Die Traumweide
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corrected by: Larentia
@ Juli 2003
Während des Bürgerkrieges hatten sich die ...
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Die Traumweide
scanned by: Crazy2001
corrected by: Larentia
@ Juli 2003
Während des Bürgerkrieges hatten sich die texanischen Longhorns gewaltig vermehrt, und weil es auch nach dem Kriege nicht sofort Absatzmärkte für diesen nahezu unermeßlichen Rindersegen gab, konnten die Rancher sich auch keine Cowboys halten. Texas war arm. Die Herden weideten unbewacht. Sie waren ja damals nicht einmal den Preis ihrer Häute wert. Niemand machte sich noch die Mühe, seine Jährlinge zu branden. Und so gab es in Texas bald Hunderttausende von ungebrandeten Rindern. Diese ungebrannten Rinder nannte man Mavericks. Denn ein gewisser Mister Maverick, einer der größten Rancher von Texas, hatte als erster Rinderzüchter darauf verzichtet, seine Tiere mit Brandzeichen zu versehen. Und da diese ungebrannten Tiere sich im Verlauf der Jahre über Landgebiete verteilten, die so groß waren wie so manches europäische Königreich, fand man sie später überall. Man nahm an, daß sie von Mister Mavericks Zucht stammten, und nannte sie deshalb Mavericks. Später dann bezeichnete man jedes ungebrannte Rind, welches dem Muttertier entwöhnt war und dessen Besitzer man nicht feststellen konnte, als Maverick. Es gab damals viele Maverick-Jäger in Texas. Und so mancher ganz große und mächtige Rinderzüchter hatte als Maverick-Jäger begonnen und sich mit einem Lasso seine Stammherde zusammengefangen. Diese Geschichte hier schildert den Weg dreier Cowboys, die sich ebenfalls eine Maverick-Herde fangen, um damit die Weide ihrer Träume zu suchen.
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Dick Hilliary tritt schnell und gleitend an den Stier heran, der sich verzweifelt gegen das stramme Lasso stemmt und sicherlich bald das Pferd von den Beinen ziehen würde. Vielleicht würde auch das Lasso mit einem Peitschenknall reißen. Aber Dick Hilliary ist schneller. Und er ist ein gewaltig starker Bursche, nicht sehr groß, doch breit und klotzig. Daß er sich dabei so leicht und gleitend bewegen kann, hat schon viele Leute in Erstaunen versetzt. Er greift nach den mächtigen Hörnern des Stieres. Diese Hörner werden nun zu Hebeln. Und wer das Hebelgesetz kennt, der weiß, daß die aufzuwendende Kraft zur Last im umgekehrten Verhältnis der Hebelarme steht. Dick Hilliarys Hebelarme sind also lang. Er dreht dem Stier den Kopf zur Seite, verdreht ihm den Hals, bis der starke Bursche nachgeben muß und auf die Seite fällt. Gegen Dicks gewaltige und noch durch die Hebelarme sehr viel verstärkte Kraft hatte Old Mooshorn keine Chance. Er stürzt also, bevor er das Pferd umreißen kann oder bevor das Lasso knallend reißt. Dick Hilliary kniet nun schnaufend auf dem Kopf des Tieres. Eines der langen Hörner hat sich tief in den Boden gebohrt. Das andere Horn steht schräg gen Himmel. Und Dick hält es fest wie eine Brechstange. »Hoiiii!« ruft er scharf und schnaufend. Johnny Christie kommt vom Brennfeuer mit dem Brenneisen gelaufen - aber genau gesagt sind es zwei Brenneisen. Der Schmied, bei dem sie die Brandeisen bestellten, konnte drei Buchstaben nicht zu einem einzigen Eisen vereinen. Johnny Christie drückt also zuerst das Eisen mit den Buchstaben C C auf den Schenkel des Tieres. Dann - 2 -
kommt das H hinzu. Und nun ist der Brand vollständig als C C H zu lesen. Das bedeutet: C steht für Morg Cleveland. C steht für Johnny Christie. H steht für Richard Hilliary, genannt >DickHandteller< hat etwa einen Durchmesser von sechs oder sieben Meilen. Und jeder der drei >Finger< ist etwa genau so lang und eine knappe Meile breit. Dort, wo der abgespreizte Daumen sein müßte, befindet sich der Taleingang. Es ist ein grünes Tal, mit Waldinseln, weiten Weideflächen und einem Wasserfall im Osten. Dieser Wasserfall speist einen Bach, der sich durch das Tal windet und sich mit einem zweiten Bach, der aus dem mittleren Finger kommt, vereinigt. Und überall in der Runde sind Felswände, Hänge, Terrassen. Inmitten des Tales ist der Schnee bereits weg. Dort sind die noch etwa einhundertzwanzig Rinder deutlich zu erkennen. Sie waren in ihrer Stampede zum Stehen gekommen, hatten sich niedergetan und grasen nun. - 82 -
Patricia Moore beobachtet die beiden Männer. Sie hat ja selbst mehr als vierzehn Jahre auf einer kleinen Ranch gelebt, und sie weiß, wie eine gute Weide aussehen muß: Sie muß geschützt sein, Wasser besitzen, etwas Wald und natürliche Grenzen. Und hier ist alles vorhanden. Auch Wild ist da. Sie erblicken von ihrem Standpunkt aus Antilopen, Hirsche und einige Elche. Das Mädchen beobachtet also die beiden Männer, obwohl sie sich nur schwer von dem Anblick dieses herrlichen Tales losreißen kann. Doch sie kommt auf ihre Kosten. Sie sieht Johnny Christies ungläubiges Staunen, erkennt sein mißtrauisches Forschen. Doch dann erkennt er wohl mehr und mehr, daß dieses mächtige Tal zu seinen Füßen vollkommen frei und unberührt ist. Sie sieht, wie er die Hand hebt und sich über Stirn und Augen wischt. Sie sieht, wie er mühsam schluckt, den Kopf wendet und Morg Cleveland fragend, voller Hoffnung ansieht. Morg Clevelands Gesicht ist still und ruhig. Er bewegt sich immer noch nicht, sondern schaut nur. Dann sieht er Johnny an und nickt ihm zu. »Well, setzen wir uns in den Sattel und sehen wir es uns an! Wir wollen nicht zu früh jubeln! Sehen wir es uns an!« Sie wollen sich beide abwenden und zu ihren Pferden eilen. Doch da erinnern sie sich an das bewegungslos und still wartende Mädchen. «Oh, mache es dir bequem, Pat«, sagt Morg. »Wir müssen dieses Tal durchforschen - Denn ...« »Denn es könnte die Weide sein, die wir uns erträumten!« Johnny ruft diese Worte laut und jubelnd. »Vielleicht ist dies unsere Traum-Weide! Und unsere - 83 -
Rinder haben uns hingeführt! Dies aber wieder verdanken wir den Wölfen. Du lieber Gott, was ist dies manchmal für eine verrückte Welt!« Und er schwingt sich in den Sattel. Morg folgt ihm. Sie treiben die vier Kälber vor sich her. Das Mädchen blickt den beiden Reitern und den Kälbern nach. Dann bereitet sie sich ihr Fühstück und beginnt Brot zu backen. Und sie singt dabei alle Lieder, die sie kennt. Am späten Vormittag kommt dann Dick mit der Pferde-Remuda. Er ist ziemlich müde und fällt hungrig über das Essen her, welches Patricia ihm vorsetzt. Beim Essen schweift sein Blick in die Runde. Und plötzlich vergißt er seinen Hunger und springt auf. »Das ist ja :..«, beginnt er. »War ich denn blind?« »Das ist wahrscheinlich eure Traum-Weide«, sagt das Mädchen zu ihm. »Wenn Morg und Johnny wieder zurück sind, wirst auch du es wissen.« *** Morg und Johnny kommen erst am späten Abend und sie haben seit gestern nichts gegessen. Und dennoch scheinen sie keinen Hunger zu spüren. Sie kommen ans Feuer geritten, blicken auf Dick und das Mädchen. Und dann sagt Morg schlicht: »Wir haben es gefunden. Das Tal ist frei. Wir fanden nur Wildfährten. Und es gibt für Rinder, Pferde und Wagen nur diesen Zugang hier, der zugleich auch Ausgang ist. Es ist die schönste, beste und geschützteste Weide, die ich je sah. Es ist hier alles geradezu ideal. Dick, wir haben es gefunden!« - 84 -
Er dreht sich etwas im Sattel und deutet nach Westen. »Weide genug für vierzigtausend Rinder. Wir bauen hier im Eingang unser Blockhaus. Später, wenn wir den Anfang hinter uns haben und jeder von uns sein eigenes Haus errichten will, verteilen wir uns auf die Talfinger. Jeder dieser Finger hat Weide genug für drei- bis viertau send Rinder. Und den >Handteller< benutzen wir dann als Gemeinschaftsweide. Dick, wir haben alles gefunden. Ich reite morgen schon in die nächste Stadt und lasse uns beim Landbüro der Regierung auf dieses Tal hier eintragen. Ich nehme den Wagen mit, denn wir werden den Winter über eine Menge Raubwild jagen müssen. Dazu brauchen wir noch mehr Munition, Fallen und Gift für die Wolfsköder. Unser letzter Dollar wird dabei draufgehen, doch wir werden im Frühling gutes Geld für Pelztier- und Wolfsfelle bekommen. Ah, die Biber haben dort im Westen den Bach zu einem großen See angestaut. Wir werden eine ganze Menge Biber, Bisamratten, aber auch Nerze, Marder, Füchse ...« Er verstummt plötzlich und blickt auf Patricia Moore. Es ist, als würde er sich erst jetzt wieder des Mädchens bewußt. Und auch die beiden anderen Männer blicken auf das Mädchen. Oh, sie versteht diese drei Freunde zu gut. Sie lächelt sanft. Sie weiß zu gut, daß ihre Gedanken nun völlig auf das nun klar erkennbare Ziel ausgerichtet sind. Diese Männer werden jetzt Tag und Nacht arbeiten. Sie werden zuerst eine primitive Hütte bauen. Sie werden auf ihre Rinder achten und zugleich auch Trapper sein. Sie werden in diesem mächtigen Tale mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Doch das Mädchen weiß: Diese drei Freunde werden es schaffen. Und eines Tages werden sie auch wieder - 85 -
Zeit für andere Gedanken haben. Und so lächelt sie also und sagt: »Ich fahre morgen mit Morg in die nächste Stadt. Und ich denke, wir werden uns im Frühjahr wiedersehen, nicht wahr?« Als sie es gesagt hat, macht sie für Morg und Johnny das Essen fertig. Dick aber ergreift die größte Axt und geht ein Stück entfernt auf eine Hangterrasse. Im Licht des Tages fällt er mit mächtigen Schlägen die ersten Bäume. Und als Morg und Johnny sich gesättigt haben, eilen auch sie hinauf und gehen ebenfalls schon an die Arbeit. Erst als die Nacht den Abend verjagt hat, geben sie es auf. Patricia aber liegt schon im Wagen auf ihrem Lager. Es ist wieder einmal nicht einfach für sie, Abschied zu nehmen. Und diesmal wird es ein Abschied für Monate sein, das ist sicher. *** Die nächste Stadt heißt Pikes Creek, und es ist eine wilde und hektische Goldgräberstadt. Dies erfahren Morg und Patricia, als sie auf eine alte Straße der Spanier stoßen, die auch jetzt noch die Hauptverkehrsader des Landes hier ist. Diese Straße kommt von La Junta her und führt über Colorado Springs nach Denver. Morg und das Mädchen treffen auf der Straße auf einige Frachtwagen, auf die Postkutsche nach La Junta, auf einen Siedlertreck und viel Reiseverkehr von Reitern und Fahrzeugen jeder Art. Sie sprechen mit einem mexikanischen Schäfer, und der erzählt ihnen alles, was sie wissen wollen. »Es ist ein mächtiges Camp, diese Stadt«, sagt der - 86 -
Mann. »Zehntausend Goldgräber wühlen den Boden überall auf. Und sie werden alle dort überwintern. Die Lebensmittel werden knapp sein, und man wird ein Pfund Frischfleisch mit Gold aufwiegen. Ich bin mit meiner Schafherde schnell fortgezogen. Denn es wird bald der Tag kommen, da schlagen die hungrigen Goldgräber jedes lebende Tier tot und essen es auf.« Morg und Patricia fahren nachdenklich weiter. Nach einigen Meilen fragt Morg: »Und in solch einer wilden Stadt wie Pikes Creek willst du leben, Pat?« »Und viel Geld verdienen«, sagt sie und nickt. Sie fahren nun noch zwei weitere Meilen schweigend. Dann biegt die Straße um einen großen Felsen und führt in einen Canyon hinunter. Und man muß sich diese Straße nicht wortwörtlich gemeint vorstellen. Dieser Wagenweg ist eine von Wagenrädern und Hufspuren festgefahrene oder festgetrampelte Fährte, mehr nicht. Morg lenkt den Wagen um den Felsen herum und hält dann an, weil ein Mann ihm mit ausgebreiteten Armen den Weg versperrt. Neben dem Mann steht ein Wagen, der fast umgekippt ist und nur Halt an der Felswand fand. Das linke Vorderrad des Wagens ist zerbrochen, und es ist ein nicht sehr großer, alter und gebrechlicher Wagen. Zwei jämmerliche Pferde stehen noch im Geschirr. Und diese Pferde wurden mit einer Peitsche übel geschlagen das kann man sehen, weil die Striemen noch frisch sind. Morg erfaßt das alles mit einem Blick. Und dann betrachtet er den Mann hart. Es ist ein kleiner, drahtiger und wieseläugiger Bursche, dem man es ansieht, wie sehr er mit allen schlechten Wassern gewaschen und wie gerissen er ist. »Ich brauche Hilfe«, sagt der Mann. »Können Sie meine Ladung übernehmen und mich damit nach Pikes - 87 -
Creek bringen? Es sind nur noch zwanzig Meilen. Und ich würde hundert Dollar zahlen!« Nun wird Morg sehr wachsam. Denn hundert Dollar Frachtgeld für zwanzig Meilen, dies ist eine unwahrscheinliche Bezahlung. »Was haben Sie geladen?« fragt er sanft. Der Bursche zögert. Dann zuckt er mit den schmalen Schultern und spricht widerwillig: «Pfirsiche! Sechshundert Kilobüchsen Pfirsiche, groß, gelb und zuckersüß.« Nun begreift Morg schon mehr. Ja, er hat schon gehört, daß man jetzt auch Obst in Konservenbüchsen verkauft. Und er kann sich vorstellen, wie sich die Goldgräber auf diese Pfirsichbüchsen stürzen werden. Wenn dieser Bursche die Büchsen billig genug eingekauft hat, kann er auf den Goldfeldern damit ein kleines Vermögen verdienen. Doch ihm gefällt dieser Bursche nicht. Ein Mann, der seine Tiere mit der Peitsche so übel schlägt, hat ihm noch nie gefallen. Und auch Patricia Moore ist Wohl dieser Meinung. Denn sie sagt nun entschieden: »Wir sind keine Frachtfahrer, Mister! Wir können Ihnen nicht helfen!« Damit ist auch für Morg alles entschieden, und er hebt die Zügel, um die beiden Maul tiere wieder in Bewegung zu bringen. Doch da gebärdet sich der Mann wie ein Verrückter. »Sie müssen mir helfen! Sie müssen mir helfen! Begreifen Sie das doch! Ich muß mit meinen Pfirsichen nach Pikes Creek, bevor wieder Schnee fällt! Ich kann Ihnen nicht mehr als hundert Dollar zahlen, doch ich gebe Ihnen noch zehn Büchsen, die jede bestimmt vier oder fünf Dollar einbringt! Und ich schenke Ihnen diese - 88 -
beiden Pferde. Ich kann doch hier nicht fort, um von irgendwo Hilfe zu holen. In diesem Lande hier stehlen alle Menschen - wenn es sich um Proviant handelt - wie die Raben. Schon der nächste Goldgräber-Treck, der hier vorbeikommt, räumt mir den Wagen aus. Ich kann auch nicht auf einen Frachtzug warten, denn alle Frachtwagen, die nach Pikes Creek wollen, sind bis zur letzten Grenze beladen, ja, sie sind sogar überladen, weil jede Unze Fracht bares Geld bringt. Also, wenn in Ihrem Wagen noch Platz ist für meine Ladung, dann müssen Sie mir ganz einfach helfen! Schließlich machen Sie doch ein gutes Geschäft, nicht wahr?« Morg betrachtet ihn. Der Kerl gefällt ihm nicht. Überdies kann er nun erkennen, daß der Mann in jeder Tasche einen Derringer und unter der Jacke einen Revolver im Schulterhalfter trägt. Die Wieselaugen des Burschen blinken nun auch sehr gefährlich. Morg betrachtet das Mädchen, und er kann erkennen, wie sie rechnet und wie sich ihr geschäftstüchtiger Geist nun regt. Bevor er etwas sagen kann, hört er sie sprechen: »Es ist mein Wagen, Mister. Und ich befördere keine fremden Frachten. Ich kann Ihnen jedoch einen Vorschlag machen.« »Ja?« fragt der Bursche. »Wollen Sie vielleicht eine Beteiligung? Wollen Sie meine Notlage vielleicht ausnutzen, ja?« »Ich würde die Konserven kaufen«, sagt sie. »Ich würde Ihnen für die Büchse einen Dollar zahlen. Das ist mein Angebot. Wollen Sie?« Er betrachtet sie nun hart. »Sie sind klug und geschäftstüchtig«, murmelt er. »Sie werden im Goldland noch Ihr Glück machen. So schön und begehrenswert - und dabei auch noch so eiskalt und - 89 -
geschäftstüchtig.« Sein mageres Wieselgesicht verzerrt sich, und man sieht ihm an, daß er nach einem Ausweg sucht, nach einer Möglichkeit. Sein unruhiger Blick richtet sich auf Morg. Er erkennt, welch harter und beachtlicher Mann dort neben dem Mädchen auf dem Fahrersitz sitzt - nicht einfach nur ein Cowboy: ein richtiger großer Bursche, wie man ihm nur selten begegnet. Patricia Moore sagt ruhig: »Fahr weiter, Morg! Ich reiße mich nicht um die Pfirsich-Büchsen.« Morg will nun endgültig anfahren. Doch da brüllt der Bursche mit sehr schriller und sich überschlagender Stimme: »Also gut! Also gut! Ich verkaufe hier auf der Stelle meine Ladung!« Der schon anruckende Wagen steht wieder still. Morg beobachtet dann das Mädchen mit jener Nachsicht, die Männer manchmal zeigen, wenn sie sich wundern. Denn Patricia gibt nicht etwa sofort das Geld heraus. Sie läßt sich erst die Kaufquittung zeigen, die in Santa Fe ausgestellt wurde. Dann setzt sie selbst einen Kaufvertrag auf. Und zum Schluß öffnet sie eine der sechshundert Büchsen und kostet den Inhalt. Sie läßt auch Morg kosten, und dieser sagt, wobei er übertrieben entzückt die Augen verdreht: »Oh, Madam, wie köstlich!« »Ja, sie sind gut«, nickt sie. »Und ich habe die verbeulteste und verrostetste Büchse genommen. Nun gut!« Sie überläßt Morg die Büchse und sagt zu dem Mann: »Wir laden um! Wenn die Ladung in meinem Wagen liegt, bekommen Sie Ihr Geld. Also los!« Der Mann zögert. Doch Morg betrachtet ihn hart. Und - 90 -
da willigt er ein. Bald darauf sind sie damit beschäftigt, die sechshundert Büchsen umzuladen. Als sie damit fertig sind, zahlt Patricia. Dann sehen sie und Morg zu, wie der Mann seine beiden Pferde ausschirrt, eines zum Reiten fertigmacht und auf dem anderen Tier sein Bündel festschnallt. Sie blicken ihm nach, wie er den Weg zurückreitet, den er gekommen war. Vielleicht wird er sich irgendwo wieder eine Ladung mit kostbaren Leckerbissen verschaffen, etwas, was man im Goldland teuer bezahlt. Und er wird dann sicherlich einen starken Wagen und starke Zugtiere nehmen. Er wird sich dies leisten können, denn er hat dreihundert Dollar verdient. Patricia Moore aber wird viel, viel verdienen. Morg sagt es ihr mit Worten: »Jetzt wirst du wahrhaftig bald reich sein, Pat. Ja, du wirst es sehr viel schneller schaffen als wir!« *** Gegen Mittag des vierten Tages ist Morg Cleveland aus Pikes Creek zurück. Und als er mit dem Wagen durch den engen Taleingang gefahren ist, hält er an und staunt. Denn was er sieht, ist beachtlich. Er begreift, daß Johny und Dick Tag und Nacht fast ohne jede Pause gearbeitet haben müssen. Denn dort steht eine solide Blockhütte, mit einem Steinkamin an der Außenwand. Sogar eine Tür hängt ordentlich in den Lederangeln. Nur mit den Fenstern hapert es - es sind leere Vierecke. Morg grinst. Er hat zwar keine Scheiben, dafür jedoch eine Menge leere Whiskyflaschen mitgebracht, und zwar durchsichtige Flaschen von ungefärbtem Glas. - 91 -
Sie werden eine sehr dicke Fensterscheibe ergeben, wenn sie erst mit Lehm eingekittet sind. Johnny und Dick nähern sich von einem angefangenen Corral her. Obwohl die Witterung kalt ist, schwitzen sie. Und sie betrachten Morg auf eine besondere Art, die eine Mischung von Grimm und Freude ist. »Den kennen wir doch, nicht wahr?« fragt Dick zweifelnd. »Ich glaube, es ist Mister Morgan Cleveland«, murmelt Johnny. »Wenn er das ist, dann haben wir ihn vor langer Zeit mal gekannt. Doch dann fuhr er mit einem schönen Mädchen vondannen und ward viele Jahre nicht mehr gesehen.« Er wendet sich an Morg und lüftet seinen Hut. »Verzeihung, Sir«, lispelt er, »sind Sie vielleicht Mister Cleveland, der vor vielen Jahren seine guten Freunde verließ?« »Ich bin Morg Cleveland«, erwidert dieser ernst. »Und ich suche zwei Burschen, die ich schon fast vergessen hatte.« »Das sind wir«, sagen sie zweistimmig. »Oder glaubst du vielleicht, wir wären ein Waschbär und ein Eichhörnchen?« fragt Johnny entrüstet. Doch dann können sie es nicht länger aushalten. »Was ist mit Pat?« Wieder rufen sie es zweistimmig, so, als hätten sie es einstudiert. Morg reicht jedem von ihnen eine Zigarre, bleibt jedoch noch auf dem Wagen sitzen. »Es ist ziemlich schlimm mit ihr«, sagt er langsam, und man sieht ihm die Sorgen an. Die beiden Freunde vergessen nun, ihre Zigarren in Brand zu setzen; sie drängen an den Wagen heran. Und dann grollt Dick grimmig und fast schon böse: - 92 -
»Mister, wir fragen nicht. Aber wir wollen einen genauen Bericht. Und wenn du jetzt nicht sofort deinen Mund bewegst, um uns armen Einsiedlern alles genau zu berichten, dann holen wir dich vom Wagen und rammen dich als Corralstange ein. Dann kannst du den ganzen Winter herumstehen und schweigen!« Aber Morg zündet erst seine Zigarre an. Sie ist gewissermaßen seine Belohnung für sich selbst nach der langen und beschwerlichen Fahrt. Doch dann berichtet er genau, wie Patricia Moore in den Besitz einer Wagenladung Pfirsich-Konserven aus Kalifornien kam. »Ich habe einige Büchsen im Wagen«, sagt er. »Pat gab sie mir für euch mit. Ich soll auch von ihr grüßen!« Obwohl Johnny und Dick gewiß gerne herausfinden würden, wie konservierte Pfirsiche im Winter schmecken, zeigen sie kein Interesse. Johnny sagt heftig: »Weiter! Was war weiter? Langer, unsere Geduld geht wahrhaftig zu Ende!« Morg nickt. »Wir kamen spät in der Nacht in Pikes Creek an«, berichtet er weiter. »Diese Stadt ist ein wildes Camp, rasch und" nicht für die Dauer errichtet. Aber es gibt eine Verwaltung dort, vor allen Dingen einen Regierungsbeauftragten für die Landbesiedlung. Ich habe unsere Ansprüche auf dieses Tal hier eintragen lassen und dementsprechende Bescheinigungen dafür erhalten. Das Tal war noch frei. Es kann uns hier niemand mehr in die Quere kommen.« Nun stöhnen Johnny und Dick schmerzvoll, und sie winden sich, so als hätten sie Bauchschmerzen bekommen. »Warum willst du nicht begreifen, daß wir alles über Pat hören wollen, alles, was geschah?« Morg Cleveland seufzt. »Dieses Mädel«, murmelt er, - 93 -
»sie war nicht zu halten. Es hat sie gepackt. Sie bekam das Fieber - versteht ihr, jenes Fieber, schnell reich werden zu wollen, Geschäfte zu machen, hochzukommen, sich was zu erobern, schnell, wagemutig und rücksichtslos. Wir kamen also mitten in der Nacht an. Ich fuhr eine Weile herum, doch niemand hatte ein Zimmer frei. Jedes Bett, jede Kiste, jedes Strohbündel, jeder Stall - ah, jedes Obdach ist belegt, vermietet. Wir bekamen also kein Zimmer für Patricia. Und so fuhren wir den Wagen auf den Abraham-Lincoln-Platz. Dort brannten große Feuer und Teerfässer. Es gab da einige große Zelte, in denen man Büffelsteaks, Büffelleber und Bier bekommen konnte. Auch Selbstgebrannter Whisky wurde ausgeschenkt. Und die Ute-Indianer hatten eine Ziegenherde angetrieben und brieten Ziegenfleisch über den Feuern. Es war ein ziemliches Fest. Denn es gibt nicht alle Tage Büffelfleisch und Ziegenbraten. Es war ein glückliches Zusammentreffen. Alle Leute, die Geld oder Gold genug hatten, waren versammelt und stopften sich für die nächsten Wochen voll Fleisch. - Nun gut, in dieses Fleischesserfest kamen wir nun mit der Wagenladung Pfirsiche. Die Leute sehnten sich nach all dem vielen Fleischgenuß sehr nach einem prächtigen Nachtisch. Das Mädel begriff sofort, daß gehandelt werden mußte.« Morg verstummt, saugt an der Zigarre und fährt sich dann mit der Hand über Augen und Stirn. »Du lieber Gott«, sagt er dann. »Pat nahm ihre Chancen wahr. Dieses Mädel kann hart kämpfen. Sie opferte zwei Dosen, indem sie diese öffnete und den Inhalt unter die Neugierigen verteilte, die sich auf ihre Anpreisungen hin rings um den Wagen angesammelt hatten. - Oh, Himmel, sie rief Worte wie: >Leute, ich - 94 -
bringe den kalifornischen Sommer zu euch!< Oder: >Goldene Früchte, süß und gesund wie die Freuden des Paradieses! Die Büchse sechs Dollar! Ein Kilo Pfirsiche aus dem Paradies für sechs Dollar! Der Süden, der Sommer und die ganze Süße Californias sind in diesen Büchsen eingesperrt !< Ach, sie rief noch bessere Sachen, wie sie nur ein verrückter Dichter sonst ausdenken könnte. Und bald darauf, als die ersten Zuschauer gekostet hatten, ging es los! Wir konnten gar nicht so schnell verkaufen. Und fast hätte man uns mitsamt dem Wagen umgerissen, so sehr drängten die Menschen. Die letzten zehn Büchsen versteigerte das Mädel dann meistbietend. Und für die allerletzte Büchse erhielt sie einen Betrag von über zweihundert Dollar in Gold. Ein großmäuliger Digger tauschte die Büchse gegen einen Beutel Goldstaub ein. Und dann war das Geschäft gemacht. Das Mädel hat an die viertausend Dollar in der Tasche. Sie schickt euch diese Zigarren, und im Wagen sind auch noch einige Büchsen für euch. Das ist es wohl.« »Und was war dann?« fragt Johnny wild. »Ja, was war dann, du schweigender Grabstein?« grollt Dick böse. Morg wiegt den Kopf und wischt sich wieder über Augen und Stirn. »Pat kannte keine Ruhe«, sagte er. »Sie war wie verändert, wie in einem wilden Rausche - aber in einem überwachen Rausche. Sie war klug, berechnend, geschäftstüchtig und gerissen, so, als wäre sie auf dem Markt der tausend Diebe in Mexico City aufgewachsen. Jungens, mir schwirrt noch jetzt alles in meinem Kopfe, wenn ich daran denke, was sie alles binnen weniger Stunden zusammen und unter einen Hut brachte.« Er verstummt, überlegt und zählt dann an den Fingern - 95 -
der Reihe nach auf: »Zuerst brachte sie die Büffeljäger, die das Fleisch gebracht hatten, dazu, mit ihr einen Vertrag zu schließen. Diese Büffeljäger-Mannschaft jagt jetzt nur noch gegen Beteiligung für Pat Moores Restaurants Und auch die Ute-Indianer, die mit den Ziegen aus den Bergen kamen, verkaufen die Ziegen nur noch an Pat Moores Restaurant, und auch die Hammel und was sie sonst noch liefern können.« Morg denkt wieder nach und tippt dann auf den dritten Finger. »Der Colorado-Saloon war einige Tage zuvor geschlossen worden. Der Besitzer und dessen Kartenausteiler hatten beim Spiel betrogen. Sie hatten dann einen der Stadt-Marshals erschossen. Doch Pat kam mit der Stadtverwaltung und dem im Gefängnis sitzenden Besitzer zu einer Einigung. Sie hat den Saloon mieten können, weil sie ein Speise-Restaurant daraus macht und weil sie die Verträge mit den Fleisch Jägern und den UteIndianern vorweisen konnte. Die Behörden sind sehr daran interessiert, daß es möglichst viele Speiselokale gibt, weil es immer noch zuwenig sind. Nun kaufte sie einige Öfen, Geschirr und allerlei andere Dinge zusammen. Das ist es also.« Er klettert nun vom Wagen. »Sie wird viel Geld machen«, sagt er gepreßt. »Doch sie wird sich wohl auch der Männer erwehren können, die schon jetzt wie hungrige Wildkater um sie herumschleichen. Sie wird sich behaupten, denke ich.« Johnny und Dick starren ihn seltsam an. »Du Narr«, sagt Dick dann schwer. »Ich dachte immer, du wärest der klügste Kopf von uns. Doch jetzt muß ich erkennen, daß du ein Dummkopf bist! Wie - 96 -
konntest du das Mädel dort allein lassen? Warst du von allen guten Geistern verlassen? Wie konntest du dieses arme und hilflose Mädel nur inmitten dieser wilden Meute lassen?« »Ja, das frage ich mich auch«, sagt Johnny dazu. Morg betrachtet die beiden Freunde fassungslos. Dann senkt er den Kopf und sagt: »Wir waren mit unserer Herde ziemlich lange unterwegs. Es hat sich indes sehr viel ereignet. Man hat Bringham Flynn und dessen Bande aus Texas vertrieben. Sie sind jetzt im Colorado-Territorium, dort in Pikes Creek. Ich bin Bringham Flynn begegnet. Er wußte natürlich nicht, wer ich bin. Ich hörte nur, wie zwei Männer sich über ihn unterhielten, als er an der Handelsniederlassung der Wells Fargo vorbeiritt. Er hatte ein halbes Dutzend Revolverhelden bei sich. Sie waren ein schlimmes Rudel. Aus Texas wurden sie von der Besatzungstruppe verjagt. Doch hier gibt es keine Armee. Hier müßte ein Sheriff oder ein Marshal ein Aufgebot zusammenstellen. Und ich glaube nicht, daß sich jemand zu diesem Aufgebot melden würde.« Er lehnte sich gegen die Wagenwand. »Ja, ich gebe es ehrlich zu«, sagt er. »Ich bin aus Pikes Creek geflohen. Patricia Moore stand neben mir, als sich die Leute auf den Banditenführer aufmerksam machten und der Marshal von Pikes Creek sich um die Ecke verdrückte, um außer Sicht zu gelangen. Das Mädchen wußte sofort Bescheid und drängte mich, zu verschwinden. Was sollte ich denn tun? Dableiben und warten, bis Bringham Flynn herausfindet wer ich bin? Er hat sicherlich eine gute Beschreibung von uns. Ich habe von der Handelsniederlassung Fallen, Wolfsgift und alle anderen Dinge gekauft, die wir hier den Winter über so - 97 -
nötig brauchen. Und dann habe ich mich davongemacht. Ich kann nur hoffen, daß Bringham Flynn nicht wegen uns nach Colorado gekommen ist, daß er nicht unsere Fährte bis nach Kansas verfolgte und man ihm in Dodge City sagte ...« »Aber du hast das Mädel verlassen! Du hast Pat in diesem wilden Camp gelassen. Sie wird darin umkommen. So hart, so schlau und so geschäftstüchtig kann sie gar nicht sein, daß sie ungeschoren bleiben wird. Du hättest sie ...« Morg unterbricht Johnny Christie, der ihn unterbrochen hatte, nun ebenfalls rauh und scharf: »Sollte ich sie vielleicht mit Gewalt herschleppen? Sollte ich sie mit Gewalt in diese Wildnis zurückschleppen? Was können wir ihr denn hier bieten? Heiliger Rauch, dieses Mädchen kann für sich sorgen! Und ich will nicht wieder einen Mann töten müssen. Habt ihr das begriffen?! Ich fürchte mich nicht vor Bringham Flynn, ich nicht! Aber ich will nicht mit ihm kämpfen müssen. Man wird ihn auch aus dem ColoradoTerritorium vertreiben, ganz bestimmt. Dann wird er gewiß weiter nach Norden gehen und das Indianerland zwischen sich und das Gesetz bringen. Dann ist er fort und hat mich vielleicht vergessen.« Er wendet sich nach diesen Worten ab, geht hinter den Wagen und öffnet dort die Klappe. Wortlos und ohne auf die Freunde zu achten, beginnt er den Wagen zu entladen. Er wirft Fallen von jeder Art und Größe auf den1 Boden und zerrt dann einige Säcke und Ballen heraus. Als er sich nach Johnny und Dick umwendet, stehen diese immer noch bewegungslos da und betrachten ihn. »He!« Er stößt diesen Ruf scharf hervor, so, als wolle - 98 -
er sie aus dem Schlafe wecken. »Was ist mit euch los?« fragt er dann. Sie betrachten ihn, dann blicken sie sich an - und plötzlich ist ein vollkommenes Einverständnis zwischen ihnen. Sie brauchten keine Worte zu reden, um zu spüren, wie einig sie sich sind. Als sie ihre Blicke nun fest auf Morg richten, sind sie gemeinsam zu einer Sache entschlossen. »Sag du es ihm, Dick«, spricht Johnny schwer, und Morg kann sehen, wie er mühsam schluckt. Dick aber zögert und sagt dann zweifelnd: »Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finden werde. Aber ich will es versuchen. Und wir wollen ganz ehrlich zueinander sein. Well, wir haben hier unsere TraumWeide gefunden. Ja, wir fanden hier, was wir seit Monaten suchten und wovon wir schon während des Krieges geträumt hatten.« Dick macht eine kleine Pause. »Nun sind wir hier«, sagt er dann. »Und wir haben auch Rinder hier, eine gute Herde der besten Longhorns, die wir am Brazos finden konnten. Es ist fast alles so, wie wir es haben wollten. Und wir brauchten jetzt eigentlich nur noch kräftig zu arbeiten und einige Jahre geduldig zu sein. Dann hätten wir es bald geschafft. Ja ...« »So ist es«, sagt Morg herb. »Und wir werden hier den Winter über eine Menge Pelztiere fangen können. Wenn wir im Frühjahr unsere Ausbeute als Trapper verkaufen, wird es uns nicht schlecht gehen. Wir werden eine ganze Menge Geld bekommen.« Sie blicken ihn an und nicken. »Schon, schon«, murmelt Johnny. »Es wäre schon alles richtig so, und wir könnten uns drei Glückspilze nennen, wenn ...« Hier verstummt er und senkt den Kopf. - 99 -
»... wenn?!« fragt Morg hart. »Es ist schlimm mit uns«, sagt Dick. »Wir haben uns beide schlimm in Patricia Moore verliebt, mußt du wissen, alter Junge. Das wurde uns aber erst richtig klar, als du sie fortgebracht hast. Wir spürten es dann erst so richtig. Und da arbeiteten wir Tag und Nacht. Wir wollten uns mit Arbeit betäuben. Wir wußten, daß wir nicht schlafen konnten - und daß wir immerzu ...« Er verstummt, macht eine hilflos wirkende Handbewegung und murmelt: »Morg, ich finde nicht die richtigen Worte, um es genau zu sagen. Aber es ist nun mal so, daß wir das Mädel sehr vermißten. Und - ich spreche jetzt nur für mich allein, Morg, nicht für Johnny. Doch ich sage dir jetzt, daß ich es hier nicht aushalte, solange ich das Mädel allein unter der großen Meute weiß. Ich kann hier nicht leben, solange sie dort in Pikes Creek allein ...« Er bricht ab, zuckt mit den breiten Schultern und wendet sich um. Johnny nickt langsam. »So geht es mir auch, Morg«, murmelt er. »Verzeihe uns! Aber es wird wohl nichts mit unserer gemeinschaftlichen Rinderzucht auf der endlich gefundenen Traumweide! Es wird wohl nichts daraus. Denn auch ich muß nach Pikes Creek. Wir hier, Dick und ich, wir haben während der letzten drei Tage und Nächte herausgefunden, daß unser Leben diesem Mädel gehört. Gut, sie will sich von dieser Welt - von diesem großen Rosinenkuchen! - eine dicke Scheibe abschneiden. Soll sie! Doch sie wird zwei Getreue nötig haben, auf die sie sich wirklich verlassen kann. Deshalb geben wir hier alles auf und reiten zu ihr. Morg, wenn du dich so sehr verliebt hättest wie wir, dann könntest du alles besser - 100 -
verstehen.« Er macht eine Handbewegung, die wie eine um Entschuldigung bittende Geste ist, zugleich aber auch als Abschiedsgruß gut. Morg sieht ihm nach. Und er begreift, daß Johnny und Dick nun drinnen im Blockhaus ihre Bündel packen. Bald darauf erscheinen sie wieder. Sie werfen ihm unruhige Blicke zu, verschwinden um die Ecke und satteln sicherlich im Corral ihre Pferde. Morg Cleveland gibt einem Sack Bohnen einen Tritt, geht um den Wagen herum, lehnt sich auf der anderen Seite mit dem Rücken dagegen und starrt ins Leere. Er denkt an eine Sache, die er Johnny und Dick nicht erzählte. Er denkt wieder daran, wie er Patricia Moore darum bat, seine Frau zu werden, wie er zu ihr sagte: »Heirate mich, Pat. Und dann komm mit mir in das Tal zurück! Gewiß, es wird ziemlich hart werden im ersten Winter. Doch schon im nächsten Jahre wird alles besser sein. Pat, hier in dieser wilden Stadt kannst du vielleicht viel gewinnen - aber du wirst gewiß auch viel verlieren, denn du wirst hier hart werden. Eine Frau, die sich unter harten und ziemlich rücksichtslosen Männern behaupten muß, verliert so sehr viel von all den Dingen, die in ihr sind und die sie für einen Mann zu einem kostbaren Besitz machen - all die Wärme und Güte, die Sanftheit und ...« Weiter kam er nicht. Denn sie unterbrach ihn herb. Sie sagte: »Morg, ich gab mich vor dem Marshal von Dodge City als deine Braut aus. Und du sagtest nichts dazu kein einziges Wort auf dem langen Wege. Aber du sagtest mir zuvor mal was anderes. Du sagtest einmal, daß du nicht möchtest, daß ich mich in dich verliebe. Nun gut, Morg! Bleiben wir dabei! Ich habe Blut geleckt, - 101 -
kann man wohl sagen! Ich habe mein kleines Anfangskapital fast verzehnfacht. Und ich gedenke jetzt nicht aufzuhören. Ich bin jetzt in Freiheit. Und das gefällt mir! Ich will jetzt meinen Weg gehen. Und ich glaube nicht, daß ich hart werde - ich meine tief in meinem innersten Kern, so daß ich später vielleicht nicht mehr dazu fähig bin, Gefühle zu spüren, die echt weiblich sind und denen ich nachgeben müßte. Ich glaube nicht, daß ich verhärten werde. Doch ich kann dir jetzt nicht in die Einsamkeit eines abgelegenen Tales folgen. Und da sind auch noch Johnny und Dick, nicht wahr? Sie lieben mich! Sie lieben mich beide sehr! Ich möchte eure gute Freundschaft nicht zerstören, indem ich ...« Doch sie sprach abermals nicht weiter. Sie küßte ihn zum Abschied auf die Wange. Und dann war er allein. Daran denkt er jetzt - und auch an seinen Heimweg, an das große Bedauern, welches er immer stärker spürte, je mehr Meilen er sich von Patricia entfernte. Und Dick und Johnny lassen ihn jetzt auch allein. Er blickt ihnen nach - und die Bitterkeit in ihm ist nun ein nagender und brennender Schmerz. Er fühlt sich müde und erschöpft, innerlich ausgehöhlt und wie der einsamste Mensch auf dieser Welt. Er denkt eine Minute darüber nach, was er wohl tun soll, und er spürt schon dabei, wie sich tief in seinem Herzen der erste Trotz zu regen beginnt, jenes trotzige »Dennoch!« welches in jedem Kämpfer im tiefsten Unglück und beim schlimmsten Kummer mächtig wird. Er hebt seinen Blick und späht in die Ferne. Sein Blick wandert an den Grenzen seiner Weide entlang - an den langen Hängen und Felswänden. »Dies ist mein Reich«, murmelt er. - 102 -
Er atmet tief und sagt dann trotzig: »Nun gut, ich halte durch! Auch allein! Dies ist der Platz, den ich finden wollte. Dies hier ist die Weide, die ich mir erträumte. Hier baue ich mein Rinderreich auf.« Und als er es gesagt hat, macht er sich an die Arbeit. *** Es ist mehr als nur Arbeit: es ist ein Kampf, ein EinMann-Kampf gegen unzählige Schwierigkeiten. Morg Cleveland in seiner Einsamkeit findet kaum Ruhe, und er zählt bald nicht mehr die Tage und Wochen. Das Christfest, welches er so gern mit seinen Freunden und Patricia gefeiert hätte, verbringt er draußen im Schnee bei den Rindern. Als dann der Schnee höher liegt, auch in den Waldlichtungen und auf den bewaldeten Terrassen der Hänge, ist die Futterbeschaffung nicht mehr leicht. Aber das alles, die Arbeit am Haus und in den Corrals, die Jagd auf Wölfe und Berglöwen, also den Schutz der Herde, dann die Futtersuche für die Tiere in den Corrals, das alles ist nicht mal Morg Clevelands Hauptbeschäftigung. Denn er wird im Frühjahr eine Menge Geld nötig haben. Seine kleine Herde soll sich ja vermehren, und das bedeutet, daß er in den nächsten Jahren keine Rinder verkaufen darf, nur die wenigen überzähligen Stiere. Er muß sich also andere Verdienstmöglichkeiten ver schaffen. Und so wird er mehr und mehr zum Fallensteller, zum Trapper. Diese Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Doch die Erfolge feuern ihn mehr und mehr - 103 -
an. Schon im Januar besitzt er eine stattliche Ausbeute an edlen Pelzen. Er wird noch hagerer, als er es zuvor schon nach dem langen Treiben war, und wenn man ihn durch den Wald gleiten sieht, dann könnte man ihn manchmal fast für einen Indianer halten, der die Kleidung eines weißen Mannes trägt. Hundert Male an jedem Tag und in jeder Nacht besonders während der Stunden der Jagd und bei der Bereitung der erbeuteten Felle und Pelze, wenn er sie innen sauber schabt und sie aufspannt, da muß er immer wieder an Patricia denken. Nur über eine Sache freut er sich und verspürt Befriedigung: daß Dick und Johnny bei Patricia sind. Er glaubt sicher, daß sie in guter Hut ist. Aber auch in dieser Beziehung verspürt er manchmal gewisse Zweifel. Sie sind immer dann da, wenn er an Bringham Flynn denken muß. Was würde Bringham Flynn wohl tun, wenn er noch in Pikes Creek weilt und irgendwie herausbekommt, daß Dick und Johnny die Partner und Freunde jenes Mannes sind, der seinen Bruder Jesse tötete? Zweimal will Morg sich auf den Weg nach Pikes Creek machen, weil er glaubt, es nun nicht länger aushalten zu können. Zum ersten Male versucht er es im Februar, und er kommt zu Pferd auch ganz gut vorwärts. Denn der Schnee war kurzfristig getaut und dann gefroren. Diese gefrorene Kruste ist überall so dick und stark, daß sie Pferd und Reiter tragen kann. Doch als Morg zwei oder drei Meilen weit aus dem Tal geritten war, da mußte er umkehren. Ein Blizzard nahte von Wyoming her, und er brachte - 104 -
das Eis und die Kälte von Alaska mit. Morg kehrte um und kämpfte dann gegen den Blizzard um seine Binder. Dies also passierte ihm im Februar und dann noch einmal Mitte März. Und dann gab er es auf. Neue Kälber und Fohlen brauchten ihn. Und die aufgestellten Fallen brachten immer wieder reichlich Beute. Auch taute der Schnee und machte jedes Vorwärtskommen zu Pferde unmöglich. Die Einsamkeit wird jedoch immer bedrückender für Morg. *** Als die Schneeschmelze einsetzt, werden die beiden Bäche im Tal zu reißenden Flüssen. Und dann ist mit einem Male der Frühling da. Morg Gleveland sieht es überall. Und er hört es von tausend jubilierenden Stimmen. An einem Abend packt er den Wagen voller Pelze und Felle. Es ist eine umfangreiche Ladung - allein einhundertsiebenundzwanzig Wölfe sind dabei. Und noch zahlreicher sind die Biberfelle. Und auch für die Silberfüchse, für die Nerze, Marder, Bisamratten wird er gutes Geld bekommen. Beim ersten Tageslicht ist er dann unterwegs. Um seine Rinder und Pferde braucht er sich jetzt nicht mehr zu sorgen. Denn das große Raubzeug hat jetzt überall im Wald leichtere Beute. Morg ist bärtig und gleicht wahrhaftig mehr einem Trapper als einem Cowboy. Er ist voller Ungeduld - und manchmal verspürt er tief in seinem Herzen eine bange Ahnung. Er läßt die beiden starken Maultiere stetig traben, gönnt ihnen nur die unbedingt notwendigen - 105 -
Pausen und fährt den ganzen Tag bis in die späte Nacht hinein. Er schläft einige Stunden an einem Feuer, spannt wieder an und fährt noch vor Tagesanbruch wieder weiter. Gegen Mittag ist er im Pikes-Tal. Bald darauf kommt die Stadt in Sicht. Er biegt vor ihr ab und erreicht die alte Handelsniederlassung der Wells & Fargo Company, die schon hier war, als es noch keine Stadt gab und wo die Agenten der Company mit den Indianern Handel trieben und die einzigen Weißen weit und breit waren. Einige Indianer und Trapper sitzen auf der Veranda herum, und ein Ute-Häuptling kommt aus dem Haus und lutscht ernsthaft an einer grünen Zuckerstange. Der Agent kommt aus dem Büro und begrüßt Morg. Er blickt dann in den Wagen und betrachtet die Felle. »Eine gute Ausbeute ist das«, sagt er. »Sie waren doch im Herbst bei mir und bekamen einen kleinen Kredit. Nun, jetzt können Sie ihn aus der Westentasche zurückzahlen.« »Ich habe hier eine Liste aller Felle«, sagt Morg. »Vergleichen Sie und prüfen Sie. Ich muß in die Stadt hinüber. Machen Sie mir einen guten Preis, wenn Sie im nächsten Jahr wieder von mir Felle und Pelze bekommen wollen. Ich habe viel Wild in meinem großen Tal. Kann ich einen Vorschuß bekommen, sofort?« Der Agent betrachtet ihn und dann schätzt er die Ladung. »Ich kann Ihnen einen Vorschuß von tausend Dollar geben«, sagt er. »Wenn alle Felle nur Durchschnitt sind, ist diese Ladung zweitausend Dollar wert. Sie waren doch ein Cowboy? Waren Sie schon mal...« »Mein Väter war Siedler, und wir lebten manche Jahre nur von der Jagd«, erklärt Morg. - 106 -
Er folgt dem Agenten in dessen Büro und läßt sich tausend Dollar geben. Wenig später befindet er sich auf dem Weg zur Stadt. Er ist hagerer als sonst, bärtig und ziemlich abgerissen und ungepflegt, er ist ein Mann, der einen langen Winter einsam war und der die Arbeit von drei Männern verrichten mußte. Doch nun könnte alles sehr viel besser für ihn aussehen, wenn er nur schon wüßte, was aus Patricia Moore, Dick Hilliary und Johnny Christie geworden ist. Es drängt ihn mächtig, auf diese Frage eine Antwort zu bekommen. *** Die Stadt ist ruhig und wirkt still und friedlich. Das ist kein Wunder, denn die meisten Menschen sind irgendwo auf ihren Claims oder in den Minenstollen und suchen für sich oder für ihre Arbeitgeber nach Gold. Morg Cleveland geht zuallererst in den nächsten Store und kauft sich Unterwäsche, eine derbe Hose, Stiefel, ein grünes Flanellhemd und eine Kalbsfellweste. Dann geht er zum Barbier, läßt sich die Haare schneiden und rasieren und mietet sich für eine Stunde im Baderaum ein großes Holzfaß mit heißem Wasser bis zum Kinn. Er verbringt die Zeit damit, sich mehrmals mit Seife und einer Bürste abzuschrubben. Und der Neger, der das Wasser bringt, muß ihm den Rücken scheuern. Er reibt sich dann ganz mit Lavendelwasser ab, und als er dann in die nagelneue Unterwäsche und Kleidung steigt, hofft er sehr, daß er nicht mehr so riecht wie ein Trapper - nämlich nach all den Fellen und Pelzen und auch nach Skunk. Er hat viele Skunksfelle erbeutet, über - 107 -
zweihundert Stück. Aber das hatte auch gewisse Nachteile. Als Morg schließlich die Badestube und den Barbierladen verläßt, fühlt er sich sehr sauber, sehr frisch, sehr zufrieden und sehr ungeduldig. Und er hat nun keine Bedenken mehr, Patricia Moore gegenüberzutreten. Mag sie hier vielleicht auch Erfolge gehabt haben - er kann sich ebenfalls sehen lassen. Mit zweitausend Dollar kann er bis zum, nächsten Frühjahr gut auskommen, eine Menge Anschaffungen machen und die Anfänge der Ranch weiter ausbauen. Er macht sich also auf den Weg zu Patricia Moores Restaurant. Oh, er weiß noch gut, wo es liegt. Doch auf dem Schild über dem Haupteingang steht nicht >Patricia Moores RestaurantOASE>, ein Tate-Slow-Betrieb.« »Ja, so ist es«, erwidert sie. Sie macht ihre Handgelenke aus seinen Händen frei. Sie hat sich nun wieder unter Kontrolle und weint nicht mehr. Ihre Stimme klingt spröde und hart. »Ich will es dir der Reihe nach erzählen«, sagt sie und - 117 -
beginnt im Zimmer umherzuwandern. »Es begann sehr gut«, sagt sie schrill. »Du hast es ja selbst noch erlebt, nicht wahr? Ich brachte das Restaurant mächtig in Schwung. Ich bekam genügend Helfer, und meine Fleischjäger brachten auch genügend Fleisch. Ich gab zweimal am Tage je tausend Portionen Essen aus. Ich konnte mir schon ausrechnen, daß ich reich und unabhängig sein würde, wenn die Fleischjäger mich bis zum Frühling gut beliefern konnten und wenn meine Vorräte an Mehl, Zucker, Mais, Bohnen, Reis, Kartoffeln und alles, was ich zusammengekauft hatte, reichen würden. Denn ich hatte ja eine ganze Menge Schulden machen müssen. Meine viertausend Dollar reichten bei weitem nicht, da alle Dinge hier sehr teuer waren - die Öfen, das Brennholz, die Einrichtung. Aber als das Restaurant dann lief, kam das Geld schnell wieder herein. Ich hatte jeden Tag fast tausend Dollar Reingewinn.« Sie verstummt, hält am Fenster inne und späht auf die Straße. Morg aber hat sich in einen der Sessel gesetzt und die Beine von sich gestreckt. Seine Sporenräder zerkratzen den Boden. Er überlegt, daß ihm die Sporen hinderlich werden könnten, und er beugt sich vor und schnallt sie ab. Dann fragt er: »Nun gut, du hattest also jeden Tag tausend Dollar Reingewinn? Hast du jetzt noch mehr?« Sie betrachtet ihn bitter und traurig - und irgendwie verständnisvoll und verzeihend. »Ich wünschte«, sagt sie nun, »ich hätte damals deinen Antrag angenommen und wäre dir heim in dein schönes Tal gefolgt. Doch ein Mädel wie ich, das muß wohl erst hart zurechtgestutzt werden. Und jetzt ist alles zu spät.« »Weiter, weiter!« »Dick und Johnny kamen«, sagt sie schlicht. »Sie - 118 -
ließen sich nicht von mir umstimmen und zu dir zurückschicken. Sie sagten mir klipp und klar, daß sie hier in der Stadt bleiben würden, solange ich hier mein Glück versuche. Und sie sagten mir, daß man zwei treue Hunde selbst nicht mit Steinwürfen verjagen könne. Ich erkannte immer mehr, daß sie mich beide sehr liebten, selbstlos und ohne Hoffnung für sich. Ich begriff, daß sie als meine Getreuen, als meine Beschützer und als meine Brüder bei mir bleiben wollten. Und da ließ ich sie in meiner Nähe. Ich gab ihnen Aufgaben und Funktionen. Sie waren beteiligt an meinen Geschäften. Wir dachten oft an dich, Morg. Wir stellten uns oft vor, wie einsam, enttäuscht und verbittert du sicherlich warst. Aber Dick und Johnny konnten nicht mehr von hier fort. Und ich wollte nicht. Ich wollte nur noch Geld verdienen, reich werden - frei, unabhängig und selbständig.« »Was dann?« fragt Morg. »Wo sind Dick und Johnny jetzt?« Sie wendet sich ihm zu, und sie betrachtet ihn ernst und mit einem deutlichen Ausdruck von Mitleid. »Ich bedauere das alles«, sagt sie dann. »Euch, dir, Morg und Dick und Johnny, habe ich Unglück gebracht. Durch mich verlorst du deine beiden guten Freunde, die dir wie Brüder waren. Sie verließen dich. Und ich, ich ...« Nun versagt ihr die Stimme. »Was ist mit Dick und Johnny?« Er fragt es nun hart und klirrend Und weil sie ihm noch keine Antwort gibt, fragt er weiter: »Sind sie tot? Ist es das? Sind sie tot?« Und da schüttelt sie den Kopf. »Sie waren schon fast tot«, sagte sie. »Bringham Flynn schoß sie sehr schlimm zusammen.« Nun muß sie sich setzen. Sie schließt ihre Augen und - 119 -
muß mehrmals mühsam schlucken. »Wenn ich mit dir in dein Tal gegangen wäre«, murmelt sie, »dann wären Dick und Johnny nicht nach Pikes Creek gekommen. Und dann ...« »Weiter!« Er fordert es scharf. Sie zuckt leicht zusammen. »Dick und Johnny hatten beide Bringham Flynns Blei bekommen. Die Kugeln saßen an lebensgefährlichen Stellen. Sie mußten beide operiert werden. Es gibt einen jungen Arzt in Pikes Creek. Ich ließ ihn holen. Doch er getraute sich nicht, diese Operationen durchzuführen. Er hatte Furcht. Er weinte fast, doch er sagte mir, daß ihm die Patienten wahrscheinlich unter dem Messer sterben würden. Er gab mir den Rat, mich an Mister Miller zu wenden. Er sagte, daß Mister Miller mal ein berühmter Chirurg gewesen wäre. Allerdings hätte er dann einige dunkle Geschichten verbrochen, die ihm das Diplom gekostet hatten. Aber ...« »Weiter, weiter!« Morg drängte es. Patricia Moore beißt ihre Zähne aufeinander. Dann schluckt sie wieder. »Ich ließ diesen Mister Miller suchen und holen«, sagte sie. »Als ich ihn sah, glaubte ich an einen bösen Scherz, denn er sah wie einer der bärtigen, ungepflegten und ungebildeten Goldgräber aus. Und er suchte auch hier nach Gold. Nun, er kam also. Und ich bat ihn, den beiden Sterbenden zu helfen. Er sah sich die Sache erst einmal an. Dann sagte er, daß der junge Arzt von Pikes Creek diese Eingriffe wahrhaftig nicht machen könne, weil man dazu die chirurgische Erfahrung eines Jahrzehntes nötig hätte. Und dann wollte er gehen. Ich bat ihn, wie ich noch nie auf dieser Erde einen Menschen um etwas gebeten hatte. Doch er war hart und verbittert. - 120 -
Er war unversöhnlich und haßte die menschliche Gesellschaft. Er sagte, daß ich ihm keine Schuld geben könne, denn er wäre ja nicht mehr Arzt. Oh, er sagte schlimme und bittere Worte. Sie macht eine Pause, erhebt sich und wandert nun hastig durch den Raum. »Ich fiel vor ihm auf die Knie«, sagt sie dann. »Denn ich spürte plötzlich fest, daß er der einzige Mensch war, der Dick und Johnny retten konnte. Ich bot ihm Geld. Ich bot ihm viel Geld. - Und als die Summe hoch genug war, da nahm er an. Er sagte mir jedoch, daß dies, was er für mich und die beiden Sterbenden tun würde, strafbar wäre. Er sagte, daß es ihn viele Jahre Zwangsarbeit kosten könnte, daß es für ihn ein Wagnis wäre, welches die Gesetze ...« »Das interessiert mich nicht«, sagt Morg drängend. Patricia nickt. »Die Operationen glückten«, sagt sie herb. Er konnte die Kugeln entfernen. Dick hatte zwei und eine saß fast im Herzen. Und bei Johnny war es eine Kugel. Nach acht Tagen etwa wußten wir, daß sie am Leben bleiben würden. Doch sie brauchten Pflege und alles erdenklich Gute. Ich aber war arm geworden. Ich hatte Mister Miller zwanzigtausend Dollar geboten - und auch bezahlt. Ich habe meine Fleischkontrakte, mein Restaurant, meine Vorräte und alles was ich besaß an Tate Slow verkaufen müssen. Und ich mußte noch achttausend Dollar Schulden machen.« Als sie nun verstummt, weiß Morg schon alles. Dann hebt er den Kopf. Draußen kommt jemand die Treppe herauf. Dann ertönen schwere und gewichtige Schritte auf dem Flur. »Das ist Tate Slow«, sagt Patricia, und in ihren grünen Augen ist nun der Ausdruck von Angst. »Wie sehr gehörst du ihm?« fragt Morg heiser. - 121 -
Ihr Blick flammt nun auf. »Ich arbeite als Sängerin bei ihm meine Schulden ab«, sagt sie. »Ich habe einen Vertrag mit ihm, der mich verpflichtet, jeden Abend aufzutreten bis ich die Schuldsumme abgearbeitet habe. Mehr gehört ihm nicht von mir - noch nicht.« »Aber er möchte dich ganz haben, nicht wahr?« Er fragt es geradezu. Sie nickt stumm. Nun klopft eine schwere Hand. »Aufmachen!« Es ist eine dunkle und sehr präzise und klare Stimme. »Ja, ich möchte mit ihm reden«, sagt Morg Cleveland ruhig und erhebt sich. »Lasse ihn nur herein, Pat! Und mache dir keine Sorgen mehr. Ich bin jetzt hier. Ich bin wieder bei euch und bringe alle Dinge in Ordnung. Es wird bald alles wieder gut sein.« Sie blickt ihn ungläubig und verwirrt an. Als der Mann dort draußen vor der Tür nun hart zu klopfen beginnt, da bewegt sie sich, geht zur Tür und öffnet diese. Und dann kommt Tate Slow herein. *** Er ist groß, massig, rotblond und sommersprossig. Seine Lippen sind dick, breit und fleischig, sein Gesicht ist breitflächig, und sein Kinn weist eine Kerbe auf. Er trägt einen dunklen Anzug, eine seidene Kratwatte und einen steifrandigen Hut. Er macht drei Schritte in das Zimmer hinein und hält dann an. Nachdem er einen schnellen Blick auf Patricia Moore geworfen hat, wendet er sich an Morg. »Mister«, sagt er, »das ist Hausfriedensbruch! Ich werde Anzeige beim Stadtmarshal erstatten. Verlassen - 122 -
Sie mein Haus - sofort!« Morg betrachtet ihn von oben bis unten. »Sicher«, sagt er. »Ich gehe wieder. Doch ich nehme Miß Moore mit. Sie bleibt hier nicht länger.« Und ohne den Blick von Täte Slow zu nehmen, fragt er: »Was bist du ihm noch schuldig, Pat?« »Etwa zweitausend Dollar noch«, erwidert sie und beißt sich dann auf die Unterlippe. Morg nickt Tate Slow zu. »Sie bekommen das Geld. Ich habe einen Wagen voll Pelze und Felle bei der Handels-Companie. Schicken Sie jemanden in zwei Stunden mit der Rechnung dorthin. Ich werde da sein und das Geld zahlen.« Er wendet sich an Patricia. »Pack deine Sachen! Laß alles zur Handels-Companie bringen. Dort steht der Wagen. Wo sind Dick und Johnny?« »In einem meiner Hotels, und sie haben ein gutes Zimmer«, sagt Tate Slow. »Aber ich werde sie auf die Straße werfen, wenn Miß Pat kündigt.« Er grinst breit. Es ist ein grimmiges und hartes Grinsen, schadenfroh und spöttisch. »Mann, Sie werden bald ganz andere Sorgen haben«, sagt er trocken. »Bringham Flynn hat den ganzen Winter auf Sie gewartet. Er hat einen Mann mitgebracht, der dabei war, als Sie in Texas seinen Bruder töteten. Dieser Mann hatte schon Dick Hilliary und Johnny Christie erkannt. Jetzt sind Sie an der Reihe. Wenn Bringham Flynn mit Ihnen fertig ist, werden Sie sich nicht mehr um Pat Moore kümmern können. Sie wird in meiner Obhut bleiben. Und sie könnte es sehr viel besser haben. Mann, was wäre aus Ihren beiden Freunden geworden, wenn ich Pat nicht eine solche Menge Geld geliehen hätte? Sie wären tot! Denn dieser Miller hätte ohne hohe - 123 -
Belohnung keine Hand für sie gerührt! Und er hätte damit nicht einmal etwas Unehrenhaftes getan, weil er ja doch gar kein Arzt mehr sein darf.« »Ich danke Ihnen, Mister Slow«, sagt Morg ruhig. »Sie sind ein Menschenfreund. « Er wendet sich an Patricia. »Wirst du packen und mit mir kommen, Pat, wenn ich mit Bringham Flynn zurechtkomme?« Sie nickt. Aber sonst ist sie vor Furcht und Angst starr und kann kein Wort sprechen. Sie blickt ihn nur an. »Sie haben gegen Bringham Flynn keine Chance«, sagt Tate Slow. »Niemand hat gegen ihn eine Chance.« Morg betrachtet ihn. »Sind Sie Flynns Freund?« fragt er. Tate Slows Augen werden schmal. »Ich habe alles getan, um ihn mir nicht zum Feinde zu machen«, sagt er dann. »Er hat im Verlauf dieses Winters eine ganze Menge Männer zurechtgestutzt, die sich ihn zum Feinde machten oder sich ihm nicht unterwarfen. Da uns das Gesetz nicht schützen kann, da es hier in dieser Stadt und im Goldland von Pikes Creek keine Einigkeit gibt, keine menschliche Gemeinschaft - nun, da muß jeder Mensch eben auf seine eigene Art für seine Sicherheit sorgen. Ich habe nichts getan, was Bringham Flynn zu meinem Feinde gemacht haben würde. Und ich werde auch in Zukunft nichts tun, was mir seine Feindschaft einbringen könnte. So denkt die ganze Stadt. Alle denken so. Deshalb werden Sie ganz allein sein, Mister, wenn er auf Sie losgeht.« Morg Cleveland nickt. »In welchem Hotel liegen meine beiden Freunde?« fragt er dann. »Im Sunshine-House. Es liegt zwei Querstraßen weiter - 124 -
an der Ecke.« Tate Slow sagt es mit einem breiten Grinsen. Seine gelben Augen leuchten seltsam. »Sie kennen wohl gar keine Furcht?« fragt er. Morgs Blick wird ausdruckslos. »Ich muß meinen Weg jetzt wohl gehen«, sagt er. »Es begann in Texas, und es ist noch nicht beendet. Ich muß dieses Mädchen und meine beiden Freunde heimbringen - dort in jenes Tal, auf unsere Traum weide. Ich muß das tun.« Er richtet seinen Blick auf Patricia.. Mit dem Daumen tippt er gegen seine Brust, dorthin, wo sein Herz schlägt. »Ich spüre ganz deutlich«, sagt er ruhig, »daß ich für uns alle einen Weg finden werde. Niemand kann mich aufhalten. « Dann geht er hinaus. Als er durch die Tür ist, löst sich endlich Patricias Starre. Sie kann nun auch wieder sprechen. Und sie stürzt vorwärts und ruft laut und flehend: »Morg! Morgan Cleveland!« Doch Tate Slow hält sie auf. Er hält sie sogar fest. Und er sagt zu ihr nieder: »Pat, wenn er gewinnt, werde ich dich hergeben müssen. Dann werde ich dich und jede Chance, dich bekommen zu können, verlieren. Aber ich wünsche ihm Glück. Ich bin kein ehrenwerter Mann, das weiß ich. Ich bin ziemlich schlimm. Ich bin ziemlich hart, rücksichtslos und berechnend. Doch ich liebe dich richtig, Pat. - Und ich wünsche diesem Morg Cleveland dennoch Glück.« Er läßt sie los und will den Raum verlassen. Patricia sagt schnell: »Wenn Bringham Flynn nicht mehr ist, werden Sie allein der große Mann sein, Tate Slow! Warum eigentlich helfen Sie Morg Cleveland nicht?« - 125 -
Er betrachtet sie ernst. »Ich sagte schon, daß ich ziemlich hart und berechnend bin«, murmelt er. »Ich wünsche diesem Morg Cleveland Glück, weil ich einen furchtlosen und entschlossenen Mann achte, weil ich Respekt habe vor einem richtigen Mann. Doch ich werde keinen Finger dafür rühren, daß er Sie mir fortnehmen kann, Pat. Das müssen Sie schon verstehen. Ich kann Ihnen nur versprechen, daß ich Ihnen und seinen Freunden keinerlei Schwierigkeiten bereiten werde. Ich entlasse Sie sogar aus unserem Vertrag. Sie stehen nicht mehr in meiner Schuld, Pat. Daß Sie in meinem Hause für die Gäste sangen, brachte mir hohen Verdienst ein, und selbst wenn er verlieren sollte, dieser Morg Cleveland, so sind Sie frei, Pat.« Damit geht er hinaus. Sie aber steht einige Sekunden starr da. Dann bewegt sie sich. Sie wirft, nachdem sie die Tür geschlossen hat, in ihrer Umkleidekammer ihre Kleider ab und zieht sich jene alte und abgenutzte Männerkleidung an, die sie bei ihrer Ankunft hier getragen hatte. *** Die Straße ist leer, und das ist ein Zeichen dafür, daß die Nachricht längst die Runde machte. Und die ganze Stadt wußte ja schon während des langen Winters Bescheid. Man wußte, daß Bringham Flynn hier auf Morg Cleveland wartete, einen langen Winter lang. Morg geht ruhig auf dem Plankengehsteig entlang, überquert die Gassen und kommt an Hauslücken, Häusern, Geschäften, Saloons und allerlei anderen - 126 -
Gebäuden, Unternehmungen und Läden vorbei. Überall erkennt er hinter Fenstern und Türen neugierige Köpfe. Endlich erreicht er das Sunshine-Hotel, tritt ein und sagt zu dem Mann hinter dem Anmeldepult: »Wo finde ich...« »Nummer eins!« Der Mann sagt es schnell, und daran erkennt Morg, wie sehr man hier in dieser Stadt, in diesem wilden Camp, schon Bescheid weiß. Er geht hinauf. Bevor er die Tür öffnet, hält er inne und lauscht. Denn drinnen erklingen die Stimmen seiner beiden Freunde. Er hört Dick sagen: »Johnny, ich gebe dir mein Wort, daß ich nie wieder den Namen meiner Tante auch nur erwähne, geschweige denn dumme Lügengeschichten von ihr erzähle, wenn Morg es schaffen kann, wenn er am Leben bleiben kann, wenn alles wieder für ihn und Pat gut wird.« Als Dicks Stimme verstummt, sagt Johnnys Stimme genauso feierlich ernst: »Und ich schwöre dir, Dick, daß ich mich über jede Geschichte von Rosalin-Beate mächtig freuen werde, daß ich darüber lachen oder staunen werde, wenn Morg es schaffen kann.« Morg grinst seltsam, als er das hört. Er öffnet die Tür. Und da sieht er sie. Dick sitzt in einem Lehnstuhl am Fenster. Doch rechts und links von ihm stehen zwei Krücken. Johnny liegt im Bett. Er sitzt halb und hat einige Spielkarten in den Händen. Er ist so dünn und mager, daß er Morg fast durchsichtig erscheint. Auch der sonst so bullige und schwere Dick ist mager und hohlwangig. Sie betrachten ihn wie einen Geist. Aber auch er - 127 -
staunt sie an, denn er begreift erst jetzt so richtig, wo er sie sieht, wie krank sie gewesen waren. »Wie geht es euch?« fragt er schließlich sanft. »Warum liegst du noch im Bett? Und warum sehe ich dort zwei Krücken? Ist es schlimm mit euch Jungens? Sagt es mir! Sagt es mir schnell!« Doch sie betrachten ihn noch staunend. Dann sagt Dick: »Da ist er ja, der Häuptling! Du lieber Gott, er erinnert mich an einen Indianer, der Tante Rosalin-Beate mal so sehr erschreckte, daß sie ihre Stimme erst abstellen konnte, als sie keine Luft mehr bekam.« »Es ist Morg«, sagt Johnny. »Mir geht es ganz gut«, fügt er hinzu. »Ich nehme jetzt jede Woche zwei Pfund zu. Und auch Dick wird eines Tages die Krücken wegwerfen. Mache dir nur keine Sorgen, alter Junge.« »Ich habe den Wagen da«, sagt er. »Ich will euch mitnehmen. Könnt ihr das vertragen?« Sie erwidern nichts. Sie blicken ihn nur an. Und in ihren Augen kann er alles lesen. Er weiß, daß sie jetzt kein Wort herausbekommen. »Ich hole euch hier ab«, sagt er knapp. Dann wendet er sich um und geht hinaus. *** Als Morg auf die Straße tritt, erblickt er einen Mann. Der Mann ist groß, hager, blond und trägt einen gelben Schnurrbart, dessen Enden sichelförmig neben seinem Kinn hängen. Der Mann trägt schwarzes Leder und einen RevolverKreuzgurt mit zwei Halftern. »Bist du Morg Cleveland?« fragt der Mann. - 128 -
Morg nickt. »Der bin ich«, sagt er. »Ich bin Bringham Flynn «, sagt nun der Mann. »Und es traf sich gut, daß ich aus Texas flüchten mußte, denn dadurch kam ich zufällig in diese Stadt. Ich warte schon einen langen Winter darauf, daß du dich hier zeigst.« »Willst du einen Kampf mit mir?« fragt Morg. »Es war mein Bruder, nicht wahr? Welcher Mann läßt den Tod seines Bruders ungerächt?« »Er zwang mich zum Kampf«, spricht Morg ernst. »Ich mußte mein Leben erhalten. Und nun willst auch du mich zu einem Kampf zwingen, den ich nicht möchte. Ich würde viel lieber meine kranken Freunde und meine Braut nehmen und die Stadt verlassen.« Bringham Flynn scheint zu überlegen. Dann schüttelt er den Kopf. »Das geht nicht«, sagt er. Und dann zieht er ohne jede Warnung seinen linken Revolver. Er schlägt Morg im Ziehen. Morg spürt die Kugel wie einen Peitschenschlag auf einer seiner Rippen. Sein Revolver kracht in seiner Hand. Er spürt schon beim Abdrücken, daß er richtig treffen wird. Und es ist auch so. Der Bandit dreht sich zur Seite. Er schießt noch mehrmals, doch in eine völlig andere Richtung. Dann fällt er und bewegt sich nicht mehr. Einige Männer kommen aus dem gegenüberliegenden Saloon. Morg hält den Revolver in der Hand und blickt ihnen entgegen. Er hält sie für Bringham Flynns Leute. Sie treten zu Flynn, knien bei diesem nieder, bilden eine schweigsame Gruppe und wenden sich dann zu Morg. »Flynn sagte, daß wir dir nichts tun sollen, wenn du - 129 -
ihn schlagen könntest«, sagt einer der Männer. »Und wir müssen ohnehin fort. Alle Wege sind wieder offen!« Er verstummt gedehnt. Von links kommt jemand angelaufen. Alle Männer, auch Morg, wenden ihre Köpfe. Es ist Patricia Moore, die da kommt. Und sie hält eine Schrotflinte in den Händen. Männer - und auch die Zuschauer, die sich hinter Fenstern und Türen verbergen - begreifen, daß dieses Mädchen wahrhaftig kämpfen wollte. Auch Morg begreift es. Und noch etwas anderes wird ihm bewußt: Er lebt noch. Er wurde von Bringham Flynn, der einer der berüchtigsten Revolverhelden war, zum Kampf gezwungen. Bringham Flynn gehörte sogar zu den wenigen Männern, die ihn beim Ziehen schlagen konnten. Flynn zog jenen Sekundenbruchteil schneller, der den ersten Schuß ausmacht. Doch er konnte ihn, Morg, nicht richtig treffen. Morg Cleveland lebt noch. Und nur der Schmerz einer Streifwunde ist dort, wo die zweite Rippe sitzt. Er begreift, daß er gewonnen hat. Das Mädchen ist nun bei ihm. Sie stellt sich neben ihn und richtet die Schrotflinte auf Bringham Flynns Männer, die jetzt wieder auf ihren ehemaligen Anführer blicken, so als könnten sie immer noch nicht glauben, daß er tot ist. »Geh zurück ins Hotel, Pat«, sagt Morg zu ihr. »Du hättest nicht wie ein Indianer auf den Kriegspfad gehen sollen. Dies hier, dies ist nichts für Mädchen.« »Da hat er genau recht«, spricht einer von Bringham Flynns Männern. Sie alle betrachten Morg und das Mädchen. Sie - 130 -
begreifen, daß dieses Mädchen und dieser Mann zusammengehören. Sie können sich denken, daß dieser Cowboy für sich und das Mädel einen festen Platz schaffen wird. Und sie wird ihm eine gute Frau sein; sie wird ihm all die Wärme geben, die nur eine gute Frau verschenken kann. »Er hat recht«, wiederholt der Mann. Dann zieht er vor Patricia den Hut. »Bringham Flynn hat das als eine persönliche Fehde betrachtet«, sagt er gedehnt. »Und alle Wege sind wieder offen. Der Schnee ist fort. Die Pässe sind frei. Wir können nicht länger in dieser Stadt bleiben. Es war hier ein recht angenehmer Winter. Viel Glück!« Er wendet sich ab und geht davon. Die anderen folgen ihm. Und nur der letzte Mann hält nochmals inne und sagt zu Morg: »Bringham Flynn muß wohl geahnt haben, daß Sie schneller oder besser mit dem Revolver sind als er. Denn er beschäftigte sich den ganzen Winter lang mit diesem Problem. Nun, kaufen Sie ihm eine Beerdigung!« Damit geht auch er. Bürger kommen nun aus den Häusern, Bürger, Fremde, Goldgräber - was eben um diese Zeit so in der Stadt ist, in den Häusern, Geschäften und Lokalen. Ein junger Mann kommt mit einer schwarzen Tasche angelaufen. Morg begreift, daß es der junge Arzt ist, von dem Patricia sprach. »Phil, sorgen Sie doch für die Bestattung«, sagt Patricia etwas gepreßt. Sie entdeckt, daß Morg unter dem Hemd blutet. Sie legt ihre Fingerspitzen auf den dunklen Fleck. »Komm, Morg! Komm!« Und er gehorcht. Er steckt seinen Revolver weg und - 131 -
geht mit ihr. *** Es ist einige Tage später, als er den Wagen vor dem Blockhaus anhält, welches Dick und Johnny begonnen hatten und er vollendete. »Da sind wir«, sagt er zu Pat, die neben ihm sitzt. Sie spähen in die Ferne. Es ist ein warmer Frühlingstag. Die Weide ist grün, und der Wald grünt hinauf bis zu den Kämmen der Hänge. Sogar in der meilenlangen Felswand sind überall grüne Sträucher und Büsche. Irgendwo grasen die Rinder; sie sind lose verstreut und dennoch als Herde beisammen. »Ist es schön? fragt Morg sanft. »Warte nur, wenn wir die Ranch richtig ausgebaut haben.« »Es ist herrlich«, sagt sie. »Ich verstehe nicht, warum ich etwas anderes haben wollte. Denn hier ist doch alles, ein wunderschöner Platz - und dich gibt es hier, Morgan Cleveland.« »Was mich ärgert«, sagt Dicks Stimme aus dem Wagen hinter ihnen. »Was mich sehr ärgert, ist, daß ich nicht auf eurer Hochzeit tanzen konnte. Ihr hättet ja noch etwas warten können, nicht wahr?« »Nein, wir konnten nicht mehr warten«, sagt Patricia Moore. »Wenn man endlich erkannt hat, was man haben will und was gut ist, dann soll man keine Minute länger warten.« »Das sagte meine Tante Rosalin-Beate auch immer«, erklärte Dick sofort. »Sie erkannte einmal, daß es gut für sie wäre, sich endlich einen Mann zu nehmen. Aber dann ...« - 132 -
»Du hast versprochen, nichts mehr von deiner Tante zu erzählen«, sagt Johnny seufzend. »Und du hast geschworen, daß du dir von Tante Rosalin-Beate alles geduldig anhören und dich darüber freuen würdest«, sagt Dick. Morg und Pat lachen zweistimmig. Er springt vom Wagen und hebt sie herunter. »Also gut«, sagt er, »fangen wir hier an!« *** Und sie fingen an. Von Tob Hunter hörten sie nie wieder etwas. Es gibt heute noch drei Ranches im Sunshine Valley. Und die Clevelands, die Hilliarys und die Christies leben immer noch dort. Natürlich züchten sie keine Longhorns mehr, denn die Zeit der Longhorns ist längst vorbei. Im Sunshine Valley gedeiht eine prächtige Rinderrasse, Weißnasen, mächtige Fleischtiere. Und Pferde und Maultiere werden gezüchtet, und diese Zucht ist berühmt. Sie kommen gut aus, diese Menschen im Sunshine Valley. Nun, ihre Urgroßeltern waren ja gut befreundet. Und diese Freundschaft blieb unter den Sippen.
ENDE
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