prämoderne Staat war insbesondere von den Finanzierungsbemühungen von Kriegen geprägt. Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert wurden vor allem im Gesundheitsbereich Entwicklungen erkennbar, die Charakteristika von Öffentlichen Gütern aufwiesen – beginnend mit der Schwarzen Pest in Europa im Jahr 1348 auf städtischer Ebene. „Thus during this period the role of the state and
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public good initiatives emerged primarily in response to the interests of rich, powerful population groups“ (Desai 2003: 67). Die Armenversorgung – insbesondere im Hinblick auf Hygiene, Quarantäne und ähnlichem – war im Interesse der Reichen. Im späten 18. Jahrhundert änderte sich durch die industriellen und die politischen Revolutionen – letztere vor allem in Frankreich und Nord-Amerika – die Natur des Staates. Die Legitimationserfordernisse wie auch das Politische der Bürgerschaft entstehen. Im 19. Jahrhundert verdreifacht sich die europäische Bevölkerung. Die negativen Externalitäten dieses Wachstums, public bads, können nicht mehr länger von Kirchen, karitativen Einrichtungen und reichen Bevölkerungsgruppen getragen werden. Bildung und Infrastruktur – vor allem Straßen, Wasser, Verkehr etc. – standen nun oben auf der Bedarfsliste. Damit sind zur Beseitigung der „public bads“ zahlreiche „public goods“ entstanden, die vor allem städtischen Bürgern und der Arbeiterklasse zu Gute kamen. Der Durchbruch des Staates erfolgte im 20. Jahrhundert – die Staatsquoten stiegen von rund 10% im Jahr 1870 auf die heutigen 30% in den USA bzw. bis über 50% in Skandinavien. Das stärkste Wachstum lag vor allem im goldenen und nahezu inflationsfreien Zeitalter des Keynesianismus von 1945 bis 1975. Durch die zunehmende Inflation und vor allem die steigenden Ölpreise im Jahr 1973 erzeugten die erste Diskussion über Transferzahlungen und Öffentliche Güter. In deren Folge wurde das Auslagern und Privatisieren eingesetzt und die Qualität und Quantität der öffentlichen Güter nahm in vielen Staaten spürbar ab. 3.
Die Entstehung des Theorie des öffentlichen Gutes: Rivalisierende Impulse Wenn im antiken Athen der Marktplatz, die agora, der Raum des Öffentlichen war, dann ist es fortan erstaunlich, dass mit der Aufklärung – als antik inspirierte Aufklärung – der Raum des Öffentlichen nicht mehr der Markt, sondern der Staat – präzise: der Staat, die Gesellschaft, mit ihrer medialen Öffentlichkeit – wurde. Der Markt wurde hingegen zum Raum des Privaten, des Aushandelns von privaten Güter- und Leistungstransaktionen. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts erblühende Ökonomie verschob so die Unterscheidung „öffentlich | privat“ in die Unterscheidung „Markt | Staat“, analog eines juridischen Kriteriums von Eigentumsrechten: privates Eigentum an Gütern vs. öffentlicher Zugriff- und Nutzungsrechten entweder an weiterhin privaten Gütern oder an Gemeinschaftsgütern.
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Die Öffentlichkeit, die nach John Stuart Mill die öffentliche Meinung der Gesellschaft machte (vgl. Priddat 2000), und diese wiederum die Politik beeinflussend, war eher in den frühen Republiken oder parlamentarischen Monarchien des 19. Jahrhunderts zu finden. In einem noch monarchistischen Deutschland hingegen hatte die Öffentlichkeit keine gesellschaftliche Funktion; sie entschied die Politik nur marginal – in Grenzdiskursen. Folglich verlagerte sich die Öffentlichkeit funktional auf den Staat, der die gesellschaftliche Funktion der Bestimmung dessen, was allgemein gelten sollte, übernahm.4 Erst jetzt erschließt sich der Umstand, dass die Ökonomie ihre Theorie des Öffentlichen als eine Gütertheorie ausarbeitete: als eine Theorie der Produktion Öffentlicher Güter. Es ist eine staatliche gewährleistete Allgemeinheit, die sich die Gesellschaft selber nicht zurichten kann.5 Folglich operiert der Staat legitim als Allgemeinheitswalter des Öffentlichen, wo der Markt versagt. Dabei muss daran erinnert werden, dass die öffentlichen Güter nicht etwa als demokratische Institutionen eingeführt wurden, sondern als Staatswerkzeuge.6 Die Begründung einer präzisen Theorie der Öffentlichen Güter geht auf die Jahre 1954 sowie 1955 und auf den späteren Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft Paul A. Samuelson zurück (Samuelson 1954, 1955). Die Theorie wurde in dieser Linie von Harold Demsetz und Cliff Walsh in den 1970er und 1980er Jahren ausgearbeitet.7 In diesen zumeist finanzwissenschaftlichen Definitionen wurden zwei wesentliche Eigenschaften „Nicht-Exklusivität“ und „Nicht-Rivalität“ herausgearbeitet. Demzufolge sind Öffentliche Güter spezifische Güter, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden darf und deren Konsum nicht zu Lasten des Konsums von anderen geht.8 In der Ausdifferenzierung von den „reinen“ privaten und Öffentlichen Gütern wurde insbesondere bei dem rivalisierenden, nicht-exklusiven Konsum eine Behandlung der „Tragödie der Allmende“ angeschlossen, also der Analyse der Übernutzung von Gemeingütern von Ronald Coase (1960). Basierend auf den Analysen des schottischen Philosophen, Ökonomen und Historikers David Hume wurde eine weitere Linie der Diskussion erkennbar: der Staat mit der notwendigen Handlungslogik eines kollektiven Akteurs: „Es können wohl zwei Nachbarn sich vereinigen, um eine Wiese zu bewässern, die 4 5 6 7 8
Der Staat wird im deutschen 19. Jahrhundert als paternalistischer Souverän meritorischöffentlichen Zuschnitts formiert (vgl. Priddat 1995: Kap. 2). Dafür werden die Parafiski im 19. Jahrhundert konstruiert (vgl. Priddat 1995: Kap. 6). So bei Herrmann 1832 (vgl. dazu Burkhardt/Priddat 2000). Demsetz (1970), Walsh (1981). Vgl. Samuelson (1954, 1955), Demsetz (1970), Goldin (1977), Walsh (1981), aber auch Mueller (1989: 9ff.), Tullock (2002) und kritisch Folkers (2002).
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ihnen gehört. Für diese ist es leicht, sich gegenseitig zu kennen und jeder sieht unmittelbar, wenn er seinen Teil der Arbeit ungetan läßt, so bedeutet dies die Verteilung des ganzen Unternehmens. Dagegen ist es sehr schwer, ja unmöglich, daß tausend Personen in solcher Weise zu einer Handlung sich vereinigen. Es ist schon schwer, in einem so verwickelten Falle einen klaren und einheitlichen Plan festzustellen, noch schwerer, ihn auszuführen; jeder wird einen Vorwand suchen, um sich von der Mühe und den Kosten zu befreien und die ganze Last anderen aufzuhalsen. Die staatliche Gesellschaft erst hilft beiden Überständen leicht ab […]. So werden Brücken gebaut, Häfen eröffnet, Wälle errichtet, Kanäle gezogen, Flotten ausgerüstet und Armeen schult; überall durch die Fürsorge der Regierung“ (Hume 1978: 288). Damit ist durch die Bereitstellung von Öffentlichen Gütern die Legitimationsbasis für einen überindividuellen und übergeordneten Staat geschaffen. Hier knüpfen die Arbeiten der öffentlichen Finanzierung von Richard A. Musgrave sowie die Public Choice-Schule um James M. Buchanan an (zusammenfassend Buchanan/Musgrave 2001). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ist noch Mancur Olson zu erwähnen, der in Nachfolge von Hume und letztlich auch Hobbes das Steuerungsmedium „Macht“ des Staates im Falle des Versagens des alternativen Steuerungsmediums „Markt“ als zentrale Figur für die „Logik des kollektiven Handelns“ heranzieht (Olson 1968). Dieser gruppentheoretische Ansatz geht von einer sinkenden Wahrscheinlichkeit der marktlichen Sanktionierung bei zunehmender Gruppengröße aus. Auch wird der eigene mögliche Beitrag zur Kollektivgutproduktion als nicht mehr entscheidend wahrgenommen, so dass im Konsum von nicht produzierten Kollektivgütern ein free-riding eintritt, also ein Trittbrettfahrertum (vgl. de Jasay 1989: Kapitel 19). Dieses Phänomen wird bis heute über die Forschungslinien der Konstitutionellen Politischen Ökonomie (Buchanan 2000) und über die Relevanz von Wertverpflichtungen (Aretz 2005) diskutiert. 4.
Die Definitionen und Typologien öffentlicher Güter: Ökonomische und politische Annäherungen „The economist is passing the buck to the politician; as the doctor said to the priest on the patient’s deathbed: ,A votre tour, cher collègue (It’s your turn, my friend!)‘.“ Jesse Malkin und Aaron Wildawsky (1991: 372)
Beginnen wir mit der Ökonomie, denn sie war es interessanterweise, die sich um das nicht-marktliche Öffentliche bemüht hat. Öffentliche Güter werden in
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der ökonomischen Theorie klassischerweise gegen die privaten Güter über die Verfügungsrechte abgegrenzt. Rein private Verfügungsrechte zeigen den Umstand an, dass alle anderen Personen von dem jeweiligen Verfügungsrecht ausgeschlossen sind. Im Gegensatz dazu sind die Öffentlichen Güter durch ein Nicht-Ausschluss-Prinzip charakterisiert. Öffentliche Güter werden gemeinhin vom Staat angeboten, was aber noch keine Aussage darüber erlaubt, ob er sie selbst erstellt oder über den Markt bezieht. Historisch sind die Öffentlichen Güter identisch mit allen staatlichen Gütern und Leistungen, d.h. mit den Äquivalenten für die (zwangsweisen) Steuerzahlungen der Bürger. Die Theorie der Öffentlichen Güter dient zur Erklärung und Legitimation staatlicher Leistungserstellung. Der Grund für die Notwendigkeit der Produktion Öffentlicher Güter wird im Marktversagen gesehen (vgl. auch Engelhardt 1989). 4.1 Typologisierungsversuch Gemäß den Kriterien zur Typologisierung von Gütern durch „Exklusivität des Zugangs“ und „Rivalität des Konsums“ ergibt sich eine Ersteinordnung der Öffentlichen Güter im Gesamtgüterspektrum:
Rivalisierender Konsum Nicht-rivalisierender Konsum
Rivalität des Konsums
Typologie (reiner) Güter
Exklusivität des Zugangs Exklusiver Zugang
Nicht-exklusiver Zugang
Private Güter
Gemeinsame Ressourcenbasis / Quasi-Kollektivgut
(Lebensmittel)
(Fischereigebiet)
Club-Güter
Öffentliche Güter
(GATT / WTO-Abkommen)
(Frieden, Recht)
Abbildung 4: Typologie von (reinen) Gütern9 9
Vgl. für viele ähnliche Darstellungen World Bank (1994: 25), Weimann (1996: 129) oder aktuell Ostrom (2005), Aretz (2005).
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Reine Öffentliche Güter sind dieser Lesart zufolge also Spezialgüter, bei denen ein Nicht-Ausschluss des Konsums und der fehlenden Nicht-Rivalität im Konsum vorliegen. Diese Definition erweist sich in Zeiten schwindenden Wachstums und schmelzender Budgets als nahezu luxuriös. Entweder wird die Menge der Öffentlichen Güter eingeschränkt werden oder ihre Qualität sinkt, oder – und das ist die wahrscheinlichste Lösung – die Öffentlichen Gütern werden rationiert, d.h. nicht mehr für jeden zugänglich und in Club-Güter überführt (vgl. Stiglitz 1988: Kapitel 5). 4.2 Clubgüter Clubgüter werden aufgrund der Rationierung für private Produzenten interessanter: Wenn Gebühren erhebbar sind, ähneln die Preise eher subventionierten Abgaben. Allfällige Subventionierung kann durch Gebührennachlässe unabhängig von der Produktion der Öffentlichen Güter geschehen. Allerdings ändert sich dann das Verhältnis von Staat und Bürgern: was vordem dem Staat als ‚Gratisproduktion‘ Öffentlicher Güter auferlegt war, wird heute von ihm wieder an die Gesellschaft zurückgegeben: „Produziert Eure Kollektivgüter selber!“ (vgl. Priddat 2002). Der Transformationstrend von Öffentlichen (und meritorisch-öffentlichen) Gütern zu Clubgütern beginnt – noch nicht massiv, denn die Staatserwartungen bleiben unverändert hoch. 4.3 Öffentliche Güter ‚Öffentlich‘ sind all die Güter, die entweder dem Staat eindeutig zuzuordnen sind oder die ,nicht-privat‘ sind. ‚Nicht-privat‘ heißt hier: unklare Eigentumsund Nutzungsrechte. Öffentliche Güter haben Nutzungsrechte, die über die an privaten Gütern und klaren Eigentumsrechten hinausgehen. Rechtlich betrachtet sind Öffentliche Güter hybride Eigentumsrechte mit differenten, über die Eigentumsrechte hinausgehenden Nutzungsrechten. Der Nicht-Ausschluss vom Konsum bei Öffentlichen Güter definiert im Grunde eine Rechtsposition: niemand darf, gleich, ob er will, vom Öffentlichen Güter-Konsum ausgeschlossen werden, was nichts anderes heißt, als dass diejenigen – im Fall der reinen öffentlichen Güter: alle – das Recht haben, das Gut zu konsumieren.10 Allerdings gibt es eine technische Eingrenzung, die durch das 10 Öffentliche Güter sind gewöhnlich Gemeineigentum. Da das öffentliche Gut aber vor allem einen universalen Nutzungszugriff darstellt, kann es auch Privateigentum sein, unter der Bedingung, dass der Nutzungszugriff universell bleibt.
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ökonomische Knappheitspostulat der Nicht-Rivalität im Konsum besonders bezeichnet wird. Die (rechtliche) Möglichkeit, ein Öffentliches Gut zu konsumieren, wird nämlich erst dann gewährleistet, wenn die (ökonomische) Angebotsdimension so ausgelegt ist, dass keiner der Konsumenten den anderen am Konsum desselben öffentlichen Gutes behindert. Erst durch diese zusätzliche (ökonomische) Bedingung ist gewährleistet, dass die Rechtskomponente der Theorie Öffentlicher Güter auch ökonomisch realisiert werden kann. Der normative Charakter der Theorie Öffentlicher Güter erweist sich gerade in dieser spezifischen Kombination rechtlicher und ökonomischer Momente im Gutsbegriff: das Nicht-Rivalitäts-Prinzip ist insofern die ökonomische Komponente der Öffentlichen Güter, als sie den Realisationsgrad der rechtlichen öffentlichen Güterlichkeit des Nicht-Ausschlusses vom Konsum angibt. Als Zwischenfazit lässt sich zeigen, dass im Begriff und Konzept des Öffentlichen Gutes ökonomische, rechtliche und ethische Komponenten zu berücksichtigen sind. Eine ethische Komponente wird sofort an der Frage evident, wer vom Konsum Öffentlicher Güter nicht ausgeschlossen werden soll oder darf.11 Dass die ethische Frage immer Verteilungsfragen einschließt, gibt bereits einen ersten Hinweis darauf, dass Öffentliche Güter nicht nur aus der Ökonomie und der Rechtswissenschaft begründet werden können, sondern dass letztlich die politische Dimension12 ausschlaggebend ist. Vereinfacht kann in der Matrix die Nicht-Rivalitätsbedingung in der natürlichen bzw. in der ökonomisch verknappten Logik entschieden werden, die Nicht-Ausschlussbedingung ist nur in der politischen Logik entscheidbar. 4.4
Öffentliche Güter: Ein Zwischenfazit Komplexe soziale Konstrukte von Recht, Wirtschaft und Politik Wir haben es bei einer zeitgerechten Theorie Öffentlicher Güter mit komplexen Voraussetzungen zur Produktion und Positionierung zu tun, weil drei Dimensionen verschränkt werden: die rechtliche Dimension (Eigentums- und Verfügungsrechtsentscheidungen), die ökonomische Dimension (Effizienzentscheidungen) und die politische Dimension (Zugangs- und Allokationsentscheidungen). Reine Öffentliche Güter definieren einen Verfügungsrechtanspruch für alle Staatsbürger; da aber die Menge der Steuerbürger kleiner ist als die Menge aller 11 Stiglitz definiert die Kriterien für reine Öffentliche Güter elegant weich: reine Öffentliche Güter haben „two critical properties: it is not practicable to ration their use and it is not desirable to ration their use“ (vgl. Stiglitz 1988: 187). 12 Vgl. hierzu Goldin (1977: 53), Malkin/Wildavsky (1991: 356).
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Staatsbürger, ist das allgemeine Verfügungsrecht des Konsums sui generis mit einer Redistribution der Einkommen verknüpft (indirekt auch im Fall der indirekten oder Verbrauchssteuern). Für alle diejenigen Fälle, in denen „spezifische Öffentliche Güter“ für spezifische Verfügungsrechtskollektive definiert werden, ist die Frage der Verteilung dieser Verfügungsrechte in einem noch stärkeren Maße davon abhängig, welche ethischen und/oder politischen Standards gelten. ‚Ethische Standards‘ ist ein Name für Normen oder shared mental models – wie Douglas C. North (1995) informelle Institutionen nennt –, während politische Standards eigentlich nicht als solche zu nennen sind, sondern Ergebnisse von politischen Festlegungen in legalen Verfahren. Die Geltung von Öffentlichen Gütern von politischen Entscheidungen in politischen Verfahren abhängig zu wissen – eine normale demokratische Definition – lässt die Gewährleistung des Güterangebotes kritisch betrachten: wer sorgt im politischen Prozess für eine Angebotskontinuität an Öffentlichen Gütern? Denn die Frage, wer für die öffentlichen Güter welche ethischen oder politischen Standards setzt, ist nicht unabhängig von dem politischen Verfahren der Budgetverteilung zu beantworten und vom institutionellen Design der Demokratie generell (vgl. Malkin/Wildavsky 1991, Folkers 2002: 85). Üblicherweise geht man davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte als politische Wähler die Qualität und Dimension der Bereitstellung von Öffentlichen Gütern bestimmen. Hier aber treten etliche Probleme auf: Zum einen wählen die Wähler kompakte Bündel von Öffentlichen Gütern, d.h. immer auch einen Anteil an Öffentlichen Gütern, die sie nicht präferieren. Zum anderen sind die gewählten Regierungen nicht verpflichtet, alle versprochenen Öffentlichen Güter-Bereitstellungen auch tatsächlich zu realisieren. Zum dritten sind die tatsächlichen Budgetverhandlungsprozesse durch Partei- und Lobbyinteressen beeinflusst, die es schwierig machen, die letztlich verwirklichten Öffentlichen Güter als Ausdruck der Wählerpräferenzen zu interpretieren. Das Problem der Nachfragebestimmung der Öffentlichen Güter ist in der Ökonomie noch ungelöst – in der Politik interessiert es nur marginal (vgl. Kemp 2003, insbesondere Kapitel 19). Zusammenfassend müssen die bisherigen Vorstellungen der Theorie der Öffentlichen Güter als modelltheoretische Fiktionen beschrieben werden: Es sind nicht etwa inhärente Kriterien, die „natürliche“ oder „geborene“ Öffentliche Güter definieren bzw. die das Marktversagen prognostizieren ließen. Die Unterscheidung zwischen Öffentlichen und Privaten wird demzufolge ausschließlich im Bereich des spezifisch Politisch-Öffentlichen entschieden. Das Öffentliche legitimiert sich über die öffentlich, d.h. selbst entschiedenen Produktionsaufträ-
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ge von Öffentlichen Güter selbst – ohne etwas über die Nachfrage zu wissen: „All it addresses is whether the public […] wants the good to be public or private“ (Malkin/Wildavsky 1991: 373). Öffentliche Güter sind Ergebnisse einer sozialen Konstruktionsleistung – wie auch immer diese legitimiert ist. 4.5 Meritorische Güter Die Nachfrage lässt sich dann einfacher bestimmen, wenn man auch sie – staatlich – vorschreibt. Diese Variante der ethischen Bestimmung und zum Zwangskonsum von Öffentlichen Gütern ist in der „Theorie Meritorischer Güter“ vorgetragen worden. Basierend auf dem Grundsatz der „impossibilty of rejection“13 sind Meritorische Güter jene Leistungen und Güter, die der Staat einzelnen Individuen oder sozialen Gruppen zuteilt (im Fall der demeritorischen Güter zu erhalten untersagt), um anreizsetzend oder verhaltensregulierend einzugreifen. Das Verdienstvolle an dem Meritorischen Gut ist die Verhinderung einer Unternachfrage seiner Öffentlichen Güter durch den Staat, entweder weil der Nutzen nicht hinreichend bekannt ist oder aber aufgrund einer fehlenden Beurteilung von zukünftigen Bedürfnissen. Problematisch ist das besondere Recht des Staates, die Meritorischen Güter ohne ausdrückliche politische Legitimation bereitzustellen (Schulpflicht, Gurtpflicht, gesetzliche Altersvorsorge etc.). Nun könnte der Staat in Krisensituationen geneigt sein, seine politisch-öffentlich definierten Öffentlichen Güter entweder zu privatisieren (Verlagerung der Nachfragerisiken auf die Privaten) oder zu meritorisieren (Verringerung der Nachfragerisiken). In beiden bei Fällen ist die Legitimation der öffentlichen Güter durch die politischen Wahlverfahren hinfällig. Richard A. Musgrave, der – aus ökonomischer Perspektive – neben Paul A. Samuelson die Theorie Öffentlicher Güter vergleichsweise sorgfältig angestoßen und ausgearbeitet hat, versucht die problematischen Meritorischen Güter dadurch zu erklären, dass sie „Gemeinschaftsbedürfnisse“ zum Ausdruck bringen (vgl. Musgrave 1987, Priddat 1992). „Gemeinschaftsbedürfnisse“ unterscheiden sich von Präferenzen auf Öffentliche Güter darin, dass sie keiner individuellen Wahl zwischen privaten und öffentlichen Bedürfnissen entstammen, sondern auf apriorischen, d.h. sozio-kulturell gewachsenen Kollektivbedürfnissen beruhen, die zu realisieren der Staat unabhängig von besonderen Präferenzartikulationen legitimiert sein kann. Diese Konzeption erinnert an ältere Vorstellungen einer allen Individuen gemeinsamen hegelianischen Sittlichkeit, der die 13 Erstmalig bei Stiegler (1976), Malkin/Wildavsky (1991: 360).
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Individuen zuzustimmen grundsätzlich bereit sind – z.B. aus kultureller Tradition oder Staatsräson (vgl. Priddat 1995: Kap. 1 und 2). Doch ist auch diese Begründung der meritorisch-öffentlichen Güter anfällig für illegitime Staats- und Budgetpraxis, denn es bleibt völlig unentschieden, ob die ex-post Akzeptanz der Bürger zu den Meritorischen Gütern auf gemeinwohlorientierter Zustimmung beruht oder auf dem Faktum, dass der Staat ohnehin das Gewaltmonopol aufweist, die Leistungsentscheidungen unabhängig vom Bürgerwillen durchzusetzen (vgl. Folkers 2002). Es ist eine zwangsbeglückende Konsumverpflichtung gegen die heutige Bürgerpräferenz für die zukünftige Bürgerpräferenz. 4.6 Globale Öffentliche Güter In der Diskussion der Globalisierung der Weltwirtschaft und der Abnahme der Einflussnahme der Nationalstaatlichkeit sind auch die Öffentlichen Güter zu verorten. Erstmals wurde dieser Erweiterungsversuch durch einen Herausgeberband systematisch geleistet (siehe Kaul/Conceicao/le Goulven/Mendoza 2003). Die Grundannahme liegt in der Erweiterung der „public domain“ durch das Netzwerk einzelner Nationalstaaten, zivilgesellschaftlicher Organisationen, Wirtschaftsunternehmen und Haushalte. Die Aspekte der Rivalität muss so z.B. grenzüberschreitend gedacht werden. Damit wird eine Erweiterung der klassischen Definition der „Nicht-Auschließbarkeit im Zugang zu Öffentlichen Gütern“ und die „Nicht-Rivalität im Konsum“ notwendig: „Global public goods are goods whose benefits extend to all countries, people, and generations“ (Kaul/Mendoza 1993: 95). Globale Öffentliche Güter sind keine Erfindung unserer Tage, so belegbar an Gütern wie die Atmosphäre, die Meere oder auch das elektromagnetische Spektrum. Die bisherigen Externalitäten wie Umweltverschmutzungen werden durch eine rasante Zunahme an technologischen Standards, der ökonomischen und politischen Öffnung von Staaten, der ansteigenden systemischen Risiken (Energie oder Klima) und den einflußstärkeren internationalen Regimes ergänzt. Supranationale Abkommen, multinationale Harmonisierungen und Ähnliches ermöglichen einen neuen Typus von globalen Öffentlichen Gütern, aber es ist im Hinblick auf die Exklusivität im Zugang ein Management zu beobachten. „Some global natural commons (such as the ozone layer) have taken on the social form of a managed access resource“ (Kaul/Mendoza 1993: 100). Das Management der Rationierung und des Zugangs sind Hinweise auf Transformationsprozesse von Öffentlichen Gütern in nationalstaatliche und einkommensabhängige Clubgüter im Konsum wie auch in der Finanzierung.
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5. Transformationen: Hybridisierung von Öffentlichen Gütern „Das Öffentliche löst sich auf.“ So lautete eingangs die simple Formel. Komplexer argumentiert, transformiert sich das Öffentliche Gut in verschiedene Hybridformen. Unterscheiden wir zunächst einmal nur zwei Dimensionen: (1) die private Ko-Produktion Öffentlicher Güter mit entsprechenden Supervisions- und Gewährleistungsstrukturen des Staates, und (2) die notwendige Ko-Finanzierung Öffentlicher Güter durch private Finanziers. Bei letzteren erfolgt eine Anlehnung an das Konzept des kollateralen Gutes von Helmut Willke (1997: Kap. 2.2). In der zweiten Dimension entwickeln sich neue Kooperationen zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Staat, die hybride Öffentliche Güter generieren, deren Nutzungen noch nach Kriterien des Nicht-Ausschlusses von Konsum bemessen sein mögen, deren Profitabilität aber zugleich gesichert sein muss, so dass wir es mit einer Zwischenlösung zu tun haben: zwischen Markt und Staat, mit Preisen, die nicht mehr allein politisch festgelegt werden können. Das gesamte Spektrum der Hybridisierungen der Güterformen innerhalb des Spektrums von privaten und öffentlichen Gütern kann in zwei Ausprägungen skizziert werden: (1) Ein Privatisierungs-Kontinuum mit konkreten Management-Implikationen14 sowie (2) ein hier weiter ausgeführtes abstraktes Güterspektrum.
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Conventional government agency
Performance Based Organization
Government Corperation
Service Contract
Management Contract
Verwaltung
Erfolgsabhängig vergütete Verwaltungseinheit
Eigenbetrieb
Dienstleistungsauftrag auftragt
Managementauftrag zur Koordination
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Lease Contract
Build-OperateTransfer (BOT)
Concesions
Partial Privatization / Divestiture
Full Privatization / Divestiture
Leasing-Modell mit Teil-Risikoübernahme des Privaten
Finanzierung, Aufbau, Betrieb und spätere Übergaben
Konzessionen
Teilprivatisierung, Verkauf
Vollverkauf
Abbildung 5: Das Privatisierungs-Kontinuum von Öffentlichen Gütern (Weizsäcker/Young/Finger 2005: 7, eigene Übersetzung) 14 Erstellt für den Club of Rome durch Weizsäcker/Young/Finger (2005).
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Während bei (1) die Gradualisierungen des Privaten im Vordergrund stehen, geht es bei (2) um eine Ausdifferenzierung von Gutskategorien:
Private Charakteriska Öffentliche Charakteriska
Reine Private Güter
Hybride Güter (Privat/Öffentlich)
Netzgüter
Sozialkapital Reputation
Freiwillige Öffentliche Güter
Kollaterale Güter
KollektivGüter
ClubGüter
Zivilgesellschaftlich Güter
Reine Öffentliche Güter
Parafiski
Meritorische Güter
Abbildung 6: Typologie der Hybridisierung privater und Öffentlicher Güter
Von rechts nach links: die Meritorischen Güter sind, durch den egalitären Zwangskonsum, die reine Form des Öffentlichen Gutes, weil bei diesen alle drei Dimensionen, die rechtliche, die ökonomische und die politische, vollständig realisiert werden. Als Parafiskus, d.h. als halbstaatliche Organisationsform, werden die meritorischen Güter nicht mehr länger vom Staat produziert und verwaltet, sondern lediglich politisch-administrativ und rechtlich überwacht (vgl. Tiepelmann/van der Beek 1991). Der Staat hat sich hier früh – im 19. Jahrhundert – auf eine Supervisionsrolle zurückgezogen. Er definiert eine öffentliche Aufgabe, setzt sie meritorisch für alle an, überlässt die Ausführung aber anderen. Hier wird ein kommunales, bürgergesellschaftliches Erbe in die Staatsaufgaben integriert. Die Öffentlichen Güter sind dann die staatsunmittelbare Offerte – nun allerdings ohne Zwangsangebot. Die Bürger können die öffentlichen Güter selbstbestimmt konsumieren – ohne Zwang und Not. Aufgrund der Nachfrageschwankungen ist die Bemessung der Quantität und der Qualität der Bereitstellung von Öffentlichen Gütern ein politisches wie ökonomisches Allokationsproblem (Vgl. dazu Holzhey 1999). Die ökonomische Lösung ist signifikant für ihre
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rechtliche Geltung: Wird das Öffentliche Gutsangebot aus Gründen des möglichen Überangebotes zu knapp bemessen, sind de facto einige oder viele von seiner Nutzung ausgeschlossen. Die politische Festlegung des Budgets für öffentliche Güter definiert ihre ökonomische Knappheit und darüber ihre rechtliche Gewährleistung. Die politische Regulation erfolgt über Gebühren. Gebühren regulieren die relative Knappheit des Öffentlichen Gutsangebotes. Zugleich aber schließen sie die Bürger vom Konsum aus, die nicht bereit sind, die Gebühr zu zahlen. Die rechtliche Dimension des öffentlichen Gutes – also der Nichtausschluss vom Konsum – definiert noch nicht die Menge des Gutes. Nicht alle, die zur Nutzung berechtigt sind, nutzen es effektiv. Gebühren werden als negative Anreize zur Nutzung eingesetzt. Gebühren transformieren Öffentliche Güter zu Clubgütern: Nur die, die die Gebühr zu zahlen bereit sind, können die Öffentlichen Güter nutzen. Alle, die nicht zahlen, werden vom Konsum ausgeschlossen, was das Nutzerkollektiv verkleinert: auf den Club der Gebührenzahler. In budgetär schwierigen Lagen kann die Politik gar nicht mehr alle Öffentlichen Güter unbegrenzt bereithalten. Sie reduziert deren Angebot auf das, was die Gebührenzahler nutzen, und fördert Kollektiv- und Clubgüter als gesellschaftliche Substitutiva für ehedem staatliche öffentliche Güter. Über den Prozess der Regulation der Öffentlichen Güter über Gebühren-Politiken öffnet sich das Spektrum der Hybridformen der öffentlichen Güter als Kollektivgüter. Kollektivgüter sind Güter, die soziale Organisationen oder die Bürger selber produzieren. Alle Kostenmitglieder sind dann automatisch im Nutzenkollektiv. Diese Kollektivgüter können positive externe Effekte für Nicht-Kollektivmitglieder haben. Schließen sie diese positiven Externalitäten aus, d.h. sind Kostenund Nutzerkollektiv identisch und alle anderen vom Konsum des Kollektivgutes ausgeschlossen, dann ist es ein reines Clubgut. Die öffentlichen Güter, die der Staat nicht mehr produziert oder nicht mehr alleine und ausschließlich produziert und finanziert, werden über die Gebühren-Politik zu Kollektiv- und Clubgütern. Zu dieser staatlichen Bewegung, die aufgrund von Budgetrestriktionen um sich greift, kommen gesellschaftlich initiierte Kollektiv- und Clubgüter, die von vornherein nur auf die Mitglieder zugeschnitten sind. Solange der Staat die öffentlichen Güter über Gebühren reguliert, bleiben sie weiterhin öffentliche Güter. Zugleich können Kollektiv- und Clubgüter aber auch freiwillig über Mitgliedschaften erstellt werden. Solche Güter wären civil goods, d.h. durch die Gesellschaft selbst bereitgestellte Güter, entweder zur Entlastung des Staates (als civil society) oder in Konkurrenz zu seiner Öffentliches Guts-Produktion. Wenn die civil goods mit Öffentlichen Gütern gemischt wer-
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den – Musgrave verwendet den Begriff von mixed goods15 –, kommen wir in den größer werdenden Bereich der Hybride. Hybride sind funktional definiert durch die Verschiebung von Gebühren auf Preise. Diese Substitution ist graduell: ein Teil der Finanzierung wird über Steuern, ein anderer Teil über Gebühren, ein dritter Teil über Preise (in diesem Fall: Preisanteile) geregelt. Da Gebühren weniger der Finanzierung als der Lenkung der Nutzung von Öffentlichen Gütern gelten, ist die Verschiebung auf Preise wiederum wieder stärker auf privatwirtschaftliche Gewinnerzielung ausgerichtet. ‚Toll Collect‘ zum Beispiel ist ein Mautsystem für Autobahnnutzungen. Solange die Autobahnen im Staatsbesitz, damit Öffentliche Güter sind, kann niemand vom Konsum ausgeschlossen werden, der die Maut bezahlt. ‚Maut‘ ist der Name für eine Nutzungs-Gebühr, solange die Autobahn als öffentliches Gut fungiert; die Maut wird zum Preis, wenn private Eigner die Autobahn übernehmen. Sie übernehmen die Autobahn nur, wenn es sich gewinnwirtschaftlich auszahlt. ‚Toll Collect‘ ist somit die technische Voraussetzung für mögliche private Übernahmen. Als privater Betreiber im einem Public Private Partnership (PPP) kann der private Eigner nur Preise einholen, selbst wenn er das Öffentliche Gut Autobahn funktional weiterhin betreibt: er ist juridisch gar nicht befugt, eine Gebühr zu erheben. Selbst wenn er mit dem Staat vertraglich vereinbart hat, den Preis der Autobahnnutzung in Höhe einer etwaigen früheren Gebühr zu belassen, ist es dennoch ein Preis: die Gewinne erzielt er dann über die Höhe des Mietpreises an den Staat. Die Hybride – i.S. von Helmut Willke als kollaterale Güter – verlieren ihren Umverteilungsaspekt. Damit geben sie ihre Wohlfahrtsfunktion auf, wahrscheinlich die wesentliche Legitimation der Öffentlichen Güter: als funktional verstecktes Verteilungsargument. Die Hybriden oder Mischgüter arbeiten mit variierenden Öffentlichkeitsgraden der Güter. Sie sind nun nicht nur der politischen Entscheidung unterworfen, sondern auch der unternehmerischen Entscheidung – mit allen produktfremden Entscheidungskontexten. 6.
Die Paradoxien der Öffentlichen Güter: Hinweise auf Korrekturbedarfe Wenn die These stimmen sollte, dass der Staat sich entweder die eigene Nachfrage von legitimationsnotwendigen Öffentlichen Gütern durch Meritorisierung sichert oder aber durch Privatisierung das Produktions- und Nachfragerisiko in die Gesellschaft zurückverlagert (das heißt zurück an die Unternehmen und letztlich die Bürger, die es entweder intendiert oder sozialisiert an einen kollek15 Vgl. auch vgl. Scheffler/Hegmann (2000).
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tiven Akteur abgegeben haben), dann sollte sich Unternehmen wie Bürger als sorgfältige Beobachter dieser Verschiebungen und deren politischen wie ökonomischen Interessen erweisen. Nichts schärft die Beobachtung so wie die Paradoxie, also die Gleichzeitigkeit der Bedingungen für die Möglichkeit und die Unmöglichkeit. Die Paradoxie bremst zunächst und fordert zu einer neuen Unterscheidung, zu einem neuen Umgang, kurz: zur systematischen Korrektur auf. Es reicht bei Paradoxien nicht – wie es bei „trivialen Problemen“ noch möglich war – einfach nur das Gegenteil zu machen. Paradoxien sind die Einheit der Differenz von Teil und Gegenteil und damit ist die Korrektur komplexer – wie das Problem. Und Paradoxien gibt es im Staat zahlreiche.16 Im Folgenden werden nur ausgewählte, die Öffentliche Güter betreffenden skizziert. 6.1
Das Versagens-Paradoxon: Staatsversagen durch Marktversagen erzeugt Privatisierungsdruck Der Auftakt hat es bereits in sich: Unterstellt man – und der Ökonom kann nicht anders – einen auf die Maximierung des Eigennutz abstellenden Akteur –, dann wird dieser, weil er bei Öffentlichen Gütern vom Konsum nicht ausgeschlossen werden kann, als Konsument keinerlei Anreize haben, sich an den Produktionskosten zu beteiligten, so dass die Konsummöglichkeit gar nicht erst möglich werden würde. Dieses Paradoxon begründet für den Ökonomen logisch die durch den Staat bereitzustellenden Öffentlichen Güter als ineffiziente Güter. Denn die fehlende marktliche Bereitstellung – als Marktversagen bezeichnet – ist die Legitimation für staatliches Handeln, das so die theoretischen Modellannahmen zu einer ineffektiven Bereitstellung führt – also Staatsversagen als einzig mögliche Lösung (vgl. Aretz 2005: 326). Der Ökonom müsste dann – wie in Paradoxen üblich – ins Oszillieren kommen: Beginnend beim Markt zum Marktversagen, übergehend zum Staat mit der Folge des Staatsversagen, weitergehend mit der Option der Privatisierung, also dem Markt die nächste Chance zu geben – mit erwartbaren Rekursionen. Der Ökonom könnte nun in dieser Oszillation auch die Idee bewegen, dass der Staat nicht etwa das Marktversagen als Notwendigkeit zum Anlass seiner Aktivitäten nimmt – sondern als Kommunikationsadresse –, sondern vielmehr die Autopoiesis, also die Reproduktion aus sich selbst heraus, der Politik und der Öffentlichen Verwaltung im Zentrum hat. Dies könnte die beliebten Deregulierungen mit den entsprechenden jahrelangen Diskussionen und dazugehörigen Agenturen erklären. Für den Ökonom ist die 16 Vgl. zu den Paradoxien des modernen Staates Jansen (2004: 6-11), Jansen/Piddat (2001: 47-76).
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Welt ein Markt. Ein Versagen des Marktes ist so etwas wie ein Weltuntergang. Doch vielleicht sind diese Versagenszuschreibungen nur ewigwährende Spiele der visible hand – Öffentliche Hand (sic!) – mit der invisible hand (dem Smith’schen Markt) in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft, in der die Politik „weder eine Spitze noch eine Mitte, die die Gesellschaft in der Gesellschaft repräsentieren und damit ihr ,Wesen‘ zugänglich machen könnte“ (Luhmann 1988: 253). Dieser Repräsentationsverlust der Politik und der Verwaltung führt zu seinem Gegenteil: von der aufgabenbezogenen Selbstüberlastung (oder im Brüssler Jargon „excess burden“) bis hin zur angesprochenen „fiskalischen Erschöpfung“. 6.2
Das Funktionalitäts-Paradoxon: Verbindung individueller Tauschlogik und kollektiver Umverteilungslogik Das Kriterium des Marktversagens könnte als nicht hinreichend gelten, um als Staat ein Angebot von Öffentlichen Gütern bereitzustellen. Dies wäre erst dann gegeben, wenn ein privater Bedarf, also eine Nachfrage vorliegt. Was aber Öffentlicher Bedarf (oder genauer: Öffentliche Nachfrage) ist, lässt sich nur durch ein politisches Bestimmungsverfahren ermitteln, denn die Kosten der Produktion Öffentlicher Güter sind – aufgrund eines zu geringen Reservationspreises – durch Steuern gegen zu finanzieren. Dabei wird in der Ökonomie grundsätzlich unterstellt, dass Steuerzahler nur den Bedarf an Öffentlichen Gütern billigen, der ihnen – gemeinsam – individuelle Vorteile gewährt. Doch mit dieser engen Definition wäre der Bedarf an Öffentlichen Gütern allein durch eine Äquivalenz von Steuerzahlungsbereitschaft und Öffentlichen Leistungen festgelegt. In einer erweiterten Definition der Öffentlichen Güter wird eine neue, sich für die Legitimation als hinreichend anbietende und deswegen natürlich genau zu beobachtende Komponente eingeführt: das Soziale. Öffentliche Güter sind danach nicht mehr nur als Leistungsäquivalente für die effektiven Steuerzahler zu verstehen, sondern als Verfügungsrechte an Öffentlichen Gütern von Nicht-Steuerzahlern (z.B. „sozial Schwache“) und damit Umverteilungen einschließt und die Korrekturen daran auslöst. Diese Unterscheidung zwischen einer äquivalenzorientierten Funktion i.S. eines individuellen Tausches von Steuerzahlungen gegen privat teurer oder gar nicht erwerbbaren Öffentlichen Gütern (individuelle Reziprozität) einerseits und einer redistributiven Funktion i.S. eines kollektiven Tausches (kollektive Reziprozität) der Öffentlichen Güter beruht auf unterschiedlichen wohlfahrtstheoretischen Kriterien, d.h. auf verschiedenen ethischen oder normativen Standards (vgl. de Jasay 1989). Deren Geltung wird wiederum durch die politische Ent-
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scheidung bestimmt, durch nichts anderes – vor allem nicht durch ökonomische oder gar technische inhärente Eigenschaften Öffentlicher Güter. 6.3
Das Konstitutionsparadoxon: Der sich selbst voraussetzende kollektive Akteur Dieses Paradoxon ist zugegebenermaßen ein ausschließlich theoretisch anregendes: Ein Problem des Kollektivgutes ist das fehlende (Finanzierungs-)Kollektiv. Das führt auf die Funktion des Staates hin: Die spezifische Funktion – nach systemtheoretischer Lesart – ist die „Produktion und Durchsetzung von kollektiv-verbindlichen Entscheidungen“ und somit auch der Produktion und Durchsetzung von Kollektivgütern.17 Die Funktion der Politik ist es demzufolge, „Kapazität für kollektiv bindendes Entscheiden bereitzuhalten“, mit der „keine einzige Entscheidung inhaltlich festgelegt“ ist (Luhmann 2000: 86). Genau diese Funktion wird in der Suche der Individuen nach einem überindividuellen kollektiven Akteur nachgefragt, da das politische Machtprinzip zur Produktion von kollektiv bindenden dem marktlichen Preisprinzip als überlegen angesehen wird. Nun ist diese Funktion und die Kapazität eines kollektiven Akteurs selbst wiederum Kollektivgut, welches aber genau dieses überlegene Machtprinzip schon voraussetzen würde. Das Paradox bremste theoretisch und führte zu neuen Unterscheidungen: Die Konstitutionelle Politische Ökonomie. 6.4
Das Large-Number-Paradoxon: Free-riding erster Ordnung führt zu free-riding zweiter Ordnung… Das Problem des free-ridings ist in der – durchgängig invariant gehaltenen – ökonomischen Modellannahme eines eigennutzmaximierenden Akteurs der Versuch, die Nutzung an Öffentlichen Gütern zu maximieren, bei gleichzeitiger Minimierung des eigenen Beitrages zu ihrer Produktion bzw. Finanzierung. Strategien der Maximierung der Nutzung Öffentlicher Güter werden in speziellen Theorien des rent-seeking analysiert (vgl. Tullock 2002: Kapitel 4). Der ökonomische Raum des Öffentlichen – der Raum der Produktion und Nutzung Öffentlicher Güter – ist potentiell also ausbeutungsbedroht von Trittbrettfahrern. Doch lässt sich zeigen, dass die Form der ‚Ausbeutung‘ Öffentlicher Güter kein randständiges Problem ist. Das rent-seeking unter Nicht-Beteiligung der Produktion bzw. Finanzierung kann als „free-riding erster Ordnung“ beschrieben werden. Mit diesem free-riding entstehen nun weitere Kosten – über die Bereit17 Vgl. zu einer Skizze der soziologischen Theorie der Politik Parsons (1968) und ausführlich Luhmann (2000).
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stellung der Öffentlichen Güter hinaus: die Kosten der Sanktionierung. In hinreichend großen Gruppen sinkt nun auch der individuelle Anreiz, sich an den durch die Sanktionshandlungen entstehenden Kosten zu beteiligen. Die Kosten der Sanktionen werden so nicht von allen getragen, sondern nur von den Sanktionierern. Damit entsteht ein „free-riding zweiter Ordnung“, was eine selbst verstärkende Wirkung entfaltet. Denn zunehmend – in der Beobachtung des freeridings erster Ordnung sowie des aufgrund des free-ridings zweiter Ordnung kaum zu finanzierenden Sanktionierung – entfällt der Anreiz, sich selbst noch an die Regeln zu halten, obwohl man sie sich von anderen gerade wünscht. Dies könnte als „free-riding dritter Ordnung“ bezeichnet werden.18 Dies ist auch in der Konstitutionellen Politischen Ökonomie auf Basis eines imaginären Gesellschaftsvertrages als ein spieltheoretisches Gefangenendilemma erkennbar, d.h. alle Gruppenmitglieder würden sich bei einem Beitrag zu einem Kollektivgut gemeinschaftlich, aber auch individuell besserstellen. In der Spieltheorie wird dann gemeinhin mehr Information – über die Spielzüge – zwischen den Spieler empfohlen. Buchanan zeigte jedoch, dass in „large number settings“ – die in einer Nation angenommen werden können – selbst bei einer expliziten Vereinbarung zwischen allen Beteiligten dies an zu hohen Kosten scheitert (Buchanan 2000: 5.5.14). Damit gibt es einen Dämpfer für die Smith’schen Unsichtbaren Hände und die Hayek’schen Katallaktischen Ordnungen: bei der Verfolgung der individuellen Nutzenmaximierung werden nicht zwangsläufig die sozial vorteilhaften Kollektivresultate erzeugt, sondern z.T. sogar Ergebnisse, die gegen die Interessen aller Beteiligten stehen. Buchanan hat dies früh als „large number dilemma“ beschrieben (Buchanan 1977: 28).19 Öffentliche Güter könnten auch so interpretiert werden, dass es nicht etwa Staatsgüter sind, sondern – zumindest in demokratischen Systemen – über den politischen Prozess legimitierte Güter der Bürger an sich selbst. 6.5
Das Preis-Paradoxon der nationalstaatlichen Monopole: Politik-ökonomische Mischkalkulationen und sozio-kulturelle Wertigkeiten Preise sind das Steuerungsmedium der Märkte. Marktpreise enthalten alle für Marktteilnehmer relevanten Informationen in einer Zahl. Die Entstehung des Preises – ob nun durch Walrasianische Auktionatoren oder im bilateralen Austausch – spiegelt Angebot und Nachfrage. Wie werden nun Preise Öffentlicher Güter festgesetzt, die sowohl bei dem effizienten Angebot wie auch bei der 18 Vgl. für diese Logik auch z.B. Penrock (1979: 521ff.). 19 Vgl. auch hierzu Aretz (2005: 323).
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Nachfrage ihre inhärenten Problemstellungen aufweisen? Gilt der Preis eines Öffentlichen Gutes für alle gleich – da keiner vom Konsum ausgeschlossenen werden darf? Und – vielleicht noch wichtiger – wie werden die Preise gezahlt? Die Preise basieren bei Öffentlichen Gütern nicht auf den für Produktion erforderlichen (Grenz-)Kosten, sondern auf politischen Entscheidungen. Preise für Öffentliche Güter sind – häufig nicht-öffentliche – politische Preise. Das Politische des Preises ist mindestens dreifaltig: (1) Zum einen ist der Preis des Öffentlichen Gutes Ergebnis einer für die meisten Käufer – und auch dem Anbieter selbst – intransparenten Produktionskostenfunktion, die aufgrund des Öffentlichen Gutscharakters der Monopolstellung keiner Wettbewerbsreferenzierung bzw. -korrektur ausgesetzt ist. (2) Zum anderen basieren die Preiszahlungen auf politisch festgesetzte Mischfinanzierungen zwischen einerseits indirekten Preisen (Steuern) und direkten Preisen (individuell zu erfolgende Zahlung). So wirken Preise für den Öffentlichen Personennahverkehr, Schwimmbäder, Theater, städtische Parkplätze willkürlich. (3) Eine dritte politische Dimension des Preises ist die Diskriminierung: Monopolisten – und der Staat ist es bei den Öffentlichen Gütern – können durch eine nachfragesteigernde Preisdiskriminierung eine Maximierung der Rendite bzw. durch Skalierung eine Minimierung der Stückkosten erreichen.20 Demzufolge würde die Nachfrage durch entsprechende Anpassungen des Preises maximiert – z.B. durch anspruchsgruppenspezifischen Rabattierungen bis hin zur kostenlosen Abgabe, wie für Schüler, Studierende, Behinderte, Senioren etc. Die politischen Preise weisen eine Charmanz auf – für den politischen Akteur. Eine in Märkten nicht simulierbare Charmanz: Die Nachfragesteuerung ist politisch über die Festsetzung des Zahlungsverhältnisses aus indirekten und direkten Preisen möglich – und Erfolge wie Misserfolge sind beliebig erzeugbar. Dieses Mischungsverhältnis ist das Resultat der gezeigten Transformation von Öffentlichen Gütern mit der Potentialität der Gleichnutzung durch alle in die Clubgüter, bei denen der Kreis der Finanziers größer als der der Nutzer ist. Durch die Mischung der indirekten und direkten Preiszahlung wird hier ein politisches Signal einer symbolischen – und systematisch nicht kalkulatorischen – Korrektur gesetzt. Weiterhin sind durch die intransparenten Produktionskostenfunktionen Markteintrittsstrategien privater Wettbewerber schwieriger und aufgrund der bisherigen Monopolstellung nahezu kaum leistbar. Das Paradoxon der Einführung des Ökonomischen bei den Öffentlichen Gütern durch Bepreisung ist die Abwendung vom Ökonomischen aufgrund einer nationalstaatlich hochdifferenten sozio-kulturellen Ebene der Wertschätzung 20 Vgl. zur Preisdiskriminierung bei Öffentlichen Gütern Demsetz (1970).
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Öffentlicher Güter. Die Wertschätzungen oder Reservationspreise, die ein potentieller Konsument für ein Gut aufbringt, basieren auf der bisherigen nationalstaatlichen Sozialisierung in der Wertzuschreibung und damit auf Vergangenheit. Damit entscheiden über die Bepreisung eines Öffentlichen Gutes nicht die kollektiven bzw. individuellen Kosten, nicht die indirekten oder direkten Preiszahlungen, sondern zuerst eine Sozialisierung dahingehend, für welches Gut man es gewohnt ist, direkte Preise zu zahlen und für welches nicht. Die Bereiche Bildung und Gesundheit in Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen zeigen dies. So weist Deutschland die geringste private Bildungsträgerschaft im OECD-Vergleich auf, weil Bildung historisch ein Öffentliches Gut – präzise ein Clubgut – war, für das keine direkten Preise zu zahlen waren. Die kalkulatorischen Kosten – sofern sie jenseits von retrograd ermittelten Stückkosten überhaupt vorliegen – lägen so hoch, dass ein deutlicher Rückgang der Bildungsbeteiligung eintreten würde. Hier zeigt sich die Pfadabhängigkeit: Die direkte Bepreisung eines Öffentlichen Gutes kann nur mit einer entsprechenden Zahlungsfähigkeit der Konsumenten einhergehen, die sich bei bestimmten Gutsklassen – Gesundheit und Bildung – in Preisregionen befinden, die eine neue Sozialisation, eine Gewöhnung voraussetzt: Zeitdauern, die in Generationen anzugeben sind. Die Einführung von direkten Preisen im Gesundheitssystem – wie im Fall der Praxisgebühr – haben Nachfragewirkungen. Seit Reformeinführung im Jahr 2004 hat sich im Vergleich die Arztbesuchszahl in Deutschland um 13% gesenkt. Weiterhin stieg seit Einführung die Zahl der Überweisungen um über 40% an, da nur so eine mehrfache Gebührenzahlung umgangen werden kann. Patienten gehen nach Angabe der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgrund der Praxisgebühr tendenziell vermehrt zuerst zum Hausarzt, anstatt direkt den Facharzt aufzusuchen. Nun könnte man folgern, es sind einerseits direkte Preise eingeführt mit entsprechender haushalterischer Wirkung und gleichzeitig wurde eine nationalstaatlich sozialisierte Übernachfrage wurde normalisiert. Umgekehrt ist dies eine politische Einschätzung, da anders argumentiert auch einerseits die – langfristig kostensparende – Vorsorgebereitschaft und andererseits auch die Einbeziehung der Expertise von Fachärzten abnehmen könnte. Die Ärzte haben einen durch die Gebühr verursachten Verwaltungsmehraufwand von 8,3 Millionen unentgeltlichen Arbeitsstunden im Jahr 2004 zu leisten gehabt.21 Auch die Patienten haben die Gewöhnung noch vor sich: Im ersten Jahr sank die Zustimmung nach Umfrage von TNS Emnid von 29 auf 22%. 21 http://www.kbv.de/presse/7798.html [Stand: 10.06.2006].
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7. Das Modell des Gewährleistungsstaates und Öffentliche Güter Eines der neuen Rollenangebote für den Staates lautet: ‚Gewährleistungsstaat’ (Schuppert 2005b). Er ist eine vornehmere Bezeichnung der „Auflösung des Staates“, der sich auf einen Kern abschmilzt; seinen Kern: das ihm zugebilligte Gewaltmonopol. „Mit der Privatisierung öffentlichen Rechts wird eine Verantwortungsteilung zwischen Staat und Privaten angestrebt. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben soll Privaten überlassen werden, aber der Staat soll sich nicht aus der Garantenstellung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung verabschieden können. Dieses Zusammenspiel wird als ‚regulierte Selbstregulation’ bezeichnet. Der Staat gibt die Spielregeln vor, nach welchen sich die Aufgabenerfüllung in privater Hand vollziehen soll und überwacht sie. Er zieht sich auf eine Gewährleistungsverantwortung zurück“ (Ossenbühl 2004: 7). Dieser Rückzug auf das ökonomisch sinnvolle und von der Ökonomie gewollte Gewaltmonopol mit der Möglichkeit der Spielregelgestaltung und der Sanktionierungsmöglichkeit für Defektierungen hat unmittelbare Konsequenzen für die Öffentlichen Güter. In diesen Zusammenhang fügt sich auch die Zivilgesellschaftsdebatte, die nicht mehr nach der Autonomie des Staates fragt, sondern – invers – nach der Autonomie der Gesellschaft: in welchem Maße und in welchen Bereichen die Gesellschaft für sich selbst zuständig ist, verantwortlich und vorsorgend? ‚Reform des Staates’ und ‚Zivilgesellschaft’ sind zwei komplementäre Themen; hinzu gehört die Erörterung der Formen direkterer Demokratie (vgl. Priddat 2002). Denn wenn sich Staat und Verwaltung Öffentliche Aufgaben mit privaten Organisationen teilen (eine Arbeitsteilung, die in Deutschland im sozialen Bereich Tradition aufweist, vgl. Windhoff-Heritier 1988), entstehen Mitspracherechte im Politikbereich. Der Gewährleistungsstaat ist eine Form der strategischen und haftungsrechtlichen Finanzholding: Die Wertschöpfungskette der Öffentlichen Güter kann so in einzelne Prozesse zergliedert werden22 – z.B. Einkauf, Produktion, Finanzierung, Vertrieb etc. Die Gewährleistung ist letztlich eine abstrakte Aufgabe des Reputationssignalling gegenüber dem Konsumenten. Die Privatisierung kann nun überall politisch entschieden werden – unter der Annahme der staatlichen Gewährleistung. Diese Entwicklungen erhöhen den Interaktionsbereich der Politik mit der Gesellschaft. Der Gewährleistungsstaat ist eine modernisierte Variante dessen, was James M. Buchanan seit 1962 als Kerngeschäft einer Konstitutionellen Politischen Ökonomie entwickelte: ein Regel-Setting, das die Politikprozesse moderiert und restringiert, weil der Exzess der Demokratie23 nicht 22 Vgl. hier auch Lal (1997). 23 De Jasay spricht vom „churning state“ (vgl. de Jasay 1989: 7).
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durch sich selbst zu bändigen ist (wie die Reform der föderalen Struktur durch die Beteiligten dieser Strukturen kaum zu bewältigen ist). Es geht dabei um einen calculus of consent. Nun ist das eine frühe Formulierung eines inzwischen reiferen Programms, in dem neoklassische Effizienzideale keine Rolle mehr spielen, weil für Buchanan „government is itself a complex interaction process with no internally coherent choice function“.24 Richard A. Musgrave, noch in den 1920er Jahren in der deutschen Staats-Finanzwissenschaft ausgebildet, hält weiterhin – auch entgegen Buchanan – die normative „vision of efficient government“ hoch25, während Buchanan die „economic efficiency“ bereits gegen eine „political efficiency“ ausgewechselt hat. Der Musgrave’sche ‚Gewährleistungsstaat‘: „the provision of public goods […] means the political process by which such goods are made available, and not their public production“ (ebd.: 37, auch 68). Die Produktion Öffentlicher Güter kann privat geschehen, aber ihre Generierung, Auswahl und Gewährleistung obliegt dem Staat, hier durch den politischen Prozess markiert (vgl. Sclar 2001: Kapitel III). Die mögliche private Produktion Öffentlicher Güter – eine eindeutige PPP-Struktur – wird funktional als civil service betrachtet, wie Musgrave die Bürokratie umbenannt wissen will. Die private Produktion wird somit funktional äquivalent den Dienstleistungen der Verwaltung für die Regierung im Staat. Die Steuerung des Angebots öffentlicher Güter bleibt beim Staat bzw. obliegt dem politischen Prozess. Wir können fortan vom Musgrave-Staat sprechen, dessen Modernisierung in einer selbstverständlichen Auslagerung der Produktion öffentlicher Güter besteht. Buchanan sieht hierin seine Differenz zu Musgrave: Dieser sei zum einen zu optimistisch gegenüber dem demokratischen Politikprozess und zum anderen zu paternalistisch eingestellt (vgl. Buchanan 2001: 108). Musgraves Rückabbildung der merit goods auf community values folgt zwar der Weberschen Tradition der Unterscheidung von Zweck- und Wertrationalität, aber die merit goods lassen sich funktional interpretieren, ohne normativen Rückgriff, wenn man sich die Struktur demokratischer Politikprozesse genauer ansieht. Wähler wählen Regierungen: Programmpakete werden gewählt, deren jeweilige konkrete Auffaltung und Realisation/Nicht-Realisation im darauf folgenden Regierungsprozess nach anderen Kriterien geschieht, als der reinen Befolgung des Wählerauftrages. Dabei werden ständig Entscheidungen gefällt, die nicht unmittelbar auf die individuellen Wählerpräferenzen rückführbar sind. Da die Menge der Entscheidungen der Regierun24 Buchanan in Buchanan/Musgrave (2001: 23). 25 Musgrave in Buchanan/Musgrave (2001: 34ff.).
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gen größer ist als die Menge der eindeutig auf Wählerpräferenzen rückführbaren, ist die Schnittmenge strukturell identisch mit merit goods. Damit sind Musgraves community values nicht aus dem Spiel, aber sie sind nicht mehr länger Konstitutiva für eine Staatsbestimmung. Die Bürger wissen, dass der Staat Gesetze hat, und dass seine Regierung Entscheidungen tätigt, die der Allgemeinheit dienen. Auch gibt es Verfassungspatriotismus und gesellschaftliches Bewusstsein. Aber nicht als festgefügtes Wertesystem, das alle individuellen Handlungen und politischen Abstimmungen orientiert, sondern eher als eine ex post-Bestimmung, derzufolge die Resultate der Politik nicht auf absolute Kohärenz mit den vergangenen Wählerpräferenzen begutachtet werden, sondern nur auf relative Kohärenz. Je länger die Bürger mit den Politikprozessen von Demokratien vertraut sind, desto besser wissen sie, dass die Kompromisse, die im Prozess zustande kommen, nicht allein ihre Präferenzen abbilden, sondern auch die anderer (vgl. Priddat 2004). Dieses Wissen kann man als demokratische Empirie bezeichnen, ohne dass man gleich auf Werte rekurrieren muss. Die Bürger können den Demokratieprozess wissen und akzeptieren, ohne community values zu besitzen. Moderne Politikprozesse sind medial virulent: d.h. Interessengruppen versuchen, ihre Themen kommunikativ aufzuwerten, um andere Abstimmungsszenarien zu erreichen.26 Deshalb sind die Wertekommunikationen immer nur Kommunikationen unter anderen, nur selten dominant (wie im letzten USWahlkampf). Bei einer Auflösung des Öffentlichen in der Wertschöpfungskette der Öffentlichen Güter in einem Gewährleistungsstaat werden die mediale Kommunikation und die vernetzte Organisation zu Kernkompetenzen. 8.
Konsequenzen der Paradoxien. Erweiterung einer Theorie der Öffentlichen Güter Die theoretischen Rekonstruktionen der sozialen Konstruktion des Öffentlichen Gutes als politisch, rechtlich und ökonomisch verwobene gesellschaftliche Dimension der Staatsaufgabe sind in Arbeit. Einige der Linien wurden in den vorangestellten Kapiteln skizziert. Doch welche Konsequenzen lassen sich daraus ableiten, was für ein praktisch wie theoretischer Bedarf entsteht durch die paradoxal geprägten Erkenntnisse? Im Folgenden sollen drei Konsequenzen ausgeführt werden. 26 Zu verschiedenen ökonomischen Theorien politischer Meinungsbildung vgl. Kuran (1995), Witt (1989, 1996, 2000), Pelikan/Wegner (2003), auch Nullmeier (1993, 2001, 2003), Sarcinelli (1998) sowie Wohlgemuth (2002, 2003). Vgl. auch Kabalak/Rhomberg in diesem Band.
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(1) Das Konzept oszillierender Öffentlichkeit, also die konstitutionelle Frage, was ist „Öffentlichkeit“ eigentlich und welche Öffentlichkeit zweiter Ordnung entscheidet über das Entscheidungsverfahren über den Öffentlichkeitsgrad des Gutes im Hinblick auf Produktion, Finanzierung, Vertrieb und Gewährleistung? (2) Das Konzept der Konkurrenz in quasi-monopolitischen Kontexten von Öffentlichen Gütern und deren erwogenen Privatisierung. (3) Das Konzept der Qualifizierung der Mitarbeiter bei der Verschiebung zu einer Meritorisierung einerseits und der Privatisierung andererseits? 8.1
Oszillationen des Öffentlichen. Die Neueröffnung der Öffentlichkeiten als konstitutionelle Herausforderung Im Kapitel 3 wurde ein erster Impuls gesetzt, was denn heute eigentlich die „Öffentlichkeit“ überhaupt ist. Einige Angebote:
Öffentlichkeit als Märkte: Im antiken Verständnis war es der Markt, also die agora, der das Öffentliche darstellt. Nicht ohne Grund ist das Initial Public Offering (IPO), also der Börsengang einer Firma als Going Public i.S. eines Angebotes an die Öffentlichkeit zur Beteiligung bezeichnet. Öffentlichkeit als Medien: Weiterhin haben wir uns in der medialisierten Wissensgesellschaft mit Niklas Luhmann nun angewöhnt, dass wir das, was wir von der Welt wissen, aus den Medien wissen (Luhmann 1996). Die Medien schaffen eine Veröffentlichung und emanzipieren das Wissen aus dem Geheimen und auch aus dem Privaten. Eine Öffentlichkeit und Medien bedingen sich wechselseitig – mit hinsichtlich der Folgen noch nicht absehbaren Verwechslungen.27 Öffentlichkeit als Politik: Die Politik repräsentiert in demokratischen Gesellschaften klassischerweise die Öffentlichkeit. Die Einschränkungen der Repräsentativität der Politik in einer modernen, funktional sich ausdifferenzierenden Gesellschaft wurden bereits gemacht: „Es läßt sich leicht zeigen, daß längst nicht mehr alle gesellschaftlich (oder: kollektiv) wichtigen Fragen nur politisch entschieden werden. Die in politischen Kämpfen durchgesetzten Autonomien der unterschiedlichen Bereiche, von der Autonomie der Religion und der Kunst, der Wissenschaft über die Autonomie der Familie und der Verbände bis hin zur Tarifautonomie, begrenzen den Spielraum politischer Entscheidung. Will die Politik sich hier einmischen, so muß sie be-
27 Vgl. dazu die Beiträge in Maresch 1996. Und vgl. Kabalak/Rhombach in diesem Band.
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zeichnenderweise den Weg nicht-hierarchischer Abstimmung in Verhandlungssystemen gehen“ (Willke 1996: 230). Die Politik kompensiert die Repräsentationsverluste der Gesellschaft durch Gesellschaft, d.h. hierarchieferne Netzwerkbildung. Die Phänomene der Grünen Tische, der wissenschaftlichen Beiräte und der nach politikexternen Vertretern benannten Kommissionen sind Belege für diesen Politikstil im Zeitalter der erodierten Politik (Jansen/Priddat 2001: 107ff.). Diese Version der modernen sich mit Öffentlichkeit vernetzenden Politik wird – wiederwahlbedingt – unausweichlich medialisiert. Die Medialisierung führt mitunter zu einer Inszenierung der Politik und ihrer Vernetzungen. Auch die kommunikationswissenschaftliche Soziologie, insbesondere jedoch die Systemtheorie von Niklas Luhmann und Dirk Baecker zeigt, dass der Begriff der Öffentlichkeit sich auf jedes System beziehen kann, nicht nur auf das politische System.28 „Die Grenze als solche weckt das Interesse der Öffentlichkeit, nicht unbedingt das, was hinter der Grenze geschieht. Dieses Interesse wird oft als ein politisches und damit auch politisch einzugrenzendes Interesse überhaupt erst freigesetzt. […] Die Öffentlichkeit ist eine Operation der ,Öffnung’, die die Grenze, die sie überschreitet, offensichtlich nicht auflöst, sondern markiert“ (Baecker 1996: 95). Damit ist die Operation Öffentlichkeit, wie sie Dirk Baecker beschreibt, eine „Markierung der Grenzen sozialer Systeme“. Die Politik und deren moderne Version (der mit der Öffentlichkeit vernetzten und diese Vernetzung medial inszenierenden Politik) sind also für die Markierung von Gütern in den Systemen der „Wirtschaft“ und des „Staates“ verantwortlich. Alle drei Öffentlichkeiten stehen im komplementären und – das ist hier die entscheidende These – im kompetitiven Verhältnis. Wenn Öffentliche Güter soziale Konstruktionen sind, die politisch erzeugt werden, dann ist die Legitimationsbasis dafür brüchig geworden. Die Politik hat – so die abstrakte Begründungen für die konkreten Kritiken – die Entscheidung der Öffentlichkeit abgenommen und dieser Abnahme wird misstraut. Der Definition des Öffentlichkeitsgrades des Gutes, die Produktion, Finanzierung, Vertrieb und Gewährleistung wird misstraut – selbst im Politischen. Der Entzug der Entscheidungen über die Öffentlichen Güter aus dem Öffentlichen könnte zu einer Notwendigkeit eines Konzeptes führen, welches wir als Konzept der „Oszillierenden Öffentlichkeiten“29 vorschlagen wollen. 28 Luhmann (2000), Baecker (1996: 95). So wäre sicherlich auch die Öffentlichkeit als Zivil- bzw. Bürgergesellschaft zu ergänzen. 29 In Anlehnung an den Titel von Baecker (1996).
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Die Öffentlichkeiten „Markt“, „Medien“, „Politik“ und auch die „Zivil- und Bürgergesellschaft“ haben ihre systemeigenen Steuerungsmedien – mit systemeigenen Vor- und Nachteilen. Nun wäre es aus konstitutioneller Perspektive interessant, diese je eigenen Steuerungsmedien „Preis“, „Macht“, aber „öffentliche Meinung und Aktualität“ sowie vielleicht „Engagement“ in Oszillation zu bringen und nicht unmittelbar im Medium der Macht zu entscheiden. Es wäre eine Arena, in der über die Öffentlichen Güter und ihre Umsetzung entschieden würde. Grundsätzlich ist das systematische Grundproblem der modernen Gesellschaft der nicht mehr möglichen Repräsentanz der Gesellschaft in der Gesellschaft nicht gelöst, sondern lediglich um eine Ebene höher transponiert. So wird eine Wiedereröffnung des Öffentlichen begangen, in der die Politik mit ihrer Rollen-Ambiguität – Moderator und zeitgleich Produzent – offen umgeht. 8.2
Konkurrenz für den Staat durch den Staat. Öffentliche Güter und der Umgang mit Monopolen – im Privaten und durch den Staat Öffentliche Güter weisen in der Regel die Qualität von Monopolgütern auf. Die Monopoltheorie weist auf die inhärenten Effizienz- und Innovationsprobleme hin. Wenn Öffentliche Güter jedoch – wie hier gezeigt – politisch definiert sind, dann besteht das Effizienz- und Innovationsproblem in doppelter Hinsicht – im Sinne der politischen Entscheidung einerseits und der konkreten Umsetzung andererseits. Das Konzept der oszillierenden Öffentlichkeiten ist ein Versuch, die Entscheidungssituation durch eine Konkurrenz von Öffentlichkeiten durch eine moderierende Rolle der Politik und damit die Wiederverfügbarmachung von Optionen unterschiedlicher Steuerungsmedien zu erklären. Bei der Produktion der Öffentlichen Güter startet der Staat zunehmend das Modell Microsoft. Microsoft hat als Quasimonopolist das Problem der Konkurrenzlosigkeit durch die Schaffung interner Konkurrenzen, die parallel an der Entwicklung von Software arbeiten. Microsoft kopiert das Konkurrenzprinzip in die Organisation. Die Vermutung der Ineffizienz bei der Eigenerstellung von Öffentlichen Gütern durch den Staat einerseits sowie die Ausbeutung von Monopolrenten von Unternehmen im Nachgang einer Privatisierung andererseits macht die Überlegung einer Übertragung dieser Logik reizvoll. Das hier vorgeschlagene Modell ist die „konkurrente Neu-Ausschreibung“ mit einer staatlich-privat-parallelen Zielstruktur. Ein konkretes Beispiel im Bereich könnte als Modell auch für die Öffentlichen Güter stehen: Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) – mit einer definierten Rückführung der Mitarbeiterzahl von 54.600 auf 34.000 für den Zeitraum des Jahres 2000 bis 2010 – hat eine Ausschreibung für den Betrieb der Truppen-Küchen und des
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Verpflegungswesens vorgenommen. Dabei wurde nicht der Gesamtbetrieb ausgeschrieben, sondern lediglich ein Teil. Neben dem nunmehr möglichen KostenVergleich zwischen unterschiedlichen Betreibermodellen ist gleichzeitig ein Wissenstransfer von den privaten Betreibern an die verbleibenden staatlichen Betreiber verbunden. Diese Form der Konkurrenz in Form einer intelligenten Privatisierung schafft Lernkurven und Effizienzvergleiche – im abgesicherten Modus.30 8.3
Veränderung der Qualifikation. Management der Produktion von Öffentlichen Gütern Der Gedanke eines Gewährleistungsstaates lässt es bereits erahnen: Die Kompetenzprofile der Mitarbeiter verschieben sich. Ähnlich wie in der organisationstheoretischen Betriebswirtschaftslehre erfolgt eine Verschiebung von der Organisation der Produktion durch Arbeitsteilung, über die Organisation von Kommunikationen durch Entscheidungen hin zu einer Organisation von Beziehungen durch Netzwerke. Der Staat muss sich im Bereich der Verwaltung i.S. der besprochenen internen Konkurrenz wie auch der Politik i.S. der Moderation der oszillierenden Öffentlichkeiten eine Beziehungskompetenz erarbeiten. Eine Kooperationskompetenz – sozial wie vertragsrechtlich – (Interkommunale Zusammenarbeit, Fusionen im öffentlichen Sektor, Public Private Partnership etc.), eine Controlling- und Finanzierungskompetenz (Informationssysteme, International Public Sector Accounting Standards) und eine Virtualisierungskompetenz (Electronic Government). Die Ausbildung für den Staat durch den Staat bildet dies nach Einschätzung vieler erstaunlicherweise nicht ab. So der Hamburger Public ManagementProfessor Dietrich Budäus: „Der Staat unterstützt die Privatwirtschaft über betriebswirtschaftliche Universitätseinrichtungen erheblich, seine eigenen Organisationen und Entscheidungen aber vergleichsweise gering“ (Budäus 2006: 199). Aufgrund der erheblichen Verschiebungen der früher selbstverständlichen Staatstätigkeit auf private Anbieter und wegen der damit verbundenen Moderationskompetenzen, Entwicklung neuer Steuerungsformen und Verhandlungstechniken braucht die Gesellschaft change agents, also Veränderungsagenten, die in der Lage sind, die Routinen der Bürokratie und Politik ebenso zu bedienen wie die Innovationen durchzusetzen (und deren Grenzen zu bestimmen) (vgl. Weizsäcker/Young/Finger 2005). Dieser neue Typus des public managers ist weder rein regelgeleitet noch neoliberal gestrickt, sondern ein pragmatischer 30 Für Kommunen vgl. Blocher (2006).
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Sortierer, der ermessen kann, wer welche öffentlichen Güter besser produziert. Dazu braucht es vermehrt ökonomischer und Managementkompetenz, neben der juridischen und der Kenntnis der Politikprozesse, um Durchsetzungen abschätzen zu können.31 9. Ausblick Die Anforderungen an die Entscheidungen über öffentliche Güter sind längst geklärt: „Eine Politik, die den ihr überlieferten Aufgabenbestand nur deshalb ungefragt übernimmt und bedient, weil das Fragen zu mühsam ist und Konsequenzen aus den Antworten nur in hartem Kampf gezogen werden könnten, gibt sich auf. Der Staat als Geflecht von Regeln und Institutionen, innerhalb derer auch die Politik agiert, erscheint überfordert, wenn keine Staatspflege betrieben wird, wenn man nicht zwischen den zufälligen öffentlichen Aufgaben, auf die auch verzichtet werden kann, und den notwendigen unterscheidet, man damit den Aufgabenbestand erweitert und so zum Opfer eigner Verweigerung wird. Betreibt man Aufgabenabbau erst im Rahmen der Haushaltsverhandlungen, ist es meist zu spät“ (Ellwein/Hesse 1997: 144). Dass die ‚Staatspflege’ eine andere Staatsfunktion beinhaltet, liegt daran, dass die Prozessfunktion staatlicher Aktivität vor allem deshalb an Gewicht gewinnt, „weil der Staat ganz offensichtlich nicht mehr als alleiniger Problemlöser aufzutreten vermag, er in einer zunehmend arbeitsteilig vernetzten Umwelt vielmehr auf die Kooperation anderer Handlungsträger im öffentlichen wie auch im privaten Bereich angewiesen ist. […] Deshalb […] kommen dem Staat und seinen Einrichtungen – stabile Größen im ständigen Wandel der Verhältnisse – erhebliche Moderationsfunktionen im Zusammenspiel der Akteure zu“ (Ellwein/ Hesse 1997: 149). Was heute ‚governance’ genannt wird (vgl. Schuppert 2005a, b), hatte bei Ellwein und Hesse noch nicht diesen Namen, aber bereits die gemeinte Funktion: die im modalen Governance-Prozess der permanenten Neuverhandlung der Politik als Aufgabenkritik zu betreibende Selektion des öffentlichen Gutsangebotes des Staates. Die Frage, was notwendig vom Staat an öffentlichen Gütern angeboten werden muss, ist wiederum zu entkoppeln von der Frage nach der staatlichen Produktion der Güter. Hier hatten sich zwei Themen verzahnt, die wieder separiert werden müssen: es geht dabei nicht um eine ökonomisch begründete Auflösung öffentlicher Güter, oder gar ihre Rückführung in die private Kollektivgüterproduk31 Für die E-Government-Prozesse vgl. Schwiering (2005) und Schuppan (2006).
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tion, sondern vornehmlich um eine effiziente Erstellung der öffentlichen Güter – in Kooperation von Staat und Wirtschaft und Gesellschaft. Das Problem ist nicht der Staat, sondern seine unangepasste ineffiziente Produktionslogik. Hier ist ein neues Maß an Differenzierung nötig: zwischen der Produktion und Stabilität von Regeln einerseits versus der Produktion von Gütern und der Flexibilität der Finanzierung andererseits. Die Idee des ‚lean state’ ist staatsgefährdend – in jeder Hinsicht. Weder die bloße Ökonomisierung des Staates noch sein Insistieren auf bloßer Regelhaftigkeit sind gefragt, sondern eine Kernstabilität, die desto flexibler und entschiedener mit den Aufgabenbestimmungen umgehen kann.
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Die Zukunft des öffentlichen Infrastrukturauftrags im Verkehrssektor: Chancen und Risiken von Public Private Partnerships
Alexander Eisenkopf und Christian R. Schnöbel 1. Problemstellung In der verkehrsökonomischen und verkehrspolitischen Diskussion hat sich in den letzten Jahren ein fundamentaler Paradigmenwechsel vollzogen. So stellen Wissenschaftler wie auch interessierte Kreise der Wirtschaft (Bauwirtschaft, Banken) fast einhellig die staatliche Bereitstellung und den staatlichen Betrieb von Verkehrsinfrastrukturen in Frage und fordern statt dessen ihre „Entstaatlichung“. Die Spannweite der vorgeschlagenen „Entstaatlichungsmodelle“ reicht dabei von der Schaffung von Nutzerclubs für die Verkehrsinfrastruktur (Ewers/ Rodi 1995) bis zur materiellen Privatisierung der Bundesautobahnen, d.h. dem Verkauf der Verkehrsinfrastruktur an private Betreiber oder der Platzierung einer „Autobahn AG“ am Kapitalmarkt (Buhl/Münch 1994). Tatsächlich leidet die Versorgung der deutschen Volkwirtschaft mit Verkehrsinfrastruktur zunehmend an qualitativen wie quantitativen Defiziten, was nicht zuletzt auf die der Verkehrsinfrastrukturpolitik zugrunde liegenden Mechanismen und Anreizstrukturen zurückzuführen ist. Die verkehrsinfrastrukturellen Engpässe manifestieren sich in Staus auf den Bundesfernstraßen sowie in den offensichtlichen Substanzverlusten an Brücken und Tunneln (Hartwig 2003). Infolge der sich in den letzten Jahren verschärfenden finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte konnten die in der Bundesverkehrswegeplanung vorgesehenen Planansätze für Erhaltung und Ausbau von Straßen, Schienen und Binnenwasserstraßen regelmäßig nicht wie geplant aufgebracht werden (Eisenkopf 2000: 149f.). So erscheint auch der aktuelle Bundesverkehrswegeplan von 2003 bzw. der ausgewiesene „vordringliche Bedarf“ bereits kurz nach seiner Verabschiedung unterfinanziert. Die Finanzmittelknappheit der öffentlichen Hand bei der Durchführung der erforderlichen Infrastrukturinvestitionen ist jedoch – zumindest bei den Bundesfernstraßen – keineswegs auf zu geringe, d.h. nicht kostendeckende Wegeeinnahmen (Kfz- bzw. Mineralölsteuer sowie die seit 2005 erhobene Lkw-Maut) zurückzuführen, sondern vor allem auf deren Verwendung durch die Zuweisung zum allgemeinen Bundeshaushalt (Aberle 2003). Nichtsdestotrotz verspricht
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man sich gerade von der Mobilisierung zusätzlicher privater Gelder bzw. durch die weitergehende Erhebung von Benutzungsabgaben die erforderlichen Finanzmittel, um die bestehenden Engpässe zu beseitigen. Sofern es nicht gelingt, die notwendigen Gelder für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen bereitzustellen, ist nicht nur mit einem weiteren Ausufern der bestehenden Engpässe, sondern auch mit einem fortschreitenden Substanzverlust des infrastrukturellen Kapitalstocks zu rechnen.1 In der Folge sind die private Mobilität und die Funktionsfähigkeit der Güterverkehrs- und Logistiksysteme in Deutschland und Europa gefährdet, woraus erhebliche Barrieren für Wirtschaftswachstum, Wohlstandsgewinne und Beschäftigungsexpansion erwachsen. Es drängt sich folglich die Frage auf, wie eine effiziente Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur in Deutschland sichergestellt werden kann, und ob die öffentliche Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur noch eine Zukunft hat. 2. Staatlicher Infrastrukturauftrag aus wohlfahrtstheoretischer Sicht Der staatliche Infrastrukturauftrag der Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich verankert und wird v.a. allgemein- und verteilungspolitisch begründet (Wink 1995: 76ff.). Mit den allgemeinpolitischen Argumenten ist primär die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit angesprochen, welche die Berücksichtigung militärlogistischer Anforderungen im Rahmen der Netzplanung (v.a. hinsichtlich Brückenbau, Untertunnelungen etc.) erfordert. Obgleich militärstrategische Aspekte der Verkehrsverkehrsinfrastruktur auch heute noch zu den verkehrsfremden Funktionen der Wegenetze zählen, haben sie im Laufe der letzten Jahrzehnte in Relation zu ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung an Relevanz verloren (Aberle/Engel 1992: 17). Heute werden vor allem verteilungspolitische Gründe für die Rechtfertigung des staatlichen Infrastrukturauftrages ins Feld geführt: Gemäß Art. 20 GG ist die Bundesrepublik als Sozialstaat definiert, womit in Verbindung mit Art. 3 GG und Art 28 I GG die öffentliche Aufgabe zur Existenzsicherung einzelner Bevölkerungsgruppen einhergeht. Insbesondere wird hieraus ein staatlicher Auftrag zur Mindestversorgung der Bevölkerung mit Infrastruktur abgeleitet, wobei eine gleichwertige Infrastrukturversorgung verschiedener Regionen angestrebt wird, um dem Ziel der Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse im Raum gemäß Art. 91 GG Folge zu leisten. Diese öffentliche Aufgabe wird regelmäßig mit dem nebulösen Be1
Dies gilt insbesondere angesichts der in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu erwartenden Verkehrszuwächse im Güterverkehr. Vgl. zu den diesbezüglichen Verkehrsprognosen Gresser/Kollberg/ Konanz et.al. (2001).
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griff der „Daseinsvorsorge“ umschrieben, welche die öffentliche Hand nach Art. 87e bzw. Art. 89 f. GG auch zum mehrheitlichen Eigentum an der Verkehrsinfrastruktur dauerhaft verpflichtet.2 Aus allokationstheoretischer Sicht ist der staatliche Infrastrukturauftrag damit jedoch nicht zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierfür vielmehr die Funktionsfähigkeit des Marktes. Nur für den Fall, dass dieser versagt, sind Staatseingriffe aus Sicht der Wohlfahrtsökonomik legitim. Konstatieren lässt sich ein solches Marktversagen, wenn es sich bei dem betrachteten Gut um ein öffentliches Gut handelt oder wenn infolge von Unteilbarkeiten oder externen Effekten der freie Markt zu Fehlallokationen der volkswirtschaftlichen Ressourcen führt (Fritsch/Wein/Ewers 2005). Verkehrsinfrastrukturgütern wird oft die Eigenschaft eines öffentlichen Gutes3 zugeschrieben.4 Entscheidend für diese Zuordnung von Verkehrsinfrastruktur sind jedoch Kriterien der (Nicht-)Rivalität im Konsum und der Anwendbarkeit des Exklusionsprinzips, wobei diese keinen dichotomen Charakter aufweisen, sondern sich innerhalb eines Kontinuums bewegen (Holzhey 1999: 17ff.):
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Gerade bei Verkehrsinfrastrukturleistungen ist die Konsumrivalität typischerweise von der Kapazitätsauslastung abhängig. Während keine oder nur begrenzte Rivalität lediglich im Fall unterausgelasteter Kapazitäten vorliegt, tritt von einem bestimmten Nutzungsniveau an verstärkt Konsumrivalität auf, was sich in Staus auf den Bundesautobahnen bzw. in Wartezeiten in den Bahnhöfen und Terminals des Schienenverkehrs manifestiert. Bei der Schiene sind zudem auf einer Strecke systembedingt keine parallelen, sondern nur sequentiell gestaffelte Nutzungsakte möglich, so dass für die örtlich und zeitlich befristeten Durchfahrtsfenster (Trassen) uneingeschränkte Konsumrivalität besteht. Die Anwendbarkeit des Exklusionsprinzips wird von der technischen Machbarkeit und den Kosten des Ausschlusses nicht-zahlungswilliger Nutzer determiniert. Bei der Schieneninfrastruktur ist der Ausschluss von der Trassennutzung nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden, da die Nutzer ohnehin über Fahrpläne koordiniert werden und daher bereits ex ante Trassennutzungsrechte erwerben müssen. Die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur Eine vollständige materielle Privatisierung ist zwar nach vorheriger Änderung des Grundgesetzes theoretisch möglich. Diese wird aber als politisch zumindest mittelfristig kaum durchsetzbar angesehen, da die Verkehrsinfrastruktur als Instrument der Regional-, Sozial- und Wirtschaftspolitik für die politischen Akteure von großer Bedeutung ist. Vgl. Aberle (2003). Vgl. grundlegend Buchanan (1968: 88ff.). Vgl. beispielhaft Jochimsen (1966: 105), Musgrave (1971: 54). Diese These findet sich schon bei Adam Smith (vgl. Smith 1974: 612).
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als „quasi-freies“ Gut wurde lange mit den Kosten des Ausschlusses begründet (Wink 1995: 97). Allerdings findet des Exklusionsprinzip für schwere Lkw in Form fahrleistungsabhängiger Nutzungsentgelte („LkwMaut“, zuvor Vignettenpflicht) bzw. durch die Kontrolle ihrer Entrichtung schon länger Anwendung. Auch zeigen die internationalen Erfahrungen, dass ein Ausschluss (etwa auch von Pkw) durchaus praktikabel ist. Die These, Verkehrsinfrastrukturen seien öffentliche Güter und müssten daher staatlich bereitgestellt werden, lässt sich folglich nicht aufrechterhalten. Tatsächlich handelt es sich um private Mischgüter mit mehr oder weniger ausgeprägten Kollektivguteigenschaften, welche keine ökonomische Rechtfertigung für staatliche Eingriffe oder gar eine staatliche Bereitstellung zu liefern vermögen. Verkehrsinfrastrukturen, v.a. das Schienennetz, gelten als geradezu klassisches Beispiel für natürliche Monopole (Kruse 1985: 66). Ein solches liegt vor, wenn die Marktnachfrage von einem Anbieter kostengünstiger bedient werden kann als von mehreren. Kostentheoretisch formuliert, liegt eine subadditive Kostenfunktion vor, d.h. es sind sinkende Durchschnittskosten im relevanten Mengenbereich der Nachfrage festzustellen. Pauschale Aussagen, ob Verkehrsinfrastrukturen natürliche Monopole darstellen, sind jedoch nicht möglich, weil sich Verkehrsinfrastrukturen aus einer Vielzahl miteinander vermaschter Einzelstrecken zusammensetzen, für die jeweils Subadditivität vorliegen kann, aber nicht muss. Notwendig ist eine differenzierte Betrachtung (Hedderich 1996). Für die Bereitstellung einer Strecke bestehen Mindesteinsatzmengen dergestalt, dass unabhängig von der Fahrzeugdichte auf einer Strecke die volle Erschließung zwischen zwei Orten erforderlich ist. Aufgrund der geringen variablen Kosten in Verbindung mit den hohen fixen Vorhaltungskosten kann von ausgeprägten economies of density ausgegangen werden, so dass – bei entsprechender Marktnachfrage – ein natürliches Streckenmonopol vorliegt. Auch langfristig, d.h. bei Kapazitätsvariationen, kommt es aufgrund feststellbarer Skaleneffekte zu sinkenden Durchschnittskosten (Aberle/Eisenkopf 2002). Demgegenüber lässt sich ein natürliches Netzmonopol nur dann konstatieren, wenn alle Einzelstrecken Subadditivität aufweisen und sich durch ihren Zusammenschluss Verbundvorteile erzielen lassen oder wenn diese Verbundvorteile etwaige streckenbezogene Größennachteile kompensieren. Hinter den angesprochenen Verbundvorteilen steht die ökonomische Besonderheit von Netzen (Blankart/Knieps 1992). Sie generieren arteigene Zusatznutzen, welche sich im Vergleich zu einem Set unkoordinierter, zusammenhangsloser Einzelstrecken so stark unterscheiden, dass ihr Zusammenschluss ein völlig neues Gut hervorbringt. Die Netzbildung kann neben Nutzenvorteilen auch Produktionskosten-
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vorteile sowie insbesondere Transaktionskostenvorteile dergestalt hervorbringen, dass die Abstimmung zwischen einzelnen Strecken erleichtert wird (Coase 1937: 389ff., Rothengatter 1995: 110). Dies betrifft die technische Kompatibilität, die Koordination von Investitionsentscheidungen sowie im Schienenverkehr die Koordination der Zugbewegungen auf dem Netz (Zugführung/-steuerung, Trassenvermarktung bzw. Fahrplanerstellung etc.). Die Eigenschaft des Schienennetzes als natürliches Monopol ist daher unstrittig (Aberle/Eisenkopf 2002: 11). Bei den Bundesfernstraßen mag dies in einer einzelstreckenbezogenen regionalen Betrachtung ebenfalls gelten. Allerdings sind die Koordinationserfordernisse auf Gesamtnetzebene hier aufgrund der Systemeigenschaften der Straße und damit auch die realisierbaren Transaktionskostenvorteile weitaus weniger ausgeprägt als bei der Schiene, so dass eine natürliche Monopoleigenschaft des gesamten Fernstraßennetzes zumindest fraglich ist. Natürliche Monopole bzw. die aus ihnen erwachsenden Marktmachtpotentiale werden erst dann allokationsrelevant, wenn sie vor dem Wettbewerbsdruck potentieller Konkurrenten geschützt sind. Diesbezüglich sind Kostenirreversibilitäten von zentraler Bedeutung (Baumol/Panzar/Willig 1988). Tatsächlich sind Verkehrswegeinvestitionen hochspezifisch, so dass Verkehrsinfrastrukturmonopole als intramodal wettbewerbsresistent einzustufen sind. Neben den Kostencharakteristika des Infrastrukturgeschäfts ist jedoch auch die Abgrenzung des relevanten Marktes aus Nachfragersicht zu beachten. Je nach Verkehrsträger, Einzugsgebiet, regionalen Besonderheiten und Transportzweck ist die disziplinierende Wirkung der Substitutionskonkurrenz gänzlich unterschiedlich zu beurteilen. So dürfte der intermodale Wettbewerb angesichts niedriger Kreuzpreiselastizitäten der Nachfrage zumindest auf Straßeninfrastrukturanbieter eine nur geringe Wirkung entfalten, wohingegen er bei der Schiene als intensiver einzuschätzen ist. Bei Bundesfernstraßen ist zudem die Möglichkeit virulent, auf parallele Routen der nachgelagerten Straßennetze auszuweichen (Ewers/Rodi 1995: 34ff., Wink 1995: 129). Weil aber zumindest in Teilbereichen keine vollkommene Substituierbarkeit gegeben ist, besteht ein Bedarf an staatlichen Regulierungseingriffen zur Verhinderung möglicher Marktmachtmissbräuche. Der Verkehrsbereich gilt allgemein als Sektor, bei dem private und soziale Kosten-Nutzen-Kalküle gravierend auseinander fallen (Aberle 2003). Im Kontext dieses Beitrages interessieren jedoch lediglich die von der Verkehrsinfrastruktur verursachten externen Effekte. Wenngleich von Verkehrsinfrastrukturen eine quasi induzierende Wirkung auf die externen Kosten des Verkehrsmittelbetriebs ausgehen, hängt die Entscheidung über die komplementäre Verkehrsmittelbenutzung von einer Vielzahl weiterer Parameter ab, so dass strikt zwischen
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verkehrsinfrastruktur- und verkehrsmittelbedingten Externalitäten zu differenzieren ist (Eisenkopf 2002: 143f.). Analog müsste auch hinsichtlich positiver Externalitäten zwischen verkehrsmittel- und infrastrukturbedingten Effekten unterschieden werden. Hier ist jedoch eine verursachungsgerechte Aufspaltung kaum möglich, weil die Verkehrsinfrastruktur ihren Nutzen erst durch den Verkehrsmittelbetrieb entfalten kann, während sich die externen Kosten entweder der Verkehrsinfrastruktur oder dem Verkehrsmittelbetrieb unmittelbar zurechnen lassen (Eisenkopf 2002: 220).
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Zu den externen Kosten der Verkehrsinfrastruktur zählen Bodenversiegelungseffekte, Trennwirkungen, Flächenverbräuche5 sowie infrastrukturbedingte Unfall(-folge-)kosten.6 Während die Existenz dieser negativen Externalitäten unstrittig ist, besteht aufgrund der methodischen Schwierigkeiten ihrer Quantifizierung Uneinigkeit hinsichtlich ihres mengen- und wertmäßigen Umfangs. Die Ergebnisse einschlägiger Studien schätzen sie durchschnittlich auf lediglich rund 0,5 Mrd. €. Verkehrsinfrastrukturen sind danach zwar mit externen Kosten verbunden, ihr Umfang ist allerdings als eher gering einzuschätzen (Eisenkopf 2002: 149ff). Hinsichtlich externer Nutzeneffekte besteht Einvernehmen darüber, dass das Verkehrssystem als Basisressource beinahe aller Wertschöpfungsprozesse arbeitsteiliger Wirtschaften sowie als Voraussetzung zahlreicher Konsumaktivitäten volkswirtschaftlich und wachstumstheoretisch relevante Nutzenwirkungen stiftet. Dabei werden insbesondere der Optionsnutzen, die steigende Erreichbarkeit peripherer Regionen, Zeitgewinne infolge der Infrastrukturnutzung, sinkende unternehmerische Produktionskosten bzw. Produktivitätssteigerungen sowie branchenübergreifende gesamtwirtschaftliche Wachstumsbeiträge und verkehrsträgerübergreifende Netzeffekte diskutiert (Ewers/Tegner 2000: 44).7 Strittig ist jedoch wiederum ihr wert- und mengenmäßiger Umfang. Obgleich die empirische Forschung derzeit (noch) keine belastbaren Schätzungen der externen Nutzeneffekte der Verkehrsinfrastruktur liefert, darf ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden (Eisenkopf 2002: 214ff.). Diese sind dann externer Natur, wenn die für den Grund gezahlten Preise unter den Opportunitätskosten der Flächen liegen. Extern sind nur solche Unfall(-folge-)kosten, die nicht durch Versicherungs- oder Schadenersatzleistungen abgedeckt sind. Bei den genannten Externalitäten handelt es sich großteils um pekuniäre externe Effekte, die aus einer statisch-wohlfahrts-ökonomischen Sicht keiner Internalisierung bedürfen. Allerdings spielen gerade pekuniäre Externalitäten eine zentrale Rolle für branchenübergreifende Wachstumsprozesse, weshalb sie durchaus allokationsrelevant sind (Eisenkopf 2002: 210ff.)
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Bei Vorliegen externer Effekte spiegelt der Marktpreis nicht die tatsächlichen (gesamtwirtschaftlichen) Knappheitsrelationen wider, so dass es zu Fehlallokationen des Marktes und damit zu gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlusten kommt (Fritsch/Wein/Ewers 2005: 88f.). Sie bedürfen daher einer marktkonformen Internalisierung. Dies erfordert jedoch keinesfalls die staatliche Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur, auch weil hierbei die Gefahr besteht, dass eine Internalisierung insbesondere der externen Kosten unterbleibt (Aberle 2003). Zu beachten ist zudem, dass die Internalisierung im Falle per Saldo positiver Externalitäten die Bereitstellung einzelwirtschaftlich unrentabler Streckenteile impliziert, woraus sich eine Subventionsnotwendigkeit gemeinwirtschaftlicher Netzteile ableiten lässt. Vor allem die Schieneninfrastruktur, die wegen des starken intermodalen Wettbewerbs ohnehin mit Rentabilitätsproblemen konfrontiert wird, ist regelmäßig auf eine erhebliche staatliche Alimentierung angewiesen. Aus den verfassungsrechtlichen und allokationstheoretischen Restriktionen für die Anwendung von Markt- und Wettbewerbsprozessen resultiert die Notwendigkeit dauerhafter Staatseingriffe zur Berücksichtigung militärstrategischer und distributiver Aspekte, zur Regulierung monopolistischer Machtpositionen und zur Internalisierung externer Effekte. Die notwendigen Staatseingriffe sind dabei marktkonform auszugestalten und auf die unmittelbar betroffenen Wertschöpfungsaktivitäten zu beschränken:
Die Infrastrukturplanung umfasst die Aufgaben der Netz- bzw. Netzinvestitionsplanung, der Linienführungsplanung und der Bauplanung. Auf der Ebene des Gesamtnetzes ist hier aufgrund der zugrunde liegenden Netzsowie und externen Nutzen- bzw. Kosteneffekte eine staatliche Einflussnahme unabdingbar (Grossekettler 1991: 81). Eine staatliche Einflussnahme ist auch zur Berücksichtigung militärstrategischer Ziele angezeigt. Da hiervon aber nur einzelne, vor allem an den Territorialgrenzen befindliche Strecken tangiert sind, können diese Entscheidungen anstelle einer generellen staatlichen Infrastrukturplanung einem gesonderten Abstimmungsmechanismus zugeführt werden. Von verteilungspolitisch motivierten Eingriffen ist ebenfalls nur ein Teil der Infrastrukturkapazitäten betroffen; auch hier bietet sich die Anwendung gesonderter Koordinationsverfahren an. Zudem resultiert ein Erfordernis staatlicher Einflussnahme aus der Notwendigkeit zum vorherigen Grunderwerb bei Neu- oder Ausbauten, weil hiermit ohne das Hoheitsrecht der Enteignung prohibitiv hohe Transaktionskosten verbunden sein können (Wink 1995, Hermes 1998, Tegner 1999).
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Bei der Finanzierung geht es um die Kapitalbereitstellung sowie um die aus der Leistungsverwertung stammenden Einzahlungen (Vergütung). Allokationstheoretisch besteht keine Eingriffsnotwendigkeit des Staates, sieht man einmal von der Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Netzteile und der Marktmachtregulierung im Rahmen der Entgelterhebung ab. Allerdings ist die private Kapitalbereitstellung im Sinne eines vollständigen materiellen Eigentums am verkehrsinfrastrukturellen Kapitalstock verfassungsrechtlich nicht unproblematisch. Auf der Ebene des Baus und Betriebs stehen die physischen Bau-, Unterhaltungs- und Instandhaltungsdienste sowie im Schienenverkehr die Koordination der Verkehre auf dem Netz (Zugführung und -steuerung, kurzfristige Dispositionsaufgaben bei Notfällen etc.) im Fokus. Hier sind abgesehen von bau-, verkehrs- sowie sicherheitsrechtlichen Aspekten, denen relativ leicht durch die Vorgabe technischer Mindeststandards Rechnung getragen werden kann (Homburg 2005: 163), keine staatlichen Eingriffe notwendig. Rechtliche Restriktionen sind ebenfalls nicht zu konstatieren.8 Auch im Hinblick auf die Betriebskoordination des Schienenverkehrs bestehen prinzipiell keine Interventionserfordernisse.9
Zusammenfassend rechtfertigen die zu konstatierenden Marktversagenstatbestände im Verkehrsinfrastruktursektor keinesfalls den vollständigen Verzicht auf marktlich-wettbewerbliche Bereitstellungsformen (Hartwig 2003). Bis dahin besteht zumeist Konsens zwischen marktorientierten Ökonomen. Die entscheidenden Fragen und Probleme stellen sich jedoch hinsichtlich der relevanten Alternativen zur staatlichen Bereitstellung und der Definition ihrer institutionellen Rahmenbedingungen und Anreizstrukturen. Mit der Erarbeitung von Regelwerken für privatwirtschaftliche Aktivitäten im Bereich der Verkehrsinfrastruktur wird jedoch weitgehend verkehrs- und regulierungspolitisches Neuland betreten. Den Erfahrungen in anderen deregulierten Netzindustrien folgend, liegt „des Pudels Kern“ der Deregulierung gerade in der Formulierung und Durchsetzung anreizkompatibler Regulierungsbedingungen (Knieps/Brunekreeft 2003). Die Konsequenzen der zu installierenden Governance-Strukturen sollten daher ex ante durchdacht und abgeschätzt werden. 8 9
Allerdings bestehen im Verteidigungsfall aus militärstrategischer Sicht Eingriffsnotwendigkeiten in der Betriebsphase. Da dies jedoch eine besondere Notsituation darstellt, genügt eine Ausnahmeregelung für staatliche Intervention. Die Diskriminierungs- bzw. Regulierungsproblematik im Falle eines im eigentumsrechtlichen Verbund mit Eisenbahnverkehrsunternehmen stehenden Schienennetzes, wie es bei der Deutschen Bahn AG der Fall ist, sei an dieser Stelle vernachlässigt.
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Public Private Partnership: Begriff, Einsatzmöglichkeiten und Risikostrukturen
3.1 Begriff und Formen von Public Private Partnership Die Restriktionen der Anwendbarkeit von Markt- und Wettbewerbsprozessen bzw. zur privaten Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur erfordern die dauerhafte Beteiligung der öffentlichen Hand bei der Infrastrukturbereitstellung. Dies betrifft das (zumindest teilweise) materielle Eigentum am infrastrukturellen Kapitalstock wie auch die Einflussnahme auf einzelnen Wertschöpfungsstufen. Auf der anderen Seite lassen die Restriktionen einen weiten Spielraum für die Einbindung privater Akteure offen. Zur Institutionalisierung öffentlich-privater Leistungsprozesse gilt heute das Konzept der Public Private Partnership (PPP) als state of the art. Obgleich das Begriffsverständnis von Public Private Partnerships in der Literatur derzeit durchaus noch nicht einheitlich ist, lässt sich unter PPP generell die Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft bei der Planung, Erstellung, Finanzierung und beim Betrieb bzw. bei der Verwertung bislang staatlicher Leistungen verstehen. Ihr Ziel liegt in einer effizienteren Erfüllung von Leistungen (Bertelsmann Stiftung/Clifford Chance Pünder/Initiative D21 2003: 10.), welche auf die Deckung kollektiver Bedarfe ausgerichtet sind und in den Bereich der Daseinsvorsorge fallen (Budäus 2004). Die Bandbreite der Begriffsverwendungen reicht von allgemeinen Formulierungen wie alle Arten öffentlich-privaten Zusammenwirkens, die durch Kommunikation, Koordination und Kooperation gekennzeichnet sind (Hartmann 1994), über konkrete Formen von Liefer- und Leistungsbeziehungen (Fainstein/Fainstein 1993), das Outsourcing öffentlicher Leistungserstellungen auf private Unternehmen (Kettl 1993), materielle Privatisierungen oder gemischtwirtschaftliche Betriebe bis hin zu reinen Finanzierungsinstrumenten (Eggers 2004). Wenngleich die Finanzierungsfunktion im Fokus der politischen Diskussion steht, ist sie zwar ein zentraler, aber nicht der ausschließliche Leistungsbereich einer PPP. Vielmehr unterliegen PPP typischerweise einem Lebenszykluskonzept: Zur Erschließung möglichst hoher Effizienzpotentiale werden über die Finanzierungsfunktion hinaus weitere Aufgabenkomponenten während des Projektlebenszyklus einbezogen, wobei ein umfassender Risikotransfer auf Private angestrebt wird (Bertelsmann Stiftung/Clifford Chance Pünder/Initiative D21 2003: 14f., Bundesverband Deutscher Banken 2004: 9f.). Die privaten Unternehmen stellen statt isoliert erbrachter Bau-, Betriebs- oder Finanzierungsleistungen umfassende Problemlösungen bereit. Charakteristisch für PPP ist daher
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der dauerhafte oder zumindest langfristige Leistungsverbund von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen. PPP-Projekte weisen typischerweise Laufzeiten von bis zu 30 Jahren auf. Weiterhin, so suggerieren es zumindest die Hochglanzbroschüren potentieller privater Kooperationspartner bzw. deren Interessenverbände, sei eine WinWin-Situation charakteristisch für PPP (Bundesverband deutscher Banken 2004): Die öffentlichen und privaten Partner kooperieren, weil sie sich hiervon versprechen, ihre jeweiligen Ziele besser als bei isoliertem Ressourceneinsatz bzw. überhaupt erreichen zu können. Hieraus wird in der einschlägigen Literatur regelmäßig gefolgert, dass die Ziele der Akteure grundsätzlich komplementär seien (Budäus 2003: 218ff.). So versteht etwa Kouwenhoven unter PPP eine öffentlich-private Kooperation, die sich durch die Verfolgung komplementärer Ziele zum beiderseitigen Nutzen, die Erschließung von Synergiepotentialen, die Identitätswahrung der Partner und die vertragliche Formalisierung der Zusammenarbeit auszeichnet (Kouwenhoven 1993: 119ff.). Auch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sieht Zielkomplementarität als zentrales Merkmal einer PPP (BMZ 2005: 4): „Öffentliche und private Beiträge müssen sich (…) so ergänzen, dass beide Seiten ihre Ziele kostengünstiger, wirksamer und schneller erreichen.“ Tatsächlich besteht in einer PPP Zielkomplementarität insofern, als dass sich das öffentliche Ziel einer effizienteren Aufgabenerfüllung und das private Ziel der Erschließung neuer, lukrativer Marktpotentiale durch die Übernahme öffentlicher Aufgaben ergänzen. Allerdings setzt das Zustandekommen jedweder wirtschaftlicher Transaktion das wechselseitige Interesse der Akteure an derselben voraus. Derartige Interessenharmonien haben ubiquitären Charakter. Hieraus eine generelle Komplementarität der Ziele von öffentlichen und privaten Akteuren in einer PPP abzuleiten, erscheint gewagt. Aus dem öffentlichen Interesse an einer möglichst effizienten Aufgabenerfüllung einerseits und dem Gewinnmaximierungskalkül privater Unternehmen andererseits erwächst vielmehr ein grundlegender Zielkonflikt zwischen den Parteien. Zielkomplementarität ist zwar wünschenswert, jedoch in den wenigsten Fällen als gegeben anzunehmen. Gerade die langfristige Bindung der Partner in Verbindung mit der hohen Komplexität der Leistungsbeziehung führt dazu, dass sich in den zugrunde liegenden Kooperationsverträgen nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigen lassen. PPP sind typischerweise durch eine schlecht strukturierte Ausgangssituation zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gekennzeichnet (Budäus 2003). Für alle vertraglichen Lösungen bei PPP gilt daher, dass es sich kontrakttheoretisch um gemischt neoklassische bzw. relationale Verträge handelt. Die Beteiligten
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akzeptieren zumindest Lücken in den Verträgen, die eventuell durch Schlichtungs- oder Schiedsgerichtsverfahren ausgefüllt werden (Macneil 1978). Darüber hinaus wird die Austauschbeziehung an sich in den Vordergrund treten und eine iterative Anpassung aufgrund der Entwicklung der Zusammenarbeit erforderlich machen. Hierbei ist grundsätzlich auch opportunistisches Verhalten der Beteiligten in Betracht zu ziehen, so dass Kontrakte mit spezifischen Investitionen eine Lock-in-Situation begründen bzw. zu Hold-up-Problemen und mithin steigenden Transaktionskosten führen können (Williamson 1990). Da neben Zielkonflikten auch Informationsasymmetrien zwischen öffentlicher Hand und privatem Akteur bestehen (Whitney 1993: 245ff., Budäus/Grüning 1997: 58), muss bei Annahme opportunistischen Verhaltens zudem von einer PrincipalAgent-Beziehung ausgegangen werden, welche mit Vertretungskosten (agency costs) verbunden ist (Sappington 1991). Die Euphorie, mit der PPP sowohl von der Politik wie auch von privaten Investoren propagiert werden, fordert daher eine gewisse Vorsicht heraus. Realistischerweise bringen PPP neben Chancen für Private und Freiräumen für die öffentliche Hand auch Interessengegensätze mit sich, die gegebenenfalls zu Lasten der Gegenpartei und der Gesellschaft insgesamt ausgespielt werden. Der maßgebliche Erfolgsfaktor einer PPP ist daher die Schaffung geeigneter Beherrschungs- und Überwachungssysteme (Governance-Strukturen) bzw. das Setzen zieladäquater Anreize für die privaten Akteure. Auf jeden Fall ist die Betonung der Partnerschaft in einer PPP als irreführend zu qualifizieren. Hinsichtlich möglicher Formen von PPP sind generell alle hybriden Organisationsmodelle zwischen rein staatlicher und rein privater Leistungserstellung denkbar, wobei diese aufgrund ihrer spezifischen Governance-Strukturen unterschiedliche Anreiz- und Risikoeigenschaften inkorporieren (Williams 2003, Eggers 2004). So ist ein reines Outsourcing im Sinne einer bloßen Auftragsvergabe an einen privaten Akteur noch keine PPP im eigentlichen Sinne; hier gelten zudem die gleichen Anreiz- und Risikoteilungsregeln wie bei normalen Kauf- oder Werkverträgen. Interessantere Lösungsansätze bieten dagegen langfristige zivilbzw. öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge, die für unterschiedliche Leistungsumfänge (Planung, Bau, Finanzierung, Betrieb, Verwertung) und mit unterschiedlichen Optionsrechten und Heimfallregelungen abgeschlossen werden. Nach Leistungs- bzw. Aufgabenschwerpunkten wird bei PPP zwischen Finanzierungs-, Betreiber-, Konzessions- und Kooperationsmodellen differenziert (Bundesverband deutscher Banken 2003). Diese Unterscheidung bezieht sich darauf, welche der Aufgaben im Lebenszyklus eines PPP-Objektes in welcher Form von Privaten übernommen wird. Bereits bei der konventionellen Realisie-
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rung von Verkehrsinfrastrukturprojekten unter staatlicher Regie wurden und werden bereits einzelne Aufgaben von Privaten übernommen (Schmitt 1999: 93, Benz 2000: 47). So übertragen die Gebietskörperschaften regelmäßig den Bau an private Unternehmen und nutzen dabei das Instrument des Ausschreibungswettbewerbs. Auch im Hinblick auf die Planung werden Teilleistungen oder ganze Leistungspakete von privaten Firmen erbracht. Dagegen erfolgte die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur traditionell (fast) ausschließlich aus öffentlichen Haushalten; auch Instandhaltung und Bewirtschaftung lagen oft in staatlicher Regie (z.B. beim Straßenwesen). Anders gestaltet sich die Aufgabenverteilung bei den verschiedenen PPP-Modellen (Deutscher Städte- und Gemeindebund 2002):
Finanzierungsmodelle übertragen allein die Finanzierungsfunktion an Private, d.h. es werden langfristig private Finanzmittel für die Realisierung einer Maßnahme (zur Vorfinanzierung) in Anspruch genommen. Bei dieser in Deutschland für die ersten Straßenbauprojekte mit Beteiligung Privater verfolgten Form von PPP lässt sich zu Recht die kritische Frage stellen, wo die spezifischen Vorteile einer solchen Konstruktion liegen, da gerade der Staat auf den Kapitalmärkten die günstigsten Refinanzierungskonditionen in Anspruch nehmen kann und die vermuteten Effizienzvorteile privatwirtschaftlichen Engagements in den anderen Wertschöpfungsphasen hier nicht zum Tragen kommen (vgl. auch Abschnitt 3.2). Größere Vorteile verspricht man sich von Betreibermodellen, bei denen ein privater Akteur ganz oder teilweise Finanzierung, Bau und Betrieb einer Infrastruktur übernimmt. Bezüglich der vertraglichen Gestaltung sind verschiedene Alternativen denkbar mit Elementen eines Mietkauf-, Leasing- oder Mietvertrages. Eine oft gewählte Form ist das BOT-Modell (Build-OperateTransfer), bei dem das Eigentum an der Infrastruktur am Vertragsende auf den Staat übergeht. In jedem Fall verbleiben die Verantwortung für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe und die Gebührenhoheit beim Staat. Mit dem privaten Betreiber wird die Zahlung von Betreiberentgelten vereinbart. Bei Konzessionsmodellen wird dem privaten Konzessionär im Vergleich zum Betreibermodell zusätzlich das Recht eingeräumt, sich über direkte Nutzungsentgelte zu refinanzieren, womit unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem Konzessionär und den Infrastrukturnutzern entstehen. Damit stellt sich die Frage nach der Absicherung des Auslastungsrisikos, die beim Betreibermodell zumeist ausgeklammert oder auf den Staat verlagert wird. Sowohl beim Betreiber- wie auch beim Konzessionsmodell können Planungsaufgaben an den privaten Partner übertragen werden (z.B. beim Modell DBFO – Design-Build-Finance-Operate).
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Eine weitere Organisationsalternative bildet das Kooperationsmodell, in dem öffentliche Aufgabenträger und private Unternehmen zur Aufgabenerfüllung eine gemeinsame privatrechtliche Gesellschaft gründen. Insofern stellt auch die Deutsche Bahn AG sowohl in ihrer derzeitigen Form als auch bei einer Eigentumsübertragung an Private, d.h. bei materieller (Teil-)Privatisierung, eine PPP dar.10
Für die Entwicklung von Straßeninfrastrukturprojekten in Form einer PPP, die in diesem Beitrag im Vordergrund stehen sollen, bieten sich zunächst Konzessions- oder Betreibermodelle an. Sie sollen im Folgenden als Referenzfall unterstellt werden, wenn über die Risiko- und Effizienzaspekte diskutiert wird. 3.2 Effizienzaspekte von Public Private Partnership Die Umsetzung von PPP setzt die klare Entscheidung hoheitlicher Instanzen voraus, bisherige Staatsausgaben an Private zu übertragen. Hinsichtlich der Effizienzwirkungen dieser Vorgehensweise finden sich in der Literatur vergleichsweise umfangreiche Kriterienkataloge für Wirtschaftlichkeitsvergleiche bei der Projektevaluierung, denn PPP findet im Rahmen des öffentlichen Haushaltsrechts statt, so dass die Vorteilhaftigkeit einer solchen Lösung zu ihrer Legitimation in jedem Fall nachzuweisen ist. Die Wirtschaftlichkeitsvergleiche beziehen sich in der Regel auf Kriterienkataloge, die als Public Sector Comparator (PSC) v.a. in Großbritannien entwickelt wurden (Treasury Taskforce 1999). Mit dem PSC wird versucht, auf Basis einer Projektbeschreibung und der ermittelten Planungs-, Bau-, Betriebs-, Verwaltungs- und Finanzierungsbedingungen einen Barwert der Zahlungsströme (Kapitalwert) des Projekts zu berechnen, wobei Risikoüberlegungen hinsichtlich der verschiedenen Projektphasen explizit einzubeziehen sind. Als Vergleichsmaßstab dient die konventionelle Bereitstellung durch die öffentliche Hand. Damit erfolgt eine Bewertung der produktiven Effizienz einer PPP-Maßnahme; die allokative Effizienz der Bereitstellung wird dagegen nach wie vor durch vorgelagerte gesamtwirtschaftliche Bewertungsverfahren im Rahmen der Verkehrsinfrastrukturplanung gesichert.11
10 Aufgrund der Vielzahl denkbarer PPP-Konstrukte lässt sich beinahe jede langfristige, mehrere Wertschöpfungsstufen umfassende Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft als PPP bezeichnen. Überspitzt formuliert, könnte die kritische Frage aufgeworfen werden, welche Gestaltungsbeiträge PPP aufgrund der feststellbaren Unschärfen überhaupt liefert. 11 Vgl. zu den Bewertungsverfahren im Rahmen der Verkehrsinfrastrukturplanung Aberle (2003).
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Anstelle einer Barwertberechnung können auch aussagefähige Kostenvergleichsrechnungen für PPP bzw. herkömmliche Realisierungsvarianten herangezogen werden, wobei allerdings die generellen betriebswirtschaftlichen Nachteile von statischen Kostenvergleichs- gegenüber dynamischen Investitionsrechnungen zu beachten sind.12 Dieser Aspekt soll im Kontext dieses Beitrags jedoch nicht thematisiert werden. Ebenso außer Betracht bleiben steuerliche Aspekte von PPP, die eventuell die einzelwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit von Maßnahmen sichern, ohne dass die Projekte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht entsprechende Vorzüge aufweisen. Wichtig ist, dass die Vorteilhaftigkeit von PPP immer unter dem Aspekt einer Lebenszyklusbetrachtung analysiert wird. Trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten wird versucht, die relevanten Kosteneffekte über die bei Infrastrukturprojekten in der Regel sehr lange Laufzeit abzubilden. Die wichtigsten hierbei zu betrachtenden Kostenarten sind:
Investitionskosten: Sie umfassen die Kosten für die Planung, Projektentwicklung, die Grunderwerbskosten und die eigentlichen Baumaßnahmen sowie sonstige Leistungen bis zur Übergabe des fertigen Objekts. Hier besteht die begründete Vermutung, dass insbesondere durch die enge Verzahnung von Projektierung, Planung und Erstellung in der Hand Privater Kosteneinsparungen realisiert werden können, während die öffentliche Hand infolge systemimmanenter Effizienzdefizite und methodischer Probleme der Projektbewertung dazu neigt, selbst volkswirtschaftlich unrentable Projekte zu implementieren (Ewers/Tegner 2000). Private Unternehmen, die sich ausschließlich über projektspezifische Einnahmen refinanzieren können, unterliegen hingegen einem starken Anreiz, nur Projekte mit einem positiven Nettokapitalwert zu realisieren (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 25). PPP sichern, wenn es sich nicht um reine Finanzierungsmodelle handelt, eine Integration dieser Aufgaben und eine optimale Planung und Ausführung auch in dynamischen Umwelten; dies ist umso bedeutender, als etwa 80% der gesamten Wegekosten bereits in der Planungsphase determiniert werden. Finanzierungskosten: Privaten wird allgemein die Fähigkeit zu einem effizienteren Finanzmanagement zugeschrieben, als es die öffentliche Hand zu leisten im Stande ist. Obgleich eine materielle Teilprivatisierung bis zu 49% generell möglich ist, muss die Vorteilhaftigkeit einer Privatfinanzie-
12 Vgl. zur Struktur von Vorteilhaftigkeitsanalysen Willms (1998).
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rung jedoch in Frage gestellt werden (Willms 1998).13 Zum einen kann die öffentliche Hand auf günstigere Konditionen bei der Aufnahme von Fremdkapital zurückgreifen, zum anderen ist der Ansatz von Eigenkapitalzinsen bei der öffentlichen Hand durchaus kritisch zu sehen (Aberle 2003), während die Erwirtschaftung von Eigenkapitalzinsen eine conditio sine qua non für die Attrahierung privaten Eigenkapitals darstellt. Hinzu kommt, dass infolge der bei Verkehrsinfrastrukturinvestitionen typischerweise anzutreffenden Cashflow-Struktur (hohe Anfangsauszahlung, geringe periodische Cashflows, lange Amortisationszeiten) und den damit verbundenen Unsicherheiten private Investoren anders als die öffentliche Hand Risikoaufschläge bei der Ermittlung der Kapitalkosten kalkulieren müssen (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005).14 Andererseits können Effizienzvorteile durch eine Privatfinanzierung realisiert werden, wenn der private Finanzier gleichzeitig in Planung, Bau und Betrieb sowie Vermarktung eingebunden ist (Homburg 2005: 163). Da die Kapitalkosten bzw. der Kapitalbedarf maßgeblich von der Effizienz der übrigen Wertschöpfungsstufen determiniert wird, ist zu vermuten, dass die Kostennachteile Privater bei der Finanzierung durch ihre Effizienzvorteile bei Planung, Bau und Betrieb kompensiert werden können. Hinzu kommt, dass der Kapitalbereitstellung durch private Akteure eine Haftungsfunktion zukommt, die den effizienten Ressourcenumgang fördert (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 17ff.). Hinsichtlich der Leistungsvergütung, der zweiten Finanzierungskomponente, besteht zudem die begründete Vermutung, dass (bei wirksamer Marktmachtregulierung) die Leistungsvermarktung durch private Akteure effizienter erfolgt als durch die öffentliche Hand und diese erhebliche Rückwirkungen auf die Effizienz der übrigen Wertschöpfungsstufen im Sinne eines insgesamt am Markt orientierten Infrastrukturangebots hat. Betriebs- und Unterhaltungskosten: Abzuschätzen sind zum einen die Bewirtschaftungskosten des PPP-Objekts sowie die Aufwendungen für Instandsetzung und Unterhaltung auf eine Betriebsdauer von 10-30 Jahren. Vorteile privatwirtschaftlicher Aktivitäten können vor allem in effizienteren
13 Willms zeigt in einer modelltheoretischen Untersuchung, dass die private (Vor-)Finanzierung unter den Bedingungen der Markttransparenz und unter Einbezug steuerlicher Effekte keine Vorteile gegenüber der öffentlichen Finanzierung aufweist. Erst unter der Voraussetzung, dass ein staatlicher Betreiber bzw. Finanzier keinerlei Steuern zahlt, könnte sie vorteilhaft sein. Allerdings läge die realisierbare Rendite bei 4-6%, was für private Investoren kaum hinreichend attraktiv sein dürfte. 14 Die öffentliche Hand erhebt keinen Risikozuschlag, weil sie mögliche Verluste über den Steuerzahler ausdiversifizieren kann.
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Organisationsmodellen für die Bewirtschaftung und Instandhaltung sowie in geringeren Personalkosten aufgrund von Branchenarbitrage liegen. Transaktions- und Risikokosten: Mit der Umsetzung eines Projekts in Form von PPP sind Transaktions- und Risikokosten verknüpft. Sie betreffen alle Phasen des Projekts bzw. der zugrunde liegenden Vertragsstrukturen von der Aushandlung und dem Abschluss der Kontrakte bis zur Abwicklung am Ende der Laufzeit. Neben den Risiken in der Planungs- und Bauphase, für die geeignete Risikoallokationsmodelle zu finden sind, sind insbesondere die ex post-Transaktionskosten im Hinblick auf die Risiken in der Nutzungsphase relevant, also vor allem die Frage der Auslastung oder unvorgesehener höherer Instandhaltungskosten. Hierzu zählen auch die Überwachungs- und Kontrollkosten (agency costs) für die beteiligten öffentlichen und privaten Institutionen, die wechselseitig jeweils einer Situation asymmetrischer Information bezüglich der Performance ihrer Partner ausgesetzt sind (Messprobleme). Wie bei den anderen Kostenkategorien geht es aber auch bei den Risiko- und Transaktionskosten um eine komparative Betrachtung, d.h. die Risiken der konventionellen Realisierung einer Infrastruktur sind in den Vergleich einzubeziehen. Diese wurden bisher im Regelfall nicht transparent gemacht, sind aber gleichwohl ökonomisch relevant.
Mit dem Aspekt der Risiko- und Transaktionskosten ist ein zentrales Problem der PPP-Modelle angesprochen (Thom/Ritz 2003). Zwar ist ein Wirtschaftlichkeitsvergleich immer einer Einzelfallbetrachtung vorbehalten, doch besteht aus ökonomischer Sicht Grund zu der „Mustervoraussage“, dass bei konventioneller Realisierung durch den Staat Kostensenkungspotentiale nicht ausgeschöpft werden. Die produktiven Effizienzvorteile der Einschaltung Privater werden bei PPP-Projekten in einer Größenordnung von 10-25% geschätzt (Ewers/Tegner 2000). Zudem ergeben sich Effizienzgewinne allein daraus, dass der Staat in seinem Beschaffungsverhalten von einer input- zu einer outputbezogenen Leistungsbeschreibung übergeht (Bundesverband deutscher Banken 2002).15 Häufig wird auch die frühere Verfügbarkeit der Infrastruktur im Vergleich zur staatlichen Bereitstellung als Quelle von Effizienzvorteilen genannt (Ewers/Tegner 2000). Dieses Argument vermag allerdings nicht vollends zu überzeugen, da der gleiche Effekt auch durch eine Umschichtung der staatlichen Ausgaben zuguns15 Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bedeutet dies etwa, dass statt einer detaillierten Leistungsbeschreibung für den Bau einer Straße ein Lastenheft für die Aufgabe „Aufrechterhaltung eines definierten Verkehrsflusses und Abwicklung erwarteter Verkehrsmengen“ erstellt wird. Der private Betreiber hat dann gewisse Freiheitsgerade hinsichtlich der Erstellung der Infrastruktur und der technischen Spezifikation.
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ten von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen erreicht werden könnte. Es handelt sich nicht um einen originären Vorteil privaten Engagements. Während die produktiven Effizienzvorteile von PPP in der Literatur quantifiziert werden (Kochendörfer/Jacob/Schönfelder 2000), liegen Schätzungen über die Höhe der Transaktions- und Risikokosten der Einbindung Privater im Regelfall nicht vor. Eine Quantifizierung derselben scheint auch aus grundsätzlichen methodischen Erwägungen problematisch. Daher besteht die Gefahr, dass produktive Effizienzvorteile durch höhere Transaktions- oder Agenturkosten kompensiert bzw. sogar überkompensiert werden, so dass PPP für die Gesellschaft insgesamt zum Zuschussgeschäft werden (Mühlenkamp 2004). Ein Schwerpunkt der Überlegungen zum Einsatz von PPP muss daher bei den Risikostrukturen und den Regeln zur Risikoallokation liegen, die unter Transaktionskostenaspekten bzw. im Zusammenhang mit der Leistungsvergütung unter agencytheoretischen Überlegungen zu optimieren sind (Shavell 1979). 3.3 Risikostrukturen von Private Public Partnership Risiken der Realisierung von PPP lassen sich anhand des Lebenszyklus des zugrunde liegenden Infrastrukturobjekts aufzeigen. Daher wird im Folgenden zwischen Risiken der Planungs-, der Bau- bzw. Erstellungs- sowie der Betriebund Verwertungsphase unterschieden (Kochendörfer/Jacob 2002). Die Risikoallokation sollte dem Grundsatz folgen, dass derjenige Partner ein Risiko trägt, der es auch verantwortet, d.h. die entsprechenden Möglichkeiten der Risikobeeinflussung und -kontrolle hat (Verursachungsprinzip). Für den Fall, dass sich ein Risiko nicht eindeutig der Einflusssphäre eines Beteiligten zuordnen lässt, sind geeignete Aufteilungsmodi heranzuziehen. Dabei spielt auch das Tragfähigkeitsprinzip eine Rolle, d.h. die Risikoübernahme durch den Partner, der dieses am kostengünstigsten übernehmen kann bzw. die höchste Belastbarkeit aufweist. Um aufwendige Verhandlungen und Streitigkeiten über die Risikoaufteilung in einer PPP zu vermindern bzw. zu vermeiden, sind Regelungen zur Risikoallokation ex ante zu vereinbaren. Die hieraus resultierenden höheren Transaktionskosten ex ante dürften aller Voraussicht nach durch niedrigere ex post-Transaktionskosten überkompensiert werden. Allerdings sind bei komplexen PPP-Projekten wie im Bereich der Verkehrsinfrastruktur nicht alle Risiken ex ante abseh- und alloziierbar, so dass häufig lediglich Regeln zur Behandlung von Risikoereignissen vorab vereinbart werden können (Tegner 2003). Diese sind unter der Maxime festzulegen und zu interpretieren, dass ein wechselseitiges Interesse am Fortbestand der Partnerschaft besteht. Schwierigkeiten bestehen derzeit noch hinsichtlich der Quantifizierung der Risiken, auch weil
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die Versicherungswirtschaft sich mit der Deckung entsprechender Risikopakete bisher stark zurückhält. Risiken in der Planungsphase treten in unterschiedlicher Form auf. Anzuführen sind z.B. Änderungswünsche von öffentlichem Auftraggeber oder Betreiber, deren Konsequenzen allerdings den jeweiligen Partnern relativ gut zugerechnet werden können. Eine gravierende Form der Störung der PPPBeziehung wäre die fehlerhafte Umsetzung des Planungsauftrags durch den privaten Auftragnehmer bis hin zum Scheitern des Planungskonzepts. Wenn sich beispielsweise die Ideen des privaten Betreibers überhaupt nicht bzw. nur zu wesentlich höheren Kosten realisieren lassen, wäre dieser zwar verantwortlich für die Übernahme der Konsequenzen; eine solche Risikoallokation kann jedoch auch kontraproduktiv sein, wenn hierdurch dessen wirtschaftliche Existenz und damit die Umsetzung des gesamten Projektes auf dem Spiel stehen. Andererseits würde eine zu umfassend definierte öffentliche Haftung für Eventualrisiken in der Planungsphase Anreize für opportunistisches Verhalten der Auftragnehmer setzen und die Anreizkompatibilität der Risikoallokation beeinträchtigen.16 Weniger problematisch wäre dagegen die Frage der Risikoaufteilung bei Änderung externer (z.B. gesetzlicher) Vorgaben für die Planung (z.B. höhere Umweltstandards, veränderte Regelungen im Hinblick auf die Trassierung). Hier kommt dem Staat eine eindeutige Verantwortung für die Folgen der Änderung von Rahmenbedingungen zu. Risiken während der Projektentwicklungs- und Bauphase mussten auch bisher bei konventioneller Realisierung eines Infrastrukturprojektes zwischen öffentlichen Auftraggebern und privaten Auftragnehmern aufgeteilt werden, da die öffentliche Hand bereits in der Vergangenheit Bauaufträge regelmäßig an private Unternehmen vergeben hat. Hier sind entsprechende Risikoallokationsverfahren eingeübt, die durchaus für eine Weiterentwicklung geeignet erscheinen (z.B. Einbeziehung von Sachverständigen, Konventionalstrafen). Risiken bestehen insbesondere in der Überschreitung von Zeit- und Kostenplänen für das Bauwerk oder fehlerhafter Bauausführung. Über entsprechende Konventionalstrafen oder hohe Eigenanteile bei Planüberschreitungen lassen sich Anreize für die Einhaltung der vereinbarten Planvorgaben setzen. Auch hinsichtlich der Projektfinanzierung besteht für die öffentliche Hand ein Risiko lediglich so lange, bis das Infrastrukturobjekt tatsächlich erstellt ist. Zudem dürfte im Rahmen des PPP zusätzlich ein Eigeninteresse des privaten Partners an zeit- und termingerechter Fertigstellung bzw. fehlerfreier Bauausführung wirksam werden. Bei Nichteinhaltung der vereinbarten Vorgaben wird 16 Dies gilt grundsätzlich auch für alle andere Phasen des Lebenszyklus der Infrastruktur.
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der Betreiber an der fristgerechten Inbetriebnahme der Infrastruktur gehindert; qualitative Mängel der Bauwerke mindern seine budgetierten zukünftigen Einnahmen aus Nutzerentgelten, so dass starke Anreize für ein vertragskonformes Verhalten bestehen. Der Einfluss höherer Gewalt oder unvorhersehbare Risiken z.B. infolge geologischer Probleme (Baugrundrisiko) sind dagegen jenseits im Einzelfall zu vereinbarender Schwellenwerte entsprechend dem Tragfähigkeitsprinzip von der öffentlichen Hand zu übernehmen. Relativ neu im Bereich der Verkehrsinfrastruktur ist dagegen die Diskussion um Risiken während der Betriebsphase. Der Staat als Planer und Betreiber von Infrastrukturprojekten musste sich traditionell keine Gedanken um die (optimale) Auslastung seiner Einrichtungen machen. Infrastrukturmaßnahmen wurden zudem oftmals jenseits ökonomischer Kalküle aus rein regional- oder militärpolitischen Erwägungen erstellt und waren damit einer Auslastungsoptimierung nicht zugänglich. Infrastrukturprojekte im Rahmen von PPP machen nunmehr ein Auslastungs- bzw. Nachfragerisiko explizit, insbesondere wenn sich der private Betreiber im Rahmen eines Konzessionsvertrages über direkte Benutzungsentgelte refinanziert oder vom staatlichen Partner eine nutzungs- bzw. erfolgsabhängige Vergütung erhält. Eine nutzungsabhängige Vergütung soll im Folgenden als Referenzsituation unterstellt werden. Für das nachfragebezogene Risiko sind verschiedene Einflussfaktoren verantwortlich, welche die Maßstäbe der Risikoallokation tangieren. So hängt die Risikoexposition zunächst davon ab, ob eine bereits bestehende Infrastruktur von einem privaten Konzessionär übernommen und ausgebaut wird oder ob eine Neubaumaßnahme realisiert werden soll. Während im ersten Fall die Verkehrsmengen und -strukturen sowie die Zahlungsbereitschaften der Nutzer relativ gut abschätzbar sind und daher dem Betreiber das Auslastungsrisiko ohne besondere Risikoprämie zugemutet werden kann, dürften bei einem Neubauprojekt, für das lediglich Prognoserechnungen vorliegen, zusätzliche Risiken auftreten, für die der private Betreiber eine Risikoprämie verlangen wird. Dies gilt insbesondere, wenn das PPP-Objekt als singulär mit Nutzergebühren bepreiste Anlage innerhalb eines ansonsten abgabenfreien Netzes eingebunden ist oder sogar im direkten Wettbewerb mit abgabenfreien alternativen Infrastrukturen steht. In diesem Fall erscheint eine Finanzierung ausschließlich über Benutzungsabgaben kaum durchführbar. Das generelle Betreiberrisiko für Verkehrsinfrastrukturanlagen hängt zunächst von der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und der hieraus abzuleitenden Verkehrsnachfrage ab. Angesichts der langfristigen Nutzung von Verkehrsinfrastrukturen sind auch Risiken im Hinblick auf die demographische Entwicklung in
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Deutschland einzubeziehen. Diese Risiken stellen typischerweise vom privaten Konzessionär zu tragende Risiken dar; dieser wird im Rahmen seiner Wirtschaftlichkeitsrechnungen entsprechende Sensitivitätsanalysen anstellen und über sein ökonomisches Instrumentarium versuchen, eine langfristige und gleichmäßig hohe Auslastung zu erreichen. Im Sinne eines effizienten Risikomanagements sollte ihm daher nach Möglichkeit zugestanden werden, über preispolitische Maßnahmen seine Nachfrage langfristig zu optimieren. Je nach Umfang der Substitutionskonkurrenz und der Verfügbarkeit alternativer Infrastrukturen eröffnen sich damit allerdings Möglichkeiten zur Ausnutzung monopolistischer Positionen und zum Ausbeutungsmissbrauch. Da aus allokativen Gründen Preisdifferenzierung zur Steuerung und Optimierung des Verkehrsflusses ausdrücklich erwünscht ist, sollte ein privater Infrastrukturbetreiber gegebenenfalls über eine Price-Cap-Regulierung diszipliniert werden (Knieps 2004). Die Nachfrage nach Verkehrsleistungen wird auf lange Sicht nicht nur von allgemeinen wirtschaftlichen, demographischen und verkehrsökonomischen Einflussfaktoren, sondern auch von verkehrspolitischen Rahmenbedingungen verschiedenster Art bestimmt. Es handelt sich dabei vor allem um infrastrukturpolitische und mobilitätspolitische Unsicherheiten (Tegner 2003).
Infrastrukturpolitische Unsicherheiten resultieren insbesondere aus der Zulassung von Konkurrenzbauten und der Nichteinhaltung von Komplementärzusagen. So wäre es denkbar, dass die öffentliche Hand während der Laufzeit des Konzessionsvertrages eine mautfreie Alternativstrecke baut, Störungen in komplementären (staatlichen) Netzteilen nicht behebt oder Zusagen im Hinblick auf komplementäre Infrastrukturen (Lückenschlüsse, Parkplätze, Verkehrssteuerungsanlagen etc.) nicht einhält. Mobilitätspolitische Risiken werden durch die Erhöhung, strukturelle Änderung oder Neueinführung verkehrsspezifischer Steuern verursacht. Neben der Besteuerung sind auch andere preispolitische und nichtpreisliche Maßnahmen vorstellbar, welche die Verkehrsnachfrage tangieren.
In beiden Fällen sind Regressmöglichkeiten der privaten PPP-Partner vorzusehen, falls Maßnahmen oder Unterlassungen der öffentlichen Hand die Nachfrage für das betreffende Projekt tangieren. Allerdings steckt hinter derartigen Ausgleichsmechanismen eine komplexe Problematik, denn eine Separation der verschiedenen Einflussfaktoren voneinander und von der eigentlichen Leistung der privaten Konzessionsinhaber ist nichttrivial. Die Betreiber der Infrastruktur werden im Hinblick auf die Wahrung ihrer Interessen versuchen, eine schlechte Auslastung oder andere Leistungsstörungen auf externe, von ihnen nicht beein-
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flussbare Faktoren zurückzuführen. Typischerweise bestehen aber zwischen öffentlichen und privaten Partnern Informationsasymmetrien, die für beide Seiten erhebliche Überwachungs- und Kontrollkosten (agency costs) verursachen. Sie sind auch durch regelgebundene Kompensationsverfahren (Tegner 2003) nicht vollständig zu internalisieren. Neben dem Nachfragerisiko treten beim privaten Betreiber einer Infrastruktur aber auch Risiken im Hinblick auf die Betriebsbereitschaft seiner Anlage und die hierdurch verursachten Betriebs- und Instandhaltungskosten auf. Diese sind zunächst ausschließlich unternehmerischer Natur und von den privaten Akteuren zu tragen. So dürfte die ständige Betriebsbereitschaft einer Anlage unternehmenspolitisches Ziel eines privaten Infrastrukturbetreibers sein, der sich über nutzungsabhängige Abgaben finanziert, denn ohne qualitativ angemessene Nutzungsmöglichkeiten fließen ihm keine ausreichenden Einnahmen zu.17 Fallen höhere Betriebs- und Instandhaltungskosten an als geplant, sollte ein unternehmerisch agierender Betreiber in der Lage sein, kreative Problemlösungen zur Kostensenkung zu finden, wie sie auch in anderen Wirtschaftsbereichen praktiziert werden. Damit besteht hinsichtlich des Risikos der Betriebsbereitschaft grundsätzlich Anreizkompatibilität, wobei gegen Ende der Konzessionslaufzeit durchaus auch dysfunktionale Anreize zur Vernachlässigung der Instandhaltungsaufgaben auftreten können, die im Zusammenhang mit den Risiken der Verwertung zu besprechen sind. Die bisherigen Überlegungen gelten allerdings nur für eine Konstellation, in der ein privater PPP-Konzessionär auch umfassend privatwirtschaftlich agieren kann, d.h. insbesondere preispolitischen Handlungsspielraum besitzt. Für den Fall, dass Höhe und Struktur der Benutzungsabgaben im Rahmen von Gebührenordnungen staatlich vorgegeben sind oder gar feste Einnahmengarantien bestehen, gestaltet sich die Anreizsituation anders. In diesem Kontext bestehen erhebliche incentives für den privaten Betreiber, Ausgaben für Instandhaltung und Erhaltung der Betriebsbereitschaft einzuschränken und seine Position zu Lasten der öffentlichen Hand zu verbessern, denn der öffentliche Partner ist aufgrund der Spezifität des Projekts an ihn gebunden und kann zudem die Leistungsqualität des Betreibers häufig nur schlecht einschätzen (asymmetrische Information). In diesem Fall müssten daher zusätzliche Regulierungsmechanismen hinsichtlich der Qualität der vom Infrastrukturbetreiber bereitgestellten Leistungen installiert werden. Ein Ansatzpunkt zur Vermeidung einer solchen Situation besteht in der Ver17 So dürfte ein privater Infrastrukturbetreiber, der sich ausschließlich aus nutzungsabhängigen Entgelten refinanziert, ein originäres Interesse daran haben, Nutzungseinschränkungen durch Baustellen und Störungen auf ein Minimum zu reduzieren, um Einnahmenverluste zu minimieren.
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einbarung einer erfolgs-, d.h. etwa nutzungsmengenabhängigen Vergütung des Betreibers (echte Schattenmaut). Eine solche echte Schattenmaut und zusätzliche interne qualitäts- und leistungsabhängige Bonus-/Malus-Regelungen beschränken wirksam den Opportunismus des Infrastrukturbetreibers hinsichtlich der Instandhaltung und der Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft. Risiken bestehen auch hinsichtlich der Verwertung der Infrastrukturobjekte. Die derzeit diskutierten PPP-Modelle sehen zumeist einen Heimfall der Anlagen an die öffentliche Hand zum Vertragsende vor. Damit bestehen Anreize für die privaten Betreiber, in den letzten Jahren die Aufwendungen für Instandhaltung und Pflege der Anlagen zu minimieren. Auch hier kann das opportunistische Verhalten durch geeignete vertragliche Regelungen wirksam beschränkt werden. Neben der Möglichkeit, in den letzten Jahren Teile des Betreiberentgelts als Sicherheit einzubehalten, wäre eine Versteigerung des Objekts nach Abschluss der Konzessionslaufzeit vorstellbar, an deren Erlös der seitherige Konzessionär beteiligt wird. 4. Public Private Partnership für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen Während sich PPP-Modelle im Ausland, insbesondere im angelsächsischen Raum, seit längerem in der Umsetzung befinden, und aus den Erfahrungen entsprechende Konsequenzen ableitbar sind (Pollitt 2000), werden Private Public Partnerships in Deutschland immer noch eher diskutiert als praktiziert. Allerdings ist seit geraumer Zeit ein vermehrtes Interesse an PPP-Lösungen zu beobachten, so dass für einige Anwendungsbereiche mittlerweile umfassende Machbarkeitsstudien und umsetzungsorientierte Kriterienkataloge erarbeitet wurden (Beratergruppe 2003). Für den Bereich der Verkehrsinfrastruktur ist jedoch zu konstatieren, dass entgegen den verkehrspolitischen Lippenbekenntnissen für mehr privates Kapital im Verkehrssektor qualifizierte PPP-Projekte bisher noch ein Schattendasein führen. Dies liegt sicherlich mit an den in Deutschland schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen für PPP (Bundesverband deutscher Banken 2004), auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll, und der generellen Trägheit hinsichtlich institutioneller Innovationen. Eine wichtige Rolle spielen aber auch empirische Aspekte bisherigen privaten Engagements im Verkehrsinfrastrukturbereich und die ökonomische Beurteilung der derzeit zur Diskussion stehenden PPP-Modelle.
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4.1 Erfahrungen mit privater Verkehrswegefinanzierung Die Erfahrungen mit privater Verkehrswegefinanzierung in Deutschland und Europa sind bisher ernüchternd und nicht unbedingt geeignet, den Mut für neue PPPModelle zu steigern. Beginnend mit den Problemen der Eurotunnel-Gesellschaft über die Schwierigkeiten der Øresundquerung und die Diskussion um das Projekt Warnow-Tunnel sind die praktischen Erfahrungen mit privat finanzierten Verkehrsinfrastrukturprojekten ernüchternd. So wurden bei dem 1994 eröffneten Eurotunnel zwischen Frankreich und Großbritannien sowohl die geplante Bauzeit als auch die Baukosten nicht eingehalten. Trotz Verbesserungen der operativen Situation in den letzten Jahren befindet sich die Eurotunnel-Gesellschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und eine Amortisation des investierten privaten Kapitals scheint auf absehbare Zeit unerreichbar. Auch beim Betrieb der Øresundquerung sind die Planzahlen für die Verkehrsnachfrage bisher nicht erreicht worden und die verbleibenden Risiken wurden – anders als bei PPP-Modellen intendiert – weitestgehend sozialisiert (Aberle 2005). Ein weiteres Beispiel für privatwirtschaftliches Engagement im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, das im weiteren Sinne als PPP zu qualifizieren ist, stellt die Privatisierung von British Rail und speziell von Railtrack dar. Hier ist der Privatisierungsansatz in Bezug auf die Infrastruktur gänzlich gescheitert – mit der Konsequenz einer Rückführung in den öffentlichen Sektor (Schnöbel 2005). Es stellt sich die Frage, welche Gründe für das Scheitern bzw. die Schwierigkeiten der Privatfinanzierungsprojekte verantwortlich sind. Ein bei allen Projekten zu beobachtendes Phänomen war die Unterschätzung der Baukosten des Projekts bzw. die Überschätzung der zu erwartenden Nachfrage. Derartige Probleme sind aber aus anderen Bereichen privat-öffentlicher Kooperation durchaus bekannt (Flyvbjerg/Holm/Buhl 2002). So kommt es häufig zu Kostenüberschreitungen bei Projekten für die öffentliche Hand, wenn die Beteiligten sich aufgrund der Spezifität des Projektes nach Abschluss der Verträge in einer Lock-inSituation befinden und Kosten- bzw. Nachfragerisiken primär zu Lasten der öffentlichen Hand gehend vereinbart wurden. Ein aktuelles Beispiel für die politökonomischen Risiken solcher exklusiven privat-öffentlichen Partnerschaften findet sich in Deutschland mit Toll Collect. Allerdings spielen hierbei auch industriepolitische Überlegungen im Hinblick auf die Förderung bestimmter innovativer Technologien eine Rolle. Ein wichtiges Problem bei zahlreichen Projekten besteht zudem in der primären Fokussierung auf die Einwerbung privaten Investitionskapitals, während die oben diskutierten gesamthaften Vorteile von PPPs nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Dies kann am Beispiel der in der Bundesrepublik Deutschland
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praktizierten so genannten „Konzessionsmodelle“ alten Typs aufgezeigt werden, die als reine Vorfinanzierungsmodelle wenig erfolgreich waren und die Idee der Privatfinanzierung bzw. der PPP bis heute erheblich diskreditieren. Die Gesamtsumme der über Vorfinanzierungsmodelle realisierten Verkehrsinfrastrukturprojekte in Deutschland beläuft sich auf 6,6 Mrd. Euro (Aberle 2003). Sie konnten zwar aufgrund der privaten Vorfinanzierung früher realisiert werden. Diesem Zeitvorteil stehen aber Nachteile in Gestalt deutlich höherer Gesamtausgaben für die öffentliche Hand gegenüber (Anlastung von Zinsen, Projektbearbeitungskosten, Gewinne der Beteiligten). Außerdem lagen sämtliche Risiken mit Ausnahme des Fertigstellungsrisikos weiterhin bei der öffentlichen Hand (Aberle 1995), und die aktuellen bzw. zukünftigen Investitionsbudgets werden durch die fixierten Rückzahlungsraten für diese Projekte auf Dauer eingeschränkt. Auch die im Rahmen der sog. F-Modelle diskutierten Infrastrukturprojekte haben die Begeisterung für PPP im Verkehrssektor nicht unbedingt geweckt. Die Schwierigkeiten lagen hier insbesondere in der Auswahl der Projekte, die dem engen Rahmen des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes von 1994 (FStrPrivFinG) und den dahinter stehenden europarechtlichen Rahmenbedingungen genügen müssen. Die einschlägige Wegekostenrichtlinie der EU und das FStrPrivFinG gestatten die Erhebung von Mautgebühren nur auf Brücken, Tunnels und Gebirgspässen im Zuge von Bundesautobahnen und Bundesstraßen sowie auf Bundesstraßen mit jeweils mehreren getrennten Richtungsfahrbahnen (Ewers/Tegner 2000). Damit sind sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für PPP-Projekte beschränkt, und aus der über Jahre diskutierten Liste von Betreibermodellen wurden bisher nur zwei Projekte umgesetzt (Warnowquerung Rostock und Travequerung Lübeck) (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 33f). Die Warnowquerung wurde im September 2003 in Betrieb genommen, kämpft aber mangels ausreichender Nachfrage mit erheblichen Schwierigkeiten (Gawel 2005). Laut Zeitungsberichten stand das Projekt gut ein Jahr nach der Fertigstellung bereits wieder vor dem Aus. Die Erlöse sind derzeit um ca. 75% hinter den veranschlagten Einnahmen zurückgeblieben, nicht zuletzt wegen der bestehenden Ausweichmöglichkeiten der potentiellen Nutzer (o. V. 2004). Einzelprojekte, die sich über Benutzungsabgaben finanzieren, bleiben innerhalb eines ansonsten abgabenfreien Infrastruktursystems stets Fremdkörper und dürften nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich zu betreiben sein. Hinzu kommen grundsätzliche Mängel der Regelungen des FStrPrivFinG, etwa im Hinblick auf die Allokation des Verkehrsmengenrisikos, der Berechnung der zulässigen Mauten und Hemmnisse aus politökonomischer Perspektive: Aus Sicht der Politik dürfte die Umstellung
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eines bisher „kostenlosen“ Systems auf Gebührenfinanzierung kaum zur Wählerstimmenmaximierung beitragen und wird daher kein prioritäres Vorhaben der Wirtschafts- und Verkehrspolitik darstellen (Gawel 2005). 4.2 A-Modelle als Ausweg aus der Krise? Einen Impuls für die Umsetzung von PPP in Deutschland erhofft man sich von den so genannten A-Modellen. Hierbei handelt es sich um Nutzungsüberlassungsmodelle, bei denen ein privates Unternehmen die Sanierung bzw. den mehrspurigen Ausbau, die Erhaltung und den Betrieb eines bestehenden (meist 40 bis 60 km langen) Abschnittes von Bundesautobahnen (BAB) über eine Laufzeit von meist 30 Jahren übernimmt und die Infrastruktureinrichtung anschließend in einem ex ante definierten Zustand an die öffentliche Hand zurückgibt (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 58, Fislage/Heymann 2003). Die Anwendung des A-Modells für Neubaumaßnahmen ist nur für Ausnahmefälle angedacht. Die Finanzierung des Ausbaus, der Erhaltung und des Betriebes erfolgt überwiegend mittels einer so genannten „Schattenmaut“. Die öffentliche Hand wird aus den Einnahmen der seit 01.01.05 erhobenen fahrleistungsabhängigen Autobahnbenutzungsgebühr für schwere Lkw die erforderlichen Finanzmittel an die privaten Betreiber transferieren. Hinzu kommt eine Anschubfinanzierung von maximal 50% des Investitionsvolumens, die einen Ausgleich für die derzeit mautfrei fahrenden Pkw und leichten Lkw darstellt. Während ursprünglich zwölf Projekte nach dem A-Modell angedacht waren, werden mittlerweile nur noch fünf Pilotprojekte verfolgt (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 43f.):
BAB A 8 zwischen der Anschlussstelle (AS) Augsburg West und der AS München/Allgäu. BAB A 4 zwischen der AS Waltershausen und der AS Herleshausen. BAB A 1 bzw. A 4 zwischen der AS Düren und dem Autobahnkreuz (AK) Köln-Nord. BAB A 1 zwischen dem Autobahndreieck Buchholz und dem AK Bremer Kreuz. BAB A 5 zwischen der AS Baden-Baden und der AS Offenburg.
Die bei den A-Modellen gewählte Konstruktion scheint auf den ersten Blick zumindest von der Finanzierungsseite her praktikabel. Da die Kosten für Ausbau, Betrieb und Unterhaltung aufgrund der Struktur der Projekte relativ valide prognostizierbar sind und die Einnahmenseite überschaubar ist, bleiben die Komplexität und die Risiken für die privaten Investoren beherrschbar. Detailprobleme bestehen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Konzessionsverträge und der
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Allokation der verbleibenden Risiken (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 45ff.). Zum Teil wird auch kritisiert, dass der Zuschnitt der Projekte die Ausnutzung von Skaleneffekten verhindert und damit die Generierung von Effizienzvorteilen privaten Betriebs erschwert (Fislage/Heymann 2003). Auf der anderen Seite wird bei den A-Modellen aber nur ein geringer Teil der PPP zugeschriebenen Kreativitätspotentiale genutzt. Die öffentliche Hand definiert weiterhin die Rahmendaten der Projekte, und es findet insbesondere keine Entgelterhebung direkt durch den Betreiber statt. Dieser hat beim AModell keinerlei Einfluss auf Mauthöhe und Mautstruktur. Außerdem findet keine Rückkopplung statt, da seine Performance bei Instandhaltung und Betrieb sich nicht direkt in den Einzahlungen aus den Nutzerentgelten widerspiegelt, sondern allenfalls in Bonus-Malus-Zahlungen, die aus der Spezifikation der Leistungsbeschreibung bzw. aus definierten Service Level Agreements abgeleitet werden. Aus politökonomischer Perspektive ist das A-Modell zudem mit der Gefahr verbunden, dass vor allem solche Projekte nach dem A-Modell realisiert werden, die für die öffentliche Hand langfristig mit Kostensteigerungen gegenüber der herkömmlichen Bereitstellungsmethode verbunden sind (Beckers/Hirschhausen/ Klatt 2005: 46f.). Dieser Fehlanreiz resultiert aus der mittels des A-Modells kurzfristigen Realisierbarkeit zahlreicher und umfangreicher Projekte und der Möglichkeit, diese als Beschäftigungsprogramme im Kampf um Wählerstimmen zu missbrauchen. Derzeitige Überlegungen, zwar die Anschubfinanzierung des Bundes, nicht jedoch die mautbasierte Vergütung des Betreibers auf die Länderquote anzurechnen, würde den Ländern die Möglichkeit eröffnen, durch die Anwendung des A-Modells ihre Länderquote partiell zu umgehen, um so zusätzliche Bundesmittel aus der Lkw-Maut zu erhalten. Alles in allem stellt sich die Frage, wo bei diesem Modell die entscheidenden Effizienzvorteile der Einbeziehung Privater liegen. Wenn weiterhin Kreativitätspotentiale privater Akteure hinsichtlich einer integrativen Planung nicht genutzt werden und eine Rückkopplung über den Preismechanismus nicht erfolgt, handelt es sich lediglich um eine Auslagerung staatlicher Leistungen, bei der Arbitrageeffekte und Organisationsvorteile im Betrieb den erheblichen Transaktions- und Agency-Kosteneffekte gegenüberzustellen sind. Zu beachten ist in diesem Kontext auch, dass Private deutlich höhere Risikoprämien für die Übernahme allfälliger Projektrisiken verlangen (müssen).
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4.3
Funktionsbauvertrag – Ansatzpunkt für erfolgreiche PPP-Modelle im Fernstraßensektor? Beim Funktionsbauvertrag übernimmt ein Privater den Neubau oder die Sanierung eines 10-12 km langen BAB-Abschnitts entsprechend staatlich definierter funktionaler Anforderungen für einen Zeitraum von 15-30 Jahren, wobei der Leistungsvertrag bei vollständiger Entlohnung des Privaten „vorzeitig“ beendet wird, d.h. sobald eine ex ante definierte Zahl tonnenäquivalenter Achsübergänge erreicht ist. Nach Abschluss der Baumaßnahmen erfolgt eine Übergabeinspektion sowie während der Erhaltungsphase die Kontrolle der Einhaltung der funktionalen Anforderungen in Intervallen von 3 Jahren (die so genannte Funktionsinspektion). Eine Abnahmeinspektion am Ende der Vertragslaufzeit überprüft die Einhaltung des vereinbarten Anlagenzustands bei der Übergabe des Infrastrukturobjekts. Funktionsbauverträge umfassen insgesamt drei Aufgabenkomponenten (Kappel 2003: 263ff.): (1) Vorleistungen, die nicht zum gebundenen Oberbau der Straße gehören (Baustelleneinrichtung, Verkehrsführung, Markierungsarbeiten, Erd- und Entwässerungsarbeiten, Brücken- und Bauwerkssanierung sowie die Arbeiten an der Frostschutzschicht). (2) Errichtung des gebundenen Oberbaus entsprechend der funktionalen Anforderungen hinsichtlich Längs- und Querebenheit, Griffigkeit und Rissfestigkeit, wobei innerhalb der Ausschreibung eine Referenzbauweise mit Mengenansätzen vorgegeben wird, die jedoch nicht bindend ist, sofern die Bieter Gleichwertigkeit der von ihnen angebotenen Bauweise nachweisen können. (3) Erhaltung der vertraglich fixierten Funktionsbauleistung während der Vertragslaufzeit. Der erste Aufgabenteil wird auf Basis von Einheitspreisen entlohnt, während bei den anderen Leistungsteilen Festpreise zugrunde liegen. Die Bieter geben für die Aufgabenkomponenten differenzierte Angebote ab. Die Vergütung der ersten Aufgabenkomponente erfolgt wie beim reinen Bauvertrag. Das Aufgabengebiet (2) wird zu 90% nach Fertigstellung und zu 10% nach der Übergabeinspektion vergütet, so dass die Finanzierungsfunktion beim Staat verbleibt. Zur Entlohnung des Aufgabenteils (3) bildet die öffentliche Hand aus den Angeboten der Bieter für diesen Aufgabenteil Annuitäten und zahlt nach jeder Funktionsinspektion die bis dahin kumulierten Annuitäten unabhängig von den
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tatsächlich getätigten Erhaltungsmaßnahmen aus. Von den Auszahlungsbeträgen während des Erhaltungszeitraums können sog. Nutzungsausfallkosten abgezogen werden, die bei Verkehrsbeeinträchtigungen aufgrund von Erhaltungsmaßnahmen fällig werden (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 49f.). Bislang fand der Funktionsbauvertrag bei zwei Pilotprojekten, der BAB A 61 zwischen dem AK Koblenz und der AS Kruft sowie der BAB 81 zwischen den AS Oberndorf und Rottweil, Anwendung (Kappel 2003: 263ff.). Ein Vorteil des Funktionsbauvertrags gegenüber dem A-Modell liegt darin, dass für die Länder keine Fehlanreize bei der Wahl der kostengünstigsten Realisierungsalternative bestehen. Grundsätzlich positiv zu bewerten ist zudem, dass sich die Vergütung des Privaten an Verfügbarkeitszeiten orientiert und das Risiko steigender Erhaltungskosten augrund höherer Verkehrsmengen durch die „vorzeitige“ Vertragsbeendigung dem Privaten auf eine anreizkompatible Weise abgenommen wird. Allerdings fehlen bislang konkrete Regelungen einer vorzeitigen Beendigung des Vertrags oder für Eingriffe während der Vertragslaufzeit. Problematisch ist zudem, dass der Staat nicht hinreichend gegen Schlechtleistungen des Betreibers geschützt ist, da die Vergütung des Betreibers frühzeitig erfolgt und kein privates Kapital als Haftungsmasse vorgehalten wird. Zudem wird grundsätzlich auf Bürgschaften nach Abnahme der Bauleistung verzichtet. Dieses Problem könnte durch die Abgabe strategischer Gebote verstärkt werden: Für private Unternehmen resultiert aus der Vergütungsstruktur ein Anreiz, im Rahmen der Angebotserstellung Kosten für die dritte Aufgabenkomponente in die Aufgabenkomplexe (1) und (2) zu verlagern, weil die Strafen bei Verstößen in den ersten beiden Aufgabenteilen fix sind, während sie im dritten Leistungsteil abhängig von der Angebotssumme berechnet werden. Die Virulenz dieser Gefahr wird durch die bisherigen Erfahrungen untermauert (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 52ff.). Kritisiert werden muss zudem, dass der Betriebsdienst nicht Gegenstand derartiger PPP-Modelle ist. Zwar erlaubt dies geringe Losgrößen gegenüber dem A-Modell, was einen intensiveren Ausschreibungswettbewerb verspricht; allerdings werden die Effizienzpotentiale Privater nicht vollständig ausgeschöpft. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der privaten Entgelterhebung und der staatlichen Projektdefinition. Wenngleich Effizienzpotentiale im Sinne der integrativen Planung und Vermarktung durch Private damit wie im A-Modell unerschlossen bleiben, bescheinigen neuere Studien dem Funktionsbauvertrag, als Basis für erfolgreiche PPPModelle im Fernstraßensektor dienen zu können (Beckers/Hirschhausen/Klatt 2005: 57). Gleichzeitig fordern sie jedoch weitere Konkretisierungen hinsichtlich der Gestaltung zentraler Parameter ein (Vergütungsregeln, Risikoallokation,
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Restwertbehandlung, Vergabeverfahren, Einbeziehung des Betriebsdienstes, Schutz der öffentlichen Hand vor Schlechtleistung), so dass Funktionsbauverträge als zumindest noch unausgereift zu beurteilen sind. 5.
Fazit: Anforderungen an zukunftsweisende Public Private Partnership im Verkehr Die Möglichkeiten einer privaten Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur werden in Deutschland durch den verfassungsrechtlichen Rahmen sowie durch die allokationstheoretischen Besonderheiten von Infrastrukturgütern restringiert. Dies betrifft insbesondere die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zur Berücksichtigung militärstrategischer und distributiver Aspekte, zur Regulierung monopolistischer Machtpositionen, zur Internalisierung externer Effekte sowie das materielle Eigentum an der Verkehrsinfrastruktur. Obgleich die genannten Restriktionen keinesfalls den Verzicht auf marktlichwettbewerbliche Bereitstellungsformen rechtfertigen, besteht ein grundsätzlicher Konsens darüber, dass die Leitlinien der Verkehrsinfrastrukturpolitik auch in Zukunft in staatlicher Hand verbleiben werden. Gerade aus einer politökonomischen Perspektive ist damit nachvollziehbar, dass die öffentliche Verwaltung und die Politik nur bedingt bereit sind, Einfluss und Entscheidungsmöglichkeiten an Private abzugeben, womit die entscheidenden Kreativitäts- und Innovationspotentiale nicht bzw. nur sehr schwer ausgeschöpft werden können. Dies zeigte sich bereits in der Vergangenheit an der eher zögerlichen Haltung der „reicheren“ Bundesländer gegenüber dem Thema Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur. Es muss daher die Frage gestellt werden, ob die im Ausland gemachten Erfahrungen mit der Beteiligung Privater, welche Effizienzgewinne von bis zu 25% versprechen, auf die Situation in Deutschland und speziell den Verkehrsinfrastruktursektor übertragbar sind. Die institutionellen Rahmenbedingungen im deutschen Verkehrssektor lassen nicht erkennen, wie die öffentliche Hand den erforderlichen Mentalitätswechsel vom (paternalistischen) Produzenten und Bereitsteller der Infrastruktur zum Nachfrager bzw. Partner in einer PPP realisieren will. Notwendig wäre ein drastischer Strategie-, Struktur- und Kulturwandel im öffentlichen Sektor (Thom/Ritz 2003), der derzeit nicht absehbar ist. Eine weitergehende Verbreitung von PPP bei der Bereitstellung von Verkehrsinfrastrukturen muss die spezifischen Einsatzbedingungen im Verkehrssektor beachten und für die Gesellschaft insgesamt klare ökonomische Vorteile bringen. So kann der Verweis allein auf das Finanzierungsargument nicht überzeugen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass z.B. die Nettoausgaben aller Ge-
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bietskörperschaften für den Straßenverkehr im Jahre 2003 bei ca. 17,5 Mrd. Euro lagen, während die Einnahmen aus verkehrsspezifischen Steuern und Abgaben (Mineralöl- und Kfz-Steuer) über 44 Mrd. Euro ausmachten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zukunftsfähige PPPLösungen auf projektspezifische Benutzungsabgaben angewiesen sind, deren Erhebung möglicherweise in einem Kompensationszusammenhang zu verkehrsspezifischen Steuern steht. Zukunftsorientierte PPP für Verkehrsinfrastruktur sollten daher so spezifiziert werden, dass vor allem die kreativen Ideen und die Organisations- und Prozesskompetenz der privaten Betreiber genutzt werden. Ihnen sollte zudem die Möglichkeit zu einer relativ eigenständigen Festlegung der Nutzerentgelte geboten werden, damit eine Rückkopplung ihrer Performance über die Zahlungsbereitschaften der Nutzer erfolgt. Andererseits bleibt eine Regulierung der Preissysteme unverzichtbar, wenn PPP-Infrastrukturen in Verkehrssystemen den Charakter monopolistischer Engpässe annehmen. In jedem Fall sind leistungs- und qualitätsbezogene Vergütungsmodelle wie z.B. „echte Schattenmauten“ oder Bonus-/MalusRegeln zu etablieren. Ziel einer marktgerechten Infrastrukturpolitik bleibt die stärkere Orientierung an den Wünschen der Nachfrager und deren Versorgung mit kostengünstiger Mobilität (Ewers/Tegner 2000) – allerdings zeigen sich hier bei genauerer Betrachtung Zielkonflikte mit anderen aktuellen verkehrspolitischen Zielen („Vermeiden, Verlagern, Verteuern“ von Verkehr). Ein zentrales Erfolgskriterium für PPP ist – entgegen der Suggestion des PPP-Begriffs – das Handling der Transaktionskosten und agency costs. Transaktionskosten fallen ex ante bei der Spezifikation von Leistungsbeschreibungen, für Ausschreibungen und vertragliche Arrangements verschiedenster Art sowie bei der Definition von Service Level Agreements für das Risikomanagement an (Servicekriterien, Messverfahren und -methoden, Separation von Randbedingungen). Hinzu kommen ex post-Transaktionskosten im Hinblick auf die tatsächliche Umsetzung der Verträge und Allokation der Risiken; in diesem Kontext spielen die Kosten der Überwachung und Kontrolle der Partner (agency costs) eine zentrale Rolle. Diese sind bei der Kalkulation der wirtschaftlichen Vorteile von PPP einzubeziehen, auch wenn die Quantifizierung derzeit noch eine große Herausforderung bedeutet. Die Konfiguration des Risikomanagements und die Ableitung adäquater Regeln zum Risikotransfer bleiben die zentralen Aufgaben bei der Etablierung neuer, intelligenter PPP-Modelle. Ohne Fortschritte in dieser Hinsicht werden Public Private Partnerships für die Verkehrsinfrastruktur auch weiterhin ein Schattendasein führen.
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Geldpolitik und Öffentlichkeit – Anmerkungen zur Kommunikationsstrategie der Europäischen Zentralbank
Barbara Drexler 1. Einleitung In folgendem Aufsatz soll herausgearbeitet werden, was auf dem Feld der Geldpolitik unter dem Begriff Öffentlichkeit verstanden wird und warum im europäischen Zentralbankwesen dem kohärenten, systematischen Umgang mit Öffentlichkeit eine strategische Komponente beigemessen wurde, wird und auch in Zukunft werden sollte. Die Geldpolitik unterscheidet das Öffentliche vom Privaten anhand von Information. Bei rationalen Erwartungen ergibt sich aus dieser Abgrenzung eine enge Verzweigung zwischen der Zielfunktion einer Zentralbank und ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Insofern der Öffentlichkeit ein homogener, der Zentralbank unterlegener, Informationsstand attestiert wird, lässt sich ableiten, dass die jeweilige Kommunikationsstrategie einer Zentralbank einzig von ihrer jeweiligen geldpolitischen Konzeption determiniert wird. Der erste Teil des Aufsatzes leitet die Relevanz geldpolitisch strategischer Kommunikation theoretisch her. Daran anschließend werden anhand von Deutschland und Frankreich zwei empirische Beispiele für geldpolitische Kommunikationsmodelle in Europa näher beleuchtet. Im Vordergrund steht die Beobachtung, dass geldpolitische Öffentlichkeitsarbeit auf nationale institutionelle Besonderheiten reagiert. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt als die Bundesbank und die Banque de France 1999 in das System Europäischer Zentralbanken eingingen, waren sie in nationale Informationsnetzwerke eingebettet. Daraus ergibt sich, drittens, die Frage nach den Auswirkungen institutionellen Wandels auf die geldpolitische Kommunikation in Europa. Bestehen die nationalen Kommunikationsmodelle fort oder konvergieren sie zu einem einheitlich europäischen, gänzlich entnationalisierten, Modell? Für Konvergenz plädieren die optimistischen europäischen Integrationstheoretiker (McNamara 1998, Moravcsik 1998, Dyson 2000b), die Anhänger der reinen neoklassischen Ökonomie und aus dem Feld der Soziologen, die Verfechter der These der epistemic communities (Verdun 1999). Die Institutionsökonomie (Franzese 1997, Hall 1998, Hancke 2003) und auch die Wissenssoziologie (Hegmann 2002a, Hegmann 2002b) erwarten wahrnehmbare nationale Pfadab-
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hängigkeiten im europäischen Kommunikationsmodell. Entspricht die derzeit von der EZB praktizierte Kommunikationspolitik dem kleinsten gemeinsamen Nenner unter all dieser nationalen Divergenz? Oder lässt sich die Handhabung von Öffentlichkeit als das Produkt verhandelter nationaler Kommunikationsmodelle, deren spezifische Ausgestaltung die Machtverhältnisse in der europäischen Geldpolitik spiegelt, auffassen? Ist gar ein clash of monetary civilisations vorprogrammiert? Welche Rückschlüsse lassen sich für eine zukünftige State of the Art-Kommunikationsstrategie der EZB schließen? 2. Die strategische Komponente von Kommunikation in der Geldpolitik Auf dem Feld der Geldpolitik wird die Sphäre des Privaten von der Sphäre des Öffentlichen anhand des Kriteriums Information unterschieden. In den Standardmodellen, etwa bei Barro und Gordon (Barro/Gordon 1983) oder auch bei Cukierman und Meltzer (Cukierman/Meltzer 1986), wird Geldpolitik als eine Art Zwei-Personen-Informationsspiel skizziert. Die Zentralbank verfügt über mindestens genauso viel geldpolitisch potentiell relevanter Information wie ihr Mitspieler, die Öffentlichkeit. Der Öffentlichkeit, negativ definiert als das Set von allen Nicht-Notenbankern, wird ein homogener Informationsstand attestiert (Walsh 1999). Die informative Überlegenheit der Notenbanker gegenüber der Öffentlichkeit, lässt sich zum einen auf den offensichtlichen Umstand zurückführen, dass nur die Notenbank selbst ihre eigene Strategie kennt. Zum anderen gelten Notenbanken als über geldpolitisch potentiell relevante Information besser informiert als die Öffentlichkeit, weil ihre personellen, zeitlichen und vor allem finanziellen Monitoring-Ressourcen denen der Öffentlichkeit im Durchschnitt weit überlegen sind. Die asymmetrische Verteilung von Information ermächtigt die Zentralbank darüber zu entscheiden, ob und auf welche Art und Weise sie ihrem Mitspieler Öffentlichkeit Informationen mitteilt, verschweigt oder auch verzerrt. Bei rationalen Erwartungen (Muth 1961) gewinnt die Handhabung von Information damit eine strategische Komponente. Menschen handeln gemäß ihrer Erwartungen. Erwartungen werden unter zu Hilfenahme aller zur Verfügung stehenden Informationen gebildet. Indem Zentralbanken ihren informativen Vorsprung gegenüber der Öffentlichkeit vergrößern (lügen), verkleinern (private Information mitteilen) oder konstant halten (schweigen) können sie den Erwartungsbildungsprozess beeinflussen und damit indirekt das Verhalten der Öffentlichkeit kanalisieren.
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Kommunikationstheoretisch lässt sich die Annahme, Information sei – gleich einer Einbahnstraße – nur in eine Richtung zu übermitteln am besten anhand der Sender-Empfänger Kategorisierung nach Shannon und Weaver (Shannon/Weaver 1949) darstellen. Die Zentralbank, der informativ überlegene Akteur, verkörpert den Sender. Die Öffentlichkeit, der informativ unterlegene Akteur, übernimmt den Part des Empfängers. Insofern Homogenität des Informationsstandes der Öffentlichkeit, also Homogenität der Empfänger, unterstellt wird, sind die Botschaften, die der Sender Zentralbank dem Empfänger Öffentlichkeit zukommen lässt, allein von der Zielfunktion des Senders abhängig. Nach dieser Auffassung kommunizieren interventionistische Zentralbanken gänzlich anders als stabilitätsorientierte, weil sie den Erwartungsbildungsprozess ihrer jeweiligen Öffentlichkeit in unterschiedliche Richtungen lenken wollen. Die Öffentlichkeit allerdings wird als exogen gegebene konstante Variable erachtet. Die Zentralbank emittiert Information allein im Sinne ihrer partikularen geldpolitischen Konzeption, ohne dabei die Botschaften empfängergerecht verpacken zu müssen. Zur Kodierung der strategisch selektierten Information stehen Zentralbanken mehrere kommunikative Instrumente zu Verfügung. Eine der offensichtlichsten Methoden private Informationen zur Verfügung zu stellen, besteht in der Festlegung eines konkreten Leitzinssatzes. Damit enthüllt die Zentralbank, zumindest zum Zeitpunkt des Zinsentscheides, der Öffentlichkeit ihre Strategie. In einer Welt ohne Rigiditäten wäre jede weitere Informationsleistung darüber hinaus gänzlich unnötig. Jedoch können sich nur die wenigsten Wirtschaftssubjekte in der realen Welt mechanistisch und mit sofortiger Wirkung auf neue Zinssätze einstellen. Löhne, zum Beispiel, aber auch viele größere Investitionsvorhaben, sind vertraglich verankerten Rigiditäten unterworfen. Die zeitliche Diskrepanz zwischen zinspolitischer Maßnahme und öffentlicher Reaktion kann durch die Bereitstellung von zusätzlicher Information begrenzt werden. Die Zentralbank lässt sich bezüglich der zu antizipierenden Zinsentscheidungen in die Karten blicken. Zusätzlich können durch glaubwürdige Zentralbankkommunikation auch unnötige volkswirtschaftliche Kosten vermieden werden. Ein gutes Beispiel für stabilitätsorientiertes Verhalten sind moderate Lohnabschlüsse. Gelingt es einer Zentralbank den Erwartungsbildungsprozess der Tarifparteien dahingehend zu beeinflussen, dass sie Preiswertstabilität erwarten, sinkt die Wahrscheinlichkeit exzessiver Lohnanforderungen. Gewerkschaften, die eine niedrige Inflationsrate erwarten, müssen nicht fürchten, nominale Lohnsteigerungen würden real durch ein steigendes Preisniveau erodiert. Das „weiche“ Instrument Kommunikation ergänzt das „harte“ der eigentlichen Zinssetzung. Zur Kodierung der strategisch zu übermittelnden Information können Geldpolitiker, neben der „harten“ Festlegung
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des Leitzinssatzes von folgenden „weichen“ Instrumenten Gebrauch machen: Sie können sich mündlich in Form von Presseerklärungen oder Interviews äußern; oder auch schriftliche Dokumente wie etwa Monats-, Jahres oder Quartalsberichte publizieren. Öffentlichkeitsarbeit wird zum Governance-Instrument – communication matters (Schmidt 2001: 247). 3.
Ein institutionsökonomischer Blick auf traditionelle nationale geldpolitische Kommunikationsmodelle in Europa Entgegen der theoretischen Annahme, die Kommunikationsstrategie einer Zentralbank sei einzig und allein der geldpolitischen Strategie unterworfen, lässt sich die empirische Beobachtung formulieren, dass sich die Zentralbankkommunikation in Europa an den nationalen institutionellen Besonderheiten eines Landes orientierte. Zumindest bis zur endgültigen Einführung der Währungsunion 1999 fanden die Informationsspiele zwischen den nationalen Notenbanken und den verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten nicht in starrer Sender-Empfänger Form statt, sondern in nationalen Informationsnetzwerken. Die folgenden Beispiele der Kommunikationsstrategien der Banque de France innerhalb eines französischen Informationsnetzwerks und der Kommunikationsstrategie der Bundesbank innerhalb eines deutschen Informationsnetzwerks setzen heterogene Empfänger und informatives Feedback für erfolgreiche Geldpolitik voraus. Geldpolitische Kommunikation ist nicht allein der geldpolitischen Konzeption untergeordnet, sondern wird von den national institutionellen Eigenschaften einer heterogen informierten und informierenden Öffentlichkeit determiniert. 3.1. Deutsche Bundesbank Die geldpolitische Konzeption der Bundesbank wird im Allgemeinen als traditionell stabilitätsorientiert beschrieben (Disch 1995). Basierend auf der Kernidee des Monetarismus – Inflation sei (langfristig) immer ein monetäres Phänomen – versuchte die Bundesbank Geldentwertung anhand von Geldmengensteuerung entgegenzuwirken. In erstaunlichem Konsens wird der Bundesbank zu Gute gehalten, sie hätte es wie keine andere Zentralbank geschafft, über Jahre für niedrige Inflationsraten zu sorgen, ohne dabei das wirtschaftliche Gesamtwachstum einzudämmen (Marsh 1992, Lohmann 1994, Lightfoot 1999, Hegmann 2002b). Die meisten Beobachter begründen die Erfolge der Bundesbank in ihrer institutionellen Unabhängigkeit on der deutschen Regierung (Hadri 1998, Rehm 1999). Im OECD-Vergleich lässt sich allerdings nicht empirisch belegen, dass institutionelle Unabhängigkeit tatsächlich eine notwendige Voraussetzung für
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geldpolitischen Erfolg darstellt (Bofinger 1996, Blinder 2000, Blinder 2001). „Independence may be neither necessary nor sufficient for low inflation“ (Cukierman 1992: 382). Die überragende Glaubwürdigkeit der Bundesbank bleibt nichtsdestotrotz weithin unhinterfragt. Eine plausible alternative Erklärung dafür könnte in der sehr differenzierten Kommunikationsstrategie der Bundesbank liegen. Alan Blinders richtungweisende quantitative Befragung von einem mehr als 500 Personen umfassenden Set von Zentralbankern, Journalisten und Wissenschaftlern kam zu dem Ergebnis, dass sowohl die Mehrzahl der befragten Akademiker als auch die meisten Praktiker geldpolitischen Erfolg auf Glaubwürdigkeit zurückführen. Dabei wurde Glaubwürdigkeit von der überragenden Mehrheit der Befragten als matching deeds to words (Blinder 2000) definiert. Implizit wird in dieser Aussage der Relevanz geldpolitischer Kommunikation Tribut gezollt. Die Kommunikation der Bundesbank richtet sich im Groben an zwei Empfängertypen, die breite Öffentlichkeit und verschiedene Segmente der Eliten. Für letzteres wird stellvertretend der Empfänger Tarifparteien herausgegriffen. Wie sich zeigen wird, variieren die übermittelten Botschaften sehr. Auf den ersten Blick scheint die Kommunikationsstrategie der Bundesbank gegenüber dem Empfängertyp „Breite Öffentlichkeit“ tatsächlich lediglich ihrer partikularen, sprich der monetaristischen, geldpolitischen Strategie untergeordnet. Die Bundesbank versucht der Bevölkerung die Quantitätsformel nahe zu bringen. Die kommunikativen Mittel, derer sich die Bundesbank allerdings bedient, ließen sich nicht einem beliebigen anderen Land replizieren. Außerdem nutzt die Bundesbank die monetaristische Prämisse der Segregation der realen von der monetären Sphäre zu ihrem machtpolitischen Nutzen. Das Bekenntnis zur Quantitätsformel schützt vor den Versuchen politischer Einflussnahme. Die Quantitätsgleichung ist eine Tautologie. Bei gegebener Geldmenge und gegebenem nominalen Sozialprodukt ergibt sich statistisch immer eine Umlaufgeschwindigkeit, welche die Quantitätsgleichung erfüllt. Wenn Yr das reale Sozialprodukt, P für das Preisniveau, M für die nominale Geldmenge und v für die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stehen, dann ergibt sich: M v = P Yr Da Yr und v als gegeben betrachtet werden, können Änderungen in P und M in kausalen Zusammenhang zusammengebracht werden. Alle Varianten des neoklassischen Paradigmas gehen letztendlich davon aus, dass dabei die „Geldmenge das Preisniveau determiniert“ (Heine 2004: 85). Diese Beziehung verdeutlicht sich, wenn die Gleichung nach der abhängigen Variable P umgestellt wird:
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P = v/Yr * M Da v und Yr exogen gegeben sind, hat nur ¨M Einfluss auf P. Die Bundesbank reguliert das Geldmengenwachstum ¨M. Im einfachsten Falle, indem sie mehr, bzw. weniger, Geldscheine druckt als im Vorjahr. Die Quantitätsformel besagt deutlich, dass diejenige Instanz, welche ¨M kontrolliert, ¨P steuert; dass aber die reale von der monetären Sphäre insofern getrennt ist, als Ĺ ¨M keinerlei Einfluss auf Yr, das Wirtschaftswachstum hat. Die Friedmann’schen Parabel des Hubschraubers personifiziert die analytische Segregation der beiden Sphären. Friedmann skizziert das Bild eines Hubschraubers, der eines Nachts über die Felder fliegt und im Gießkannenprinzip Geld über den Feldern (ŨM) abwirft. Da aber plötzlich alle Bauern mehr Geld zur Verfügung haben als die Nacht zuvor, können sie sich nicht – wie fälschlich angenommen – mehr von ihrem Geld kaufen als am Tag zuvor. Sie müssen lediglich mehr dafür bezahlen. Ein Mehr an Geldscheinen macht Geld weniger knapp. Nur knappes Geld ist wertvoll, ansonsten verliert es, wie beispielsweise die Erfahrung mit de facto wertloser „Scheinwährung“ in den sozialistischen Länder Europas gezeigt hat (Barr 1994, Collignon 1997), seine Signalfunktion als vertrauenswürdiges Tauschmittel. Der Hubschrauber hat keinen Reichtum beschert, sondern Inflation. Aus Sicht der Bundesbank ist es doppelt vorteilhaft, der Allgemeinheit die Botschaft „Quantitätsformel“ zu übermitteln. Zum einen, um Erwartungsbildung gemäß der (stabilitätsorientierten) geldpolitischen Strategie der Bundesbank zu kanalisieren. Eine Bevölkerung, die sich in ihrer Erwartungsbildung an der Quantitätsformel orientiert, und die der Zentralbank ihre stabilitätsorientierte Gesinnung glaubt, wird Geld als wertvoll ansehen. Wie in der Bundesrepublik geschehen, kann sich dies positiv auf das langfristige Sparverhalten der Gesellschaft auswirken. In geschlossenen Volkswirtschaften wird eine hohe Sparquote als Voraussetzung für Investitionen und für wirtschaftliches Wachstum interpretiert. Zum anderen etabliert die Quantitätsformel die Macht der Zentralbank als alleinige Herrin über Inflation. Nur wenn der Allgemeinheit vor Augen geführt werden kann, dass Ĺ ¨M keine realwirtschaftlichen Effekte erzielt, sondern nur sinnlos inflationäre Entwicklungen ¨P schürt, ist zu rechtfertigen, dass die Zentralbank in konjunkturellen Krisen nicht extra Geldscheine druckt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Auch heute noch stoßen die Versuche von Politikern, Einfluss auf die Entscheidungen der Bundesbank zu nehmen, auf allgemeine Kritik. Jüngstes Beispiel ist Finanzminister Peer Steinbrücks Versuch die Bundesbank zu nötigen, einen Teil der Goldreserven in Forschung und Bildung zu investieren. Die Effektivität der Botschaft „Quantitätstheorie“ wird durch eine spezifisch deutsche Eigenschaft des Empfängertyps Breite Öffentlichkeit gesteigert. Die
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historische Erfahrung mit Inflation und vor allem die Art und Weise, in der sie sich im kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesellschaft eingeprägt hat (Hegmann 2002a: 50), erhöht in den Augen der deutschen Allgemeinheit die Relevanz von Inflationsbekämpfung. Die Hyperinflation des Jahres 1923 erinnert viele Deutsche an eine Reihe per se „schlechter Dinge“: das Ende der kurzlebigen demokratischen Weimarer Republik, Massenarbeitslosigkeit, die Machtübernahme Hitlers, wertlos gewordene Sparbücher, Entlohnungen auf Tagesbasis und Brot für zwei Millionen Reichsmark. Richter konstatiert, dass die deutsche Öffentlichkeit nach dem 2. Weltkrieg „eindeutig eine stabile Währung wollte“ (Richter 1998: 597). Deutschen Schülern wird auch heute noch nicht nur die historische Relevanz der Ereignisse von 1923 vermittelt, sondern auch, dass die Hyperinflation durch den Entscheid „einfach mehr Geld zu drucken, um Schulden zu tilgen“ erzeugt wurde (Ackermann 2004, Nabholz 2004, Ashauer 2005). Ein konkretes, wenn auch ungewöhnliches, Beispiel für die kommunikative Ausbeutung der Botschaft „Quantitätstheorie“ vor dem Hintergrund deutscher Hyperinflationstraumatisierung stellt das Bundesbankmuseum dar. Die Exponate verdeutlichen nicht nur die Segregation der analytischen von der monetären Sphäre, sondern bemühen sich auch sehr, die Erinnerungen an die Hyperinflation aufrecht zu erhalten (Winter 2005). Diese „Kodierung“ macht sich eindeutig die typisch deutsche Beschaffenheit des Empfängers Breite Öffentlichkeit zu nutze. Es ist zweifelhaft, ob das gleiche Instrument in anderen Nationen greifen würde. Gleichzeitig aber interveniert die Bundesbank, scheinbar paradoxerweise, selbst kommunikativ in der realen Sphäre. Gegenüber dem Empfängertyp „Eliten“ lässt sie die Quantitätsformel als kommunikatives Instrument außen vor. Stattdessen stand sie, ob der realwirtschaftlichen Entwicklungen, in regelmäßigem Signalabtausch mit den „typisch deutsch“ oligopolistisch strukturierten Gewerkschaften und Arbeitgebern, um Lohn-Preisspiralen zu verhindern (Franzese 1997, Iversen 2002, Dyson 2002a). Indirekt unterstützt dieser Informationsaustausch die Bundesbank in ihrem monetaristischen Unterfangen. Indem sie über zu erwartende Entwicklungen im Realsektor informiert, kann die (theoretisch) als exogen konstant vorausgesetzte Variable (Yr) besser eingeschätzt werden, das Management der Geldmenge M gestaltet sich einfacher. Ein positiver Nebeneffekt besteht darin, durch Information Verunsicherung zu minimieren – was eine stabilisierende Auswirkung auf die Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge v haben könnte (Greiber 2005). Die informative Einbettung der Bundesbank lässt sich folgendermaßen skizzieren.
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Arbeitgeberverband Reagiert auf die Anforderungen seiner Mitglieder der privaten Firmen
stellt exzessiv hohe Lohnforderungen prinzipiell bereit; dem nachzukommen
Gewerkschaft Möchte für ihre Mitglieder höhere Löhne erzielen
Signal: Akzeptanz der Forderungen wird durch Zinserhöhung sanktioniert
Firma Hat eine positive Auftragslage und wäre bereit, selbst exzessiven Lohnanforderungen nachzugeben, weil sie den Preisanstieg an ihre Kunden weitergeben könnte
Signalisiert: Mangelnde Zurückhaltung wird durch Zinserhöhung sanktioniert
Bundesbank Interveniert bei drohendem Ungleichgewicht in der realen Sphäre, um Lohn-Preis Spiralen zu vermeiden, Yr kalkulierbar zu halten.
Signalisiert, auf welche Anforderungen einzugehen angedacht ist
Signalisiert, welche Lohnanforderung ihr vorschwebt
Abbildung 1: Signalspiel Bundesbank, Gewerkschaften und Arbeitgeber bei positiver Auftragslage
Zusammenfassend kann an dieser Stelle vermerkt werden, dass die Kommunikationsstrategie der Deutschen Bundesbank eher den Besonderheiten der deutschen institutionellen Rahmenbedingungen untergeordnet ist als der reinen monetaristischen Strategie.
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3.2 Banque de France Bis zur Reform Alphandéry, mit der die Banque de France 1993 autonom wurde, galt die französische Zentralbank als verlängerter Arm des Wirtschaftsministeriums und war somit integraler Bestandteil einer vom Keynesianismus inspirierten Wirtschaftsordnung, der planification (Disch 1995: 79). Im Unterschied zu den Monetaristen gehen Keynesianer davon aus, dass Geldpolitik reale Auswirkungen haben kann, weil Wirtschaftssubjekte eher die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in ihren Erwartungsbildungsprozess mit einbeziehen als kurzfristige Preissignale. Die Aufgabe der Banque de France bestand primär darin, die fiskalpolitischen Maßnamen der Regierung durch eine dem Ziel der Vollbeschäftigung und des Wachstums angepasste Fiskalpolitik zu flankieren. Das durchschnittliche Wachstum zwischen 1955-1988 belief sich auf beachtliche 3,9%. Im Vergleich dazu wuchs die deutsche Wirtschaft real nur um 3,4%, im Vereinigten Königreich gar nur um 2,4%. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote belief sich auf etwa 4,2% (Alesina 1993: 155). Während sich Wachstum also scheinbar positiv gestaltete, war „Das Inflationsproblem (…) ein permanentes Merkmal der französischen Volkswirtschaft. Die Furcht, das Wirtschaftswachstum stärker als politisch erwünscht zu verlangsamen, führte zu geldpolitischen Kompromissen, bei denen das Ziel der Preisniveaustabilität auf der Strecke blieb“ (Disch 1995: 80). Zwischen 1955 und 1988 verharrte die durchschnittliche französische Inflationsrate beharrlich bei etwas über 6%. Im Vergleich dazu betrug die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland über den gleichen Zeitraum nur 3,1% (Alesina 1993: 155). Die Banque orientierte sich zwar in ihrer Kommunikationsstrategie an ihrer wachstumsorientierten geldpolitischen Zielfunktion, machte sich aber zu diesem Zwecke die Besonderheiten des französischen Wirtschaftssystems zu nutze. Auch hier lassen sich die Empfängertypen nach „Breite Öffentlichkeit“ und „Eliten“ kategorisieren. Gegenüber dem Empfänger Breite Öffentlichkeit bestand die Kommunikationsstrategie der Banque vor allem in Nicht-Informieren. Im Gegensatz zur Bundesbank unterhält die Banque kein Museum. Sogar die Webseiten der Banque sind weitaus weniger didaktisch aufgebaut, als die ihres deutschen Pendants. Statt, wie es die Bundesbank auf ihrer Homepage tut, zu versuchen, den Bürgern den Monetarismus möglichst einfach zu erklären, verweist die Banque lediglich auf ihre Quartalsberichte. Deren Lektüre allerdings erfordert substantielle ökonomische Vorkenntnisse (Bundesbank 2005). Im Unterschied zu deutschen Lehrplänen ist in französischen Schulbüchern kein Platz für Geldpolitik vorgesehen (Andrieu 2005). Auch in französischen Zeitungen wird geldpolitischen Entscheidungen vergleichsweise weniger Aufmerksamkeit geschenkt als in
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deutschen. Die Banque bemüht sich also nicht darum, die französische Bevölkerung über Geldpolitik aufzuklären. Indem die Banque der Allgemeinheit Informationen bezüglich ihrer Strategie verheimlichte oder bewusst in die Irre führte, machte sie sich das Instrument der so genannten „Geldillusion“ zu nutze. Nach Barro und Gordon (Barro/Gordon 1983) lässt sich dieser Zusammenhang folgendermaßen darstellen. ʌ = ¨M + v ʌ ist die Inflationsrate, ¨M die Wachstumsrate der Geldmenge und v stellt einen Dummy bei der Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge dar. Die Zentralbank setzt ¨M, und kündigt ein Inflationsniveau ʌe an. Die Arbeitnehmer stellen sich in ihrem Verhalten, etwa bei Lohnabschlüssen, auf ʌe ein. Tatsächlich aber manipuliert die Zentralbank das Inflationsniveau, indem sie ¨m stärker als angekündigt erhöht, so dass ʌ > ʌe. Das unerwartet höhere Preisniveau erodiert die gefragten Lohnsteigerungen, Arbeitgeber können mehr Personal beschäftigen. „Der inflationäre Prozess hat die Arbeitslosigkeit reduziert“ (Heine 2004: 90). Das Instrument der Geldillusion wird häufig als trivial kritisiert, weil es unterstellt, dass Arbeitnehmer inflationäre Prozesse weniger leicht erkennen als Arbeitgeber. Da in Frankreich Arbeitnehmerinteressen nur diffus organisiert sind, Arbeitgeber hingegen oligopolistisch (Schmidt 1996, Schmidt 2001,; Hancke 2003), greift die Annahme asymmetrischer Informationsverteilung zwischen französischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entgegen aller Kritik (Heine 2004) tatsächlich. Die französische Volkswirtschaft ist durch starke Elitenkoordination (Hancke 2003) auf Arbeitgeberseite und schwach organisierten Arbeitnehmerinteressen charakterisiert. Die Unterstellung, französische Arbeitgeber seien französischen Arbeitnehmern informativ systematisch überlegen, ist aus institutionsökonomischer Perspektive durchaus plausibel. Französischen Gewerkschaften gelten als militant und wenig kooperationsbereit (Landier 1991). Die Diskrepanz zwischen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsinteressen spiegelt sich im Streikverhalten. Anthony Daley (1996) beschreibt, dass es im französischen Metallsektor kein Pendant zur einflussreichen IG Metall gibt, da Streik und soziale Konflikte zunehmend außerhalb und manchmal sogar gegen Gewerkschaftsinteressen ausgetragen werden. Die Streikaktivitäten konzentrieren sich zumeist auf enge, firmenspezifische Themen. Arbeitnehmer, deren Interessen nicht gemeinschaftlich organisiert werden, sind substantiellen Informationsbeschaffungskosten ausgesetzt, sollten sie sich ein Bild über etwaig zu erwartende Preisentwicklungen machen wollen.
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Gegenüber dem Empfänger „Eliten“ kommuniziert die Banque als integraler Teil des französischen Elitennetzwerkes. Das französische Elitennetzwerk besteht, ähnlich wie das deutsche, aus einigen wenigen oligpolistischen Akteuren. Wie bereits angedeutet, besteht der große Unterschied zum deutschen System darin, dass Arbeitnehmer nicht Teil des Netzwerkes sind. Die Hauptakteure sind die staatlichen Banken (Schmidt 1996: 113), die Regierung und die großen Firmen, welche 60% der Gewerbe in Frankreich ausmachen (Hancke 2003: 311), und die Banque selbst. Die Kommunikation unter diesen Akteuren findet auf personeller Ebene, unter der Nutzung von Codes statt, die durch den Besuch der elitären cÉole National Polytechniq ue , der ENA, geprägt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Führungskräfte der Banque, der wirtschaftlichen Unternehmen und der hohen Staatsbeamten Absolventen der ENA sind, ist hoch. Das Ziel der ENA besteht dezidiert in der Rekrutierung der „best and brightest of each cohort“ (Schmidt 1996: 288), um sie für den Verwaltungsdienst auszubilden. Ein Student der ENA, ein so genannter „Énarque“, verpflichtet sich, vertraglich nach seinem Abschluss 10 Jahre lang dem Staat zu dienen (Mackenzie 1979). Mit dem ersten Studientag hat der Énarque Beamtenstatus. Dabei kann Staatsdienst im weitesten Sinn die Arbeit bei staatlichen Unternehmen, für den Staatsapparat oder auch eine Tätigkeit bei der Banque de France involvieren. Der typische Karriereweg führt vom Staats- bzw. Regierungsdienst, über die Wirtschaft zurück zum Staat. Daraus resultierte ein auf dreifache Weise verkoppeltes Elitennetzwerk. Die Énarquen kennen sich vom Studium, vom gemeinsamen Staatsdienst und von der gemeinsamen Tätigkeit in der freien Wirtschaft. Darüber hinaus teilen viele unter ihnen noch ein informelles familiäres Netzwerk, da die meisten Studenten der ENA Töchter und Söhne von ENA-Alumnis sind und in ähnlichen sozialen Zirkeln verkehren. Robert Hancke bezeichnet das daraus resultierende institutionelle und informative Gleichgewicht als „elite coordination mechanism“ (Hancke 2003: 314). Informationen werden auf den internen Märkten der Énarquen ausgetauscht. Die Zentralbank ist gleichzeitig Sender und Empfänger von Information. Das ursprüngliche Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver wird um feedback loops ergänzt. Auch die Kommunikationsstrategie der Banque de France ist geprägt von ihrer partikularen geldpolitischen Konzeption von den Besonderheiten der französischen Volkswirtschaft.
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ENA
Absolventen
Banque de France
gewährt Kredite
sucht um Kapital an
Staatliches Unternehmen bzw. Unternehmen mit hohem staatlichem Kapitalanteil
Staatliche Geschäftsbank
Französischer Staat
Gegenseitige Handlungsempfehlungen bei output targeting
Abbildung 2: Elitenkoordinationsmechanismus der französischen Volkswirtschaft und die Folgen für Kommunikation der Banque de France mit Unternehmen (Arbeitgeber)
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Die vorangegangene institutionsökonomische Darstellung der Kommunikationsstrategien der deutschen Bundesbank sowie der Banque de France hat verdeutlicht, dass Zentralbanken in Europa ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht – wie es theoretisch zu erwarten wäre – allein ihrer partikularen geldpolitischen Zielfunktion unterwerfen, sondern ihre Öffentlichkeitsarbeit auch den institutionellen und gesellschaftlichen Besonderheiten ihrer Heimatländer anpassen. Europäische Zentralbanken kommunizieren als in historisch gewachsenen, nationalen Informationsnetzwerken eingebettete Akteure. 4.
Europäische Zentralbankkommunikation: The Clash of Monetary Civilisations? Die EZB wurde 1999 ins Leben berufen. Sie setzt sich aus den 12 nationalen Notenbanken der Euro Zone zusammen, agiert gleichzeitig als Mutter und Tochter. Die 12 nationalen Notenbanken haben ihre Kernkompetenz, das Setzen des Leitzinssatzes an sie übertragen, in diesem Sinne kann die EZB als Mutterorganisation gesehen werden, die versucht verschiedene geldpolitische und kommunikative Traditionen unter einen Hut zu bekommen. Gleichzeitig beerbt die EZB als Tochter 12 unterschiedliche geldpolitische und kommunikative Modelle. 4.1
Neutralität der Kommunikation? Die EZB über ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit Vordergründig umschifft die EZB etwaige nationale kommunikative Verwerfungslinien, indem sie sich auf das institutionell neutrale Schlagwort „Transparenz“ beruft und Kommunikation mit Transparenz gleichsetzt. „Transparency helps the public to understand the ECB’s monetary policy. Better public understanding makes the policy more credible and effective. Transparency means that the ECB explains how it interprets its mandate and that it is forthcoming about its policy goals (…) Regular communication about a central bank’s assessment of the economic situation is particularly useful“ (ECB 2006). Bei vollständiger Transparenz determiniert allein die geldpolitische Strategie die Kommunikationsstrategie, die Homogenitätsannahme (Barro/Gordon 1983, Cukierman/Meltzer 1986) gilt. Transparente Kommunikation ist unabhängig vom partikularen Informationsstand des Empfängers bzw. seiner Einbettung in informativen Netzwerken. Die stete Beteuerung von Durchsichtigkeit verkörpert eine Reaktion auf sinkenden Autoritätsglauben. Vertrauen in Expertentum wird durch Vertrauen in Transparenz ersetzt. Bei vollständiger Transparenz ist jegliche Täuschung ausgeschlossen (Ladwig 2004). Das seitens der EZB am häufigs-
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ten genannte Beispiel für ein transparentes Kommunikationsmittel ist die LiveÜbertragung der Pressekonferenzen, welche direkt im Anschluss an die Sitzungen des EZB-Rates jeden zweiten Donnerstag stattfinden (Schüller 2005). Unabhängig von informativer Einbettung oder Informationsstand können alle geldpolitisch interessierten Wirtschaftssubjekte der Übertragung im Internet beiwohnen. Praktizierte die EZB tatsächlich eine vollständig transparente Öffentlichkeitsarbeit könnte sie, ohne auf die unterschiedlichen Eigenschaften der Empfänger einzugehen, würde ihre Kommunikationsstrategie tatsächlich nur von ihrer geldpolitischen Strategie determiniert. Paradoxerweise ist es die EZB selbst, welche sich trotz ihres offiziellen Bekenntnisses zu Transparenz weigert, ihre privaten Informationen öffentlich zu machen. In einer eloquenten Reaktion auf die von Akademikern oftmals geäußerte Kritik, die EZB sei intransparent und verheimliche wichtige Informationen (Faust 1997), plädiert der Chefsvolkswirt der EZB Ottmar Issing vehement gegen die Einforderung einer „gläsernen Notenbank“ (Issing 2005). Er begründet diese Aussage – interessanterweise – kommunikationstheoretisch: er fürchtet eine etwaige „Überforderung des Empfängers“ (Issing 2005). Diese Terminologie ist ein Indiz dafür, dass die EZB ihre Kommunikationsstrategie tatsächlich in monokausalen Sender-Empfänger-Kategorien denkt. Ein gewisses Maß an diskretionärer Handhabung von Information ließe sich auch mit makroökonomischen Waffen verteidigen. Etwa mit dem Argument, die Zentralbank müsse sich, um auf Schocks reagieren zu können, stets etwas Spielraum vorbehalten (Broz 2002). Vielleicht erhofft sich Issing durch den Gebrauch kommunikationstheoretischer Waffen die politische Debatte zu ersparen, welche eine ökonomische Argumentationslinie fast unweigerlich nach sich zöge. Durch die Selbstzuschreibung der Senderrolle öffnet sich allerdings die „Shannon/WeaverBüchse der Pandora“. Empfängertypen müssen identifiziert und Botschaften entsprechend kodiert werden. Unweigerlich lädt Issings Äußerung, er fürchte die „Überforderung“ des Empfängers dazu ein, sich ob der Plausibilität der Homogenitätsannahme (Barro 1983/Gordon, Cukierman/Meltzer 1986) Gedanken zu machen. Empfänger mit geringen ökonomischen Vorkenntnissen sind schneller von privater Zentralbankinformation überfordert als Finanzexperten. Die offizielle Selbst-Zuschreibung, die EZB Kommunikationsstrategie basiere lediglich auf Empfänger neutraler, allein von der geldpolitischen Strategie geprägten „Transparenz“ = Kommunikation erscheint unglaubwürdig.
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4.2 Öffentliche Reaktionen auf EZB-Kommunikation Die Kommunikationsstrategie der EZB wird von mehreren Seiten als verwirrend, unziemlich oder zuweilen auch als inkonsistent beanstandet. Auf personeller Ebene werden die Äußerungen der jeweiligen EZB-Präsidenten als kommunikativen Konventionen zuwiderlaufend kritisiert. Wirtschaftsjournalisten echauffierten sich über die angeblich mangelnde Ernsthaftigkeit des niederländischen ersten Präsidenten Wim Duisenbergs (The Observer 2000a). Flapsigkeit, so das Argument, könnte den Anschein erzeugen, die Präferenzstruktur der EZB-Zentralbanker sei im Rogoff’schen Sinne nicht optimal konservativ (Rogoff 1985), um eine glaubwürdig stabilitätsorientierte Geldpolitik zu machen. Dem Franzosen Jean-Claude Trichet, derzeit amtierender EZB-Präsident, legen das Handelsblatt und die FAZ zur Last, er breche die Etikette und mache die geldpolitischen Entscheidungen der EZB deshalb weniger vorhersagbar. Ein Beispiel: Entgegen dem Brauch Zinsentscheide direkt, nachdem sie gemeinschaftlich vom Rat getroffen worden sind, bei einer öffentlichen Pressekonferenz zu annoncieren, verkündete Trichet die Information, der Leitzinssatz würde um 0,25% angehoben, fünf Tage bevor die Entscheidung offiziell gefällt werden sollte. Ist die mediale und akademische Aufregung um die Wahrung kommunikativer Konventionen berechtigt? Die geldpolitischen Strategien werden medial oder kommunikationsstrategisch definiert. Die Theorie rationaler Erwartungen geht von einem fundamentalen Zusammenhang zwischen öffentlicher Erwartungsbildung und der Fähigkeit einer Zentralbank ihre geldpolitischen Ziele zu erreichen aus. Glaubwürdige Informationsbereitstellung kann, wie im ersten Teil dieses Aufsatzes angedeutet worden ist, mit positiven Externalitäten einhergehen wie etwa einer präventiven Eindämmung von Lohn-Preis Spiralen (Issing 1998a, Blinder 2000). Im entgegengesetzten Fall kann Konventionsbruch durchaus Irritationen erzeugen. Wird das Versprechen, bestimmte Informationen auf bestimmte Art und Weise bereitzustellen, nicht eingelöst, kommt es zu Vertrauensbruch. Ein Indiz für die realen Konsequenzen von Unsicherheit ist erratisches Anlegerverhalten, welches große Schwankungen in der Umlaufgeschwindigkeit v der Geldmenge verursacht (Greiber 2005) und der Zentralbank die Beobachtung des Geldmengenwachstums erschwert. Die Steuerung von Erwartungsbildung ist fragil. Sobald unerwartete neue Informationen auftauchen, kann davon ausgegangen werden, dass Wirtschaftssubjekte unerwartet, im schlechtesten Fall sogar entgegen der Zielfunktion der Zentralbank, reagieren. Dennoch: Auch Zentralbanker sind Menschen. Trichet könnte einfach zufällig unüberlegt gehandelt haben, als er den Zeitplan für angemessene Informationsveröffentlichung ignorierte. In einem professionellen Umfeld, in dem spätes-
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tens seit dem „wandelnden Orakel“ (Braunberger 2005) Alan Greenspan jedes einzelne Wort eines Zentralbankpräsidenten von „central bank watchers“, Journalisten und Wissenschaftlern auf die Goldwaage gelegt wird, scheint diese Erklärung allerdings doch ein wenig zu einfach. Es wäre vielleicht konstruiert, Trichets Faux-Pax auf feste nationale Pfadabhängigkeit zurückzuführen. Als ehemaliger Gouverneur der in ein elitäres Elitennetzwerk eingebetteten Banque de France mag es Trichet zwar durchaus natürlicher erscheinen, eine Gruppe von Bankern bezüglich der zu erwartenden Zinsentscheide zu informieren, als es aus Sicht eines ehemaligen Präsidenten der Deutschen Bundesbank wäre, dessen informative Netzwerke anders konfiguriert sind. Aus wissenssoziologischer Perspektive lassen sich hermeneutisch fundierte, nationaltypisch soziokulturell geprägte, Verhaltensraster herleiten. Wer vor einem nationalen Hintergrund geprägt von der volontégenerale (Hegmann 2002a, Hegmann 2002b) sozialisiert wurde und mit eher beziehungsorientierten Managementstilen, in denen Zeitlichkeit eine untergeordnete Rolle spielt (Hofsteede 1994), groß geworden ist, für den spielt die Vorhersagbarkeit von terminlich festgelegter Informationsbereitstellung vielleicht einfach eine geringere Rolle als für jemanden, dessen kulturelles Umfeld großen Wert auf Pünktlichkeit legt. Wird Kultur kausales Erklärungspotential attestiert, ist Trichets Verhalten im Dezember 2005 Ausdruck französischer Normalität und somit eher ein Indiz für ein inhärentes kommunikatives Missverständnis zwischen international zusammen gesetzten Notenbankern (Hegmann 2003) als ein zufälliger Fehltritt. Über die personelle Ebene hinaus, die von Kulturskeptikern trotz allen hermeneutischen Beweismaterials als kontingent abgetan werden könnte, wird der Institution EZB vorgeworfen, ihre Kommunikationsstrategie irritiere systematisch. Die EZB schreibt sich zwar Transparenz auf die Fahne, beharrt aber im selben Atemzug darauf, dass eine Gläserne Notenbank „eine Chimäre“ (Issing 2005) sei. Wie zuvor angedeutet, fällt die Homogenitätsannahme (Barro/Gordon 1983, Cukierman/Meltzer 1986) just in dem Moment, in dem der Sender zwischen den Verarbeitungskapazitäten der Empfänger unterscheidet. Die praktische Distinktion zwischen „Breiter Öffentlichkeit“ und „Eliten“, welche die nationalen kommunikativen Gleichgewichte prägt, steht der EZB nicht wirklich offen. Die optimistischen europäischen Integrationstheoretiker (McNamara 1998, Moravcsik 1998, Dyson 2000b) unterstellen, dass die Europäische Währungsunion wirtschaftliche Integration vorantreibt. Während neue gemeinsame Regeln – wie etwa Basel II – die Konvergenz von Prozessen – also zum Beispiel der Kreditvergabe – sicherlich beschleunigt, differieren die nationalen industriepolitischen Strukturen, und dementsprechend die institutionellen Netzwerke,
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immer noch dramatisch. „Eliten“ lassen sich auf europäischer Ebene sehr viel weniger leicht isolieren, da die EZB in keinem historisch gewachsenen nationalen, industriepolitischen, institutionellen Netzwerk eingebettet ist, welches gleichzeitig als geldpolitisch relevantes informatives Netzwerk dienen könnte. Potentiell relevante Akteure, welche an die Stelle nationaler informativer Partner treten könnten, wie beispielsweise die European Trade Union Convention (ETUC) sind (noch) zu schwach, um die Aufgabe oligopolistisch strukturierter nationaler Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände übernehmen zu können. Sie haben zu wenig Einfluss auf die zukünftigen Lohnentscheide der europäischen Arbeitnehmer, um wertvolle Informationsaustauschpartner für die EZB zu stellen. Auch ein nationaler Elitenkoordinationsmechanismus, wie die ENA, ist nicht auf europäischer Ebene replizierbar. Gegenüber dem Empfänger „Breite Öffentlichkeit“ bedient sich die EZB einer Botschaft, die einem Kleinsten Gemeinsamen Nenner in einem Umfeld großer soziokultureller Varianz entspricht. In der Konsequenz ist die Informationsleistung der EZB gegenüber dem Empfänger „Breite Öffentlichkeit“ geldpolitisch inhaltsleer. Ein gutes Beispiel ist der Appell an die Symbolik eines geeinten Europas. Die partikulare geldpolitische Strategie rückt in den Hintergrund, das kollektive Symbol (Goffman 1951) des geeinten Europas wird im Euro personifiziert (Kaelberer 2004). Das Euro-Symbol soll Stabilität suggerieren, die Brücken auf den Geldscheinen suggerieren Verbundenheit und werden in offiziellen Stellungnahmen mit den Schlagworten Frieden, Europa, Vereintheit (Duisenberg 2002) beschworen. Ein weiteres Beispiel ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt, welcher ordnungspolitische Überlegenheit der Autorität EZB suggerieren soll. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt dient nicht nur als Harmonisierungsinstrument, die technokratisch anmutenden Klauseln lassen sich auch rhetorisch als gegenseitiges monitoring device (Beetsma 1999) ausbeuten. Der Pakt ist ein credibility device, weil er die Bereitschaft der Mitglieder, sich auf ein Hands-TyingArrangement einzulassen, signalisiert (Grabbe 2000, Bronk 2002). Mit dieser rein symbolisch markierten, auf Vertrauenserwerb ausgelegten Kommunikationsstrategie agiert die EZB entgegen ihren eigenen Grundsätzen. Zum einen widerspricht sie mit dem Appell an Autorität-Vertrauen ihrer eigenen Strategie, sich in der europäischen Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts als transparenter, und damit augenscheinlich nicht ideologisch vorgeprägter, Kommunikator zu positionieren. Zum anderen widerspricht die Symbolik Kommunikation der EZB der theoretischen Annahme, geldpolitische Kommunikation sei strategisch wichtig, weil bei rationalen Erwartungen ein Zusam-
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menhang zwischen geldpolitisch relevanter Information und Erwartungsbildung bzw. Verhalten besteht. Für allgemeine Irritation sorgt auch der Versuch der EZB, sich der Breiten Öffentlichkeit als auch geldpolitischen Experten als Erbin der deutschen Bundesbank zu präsentieren. Auf ersten Blick scheint dadurch die Hayek’sche These eingelöst, das überlegene Arrangement würde sich im Systemwettbewerb durchsetzen. Neben kommunikativen Unklarheiten verursacht das Bild der Bundesbank in neuen Gewändern volkswirtschaftliche Kosten und ist demokratietheoretisch bedenklich. Wie die Bundesbank genießt die EZB einen überdurchschnittlich hohen Grad institutioneller Unabhängigkeit (Liebler 1996). Kritiker verweisen auf ein substantielles demokratisches Defizit, welches sich aus dem Mangel demokratisch legitimierter Kontrollinstanzen ergibt (Arntenbrink 1999). Theoretisch ließe sich dieses Defizit bei vollständiger Transparenz aufwiegen. Praktisch allerdings scheitert das quid pro quo – Unabhängigkeit für Rechtfertigung – daran, dass sich die EZB gegen das Modell „Gläserne Notenbank“ (Issing 2005) vehement zur Wehr setzt. Wie die Bundesbank befindet sich die EZB in Frankfurt am Main, statt näher im Blickfeld potentieller Kontrollinstanzen wie dem Europäischen Parlament in Straßburg oder auch der Kommission bzw. dem potentiell relevanten Europa-Rat in Brüssel. Ähnlich wie die Bundesbank verschreibt sich die EZB der Gewährleistung von Preiswertstabilität, auch unter Inkaufnahme etwaiger dadurch verursachter gesamtwirtschaftlicher Kosten. Und letztlich räumt die EZB, ebenso wie die Bundesbank es tat, der Analyse des Geldmengenwachstums – zumindest offiziell – eine wichtige Rolle ein. Besonderes letzteres überrascht. Zeitgleich mit der Gründung der EZB entsagte die Schweizer Nationalbank 1999 als letzte der OECD Zentralbanken dem Monetarismus, weil sie die Analyse des Geldmengenwachstums im Zeitalter zunehmend global integrierter Finanzmärkte für unzeitgemäß empfand (Svensson 2000). Selbst die Bundesbank hatte in den letzten Jahren ihres eigenständigen Bestehens in den späten 1990ern konsequent ihr eigenes Geldmengenwachstumsziel verpasst (Bofinger 1998). Dennoch widmete die EZB der Geldmengenanalyse die erste (ab Mai 2002 die zweite) Säule ihrer einzigartig komplizierten Zwei-Säulen-Strategie (EZB 1999: 52). Wie Heine und Herr kritisieren, trägt der Zwei-Säulen-Ansatz nicht zur Transparenz der Geldpolitik in Europa bei. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die beiden Säulen zu unterschiedlichen geldpolitischen Schlussfolgerungen Anlass geben. So kann die erste Säule eine restriktive und die zweite eine expansive Geldpolitik nahe legen (Heine/Herr 2004: 63).
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Seit ihrem Bestehen hat auch die EZB ihr selbst gesetztes Geldmengenziel von 4,5% jedes Jahr substantiell verfehlt, ohne darauf reagiert zu haben. Dadurch gefährdet sie ihre Glaubwürdigkeit, weil sie sich in Taten nicht daran hält, was sie in Worten versprochen hat (Blinder 2000). Da die EZB aber auch sechs Jahre nach Einführung des Euros am Monetarismus festhält, muss der kommunikative Nutzen größer – die Suggestion von Kontinuität – größer sein als die durch die Anklage des demokratischen Defizits oder das monetaristische Standbein verursachten Kosten. 5. Zusammenfassung und Ausblick Kommunikation wird auf dem Feld der Geldpolitik eine strategische Rolle beigemessen. Zentralbanken als Sender stellen dem Empfänger, der Öffentlichkeit, private Informationen bezüglich ihrer Strategie bzw. ihrer Einschätzungen zur allgemeinen volkswirtschaftlichen Lage zur Verfügung. Bei rationalen Erwartungen orientieren sich homogen informierte Empfänger an den Aussagen des Senders. Durch ihr Verhalten löst die Öffentlichkeit die partikulare Zielsetzung der Zentralbank ein. Das „weiche“ Instrument Kommunikation ergänzt das „harte“ Instrument Zinssetzung. Communication matters (Schmidt 2001: 247). Entgegen der theoretischen Annahme, Kommunikation basiere lediglich auf der partikularen geldpolitischen Strategie einer Zentralbank, lässt sich die empirische Beobachtung formulieren, dass die Zentralbanken in Europa ihre Kommunikationsstrategie nicht nur an ihrer geldpolitischen Konzeption ausrichteten, sondern auch auf die nationalen institutionellen Besonderheiten der jeweiligen Länder eingingen. Sowohl die Deutsche Bundesbank als auch die Banque de France waren und sind als kommunizierende Akteure in national unterschiedlichen informativen Netzwerken eingebettet. Die EZB handhabt die kommunikative Differenz, indem sie vordergründig vorgibt, transparent zu agieren. Handelte sie tatsächlich vollkommen durchsichtig, genügte es tatsächlich, die Kommunikationsstrategie der geldpolitischen zu unterwerfen. In diesem Szenario wäre es unnötig, auf die institutionellen Besonderheiten der Empfänger geldpolitischer Kommunikation einzugehen, weil von einem homogenen Informationsstand, wie es das neoklassische Weltbild nahe legt, tatsächlich ausgegangen werden könnte. Damit wäre die EZB „aus dem Schneider“. Die Problematik nationaler institutioneller Besonderheiten, potentiell inkongruent, bräuchte sie nicht weiter zu tangieren. Allerdings weigert sich die EZB paradoxerweise selbst zur Gläsernen Notenbank (Issing 2005) zu werden. Die Befürchtung, Empfänger mit geldpolitischer Information zu überfordern, weist auf eine Differenzierung unter den ver-
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schiedenen Empfängertypen hin. Sobald die Homogenitätsannahme fallen gelassen werden wird, müssen geldpolitische Botschaften gemäß den kognitiven Fähigkeiten der Empfänger selektiert und kodiert werden. Nationale institutionelle Netzwerke, oder auch nur deren Fragmente, können, gemäß der These institutioneller embeddedness (Hall 2003), nicht einfach auf europäischer Ebene repliziert werden, die EZB ist in keinen, mit den nationalen Notenbanken vergleichbaren elitären informativen Netzwerken verankert. Gegenüber der Breiten Öffentlichkeit beschränkt die EZB ihre Kommunikationsleistung auf einen geldpolitisch inhaltsleeren kleinsten gemeinsamen Nenner. Sie beschwört die Symbolik der europäischen Einheit und versucht sich als Erbin des Bundesbankmodells zu präsentieren, obwohl letzteres mit dem Lippenbekenntnis zur monetaristischen geldpolitischen Strategie verbunden ist, welche die EZB in ihren Zinsentscheidungen selbst nicht ernst nimmt. Kommunikation und Zinssetzung drohen Gefahr auseinander zu driften – ein Umstand der den Erfolg einer zukünftigen EZB Kommunikationsstrategie substantiell gefährdet.
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Bleibt Bildung ein öffentliches Gut? Zur Neuverteilung der Verantwortung für Bildung zwischen Individuum, Staat und Wirtschaft
Gertraud Koch 1. Privatisierung von Bildung? Die Privatisierung von Bildung wird in der Bundesrepublik gegenwärtig intensiv und kontrovers diskutiert. Die Gründung von privaten Schulen und Universitäten wird von der breiten Öffentlichkeit argwöhnisch beäugt und die Einführung von Studiengebühren an staatlichen Hochschulen haben teilweise heftigen Widerstand hervorgerufen. Die Kritik stützt sich auf das Argument, dass die ohnehin schon ungleich verteilten Chancen im deutschen Bildungswesen weiter verschärft würden. Der Gedanke, Bildung privat zu finanzieren, wird als antidemokratisch empfunden. In der Beharrlichkeit, mit der diese Position vertreten wird, äußert sich eine kollektive und stabile Geisteshaltung, dass Bildung ein öffentliches Gut ist und dies auch bleiben soll. Andernfalls, so die vielfältig zu hörende Auffassung, gerät sie zum Spielball von ökonomischen Interessen und verliert ihren emanzipatorischen, soziale Gerechtigkeit herstellenden Charakter, der stets eine wesentliche Dimension in der bundesrepublikanischen Bildungspolitik war. In diesen Debatten um die Privatisierung von Bildung gerät leicht aus dem Blick, dass von einer finanziellen Zurückhaltung des Staats im Bildungsbereich kaum die Rede sein kann. Im Gegenteil steigen die Bildungsausgaben in Deutschland, allerdings liegen sie unter den Zuwachsraten in anderen Ländern. Aktuelle Vergleichsstudien in verschiedenen OECD-Länder zeigen, dass Deutschland zwar mit 5,3% seines Bruttoinlandproduktes noch 0,3% unter den durchschnittlichen Bildungsausgaben in OECD-Ländern liegt1, jedoch auch vergleichsweise kleinere Bevölkerungsanteile versorgen muss (Deutschland 30%, USA 37,5%, Türkei 52%) (Hetmeier 2004).2 Insgesamt ist Bildung eine 1 2
Der Vergleich bezieht sich auf formale Bildung im Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich und lässt Weiterbildung außer Acht. Bezugsjahr ist das Jahr 2001. Einfache Vergleiche der Bildungsinvestitionen verschiedener Länder sind demnach wenig aussagekräftig. „Bezieht man die Bildungsausgaben auf die Personen der bildungsrelevanten Bevölkerung, so hat Deutschland in Relation zum Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Vergleich mit anderen OECD-Ländern relativ hohe Bildungsausgaben“ (Hetmeier 2006: 11, auch Schmidt 2003). Selbst im tertiären Bildungsbereich, insbesondere an den Hochschulen ist ein Zuwachs
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rendite-trächtige Investition. „Die OECD, eine Art Think Tank der Industrieländer, hat ganz unideologisch Kosten und Nutzen von Bildungsangeboten miteinander verrechnet und kommt zu dem Ergebnis: Wer studiert, darf langfristig auf eine hohe Verzinsung seiner Bildungsausgaben zählen. Als Investition werden in der ungewöhnlichen Rechnung die Kosten für die Ausbildung sowie das während des Studiums entgangene Einkommen berücksichtigt; als Gewinn dagegen wird das höhere Gehalt von Hochschulabsolventen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung gewertet. Ergebnis: In Deutschland beträgt die ‚Bildungsrendite‘ 8 bis 9 Prozent; im Durchschnitt der OECD-Staaten sogar satte 12 Prozent. Von einer solchen Verzinsung seiner Investitionen kann derzeit so mancher Aktienbesitzer nur träumen“ (Kahl 2002). Es gibt also gewichtige Argumente, die der Wahrnehmung widersprechen, dass in Deutschland eine Privatisierung von Bildung stattfindet.3 Die Unterschiedlichkeit der Einschätzungen zur Entwicklung der Bildung als öffentliches oder als privates Gut in Deutschland könnte also nicht größer sein. Während einerseits deutliche Privatisierungstendenzen gesehen werden, wird andererseits argumentiert, dass die Aussicht auf hohe Bildungsrenditen es geradezu notwendig macht, Individuen an den Investitionen für Bildung zu beteiligen. Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Argumente verweisen sie gemeinsam auf folgende Entwicklungen im bundesdeutschen Bildungswesen. (1.) Bildung wird eine enorme Bedeutung für die Entwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft zugeschrieben, die entsprechend dieser Einschätzung auf allen Ebenen ihre Bemühungen um die Bildung intensiviert. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass eine solche Verstärkung der Anstrengungen richtig und sinnvoll ist. Wie die damit einherge-
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der Bildungsausgaben zu verzeichnen (Hetmeier 2006: 11). Bildung ist somit nach wie vor eine wesentliche Position in öffentlichen Haushalten. Wie groß oder klein die empirische Evidenz solcher Aussagen ist, soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Zumindest lassen sich auch Gegenpositionen zu dieser Einschätzung finden, wonach die öffentliche Finanzierung von Studienplätzen einer Subventionierung von zukünftig einkommensstarken Bevölkerungsschichten gleich kommt. Auch wird argumentiert, dass die wahre Ungerechtigkeit viel eher in der Entrichtung eines Eigenanteils in den Kindergärten zu finden sein. Denn diese ist ebenfalls eine private Bildungsinvestition, die im Bereich der Elementarbildung wegen ihrer sozial selektierenden Wirkung völlig kontraproduktiv sei. Der Vergleich bezieht sich auf formale Bildung im Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich und lässt Weiterbildung außer Acht. Bezugsjahr ist das Jahr 2001. Weitere Differenzierungen in dem Vergleich der Bildungsfinanzierung der OECD-Länder sind in der gemeinsamen Zusammenfassung des Berichts durch das bmbf und die Kultusministerkonferenz zu finden (http://www.bmbf.de/pub/bildung_auf_einen_blick_wesentliche_aussagen_2005.pdf vom 13. April 2004).
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henden Kosten verteilt werden sollen, die eine Ausdehnung der Bildungsbemühungen zweifellos zur Folge hat, ist jedoch eine zentrale Frage. (2.) Die Debatten um die private Finanzierung von Bildung signalisieren insofern einen Verteilungskonflikt. Der Verteilungskonflikt entzündet sich dabei weniger daran, Bildungsinvestitionen der öffentlichen Hand zu reduzieren. Er richtet sich vielmehr darauf, den notwendigen Zuwachs an Ausgaben für den Bildungsbereich zu verteilen. Die Frage, wie dieser zusätzliche Finanzbedarf organisiert und dabei auch noch gerecht verteilt werden kann, wird nicht leicht zu lösen sein. Im Kern der Entwicklung steht eine Expansion von Bildung, die nun stärker als bisher auch private Investitionen fordert. (3.) Die Verteilungsfrage der finanziellen Lasten und die damit einhergehende Problematisierung der sozialen Gerechtigkeit ist allerdings nur der Anlass der gegenwärtigen Debatten um die Privatisierung von Bildung. Die Notwendigkeit den Bildungsbereich zu expandieren, erwächst aus der gesellschaftlichen Entwicklung zur Wissensgesellschaft, durch die Bildung eine neue Bedeutung / Funktion erhält. Weitaus zentraler als die Ungewissheit, wie der zusätzliche Finanzbedarf organisiert werden kann, ist die damit verbundene Frage, welche Bildungsformen und -praxen für zukünftige Gesellschaften angemessen sind. (4.) Die Konsequenzen einer notwendigen Reorganisation des Bildungsbereichs sind nur zu einem bescheidenen Teil finanzieller Natur. Sie zielen umfassender auf verschiedene Lebensbereiche und die Reorganisation von Verantwortlichkeiten von Individuum, Wirtschaft und Staat im Bildungsbereich, also auf eine Veränderung von Bildungsstrukturen und -praxen. 2. Strukturwandel der Bildung Wenn somit eine Reorganisation von Verantwortlichkeiten im Bildungssektor stattfindet, so stellt sich in der Tat die berechtigte Frage, ob die intendierten Verlagerungen hin zu mehr privater Verantwortung einem Strukturwandel in der Bildung gleich kommt, der Individuen im Zeichen von vorrangig ökonomischen und staatlichen Interessen in die Pflicht nimmt und damit Interessen von Wirtschaft und Staat einseitig zu Lasten von Individuen umverteilt. Die Frage nach der Zielrichtung der derzeit stattfindenden Verschiebungen zwischen Öffentlichem und Privatem in der Bildung lässt sich ohne theoretisches Instrumentarium nicht qualifiziert stellen. Unter den vielfältigen Positionen zu Öffentlichem und Privatem gibt es kaum eine, die ähnlich elaboriert ist, wie die Überlegungen von Habermas zum Strukturwandel der Öffentlichkeit
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Habermas 1990).4 Diese wurde zudem ausführlich in unterschiedlichen Scientific Communities diskutiert, so dass ihr spezifischer Ausgangspunkt ebenso wie potenzieller Revisionsbedarf umfassend erörtert wurde. Habermas hat diese Kritik in seinem Vorwort zur Neuauflage 1990 aufgegriffen, bewertet und den Revisionsbedarf der ursprünglichen theoretischen Position daraus abgeleitet. Seine in diesem Kontext gezogene Schlussfolgerung, dass bei allem anerkannten zu realisierenden Revisionsbedarf, der in der Schrift entwickelte Begriff der „politisch fungierenden Öffentlichkeit“ noch immer angemessen für die Untersuchung der Frage ist, ob und in welchem Umfang Massenmedien in modernen Gesellschaften Artikulationsmöglichkeiten für die zivilgesellschaftliche Gruppen bereitstellen, wird bestätigt durch einen Blick in universitäre Syllabi und Publikationen. Als Einschränkung mag erscheinen, dass die theoretische Position von Habermas auf Öffentlichkeit im Sinne einer kommunikativen Arena rekurriert und weniger auf Öffentliches im Sinne eines gemeinsamen Gutes, wie etwa einer Allmende. Die Verwendung einer theoretischen Perspektive, die die Verwendung von in Gemeinschaftsbesitz befindlichen Gütern fokussiert, scheint zunächst einen adäquateren Zugang zu der im Titel formulierten Fragestellung zu bieten, ob Bildung ein öffentliches Gut bleibt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Frage nicht adäquat formuliert ist, unterliegt doch Bildung anders als viele andere öffentlich bereitgestellte Ressourcen, die privat genutzt werden können, keinem Nullsummenspiel. Anders als die Allmende und andere materielle Güter, die nur einen begrenzten Ertrag abwerfen, der unter dem Anteil der Nutzer irgendwie aufzuteilen ist, ist der aus Bildung zu gewinnende Ertrag für alle Beteiligten potenziell unbegrenzt und auch nicht direkt gekoppelt an die Leistungen aus der Allmende.5 Jeder der Lernenden hat die Option das Maximum an Bildungsinhalten aufzunehmen, also maximalen Nutzen aus dem Angebot der Allmende zu ziehen, während die Realisierung der daraus erwachsenden potenziellen Wohlstands kein direkter ist, sondern erst durch Transferierung der erworbenen Bildung in einen anderen gesellschaftlichen Bereich, den der Ökonomie bzw. des Erwerbslebens, erreicht werden kann.6 Der Begriff der 4
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Gegenwartsdiagnostische Positionen, die wie der amerikanische Soziologe Richard Sennett (Sennett 1983) darauf verzichten, einen eigenen theoretischen Rahmen zu entwickeln bzw. aus dem Kriterien abgeleitet werden können, was unter Öffentlichem und was unter Privatem zu verstehen ist, sind hier nicht berücksichtigt, weil sie als analytisches Konzept nur begrenzt verwendbar sind. Bildung unterliegt somit auch nicht der „Tragedy of the Commons“, die jeder der Nutzer versucht maximal auszunutzen und damit zu einer Zerstörung des Gemeingutes durch Überbeanspruchung beiträgt. (Vgl. Hardin 1968, Hardin 1998) Formen der Ökonomisierung von Wissen hat Steve Fuller beschrieben (Fuller 2002).
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Allmende trifft somit die Substanz von Bildungsprozessen nur bedingt und bleibt hier von begrenzter Erklärungskapazität. Analogien zwischen Bildung und der Theoretisierung der Öffentlichkeit von Habermas erweisen sich hingegen bei näherer Betrachtung als weitaus umfassender als man zunächst vermuten mag. Dies hat nicht nur mit dem gewandelten „Warencharakter“ von Bildung gegenüber anderen Gütern zu tun. Weitaus entscheidender scheint die Funktion von Bildung zu sein, die diese für Länder mit demokratischen Gesellschaftsordnungen hat. Bildung und insbesondere der gleichberechtigte Zugang zu Bildung gilt hier als wesentliche Voraussetzung für politische Partizipationsfähigkeit und damit die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft insgesamt. Bildung ist demnach ähnlich zentral für diese wie die Existenz von öffentlichen Kommunikationsarenen im Sinne von Habermas.7 Die Analogie von öffentlicher Kommunikation und Bildung ist in dieser Hinsicht so weitgehend, dass zentrale Aussagen von Habermas Ausführungen sich scheinbar problemlos für den Bildungsbereich umformulieren lassen und teilweise sogar ein bloßer Austausch der Begriffe „Öffentlichkeit“ und „Bildung“ möglich erscheint, ohne Telos und Sinnhaftigkeit des Ursprungstext infrage zu stellen oder zu verzerren.8 Da an dieser Stelle nicht detailliert ausgearbeitet werden kann, wie zwingend diese Analogie in historischer und struktureller Hinsicht tatsächlich ist, möchte ich mich im Folgenden darauf beschränken, den Habermas’schen Ansatz als analytisches Instrumentarium für die derzeitigen Entwicklungen im Bildungsbereich heranzuziehen. Dazu werden zunächst einige zentrale Aussagen zur kommunikativen Öffentlichkeit erörtert, um ihre Relationen zur Bildung sichtbar zu machen.
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Habermas selbst greift diesen Gedanken in seinem Vorwort zur Neuauflage 1990 auf und bemerkt selbstkritisch, dass er den Kritik fördernden, kulturell mobilisierenden Einfluss der formalen, sich ausweitenden Schulbildung in seinen ursprünglichen Überlegungen unterschätzt habe (Habermas 1990: 29). Er selbst hat Bildung in seinen Überlegungen kaum, allenfalls implizit berücksichtigt. In seiner Diskurstheorie, die er später als weiteres Element seiner Gesellschaftstheorie entwickelt, geht er davon aus, dass aufgeklärte, artikulationsfähige Subjekte in der politischen Öffentlichkeit in direkten Austausch miteinander treten. Bildung ist für die Ausprägung von intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten essentiell und somit eine implizite Voraussetzung für die Teilnahme an einer politischen Öffentlichkeit. Dies ist zumindest auf einer Ebene der Plausibilität möglich. Inwieweit diese augenscheinliche Analogie auch einer detaillierten historischen Analyse Stand hält, wie sie Habermas für die Herausbildung der Öffentlichkeit vornimmt, muss an dieser Stelle offen bleiben.
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Analogien zwischen kommunikativer Öffentlichkeit und Bildung in modernen Demokratien Zentral für diese Analogiebetrachtung ist, dass Habermas mit seiner Analyse der Struktur der kommunikativen Öffentlichkeit darauf zielt, ein Verständnis für die Bedeutung dieses gesellschaftlichen Bereiches für die Entwicklung von demokratisch verfassten, modernen Gesellschaften zu entwickeln. Seine Ausführungen zur Öffentlichkeit sind insofern geleitet von einer gesellschaftstheoretischen Fragestellung. Diese Fokussierung ist für die hier verfolgte Analyse des Bildungssektors anschlussfähig, weil die Kritik an den dort zu verzeichnenden Privatisierungstendenzen vor allem mit einer Verschlechterung der Chancengleichheit argumentiert. Pointiert formuliert, geht es wie im Strukturwandel der Öffentlichkeit auch im Bildungsbereich um dessen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der demokratischen Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik. Als wesentliche Merkmale einer funktionierenden Öffentlichkeit stellt Habermas die aktive Beteiligung von Bürgern an der öffentlichen Kommunikation dar. Diese geht über das passive Rezipieren von Neuigkeiten in den Medien hinaus und zielt vielmehr auf ein intensive, reflektierende Kommunikation und die Politisierung des gesellschaftlichen Lebens insgesamt. Die Partizipation an Prozessen der politischen Willensbildung sind somit essentielle Elemente einer funktionierenden Öffentlichkeit, die auch geprägt ist von der Dialektik zwischen Innerlichkeit und Öffentlichkeit. Privatheit, also der Schutz von privaten Räumen, die Privatheit von Emotionen und subjektiven Wahrnehmungen usw. ist nach Habermas ein konstitutives Element, das aufgrund seiner Gegensätzlichkeit die bürgerliche Öffentlichkeit erst mit konstituiert. Aus dieser Öffentlichkeit, die Habermas als konstitutiv für demokratische Gesellschaften ansieht, bleiben zwei soziale Gruppen ausgeschlossen. Frauen und das Proletariat können hier nicht partizipieren, wobei es dem Proletariat gelingt, Gegenöffentlichkeiten zu formieren, die Frauen im Unterschied dazu jedoch strukturell ausgeschlossen bleiben.9 Dieses 1962 skizzierte Bild der bürgerlichen Öffentlichkeit hält Habermas rückblickend für idealisiert und die daraus erwachsende Einschätzung für die Entwicklung von modernen Demokratien für zu pessimistisch. Zwar sieht er in der Tat heute eine Vermachtung der Öffentlichkeit gegeben, die sich in der Ein9
Dass Habermas trotz dieser Exklusionen die bürgerliche Öffentlichkeit als ideale Öffentlichkeit für demokratische Gesellschaften charakterisiert, hat erhebliche Kritik, nicht zuletzt in feministischen Kreisen ausgelöst (vgl. u.a. Fraser 1991; Fraser 1992; Fraser 1994). Sie kann hier nicht weiter berücksichtigt werden, auch wenn sich daraus weitere interessante Analogien zur Bildung entwickeln ließen. Insgesamt müsste diese Frage der Exklusionen, die das Bildungssystem hervorbringt, detaillierter betrachtet werden. Einen Anfang hierfür macht die Pisa-Studie (OECD 2001).
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flussnahme auf Konsumverhalten, Meinungsbildung usw. äußert, andererseits steht dem ein deutlich selbstbewusstes Publikum gegenüber und die Öffentlichkeit ist in polyzentrische Arenen gegliedert, in denen Mitglieder von organisierten Kollektiven um Zustimmung bei den Massen ringen. Ökonomie und Staatsapparat sind notwendige, systemisch integrierte Handlungsbereiche, die nicht mehr von innen demokratisiert werden können, weil dadurch ihre Funktionsfähigkeit beschädigt würde. Demokratisierung stellt sich aus dieser Perspektive als Verschiebung von Kräften innerhalb einer prinzipiell aufrechterhaltenen Gewaltenteilung dar, mit dem Ziel zwischen verschiedenen Ressourcen der gesellschaftlichen Integration ein neues Gleichgewicht herzustellen. Ziel dabei ist eine demokratische Eindämmung von kolonisierenden „Übergriffen“ der Systemimperative auf lebensweltliche Bereiche“ (Habermas 1990: 36). Für eine Balance zwischen den Gewalten muss Kommunikation sich gegen die Gewalten Geld und administrative Macht behaupten, um „die an Gebrauchswerten orientierten Forderungen der Lebenswelt zur Geltung zu bringen“ (Habermas 1990: 36). Die sozialintegrative Kraft von kommunikativem Handeln liegt in den jeweiligen partikularen Lebensformen bzw. -welten, die in modernen Gesellschaften divers und pluralistisch sind. Ähnlich lässt sich nun für die Bildung argumentieren. Ein funktionierendes Bildungswesen ist eine essentielle Voraussetzung für moderne Demokratien, da ohne dieses eine Partizipation von Bürgern nicht stattfinden kann. Dazu ist es notwendig, dass Bürger passiv rezipierende Haltungen überwinden und selbst aktiv teilnehmen. Nur so können Bildungsbemühungen erfolgreich sein. Auch hier besteht ein dialektisches Verhältnis von Öffentlichem und Privatem, da Bildung einerseits öffentlich organisiert wird und für den Erfolg von Gesellschaften unerlässlich ist. Andererseits ist Bildung höchst privat, hängt von individuellen Zielen, intellektuellen Kapazitäten und anderen ähnlichen Dimensionen ab, die der Privatsphäre des Individuums zugerechnet werden. Auch hier sind Vermachtung und Versuche der Systeme denkbar, das Individuum für eigene Zwecke zu instrumentalisieren und zu manipulieren, etwa Bildung auf Servilität oder Strebsamkeit oder an vor allem für Ökonomie und Staat relevanten Wissensgebieten auszurichten. Solche Übergriffe der Systemimperative auf lebensweltliche Bereiche sind im Bildungsbereich problemlos vorstellbar. Ebenso lassen sich strukturelle Ausgrenzungen (z.B. von Migranten) und auch alternative Arenen im Bildungsbereich denken (wie etwa die Koranschulen), die einer Integration aller Mitglieder einer Gesellschaft entgegen wirken. Die im vorherigen Abschnitt formulierte Relation zwischen Systemen und Lebenswelt könnte dementsprechend auch wie folgt lauten: Für eine Balance zwischen den Gewalten
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muss Bildung sich gegen die Gewalten Geld und administrative Macht behaupten, um „die an Gebrauchswerten orientierten Forderungen der Lebenswelt zur Geltung zu bringen“ (Habermas 1990: 36). Auch die Diagnose, die Habermas unter Bezugnahme auf den Staatsrechtler Ulrich Preuß (1989) für die Entwicklung des Staatsbürgers in modernen Demokratien formuliert, ist auf beide Bereiche, den politischen Prozess wie die Bildung, anzuwenden. In beiden Fällen ist die Rolle des Staatsbürgers mit der privaten Rolle des Klienten von wohlfahrtstaatlichen Bürokratien verschränkt. Demokratie und Willensbildung werden zum Instrument der Förderung von sozialer Gleichheit im Sinne möglichst gleichmäßiger Verteilung des Sozialprodukts auf die Individuen.10 Eine gemeinsame staatsbürgerliche Moral ist in dieser Situation nicht im Individuum angelegt. Das Gefälle zwischen Selbstinteresse und Gemeinwohlorientierung werden damit zu zentralen Herausforderungen von sozialstaatlichen Massendemokratien, die diese Problemstellung behandeln müssen, wenn sie ihre Substanz bewahren wollen. Als zentrales Verfahren wie dies geschehen kann, sieht Habermas demokratische Meinungs- und Willensbildungsprozesse – also eine gesellschaftliche Selbstverständigung an. Eine analoge Folgerung kann für die Bildung gezogen werden. Auch hier sind Individuen gleichzeitig in der Rolle des Klienten und des Staatsbürgers, auch hier wird Bildung als zentrales Instrument zur Förderung von sozialer Gleichheit bzw. gleichmäßiger Verteilung des Sozialprodukts eingesetzt und auch hier wird Bildung als Möglichkeit begriffen, auf die staatsbürgerliche Moral einzuwirken. Gerade die institutionellen Arrangements, die über rechtliche Regelungen getroffen und wirksam werden, sieht Habermas als wesentliche Möglichkeit an, gegen eine Klientelisierung des Staatsbürgers einzuwirken. Um das Ausmaß zu bestimmen, in dem diese fortgeschritten ist, schlägt Habermas vor, mittels einer Analyse der Institutionen zu zeigen, wo Hemmschwellen eingebaut sind, „die die Staatsbürger zu unpolitischer Folgebereitschaft konditionieren und daran hindern, reflexiv über die Wahrnehmung ihrer kurzfristigen Eigeninteressen hinaus zu denken“ (Habermas 1990: 43). Er schlägt also vor zu untersuchen, welche Entfremdungsprozesse in sozialstaatlichen Massendemokratien wirksam sind. Ohne große Bögen lässt sich auch hier wieder die Brücke zum Bildungsbereich schlagen, in dem Entfremdungstendenzen unübersehbar sind. Fehlende Leistungsbereitschaft und fehlendes Selbstvertrauen bei vielen Hauptschülern, unterdurchschnittliche Bildungsabschlüsse bei Migrantenkindern, Gewalt an 10 Die wohlfahrtstaatliche Massendemokratie hat die paradoxe Kategorie des vergesellschafteten Privatmenschen (des Klienten) hervorgebracht, der in dem Maße mit der Staatsbürgerrolle verschmilzt, wie er sich gesellschaftlich universalisiert.
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Schulen, lange Studienzeiten u.a.m. lassen sich hier nennen. Demokratischen Körperschaften, die frei flottierende Werte, Themen, Beiträge und Argumente ermöglichen und spontanes, nicht vermachtetes, sondern an Entdeckung und Problemlösung orientiertes Engagement unterstützen, versprechen hier Heilung – für die politische Öffentlichkeit und für die Bildung. Mit der ursprünglich entworfenen – nach eigener Einschätzung von Habermas – idealisierenden Sicht auf die bürgerliche Öffentlichkeit hat er einen Maßstab entwickelt, mit dem die Funktionsfähigkeit von Öffentlichkeit in demokratischen Gesellschaften überprüft werden kann. Der Wert des so entworfenen Idealbilds wird von Habermas darin gesehen, ein Spannungsfeld zwischen Idee und Wirklichkeit zu erzeugen. „Die Dynamik der geschichtlichen Entwicklung sollte auch von dieser Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit zehren“ (Habermas 1990: 34). Gleichzeitig kann die formulierte Norm als Ausgangspunkt für die empirische Überprüfung von gegenwärtigen Verhältnissen eingesetzt werden. Wie in Habermas Überlegungen zur bürgerlichen Öffentlichkeit gelten Partizipationschancen möglichst vieler Bürger / Gesellschaftsmitglieder heute auch im Bildungsbereich als ein wesentliches Kriterium für seine Funktionsfähigkeit. Um über einen Strukturwandel der Bildung zu urteilen, wäre somit erheblicher empirischer Aufwand nötig. Entscheidend sind hier die Fragen, ob und in welchem Umfang Bildung in modernen Gesellschaften in der Lage ist, den Mitgliedern einer Zivilgesellschaft Partizipationschancen zu bieten, also den Einzelnen zu aktivem, staatsbürgerlichem Engagement befähigt oder aber zu einem passiven Klienten verkümmern lässt. Auch wäre im Einzelnen zu betrachten, inwieweit Ökonomie und Staat mittels Bildung die Lebenswelten von sozialen Gruppen (Kollektiven) kolonisiert und diese für eigene Ziele instrumentalisiert. Um Antworten in diesem weit gesteckten Feld zu geben, kann hier – anstelle des notwendigen umfangreichen Forschungsprogramms – lediglich exemplarisch den Fragen nachgegangen, wie gegenwärtige und neue institutionelle Arrangements im Bildungsbereich angelegt sind, ob diese eine Klientelisierung oder aber staatsbürgerschaftliche Mündigkeit unterstützen. Die derzeit vorhandene Neuordnung des Kräfteverhältnisses und der Verantwortlichkeiten zwischen Individuen, Staat und Wirtschaft werden zum einen daraufhin betrachtet, inwieweit lebensweltliche Bereiche für Interessen bzw. Anforderungen der Systeme Staat und Ökonomie mobilisiert werden sollen. Zum zweiten wird nachvollzogen werden, inwieweit institutionelle Arrangements, staatsbürgerliche Aktivierung ermöglichen oder eine Klientelisierung von Lernenden unterstützen.
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3. Empirische Befunde zum Strukturwandel der Bildung Insgesamt lässt sich eine Tendenz hin zu mehr privater Verantwortung für Bildung verzeichnen, allerdings ist diese keinesfalls als eine lineare Entwicklung hin zur Kolonisierung von privaten Lebenswelten zu verstehen. Vielmehr ist ein komplexer, widersprüchlicher Prozess im Gange, der sich entlang der Grenzlinie von sozialstaatlicher Klientelisierung und staatsbürgerlicher Verantwortung vollzieht. Diese Grenzverhandlungen lassen sich insbesondere in vier Lebensbereichen nachvollziehen: (1.) Freizeit: Das Verhältnis von persönlicher freier Zeit und der Zeit, die für die Bildung aufgewendet werden muss, wird sich zu ungunsten der privaten Zeit verändern. (2.) Wohlstand: Individuen werden zunehmend Kosten für ihre Bildung tragen. (3.) Persönlichkeitsentwicklung: Bildung, verstanden als Ausbildung einer eigener Persönlichkeit, wird zunehmend in einem Spannungsfeld stattfinden, in dem Verhaltenskodexe, wie sie in unterschiedlichen professionellen Bereichen üblich sind, und Individualität mit weniger konformen Verhaltensweisen miteinander im Konflikt stehen. (4.) Bildungsinhalte: Sie werden weitaus stärker als bisher nach Nützlichkeitsaspekten ausgewählt und damit stärker an Erfordernissen orientiert werden, die von außen an das Individuum herangetragen werden. Philanthropische Bildungsinteressen werden demgegenüber zurücktreten. 3.1 Freizeit: Lernen versus Muße, Familie, Ehrenamt Die erste Grenzverhandlung zwischen System und Lebenswelt bezieht sich auf die Zeitökonomie. Bildung verhält sich tendenziell expansiv. Sie nimmt immer größeren Umfang in der Lebenszeit an und dehnt sich darüber hinaus als Thema und als Tätigkeit auch in die Freizeit bzw. das Familienleben aus, die beide als originär private Sphäre gelten. Bereits heute verbringt die Hälfte der jüngeren Generation in Deutschland ein Viertel ihrer Lebenszeit in Bildungsinstitutionen (Müller/Steinmann/Schneider 1997). Zusätzlich zur institutionalisierten Primarund Sekundarbildung und der berufsqualifizierenden Bildung ist ein erster Bildungszyklus wohl für die Mehrheit der Jugendlichen nach einem Studium frühestens im Alter von 25 Jahren beendet. Danach werden im Laufe des Berufslebens Weiterbildungen oder auch Umschulungen hinzukommen. Bildung wird damit schon zeitlich ein zentraler Topos für alle Lebensverläufe werden. Die Erwartung sich selbst permanent auch außerhalb von institutionellen Zusammenhängen und jenseits der institutionell organisierten Bahnen auf eigene Initiative zu bilden, steigt ebenfalls erheblich an. Renommierte Forscher der Erwachsenenbildung prognostizieren bereits seit einigen Jahren diese Entwicklung (Brödel 1997). Den zunehmenden Anteil an Bildung im Zeitbudget von Men-
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schen, die in wirtschaftlich fortgeschrittenen Gesellschaften leben, hat längst auch die demographische Forschung nachgewiesen und in ihre Theorie der Bevölkerungsentwicklung aufgenommen (Birg 1996). Sie wird als wesentlicher Faktor für den Rückgang der Geburtenzahlen identifiziert. Die expansive Tendenz von Bildung im Zeitbudget von Menschen, die in Wissensgesellschaften leben, manifestiert sich an vielen Stellen. Der Zuwachs von Bildungszeiten vollzieht sich dabei nicht nur als reale Erfahrung in biografischen Verläufen von Menschen. Das zeitökonomische Grenzregime zwischen privater Zeit und berufsbezogener Lernzeit wird auch auf der symbolischen Ebene als Topos der Selbstbeschreibung zunehmend aufgegriffen und für die eigene Selbstpräsentation und -konzepte genutzt. Bildungs- und Berufsberater, Coaches und Studienberater leiten Menschen an, die auf der Suche nach einer Arbeit sind, ihre eigene Biographie in Kategorien des Lernens und des Kompetenzerwerbs zu beschreiben. Gerade so genannte Ausfallzeiten, die durch Elternschaft oder Arbeitslosigkeit bedingt sind, werden in diesem Sinne interpretiert, um potenziellen Arbeitgebern die Eignung für eine Arbeitsstelle zu belegen. Selbst dort, wo Zeit für private Belange genutzt wird, wird sie als öffentlich wertvolle, beruflich relevante Qualifikationen vermittelnde Zeit interpretiert.11 Bildung findet in dieser Form mehr und mehr in Zeiten statt, die als private Zeit gilt. Sie wird gleichzeitig zum Gegenstand von Reflexionen, denn gerade das informelle Lernen, das im Privatleben stattfindet, muss nun daraufhin überdacht werden, welche Kompetenzen dabei erworben wurden und inwieweit diese für einzelne Tätigkeiten im Erwerbsleben qualifizierend sind. Auch ideell und symbolisch wächst somit der Stellenwert der Bildung im Privat11 Die „Lernende Region Bodensee“, die Teile eines vom BMBF geförderten Programms zur Innovierung der Lernkultur in verschiedenen Regionen ist, hat diesen Ansatz in einer so genannten „Kompetenzberatung“ kultiviert. Dabei werden alle Stationen einer Biographie unter dem Aspekt des Kompetenzerwerbs analysiert, um Potenziale für zukünftige Berufsfelder sichtbar zu machen. Dabei werden informell erworbene Fähigkeiten, also solche die in der Familie, im Ehrenamt jenseits von Bildungsinstitutionen erworben wurden, identifiziert, expliziert und dem Beratungssuchenden als Fähigkeit bewusst gemacht, die nutzbar ist für Erwerbsarbeit oder Selbständigkeit. In einem nächsten Schritt sollen Verfahren entwickelt werden, mit denen diese Kompetenzen dann durch ein Zeugnis oder Zertifikat offiziell anerkannt werden, ohne dass die jeweiligen Personen noch einmal eine schulische Institution besuchen müssen. Lernen wird mit dieser Kompetenzorientierung zum zentralen Prinzip der Selbstschreibung in jeder Lebenslage erhoben. Menschen, denen formalen Bildungsabschlüsse aus welchen Gründen auch immer fehlen, können mit dieser Strategie der Selbstbeschreibung ihrer „Kompetenzbilanz“ ihre Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt zumindest im Ansatz bearbeiten und gemäß den Erwartungen der Wissensgesellschaft produktiv wenden. Einen ähnlichen Ansatz stellt der so genannte „Quali-Pass“ dar, der an baden-württembergischen Schulen ausgegeben wird. Darin können Jugendliche ehrenamtliches Engagement in der Schule, in Vereinen oder auch Praktika in Unternehmen dokumentieren lassen, um dies bei späteren Bewerbungen um Lehrstellen vorlegen zu können.
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leben. Auf der Basis dieser Tendenzen spricht vieles für eine Kolonisierung der Lebenswelt. Verantwortlichkeiten werden hier soweit hin zum Individuum verlagert, dass existenzielle Bedürfnisse, wie Familie oder Elternschaft, zurück gedrängt werden zugunsten von Anforderungen, die aus den Erfordernissen im ökonomischen System erwachsen. 3.2 Wohlstand: Finanzierung von Bildung Die Finanzierung von Bildung ist ein weiterer Bereich, in dem derzeit die Grenze von öffentlich und privat verhandelt wird. Wie oben bereits dargelegt, geht es dabei weniger darum, dass sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung von Bildung zurückzieht. Vielmehr sind die notwendigen Zuwächse in den Bildungsetats zu beschaffen, die unter anderem deswegen erforderlich werden, weil in Zukunft lebenslang zu lernen ist und auch die derzeitige Qualität der Primarausbildung verbesserungswürdig erscheint.12 Die Steigerung des Anteils der privaten Bildungsfinanzierung scheint demnach unvermeidlich. In anderen Ländern ist dies bereits seit langem üblich. Die dort gemachten Erfahrungen zeigen, dass hierzu entsprechende Systeme entwickelt müssen (Stipendien, Finanzierungsmodelle für Studiengebühren und Lebenshaltungskosten usw.), somit eine Zeit der Umstellung notwendig ist, damit die neuen finanziellen Anforderungen individuell auch geschultert werden können. Mit der Verlagerung von finanzieller Verantwortung für Bildung auf private Haushalte wird auch das Bewusstsein für die individuelle Verantwortung in diesem Bereich steigen und eine stärker Kosten- und Nutzenabwägung erfolgen, wenn bestimmte Bildungswege in Erwägung gezogen oder Weiterbildungen ausgewählt werden. Bildung wird dadurch ähnlich wie in Unternehmen auch für Individuen zu einer Ressource, die gemanagt werden muss, auf die sich strategische Entscheidungen richten, die anders als bisher ökonomisch sehr viel direkter als bisher zu verantworten sind. Während sich bisher die Investitionskosten für Bildung insbesondere aus möglicherweise verlorener Erwerbszeit und den Le-
12 Das Bemühen die schulische Bildung zu verbessern, setzt unter anderem bei einem früheren Beginn der Schulpflicht und der Einbindung der Kindergärten in das staatliche Schulwesen an. Wie die zukünftige Verteilung von Kosten in der Weiterbildung aussehen könnte, war Gegenstand einer eigens vom BMBF dafür eingerichteten Kommission, der Kommission zur Finanzierung des Lebenslanges Lernen.
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benshaltungskosten in dieser Zeit zusammensetzen, sind jetzt aktive Investitionsentscheidungen zu treffen.13 Um solche Entscheidungen treffen zu können, ist es notwendig, Individuen mit qualifizierten Informationen zu versorgen. Diese müssen es in die Lage versetzen, etwa die Qualität von Bildung einzuschätzen oder relevante Anbieter eine Qualifikation zu identifizieren. So ist der Rückzug des Staats, der sich im Bereich der Weiter- und der Erwachsenenbildung verzeichnen lässt14, begleitet von dem Aufbau einer Reihe von Supportstrukturen wie Informations- und Qualitätssystemen, Beratungsangeboten, Netzwerkbildungen und Erhebungen von weiterbildungsrelevanten Daten. Experten sehen den Weiterbildungsbereich deswegen, „was die Entwicklung zu einem staatsfernen, eher marktorientierten Bereich angeht, in einer Vorreiterrolle gegenüber Schule, Hochschule und andere Bereichen“ (Nuissl/Pehl 2004: 19). Die Übertragung von mehr Verantwortung auf das Individuum wird hier flankiert durch Infrastrukturen, die seine Entscheidungsfähigkeit stärken und damit Menschen unterstützen, selbstverantwortlich und kompetent über die Ausrichtung des eigenen Lebens zu entscheiden. Der scheinbare Rückzug des Staates aus finanzieller Verantwortung für das Lebenslange Lernen kann vor dem Hintergrund der flankierenden Maßnahmen als ein Revidieren von Strukturen gelesen werden, die Bürger eher klientelisiert haben. Als Leistungsempfänger von Weiterbildungen, ist die Notwendigkeit, Verantwortung für eigene Bildungsentscheidungen zu übernehmen, gering. Indem die Verantwortlichkeit für die nachschulische Bildung auch in finanzieller Sicht in die Hände des Individuums gelegt wird, wird signalisiert, dass es als Mitglied der Gesellschaft in der Pflicht ist, das eigene und das Gemeinwohl aktiv mitzugestalten. Der dialektische Charakter von Bildungsinvestitionen, die individuellen und gesamtgesellschaftlichen Nutzen stiften, wird mit dieser Umverteilung der Verantwortlichkeit eher Rechnung getragen, als durch eine ausschließlich staatliche Finanzierung.
13 Dies setzt ein Umdenken, eine Neuorientierung und auch den Erwerb von neuen Kompetenzen bei bildungsinteressierten Individuen voraus. Sozialen Gruppen, denen unternehmerisches Denken vertraut ist, wird es weitaus leichter fallen, sich auf diese neuen Anforderungen einzustellen. 14 Auch die Umsetzung der Bolognabeschlüsse bietet neue Spielräume die staatliche Finanzierung des Studiums einzuschränken. Insbesondere die Deklarierung des Masterstudiums als „Zweitstudium“ bildet erhebliches Einsparungspotenzial, da damit die Verpflichtung hierfür eine Finanzierung nach dem BaFöG zur Verfügung zu stellen, entfallen würde. Auch ließen sich Studiengebühren für die Durchführung eines Zweitstudiums weitaus eher vertreten, ohne dass die Grundsätze eines gleichberechtigten Bildungszugangs für alle Einkommensschichten damit schon in Frage gestellt wäre.
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3.3 Persönlichkeitsentwicklung: Normierung versus Individualität Es werden zunehmend individuelle Bildungsentscheidungen gefordert werden. Schulische und berufliche Laufbahnen haben sich heute bereits in hohem Maße diversifiziert, so dass man an verschiedenen Stationen im Leben, eine Auswahl treffen kann und muss. Diese Tendenz des Wählens zwischen Bildungswegen und -inhalten wird sich weiter verstärken. Dabei gilt es auch, persönlichkeitsbedingte Stärken und Schwächen in Einklang mit Bildungsentscheidungen zu bringen und damit in die Entscheidungen für oder gegen bestimmte berufliche Entwicklungslinien einzubeziehen. Die Erwartung ist dabei, die eigene Persönlichkeit nicht nur selbstreflexiv zu erkennen, sondern ihre Entwicklung auch an den Anforderungen in spezifischen Berufsfeldern zu orientieren. Um zu gewährleisten, dass die Qualifikation ihrer Mitarbeiter eng an den Erfordernissen der Unternehmen orientiert ist, begannen diese gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit einer eigenständigen Bildungsarbeit in den Fabriken. Die daraus entstehende Industrielehre wurde später erweitert hin zur Meisterausbildung, wobei stets fachliche Inhalte und Werteerziehung miteinander gekoppelt waren (Kunze 1981). Organisationspsychologie und Erwachsenenpädagogik sind zentrale Stichwortgeber dieser Verhaltensnormierung in Unternehmen. Führungskräftetraining, Konflikttraining, Telefontraining usw. sind Weiterbildungsangebote, die solche Normierungstendenzen umsetzen.15 Das Individuum und seine Persönlichkeitsentwicklung sind somit in den letzten Jahren wieder stark in das öffentliche Interesse gerückt, die (Wieder-)Einführung von Verhaltensbewertungen in den Schulen wird in Erwägung gezogen, zunehmend ist die Vermittlung von so genannten Sekundärtugenden wesentlicher Bestandteil von formaler Bildung. Werden doch ganz wesentlich soziale Kompetenzen dafür verantwortlich gemacht, wenn Individuen mit gutem Ausbildungsstand nur schlecht Zugang zum Arbeitsmarkt finden.16 Die hier beschriebene individuelle 15 Ähnlich normierend wie die berufliche Sozialisation wirken Standardisierungen von Bildungsinhalten und die internationale Messung von Bildungsergebnissen. Ihnen liegt das Postulat der Vergleichbarkeit und der Standardisierbarkeit von Lerninhalten und Qualifikationen zugrunde. Es impliziert, dass diese als Standard gesetzten Inhalte und Qualifikationen entscheidend sind für ein erfolgreiches Handeln in der jeweiligen (gesellschaftlichen und geographischen) Umwelt und unabhängig von der Spezifik eines Umfeldes eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Performanz in derselben garantiert. Solche Standards orientieren sich im Wesentlichen an den Anforderungen der westlichen Welt. Ihre Stakeholder im Bildungsbereich sind Initiatoren solcher Vergleichstests und setzen damit auch die Kriterien dafür, was verglichen wird. 16 Solche Normierungstendenzen stehen im Widerspruch zur Entwicklung und Nutzung individueller Kapazitäten. Individuen bewegen sich hier im Spannungsfeld zwischen Individualität und Konformität, zwischen Entwicklung individueller Kompetenzen und nahtloser Integration in ein Team. Dieses Spannungsfeld gilt auch für das schulische Lernen. Dort allerdings ist es noch strikter geregelt, weil hier das Abweichen von Lern- und Verhaltensstandards nicht positiv sein
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Anpassung an berufliche Anforderungen erfolgt über die (Selbst-) Sozialisation des Individuums, analog zu den im Beruf notwendigen Sozialformen. Die Orientierung von persönlichem Verhalten an den beruflichen Anforderungen, die Ausrichtung von Individualität an den Verhaltenserwartungen bestimmter Berufsfelder wird allgemein mit dem Begriff „Professionalität“ bezeichnet – das notwendige Fachwissen vorausgesetzt. Individuen, denen dies in hohem Maße gelingt, gelten als professionell. Die Verinnerlichung von Verhaltensstandards ist somit eine wesentliche Voraussetzung dafür, um berufliche Anforderungen auf einem hohen Niveau zu erfüllen. In gewisser Weise könnte hier eine doppelte Kolonisierung der Lebenswelt einsetzen, da zum einen die jeweilige Person nach professionellen Belangen geformt wird und diese so in die Lebenswelt auch von Gemeinschaften eindringt, also zum zweiten auch die sozialen Beziehungen dort prägt. 3.4 Bildungsinhalte: Erwerbsorientierte versus humanistische Bildung Die Lebenszeit, die für Bildung zur Verfügung steht, ist begrenzt. Bildungsentscheidungen finden zunehmend in einem Spannungsfeld statt, das sich zwischen der Ausrichtung des Wissenserwerbs als ökonomische Ressource und dem Wissenserwerb als Prozess der Menschwerdung, also humanistischen Bildungszielen, bewegt.17 Entscheidungen für den Erwerb von bestimmten Wissensinhalten werden deswegen (zunehmend) ökonomischen Kalkülen folgen, also an auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Kompetenzen orientiert sein. In dieser Situation ist die Erwartung der Lernenden, dass nicht nur die Bildungsinhalte konkret definiert sind, sondern auch dass expliziert wird, welche Kompetenzen durch die Teilnahme an einem Bildungsangebot erworben werden können.18 kann, selbst wenn es durch Wissensdrang bestimmt ist, wie bei leistungsstarken oder auch autodidaktisch lernenden Kindern, die in deutschen Schulen häufig ebenso scheitern wie lernschwache Mitschüler. Lernen wird zunehmend zum Gegenstand von strategischen Entscheidungen. Individuen sind gefordert, persönliche Fähigkeiten und Kapazitäten in Einklang zu bringen mit beruflichen Zielen und den dazu gehörigen Lern- bzw. Ausbildungswegen. Im Spannungsfeld zwischen Anpassung an bestehende Normen, tragen sie ihr Wissen zu Markte und müssen sich dabei individuell positionieren, indem sie sich gegenüber Konkurrenten hervortun. 17 Humanistische und berufsorientierte Bildungsideale sind nicht notwendig Antagonismen, häufig aber auch nicht deckungsgleich. 18 Beispiel für dieses Vorgehen sind die Bologna-Vorgaben für die Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen oder auch die baden-württembergische Bildungsplanreform, die die Kompetenzorientierung zu einem wesentlichen Prinzip erklärt hat. In den Erläuterungen des badenwürttembergischen Kultusministeriums zu der Reform findet sich folgende Passage: „Bei der Orientierung von Schulleben und Unterricht an Kompetenzen müssen die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit zum handelnden Vollzug und zum Einüben von Verfahrensweisen erhalten. Um die Komplexität des Kompetenzbegriffs fassbar und für die unterrichtliche und erzieheri-
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Die Fokussierung von Bildungsinhalten auf konkreten, ökonomisch verwertbaren Kompetenzerwerb stellt gerade auch die schulische Bildung auf den Prüfstand. Ist die Bildung insbesondere mit der Absicht verbunden, Jugendlichen einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen und hier ihre Konkurrenzfähigkeit zu verbessern, so kann ein so genanntes „over schooling“ entstehen. Wenn das auf dem Arbeitsmarkt geforderte Ausbildungsniveau niedriger ist, als das angebotene Ausbildungsniveau, wird Bildung zum „positional good“, d.h. dass nur ein höherer Bildungsabschluss die Chance auf einen Arbeitsplatz erhöht. Insgesamt nimmt der Wert von Bildung ab, wenn Höherqualifizierte bereit sind, einen Job auf niedrigerem Niveau zu übernehmen. Der Verzinsungssatz der Ausbildung wäre dann relativ gering. Individuell ist der Vorsprung gegenüber der Konkurrenz ein Vorteil, volkswirtschaftlich jedoch sind hohe Bildungsinvestitionen vergeudet, da diese eigentlich nicht notwendig gewesen wären, um diesen Bedarf zu bedienen (Meer/Glebbeek 2001). Aus einer humanistischen Sicht sind solche Argumente kaum nachvollziehbar, da Bildung nicht zuviel sein kann, wenn sie der persönlichen Entwicklung dient. Welches Wissen in Zukunft gebraucht wird, ist heute schwer kalkulierbar. Bereits mittelfristige Prognosen, etwa zu potenziellen Berufsaussichten von heutigen Studienanfängern in den einzelnen Fächern, sind selten treffgenau. Insofern ist es schwierig, die „richtigen“ Bildungsentscheidungen zu treffen. Noch zu Anfang der 1970er Jahre schien es unstrittig zu sein, Menschen gemäß dem humanistischen Bildungsideal zu individueller Entwicklung zu befähigen. So zumindest die Auffassung jener Institution, die das Konzept des Lebenslangen Lernens entwickelt hat, um in emanzipatorischer Absicht Menschen überall auf der Welt zu befähigen, an dem rasanten gesellschaftlichen und technologischen Wandel zu partizipieren. Im Auftrag der Bildungskommission der UNESCO veröffentlicht 1972 Edgar Faure ein erstes Konzept zum Lebenslangen Lernen, mit dem diese auf die so genannte Weltbildungskrise reagiert (Faure 1972, Gerlach 2000). „Unsere letzte Annahme ist, daß die Erziehung nur global und permanent sein kann um diesen ganzen Menschen zu bilden, dessen Erscheinen umso notwendiger wird, als immer härtere Zwänge jeden einzelnen zu treffen beginnen. Es geht auch nicht mehr darum, punktuell und ein für alle Mal Wissen zu erwerben, sondern sich darauf einzustellen, während des ganzen Lebens ein sich ständig entwickelndes Wissen zu erarbeiten und ‚leben zu lersche Arbeit überschaubar zu halten, werden die folgenden Kompetenzbereiche akzentuiert: personale Kompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz sowie Fachkompetenz.“ In dem 9seitigen Dokument kommt der Begriff „Kompetenz“ rund vierzig Mal vor (Kultusministerium Baden-Württemberg, http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Sonstiges/ FAQ_Bildungsplanreform.pdf vom 30. Oktober 2005).
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nen‘ “ (Faure 1973: 22). Nicht eine abstrakte Anhäufung von Wissen sollte das Ziel sein, sondern eine enge Verbindung von Erziehung und realem Leben. Das Motto lautet: „Learning to be“. Lernen ist dabei ein humanistisches Konzept, das den Menschen befähigen soll, sich die Welt kreativ an zu eignen, das Zusammenleben menschlicher zu machen und sich in und durch (Erwerbs-)Arbeit zu entfalten. „Die Erziehung wir also künftig nicht mehr durch einen bestimmten Inhalt definiert, den man sich aneignen muß, sondern versteht sich als Entwicklungsprozess des Menschen, der durch seine verschiedenen Erfahrungen lernt, sich auszudrücken, zu kommunizieren, die Welt zu befragen und immer mehr er selbst zu werden“ (Faure 1973: 18).19 Solche Bildungsziele werden heute als idealisierend und realitätsfern angesehen. Neben Selbstentfaltung soll Bildung auch zum ökonomischen Wohlergehen von Unternehmen und Gesellschaft beitragen.20 Dabei lässt sich nur schwer bestimmen, welche Bildung und auch wie viel Bildung notwendig ist, um beiden Zielen gerecht zu werden. Individuen sehen sich heute bei der Wahl ihrer Bildungswege und Lernstrategien im Spannungsfeld zwischen ökonomisch zentriertem Kompetenzerwerb und humanistisch zentrierter Persönlichkeitsentwicklung. Einseitige Orientierungen sind riskant und greifen auf Dauer zu 19 In historischer Perspektive waren es die Menschen aus den ländlichen Unterschichten und den Arbeiterschichten, die eine an der Alltagsrealität der Berufswelt orientierte, schulische Bildung erhielten. Anders als die humanistisch zu bildenden Bürgerkinder sollten sie in den Volksschulen all die Fähigkeiten lernen, die zumindest als Basis für eine Tätigkeit in der aufstrebenden, Arbeitskräfte suchenden Industrie notwendig waren. Nach und nach wurde diese an Inhalten der realen Welt orientierte Bildung immer weiter ausgedehnt, während humanistische Bildungsinhalte stetig weniger gelehrt wurden. Gegenwärtige Grenzverhandlungen zwischen einer an der Ökonomie orientierten und einer eher an individueller Entwicklung orientieren humanistischen Bildung stehen in der Tradition des Widerstreits, der Mitte des 19. Jahrhunderts unter maßgeblicher Beteiligung Alexander von Humboldts begann. Er wendete sich entschieden gegen die sich damals entwickelnde Realschulbewegung, die sich am Bedarf der sich entwickelnden Industriegesellschaft orientierte. Seitdem lässt sich eine immer stärkere Orientierung hin zu diesen „realen“ Bildungsinhalten verzeichnen, die bis heute anhält (vgl. Kunze 1981). 20 Mehr als je zuvor sind auch Unternehmen heute bestrebt, ihren Einfluss auf das staatliche Bildungswesen geltend zu machen, damit Schul- und Hochschulabsolventen tatsächlich die Qualifikationen mitbringen, die in Ökonomie und Gesellschaft benötigt werden. Schulpatenschaften, die Entwicklung von neuen Lehrberufen, die Kreation von Studienangeboten wie an den Berufsakademien in Baden-Württemberg und auch die Berufsakademien selbst sind Beispiel für solche Kooperationen von öffentlichem Bildungswesen mit Arbeitgebern vornehmlich aus der Industrie. Realbildung erweist sich dabei als Strategie, die in der Tat Wachstum und Wohlstand vermehrt hat. Bildung hat damit jedoch nicht zwingend emanzipatorischen Charakter, wie verschiedene Studien belegen. Bildung ist nur in begrenztem Maße geeignet, soziale Unterschiede in der Herkunft auszugleichen. Gute Noten und hervorragendes Fachwissen sind nur zwei von mehreren relevanten Variablen in der Konkurrenz um Arbeit und Wohlstand. So ist die soziale Vererbung von kulturellem Kapital für den beruflichen Aufstieg noch immer wichtiger als tatsächlich erbrachte Leistungen im Studium (Schölling 2003, Bourdieu 2001).
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kurz21, weiß doch niemand, was die tatsächlichen Anforderungen einer zukünftigen Gesellschaft sein werden. Die Entwicklungsrichtung in diesem Bereich ist nicht deutlich konturiert. Ob eine Aufhebung von klientelisierenden Strukturen oder eher eine Kolonisierung im gesellschaftlichen Umgang mit Bildungsentscheidungen zu verzeichnen ist, ist derzeit nicht absehbar bzw. erfordert detailliertere Analysen. Deutlich sichtbar sind hingegen die in diesem Feld stattfindenden Grenzverhandlungen zwischen Lebenswelt und System. 4. Fazit: Zur Zukunft des Öffentlichen in der Bildung Grenzverschiebungen zwischen Öffentlichem und Privatem im Bildungsbereich können mit ökonomisch zentrierten Konzepten, wie dem der Allmende oder dem des öffentlichen Gut nicht angemessen erfasst werden, da wesentliche Dimensionen von Bildung nicht integrierbar sind. So können beispielsweise klassische Nullsummenspiele wie bei materiellen Gütern für Bildungsszenarien nicht gelten. Öffentliches und Privates stehen in der Bildung in dialektischem Verhältnis. Bildung hat immer beide Dimensionen, die aufeinander bezogen sind. Ansatzpunkte für eine Analyse des Öffentlichen im Bildungsbereich bietet die theoretische Position von Habermas zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, in der er gesellschaftstheoretisch die Funktion politischer Öffentlichkeit für moderne Demokratien analysiert. Sie scheint schon deswegen auf den Bildungsbereich übertragbar, weil beide, Bildung und politische Öffentlichkeit, wichtige Voraussetzungen für die Partizipation in demokratischen Gesellschaftsordnungen bieten und damit beiden ähnlich zentrale Bedeutung für die Funktionsfähigkeit von demokratischen Systemen zugeschrieben wird. Zur Bewertung des „Zustandes“ der Bildung kann an die Unterscheidung der beiden gleichzeitig bestehenden Rollen des Bürgers angeknüpft werden, den Habermas durch Bezugnahme auf Preuß (1989) einerseits als aktiv partizipierenden, verantwortungsvollen, am Gemeinwohl orientierten Staatsbürger und anderseits als Wohlfahrtsleistungen entgegen nehmenden Klientel des Staats beschreibt. Die ten21 Ein außergewöhnliches, aber gerade dadurch anschauliches Beispiel hierfür ist die Qualifizierung von IT-Experten in den 1990er Jahren, die aufgrund des in der Wirtschaft enorm gestiegenen Bedarfes von diversen Bildungsträgern schnell qualifiziert wurden, entsprechend der hohen Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt für kurze Zeit sehr viel verdienten, aber aufgrund der technologischen Entwicklung rasch wieder überflüssig waren. Sie mussten feststellen, dass dieses „instant knowledge“ weitgehend wertlos war. Wer sich umgekehrt zu sehr an individueller Menschwerdung orientiert, Altägyptologie oder Parapsychologie zum Mittelpunkt seiner Bildungsbestrebungen macht, läuft Gefahr ähnlich geringe Resonanz auf dem Arbeitsmarkt zu ernten.
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denziell vorhandene Widersprüchlichkeit dieser Doppelrolle ist nicht erläuterungsbedürftig. Unstrittig und empirisch beobachtbar ist, dass infolge von Klientelismus verantwortungsvolles, am Gemeinwohl orientiertes, also staatsbürgerliches, Verhalten kaum entwickelt wird. Als ein erstes Kriterium zur Beurteilung der Zukunft des Öffentlichen im Bildungsbereich kann insofern die Frage herangezogen werden, inwieweit bestehende oder intendierte Strukturen im Bildungswesen aktives, selbstverantwortliches Verhalten unterstützen und dazu motivieren, nicht nur eigene Vorteile zu suchen, sondern auch Gemeinwohl orientiert zu handeln. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass solche Gemeinwohlorientierung nicht einseitig vom Individuum abzuverlangen ist, sondern dass Habermas die Notwendigkeit eines Gleichgewichts der Kräfte postuliert, das in demokratischen Gesellschaftsordnungen das Kräfteverhältnis zwischen den Systemen Staat und Ökonomie und der Lebenswelt, also individuellen Lebensumfeldern, ausbalanciert. Verlagerungen der Systeminteressen zu ungunsten von Individuen bezeichnet Habermas als „Kolonisierung von Lebenswelten“. Sie gelten als ebenso kontraproduktiv für die Funktionsfähigkeit von demokratischen Gesellschaften wie klientelhaftes Verhalten. Es ist insofern durch die Beachtung der Kräfteverhältnisse ein zweites Kriterium zur Begutachtung des Zustands des Öffentlichen in der Bildung zu ergänzen. Welche Tendenzen sich dafür abzeichnen wurde in vier Lebensbereichen herausgearbeitet. Die Entwicklung, die dabei sichtbar wird, ist keinesfalls unidirektional, was zunächst als Privatisierung auf breiter Front erscheint, erweist sich bei näherer Perspektivierung als Stärkung des Öffentlichen. Im lebensweltlichen Bereich der Freizeit hat dieses zunehmende in die Pflicht nehmen von Individuen eindeutige Kolonisierungstendenzen, die in erheblichem Maße auch zu Einschränkungen in den Lebenswelten führen. Der Rückgang von Geburtenzahlen kann, wie die demographische Forschung gezeigt hat, deutlich in diesem Kontext der expansiven Bildungsanforderungen gestellt werden. Weniger eindeutig sind die Entwicklungslinien in den Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung und der Wahl der Bildungsziele. Ein gesellschaftlicher Trend lässt sich auf Basis der hier ausgewerteten Literatur und Daten nicht feststellen. Vielmehr sind Grenzverhandlungen im Gange, die zwischen Individuen, Staat und Öffentlichkeit geführt werden. Ganz anders verhält sich dies im Bereich der finanziellen Zuständigkeit für Bildung. Ausgerechnet die Reorganisation der Finanzierung von Bildung in einigen Bildungsabschnitten kann als eine Ausbildung von Strukturen beschrieben werden, die staatsbürgerliches Verhalten fördern werden.
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Die Zukunft des Öffentlichen im Bildungsbereich ist somit nicht eindeutig absehbar. Nur in einzelnen Bereichen, wie Freizeit und Finanzen, ist diese deutlich konturiert. Ansonsten kann das derzeitige Geschehen als intensive Grenzverhandlungen charakterisiert werden. Aufgrund der äußerst knappen, hier analysierten Bereiche und einem Zugang der auf Überblick und weniger detailgenaue Tiefe angelegt ist, haben die getroffenen Aussagen eher Hypothesencharakter und bedürfen weiteren Forschungsbemühungen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich die Funktion von Bildung in modernen Gesellschaften gewandelt hat. In der Nachkriegszeit und den Gründerjahren der Bundesrepublik war der Aufbau des Bildungswesens stark von dem Paradigma geleitet, Schüler und die Bevölkerung insgesamt zu demokratischem Verhalten zu befähigen. Neben dem Erwerb von Fähigkeiten und notwendigem Wissen war hierbei auch eine gleichmäßige Verteilung der Bildungschancen für alle sozialen Schichten ein wesentliches Leitmotiv, da erst die Fähigkeit an den demokratischen Institutionen zu partizipieren, auch die Teilnahme an demokratischen Prozessen ermöglicht. Gleichberechtigter Zugang zu Bildung war somit eines der zentralen Interessen einer sich demokratisierenden Gesellschaft und wurde als bildungspolitische Strategie verfolgt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde im Laufe der Zeit ein stark ausdifferenziertes Bildungssystem angelegt, das formal die Durchlässigkeit zwischen den nach Leistungsfähigkeit gestaffelten Schulformen ermöglichen sollte. Eine wesentliche Intention war dabei auch Kindern aus niedrigeren sozialen Schichten, die eher zum Einstieg in die für niedrigere Abschlüsse qualifizierenden Schulformen (Hauptschule, Realschule) tendierten, den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen bis hin zu einem Studium zu öffnen. Insbesondere der Anteil der Arbeiterkinder unter den Hochschulabsolventen wurde zum Indikator für den Erfolg dieser Strategie. Auch wenn diese hochgesteckten Erwartungen nicht vollständig erfüllt werden konnten und bis heute soziale Faktoren über das Niveau des Bildungsabschluss entscheiden, so wird diese Zielsetzung bis heute in der Bildungspolitik verfolgt. Darüber hinaus hat sich im Laufe der Zeit aber auch eine entscheidende Veränderung in der Motivation ergeben, Menschen aus sozial niedrigeren Schichten in Bildung zu involvieren. Neben der Befähigung zur Demokratie sind auch arbeitsmarktpolitische Entwicklungen, also ökonomische Erwägungen, ein zentraler Motor für alle Schichten umfassende Bildungsansätze. Gerade Menschen mit niedrigeren oder gar ohne Bildungsabschluss bzw. Berufsausbildung finden heute deutlich schlechter Arbeit als diejenigen mit einem hohen Qualifikationsniveau. Diese Tendenz ist zum einen auf globale Konkurrenz verschiedener Produktionsstandorte weltweit zurückzuführen, die zu einer Verlagerung weniger
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qualifizierter Jobs in Niedriglohnländer geführt hat. In dieser Situation sind moderne Gesellschaften mehr und mehr dazu übergegangen, sich als Wissensgesellschaften zu positionieren, deren Standortvorteil im globalen Wettbewerb der „Rohstoff“ Wissen ist. Der Wandel im Bildungssektor ist nicht zuletzt in diesem Kontext der Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften als Wissensgesellschaften zu sehen. Eine Gesellschaft, die sich selbst in dieser Weise sieht, wird auf Vermehrung dieses Rohstoffes, also des Wissens setzen. Der zentrale Zugang zu Wissen ist Bildung. Bildung ist Motor von gesellschaftlichem Wandel und unterliegt in diesem Prozess selbst auch einem Bedeutungswandel. Die Steigerung der Bildungsbemühungen, qualitativ und quantitativ, ist ein unübersehbares Faktum.22 In einer Wissensgesellschaft, die sich um den Ausbau ihrer Position im globalen Wettbewerb bemüht, rückt wie in keiner anderen gesellschaftlichen Formation zuvor das Individuum in den Blickpunkt. Es ist Träger von Wissen – zumindest wenn man von einem handlungsorientierten Wissensbegriff ausgeht, nach dem erst durch ihre Anwendung Informationen zu Wissen werden. Medien sind insofern allenfalls Speicher von Informationen, die dann von Individuen nutzbar gemacht werden können. Individuen sind als Akteure, die Wissen generieren und zur Anwendung bringen können, somit die eigentliche Ressource der Wissensgesellschaften. Vermittelt über die Bildung können diese nun diese Ressource weiter entwickeln und veredeln.23 Bildung als ein zentrales Element gesellschaftlicher Gestaltung, das nach dem Prinzip der Einwirkung und Selbsteinwirkung im Sinne einer Technologie des Selbst (Martin/Foucault 1993) Individuen formt, ist damit noch wichtiger geworden.24 In einer Gesellschaftsentwicklung, die Individuen in der oben beschriebenen Weise als Dreh- und Angelpunkt von gesellschaftlichen und ökonomischen Strategien sieht, sind das Kräfteverhältnis von System und Lebenswelt ebenso wie das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem Kernfragen. 22 Diese Tendenz ist nicht an die bundesrepublikanische Gesellschaft gebunden, denn unabhängig von kulturell variablen Deutungsoptionen von Bildung, nimmt die Relevanz von Bildung mit dem Modernisierungsgrad einer Gesellschaft zu (Birg 1996). 23 Nicht zu vergessen ist der oben bereits erfolgte Hinweis, dass Wissen anders als andere Rohstoffe „funktioniert“. 24 Dass hierbei gesellschaftliche (und wirtschaftliche) Anforderungen wesentliche Rahmenbedingungen für diese Formung des Individuums setzen, liegt in der Natur der Sache. Die Frage hier ist somit weniger, ob das Individuum als Spielball mächtiger Interessen oder als selbstverantwortlicher Akteur in diesem Geschehen anzusehen ist. Vielmehr folgt die Argumentation hier der Auffassung von Anthony Giddens, wonach sich Makrostrukturen in das Handeln der Akteuren einschreiben und sich somit auch auf der Mikroebene äußern. Makroebene und individuelles Handeln müssen in diesem Sinne gemeinsam thematisiert werden (Giddens 1988).
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Alihan Kabalak und Markus Rhomberg Vorrede: Politische Ökonomie als quasi-ökonomische Politik Politische Theorien haben sich bereits mit Fragen der politischen Kommunikation auseinandergesetzt; in der ökonomischen Theorie der Politik fehlt das fast noch gänzlich. Am politischen Markt werden Vorschläge für kollektiv bindende Entscheidungen gehandelt. Das ist schnell gesagt und gefällt politisch interessierten Ökonomen. Wie weit die Analogie trägt, ist aber noch zu klären. Das politische Personal der Demokratie buhlt im politischen Wettbewerb um die Stimmen der Wahlbürger wie Unternehmen um das Budget der Konsumenten. Stimmen gelten dann als politische Währung. Damit ist das ökonomische Konzept der Konkurrenz auf die Politik übertragen; und das in einem Fall öffentlicher Güter. Die weiteren Implikationen sind damit klar. Politiker legen konkurrierende Vorschläge vor, Wähler bewerten diese nach je eigenem Gusto und verwenden für die jeweils gefälligste Alternative all ihre Stimmen, nämlich eine. Im Prinzip begegnen wir hier – aus Sicht des ökonomischen Standardmodells – günstigeren Umständen als in der Ökonomie. Wir haben es mit einer idealen Welt nur eines Gutes im Angebot und homogener Anfangsausstattungen auf Nachfrageseite zu tun. Das Gut ist öffentlich und in alternativen Qualitäten verfügbar. Politische moral hazards gibt es nicht, denn wer seine Zahlungs-, also Stimmbereitschaft verschweigt, wird von anderen überstimmt und muss deren Vorlieben (nun im ökonomischen Sinne:) mitfinanzieren.1 Also stimmt jeder Akteur für das von ihm tatsächlich bevorzugte öffentliche Gut. Zudem sind wir mit unserer Währung hier vor sozialistischen Anfeindungen gefeit: Im Gegensatz zur Ökonomie ist das Budget jedes einzelnen nicht historisch belastet. Stimmen sind weder vererb- noch akkumulierbar. Das Konto jedes Stimmbürgers wird vor jeder Wahl getilgt, um jeweils gleiche Entscheidungsmacht zu garantieren.
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Das bekannte Gegenargument von Downs (1957), das Tullock (1993) übernimmt, geht fehl: Ein rationaler Wähler müsse die Kosten seines Wählens für höher schätzen als seinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis und daher nicht zur Wahl gehen. Träfe das zu, müsste der rationale Wähler genau das auch von seinen Mitwählern erwarten. Wäre diese Erwartung berechtigt, stiege aber der Einfluss seiner Stimme auf das Wahlergebnis, wenn er – anders als die anderen – doch wählt. Dann aber würde es sich durchaus lohnen zu wählen.
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Ersparnisse für besonders wertvolle Entscheidungen in Zukunft sind im Prinzip nicht vorgesehen, auch wenn Buchanan und Tullock (1962) sie im repräsentativen modus der Demokratie durch log-rolling wieder einführen. Wer im Sinne anderer abstimmt, weil ihm selbst an der Sache wenig liegt, vergibt einen Kredit und erwartet, dass der dann zurückgezahlt wird, wenn etwas für ihn wichtigeres zur Abstimmung steht. Das ist i) angesichts Arrows (1963) Anschlag gegen das Mehrheitsprinzip und ii) dann aus Effizienzgründen geboten, wenn es bei den fraglichen Gütern um kollektiv bindende Entscheidungen über steuerfinanzierte Ausgaben handelt. Damit lässt sich die etwas starre ‚eine Abstimmung – ein Wähler – eine Stimme‘ – Maxime zugunsten eines Prinzips korrigieren, das die Präferenzen zwischen verschiedenen Gütern berücksichtigt und etwa die Form ‚n Abstimmungen – ein Wähler – n Stimmen‘ hat. Der Wettbewerb funktioniert ganz ohne Externalitäten – schließlich wird kollektiv beschlossen, was alle angeht – und sorgt für gute Beschlüsse: die Politiker unterbieten sich gegenseitig bei Kostenvorschlägen für öffentliche Güter oder überbieten sich, bei festen Steuereinnahmen, in der Qualität der Güter. Ex ante undurchsichtige Qualitäts- und Kostenmerkmale gibt es unter vollkommener Information nicht. Sollten Medien beteiligt sein, dienen sie der Verbreitung von Information über politische Angebote und untermauern damit diese Annahme. Die Übertragung des ökonomischen Standardmodells auf den politischen Markt spricht also für die effiziente Staatslösung des Problems öffentlicher Güter. 1. Einleitung Medien sind potentielle physische Informationsträger. Die Begriffe Medien und Massenmedien werden auf die Herausgeber faktischer Informationsträger eingeengt, die in Massenproduktion hergestellt werden: darunter fallen im Wesentlichen Redaktionen von Druckerzeugnissen und Rundfunksendungen. Dem werden wir folgen. Massenmedien sind also Einrichtungen der Gesellschaft, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen (z.B. Luhmann 1996). Weitere Merkmale von Massenmedien sind die große Zahl und relative Unbestimmtheit der Adressaten von Medien und das Nichtvorhandensein von Interaktionsmöglichkeiten zwischen Sender und Empfängern – „Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen“ (Luhmann 1996: 11). Wieder bei Luhmann (1996) finden wir die Unterteilung in drei Programmbereiche: Nachrichten, Werbung und Unterhaltung. Im üblichen Sprachgebrauch werden auch Organisationen, die Medien herstellen, als Medien bezeichnet. Um unsere Begriffe präzise zu halten, werden wir das vermeiden und stattdessen diese Organisationen als Medienunternehmen bezeichnen.
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Politische Kommunikation ist die Kommunikation, die von politischen Akteuren ausgeübt wird, an sie gerichtet ist oder die politischen Akteure und ihr Handeln zum Thema hat (vgl. McNair 1995: 4.). Forschungen zur politischen Kommunikation orientieren sich an zwei Grundfragen: „Auf welche Weise beeinflusst oder bedingt die gesellschaftliche Kommunikation [Anm. der Autoren: über Politik, also politische Kommunikation] Strukturen und Prozesse der Politik? Und auf welche Weise bestimmt oder bedingt Politik die gesellschaftliche Kommunikation?“ (Schulz 2003: 458). Wir sehen im Forschungsfeld der politischen Kommunikation zwar eine ganze Reihe von Fallstudien; eine systematische Erforschung des Gegenstandes im Kontext des politischen Systems, von Kommunikationsregeln, -prozessen und -strukturen ist – bis auf wenige Ausnahmen – aber nicht vorhanden. „Über politikfeldspezifische Kommunikationsnetzwerke, über issue-spezifische Mechanismen von Diskretion und Publizität, über das jeweils sehr unterschiedliche Wechselspiel von vertraulichen, halböffentlichen und öffentlichen Foren politischer Kommunikation in den Politikfeldern wissen wir relativ wenig“ (Sarcinelli 2001: 235). Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Begriff der politischen Kommunikation ist recht heterogen. Politik und Kommunikation selbst bezeichnen bereits Phänomene mit „überaus variablen Grenzen“: Politik zum einen tritt in ihrer heute gängigen Gestalt auf als ausdifferenziertes Subsystem, das allgemeinverbindliche Entscheidung trifft. „Kommunikation zum anderen ist (…) ein gesellschaftliches Totalphänomen, das alle erdenklichen Schichten des individuellen und kollektiven Lebens durchwirkt“ (Saxer 1998: 21.; vgl. auch Palazzo 2002: Teil A). Der Versuch, den Begriff der politischen Kommunikation in einen größeren Theoriekontext einzubetten, wollte bisher nicht recht gelingen. Politische Kommunikation muss letztlich aber in einem Gesamtmodell, auch unter Einbeziehung demokratietheoretischer Perspektiven, Perspektiven der Medienwirkungsforschung und neuerer ökonomischer Theorien erklärt werden. Wir wollen dazu beitragen. 2.
Politischer und ökonomischer Wettbewerb im Zeichen der Massenmedien Ökonomischer Wettbewerb wird in der klassischen Theorie über Produktqualitäten und -preise geführt, neuklassisch auch in dynamischer Hinsicht (Innovation). Erfolgsbestimmend ist der effektive und effiziente Einsatz von Technologie (Wissen) in Produkten und Produktionsprozessen. Hayek (1969) spricht vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren von neuem Wissen. Daraus ergeben sich zwei Arten von Innovation: Produkt- und Prozessinnovation. Die Wettbe-
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werber müssen dabei über i) Produktion oder Zukauf von Wissen und ii) die Selektion des einzusetzenden Wissens entscheiden. Wettbewerb in der Medienökonomie läuft über die kommunikative Wertbelegung des Produktes. Es geht darum, Aufmerksamkeit und Interpretation des Konsumenten für das Produkt zu beeinflussen. Breite Aufmerksamkeit wird über die Verstärkerfunktion der Medien erreicht. Der Schwerpunkt verlagert sich von der Bedienung nachfrageseitig qualitativ vorgegebener Bedürfnisse auf die aktive Bearbeitung der Inhalte der Nachfrage. Politischer Wettbewerb wird klassisch über Qualität und Kosten alternativer kollektiv bindender Entscheidungsmöglichkeiten geführt. Dazu gehören Entscheidungen über Institutionen und über öffentliche Güter.2 Die Qualität von Politik misst sich – ökonomisch gesprochen – an individuellen Wählerpräferenzen. Die Kosten der Politik, die die Wähler zu tragen haben, umfassen auch die bürokratische Dimension der Umsetzung von Entscheidungen. Sind die Wähler nicht vollkommen informiert, können sie diese Kosten nicht exakt abschätzen. Dann bleibt der Politik ein gewisser Spielraum, mit Scheinkosten und Scheinnutzen zu argumentieren. Politische Innovationen zielen entsprechend auf Inhalte von Entscheidungen und auf die Kosten von deren Umsetzung zuzüglich besserer Begründungsweisen vertretener Meinungen. Entscheidend sind hierbei wieder Generation und Selektion von Wissen (vgl. Priddat 2004b, Wohlgemuth 1999 und 2003). Wettbewerb in der Mediendemokratie wird über die Inszenierung von politischen Positionen in den Medien geführt, die Aufmerksamkeit und Interpretation des Wählers zugunsten der jeweiligen Meinungen von Politikern und Parteien beeinflussen sollen. Politische Konkurrenz vollzieht sich also in der Diskussion um die Interpretation spezifischer Issues im Forum der Medien. Dabei gilt es, die Interpretationshoheit gegen die politische Konkurrenz in der „Gunst der Medien“ zu gewinnen. Medialisierung meint die „Prägung der von Massenmedien berichteten Inhalte nach Maßgabe einer Medienlogik, d.h. nach medienspezifischen Selektionsregeln und Darstellungsformaten“ und die „Prägung der Wirklichkeit aufgrund einer Wechselwirkung oder Reziprozität zwischen Medien und Ereignissen“ (Schulz 2003: 237). Die Regeln der Massenmedien haben heute eine entscheidende Rolle im politischen Prozess übernommen. Auch hier wird Aufmerksamkeit über die Nutzung bzw. Benutzung von Medien erreicht. Politik wird gemäß den Vorgaben der Medienregeln inszeniert. Die Medienwissenschaft arbeitet dazu mit den Theorien des Nachrichtenwerts und des gatekeepers. Wir haben es mit gesteuerten Aufmerksamkeiten zu tun, die politische und ökonomi2
Nicht die Güter selbst sind das Produkt der Politik, sondern die Entscheidung über sie.
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sche Werte schaffen und verteilen. Die Medien leiten die Aufmerksamkeit, die sie bei ihren Adressaten (Wählern, Konsumenten) genießen, an Politik und Wirtschaft weiter. Das geschieht, was die Wirtschaft angeht, direkt ohne Interpretation der Botschaft durch die Medien. Die Redaktion interpretiert – unter den Bedingungen der medialen Selektionsmechanismen – die politischen Botschaften. Wir müssen dabei wieder die Programmbereiche Werbung und Nachrichten unterscheiden. Werbung um Konsumenten wird explizit ausgewiesen, als externe und unkommentierte Information jenseits der redaktionellen Verantwortung und damit vom eigentlichen Produkt des Mediums geschieden. Der Konsument muss dafür nicht zahlen; er wendet aber seine knappe Aufmerksamkeit für die Werbung auf (und erbringt damit quasi eine Konsumentenleistung). Medien, die sich ausschließlich über ökonomische Werbung finanzieren, sind für den Rezipienten folglich kostenlos. Solche Medien sind die privaten elektronischen Anbieter (TV, Radio und noch zu weiten Teilen Informationsprovider im Internet) im Gegensatz zu den – ebenfalls privaten – Printmedien und den elektronischen öffentlichrechtlichen Anbietern.3 3. Politische Kommunikation und Medienleistung Kanäle der politischen Kommunikation können i.) die Fremddarstellung im redaktionellen Bereich mit der Restriktion der medialen Regeln sein und ii.) die Selbstdarstellung auf unkommentierten Werbeseiten, die erkauft werden. ii.) betrifft Kampagnen, die meist kurz vor Wahlterminen gefahren werden, und die Massenmedien für ihre Botschaften in gleicher Weise nutzen wie ökonomische Werbung. Über diese Kanäle können die Parteien vollständig selbst bestimmen, sie müssen nicht befürchten, dass journalistische Selektionskriterien die Botschaft oder die Darstellung verändern (vgl. Lessinger et al. 2003.). Diese Kampagnen sind allerdings erst dann von weiterem Interesse für die massenmedial vermittelte politische Kommunikation, wenn sie zum Thema von (i.) werden. Vor der Fremddarstellung von politischen Inhalten durch die Medien, steht die Selbstdarstellung der Politik für die Redaktion. Politik agiert also weitestgehend medienzentriert, auch wenn sie vorgeben muss, sich ausschließlich am Wähler3
Die öffentlich-rechtlichen Sender finanzieren sich (zumindest in Deutschland) zum Großteil über Gebühren, die von den Rezipienten zu entrichten sind, aber auch zu einem gewissen Teil über Werbung. Eine ähnliche Struktur erkennen wir bei einem Großteil der Printmedien, die sich ebenfalls aus direkten Gebühren, die der Rezipient zu entrichten hat, aber auch aus Werbung finanzieren. Eine Sonderform der Medienfinanzierung sind Modelle, die sich explizit von der Werbefinanzierung abwenden und sich nur über die Rezipientenseite finanzieren (Pay-TV) (vgl. Wirtz 2005).
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willen zu orientieren. Medien sind das erste „Publikum“ (oder besser der „erste Rezipient“) der Politik, sie gilt es zu überzeugen. Diese Überzeugung läuft entlang medialer Regeln. Die Leistungen, die die Medien für den Rezipienten erbringen, umfassen: i) die eben beschriebe Selektion und ii) Fremddarstellung politischer Kommunikation, sowie iii) die Lieferung von Begründungen für oder wider bestimmte Meinungen. Wir wollen das näher bestimmen: i) Die Selektion durch die Medien hilft dem Rezipienten, die eigene (knappe) Aufmerksamkeit effizienter einzusetzen und stellt damit eine geldwerte Leistung dar. Selektion umfasst sowohl die Auswahl bestimmter Themen, als auch die Zusammenstellung bestimmter Äußerungen als Inszenierung von politischer Konfrontation, die – nach der Nachrichtenwerttheorie – Aufmerksamkeit erzeugt. In diesem Punkt ist die Lieferung politischer Kommunikation mit der anderen wesentlichen Leistung von Massenmedien verwandt: der Unterhaltung. ii) Die Darstellung der verschiedenen politischen Themen und Standpunkte durch die Medien erleichtert dem Rezipienten, sich eine Meinung zu den behandelten Themen zu bilden. Soweit sich die Medien an ihren normativen Grundsatz der vollständigen, umfassenden Information halten, geht es hier darum, die Umstände der Kommunikation von Issues durch Politiker darzustellen, und so den Kontext zu liefern, in den konkrete Äußerungen vom Rezipienten gebracht werden können. Hieraus und aus der Selektionsfunktion speist sich aber die Macht der Medien, auch dann meinungsbildend zu wirken, wenn sie Ansichten präsentiert, die nicht explizit – etwa als Meinung eines Journalisten – ausgewiesen ist. Grundsätzlich haben Medien und Journalisten damit zwar die Gelegenheit, ihr meinungsbildendes Potential gezielt zugunsten bestimmter politischer Lager einzusetzen und sich das von den Begünstigten entgelten zu lassen. Wegen des Schadens, der dadurch der Glaubwürdigkeit und damit dem Aufmerksamkeitspotential des Medienunternehmens zugefügt würde, wenn dies wiederum zum öffentlichen Thema würde, richtet sich das Interesse des Unternehmens aber insgesamt darauf, bei Rezipienten als (finanziell) unabhängig zu gelten. Das Korrektiv liefert hier die wirtschaftliche Konkurrenz der Medienunternehmen untereinander, schlägt aber nicht direkt auf einzelne Journalisten durch. Journalisten stehen auch in dieser Hinsicht im Agentenverhältnis zum Prinzipal Unternehmen (mit allen Folgen der entsprechenden ökonomischen Modelle; vgl. Jensen/Meckling 1976 zu den Grundlagen der Agenturtheorie).
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iii) Offene und begründete Unterstützung bestimmter politischer Positionen (in Form von journalistischen Kommentaren als direkte Wahlempfehlung) gilt nicht als Manipulation, sondern als Leistung. Sie dient der medialen Funktion, Begründungen für abweichende Meinungen zu provozieren, die neben der neutralen Berichterstattung eine wesentliche Leistung von Medien darstellt. Eine andere Form der Präsentation findet sich als moderierte Diskussionsrunden in den elektronischen Medien. Diese Leistung erzeugt umso mehr Aufmerksamkeit, je glaubwürdiger das Medium ist. Man könnte hier eine Verlagerung des politischen Diskurses aus den parlamentarischen Arenen in die – von den Medien moderierte – (Medien-)Öffentlichkeit entdecken. Vermutlich sehen wir hier aber schlicht eine andere Form des politischen Diskurses, bei dem bestimmte Personen ihre soziale Rolle und die mit ihr verbundenen Argumente und Attribute quasi als reine Inszenierungsleistung nachspielen und damit stellvertretend für bestimmte politische Standpunkte und Positionen stehen (vgl. dazu Meyer 2001.). Die darin präsentierten Dispute sind im Regelfall bloße Wiederholungen von längst kommunizierten Argumenten. Die wenigsten Argumente lassen sich einzelnen Akteuren zuschreiben, meist geht es um Aussagen, die jeweils ganze Lager teilen. Die Autorenschaft für ein zustimmungsfähiges Argument zugeschrieben zu bekommen, ist damit übrigens ein Alleinstellungsmerkmal erfolgreicher Politiker im Wettbewerb mit ihren eigenen Parteigenossen. In der öffentlichen Arena werben die politischen Akteure um die Zustimmung, die Legitimation des Wahlvolkes, zu verschiedenen Issues, die auf der politischen Agenda stehen. Politische Akteure und Bürger stehen aber nur in den wenigsten Fällen in direktem Kontakt, Informationen und Kommunikationen werden fast ausschließlich über die Massenmedien vermittelt. Der (politische) Grenznutzen von direkten Wählerkontakten dürfte für sich genommen vernachlässigbar gering sein. Angesichts des Selektionsproblems der Wähler gilt das übrigens für beide Seiten, da es für Bürger schwer abschätzbar ist, welche Veranstaltung zu besuchen sich lohnt und welche nicht. Ihren Wert beziehen solche Veranstaltungen vor allem aus der medialen Nachbereitung, als Nachrichten über Bürgernähe. Politische Kommunikation findet auch dezentral zwischen Wählern statt, sie ist dadurch aber nicht unabhängig von medialer Vermittlung (vgl. die spieltheoretischen Konzeptionen bei Bohnet 1998). Denn sie findet im Wesentlichen als Kommunikation über jene medial vermittelten politischen Themen statt, die der Gesellschaft von den Medien als aktuelle und dringliche politische Inhalte präsentiert werden: „Die Öffentlichkeit richtet sich in ihrer Diskussion der Fragen von öffentlichem Interesse danach, welche Themen in
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den Medien am häufigsten diskutiert werden.4 (...) Eine Gesellschaft lässt sich als Agglomerat einer Vielzahl von Interessengruppen betrachten. Jede dieser Gruppen sieht sich mit Problemen konfrontiert, die einer politischen Lösung bedürfen. Politische Entscheidungsträger sähen sich mit einer nicht zu bewältigenden Flut von Entscheidungen konfrontiert, wollten sie allen Bedürfnissen nachkommen. Um ihrem öffentlichen Auftrag nachzukommen, muss sich die Agenda der Politiker nach der Agenda der Öffentlichkeit richten: Eine Regierung, die öffentlich artikulierte Anliegen auf die Dauer ignoriert, wird in ernste Probleme geraten. Gehen wir davon aus, dass die Medien-Agenda diejenige der Öffentlichkeit beeinflusst, dann wird Medienberichterstattung zu einem bedeutenden politischen Machtfaktor“ (Eichhorn 1995: 41f.). Politiker liefern ihre Selbstdarstellung in Form politischer Themen und entsprechender Entscheidungsvorschläge als Rohmaterial für mediale Vermittlungen. Sie haben ein Interesse, ihre Darstellung mediengerechter Vorselektion zu unterwerfen (Nachrichtenwert). Doch bereits das „Rohmaterial“, das den Medien zur Verfügung gestellt wird, ist das Ergebnis von professionellem IssueManagement und Inszenierungsleistungen auf Seiten der Politik (vgl. u.a. Liebl 2000). Dafür zeichnen die Public Relations-Abteilungen der politischen Organisationen verantwortlich. Die Teilnehmer an politischen Prozessen verfolgen das Interesse, ihren jeweiligen Einfluss auf die Her- und Darstellung politischer Entscheidungen zu maximieren. In der politischen Kommunikation treffen wir darum auf miteinander um Zustimmung und Publizität konkurrierende Darstellungen und Begründungen von Issues und deren Entscheidungsfolgen mit Hilfe von politischer Kommunikation. Politische Akteure müssen immer mehr Ressourcen in die Kontrolle und Beobachtung der öffentlichen Arena investieren. Und das mittels symbolischer Politik (Darstellung von Politik) und politischer Kommunikation (Politikvermittlung) im Kampf um Aufmerksamkeit und Legitimation durch Wählerstimmen. Welche Macht ergibt sich aus den Darstellungsmöglichkeiten der modernen Massenmedien? „Macht für die Medien, die nach klassischer Vorstellung als 4
Das Konzept des Agenda-Setting sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Themenstruktur der Massenmedien und der Themenwahrnehmung der Bevölkerung. Die Wirkungen der Medienberichterstattung liegen also demnach nicht in der Veränderung von Meinungen, Einstellungen oder Werten der Rezipienten, sondern im Potential die Politikpräferenzen der Wähler bzw. Bürger, aber auch der politischen Akteure selbst zu beeinflussen, indem die Medien durch Häufigkeit und Umfang der Berichterstattung über ein bestimmtes Issue das Publikum dazu veranlassen, bestimmte politische Probleme für wichtiger zu halten als andere (vgl. Jarren/Donges 2002: 235, Marcinkowski 1998: 8.) „Agenda setting is a theory about the transfer of the elements in the mass media’s picture of the world to the elements in the pictures in our heads“ (McCombs 1997: 1).
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kontrollierendes Gegenüber zur Politik gedacht sind? Macht der Medien, die Publizität schaffen, kanalisieren und auch verhindern können? Macht der Medien, denen heute weniger als früher politischer Tendenzjournalismus und stattdessen eher übereifrige Publikumsorientierung nachgesagt wird? Oder – auf der anderen Seite – Macht für die politischen Akteure, die sich als professionelle Darstellungskünstler verstehen? Macht der Akteure, welche die Logik der Medien beherrschen und für politische Zwecke instrumentalisieren?“ (Sarcinelli/Tenscher 2003: 9). Empirische Forschungen haben gezeigt, dass jede Form von Massenkommunikation, sei es bei den Print-Medien oder den Elektronischen Medien, bei der Auswahl und Gewichtung von Ereignissen dieselben Filtersysteme anwendet; zwei Theorien sind dabei zu beachten: der amerikanische GatekeeperAnsatz (der erste Ansatz stammt von White 1950) und die europäisch geprägte Nachrichtentwerttheorie (Galtung 1965). Der Gatekeeper-Ansatz konzentriert sich auf die Person des Journalisten und sein redaktionelles Umfeld, das ihm Restriktionen (Blattlinie, Herausgeber, Chefredaktion) und strukturelle Bedingungen (freier Raum, freie Zeit) vorgibt. Die Nachrichtenwerttheorie legt ihr Hauptaugenmerk auf den Informationswert einer Nachricht, den sie anhand generischer Kriterien abzuschätzen versucht. Das erste Kriterium ist die Ereignishaftigkeit eines Sachverhaltes. Gedanken, Programme oder Absichten, die sich nicht als Ereignis präsentieren lassen, haben nur geringe Chancen, Aufnahme in den Medien zu finden. Wichtige Nachrichtenfaktoren, die den Nachrichtenwert eines Ereignisses erhöhen, sind die kurze Dauer des Geschehens, möglichst als abgeschlossene Episode, die räumliche, politische und kulturelle Nähe zum Betrachter, der Überraschungswert, die Konflikthaftigkeit, großer Schaden oder besondere Erfolge und die Möglichkeit, ein Ereignis zu personalisieren bzw. mit Prominenz zu versehen (v.a. in Bildmedien). „Beide genannten Analyseperspektiven haben ihre Meriten; sie lassen sich miteinander kombinieren“ (Peters 1994: 63). 3.1 Medien als Schiedsrichter politischer Konkurrenz Da Nachrichtenmaterial nicht knapp ist, stellt die Generierung von Ereignissen, bzw. Kommunikationen durch die Politik keine Leistung dar, die die Medien zu vergelten hätten. Medien können Nachrichtenknappheit zudem dadurch verhindern, dass sie ihr Potential zu investigativem Journalismus als Drohmittel gegen die Politik einsetzen. Die Politik hat ohnehin ein eigenes Interesse an dieser Produktion von Ereignissen. Das Wissen, das Medien in ihre Produkte ‚politische Berichterstattung‘, ‚Kommentar‘ etc. investieren, um dieses Rohmaterial zu vermarkten, wird nicht politisch geliefert. Die Medien versorgen die Politik
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demnach auf eigene Kosten mit Aufmerksamkeit. Trotz dieses Leistungsüberschusses der Medien im Verhältnis zu Politik erfolgen keine Zahlungen. Zahlungen von Politikern an Medien würden den medialen Selektionsmechanismus außer Kraft setzen und den für die Glaubwürdigkeit notwendigen Eindruck der neutralen Berichterstattung und sachgerechten Kommentierung zerstören, an dem beide Parteien interessiert sind. Der öffentliche Glaube an mediale Objektivität generiert Aufmerksamkeit. Medien und Politik haben ein Interesse daran, diese Legende aufrecht zu erhalten. Denn was die Mobilisierung von Aufmerksamkeit angeht, haben Medien und Politik ein gleichgerichtetes Interesse. Im Gegensatz zu den Medien, sind Politiker aber sehr wohl an der Verteilung dieser Aufmerksamkeit und der folgenden Bewertung von politischen Positionen (positiv, negativ) interessiert. Politiker konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Medien, nicht umgekehrt. Den Medien ist es funktional gleich, welcher Politiker mit welchem Thema wessen Aufmerksamkeit erregt und ob sich diese Aufmerksamkeit in Fürsprache oder Ablehnung entlädt. Funktional bedeutend ist, dass überhaupt Nachrichtenwerte generiert werden. Die Medienunternehmen erfüllen institutionentheoretisch die Bedingung einer neutralen Schiedspartei (vgl. Barzel 2002, in Gegensatz zu dem wir eine solche Rolle nicht allein dem Staat zuschreiben), und zwar eines effizienten 3rd party-enforcers: Medien profitieren von der politischen Kommunikation auf andere Weise (in einem anderen System oder Spiel) als die Beteiligten und sind damit diejenige Partei, deren Interesse direkt auf die Aufrechterhaltung dieser Veranstaltung nach effizienten Regeln und ihrer Ausweitung liegt, unabhängig davon, wie sich das Verteilungsergebnis der geregelten Interaktionen darstellt. Im Gegenzug dazu, dass die Medien ihre Aufmerksamkeit der Politik widmen, erhalten sie von der Politik Material, das, wenn es medial aufbereitet wird, Wählerinteressen bedient, und sich dadurch durch Medienunternehmen ökonomisch nutzen lässt. Wäre das Material knapp, müssten die Medien um die Gunst der Politiker konkurrieren und hätten einen Anreiz, bestimmte Politiker möglichst gut darzustellen, um sich deren Aufmerksamkeit zu sichern. Die Generierung von Ereignissen (über die berichtet werden könnte) durch die Redaktionen selbst findet in nur sehr begrenztem Maße statt. Die Neutralität der Medien wird also durch den Überschuss an politischen Äußerungen garantiert. Dieser Überschuss schafft aber Selektions- und Beobachtungskosten politischer Kommunikation, die allein die Medien aufzuwenden haben, um eine Funktion zu erfüllen, die auch der Politik nützt. Was demnach zu bleiben scheint, ist eine ökonomi-
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sche Schuld der Politik den Medien gegenüber, die weder direkt ökonomisch (zahlend) noch politisch (Ämter vergebend) beglichen werden kann. Die Gegenleistung erfolgt aber in indirekter Weise. Durch die kostenaufwendige Selektion und Aufbereitung des Materials, das zur medialen Vermarktung taugt, wird der Wettbewerb unter Politikern angetrieben. Angesichts der Konkurrenz um mediale Aufmerksamkeit und um die drohende Themenschaffung von Seiten der Medien zu verhindern, antizipieren Politiker die Selektionskriterien und den Nachrichtenbedarf der Medien. Politiker bemühen sich nun, medial möglichst erfolgreich verwertbare Ereignisse zu generieren, um Gehör zu finden. Das ist eine Form von Qualitätswettbewerb, von dem (erfolgreiche) Politiker und Medien gleichermaßen profitieren. Hinzu kommt, dass gleichzeitig die (Beobachtungs-)Kosten der Medien gesenkt werden. Im Ergebnis profitieren die Medien auf Kosten der politischen Akteure ökonomisch, aber auf politisch unschädliche Weise. Das sind Leistungen von der Politik an die Medien, für die ihnen zuteil werdende Aufmerksamkeit. Man könnte meinen, bei den Kostenersparnissen, die Medien anpassungsfähigen Politikern verdanken, handele es sich im Grunde um verdeckte Zahlungen. Diese Form der Leistung an die Medien durch die Politik wird aber nicht als neutralitätsgefährdend eingestuft, da sie im Interesse sowohl des Konsumenten als auch der Wähler liegt und unter Konkurrenzbedingungen an diese weitergereicht wird. Im Unterschied zur Bestechung von Journalisten für parteiische Berichterstattung, ist die Leistung des jeweiligen Politikers an die Medien direkt an den Nachrichtenwert gekoppelt. Die Definition der Regeln des politischen Spiels bringt für die Medien aber auch eine gewisse politische Macht mit sich, die nicht ohne Weiteres unschädlich genannt werden kann. Entscheidend ist für den Neutralitätszusammenhang aber, dass die mediale Fähigkeit zum Agenda-setting nicht als Parteinahme auftritt. Die Richtung, die Medien dem politischen Geschehen durch selektive Berichterstattung geben, betrifft alle Parteien gleichermaßen. Die Selektion anhand der Nachricht und des Absenders. Im Wesentlichen geht es dabei um die bessere Befriedigung der Nachrichtenwert-Regeln zuungunsten genuin politischer Inhalte. Das Phänomen geht also auf Kosten der Souveränität des politischen Systems als Ganzem, das nun nicht mehr allein über die Inhalte der Politik bestimmt. Damit wird die Responsivität des politischen Systems gesichert. Politische Issues müssen sich auf dem Themenselektions-Markt daher nicht nur gegen andere politische durchsetzen, sondern auch gegen Issues aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, um sich ganz oben auf der Agenda der Massenmedien platzieren zu können. In großer Konkurrenz steht dabei der Un-
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terhaltungs-Sektor. Im Wettbewerb um die Top-Agenda versucht Politik – soweit dies möglich ist – Elemente der Unterhaltung einzubauen und Politiker fern des politischen Kontextes zu platzieren, um so auch neue Rezipientenschichten in den Medien und – detto – auch zusätzliche Wählerschichten anzusprechen. Öffentlichkeit „bezieht sich nicht mehr nur auf die Politik, sondern auf die Gesellschaft insgesamt. Vielleicht liegt sogar darin, von der Politik, der Herrschaft und ihrer Gewalt auch absehen zu können, einer ihrer wichtigsten emanzipativen Impulse, wenn man einmal davon ausgeht, dass eine Gesellschaft ein Interesse dran haben muss, der Definition von Agenden durch die Politik andere Agenden entgegensetzen zu können, Agenden der Wirtschaft, Agenden der Kunst, Agenden der Religion, Agenden der Wissenschaft; Agenden der Erziehung. Hier ‚Öffentlichkeiten‘ zu schaffen und aufzusuchen, heißt, der Politik weder das erste noch das letzte Wort zu überlassen“ (Baecker 2004: 5). Die Vermittlerrolle verschafft den Medien zwar jene gefürchtete Macht, die Wähleransichten zu manipulieren; sie verhindert aber auch, dass die Politik im freischwebenden Themenraum ohne Ansehung der Wählerinteressen operiert. Wähler-„Interesse“ an Themen ist nun aber – gegen die ökonomische Intuition – wörtlich zu nehmen: als Nachfrage nach „interessanten“ Themen im Allgemeinen, nicht nur nach Themen, die die Wohlstandsposition des Wählers angehen. Die theoretische Ausweitung des Wählerinteresses über das ökonomische Interesse hinaus verschafft dem Medienmechanismus erst die volle theoretische Marktartigkeit nach ökonomischem Muster. Interessierende politische Themen sind nun nicht – wie in der public choice – auf ökonomische Entscheidungen mit jenen kollektiven Aspekten beschränkt, die etwa Eigentumsrechte, öffentliche Güter, Externalitäten etc. ausmachen. Politische Themen sind zuerst politisch und in zweiter Linie möglicherweise ökonomisch relevant. Wird das gesamte Themenspektrum des Politischen in die Theorie politischen Wettbewerbs geholt, bekommen Themen einen eigenen Wert. Politische Kommunikation wird vom kollektiven Verhandlungsprozess zum eigenständigen Konsumgut. Wenn dieser Themenmarkt funktioniert, richtet sich die politische Kommunikation an den wechselnden Neugierden, Ideologien etc. der Wähler aus und nicht an vermeintlich objektivierbaren ökonomischen Interessenlagen. Hier, im politischen Konsum, wäre dann auch der systematische Ort der Kommunikation der Wähler untereinander ausgemacht. Politische Themen lassen sich nicht gut individuell konsumieren. Sie sind Anlass zu kollektivem Konsum. Man konsumiert politisch, indem man miteinander über Politik redet, sich streitet, gegenseitig versichert etc. Dass diese Form des Konsums unökonomisch wirkt, liegt nicht in ihrer Natur, sondern daran, dass die ökonomische Theorie traditionell
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auf individuelle Bedürfnisbefriedigung abstellt. An dieser Ausformulierung des politischen „Marktes“ wäre per Analogie zurück ins Ökonomische dann eine mögliche Lücke der Neoklassik ausgemacht: es gibt keinen Grund, am ausschließlich individuellen Konsum von Gütern festzuhalten, zumal dann nicht, wenn die kommunikative Aufladung von Gütern in der Werbung akzeptiert wird. Aber das ist ein anderes Thema. 3.2 Schemen der Konkurrenz Die in unserem Konzept berücksichtigten Akteurstypen: Politiker / Parteien, Journalisten, Medienunternehmen, Wirtschaftsunternehmen und Bürger (Konsumenten und Wähler), stehen in den politischen und ökonomischen Sphären in verschiedenen Aufmerksamkeitsbeziehungen zu einander, die strukturell die jeweiligen Angebots-, Nachfrage- und Konkurrenzverhältnisse widerspiegeln. Im Allgemeinen gilt, dass diejenige Seite, die die Aufmerksamkeit einer anderen zu gewinnen trachtet, dieser dafür Leistungen zu erbringen hat, die nicht unbedingt monetärer Natur sein müssen. Über die Kategorie „Aufmerksamkeit“ lassen sich also Phänomene politischer und ökonomischer Konkurrenz auf einen Begriff bringen, der sie strukturell vergleichbar macht: i) Politik: Politiker konkurrieren untereinander über die Medien um die Zustimmung der Wähler. Zustimmung bedingt Aufmerksamkeit, die nur medial mobilisiert werden kann. Demnach konkurrieren Politiker zunächst um die Aufmerksamkeit der Medien. Medien konkurrieren untereinander um die Aufmerksamkeit der Rezipienten/Wähler, die sie dann an die Politik weiterreichen können. Was die Erregung von Aufmerksamkeit im Allgemeinen betrifft, sind die Interessen dieser Parteien, der Politik und der Medien, also gleichgerichtet. Medien treten als Agenten der Wähler bei der Beobachtung von Politik auf und sind hier dem normativen Anspruch nach neutrale, aber selektive Berichterstatter und sachkundige Kommentatoren. Die (ökonomische) Konkurrenz der Produzenten von Medien, der Medienunternehmen, untereinander, sichert die Qualität dieserart Leistung. Die politische Funktion von Medien wird also durch das ökonomische Interesse der Medienunternehmen gestützt. ii) Wirtschaft: Wirtschaftsunternehmen konkurrieren über die Medien um die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Zahlungsbereitschaft setzt Aufmerksamkeit voraus, die nur medial mobilisiert werden kann. Hier haben sich Formen kommunikativer Steuerung entwickelt, die mit dem Begriff ‚Marketing‘ nur unzureichend beschrieben sind (Priddat 2004d). Im Gegensatz zur
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politischen Sphäre, lenken Redaktionen die Aufmerksamkeit der Rezipienten ihres Mediums nicht gezielt auf bestimmte Werbeinhalte. Bezüglich dieserart ökonomischer Kommunikation vollbringen Redaktionen also keine Leistungen in Form von Selektion oder sachgerechter Kommentierung. Die Leistung der Medien beschränkt sich darauf, Unternehmen Werbeflächen anzubieten, und steht damit in Konkurrenz zu allen Medien, auch den nichtpolitischen. Durch die Präsentation ihrer Inhalte in bestimmten Medien, profitiert ökonomische Werbung also von deren allgemeinem Aufmerksamkeitspotential, das auf einer von ihr unabhängigen redaktionellen Leistung basiert. Werbung, die ein bestimmtes Medium nutzt, sichert sich mit deren Reichweite also ein basales Niveau von Konsumentenaufmerksamkeit, mit der sie arbeiten kann, um Konsumenteninteresse an den beworbenen Produkten zu wecken. Die – ökonomische – Beziehung von Medien und Unternehmen schlägt sich daher in einer spezifischen Konstellation von Aufmerksamkeiten nieder. Medienunternehmen konkurrieren untereinander um die Aufmerksamkeit werbewilliger anderer Unternehmen, indem sie diesen ihr Potential, die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu erregen (potentielle Netzwerk-Arenen), weiterzureichen anbieten. Ein Medium fungiert also 1. im Politiker / Wähler – Verhältnis als Agent des Wählers, indem es durch seine bezahlte redaktionelle Leistung die Aufmerksamkeit des Wählers und darüber diejenige des Politikers auf sich zieht; 2. im Unternehmen / Konsumenten – Verhältnis als Agent des Unternehmens, indem es das durch seine redaktionelle Leistung erworbene Aufmerksamkeitspotential beim Konsumenten (Wähler) an das Unternehmen gegen Zahlung weiterreicht. 3.3 Aufmerksamkeit als Steuerungspotential Die Konstellation der Aufmerksamkeiten von Akteuren aufeinander entspricht erstens der Struktur eines Akteursnetzwerks und stellt zweitens asymmetrische Einflussbeziehungen zwischen Akteuren dar. Aufmerksamkeit konstituiert aufseiten desjenigen, dem sie gilt, ein gewisses Steuerungspotential, dass dieser durch richtig gesetzte Anreize ausüben kann. Politisch ist Aufmerksamkeit ein Steuerungspotential von Wahlverhalten und von Bürgerverhalten im Allgemeinen; es spannt sich über das gesamte Netz der Aufmerksamkeiten: von der Politik über die Medien bis hin zum Wähler. Die Aufmerksamkeitsbeziehung von Politiker und Wähler ist über diese Kaskade stets indirekt, medial vermittelt.
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Ökonomisch existiert diese Kaskade nicht: um die Aufmerksamkeit des Konsumenten buhlen gleichermaßen Medien und Unternehmen direkt. Medienunternehmen sind Zwischenhändler von Aufmerksamkeit, die sie an andere Unternehmen verkaufen, greifen aber nicht in die übrige Leistungserstellung ein. Sie haben demnach eine Art katalytischer Funktion. Medien können also politisch steuern und ökonomische Steuerung verstärken. Für beides verwenden sie ihr Potential, Aufmerksamkeit zu mobilisieren. Allerdings ist nur die politische Bedienung der Aufmerksamkeit dazu geeignet, sie zu generieren, zu erhalten oder zu mehren. Sie (ungezielt, durch bloße Kopräsenz) auf ökonomische Werbung zu lenken, konsumiert die Aufmerksamkeit dagegen und wandelt sie in Erlöse für das Medienunternehmen. Diese Umleitung der Aufmerksamkeit auf Werbung ist aus Sicht der Rezipienten wohlfahrtsneutral, sobald effiziente Konkurrenz zwischen Medienunternehmen herrscht: die Qualität des Konsums politischer Kommunikation sinkt in dem Maße, in dem durch Werbeerlöse der Preis der Medienleistung sinkt. Die ökonomischen Interessen der Medienunternehmen stehen also nicht in Konflikt mit dem Interesse ihrer Rezipienten, ihre Aufmerksamkeit effizient einzusetzen. Medien sind keinen Anreizen ausgesetzt, selbst politisch zu steuern, um bestimmte politische Situationen herbeizuführen: Medien steuern nicht politisch, weil ihre Produzenten kein politisches Interesse hegen, sondern als Unternehmen ein ökonomisches. Medien generieren, was politische Kommunikation und ökonomische Werbung für andere angeht, neutrales Steuerungspotential, nicht Steuerung. Sie verwerten dieses Potential ökonomisch, indem sie die in der politischen Berichterstattung und Kommentierung erzeugte Aufmerksamkeit für ökonomische Zwecke verwenden, die sich unabhängig von der konkreten politischen Situation verfolgen lassen: i) über Zahlungen des Rezipienten/Wählers (Zeitungen, Gebühren bei öffentlich-rechtlichen Medien) und ii) über Zahlungen von Unternehmen für Werbung. Allerdings steuern Medien in eigener Sache durchaus wie jedes andere Unternehmen, soweit es ihre ökonomischen Leistungen betrifft: die Qualität der selektiven Berichterstattung über Politik und Unterhaltung wird ins beste Licht gerückt (Nachfragesteuerung). Medien nutzen in Gesellschaften, die auf die Neutralität der Medien Wert legen, ihr Steuerungspotential nicht politisch. Glaubwürdigkeit ist jene ökonomische Ressource, die sie ausbeuten. Medien sind kraft ihrer Position im Brennpunkt der Interessen von politischen Akteuren und Wählern in der stärksten politischen Machtposition; sie würden aber in einer funktionierenden Demokratie genau diese Macht aufs Spiel setzen, wenn sie diese selbst ausübten.
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4.1 Parlamentarische Institutionen Interaktionen zwischen Politikern sind regelmäßig Kommunikationen über kollektiv bindende Entscheidungen (Dudley et al., Parsons 2003). Die Regeln des Parlamentarismus legen fest, i) dass und wie über Entscheidungen zu kommunizieren ist und ii) wie sie zu treffen sind (vgl. Korte/Fröhlich 2004). Eine institutionentheoretische Analyse dieser Regeln muss sich eine Besonderheit politischer Regeln vergegenwärtigen, die in der Wirtschaft keine Analogie findet: lassen sich die Entscheidungsregeln noch unter Effizienzgesichtspunkten interpretieren (etwa Buchanan 1984, der allerdings keine Parteidisziplin bei Abstimmungen zulässt), sind Kommunikationsregeln nicht darunter zu erfassen. Institutionelle Regeln über entscheidungsvorbereitende Diskussionen im Parlament sind keine Instanzen zur Beschleunigung oder Koordination von Interaktionen. Entscheidungen fallen meist über Mehrheitsentscheidungen (deren Ergebnisse nicht effizient sind, wie Buchanan zeigt); die Mehrheit aber hält regelmäßig die jeweilige Regierung über die gesamte Legislaturperiode hinweg. Was die Effizienz des Entscheidungsprozesses selbst (i.S.v. Transaktionskosten) angeht, wäre jede Diskussion über Entscheidungen unnötig kostentreibend. Die parlamentarischen Regeln zur Diskussion über Gesetzesvorlagen erzwingen also politische Kommunikation ungeachtet der Tatsache, dass das Abstimmungsergebnis bei herrschender Fraktionsdisziplin schon vor der Diskussion feststeht. Die Regierung, die die Entscheidungen vorhersehbar trifft, wird so gezwungen, diese zu erläutern und zu begründen und setzt sich damit möglichen Angriffen der Opposition und Medien aus, die, wenn sie treffen, zur Reallokation der öffentlichen Aufmerksamkeit und Zustimmung führen (vgl. Priddat 2004a). Die Sinn dieser Diskursaufwendigkeit ist i) die Vorabklärung aller Interessenlagen, d.h. ii) auch der Folgen der jetzigen Entscheidungen, d.h. eine Art Klärung von Handlungskonsequenzen und Externalitäten, die iii) die zukünftige Entscheidbarkeit gewährleisten sollen. Somit wird in diesem – ineffizienten, weil transaktionskostensteigernden – Diskurs im Grunde die rechtliche Figur des verantwortlichen Akteurs konstituiert. Denn von dem Parlament, das diesen Diskurs durchgeführt hat, muss erwartet werden dürfen, voll verantwortlich für alle Folgen zu sein, weil alle Interessen erwogen wurden. Und nicht nur entscheidungsunmittelbar, sondern über längere Diskurszeit, was Folgen von Folgen hat einrechnen lassen können. Die Ineffizienz dieses Diskurses konstituiert die Rechtsform der Legitimität.
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Demokratietheoretisch liegt die Funktion von öffentlichen Debatten über eine Gesetzesvorlage im Parlaments-Plenum dann in der Herstellung von Öffentlichkeit für das jeweilige Gesetzesvorhaben. In realpolitischem Sinne hat diese Debatte aber nur noch eine symbolische Funktion; die verschiedenen Vertreter von Regierung und Opposition legen – publikums- und medienwirksam – noch einmal ihre Standpunkte dar. Doch in diesen Parlamentsdebatten finden wir noch eine weitere Funktion mit der Möglichkeit für die Opposition sich zu profilieren: Die Macht der Opposition mit ihren Funktionen der Kritik, Kontrolle und dem Anbieten von Alternativen – mit dem Ziel, die Regierung aus ihrem Amt zu drängen und nach der nächsten Wahl Regierungspositionen zu besetzen – liegt in der Verbindung mit der politischen Öffentlichkeit. Eine starke, medienwirksame Opposition ist von größter Bedeutung für das Funktionieren politischer Systeme. Denn: Opposition erzeugt Legitimation. Über die Medien wird die Kritik der Opposition in die Öffentlichkeit transformiert. Hilfreich bei der Überwindung der Selektionsmechanismen der Medien ist dabei der Nachrichtenwert „Konflikt“ (vgl. Wimmer 2000). Institutionen der politischen Kommunikation (vor der Entscheidung) dienen also nicht der Koordination zwischen Politikern, sondern der gegenseitigen Verdrängung aus dem öffentlichen Interesse und der öffentlichen Zustimmung. Sie regieren ein Null-Summen-Spiel um die Wählergunst. Genau diese Institutionen zur Erzwingung politischer Kommunikation (Auseinandersetzung) ohne vorgegebene Richtung konstituieren das Spiel um die Aufmerksamkeit der Medien, nicht um deren Zustimmung. Zustimmung oder Ablehnung erfährt die Politik durch die Wähler, nachdem ihre Aufmerksamkeit durch die Medien aktiviert wurde. 4.2 Medienrecht Bis hierhin können wir von der politischen Semantik abstrahieren und uns auf politische Kommunikation als Form beschränken. Sobald das Medienrecht betroffen ist oder die Regeln des Parlamentarismus verändert werden, können aber die Inhalte von politischen Entscheidungen und deren Begründungen die Strukturen dessen beeinflussen, was wir als politische Kommunikation nachgezeichnet haben. Das Medienrecht soll die Unabhängigkeit der Medien gewährleisten. Das ist eine politische Entscheidung, die den eigenen Entscheidungsspielraum einengt, indem sie den Medien in der politischen Kommunikation, wie beschrieben, eine – zumindest potentiell – mächtigere Position zuweist, als den Politikern selbst. Es handelt sich hier also um konstitutionelle Regeln, ebenso wie diejenigen des Parlamentarismus, unabhängig davon, ob sie in der Verfassung oder in einfachen Gesetzen festgeschrieben sind.
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Sie lassen sich, analog zur Brennan/Buchanan’schen (1993) Begründung konstitutioneller Regeln, erstens über die Unsicherheit der politischen Akteure erklären, ob sie in Zukunft in der Regierung oder der Opposition sein werden (veil of ignorance). Andernfalls hätten Regierungen ja ein Interesse daran, jeglicher medial verstärkter Kritik durch Änderung der Gesetzeslage vorzubeugen. Unabhängige Medien stärken die Opposition genauso wie jene parlamentarischen Institutionen, die politische Kommunikation unabhängig von den Stimmenverhältnissen (der Entscheidungsmacht) erzwingen. Allerdings ist die Politik, zumal die Regierungspolitik, zweitens auf funktionierende Massenmedien angewiesen, um überhaupt auf ein Steuerungspotential zurückgreifen zu können, dass über deren Leistungen aufgebaut wird. Dieser Umstand lässt sich als eine besondere Form der Gewaltenteilung interpretieren. Die Medien erhalten ein institutionell abgesichertes Machtpotential, das sie nicht für sich nutzen können, um das zu nutzen sich aber die Politik, regierungs- und oppositionsseitig, permanent bei den Medien bewerben muss. 4.3 Karrieren in Politik und Medien Der in der Ökonomik etablierte methodologische Individualismus sieht einen theoretischen Blick aus der Perspektive eigeninteressierter Akteure vor. Die Anreizstruktur, der sich individuelle Akteure ausgesetzt sehen, kann bekanntlich von derjenigen der Organisationen, denen sie angehören, abweichen (PrinzipalAgenten-Situation). Im Weiteren sind aber auch systeminkompatible Anreize denkbar, die von anderen Gesellschaftsteilsystemen ausgeübt werden. So kann Politik einzelnen Akteuren durchaus als Vorbereitung eines Karrierepfades dienen, der in die Ökonomie führt. Im politischen Prozess versuchen PolitikerAkteure, soziales bzw. politisches Kapital in Form von Einfluss aufzubauen. Der einseitige Einsatz dieses Kapitals zugunsten bestimmter Interessengruppen unterliegt zwar der Gefahr, es dadurch aufzubrauchen; lohnt sich aber unter Umständen dann, wenn sich der Politiker durch verbesserte Beziehungen Zugang zu privatwirtschaftlichen oder parafiskalischen und non-gouvernementalen Ämtern verschaffen kann (vgl. Baecker 2000). Politik zugunsten einer Interessengruppe transformiert dann aus Sicht des Akteurs politisches in ökonomisches Kapital, was nicht im Einklang mit dem Interesse seiner Partei als Organisation steht. Denn im Transformationsprozess werden auf der politischen Seite Reputationswerte „verbraucht“, die ansonsten auf die Partei als Ganze abgestrahlt hätten. Die Kontakte zu anderen Politikern bleiben einem Akteur, der von der Politik in die Wirtschaft wechselt, aber bis zu einem gewissen Grad erhalten und stehen ihm nun als (Netzwerk-)Kapital zur
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Verfügung, dass sich zugunsten seines Unternehmens und zu seinen eigenen Gunsten verwerten lässt. Die idealtypischen strategischen Alternativen des politischen Akteurs stellen sich dann als Politik für politische Karriere und als Politik für Karriere in der Wirtschaft dar. Der Aufbau von politischem Kapital erfolgt einerseits über Koalitionsbildungen bzw. Parteizugehörigkeit, zur Ballung von issue-policy (und Themenherrschaft), andererseits aber auch über politischen Wettbewerb mit allen anderen Akteuren, auch mit Parteigenossen. Die Bildung politischer Organisationen (Parteien) führt zur Etablierung eines parallelen Spiels um Ämter, nämlich innerhalb der Partei. Jeder Politiker hat das Interesse, durch politische Beiträge, die ihm persönlich zugerechnet werden, Alleinstellungsmerkmale zu erringen, die ihm im parteiinternen und -externen Wettbewerb um Ämter Vorteile verschaffen. Die strategische Situation eines individuellen Journalisten-Akteurs lässt sich ähnlich beschreiben. Dessen Interesse ist, im journalistischen Bereich, auf Publicity für seine Beiträge gerichtet, die ihm Einfluss verschafft. Im Weiteren steht aber das Einkommensinteresse des Akteurs, das – analog zum politischen Akteur – durch den verbrauchenden Einsatz journalistischer Reputation erlangt werden kann. Im Extremfall kann sich der Journalist von einer politischen Seite oder Interessengruppe korrumpieren lassen. Es reicht aber schon, dass sich ein Journalist mit der Bevorzugung einer politischen oder ökonomischen Organisation Zutritt zu Ämtern darin verschaffen kann, was ebenfalls nicht im Interesse seiner Organisation (dem Medienunternehmen) liegt. Ein Journalist, der sich für eine politische Karriere entscheidet, bringt seine Kontakte zu Medien als politisches Kapital mit. Dazu kommt der Anschein der inhaltlichen Neutralität aus seiner Medienkarriere. Für die Medien bliebt er aber nur interessant, wenn er ihnen die Politik (in Form von Politikerzugang) ‚aufschließen‘ kann, d.h. die Zugangskosten senkt. Im journalistischen Wettbewerb kann sich der einzelne Akteur über die Spezialisierung auf bestimmte Themen hervortun und seine Reputation durch die Arbeit für renommierte Medien weiter steigern. Im Verhältnis zu Politikern bieten Journalisten – wie das gesamte Medium, für das sie arbeiten, nun aber in eigener Sache – Aufmerksamkeitspotentiale gegen Informationen bzw. Material für politische Kommunikation.
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5. Schluss Dass Medien der politischen Kommunikation Restriktionen auferlegen, sie also in bestimmten Bahnen lenken, deutet auf eine institutionelle Funktion. Wenn Medien Regeln zur Verfügung stellen, an die sich politische Kommunikation halten muss, um vermittelt zu werden, liefern sie Institutionen, die zwei Aspekte bedienen: i) soweit diese Regeln darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Wähler zu wecken, sind Politiker- und Medieninteressen hier gleichgerichtet. Überwindung dieser Regeln von politischer Seite kann dann nur heißen: ihnen auch unter Inkaufnahme von Kosten zu folgen. ii) Gleichzeitig bestimmen diese Regeln die Formen des politischen Wettbewerbs um die Aufmerksamkeit der Medien, die sich letztlich in der Wählergunst niederschlägt. „Regelüberwindung“ heißt hier, geschickt mit ihnen zu arbeiten, um sich mehr Aufmerksamkeit zu sichern als der politische Gegner. Es gibt keine politische Analogie zu ökonomischen Anreizen, Wettbewerbsordnungen durch Kartellbildung oder ähnliches zu unterlaufen, denn die politische Zielgröße ist begrenzt und lässt sich, anders als Profit, nicht ausweiten: die Anzahl der politischen Ämter ist konstant, der Wettbewerb um sie also immer ein Konstantsummenspiel. Diese medialen Regeln, wie sie im Gatekeeper-Ansatz und der Nachrichtenwerttheorie dargestellt werden, haben wir bereits weiter vorne beleuchtet. Es ist zwecklos, diese Regeln gegen den Widerstand der Medien angesichts deren Gatekeeper-Funktion unterlaufen zu wollen. Dies zeigt auf die zweite Funktion der Medien in diesem Zusammenhang: als Organisationen sorgen die Medien für die Durchsetzung der institutionellen Regeln, und zwar aus ökonomischen Interessen. Sie sind also sowohl Produzenten von Institutionen, die politischen Wettbewerb strukturieren, als auch deren 3rd party-enforcer, soweit es eine aufwendige Leistung der Politik darstellt, diese Regeln zu befriedigen. Zwischen Politik und Medien dienen diese institutionellen Beschränkungen also einem Koordinationsspiel zur kooperativen Maximierung der Wähleraufmerksamkeit; und zwischen Politikern der politischen Profilierung vor den Medien. Sofern beide Parteien, Medien und Politik, davon profitieren, fällt die Durchsetzung der Regeln leicht, liegt aber letztlich in der Macht der Medien. Denn nur sie profitieren von einem funktionierenden politischen Wettbewerb unabhängig von seinem Ergebnis. Und dies erfordert selektive Berichterstattung als originär medialer (Vor-)Leistung zur effizienten Allokation der Wähleraufmerksamkeit.
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Ökonomisierung des Öffentlichen? New Public Management in Theorie und Praxis der Verwaltung
Rick Vogel 1. Transformation der Verwaltung als Transformation des Öffentlichen Das Öffentliche und die Verwaltung verbinden vielfältige Begriffsrelationen. Sie sind füreinander zugleich Inbegriffe und Gegenbegriffe: Verwaltung ist einerseits Inbegriff des Öffentlichen, weil Öffentlichkeit in modernen Massengesellschaften nur als verwaltete Öffentlichkeit funktioniert. Verwaltung steht in diesem Sinne für ein Medium des Öffentlichen; sie ist seine unvermeidbare Grundform.1 Andererseits wird Verwaltung zum Gegenbegriff von Öffentlichkeit, wenn die historische Erscheinung der Bürokratisierung in ein gesellschaftskritisches Licht gestellt wird. Verwaltung ist dann Bedrohung von Öffentlichkeit; eine Quelle gemeinschaftsschädigender Eingriffe, die sich in einer Einschränkung kultureller Entfaltungsmöglichkeiten zeigen kann.2 Umgekehrt ist aber auch Öffentlichkeit ein Inbegriff von Verwaltung, weil Verwaltung im modernen Rechtsstaat öffentliche Verwaltung ist. Das Gemeinwohl wird zur Bestimmung der Verwaltung im Dienste der Staatsverwirkli-
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Der prominenteste Motivgeber ist Weber (2005, 11922): Aus herrschaftssoziologischer Perspektive drückt sich in der massenhaften Durchsetzung der Bürokratie ein Formenwandel politischer Herrschaft aus, der den Prozess gesellschaftlicher Rationalisierung auf institutioneller Ebene anzeigt. Die Bürokratie kann sich als Herrschaftsmittel durchsetzen und zu einem konstitutiven Merkmal okzidentaler Staatlichkeit werden, weil sie als formal rationalste Herrschaftsform anderen Typen der Herrschaft in technischer Effizienz überlegen ist. So wird der moderne Herrschaftsverband identisch mit bürokratischer Verwaltung. Allerdings wird insbesondere in Managementlehre und Organisationswissenschaft seit längerem eine lebhafte Diskussion über das Heraufziehen eines postbürokratischen Zeitalters geführt (vgl. in kritischem Überblick McSweeney 2006). In diesem Zusammenhang wird auch in Zweifel gezogen, ob Webers Idealtypus der Bürokratie überhaupt als Referenzpunkt solcher epochalen Unterscheidungen geeignet ist (vgl. Höpfl 2006). Dieser Kulturpessimismus ist insbesondere in der Kritischen Theorie vertreten, die das Bild einer „verwalteten Welt“ pflegt (vgl. Adorno 1954, Horkheimer 1970). Die verwaltete, organisatorisch verhärtete Öffentlichkeit gerät aus dieser Perspektive als Krisensymptom der Aufklärung in den Blick, „denn je mehr die Gesellschaft unter die Verwaltung einheitlich organisierter Gruppen gerät, um so weniger dürfen wir sie eine Gesellschaft der Freiheit nennen“ (Horkheimer 1970: 29).
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chung.3 Auf der Kehrseite tritt das Öffentliche als Gegenbegriff zur Verwaltung an, indem Öffentlichkeit eine Kontrollinstanz des Verwaltungsapparates bilden kann. Sie ist dann ein Regulativ der Verwaltung, das die bürgerliche Gesellschaft vor staatlicher Willkür schützt.4 In beiden Varianten, in denen Öffentlichkeit und Verwaltung ein begriffliches Gegensatzpaar bilden, adressiert „öffentlich“ eine außerstaatliche Sphäre. Grundlegend für diese Perspektive ist die Annahme einer Dichotomie von Staat und Gesellschaft. Sind Verwaltung und Öffentlichkeit hingegen Inbegriffe füreinander, wird „öffentlich“ weithin mit „staatlich“ identifiziert, d.h. das Öffentliche entschieden auf die staatliche Verwaltung bezogen. Obwohl darin eine Verengung zu vermuten ist, liegt letztere Sichtweise auch diesem Beitrag zugrunde. Er fokussiert also das staatlich organisierte Öffentliche, betrachtet im Kippbild der öffentlichen Verwaltung und verwalteten Öffentlichkeit. Genauer richtet sich der Blick auf die Transformation gegenwärtiger Theorie und Praxis der Verwaltung, da angenommen wird, dass Veränderungen von Verwaltungstheorie und -praxis geeignet sind, Veränderungen des Öffentlichen schlechthin anzuzeigen. Die Zukunft des Öffentlichen ist demnach auch die Zukunft der Verwaltung. Jener Transformationsprozess, von dem hypothetisch angenommen wird, dass er Theorie und Praxis der Verwaltung gleichermaßen erfasst, wird hier auf den Begriff der Ökonomisierung gebracht. In diesem Begriff ist eine populäre Gegenwartsdiagnose gebündelt, die ein Eindringen originär ökonomischer Verhaltensmotivationen in immer weitere Bereiche der sozialen Lebensverhältnisse beobachtet. Auch in der Verwaltungswissenschaft findet die Ökonomisierungsdiagnose Anklang.5 Sie wird dort in Zusammenhang mit aktuellen Tendenzen der Verwaltungsmodernisierung gebracht, wie sie seit Anfang der 1990er Jahre festzustellen sind. Diese Reformbewegung ist – bei unterschiedlichen Schwer-
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Hierfür steht vor allem die Staatsrechtslehre ein, die im Gemeinwohl den Legitimationsgrund aller Staatlichkeit erkennt und folglich auch die Exekutive darauf verpflichtet sieht (vgl. aus den vielen verfügbaren systematischen Darstellungen nur Schuppert 2003: 215ff.). Diese Forderung findet sich bereits im frühen politischen Liberalismus. Öffentlichkeit wird hier zur wichtigsten Instanz der Staatskontrolle: „Die vollkommene Öffentlichkeit gibt […] das, was man ohne sie in allen möglichen politischen Einrichtungen und Formen vergeblich suchte, die allein durchgreifende sichernde Controle und Garantie gegen den Mißbrauch, gegen nachlässige, untreue, verfassungswidrige Anwendung der politischen Gewalt der Regenten, Stände, Beamten und Bürger“ (Rotteck/Welcker 1864: 753). Diese Kontrollfunktion reicht so weit, dass „alle untergeordnete Verwaltungsthätigkeiten, soweit nur immer möglich, vollständig öffentlich vor dem Volke verhandelt werden“ (ebd.: 760) müssen. Vgl. Bogumil (2003), Felder (2001: 138ff.), Gröpl (2002), Groß (2001), Harms/Reichard (2003a), Oettle (1999), Schneider (2001), Schuppert (2003: 480ff.), Voßkuhle (2001).
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punkten und Verläufen zwar – weltweit zu beobachten6 und lässt sich unter dem Rubrum New Public Management (NPM) führen. In der Verwaltungspraxis steht NPM für ökonomisch motivierte Reformaktivitäten, denen die Stoßrichtung gemeinsam ist, durch ein Down-Sizing von Staat und Verwaltung einerseits und Binnenrationalisierung des Verwaltungssystems andererseits Effektivität und Effizienz administrativen Handelns zu steigern. Diese Aktivitäten orientieren sich vornehmlich an privatwirtschaftlichen Referenzmodellen. Im wissenschaftlichen Kontext ist NPM hingegen der in deskriptiver oder präskriptiver Absicht geführte Diskurs über diese praktischen Reformaktivitäten, wobei es ausdrücklich um die Begründung ihrer Notwendigkeit, ihre theoretische Rechtfertigung, ihre positive Beschreibung, ihre Kritik sowie um die ihnen zugrunde liegenden Gestaltungsmodelle und die Evaluation ihrer Erfolge geht. NPM ist demnach als Interferenzphänomen zwischen Verwaltungstheorie und -praxis zu verstehen. Die folgenden Ausführungen setzen sich mit der auf NPM zurückgehenden Ökonomisierung von Verwaltungstheorie und -praxis im Hinblick auf die Frage auseinander, ob hierin ein Formenwandel des Öffentlichen zum Ausdruck kommt. Diese Diskussion wird aufgenommen, weil bisherige Beiträge durch zwei Defizite auffallen. Erstens bleibt der Ökonomisierungsbegriff bislang merkwürdig implizit. Er kommt häufig nicht über die Rolle eines bloßen Stichwortgebers hinaus, ohne den Kern der Sache freizulegen. Sein analytisches Potenzial bleibt damit vielfach ungenutzt. Das zweite Defizit besteht in einer einseitigen Fokussierung auf die Ökonomisierung der Verwaltungspraxis, während eine mögliche Ökonomisierung der Verwaltungstheorie unbeleuchtet bleibt. Damit wird dem NPM-Begriff aber nur unzureichend Rechnung getragen, da er sowohl in praktischen als auch in wissenschaftlichen Diskursen beheimatet ist und beide Sphären nicht ohne Einfluss aufeinander bleiben. Es muss dann als unnötige Engführung erscheinen, von vornherein nur die praktischen Implikationen von NPM ins Auge zu fassen. 2. Grundfiguren der Ökonomisierung Der Blick ist bereits frei geworden auf zwei relevante Ökonomisierungsfiguren, nämlich die Ökonomisierung der Verwaltungspraxis und die Ökonomisierung der Verwaltungstheorie. Unter den Ökonomisierungsbegriff lassen sich demnach sowohl Veränderungen der Verwaltungswissenschaft als auch ihres Gegenstandes, der Verwaltung, rubrizieren. In beiden Fällen zeigt er eine Expansi6
Vgl. Pollitt/Bouckaert (2004).
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onstendenz an, weshalb auch von den „Imperialismen“ von Ökonomie und Ökonomik gesprochen werden kann.7 Diese kategorial verschiedenen Phänomene werden hier zunächst allgemein expliziert, um auf sicherer begrifflicher Grundlage nach Form und Wesen der Ökonomisierungserscheinungen zu fragen, deren Impetus in der NPM-Programmatik vermutet werden kann. 2.1 Imperialismus der Ökonomie Fokussiert man zunächst Ökonomisierung als Derivation von Ökonomie (~ Wirtschaft), so scheiden alle näheren Bestimmungsversuche als tautologisch aus, die Ökonomisierung allein mit dem Ökonomischen erklären wollen. Dies ist der Fall, wenn Ökonomisierung ohne nähere Ausführungen zum Beispiel als „Vordringen ökonomischen Denkens“8 oder als „Generalisierung der ökonomischen Form“9 gedacht wird. Der Explikationsbedarf ist in beiden Fällen lediglich auf das Ökonomische verlagert. Definitorische Versuche, „das Ökonomische“ aufzulösen, führen häufig in der einen oder anderen Form zum ökonomischen oder Wirtschaftlichkeitsprinzip.10 In der klassischen Version von Gutenberg11 ist das Wirtschaftlichkeitsprinzip ein auf die Faktorkombination bezogenes (rationales) Entscheidungsprinzip. Es besagt, dass bei gegebenen Produktionsfaktoren diejenige Faktorkombination zu wählen ist, bei der die Produktionsleistung im Maximum liegt, oder dass bei gegebenem Leistungsziel die Faktoren in der Weise zu kombinieren sind, dass der Faktoreinsatz im Minimum liegt. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip setzt also Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Faktorkombinationen voraus, was wiederum die zumindest partielle Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren zur Bedingung hat. Wirtschaftlichkeit bezeichnet dann die Relation der günstigsten Aufwands- bzw. Kostensituation zu der tatsächlich realisierten Aufwands- bzw. Kostensituation (Ist-Aufwand/Soll-Aufwand). Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist bei Gutenberg also final bezogen auf den betrieblichen Umwandlungsprozess von Geld in Ware und wieder in Geld (vgl. Gutenberg 1967: 33).
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Die etwas martialische Bezeichnung von Ökonomik und Ökonomie als „imperialistisch“ folgt einer üblichen Wortwahl, überzieht das Phänomen jedoch möglicherweise. Sie weckt Assoziationen zu dem Machtstreben eines Imperiums, das fremdes Terrain okkupiert. Insofern ist die Begriffswahl wohl eher als spannungserzeugende Metaphorik denn als originalgetreue Beschreibung aufzufassen. 8 Oettle (1999: 291). 9 Lemke et al. (2000: 16). 10 Vgl. z.B. Grieger (2004: 41f.), Mühlenkamp (2003), Schneider (2001: 319). 11 Vgl. Gutenberg (1967: 30ff.), ders. (1958: 31f.).
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In der betriebswirtschaftlichen Sphäre ist das Wirtschaftlichkeitsprinzip nur eine spezielle Ausformung des weiter gefassten Rationalprinzips12: Das Rationalprinzip als ‚wirtschaftliches Prinzip‘ formulieren, heißt zunächst nur, es für ein ganz bestimmtes Material mit Beschlag belegen, womit häufig noch die Vorstellung verbunden ist, daß das Abwägen und Vergleichen als solches bereits das Wirtschaftliche an diesem Prinzip ausmache. Das aber ist ein Irrtum. Verglichen, abgewogen, abgestimmt wird auch auf anderen Gebieten der menschlichen Lebensäußerungen, auch im Bereiche des Psychischen (Gutenberg 1967: 31, im Original tlw. hvgh.).
Sämtliches menschliches Handeln unterliegt laut Gutenberg dem Rationalprinzip, indem es sich stets in Zweck/Mittel-Relationen vollzieht. Der menschliche Entschluss zum Handeln erfolgt demnach auch in anderen Sphären unter der Abwägung von Zwecken und Mitteln, ganz gleich, welcher Art diese Zwecke und Mittel sind. Das abwägende Vergleichen in der Entschlussfindung eignet sich daher nicht, das Wirtschaftliche am Wirtschaftlichkeitsprinzip zu indizieren. Vielmehr erhält es seine Prägung durch das bestimmte Material, eben das wirtschaftliche, das an das Rationalprinzip herangetragen wird (vgl. Gutenberg 1967: 32). Dadurch erfolgt keinerlei Einschränkung des Geltungsbereichs des Rationalprinzips; es wird lediglich mit einem speziellen Inhalt versehen. Damit ist das Rationalprinzip aber ungeeignet für die nähere Bestimmung von Ökonomisierung, weil ihm das spezifisch Ökonomische abgeht. Einer Verstärkung der Orientierung am Rationalprinzip kann nichts abgerungen werden, was notwendig als Ökonomisierung zu identifizieren ist. Wenn menschliches Handeln außerdem stets dem Rationalprinzip unterliegt – was zu diskutieren wäre –, so schlösse dies seine weitere Expansion aus, weil in diesem Fall keine Refugien mehr verblieben, in die es noch vordringen könnte. In Frage kommen jedoch Veränderungen in der Auslegung und Anwendung des Rationalprinzips. Ökonomisierung lässt sich dann als Tendenz begreifen, das Rationalprinzip zunehmend als Wirtschaftlichkeitsprinzip zu spezifizieren oder, in den Worten Gutenbergs, es zunehmend mit ökonomischem Material in Beschlag zu nehmen. Ökonomisierung, verstanden als vermehrte Auslegung und Anwendung des Rationalprinzips im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips, betrifft dann die systematische Verfolgung von Zwecken durch Wirtschaftssubjekte. Alle Wirtschafts-
12 Zu wissenschaftstheoretischen Problemen der Deduktion des Wirtschaftlichkeits- aus dem Rationalprinzip vgl. Diefenbach (2004). Die Argumente, die Diefenbach vorträgt, sind bedenkenswert, hier jedoch nicht relevant: Es geht nicht um die logische Konsistenz einer Deduktionsbeziehung und damit um die Verleihung wissenschaftstheoretischer Prädikate, sondern um die interpretative Aneignung dieser Prinzipien durch Wirtschaftssubjekte, die sich auf der Suche nach Handlungsmaximen gegenüber Kriterien der Wissenschaftlichkeit indifferent verhalten dürften.
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subjekte, seien es Unternehmen, Verwaltungen13, Haushalte oder andere, können Träger des Wirtschaftlichkeitsprinzips sein.14 Unter Ökonomisierungseinflüssen findet nun eine relative Kriterienverschiebung derart statt, dass Zweck-/ Mittel-Relationen von Wirtschaftssubjekten zunehmend unter ökonomischen Gesichtspunkten bewertet werden. Die spezifisch ökonomische Bewertungseinheit von Zwecken und Mitteln ist die des Geldes. Das Rationalprinzip wird demnach vermehrt so ausgelegt und angewendet, dass bei gegebenen Zwecken der geldwerte Mitteleinsatz minimiert oder bei gegebenen Mitteln die geldwerte Zweckerfüllung maximiert wird. Unter Ökonomisierungseinflüssen bildet sich also eine Präferenz für Wirtschaftlichkeitskalküle heraus, die mit monetären Einheiten operieren.15 Ökonomisierung läuft daher in letzter Konsequenz auf Monetarisierung hinaus. 2.2 Imperialismus der Ökonomik Es bereitet weitaus geringere Probleme, Ökonomisierung nun auch als Derivation von Ökonomik (~ Wirtschaftswissenschaft) zu bestimmen. Es herrscht weitgehend Konsens, dass hierunter die vermehrte Anwendung von Modellen und Analyseverfahren der Ökonomik auf soziale Sachverhalte zu verstehen ist, die traditionell im Untersuchungsbereich anderer (Sozial-)Wissenschaften liegen. Es geht also schlicht um Themenakquisitionen der Ökonomik. Ähnlich wie die Begriffsbestimmung oben zum Wirtschaftlichkeitsprinzip geführt hat, laufen hier die näheren Ausführungen auf homo oeconomicus hinaus. Es handelt sich hierbei um ein individualistisch-rationalistisches Verhaltensmodell, das für weite Teile der Ökonomik grundlegend ist und ihre Analysen anleitet.16 Die Einheit der Analyse ist das Individuum. Gleichwohl ist der ökonomische Ansatz zur Er13 Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ist in den gesetzlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns omnipräsent. Man sollte daher nicht der Versuchung erliegen, von der verbreiteten Unterscheidung zwischen Verwaltung und Wirtschaft darauf zu schließen, dass Verwaltungen keine wirtschaftenden Organisationen sind. 14 Vgl. Eichhorn (2000). Aufgrund der „Artenvielfalt“ von Wirtschaftssubjekten ist Ökonomisierung als Prozess zu verstehen, der sich sowohl in den Nutzenfunktionen und Handlungsmustern von Personen als auch in den Zielfunktionen und Strukturen von Organisationen manifestiert. 15 Zwar sind in der BWL auch Wirtschaftlichkeitskonzepte verbreitet, die anstatt wert- auch mengenmäßige Relationen oder Kombinationen aus beidem herstellen, jedoch erscheint es in Bezug auf Ökonomisierungsprozesse angebracht, die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips im Kontext der Maximierung geldwerten Nutzens zu sehen. Lassen sich monetäre Gegenwerte (der eingesetzten Mittel, der verfolgten Zwecke) angeben, signalisiert dies eine prinzipielle Handelbarkeit auf Märkten. Erst im Koordinationsmechanismus des Marktes mit dem Tauschäquivalent des Geldes realisiert sich das spezifisch Ökonomische. 16 Vgl. zum Folgenden Kirchgässner (2000).
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klärung menschlichen Verhaltens nicht primär am Individuum und seinen Entscheidungen interessiert.17 Er nutzt eine Theorie individuellen Entscheidungshandelns als Ausgangspunkt der Erklärung von Phänomenen, die auf der Makroebene angesiedelt sind, oder, umgekehrt, er leitet Makrophänomene aus Mikroprozessen ab. Er nimmt also eine epistemologische Reduzibilität von Makro auf Mikro als axiomatisch an. Individuen handeln, indem sie eine rationale Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten treffen, wobei eine Orientierung an den erwarteten Konsequenzen des Handelns maßgeblich ist. Betrachtet werden Aggregate von Individuen, um auf kollektiver Ebene Verhaltensvariationen bei Restriktionsänderungen abzuschätzen. Mit homo oeconomicus optiert die ökonomische Theorie also für eine Mikrofundierung sozialer Ordnung. Auf diese Weise können nicht-intendierte Folgen individuellen Handelns, die eine soziale Ordnung begründen, erfasst werden. Homo oeconomicus bewegt sich in einer Situation der Knappheit, in der er seine Bedürfnisse nicht alle (gleichzeitig) erfüllen kann. Daraus erwächst die Notwendigkeit, sich zwischen mehreren Möglichkeiten zu entscheiden. In die Entscheidungssituation des Individuums spielen im Wesentlichen zwei Faktoren hinein: Präferenzen und Restriktionen. Restriktionen sind Begrenzungen der Handlungsspielräume von Individuen, die sich in Entscheidungssituationen befinden. Hierunter fallen beispielsweise das Einkommen, Preise, rechtliche Rahmenbedingungen und antizipierte Reaktionsmuster anderer. Im Innern des so umgrenzten Handlungsraumes liegen die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen, aus denen das Individuum auswählen muss. Einer Entscheidung gehen Prognosen bezüglich der Konsequenzen der Handlungsalternativen voraus. Solche Prognosen kommen stets unter Unsicherheit durch unvollständige Information zustande: Einerseits sind dem Individuum nicht sämtliche seiner Handlungsmöglichkeiten bekannt, andererseits sind nicht alle Konsequenzen des Handelns in Alternativen abschätzbar. Eine der zur Verfügung stehenden Optionen ist fast immer die Aufschiebung der Entscheidung zwecks Informationsbeschaffung. Dabei muss das Individuum aber in sein Kalkül ziehen, dass die Beschaffung zusätzlicher Informationen Kosten verursacht. Präferenzen sind individuelle Werthierarchien, die sich im Laufe der Sozialisation herausgebildet haben und von aktuellen Handlungsmöglichkeiten unabhängig sind. Die Bewertung der Wahlmöglichkeiten des Individuums erfolgt unter Abwägung der Vorund Nachteile der bekannten Alternativen vor dem Hintergrund seiner Präferenzstruktur. Die Entscheidung fällt schließlich für diejenige Alternative, von der sich das Individuum entsprechend seiner Präferenzen den höchsten „Netto17 Vgl. hier auch Becker (1993: 402).
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Nutzen“ verspricht. Homo oeconomicus ist demnach als unter Nebenbedingungen und Unsicherheit agierender Nutzenmaximierer konzipiert. Für die Wahlentscheidung des Individuums sind zwei Punkte bedeutend: einerseits die Eigenständigkeit der Entscheidung, andererseits ihre Rationalität. Eigenständig ist die Entscheidung insofern, als das Individuum gemäß eigener Präferenzen handelt, nicht aber nach den Präferenzen anderer. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Interessen anderer in die Nutzenfunktion eingehen und in der Entscheidung berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass diese Interessen in irgendeiner Weise den Handlungsraum des entscheidenden Individuums tangieren. Rationalität kann der Entscheidung aufgrund der Unterstellung zugesprochen werden, dass das Individuum, seinen Intentionen folgend, über die prinzipielle Fähigkeit verfügt, seinem relativen Vorteil entsprechend zu handeln. Allerdings wird die Rationalität des Handelns durch die Unvollständigkeit der verfügbaren Informationen getrübt. 3. Ökonomisierungsvarianten unter NPM Im vorangegangenen Abschnitt wurden zwei Grundfiguren der Ökonomisierung herausgearbeitet: Einerseits kann Ökonomisierung als Imperialismus der Ökonomie (~ Wirtschaft) gedacht werden; erklärungskritisch in dieser Bedeutungsvariante ist die Tendenz zur Spezifizierung des Rationalprinzips als Wirtschaftlichkeitsprinzip durch Wirtschaftssubjekte. Andererseits lässt sich Ökonomisierung als Imperialismus der Ökonomik (~ Wirtschaftswissenschaft) konzeptualisieren; entscheidend in dieser Lesart ist die Übertragung des individualistischrationalistischen Verhaltsmodells von der Ökonomik auf andere sozialwissenschaftliche Disziplinen. In Entsprechung zu dieser Unterscheidung soll im Folgenden nacheinander geprüft werden, ob und inwiefern NPM eine Ökonomisierung von Verwaltungspraxis und Verwaltungstheorie herbeiführt. 3.1 Ökonomisierung der Verwaltungspraxis durch NPM Als empirischer Prozess wird die Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung durch NPM überwiegend als Reflex auf die Finanzierungskrise des Wohlfahrtstaates interpretiert, in die sämtliche fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit den 1980er Jahren geraten sind. Die veränderte makroökonomische Lage ist hauptsächlich durch die Ausbreitung marktwirtschaftlicher Systeme in Mittelund Osteuropa, den wirtschaftlichen Aufholprozess Südostasiens, die Schaffung immer größerer Freihandelszonen und – alles übergreifend – die Intensivierung des Wettbewerbs im Zuge der Globalisierung gekennzeichnet. In der Folge die-
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ser Entwicklungen sind die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen, die den Umfang der Staatstätigkeit der OECD-Länder anwachsen ließen, nicht mehr dauerhaft finanzierbar. Aus diesem fiskalischen Engpass heraus wird die Staatstätigkeit einer Neubewertung unterzogen mit dem Ergebnis, den staatlichen Aktionsradius zurück- sowie Effizienz- und Effektivitätssteigerungen im administrativen System herbeizuführen. Die Ökonomisierung der Verwaltung soll also schlicht helfen, in der ökonomischen Strukturkrise die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Ökonomisierung reagiert also auf und richtet sich gegen die Expansionstendenzen des Wohlfahrtsstaates. Obwohl die öffentlichen Finanzen in bemerkenswertem Gleichschritt in eine Krise geraten sind, bricht sich der reformpolitische Problem- und Handlungsdruck in den OECD-Ländern nicht gleichzeitig Bahn. Es sind deshalb aufeinander folgende Ökonomisierungswellen zu konstatieren (vgl. Löffler 2003b: 82ff.): Zunächst wird in Neuseeland, Australien und Großbritannien ein zum Teil radikaler Umbau des öffentlichen Sektors eingeleitet, dessen Beginn auf die frühen 1980er Jahre zu datieren ist. Seine Intensität lässt inzwischen nach. In einer zweiten Welle folgen ab Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre die deutschsprachigen Länder, Mittel- und Osteuropa, Skandinavien, Niederlande, USA und Kanada. Die Maßnahmen zur Ökonomisierung sind in diesen Ländern stärker auf die internen Strukturen des administrativen Systems gerichtet. Die „Nachzügler“ bilden seit Ende der 1990er Jahre Frankreich und die südeuropäischen Länder. Der noch stark umstrittene Ökonomisierungsprozess dieser Länder greift vorwiegend Reformelemente auf, die in Kontinentaleuropa schon seit längerem praktiziert werden.18 18 Betrachtet man diese Ökonomisierungswellen aber in einem größeren historischen Kontext, so fällt ihre Zeitversetzung kaum ins Gewicht. Eingeordnet in den geschichtlichen Zusammenhang erscheint die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts um sich greifende Ökonomisierung nämlich nur als Pendelschlag in der Konfiguration von Ökonomie und Staat, da sich staatlicher Interventionismus und Liberalismus in der Geschichte der letzten zweihundert Jahre abwechseln (vgl. Ambrosius 2003). Im Merkantilismus betätigt sich der Eingriffsstaat relativ willkürlich und unsystematisch als wirtschaftlicher Akteur, sodass die ökonomischen Kreisläufe unter vielfältiger staatlicher Patronage stehen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert tritt der Staat einen ersten Rückzug aus der Ökonomie an. Der aufkommende liberale Ordnungsstaat zeichnet sich durch interventionistische Enthaltsamkeit aus und lässt die marktwirtschaftlichen Kräfte innerhalb eines ordnenden Rechtsrahmens vergleichsweise unbehelligt walten. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts beginnt dann gewissermaßen eine Re-Regulierung der Wirtschaft seitens des Staates. Das Kaiserreich richtet eine Wirtschaftsordnung ein, in die es Regulierungsgesetze und -verordnungen immer dichter einflechtet. Seinen Durchbruch erlebt der dirigistische Interventionsstaat aber erst später, mit der keynesianischen Revolution in den 1930er Jahren. Das wirtschaftspolitische Steuerungsinstrumentarium wird in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut und eingesetzt. Die in den letzten 25 Jahren zu konstatierende Ökonomisierungsbewegung kann schließlich als Ausdruck eines neuerlichen Zurückschwingens des Pendels in Richtung
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Da der Ökonomisierungsbegriff aber nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, ist davon auszugehen, dass über den Prozess und die Resultate der Ökonomisierung nicht auf der Grundlage eines einheitlichen Begriffsverständnisses befunden wird. Um hier im Argumentationskontext zu bleiben, ist deshalb zu fragen, an welchen Veränderungsprozessen die Ökonomisierung der Verwaltung festgemacht wird und ob diese Erscheinungsformen mit dem oben zugrunde gelegten Begriff der Ökonomisierung harmonieren. Betrachtet man NPM-konforme Anpassungserscheinungen im Verwaltungssystem, so ist augenscheinlich, dass diesen ein ökonomisches Referenzmodell zugrunde liegt. Die Orientierungs- und Leitfunktion für staatlich-administratives Handeln, die NPM der Ökonomie verleiht, lässt sich am Besten durch Kontrastierung, d.h. durch statischen Vergleich alter und neuer Orientierungen, erschließen. Auf diese Weise lässt sich die eingeschlagene Veränderungsrichtung näher bestimmen. Bei Jann findet sich ein hierzu nützlicher Vergleich des klassischen mit dem modernen NPM-Verwaltungsmodell (Tabelle 1).
Klassische Verwaltung: Bürokratisch-zentralistische Steuerung
NPM-Verwaltung: Neues Steuerungsmodell
Inputsteuerung Zentralisierung Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung Binnenorientierung an der Ordnungsgemäßheit des Verwaltungsablaufs Arbeitsteilung und Spezialisierung Kameralistik
Outputsteuerung Dezentralisierung Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung Außenorientierung an Kunden, Qualität und Wettbewerb Re-Integration von Arbeitsprozessen Doppik Kosten- und Leistungsrechnung Gewährleistungsstaat (Vertikale und horizontale Desintegration) Human Resource Management
Leistungsstaat (Vertikale und horizontale Integration) Personalverwaltung
Tabelle 1: Klassische vs. NPM-Verwaltung (Quelle: Jann 2005: 76, modifiziert)
Liberalismus gewertet werden. Der Staat zieht sich durch Deregulierung und Privatisierung abermals aus der Ökonomie zurück und gibt den Marktkräften wieder größere Bewegungsfreiheit.
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Es ist leicht zu erkennen, dass sich die beiden Verwaltungsmodelle in ihrer Grundanlage unterscheiden und kaum noch Gemeinsamkeiten haben. Während es der klassischen Verwaltung entspricht, die öffentliche Dienstleistungsproduktion auf den Staat zu fixieren und legalistisch zu programmieren sowie der politischen Steuerung der Verwaltung hohes Vertrauen zu schenken, setzt NPM auf den Markt als Regulationsmechanismus, will ökonomische Anreizstrukturen etablieren und die Verwaltung insgesamt unternehmerischer gestalten. Geht man über diesen statischen Vergleich hinaus und schließt eine dynamische Betrachtungsweise an, so wird der Blick auf das Wesen des Veränderungsprozesses von der klassischen zur NPM-Verwaltung frei. Zwischen diesen opponierenden Leitbildern liegt ein durchaus wörtlich zu nehmender Prozess des Umdenkens, der – darin Schuppert19 folgend – auf die hier gesuchte Kurzformel der Ökonomisierung gebracht werden kann. Die Rezeptur der Binnenmodernisierung des Verwaltungssystems prägt sich vor dem Hintergrund des neuen Leitbilds vergleichsweise leicht ein: „In der theoretischen Diskussion wie auch in der politischen Praxis [...] werden in der Regel die aus der Praxis privater Wirtschaftsunternehmen gewonnenen Erfahrungen schnell, vorbehaltlos und flächendeckend auf den öffentlichen Bereich übertragen“ (Naschold 2000: 91). In einem Satz: Die strikt ökonomische Rationalität NPM-orientierter Reformkonzepte20 findet ihren Ausdruck darin, dass privatwirtschaftliche („ökonomische“) Denkweisen, Handlungsmaximen, Entscheidungskriterien und Instrumente als Panazee gegen die Dysfunktionen der Verwaltung erscheinen. Ökonomisierung stellt demnach zunächst auf die Systemrationalität des ökonomischen Teilsystems der Gesellschaft und deren Übertragung auf das administrative System ab; ein Vorgang, der konsequenterweise als funktionale Entdifferenzierung betrachtet werden müsste. Dahinter steht die Überzeugung, dass private Organisationen öffentlichen Verwaltungsapparaten grundsätzlich überlegen sind; jedenfalls ist der Konzepttransfer aus der Privatwirtschaft mit einem beachtlichen Vertrauensvorschuss ausgestattet, der ihn von Begründungslast befreit. Bei aller Unterschiedlichkeit von öffentlichen und privaten Organisationen verfestigt sich die Sichtweise, „[...] dass der private Sektor innovativ, progressiv und ‚gut‘ ist, während der öffentliche Sektor als nicht anpassungsfähig, traditionell und ‚schlecht‘ gilt“ (Löffler 2003a: 22). Tatsächlich lassen sich von fast allen in der BRD diskutierten und praktizierten konzeptuellen Schemata des NPM Spuren in den privaten Sektor zurückverfolgen. Ökonomisierung muss also als 19 Vgl. Schuppert (2003: 484). 20 Vgl. Reichard/Röber (2001: 383).
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zentrale innere Logik NPM-konformer Verwaltungsmodernisierung verstanden und in diesem Sinn unter die „institutionellen Ordnungsmuster“21 von NPM rubriziert werden. In prozessualer Perspektive lassen sich die Erscheinungsformen der am privatwirtschaftlichen Referenzmodell orientierten Ökonomisierung der Verwaltung mit Harms/Reichard (2003b: 15f.) wie folgt zusammenfassen:
Rückzug des Staates bzw. der öffentlichen Leistungserstellung zugunsten privater Lösungen (vor allem durch die verstärkte Ausschreibung öffentlicher Leistungen), Stärkung von Markt und Wettbewerb auch innerhalb der öffentlichen Leistungserstellung durch die Setzung ökonomischer Anreize in zahlreichen Politikfeldern (z.B. mehr Wahlfreiheit in der Sozialversicherung; Wechsel von Steuer- zu Beitrags- und Gebührenfinanzierung), ‚Verbetriebswirtschaftlichung‘ der Verwaltung durch einen grundlegenden Wechsel der Steuerungslogik: von dominanter Regelsteuerung zu finaler Steuerung (Kontraktmanagement, Produktbudgets u.ä. verbunden mit einem modernisierten Rechnungswesen) sowie zu pretialer Lenkung, Kulturwandel bei den Akteuren, insbesondere bei den Führungskräften (‚vom Bürokraten zum Manager ...‘), u.a. durch Rekrutierung neuer Berufsgruppen, Verstärkung ökonomischer Anreize, z.B. in Gestalt von leistungsorientierter Bezahlung oder von Bonussystemen für Führungskräfte, Hybridisierung von bislang öffentlichen Einrichtungen, indem diese mit Privaten zusammen geführt werden (z.B. „Public Private Partnership“) oder indem öffentliche Leistungen in hybriden Netzwerken unter Beteiligung privater und öffentlicher Organisationen erstellt werden, Zielverschiebung bei öffentlichen Unternehmen (Bedeutungszunahme von Formalzielen bei Bedeutungsabnahme von Sachzielen) mit dem Effekt geringerer Gemeinwohlorientierung.
Allein der Umstand, dass diese im administrativen System neu auftretenden Phänomene auf die Sphäre der Ökonomie zurückverweisen, erlaubt es noch nicht, den zugrunde liegenden Veränderungsprozess als Ökonomisierung zu klassifizieren. Hierzu berechtigt erst der gemeinsame Impetus dieses Prozesses. Er besteht darin, dass alle Ökonomisierungsvarianten „[...] den Hauptaugenmerk auf das Knappheitsproblem im öffentlichen Bereich legen, also den Umgang mit knappen Ressourcen durch den Staat und öffentliche Organisationen, wenngleich sie das Knappheitsproblem auf unterschiedliche Art lösen“ (Löffler 2003a: 23). Das Knappheitsproblem ist für die Verwaltung nicht etwa neu, sondern stellt sich ihr wie jedem Wirtschaftssubjekt seit jeher. Knappheit ist jedoch relativ und tritt im Zeitverlauf in wechselnder Dringlichkeit auf. Wie oben belegt, sind die administrativen Systeme der hochentwickelten Volkswirtschaften im Verhältnis zu ihrem Aufgabenvolumen seit etwa zwei bis drei Dekaden in besonde21 Nagel (2001: 80ff.).
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rer Zuspitzung mit dem Problem der Ressourcenknappheit konfrontiert. Instruiert von NPM antworten sie auf das Knappheitsproblem mit besonderen Anstrengungen, die Wirtschaftlichkeit administrativer Leistungsproduktion zu erhöhen. Diese Versuche setzen an unterschiedlichen Punkten an und führen zu vielgestaltigen Erscheinungen makro- und mikroorganisatorischen Wandels. Die Grundrichtung der Veränderung – Überführung öffentlicher Dienstleistungsproduktion in privatwirtschaftliche Koordinationsmodi und Einführung privater Managementkonzepte in Verwaltungsorganisationen – haben das Ziel, die Anwendungsbedingungen des Wirtschaftlichkeitsprinzips zu verbessern. Es wird also vorausgesetzt, dass Strukturen und Prozesse, die sich in der Privatwirtschaft bewährt haben, größere Anreize zu wirtschaftlichen Verhaltensweisen bieten als die tradierten Konzepte öffentlichen Wirtschaftens. Der weitaus überwiegenden Zahl der NPM-Reformen ist demnach das Ziel der Wirtschaftlichkeitssteigerung übergeordnet. Eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit setzt eine strengere Befolgung des Wirtschaftlichkeitsprinzips voraus. Dann aber ist von Ökonomisierung der Verwaltung im oben zugrunde gelegten Wortsinn zu sprechen. Ob dieser nunmehr seit einiger Zeit andauernde Ökonomisierungsprozess Erfolge erzielt, ob sich die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung also tatsächlich verbessert, lässt sich indes nicht eindeutig beantworten. Wie Löffler (2003a) und Reichard (2003) übereinstimmend feststellen, können Ökonomisierungserfolge nur unter großer Unsicherheit bewertet werden, da keine ausreichende empirische Evaluationsbasis zur Verfügung steht. Angesichts der Durchdrungenheit der Verwaltung von Ökonomisierungsbestrebungen im Rahmen von NPM ist der Evaluationsstand der tatsächlichen Ökonomisierungserfolge höchst unbefriedigend. Wie sich gezeigt hat, ist zwar unschwer zu erkennen, dass NPM-forcierte Verwaltungsreformen eine Ökonomisierung intendieren, jedoch wäre es ein kapitaler Fehlschluss, das Intendierte schon für das Faktische zu halten. Reichard (2003: 137ff.) sieht sich daher gezwungen, auf eine Plausibilitätsargumentation auszuweichen, um Ökonomisierungseffekte unter NPM nachzuweisen. Er sieht „manche Effizienzschübe“ und „gewisse Einspareffekte“, vor allem aber eine Aufwertung ökonomischer Ziele und Kriterien in den Handlungsmaximen der Akteure und einen hiervon ausgehenden Kultur- und Rationalitätswandel. Das Gesamtbild, das die öffentlichen Haushalte nach über zehn Jahren NPM in der BRD abgeben, deutet bei allen Zurechnungsproblemen jedoch nicht darauf hin, dass die Ökonomisierung der Verwaltung große Erfolge erzielt hat (vgl. Reinermann 2003: 388ff.).
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3.2 Ökonomisierung der Verwaltungstheorie durch NPM Die zweite Ökonomisierungsvariante, die es hier zu untersuchen gilt, berührt nicht mehr die praktische Realisierung, sondern die theoretische Diskussion von NPM. Es wird also danach gefragt, inwiefern NPM, vermittelt durch seine theoretischen Grundlagen, eine Ökonomisierung der Verwaltungswissenschaft evoziert. Um diese Frage zu beantworten, sind zunächst die Theorieprogramme zu explizieren, die als trojanische Pferde des individualistisch-rationalistischen Verhaltensmodells der Ökonomik in Frage kommen. Dabei kann auf die verbreitete Fachmeinung verwiesen werden, nach der die beiden tragenden Theoriesäulen von NPM Public Choice und Managerialismus sind.22 Public Choice steht für ein Sammelbecken theoretischer Ansätze, die Politik- und Wirtschaftswissenschaft miteinander verbinden wollen.23 Beide Disziplinen hielten lange Distanz zueinander – sie richteten andere Fragen an verschiedene Gegenstände, machten unterschiedliche Verhaltensannahmen und griffen auf heterogene methodologische Grundlagen zurück. Aus Sicht der modernen (insbesondere neoklassischen) Wirtschaftstheorien sind politische und bürokratische Entscheidungsprozesse als externe Faktoren in den Datenkranz verwiesen. Public Choice-Ansätze endogenisieren sie – nicht, indem sie die Neoklassik verwerfen, sondern durch Erweiterung der partialen Analyse des Marktes zugunsten einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive unter Einschluss politischer Prozesse. Für den Public Choice ist menschliches Verhalten stets als Entscheidungsverhalten charakterisierbar, unabhängig davon, ob es nun in ökonomischen, politischen oder anderen Sphären stattfindet. Da seine grundlegenden Motivationen mit Übertritt in einen anderen Handlungsbereich nicht sprunghaft wechseln, müssen sich verschiedene soziale Kontexte von einem Punkt aus erschließen lassen. Im Public Choice werden die Koordinaten dieses gemeinsamen Ausgangspunktes von dem bewährten methodologischen Kern der neoklassischen Theorie bestimmt. Das bedeutet Orientierung am methodologischen Individualismus, d.h. das Individuum ist die einzige zugelassene Analyseeinheit, auf die alle sozialen Phänomene zurückzuführen sind. Damit steht der Public Choice in bestechender Klarheit für ein Programm der Ökonomisierung im oben zugrunde gelegten Sinn. Insofern nun der Public Choice nach einhelliger Auffassung dem NPM-Diskurs theoretische Auflagefläche bietet, kann zunächst eine Ökonomisierung der Verwaltungswissenschaft angenommen werden.
22 Vgl. dazu den umfangreichen Quellennachweis bei Vogel (2006: 60). 23 Für einführende Darstellungen vgl. Behrends (2001), Kirsch (2004), McNutt (2002), Mueller (2003).
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Im Unterschied zum Public Choice lässt sich der Managerialismus nicht als relativ konturenscharfes Konglomerat von Forschungsbeiträgen, die eine homogene methodologische Basis teilen, ausweisen. Schon die mit Bedacht gewählte Bezeichnung Managerialismus kann nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden. Assoziierte Begriffe wie Managementtheorie oder Managementlehre sind weitaus geläufiger, für die gewünschte Farbgebung jedoch weniger geeignet. Sie sind gewissermaßen zu „neutral“, geht es beim Managerialismus doch um eine Art des Denkens über Management, die in einer schwachen Interpretation als wertbehaftet, in einer starken Auslegung jedoch als politisch-ideologisch zu kennzeichnen ist. Pollitt, der die managerialistische Grundierung des NPMDiskurses aufzeigt, eröffnet mit folgender Definition: „Managerialism is a set of beliefs and practices, at the core of which burns the seldom-tested assumption that better management will prove an effective solvent for a wide range of economic and social ills“ (Pollitt 1993: 1). Auch in der Nachfolge Pollitts wird der Managerialismus substanziell als „cluster of beliefs and orientations“ bestimmt (Clarke et al. 2000: 8). Er steigert die Technik des Managements zu einem universellen Wert, zu einer Art Panazee für Probleme des Regierens und Organisierens (Rees 1995: 16f.). Eine methodologische Verortung des Managerialismus wird durch zwei Umstände erschwert. Einerseits bildet der Managerialismus ein Sammelbecken sehr heterogener privatwirtschaftlicher Managementkonzepte. Eine methodologische Basis, die von allen Ansätzen mehr oder weniger geteilt wird, existiert nicht. Insofern kann schon hier festgehalten werden, dass ein Monopol irgendeines methodologischen Programms, folglich auch von Rational Choice, nicht besteht. Andererseits ist es gerade ein Charakteristikum managerialistischer Ansätze, ihre methodologische Orientierung zu verschleiern. Auf die Darstellung der Methode wird typischerweise wenig Platz verwendet. Um präskriptive Aussagen zu den Funktionen, Aufgaben und Instrumenten des Managements zu erhalten, ist die Beantwortung vieler andernorts belangvoller Fragen – etwa solcher nach Repräsentativität, Kausalität oder Generalisierung – nicht erforderlich oder wird zumindest für nicht erforderlich gehalten. Stattdessen haben Fallbeispiele, oft dem persönlichen Erfahrungskreis der Autoren entnommen, einen hohen Stellenwert. Sie bilden üblicherweise die Grundlage für Induktionen und Interpolationen von Erfolgsfaktoren der Managementpraxis. Der Systematisierungs- und Formalisierungsgrad ist durchweg gering. Ein Zentrum expliziter, strenger methodologischer Prinzipien, die bei der Entfaltung der Argumentation zu beachten wären, ist nicht vorhanden.
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Würde man aber an den Managerialismus die Anfrage richten, worin die soziale Grundeinheit der Gesellschaft besteht und worauf sich soziale Entscheidungen zurückführen lassen, so würde als Antwort gerade nicht verallgemeinernd das Individuum genannt. „For managerialism, the fundamental social unit is neither individuals nor the state, but organizations“ (Enteman 1993: 154). In der managerialistischen Gesellschaft ist Organisation der generalisierte Modus der Interessenwahrnehmung und Einflussnahme. Organisationen treten in mannigfaltigen Erscheinungsformen insbesondere als soziale, ökonomische und politische Einheiten auf. Sie konzentrieren Entscheidungsmacht, die folglich weder beim Individuum als Staatsbürger noch bei der Gesellschaft als emergenter Ganzheit liegen kann. Kollektive Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse kommen daher nicht durch Aggregation individueller Präferenzen zustande. Kollektiventscheidungen sind vielmehr das Produkt der Interaktion von Organisationen. Da Organisationen aber über kein eigenständiges Handlungsvermögen verfügen, treffen statt ihrer Manager diese Entscheidungen: Social decisions arise out of the transactions in which the managements of the organizations are engaged. The movement from individual values to social choice, to use Kenneth Arrow’s phrase, is through organizations, and it is arranged in the transactions of the managers of the organizations (Enteman 1993: 154f.).
Individuen haben nur durch Zugehörigkeit zu Gruppen und Mitgliedschaft in Organisationen die Möglichkeit, ihren Interessen Ausdruck zu verleihen und Einfluss auszuüben, sofern sie ihren Präferenzen gegenüber dem Management Gewicht verleihen können. Manager handeln jedoch potenziell eigennutzinteressiert. Insofern es also keine direkten, sondern nur organisational und managerial vermittelten Verbindungen zwischen individuellen Präferenzen und kollektiven Entscheidungen gibt, bricht der Managerialismus mit der Aggregationslogik, wie sie in den basalen Annahmen des Public Choice anzutreffen ist. Der omnipräsente Modus der Organisation ist gewissermaßen zwischengeschaltet. Aggregiert werden nur die Entscheidungen von Managern, ohne dass deren Interessen in den kollektiven Willensbildungsprozess gleichgewichtig eingehen würden. Die Möglichkeiten der Einflussnahme variieren nach diversen Merkmalen der vertretenen Organisation, insbesondere ihrer Marktmacht. Die herausgehobene Stellung der Manager verleiht den sozialen Entscheidungsprozessen etwas Konspiratives und rückt sie in die Nähe dessen, was Burnham (1949) schon früh das „Regime der Manager“ genannt hat.24 24 Der Umstand, dass im Managerialismus Menschenbilder anzutreffen sind (vgl. klassisch McGregor 1960, Schein 1965) sollte nicht dazu verleiten, eine individualistische Grundorientierung auch im methodologischen Sinn anzunehmen. Es ist leicht einzusehen, dass solche Menschen-
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Die Frage nach einer Ökonomisierung der Verwaltungswissenschaft durch NPM ist also dahingehend zu beantworten, dass nur der Public Choice eine solche Ökonomisierung herbeiführen kann. In Importen des Managerialismus hingegen ist – kontraintuitiv – kein Ökonomisierungspotenzial zu erkennen, weil ihnen die rationalistisch-individualistische Methodologie fehlt, an deren Vorliegen das Begriffsverständnis von Ökonomisierung (als Imperialismus der Ökonomik) geknüpft wurde. In seinen theoretischen Bezügen ist NPM daher für die Verwaltungswissenschaft allenfalls ein halbiertes Ökonomisierungsprogramm. Jedoch kann dem Public Choice vorerst nur ein Ökonomisierungspotenzial attestiert werden. Über eine faktische Ökonomisierung der Verwaltungstheorie durch Public Choice kann erst auf der Grundlage einer Diffusionsanalyse entsprechender Beiträge in verwaltungswissenschaftlichen Diskursen befunden werden. Eine solche Untersuchung muss die Zitationsstrukturen des Fachs freilegen, da anzunehmen ist, dass sich theoretische Begründungen zugleich zuverlässig und effizient in Fußnoten und Referenzlisten von Fachpublikationen aufweisen lassen. Ein wissenschaftlicher Text wird erst mittels Zitation auf eine Theorie – die nicht in der Luft liegt, sondern irgendwo niedergeschrieben und dem schriftlichen Kommunikationssystem überantwortet ist – relativiert. In Zitationen lassen sich also die kognitiven Ressourcen eines wissenschaftlichen Textes aufspüren; hier findet gewissermaßen eine Materialisierung theoretischer Bezüge statt. Für die deutsche Verwaltungswissenschaft wurde eine solche Zitationsanalyse kürzlich vorgelegt (vgl. Vogel 2006). Ein entsprechendes Zitationsranking zeigt, dass der Public Choice im hiesigen NPM-Diskurs zwar vertreten ist, jedoch gewissermaßen untergeht in der großen Masse selten zitierter Arbeiten und daher keinesfalls diskursprägend ist. Insofern ist in diesem Punkt das einmütige Urteil der Fachgemeinschaft, nach der Public Choice ein theoretisches Modell von NPM bildet, zumindest in Bezug auf die bundesrepublikanische Debatte zu revidieren. Dieser Befund ist nicht ohne Weiteres international verallgemeinerungsfähig, weil der deutsche NPM-Diskurs von starken nationalen Spezifika geprägt ist.
bilder keinen methodologischen Individualismus anzeigen können. Sie befinden sich auf der Ebene inhaltlicher Aussagen über Management, nicht instruieren sie diese Aussagen erst. Sie haben keinerlei methodologischen Stellenwert für den Argumentationsaufbau, wie er in anderen Theorieprogrammen den Rational Choice-Annahmen zukommt. Sie sind ein Ergebnis der Argumentation, nicht ihre Voraussetzung. Im Übrigen scheinen sich die genannten Menschenbilder eher von den Charaktereigenschaften des homo oeconomicus zu entfernen; sie sind deutlich pluralistischer angelegt und legen eine besondere Betonung auf immaterielle Motivatoren. Es wäre ein Missverständnis, homo oeconomicus für ein anthropologisch folgenreiches Menschenbild zu halten. Um eben solche Menschenbilder geht es aber im Managerialismus.
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4. Zukunft des Öffentlichen als Zukunft der Verwaltung In den vorangegangenen Ausführungen stand die Ökonomisierung des Öffentlichen in Theorie und Praxis der Verwaltung zur Diskussion. Der gemeinsame Impetus dieser Transformationen wurde in NPM, einer zwischen Theorie und Praxis interferierenden Bewegung mit hohem internationalen Verbreitungsgrad, vermutet. Das Ergebnis ist ambivalent: Der Verwaltungspraxis ist dort, wo sie der NPM-Programmatik folgt25, eindeutig ein Ökonomisierungstrend nachzuweisen. Er äußert sich in Anstrengungen zu Wirtschaftlichkeitssteigerungen, auf die zuletzt die große Mehrheit der NPM-treuen Konzepte zielen. Sie wollen Rahmenbedingungen schaffen, die eine Aufwertung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in den Ziel- bzw. Nutzenfunktionen von Wirtschaftssubjekten begünstigen. Die Verwaltungstheorie hingegen unterliegt keiner durchgreifenden Ökonomisierung. Zwar ist dem Public Choice in großer Klarheit eine individualistische Methodologie nachzuweisen. Empirisch (d.h. hier: zitationsanalytisch) bestätigt sich jedoch nicht, dass er nennenswerten Einfluss auf den nationalen NPM-Diskurs ausübt. Insofern ist der konzertierte Verweis auf ihn als theoretische Grundlage von NPM zumindest im nationalen Kontext eine Rezeptionslegende. Allerdings beruht diese Zurückweisung der Ökonomisierungsdiagnose auf einem relativ rigiden Begriffsverständnis, in dessen Kern das Erklärungsprinzip des homo oeconomicus (und seine interdisziplinäre Übertragung) steht. Damit ist der Blick in erster Linie auf die theoretisch-methodologische Ebene von NPM eingestellt, während die praktisch-normative Komponente aus der Betrachtung fällt. Gerade diese Seite ist im Fall von NPM aber stark ausgeprägt. In der deutschen Verwaltungswissenschaft wird der NPM-Diskurs ausgesprochen anwendungsnah geführt. In der Literatur kursieren Präskriptionen, Instrumentenbeschreibungen und Erfahrungsberichte, deren Vielzahl, aber auch Redundanz kaum mehr einen Überblick gestatten. Insgesamt bindet diese konzeptuelle Ebene den weitaus größten Teil des einschlägigen Schrifttums. Die gemeinsame Anstrengung der meisten NPM-Ansätze liegt darin, einen auf die Verwaltungswissenschaft gerichteten Transfer betriebswirtschaftlicher Konzepte zu organisieren. Das Referenzmodell der NPM-Verwaltung ist die privatwirtschaftliche Unternehmung. Es ist daher kaum verwunderlich, dass nicht wenige der diskutierten Konzepte so oder ähnlich auch in der Betriebswirtschafts- und insbesondere Managementlehre anzutreffen sind: Budgetierung, Management by Objec25 Dies ist in Deutschland in weiten Bereichen der öffentlichen Verwaltung der Fall. Obwohl darin eine Verkürzung liegt (vgl. Vogel 2006: 503), firmiert NPM hierzulande meist unter dem Begriff Neues Steuerungsmodell, das insbesondere auf kommunaler Ebene verbreitet ist (vgl. Knipp et al. 2005, PwC 2002). Das Neue Steuerungsmodell ist allerdings längst kein Privileg der Kommunen mehr, sondern auch auf Bundes- und Landesebene anzutreffen (vgl. Dahm 2004).
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tives, kaufmännisches Rechnungswesen, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Benchmarking, Qualitätsmanagement, Human Resource Management. Sofern der Ökonomisierungsbegriff gelockert wird, lässt sich in diesen Konzepttransfers durchaus eine Ökonomisierung der Verwaltungswissenschaft erblicken. Dieser Beitrag ging jedoch von einem strengeren Begriffsverständnis aus (vgl. Abschnitt 2.2). Damit ist abzusehen, dass die Verwaltungswissenschaft in Zukunft verstärkten Gebrauch von ökonomischer Theorie machen muss, um mit ihrem Gegenstand Schritt zu halten. Wenn immer weitere Bereiche der öffentlichen Verwaltung einer Ökonomisierung unterworfen werden, ist darauf auch theoretisch zu reagieren, sofern die Realitätsadäquanz von Verwaltungstheorie bewahrt werden soll. Ohne korrespondenztheoretischen Utopien aufzusitzen, ist Theorie immer auf ein Mindestmaß an absorbierter Empirie angewiesen, um ihre Prognosefähigkeit und damit Gestaltungserheblichkeit zu bewahren. Gerade in einer Disziplin, die wie die Verwaltungswissenschaft in der Theoriebildung traditionell einem praktischen Gestaltungsimperativ folgt, muss das Theoretisieren „eng“ am Gegenstand erfolgen, um den Objektbezug nicht zu verlieren. Damit ist mitnichten einem ökonomischen Totalitarismus in der Verwaltungsforschung das Wort geredet. Auch die ökonomisierte Verwaltung zeichnet sich noch durch andere als rein ökonomische Realitätsanteile aus. Die juristischen, ökonomischen, politischen, soziologischen, psychologischen und historischen Aspekte, die das Erfahrungsobjekt öffentliche Verwaltung gleichermaßen ausmachen, können vollumfänglich von keiner singulären Theorie aufgenommen werden. Würde die ökonomische Methode nicht lediglich beanspruchen, die herkömmlichen Perspektiven der Verwaltungswissenschaft zu bereichern, sondern an ihre Stelle zu treten, so hieße das unter den Prämissen des methodologischen Individualismus, Verwaltung nur noch von einem Punkt aus zu konzeptualisieren. Die methodologische Unifizierung der Disziplin wäre perfekt – aber liegt hierin nicht eher eine Bedrohung als eine Chance? Vielleicht läge das Fruchtbare einer Ökonomisierungsdiskussion in der Verwaltungswissenschaft gerade darin, die Grenzen einer solchen Ökonomisierung – und mit ihnen die jeder methodologischen Normung – zu erkennen. Abzusehen ist ferner auch, dass das Öffentliche in der Verwaltungspraxis einer Zukunft der Ökonomisierung entgegenblickt. Zu dieser Fortschreibung eines seit 15 Jahren zu beobachtenden Trends berechtigt vor allem der Umstand, dass die zentrale Ursache dieser Ökonomisierung – die simultane Legitimationsund Finanzierungskrise des Wohlfahrtsstaates – einer Lösung noch nicht wesentlich näher gebracht wurde. Erwartet werden kann aber ein Formenwandel
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der Ökonomisierung. Die Ökonomisierungserfolge der Modernisierungskonzepte, die an den Binnenstrukturen des Verwaltungsapparates ansetzen, sind insgesamt nicht durchschlagend genug, um zukünftigen Reformaktivitäten die Richtung weisen zu können. Es ist daher eine weitere Schwerpunktverlagerung von binnenstrukturellen Reformkonzepten zu stärker ordnungspolitisch motivierten Ökonomisierungsvarianten zu erwarten. In der Konsequenz werden öffentliche Aufgaben immer seltener in der staatlichen Hierarchie und immer häufiger auf Märkten koordiniert. Zugleich werden neuartige Kooperationsformen zwischen Staat und Markt eine weite Verbreitung finden.26
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Grenzen der Reorganisation und Privatisierung der Daseinsvorsorge? Eine organisationsökonomische und risikosoziologische Perspektive
Andreas Huchler 1. Einleitung Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befinden sich viele europäische Nationalstaaten, die Leistungsverwaltungen und öffentlichen Unternehmen ihrer zahlreichen Gebietskörperschaften angesichts einer allgemeinen Haushalts- und Legitimationskrise vor der Frage, welche der bislang mit öffentlichen Geldern und durch die öffentliche Hand erbrachten Güter und Leistungen der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge sie zukünftig überhaupt noch selbst produzieren und bereitstellen können und wie viele sie temporär oder permanent an juristische Personen des Privatrechts auslagern können bzw. müssen. In diesem Beitrag soll nach einem kurzen historischen Abriss zur Entstehung der Unterscheidung ‚öffentlich | privat‘ (2.1, 2.2) die aktuelle politischrechtliche Situation hinsichtlich der Frage der EU-weiten Behandlung von nationalstaatlich organisierten ‚Dienstleistungen von allgemeinen Interesse‘ (2.3) dargestellt werden. Vor diesem neuen politisch-rechtlichen Hintergrund könnte es für die öffentliche Hand ratsam sein, sich bei konkreten, wissenschaftlich gestützten Reorganisations- und Auslagerungsentscheidungen nicht ausschließlich auf Best Practice-Regeln zu verlassen, die in der Theoriesprache der Neuen Institutionenökonomik und der verhaltensorientierten BWL für Reorganisationsprozesse privater Großunternehmen erarbeitet worden sind (3.). Politische Organisationen sehen sich nämlich bei Auslagerungsentscheidungen qualitativ anders gelagerten Risikolagen ausgesetzt (4.), die gerade im Falle der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge zu anderen Kosten-/Nutzen-Erwägungen führen könnten als in den Vorstandsetagen privater Konzerne. 2. Das Öffentliche im Wandel der Neuzeit Die Unterscheidung ‚öffentlich | privat‘ hat zumindest in Mitteleuropa eine relativ junge Begriffsgeschichte. Im Folgenden soll der (mittel-)europäische Weg des Öffentlichen im Allgemeinen sowie der öffentlichen Infrastruktur und Da-
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seinsvorsorge im Besonderen vom Spätmittelalter bis zum 21. Jahrhundert in groben Zügen nachgezeichnet werden. 2.1
Öffentlichkeit und das Öffentliche zwischen Mittelalter und Spätabsolutismus Die Bezeichnung ‚öffentlich‘ in ihrer heute üblichen Verwendung als Gegenbegriff zu ‚privat‘ hat in der deutschen Sprache eine interessante Begriffsgeschichte, die bereits einiges über den sich parallel vollziehenden gesellschaftsstrukturellen Wandel aussagt. In der deutschen Nachkriegs-Mediävistik scheiden sich bis zum heutigen Tag die Geister hinsichtlich der Frage, ob und falls ja, mit welchen Bedeutungsgehalten man im Mittelalter die Begriffe ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ verwendet hat.1 Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts fußte das Rechtswesen in Deutschland auf germanischen Traditionen. Aus Sicht der mittelalterlichen Glaubensdoktrin wird ‚öffentlich Sichtbares‘ mit Tugendhaftem gleichgesetzt, während sich das Lasterhafte im Geheimen und Verborgenen abspielt. Das Adjektiv ‚öffentlich‘ wird in dieser Zeit vor allem dann verwendet, wenn ausgedrückt werden soll, dass bestimmte Gegenstände, Sachverhalte oder Institutionen allen oder einer bestimmten Gruppe auf einer vorwiegend visuell-intellektuellen Ebene zugänglich sind. Im germanischen Rechtswesen kommt der religiösen und weltlichen Obrigkeit in erster Linie die Aufgabe zu, die Rechtmäßigkeit eines Gerichtsverfahrens durch Anwesenheit eines Repräsentanten des Klerus bzw. Adels zu ‚bezeugen‘.2 Mit der Rezeption des römischen Rechts und angesichts des im Zuge der Religionskriege gewachsenen Bedürfnisses der weltlichen Obrigkeit, das Recht jenseits konfessioneller Unterschiede zu verankern, verschiebt sich im Laufe des 17. Jahrhunderts die begriffliche Bedeutung von ‚öffentlich‘ von ‚für jedermann sichtbar‘ in Richtung „staatlich, dem souveränen Herrscher zugehörig“3. Mit der Übertragung des im kirchlich-religiösen Kontext institutionalisierten Amtsbegriffs in den innerweltlich-politischen Kontext werden der Fürst und die von ihm ernannten oder geduldeten Vertreter ständischer Interessen zu öffentlichen Personen – allerdings nur in ihrer offiziellen Rolle als Träger der obersten Staatsgewalt. In allen anderen Rollenkontexten, die sich nicht auf das Öffentliche als ‚dem Staate zugehörig‘ beziehen, werden Fürst wie Standesvertreter zu ‚privati‘ (Schiewe 2004: 33). Im 18. Jahrhundert lassen sich dann die absoluti1 2 3
Näheres zu dieser Schwierigkeit in Moos (2004). Hier und im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf quellenreiche Darstellung von Schiewe (2004: 29ff.). Zitiert in Schiewe (2004: 30).
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stischen Herrscher in dem von ihnen jeweils beherrschten Territorium konsequenterweise als einzige ‚öffentliche Person‘ feiern. Das Volk wird zum ‚Staatspublikum‘. Das aufsteigende Bürgertum des 19. Jahrhunderts setzt dieser staatszentrierten Sichtweise des ‚Öffentlichen‘ schließlich eine bürgerzentrierte Vision der Entfaltbarkeit individueller, staatlich garantierter Freiheiten gegenüber und entdeckt die ‚öffentliche Meinung‘ als kritische Kontrollinstanz staatlicher Macht (Schiewe 2004: 33f.) Nach und nach treten in Europa und Nordamerika die von Staatsbürgern gewählten Parlamente und Regierungen das Erbe der zunehmend aufgeklärt absolutistisch regierenden Kaiser und Könige an. Im Zeitalter politischer Liberalisierung und wirtschaftlicher Industrialisierung weiten sich zwischenstaatliche Kriege und Handelsbeziehungen aus und beflügeln die imperialistischen und kolonialistischen Expansionsphantasien von Staatsoberhäuptern und Großindustriellen. 2.2
Von der Eingriffs- zur Leistungsverwaltung: öffentliche ‚Infrastruktur‘ und ‚Daseinsvorsorge‘ Im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts treten aus Sicht der Wirtschaftsakteure eine Reihe von Problemen zum Vorschein, die die weitere Wachstumsdynamik des Frühkapitalismus ausgebremst hätte, wenn es nicht gelungen wäre, hierfür im Rahmen nationalstaatlicher Politik und Rechtsprechung wirtschaftsfreundliche Lösungen zu finden. Zum einen sind die aufstrebenden Wirtschaftsakteure zur weiteren Expansion ihrer betrieblichen Aktivitäten in zunehmendem Maße auf die Zugänglichkeit und relativ bedingungslose Nutzbarkeit von Ressourcen angewiesen, deren Erstellung und -wartung sie mit unternehmensinternen Mitteln (noch) nicht selbst finanzieren könnten. Für diese Art von Ressourcen hat sich der Begriff ‚öffentliche Infrastruktur‘ eingebürgert. Gemeint sind hier z.B. allgemein zugängliche Verkehrs- und Kommunikationswege, Systeme der Ver- und Entsorgung mit bzw. von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, aber auch die jederzeitige Verfügbarkeit eines ausreichend gesunden und lernfähigen Arbeitskräfte-Pools. Zum anderen fordert aber auch eine sich als von ihren jeweiligen Fabrikinhabern tendenziell kollektiv ‚ausgebeutet‘ wahrnehmende Arbeiterschaft eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen sowie eine angemessene Beteiligung an den Unternehmensgewinnen – und droht zugleich mit Arbeitsaufständen, gewerkschaftlicher Organisation oder gar mit Revolution. Sofern der Staat in diesen Interessenkonflikt mit Mitteln der Verhandlung, der Versicherung, der Umverteilung oder der stellvertretenden Bereitstellung von
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Leistungen schlichtend bzw. mit der Absicht, strukturelle soziale (Chancen-)Ungleichheiten unter seinen Staatsbürgern zumindest zum Teil zu korrigieren, eingreift, soll hier – bewusst etwas abweichend von der in der Literatur üblichen Verwendung – von ‚öffentlicher Daseinsvorsorge‘ gesprochen werden. Wie am Beispiel der staatlichen Gesundheitsvorsorge und der allgemeinen Schulpflicht deutlich werden dürfte, tragen eine Reihe von historisch gewachsenen Einrichtungen unter günstigen Produktionsbedingungen sowohl zum Erhalt und Ausbau ‚öffentlicher Infrastruktur‘ als auch zur ‚öffentlichen Daseinsvorsorge‘ bei. Unter den frühkapitalistischen Verhältnissen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts wäre normalerweise nur der Staat mit Hilfe seines über Steuern erhobenen Budgets rechtlich und finanziell dazu in der Lage gewesen, infrastrukturelle Großprojekte wie etwa den Bau einer städtischen Kanalisation oder eines landesweiten Schienennetzes durchzuführen. In einigen Staaten experimentierten Politik, Recht und Wirtschaft jedoch schon früh mit einer neuartigen Gesellschaftsform privatrechtlicher Natur, die es erlauben sollte, das Geld einer prinzipiell unbegrenzten Menge von ‚privaten‘ Kapitalgebern zu bündeln und dieses unter den Bedingungen einer im Totalverlustfall rechtlich abgesicherten Haftungsbeschränkung und einer In-Aussichtstellung einer angemessenen Gewinnbeteiligung für zunächst eng definierte, staatlich genehmigungsbedürftige Zwecke einzusetzen: die ‚Körperschaft privaten Rechts‘ als Vorläuferin der heutigen ‚Aktiengesellschaft‘. Vor allem in den USA und in England wurden wirtschaftshistorisch gesehen bereits relativ früh größere Infrastrukturprojekte mit Hilfe von solchen privatrechtlich geschützten ‚juristischen Personen‘ finanziert4, während in weiten Teilen Europas noch bis vor kurzem in erster Linie der Staat für die Finanzierung, den Betrieb und die Kontrolle von eigens zum Zwecke der Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge gegründeten Körperschaften öffentlichen Rechts zuständig gewesen ist. Der deutsche Staatsrechtler Forsthoff hat bereits 1938 einen bundesdeutschen Trend weg von der reinen Eingriffsverwaltung hin zu einer Leistungsverwaltung beobachtet und in diesem Kontext auch den heute umstrittenen Begriff der ‚Daseinsvorsorge‘ eingeführt (Forsthoff 1938).
4
Der amerikanische Staatsrechtler Bakan hat jüngst eine interessante Aufstiegsgeschichte der ,juristischen Personen‘ veröffentlicht (vgl. Bakan 2004: 15ff.).
Grenzen der Reorganisation und Privatisierung der Daseinsvorsorge?
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Von der nationalstaatlichen ‚Daseinsvorsorge‘ zu den europäisch regulierten ‚Diensten von allgemeinem Interesse‘ Sieht man einmal von den in Art. 73 GG aufgeführten Bereichen ‚Bundeseisenbahnen und Luftverkehr‘ sowie ‚Post- und Fernmeldewesen‘ ab, die verfassungsrechtlich dem Bund zugewiesen und von diesem bereits in den 1990er Jahren (teil-) privatisiert worden sind, weist die ursprüngliche Fassung des deutschen Grundgesetzes von 1949 in erster Linie den einzelnen Bundesländern und ihren Städten und Gemeinden die Aufgabe der Gewährleistung einer öffentlichen Infrastruktur bzw. Daseinsvorsorge zu. Besonders hervorzuheben sind dabei folgende, im ursprünglichen Gesetzestext bereits explizit genannte Politikfelder: die öffentliche Fürsorge, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, das Recht der Enteignung, die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft, die Sicherung der Ernährung, das Wohnungswesen, die Maßnahmen gegen allgemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut sowie die Schienenbahnen, die nicht Bundeseisenbahnen sind, mit Ausnahme der Bergbahnen.5 Unter Staats- und Verfassungsrechtler strittig war allerdings von Anfang an, inwieweit man aus den eher spärlichen Ausführungen des Grundgesetzes, etwa, dass die Bundesrepublik „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“6 ist, einen verfassungsrechtlich einklagbaren Anspruch auf bestimmte Formen der öffentlichen Daseinsvorsorge ableiten kann.7 Diese anfangs noch strittige Auslegungsfrage hat sich im Zuge der fortschreitenden Europäisierung des Rechts und der Politik auf nationalstaatlicher Grundgesetzebene mittlerweile weitgehend erübrigt. Spätestens mit dem sog. Solange-II-Beschluss von 1986 bzw. dem Maastricht-Urteil von 1993 hat nämlich das Bundesverfassungsgericht signalisiert, dass im Falle von verfassungsbezogenen Grundsatzentscheidungen der Europäische Gerichtshof in Zukunft das oberste europäische Gericht sein wird.8 Auch die EU-Mitgliedsstaaten haben in den 1990er Jahren ihre Politik der sukzessiven Verlagerung von vormals nationalstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen nach Brüssel fortgesetzt. Dies hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf Politik und Rechtsprechung in den Politik- und Verwaltungsbereichen, die man in den einzelnen Mitgliedsstaa5 6 7 8
Vgl. Art. 74 GG in der ursprünglichen Version von 1949. Siehe z.B. online unter http://www.documentarchiv.de/ brd/1949/grundgesetz.html, gesehen am 30.3.2006. Zitiert aus Art. 20 GG. Näheres zu dieser historischen Debatte findet man beispielsweise in Forsthoff (1968). Zum Europarecht siehe z.B. Hemmer/Wüst/Hutka (2003).
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ten bislang unter Begriffen wie ‚Daseinsvorsorge‘, ‚services publics‘, ‚services d’interests generaux‘ etc. zusammengefasst hat. Der langjährige Generalanwalt des EuGH Siegbert Alber kommt nach einer gründlichen Analyse der bisherigen Rechtssprechung des EuGH im Jahre 2001 zu folgender Einschätzung (Alber 2001: 108):
Der Gerichtshof fasst den Begriff des Unternehmens relativ weit. Die Mitgliedsstaaten haben einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung der Daseinsvorsorge. Insbesondere legt der Gerichtshof keinen engen Maßstab bei der Frage an, ob eine Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegt. Die Mitgliedsstaaten können staatlichen oder privaten Unternehmen ausschließliche Rechte zur Erfüllung von Aufgaben im Allgemeininteresse verleihen. Dass diese Unternehmen durch die Ausschließlichkeitsrechte eine marktbeherrschende Stellung erlangen, ist zulässig. Wenn die Unternehmen ihre marktbeherrschende Position aber missbräuchlich ausnutzen oder wenn eine Lage geschaffen wird, dass sie gezwungen sind, einen Missbrauch zu begehen, ist in der Regel auch eine Rechtfertigung nach Artikel 86 Absatz 2 [EG-Vertrag] ausgeschlossen.
Allerdings, so Alber, werde der gerichtliche Auslegungsspielraum des relativ vage formulierten Art. 86 EGV in dem Maße enger, wie die EU-Kommission auf dem Wege von Sekundärrecht näher konkretisiere, was sie unter ‚Universaldienste‘ bzw. ‚Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse‘ genauer versteht. Die einzelnen Mitgliedsstaaten hätten nach einer derartigen Konkretisierung durch die EU-Kommission [...] nur noch sehr eingeschränkte eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Dies erklärt einerseits die Sorge der Mitgliedsstaaten und ihrer Länder und Kommunen und begründet andererseits die Hoffnung der Privatwirtschaft. Ein goldener Ausgleich zwischen diesen verschiedenen Interessen ist noch nicht in Sicht (Alber 2001: 108).
Im Jahr 2003 hat die EU-Kommission ein ‚Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse‘ vorgelegt.9 Interessant sind hier insbesondere folgende Passagen dieses Dokuments (KOM 2003, 270: 17, Hervorh. A.H.): 44. Was die Unterscheidung zwischen Leistungen wirtschaftlichen Charakters und Leistungen nichtwirtschaftlichen Charakters angeht, so gilt jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, als wirtschaftliche Tätigkeit. [...] 9
Vgl. dazu das Grünbuch im Original: KOM (2003, 270).
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45. Das Spektrum aller Dienstleistungen, die auf einem bestimmten Markt erbracht werden können, unterliegt dem technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel und hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Daher trägt auch die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten dynamische, veränderliche Züge, wobei in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Tätigkeiten, die wirtschaftliche Bedeutung erlangt haben, immer weiter angewachsen ist. Für eine zunehmende Zahl von Leistungen ist die Abgrenzung schwierig. [...] Da diese Unterscheidung im Laufe der Zeit nicht statisch festgeschrieben bleibt, hat die Kommission es in ihrem Bericht für den Europäischen Rat in Laeken für unmöglich und nicht erstrebenswert erklärt, ein endgültiges A-priori-Verzeichnis sämtlicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse aufzustellen, die als ‚nichtwirtschaftlich‘ anzusehen sind.
Mit anderen Worten: Sobald irgendwo im Euro-Raum bzw. – im Falle einer Marktöffnung für nichteuropäische Wirtschaftsakteure: auf der Welt – ein privatrechtlich geschützter Wirtschaftsakteur auf die Idee kommt, dass es lukrativ sein könnte, bestimmte Güter oder Dienstleistungen, die bislang noch nicht marktförmig von öffentlichen Unternehmen oder Verwaltungen erbracht worden sind, ab sofort selbst marktförmig anbieten zu wollen, und ein entsprechendes Gewerbe anmeldet, würde dem Grünbuch-Vorschlag der EU-Kommission zufolge der rechtliche Status des betreffenden Gutes bzw. der entsprechenden Dienstleistungen von ‚nichtwirtschaftlich‘ auf ‚wirtschaftlich‘ umspringen – und würde dadurch dem betreffenden privaten Wirtschaftsakteur die mit diesem Statuswechsel einhergehenden erweiterten Klagemöglichkeiten und MarkteintrittsErfolgswahrscheinlichkeiten vor europäischen Gerichten eröffnen. Ginge es nach den Formulierungen der EU-Kommission so sollte es den nationalen Behörden selbst überlassen bleiben, ob sie die Bereitstellung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mittels selbst geschaffener öffentlicher Unternehmen oder alternativ durch Beauftragung privater Wirtschaftsakteure gewährleisten. Einzuhalten wären aber dem Grünbuch-Vorschlag zufolge in jedem Fall die jeweils geltenden Grundsätze und (Vergabe-)Richtlinien der EU. Auch bei der Finanzierung dieser Leistungen wollte die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten keine klaren Vorgaben machen. Es müsste lediglich sichergestellt werden, „dass der gewählte Mechanismus das Funktionieren des Binnenmarktes nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt“ (KOM 2003, 270: 31). Vorstellbar wären aus Sicht der EU-Kommission dabei insbesondere folgende Finanzierungsmechanismen (KOM 2003, 270: 31):
„finanzielle Direkthilfen aus dem Staatshaushalt (z.B. Subventionen oder andere finanzielle Vergünstigungen wie etwa Steuersenkungen); besondere oder ausschließliche Rechte (z.B. ein gesetzliches Monopol); Beiträge von Marktteilnehmern (z.B. Universaldienstfonds);
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Erhebung gleich hoher Gebühren (z.B. Erhebung einer landesweit einheitlichen Gebühren ungeachtet beträchtlicher Kostenunterschiede bei der Erbringung der betreffenden Leistung); Finanzierung nach dem Solidarprinzip (z. B. Sozialversicherungsbeiträge)“.
Die für das Grünbuch Verantwortlichen in der EU-Kommission haben allerdings bereits im nächsten Absatz – diese Entwicklung offenbar begrüßend – festgestellt, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine klare Tendenz ab[zeichnet]: Die Mitgliedstaaten ziehen die ausschließlichen Rechte für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mehr und mehr zurück und öffnen die Märkte für neue Teilnehmer. Dadurch wurde es erforderlich, zu anderen finanziellen Unterstützungsformen zu greifen, etwa zur Einrichtung spezieller Fonds, die von Marktteilnehmern finanziert werden, oder zur staatlichen Direktfinanzierung über den Haushalt, der am wenigsten Verzerrungen bewirkenden Finanzierungsmethode. Diese Finanzierungsformen sorgen hinsichtlich der Kosten der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und der zugrundeliegenden politischen Entscheidungen für mehr Transparenz. Außerdem haben sie die politische Diskussion über diese Leistungen angefacht (KOM 2003, 270: 31, Hervorh. A.H.).
Im Jahr 2004 folgte dem Grünbuch ein Weißbuch, indem die EU-Kommission zunächst bekundet, dass sie nach wie vor der Auffassung [ist], dass die Ziele eines offenen, wettbewerbsfähigen Binnenmarkts einerseits und die Entwicklung allgemein zugänglicher, hochwertiger Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu erschwinglichen Preise miteinander vereinbar sind. Tatsächlich hat die Schaffung des Binnenmarkts wesentlich zur Verbesserung der Effizienz beigetragen und für eine Reihe von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse die Preise erschwinglicher gemacht. Außerdem hat der Binnenmarkt zu einer Vergrößerung des Angebots an Dienstleistungen geführt, wie sich speziell in den Bereichen Telekommunikation und Verkehr feststellen lässt. Dennoch könnte in bestimmten Fällen die Verwirklichung eines Zieles öffentlicher nationaler Politik einer Abstimmung auf bestimmte Ziele der Gemeinschaft bedürfen (KOM 2004, 374: 9, Hervorh. A.H.).
In diesen Passagen zeigt sich erneut die ökonomisch geprägte Position der Kommission, wonach ein einheitlicher EU-Binnenmarkt mit vernünftiger Wettbewerbspolitik auch im Bereich der Bereitstellung von Gütern von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einen effizienzerhöhenden Beitrag leisten kann. Weiterhin kündigt sie im letzten Satz subtil an, dass nationale Alleingänge in diesem Bereich zukünftig schwieriger werden. Im Hinblick auf die möglichen Widersprüche zwischen EU-Wettbewerbsrecht und dem relativ vage formulierten Art. 86 EGV schreibt sie
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Auf Ebene des Vertrags werden die entsprechenden Fälle in Artikel 86 Absatz 2 angesprochen, wonach Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse insoweit nicht unter die Bestimmungen des Vertrags fallen, als dies erforderlich ist, damit diese Dienstleistungen den mit ihnen verbundenen Gemeinwohlverpflichtungen Genüge leisten können. Dies bedeutet, dass dem EG-Vertrag zufolge vorbehaltlich der Bedingungen des Artikels 86 Absatz 2 die tatsächliche Erfüllung einer Gemeinwohlaufgabe im Spannungsfall Vorrang vor der Anwendung der Regeln des Vertrags hat. Abgesichert sind also die Aufgaben und nicht unbedingt die Art und Weise, wie sie erfüllt werden. Demzufolge ermöglicht der EG-Vertrag die Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit den Wettbewerbszielen der Europäischen Union insgesamt zu vereinbaren, speziell aber mit der Notwendigkeit der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Erbringer von Dienstleistungen und der bestmöglichen Nutzung öffentlicher Gelder (KOM 2004, 374: 9, Hervorh. A.H.).
Obwohl dies seit Erscheinen des Grünbuchs von verschiedenen Seiten eingefordert wurde, lehnt es die EU-Kommission auch im Weißbuch ab, eine horizontale Rahmenrichtlinie für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu verabschieden, in der verbindlich festgelegt würde, welche Dienstleistungen zukünftig einen besonderen Rechtsschutz genießen. Stattdessen möchte sie die Thematik zu einem späteren Zeitpunkt nochmals aufrollen, sobald der Verfassungsvertrag angenommen ist. Im Rahmen dieser nochmaligen Überprüfung wird die Kommission jeden Legislativvorschlag einer vorherigen ausführlichen Folgenabschätzung zwecks Bewertung der damit verbundenen wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Folgewirkungen unterziehen (KOM 2004, 374: 14f., Hervorh. A.H.).
Mit der Ablehnung des Verfassungsvertrages bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden Mitte 2005 ist fraglich geworden, ob es gelingt, den Verfassungsvertrag wie ursprünglich geplant zum 1. Nov. 2006 in Kraft treten zu lassen. Soviel zur bisher praktizierten Rechtssprechung des EuGH und den jüngsten, politisch motivierten Konkretisierungsvorschlägen der EU-Kommission. Zwar wird den nationalen Behörden der einzelnen Mitgliedsstaaten von Seiten der EU-Kommission prinzipiell die Freiheit eingeräumt, relativ frei zu entscheiden, auf welche Weise und in welcher Qualität und Quantität sie ihren Bürgern in Zukunft noch Güter und Dienstleistungen der Infrastruktur und Daseinsvorsorge anbieten. Grundsätzlich einschränken dürfte sie dabei aber die finanzielle Lage der zur Verfügung stehenden öffentlichen Haushalte, die transparenzbedingten, politischen Diskurse in den Parlamenten und Medien sowie unter Umständen auch private Wirtschaftsakteure, die – so sie denn Profitmöglichkeiten sehen – mit Hilfe der EU-Kommission bzw. des EuGHs auf politischem oder rechtlichem Wege den eigenen Markteintritt im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bestimmter Mitgliedsstaaten forcieren können.
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3.
Die Möglichkeiten der Reorganisation und Privatisierung des Öffentlichen aus (organisations-)ökonomischer Perspektive Wenn Wirtschaftswissenschaftler oder ökonomisch informierte Politik- und Verwaltungsberater für praktische Entscheider Studien oder Gutachten mit Empfehlungscharakter anfertigen, greifen sie dazu nicht selten auf eine Mischung aus Grundbegriffen und Denkfiguren der ökonomischen Neoklassik und der sog. Neuen Institutionenökonomik zurück. Im Zentrum dieser Theorien steht die Frage nach der relativ agentur- bzw. transaktionskostengünstigsten Ausgestaltung von unvollständigen Verträgen zwischen opportunistisch veranlagten Akteuren, deren individuelle Nutzenfunktionen nicht nur durch monetäre, sondern auch durch nichtmonetäre Ziele bestimmt sein können. Damit lassen sich mit ökonomischen Mitteln prinzipiell auch Analysen zu verschiedenartigen vertraglichen Arrangements zwischen einer begrenzten Menge von Akteuren erstellen, die ihre anfallenden Kosten monetärer und nichtmonetärer Art nicht mehr (in erster Linie) über den Verkauf von Gütern auf Produktionsmärkten decken, sondern – wie im Falle des Staates oder anderer nicht primär an monetärer Profitmaximierung orientierter, gesellschaftlicher Akteure – über alternative Formen der Finanzierung und (Teilnahme-)Motivierung. Leider operieren jedoch die Agentur- und Transaktionskostentheorie in Fortsetzung der Hobbes’schen Anthropologie des homo homini lupus im Modus des opportunismusbedingten wechselseitig zu unterstellenden ‚Misstrauens‘10, das ein geradezu paranoides Bedürfnis einer laufenden einseitigen (Agenturtheorie) oder wechselseitigen (Total-)Überwachung aller Aktivitäten des bzw. der Vertragspartner(s) wecken muss, um den bzw. die Vertragspartner bereits bei kleinsten (beobachtbaren!) Abweichungen vom vertraglich vereinbarten Soll mit wirksamen Sanktionen konditionieren oder aber alternativ aus dem Vertragsverhältnis insgesamt entlassen zu können. Beide Auswege sind freilich für die teilnehmenden Akteure mit zum Teil erheblichen Transaktionskosten verbunden, die sie – der Theorie zufolge – zumindest immer dann scheuen werden, wenn erwartbar ist, dass eine gemeinsame Produktion von monetären oder nichtmonetären Gütern für beide bzw. alle Vertragspartner höhere monetäre oder nichtmonetäre Profite einbringen werden als im Falle von Alleingängen. Auf diese Weise erklärt zum Beispiel auch Williamson (1991) mit vertragstheoretischen Mitteln, warum es vor dem Hintergrund bestimmter (erwartbarer!) Transaktionskostenstrukturen unter bestimmten Nutzen(erwartungs!)-Bedingungen öko10 Selbst im Falle einer expliziten Miteinbeziehung von ‚Vertrauen‘ stellt sich bei RationalChoice-Perspektiven die Frage, inwieweit man mit einer rein ‚kalkulatorischen‘ VertrauensDefinition dem Wesen des Phänomens tatsächlich gerecht wird (vgl. z.B. Möllering 2005).
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nomisch rational (und daher empirisch realisierenswert) sein kann, die im Kontext von hierarchischer Organisation anfallenden Kosten einer künstlichen Ausdehnung der eigenen Indifferenzzone (vgl. Barnard 1968) – und des damit verbundenen Autonomieverlusts – in Kauf zu nehmen11. Dabei zeigt sich, dass die disziplinären Grenzen zwischen der Neuen Institutionenökonomik und einer verhaltenstheoretisch ausgerichteten Betriebswirtschaftslehre und deren Verhaltens-Controlling-Instrumente relativ fließend sind, „denn in beiden Ansätzen herrscht die Vorstellung vor, menschliches Verhalten durch institutionelle Belohnungen und Bestrafungen zielgerichtet kanalisieren zu können“ (Göbel 2002: 164). In der (organisations-)ökonomischen Literatur wird nicht nur das vertragliche Beziehungsgefüge in und zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern auch der ‚nexus of contracts‘ zwischen Organisationsmitgliedern innerhalb von öffentlichen Gebietskörperschaften (intraorganisationale Analyse) sowie zwischen öffentlichen Organisationen und privaten Organisationen (interorganisationale Analyse) einer verfügungsrechts-, agentur- oder transaktionskostentheoretischen Analyse unterzogen. Auch im öffentlichen Sektor kann also jegliche Form des praktischen Entscheidens von Polit- und VerwaltungsManagern theoretisch mit der ‚make-or-buy‘-Frage konfrontiert und irritiert werden (vgl. Hoffjan 1995, Momberg 2000). Die Legitimations- und Finanzierungskrise, in der westliche Wohlfahrtsstaaten angesichts einer sukzessiven Supranationalisierung von Wirtschaft, Recht und Politik seit einiger Zeit stecken, hat in Politik und Verwaltung vieler Staaten sowohl die Aufmerksamkeit als auch den Implementationswillen zur Modernisierung der öffentlichen Gebietskörperschaften im Sinne einer stärkeren Ökonomisierung bzw. Managerialisierung erhöht. Zum „Referenzmodell für eine Modernisierung öffentlicher Verwaltungen ist in wesentlichen Bereichen das privatwirtschaftliche Großunternehmen“12 geworden. Wenn diese Analogie tragfähig wäre, dann würden sich damit öffentliche Gebietskörperschaften ihrer Steuern zahlenden Wählerschaft gegenüber zunehmend einem ähnlichen Erwartungsdruck aussetzen wie börsennotierte Großkonzerne, deren Aktionäre – je nach gerade vorherrschender Mode – zum Beispiel erwarten, dass vom Management dieser Organisationen ‚Kernkompetenzen‘ identifiziert werden und z.B. eine radikal Verschlankung hin zum ‚virtuellen Unternehmen‘ eingeleitet wird. In jedem Fall wäre dann auch im Bereich Politik und Verwaltung nur noch ein relativ kleiner Stab von Top-Managern erforderlich, der unter Wahrung der identitätsstiftenden Marke ‚Staat XY‘ auf eine möglichst effiziente Weise die 11 Einschlägig dazu Williamson 1991. 12 So die Sichtweise von Budäus (1998: 33).
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vertraglichen (und nichtvertraglichen) Netzwerkbeziehungen mit externen Zulieferern und Abnehmern managt13 und/oder nach Gelegenheiten sucht, um auf eine aus Kapitalgeber- bzw. Steuerzahlersicht attraktive Art und Weise mit anderen Unternehmen zu kooperieren bzw. – falls ökonomisch für die ‚Eigentümer‘ attraktiv – zu fusionieren.14 Die Entscheidung einer öffentlichen Gebietskörperschaft zur Privatisierung bestimmter Produktionsmittel ließe sich dann institutionenökonomisch als Entscheidung zur weitestgehenden oder vollständigen Übertragung der bislang vom Staat gehaltenen Verfügungsrechte dieser Produktionsmittel an Körperschaften des privaten Rechts interpretieren – verbunden mit der Problematik, dass ein einmal abgetretenes Recht im Falle einer späteren Reue zu den dann marktüblichen Preisen wieder zurückgekauft werden müsste, wenn die dann geltende Rechtslage bzw. das politische Klima ‚Enteignungen‘ schwierig machen. Man kann derartige Analogien zwischen öffentlichen Gebietskörperschaften und privatwirtschaftlichen Großkonzernen theoretisch sehr weit treiben.15 Eher selten wird dabei jedoch reflektiert, ob derartige Vergleiche gesellschaftstheoretisch haltbar sind und zu welchen sozialen Konsequenzen die Implementation derartiger institutionenökonomisch ermittelter Design-Vorschläge in empirischsozialer Hinsicht führen können, sofern es denn gelänge, sie 1:1 in organisationalen Praxisfeldern zu implementieren. Im folgenden Abschnitt soll unter Rekurs auf soziologische Denkfiguren ein kleiner Beitrag hierzu geleistet werden. 4.
Grenzen der Reorganisation und Privatisierung aus (risiko-) soziologischer Perspektive Die Risikosoziologie als relativ junge Teildisziplin der Soziologie interessiert sich für die soziale Verteilung von Entscheidungsspielräumen im Hinblick auf die Implementation von gesamtgesellschaftlich folgenreichen Technologien sowie die daraus sich ergebenden Chancen- und Risikoverteilungen für die Entscheider und die von einer bestimmten Entscheidung aktuell und potenziell Betroffenen. Ein zentrales Kennzeichen der modernen Weltgesellschaft besteht darin, dass die moderne Wissenschaft und Technik gemeinsam dazu tendieren, nahezu alle in früheren Zeiten – aus Respekt vor ‚Religion‘ und ‚Natur‘ – unangetasteten gesellschaftlichen und natürlichen Bereiche unter Berufung auf die (mathematische) Kalkulierbarkeit von Risiken per (immer häufiger kollektiv 13 So z.B. für Wirtschaftsorganisationen ausgeführt in Littmann/Jansen (2000). 14 Vgl. auch hierzu das Fusionsgeschehen an der Börse beobachtend Jansen (2001). 15 Für den Bereich öffentliche Infrastruktur ausgeführt hat dies z.B. Mommert (2000).
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bindender) Entscheidung im großen Stil zu ‚entzaubern‘ und unter ökonomischen und technischen (Effizienz-)Gesichtspunkten umzugestalten. Die auch für gesellschaftspolitische Diskussionen relevante Problematik von Entscheidungen für (aber auch gegen!) den Einsatz neuer Technologien erwächst zum einen daraus, dass die sozial wahrscheinlichen Risikozuschreibungen ex post facto nicht selten relativ stark von den ex ante statistisch berechenbaren und vertraglich versicherbaren Risikozuschreibungen abweichen und zum anderen, dass die Entscheider häufig nicht diejenigen sind, die von dem Eintritt eines wie auch immer unwahrscheinlichen Negativszenarios am meisten betroffen sind. Organisationen sind in modernen Gesellschaften die sozialen Orte, in deren Kontext gesellschaftlich besonders folgenreiche Entscheidungen getroffen werden. Das gilt für große Wirtschaftsunternehmen, aber in besonderem Maße auch für politische Regierungen, öffentliche Verwaltungen und Organe der Rechtssprechung. Entscheidungen, die im Kontext von Politik und Recht getroffen werden, sind nämlich in der Regel kollektiv bindende Entscheidungen, entlang derer sich – abhängig von dem erwarteten Einfluss im Einzelfall – auch alle Akteure eines rechtlich und politisch abgesteckten Raums in ihren jeweils eigenen Entscheidungen ausrichten. Immer dann, wenn eingespielte Prozesse in großem Stil grundsätzlich in Frage gestellt und sukzessive reorganisiert werden, muss damit gerechnet werden, dass diese Umstellung nicht intendierte Nebenfolgen16 in Bereichen produziert, die zwar vordergründig für die jeweilige Systemperspektive nicht von Relevanz sind, sich aber untergründig und nebengründig auf eine Weise multiplizieren, die letztlich auch wieder auf das entscheidende System selbst zurückwirken. Nach dieser relativ abstrakten Grundüberlegung stellt sich die Frage, wie derartige Nebenfolgen im konkreten Fall einer Reorganisation bzw. Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge in Erscheinung treten können. Dazu sollen im Folgenden einige theoretisch abgeleitete Thesen vorgestellt werden, deren Brauchbarkeit bzw. Generalisierbarkeit in empirischen Einzelfallanalysen17 zu überprüfen wären. 16 Mehr zu diesem Begriff siehe Beck/Kieserling/Holzer (2002). 17 Über 50 Einzelfallstudien über die positiven und negativen Auswirkungen von Privatisierungen im Bereich der Daseinsvorsorge enthält bspw. der Bericht „Limits to privatization“ an den Club of Rome (siehe Weizsäcker/Young/Finger 2005).
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4.1
Vergangene Entscheidungen haben Auswirkungen auf gegenwärtige Risiko- und Entscheidungslagen Politische und rechtliche Systeme sind Systeme mit einer Vorgeschichte, die den Entscheidungsspielraum in gegenwärtigen, kollektiv bindenden Entscheidungslagen auf spezifische Weise einschränken. Weil gestern so entschieden wurde, kann heute nicht mehr bzw. nicht ohne erheblichen Reputationsverlust oder finanzielle Kosten völlig anders entschieden werden.18 Das trifft im Fall der Bundesrepublik Deutschland insbesondere auf vergangene politische Grundsatzentscheidungen in Richtung einer sukzessiven Unterordnung nationaler Rechtsprechung und Politikgestaltung unter die Rechtssprechungs- und Richtlinienkompetenzen der entsprechenden europäischen Institutionen zu. So etwa im Bereich (Wettbewerbs-)Recht und (Geld-)Politik, aber auch, was z.B. die gerichtliche Auslegungspraxis von Verfassungen im Hinblick auf Fragen der Sozialstaatlichkeit anbelangt.19 Wie stark bei solchen Transnationalisierungsentscheidungen jeweils volkswirtschaftliche Kostenabwägungsfragen etwa gegenüber politischen Profilierungsfragen im Vordergrund standen, lässt sich allenfalls erahnen. Ähnlich sieht es mit Fragen der Haushaltspolitik in den verschiedenen Gebietskörperschaften aus. Die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder weisen jährlich – mal mit Recht, mal aus eher wirtschaftspolitischen Profilierungsmotiven – auf Verschwendungen öffentlicher Mittel hin, die bei Steuer zahlenden Staatsbürgern tatsächlich regelmäßiges Kopfschütteln bewirken. Auch produzieren vergangene und gegenwärtige kollektiv verbindliche Entscheidungen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitslosigkeit und staatliche Altersvorsorge Folgeprobleme, die die Risikolagen gegenwärtiger und zukünftiger ‚Anspruchsberechtigter‘ im Hinblick auf die Erwartbarkeit der Höhe und Dauer der Finanzierung von Sozialversicherungsleistungen durch staatliche Versorgungssysteme erheblich verändern (siehe Stichweh 2000). Eine kollektiv verbindliche Entscheidung, die das politische und rechtliche System der Bundesrepublik Deutschland in mehreren Stufen beschlossen haben, ist die Schaffung der rechtlichen und infrastrukturellen Grundlagen zur massiven Ausweitung der Praxis der Kapitalflucht von Inländern. In dem Maße, in dem es privaten und institutionellen Investoren leichter gemacht worden ist, große Mengen ihrer liquiden Mittel über Börsen und OTC-Geschäfte weitgehend anonymisiert und international gewinnbringend anzulegen, hat der Staat dazu beigetragen, dass sich die Spekulations- und Kontrolldynamik eines internationalen Finanzmarktregimes und seiner organisationslogischen Folgeproble18 Evolutorische Ökonomen würden hier vermutlich von ‚Pfadabhängigkeiten‘ sprechen. 19 Siehe Abschnitt 1 dieses Beitrags.
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me für eigen- und fremdkapitalabhängige Organisationen – einschließlich derjenigen der öffentlichen Gebietskörperschaften eines Staates selbst – wenn schon nicht entfaltet, so doch zumindest noch verschärft haben. Kollektiv bindende Entscheidungen sind wie alle Entscheidungen kontingente Entscheidungen, die immer vor dem Hintergrund einer situativ-sozial in der Regel begrenzten Anzahl funktional äquivalenter anderer Entscheidungen getroffen werden. Das macht soziologische Gesellschaftskritik heutzutage so schwierig, weil man nur diejenigen kollektiv bindenden Entscheidungen ex post rekonstruieren und ggf. im Hinblick auf die durch sie ausgelösten Folgeprobleme wissenschaftlich be- bzw. politisch ver-urteilen kann, die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt t von bestimmten Stelleninhabern in einer extern beobachtbaren Form (!) kommuniziert worden sind. Publizisten können hier sehr viel schneller zu eindeutigen moralischen Zurechnungen kommen als Sozialwissenschaftler. So schreibt etwa der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in seiner Rückschau auf die „roaring nineties“: Viele der politischen Weichenstellungen in den neunziger Jahren halfen den Finanzmärkten, noch mehr Geld zu verdienen. Die Deregulierung eröffnete der Wall Street neue Geschäftschancen, und sie griff rasch zu. […] Unsere neuen Finanzhelden beteiligten sich zusammen mit anderen an der Propagierung eines weiteren Mythos: Die wirtschaftlichen Probleme rührten von der aufgeblähten Staatsbürokratie her, die uns dazu zwinge, hohe Steuern zu zahlen, und unsere produktiven Kräfte zu fesseln. […] Von denjenigen, die den Mythos von der aufgeblähten Staatsverwaltung propagierten, profitierten nicht wenige zugleich von den laxen gesetzlichen Rechnungslegungsvorschriften, von der Deregulierung (zum Beispiel des Strom- und Erdgasmarktes), von öffentlichen Subventionen und staatlicher Unterstützung beim Zugang zu Auslandsmärkten sowie von öffentlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung (Stiglitz 2005: 262ff.).
Wenn Stiglitz mit dieser Zurechnung von Verantwortlichkeiten richtig läge, wären es in erster Linie die Finanzmärkte, die den Staaten bestimmte Deregulierungs- und Privatisierungspolitiken aufzwingen, von denen die Finanzmarktakteure am meisten profitieren. Eine solche monokausale Erklärung klingt verlockend. Als Soziologe muss man aber mit komplexeren Interaktionsbeziehungen rechnen, die z.T. auch schwer beobachtbar sind. 4.2 Privat ist nicht gleich privat Privatisierungen können auf vielfältige Weise durchgeführt werden. Entsprechend vielfältig sind die in der Literatur vorgeschlagenen Typologien. Kämmerer (2001: 37) schlägt vor, den Begriff der Privatisierung zu definieren als
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Andreas Huchler jede Form der Abgabe von Rechtsmacht durch den Staat zugunsten von Personen des Privatrechts, wobei unter diese natürliche Personen und jede Art von privatrechtlich organisierten Rechtssubjekten ohne Rücksicht auf den Anteilseigner fallen.
Institutionenökonomisch reformuliert geht es also um eine temporäre oder permanente Übertragung bestimmter Verfügungsrechte im Bereich der Produktion und Bereitstellung von Gütern, die bislang im (Monopol-)Besitz der politisch legitimierten Staatsgewalt waren, in den (Leih-)Besitz von Personen des Privatrechts. Die Verfügungsrechtsempfänger können dabei im Hinblick auf ihre Rechtsform und der daraus erwachsenden, ggf. privatrechtlich vor Gerichten einklagbaren Rechte durchaus erhebliche Unterschiede aufweisen. Die Entscheidung der Errichtung einer Gesellschaft des privaten Rechts, aber auch die Entscheidung einer Übertragung von Verfügungsrechten an eine bereits bestehende Gesellschaft des privaten Rechts, ist vor dem Hintergrund einer bislang öffentlichen Produktion bzw. Bereitstellung eine politische Entscheidung und wird von heutigen und zukünftigen Wählern auch als eine politische Entscheidung interpretiert werden. Insofern stellt sich unter risikosoziologischen Gesichtspunkten die Frage, auf welche Weise sich die heutige Übertragung von Verfügungsrechten über Güter der Infrastruktur und Daseinsvorsorge von Personen des öffentlichen an Personen des privaten Rechts auf die morgigen Wahlchancen und politischen Gestaltungsmöglichkeiten der von Privatisierungsmaßnahmen betroffenen Gebietskörperschaften auswirken wird. Natürlich bleibt der Trost, dass man angesichts durchschnittlich relativ kurzer Amtsperioden von Politikern bestimmter Regierungsparteien darauf hoffen darf, dass das Wahlvolk vergisst, dass bestimmte Folgeprobleme bzw. Defizite im Bereich der Infrastruktur bzw. Daseinsvorsorge auf vergangene Entscheidungen einer bestimmten Regierungspartei zurückzuführen sind. Unter den Bedingungen eines politischen Mehrebenensystems bleibt notfalls auch die externe Attribution von Verantwortlichkeit auf eine höhere Ebene, deren Druck man sich zum Zeitpunkt derartiger Entscheidungen hatte beugen müssen. Zum Zeitpunkt der politischen Entscheidung über die Art und Weise einer Auslagerung und Privatisierung dürfte aber die Frage nach der Wahl der richtigen – d.h. politisch möglichst risikoarmen – Rechtsform der Organisation, der man zukünftig die Daseinsvorsorge anvertraut, neben der konkreten Ausgestaltung der Verträge relativ wichtig sein. Gerade in Zeiten von atemberaubenden Mergers & Acquisitions dürften aus politischer Sicht vor allem jene Personenund Kapitalgesellschaften in die engere Auswahl kommen, die steuerlich attraktiv sind und die nicht oder nicht ohne Weiteres von Public- oder Private-EquityFirmen aufgekauft und in politisch weniger wünschenswerten Stücken gewinn-
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bringend weiterverkauft werden können. In dieser Hinsicht hat in den letzten Jahren insbesondere die Rechtsform der Stiftung an Bedeutung gewonnen. 4.3
Kontaktsysteme zwischen und Unsicherheitszonen innerhalb von Organisationen als ex ante vertraglich nicht ausschaltbare Ressourcen von Vertrauens- und Machtspielen Eine rein auf vertragsrechtliche und ökonomische Aspekte fokussierte KostenNutzen-Analyse der verschiedenen Möglichkeiten der Auslagerung bzw. Privatisierung von bislang öffentlich erbrachten Gütern übersieht häufig, dass in der späteren sozialen Praxis der Zusammenarbeit bzw. Ausführungskontrolle – sofern eine solche überhaupt noch vorgesehen ist – bestimmte Organisationsmitglieder sowohl der Auftraggeber- als auch der Auftragnehmer-Organisation in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen aufeinander treffen werden und dadurch das ‚Gesetz des Wiedersehens‘ dafür sorgt, dass in derartigen ‚Kontaktsystemen‘ so manche vertraglichen Bestimmungen flexibler ausgelegt werden als ursprünglich intendiert20. Das schafft von außen schwer beobachtbare Spielräume für intersystemische, situativ ausnutzbare Vertrauens- und Machtspiele jenseits des vertraglich Ausgehandelten – auch auf Seiten des Auftragnehmers! Ein weiteres Problem dürfte sich in vielen Fällen dadurch ergeben, dass sich die Kontrolle einer verwaltungsrechts- bzw. vertragsgemäßen Durchführung bestimmter Prozesse organisationsübergreifend in vielen Fällen deutlich schwieriger gestaltet als innerhalb nur einer Organisation. Gerade AuftragnehmerOrganisationen, die mangels attraktiverer Alternativen hoffen, in längerfristigen Vertragsbeziehungen mit einigen wenigen Auftraggebern überleben zu können, neigen wichtigen Anspruchsgruppen gegenüber zu ‚geschönten‘ Außendarstellungen, die davon ablenken, dass auch sie nur das im Rahmen formaler Organisationen Mögliche leisten können21. In der Welt der börsennotierten Großkonzerne, die man ja immer wieder gerne zum Vergleich heranzieht, wurde nach einer Reihe von skandalösen Missbrauchsfällen auf Seiten der Agenten in den letzten Jahren ein relativ rigides Corporate-Governance-Regime eingerichtet, so dass sich nun immer häufiger die Frage stellt, ob das Top-Management der Auftragnehmer-Organisationen vor dem Hintergrund der vom Auftraggeber erwarteten kurzfristigen Eigenkapitalrenditen überhaupt noch in der Lage ist, die organisationsinternen Prozesse und Mitarbeiter so zu managen, dass ein längerfristiges Überleben der einzelnen Geschäftsbereiche gewährleistet werden kann. 20 Dazu auch Luhmann (2001). 21 In der organisationstheoretischen Literatur hierzu einschlägig Meyer/Rowan (1977).
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Im Falle von public private partnerships könnte sich ein ähnlicher Zielkonflikt abzeichnen, wenn der öffentliche Auftraggeber auf die Einhaltung derart vieler Auflagen bzw. die Berücksichtigung von (tages-)politischen Befindlichkeiten besteht, dass sich das Geschäftsmodell in betriebswirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr lohnt. Wahrscheinlicher dürfte aber in vielen Privatisierungsprojekten der umgekehrte Fall sein. Damit stellt sich aber die letztlich verfassungsrechtlich zu beantwortende Frage, wie viel mehr Freiheit von (Verwaltungs-)Vorschriften (teil-)privatisierten Unternehmen im Vergleich zu öffentlichen Unternehmen eingeräumt werden kann und ab wann sich öffentlich-rechtliche Körperschaften von der Pflicht zur weitgehenden Rechtskonformität über die Hintertür der Auslagerung freikaufen? Schließlich gibt es auch organisationsintern trotz – oder gerade wegen – der Allgegenwart von formalen Anreiz- und Kontrollsystemen Unsicherheitszonen, die von bestimmten Akteuren für Machtspiele genutzt werden können (vgl. Crozier/Friedberg 1993). König/Beck (1996: 162f.) drücken dies folgendermaßen aus: Eine Verwaltungsmodernisierung, die Macht allenfalls als Größe ihrer Durchsetzung sieht, nicht aber in ihrer Konzeption den Konfliktreichtum zwischen und insbesondere in Organisationen reflektiert, geht fehl. Ökonomisierung räumt Machtkämpfe in Organisationen entgegen harmonisierender Modellvorstellungen nicht aus. […] [Es] bleiben ‚Unsicherheitszonen‘, die durch Machtbeziehungen ausgefüllt werden.
Auch hier stellt sich die letztlich nur empirisch zu beantwortende Frage, in welchen Hinsichten sich eine privatrechtliche Organisationsform und die damit einhergehenden organisationsinternen Machtspiele auf die sachliche Qualität, die zeitliche Verlässlichkeit und die soziale Unbedingtheit einer stärker profitorientierten Leistungserbringung aus Sicht der Leistungsempfänger eher positiv (Service-Kultur) und in welchen Hinsichten eher negativ (Chancen der Gleichbehandlung unabhängig von der Zahlungskräftigkeit) auswirken. 5. Schluss Historisch betrachtet ist die Frage nach einer privaten Produktion und Bereitstellung von öffentlichen Gütern der Infrastruktur und Daseinsvorsorge eine Frage, die sich erst im Übergang von Spätabsolutismus zur bürgerlich-liberalen Gesellschaft stellt, weil die Unterscheidung ‚privat | öffentlich‘ auf deutschem Staatsgebiet erst im 19. Jahrhundert die heute gebräuchliche Bedeutung (einschließlich der Präferenz für das Private) erlangt. Im Zuge der Industrialisierung und der dadurch entstehenden Nachfrage nach Formen der nichtstaatlichen Finanzie-
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rung von Großprojekten experimentieren dann die Rechtssysteme verschiedener Länder mit ‚juristischen Personen‘ privaten Rechts und mit entsprechenden börslichen und außerbörslichen Eigen- und Fremdfinanzierungsformen. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts werden schließlich die rechtlichen Grundlagen für die Europäisierung und Internationalisierung der inzwischen zu global players herangewachsenen, börsennotierten Konzerne geschaffen. Einzelne Nationalstaaten und ihre Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts sind für die internationale Finanzwelt angesichts ihrer territorial begrenzten Hoheitsgewalt und ihrer hohen Bonität global weiterhin wichtige Akteure. Angesichts einer wachsenden Überschuldung öffentlicher Haushalte und einem von der EU-Kommission forcierten EU-Binnenmarkt experimentieren derzeit viele Länder damit, große Teile der bislang öffentlich produzierten und bereitgestellten Güter der Infrastruktur und Daseinsvorsorge auf juristische Personen des privaten Rechts auszulagern. Neben einer rein ökonomischen und vertragsrechtlichen Betrachtung empfiehlt es sich aus (gesellschafts-)politischer Sicht, bei großangelegten Outsourcing-Projekten möglichst vor Vollendung von womöglich schwer reversiblen Vertragsabschlüssen die (mikro-)politischen Dimensionen von derartigen public private partnerships in der späteren Kooperationspraxis in die Kosten-Nutzen-Betrachtungen mit einzubeziehen.
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Dialektik der Privatisierung. Zu einigen sozialen Nebenfolgen des Rückbaus des Öffentlichen
Christoph Henning Vorbemerkung Die Zukunft des Öffentlichen ist unsicher. Das liegt schon allein daran, dass auf den zweiten Blick gar nicht so klar ist, was „das Öffentliche“ eigentlich ist. Es gibt mindestens zwei große semantische Felder, die durch den Gegensatz öffentlich/privat abgesteckt werden. Da ist zum einen die Dimension von Politik versus Wirtschaft, von Staat versus Markt, von privater versus öffentlicher Finanzierung. Privatisierung bedeutet hier: Übergang von öffentlicher in private Trägerschaft, oder schlicht: Vermarktlichung.1 Und es gibt zum anderen die persönliche Intimsphäre, das Privatleben, gegenüber der Öffentlichkeit, dem öffentlichen Leben auf der Straße, auf dem Markt oder in den Medien. „Öffentlicher Raum“ in diesem Sinne findet sich auch in privat betriebenen Unternehmungen wie etwa in Shopping Malls, und in diesem Sinne sprechen wir auch von privaten Rückzugsräumen oder von Veröffentlichung (go public). Schon hier wird deutlich, dass sich diese beiden Ebenen nicht sauber auseinander dividieren lassen, als ob sich das öffentliche Leben nur im öffentlichen Sektor abspielte, während der privatwirtschaftliche Sektor nur von privatem und nicht von öffentlichem Interesse sei. Beide Dimensionen überschneiden sich: Man kann sein Privatleben sehr wohl öffentlich machen, wie es etwa „celebrities“ tun (oder tun müssen, vgl. Engell 1992: 114, 122). Die Mimikry des Normalpublikums hingegen, das öffentliche Coming-out, vollzieht sich nicht selten im Privatsender, im sog. „Unterschichtenfernsehen“. Es ist keineswegs eine nur sprachliche Unklarheit, die sich hier manifestiert, sondern es liegt in der Sache selbst, dass sich keine klare Trennung ziehen lässt – die Dimensionen überschneiden sich zu sehr.2 Sie hängen auf noch zu erörternde Weise zusammen; dennoch müssen sie analytisch zunächst unterschieden werden. 1
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Es liegt übrigens nicht an den Gütern selbst, ob sie privat oder öffentlich hergestellt oder verteilt werden (cf. Demsetz 2002); dies ist eine politische Grundsatzentscheidung und verhält sich in verschiedenen Regionen unterschiedlich. Wenn wir wollen, dass Gesundheit, Erreichbarkeit oder Ruhe „öffentliche Güter“ sind, dann können wir sie dazu machen, es ist nicht an den Ökonomen, das zu entscheiden, sie können es nur ex post feststellen. Schon bei Habermas (1962) überkreuzen sich die Dimensionen: aus seiner (damals noch holzschnittartig geschichtsphilosophischen) Sicht war für eine funktionierende bürgerliche Öffent-
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Die vorliegenden Zeilen wollen in essayistischer Form einige Thesen dazu vorstellen. Zunächst gilt es darzulegen, dass sich im ersten semantischen Bereich, der öffentlichen Trägerschaft, ein Rückbau verzeichnen lässt (1). Dieser hat, wie zu zeigen ist, gravierende Folgen für den anderen semantischen Bereich, dem öffentlichen und privaten Leben. Diese These ist nicht neu, sie wird darum nicht breit ausgefaltet, sondern nur kurz in ihren Varianten benannt, um dann zunächst eine Forschungsfrage zu skizzieren, die Gegenstand eines Forschungsprojektes ist, das im Rahmen des Seminars „Interdisciplinary Case Studies: Theories of Emotion“ sattgefunden hat. Es geht um die Frage, ob sich in den durch die Privatisierung befreiten Subjekten (im „Selbst“) tatsächlich Herrschaftsdispositive freilegen lassen, wie dies im Anschluss an Foucault in einigen Forschungszweigen behauptet wird (2). Gesucht danach wird in gegenwärtigen „Gefühlsskripten“ und -Diskursen, deren paradoxe Natur dann Ursache für soziales und individuelles Leiden sein könnte.3 Ob in einer Gesellschaft mit schwindendem öffentlichem Sektor „private“ Praxen im doppelten Sinne als Widerstandspotential gegen die drohende Entdemokratisierung taugen, wird dann im Bereich des Konsums überprüft (3).4 Beide Überlegungen über soziale Privatisierung legen nahe, dass es im Interesse einer „Zukunft des Öffentlichen“ Schutzzonen vor einer allzu weit getriebenen Privatisierung geben muss (vgl. Bollier 2002). 1. Privatisierung des Privaten: Zur Dialektik der Entstaatlichung Es ist kein Geheimnis, dass das Öffentliche im Sinne der Trägerschaft seit zwei Jahrzehnten auf dem Rückzug ist (Allmendinger 2003). Was das für die wirtschaftliche Ebene bedeutet, ist inzwischen absehbar: die Privatisierung öffentlicher Güter hat zwar neue Märkte geschaffen und immense Massen von Reichtum akkumuliert, bislang aber nicht den erwünschten gesamtwirtschaftlichen
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lichkeit die Privatsphäre die Grundbedingung. Erst aus ihrem Schutz konnten sich die Bürger aktiv politisch einbringen. Als das Privatleben durch Konsumismus passivistisch erlahmte, war es für den konsumkritischen Habermas um die republikanisch gemalte Öffentlichkeit geschehen. Der private Sektor, sprich: der Markt, hat das öffentliche Leben behindert. Die Diagnose von Sennett (1976) hingegen war, dass das öffentliche Leben nicht durch zuwenig, sondern durch zuviel Privatleben (durch die „Tyrannei der Intimität“, siehe Lasch 1979) minimiert worden sei. Hirschman (1982) sah schließlich einen endogenen Zyklus zwischen mehr und weniger öffentlichem Engagement, las den Markt aber ebenfalls als ein Hindernis für politische Betätigung (siehe so noch Ritzer 2005). Der Verweis auf sprachloses „Leiden“ ist mittlerweile die Instanz geworden, mit der kritische Theorie sich vor ihren traditionellen Vettern als kritische legitimiert (siehe Honneth 2002). Siehe www.zeppelin-university.de/consum sowie Stehr/Henning/Weiler (2006).
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Aufschwung gebracht.5 Zumindest ein Nebeneffekt ist indes sicher: es gibt eine massive Umverteilung von unten nach oben (Noll 2005, Henning 2006d). Die dennoch weiter sinkende Besteuerung starker Schultern führt zugleich zu einer Finanzkrise des Staates.6 Der Staat stößt Sektoren ab, weil er sie sich nicht mehr leisten kann; der private Sektor übernimmt zumindest die profitablen davon gern, weil hier mögliche Gewinne in Aussicht stehen, wenn diese Sektoren profitorientiert betrieben (oder „weiter verhökert“) werden. Der Rest wird auf „private“ Schultern im anderen Sinne verteilt: die Individuen müssen sehen, wie sie damit zu Rande kommen: es gilt, heißt es dann, die „Eigenverantwortung“ zu stärken. Aus beiden Gründen schwindet der öffentliche Sektor in vielen Bereichen, wir haben es mit einer umfassenden und nie gekannten Vermarktlichung – eben: Privatisierung – vormals öffentlicher Güter zu tun. Gesundheit, Ausbildung, soziale Sicherheit sind zu Waren geworden. Dies betrifft neuerdings sogar traditionelles und indigenes Wissen, Gensequenzen von Lebewesen, Rohstoffe wie Wasser (Reimon 2003: 74ff.) oder auch Firmenanteile oder gar ganze Firmen, im In- und Ausland. Diese massive Vermarktlichung – die zugleich, mit einem Kunstwort gesagt, eine „Entöffentlichung“ ist – stellt eine soziale Transformation historischen Ausmaßes dar, deren Folgen sich eben erst abzeichnen. Über die ökonomischen wie über die sozialen und kulturellen Auswirkungen dieser Umstrukturierung – eines makrosozialen re-engineering – kann man geteilter Meinung sein. Es zeichnet sich ab, dass es zwar einige Gewinner, aber weit mehr Verlierer gibt; national wie international (Henning 2006a). Längst nicht alles ging rechtens zu (Rügemer 2005), die Aneignungsweisen nehmen zuweilen sogar beängstigend kriminelle Formen an (Zeller 2004). Doch um diese Debatten soll es hier nicht gehen (vgl. Rügemer und Zeller in Henning 2006b). An dieser Stellte wollen wir vielmehr der Frage nachgehen, was diese Privatisierung eigentlich für die andere semantische Dimension von öffentlich und privat, also für das öffentliche Leben und für die private Sphäre bedeutet. Gibt es nicht auch eine Privatisierung des Privaten? Wenn ja, was bedeutet diese eigentlich für das soziale – also auch das öffentliche – Zusammenleben? Die These ist, dass es gerade aufgrund der Zusammengehörigkeit beider Bereiche ungewollt zu einer gegenläufigen Bewegung kommt, mit einem dialektischen Resultat. Das unter der Hand sich einstellende Nebenergebnis der Privatisierung öffentlicher Güter, der Ausweitung der privaten Sphäre im ökonomischen Sinne, ist ein Schwinden der privaten Sphäre im persönlichen Sinne. Das 5 6
Glaubt man Dumenil/Levy (2005), so war das auch nie das Ziel des „neoliberalen“ Projektes. Zur Gemachtheit der Finanzkrise des Öffentlichen siehe Müller (2004), Giegold (2005).
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ist die zu umreißende Dialektik der Privatisierung. Zwei Manifestationen dieser Dialektik werden im Folgenden kurz vorgestellt: es geht um die gewandelte Rolle der Gefühle einerseits, um Konsum als Politikum andererseits. 2.
Das intime Simulakrum. Der Zwang zur öffentlichen Gefühlssimulation Weite Bereiche der vormals „machtgeschützten Innerlichkeit“ (Thomas Mann) sind heute weniger institutionell eingebettet und rechtlich gehütet als zuvor. Das private Leben wird immer durchsichtiger, der Zugriff organisierter Akteure auf die Individuen jenseits demokratischer Legitimationsmuster wird ausgeweitet, sprich: das Private wird immer öffentlicher (Hildebrandt 2006). Doch was finden wir in diesem öffentlichen Raum? Immer weniger „öffentliche“ Akteure im ökonomischen Sinne, sondern stattdessen „private“ Firmen, also: den Markt, der sich im Gegenzug ausweitet. Die Macht großer Corporations ist in den letzten Jahrzehnten ebenso gewachsen, wie die Macht traditioneller Institutionen gesunken ist (Bakan 2004). Das Privatleben ist dadurch – so die These – einer weitgehenden „Kommerzialisierung“ preisgeben, einer Kommerzialisierung des intimen Lebens, mit Arlie Hochschild (2003) gesprochen. Das Private ist damit wieder politisch geworden, aber anders, als dieser Slogan einst gemeint war. Mit dem Rückbau staatlicher Strukturen und der Privatisierung öffentlicher Sektoren geht also eine Freisetzung der Individuen aus gewohnten Sicherungen einher. Eine Dialektik ist deutlich sichtbar: Einerseits gibt es einen Freiheitsgewinn, der von vielen begrüßt wird, andererseits erzeugt dies neue Zwänge, da sich die Einzelnen nun wieder verstärkt Marktzwängen ausgesetzt sehen – denn was jenseits des Öffentlichen im Sinne des Staates auf die Individuen wartet, ist nicht Nichts, also keine unbegrenzte Freiheit, sondern das Private im Sinne des privaten Sektors, auf dem zwar weniger reglementiert ist, wo aber nach wie vor Zwänge herrschen; existentiellere und unvorhersehbare sogar. Das Subjekt kommt also vom Regen in die Traufe, es kann davon profitieren, gewaltig sogar; es kann allerdings auch gänzlich durch alle Netze fallen. Niemand weiß es. Eine solche Substitution öffentlicher (politischer) durch private (wirtschaftliche) Zwänge gab es inzwischen in den verschiedensten Bereichen. Es wäre ein müßiges Geschäft, einem dieser Bereiche eine kausale Primärfunktion zuzuschreiben. Es geht eher darum, die neue Konstellation als Gesamtphänomen zu erfassen, denn es gibt sehr wohl ein gemeinsames Signum: wir haben es mit einer Resubjektivierung, einer Neubewertung von individuellen Unterschieden, Kreativitätspotentialen und Authentizitätssehnsüchten zu tun, die aber gleich-
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wohl eingespannt sind in neue Machtfelder – oder besser gesagt: in ziemlich alte, denn es ist niemand anders als der „gute alte Kapitalismus, dessen Fratze sich hier zeigt“. Das führt zugleich auch zu einer Umstellung der Semantik: wird das Subjekt der Adressat, kehrt auch eine individuelle Zurechnung zurück (eine „Moralisierung“), die in den Zeiten des Glaubens an feste Institutionen hinter einem generalisierten „Systemvertrauen“ (Luhmann 1968) hatte zurückstehen müssen. Ulrich Beck hat viele dieser Entwicklungen früh und treffend erfasst. Liest man seine Risikogesellschaft (1986) nach zwanzig Jahren erneut, lassen sich, abgesehen von der unpräzisen und unnötigen geschichtsphilosophischen Aufbauschung dieser Beobachtungen als „reflexive Moderne“, erstaunliche viele Prognosen von damals bestätigen. Zunächst gibt es, wie schon die Wertewandelforschung festgestellt hatte, einen Trend hin zu einer postmaterialistischen Einstellung, in der auf der Basis von Wohlstand Selbstverwirklichung zum dominanten Motiv wird (Beck 1986: 205ff.). Dem parallel läuft eine „Entstandardisierung“ in der Arbeitsorganisation (Beck 1986: 220ff.). Die institutionalisierten Lebensläufe schwinden, alles ist nun flexibilisiert und jeder hat flexibel zu sein (siehe populär Sennett 1998). Dies bringt für Einige Vorteile, für die Mehrzahl der Menschen weltweit allerdings auch bislang eher fragwürdige Resultate mit sich – aufgrund ihrer mangelnden „Marktfähigkeit“ und der zugleich gesunkenen Macht sozialer Akteure, aus dieser Ausgrenzung noch politisch Kapital zu schlagen. Denn zum neuen Vergesellschaftungsmodus – man kann diesen getrost „Neoliberalismus“ nennen – gehört auch ein Schwinden bisheriger politischer Pfade zugunsten einer demokratisch nicht legitimierten „Subpolitik“ (Beck 1986: 300ff.) durch organisierte Akteure, vor allem in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Diese erzeugen Sachzwänge, über die – wenn überhaupt – erst nachträglich vom Parlament entschieden wird. Regieren wird zum reagieren. Einher mit dem Rückbau öffentlicher Sektoren und der Wiederentdeckung des Subjektes geht eine Veränderung der Managementmethoden (Boltanski 2003), die die freigesetzten Individualitätspotentiale geschickt einzubinden versteht (cf. Honneth 2002: 151f.): Kreativitätspotentiale, die zuvor in der Freizeit und jenseits des öffentlichen Bereiches von Arbeit und Politik ausgelebt wurden (Habermas 1958, Küng 1971), sind nun Teil des Anforderungsprofils geworden: Eigenverantwortung, Mobilität, Flexibilität, Kreativität und dergleichen sollen heute zumindest in vielen Jobs von Wichtigkeit sein. Der Umschwung in den Managementmoden und der Arbeitsorganisation ist seither oft beschrieben worden. Doch was bedeutet diese veränderte Anforderung für die Individuen? Wie gelingt es eigentlich, Menschen trotz gestiegener Freiheitsgrade zu niedrigerem Lohn länger arbeiten zu lassen? Hier gibt es mittlerweile ganze Branchen für
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Menschenführung und Mitarbeitermotivation in Unternehmen. Doch welche Charakterdispositive erzeugt diese Privatisierung des Privaten? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Freizeit, welche auf das öffentliche Leben? Die mittlerweile fast populäre These im Gefolge von Michel Foucault ist, dass auf diese Weise die Individualität der Individuen nicht nur genutzt, sondern dadurch auf gewisse Weise auch allererst diskursiv erzeugt wird. Das Kunstwort „Gouvernementalität“ (Bröckling 2000, Foucault 2004) zeigt an, dass Gesellschaften und Individuen gewissermaßen zugleich „regiert“ werden sollen: eine Ideologie, eine „Technik des Selbst“ (siehe Rose 1991) stattet die Individuen mit Selbstbildern aus, die gesellschaftlich auf bestimmte Weise funktional sind. Sollte dergleichen wirklich gelingen, wäre dies in Tat effizient, weil die Menschen sich selbst motivieren und daher mehr zu arbeiten bereit sind; zugleich spart man Kosten, weil sich bisherige Überwachungsmechanismen erübrigen und Lohnerhöhungen als „Anreiz“ nicht mehr im Vordergrund stehen. Natürlich lassen Filme wie The Manchurian Candidate oder Matrix zugleich daran erinnern, dass das Bild einer solchen Menschenführung nicht nur nicht wünschbar ist, sondern auch hart an der Verschwörungstheorie entlang schrammt. Wenn man diese Ausgangsfrage allerdings mit der neueren Gefühlssoziologie verbindet, entkommt man der Verschwörungstheorie und kann gleichwohl die Umstrukturierungen sowohl der Mentalitäten als auch der Vergesellschaftungsmodi zusammenhängend erfassen. Denn die Diskurse, die aus unternehmernahen Kreisen medial allenthalben genährt werden und die es nun der Selbstverantwortung der Individuen anheim stellen wollen, für Alter, Krankheit und Notfälle zu sorgen, können langfristig an unserem emotionalen Haushalt nicht vorbeigehen. In unserem Fühlen greifen wir immer auf Gefühlsklaviaturen zurück, die sozial verfügbar sind (dazu meisterhaft Hochschild 2003). Und solche sozial erwünschten Gefühle entstammten zunehmend dem EmpowermentDiskurs: Die Konjunktur werde nur dann wieder in Gang kommen, wenn die Individuen sich als Unternehmer begriffen („self management“, „Arbeitskraftunternehmer“, Humankapital etc., dazu Bröckling 2004). Daraus resultieren die sozial erwünschten Gefühle von Optimismus und Selbstvertrauen. Es ist schwer, solchen medial vermittelten, sozial geteilten und erwünschten Gefühlsskripten zu widerstehen – einmal, weil der Mensch ein soziales Tier ist, dann aber auch, weil sie derzeit mit aller Macht auf uns einprasseln, in Arbeit und Freizeit (etwa in den Medien, in Filmen etc.). Erwünscht sind Gefühle des Aufbruchs und der steten Begeisterung – allerdings nur für vorgegebene Dinge wie ein gerade zu vermarktendes Produkt, nicht aber für alternative Lebensformen auf einer anderen als der marktlichen Ebene. Die Frage ist nur, inwieweit
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man realistischerweise so fühlen kann. Gründe für Frustration gibt es genug: so hat sich mit der Selbstverantwortung die Arbeitszeit stark angehoben, meist ohne dass sich dies auszahlt; im Gegenteil. Angst vor Arbeitslosigkeit dürfte dafür mindestens ebenso ausschlaggebend sein wie die verlangte Begeisterung. Geleistete Mehrarbeit wird seltener monetär entlohnt, da die „intrinsische Motivation“ die Mitarbeiter ja besser motiviert als Geld. Mit den längeren Arbeitszeiten und der Öffnung für Individualitätsreserven on the job entgrenzt sich die Trennung von Arbeit und Freizeit damit zunehmend. Dies kann im Gegenzug das Privatleben regelrecht aushöhlen (Hochschild 2003). Es kann nicht nur – es tut es auch. Mit diesem Fühlen-Sollen-Aber-Nicht-Können kann nun eine neue Sorte von Gefühlen, ein reflexives Leid höherer Stufenordnung entstehen, das schwer zu diagnostizieren ist. Dazu gehören vor allem Angststörungen und Depressionen. Sollten sich diese Thesen bestätigen lassen (darüber arbeiten derzeit, wie erwähnt, mehrere Gruppen von Studenten), so wären solche Störungen als Resultate einer Privatisierung des Privaten zu lesen (Henning 2006e, 2007). Im Interesse einer Zukunft des Öffentlichen wären die sozialen Kosten der Entstaatlichung darum neu auszubuchstabieren. Es ist auch gar nicht die Frage, dass es diese gibt, es ist nur die Frage, wer diese zahlen soll – bislang tun es jedenfalls nicht die Verursacher. Die Kosten sind allerdings nicht nur monetär: Durch den Rückbau des öffentlichen Sektors werden den Individuen zunehmend auch Rückzugs- und Widerstandsräume genommen, die eine Marktvergesellschaftung nicht vorsieht. Die Kreativität, auf die die neuen Märkte bauen, wird dadurch gleichzeitig untergraben. Die Privatisierung ist also langfristig self-defeating. Bis das der Fall ist, kann an ihr gut verdient werden. Nur kann „die Öffentlichkeit“ das nicht wollen. 3.
Entpolitisierte Öffentlichkeit und Moralisierung der Märkte: Konsum Gibt es überhaupt ein Paradigma der Gegenmacht zum global agierenden Kapital? (…) Ja, die Gegenmacht der sozialen Bewegung, die auf der Figur des „politischen Konsumenten“ beruht (Ulrich Beck, Süddeutsche Zeitung vom 20. 10. 2004). Wir konsumieren ohne nachzufüllen, wir ergreifen begrenzte Ressourcen, als wären sie privates Eigentum, unser unkontrollierter Appetit verschlingt immer mehr Schätze der Erde. Wir bekennen, dass wir darin versagt haben, eine prophetische Stimme zu erheben, die laut und anhaltend genug gewesen wäre, um unsere Nation zu globaler Verantwortung für die Schöpfung aufzurufen, dass wir selbst mitschuldig sind an einer Kultur des Konsums, die die Erde schwächt (US-Delegation der Lutheraner beim Weltkirchenrat 2006).
Ein zweiter Gegenstandsbereich, an dem sich eine solche Dialektik erkennen lässt, ist die Entpolitisierung des Öffentlichen und die gegenläufige Politisierung des Privaten, wie sie sich in der Verschiebung öffentlichkeitswirksamer und insofern
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„politischer“ Verhaltensweisen von der Politik auf den Konsum zeigt. Die Frage, als was Politik genau zu begreifen sei, lässt sich unterschiedlich beantworten. Als Charakteristikum jedoch steht meist die Selbstgesetzgebung (mit Kant: „Autonomie“) von Menschengruppen im Vordergrund, die sich weniger mit den materialen Inhalten als mit den institutionellen Formen des Zusammenlebens beschäftigt. Diese Formen beziehen sich nicht allein auf die Frage, wer als Feind und wer als Freund zu betrachten sein – diese Simplifizierung von Carl Schmitt (1987, 11932) gehört zu den verheerendsten Pfadabhängigkeiten in der politischen Theorie –, sondern auch auf Formen von Elitenwechsel und „Führerauslese“ (Max Weber 51980: XI.9: § 5), der Regulierung des Zugangs zu öffentlichen Gütern und knappen Ressourcen, der Ausstattung der Bürger mit Rechten und Sicherheiten, der Gestaltungsspielräume im Privatleben und ähnlichem mehr. Die „Form“ des Politischen ist in bürgerlich-demokratischen Staaten also zweistufig. Zunächst geht es um Politik als Regelsetzung, dann erst um politische Kämpfe innerhalb der gesetzten Regeln. Souverän demokratischer Regelsetzung ist „das Volk“: alle Bürger haben ein Recht darauf, die Regeln des Zusammenlebens selbst zu bestimmen. Diese kollektiven Regeln erlauben dann den geregelten Kampf um die Durchsetzung partikularer Interessen. Hier ist „das Volk“ nicht als konkreter Akteur gegeben, sondern es splittert sich in verschiedene organisierte Akteure auf: Parteien, Verbände und sonstige Interessengruppen. Am Grunde der Demokratie liegt also eine potentielle Spannung, die bereits Rousseau (1981, 11762,) beunruhigt hat – daher sah sein idealer Staat auch keine Parteien vor. In der Tat kommt demokratische Politik in die Krise, wenn die Verhältnisbestimmung von kollektiven und partikularen Interessen nicht mehr gewahrt ist, oder zumindest in der öffentlichen Meinung als nicht mehr gewahrt gilt. Das zeigten die jüngsten Skandale um Politikergehälter aus der Wirtschaft deutlich: Sie, die gewählten Vertreter der Allgemeinheit, lassen sich von partikularen Interessengruppen versorgen und damit beeinflussen, und das erregt berechtigten Ärger, eben weil es gegen die Logik der demokratischen Gesamtarchitektur ist (zur Korruption vgl. Jansen/Priddat 2005). Doch wer soll die gewählten Vertreter des Volkes zu Raison bringen? Der Ort solcher Einflussnahmen auf die Politik ist nicht mehr nur der begrenzte Raum politischer Institutionen wie Parlament und Regierung, sondern zunehmend auch das Recht und die Medien. Gerade die Entstaatlichung politisiert also den öffentlichen Raum zunehmend. Politische Erregung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit politischer Gestaltungskraft. Man kann die Ausdehnung der politischen Gestaltbarkeit als Gradmesser der Emanzipation von natürlichen und sozialen Zwängen betrachten. Konservative
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Theorien der Politik, wie die Hannah Arendts (1960), wollten ihren Einflussbereich auf rein staatsarchitektonische Handlungen beschränken. Doch die mündig gewordene Gesellschaft erzwang die Öffnung von immer mehr Bereichen, die einer politischen Gestaltung zu unterziehen seien („das Private ist politisch“). So sind der Schutz von Frauen vor ihren Ehemännern, von Kindern vor ihren Eltern, von Angestellten vor der Willkür ihrer Chefs oder auch Tarifautonomie und Kündigungsschutz als moderne Ausdehnungen des Politischen zu betrachten. Doch diese Art der Freiheitssicherung und -Gewährleistung ist in Verruf gekommen, da sie etwas kostet. Betrachtet man nämlich die Grenzverläufe des politischen Systems in den letzten Jahrzehnten, so zeigt sich, dass es eher zurückgegangen ist. Die Grenzen des Nationalstaats wurden schmerzlich deutlich, ohne dass auf europäischer Ebene bislang gleichwertige funktionale Äquivalenzen installiert wären. Die globalisierte Wirtschaft hat dem Nationalstaat Regelungskompetenzen entrissen – ob dies ein gewollter Prozess war, ist umstritten –, ohne dass die globalen Gestaltungsmittel an Sanktionsmacht gewonnen hätten. Sie sind durch den jüngsten Unilateralismus der USA noch zusätzlich geschwächt worden.7 Auch für den Einzelnen haben sich die Möglichkeiten zur Gestaltung eher vermindert: die Kommunen, erster Ansprechpartner für direkte politische Belange der Bürger (Stichwort Kindertagesstätten), sind hoch verschuldet; die Macht der Gewerkschaften als Interessenvertreter der abhängig Beschäftigten liegt am Boden; die Parteien kämpfen mit dem Ruf der Korruption und sind inhaltlich in Detailfragen verbissen, die sich gestalterisch wenig unterscheiden und dennoch bis zum Anbruch der großen Koalition in zunehmender Böswilligkeit diskutiert wurden. Auf kommunaler Ebene lässt sich die eingeschränkte politische Handlungsfreiheit etwa daran ablesen, dass sich in einigen Regionen bereits kaum noch Kandidaten finden, die für ein Bürgermeisteramt kandidieren wollen. Auch neue Formen des Engagements wie die von Antonio Negri (2004) gefeierte „Multitude“ sind im Grunde kaum zu mehr in der Lage als zu spontanen Willensbekundungen, die zwar medial gut inszeniert sein mögen, aber deren Wirkungsweise gerade darum bislang begrenzt war. Es ist also nicht nur die Handlungsmacht der Politik, die zurückgegangen ist, sondern dies gilt für die 7
Der einzige Bereich, in dem Staaten mehr Aufwendungen aufbringen als zuvor, dürften Sicherheit und Militär sein (Hirsch 1996); aber was dies für die Bürger bedeutet, ist ebenso klar: Bürgerrechte werden dadurch nicht ausgedehnt, sondern ebenfalls eingeschränkt, wie man am USamerikanischen „Patriot Act“ beispielhaft studieren kann. Auch ist die Gefahr eines zentralisierten Medienapparates, wie er sich in Italien und in den USA herausgebildet hat, nicht so einfach „vom Tisch zu wischen“.
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Möglichkeiten und das Ausmaß der politischen Partizipation insgesamt, was sich hierzulande etwa in der mangelnden Wahlbeteiligung zeigt. Auch dies dürfte eine Nebenfolge der Privatisierung sein. Aber was ist die Reaktion der Bürger? Wo findet der Partizipations- und Gestaltungswille ein Ventil? Der nicht ungebrochenen, doch unzweifelhaft dominanten gesellschaftlichen Entpolitisierung entgegen läuft die zuvor ungekannte Ausdehnung des Marktes als Ordnungsprinzips. Dieser Prozess wurde bereits erwähnt: Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Verkehr und Energie, die zuvor einer demokratischen Kontrolle und Gemeinnützigkeit unterlagen, sind nunmehr marktwirtschaftlichen Allokationsmechanismen unterworfen. Dies gilt übrigens auch für familiäre Bereiche; man denke an die McDonaldisierung der Kindergeburtstage oder überhaupt an die wachsende Marktmacht von Kindern (siehe Wilske/Erlen 2002). Hierfür mag es verschiedene Gründe geben. Vor allem sind es wohl die chronische Verschuldungskrise der öffentlichen Haushalte, die scheinbar effizientere Allokationsweise privater Unternehmen (interessanterweise werden die vielen Firmenbankrotte selten Gegenstand der Betrachtung), und nicht zu vergessen: die gewachsene Deutungsmacht unternehmerischer Gruppen. Diese schon radikal zu nennende Vermarktlichung hat natürlich Auswirkungen für den Einzelnen. Kunde von Dienstleistungen zu sein hat einiges für sich: der Kunde ist bekanntlich König, daher ist in einigen Bereichen der Komfort, wie jeder Besuch in den Vereinigten Staaten lehrt, wo sich eine Dienstleistungsmentalität schon recht weit verbreitet hat, eindeutig gestiegen – wenn man es sich leisten kann.8 Doch genau dies, das Es-Sich-Leisten-Können-Müssen, ist der Preis für diese Entwicklung. Die Privatisierung von Dienstleistungen hat den zu Kunden gewordenen Bürgern klare Zugangsbeschränkungen auferlegt. Selbst wenn dies nur 10 Euro Praxisgebühr sind, ist damit die Voraussetzung des Egalitarismus, dem Prinzip des modernen politischen Systems, unterhöhlt. Auf einen Nenner gebracht lautet das Makrodilemma: das Ziel moderner Politik ist egalitär, aber seine Mittel erscheinen momentan als inneffizient. Die Mittel des Marktes sind dagegen effizienter, aber sie haben kein Ziel. Sie erwirken oder verstärken nebenbei jedoch eine soziale Ungleichheit, die darum in den letzten Jahren stetig zugenommen hat, und es gibt keinen Sozialstaat mehr, der sie auffangen könnte – oder wollte. Neuere sozialwissenschaftliche Literatur fragt darum nicht mehr, wie man diesen Trend aufhalten kann, sondern überlegen, wie man sich am besten mit ihm arrangiert (Hank 2000, Sennett 2002). Der 8
So wird man dort häufig nach dem oder gar während des Einkaufens gefragt, wie einem dieses gefällt, wie es einem geht etc. Erst kürzlich haben auch deutsche Supermärkte derlei eingeführt.
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Rückbau des öffentlichen Sektors verändert also ganz klar auch die öffentliche Meinung; ein ideologisches reenforcement dessen, was ohnehin geschieht. Als ein weiterer Effekt der Vermarktlichung hat die Deregulierung die Macht großer Konzerne weiter ansteigen lassen. Kontrollinstanzen sind aufgehoben oder arbeiten zumindest weit weniger wirksam, was einerseits politischer Wille, andererseits auch ein unvermeidbarer Nebeneffekt globalisierter „Wertschöpfungsketten“ ist, die von keiner Instanz mehr zentral überschaubar sind. Es hat daher vielfach Skandale gegeben, in die besonders große Konzerne verwickelt waren (Shell, Enron, Elf-Aquitaine, Volkswagen usw.). Der Schaden für die Verbraucher war hoch: der Verlust an Vertrauen in die Politik, da Volksvertreter bestochen wurden; die Beschränkung der Wahlfreiheit, da kleine Firmen häufig ausgebootet wurden; zuweilen ein Treiben der Preise; unübersehbar eine Minderung der Produktionsbedingungen in sozialer und ökologischer Hinsicht, und vor allem auch eine Minderung der Qualität der Endprodukte, was besonders im Ernährungsbereich fatal sein kann (man erinnere sich an den BSESkandal, an das Gammelfleisch und vieles andere). Privatisierung nützt also einigen Privatiers, schadet aber nicht selten der Öffentlichkeit – wenn man so will: den Stakeholdern im weiteren Sinne (siehe dazu Henning/Huchler 2006). Vielleicht ist dies der Preis für den forcierten Innovationszwang durch intensivierte Konkurrenz, der auch viele kurzfristige Vorteile hat – man denke an das Preisdumping der Billigflieger oder bei den Handys. Doch dies ist bereits genug, um in der Wahrnehmung der Verbraucher, und das sind wir alle, diesen latent skeptischen Eindruck zu erzeugen. Dieser Eindruck konnte bislang auch durch Hochglanzprospekte und eilig wieder eingeführte Kontrollmechanismen (die allerdings meist auf Freiwilligkeit beruhen) nicht vertrieben werden; im Gegenteil. Ob Deutsche Bank oder Volkswagen, Aldi oder Shell, fast jeder größere Konzern hat in den letzten Jahren unter negativen Schlagzeilen gelitten (Werner 2001); wobei die Leidtragenden der Skandalisierung am Ende meist die Beschäftigten waren; die also, die am wenigsten dafür können. Es ist vor allem vor diesem Hintergrund zu sehen, dass heutige Verbraucher neue Verhaltensweisen an den Tag legen. Es wird bewusster konsumiert, auch ostensiver, wenn auch insgesamt – wie die Analysten sagen – zu wenig. Schon das dürfte ja als eine politische Aussage gelten, als mangelndes Vertrauen in die Zukunft. Doch abgezielt ist hier auf mehr: Was als politisierter Konsum oder als „Moralisierung der Märkte“ (Stehr/Henning/Weiler 2006) bezeichnet werden kann, das meint solche Phänomene wie den wachsenden Markt für ökologische landwirtschaftliche Erzeugnisse, Etiketten für Kleidung ohne Kinderarbeit, „grüne“ oder sonstig saubere Fonds etc., aber auch Boykottaktionen der
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Verbraucher, wie die gegen Shell oder gegen die Einführung von GM-food. Die Konsumenten werden wachsam, sie kaufen bewusster und versuchen dadurch Einfluss darauf zu nehmen, was und vor allem wie produziert wird. Dies ist allem voran als eine Abwehrreaktion zu verstehen, die sich vom öffentlichen in den privaten Bereich verschoben hat. Das Defensive daran wird klar, wenn man sich die Relationen dieses politisierten Konsums veranschaulicht – er nimmt zu, doch prozentual bewegt er sich nach wie vor im einstelligen Bereich des Marktanteils. Worauf es hier ankommt, ist der Zusammenhang von Veränderungen im öffentlichen Sektor – hier: der Politik – mit Veränderungen im privaten Verhalten. Das von vielen Stellen geforderte Engagement der Bürger in der Zivilgesellschaft zeichnet sich tatsächlich an vielen Stellen ab; nur anders, als es die Fordernden sich vielleicht gedacht haben.9 Mit dem Übergang der Handlungsmacht vom öffentlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich verschiebt sich auch das Widerstandspotential der Bürger von der traditionellen Politik auf Bereiche, die vormals als privat gegolten haben. Das Problem an dieser Verschiebung ist allerdings, dass dieser private Sektor – der Markt – nicht egalitär und damit als politisches Prinzip vormodern ist: im öffentlichen Sektor ist Partizipation ein verbrieftes Recht, im privaten Sektor muss man sie sich leisten können. Und das können nicht alle. Nicht nur nicht alle: die Mehrheit kann es nicht. Die fatale Dialektik dieser Verschiebung ist: je mehr Markt wir haben, desto weniger werden sich vermarktlichte Mitspracherechte noch leisten können (MacEwan 1999, Hoffmann 2000, Frank 2001, Reimon 2003). Für die Zukunft des Öffentlichen verheißt dies wenig Gutes. Welches Fazit lässt sich aus diesen Beobachtungen ziehen? Privatisierung kann ökonomisch sinnvoll sein, sie muss es nicht sein. Schon dies ist eine Frage der Theoriewahl – es hängt davon ab, welche ökonomischen Akteure man überhaupt in die Betrachtung mit einzubeziehen gewillt ist. Davon unabhängig ist allerdings die Frage, was überhaupt als ökonomisches Problem zu gelten hat und welche Bereiche nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen sind. Sie kann jedenfalls schon aus logischen Gründen nicht von einer ökonomischen Theorie entscheiden werden. Die Zukunft des Öffentlichen hängt nicht unwesentlich davon ab, ob es uns gelingt, diese Fragen neu zu stellen. 9
Dies erinnert an einen alten Spruch aus Wendezeiten: „Was tut das Volk? Es volkt nicht“.
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Der öffentliche Raum gehört den anderen. Postheroische Orte, Kaugummis und künstlerische Praxis als Wunschproduktion
Karen van den Berg 1. Die suspendierte Stadt Der öffentliche Stadtraum hat keinen guten Ruf. Wenn von ihm die Rede ist, wird zumeist sein Verfall beklagt. Und damit ist heute nicht nur das Phänomen der „Shrinking Cities“1 gemeint; als Verfallserscheinungen gelten – neben ästhetischen Brüchen und Unzulänglichkeiten – auch die fortschreitende soziale Fragmentierung des Stadtraums, vor allem aber seine Ökonomisierung und Kolonialisierung durch Konsumpraktiken sowie die Privatisierung vormals öffentlicher Güter; – jedenfalls sind dies Einschätzungen, die sich seit Mitscherlichs 1965 erschienenem Essay „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ fast schon dem Common Sense zurechnen lassen.2 Noch pessimistischer fällt die Diagnose des US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett aus, der sich in den 1980er Jahren als einer der prominentesten und anregendsten Theoretiker des öffentlichen Stadtraums etablierte und immer noch als solcher gelten kann: seine historischen Lektüren der Großstadt münden in der Feststellung vom „Ende des öffentlichen Lebens“ an sich (vgl. Sennett 1 2
Über Debatte um die „Shrinking Cities“ informiert das von Philipp Ostwalt geleitete Projekt „Schrumpfende Städte“ (vgl, http://www.shrinkingcities.com/, 30.04.2006). Hier wird nicht zuletzt diskutiert, welche neuen Möglichkeiten sich aus dem innerstädtischen Leerstand ergeben. In seinem Essay, den Mitscherlich in der Einleitung selbst der Gattung des Pamphlets zurechnet (Untertitel: „Anstiftung zum Unfrieden“), arbeitet er den destruktiven Charakter der kapitalistischen Raumverwertung heraus und beschreibt die durch die Zerschneidung der Stadtraums entstehende Entfremdung und Zerstörung von Lebenszusammenhängen. In so veränderten Räumen wird es zum Problem „zwischen schrankenlos zudringlicher Intimität und vollkommener Interesselosigkeit aneinander die mittlere Distanz“ zu finden, schreibt er (Mitscherlich 1965: 98). Etwas positivere Einschätzungen finden sich bei neueren Forschungsprojekten, wie etwa in dem Stadtforschungsprojekt „Kontrolle und öffentlicher Raum“ an der Universität Oldenburg (vgl. http://www.uni-oldenburg.de/stadtforschung/8640.html, 30.04.2006) sowie bei Siebel (2004), der daran appelliert, innerstädtische Brachen als „Spiel- und Möglichkeitsräume neu [zu] interpretieren“ und der Klage über die zunehmende Privatisierung entgegenhält, dass eine historisch vergleichende „Flächenbilanz zwischen veröffentlichten und privatisierten Räumen positiv für die europäische Stadt ausfallen“ (ebd.: o.S.). Auch vertritt er die Position, dass öffentlicher Raum „immer exklusiver Raum“ war, „gewandelt hat sich nur, wie wer aus welchen Räumen jeweils draußen gehalten wird“ (ebd.).
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1994: 1). Sennett geht davon aus, dass der gebaute Stadtraum Ausdruck jeweils vorherrschender Subjektivierungspraktiken ist, und Spiegel des immer auch leiblichen Selbstverhältnisses seiner Benutzer und Bewohner.3 An heutigen Städtern beobachtet er eine Rückzugshaltung, eine endlose Selbstsuche und Flucht nach innen, die unfähig mache, sich im emphatischen Sinne öffentlich zu verhalten.4 Ihr architektonisches Pendant findet diese Haltung – Sennett zufolge – in der Spiegelglasfassade. Sennetts Analysen wurden auch innerhalb der Debatte um die so genannte „Kunst im öffentlichen Raum“5 vielfach rezipiert, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie den Körper mit ins Spiel bringen und sich entlang ästhetischer Betrachtungen entwickeln. Darüber hinaus aber entsprechen sie auch einer Grundhaltung der künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum, wie sie sich in den 1960er bis 1980er Jahren herausgebildet hat, einer Grundhaltung, welche sich auf den Stadtraum vorwiegend ex negativo bezog. Mit der Karriere der „Site Specific Art“ seit den 1960er Jahren ging es in der Kunst immer seltener darum, ‚Monumente‘ im herkömmlichen Sinne zu schaffen; stattdessen platzieren Künstler ihre Arbeiten zunehmend als „Störfaktoren“6. In diesem Sinne ließen sich etwa die Arbeiten des US-amerikanischen Bildhauers Richard Serra verstehen, auf den im Folgenden noch Bezug genommen wird. Als einer der großen Protagonisten unter den Künstlern des Öffentlichen macht er mit seinen haushohen Stahlplatten die Stadt als etwas physisch Verlorengegangenes, Diskontinuierliches erfahrbar, als eine Umgebung, in der es zur permanenten Herausforderung wird, sich selbst zu verorten.7 Doch so verlockend es auch sein mag, dem vorherrschenden kulturpessimistischen Tenor und der Rede vom Ende des öffentlichen Raums beizupflichten – ihm haftet, wie jeder Verfallsbeschreibung des Gegenwärtigen, auch ein kon3
4 5 6 7
In seinem Buch „Fleisch und Stein“ formuliert Sennett, „daß urbane Räume weithin durch die Weise Gestalt annehmen, wie die Menschen ihren eigenen Körper erfahren. Damit Menschen in einer multikulturellen Stadt sich einander zuwenden, müssen wir, so glaube ich, das Verständnis, das wir von unseren Körpern haben, verändern. Wir werden die Differenz anderer niemals erfahren können, solange wir nicht die körperlichen Unzulänglichkeiten in uns selbst anerkennen. Gesellschaftliches Mitleid entsteht aus diesem körperlichen Bewußtsein der Unzulänglichkeit in uns selbst, nicht aus bloßem guten Willen oder politischer Aufrichtigkeit“ (Sennett, 1995: 456f.). Vgl. zu dem Thema auch Sennetts Ausführungen in „Civitas“ (Sennett 1994b). Sennetts Ausführungen zur Selbstversunkenheit und Innengerichtetheit heutiger Stadtbewohner finden sich vor allem im einleitenden Kapitel seines Buchs „Verfall und Ende der öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ (Sennett 1994a: 15-46). Zur Karriere und Entstehungsgeschichte des Begriffs „Kunst im öffentlichen Raum“ vgl. Müller (1988: 114ff.). Kunstwerke im öffentlichen Raum bezeichnet Martin Köttering als „Störenfriede innerhalb eines vordergründig nach Ordnung, Ruhe und Sicherheit strebenden ökonomischen, politischen und sozialen Systems“ (Köttering/Nachtigäller 1997: 7). Vgl. hierzu van den Berg (1995).
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servativer Beigeschmack an. Insofern liegt es nahe, der Frage nachzugehen, an welchem Bild einer Stadt oder einer städtischen Gesellschaft denn eigentlich Maß genommen wird, wenn vom Verlust städtischer Öffentlichkeit gesprochen wird. Welcher Begriff von Öffentlichkeit und welche Verfasstheit des öffentlichen Lebens wird in Stellung gebracht, wenn von dessen Ende gesprochen wird? Vor allem aber fragt sich, welche anderen und neuen Formen von Öffentlichkeit sich womöglich in den gegenwärtigen Praktiken ausbilden und aus dem Blick geraten, wenn nur auf den Verfall einer in ganz bestimmter Weise geprägten Öffentlichkeit geachtet wird. Jeder Wandel vollzieht sich immer auch aus spezifischen Gründen, ohne dass diese damit notwendig schon gewusst würden; wenn er geschieht, wird immer auch etwas Neues gewonnen. Worin aber könnte dies bestehen? Ziel der folgenden Ausführungen ist es, gerade im Entstehen begriffene, fragile Qualitäten des städtischen Lebens aufzuspüren, Qualitäten, welche die beredte Verfallsrethorik verfehlt. Worin diese zu sehen sein könnten, möchte ich am Ende anhand einiger bekannter Beispiele gegenwärtiger künstlerischer Praxis herausarbeiten. Doch zuvor sollen skizzenhaft die sich historisch entwickelnden Strategien der Kunst im öffentlichen Raum von der Installierung von Monumenten bis zu partizipatorischen Modellen umrissen werden, da in dem sich wandelnden Verhältnis zwischen Kunst, Staat, Stadt, Stadtbewohnern zugleich verschiedene Konzeptionen von Öffentlichkeit miteinander kontrastiert werden können, die auch heute noch fortleben. In diesem Rahmen möchte ich die These entwickeln, dass der öffentliche Stadtraum sich verstärkt als ein narratives Feld formiert, das den Gesetzen der „Kommunikation unter Abwesenden“ (Luhmann 1996: 11) unterliegt. Der öffentliche Raum ist postheroisch8. Er ist nicht verloren. In ihm herrscht neben allen Konflikten und Defiziten auch eine spezifische Poesie der flüchtigen Einschreibung, Überschreibung und Zweckentfremdung. 2. Monument und Repression In der abendländischen Tradition des öffentlichen Stadtraums spielt die künstlerische Praxis seit je her eine zentrale Rolle. An ihr lässt sich insofern vieles über die Verfasstheit des Öffentlichen ablesen. So hatten Monumente im öffentlichen Raum ehedem die Funktion gesamtgesellschaftliche Geltungsansprüche zu formulieren, zu memorieren und zu vergegenwärtigen. Ob Götterbilder, ägyptische 8
Der Begriff „postheroisch“ versteht sich im Sinne von Dirk Baecker (Baecker 1994), der eine neue Kultur postheroischen Managements beschreibt, die sich in temporären Projekten selbst organisiert und nicht mehr vom begnadeten und autoritären Chef ausgeht.
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Obelisken, über gesamte Reiche verteilte Herrscherstatuen, Triumphbögen oder Siegessäulen – in all diesen Ausprägungen inszenieren sich Macht und Autorität, manifestiert sich aber auch ein Anspruch auf Dauer und Unsterblichkeit. Gerade das Widerstehen gegen die Vergänglichkeit kann zu den kulturübergreifenden Grundimpulsen für die Herstellung monumentaler Skulpturen gerechnet werden. Gottfried Boehm beschreibt dieses Phänomen präzise und treffend: „Das Aufrichten von Steinen, von Solitären oder steil geschichteten Steinhaufen, das Aufstellen von Malen oder Gruppen von Monolithen (wie zum Beispiel Stonehenge), das Aufbauen von Richtbäumen, behauenen Säulen und Obelisken gehört zur ältesten, aber weiterwirkenden Schicht kultureller Aktivitäten. Deren Sinn bestand unter anderem darin, [...] dem Gedenken oder dem Kult, auch der Stiftung von Dauer zu dienen usf. Die gespeicherte Kraft des Aufgerichteten gehört zu den kulturellen Primärerfahrungen, die somatisch, psychisch und anthropologisch tief verankert sind. Noch die – auf Sockeln – erhöhten figuralen Standbilder und Denkmäler knüpfen daran an, schon allein deshalb, weil der Akt ihrer Sturzes, die Einebnung der Vertikale und ihrer Macht, eine signifikante, eine gefürchtete Bedeutung mit sich führt. Der Sturz des Bildwerkes bedeutet auch den Sturz dessen, den es darstellt, seinen Untergang und Tod“ (Boehm 1996: 56). Diese symbolische Kraft wirkt immer noch fort. Es sei nur an die medial inszenierten Bilder vom Sturz der Saddam-Statue erinnert, die nach dem scheinbaren Sieg der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten im Irak durch die Weltpresse gingen. Aber auch in Friedenszeiten sind heutige demokratische Gesellschaften – bei allem Kontingenzbewusstsein – von diesem Wunsch, gegen die Vergänglichkeit öffentlicher Güter zu widerstehen, keineswegs ganz frei. Nach wie vor wird beispielsweise gemeinhin davon ausgegangen, dass Kunstwerke oder Denkmale, einmal an einem öffentlichen Ort aufgestellt, unbegrenzt zu erhalten sind. Die alte Idee des Monuments lebt als institutionalisierte Denkmalpflege fort, allerdings hat sie sich zugleich auch grundsätzlich transformiert. Neben der memorialen Funktion und der Arbeit gegen die Vergänglichkeit dienten Monumente und Denkmale traditionell aber auch noch einem anderen Zweck: der Identitätsstiftung und der Symbolisierung einer über das Alltägliche hinausweisenden Totalität. Öffentliche Monumente in diesem Sinne werden in westlichen Demokratien längst nicht mehr errichtet, bestenfalls werden alte recycelt oder rekonstruiert, denn die autoritäre Seite des Denkmals als Manifestation eines übergreifenden Geltungsanspruchs wurde (zumindest in Deutschland) in der Nachkriegszeit zunehmend als problematisch wahrgenommen.
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Doch bleibt hier zugleich auch ein Widerstreit. Der marxistische Soziologe und Philosoph Henri Lefèbvre beschreibt diesen in seiner 1970 erschienenen Abhandlung „La révolution urbaine“ (dt. Übersetzung: „Die Revolution der Städte“), indem er sehr treffend zwei auch in heutigen Debatten noch wirksame Sichtweisen des Monuments unterscheidet. Was in seinen Augen gegen das Monument spricht, ist, dass es „seinem Wesen nach repressiv“ sei. (Lefèbvre 2003: 35). Für das Monument hingegen bringt er in Anschlag, dass es „die einzige Stätte eines Kollektivlebens (Gesellschaftslebens) [ist], die man sich vorstellen kann. Es beherrscht zwar, aber um zu versammeln. Schönheit und Monument gehören zusammen“ (ebd.). Weiter resümiert er: „Monumente projizieren ein Weltbild auf den Boden, so wie die Stadt eine Gesellschaftsordnung. [...] Ins Herz eines Raumes, wo die Merkmale einer Gesellschaft zusammentreffen und zur Banalität werden, bringen Monumente eine Transzendenz, ein Anderswo. Immer schon waren sie utopisch“ (ebd.: 36) Und genau in dieser Charakterisierung Lefèbvres begründet sich wohl auch heute noch die vielfach formulierte Sehnsucht nach solchen Orten. 3.
Der Misskredit emphatischer Verkörperungen und das Plädoyer für Diskurse Die Art und Weise, wie heute der öffentliche Stadtraum als Ort des Memorialen verhandelt wird und welche Rolle dabei identitätsstiftenden Orten und Gedenkstätten zukommt, ließe sich am Beispiel der Debatte um das Berliner „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ exemplarisch nachzeichnen. Das hier ablesbare zähe Ringen um die Form, den Titel, die Produktionsprozesse, begleitet von der ständigen Frage, ob derartige Orte überhaupt Sinn machen, ob die Gattung des Denkmals in demokratischen Gesellschaften mit ihrem Kontingenzbewusstsein grundsätzlich noch adäquater Ausdruck politischer Befindlichkeit sei, verweist auf eine fundamentale Krise der Idee gesamtgesellschaftlicher Formierung und Repräsentation.9 Der von dem US-Amerikanischen Architekten Peter Eisenman und dem Bildhauer Richard Serra gemeinsam entwickelte Entwurf eines großen Stelenfeldes wurde im Laufe der Jahre mehrfach überarbeitet und in den Augen Serras durch die politisch beschlossene Verkleinerung der Stelen von ursprünglich 9
Vgl. hierzu die über tausend Seiten umfassende Dokumentation von Heimrod u.a. (1999). Hierin sind die Geschichte des Wettbewerbs, Wettbewerbsunterlagen, Zeitungsartikel und wissenschaftliche Beiträge zusammengefasst. Vgl. weiter zur veränderten Rolle der Denkmale van den Berg (2003).
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sieben Metern Höhe auf vier Meter und der Dezimierung der Anzahl der Stelen von geplanten 4000 auf 2700 soweit korrumpiert, dass er Ende 1998 frustriert aus dem Projekt ausstieg und den Architekten die Arbeit allein vollenden ließ. Obwohl das Konzept des monumentalen, nicht überschaubaren Stelenfeldes darauf basiert, Erinnerung zu dekonstruieren, indem es eine unabschließbare Standpunktsuche in einer hierarchielosen, die Körpergröße weit übersteigenden Umgebung evoziert, wurde doch von vielen Seiten befürchtet, ein solches Denkmal würde die Erinnerungsarbeit an den Holocaust zu einem vorzeitigen Ende führen (vgl. hierzu Macho 1997).
Abbildung 1: Peter Eisenmann, Denkmal für die ermordeten Juden Europas, 2005
Vor allem aber trat in der Debatte um die Errichtung des Mahnmals überdeutlich die Partikularisierung der Gesellschaft zu Tage. Das mag im Falle des Gegenstands ‚Holocaust‘ kaum verwundern, spalten sich an ihm doch verschiedene Gruppenidentitäten mit verschiedenen Geschichten und unterschiedlichem Geschichtsbewusstsein. Das in diesem Falle extrem emotional aufgeladene Aufeinandertreffen unterschiedlicher Anspruchsgruppen und Identitäten schuldet sich zweifellos dem Gegenstand und der Wucht der Erinnerungen, die an ihm hängen; und doch kann die hier offensichtlich werdende gesellschaftliche Segmentierung zugleich als symptomatisch für eine Gesamtverfasstheit gelten; und zwar insofern, als der Aspekt des Memorialen als entscheidendes kulturkonstituierendes Moment in einer global orientierten Kultur der Unterschiede prinzipiell zur Disposition zu stehen scheint. Wir beginnen – wie der Soziologe Dirk Baecker schreibt – „den Kulturbegriff aus seiner von ihm selbst simulierten Verpflichtung [...] auf [...] Vergangenheit herauszulösen und der Kultur wieder [...] das Moment der Erfahrung einer offenen Zukunft“ (Baecker 2001: 10) einzutragen. Vor dem Hintergrund des „Entstehens einer globalen Metakultur“ (ebd.:
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191) seien wir gefordert, Kultur als eine „Beobachtungsformel möglicher Unterschiede“ (ebd.: 22) zu betrachten, so lässt sich seine Analyse zusammenfassen. Nicht umsonst sind deshalb auch um Hans Haackes Entwurf für den Innenhof des Reichstags mit dem Titel „Der Bevölkerung“ oder zuletzt um den Abriss des Palastes der Republik ebenfalls lebhafte Debatten entbrannt, und nicht zufällig hat sich in den 1990er Jahren eine Theorie des Memorialen herausgebildet, welche die Frage nach dem Gedächtnis der Gesellschaft theoretisch problematisiert. Die Idee des Emphatisch-Memorialen ist in Misskredit geraten und doch kann auf Denkmale offenbar nicht ganz verzichtet werden.
Abbildung 2: Hans Haacke, Der Bevölkerung, Reichstag Berlin, 2000
Problematisch am Monument ist jedoch vor allem sein Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Geltungen, deren Sinnhaftigkeit ganz grundsätzlich in Zweifel gezogen wird. So plädierte etwa Kulturtheoretiker Thomas Macho im Zuge der Berliner Mahnmalsdebatte dafür, die Schaffung von Denkmälern prinzipiell durch Diskurse über mögliche Denkmäler zu substituieren: Lieber über Denkmäler streiten, statt sie zu errichten, könnte man seine Devise paraphrasieren. „Wo der Imperativ zur Erinnerung nur undeutlich vernommen werden kann, und wo zugleich die Sehnsucht nach dem Vergessen immer mehr steigt, kann es sinnvoller sein, so lange wie möglich über Denkmäler zu streiten, anstatt Denkmäler zu errichten, und zwar insbesondere angesichts jener erinnerungspolitischen Ausnahmebedingungen, die den gegenwärtigen Denkmalsdiskurs auszeichnen“, schreibt er (Macho 1997: 221). Macho begründet seine Position mit einem Plädoyer für das „kommunikative Gedächtnis“, das – einer Unterscheidung des Erinnerungstheoretikers Jan Assmann (1988) folgend – lebendige, widersprüchliche und vielgestaltige Erinnerungen einer lebenden Generation verarbeitet. Denkmale hingegen verlangten ein kulturelles Gedächtnis, welches wiederum ein hohes Maß an Geformtheit der Erinnerungen voraussetzt. Das kulturelle Gedächtnis sei – im Gegensatz zum kommunikativen – kaum reflexiv
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verfasst und hat eine absolute Vergangenheit längst objektiviert. Ein Denkmal jedoch – so Macho (1997: 215) – sei ein „Wahrzeichen kultureller Gedächtnisarbeit“ und zeige seinem Betrachter gerade so viel, wie er ohnehin schon wisse. So interpretiert bleibt der Diskurs allemal die attraktivere Variante als das Denkmal; das Denkmal erweist sich in Machos Perspektivierung bezüglich seiner reflexiven Potentiale als Sackgasse, und insofern als verzichtbar. Gerade die Deutungsoffenheit des Berliner Mahnmals, das dann doch so und nicht anders realisiert wurde, hält die Debatte um den Sinn eines solchen Ortes und seine konkrete Ausprägung aber in Gang – im Falle des Stelenfeldes gerade, weil es keine schnellen Antworten zur Verfügung stellt, wie Macho dies befürchtete. Ob das Mahnmal allerdings produktive Reflexionen in Bezug auf die Erinnerung an den Holocaust beim einzelnen Betrachter evoziert, dafür gibt es keine Garantie. Sicher ist nur, dass die Erfahrung, die das Stelenfeld des Holocaustmahnmals bietet, durch Diskurse nicht zu haben ist. 4.
„Drop Sculptures“, Öffentlichkeit ohne Publikum und die Karriere der Störenfriede Spricht man heute von Kunst im öffentlichen Raum so denkt man jedoch längst nicht mehr zuerst an die Gattung des Denkmals. Das Denkmal – als eine spezifische Form der Kunst, die mit einem (mehr oder weniger) konkreten Zweck versehen im Auftrag der Öffentlichkeit entsteht – ist heute die Ausnahme, nicht die Regel. Denn die Ära, dem das Denkmal/Monument als Ausdrucksform angehört, ist gekoppelt an einen bestimmten „Typus repräsentativer Öffentlichkeit“ (Habermas 1968: 14), der heute nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt. Mit dem Ausdifferenzierungsprozess der modernen Gesellschaften entwickelt sich das Postulat der ästhetischen Autonomie. Und zur ästhetischen Autonomie gehört die Verweigerung gegenüber der außerkünstlerischen Zweckbestimmung. Diese Entwicklung reicht bis weit in das 18. Jahrhundert zurück, als Kunst und Kultur begannen, sich zunehmend auf Kennerschaft zu berufen und eine „von der Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens abgelöste Sphäre“ auszubilden, wie es Jürgen Habermas formuliert (1968: 48). Mit dem Beginn der Abstraktion aber – und den sich in dessen Zuge formierenden künstlerischen Avantgarden – spitzt sich dies nochmals zu. Kunst dient nun nicht nur keinem Zweck – schon gar nicht einem politischen oder massenkompatiblen – sie stellt auch nichts mehr dar. Ihr Selbstverständnis besteht jetzt vor allem darin, sich ganz bewusst in Widerspruch zum Common Sense in Position zu bringen, das Publikum herauszufordern, zu irritieren und Konventionen zu durchbrechen. Künstler
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wie Marcel Duchamp, der 1917 mit seinen so genannten „Ready Mades“ Alltagsgegenstände zu Kunstwerken deklarierte, indem er etwa ein Urinal unter dem Titel „Fontaine“ einer Ausstellungsjury vorlegte, stehen beispielhaft für die raffinierten, selbstreferenziellen Strategien, die sich zu dieser Zeit ausbilden. Allerdings ist dies ein Vorgang mit weit reichenden Folgen für das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit, denn die öffentliche Rezeption und Anerkennung der Kunst hängt nun nicht mehr von einem lokalisierbaren bürgerlichen Bildungspublikum ab. Vielmehr konfigurieren sich Avantgarden, die sich selbst institutionalisieren, und sich von „einer zum öffentlichen Gebrauch des Verstandes erzogenen Bildungsschicht“ (Habermas 1968: 192) lossagen. So kam es nicht nur zu einer Trennung von Kunst und Bürgertum, sondern auch von Kunst und politischer Repräsentation. Der „Resonanzboden“ der „literarischen Öffentlichkeit“, der im 18. Jahrhundert noch das Bezugsfeld der Kunstproduktion herstellte, war zersprungen, wie Habermas (1968: 192) konstatiert. Weiter formuliert er: „Jetzt erst entsteht eine ‚Intelligenz‘, die sich ihre fortschreitende Isolierung, zunächst vom Publikum der bürgerlich Gebildeten, als eine – illusionäre – Emanzipation von sozialen Standorten überhaupt verständlich macht, sich als ‚freischwebende Intelligenz‘ interpretiert“ (ebd.: 191). Damit spaltet sich „das Publikum in Minderheiten von nicht-öffentlich räsonierenden Spezialisten und die große Masse von öffentlich rezipierenden Konsumenten“ (ebd.: 192). Konsequenterweise tritt insofern gerade die Kunst der abstrakten Moderne erst mit Verzögerung auf den Plan des öffentlichen Raums. Erst in der Nachkriegszeit werden vermehrt abstrakte Gebilde im Stadtraum installiert, die von öffentlichen Ankaufskommissionen angeschafft werden. Die Kaufentscheidungen werden von Kennern und gewählten Delegierten – im ‚Idealfall‘ nach ästhetischen Kriterien – getroffen, die sich an einem internationalen Kunst-Diskurs orientieren, der wiederum seinen Raum in Museen und kunsttheoretischen Debatten hat. So halten die später in den 1980er Jahren abfällig als „drop sculptures“10 titulierten Werke etwa von Henry Moore, Alexander Calder oder auch Norbert Kricke Einzug auf öffentlichen Plätzen, in Parks und an Gebäudefassaden. „Drop sculptures“ nennt man sie, weil sie als im Atelier produzierte Kunst, ihren späteren Aufstellungsorten ursprünglich gar nicht zugedacht waren. So sind es denn häufig Objekte, deren Wirkung auf den Rahmen musealer Betrachtungssituationen abgestimmt ist, die aber an verkehrsreichen Straßen zumeist wie auf verlorenem Posten stehen. Mit ihrem Auftauchen im Stadtraum beginnt folglich denn auch die Geschichte einer Beziehungskrise zwischen Kunst und städtischer Öffentlichkeit. 10 Dieser Begriff tritt in seiner abwertenden Verwendung beispielsweise im Katalog: „Kunst im öffentlichen Raum. Skulpturenboulevard Berlin“ (Kunst 1987: 8) auf.
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Gerade die gewollte und betonte Dysfunktionalität der abstrakten Skulpturen fordert das so genannte ‚breite Publikum‘, mit dem es die Kunst auf der Straße zwangsläufig zu tun hat, extrem heraus, denn durch die Verweigerung der Kunst gegenüber jeder anderen Zweckbestimmung jenseits der Ästhetik lösen die Werke vielfach Unverständnis aus und werden schließlich Opfer von Vandalismus – eine Karriere, die in dem von Walter Grasskamp herausgegeben Band „Unerwünschte Monumente“ (1992) ausführlich behandelt wird. Das Fatale an diesem Verhältnis ist jedoch, dass sich in ihm die selbst gewählte Rolle des außerhalb der Gesellschaft und ihrer zweckrationalen Logik stehenden Künstlers in einen Masochismus wendet, und doch zugleich in dem Bestehen auf Autonomie die eigentliche politische Provokation liegt, wie Adorno zurecht hervorhob. Ihm zufolge wird die Kunst gerade durch ihre Autonomie zum „fait social“.11 Die extrem reduzierten Gebilde des Düsseldorfer Künstlers Norbert Kricke wie etwa „Raumplastik ‚Große Münster‘“ von 1977 verweisen immer auch auf das Unverfügbare, das schon in der einfachsten Form begründet liegt. In ihrer Fremdheit gegenüber jedem alltagpraktischen Sinn und gegenüber jeder Verortung in lebensweltlichen Kontexten sind sie utopisch im wahrsten Wortsinne. Bei Krickes „Raumplastiken“ etwa handelt es sich um großartige Anschauungsobjekte, an denen sich prinzipielle Erfahrungen von Körper, Raum und Bewegungsverhältnissen machen lassen; ihren städtischen Aufstellungsorten und dem darin sich abspielenden Leben bleiben sie aber fremd. Die offensive Verbreitung der abstrakten und so genannten „konkreten Kunst“ in den neu eingerichteten Fußgängerzonen findet in den 1970er Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt. Mit den Fußgängerzonen entsteht ein neues Gestaltungsfeld, das es zuvor so nicht gab. Und noch die 1977 erstmals stattfindende Ausstellung „Skulptur“ in Münster, durch die sich die westfälische Stadt zu dem international wichtigsten Austragungsort der Kunst im öffentlichen Raum entwickelte, zeigt vorwiegend so genannte abstrakte „drop sculptures“, die sich wie Gegenstücke zu ihren Umgebungen verhalten. In der so entworfenen Perspektivierung erweist sich der öffentliche Raum als unpassende, unwirtliche Umgebung, nicht als ein Feld mit spezifischen Potentialen. Andere Benutzer des Stadtraums und ihre Ansprüche werden von Seiten der Kunstproduzenten ebenso beargwöhnt, wie die Passanten umgekehrt die Invasion der Fußgängerzonen durch die Kunst mit deren mutwilliger oder fahrlässiger Zerstörung beantworten.
11 „Der Doppelcharakter der Kunst als autonom und als fait social teilt ohne Unterlaß der Zone ihrer Autonomie sich mit“ (Adorno 1973: 16).
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Abbildung 3: Norbert Kricke, Raumplastik „Große Münster“, 1977
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Site Specific Art, „Pinkelbuden“ und die Skandalisierung des Öffentlichen Die wirkliche Karriere der „Kunst im öffentlichen Raum“ setzt allerdings erst mit dem Aufkommen der Politkunst und dem Boom der so genannten „site specific art“ ein. So scheint sich zwischen Ende der 1960er Jahre und den frühen 1990er Jahren der internationale Kunstdiskurs zunehmend auf die Straße zu verlagern. Zumindest werden jetzt die entscheidenden Entwicklungen in der Kunst immer weniger im Museum, sondern vielmehr im Außenraum verzeichnet, weil vor allem dort die so genannten Environments bzw. ortspezifischen Installationen entstehen. Kaum eine Großausstellung verzichtete seit Ende der 1970er Jahre auf einen ausgedehnten Outdoor-Teil im Stadtraum, und es schien, als spielten sich vor allem dort die relevanten künstlerischen Innovationen ab. Dies fällt vor allem heute auf, seit es wieder still geworden ist um die Kunst im öffentlichen Raum.
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Für dieses Vordringen der künstlerischen Praxis in den öffentlichen Stadtraum gab es verschiedene Gründe. Einer bestand im Aufkommen der Politkunst in den 1960er Jahren mit ihrer in den 1990er Jahren erneut aufgegriffenen Leitformel „art is not enough“ (Rollig 1998: 14). Dieses Postulat zielte auf ein anderes Verhältnis von Kunst und Politik, Kunst und Gesellschaft bzw. Kunst und Leben, als es der für den musealen „White Cube“ produzierten abstrakten Moderne nachgesagt wird. Aussprüche wie Joseph Beuys vielfach missverstandener Slogan „Jeder Mensch ein Künstler“ gehören in diese Ära. Innerhalb der Museumsmauern schien immer weniger der allein angemessene Austragungsort einer zunehmend institutionskritischen Kunst zu liegen, einer Kunst, zu deren Eigengesetzlichkeiten es zählt, sich ständig mit den Grenzen ihrer eigenen Praxis auseinanderzusetzen und diese permanent zu erweitern. Einen anderen Zusammenhang dieser Neubestimmung entwirft die Idee des ortspezifischen und environmentalen Arbeitens. Furore machte hier – neben den Protagonisten der „land art“ wie Walter de Maria oder Robert Smithson – im Stadtraum vor allem Richard Serra. Seine Arbeit „Terminal“, die er für die Documenta 1977 entwickelte und 1979 vor dem Bochumer Hauptbahnhof platzierte, kann als ein Meilenstein in der Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum betrachtet werden. Eine Pointe dieser nach dem Kartenhausprinzip gebauten Arbeit aus vier 12,30 Meter hohen aneinander lehnenden trapezförmigen Stahlplatten besteht darin, dass sich ihre simple Form anschaulich nicht ‚verstehen‘ lässt: Je nachdem aus welchem Blickwinkel man die Arbeit betrachtet, scheint das Gebilde als Ganzes ein anderes zu sein. So entwirft sich in der Anschauung eine diskontinuierliche Raumerfahrung, die in einen direkten Bezug tritt zur Dynamik der verkehrsreichen Umgebung. Darüber hinaus macht die heikle Balance der aneinander lehnenden Platten dem Betrachter sein eigenes leibliches Stehen, sein Widerstehen gegenüber der Schwerkraft bewusst; die Skulptur scheint ein „Schwerefeld“ (Boehm 1996) herzustellen, welches zwischen eigenleiblichen Empfindungen einerseits und dem diese weit übersteigenden industriellen Maßstab der architektonischen Umgebung andererseits vermittelt. Was Serra hiermit leistet, ist die Wiedereinführung eines leiblichen Verhältnisses zum durch den Verkehr dynamisierten Stadtraum und zugleich bringt die fragile Balance eine fragile Komponente ins Spiel. Seine Arbeiten sind alles andere als „drop scupltures“. Sie gehören in ihrer Dimensionierung und formalen Ausprägung den Räumen an, in denen sie installiert werden; sie entstehen für bestimmte Orte und zumeist nur für diese. Gleichwohl aber erschließen sich die Erfahrungen, die an ihnen zu machen sind, nicht von selbst. Gerade im Stadtraum fällt auf, dass seine Arbeiten ein bestimmtes Hinsehen,
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einen investiven Blick verlangen, der anders ist als der landläufige Passantenblick. Und dieser investive Blick ist einer, der sich wesentlich an den Sehgewohnheiten der musealen, schweigenden Betrachtung gebildet hat. Walter Benjamin hat die spezifisch museal-kontemplative Art der Betrachtung in seinem berühmten Kunstwerk-Aufsatz als ihrem Wesen nach asozial und bürgerlich interpretiert, wenn er schreibt: „Der Versenkung, die in der Entartung des Bürgertum eine Schule asozialen Verhaltens wurde, tritt die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegenüber“ (Benjamin 1977: 38). Es ließe sich darüber streiten, ob Benjamin damit recht hat, dass die museale Wahrnehmung, auf die sich diese Aussage bezieht, weniger sozial sei als die von ihm favorisierte „Zerstreuung“ (vgl. ebd.: 40) im Kino, die er dem entgegenhält. Doch eines ist im Falle von Serras Terminal dennoch sicher: Es behält etwas Artifizielles, die vierspurigen Straßen zu überqueren, um sich die Skulptur von allen Seiten zu erschließen. Der Stadtraum, wie er sich an dieser Stelle darstellt, ist gerade kein Ort des Sehens und dennoch trotzt Serra ihm das Sehen und leibliche Wahrnehmen ab.
Abbildung 4 und 5: Richard Serra, Terminal, Bochum, 1977
So betrachtet tut man Serra kaum Unrecht, wenn man ihn als einen der letzten großen Avantgardisten betrachtet. Seine Geste ist die einer monumentalen Setzung, und bei seinen Skulpturen geht es – in der Terminologie von Hans-Ulrich Gumbrecht (2004) – um die Herstellung von Präsenz im emphatischen Sinne.
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Und oft genug formulierte er denn auch sein Beharren auf der ästhetischen Autonomie, und dass er sich in die Rolle des Künstlers ohne Publikum gedrängt sah. In diesem Sinne äußerte er sich mehrfach als zutiefst davon überzeugt, dass es für heutige Skulptur kein Publikum gäbe (vgl. hierzu Szeemann 1990: 162). Trotzdem knüpfte Serra an seine Arbeit in Bochum die Hoffnung, dass gerade außerhalb des Museums das Publikum „mit all seinen Empfindungen“ seinen Skulpturen unvoreingenommen begegnen könnte (Serra, zitiert nach Bartsch 1980: 63). Im Stadtraum, glaubte er, könnten die Leute „auf einen Gegenstand reagieren und ihre eigenen Vorstellungen und Metaphern mitbringen“, ohne dass damit die „Anmaßung verknüpft [ist,] daß alles dort irgendwie Kunst sein muss“ (ebd.). Insofern suchte Serra nicht nur den Stadtraum, sondern auch ein Verhältnis zu seinen Benutzern und war sich von Beginn an überaus bewusst, dass seine Skulpturen dort „zur Angelegenheit anderer Leute“ würden (Szeemann 1990: 162). Die faktische Begegnung mit dem Publikum geschah jedoch im Modus der Konfrontation. In dem Maße, in dem Serras Arbeiten selbst eine entschiedene Geste der Behauptung verkörpern, wurden sie auch skandalisiert. So kam es, dass die Bochumer JU in einer Kampagne im Wahlkampf 1979 mit dem Abräumen von „Terminal“ im Falle eines Wahlsieges warb. Und Serras 1981 auf der „Federal Plaza“ in New York installierte Skulptur „Tilted Arc“ wurde 1989 im Auftrag der amerikanischen Regierung in einer Nacht- und Nebelaktion zerstört – mit der Begründung, dass diese „verrostete Stahlbarriere“ Bombenleger und Ratten anlocke (vgl. Szeemann 1990: 221). „Terminal“ in Bochum wurde mit Farbbeuteln beworfen und als „Pinkelbude“ tituliert, weil sich der Innenraum den Passanten als solche anbot. Auch heute noch dienen die Stahlplatten als Plakatwände und Grundfläche für Sprayer. So zeigt sich an Serras Position geradezu exemplarisch, dass der öffentliche Raum immer auch den anderen gehört. Sie sind im öffentlichen Stadtraum immer schon da. Ihn durch Kunst zu besetzen, vor allem in dieser monumentalen Form, kann eben auch als Zumutung, unrechtmäßiges Besitzergreifen oder Anmaßung gesehen werden. Dass hierauf aggressiv geantwortet wird, kann insofern in gewissem Sinne auch beruhigen und als Signal dafür gelesen werden, dass dieser Raum lebt – wenngleich sich dieses Leben nicht produktiv, sondern destruktiv äußert und es sicher verfehlt wäre, auf Vandalismus irgendwie beglückt zu reagieren – zumal bei einer Skulptur wie Serras „Terminal“. Dennoch zeigt sich gerade in den extremsten Reaktionen, dass künstlerische Praxis in ihrer sperrigsten Form auf ganz spezifische Weise ein Bewusstsein für den öffentlichen Raum und seine Streitbarkeit zu evozieren vermag. Walter Grass-
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kamp fasst dieses Phänomen wie folgt zusammen: „der Mitbestimmungsanspruch der Stadtbewohner [artikuliert sich] schlagartig, wenn moderne Kunst im Außenraum aufgestellt wird. Das ist eine alte und oft beschriebene Geschichte, deren Fazit lautet: Nichts skandalisiert den öffentlichen Raum so sehr wie ein Kunstwerk; keine politische Demonstration, kein unansehnliches Hochhaus, kein Anwachsen der Straßenkriminalität, keine allgegenwärtige Hundescheiße [...]. Wenn Kunst den öffentlichen Raum solcherart skandalisiert, holt sie ihn allerdings überhaupt erst ins Bewußtsein vieler, die ihn ansonsten fraglos benutzen und seine ebenso rapiden wie umfassenden Veränderungen weder wahrzunehmen noch zu bedenken scheinen“ (Grasskamp 1997: 16). Die Attitüde der Störenfriede, die im (schon von anderen besetzten) öffentlichen Raum Gegenräume – oder wie Serra es nannte „Antienvironments“ – platzierten, wirft ein ambivalentes Licht auf die Verfasstheit der Öffentlichkeit, denn im Falle von institutionell abgesicherter „Kunst im öffentlichen Raum“ präsentiert sich der Künstler im offiziell legitimierten Auftrag – im Falle des „Terminals“ beispielsweise auf Beschluss des Bochumer Stadtrats – und versteht sich dennoch zugleich gegenüber dem ‚breiten Publikum‘ als Dissident. Die aggressive „Kommunikation unter Abwesenden“, der Ikonoklasmus der Denkmal-Beschmutzer bzw. -Entfremder, wendet sich hingegen gegen das geltende Recht und beschmiert und zerstört das im Auftrag öffentlicher Repräsentation angeschaffte Kunstwerk. Hierin steckt eine interessante Paradoxie, denn der mit dem Ankauf seines Werks durch öffentliche Legitimität gestützte Künstler versteht sich selbst meist als subversiv und auf der Seite der Macht-Kritiker; die nun aber de facto subversiv und illegal agierenden Farbbeutelwerfer hingegen begreifen sich in ihrem Tun oft als durch die breite Meinung legitimiert und insofern auf der Seite der ‚wahren‘ Macht der öffentlichen Meinung. Es sieht oft so aus, als ob im Falle von Kunstwerken im öffentlichen Raum besagte öffentliche Meinung und demokratische Beschlusslagen in einem chronisch gestörten Verhältnis zueinander stehen. Die Kunst muss sich mit der Macht der Legalität alliieren, damit diese sie als umstrittene Minderheit gegen das als wenig kunstverständig geltende breite Publikum schützt. Wie problematisch dieses Zweckbündnis ist, sieht man unter anderem gerade am Beispiel von „Tilted Arc“, bei dem eine offiziell beauftragte Firma die Skulptur bei Nacht entfernt; so als schreckte der Staat hier im Nachhinein vor seinen eigenen Entscheidungen zurück. Was sich in diesen Praktiken zeigt, die typisch für die 1980er und 1990er Jahre sind, ist, dass der öffentliche Raum sich offenbar immer dann emotional auflädt, wenn in ihm Zweckfreies, Unverstandenes und Fremdes exponiert wird; nur dann wird er meist überhaupt zum Thema. In diesem Spiel basierte das
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Selbstverständnis der künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum auf Dissens bzw. darauf, Kritik am Bestehenden zu üben und so Öffentlichkeit ex negativo erlebbar zu machen. Es wurde eine vorwurfsvolle Empfindsamkeit gegenüber der ästhetischen und politischen Verfasstheit des Öffentlichen exponiert. Sloterdijk hat den zugrundeliegenden Code dieses Rollenverständnisses – bezogen auf die Intellektuellen dieser Zeit – in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ als „Schmerz-Apriori“ (Sloterdijk 1984: 19) bezeichnet. Intellektuelle und Künstler beanspruchten in seinen Augen für sich eine „exklusive Empfindsamkeit“ (ebd.: 21) und sahen jene Empfindsamkeit als die eigentlich „utopische Haltung“. In ihrem Leiden an der Lebensweltlichkeit wie sie ist, beargwöhnten sie zugleich alles, „was nach Lust und Einverständnis aussah“ (ebd.: 21). Es galt gleichermaßen als Unheil, auf der Seite der Macht zu sein, wie auch alle „mitmacherischen Züge“ (ebd.: 23) suspekt waren. Wenngleich Sloterdijks Analysen als polemisch zugespitzt gelten können, so machen sie dennoch deutlich, worin die problematische Verfasstheit dieses Settings besteht, und worin die ungelösten Fragen und die Sprengkraft bestehen, die sich im Verhältnis zwischen der Wirklichkeit wie sie ist, der Rolle der Intellektuellen und Künstler, der Politik bzw. der Legislative und der öffentlichen Meinung zu sehen ist. Die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, ist nicht nur ungelöst, es lässt sich von allen Seiten auch eine gewisse beharrende Unreflektiertheit der eigenen Position gegenüber beobachten. Womöglich, weil der öffentliche Raum nicht von seiner vielseitigen Benutzung her gedacht wird und nicht als ein Feld, das sich durch die sich wandelnde Nutzung erst konstituiert. Seine Funktionen als Ort der Symbolik und der Kritik, als öffentlich zu verwaltendes Gut, als Ort zur allgemeinen Verfügung werden gewissermaßen gegeneinander ausgespielt und nicht zueinander in Beziehung gesetzt. 6. Die Priester des Öffentlichen und die Fallen radikaler Demokratie Als Antipode zum Serra’schen Gestus des öffentlichen Agierens durch monumentale Setzungen ließe sich Joseph Beuys betrachten, der ausgehend von seinem so genannten „erweiterten Kunstbegriff“ und dem Konzept der „sozialen Plastik“ (vgl. zu diesen Begriffen Beuys 1997) als einer der ersten Künstler offensiv partizipatorische Ideen vertrat – wenngleich er sich selbst als Autor und Moderator stets eine entscheidende Rolle einräumte und vielen als eine Art Guru galt. Dass er jedoch mit der expliziten Intention, den sozialen Ausschließungscharakter einer institutionalisierten Kunst zu beenden, beim breiten Publikum zu einer der umstrittensten Figuren der Kunstwelt avancierte, zählt zu den
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Paradoxien des Projekts der Avantgarde und ihrem gescheiterten Anliegen, Kunst in Lebenspraxis überführen zu wollen. Dennoch: mit seinem Projekt „7000 Eichen“ auf der Documenta 7 (1982) läutete er eine neue Ära in der Kunst des Öffentlichen ein.
Abbildung: 6 und 7: Joseph Beuys, 7000 Eichen, Documenta 7, 1982
Beuys ließ auf dem Platz vor dem Kasseler Fridericianum 7000 Basaltsteine auftürmen, die man für einige hundert DM incl. eines Eichenbaums erweben konnte. Hiermit wollte er Kassel wieder Alleebäume verschaffen bzw. die öde Nachkriegsstadt wieder begrünen und dem Stadtraum dadurch, dass die Käufer gleichsam Paten ihrer Bäume wurden, Orte der (persönlichen) Identifikation einschreiben. Indem Beuys, unterstützt von zahlreichen Helfern, tausende Bürger dazu animierte, bei der Entstehung einer sich über den gesamten Stadtraum (und darüber hinaus) erstreckenden sozialen Plastik mitzuwirken, entwarf er die Utopie einer neuen Ökologie des städtischen Lebens (vgl. Groener/Kandler 1987). Solche postautonomen Modelle der Kunstproduktion, in denen es nicht mehr darum geht, eminente Orte zu stiften, sondern an die Verantwortung der Benutzer des Stadtraums zu appellieren und kollektives Handeln zu initiieren, wurden in den 1990er Jahren verstärkt weiterentwickelt. Gerade partizipatorische Projekte,
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die das Publikum als Mitproduzenten entwarfen, haben seither Konjunktur. Die einzelnen Ausprägungen solcher Modelle, die bis zur Auflösung des Ästhetischen im „Diskursparadigma“ führten, und gelegentlich unter dem Begriff „New Genre Public Art“ zusammengefasst wurden, sollen hier nicht näher diskutiert werden. Sie sind vielfach ausführlich beschrieben und mit Schlagworten wie „Servicekunst“, „Cultural Worker“ und „Social Engineering“ belegt worden.12 Als eines der berühmtesten Beispiele für partizipatorische Ideen möchte ich nur auf Clegg & Guttmanns „Offene Bibliothek“ eingehen, die in einer ersten Variante 1987 in New Jersey erstmals realisiert wurde. Das Projekt, das an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Versionierungen umgesetzt wurde, besteht in der öffentlichen Aufstellung eines benutzbaren Bücherschranks. In der Hamburger Version (1993) wurde zunächst die Bevölkerung in drei verschiedenen Stadtteilen zu Bücherspenden aufgefordert. Eine Auswahl der Bücher wurde in den entsprechenden Bezirken dann in Bücherschränke mit Glastüren eingestellt, die aus an Straßenkreuzungen vorgefundenen, umfunktionierten Strom-Verteilerkästen angefertigt wurden. Als Benutzeranleitung war nicht mehr angebracht als die Aufschrift: „Entnehmen Sie bitte die Bücher Ihrer Wahl und bringen Sie sie nach einer angemessenen Zeit zurück. Ergänzungen des Bücherbestandes sind willkommen.“ Entscheidend für die Künstler war dabei das Experiment „einer radikal demokratischen Einrichtung“ (Kravagna 1998: 39), denn die ‚Bibliotheken‘ blieben sich selbst überlassen und legten damit auch soziale Strukturen offen, lieferten durch den sich wandelnden Inhalt und den sich verändernden Zustand Bilder für den Umgang mit allgemein verfügbaren Gütern. Vandalismus war von vornherein als ein potentielles Handlungsmoment einkalkuliert – als etwas, das der Sache ein Ende bereiten würde. Wenig überraschend war, dass sich der Umgang mit dem Angebot von Stadtteil zu Stadtteil – je nach sozialer Struktur – stark unterschied, und dass die Reaktionen die gesamte Bandbreite – von der vollkommenen Zerstörung bis zur Unterschriftensammlung für den Erhalt des Projektes über den vorgesehenen Ausstellungszeitraum hinaus – abdeckten. Über den Bücherschwund bzw. den Bücherzuwachs wurden detaillierte Erhebungen angestellt.13 Das Interessante an dem Projekt „Offene Bibliothek“, das in Mainz ein Jahr später in ähnlicher Weise installiert wurde, sind jedoch nicht Resultate einer solchen Analyse (denn diese dokumentiert ohnehin nur, was wir immer schon wussten: in Hamburg Kirchdorf, einem 12 Einen Überblick bietet der von Marius Babias und Achim Könneke gemeinsam herausgegebene Band „Die Kunst des Öffentlichen“ (Könneke 1998). 13 Unter der Leitung des Lüneburger Soziologen Ulf Wuggenig wurde über drei Monate hinweg von Studierenden geprüft, zu welchen Themen wie viele Bücher verschwanden oder hinzugefügt wurden (vgl. Wuggenig 1994: 57-92).
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Bezirk, der als sozialer Brennpunkt gilt, waren nach 14 Tagen sämtliche Bücher verschwunden; nach sechs Wochen erfolgte dann die totale Zerstörung, in Mainz veranlassten die Stadtwerke nach 10 Jahren (!) Bestand 2004 zuletzt die Restaurierung); interessant scheint mir vielmehr die Idee, im öffentlichen Raum, vollkommen unbelastet vom Geltungsanspruch der Kunst, ein Bild herzustellen, das eine immense utopische Dimension enthält: das öffentlich ausgesetzte Möbel entwirft einen Raum des unreglementierten, informellen geistigen Austauschs.
Abbildung 8 und 9: Clegg & Gutmann, Die Offene Bibliothek, Hamburg Volksdorf und Hamburg Kirchdorf, 1994
Dass das Projekt von Künstlern installiert wurde, tritt dabei in den Hintergrund, zumal diese vor Ort nicht einmal erwähnt sind. Die Fremdheit eines Bücherschranks im öffentlichen Stadtraum basiert nicht auf dem Kunstcharakter, sondern auf der schräg zu allen Erwartungen sich verhaltenden Kontextualisierung. Ein Bücherschrank – zumal wenn in ihn Bücher eingestellt sind, die keine Rückensignaturen aufweisen – gehört der Sphäre des Privaten an, ist ein Möbel, und zwar eines, das Auskunft gibt über den geistigen Raum seines Besitzers. Und es ist ein Möbel zur Benutzung. So entsteht hier unweigerlich ein Bild für kollektives Handeln, für den Austausch von Geschichten und für Interaktionen unter Abwesenden, die kommen und gehen, etwas hinterlassen oder entnehmen. Die Glastüren des Bücherschranks sind dabei nicht nur praktisch, sie machen auch die Zerbrechlichkeit dieser kommunikativen Potentiale und Möglichkeiten bewusst. Jeder könnte das Ganze zerschlagen.
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Abbildung 10: Clegg & Gutmann, Die Offene Bibliothek, Hamburg Kirchdorf, Oktober 1994
Es ist die ausgelieferte Öffentlichkeit kollektiven Handelns, die hier gewagt wird, die Selbstorganisation eines höchst zerbrechlichen geistigen Raumes in der Öffentlichkeit. Die Künstler veranlassen diesen Prozess nur, sie setzen einen Anfang. Ihre Aufgabe ist es, im Auftrag einer demokratischen Gesellschaft Neues und Ungesichertes zu probieren. Und weil das „Als-ob“ der Handlungsmodus der Kunst ist, misst sich der Erfolg einer solchen Arbeit auch nicht an Nachhaltigkeit und Quote. Was zählt, ist das utopische Potential und die Art, wie sich dadurch die Öffentlichkeit über sich selbst informiert. Wenn die Bücher fehlen, ist es nicht das Problem der Künstler. Vielmehr stellen die Benutzer
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möglicherweise den öffentlichen Raum durch ihr eigenes Vorgehen zur Disposition. Verantwortung kann nicht mehr delegiert werden. Hierin liegt zugleich aber auch etwas Perfides, denn damit wird die städtische Öffentlichkeit vorgeführt in ihrer Abhängigkeit vom destruktiven Verhalten einiger weniger. Umgekehrt jedoch besteht das Utopische des Projekts auch gerade darin, eben nicht im vorauseilenden Gehorsam im Hinblick auf Vandalismus zu handeln – und zumindest in Mainz haben die Künstler damit Recht behalten – es geht. Im Hinblick auf das Verständnis von Öffentlichkeit ließe sich hierin die zugleich herausfordernde wie auch bedrückende Idee der „Kontrollgesellschaft“ im Deleuze’schen Sinne wieder erkennen; einer Gesellschaft, die sich selbst nicht mehr durch Disziplinarmaßnahmen organisiert (in diesem Falle: Bewachung und Bestrafung), sondern auf Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung und Eigenverantwortung abstellt und damit zugleich auf das entlastende Moment verzichtet, dass das Vorhandensein von Institutionen und Disziplinarmächten mit sich bringt (vgl. Deleuze 1993: 254ff.). Bei aller Poesie der Kommunikationen, die sich am Bücherschrank abspielen, führt die Arbeit so gesehen auch eine Bedrohung mit sich. Beuys Basaltsteine und Eichen dagegen lösen sich einfach im Stadtbild auf, aber bleiben. Die Bibliothek hält nur solange, wie die soziale Integrität einer idealen communitas aus ausschließlich kooperativen Benutzern gegeben ist. Diese ist conditio sine qua non. Die Aufstellung des Bücherregals ist insofern auch eine Falle für die Öffentlichkeit – und zwar gerade für eine extrem anonymisierte Öffentlichkeit der unbeobachteten Räume; denn der Vandalismus ist in das Konzept mit eingebaut, sodass vereinzelte Aggressoren Öffentlichkeit in ihren Scheiterungsmomenten bloßstellen. 7.
Die Verbündeten des Straßenlebens, Wunschproduktion und die Poesie der Unordnung „Die Straße hat Funktionen, die Le Corbusier außer Acht ließ: sie dient der Information, ist Symbol und ist zum Spiel notwendig. Auf der Straße spielt man, lernt man. Die Straße ist Unordnung“ schreibt Lefèbvre (2003: 32). An den utopischen Entwürfen der Urbanisten kritisierte er vor allem, dass diese von einer grundlegenden Leere der Städte ausgingen und nicht von der urbanen Praxis, mithin dem hier stattfindenden Leben (ebd.: 197). Er schreibt hierzu: „Der Benutzer? Wer ist das? Alles spielt sich so ab, als ob man (die Zuständigen, die ‚Agenzien‘, die Behörden) den Austausch um so viel höher einschätze als den Gebrauch, daß Gebrauch und Abnutzung verwechselt werden. Als was sieht man dann den Benutzer an? Als eine ziemlich widerwärtige Person, die beschmutzt, was man ihm
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neu und frisch verkauft, die Werte mindert, verdirbt, aber zum Glück eine Funktion wahrnimmt: sie macht den Ersatz des Dings, des Alten durch das Neue, unvermeidlich. Womit sie allerdings kaum entschuldigt ist“ (ebd.: 239). Besieht man aus dieser Perspektive das Projekt von Clegg & Guttmann, wird deutlich, dass dies den Benutzer zwar ins Zentrum stellt, ihn aber zugleich als Gefährdungspotential inszeniert: Er ist der Spender, aber auch das Risiko, dem die Kulturgüter ausgeliefert sind. Die „Offene Bibliothek“ beharrt – bei aller Poesie – auf der Ernsthaftigkeit der Sache der Kunst. Jene Unordnung der Straße, von der Lefèbvre spricht, erweist sich vor allem als zerstörerisch: hier zeigt sich „Öffentlichkeit als Bedrohung“, um eine Formulierung der Mediensoziologin Elisabeth Noelle-Neumann (1979) zu benutzen. Damit tendiert die Konzeption zur Attitüde der unausgesprochenen Anklage – zumindest im Falle der NichtNutzung, Verwahrlosung und Zerstörung, die immer schon mit einkalkuliert ist. Verbessern können die Benutzer die Bibliothek nicht, nur angemessen nutzen. Grundlegend transformieren können sie sie nur durch ihre Zerstörung. Eine prinzipiell andere Strategie öffentlichen Agierens lässt sich seit Mitte der 1990er Jahre ausmachen. Sie rückt ab vom missionarischen Impetus, der noch die Aktionen von Beuys bestimmte und in dessen Fahrwasser auch ein Großteil derjenigen Praktiken zu sehen ist, die dem Diskusparadigma (wie etwa die Künstlergruppe „Wochenklausuren“) folgen und vor allem aus Gründen der „political correctness“ auf Partizipation setzen (offenbar aber nicht, weil ihr Anliegen darin bestünde, sich von Passanten, Kindern, Hundeführern, Geschäftsleuten und Rentnern inspirieren zu lassen).14 Die neueren Strömungen der künstlerischen Praxis haben sich dagegen von der Rolle des privilegierten Gestalters und urbanistischen Priesters verabschiedet; sie verstehen sich selbst als Benutzer und Verbündete des Straßenlebens mit den spezifisch ihm zugehörigen Bildern, Spielen, Absurditäten, Unzulänglichkeiten und Bedürfnissen. Damit ist es zugleich still geworden um die Kunst im öffentlichen Raum. Denn hier geht es nicht mehr um jenes Schmerz-Apriori der Kritik, den Protest und den Skandal, auch nicht um das Missionarische, sondern vielmehr um ein Selbstverständnis als Mitspieler, Beobachter oder Teilnehmer an heterogenen Zusammenkünften und Initiativen. Dieses Selbstverständnis ist sehr viel unprätentiöser.
14 Einen in diesem Zusammenhang interessanten Kommentar liefert Siah Armajani, der schreibt: „Öffentliche Kunst sollte das Publikum weder einschüchtern noch belästigen oder bevormunden […]. Sie sollte nachbarschaftlich sein. Sie sollte ihre Umgebung aufwerten. Öffentliche Kunst ist keine dezente Kunst. Sie ist missionarische Kunst“ (Könneke 1994: 7). Damit bekennt er sich zur didaktischen Rolle.
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KünstlerInnen wie Andrea Knobloch etwa entwickeln eine neue Ästhetik des Engagements, wenn sie – eingeladen zu einer Ausstellungsteilnahme nach Dresden – dort die Gründung eines Vereins zum Erhalt des so genannten Dresdener Rundkinos initiiert15 und mit zahlreichen Aktionen, Kinoabenden und Festen den sich üblicherweise mürrisch und kämpferisch formierenden Erhaltungs-Ideen Bilder und Atmosphären von mitreißender Einfachheit verleiht.
Abbildung 11: Andrea Knobloch, release, Prager Straße, Dresden 2003
Dies ist das Ende der verkniffenen Ernstnehmer in der Kunst. Besagte aktuelle Strategien greifen Wünsche, Geschichten, Erzählungen und Atmosphären auf, wie sie sich nur auf der Straße formieren und handelten sich damit den Vorwurf 15 Hierbei handelt es sich um ein Großkino der 1970er Jahre mit einem 1000-Sitzplätze umfassenden Saal, das sich auf der dortigen Prager Straße befindet – einem städtebaulichen Ensemble der DDR-Moderne. Das Kino steht seit der Flutkatastrophe leer (vgl. hierzu http://www.rundkinodresden.de/, 30.04.2006).
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ein, als „Kuschelkunst“ zu gelten. Sie entdecken das Vergnügen und den Schmutz der Straße neu, verbünden sich mit Skatern, militanten Sozialarbeitern, Sprayern und Kioskbesitzern und all jenen, die die Straßen zweckentfremden und umdeuten, die die viel beschworene Ödnis der Städte, ihre Brachen und nicht definierten Zwischenräume, als Möglichkeit zur Neuinterpretation nutzen. Dass eines der bekanntesten Beispiele für die neue Allianz mit den Frechheiten, Wünschen und Vergnügungen der Straße ausgerechnet in St. Pauli seinen Ort hat, ist sicher kein Zufall. Das Projekt mit dem Titel „Park Fiction“ an der Uferzone des Hamburger Hafens formierte sich ursprünglich aus einem Anwohnerprotest gegen die Bebauung eines freien Ufergrundstücks. Da unter den Anwohnern auch die Künstler Christoph Schäfer und Cathy Skene waren, entwickelten diese einen Gegenvorschlag zur Bebauung mit, der lautete, man solle die Fläche für eine von Bürgern selbst gestaltete Parkanlage zur Verfügung stellen. Unter dem eigens gegründeten Dach „Hafenrandverein für selbstbestimmtes Leben und Wohnen auf St. Pauli e.V.“ wurde eine Öffentlichkeitsarbeit in Form von Diskussionsveranstaltungen, Ausstellungen, Stadtteilkonferenzen und Themenpartys organisiert und schließlich 1997 mit Geldern des Kunst-imöffentlichen-Raum-Programms der Hansestadt16 ein Planungsbüro eingerichtet, in dem ein kollektiver, öffentlicher Planungsprozess durch die Anwohner in Gang gebracht wurde. Hierbei ging es darum, neue Formen der „kollektiven Wunschproduktion“ zu erproben und durch Infotainment Situationen herzustellen, in denen Anwohner, Künstler und Politiker nicht gegeneinander antreten, sondern sich gegenseitig anregen und informieren, wie es die Künstlerin und Filmemacherin Margit Czenki formulierte. Kinder und Erwachsene wurden von einer Gruppe von Künstlern, Sozialarbeitern, Architekten und Anwohnern unter dem Motto „Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und gehen auf die Strasse (sic!)“ zu Führungen, Diskussionen, Filmen, Zeichnen- und Bastelworkshops und Ähnlichem eingeladen. So wurde ein Spektrum aus Vision, Ideen und konkreten Plänen gesammelt. Diese reichten von einer Palmeninsel, einem Erdbeerbaumhaus über eine in Pudelform geschnittene Hecke, einen Teegarten, Grill-Inseln, einen SeeräuberinnenBrunnen, einem Open-Air-Solarium, einem fliegenden Teppich (ein wellenförmiges Rasenstück), einem tulpengemusterten, multifunktionalem Tartanfeld bis hin zu Postfächern für Jugendliche, die – von Erwachsenen unkontrolliert – Post erhalten wollten. Aus diesem bunten Mix abwegiger und nahe liegender Fantasien wurde ein ganz eigener poetischer Raum konfiguriert. 16 Das Gesamtprojekt trug den Titel „Aussendienst (sic!)“ (siehe http://www.aussendienst.hamburg.de, 30.04.2006).
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Abbildung 12: Park Fiction Planungscontainer, Hamburg, 1998
Abbildung 13: Park Fiction Planungsschild (Malerei: Christoph Schäfer), Hamburg, 2003
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Die Planungsgruppe aus Künstlern, Anwohnern und Gartenarchitekten fertigte aus den genannten Ideen, die eine Auswahl aus einer sehr viel größeren Menge von Vorschlägen darstellte, das Portfolio für die Bauplanung. Am 22. August 2005 konnte der Park dann endlich nach langem Ringen eröffnet werden und dient seither als beliebter innerstädtischer Treffpunkt, der zugleich eine Bühne für das Straßenleben bietet. Der Prozess der Projektentwicklung, die Umwege in der Entstehung und der fröhlich dreiste Aktionismus wurden im Kunstkontext als exemplarische Strategien gefeiert; auf der Documenta 11 wurden Filme, Zeichnungen, Skizzen, Pläne, Fotos und Texte an prominenter Stelle präsentiert. In ihrer utopischen Kraft reichen diese – ohne das Resultat der tatsächlichen Parks damit schmälern zu wollen – denn auch weit über das hinaus, was im realen Stadtraum gebaut werden kann. Konzeptuell interessant und beispielhaft an dem Projekt erschien in der Diskussion des Konzepts nicht zuletzt auch, dass weder die Differenzierung zwischen high and low culture noch die Clifford’sche Unterscheidung Kunst = individuell und Kultur = kollektiv (Clifford 1993: 57) greifen. Das scheinbar Alltägliche und Banale und das einfache gegenwärtige Vokabular städtischen Lebens, wie der Skaterplatz, werden beispielsweise durch eine modisch überzogene, dekorative Gestaltung ins Imaginäre transformiert – hierin besteht die spezifische Arbeit der Künstler, ihre Kompetenz. Sie machen kein Partizipationsangebot von oben; sie wissen, sehen oder können nicht mehr, sondern: anderes. Sie politisieren den öffentlichen Raum nicht, indem sie in ihn einfallen, um das Wahre und Gute zu behaupten; politisiert wird vielmehr, indem man um Formen für gemeinsame Räume ringt, und versucht, ihrem Sinn nachzuspüren. Dies ist kein bürgerliches Konzept von Öffentlichkeit mehr. Auch keines von Urbanisten. Der öffentliche Raum ist nicht Gegenstand der Kritik oder Planungsobjekt, sondern ein extrem temporalisiertes Feld von Mikropraktiken, und aus diesen Praktiken, und nur aus dem Gebrauch und möglichen Transformierungen dieses Gebrauchs wird er entwickelt. Schon lange ist hier keiner mehr grundsätzlich legitimiert, zu sagen, wie er aussehen soll. Im öffentlichen Raum sind die anderen – die die anderes wollen (und deren Haltungen und Tun man unter Umständen ‚zutiefst missbilligt‘17) – immer schon zur Stelle. Am Ende steht insofern nicht das Monument, an dem sich die Öffentlichkeit als „Ver17 Vgl. hierzu J.P. Reemtsma (2005: 13), der im Anschluss an die Debatte um den Kopftuchstreit sehr treffend schreibt, worum es in säkularisierten, pluralistischen Gesellschaften geht: „Ich respektiere die Freiheit meines Mitmenschen, religiöse Überzeugungen zu haben, die ich zutiefst missbillige. Dass diese Freiheit das Potenzial birgt, Mitbürger zu kränken, muss – bis zu einem gewissen Grade – hingenommen werden“.
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sammlungs- und Präsenzmasse“18 ihrer selbst versichert, am Ende steht auch nicht die Verkehrsordnung, auch nicht die avantgardistische, unverstandene ‚Gegenöffentlichkeit‘, sondern am Ende steht die Benutzung und die aus ihr erwachsenden, sich überlagernden Narrationen und Textschichten. Das Erdbeerbaumhaus (die Idee eines Kindes) und die pudelförmige Buchsbaum-Hecke (eine Hommage an den benachbarten Golden Pudel Club) am Hamburger Elbufer sind Ausdruck spezifischer Fantasien und Geschichten, deren Hintergründe ortsgebunden und individuell sind. Sie entstammen nicht dem staatlich organisierten Belieferungszusammenhang mit dem, was als das Öffentliche verstanden werden soll, auch nicht dem ästhetischen Diskurs und sind schon gar keine politischen Symbole. Sie verdanken sich naiven Paradiesvorstellungen und Spielen, sind – wie Foucault es nennen würde – „Heterotopien“19 wie die Indianerzelte der Kinder auf dem Dachboden, die Foucault in diesem Zusammenhang beispielhaft anführt. „Sie stellen alle anderen Räume in Frage, und zwar auf zweierlei Weise: entweder wie in den Freudenhäusern [...], indem sie eine Illusion schaffen, welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt, oder indem sie ganz real einen anderen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist“ (Foucault 2005: 19f.). Der öffentliche Stadtraum ist – so transformiert – längst kein heroischer Repräsentationsraum mehr, weder für eine spezifische Ästhetik, noch für eine ideologische Kritik. Er ist Raum für die Erfahrung des Fremden, für sich überlagernde Praktiken, Erzählungen, Texte und Selbstbeobachtungen.
18 Sloterdijk (2000: 16) betont, dass das Zeitalter der „Präsenzmassen“, der „Versammlungs- und Auflaufmassen [...] passé“ sei. 19 Als Heterotopien beschreibt Foucault (2005: 10) Orte, „[...] die sich allen anderen widersetzen und sie in gewisser Weise sogar auslöschen, ersetzen, neutralisieren oder reinigen sollen. Es sind gleichsam Gegenräume. Die Kinder kennen solche Gegenräume, solche lokalisierten Utopien, sehr genau. Das ist der Dachboden oder eher noch das Indianerzelt auf dem Dachboden.“
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Abbildung 14 bis 16: Park Fiction in Benutzung, Hamburg 2003, 2004 und 2005
8. Zum Schluss keine neue Agora aber ein Anderswo Die Strategien, mit denen Künstler wie Christoph Schäfer im öffentlichen Raum arbeiten, haben den Blick auf die urbane Öffentlichkeit an den Einschreibungsund Zweckentfremdungspraktiken der Skater geschult, für die ein Treppengeländer zur Sprungschanze wird, und sie haben genau hingesehen bei den Kritzlern, die jedes Plakat weitermalen oder am Ende die bereits vorhandenen Kritzeleien anderer mit Kaugummis bekleben. In einer von solchen scheinbaren Banalitäten ausgehenden künstlerischen Praxis geht es darum, die in den städtischen
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Umgebungen vorfindlichen Fantasien, Codes, Körperwahrnehmungen und Lektüren zu sammeln, zu entziffern und in Bilder und Räume eines ‚Anderswo‘ zu übersetzen, indem man etwa eine künstliche Palmeninsel am Elbufer platziert, als seien die einfachen Paradiesvorstellungen direkt hier und jetzt zu haben. So entsteht keine neue Agora – diese würde der Tendenz ausdifferenzierter Gesellschaften, Politik als ein Subsystem zu betrachten und nicht mehr als übergeordnete Gewalt von gesamtgesellschaftlicher Reichweite (Luhmann 2002) ohnehin nicht entsprechen20; was aber entsteht, sind Räume, die im Lefèbvre’schen Sinne anregen, sie zu benutzen, sie weiter zu schreiben und mit Bedeutungen aufzuladen. Solche Räume herzustellen und so zu einer neuen Ökologie des öffentlichen Raums beizutragen, könnte ein zukünftiges Aufgabenfeld künstlerischer Praxis darstellen. Und vermutlich werden die Räume für eine neue Ökologie wilder Praktiken in Zukunft größer, wenn die Städte schrumpfen und der Konsum sich weiter in der kontrollierten Semiöffentlichkeit von Shopping Malls ballt, wo der Zugang reglementiert und überwacht bleibt und die Kaugummis nach Ladenschluss abgekratzt werden. Ein erster Schritt aber, die Probleme heutiger Städte neu und anders anzugehen, ist womöglich schon vollzogen, wenn wir den Stadtraum nicht mehr zuerst als „pathologischen Raum“ mit „Raumkrankheiten“ betrachten, wie Lefèvre (2003: 202) es nannte, sondern – wie im Falle von „Park Fiction“ – seinen Mikropraktiken nachspüren und dem, was sich vor allen geplanten Theoretisierungen in ihnen schon zeigt.
20 Lefèvbre formuliert die überkommene Sichtweise gesamtgesellschaftlicher Geltungsansprüche der Politik noch polemischer: „Die Illusion des Staates besteht aus einem kolossalen und lächerlichen Projekt. Der Staat soll imstande sein, die Angelegenheiten von Dutzenden von Millionen von Subjekten zu leiten“ (Lefèbvre 2003: 197).
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Abbildungsnachweis Abb.1:
http://de.wikipedia.org/wiki/ Denkmal_f%C3%BCr_die_ermordeten_Juden_Europas_(Berlin)
Abb. 2:
http://www.bundestag.de/bau_kunst/kunstwerke/haacke/index.html
Abb. 3:
http://www.nw-museum.de/erdgeschoss/KRICKE/kricke6.html
Abb. 4 u. 5:
van den Berg, K. (1995): S. 31 u. 35
Abb. 6 u. 7:
http://stephan.barron.free.fr/technoromantisme/images/beuys_7000_basaltes.jpg und http://www.rugby-erfurt.de/pics/eiche_schwertle.j.jpg
Abb. 8, 9 u. 10: Könneke 1994: 8, 44 u. 13 Abb. 11:
Foto Andrea Knoblauch
Abb. 12:
Foto Hinrich Schulze
Abb. 13:
Foto Christoph Schäfer
Abb 14:
Margit Czenki
Abb. 15 bis 16: Foto Christoph Schäfer
Organisation zwischen Markt- und Hierarchieversagen: Öffentliche Güter als neuer Steuerungsimpuls
Jetta Frost und Claudia Queiȕer 1. Einleitung In den vergangenen Jahren sind Organisationskonzepte immer populärer geworden, in denen die Schaffung marktlicher Anreizsysteme in den Mittelpunkt rückt. Ihre dominierende organisatorische Gestaltungsempfehlung sowohl in der Organisations- als auch in der Beraterliteratur lautet: „Mehr Markt in das Unternehmen“.1 Jüngst bezeichnet Frese (2002) diese Konzepte als „Glaube an die organisatorische Weisheit des Marktes im Unternehmen“. Die Realisierung interner Märkte ist mit der Idee verbunden, einen Markt dort zu rekonstruieren, wo es keinen Wettbewerbsmarkt gibt, nämlich innerhalb des hierarchischen Arrangements Unternehmen. Die Einführung vermehrt marktlicher Steuerungsmechanismen – Prinzipien der invisible hand – in Unternehmen erfolgt mit der Zielsetzung, internes Unternehmertum zu fördern und plandominierte Strukturen zu entbürokratisieren. Damit ist vor allem die Vorstellung verbunden, die Organisationsmitglieder durch marktliche Anreize zu motivieren, ihre Kenntnisse einzubringen und neues Wissen zu wettbewerbsfähigen Leistungen zu entwickeln. Der vorliegende Beitrag untersucht diesen Wirkungsanspruch. Wir zeigen, dass hinter dem Leitbild der internen Märkte das Problem des in Unternehmen importierten Marktversagens verborgen ist. Dies ist bislang nicht Gegenstand der Organisationsforschung gewesen. Dort sind Überlegungen zu internen Märkten traditionellerweise mit Formen der Verrechnungspreisgestaltung verbunden. Doch auch unternehmensinterne Märkte sind ebenso wie Wettbewerbsmärkte mit dem Problem des Marktversagens konfrontiert und müssen dafür organisatorische Steuerungslösungen entwickeln. Als Ansatzpunkt zur Analyse dieses Wirkungsanspruchs greifen wir die aktuelle Diskussion um zwei dominante Perspektiven in den Theorien der Firma auf: die GovernancePerspektive und die Kompetenz-Perspektive. Beide beschäftigen sich mit der Frage, warum Firmen existieren und was deren Steuerungslogik von der auf Märkten unterscheidet. Sie sind deshalb als Heuristik geeignet, um Aussagen 1
Zu dieser Gestaltungsempfehlung siehe z.B. Cowen/Parker (1997), Day/Wendler (1998), Gable/Ellig (1993), Halal (1994; 1998), Halal/Geranmayeh/Pourdehnad (1993), Kearny/Merlat (1999), Kouvelis/Lariviere (2000), Mills/Ungson (2001) und Thomsen (1992).
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zur Organisation zwischen Marktversagen und Hierarchieversagen ableiten zu können (Frost 2005). Wir werden zeigen, dass die Ursachen sowohl des Marktversagens als auch des traditionellen Hierarchieversagens in der Kollektivgutproblematik begründet liegen, wenn es um die Erzeugung firmenspezifischer öffentlicher Güter geht. Diese bezeichnen wir als Corporate Commons. Wir werden die Charakteristiken von Corporate Commons erläutern und begründen, warum diese einen neuen Steuerungsimpuls zur Gestaltung der Organisation im Spannungsfeld zwischen internem Markt- und Hierarchieversagen darstellen. Unser Argument lautet: Corporate Commons basieren auf firmenspezifischen, schwer imitierbaren Ressourcen und bilden deshalb die Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Je höher der Anteil an Corporate Commons für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist, desto mehr versagen marktliche oder preisbasierte, aber auch traditionelle hierarchische Formen der Steuerung. Öffentliche Güter als neuer Steuerungsimpuls bedeutet stattdessen auf Formen der Selbstabstimmung zu setzen, um in Unternehmen strategisch relevante Corporate Commons zu erzeugen. 2. Wirkungsansprüche interner Märkte Die Spannweite unternehmensinterner Märkte und „marktorientierter“ Gestaltungsmaßnahmen reicht von der Geschäftssegmentierung über die Profit CenterBildung (z.B. Frese 1998), über „Quasi-Unternehmen“ (z.B. Schweitzer 1992), „grenzenlose Unternehmen“ (Picot/Reichwald/Wiegand 2003), interne Hybride (Zenger 2002) bis hin zu Konzepten der internen Marktwirtschaft (Theuvsen 2001) und „Disaggregation“ (Zenger/Hesterly 1997). Von den zahlreichen Befürwortern dieser Konzepte werden interne Märkte grundsätzlich als das „flexiblere“ Pendant gegenüber der „schwerfälligen“ Hierarchie betrachtet (z.B. Halal/Geranmayeh/Pourdehnad 1993, Halal 1994).2 Sie begründen dies damit, dass die traditionelle Unternehmensorganisation zu stark durch zentrale Planungsund Kontrollaufgaben determiniert sei. „The alternative to the use of market principles within firms is a continuation of the command-and-control or Taylorist paradigm“ (Cowen/Parker 1997: 78). Implizit wird davon ausgegangen, dass Unternehmen bürokratische und „monolithische Gebilde“ mit tief gegliederten, arbeitsteiligen Strukturen sind. Erst die Einführung interner Märkte erhöhe die Wettbewerbsfähigkeit von Un2
Genau dies wird von Simon (1991) stark kritisiert. Seiner Meinung nach wird zu wenig zur Kenntnis genommen, dass reale Organisationsstrukturen sehr viel differenzierter ausgestaltet sind und nicht auf hoch zentralisierte hierarchische Gebilde reduziert werden dürfen.
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ternehmen, weil das mit hierarchischen Organisationsstrukturen assoziierte „Autoritäts-Paradigma durch ein Entrepreneur-Paradigma“ ersetzt wird (Forrester 1993: 54ff.). Damit sind zwei Wirkungsansprüche verbunden: erstens die Entbürokratisierung hierarchischer Strukturen und zweitens die Förderung des internen Unternehmertums. 2.1 „Entbürokratisierung“ hierarchischer Strukturen Hinter dem Schlagwort „Entbürokratisierung“ hierarchischer Strukturen steht die Idee, Defizite der hierarchischen Koordination und die begrenzte Leistungsfähigkeit zentraler Planungsansätze auszugleichen (Frese 1997). Damit soll verhindert werden, dass aus der „visible hand“ des Managements die eiserne Faust der Hierarchie wird (Willke 1994: 129). Ziel der Entbürokratisierung hierarchischer Strukturen ist es, die Koordinationskomplexität des Unternehmensgeschehens, insbesondere im Rahmen von Allokations- und Abstimmungsprozessen, zu reduzieren. Davon versprechen sich Unternehmen die Realisation folgender Vorteile (z.B. Ansari 1989, Frese/Beecken/Engels/Lehmann/Theuvsen 1995, Drumm 1996): Erstens soll die Kunden- und Marktorientierung des Gesamtunternehmens verbessert werden. Das Unternehmen soll so segmentiert werden, dass das Fenster zum Kunden geöffnet wird und die einzelnen Module direkten Marktkontakt haben (Osterloh/ Frost 2003). Dadurch soll zweitens die Flexibilität des Unternehmens erhöht werden. Es wird davon ausgegangen, dass dezentral agierende Einheiten über die notwendige Entscheidungsautonomie verfügen, um Anpassungs- und Reaktionsgeschwindigkeit bei wechselnden Problemstellungen sicherzustellen. Drittens sollen die Entscheidungsträger höherer hierarchischer Instanzen entlastet werden, indem Entscheidungskompetenzen an nachgeordnete Hierarchieebenen delegiert werden. Dadurch erhofft man sich viertens eine Reduktion von Fehlentscheidungen und Fehlallokation von Ressourcen durch die zentrale Planinstanz aufgrund von Problem- und Marktferne. Entbürokratisierung bedeutet, den Einfluss der drei wichtigsten Merkmale des bürokratischen Modells auf die Strukturgestaltung zu reduzieren, namentlich Spezialisierung, Hierarchie und Formalisierung (Adler/Borys 1996). Damit setzen Maßnahmen der Entbürokratisierung unmittelbar am hierarchischen Prinzip der Handlungssteuerung an. Handlungssteuerung und zentrale Plankoordination sollen durch eine Ergebnissteuerung ersetzt werden. Letztere setzt bei den Ergebnissen der Handlung an. Während es bei der hierarchischen Handlungssteuerung um die Einhaltung bestimmter Handlungsregeln geht, wird bei der Ergebnissteuerung der Grad der Zielerreichung bestimmter Handlungen abgebildet.
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Die Koordinationswirkung entsteht durch Zielvorgabe oder Zielvereinbarung. Mit den organisatorischen Einheiten werden Ziele vereinbart, an denen sie sich bei der Auswahl ihrer Handlungsalternativen zu orientieren haben (Ouchi 1979: 97). Sie verfügen über Handlungsspielräume, die sie unter Orientierung an ihren Zielvorgaben unternehmenskonform ausfüllen sollen. Entbürokratisierung bedeutet demzufolge, die Notwendigkeit korrigierender Eingriffe durch zentrale Instanzen auf ein Minimum zu reduzieren und zwischen den organisatorischen Teilbereichen die Interdependenzbeziehungen zu entkoppeln. Die Reduktion des Eingriffs durch zentrale Instanzen erfolgt durch eine umfassende Delegation von Entscheidungskompetenzen an die nachgeordneten Einheiten. Sie ist umso höher, je geringer der Anteil übergeordneter Instanzen zur Lösung arbeitsteiliger Probleme ist. Die Entkopplung der Interdependenzbeziehungen zwischen den Einheiten erfolgt durch die Einräumung horizontaler Autonomie. Die Einheiten erhalten inhaltlich eindeutig spezifizierte Aufgaben, die möglichst unabhängig voneinander bearbeitet werden können. Damit sollen möglichst dezentrale Einheiten geschaffen werden, die über größere Freiräume zur Zielerfüllung verfügen. Entbürokratisierung wird zur Voraussetzung, um selbstverantwortliches, „unternehmerisches“ Handeln der Organisationsmitglieder zu fördern. Dies bezeichnet der im Folgenden diskutierte Begriff „internes Unternehmertum“ oder „Intrapreneurship“. 2.2 Förderung des internen Unternehmertums Die Zielsetzung, internes Unternehmertum zu fördern bedeutet, möglichst viele Organisationsmitglieder zu „Intrapreneuren“ zu machen.3 Es geht darum, das individuelle Verhalten der Organisationsmitglieder durch marktliche Anreizmechanismen mit den Verhaltenserwartungen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Die disziplinierende Wirkung des Marktes und Wettbewerbs soll Anreize für unternehmerisches Verhalten bieten, damit auch innerhalb von Unternehmen die Perspektive des Entrepreneurs von mehr Organisationsmitgliedern berücksichtigt wird (Sautet 2000, Thomsen 1992). Hier lehnen sich die beiden Autoren in ihrer Argumentation an Hayek (1945) an. Hayek (1945) charakterisiert den Preismechanismus als Anreiz zur Entdeckung immer neuer Faktoren, die eine Anpassung an sich ändernde Umstände fördert und die bestmögliche Verwertung lokalen Wissens sicherstellt. Er geht dabei von zwei Bedingungen aus: Zum einen bringt der Preismechanismus automatisch Entscheidungsrechte an die Personen, die über das relevante Wissen 3
„Intrapreneur“ ist die Abkürzung für „intracorporative entrepreneurs“ (vgl. Pinchot 1985).
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verfügen. Zum anderen werden die Personen diese Entscheidungsrechte effizient einsetzen, um ein für sie optimales Ergebnis zu realisieren. Sowohl Thomsen als auch Sautet übertragen Hayeks Ideen auf hierarchische Arrangements. Sie gehen davon aus, dass die Verwendung marktlicher Anreizmechanismen in Verbindung mit hoher Entscheidungsautonomie auch innerhalb des Unternehmens gleichermaßen eine Stimulierung des Entdeckungsprozesses („entrepreneurial discovery“) wie auf Märkten ermöglicht. Im strategischen Management werden diese Entdeckungsprozesse als „subsidiary initiative“ bezeichnet (Birkinshaw 1998). Damit ist gemeint, dass die Generierung strategischer Handlungsalternativen nicht der zentralen Planung überlassen bleiben darf. Die Unternehmensleitung als Organisationsspitze wird nicht mehr als der alles überformende Kopf der Entscheidungshierarchie angesehen. Stattdessen soll eine Dezentralisierung der Signalaufnahme erfolgen (Hayek 1945, Sautet 2000, Thomsen 1992). Dadurch soll eine Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Markt- und Problemnähe der dezentralen Einheiten sichergestellt werden. Jedes Organisationsmitglied verfügt nämlich über ein hohes Ausmaß an lokalem Wissen, das es nicht in der Unternehmenszentrale gibt oder dessen Beschaffung durch diese zentrale Instanz nur unter Inkaufnahme extrem hoher Informationskosten zu realisieren wäre. Die Organisationsmitglieder bzw. „subsidiary“ Managerinnen und Manager sollen selbst aktiv werden, ihr Wissen, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in das Unternehmen einzubringen. Sie sollen eigenständig die Initiative übernehmen, „to seek out ‚hitherto unnoticed opportunities‘ in the internal market and act on them“ (Birkinshaw 1998: 357). Die Aufgabe der Unternehmensführung wird darin gesehen, die Organisationsmitglieder zu mobilisieren, durch diese Entdeckungsprozesse einen möglichst hohen Wertbeitrag zu leisten. Die Förderung des internen Unternehmertums beruht deshalb auf der Wirkungshypothese, dass marktbezogene Maßstäbe der Leistungsbeurteilung die Bereitschaft der Organisationsmitglieder fördern, Verhalten und Strukturen auf Effizienz zu überprüfen (Frese 2000a: 275f.). Die Bereitschaft und Motivation der Organisationsmitglieder zum unternehmerischen Verhalten wird geweckt und gefördert (z.B. Halal 1994, Zenger/Hesterly 1997), je größer der Entscheidungsspielraum der Organisationsmitglieder bezüglich des Mitteleinsatzes ist, je umfassender die Kontrolle der Ergebnis- bzw. Erfolgskomponenten bei den Organisationsmitgliedern liegt, je umfassender die erwirtschafteten Beiträge der Organisationsmitglieder mit monetären Anreizen verknüpft, d.h. kontingent entlohnt werden.
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Zusammengefasst zielt die Förderung des internen Unternehmertums darauf ab, marktliche Anreizmechanismen auch innerhalb hierarchischer Organisationsstrukturen zu etablieren, um die Bereitschaft der Organisationsmitglieder zum Handeln im Sinne der Unternehmensziele zu steigern. Initiativ- und Entdeckungsprozesse setzen an den erzielten Ergebnissen der Handlungen der Organisationsmitglieder an. Dabei wird angenommen, dass die Verknüpfung der Ergebnisgrößen mit leistungsabhängigen Anreizen zu einer höheren Motivation führen, die belohnten Handlungen auszuführen. 3.
Zweifel an der generellen Vorteilhaftigkeit unternehmensinterner Märkte Inzwischen sind jedoch sowohl in der Unternehmenspraxis als auch in der Theorie erhebliche Zweifel an der generellen Angemessenheit unternehmensinterner Märkte aufgekommen. Zweifel in der Unternehmenspraxis sind daran festzumachen, dass marktliche Steuerungselemente in Unternehmen zugunsten einer wieder zunehmenden Zentralisierung verdrängt werden.4 So hat kürzlich der ABB-Konzern seine Organisation restrukturiert, weil die interne Marktstruktur des in 5000 selbständige Profit-Center zerstückelten und über den Globus verstreuten Konzerns als gescheitert gilt:5 Diese Armada aus schnellen wendigen Firmeneinheiten („Schnellboote“) sollte die unternehmerische Eigenverantwortung im Konzern fördern und schwerfälligen Tankern wie dem Siemens-Konzern auf den Weltmärkten Geschäfte abjagen. So jedenfalls hatte sich Barnevik das vorgestellt. Die Entfesselung der Kräfte stieß in der Praxis jedoch bald an Grenzen. Unzählige ABB-Firmen mit ähnlichen Produkten konkurrierten plötzlich untereinander auf das Heftigste. Beispiel China: Als sich Anfang der 90er Jahre das Land nach Westen öffnete, brachen ganze Heerscharen von ABBlern zum Verkaufskreuzzug ins Reich der Mitte auf. Dort prügelten sich dann ABB-Kollegen aus Deutschland, Schweden, England und den USA um denselben Auftrag. Mit verheerenden Auswirkungen auf die Preise ihrer Angebote. „Bei einzelnen Kunden haben ABBler mehr Kollegen als Konkurrenten getroffen“, klagt heute noch ein ABBAufseher. Noch wahnwitziger war lange Zeit die konzerninterne Konkurrenz im Bereich des Transformatorenbaus. Hier machten sich gleich 23 Produktionsstandorte gegenseitig das Leben schwer (Schmitt/Verres 2002: 54f.).
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Neben ABB gibt es weitere Beispiele aus der Unternehmenspraxis, vgl. z.B. beim dänischen Hörgerätehersteller Oticon die Restrukturierung des internen Marktprinzips zugunsten der so genannten Spaghettiorganisation, der re-zentralisierte Industriefokus bei Hewlett & Packard oder die beim Schweizerischen Versicherungskonzern Rentenanstalt/Swiss Life eingeführten Funktionalbereiche, mit denen die Autonomie der Länderdivisionen beschnitten wird. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Analyse von Gooderham/Ulset (2002).
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Was zeigt dieses Beispiel? Der Einsatz marktlicher Steuerungsmechanismen erhöhte bei ABB den internen Wettbewerb. Je höher der interne Wettbewerb war, desto geringer wurde die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Auf diese Weise wurde die Entwicklung und Nutzung gemeinsamer Kernkompetenzen zur Erwirtschaftung von Kooperationsrenten geradezu verhindert. Neu ist der Konzern nach verschiedenen Kundensegmenten strukturiert. Hinzu kommen weitere konzernübergreifende Bereiche. Die bisherigen Konzernsparten werden aufgehoben. Stattdessen greift eine starke Re-Zentralisierung. ABB realisiert eine „Global Key-Account“-Organisation, um für die Kunden einheitliche Ansprechpartner zu schaffen und den „Kampf“ der Ländergesellschaften untereinander zu unterbinden. Dadurch sollen die Zusammenarbeit und die Realisierung von Verbundeffekten, insbesondere die Entwicklung und Nutzung gemeinsamer Kernkompetenzen, gefördert werden. Zugleich werden die kapitalintensiven Kraftwerks- und Eisenbahnaktivitäten zugunsten wissensintensiver Softwareund IT-basierter-Geschäfte abgestoßen. Die strategische Ausrichtung des Konzerns ist nicht mehr auf die einzelnen Produkte der Geschäftseinheiten gerichtet. Stattdessen will sich ABB verstärkt als Anbieter komplexer, maßgeschneiderter Systemleistungen positionieren. In der Fähigkeit, über die einzelnen Stufen des Wertschöpfungsprozesses integrative Problemlösungen für Kunden entwickeln zu können, sieht ABB in Zukunft die Grundlage nachhaltig verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile. Auch in der theoretischen Diskussion bestehen Zweifel an der generellen Vorteilhaftigkeit interner Märkte. Zwar kann durch interne Märkte Planversagen im Unternehmen minimiert werden. Zugleich werden damit jedoch auch Probleme des Marktversagens in das Unternehmen importiert. Und interessanterweise werden von den Befürwortern des internen Marktprinzips zwar Planversagen und Strategien zu dessen Überwindung ausführlich behandelt. Probleme des Marktversagens innerhalb von Unternehmen vernachlässigen sie aber völlig. Auch innerhalb von Unternehmen kann Marktversagen auftreten und die Wirksamkeit der invisible hand als Steuerungsmaßnahme begrenzen. Hinter dem Argument des importierten Marktversagens stehen aber zwei ganz unterschiedliche Interpretationen. Sie werden geprägt durch die aktuelle Diskussion um zwei dominante Perspektiven in den Theorien der Firma: die Governance-Perspektive und die Kompetenz-Perspektive.
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4.
Theorien der Firma zur Standortbestimmung: Organisation zwischen Marktversagen und Hierarchieversagen Dominiert werden die neueren Theorien der Firma durch zwei Perspektiven: die Governance-Perspektive, zu der organisationsökonomische Ansätze zählen sowie die Kompetenz-Perspektive, die ressourcen- und wissensbasierte Ansätze beinhaltet (Williamson 1999, Foss/Mahnke 2000).6 Gemäß der klassischen Definition von Holmström/Tirole (1989: 65) muss eine Theorie der Firma folgende Fragen beantworten können: Warum existieren Firmen? Was bestimmt deren Größe und Ausdehnung? Die neueren Ansätze der Kompetenz-Perspektive erweitern diese Definition um die Frage „Why do firms differ and how does it matter?“ (Nelson 1991: 61). Aus ihren jeweiligen Antworten ergeben sich unterschiedliche Gründe für die Vorteilhaftigkeit der Institution Unternehmen gegenüber der Institution Markt. Hinter der Überlegung, vermehrt Märkte in Unternehmen hineinzuholen, steht die Übertragung marktlicher Prinzipien zur Gestaltung der hierarchischen Organisation. Deshalb kann aus den unterschiedlichen Antworten der Theorien eine Standortbestimmung der Organisation zwischen Marktversagen und Hierarchieversagen abgeleitet werden. 4.1 Marktversagen aus der Governance-Perspektive Aus der ökonomischen Governance-Perspektive begründet Marktversagen die Existenz von Unternehmen. Marktversagen besagt, dass zur Steuerung arbeitsteiliger Aktivitäten und Transaktionen nicht alle relevanten Informationen und das notwendige Wissen in Preisen bzw. Ergebnisgrößen abgebildet werden können. Miller (1992: 27ff.) differenziert drei Ursachen für Marktversagen und die Entstehung hoher Transaktionskosten: [...] the same factors that promote market failure can exacerbate transaction costs. Monopoly, team production externalities, and information asymmetries [… become, J.F.] an argument for hierarchy (Miller 1992: 37).
Informationsasymmetrien, Verhandlungsmacht und Teamproduktionsexternalitäten führen zu einer nicht so perfekten Steuerung von Transaktionsbeziehungen 6
Zur Governance-Perspektive zählen organisationsökonomische Ansätze wie die Transaktionskostentheorie (z.B. Coase 1937 und Williamson 1975, 1985, 1996), Vertragstheorien, Verfügungsrechtsanalyse sowie Theorien unvollständiger Verträge (z.B. Alchian/Demsetz 1972, Jensen/Meckling 1976, Cheung 1983, Fama/Jensen 1983, Holmström/Tirole 1989, Hart/Moore 1990, Hart 1995, Rajan/Zingales 1998). Zur Kompetenz-Perspektive zählen der ressourcenorientierte Ansatz „resource-based view of strategy“ (z.B. Wernerfelt 1984, Barney 1991, Conner 1991, Grant 1991, Gaitanides 1997) und der wissensbasierte Ansatz, der auch als „knowledgebased view of strategy“ charakterisiert wird (z.B. Nonaka/Takeuchi 1995, Kogut/Zander 1996,; Spender 1996, Grant 1996a und 1996b, Eisenhardt/Santos 2002).
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durch marktliche Mechanismen, wie es das Modell des Marktgleichgewichts erfordern würde,7 kurz zusammengefasst aus folgenden Gründen: 1.
Informationsasymmetrien bedeuten ungleiche Verteilung von Informationen zwischen den Akteuren. Die Akteure haben einen unterschiedlichen Kenntnisstand, weil sie über „private“ Informationen verfügen. Die anderen Akteure können nicht abschließend beurteilen, was diese genau wissen wollen. Damit eröffnen Informationsasymmetrien diskretionäre Handlungsspielräume, welche die Akteure aufgrund der Unbeobachtbarkeit oder der unzureichenden Beurteilungsmöglichkeit ihres Handelns zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen können. Sie haben einen Anreiz, diese Informationslücke opportunistisch auszunutzen, indem sie einen qualitativ weniger wertvollen Beitrag leisten oder sich gar nicht an der Leistungserstellung beteiligen, wenn ihnen ihr Beitrag nicht kontingent zugerechnet werden kann.
2.
Verhandlungsmacht entsteht, wenn der zur Steuerung herangezogene Preis nicht als Gleichgewichtspreis exogen zustande kommt, sondern durch einen Transaktionspartner beeinflusst werden kann. In diesem Fall ist der Preis kein „Datum“, an den sich die Anbieter und Nachfrager entsprechend anpassen.8 Diese Ursache wird auch als Problem der „ausgedünnten“ Märkte oder als „small number problem“ (Williamson 1975: 40) diskutiert. Es gibt keine beliebig große Anzahl an Käufern und Verkäufern, sondern die „Vertragspartner“ sind bereits fest determiniert. Besteht Bezugs- oder Abnahmezwang, so können die entsprechenden Vertragspartner ihre Verhandlungsmacht ausspielen und die Preise „diktieren“. Verhandlungsmacht gewinnt insbesondere dann an Tragweite, wenn sie ex post im Rahmen der Faktorspezifität ausgespielt werden kann.
3.
Externalitäten entstehen, wenn eine Transaktion Effekte hat auf die an der Transaktion nicht direkt Beteiligten. Sie sind durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Zum einen gehen sie nicht in das Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure ein und zum zweiten liegen sie außerhalb des Preismechanismus. Aus Externalitäten resultieren Kosten- oder Nutzeneffekte, die nicht adä-
7
8
Im Modell des Marktgleichgewichts führt die individuelle Rationalität auch zur kollektiven Rationalität. Dies funktioniert, weil drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens sind Informationen kostenlos und für jeden Akteur verfügbar. Zweitens bestehen funktionierende Wettbewerbsmärkte mit vollständiger Konkurrenz. Drittens werden ausschließlich private Güter und Leistungen erstellt, d.h. es gibt kein Externalitätenproblem. Der Preis eines Gutes ist höher als seine Grenzkosten. In diesem Fall spiegeln die Preisrelationen nicht mehr die Grenzkostenrelation wider. Dadurch wird eine der Effizienzbedingungen für eine Pareto-optimale Allokation verletzt.
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quat in Preisen widergespiegelt werden können. Insbesondere bei Teamproduktionsprozessen entstehen Externalitäten aus der Interaktion der verschiedenen Teammitglieder.9 Handlungsergebnisse eines Teammitglieds haben Handlungswirkungen auf die anderen Teammitglieder. Zuordnungs-, MessBewertungsprobleme führen zu Marktversagen und begründen eine Internalisierung dieser Effekte in unternehmensinterne Entscheidungsprozesse. Diese drei Ursachen führen dazu, dass sich Vertragssituationen nicht vollständig spezifizieren lassen. Es bestehen offene Spielräume. Argumentiert wird, diese können durch institutionelle Vorkehrungen, verstanden in Form von hierarchisch organisierten Produktionseinheiten und Transaktionsbeziehungen, besser als auf Märkten geschlossen werden. Aus dieser Sicht ist eine Hierarchie dem Marktprinzip überlegen, wenn transaktionsspezifische Investitionen zu komplementären Ressourcenpools mit unklaren Besitzrechten führen (Milgrom/Roberts 1992: 312). Ohne eine einheitliche Disposition (visible hand) durch die Hierarchie würden solche komplementären Ressourcen unter rationalen Egoisten zu einem Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität führen (Vanberg 1982). Dieser „anreizbezogene“ Konflikt findet im GefangenenDilemma seinen prägnanten Ausdruck. Die Folge wären eine Unterversorgung (bzw. Übernutzung) mit diesen komplementären Assets, weil eigennutzorientierte und opportunistische Organisationsmitglieder bzw. organisatorische Teileinheiten ohne entsprechende Überwachung oder Anreize nicht bereit wären, sich in den Leistungserstellungsprozessen und Transaktionsbeziehungen zu engagieren. 4.2 Marktversagen aus der Kompetenz-Perspektive Eine ganz andere Begründung für die Ursachen des Marktversagens liefert die Kompetenz-Perspektive. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, einen opportunismusunabhängigen Erklärungsansatz für die Existenz von Unternehmen zu bieten (z.B. Conner/Prahalad 1996, Madhok 1996). Unternehmen existieren, weil sie im Unterschied zu Märkten gemeinsame Regeln, Routinen und Fähigkeiten herausgebildet haben. Argumentiert wird, dass erst diese nicht-marktlichen Mechanismen die Wirksamkeit organisatorischer Steuerung zur Produktion von neuem Wissen und die absorptive Kapazität verbessern. Es folgt ein Umkehrschluss 9
Resultieren Nutzeneffekte, so wird von positiven externen Effekten gesprochen. Sie bedeuten, Nicht-Verfügungsberechtigte partizipieren ohne Zustimmung des Verfügungsberechtigten an den Früchten seines Guts bzw. Handlungsergebnisses. Resultieren Kosteneffekte, so wird von negativen externen Effekten gesprochen. Sie bedeuten, dass Nicht-Verfügungsberechtigte das Nutzungsrecht der Verfügungsberechtigten ohne deren Zustimmung beeinträchtigen.
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gegenüber den Ansätzen der Governance-Perspektive: Die Existenz von Unternehmen wird nicht über Marktversagen erklärt, sondern Märkte beginnen dort, wo Unternehmen „versagen“. Besonders deutlich wird dies in Simons Metapher der Organisationsgesellschaft (Simon 1991): Heutzutage könnten wir nicht mehr selbstredend von einer Marktgesellschaft ausgehen. Die Mehrheit der Menschen bieten nicht als selbständige Marktteilnehmer ihre produzierten Güter in Austauschprozessen an. Stattdessen leben wir in einer Organisationsgesellschaft. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die meisten Menschen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse im Rahmen ihrer Beschäftigung innerhalb von Unternehmen einbringen, sie dort „poolen“ und gemeinsam verwenden. Die geschickte Kombination verschiedener organisatorischer Instrumente und Prinzipien ermöglicht die Integration ihrer spezialisierten Wissensbestände zur Organisation von Leistungserstellungsprozessen. Die klassische Frage der Theorie der Firma „warum existieren Firmen?“ (Holmström/Tirole 1989: 65) wird in der Kompetenz-Perspektive um die Frage erweitert: „Why do firms differ, and how does it matter?“ (Nelson 1991). Warum sind bei ähnlichen Branchenbedingungen die Fähigkeiten einiger Unternehmen nachhaltig besser als die der Konkurrenten? Die Antwort lautet: Unternehmen müssen nachhaltig verteidigungsfähige Wettbewerbsvorteile aufbauen, die ihnen eine Differenzierung gegenüber ihren Konkurrenten erlauben. Die wichtigsten Quellen solch nachhaltiger Wettbewerbsvorteile bestehen aus organisatorischem Wissen und intangiblen Ressourcenbündeln, die nicht von jedem Konkurrenten dupliziert werden können. Unternehmen sind Märkten überlegen, weil sie aufgrund der Heterogenität von Wissen wirksamere Bedingungen zur Generierung, Transferierung und Speicherung von handlungsrelevantem Wissen schaffen können (Grant 1996a, 1996b). Wettbewerbliche und preisliche Mechanismen können weder strategisch relevantes implizites Wissen eines Unternehmens abbilden, noch sind sie zur Initiierung und Etablierung organisationaler Lernprozesse geeignet (z.B. Fransmann 1994, Nonaka/Toyama/Nagata 2000). Der Transfer impliziten Wissens kann nicht durch Austauschbeziehungen nach dem „arm-length“-Prinzip erfolgen (Richardson 1972, Loasby 1994). Er erfordert kontinuierliche, über einen längeren Zeitraum andauernde soziale Interaktionsbeziehungen (Lazonick 1991, Lundvall 1993) und keine einperiodigen Markt-Preisbeziehungen wie sie bei Hayek (1945) diskutiert werden. Gemäss Hayek lässt sich Wissen am effizientesten über das Preissystem verteilen. Jedoch ist dieses verstreute Wissen der verschiedenen Akteure bereits in marktfähige Produkte und Dienstleistungen inkorporiert oder lässt sich in vollständigen Vertragsbeziehungen festschreiben. Damit ist das zu transferierende Wissen
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vollständig in Preisen oder vertraglichen Regelungen kodierbar. Die Folge sind ein Transferverlust und eine mangelnde Wertausschöpfung bei der Übertragung von implizitem Kontextwissen. Genau dieses Wissen ist aber als wesentlicher Bestandteil organisatorischer Kernkompetenzen Quelle eines nachhaltig verteidigungsfähigen Wettbewerbsvorteils. 4.3
Intensive Interdependenzen als Ursache des Markt- und des Hierarchieversagens: das Problem des Trittbrettfahrens Soll innerhalb des Unternehmens eine Steuerung der arbeitsteiligen Aktivitäten nach den gleichen Prinzipien wie auf Märkten erfolgen, so können innerhalb von Unternehmen nicht nur Probleme des Planversagens, sondern ebenso gut auch Probleme des Marktversagens im gleichen Maße wie auch auf Märkten auftreten: „And even inside the corporation, a market failure is a market failure“ (Miller 1992: 172). Vor diesem Hintergrund lässt sich das Gestaltungsprinzip interner Märkte gewissermaßen als „paradoxes Phänomen“ (Frese 2000b: 27) betrachten: Einerseits entstehen Unternehmen, wenn die Verwendung des Preissystems zu Marktversagen führt und deshalb Transaktionen ins Unternehmen internalisiert werden. Marktversagen begründet demzufolge die Existenz planbasierter, hierarchischer Weisungs- und Überwachungsmechanismen. Andererseits resultieren daraus jedoch auch Bürokratie- und Organisationskosten (Williamson 1985, Windsperger 1996), die sogar zu Hierarchieversagen und damit zur Ineffizienz der hierarchischen Institution führen können. Für Hierarchieversagen gibt es ebenfalls drei Gründe: Erstens entsteht Hierarchieversagen, wenn hierarchische Mechanismen wie Weisungen oder engmaschige Regeln und Verhaltenskontrollen wegen des mangelnden Wettbewerbsdrucks zu X-Ineffizienzen führen (z.B. Imai/Itami 1984).10 Plan- und Weisungsmechanismen beinhalten die Gefahr, dass Unternehmen in einen Zustand organisationaler Trägheit abgleiten und veränderte Marktbedingungen nicht wahrgenommen werden, weil das lokale Wissen der Akteure in der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt wird (z.B. Day/Wendler 1998, Zenger 2002). Zweitens besteht die Gefahr, dass die Organisationsmitglieder keinen Anreiz haben, über die reine Befolgung von Weisungen hinaus, einen zusätzlichen Effort zu leisten (z.B. Halal 1994). Drit10 Imai/Itami lehnen sich hierbei an die „X-Efficiency“-Theorie von Leibenstein (1968) an. Darin diskutiert er die Beziehung zwischen äußerem Wettbewerbsdruck und interner Effizienz des Unternehmens. Mangelnder Wettbewerb führt dazu, dass im Unternehmen Ineffizienzen aufgrund geringerer Arbeitsanstrengungen und Kontrollaktivitäten auftreten. In Situationen mit starkem Wettbewerbsdruck werden diese „X-Ineffizienzen“ abgebaut, weil intensive Bemühungen der Organisationsmitglieder notwendig sind, damit das Unternehmen nicht untergeht.
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tens ist hierarchische Steuerung mit hohen Koordinationskosten verbunden, um Informationsasymmetrien zwischen den Akteuren abzubauen (z.B. Ackoff 1994, Mills/Ungson 2001). Organisatorische Gestaltung muss folglich diese Probleme des Hierarchieversagens lösen, ohne sich jedoch durch die Hintertür Probleme des Marktversagens wieder einzuhandeln. Das ist nicht unproblematisch, weil genau das, was Marktversagen ausmacht, auch Hierarchieversagen ausmacht: The very factors that give rise to market failure also cause hierarchical failure. Information asymmetry and team production externalities create possibilities for undetected shirking in firms and make it generally impossible for managers to create incentives that completely realign individual self-interest and organizational efficiency (Miller 1992: 136).
Sowohl das interne Marktprinzip in Form des Preissystems, kontingenter Entlohnungsschemata oder der Übertragung von Verfügungsrechten als auch hierarchische Weisungs- und Kontrollmechanismen sind nicht effizient, wenn zu große Informationsasymmetrien bestehen. Sie können nicht verhindern, dass ein beträchtliches unternehmensspezifisches öffentliches Gutproblem aufgrund von intensiven Interdependenzen bestehen bleibt. An dieser Stelle lässt sich zusammenfassen: Hinter der KompetenzPerspektive steht eine Kontextwissen-bezogene Grenze und hinter der Governance-Perspektive steht eine anreizbezogene Grenze des Marktprinzips in Unternehmen. So unterschiedlich die Interpretationen der beiden Perspektiven für die Ursachen des Marktversagens sind, zeigen sie doch eine Gemeinsamkeit: Es sind intensive Interdependenzen zwischen unterschiedlich gut messbaren oder spezifizierbaren Aktivitäten, die zum Marktversagen auch innerhalb von Unternehmen führen. Bei intensiven Interdependenzen besteht eine hohe Informations- und Wissenskomplexität. Sie führt zur Arbeitsteilung in den Entscheidungsprozessen. Jeder spezialisiert sich auf das, was er oder sie gut kann. Die Folge ist, dass kein einzelnes Organisationsmitglied bzw. keine Teileinheit vollständige Kenntnisse zur Lösung des gesamten Entscheidungsprozesses hat. Zudem ist es nahezu unmöglich, auszurechnen, welchen Beitrag ein einzelnes Organisationsmitglied am Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses hat. Es bestehen also Handlungsspielräume für die Organisationsmitglieder. Und damit verbirgt sich hinter solchen intensiven Interdependenzen eine spezielle Organisationsproblematik: Sobald einige der Organisationsmitglieder denken, es lohne sich nicht, in diese Interdependenzen zu investieren und ihr Engagement in der Zusammenarbeit reduzieren, besteht ein beträchtliches Trittbrettfahrer-Problem. Als Trittbrettfahrer werden in der Ökonomie sowie in den Politik- und Sozialwissenschaften Akteure bezeichnet, die einen größeren Anteil von einem Gut oder einer Ressource konsumieren, als es dem Anteil entspricht, für den sie ge-
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zahlt haben. Ein Beispiel für Trittbrettfahrer sind Arbeitnehmer, die selber nicht gewerkschaftlich organisiert sind, aber dennoch von den Tarifverträgen profitieren, die die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer errungen haben. Durch die Möglichkeit des Trittbrettfahrens kommt es zu einem Auseinanderklaffen von kollektiver und individueller Rationalität: Für den Einzelnen ist es sinnvoll, so viel wie möglich von einem Gut zu konsumieren, für das er nicht gezahlt hat oder anteilig mehr von einem Gut zu nutzten, als ihm zustehen würde. Durch die Aggregation dieser individuell rationalen Handlungen kommt es aber auf kollektiver Ebene zu einem nicht-rationalen Gesamtergebnis: Güter werden gar nicht oder nur in unzureichender Menge bereitgestellt und so entsteht ein Ergebnis, das – wohlfahrtsökonomisch betrachtet – nicht der Gesamtheit nutzt. Dies gilt, wenn die Versorgung mit den entsprechenden Gütern über einen Markt geregelt ist, da Märkte auf dem Prinzip beruhen, dass jeder für die von ihm verursachten Kosten aufkommt und jeder Akteur für die von ihm erzeugten Vorteile belohnt wird (Fritsch/Wein/Ewers 2003). Produzenten erhalten für die von ihnen bereitgestellten Güter einen entsprechenden Preis, und Konsumenten müssen genau den Anteil bezahlen, den sie konsumieren. Hierfür ist es notwendig, dass jeder Marktteilnehmer für die von ihm konsumierten Leistungen und Güter entsprechend bezahlen muss. Ansonsten liegt Marktversagen und damit ein Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität vor (Arrow 1969; Coase 1960; Pigou 1920). 4.4
Öffentliche Güter: Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität
Die Erzeugung öffentlicher Güter hat immer mit dem Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität aufgrund von Trittbrettfahrerverhalten zu kämpfen, weil diese Güter oder Leistungen zwei Eigenschaften aufweisen (z.B. Frey/Kirchgässner 1994, Musgrave 1969): 1.
Öffentliche Güter sind durch die Eigenschaft der Nicht-Ausschließbarkeit gekennzeichnet. Es ist nicht möglich, Akteure vom Konsum des Gutes oder der Nutzung einer Leistung auszuschließen. Ist ein öffentliches Gut einmal bereit gestellt oder erzeugt worden, so kann es jeder nutzen, auch diejenigen, die nicht zu seiner Bereitstellung beigetragen haben. So weist das Licht eines Leuchtturms auch denjenigen den Weg, die sich nicht am Bau beteiligt haben. Steigen viele Leute auf öffentliche Verkehrsmittel um oder benutzen das Fahrrad, so profitieren von der geringeren Luftverschmutzung auch diejenigen, die selbst für die kürzeste Strecke zum Bäcker das Auto nehmen.
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2.
Öffentliche Güter sind durch die Eigenschaft der Nicht-Rivalität im Konsum gekennzeichnet, d.h. das Gut wird durch Gebrauch nicht abgenutzt. Eine Einheit des Gutes kann von einem Individuum konsumiert werden, ohne dass die Konsummöglichkeiten dieser Einheit für andere Nutzer in irgendeiner Weise verringert werden (Cornes/Sandler 1996).11 Andere Nutzer der Leistung werden nicht in ihrem Nutzenniveau eingeschränkt: Sie können ebenso gut von der verbesserten Luftqualität profitieren wie diejenigen, die sich für deren Erzeugung stark gemacht haben. Anders ist es beim privaten Gut „Eiscreme“. Wird diese von einer Person verzehrt, so kann die Eiscreme nicht mehr von einer Person konsumiert werden. Hier ist die Rivalität im Konsum offensichtlich.
Das Vorliegen bzw. das Fehlen von Rivalität im Konsum und Ausschließbarkeit führt gemäß Samuelson (1954) zur Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Gütern: Therefore, I explicitly assume two categories of goods: ordinary private consumption goods […] which can be parcelled out among different individuals […] and collective consumption goods […] which all enjoy in common in the sense that each individual’s consumption of such a good leads to no subtraction from any other individual’s consumption of that good (Samuelson 1954: 387, Hervorh. im Original).
Neben den Endpunkten des Kontinuums „privates Gut“ und „reines öffentliches Gut“ lassen sich weitere Formen öffentlicher Güter differenzieren, die jeweils eine der beiden charakterisierenden Eigenschaften aufweisen. Aus den Eigenschaften kombinieren wir die Gütermatrix in Abbildung 1, die das Spektrum an Kollektiv- bzw. öffentlichen Gütern in den Quadranten 2, 3 und 4 im Unterschied zu privaten Gütern im Quadranten 1 abbildet.
Grad der Ausschließbarkeit
hoch Grad der Rivalität im Konsum niedrig
hoch
niedrig
-1private Güter
-2Poolgüter
-3Clubgüter
-4reine öffentliche Güter
Abbildung 1: Gütermatrix nach Grad der Ausschließbarkeit und Grad der Rivalität im Konsum 11 Cornes/Sandler benutzen die Begriffe nonrivalry of consumption und indivisibility of benefits synonym.
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Quadrant 1: Private Güter Private Güter sind durch einen hohen Grad an Rivalität im Konsum und gleichzeitigem Vorliegen eines hohen Grads an Ausschließbarkeit gekennzeichnet. Ein Gut, das von einer Person konsumiert wird, steht anderen potentiellen Konsumenten daher nicht mehr zur Verfügung. Dies, weil es entweder durch den Konsum verbraucht wurde, wie im obigen Beispiel der Eiscreme. Oder das Gut ist dauerhaft in Benutzung, wie privater Wohnraum, und andere potentielle Nutzer können ausgeschlossen werden. Quadrant 2: Poolgüter Poolgüter teilen mit öffentlichen Gütern die Eigenschaft der NichtAuschließbarkeit. Die beiden unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die Eigenschaft der Rivalität: A public good is something to which everyone has access but, unlike a common-pool resource, one person’s use of the resource does not necessarily diminish the potential for the use by another (Dietz/Dolsak/Ostrom/ Stern 2002: 4f.)
Poolressourcen werden im Englischen als „common-pool resources“ bezeichnet (Hardin 1968, Ostrom 1990). Der Begriff „Commons“ bezeichnet immer eine Art von gemeinschaftlichen Besitz bzw. Zugang zu den Ressourcen. Im Folgenden wird – wenn von einem Poolgut gesprochen wird – folgende Definition zugrunde gelegt: […] a common-pool resource is a valued natural or human-made resource or facility that is available to more than one person and subject to degradation as a result of overuse. Common-pool resources are ones for which exclusion from the resource is costly and one person’s use subtracts from what is available to others (Dietz et al. 2002: 18, Hervorh. im Original).
In dieser Definition finden sich die Eigenschaften der Rivalität und der NichtAusschließbarkeit, die bereits in Abbildung 1 den Poolgütern zugesprochen wurden, wieder: „exclusion from the resource is costly“ (= NichtAusschließbarkeit) sowie „one person’s use subtracts from what is available to others“ (= Rivalität). Typische Beispiele für diese Güterart sind Hochseefischgründe oder Weideflächen. Für jeden Fischer ist es individuell rational, möglichst viele Fische zu fangen, um seine Familie zu ernähren. Die Folge aber ist, dass dadurch der weltweite Fischbestand dezimiert wird, mit dem Ergebnis, dass für keinen der Fischer genügend Fische übrig bleiben. Mit Fangquoten wird versucht, dieser Situation Herr zu werden. Allerdings ist es schwierig, jedes Fischerboot genau zu kontrollieren. Damit besteht die Gefahr der Überfischung der Gewässer. Hardin (1968) hat dieses Problem als Tragik der Allmende be-
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schrieben, wobei Hardin die Probleme, die bei der gemeinschaftlicher Nutzung von Weidegründen, auftreten können, betrachtet. Quadrant 3: Clubgüter Buchanan (1965) erweiterte die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Gütern um Clubgüter.12 Clubgüter sind zum einen durch niedrige Rivalität, zum anderen durch eine hohe Ausschließbarkeit gekennzeichnet. Letztere ist auf die Möglichkeit des Clubs zurückzuführen, Nichtmitglieder von der Nutzung der Ressourcen des Clubs auszuschließen. Ein Club ist dabei: […] a voluntary group deriving mutual benefit from sharing one or more of the following: production costs, the members’ characteristcs, or a good characterized by excludable benefits (Sandler/Tschirhart 1980: 1482).
Die Ausschließbarkeit von Clubgütern liegt in der Tatsache begründet, dass der Club die Verfügungsrechte über seine Ressourcen bzw. Güter besitzt. Er kann zu niedrigen Kosten potentielle Nutzer von seinen Ressourcen abhalten, beispielsweise durch das Einzäunen der Clubanlage. Dadurch hat er die Möglichkeit, exklusive Rechte zur Nutzung seiner Ressourcen zu vergeben. Dies sei am Beispiel eines Tennisclubs verdeutlicht: In der Regel ist die Nutzung der Clubanlage an die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen gekoppelt. Nicht-Mitgliedern ist die Nutzung untersagt. Das Beispiel der Sportclubs verdeutlicht aber zugleich, dass die Eigenschaft der Nicht-Rivalität letztlich nur eingeschränkt gilt, denn mit jedem neuen Vereinsmitglied sinken die Nutzungsmöglichkeiten der Vereinsanlagen für die bisherigen Mitglieder. Je mehr Mitglieder ein Tennisverein hat, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitglied länger auf einen freien Platz warten muss oder gegebenenfalls sogar seltener spielen kann.13 Clubgüter sind somit zumindest beschränkt rival: Dabei wird der Nutzen einer Person an einem Gut durch die Mitnutzung dieses Gutes durch eine andere Person zwar nicht bis auf Null absinken, aber er wird durch die gemeinsame Nutzung doch zumindest geschmälert (...) Daher spricht man von einem Clubgut, wenn eine beschränkte Rivalität im Konsum besteht und das Ausschlussprinzip anwendbar ist (Apolte 1995: 610).
12 Unabhängig von Buchanan findet sich bei Olson (1998) diese Idee, die er in Form der inklusiven und exklusiven Güter formulierte. 13 Aus diesem Grund wird manchmal innerhalb von Clubs neben der generellen Erhebung von Beitragssätzen ein Entgelt in Abhängigkeit der Höhe der genutzten Ressourcen erhoben. Im Beispiel des Tennisvereins wäre dies die Bezahlung jeder gespielten Stunde auf einem Platz zusätzlich zum jährlichen Mitgliedsbeitrag.
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Neben der Ausschließbarkeit und der beschränkten Rivalität nennen Cornes/ Sandler zwei weitere charakteristische Merkmale von Clubgütern (1996: 159f.): Das erste Merkmal ist die Freiwilligkeit des Konsums. Personen werden freiwillig Mitglied in einem Club, da sie sich Vorteile erhoffen. Der Nutzen der Mitgliedschaft sowie des Konsum der Güter übersteigen den Nutzen der NichtMitgliedschaft. Clubmitglieder treffen bewusst die Entscheidung, dem Club beizutreten und auch die Güter zu konsumieren. Hierin liegt ein bedeutsamer Unterschied zu reinen öffentlichen Gütern: Hier kann es vorkommen, dass Personen das Gut konsumieren müssen, obwohl sie es gar nicht wollen. Z.B. kann ein überzeugter Energiesparer „gezwungen sein“ auf einer hell beleuchteten Straße nach Hause zu fahren, auch wenn er selbst dies als absolut unnötig ansieht. Das zweite Merkmal besteht im Teilen der Ressourcen. Clubs basieren auf dem Prinzip des Teilens, was häufig zu einer partiellen Rivalität führt: Durch die Nutzung des Clubguts durch einen Nutzer, sinkt der Nutzen sowie die Qualität des Gutes für die übrigen Nutzer. Bei einer zu großen Zahl an Nutzern kann es sogar zur Überfüllung (crowding oder congestion der Ressource) kommen. Durch die Steigerung der Zahl der Clubmitglieder entstehen Kosten, aber auch Vorteile: Steigt die Mitgliederanzahl können die Fixkosten zur Bereitstellung des Clubguts gesenkt werden, da diese auf eine größere Anzahl von Personen umgelegt werden. Kosten entstehen durch die mögliche „Überfüllung“ der Clubressourcen: längere Wartezeiten, stärkere Abnutzung der Clubanlage etc. Die Gruppengröße zur optimalen Nutzung einer Poolressource ist somit beschränkt. Da öffentliche Güter Crowding-Kosten von null besitzen, ist ihre optimale Nutzermenge hingegen (theoretisch) unendlich groß. Quadrant 4: Reine öffentliche Güter Reine öffentliche Güter sind zum einen nicht rivalisierend im Konsum. Zum anderen kann kein Akteur von deren Nutzung ausgeschlossen werden bzw. nur zu extrem prohibitiv hohen Kosten. Auch Akteure, die nicht zur Erzeugung oder Pflege dieser Güter beigetragen haben, profitieren davon. Aus der Perspektive der individuellen Rationalität ist für die einzelne Akteurin die Bereitstellung von öffentlichen Gütern uninteressant, da sie Gefahr läuft, zwar die Kosten der Bereitstellung eines Gutes zu tragen, aber alle anderen einen Nutzen davon haben, ohne sie dafür zu entschädigen. Die beiden Eigenschaften öffentlicher Güter führen dazu, dass deren Bereitstellung durch private Akteure nicht rational ist. Weil keine Zurechenbarkeit der erbrachten Leistungsbeiträge für den einzelnen Akteur möglich ist, funktioniert das Marktprinzip nicht. Gibt es keine effiziente Ausschlusstechnik, so ist auch eine Nutzung ohne vorherige Zahlung möglich.
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Welche Anreize sollte deshalb eine Nutzerin haben, dem Bereitsteller des Gutes ihre Zahlungsbereitschaft zu offenbaren und das Gut gegen die Zahlung eines Entgelts in Anspruch zu nehmen (Erlei/Leschke/Sauerland 1999: 309)? Berechtigterweise kann sie hoffen, andere finanzieren die zu bereitstellende Leistung für sie mit. Diese Trittbrettfahrerposition ist für alle einzelnen Akteure betrachtet vorteilhaft, d.h. individuell rational. Keiner offenbart seine Zahlungsbereitschaft und es kommt kein Angebot am Markt zustande. Es entsteht Marktversagen. Zwischenergebnis Öffentliche Güter bzw. Club- oder Poolgüter können nicht über Marktmechanismen bereitgestellt werden. Dennoch müssen öffentliche Güter produziert werden, da diese für wirtschaftliche Systeme unverzichtbar sind. Auf gesellschaftlicher Ebene sind dies Güter wie nationale Verteidigung, saubere Luft oder auch Infrastruktur. Hierbei handelt es sich um Güter, die eine hohe Wichtigkeit für den (Fort-)Bestand der Gesellschaft haben. Zwar gibt es auch auf staatlicher Ebene teilweise Versuche diese öffentlichen Güter zu privatisieren, z.B. privatbetriebene gebührenpflichtige Autobahnabschnitte. Die für den Staat und die Gesellschaft wichtigen öffentlichen Güter werden aber durch den Staat bereitgestellt oder deren Erzeugung koordiniert. Er greift durch die Etablierung anderer nicht marktlicher Regelungsprinzipien in Situationen ein, in denen der Marktmechanismus versagt. In einem Markt sind die relevanten Größen Angebot und Nachfrage, die durch die Präferenzen der Wirtschaftssubjekte sowie deren Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit festgelegt werden. Diese beiden bestimmen, welche Güter hergestellt und wie diese verteilt werden. Die Koordination des Marktes erfolgt über den Preis. Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Marktmechanismus ist, dass die Produzenten von Gütern für die Herstellung ausreichend belohnt werden. Dies setzt voraus, dass der Konsum von Gütern auch klar zurechenbar ist. Fehlen diese Bedingungen aufgrund der Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität im Konsum, liegt ein Marktversagen vor. So wie jedoch im Staatswesen das Marktprinzip nicht immer effizient ist und bei der Produktion von öffentlichen Gütern gar Marktversagen auftritt, so gilt Gleiches auch für Unternehmen, wenn sie sich zunehmend dem Leitbild „mehr Markt in das Unternehmen“ verschreiben und die Erstellung ihrer Leistungen durch interne marktliche Mechanismen, z.B. in Form von Verrechnungspreisen, regeln wollen. Der Grund dafür ist, dass auch innerhalb von Unternehmen firmenspezifische öffentliche Güter erzeugt werden. Diese bezeichnen wir als Corporate Commons. Ihre Bedeutung und Eigenschaften sind Gegenstand des nächsten Abschnitts.
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5. Öffentliche Güter in Unternehmen: Corporate Commons Auch innerhalb von Unternehmen gibt es internes Marktversagen (Vining 2003). Wie auf staatlicher Ebene stößt die Verwendung von Markprinzipien als organisatorischem Steuerungsmechanismus bei der Erzeugung von firmenspezifischen öffentlichen Gütern an ihre Grenzen,14 die wir im Abschnitt vier als anreizbezogene und als kontextwissen-bezogene Grenze aufgrund intensiver Interdependenzen eingeführt haben. Solche firmenspezifischen öffentlichen Güter bezeichnen wir als Corporate Commons (Frost/Morner 2005). Dabei handelt es sich um unternehmensinterne Leistungen, Ressourcen oder Güter, welche die zwei Eigenschaften oder zumindest eine der beiden Eigenschaften öffentlicher Güter aufweisen: Nicht-Auschließbarkeit und Nicht-Rivalität im Konsum. In diesem Kapitel begründen wir zunächst, warum es für ein Unternehmen so wichtig ist, Corporate Commons in Form firmenspezifischer öffentlicher Güter zu produzieren. Anschließend werden wir das Spektrum an Corporate Commons im Unternehmen entwickeln. 5.1
Corporate Commons als Grundlage für die Erzielung verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile Heutzutage gelten die Reputation eines Unternehmens, sein Bündel an Kernkompetenzen, die organisatorische Wissensbasis, die Verfolgung einer gemeinsamen Dachmarken- oder Innovationsstrategie sowie die Unternehmenskultur als wichtigste firmenspezifische öffentliche Güter bzw. Ressourcen. In der Strategieforschung besteht Einigkeit (z.B. Grant 1996a und 1996b, Kogut/Zander 1992, Teece/Pisano/Shuen 1997), dass diese Ressourcen den Grundstock für einen nachhaltig verteidigungsfähigen Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens bilden. Dafür gibt es zwei Gründe: erstens deren schwere Imitierbarkeit durch die Konkurrenz und zweitens ihr Potential zur Ausnutzung von Synergievorteilen in Form von so genannten Kooperationsrenten. Schwere Imitierbarkeit Das Kriterium der schweren Imitierbarkeit bedeutet, dass die Ressourcen eines Unternehmens nicht ohne weiteres durch ein anderes Unternehmen kopierbar sind. Nicht oder nur sehr schwer imitierbar sind insbesondere solche Ressour14 Dies gilt nur eingeschränkt für Clubgüter: Buchanan (1965) argumentiert, dass Güter, deren Benefits gleichzeitig von mehreren Personen bezogen werden, privat durch einen Club bereitgestellt werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass der Ausschluss von Nicht-Mitgliedern zu erträglichen Kosten durchgesetzt werden kann.
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cen, die zum einen auf der absorptiven Kapazität eines Unternehmens aufbauen und die zum anderen durch soziale Komplexität gekennzeichnet sind. Absorptive Kapazität bezeichnet die Kapazität eines Unternehmens, den Wert externer Informationen erkennen und assimilieren sowie im Unternehmen diffundieren zu können (Cohen/Levinthal 1990, Zahra/George 2002). Bei ihrer Konzeption des Konstrukts absorptiver Kapazität lehnen sich Cohen/Levinthal an Erkenntnisse der Forschung zu Problemlösungsprozessen an (z.B. Ellis 1965, Estes 1970, Pirolli/Anderson 1985). Dort wird beispielsweise gezeigt, dass es Studierenden, die bereits gute Kenntnisse in Algebra haben, viel einfacher fällt, auch andere mathematische Formeln zu verstehen und anzuwenden. Übertragen auf einen Unternehmenskontext bedeutet dies: Die Generierung neuer Corporate Commons, die Akkumulation organisatorischen Wissens ist vom „Vorwissen“ und der Pfadabhängigkeit des Unternehmens abhängig. Das im Unternehmen bereits vorhandene Wissen ermöglicht es, den Wert neuer Informationen aus dem Umfeld abzuschätzen und die Aufnahmefähigkeit für neues Wissen zu erhöhen. Ein Unternehmen verfügt dann über eine hohe absorptive Kapazität, wenn es ihm gelingt, die vorhandenen Fähigkeiten und Erfahrungen systematisch mit neuen Erkenntnissen zu verknüpfen. Die soziale Komplexität der Ressourcenausstattung eines Unternehmens beschreibt die Verflechtung der Ressourcen miteinander (Dierickx/Cool 1989). Erst aus der Verknüpfung verschiedener intangibler und tangibler Ressourcenbestandteile resultiert die Quelle nachhaltig verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile. Die einzelnen Bestandteile der Ressourcen lassen sich kaum isoliert voneinander analysieren, weil das zu deren Erstellung notwendige Wissen bzw. die entsprechenden Ressourcenbestandteile auf viele Organisationsmitglieder verteilt sind. Einzelne Ressourcenbestandteile sind so miteinander verzahnt, dass intensive, komplexe organisatorische Interdependenzen bestehen. Porter (1997) spricht von so genannten interlocked activities, welche die soziale Komplexität durch intensive Interdependenzen begründen. Erst aus dem organisationsweiten Zusammenspiel, der geschickten Steuerung der verschiedenen Wissens- und Ressourcenbausteine entstehen Corporate Commons. Diese Eigenschaften schützen vor Imitation durch die Konkurrenz. Sie sind der Grund dafür, weshalb strategisch nachhaltig wettbewerbsrelevante Ressourcenbündel besonders schwer zu „isolieren und emulgieren“ sind (Madhok 1996: 583), nämlich, weil sie in der idiosynkratischen Tiefenstruktur des Unternehmens eingebettet sind und erst dort ihren spezifischen Wert entfalten. Sie sind nach außen hin lediglich über ihre ökonomischen Wirkungen in Form von aus-
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geschöpften Synergievorteilen, nicht jedoch unmittelbar erkennbar und deshalb nicht in konkreten bilanziellen Kenngrößen erfassbar. Ausnutzung von Synergievorteilen Corporate Commons bilden die Basis für die Erzielung von Synergievorteilen in Form von Kooperationsrenten. Mit dem Begriff Kooperationsrenten bezeichnen wir den Überschuss aus der koordinierten Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationsmitgliedern oder mehreren Teileinheiten im Vergleich zur Summe ihrer Einzelbeiträge bei separater Nutzung. Erst dieser koordinierte Überschuss begründet, warum sich verschiedene Akteure, verschiedene Einheiten überhaupt, unter einem gemeinsamen Unternehmensdach zusammenfinden. Damit wird das, was ein Unternehmen im Unterschied zum Markt ausmacht, erst ersichtlich, wenn das gesamte Arrangement Unternehmen „mehr wert ist“ als die Summe der Teileinheiten oder Organisationsmitglieder. Die Charakteristiken eines Unternehmens erschließen sich erst durch das, was die Teileinheiten und die Akteure zusammenhält. Genau dieses Argument stellt auch Herbert Simon in den Mittelpunkt seiner Gegenüberstellung marktlicher und organisatorischer Gestaltungsanforderungen: „[…] of course, intense interdependence is precisely what makes it advantageous to organize people instead of depending wholly on market transactions“ (Simon 1991: 33). Mittels der Steuerung von Aktivitäten, „Beziehungen“ und Interdependenzen zwischen den organisatorischen Einheiten wird die Kooperationsrente geschaffen. Solche Steuerung erfolgt jedoch nicht unintendiert und spontan wie auf Märkten, sondern erfordert eine „umsichtige“ Aufmerksamkeit als das genuin „organisatorische“: Such coordination did not, and indeed could not, happen automatically. It demanded the constant attention of a managerial team or hierarchy. […] The actual economies of scale or scope, as determined by throughput, are organizational. Such economies depend on knowledge, skill experience, and teamwork (Chandler 1990: 24).
Genau dies sind die zentralen Ingredienzien von Corporate Commons. Alle Organisationsmitglieder, alle organisatorischen Teileinheiten profitieren von diesen Corporate Commons, unabhängig davon, ob sie zu deren Erzeugung beigetragen haben oder nicht. Ohne diese gäbe es keinen Grund, warum sich Unternehmen nicht in verschiedene Teilfirmen auflösen. Sie liefern die Begründung, warum bestimmte Aktivitäten überhaupt im Unternehmen hergestellt und nicht auf dem Markt gekauft oder durch Outsourcing bezogen werden. Sie machen das genuin „Firmenspezifische“ und „schwer Imitierbare“ eines Unternehmens im Unterschied zu seinen Konkurrenten aus. Deshalb sind sie strategisch relevante Ressourcen.
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5.2 Das Spektrum an Corporate Commons in Unternehmen Zur Entwicklung des Spektrums an Corporate Commons greifen wir auf die Gütermatrix15 aus Abschnitt vier zurück und wenden sie auf firmenspezifische öffentliche Güter an. In der Abbildung 2 gehören ebenfalls wieder die Quadranten 2, 3 und 4 zum Spektrum an Corporate Commons. Grad der Ausschließbarkeit hoch
Grad der Rivalität im Konsum
hoch
niedrig
1. Interne private Ressourcen
2. Interne Poolressourcen
Nutzt ein organisatorischer Teilbereich diese Ressource, kann sie nicht mehr von einem weiteren genutzt werden. Es ist möglich, den Teilbereich, der nicht bereit ist, für die Nutzung der Ressource zu zahlen, von der Nutzung auszuschließen.
Ressourcen mit offenen Nutzungsmöglichkeiten für alle organisatorischen Teilbereiche, aber je mehr Teilbereiche diese nutzen, desto weniger bleibt für andere Teilbereiche.
Unternehmensspezifische Beispiele: Fahrzeugflotte und kontrahierbare Zwischenprodukte wie Baukomponenten
Unternehmensinterne Beispiele: zentrale Geschäftskundenbetreuung, Shared Services wie gemeinsamer IT-Support
3. Interne Clubressourcen
4. Reine interne öffentliche Ressourcen
Expertenwissen oder strategische Informationen einzelner Teilbereiche (= Clubs) mit niedriger Rivalität im Konsum, aber der Möglichkeit, andere Teilbereiche von der Nutzung dieser Wissensressourcen auszuschließen.
Ressourcen mit niedriger Rivalität im Konsum und keinen Ausschlussmöglichkeiten für einzelne Teilbereiche, d.h. alle Teilbereiche profitieren von diesen Ressourcen, unabhängig von ihren einzelnen Beiträge zu deren Erzeugung.
niedrig Unternehmensinterne Beispiele: Fachspezifisches Expertenwissen
Unternehmensinterne Beispiele: Dachmarkenstrategie und Stakeholderbeziehungen
Abbildung 2: Spektrum an Corporate Commons in Unternehmen
Quadrant 1: Interne private Ressourcen Reine interne private Ressourcen sind ausschließbar und rivalisierend im Konsum. Organisatorische Teilbereiche oder Organisationsmitglieder, die nicht bereit sind, für diese Ressourcen zu bezahlen, können von deren Nutzung ausge15 Vining (2003: 435) nimmt eine ähnliche Güterklassifizierung vor.
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schlossen werden. Typische Beispiele für interne private Ressourcen in Unternehmen sind standardisierbare Zwischenprodukte oder Baukomponenten, deren Preise durch Benchmarking auf dem Wettbewerbsmarkt eruiert werden können. Bei diesen Ressourcen ist der Verrechnungspreis ein effizienter Steuerungsmechanismus zur Koordination der divisionalen Leistungsbeiträge. Leistung und Gegenleistung sind eindeutig vertraglich regelbar. Daher stellt die firmeneigene Fahrzeugflotte ein repräsentatives Beispiel für interne private Güter dar: Den einzelnen Divisionen wird je nach gewählten Fahrzeugtypen und den damit verbundenen Serviceaufwendungen die Nutzung der Fahrzeuge verrechnet. Quadrant 2: Interne Poolressourcen Interne Poolressourcen sind zum einen rivalisierend im Konsum, zum anderen können die Divisionen von deren Nutzung nur zu prohibitiv hohen Kosten ausgeschlossen werden. In Unternehmen finden sich zahlreiche Arten von Poolressourcen und -gütern, durch die gepoolte Interdependenzen entstehen (Thompson 1967), beispielsweise in Form von Shared Services wie gebündelte Marketingaktivitäten, IT-Support und gemeinsame Sekretariatsleistungen (Bergeron 2003). Die Shared Services können von allen Unternehmensbereichen genutzt werden. Da jedoch die Leistung zu einem Zeitpunkt immer nur einem Bereich zur Verfügung stehen kann, rivalisieren die verschiedenen Bereiche um die Shared Services: Ohne genaue Spielregeln zur Nutzung dieser Leistungen haben die einzelnen Divisionen einen Anreiz, möglichst viel davon zu konsumieren. Aber natürlich rivalisieren die Teilbereiche um die einzelnen Mitarbeiter des ITSupports bzw. deren Arbeitszeit, weil eine IT-Spezialistin zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur die spezifischen Probleme einer Division lösen kann. Durch die Kombination aus Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit besteht die Gefahr der Übernutzung („overuse“) von Poolressourcen: Für den einzelnen Bereich ist es lohnend, ungeschränkt möglichst viel von dieser Poolressource zu nutzen, ohne sich jedoch an den Kosten der Bereitstellung beteiligen zu müssen (Dawes 1980, Drahos 2004). Quadrant 3: Interne Clubressourcen Interne Clubressourcen sind durch Ausschließbarkeit und einen hohen Grad an Nicht-Rivaliltät im Konsum gekennzeichnet. Wenn Unternehmensmitglieder oder -bereiche sich als Club organisieren, ist es möglich, Nicht-Mitglieder von den Gütern und Ressourcen des Clubs abzuschotten, auch wenn die Nutzung der Ressourcen durch weitere Mitglieder im Interesse des Unternehmens wün-
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schenswert wäre (Ellig 2001). Dies trifft insbesondere auf Wissensgüter zu, da Wissen sich durch Weitergabe nicht verringert, sondern sogar anreichert. Es gilt deshalb im Unterschied zu tangiblen Gütern als Paradebeispiel für ein nicht rivalisierendes Gut. Beispiele für unternehmensinterne Clubressourcen sind deshalb vor allem spezielle Fähigkeiten und besonderes Wissen eines Teilbereichs sowie strategisch zurückgehaltenes Wissen mit dem Ziel des „empire building“ durch die Einheiten. Letzteres bedeutet, dass eine organisatorische Einheit – im vorliegenden Fall der Club – seine Position ausbauen möchte, indem er sein spezifisches Wissen durch das Zurückhalten von Informationen und Know-How sichert. Die Clubmitglieder schließen Nicht-Mitglieder systematisch aus, um ihren Wissensvorsprung zu halten und eventuell auch deshalb, da sie keinen Mehrwert in der Teilung ihres Wissens mit anderen sehen. Ökonomen bezeichnen diese Tatsache als „tragedy of the anticommons“ (Buchanan/Yoon 2000, Heller 1998).16 Die Tragödie der Anticommons entsteht, wenn zu viele Einheiten die Möglichkeit haben, andere von der Nutzung einer Ressource auszuschließen und die Ressource weniger genutzt werden kann als es wünschenswert wäre. Steuerungstechnisch entsteht die Gefahr des „Underuse“. Im Gegensatz zu internen Poolressourcen, bei denen die individuellen Gewinne durch einen hohen individuellen Konsum entstehen, resultieren bei Clubressourcen die Gewinne zum Teil durch den Anschluss von weiteren Nutzern. Wenn das Ausmaß und die Häufigkeit dieser Ausschlussmöglichkeiten steigen, werden Clubressourcen systematisch unternutzt. Durch das individuell rationale Handeln der einzelnen Einheiten wird ein kollektiv rationales Ergebnis für das Unternehmen verhindert. Synergiepotentiale bleiben ungenutzt, da Clubressourcen nicht außerhalb des Club reproduziert werden, worunter letztendlich die gesamte Unternehmung leidet. Ein weiterer Grund, andere Firmenmitglieder von clubspezifischem Wissen auszuschließen, besteht in den Kosten, die durch die Wissenteilung bzw. -weitergabe für den Club entstehen. Das Sammeln und Zusammentragen von Ideen, die Organisation der Wissensvermittlung und des Wissenstransfers ist zeitintensiv und ein möglicher Grund, warum sich Clubmitglieder gegen die Weitergabe von Wissen entscheiden können. Daher ist es auch nicht richtig zu argumentieren, dass bei der Wissensweitergabe fast keine marginalen Kosten entstehen wie es Ba, Stallaert und Whinston (2001) in ihrem Model annehmen. 16 In Anspielung auf den von Artikel „The Tragedy of the Commons“ von Garrett Hardin, der 1968 in der Zeitschrift Science erschien. Hardin zeigt, dass gemeinsam genutzte Ressourcen, wie Weideflächen, übernutzt werden, wenn zu viele Personen Nutzungsrechte besitzen und niemand das Recht hat, andere von der Nutzung auszuschließen.
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Quadrant 4: Reine firmenspezifische öffentliche Ressourcen Reine firmenspezifische öffentliche Ressourcen sind einerseits nicht rivalisierend im Konsum und zum anderen kann kein organisatorischer Teilbereich bzw. kein Organisationsmitglied von deren Nutzung ausgeschlossen werden. Innerhalb von Unternehmen kommen diese Ressourcen meist als eine Art Wissensressource vor, beispielsweise als über lange Jahre hinweg aufgebaute Stakeholderbeziehungen, als Firmenreputation oder als spezifische Kernkompetenzenbündel, die aus einer Kombination von Innovations- bzw. Technologiestrategien mit organisatorischem Wissen und absorptiver Kapazität bestehen (Cohen/Levinthal 1990, Zahra/George 2002). Absorptive Kapazität erhöht die Aufnahmefähigkeit für neues Wissen, weil das Unternehmen den Wert neuer Informationen und externer Signale schneller erkennen und zielgerichteter bewerten kann. Entscheidend ist, dass die organisatorische Wissensbasis eine höhere Kapazität als die Summe des Einzelwissens der verschiedenen Mitglieder oder Teilbereiche aufweist. Dadurch gelingt es unternehmensintern, durch gemeinsames Poolen der Wissensressourcen Ergebnisse zu erzielen, welche einzelne Organisationsmitglieder oder Teileinheiten alleine nicht erzeugen könnten. Als intangible, nicht-handelbare Ressourcen, die im Unternehmen aus der kooperativen Zusammenarbeit selber erzeugt werden müssen, sind sie schwer zu beobachten, zu kodifizieren und damit auch zu imitieren. Selbst wenn es gelingen sollte, einige der Ressourcen zu imitieren, ist dies mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Außerdem sind firmenspezifische öffentliche Ressourcen untereinander verbunden, und der Wert einer firmenspezifischen Wissensressource steigt durch das Vorhandensein weiterer, ergänzender firmenspezifischer Wissensressourcen an. Eine einzelne Wissenskomponente ist deutlich weniger wert, wenn sie nicht in das gesamte Wissensbündel eingebunden ist. Zudem bestehen zwischen den einzelnen Wissenskomponenten Komplementaritäten, die nur aus dem Zusammenspiel der einzelnen Komponenten ausgeschöpft werden können. Nicht-Ausschliessbarkeit bei gleichzeitiger Nicht-Rivalität im Konsum führt jedoch dazu, dass die Kosten der Generierung sowie der Verwertung den einzelnen Organisationsmitgliedern oder Teilbereichen nicht eindeutig zugerechnet werden können. Es kann weder beobachtet, noch verifiziert werden, welchen Anteil ein einzelnes Organisationsmitglied zum Aufbau beispielsweise der organisatorischen Wissensbasis leistet. Es bestehen Schwierigkeiten, von den geleisteten Inputs vollständig auf die Outputs schließen zu können. Daraus folgt, dass ebenfalls nicht eindeutig ausgerechnet werden kann, welchen prozentualen Anteil die organisatorische Wissensbasis an den im Unternehmen erzeugten Leistungen ausmacht. Damit besteht – wie in Abschnitt vier dargelegt – die Ge-
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fahr, dass individuelle und kollektive Interessen im Widerspruch stehen. Zwar wäre ein kooperatives Verhalten, d.h. alle Organisationsmitglieder engagieren sich beim Aufbau von Corporate Commons, im Interesse aller Organisationsmitglieder. Die Möglichkeiten zur Drückebergerei und zum Trittbrettfahren gefährden jedoch aus zwei Gründen die Kooperation. Erstens erhöhen firmenspezifische öffentliche Ressourcen auch die Produktivität von den organisatorischen Teileinheiten bzw. den Organisationsmitgliedern, die zu deren Erzeugung nichts beitragen. Für diese Einheiten entstehen so genannte Spill-over-Effekte in Form von positiven Externalitäten. Zweitens kann den organisatorischen Teileinheiten ihr Beitrag an der Erzeugung dieser Ressourcen oder ihr genauer Nutzenanteil nicht verursachergerecht zugerechnet werden. Es liegt eine plastische Produktionsfunktion vor (Darby/Karni 1973, Alchian/Woodward 1988). Liegt Plastizität vor, so kann von den geleisteten Inputs nicht direkt auf den Output geschlossen werden. Selbst umfangreiche hierarchische Kontroll- und Sanktionsmechanismen ermöglichen keine gesicherten Aussagen über die Leistungsbeiträge der einzelnen Organisationsmitglieder, weil ihnen ein diskretionärer Entscheidungs- und Handlungsspielraum bleibt. Steuerungstechnisch betrachtet, besteht deshalb die Gefahr des „Undersupply“: Kein Organisationsmitglied bzw. kein Teilbereich wird ein Gut bereitstellen, das alle anderen konsumieren können, ohne dass sie sich an den Bereitstellungskosten beteiligt haben. Kann die Unternehmensleitung nicht Mechanismen etablieren, die auf freiwilliger Basis funktionieren, gibt es langfristig eine firmeninterne Unterversorgung mit diesen Ressourcen. Ein Beispiel ist die gemeinsame Dachmarkenstrategie eines Unternehmens. Die Reputation der Dachmarke strahlt auch auf die Teilbereiche ab, die selber nur einen geringen Anteil oder auch gar keinen Beitrag zum Aufbau dieser Marke geleistet haben. Aufgrund dieser Nicht-Zurechenbarkeit können die zur Erzeugung dieser Ressourcen notwendigen Aktivitäten auch nicht in eindeutige Verträge mit spezifizierbaren Leistungen und Gegenleistungen (Preisen) gefasst werden. Sie können nicht über den Preismechanismus gesteuert werden. Außerdem kann nicht eindeutig ausgemacht werden, welchen prozentualen Anteil diese Ressourcen an den im Unternehmen erzeugten Produkten und Leistungen ausmachen. Der Markt ist hier als Bereitstellungsmechanismus nicht geeignet. Zwischenergebnis Wir haben gezeigt, dass sich das Spektrum an öffentlichen Gütern des externen Markts auf Unternehmen übertragen lässt. Auch innerhalb von Unternehmen gibt es unterschiedliche firmenspezifische öffentliche Güter und Ressourcen. Sie
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heißen Corporate Commons. Folglich sind Unternehmen mit den gleichen Bereitstellungs- und Nutzungsproblemen in Form der Unterversorgung, der Überbzw. der Unternutzung spezifischer Ressourcen und Güterarten konfrontiert wie externe Märkte auch. So wie auf dem Markt der Preis- und Wettbewerbsmechanismus versagt, um öffentliche Güter zu erzeugen, so funktioniert diese Art von Steuerungsmechanismen gleichermaßen auch innerhalb von Unternehmen nicht. Marktliche und wettbewerbliche Anreizmechanismen sind nur dann effizient, wenn es um die Produktion privater Güter und Ressourcen des Quadranten 1 geht, die rivalisierend im Konsum und durch Ausschließbarkeit gekennzeichnet sind. Diese beiden Kriterien sind Voraussetzung, damit sich Verträge ex ante vollständig spezifizieren lassen und ein Preis überhaupt eruiert werden kann. Das hier entwickelte Spektrum an Corporate Commons in den Quadranten 2, 3 und 4 beinhaltet idealtypische Beispiele, die in jedem Unternehmen je nach verfolgter Kompetenzstrategie inhaltlich andere Nuancierungen aufweisen können. Jedes Unternehmen hat ein individuelles Spektrum an Corporate Commons, weil die Ressourcenausstattung asymmetrisch ist. Doch wie wird sichergestellt, dass in Unternehmen genügend Corporate Commons erzeugt werden? Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand des nächsten Abschnitts. 6.
Ausblick: Corporate Commons als neuer Steuerungsimpuls zwischen Marktversagen und Hierarchieversagen Individuelle Rationalität führt nicht zu kollektiver Rationalität. Obwohl alle im Unternehmen von der Existenz der Corporate Commons – unabhängig davon, ob sie sich bei deren Erzeugung engagiert haben oder nicht – von den daraus resultierenden Synergievorteilen profitieren, besteht die Gefahr, dass sich die Organisationsmitglieder als Trittbrettfahrer verhalten. Die Aufgabe der Unternehmensleitung besteht darin, dafür zu sorgen, dass genügend Corporate Commons erzeugt werden und die Organisationsmitglieder keine Drückeberger bzw. bereit sind, ihr Expertenwissen mit anderen Einheiten zu teilen. Sowohl marktliche Anreizmechanismen als auch traditionelle hierarchische Weisungsmechanismen reichen nicht aus, um die notwendige Kooperation der Organisationsmitglieder herzustellen. Es tritt sowohl Marktversagen als auch (traditionelles) Hierarchieversagen auf, wenn es um die Erzeugung öffentlicher Güter und Ressourcen geht. Marktliche Mechanismen funktionieren nicht, weil keine unmittelbare Kopplung zwischen Leistung und Gegenleistung möglich ist. Ex ante können keine vollständigen Verträge über die zu erzielenden Ergebnisse vereinbart werden. Interne Märkte funktionieren nur bei Ressourcen und Leistungen, deren Eigen-
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tums- bzw. Verfügungsrechte den Einheiten oder Organisationsmitgliedern eindeutig übertragen werden können. Reine öffentliche Güter und Ressourcen besitzen diese Eigenschaften jedoch nicht. Die Produzenten dieser Ressourcen, die nicht für ihre Kosten entschädigt werden, haben einen Anreiz, die Produktion einzustellen. Klassische hierarchische Mechanismen wie Weisungen funktionieren nicht, weil die Unternehmensleitung die Leistungsbeiträge bzw. den Input der Organisationsmitglieder beobachten und beurteilen können müsste. Dafür müsste die Unternehmensleitung grundsätzlich über ein umfangreicheres Wissen, über eine größere „Problemumsicht“ als die organisatorischen Teileinheiten verfügen, wenn sie ihre Steuerungsaufgabe wahrnehmen will. Das spezifische lokale Wissen der „nachgeordneten“ Organisationsmitglieder bzw. Teileinheiten würde nicht in die Erzeugung von Corporate Commons einfließen. Die zentrale Aufgabe der Unternehmensleitung besteht darin, die arbeitsteiligen Aktivitäten der Einheiten so zu steuern, dass im Unternehmen genügend wettbewerbsrelevante Corporate Commons erzeugt werden und damit kollektive Rationalität in Form von Kooperationsrenten erreicht wird. Der Steuerungsimpuls setzt an den Eigenschaften dieser zu erzeugenden Ressourcen an: dem Grad der Ausschliessbarkeit und dem Grad der Rivalität im Konsum. Um die Erzeugung von internen Poolressourcen sicherzustellen, hat die Unternehmensleitung die Möglichkeit, deren Produktions- und Konsumbedingungen zu beeinflussen. Sie kann Regeln etablieren, wer solche Poolressourcen herstellt und wie sich die Nutzer dieser Ressourcen an den entstehenden Kosten zu beteiligen haben, beispielsweise durch ein Umlageverfahren. Dadurch würde der Anreiz zur Übernutzung („overuse“) dieser Ressourcen durch die konsumierenden Einheiten abgeschwächt werden. Um die Erzeugung von internen Clubressourcen sicherzustellen, hat die Unternehmensleitung die Möglichkeit, die Grenzen der Clubs, d.h. der Einheiten, die über die Clubressourcen verfügen, aufzuweichen und durch die Aufnahme neuer Mitglieder zu vergrößern. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Unternehmensleitung quer zu den bisherigen Abteilungsgrenzen hinweg Projektteams etabliert, die gemeinsam mit der Entwicklung spezifischen Fachwissens beauftragt werden. Durch die Vermaschung der Clubs untereinander kann Wissenstransfer sichergestellt werden. Die Vermaschung erfolgt, indem jeder Club durch ein Mitglied in einem weiteren Club vertreten ist, die sich durch Prinzipien der Selbstorganisation abstimmen. Dies entspricht den Prinzipien der „linking pins“ von Likert (1967) oder der Zirkulärorganisation von Romme (1999). Dahinter steht die Idee, dass alle Organisationsmitglieder am Wissen, das ihre
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unmittelbare Arbeitsumgebung und Aufgabenbereiche betrifft, partizipieren können. Dadurch würde eine Unternutzung („underuse“) des Clubwissens reduziert werden. Um die Erzeugung von reinen internen öffentlichen Ressourcen sicherzustellen, muss die Unternehmensleitung die Kooperationsbereitschaft der Organisationsmitglieder bzw. der Teileinheiten am Produktionsprozess erhöhen. Dazu sind besonders Formen konsensbasierter Selbstabstimmung geeignet. Bei diesem Steuerungsmechanismus delegiert die Unternehmensleitung Entscheidungsrechte an die Organisationsmitglieder bzw. an die Teileinheiten. Diese treffen ihre Entscheidungen jedoch nicht wie bei der Markt- oder Preissteuerung autonom, sondern stimmen sich wechselseitig ab und entscheiden gemeinsam aufgrund eines erzielten Konsens. Idealerweise haben alle Organisationsmitglieder, die durch eine solche Entscheidung betroffen sind, das Recht, an dieser Entscheidung mitzuwirken (z.B. Ackoff 1994, Romme 1996). Entscheidend für die Charakterisierung des konsensbasierten Selbstabstimmungsmechanismus ist, dass die Interaktions- bzw. Kommunikationsprozesse zwischen den Organisationsmitgliedern nicht auf einen unverbindlichen, ungeplanten Informationsaustausch reduziert werden dürfen. Der Steuerungsmechanismus Selbstabstimmung reicht über informale Organisation hinaus: Er ist ebenso wie die marktliche Steuerung oder wie hierarchische Weisungssteuerung ein offiziell vorgesehenes Abstimmungsverfahren, deren Entscheidungen für die beteiligten Organisationsmitglieder einen verbindlichen Charakter haben. Sie entscheiden gemeinsam und überprüfen untereinander die Einhaltung dieser Entscheidungen in Form von sozialer Kontrolle, bei der im Unterschied zu den eindeutigen Steuerungssignalen der Marksteuerung „subjective judgments“ zum Einsatz kommen (Gupta/Govindarajan 1986, Kirsch 1996, Adler 2001). Ouchi (1979) spricht in diesem Zusammenhang von „Clan“-Kontrolle. Sie wird angewendet, wenn der Output weder messbar, noch zurechenbar ist, also Marktsteuerung nicht geeignet ist und auch die Unternehmensleitung nicht über ein entsprechend hohes Transformationswissen zur wirksamen hierarchischen Steuerung verfügt. Solche konsensbasierten Steuerungsmechanismen sind aus drei Gründen geeignet, bei ursprünglich verschiedenen Interessen eine inhaltliche Angleichung der Interessen zu leisten und damit freiwillige Leistungsbeiträge der Organisationsmitglieder zum gemeinsamen Corporate Commons Pool zu fördern. Erstens ermöglicht Selbstabstimmung eine Identifikationsmöglichkeit mit dem Entscheidungsergebnis. Diese Identifikation wird erreicht, wenn Selbstabstimmung so ausgestaltet ist, dass die Organisationsmitglieder einen Zusammenhang zwischen ihren Leistungsbeiträgen und dem Entscheidungsergebnis
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sehen.17 Dabei muss es nicht um einen messbaren oder direkt zurechenbaren Beitrag gehen, wie es für die Ergebnissteuerung konstitutiv ist. Entscheidend ist vielmehr, dass bei den Organisationsmitgliedern das Gefühl gefördert wird, ihre Beiträge in den Entscheidungsprozessen und zum Aufbau der Wissensbasis seien erfolgskritisch. Zweitens erhöht Selbstabstimmung die Kooperationsbereitschaft der Organisationsmitglieder, sich in den Entscheidungsprozessen zu engagieren, wenn diese das Gefühl haben, einen relevanten Beitrag zu leisten, von dem die anderen profitieren können. Empirisch wurde die Bedeutung dieser so genannten „self-efficacy“ für die Auflösung von Dilemmasituationen bestätigt (Van de Kragt/Orbell/Dawes 1983, Kerr 1992). Drittens fördert Selbstabstimmung die wahrgenommene Fairness der Organisationsmitglieder, weil sie in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Sie werden bestärkt, sich an die Spielregeln und Werte im Unternehmen zu halten (Moorman 1991, Niehoff/Moorman 1993), was wiederum die wahrgenommene soziale Unterstützung und das Gefühl fördern, mit anderen Organisationsmitgliedern verbunden zu sein, wodurch Leistungsbeiträge zu gemeinsamen Ressourcen steigen. Etabliert die Unternehmensleitung erfolgreich konsensbasierte Steuerungsmechanismen, so wird das Problem des „undersupply“ abgeschwächt, weil die Einheiten bereit sind, sich an der Ressourcenerzeugung zu beteiligen. Im Ergebnis liegen die Ursachen sowohl des Marktversagens als auch des traditionellen Hierarchieversagens bei der Gestaltung der Organisation in Unternehmen in der Kollektivgutproblematik begründet, wenn es um die Erzeugung firmenspezifischer öffentlicher Güter geht. Diese bezeichnen wir als Corporate Commons. Ihre Eigenschaften der Nicht-Ausschliessbarkeit und/oder Nicht-Rivalität im Konsum begründen einen neuen Steuerungsimpuls zur organisatorischen Gestaltung. Je höher der Anteil an Corporate Commons für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist, desto mehr versagen marktliche oder preisbasierte aber auch traditionelle hierarchische Formen der Steuerung. Öffentliche Güter als neuer Steuerungsimpuls bedeutet stattdessen, dass die Unternehmensleitung Formen konsensbasierter Selbstabstimmung etabliert, um die Erzeugung strategisch relevanter Corporate Commons zu fördern.
17 Zur Bedeutung von „self-efficacy“ zur Lösung wissensbasierter Dilemmasituationen vgl. Cabrera/Cabrera (2002).
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Die Zukunft des öffentlichen Managements – Reformszenarios zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft
Eckhard Schröter 1. Reformstrategien im Überblick Unsere tradierten Vorstellungen vom öffentlichen Management werden in immer kürzeren Abständen und mit steigendem Nachdruck von einer Vielzahl neuer Reformmodelle in Zweifel gezogen (vgl. die aktuellen Überblicke über Modernisierungstendenzen in Pollitt/Bouckaert 2000, Jann 2004, Kropp 2004). In dem Maße, wie sich ein Typus von „etatistisch“ geprägtem Verwaltungshandeln als immer weniger geeignet erweist, effektiv, kostengünstig und bürgernah zu operieren, erscheint es zunehmend dringlicher, Reformstrategien zu suchen, mit deren Hilfe die Voraussetzungen der Bürger institutionell verbessert werden können, auf das Verfahren und das Ergebnis der Leistungserbringung Einfluss zu nehmen (Clasen et al. 1996). Im Kern des hier beschriebenen Problemkreises steht daher die Frage, auf welche Weise die Responsivität der Verwaltungsorganisation gegenüber den Bürgern erhöht und die fortwirkende etatistische Distanz zwischen ihnen und der Verwaltung abgebaut werden kann. Trotz überbordender Vielfalt einzelner Reformansätze bleibt das Repertoire an grundsätzlichen Strategien jedoch begrenzt. Die entsprechenden Reformszenarios sollen im Folgenden näher betrachtet werden (siehe bereits Schröter/Wollmann 1999; vgl. Peters 2001, Karmack 2002 sowie Hood 1996, 1998 und Hood et al. 1999, 2004). Geht man von einem Konzept aus, dass als hauptsächliche Regelungsmechanismen der Leistungserbringung und -verteilung idealtypisierend die „gesellschaftliche Selbstversorgung“, „der Markt“ und „der Staat“ zu nennen sind, so lassen sich damit korrespondierende Ansatzpunkte für einschlägige Reformstrategien identifizieren. Um die Macht- und Einflussbalance zu Gunsten der Bürger zu verändern, liegen nach einer eingeführten Unterscheidung (Hirschman 1970) insbesondere zwei grundverschiedene Hebel in den Händen der Verwaltungsadressaten: die Möglichkeit der politischen Beteiligung (Voice) einerseits und die Option des Marktaustrittes (Exit) andererseits. An diesen Dimensionen setzen die verschiedenen Reformprogramme zum Zwecke einer verstärkten Bürger- bzw. Kundenorientierung an. Die Begriffe „Bürger-“ und „Kundenorientierung“ werden zwar häufig im gleichen Zusammenhang verwendet und zielen vordergründig in ähnliche Reformrichtungen, dennoch sind sie in grundsätz-
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lich unterschiedlichen Vorstellungen von Verwaltung-Klientel-Beziehungen verwurzelt: Sie weisen den Verwaltungsadressaten in programmatischer Absicht spezifische Rollen (d.h. als „Bürger“ oder „Kunden“) zu, die als charakteristisch für den jeweils dahinterstehenden Reformansatz im Ganzen gelten können. Interpretiert man diese Rollenzuweisungen, so lassen sie sich – der Klarheit wegen deutlich idealtypisch – folgendermaßen charakterisieren: der Bürger als „politisches Wesen“, als homo politicus, als citoyen, als Aktiv- und Sozialbürger mitgestaltend und mitverantwortlich an der gemeinwohlorientierten Entwicklung der lokalen oder staatlichen Gemeinschaft sowie mit sozialen und politischen Rechten versehen; der Bürger als „ökonomisches Wesen“, als homo oeconomicus, als bourgois, als Kunde, individuell nutzenmaximierend auf dem Markt – in der Regel als passiver Konsument – agierend und über seine Kaufkraft definiert. Eine dritte Variante kommt dann ins Spiel, wenn der Abschied von einer vorwiegend sozialstaatlich-interventionistischen und etatistisch ausgerichteten Verwaltungspolitik, aber auch die Distanzierung von rein wettbewerbs- und marktvermittelten Dienstleistungen damit verbunden wird, Ansätze zur zivilgesellschaftlichen Selbstversorgung zu vitalisieren und bürgerschaftliche Selbstbefähigung zu stärken. Nicht zuletzt steht für diese Reformrichtung auch eine bestimmte Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips Pate, der zufolge von staatlicher oder kommunaler Seite nichts geregelt werden sollte, was nicht ebenso gut von Privaten oder gesellschaftlichen Kräften geleistet werden könnte. Diese Dreiteilung soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, als ließen sich die einzelnen Reforminitiativen und -instrumente in jedem Fall säuberlich voneinander trennen. Vielmehr können sich bei konkreten Reformvorhaben die Stoßrichtungen überlappen. Mehr noch: Dem komplexen Problemzusammenhang wird vielfach am ehesten eine sinnvolle Kombination verschiedener Veränderungsvorschläge gerecht werden. 2.
Revitalisierung der Staatsbürger-Rolle: Politisch-partizipative Strategien In einem ersten Handlungsstrang lassen sich solche Reformvorschläge zusammenführen, die vermehrte politische Teilhabechancen der gesamten Bürgerschaft bzw. einzelner Nutzengruppen bei der Programmsetzung und der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen im Blick haben. In diesem Zusammenhang ist zunächst daran zu erinnern, dass die politische Steuerung und Kontrolle der Verwaltung in der deutschen Tradition von dem Grundzug der repräsentativen Demokratie insofern geprägt ist, als diese Steuerung und Kontrolle ausschließ-
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lich Sache der Parlamente bzw. der Gemeindevertretungen ist, während eine wie immer institutionalisierte (ergänzende) Mitwirkung der Bürger – in einer fortwährenden Widerspiegelung der etatistischen Distanz zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürgerschaft – weithin nicht vorgesehen ist. Es liegt auf der Hand, dass diese über die Vertretungskörperschaften vermittelte Einflussnahme der Bürger auf den Verwaltungsapparat zwar notwendig ist, jedoch vielfach als unzureichend einzuschätzen ist. Um eine verstärkte „Bürgerorientierung“ und politische Responsivität der Verwaltung zu sichern, sind mithin institutionelle Vorkehrungen anzustreben, durch welche die Partizipationschancen der Bürger vermehrt werden. Vorauszuschicken ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, welche Ausgangsbedingungen für eine derartige Reformentwicklung insbesondere in der deutschen Kommunalpolitik und -verwaltung bereits gegeben sind. Gerade im internationalen Vergleich mit den als besonders reformaktiven dargestellten – z.B. angelsächsischen oder skandinavischen – Staaten zeigt sich im deutschen Fall eine beachtliche institutionelle Vielfalt, die in Verbindung mit ebenfalls positiven Umfeldbedingungen besonders förderlich für eine allgemein-politische Responsivität der lokalen Verwaltung und ihrer politischen Führung sein können. Dazu zählen nicht nur die überschaubare Größe der kommunalen Einheiten, die weitgehenden Selbstverwaltungsrechte oder die planungsrechtlich verfassten Verfahren der Bürgerbeteiligung (vgl. Hendler 1996), sondern insbesondere auch die in den letzten Jahren nahezu flächendeckend geschaffenen Möglichkeiten der Direktwahl (und teilweise auch Abwahl) des Verwaltungschefs sowie die nunmehr in allen Gemeindeordnungen eingebrachten plebiszitären Elemente (z.B. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid). Diese ermutigenden Elemente machen es allerdings keinesfalls überflüssig, zusätzliche, spezifischere Beteiligungschancen bei der Bestimmung und Produktion von öffentlichen Leistungen ins Auge zu fassen. Ansatzpunkte für eine verstärkte Teilhabe ergeben sich zunächst bei der Phase der Programmsetzung, in der Festlegungen darüber getroffen werden, welchen quantitativen und qualitativen Standards die Verwaltungsleistung zu genügen hat. Mit zunehmender Konzentration auf die Gewährleistungsfunktion der öffentlichen Hand, spielt die Ausgestaltung der mit den Leistungsanbietern abzuschließenden Qualitäts- und Finanzierungsvereinbarungen eine immer wichtigere Rolle. Die Phase der eigentlichen Leistungserbringung, in der sich der unmittelbare Kontakt zwischen Leistungsanbieter und -empfänger vollzieht, bietet gleichermaßen Anwendungschancen. Da sich bei öffentlichen Dienstleistungen eine regelrechte Kundenrolle häufig nur unvollkommen ausgestalten
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lässt, wird der Einfluss des letzteren auch in dem Maße vermehrt, wie er politisch-partizipative Formen des Empowerment in Anspruch nehmen kann. Hinsichtlich der institutionellen Modalitäten partizipativer Ansätze kann in verschiedener Weise auf bestehenden Regelungen aufgebaut werden. Im Kommunalrecht sind z.B. die „sachverständigen Bürger“ bekannt, mit denen die repräsentative Einflussnahme der Bürger durch gewählte Mandatsträger ergänzt werden soll. Soweit die Zuständigkeit der Ausschüsse auf bestimmte Aufgabenund Leistungsfelder zugeschnitten sind, könnten „sachverständige Einwohner“ bzw. „Bürgerdeputierte“ durchaus im Stande sein, spezifische Bürger- und „Kunden“interessen stellvertretend einzubringen. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch die institutionalisierte „Klientenbeteiligung“ – wie im Falle des gestaltungsmächtigen Jugendhilfeausschusses auf kommunaler Ebene. Eine direktere Teilhabe- und Einwirkungsmöglichkeit sowohl auf das Festlegen der Rahmenbedingungen für Verwaltungshandeln bzw. Leistungserbringung als auch auf den „laufenden Betrieb“ geben Regelungen, durch die innerhalb der jeweiligen Handlungsfelder (wenn auch durchweg nur beratende) Mitwirkungsrechte der „Kunden“ und „Nutzer“ im engeren Sinne eingeräumt werden. In den 1970er Jahren setzte ein lebhafte Diskussion um mehr Partizipation über „Nutzerbeiräte“ oder vergleichbare Vertretungen in öffentlichen Einrichtungen ein (z.B. der Heimbeirat nach dem Heimgesetz für Alten-, Pflegeoder Behindertenheime). Ergänzend ist auf die – wenn auch nur ansatzweise ausgestaltete – Mitwirkung von Eltern und Schülern in der Schulverwaltung bzw. von Erziehungsberechtigten in Tageseinrichtungen der Kinder- und Jugendpflege hinzuweisen. Darüber hinaus scheint freilich der gesetzgeberische Impetus für eine verstärkte Institutionalisierung von Teilhaberechten eher erlahmt zu sein. Mit dem Ziel, die politisch-partizipative Stellung der „Nutzer“ zu stärken, sollten diese – gesetzgeberisch zugänglichen – Regelungsfelder in die Aufmerksamkeit gerückt werden. Allerdings stößt diese Institutionalisierung von Teilhaberechten im Rahmen von Nutzerbeiräten (über einen Wahlmechanismus) dort auf Schwierigkeiten, wo eine durch den Anstalts- oder Einrichtungscharakter gegebene Eingrenzung des in Betracht kommenden Personenkreises nicht ohne weiteres möglich ist. Innerhalb der Spielregeln unseres wesentlich auf dem Verbandspluralismus fußenden politischen Systems wäre an die Befugnis der einschlägigen Interessenverbände zu denken, ihre Vertreter entweder (für eine vom politischen Vertretungsorgan vorzunehmenden Wahl) zu nominieren oder verbindlich zu benennen. Der Rekurs auf den „Verbandspluralismus“ findet allerdings dort sein
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Ende, wo die vom Verwaltungshandeln und der Leistungserbringung „Betroffenen“ über einen Interessenverband nicht verfügen. Dies trifft ganz ausgeprägt auf die auf Sozialhilfe angewiesenen Menschen zu, die, der Individualisierung und sozialen Deklassierung ausgesetzt, die soziale Kompetenz und Energie zur Schaffung einer eigenen Interessenvertretung nicht aufbringen – mit der sozialstaatlich anstößigen Folge, dass diejenigen, die einer Interessenvertretung im Konflikt unterschiedlicher Interessen besonders dringlich benötigen, einen besonders niedrigen verbandlichen Organisationsgrad haben. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten sollte in Verwaltungsreformprogrammen, gerade auch im prekären Sozialhilfebereich, der Versuch der Betroffenenpartizipation unternommen werden. 2.1 Ergänzungen durch advokatorische und regulative Elemente Die verbandliche Organisationsschwäche von besonders prekären Klienten- und Nutzerinteressen sowie verschiedenen Mängeln konventioneller Beteiligungsformen lassen darüber hinaus auch advokatorische und regulative Elemente geboten erscheinen, um den potentiellen Einfluss von Bürgerinteressen auf den Verwaltungsbetrieb zu erhöhen. So wäre aus dieser Situation die Konsequenz zu ziehen, deren Anliegen von einer Ombudsperson vertreten zu lassen, der die Aufgabe zukäme, institutionalisierter Ansprechpartner für Verwaltungs- und Leistungsklienten zu sein und als Advokat von Klienteninteressen gegenüber der Behörde zu dienen. Ein weiterer Politikansatz, für den vielfältige europäische Vorbilder existieren (wie ursprünglich z.B. in Schweden und insbesondere in Großbritannien), besteht in der Erarbeitung einer „Bürger-Charta“ („citizen’s charter“), auf deren verbindliche Qualitätsmaßstäbe sich Leistungsnehmer berufen könnten (vgl. Pollitt 1994, Bellamy/Greenaway 1995). Indem man entsprechende Beschwerde- und Schiedskommissionen einrichtete, ließe sich zudem die Lücke zwischen dem zivilrechtlichem Weg der Regressforderung einerseits und den hochformalisierten verwaltungsrechtlichen Verfahren andererseits schließen. Derartige advokatorische Institutionen sind letztlich auch in einer günstigen Ausgangsposition, um – im Zusammenspiel mit Leistungsvergleichen und Qualitätskatalogen – einen „Verwaltungsverbraucherschutz“ zu etablieren (Clasen/Schröter/Wiesenthal/Wollmann 1996). In diesem Sinne wurde bereits vor Jahren eine analog der „Stiftung Warentest“ funktionierende Institution für Verwaltungsdienstleistungen ins Gespräch gebracht (Bogumil/Kißler 1995).
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2.2 Grenzen politisch-partizipativer Strategien Allerdings hatten gerade auch die Unzulänglichkeiten politisch-partizipativer Veränderungsstrategien und die damit einhergehenden tiefgreifenden Frustrationen bei Politikern wie Bürgern ihren spürbaren Anteil daran, dass neue Reformhoffungen nur allzu gern auf einen scheinbar politikfernen, marktorientierten Ansatz projiziert wurden. Somit sind zunächst die Schwächen konventioneller Beteiligungsformen anzuerkennen, die auf das Macht- und Informationsgefälle zwischen den Verwaltungsapparaten und den zu Beteiligenden zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund muss die Praxis so mancher bestehender Beiräte und Bürgerbeteiligungsverfahren häufig zum Ritual geraten. Dieser Nackenschlag wird in vielen Fällen durch die enttäuschende Erfahrung weiter verstärkt, mit dem Beteiligungsaufruf die angestrebte Zielgruppe nicht oder nur zu einem viel zu geringen Teil zu erreichen (vgl. Windhoff-Héritier 1983). Der regelmäßig festgestellte Vorteil zu Gunsten artikulationsfähiger Mittelklasseninteressen bei Bürgerinitiativen oder institutionalisierten Beteiligungsverfahren bietet dafür ein beredtes Zeugnis. Das allgemeine Motivationsproblem führt überdies auf eine fundamentalere Begrenzung partizipativer Reformanstrengungen zu: Entspricht doch dem partizipativen Ideal in letzter Konsequenz eine nahezu allgegenwärtige Mobilisierung und weitgehende politische Partizipationspflicht, was weder mit zeitgemäßen politisch-praktischen Erfahrungen noch mit den theoretischen Grundfesten liberaler Demokratie zu vereinbaren wäre. Zurück bei der pragmatischen Beurteilung gängiger Beteiligungsformen sind die erreichten Ergebnisse zum Teil nicht minder desillusionierend. Dabei ist vor allem festzustellen, wie sehr auch zusätzliche Einflussmöglichkeiten durch bereits etablierte Organisationen – und die vorherrschenden korporatistischen Verhandlungs- und Verteilungsstrukturen – mediatisiert werden, so dass Beteiligungsforen, Beiratslösungen und Bürgerdeputationen nicht selten zu Vorhöfen der Parteien- und Verbandspatronage werden. Gerade an diesen klassischen politischen Organisationsformen gehen jedoch neuere Partizipationswellen überwiegend vorbei. Daher geraten zu Recht verstärkt Reformstrategien ins Rampenlicht, die auf ökonomische Anreizstrukturen oder auf das Selbstorganisationspotenzial zeitgemäßer sozio-kultureller Milieus rekurrieren. 3.
Mehr Kundenmacht für die Marktbürger: wettbewerbs- und marktorientierte Strategien Die New-Public-Management-Debatte öffnete den Blick für eine stärker am privatwirtschaftlichen Modell der Kundenorientierung ausgerichtete Verwaltungs-
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reform. Folgerichtig vertrauen Veränderungsvorschläge dieser Art darauf, mit Hilfe marktähnlicher Anreize und wettbewerblicher Strukturen die Position der Verwaltungsadressaten stärken und zugleich die Leistungsqualität erhöhen zu können (vgl. dazu auch kritisch Barnes/Prior 1995 und Potter 1998). Trotz der weiter oben diskutierten konzeptionellen Beschränkungen birgt dieser Reformansatz ein bislang in den staatlichen und kommunalen Verwaltungen noch bei weitem nicht ausgeschöpftes Modernisierungspotenzial. Die inzwischen ganz überwiegend versachlichte und wohlreflektierte Debatte hat dabei kaum mehr etwas mit der ideologisch aufgeladenen „Alles-oder-nichts“-Frage nach der öffentlichen oder privaten Eigentumsform oder dem „Ganz-oder-gar-nicht“Forderung bei der Entscheidung über öffentliche oder private Leistungserbringung gemein. Vielmehr sind weitaus differenziertere Konzepte bei der Hand, die sich darum bemühen, je nach Aufgabenbereich die angemessene Leistungstiefe auszuloten, sowie die einzelnen Phasen der Produktionskette bzw. die verschiedenen Funktionen der öffentlichen Hand, z.B. grob eingeteilt in die Gewährleistungs-, Finanzierungs- und Durchführungsverantwortung, zu unterscheiden (vgl. allgemein Naschold et al. 1996). Überdies eröffnen sich selbst bei weiterbestehendem öffentlichem Leistungsangebot sinnvolle Möglichkeiten, dem konsumeristischen, wettbewerbsorientierten „Empowerment“ Geltung zu verschaffen, sofern bei pragmatischer Herangehensweise auch lediglich Annäherungen an die Marktform (z.B. interne oder Quasi-Märkte) akzeptiert werden. Eine naheliegende Strategie besteht aus dieser Perspektive darin, Monopolsituationen wo immer möglich aufzubrechen und den Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern zu fördern (mit frühen kommunalen Beispielen bereits Wegener 1997). Aus diesem Blickwinkel betrachtet, liegt das Modernisierungspotenzial von Privatisierungen oder Auslagerungen (Contracting-Out) grundsätzlich nicht im Wechsel der Eigentumsform, sondern im möglichen Beitrag zur Wettbewerbsförderung. Davon sind nicht nur staatliche oder kommunale Verwaltungen betroffen, die bisher bestimmte Leistungen allein erbringen, sondern auch nicht-öffentliche Anbieter, sofern sie in einzelnen Leistungsfeldern rechtlich oder faktisch ein Anbietermonopol haben. Im Bereich der sozialen Dienste ist davon insbesondere die dominante Stellung der freien Wohlfahrtsverbände betroffen (vgl. Bönker/Wollmann 1998). Das Feld der sozialen Leistungen zeigt freilich auch, dass die Entstehung eines „Anbieterwettbewerbs“ nicht stets automatisch einen „Leistungsbewerb“ eröffnet, der allen in Betracht kommenden „Kunden“ zu Gute kommt. Vielmehr gibt es Hinweise auf „Rosinenpick“-Effekte, wonach sich die privatgewerblichen Anbieter im Bereich der ambulanten Altenpflege auf die „leichten Fälle“ spezialisieren, während sich die Kommunen
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insbesondere um die sehr schweren Pflegefälle kümmern müssen (vgl. LeGrand/ Bartlett 1993). Dieser Fehlentwicklung lässt sich grundsätzlich jedoch durch eine entsprechende Ausschreibung und Vertragsgestaltung entgegenwirken. Ein probates Mittel, den Wettbewerbsgedanken praktisch zu unterstützen, ist schließlich darin zu sehen, über die Leistungsvergabe ausschließlich nach offenen, wettbewerblichen Ausschreibungen zu entscheiden (Compulsory Competitive Tendering). In Frage kommen dabei nicht ausschließlich komplette Leistungsbereiche, sondern auch einzelne Unterstützungsleistungen oder einzelne Bestandteile einer längeren Leistungskette. In der Ausschreibungssituation treten Verwaltungseinheiten häufig mit gewerblichen oder gemeinnützigen Anbietern in einen direkten Wettbewerb, in dem sich die öffentlichen Mitbewerber durchaus erfolgreich behaupten können. Um eine Verkrustung der Anbieterstrukturen zu verhindern, bietet sich vielfach eine befristete Leistungsvergabe an. Darüber hinaus zeigt sich, dass Ausschreibungen als Wettbewerbsstrategie nötigenfalls durch zusätzliche institutionelle Vorkehrungen zu ergänzen sind, um Fortschritte in Richtung verbesserter Leistungsqualität und Kundenorientierung gewährleisten zu können. Dazu zählen insbesondere Verfahren, die den Marktzugang von bestimmten Qualifikationen abhängig machen (Lizensierung, Konzessionierung) oder Auflagen, die hinsichtlich einzuhaltender Qualitätsstandards festgelegt werden. Um die Leistungserbringung ein weiteres Stück den Marktbedingungen zu unterwerfen, kann eine zusätzliche Variante darin bestehen, Gutschein- bzw. Voucher-Systeme einzuführen, mit deren – ganz im Sinne der neo-liberalen Doktrin – die potentiellen „Nachfrager“ individuell gestärkt werden, um dadurch auf der Angebotsseite quantitative und qualitative Verbesserungen zu erzielen (vgl. ausführlicher OECD 1993: 43-55). Gemäß dieser Logik werden an Berechtigte finanzielle Transfers geleistet oder geldwerte Vorteile vergeben, die es ihnen ermöglichen sollen, bestimmte Leistungen nachzufragen und entsprechend ihrer Präferenzen unter den Anbietern zu wählen. Die Einsatzmöglichkeiten dieses Reforminstruments werden vor allem hinsichtlich der Wohnungspolitik sowie im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich (z.B. Kinderbetreuung und Anrechte auf Pflege- oder Altenheimplätze) diskutiert und angewendet. Zwar sind derartige „Gutschein-Systeme“ dem Namen nach – auch international – recht selten gesät, doch steht der zugrundeliegende Gedanke für eine breite Palette von Politikprogrammen Pate, die in der öffentlichen Diskussion wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern zumeist als gegeben hingenommen werden. Tatsächlich zählen Voucher- und Quasi-Voucher-Instrumente etwa in Form der Wohngeldzahlungen, der Zuwendungen im Rahmen der Pflegeversi-
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cherung oder der Zuschüsse für die Kinderbetreuung auch bereits seit längerem zum Repertoire der deutschen Politik und Verwaltung. Bei einer konsequenten Umsetzung der im Neuen Steuerungsmodell favorisierten Rollenteilung zwischen „Auftraggeber“ und „Auftragnehmer“ können auch innerhalb der bestehenden Verwaltungsstrukturen marktähnliche Beziehungen etabliert werden (vgl. Walsh 1995, OECD 1993). Grundlage für jene verwaltungsinternen Quasi-Märkte sind Leistungsverrechnungen zwischen einzelnen Fachbereichen oder „Ergebniszentren“ mittels einer produktorientierten Kosten- und Leistungsrechnung. In diesem Zusammenhang ist auch häufig die Rede von Märkten „2. Ordnung“, da in diesen Fällen nicht individuelle Nutzer und „Endverbraucher“, sondern öffentliche Organisationen (bzw. bestimmte Organisationseinheiten) als nachfragende Marktteilnehmer auftreten (vgl. Mullen 1990). Ähnlich wie in den vollentwickelten Marktverhältnissen wird der wesentliche Vorzug dieser Variante darin gesehen, den Budgetierungsprozess nicht mehr der Fortschreibungsmentalität oder politischem Taktieren zu überlassen, sondern die Mittelzuweisung im Wesentlichen von der im Wettbewerb erwiesenen Leistungsfähigkeit abhängig zu machen. Auf mittelbarem Wege steht damit im Erfolgsfall auch eine gestiegene Responsivität gegenüber der Verwaltungsklientel zu erwarten. Marktähnliche Situationen für kommunale Anbieter lassen sich mit Hilfe von Leistungsindikatoren für öffentliche Dienste auch simulieren, um wettbewerbsähnliche Anreize im Sinne einer verbesserten Bürger- und Kundenorientierung zu fördern. Um diesem Ziel näher zu kommen, wäre darauf hinzuarbeiten, interkommunale Leistungsvergleiche möglichst zur regelmäßigen und obligatorischen Praxis werden zu lassen. Dabei müsste gewährleistet sein, dass aussagekräftige Ergebnisse für konkrete Leistungsangebote (Produkte) präsentiert werden, die nicht allein Kosten-, sondern gerade auch Qualitätsaspekte aus der Adressatenperspektive berücksichtigen. In angelsächsischen Staaten haben die Rechnungshöfe eine führende Rolle dabei eingenommen, die Leistungsvergleiche zu systematisieren und angemessene (quantitative wie qualitative) Indikatoren zu entwickeln. Darüber hinaus bieten sich interkommunale Leistungsvergleiche mit Blick auf die eingeführten Produktkataloge und entsprechenden Kosten- und Leistungsrechnungen an. Ihr volles Potenzial entfalten interadministrative Leistungsvergleiche jedoch nur dann, wenn ihre Ergebnisse zum Gegenstand einer breiten öffentlichen und verwaltungspolitischen Diskussion werden und somit aus Bürger- und Kundensicht im Sinne eines „Verwaltungsverbraucherschutzes“ genutzt werden können. Darüber hinaus bieten sich zur Ermittlung von „Best-Practice“-Fällen auch ausgeschriebene Wettbewerbe an,
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um die Reformmotivation zu erhöhen und Leitbilder für künftige Entwicklungen zu ermitteln. Erste Beispiele für Leistungsvergleiche dieser Art in Deutschland boten die Qualitätswettbewerbe, die von der Carl-Bertelsmann-Stiftung (vgl. z.B. Carl-Bertelsmann 1993) und von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer veranstaltet wurden und nunmehr im gesamten deutschsprachigen Raum fortgeführt werden. Schließlich kann grundsätzlich die umfassende Steuerungslogik des Kontraktmanagements und die im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells (vgl. KGSt 1993, Reichard 1994) vorgesehene Arbeitsorganisation geeignet sein, dem Kundenanliegen größere Geltung im Verwaltungshandeln zu verschaffen: zielen diese Reformansätze doch darauf ab, die Handlungs- und Ergebnisverantwortung eindeutiger den dezentralen Fachbereichen zuzuweisen, die Aufgabenwahrnehmung möglichst ganzheitlich zu organisieren sowie die quantitativen wie qualitativen Aspekte der Leistungserbringung durch ein ergebnisorientiertes Berichtswesen und Indikatorensystem (Controlling) durchschaubarer zu machen. Unter der Voraussetzung, dass es gelingt, neben den angestrebten Produktivitätssteigerungen und Kosteneinsparungen vor allem auch eine verbesserte Verwaltungs- und Dienstleistungsqualität als Handlungsmaxime zu verankern, sind damit wichtige Voraussetzungen für eine stärkere Kundenorientierung gegeben. Mit Blick darauf, dass bei einer „Anbieterpluralität“ zwar eine gewisse Konkurrenz zwischen den Anbietern stattfindet, dass jedoch der auf die Leistung angewiesene Bürger nur eine beschränkte Auswahlmöglichkeit besitzt (räumliche Entfernung, geringe „Markttransparenz“ usw.), kommt Qualitätsstandards für die Leistungserbringung, die die Kommune (oder die Krankenbzw. Pflegekasse) gegenüber den Anbieter durchsetzen kann, und dem entsprechenden „Vertragsmanagement“ besondere Bedeutung zu. 3.1 Grenzen marktförmiger Kundenorientierung im öffentlichen Sektor Mit Blick auf die durchgängige Übertragbarkeit des privatwirtschaftlich gebräuchlichen Kundenbegriffs erheben sich jedoch zugleich erhebliche Zweifel, will man ihn nicht als sinnentleerte oder gar irreführende Floskel mitführen (vgl. auch Bogumil/Kißler 1995). Die schlichte und unreflektierte Analogie von „Bürger“ und „Kunde“ scheitert aus einer Reihe von Gründen. So würde eine strikte Übertragung des Angebot-Nachfrage-Modells die Beziehung „BürgerVerwaltung“ teilweise ad absurdum führen: Nicht nur, dass – insbesondere auf kommunaler Ebene – viele Verwaltungen über ihre „Angebote“ aufgrund gesetzlicher Auflagen nicht frei entscheiden können; sie können ihre „Angebote“ auch nicht allein von der direkten „Nachfrage“ abhängig machen. Das gilt nicht
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allein für den offensichtlichen Fall hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung (Polizei- und Ordnungsrecht), in dem die Verwaltung gegebenenfalls in Freiheitsund Eigentumsrechte eingreifen muss, sondern auch für einen weiten Bereich sozial-fürsorgerischer Funktionen, bei denen der Aspekt sozialer Kontrolle in den Vordergrund rückt und man es zum Teil mit „aufgezwungenen“ Dienstleistungen zu tun hat (z.B. in der Jugend-, Gesundheits- oder Schulverwaltung). Aus der umgekehrten Perspektive wird zudem erkennbar, dass öffentliche Verwaltungen auf erhöhte „Kundennachfrage“ (z.B. bei Betreuungs- oder Sozialleistungen) nicht regelmäßig – wie ein profitorientiertes Unternehmen – mit gesteigertem „Output“ reagieren können, sondern andere, politische Mechanismen greifen müssen. Zudem sind viele Leistungen staatlicher oder kommunaler Verwaltungen ihrer Natur nach – im finanzwissenschaftlichen Sinne – „öffentliche Güter“, die gegenüber der Allgemeinheit erbracht werden (z.B. Umweltschutz, öffentliche Sicherheit, Infrastrukturleistungen), ohne dass in diesen Fällen das Ausschlussprinzip gilt oder eine Rivalität zwischen den Nutzern besteht. Die Weitergabe von Kosten an bestimmte „Kunden“ oder „Kundengruppen“ oder deren Ausschluss von der Leistung ist daher in diesen Fällen gar nicht oder nur unvollkommen möglich und das „Marktversagen“ die notwendige Folge. Somit müssen diese Kollektivgüter grundsätzlich kollektiv diskutiert und finanziert werden. Doch auch dort, wo der spezifische Warenkorb des öffentlichen Sektors marktfähige Güter enthält und deshalb sich die Analogie von Angebot und Nachfrage auf die Produktion und Verteilung öffentlicher Dienstleistungen konzeptionell als tragfähig erweist, fallen die weiter oben empfohlenen Einzelstrategien nicht ohne weiteres automatisch auf fruchtbaren Boden, sondern sind die positiven Erwartungen an mehrere, durchaus prekäre Voraussetzungen gebunden, ja zum Teil an geradezu heroische Annahmen geknüpft. So ist die Problematik weithin anerkannt, die sich aus den unterschiedlichen Rationalitäten des ökonomischen und des politischen Wettbewerbs ergibt (so auch Reichard 1996: 264; allgemein dazu: Bogumil/Kißler 1995, 1997). Daher wäre im Interesse einer erfolgreichen konsumeristischen Strategie nicht nur auf Seiten der politisch Verantwortlichen ein nachhaltiger Kulturwandel vonnöten, sondern auch hinsichtlich der Bürgerschaft, welche die Fähigkeit und Bereitschaft vermehrt zu erwerben hätte, die ihnen zugedachten Aufgaben eigenverantwortlich wahrzunehmen und ihre Kundenrolle gegenüber der Verwaltung bzw. den nicht-öffentlichen Leistungsanbietern effektiv auszuüben. Darüber hinaus stellen die hinter der kunden- und marktorientierten Modernisierungsstrategie stehenden institutionenökonomischen Überlegungen selbst ein passendes Instrumentarium zur Ver-
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fügung, um mögliche Grenzen dieses Reformansatzes aufzuzeigen. Demnach bergen übersteigerte Auslagerungen, forcierte interne Märkte, umfangreiches Kontraktmanagement und elaborierte Indikatorensysteme für Kosten- und Leistungsrechnungen auch die Gefahr, die erhofften Effizienz- und Qualitätsgewinne durch überhohe Transaktionskosten wieder aufzubrauchen. Nicht zuletzt für den Verwaltungskunden können damit schwerwiegende Nachteile verbunden sein, wenn sie sich bei komplexen Problemlagen u.U. neuen unübersichtlichen und intransparenten Märkten gegenübersehen (vgl. zu diesen Schwierigkeiten auch Barnes/Prior 1995). Von grundlegenderer Natur sind Einlassungen, die auf mögliche, sozial-desintegrative Tendenzen einer verabsolutierten Konsumentenorientierung hinweisen. Mit Blick auf die befürchteten nachteiligen Folgen, z.B. hinsichtlich von Voucher-Systemen im Schulbereich, werden diese Schwierigkeiten auch von Promotoren der Vermarktlichung des öffentlichen Sektors gesehen und kritisch diskutiert (vgl. OECD 1993, weiterführend für die USA: Rosenbloom/Ross 1994). Dieser Verweis auf sozial-integrative Schwächen der Marktstrategie lenkt zugleich den Blick auf die Potenziale einer verstärkten bürgerschaftlichen Selbstbefähigung durch eine weitere „Vergesellschaftung“ öffentlicher Aufgaben. 4.
Stärkung der Zivilbürgerschaft: Gemeinschaftsstrategien und Koproduktion Die dritte Säule einer umfassenden „Empowerment“-Strategie ruht auf dem Leistungspotenzial zivilgesellschaftlicher Organisationen, das in aktuellen Reformperspektiven noch zu häufig außer Acht gelassen wird. Es geht hierbei also darum, die möglichen Vorteile einer Aufgaben(rück-)übertragung an bestehende und neue Institutionen des Nonprofit-Sektors nutzbar zu machen, um auf diesem Wege einer „Entstaatlichung“ und dem Ziel einer verstärkten Selbstbefähigung der Bürger näher zu kommen (vgl. dazu auch Reichard 1988, Anheier 1990, Evers et al. 1989, Evers 1990). Damit ist als zugrundeliegender Regelungsmechanismus, in Abgrenzung zu „Staat“ und „Markt“, die gesellschaftliche Selbstversorgung bzw. die Koproduktion öffentlicher Dienstleistungen angesprochen (vgl. zur Koproduktion Ostrom/Ostrom 1977, Whitaker 1980 und Susskind 1983). Zumindest vordergründig lässt sich in dieser Hinsicht sogar schnell eine Übereinstimmung mit solchen im Rahmen des „New Public Management“ erhobenen Forderungen herstellen, die darauf abzielen, die eigenverantwortliche Aufgabenerledigung der Bürger zu befördern und die vermeintliche „Abhängigkeitskultur“ des weitentwickelten Wohlfahrtsstaates aufzubrechen. Allerdings handelt es sich in dieser neokonservativen Denkrichtung ganz
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überwiegend um die angestrebte Rücküberweisung an traditionelle (insbesondere familiale) Formen der „gesellschaftlichen Selbstversorgung“, deren Ressourcen im Lichte moderner sozialer Veränderungen als weitgehend erschöpft und mit Blick auf die quantitativen und qualitativen Anforderungen der Leistungsproduktion als relativ begrenzt angesehen werden müssen. Dagegen herrscht in einer anderen Tradition der „Entstaatlichung“ die Absicht vor, individuelle Lebensrisiken nicht zu re-privatisieren, sondern durch genossenschaftliche Selbsthilfe, kollektiv abzufedern. In diesem Zusammenhang kann gerade in Deutschland auf eine lange Tradition gemeinnütziger Verbandstätigkeit und ehrenamtlichen Engagements bei der Bewältigung öffentlicher Aufgaben zurückgeblickt werden. Dabei ist zunächst an die althergebrachten Formen der (insbesondere: lokalen) Selbstorganisation zu erinnern, z.B. hinsichtlich der Sicherheits- und Ordnungsfunktionen von freiwilligen Feuerwehren oder Vereinen zur See- oder Bergrettung, die als gegeben hingenommen und gemeinhin kaum mehr als Anknüpfungspunkte für gegenwärtige Reformperspektiven geachtet werden. Des Weiteren fällt das Augenmerk sogleich auf die etablierten Wohlfahrtsverbände, die größtenteils bis heute durch ihre jeweilige Herkunft aus dem kirchlichkonfessionellen Umfeld oder dem sozialen Milieu der Arbeiterbewegung gekennzeichnet sind (vgl. Heinze/Olk 1984). Trotz der unbestrittenen (und vor allem unverzichtbaren) Leistungen, die von verbandlichen Trägern der gemeinnützigen Wohlfahrtspflege erbracht werden, sind diese Wohlfahrtsverbände jedoch in verschiedener Hinsicht selbst zum Teil des Problems geworden. Zum einen zeichnete sich seit langem eine Entwicklung ab, als deren Folge die etablierten Verbände selbst zu – den öffentlichen Bürokratien nicht mehr ganz unähnlichen – Großorganisationen wurden, die allenfalls in einem oligopolistischen Wettbewerb zueinander stehen. Zum anderen brachten es moderne gesellschaftliche Trends, allen voran die gestiegene soziale und regionale Mobilität, mit sich, dass die tradierten, gemeinschaftsstiftenden sozialen Milieus spürbar erodieren und damit auch die relative Bedeutung des klassischen Ehrenamts bei der Aufgabenerledigung schleichend zurückgeht. Schließlich verdienen daher auch und gerade neuere Organisationsformen unsere Aufmerksamkeit, die in den letzten beiden Jahrzehnten überwiegend aus den „neuen sozialen Bewegungen“ hervorgegangen sind und heute zeitgemäße Potenziale der Selbstorganisation verkörpern (vgl. allgemein Windhoff-Héritier 1982, Kaufmann 1987, Hummel 1995) Dabei handelt es sich insbesondere im „Selbsthilfeinitiativen“ und „intermediäre Kooperativen“ sowie um den Typus der neuen „Sozialunternehmer“. All diesen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen ist gemein, dass sie der Bestimmungsmacht der Klienten über Inhalt und Form der erbrach-
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ten Leistungen einen hohen Stellenwert einräumen, der in vielen Fällen überhaupt erst den Leistungserfolg ermöglicht (vgl. dazu ausführlicher Clasen/ Schröter/Wiesenthal/Wollmann 1996: 34-39). Als zeitgemäße Ausprägung bürgerschaftlicher Selbstorganisation helfen die hier in den Mittelpunkt gestellten modernen Selbsthilfe- und genossenschaftlichen Ansätze, einen nicht zu unterschätzenden Bedarf an semi-professioneller Hilfe zu stillen. Darüber hinaus erscheinen sie als geeignet, gerade unter dem Eindruck der „Vielfalt der Lebensstile“ und zunehmender individueller Loslösung aus tradierten gesellschaftlichen Milieus, sozial-integrative Tendenzen zu entfalten und insbesondere für Problemgruppen sozialen Rückhalt zu vermitteln. Sie treffen sich zudem mit einer spezifischen Dimension des gegenwärtigen Wertewandels (vgl. Bürklin/Klein/Ruß 1994) und bauen auf eine – aus soziologischem Blickwinkel betrachtet – Reaktion auf die Lebensbedingungen der Risikogesellschaft (vgl. Beck 1986 und Giddens 1991), nämlich auf die Wiederaneignung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen zur Selbststeuerung sozialer Gruppen, die sich weitgehend außerhalb des formalen politischen und ökonomischen Systems vollzieht. Aus den frühen Selbsthilfeanläufen sind in vielen Fällen zwischenzeitlich halb-professionelle Organisationsformen hervorgegangen, denen zu gelingen scheint, die Vorzüge einer engen sozialen „Bodenhaftung“ und Problemnähe mit einer zunehmend gefestigten Organisationsbasis, mit kreativen Finanzierungsformen („fund raising“, „social sponsoring“) und dem Anspruch zu verbinden, fachlich kompetente wie auch effiziente Arbeit zu leisten. Dieses „Sozialunternehmertum“ kann somit dazu beitragen, die noch klaffende Lücke zwischen re-privatisierter familialer oder kollektiver LaienSelbsthilfe und „entfremdeter“, weil professionalisierter und durchorganisierter Dienstleistung schließen zu helfen. Zugleich könnte damit gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisch ein ergänzender Weg beschritten werden, der weder unrealistisch auf eine neue Blüte der klassischen Ehrenamtlichkeit setzt noch die unbedingte Rückkehr zum alten Vollbeschäftigungsmodell zur Voraussetzung hat. Allerdings ist diese skizzierte Entwicklung kein „Selbstläufer“. Es wird unter verwaltungs- und politikreformerischen Absichten vielmehr darum gehen müssen, durch eine angemessene Kontextsteuerung, die vorhandenen Ansätze und Potenziale gemeinschaftlicher Selbsthilfe und genossenschaftlichen oder privaten Sozialunternehmertums anzuerkennen und zu unterstützen. Von Seiten der öffentlichen Hand könnte dadurch ein aktiver Beitrag geleistet werden, um wichtige Voraussetzungen zivilgesellschaftlichen Handelns zu befördern. Unterstützende Maßnahmen hätten verstärkt bereits dort einzugreifen, wo die mangelnde Organisationsfähigkeit der Selbsthilfeinteressen erste Barrieren für die
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anvisierte Entwicklung setzt. Im Jargon der neueren mikroökonomischen Analyse formuliert, bestünde diese Aufgabe nicht zuletzt darin, die Transaktionskosten für neue und bestehende Selbsthilfenetzwerke und Kooperativen möglichst zu verringern und Anreize für das gemeinwesenorientierte Engagement zu vermitteln. In eine vergleichbare Richtung weisen z.B. die modellhaften Initiativen zu lokalen Kooperationsringen (vgl. Offe/Heinze 1990). Überdies empfehlen sich in diesem Zusammenhang auch die in verschiedenen Mittel- und Großstädten bereits eingerichteten Kontakt- und Koordinierungsstellen als nachahmenswerte Instrumente, die Hilfen zur Selbstorganisation bieten können: sei es, dass sie Interessierte zunächst zusammenführen, zwischen Laien und professionellen Betreuern vermitteln, neue Problemlagen aufgreifen oder mit professionellem Rat zur Seite stehen und ihre organisatorische Infrastruktur zur Verfügung stellen (vgl. Braun/Opielka 1992). Darüber hinaus erscheinen derartige Einrichtungen, gegebenenfalls unterstützt durch „Beiräte und Kuratorien für die Selbsthilfe“, auch dafür geeignet zu sein, die Schnittstelle zwischen Verwaltung und den hier angesprochenen intermediären Kooperativen sachgerechter und wirkungsvoller zu gestalten, als dies bisher der Fall ist (Braun/Opielka 1992: 218-232). Zu den anzustrebenden Verbesserungen der Kontextbedingungen gehört es schließlich auch, gemeinwesenorientiertes Engagement durch finanzielle oder geldwerte Anreize und Kompensationen zu stimulieren und dadurch auch institutionell abzusichern. So ist zum einen der Zugang zur Regelförderung noch häufig durch die bevorzugte Behandlung von etablierten Wohlfahrtsverbänden oder kommerziell-privaten Anbietern behindert. Zum anderen bietet es sich im Sinne dieses Reformmodells an, die Initiierung von Projekten durch begrenzte Anschubfinanzierungen zu erleichtern, stete gemeinwesenorientierte Mitarbeit durch geringe Aufwandsentschädigungen zu würdigen oder – z.B. in Form von Sozialversicherungsgutscheinen – Bürgern die Chance zu geben, durch nichterwerbswirtschaftliche soziale Tätigkeit individuelle Versicherungsanwartschaften zu erwerben (vgl. Gretschmann et al. 1989). 4.1 Grenzen bürgerschaftlicher Selbstorganisation Die Aussicht auf das in der „Vergesellschaftungsstrategie“ vermutete Innovationspotenzial darf allerdings nicht dazu verleiten, die Grenzen dieses Reformkonzepts sowie die damit einhergehenden Schwierigkeiten zu übersehen. Dabei ist vor allem festzustellen, wie die ursprünglich vorteilhaften Seiten dieses Herangehens unter bestimmten Umständen in nachteilige Eigenschaften umschlagen können. So bleibt die Gefahr der sozialen Exklusion als Kehrseite der zunächst positiv zu bewertenden Inklusion häufig missachtet. Freiwilligenpro-
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gramme und intermediäre Kooperativen dieser Art richten sich daher zumeist an spezielle Betroffenengruppen, denen als Mitglieder einer „Gemeinschaft“ eine besondere Gruppensolidarität gebührt, bieten aber kaum Lösungen für breite gesellschaftliche Schichten und Problemlagen. In ähnlicher Weise verweist das bereits weiter oben erörterte spannungsreiche Verhältnis zwischen etablierter Verwaltung einerseits und dem Selbsthilfe-Milieu andererseits auf eine beständige „Soll-Bruchstelle“, die sich kaum durch administrative oder PolicyReformen aufheben lässt: Vielmehr handelt es sich nicht zuletzt um eine typische Konfliktausprägung, in welcher die Autonomieansprüche der „gesellschaftlichen Selbstversorger“ auf das – demokratisch legitimierte – Anliegen sozialer Einflussnahme und Kontrolle treffen. Überdies kann die Vielfalt der – aus dem In- und Ausland berichteten – positiven Beispiele für bürgerschaftliche Koproduktion öffentlicher Leistungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die fachliche und räumliche Reichweite dieser Aufgabenwahrnehmung stets relativ eng begrenzt sein wird. Diese Grenzen ergeben sich folgerichtig aus dem semiprofessionellen Charakter dieser Einrichtungen sowie aus den erforderlichen Ressourcen der Gruppensolidarität und Gemeinwesenorientierung, die schnell erschöpft sein können, wenn etwaige Größenvorteile oder fachliche Diversifikation angestrebt werden. Ein Tätigkeitsschwerpunkt ist sicherlich mit Blick auf das sozial-fürsorgerische Engagement im weiteren Sinne zu erkennen, wobei sich als zusätzliche Aktionsfelder vor allem Aufgaben im Bildungs- und Kultursektor oder lokale Ökologie-Projekte anzubieten scheinen. Mit Blick auf weitergehende Einsatzmöglichkeiten der „gesellschaftlichen Selbstversorgung“ als Regelungsmechanismus (z.B. bei der Gefahrenabwehr oder der Kriminalitätsvorsorge) machen gerade die ausländischen Beispiele z.T. darüber hinaus auch bestehende kulturelle Beschränkungen deutlich, die einer direkten Übernahme jener Erfahrungen in die deutsche Politik- und Verwaltungswirklichkeit entgegenstehen. Darüber hinaus ist nicht außer Acht zu lassen, wie sehr die Hoffnungen an eine vermehrte zivilgesellschaftliche Entfaltung bei der öffentlichen Leistungserbringung an Voraussetzungen geknüpft sind, die durch staatliche bzw. kommunale Unterstützung oder die Mithilfe halb-professioneller „Sozialunternehmer“ allein nicht hinreichend gewährleistet werden können. Dazu zählt allen voran die kommunikativ-soziale Kompetenz zur Selbststeuerung einer Gruppe bei komplexen und anspruchsvollen Motivationslagen und Zielvorstellungen. Wenn demnach auch im Einzelfall mit den vorgestellten Organisationsformen der „gesellschaftlichen Selbstversorgung“ nur Nischen der öffentlichen Aufgabenvielfalt abgedeckt werden können, lassen sich diese An-
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wendungsfälle jedoch unter den Bedingungen moderner Dienstleistungsgesellschaften zu einer beachtlichen Summe addieren. 5. Strategie-Mix: Möglichkeiten und Grenzen Das zentrale Reformanliegen, den Einfluss der Bürger sowohl auf die Programmformulierung als auch auf die Produktion öffentlicher Dienstleistungen zu verstärken und dergestalt auf eine größere Responsivität der Verwaltung hinzuwirken, ist nicht nur auf eine einzige Strategie angewiesen. Die konsumeristische Hauptströmung der gegenwärtigen Modernisierungsdebatte verstellt für diese Einsicht schnell den Blick, wenn allein die gestärkte Kundenmacht gegenüber den Leistungsanbietern als Allheilmittel angepriesen wird. So unverzichtbar und innovativ der markt- und wettbewerbsorientierte Reformansatz für den öffentlichen Dienstleistungsbereich ist, so sind doch zugleich auch die grundlegenden Funktionen von Staat und Kommune als politische Gemeinwesen im Auge zu behalten, die eine Anerkennung der Verwaltungsadressaten als Wirtschafts- und Staatsbürger erforderlich machen. Soll es sich bei den anzustrebenden Veränderungen also nicht nur um Reformen für die Bürger, sondern auch um Reformen durch die Bürger handeln, so impliziert dies notwendigerweise eine zumindest gleichwertige Beachtung auch für politisch-partizipative und koproduktive Strategien. Allerdings erhebt sich gegen diesen Hintergrund die Frage, wie viel Wahlfreiheiten den Reformstrategen tatsächlich zur Verfügung stehen, um ein Maßnahmenbündel aus der vorgelegten Angebotspalette zusammenzustellen oder eine angemessene Balance der verschiedenen strategischen Stoßrichtungen zu erreichen. Begrenzungen solcher Wahlmöglichkeiten ergeben sich aus dem grundlegenden Problem, dass die verschiedenen erörterten Zielrichtungen in letzter Konsequenz weit auseinanderdriften und somit nicht miteinander zu vereinbaren sind. Allerdings schließt dieser konzeptionelle Befund in der Praxis nicht aus, mildere Formen der jeweiligen Reformrichtungen sinnvoll zu kombinieren. So mag es z.B. geradezu erforderlich sein, bei einem angestrebten „strategischen Politikmanagement“ im Sinne des Neuen Steuerungsmodells, mittels einer politisch-partizipativen Strategie die politische Legitimation und Verantwortlichkeit der Exekutivspitze zu erhöhen und bürgerschaftliche Mitsprache in wichtigen Angelegenheit zu ermöglichen. Genauso kann es zusammengehen, wenn Verwaltungseinrichtungen verselbständigt und Marktkräften ausgesetzt werden, zugleich jedoch relevante Nutzergruppen an der Leistungsproduktion bzw. an wichtigen Managemententscheidungen beteiligt sind. Gleichfalls wäre
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es angebracht, die beabsichtigte Aufgabenentlastung der öffentlichen Hand und die größeren Wahlmöglichkeiten für Nutzer mit einer Stärkung des Dritten Sektors und bürgerschaftlicher Selbstorganisation zu verbinden. Mit diesen Beispielen im Blickfeld erscheint es sogar notwendig, von vornherein einen „Instrumentenmix“ anzustreben, der die jeweiligen „Risiken und Nebenwirkungen“ – wie sie als Grenzen und nachteilige Folgen der einzelnen Maßnahmenpakete beschrieben wurden – weitgehend abfedert und den komplexen Anforderungen moderner Verwaltungssteuerung gerecht werden kann. Diese Problemstellung verdeutlicht einmal mehr, wie sehr es sich bei der angestrebten Modernisierung des öffentlichen Sektors nicht um eine technokratische Angelegenheit der internen Verwaltungsführung, sondern um eine inhärent politische Aufgabe handelt.
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My home is my cinema. Die Öffentlichkeit als Garant des Kulturellen? Joachim Landkammer1 Vorbemerkung Man muss es wohl vor allem der Fähigkeit zur Selbstironie der FAZ-FeuilletonRedaktion zugute halten, wenn sie auf ihrer erst vor kurzem ins Leben gerufenen „Filme auf DVD“-Seite2 einen stattlichen Zweispalter abdruckt, der (selbst allerdings völlig unironisch) gegen den privaten „Konsum“ von Spielfilmen am heimischen Fernseher wettert.3 Denn dass sich die neu ins Visier gekommene Zielgruppe dieser Rubrik, die privaten Spielfilm-auf-DVD-Zuhause-Zuschauer, ausgerechnet auf ihrer Feuilleton-Seite im Januar dieses Jahres von Lars Henrik Gass vorwerfen lassen mussten, mit ihrem inhäusigen Audiovisionskonsum das „revolutionäre Potential des Films“ zu einem spießbürgerlich-folgenlosen Vergnügen konsumistischer „Privatiers“ verkommen zu lassen, konnte – in diesem Kontext – nicht anders als ironisch gemeint sein. Wie wenig ernst die Intervention in der Tat genommen wurde, zeigt auch die Tatsache, dass jegliche Reaktion darauf ausgeblieben ist; nicht einmal zu einem einzigen Leserbrief hat sich die sonst so rührige (und oft so sensibel reagierende) Leserschaft der FAZ bemüßigt gefühlt. Das soll nun hier, in Form eines etwas zu lang geratenen (daher nicht am eigentlichen Ort publizierbaren) und den überfälligen Widerspruch einlegenden „Leserbriefs“ nachgeholt werden. Der sich evtl. einstellende Eindruck eines disproportionalen Argumentationsaufwands („mit Kanonen auf Spatzen“…) sollte sich durch die hier angedeuteten weiterreichenden Zusammenhänge revidieren.4
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Der Autor legt Wert auf die Feststellung, dass dieser Text gegen seinen Willen nach den Regeln der „neuen“ Rechtschreibung überarbeitet wurde. Bereits seit dem 06.09.2001 gab es die Serie „Filme auf DVD“ innerhalb der „Kino“-Seite im Donnerstags-Feuilleton der FAZ; seit dem 31.05.2005 stellt die Rubrik „Filme auf DVD“ dort eine eigene ganze Seite. Gass (2006); alle im Text ohne weiteren Angaben zitierten Passagen beziehen sich auf diesen Artikel. Das schließt nicht aus, dass sich dieser Aufsatz von Gass’ Intervention ein relativ eng gefasstes Thema vorgeben lässt; es geht also nicht um die (durchaus auch verdienstvolle, nicht genug zu würdigende) Rolle der Öffentlichkeit in kulturellen Belangen allgemein, sondern um die Frage, ob öffentlich sanktionierte Kulturrezeptionsmuster zwingende Vorbedingungen des „adäquaten“
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Denn die implizit in der FAZ schon beantwortete Frage, ob der Artikel überhaupt eine Replik verdient, wird hier insofern doch positiv beantwortet, als die fragwürdigen Thesen des Verfassers gerade vor dem Hintergrund des Problems der „Zukunft der Öffentlichkeit“ eine wichtige Kontrastfolie abgeben können: was Lars Henrik Gass nämlich umtreibt, so soll hier gezeigt werden, ist eine (ein paar hundert Jahre liberaler Demokratie sei Dank) obsolete „Vergangenheit der Öffentlichkeit“, der man eine völlig konträr zu prognostizierende und bewertende „Zukunft des Privaten“ entgegenstellen muss. Gass’ Protest gegen die heutige Mediennutzungskultur orientiert sich, mit anderen Worten, an einem nicht zukunftsfähigen Modell von Öffentlichkeit, das weder den einschlägigen Fakten noch den gegenwärtig und zukünftig vertretbaren Werten gerecht wird; die Aufdeckung der deskriptiven wie normativen Defizite dieses ÖffentlichkeitsKonzepts soll (vielleicht mit einer ihrerseits dem Anlass angemessenen polemischen Überspitzung) am konkreten Beispiel des kollektiven Kulturgüterkonsums deutlich machen, welchen Anforderungen und Zumutungen ein normatives Öffentlichkeitskonzept in einer pluralistischen, liberalisierten, individualisierten und medientechnologisch avancierten Gesellschaft heute standhalten muss. 1. Pantoffel-Kino? Lars Henrik Gass, seit 1997 Leiter der Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen5, gibt sich in seinem FAZ-Essay um nichts weniger als um „den“ Film und „seine gesellschaftliche Bedeutung“ besorgt. Der Anlass dafür scheint bereits fragwürdig: der Preisverfall von DVDs, die deren private Anschaffung und Betrachtung plausibler und angenehmer machten als den Gang ins Kino. Warum aber die Sachlage und ihre Konsequenzen heute aufgrund der DVD anders liegen sollen als bei der Einführung der Videokassette ab ca. 19806, wird nicht er-
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Umgangs mit Kunstwerken und kulturellen Artefakten darstellen, und ob private und selbstbestimmte Formen der Kulturaneignung als „konsumistisch“ abqualifiziert werden müssen. Dass der Autor insofern kraft seines Amtes in seiner FAZ-Intervention natürlich auch weitgehend pro domo spricht, wird stillschweigend angenommen, soll uns aber nicht davon abhalten, seine Thesen – im Modus des „als-ob-nicht“ – auf den Prüfstand der Verallgemeinerungsfähigkeit zu legen. Inwieweit die Videokassette, die im Vergleich zum per Fernsehsender übertragenen Film dem Konsumenten zwar deutliche Selbstbestimmungs-Gewinne, aber prinzipiell keine andere BildErfahrung bietet, den eigentlichen Quantensprung der Emigration des Films aus dem Kino darstellt (und nicht eben schon das Fernsehen selbst), wäre die nächste sich anschließende medienhistorische Frage. Zum Verhältnis Film – Fernsehen gibt es eine ausufernde Literatur, auf die weiter unten nur fallweise verwiesen wird.
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wähnt; die Sorgen scheinen also, selbst wenn sie berechtigt wären, zumindest um einige Jahrzehnte zu spät artikuliert zu werden.7 Um so höher ist zum Ausgleich der Einsatz, um den es geht. Aufs Konto der verbreiteten DVD-Nutzung geht nicht nur der „Niedergang einer Auswertungsform des Films“, sondern damit einhergehend „das Verschwinden des Kollektivs“. Das Kino repräsentiert – wie, soll später näher untersucht werden – eine „Öffentlichkeit“, die nun „im Privaten verschwindet“. Damit sind in schlagwortartigem Reflex bereits die gigantomachisch hochskalierten Koordinaten benannt, um die es in dieser Einlassung des Festivalleiters letztlich geht, und die eine genauere Analyse weniger seiner vordergründigen Anti-DVD-Polemik als deren ideologischen Hintergrundannahmen im Rahmen heutiger Überlegungen zum Thema Öffentlichkeit lohnend erscheinen lassen. Wofür steht bei Gass das „Private“, wofür das „Öffentliche“? Das Erstere scheint klarer: wer sich zuhause eine DVD am Fernsehgerät anschaut, folgt damit einem individualistisch-hedonistischen Kalkül, in dem es offenbar ausschließlich um bloße Kontext-Annehmlichkeiten geht. Denn die Entscheidung für die DVD, so wird konzediert, ist eine auch vom Autor nachvollziehbare Konsequenz einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die den lästigen Aufwand des AußerHaus-Gehens (es wird eigens erwähnt: Parkplatz-Suche, Schlange-Stehen) zu den Vorteilen der bequemeren Sichtung (es wird erwähnt: Füße Hochlegen, Trinken, Rauchen) und der individuellen Manipulation des Vorführ-Apparats addiert: entweder um zwischendurch anfallende, extern veranlasste Nebentätigkeiten zu ermöglichen (es wird erwähnt: Telefonieren) oder um die Kontinuität der schon erwähnten Bequemlichkeiten zu gewährleisten (mehr zum Trinken Holen). Dieser Versuch einer Kategorisierung von Gass’ Argumenten pro DVD soll zeigen: dass es auch von der Sache und nicht nur von den Begleitumständen her angemessener sein könnte, einen Film zuhause anzuschauen, passt offenbar nicht in sein Konzept. Aber warum sollte es nicht einer „besseren“ und „tiefgründigeren“ Rezeption des Films zugute kommen, dass man den Film an bestimmten Stellen zur genaueren Analyse eines stills oder zur eigenen innehaltenden Reflexion anhalten, sowie gewisse Passagen wiederholen oder verlangsamen kann? Und warum sollen das Glas Rotwein und die Zigarette einem tieferen Verständnis des Films unbedingt abträglich, warum sollten sie ihm nicht gerade dienlich sein? Ganz zu schweigen von den allzu bekannten störenden Begleitumständen, 7
Die einzige Andeutung auf einen präzendenzlosen aktuellen technologischen „Heim-Vorteil“ besteht in der Erwähnung des „Flat-Screen-Fernsehers“, der einen Film „noch besser aussehen“ lasse als im Kino. Aber ob nun dies vielleicht ein entscheidender Faktor sein könnte, der auch vor den Augen des Autors Gnade findet, bleibt jedoch unklar.
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die, auf der anderen Seite der Alternative, wohl auch einem Kinogänger, der keinerlei prinzipiell misanthropischer Neigungen verdächtig ist, schon das Filmerlebnis in einem vollbesetzten Kino ruiniert haben (Husten, Lachen, Reden, Aus- und Eintreten, usw.).8 Solche empirischen Lappalien sind für Lars Henrik Gass freilich an dieser Stelle nicht nennens- und diskutierenswert; es wird hier auch nur deswegen daran erinnert, um der tendenziösen Aufzählung der angeblich rezeptionsfremden Umstände privat-hedonistischer TV-Idyllik einige der empirischen Kontext-Kontingenzen entgegenzusetzen, die von ihm wohlweislich verschwiegen werden.9 2. Öffentlichkeit als Verhinderung des Privaten Bedeutsamer und bedenkenswerter freilich scheint die hier vorgenommene Gleichsetzung von öffentlichem Kunsterleben (wenn wir den Kino-Gang einmal unter diese Kategorie rubrizieren wollen) und den damit verbundenen, zwar selbstgewählten, aber dann unter bestimmten Zwängen stehenden und als (einzig) adäquat aufgefassten Rezeptionsweisen. Dem wird der private, selbstbestimmte Modus der Sichtung von selbstreproduziertem Audiovisionsmaterial gegenübergestellt, der die zur korrekten Seh-Haltung zwingenden Einschränkungen des öffentlichen Sehens unterlaufen würde und daher offenbar keine adäquate, dem Anspruch des Materials gerecht werdende Rezeption darstelle. Nur en passant ist darauf hinzuweisen, dass das in diesen etwas allgemeineren Begriffen gefasste Problem sich mühelos übertragen lässt auf andere Bereiche der Kultur-Fruition: Herr Gass würde sich bspw. fragen lassen müssen, ob sich aus seiner Anti-DVD- und Pro-Kino-Position nicht auch folgern ließe, dass jedes inhäusige (oder per Kopfhörer und Walkman mobil privatisierte) Musikhören elektronischer Konserven von für die Aufführung im öffentlichen Raum konzipierten Musikstücken (sei es das Symphoniekonzert, die Oper oder der Live-Mitschnitt eines Rockkonzerts) diesen wesentlich Unrecht antut, oder ob das Betrachten von 8 9
Dass man sich früher auch schon in Museen und Gemäldeausstellungen vom Lärm der anderen Besucher gestört fühlte, deutet Luhmann (11995, 1999: 437) mit Verweis auf Th.E. Crow an. Als eine „seriöse“ Untersuchung der Filmwahrnehmungsbedingungen zu Hause vgl. Schurian (1998), der sich allerdings auf einen wertenden Vergleich mit dem Kino nicht einlassen will. Wolf Jobst Siedler hat hingegen schon 1960 in der ZEIT das Fernsehen dafür gelobt, dass es durch die „Wiedergeburt“ der „Loge des glanzvollen Hoftheaters in der Mietwohnung“ einem „Geist gelöster Aufmerksamkeit zuträglich ist und weil es jene heiter-kunstfreundliche Geselligkeit rehabilitiert, die dem Wesen der Kunst angemessener ist als die beflissene Ernsthaftigkeit im Parkett“ (Siedler 11960, 2002: 308f.). Auf analoge Weise ermöglicht die DVD heute die Überwindung des „angestrengt-ernsthaften Kunstgenusses“ (ebd.: 306) im unkommunikativkunstbeflissenen dunklen Kino.
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Reproduktionen von Gemälden und Werken bildender Kunst in Büchern oder (wie heute per Internet oder CD-Rom möglich) auf dem Bildschirm (statt der entsprechenden Originale im Museum), wie auch das (stille) Lesen von Theaterstücken oder von Märchen, dem Verdikt der Verfälschung, Verflachung und Depravierung der jeweils „eigentlich“ intendierten künstlerischen Substanz verfallen würden. Solche extremen Einsprüche gegen weitverbreitete und kaum ernsthaft aufzuhaltende Tendenzen der Kulturgüter-Rezeption in Zeiten medientechnologisch avancierten Massenkonsums sind immer wieder vorgebracht worden, trotz der offensichtlichen Hilflosigkeit, eine durch die „mobile privatization“ (Williams 1975) längst verlorene Schlacht noch wenden zu wollen. Das Interessante und eine genauere Analyse Verdienende an ihnen ist lediglich das WerteReservoir, aus denen sie sich meistens auf eine eher verschwiegene Weise speisen: aus solchen grundsätzlichen Protesten ist zunächst einmal ein gewisser Elitarismus herauszuhören, der sich mit dem Mythos des (nur für Wenige gemachten, und daher auch nur möglichst Wenigen zugänglich zu haltende) authentischen Originals verquickt. Der „Kenner“, der Mehr-Wissende und TieferEmpfindende ist ein Platoniker10: er wird sich natürlich mit jenen Kopien und dem bloß Reproduzierten nicht zufrieden geben, die man für billiges Geld an die tumben Massen verschleudert, damit sie in ihrer privaten, durch keinerlei Regeln des „guten Geschmacks“ kontrollierten Alleingelassenheit damit machen können, was sie wollen (Rembrandts „Goldhelm“ im IKEA-Plastikrahmen, gleich neben dem berüchtigten „röhrenden Hirsch“, usw.). Das Bestehen auf Standards des richtigen Umgangs mit den authentischen, nicht bloß industriell reproduzierten kulturellen Artefakten widerspricht dabei keinesfalls der gleichzeitigen Forderung nach „Öffentlichkeit“: denn diese steht hier eben nicht für „allgemeine und freie Zugänglichkeit“, sondern für die Gewährleistung einer öffentlichen Kontrolle über die Einhaltung der offensichtlich für notwendig gehaltenen Rezeptions-Restriktionen. Der Öffentlichkeit muss daher die Rolle eines TÜV für die Kulturgüterkonsumtion nach den geltenden DIN-(=DeutscheIntellektuellen-Norm)-Bestimmungen wahrnehmen… Des Weiteren liegt einer solchen Haltung eine bis heute weit verbreitete Auffassung von Kultur und Kultur-Konsumtion zugrunde, deren Ursprünge im Idealismus des beginnenden bürgerlichen Zeitalters zu suchen sind; nämlich die 10 Genauer: er wiederholt innerhalb der Kunst jene platonische Seins-Hierarchie, die Platon außerhalb der Kunst aufstellte und die bekanntlich bei ihm dazu führte, einer nach damaligen Vorstellungen auf Imitation fokussierten Kunst selbst den niedrigsten Seins-Wert, nach den Ideen und den realen Gegenständen, zuzuschreiben.
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Auffassung, dass Kultur nicht „leicht“ sein dürfe, sondern Anstrengung, Mühe, ja Überwindung bis zur Selbstverleugnung „kosten“ müsse.11 Wie man nach Kant Moral erst dann erkennt, wenn sie „weh“ tut (sofern sie sich nämlich gegen die „natürliche Neigung“ durchzusetzen imstande ist), so erkennt man „Kultur“ erst daran, dass sie „irgendwie“ unangenehm sein muss. Der Grad der „Unannehmlichkeit“ wird dabei heute zwar oft so weit zurückgefahren, dass von dem, was früher gern „Provokation“, „Irritation“ oder „Verstörung“ genannt wurde, heute nur noch der Anspruch übrigbleibt, „ungewohnt“ und „anders“ zu sein. Aber alles (angeblich) schon „Bekannte“, „Vertraute“, nur Wiederholte ist jedenfalls von geringem bis nichtexistierendem Kulturwert.12 Denn dies erfordert keine Arbeit, stellt keine Herausforderung dar und nötigt dem Rezipienten keine Rezeptionsleistung ab (dass solche Leistungskriterien in der Kultur genau den verdinglichten Arbeits-Ethos wiederholen, den man in der kapitalistischen Arbeitswelt beklagt, scheint dabei nicht aufzufallen). Davon abgesehen würde aber auch jeder irgendwie bestimmbare aktive Aneignungsaufwand eine suspekte Größe repräsentieren, auf die man sich nicht festlegen lassen will. Darum wird das teleologische idealistische Aneignungs-Programm immer auch entfinalisiert und transzendiert in Richtung einer nie einzuholenden Überforderung, einer ständigen Warnung, dass jeder noch so reflektierte Rezeptionsakt hinter dem eigentlichen Anspruch des Kunstwerks zurückbleiben muss.13 Daher rührt die untergründige Aggressivität in vielen mission statements auch heutiger Kunstund Kulturschaffender und -vermittler. Geblieben ist vom früheren AvantgardeSelbstverständnis immer noch die Idee, dass „wirkliche“ (verstanden im Sinne von „wirksamer“) Kunst nur durch Strategien der Überwältigung (durch das „Erhabene“) und „Gefährdung“ gelingt14, durch das Einbrechen in geschützte 11 Habermas rügt „den Markt“ dafür, dass er (neben der willkommenen ökonomischen Zugänglichkeit) „den Inhalt der Kulturgüter den eigenen Bedürfnissen derart adaptiert, dass er den breiten Schichten auch psychologisch den Zugang erleichtert“ (Habermas 11962, 1990: 254, Kursivierungen im Original). 12 Nochmals, nur beispielhaft, Habermas’ Unterscheidung von Hoch- und Massenkultur: „Umgang mit Kultur übt, während der Verbrauch der Massenkultur keine Spuren hinterläßt; er vermittelt eine Art Erfahrung, die nicht kumuliert, sondern regrediert“ (ebd.: 255). Vgl. dagegen, ebenfalls nur exemplarisch, als aktuelle radikal entgegengesetzte Gegenauffassung, Johnson (2005). 13 Im Bereich der zeitgenössischen E-Musik haben die Verfechter des sog. „Komplexismus“ diese Position zum Programm erhoben und verteidigen daher mit nur verbissen zu nennendem Trotz die intendierte, prinzipielle „Unverständlichkeit“ und sinnliche Unnahbarkeit dieser Musik, etwa gegen die „regressiven“ postmodernen Tendenzen der sog. „Neuen Einfachheit“ (so nachzulesen in fast jeder beliebigen Ausgabe der Zeitschrift „Musik & Ästhetik“...). Das theoretische Fundament liefert u.a. auch Christoph Menkes Umdeutung der Autonomie als „ästhetischer Negativität“: Widerspruch und Zurückweisung jedes „gelingenden Verstehens“ (Menke 1991). 14 Das Kino lässt mich, in Gass’ Worten, „etwas wahrnehmen, das geeignet ist, mich in höchstem Maß zu gefährden“.
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und tabuisierte Bereiche (des Intimen, des Ekelhaften) oder zumindest durch die Erregung von Zuständen des Er- und Bestaunens sowie des Sich- und des BeWunderns. Denn diese formale Minimalforderung hat auch die moderne Kunst mit jedem Schaubudenzauber noch gemein: nur ein „außer sich“ geratendes Individuum ist empfänglich für die Art neuartiger Eindrücke, auf die alleine es anzukommen scheint.15 Genau deswegen muss Kunst invasiv, offensiv und „indiskret“ mit der Sphäre des Privaten umgehen: weil das Private – in einer langen abendländischen Tradition, beginnend bei den griechischen idiotes – für das Rückzugsterrain des Individuums gehalten wird, in dem es sich gegen alles Fremde und (Ver-)Störende, ja überhaupt gegen alles „Anstrengende“ abschottet. Privatheit ist, wie auch die Ethymologie lehrt, negativ definiert als ein Ausschluss-Bezirk, der dem, der sich in ihm aufhält, nicht nur die Möglichkeit, sondern auch das Recht gibt, „draußen“ geltende Forderungen zu ignorieren. Der private Bereich ist also ein Areal der erlaubten Trägheit und Erschlaffung, der Ort, wo der Mensch „unter seinen Möglichkeiten“, „unter seinem Niveau“ bleiben darf – und daher, so wird unterstellt, auch allzu gern bleibt. Die „öffentliche Moral“ ist nicht nur eine andere, wesensverschiedene, sondern eine höherstehendere Moral als die der zum Amoralischen und moralisch Indifferenten tendierenden Verhaltensnormen im privaten Bereich. Damit ist dafür gesorgt, dass Konfliktfälle entweder gar nicht auftreten (es gibt keine Kollision zwischen Moral und Amoral), oder jeweils eindeutig durch die „höhere“ Moral der Öffentlichkeit entschieden werden. Das Private steht daher prinzipiell unter dem Verdacht der Verkümmerung, der Borniertheit, der exzessiven Selbstgewissheit und daher auch prinzipiell unter dem Vorbehalt des nur temporär Gestatteten. Die Öffentlichkeit sieht eine ihrer Hauptaufgaben (beginnend im Kindesalter mit der „Schulpflicht“) darin, die private Selbstabschottung und das Abdriften in „autistische“ Selbstgenügsamkeit zu verhindern. Das Verhältnis privat-öffentlich ist kein friedliches Nebeneinander; die agonale und antagonistische Dynamik in der Auseinandersetzung zwischen den beiden Sphären, die sich an ihren ständig umkämpften Grenzlinien noch am deutlichsten manifestiert (Rössler 2001: 329ff.), kommt meist nur deswegen nicht zu Bewusstsein, weil die Öffentlichkeit per se „immer Recht hat“: das Private hat nicht nur einen schlechten Ruf, sondern auch (per definitionem) keinerlei Mittel, dieses Image zu verbessern. Alles Private leidet also unter der allgemeinen krypto-politischen Verdächtigung, die den Menschen nun einmal seit mehr als zwei Jahrtausenden als anima15 Dies gilt besonders für das (frühe) Kino, für das nicht zufällig Tom Gunning den Begriff „cinema of attractions“ geprägt hat.
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le sociale und zoon politikon festgeschrieben und hypostasiert hat: auch die revolutionären Ursprünge des europäischen, auf den Straßen von Paris geborenen Bürgertums16 lassen in jedem häuslich-familiären Pantoffelträger, in jedem bourgeois einen Verräter an der Sache der citoyens erscheinen, der die gemeinschaftlichen Aufbruchsutopien mit seinem banalen Privat-Mikrokosmos und dessen beengtem Gesichtshorizont vertauscht hat: Modelleisenbahn statt Weltbeherrschung. Wen wundert es also, wenn für Lars Henrik Gass die Gefahr, dass diese langweilige couch-potato aufgrund von billigen DVDs nun noch nicht einmal mehr den Allerwertesten hochkriegt, um ins Kino zu gehen, eine weitere Niederlage auf dem so lange schon verfolgten Weg zum Ziel des aktiven, mündigen und partizipationsfreudigen Bürgers darstellt? Die nur leicht karikierende Darstellung soll den Abstand deutlich machen, der uns heute de facto von einer lange Zeit gängigen „privatophoben“ KulturTheorie der Öffentlichkeit trennt, in der diese als Dimension der Beunruhigung, „Agitation“ und Verflüssigung gegen die gefürchtete Erstarrung im Idiosynkratisch-Privaten und als Negation des „Affirmativen“ jeglicher Art zelebriert wurde. Diese Idee einer Öffentlichkeit der intellektuellen Wächter und Warner vor privatistischer Laxheit gewann in Deutschland bekanntlich Prominenz durch Theodor W. Adorno, sowohl durch das in seinen Auftritten wirkungsvoll zur Geltung gebrachte Öffentlichkeitsverständnis wie auch durch seine neomarxistisch politisierte und „kollektivistisch“ zu nennende Sozialphilosophie der Kunst, nach der „[d]as je eingreifende einzelmenschliche Subjekt […] kaum mehr [ist] als ein Grenzwert, ein Minimales, dessen das Kunstwerk bedarf, um sich zu kristallisieren“ (Adorno 11973, 2000: 250). Es muss hier nicht daran erinnert werden, wie weit aktuelle kulturwissenschaftliche Ansätze sich von den hegelianisch-marxianischen Grundaxiomen des gesamtgesellschaftlichen „ästhetischen Wir“ (ebd.: 252) entfernt haben, die Adornos Haltung und Erwartung einer „antibürgerlichen Bürgerkultur“ zugrunde lagen: ich nenne nur stichwortartig die Rehabilitierung des „Konsum“-Begriffs (John Fiske), die Relativierung der Unterscheidung von Hoch- und Populärkultur (Leslie A. Fiedler), die Aufwertung von Gegenwartserfahrungen („Präsenz“ ist auch immer „Präsens“) zuungunsten von utopischen Zukunfts-Entwürfen (Hans-Ulrich Gumbrecht), den pluralistischen und dezentralisierenden Verlust von ausgezeichneten öffentlichen „Orten“ von Kultur (Michel de Certeau), usw.17 16 Vgl. dazu immer noch erhellend Marx’ Kommunistisches Manifest (etwa unter http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm) 17 Dem ließen sich außerdem eine lange Liste neuerer Filmtheorien hinzufügen, die auf veränderte Wahrnehmungs- und Sozialisationsformen aufmerksam machen und daher auch ein weniger rigides Öffentlichkeitskonzept vertreten; vgl. etwa Hansen (1994), oder Joachim Paechs Bemer-
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3. Kino-Film-Wahrnehmung vs. manipulierbare Bilder? Umso interessanter ist die durch das unvermutete Auftauchen auf den Seiten der FAZ bewiesene hartnäckige Persistenz einer „älteren“ und methodologisch eigentlich obsoleten Konzeption. Gleichwohl täte man Gass unrecht, wenn man seine Thesen ohne Rest auf die adornitische Kulturindustrie-Kritik und utopistische Überforderung der Ästhetik reduzierte. Der Text enthält, über gewisse Spurenelemente eines späten Frankfurter Stallgeruchs hinaus, einige film- und kinospezifische Argumente, die gerade in Hinsicht auf die Problematik der privaten vs. öffentlichen Beschäftigung mit Kulturgegenständen eingehender zu untersuchen sind. Auf dem Spiel steht laut Gass ja nicht, so könnte man bspw. einschränkend und defensiv sagen, die gesamte Filmkultur, sondern es wird mit der Änderung der Weise der mehrheitlichen Film-Sichtung nur eine Transformation seines „Wesens“ prognostiziert. Gass enthält sich der Apokalyptik wie der Apologetik und befürchtet einen tiefgreifenden Wandel in dem, was Kino einst bedeutete und wofür es stand. Aber auch bei einer solchen „wohlwollenderen“ Lesart wird zu fragen sein, ob die dabei ins Zentrum rückende Kategorie der „Wahrnehmung“ auch nur die knappere Beweislast dieser These geringerer Reichweite zu tragen in der Lage ist. Der Film wird in dem Moment ein anderer sein, wenn ich ihn, allein in meinem privaten Raum, manipulieren und unterbrechen kann, statt im Kino, in diesem dunklen Raum, zu einer Wahrnehmung gezwungen zu sein, die nicht meine eigene ist.
Die gedrungene Formulierung lässt sich auseinanderziehen in eine Reihe von sich aufdrängenden Fragen: kann man denn zu Wahrnehmungen gezwungen werden? kann man überhaupt Wahrnehmungen machen, die nicht die „eigenen“ sind? inwiefern ist eine Wahrnehmung eines stellenweise (wie oft? wie lang?) unterbrochenen Films wirklich eine „andere“? Und durch welche „Manipulationen“ (schon das Wort suggeriert hier finstere Machenschaften, zu denen die haushaltsüblichen DVD-Geräte schwerlich in der Lage sind) werden welche Wahrnehmungsweisen verändert oder gar verfälscht? Beim Versuch einer verbildlichenden Konkretisierung des hier angesprochenen „Zwangs zu Wahrnehmung“ fallen unweigerlich die Szenen von Kubricks „Clockwork Orange“ (1971) ein, in denen man den sadistischen Protagonisten kungen zur „transitorischen Stellung des Cinéma“: „Die Veränderung des soziokulturellen Habitus seit den 1960er Jahren in den westlichen Gesellschaften und die Entstehung neuer medialer Umwelten und der trotzigen Beibehaltung des alten Dispositivs haben zur Krise des Cinéma geführt, während dieselben Filme in der neuen dispositiven Struktur des Fernsehens oder des Home Video erfolgreich aufgeführt wurden“ (Paech 11997, 2003: 477f.).
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von seinem Gewalttrieb heilen will, indem man ihn an einen Kinositz fesselt und mit einer Apparatur, die den Kopf festhält und die Augenlider weit aufsperrt, unaufhörlichen Horror- und Gewaltdarstellungen aussetzt. Es will scheinen, dass neben einem solchen wörtlich verstandenem und fiktional umgesetzten „Zwang zum Hinschauen“ (der sich natürlich via künstlerische Übertreibung auf reale Vorgänge beziehen mag) alles andere Reden von Wahrnehmungen, zu denen das (öffentliche) Kino „zwingen“ könnte, nur noch harmlos metaphorisch gemeint sein kann; de facto kann jeder Kinobesucher, der nicht auf diese grobe Weise sonderbehandelt wird, sich den Leinwand-Bildern genauso leicht entziehen wie man sich umgekehrt vor dem Fernsehgerät zu Hause zu analogen Wahrnehmungen durchaus selbst „zwingen“ kann. (Eine moderierte und gefilterte Sichtung ist im Kino meist sogar einfacher als bei der solitären HeimFilmvision: gern werden im Kinosaal bei unangenehmen Szenen die – meist – männlichen Begleiter von ihren – meist – weiblichen Sitznachbarinnen gebeten, ihnen zu sagen, wann sie die Augen wieder öffnen können…). Freilich wird die von Gass beschworene „andere“ Art der Wahrnehmung sich nicht auf den Sonderfall unangenehmer visueller Erfahrungen reduzieren lassen, die einen instinktiv „wegschauen“ lassen, was ja im Kino, „in diesem dunklen Raum“, tatsächlich insofern schwieriger ist als zu Hause, als der Gesichtshorizont dort neben dem Fernsehgerät oft andere helle visuelle Objekte aufweist, von denen sich der Blick ablenken lassen und bei denen er sich „ausruhen“ kann – falls man nicht durch Raumabdunklung, durch die größere Sichtnähe zur Mattscheibe oder durch deren Vergrößerung per Flat-Screen oder Beamer mehr oder weniger kino-ähnliche Wahrnehmungs-Settings herstellt. Seit Platons Höhlengleichnis, auf das man sich in der Geschichte der Filmtheorie ja auch oft genug berufen hat (Paech 11997, 2003), gelten dunkle Räume als Orte eingeschränkter und kollektiv gesteuerter Wahrnehmung: alle Höhlenbewohner (übrigens auch bei Platon gefesselt, wie bei Kubrick) starren gleichzeitig nur in eine Richtung, nur auf die fiktiven Projektionen, ohne deren realen Ursprung mitzureflektieren, geschweige denn, diesen selbst in den Blick zu bekommen. Nun ist Gass insofern Anti-Platoniker, als er die Lösung vom kollektiven Sehzwang, die beschwerliche und vom „Philosophen“ exemplarisch vorgenommene Blickumkehrung offenbar nicht mehr als Emanzipation von einer visuellen Verführung (in der sog. „apparatus“-Filmtheorie: von den eskapistischen Kommerz-Traumwelten Hollywoods) feiern kann, sondern gerade die Nötigung zur gemeinsamen „Blickrichtung“ als Gegenmittel zur privaten Drift ins Unverbindliche und Egomanische empfiehlt. Die „eigene Wahrnehmung“ des „Privatiers“, der ein „anderes soziales Wesen als der Mensch der Masse“ ist, behandelt
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den Film nur noch als Gegenstand privater Verfügung, als „game“: „Ein Bild, das mir scheinbar gibt, was ich will: ein narzißtisches Bild“. Man mag sich hier an Oscar Wildes Narzissten par excellence, an Dorian Gray erinnert fühlen; allein auch dessen nur privat gesichtetes Bildnis stand kaum in seiner Verfügungsmacht: es fungierte zwar als „Spiegel“, aber als Spiegel seiner Seele, der ihm ungeschminkt die Wahrheit über sein verfallendes eigentliches Ich sagte. In der Tat sind Bilder, die einem „geben, was man will“, nicht gerade ein gängiger Topos der Bildtheorie. Auch das „narzisstischste“ Bild, eben der Spiegel, hat etwa in Form des „Spiegleins an der Wand“ neben der standardisierten Eröffnungs-Schmeichelei gleich auch immer die bittere Wahrheit über „die noch tausendmal Schönere“ in petto. Das bedeutet: mag man sich im Spiegel zunächst noch so sehr bewundern, spätestens der zweite Blick ist ernüchternd. Für Bilder bedeutet das, a fortiori: sie sind von einer irreduziblen Alterität, von einer realitätsverweigernden Fiktionalität, die von der Manipulierbarkeit realer Gegenstände kategorial unterschieden ist. Gegen Bilder kann man sich nur „wehren“, indem man sie zerstört (oder indem man „nicht hinschaut“). Genauso wenig wie Bilder „negieren“ können, weil sie auch das Negierte zeigen müssen, kann man als Betrachter dieses Zeigen negieren. Die Behauptung, man schaue auf die selben Bilder alleine, im Bereich privater visueller Selbstbestimmung signifikant anders als im Kollektiv (und zwar: im Sinne einer privaten Möglichkeit egozentrischer Bildmanipulation), scheint daher höchstens „psychologisch“ zu plausibilisieren, etwa indem man daran erinnert, dass in der Tat im Kinosaal sich oft das Gefühl einstellt, den Bildern auf der Leinwand „schutzloser“ und „wehrloser“ ausgesetzt zu sein (vgl. unten).18 De facto inhibiert die Kom-Präsenz anderer oft eine unmittelbare individuelle „Aufarbeitung“ (und insofern auch: Neutralisation) der Eindrücke, durch körperliche oder verbale Reaktionen. Die sich zur Lautlosigkeit und Unbeweglichkeit selbst verpflichtende Masse verhindert zwar vielleicht nicht, dass die Bilder dem Einzelnen „geben, was er will“, aber immerhin, dass er sich durch spontane eigensinnige Verhaltensweisen einen manifesten (und vielleicht tatsächlich: vorschnellen) eigenen Reim auf sie macht. Daran schließt sich freilich sofort die Frage an, ob denn diese durch Unterdrückung forcierte Kollektivwahrnehmung die (einzig) „richtige“ und angemessene ist, und inwieweit überhaupt der unmittelbare Kinosaal-Eindruck ausschlaggebend für die adäquate Rezeption eines Filmwerks sein darf bzw. sein soll: verdichten sich nicht auch im Kino gesehene Filme erst in einer der Live-Erfahrung nachfolgenden reflexiven Phase der im18 Vgl. allerdings zu einer „realistischen“ Einschätzung dessen, was „Menschen im Kino“ wirklich (d.h. außer Filmsehen auch noch) tun, Paech/Paech (2000).
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maginativen Rückschau (in der man dann evtl. wieder „mit sich selbst allein“ sein mag) zu dem „Gesamterlebnis“, das sie sind? Man wird dies für eine intellektualistische (und tendenziell dualistische) Verfälschung ästhetischer PrimärErfahrung halten; außerdem schlösse ja die Notwendigkeit einer reflexiven „Nachbearbeitung“ nicht die einer vorausgehenden und möglichst unmittelbaren und evtl. wohltuend „reflexionslos“ gehaltenen Erst-Wahrnehmung aus, sondern setzte sie im Gegenteil voraus. Trotzdem scheint mir Gass’ topographische und temporale Fixierung des Filmerlebnisses auf die Echtzeit im dunklen Kinosaal dem komplexen und vielschichtigen Vorgang „Filmverstehen“ (an dem „das Kollektiv“ nicht durchgängig beteiligt sein muss) nicht gerecht zu werden. Die einseitig totalisierende Reduktion des ästhetischen Phänomens „Film“19 auf die kontextuellen leiblichen und psychologischen Bedingungen von dessen konkretkontingenter Wahrnehmung, die noch dazu als die einzig „richtigen“ und „natürlichen“ festgeschrieben werden, rechnet nicht mehr mit der Möglichkeit eines „ideellen Gehalts“, der davon (relativ) unabhängig20 Gegenstand der Rezeption, der Reflexion und nicht zuletzt der intersubjektiven Kommunikation sein kann. 4. Öffentlichkeit als Zwang Wichtiger für die Frage nach der Rolle der Öffentlichkeit ist allerdings Gass’ Verknüpfung der Zwangsbedingungen öffentlicher Visionen mit der Wahrnehmung gesellschaftlicher Alternativen. Sobald das Kino im Privaten verschwindet“, so Gass’ Prophezeiung, wird es mit dem Bezug auf das Kollektiv, „das als amorphe Masse im Saal schlummert […] auch seinen heimlichen Bezug zu dem Außen des Kinos verlieren, denn seine Sichtbarkeit artikulierte sich im Kontrast zu den Verhältnissen der Welt, die man außerhalb des Kinos vorfand. Der Film verschaffte einen Bezug zur Welt nicht dadurch, dass er sie abbildete, sondern indem das Kino eine andere Welt vorschlug.
Hier wird das eigentlich Verwerfliche der privaten Fehl-Nutzung des Konsumguts Film deutlich: sie verflacht das „revolutionäre Potential des Films“ und seine hier behauptete Andersheit zum Bestehenden und schraubt es herunter auf das Niveau des Immer-Schon-Bekannten und Konventionell-Eingeordneten der alltäglichen borniert-individuellen Konsumpraxis.
19 Ähnliches gälte auch für andere Kunstgattungen und deren unterschiedliche (traditionelle vs. moderne) Erfahrungskontexte: Literatur als e-book auf dem Monitor, Bildende Kunst im „Virtuellen Internet-Museum“, Musik auf der Straße im Kopfhörer usw. 20 Bzw. genauer: auch unter anderen Wahrnehmungs-Bedingungen, die diesen angeblich einzig wahren nicht so heterogen sind, wie hier behauptet wird.
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An dieser Haltung verblüfft zunächst die Apodiktizität, mit der hier „der Film“ tout court zum Ort der „Dissidenz“ erklärt wird, wurde ihm und seiner dominierenden kommerziellen „kulturindustriellen“ Machart doch oft genug vorgeworfen, als „ideologische Verdopplung“ – und zwar gerade in seinen wirklichkeitsüberhöhenden, ins Märchenhaft-Phantastische sich versteigenden Formen – das schlechte Bestehende als „die Welt noch einmal“ mehr oder weniger platt abzubilden, und dadurch jede über den Status quo hinausgehende „konkrete Utopie“ (Bloch) zunichte zu machen. Aber auch die (prinzipielle) Zuständigkeit der Öffentlichkeit für „Dissidenz“ scheint fraglich. Der Widerspruch löst sich allerdings gerade vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Wächter-Funktion des Öffentlichen auf, weil Gass, wie im „Kultur-Diskurs“ üblich, nicht von der Idee einer politisch verstandenen Öffentlichkeit ausgeht, die sich an den Kategorien Macht, Ordnung, Einheit orientiert (und daher das Private als Hort des Machtentzugs, der Rechtsfreiheit, tendenziell der Anarchie unter Kontrolle halten muss), sondern eben von der Vorstellung einer moralisch-kulturellen Öffentlichkeit, für die die Masse der Individuen eine träge, entropisch zum Amorphen neigende Menschenmaterie darstellen, die „in Form“ gebracht und gehalten werden muss. „Dissident“ ist daher für die Kulturöffentlichkeit alles, was den „natürlichen“ Hang zum Rückfall in den einheitlich regressiven Zustand des Vorkulturellen und Unzivilisierten verzögert und verhindert.21 Am Beispiel der Alternative Kino/DVD, gerade anhand der radikalen Formulierungen unseres Impuls-Texts, kann die Aktualität einer solchen Sichtweise auf die öffentliche Funktion von Kultur erhellend diskutiert werden. Denn die Behauptung der Notwendigkeit des Kino-Settings für die adäquate Rezeption von Filmen lässt sich, zuspitzend und verallgemeinernd, diskutieren als Frage nach den Bedingungen der Auseinandersetzung mit Kunst- und Kulturobjekten in öffentlichen Räumen, unter Anwesenheit (fremder) Anderer, im Kontrast zur heute, „im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit“ möglichen und oft zeitund realökonomisch günstigeren Begegnung mit den (fast genau) gleichen Objekten in privaten Räumen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am Vergleich des Kinoerlebnisses mit dem der Film-DVD zu Hause lässt sich, vor dem Hintergrund einer schon seit langem konstatierbaren Makro-Entwicklung hin zur individualisierenden Entkollektivierung der kulturellen Erfahrungen, konkretisieren, was „das Öffentliche“ (noch) bietet – und was es verbietet. 21 Die vieldiskutierte Unterscheidung Kultur-Zivilisation bleibt hier im Hintergrund, gerade weil der (offensichtlich) unhintergehbare Zwang des Zivilisationsprozesses (Freud, Elias) immer auch abfärbt auf einen „Zwang zur Kultur“ (Kluxen 1996).
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Die kulturell engagierte bürgerliche Öffentlichkeit steht, seit Habermas bekannter pessimistischer Diagnose aus dem Jahre 1962, unter dem Verdacht, schlicht abhanden gekommen zu sein.22 Schon damals wurde die Verlustanzeige mit der Einreichung einer Anklage gegen Allzu-Bekannt verknüpft: die massenmediale Kulturindustrie habe die offene Austausch-Arena des politisch wachen und „kulturräsonnierenden“ Bürgertums zu einer konsumistischen ScheinÖffentlichkeit privatisiert, die „Züge sekundärer Intimität“ trage (Habermas 1962: 262f.). Heute, bei noch weiter fortgeschrittener Virtualisierung und Diffundierung der Kommunikationsmedien, führt deren mangelnde reale Verortbarkeit zu einem auch topographischen Verschwinden von Öffentlichkeit. Virtual Community und Chatroom können diese nicht ersetzen, denn: „Öffentlichkeit, und das galt in hohem Maß für den Salon, das Kaffeehaus, die Kantine, die Kneipe, den Park etc., bedeutet eine Kondensation von Kommunikation, die an einem entscheidenen Punkt tatsächlich Bezug auf einen gemeinsamen Ort, eine Stadt, eine Region, ein Land nimmt. Im Innern von Öffentlichkeit geistert beständig eine Ortsintention“ (Demuth 2002: 32). Das dank privater DVD-Nutzung schließende Kino scheint nun eine weitere Etappe auf diesem Kalvarienberg der Öffentlichkeit zu sein. Wir müssen daher den Kinosaal als konkreten und leiblich erfahrbaren „Ort der Öffentlichkeit“ analysieren, der als solcher wichtige komplementäre ästhetische Wirkungen zeitigen zu scheint, die zu Hause (so) nicht reproduzierbar sind, weil sie über die (wenigstens approximative) Identität der visuellen Film-Substanz weit hinausgehen. Denn die entscheidende Differenz mag zwar auch mit den unterschiedlichen Wahrnehmungsbedingungen23 zusammenhängen, betrifft aber immer auch andere, nicht-visuelle Dimensionen mit. Die realen Folgen der Öffentlichkeit des Kinosaals lassen sich aber so einfach nicht bestimmen, denn es will scheinen, dass zwei damit zusammenhängenden Faktoren durchaus ambivalente Effekte zukommen: zum einen der Präsenz Anderer, zum anderen der öffentlichen „Raumordnung“, also den vorgeschriebenen Regeln seiner Benutzung. Beide sind Dimensionen der „Öffentlichkeit“ und determinieren die Filmerfahrung in einer Weise, die das Private nicht 22 Vgl. dazu Benhabib (1997) über die „gewisse Nostalgie“ einiger Studien über die Öffentlichkeit, die als Geschichte vom „Aufstieg und Fall“ angelegt sind. 23 Allerdings ist auch bei den offensichtlichsten Vergleichsparametern Vorsicht angesagt. So scheint die Bildgröße für viele Filmtheoretiker kein entscheidendes Merkmal darzustellen: Rudolf Arnheim ging zwar von der Existenz einer „richtigen“ Bildgröße aus, konzipierte sie aber nur als relativen Abstand Zuschauer-Bild; sie sei „unabhängig von der Projektion im Kino oder im ‚Heimkino‘, das in der Wohnung benutzt wird“ (Arnheim 11932; 2003: 187). Zuungunsten des Kinos schlägt daher seine Aussage aus: „Es ist bis heute praktisch ausgeschlossen, einem großen Publikum einen Film so vorzuführen, dass ihn alle in der günstigsten Bildgröße sehen!“ (ebd.).
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kennt. Wir wollen die beiden Ordnungen unterscheiden und – provisorisch – von einer materiellen und einer formalen Öffentlichkeit sprechen. 5. Die Anderen – Öffentlichkeit als Normalisierungsinstrument Folge der materiellen Öffentlichkeit, also der nicht verhinderbaren körperlichen Anwesenheit unbekannter Anderer, ist zunächst die unmittelbare, „massenpsychologisch“ greifbare Tatsache der Verstärkung gewisser naheliegender Reaktionen durch die Wahrnehmung der Reaktionen der Anderen. Viele Zuschauer machen die Erfahrung, dass ein im Kino als „lustig“ erlebter Film zu Hause auf Video oder DVD viel weniger lustig ist; dass ein furchterregender Horror-Film zu Hause keinerlei Angst mehr macht usw. Auch wenn man andere Umstände (etwa Abschwächung durch Wiederholung, weniger intensive Eindrücke durch das kleinere Format) abzieht, bleibt die Vermutung der „emotionalen Ansteckung“ durch andere. Freilich intensiviert und forciert die Präsenz der Anderen nur einige selektierte Reaktionen (und sanktioniert dabei auch ein exzessives Überschreiten des zulässigen Maßes). Andere oder allzu starke Emotionen werden durch die (zwar durch die Dunkelheit reduzierte, aber trotzdem „spürbare“) Verhaltenskontrolle jedoch gerade verhindert, etwa die Gefühle, für die man sich u.U. „schämen“ zu müssen glaubt, wie allzu starke Rührung und Erregung (vgl. Rössler 2001: 273). Die „Öffentlichkeit“ greift also hier normierend und normalisierend in das Gefühlsmanagement des Einzelnen ein. Gewisse emotionale Erfahrungen scheinen zwar in der Tat die (unbewusste) Unterstützung durch unspezifizierte Andere zu erfordern, aber diese liegen wohl auf der Ebene „einfacher“ und wenig „wertvoller“ Standard-Gefühlskripts. Es soll in der Tat anspruchsvolle Kinobesucher geben, die sich einzig wegen der außerfilmisch induzierten Emotionen im Kino auch gerne einmal einen sog. „schlechten“ Film ansehen, den sie sich allein zu Hause nie zumuten würden… Neben diesen wenig originellen unmittelbaren Auswirkungen des kinematographischen Zusammenseins mit Anderen soll aber noch auf einen weiteren, seltener beachteten sozialpsychologischen Effekt hingewiesen werden, der das Thema „Kunst im öffentlichen Raum“ ganz allgemein betrifft. Die Anwesenheit Anderer erzeugt im Zuschauer/Zuhörer unweigerlich das Bewusstsein, Teil eines vom Kunstwerk als Ganzes adressierten Kollektivs zu sein. Und zwar im Modus der Erleichterung: nur ein Teil. Wenn überhaupt sich der Eindruck einstellt, von der Vorführung „gemeint“ zu sein, kann die leibliche Gewissheit, dass die gleichzeitig präsenten Mitmenschen offenbar immer auch „mit“-gemeint sind, die Wir-
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kung auf den Einzelnen durchaus beeinflussen. Am wahrscheinlichsten wohl auf „negative“ Weise: die Verbindlichkeit der „Aussage“, die Intensität der vom Kunstwerk ausgehenden „Anforderung“, nimmt proportional zur Anzahl der Mitanwesenden ab. Die Anderen nehmen mir – je mehr sie sind, desto mehr – die Bürde einer Eins-zu-Eins-Auseinandersetzung ab. Eine Nachricht, die „alle“ meint, richtet sich an keinen bestimmten mehr, also kaum noch „an mich“. Die Rilke’sche Forderung der Kunst „du musst dein Leben ändern“, verliert im Plural jegliche Eindringlichkeit (wenn sie überhaupt je eine hatte).24 In gewisser Analogie zu der relativ banalen Einsicht der Kommunikationstheorie, dass nur spezifisch adressierte Mitteilungen als solche überhaupt wahrgenommen werden, darf vermutet werden, dass auch die Zumutung einer ästhetischen Erfahrung „in der Menge“ leichter abgewehrt bzw. konventioneller und schematischer verarbeitet wird, als es ohne die Pufferung, Abfederung und Kanalisierung der Wirkungen durch Mitanwesende geschähe.25 Während die damit zusammenhängenden Tendenzen zur Verflachung und Banalisierung schon wegen ihrer kommerziellen Ausbeutbarkeit massenkulturindustriell gefördert wurden, gab es aber gleichzeitig immer auch Gegenbestrebungen, die alternativ dazu individueller gestaltete, und daher „involvierendere“ Kunsterfahrungen möglich machen wollten. Die entsprechenden Rechtfertigungen mögen nach naserümpfender elitärer „Hochkultur“ klingen, insistieren aber wohl zu Recht auf menschlichen Basisemotionen, die genauso wenig „in aestheticis“ in der Menge zu haben sind wie in anderen Gefühlsbereichen (wie etwa Liebe, Sehnsucht, Geborgenheit usw.). Eine (Re-)Privatisierung von Kunst- und Kulturerfahrungen war daher nicht nur an dem „demokratischen“ Effekt einer möglichst diffusen Verfügung über ökonomisch zugängliche, weil technisch vervielfältigte Kulturobjekte in Warenform orientiert26, sondern viel eher an der Hoffnung, dass eine intime und massenferne Rezeption andere, möglicherweise „wesentlichere“ Aspekte kultureller Artefakte in den (ungestörten privaten) Blick bekommt. So ist etwa die Entwicklung der Kammermusik seit dem späten 18. Jahrhundert als Gegentendenz zum – auf den Massenkonsum der großen Konzertsäle berechneten – erdrückenden Pomp des Symphonischen, zur sterilen Vir24 Vgl. daneben die gleich im Plural formulierte Aufforderung „Seht einmal“, was nach Adorno das ist, „was Bilder sagen“ (Adorno 11973, 2000: 251). 25 Blumenberg sieht in der Anwesenheit des „Anderen“ generell eine Gefahr für den Illusionismus (bei ihm: des Panoramas): es sei „>...@ ‚der Andere‘, der sich in den Solipsismus der Schaulust als ‚störende Realität‘ hereinschiebt – und sich schon darin als derjenige ankündigt, dessen Erfahrung die Erfahrung von ‚allem anderen’ einer objektiven Welt zugehörig werden läßt“ (Blumenberg 11989, 1996: 678). 26 Wie Habermas das am Beispiel „Taschenbuch“ exemplifiziert (Habermas 1996: 255f.).
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tuosität des Solistenkonzerts und zur exhibitionistischen Theatralität der Oper zu verstehen, die zudem nicht nur dem privaten Zuhörer, sondern auch dem musizierenden Laien Chancen eines innigeren, weil nicht-öffentlichen Zugangs zur Musik eröffnete. Dass aber auch der anspruchsvollere Umgang mit avantgardistischen Musikformen Einschränkungen der Öffentlichkeit der Aufführung notwendig macht, war eine Einsicht, die etwa Arnold Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“ (1918-1921) schon im Titel deutlich zum Ausdruck brachte. Und auch diese Organisation zur Realisierung von Kulturereignissen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit machte jene Rezeptionsformen möglich, die Video und DVD der Kino-Vorführung eines Films voraushaben: man konnte dort prinzipiell alle Musikstücke zweimal hören, Beifall- und Missfallenskundgebungen waren verboten, konnten also zumindest den eigenen unmittelbaren Eindruck nicht beeinflussen. Diesen Punkt abschließend darf kurz darauf hingewiesen werden, dass für einige Filmtheoretiker die kollektive Form der Filmbetrachtung, als eines der vermeintlichen Spezifika des öffentlichen Kino-Raums, völlig irrelevant ist. So meinte etwa der russische Formalist Ejchenbaum (völlig konträr zu der bei Gass durchscheinenden Auffassung), dass der Film nur durch seinen Erfolg zu einem Massenphänomen geworden sei, und gerade nicht durch die spezifische Art seiner Wahrnehmung im Kino. Hingegen fordert der Film an sich in keinster Weise die Anwesenheit einer Masse, wie zu einem gewissen Grad das Theater. Jeder, der einen Projektor besitzt, kann sich zu Hause einen Film anschauen und so Teil der Masse der Filmzuschauer sein, ohne auch nur einen Fuß ins Kino zu setzen. Darüber hinaus fühlen wir uns im Grunde, wenn wir im Kino sitzen, nicht als Teil einer Masse, als Teilnehmer an einem Massenschauspiel, die Bedingungen der Filmvorführung ermöglichen dem Zuschauer, sich gleichsam vollkommen isoliert zu fühlen […] Die Disposition des Zuschauers gleicht einer intimen Einzelbetrachtung. Das geringste, nicht zum Film gehörende Nebengeräusch ärgert ihn weit mehr als im Theater […] sein Ideal ist, keinerlei Anwesenheit anderer Zuschauer zu spüren, allein mit dem Film zu sein, taubstumm zu werden (Ejchenbaum 11927, 2003: 104f).27
Das „Ideal“ des Kinobesuchers wäre also, dürfen wir heute folgern, die Betrachtung des Films zu Hause auf DVD… Mit den angesprochenen „Bedingungen der Filmvorführung“ werden hier aber bereits Charakteristika angesprochen, die wir als die „formale“ Öffentlichkeitsdimension des Kinos beschreiben wollten.
27 Vgl. auch, eben in Widerspruch zu Gass’ radikaler Entgegensetzung von Leser und Kinobesucher, McLuhan: „The film viewer [im Kino! JL] sits in psychological solitude like the silent book reader“ (während hingegen „The TV mosaic image demands social completion and dialogue“, McLuhan 2003: 318f.).
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Der dunkle Raum – Öffentlichkeit als privativer Ort der Selbstentfremdung Formale Aspekte der Öffentlichkeit im Kino liefern die nicht individuell disponierbaren Regeln, durch die dieser spezielle „Ort“ strukturiert ist. Der im Kino vorherrschende Typus von „Öffentlichkeit“ ist in der Tat alles weniger als „offen“, zumindest im Sinne einer Arena, die vielen Menschen viele verschiedene Arten des Zugangs und frei zu wählende Optionen des Verhaltens und Miteinander-Interagierens böte. Das Kino ist stattdessen ein nicht nur wörtlich sehr „enger“ Raum, dessen Nutzungmöglichkeiten stark eingeschränkt und streng kodiert sind. Das liegt zum einen an den Wahrnehmungsbedingungen; die Dunkelheit im Raum schließt anspruchsvolle transversale Interaktionen und SelbstBeobachtungen des Publikums aus; ferner macht die Abwesenheit der Verantwortlichen für die Aufführung und Inszenierung als mögliche Interaktionspartner, anders als im Theater und der Oper, jegliche aktive Beteiligung der Zuschauer als Zeichen des Ge- oder Missfallens überflüssig, da diese nicht adressierbar sind. Das Kino wirft das Publikum in völlige Passivität; so will es jedenfalls scheinen,28 wenn man die vorgeschriebene Schweigsamkeit und Unbeweglichkeit des Publikums in Betracht zieht.29 Im Gegensatz zum geschlossenen privaten Raum, in dessen Innerem meiner Handlungsfreiheit (fast) keine Grenzen gesetzt werden, ist das Kino ein geschlossener öffentlicher Raum, in dem „die“ Öffentlichkeit zunächst durch die Vorschrift bestimmter Körperdispositionen und Verhaltensweisen, also als „Fesselung“ in Erscheinung tritt. Die Überschreitung des privaten Bereichs hinein ins Kino ist also in der Tat, wie Gass schreibt, eine „Schwellenerfahrung“, insofern als die mit diesem Eintritt verbundenen Regeln30 dem Individuum vor 28 Dem ist allerdings auch schon früh widersprochen und dem Zuschauer ein durchaus aktiver Part in der „Herstellung“ des Gesamtphänomens Film zugedacht worden. Vgl. etwa Kristin Thompson: „Der Neoformalismus vertritt die Position, dass Zuschauer aktiv sind, dass sie Verarbeitungsprozesse durchführen“ (Thompson 1998: 447). Damit werden frühe Anregungen der Filmtheorie von Hugo Münsterberg wieder aufgegriffen (vgl. Monaco 11977, 2002: 419; dort auch zu Eisenstein S. 431, zu Bazin S. 436). 29 Der Reiz des Dauerbrenners und „Kultfilms“ Rocky Horror Picture Show (Richard O’Brien, 1975) scheint v.a. darin zu liegen, dass die Rezeptionskonvention gerade dieses einzigen Films mit der Norm bricht und vom Kinopublikum ein „Mitmachen“ erwartet, allerdings eben auch nur an den vorgesehenen Stellen und in ziemlich präzise organisierter Weise (vgl. die Liste aller „geforderten Aktionen“ unter http://de.wikipedia.org/wiki/Rocky_Horror_Picture_Show). Merkwürdig scheint hieran allerdings nur, dass diese Formen des standardisierten „Mitmachens“, wohl entstanden bei der Live-Teilnahme am ursprünglichen Musical (1973), auch als Partizipationsmuster der Filmvorführung ritualisierbar blieben. 30 Hier gelten also wörtlich jene „Eintrittsbedingungen“ der Kultur, von denen Habermas metaphorisch spricht (und die man nicht ungestraft „erleichtern“ dürfe) (vgl. 11962, 1996: 255).
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allem deutlich machen, dass es nicht mehr „im eigenen Haus“, nicht mehr „bei sich selbst“ ist. Die völlige Identifikation mit dem „Kameraauge“ führt zu einer Auslieferung und Unterwerfung unter das Leinwandbild, das jedes Ich- und Distanzgefühl absorbiert.31 Dieser für Gass’ Kinoverständnis eminent wichtige privative Öffentlichkeit, die das Individuum seines je Eigenen beraubt, äußert sich, in seinen Worten, im Zwang, „jemand anderes zu sein“, da der Zuschauer im Kino anders „fühlt und denkt“ als der „Privatier“ zu Hause vor dem Fernsehgerät. Oder zumindest anders als es soziologische Kategorien beschreiben könnten: denn der Kinozuschauer steht zwar „nicht de facto, aber imaginär“ „außerhalb der Gesellschaft“. „Dieses andere, alternative Leben, das ihm der Film zu bieten hatte, das erschloss sich ihm allein durch das Kino, das ihm keine Wahl ließ“. Die starke Entrückung und Absorption des Zuschauers im Kino ist, gerade im Vergleich mit der (angeblich) weniger in den Bann schlagenden Filmsichtung zu Hause, oft notiert worden.32 Allerdings ist man m.W. bisher kaum so weit gegangen, diese Entfremdung vom eigenen Ich durch das im Kino aufgezwungene „alternative Leben“ auf eine solche extreme Weise zu interpretieren wie Gass: nach seiner Auffassung hört das Subjekt mit seinen Erfahrungen, seinem Sich-Unterscheiden von einer nur abgebildeten Objektwelt, mit seinem Reservoir an „Wissen“ und Bildung im Kino schlicht auf zu existieren. Denn das Kino war dieses andere Leben, in dem ich verschwand, das mich zu einem Wesen ohne Bildung machte. Im Kino kann und will ich mich nicht bilden (im Gegensatz zum Theater oder zum Museum), im Gegenteil: ich will ein anderes Leben sein, ich stelle mich außerhalb der Gesellschaft.
31 Habermas’ Öffentlichkeitskonzept hingegen reagiert gerade kritisch darauf, dass im Gegensatz zu den Lese-Medien (wie Buch und Zeitung) moderne nicht-interaktive Bildmedien das Subjekt identifikatorisch verschwinden lassen, und es nicht mehr „sprechen und widersprechen“ darf (Habermas 11962, 1996: 261). 32 Vgl. etwa Kloss (o.J.): „Das Kino versucht […] die Realität der statisch auf ihren Sitzplätzen verharrenden Zuschauer verschwimmen zu lassen, ihre Realitätswahrnehmung an die Leinwand zu binden und ihnen das Gefühl einer beinahe körperlichen Anwesenheit im Geschehen des Films zu vermitteln. Dahingegen bleibt der Bildschirm (meist des Fernsehers) als Übertragungsapparatur in der Realität des Zuschauers verhaftet und schwächt das Gefühl der Verbundenheit mit dem Film stark ab. Der Fernseher suspendiert den Film von seiner transzendierenden illusionistischen Kraft und schafft eine neue Beobachtungssituation, die von einer größeren Distanz und allgegenwärtigen Beiläufigkeit geprägt ist. Er öffnet lediglich ein Fenster zu einer vergleichbaren oder etwas veränderten Welt. In der Situation des Fernsehens ist man sich seiner selbst meist viel stärker bewusst als in der des dunklen Kinos.“ Vgl. auch Hickethier (2002) zum „Erlebnistotal“ Kinofilm.
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Das Kino ist also für Gass keine Stätte des „Lernens“ und der „Erfahrung“, sondern ein Ort der Entfremdung, der Auslöschung des Ichs.33 Mit dieser paradoxen nicht-erfahrbaren Erfahrung ist daher auch nicht mit Hilfe von intellektueller und kritischer Reflexion umzugehen; die temporäre „Verwandlung in ein vorsprachliches Leben“ im Kino zwingt, wegen der damit verbundenen „Empörung oder Faszination“, nach der Filmerfahrung über diese zu sprechen, aber nicht, um sich diese ungreifbare Verwandlung retroaktiv anzueignen und sie „auf- oder durchzuarbeiten“, sondern um die ganze Welt nach diesem Maßstab zu verändern: nicht mit Formen, nicht mit Bildung, sondern mit einer neuen Wahrnehmung. Nachdem man die Welt anders wahrgenommen hatte, konnte sie nicht länger bleiben, wie sie ist.
Das „revolutionäre Potential“ der Kinoerfahrung liegt also in ihrer unvermittelbaren Alterität, in ihrer „Unversöhnbarkeit“ mit der Wirklichkeit. Der Eindruck einer „alternativen Wirklichkeit“ ist so stark, dass sie beim Heraustreten aus dem Kino nicht als „reine Fiktion“ abgetan und „unschädlich“ gemacht werden kann, sondern zu einer Art kognitiven Dissonanz führt, die wiederum „keine Wahl“ lässt als die, die Welt nach dieser „anderen Wahrnehmung“ zu transformieren. Von hier aus ist Gass’ Verständnis der Rolle von Öffentlichkeit zu klären: öffentliche Rezeptionsordnungen müssen Kunsterfahrungen so strukturieren und intensivieren, dass sie nicht als „Spiel“, als Distanz und Reserve („Bildung“) zulassende „Fiktionen“ erlebt werden dürfen, die „ästhetisch“ autonom (also: folgenlos) „genossen“ (Gass: „konsumiert“) werden. Öffentlichkeit verhindert die privatisierende ästhetische Selbstgenügsamkeit und zwingt, gerade durch die totale Identifikation und Passivität der Rezeption selbst, zur „revolutionären“ weltverändernden Tat in der postrezeptiven Phase; denn nur durch eine solche Tat ist die radikale Diskrepanz zwischen Filmwirklichkeit und Realität zu bewältigen. 7.
Wieder-Auferstehung des Individuums: Private Selbstaneignung von Kultur Es liegt nun wenig daran (obwohl es ein Leichtes wäre), die Hilflosigkeit solch naiver Erwartungen ironisch zu karikieren und ad absurdum zu führen, bzw. 33 Man vergleiche diese rabiaten Überwältigungserwartungen mit der zwar auch auf die KinosaalErfahrung gemünzten, aber weitaus ambivalenteren „Apologie des Kinos“ von Th.W. Adorno – wie sie zumindest Martin Seel rekonstruiert: das Kino wird in seiner „kontemplativen Natur“ begriffen als ein „Asyl“, wo man „ein paar Stunden unkontrolliert dabeisitzen kann“ (Adorno), was den Zuschauern die „Freiheit [lässt], mehr oder weniger unbehelligt an einem Geschehen beteiligt zu sein, das sie als empfindende Subjekte gleichwohl etwas angeht“ (Seel 2004: 92).
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darauf hinzuweisen, dass solch „revolutionäre“ Effekte, wenn überhaupt, dann kaum pauschalisierend von „dem“ Film (gleich welchen Inhalts, Hauptsache: auf der großen Leinwand) zu gewärtigen wären.34 Interessant scheint einzig die Frage, wie aktuell eine Auffassung ist, die kulturelle Prozesse nicht individuellen und pluralistisch vielfältigen Aneignungsformen überlassen will, sondern das Individuum nur noch durch jene Verfahren der Entfremdung und des IchVerlusts für auf anspruchsvolle Weise kulturell formbar hält, die durch die öffentlichen Rezeptionsnormen erzwungen werden. Seit Schopenhauer und Nietzsche wird freilich genau die paradoxe These vertreten, dass nur der ekstatisch-dionysisch sich vom lästigen principium individuationis freimachende, im kollektiven Taumel bzw. im Bewusstseins-Nirwana sich selbst vergessende Mensch noch fähig ist zu authentischen Begegnungen mit dem, was „die Kunst“ wirklich will. Reaktualisiert wurde die Idee von Kunst als einer kollektiven Erfahrung, die den Einzelnen ekstatisch von seiner atomistischen und egoistischen Vereinzelung befreit, damals bekanntlich in Wagners „Bühnenweihfestspielen“; heute würde man auch in den riesigen Musical-Vergnügungstempeln, bei der „Love Parade“ und bei Massen-„Rave“Partys dasselbe Prinzip verwirklicht sehen: kollektive Hingabe an eine für Massen inszenierte überdimensionierte „Aufführung“, von der das anwesende Massenpublikum selbst wesentlicher Bestandteil und oft Hauptattraktionspunkt ist. Die kulturellen Darbietungen werden zum tendenziell sekundären Auslöser, damit die Masse vor allem sich selbst feiern kann, sei es als wieder zu restaurierende „germanisch-nationale Kulturgemeinschaft“, sei es als jugendliche postideologische Spaßgesellschaft (oder als weltverändernde Revoluzzer-Clique). Die vielen gleichzeitig anwesenden Anderen bilden neben den überwältigenden Ausmaßen der eigentlichen Performance eine zusätzliche Droh- und Einschüchterungskulisse, die einträchtig-konforme Reaktionen mit wenig Spielraum für individuelle, oder gar kritisch-distanzierte Haltungen erzwingt. Trotz (und gerade wegen) dieser aktuellen Formen von „Kultur durch Ichvergessenheit“ muss auf die historische Begrenztheit dieses Modells hingewiesen werden. Die sich auf antikisierende bzw. außereuropäische Modelle berufende Ästhetik der Selbstaufgabe wurde Ende des 19. Jahrhunderts als polemisches Remedium gegen die zeitgenössische, nur noch historisierende, bürgerlich-philiströse Beschäftigung mit den zu Statussymbolen und Distinkti34 Gass nennt an einer Stelle, quasi en passant, die „Nouvelle Vague“ als exemplarisches Modell eines solchen revolutionären Bezugs auf die außerfilmische Wirklichkeit; wir trauen uns keine Einschätzung dieser Interpretation zu, aber selbst wenn sie korrekt sein sollte, taugt dieses historische Referenzmodell kaum, um heute, 2006, den Verlust der authentischen Kino-Erfahrung einzuklagen.
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onsmitteln degradierten Kulturgütern gesetzt. Der polemische Bezugspunkt ist freilich bis heute derselbe geblieben: der „Privatier“, der den einschneidenden, ich-gefährdenden Anspruch der Kunst entschärft, entwürdigt und zur harmlosen Möblierung seines emotionalen Konsumhaushalts missbraucht. Gleichwohl scheint mehr als hundert Jahre (und was für welche…) später die Empfehlung der totalen (totalitären?) Versenkung des Ichs in die Kultur durch den öffentlichen Kollektivzwang zu einer „anderen Wahrnehmung“ von einer seltsam anachronistischen Naivität. Obwohl, wie gesagt, die Moderne in der Kunst durch verschiedene (technologisch unterstützte) individualisierende und intimisierende Tendenzen (Buchdruck, „Kammer“- bzw. Hausmusik, das portable, nicht an den kirchlichen Raumkontext fixierte Gemälde, Radio, CD, DVD) auch vielfältige Alternativen zum kollektivistischen Kunst-Erleben möglich gemacht hat35, scheint das Modell der Kult(ur)-Erlebnis-Gemeinschaft, in der die innengesteuerte, eigenzeitliche und individualisierte Beschäftigung mit der Kunst keinen Platz und kein Recht hat, auch heute noch in vielen Vorstellungen herumzuspuken, die das private Kunsterleben höchstens als defizitären Ersatz-Modus des KulturgüterKonsums gelten lassen. Dabei beschränkt sich der anti-individuelle Affekt nicht auf die vermassenden Rezeptionsformen so genannter populärer, kulturindustriell produzierter Kunst in „Warenform“. Auch die sog. anspruchsvolle Kunst will, wenngleich mit anderen Formen, das Individuum weitgehend von sich selbst „befreien“. Auch wo Kunst sich „letztlich“ an das Individuum wendet, geschieht das nur, um es als solches (also als eine sich auf sich beziehende, in sich geschlossene Entität) zu verunsichern und in Frage zu stellen. Mit dem neuzeitlichen Verlust der aristotelischen Teleologie scheint auch die aristotelische Katharsis auf halbem Wege steckengeblieben: Ziel der Identifikation mit dem fiktionalen Kulturgeschehen ist nicht mehr die „Befreiung“ und „Reinigung“, sondern die Erschütterung („Mitleid und Furcht“) als Selbstzweck. 35 Gass’ Bemerkung „der Film bezog sich immer auf die Masse, die im Kino saß, nicht auf ein Individuum, das ein Buch las oder ein Gemälde betrachtete“ muss zumindest insofern kinohistorisch korrigiert werden, als die technologische Entwicklung zu Beginn der Kinematographie „Filmabspielapparate“ für den Hausgebrauch als eine durchaus naheliegende technische Alternative zu der erst später erfolgten Entscheidung für Projektionen in öffentlichen Sälen vorsah. Der „andere Anfang“ des Films, zu dem das heutige Heim-Kino nur wieder zurückkehrt, dürfte ein anderes, nicht mehr ganz so zwingendes Licht auf die Verbindung von Film und Kinosaal werfen (vgl. dazu Kramer 1996 und Zielinski 1989: 19ff.; dort auch viele andere wohltuend „anti-cineastische“ Bemerkungen gegen „die Stilisierung des Kinos zum Mythos, seine Heiligsprechung als ritueller Ort filmischen (Er)Lebens, seine Auratisierung gegenüber dem verkommenen Televisuellen“, S. 12).
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In der Tat ist das entsprechende volkspädagogische Denkmuster, in freilich abgeschwächter Form, auch in vielen kulturpolitischen Debatten virulent. Sobald bei der Diskussion um die Erhaltungswürdigkeit von öffentlichen Spielstätten für Theater, Oper und Ballett in finanzmaroden Kommunen auch nur angedeutet wird, dass heute allseits zugängliche Fernseh- und Videoaufnahmen von fast allen gängigen Bühnenwerken das Desiderat eines Dreispartenhauses in jeder größeren Provinzstadt etwas weniger dringlich erscheinen lassen könnte (als zu Zeiten, in denen diese privat zu nutzenden Medien eben nicht zur Verfügung standen)36, wird reflexartig auf der Notwendigkeit und Unersetzbarkeit öffentlicher, d.h. staatlicher Kultureinrichtungen bestanden; offenbar vor allem deshalb, weil diese, qua „Kulturauftrag“, gezwungen sind, ihre Konsumenten (oft in der Form von quasi erzwungenermaßen präsenten „Abbonenten“) zu „anderen Wahrnehmungen“ zu „zwingen“, als sie sie sich selbst freiwillig zumuten würden. Der öffentliche Kulturverantwortliche ist der Arzt, der die Medizin kennt, die wirklich „gut“ für uns ist, auch wenn sie bitter schmeckt; deswegen darf er uns zwingen, sie zu schlucken, anstatt des ungesunden Zeugs, das wir zu Hause ohne seine Ein- und Aufsicht zu uns nehmen.37 Soweit die „öffentliche Theorie“. Die Praxis hingegen wird, in säkularen post-totalitären Gesellschaften, weitgehend durch private Entscheidungen realisiert. Denn in liberalen „Kulturen“ bleibt es jedem Einzelnen überlassen, sich einer solchen, noch allenthalben herumgeisternden paternalistischen ZwangsKulturkonzeption durch eine mündig gewordene „private Kulturprogrammpolitik“ zu entziehen, u.a. eben durch Kauf und Ausleihe von DVDs. Dieser Trend ist sowieso, allen Untergangs-Unkenrufen vom Gass’schen Typ zum Trotz, seit langem unumkehrbar.38 Interessant an Gass’ Rückzugs-Scharmützel ist einzig das Umschalten von Inhalt auf Form: da erkannt wird, dass es in der Tat einen wachsenden und vielschichtigen DVD-Markt gibt, der nicht nur die gängigen Hollywood-Blockbuster zu Hause verfügbar macht (und die FAZ-Rubrik, die 36 Anlässlich der Diskussion um die mögliche Schließung des Volkstheaters in Rostock hatte der Verfasser in einem musikwissenschaftlichen Listen-Diskussionsforum im April 2001 ähnliche Argumente geltend gemacht, wodurch sich einer der Beteiligten, Max Nyffeler, autorisiert fühlte, ihn ohne Namensnennung in seiner nmz-Kolumne (Nyffeler 2001) als einen rein ökonomisch denkenden „Kulturverächter“ á la McKinsey zu denunzieren… 37 Der Arzt ist ein von Platon oft bemühtes Beispiel für eine höhere Kompetenz, die die niedriger stehenden, konträr lautenden Einsichten des nur nach privaten Nutzen und Geschmack urteilenden „Laien“ übersticht. 38 „Whatever our vestigial affections for the focused experience, public space and higher resolution images of cinema, the social experience of the audiovisual is now overwhelmingly in the home“ (Stoneman 1996: 119). „The domestic is the primary site of the audiovisual for most people at the end of the twentieth century....“ (ebd.).
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Gass’ Artikel ironischerweise beherbergt, macht sehr verdienstvoll ja gerade darauf aufmerksam), muss es plötzlich die spezifische Kinosaal-Sichtung sein, die nun zur conditio sine qua non der „richtigen“ Rezeption erklärt wird. Um es abschließend literarisch zu pointieren: die Anwälte öffentlicher Kultur gerieren sich auch heute noch oft als topologische Wächter über Zugänge und Orte. Sie wachen über die „Eintrittsbedingungen“ (Habermas) und stehen „vor der Kultur“ wie Kafkas Türhüter „[v]or dem Gesetz“: sie achten darauf, niemanden (zumindest: nicht zu viele, oder wenigstens: nicht zu billig) hineinzulassen. Wer trotz des Verbotes hineingeht, wird gewarnt: „Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen“.39 Auch wenn wir es wagen sollten, uns nun auch den „anspruchsvollen“ Kinofilm ins Haus zu holen: ihn richtig „wahrzunehmen“ wird uns nicht mehr gelingen. Aber: Bange machen gilt nicht. Wer sich einschüchtern lässt, wird wie bei Kafka zu spät merken, dass diese Tür die einzig richtige ist, die, die nur für ihn „bestimmt“ war. Das heißt: das Leben ist zu kurz, um uns unsere je eigenen Zugänge zur Kultur von öffentlichen Türhütern verbieten zu lassen.
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Zu den Autorinnen und Autoren Barbara Drexler (geb 1980) arbeitet als Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Politische Ökonomie an der Zeppelin University Friedrichshafen und ist externe Doktorandin an der Universität Witten/Herdecke. Master of Science „Political Economy“ an der London School of Economics, Bachelor of Arts in „Economics, Politics and Philosophy“ an der University of York. Forschungsschwerpunkte: Institutionsökonomie, Wissenssoziologie und Geldpolitik. Alexander Eisenkopf, Prof. Dr. (geb. 1962), ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Mobility Management an der Zeppelin University Friedrichshafen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Transport, Logistik und Mobilität, wobei sowohl Fragen des Managements von Transport- und Logistikunternehmen als auch die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen moderner logistischer Konzepte und verkehrspolitischer Konzepte behandelt werden. Wichtige Veröffentlichungen: Just-In-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien (1994); Effiziente Straß enbenutzungsabgaben (2002); Schienenverkehr und Netzzugang (2002, mit G. Aberle). Jetta Frost, Prof. Dr. (geb. 1968), ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation und Unternehmensführung an der Universität Hamburg. Zuvor hatte sie bis zum Jahr 2005 den ZF-Lehrstuhl für Unternehmensführung an der Zeppelin University inne. Ihre Forschungsinteressen sind das Strategie-Strukturverhältnis, Wissens- und Prozessmanagement, Motivationsmanagement, Forschungsstrategien in der Organisationstheorie, praktische Organisationsgestaltung und Theorien der Firma. Sie berät Unternehmen bei Restrukturierungsprojekten und doziert in exekutiven Weiterbildungsprogrammen. Zahlreiche Veröffentlichungen, aktuell: Prozessmanagement als Kernkompetenz, Wiesbaden (4. Aufl., 2006); Märkte in Unternehmen. Organisatorische Steuerung und Theorien der Firma, 2005. Christoph Henning, Dr. phil (geb. 1973), derzeit Assistent am Fachbereich Philosophie an der Universität St. Gallen (CH), war 2004-2006 Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kulturwissenschaften an der Zeppelin University Friedrichshafen. Studierte Philosophie, Soziologie, Political Economy und Musikwissenschaften in Dresden, Berlin und New York, Promotion an der TU Dresden 2003. Aufsätze zur Sozialphilosophie und Theoriegeschichte, forscht derzeit über den Wohlfahrtsbegriff in verschiedenen amerikanischen und europäischen Traditionen und Disziplinen. Letzte Buchveröffentlichungen: Philosophie nach Marx
Zu den Autorinnen und Autoren
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(2006); Marxglossar (2006, Hrsg.); Moralization of the Markets (Mithrsg., 2006); Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale (2006, Mithrsg.). Andreas Huchler, Dipl.-Soz. (geb. 1976), ist derzeit Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Strategische Organisation und Finanzierung (SOFI) der Zeppelin University Friedrichshafen. Forschungsschwerpunkte: Sozialwissenschaftliche Organisations-, Management- und Netzwerkforschung, Managementmoden und Beratungsforschung, Funktionen und Folgen der Außenfinanzierung von Organisationen, ländervergleichende Bürokratie- und Kapitalismusforschung. Weitere Publikationen: Internal Corporate Consulting. Thesen, empirische Analysen und theoriegeleitete Prognosen zum Markt für Interne Beratungen, Discussion Paper, Reihe ZU-Schnitte der Zeppelin University Friedrichshafen (mit T. Deelmann, St. A. Jansen u. A. Petmecky). Stephan A. Jansen, Prof. Dr. (geb. 1971), ist seit September 2003 Gründungspräsident und Geschäftsführer der Zeppelin University sowie Inhaber des „Lehrstuhls für Strategische Organisation & Finanzierung (SOFI)“. Von 1998 bis 2003 leitete er das von ihm gegründete „Institute for Mergers & Acquisitions (IMA)“ in Witten/Herdecke. Er war Forschungsmitglied an der Stanford University (1999) und der Harvard Business School (2000-2001). Geschäftsführender Gründungsgesellschafter der cosinex GmbH, ein Software- und Beratungshaus für eGovernment (2000-2003), seitdem Beirat. Zahlreiche Aufsichtsratsund Beiratsmandate von Unternehmen und Ministerien. Letzte Buch-Veröffentlichungen, u. a.: Public Merger (2004, Hrsg.); Management von Unternehmenszusammenschlüssen (2004); Electronic Government (2001, mit B. P. Priddat); Mergers &Acquisitions (4. Auflage, 2001); Oszillodox (2000, mit P. Littmann, Wirtschaftsbuch des Jahres 2001). Alihan Kabalak, Dipl.-Ök. (geb. 1975), ist Assistent am Lehrstuhl für Politische Ökonomie der Zeppelin University Friedrichshafen. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover. Bis 2002 Assistent des Geschäftsführers der Reakktor Media GmbH; seit 2001 externe Promotion an der Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl Volkswirtschaftslehre und Philosophie, über „Institutionen“ in der ökonomischen Theorie u.a.: Rationalität, Politische Ökonomie, Institutionen- und Evolutorische Ökonomik, Systemtheorien. Gertraud Koch, Prof. Dr., hat Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie respektive Empirische Kulturwissenschaft, Politikwissenschaft und Theater-,
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Zu den Autorinnen und Autoren
Film-, Fernsehwissenschaften in Frankfurt und Tübingen studiert und in Berlin an der Humboldt Universität bei Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba promoviert. Nach zweijähriger Tätigkeit in der Erwachsenenbildung, war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Technology and Gender an der Fachhochschule in Furtwangen. Seit 2003 ist sie Professorin für Kommunikationswissenschaft und Wissensanthropologie an der Zeppelin University Friedrichshafen. Derzeitige Forschungsinteressen sind: Wissensanthropologie, Anthropologie des Lernens mit digitalen Medien auch in interkultureller Perspektive, Kulturgeschichte von Bildung in Unternehmen, Kultur der Innovation. Joachim Landkammer, Dr. (geb. 1962), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kulturmanagement und inszenatorische Praxis. Forschungsschwerpunkte: Philosophische Ästhetik, Bildungs-, Politik-, Kunst- und Musikphilosophie; verschiedene kleinere Veröffentlichungen zu Themen der Ästhetik und der Bildungs- und Vergangenheitspolitik. Birger P. Priddat, Prof. Dr. (geb. 1950), ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Ökonomie an der Zeppelin University Friedrichshafen, Head of the Department of Public Management & Governance. Studium der Volkwirtschaft und Philosophie in Hamburg; 1991-2004 Lehrstuhl für Volkswirtschaft und Philosophie an der Privatuniversität Witten/Herdecke; 1995-2000 Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Forschungsschwerpunkte: Institutional Economics, Political Governance, Theoriegeschichte der Ökonomie, Wirtschaftsethik, Zukunft der Arbeit. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: Hegel als Ökonom (1990); Die andere Ökonomie: Eine neue Einschätzung von Gustav Schmollers Versuch einer „ethisch-historischen“ Nationalökonomie (1995); Moralischer Konsum (1998); Der bewegte Staat (2000, Hrsg.); Arbeit an der Arbeit: Verschiedene Zukünfte der Arbeit (2000); Electronic Government (2001, mit S. A. Jansen); Nachlassende Bildung (2002); Theoriegeschichte der Ökonomie (2002); Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender (2004, mit U. Pasero); Strukturierter Individualismus. Institutionen als ökonomische Theorie (2005); Unvollständige Akteure. Komplexer werdende Ökonomie (2005); Irritierte Ordnung. Moderne Politik. Politische Ökonomie der Governance (2006). Claudia Queißer, Dipl.-Verw.Wiss. (geb. 1977), ist Assistentin am Lehrstuhl für Organisation und Unternehmensführung der Universität Hamburg. Sie studierte Verwaltungswissenschaften mit Schwerpunkt „Policy-Analyse und Evaluationsforschung“ an der Universität Konstanz und arbeitete danach an der
Zu den Autorinnen und Autoren
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Zeppelin University in Friedrichshafen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind organisatorische Steuerung durch Selbstabstimmung, Märkte und öffentliche Güter in Unternehmen, unternehmensinterne Verhandlungen sowie qualitative Methoden der Organisationsforschung. Markus Rhomberg, Dr. (geb. 1979), arbeitet als Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der Zeppelin University Friedrichshafen. Studium der Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Promotion im April 2006 zum Thema „Agenda-Setting. Eine Theorie der Mediendemokratie“. Seine Forschungsgebiete sind demokratietheoretische Fragestellungen zur Rolle und Funktion der Massenmedien in politischen Systemen, insbesondere Fragen der politischen Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung. Christian R. Schnöbel, Dipl.-Kfm. (geb. 1976), ist seit 2002 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaft & Mobility Management der Zeppelin University Friedrichshafen. Externe Promotion bei Prof. Dr. Gerd Aberle an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Gießen mit den Schwerpunkten „Organisation, Führung und Personalwirtschaft“, „Transportmanagement“ sowie „Industrielles Management und Controlling“. Seine Forschungsinteressen betreffen u.a. die Verkehrs- und Eisenbahnpolitik, das Transport- und Supply Chain Management, Governance- und Incentive-Systeme sowie Neue Politische Ökonomie. Eckhard Schröter, Prof. Dr., hat seit 2005 den Stadt-Friedrichshafen-Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft an der Zeppelin University inne. Vor seinem Wechsel nach Friedrichshafen lehrte er am Department of Political Science der University of California, Berkeley, und am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Schwerpunkten in der Forschung und Lehre gehören der internationale Vergleich von Verwaltungsreformen, die Verwaltungskultur-Forschung, Fragen der Metropolenverwaltung und die Governance-Strukturen im internationalen Hochschul- und Wissenschaftsmanagement. Neben zahlreichen Beiträgen in nationalen und internationalen Zeitschriften gehören zu den Veröffentlichungen u.a.: Comparing Public Sector Reform in Germany and the United Kingdom (2000, Hrsg., mit Hellmut Wollmann); Empirische Policy- und Verwaltungsforschung (2001, Hrsg.); Moderne Verwaltung für Moderne Metropolen (Hrsg., zusammen mit Manfred Röber und Hellmut Wollmann).
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Zu den Autorinnen und Autoren
Karen van den Berg, Prof. Dr. (geb. 1963), ist seit 2003 Inhaberin des Lehrstuhls für Kulturmanagement und inszenatorische Praxis an der Zeppelin University Friedrichshafen. Sie studierte Kunstwissenschaft, Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel. Seit 1988 erbeitet sie als freie Ausstellungskuratorin; von 1993-2003 als Dozentin an der Privaten Universität Witten/Herdecke und von 1997-2000 als selbständige Verlegerin; 1999-2003 gründete und leitete sie den Arbeitsbereich „art in dialog“ an der Privaten Universität Witten/Herdecke (gemeinsam mit Jörg van den Berg). Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Theorie des Inszenierens und Ausstellens; visuelle Kultur und Bildtheorie; Kunst, Gefühle, Öffentlichkeit; Politik des Zeigens. Rick Vogel, Dr. (geb. 1977), ist Assistent am Lehrstuhl für Organisation und Unternehmensführung der Universität Hamburg. Er studierte Wirtschaftswissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, Schwerpunkt Planung und Organisation mit verhaltenswissenschaftlicher Ausrichtung. Von 1998 bis 2005 arbeitete er als Organisationsberater mit Beratungsschwerpunkt auf dem öffentlichen Sektor. Daneben promovierte er extern an der Universität Wuppertal, Abschluss 2005 mit der Dissertation Zur Institutionalisierung von New Public Management (erschienen im Deutschen Universitätsverlag 2006). Aktuelle Forschungsinteressen liegen auf Unternehmensführung, vergleichenden Organisationstheorien, Wissens- und Change Management.