Gerhard Schmidt
Die Todsünde
Verlag Neues Leben Berlin
M it Illustrationen von Karl Fischer
© Verlag Neues Leben, ...
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Gerhard Schmidt
Die Todsünde
Verlag Neues Leben Berlin
M it Illustrationen von Karl Fischer
© Verlag Neues Leben, Berlin 1985 Lizenz Nr. 303 (305/89/85) LSV 7503 Umschlag: Karl Fischer Typografie: W alter Leipold Schrift: 10 p Times G esam therstellung: (140) Druckerei Neues D eutschland, Berlin Bestell-Nr. 643 898 0 00025
Der schwarzgekleidete Ritter, der an diesem Herbsttage des Jahres 1516 am Grüninger Kreuzweg unweit des gleichnamigen Klosters, unter einer starken Eiehe vor dem Wolkenbruch geschützt, auf ei nen lohnenden Fang wartete, fröstelte und fluchte leise vor sich hin. Er war dick und ungeschlacht, doch trotz seines grimmigen Gesichtes, das an einen wachsamen Fleischerhund erinnerte, von großer Empfindsamkeit, wenn es um seine Ehre ging, nun aber in einer jämmerlichen Verfassung, denn das Sattelreiten lag ihm nicht. Es strengte an und war gefährlich. Viel lieber hätte er vor ei nem Humpen gesessen und mit dem Hirschfänger in eine schwei nerne Haxe gehauen. Aber wohin sollte er hauen, wenn nichts zu hauen war. Das Mönchsgesindel in der Nachbarschaft, das für ihn nur der Schmutz unter Gottes Schuhsohle war, machte ihm das Le ben so sauer, daß er keinen anderen Ausweg sah, als auf die Straße zu gehen. Oder sollte er sich etwa von seiner Hände Arbeit ernäh ren? Schon der Gedanke belustigte ihn. Außerdem war es noch an strengender, als auf dem Pferd zu sitzen. Und schließlich mußte er sich an diesem Pater rächen, dem verwachsenen, tückischen, hin terhältigen Zwerg Johannes mit seinen abgefeimten Methoden, ei nem wehrlosen Ritter das letzte abzunehmen und ihn danach mit frommen Sprüchen auf die Bibel zu verweisen. Pater Johannes war der Prior des benachbarten Klosters und insgesamt dreimal auf der Hakeburg gewesen. Das erstemal, um die nach langem Streit den Mönchen zugesprochene Reliquien sammlung zu vereinnahmen, das zweitemal, um sie mit den be waffneten Knechten des Vaters hinter sich zurückzubringen, und das drittemal, um dem Sohn mitzuteilen, daß er als Erbe des hingerichteten Raubritters die Besitzansprüche auf die Burg verwirkt habe. Dabei hätte er seinen Triumph nicht so offen zeigen sollen, wie er es tat, denn das veranlaßte diesen Erben, dem Überbringer der Botschaft den Hintern zu „zeigen und die in den Därmen ge staute Luft kraftvoll zu entladen. Seit dieser Zeit, seit genau einem Jahr, lebte Jobst von Hake, der letzte und einzige Sproß des Ge schlechts, in unerklärter Fehde mit den Grüninger Mönchen und dachte nicht daran, die Burg zu räumen. Er war sogar fest ent schlossen, das Unrecht zu sühnen. Seit Tagen hatte er nichts Ordentliches gegessen, und so kam es, daß er überall appetitliche Schinken, geräucherte Würste und gir landengeschmückte Kalbsviertel in den Büschen hängen sah. Und wenn er die Augen ein wenig zukniff, bemerkte er ein schön ge bräuntes und verängstigtes Brathuhn im verfilzten Unterholz, doch wenn er zugreifen wollte,, entkam es ihm immer wieder. Der Ritter wartete und fühlte sich an allen Gliedern zerschlagen.
Das Warten ist eine Krankheit. Es gibt kein Mittel dagegen. Sie ist unheilbar. Er wartete, und der Regen floß ihm unter den Hals schutz, in den Stiefeln stieg die Feuchtigkeit empor, und der Durst quälte ihn auf eine Weise, daß er manchmal nach einem Tropfen schnappte, obwohl er Wasser verabscheute. Zu allem Unglück plagte ihn das Bedürfnis, einer Beschäftigung nachzugehen, die sich, wenn man in einer verrosteten Rüstung steckt, schwerlich ver richten läßt. Er wartete, und kein Reiter kam vorbei, er wartete mit immer größer werdendem Zorn. Doch die Grüninger Mönche, die an diesem Tag, wie er wußte, den Zins zu kassieren pflegten, wa ren nirgendwo zu erblicken. Plötzlich öffnete sich der Wolkenvorhang, und die untergehende Sonne übergoß das Waldstück und den Weg, auf dem ein Wagen mit vier singenden Ordensbrüdern herankarrte, mit freundlichem Schein. Jobst von Hake bewegte die steifen Knie und prüfte die Schneide des Schwerts. Mühselig, doch hastig bestieg der Ritter das Pferd, gab ihm ei nen Klaps, danach die Peitsche und endlich die Sporen. Doch der Klepper rührte sich nicht, schaute ihn nur trübsinnig an und schüt telte die Mähne, stampfte ein paar Schritte und blieb wieder ste hen. Die Mönche wurden aufmerksam und grüßten den Ritter spöttisch mit einem Pokal, den sie aus einem mitgeführten Wein faß immer wieder füllten. Sie sangen, sie grölten das mit unflätigen Ausdrücken angereicherte Lied vom „Ritter ohne Schwert, der bald zur Hölle fährt“. Jobst von Hake spürte die Wut wie ein auf steigendes Fieber. Er mühte sich ab, das alte Roß anzutreiben, und es trabte auch, es sprang und stürzte endlich wie eine Vettel, die noch einmal etwas erleben will, nach vorn. Jobst von Hake spürte den Wind, ließ das Visier herunterklappen und erhob sich im Sat tel, um die geweihten Spitzbuben aufzufordern, sich zu ergeben. Da geschah es. Da sprang ein Köter vom Wagen, ein bissiges Vieh, das keine Ritter mochte. Es kläffte und tobte wie ein schwarzer kleiner Satan heran und sprang dem Roß in die Weichen. Der er barmungswürdige Klepper setzte sich auf die Hinterhand, sprang im gleichen Augenblick wieder empor und warf den Reiter in den Sand. Der von Hake hörte das Läuten der Glocken und einen überirdi schen Chor. Nur langsam wurde ihm klar, daß es nicht die Engel, sondern die Mönche waren. Und es klang auch nicht nach liebli chen Gesängen, sondern nach homerischem Gelächter. Er kam endlich ächzend auf die Beine, denn zu seinem Pech hatte sich das Visier verklemmt, und er sah nichts mehr. Außerdem war der Hund noch da und biß in die ungeschützte Wade. Der Ritter 4
stöhnte und fluchte und humpelte zu seinem Pferd, das sich am Rand der Straße hingelegt hatte. Es war nicht mehr zu bewegen aufzustehen. Endlich pfiffen die Mönche den struppigen Köter zurück. Und der gebissene, von seinem Pferd verlassene und verklemmte Ritter Hake von der Hakeburg, der mit heiserer und kaum noch verständ licher Stimme den lieben Gott und die Heiligen und den Satan für sein Mißgeschick verantwortlich machte, begann wieder zu atmen und zu sehen. Natürlich ließ er das Schwert in der Scheide, denn er hatte niemals von einem Ritter gehört, der sich mit der Waffe in der Hand eines tollwütigen Straßenköters erwehren wollte. Leider war unter den vieren der Prior des Klosters, der von Jobst gehaßte Pater Johannes, der dem Teufel seine Seele abschwatzen konnte. Und dieser Johannes verspürte das Bedürfnis, dem gottes fernen Sattelreiter die Leviten zu lesen. Er war nicht nur klein und dürr und ausgetrocknet, er wirkte mit seinem Vogelkopf und dem Säuferzinken wie ein Fabelwesen aus Hieronymus van Akens Bil derwelt. Behende sprang er vom Wagen, streckte seine Krallenfin ger aus und rief mit anklagender Stimme: „Ich glaube, daß du in räuberischer Absicht gekommen bist, mein Sohn, und hätte nicht übel Lust, dir mit deinem eigenen Braten messer den Bart zu scheren. Clemens ist mein Zeuge!“ Clemens, der Sanfte, das war der Name des bissigen Köters und des Papstes, der den Mönch einmal empfangen hatte. Und Johan nes meinte den Papst, aber der Hund hatte ihn mißverstanden, denn er mühte sich um die Sache Roms mit einem wütenden Sprung nach vorn und einem neuerlichen Biß in die Wade des Rit ters. Jobst von der Hakeburg stieß einen barbarischen Schlachtruf aus und verteidigte sich mit Ausfällen nach allen Seiten, ohne den Gotteskämpfer zu treffen, denn der hatte sein Weidwerk gelernt. Mit einem verzweifelten Streich gelang es Jobst endlich, den Schwanz zu kupieren und damit die Fehde zu beenden. Der Hund ließ winselnd von ihm ab und flüchtete sich in die Nähe seines Be schützers. Der Ritter hielt den abgeschlagenen Schwanz triumphie rend in die Höhe, doch Pater Johannes trat furchtlos an ihn heran und riß ihm die Trophäe aus der Hand. „Du wagst es, dich deiner Schande zu rühmen, du Knecht des Bö sen. Nicht allein, daß du dich weigerst, die Grüninger Forderun gen anzuerkennen, die Reliquien herauszugeben und die Burg zu verlassen, die deine Ahnen verpfändet haben - der Satan wird sie an langen Spießen rösten und von der eigenen Jauche saufen las sen - , du erkühnst dich noch, mit diesem Klepper auf die Straße zu gehen!“
Seine Stimme schwoll zornig an, denn er hörte sich gern reden und hätte am liebsten weitergesprochen, aber in diesem Augen blick schnaufte das am Boden liegende Pferd und verendete. Einer der auf dem Wagen gebliebenen Mönche sagte unwillkürlich „Amen“. Dem Ritter aber quoll eine Träne aus dem Augenwinkel, denn es war sein einziger Gefährte, der da hinschied. Dann entgegnete er jedoch würdevoll: „Mort de Dieu! Ihr habt ihn umge bracht, und wenn ich euch laufenlasse, dann nur, weil ich im Schmerz allein sein will. Ihr dürft weiterziehen!“ „Soso, wir dürfen“, spottete Pater Johannes. „Nach dieser Mis setat werden wir dich in Acht und Bann tun und mit Schimpf und Schande aus dem Bistum jagen!“ Mit diesen Worten brachen die Mönche auf. Der Ritter ließ das verendete Pferd, wo es lag, lud sich den Sattel auf den Rücken und machte sich auf den beschwerlichen Weg zu der etwa zwei Stun den entfernten Hakeburg. Der Himmel bewölkte sich wieder, und die Nebelfetzen hingen in den Zweigen wie Leichentücher. Der Ritter stapfte Schritt für Schritt durch den Sand, denn die Rüstung drückte, der Sattel wurde immer schwerer, der Hunger immer wütender. Jobst von Hake fühlte sich wie der letzte Krieger inmitten einer Schar gefallener Gefährten auf einer verlorenen Ba stion. Da plötzlich weiteten sich seine Augen. Da sah er, wie ein Engel hemiederschwebte, wie der Engel ihn heranwinkte und wohl den Auftrag hatte, ihn heimzuholen ins Reich der Väter. Der Wind rauschte, und die Nachtvögel strichen vorbei. Der Ritter stand wie vom Blitz getroffen. Er wagte nicht, sich zu rühren. „Wenn Euer Gnaden die Freundlichkeit hätten, sich umzudre hen, könnte ich in meine Kleider schlüpfen.“ Das war ein Mensch! Das war eine Weiberstimme. Das war ein Mädchen im Evakostüm, das an diesem Septemberabend, weiß der Teufel, warum, im kleinen Waldsee am Dreiherrenstein gebadet hatte. Jobst Von Hake dachte nicht daran, sich umzudrehen. Er be trachtete die Erscheinung ungeniert und sagte fast feierlich: „Ich nehme an, daß Ihr Zuflucht sucht, mein Fräulein. Ich gewähre sie Euch au f der Hakeburg.“ Der aus einem Kloster geflohenen Novizin war es gleich, wohin sie der Zufall trieb. Sie hatte zwar ein Zuhause, aber zurück wollte sie auf gar keinen Fall. Und Jobst von Hake hätte sie auch nicht gehen lassen. Er betrachtete die Paradiesäpfelchen, und der liebli che Lustgarten versöhnte ihn mit dem Ungemach der Welt. Das Mädchen war ein liebreizendes, aber nichtsdestoweniger er fahrenes Geschöpf von etwa fünfundzwanzig Jahren, das weder
an Armut noch an Keuschheit und Gehorsam Gefallen fand und schon gar nicht im Kloster Helfta versauern wollte, wie es ihre Fa milie erwartete. Sie trug eine freigebig ausgeschnittene Nonnen tracht, war zierlich und kokett und voller Übermut. Das Karten spielen beherrschte sie wie ein Landsknecht, das Trinken wie ein Mönch, und beim Würfeln hatte sie nach der ersten Partie den Rit ter um den halben Besitz gebracht. Jobst von Hake fühlte sich waffenlos, wenn sie ihm spöttisch in die Augen sah. Die zufälligen Gefährten saßen und tranken nun seit drei Tagen. Und genausolange tropfte der Regen durch das schad hafte Dach und durch die Balkendecke auf den Holztisch. Der Burgherr riß den Würfelbecher an sich, als wollte er mit den Glücksknöcheln eine Muskete füllen, knallte ihn auf den Tisch, daß der Weinkrug emporsprang, und brummte: „Bei den Skeletten meiner Ahnen, Roswitha, du mußt mit dem Teufel im Bunde sein, da mir kein Wurf gelingt. Aber sei’s drum, ich setze das Ganze. Ich setze das verdammte Gemäuer gegen deine Unschuld, die du hof fentlich noch nicht an deinen Beichtvater verloren hast, mort de Dieu!“ Roswitha kicherte, und der Ritter schneuzte sich, was er immer tat, wenn er erregt war. Dann hob er langsam den Becher und nahm einen tiefen Schluck. „Jetzt hast du die Schulden am Hals.“ Roswitha schluchzte gerührt, und Jobst von Hake schüttelte sich vor Vergnügen. „Am besten, du machst es wie ich und scheißt au f alle Verschrei bungen und auf alle, die Geld von dir wollen. Das ist das einzige, worauf es sich zu trinken lohnt, mort de Dieu!“ Die Novizin, die spürte, daß sich hinter dem poltrigen Wesen des Ritters ein mitfühlendes Herz verbarg, ließ den präparierten Würfel heimlich im Mieder verschwinden, klapperte längere Zeit mit dem Becher und'sagte teilnahmsvoll und etwas geziert: „Ihr sollt mich mit Eurer Großmut nicht übertreffen, lieber Ritter von Hakeburg. Meine vornehmen Ahnen sind zwar noch nicht ver* blichen, aber ich weiß, was ich ihnen schuldig bin, und das ist nicht wenig, wenn ich es in das Vergnügen umrechne, ihnen diel Suppe zu versalzen, denn sie haben mich um mein Erbe gebracht. Ich setze die Burg gegen die Rache an allen Bösewichtern, die uns von nun an verbinden soll.“ Sie ließ den von Jobst benutzten Glücksbringer über den Tisch rollen, und von Hake strahlte über das ganze Gesicht. Er hatte seine Burg und seine Schulden wieder und vor allem gewonnen. Und wer gewinnt, fühlt sich an Leib und Seele stark.
Sie tranken wieder und schwiegen, doch das Schweigen war ein beredtes Band des Einvernehmens. Die Nacht war finster und stür misch, und die Fenster klapperten, aber Amor ließ sich nicht ver treiben. Der Ritter spürte den Lenz in der Brust und dachte aber gläubisch an die Gebeine der Altvorderen, die in solchen Nächten aus den Gräbern stiegen. Er bekreuzigte sich und fluchte vor sich hin, denn die Lasten waren höher als der Bergfried, der Boden warf nur die Steine zum Bau der Familiengruft ab, und die Grüninger saßen wie hungrige Wölfe auf dem Sprung, um sich die klapprige Milchziege Anna und die dreizehn verhungerten Hühner in die eigenen Ställe zu holen. Der Ritter seufzte, denn das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Der Wind fuhr durch die leeren und tristen Gemächer wie der Vorbote der Wilden Jagd. Die Türen knarrten. Die Deckenbalken ächzten. Und in den Ecken und Winkeln begann es zu wispern und zu singen: Kein Brot und kein Geld, und die Last ist schwer; kein Gut und kein Roß und kein Harnisch mehr; kein Bauer, kein Knecht, kein Land und kein Lieb; das einz’ge der Name, der mir noch blieb. Plötzlich erschreckte ein entferntes Pochen und Rumoren die Spielpartner und ließ sie zusammenfahren. Wer anders als der Teufel sollte sich bei diesem Wetter vor der Bu$g herumtreiben. Jobst von Hake schneuzte sich und wischte die Nase erregt mit dem Ärmel ab. Wenn der Satan eine Rechnung kassieren wollte, kam er ihm gerade recht. Er griff zu einer Pechfackel und zum De gen, die Novizin folgte ihm. Auf der heruntergelassenen Zugbrücke stand ein vor Nässe trie fender kleiner Mann, der unter einem riesigen Hut fast zu ver schwinden schien. Er war in ein Wams gekleidet, das an die Tracht eines Prädikanten erinnerte, schwenkte seine Kopfbedeckung wie ein Mann von Adel, verbeugte sich und sagte mit tiefem Baß: „Hört mich an, bevor ihr mich steinigt, denn wenn ich die Geister in dieser Burg durch den Geist Gottes austreibe, so ist das Reich Gottes zu euch gekommen: Matthäus 12.“ Er schüttelte den Regen ab und trat dicht an die beiden heran. „Wenn ihr mich wärmen wollt, seid selbst gewärmt. Wenn ihr mich laben wollt, seid selbst gelabt. Stehlen könnt ihr nichts, denn alles, was ich besitze, ist die Heilige Schrift. Der Geist und die Braut sprechen: Komm! Offenbarung 22.“ Der Ritter hatte Mitleid mit diesem Fremden, und Roswitha ver sorgte ihn mit einer zerschlissenen Pferdedecke, mit einem Becher Milch und einem Kanten Brot. Dann würfelten sie zu dritt. Der Fremde nannte sich Hieronymus und war wie der Kirchen-
vater in einem Mönchskloster aufgewachsen. Und wie sein Na menspatron fühlte er sich als Schöpfer einer Bibelübersetzung, die in den Wirren der W anderschaft verlorengegangen war, vermutlich in einem Schuldenturm, denn als Meister der Magie hatte er zwar alles mögliche, nur nicht das Beschaffen von Gulden gelernt. Mit der lebhaften Darstellung seiner pikanten Histörchen, in denen er den Mönchen bis in die Schlafzimmer ihrer Beichtkinder und den Fürsten in die Freudenhäuser folgte oder den Wucherern auf die Finger sah, gewann er die Anteilnahme der Tischgefährten. Der Ritter gedachte der tolldreisten Geschichten des Großvaters und badete sich im Schimmer der Erinnerung. Und Roswitha fühlte sich dem Leidensgenossen, der als Bastard eines Prälaten sein Le ben lang herumgestoßen worden war, in der Seele verwandt. So tranken sie, so spielten sie, so tafelten sie, und mit dem Haß auf die Pfaffen und Pfaffenknechte, die Fürsten und Fürstendiener wuchs die Gemeinsamkeit. Wie ein Gespenst näherte sich nach ei nigen Wochen der Tag, da es nichts mehr zu trinken und zu tafeln gab. Die wüsten Dörfer, die Mißwirtschaft der Vorfahren hatten für leere Truhen und leere Kassen gesorgt. Die einträglichen Stra ßen-, Fluß-, Brücken-, Fähr- und Durchgangszölle, die Abgaben für Geleit lagen in den Händen des Landesherren oder der Grü9
ninger. Und was den schlechten Ernten und Überschwemmungen, den heißen Sommern und kalten Wintern nicht zum Opfer gefallen war, wurde die Beute des schwarzen Todes. Jahrhundertelang hat ten die Mönche und Laienbrüder des benachbarten Klosters für die Einkünfte der Hakes gesorgt. Nun war es umgekehrt' Nun hat ten die Sachverständigen des kanonischen Rechts die Rechnung für gefälschte und unter Zwang unterschriebene Verträge, für erschlichenen Besitz und erpreßte Abgaben, für Überfälle und an dere unschöne Dinge präsentiert. Und ihrerseits aus Paragraphen Schlingen gemacht. Dies alles hatte der Ritter, wie gesagt, aus seinem Gedächtnis verdrängt. Er lebte mit einer hustenden Ziege und ein paar Hüh nern vom Ertrag des Gemüse- und Kräutergartens und des Weide lands im ehemaligen Burggraben. Außerdem verkaufte er Holz aus dem nahen Wald. Daß es ihm nicht mehr gehörte, berührte ihn nicht sonderlich, denn bei Fragen des Eigentums, des fremden wohlgemerkt, dachten die Hakes großzügig. Nun aber, um Michaelis 1516, wurde es Emst. Ein kurfürstlicher Bote überbrachte dem Ritter die Aufforde rung, sich in der Residenz einzufinden. Jobst von Hake fragte seine Gefährten, die schon au f den gefüllten Strohsäcken lagen, unumwunden, ob sie auch fürderhin zu ihm halten und für die Ge rechtigkeit Gottes streiten würden. Während er auf die Antwort wartete, polkte er erregt in den Zähnen herum, in denen sich die Reste des verendeten Hasen befanden, den Roswitha in einer Schlinge gefangen hatte, und begann eine Armbrust zu flicken. Die Novizin war die erste, die sich zu einer Antwort entschloß. Sie habe nur ihn und den Herrn Jesum, die M utter M aria und den lieben Gott und natürlich die heilige Anna, aber sie wisse nicht, ob sie bei jenen so willkommen sei wie bei ihm, und so wolle sie auf der Burg bleiben. Hieronymus erinnerte an den Löwen, dem sein Namenspatron einen D om aus der Tatze gezogen hatte, und schlug an seine Brust. „Auch ich werde Do, D om en ausreißen, mein lieber Jo, Jobst.“ Er stotterte ein wenig, wenn ihn die Rührung übermannte. Zur Be kräftigung nahm er einen gewaltigen Zug und wankte mit bloßen Füßen zu seinem Lager. Jobst aber hatte die Gewißheit, nicht al lein zu sein in dieser Welt. Drei Tage später wurde er gegen Mittag, als er dabei war, die zer fallenen Mauern und Schießscharten, die rostigen Ketten der Brücke und die schief in den Angeln hängenden Türen zu überprü fen, von einer dreiköpfigen Eskorte an die verfluchte Ordnung des 10
Landes erinnert. Die Reiter führten einen Gaul mit sich, da sie wohl voraussetzten, daß der Ritter seine Rosinante in den Winter monaten mit zärtlichen Gefühlen aufgegessen hatte. Hake spürte die Feindseligkeit der Berittenen wie ein Brennesselfeld unter nacktem Fuß. Sie forderten ihn auf, mitzukommen. Gegen Abend sah der Eskortierte die Türme der Stadt. Sein Lö wenherz schrumpfte zusammen, als er über den Damm .mit Brust wehr und Wallgang und den Graben in die Stadt einzog, mit der sein Urgroßvater in Fehde gelegen hatte. Er staunte über die ge waltigen Wände, die mit Bruchsteinen verziert waren, sah beein druckt die Türme der Eskarpenmauer, die den Graben flankierte, blickte überrascht auf die waffenstarrenden Bastionen und wußte nicht mehr, was er zuerst bewundern, zuerst betrachten sollte. Da verwirrte ihn die Pracht der Paläste. Da bedrückten ihn die Prunk fassaden der Klöster und Kirchen. Da überwältigte ihn der jahr marktsähnliche Aufzug der Bettler, Dirnen, Gaukler, Feuerschlukker, Fuhrknechte, Händler, Mönche, Patrizier, Aufseher und Stadt soldaten. Seine Zuversicht war dahin, als er in den erzbischöfli chen Gemächern von Nürnberger Schmuckgefäßen, veneziani schen Spiegeln und chinesischen Seidentapeten geblendet wurde. Unwillkürlich schneuzte er sich, unwillkürlich saugte er die unbe kannten Düfte ein. Und wagte es heimlich, die kostbaren Kleider der vorübereilenden Würdenträger zu berühren, neben denen sich das eigene Gewand wie das Fell einer räudigen Katze auf einem Kurfürstensessel ausnahm. Endlich geruhte man, ihn zu empfangen. Doch der Mann, zu dem er geführt wurde, der Beichtvater des Erzbischofs, war nie mand anders als Pater Johannes. Jobst von Hake erstarrte. Eine Welt stürzte zusammen, denn nun war sein Schicksal besiegelt. Und das Erwartete trat ein, denn der Pater kanzelte ihn im Stehen ab, erinnerte an den Überfall, wies auf das Recht des Klosters hin und machte den Ritter darauf aufmerksam, daß er weder Grund und Boden noch die verfallene Burg besaß. Jobst von Hake nahm schließlich seinen Mut zusammen und sagte trotzig: „Die Kirche hat einen großen Magen, mort de Dieu, aber ich habe nicht die Absicht, ihn mit meinen Früchten zu füllen, Pater. Eher füttere ich ihn mit Eisenspitzen und Blei.“ Der Mönch lachte. „Unsere Langmut ist groß, aber nicht größer als deine Unver schämtheit. Und wer eine gewisse Kammer mit gewissen Schrau ben gesehen hat, schwört dem Satan im Handumdrehen ab. Es ist besser, wenn du unsere Forderungen erfüllst.“ „Forderungen, Forderungen...“, äffte Hake ihm nach. „Es gibt keine Forderungen, mort de Dieu!“
„Du sollst das Fluchen lassen, verdammter Schnappdensack. Außerdem muß ich dich erinnern, daß dein Vater wie eine Wild sau in das Kloster eingebrochen ist und die der Jungfrau geweih ten Kerzen nebst siebenundsiebzig Reliquien, etlichem Bargeld und Altargerät mitgenommen hat. Auf die Reliquien kommt es uns an. Wenn du beraten sein willst, verläßt du die Burg ohne Schwert geklirr. Und vergiß die Reliquien nicht!“ Er schwenkte eine silberne Glocke. Zwei Knechte betraten den Raum und führten den Ritter hinaus. Es war spät geworden. Jobst von Hake fühlte sich ohne Pferd und mit ein paar Pfennigen in der Tasche so verloren wie ein Hase im Schnee. Er betrank sich in einer Fuhrmannsherberge und ver brachte die Nacht auf einer schmierigen Schütte Stroh. Nach dem Erwachen stieß er einen ellenlangen Fluch aus und schwor, den Kurfürsten und seine Sippschaft nackt in die Hölle zu jagen. Wie er das anstellen wollte, wußte er zwar nicht, aber der Gedanke beruhigte ihn. Als er mit wunden Füßen zwei Tage später auf der Hakeburg eintraf, empfingen ihn Roswitha und Hieronymus mit langen Ge sichtem. Sie hatten es nicht verhindern können, daß das bewegli che Gut, darunter die in der Kapelle unter dem Fußboden ver steckten siebenundsiebzig Reliquien von den Mönchen abgeholt wurde. Der Ritter zog wutentbrannt das Schwert und spaltete die Armlehne eines schön geschnitzten Scherenstuhls. Er tobte und schrie und beschimpfte die Mönche und die Gefährten, die das Verbrechen zugelassen hatten, als Tagediebe und Aasgeier. Da nach betrank er sich und begann einen Plan zu entwerfen, wie er es •den Pfaffen heimzahlen konnte. Roswitha und Hieronymus ver nahmen immer wieder das gleiche Trompeten und Prusten, wenn er sich die Nase schneuzte, vernahmen immer wieder den mit un terschiedlicher Lautstärke gemurmelten Satz: „Düwel eens, eck kriech den Sotan noch an Schwanz to faten,“ Voll wie eine Arkebuse stürzte er vor Sonnenaufgang durch das Burgtor, stampfte und brach durch das Dickicht, erreichte nach zwei Stunden wahrhaftig das Kloster und setzte nach mehreren vergeblichen Versuchen einen Lagerraum in Brand, überzeugt da von, daß sich die aus der Burg entwendeten Habseligkeiten darin befanden. Tatsächlich war das Gebäude leer und sollte wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Während die Hunde zu heulen, die Glocken zu bimmeln began nen und die Brüder aus dem Dormitorium über den Kapitelsaal auf den Kreuzgang rannten, um eine Eimerkette zu bilden, er reichte der Ritter die Abteikirche, drang wie ein Berserker in das 12
Allerheiligste ein, suchte und fand die Reliquien und machte sich auf den Heimweg. Das Geschrei der Mönche, das Gewieher, Ge blök, Gequiek und Gegacker der eingesperrten Pferde, Kühe, Zie gen, Schafe, Schweine, Gänse, Hühner und Enten verfolgte ihn bis fast auf die Hakeburg. Der Ritter tauchte am späten Vormittag, schwarz im Gesicht, aber mit sich zufrieden wieder auf, beugte sich über den Radbrun nen und ließ drei Eimer Wasser über sich laufen. Abends machten sich die drei auf den Weg und erreichten bald die Handelsstraße nach Quedlinburg. In der Nacht würde man sie nicht vermissen und wohl auch nicht suchen. Schließlich erreichten die Flüchtlinge die Grenzmarkierung des Landes, ohne aufgehalten worden zu sein. An einem weidenbe standenen Bach betraten sie das Territorium des Stifts Quedlin burg und waren gerettet. Auf dem Dachboden einer Fuhrmannsherberge fanden sie Un terkunft und begannen alsbald über den Rachefeldzug nachzuden ken, zu dem jeder sein Scherflein beitragen wollte. Dazu trafen sie sich in der nach Abfällen und Kohlsuppe stinkenden Schenke „Zur Todsünde“. In diesem verrufenen Lokal mit dem meist ange 13
brannten Essen und dem billigen Bier ging es den Herren und Pfaffen bis in die Nacht hinein mit lautstarken Worten und hefti gen Gebärden an den Kragen. So vergingen drei Wochen, in denen man abends Pläne schmiedete und tagsüber den mehr oder weni ger nützlichen Verrichtungen nachging, die dazu führen sollten, die Kriegskasse zu füllen. Ein Bettler hatte sich zu ihnen gesellt. Der schleppte sich jeden Morgen zu einem Plätzchen hinter dem Rathaus in der Nähe der Fleischbänke. Den linken Unterarm ab gewinkelt und festgebunden, die Augen zum Himmel gewendet wie ein Blinder, das Gesicht von künstlichen Narben entstellt und gräßlich stöhnend, so bat er die Vorübereilenden um Gnade und Geld. Hieronymus, der Bibelkenner, fand weniger Gelegenheit, sein Talent zu entfalten, denn auf Völksredner war man nicht gut zu sprechen. Roswitha erfand eine Tätigkeit, die ihrem Namen „Ruhmvolle“ alle Ehre machte. Die liebliche Novizin mit den züchtig niederge schlagenen Sperberblicken verkaufte die Ansicht ihrer Paradiesäpfelchen mit hohem Gewinn an geistliche Herren. Jobst von Hake hatte es am einfachsten. Er verschaffte sich ein getragenes Pilgergewand und bot die Reliquien an. Natürlich fiel es ihm nicht leicht, sich von den Nägeln, Holzsplittern und Tuch fetzen zu trennen, auch ein Finger war dabei und ein abgeriebener Zahn, aber Münzen waren ihm wichtiger. Eines Abends, als sie wieder einmal in der „Todsünde“ beisam mensaßen, hörten sie von einem aus Magdeburg kommenden Fuhrknecht ein unglaubliches Gerücht. Der Mann war voll wie ein Regenfaß nach einem Wolkenbruch und knallte die Faust auf den Tisch, als ein Fleischergeselle seinen Worten nicht glaubte. In der Stube wurde es still, denn der Zweifler griff zum Messer und stand langsam auf. Der Fuhrknecht zog daraufhin ein Papier aus dem Wams, hielt es dem Kerl vor die Nase und lallte: „Ich will tot zu Boden sinken, wenn es nicht stimmt: Es gibt keine Sünde mehr auf der Welt!“ Der Fleischergeselle wurde unsicher und starrte auf das Papier. Der Fuhrmann fuchtelte mit dem Zettel herum. „Hier der Beweis, wenn du lesen kannst.“ Er entfaltete das Blatt, breitete es auf dem Tisch aus, und der Mann buchstabierte: „Der Teufel ... hat ... seine Macht ... verlo ren ...“ Da es ihm schwerfiel, las der Fuhrknecht weiter: „Ablaß für eine Sünde, die darin besteht, seinen Dienstherm verprügelt zu haben...“ Erklärend und etwas lauter fügte er hinzu: „Er war mir den 14
Lohn schuldig, und da habe ich mir auf diese Weise mein Geld ge holt.“ Einige lachten, andere tippten sich an die Stirn. Alle aber nah men Anteil, und jedermann malte sich aus, was er selbst in diesem Fall getan hätte oder tun könnte, ohne vom Teufel verfolgt und im Fegefeuer gereinigt zu werden. Zwei Tage darauf erfuhren die Gefährten, daß der vom Bußpre digen erfüllte Pater Johannes, ein frischgebackener Doktor der Theologie von Albrechts Gnaden, sich in Halberstadt aufhielt und eine riesige Ablaßtruhe mit sich führte. Der Ritter überlegte ein Fäßchen lang, ob er ohne Geleit in die Höhle des Löwen zurück kehren dürfe, dann siegte die Einsicht, daß das Geschäft mit den Nägeln vorüber war. Sein Reliquienschatz galt nun keinen Heller mehr, der Ablaß hatte ihn überflüssig gemacht. Es war fast ein Prozessionszug, in dem die vier zu dem Ort der Lossprechung zogen. Jeder, der irgendwann und irgendwo ein we nig gestohlen, vergewaltigt, betrogen oder die Zehn Gebote ver nachlässigt hatte, begab sich in diesen Tagen nach Halberstadt. Der Wallfahrtsort mit seinen weithin sichtbaren Mauern, Türmen und Zinnen, patinabedeckten Dächern und Kuppeln lag vor dem Harzgebirge wie eine mit Schmuck und Spielzeug gefüllte Ala basterschale im Grün der Wälder. Die durch Federwölkchen schwimmende Sonne schien auch das Trübselige mit Glanz zu er füllen. Je näher die Reisenden kamen, um so mehr gerieten sie in den Sog der zu den Toren drängenden Bauern und Kaufmanns wagen, der Scholaren, Gaukler und Mönche. Während sich Jobst von Hake, dessen Gesicht hinter wallendem Bart kaum zu erkennen war, in den „Forellen“ niederließ, einer vornehmen Herberge am Fischmarkt, zogen Hieronymus und der Bettler in ein von Handwerksburschen besuchtes Quartier in der Nähe des Wassertorturmes. Roswitha fand ein Zimmerchen in der Schuhstraße. Seit einer Woche versammelte sich das Volk vor den Domporta len, tummelten sich Bettler, Dirnen und Diebe, Spaßmacher. Landsknechte und Stadtmusikanten, Lehrburschen, Gesellen und Meister, Hausfrauen, Nonnen und Angehörige der Ehrbarkeit auf dem Platz zwischen Propstei und Liebfrauenkirche. Was für ein Fest. Die buntgekleideten Menschen erwarteten das große Schau turnier, bei dem der Herrgott in die Schranken ziehen sollte. Sie aßen Würste und tranken Bier. Sie kauften Heiligenbildchen oder den Erlöser aus Brezelteig. Sie stiegen auf Steinstufen und Mauern 15
oder bildeten eilig eine Gasse, als entfernter Lärm in brausendem Geläut unterging. Die Prozession! Der verwachsene Beichtvater des Erzbischofs erschien an der Spitze eines von Geistlichen und Laien gebildeten Prozessionszu ges, hob segnend die Hand und berührte mit einem elfenbeinernen Kreuz die sich links und rechts beugenden Menschen. Die singen den Mönche in seinem Gefolge taten ihr Bestes, den Lärm der Menge zu übertönen. Die Fahnen flatterten im Wind, die Zinken schmetterten halleluja. Mit hundert Begleitern zog der Ablaßpredi ger durch das Domportal in die Kirche ein, hinter sich Kreuz und Kasse. Niemand hatte einen prächtigeren Aufzug gesehen. Kaum war die Spitze des Zuges am Altar angelangt, drängten die Menschen nach. Unter Gebeten und Liedern wurde das riesige Kreuz errichtet und ein apostolisches Banner aufgepflanzt. Der Pater trat mit erhobenen Armen vor das Auditorium und begrüßte die Gläubigen, schilderte mit Fistelstimme und wilder Gebärde das Wirken der höllischen Heerscharen und pflockte sein geistli ches Streitroß endlich im Dom zu Halberstadt an. Als Jobst in die Truhe schauen durfte, in der es so viele Münzen wie Flöhe in einem Kloster gab, in der die Dukaten wie gefangene Fischlein blinkten, ging ihm das Herz über. Niemals vorher hatte 16
er soviel Gold gesehen. Niemals hatte ein Hake solche Truhe be sessen. Mit diesem Schatz könnte er Söldner mieten, Geschütze kaufen und den Grüningern eine Schlacht liefern, die sie ihr Leb tag nicht vergessen würden, den verdammten Mönchen, Prälaten und Fürsten einen Denkzettel an die Türen nageln. Von nun an ging er jeden Morgen in die Kirche, schaute mit verklärten Blicken auf die Truhe, überlegte angestrengt, wie er an diesen Reichtum herankommen könnte, und entfernte sich leise. Am vorletzten Tag des Ablaßgeschäfts kam ihm endlich die Er leuchtung. Der Teufel verkündete ihm beim siebenten Becher, daß er nichts weniger als ein Wunder zu vollbringen habe. Für ein Wunder war jedoch der liebe Gott zuständig, und da der aus be greiflichen Gründen nicht helfen würde, blieb dem Ritter nichts übrig, als Luzifer anzurufen, der Blut in Wasser, Wasser in Wein, Wein in Stein, Stein in Gold lind einen gewöhnlichen Sterblichen in einen falschen Himmelsboten verwandeln konnte. Wenn ihn der Gedanke auch erschreckte, er zögerte nicht, ihn zu vollenden und in die Tat umzusetzen. Das Geld machte sündige Hände; das Geld wusch alles wieder ab. In ein Büßerhemd gekleidet, die erhobenen Hände zum Gebet gefaltet, den Blick gesenkt, betrat der Ritter am Tage nach der Er kenntnis die Kirche und schritt gemächlich zu dem von den letzten Strahlen der Sonne vergoldeten Altar. Der Pater war im Begriff, die Truhe zu schließen, da er dem Mann zwar eine Reihe von Sün den, aber keinen Geldbesitz zutraute. „Warte noch, ehrwürdiger Vater, warte auf einen Verdammten, du hast meine Seele aufgewühlt. Ich bin sicher, daß der Ablaß der allergnädigsten Vertreter des Herrn mein bester Begleiter ist, wenn ich auf einer Pilgerreise zu den heiligen Stätten mein Gewissen er leichtern will.“ Die Worte „Mort de Dieu“ verschluckte er gerade noch. Der Mönch verspürte Hunger und war überzeugt, daß es sich um dieses Mannes willen nicht lohne, die Mahlzeit hinauszu schieben. Da brachte der Ritter jedoch einen Beutel zum Vor schein und ließ die Münzen Wie die Glöckchen eines Musikinstru mentes gegeneinanderschlagen. „Es ist eine Todsünde ...“ „Was für eine Todsünde?“ „Das weiß ich noch nicht.“ Der Pater wurde wütend wie ein gereizter Kettenhund. Er wandte sich zornig ab, entfernte sich ein paar Schritte, blieb wie der stehen und kratzte sich den Kopf. Der Pilger wirkte zer knirscht. Die Boten des Bösen bedrängten ihn. Man mußte ihm helfen. Am Ende war es doch gleich, ob man das Unrecht früher 17
oder später verzieh. Für sechzig Gulden in einem Monat sollte er sein Amt zum Wohle der Christenheit und zum Besten der Sancta ecclesia versehen. Und das Beste war eine volle Truhe. „Eine Todsünde also?“ „... eine Todsünde!“ „Was der Morgen will, kann der Abend bereuen.“ „Ich bereue nicht. Ich tue es um meiner Ehre willen.“ Der Ritter brachte einen zweiten Beutel zum Vorschein und wog ihn bedeu tungsschwer in der Luft. Der Bußprediger fuhr mit einem Tuch über das Gesicht. Da ließ sich ein schöner Batzen verdienen. Da fiel sogar ein Becher mit der Leidensgeschichte des Herrn für ihn ab. Und wie der Kerl aussah, war die Sünde schon begangen. „Ich hoffe, es sind Echte?“ „Es sind solche mit dem Bild des Bischofs, Pater. Die Bischöfe gegen den Teufel!“ „... den Teufel?“ „Natürlich den Teufel, ich bin in seiner Hand!“ Der Mönch blickte auf den Beutel mit den Gulden, der in der Luft pendelte. Er blickte auf Maximus, seinen Helfer, der sich langsam näherte. Der von Hake warf die Börse endlich auf den Teppich, daß die Dukaten scheppernd vor den Altar rollten. „Es ist mehr, als ihr fordern könnt! Ich gebe den letzten Pfennig für den verdammten Ablaßbrief! Ich setze alles auf eine K arte! Schreibt! Schreibt!“ - Und der Pater schrieb. In der Stadt hatte es sich herumgesprochen, daß der Ablaßpredi ger mit seinen vierzehn Fuhrleuten, Knechten, Reisigen und den beiden Wagen über den Huy bis Ilsenburg und Wernigerode und weiter über Thale, Halle und Magdeburg zu ziehen gedachte. D a zwischen lagen etliche Grenzen, Stifte und Herrschaften. Der Rit ter hatte einen Teil der Route mit einem Pferd in Augenschein ge nommen; nun machte er die Gefährten mit seinem Plan vertraut und baute auf ihre Verschwiegenheit. Jeder spielte die ihm zugedachte Rolle. Es begann kurz vor Mit ternacht im „Rostigen Hufeisen“ , unweit des Frauenhauses. Es fing damit an, daß die Novizin die Aufmerksamkeit zweier Knechte erregte, die tagsüber damit beschäftigt waren, die Ablaß truhe zu bewachen. Nach dem fünften Glas luden die Knechte das Mädchen in die für solche Zwecke geeignete Bodenkammer ein. Und die Novizin war nicht zimperlich. Sie nahm Brot und Käse und vor allem die Bierkrüge mit und folgte den Bewaffneten, die sich nur noch mühsam verständlich machen konnten. „Wenn die Englein so süß sind wie du“, sagte der größere Knecht 18
rülpsend und zog die fromme Begleiterin auf die Bettkante, „dann will ich mich, weiß der Teufel, beim lieben Gott verdingen.“ Der andere begrapschte zur gleichen Zeit ihre Schenkel und be äugte die Paradiesäpfelchen mit der lustvollen Vorstellung, sie als bald zu pflücken und heimzutragen. Die Novizin aber meinte: „Wenn ich halb so betrunken wäre wie ihr, würde ich dem lieben Gott meine Seele verkaufen, für den Teufel eine Messe lesen und auf einem Schindanger mein Bett aufschlagen. Falls ihr euch in drei Tagen wieder erinnern solltet, denkt an des Teufels Großmut ter, die hat euch den Schlaftrunk gebraut.“ Als die kaum noch ihrer Sinne mächtigen Söldner begutachten wollten, was ein Engel unter den Fittichen trägt, fielen sie wie Plumpsäcke um und rührten sich nicht mehr. Roswitha kehrte zu den Gefährten zurück. Am frühen Morgen fluchte Pater Johannes wie ein Krieger, denn seine Leibknechte waren nicht erschienen. Auf die Sicherheit der Truhe bedacht, schaute er sich nach kräftigen Gesellen um, die ihn auf seiner Reise begleiten konnten. Er fand die Gesuchten end lich vor den Ständen der Markthändler, wo Tagelöhner auf Arbeit warteten. Zwei von ihnen stellte er nach kurzer Prüfung ein, denn es befriedigte ihn, daß sie neue Röcke trugen. Einer der beiden, ein gewisser Lukas, der Bettler, schwor dem obersten Hirten und sei nem Diener bis in die schrecklichste Hölle zu folgen. Und der zweite, niemand anders als Hieronymus, schlug mit den Worten der Bibel in die dargebotene Rechte ein: „Nun aber hat mir der Herr, mein Gott, Ruhe gegeben, so daß weder ein Widersacher noch ein Hindernis mehr da ist, 1. Könige 5. Ich werde an eurer Seite stehen, wann immer es erforderlich ist, amen.“ Der Ablaßprediger sollte die Entscheidung nicht bereuen, die Knechte setzten sich mannhaft ein. Als Helfer in der Not sorgten sie dafür, daß der Mönch, der wie kein anderer die Sünden der Welt und ihre Preise kannte, nach und nach Zutrauen gewann. Vor dem Huyberg durften sie schon den Überwurf reinigen; Johannes war bei der Verfolgung eines Hasen in ein Moorloch gerutscht. In Ilsenburg hatten sie Proviant aus der Fasanerie des Ritterguts zu beschaffen; Fasanen waren des Paters Leibgericht. Und in Werni gerode gelang es ihnen, in die gefüllte Truhe zu schauen. Zu weite rem führte die Zuneigung nicht. Den Truhenschlüssel bekam nicht einmal Maximus, der Bedienstete, in die Finger. Der Pater trug ihn an einem Bändchen auf dem Bauch und grämte sich in Stun den der Schlaflosigkeit mit dem Gedanken, daß die Sündenlast der ganzen Welt auf ihm lag. 19
In Heimburg machte der Troß für zwei Tage Quartier. Und hier begannen die geheimnisvollen Vorgänge, die den Pater in Unruhe, ja in Schrecken versetzten. Am Abend des zweiten Tages, als die Knechte sich anschickten, die Kirche zu verlassen und zur Burg zu ziehen, erschien ein Weib auf dem Weg. Es war in ein Büßerge wand gekleidet und sah aus, als hätte es eine lange Wanderung hinter sich. Ein Knecht wollte die Frau fortjagen, da sie. sich auf den Boden kauerte und mit hoher Stimme „Erbarmen, Erbarmen für einen Heiligen“ schrie, aber die Alte ließ sich nicht vertreiben. Sie hob jammernd die Hände, küßte den Saum von Johannes’ Kutte. „O Gott, hilf, ich habe siebenmal ein blutiges Schwert und einen Aussätzigen und eine heilige M adonna und einen schwarzen Ritter auf einer feurigen Wolke gesehen. Dieser Ritter trug mir auf, den gottesfürchtigsten Mann zu suchen und ihm zu verkünden, daß ihn der Herr dazu auserkoren hat, für die vom Teufel verführte Menschheit zu sühnen. Erbarme dich seiner armen Seele, o Hei land. Erbarme dich des Geschundenen, der für die ganze Christen heit leiden soll. Erbarme dich! Barme dich! Barme dich!“ Lamentierend und schreiend verschwand sie in einem Gebüsch, und es war, als habe sie der Erdboden verschluckt. Der erschreckte Pater blieb sprachlos zurück. Der listenreiche und mit allen Was sern gewaschene Mönch war entsetzlich abergläubisch. Er wollte noch nicht sterben und schon gar nicht für die Menschheit und auch nicht für die süßeste himmlische Belohnung, die ihm weniger begehrenswert als ein handfestes Stück Fleisch, ein Krug mit Wein und ein Weib erschien. Der unerschütterliche Kreuz- und Wallfah rer gegen die Sünde verspürte plötzlich ärgerliches Magendrücken. Doch am folgenden Morgen war Johannes überzeugt, daß die Alte eine Närrin und besagtes Drücken nichts anderes als eine Ver stimmung des Magens war. Er fühlte sich nicht als Heiliger. Und der schwarze Ritter mochte zum Teufel gehen. Es war wie jeden Tag. Und wie jeden Tag stimmte der Mönch ein Liedchen an. Die Sonne wärmte. Die Vögel jubilierten. Nach einer Rast am Kloster Michaelstein wollte man nach der Vesper in Blankenburg eintreffen. Kurz vor dem Kloster geriet der Troß ins Stocken. Ein Kreuzweg führte auf der einen Seite in den Harz und auf der anderen nach Halberstadt. Und gerade an dieser Stelle fuchtelte ein Fuhrknecht mit den Armen herum und deutete sprachlos auf einen metallischen Gegenstand, der in der Sonne blinkte. Johannes hastete nach vorn, bahnte sich rücksichtslos ei nen Weg durch die Reihe der Bewaffneten und erstarrte, als er vor sich ein in den Boden gestoßenes blutbesudeltes Schwert sah. 20
Der Mönch hielt den Atem an. Die Waffe steckte so tief im Bo den, daß es aussah, als sei sie mit gewaltiger Kraft vom Himmel geschleudert worden. Die Knechte wichen furchtsam zurück. Allein Hieronymus nä herte sich dem teuflischen Gegenstand und versuchte ihn aus dem Boden zu ziehen. Es gelang ihm nicht. Er kniete sich in den Staub und entzifferte eine lateinische Inschrift, die entlang der Blutrinne in die Klinge geritzt worden war. „Der Geist und die Braut sprechen: Komm!“ Er nickte und mur melte vor sich hin: ,,... Oh, Offenbarung 22.“ Dann schaute er sich im Kreise um, bis sein Blick auf den Predi ger traf. „Dann ist da eine Sieben und das Zeichen für Feuer ... Es muß eine Botschaft sein. Die Sieben ist die Zahl der Vollständig keit, und das Feuer das Bild für den Heiligen Geist, der von Chri stus ausgesandt wurde. Durch den Geist empfängt der Seher die Botschaft. Es ist eine Warnung ..." Lukas betrachtete das Schwert mit spöttischer Miene, zog es mühsam aus dem Boden und sagte grinsend: „Teufelswerk, Teufelsdreck. Ich pfeife auf die Offenbarung, Hieronymus. Vielleicht war’s ein Ritter, der mit der Flasche vom Pferd gefallen ist.“ Der Bibelkenner nahm das Schwert an sich und brachte es im 21
zweiten Wagen neben den Sachen der Knechte unter. Und der sprachlose Johannes ließ es geschehen. Als der Troß in Blanken burg ankam und Hieronymus das Schwert untersuchen wollte, war es nicht mehr da. Der Aufenthalt in Blankenburg wurde von unerklärlichen Ereig_ nissen überschattet. Der Verkauf der Ablaßzettel in der Bartholo mäuskirche florierte zwar, aber die prunkvollen Aufzüge und prächtigen Feiern litten darunter, daß Johannes von einer seltsa men Unrast erfüllt war, seinen Predigten das Feuer fehlte, der sonst so witzige und zu allerlei Späßen aufgelegte Mönch zerfah ren und mürrisch wirkte und nach jeder Zeremonie rasch in seine Schloßstube zu einem astrologischen Buch und etlichen Bechern eines scharfen Wassers entfloh. Er brach früher auf, als er es vor gehabt hatte, und zog nach dem unweit gelegenen Thale, das mit seinem Nonnenkloster und dem Hüttenbetrieb eine gute Ein nahme versprach. Der Tag war trübe und regnerisch, und die Stim mung der Knechte nicht eben gut, als sie über den Heidelberg und an den Quadern der Teufelsmauer entlang in Richtung Timmenrode zogen. Vor der Ortschaft überraschte sie ein Gewitter. Die Wagen rutschten in tiefe Schlaglöcher und kamen nur schwer voran. An einer unübersichtlichen Stelle, wo der Weg von Fels blöcken versperrt wurde, vernahm der Pater ein durchdringendes Gebimmel. Ein großer und zerlumpter Mann, in Tücher gehüllt, kam mit einer Glocke in der Hand hinter einer Biegung hervor und rief mit klagender Stimme: „Betet, ihr Armen, betet und rettet meine Seele, betet und rettet meinen Leib. Verhüllt euch und tretet beiseite, wenn ihr dem schwarzen Tod nicht begegnen wollt. Aber gebt mir zu essen und zu trinken, wenn ihr Christen seid. Gebt mir zu essen und zu trin ken ..." Der Fremde kam so langsam heran, daß es aussah, als taste er sich vorwärts. Das Gesicht, soweit man es sehen konnte, war von blutigen Schwären bedeckt. Die Augen lagen dunkel in den Höh len. Er zählte zu denen, die aus den Städten gewiesen wurden, weil es sonst gegen Seuchen keine Rettung gab. Der Kutscher des ersten Wagens sprang mit einem Schreckens laut vom Bock. Der zweite Kutscher folgte dem Beispiel, als wären die Furien hinter ihm her. Und die Knechte flohen ebenfalls, so schnell sie ihre Beine tragen konnten. Sogar Maximus lief in den Wald, ohne sich um die Truhe zu kümmern. Nur der langsame Jo hannes, der sich erst vom weichen Stroh erheben mußte, geriet in die Nähe des Kranken, fiel in tiefster Betroffenheit auf die Knie und streckte flehentlich die Hände vor: 22
„Bleib, bleib, wo du bist, und rühre mich nicht an! Bleib, bleib, wo du bist!“ Der Aussätzige, wer anders als Jobst von Hake, schlurfte näher und näher, so daß der entsetzte Mönch seinen giftigen Atem zu spüren vermeinte, und wimmerte: „Gebt mir zu essen und zu trinken, wenn ihr Christenmenschen seid. Gebt mir zu essen und zu trinken ...!“ Der Mönch wankte zum Wagen, brachte Wurst und eine Kanne Bier, stellte alles hin und sprang wie ein Kaninchen in den Wald. Der Fremde packte die auf dem Boden liegenden Dinge eilig in ei nen Sack und rannte hinter dem Flüchtenden her. „Dank! Dank! Die geschundene Kreatur dankt dem Wohltäter, der alle Leiden auf sich nehmen will! Die Prophezeiung muß sich erfüllen, denn der Messias hat mich gelabt! Der Herr wird die Menschen von ihrem Elend befreien!“ Gleich darauf entfernte er sich. Die Zurückbleibenden hörten noch ein paarmal das Glöck chen und sein jammervolles „Betet, ihr Armen“. Sie schwiegen und schauten sich fassungslos an. N ur Lukas und Hieronymus rafften sich nach einer Weile auf und brüllten: „Erschlagen sollte man ihn, erschlagen!“ Sie stürzten davon, als hätten sie es abgesprochen, rannten hin ter dem Kranken her, kehrten nach einiger Zeit aber zurück, und Lukas murmelte: „Er ist weg, nicht mehr da, vom Erdboden verschluckt!“ Dem Pater fiel es nach diesem Ereignis schwer, die Knechte zum Bleiben zu bewegen. Der Fremde hatte ihn angefaßt; er hatte den Keim der Seuche übertragen. Jeder scheute sich, in seine Nähe zu kommen. Jeder machte einen Bogen um ihn. Allein Lukas be wahrte seinen Humor. „Wen der Gottseibeiuns liebt, den holt er zuletzt, Ehrwürden. Gebt mir die Kutte; ich verbrenne sie. Kann sein, das war nur ein Gerissener.“ Niemand lachte, und niemand pflichtete ihm bei. Der Mönch aber zog ohne Widerrede die verseuchten Kleider aus und über reichte sie dem Knecht. Er hatte noch eine andere Kutte im Wä schesack. Die folgenden Tage waren keine fröhlichen. Niemand sprach es aus, aber alle dachten es, wenn es nicht der Herrgott war, mußte es der Teufel sein, der seine Fäden zog. Des Paters Predigten litten darunter, daß er die Wundmale der Kreuzigung im eigenen Flei sche fühlte. Es erschien ihm leichter, die Marter der Erniedrigung in einem Pfuhl der Sünde als die Marter der Erhöhung an einem Pfahl aus Eichenholz au f sich zu nehmen. Er wehrte sich verbissen 23
gegen den Plan des Allmächtigen, die Leiden der Menschheit ei nem sündigenden Mönch aufzuerlegen. Warum gerade er? Warum nicht der Heilige Vater? Warum nicht der Kurfürst, der Erzbi schof? Am dritten Tag ihres Aufenthaltes an der Bode flüsterte ihm der als zuverlässig bekannte Hieronymus ins Ohr, er wisse nicht, ob er von den Engeln oder von Beelzebub gefoppt worden sei, und man werde ihm nicht glaubender habe in der Dämmerung über dem Walpurgisfelsen einen schwarzgekleideten Ritter auf einer feuri gen Wolke gesehen. Und Lukas berichtete etwas später, er habe siebenmal von einer weinenden Madonna und einem blutigen Kreuz geträumt. Der Pater beschloß in der gleichen Stunde, nach Magdeburg zu rückzukehren. Die Knechte freuten sich, denn der den Ort überra gende Hexentanzplatz war ihnen nicht geheuer. Jeder hatte in den Nächten gespenstische Wesen um das Quartier schleichen sehen. Und in den Felsenschluchten, durch die der Fluß seinen Weg bahnte, toste und tobte die Wilde Jagd. Am schnellsten nach Hause gelangte man durch die dunklen Wälder unterhalb der verlassenen Burg Regenstein. Hier gab es Bärenhöhlen und aufragende Felsen, undurchdringliches Dickicht und riesige Steine mit bizarren Tier- und Menschenköpfen. Der Teufel sollte hier mit dem lieben Gott um die Vorherrschaft gewet tet haben. Diesen Weg wollte man wählen. Doch kurz nachdem sie das Nonnenklöster verlassen hatten, brach eine Wagenachse. Hieronymus und Lukas ließen sich Zeit. Sosehr der Pater drängte, sooft er den Taglohn zu verdoppeln, zu vervielfachen versprach, die Reparatur ging nicht voran. Endlich schafften sie es doch. Bei Einbruch der Dämmerung bemerkte Johannes an einem Kreuzweg eine Gestalt, die in ihrer Haltung an die M adonna erin nerte. Sie schien gewartet zu haben, denn sie stellte sich mit aus gebreiteten Armen auf die Straße, daß es aussah, als habe sie sich in ein lebendiges Kreuz verwandelt. Ihre Kleider waren mit Blut be schmiert. Die M adonna rief: „Gelobt sei der, der alles weiß, mein Vater. Ein Ritter in schwarzer Rüstung und mit weißem Gesicht hat mich als Botin erwählt. Ich säge dir, der Engel des Herrn ist herabgestiegen und harrt auf dich in einer feurigen Wolke. Bete, gehe in dich und erschrecke nicht, und nimm den rechten, um Got tes willen den rechten Weg, sonst verspielst du dein Seelenheil!“ Sie grüßte und war nach wenigen Schritten in der Dämmerung verschwunden. Hieronymus und Lukas, die sie tot oder lebendig herbeischaffen sollten, kehrten ohne Ergebnis zurück. Jetzt wäre 24
der Pater gern umgekehrt, aber der ungläubige und vom Geld be hexte Maximus setzte sich gegen die Bedenken des Ablaßpredigers durch, und die Wagen rollten weiter. Natürlich auf dem linken Weg, da die Erscheinung den rechten empfohlen hatte. Die Knechte zündeten Fackeln und große, an den Wagen schau kelnde Laternen an und griffen fluchend in die Speichen. Immer neue Felsbrocken lagen auf dem Weg und mußten fortgeräumt, immer neue Tümpel mit Reisig zugedeckt werden. Die Nacht brach herein und hüllte Fahrzeuge und Knechte ein. Die Pferde schnaubten. Die Kisten auf den Wagen polterten. Die Uhus flogen als kaum erkennbare Schatten vorbei. Der Wald begann gespen stisch zu erwachen. Mit einemmal eine Stimme. Es hörte sich an, als käme sie von oben, als flöge sie, immer mächtiger werdend, über sie hinweg. Wer von den furchtsamen Knechten ahnte, daß er sich in einem Felsenlabyrinth mit widerhallenden Wänden befand. „Ich habe dich zum Prüfer gesetzt für mein Volk, daß du seinen Wandel erkennen und prüfen sollst!“ „Erkennen und prüfen, erkennen und prüfen sollst“, erklang es mit brausender Stimme. Eine Predigt in einem ungeheuren Dom. Eine himmlische Stimme, die aus unendlichen Fernen zu kommen schien und um die ganze Erde schwebte. „Jeremia, Kapitel 6“, flüsterte Hieronymus schreckerstarrt, aber so, daß es alle hören konnten. Auf einem Felsen über dem Wagenzug leuchtete es hell, ein Flämmchen, das sich rasch vergrößerte, eine Feuersäule, die in die Höhe schoß. Eine dunkle Gestalt wuchs aus dem Boden, und es war, als stünde sie auf einer feurigen Wolke, als sänke sie auf die Erde herab. „Der schwarze Ritter!“ schrie Lukas. Die Knechte verbargen ihr Gesicht. Die Reisigen sprangen von den Sätteln. Die Pferde gingen durch, denn aus der prasselnden Lohe fielen Funken herab. Der Pater warf sich auf den Boden und flehte: „Verschone mich, erhabene Gestalt! Ich bin nur ein unwürdiger Mönch, eine Fliege, eine Ameise, eine Kröte im Angesicht des All mächtigen !“ Die Erscheinung bewegte den Arm und wies in die Höhe. „Es ist Zeit, Pater Johannes! Der Herr erwartet dich! Deine Mis sion ist erfüllt!“ Ein Stein löste sich und prasselte durch dichtes Gebüsch. An dere Steine folgten. Auf allen Seiten sprangen Steine umher. Der Himmel schüttete einen Steinregen auf die Erde herab. 25
Was galt da Gehorsam? Was galt der Mönch? Was galt die Truhe? Die Knechte suchten, von Furcht und Entsetzen gepackt, das Weite. Sie flohen auf dem Weg, den sie gekommen waren, nach Thale zurück. Nicht aufschauend, nicht hinter sich blickend. Die Apokalypse im Nacken. Allein Hieronymus und Lukas blieben mit dem von Grauen ge packten Mönch und dem nicht minder erschrockenen Maximus bei den Wagen. Trotz des Getöses wagte es der Pater, den K opf zu heben. „Komm herab und zeig dich, daß wir dich durch den Geist Got tes austreiben, wenn du Dämon oder Teufel bist!“ Es war wie ein Stichwort, denn das Getöse hörte auf, Friedhofs stille zog über das Land. Nichts rührte sich, nichts bewegte sich mehr. Hieronymus raunte: „Vielleicht solltet ihr euch nach Halberstadt retten, Hochwür den.“ „Und die Truhe, die Truhe stöhnte der Pater. „Mir wär das Leben lieber“, brummte Lukas und suchte die Ab laßtruhe mit aller Kraft aus dem Wagen zu zerren. „Ein K opf ohne Heiligenschein ist besser als ein Heiligenschein 26
ohne Kopf. Das Geld ist bei uns so sicher wie in der Schatulle des Erzbischofs. Wir bewahren es auf!“ Der Pater stemmte sich nach diesen Worten wie der genesene Lazarus mit aller Kraft empor, sprang auf die Füße und wankte auf den Kasten zu. „Nein, nein, die Truhe muß mit!“ In diesem Augenblick hörte man das Schurren eisenbeschlage ner Stiefel. Zunächst schemenhaft, dann immer klarer und deutli cher sah man eine schwarze Gestalt. Mit dem Schwert in der Faust und in einer klirrenden Rüstung steckend, wirkte sie bedrohlich und furchterregend. Durch das heruntergelassene Visier tönte die nun nicht mehr überirdische, sondern knarrende und spöttische Stimme: „Da der Herr durch mich seinen Willen vollziehen läßt, wie er mir verkündet hat, so neige dein Haupt, daß ich es dir abschlagen kann, denn du bist ein wirkliches Ungeheuer, ein kapuzentragen der Drachen, ein blutsaufendes Lamm Gottes ..., mort de Dieu!“ Der Gottesstreiter, der von den Offenbarungen beeindruckt war, fiel auf die Knie, rutschte an seinen Bedränger heran und haspelte seine Rechtfertigung herunter: „Wir sind allzumal Sünder, aber der Herr liebt einen reuigen Sün der mehr als neunundneunzig Gerechte. Der Herr hat die Sünder gern! Errette, rette, rette mich!“ Der schwarze Engel von der Hakeburg lachte, daß die Schar niere ächzten, und sagte böse: „Vielleicht sollte ich dich wirklich erretten, denn du bist ein Ge spött für die Christenheit und ein Narr obendrein. Und außerdem will ich mit deinem Blut nicht mein Schwert beschmutzen. Den Schlüssel zur Truhe!“ Der Pfaffe hob das Gesicht, sprang überrascht auf die Füße, wich ungläubig zurück und preßte den Schlüssel mit beiden Fäu sten an die Brust. „Du bist kein Bote des Herrn! Tu es, satanas!“ „Gib den Schlüssel her!“ Jetzt war der Pater sicher, daß er es mit einem Betrüger zu tun hatte. Es war unmöglich, daß der Herr einen Boten entsandte, um die Truhe holen zu lassen. Beim Himmel, nein, der Herr konnte sich über so profane Dinge wie Geld nicht freuen. Was sollte er mit den Moneten. Das Geld gehörte der Sancta ecclesia, gehörte in den Beutel der geweihten Diener des Herrn. Johannes empörte sich: „... nein, den bekommst du nicht, den Schlüssel bekommst du nicht, du sterblicher Madensack! Zurück, Satanas! Zurück, zurück!“ 27
Der Ritter unterbrach ihn mit einer Handbewegung und sagte vergnügt: „Ach, papperlapapp, damit rührst du mich nicht. Ich habe mir den Weg zum Himmel mit Dukaten gepflastert. Es ist alles verzie hen!“ „Nichts ist verziehen!“ kreischte der Mönch. „Nichts, gar nichts! Der Herr wird dir nicht verzeihen, daß du seine Knechte bestehlen willst!“ Von seinen eigenen Worten mutig geworden, reckte und-streckte er sich wie ein athenischer Held. Da kein Geist vor ihm stand, fühlte er sich hinter den Spießen, Hellebarden und Musketen sei ner Leute wie in einer festen Burg. Der Fremde war mit einem lä cherlichen Hieb, mit einem Fußtritt aus der Welt zu schaffen. „Leg die Waffe nieder!“ wiederholte er mit sich überschlagender Stimme. „Legt ihn in Ketten!“ Er wartete, daß der Auftrag ausge führt werde, wartete ungeduldig auf die Antwort der Knechte, schaute sich endlich nach den Bewachern um. Doch nichts rührte sich, niemand krümmte den Finger für ihn. Außer Hieronymus und Lukas war keiner mehr da, der ihm helfen konnte. Und diese beiden stützten sich auf die Truhe und grinsten ihm dreist ins Ge sicht. Und Hieronymus sagte sanft: „Am guten Tag sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: Die sen hat Gott geschaffen wie jenen, Prediger 7.“ Und Lukas fügte hinzu: „Wenn wider Erwarten jemand kom men sollte, dir zu gehorchen, mein Heiliger Vater, wir haben die Waffen im Wald verstreut, damit du nichts Übles damit anrichten kannst. Mag sein, der verehrte Maximus hält seinen Kopf in die Schlinge, die wir mit Freude für ihn knüpfen würden.“ Der Augsburger dachte jedoch nicht darän. Er packte seine Sie bensachen und verschwand wie ein Eichhörnchen, als ihm Lukas die Schwertspitze entgegenhielt. Danach zogen die Knechte dem Mönch die Kutte über die Ohren, und siehe da, aus den Taschen rieselten goldene Dukaten, die den Weg nicht in die Kasse gefun den hatten. Jobst von Hake zog eine lederne Hülse aus dem G uit und brachte ein beschriebenes Pergament zum Vorschein. „Das ist ein Ablaßbrief, Väterchen! ...“ Er schaute ihm fest in die Augen. „... mit einem schönen Siegel und einem päpstlichen Wappen! Düwel eens, eck kriech den Sotan noch an Schwanz to faten!“ Jetzt erst erkannte ihn der Mönch und brüllte wie ein verwunde ter Stier: „Der verfluchte Hake! Möge dich der Herr mit lahmen Gliedern 28
und ewiger Blindheit, mit Krätze, Blattern, Syphilis strafen! Ver dorren soll dein Stamm, verrecken dein ganzes Geschlecht!“ „Hoho ...“, Jobsts faunisches Lachen gellte dem Ablaßprediger in den Ohren. „Dein Herr ist gehörnt wie ein Bock und hinkt mit einem Pferde fuß! Ich weiß, wem du dienst. Ich weiß, daß du schwarze Messen machst. Du raubst die Leute mit falschen Briefen aus. Du ver sprichst eine Krippe im Himmelreich. Ich will deine himmlische Krippe und deine schönen Worte nicht! Ich nehme, was mir ge hört, und verdammt will ich sein, wenn das nicht auch die Hake burg ist, mort de D ieu!“ Er hob drohend sein Schwert und jagte den Kuttenbruder in den Wald. Danach bestaunten sie alle vier, denn auch die Novizin tauchte auf der Bildfläche auf, die Schätze, die der Himmel vor ih nen ausgebreitet hatte. Gegen Morgen entzündeten sie ein Feuer, machten sich an die im Stroh versteckten Weinkrüge des Paters und tranken beim Ge schrei der Käuzchen und beim Geheul der Wölfe auf den Sieg über die Klerisei. Vor dem Regenstein klangen die Pokale und die kräftigen Sprü che des Ritters, und seine trunkenen Reiterlieder ließen die Felsen 29
erbeben. Beim vierten Krug hatte er Grüningen in ein Rattennest verwandelt, beim fünften die Mönche gespießt. Beim sechsten be lagerte er die uneinnehmbare Feste Magdeburg, und beim achten beauftragte er die Gefährten Lukas und Hieronymus, sich nach ge nau sieben Tagen mit Pulver und Geschütz in der wehrhaften Stadt Blankenburg einzufinden. Freiwillig händigte er ihnen zwei Beutel mit je tausend Gulden aus und entwickelte einen Schlachtplan, der im wesentlichen darin bestand, das Geld bis auf den letzten Heller auszugeben. Die Mitverschworenen nahmen den Auftrag an und empfahlen sich rasch, denn sie ahnten, daß es die einzige Gelegen heit zum Entkommen war. Lukas packte seine Sachen, um den Stein der Weisen und das Wasser des Lebens zu finden. Und Hieronymus gedachte das Buch zu schreiben, das den Armen und Bedrängten helfen sollte, das Unrecht zu überwinden. N ur die Novizin ließ sich nicht überreden, nach Thale zu gehen, um sich im Nonnenkloster zu verbergen, bis die Sache entschieden War. Sie wich nicht von der Seite des Ritters, da der Held kein Bein über das andere und schon gar nicht in den Sattel brachte. Sie schleppte den Krieger in eine Höhle und richtete dort ein Lager ein. Danach vergrub sie das Geld und bewachte den vom süßen Wein, von der Rache und von den angenehmsten Empfindungen berauschten Mann, der nicht begreifen wollte, daß die Zeit der Kreuzzüge und Fehden vorüber war. Bei Sonnenaufgang legte sie sich neben ihn. Sie schlief, als Rotauge, ein berüchtigter Strauch dieb, seine Schwertspitze an den Hals des Ritters setzte und ihn barsch aufforderte, das gestohlene Geld herauszugeben. Das laute, sägende Schnarchen hatte ihn aufmerksam gemacht. Jobst von Hake rieb sich schlaftrunken den K opf und schaute verblüfft auf den Fremden. Der stechende Schmerz, der ihn durch zuckte, machte ihm deutlich, daß es tatsächlich eine Schwertspitze und keine Bremse war. Er wußte nicht recht, ob er sich noch in Magdeburg oder schon in Grüningen befand, und fiel stöhnend auf das Lager aus Fellen und Reisigbündeln zurück. Er begriff nichts, ahnte nichts. Er war nur sicher, daß der Mensch vor ihm kein guter war, denn der Druck verstärkte sich. „Die Gulden, du Mistkerl, aber ein bißchen schnell!“ klang es über ihm. „Was für Gulden?“ fragte der Ritter mühsam. Der Fremde versetzte dem unter ihm Liegenden einen Fußtritt. „Sieh an, er weiß nichts davon, hat nie von den Gulden gehört, die in dieser Schatulle gelegen haben!“ Rotauge wies auf die herumstehenden Wagen, auf die grasenden Pferde und auf die offene Truhe. 30
„Ich finde sie auch so, du Narr, aber mit dir natürlich schneller. Und wenn ich sie schneller finde, hast du eine schnellere Himmel fahrt. Ich kann dich auch langsam zu den Englein schicken. Wenn du nicht die Schnauze aufmachst, werde ich dir die Glieder einzeln abschneiden. Jetzt kannst du noch dreimal amen sagen, dann ver lierst du den linken F u ß !“ „Ich mag solche Großsprecher nicht!“ mischte sich da Roswitha ein, die nach den ersten Worten des Reisigen erwacht war und über einen Ausweg aus der Lage nachdachte. „Wenn ihr so beißt, wie ihr heult, werden euch die besten Bissen entgehen. Ich habe die Gulden versteckt, und ich habe sie so ver steckt, daß Ihr den ganzen Wald umgraben könnt, ohne einen Pfennig zu finden. Es ist klar, was Euch herführt!“ sagte das M äd chen entschlossen. „Doch Ihr wißt nicht, wo Euer Vorteil liegt! Ihr seid dabei, ihn zu verspielen!“ Rotauge glotzte das Mädchen an und betrachtete es wie einen ekligen Käfer, den er aufzuspießen vergessen hatte. Er brummte etwas Unverständliches, was nach „kurzem Prozeß“ und „rascher Erledigung“ klang, aber Roswitha lächelte ihn an. Rptauge begann nachzudenken. Das Schwert hielt er dabei am Hals des Ritters. Die Novizin ließ den Zeigefinger in die Höhe schnellen und flüsterte betörend und fast beschwörend: „Zwei Finger, die halbe Hand! Ein großes Vermögen!“ Jetzt schien sich der Reisige für den Handel zu erwärmen. „Warum nicht alle Finger und beide Hände? Ihr rettet die Köpfe und ich das Geld, Seid froh, daß ihr die reisigen Häscher nicht auf der Fährte habt.“ Was blieb ihr übrig. Roswitha stimmte zu, und der Knecht trennte sich von ihr mit Bedauern, denn die Novizin war nach sei nem Geschmack. Er gab den Zurückbleibenden noch den Rat, nicht auf den Henker und seine Knechte zu warten, und sprengte mit verhängten Zügeln davon. Leider ist nicht überliefert, wie weit er mit seiner Beute gekommen ist und wo er seine Seele aushauchte. In einer übel beleumde ten Spelunke erfuhren die Flüchtlinge ein paar Wochen später, daß ein Strauchdieb bei dem Versuch, den heiligen Schrein des Ablaßpredigers ihrer erzbischöflichen Gnaden zu berauben, von der Vorsehung bestraft, von einem Blitz erschlagen und auf dem von vielen Leuten besuchten Halberstädter Holzmarkt neben dem steinernen Roland und einer Würstchenbude zur Schau gestellt worden war. Wie die Sache auch geschah, wenige Monate nach dem Uberlall 31
sorgte ein Augustinermönch namens Luther dafür, daß die uner müdlich sprudelnde Einnahmequelle versiegte und der Heilige Stuhl durch die damit verbundenen Erschütterungen ins Wanken geriet. Jobst von Hake und seine Begleiterin, die dem Pater und det$ Erzbischof ein Schnippchen geschlagen und die Sancta ecclesia an ihrer verwundbarsten Stelle getroffen hatten, fanden mit ihrem Abenteuer, wo immer sie es zum besten gaben, offene Ohren und Kassen. Und letzten Endes gingen sie aus dem Mummenschanz nicht so gefleddert hervor, wie es scheint. Nach dem Aufbruch des Räubers hatten beide noch genug, um in der Reichsstadt M ühlhau sen seßhaft zu werden. Dem Ritter gebar Roswitha drei Kinder. Sie veranlaßte ihn sogar, als Kenner von Reliquien und Heiligtü mern aufzutreten und damit eine Quelle des Wohlstandes zu ent decken. Daß er im stürmischen 1525 an der Spitze rebellierender Bauern gegen Grüningen zog, läßt sich nicht belegen, ist auch un wahrscheinlich, denn bis zum Kloster waren es fünf Tagereisen über den Harz, und der Ritter wurde ziemlich bequem. Daß er mit dem Herzen bei der großen Sache war, ist sicher, denn er pflegte den tolldreisten Geschichten über die Fehde mit dem Erzbischof den Satz anzuhängen, den er von Hieronymus aufgeschnappt und in seinem biederen Hirn gespeichert hatte: Jener, der für Recht und Wahrheit zu Felde zieht und sein Herz dafür lodern läßt, darf nicht warten, bis die Opferflamme erloschen ist.
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Jakob Wassermann
Das Gold von Caxamalca
Das Goldfieber treibt sie in dieses unbekannte und fremde Land: Unter Führung des Generals Francesco Pizarro überfallen drei hundert Reiter das Volk der Inkas und nehmen dessen großen Häuptling gefangen. Es ist ein Tag, der mit Verrat beginnt und mit Blut endet.
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I 2. Auflage • 296 Seiten ■ Ganzleinen 8,80 M Schon O rt und Zeit der Handlung sorgen dafür, daß es diesem Buch nicht an aufregenden Geschehnissen m angelt: Da tr ifft un m ittelb ar vor dem Pinochet-Putsch in Chile eine Gruppe junger DDR-Spezialisten in Santiago ein, um der Regierung Allende S o li d aritätsgüter zu übergeben. Die N euanköm m linge sind von der ei genartigen Schönheit des Landes und seinen Menschen fasziniert. Sie tre ffe n Freunde, können aber auch die wachsende Unruhe in den Straßen nicht übersehen. Trotz ihres Auftrages, sich bei der Übergabe aus den sich zuspitzenden Interessengegensätzen her auszuhalten, geraten sie doch unversehens m itten hinein in die V orläufer jener blutigen Auseinandersetzungen ... Die jäh unter brochene Romanze der leidenschaftlichen Zuneigung M artins zur jungen Chilenin Marina verleiht dem Handlungsgeschehen zusätz lich em otionale Höhepunkte und ve rd eu tlicht die ringsum d ro hende Gefahr. „Tribüne", Berlin
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Das larrenfell 3. Auflage • 304 Seiten ■ Ganzieinen 9 , - M
Ulli W u ttke heißt der Held, und alle lachen über ihn. „Vonne Landesregierung" aufs Dorf geschickt, um die Bau ern aufzuklären, küm m ert er sich zunächst einmal um Fra gen der Fortpflanzung. Bald flüstert man, daß er es mit den Kühen treibe; dann stiehlt er Enten w ie ein Fuchs und hält das noch für richtig; sein großes Vertrauen in die W is senschaft bringt allen Zwiebeln auf dem Acker den Tod. Ulli, ahnungslos zu großen Veränderungen aufgebrochen, ist überall dabei und hält sein Fell hin. Die Mädchen und nicht nur eins, machen ihn zum Helden dreister Geschich ten. Aber da ist auch Herzauge, sein zuversichtlicher Lehr meister und Freund. Beide brauchen einander in dieser abenteuerlichen Aufbruchszeit, von der Benito W ogatzki in seinem Roman spannend zu erzählen weiß.
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