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Buch: Larry Laffer, der Möchtegernfrauenheld im Polyester-Anzug, nimmt an einer Kreuzfahrt teil. Larrys Glück: Das Schiff ist bis zum Bug gefüllt mit schönen Frauen. Larrys Pech: Jede einzelne von ihnen ist zehnmal cooler und intelligenter als er. Larrys letzte Hoffnung: ausgerechnet Kapitän Thgyh, eine schwedische Schönheit, die unerreichbar scheint. Seit über zehn Jahren halten die Computerspiele um Larry Laffer, den gnadenlosen Looser, eine ständig wachsende Gemeinde in Atem. Larry Laffer gilt als das beste Beispiel von humorvoller Unterhaltung auf dem Spielemarkt. Steve Whitton hat zu einem besonders amüsanten und deftigen Larry-LafferAbenteuer einen kongenialen, witzsprühenden Roman geschrieben, der kein Auge trocken läßt. In einem ausführlichen Nachwort informiert der Autor zudem über die Geschichte dieser großen Spiele-Serie.
Steve Whitton
Die verrückten Abenteuer des
LARRY LAFFER Roman Ins Deutsche übertragen von Andreas Kasprzak
Basierend auf dem Sierra-Computerspiel Yacht nach Liebe! von Al Lowe
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 13928 Erste Auflage: Dezember 1997
© Copyright 1997 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. Bergisch Gladbach Lektorat: Dr. Edgar Bracht Titelbild: Sierra Coktel, Dreieich Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Flêche, Frankreich Printed in France ebook by Monty P. ISBN: 3-404-13928-3 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Inhalt Vorspiel............................................................................................ 8 1. Willkommen an Bord!............................................................... 22 2. Viktorianische Prinzipien.......................................................... 47 3. Riesenerektion erwünscht......................................................... 58 4. Sprechende Möpse .................................................................... 79 5. Mötmöt und Tlanfelkel ............................................................. 89 6. Venuswürfel ............................................................................ 105 7. Striplügen................................................................................. 122 8. Deine Nase verspricht so viel….............................................. 136 9. Coitus interruptus ................................................................... 150 10. Formalitäten........................................................................... 169 11. Die Frau in Schwarz .............................................................. 192 12. Copulo ergo sum ................................................................... 200 13. Lancôme [oder Lanvin] ......................................................... 211 14. Annette Ammbumsen........................................................... 233 15. Segeltörn................................................................................. 239 16. Lampenketten........................................................................ 251 17. Haute Couture ....................................................................... 262 18. Quiche de Larry..................................................................... 269 19. Achterdeck-Bowling.............................................................. 283 20. Grand finale ........................................................................... 289 Larry Laffer: Die Legende lebt!................................................... 299 Larry Laffer – Die Legende......................................................... 300 Hinter den Kulissen von Yacht nach Liebe! ................................. 306 Al Lowe: Larrys Alter ego?......................................................... 312 Danksagung................................................................................. 315
Für Leo Cardigan
ACHTUNG! Bevor Sie uns verklagen: Sämtliche Personen, Doubles, Widergänger, Bill-ClintonImitatoren, Charaktere und Charakterlose in diesem Roman sind frei erfunden, ebenso viele Sportarten, Weinqualitäten, Kochrezepte, Käsesorten, etc. Jede Ähnlichkeit zwischen Fakt und Fiktion würde nicht nur Al Lowe, sondern auch den Autor zutiefst verblüffen, der sich hiermit nachdrücklich von seinen Protagonisten, ihren Taten, Meinungen und unzüchtigen Gedanken distanziert. (Obwohl, wenn Sie zufällig die Privatadresse von Demi Moore haben sollten…)
Vorspiel Es gibt Nächte im Leben, die große Ähnlichkeit mit der Ziehung der Lottozahlen haben. Nächte, in denen man voller Inbrunst zu dem Greis mit dem wallenden weißen Bart, dem weiten Gewand und den modischen Gesundheitslatschen betet in der Hoffnung, daß Er in Seiner grenzenlosen Güte – und damit die Kirche nächsten Sonntag besser besucht ist als sonst – irgendwie dafür sorgen wird, daß beim nächsten Mal der Jackpot fällig ist. Doch während die Mitglieder der Lottospielergemeinde sehnsüchtig auf den Sechser warten, der es ihnen erlauben würde, endlich die Kaution für ihren mal wieder im Knast sitzenden Junior zu bezahlen oder sich einen von diesen wahnsinnig teuren Riesenbreitbildfernsehern ins Wohnzimmer zu stellen, die den Gang ins Kino überflüssig machen, war Larry Laffer mehr an einem schlichten Zweier interessiert. Ganz ohne Zusatz- und Superzahl zwar, dafür allerdings am liebsten mit Champagner und Wasserbett. Zwar hatte Larry zuweilen das unbestimmte Gefühl, daß es leichter war, einen sieben- bis achtstelligen Lottogewinn einzufahren, als eine Frau zu finden, die seinen Ansprüchen genügte (oder zumindest verzweifelt genug war, sich mit ihm einzulassen), aber hin und wieder findet selbst ein blinder Hahn einen Korn, auch wenn Larry dies – sofern auf sich selbst bezogen – energisch abgestritten hätte. Gleichwohl konnte er nicht leugnen, daß heute sein Glückstag zu sein schien. Denn im Gegensatz zu den zahllosen anderen Nächten, die er nach erfolglosem Streifzug durch die SingleKneipen und In-Treffs in der Gegend allein und verhöhnt vom
überlauten Quietschen der Bettfedern im Apartment seines Nachbarn linker Hand in seiner Junggesellenzelle verbrachte, hatte es an diesem Abend bloß vier Stunden gedauert, bis er sie fand – oder sie ihn, was ganz auf den jeweiligen Standpunkt ankam. Jedenfalls saß sie in Shackey’s Pub in der Seibert Street an der Theke – groß, schlank, langes, dunkelbraunes Haar, grüne Katzenaugen, voller roter Schmollmund, endlose Beine in Nylons und Pumps, üppige Quarktaschen, die den Gesetzen der Schwerkraft trotzten – und warf Larry beim Hereinkommen einen derart schmachtenden Blick zu, daß er wegen seiner butterweichen Knie Mühe hatte, auf den Hocker neben ihr zu klettern, was wegen seiner bescheidenen Größe von knapp einsfünfundfünfzig sowieso schon nicht einfach war. Zwar versuchte er verzweifelt, seinen beständig ansteigenden Testosteronspiegel und das damit ganz zwangsläufig einhergehende Drängen im Schritt unter Kontrolle zu halten, aber spätestens, als er sah, wie sie hingebungsvoll am Strohhalm ihres Cuba Libre lutschte, war ihm klar, daß er mit dieser Frau, die geradewegs den Träumen eines lendenmäßig chronisch unterbeschäftigten Spieledesigners entsprungen zu sein schien, den Rest seines Lebens verbringen wollte – oder doch zumindest die nächsten zwei, drei Stunden, bis er seine Hormonration für heute verbraucht hatte. Nun war dieser an sich durchaus verständliche Wunsch bei Larry jedoch keine Seltenheit, sondern überfiel ihn regelmäßig alle zehn bis fünfzehn Minuten beim Anblick einer hübschen jungen Frau ohne männliche Begleitung, bei der er bis dato noch nicht abgeblitzt war (doch, es gab tatsächlich noch welche). In der Regel handelte er sich bei dem Versuch, die Ange-
betete für sich zu gewinnen, einen Korb, eine Ohrfeige, eine Anzeige wegen sexueller Belästigung oder alles zusammen ein. Aber entweder fand Cuba Libre das hilflose Stottern, mit dem er sie zu einem Drink einlud, »irgendwie niedlich«, hatte ihre Brille vergessen, die sie wegen ihrer extremen Kurzsichtigkeit normalerweise immer trug, oder sie verwechselte ihn mit dem Schauspieler Tom Cruise, was zwar bislang noch nie vorgekommen war, aber ja durchaus im Bereich des Möglichen lag. Was auch immer. Jedenfalls erklärte sie ihm, daß sie ganz schrecklich einsam sei, weil ihr Mann sie vor ein paar Monaten verlassen hatte, um mit seiner Sekretärin in Alaska Biber zu züchten, und ihre Wohnung in dem Hochhaus gleich um die Ecke läge. Ob er vielleicht Zeit und Lust hätte, sie nach Hause zu begleiten und auf einen frischen Tomatensaft oder so was mit zu ihr hochzukommen? Ach ja, im übrigen hieße sie Shamara. Larry brauchte nicht lange zu überlegen, was zu tun war. Natürlich habe er Zeit, erklärte er. Und Lust sowieso. So kam es, daß Larry sich keine Viertelstunde später in ihrem Apartment im Bett wiederfand, wo Shamara ihm zeigte, wie einsam sie nach all den Monaten ohne einen Mann war – oder besser: sie ließ es ihn fühlen, denn in ihrem Schlafzimmer war es finsterer als im Darmtrakt eines Opossums. Es war so dunkel, daß man die Hände nicht sehen konnte, selbst wenn man sie direkt vor die Augen hielt. Dafür gab es eine ganze Menge zu hören.
Das Bettzeug raschelte. Shamara stöhnte wie eine brünstige afrikanische Löwin. Larry keuchte, als hätte er Asthma im Endstadium. Nackte Körper rieben sich heftig aneinander. Die nach Parfüm und Raumspray mit Veilchenaroma duftende Dunkelheit war erfüllt von den Grunzlauten ihrer Leidenschaft. Kurzum: eine Geräuschkulisse wie in Amerikas Wohnzimmern, wenn im Fernsehen Baywatch lief und sich alle Welt fassungslos fragte, wie zur Hölle Pam Anderson es mit ihrem Brustgehänge bloß schaffte, aufrecht zu gehen. »Oooh, Baby!« stammelte Larry, die Stimme bebend vor Begierde und Anstrengung (schließlich war er auch nicht mehr so jung wie Bill Clinton). »Du bist die Größte! Wirklich! So was hab’ ich noch nie erlebt! Oh, Mama!« Er juchzte lüstern. »Das ist die schönste Nacht meines Lebens!« Shamara ging nicht darauf ein. »Ich brauche mehr, Larry!« forderte sie. »Viel mehr! Los, laß uns was Neues ausprobieren!« Sie wand sich in der Finsternis unter ihm hervor, zog sich von ihm zurück. Das Rascheln von Stoff war zu hören. Das Schaben einer Schublade, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. »Was Neues?« Larry keuchte, als wäre er eben die zehntausend Meter in sieben Stunden sechsundzwanzig gelaufen. »Um Himmels willen, Shamara, gibt es denn noch irgend etwas, das wir nicht ausprobiert haben?« Der Gedanke erschien ihm völlig abwegig, vor allem nach der Sache mit der Schlagsahne… »Es gibt ’ne Menge Sachen, die wir noch nicht gemacht haben, Larry«, sagte Shamara. Für ihn klang es wie ein Versprechen. »Komm, schlüpf doch mal hier rein, Süßer…«
Sie faßte in der Dunkelheit nach seinen Händen, als könnte sie ihn genau sehen. Das Geräusch von zuschnappenden Handschellen erklang. Larry spürte das kalte Metall der Bullenarmreifen an seinen Handgelenken und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Dies war wirklich sein Glückstag! »Oh, Baby«, frohlockte er, voller Vorfreude auf das, was da sogleich kommen würde. »Was hast du denn jetzt vor, hm?« »Jetzt«, sagte Shamara, aus deren sinnlicher Stimme plötzlich jede Spur der Leidenschaft verschwunden war, die sie noch vor einer Minute so hingebungsvoll hinausgestöhnt hatte. »Jetzt werde ich von hier verschwinden.« Mit diesen Worten betätigte sie den Lichtschalter links neben der Tür, und die Deckenbeleuchtung flammte auf, tauchte das Schlafzimmer, das von einem großen, herzförmigen Doppelbett dominiert wurde, über dem ein Spiegel an der Decke hing, in Tuntenkleidrosa. Larry blinzelte in der unerwarteten Helligkeit. Er lag auf dem Bett, die Hände links und rechts von seinem Körper in den an den Pfosten befestigten Handschellen, die Shamara ihm angelegt hatte, und starrte die Frau verblüfft an. Bis auf seinen schon legendären Tanga mit dem Leopardenmuster (seiner Meinung nach der einzige Slip, der seiner animalischen Art gerecht wurde) war er nackt. »Was soll das heißen, du verschwindest?« fragte er verwirrt. »Wir sind doch noch gar nicht fertig!« »Ich bin fertig«, erwiderte Shamara kalt. Sie hatte sich einen Morgenrock aus weißer Spitze übergeworfen, der mehr von ihrer atemberaubenden Figur enthüllte, als er verbarg. »Zumindest mit dir.«
»Aber warum bloß?« fragte Larry irritiert. »Ich meine, was ist denn plötzlich los mit dir?« Shamara nahm ein Päckchen Zigaretten vom Nachttisch, steckte sich einen der Glimmstengel zwischen die Lippen und zündete ihn mit einem Streichholz an, das sie am Bettpfosten anriß. Sie nahm einen tiefen Zug von dem Krebslolly und blies Larry den Rauch mitten ins Gesicht. Larry, passionierter Nichtraucher (kam bei den meisten Frauen besser an, als wenn man ständig die notleidende Tabakindustrie unterstützte), hustete gequält. »Weißt du, Laffer«, sagte Shamara gleichgültig, während sie Asche von der Spitze der Zigarette auf das Bettlaken klopfte. »Eine Nacht mit dir läßt einer Frau viel Zeit zum Nachdenken. Und wir beide passen einfach nicht zusammen. Dieses ganze New-Age-Zeugs ist nun mal nicht mein Ding. Im Grunde interessiere ich mich sowieso nur für eine Sache, und das ist…« »Sex?« fragte Larry hoffnungsvoll. »Nein«, sagte sie. »Kohle.« Shamara griff nach der Hose seines zahnbelagweißen Polyesteranzugs, die neben dem Bett auf dem Fußboden lag, zog sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und zählte mit flinken Fingern die darin befindlichen Geldscheine. Sie schnappte sich seine Barschaft, alles in allem immerhin knapp dreiundzwanzig Dollar, und steckte die Mäuse zwischen ihre üppigen Brüste. Dann warf sie die leere Brieftasche achtlos beiseite; sie landete zwischen ihrem feuerroten Spitzen-BH, der Schlagsahnesprühflasche und einem benutzten Andenken aus Paris in der Ecke. »So, du Looser, ich verdufte jetzt«, erklärte sie schließlich.
»Hey! Moment mal!« rief Larry. »Du kannst nicht einfach weggehen! Ich meine, immerhin ist das hier deine Wohnung!« »Falsch«, sagte Shamara mit einem sarkastischen Lächeln. »Die Bude gehört einem dieser dreihundert Pfund schweren Managertypen von der Wall Street, die ihre Freizeit damit verbringen, im Fitneß-Studio Vier-Zentner-Hanteln zu stemmen. Ich glaube, er heißt Klaus oder so. Wir sind verabredet.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wenn er pünktlich ist, wird er in etwa fünf Minuten hier sein. Ich wette, ihr werdet zusammen eine Menge Spaß haben…« Sie kicherte spöttisch und schickte sich an, das Schlafzimmer zu verlassen. »He!« Larry rüttelte an den Handschellen, aber er konnte sich nicht daraus befreien. »Verdammt, Shamara, du kannst mich hier doch nicht so einfach hängenlassen!« Shamara überlegte einen Augenblick. Dann nickte sie. »Du hast recht.« Sie kam zum Bett zurück, nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette – und klemmte sie Larry zwischen die Lippen. »Viel Vergnügen damit, du Blödmann!« Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und ging. Einen Moment später hörte er, wie die Wohnungstür krachend ins Schloß fiel. Shamara war gegangen. Er war allein in dem fremden Apartment. Larry seufzte. »Oh, Baby«, murmelte er resigniert. »Du bist ja wirklich das Letzte!« Obgleich er wußte, daß es sinnlos war, rüttelte er erneut an den Handschellen, doch die Mistdinger saßen so fest, daß seine Finger allmählich blau und taub wurden. »Das ist die schlimmste Nacht meines Lebens! Viel schlimmer kann’s echt nicht mehr werden.«
Er registrierte plötzlich, daß er Shamaras Fluppe im Mundwinkel hängen hatte, und augenblicklich reizte ihn der bittere Zigarettenrauch zum Husten. Würgend und keuchend spie er die Kippe aus, die mitten auf seiner Hose landete und den leicht entzündlichen Polyesterstoff umgehend in Brand steckte. Innerhalb von zwei Sekunden stand das Fußende des Bettes in Flammen. Larry zog eine Grimasse. »Oh, Baby«, brummte er. »Schätze, das hätte ich nicht sagen sollen…« Während sich die Flammen auf dem Bett schneller ausbreiteten als die Anhänger der Kelly Family und beißender Qualm ihm in die Nase stieg, suchte Larry fieberhaft nach einem Weg, sich der verfluchten Handschellen zu entledigen. Wenn er sich nicht in spätestens zwei Minuten aus seiner mißlichen Lage befreit hatte, konnte er sich den täglichen Solariumbesuch in Zukunft vermutlich sparen… Verzweifelt rüttelte er an den Schellen, versuchte, die Hände aus den stählernen Armreifen zu ziehen, die Bettpfosten unter Aufbietung all seiner Manneskraft (nicht, was Sie jetzt wieder denken) zu brechen, doch es gelang ihm nicht. Trotzdem mußte er die elenden Handschellen aufbekommen, und zwar pronto. Von zunehmender Panik erfüllt, schaute er sich in dem Schlafzimmer um, aber viel gab es nicht zu sehen. Bloß seine und Shamaras Kleider, die achtlos über den ganzen Raum verteilt waren, ihre schwarzen Pumps mit den extra hohen Absätzen, dekorativ auf den Kerzen des Leuchters plaziert, eine Packung Schlafsäcke für weiße Mäuse, in der gähnende Leere herrschte, und ein Glas mit Gewürzgurken, die Shamara für ihre »beson-
dere Spezialität« gebraucht hatte. Nichts, was ihm helfen würde, der drohenden Schnellröstung zu entgehen. Auf dem Nachttisch neben der Lampe mit dem herzförmigen Schirm entdeckte er eine Haarnadel von Shamara. (Auch so eine Sache. ) Wenn es ihm gelang, sich das Ding zu schnappen und damit die Handschellen aufzuschließen… Da seine Hände gefesselt waren, benutzte Larry seinen rechten Fuß, um nach der Haarnadel zu tasten, was eine Verrenkung von geradezu knochenbiegender Anstrengung erforderte. Zuerst hatte er kein Glück, weil das Mistding einfach zu weit weg war, doch als bereits ein verräterischer Schmorkäsegeruch durch den Raum trieb, gelang es ihm schließlich, die Nadel mit den Zehen zu fassen zu bekommen. Dank jahrelanger YogaErfahrung (was sollte er schließlich sonst tun, wenn er abends allein zu Hause war) schaffte er es, die Haarnadel in einem Akt selbstmörderischer Akrobatik in das Schloß der linken Handschelle einzuführen. So vorsichtig wie möglich drehte er die Haarnadel – und zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich eine ohrenbetäubend laute Megaphonstimme ertönte, begleitet vom schrillen Auf- und Abschwellen mehrerer Feuerwehrsirenen. »Achtung! Achtung! Sie da oben im Penthaus!« Larry sah verwirrt auf. »Wer? Ich?« »Ja, Sie!« bestätigte die Megaphonstimme. »Die Person, die mit Shamara die Nacht verbracht hat! Verlassen Sie das Hochhaus! Sofort! Wir vermuten, daß es hier irgendwo brennt!« Larry verdrehte gequält die Augen. »Ach, was…« Inzwischen hatten sich die lodernden Flammen in dem Apartment noch weiter ausgebreitet und krochen gierig über
Möbelstücke, Teppiche und Vorhänge. Der Qualm des Feuers brannte ihm in den Augen. Die Hitze wurde von Sekunde zu Sekunde unerträglicher. Allmählich wurde Larry bewußt, wie sich ein Brathuhn im Ofen fühlen mußte. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Handschellen zu und schaffte es tatsächlich mit vor Konzentration aus dem Mund hängender Zunge, den ersten Armreif nach vorsichtigem Hin- und Herdrehen der Haarnadel aufzuschließen. Klackend schnappte der Armreif auf. Hastig streifte Larry die Handschelle ab, öffnete mit der Nadel den anderen Stahlreifen und sprang vom Bett, das jetzt lichterloh brannte. Überall um ihn herum war Feuer. Mit ausgreifenden Schritten eilte er durch die Verbindungstür hinüber ins Wohnzimmer. Hinter der breiten Glasfront, die beinahe die gesamte Westwand des Raumes einnahm, flackerten die Lichter der Feuerwehrwagen, die vor dem Hochhaus standen. Der Balkon des Penthauses war verlassen. Die siamesischen Kampffische in dem Aquarium neben dem Regal voller Bodybuilding-Handbücher übten sich in Rückenschwimmen, während das Wasser in ihrem Glasbecken brodelte und sprudelte wie in einem Whirlpool. Larry rannte schnell zur Glastür, packte den Griff, um sie zu öffnen – und riß die Hände entsetzt zurück, als er zu seinem Leidwesen feststellen mußte, daß das Metall so heiß war, daß es fast zwischen seinen Fingern schmolz. Jaulend vor Schmerz hüpfte er im Wohnzimmer herum und blies auf seine angesengten Handflächen, bis die Qual nachließ und seine krebsrote Haut wieder ihre normale Höhensonnenfärbung annahm. Dann packte er einen Designer-Stuhl von La Costa Lotta, der aus einem Dutzend Hanteln zusammengeschweißt worden war,
stemmte das Sitzmöbel mit Altmetallgarantie keuchend hoch und schleuderte es mitten in die Glasfront. Ein fürchterliches Krachen erscholl, als die Fensterfront sich in einer Explosion aus Scherben in ihre Bestandteile auflöste. Splitter flogen zu allen Seiten davon. Die brennenden Vorhänge flatterten in dem Luftzug, der von draußen in das Apartment drang und den Flammen neue Kraft verlieh. Kurz entschlossen hüpfte Larry über die Scherben hinaus auf den Balkon, stolperte über seine eigenen Quadratlatschen, schlug ein halbes Dutzend Purzelbäume und kam schließlich keuchend und stöhnend vor der Brüstung zum Liegen. Mühsam, mit schmerzenden Gliedern wie nach einer Nacht mit den Pointer Sisters (allemal besser als Jackson Five), rappelte er sich auf und sah, daß vor ihm auf dem scherbenübersäten Boden des Balkons ein Umschlag lag, aus dem ein Billett hervorlugte. Larry runzelte die Stirn. »Hey? Was ist denn das?« Er griff nach dem Umschlag und zuckte zusammen, als er neue Schmerzen spürte. »Aua!« jammerte er und schüttelte seinen blutenden Finger in der Luft. »Ich hasse es, mich an Papier zu schneiden!« Gleichwohl erweckte das Billett den Eindruck, als könnte es sich noch als nützlich erweisen. Er zog das Gummiband seines Tangas zurück, steckte den Umschlag zu seiner Männlichkeit in den Slip – und jaulte erneut auf. »Aua! Ich hasse es, mich an Papier zu schneiden!« In diesem Moment ertönte die Megaphonstimme wieder. »Los! Springen Sie!«
Larry erhob sich, beugte sich über die Brüstung und spähte hinab in die Tiefe. Irgendwo weit unter sich konnte er, klein wie Ameisen, die man aus dem Flugzeug beobachtet, zwei rote Feuerwehrwagen mit ausgezogenen Leitern und eine Gruppe Männer mit einem runden Sprungtuch ausmachen, das aus dieser Höhe so winzig wie eine Briefmarke wirkte. Dahinter lag der Swimmingpool des Hochhauses. Ein paar Journalisten standen herum und warteten darauf, daß sie für die nächste Ausgabe eine Titelstory bekamen – oder eine Todesanzeige, je nachdem. Larry starrte in den Abgrund und schluckte. »Springen? Sind Sie verrückt? Ich bin hier im vierzigsten Stock!« »Keine Sorge!« erwiderte der Feuerwehrmann. »Alles in Ordnung! Wir haben ein Netz!« Larry hörte, wie das Feuer hinter ihm in der Wohnung weiter wütete, sich an der Minibar, dem Fernseher und der Stereoanlage verging, und faßte einen Entschluß. »Also gut!« rief er. »Achtung, da unten! Ich komme!« Er trat zurück, nahm ein Dutzend Schritte Anlauf, holte tief Luft – und rannte los. Mit einem heiseren Schrei auf den Lippen sprang er über die Brüstung und vom Balkon des Penthauses, stürzte sich ins Verderben, während in dem Apartment hinter ihm die Gasleitung explodierte und die obersten Stockwerke des Gebäudes in ein flammendes Inferno verwandelte. Stichflammen grapschten nach seinem Tanga. Qualm, Feuer und Trümmerstücke begleiteten ihn auf dem Weg nach unten. Vierzig Stockwerke zischten an Larry vorbei wie im Schnellvorlauf. Mit hilflos rudernden Armen sauste er durch die Luft, stürzte unaufhaltsam in die Tiefe, während das Sprungtuch der
Feuerwehrleute unter ihm immer größer wurde, immer größer und größer, was eigentlich ja durchaus zu begrüßen gewesen wäre – wenn er sich nicht zehn Meter zu weit rechts befunden hätte… »Oh, Scheeeeeiiiiißßßßßeeee!« brüllte Larry panisch. Schreiend stürzte er in den Swimmingpool. Platschend schlug das Wasser über ihm zusammen, als er mit der Wucht einer Kanonenkugel im Pool landete. Plötzlich waren oben und unten dasselbe. Gechlortes Wasser drang ihm in Nase, Mund und Ohren, raubte ihm den Atem. Benommen schwamm Larry hinauf an die Oberfläche, paddelte wie ein Hund und kämpfte sich krampfhaft hustend zum Beckenrand. Mit einem gequälten Keuchen zog er sich hinauf auf den gepflasterten Weg, wo er erschlagen liegenblieb. Sofort stürzten die versammelten Reporter hinüber zum Pool des Gebäudes. Kameras begannen zu surren. Fotoapparate klickten, Blitzlichter und Handscheinwerfer flammten auf. Seltsamerweise schienen die Journalisten genau zu wissen, wer er war, aber das war ja schließlich auch ihr Job. Einer der Reporter, ein fetter Kerl mit Schmalzlocke, der gut und gerne das Gewicht eines japanischen Kleinbusses auf die Waage brachte, hielt Larry übereifrig ein Mikrofon unter die Nase. »Leisure Suit Larry, Sie sind eben aus dem vierzigsten Stock eines brennenden Hochhauses gesprungen. Was werden Sie als nächstes tun?« Larry richtete sich auf, strich sich mit einer weltmännischen Geste das schüttere Haar aus der Stirn. »Nun ja…« Er griff in seinen Leopardentanga und holte den Umschlag hervor, den er auf dem Balkon gefunden hatte. Er zog das Billett heraus, das
mindestens ebenso durchnäßt war wie er selbst, besah es sich einen Moment lang und hielt es dann mit einem breiten Grinsen den Kameras entgegen – es war eine Fahrkarte für eine Schiffsreise. »Ich werde eine Kreuzfahrt machen!«
1. Willkommen an Bord! Zwei Tage waren seit Larrys heroischem, wenn auch nicht übermäßig ansehnlichem Hechtsprung aus dem vierzigsten Stock des brennenden Hochhauses verstrichen. Jetzt stieg er aus seinem goldenen VW-Käfer, wie üblich mit seinem weißen Polyesteranzug inklusive blauem Hemd, mit extra breitem Kragen und dicker Goldkette bekleidet. Noch immer hatte er den penetranten Chlorgeschmack des Poolwassers im Rachen, der sich selbst durch den massiven Einsatz von Odol und inhaliertem Deospray, Geschmacksrichtung Moschus, einfach nicht vertreiben ließ. Nach wie vor war er grantig wegen der dreiundzwanzig Dollar, die Shamara ihm abgenommen hatte, da er die Kröten eigentlich zur Finanzierung der aktuellen Ausgabe seines Lieblingsmagazins Titten & Ärsche (Werbeslogan: »Garantiert keine Gesichter!«) vorgesehen hatte. Dann allerdings schlug er die Wagentür zu, strich sich das gewichste schwarze Haar aus den Bürokratenecken – tatsächlich hatten manche Männer mehr Haare unter den Achseln als Larry auf dem Kopf –, blickte hinüber zur P. M. S. Bouncy, dem Kreuzfahrtschiff, das am Pier 69 vor Anker lag, und mit einemmal waren sämtliche Unannehmlichkeiten vergessen, die ihm in den letzten zweiundvierzig Jahren widerfahren waren. Selbst der Umstand, daß der Arzt ihn bei seiner Geburt vor Lachen fallen gelassen hatte, nachdem er ihn mit den Füßen voran in diese kalte, ach so grausame Welt holte, war urplötzlich vollkommen unbedeutend geworden. Der imposante Anblick des Luxusliners, über dessen
Gangway grob geschätzt eine Million attraktiver junger Frauen an Bord pilgerten, genügte vollauf, um ihn von seiner depressiven Phase in einen Zustand akuter Euphorie zu versetzen. Unvermittelt fühlte er sich, als könnte er die ganze Welt umarmen – Finanzbeamte ausgenommen. Dazu gab es auch allen Anlaß, denn die P. M. S. Bouncy gehörte nicht ohne Grund zu den exklusivsten Kreuzfahrtschiffen nach der Titanic und der Estonia. Der Luxusliner wirkte wie eine überdimensionale Motoryacht von fast hundert Metern Höhe, vierhundert Metern Länge und zweihundert Metern Breite. Ein Flugzeugträger hätte neben diesem Schiff einen armseligen Eindruck gemacht. Larry blieb neben dem Wagen stehen und betrachtete das Schiff mit derselben Begeisterung wie damals in der Grundschule die Brüste von Amanda Irgendwas, als er sich in dem Rollwagen mit den schmutzigen Sportklamotten versteckte, um so nach dem Unterricht in die Umkleidekabine der Mädchen zu gelangen. Der Luxusliner war wirklich eine Augenweide. Die Figur einer nackten Meernixe mit wallendem Blondhaar und netten Rundungen zierte den Bug. Am Heck befanden sich Segelaufbauten, Antennen und großen TV-Schüsseln für den einwandfreien Empfang des Playboy-Kanals. Ein Schlot in der Form einer überdimensionalen Champagnerflasche ragte empor, aus deren offenem Verschluß blaugrauer Rauch zu den Möwen empordriftete, die über dem Dampfer vor dem tiefblauen Hintergrund des Himmels krächzend ihre Kreise zogen. Unter Deck befanden sich die Passagierkabinen, deren Bullaugen in der Morgensonne glänzten und schimmerten. Es gab zwei Swimmingpools, ein Casino mit dem vielversprechenden Na-
men »Pair-o-dice«, ein gutes Dutzend Bars an strategisch günstigen Positionen, drei Discos, in denen rund um die Uhr Karaoke-Shows stattfanden, eine Bordbibliothek, einen Ballsaal, einige Tennisplätze, eine Bowlinganlage, drei Fitneßräume, in denen man sich unter fachkundiger Anleitung unter dem Deckmantel sportlicher Ertüchtigung nach Belieben selbst geißeln konnte, einen Hubschrauberlandeplatz, ein Kino, eine Ladenpassage und sogar einen Siebzehn-Loch-Golfplatz, der selbst die Ansprüche von Profi-Einlochern zufriedenstellte. Das dumpfe Dröhnen der leistungsfähigen Dieselmotoren im Bauch des Schiffs lag in der Luft wie das Magengrummeln eines Tyrannosaurus Rex nach einer verdorbenen Portion Homo habilis. In einer halben Stunde sollte die P. M. S. Bouncy ablegen, um ihr erstes Ziel, die Insel Martinique, anzulaufen. Larry hatte keine Ahnung, wo dieses Eiland liegen mochte, doch der Name klang allemal vielversprechender als die Sandwich-Inseln, vor allem, weil er sich nicht so viel aus Gruppensex machte. Er holte seine Reisetasche aus dem Kofferraum, in die er ein Dutzend seiner besten weißen Polyesteranzüge nebst Hemden, Unterwäsche und Strumpfhalter gestopft hatte. Er verriegelte den Käfer, obwohl selbst ein blinder Dieb sich nicht an der alten Rostlaube vergangen hätte, und drängelte sich durch die am Pier versammelten Menschen, die ihren Verwandten an Bord des Schiffes zuwinkten, heilfroh, sie für die nächsten paar Tage los zu sein. Mit energischen Schritten marschierte Larry die Gangway hinauf. Zwanzig Meter unter ihm schlug Wasser leise platschend gegen den Pier. Vor Larry schob eine schlanke, hochgewachsene Lady in einem enganliegenden schwarzen Kostüm einen Greis im Rollstuhl auf das Oberdeck. Die Frau trug einen ausladenden
schwarzen Hut, der sich im Notfall wohl auch problemlos als Sonnenschirm zweckentfremden ließ. Es hatte den Anschein, als wäre die Lady in Black die Privatkrankenschwester des alten Mannes. Oben angelangt, wurden sie wie die übrigen Passagiere vom Kapitän und zwei jungen schwarzhaarigen Matrosinnen begrüßt. Letztere trugen weiße Uniformen mit so kurzen Röcken, daß sie sie auch gleich hätten weglassen können. Larry konnte das Gesicht der Frau in Schwarz wegen des Hutes nicht sehen, aber sie zog eine Parfümwolke hinter sich her, gegen die das Zeug, das seine Nachbarin immer benutzte, wie Altöl roch. Ihren prallen Hintern, die runden, geschwungenen Hüften und die endlos langen Beinen ließen lediglich den Schluß zu, daß es sich bei ihr nur um eine Schönheit handeln konnte. Nachdem die Lady und der Herr im Rollstuhl vom Kapitän an Bord willkommen geheißen worden waren, schob dieses Prachtweib ihren Patienten das Deck hinab. Während er ihr nachsah, fragte er sich nebenbei, ob er dank seiner Krankenversicherung ebenfalls in den Genuß eines solchen Luxusgeräts kommen würde, wenn er beim Gardinenbügeln von der Leiter fiel und sich beide Arme und Beine brach. Als die Braut mit dem mobilen Greis außer Sicht verschwunden war, wandte er sich mit einem sehnsüchtigen Seufzen dem Kapitän zu – und spürte, wie seine Beine unvermittelt weich wie warmes Gummi wurden. Fassungslos erkannte er, daß der Kapitän dieses Luxusdampfers eine Frau war, auch wenn dieser schnöde Ausdruck für ein Geschöpf von solcher Göttlichkeit, Grazie und Eleganz fast schon Blasphemie glich. Die Kapitänin – oder wie immer der Femininus von »Kapitän« lauten mag – besaß eine Figur, die jedes Glied von Larry schlagartig vor Ehrfurcht erstarren ließ. Groß, schlank, mit un-
endlich langen, wohlgeformten Beinen, einer Wespentaille, die selbst Betty Boop vor Neid erblassen ließ, Brüsten, eben groß genug, daß man keine verstauchten Finger bekam, wenn es richtig zur Sache ging, und schmalen, weiblichen Schultern. Ihr schulterlanges, glattes Haar schimmerte in der Morgensonne wie sämtliche Goldreserven von Fort Knox. Ihr Gesicht glich dem eines sündigen Engels, mit großen, dunklen Augen, einem üppigen, von Natur aus roten Rosenknospenmund, der zum Küssen geschaffen worden war, und einer irgendwie aristokratisch wohlgeformten Nase. Im rechten Mundwinkel befand sich ein modisches kleines Muttermal. Die Göttin trug eine knappe weiße Uniformjacke mit goldenen Knöpfen, franseligen Schulterstücken und Rangzeichen an den Ärmeln, die ihr mindestens drei Nummern zu klein war, eine weiße Mütze und einen kurzen weißen Rock. Unwillkürlich versuchte Larry sich vorzustellen, wie sie wohl ohne die Klamotten aussah, splitternackt auf einem Himmelbett bei sanft flackerndem Kerzenschein, doch dann wurde ihm klar, daß sein Herz sich nach dieser Sache von Shamara noch nicht ausreichend erholt hatte, um auch nur dieser Phantasie gewachsen zu sein. Dennoch war Larry felsenfest davon überzeugt, daß ihm die schärfste Woche seines Lebens bevorstand, zumal das wonnige Mädel auf hoher See und weitab vom rettenden Festland keine Möglichkeit hatte, vor seiner penetrierenden Zudringlichkeit das Weite zu suchen. So eine Gelegenheit konnte er sich auf gar keinen Fall entgehen lassen! Larry versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, daß sein Hypothalamus eifrig dabei war, Testosterone auszuschütten. Äußerlich blieb er cool wie Stieleis, während in seinem Inneren das Feuer der Begierde aufloderte. Das war bei ihm nicht unbedingt etwas Neues. Seit dem Augenblick, da seine Mutter sein Ge-
sicht zum ersten Mal zwischen ihre üppigen Brüste quetschte, ging er ungefähr auf alles los, das in groben Umrissen von der männlichen Anatomie abwich. Aber diesmal war es irgendwie anders. Er verspürte nicht nur den Drang, mit ihr ins Bett zu gehen, um Sex mit ihr zu haben. Nein, es war mehr als das. Er wollte sie auch auf dem Fußboden, in der Badewanne, in der Hängematte, auf dem Bügelbrett… Larry unterdrückte seine Begierden, bevor seine Hose platzte. Er segnete die Göttin und ihre beiden Begleiterinnen mit jenem breiten Gewinnergrinsen, das er zu Hause vor dem Spiegel einstudiert hatte. »Ehm, hallo, ihr kleinen Schiffsschönheiten!« begrüßte er sie. »Ich bin Larry.« Er giggelte, ein wenig verlegen. »Larry Laffer.« »Herzlich willkommen an Bord der P. M. S. Bouncy, Laffer«, sagte Frau Kapitän und reichte ihm eine perfekt manikürte Hand mit roten Nägeln. Ihre Stimme klang rauchig und zugleich so sanft wie ein fragiles gläsernes chinesisches Windspiel, durch das eine Orkanbö fegt. »Ich bin Kapitän Thygh. Einchecken können Sie an der Rezeption bei unserem Chefsteward Peter. Sollten Sie Fragen haben, so können Sie sich jederzeit an mich wenden.« Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln, das Larrys Herz schneller schlagen ließ. »Oh, großartig!« sagte er begeistert. Er hatte nicht gedacht, daß es so einfach werden würde, sie anzubaggern. »Ich habe da nämlich tatsächlich so ein, zwei Dutzend…« »Nicht jetzt, Laffer«, unterbrach ihn Kapitän Thygh und winkte mit einer Geste ab, die keinen Widerspruch duldete. »Ich bin im Augenblick ausgesprochen beschäftigt. Lassen Sie sich doch vom Steward einen Termin geben, ja? Angenehmen Aufenthalt,
Laffer.« Damit schob sie ihn beiseite und wandte sich den nächsten Gästen zu, einem älteren Ehepaar in buntem Freizeitlook, das eine nicht zu unterschätzende Ähnlichkeit mit einem grimmigen Bulldoggenpärchen aufwies. »Herzlich willkommen an Bord der P. M. S. Bouncy…« Larry sah ein, daß dies nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt war, die Offensive zu starten. Mit einem verhaltenen Seufzen zuckte er deshalb die Schultern, faßte seine Tasche fester und ging durch ein Spalier aus Luftballons und Girlanden weiter in das Atrium; eine mehrstöckige, nach oben hin offene Säulenhalle, die das Zentrum des Schiffes bildete. Von hier aus konnte man sämtliche Decks und Lokalitäten an Bord der P. M. S. Bouncy leicht erreichen. Das Atrium war mit Palmen, Büschen und exotischen Farnen in eine Dschungellandschaft verwandelt worden. Sogar einen Wasserfall gab es, der sich über vier Stockwerke in ein großes Becken erbrach und die goldgelbe Farbe von Apfelschorle besaß, auch wenn Larry sich mehr an seinen letzten Besuch im Pissoir erinnert fühlte. An einem weißen Piano in der Ecke saß ein Mann im schwarzen Smoking, der eigentlich bloß Lefty heißen konnte, und klimperte eine komplizierte, von zweieinhalb Akkorden getragene Melodie, die absolutes Ohrwurmpotential besaß. Alles in allem wirkte das Atrium mehr als imposant – jedoch nur, wenn die Sonne strahlte wie ein leckes Atomkraftwerk. Sollte es unvermittelt anfangen zu regnen, sah die Sache schlagartig ganz anders aus… Der Schalter des Chefstewards, neudeutsch auch Purser genannt, befand sich auf der Hauptebene des Atriums, ganz in der Nähe der Schiffsbibliothek. Larry ging hinüber, vorbei an einigen wirklich begehrenswerten jungen Ladies in knappen
Röcken, die mehr als nur einen Blick wert waren, und stellte seine Tasche vor der Rezeption auf den Boden. Der Purser trug eine schwarze Weste, ein blütenweißes Hemd mit gestärktem Kragen und eine knallige rote Fliege, die ihm das Aussehen eines Jahrmarktschreiers verlieh. Mit dem schmalen, verkniffenen Mund und den kleinen Schweinsäuglein hinter den Gläsern der Hornbrille, die mindestens so dick wie die Böden von Cola-Flaschen waren, war er Larry augenblicklich suspekt. Hinter dem Burschen an der Wand hing ein großes Gemälde der P. M. S. Bouncy, gemalt von keinem Geringeren als Sullivan Meyerding. »Äh, hallo«, sagte Larry. »Kann ich hier einchecken?« Der Purser sah von den Unterlagen auf, die vor ihm lagen, und musterte den Neuankömmling einen Moment lang, um schließlich ein wohlwollendes Lächeln aufzusetzen, das möglicherweise eine Winzigkeit zu freundlich war. »Aber sicher doch, Süßer«, sagte der Purser mit hoher Fistelstimme, die vermuten ließ, daß er sich die Familienjuwelen erst kürzlich kräftig im Türspalt eingeklemmt hatte. Auf einem an der Weste angesteckten Schild stand sein Name: Peter. »Zeigen Sie mal her, Ihr Ding.« Larry ignorierte den lüsternen Blick des Burschen und reichte ihm das Billett, das er auf dem Balkon des Hochhauses gefunden hatte. »Bitte.« »Herzlichen Dank, Süßer.« Der Purser beugte sich über seinen Computer. Nachdem er eine Minute lang die Tastatur malträtiert hatte, wohl, weil er wegen seines über die Augen hängenden Seitenscheitels Schwierigkeiten hatte, die richtigen Tasten zu treffen, reichte er Larry schließlich eine Keycard und einen
Übersichtsplan des Schiffes. »In Ordnung«, sagte er. »Hier ist Ihre Schlüsselkarte. Damit öffnen Sie die Tür Ihrer Kabine. Jedoch fürchte ich, daß es mit Ihrer Unterkunft ein klitzekleines Problemchen gegeben hat.« Larry verdrehte gequält die Augen. »Woher habe ich nur gewußt, daß Sie so was sagen würden?« Als ob er nicht geahnt hätte, daß an dieser Sache mit der Kreuzfahrt irgendein Haken war… »Oh, nein, nein, es ist nichts Schlimmes«, winkte der Purser eifrig ab, als er Larrys Reaktion bemerkte. »Keine Angst, Sir! Bloß eine bescheidene – Umdisponierung, die Ihnen durchaus zum Vorteil gereicht.« Er warf lächelnd sein Haar zurück, bevor er fortfuhr: »Ich habe mir erlaubt, Ihnen unsere größte Kabine zu geben, Mr. Laffer. Unsere Spezialsuite, wenn Sie so wollen. Sie werden genügend Platz haben.« Larrys Trauermiene verwandelte sich mit einem Tempo, mit dem er sonst nur aus seinen Hosen kletterte, in ein Grinsen. »Oh, wow! Hey, das ist super! Danke!« Er nickte dem Purser zu und steckte die Schlüsselkarte ein. »Wirklich, ziemlich nett von Ihnen! Können Sie mir vielleicht auch noch sagen, wo ich meine Suite finde? Ich meine, dieser Pott ist ja doch ziemlich groß, nicht wahr?« »Schauen Sie auf die Schiffskarte«, entgegnete Peter fröhlich. »Dann können Sie Ihr Quartier gar nicht verfehlen. Außerdem werden Sie keine Schwierigkeiten haben, sich Ihre Zimmernummer zu merken.« »So?« Larry runzelte die Stirn. »Und warum nicht?« »Nun«, sagte der Purser. »Sie haben Kabine 0.« »Kabine 0?« echote Larry verwirrt.
Peter nickte. Sein Lächeln war irgendwie seltsam. Larry beschloß, nicht weiter nachzuhaken, dankte dem Steward und kehrte der Rezeption den Rücken. Er nahm seine Tasche auf und warf einen Blick auf die Schiffskarte, auf der die P. M. S. Bouncy im Querschnitt abgebildet war. Die Position seines Quartiers, Kabine 0, war mit einem großen »X« markiert, als ob es sich dabei um einen Piratenschatz handelte, und befand sich im fünften Unterdeck, ungefähr dreißig Meter unterhalb des Wasserspiegels. Wenn er einen der Aufzüge nahm, konnte er seine Unterkunft eigentlich nicht verfehlen. Er steckte die Karte ein und schlurfte zum Lift. Nachdem er das Knöpfchen betätigt hatte, bewunderte er einen Moment lang die neugotische Architektur dieses Atriums und fragte sich beiläufig, ob sich Shamaras managender Bodybuilder ebenfalls an Bord befand. Vermutlich nicht. Jedenfalls hatte es keine Probleme gegeben, als Larry nach seinem Sprung aus dem brennenden Hochhaus, der in den Nachrichten als mißglückter Selbstmordversuch angedeutet worden war, kurzerhand bei der Reederei anrief und erklärte, daß besagter Bursche bei einem tragischen Unfall mit seinem Expander ums Leben gekommen war, er als naher Verwandter aber natürlich als Ersatzmann einspringen würde, damit die Kabine nicht leer blieb, schließlich würde so was nie einen guten Eindruck auf die anderen Passagiere machen. Im übrigen hatte der Muskelprotz mit der Suche nach einer neuen Bleibe im Augenblick wahrscheinlich mehr als genug zu tun. Nach einer Minute kam der Aufzug. Mit einem verhaltenen Pling glitten die Türen auseinander. Larry trat in die verspiegelte Kabine, drückte den Knopf für das Deck 0 und fuhr in den Bauch des Dampfers hinunter. Nach einer Weile öffneten sich
die Schiebetüren wieder und gaben den Blick auf einen langen Korridor frei, an dem zu beiden Seiten streng durchnumerierte Türen lagen. Quergänge teilten das Deck wie eine Geburtstagstorte in viele kleine quadratische Häppchen. An den Wänden hingen Gemälde von Kapitän Thygh in freizügigen Posen, in den unterschiedlichsten Malstilen gehalten, von impressionistisch über dadaistisch bis hin zu postnaturalistisch. Der Boden war mit dickem blauem Teppich ausgelegt. Während er den Gang hinunter zu seiner Kabine ging, musterte Larry stirnrunzelnd die Bilder und gelangte zu dem Schluß, daß der Körper von Kapitän Thygh noch begehrenswerter war, als er auf den ersten Blick vermutet hatte. Diese Frau war perfekt. Sie war die fleischgewordene Sünde. Wenn sie damals, anno Schöpfung, im Paradies gewesen wäre, hätte der Teufel sich die Sache mit dem Apfel getrost sparen können… Fröhlich die Melodie von Mr. Ed vor sich hin summend, trottete Larry den Korridor entlang, bis er seine Kabine erreichte. Er schob die Keycard in den Schlitz neben der Metalltür (eine seiner leichtesten Übungen) und registrierte zufrieden, wie das Schloß mit einem mechanischen Klacken aufsprang. Peter hatte ihm die größte Kabine an Bord zugesagt. Wie seine »Spezialsuite« wohl aussah? Ob es einen Whirlpool, einen Großbildfarbfernseher und einen Futon mit extra weicher Federung gab? Erwartungsvoll zog Larry die Tür auf. Seine Augen weiteten sich. Sein Summen brach so plötzlich ab, als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer wutentbrannt eine Musikbox, die einen Song der Backstreet Boys plärrte, in ihre Einzelteile zerlegt. Stumm stand er da, den Mund noch immer gespitzt, und starrte
eine endlos lange, dunkle Treppe hinab, die mindestens so viele Stufen wie das Empire State Building hatte. Ein dumpfes Brummen lag in der Luft, ließ die Wände und den Boden erzittern wie die Schritte einer Urzeitechse. Irgendwo weiter unten konnte er im Zwielicht undeutlich die Umrisse großer Maschinen und einiger weniger Möbelstücke ausmachen. Im ersten Moment traute er seinen Augen nicht, glaubte nicht zu sehen, was er zu sehen glaubte, und zwinkerte so heftig, daß ein anderer Passagier, der gerade mit einem kleinen Jungen an der Hand den Gang hinabkam, dachte, ihm sei eine Mücke in die Pupille geflogen. Dann wurde Larry mit einer Deutlichkeit, die fast schon an Körperverletzung grenzte, bewußt, daß dies kein Alptraum war, sondern die schreckliche Wirklichkeit, aus der es kein Erwachen gab. Es hatte keinen Sinn, die Augen vor der Realität zu verschließen. Das brachte einem nur Beulen und Schürfwunden an den Knien ein. Darum betrat er seufzend seine Kabine und ging lustlos die Treppe hinunter. Das Dröhnen der Apparaturen übertönte sein resigniertes Stöhnen. Was er bereits insgeheim vermutet hatte, als er die Kabinentür öffnete, wurde schnell zur Gewißheit. Seine »Spezialsuite« war nichts anderes als der Maschinenraum der P. M. S. Bouncy! Larry blieb am Fuß der Treppe stehen und sah sich mit einem Blick, in dem sich Fassungslosigkeit und Unglaube die Waage hielten, in seinem Quartier um. Dennoch konnte er nicht behaupten, daß der Chefsteward gelogen hatte. Die Kabine war tatsächlich ziemlich geräumig, was aber auch bitter nötig war, um genügend Platz für die riesigen Turbinen und Treibstofftanks zu bieten, die längs der Wände thronten. Heißer Wasserdampf zischte aus undichten Ventilen, sorgte dafür, daß sich
Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Raum mit jeder Sauna messen konnten. Inmitten der Maschinen stand ein klappriges Feldbett, das aus den Restbeständen der russischen Armee zu stammen schien und den Eindruck vermittelte, es wäre bequemer, auf dem gefrorenen Tundraboden zu schlafen. Eine Armeedusche mit durchsichtigem Plastikvorhang und mit Schimmelpilzen auf dem Boden hatte vor einer Reihe gewaltiger Kraftstofftanks ihren Platz gefunden. Kondenswasser tropfte von der zehn Meter hohen Decke in zwei Blecheimer, die neben dem Bett auf dem nackten, rostigen Metallboden standen. Der Geruch von Diesel, Schweiß und Altöl schwängerte die Luft. In der Ecke befand sich auf einer Art hölzernem Podest eine Toilette, doch als Larry probeweise die Spülung zog, geschah nichts, was bei näherer Betrachtung auch kein Wunder war. Das Klo verfügte nicht über einen Wasserzulauf. Daneben an der Wand lagen mehrere gelbe, mit grimmig glotzenden schwarzen Totenschädeln versehene Fässer, deren Markierung verriet, daß sie früher giftigen Klärschlamm enthalten hatten, was inzwischen aber nicht mehr der Fall war, weil die toxische Brühe sich längst durch das Metall gefressen hatte und eine stinkende Lache auf dem Boden bildete. Eine einzelne nackte Arbeitsleuchte, wie man sie in Bergwerkstollen findet, baumelte an einem langen Kabel von der Decke herab und verbreitete ein klägliches, uringelbes Licht, das den größten Teil des Raums in Dunkelheit hüllte, worüber Larry heilfroh war, denn das, was er von seinem Quartier sah, reichte ihm bereits völlig. Er widerstand dem Drang, sich umgehend zu erhängen, stellte seine Tasche auf das klapprige Feldbett, das darauf mit einem widerspenstigen Quietschen reagierte, und seufzte schwer.
Aus einem undefinierbaren Grund war Larry sich plötzlich nicht mehr sicher, daß die nächste Woche tatsächlich so wundervoll werden würde, wie er beim Anblick von Kapitän Thygh zunächst angenommen hatte. Denn selbst wenn es ihm gelang, Frau Kapitän zu becircen – oder zumindest unter Androhung von körperlicher Gewalt dazu zu bringen, ihn in seine »Kabine« zu begleiten –, würden die reichlich ungastliche Atmosphäre des Maschinenraums im allgemeinen und das schäbige Feldbett im besonderen wohl kaum sonderlich dazu angetan sein, sie dorthin zu kriegen, wo Larry sie haben wollte: direkt unter sich. Denn auch, wenn es ihm in der Regel nicht besonders wichtig war, wie er wohnte, solange es ein Bett, einen Küchentisch oder zumindest einen halbwegs sauberen Fußboden gab, war dieses Quartier sogar für seine bescheidenen Bedürfnisse eine Winzigkeit zu schäbig. Wie sollte man sich in einer Kabine wohl fühlen, die selbst vom Ungeziefer gemieden wurde? Je länger Larry darüber nachdachte, desto schneller kam er zu dem Entschluß, sich zu beschweren. Eine solche Kabine, die dem Begriff »rustikal« eine völlig neue Bedeutung verlieh, konnte man niemandem zumuten. Nicht einmal Larry Laffer. Er würde diesen schwulen Bürokraten mit der spanischen Fliege zwingen, ihm ein anderes Quartier zuzuteilen, eine Kabine, die man auch ohne Gummistiefel, Atemgerät und Schutzhelm betreten konnte. Und ohne die Befürchtung, schwere, irreparable körperliche Schäden davonzutragen… Larry, seit jeher mehr ein Mann der Tat als der Worte, verließ seine Kabine und fuhr mit dem Aufzug zur Rezeption im Atrium hoch. Er hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, seine Klamotten auszupacken, da es in dem Maschinenraum noch nicht einmal einen Kleiderschrank gab. Offenbar hatte die rus-
sische Arme diesbezüglich Versorgungsschwierigkeiten gehabt… Peter, der Purser, stand hinter dem Schalter und schmachtete die leichtgeschürzten Jünglinge an, die auf dem Weg vom Pool in ihre Kabinen mit knappen Badehosen bekleidet, Handtuch über den Schultern, an der Rezeption vorbeiwankten. Als er Larry bemerkte, riß er sich widerwillig von dem Anblick der Jungmänner los und gönnte Laffer ein breites Lächeln. »Ah, Mr. Laffer!« frohlockte er. »Haben Sie Ihre Kabine gefunden?« Larry nickte. »Und genau darum geht’s. Um meine Kabine.« Der Steward winkte fröhlich ab. »Ach, Sie brauchen sich dafür doch nicht bei mir zu bedanken«, sagte er großzügig. »Wenn die Passagiere mit ihren Quartieren zufrieden sind, bin ich es auch.« »Tja«, sagte Larry, »so leid es mir tut, Sie enttäuschen zu müssen, aber ich bin mit meiner Kabine nicht zufrieden. Nicht im geringsten. Ganz im Gegenteil! Ich möchte mich in aller Form über mein Quartier beschweren. Den Maschinenraum als Spezialsuite auszugeben ist eine Unverschämtheit! Überall dieser Dreck, und dann das klapprige Feldbett!« Er redete sich richtig in Rage. »Nicht mal die elende Toilette funktioniert! Die Dusche ist eine Zuchtstation für Schimmelpilze. Wissen Sie überhaupt, wie es da unten stinkt? Ich…« Er wollte noch eine Menge mehr sagen, seinem Frust nachdrücklich Luft machen, doch dazu kam er nicht. »Ach, halten Sie doch den Mund!« unterbrach ihn der Steward plötzlich mit unerwarteter Heftigkeit. Mit einemmal war alle Freundlichkeit aus seiner Fistelstimme gewichen, und sein Blick war hart wie Kruppstahl geworden. Voller Wut funkelte
er Larry an, als würde er ihn mehr hassen als die verdammte Ziege, die ihm diesen süßen Schauspieler aus dieser Seifenoper vor der Nase weggeschnappt hatte. »Sie und Ihresgleichen, Sie sollten sich besser vorsehen, mein Lieber! Es sind weltfremde Spinner wie Sie, die uns normalen Menschen alles verderben!« »Hey!« brauste Larry auf, warf sich in die Hühnerbrust. »Nun aber mal halblang, Macker!« »Ich mag’s aber lieber ganz lang«, erwiderte Peter arrogant. Er starrte Larry haßerfüllt an. »Warten Sie’s nur ab! Jetzt halten Sie sich für eine große Nummer! Aber irgendwann sind wir an der Macht, und dann pfeifen Sie eine vollkommen andere Melodie! Dann werden Sie heilfroh sein, überhaupt eine Kabine zu haben!« Larry runzelte benommen die Stirn. Stand dieser Kerl vielleicht unter Drogen? Hatte er womöglich Haschisch geraucht? Sich bis obenhin mit Backmehl zugedröhnt? Oder sich etwa eine ganze Packung Antibabypillen reingezogen, um seine weibische Art zu unterstreichen? »Jetzt hören Sie mal, guter Mann«, sagte Larry, betont ruhig. »Irgendwie scheinen Sie nicht recht auf der Höhe zu sein. Was zur Hölle stimmt nicht mit Ihnen?« »Oh, tun Sie doch nicht so!« rief der Purser und gestikulierte aufgeregt. Seine Augen hinter den Brillengläsern flackerten wie die Hände eines Alkoholikers nach zwei Wochen auf Diätcola. »Das wissen Sie ganz genau! Die CIA mischt bewußtseinskontrollierende Drogen unter die braunen Wandlacke, und jetzt stehen alle Raumausstatter der Welt unter ihrer Kontrolle! Ich halte das einfach nicht mehr aus! Wirklich nicht!«
Plötzlich sah er aus, als würde er jeden Moment anfangen zu heulen wie ein Schloßhund. Larry stand einen Moment lang nur da und starrte den Steward fassungslos an. Er schüttelte verwirrt den Kopf, wandte sich ab und ging wortlos in Richtung Aufzug davon. Fast hatte es den Anschein, als sei Peter, der Purser, nicht bloß wärmer als Rock Hudson, sondern zudem auch noch vollkommen paranoid. Einer dieser durchgeknallten Verschwörungstheoretiker, die hinter jeder Zeitung einen russischen Spion vermuten, der es darauf abgesehen hat, mit seinen drei Genossen die Weltherrschaft zu übernehmen. Entmutigt drückte Larry auf den Rufknopf des Lifts, doch bevor der Aufzug kam, knackte es mit einemmal in den Lautsprechern, die überall im Schiff angebracht waren, und eine tiefe Männerstimme erklang. »Achtung, bitte, eine Durchsage!« drang es hallend aus den Lautsprechern. »Jeder Passagier, der Lust hat, die nächste Woche als persönlicher Lustsklave des Kapitäns zu verbringen, sollte sich umgehend in der Lounge ›Zum stolzen kleinen Seemann‹ einfinden! Danke.« Larry lupfte fragend die linke Braue. Was zum Teufel sollte denn das bedeuten? Hatte er das gerade richtig verstanden, daß jeder, der das Bedürfnis verspürte, eine Woche lang Kapitän Thygh zu ferkeln, sich auf dem Oberdeck in der Lounge melden sollte? Oder litt er bereits an schweren Halluzinationen, heraufbeschworen durch achtundvierzigstündigen Sexentzug? Da er im Augenblick sowieso nichts anderes vorhatte, beschloß Larry, herauszufinden, was es mit dieser Anforderung
auf sich hatte. Als der Aufzug kam, drückte er den Knopf fürs Oberdeck und fuhr zusammen mit zwei anderen Männern, die so fett waren, daß es aussah, als würden sie unter ihren dünnen T-Shirts Schweine mit sich herumtragen, nach oben. Allem Anschein nach wogen die beiden Dicken mehr als ein Kleinlaster, denn das Knirschen und Ächzen, mit dem sich die Kabine emporquälte, deutete ziemlich unmißverständlich darauf hin, daß der Lift bis an die Grenzen seiner Tragfähigkeit belastet wurde. Larry hielt sich so dicht an den Schiebetüren, wie die Bäuche der Burschen es zuließen, und betete, daß die stählernen Aufzugseile halten würden. Als der Lift eine Minute später ruckend zum Stillstand kam und die Türen lautlos aufglitten, war er schweißgebadet. Die Lounge ›Zum stolzen kleinen Seemann‹ war nach dem Vorbild eines alten Piratenschiffs gestaltet. Man fühlte sich wie in einer dieser räudigen Seeräuberschmonzetten aus den vierziger Jahren, in denen Eros Flynn mit Kopftuch, modischem Spitzbart und aparter Augenklappe reihenweise steifärschige Engländer filetierte, um anschließend irgendwelche Südseeschönheiten zu entern. Kanonen standen an der Reling. Takelagen baumelten herab. Segelmasten ragten in die Höhe. Fässer und Kisten dienten als Sitzgelegenheiten und waren bereits komplett von Männern sämtlicher Altersgruppen, jeder Hautfarbe und aller Geschlechter besetzt, die erwartungsvoll zur Bühne sahen, wo Peter, der Chefsteward, auf seinen großen Auftritt wartete. Mindestens ein Dutzend der versammelten Passagiere sahen so verschlagen aus, als würden sie wirklich auf ein Piratenschiff gehören. Vielleicht handelte es sich aber bloß um Statisten, die man eigens zu diesem Zweck angeheuert
hatte. Es roch ganz authentisch nach Schweiß, Rum und Pulverdampf. Bloß die Ratten fehlten. Als Larry aus dem Aufzug trat, heilfroh, wieder durchatmen zu können, erkundigte sich eine hübsche junge Matrosin – offenbar wurde das weibliche Personal auf der P. M. S. Bouncy erst nach eingehender Gesichtskontrolle eingestellt – nach seinem Namen. In aller Bescheidenheit – das war für ihn ein untrügliches Zeichen, wie sehr das Baby auf ihn abfuhr. Mit seinem besten Travolta-Lächeln vertraute er ihr das Geheimnis seines Namens an und versäumte nicht, mit einem verschwörerischen Zwinkern hinzuzufügen, daß er im Bett größer sei, als ein flüchtiger erster Blick vermuten lasse. Diese erhellende Zusatzinformation schien die Matrosin allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken. Sie schaute ihn lediglich mit dem Gesichtsausdruck an, den sie normalerweise für Kakerlaken und andere Kriechtiere reserviert hatte, wortlos drückte sie ihm eine Plastikkarte in die Hand. Dann beeilte sie sich, so zu tun, als hätte sie noch entsetzlich viel zu erledigen, und entschwand stehenden Fußes. Larry sah ihr gelinde verwirrt nach. Habe ich vielleicht irgend etwas falsch gemacht? Drüben auf der Bühne gestikulierte der Purser – Gott allein mochte wissen, wie der Kerl es so schnell geschafft hatte, von seinem Schalter hoch in die Lounge zu kommen – in Richtung der Fässer. »Äh, bitte, setzen Sie sich doch, meine Herrschaften!« rief er mit seiner Fistelstimme. »Dahinten auf den billigen Plätzen sind noch ein, zwei Kisten frei, glaube ich.«
Larry schritt den engen Mittelgang zwischen den Fässern entlang. In der letzten Reihe waren noch vier Sitzplätze unbesetzt. Aber bevor er Platz nehmen konnte, pflanzten sich die beiden fetten Burschen aus dem Aufzug dorthin und sorgten dank ihrer Körperfülle dafür, daß er sich mit einem Stehplatz begnügen mußte. Unwirsch grummelnd, lehnte Larry sich gegen den Mast des Vordersegels. »In Ordnung, Herrschaften«, sagte Peter schließlich, als in der Lounge langsam Ruhe einkehrte. »Ich schätze, wir sind jetzt soweit vollständig.« Er holte einige Karten hervor, auf denen er sich Notizen gemacht hatte, ehe er seinen Blick über die Versammlung schweifen ließ. »Ich bin sicher, Kapitän Thygh wird mit den Teilnehmern dieser Woche zufrieden sein. Wie Sie vielleicht wissen, veranstaltet sie jede Woche einen kleinen Wettbewerb für die männlichen oder männerähnlichen Passagiere, den sie ›Thyghs Liebhaberpreis‹ nennt. Natürlich gibt es dabei keine Pokale oder so was zu gewinnen. Nein, was Sie einsacken können, ist besser als Hardware: Einer von Ihnen verbringt die nächste Woche mit einer Kreuzfahrt auf dem Kapitän!« Er machte eine dramatische Pause, um seinen Worten Gelegenheit zu geben, in die singulären Hirnzellen der Männer einzusickern, bevor er enthusiastisch fortfuhr: »Das bedeutet, Kapitän Thygh lädt Sie zu einer einwöchigen Rundfahrt in ihre Kabine ein, wo jeder Ihrer Wünsche erfüllt wird…« »Wirklich jeder?« fragte ein Mann zweifelnd. Peter nickte nachdrücklich. »Absolut jeder…« Ein Raunen ging durch die Menge. »Sie alle haben beim Hereinkommen Ihre eigene TLPPunktekarte erhalten«, griff der Steward den Faden wieder auf.
»Darauf finden Sie eine Liste von sechs Wettbewerben, die der Bordcomputer nach dem Zufallsprinzip für Sie ausgewählt hat. Ihre Aufgabe ist es, an den einzelnen Wettbewerben teilzunehmen – und zu gewinnen. Der Mann mit der höchsten Gesamtpunktzahl trägt den Sieg davon und hält triumphalen Einzug in Kapitän Thygh, äh, in ihre Kabine…«Er musterte die Zuhörer. »Noch irgendwelche Fragen dazu?« »Noch irgendwelche Antworten?« kam das Echo. »In Ordnung, dann«, sagte der Purser. »Sie dürfen anfangen.« »He!« rief Larry und hob die Hand. »He! Ich hab’ da schon noch eine Frage!« Der Chefsteward warf ihm einen abfälligen Blick zu. »Ja? Sie da, in dem…« Er rümpfte abfällig die Nase. »… interessanten Anzug?« Offenbar war er immer noch sauer auf ihn. »Was soll das hier auf meiner Karte heißen?« erkundigte sich Larry. »Da steht Jungfräulichkeit. Ist das obligatorisch oder fakultativ?« »Das ist ein Scherz, Süßer«, erwiderte der Steward spöttisch. »Was ist los mit dir? Keinen Humor? Du bist doch nicht etwa ein eingeschleuster Spion der Regierung oder so was, hm?« Larry seufzte. Langsam ging ihm dieses Verschwörungsgequatsche ganz gewaltig auf die Weichteile. »Oh, kommen Sie«, winkte er ab. »Das ist doch lächerlich.« »Ach, wirklich?« Peter musterte ihn mit einem Blick, mit dem ein Metzger ein Schwein mustern mag, das besonders schöne Schnitzel abwerfen dürfte. »Ich werde dich im Auge behalten, Süßer!«
Täuschte Larry sich, oder klang das wirklich wie eine Drohung? »Nun hören Sie mal, Meister«, grollte er. »Was habe ich Ihnen denn getan? Es ist doch nicht mein verdammter Fehler, wenn Sie keinen Scherz machen können!« Peter funkelte ihn wütend an. »Ach ja? Warte nur ab, bis wir endlich an der Macht sind, Süßer! Dann werden wir dir schon zeigen, wer von uns keine Scherze machen kann!« »In Ordnung.« Larry seufzte resigniert. »Das langt! Ich gehe jetzt. Alle anderen sind ja schon weg.« Er hatte recht – die übrigen Passagiere hatten die Lounge längst verlassen. »Tja, wenn das so ist«, sagte der Chefsteward, plötzlich in militärischem Tonfall, und salutierte. »Weggetreten, Soldat!« Benommen verfolgte Larry, wie Peter die Bühne verließ und durch eine Tür im Hintergrund verschwand. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn und murmelte: »Ist schon ein komischer Kerl…« Allerdings war der Steward offenbar nicht die einzige Person an Bord, die ein wenig daneben zu sein schien, denn es sah ganz danach aus, als dürfte tatsächlich der Passagier die nächste Woche die Decke von Kapitän Thyghs Kabine inspizieren, der aus diesem komischen Wettbewerb als Gesamtsieger hervorging. Larry kam das reichlich merkwürdig vor, schließlich konnte eine Klassefrau wie Kapitän Thygh ohne Schwierigkeiten jeden beliebigen Mann haben, den sie wollte. Niemand, der auch bloß eine Spur hetero war, konnte ihr widerstehen. Aber wer war er schon, daß er sich ein Urteil darüber erlauben konnte, wie Kapitän Thygh ihre Liebhaber rekrutierte? Ihm konnte das doch vollkommen egal sein – zumindest, solange die Chan-
ce bestand, daß er bei diesem Wettstreit den Hauptpreis einsackte… Gedankenverloren verließ er die leere Lounge und stapfte hinaus aufs Promenadendeck, das mit zahlreichen Büschen verziert war, die man in der Form von Tieren – Gänse, Katzen, Frösche, Biber, Schafe, Elefanten – gestutzt hatte. Eine angenehm warme, nach Meer und Sonnencreme duftende Brise strich über das Deck. Vom Pool drang fröhliches Gelächter herüber. Möwen zogen über dem Schiff ihre Kreise, ließen ab und zu Ballast auf die Gäste unten auf dem Sonnendeck fallen. Seufzend lehnte Larry sich an die Reling und schaute zu, wie der Hafen im Hintergrund allmählich kleiner wurde. Die P. M. S. Bouncy hatte vor zwanzig Minuten abgelegt, ohne daß er es in seinem Ärger über die Kabine richtig bemerkt hatte. Die Häuser seiner Heimatstadt schrumpften fast schneller dahin als sein Kontostand, wenn der aktuelle Monat sich der zweiten Woche näherte. Jetzt gab es für die nächsten sieben Tage nur noch ihn, das Meer, die frische Luft – und Kapitän Thygh. Doch vor das Vergnügen hat der göttliche Greis aus irgendeinem für Larry vollkommen unerfindlichen Grund die Arbeit gestellt, deshalb sah er sich die TLP-Punktekarte an, die er vorhin in der Lounge von der Matrosin bekommen hatte. Die Karte wurde von einem Bild der Frau Kapitän in hohen Pumps, Netzstrümpfen und Handschuhen geziert, wohl, um den Teilnehmern des Wettbewerbs jederzeit vor Augen zu führen, wofür sie all die Mühen und Strapazen auf sich nahmen. Daneben waren die Wettbewerbe vermerkt, die Larry gewinnen mußte, um ans Ziel seiner Träume zu gelangen – oder zumindest die Gelegenheit zu erhalten, seine Begierden zu befriedigen, ohne zu riskieren, danach die nächsten paar Jahre wegen Notzucht im
Knast zu verbringen, mit einem Typen als Zellengenossen, der am ganzen Körper tätowiert und dafür berüchtigt war, daß man ihm beim Senkrechtschwimmen nicht unbesorgt den Rücken zuwenden konnte. Folgende Disziplinen galt es erfolgreich zu bewältigen: 1. Pupsdeck-Hufeisenwerfen 2. Craps-Turnier 3. Achterdeck-Bowling 4. LiebesMeister 2000™ 5. Kapitän-Kochmeisterschaft 6. Der Bestgekleidete Mann Larry ließ seinen Blick langsam über die Liste der Wettbewerbe wandern, die der Computer für ihn ausgesucht hatte. Sofern er das auf die Schnelle beurteilen konnte, schien es ihm durchaus möglich zu sein, die Wettbewerbe zu gewinnen. Im Hufeisenwerfen war er zu Zeiten, als Amerika noch in der Wiege lag, unschlagbar gewesen, und kochen konnte er dank seiner langjährigen Ausbildung als Junggeselle auch ganz passabel (sofern sich auf der Rückseite des Fertiggerichts genaue Angaben dazu fanden, wie lange der Mampf bei welcher Temperatur in der Mikrowelle garen mußte). Der bestangezogene Mann an Bord war er sowieso, und was das Craps-Turnier anging, hatte er schon mehr Geld beim Zocken verloren, als manche Männer in ihrem Leben durch harte, ehrliche Arbeit verdienten – er selbst eingeschlossen. Solange er nicht aus dem vierzigsten Stock eines lichterloh in Brand stehenden Hochhauses springen mußte, schien es vergleichsweise wenig zu geben, das zwischen ihm und dem triumphalen Sieg bei Kapitän Thyghs Liebhaberpreis stand.
Dachte Larry wenigstens…
2. Viktorianische Prinzipien Larry verbrachte die Zeit bis zum frühen Nachmittag damit, sich über seine erbärmliche Kabine zu ärgern, den Frauen beim Mittagessen im Speisesaal auf die Brüste zu starren – Junge, Junge, waren da ein paar Dinger bei! – und sich besser mit den Lokalitäten des Schiffs vertraut zu machen. Er hatte es nicht sonderlich eilig, die einzelnen Disziplinen des Wettbewerbs anzugehen. Sollten sich die anderen Teilnehmer ruhig noch eine Weile in Sicherheit wähnen. Um so schlimmer würde das Erwachen für sie werden, wenn Larry kam, sah und siegte, um einmal mit den Worten des unsterblichen Asterix zu sprechen. Nach dem Diner, zu dem er sich eigens umgezogen hatte – weißer Polyesteranzug, blaues Hemd mit breitem Kragen, Goldmedaillon und braune Handschuhe, die zwar farblich überhaupt nicht zum Rest seiner Aufmachung paßten, aber für sich allein genommen wirklich schick waren –, suchte Larry die Bar auf dem Oberdeck heim, von der aus man den besten Blick auf den Pool hatte. Bei einem gemütlichen Glas Soda auf Eis beobachtete er eine halbe Stunde lang das feuchte Treiben und machte sich dazu ein paar heiße Gedanken. Besonders eine Brünette im einteiligen blauen Bikini, ein kleines, herzförmiges Muttermal am rechten oberen Innenschenkel, das er nie entdeckt haben würde, hätte ihm der Barmann nicht freundlicherweise seinen Feldstecher geliehen, zog Larrys Blicke auf sich. Die Kleine war wirklich famos. In jeder Hinsicht überreichlich
ausgestattet. Er hatte schon den Entschluß gefaßt, ihr auf die sonnengebräunte Pelle zu rücken, als ein Kerl mit den groben Ausmaßen einer Einbauküche aus dem Swimmingpool stieg (der Wasserspiegel sank daraufhin um zehn Zentimeter) und sich auf die Liege neben ihr fläzte. Im ersten Moment dachte Larry, der Bursche sei ihm zuvorgekommen. Doch spätestens, als die Einbauküche der Brünetten mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der Michael Jackson sich auf der Bühne in den Schritt greift, die Zunge in dem Versuch in den Mund steckte, ihre Polypen zu streicheln, wurde deutlich, daß der Versuch, irgendwelche genitalen Ansprüche auf die Maus anzumelden, mit einem Besuch im Bordhospital der P. M. S. Bouncy enden würde. Deshalb beließ es Larry dabei, das Fernglas zu mißbrauchen, und verzog sich nach einer Weile, um sich weiter auf dem Luxusliner umzusehen respektive nach geeigneteren Jagdgründen zu suchen. Gegen halb drei, nachdem er erfolglos versucht hatte, sich ein zweites Mal beim Chefsteward über seine »Spezialsuite« zu beschweren, führte ihn sein Rundgang schließlich zur Schiffsbibliothek, deren Eingang von überdimensional großen Büchern aus bemaltem Holz flankiert wurde. Da fiel ihm plötzlich wie Schuppen aus den Haaren, daß er in der ganzen Aufregung vor seiner Abreise glatt vergessen hatte, sich im Comicshop seines Vertrauens Reiselektüre zu beschaffen. Aber vielleicht würde er hier ja was Interessantes finden, mit dem sich die erdrückenden Momente der Monotonie, in denen sich seine Gedanken nicht um Sex drehten, versüßen ließen. Zwar nahm er nicht an, daß er in der Bordbibliothek die aktuellen Ausgaben seiner Lieblingscomics finden würde – Agentin XXX, Jessica
Hardcore, Porny Porn –, aber vielleicht hatten sie ja Bounty Boops. Oder wenigstens Fox & Fixy. Larry öffnete die Tür, trat ein und sah sich um. In den Regalen der Schiffsbibliothek herrschte gähnende Leere. Oben auf einem der Regale standen ein ausgestopfter Biber, ein alter Taucherhelm und ein Buddel-U-Boot, das so groß war, daß Larry sich zwangsläufig fragte, wie zur Hölle der Bastler es durch den kleinen Flaschenhals in die Buddel bekommen haben mochte. In der Ecke hatte eine antike Standuhr mit Pendel ihren Platz gefunden. Aus verborgenen Lautsprechern ertönte Geklimper, das verdächtig nach Zwölftonmusik klang. Die Bullaugen waren mit rosa Vorhängen verziert. Ein dicker, flauschiger Blumenteppich lag auf dem Boden. Ein altmodisches Teeservice stand auf einem Tischchen aus Rosenholz. Die Wände waren mit getrockneten Blumengebinden geschmückt. Kurzum: Wie in einer richtigen Bibliothek sah es hier nicht unbedingt aus. Ganz abgesehen davon, daß es auch anders roch. Statt Geruch von Staub, Altpapier und Bohnerwachs lag der angenehme Duft von Gebäck und Tee in der Luft. Ohne großen Enthusiasmus überflog Larry die Titel der wenigen Bücher, die noch auf den Brettern standen. Er stellte schnell fest, daß die Bände nicht ohne Grund unausgeliehen waren. Denn obwohl ihm einige der Titel von ferne vertraut waren, etwa Leisure Suit Larrys Weltumsegelung in seinem knallroten Gummidingi, Leisure Suite Larry besteigt die dicke Mathilde und Leisure Suit Larry wird der Marsch geblasen, genügte schon ein flüchtiger Blick auf die Klappentexte, um dankend abzuwinken. Das einzige Buch, das zumindest halbwegs interessant zu sein schien, war eine Biographie über den bekannten deutschen Flugzeughersteller Anton Fokker: Fokker – Mehr als nur ein Flug-
zeug, von jemandem namens Drew Barringmore, wer immer das sein sollte. Larry nahm das Buch aus dem Regal und überflog den Klappentext. Abgesehen von dem Namen des Flugzeugingenieurs, der so ähnlich wie seine Lieblingsbeschäftigung klang, war das Buch nicht unbedingt das, was er – abgesehen von Comics – zu lesen pflegte. Wenn er sich ein Buch zu Gemüte führte, mußte es darin entweder um eine hübsche junge Frau gehen, die sich ferkeln ließ, oder das Buch mußte ihm helfen, eine hübsche junge Frau dazu zu bringen, sich ferkeln zu lassen. Aber welche Frau, die nur halbwegs bei Sinnen – oder einigermaßen ansehnlich – war, interessierte sich schon für einen längst toten Burschen, der durch seine wegweisende Erfindung im Flugzeugbau während des ersten Weltkriegs den Luftkampf revolutioniert hatte? Seufzend stellte Larry das Buch ins Regal zurück. Als er das Ende der Regalreihen erreichte, tauchte vor ihm der Ausleihtresen auf, der wie die übrige Bibliothek den Eindruck vermittelte, geradewegs aus dem 19. Jahrhundert zu stammen. Das einzige Zugeständnis an den Umstand, daß die Zeiten von Jack the Ripper vorüber waren, war der Computer auf dem Ecktisch, der jedoch auch schon recht konservativ wirkte. Konservativ war auch das Wort, das Larry beim Anblick der Frau, die hinter dem Tresen stand, zuerst in den Kopf kam, dicht gefolgt von verklemmt und schüchtern. Sie trug ein schlichtes langes, am Hals hochgeschlossenes lilafarbenes Kleid, das zu Zeiten von Queen Victoria modern war, und eine Brille mit riesigen runden Gläsern, hinter denen ein Paar wunderschöner grüner Augen mit geschwungenen Wimpern glänzten. Das lange, rotbraune Haar hatte sie hinter dem Kopf zu einem strengen Knoten zusammengebunden. Mit ihren wohlge-
formten Rundungen, die sie unter ihrer langweiligen Kleidung versteckte, und dem gleichermaßen aus- wie einladenden Busen, der fest in ihrem engen Korsett steckte, erkannte Larry auf den ersten Blick, daß er hier einen klassischen Fall unterdrückter weiblicher Sexualität vor sich hatte. Diese Frau war ein Dampfkessel, der bloß darauf wartete, zum Kochen gebracht zu werden. Die Bibliothekarin bemerkte nicht, wie Larry an den Tresen trat. Sie war ganz in die Lektüre eines Buches vertieft, das den vielsagenden Titel Prüde und stolz trug. Das bedeutete allerdings nicht, daß er darauf verzichten würde, sie anzubaggern. Im Gegenteil. Solche Frauen entpuppten sich, hatte man ihre rauhe Schale erst mal geknackt, häufig als ausgesprochen leidenschaftlich. Außerdem weiß sowieso jedes Kind, daß alle Bibliothekarinnen versteckte Nymphomaninnen sind – zumindest in ihren Träumen. Dies galt es zu nutzen. Larry blieb vor dem Tresen stehen und betrachtete die junge Frau eine halbe Minute lang aufmerksam, ohne daß sie ihn eines Blickes würdigte. Er inspizierte den Bücherstapel, der neben ihr lag, und überflog stirnrunzelnd die Titel: Nüchtern und inspirationslos, Die Kunst der Trübsinnigkeit, Monoton und langweilig – Wie man langweilige Menschen kennenlernt, Durch Langweiligkeit zum intensiven Erleben. Schließlich sah er sich genötigt, sich dezent zu räuspern, um sie auf sich aufmerksam zu machen. »Ehm, bitte, verzeihen Sie, Miss…« Die Brünette sah auf. »Miss Victorian Principles«, stellte sie sich vor. Ihre Stimme klang ebenso konservativ wie ihre Kleidung; nicht abweisend,
aber auch nicht sonderlich euphorisch. Unverbindlich war wohl der treffendste Ausdruck. Larry schaltete sein Sonntagslächeln ein. »Sehr erfreut, Miss Vicky! Ich heiße Larry. Larry Laffer.« »Larry Laffer?« wiederholte sie. »Oh, doppelte Vornamen finde ich einfach hinreißend! Letztes Jahr habe ich auf einer Kreuzfahrt Budros Budrosgali kennengelernt.« Larry legte die Stirn in Falten. Man konnte beinahe sehen, wie die kleinen Rädchen dahinter arbeiteten. Verwirrt versuchte er dahinterzukommen, wer zum Teufel dieser Budros Budrosgali sein sollte, um eine geistreiche Bemerkung zu dem Burschen zu machen. Als es ihm auch nach zwei Minuten partout nicht einfallen wollte, deutete er statt dessen auf das Hardcover, in dem sie gelesen hatte. »Oh, es ist sehr erhebend«, sagte Vicky mit einer Überzeugung, die auf Selbstbetrug deutete. »Ich genieße erhebende Bücher, die moralische Werte bestätigen. Sie nicht auch?« »Oh… Äh. Ja, sicher.« Larry nickte eifrig. »Moralische Werte sind schon eine feine Sache. Aber, äh, lesen Sie nie irgendwas Deftigeres?« wagte er sich vor. Vicky schaute ihn skeptisch an. »Deftigeres?« »Na, Sie wissen schon«, sagte er und zwinkerte der jungen Frau verschwörerisch zu. »Schweinskram.« »Aber nein!« rief Vicky entrüstet. »Solche Bücher reizen mich gar nicht! Immer dieses… Gegrapsche und… Gestöhne… Diese geradezu… animalische Lust…« Obwohl sie vorgab, nichts von diesen durchaus erfreulichen Dingen zu halten, schien allein der Gedanke daran die Frau bereits an den Rand des Höhepunkts zu bringen – und vielleicht sogar ein Stück darüber hin-
aus. Ihr Gesicht war gerötet. Ihr Atem ging schwer. Dann bekam sie sich – sehr zu Larrys Bedauern – wieder unter Kontrolle. In sachlichem Tonfall fuhr sie fort: »Solche Bücher ermutigen den Rezipienten genau zur falschen Lebenseinstellung. Nein, ich lese so was nicht. Ich setze mich nur großer Literatur aus.« Oh, Junge, dachte Larry und schielte verstohlen auf den Vorbau der Bibliothekarin, der sich ihm über den Ausleihtresen so üppig entgegenwölbte, wie das Korsett es zuließ. Ich wünschte, ich wäre große Literatur… »Nun, Mr. Laffer«, erkundigte sich Vicky. »Haben Sie etwas gefunden, das Sie gerne näher betrachten würden?« Larry konnte seine Augen nicht von ihren Rundungen lassen, die seine Phantasie zu neuen, ungeahnten Höhenflügen animierte. »Ehm, ich bin überzeugt, daß Sie durchaus etwas haben, mit dem ich mich näher beschäftigen möchten würde«, sagte er langsam. »In Ordnung«, sagte die Bibliothekarin knapp. »Welche Kabinennummer haben Sie?« Larrys linke Braue glitt verwirrt in die Höhe. »Oh, hey, Süße, das geht aber ziemlich schnell! Gehen Sie immer so ran? Und da sagen die Frauen immer, ich sei schnell…« »Schnell?« echote Vicky, nicht minder verwirrt als er. Allem Anschein nach war ihr nicht recht bewußt, was er meinte. »Die Bücher werden hier nach Kabinennummern verliehen.« »Oh.« Larry giggelte. »Na, wenn das so ist… 0.« »0?« Die Bibliothekarin schmunzelte spöttisch. »Sie sind wohl etwas knapp bei Kasse, wie?«
Larry trat, peinlich berührt, von einem Bein aufs andere, als hätte er vergessen, vorhin eine Stange Wasser in die Ecke zu stellen. Ein wenig fühlte er sich wie damals, als der Pastor ihn mit der Nonne im Beichtstuhl erwischt hatte. »Ähm, nein«, begann er kleinlaut. »Aber… Ach, das wollen Sie ja gar nicht wissen.« Seufzend winkte er ab. Vicky nickte zustimmend. »Da haben Sie recht.« Larry wechselte rasch das Thema, um weiteren Peinlichkeiten zu entgehen. Er sah sich demonstrativ in der Bibliothek um und sagte: »Und? Haben Sie auch gute Bücher hier?« »Aber ja«, antwortete Vicky. »Eine ganze Menge sogar. Doch ich fürchte, sind Sie etwas spät dran, Mr. Laffer. Die wirklich guten Bücher sind leider alle schon weg.« Larry seufzte. Wenn er für jedes Mal, da er sich das in seinem Leben anhören mußte, nur einen Vierteldollar bekommen hätte, wäre er heute reicher als Donald Trump, Henry Rockefeller und Dagobert Duck zusammen. Er verdrängte den Gedanken – auch so eine Disziplin, in der er es im Laufe der Jahre zu einer wahren Meisterschaft gebracht hatte –, deutete auf den Stapel »erhebender« Bücher, der neben der Bibliothekarin auf dem Ausleihtresen lag, und fragte: »Und was ist damit?« »Bedaure, aber diese Bände sind bereits ausgeliehen«, erklärte sie, um sich anschließend in einer mädchenhaften Geste eine verirrte braune Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. »So?« sagte Larry. »Und an wen?« »An mich«, erwiderte Vicky lakonisch.
Er verdrehte gequält die Augen. »Hätte ich mir denken können.« Sie sah ihn verwirrt an. »Wie, bitte?« »Oh, äh, ich sagte, das sind aber eine ganze Menge Bücher für eine einzige Kreuzfahrt«, stieß er hastig hervor. Um dämliche Ausreden war er noch nie verlegen gewesen. Vicky winkte ab. »Für mich nicht«, widersprach sie. »Diese Bände lese ich noch heute abend fertig – im Bett.« Larry beugte sich über den Tresen zu ihr vor, was wegen seiner bescheidenen Größe gar nicht so einfach war, und sah ihr tief in die grünen Katzenaugen. »Soll ich Ihnen verraten, was ich heute abend vorhabe?« fragte er so verführerisch, wie ein Mann Anfang Vierzig, mit massiven Haarverlusten nördlich der Hüfte und einem Zinken von der Größe einer Aubergine, nur sein kann. »Im Bett?« »Ich würde sagen«, antwortete Vicky nüchtern, »schlafen.« »Genau«, sagte Larry seufzend und zog sich enttäuscht wieder auf die andere Seite des Tresens zurück. »Schlafen…« Er schaute durch das Bullauge hinter ihr hinaus auf die vom Nordostwind sanft gekräuselte blaue Oberfläche des Ozeans, in dem sich die Nachmittagssonne spiegelte, und sagte: »Das Leben auf einem Kreuzfahrtschiff scheint wie ein endloser Urlaub zu sein. Immer schönes Wetter. Nette Leute. Luxus. Finden Sie das nicht großartig?« »Aber sicher.« Victorian nickte. »Absolut himmlisch – sofern himmlisch bedeutet, daß man jeden Tag schon beim Aufstehen weiß, daß man genau dasselbe zu essen bekommen wird, was einem bereits an dem Tag in der Woche davor serviert wurde.«
»Aber der ganze Spaß«, wandte Larry ein. »Das Nachtleben. Das Nacktbaden bei Mondschein. Die endlosen Parties…« »Nicht für uns, die wir hier arbeiten«, sagte Vicky. »Für uns ist es eher so, als würden wir nie aus dem Büro kommen.« »Was machen Sie denn, wenn Sie sich amüsieren wollen?« »Ach, wissen Sie, ich fange einfach am einen Ende des Regals an und lese mich dann bis zum anderen Ende durch. Leider lese ich die meisten Bücher jedoch bereits zum dritten Mal…« Sie seufzte schwer. »Bedauerlich«, sagte Larry. Sie nickte. »Ja, nicht wahr?« Für einen verwegenen Augenblick ging ihm durch den Kopf, ob er sie einfach geradeheraus fragen sollte, ob sie Sex mit ihm wollte, um sich diesen elenden Smalltalk für die Kassiererin im Supermarkt zu Hause an der Ecke aufzuheben. Dann entschied er allerdings, daß dieses Vorgehen womöglich eine Winzigkeit zu aggressiv gewesen wäre und Victorian bloß auf den Gedanken gebracht hätte, daß er lediglich daran interessiert war, sie ins Bett zu kriegen, aber nicht, mit ihr »erhebende« Dinge zu diskutieren. Also entschied er, die Attacke auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, schaute demonstrativ auf seine Uhr (bei Woolworth sechsfünfundneunzig inklusive Batterien und einem niedlichen rosa Plüschbärchen) und sagte: »Oh, verdammt, schon so spät! Bitte, verzeihen Sie, aber ich muß wieder los. Es war ausgesprochen nett, sich mit Ihnen zu unterhalten, Miss Vicky. Vielleicht schaue ich später noch mal vorbei, ja?« »Natürlich«, sagte sie unverbindlich. »Auf Wiedersehen.« Damit wandte Victorian sich wieder der Lektüre ihres Buches zu. Prüde und stolz.
Nach einem letzten Blick auf die appetitliche Bibliothekarin, die ihrem ausgefallenen Namen wirklich in jeder Hinsicht alle Ehre machte, verließ Larry die Bücherei. Irgendwie wollte ihm Vicky Principles nicht aus dem Kopf. Ihr hübsches Gesicht mit den klassischen Zügen, die nicht durch Schminke, Holzkitt oder sonstige künstliche Dekorationen verfälscht waren, stand ihm ununterbrochen vor Augen. Selbst als er zwei Minuten später durch das Atrium schlenderte, wo Lefty den Platz am Piano für die Dauer seiner Strullerpause an Wienerwald, sein dressiertes Hühnchen, abgetreten hatte – was musikalisch aber nicht weiter ins Gewicht fiel –, dachte er noch immer an sie. Konnte das womöglich Liebe sein? Dann lief in seinem körpereigenen Privatkino ein kleiner Film ab, in dem Vicky auf dem klapprigen Armeebett in seiner Kabine die endlos langen Beine um ihn schlang. Larry gelangte zu dem Schluß, daß sein Interesse an ihr doch wohl eher sexueller Gier und Fleischeslust entsprang. Aber damit konnte er leben, schließlich war er schon aus weitaus nichtigeren Gründen über seine »Opfer« hergefallen…
3. Riesenerektion erwünscht Nach seinem Plausch mit Victorian Principles, der selbst ihm ausgesprochen armselig vorgekommen war, benötigte Larry eine grundlegende Abwechslung. Sein Testosteronspiegel drohte langsam wieder zu sinken. Nach einem kurzen Zwischenstopp in seiner Kabine, bei dem er kontrollierte, ob der toxische Schleim auf dem Fußboden sich möglicherweise bewegt hatte, begab er sich an einen der Pools. Er wollte es sich dort auf einem Liegestuhl bequem machen und die jungen Frauen in ihren knappen Tanga-Bikinis beobachten, die ausgelassen und arglos, wie junge Frauen in knappen Tanga-Bikinis nun einmal sind, ihren Wasserspielen nachgingen. Während er den Gang entlangschlenderte, der hinaus zum großen Pool auf dem Oberdeck führte, knackte es unvermittelt in den Lautsprechern (etwas, das in dieser Gegend offensichtlich des öfteren passierte): »Achtung, bitte, eine Durchsage! Würde der Passagier, der das Rettungsboot entwendet hat, es bitte sofort wieder zurückbringen? Sie dürfen das Erste-Hilfe-Set behalten. Wir werden auch keine weiteren Fragen stellen. Ende der Durchsage.« Larry schüttelte entgeistert den Kopf. Auf was für absonderliche Ideen manche Leute kamen… Blinzelnd trat er hinaus in die helle Septembersonne, die das Deck in ihrer angenehmen Wärme badete, und sah sich neugierig um.
Der Pool war in Form einer tropischen Badelandschaft gestaltet worden. Eine üppige Gummivegetation verbarg das Schwimmbecken vor den Blicken der Leute, die zwar nicht bereit waren, selbst die Hosen runterzulassen, es aber großartig fanden, wenn sie andere dabei beobachten konnten. Wollte man in den Poolbereich gelangen, mußte man an den Umkleidekabinen vorbeigehen, vor denen diverse abgelegte Klamotten hingen, die aussahen, als würden sie Popo dem Clown, Tarzan und Godzilla gehören – offenbar trieben außer Larry noch andere absonderliche Gestalten auf dem Schiff ihr Unwesen. Von einem jungen blonden Steward, der neben dem Durchgang zum Pool an einem Pfosten lehnte, konnte man kostenlos Leihhandtücher bekommen. Auf dem Namensschild des Burschen stand Dick. Aber wie, fragte sich Larry verwirrt, steckte er es sich bloß an die unbehaarte Brust, wo er doch bloß eine knappe rote Badehose und eine dunkle Sonnenbrille zu seiner adretten Fönfrisur trug? Als Larry an Dick vorbeigehen wollte, stieß sich der Steward mit integrierter Bademeisterfunktion von dem Pfosten ab und stellte sich ihm breitschultrig in den Weg. »Hey! Tut mir leid, Kumpel! Aber weiter darfst du nicht.« Larry runzelte die Stirn. »Warum? Was gibt’s denn?« »Dich«, antwortete Dick lakonisch. »Du kannst so nicht in den Poolbereich.« »Wie? So?« erkundigte sich Larry verwirrt. »Na, so halt«, präzisierte der Steward. Er deutete auf Larrys weißen Polyesteranzug. »Du weißt schon, Kumpel. Angezogen.« »Und warum nicht – Kumpel?« »Na, wegen der Sicherheit, Kumpel.«
»Ja, klar doch«, sagte Larry skeptisch. »Die Sicherheit…« »Ja, genau«, bestätigte Dick nachdrücklich und kratzte sich im Schritt. »Befehl vom Purser. Das Polyestergewebe deines Anzugs könnte sich hier in der tropischen Sonne entzünden. Also, wenn du zum Pool willst… Runter damit!« Larry giggelte. Sein Blick wanderte zwischen dem Steward und den Liegestühlen hinter ihm hin und her, die von einer Horde hübscher junger Mädchen mit nichts an frequentiert wurden. »Oh, ähm, ich glaube, ich sollte lieber nicht nackt da reingehen«, sagte er mit einer Verlegenheit in der Stimme, die so gar nicht zu dem naßforschen Auftreten passen wollte, mit dem er sich sonst immer reihenweise Körbe einfing. »Alle würden wieder nur auf meinen, ehm, Körper starren.« Dick musterte Larry von Kopf bis Schritt. Grinste spöttisch. »Na, aber sicher doch, Kumpel… Ich habe übrigens auch gratis Leihhosen.« »Wirklich? Puh!« Larry atmete erleichtert auf; er hatte schon befürchtet, er würde vor dem Abendessen überhaupt kein nacktes Fleisch mehr zu sehen bekommen. »Da bin ich aber froh! Was hast du denn so da an Badehosen?« Dick wandte sich um, wühlte in einer Kiste herum, die hinter ihm auf dem Boden stand, und reichte Larry schließlich eine Badehose, die von hinten wie ein Tanga geschnitten war, vorne im Schambereich allerdings von einem Elefantenkopf inklusive Schlappohren, Stoßzähnen und einem Rüssel geziert wurde, der gute zwanzig Zentimeter länger war als Larrys. »Dieser kleine Bursche hier ist genau das, was du brauchst!«
Larry starrte erst die Badehose, danach Dick und endlich die halbnackten Mädels am Pool an. Schließlich schnappte er sich die Elefantenshorts und zog, unwirsch grummelnd, ab. »Na, prima«, murmelte er düster. »Natürlich kann ich nicht einfach eine ganz normale Badehose bekommen…« Er ging in eine der Umkleidekabinen, entledigte sich seiner Kleider, die er in dem Kabuff fein säuberlich über einen Haken hängte, und schlüpfte in die Hose. Ohne besondere Begeisterung schaute Larry an sich herab. Mit einemmal wurde ihm klar, wie sich der Elefantenmensch gefühlt haben muß. Er kam sich vor wie ein völliger Schwachkopf, was zwar an sich nichts Neues war, sich aber meistens irgendwie überspielen ließ. »Na, klasse«, brummte er entgeistert. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, schielte über den Rand der Schwingtür und rief dem Steward zu: »Kann ich wenigstens ’n Handtuch drumwickeln?« Dick nickte grinsend. »Klar. Gar kein Problem, Kumpel!« Er warf Larry ein großes Badehandtuch zu. »Aber laß es ja nicht naß werden. Sonst schrumpft es noch…« Er lachte spöttisch. Larry brummte irgendwas nicht unbedingt Druckreifes in seinen inexistenten Bart, schlang sich das Handtuch um die Badehose, um wenigstens die größten Peinlichkeiten zu bedecken, und kam erst aus der Umkleidekabine, als er sich vergewissert hatte, daß sich niemand, den er kannte – oder kennenlernen wollte – in der Nähe aufhielt. Grummelnd marschierte er am feixenden Steward vorbei, der nicht einmal den Versuch unternahm, seine Schadenfreude zu verbergen, und betrat den kleidungsfreien Poolbereich, inständig hoffend, daß niemand bemerken würde, was er unter dem Handtuch mit sich herum-
trug. Wenn er nackt gewesen wäre, hätte er sich nicht weniger geschämt, auch wenn er es eigentlich nicht als seine vordringliche Aufgabe ansah, optische Gefährdungen von seinen Mitmenschen abzuwenden. Larry schlich über die Sonnenwiese am Rande des Pools und schaute sich unsicher nach allen Seiten um. Seine Augen waren überall und nirgends, wenn auch diesmal aus anderen Gründen als gewöhnlich. Ohne es recht zu bemerken, näherte er sich rückwärts einem Liegestuhl, in dem eine wohlgeformte nackte Blondine lag und sich langsam und genußvoll mit Sonnencreme einrieb. Alles war in Ordnung, bis die junge Frau auf einmal etwas von der Creme ins Auge bekam und vorübergehend einen Teil ihrer Sehkraft einbüßte. Durch einen Schleier aus Tränen wedelte sie mit der Hand in die Richtung, aus der Larry kam. »He, Junge!« rief sie aufgeregt. »Handtuchsteward! Ich brauche ein Handtuch, bitte! Schnell!« Larry drehte sich überrascht um – und erstarrte, als ihm die üppigen nackten Brüste der Blondine mit den entzückend dunklen Spitzen förmlich entgegensprangen. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen wie Wassermelonen. Sein Unterkiefer klappte runter, als hätte irgend jemand unverschämterweise den Sicherungsstift herausgezogen. Seine Zunge rollte sich aus wie ein Rollo. Geifernd stand er vor der splitternackten Lady, die auf der Suche nach einem Handtuch, mit dem sie sich die Sonnencreme aus den Pupillen wischen konnte, blindlings um sich griff – und dabei das Handtuch zu fassen bekam, das Larry sich um die Hüfte geschlungen hatte, um seine Scham zu bedecken.
Mit einem kräftigen Ruck riß sie es fort. Plötzlich stand Larry nur noch in seiner Badehose da. Die Blondine wischte sich mit dem Handtuch die Creme aus den großen blauen Augen. Dann sagte sie: »Oh, vielen Dank! Jetzt kann ich wieder sehen.« Sie schaute Larry an, der stocksteif neben ihrer Liege stand und mit eisernem Willen dem Verlangen widerstand, seine Badehose hinter den vorgehaltenen Händen zu verbergen, um nicht den Eindruck zu erwecken, ihm wäre unwohl in seiner Haut. Doch der Anblick dieses göttlichen, nahtlos braungebrannten Luxuskörpers vor ihm, dem nur wenige Superlative gerecht werden konnten, hielt Larry aufrecht – in jeder Beziehung… Ein amüsiertes Lächeln breitete sich auf dem schönen Gesicht der Blondine aus, als sie die Badehose mit dem Elefantenkopf bemerkte. »Na, was haben wir denn da?« erkundigte sie sich mit einer sinnlichen und zugleich unglaublich unschuldigen Stimme, die selbst den Papst um seinen Verstand gebracht hätte. Sie deutet auf Larrys Badeshorts. »Ist das dein Rüssel, oder freust du dich bloß, mich zu sehen? Und wie heißt du? Vielleicht Benjamin Blümchen?« Larry lächelte gequält. »Äh, ich bin Larry«, sagte er nervös. »Larry Laffer. Und du?« »Drew Barringmore«, stellte die Blondine sich vor. Sie hatte eine Figur, die Larrys Beine unwillkürlich weich wie warme Gummis werden ließ, während (beinahe) alles andere an ihm hart wie Kruppstahl wurde. Lieber Himmel, war das ein heißer Feger! Hätte er jetzt einen Whiskey on the Rocks dabeigehabt, wären angesichts dieser erhabenen Weiblichkeit selbst die Eiswürfel dahingeschmolzen.
Schmale Schultern. Pralle Brüste. Feste Schenkel. Und wenn man nicht genau gesehen hätte, daß es so war, hätte man schwören können, daß Drews Beine mindestens bis zum Hals reichten. Doch ihre Schönheit beschränkte sich nicht auf die Bereiche unterhalb ihres Halses (also auf den Teil ihres Körpers, der Frauen zu dem macht, wozu Gott sie, Larrys Meinung nach, geschaffen hatte). Auch ihr Gesicht mit den großen, himmelblauen Augen, den geschwungenen Brauen, den hohen Wangenknochen und den roten Rosenknospenlippen war überaus ansehnlich. Larry gelangte zu dem vorläufigen Schluß, daß, wenn es tatsächlich Engel gab, die im Himmel harfespielenderweise herumtollten, Gott sie mit Sicherheit nach dem Bild von Drew Barringmore geschaffen hatte – und daß er sich, sollte dies wahrhaftig der Fall sein, schnellstens vor das nächste Hochhaus werfen oder vom nächsten Zug springen würde… Drew deutete auf seine Badehose. »Weißt du, so eine Schamkapsel habe ich nicht mehr gesehen, seit ich nach meiner Zwischenprüfung in Wien den Kursus ›Unbekanntere Bühnenautoren des späten elisabethanischen Zeitalters‹ bei Professor Liebkind belegt habe«, erklärte sie ohne jeden Spott. »Und eine mit so niedlichen afrikanischen Einflüssen habe ich überhaupt noch nie zu Gesicht bekommen. Ich interessiere mich nämlich sehr für Geschichte, mußt du wissen. Aber in der Zeit nach den tertiären afrikanischen Stämmen kenne ich mich überhaupt nicht mehr aus. Könntest du mir möglicherweise ein wenig von ihrer Geschichte erzählen? Den regionalen Einflüssen? Den Stammesritualen?« Sie sah ihn erwartungsvoll an. Larry trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Äh, tja, weißt du, der Kerl in der Hütte hat mir das Ding gegeben, weil ich meine Badehose vergessen habe«, sagte er unsicher.
»Oh.« Sie seufzte. »Das ist schade.« Er nickte. »Wirklich…« Larry bemühte sich, Drew Barringmore – hatte er diesen Namen nicht schon mal gehört? – nicht zu offensichtlich anzustarren. Neben ihr auf dem Hocker stand eine Flasche mit Sonnencreme. Daneben lag ein gebundenes Buch mit dem vielversprechenden Titel Die erotischen Abenteuer des Herkules. Das Cover zeigte einen langhaarigen, muskulösen Burschen, der seine nackten Arme um eine hübsche junge Frau mit wehenden roten Haaren schlang. Er signalisierte, daß jede einzelne Seite mit glühender Leidenschaft aufwarte und an Verderbtheit nicht zu überbieten sei. Auf Drews Schoß – dort, wo er für den genitalgesteuerten Betrachter am ungünstigsten stand – thronte ein kleiner Laptop, auf dem sie voller Inbrunst in perfektem ZweiFinger-Hacksystem tippte. Um das Gespräch in Gang zu halten, beschloß Larry, auch die letzten Reste von Schamgefühl, die überhaupt noch irgendwo in seinem Innersten verborgen schlummern mochten, über Bord zu werfen, und sagte mit Blick auf seine Badehose: »Ehm… Das hast du also als Schamkapsel erkannt?« Drew nickte. »Natürlich! Es ist zwar schon ein paar Jährchen her, aber ich glaube, im Lexikon steht, es sei ein zum Teil gepolsterter, beutelartiger, über den männlichen Geschlechtsorganen getragener Hosenlatz im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Das ist zumindest die geläufige Definition.« »Ah. Ja. Hm.« Larry räusperte sich. »Danke, aber ich glaube, Badehose gefällt mir besser…« Er wechselte rasch das Thema, bevor Drew beschloß, ihren kulturgeschichtlichen Exkurs über mittelalterliche Suspensorien zu vertiefen. Blinzelnd schaute er
zur Sonne empor, die wie eine riesige Vierzig-WattEnergiesparbirne am tiefblauen Himmel stand, und sagte: »Machst du dir gar keine Sorgen, daß du zuviel Sonne abkriegen könntest? Ich meine, immerhin ist es ziemlich heiß hier draußen, und du bist ja irgendwie auch ziemlich nackt…« Drew schüttelte den Kopf. »Nein«, winkte sie ab. »Jetzt nicht mehr. Früher, da mußte ich schon aufpassen, besonders in den Tropen. Aber seit ich diese Sonnencreme mit Schutzfaktor 300 entdeckt habe, gibt es da überhaupt keine Probleme mehr. Alle paar Minuten reibe ich jeden Zentimeter meines nackten Körpers langsam und sorgfältig damit ein.« Larry schluckte trocken. »Und natürlich«, ergänzte sie lächelnd, »schützt mich mein Laptop ein bißchen vor der Sonne, auch wenn ich dadurch einen eigenartigen Streifen kriege.« Sie kicherte mädchenhaft. Larrys Kehle war so rauh und trocken, als hätte er eine alte Tennissocke im Mund. Er versuchte, tapfer zu bleiben, und sah Drew geradewegs ins Gesicht (mehr konnte er im Augenblick beim besten Willen nicht verkraften). Schweiß lief ihm in Strömen die Wangen und den Hals hinab, so sehr konzentrierte er sich darauf, nicht die Beherrschung zu verlieren und seinem ohnehin schon arg angeschlagenen Ruf als Gentleman jetzt und hier auf dieser Sonnenliege den Todesstoß zu versetzen. Er war weiß wie Roberto Blanco nach einer Runde im Vollwaschgang. Drew bemerkte die Veränderung, die mit ihm vorging. Ihre Stirn legte sich in leise Falten. »Larry!« rief sie beunruhigt. »Was ist mit dir? Fühlst du dich vielleicht unwohl, weil ich nackt bin? Ist das hier hart für dich?«
Er schüttelte eilig den Kopf. »Äh, nein«, stammelte er hastig. »Zumindest nicht härter als sonst…« Als er sich umschaute, um seinem erhitzten Gemüt Gelegenheit zu geben, sich wieder etwas abzukühlen, stellte er fest, daß neben der Liege zwar eine Tasche mit Badelatschen und Sonnenbrille auf dem Boden stand, von Drews Klamotten aber weit und breit nichts zu sehen war. Nicht einmal einen Bademantel zum Überstreifen schien sie dabeizuhaben. »Ehm, sag mal, Drew, wo sind denn deine Kleider?« fragte er irritiert – obwohl es ihn nicht wirklich interessierte, da sie ihm so, wie sie war, wesentlich besser gefiel, als das selbst im schicksten Fummel möglich gewesen wäre. »Oh, die sind irgendwo an Bord versteckt«, erwiderte Drew und räkelte sich auf der Liege. Ihre eingecremte Haut schimmerte verführerisch in der Sonne. »Weißt du, ich liebe das Nudistendasein so sehr, daß ich mich stets jedes einzelnen lästigen Kleidungsstückes entledige, sobald ich an Bord komme. Dann zwinge ich den Schiffsjungen dazu, meinen Koffer irgendwo zu deponieren, wo ich ihn nicht finden kann, damit ich die ganze Woche nackt hier am Swimmingpool verbringen kann. Ich esse, schlafe, schwimme, relaxe und sonne mich hier. Vielleicht ist das nicht für jedermann der Traumurlaub, aber meiner auf jeden Fall. Und wie ist es mit dir, Larry?« Sie sah ihn mit diesen großen, blauen, unschuldigen Augen an. Larry hatte das Gefühl, in ihrem Blick unterzugehen – und das, obwohl er nicht einmal Seepferdchen hatte. »Äh, ich kann mich dir da nur anschließen«, entgegnete er und schielte verstohlen auf ihre Auslagen. »Doch. Ja. Wirklich…«
Drew legte eine Hand vor die Augen und sah hinauf zum Himmel. Ein Rudel räudiger Möwen zog vor dem wolkenlosen Marineblau seine Kreise. »Diese tropische Sonne ist wirklich entsetzlich heiß«, stellte sie fest. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich meinen nackten Körper mal eben von oben bis unten mit Sonnencreme einreibe?« Larry schüttelte den Kopf, obwohl er sich dessen gar nicht so sicher war, schließlich hatte sein Herz heute bereits mehr als einen harten Schlag zu verkraften gehabt. »Eigentlich nicht.« Mutig fragte er: »Kann ich dir vielleicht dabei helfen?« »Nein danke«, winkte sie lächelnd ab. »Aber einen Versuch war es ja wohl wert, nicht?« »Schätze schon«, gestand Larry, ein wenig kleinlaut. Drew nahm die Sonnencremeflasche, schraubte den Deckel ab und begann sich langsam, gleichmäßig mit der Lotion einzureiben. Wie liebkosend glitten ihre feingliedrigen Hände über ihren nackten, wohlgeformten Körper. »Weißt du, Larry, ich finde es herrlich, wie meine Haut durch die Sonnencreme glänzt«, sagte Drew, während sie sich weiter genüßlich von Kopf bis Fuß einschmierte. »Wie die Lotion die kleinen, weichen blonden Härchen an meinem Hals, meinen Armen, meinen…« Larrys Elefantenrüssel richtete sich mit einem Tröten, das er aber wahrscheinlich bloß in seinem Kopf hörte, ruckartig auf. Dumbos Ohren schlackerten hektisch. In einem Anflug schierer Verzweiflung rief er: »Oh, bitte, kör auf, Drew! Das halte ich nicht aus! Ich bin doch nur ein Mann!«
Die Blonde lächelte verschmitzt. »Tut mir leid, Larry«, sagte Drew entschuldigend. »Ich wußte gar nicht, daß ich so hart zu dir war…« Bevor er zu einer Erklärung – oder besser: Ausrede – ansetzen konnte, erschien ein Kellner auf dem Sonnendeck, mit einer knappen roten Bodywatch-Badehose bekleidet, eine rote Fliege um den nackten Hals. Über dem Arm ein Handtuch. Drew hob die Hand und winkte. »Oh! Hallo, Herr Ober?« Der Kellner trat zu ihnen herüber. Der Blick, mit dem er die nackte junge Frau bedachte, war mindestens ebenso schmachtend wie der Larrys. »Aber hallo, meine Hübsche!« begrüßte er sie breit grinsend. Seine Dentagard-Zähne blitzten strahlend weiß. »Na, was kann ich für Sie tun?« »Eine Riesenerektion, bitte«, sagte Drew ruhig. Der Kellner runzelte einen Moment lang verwirrt die Stirn. Dann deutete er grinsend auf Larry. »Tja, Süße, sieht so aus, als bekämen Sie die schon von Ihrem Kumpel da.« Drew lupfte irritiert ihre linke Braue. »Wie, bitte?« Offenbar verstand sie (ganz im Gegensatz zu Larry) nicht recht, worauf der Kellner anspielte. »Eine Riesenerektion will ich!« wiederholte sie nachdrücklich. »Nun, wenn Sie darauf bestehen…« Der Kellner legte sich das Handtuch um die Schultern und ließ seine Muskeln spielen. »Da bin ich doch genau der Richtige«, meinte er lüstern. »Na?« Drew sah ihn neugierig an. »Und wo bleibt sie?« »Ehm, ich arbeite daran«, erwiderte der Kellner grinsend. »Wie wär’s, wenn Sie Ihren Computer für ’ne kleine Weile weg-
stellen würden?« Er schickte sich an, sich zu Drew auf die Liege zu legen, doch sie stieß ihn energisch beiseite. »Also, hören Sie mal!« rief sie entrüstet, so laut, daß das halbe Schiff es mitbekam. »Ich will eine Riesenerektion! Einen Cocktail! Sie wissen schon. Dieses Zeugs mit dem Limonensaft, siebzigprozentigem Rum, Grand Manier, Mayonnaise und einer gefrorenen ausgehöhlten Banane als Strohhalm… Eine Riesenerektion eben!« Das schlüpfrige Grinsen verschwand schlagartig aus dem Gesicht des jungen Kellners. »Ach so«, sagte er kleinlaut, sichtlich enttäuscht. »Einen Cocktail meinen Sie… Na gut. Das dauert aber ’ne Weile.« »Das macht nichts«, sagte Drew. »Ich habe es nicht eilig.« Der Kellner nickte und entfernte sich. Larry schaute dem Fliegenträger nach, bis er hinter der Bar verschwand, und wiederholte dann: »Eine Riesenerektion?« Obwohl er während seiner Zeit als Kampftrinker und staatlich geprüfter Alkoholvernichter so ziemlich alles in sich hineingeschüttet hatte, das auch nur entfernt alkoholisch war, von Schnaps über Benzol bis hin zu Frostschutzmittel, hatte er von einem solchen Cocktail noch nie etwas gehört. »Das ist mein Lieblingsdrink«, erklärte Drew. »Meistens trinke ich alles ganz schnell weg und knabbere dann noch stundenlang an der gefrorenen Banane herum.« Oh, du meine Güte, dachte Larry benommen. Inzwischen war er heilfroh, daß seine Badehose vorne den Elefantenkopf hatte, da der Rüssel ihm viele peinliche Fragen ersparte. Wie zum Teufel soll ich das bloß aushalten?
»Ich glaube, ich möchte selbst einen Drink«, sagte er. »Hallo, Kellner!« Er winkte nach dem nackten Steward mit der roten Fliege. Der Kellner kam hinter der Bar hervor und eilte stehenden Fußes herbei, ein Auge immer auf Drew. »Ja, Sir?« »Ehm, ich hätte gerne dasselbe, das die junge Lady hier eben bestellt hat«, erklärte er selbstbewußt. »Ich hätte gerne eine Riesenerektion.« Obwohl der Kellner ganz genau wußte, was gemeint war, konnte er sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Auf Larrys Rüssel schielend, sagte er: »Tja, sieht für mich so aus, als hätten Sie die schon.« Dann wurde er schnell ernst, ehe Larry ihm an die Gurgel gehen konnte – oder, eher, versuchen würde, ihm einen Schwinger gegen das Schienbein zu verpassen. »Nun, was soll’s? Das dauert natürlich einen Augenblick. Ich bringe es Ihnen dann.« Larry nickte. Der Kellner entschwand. Als Larry sich wieder seinem nackten Gegenüber zuwandte, fiel ihm plötzlich so unerwartet wie eine Steuerrückzahlung vom Fiskus ein, woher er den Namen Drew Barringmore kannte. Er beschloß, diesen Umstand ebenso hemmungslos zu seinem eigenen schnöden Vorteil zu nutzen. »Weißt du, Drew«, sagte er bedächtig, »eigentlich interessiere ich mich auch sehr für Geschichte.« »Nein, wirklich?« Drew strahlte. »Doch, doch«, versicherte Larry nachdrücklich. »Die Geschichte der Römer. Die Geschichte des Mittelalters. Die Ge-
schichte der O… Das finde ich alles ungeheuer aufregend. Aber besonders angetan haben es mir historische Flugzeuge. Vor allem diesen tollen deutschen Erfinder Anton Fokker finde ich klasse.« Er sah Drew an. »Hast du schon mal von ihm gehört?« »Anton Fokker? Aber natürlich!« rief Drew aufgeregt. »Ich habe das Buch über ihn geschrieben!« »Ah«, machte Larry. »Du hast also von ihm gehört?« »Nein, ich meine das ganz im Ernst!« versicherte Drew. »Ich habe den Bestseller über sein Leben geschrieben, der überall als die ultimative Abhandlung zu diesem Thema betrachtet wird. Das Buch heißt Fokker – Mehr als nur ein Flugzeug.« Larry gab sich verblüfft. »Wirklich? Na, das ist ja großartig! Ich mache nämlich nichts auf der Welt lieber, als über historische Flugzeugingenieure zu diskutieren.« Drew strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Oh, ich auch nicht!« Sie beugte sich zu ihm herüber, wobei er der Versuchung widerstehen mußte, ihre beiden Glocken zu begaffen, was angesichts des Umstands, daß sie direkt vor seiner Nase bimmelten, nicht ganz einfach war, und sagte in vertraulichem Ton: »Weißt du, Larry, manchmal habe ich das Gefühl, als wären diese Kreuzfahrtschiffe voller Blender, die mich nur löchern wollen.« Er seufzte verständnisvoll. »Das kann ich mir vorstellen…« Drew lächelte. »Wie schön, daß ich in dir eine verwandte Seele gefunden habe!« sagte sie begeistert. »Jemanden, der sich wie ich für die Geschichte der Luftfahrt interessiert, vor allem für die Flugzeuge meines lieben Anton!« »Du weißt wohl echt viel über ihn, was?«
»O ja!« Drew nickte. Dann führte sie sachlich aus: »Fokker, Anton Herman Gerald. Deutsch-amerikanischer Flugzeugdesigner niederländischer Herkunft, 1890 auf Java geboren. In seinen deutschen Fabriken wurden Flugzeuge gebaut, die im ersten Weltkrieg verwendet wurden. Er hat den Luftkrieg revolutioniert, indem er 1915 ein Maschinengewehr so synchronisierte, daß es durch den Propeller eines Flugzeugs abgefeuert werden konnte, ohne daß die Propellerblätter getroffen wurden. Später wandte er sich der Entwicklung zivil genutzter Flugzeuge zu und kam 1922 in die Vereinigten Staaten, wo er 1939 verstarb.« »Oh, Junge«, murmelte Larry gedankenverloren. »Ein sprechendes Lexikon mit Titten dran…« Drew blinzelte irritiert. »Wie, bitte?« Als Larry bewußt wurde, daß er laut ausgesprochen hatte, was er eigentlich nicht mal denken sollte, meinte er schnell: »Eh, ich sagte, ich fand schon immer, daß Anton nie die Anerkennung zuteil wurde, die er eigentlich verdient hat.« Drew geriet über sein enormes Verständnis über Fokker ganz aus dem Häuschen. Ihre Augen funkelten leidenschaftlich. »Du kennst dich ja wirklich aus, Larry, was?« lobte sie anerkennend. »Ja, Anton war tatsächlich ein hervorragender Erfinder, ein regelrechtes Genie. Dafür aber leider kein besonders guter Geschäftsmann. Eigentlich hat seine Mutter den ganzen Laden geschmissen. Sie war ein echter Tyrann, schwang ein hartes Regiment und herrschte mit eiserner Faust. Der arme Anton hatte gewiß nichts zu lachen.« Larry runzelte die Stirn. »Du meinst doch nicht etwa…«
»Doch«, erwiderte Drew mit Nachdruck. »Sie war ein richtiger Motherfucker…« Larry ließ die letzte Bemerkung einfach mal so zwischen ihnen im Raum stehen. Er sah Drew Barringmore an, krampfhaft bemüht, den Blick nicht tiefer als bis zum Hals wandern zu lassen, und fragte scheinheilig: »Hör mal, Drew, was würdest du von einer etwas… ehm, tiefergehenderen Unterhaltung halten?« Sie schenkte ihm ein offenes, ehrliches, herzliches und – vor allem – argloses Lächeln. »Das fände ich wirklich wunderbar, Larry! Wir könnten die ganze Nacht über Fokker reden.« »Ja«, stimmte er zu. »Daran hatte ich auch gedacht…« Dann wagte er den genitalen Vorstoß: »Hast du Lust, mit in meine Kabine zu kommen? Ich könnte dir meine Flugzeugstiche zeigen.« »Liebend gern«, sagte Drew fröhlich. Jetzt war es Larry, der strahlte. Wer hätte gedacht, daß es so einfach sein würde, dieses Prachtweib rumzukriegen? Keine zehn Seiten, und er hatte sie genau da, wo er sie haben wollte – in waagerechter Position direkt unter sich. Den Spruch mit den Flugzeugstichen mußte er sich unbedingt merken. Offenbar zog diese Masche besser als seine übliche Anmache: sich bei den Schnitten danach zu erkundigen, welche Geschmacksrichtung bei Kondomen sie bevorzugten. Aber obwohl er Erdbeer, Waldmeister, Banane und Aprikose im Angebot gehabt hatte, war die Resonanz bei den Damen bis dato eher enttäuschend gewesen. Er hatte diesen Mißerfolg darauf zurückgeführt, daß die Mädels auf exotischere Früchte standen – Avocados, Mangos, Litschis, all dieses Zeug, das aussah, als würde es jeden
Augenblick aus der Schale springen und wegkrabbeln. Doch möglicherweise hatte er die Frauen, die auf den Gummispruch standen, auch schlicht und einfach bereits überlebt. In seinem Alter konnte so was ja schließlich durchaus vorkommen. Wie auch immer, jedenfalls sah es so aus, als hätte sich das weibliche Geschlecht in den letzten Jahren im Zuge der Emanzipationsbewegung (in Larrys Augen nichts weiter als ein Aufstand von Weibern, die keinen Kerl mehr abgekriegt hatten) einmal mehr grundlegend geändert. Safer Sex war so out wie Ronald Reagan. Historische deutsche Flugzeugdesigner waren im Moment der große Bringer. Larry strich sich durch das schüttere Haar und raunte: »Wenn du meine Stiche sehen möchtest, warum machen wird uns dann nicht gleich auf den Weg?« »Weil es leider nicht geht«, erwiderte Drew enttäuscht. Sein Lächeln verblaßte. »Was soll das heißen? Das geht nicht?« »Ich kann nicht«, sagte die junge Frau mit echtem Bedauern in der Stimme. »Ich habe doch dem Schiffsjungen befohlen, meine Kleider für die Dauer der Fahrt wegzuschließen. Und ich kann mich doch nicht einfach über die Regeln hier an Bord hinwegsetzen und so mir nichts, dir nichts wie ein Exhibitionist nackt durch die Bereiche gehen, in denen man bekleidet sein muß. Das geht nun wirklich nicht. Ich muß wohl hierbleiben und die ganze Nacht lang nackt am Pool liegen, während die kühlen tropischen Winde mir sanft über die bloße Haut streichen.« Sie seufzte resigniert. Larry zog eine Grimasse.
Manchmal war er über seine eigene Naivität verblüfft. Hatte er wirklich allen Ernstes geglaubt, daß es so einfach sein würde, Drew in seine Kabine zu kriegen? Er hätte wissen müssen, daß an der Sache ein Haken war. Daß dieser Haken allerdings darin bestand, eine wunderschöne nackte junge Frau, deren Formen jeden Schönheitschirurgen vor Ehrfurcht erstarren lassen mußte, anzuziehen, damit hatte er nun beim besten Willen nicht gerechnet. Doch wie es aussah, hatte er keine andere Wahl. Er mußte Drew ihre Kleider beschaffen. Die Frage war nur, wie? Mit einem Stoßseufzer ließ Larry den Blick über das Sonnendeck zum Swimmingpool schweifen, in dem sich Heerscharen (halb-)nackter Badender tummelten. Lachen, Kichern und das Quaken einer Ente, die zwischen den Planschenden sorglos umherpaddelte, drang zu ihnen herüber. Eine Frau, die so dick war, daß Larry argwöhnte, daß man ihr Konfirmationsfoto aus der Luft hatte aufnehmen müssen, wippte auf dem Einmeterbrett, das sich unter ihrem Gewicht bedrohlich tief bog. Er verfolgte, wie die Dicke sich, jauchzend wie eine schwangere Seekuh, in die Fluten stürzte. Er grinste boshaft, als die anderen Schwimmer in der Flutwelle beinahe ertranken. Dann fiel sein Blick auf das Buch neben Drew, Die erotischen Abenteuer des Herkules, und ihm fiel ein, daß er noch immer keine Reiselektüre aufgetrieben hatte. »Hey, Drew«, sagte er deshalb. »Ob ich deinen Roman wohl für eine Weile ausleihen könnte?« Sie nickte. »Aber klar. Ich hab’ ihn sowieso schon durch.« Larry nahm das Buch, klemmte es sich unter den Arm. »Besten Dank… Tja, ich schätze, ich muß dann mal langsam wieder.
Das eine oder andere erledigen.« Er wiegte den Kopf. »Na ja, mehr das eine als das andere, aber was soll’s… Sag dem Kellner, daß er meine Riesenerektion haben kann. Ich denke, er braucht sie nötiger als ich…« »Sicher, Larry«, sagte sie freundlich. »Es war nett, mit dir zu plaudern. Vielleicht sehen wir ja bald mehr voneinander.« Larry schmunzelte. »Sehr wahrscheinlich…« »Also, bis dann«, sagte Drew. »Ja«, entgegnete Larry. »Bis dann.« Mit dem Buch unter dem Arm marschierte er über das Sonnendeck hinüber zu den Umkleidekabinen, um Dumbo gegen seinen Anzug zu tauschen – schließlich hätte es vermutlich irgendwie seltsam ausgesehen, wenn er mit der Elefantenbadehose zum abendlichen Galadinner erschienen wäre. Dann ertönte plötzlich das beinahe schon obligatorische Knacken der Bordlautsprecher. »Achtung, bitte, eine Durchsage! James gewinnt den Weinbrandvernichtungswettbewerb mit einem satten halben Faß Vorsprung und setzt sich damit klar an die Spitze des TLPWettbewerbs. Wir gratulieren, James! Schau doch mal auf der Brücke vorbei, damit wir auf deinen Sieg anstoßen können, wenn du wieder aus dem Koma erwacht bist… Ende der Durchsage.« Larry runzelte die Stirn. Allem Anschein nach waren die anderen Teilnehmer an Käpt’n Thyghs Liebhaberwettbewerb bereits eifrig damit beschäftigt, die einzelnen Aufgaben zu lösen. Na, und wenn schon. Sollten diese verdammten Idioten sich ruhig abhetzen. Larry zog es vor, die Sache langsam und gemächlich anzuge-
hen, denn je länger er sich auf der P. M. S. Bouncy umsah, desto mehr verstärkte sich sein Eindruck, daß Käpt’n Thygh nicht die einzige Frau an Bord war, die es sich zu erobern lohnte. Und warum sollte er sich mit einem Häschen zufriedengeben, wenn er ein ganzes Rudel kriegen konnte? Außerdem hatte er seine Schiffsinspektion noch nicht beendet, und nach seinen Begegnungen mit Drew Barringmore und Victoria Principles war Larry zuversichtlich, daß die P. M. S. Bouncy möglicherweise noch weitere erigierende Überraschungen für ihn bereithielt, die es zu entdecken galt, bevor es andere taten. Eine Weile würde Kapitän Thygh sich also noch gedulden müssen…
4. Sprechende Möpse »Achtung, bitte, eine Durchsage! William hat beim Tätowieren mit verbundenen Augen (ein Teil des TLP-Wettbewerbs) nach Punkten gewonnen. Herzlichen Glückwunsch, William! – Ende der Durchsage.« Während die Neuigkeit aus den Lautsprechern quakte, schlenderte Larry gelassen über das Achterdeck der P. M. S. Bouncy, das ebenso wie der Rest des Luxusliners mit allerlei exotischen grünbunten Topfpflanzen und Memorabilien von Käpt’n Thygh in verschiedenen Stadien der Entblätterung dekoriert war. Es war kurz vor Viertel nach fünf. Seit er Drew am Pool zurückgelassen hatte, machte Larry es sich in einem Liegestuhl auf dem Promenadendeck gemütlich. Er vertiefte sich in Die erotischen Abenteuer des Herkules, um seine eingleisigen Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Das Buch hatte es wirklich in sich. Jede Seite prall gefüllt mit antikem Schweinskram. Herkules, eine denkwürdige Mischung aus David Letterman, Julio Iglesias und Schwarzenegger, stieg den altgriechischen Jungfrauen nach, gebärdete sich – eine Hommage an seinen göttlichen Samenspender – wie ein Stier und tat alles, was Stiere nun mal so machten, wenn ihnen knackige Färsen vor die Hörner kamen. Dabei ging es zuweilen so heftig zur Sache, daß selbst Larry als langjähriger Pornophiler knallrote Ohren bekam. Kein Wunder also, daß er das Buch nach den ersten drei Kapiteln entnervt zuklappte und beschloß,
sich im Whirlpool auf dem Achterdeck zu entspannen, bis es Zeit wurde, sich in Schale zu schmeißen – sprich: seine fünfzig Haare fesch nach hinten zu kämmen und noch einen weiteren Knopf seines Hemdes zu öffnen – und zum Abendessen zu gehen, um danach im Casino die Würfel springen zu lassen. Irgendwie mußte man ja schließlich an Bares kommen… Nach einem kurzen Boxenstopp in seiner Kabine spazierte Larry also, in den Bademantel gehüllt, den er vor vier Jahren aus dem »La Costa Lotta«-Club hatte mitgehen lassen, um wenigstens etwas von seinem »Traumurlaub« zu haben, über das Achterdeck. Der Betrieb in diesem Teil des Schiffes hielt sich in Grenzen, so daß er guter Hoffnung war, den Pool nicht mit irgendwelchen transpirierenden Kerlen teilen zu müssen, die sich selbst mit Omas Stopfnadel Totenköpfe und Schiffsanker auf die muskulösen Oberarme tätowiert hatten. Doch als er, mit dem Handtuch über dem Arm, um die überdimensionale Champagnerflasche bog, die als Schornstein der P. M. S. Bouncy herhielt, erkannte er, daß er sich zu früh gefreut hatte, denn der Whirlpool war bereits besetzt. Zwar nicht unbedingt von tätowierten Burschen, deren größte Freude darin bestand, sich die Badehose über den Kopf zu ziehen, aber immerhin. Inmitten der wild blubbernden Blasen des Whirlpools saßen zwei junge Frauen – oder eine Frau in zwei Versionen, je nachdem, denn die Ladies glichen sich wie Dudley und Demi Moore. Beide waren im landläufigen Sinn attraktiv, hatten langes, blondes Haar, das in einer gewaltigen, kunstvoll toupierten Mähne dank des massiven Einsatzes von Haarspray zu allen Seiten abstand, und trugen knappe Bikinis in den dänischen Nationalfarben, deren Oberteile durch die enormen Oberweiten, die verdächtig an Atomsprengköpfe erinnerten, gesprengt
zu werden drohten. Tatsächlich waren ihre Brüste so gewaltig, daß Larry sich zwangsläufig fragte, ob sie dafür womöglich einen Waffenschein brauchten. Gleichwohl war es Larry selbstverständlich nicht unangenehm, auf zwei weitere attraktive junge Frauen zu treffen. Je mehr Babys hier herumliefen, desto größer war schließlich seine Chance, nach Tagen der Enthaltsamkeit endlich wieder einen Volltreffer zu landen. Und an Frauen schien es auf diesem Dampfer ja nicht unbedingt zu mangeln. Ganz im Gegenteil. Auf der P. M. S. Bouncy wimmelte es nur so vor hübschen Frauen, die es alle irgendwie wert waren, in Larrys autorisierter Autobiographie mit dem klangvollen Titel Lendenträume, die er irgendwann zu Papier zu bringen gedachte, lobend erwähnt zu werden. Käpt’n Thygh. Vicky. Drew. Und jetzt diese beiden Puppen hier. Offenbar war auf dem Schiff irgendwo ein Nest… Larry, der angesichts der üppigen, garantiert naturbelassenen Blondinenkörper zu dem Schluß gelangt war, seine rituellen Waschungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, um sich nicht komplett zum Narren zu machen, wenn er aus seinem Mantel stieg, legte sich das Handtuch locker über die Schultern und ging vor dem Whirlpool in die Knie. »Hallo, Mädels!« begrüßte er sie fröhlich. »Na, wie geht’s so? Mein Name ist Larry. Larry Laffer.« »Laffer?« echote die linke Braut belustigt. Ihre Erscheinung machte einen leicht debilen Eindruck, doch das hing vermutlich mit ihrer Haarfarbe zusammen. »Das ist aber mal ein komischer Name!«
»Und ich wette«, mischte sich die andere Schnecke mit süßer, zwitschernder Säuselstimme ein. »Ich wette, du bist auch ein komischer kleiner Kerl, was?« Larry zuckte die Schultern. »Na ja, schätze schon«, stimmte er ihr zu. »Aber, hey, sagt mal, Kinder, kenne ich euch nicht von irgendwoher?« Das war sein Standardspruch – die Lizenz hatte er günstig aus einem bekannten Hollywoodstreifen erworben. »Schon möglich«, sagte die Rechte. »Wir kommen viel herum.« »Klar«, schoß Larry ins Blaue. »Ihr seid berühmt, nicht wahr?« Die Säuselstimme nickte. »Wir sind die Möpse.« Er blinzelte. Schielte auf ihre Brüste. »Ja, das sehe ich…« »Nein, nein«, winkte sie eifrig ab. »So nennen wir uns. Die Möpse. Wir sind Sängerinnen.« »Ich heiße Nailmi Jugg«, stellte die andere Blondine sich vor. »Und das ist meine Tochter Wydoncha.« Larry sah von einer Frau zur anderen. »Mutter? Tochter?« Die Juggs nickten. »Also, Momentchen mal«, sagte Larry und hob verwirrt die Hand. »Wer von euch ist noch mal die Mutter und wer die Tochter?« »Na, jetzt hör aber auf, du elender Charmeur!« winkte Nailmi ab, obwohl sie sich offensichtlich geschmeichelt fühlte. »Ich bin selbstverständlich Wydonchas Mama. Aber natürlich«, fügte sie hinzu, »sind wir beinahe im gleichen Alter. Ich bekam sie nämlich zusammen mit meinem ersten Eisprung.« »Aha.« Larry gluckste. »Soso.«
»Ja«, bestätigte Wydoncha fröhlich. »Ich bin neunzehn, und Mama ist seit mindestens fünf Jahren neunundzwanzig…« »Wydoncha, das ist nicht komisch!« brauste Mutter Mops auf und warf ihrer Tochter einen wütenden Seitenblick zu, der Larry dazu veranlaßte, das Thema zu wechseln. »Und«, erkundigte er sich langsam (schließlich hatte er es mit Blondinen zu tun), »warum machen zwei berühmte Sängerinnen wie ihr eine Kreuzfahrt?« »Um ehrlich zu sein, Larry, Ruhm kann manchmal auch verdammt lästig sein«, bekannte Nailmi und ließ einen Stoßseufzer folgen, der Larry bis in Mark und Überbein erschauern ließ. »All diese Presse- und Fototermine. Die Radio- und Fernsehauftritte. Die ganzen Tourneen. Das macht uns richtig fertig. Deshalb dachten wir, daß uns so ein Urlaub guttun würde.« »Ganz zu schweigen davon, daß wir uns sowieso nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen können, bis Gras über diese Sache gewachsen ist«, ergänzte Wydoncha, ebenfalls seufzend. Larry runzelte die Stirn. »Was für eine Sache?« »Na ja«, sagte Nailmi Jugg bedächtig, während ihre gigantischen Brüste wie Bälle im blubbernden Wasser trieben. »Es gab da vor ungefähr einem Monat einen kleinen… Zwischenfall. Bei einem Wohltätigkeitskonzert in einem Hochsicherheitsgefängnis für Frauen. Wir versuchten, unseren armen, armen Schwestern die Chance zu geben, ihren Kummer für eine kleine Weile zu vergessen. Immer alles für die Fans, weißt du?« Larry nickte verständnisvoll. »Außerdem meinte unser Manager, es sei eine gute Gelegenheit, unser neues Video fürs Kabelfernsehen zu drehen. Eingesperrtes Feuer. Die Möpse hinter Gittern.« Sie kicherte.
Mama Jugg sah ihre Tochter streng an. »Also, Wydoncha, wer von uns erzählt denn jetzt die Geschichte? Du oder ich?« Ohne die Antwort ihres Sprößlings abzuwarten, erklärte sie: »Nun, auf jeden Fall hatten wir an diesem Tag einige Probleme, in unsere Radlerhosen zu kommen…« »Genau!« fiel Wydoncha ihr ins Wort. »Weil Mama im Tourbus mal wieder kräftig bei der Buttercremetorte zugeschlagen hatte.« »Wydoncha, sei ruhig!« fuhr Nailmi sie an. »Wo war ich noch stehengeblieben? Ach so… Also, die Show mußte ja irgendwie weitergehen. Darum ließen wir uns von einem der Tourbegleiter kurzerhand mit Silikongleitmittel einsprühen.« »Und wir flutschten nur so rein«, ergänzte Wydoncha. Larrys Blick pendelte zwischen den vier Glocken der zwei Möpse hin und her. Das Rumoren in seinen Lenden nach besten Kräften ignorierend, sagte er verträumt: »Das ist eine ziemlich interessante Vorstellung…« »Tja, bloß wußten wir selbstverständlich nicht, daß die warmen Bühnenscheinwerfer eine chemische Reaktion zwischen dem Latex der Radlerhosen und dem Silikon auslösen würden«, sagte Nailmi mit einem gewissen Bedauern in der Stimme. »Wow! Das war vielleicht was!« jauchzte Wydoncha fröhlich. »Es hat einen regelrechten Aufruhr gegeben!« »Was ist passiert?« fragte Larry. »Ich weiß es nicht mehr genau«, sagte sie ausweichend. »Ich kann mich nur noch verschwommen daran erinnern.«
»Sagen wir mal«, übernahm ihre Mutter das Wort, »egal, wo wir danach hingingen, wurden wir von Paparazzi belagert.« »Man lauerte uns richtig auf«, bekräftigte Wydoncha. »Ja, und nachdem sie das Video zu Eingesperrtes Feuer dann bei Nashville Stories gesendet hatten, mußten wir schnellstens für eine Weile untertauchen. Nun, und hier sind wir also.« »Tragisch«, sagte Larry, bemüht trübsinnig. Wydoncha winkte lächelnd ab. »Och, ich fand’s eigentlich ganz spaßig…« Larry schmunzelte. Irgendwie gefiel ihm das Mädchen. Sie war so fröhlich. So lebensbejahend. So eindrucksvoll, vor allem um die Brust rum… Er unterdrückte ein anzügliches Grinsen und fragte: »Was für eine Art Musik singt ihr eigentlich?« »Beide«, erwiderte Nailmi stolz. »Country und Western… Du kennst doch bestimmt unseren großen Hit Dichtes Haar und lange Glieder?« Larry dachte einen Moment darüber nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Ähm, ich fürchte, nicht.« »Was ist mit Höschen an der Ferse, Schmerz im Herz?« wollte Wydoncha wissen. »Das kennst du doch bestimmt!« »Nö«, gestand Larry. »Klingt für mich aber wie ein todsicherer Grammy-Kandidat.« Wydoncha musterte Larry so neugierig, daß er zwangsläufig den Eindruck gewinnen mußte, sie finde nicht nur seinen Bademantel interessant. »Was für Musik hörst du dir denn so an?« »Disco«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Du weißt schon. Katschung-ka-tschung-ka-tschung.« Er vollführte die entsprechen-
den Tanzbewegungen, die man jedoch bei Unkenntnis der Sachlage schnell als epileptischen Anfall fehlinterpretieren konnte. »So in der Richtung. Weißt du, Wydoncha, manche Leute behaupten ja, Disco kommt wieder. Aber ich meine, Disco war überhaupt noch nie weg vom Fenster.« Er sagte das mit einer Inbrunst in der Stimme, daß er sich beinahe selbst geglaubt hätte. Dann ließ er den Blick wieder zwischen den Möpsen hin- und herwandern. »Wie ist es? Habt ihr irgendwelche Aufnahmen von euch, die ich mir anhören könnte?« Nailmi schüttelte den Kopf. »Also, ich würde dir ja gern ein handsigniertes Exemplar unserer letzten CD geben«, erklärte sie bedauernd. »Aber leider sind wir so überstürzt zu dieser Kreuzfahrt aufgebrochen, daß wir uns nur rasch ein paar dünne Seidenfetzchen aus dem Bus schnappen konnten. Tut mir leid.« Larry winkte ab. »Oh, das geht schon in Ordnung. Ich höre mir sowieso lieber die unübertroffene Klangtreue von Achtspur-Tonkassetten an…« Er verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere und sagte: »Ihr tretet doch bestimmt auf dem Schiff auf, oder?« »Na ja, erst wollten wir ja nicht«, sagte Nailmi. »Aber unser Manager besteht darauf, daß wir in Übung bleiben. Daher haben wir uns entschlossen, eine ganz spezielle Show anzubieten.« »Alles für die Fans«, sagte Wydoncha. Nailmi nickte nachdrücklich. »Gott segne sie…« In diesem Moment knackte es mal wieder in den Lautsprechern. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Jeffrey hat soeben mit großem Vorsprung das Strip-Solitaire gewonnen, während Henry sich im
Nackt-Hürdenlauf durchsetzen konnte und Thomas das PullermannAngeln für sich entschied, indem er einen dreihundert Pfund schweren Seehecht nur mit seinem Pullermann an Bord holte! Wir gratulieren den Gewinnern! – Ende der Durchsage.« Larry grunzte mißmutig. Es hatte beinahe den Anschein, als würden die Wettbewerbe langsam in die entscheidende Phase geraten. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er sich jetzt ebenfalls an die Arbeit machte. Diese beiden netten Wuchtbrummen konnte er sich auch später noch zur Brust nehmen – oder umgekehrt. »Also, Mädels«, sagte Larry und erhob sich. »Es war schön, mit euch zu plaudern. Aber jetzt muß ich weiter. Vielleicht sehen wir uns ja später noch?« »Aber natürlich«, säuselte Wydoncha. »Und verpaß bloß nicht unsere Show in der Lounge heute abend, ja, Larry?« Larry schenkte der Kleinen das, was er für ein einnehmendes, weltmännisches Lächeln hielt. »Aber auf gar keinen Fall…« Als Larry sich vom Whirlpool entfernte, fragte er sich, ob die Möpse glaubten, daß er als Kind vom Rübentrecker gefallen war. Nahmen Nailmi und Wydoncha wirklich allen Ernstes an, er würde sich die Chance entgehen lassen, sie live und in Action zu erleben? Natürlich, daß sie nur Country & Western sangen, wäre ein durchaus nachvollziehbarer Grund gewesen, der Lounge heute abend fernzubleiben, aber den imposanten Anblick der Juggs in hautengen schwarzen Radlerhosen wollte er sich um nichts auf der Welt entgehen lassen. Dafür nahm er sogar anderthalb Stunden akustischer Folter auf sich.
Während er über das Achterdeck in Richtung Aufzug schlenderte, um hinunter in seine Kabine zu fahren und sich fürs Abendessen umzuziehen, überlegte Larry, welche der sechs Disziplinen, die zwischen ihm und intimen Einblicken in Käpt’n Thyghs Sexualleben standen, er zuerst in Angriff nehmen sollte. Er brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Nach den in jeder Hinsicht erhebenden Begegnungen mit Vicky, Drew und den Möpsen, die jedoch alle irgendwie unbefriedigend verlaufen waren, wurde es höchste Zeit, seinen Hormonhaushalt wieder auf einen akzeptablen Pegel zu bringen – nämlich knapp dreihundert Prozent runter. Und was wäre ihm zu diesem Zweck gelegener gekommen als der TLPSextechnikwettbewerb mit dem LiebesMeister 2000™?
5. Mötmöt und Tlanfelkel Der LiebesMeister 2000™, garantiert kein eingetragenes Warenzeichen der ansonsten stets seriösen Produktionsfirma SierraOnline Ltd. (auch wenn böse Zungen dies behaupten mögen), war im ersten Unterdeck des Luxusliners zu finden, auf dem Gang, der zu Kapitän Queegs Ballsaal führte, auch wenn Larry keine Ahnung hatte, wer zum Teufel das sein sollte. Als er die Tür mit der entsprechenden Aufschrift öffnete, schlug ihm aus dem Spalt ein Schwall warmer, nach Schweiß, Intimspray, zu süßem Frauenparfüm und Schmieröl duftender Luft entgegen, der Larrys Geruchssinne in demselben Maße betäubte, wie der Anblick, der sich ihm darbot, als er den Raum zögerlich betrat, seine Augen trübte. Es war, als würde man in eine andere Welt eintauchen. In eine Welt, in der die potentielle Stärke eines Mannes noch Ausdruck seiner Macht und universellen Größe war, und nicht Grund, sich von durchgedrehten Emanzen auf offener Straße als »verdammtes Chauvischwein« beschimpfen zu lassen. Hier, in diesen heiligen Hallen, zwanzig Meter im Quadrat, überlebte nur derjenige, der seine Abstammung vom Affen nicht leugnete, sondern sich vielmehr zu seinen tierischen Urtrieben bekannte und bereit war, seine innerste Natur ungehemmt und ohne Rücksicht auf spätere Vaterschaftsklagen auszuleben. Larry fühlte sich sofort wie zu Hause.
Dabei sah es in dem Raum ganz anders aus als daheim in seiner Bleibe. Während in seiner Bude leberwurstfarbene Tapeten die Augen mancher Betrachter beleidigten, waren die Wände hier derart grellrot lackiert, daß man sich unweigerlich fragte, wie viele Anstreicher beim Pinseln dauerhaft erblindet waren. Decke und Boden hingegen bestanden aus Millionen und Abermillionen von Spiegelscherben, aus denen Larry Millionen und Abermillionen verzerrte kleine Larrys anstarrten. Aus den vier schwingtürenbewehrten Kabinen an der Nordwestwand drang ein ekstatisches Stöhnen, Wimmern, Seufzen, Keuchen, Juchzen und Schreien, daß der Besuch eines Konzerts der Backstreet Boys dagegen wie die Jahreshauptversammlung des örtlichen Scheintotenheims wirkte. Die Atmosphäre sexueller Energie, die den Raum erfüllte, war so deutlich spürbar, daß sich Larrys Nackenhaare unaufgefordert aufrichteten. Das hier war das Leben in seiner urtümlichsten, räudigsten, primitivsten Form. Hier war er in seinem Element. Als Larry mit großen Kinderaugen näher trat, erkannte er, daß drei der Kabinen, über denen Anzeigetafeln über den aktuellen Punktestand der Kontrahenten informierten, im Moment besetzt waren. Doch was er sah, gefiel ihm nicht besonders. Denn auch wenn die Kerle, gegen die er antreten mußte, wie Woody Allen, Frank Sinatra oder der Unglaubliche Hulk wirkten – also weit weg von dem, was psychisch halbwegs normal entwickelte Frauen Mitte Zwanzig als attraktiv bezeichnen würden –, schienen sie ihre Sache dennoch so ordentlich zu machen, daß Larrys Stirn besorgte Wellen schlug. Alle drei Männer hatten bereits über sechshundert Punkte, was bei einer maximal erreichbaren Höchstsumme von tausend
Punkten nach Adam Riese bedeutete, daß sie sich im oberen Drittel der Skala bewegten. Der Kerl in Kabine 3 hatte es sogar auf satte neunhundert Punkte gebracht und hielt damit wahrscheinlich den Highscore. Natürlich zeigte sich Larry darüber nicht über die Maßen beeindruckt, weil er schließlich auf ein langjähriges Sexualleben zurückblicken konnte – oder sich zumindest rühmen konnte, sich ungefähr eine Milliarde Pornostreifen reingezogen zu haben, wobei er sich mit der Zeit ein umfassendes Spezialwissen angeeignet hatte. Was es über Sex irgend zu wissen gab, wußte er. Er kannte sich mit allen Arten zwischenmenschlichen Verkehrsgedrängels aus und konnte aus dem Stegreif über vierhundert verschiedene Stellungen en detail beschreiben – was mit Sicherheit nicht allzu viele Männer von sich behaupten konnten, ohne zu lügen. All das verleitete ihn zu der irrigen Annahme, daß er den Jackpot knacken konnte, ohne sonderlich ins Schwitzen zu geraten. Er durfte sich nicht zu sehr verausgaben, schließlich mußte er heute nacht noch die Möpse beglücken, die vermutlich nicht so leicht zufriedenzustellen waren. Sicher, es würde in jedem Fall ausreichen, um Nailmi und Wydoncha in den Wahnsinn zu treiben. Doch das war Larry nicht genug. Sie mußten weinen, schreien und betteln, mußten verzweifelt gegen seine Kabinentür hämmern. Aber natürlich würde er sie erst rauslassen, wenn er mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden war… Dieser Gedanke entlockte ihm ein Lächeln. Während er dem himmlischen Papa im stillen für die reichlichen Gaben dankte, mit denen Er seinen Sohn in Seiner grenzenlosen Güte gesegnet hatte, durchquerte Larry den Raum und blieb vor einem wuchtigen Automaten stehen, der von einem geschwungenen Kußmund aus rotem Plastik geziert wur-
de. Mit einer energischen Geste, die Zuversicht signalisieren sollte, aber bloß wirkte, als ob er unter akuter Achselnässe litt, holte er seine noch jungfräuliche TLP-Punktekarte hervor und steckte sie zwischen die geschürzten Lippen des Automaten. Die Daten wurden mittels Scanner eingelesen. Ein verhaltenes Rattern erklang, gefolgt von einem leisen Summen, wiederum gefolgt von einem heiseren Quietschen, als die Schwingtür von Kabine 2 sich, wie von Geisterhand bewegt, auftat und den Blick auf eine fesche Metallbraut mit gelben Augen und Irokesenschnitt freigab, die sich per Zigarettenspitze eine Ladung Nikotin in die Leitungen pfiff. Ihre eisernen Rundungen waren ansehnlich und durchaus vielversprechend, obschon vielleicht eine Spur zu hart. In einer Wolke blauen Qualms saß sie da und musterte ihn herausfordernd, als ob sie genau wüßte, was sie von ihm zu erwarten hatte, nämlich im Zweifelsfall nicht allzuviel. Er betrachtete die eiserne Lady einen Moment lang zweifelnd. Bislang war er noch nicht in die Verlegenheit geraten, Sex mit einem Roboter zu haben. Allerdings waren die Unterschiede zu Lucy, der Gummipuppe, die ihn daheim bei seinen Trockenübungen unterstützte, mit geschlossenen Augen vermutlich minimal, und wenn er hier und jetzt eine Vorstellung ablieferte, die bloß halb so beeindruckend wie seine Leistungen zu Hause mit Lucy war, hatte er den Sieg schon so gut wie in der Tasche. Larry zuckte mit den Schultern und trat, resigniert seufzend, in die Kabine. Was tat man nicht alles, um den Frauen zu imponieren? Die Türen schwangen hinter ihm quietschend zu. Eine Sekunde lang rührte sich nichts.
Dann brach in der Kabine plötzlich hektische Aktivität aus. Das Summen von Elektromotoren war zu hören, dicht gefolgt vom Ratschen eines Reißverschlusses. Das Rascheln von Klamotten, die hastig bis zu den Knien runtergezogen wurden. Ein dumpfes, mechanisches Brummen. Dann Larry, erst langsam, dann so heftig stöhnend, als ob er unmittelbar vor einem Herzkranzgefäßkatarrh stünde. Klackende Scharniere. Wieder Larry, hechelnd wie ein Hund nach einem ausgedehnten Spaziergang durch die Felder an einem warmen Sommertag. Unruhig scharrende Füße. Und noch mal Larry, aus voller Kehle einen gutturalen Urschrei ausstoßend, der das abrupte Absinken seines Hormonspiegels signalisierte und die Wände der Kabine erzittern ließ, als würde draußen der verblichene John Candy – Gott hab’ ihn selig – vorbeiwalzen. Danach das zweifache müde Tröten einer Blechhupe, mötmöt, wie um das Ende des Gefechts zu dokumentieren. Nach gut und gerne fünfzehn nervenaufreibenden Sekunden war es schließlich vorüber. Die Schwingtüren öffneten sich wieder. Larry taumelte, die Klamotten durcheinander, das Haar zerzaust und wild zu allen Seiten abstehend, aus der Kabine. Er war von Kopf bis zu den Socken schweißgebadet. Sein Gesicht glühte so rot wie damals, als er vor der offenen Mikrowelle einschlief und mit dem fürchterlichsten Sonnenbrand aufwachte, den sein Hautarzt jemals gesehen hatte. Er konnte sich kaum senkrecht auf den Beinen halten. Während die eiserne Lady hinter ihm in unveränderter Haltung in der Kabine saß und mit teilnahmsloser Metallmiene ihre Zigarette rauchte, hatte die vorangegangene sexuelle Interaktion Larry Laffer so sehr ge-
schlaucht, als hätte er gerade ein Dutzend Kondome zum Platzen gebracht. »Oh, Junge«, keuchte er angestrengt, während er mühevoll seine Hosen hochzog und den Reißverschluß schloß. Er war fix und fertig. Gleichzeitig jedoch erfüllte ihn das befriedigende Gefühl, etwas vollbracht zu haben, was bei Larry ja doch eher selten der Fall war. »Was für eine Nummer…« Er war noch immer böse aus der Puste. »Ich bin bestimmt ’ne ganze Stunde da drin gewesen!« Wie viele Punkte ihm seine Leistung wohl einbrachte? Ob er den Jackpot knacken konnte? Würde Arnold Schwarzenegger nächstes Jahr zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden? Fragen über Fragen, auf deren Beantwortung Larry nicht lange warten mußte. Denn kaum hatte er seine Kleider wieder einigermaßen geordnet, als sich die Plastiklippen des Automaten zu seiner Rechten öffneten und eine Frauenstimme mit dem Timbre einer Baßtrompete verkündete: »Ihre Punktzahl, Larry Laffer… Zwei.« Larrys hohe Stirn schob sich zusammen wie ein Akkordeon. »Zwei was?« fragte er verwirrt. »Zweihundert? Zweitausend?« »Zwei«, wiederholte die Baßtrompete. »Nur zwei…« Langsam dämmerte Larry, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube drehte er sich um und warf einen irritierten Blick auf die Anzeigetafel über der Tür von Kabine 2. Die Anzeige zeigte zwei Punkt an. Zwei klägliche Punkte!
Larry schnaubte wütend. Und dafür hatte er sich abgerackert wie ein Pferd? Er konnte es nicht fassen. Nach all den Mühen, die er auf sich genommen hatte, nach all dem Übel, das ihm in seiner Kindheit widerfahren war, sollte er jetzt mit zwei beschissenen kleinen Pünktchen abgespeist werden? Ja, zum Teufel, in was für einer Welt lebte er denn eigentlich? Wütend strich Larry sich das Haar zurück, nahm einen kurzen Anlauf und trat mit voller Wucht gegen den Lippenautomaten, um seinem Zorn über die ungerechte Bewertung seiner Leistung Luft zu machen. Abgesehen davon, daß sein rechter großer Zeh ein unheilschwangeres Knacken hören ließ und innerhalb weniger Sekunden zum Drei- bis Vierfachen seiner normalen Größe (die auch so bereits recht beachtlich war) anschwoll und den Schuh zu sprengen drohte, passierte nicht viel. Der LiebesMeister 2000™ strafte ihn mit Mißachtung. Mit angeknackstem Zeh, gebrochenem Selbstvertrauen und einem Blutdruck von hundertvierzig zu Scheintod humpelte Larry von dannen, während seine drei Mitstreiter in den anderen Kabinen nach wie vor heftig bei der Sache waren. Benommen fragte er sich, wie diese Idioten es schafften, über sechshundert Punkte zu erreichen, obwohl er alle seine Kenntnisse angewandt hatte. Vielleicht, ging es ihm durch den Kopf, während er den Raum verließ, lag es ja einfach daran, daß er die falschen Filme gesehen… Larry trat auf den Gang hinaus und versuchte sich mit der Idee anzufreunden, daß aus dem geplanten Siegeszug in Käpt’n Thyghs Kabine, mit Pauken, Trompeten und einer Monatspackung Lümmeltüten unter dem Arm, möglicherweise nichts
wurde, wenn seine Leistungen bei den anderen Wettkämpfen ebenso unfair beurteilt würden. Er hatte keine Ahnung, wie viele der fünf Wettbewerbe er gewinnen mußte, um den Gesamtsieg davonzutragen, aber das, was er da eben hingelegt hatte, war nicht gerade das gewesen, was allgemein als Senkrechtstart bezeichnet wurde. Eher so was wie ein Rohrkrepierer – im doppelten Sinne des Wortes… Während Larry auf den Aufzug wartete, informierte ihn seine Uhr darüber, daß es allmählich Zeit wurde, Kalorien zu laden. Es war bereits kurz vor sieben. Er konnte nur hoffen, daß es auf dem Schiff gesitteter zuging als zu Hause in der Kantine der großen Filtertütenfabrik, bei der er als Aromaporentester angestellt war. In der Kantine dieser Firma war, spätestens zweieinhalb Minuten, nachdem die Türen geöffnet wurden, abgesehen von einem Berg leerer Schlüsseln, Teller, Platten sowie einem schmierigen Chaos aus Bratenfett, Soße und zermatschtem Gemüse auf dem Boden nicht mehr viel übrig, das er freiwillig verzehrte. In jedem Fall hatte er nicht vor, sich knurrenden Magens in das wüste Nachtleben der P. M. S. Bouncy zu stürzen, denn wenn es eine Sache gab, die er beim Sex wirklich störend fand, waren das lautstark rumorende Innereien. Als der Aufzug schließlich kam, fuhr Larry ohne Umwege hoch zum Speisesaal. Die Doppeltüren standen bereits offen. Drinnen hatten die Innenarchitekten des Potts sich selbst übertroffen und den Saal dem Innenleben eines Bauwals nachempfunden, nebst gigantischen Rippenbögen, die sich quer über die Tischreihen wölbten, einem grob kieferförmigen Büfett aus riesigen Zähnen, auf denen dampfende Schüsseln und Fleischplatten standen, und einer großen roten Zunge, so groß wie ein
Doppelbett, die als Podest für eine komplett aus Eis gehauene Skulptur von Käpt’n Thygh als Wassernixe herhalten mußte. Larry blieb vor der eisigen Statue stehen und betrachtete sie. Der Künstler hatte ganze Arbeit geleistet. Die Skulptur glich Käpt’n Thygh bis aufs Haar und war so detailliert gestaltet, daß man praktisch alles erkennen konnte, was es auf den vielen Gemälden der blonden Wuchtbrumme, die überall an Bord hingen, auch zu sehen gab. Selbst die feinen Schweißperlen auf ihrer Stirn hatte der Bildhauer nicht vergessen. Larry widerstand dem Drang, an der eisigen Skulptur zu lecken, hauptsächlich, um sich die Blamage zu ersparen, mit der Zunge daran festzukleben, und ging weiter zum Büfett. Eine Gruppe Damen und Herren in feiner Abendgarderobe schritt, mit Tellern bewaffnet, an den dargebotenen Speisen entlang, die nicht nur überwältigend dufteten, sondern auch ganz anders aussahen als die heimischen Kantinen-Eintöpfe. Doch wenn Larry befürchtet hatte, daß die anderen Passagiere ihm in ihrer Gier nichts übriglassen würden, war er einem Irrtum erlegen. Denn entweder hielten die Herrschaften im Augenblick strenge Diät, oder sie hatten nach dem Kauf ihrer vornehmen Garderobe nicht mehr genug Scheinchen übrig, um sich darüber hinaus auch noch ein anständiges Essen leisten zu können. Jedenfalls begnügten sich die meisten Gäste mit minimalistischen Lachs-Schnittchen, mikroskopisch kleinen Gürkchen, gevierteilten Tomaten, Blattspinat und etwas, das auf den ersten Blick wie ziemlich altes Hammelfleisch aussah, sich bei näherer Betrachtung jedoch als blutjunger Edamer-Käse entpuppte. Larry war künstliche Zurückhaltung fremd. Nachdem er sich den größten Teller geschnappt hatte, den er in der Ablage mit
Geschirr und Besteck finden konnte – und dabei geflissentlich übersah, daß es sich bei der Assiette eigentlich um eine Fleischplatte handelte –, schritt er mit großen Augen und noch größerem Hunger die aufwendig garnierten und dekorierten Speisen entlang. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Die Auswahl der Speisen war mehr als reichhaltig. Von frischem Salat über kalte Braten, Aufschnitt, Käse, Obst und Gemüse bis hin zu einem Dutzend verschiedener Variationen Schwarzbrot gab es nichts, was es nicht gab, und wenn es etwas nicht gab, konnte man es mit Sicherheit in der Küche bestellen. Larry hatte das Gefühl, allein vom Betrachten der dargebotenen Köstlichkeiten bereits einige Pfund zuzunehmen. Als Larry sich schließlich einen Überblick darüber verschafft hatte, was das Büfett dem hungrigen Esser alles bot, entschied er sich für Preiselbeercouscous mit gequetschter China-Banane, mexikanischem Bohnendip nebst Paprikakäse und BrokkoliJoghurt mit Kutteln, letzteres vor allem, weil er annahm, daß es sich bei den Kutteln um eine exotische Südseefrucht handelte. Nachdem sein Teller bis oben hin gehäuft war, suchte er sich einen Tisch in unmittelbarer Nähe des Büfetts, damit der Weg zum Nachschlag nicht so weit war. Er bestellte beim Kellner eine Flasche französischen Rotweins, auf deren buntem Etikett eine Windmühle inklusive Müller und diversen Mehlsäcken abgebildet war (immer ein Zeichen für Qualität), und machte sich dann heißhungrig über sein Abendessen her, das zusammengemust fast noch besser schmeckte als die verschiedenen Speisen allein. Noch bevor der Kellner mit dem georderten Frostschutzmittelverschnitt zurückkam, hatte Larry sich bereits den zweiten Gang organisiert. Dieses Mal verzichtete er auf Couscous und Joghurt und hielt sich statt dessen ganz an den
mexikanischen Bohnendip mit Paprikakäse, der besser war als jener andere mexikanische Bohnendip mit Paprikakäse, der ihm kürzlich nach vollbrachter Verdauung in gasförmiger Konsistenz aus dem Enddarm entfleucht war. Als der Rotwein auf dem Tisch stand, schenkte er sich ein Wasserglas bis oben hin voll, trank es mit drei großen Zügen leer, rülpste hinter dezent vorgehaltener Hand (schließlich wußte er, was sich geziemte) und lud seinen Teller nachfolgend erneut mit einem Berg köstlichen Bohnendips voll. Erst als die Schüssel, die grob geschätzt fünf Kilo faßte, bis auf die letzte Bohne geleert war, lehnte er sich zurück und genoß für einen Moment das befriedigende Gefühl, dem Hungertod noch einmal entronnen zu sein, bevor er wieder aufstand, um durch den Verzehr weiterer Kalorien dafür zu sorgen, daß sich an diesem absolut erstrebenswerten Zustand in den nächsten Stunden auch nichts änderte. Allerdings gelüstete es Larry nach dem ganzen Bohnendip nun mehr nach etwas Essentiellerem. Er steuerte geradewegs auf die Fleischtheke am Ende des Walgebisses zu, wo ein asiatisch aussehender Mann mit Schlitzaugen und breitem Mund hinter großen, dampfenden Schüsseln mit fritierten Kartoffeln, Bratwürsten, Kochschinken, Gulasch und einer neckischen Warmhaltehaube in Form eines Spanferkels mit Apfel im Maul geduldig darauf wartete, daß man seine Dienste in Anspruch nahm. Er hatte eine rote Schürze umgebunden, auf der in verschnörkelten Lettern CHEFSERVIERER stand. Auf einem Schildchen ab der Brusttasche seines Hemdes war der Name Wang zu lesen, aber das hatte Larry sich sowieso bereits gedacht, schließlich konnten Asiaten schlecht Charles oder Billy oder Robert heißen. Denn wenn sie Charles oder Billy oder Robert geheißen haben würden, wären sie ja keine richtigen Asia-
ten mehr gewesen. Deshalb war es für Larry ganz logisch, daß Wang Wang hieß und nicht Charles oder Billy oder Robert. Er blieb vor dem Tresen stehen und betrachtete neugierig die Auslagen. Alles lecker, warm und entsetzlich fettig; Nahrung für Massen. Dann schaute er Wang an, kratzte sich hinten im Schritt und fragte: »Na, was haben Sie Schönes anzubieten, Meister?« »Tlanfelkel«, antwortete Wang der Asiate mit breitestem asiatischem Akzent. »Nul vom Feinsten, Boß. Wollen Sie? Okay?« »Ferkel?« Larry grinste. »He, das klingt gut!« »Jesus, Malia und Josef!« brauste Wang auf. »Sind Sie taub? Es ist Tlan-fel-kel!« »Ich hab’ Sie schon verstanden«, sagte er geduldig. Er hatte irgendwann beim Friseur in einer Frauenzeitschrift (die beste Quelle, um in Erfahrung zu bringen, worauf die Damen in diesem Monat gerade abfuhren) gelesen, daß Asiaten Geduld als eine göttliche Tugend ansahen. Natürlich wollte Larry sich die Chance, in Wangs Augen göttlich zu sein, nicht leichtfertig vergeben. »Für mich eine Portion, bitte.« Wang gluckste fröhlich. »Sollen Sie kliegen, Boß! Abel keine Beschwelden spätel, klal?« Larry hob abwehrend die Hände. »Gott bewahre, nein!« Wang hob das metallene Spanferkel mit Apfel im Maul hoch und holte darunter eine flache rote Konservendose mit Aufreißring hervor. Mit einer geschmeidigen, seltsam fließenden Bewegung, mit der vermutlich nur geduldig ausgebildete Chefservierer Konservendosen aufreißen können, öffnete er die Büchse und stülpte sie über einen Teller. Es dauerte einen Moment, bis der Inhalt an einer Reihe zäher Fäden aus der Dose
glitt, doch schließlich landete eine undefinierbare rotbraune Masse, die von ferne an Wackelpudding erinnerte, auf dem Teller. Wang warf die leere Konservendose in den Mülleimer unter dem Tresen und schob Larry den Teller hin. »Bitte sehl, Boß«, sagte er. »Ihl Tlanfelkel!« Larry starrte das rotbraune Zeug an, als ob er damit rechnete, daß die Biomasse jeden Moment die Augen aufschlagen würde. Dann hellte sich seine Miene unvermittelt auf, und er raunte freudig: »Oh, Judas! Speziell zubereitetes Pökelfleisch Marke Hausschlachtung! So, wie Mama es früher immer gemacht hat!« Er grinste Wang breit an. »Das hab’ ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gegessen!« Erfreut, endlich mal wieder zu futtern wie bei Muttern, hob er den Teller an die Lippen und schlürfte das Spanferkel lautstark in sich hinein. Er verzichtete auf den umständlichen Gebrauch von Messer und Gabel. Dank der glibberigen Beschaffenheit des rotbraunen Zeugs hatte er das Spanferkel – oder das, was dem Etikett der Dose nach zu urteilen Spanferkel sein sollte – im Nu weggeputzt. Mit dem Ärmel seines zahnbelagweißen Polyesteranzugs wischte er sich das Fett vom Mund. Er schob dem Chef servierer den leeren Teller zurück. »Gut, nicht wahr?« erkundigte sich der Asiate freundlich. Larry nickte. »Spitze!« Dann blinzelte er auf einmal verwirrt. »Hey! Sie haben eben vergessen, das R als L auszusprechen! Was ist mit Ihrem Akzent los?« Wang seufzte schwer. »Ich wußte, daß ich es nicht durchhalten würde«, sagte er in breitem Wiener Dialekt. »Wissen Sie, ich bin Chinese, aber meine Eltern waren buddhistische Missiona-
re, darum bin ich in Österreich aufgewachsen. Aber jedesmal, wenn die Leute mich so reden hören, starren sie mich an. Deshalb versuche ich zu klingen wie ein schlechter Charly Chang…« »Traurige Geschichte«, kommentierte Larry. Wang zuckte resigniert die Schultern und wechselte wieder in den Chinesen-Akzent. »Zuviel geledet, Boß!« sagte er gedehnt. »Wollen Sie noch Tlanfelkel?« Larry grinste noch breiter, als er vom genossenen Wein ohnehin bereits war. »Klar! Nachschlag wäre klasse!« »Tlanfelkel gut, ne?« Larry nickte. »Super!« »Abel Sie aufpassen, daß nicht übelschleiten ellaubte Tageslation!« erklärte Wang streng. »Hinweise stehen nicht glundlos auf Büchse!« »Keine Sorge«, sagte Larry. »Ich bin hart im Nehmen.« Wang grunzte skeptisch, öffnete eine zweite Konservendose und ließ den Glibber auf Larrys Teller plumpsen. Die rotbraune Masse waberte unruhig hin und her, als könne sie es gar nicht erwarten, Larrys Magen Gesellschaft zu leisten. Satt und abgefüllt bis zu den extra breiten Hemdaufschlägen, gab er Wang den Teller zurück und rieb sich den Bauch, während der Chinese irgendwas sagte wie: »O nein! Kein Tlanfelkel mehl da! Muß neues holen!« Und durch einen Perlenvorhang im Hintergrund verschwand. Nun nicht mehr sonderlich hungrig, schlurfte Larry an seinen Tisch zurück, trank den restlichen Wein, der noch in der Flasche war, und ließ anschließend den Kellner durch einen schal-
lenden Pfiff auf zwei Fingern wissen, daß er zahlen wolle. Als der Flaschenöffner mit der Rechnung kam, drückte Larry ihm einen Fünfer mit der Bemerkung in die Hand, daß der Rest für ihn sei, er aber nicht alles auf einmal verprassen sollte, und sah dann zu, daß er sich schnellstens aus dem Staub machte, ehe der Kellner merkte, daß die Flasche Wein allein bereits zehn Bugs gekostet hatte… Fünf Minuten später ließ Larry sich in einen der Liegestühle auf dem Promenadendeck sinken, seufzte zufrieden und sah zu, wie die Sonne bei Capri im Meer versank. Der Himmel wurde von den letzten Strahlen des Tages in ein geheimnisvolles rotgoldenes Leuchten getaucht, das sich märchenhaft funkelnd im sanft wogenden Wasser des Ozeans spiegelte. Die Luft war warm und mild. Das war sie zu Hause zwar hin und wieder auch, aber hier roch sie noch nach Natur und nicht nach Autoabgasen und staatlich geförderten Müllverbrennungsanlagen. Ein lauer Windhauch fönte sanft Larrys schwindende Haarpracht. Es war ein perfekter Sommerabend, selbst wenn es rein rechtlich bereits Ende September war. Während der Wein sich alle Mühe gab, Larrys Leber zuzusetzen, und der Bohnendip gemächlich vom Dick- in den Dünndarm weiterwanderte, grübelte der Passagier darüber nach, was er mit der angebrochenen Nacht anfangen sollte. Es war halb neun Uhr, und die Möpse würden erst um elf in der Lounge auftreten, so daß bis dahin noch gute zweieinhalb Stunden totzuschlagen waren. Nachdenklich die Möwen beobachtend, die immer noch über dem Schiff ihre Kreise zogen, überlegte er, ob er eine der rund um die Uhr geöffneten Karaoke-Bars an Bord heimsuchen sollte. Er könnte sich ein paar
Drinks hinter die Binde gießen, um seinen Blutalkohol auf einem anständigen Niveau zu halten, Mädels anbaggern und das Publikum mit seiner Darbietung des alten Scotch-Hits Take Me Up erfreuen. Damals, in den ruhmreichen Siebzigern, als Männer noch Männer waren, und keine Machos, und Emanzipation bei den Frauen bedeutete, oben ohne durch die Stadt zu laufen, hatte er die Babes dank seiner Sangeskünste häufig zum Kreischen gebracht – wenn auch aus anderen Gründen, als er hartnäckig glaubte. Doch offenbar hatte das Schicksal den Abend anders verplant. Denn bevor er sich auf den Weg zum Aufzug machen konnte, ließ der an einer Palme festgenagelte Lautsprecher ein Stück weiter vernehmen: »Achtung, bitte, eine Durchsage! Das Casino öffnet in diesen Minuten seine Tore. Unsere Croupiers warten bereits darauf, Ihnen bei Poker, Blackjack, Craps, Roulette, Bakkarat, Doppelkopf und Memory das sauer verdiente Geld aus den Taschen zu ziehen. Also enttäuschen Sie uns nicht! – Ende der Durchsage.« Larry grinste wie ein Dorsch am Angelhaken. Wenn das kein Fingerzeig des göttlichen Sandalenträgers war…
6. Venuswürfel Das Casino mit dem klangvollen Namen »Pair-o-dice«* befand sich im hinteren Teil des Luxusliners, irgendwo am Heck, zwischen Atrium und Bowlinganlage. Wollte man hinein, um Automaten zu füttern, die Kugel rollen zu lassen oder einfach nur ein paar tausend Dollar sinnvoll zum Fenster rauszuwerfen, so mußte man zunächst den eindrucksvollen »El Replicant«Statuengarten durchqueren. Es war eine Art Vorhalle des Zockerpalasts, dessen Hauptattraktionen die weltgrößte Replik von Michelangelos David, vollständig aus gebauten Spielkarten errichtet, und eine nicht minder riesige Statue der Venus von Milo, komplett aus Würfeln, waren. Beide Skulpturen waren nackt. Doch während David bereits in jeder Hinsicht voll entwickelt war (wenn die Natur es auch nicht sonderlich gut mit ihm gemeint hatte), harrte Venus noch ihrer Vollendung, da der Schöpfer der beiden Kunstwerke, dem Werbeprospekt der P. M. S. Bouncy zufolge ein Kerl namens Bob Bitt, mit der Art, wie ihr Haar fiel, bislang nicht ganz zufrieden war und ergo so lange daran arbeiten würde, bis die Venus in seinen Augen vollkommen war. Außerdem wurde Bitt stundenweise bezahlt, und seine Frau lag ihm schon seit Monaten mit diesem verdammten Pelzmantel in den Ohren. Rings der Statuen ragten Topfpalmen aus Plastik in die Höhe, die zwar künstlicher wirkten als der Vorbau von Pam Ander*
Würfelpaar bzw. Paradies; Anm. d. Obers.
son, dafür aber problemlos abgespült werden konnten, wenn die vierbeinige Rollwurst einer Passagierin sich mal wieder genötigt sah, ihr Revier zu markieren. Zwei große Nachbildungen dieser komischen Statuen von den Osterinseln, riesige Sonnenbrillen auf den kantigen Kunststoffnasen, bewachten den Eingang zum Casino; rotgoldene Flammenzungen loderten von ihren Köpfen auf wie Medusenhaare. Larry, bereit, sich Hals über Kropf in das wüste Nachtleben auf dem Luxusliner zu stürzen, blieb vor der Venus stehen und betrachtete die Statue beeindruckt. Das Kunstwerk war gut zwölf Meter hoch und reichte empor bis an die Decke. Ein metallenes Gerüst, das noch baufälliger war, als es ohnehin schon aussah, war um die Statue herum aufgebaut worden. Über diverse Leitern und Querbalken, die Larry stark an seine letzte Partie Mikado erinnerten, gelangte man hinauf zum Gipfel der wackeligen Konstruktion, wo ein quirliger Kerl mit üppiger Bob-Marley-Gedächtnismatte, hautengen gelben Hosen und blauem Baumwollhemd, vermutlich Bob Bitt, auf einer dünnen Planke stand, neben sich einen überquellenden Werkzeugkoffer, und konzentriert am Haupt der Venus arbeitete. Larry mußte den Kopf in den Nacken legen, um zu dem Künstler aufzuschauen (was allerdings auch nötig war, wenn er sich zu Hause einen Film in der Glotze anschauen wollte). Soweit er das von hier unten erkennen konnte, fehlten nur noch einige wenige Würfel, um der nackten Würfelvenus den letzten Schliff zu geben. Über ihrem wuchtigen Kopf ragte ein schmaler Metallpin einen halben Meter weit aus der Decke, der anscheinend von oben direkt durch das Deck getrieben worden war. Die Göttin der Zocker…
Larry grinste bei diesem Gedanken. Aus wie vielen Würfeln die Braut wohl bestand? Zwei, drei Millionen Sechsflächer waren das mit Sicherheit, wenn nicht noch mehr. Allein der rechte Fuß der Venus ließ ja bereits erkennen, daß dafür mehrere zehntausend Würfel nach einem erfüllten Dasein auf Blackjack- und Crapstischen zwangspensioniert worden waren. Außerdem wurde bei näherem Hinsehen deutlich, daß der Künstler die gewaltige Statue allem Anschein nach noch nicht völlig verklebt hatte. Die Würfel am großen Onkel der Venus waren lose, ein Wirrwarr quadratischer weißer Steinchen mit schwarzen Augen drauf. Eins, sechs, drei, sechs, sechs, zwei, sechs, vier, sechs… Der Anblick all der vielen Sechsen brachte Larry plötzlich auf eine Idee (nicht, was Sie jetzt wieder denken). Was, wenn er sich zwei der Würfel schnappte und dergestalt bearbeitete, daß immer die Augen fielen, die er brauchte? Rein technisch betrachtet, war das vermutlich keine große Sache. Er mußte nicht mal in den Bordsupermarkt unten im Atrium gehen, um sich entsprechendes Werkzeug zu beschaffen – das Schmirgelpapier, das man ihm, als Toilettenpapier etikettiert, auf die defekte Toilette in seiner Kabine gestellt hatte, würde völlig ausreichen, um die Würfel abzufeilen. So würde er glatt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen würde er das TLPCrapsturnier gewinnen, und obendrein würde er auch noch in den Genuß einer Vielzahl feiner grüner Abraham Lincolns kommen. Zwei plausible Gründe also, den Umstand, daß er vorhatte, beim Spielen zu betrügen, als unwichtig abzutun. Was kümmerte es schon, wie man gewann? Außerdem: Hätte Gott gewollt, daß auf Erden alles immer mit rechten Dingen zugeht, würde er wohl kaum den Spruch von dem Zweck, der die Mit-
tel heiligt, in eine dieser zehn Steintafeln gebrannt haben, die Moses, lange bevor es Großbildfernseher, Rentenversicherungen und Geschöpfe namens Hillary Clinton gab, im Schweiße seines Angesichts vom Berg Sinai hinunterschleppte. Und wenn schon ein verknöcherter alter Moralapostel wie Gott nichts dagegen hatte, daß man die Karten des Lebens respektive des Spieltischs hin und wieder ein wenig zu den eigenen Gunsten mischte, was interessierte es dann irgendwelche transpirierenden Casinomanager, die sowieso nichts weiter als Fürze im Gedärm der universalen Geschichte waren, ob er gezinkte Würfel benutzte oder nicht? Eben. Solchermaßen vom Schöpfer selbst gesegnet, schaute Larry sich verstohlen im Statuengarten um. Doch außer ihm und Bob Bitt, der geschäftig seiner Arbeit nachging und mit konzentriert aus dem Mund hängender Zunge die letzten Würfel an seinem Kunstwerk anbrachte, war keine Seele in der Nähe. Ein diabolisches Grinsen stanzte Larrys Mundwinkel. Die perfekte Gelegenheit! Mit einer raschen Bewegung beugte er sich vor, schnappte sich zwei der Würfel aus der Sohle der Venus und ließ sie fröhlich auf seiner offenen Handfläche auf und ab hüpfen – um sie einen Augenblick später beinahe vor Entsetzen fallen zu lassen, als er sah, wie eine irgendwie unheilvolle wellenförmige Bewegung durch die gesamte Statue lief, sich von unten, von den Füßen, nach oben, zum Kopf hin, ausbreitete. Plötzlich war die Venus kein einheitliches Gesamtkunstwerk mehr, sondern eine wogende Masse aus Millionen einzelner Würfel, die mit einemmal alle vergaßen, der Schwerkraft zu trotzen, und zu Bo-
den fielen. Innerhalb von zwei Sekunden erfaßte die vernichtende Welle die ganze Venus, die sich daraufhin in einer Sturzflut aus kullernden Würfeln in einen Schutthaufen verwandelte. Nur das Metallgerüst blieb stehen, gekrönt von Bob Bitt, der, den letzten Würfel, der zur Vollendung seines Meisterwerks noch gefehlt hätte, in der ausgestreckten Hand haltend, von oben fassungslos auf die Trümmer der Venus hinabstarrte, die jedoch beim besten Willen nicht mehr als solche zu erkennen war. Im ersten Moment fürchtete Larry, der wußte, daß Künstler von Natur aus sensible, überempfindliche Charaktere sind, der Bildhauer werde es seinem Werk gleichtun und sich mit einem Hechtsprung in die Tiefe stürzen, um in dem Würfelmeer den Freitod zu suchen. Doch letzten Endes begnügte er sich damit, seinen Kopf immer wieder und wieder gegen eine der eisernen Querstangen des Baugerüsts zu hämmern. Sein qualvolles Jammern und Heulen drang aus luftiger Höhe herab. Offenbar ging es ihm ziemlich nahe, daß zwei Jahre harter Arbeit sich innerhalb von nicht mal einer halben Minute in Wohlgefallen aufgelöst hatten. Aber so waren sie halt, diese Künstler… Larry betrachtete benommen den mehrere Meter hohen Würfelberg zu seinen Füßen. Doch obwohl er fast geneigt war, sich schuldig zu fühlen – aber eben bloß fast, schließlich hätte Bob Bitt die Würfel ja auch anständig verkleben können –, war alles, was ihm zu dem Debakel einfiel: »Ooops…« Während der Künstler, mindestens ebenso am Boden zerstört wie sein dahingeschiedenes Werk, den Kopf weiter eifrig gegen das Eisenrohr hämmerte, gelangte Larry zu dem Schluß, daß es besser war, die Pferde zu satteln, bevor Bitt sich zu fragen begann, wieso die Venus überhaupt eingestürzt war. Darum ließ
er die beiden Würfel in seine Hosentasche gleiten, machte auf dem Absatz kehrt und fuhr vom Atrium mit dem Aufzug hinunter in seine »Spezialsuite«, um sich für den Besuch im »Pairo-dice« vorzubereiten. Keine zehn Minuten später betrat Larry, bestens gewappnet, das Casino, das wie der Rest des Luxusliners in exotischem Design gehalten war. Überall Gummifarne, Kunststoffbüsche und große Plastikpalmen, die sogar Kokosnüsse trugen. Die Blackjack- und Pokertische, von denen es gut zwei Dutzend gab, waren in Form von Eingeborenenhütten gestaltet, mit geflochtenen Schilfrohrdächern, Stühlen aus Bambus und den dekorativen Schrumpfköpfen von ehemaligen Spielern an den Wänden, die beim Pokern nicht das Glück gehabt hatten, das sie brauchten. Über eine lange Rolltreppe gelangte man in den unteren Teil des Casinos, wo man neben weiteren Karten- und Roulettetischen den Hauptpreis der Glücksspielautomaten besichtigen konnte – einen nagelneuen Porsche 900i, tanzend auf einem mächtigen blauen Wasserstrahl, der mit der Wucht einer Blaseninkontinenz nach einem Kasten Schwarzbier aus dem Krater eines künstlich angelegten Vulkans im Zentrum des »Pair-odice« schoß. Auf einem Holzschild, das vor dem Vulkan aufgestellt worden war, stand: CARCANO. Obwohl Larry sein mühsam zusammengeschnorrtes Bares bereits in mehr Casinos gelassen hatte, als er je besuchen würde, konnte er nicht umhin, gelinde beeindruckt zu sein, wenn auch vor allem darüber, wie es möglich war, daß sich in einem Schiff von der Größe der P. M. S. Bouncy eine Spielhalle befand, die mindestens doppelt so groß wie der ganze Dampfer war. Obwohl es ihn eigentlich nicht weiter kümmerte, schließlich hatte
er sich in seinem Leben noch nie groß um die schnöde Realität geschert und war damit bislang immer gut gefahren. Larry wanderte fröhlich den Mittelgang entlang. Die Sache mit der Würfelvenus hatte er schon fast wieder vergessen, aber das war inzwischen ja auch bereits eine Viertelstunde her. Links und rechts versuchten einarmige Banditen mit bunt blinkenden Augen, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen. Er ließ sie abblitzen, ohne mit der Wimper zu zucken. Von solcherlei Gerät hatte er seit seinem historischen letzten Ausflug nach Lost Wages anno 1987 genug. Zudem brachten diese Kästen sowieso nur einen Bruchteil der Knete ein, die man mit etwas Glück – und ein bißchen göttlicher Hilfe – bei Blackjack, Poker oder Craps einstreichen konnte. Und sagte nicht schon Reinhold Messner, daß man immer nach Höherem streben sollte? In diesem Sinne war »viel, viel Knete« zweifellos höher einzuschätzen als »etwas Knete«. Larry ließ das Spalier der invaliden Automaten hinter sich und betrat eine Lichtung inmitten des wuchernden Plastikurwalds, wo eingeborene Croupiers hinter mit hellgrünem Filz bezogenen Spieltischen sich abmühten, ihren Lohn zu verdienen, indem sie den Gästen das letzte Hemd auszogen – was anscheinend durchaus wörtlich zu verstehen war, denn ein alter Mann um die Fünfzig, der an einem der Bakkarat-Tische spielte, trug lediglich noch Shorts, Schuhe und schwarze Kniestrümpfe nebst Halter. Dumpfes Stimmengewirr, Musikfetzen und das Klappern der Roulettekugeln lullten den hehren Besucher ein. Es herrschte eine geschäftige, angespannte und profitable Atmosphäre. Hier in diesen dezenten Räumlichkeiten wurden innerhalb von wenigen Minuten Bettler zu Millionären
– sofern Bettler an Bord des Kahns erlaubt gewesen wären – und umgekehrt (was ebenso häufig vorkam). Der einzige besetzte Craps-Tisch befand sich im hinteren Teil der Lichtung und wurde von einem Dutzend geschniegelter Typen im eleganten schwarzen Smoking, weißes Stofftaschentuch in der Brusttasche, belagert, die alle geschüttelten, nicht gerührten Martini aus darmgeblasenen Cocktailgläsern schlürften und ihren steifen Heckansichten nach zu urteilen eigentlich bloß Briten sein konnten; kein anderer Menschenschlag auf Erden sonst wäre imstande, mit den Hinterbacken Billardkugeln plattzudrücken. Die Smokingträger wiederum wurden von aufgemöbelten Kebsen mit Gesichtern in allen Farben des Malkastens und quietschbunten Kleidern bedrängt, die aussahen, als würden sie beim täglichen Schuhekauf mehr Geld fremder Leute ausgeben, als ein armer siamesischer Silberfischbauer mit elf Kindern in seinem ganzen Leben verdiente. Für extravagante Zippen dieser Coleur ließen hilflose Krokodillederhandtaschen ihr Leben, was Larry jedoch nicht daran hinderte, die Damen einer eingehenden Musterung zu unter- und mit den Augen auszuziehen. Er war kein Mann, der viel auf Vorurteile gab. Hinterteile waren mehr sein Fall. Er ging hinüber zu dem Spieltisch und versuchte, einen Platz am grünen Filz zu bekommen, doch die Smokingträger bewegten sich keinen Meter beiseite, als er versuchte, sich zwischen sie zu drängeln. Überheblich grinsend, ließen sie die Würfel rollen, während die Mädels sich an ihnen rieben wie rollige Katzen. Ab und zu nahmen sie synchron einen Schluck aus ihren schirmchengeschmückten Gläsern, deren grüner Inhalt verdächtig an Methylalkohol erinnerte, und mühten sich, cool wie Stieleis zu wirken. Auch als Larry einem der Burschen gegen
die Hüfte tippte (an die Schultern kam er nicht ran) und ihn kleinlaut bat, ihn doch bitte auch mal an den Tisch zu lassen, erntete er nur lachend geäußerte Gleichgültigkeit. Abgesehen von den Rücken der Umstehenden konnte er nichts erkennen, was bei den Frauen ja noch angehen mochte, Larry bei den Kerlen jedoch arg mißfiel. Fluchend zog er sich ein paar Schritte zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und guckte so grimmig, daß man durchaus auf die Idee hätte kommen können, er litte an Gesichtsneurose. Zuerst war er einfach nur mächtig sauer, weil diese Smokingträger genau wußten, daß sie was Besseres waren als er. Doch dann beschloß er, sich das nicht gefallen zu lassen, erklärte sich im Geiste mit all den schuldlos Unterdrückten dieser Welt solidarisch und holte zum Gegenschlag aus. Denen würde Larry schon zeigen, was es bedeutete, sich mit ihm anzulegen! Mit fast heimtückischer Verschlagenheit drängelte er sich von hinten an die Smokingträger und ihre Anhängsel heran. Tat so, als wäre er nichts weiter als ein einfacher Frotteur, dem es Spaß machte, sein Handtuch an fremden Leibern zu reiben. Dann, als er schließlich strategisch günstig Position bezogen hatte, konzentrierte er sich intensiv auf die Schale Bohnendip, den er vorhin zum Abendessen gegessen hatte, zeichnete in Gedanken den Weg des klingenden Gemüses vom Magen in den Dickdarm, von dort in den Dünndarm, weiter in den Mastdarm bis hin zum Enddarm nach und wartete. Er brauchte sich nicht lange in Geduld zu fassen. Schon nach wenigen Sekunden spürte er, wie eine große Portion Bohnendip sich in Richtung Freiheit bewegte und an der
Grenzkontrolle unter Berücksichtigung komplexer chemischer Prozesse in eine kräftige Brise Darmwind umgewandelt wurde, die darauf wartete, aus der Gefangenschaft zu entfleuchen. Ein böses Grinsen schlich sich auf Larrys Gesicht. »Rache für Moby Dick«, murmelte er düster. Dann öffnete er ohne vorherige Lautsprecherwarnung die Grenze. Frrrrrrzzzzzz! Unsichtbare toxische Dämpfe waberten um ihn herum auf, stiegen empor wie Giftgas, krochen lautlos an den Smokingträgern hoch und entfalteten ihre mörderische Wirkung mit der verheerenden Wucht einer Atombombenexplosion. Unvermittelt gellten panische Schreie durch das Casino. Rufe nach Sanitätern wurden laut. Menschen suchten, von Todesangst erfüllt, fluchtartig das Weite. Wild trampelnde Schritte. Noch mehr Schreie. Die Türen zum Statuengarten wurden aufgerissen, während die Smokingträger ihre Martinis nahmen und schleunigst aus der unmittelbaren Gefahrenzone flüchteten, wie sie es bei diversen Biochemiewaffentests gelernt hatten. Der Craps-Tisch oder ihre Miezen interessierten sie plötzlich nicht mehr. Sie dachten bloß noch an ihre eigene körperliche Unversehrtheit, auch wenn sie dafür heute nacht allein in der Badewanne pennen mußten. Einem so massiven Verstoß gegen die Genfer Konzession hatten sie nichts entgegenzusetzen. Innerhalb von einer halben Minute war das Casino verlassen. Larry sah sich um. »Wow«, raunte er zufrieden. »Diese Bohnen wirken aber echt gut…«
Er wartete, bis das Bohnengas sich so weit verflüchtigt hatte, daß er ohne Gefährdung für Leib, Leben und Mageninhalt an den Spieltisch herantreten konnte. Dann stützte er seine Ellbogen lässig auf den Rand. »Hey!« grüßte er. »Alles senkrecht?« Der Croupier, eine der wenigen furchtlosen Personen, die sich noch im Casino aufhielten, nahm seine Gasmaske ab und schaute Larry auf eine Weise an, die keinen Zweifel daran ließ, daß er nur das Beste seines Gastes wollte – nämlich sein Bargeld. Er trug dunkle Hosen, ein weißes Hemd und eine große rote Fliege. Das Schild, das an seiner schwarzen Weste steckte, lautete auf den Namen Jacques, obwohl die braune Dauerwelle, die Adlernase und die buschigen Augenbrauen eher darauf hindeuteten, daß der Kerl Paul oder Bertrand oder zumindest Louis Phillipe hieß. »Sagen Sie mal, Jacques«, sagte Larry grübelnd. »Heißen Sie wirklich Jacques?« »Jawohl, Misjeu«, antwortete Jacques mit breitem französischem Akzent. »Jacques…« Larry nickte. »Nun, in Ordnung… Jacques. Dann lassen Sie uns doch ein wenig die Würfel rollen.« Er griff in die Tasche und holte seine TLP-Punktekarte hervor. »Schreiben Sie einfach den Wert von ein paar hundert Chips auf meine Kabine. Nummer 0. Würden Sie das für mich tun, Kerlchen?« »Aber natürlich, Misjeu«, erwiderte Jacques, sich in seiner Überzeugung bestätigt fühlend, daß Menschen, deren Kultur zur Gänze auf McDonald’s, Sylvester Stallone und Fernsehtalkshows zu bewegenden zeitgeschichtlichen Themen wie »Ist mein Penis lang genug?« und »Sex in Gummistiefeln« begrün-
det war, einfach bloß Arschlöcher sein konnten. Er nahm die Karte entgegen und schrieb einhundert Dollar in Spielchips auf Larrys Bordkonto. Dann gab er ihm die TLP-Karte zurück und schob ihm mit der Schaufel einen kleinen Stapel grüner Plastikchips zu. Larry beugte sich über den hübschen grünen Filz, musterte die vielen Felder, die mit Nummern, Buchstaben, komischen Symbolen und Bezeichnungen versehen waren, die er nicht verstand, und setzte die Chips schließlich alle auf ein einziges Feld. »Alles auf Kommen«, kommentierte er enthusiastisch. »Bei dem Stichwort, wie kann ich da verlieren?« »Jawohl, Misjeu«, sagte Jacques mit einer Miene, die verriet, daß es ihm herzlich gleichgültig war, auf welchem Feld er sein Geld verlor. »Hier sind die Würfel…« Er schob ihm die Spielwürfel zu. Larry schnappte sich die Würfel, ließ sie mit einem Geschick, das ihm nie jemand zugetraut haben würde, der bis jetzt nicht gesehen hatte, wie er in Copperfield-Manier Plastikblumen aus dem Ärmel zauberte, um Mädels zu beeindrucken (wenn ihm auch der Erfolg versagt blieb), in die Tasche gleiten und zog statt dessen die Venuswürfel hervor, die er unten in seiner Kabine vorhin mit dem multifunktionalen Toilettenpapier entsprechend bearbeitet hatte. Jacques, der Croupier, bemerkte es nicht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich angeödet nach interessanteren Kunden umzusehen. Doch bedauerlicherweise war das ganze Casino nach der heimtückischen Giftgasattacke noch immer so leergefegt wie die Straßen von San Francisco, wenn sie im Kabelfern-
sehen das Homevideo zeigten, das Diebe bei einem Einbruch ins Haus von Pamela Anderson Lee und ihrem rockenden Gatten abgesehen von vielerlei neckischen Dingen wie Pams Latexslips und Tommy Lees als Dildo nachgebildetem Gummischniedelwutz, der dekorativ auf dem Kaminsims im Wohnzimmer stand, hatten mitgehen lassen, um es dann freundlicherweise einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Und vermutlich würde sich an diesem Zustand in den nächsten zwei Stunden auch nichts ändern. Larry sollte das bloß recht sein. So hatte er wenigstens seine Ruhe. Er ließ die gezinkten Würfel in der zum provisorischen Becher geformten Rechten auf und nieder hüpfen, schüttelte sie kräftig durch. Das war zwar nicht nötig, da er sowieso wußte, welche Augen kommen würden, machte beim Croupier aber sicher einen besseren Eindruck. »Los jetzt, ihr Hündchen!« rief Larry dann fröhlich. »Lauft! Laßt mich nicht hängen!« Er schleuderte die Würfel in das Spielfeld. Die Sechsflächer polterten gegen die hintere Bande, kullerten über den grünen Filz, kullerten weiter, weiter, noch weiter – und blieben schließlich liegen. Larry hielt den Atem an. Zwei Sechsen. »Zwölf«, kommentierte Jacques unbeteiligt. »Misjeu gewinnt.« Larry giggelte. »Na, wer sagt’s denn…« Jacques schob weitere Chips zu Larrys Haufen.
Der schnappte sich unterdessen die beiden Würfel und setzte zur zweiten Runde an. Solange er nicht weniger als neun Augen würfelte, gewann er. Und irgendwie war er sich sicher, daß er das tun würde. Larry ließ die Würfel klappern und warf sie schließlich locker aus dem Handgelenk in die Runde. »Laß sie laufen, Junge!« Die Würfel kamen kullernd zum Liegen. »Zwölf«, sagte Jacques wieder. »Misjeu gewinnt erneut.« »Jau!« lachte Larry meckernd. »Es fluppt!« Sein Chiphaufen wuchs weiter an. Von neuem nahm er die Würfel auf und ließ sie geschickt durch die Finger gleiten, bis ihn zwei Sechser neckisch anlachten. Er grinste. »Nun schau sich einer diese Augen an…« Er schloß die Hand um die Würfel und wollte just den nächsten Wurf machen, als neben ihm mit einemmal, eingehüllt in eine Dunstwolke Parfüm, eine großgewachsene, hübsche junge Frau mit schulterlangem, rotbraunem Haar auftauchte, das enganliegende schwarze Kleid bis zum Bauchnabel geschlitzt. Sie blieb so dicht neben Larry stehen, daß er gar nicht anders konnte, als ihre opulenten Rundungen anzustarren. »Oh, Junge«, murmelte er, schluckte trocken. »Schau sich einer diese Augen an…« »Hallo, Kleiner«, sagte die Opulente mit rauchiger, irgendwie verheißungsvoller Stimme. »Ich bin Dewmi Moore.« Er rang um Fassung. »Oh, und ich… ich, äh, bin Larry. Larry Laffer.« Er gluckste und nahm sich einen Augenblick Zeit, sie einem kurzen optischen Qualitätstest zu unterziehen. Denn der erste Eindruck war schließlich immer entscheidend.
Diese Dewmi Moore war wirklich ein Hammer. Das schulterlange, rotbraune Haar umrahmte ein schönes, sinnliches Gesicht mit großen grünen Augen, roten Lippen und einer dezenten Nase, die mit Larrys Gemüsegurke nicht zu vergleichen war. Um den Hals ein schwarzes Samtband. Diamanten mit mehr Karat, als er echte Zähne im Mund hatte, baumelten an ihren Ohren. Ihre üppigen, festen Brüste grinsten ihn aus dem tiefen Ausschnitt geradezu neckisch an. Das elegante schwarze Kleid war an der Seite so tief – oder hoch, das kam ganz auf des Betrachters Blickwinkel an – eingeschnitten, daß man ihre scheinbar langen, sonnengebräunten Beine bestens sehen konnte und vielleicht auch sollte. Kurzum: Dewmi sah aus wie ein Mädchen, das Larry bedenkenlos seiner seligen Mama vorgestellt hätte – vorausgesetzt, seine Mama wäre Heidi Fleiß gewesen… »Es war nicht zu übersehen«, sagte Dewmi Moore und lächelte einnehmend, »was für eine Glückssträhne Sie haben.« »Also, heute nacht«, sagte Larry langsam, angestrengt bemüht, ihr ins Gesicht zu sehen. »Ja…« »Na, dann zeigen Sie mal, was Sie können«, sagte Dewmi. Er nahm die Herausforderung an – natürlich, schließlich wußte er, daß er nichts zu verlieren hatte. Er schüttelte die Würfel in der hohlen Hand und schleuderte sie dann lässig auf den Spieltisch. »Jetzt endlich kommt das Glück!« rief er. Die Würfel blieben liegen. »Zwölf«, bestätigte Jacques, was Larry schon längst wußte. Zum ersten Mal zeigte sich in seiner Miene so etwas wie Interesse, wenn auch entschieden nicht genug, um die Langeweile,
die ihn quälte, zu vertreiben. Aber das lag möglicherweise auch an der Anwesenheit von Dewmi Moore. »Misjeu gewinnt von neuem.« Noch einmal wuchs Larrys Chiphaufen an. Breit grinsend deutete Larry auf die bunten Chips. »Können Sie mir den Gegenwert dieser Chips vielleicht in Abrahams geben? Ich denke, für heute abend habe ich genug gewonnen.« Jacques buckelte. »Natürlich, Misjeu. Sofort, Misjeu.« Er zog die Chips zu sich heran, zählte sie schnell durch und reichte Larry einen Gewinnschein für die Auszahlung drüben an der Kasse. »Exakt fünfhundert Dollar«, sagte er gedehnt. »Bitte sehr, Misjeu.« Er schob Larry den Schein zu. »Und herzlischen Glückwunsch.« »Besten Dank, altes Haus!« Larry verstaute den Gewinnschein in seiner Hosentasche, um ihn nachher beim Hinausgehen gegen Bares einzutauschen. Da hakte Dewmi Moore sich bei ihm ein, schmiegte ihren geschmeidigen Körper an ihn und fragte mit einem Lächeln, das womöglich noch tiefer blicken ließ als ihr Ausschnitt: »Würden Sie mich in meine Kabine begleiten, Larry? Auf ein etwas intimeres Würfelspiel?« Die Art, wie sie das sagte, ließ Larrys Kehle schlagartig so trocken wie die Sahara werden. Seine Männlichkeit fühlte sich in mehr als einer Hinsicht angesprochen. Instinktiv witterte er nach der Blamage mit dem LiebesMeister 2000™ die Chance, doch noch zu beweisen, daß er ein richtiger Kerl war – wenn auch vielleicht nur sich und ihr. Aber das sollte für den Anfang genügen. Deshalb ließ er sein bestes Gewinnerlächeln aufblitzen (wiederum millionenfach zu Hause vor dem Spiegel im
Badezimmer getestet) und nickte. »Gern! Wie heißt denn dieses Spiel, das Sie mit mir spielen möchten?« »Striplügen«, sagte Dewmi mit unschuldiger Miene. »Sie wissen doch, wie man Striplügen spielt, nicht wahr, Larry?« Sie sah ihn forsch an. »Nö«, gestand er. »Aber ich bin willig, es zu lernen…« Ich bin überhaupt immer willig… Er behielt diesen Fakt für sich und fragte: »Wo genau befindet sich denn Ihre Kabine?« »Es ist die 510«, erklärte sie und strich sich auf eine Weise das Haar aus dem Gesicht, daß sich ihr Busen noch weiter hob, selbst wenn das unmöglich zu sein schien. »Wenn Sie soweit sind, kommen Sie vorbei. Ich hole nur noch schnell die Würfel und die Becher. Bis dann.« »Ja«, sagte Larry. »Bis dann.« Er sah ihr nach, wie sie sich in Richtung Statuengarten entfernte, und bewunderte ihr wiegendes Heck. Bevor sie das »Pair-o-dice« verließ, drehte Dewmi sich noch einmal zu ihm um und sagte in vertraulichem Tonfall: »Ich hoffe, du beeilst dich, Larry. Ich bin nämlich schon ganz gespannt auf deinen Einsatz…« Larry lächelte ein wenig gequält und nickte. Er wartete ab, bis die Türen hinter ihr zufielen, um ja nichts zu verpassen. Er seufzte, zog den Gewinnschein aus der Tasche und schlenderte zur Bank hinüber, um sich die fünfhundert Dollar auszahlen zu lassen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß er die Scheinchen heute nacht noch bitter brauchen würde.
7. Striplügen Als er ein paar Minuten später den Gang im zweiten Unterdeck entlangschlenderte, wo Dewmi Moores Kabine lag, verkündete der namenlose Ansager mittels Lautsprechanlage die frohe Kunde von Larrys triumphalem Sieg beim Craps-Turnier. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat soeben mit einem neuen Gewinnrekord das Craps-Turnier gewonnen, das Teil des TLPWettbewerbs ist. Herzlichen Glückwunsch, Larry! Mach dir mit dem Geld einen schönen Abend!« »Besten Dank«, murmelte er. »Das habe ich vor…« Larry erreichte die Tür von Kabine 510 und klopfte. Das Klopfen war noch nicht verhallt, als Dewmi bereits öffnete und ihn mit schmalen, schlanken Fingern, die Nägel so rot wie Genosse Boris Jelzin, hereinwinkte. »Komm rein, Larry«, sagte sie lächelnd. »Ich habe schon alles für unser kleines Spielchen vorbereitet.« Larry schmunzelte erwartungsvoll. »Wie schön.« Dewmi schloß hinter ihm die Tür. Larry sah sich neugierig in der Kabine um. Im Gegensatz zu ihm hatte Dewmi wirklich eine Luxuskabine. Die Einrichtung war ebenso originell wie extravagant. Der Raum war kreisrund und vollständig auf maritim getrimmt. Das Bett hatte man einem antiken Ruderboot nachempfunden – mit der Bugfigur einer planschenden Wassernixe mit blonder
Mähne. Anker und Steuerräder zierten die Wände. In einer Ecke hatte ein riesiger marmorner Rettungsreifen seinen Platz gefunden, der als Badewanne diente und von zwei muskulösen Wassermännern mit Dreizack genital bewässert wurde. Aus Bullaugen, die als Bilderrahmen zweckentfremdet wurden, sahen Gemälde von Käpt’n Thygh in äußerst freizügigen Posen auf ihn herab, die von Pablo Picasso oder einem ähnlich unbegabten Pinselschwinger gemalt worden waren. Aus dem Maul eines Porzellanhechts ragte dekorativ ein Strauß Blumen. Im hinteren Teil des Raumes stand ein runder Glastisch, umringt von vier Sesseln, die wie riesige aufgeklappte Austern aussahen. Auf dem Tisch lagen zwei Lederbecher und eine Reihe Würfel. Das Licht versteckt angebrachter Strahler tauchte die Kabine in einen gedämpften grünen Schimmer. Es hätte Larry keine Sekunde gewundert, wenn aus der Badewanne plötzlich Neptun persönlich aufgetaucht wäre. Während er sich noch umsah, ging Dewmi an ihm vorbei zu einem antiken Beistelltisch, auf dem eine Batterie Flaschen stand, und erkundigte sich über die Schulter hinweg: »Wie wär’s mit einem Drink?« Larry schüttelte den Kopf. »Danke. Aber im Augenblick bin ich nicht so schrecklich durstig.« Außerdem muß ich einen klaren Kopf bewahren, um nicht mal wieder das Beste zu verpassen… »Kein Problem«, sagte sie und goß sich selbst einen Drink ein, halb Wodka, halb Gin und ein Viertel Bitter Lemon als Alibi. Mit dem Glas in der Hand trat sie zum Tisch hinüber und deutete auf die freien Stühle. »Na, komm schon, Larry. Nicht so schüchtern! Mach’s dir bequem.«
Larry kam ihrer Aufforderung gern nach. »Klasse«, sagte er, nachdem er ihr gegenüber Platz genommen hatte. »Was dagegen, wenn ich meine Schuhe ausziehe?« Dewmi verzog das Gesicht. Er grinste. »War nur ’n Scherz«, beruhigte er sie. Sie lachte ein wenig gequält. »Ist dir gelungen.« Er feixte. »Ja, nicht wahr?« Dewmi verdrehte die Augen, ließ die Eiswürfel in ihrem Glas klimpern und trank einen Schluck. Dann stellte sie den Drink neben sich auf die Platte und sagte: »Du weißt also nicht, wie man Striplügen spielt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber das werde ich schon rauskriegen. Irgendwelche Regeln, die ich wissen sollte?« Dewmi lehnte sich zurück. »Die Spielregeln sind genaugenommen ganz einfach«, sagte sie sachlich. »Du wettest, wie viele Würfel mit einer bestimmten Augenzahl sich unter unser beider Becher befinden. Das heißt, wenn du zwei Sechser hast, mußt du raten, wie viele Sechser insgesamt im Spiel sind.« »Aha.« Larry verstand kein Wort. »Außerdem«, fuhr Dewmi fort, »ist auf jedem der Würfel statt einer Eins ein Joker, der jeweils als das zählt, was man gerade braucht. Wenn du also drei Vierer und einen Joker hast, hast du in Wirklichkeit vier Vierer. Soweit kapiert?« Er nickte. »Halbwegs.« »Pro Runde muß man entweder den Wetteinsatz oder die Zahl der Würfel mit einer bestimmten Augenanzahl erhöhen, die sich im Spiel befinden könnten. Natürlich«, sagte sie langsam, »kannst du auch versuchen zu bluffen, aber ich würde
mich nicht darauf verlassen, daß ich es dir abkaufe, denn ich traue Männern aus Prinzip nicht weiter, als ich sie werfen kann.« »So?« Larry dachte an die gezinkten Würfel in seiner Tasche. »Kann ich gar nicht verstehen…« Dewmi legte die Beine übereinander. Der Stoff ihres Kleides rutschte fast bis zur Hüfte hoch. Larry bekam Stielaugen, doch sie tat so, als würde sie es nicht bemerken. »Der Verlierer einer Runde verliert einen Würfel, den er für hundert Dollar zurückkaufen muß. Zuerst mit Barem, später mit dem Geld, das man als Gegenwert für seine Kleider bekommt. Das Geld wandert in den Pott. Verloren hat, wer zuletzt ohne Kohle, Kleider und Würfel dasitzt. Alles verstanden?« »Schätze schon. Ehm, was ist denn die beste Methode, bei dem Spiel zu gewinnen, Dewmi?« Dewmi lächelte. »Ganz einfach. Wette nie höher als das, was du auf der Hand hast. Glaub nie, daß ich irgendwas habe, was du brauchst, oder daß ich Joker besitze.« Larry sah sie skeptisch an. »Du lügst doch, oder?« Dewmi lachte. »Darum geht’s bei dem Spiel, Larry.« »Okay«, sagte er. »Ich denke, ich krieg’s irgendwie hin.« »Wunderbar. Wir spielen mit dem, was wir im Moment anhaben, in Ordnung?« Larry nickte. »Okay! Jetzt aber Schluß mit dem Geplapper! Laß uns endlich anfangen!« Er konnte es kaum erwarten, ihr die Klamotten auszuziehen – oder wenigstens dabei zuzusehen, wie sie sich selbst freiwillig ihrer Kleider entledigte. So was
kam bei ihm schließlich selten genug vor, auch wenn er das anderen Leuten gegenüber hartnäckig zu behaupten pflegte. Dewmi trank einen Schluck von ihrem Drink, griff sich mit der Hand zwischen die Brüste – Larry hielt unwillkürlich den Atem an – und zog ein Bündel Geldscheine aus dem Ausschnitt. Sie legte das Bare vor sich auf den Tisch. »Fünfhundert Dollar.« Larry, halb am Ersticken, begann wieder zu atmen, griff in die Tasche seines Anzugs und holte sein Geld hervor. Bedächtig legte er die Scheine auf den Tisch. »Fünfhundert Dollar.« Dewmi lächelte. »Dann kann’s ja losgehen.« »Ladies first«, sagte Larry. Dewmi nickte und fing trotzdem zuerst an. Sie griff nach dem Würfelbecher, ließ die Knochen klappern, stülpte den Becher auf den Kopf und spähte so darunter, daß Larry nicht sehen konnte, was sie hatte. Dann sagte sie mit Pokermiene: »Zwei Vierer… Du bist dran, Larry.« Er würfelte und betrachtete die Ausbeute. Drei Zweier. »Drei Zweier«, sagte er. Dewmi legte ihre zwei Vierer so raus, daß er sie sehen konnte, und würfelte erneut. »Sechs Vierer«, sagte sie dann. Larry runzelte die Stirn. »Sechs Vierer, hm?« Sie nickte. Larry hob den Becher und betrachtete noch einmal seine Augen bzw. die seiner Würfel. Er selbst hatte eine Vier. Dann mußte Dewmi zwangsläufig fünf haben. Entweder das… oder sie log!
Irgendwie war er davon überzeugt, daß sie ihn anschwindelte, schließlich war sie ganz offensichtlich eine Frau, und wenn er im Laufe der Jahre abgesehen von der Tatsache, daß Haarefönen in der Wanne oder Eislecken in einem Bus voller zehnjähriger Gören in Iron-Maiden-T-Shirts große Fehler waren, irgendwelche tiefergehenden Erkenntnisse über die labile menschliche Psyche erlangt hatte, dann, daß Frauen es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Das liegt einfach in ihrer Natur, genau wie es der Natur des Mannes entspricht, freitags abends zum Bowling zu gehen, im Stehen zu pinkeln oder sich die Zehennägel beim Frühstück zu schneiden. Ein selbstsicheres Grinsen breitete sich auf Larrys Gesicht aus. »Weißt du, Dewmi«, sagte er, während er provozierend langsam die Würfel in seinem Becher kreisen ließ. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß du glaubst, ich sei als Kind vom Rübentrecker oder so geflogen. Laß sehen, die Knochen!« Dewmi lächelte. »Bitte sehr. Wenn du darauf bestehst…« Langsam hob sie den Becher von den restlichen Würfeln. »E voilà. Drei Vierer. Mit den beiden Vierern, die ich rausgelegt habe, sind das fünf. Wenn du jetzt noch eine Vier unter deinem Becher hast, war’s das. Also, laß sehen!« Mißmutig brummend hob Larry seinen Becher. Die vier Augen des einen Würfels schienen ihm hämisch zuzuzwinkern. Dewmi schmunzelte. »Na, schau einer an…« Während Larry hundert Dollar in den Pott wandern ließ, um den Würfel zurückzukaufen, den er verloren hatte, ließ Dewmi ihre Knochen zurück in den Becher gleiten und schüttelte erneut. »Weiter geht’s!« rief sie fröhlich. »Es gibt viel zu tun!«
»Ja«, murmelte Larry. »Fragt sich nur, für wen…« Dewmi würfelte. Die nächsten vier Runden verlor Larry, so daß er innerhalb von zehn Minuten sein gesamtes Bargeld abgeben mußte. Als seine Lage aussichtslos wurde, ging ihm mit einemmal auf, daß es ihm bei diesem Spiel im Grunde nur darum ging, diese Frau nackt zu sehen. Er wollte, daß Dewmis Haar seinen Bauch kitzelte. Er wollte von ihr all das, was er von all den anderen Frauen auch gewollt haben würde, so sie ihn gelassen hätten. Und um dieses hehre Ziel zu erreichen, griff er auf die altbewährte Taktik zurück, die ihm schon früher niemals zum Erfolg verholfen hatte: Er bluffte. Das fiel ihm nicht sonderlich schwer, weil ihm die Regeln des Spiels noch immer nicht richtig klar waren. Doch er tat sein Bestes. Wenn er beispielsweise vier Fünfer unter dem Becher hatte, gab er zuerst einfach vor, nur einen oder zwei Fünfer zu besitzen, um dann in der nächsten Runde, ohne neu zu würfeln, zu behaupten, jetzt vier Fünfer auf der Hand zu haben. Das machte Dewmi zwangsläufig stutzig, doch wenn sie dann darauf bestand, daß er vorerst noch im übertragenen Sinne die Hosen runterließ, war es immer sie, die in die Röhre guckte. Und aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich, weil sie eine Frau war, dachte er – kam Dewmi nicht hinter seine simple Taktik, sondern ging ihm immer wieder in die Falle, bis ihre fünfhundert Dollar schließlich in Larrys Pott gelandet waren. Jetzt mußte die Anbetungswürdige anfangen, ihre Garderobe zu veräußern, um weiterspielen zu können. Zuerst war ihr linker Schuh dran.
Dann der rechte Schuh. Danach ihre Bluse, gefolgt von einem Rückschlag für Larry, der sein Jackett verlor, weil er zu sehr damit beschäftigt war, auf ihren prallgefüllten schwarzen Spitzen-BH zu starren. Doch Larry ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, sondern setzte seine Taktik mit unerbittlicher Härte fort und bluffte erfolgreich weiter. Als Dewmi kurze Zeit später ihren Rock verlor und er ihre endlos langen Beine mit den geschwungenen Schenkeln zum ersten Mal völlig textilfrei durch die Platte des Glastisches bewundern konnte, begrenzt nur durch einen knappen schwarzen Seidenslip, durch Schleifen an den Seiten zusammengehalten, beschloß er spontan, in Zukunft niemals wieder an der Kraft des Gebets zu zweifeln. In Gedanken sah er sein Gegenüber bereits so nackt vor sich, wie Vater und Mutter sie geschaffen hatten. Doch obwohl er auch die nächsten beiden Runden gewann, mußte er sich dennoch weiter in Geduld fassen. In seiner Gier hatte er glatt übersehen, daß ihre Ohrringe ebenfalls als Kleidungsstücke interpretiert werden konnten. Und so waren es selbige, die zunächst auf ihren Kleiderstapel am Boden fielen. Der Triumph war in greifbarer Nähe. Larry würfelte. Hob den Becher. Drei Zweier. »Vier Dreier«, log er schamlos. Dewmi sah ihn einen Augenblick lang an, als würde sie abwägen, ob er sie anlog. Offenbar gelangte sie zu dem Schluß, daß ein gelungener Bluff so ziemlich das letzte war, was sie Larry zutraute. Sie schnappte sich ihren Becher und würfelte. »Sechs Dreier«, sagte sie herausfordernd.
Larry runzelte die Stirn. »Was du nicht sagst. Na, dann zeig mal her, die Dinger!« Was durchaus doppeldeutig gemeint war. Dewmi hob ihren Würfelbecher. Vier Dreier und eine Sechs. Larry hob im Gegenzug seinen Becher. Er hatte keine einzige Drei. Dewmi fluchte. Er grinste. »Versuch nie, einen Bluffer zu bluffen… Altes chinesisches Sprichwort.« Dewmi seufzte, griff nach ihrem Drink und leerte das Glas in drei großen Zügen. Dann stellte sie es vor sich auf die Tischplatte und öffnete die beiden Schleifen, die ihren Slip an seinem Platz hielten. Mit einem Ruck zog sie den schwarzen Fetzen beiseite und warf ihn achtlos beiseite. »Bitte sehr, Larry«, sagte sie mit einem sinnlichen Lächeln. »Du hast es dir verdient…« Larry schluckte trocken. Dann wurde ihm bewußt, daß da etwas nicht ganz in Ordnung war. Er brauchte einen Moment, bis er erkannte, daß er eigentlich gar nicht wirklich sehen konnte, was er unbedingt sehen wollte, denn Dewmi hatte ihr Glas so geschickt vor sich auf dem Tisch plaziert, daß es das Reich der Wonnen glorreich verbarg. Alles, was Larry sah, war das leere Glas. Er rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. »Ähm, kann ich dir vielleicht deinen Drink nachfüllen, Dewmi?« fragte er hoffnungsvoll. Sie schüttelte den Kopf. »Danke. Aber ich will noch ein wenig an den Eiswürfeln lutschen…«
Larrys Eiswürfel wurden umgehend zu Schmelzwasser. Seine Kehle war rauh und trocken, wie Sandpapier. Er räusperte sich und griff nach seinem Würfelbecher. »Das große Finale«, murmelte er. Er schüttelte den Becher. Die Würfel klapperten. Er stülpte den Becher auf den Tisch und schaute darunter. Dann sah er zu Dewmi auf und sagte ruhig: »Fünf Joker.« Dewmi starrte ihn durchdringend an. »Noch einmal legst du mich nicht rein, Larry!« sagte sie scharf. »Los, zeig her!« »Sicher?« Sie nickte. »Na gut«, sagte Larry. Er hob seinen Würfelbecher. Darunter kamen fünf Joker zum Vorschein. Er grinste so breit, daß ihm beinahe das Gebiß aus dem Gesicht fiel. »Bingo!« Dewmi Moore musterte erst die Würfel, dann Larry, dann wieder die Würfel und seufzte resigniert. Offenbar hatte sie ihren Gegner unterschätzt. Er mochte vielleicht aussehen, als würde sein Intelligenzquotient noch unter dem eines Brotes liegen, das ja immerhin schimmeln konnte, aber hinter der öden Fassade verbarg sich ein ausgekochter Schweinehund. Dennoch schenkte sie ihm ein verheißungsvolles Lächeln. »Na, das war’s dann wohl, Larry«, sagte sie langsam. »Ich schätze, du bist einfach zu gut für mich.« Larry giggelte.
Als ob er das nicht die ganze Zeit über gewußt hatte… »Nun«, sagte Dewmi, während sie nach dem Verschluß ihres BHs griff, der sich einen Moment später zum Slip auf dem Fußboden gesellte. »Ich wette, das ist der Moment, auf den du gewartet hast. Mach’s dir bequem, Larry…« Das ließ Larry sich nicht zweimal sagen. Obgleich er bei dem Spiel abgesehen von seinem Jackett nicht einmal seine Schuhe hatte ausziehen müssen (was der Lebenserwartung der Anwesenden sehr zugute kam), war er nun schneller nackt, als Bill Clinton und seine linken Mullahs die Steuern erhöhen konnte. Wie eine schlechte Parodie von Mr. Bean stand er inmitten seiner wild verstreuten Klamotten, die Hände schamhaft vor seinem Alter ego verschränkt, und brachte es fertig, trotz seiner Gier so schüchtern und unsicher wie ein kleiner Junge zu wirken, was möglicherweise aber auch mit seinen bescheidenen Proportionen an entscheidenden Stellen zusammenhing. Dewmi – nackt wie er, aber wesentlich ansehnlicher – ließ den Blick verhalten interessiert über seinen schmächtigen Körper mit der gänzlich unbehaarten Brust (»Auf Granit wächst nun mal kein Gras!«) und dem kleidsamen Schmerbäuchlein gleiten. Dann verzog sie kaum merklich die Mundwinkel, stand auf und ging, eine einzige Augenweide weiblicher Pracht, zum Tischchen mit den Flaschen hinüber. »Wie wär’s mit einem Drink, Larry?« Larry ließ sie keine Sekunde aus den tränenden Augen. »Ach, weißt du«, sagte er heiser. »Eigentlich hab’ ich gerade nicht so arg Durst.« »Oh, das ist aber schade. Tu mir doch den kleinen Gefallen! Außerdem«, fügte sie zwinkernd hinzu (möglicherweise war
ihr aber auch bloß eine Mücke ins Auge geflogen), »haben wir doch viel mehr Spaß, wenn wir beide ein bißchen… lockerer sind, oder?« Er schluckte trocken. Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt auf und ab. »Da hast du wohl recht…« Lächelnd wandte Dewmi sich um und mixte ihm einen Drink. Er sah, wie sie aus einem halben Dutzend Flaschen jeweils einige Fingerbreit in ein großes Cocktailglas goß, bis der Inhalt in denselben Farben schimmerte, die er allmorgendlich in seiner Unterhose fand. Doch er sah nicht, wie sie eine unscheinbare kleine grüne Pille in das Gebräu fallen ließ, die den Drink einen Moment lang aufschäumen ließ. Dafür war er viel zu sehr damit beschäftigt, ihre großzügigen Formen zu studieren. Dewmi kam zum Tisch zurück. In jeder Hand hielt sie ein Glas. Sie reichte ihm lächelnd einen Drink. »Bitte, Larry«, säuselte sie und hob ihr Glas. »Auf uns.« Larry grinste. »Auf uns.« Sie stießen an. Larry setzte das Glas an die Lippen, trank zwei Schlucke – und griff sich plötzlich mit hochrotem Gesicht an die Gurgel, als ob er keine Luft mehr bekäme. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Das Glas fiel zu Boden und zerplatzte auf dem Marmor. Scherben und Alkohol spritzten zu allen Seiten davon. Fassungslos starrte er Dewmi an. Sie winkte ihm spöttisch lächelnd zu. Einen Moment später schmolz ihr Gesicht auf einmal dahin wie geformtes Wachs, das man über eine brennende Kerze hält, als die Pille ihre psychedelische Wirkung entfaltete, und Dew-
mi verging in einem Durcheinander bunter, sich drehender Farben, die zusammenflossen und das Bild einer blonden jungen Frau mit epischem Vorbau schufen, die zu den rhythmischen Klängen von In-a-gadda-da-vida hingebungsvoll ein Stieleis lutschte. Dann verschwand die Frau, und ein ganzes Ballett knackiger runder Herzen mit langen, strapsbehafteten Beinen und hochhackigen Pumps tanzte durch das Spotlight vor Larrys Augen, um einen Moment später durch eine riesige Bockwurst in einem Hot-Dog-Brötchen ersetzt zu werden, das vor einer lüstern grinsenden Senftube davonrannte, der wiederum eine Nonne in schwarzer Kluft, eine altmodische Motorradbrille auf der Nase, auf einem wild auf und ab tanzenden Preßlufthammer hinterherhüpfte und dabei lachte wie eine Wahnsinnige, bevor die groteske Szene sich erneut veränderte und Larry sich selbst über seine eigene riesige Handfläche laufen sah, fröhlich beschwingt, singend, mit weißen Blumen und Buttercremetörtchen um sich werfend, um plötzlich von zehn steppenden Parisern umringt zu werden, die fröhlich um ihn herumtanzten, immer wieder, und sich immer schneller um ihn drehten, immer schneller, immer schneller, bis sie schließlich nur noch als schillernde weiße Wand aus Lustgummi vor ihm aufragten und Larry schwindelig wurde und die Lümmeltüten sich lachend immer schneller drehten und noch schneller und noch viel schneller und immer immer schneller, bis sie sich letztlich vor Larrys Augen drehten und er sich drehte und sich sein Magen drehte und er auf seine eigenen nackten Füße reiherte und der Holzhammer der Bewußtlosigkeit ihm gnädig eine ordentliche Schelle verpaßte…
Als Larry irgendwann später zu sich kam, saß er nackt in der Badewanne in Dewmis Kabine, mit brummendem Schädel, den Kopf in den Nacken gelegt. Einer der steinernen Neptuns strullerte ihm in hohem Bogen in den weit geöffneten Mund. Er gurgelte, spie aus und strich sich stöhnend das nasse Haar aus der Stirn, bevor er sich benommen nach seiner Gastgeberin umsah, die jedoch verschwunden war – zusammen mit dem Pott von immerhin tausend Dollar und mit Larrys Klamotten. Seufzend lehnte er sich in der Wanne zurück. Er fühlte sich gräßlich. Der stechende Schmerz, der in Form eines gehässigen kleinen Männchens mit Spitzhacke in seinem Hirn rumorte, war nicht mal das Schlimmste. Auch nicht, daß Dewmi sich mit der ganzen Kohle aus dem Staub gemacht hatte. Nicht einmal, daß sie seinen heißgeliebten und viel gebleichten Polyesteranzug mitgenommen hatte. Das alles konnte er verknusen. Nein, das Schlimmste war, daß er es verpatzt hatte. Wieder einmal hatte er es geschafft, unmittelbar vor dem Ziel doch noch zu verlieren.
8. Deine Nase verspricht so viel… Das Glück war mit ihm: Larry schaffte es, nackt bis auf eine kleine Seifendose, die er vor seinen Larry hielt, von Dewmis Kabine in seine »Spezialsuite« zu gelangen, ohne daß ihm auf dem Weg durch die verlassenen Korridore der P. M. S. Bouncy jemand begegnete. Wenn man mal von der Nonne absah, die plötzlich um die Ecke bog, als er gerade dabei war, seine Tür zu öffnen. Bei seinem Anblick brach sie unvermittelt in schallendes Gelächter aus, obwohl sie als Braut Christi den Menschen in puncto Verständnis und Nachsicht für die Minderbemittelten eigentlich doch ein Vorbild sein sollte… Nachdem er die Seifenschachtel gegen einen Tanga mit Leopardenmuster eingetauscht hatte und in einen frischen Anzug geschlüpft war, setzte Larry sich auf das Feldbett und band seine Schuhe zu. Er schaute auf die Uhr und stellte fest, daß trotz des unfreiwilligen Zwischenspiels im Reich der Halluzinogene noch immer etwas Zeit war, bis die sprechenden Möpse um elf ihren großen Auftritt in der Lounge »Zum kleinen stolzen Seemann« hatten. Es war erst zwanzig nach zehn. Noch genügend Zeit, um sich nach dem Debakel mit Dewmi im Speisesaal mit einem kleinen Imbiß zu stärken. Möglicherweise würde ein ordentliches Essen auch das hinterhältige Brummen in seinem Schädel vertreiben, das ihn an seine Zeit in der High-School erinnerte, als er von den Freunden der Mädels, denen er mit einem an seinem Schuh befestigten Taschenspiegel unter die
Röcke sah, als Preis für den Anblick des einen oder anderen Baumwollschlüpfers regelmäßig eins auf die Kauleiste bekam. Seit jenen unschuldig verträumten Jugendzeiten führte er ein halbes Dutzend Stiftzähne im Mund spazieren. Larry verließ seine Kabine und fuhr hoch in den Speisesaal. Nur noch wenige Tische waren besetzt. Gleichwohl war das Büfett nach wie vor reichhaltig bestückt, doch ihm war momentan nicht nach Bohnendip oder mintgrünem Hackbraten zumute (obwohl Mintgrün bei Hackbraten schon immer seine Lieblingsfarbe gewesen war). Er trottete zur Fleischtheke hinüber, um sich noch eine Portion Tlanfelkel zu holen, aber Wang hatte anscheinend bereits Feierabend, denn das Warmhalteferkel war unbeaufsichtigt. Allerdings wies ein Schild an einem der Nieswächter (unverzichtbar vor allem in Zeiten, wo unter den Passagieren Schnupfen grassierte) darauf hin, daß man sich die Speisen unter der roten Zweitausendfünfhundert-WattWärmelampe, mit der man Essen über eine Entfernung von hundertfünfzig Metern warm halten konnte, selbst auffüllen durfte. Doch Larry hatte gar keinen Blick für die knackigen Würste und saftigen Kasselerscheiben in Sauerkraut. Auch der Rahmbraten und die eingelegten Otterzungen interessierten ihn nicht. Er hatte plötzlich nur noch Augen für die Wärmelampe, die über der Theke hing. Seine Gedanken drehten sich um die Möpse und darum, was sie ihm über diesen Benefizauftritt in dem Frauengefängnis erzählt hatten, und auf einmal hatte er eine Idee von der Art, wie sie normalerweise bloß wahrhaft großen Männern vorbehalten ist. Männern wie Sokrates, Donald Duck oder Winfried Clutterbuck, dem Erfinder der Flüssigseife. Eine Idee, die so unendlich dämlich war, daß man sie beinahe schon wieder als Geniestreich betrachten konnte.
Verstohlen schaute Larry sich nach neugierigen Augen um, aber die wenigen Gäste, die sich im Speisesaal aufhielten, waren entweder dicht bis zur Halskrause und lagen mit dem Gesicht in ihren Tellern oder starrten konzentriert derart auf ihr Essen, daß man unweigerlich den Eindruck gewann, sie fürchteten sich, an ihren mikroskopisch kleinen Kaviarschnittchen zu ersticken. Jedenfalls hatte er von denen nichts zu befürchten. Er beugte sich vor, schaltete die Wärmelampe aus und tastete nach der Glühbirne, doch spätestens in dem Moment, als seine Fingerkuppen sich anzufühlen begannen, als hätte er sie in ein Handbad aus siedendem Öl getaucht, wurde Larry bewußt, daß es besser gewesen wäre, einen Augenblick zu warten, damit die Birne abkühlen konnte. Er stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus und hüpfte mit rot leuchtenden Fingern das Büfett entlang, bis er bei einer großen Schüssel mit eisgekühlten Hummern vorbeikam und seine Hand stöhnend bis zum Ellbogen in das Eis stieß. Eine Wolke Wasserdampf stieg zischend auf. Larry seufzte erleichtert. Immer schon hatte er das Gefühl gemocht, wenn der Schmerz nachließ… Nachdem seine Finger schließlich ihre ursprüngliche Hautfarbe zurückgewonnen hatten, ging er wieder zur Fleischtheke, und diesmal ließ sich die Wärmelampe aus der Fassung drehen, ohne daß seine Hände fritiert wurden. Er ließ die Birne in seine Tasche gleiten und verließ den Speisesaal. Ein Stück weiter auf demselben Flur lag der rund um die Uhr geöffnete Bordsupermarkt, wo man von Schokolade über Getränke und Badeklamotten bis hin zu Wohnzimmergarnituren und Einbauküchen alles kaufen konnte, was man an Bord eines
Kreuzfahrtschiffes zum täglichen Überleben brauchte. Larry schlenderte langsam die Regalreihen entlang, während aus den Lautsprechern an der Decke weichgespülte Popsongs erklangen. Doppelt weichgespült, sozusagen. Vor dem Ständer mit den Sexualhilfsmitteln, direkt neben der Fleisch- und Wurstwarentheke, blieb er stehen und besah sich die feilgebotenen Artikel. Mit verwirrt gerunzelter Stirn nahm er eine Plastikbanane vom Regal und wog sie abschätzend in der Hand, bevor er sie mit gerunzelter Stirn wieder zurücklegte. Schließlich entschied er sich für eine Doppelpackung Kondome, Geschmacksrichtung Waldmeister, und eine übergroße Dose mit Silikon-Gleitspray, Marke »Geöltes Schwein«. Als er die Sachen an der Kasse bezahlen wollte, sah die Kassiererin, eine alte, abgetakelte Schabracke von mindestens vierzig Lenzen, Lockenwickler im Haar, erst die Pariser und das Gleitspray an und bedachte Larry nachfolgend mit einem Blick, als hielte sie ihn für einen hoffnungslos Perversen – womit sie natürlich nicht ganz unrecht hatte, aber wer wird schon gern so direkt auf seine Fehler aufmerksam gemacht? Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ähm, das ist nicht für mich«, sagte er verlegen. »Sondern für einen Kumpel, der mich gebeten hat, das für ihn zu kaufen.« »Soso«, sagte die Kassiererin, wenig überzeugt. »Jaja«, bestätigte Larry. »Siebzehnachtzig«, schnaubte sie. Larry gab ihr einen Zwanziger, nahm das Wechselgeld entgegen, klemmte sich die Spraydose und die Schlafsäcke unter den Arm und sah zu, daß er wegkam. Als er den Supermarkt schon
fast verlassen hatte, rief ihm die Kassiererin spöttisch nach: »Und viele Grüße an Ihren Freund!« »Danke«, murmelte Larry kleinlaut. »Werd’ ich ausrichten…« In der Lounge »Zum kleinen stolzen Seemann« war alles dunkel, als Larry aus dem Lift trat. Nur die Notbeleuchtung über der Bühne brannte und verbreitete ein mattes, uringelbes Licht, so daß man die Silhouetten der Kisten und Segelaufbauten erahnen konnte. Allerdings war die Bühne bereits für den Auftritt der singenden Möpse vorbereitet worden. Instrumente standen dort, Mikrofonständer und gewaltige Lautsprecherboxen, fast so groß wie die, die Larry hinten in seinen VW-Käfer eingebaut hatte, nachdem die Rückbank draußen war, die sowieso nicht benutzt wurde. Ein Spotlight an einem Schwenkarm war auf die Bühne gerichtet. Larry huschte lautlos den Mittelgang entlang zu dem Aufbau, an dem der Scheinwerfer angebracht war, stieg auf eine der Kisten und drehte die Halogenbirne vorsichtig aus der Fassung. Dann holte er die Wärmelampe hervor und schraubte sie hinein, bevor er von der Kiste runterstieg und sich umschaute, ob jemand ihn bemerkt hatte. Doch da war niemand. Nicht einmal die Groupies der Möpse ließen sich blicken. Perfekt… Larry warf die Birne in eine als Mülleimer umfunktionierte mittelalterliche Fäkalientonne, die einen höchst authentischen Geruch verströmte, und ging weiter zu der Tür im hinteren Teil der dunklen Lounge, die auf einem richtigen Piratenschiff in die Kapitänskajüte geführt hätte, hier aber die Garderoben der auftretenden Künstler mit der Wirklichkeit verband. Er öffnete die Tür, schlüpfte durch den Spalt und fand sich in einem hell
erleuchteten Flur mit holzgetäfelten Wänden wieder, von dem zu beiden Seiten je zwei Türen abgingen, also insgesamt vier. An den Türen waren Schilder mit den Namen der Stars angebracht. Larry besah sich nacheinander die Schildchen. Auf dem ersten Schild stand: William »Billy« Clinton (alias Blane Sheppard). Dann: Mr. Ed, das sprechende Pferd. Danach: Dieser Typ aus der Fernsehshow. Und zu guter Letzt: Die Möpse, versehen mit einer kunstvollen Zeichnung von den Twin Peaks in Kanada – zumindest behauptete das der Künstler… Er blieb vor der Tür des Duo mopsonale stehen, legte das Ohr ans Holz und horchte. Als von drinnen kein Laut zu vernehmen war, drehte er den Knauf und schlüpfte in die Garderobe der Möpse. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat er vor und sah sich staunend um. Es hatte den Anschein, als gingen Mutter und Tochter in ihrer Rolle als Country-&-Western-Sängerinnen völlig auf. Mehr noch, als würden sie sich einbilden, tatsächlich Country-&Western-Sängerinnen zu sein. Ihre Garderobe war komplett im Stil alter John-Wayne-Filme gehalten, auch wenn das Blut fehlte. Links an der Wand unter dem großen Spiegel stand ein hölzerner Pferdetrog, offenbar zum Haarewaschen. Davor hatten zwei Frisierstühle in Form von Sätteln ihren Platz gefunden. An den Wänden hingen Jagdgewehre, Skalps und Bisonhörner, die gleichzeitig als Kleiderbügel für die Kostüme der Möpse herhielten. Ein altes Whiskeyfaß stand in der Ecke, vermutlich leer, daneben eine gigantische Flasche Haarspray, doppelt so groß wie Larry, mit einem umgebauten Revolver als Zerstäuber. Neben der Tür lagen mehrere Heuballen, die die Möpse zwar ei-
gentlich gar nicht in ihrer Garderobe brauchten, die aber als Bedingung in Nailmis Vertrag standen, seit sie anno 1974 dieses Shetland-Pony zu einem Auftritt mitgebracht hatte. An der hinteren Wand befand sich ein Regal mit Karaokeanlage und mehreren Dutzend Single-CDs mit den Hits des voluminösen Mutter-Tochter-Duos. Er trat näher und ließ neugierig seinen Blick über die Titel der CDs wandern. »Sogar der Wind hat geblasen«, las Larry halblaut. »Er hat die Augen vom Vater (und das Lächeln vom anderen Vater)… Höschen an der Verse, Schmerz im Herz… Dazu sind Liegesitze da… Deine Nase verspricht so viel… Woher kommt dein Name, Long Long… Mit Haarspray kannst du ihn nicht halten…« Er giggelte amüsiert und sah sich weiter in der Garderobe um, bis er schließlich fand, was er suchte. Auf der Ablage unter dem Spiegel stand neben zahlreichen Flaschen und Tuben voll nutzloser Schönheitspräparate, die grundsätzlich nur wirkten, wenn man sowieso schon gut aussah, eine Dose Deospray in der praktischen Nachfüllflasche. Er schraubte mit flinken Fingern den Verschluß auf, schüttete den nach Pferdestall riechenden Inhalt in den Trog und füllte die leere Flasche mit dem flüssigen Silikon-Gleitspray auf, das er vorhin im Bordsupermarkt gekauft hatte. Dann schraubte er die Deodose wieder zu, stellte sie zurück auf die Ablage und verließ die Kabine so unbemerkt, wie er sie betreten hatte. Fröhlich vor sich hin summend, betrat er die Lounge. Er hätte nicht gedacht, daß es so einfach sein würde. Doch wie hieß es noch gleich so schön? Das Glück ist auf der Seite der Tüchtigen. Und Larry war tüchtig – zumindest immer dann,
wenn es darum ging, Schwachstellen möglicher Opfer skrupellos zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Jedenfalls war alles vorbereitet. Alles, was er nun noch zu tun brauchte, war, sich einen guten Platz nahe der Bühne zu suchen und die Show zu genießen. Pünktlich um zehn nach elf gingen in der Lounge »Zum kleinen stolzen Seemann« die Lichter an. Inzwischen waren die Fässer und Truhen bis zum letzten Platz besetzt mit fast ausnahmslos männlichen Passagieren, die sich alle vor dem Zubettgehen noch schnell ein wenig Material für ihre Träume holen wollten. Es herrschte eine aufgeheizte Atmosphäre, wie vor einem Konzert von Barry Manilow, wenn auch aus anderen Gründen. Als die Scheinwerfer endlich aufflammten und die Möpse aus dem Dunkel der Bühne rissen, mit kniehohen roten Cowboystiefeln, Radlerhosen, knappen weißen Blusen und leuchtenden Glitzerwesten bekleidet, fingen die Versammelten wie wild an zu toben, schließlich bekamen sie nicht jeden Tag solche Möpse zu sehen. Lachend schnappten sich die Frauen ihre Banjos, während im Hintergrund eine gelangweilte DreiMann-Combo im Indianerlook zu spielen begann, und gaben zum Aufwärmen ihren Superhit Du darfst in meinen BH (aber nicht in mein Herz) zum Besten, gefolgt von Ich denke wieder mit meinem Korsett und Liebe im Rodeosattel. Larry saß vorne in der ersten Reihe, fünf Meter von der Bühne entfernt, und genoß die überragende Aussicht. Auch angezogen waren die Möpse eine wahre Pracht – vorausgesetzt, man hatte keinen Augenfehler und konnte 16:9-Breitwand gucken. Wie sie da oben mit ihren Banjos über die Bühne hüpften, die Früchte ihrer Weiblichkeit bei jeder Bewegung auf und ab schlackernd, das hatte schon was. Angespannt hockte Larry auf der Vorder-
kante seines Sitzes (auch wenn er für den ganzen Sitz bezahlt hatte) und wartete darauf, daß das Unvermeidliche geschah. Nachdem die Möpse den allseits beliebten Song Dichtes Haar und lange Glieder gesungen hatten, ging ein begeistertes Tosen durch die Lounge. Pfiffe wurden laut. Die Männer klatschten in die Hände, bis ihnen fast die Finger abfielen. Die Möpse standen auf der Bühne und verneigten sich lächelnd. »Danke«, rief Nailmi glücklich. »Vielen, vielen Dank!« »Danke Ihnen allen!« rief auch Wydoncha. Sie stellte ihr Banjo zur Seite, strich sich eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn – ein fassungsloses Raunen ging durchs Publikum – und sagte: »Jetzt brauchen wir einen mutigen Freiwilligen für den Unplugged-Teil unserer Show. Wer möchte mit unseren – Dingern spielen?« Sie ließ den Blick auffordernd über die Versammelten gleiten. Aufgeregte Rufe. »Ich!« »Hier!« »Ich will!« Zwei Dutzend Männer sprangen so hastig auf, als wären sie von ihren Eheweibern dabei erwischt worden, wie sie sich zu Hause auf dem Klo ihren Tennisarm erspielten, und rannten grölend und pfeifend zur Bühne rüber. Doch Larry hatte seinen Platz in der ersten Reihe mit Bedacht gewählt und war schneller oben auf der Bühne, als Ben Johnson, freundlich unterstützt von Doping Pharmacy, die fünfzig Meter laufen konnte.
Enttäuscht setzten die anderen Kerle sich wieder hin. Wydoncha schaute lächelnd auf Larry herab. »Ja, wen haben wir denn da?« säuselte sie und zwinkerte ihm fröhlich zu. »Einen Freiwilligen!« »Hallo, mein Hengst!« begrüßte ihn Nailmi. »Äh, hallo«, sagte Larry, etwas kleinlaut. Er stand zwischen den Möpsen, die ihn um mehr als zwei Köpfe überragten, und sah sich links und rechts von wogenden Milchtüten bedrängt. Im grellen Licht der Scheinwerfer sah sein Polyesteranzug noch weißer aus, als er ohnehin schon war. Nie zuvor hatte er mehr wie Elvis Presley ausgesehen als in diesem Moment. »Du bist genau der Richtige«, erklärte Nailmi, nachdem sie ihn einer optischen Leibesvisitation unterzogen hatte. »Nur eine Sache fehlt noch…« Larry sah sie an. »So? Und welche?« »Die wichtigste!« Damit zog Nailmi hinter einem der vielen Heuballen, mit denen die Bühne in dem Versuch dekoriert worden war, das Piratenschiff in einen Pferdestall im Wilden Westen zu verwandeln, einen riesigen Cowboyhut hervor und setzte ihn Larry auf, der mit einemmal doppelt so groß wie zuvor war. Der Hut saß ihm tief in der Stirn, reichte ihm fast bis über die Augen. Die Krempe war so breit, daß sie sich ideal als Abfahrtsschanze für Zwerge geeignet hätte. Mit diesem Hut erinnerte Larry von ferne ein wenig an Hoss Cartwright, auch wenn er nicht ganz so dick war. Nailmi trat zurück und betrachtete ihr Werk. »Perfekt!«
Larry zupfte zweifelnd an der Krempe herum. Er konnte kaum was sehen. »Wenn du meinst…« »Entschuldigt uns jetzt eine Sekunde, Leute«, wandte Wydoncha sich an das Publikum. »Wir müssen kurz was rausholen…« Mit diesen Worten drehten sich die Frauen um. Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge. Panik machte sich breit. Ein Hauch von Massenhysterie lag in der Luft. Würden die Möpse tun, was alle ersehnten, auch wenn sich alle irgendwie davor fürchteten, daß sie wirklich tun könnten, was alle wollten? Einen Augenblick später drehten die Möpse sich um – und hatten nicht getan, was alle wollten, daß sie es taten. Statt dessen hatten sie ihre Banjos gegen Waschbrett (Nailmi) und Waschtrogbaß (Wydoncha) getauscht. Nailmi drückte Larry zwei leere, bauchige Whiskeyflaschen in die Hand. »Weißt du, was du machen sollst?« Larry schüttelte den Kopf. »Blasen«, erklärte Wydoncha. Larry grinste dreckig. »He, klasse!« Dann wurde ihm klar, daß er mitten auf der Bühne stand, vor einem Saal voller gierig glotzender Voyeure, die vielleicht zwar nicht so schlimm wie er selbst, aber immer noch schlimm genug waren, und sah sich unbehaglich um. »Ähm… Hier?« »Sicher!« Nailmi nickte. »Wo denn sonst?« Dann wandte sie sich an den Beleuchter, der sich irgendwo im Hintergrund hielt, und rief: »He, John, wie wär’s mit etwas gedämpfter Beleuchtung?« John nickte. »Jau!«
Die Scheinwerfer erloschen. Für einen Augenblick senkte sich Dunkelheit über die Bühne. Dann flammte das Spotlight mit der Wärmelampe auf, und die Show begann. Im rötlichen Schein der Lampe zupfte Wydoncha hingebungsvoll am Baß, während Nailmi mit den Fingern eifrig das Waschbrett schrammelte. Und Larry blies – abwechselnd in die beiden Flaschen, in dem Versuch, den Behältnissen etwas zu entlocken, das entfernt an Töne erinnerte, von Wohlklängen oder etwas, was auch nur annähernd einer Melodie ähnelte, ganz zu schweigen. Die ersten zwanzig Sekunden der Nummer waren so langweilig wie immer, doch dann kam langsam Schwung in die Angelegenheit, als Nailmi sich mit hochrotem Gesicht das Haar aus dem Gesicht strich, während sie mit einer Hand weiterschrammelte, und keuchte: »Ah, Wydoncha, Liebling, findest du es auch so heiß hier drinnen?« Sie sah ihre Mutter mit leuchtenden blauen Augen an. »Oh, Mama«, seufzte sie mit einer Stimme, die vor Wollust triefte. »Ich bekomme schon wieder diese Gefühle…« Sie schickte ein heiseres Seufzen hinterher. Nailmi stöhnte wie eine brünftige Löwin. »Ich auch…« Die Möpse sahen sich an – und dann Larry. In ihren Augen lag etwas, das man als Leidenschaft bezeichnen könnte, obgleich blanke Gier, gepaart mit einer kräftigen Prise Gier, vermutlich die bessere Definition gewesen wäre. Larry schluckte hörbar. »Gulp…« Dann brüllte Nailmi: »Schnapp ihn dir!« Kreischend stürzten sich die Möpse auf ihn. In diesem Augenblick begann das Spotlight plötzlich unruhig zu flackern, wohl, weil die Birne wegen der veränderten Span-
nung dabei war durchzubrennen. Wie das Stroboskoplicht einer Disco tauchte es die Bühne abwechselnd für wenige Sekundenbruchteile in Licht und Dunkel, beleuchtete wild davonfliegende Fetzen von Larrys Anzug und Hemd, gefolgt vom roten und weißen Stoff der Kostüme der Möpse. Begleitet von einem lauten Intermezzo heiserer, wollüstiger Jauchzer und dem aufgeregten Johlen und Pfeifen des Publikums, das es nicht mehr auf den Sitzen hielt, enthüllte das Wechselspiel von Licht und Schatten immer neue, pikante Details der Manege-a-trois. Erst sah man ein in sich verschlungenes Knäuel nackter Körper, vor allem Möpse, wenn man auch nicht sagen konnte, welche zu welcher gehörten. Dann Larry, der in bester Wildwestmanier auf den Rücken der Frauen ritt, ein Lasso schwingend, und laut »Jipeee!« schrie, bevor das fassungslose Publikum verfolgte, wie die Möpse, Bauch an Rücken, mit Larry zwischen sich, über die Bühne hüpften, der ein Gesicht machte, als würde die Kraft der zwei Herzen jeden Moment bei ihm versagen. Danach wälzten sich Larry und die Möpse in den unmöglichsten Positionen über die Bühne, stets nur für einen Lidschlag aus der Dunkelheit gerissen, und es sah so aus, als würden sie Dinge machen, für die die Zuschauer eigentlich hätten bezahlen müssen, doch weil man’s eben nicht richtig sehen konnte, verzichtete man darauf, die Künstler für ihre körperbetonte Darbietung zu entlohnen. Jedenfalls entpuppte sich die Show als riesiger Erfolg. Das Publikum pfiff, applaudierte und verlangte bereits nach einer Zugabe, als Larry noch nicht mal mit seinem Solo fertig war. Dann erlosch das Spotlight, begleitet von den enttäuschten Rufen des Publikums, schließlich ganz, und Schwärze, erfüllt von den Grunzlauten heißer Leidenschaft, senkte sich über die
Bühne. Larry hingegen brannte noch mindestens eine Minute lichterloh weiter, bis auch seine kleine Birne ihm letztlich den Dienst versagte.
9. Coitus interruptus Nach einer wildbewegten Nacht – die See wurde gegen Morgen hin ziemlich unruhig –, zwei Stunden unruhigen Schlafs, in denen Larry von seiner ehemaligen Kunstlehrerin von der HighSchool träumte, Ms. Stone, die ihm beigebracht hatte, wie man seinen Pinsel ungeachtet mangelnden Talents richtig gebrauchte. Nach einer kalten Dusche und einer Familienpackung Alka Seltzer suchte er gegen halb elf Uhr schließlich den Speisesaal heim. Die kräftezehrenden Ereignisse der letzten Stunden verlangten nach einem soliden Frühstück. Abgesehen von ihm hielten sich keine weiteren Gäste in dem Saal auf – natürlich nicht, schließlich brieten die meisten Passagiere bereits seit zwei Stunden auf dem Achterdeck in der prallen Sonne –, so daß er sich in aller Ruhe einen Teller mit Brötchen, Aufschnitt, Brot, Käse, Marmelade, Rührei mit gebratenem Schinkenspeck, kleinen Bratwürsten, Erdbeerjoghurt und Doughnuts mit Schokoüberzug volladen konnte. Er setzte sich an einen Tisch in der Ecke, ließ sich vom Kellner eine große Kanne Kaffee bringen, schwarz wie die Füße von Michael Jordan, und aß. Nachdem er sich zweimal nachgenommen hatte (und keine Würstchen mehr da waren), fühlte er sich ausreichend gestärkt, den Herausforderungen des neuen Tages zu begegnen. Doch bevor es dazu kam, hörte er mit einemmal ein heiseres, gutturales Stöhnen, das ihn sofort an die wogenden Möpse der Möpse erinnerte. Sein erster Impuls war, sich unter dem Tisch zu verstecken. Doch dann merkte er, daß die Geräusche von einer Tür im Hin-
tergrund des Speisesaals kamen, und er gab innerlich Entwarnung. Auch wenn er beileibe kein Kostverächter war, besaß selbst Larry so etwas wie einen natürlichen Selbsterhaltungstrieb. Er stand auf und ging zur Tür. Das Stöhnen wurde mit jedem Schritt lauter. Neugierig blieb er vor der Tür stehen, die mit diversen Schildern versehen war, die nachdrücklich darauf hinwiesen, daß diese Räumlichkeiten für die Öffentlichkeit geschlossen waren und nur Personen ab achtzehn Jahren Zutritt hatten, und auch die nur dann, wenn sie Mitglied waren – worin, wofür, warum, weswegen oder weshalb, wurde allerdings nicht deutlich. Verbote machen neugierig. Larry drückte sein Ohr gegen das Holz. Dahinter schien mächtig was los zu sein. Er hörte Stöhnen, Jammern, Wimmern und das vertraute Geräusch von zwei Schweinehälften, die im Kühlraum gegeneinanderstoßen, wenn der Truck sich in eine Kurve legt. Das schien ja eine tolle Party zu sein… Unwillkürlich schlich sich ein Grinsen auf Larrys Gesicht. Er wollte die Tür öffnen, doch sie war verschlossen. Mißmutig rüttelte er ein paarmal am Knauf, aber ohne Erfolg. Dann hob er die Hand und klopfte, doch niemand reagierte. Das Gestöhne und Gegrunze ging mit unverminderter Heftigkeit weiter. Larry überlegte, ob er die Tür eintreten sollte, um an den Früchten der Leidenschaft teilzuhaben, die dahinter allem Anschein nach gepflückt wurden. Doch dann wurde ihm bewußt, daß die Tür ungefähr dreimal so groß war wie er – obgleich das natürlich kein neues Problem für ihn war –, und nahm von diesem Gedanken Abstand, zumal er eigentlich kein Mann der Gewalt
war. Er hielt nicht viel von plumper Brutalität und setzte Gewalt prinzipiell nur als Mittel zum Zweck dann ein, wenn er genau wußte, daß er mit heiler Haut davonkommen würde. Nein, er mußte einen anderen Weg finden, um der Gesellschaft dort drinnen beizuliegen. Aber nicht jetzt. Für den Augenblick hatte er bereits andere Pläne. Denn als er vorhin unter der Dusche stand und sich unter Zuhilfenahme von Wasser, Seife und Toilettenpapier den Schweiß der Anstrengung vom Körper wusch, war ihm ein verwegener Gedanke gekommen. In letzter Zeit kamen ihm zwar andauernd verwegene Gedanken, aber dieser Gedanke war beinahe schon verwegen verwegen, selbst für seine Verhältnisse. Es ging um den Roman, den er sich von Drew ausgeliehen hatte, und eine gewisse junge Bibliothekarin hier an Bord, die so verklemmt war, daß Larry sich bereits gefragt hatte, ob ihr Vater möglicherweise Installateur war. Larry hatte auf den ersten Blick erkannt, daß Victoria bloß die Unnahbare spielte, weil sie veralteten Moralvorstellungen anhing und ergo keinen blanken Schimmer davon besaß, daß sich die Uhr seit der Hinrichtung von Maria Stuart weitergedreht hatte. Aber wenn man ihr zeigte, wie das wahre (Sexual-) Leben war, würde sie mit Sicherheit erblühen wie eine Wüstenblume im Regen. Und er hatte beschlossen, diese löbliche Aufgabe zu übernehmen, in der Hoffnung, die Blume schließlich in aller Ruhe pflücken zu können. Larry verließ den Speisesaal, ging weiter ins Atrium und von dort aus in die Bibliothek. Es war alles genau wie gestern morgen. Die leeren Regale, die gräßliche Zwölffingerdarmmusik
und Victoria Principles hinter ihrem Ausleihtresen, versunken in die Lektüre von Prüde und stolz. Verwirrt fragte er sich, ob sie dieses elende Buch noch immer las oder schon wieder. Als er vor dem Tresen stehenblieb, schaute sie auf. »Ja, bitte?« erkundigte sich Vicky höflich. Dann erkannte sie, wen sie vor sich hatte, und meinte lustlos: »Ach, Sie sind das schon wieder.« »Ja«, bestätigte Larry. »Ich bin das schon wieder.« »Nun, und was kann ich für Sie tun?« »Na, ich wüßte da schon was«, sagte er und schielte auf ihren stimulierenden, erhebenden Vorbau. Er riß sich zusammen, tat so, als wäre er so unscheinbar, wie er aussah, lehnte sich auf den Tresen und sagte: »Wissen Sie, Vicky, ich habe mich gefragt, ob Sie wohl so freundlich und in der Lage wären, für mich herauszufinden, wann ein bestimmtes Buch aus der Ausleihe zurückkommt? Ich habe den Roman bei einer Passagierin gesehen und würde ihn gerne lesen.« Vicky rückte ihre Brille zurecht. »Titel?« »Die erotischen Abenteuer des Herkules.« Sie runzelte die Stirn. »Das klingt aber nicht nach hochgeistiger Lektüre«, sagte sie skeptisch. »Eher nach Schweinskram.« »He«, sagte er und breitete mit Unschuldsmiene die Arme aus. »Sehe ich etwa aus, als würde ich Schweinskram lesen?« Vicky musterte ihn einen Moment mißtrauisch. Sie verkniff sich einen Kommentar, legte ihr Buch auf den kleinen Stapel vor sich auf dem Tresen, drehte sich zum Computer um und bearbeitete die Tastatur.
Larry, der nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte, schnappte sich rasch Prüde und stolz, entfernte den Schutzumschlag, ließ das nackte Buch in seiner Tasche verschwinden und tarnte Die erotischen Abenteuer des Herkules mit dem unscheinbaren, öden Umschlag von Prüde und stolz. Dann legte er das Buch hastig auf den Ausleihtresen zurück – keine Sekunde, bevor die hübsche junge Bibliothekarin sich wieder umdrehte und bedauernd den Kopf schüttelte. Nun, nicht ehrlich bedauernd. »Es tut mir leid. Aber das Buch, das Sie wünschen, ist nicht aus unserer Bibliothek.« »Oh.« Larry gab sich überrascht. »Dann sollte ich vielleicht mit der Dame persönlich sprechen. Vielleicht kann ich das Buch ja von ihr direkt leihen.« »Vielleicht«, sagte Vicky Principles gleichgültig, beschloß, seine Anwesenheit fürderhin zu ignorieren, griff nach ihrem Buch und vertiefte sich von neuem in ihre erhebende Lektüre, während Larry, hinterhältig grinsend, von dannen schlich. Nachdem er Vickys Lieblingsbuch einem nutzbringenderen Zweck als der Lektüre zugeführt hatte, indem er es als Ersatz für das Toilettenpapier verwendete, mit dem er gestern abend die Venuswürfel abgeschliffen hatte, schlenderte Larry lässig über das Vorderdeck der P. M. S. Bouncy. Es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Die Sonne schien strahlend. Der Himmel war jungfräulich blau. Die Luft war warm und mild. Ein laues Lüftchen wehte. Mit anderen Worten: Es war genau wie gestern. Sogar die Möwen waren da, die über dem Schiff ihre Kreise zirkelten und den Passagieren ab und zu Überraschungen in die Drinks fallen ließen.
Larry hing seinen Gedanken nach, die sich um die Freuden drehten, die er mit Vicky auskosten wollte, wenn es ihm schließlich gelungen war, ihren stählernen Keuschheitsgürtel mit dem doppelt gesicherten Sicherheitsschloß zu knacken. Doch bevor ihm der Geifer aus dem Mund laufen konnte, riß ihn eine Lautsprecherdurchsage aus seinen stimulierenden Tagträumen. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Virgil hat soeben den Strip-TwistWettbewerb nach Punkten für sich entschieden, während Alex beim Nackthürdenlauf knapp gegen Johnny gewonnen hat. Ganz unter uns, eigentlich ist Johnny der bessere Läufer, aber am Ende fehlten ihm die entscheidenden fünfzehn Zentimeter… Ende der Durchsage.« Larry seufzte matt und beugte sich über die Reling. Unter ihm schlugen sanfte Wellen gegen den Bug des Schiffes. Wie es aussah, waren die anderen Teilnehmer des TLP-Wettbewerbs schon wieder fleißig dabei, ihm den Sieg abspenstig zu machen. Es wurde langsam Zeit, erneut in das Geschehen einzugreifen. Er zog seine Punktekarte aus der Tasche, überlegte, in welcher Disziplin er sich als nächstes beweisen sollte. Nachdem er das Craps-Turnier mit Gottes Hilfe für sich entschieden hatte, warteten abgesehen vom LiebesMeister 2000™, wo er zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten Versuch unternehmen durfte, noch vier weitere Wettbewerbe darauf, von ihm verloren zu werden. Nachdenklich überflog er die Liste und entschied sich schließlich für den Bestgekleideten Mann, weil er irrigerweise fest davon überzeugt war, daß dabei eigentlich nichts schiefgehen konnte. Er nahm an, daß er in seinem zahnbelagweißen Polyesteranzug mit dem blauen Hemd nebst extra breitem Kragen, die Ärmel von beiden bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, und der schmucken Goldkette eine bemerkenswerte Er-
scheinung abgab. Das war ihm in der Vergangenheit ja bereits häufig von vielen Leuten bestätigt worden, vor allem von Frauen, die erklärten, daß sie noch nie einem Typen über den Weg gelaufen waren, der so aussah wie er (und er sich gefälligst verziehen solle). Im übrigen hatte er auf dem gesamten Schiff bislang noch keinen Mann gesehen, der rein äußerlich auch nur annähernd mit ihm konkurrieren konnte. Die meisten Kerle an Bord trugen bunte, knielange Boxershorts mit Bananenmuster und Shirts mit Aufdrucken wie »Unausstehlich… und stolz darauf« oder »Ein ganzer Kerl dank Chappi«. Dann gab es noch die zahlenmäßig unterlegene Badehosenfraktion, doch außer dicken Beulen an den falschen Stellen (Knie, Schultern, Nase) hatten diese Burschen nichts zu bieten, was Millionen anderer Männer nicht auch hatten. Okay, zugegeben, vielleicht hatten ein paar der Kerle ein paar mehr Haare auf dem Kopf als er, aber soviel er wußte, zählten Haare – es sei denn künstlich erstellte – nicht als Kleidungsstück. Von dieser Warte aus betrachtet, war ihm der Sieg also schon so gut wie sicher. Larry steckte die TLP-Punktekarte mit der Absicht wieder ein, umgehend die Räumlichkeiten aufzusuchen, in denen der Wettbewerb ausgetragen wurde. Auf dem Weg zum Aufzug erregte eine per definitionem sonderbare Gestalt seine Aufmerksamkeit, die auf dem Achterdeck stand und sich redlich mühte, einen vergnügten Eindruck zu machen. Der Mann war einen Kopf größer als Larry, trug lange, weite rote Shorts mit grünen Palmwedeln, ein zu kurzes gelbes T-Shirt, braune Strümpfe, die bis zu den knochigen, haarigen Knien hinaufreichten, und klobige Schnürschuhe. Ein buschiger Schnauzer, wie man ihn sonst nur bei Walrössern und gewissen altdeutschen Schauspielern antrifft, verdeckte den Großteil seines Ge-
sichts, das von einer riesigen Nase dominiert wurde, die in Form, Farbe und Beschaffenheit an eine überreife Aubergine erinnerte. Auf einem Namensschild an seiner Brust stand Rod. Obwohl Larry eigentlich hätte wissen müssen, daß es ein Fehler war, Männer mit Schnauzbärten anzusprechen, die auf einen so eindeutig zweideutigen Namen hörten, wandte er sich an den Passagier. »Ehm, hallo, Meister«, sagte er, mehr aus Neugierde als aus Höflichkeit. »Schönes Wetter heute, nicht?« Rod schaute ihn an. »Hier ist immer schönes Wetter«, erklärte er fröhlich. »Muß es ja auch sein, weil die Passagiere sonst ihr Geld zurückverlangen. Ich bin übrigens der hübsche Matrose, der die Kinder auf dieser Kreuzfahrt unterhält.« Larry runzelte verwirrt die Stirn. »Kinder? Aber ich habe hier noch nirgends auch nur ein einziges Kind gesehen!« »Tja«, sagte Rod seufzend. »Das kommt, weil dieser Roman für Kinder einfach zu schmutzig ist.« »Na, und was genau machst du hier? Wenn doch mal zufällig ein Kind vorbeikommt?« »Na ja, ich kann Ballontiere machen«, erklärte Rod. »Willst du eins?« »Eigentlich nicht«, antwortete Larry. »Ich mach’ dir trotzdem eins«, sagte Rod. Larry seufzte. »Wenn’s unbedingt sein muß…« Rod zog einen leuchtend roten Luftballon aus der Tasche, blies ihn auf, knotete hier und da und dort, so daß er schließlich irgendwie länglich-unanständig aussah, selbst wenn man wei-
ter nichts erkennen konnte, hielt sein Kunstwerk hoch und meinte begeistert: »Sieh mal! Ein Weißkopfadler!« »Aber es sieht nicht so aus«, sagte Larry zweifelnd. »Na, ich finde schon«, entgegnete Rod. Larry verdrehte die Augen. »Du kannst es behalten, okay?« Rod brummte etwas in seinen buschigen Bart, das Larry nicht verstand, und ließ den Ballon kurzerhand davonschwirren. Furzend verschwand das immer kleiner werdende Rot über die Reling, um fünfzig Meter weiter unten einem Hecht bei seinem nächsten Stuhlgang ordentliche Magenschmerzen zu bereiten. Larry schaute dem Ballon nach, bis der Fisch ihn verschlungen hatte, und sagte zu dem Schnauzbart: »In Ordnung, Rod. Danke für die Vorführung. Ich muß jetzt weiter. Vielleicht sieht man sich später ja noch mal.« »Dann mache ich dir noch ein Ballontier«, drohte Rod. »Ich kann’s kaum erwarten«, erwiderte Larry lustlos. Mit jenem schlingernden Schritt, den man sich automatisch aneignet, wenn man länger auf einem Schiff ist oder einfach nur etwas zuviel Rum im Tee hat, entfernte er sich. Nach dieser Begegnung mit Rod war er sich sicherer denn je, daß er keine Probleme haben würde, als bestgekleideter Mann an Bord der P. M. S. Bouncy durchzugehen. Die Räumlichkeiten, in denen der Wettbewerb ausgetragen wurde, lagen auf demselben Korridor, auf dem sich auch der LiebesMeister 2000™ befand, und waren aus einem Grund, der für gebildete Menschen mit mehr Geschmack als einer Stubenfliege vollkommen unverständlich sein mußte, in dezenten La-
vendeltönen gehalten. Den größten Teil des Raumes nahm ein gewaltiges Computerterminal, der CyberMode 2000™, nebst mehrerer Bandmaschinen ein, mittels derer der Modekoeffizient eines Teilnehmers bis auf ein Millitausendstel genau festgestellt werden konnte, indem die Daten, die von der eindrucksvollen 3D-Holographie-Scannerplattform in der Ecke an den Rechner übermittelt wurden, vom Computer mit unzähligen Terabytes von Modetrends, die auf den Magnetbändern schlummerten, verglichen und von der CPU ausgewertet wurden. Ansonsten bestand die Einrichtung des Raumes lediglich aus einer Schaufensterpuppe, die adrett neben der Scannerplattform plaziert worden war und den Eindruck erweckte, nicht einfach nur zu Dekorationszwecken hier herumzustehen, was sich bestätigte, als Larry näher trat und eine bemerkenswerte Beule im Schritt des männlichen Mannequins bemerkte. Nachdem Larry sich vergewissert hatte, daß niemand in der Nähe war, der ihn dabei beobachten konnte, wie er einer Puppe an die Hose ging, ließ er die Finger behutsam über den Schritt des Plastikgenossen gleiten. Unter dem graubraunen Hosenstoff spürte Larry deutlich etwas Hartes, Längliches. Larry runzelte die Stirn. Was zum Teufel hatte denn das zu bedeuten? Er hatte zwar schon des öfteren von diesen ultrarealistischen, synthetisch generierten Puppen gehört, die sich anschickten, die guten alten Gummidollies abzulösen, aber das waren alles Frauen gewesen – oder zumindest humanoide Maschinen, die sich den Anschein gaben, Frauen zu sein, und einzig zu dem Zweck hergestellt worden waren, den Männern dieser Welt
immer und jederzeit ohne Widerworte und ohne Haushaltsgeldforderungen zu Willen zu sein, was den Unterschied zu realen Frauen wiederum beträchtlich erhöhte. Aber wenn dieser Bursche das männliche Äquivalent dieser neumodischen Puppen war, würde er vermutlich zwei Türen weiter, im Liebes-Meister 2000™, gestanden haben, deshalb griff Larry forsch nach dem Hosenschlitz des Kerlchens und murmelte: »Okay, Kumpel, laß mal sehen, was du zu bieten hast…« Er zog den Reißverschluß ratschend herunter, griff neugierig in die Hose – und holte ein Kartenlesegerät hervor. »Merkwürdiger Platz für so was«, kommentierte Larry, zog die TLP-Punktekarte hervor und steckte sie in das Lesegerät. Als ihn eine weibliche Lautsprecherstimme einen Moment später dazu animierte, die Scannerplattform zu betreten, folgte er selbstgewiß diesem Ansinnen. Einen Augenblick lang passierte nichts. Plötzlich begann der Computer elektronisch zu brummen, die Bänder in den Bandgeräten fingen an, sich zu drehen, und ein lavendelfarbener Lichtstrahl tastete Larry auf der Plattform von oben her langsam und gründlich ab. Gleichzeitig entstand auf dem Monitor der CyberMode 2000™-Konsole ein 3D-Abbild von ihm, das fast noch besser aussah als Larry in natura – wie schwierig oder einfach dies auch sein mochte. Als er zu Ende gescannt worden war, stieg er von der Plattform herunter und ließ demonstrativ die Fingerknöchel knacken. Er fühlte sich klasse. Er fühlte sich stark. Irgend etwas an dem Brummen, mit dem der Computer die übermittelten Daten auswertete und seinen Modekoeffizienten ermittelte, sagte ihm, daß er gewinnen würde.
Aber entweder hatte er einen Gehörschaden und verstand nicht recht, was der Rechner sagte, oder der Computer war defekt, denn auf einmal knackte es in den Lautsprechern, und die Frauenstimme, die ihn bereits beim LiebesMeister 2000™Kontest verhöhnt hatte, sagte kichernd: »Ihre Punktzahl, Larry Laffer… Zwei.« Larry fluchte. Zum Teufel, das konnte, das durfte doch nicht wahr sein! Nach welchen Kriterien bewerteten die Jurymitglieder denn hier? Nach Bauchumfang? Oder Penislänge? Wenn Larry nicht der bestgekleidete Mann an Bord der P. M. S. Bouncy war, wer dann? Etwa diese Typen mit ihren ultraweiten Boxershorts und den modisch kotzgrünen Plastiklatschen? Oder doch die ausgebeulte Badehosenfraktion? In dem Bewußtsein, daß es keinen Sinn hatte, zu versuchen, mit der Computerfrau zu diskutieren – weil man mit Frauen einfach nicht diskutieren kann; viertausend Jahre fast zivilisierter Geschichte haben das hinlänglich bewiesen –, trat Larry auf den Gang hinaus. Er fühlte sich schlecht. Er fühlte sich matt. Geknickt schlurfte er den Flur entlang in Richtung Aufzug. Vielleicht, dachte er resigniert, lag es ja wirklich an seinen Haaren. Unter Umständen sollte er sich ein Toupet beschaffen und es anschließend noch einmal versuchen. Schlechter konnte das Ergebnis nicht ausfallen. Eine Weile lief er ziellos an Bord umher, stromerte so unruhig über die Decks, als würde er dringend eine Toilette suchen, bis ihn sein Weg endlich zu Kapitän Queegs Ballsaal führte – allerdings hatte er nicht den Hauch einer Ahnung, wer dieser Kapi-
tän Queeg sein sollte. Eine große Statue von König Neptun inklusive Krone und dreizackigem Riesenzahnstocher bewachte den Eingang des Saals. Es mochte Zufall oder Schicksal gewesen sein – aber möglicherweise einfach auch nur ein simpler Kniff des genervten Autors, der nicht wußte, wo er die Szene sonst halbwegs sinnvoll in die Handlung integrieren sollte –, daß im Inneren des Ballsaals, der einer Unterwasserwelt nachempfunden und zudem vermutlich der hoffnungslos kitschigste Ort war, den es auf Erden gab, an einem Zeichentisch eine wunderschöne Frau mit hochgestecktem rotem Haar saß und mit schwungvollem Strich Modeentwürfe anfertigte. Um sie herum auf dem Boden lagen die zerknüllten Zeugnisse zahlreicher Stunden offenbar erfolgloser Arbeit, während sich über ihr der Glasboden des Oberdeckpools befand, durch den man unbehelligt und ungestraft die nackten Körper der Schwimmer begaffen konnte, ohne sich dafür extra in einen Taucheranzug zwängen zu müssen, wie Larry es zu tun pflegte, wenn er im Sommer ins Freibad ging. Während er näher trat, schwankte Larrys Aufmerksamkeit zwischen den nackten Leibern über seinem Kopf und der Rothaarigen am Zeichentisch hin und her. Als jedoch eine Frau ohne Badeanzug, die von den Ausmaßen her nicht von einem russischen U-Boot zu unterscheiden war, über ihm herumpaddelte und die Lippen gegen das Glas preßte, entschied er angeekelt, daß es lohnenswerter war, sich mit der hübschen Zeichnerin zu befassen. Neugierig musterte er sie. Die Frau war schlichtweg eine Schönheit. Dieses hochgesteckte rote Haar. Die blauen Augen, rein wie das Wasser des Hudson, wenn man sich den ganzen Klärschlamm und den anderen
Dreck wegdachte. Ausdrucksvolle Wangenknochen. Ein voller, kirschroter Mund, darüber eine dezente Stupsnase. Bekleidet war sie mit einem knallgrünen Designerhemd, das den Nabel freiließ und auch sonst einige tiefe Einblicke erlaubte, einem engen rosa Rock, schwarzen Strümpfen und Pumps. Aber noch eindrucksvoller als ihre modischen Klamotten war zweifellos das, was der Stoff nicht bedeckte. Der Körper der jungen Frau sorgte dafür, daß Larry fast schwindlig wurde. Schlank, grazil, an den richtigen Stellen eine Handvoll üppiger und Beine, die bis zum Himmel reichten. Er wollte sich nicht hundertprozentig festlegen, aber auf den ersten Blick schätzte er sie auf sechsundzwanzig, einsdreiundachtzig, 92-53-93. Auf diffuse Weise kam ihm die Schöne obendrein seltsam bekannt vor. Fast fühlte er sich an seine Kunstlehrerin aus der High-School erinnert, diese junge Referendarin, die der Klasse beim Aktzeichnen selbst Modell gesessen hatte – er hatte gerade letzte Nacht von ihr geträumt. Ihre Kurse waren immer voll belegt gewesen, pro Platz zwanzig Dollar, zahlbar an die Schulrüpel, die wußten, was die Sache Burschen wie Larry wert war, und dies gewinnbringend ausnutzten. Nie hatte er Ms. Stone begehrenswerter gefunden, als wenn er sie porträtierte. Wie immer beim Anblick einer schönen jungen Frau, die nicht das Weite suchte, sobald sie ihn sah, verfiel Larry in diesen federnden, tigermäßigen Gang, den er sich von John Travolta in Saturday Night Fever abgeguckt hatte, blieb neben dem Zeichentisch stehen, stemmte lässig die rechte Hand in die Hüfte und sagte mit smartem Lächeln (oder dem, was er dafür hielt): »Hallo, meine Schöne! Was macht eine Nixe wie Sie hier in Atlantis?«
Die Rothaarige warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Gehen Sie, bitte!« sagte sie mit breitem französischem Akzent (oder dem, was sie dafür hielt). »Das ier ist eine geschlossene Gesellschaft! Isch abe diesen Ballsaal für die Dauer der gesamten Kreusfahrt gemietet, und isch will mit Sischerheit nischt susammen mit jemandem gesehen werden, der so gekleidet ist wie Sie.« Larry grinste fröhlich. »Ah, Französin, ja? Oh, isch liebe die fransösische Art!« Die Rothaarige verdrehte gequält die Augen. »Ja, das kann isch mir vorstellen…« Dann murmelte sie, mehr zu sich als zu ihm: »Ich habe immer noch kein Glück gehabt. Möglicherweise beginnen meine kreativen Säfte wieder zu fließen, wenn ich mich für ein paar Minuten von diesem Hohlkopf ablenken lasse…« Sie strich sich in einer überaus eleganten Geste einen unsichtbaren Fussel von der Bluse, was er mit professionellem Interesse zur Kenntnis nahm, und stellte sich vor: »Isch bin übrigens Jamie Lee, die berühmte Modeschöpfern.« Larry runzelte die Stirn. »Doch nicht etwa die Jamie Lee? Die Jamie Lee Coitus, das frühere langbeinige Supermodel?« Auf einmal war ihm klar, woher er sie kannte. »Oh, oui«, bestätigte sie nickend. »Aber was soll das eißen, frühere? Isch bin immer noch siemlisch langbeinisch!« »Ehm, stimmt«, sagte Larry mit sehnsuchtsvollem Blick auf ihre endlos langen Beine. »Tut mir leid. Das hatte ich im Moment übersehen.« Jamie Lee gab sich gönnerhaft und sah großzügig über diesen Frevel hinweg. »Nun, vergessen wir das«, winkte sie ab. »Isch bin also Jamie Lee. Und wer sind Sie, wenn isch fragen darf?«
»Oh, ich bin Larry. Larry Laffer. Vielleicht haben Sie ja auch schon von mir gehört?« Konnte ja immerhin sein. In der Gegend, in der er gewöhnlich auf die Jagd ging, war er bei den Mädels zumindest so bekannt wie ein bunter Hund. »Eh, nö«, machte Jamie Lee seine Hoffnungen zunichte, ohne auf ihren französischen Akzent zurückzugreifen. Larry bemerkte es und runzelte die Stirn. »Sagen Sie mal, von wo kommen Sie eigentlich, Jamie Lee?« »Isch komme«, sagte sie, »aus Freudenstadt.« »Ich nehme an, Sie schreiben Ihren Namen K-E-U-T-U-S?« Jamie Lee sah ihn irritiert an. »Nein. Warum?« Larry verkniff sich die Antwort, peinlich berührt, betrachtete die Modezeichnungen auf dem Zeichentisch, die allerdings nicht unbedingt originell wirkten – aber schließlich war Larry ja auch kein Modekritiker, der das, was schick war, jedes Jahr neu definieren muß –, und sagte enthusiastisch: »Hey, ich wette, Sie können mir bei diesem Wettbewerb helfen, Jamie Lee! Eine der Disziplinen heißt: Bestgekleideter Mann. Haben Sie irgendwelche Vorschläge?« »Vorschläge?« Sie sah geringschätzig an ihm herab, als ob sie annahm, daß die Kategorie Schlechtgekleidetster Mann wohl eher seine Domäne wäre (womit sie nicht ganz unrecht hatte). »Haute Couture? Sie?« »Ja!« Larry nickte nachdrücklich. »Der Plastikanzug. Irgendwie beeindruckend, nicht wahr?« Jamie Lee rümpfte nur die Nase. »Sie sehen verwirrt aus«, versuchte Larry es auf die Softieverständnisvoll-und-den-Schrank-voll-mit-Rohkost-Tour, die
vor allem bei Frauen verfing, die sich ihre Pullover im DritteWelt-Laden kauften. »Woran arbeiten Sie gerade?« »Verwirrt?« echote Jamie Lee entrüstet. »Stinksauer bin isch! Isch wollte diese dämlische Kreusfahrt dasu nutsen, um der Presse meine neue Frühjahrskollection zu präsentieren. Isch abe denen sogar die Passage besahlt! Jetzt abe isch erfahren, daß mein Ersrivale, Calvin Klone, dieses Mistaas, mir die Show gestohlen at. Er kopierte meine Kollection, wartete, bis wir abgelegt atten, und verkaufte der Modewelt das Ganze dann als seine Schöpfung!« »Aber das darf er doch nicht!« ereiferte sich Larry. »Hah! Sagen Sie ihm das!« brauste sie auf. »Was sur Hölle soll isch jetst machen? Meine gesamte Linie wird doch ausgelacht! Isch abe alles ineingesteckt, und nun eißt es doch, isch ätte abgekupfert! Isch sollte noch etwas seigen, ehe wir ankommen, aber… Isch bin geschlagen! Keine Inspiration!« Sie seufzte herzerweichend. »Oh, das ist schrecklich!« sagte er mitfühlend. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen irgendwie helfen… Wie sah Ihre Kollektion denn aus?« »Nun, sie wirkte sehr, sehr feminin und sexy«, erklärte Jamie Lee mit verklärtem Blick. »Genau der richtige Look fürs Büro und die Zeit danach. Sie traf den Stil der modernen Frau von eute. Wirklich inspirierend!« Mit anderen Worten: Genau so wie alle anderen Designerklamotten… Larry musterte die zusammengeknüllten Blätter, die in Bergen auf dem Boden um den Zeichentisch herumlagen. »Sie haben sich aber durch eine Menge Papier gewühlt!«
»Ja, was soll isch denn machen?« sagte Jamie Lee matt. »Isch brauche eine Idee. Von irgendwo er!« Wie ein Bluthund, der seine Beute wittert, erahnte Larry eine Chance, wie er mit etwas Glück zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Die eine Fliege war der Bestgekleideter-MannWettbewerb. Die andere Fliege Jamie Lee Coitus selbst. »Nun, äh, wenn ich Ihnen da irgendwie raushelfen würde«, sagte er langsam. »Mit einer Idee beispielsweise, dann würden Sie sich doch sicherlich dankbar zeigen, nicht wahr?« »Dankbar oui«, sagte Jamie Lee. »Gefällig… Sweifelhaft. Das wäre so uncuturell.« »Tja«, sagte er, geschickt das Thema wechselnd. »Was für Stoff bevorzugen Sie denn in dieser Saison?« Die Rothaarige legte die endlos langen Beine übereinander. Das Nylon ihrer Strümpfe raschelte erotisierend. »Naturbelassene, gefärbte und gemusterte Baumwolle. Weich. Fließend. Alles mit Kick.« Sie schaute ihn fragend an. »Und Sie?« »Was Gefühlsechtes!« sagte Larry. »Sie verstehen?« Jamie Lee verzog das Gesicht. »Da müßt’ ich raten…« Er zupfte an seinem breiten Hemdkragen. »Ähm, falls Ihnen das Glück doch noch hold sein sollte und Sie es schaffen, noch vor dem Ende dieser Kreuzfahrt eine Kollektion auf die Beine zu stellen, besteht dann vielleicht eine Möglichkeit, eine Karte für Ihre Modenschau zu ergattern?« »Oh, nein!« sagte Jamie Lee und schüttelte heftig den Kopf. »Nur für die Presse! Ordinäres Volk ist nicht erwünscht!« Da Larry sich zwar gelegentlich als ordinär betrachtete – und hin und wieder auch als vulgär, sexistisch, derb und pervers,
was das anbetraf –, sich ansonsten aber nicht unbedingt dem gemeinen Volke zugehörig fühlte, fiel es ihm nicht schwer, den letzten Satz geflissentlich zu überhören. Ohnehin war er mit den Gedanken ganz woanders. »Also, ähm, wenn hier eine Modenschau stattfinden soll«, sagte er langsam, »dann müßten hier doch eigentlich auch irgendwo ein paar Models rumlaufen, richtig?« »Me oui«, antwortete die geplagte Modeschöpferin und nickte. »Aber was können die schon für moi tun? Sie haben doch nichts ansusiehen!« »Na, Mensch«, murmelte er. »Das wäre doch mal ’ne Show…« Jamie Lee lupfte die Brauen. »S’il vous plaît?« »Oh, nichts, nichts«, winkte Larry hastig ab. »Ich sagte bloß, daß ich mich langsam wieder auf die Socken machen muß. Ich bin dann erst mal raus, Jamie Lee.« »Du warst nie drin«, erwiderte sie kühl. Schon möglich, dachte Larry, als er sich entfernte. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern…
10. Formalitäten Nachdem er Kapitän Queegs Ballsaal und Jamie Lee Coitus hinter sich gelassen hatte, hielt Larry es für angebracht, sich um eine Sache zu kümmern, die er eigentlich bereits seit gestern mittag hatte in Angriff nehmen wollen, wozu er aber aufgrund gewisser, größtenteils hormongesteuerter Geschehnisse, die dem geneigten Leser inzwischen vertraut sein dürften, jedoch nicht gekommen war. Auch wenn es ihm zutiefst widerstrebte, wurde es allmählich Zeit, dafür zu sorgen, daß Drew Barringmore, dieses göttliche Weib mit der Riesenerektion, ihre Klamotten zurückbekam, denn offenbar war das der einzige Weg, sie auszuziehen, sie zunächst einmal anzuziehen. Doch dazu mußte er diesen Schiffsjungen finden, der Drews Koffer nach ihrer Ankunft an Bord gestern früh irgendwo versteckt hatte, und so, wie er die Dinge sah, würde das nicht eben einfach werden, denn soweit er bislang festgestellt hatte, war an Bord dieses Schiffes nichts einfach. Selbst so profane Dinge wie der Gang zur Toilette wuchsen sich hier zu mittelschweren Katastrophen aus. Aber das war er im Grunde ja nicht anders gewohnt, immerhin weilte er bereits ein paar Jahre auf diesem bescheidenen Planeten, der außer Frauen, Discomusik und Doppelwhoppern mit Käse, Tomate, Schinken und extra viel Zwiebeln wenig zu bieten hatte, womit andere bewohnte Gesteinsbrocken im weiten Universum nicht auch aufwarten konnten.
Nach reiflicher Überlegung gelangte Larry zu dem Schluß, daß er mit seiner Suche nach dem Schiffsjungen am besten an der Rezeption begann, auch wenn das bedeuten mochte, sich erneut den gierig-schmachtenden Blicken und der himmelschreienden Paranoia eines gewissen Stewards auszusetzen. Doch als er kurz darauf das Atrium aufsuchte, hatte der Purser außer einem verächtlichen Schnauben und der Bemerkung, daß der Schiffsjunge dazu da sei, den Passagieren der P. M. S. Bouncy zu dienen, wenig für Larry übrig. Als Larry Peter daraufhin dezent, aber bestimmt darauf hinwies, daß er ebenfalls ein Passagier war, kommentierte der Chefsteward dies mit dem Hinweis, daß die Passagiere dieses Schiffes gewöhnlich nicht im Maschinenraum nächtigten, sondern in Kabinen, was Larry wiederum zum Anlaß nahm, Peter daran zu erinnern, daß schließlich er es gewesen war, der ihm diese »Kabine« gegeben hätte. Doch entweder hatte er ein schlechtes Gedächtnis – oder er wollte ein schlechtes Gedächtnis haben. Jedenfalls leugnete der Purser, je von einem gewissen Larry Laffer oder einer Kabine 0 gehört zu haben oder auch nur zu wissen, wie er hieß, und daß er damals in Dallas gewesen sei, als Kennedy den Löffel abgab, sei ihm letztlich nie bewiesen worden, und überhaupt hatte er mit dieser dummen Sache oben in der russischen MIRRaumstation nichts zu tun und wolle doch nur ein ruhiges Leben führen, wie andere schwule Chefstewards auch. Larry hörte sich den Sermon geduldig an, um endlich resigniert mit den Achseln zu zucken und sich davonzuschleichen, ohne den Ausbruch des Pursers zu kommentieren. Er hätte wissen müssen, daß die Dinge so kommen würden. Keinen Deut schlauer als vorher und auch nicht eben weiser, stromerte Larry eine Weile ziellos auf dem Kahn umher, um
sich schließlich nach einem üppigen Mittagsmahl im Speisesaal auf dem Promenadendeck einzufinden, wo seine Winde, freigesetzt durch die Bohnen von gestern abend, in der sanften Brise, die über das Deck strich, nicht weiter auffielen. Gedankenverloren lehnte er an der Reling, während der Wind sein Haar zerzauste, schaute hinunter zum Pool, wo Drew Barringmore nach wie vor nackt und eingecremt auf ihrer Liege lag, und fragte sich mit nachdenklicher Miene, warum die Dinge bloß immer so unendlich kompliziert sein mußten – eine Frage, die er sich schon in der Schule immer gestellt hatte, wenn er teilnahmslos im Algebraunterricht hockte und mit einem Chinesischwörterbuch im Schoß verzweifelt zu verstehen versuchte, was um alles in der Welt die Lehrerin bloß von ihm wollte. Aber das war vermutlich ein zeitgeschichtliches Problem. Wenn er fünftausend Jahre früher geboren worden wäre, hätte er sich damit sicher nicht herumplagen müssen. Zwar würde er dann auf einige Annehmlichkeiten der zivilisierten Welt verzichtet haben müssen – Heizung, Strom, Radio, fließend Wasser, Scheiblettenkäse –, doch dafür wären die Rollen der Geschlechter weitaus einfacher verteilt gewesen. Die Kerle waren die mit der Keule über der Schulter, die Frauen die ohne Bart, und wenn man eine Schrippe zwecks Lustgewinn und Fortpflanzung in seine Höhle schleifen wollte, knallte man ihr einfach die Keule über den Nüschel und entging damit dem ganzen nervtötenden Gelaber über Frauenemanzipation und daß Männer Frauen einfach nicht verstehen könnten. Ja, früher waren die Dinge noch unkompliziert gewesen. Früher war die Welt noch so gewesen, wie Gott sie eingerichtet hatte, bevor Alice Schwarzer geboren wurde und das Verhängnis seinen Lauf nahm…
Larry seufzte bei dieser geschichtsphilosophischen Erkenntnis. Er war wirklich in der falschen Zeit geboren worden. Während er so dastand und auf einer Woge des Selbstmitleids trieb, bemerkte er mit einemmal eine gar sonderbare Gestalt in Matrosenuniform, die sich, grimmig vor sich hin brummend, über das Promenadendeck schob. Die Matrosin mochte eine Frau sein. Doch eine Instanz in Larry sträubte sich gegen diesen Gedanken. Frauen waren gewöhnlich schöne, sinnliche Geschöpfe. Zu Frauen fühlte man sich hingezogen, wollte in ihrer Nähe sein. Diesem Weib hingegen wollte man nicht einmal aus der Entfernung begegnen, schon gar nicht, wenn es dunkel war. Sie war mittelgroß, korpulent, mit ausladenden Hüften, Armen wie Baumstämmen und einem Holzbein, das so konstruiert war, daß es sich mit diversen Werkzeugen aufrüsten ließ. Sie hatte einen Drei-Tage-Bart, eine dicke Warze auf der Wange, ein Kopftuch, eine Augenklappe und ein Gebiß, das dem Prinzip der Sparsamkeit in schweren Zeiten Tribut zollte, indem es mehr Lücken als Zähne aufwies. Ein Geruch nach Altöl, Fisch und ranzigem Schweiß ging von ihr aus, möglicherweise hatte ihr Deodorant versagt. Eine Kreatur wie diese hatte zuletzt unter den Händen eines gewissen Dr. Frankenstein das Licht der Welt erblickt. Dennoch hatte Larry das unbestimmte Gefühl, daß dieses Wesen ihm möglicherweise helfen konnte. Wenn sie hier als Matrosin arbeitete, wußte sie vielleicht, wo er den Schiffsjungen finden könnte. Deshalb überwand er seinen Abscheu, ging zu ihr hinüber und sagte ein bißchen unsicher: »Ähm, bitte, entschuldigen Sie, Miss. Darf ich Sie einen Moment stören?«
Die Matrosin blieb stehen und sagte: »Diese v*******e Salzluft verrostet mir noch den verf*****n Stecksockel für mein elendes Holzbein!« Offenbar war das ihre Art der Begrüßung. »Äh, ja, ich heiße Larry«, sagte er nervös. »Larry Laffer.« Er giggelte, wie immer, wenn er sich vorstellte. »Ich bin die Peggy«, sagte die Matrosin mit Reibeisenstimme. »Hab’ ich schon gesagt, daß diese verf*****e salzige Luft mir den s****ß Stecksockel für mein Sch…« »Ja ja«, sagte er hastig. »Schon gut. Danke sehr.« »Deswegen mußt du ja noch lange nicht so überheblich werden, du Sackg*****t!« brauste Peggy auf. »Äh, das war nicht meine Absicht«, sagte er beschwichtigend. Er spürte instinktiv, daß es besser war, ein solches Geschöpf nicht zu reizen, zumal das Holzbein mit Sicherheit auch zur Vorneverteidigung eingesetzt werden konnte. »Sie haben übrigens einen wunderschönen… Namen, Miss Peggy.« Sie funkelte ihn mit dem gesunden Auge an, das nicht von der Klappe verdeckt war. »Ach, findest du? Meine ver*****e Mutter hat mich Margaret genannt, du Sch****r!« Larry zog es seufzend vor, das Thema zu wechseln. »Liegt das nun an mir, oder fluchen Sie ziemlich viel?« »Fluchen?« Peggy warf sich entrüstet in die Brust (kein schöner Anblick). »Blödsinn! du A*****loch! Das ist meine Grundstuhlbildung.« Larry runzelte die Stirn. »Meinen Sie nicht vielleicht Grundschulbildung?« »Nein, du Wi****r!« widersprach Peggy heftig. »Ich meine, ich hab’ soviel Scheiße in mir, die kommst schon zum Mund raus.
Haha.« Sie lachte schallend. Es klang, als würde ein Set alter Kochtöpfe in der Schrottpresse recycelt werden. Larry schluckte, verkniff sich einen Kommentar und erkundigte sich teilnahmsvoll danach, wie sie ihr Bein verloren hatte, auch wenn er von vornherein wußte, daß das ein Fehler war. Ein böser Fehler. Und er hatte recht. »Ich hab’ mein besch*******s Bein bei einem verf*****n Unfall verloren«, erklärte sie, so laut, daß das halbe Promenadendeck an ihrer bewegenden Leidensgeschichte teilhaben mußte. »So war das. Eines Tages mischte ich versehentlich SO-Gel mit Deospray zusammen, und das gab eine mörderische Kontaktexplosion!« Er runzelte die Stirn. »Sexualgleitcreme? Deospray? Und dabei haben Sie Ihr Bein verloren?« »Na, sagen wir mal so, ich hab’s mir nicht gerade in meine verd*****n Achselhöhlen gesprüht«, pöbelte sie los. »Okay, du verf*****s Ar******h?« »O-Okay«, sagte er hastig. »Keine weiteren Details, bitte!« Gnädigerweise kam Peggy seinem Gesuch nach und begnügte sich statt dessen damit, ihren linken Zeigefinger so tief in das rechte Nasenloch zu bohren, daß Larry befürchtete, es würde jeden Moment aus dem Ohr wieder auftauchen. Um Schlimmeres zu verhindern, erkundigte er sich danach, ob sie ihm womöglich irgendwie bei Thyghs Liebhaberpreis helfen könne – und beging den nächsten schweren Fehler. »Dir helfen?« brüllte sie lauthals. »Zur Hölle, nein! Jungs wie du sabbern doch andauernd diesen ver******n LiebesMeister 2000™ voll! Und jetzt rat mal, wer die Schw******i wegwischen
darf? Ja ja, die gute olle Peggy, die macht das! Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich schon mit meinem versch******n Holzbein in diesem s****ß Abfluß hängengeblieben bin!« Larry schaute sich peinlich berührt um, ob irgendwer, den er kannte oder kennenlernen wollte, beobachtete, wie er sich mit diesem fragwürdigen Individuum unterhielt. Da niemand aus dieser Kategorie zu sehen war, sagte er: »Ähm, eine Frage, Miss Peggy. Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich hier an Bord den Schiffsjungen finde?« »Du dämlicher Schw******d!« brummte sie. »Weißt du denn nicht, daß du diesen gottverf*****n Ba****d nie findest, wenn du ihn brauchst? Shit! Ich suche jede Nacht nach diesem Hundes**n, kurz vorm Schlafengehen. Und? Finde ich ihn vielleicht? Nein, verd****t!« Sie schickte einen farbenfrohen Fluch hinterher, der noch weniger druckreif als der Rest ihrer Aussprüche war, selbst wenn das schwerlich möglich schien. Larry widerstand dem Drang, sich vorzustellen, was Miss Peggy wohl kurz vor dem Zubettgehen von dem Schiffsjungen wollte, und sagte langsam: »Ich schätze, meine Wünsche sind einfacher als Ihre. Ich möchte ihn bloß was fragen.« Nämlich, wo dieser Idiot den Koffer von Drew Barringmore versteckt hat… »Nun«, sagte sie ruhiger. »Da ist dieser ver*****e Xqwzts. Der drückt sich immer im Pausenraum der Angestellten beim Casino unten rum. Warum versuchst du’s da nich’ mal?« Larry nickte. »Danke für den Tip! Können Sir mir sonst noch irgendwas über diesen Xquatsch erzählen?« »Billiger ausländischer Ba****d«, berichtete sie. »Alles, was er und seinesgleichen wollen, ist, uns Amerikanern die guten Arbeitsplätze wegnehmen!«
»Gibt es möglicherweise irgendwas, das Xqwzts braucht? Etwas, womit ich ihm einen Gefallen tun könnte?« »Aaaarggh!« Peggy zischte wütend. »Ich hab’ keine Ahnung, ob er was braucht, aber ich weiß genau, was er will. Und das ist bestimmt kein Schäferstündchen auf meiner M****i!« »Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte Larry voll Mitgefühl für den armen Schiffsjungen. Der Gedanke, was dieses Monster mit einem Mann anstellen mochte, wenn er ihr in ihrer Kabine hilflos, auf Gedeih und – mehr noch – Verderb ausgeliefert war, ging ihm gewaltig an die Nieren. Er mochte manchmal ein harter, abgebrühter, gefühlskalter Schweinehund sein, aber das war einfach zuviel. Peggy starrte ihn an. »Häh?« »Ohm, ähm, ich fragte gerade, was das wohl ist, das Xqwzts haben will«, sagte er hastig. »Nichts weiter.« »Du einfältiges Stück Sch***e!« fluchte sie. »Hat deine Mutter vielleicht auch Kinder mit Verstand auf die Welt gebracht? Er will unbedingt einwandern, okay? Aber er hat keine verdammte Chance, weil er keinen verdammten Paß hat!« »Einen Paß, wie?« Larry legte den Kopf schief. »Na ja, so was sollte sich hier doch auftreiben lassen.« »Du bist schon ein besonders blödes Stück Walddung, was? Weißt du nicht mehr, was mit den ganzen Pässen passiert ist, als ihr elenden Ar********r an Bord gekommen seid? Natürlich nicht, Wi*****r. Wahrscheinlich warst du gerade damit beschäftigt, den feschen Offizieren hinterherzuhecheln…« Larry wurde bewußt, daß sie recht hatte – nicht unbedingt, was seine Mutter anging (obgleich diese Sache gründlich überdacht werden wollte), sondern darüber, was mit den Pässen
passiert war. Alle Passagiere, darunter auch Larry, hatten ihre Papiere beim Einchecken beim Steward hinterlegen müssen. Warum, wußte er nicht, aber es sollte wohl kein Problem sein, sich seinen Paß zurückzuholen. Doch erst einmal war es sicher ratsam, sich mit diesem Xschlaff zu unterhalten, um zu sehen, ob sich die Mühe, sich einem Gespräch mit Peter, dem Purser, auszusetzen, auch irgendwie rentieren würde. Also verabschiedete Larry sich von der Matrosin, die ihm einen üblen Fluch mit auf den Weg gab, der selbst einem taubstummen Afroamerikaner die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Er machte sich umgehend auf zum Pausenraum der Angestellten, um diesen Xwichs zu suchen. Xwurst hatte den Pausenraum jenseits des »Pair-o-dice« allem Anschein nach als Privatrefugium annektiert – oder waren die Designer, die die Einrichtung des Schiffes entworfen hatten, diesmal noch mehr entgleist als bei zahlreichen anderen Räumlichkeiten an Bord? Man kam sich vor wie in einem afrikanischtibetanischen Bergtempel, wenn die Ähnlichkeit mit einem hoffnungslos überfüllten Trödelladen auch nicht von der Hand zu weisen war. Überall standen quasikulturelle Artefakte herum, wie Miniaturstatuen der riesigen Steinköpfe von den Osterinseln und eine Hookah; dergleichen hatte Larry zum letzten Mal bestaunt, als er damals mit den Beatles nach Indien zu den Maharishi gegangen war. An den Wänden hingen Teppiche und ein seltsam geformter Schild, der dem Etikett nach zu urteilen die Reliquie eines nahezu unbekannten afrikanisches Stammes war, auch wenn man eher den Eindruck hatte, es sei von einem industriellen taiwanesischen Stamm in Schichtarbeit gefertigt worden.
Chinalaternen baumelten von der Decke, die die Lebenseinstellung von Xqwzts widerspiegelten: Wenn man nur lange genug rumhängt, bekommt man irgendwann vielleicht die Erleuchtung. Der Geruch von Räucherstäbchen und Maschinenöl dräute in der Luft, was einigermaßen sonderbar war, weil sich direkt über dem Kopf des Schiffsjungen – der eigentlich mehr ein Schiffsmann war – ein großer Lüftungsschacht in der Wand befand. Xqwzts selbst saß im Schneidersitz auf einem Nagelbrett und übte sich in transzendentaler Meditation – oder machte er nur ein Nickerchen? Er war ein kleiner, brauner Kerl mit dicken Lippen und Ziegenbart unter einem Wust dunkler Locken, die unter einer knappen roten Kappe hervorlugten. Er trug ein grünes T-Shirt, einen roten Blazer und eine original bayerische Lederhose zu seinen nackten Füßen mit den großen Zehen. Es war unmöglich festzustellen, welcher Rasse, Nation oder Hautfarbe er sich zugehörig fühlte. Als er Larry näher kommen sah, bequemte er sich, aus den Tiefen seines Verstandes aufzutauchen, grinste ihn an und sagte in holperigem Englisch: »Ah, Grüße sein dir, Fremder! Was dich führen in meine Gemach? Du sein hier für schweinische Bilder?« »Hm? Oh. Äh. Entschuldigung«, sagte Larry, der völlig verwirrt war. Etwas, das wie eine Bohne aussah und zwischen zwei phallusartigen Wachskerzen in einem Gurkenglas schwamm, zog so sehr Larrys Blick an, daß er kaum mitbekam, was Xqwzts verbal absonderte. »Ich heiße Larry«, stellte er sich endlich doch noch vor. »Larry Laffer.« »Ah so, ja!« lachte Xqwzts. »Du sein große Null!«
Er runzelte die Stirn. »Große Null?« Im ersten Moment glaubte er, der Bursche wolle ihn beleidigen, doch dann redete er sich ein, zu wissen, wovon Xqwzts sprach. »Ach ja. Das ist meine Kabinennummer.« »Egal«, sagte Xwqzts. »Du hier wegen schweinische Bilder?« »Ähm, nein«, sagte Larry unsicher. »Eigentlich nicht.« »Wie du meinen.« Er verlagerte auf dem Nagelbrett ein wenig das Gewicht, damit sein Hintern ja gleichmäßig gepierct wurde. »Du nur sagen, was du wollen, und geht klar.« Larry gluckste. »Eh, danke. Ich werd’s mir merken… Weswegen ich hier bin… Du bist doch der Schiffsjunge, oder nicht?« »Ja«, sagte Xqwzts gedehnt, um eine Sekunde später den Kopf zu schütteln. »Nein. Vielleicht. Weiß nicht.« Larry brummte. »Hm. Du scheinst dir deiner Sache nicht gerade sicher zu sein.« Xqwzts schnalzte mit der Zunge. »Na ja, seit ich gesehen, wie Leben an Bord, ich viel lieber Kreuzfahrt als Arbeit.« Larry nickte. »Verstehe. Wie wär’s, wenn du trotzdem mal meine Kabine putzen würdest? Da sieht’s nämlich aus…« Er zog eine demonstrative Grimasse, als hätte er unter seiner Schuhsohle etwas wirklich Widerwärtiges entdeckt. »Könnt’ ich machen«, sagte Xqwzts. Dann: »Ach, lieber nicht.« »Aber warum denn nicht?« hakte Larry nach. »Wenn du doch der Schiffsjunge bist?« »Eigentlich du mich von jetzt an nennen Verantwortlicher für Ausstattung und Wartung«, widersprach er. »Keine Drecksarbeit mehr für mich.« Larry runzelte die Stirn. »Und warum nicht?«
Xqwzts grinste. »Na, wer kann schon rumkommandieren jemand mit solche Bilder?« Damit griff er in die Tasche, holte ein großes Leporello hervor und ließ es lässig ausklappen. Es war voller Farbfotos, die gewisse Herrschaften in gewissen Situationen zeigten, über die ihre Frauen gewiß nicht sonderlich erfreut sein würden. »He!« rief Larry aufgeregt. »Du meinst Erpressung!« »Oh, neineineineinein!« widersprach Xqwzts heftig. »Du müssen sofort Mund auswaschen mit Seife! Nein, jeder kaufen Bilder für persönliche Album! Souvenir von Reise! Gute Fotos, weil guter Film. Gute Kamera. Gute Winkel. Hasselblatt, mittleres Format. Neunzig-Millimeter-Linse. Klasse Qualität. Kann man vergrößern. Toll für über Sofa. Und noch besser, für über Bett…« Er grinste anzüglich. Larry, normalerweise beileibe kein Vertreter der zimperlichen Sorte, zog es vor, das Thema zu wechseln. »Ähm, Miss Piggy hat mir gesagt, du würdest dich fürs Reisen interessieren«, sagte er bedächtig. »Stimmt das?« »O ja!« Xqwzts nickte. »Ich liebe Reisen! Aber jetzt ich wollen seßhaft werden.« Scheinheilig: »Ach, wirklich? Wo denn?« »Wo? Vereinigte Staaten, natürlich! Ich lieben Vororte von San Francisco! Ich wollen großes Volvo, Haus mit Efeu und große Satellitenschüssel für Empfang von zweihundert Programme! Aber muß Paß sehen, damit kann machen Kopie zum Einreisen.« Er sah Larry forschend an. »Wo deiner?« »Och, irgendwo«, erwiderte er ausweichend. »Aber wenn ich ihn dir gebe, würdest du mir dann einen Gefallen tun?«
»Dann ich dir tun jeden Gefallen«, sagte Xqwzts und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Auch zwei- oder dreimal, wenn meinen, daß du wollen.« Larry verschluckte sich und hustete. »Äh, gut zu wissen…« »Also, was jetzt sein mit Schweinbilder?« brachte Xqwzts sein Lieblingsthema wieder auf. »Wir haben noch. Du wollen welche, Mr. Lafferhose?« »Wer ist denn drauf auf diesen Bildern?« erkundigte er sich, nicht uninteressiert, nachdem er eben die Kostprobe gesehen hatte. »Leute vom Schiff?« Oder womöglich… Käpt’n Thygh? »Oh, du aber mächtig clever!« lobte der Verantwortliche für Ausstattung und Wartung. »Du wollen also kaufen schweinische Bilder?« »Äh, nein«, winkte er ab. So was kam bei Frauen immer gut an, auch wenn gerade keine in der Nähe war. »Ich interessiere mich nicht für Pornographie.« Er schaffte es, so zu klingen, als sei das eine ansteckende Krankheit. »Ich bin Künstler!« »O ja, Künstler«, nickte Xqwzts. »Ich auch Künstler! Und das hier sein sehr ungewöhnliche Kunstwerke…« Er wedelte mit dem Leporello voller Schweinskram vor Larrys Nase herum. Er kratzte sich am Kinn. »Ach, wirklich?« »Ja!« versicherte Xqwzts. »Das seien ganz besondere Fotos! Das seien Fotos von – dir!« »Was?« Im ersten Moment glaubte Larry, sich verhört zu haben, aber dann präsentierte Xqwzts ihm eine Reihe von Bildern, auf denen er sich selbst erkannte, ohne viel an und schwitzend, aber nicht, weil es so heiß war. Die Möpse waren ebenfalls mit
von der Partie, alle sechs. »He!« rief er. »Woher hast du denn solche Fotos von mir?« »Och, das kein Problem.« Xqwzts winkte ab. »Schneller Film. Sehr schneller Film. Auch gut im Dunkeln.« Larry zog eine Grimasse und versuchte sich vorzustellen, was seine Mutter dazu sagen würde, wenn sie solche Bilder von ihm zu Gesicht bekam. Obwohl, bei näherer Betrachtung ließ er es doch besser bleiben. »Äh, nun, ich schätze, ich sollte wohl ein paar Bilder von mir kaufen«, sagte er verlegen. »Nimmst du Kreditkarten?« »Aber sicher das!« Xqwzts nickte und zählte an den Fingern die Karten ab, die er akzeptierte. »American Express, MasterCard, Visa, Harper, Cash International…« Seufzend zog Larry seine La Costa Lotta Card aus der Tasche und reichte sie Xqwzts, der damit den Akku fütterte, der neben ihm stand, und dabei fröhlich vor sich hin summte. Eine halbe Minute später erhielt Larry seine Karte zusammen mit einem Set Bilder von sich und den Möpsen live in Konzert zurück und war um sage und schreibe fünfhundert Dollar ärmer. So viel Moos für so wenige schweinische Bildchen war selbst für ihn eine schmerzhafte Erfahrung. Doch was sollte er machen? Wenn seine Mama von der Sache erfuhr, konnte er sich einsargen lassen. Obwohl: War seine Mutter eigentlich nicht schon seit Jahren Blumenerde? Ohne auf die Frage nach den sogenannten letzten Dingen auf die Schnelle eine befriedigende Antwort zu finden, steckte Larry Fotos und Kreditkarte ein und gelangte zu dem Schluß, daß es für den Augenblick erst einmal genug mit multikulturellem Gedankenaustausch war.
»So, ich muß dann mal wieder«, sagte er. »Tschüß, Xqwzts.« »Na, tschüß«, erwiderte Xqwzts liebenswürdig, wozu er freilich auch allen Grund besaß, bedachte man, daß er Larry soeben satte fünfhundert Bugs abgenommen hatte… Larry versuchte, den Gedanken an das Geld zu verdrängen, das Xqwzts sich unter den Nagel gerissen hatte, und konzentrierte sich auf wesentlichere Dinge, wie zum Beispiel darauf, wo er die nächsten fünfhundert Dollar für die Miete herbekommen sollte und warum er Xqwzts eigentlich keinen Schuldschein gegeben hatte. Oder einen Scheck. Oder sonst etwas, das man platzen lassen konnte, ohne dabei am Ende selbst der Angeschmierte zu sein. Allerdings war es möglich, daß sich die Investition noch auszahlen würde, wenn es ihm tatsächlich gelingen würde, über Xqwzts an Drews Koffer zu gelangen. Was ihm dann bevorstand, war nicht mit Geld zu bezahlen… Larry ging hinüber ins Atrium und zum Schalter des Pursers. Dort hatte er seinen Paß beim Einchecken abgegeben, und dort würde er ihn auch wiederbekommen, selbst wenn das bedeutete, sich einmal mehr mit Peter auseinandersetzen zu müssen. »Hallo«, sagte er, bewußt freundlich. »Ich brauche meinen Paß, bitte. Ich bin Larry. Larry Laffer. Vielleicht erinnern Sie sich an mich?« »Nein«, sagte Peter. »Unmöglich. Absolut unmöglich. Nichts da. Nicht erlaubt.« Larry runzelte verwirrt die Stirn. »Wie? Was?« »Nein, ich erinnere mich nicht an Sie«, sagte der Steward in abfälligem Ton. »Und es ist absolut unmöglich, daß Sie Ihren Paß bekommen, weil das nicht erlaubt ist.«
»Was meinen Sie mit nicht erlaubt? Warum können Sie mir meinen Paß nicht geben? Verdammt, es ist mein Paß!« brauste Larry ungehalten auf. »Es ist mein gutes Recht, meinen Paß jederzeit zurückzubekommen!« Peter hob abwehrend die Hände. Tränen schossen ihm in die Augen. »Oh, Sie sind ja aber ein harter Bursche!« jammerte er weinerlich. »Bitte, bitte, nicht schlagen!« Dann seufzte er. »In Ordnung. Was soll’s? Sie können Ihren Paß wiederhaben. Sie brauchen mir bloß Ihren Ausweis zu zeigen.« »Aber mein Paß ist mein Ausweis!« »Nun, ich brauche von Ihnen irgendeine Form der fotografischen Identifizierung«, sagte der Chefsteward ungerührt. »Sonst gibt es keinen Paß. So sind meine Vorschriften.« Larrys Augen verengten sich zu Schlitzen. »Das legen Sie sich so zurecht, wie es Ihnen gerade paßt, was?« sagte er scharf. »Tut mir leid«, erwiderte der Purser mitleidlos. »Kein Ausweis mit Foto, kein Paß.« Larry grollte. Irgendwie schaffte es der Knilch immer wieder, ihn innerhalb von weniger als einer Minute zur Weißglut zu treiben. Mühsam riß er sich zusammen und sagte langsam: »Ich hoffe, ich kriege das jetzt richtig zusammen… Um meinen Paß samt Foto zu bekommen, muß ich Ihnen einen Ausweis mit Paßfoto zeigen. Korrekt?« »Ach, kommen Sie mir doch bloß nicht mit Details!« winkte der Purser genervt ab. »Das interessiert doch niemanden!« Larry fletschte fauchend die Zähne. Dann drängte er die Bestie in sich mühsam zurück, die danach verlangte, diesem Idioten an die Gurgel zu springen, und ärgerte sich gleichzeitig darüber, daß seine animalische Seite niemals dann durchbrach,
wenn er es wollte. Krampfhaft riß er sich zusammen und preßte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Gibt es hier an Bord irgendwo die Möglichkeit, einen Ausweis mit Paßfoto herstellen zu lassen?« »Ja, sicher«, sagte Peter spöttisch. »Ich werde Ihnen auch noch dabei helfen, den Paß des armen Mr. Laffer zu stehlen!« »Aber ich bin Mr. Laffer!« jammerte er. Der Chefsteward machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das muß erst noch bewiesen werden, Sie alter Knacker!« Sämtliche Willenskraft, die Larry aufbringen konnte, war nötig, um ihn nicht hier und jetzt und auf der Stelle zum Meuchelmörder werden zu lassen. Seine Hände öffneten und schlossen sich krampfhaft. In seinen Augen glomm pure Blutgier. Im Geiste sah er sich, wie er sich vorbeugte, dem Steward Zeige- und Mittelfinger von unten in die Nasenlöcher stieß und ihn an seinem eigenen Riechkolben über den Tresen zog, um ihm danach mit der Konzentration und Langsamkeit des wahren Genießers nacheinander alle Finger zu brechen. Benommen versuchte er, an weniger verhängnisvolle Dinge wie FrauenRugby, pasteurisierte Milch oder Corn Flakes mit Wirsinggeschmack zu denken, und schaffte es irgendwie, das Atrium zu verlassen, ohne eine Fahrkarte nach Sing-Sing einzulösen. Fünfzehn Minuten später hatte Larry sich wieder so weit unter Kontrolle, daß er nicht mehr versuchte, mit bloßen Händen die Reling des Oberdecks zu erwürgen. Seufzend strich er sich das karge Haar aus der Stirn, während der Ansager per Lautsprecher verkündete, daß Woody soeben die SelbststimulationsSimulation gewann, die Teil des TLP-Wettbewerbs war. Beim
Oben-Ohne-Seilhüpfen der Frauen hatte Becky nach Punkten den Sieg davongetragen. Larry beobachtete eine gutgebaute junge Blondine in einem knappen Bikini mit dem Muster der Stars and Stripes, die ihren wohlgeformten Körper auf dem Sonnendeck freiwillig den anzüglichen Blicken der Männer aussetzte. Er wandte den Blick ab und fragte sich, wie zum Teufel er an seinen Paß kommen sollte. Peter, der Purser, bestand darauf, daß er sich irgendwie auswies, aber wie sollte er das, wenn sein Ausweis unerreichbar in einem Schließfach hinter der Rezeption lag? Larry seufzte. Verdammt, warum mußte nur alles immer so kompliziert sein? Er griff in seine Tasche, holte die Fotos hervor, die er von Xqwzts gekauft hatte und ihn tatsächlich ein paarmal von seiner besten Seite (von hinten) zeigten. Plötzlich hatte er eine Idee. Der Steward verlangte eine »fotografische Identifizierung«, damit er sehen konnte, daß er der war, für den er sich ausgab, was natürlich vollkommen schwachsinnig war, denn wer hätte er schließlich sonst sein sollen, wenn nicht er selbst? Also war alles, was Larry tun mußte, um seinen Paß zu bekommen, sich fotografisch identifizieren zu lassen. Auf einem der Fotos von Xqwzts war deutlich sein Gesicht zu sehen. Wenn er die untere Hälfte wegschnitt – den Teil, der wirklich interessant war – und auf seine Keycard klebte, die wie eine Ausweiskarte aussah und mit allen möglichen Daten zu seiner Persona non grata versehen war, konnte es womöglich klappen, den Steward an der Nase herumzuführen.
Doch dafür brauchte er ein paar Kleinigkeiten, wie Gummikleber und eine Schere, die er aber mit Sicherheit im Bordsupermarkt kaufen konnte. Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg in den Markt, suchte die Dinge zusammen, die er brauchte, und ging damit zur Kasse. Die Kassiererin – auf ihrem Schildchen stand CLOVIS – musterte erst den Gummikleber, dann Larry, dann wieder den Gummikleber mit einem Blick, in dem sich Abscheu und Neugierde die Waage hielten, und sagte: »Na, wieder für Ihren Kumpel?« Larry schüttelte den Kopf. »Nein. Für mich.« »Sie sind wohl auch einer von diesen dreckigen kleinen Perversen, was?« erkundigte sich Clovis abfällig. »Die mit allem rumspielen, was sie in die Grabbelfinger kriegen, ob es nun Sexualgleitcreme, Gummikleber oder Fliegenfänger sind.« Die anderen Kunden sahen Larry stirnrunzelnd an. Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ähm, ich fürchte, hier liegt ein Mißverständnis vor«, sagte er kleinlaut. »Ich hatte ehrlich nicht vor, die Klebe…« Die Kassiererin winkte gleichgültig ab. »Ja, schon gut. Sparen Sie sich das für jemanden, der sich die Hosen mit der Kneifzange zumacht! Ich weiß genau, was Sie für einer sind! Jawohl! Perverse Subjekte wie Sie rieche ich tausend Meter gegen den Wind! O nein, mir können Sie nichts vormachen!« Sie wackelte mit dem Kopf. »Nein«, sagte Larry müde. »So ist das gar nicht. Ich…« »Oh, halten Sie bloß die Klappe!« fuhr ihn die Kassiererin an. Ihre Augen glommen unheilvoll. »Geben Sie mir dreißig Dollar,
und sehen Sie zu, daß Sie mit Ihrem Spielzeug verduften, Sie Wüstling, bevor ich wirklich ausfallend werde!« Er zückte grummelnd seine Brieftasche, drückte Clovis dreißig Dollar in die Hand und verließ den Supermarkt schnell und mit gesenkten Schultern. Die anderen Kunden sahen ihm, mitleidig die Köpfe schüttelnd, nach. Erst als er unten in seiner Kabine war, fiel Larry auf, daß der Gummikleber und die Schere zusammen nur knapp vier Dollar gekostet hatten… Das Zusammenbasteln des Ausweises war so einfach, daß Larry sich unwillkürlich fragte, warum es überhaupt so etwas wie amtliche Erkennungspapiere gab, wenn sie sowieso jeder nach Belieben herstellen konnte. Er schnitt die untere Hälfte des Bildes ab, bestrich die Rückseite des Fotos mit Gummikleber, so daß das Bild nicht mehr nur schmutzig, sondern auch klebrig war, und pappte es neben die Angaben zu seiner Person auf die Schlüsselkarte. In knappen fünf Minuten hatte er den ersten pornographischen Ausweis der Welt produziert. Irgendwie war es schon immer Larrys Art gewesen, Nova zu schaffen. (Oder doch eher Noven? Novenen? Novizen?) Jedenfalls fuhr er kurz darauf mit dem Ausweis zur Rezeption hoch, wo Purser Peter rege interessiert in einem Magazin mit Herrendessous blätterte. »Entschuldigen Sie«, sagte Larry überfreundlich, obwohl ihm allein beim bloßen Anblick des Stewards die Galle bereits wieder zu kochen begann. »Ich hätte gern meinen Paß, bitte.« Peter schaute von seinem Magazin auf. »Wozu? Den brauchen Sie hier an Bord nicht.«
»Sehen Sie, hier ist mein Ausweis!« sagte Larry heftig und wedelte ihm mit seiner beklebten Schlüsselkarte so hastig vor dem Gesicht herum, daß man zwar nicht viel erkennen konnte, aber dennoch den Eindruck hatte, etwas Amtliches vor sich zu haben. »Das ist doch das, was Sie haben wollten, oder? Und jetzt packen Sie sich, Sie perplexer Paranoiker, und bringen Sie mir meinen Paß! Pronto!« »Jawohl, der Herr!« Der Steward nickte unterwürfig und schlich davon. Als er eine halbe Minute später zurückkam, hatte er Larrys Paß dabei. Er schob ihm das Dokument über den Tresen zu. »Bitte schön, Ihr Paß. Aber verlieren Sie ihn nicht. Hier auf dem Schiff lungern genügend finstere Gestalten rum, die bloß darauf warten, arglosen und unvorbereiteten Gästen solch fette Beute aus der Tasche zu ziehen.« Larry steckte seinen Paß ein. »Das bezweifle ich«, entgegnete er liebenswürdig. »Sie sind ganz einfach paranoid.« Der Steward rümpfte die Nase. »Oh, vielen Dank, der Herr. Wir hochrangigen Offiziere können ja gar nicht genug bekommen von solchen Beleidigungen durch dieses elende Passagiergeschmeiß!« »Na, sehen Sie«, sagte Larry, freundlich lächelnd. »Dann hatte die Sache ja am Ende doch noch was Gutes…« Ohne den Kommentar des Stewards abzuwarten, drehte er sich um und marschierte geradewegs hinüber zu den Aufzügen. Er fuhr nach unten und betrat kurz darauf erneut den Pausenraum der Angestellten. Xqwzts hockte noch immer auf seinem Nagelbrett und meditierte. »Heda, Xqwzts!« begrüßte Larry ihn fröhlich.
»Du schon wieder«, erwiderte Xqwzts. »Mr. Laffermann. Was du wollen? Noch mehr schweinische Bilder?« Larry schüttelte den Kopf. »Danke. Im Augenblick nicht… Hör mal, Xqwzts, ich weiß, wie gern du reisen möchtest. Ich bin selbst ein bißchen ein Weltreisender. Ich habe sogar meinen Paß dabei…« Xqwzts horchte auf. »Wie, du haben Paß?« sagte er aufgeregt. »Ich nie gesehen amerikanischen Paß! Du mir zeigen Paß! Laß mich sehen Paß!« Larry reichte ihm seinen Paß. »Ah, danke!« Xqwzts nahm den Paß entgegen und betrachtete ihn fasziniert. Plötzlich nahm er seine Kappe ab und zog einen Schlüssel daraus hervor, den er an einen Nagel an der Wand hängte, bevor mit einemmal dichter schwarzer Qualm um ihn herum aufwallte und ihn innerhalb von Sekunden vollständig einhüllte. Alles, was er noch von Xqwzts wahrnahm, war seine Stimme. »Tschüß denn, Mr. Lafferhose!« rief er und ließ ein fröhliches Lachen folgen. Seine Worte verklangen im Nebel. Larry wedelte hustend den Qualm beiseite, doch von Xqwzts war nichts mehr zu sehen. Er war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Und er hatte Larrys Paß mitgehen lassen. Laffer fluchte. »Verdammt! Wo ist er bloß hin?« Xqwzts blieb ihm eine Antwort auf diese Frage schuldig, ebenso wie den versprochenen Gefallen. Jedoch schien es sich bei dem Schlüssel, den er freundlicherweise zurückgelassen hatte, um eine Art Hausmeister- oder Generalschlüssel zu handeln. Also nahm er den Schlüssel achselzuckend an sich und
wollte den kulturellen Gemischtwarenladen gerade wieder verlassen, als auf einmal ein verhaltenes Stöhnen an sein Ohr drang, gefolgt von einem wollüstigen Jauchzen, dem sich Laute anschlossen, die geradewegs einem Dokumentarfilm über das Paarungsverhalten von Krustenechsen zu entstammen schienen. Verwirrt sah Larry sich um. Es hatte den Anschein, als würden die sinnlichen Geräusche aus dem Lüftungsschacht kommen, der sich in anderthalb Meter Höhe in der Wand befand. Anscheinend wurde in einem anderen Teil des Schiffes in ebendiesem Augenblick so was wie eine Orgie gefeiert, und als er die Karte der P. M. S. Bouncy hervorholte und mit der Richtung verglich, in die der Schacht führte, fand er auch heraus, wo: in dem Raum, der hinter der verschlossenen Tür lag, die er am Morgen im Speisesaal entdeckt hatte. Ein lüsternes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Offensichtlich war heute sein Glückstag! Er überlegte nicht lange, was er tun sollte. Kurz entschlossen zog Larry sich einen Stuhl heran, um an den Lüftungsschacht zu gelangen, klappte das Gitter quietschend hoch und zwängte sich mit dem Kopf voran in die schmale Metallröhre.
11. Die Frau in Schwarz Keuchend und schwitzend kroch Larry durch den Lüftungsschacht. Er kam sich dabei ein wenig wie Bruce Willis vor, auch wenn er kein geripptes, blutverschmiertes Unterhemd trug. Zu allen Seiten war nur kaltes Blech, und mit jedem Meter, den er sich weiter in den schmalen Schacht vorarbeitete, wurde es dunkler und dunkler. Proportional dazu wurde das Stöhnen und Wimmern und Juchzen vor ihm immer lauter, so daß Larry sich tapfer weiter durch die Röhre quetschte und sich auch von einer fetten Ratte mit Holzbein nicht abschrecken ließ, die vor ihm aufgeregt quiekend das Weite suchte. Schließlich erreichte er das Ende des Schachts. Daß es tatsächlich das Ende war, zeigte sich daran, daß Larry in der Dunkelheit plötzlich ins Leere griff, um mit einem heiseren Keuchen anderthalb Meter tief zu stürzen. Keuchend rappelte er sich auf und strich sich den Anzug glatt, auch wenn es in der Finsternis sowieso niemand sah, obgleich sich mindestens ein Dutzend Personen in dem Raum aufhielten. Sie waren einfach nicht zu überhören. Ihr lustvolles Schmatzen und Stöhnen und Wimmern war so durchdringend, daß Larry spätestens jetzt klar wurde, daß es lohnendere Ziele gab, als Sex mit einer Frau zu haben. Sex mit mehreren Frauen beispielsweise! Oh, klasse! dachte er aufgeregt. Eine Orgie! »He!« rief er begeistert. »Ich will mitmachen!«
»Dann mal los, Kumpel«, ließ sich eine tiefe Männerstimme in der Dunkelheit vernehmen. »Es ist genug für alle da!« Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Innerhalb von Sekunden hatte Larry sich seines Anzugs entledigt und stürzte sich ins Vergnügen. Mit suchend ausgestreckten Händen tastete er sich vor, blind wie ein Maulwurf, und bekam schließlich etwas Weiches, Nachgiebiges zu fassen. Automatisch drückte er ein wenig zu. Er konnte nicht sehen, was es war, das er da in den Fingern hatte, aber es fühlte sich verdammt super an. Und es roch auch gut. Nach Sahne und Kirschen. Gierig streckte er die Zunge raus und leckte daran. »Mehr!« wimmerte eine Frau heiser. »Ich will mehr!« »Okay, Mädels«, sagte Larry grinsend, den Mund beschmiert mit süßer Sahne, und breitete die Arme aus. »Welche von euch will mich zuerst? Aber kommt nicht alle auf einmal, he he!« Er ließ ein anzügliches Lachen hören. »Was zum Teufel redest du da?« sagte ein Mann verwirrt. »He, mach doch mal einer das Licht an!« »Moment…« Eine Sekunde später flammte die Deckenbeleuchtung auf. Mit einemmal war der Raum in gleißende Helligkeit getaucht. Ein entsetztes Raunen ging durch die Reihen. Larry stand nackt, die Arme noch immer ausgebreitet wie ein Exhibitionist ohne Mantel, auf einem Tisch, umgeben von seinen Klamotten und allen möglichen Torten, Törtchen und Gebäckstücken. Einen Moment grinste er noch wie ein Honigkuchenpferd, doch dann gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit, und schneller, als der Papst sich auf die Knie schmeißen
und den Boden küssen konnte, hielt er die Hände vor seinen Larry. Um ihn herum standen Männer und Frauen in feiner Garderobe, Teller in den Händen, auf denen sich die Leckereien stapelten, und starrten ihn fassungslos an. Auch die Spitzenpuppe in dem schwarzen Kleid, die er gesehen hatte, als er gestern morgen an Bord gekommen war, war anwesend, zusammen mit diesem alten Kerl im Rollstuhl. Zuerst glaubte Larry, nur noch der Freitod könne ihn vor der grenzenlosen Schmach bewahren, sich den Leuten in all seiner bescheidenen Pracht gezeigt zu haben. Doch dann fiel sein tränender Blick auf ein Transparent, das über dem Tisch quer durch den Raum verlief. In großen schwarzen Lettern stand darauf zu lesen: BLIND-NACHTISCH-GESCHMACKSTEST. »Nachtisch-Geschmackstest für Blinde?« murmelte er und atmete erleichtert auf. »Puh, das war knapp!« Grinsend deutete er auf das Transparent und sagte: »Ist doch schön, wenn man weiß, daß auch die Sehbehinderten sich eine schöne Zeit machen…« Das nächste, was man von Larry sah, war ein formschöner Segelflug aus der Tür des Raumes, mitten hinein in einen Besteckwagen, der auf dem Gang zwischen den Tischen stand. Keuchend, umgeben von einem Meer aus Gabeln, Messern und Löffeln, hockte er auf dem Fußboden und fragte sich, ob er womöglich irgendwas Falsches gesagt hatte… Als Larry nackt, weil man ihm seinen Anzug ärgerlicherweise nicht hinterhergeworfen hatte, Minuten später seine Kabine betrat und seufzend die Treppe hinunterging, wurde er bereits
von jemandem erwartet. Die Frau in dem schwarzen Kleid, die eben noch in dem Dessertraum gewesen war, saß auf seinem Bett und stand auf, als er näher kam, beide Hände schamhaft über der Stelle verschränkt, für die sich sowieso keiner interessierte, es sei denn vielleicht der Besitzer einer Kuriositätenshow. Was Larry gestern beim Anblick ihres hüpfenden Hinterteils bereits vermutet hatte, wurde jetzt zur Gewißheit. Die Puppe war tatsächlich eine Pracht. Lange, schwarze Haare. Blaue Augen. Rote Lippen. Irgendwie aristokratische Gesichtszüge. Große, goldene Ohrringe in Form von Dollarzeichen, teurer als ein polnischer Sportwagen. Und Kurven, gegen die selbst Picassos irrsinnige Kritzeleien wie gerade Striche wirkten. »Hallo, Larry«, sagte sie, lächelte verführerisch. »Du heißt doch Larry, oder?« Er nickte, schluckte. »Schön, daß du da bist! Und auch schon dem Anlaß entsprechend gekleidet…« Larry blieb unsicher am Fuß der Treppe stehen. Er hatte keine Ahnung, wer diese Frau war, doch mit der Auffassungsgabe des passionierten Rockzipfeljägers erkannte er sofort, daß sich hier ungeahnte Möglichkeiten eröffneten, wenn er es richtig anstellte. Er mußte nur cool bleiben. »Äh, ja, also, ich bin immer gerne, äh, angezogen«, stammelte er. »Also, ich meine, entsprechend…« Die Frau in Schwarz sah großzügig über seine offensichtlichen Artikulationsschwierigkeiten hinweg. »Weißt du, Larry«, sagte sie, während sie langsam, geschmeidig, näher kam und so dicht
vor ihm stehenblieb, daß er ihren Atem warm und erdbeerig auf seinem erhitzten Gesicht spürte. »Ich habe ein Problem.« »Ein Problem?« fragte er, um sich und sie von dem Drängen in seiner Leistengegend abzulenken. »Und was für eins?« »Der alte Mann.« »Der alte Kerl im Rollstuhl?« Sie nickte. »Ja, genau der.« Also ist sie doch eine Krankenschwester, dachte er. »Ich bin müde, Larry«, sagte sie und strich mit der flachen Hand über seine gänzlich unbehaarte Hühnerbrust. »Ich habe das aus einem bestimmten Grund getan, weißt du…« Um eine reiche Witwe zu werden… »Aber ich bin so müde vom Warten. Verstehst du mich?« Larry nickte eifrig. »Oh, sicher!« Sie liebt ihren Beruf. Aber er läßt ihr keine Zeit mehr für Sex! »Ich verstehe dich!« Sie seufzte schwer. »Ich dachte, es sei einfach. Er sieht aus, als ob er jede Sekunde einfach vornüberkippen könnte. Aber er spart seine Kräfte auf, bis wir zurück in der Kabine sind, und dann nimmt er mich ran bis zum Gehtnichtmehr.« Sie schluchzte. »Ich halte das nicht länger aus, Larry. Dieser endlose Druck. Die ewigen Schläge…« »Ähm, ich sehe dein Problem«, sagte Larry, obwohl er im Grunde nicht die geringste Ahnung hatte, was diese Krankenschwestern und Körpertherapeuten (von wegen Schläge) so trieben. »Und… ich bin die Lösung!« Das ist ja einfacher, als ich dachte, dachte sie. »So bist du also bereit zur schmutzigen Tat?« Das ist ja einfacher, als ich dachte, dachte er.
Grinsend breitete Larry die Arme aus und sagte: »Hey, Süße, ich als Gentleman bin immer gerne bereit, einer Dame in Not zu helfen!« »Ja, ich brauche Hilfe, Larry«, betonte die Frau in Schwarz und rieb sich an ihm wie eine Katze am Kratzbaum. Ihre Hände glitten an seinem nackten Körper weiter nach unten. »Du sollst es auch nicht bereuen. Wie wär’s mit einer kleinen Kostprobe? Gleich jetzt?« Larry räusperte sich. »Äh, warum nicht?« Wortlos sank sie an ihm herab, was schwierig war, weil er eine ganze Ecke kleiner als sie war, und versenkte ihren großen schwarzen Hut in seinem Schoß. Er konnte nicht sehen, was zum Teufel sie da unten trieb, weil die breite Hutkrempe alles verdeckte, aber es fühlte sich gut an. Verdammt gut… Nach zehn Sekunden stöhnte er wie ein brünstiger Löwe. Nach fünfzehn Sekunden hechelte er ekstatisch, dicht am Rande des Herzinfarkts. Nach zwanzig Sekunden war schließlich alles vorüber. Ausgelaugt und kraftlos sank Larry in sich zusammen. Er fühlte sich wie ausgelutscht. Er hätte nie gedacht, daß Kreuzfahrten so anstrengend waren… und so befriedigend. Nachdem die Frau in Schwarz ihr Werk vollendet hatte, erhob sie sich, zog ein weißes Spitzentaschentuch hervor und tupfte sich damit fein säuberlich die Mundwinkel ab, bevor sie das Tuch achtlos zu Boden fallen ließ. »Komm heute nacht in meine Kabine«, sagte sie, während sie sich umwandte und die Treppe hinaufging, ohne Larry noch
eines weiteren Blickes zu würdigen. »Dann besprechen wir, wie wir es machen.« Larry nickte. »Klingt großartig.« Obwohl er völlig erschöpft war, blieb er dennoch kühl genug im Kopf, um den weiteren Tagesablauf nebst seiner regelmäßigen genitalen Aktivitäten im Auge zu behalten. »Dann bis bald«, sagte sie, öffnete die Tür und verschwand. »Moment!« rief Larry. »Welche Kabine denn? Wie heißt du?« Doch die Frau in Schwarz war bereits fort. Er war allein. Seufzend ging Larry zum Bett hinüber. Er bemerkte das weiße Taschentuch, das davor auf dem Boden lag, und hob es auf. Die Seide fühlte sich weich und angenehm kühl an. Grübelnd ließ er das Taschentuch durch seine Finger gleiten und betrachtete die eingestickten Initialen. A. A. Welcher Name sich wohl dahinter verbarg? Wie so oft hatte Larry keinen Schimmer. Aber vermutlich würde er es im Laufe des Tages erfahren. Gedankenverloren hob er das Taschentuch an die Nase und atmete genießerisch den schwachen Duft ein, der davon ausging. Lancôme, möglicherweise Lanvin. Jedenfalls etwas Französisches. »Wie passend«, murmelte er. Dann riß Larry sich aus seinen Tagträumereien los, griff nach seinem Koffer, schnappte sich einen neuen Anzug und zog sich an. Dieser Tag war viel zu schön, um ihn mit anstrengenden Überlegungen über die Identität irgendwelcher schwarzhaariger Krankenschwestern zu vergeuden, die in seiner Kabine auf
ihn warteten und ihn unaufgefordert so aufbliesen, daß er sich vorkam wie Graf Zeppelin. Außerdem wurde es langsam mal wieder Zeit, daß er etwas für seine brachliegende Bildung tat.
12. Copulo ergo sum Beim Betreten der Bibliothek bemerkte Larry sofort, daß irgend etwas anders war als sonst. Es lag nicht bloß daran, daß die antiken Klänge, die sonst durch den Raum wehten, durch eine stimulierende Jazzcombo ersetzt worden waren. Außerdem war die Büchertränke auf einmal in ein schwüles rotes Licht getaucht, während seltsame Düfte, die man eher in einem orientalischen Freudenhaus erwarten würde, die Luft penetrierten. Doch die ohne Zweifel größte Überraschung erwartete Larry, als er um die Ecke bog und sich einem Geschöpf von solch lasziver Verderbtheit gegenübersah, daß selbst der gute Karel vom Pfad der Tugend abgefallen wäre und sich umgehend in einen geifernden Lüstling verwandelt hätte (obwohl gewisse Quellen seit seiner Liaison mit dieser jungen Schauspielerin behaupteten, daß er das sowieso längst war). Die Frau, die hinter dem Ausleihtresen stand, der mit vielerlei seltsamen Stimulationspräparaten wie Schlagsahne, Plastikkleber, Bananen, Würsten, einer Luftpumpe, einem aufgeblasenen Gummihandschuh, Kräuterbutter, mehreren Ananas, einem Lötkolben und einer Autobatterie nebst Lüstlingsklemme bedeckt war, war der feuchte Traum jedes triebhaften Mannes. Ihr langes, kastanienbraunes Haar fiel in weichen Kaskaden über ihre schmalen Schultern. Mit ihren klassischen, von Make-up unterstützten Gesichtszügen und ihren anderen, allzu offen-
sichtlich von gar nichts unterstützten Formen wirkte sie wie der personifizierte Engel der Sünde. Knallrote Lippen. Große grüne Augen. Wippende Ohrringe und ein Körper, der oben üppig aus dem eng geschnürten Amazonenkampfdreß herausquoll, der mindestens drei Nummern zu klein war und trotzdem gerade so eben die wildwuchernden Früchte ihrer Brüste bedeckte. Den Rest der atemberaubenden Erscheinung verbarg der Tresen, doch im Grunde konnte es nur noch besser werden. Alles andere wäre schlichtweg undenkbar gewesen. Er blieb unsicher vor dem Ausleihtresen stehen und räusperte sich. »Ähhmm…« Die Frau ließ das Buch sinken, in dessen Lektüre sie vertieft war, und legte es zu einigen anderen Bänden vor sich auf dem Tresen. Der Titel des Buches lautete Tausendundeine Art, Liebe auf dem Küchentisch zu machen. An der Wand hinter ihr hingen Peitschen, ein Gummihuhn (immer für einen Lacher gut) und ein Kalender mit nackten Kerlen, die so geschwollen waren, daß sie aussahen, als wären sie am ganzen Körper von Wespen gestochen worden. Der Blick, mit dem die Traumfrau Larry bedachte, ließ seine Knie weich wie Vanillepudding werden. »Ähm, entschuldigen Sie, Miss«, sagte er. Irgendwie glaubte er, dieses Megababe von irgendwoher zu kennen, doch erst, als er sich ihre Maße vergegenwärtigte, fiel ihm die Ähnlichkeit mit Victorian Principles auf. »Kann es sein, daß Sie hier mal die Bibliothekarin waren?« »Die bin ich noch«, entgegnete Vicky mit einer Stimme, die so klang, wie andere Frauen stöhnten. Sie deutete auf die Beule in seiner Hosentasche. »Haben Sie da ein Buch, oder freuen Sie sich bloß, mich zu sehen?«
Er kratzte sich verlegen im Nacken. Er konnte die Augen nicht von der neuen, scharfen Vicky abwenden. Wie es aussah, hatte die Lektüre von Die erotischen Abenteuer des Herkules ungefähr das bewirkt, was er sich erhofft hatte, als er die zwei Bücher vertauschte. Doch daß die Wirkung des Romans so durchschlagend sein würde, damit hatte er beim besten Willen nicht gerechnet. Was allerdings nicht heißen sollte, daß er darüber unglücklich war. Im Gegenteil! Mit gierigem Blick begaffte er ihren atemberaubenden Körper und zog ihr im Geiste die paar Kleidungsstücke aus, die sie noch trug. Vicky bemerkte seinen gierigen Blick und lächelte. »Du genießt es, mich anzustarren, nicht wahr?« Larry nickte mit trockener Kehle. »Uhhhum«, war alles, was er hervorzubringen in der Lage war. »Dann mach ruhig weiter«, verlangte Vicky und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Mich törnt das genauso an…« Er schluckte. Seine Hormone tanzten Boogie-Woogie. Krampfhaft suchte er nach einem weniger brisanten Thema – auch, um sein Herz zu schonen, das heute bereits genug gelitten hatte – und sagte schließlich, weil ihm nichts anderes einfiel: »Ähm, trugen Sie nicht mal eine Brille, Victoria?« Sie nickte. »Ja, und nun sehe ich alles nur noch verschwommen. Aber, wissen Sie, Larry, ohne Brille sehen Sie richtig gut aus.« Er grinste. »Im Dunkeln seh’ ich sogar noch besser aus…« »O ja.« Vicky ließ lüstern die Zunge über ihre roten Lippen gleiten. »Das kann ich mir vorstellen.« Langsam wurde Larry schrecklich heiß. Verlegen strich er sich eine schweißfeuchte Haarsträhne aus der Stirn und ließ den
Blick ablenkungshalber über die Titel der Bücher wandern, die vor Vicky auf dem Tresen lagen. Eine Feldstudie über Pornographie von M. W. Schwantz. Schwarze Cheerleader auf Cocks Island. Die Sage der zwei Titties von Charles Figgins. Die Reiterei auf der Moni. Alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten (aber nie selbst durch eigene Erfahrung herausgefunden haben, weil Ihnen der Schneid dazu fehlte)… Larry gluckste überrascht. »Oh, mein Gott, Vicky«, raunte er. »Ich wußte gar nicht, daß solche Bücher legal sind.« Die Bibliothekarin winkte lächelnd ab. »Die sind doch noch gar nichts. Sie sollten erst mal die in meiner Kabine sehen!« Aber nur zu gern, dachte er und sagte: »Das Leben hier an Bord muß Ihnen doch wie ein einziger endloser Urlaub vorkommen. Ist das nicht schön?« Irgendwie hatte er das unbestimmte Gefühl, daß er sie dasselbe vor einiger Zeit schon mal gefragt hatte, aber damals hatte ihm die alte, langweilige Vicky geantwortet. Jetzt hatte er die neue, scharfe Vicky vor sich, und da fiel die Reaktion möglicherweise ein klein wenig anders aus. Victorian nickte. »Sicher, es ist perfekt… Sofern perfekt die Gewißheit bedeutet, jeden Tag exakt die gleichen Männer zu haben, die man schon letzte Woche jeden Tag hatte…« »Aber der ganze Spaß«, wandte Larry ein. »Das Nachtleben. Die endlosen Parties?« Sie winkte ab. »Das ist nichts für mich.« »Nun… Und was tun Sie dann für Ihre Unterhaltung?« »Oh, ich fange bei einem Ende der männlichen Passagiere an und arbeite mich dann durch bis zum anderen«, erklärte sie, um mit einem Stoßseufzer hinzuzufügen:
»Unglücklicherweise bin ich bei den meisten schon beim dritten Durchgang…« Langsam wurde das Gesprächsparkett, auf dem sie sich bewegten, selbst Larry zu schlüpfrig – vermutlich ein Novum in seiner langen, erfolglosen Geschichte. Er rieb sich nervös das Kinn und sagte, in dem Versuch, auf ein unverfänglicheres Thema zu sprechen zu kommen: »Ausgesprochen schlechtes Wetter heute, nicht?« Draußen schien strahlend die Sonne. »Natürlich dürfen Sie«, nickte Vicky. Offenbar hatte sie seine Frage irgendwie falsch verstanden – oder interessierte sich herzlich wenig dafür, was er sagte. »Und wenn es mehr ist, ich helfe Ihnen dabei…« Sie funkelte Larry herausfordernd an. »Larry«, sagte sie mit bebendem Vorbau, »es wird Zeit, meine literarische Forschung in praktische Erfahrung umzusetzen!« Er giggelte. »Nun, äh, das war ja irgendwie vorauszusehen«, stotterte er. »Ich würde Ihnen dabei natürlich gerne weiterhelfen, Ihnen meine bescheidenen Dienste anbieten und…« Weiter kam er nicht, denn plötzlich packte Vicky ihn und riß ihn mit einem brutalen Ruck zu sich hinter den Tresen. »Whoooaaaaa!« schrie Larry überrascht. Er schrie die nächste halbe Stunde weiter. Mal allein, mal im Duett mit Vicky, mal Falsett, mal Baß, dann wieder Alt, Tenor und Sopran. Aber das Wer oder das Wie war in diesem Fall nicht halb so interessant wie das Warum… Eine ganze Weile später, als sie hinter dem Ausleihtresen eng umschlungen auf den schäbigen Überresten von Larrys zerfetz-
tem Anzug lagen, der Vickys »literarischer Forschung« zum Opfer gefallen war, sagte Larry anerkennend: »Oh, Baby, du bist echt die Größte.« Er war noch immer ganz außer Atem. So mußte sich jemand fühlen, der allein und ohne Pause den Pazifik durchschwommen hatte. »Das weiß ich, Larrylein«, säuselte sie zufrieden. »Seitdem du mir dieses wunderbar schweinische Buch gegeben hast, habe ich fast nichts anderes getan, als über Sex zu lesen, und jetzt bin ich die sexuell am umfassendsten gebildete Person an Bord.« »Komisch.« Larry stützte sich auf den Ellbogen. »Eigentlich hatte ich bisher angenommen, ich wäre das.« »Du?« Vicky bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. Er nickte. »Klar. Niemand weiß mehr über Sex als ich.« »Doch«, behauptete Vicky. »Ich schon.« »Dann beweis es!« »Noch mal?« fragte Vicky hoffnungsvoll. Er winkte hastig ab. Im Moment fühlte er sich zu weiteren Bildungserlebnissen gänzlich außerstande. »Äh, das ja nun nicht gerade. Und ich will auch ganz bestimmt nicht bestreiten, daß du wirklich weißt, was du tust. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Aber ich würde schon gern wollen, daß du mir beweist, daß du tatsächlich die sexuell kompetenteste Person auf diesem Schiff bist. Würdest du das für mich tun, Vicky?« »Für dich«, sagte sie, »würde ich alles tun… Aber wie?« »Nun. Ich schätze, es gebe da eine Möglichkeit…« Vicky lupfte die Brauen. »Oh, wirklich? Und welche?« »Na«, sagte Larry bedächtig. »Wie wäre es, wenn du dich mal am LiebesMeister 2000™ versuchen würdest?«
»Gute Idee«, sagte Vicky. »Aber das geht leider nicht. Ich bin hier Angestellte. Und Angestellten ist die Benutzung der TLPEinrichtungen grundsätzlich untersagt. Außerdem habe ich keine entsprechende Punktekarte.« »Aber ich«, sagte Larry, zog seine Karte aus den Fetzen der Hose und wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. »Du könntest doch meine benutzen.« »Nun ja…« Sie zögerte noch. »Ich weiß nicht recht…« »Kein Selbstbewußtsein, wie?« fragte Larry zielsicher. Das saß! »Gib her!« Vicky riß ihm ungeduldig die Karte aus der Hand. Larry grinste. Frauen waren doch alle gleich… Nachdem sich Vicky einen Morgenmantel über den atemberaubenden nackten Körper geworfen hatte, machten sie sich auf den Weg zum LiebesMeister 2000™, allerdings nicht, ohne vorher einen kurzen Abstecher in Larrys Kabine zu machen, damit er sich neu einkleiden konnte. Allmählich ging sein Vorrat an Polyesteranzügen allerdings bedenklich zur Neige. Noch ein paar mehr solcher Leidenschaftsausbrüche, und er konnte den Rest dieser Kreuzfahrt bei Drew auf dem Nudistendeck verbringen – was bei näherer Betrachtung ja auch keine soooo schlechte Idee war. Als sie die Räumlichkeiten des LiebesMeisters 2000™ ein paar Minuten vor Mittag betraten, fütterte Larry die Lippen der anzüglichen Konsole mit seiner TLP-Punktekarte, während Vicky gelangweilt ihre blutrot lackierten Fingernägel betrachtete. Mit ihren hochhackigen lila Pumps war sie fast doppelt so groß wie
ihr Begleiter, und das, obwohl Larrys Schuhe sowieso schon mit extra hohen Sohlen versehen waren. Die Türen von Kabine Zwei öffneten sich quietschend. Die Metallmieze mit dem Irokesenschnitt saß teilnahmslos wie zuvor in der Ecke, die Zigarettenspitze in der Hand, und rauchte. Blaugrauer Dunst umwölkte die Gipfel ihrer künstlichen Berge und Täler wie Frühnebel. »Okay, Vicky«, sagte Larry, verstaute seine TLP-Karte wieder in der Tasche. »Dann leg mal los!« Vicky warf dem Roboter einen forschen Blick zu und schnalzte selbstbewußt mit der Zunge. »Jetzt wird sich zeigen, wer von uns der wahre Sexperte ist!« Mit schwingendem Schritt und ebensolchem Hintern trat sie in die Kabine. Die Türen gingen quietschend hinter ihr zu. Im unteren Bereich der Schwingtür sah Larry ihren Morgenmantel raschelnd zu Boden gleiten. Nur eine Sekunde später brach in der Kabine hektische Aktivität aus. Larry konnte nicht genau sagen, was da drinnen vor sich ging, aber was er hörte, sprach eine recht deutliche Sprache. Vicky Principles lief offenbar zur Bestform auf. Ihr Stöhnen, Schreien, Wimmern, Brüllen und jauchzen hallte so laut durch den Raum, daß Larry peinlich berührt von einem Bein aufs andere trat und versuchte, so auszusehen, als wäre er gar nicht da. Man konnte Vicky mit Sicherheit im ganzen Schiff hören! Ihre lautstarken Lustbezeigungen wurden immer durchdringender, bis man schließlich das Gefühl hatte, intensiver könnten sie nun nicht mehr werden – nur um einen Moment später festzustellen, daß man sich getäuscht hatte.
Mit fassungslosem Erstaunen verfolgte Larry, wie der Punktezeiger über der Kabinentür mit atemberaubender Geschwindigkeit hochschnellte. Dreihundert Punkte. Vierhundert. Fünfhundert… Bei siebenhundertsiebundzwanzig Punkten gab es plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall, als die Anzeigetafel explodierte. Ein Regen aus Plastik- und Glassplittern ging hernieder. Grauer Rauch zog durch den Raum und sammelte sich unter der Decke. Funken sprühten aus dem zerstörten Display, während Victorian Principles zielstrebig dem Finale entgegenarbeitete – und nach einem letzten, ekstatisch auf- und abschwellenden Schrei, der Johnny Weissmuller vor Leid erblassen ließ, abrupt verstummte. Dann öffneten sich die Türen der Kabine, und Vicky trat, sich den Mantel über die Schultern streifend, aus der Kabine. Nicht einmal ihr Haar war durcheinandergeraten. Die Metallbraut hingegen hockte hinter ihr vollkommen fertig in der Kabine. Auf ihrem unbeweglichen Eisengesicht lag ein Zug glücklicher Erschöpfung. Überall an ihrem Körper hingen Kabel raus. Genüßlich zog sie an ihrer Zigarettenspitze. »Na?« sagte Vicky, nicht im mindesten außer Atem. »Wie war das, hm? Mal sehen, ob du das steigern kannst!« »Oh, kann ich nicht«, gab Larry kleinlaut zu. »Du hast ganz klar gewonnen. Aber wie wär’s jetzt mit ein paar zusätzlichen Privatlektionen?« Vicky schnaubte – nicht gerade verächtlich, aber auch nicht sonderlich weit davon entfernt. Offenbar hielt ihr Interesse für gewisse Männer nicht viel länger an als Larrys für gewisse
Frauen. »Träum weiter, Larry! Versuch’s nächste Woche noch mal. Ich gehe jetzt in meine Kabine… mit einem ordentlich stimulierenden Buch.« Damit wandte sie sich um. »He!« rief Larry. »Warte! Wie wär’s, wenn wir…« Doch da fiel die Tür bereits hinter Vicky ins Schloß. Sie war fort. Seufzend zupfte Larry an seinem Hemdkragen. Das war wieder mal typisch. Er rackerte sich ab wie ein Wilder, und am Ende stand er trotzdem wieder allein da. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen. Aber so waren sie nun einmal, diese modernen Weiber. Dachten immer nur an sich selbst… Bevor er diese anthropologische Einsicht von großer Bedeutung weiter vertiefen konnte, verkündete die weibliche Computerstimme: »Ihre Punktzahl, Larry Laffer: Eintausend.« Kurze Pause. Dann: »Oh, wow! Eine perfekte Punktzahl! Laffer, komm im Büro vorbei, okay? Gegen Mitternacht ist mein Dienst zu Ende. Oh, bitte, Larry, bitte!« flehte sie sehnsüchtig. Er grinste. Ja, so waren sie nun mal, diese modernen Weiber… Larry verließ den LiebesMeister 2000™ und war noch nicht beim Aufzug angelangt, als schon wieder das vertraute Klacken der Bordlautsprecher ertönte. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat soeben den Sextechnikwettbewerb mit der Höchstzahl von tausend Punkten gewonnen. Gratuliere, Larry! Was für ein Mann!« Ja, dachte er, während er fasziniert einen großen Knutschfleck auf seinem rechten Unterarm betrachtete, der in allen Farben
des Regenbogens leuchtete und ihn zweifellos noch einige Zeit an Victorian Principles erinnern würde. Was für ein Weib…
13. Lancôme [oder Lanvin] Nach seinem literarischen Intermezzo mit der neuen, scharfen Vicky, die ihm irgendwie viel besser gefiel als die alte Version, gönnte Larry sich eine einstündige Ruhepause. Er verbrachte sie damit, im Speisesaal Eier in allen Formen und Variationen zu verzehren, die er finden konnte, um das drastische Defizit in seinem Körperhaushalt auszugleichen. Spiegeleier, Rühreier, pochierte Eier, Kaviar, russische Eier, eingelegte Eier, verlorene Eier… Jede nur erdenkliche Art von Hühnern im Frühstadium ihrer Existenz landete zuerst auf seinem Teller und anschließend in seinem Magen, zusammen mit einer Flasche Weißwein (ausgewählt, weil Larry das Segelschiff auf dem Etikett so gut gefiel), Vanilleeis mit Himbeeren und einem Käse irgendwo aus Europa, in den allerdings jemand ein Dutzend Löcher geschnitten hatte, so daß er gezwungen war, die doppelte Menge seiner üblichen Portion zu beschlagnahmen. Im Grunde hätte er auch noch Appetit auf eine ordentliche Portion Bohnendip gehabt, doch in Anbetracht der Ereignisse im Casino gestern abend hatte es das verantwortungsvolle Personal allem Anschein nach vorgezogen, diese Speise zu unterschlagen. Zum einen, um eine Panik unter den Passagieren zu vermeiden, und zum anderen, weil es an Bord zu wenig Gasmasken gab. Solcherart gestärkt, begab Larry sich anschließend zur Tür des Dessertraums und lauschte. Dahinter war alles ruhig.
Er drehte probeweise den Knauf und stellte fest, daß die Tür nicht verschlossen war, was es ihm ersparte, ein zweites Mal durch den klaustrophobisch engen Lüftungsschacht zu kriechen. Er wollte sich die Dinge holen, die sich noch in seinem Anzug befanden, den er bei seinem überstürzten Abgang heute morgen in der Eile hatte zurücklassen müssen. Vorsichtig trat Larry ein, bereit, jederzeit zu fliehen, wenn die Situation es erforderlich machte. Doch der Dessertraum war tatsächlich verlassen. Im Zentrum des Gemachs stand ein ovaler gelber Tisch, der aussah, als hätte er letztes Jahr den ersten Preis gewonnen in der Kategorie »Bestes Möbelstück in Form einer tropischen Insel«. Rings herum standen Stühle, die wie Flöße gestaltet waren. Überall zeugten braune, rote, grüne und weißliche Tortenflecken von der Freßorgie, die hier stattgefunden hatte. Ein durchdringender Geruch von Fett und Schokolade hing in der Luft. Larry sah sich um und entdeckte seinen Anzug zusammengeknüllt unter dem noch immer offenstehenden Lüftungsschacht. Das einstmals weiße Polyester war jetzt über und über mit einem braunen, klebrigen Zuckerzeug besudelt, so daß man ihn höchstens noch als Vogelscheuche benutzen konnte (obwohl böse Zungen verschiedentlich behauptet hatten, daß die Anzüge exakt dieselbe Funktion erfüllten, wenn Larry sie trug). Aber wenigstens war seine Brieftasche samt Inhalt noch da, und auch der Schlüssel, den er von Xqwzts bekommen hatte. Larry nahm beides an sich und wollte den Raum gerade wieder verlassen, als er unter einem der Stühle mit einemmal ein zusammengefaltetes Blatt Papier entdeckte. Neugierig, wie Kinder und Männer mit massivem Haarverlust nun einmal sind, trottete er zum Stuhl hinüber und hob das
Blatt auf. Augenblicklich fiel ihm der schwache, betörende Duft eines teuren Parfüms auf, der von dem Papier ausging. Lanvin, möglicherweise auch Lancôme. Jedenfalls war es derselbe Duft, der an dem Taschentuch haftete, das die mysteriöse Unbekannte in dem schwarzen Kleid nach dem kleinen Vorgeschmack auf die Dinge, die da kommen sollten, in seiner Kabine zurückgelassen hatte. Würde er jetzt erfahren, wer die geheimnisvolle A. A. war? Neugierig faltete er das Papier auseinander und erkannte, daß es sich dabei um eine Lebensversicherungspolice in Höhe von einer Milliarde Dollar (in Zahlen: 1.000.000.000 $) handelte, ausgeschrieben auf einen gewissen Aristoteles K. Ammbumsen. Als alleinige Begünstigte im Todesfall war Annette Ammbumsen eingetragen. »Annette Ammbumsen«, murmelte Larry nachdenklich. »A. A….« Er steckte die Police ein. Er konnte nicht recht sagen, warum, aber irgendwie erschien ihm der Name überaus vielversprechend. Er erinnerte sich daran, daß er heute abend an ihrer Kabine vorbeikommen sollte. Allerdings hatte er, selbst wenn er jetzt wußte, wie die Unbekannte hieß, noch immer ein nicht ganz unwesentliches Problem, nämlich, daß er keine Ahnung hatte, welche Kabinennummer sie besaß und wo auf dem Schiff er sie finden konnte. Aber es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht möglich war, sie herauszubekommen. Jedoch bedeutete das, daß Larry sich erneut mit Peter, dem paranoiden Purser, auseinandersetzen mußte, denn wenn jemand an Bord der P. M. S. Bouncy ihm die Information geben konnte, die er brauchte, um einen geselligen Abend auf Annette
zu verbringen, so war es der Chefsteward. Er hatte Zugriff auf alle Passagierunterlagen. Schweren Herzens begab sich Larry zur Rezeption, auch wenn er ganz genau wußte, daß er es bereuen würde. Doch ihm blieb keine andere Wahl. Larry blieb vor dem Tresen stehen und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit des beschäftigten Pursers zu erregen, der sein Männermagazin (im wahrsten Sinne des Wortes) gegen einen Comic von Micky Maus eingetauscht hatte. Der Steward ließ das Heft sinken und sah ihn skeptisch an. »Ähm, hallo, wieder mal«, grüßte Larry. »Ich habe Interesse an Ammbumsen.« »Oh.« Die gleichgültige Miene des Pursers wurde augenblicklich von einem breiten, anzüglichen Grinsen gespalten. »Wenn das so ist, bin ich ganz Ihr Mann!« Larry schüttelte hastig den Kopf. »Äh, nein, ich meine… Ich suche nach einer Passagierin namens Annette Ammbumsen.« Der Purser seufzte, schwer enttäuscht. »Schade. Nun, ich gebe prinzipiell keine Informationen über unsere Passagiere an die Öffentlichkeit. Auch nicht solche, die Ammbumsen betreffen.« »Ach, kommen Sie schon«, sagte Larry und versuchte es auf die freundschaftliche Tour. »Geben Sie sich einen Ruck!« »Na, vielleicht ließe sich da doch was machen«, sagte Peter, beugte sich über den Rezeptionstresen und zwinkerte ihm durch die dicken Brillengläser zu. Larry zog eine entsetzte Grimasse. »Äh, tja, nun, so wichtig ist die Sache nun auch wieder nicht«, stotterte er schnell und trat den Rückzug an, bevor der Steward noch auf dumme Gedan-
ken kam. »Wenn ich es recht bedenke, ich es sogar gar nicht so wichtig. Sogar völlig unwichtig. Ja ja…« Der Purser zuckte die Achseln. »Wie Sie meinen.« Larry verschwand aus dem Blickfeld der Rezeption und lehnte sich ein paar Meter weiter mit dem Rücken gegen eine Säule. »O Mann«, murmelte er matt. »Dieser Kerl schafft mich…« Es war klar, daß er die Kabinennummer von Annette Ammbumsen nicht von dem Steward bekommen würde – zumindest nicht auf eine akzeptable Weise. Aber er mußte an diese Nummer kommen. Er zermarterte sich seine Gehirnzellen, die er alle persönlich mit Namen kannte, nach einer Möglichkeit, doch ohne Erfolg. Zufällig fiel sein Blick auf das weiße Telefon, das neben ihm an der Wand hing, und – Tusch, bitte! – mit einemmal hatte er eine Idee. Möglicherweise nicht so verwegen wie die Sachen mit den Möpsen oder Victorian Principles, aber wenn er Glück hatte, würde sie zumindest ihren Zweck erfüllen. Er nahm den Telefonhörer ab und wählte die 0. Dreißig Meter weiter nahm Peter das klingelnde Telefon ab. »Ja? Hier Purser. Sie wünschen?« »Ja, ähm, hallo«, sagte Larry und verstellte seine Stimme, so daß er klang wie Duffy Duck nach einer durchzechten Nacht, auch wenn der Unterschied zu seiner normalen Sprechstimme so minimal war. »Können Sie mich vielleicht zur AmmbumsenKabine durchstellen, bitte?« »Einen Moment…« Es klackte in der Leitung. Dann das Tüten des Freizeichens. Nach dem fünften Läuten wurde abgehoben.
»Ja?« Eine tiefe, knarzende Männerstimme. »Ja, hallo?« sagte Larry. »Sind Sie Ammbumsen?« »Das waren wir«, erwiderte der Mann. »Jedenfalls so lange, bis das verdammte Telefon geklingelt hat…« Ohne ein weiteres Wort legte er auf. Das Tüt-Tüt-Tüt des Besetztzeichens drang an Larrys Ohr. Er legte den Hörer auf, verließ seinen Platz hinter der Säule und ging zurück zur Rezeption, wo ihn der Steward mit einem Blick begrüßte, der selbst eine Eisenstange hätte weich werden lassen. »Sie wünschen?« Kühl, aber nicht unbedingt abweisend, wohl, weil er hoffte, daß Larry sich das mit dem Ammbumsen noch mal überlegt hatte. »Nun, ehm, ich bin ein wenig in Sorge über die Belastungen auf meinem Konto«, erklärte Larry. »Können Sie mir sagen, ob ich noch gedeckt bin?« Der Steward nickte. »Natürlich. Warten Sie hier, bitte. Ich bin gleich zurück.« Larry nickte. »Besten Dank.« Peter entfernte sich und verschwand durch einen Perlenvorhang in einem der angrenzenden Räume. Larry nutzte kaltblütig die Gunst des Augenblicks, beugte sich über den Tresen und drückte auf die Wahlwiederholungstaste des Pursertelefons, von dem aus der Steward ihn soeben zum Apparat der Ammbumsens durchgestellt hatte. Prompt erschien auf dem LCDDisplay die zuletzt angewählte Nummer. GO OIL.
Larry runzelte die Stirn. »GO OIL?« las er murmelnd. »Was soll ich denn darunter verstehen?« Er seufzte resigniert. »Klasse. Eine tolle Hilfe, wirklich…« Bevor er völlig in den Tiefen der Depression versinken konnte, wurde ihm mit einemmal klar, daß das Telefon verkehrt herum stand und er die Nummer auf dem Kopf gelesen hatte. Er drehte das Telefon also hastig zu sich herum, und siehe da, aus dem GO OIL wurde die 71009. Da die Nummern der Anschlüsse an Bord mit den Kabinennummern identisch waren, bedeutete das, daß er Annette Ammbumsen in Kabine 71009 finden würde. Er grinste. Das war hilfreich! Als Larry aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, daß der Purser zurückkam, drehte er das Telefon schnell wieder um, trat einen Schritt zurück und musterte voller Begeisterung seine Fingernägel. »Ihr Kontostand ist nicht der Rede wert«, klärte der Purser ihn auf. »Bloß dreizehnhundertfünfundzwanzig Dollar und sieben Cents.« »Dreizehnhundertfünfundzwanzig Dollar und sieben Cents?« Larry konnte es nicht fassen. Wo um alles auf der Welt war sein Geld geblieben? »Zum Teufel, wie…« Dann entsann er sich gerade noch rechtzeitig, daß es unmöglich war, mit dem Steward über irgendwas zu diskutieren, und zwang sich, sich wieder zu beruhigen. »Okay«, sagte er mit geballten Fäusten. »Kein Problem. Wenn’s weiter nichts ist…« »Nein«, sagte Peter liebenswürdig. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden, nicht wahr?«
Larry verzichtete darauf, zu antworten, und ging. Im Aufzug zog er die Schiffskarte der P. M. S. Bouncy aus der Tasche und suchte nach Kabine 71009. Anscheinend handelte es sich dabei um die Suite des Besitzers, denn sie nahm einen Großteil des Oberdecks direkt unterhalb der Kommandobrücke ein. Selbst wenn er jetzt wußte, wo seine Verabredung auf ihn wartete, sagte ihm ein Blick auf sein Zeitometer, daß es noch zu früh war, um bei Annette aufzukreuzen und sich nach dem Dessert den Hauptgang zu holen. Sie hatte gesagt, er solle gegen Abend vorbeikommen. Das bedeutete, daß er sich noch einige Stunden würde gedulden müssen, auch wenn es ihm schwerfiel – was es in Anbetracht der genitalen Genüsse, die sie ihm versprochen hatte, natürlich tat. Aber wie sollte er die Zeit bis dahin totschlagen? Abendessen? Irgendwie hatte er gar keinen Hunger. Als er die Karte zurück in die Tasche steckte, berührten seine Finger den Schlüssel, den er von Xqwzts geerbt hatte. Er zog ihn hervor und drehte ihn hin und her. So, wie er die Sache sah, handelte es sich dabei wahrscheinlich um eine Art Generalschlüssel, mit dem der Schiffsjunge Zugang zu allen relevanten Teilen des Luxusliners hatte – und darüber hinaus zu Bereichen, zu denen die normalen Passagiere keinen Zugang hatten, bleistiftsweise zu den Laderäumen unter Deck. Und wo konnte Drews Koffer besser untergebracht sein als dort? Der Karte nach zu urteilen, gab es an Bord der P. M. S. Bouncy drei Laderäume: den hinteren Laderaum, den hinteren unteren Laderaum und den großen Bugladeraum. Larry war sich
relativ sicher, daß sich Drews Koffer in einem dieser Räume befand. Alles, was er nun noch tun mußte, war, ihn zu finden. Wieder einmal verschwendete er keine Zeit damit, sich Gedanken darüber zu machen, wie er am besten vorging, sondern machte sich gleich auf den Weg zum hinteren Laderaum. Während er sich mit dem Schlüssel an der massiven Stahltür zu schaffen machte, ertönte wieder mal eine Lautsprecherdurchsage. »Achtung, bitte, eine Durchsage! An Bord dieses Schiffes gibt es keine, ich wiederhole, keine Urinale aus Messing. Der Spieler des Bariton-Saxophons findet das gar nicht komisch… Ende der Durchsage.« Larry giggelte belustigt und schaffte es endlich, die Tür zu öffnen. Angestrengt keuchend schob er sie auf. Doch wenn er erwartet hatte, bereits beim ersten Versuch fündig zu werden, hatte er sich getäuscht (wäre ja auch ein bißchen zu einfach gewesen). Statt des erhofften Koffers sah Larry sich einer aufwendigen Maschinerie gewaltiger Apparaturen gegenüber, mit deren Hilfe die Pins der Bowlingbahnen oben auf dem Achterdeck wieder aufgestellt wurden. Rollwagen mit Bowlingpins rollten auf Schienen zu großen Rohren, wurden nach oben gesaugt und in perfekter Aufstellung von einem mechanischen Arm durch Löcher in der Decke nach oben geschoben. Es war so laut wie in einer Fabrikhalle. Verwirrt fragte er sich, warum sie es nicht wie alle anderen Bowlingbahnen machten und die Pins an Fäden aufstellten. Aber das war eine der vielen Fragen in Larrys Leben, auf die
das Universum ihm wohl eine Antwort schuldig bleiben würde. Larry verließ den Laderaum und nahm sich den nächsten vor. Doch auch dort fand er nicht, was er suchte. Statt dessen stieß er auf einen riesigen Glaskäfig, in dem ein halbes Dutzend fetter venezolanischer Biber, deutlich zu erkennen an ihren extra breiten Schwänzen, eifrig damit beschäftigt war, Holzstücke zu Sägespänen zu verarbeiten, die vermutlich zum Anfeuern der Schiffsmotoren gebraucht wurden. Erneut fragte sich Larry, was um alles in der Welt das zu bedeuten hatte, doch als er näher darüber nachdachte, war er sich mit einemmal nicht mehr sicher, ob er es wirklich wissen wollte. Auch wenn er sich durchaus für die Abgründe menschlicher Perversion interessierte, irgendwo gab es so etwas wie Grenzen, und Biber lagen eindeutig außerhalb davon. Grübelnd verließ Larry das Biberlager. (Moment! Ist Biberlager nicht ein geschütztes Warenzeichen der US-Army? Ach nein, das war Biwaklager… ) Jetzt blieb nur noch der Bugladeraum. Er konnte bloß hoffen, daß er dort fand, was er suchte, denn sonst würde Drew vermutlich bis zum Ende der Kreuzfahrt nackt auf dem Sonnendeck am Pool liegen, Riesenerektionen schlürfen und ihn mit ihrem Gerede über Fokker heiß machen, ohne daß er im Gegenzug dazu kam, ihr seine Sammlung antiker Flugzeugstiche zu zeigen. Oder irgendwas, das antiken Flugzeugstichen ähnlich sah. Oder wenigstens etwas, von dem er glaubte, daß es sie vielleicht interessieren könnte… Gedankenverloren schlenderte Larry durch den Bauch des Schiffs zum Bug der P. M. S. Bouncy und stellte fest, daß an der Tür des dortigen Laderaums ein kleines Schild prangte, auf
dem stand: GEPÄCKRAUM BESATZUNGSMITGLIEDER!
–
ZUTRITT
NUR
FÜR
Er grinste. Offenbar hatte er am Ende doch endlich noch Glück! Hoffnungsvoll schloß er die Stahltür auf, trat über die hohe Schwelle – und blieb so abrupt stehen, als würde er sich auf einmal daran erinnern, daß er vor der Abfahrt vergessen hatte, zu Hause das Wasser in der Badewanne abzustellen. Sein Grinsen rutschte ab wie die Nase von Ronald Reagan und machte einem ungläubigen Ausdruck Platz. Wenn Larry gehofft hatte, hier Koffer zu finden, dann wurde er ausnahmsweise einmal nicht enttäuscht. Trotzdem blieb ihm das Pech treu, denn der Gepäckraum, der mindestens die Größe eines Fußballfeldes besaß, war bis obenhin mit Koffern und Taschen und Beuteln und Rucksäcken vollgestopft. Das mußten Milliarden verschiedene Gepäckstücke sein, die hier lagerten, vielleicht noch mehr. Schmale Wege führten durch die fast bis zur Decke aufragenden Kofferberge. Irgendwo weiter vorn fuhr ein Mann in einem blauen Overall mit einem Gabelstapler Reisetaschen spazieren. Larry stöhnte. »O nein! Wie soll ich denn hier jemals Drews Koffer finden? Die Sache mit der Stecknadel im Heuhaufen ist dagegen ja das reinste Kinderspiel…« Resigniert seufzend, trat Larry an den erstbesten Kofferstapel heran und versuchte, die Namensschilder zu lesen, die an den Griffen hingen. Die untersten vier oder fünf Schilder konnte er problemlos lesen, aber danach wurde die Sache wegen seiner überschaubaren Größe schon schwieriger. Er zog einige herumliegende Koffer zu sich heran, türmte sie aufeinander und stell-
te sich obendrauf. Nun konnte er weitere Schilder lesen. Aber der Name Drew Barringmore kam ihm nicht unter die Augen. Jedoch war er noch immer nicht ganz oben, deshalb kletterte er von dem Stapel herunter, fügte keuchend mehrere Koffer zu dem Haufen hinzu und stieg erneut hoch. Daß der fast drei Meter hohe Haufen bedenklich wackelte und schlingerte, merkte Larry wie üblich erst, als es bereits zu spät war. Plötzlich spürte er, wie die Koffer unter ihm in Bewegung gerieten, und riß entsetzt die Augen auf. Instinktiv griff er nach einem Halt, bekam den Griff eines riesigen SamsoniteHartschalenkoffers zu fassen und klammerte sich daran fest, während der Kofferstapel zur Seite kippte. Unvermittelt hatte er keinen Halt mehr unter den Füßen. Einen Moment lang hing er in der Luft, doch dann geriet der Haufen, in dem der Koffer steckte, an dem er sich festhielt, ebenfalls ins Rutschen, und mit der Wucht einer Lawine ergossen sich Hunderte von Taschen und Koffern polternd auf den Boden. Larry schrie auf und stürzte mit den Koffern in die gähnende, drei Meter tiefe Tiefe, um unter Dutzenden von Rucksäcken und Sporttaschen begraben zu werden. Es war, als würde man Rugby mit den Fat Boys spielen. Mühsam keuchend, wühlte Larry sich durch die Kofferschichten in die relative Freiheit des Laderaums und blieb außer Atem oben auf dem mehrere Meter hohen Stapel sitzen. Doch gerade in dem Moment, als er sich dazu beglückwünschen wollte, daß er das Problem mit den unlesbaren Adreßanhängern so elegant gelöst hatte, geriet der Kofferberg von neuem ins Rutschen, und Larry purzelte zusammen mit Hunderten Koffern und Taschen
abwärts, um unsanft auf dem harten Boden des Gepäckraums zu landen. Mühsam, mit schmerzenden Gliedern, rappelte er sich auf – und bemerkte den großen braunen Hartschalenkoffer, der vom Gipfel des nachgebenden Berges herabstürzte, erst, als dieser ihm bereits wuchtig gegen den Schädel donnerte. Keuchend gingen Larry und Koffer zu Boden, wo sie angeschlagen liegenblieben. Es dauerte ein paar Minuten, bis er wieder klar genug im Kopf war, um sich aufzusetzen. Seinen Hinterkopf zierte eine Beule, so groß wie ein Straußenei. Stöhnend rieb er sich die Schläfe und seufzte angeschlagen: »Gott im Himmel, keine Frau der Welt ist es wert, daß ich so was auf mich nehme. Nicht mal, wenn sie völlig nackt ist…« Dann fiel sein Blick auf das Etikett des Koffers, mit dem sein Schädel gerade so unsanft Bekanntschaft geschlossen hatte, und das Grinsen kehrte auf seine Züge zurück. Auf dem Namensschild an dem Koffer stand: DREW BARRINGMORE. Zweifel ausgeschlossen. Zufrieden schnappte er sich den Koffer und verließ den Gepäckraum mit dem Gedanken, daß man hin und wieder auch durch Kopfarbeit ans Ziel seiner Wünsche gelangte. Mit dem braunen Koffer in der Hand begab sich Larry zum Pool. In seinem privaten Pornokino sah er sich schon zusammen mit Drew auf dem Feldbett in seiner Spezialsuite liegen, die Positionen variabel, die Federn angestrengt ächzend. Doch Dick, der Steward, der hier den Bademeister spielte, oder umgekehrt, stellte sich Larry in den Weg, als er den Poolbereich betreten wollte, und hob die Hand, als wäre sie ein Stoppschild.
»He, tut mit leid, Kumpel. Aber hier ist Ende für dich.« Larry verdrehte die Augen. »Was ist denn jetzt wieder?« »Na, du«, sagte Dick. »Du kannst so nicht zum Pool.« »Wie? So?« Irgendwie hatte Larry das sonderbare Gefühl, daß er dieselbe Szene vor einiger Zeit schon mal erlebt hatte. Aber natürlich konnte er sich da auch irren. »Na, so eben«, präzisierte Dick. »Du weißt schon, Kumpel. Mit ’nem Koffer.« Larry runzelte die Stirn. »Ach, wirklich? Und warum nicht?« »Befehl vom Purser«, erklärte er. »Du könntest dich ja da drin heimlich wieder anziehen, oder so was.« Larry seufzte – wieder einmal. »Okay, in Ordnung. Kann ich ihn dann hierlassen? Paßt du für mich drauf auf?« »Kumpel, seh’ ich vielleicht aus wie ein Gepäckschalter?« Schließlich gab Dick sich einen Ruck. »Ach was, weil du es bist. Klar, laß ihn hier… Willst du wieder deinen kleinen Freund?« »Schätze schon«, sagte Larry und schlüpfte bereits aus seiner Jacke. »Ich hab’ mich irgendwie schon dran gewöhnt.« Dick grinste hämisch. »Na, solange es keine Sucht wird…« Zwei Minuten später marschierte Larry in seinem Elefantendreß über das Nudistendeck zu Drews Liege. Alles war genau wie gestern. Sie lag völlig nackt da, den Laptop auf dem Schoß. Ihr knackiger junger Körper glänzte vor Sonnencreme. Neben ihr auf dem Tischchen stand eine Riesenerektion. Das Glas war bereits ausgeleert. »Hallo, Drew! Büffelst du gerade schwer?«
»Das klingt irgendwie komisch, wenn es von einem Kerl in einer Elefantenschamkapsel kommt«, erwiderte Drew lächelnd. Larry beschloß angesichts der grenzenlosen Verlockungen, die Drews nackter Körper bot, auf unnützen Smalltalk zu verzichten und gleich zur Sache zu kommen. Dieser Stil entsprach seinem Naturell am besten. Er hielt nicht viel vom Vorspiel. »Hey, Drew, ich habe deinen Koffer gefunden!« Sie sah ihn fragend an. »Wirklich? Wo ist er denn?« »Ich mußte ihn drüben im Umkleideraum lassen… Ähm, was hältst du davon, wenn wir jetzt in meine Kabine runtergehen, wie wir es abgesprochen hatten? Du weißt schon, die Flugzeugstiche und so.« Die Betonung lag auf und so. »Aber Larry, dann muß ich ja vollkommen nackt übers Deck laufen und jedem hier meinen knackigen, durchtrainierten Leib zeigen«, gab Drew zu bedenken. Ein Lächeln breitete sich über ihr hübsches Gesicht aus, und sie sagte fröhlich und voller Vorfreude: »Klasse!« Larry schluckte trocken. Er fand das auch klasse. Drew stellte den Laptop beiseite und erhob sich. Das lange, blonde Haar fiel ihr in erregenden Wellen über die Schultern. Zum ersten Mal hatte Larry Gelegenheit, ihren nackten Körper mit den perfekten Rundungen in all seiner unverhüllten Pracht zu betrachten, doch er hoffte bei Gott und seinem Söhnchen, daß es nicht das letzte Mal sein würde. Mit einemmal war Larry beinahe gewillt zu glauben, daß sein Leben nach den vielen langweiligen, ereignislosen Jahren doch noch lebenswert werden würde. Drew schritt in Richtung Umkleidekabine voran. Larry folgte ihr nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, mit heraushängen-
der Zunge ihren göttlichen Hintern anzugaffen. Sie drehte sich halb zu ihm um, strich sich provozierend das Haar aus dem Gesicht und schenkte ihm ein Lächeln, das einen Mann mit mehr Grips als Larry glatt um den Verstand gebracht hätte. »Na los, Larry!« sagte sie auffordernd. »Wo bleibst du denn? Ich dachte, wir wollten in deine Kabine, um es uns ein bißchen gemütlich zu machen. Komm schon!« Er warf noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf ihre Heckansicht und folgte ihr dann in einem seelischen Zustand, der irgendwo zwischen Apathie, Trance und Läufigkeit lag. Mit den Gedanken war er bereits bei all den schönen Dingen, die Drew und er anstellen würden, sobald sie unten in seiner Kabine waren. Plötzlich machten ihm nicht mal mehr die hämischen Rufe einer Gruppe bodygebuildeter Fitneßhengste in G-StringBadehosen etwas aus, die sich spöttisch über den guten alten Dumbo ausließen. Denn angesichts der Wunder, die auf Larry warteten, wäre selbst eine weltweite nukleare Katastrophe ihm in diesem Moment kaum mehr als ein teilnahmsloses Schulterzucken wert gewesen. Man mußte eben Prioritäten setzen. Fünf Minuten und zahlreiche gaffende Blicke anderer männlicher Passagiere später, die nicht begreifen konnten, wie sich eine Frau wie Drew Barringmore mit einem Mann wie Larry Laffer abgeben konnte, erreichten sie schließlich seine Spezialsuite. Sie gingen die Treppe hinunter und blieben neben dem Armeebett stehen. »So, da wären wir, Drew«, sagte Larry und fand wieder einmal die richtigen Worte für das Offensichtliche. »Rein einrich-
tungsmäßig vielleicht nicht gerade der letzte Schrei, aber dafür ziemlich geräumig.« »Okay, Larry«, sagte Drew, die sich in der Umkleidekabine ein knappes T-Shirt mit dem Logo der Universität von Kalifornien und einen knappen weißen Slip übergestreift hatte, um beides jetzt schon wieder auszuziehen. Larry wähnte sich bereits im siebten Himmel und wollte es ihr gerade gleichtun, aber dann sagte sie: »Gib mir nur eine Minute, okay? Ich springe rasch unter die Dusche und wasche mir die Sonnencreme ab…« Und bevor Larry auch nur den Versuch unternehmen konnte, sie gewaltsam daran zu hindern, war Drew bereits an ihm vorbei und unter der Dusche. Eine Sekunde lang war es ihm noch vergönnt, ihren wunderbaren nackten Körper durch den Plastikvorhang zu betrachten. Dann stellte sie das heiße Wasser an, und sofort wallten Wogen weißen Dampfs um sie herum auf. Innerhalb von zwei Sekunden war sie nur noch ein vager Schemen inmitten der wabernden Wasserdampfwolken. Grummelnd ließ Larry sich auf das Feldbett sinken, betrachtete die duschende Drew und murmelte: »Oh, Junge. Wasserdampf ist im Moment nicht das einzige, was aufsteigt…« Ungeduldig hockte er da und wartete darauf, daß Drew aus der Dusche kam. Und wartete. Und wartete. Nach zehn Minuten ließ er einen Stoßseufzer vernehmen, der aus Regionen südlich des Nabels kam, und rief: »He, Drew, kommst du bald raus?«
»Noch eine Minute! Ich muß erst diese Sonnenlotion abbekommen. Dieses Zeugs ist wasserfest, weißt du? Aber ich hab’s gleich geschafft…« »Hoffentlich«, murmelte er. Und wartete weiter. Irgendwann später – der Minutenzeiger seiner Armbanduhr hatte sich inzwischen ein ganzes Stück weiterbewegt – duschte Drew noch immer mit unvermindertem Elan, so daß er sich gezwungen sah, einen weiteren Anlauf zu unternehmen, um sie aus der warmen Dusche ins ebenso warme Bett zu kriegen. »Hey, Drew, ist die Lotion nicht langsam runter?« »Ja, vielleicht. Aber ich will sichergehen. Ich komme raus, sobald ich blitzsauber bin. Nur noch einen Augenblick, Larry. Dann können wir in aller Ruhe rumfokkern.« Trotz seiner nervlichen Anspannung konnte er sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. »Verdammt, ja«, murmelte er lüstern. »Und wie wir rumfokkern werden…« Diese angenehme Aussicht beschwichtigte ihn ein wenig, doch nach weiteren zwanzig Minuten strebte seine Geduld langsam dem Nullpunkt entgegen. Er erhob sich, ging hinüber zu der Dusche, die in puncto Design und handwerklicher Verarbeitung exakt den traditionellen Richtlinien der Meisterhandwerker von Obihati entsprach, deren Leitgedanke lautete, daß Dinge nur so lange funktionieren mußten, bis die Garantie abgelaufen war (im Fall der Dusche leider noch nicht), betrachtete Drews nebulösen Körper inmitten der Wasserdampfschwaden und versuchte es mit einer anderen Taktik, die vielleicht erfolgreicher war.
»Hör mal, Drew, du mußt doch einsam sein da drinnen, so ganz allein unter der großen Dusche. Willst du nicht ein bißchen Gesellschaft? Ich könnte dir den Rücken schrubben.« Drew lachte. »Danke für das Angebot, Larry. Aber seit ich Yoga mache, kann ich das allein.« »Na, dann…« Seufzend watschelte Larry zum Feldbett zurück und nahm erneut Platz. Allmählich gelangte er zu der Einsicht, daß sich Drews Duschorgie möglicherweise noch eine Weile hinziehen konnte, und ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, daß es nun nicht mehr lange bis zu seinem Date in der Ammbumsen-Suite war. Wenn Drew also nicht bald fertig war, würde ihm heute abend ein ganzes Kapitel seiner später noch zu schreibenden Autobiographie durch die Lappen gehen, und das konnte er unmöglich zulassen. Dafür boten sich ihm solche Gelegenheiten einfach zu selten. Aber was sollte er machen? Ließ er Drew in Ruhe walten, würde sie morgen früh noch unter der Dusche stehen und sich mit jeder Minute mehr und mehr in eine verschrumpelte rosa Rosine verwandeln. Andererseits war er aber ebensowenig gewillt, auf tiefschürfende Diskussionen über Anton Fokker zu verzichten. Dafür hatte er zuviel in die Sache investiert. Außerdem hatte er Drew bereits in seiner Kabine. Und nackt war sie auch schon. Er hatte sie beinahe soweit. Und wenn er sie jetzt noch irgendwie unter dieser verdammten Dusche wegbekam… Während das Wasser weiter prasselte, überlegte er fieberhaft, wie er Drew dazu bringen sollte, ihren Platz unter dem warmen Wasserstrahl aufzugeben. Zuerst ließ ihn sein Einfallsreichtum
sträflich im Stich, doch dann fiel sein Blick zufällig auf die defekte Toilette. Auf einen freien Wasserstutzen an einem der großen Tanks, mit denen seine Kabine ausstaffiert war, und auf einmal wußte er, was er zu tun hatte. Während Drew sich weiter den Freuden des warmen Wassers hingab, schlich Larry die Treppe hinauf und öffnete draußen auf dem Korridor den Wasserschlauchkasten. Auf dem Kasten stand zwar, daß man den Schlauch nur im Notfall benutzen sollte, aber für Larry war das hier ein absoluter Notfall, deshalb schnappte er sich den zusammengerollten Schlauch, schleppte ihn runter in seine Kabine und schloß ein Ende an dem Wasserstutzen am Tank an. Er versenkte das andere Ende im offenen Spülkasten der Feldtoilette und rieb sich zufrieden die Hände. »So«, murmelte er. »Jetzt hat die Toilette wieder jede Menge Wasser…« Er wartete noch eine Minute, ob Drew womöglich freiwillig aus der Dusche käme, doch als sie es nicht tat, griff er nach der Toilettenspülung, um den Hebel kurz entschlossen und mit einer gewissen Schadenfreude herunterzudrücken. So, dachte er. Das müßte sie da eigentlich rauskriegen… Kaum hatte er die Spülung betätigt, schob sich aus dem Tank eine gewaltige Wasserblase, fast so groß wie ein Kleinwagen, durch den Feuerwehrschlauch auf die Toilette zu. Larry trat sicherheitshalber einen Schritt zurück und beobachtete, wie die Blase den Spülkasten erreichte, um schließlich blubbernd darin zu verschwinden. Dann erfüllte auf einmal ein dumpfes Grollen und Poltern den Raum, als die Wasserleitungen an der Decke lautstark zu wackeln begannen, gefolgt von Drews wildem Schrei. Das warme Duschwasser verwandelte sich aufgrund
des Staus in der Leitung ohne Warnung in Eiswasser. Mit einem olympiareifen Satz sprang die junge Frau, laut kreischend vor kaltem Entsetzen, unter der Dusche hervor. Ein Blick auf den Wasserschlauch genügte, und sie begriff, wer für diesen üblen, heimtückischen Anschlag verantwortlich war. Larry grinste. »Na, da bist du ja…« »Du elender Bastard!« schrie Drew wütend. Sie schnappte sich ihre Klamotten vom Boden und hielt sie schützend vor ihren nackten, tropfenden Leib. »Das war’s! Ich bleibe keine Sekunde länger bei einem Kerl, der so rücksichtslos ist wie du! Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben! Und zum Pool brauchst du gar nicht erst wieder zu kommen!« Damit rannte sie die Treppe hinauf und knallte die Tür so laut hinter sich zu, daß das ganze Schiff erbebte. Larry sah ihr nach und seufzte müde. Sein Grinsen verflüchtigte sich bemerkenswert schnell. Resigniert, mit hängenden Schultern, trottete er zur Dusche hinüber, drehte das Wasser ab, wobei er sich den Anzug von oben bis unten vollspritzte, und fragte sich matt, warum zum Henker er so kurz vor dem Ziel immer in den Sack hauen mußte – bildlich gesprochen. Erst hatte ihn Dewmi Moore abserviert, und jetzt war ihm Drew sozusagen vom silbernen Tablett gesprungen. Alles, was ihm von ihr noch blieb, war eine gelbgrüne Schimmelschicht, die sich während des Duschens am Boden der Kabine gebildet hatte. Eine verflucht klägliche Ausbeute für all die Mühe, die er auf sich genommen hatte, um Drew dorthin zu kriegen, wohin er sie nicht gekriegt hatte. Doch noch war nicht aller Tage Abend. Noch hatte er seine Verabredung mit Annette Ammbumsen, und wenn die fesche
Dame in Schwarz hielt, was sie ihm am Morgen versprochen hatte, würde das zweifellos helfen, seine Enttäuschung über Drews Flucht zu überwinden.
14. Annette Ammbumsen Es war halb neun Uhr, als Larry die Ammbumsen-Suite auf dem Promenadendeck des Luxusliners erreichte. Inzwischen hatte er sich seines nassen Anzugs entledigt, ihn zum Trocknen über das Bett gelegt und sich mit einem identischen weißen Polyesterdreß nebst blauem Hemd und Goldkette bekleidet. Beschwingten Schritts schienderte er den dicken, vornehmen Perserteppich entlang, der über den Gang zur Tür der Suite führte. Links und rechts ragten symbolisch Statuen von schwuchteligen Kerlen in engen, genitalverstärkenden Balletthöschen, mit nacktem Oberkörper und Zylinder auf, die langbeinige blonde Dienstmädchen in die Lüfte hievten. Kronleuchter, die dekorationstechnisch etwa dasselbe aussagten wie ein paar Handvoll Hundert-Dollar-Scheine, die man draußen an seine Tür klebt, baumelten von der Decke herab. An Barschaft schien es den Ammbumsens jedenfalls nicht zu mangeln. Er blieb vor der großen Doppelglastür stehen, hinter der das eigentliche Portal der Suite lag – aus rostfreiem Stahl, einen halben Meter dick und mit einem Dutzend Schlössern, Riegeln und Ketten versehen. Rechter Hand an der Wand befand sich eine Klingel, über der auf einem geschmackvollen original goldenen Schild der Name AMMBUMSEN stand. Larry wollte gerade nach der Klingel langen, als ihm auffiel, daß die Glastür einen Spaltbreit offenstand. Er grinste.
Anscheinend hatte Annette die Türen offengelassen, damit er sich selbst Zutritt zu ihren heiligen Hallen verschaffte. Larry war von Haus nicht der Typ Mann, der sich ein solches Angebot entgehen ließ. Er drückte die Glastür auf und schlüpfte durch den Spalt. Die riesige Tresortür war ebenfalls unverschlossen, so daß er sich einen Moment später in der Suite der Ammbumsens wiederfand. Allerdings hatte Annette es versäumt, das Licht anzulassen, so daß im Innern der Nobelkabine ein Halbdunkel herrschte, das mehr verbarg, als es enthüllte. Dennoch schaffte Larry es irgendwie, einen breiten Korridor entlangzuwandern, ohne das halbe Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Er gelangte schließlich in ein großes Schlafzimmer, das vom Licht des Vollmonds, der bleich und hell und rund wie das Gesicht von Bob Hope am Nachthimmel stand, schwach erhellt wurde. Er konnte die Umrisse eines riesigen Bettes ausmachen, umgeben von zahlreichen sonderbaren Apparaturen, die er in dem Zwielicht aber nicht eindeutig zuzuordnen wußte. Unter der Steppdecke zeichnete sich der Umriß eines Körpers ab, der sich regelmäßig hob und senkte. Im ganzen Raum roch es schwach nach Gardenien, mit einem Spritzer Rosenwasser und einem Hauch von Intrige. Eindeutig Lancôme – oder Lanvin? Jedenfalls Annettes Parfüm. Larry blieb neben dem Bett stehen und betrachtete einen Moment lang den atmenden Hügel unter der Decke. Er lächelte. Offenbar konnte Annette es kaum erwarten, ihn »einzuweisen«, wie sie es genannt hatte. So rasch wie möglich entledigte er sich seiner Klamotten, warf Jacke, Hemd und Hose achtlos auf den Boden, schlug die Decke
beiseite und kletterte in das Bett. Einen Moment später war er unter der Steppdecke auf Tauchstation gegangen und stürzte sich mit einem Eifer auf den nackten, warmen Körper neben sich, den er zum letzten Mal an den Tag gelegt hatte, als er sein Gemächt versehentlich in einer Autotür eingeklemmt hatte und irgendwie versuchte, sich aus dieser peinlichen Situation zu befreien, da alle Leute auf der Straße mitbekamen, wie er hinter dem stetig schneller werdenden Wagen hergezogen wurde. Doch im Gegensatz zu damals blieben seine Bemühungen diesmal nicht fruchtlos. Der nackte Körper begann sich zu bewegen. Angestrengt keuchend intensivierte Larry seine Bemühungen und wurde forscher. Irgendwo neben dem Bett begann ein Apparat zu piepen, Piep-Piep-Piep, aber er war zu beschäftigt, um auf Kleinigkeiten zu achten. Auch als das Piepen sich immer mehr beschleunigte, zunehmend schneller und unregelmäßiger wurde, kümmerte er sich nicht darum. Erst als sich das hastige Piepen mit einemmal in einen langen, irgendwie endgültigen Pfeifton verwandelte und einen Moment später unerwartet die Deckenlampe aufflammte, wühlte er sich unter der Steppdecke hervor, auf dem Kopf eine Stoffwindel, und sah sich blinzelnd um. Der Raum war vollgestellt mit medizinischen Geräten. EKG, EEG, DDR, BRD. Überall lagen Tabletten, Spritzen und Medikamente mit unverständlichen lateinischen Namen. Es schaute aus wie in einem Krankenzimmer mit integrierter Apotheke. Und in der Tür stand, mit nichts als einem durchsichtigen roten Nachthemd bekleidet, das schwarze Haar zu einem Dutt hochgesteckt… »Annette!« Larry riß verwirrt die Augen auf.
»Larry, was tust du da?« fragte Annette, ebenso verwirrt. Das wußte er auf einmal selbst nicht mehr so genau. Eigentlich hatte er angenommen, daß er Sex mit ihr machte, aber wenn sie da jetzt in der Tür stand, mußte er sich geirrt haben. Was die bange Frage aufwarf: Mit wem lag er dann im Bett? Mit einem sonderbaren Gefühl in der Magengrube schlug er die Steppdecke beiseite – und stieß ein überraschtes Keuchen aus, als er erkannte, daß es der alte Greis aus dem Rollstuhl war, der neben ihm im Bett ruhte und sich nicht rührte. Er war nackt bis auf eine gelbe Schlafmütze mit roten Punkten. Seine Augen waren geschlossen. Neben ihm lagen prall gefüllte Geldsäcke, Bündel mit Geldscheinen und diverse Plastikbeutel, die, dem Inhalt nach zu urteilen, nichts waren, womit man sich an dieser Stelle näher befassen sollte. Auf dem hageren Gesicht des alten Mannes lag ein seltsamer Ausdruck von Glückseligkeit und Befriedigung, als ob er tief und fest schlief und einen schönen Traum hatte. Vielleicht irgendwas mit Pferden. Larry war mit einem Satz aus dem Bett. Sein Blick schwankte zwischen Annette und dem Alten hin und her, bei dem es sich wohl um ihren Vater handelte, Aristoteles Ammbumsen. »Was zum Teufel…« Annette Ammbumsen bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Larry, was hast du dir nur dabei gedacht?« Er kratzte sich verlegen an der Brust. »Also, ich, äh… Ich dachte, du wärst…« »… ruhig im Bett nebenan«, brachte sie den Satz für ihn zu Ende. Ihr Gesicht verfinsterte sich zunehmend, während sie ihn eindringlich musterte. »Langsam wird mir alles klar…« Ein
Herzschlag. Keine Beweise. Sehr sauber. Aber jetzt habe ich den Schwarzen Peter! »Hey«, sagte er leise, um den offenbar schlafenden Greis nicht zu wecken. »Vielleicht sollten wir lieber rüber in dein Zimmer gehen und dem alten Herrn seinen Schönheitsschlaf lassen.« Sie winkte ab. »Oh, ich glaube, du willst genau hier sein.« O nein! dachte Larry entgeistert. Sie glaubt, ich sei… vom anderen Ufer! »Nein, äh, also, so ist das überhaupt nicht!« stammelte er. »Hör endlich auf, hier den Blödmann zu spielen, Kumpel!« fuhr Annette ihn mit unerwarteter Heftigkeit an. »Du hast das doch die ganze Zeit geplant!« »Annette«, sagte Larry matt, »du denkst doch nicht etwa…« … ich sei vom anderen Ufer… »O doch. Genau das denke ich.« Du kaltblütiger Bastard! Ich schätze, wir müssen es auf deine Weise spielen… Ihr Blick fiel auf seine Klamotten, die neben dem Bett auf dem Boden lagen. »Laß uns erst mal den Kram hier loswerden…« Sie hob seinen Anzug auf, öffnete das Schiebefenster und warf ihn hinaus. Der Wind trug den Polyesteranzug aufs Meer hinaus und weiter in Richtung Japan. »Hey!« rief Larry. »Meine Klamotten!« »Willst du vielleicht, daß Beweismaterial rumliegt?« schnauzte sie. Ihre Augen funkelten wütend. Dann nahm sie sich zusammen und sagte langsam, ruhiger: »In Ordnung, Larry. Ich glaube, du gehst jetzt besser, bevor du mir noch mehr hilfst…« Er wollte widersprechen. »Aber…«
»Verschwinde!« zischte Annette wütend, und irgendwas an der Art, wie sie das tat, sagte Larry, daß es unter Umständen besser war, ihrer freundlichen Bitte nachzukommen. Seufzend hielt er die Stoffwindel vor sein bestes Stück und verließ die Ammbumsen-Suite, um sich weitestgehend unbekleidet auf den Weg zurück zu seiner Kabine zu machen. Bis er unten auf dem Flur war, an dem seine »Spezialsuite« lag, ging alles gut. Dann jedoch kam ihm zehn Meter vor seiner Tür eine junge Mutter mit ihrem Kind entgegen. Das Mädchen – blond, mit langen Zöpfen, adrette Zahnlücke – deutete mit den Finger auf ihn und fragte ihre Mutter unschuldig: »Du, Mama, warum hat denn der lustige Onkel da eine Windel an?« »Ich weiß nicht, Kind«, sagte die junge Mutter und musterte Larry argwöhnisch. »Vielleicht hat er ein Blasenproblem.« Larry feixte verlegen. Die Frau faßte das Kind bei der Hand und zog es eilig weiter. Einen Augenblick später verschwanden Mutter und Tochter um die Ecke. Seufzend schloß Larry seine Kabinentür auf. Heute ging wirklich alles schief. Das Leben war manchmal ja so beschissen…
15. Segeltörn Nach den herben Enttäuschungen mit Drew und Annette, von denen Larry sich mehr versprochen hatte, als sie hielten, befand er, daß es allmählich Zeit wurde, sich mal wieder um Thyghs Liebhaberpreis zu kümmern. Wenigstens ein Erfolgserlebnis wollte er an diesem Abend noch auskosten dürfen. Allerdings ging seine Enttäuschung über Drew und Annette nicht so weit, daß er beschlossen hätte, die Damenwelt der P. M. S. Bouncy vollständig unbehelligt zu lassen. Vielmehr verfiel er auf die brillante Idee, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, und beschloß, sich darum zu kümmern, daß Jamie Lee Coitus ihr kreatives Tief überwand, in der Hoffnung, daß sie sich anschließend auf eine Weise erkenntlich zeigte, die Larry mehr zusagte als eine Karte für ihre Modenschau. Er fand, daß sein Anzug eigentlich das Nonplusultra an Freizeitkleidung war und gut als Muster für Jamie Lees Entwürfe dienen konnte. Der Plastikanzug war locker, aber elegant. Weiß, aber nicht zu glänzend. Leicht, aber lange haltbar. Kunstvoll künstlich und knitterfrei. Etwas Besseres gab es schlichtweg nicht! Allerdings hatte die Sache einen kleinen Haken, wie Larry bei näherem Grübeln feststellen mußte. Immerhin befanden sie sich ja auf hoher See, irgendwo auf dem Pazifik, Hunderte Meilen fern der Heimat oder zumindest vom nächsten Stoffgeschäft.
Wie sollte er also hier und jetzt an genügend Polyesterstoff für eine ganze Kollektion kommen? Zunächst erschien Larry dieses Unterfangen noch unmöglicher, als sich in einem runden Raum in die Ecke zu stellen. Doch dann flammte über seinem Kopf mit einemmal eine Glühbirne auf, und er schnippte grinsend mit den Fingern. Er befand sich doch auf einem Schiff, oder nicht? Klar. Und Schiffe hatten in der Regel Segel, die entweder aus Baumwolle, Flachs, Hanf oder Chemiefasern – Polyester! – bestanden. Nun, Hanf konnte man vermutlich getrost vergessen, weil dann ständig größere Stücke aus dem Segel verschwinden und irgendwo anders auf dem Dampfer in Form von Joints oder Tabletten wieder auftauchen würden. Und Baumwolle oder Flachs waren für einen Luxusliner wie die P. M. S. Bouncy einfach nicht exklusiv genug. Letztlich bloß also nur die Möglichkeit, daß die Segel des Schiffes aus Polyester bestanden. Ungeachtet aller Logik, auf die er schließlich noch nie gesteigerten Wert gelegt hatte, schien das für Larry die einzige Alternative zu sein. Hoffnungsvoll verließ er die Kabine, nachdem er in einen neuen Anzug geschlüpft war, und begab sich aufs Oberdeck, von wo aus man einen guten Blick auf die Segelaufbauten hatte. Leider waren die Segel eingerollt. Nur an den Enden ragten kleinere weiße Zipfel aus der Takelage, doch aus der Entfernung konnte Larry nicht erkennen, um welchen Stoff es sich dabei handelte. Er mußte die Sache aus der Nähe betrachten. Mit weichen Knien stieg er die Leiter hinauf, die neben der Tür zur Brücke in luftige Höhen emporführte, und kletterte
keuchend den Mast hinauf. Inzwischen war es fast ganz dunkel, nur das Mondlicht begleitete den einsamen Seebären auf seinem schaukelnden Weg nach oben. Das Mondlicht – und die Höhenangst, die Larry mit jedem Schritt mehr erfaßte. Er war noch nie ein Held gewesen, wenn es um große Höhen ging; tatsächlich war er auch noch nie ein Held gewesen, wenn es um geringe Höhen ging oder überhaupt darum, ein Held zu sein. Normalerweise wurde ihm schon schwindelig, wenn er nur an sich selbst heruntersah. Seit er jedoch letzten Herbst mit seinem Gipsbein an der Regenrinne außen am Haus zu seiner Wohnung hochgeklettert war, weil ihm der Arzt nach dem Unfall strikt verboten hatte, Treppen zu steigen, litt er an einer veritablen Höhenphobie, die einer kundigen Therapierung noch harrte. Trotzdem arbeitete Larry sich tapfer immer höher hinauf. Er versuchte, nicht nach unten zu schauen und auch nicht daran zu denken, daß es ein ziemlich langer Weg dorthin war. Aber da seinen Versuchen, irgend etwas zu versuchen, seit jeher höchst selten Erfolg beschieden war, klapperten seine knotigen Knie wie Espenlaub, als er schließlich oben angelang war und sich mit dem Rücken ängstlich gegen den Mast drückte. Der Wind wirbelte seine Haare durcheinander. Links und rechts von ihm liefen die Querbalken mit den Segeln entlang. Vorsichtig sank Larry in die Knie und betrachtete ein Stück Segeltuch, das aus den Aufbauten hervorlugte. Locker, aber elegant. Weiß, aber nicht glänzend. Es war tatsächlich Polyester! Einen Moment lang schoß ihm durch den Kopf, daß die Sache im Endeffekt leichter war, als er angenommen hatte. Dann
wurde ihm klar, daß die Dinge im Endeffekt nie leichter waren, als er annahm. Selbst wenn die Segel aus Polyester bestanden, nützte ihm das herzlich wenig, falls er nicht an das Zeugs herankam, um sich ein paar Quadratmeter abzuschneiden. Dazu hätten die Segel gehißt sein müssen. Und das waren sie nicht. Larry grunzte mißmutig. Warum mußten die Dinge nur immer so… Ihm fielen plötzlich einige Kabel auf, die von unten an dem Mast emporliefen und ein Stück über seinem Kopf in einer elektrischen Winde verschwanden, mit der die Segel maschinell gehißt wurden. Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. Ob es ihm irgendwie gelingen könnte, das Segel selbst zu hissen? Mit diesem Gedanken im Hinterkopf verließ er seinen Platz am Mast – auch wenn man von hier aus einen guten Blick auf den Poolbereich hatte – und kletterte an Deck hinunter, die Kabel immer im Auge. Unten angelangt, stellte er fest, daß die Leitungen in einer Art Schaltkasten verschwanden, der auf der anderen Seite mit einem Lautsprecher verbunden war. Vielleicht befand sich in dem Kasten irgendein Relais oder Schalter, mit dem sich die Segel hissen ließen? Da »vielleicht« für ihn seit jeher gleichbedeutend mit »aber sicher« war – auf diese Weise schaffte er es, immer neue Versuche bei der Eroberung der Damenwelt zu starten –, ging er vor dem Kasten in die Knie, zog sein Allzweckmesser aus der Tasche, klappte den Schraubendreher raus und löste die Verdeckplatte. Er stellte sie neben sich an die Wand und nahm neugierig das Innenleben des Schaltkastens in Augenschein.
In dem Kasten befanden sich zwei Sicherungen. Während die obere Sicherung der Markierung nach zu den Motoren gehörte, die die Segel ein- und ausrollten, wurde die untere für die Durchsagelautsprecheranlage benötigt. Schalter gab es zwar nicht, aber als technisch versierter Laie wußte er natürlich, daß es möglich war, die Segelmotoren kurzzuschließen. Wenn er nur irgend etwas gehabt hätte, womit er die Kontaktpunkte der beiden Sicherungen miteinander verbinden konnte… Larry sah sich suchend nach etwas um, das sich zur Not als Überbrückungskabel verwenden ließ, doch abgesehen von ein paar dekorativen Klecksen Möwendreck und einem Dutzend leerer Champagnergläser, die zusammen mit einem Geschwader ersoffener Fliegen in einem Kübel mit geschmolzenem Eiswasser schwammen, gab es auf dem Deck nichts Brauchbares. Also fuhr er mit dem Aufzug in den Supermarkt hinunter, suchte die Haushaltswarenecke auf und fand schließlich, was er brauchte. Mit dem Überbrückungskabel in der Hand schritt er zur Kasse. Clovis, die Kassiererin, musterte Larry, dann das Kabel und dann wieder Larry. Das hatte sie wirklich gut drauf. Als ihr Blick schließlich auf ihm ruhte, sagte sie angeekelt und abgestoßen gleichermaßen: »Mein Gott. Was sind Sie nur für ein kranker Mensch…« Kurz darauf war Larry den Fängen der Kassiererin, die sich einfach nicht von der Idee abbringen ließ, einen hoffnungslos Perversen vor sich zu haben, glücklich entronnen und kehrte mit dem Überbrückungsdraht zu dem Schaltkasten zurück. Schnell entfernte er die Plastikverpackung von dem Kabel. Er
brachte die eine Krokodilklemme am Pluskontakt der Motorund die andere am Minuspol der Lautsprechersicherung an. Dann stieg er erneut die Segelaufbauten hoch, um zu sehen, daß seine kleine Verkabelungsaktion den gewünschten Erfolg gezeigt hatte. Hatte sie nicht. Als Larry zwei Minuten später keuchend und schwitzend oben bei den Quermasten anlangte, waren die Segel so eingerollt wie zuvor, und es sah nicht danach aus, als würde sich an diesem Zustand in nächster Zeit irgendwas ändern. Vermutlich hatte er keine andere Wahl, als darauf zu warten, daß die Turbine des Schiffes ausfiel und man deshalb auf die Segel zurückgreifen mußte, um vorwärtszukommen. Obwohl, wenn er näher darüber nachdachte, war es unter Umständen möglich, den Schiffsmotor ein bißchen zu sabotieren. So schwer konnte das doch nicht sein. Die Terroristen, die sich bemühten, die Zivilisation in die Steinzeit zurückzubomben, machten das schließlich jeden Tag. Eine Lautsprecherdurchsage vereitelte seine Pläne. Als der Sprecher die Passagiere darüber informierte, daß in einer halben Stunde in der Lounge »Zum kleinen stolzen Seemann« Bill Clinton mit seiner Comedyshow auftrat, rollte sich das Segel vollständig aus. Unverhofft hatte Larry Polyestertuch in Hülle und Fülle vor sich. Er gluckste verblüfft, wenngleich zufrieden. Offenbar hatte er durch die Verkabelung der beiden Sicherungen am Schaltkasten bewirkt, daß die Motoren der Segel immer dann aktiviert wurden, wenn über die Lautsprecher eine
Durchsage kam. So hatte er sich das zwar nicht unbedingt vorgestellt, aber wenn es funktionierte… Einem geklauten Gaul schaute man nicht ins Maul! Während ein leichter Nordostwind die Segel blähte, zog Larry sein Messer hervor, klappte die Klinge heraus und machte sich daran, aus dem Polyestertuch ein solides, mehrere Quadratmeter großes Stück herauszuschneiden. Er hatte seine Arbeit gerade beendet und sich das halbe Segel des Luxusliners zusammengerollt unter den Arm geklemmt, als das Schicksal seinen Lauf nahm. »Achtung, bitte, eine Durchsage!« erscholl es plötzlich aus den Lautsprechern, während sich die Motorenwinde der Segel mit einem elektrischen Summen in Bewegung setzte. »Vergeßt nicht, Leute, heute nacht wartet wie immer unser beliebtes Mitternachtsbüfett ›Gebogene Planke‹ auf euch, bis drei Uhr morgens im Restaurant. Ein paar Stunden später können Sie uns dann auf dem Pupsdeck bei unserem Sonnenaufgangsfrühstück Gesellschaft leisten. Und natürlich um zehn Uhr der Brunch im Speisesaal, das Mittagessen am Pool und der Vier-Uhr-Tee in der unteren Lobby. All das natürlich zusätzlich zu unseren normalen drei Hauptmahlzeiten. Also, nicht vergessen: Essen, essen, e…« Den Rest der Durchsage verstand Larry nicht mehr, weil sich das selbsttätig aufrollende Segel zu diesem Zeitpunkt bereits so fest um seinen Körper geschlungen hatte, daß er kaum noch Luft bekam. Auf einmal war um ihn herum nur noch Polyesterstoff. Er zappelte herum und versuchte, sich aus dem Segel zu befreien, doch er schaffte es nicht. Der Stoff war zu stramm gespannt.
»O Mann«, seufzte er. »Hoffentlich macht er rasch eine neue Durchsage, damit ich hier wieder rauskomme…« »Und das war die letzte Durchsage für heute«, tönte es aus den Lautsprechern. »Gute Nacht. Und träumen Sie schön…« Larry verbrachte eine unruhige und vergleichsweise unbequeme Nacht in dem eingerollten Rahsegel. Zuerst hatte er wiederholt versucht, sich aus seiner zwanghaften Isolation zu befreien, doch da er kaum einen Finger rühren konnte, geschweige denn ein anderes Glied, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich notgedrungen in sein Schicksal zu fügen und das Beste aus der unerfreulichen Situation zu machen, in der er sich befand. Also machte er irgendwann weit nach Mitternacht die Augen zu und versuchte, ein wenig zu schlafen. Doch kurz bevor er in die sehnlich ausgestreckten Arme irgendwelcher Karibikbräute in knappen Baströckchen hinübergleiten konnte, machte es sich eine Gruppe Möwen auf dem Segel bequem. Krächzend marschierten die Vögel auf ihm herum und pickten immer wieder schmerzhaft mit ihren langen, harten Schnäbeln nach ihm, weil sie sich durch sein Schnarchen offenkundig – und verständlicherweise – gestört fühlten, so daß Larry letztlich nichts anderes übrigblieb, als wach zu bleiben, um weitere Schnabelhiebe seitens der Möwen abzuwenden. Erst gegen Morgen gewann die Müdigkeit die Oberhand, und er schlief erschöpft ein – nur um einen Moment später von einer Lautsprecherdurchsage geweckt zu werden, die donnernd über das Deck schallte. »Guuuuteeeen Morgen, meine kleinen Kreuzfahrer!« brüllte der Ansager gut gelaunt ins Mikrofon. »Der Morgen ist da! Ich hoffe,
Sie hatten eine angenehme Nachtruhe und sind bereit, dem neuen Tag frisch und ausgeruht zu begegnen!« Larry hörte die Ansage. Hörte, wie die Segelmotoren ruckend anliefen. Spürte, wie das Segel auf einmal in Bewegung geriet. Und murmelte benommen: »Oh, oh…« Nur eine Sekunde später gab ihn das aufrollende Segel frei und verschaffte ihm einen kostenlosen Dreißig-MeterBungeesprung, wenn auch ohne Gummiseil am Bein. Schreiend, wild mit den Armen rudernd, stürzte Larry in die Tiefe. Rasend schnell kam der Boden näher, kalt und hart. Er sah sich bereits plattgedrückt und mit gebrochenem Genick auf dem Deck liegen, doch im sprichwörtlichen letzten Augenblick verließ ein unglaublich dicker Matrose die Brücke der P. M. S. Bouncy und dämpfte Larrys Aufschlag durch seine Körperfülle beträchtlich. Dafür fing er sich eine Schelle ein, die seine Glocken bimmeln ließ. Doch in Anbetracht der wenig erfreulichen Alternative waren ein paar Jahre Kopfschmerzen letztlich vermutlich das kleinere Übel… Nach einem Abstecher auf die Krankenstation, wo er sich vom Bordarzt eine Familienpackung Aspirin besorgt hatte, und einem üppigen Frühstück zur Stärkung der leibeigenen Regenerationsfähigkeit für Schläge, die man von wütenden Matrosen einstecken mußte, fühlte sich Larry wieder so weit wiederhergestellt, daß er sich den angenehmeren Dingen des Lebens widmen konnte – wie beispielsweise, Jamie Lee die freudige Kunde zu überbringen, daß er unter Einsatz von Leib und Seele
Polyesterstoff für sie organisiert hätte und er einem kleinen Dankeschön dafür nicht eben abgeneigt wäre. Den Polyester unter dem Arm, hoffend, daß niemand auf die Idee verfallen würde, ihn zu fragen, woher er den Stoff hatte und ob er zufällig wüßte, was mit den Segeln passiert war, begab er sich zu Kapitän Queegs Ballsaal. Kapitän Queeg war zwar nicht da, aber dafür saß Jamie Lee Coitus schon wieder – oder immer noch? – an dem Zeichenbrett, während das Meer der zusammengeknüllten Entwürfe um sie herum immer größer wurde. Sie sah aus, als hätte sie in der Nacht ebensowenig geschlafen wie er. Nervös spielten ihre Finger mit einem Filzstift. »Hi, Jamie Lee«, sagte er fröhlich. »Da bin ich wieder!« »Oh, bonjour, Larry.« Müde, frustriert. »Irgendwas passiert, während ich weg war?« Sie seufzte. »Unglücklischerweise nischt…« »Jamie, Engel, lassen Sie den Kopf nicht hängen«, munterte er sie auf. »Dazu besteht überhaupt kein Grund, denn die Lösung Ihrer Probleme liegt direkt vor Ihren Augen!« Sie sah ihn irritiert an. »Vous?« »Na, ich!« sagte er, breitete die Arme aus. »Äh, nicht direkt ich, aber mein Anzug! Der Plastikanzug! Weiß, aber nicht zu glänzend. Leicht, aber haltbar. Kunstvoll künstlich und knitterfrei! Purer Polyester! Freizeit, die ich meine! Ein absolut klassischer Look. Mit Bestnoten im Dauertest. Nach wie vor unerreicht!« Im ersten Moment schien sie bloß Quetzalcoatl zu verstehen. Dann breitete sich langsam ein Lächeln über Jamie Lees Gesicht
aus, wie die Morgendämmerung nach einer stürmischen Herbstnacht. »Ah, oui!« strahlte sie. »Bon! Also, retro ist momentan ja wieder in! Und Mode at schon verrücktere Sachen gemacht. Außerdem: Ist Mode nischt die Kunst, Leute dasu su bringen, die alten Ideen für neu su halten? Leute das Seug begehren su lassen, das sie eben weggeworfen aben? Sacre Bleu, Larree! Das könnte wirklisch inauen! Und Calvin Klone, dieses Sackgesischt, sieht dabei steinalt aus!« Larry grinste. »Sag’ ich doch die ganze Zeit!« Dann jedoch verdüsterte sich Jamie Lees Gesicht wieder. »Oh, warten Sie… Es ist unmöglisch«, sagte sie betrübt. »Wir sind auf oher See. Die Presse ist schon an Bord. Und ich abe keinen Polyesterstoff. Nicht einen einsigen Fetsen. Isch könnte per Fax ordern. Ah, keine Chance. Aber, ich habe meine besten Näherinnen ier… Nein, geht auch nischt, die sind bloß für LastMinute-Änderungen. Die können nischt in kurser Seit eine ganze Kollection nähen, ohne Stoffe. Vielleicht nächstes Jahr; wenn ich das nächste Jahr noch erlebe…« Sie seufzte schwer. Larry hob die Hände. »Moment! So schnell sollten Sie nicht aufgeben, Jamie Lee! Schließlich haben Sie ja immer noch einen Trumpf in der Hinterhand!« Sie sah ihn irritiert an. »Und welcher soll das sein?« »Na, ich!« Damit zog er das Segeltuch aus der Tasche und hielt es ihr hin. »Hier, Jamie Lee, frisch eingetroffen aus dem Mitternachtsstoffgeschäft! Reinster Polyester!« Plötzlich trat so ein komisches Funkeln in ihre großen blauen Augen. Von einem Moment zum anderen war Jamie Lee pure Hektik. Sie sprang auf und machte sich mit flinken Fingern an Larrys Anzug zu schaffen.
»Los!« rief sie aufgeregt. »Jetzt aber schnell! Runter mit den Klamotten! Alles!« Larry half ihr dabei, sich auszuziehen. »Also gut«, sagte er, als er nur noch seinen Leopardenmustertanga trug. »Aber du versprichst mir, daß du mich auch morgen früh noch respektieren wirst, nicht wahr?« Doch offenbar hatte Jamie Lee andere Dinge im Sinn als er. »Los, beweg deinen Arsch hier raus, Larry!« rief sie und warf den Anzug über ihren Zeichentisch. »Isch abe jetst keine Seit für Gewäsch! Isch brauche diesen Ansug als Muster für meine Kollection!« »Oh… Aber ich dachte…« »Und gib mir deine verdammte Unterwäsche!« Larry verzog das Gesicht. »Was? Wie?« »Deine Unterhose! Gib sie her!« Seufzend streifte er den Tanga ab und reichte ihn ihr. »So, und jetst raus ier!« sagte Jamie Lee, schob ihn zur Tür des Ballsaals und hinaus auf den Flur. »Isch abe su arbeiten! Das wir die Kollection meines Lebens…« Damit knallte die Tür hinter ihr zu. Larry stand draußen auf dem Gang und starrte die verschlossene Doppeltür an. Irgendwie konnte er gar nicht glauben, daß dies alles wirklich passierte. Soviel Pech konnte doch nicht einmal er haben! Warum war Gott nur so ein ungerechter Scheißkerl? Seufzend wandte er sich ab und marschierte den Flur hinunter in Richtung Aufzug. Selten zuvor in seinem Leben hatte er das Gefühl gehabt, so nackt zu sein.
16. Lampenketten Larry vermochte nicht recht zu sagen, warum, aber irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, daß die Dinge momentan nicht ganz nach Wunsch liefen. Immer dann, wenn er glaubte, daß er kurz davor war, es geschafft zu haben, geschah irgendwas, das ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Fast war es, als wollte das Schicksal nicht, daß er sich ein paar schöne Stunden mit den Mädels an Bord machte. Doch Larry hatte sich seinen Ruf als penetranter Möchtegernaufreißer nicht dadurch erworben, daß er bei Problemen sofort den Schwanz einzog. Er lebte nach dem Motto, daß selbst die schlimmsten Dinge irgend etwas Positives an sich haben und daß das, was uns nicht umbringt, einen nur härter macht. Also schlüpfte er nach der Rückkehr in seine Kabine in den zweitletzten Anzug, der ihm noch geblieben war, fuhr sich mit den Fingern ordnend durchs Haar und machte sich auf den Weg zur Suite der Ammbumsens. Er war der Meinung, daß die Umstände, unter denen Annette ihn gestern abend im Bett mit dem alten Herrn angetroffen hatte, einer Erklärung bedurften. Möglicherweise würde es ihm gelingen, sie davon zu überzeugen, daß die Sache gar nicht so war, wie es auf den ersten Blick vielleicht schien. Daß alles ganz harmlos und er keine Schwulette war. Außerdem hatte er noch die auf ihren Namen ausgestellte Versicherungspolice, die er gestern unter dem Stuhl im Dessertraum gefunden hatte. Offenbar hatte sie das Dokument verlo-
ren. Vielleicht hob es ja ihre Stimmung ein wenig, wenn er ihr die Police zurückbrachte. Es war elf Uhr, als er vor der Ammbumsen-Suite auftauchte. Da die Glastür diesmal verschlossen war, drückte er den Klingelknopf und lauschte dem dumpfen Läuten des Big Ben, das aus dem Inneren zu ihm herausdrang. Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann wurde die Safetür langsam aufgeschoben, und Annette trat, erneut komplett in Schwarz und mit großem Hut, hinaus auf den Flur. Sie machte ganz den Eindruck einer zufriedenen, glücklichen und – vor allem – reichen Frau. Doch offenbar hatte sie irgend jemand anderen erwartet, denn als sie Larry sah, verdüsterten sich ihre Züge schlagartig. »Oh. Du bist es«, sagte sie kühl, um dann diplomatisch folgen zu lassen: »Ähm, es ist… schön, dich wiederzusehen.« Larry nickte. »Finde ich auch…« Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Äh, weißt du, ich fragte mich gerade…« Ob es vielleicht einen Weg gibt, dich ins Bett zu kriegen… »Ob wir nicht ein bißchen plaudern könnten?« »Ich wüßte nicht, worüber wir miteinander reden sollten.« »Na, weißt du«, begann Larry stockend. »Wegen gestern nacht. Ich wollte bloß…«… dich davon überzeugen, daß ich nicht lesbisch bin – körperlich… Annette seufzte. »Siehst du, Larry, du hast getan, was du tun mußtest. Aber ich will nicht mehr darüber sprechen, okay?« »Aber… Ich… Also, gut.« Ihm war es im Grunde auch lieber, wenn sie das Thema wechselten. Dann konnte er sich zumindest nicht verquatschen. Er sah sich unschlüssig auf dem Korridor um und meinte schließlich, nur um irgend etwas zu sa-
gen: »Ähm, wie geht’s denn dem alten Herrn? Alles in Ordnung mit ihm?« Annette nickte. »Ja. Alles bestens…« »Ich hoffe, er macht ein schönes Nickerchen.« »O ja. Er hat es sich gemütlich gemacht.« Dann sah sie ihn durchdringend an und fragte mißtrauisch: »Warum bist du hier, Larry?« »Na ja, weißt du«, sagte Larry langsam. »Ich habe da etwas, von dem ich glaube, daß es dich interessieren könnte.« Damit zog er die Versicherungspolice aus der Jackentasche. »Ich glaube, das gehört dir.« Annette starrte das Dokument eine Sekunde fassungslos an. Ihr war noch gar nicht aufgefallen, daß sie die Police verloren hatte. Dann griff sie hastiger danach, als sie wollte, und sagte: »Ach ja! Die gehört tatsächlich mir! Danke, daß du sie mir zurückgebracht hast…« Sie ließ die Police in der Tasche verschwinden. Larry setzte zu einem zweiten Versuch an. »Ähem, ich dachte, also, weißt du, äh«, stotterte er kleinlaut, »für etwas derart Besonderes, also, da glaubte ich, da wäre doch vielleicht ein kleines Extra-Dankeschön fällig, oder?« »Ich glaube, ich besitze nichts, was du haben möchtest«, sagte Annette ausweichend. »Im Gegenteil!« winkte er ab. »Du hast eine Menge von dem, was ich haben will!« »Ich wüßte wirklich nicht, was.« »Was dagegen, daß ich kurz reinkomme?«
Zuerst reagierte sie nicht, sondern starrte ihn nur mit diesem Blick an, der jeden Eiswürfelautomaten arbeitslos machte. Dann kniff sie die Augen zusammen und grollte düster: »Also gut, Larry. Ich weiß, was du willst. Und wenn ich es dir gebe, dann will ich dich hier nicht mehr sehen, klar? Nichts weiter, das war’s dann! Wir sind durch. Capisce?« Larry runzelte die Stirn. Was meinte sie nur damit? Dann wurde es ihm plötzlich klar. Sie will jetzt Sex mit mir haben, und hinterher soll ich mich nicht mehr bei ihr melden. Oh! Ein Traum wird wahr! Er grinste. »Du kannst Gedanken lesen, Zuckermäulchen…« Sie zog eine Grimasse. »Okay. Warte hier!« Sie verschwand in der Suite. Larry stand ein wenig unschlüssig auf dem Korridor herum und fragte sich, was Annette vorhatte. Warum war sie allein reingegangeh? Wollte sie erst noch ein wenig klar Schiff machen, oder so was? Oder würde sie mit in seine Kabine kommen? Abwarten. Aber wohin auch immer es sie verschlagen würde, er war froh, daß es ihm gelungen war, sie doch noch umzustimmen. Denn um so ein Küken ins Bett zu kriegen, mußte ein Typ sonst eigentlich durch einen brennenden Reifenstapel springen… Nach einer Minute kam Annette zurück. Sie hatte ein Dokument dabei, das sie ihm unwirsch in die Hand drückte. »In Ordnung, Larry«, sagte sie grimmig. »Ich habe leider nicht allzuviel Bargeld da, aber das ist auf jeden Fall wesentlich
mehr, als du verdienst! Und jetzt schieß in den Wind, Amigo! Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!« Mit diesen Worten wandte sie sich um und verschwand wieder in der Suite. Die riesige stählerne Safetür fiel hinter ihr mit einem satten Krachen in die Schlösser. Larry stand da, glotzte verdutzt die Tür an und lüftete seine Mandeln. Konnte es sein, daß er da gerade irgend etwas falsch interpretiert hatte? Irritiert betrachtete er das Papier, das Annette ihm gegeben hatte. Es war ein Aktienzertifikat, das dem stolzen Besitzer fünf Millionen und einen Aktienanteil an der Ammbumsen Transport AG, kurz ATG, bescheinigte. Wie aus dem Kleingedruckten weiter hervorging, gab es von der Gesellschaft insgesamt bloß zehn Millionen Aktien, was bedeutete, daß der Urkundeninhaber der Boß der Ammbumsen Tranport AG war. Das allein wäre noch nicht sonderlich beeindruckend gewesen, doch was die Sache wirklich interessant machte, war der Umstand, daß Larrys Name unten auf dem Zertifikat stand. Er blinzelte verwirrt. »Äh, was? Eine Fünfhundert-MillionenDollar-Aktie? Aber ich wollte doch mit ihr ins Bett!« Jetzt ließ es sich beim besten Willen nicht mehr leugnen, daß diese Kreuzfahrt anders verlief, als Larry es sich erhofft hatte. Nachdem er das vage Gefühl gewonnen hatte, daß er bei Annette nicht landen konnte und Drew ihn auch nicht mehr sehen wollte – der Himmel mochte wissen, warum –, blieben ihm nur noch zwei Möglichkeiten, noch mal auf seine Kosten zu kommen: Jamie Lee Coitus und – Käpt’n Thygh.
Jedoch mußte er, um den Kapitän zu entern, erst mal diesen dämlichen Wettbewerb gewinnen. Noch hatte er vier Disziplinen erfolgreich abzuschließen. Es wurde langsam Zeit, hier Abhilfe zu schaffen. Mit diesem Vorsatz kramte er seine TLP-Punktekarte hervor und überlegte, wofür er seine Zeit als nächstes verschwenden sollte. Da er im Augenblick keine Lust hatte zu kochen und seine Arme nach der Enttäuschung mit Drew letzte Nacht noch zu ausgeleiert waren, um bereits Bowlingkugeln über die Bahnen zu schieben, entschied er sich nach reiflicher Überlegung für das Hufeisenwerfen. Doch diesmal würde er es nicht so dumm anstellen wie bei seinen erfolglosen Versuchen beim LiebesMeister 2000™ oder dem Bestgekleideten Mann. Larry suchte erneut den Bordsupermarkt auf – auch wenn ihm der Gedanke nicht sonderlich gefiel, was Clovis, die Kassiererin, denken (oder vielmehr: sagen) würde, wenn er ihr die batteriebetriebene Partylichterkette inklusive dazugehöriger Fernbedienung vorlegen würde, die er zu kaufen beabsichtigte. Doch im Endeffekt siegte seine Gier danach, zu triumphaler Siegesmusik in Kapitän Thyghs Kabine einzuziehen, über Schamgefühl und Menschenverstand. Allerdings hätte er sich gar keine Gedanken darüber zu machen brauchen, was die ältliche Kassiererin jetzt wieder denken würde, denn statt Clovis saß eine andere Frau an der Kasse. Jung, hübsch, blond. Mit einem weißen Kittel. Auf dem Namensschild an ihrer Brusttasche stand MARYLIN. »Hallo«, sagte Larry, erleichtert, der Katastrophe trotz allem noch einmal entgangen zu sein, und legte die Lichterkette mit Fernbedienung auf das Rollband. »Schöner Tag, nicht?«
Die junge Kassiererin antwortete nicht, sondern schaute ihn nur an. Musterte ihn von oben bis unten, als würde sie ihn von irgendwoher kennen oder hätte wenigstens schon einmal von ihm gehört… Als Larry der Kronleuchter aufging, war es bereits zu spät. Marylin wandte sich halb um und rief lauthals: »Clovis! Dieser Perverse ist da und kauft schon wieder Sexkram! Schnell, komm her! Das mußt du dir unbedingt angucken!« Die anderen Kunden im Supermarkt sahen ihn vorwurfsvoll an. Eine brünette Frau, Melonen in den Armen – möglicherweise aber auch nicht –, schüttelte mitleidig den Kopf. Larry versank gedanklich im Schiffsboden. Physikalisch war ihm diese Gnade leider nicht vergönnt. Als er bald darauf den »El Replicant«-Statuengarten betrat, wo die Statue der Venus noch immer in Millionen Einzelteilen über den Boden verstreut lag, ärgerte er sich nach wie vor über diese beiden dämlichen Kassiererinnen im Supermarkt. Nicht nur, daß die eiligst herbeigeeilte Clovis sämtlichen Kunden in Rufweite aufgezählt hatte, was Larry in den letzten drei Tagen alles zur Befriedigung seiner perversen Triebe gekauft hatte, schmerzte ihn. Vor allen Dingen ärgerte es ihn, daß er genug Selbstbeherrschung aufgebracht hatte, um dieses verdammte Weib nicht auf der Stelle zu erwürgen – nicht so sehr, weil er die juristischen Konsequenzen gefürchtet hätte, sondern eher, weil diese alte Vettel ein ganzes Stück größer war als er und es darum zweifelhaft war, wer wen erwürgen würde, wenn schon irgend jemand dran glauben sollte…
Doch dann sagte Larry sich, daß der Sieg nach all diesem Ärger bloß noch süßer sein würde, und stieg mit der Lichterkette unter dem Arm die Leiter des wackeligen Baugerüsts hoch, das Bob Bitt, der Bildhauer, benutzt hatte, um hoch oben unter der Decke letzte Korrekturen am Kopf der Venus vorzunehmen, bevor sie Larry zum Opfer gefallen war. Bereits gestern abend war ihm dieser komische Stahlstab aufgefallen, der wie der Stachel einer Biene aus der Decke ragte und vom Pupsdeck direkt durch das Mahagoni-Imitat des Bodens gerammt worden war. Inzwischen hatte er in Erfahrung gebracht, daß dies die untere Hälfte des Wurfziels war, das man mit den Hufeisen treffen mußte, und wie immer war er schonungslos bereit, dieses Wissen skrupellos für seine egoistischen Zwecke einzusetzen. In dieser Hinsicht unterschied er sich nicht im geringsten von sechs Milliarden anderen Menschen auf diesem Planeten. Oben auf der Plattform angelangt, auf deren brüchiger Planke noch immer die bitteren Tränen von Bob Bitt trockneten, sah Larry sich nach dem Stahlpin um und entdeckte ihn direkt über seinem Kopf. Feine Risse in der Decke liefen spinnennetzartig von dem Stift weg und ließen erkennen, daß der Pin tatsächlich direkt von oben durch das Deck geschlagen worden war. Kurz entschlossen zog er die Lichterkette aus der Verpackung, die sich auf eine Distanz von tausend Metern mit der Fernbedienung einschalten ließ, und wickelte sie geschickt um den Stahlpin. Der Stift mit den drumgebundenen blauen, roten und gelben Lämpchen hätte irgendwie weihnachtlich ausgesehen, wenn er grob baumförmig und grün gewesen wäre und auf dem Boden gestanden hätte. Doch da er mattgrau und spitz war und zudem in der Decke steckte, wirkte er eher wie ein mattgrauer, spitzer Stahlstift, der in der Decke steckte.
Gleichwohl hoffte Larry, daß die gewagte Konstruktion ihren Zweck erfüllen würde. Er war zwar in Physik nie eine besonders helle Leuchte gewesen (ebensowenig wie in Chemie, Algebra, Biologie, Englisch, Sport und einem Dutzend anderer Fächer), aber wenn er sich recht erinnerte, konnte man ein Stück Metall dadurch magnetisieren, daß man es durch das Drumwickeln eines elektrischen Leiters in eine Spule verwandelte. Mit anderen Worten: Er hoffte, daß der Stahlstift, sobald er die Lichterkette einschaltete, zu einem großen Elektromagneten wurde und die Hufeisen stark genug anzog, daß er gewann. Natürlich, der Plan war ziemlich abenteuerlich; aber war das nicht alles, was Larry tat? Er kletterte von dem Gerüst herunter und begab sich zügig nach oben auf das Deck, wo abgesehen von einem Fieberglaszentauren mit lila Lockenschopf, der als Kartenlesegerät fungierte, kein Mensch zu sehen war, was Larry sehr entgegenkam, da so niemand mitbekommen würde, daß – und wie – er betrog. Larry ging rüber zu dem Zentauren, dessen pferdemäßiges Hinterteil besser aussah als mancher Mann von vorne, und suchte nach dem Schlitz. Zuerst konnte er ihn nicht finden, doch dann entdeckte er ihn unmittelbar unterhalb des hoch aufragenden, buschigen Schwanzes. »Seltsamer Platz für ein Kartenlesegerät«, murmelte er, zog seine TLP-Punktekarte hervor und schob sie dem Zentauren – im wahrsten Sinne des Wortes – in den Hintern. Dann rüttelte er heftig am Schwanz des Geräts, um die Eingabe zu bestätigen, und baute sich an der Wurflinie auf. Zehn Meter weiter hinten befand sich das Wurfziel, das er mit den Hufeisen treffen muß-
te, um zu gewinnen, und zwar exakt fünfmal hintereinander. Fehlversuche wurden nicht anerkannt. Eigentlich ein ziemlich schweres Unterfangen… Aber nicht für einen Mann wie Larry Laffer! Entschlossen zog er die Fernbedienung aus der Tasche, drückte den Knopf, der die Lichterkette einschaltete und den Stahlpin hoffentlich in einen großen Magneten verwandelte, und nahm die Hufeisen auf, die neben dem Wurfplatz in einem Ständer lagen. Er hatte keine Ahnung, ob es klappen würde, aber er hoffte es. Denn falls nicht, hatte er diesen Wettbewerb schon so gut wie verloren. Er wog das erste Hufeisen eine Sekunde lang abschätzend in der Hand. Dann holte er tief Luft, nahm zwei Schritte Anlauf – und schleuderte das Hufeisen in die Richtung des Stahlstifts. Der Pferdeschuh wäre mindestens einen halben Meter an dem Ziel vorbeigeflogen, hätte das Hufeisen nicht unvermittelt in der Luft einen eleganten Bogen beschrieben, als würde es irgendwie von einer unsichtbaren Macht beeinflußt, um haargenau das Wurfziel zu treffen. Scheppernd rutschte das Hufeisen an dem Stahlstift hinunter und blieb am Boden liegen, während die rote Lampe an der Spitze des Pins flackernd aufleuchtete und verkündete, daß er die erste Runde gewonnen hatte. Larry klatschte zufrieden in die Hände. Na also! Klappte doch ausgezeichnet! In rascher Folge schickte er die übrigen vier Hufeisen auf die Reise, und obwohl er nicht mal sonderlich genau zielte, fanden sie alle sicher ihr Ziel. Die rote Lampe an der Spitze des Stahlstifts kam aus dem Blinken gar nicht mehr raus.
Als schließlich das letzte Hufeisen das Wurfziel getroffen hatte, ertönte ein schrilles Heulen, und die Ansagerin ließ sich in bester Marktschreiermanier vernehmen: »Gratuliere! Und wieder ein Gewinner!« Larry warf sich in die Brust. Ja, dachte er fröhlich. Ich bin ein Gewinner. Und zudem hatte er außerdem den längst fälligen Beweis dafür erbracht, daß Physikunterricht entgegen der landläufigen Meinung doch etwas ist, das einen im Leben weiterbringen kann – vorausgesetzt, man befindet sich irgendwann in der Situation, um jeden Preis beim Hufeisenwerfen gewinnen zu müssen. Er hatte seine Karte noch nicht aus dem Darmtrakt des Zentauren entfernt, als der Ansager über Lautsprecher bereits bordweit die Kunde seines jüngsten Sieges verbreitete. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat soeben mit der Höchstpunktzahl von hundert Punkten das Hufeisenwerfen auf dem Pupsdeck gewonnen, das Teil des TLP-Wettbewerbs ist. Gut gemacht, Larry! Denen hast du’s aber richtig gezeigt!« Dem konnte er nur zustimmen. Doch obgleich sein Selbstbewußtsein durch den Triumph wieder etwas Auftrieb bekam, war er nicht gänzlich zufrieden. Denn irgendwas fehlte noch, um das erhebende Gefühl dieses Sieges zu vervollständigen. Irgendwas Weibliches, mit langen Beinen, klasse Kurven und einem netten Gesicht. Eine Frau. Eine hübsche, junge Frau. Eine Frau wie Jamie Lee Coitus.
17. Haute Couture Als Larry wenig später bei Kapitän Queegs Ballsaal anlangte, stellte er fest, daß die mit einem riesigen goldenen Anker verzierte Doppeltür verschlossen war. Dafür entdeckte er einen handgeschriebenen Zettel, der mit einer Heftzwecke an das Holz geheftet war. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und las ihn. LARRY. TRIFF MICH HINTER DER BÜHNE. JAMIE LEE. Er grinste. Na, wenn das keine Einladung war… »In Ordnung«, murmelte er lüstern. »Na endlich!« Er wandte sich von der Doppeltür ab und ging nach hinten zur Bühnentür. Normalerweise war diese Tür verschlossen, da die Passagiere hinter der Bühne nichts zu suchen hatten. Doch als er jetzt den Knauf drehte, erkannte er, daß sie offen war. Erwartungsvoll zog er die Tür auf. Dahinter gähnte Dunkelheit. Neugierig trat er über die Schwelle. »Jamie?« flüsterte er und dämpfte automatisch die Stimme um ein Dutzend Oktaven. »Jamie Lee?« Lautlos schwang die Tür hinter ihm zu. Allumfassende Finsternis umgab ihn.
Doch davon ließ er sich nicht abschrecken. Obwohl er kaum die Hand vor den Augen sehen konnte, tastete er sich vorsichtig vorwärts, die Hände suchend vor sich ausgestreckt. »Jamie Lee?« rief er erneut. »Jamie? Bist du da?« Plötzlich flammten um ihn herum gleißende Scheinwerfer auf, und heiße Discorhythmen erschollen aus dem Nichts. Auf einmal registrierte Larry, daß er am Anfang des Laufstegs stand, vor einem Saal, der bis zum letzten Platz mit Presseleuten gefüllt war, und bevor er recht begriff, was er tat, ergriff sein Unterbewußtsein – schon immer der entschieden aktivere Part seines Selbst – die Chance, der Welt zu zeigen, was für ein cooler Typ er war. Lächelnd, mit wiegendem Travolta-Hüftschwung, marschierte er den hell erleuchteten Laufsteg entlang, wiegte sich im Takt der Musik, federte in den Knien, schnippte lässig mit den Fingern, kurz, versuchte, so zu tun, als wäre er ein Mann auf der Höhe der Mode. Und wundersamerweise schienen ihm die Leute das abzukaufen plötzlich, denn sie pfiffen und applaudierten und klatschten voll wilder Begeisterung. Blitzlichter zuckten immer wieder auf. Kameras surrten. Der Saal tobte. Larry genoß einen Moment das trügerische Gefühl, von allen geliebt und begehrt zu werden, und legte eine richtige Show hin. Dann, als er das Ende des Laufstegs erreichte, wollte er sich umdrehen, um noch mal zurück zu flanieren, aber plötzlich sprangen vor ihm zwei ältere Frauen mit blau gefärbten Haaren kreischend vor Begeisterung von ihren Stühlen auf, packten ihn am Aufschlag – und rissen ihn unter dem tosenden Applaus der Menge vom Steg in die Reihen des Publikums. »He!« rief er verwirrt. »He…«
Seine Rufe gingen im Reißen seines Polyesteranzugs unter, als die Frauen ihm den Stoff in wilder modischer Verzückung vom Leib rissen. Fetzen weißen Polyesters schwebten durch die Luft wie sonderbarer Schnee. Dann warfen sich die Frauen gierig auf ihn und begruben ihn unter sich. Sein inniges Flehen und Betteln interessierte sie nicht. Glücklich der Modenschau entronnen, die irgendwie ganz anders verlaufen war, als Larry sich solche Veranstaltungen bislang immer vorgestellt hatte, schlich er, nackt bis auf ein großes Knäuel weißen Garns, das er schützend vor sich hielt, den Gang zu seiner Kabine entlang. Bis jetzt war er niemandem begegnet, doch selbst wenn, wäre ihm das inzwischen auch egal. Sollten sie doch kommen, die Geier! Sollten sie ruhig starren. Sollten sie gucken, soviel sie wollten! Hier gab es etwas zu sehen, Leute! Zwei für den Preis von einem! Larry hatte bereits die Keycard in den Schlitz neben seiner Kabinentür geschoben, als neben ihm plötzlich ein Kamerateam auftauchte. Während der Kameramann mit der Linse voll auf ihn hielt, trat ein Moderator in einem braunen, langweiligen Anzug vor, hielt sich ein Mikrofon vors Gesicht und sagte: »In der nächsten Folge von ›Hinter den Kulissen‹: Das Lustschiff! Bald auch in einem Hafen in Ihrer Nähe?« Larry verkniff sich einen Kommentar und beeilte sich, in seine Kabine zu gelangen. So egal, daß er seinen nackten Hintern nächste Woche über zwanzig Millionen US-Bildschirme flimmern sehen wollte, war ihm die Sache dann doch wieder nicht…
Seufzend schlüpfte Larry in den letzten brauchbaren Anzug, den er noch hatte, knöpfte das blaue Hemd mit dem extra breiten Kragen zu, rückte das Medaillon der dicken Goldkette zurecht und fragte sich mißmutig, ob er vielleicht unter dem Einfluß einer negativen esoterischen Himmelskonstellation auf die Welt gekommen war. Irgendeine Ursache dafür, daß er ständig seine Klamotten verlor, mußte es doch geben! Nachdem er seine braunen Schuhe zugeschnürt hatte, verkündete ein Knacken in dem Wandlautsprecher über dem Feldbett, daß der Ansager mal wieder was tun wollte für sein Geld. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Sämtliche Teilnehmer des dieswöchigen TLP-Wettbewerbs werden gebeten, die vorgegebenen Disziplinen zu vervollständigen – Käpt’n Thygh wird langsam ungeduldig! – Ende der Durchsage.« Wäre Larry nicht so erschöpft von seinem Ausflug in die Welt der Haute Couture gewesen, würde er vielleicht in so was wie Panik geraten sein. Doch so kratzte er sich bloß im Schritt und murmelte müde: »Oh.« Ihm wurde klar, daß ihm langsam die Zeit weglief. Denn während die anderen Teilnehmer sich bemüht hatten, möglichst viele der verlangten Disziplinen für sich zu entscheiden, hatte Larry seine Stunden bislang vornehmlich damit verbracht, jedes Wesen auf diesem Schiff anzubaggern, das nicht wie ein Mann aussah, so daß er bislang erst die Hälfte der sechs TLPWettkämpfe gewonnen hatte. Er mußte sich beeilen, auch die übrigen drei Disziplinen in Angriff zu nehmen. Damit verließ er seine Kabine, entschlossen, die Sache nun so rasch wie möglich zu Ende zu bringen, und suchte den Raum
auf dem ersten Unterdeck auf, wo der Bestgekleidete-MannContest ausgetragen wurde. Er ging dem Herrenmodell in der Ecke erneut an die Hose, las seine TLP-Punktekarte ein und stellte sich wie gehabt auf die riesige 3D-HolographieScannerplattform in der Ecke. Wie gehabt tastete das lavendelfarbene Licht ihn von Kopf bis Fuß ab. Wie gehabt summte und ratterte es, als die ermittelten Daten an den CyberMode 2000™ weitergegeben wurden, damit dieser seinen Modekoeffizienten diagnostizierte, und wie gehabt erschien Larrys eingescanntes Abbild auf dem Monitor der Konsole. Dann, als das Licht erlosch, stieg Larry von der Plattform herunter, strich sich das schüttere Haar aus der Stirn und wartete nervös auf die Bewertung seines Äußeren. Einen Moment später knackte es in den Lautsprechern, und die Ansagerin verkündete: »Ihre Punktzahl, Larry Laffer: Hundert.« Sie verstummte. Dann, verblüfft: »Was? Einhundert Punkte? Die höchste Punktzahl? Oh, cool! Du geiler Typ!« Larry grinste. »Weiß ich ja längst…« Zufrieden verließ er den Raum. Wie es aussah, hatte sich sein Einsatz für Jamie Lee letzten Endes doch noch gelohnt, wenn vielleicht auch nicht ganz so, wie er gehofft hatte. Das war natürlich ziemlich ironisch, denn obwohl er sich kein bißchen verändert hatte und genau dieselben Klamotten trug wie bei seinem erfolglosen Versuch gestern, war er trotzdem plötzlich auf der Höhe des neuesten Modetrends. Aber vermutlich mußte er den Damen und Herren Designern nur ein paar Monate Zeit geben, dann würde er bald wieder so unhip wie immer sein. Mit dem Gefühl, dem großen Ziel – Käpt’n Thyghs Muttermale zu zählen – einen entscheidenden Schritt nähergekommen zu
sein, wanderte Larry den Flur entlang zu Kapitän Queegs Ballsaal, in erster Linie, um sich bei Jamie Lee Coitus für ihre Hilfe zu bedanken, und in zweiter, weil er hoffte, daß sie sich bei ihm für seine Hilfe bedanken würde, da sie ohne seinen Einsatz ja schließlich ziemlich dumm ausgesehen hätte. Schön, aber dumm. Unterdessen verkündete der Ansager über das Lautsprechersystem an Bord die Nachricht von Larrys Sieg. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat gerade den Wettbewerb als Bestgekleideter Mann mit der absoluten Rekordpuntkzahl von hundert Punkten gewonnen. Gratuliere, Larry! Die Welt der Mode wird nie wieder so sein wie früher.« Einen Moment später erreichte er die Doppeltür des Ballsaals. Wie zuvor war sie verschlossen, und wie zuvor stak ein Zettel an einer Heftzwecke an der rechten Türhälfte. Larry legte den Kopf schief und überflog die Zeilen. CHER LARRY. NACHDEM ISCH DEN KURS DER WELTMODE GEÄNDERT ABE, WERDE ISCH NUN DIE ÜBLICHEN TALKSHOWS BESUCHEN. ISCH BIN SISCHER, ES BEFRIEDIGT DISCH ENORM, EINEN WINZIGEN BEITRAG ZU DER GRÖSSE VON MOI GELEISTET SU ABEN. WENN DU JEMALS IN MANHATTAN ODER PARIS BIST – KAUF RUHIG EIN PAAR VON MEINEN SACHEN. BIS IRGENDWANN. DEINE JAMIE LEE. Er seufzte resigniert. »Klasse…« Benommen fragte er sich, was er dem Schicksal nur getan hatte, daß es ihn ständig so mies behandelte. Vermutlich verbarg sich dahinter irgendein windiger kleiner Gott, der neidisch auf den Schlag war, den er bei Frauen hatte, und deshalb nach
Kräften versuchte, ihm die Tour bei den Mädels zu vermasseln. Das war jedenfalls die einzige plausible Erklärung, die ihm einfiel. Höhere Gewalt. Anscheinend hatte Larry irgend etwas an sich, das sogar die Götter vor Neid erblassen ließ.
18. Quiche de Larry Die Kombüse der P. M. S. Bouncy, in die es ihn später an diesem freudlosen Tag zwecks Zubereitung eines Mahls zur Gewinnung des TLP-Kopfwettbewerbs verschlug, war all das, was der Speisesaal gleich nebenan nicht war: sauber, ordentlich, übersichtlich, anheimelnd, appetitanregend und porentief rein. Statt dessen sah es in der Küche aus, als wäre dort schon seit Wochen, vielleicht Monaten, nicht mehr gründlich saubergemacht worden. Außerdem schienen der indisponierte Koch und seine Gemüseputzer, Kartoffelschäler und sonstigen Leibeigenen es nicht für nötig gehalten zu haben, die stinkenden Reste ihrer Kunst – abgetrennte Fischköpfe mit hervorquellenden Glupschaugen, Innereien, Gemüsestrunken, Tentakel ohne Anhang, halbleere Hundefutterdosen – zu entsorgen. Überall standen Schalen und Schüsseln mit angetrocknetem, klebrigem Inhalt. Ein großer Fleischwurf, aus dessen Ende eine halb durchgedrehte rotbraune Masse undefinierbarer Herkunft hing, thronte auf dem Tresen neben einer Miniaturguillotine, mit der die Fische geköpft worden waren. Ein alter Kohlenofen hatte in der Ecke seinen Platz gefunden. Daneben befand sich der großer Kühlschrank, doch irgendwie schreckte er davor zurück, ihn zu öffnen, was möglicherweise an dem Gestank nach verrottendem Fisch lag, der selbst durch die angeblich geruchsdichten Gummilippen drang – zumindest hoffte Larry, daß das verrottender Fisch war, der da so entsetzlich stank. Wild auf dem Boden verstreut lagen alte Zeitungen, auf dem Linoleum
ausgetretene Zigarettenkippen und zerdrückte Bierdosen. Überall – an den Wänden, auf dem Fußboden, an der Decke – befanden sich Spritzer von Fett, Sauce, Ketchup und noch schlimmerem Zeug. Der Mülleimer in der Ecke war der einzige Gegenstand in der Küche, der peinlichst sauber war – als ob man grundsätzlich nie etwas wegwerfen würde, das sich noch verwerten ließ… Unwillkürlich vollführte Larrys Magen eine Pirouette, als er daran dachte, mit welcher Begeisterung er sich in den letzten drei Tagen jedesmal die Wampe vollgeschlagen hatte, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Doch er schaffte es, sich zu beherrschen – obwohl es in der Küche sowieso nicht aufgefallen wäre, wenn er alles vollgereihert hätte –, und sah sich nach irgendwas um, das er unter Umständen dazu gebrauchen konnte, den Kochwettbewerb zu bestreiten. Zuerst hatte er erwogen, in den Supermarkt zu gehen und irgendwelche schon fertigen Tiefkühl- oder Dosengerichte made in Taiwan warm zu machen, aber letztlich war er zu dem Schluß gelangt, daß es wohl besser war, den Preisrichtern irgendwas vorzusetzen, das nicht aussah, als wäre es bereits mehrfach gegessen und wieder ausgespuckt worden. Auf dem Tresen im Zentrum der Kombüse entdeckte Larry neben einer sonderbaren Maschine, die der Aufschrift nach der CyberKäse 2000™ war, mit dem man problemlos auch als Laie seinen eigenen Käse frisch zubereiten konnte, einen Fisch, der noch nicht der Guillotine zum Opfer gefallen war, eingewickelt in eine Seite des Magazins Der professionelle Koch, die ein Kochrezept zu enthalten schien. Ein Rezept!
Das war genau das, was Larry jetzt brauchte. Er wickelte den toten Fisch vorsichtig aus. Einen Moment lang überlegte er, ob er den Quastenflosser noch brauchen konnte, doch spätestens, als er den Ohrring, die Tätowierung (I WAS MADE FOR LOVING YOU) und den mürrischen Gesichtsausdruck des Geschuppten gewahrte, wurde ihm bewußt, daß irgend etwas mit diesem Fisch nicht stimmte. Außerdem hatte offensichtlich sein Deodorant versagt, so daß Larry sich gezwungen sah, ihn mit angeekelt gerümpfter Nase im Eimer in der Ecke zu versenken. Die Zeitungsseite jedoch sah vielversprechend aus, auch wenn der Geruch, der von dem fettigen Papier ausging, nicht gerade mit seinem After-shave harmonierte. Die Seite enthielt das detaillierte Rezept für etwas, das sich »Venezuelanischer Biberleskäse« schimpfte. Die Zutaten waren (in der Reihenfolge des Auftretens): Bibermilch – natürlich war die Milch des vergleichsweise seltenen venezuelanischen Bibers jeder anderen Sorte vorzuziehen –, Salz, Kälberlab, das zur Not auch durch Zitronensaft ersetzt werden konnte, und ein Hauch von Schimmel. Weiter hieß es in dem Rezept, daß man das Gericht mit einer bei lebendigem Leibe gehäuteten und grausam in Scheiben geschnittenen Kumquat-Orange zu »Venezuelanischem Biberleskäse mit Kumquat-Quiche« verfeinern konnte. Garniert war das Kochrezept mit einem Foto des fertigen Gerichts, das so beeindruckend aussah, daß Larry beschloß, es (auch in Ermangelung brauchbar Alternativen) damit zu versuchen. Allerdings warf dies einige Versorgungsprobleme auf, denn als Larry unter Mißachtung jeglicher Gedanken an seine körperliche Unversehrtheit damit begann, die Schränke und
Schubladen in der Kombüse zu öffnen, die wirkten, als wäre dies mindestens seit dem Bau der Berliner Mauer nicht mehr geschehen, stellte er schnell fest, daß es hier wenig gab, das er zur Zubereitung des Biberleskäses gebrauchen konnte. Tatsächlich gab es in der Küche wenig, das man überhaupt gebrauchen konnte, um irgendwas Nahrhaftes zuzubereiten, von dem man bereit war, es selbst zu essen – oder zumindest jemand anderem anzubieten. Alles, was Larry fand, waren Meersalz in einem Streuer (dem Etikett nach frisch vom Rumpf des Schiffes gekratzt) und ein großer Kochtopf mit Deckel, der nicht aussah, als hätte die letzten zehn Jahre über eine tote Ratte darin gehaust, so daß ihm nach erfolgter Kücheninspektion nach wie vor Bibermilch, Kälberlab, Schimmel und eine Kumquat fehlten. Die Bibermilch schien ihm freilich nicht die am schwierigsten zu beschaffende Zutat zu sein. Schließlich hatte er auf der Suche nach Drews Koffer in einem der Heckladeräume eine ganze Kolonie fetter, wohlgenährter Biber entdeckt. Und wenn er sich recht entsann, waren das sogar – venezuelanische Biber gewesen! Also schnappte Larry sich kurz entschlossen den Topf und machte sich umgehend auf den Weg zum Biwaklager im hinteren unteren Laderaum. Die sechs Biber waren nach wie vor emsig damit beschäftigt, ihre Zähne zu stärken und Holz zu Spänen zu verarbeiten. Larry blieb, den Topf in der Hand, vor dem Käfig stehen und schaute zu, wie ein besonders fettes Exemplar mit einem Schwanz, so platt und quer gemustert, als wäre ein Truck drübergefahren, auf dem Rücken liegend einen Holzschuh zernag-
te. Innerhalb von zwanzig Sekunden war von dem klobigen Klotz nichts mehr übrig außer Holzmehl auf dem Käfigboden. Der Biber rülpste zufrieden und nahm sich das nächste Stück Holz vor. Larry runzelte die Stirn. Zwei Fragen bewegten ihn. Zunächst mal, wie dieser Holzschuh in den Biberkäfig gelangt war. Und, direkt darauf aufbauend, ob das, was er vorhatte, wirklich so eine gute Idee war. Diese Viecher mochten zwar putzig aussehen, aber ihre Zähne waren groß und kräftig, und außerdem stanken sie ganz entsetzlich. Endlich sagte Larry sich, daß er nichts von den Tieren zu befürchten hatte, solange er nicht wie Marrosin Peggy ein Holzbein mit sich herumtrug. Er entriegelte die Tür, atmete noch mal tief durch und betrat den Käfig. Das Melken der Biber gestaltete sich wesentlich einfacher, als Larry angenommen hatte. Er hatte damit gerechnet, daß sich die Tiere wehren würden, weil ihnen die Prozedur unangenehm war. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Die Biber drängelten geradezu darum, daß er sich ihrer annahm, und stellten sich sittsam in einer Reihe hintereinander auf, was Larry überaus sonderbar aufstieß. Noch seltsamer allerdings fand er, daß die Tiere, die er in seiner patentierten Ein-HandMethode gemolken hatte, die er sich früher bei einer Freundin angewöhnt hatte, die man im Dunkeln rein von den Eutern her durchaus mit einer Kuh verwechseln konnte, sich in die Ecke legten und anfingen, mit verklärten Mienen Mentholzigaretten zu rauchen… Wie auch immer, nach knapp zehn Minuten war der Topf voll bis zum Rand. Larry machte den Deckel drauf, verließ den Kä-
fig, was die Biber mit einem kollektiven Schnauben der Enttäuschung zur Kenntnis nahmen, und kehrte in die Kombüse zurück, wo er den Topf mit der Bibermilch auf den Tresen neben den CyberKäse 2000™ und den Salzstreuer stellte. Damit fehlten ihm für seine Quiche nur noch Kumquat-Orangen, Schimmel und Kälberlab. Als nächstes organisierte er den Schimmel. Er brauchte nicht lange danach zu suchen. Der Boden der Dusche in seiner Kabine war nach Drews Wasserorgie mit einer üppig wuchernden Schicht edelsten grüngelben Schimmels bedeckt. Mit dem Messer kratzte er das Zeug ab. Als er das körnige Pulver betrachtete, merkte er, daß von dem matt pulsierenden Schimmel ein eigentümliches Glühen ausging, das ihn an den Handkäse erinnerte, den er so lange hinten in seinem Kühlschrank liegengelassen hatte, bis er – der genervte Handkäse, nicht Larry – sich irgendwann selbst verwirklichte und eine Gewerkschaft gründete. Doch er nahm an, daß das Zeug seinen Zweck schon erfüllen würde. Anschließend widmete Larry sich der Beschaffung der Kumquats. Zuerst dachte er, daß es unmöglich wäre, hier auf dem Schiff seltene Südfrüchte wie Kumquats zu finden. Doch dann erinnerte er sich plötzlich an die grotesk zugeschnittenen Naturstatuen auf dem Promenadendeck und mußte zugeben, daß er zuweilen mehr Glück als Verstand hatte – was im Grunde ja auch nicht weiter schwer war. Auf dem schnellsten Weg eilte Larry nach oben, blieb vor einer Pflanze stehen, die man in die Form eines Schafes gezwungen hatte, und las auf einem am Topf angebrachten Schild: KUMQUAT-STRAUCH. VORSICHT, PESTIZIDBEHANDELT!
»Na, und wenn schon«, murmelte Larry, zog das Messer hervor und schnitt dem Schaf flugs die Klöten ab – oder das, was der Schöpfer dieses begnadeten Kunstwerks dafür hielt. Er nahm die zwei kleinen, gelben Zitrusfrüchte, die meist frisch verzehrt oder eingelegt wurden, und steckte sie in seine Tasche. Jetzt mußte er nur noch das Kälberlab beschaffen, damit er mit seinem kulinarischen Meisterwerk beginnen konnte. Aber woher sollte er mitten auf See Kälberlab bekommen? Larry hatte keine Ahnung. Und die geistreichen Ideen hielten sich auch hartnäckig zurück. Allerdings stand in dem Rezept, wie er bei nochmaligem Lesen feststellte, daß statt Kälberlab auch Zitronensaft verwendet werden könne, wenn es nicht anders ginge. Nun, wie es aussah, ging es nicht anders. Aber auch Zitronensaft zu beschaffen würde nicht ganz einfach sein, denn einfach in den Supermarkt gehen konnte er nun nicht mehr. Jedoch gab es bei näherer Überlegung noch eine andere Möglichkeit, um zu bekommen, was er wollte, schließlich gab es an Bord der P. M. S. Bouncy schätzungsweise eine Million Bars, und ein Spritzer Limone gehörte nun mal in jeden anständigen Drink. Also machte er sich auf den Weg zur nächstbesten Tränke und fand sie auf dem Oberdeck. Der Barkeeper, ein kantiger Bursche mit dunkler Tolle, bis zum Nabel aufgeknöpftem Hemd und mehr krausen schwarzen Haaren auf der Brust, als Nancy Reagan auf den Zähnen hatte, war eben damit beschäftigt, für eine scharfe Braut in einem gelben Bikini, die an der Theke auf einem Barhocker saß, einen Cocktail zu mixen. Auf seinem Namensschild stand der Name Johnson.
Larry kletterte auf einen der freien Hocker und verbrachte die Wartezeit, bis Johnson den Drink für den Bikini fertig hatte, damit, selbigen einer intensiven optischen Qualitätskontrolle zu unterziehen. Als die Blondine dann mit wogendem Hinterteil abzog, eine Parfümwolke wie einen unsichtbaren Schleier hinter sich herziehend, beugte er sich über die Theke. »Äh, entschuldige mal, Johnson…« »Ja?« sagte er knapp. »Ich hätte gerne ein Glas Limettensaft, bitte.« »Nein«, ebenso knapp. Larry runzelte die Stirn. »Und warum nicht?« »Wir können Limettensaft nicht einfach so ausschenken«, klärte der Barkeeper ihn auf. »Oh. Und warum nicht?« »Weil er nicht auf der Karte steht.« Larry grunzte. »Ach, steht nicht drauf, was?« Johnson schüttelte den Kopf. »Nee. Und was nicht auf der Karte steht, schenk’ ich auch nicht aus.« Larry dachte einen Augenblick über das Problem nach. Dann sagte er: »Nun, wie wäre es statt dessen mit einem LimonenRickey, Johnson? Steht der auf der Karte?« Der Barkeeper nickte. »Ja, klar. Einen Limonen-Rickey für den Gentleman in dem netten Fummel. Kommt sofort.« »Aber laß den Gin weg, ja?« sagte Larry. »Okay«, sagte Johnson. »Jungfräulich.« »Aber laß den Soda weg, ja?« »In Ordnung.«
»Aber laß den Zucker weg, ja?« Gequält: »Klar.« »Aber laß das Eis weg, ja?« Johnson funkelte ihn wütend an. »Sicher.« »Und das Ganze ein bißchen plötzlich, ja?« Verärgert schraubte der Barkeeper eine Flasche auf, füllte ein großes Glas mit grünem Limettensaft, der roch wie die feuchten Handtücher, die man immer bekam, wenn man bei Wally’s Chicken mehr als drei Hähnchen aß (weil sich die Investition für den Laden sonst nicht rechnete, hatte Wally ihm irgendwann mal erzählt), und stellte es vor seinem Gast so unsanft auf die Theke, daß es spritzte. »Hier«, grollte er. »Ersticken sollen Sie dran!« Larry bedankte sich, warf einen Fünfer auf die Theke, rutschte vom Hocker, das Glas Limettensaft in der Hand, und ging nach unten in die Kombüse, wo er alle Ingredienzen, die er zur Zubereitung der Kumquat-Quiche benötigte, neben dem CyberKäse 2000™ auf den Küchentresen stellte. Er kramte das Rezept hervor, breitete es auf der Platte aus und warf, exakt der Anleitung folgend, die einzelnen Zutaten in die obere Öffnung des Geräts. »Mal sehen«, murmelte er beschäftigt. »Etwas Bibermilch… Ein Fingerhut Schimmel, frisch von der Duschwand gekratzt… Eine Prise Salz… Und dieser Zitronensaft hier…« Als der Trichter des CyberKäse 2000™ bis zum Stehkragen mit den Zutaten gefüllt war, schaltete Larry die Maschine ein und trat hastig zurück. Damit folgte er nur der deutlich sichtbaren, mit zwei blanken Totenschädeln verzierten Anweisung an
der Seite des Geräts, die bei Mißachtung schwere Gesundheitsschäden versprach. Wie sich zeigte, war Larry eine Sekunde zu früh zurückgetreten, denn mit einemmal erwachte der Apparat unheilvoll summend und pfeifend zum Leben. Die Maschine wackelte wild hin und her. Stinkender schwarzer Qualm stieg von dem CyberKäse 2000™ auf. Ein dröhnendes Poltern, Brummen und Rumoren erklang, daß Larry Angst hatte, der Apparat würde ihm gleich in Einzelteilen um die Ohren fliegen. Schnell trat er noch zwei Schritte zurück, bereit, sich jederzeit hinter dem Tresen in Deckung zu werfen, wenn es erforderlich werden sollte. Indessen dröhnte der Käseapparat mit unverminderter Heftigkeit weiter. Als Larry gerade dachte, es wäre unter Umständen besser, das Deck räumen zu lassen, spie der Apparat unter heftigem Würgen und Keuchen schließlich eine undefinierbare braungelbe Masse in die Schale, die unter der Maschine stand. Von dem Produkt ging eine widerwärtige Dunstwolke aus, wohl am ehesten mit einem Besuch einer öffentlichen Bedürfnisanstalt im Hochsommer zu vergleichen. »Puuh.« Larry wedelte mit der Hand angeekelt vor seiner Nase herum. »Das stinkt ja vielleicht…« Aber immerhin war es original Venezuelanischer Biberleskäse, was bedeutete, daß er die erste Hürde schon einmal genommen hatte. Jetzt mußte er daraus nur noch KumquatQuiche machen, und dann hatte er den Sieg beim Kochwettbewerb bereits so gut wie in der Tasche – hoffte er zumindest. Larry machte sich an die Arbeit. Er vierteilte die Kumquats gnadenlos mit dem Messer, stellte die niedliche Küchenuhr in Form eines fettleibigen Kochs mit
einer Hähnchenkeule in Händen auf exakt fünfundfünfzig Minuten ein, rührte die saftigen Kumquatscheiben in die Schale mit dem Biberleskäse, warf noch ein paar von den weniger ekelhaften Dingen rein, die auf der Theke rumlagen, füllte das Ganze in eine saubere Backform (okay, in eine Backform) und schmiß es in den vorgeheizten Ofen, wo es eine gute Stunde fröhlich vor sich hin backte, bevor der Koch plötzlich zu läuten begann und Larry die Backform vorsichtig aus dem Rohr holte. Die Quiche sah zwar schon wesentlich besser aus als vorher, doch der Geruch war nach wie vor derart penetrant, daß Larry automatisch hoffte, alle Raten für seine Privathaftpflichtversicherung bezahlt zu haben. Das Zeug stank ekelhaft nach… Nein, es roch ganz einfach nur ekelhaft. Ihm war klar, daß er die Quiche so unmöglich den Preisrichtern vorsetzen konnte. Sie würden ihn nicht nur hochkant aus dem Wettbewerb werfen, sondern ihn geradewegs kielholen lassen – oder ihn, was zweifellos noch wesentlich schlimmer war, dazu zwingen, seine Quiche selbst zu essen. Er mußte sich also irgendwas einfallen lassen, um das Zeug in eine Köstlichkeit zu verwandeln oder zumindest so weit zu verfeinern, daß es nicht mehr roch, als hätte er es gerade frisch von einer Kuhweide geholt. Aber wie? Oder besser: Womit? In der Hoffnung, bei der Küchendurchsuchung vorhin vielleicht irgend etwas übersehen zu haben, das er dazu verwenden konnte, die Kumquat-Quiche genießbar zu machen, machte er sich daran, die Kombüse ein zweites Mal zu durchforsten. Er
zog Schubladen auf, öffnete Schränke, ja, sah sogar in die Vorratskammer. Und tatsächlich: Er wurde fündig! Ganz hinten in einer Schublade neben dem Herd, inmitten einer Sammlung versteinerter Mäusekötel, lag ein kleines, längliches Glasfläschchen mit einem grünlich phosphoreszierenden Pulver. Neugierig drehte Larry die Phiole zwischen den Fingern und las halblaut, was auf dem Etikett stand. »Orgasmuspuder. Nur zur äußeren Anwendung! Maximal eine Prise pro Anwendung! Achtung, akute Gesundheitsgefahr!« Larry wog die Flasche in der Hand und grinste. Offenbar hatte das Schicksal doch noch ein Einsehen. Zehn Minuten später stand Larry, seine Quiche de Larry stolz in den Händen, vor den drei Preisrichtern des Kochwettbewerbs, die hinter einer flachen runden Theke in Form eines riesigen Mundes mit roten Lippen saßen und, die Löffel bereits erhoben, gierig darauf warteten, daß es etwas zu futtern gab. Offenbar hatten sie heute noch nichts zum Mittagessen bekommen. Larry stellte die Quiche vor Richterin Julia auf die Theke. Die Preisrichterin war eine vollbusige Matrone mit rotem Haar, der man deutlich ansah, daß sie in ihrem Leben noch nie ein Dessert ausgelassen hatte. Oder ein Sorbet. Oder eine Mousse. Oder überhaupt etwas halbwegs Eßbares, das sie in die Finger bekam. »Punktekarte, bitte!« sagte Richterin Julia. Larry gab ihr seine TLP-Karte.
Die Matrone schob die Karte in einen Computer, wartete, bis die Daten eingelesen waren, und gab sie dann zurück. »Danke sehr, Mr. Laffer…« Dann wandte sie sich der Quiche zu und betrachtete die sonderbar schimmernde Speise neugierig von allen Seiten. »Nun, was haben wir denn da?« »Quiche de Larry«, erklärte er stolz. »Oh, wie originell! Na, dann wollen wir doch mal sehen…« Sie stieß ihren Löffel in die Quiche, nahm einen Happen und kaute lautstark, auch wenn Larry keine Ahnung hatte, was es an dem weichen Zeug zu kauen gab. Einen Moment lang machte sie ein Gesicht, als müsse sie sich augenblicklich übergeben. Doch dann entfaltete das Orgasmuspuder, mit dem er seine Kreation aufgepeppt hatte, seine Wirkung, und die Matrone verzog heftig stöhnend das Gesicht. Ihre Augen funkelten wollüstig. Keuchend vor Lust und Verlangen wand sie sich auf ihrem Stuhl und sank schließlich, unanständige Beckenbewegungen ausführend, unter die Theke, außer Sicht. Richter Graham, ein dürrer Kerl mit Brille, der neben ihr saß und offenbar mehr der Gemüsetyp war, runzelte verwirrt die Stirn. Dann, als Richterin Julia sich unter dem Tresen laut stöhnend aufbäumte, rief er: »Ich will das haben, was sie auch hat!« Gierig griff er nach der Quiche de Larry, stieß seinen Löffel hinein und nahm einen großen Bissen, um zwei Sekunden später ebenfalls keuchend und hechelnd unter die Theke zu sinken. Aus seinem Mund lief Geifer. »Ich will auch was von dem Zeug!« rief Richter Paul, ein dicker, bärtiger Franzose mit Vollbart, Baskenmütze und einem Baguette unterm Arm, lauthals. Hastig grapschte er nach der Quiche, panisch besorgt, daß er nichts mehr davon abkriegen
würde. Ohne sich damit aufzuhalten, den Löffel zu benutzen, schob er sich die gesamte restliche Quiche de Larry auf einmal in den Rachen, kaute zweimal, stieß einen jodelnden Freudenschrei aus – und gesellte sich mit gierig verzerrtem Gesicht zu Richterin Julia und Richter Graham unter den Tresen. Das Stöhnen der drei Preisrichter schwoll zu einem Stakkato an, das die Theke erbeben ließ, und übertönte um ein Haar gar die Lautsprecherdurchsage, die in diesem Augenblick durch das Schiff hallte. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat soeben den TLPKochwettbewerb mit der bislang unerreichten Spitzenpunktzahl von dreihundert Punkten für sich entschieden. Gratuliere, Larry! Du bist ja richtig zum Anbeißen!« Nach einem letzten, erheiterten Blick auf das wild ineinander verschlungene Knäuel nun größtenteils nackter, keuchender und schwitzender Leiber hinter der Theke trat Larry, fröhlich vor sich hin summend, auf den Flur hinaus. Vielleicht, dachte er, während er zum Aufzug ging, hätte es bereits ausgereicht, eine kleine Menge von dem Orgasmuspulver auf die Quiche de Larry zu streuen, statt des ganzen Fläschchens…
19. Achterdeck-Bowling Larry verschwendete seine kostbare Zeit nicht damit, die Süße des Sieges auszukosten, sondern begab sich direkt zu den Bowlingbahnen auf dem Achterdeck, um seinem Triumph bei Käpt’n Thyghs Liebhaberpreis den letzten Schliff zu verpassen. Abgesehen von einem Schönling mit Dauerwelle, der nur eine knappe Badehose und Turnschuhe trug, waren alle Bahnen unbesetzt, so daß Larry mehr oder weniger freie Auswahl hatte. Er entschied sich schließlich für Bahn 69. Indes der Kerl in der Badehose lässig seine Kugel schleuderte und regelmäßig sieben bis acht der neun Kegel abräumte, besah sich Larry die Bowlingkugeln in dem in Form eines Walrosses gestalteten Ständer hinter den Bahnen. Zunächst glaubte er, daß er es schaffen würde, den Wettstreit zu gewinnen, ohne zu schummeln. Doch als er die Finger in die Löcher steckte und versuchte, eine Kugel hochzuheben, vergaß er diesen Gedanken schnell wieder. Er konnte diese verdammte Bowlingkugel ja kaum anheben! Wie wollte er dann damit fünfmal hintereinander alle neune abräumen? Die Antwort war einfach: Gar nicht. Also entsann er sich seines Vorgehens bei den anderen fünf Disziplinen und überlegte, wie er das Bowlingturnier gewinnen konnte, das schließlich alles war, was noch zwischen ihm und Käpt’n Thygh stand. Doch ihm fiel nichts ein. Sosehr er sich auch den Schädel zermarterte, es kam nichts dabei raus.
Mißmutig vor sich hin brummend, verließ Larry die Bowlingbahn und streunte in der vagen Hoffnung, zufällig über eine Idee zu stolpern, die ihm zum Sieg verhelfen würde, durch das Schiff. Die begrenzte Ewigkeit einer endlosen Stunde wollte und wollte ihm nichts einfallen, doch dann sah er plötzlich, wie Peggy mit einem Mop, der an ihrem Holzbein befestigt war, das Deck schrubbte, und schnippte auf einmal so heftig, daß er sich dabei fast die Finger brach. Natürlich! Miss Peggy! Das war die Lösung! Nun, eigentlich nicht direkt sie, aber das, was sie ihm bei ihrer Unterhaltung neulich erzählt hatte. Darüber, wie sie ihr Bein verlor. Sexualgleitcreme und Deospray… Begeistert von seiner eigenen Genialität – und aus Furcht, daß ihn sonst der Mut verlassen würde – hastete er vom Promenadendeck stante pede runter in den Bordsupermarkt, lief an den überquellenden Regalreihen entlang und stellte sich mit einer Tube SO-Sexualgleitcreme Extra-Feucht (auch als Roulettekugelpolitur verwendbar) und einer Dose Deospray Marke TransPirenz an die Kasse. Clovis, die Kassiererin, sah Larry an. Dann die Sexualgleitcreme. Dann wieder Larry. Und brüllte lauthals nach dem Geschäftsführer.
Nach einer Stunde ermüdender Diskussionen mit Carter Jackson, dem lispelnden Geschäftsführer des Bordsupermarktes, die damit endete, daß er in dem Laden Hausverbot auf Lebenszeit erhielt, schlich sich Larry, mit Gleitcreme und Deospray unter dem Arm, in den Laderaum, in dem sich die Aufstellmaschinerie für die Bowlingpins befand. So unauffällig wie möglich schaute er sich nach den Kegeln der Bahn 69 um und fand schließlich die Hebebühne, die sie durch die Löcher in der Decke oben auf der Bahn plazierte. Er guckte sich verstohlen um, ob jemand in der Nähe war, doch außer einer Ratte, die in der Ecke damit beschäftigt war, sich mit einem leeren Plastikbeutel zu paaren (daher die Bezeichnung Beutelratte) war der Lagerraum verlassen. Niemand würde irgendwas bemerken. Leise die Melodie von Rodriguez, das aufblasbare Wunderlama vor sich hin summend, entfernte Larry die Kappe von dem Deo und sprühte die ganze Dose gleichmäßig auf die neun Bowlingpins. Dann, als die Kegel über und über vor TransPirenz klebten und er kurz vor dem Erstickungstod stand, verließ er den Lagerraum und kehrte nach oben auf das Achterdeck zurück, wo der Bursche in der ultraengen Badehose (tat das eigentlich gar nicht weh?) noch immer damit beschäftigt war, bei seinen Würfen regelmäßig den letzten Kegel stehenzulassen. Bahn 69 war nach wie vor frei. Wunderbar… Larry bezog an der Bahn Aufstellung, schob seine Punktekarte einem langzahnigen Walroß ins Maul, das als Kartenlesegerät fungierte, bis der Darmtrakt des Tieres eine für den Wettbewerb geeichte Bowlingkugel freigab. Dann zog er die Sexual-
gleitcreme und das weiße Spitzentaschentuch hervor, das Annette Ammbumsen bei ihrem viel zu kurzen Gastspiel in der Seifenoper seines Lebens in seiner Kabine zurückgelassen hatte, schraubte die Tube mit flinken Fingern auf und drückte die Hälfte des fettigen rosafarbenen Inhalts auf das Tuch, bevor er die Kugel langsam und sorgfältig mit der Gleitcreme einrieb. Als die Creme nach einer Minute angetrocknet war, sammelte er seine Kräfte, wuchtete die zwanzig Pfund schwere Bowlingkugel keuchend mit beiden Händen hoch und schleppte sie, aus allen Knopflöchern schwitzend, zu seiner Bahn, um anschließend erst einmal eine kleine Verschnaufpause einzulegen, damit er wieder ein wenig regenerierte. Breitbeinig baute er sich schließlich am Fuß der Bahn auf, die Kugel zwischen den Schenkeln, und visierte mit konzentriert zusammengekniffenen Augen die neun Pins an, die zwanzig Meter weiter vorne aufragten. Dann holte er aus, das Gesicht hochrot vor Anstrengung, schleuderte die Kugel mit beiden Händen vor und schickte sie auf die Reise. Die Bowlingkugel kullerte im Zeitlupentempo über die Bahn. Larry starrte ihr angespannt nach. »Komm schon«, murmelte er, heiser vor Aufregung. »Komm schon. Komm schon. Komm schon…« Die Kugel rollte weiter. Und weiter. Und weiter… Irgendwann später – hätten Zuschauer an den Fernsehschirmen das dramatische Ereignis verfolgt, wäre längst ein verhaltenes Schnarchen durch die Wohnzimmer gezogen – erreichte die Kugel schließlich allen Unkenrufen zum Trotz die neun
Pins. Sanft wie eine Feder traf sie auf die Kegel – und löste durch den Kontakt mit dem Deospray, mit dem Larry die Pins eingesprüht hatte, eine bescheidene Explosion aus! Mit einem lauten Knall flogen die Kegel davon, rissen sich gegenseitig um und fielen klappernd zu Boden, während ein grauer Miniaturatompilz in die Höhe stieg. Die rote Lampe über der Bahn begann heulend zu blinken. Volltreffer! Larry hatte alle neun Pins auf einmal abgeräumt! Er stieß ein schrilles Triumphgeheul aus. Dann schnappte er sich die nächste Bowlingkugel und warf sie, sobald die Kegel wieder halbwegs standen. Erneut leuchtete die rote Lampe auf. Alle neune! Larry lachte fröhlich und machte eifrig weiter. Die dritte Kugel krachte ins Ziel. »Wow! Wow! Wow!« rief er und tanzte wie ein Derwisch auf der Bahn auf und ab. Die nächste Bowlingkugel. Ka-wooooom! Und die letzte Runde… Larry warf die Kugel. Acht Kegel wirbelten davon. Der neunte Pin schwankte… Er hielt den Atem an. … und schwankte… »Na, komm schon! Mach schon! Los doch!« … und fiel scheppernd um!
Treffer – und versenkt! Das rote Licht über Bahn 69 wirbelte Überstunden. »Ja!« brüllte er begeistert und stieß in klassischer Siegespose die Faust in die Luft. Er fühlte sich gut. Er fühlte sich großartig. Er fühlte sich wie ein Gewinner! Er war ein Gewinner! Und als ob er das nicht schon immer gewußt hätte, verbreitete der Ansager einen Moment später bereits die frohe Kunde von Larrys Triumph in aller Herren Länder – oder zumindest auf dem ganzen Schiff. »Achtung, bitte, eine Durchsage! Larry Laffer hat soeben mit dem Sieg beim Bowlingwettbewerb mit einem neuen Rekord von dreihundert Punkten den Gesamtsieg von Thyghs Liebhaberpreis davongetragen! Herzlichen Glückwunsch, Larry! Dir steht eine bewegte Woche bevor! Käpt’n Thygh erwartet dich schon in ihrer Kabine. Laß sie nicht zu lange warten!« Larry grinste breit. »Keine Sorge«, sagte er zufrieden. »Weiß doch jeder, daß ich nie irgendwas anbrennen lasse…«
20. Grand finale Als Larry das Hauptdeck betrat, wo Käpt’n Thyghs Kabine lag, trugen zwei pfeifeschmauchende, muskelbepackte Matrosen gerade eine Bahre heraus. Als sie an ihm vorbeikamen, erkannte er, daß darauf ein Mann lag, der aussah, als wäre er mindestens doppelt so alt wie Gott. Die Gestalt war vollkommen ausgezehrt. Die Augen klebten tief in den Höhlen und waren dunkel umrandet, wie nach einem Monat Dauerfernsehen. Das Haar stand strähnig zu allen Seiten vom Kopf ab. Noch nie zuvor in seinem Leben war Larry jemandem begegnet, der so unendlich erschöpft wirkte. »Guter Gott«, murmelte er entsetzt. »Was um alles in der Welt ist denn mit Ihnen passiert?« »Ich… ich bin der Gewinner des TLP-Wettbewerbs von letzter Woche«, krächzte der Mann mühsam. Er hatte kaum die Kraft zu sprechen. »Oder zumindest die kläglichen Überreste davon. Und Sie? Wer… sind Sie?« »Ich, äh, ich bin der Gewinner dieser Woche.« Der Mann schaute ihn mit blanker Panik im Blick an. »Gütiger Himmel, Mann, tun Sie sich selbst einen Gefallen und gehen Sie da nicht rein!« rief er flehentlich. »Gehen Sie da ja nicht rein! Sie haben nicht die geringste Ahnung, auf was Sie sich da einlassen! Tun Sie…« Bevor er den Satz zu einem grammatikalisch und semantisch befriedigenden Abschluß bringen konnte, wurde sein Körper
mit einemmal von einem heftigen Anfall geschüttelt. Er bäumte sich auf, keuchte wie ein Asthmatiker im Endstadium und fiel dann einfach in Ohnmacht. »O Gott!« rief Larry aufgeregt. »Stirbt er jetzt?« Einer der Matrosen, ein Kerl von einem Schrank, dessen Gesicht ideal zum Eierabschrecken geeignet war, winkte ab, während er stinkende Tabakwolken in die Luft blies. »Nur keine Sorge. Das kennen wir schon. Ist jede Woche dasselbe Theater. Dem fehlt nichts weiter. In drei, vier Wochen ist der Bursche wieder so fit, daß er allein gehen kann. Glauben Sie mir.« Larry schluckte. »Wie beruhigend…« Er sah zu, wie die beiden Matrosen die Bahre mit dem reglosen Mann zum Aufzug trugen, und konnte nicht verhindern, daß sich seine Triumphgefühle mit Zweifeln durchsetzten. Lieber Himmel, der arme Kerl sah aus, als wäre er gefoltert worden – obwohl er natürlich nichts gegen Folterspielchen hatte, solange es im Rahmen blieb. Aber das… Larry blickte zur offenstehenden Tür von Käpt’n Thyghs Kabine hinüber. Sollte er da wirklich reingehen? Einen Moment lang stand er unschlüssig da. Dann faßte er einen Entschluß und sagte entschieden, wie um sich selbst Mut einzuflößen: »Ach, zum Teufel, ich bin so weit gekommen, da werde ich doch jetzt nicht kneifen!« Mit dem schwingenden Schritt eines Gewinners ging er hinüber zu der Tür. Dahinter war alles ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm…
Larry verdrängte den Gedanken. Nein, er würde nicht kneifen! Nicht nach allem, was er durchgemacht hatte. Er gab sich einen Ruck, atmete tief durch und rief heiser: »Okay, Käpt’n! Hier kommt dein neuer Herr und Meister!« Mit diesen Worten betrat er die Kabine. Drinnen erwartete ihn eine Kulisse, die irgendwie mächtig nach nordischen Sagen roch. Die Kabine war wesentlich größer, als es von draußen den Anschein hatte, möglicherweise größer als das ganze Schiff. Ringsum ragten die weißen Gipfel gewaltiger, schneebekränzter Berge in die Höhe. Überall wuchsen Blumen in allen Farben des Regenbogens. Direkt vor ihm ragte aus einem wie mit dem Zirkel gezeichneten See mit klarstem Wasser, das von wunderschönen rosa Seerosen geziert wurde, eine Insel auf, auf deren höchstem Punkt (manche sagten auch Gipfel) sich eine riesige geöffnete Südseemuschel befand, so groß wie ein Haus. Vögel zwitscherten im Geäst. Das Zirpen von Grillen war zu hören. Im Hintergrund krakeelte eine Opernarie. Larry hatte auf dieser Kreuzfahrt bereits zuviel gesehen und erlebt, um über den unglaublichen Anblick, der sich ihm bot, übermäßig ins Grübeln zu geraten. Er nahm die phantastische Szenerie einfach als gegeben hin, lief beschwingten Schritts hinüber zu dem See, pflückte beim Laufen eine weiße Blume vom Wegesrand, roch daran, genoß den frischen, natürlichen Duft und warf das Grünzeug dann fröhlich beiseite. Er fühlte sich unglaublich gut. Unglaublich frei. Beinahe glaubte er, fliegen zu können, ohne auf die Schnauze zu fallen. Als er das Seeufer erreichte, tauchten vor ihm aus den klaren blauen Fluten plötzlich mehrere große, flache Steine auf, die
einen Pfad über das Wasser hinüber zu der Insel bildeten, auf deren Gipfel sich der Hort seiner Träume befand, erreichbar über eine geschwungene marmorne Treppe. Ein Requisiteur warf ihm aus den Kulissen einen Speer und einen Wikingerhelm mit riesigen Hörnern zu. Larry fing den Speer geschickt mit einer Hand auf, häuptete sich mit dem Helm und hüpfte glücklich, leicht wie eine Feder, im Ballerinaschritt über die Steine, bis er zwei Meter vor dem Inselufer unversehens abrutschte und ins Wasser stürzte. Die Musik soff ebenso ab wie er selbst. Doch einen Moment später schwoll die Arie triumphierend wieder an, als Larry wie einst Phönix aus der Asche aus dem Wasser auftauchte, mit starken, selbstsicheren Zügen ans Ufer schwamm und so schnell die Stufen zum Gipfel der Insel emporstürmte, wie seine kurzen Beine ihn trugen. Dann, endlich, langte er oben an – und da war sie! Wie eine nordische Göttin saß Käpt’n Thygh in der riesigen Südseemuschel, auf einer gigantischen weißen Perle. Sie trug ein knappes, beinahe durchsichtiges weißes Kleid, das ihre überirdisch üppigen Formen kaum zu bändigen vermochte. Ein kleiner, goldener Helm mit zwei goldenen Flügeln, der aussah, als hätte sie ihn einem schnauzbärtigen Gallier geklaut, saß auf ihrem schulterlangen, leuchtend güldenen Haar. Sie hatte ein Gesicht, gegen das die legendäre Lorelei glatt verblaßte, auch wenn es weniger Schiffe versenkte. Man sah ihr an, daß sie arrogant, verwöhnt und sexbesessen war, und dennoch – oder möglicherweise auch gerade deswegen – fühlte sich Larry wie im siebten Himmel.
Überglücklich sank er vor ihr auf ein Knie, den Speer in der Hand, das Haupt hoch erhoben, und breitete die Arme aus zum Zeichen, daß ihr Held, ihr Prinz, ihr Beschützer eingetroffen war. Käpt’n Thygh sah ihn an – und zog eine Grimasse. Offenbar war sie von seinem Anblick nicht halb so überwältigt wie er von ihrem. Die Triumphmusik verstummte abrupt. »Uhh…« Larrys Lächeln verblaßte. Betrübt warf er den Speer beiseite, nahm den Helm ab und drückte ihn gegen die Brust. Noch nie in seinem Leben war er so unglücklich gewesen. Wie hatte er bloß annehmen können, daß eine Göttin wie Käpt’n Thygh sich ihm freiwillig hingeben würde, Wettbewerb hin oder her? Er mußte vollkommen bescheuert gewesen sein. »Hallo«, sagte er schüchtern. Käpt’n Thygh rümpfte die Nase. »Ähm, ich fürchte, da hat es irgendwo eine Verwechslung gegeben«, meinte sie. »Man hat mir gesagt, der Gewinner des Wettbewerbs sei ein gewisser Larry Laffer…« »Na, das stimmt schon«, sagte er. »Das bin ich.« »Oh«, machte Käpt’n Thygh, alles andere als begeistert. Larry nahm sich vor, sich nicht entmutigen zu lassen. »Weißt du, ich bin so aufgeregt, daß ich meine Kreuzfahrt um eine Woche auf Kosten der Reederei verlängern darf«, sagte er. »Und ganze sieben Tage mit einem Superbaby wie dir verbringen kann.« »Das muß aber ein Fehler im Prospekttext gewesen sein«, wandte sie ein. »Das war nie Teil des Supersparangebots…«
Larry blinzelte. »Aber, äh, ich dachte… Du weißt schon… In deiner Kajüte… Eine Woche lang…« »Tut mir leid«, sagte Käpt’n Thygh kühl. »Doch da wird nichts draus.« »Ja, aber… Warum denn nicht? Ich habe doch den Wettbewerb gewonnen! Fair und… Na ja, jedenfalls habe ich gewonnen!« Sie seufzte. »Ja, ich weiß. Nun, der Teil mit der Kreuzfahrt ist natürlich kein Problem. Ich bin sicher, deine Kabine ist auch nächste Woche noch nicht belegt.« Er wollte protestieren. »Aber…« »Und ich weiß«, fuhr sie fort, »der Gewinner soll eigentlich eine Woche mit mir verbringen… Aber ich bin so gelangweilt.« Tatsächlich leuchtete ihr die Langeweile deutlich aus den rehbraunen Augen, was allerdings ein oft beobachtetes Phänomen bei Frauen war, die Larry begegneten. »Ja, aber wie kannst du denn jetzt einfach die Regeln ändern? Ich dachte, ich hätte den Wettbewerb gewonnen!« Käpt’n Thygh legte den Kopf schief. »Nachdem ich dich gesehen habe, Larry Laffer, verspüre ich plötzlich das Verlangen nach mehr. Außerdem sage ich immer, ein Mann sollte erst was geben, bevor er was bekommt.« Larry brummte unwirsch. Warum bloß waren die Dinge in seinem Leben immer so kompliziert? Vielleicht, überlegte er, nützte es was, wenn er es auf die einfühlsame Tour versuchte. »Also, wenn du so gelangweilt bist… Was erwartest du dann wirklich von deinem Leben?«
Sie seufzte nachdenklich. »Ach, ich weiß nicht. Dieser ganze Kreuzfahrtkram ist auch nicht mehr das, was er mal war. Früher gab es Glamour und Glitter, Jet-set und Prominenz, Playboys und reichlich Sex. Und heute? Barry Manilow, Chris Roberts und die Weather Girls. Eigentlich wollte ich nie Karriere auf einem Passagierschiff machen. Ich möchte zurück in meinen früheren Job.« »Und was war das für ein Job?« erkundigte er sich. »Käpt’n eines Supertankers!« erwiderte sie stolz. Larry runzelte die Stirn. »Wirklich?« Sie nickte. »Jaaa! Und ich würde alles tun, um mal wieder eine richtig gewaltige Masse unter mich zu kriegen… Ich verstehe bis heute nicht, warum ich aus meinem Job auf der Ammbumsen Valdez gefeuert wurde, bloß weil wir zufällig ein bißchen auf Grund gelaufen sind. Als ob es meine Schuld wäre, daß Hazelton die Nacht lieber in meiner Kabine verbringen wollte als auf dieser zugigen alten Kommandobrücke…« »Ja, das kann ich verstehen«, murmelte Larry. Käpt’n Thygh sah ihn an. »Hm?« »Äh, wird es nicht allmählich langweilig, jede Woche mit einem anderen Mann zu verbringen?« artikulierte er das erste beste, was ihm in den Sinn kam, auch wenn es nicht besonders sinnvoll war. »Seine Launen, Wünsche, Vorlieben und erogenen Zonen zu erforschen? Herauszufinden, wie du ihm gefällig sein kannst?« Sie legte verwirrt den Kopf schief. »Vielleicht verstehe ich die Frage nicht richtig. Was genau willst du mir damit sagen?«
Larry gluckste. »Ja, also, ähm, weißt du, was würdest du von einem kleinen Ründchen Ankerwerfen halten?« wagte er sich vor. »Nur du und ich? Bug an Heck? Schlepper und Tanker?« Sie verdrehte gequält die Augen. »Mein Gott, Larry, du bist ja einfach jämmerlich! Wie bist du nur jemals am LiebesMeister 2000™ vorbeigekommen?« »Soll das vielleicht nein heißen?« hakte er nach. Sie nickte. »Genau das soll es heißen, ja.« »Nun gut«, sagte Larry langsam und beschloß, seinen letzten, seinen einzigen Trumpf auszuspielen. »Aber was wäre… Also, bloß mal so angenommen… Weißt du, Mützchen, vielleicht bin ich ja der Kerl, der deine Träume verwirklicht!« »Das bezweifle ich. Das bezweifle ich wirklich.« »Nun«, sagte Larry ruhig. »Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir erzählte, daß ich seit kurzem in bedeutender Position bei einer größeren Schiffahrtslinie arbeite?« »Ich würde sagen, daß wir beide träumen.« »Tja, dann hör auf zu träumen, Süße! Warte mal! Ich hol’ mal kurz was raus…« Er fummelte an seinem Jackett herum. »O Gott«, stöhnte Käpt’n Thygh und musterte Larry entsetzt. »Wie roh…« »Jau, ziemlich roh«, bestätigte er und hielt ihr das Aktienzertifikat unter die Nase, das er von Annette bekommen hatte, obwohl er ja eigentlich mit ihr hatte ins Bett gehen wollen. »Rohöltransporte!« Sie betrachtete das Dokument und bekam große Augen. »Also, da soll mich doch der olle Klabautermann dingsdaen«,
murmelte sie verblüfft. Sie schaute Larry an. »Heißt das, was ich vermute, daß es heißt? Daß du…« »Daß ich der stolze neue Besitzer der absoluten Aktienmehrheit an der Ammbumsen-Transport AG, ATG, bin«, bestätigte Larry und nickte grinsend. »Genau. Ist ja nur das größte Rohöltransportunternehmen der Welt…« Ein Lächeln erschien auf Käpt’n Thyghs Gesicht, das ebenfalls Einzug in ihre Stimme fand, die auf einmal gar nicht mehr abweisend klang, sondern bloß noch verflucht sinnlich. »Nun, das ändert natürlich alles«, sagte sie sanft. »Natürlich tut es das!« stimmte Larry zu. »Aber weißt du, die weltweit größte Flotte von Supertankern zu dirigieren ist ja so anstrengend! Diese ewigen Umweltschützer. Die Steuern. Die ständigen Tumulte, wenn besoffene Kapitäne mit ihren Pötten wieder mal an irgendwelche größeren Kontinente plauzen…« Er seufzte dramatisch. »Tumulte können sehr aufregend sein«, stellte Thygh fest. Larry lächelte. »Weißt du, Mützchen, in meiner Eigenschaft als Chef suche ich im Augenblick jemanden, der die Position direkt unter mir einnimmt.« Käpt’n Thygh dachte einen Moment darüber nach. Dann streckte sie lächelnd die Hände nach ihm aus. Als Larry aufstand und, von einem Ohr zum anderen grinsend, zu ihr ging, klappte die Muschel langsam zu. Larry und Thygh verschwanden außer Sicht. Man hörte das Rascheln von Kleidern. Dann erscholl erneut die Triumpharie, begleitet von Thyghs lustvollem Stöhnen. »Larry«, stöhnte sie heiser. »Oh, Larry…«
Er, keuchend: »Weißt du, Baby, ich weiß ja Opern wirklich zu schätzen. Aber würde es dir was ausmachen, mal was von meiner Musik aufzulegen?« Die Oper verstummte und wurde durch Discomusik von Cool and the Gang ersetzt. Die geschlossene Muschel begann im Rhythmus des Songs zu schwanken und zu schaukeln. »Oh, Baby!« keuchte Larry glücklich. »Du bist die Größte! Das ist die schönste Nacht meines Lebens!« »Oh, Larry«, seufzte Thygh wollüstig. »Larry, oh, Larry! Du bist mein Hengst! Mein Tier!« Ihre Stimme wurde immer höher. Dann brach das Stöhnen abrupt ab, und in plötzlich dominantem Tonfall erklärte sie streng: »Los, Laffer! Leg diese Handschellen an!« Bevor Larry sich versah, klickten die blanken Stahlreifen um seine Handgelenke. Doch dieses Mal mußte er sich nicht selbst wieder daraus befreien. Das erledigte Thygh für ihn. Das und noch eine ganze Menge mehr. Denn inzwischen war sie mit Larry gekommen – zu der Erkenntnis, daß zuweilen auch hoffnungslose Versager einen gewissen Reiz haben können…
Larry Laffer: Die Legende lebt!
Larry Laffer – Die Legende Die Spiele Leisure Suit Larry 1: In the Land of the Lounge Lizards (1987) Larry Laffer entsprang den Hirnwindungen des SierraDesigners Al Lowe, als er sich bewußt wurde, wie wenig erwachsene und humorvolle Unterhaltung sich auf dem Markt der Unterhaltungssoftware der späten achtziger Jahre tummelte. In the Land of the Lounge Lizards, kurz Larry 1, führte den Allroundlooser im Polyesteranzug zum ersten Mal für eine Nacht hinaus – in die berühmtberüchtigte Zockerstadt Lost Wages. Larry 1 entfachte innerhalb weniger Tage hitzige Diskussionen im prüden Amerika, das bis dahin lediglich Spiele kannte, die primär auf Kinder ausgelegt waren. Zunächst schien es, als würde Larry 1, ohne irgendwelche Werbung und Vorankündigungen veröffentlicht, ein Mißerfolg werden. Der erste Verkaufsmonat war eine einzige Katastrophe – die niedrigsten Absatzzahlen, die Sierra jemals hatte. Aber dann stiegen die Zahlen durch Mundpropaganda von Monat zu Monat weiter an, bis das Spiel schließlich durch die amerikanische Software Publishers Association sogar mit der Platinauszeichnung für 250.000 verkaufte Exemplare geehrt wurde. Außerdem wurde Larry 1 zum besten Adventurespiel des Jahres 1987 erhoben, und das, obwohl es von nur zwei Leuten innerhalb von drei Monaten entwickelt wurde: Al Lowe und Mark Crowe (heute arbeiten Dutzende von Programmierern, Musikern, Designern und Grafikern zuweilen jahrelang an einem Programm). Wäh-
rend Crowe in nur vier Wochen die gesamten Hintergründe und Animationen für das Spiel besorgte, obwohl er »hauptamtlich« eigentlich an Sierras Space Quest II arbeitete, besorgte Lowe das Programmieren des Parsers, des Codes, der erkennt, was der Spieler eintippt, und darauf reagiert. Fünf Jahre später, 1991, veröffentlichte Sierra eine komplett neu gestaltete Version von Larry 1, die mit VGA-Grafik und 256 Farben aufwartete. Außerdem wurde das Spiel neu programmiert und die herkömmliche Tipp-doch-bis-deine-Fingerbluten-Eingabe durch eine moderne grafische Oberfläche ersetzt.
Leisure Suit Larry 2: Leisure Suit Larry Goes Looking For Love (In Several Wrong Places) (1988) Larry Laffer gewinnt in der Tombola – und bleibt trotzdem nur ein Verlierer! Ein romantisches Kreuzfahrtschiff bringt ihn zu mehreren schmucken Südseeinseln – und mitten hinein in eine wahnwitzige, internationale Geheimagentenverwicklung, die ihn nicht nur rührt, sondern auch kräftig schüttelt! Nachdem Al Lowe festgestellt hatte, daß die Leute Larry trotz seiner offenkundigen Mängel wohl irgendwie mochten, beschloß er, die Fortsetzung moralisch ein wenig zu säubern, da sich einige Geschäfte geweigert hatten, Larry 1 zu verkaufen, weil es ihnen zu »schlüpfrig« war. Larry 2 wurde ursprünglich für das Spielen von 6360 KByte-Disketten entwickelt (alle, die sich noch an die Dinger erinnern, mögen bitte die Hand heben). Zum ersten Mal wurden hier zukunftsweisende Filmtechniken
wie Splitscreen und Fenster benutzt, und das bei doppelt so hoher Auflösung – aber nur halb so vielen Kalorien!
Leisure Suit Larry 3: Passionate Patti in Pursuit of the Pulsating Pectorals (1989) Zurück auf dem Pfad der Lust, hat der Kaiser der billigen Sprüche offenbar einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Im ersten Teil von Larry 3 verkörpert der Spieler Larry – erst kürzlich geschieden und gnadenlos auf Hasenjagd. Für den Höhepunkt am Ende wechselt man kurzerhand das Geschlecht (ohne komplizierte Operation oder Hormonspritzen) und übernimmt die Rolle der Passionate Patti, was Larrys erotischem Eroberungsfeldzug eine ganz neue Seite abgewinnt. Da zu der Zeit, als Larry 3 entstand, schon niemand mehr auf Disketten zurückgriff, wurde zum ersten Mal eine Festplatte zum Spielen benötigt. Trotzdem braucht das komplette Larry 3 noch immer weniger als vier Megabyte. Im übrigen wollte Al Lowe die Larry-Reihe hiernach eigentlich beenden. Während der letzten Entwicklungsmonate antwortete er auf die Frage, was er sich denn für Larry 4 ausdenke, regelmäßig: »Nichts. Nichts, es wird niemals ein Larry 4 geben.« Und so kam es dann auch. Als sich Lowe schließlich doch entschied, Larry zurückkehren zu lassen (das Geld, Sie wissen schon… ), übersprang er Larry 4 (Arbeitstitel: The Missing Floppies) einfach und machte gleich mit Larry 5 weiter.
Leisure Suit Larry 5: Passionate Patti Does A Little Undercover Work (1991) Larry Laffer wird über Nacht zum Chef-Video-Rückspuler der Pleiten-Pech-und-bitte-lächeln-Show America’s Sexiest Home Videos, einer von der Mafia kontrollierten Fernsehsendung. Auf der Suche nach einer TV-Moderatorin vergnügt er sich beim Vorsprechen mit den drei aufreizendsten Frauen Amerikas. In einem anderen Handlungsstrang infiltriert Passionate Patti für das FBI die korrupte Unterhaltungsindustrie, um der Unterwelt am Ende zusammen mit Larry kräftig einzuheizen. Für Larry 5 erhielt der Polyesterprinz einen gänzlich neuen Look: moderner, eckiger, künstlerischer. Erstmals wurde in das Spiel die Körperfunktion integriert, die Larry dazu bringt, sich in den unmöglichsten Situationen auszuziehen oder andere, noch weniger appetitliche Dinge zu tun.
The Laffer Utilities for Windows (1992) Diese völlig unentbehrliche Bürohilfe – ihrer Zeit damals um Jahre voraus – enthält eine großzügige Sammlung von garantiert unsinnigen Zeitverschwendungen. Dabei sind beispielsweise eine Witze-Datenbank, eine Managerentscheidungshilfe (was das auch immer sein mag), viele lustige Fax-Deckblätter und Programme, die helfen, Parties zu organisieren oder beim Pferderennen zu wetten. Außerdem gibt sogar einige überraschenderweise recht nützliche Optionen: Bildschirmschoner, Büroformulare, Terminplaner und ein Schilderdruckprogramm mit zahlreichen Cartoon- und Rahmen-Cliparts.
Leisure Suit Larry 6: Shape Up or Slip Out! (1993) Larry Laffer gönnt sich einen zweiwöchigen Traumurlaub im La Costa Lotta-Club, einem exklusiven Fitneß-Tempel – inklusive mehr köstlicher Anekdoten als jemals zuvor. Versuchen Sie doch einmal das Nudisten-Bungee-Jumping, tauchen Sie unter in einem entspannenden Moorbad, schwitzen Sie in der Sauna um die Wette, oder entspannen Sie sich beim Fettabsaugen. La Costa Lotta ist das Paradies für Aufreißertypen wie Larry, so daß sich hier ein Besuch in jedem Fall lohnt. Mit Larry 6 wollte Al Lowe gewissermaßen zu den Wurzeln der Larry-Reihe zurückkehren. Anders als in den letzten beiden Spielen gibt es diesmal keine ewig langen, selbstablaufenden Sequenzen, keine Passionate Patti für die Ausgewogenheit und »political correctness« und keine aufgesetzte, ereignisschwere Geschichte. Einfach nur mehr Hasen, mehr komische Situationen, um Larry zu erniedrigen, und noch mehr Hasen. (Nebenbei, habe ich die Hasen schon erwähnt?)
Leisure Suit Larry: Collection (1994) Endlich sind sämtliche der klassischen Larry-Spiele auch in einer hochwertigen Sammlerkollektion zu haben. Al Lowe mußte acht Jahre – na ja, beinahe zumindest – schuften, um seinen Fans ein paar Stunden humoriger Unterhaltung zu bieten. Mit dabei sind außerdem u. a. die Laffer Utilities, Larry’s Big Score, Larry’s Casino Games, Al Lowes Undubbed Video Interview und der absolute Urknaller schlechthin: Softporn! Was hier stark nach Schmuddelfilm klingt, ist tatsächlich ein witziges Textad-
venture aus den frühen Sierra-Tagen, das als Inspiration für den Ur-Larry diente und garantiert keine einzige Grafik enthält.
Leisure Suit Larry 7: Yacht nach Liebe! (1996) Larry hat sich auf dem erotischsten aller Kreuzfahrtschiffe eine Kabine gebucht, auf der P. M. S. Bouncy, das bis zum Bug gefüllt ist mit wunderschönen Frauen – und jede ist tausendmal hipper, cooler und intelligenter als er. Aber der Oberhammer an Bord ist zweifellos Käpt’n Thygh, eine blonde schwedische Wuchtbrumme, die auf ihrem Schiff allerlei neckische Spiele ausrichten läßt – und der Hauptgewinn ist sie selbst! Hat Larry eine Chance, sie zu erobern? Nur mit Hilfe von sieben Schlüsselschönheiten, die den Weg zur ultimativen nautischen Herausforderung pflastern.
Hinter den Kulissen von Yacht nach Liebe! Das Spiel In der offiziellen sechsten Larry-Folge (Al Lowe schwört, daß sein Hund den vierten Teil gefressen hat) verschlägt es Larry auf das aufreizendste Kreuzfahrtschiff der Welt, die P. M. S. Bouncy, die als exotische Kulisse für seinen wohlverdienten Urlaub dient. Komischerweise fehlt es an Bord an den üblichen Flitterwöchlern respektive an Männern überhaupt; statt dessen ist das Schiff bis zur Reling gefüllt mit tollen Frauen – alle schlauer, besser, cooler, als Larry es je sein wird. »Auf einer kürzlichen Kreuzfahrt ist mir aufgegangen, daß so ein Schiff ein perfekter Hintergrund für ein Adventurespiel ist«, erklärt Designer Al Lowe. »Es ist ein überschaubares und beschränktes Gebiet mit einer begrenzten Anzahl an Zimmern und Bewegungsspielraum. Ich glaube, ein Luxusliner ist genau die richtige Umgebung für das Spiel – rundum alles hübsch feucht. Und jetzt muß mir sogar das Finanzamt zugestehen, daß ich die Reise als ›Recherche‹ absetze.« Drei Jahre nach der Veröffentlichung von Leisure Suit Larry 6: Shape Up or Slip Out!, Up erscheint Yacht nach Liebe! rechtzeitig zu Weihnachten 1996. Obwohl Larry bekanntlich irgendwo in den siebziger Jahren hängengeblieben ist, sorgen Al Lowe und sein Produzent Mark Seibert für einen modernen, zeitgemäßen Look und einen völlig neuen Hintergrundstil, Musik in CD-
Qualität und mehr animierte Zwischensequenzen und ›Kameraeinstellungen‹ als jemals zuvor. »In diesem Spiel sind mehr Animationen als in allen anderen Teilen zusammengenommen«, sagt Lowe. »Aber wir haben vor allem den humoristischen Aspekt betont – und nicht den Sex! Für Larry ist ja sowieso klar, daß es eher ein paar Lacher mehr gibt als Schweinskram. Im Ernst, wir haben ein paar wirklich originelle Charaktere geschaffen, und ich glaube ernsthaft, der Spieler wird die Herausforderung gut finden – und ziemlich komisch!« Larry 7 begleitet unseren Beinahe-Helden durch eine Reihe von Wettkämpfen, die er nur mit Hilfe von sieben beinahe schon überirdischen Superfrauen gewinnen kann, von denen ihm jede während einer mehr oder weniger fruchtvollen Begegnung einen Tip oder Gegenstand gibt, den er benötigt. Was die Männer betrifft, hat sich Al etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Man trifft auf Peter, Dick, Willy, Wang, Johnson, John Thomas… Wer des Englischen mächtig ist, dürfte die subtile Botschaft erfaßt haben.
Behind the Scenes Der Produzent von Larry 7, Mark Seibert, musikalischer Leiter bei Larry 5 und auch bei Titeln wie Phantasmagoria, King’s Quest 7, Torin’s Passage und dem kultigen Klassiker Pepper’s Adventures in Time mit von der Partie, erläutert die Struktur des Programms: »Das Spiel ist sehr unlinear, der Spieler kann beinahe völlig nach eigenem Gusto die diversen Lokalitäten aufsuchen oder den Frauen nachsteigen. Zu jeder Zeit hat man Zugriff auf
eine Übersichtskarte des Schiffs und kann so augenblicklich zu dem gewünschten Ort springen, ohne erst langwierig durch unwichtige Abschnitte laufen zu müssen.« Seibert weiter: »Wir haben wirklich sehr viel Zeit dafür aufgewandt, für dieses Spiel das ultimative Interface zu entwickeln, und kombinierten die besten Features einer point-and-click-Steuerung mit klassischer Texteingabe und Menüs, wie man sie aus Windows 95 kennt.« Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: »Es ist ein bißchen wie Command & Conquer – die Frauen haben das Kommando, und Larry versucht sie zu erobern.«* Yacht nach Liebe! präsentiert ein völlig neuartiges Interface. Der Spieler grast zwar weiterhin den Bildschirm nach Objekten ab, aber wenn man einen Gegenstand findet, öffnet sich nun ein situationsabhängiges Fenster unterhalb des Mauszeigers. Keine Icons mehr, nur mehr Spaß! Lowe und Seibert erlauben den Spielern gar, direkt an Larrys amourösen Abenteuern teilzunehmen, durch ›Gastauftritte‹ und selbstaufgenommene Dialoge, die notwendige Hardware (Scanner; Soundkarte plus Mikrofon) vorausgesetzt. »Das knüpft an die Tradition von Larry 1 an, wo sämtliche Antworten vom Anfang irgendwann später im Spiel wieder auftauchten«, erklärt Mark Seibert. Immer noch nicht zufrieden damit, nur die Augen und Ohren zu belästigen, gewinnt Yacht nach Liebe! außerdem auch noch einem alten Gag neue multimediale Fähigkeiten ab: CyberSniff 2000™. Dem Programm liegt eine Scratch-n-Sniff-Rubbelkarte bei, damit auch wirklich jedes Sinnesorgan stimuliert wird. Designer Al Lowe dazu: »Eines der Rätsel dreht sich um ein Wür*
Engl. to conquer = erobern; Anm. d. Übers.
felspiel im Casino. Leider ist aber kein Platz mehr frei, und so bedient sich Larry kräftig am Bohnendip des Büfetts. Der Rest bleibt dem Spieler überlassen!« Er erklärt weiter: »Ich versuche stets, die Leute richtig ins Spielgeschehen zu integrieren und sie immer bei Laune zu halten. Yacht nach Liebe! modernisiert das gesamte Genre mit neuen interaktiven Möglichkeiten. Es ist halt eher wie Myst als wie Doom«, lacht er. Al Lowe und Mark Seibert haben für Yacht nach Liebe! ein Team aus erfahrenen, hochkarätigen Sierra-Profis zusammengestellt. Dabei sind: Don Munsil, Co-Designer und Programmierer, Steve Conrad, Hauptprogrammierer, Jason Zayas, Animationszeichner, Jason Piel, Hintergrundzeichner, sowie Layne Gifford, Hintergrundkoloristin. Zwei Zeichentrickstudios – Animation in New York und Los Angeles und West in Kroatien (nein, wirklich!) – vervollständigten die Keyframes (›Inbetweening‹), kolorierten die einzelnen Bilder und digitalisierten das gesamte Material, um es schließlich in das Programm zu integrieren. Ein Quantensprung in Sachen Soundtrack wurde erreicht, indem auf das übliche MIDI-Gedudel ganz verzichtet und statt dessen handgemachte Musik (von echten Musikern) digitalisiert wurde. Der Künstler Frank Zottoli komponierte eigens für Yacht nach Liebe! ein Dutzend neue Stücke und dirigierte eine Jazzcombo in den bekannten Mad-Hatter-Studios in Los Angeles, in denen schon die Jazz-Legende Chick Corea Platten aufgenommen hat. Um den Retro-Appeal von Larry auch richtig einzufangen, hat Mark Seibert zudem einige der größten Songs der 70er lizenziert. »Wir haben Samples von echten Klassikern dieses ruhmreichen Jahrzehnts im Spiel«, berichtet er stolz. »Dieses Spiel wird wie eine richtige CD klingen!« Al Lowe
bringt es wieder mal auf den Punkt: »Unsere CD ist sogar im Laden erhältlich!«
Im Januar 1996 haben Lowe, Seibert und ihr Team begonnen, den neuartigen Stil des Spiels zu definieren. Schon frühzeitig hat man sich dazu entschlossen, keine echten Schauspieler zu benutzen und das Programm komplett als Zeichentrickcartoon zu gestalten, weil Videosequenzen den typischen, komödiantischen Aspekt der Handlung zum Großteil zerstören und vor allem den ›Schmuddelfaktor‹ erheblich reduzieren würden. Zum ersten Mal in der Larry-Reihe sollten echte Zeichentrickanimationen zum Zuge kommen, mit allen Eigenschaften und den flüssigen Bewegungen eines professionellen Cartoons. Lowe und Seibert besuchten sogar Amerikas zweitgrößte Zockermetropole Reno, nicht, um Spielautomaten zu füttern, sondern vielmehr, um innerhalb des bekannten Harrah’s Casino Fotos zu schießen – als Grundlage für die Casinoszenen in Yacht nach Liebe! Bereits Ende März 1996 war man mit den grafischen Grundlagen soweit fertig. Das neue, geniale Benutzerinterface wurde zur selben Zeit entwickelt. »Wir wollten dem Spieler das Gefühl geben, daß für ihn alles möglich ist – zumindest auf den ersten Blick«, erklärt Mark Seibert die Philosophie hinter dem innovativen Programmcode. Im April schließlich war das gesamte Layout des Spiels zum Großteil definiert, und das Team begann mit der Teilen-underobern-Arbeit. Das ganze Spiel wurde in Sektionen unterteilt, die grob einem weiblichen Hauptcharakter und den begleiten-
den Situationen zugeordnet wurden, inklusive einer Art Zeitplan, um den Ablauf der Dialoge, Gags und Rätsel einigermaßen zu strukturieren. Jeder Teil wurde als einzelnes, kleines Spiel betrachtet. Die jeweiligen Hintergründe wurden entworfen und gemalt, auf inhaltliche Fehler und ›Lustigkeit‹ überprüft. Die nötigen Animationen wurden aufgelistet, Figuren entworfen; jede einzelne Animation bedurfte mindestens einer Schlüsselzeichnung (Keyframe), anhand der in den USA und Kroatien dann die eigentlichen Bewegungen gezeichnet wurden. Inzwischen wurden die Dialoge geschrieben, Gags verfeinert, Soundeffekte entworfen. Sämtliche Beteiligten mußten sehr viel Energie investieren, um die Einzelteile innerhalb des engen Zeitrahmens zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen. »Es war ein langwieriger, zehrender Prozeß, aber ich schwöre, das wird der beste Larry aller Zeiten«, verspricht Lowe. »Wir haben eine Schiffsladung voller exotischer Plätze, bizarrer Charaktere und lustiger Aktivitäten. Es gibt haufenweise fortlaufende Jokes – zum Beispiel verliert Larry andauernd seine Klamotten und muß immer wieder nackt zu seiner Kabine zurück. Es gibt sogar ein Tribut an den Präsidenten (›Great Moments with Mr. Clinton‹).« Al Lowe meint es ernst: »Ich verspreche Ihnen hiermit hoch und heilig, wenn Sie nicht über irgend etwas in diesem Spiel lachen können, dann koche und schicke ich Ihnen persönlich einen Venezuelanischen Biberleskäse!«
Al Lowe: Larrys Alter ego? Über sein Alter spricht er grundsätzlich nicht, aber schon als Kind war Al Lowe ein richtiger Klassenclown, der seine Schulkameraden amüsierte und seine Lehrer mit Witzen und Sprüchen nervte. Ironischerweise wurde er Jahre später Musiklehrer und arbeitete in diesem Beruf fünfzehn lange Jahre. Heute, als der zweifellos bekannteste Designer humorvoller Computerspiele, schließt sich damit der Kreis. Lowe vergnügt: »Das Tolle an meinem Job ist, daß ich jetzt für genau dieselben Späßchen gut bezahlt werde, die mir früher nur Ärger einbrachten!« Stets mit der Nase hart im Wind, erkannte Lowe früh den Trend hin zum spielerischen Lernen und entwarf zusammen mit seiner Frau schon Anfang der achtziger Jahre EdutainmentTitel. Unter dem Logo Sunnyside Soft produzierten sie drei Titel – Dragon’s Keep, Bop-A-Bet und Troll’s Tale, die von Sierra rausgebracht wurden. In seinen frühen Jahren leitete Lowe verschiedene Bereiche der Entwicklung bei Sierra: vom Design über Grafik bis hin zur Musik. Eigentlich war Lowe die Sierra-Musikabteilung zu Anfang der Achtziger. Nach solch unterschiedlichen Titeln wie u. a. A Gelfling Adventure, Home Word Speller, Home Word Filer, Winnie the Pooh in the Hundred-Acre Woods, King’s Quest 2 (Musik) und Mickey’s Space Adventure (Musik) hauchte er bald seinem ersten Grafikadventure Leben ein: The Black Cauldron war eine genau Umsetzung des Disney-Films Taran und der Zauberkessel (1985). Darauf folgte das Edutainment-Spiel Donald Duck’s Playground. 1986 war Lowe dann sowohl der Hauptpro-
grammierer von Roberta Williams King’s Quest III als auch vom ersten Police Quest-Spiel, gefolgt von Programmierer- und Komponistenaufgaben für Space Quest II und King’s Quest IV. Aus Lowes populärer Leisure Suit Larry-Serie, von der bislang weltweit in fünfunddreißig Ländern drei Millionen Exemplare über den Ladentisch gingen, entstand ein völlig neues Genre: Erwachsenenspiele. Und außerdem noch jede Menge kontroverse Diskussionen. Der Bundesstaat Kalifornien zum Beispiel erließ sogar eine Verfügung (Leisure Suit Larry-Bill), die erwachsene Inhalte in Computerspielen untersagte. Doch dank dem Eifer von Fans und Spielindustrie war diesem Verbot gottlob kein allzu langes Leben vergönnt. Seit damals schuf Lowe fünf weitere Larry-Spiele, die alle zu Verkaufshits wurden, und hatte Auftritte in diversen Fernsehshows (Entertainment Tonight). Zahlreiche Magazine – Rolling Stone, Playboy, New York Times – haben über Al Lowe und seine Schöpfung berichtet. Heute lebt der Kult in Form der Leisure Suit Larry Collection und dem neusten Abenteuer Yacht nach Liebe! weiter. 1992 erdachte Lowe mit Freddy Pharkas, dem WesternApotheker, einen weiteren Hitcharakter. Als Hintergrund hierfür dient das historische Kalifornien nach der Goldrauschära. Erst kürzlich ersann er mit Torin’s Passage außerdem ein herausforderndes und humorvolles Märchen-Adventure, das den jungen Helden Torin auf seiner gefahrvollen, faszinierenden Reise durch mehrere Zauberwelten begleitet. Al Lowe und seine Familie leben nach dem Umzug von Oakhurst, Kalifornien, seit 1994 in Seattle. Er ist seit beinahe drei Jahrzehnten mit seiner Frau Margaret – ebenfalls eine Musik-
lehrerin – verheiratet und stolzer Vater von Brian und Megan. Wenn er einmal gerade nicht mit dem Entwerfen von Spielen oder seiner Familie beschäftigt ist, mag Lowe ein gutes Buch, einen unterhaltenden Film, einen schicken Segeltörn, schnelle Skiabfahrten und amüsante Comedyclubs. Und freilich musizieren er und sein Saxophon ab und zu in einer kleinen Jazzcombo und einer Big Band. Im Gegensatz zu seiner Schöpfung besucht Lowe selten Bars und haßt seit jeher Discomusik. Betrachtet man sich den sprühenden Irrsinn, der seinen meisten Spielen zugrunde liegt, ist es nur angebracht, daß sich seine Wirkungsstätte innerhalb des Sierra-Hauptquartiers in Bellevue nahe Washington, D. C, befindet.
Danksagung Danksagungen sind immer eine günstige Gelegenheit, den Leuten eins auszuwischen, die den gestreßten, termingeplagten Autor bei der Fertigstellung seines aktuellen Machwerks aus diversen zumeist nichtigen Gründen permanent von der Arbeit abgehalten haben. Im Fall von Yacht nach Liebe! waren dies: Pete Thannes, der die schlechte Angewohnheit hat, immer dann anzurufen, wenn man am wenigsten mit ihm zu tun haben will; Mike Niceman, für den ziemlich dasselbe gilt, auch wenn er wenigstens versucht, seine Unzulänglichkeiten kurz zu fassen; Edgar Bracht, mein engagierter Lektor, bei dem ich mich auf diesem Wege für die Unannehmlichkeiten entschuldigen möchte, die ich ihm bereitet habe (das mit Ihrem Haus tut mir wirklich aufrichtig leid; ist die Feuerwehr noch rechtzeitig eingetroffen?); Tina und Amir Keshavarz nebst Nachwuchs Dariush, obwohl er immer noch in die Windeln macht; Kerem Nielsen, der trotz seines bescheidenen Alters bereits eine ganz bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Larry Laffer aufweist; Rodriguez, das aufblasbare Wunderlama; Jack Koerber, dem ich bei unserer nächsten Begegnung aus Gründen, über die man besser schweigt (bald ausführlich dokumentiert nachzulesen auf der Sierra-Website http:\\www.sierra.com), mit bloßen Händen den Kopf abreißen werde; und nicht zuletzt meine Frau Margie, ohne deren tatkräftige Unterstützung dieses Buch bereits Monate früher fertig gewesen wäre. Doch mein größter Dank gebührt Leo Cardigan von SierraCUC, ohne dessen Engagement und Einsatz dieses Buch ver-
mutlich nie geschrieben worden wäre. Wenn Ihnen Yacht nach Liebe! also partout nicht gefallen hat, dann wissen Sie jetzt, wer Ihnen diese Suppe eingebrockt hat. Also lassen Sie Ihre Wut nicht an mir aus, okay? Ich kann nichts dafür! Ehrlich nicht! Steve Whitton Hidden Place, Connecticut 7. September 1997