Nr. 448
Die Todeswüste Der Marsch zur Burg Odiara von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, al...
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Nr. 448
Die Todeswüste Der Marsch zur Burg Odiara von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahr stuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern, Besatzern und Invasoren zu tun haben, trachtet der Arkonide danach, die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis auszuspähen und die Kreise der Mächtigen zu stören. Gegenwärtig geht es Atlan und seinen Gefährten Razamon und Kennon/Axton al lerdings nicht darum, den Machthabern der Schwarzen Galaxis zu schaden, sondern es geht ihnen ganz einfach ums nackte Überleben – und das seit der Stunde, da sie auf Geheiß des Duuhl Larx im »Land ohne Sonne« ohne Ausrüstung und Hilfsmittel ausgesetzt wurden. Die Welt, auf der die drei Männer aus ihrer Betäubung erwachen, ist Dorkh, eine Welt der Schrecken und der tödlichen Überraschungen. Kaum sind Atlan und seine Gefährten den Nachstellungen der riesigen Raubvögel und der seltsamen Gnomen entgangen, da müssen sie auch schon vor den katzen artigen Mavinen die Flucht ergreifen. Sie verschwinden im Dschungel und erreichen den »Jagdteppich« der Nomaden, wo für sie erneut eine abenteuerliche Flucht be ginnt. Ihr weiterer Weg führt in DIE TODESWÜSTE …
Die Todeswüste
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan, Razamon und Kennon-Grizzard - Drei Wanderer in der Wüste von Dorkh.
Mathilda - Ein urtümliches Transportmittel.
Kuashmo - Burgherr von Odiara.
1. Atlan hatte soeben einen Sandhügel er stiegen, um von dort aus einen weiteren Blick nach Südosten zu haben, wo Turgan, die Stadt der Weisen, liegen sollte, als er einen halberstickten Schrei hörte. Er wirbelte herum, darauf gefaßt, sich un bekannten Angreifern gegenüber zu sehen. Doch alles, was er sah, war Lebo Axton, der heftig gestikulierte. Was Atlan beunru higte, war das, was er nicht sah, nämlich Razamon. Der Pthorer aus den Horden der Berserker war verschwunden, obwohl es in der nähe ren Umgebung keinerlei Deckung gab, hin ter der er sich hätte verbergen können. »Was ist mit Razamon geschehen?« rief der Arkonide. »Er ist verschwunden!« rief Lebo Axton zurück. Die zerlumpten Kleidungsstücke schlotterten um seinen ehedem kraftstrotzen den Grizzard-Körper, der sich von seiner schweren Erkrankung noch nicht voll erholt hatte. »Ich komme!« rief Atlan und lief den Hü gel hinab. »Dort ging er«, berichtete Axton, nach dem er ihn erreicht hatte, und deutete auf den Sand zwischen zwei Sträuchern, die so klein und dürr waren, daß nicht einmal eine Maus sich hinter ihnen hätte verstecken kön nen. Er hielt Atlan am Ärmel fest, als der Arkonide auf die Stelle zugehen wollte. »Warte! Es hat keinen Sinn, sich in Gefahr zu begeben, wenn man die Gefahr nicht kennt.« »In was für eine Gefahr?« fragte Atlan. »Ich sehe keine Gefahr.« »Es steht nicht fest, ob sich Razamon ernsthaft in Schwierigkeiten befindet«, fuhr Lebo Axton alias Sinclair Marout Kennon
fort. »Er kann aber auch nicht tun und las sen, was er will, sonst hätte er sich längst mit uns verständigt. Achten wir also auf Besonderheiten die ses Sandfleckens gegenüber den übrigen Flecken dieser Sandwüste, durch die wir seit zwei Tagen wandern!« Atlan bemühte sich, den Fleck, an dem Razamon verschwunden war – und er war sehr genau zu bestimmen, da dort seine Fuß spuren endeten –, mit anderen Stellen der Sandwüste zu vergleichen. Überall gab es Spuren kleiner und kleinster Tiere, die in dieser Einöde lebten. Sie führten kreuz und quer durchs Gelände. Nur im Umkreis von etwa fünf Metern um die Stelle, an der Razamon verschwun den war, gab es keine anderen Spuren als die des Pthorers! »Die Tiere meiden diese Stelle«, sagte At lan erregt. »Sie kennen demnach die Gefahr, die dort droht.« »Richtig«, erwiderte Lebo Axton. Er hob die Hand und deutete zum Himmel, der von dichten Wolkenfeldern verdeckt war, die langsam von Süden nach Norden trieben. Die Sonne Dorkhs war nicht zu sehen, aber nach wenigen Sekunden glühte der Rand ei ner großen Wolke auf, und dann kam die hellgelbe Scheibe der Sonne zum Vorschein. »Jetzt müßte es deutlich zu erkennen sein«, sagte Lebo Axton und deutete wieder auf den ominösen Sandfleck. Und diesmal sah es Atlan auch. Bei dem Fleck gab es eine kreisförmige Fläche von ungefähr anderthalb Metern Durchmesser, die das Sonnenlicht etwas stärker reflektierte als die übrige Wüste. »Was ist das?« stieß Atlan erregt hervor. »Ich weiß es noch nicht«, sagte Axton. Er bückte sich, hob einen knapp faust großen Stein auf und warf ihn in die Mitte des bewußten Flecks.
4 Der Stein verschwand nicht, wie Atlan halb erwartet hatte. Er wirbelte nur etwas Sand auf – und in der winzigen Mulde, die er erzeugte, funkelte und glitzerte etwas, als bräche sich das Sonnenlicht an einem Häuf chen Diamanten. »Kristalle«, stellte Atlan fest. »Wahrscheinlich gibt es dicht unter einer Sandschicht ein ganzes Nest von Kristallen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Raz amon darin versunken sein sollte.« »Ich auch nicht«, sagte Lebo Axton. »Dann hätte er bestimmt noch Zeit genug gehabt, nach uns zu rufen. Ich kann mir nur denken, daß über der Kristallballung ein di mensional übergeordnetes Feld existiert, das lebende Materie entstofflicht.« Atlan schüttelte den Kopf. »Nicht alle lebende Materie, Lebo. Die beiden Sträucher stehen im Kreis und sind doch nicht verschwunden.« »Sonst stünden sie nicht dort«, erwiderte Axton trocken. »Wir kennen also eine weite re Eigenschaft des Feldes. Es kann zwischen sogenannter toter Materie, pflanzlichem Le ben und tierischem Leben unterscheiden und trifft eine Auswahl, indem es sich nur der aus tierischem Leben bestehenden Materie annimmt.« »Eine gezielte Auswahl also, die auf In telligenz deutet«, sagte Atlan. »Ergibt sich die Frage, was mit der entstofflichten Mate rie geschieht. Wird sie wiederverstofflicht? Wenn ja, wo? Lebo, das sind Fragen, die sich nicht durch reine Gedankenarbeit beant worten lassen!« Lebo Axton lächelte. »Du hast es erfaßt. Es gibt Fragen, die sich nur durch das Experiment beantworten lassen. Ich werde also den Fleck betreten. Im Fall einer Wiederverstofflichung bin ich hoffentlich wieder mit Razamon vereint.« »Aber du wirst mich niemals über das Er gebnis des Experiments informieren kön nen«, erwiderte Atlan. »Das ist nicht gesagt«, meinte Axton. »Wenn ich irgendwo auf Dorkh wiederver stofflicht werde, kehre ich selbstverständlich
H. G. Ewers an diesen Ort zurück.« Atlan nickte. »Vielleicht bist du in zwei Monaten wie der hier – und ich trete während dieser Zeit Löcher in den Sand, esse halbvertrocknete saure Beeren und trinke Wasser aus ver schmutzten Tümpeln! Ganz davon abgese hen, es mag nach der Wiederverstofflichung Gefahren geben, gegen die zwei Männer mehr ausrichten können als einer. Wir expe rimentieren also beide gleichzeitig.« »Du bist wichtiger als ich, Atlan«, gab Lebo Axton zu bedenken. »Außerdem brauchst du nicht die ganze Zeit hier zu war ten. Wir machen einen Treffpunkt aus und …« »Meine Entscheidungen treffe ich immer noch selbst«, schnitt Atlan ihm das Wort ab und setzte sich auf den bewußten Fleck zu in Bewegung. Lebo Axton beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. Als Atlan den Rand des kreisförmigen Flecks überschritten hatte, flimmerte es ihm plötzlich vor den Augen, dann hatte er das Gefühl, in einer lautlosen Explosion zerris sen zu werden – und dann fühlte er gar nichts mehr …
* Gelblicher Nebel wallte vor seinen Au gen. Als Atlan einatmete, füllten sich Mund und Nase mit einem durchdringenden Ge ruch nach Vanille. »Lebo?« flüsterte er. »Ist hier«, antwortete Lebo Axton ebenso leise. »Ich mag ja Vanille, aber nicht so viel auf einmal. Gehen wir geradeaus weiter?« Atlan streckte die rechte Hand in die Richtung aus, aus der Lebos Stimme gekom men war. Seine Hand und die Lebos begeg neten einander auf halbem Weg. Langsam tappten sie durch den Nebel vor wärts, die freien Hände nach vorn gestreckt. Wenig später berührten ihre Hände eine glatte Wand. Im nächsten Augenblick glitt die Wand zur Seite. Sie traten durch die vom Nebel verhüllte Öffnung und hörten an dem
Die Todeswüste schleifenden Geräusch hinter sich, daß die Tür sich wieder schloß. Dann verwehte der Nebel, der mit ihnen durch die Öffnung gekommen war. Vor ih nen lag eine kleine Halle. Sie schien aus ei nem riesigen weißen Kristall herausge schnitten zu sein, denn Boden, Wände und Decke bestanden aus einem glasartigen Ma terial, das so geschliffen war, daß es das weiße Licht der unter der Decke hängenden Kugellampe vieltausendfach brach. Vor der gegenüberliegenden Wand, etwa acht Meter von Atlan und Axton entfernt, saß ein humanoides Wesen auf einer Art Kristallthron. Es trug weiße wallende Klei dung, war etwa 1,50 Meter groß und hatte ein bräunliches, stark zerklüftetes Gesicht. Ein silberweißer langer Bart hing ihm bis auf die Brust. Eine weitere Parallele zu Pthor! teilte der Logiksektor Atlan mit. Dieses Wesen gleicht dem Lebensmagier Wortz! »Ich grüße dich!« sagte Atlan auf Pthora. Das Wesen starrte ihn aus glitzernden Au gen an, die ständig von gelblichen Schleiern überzogen wurden. »Ich habe heute einen Glückstag«, erwi derte es in jener Sprache, die dem Pthora so sehr ähnelte und von allen Intelligenzen, die Atlan, Razamon und Axton bisher auf Dorkh getroffen hatten, gesprochen wurde. »Gleich drei Besucher kurz hintereinander.« »Es war unser Gefährte, der dich heute zuerst besuchte«, sagte Lebo Axton. »Wo ist er?« Der Alte kicherte. »Das, was das Wesentliche von ihm ist, befindet sich hier, in den Wänden, der Decke und dem Boden.« Atlan erschrak. »Du hast ihm sein Bewußtsein geraubt?« »Ich habe das Wesentliche erhalten«, ant wortete der Alte. »Du wirst es ihm zurückgeben, denn ich befehle es dir!« bluffte Atlan. »Ich, der Kö nig von Atlantis, das auch Pthor genannt wird!« Der Alte hob die Arme. Unglaublich dür
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re Hände mit spinnenbeinigen Fingern ka men zum Vorschein. »Willkommen, König von Atlantis!« sag te er feierlich. »Die Götter der Magie mei nen es wirklich gut mit mir, daß sie dich ge schickt haben. Ihr werdet ebenfalls in das Guulh eingehen und meine wertvollsten Diener sein.« Lebo Axton stieß einen hellen Schrei aus und stürzte sich auf den Alten. Aber er kam nicht weit. Mitten im Sprung brach er zu sammen und blieb reglos liegen. Atlan spürte etwas Grauenvolles in sei nem Bewußtsein und hatte das Gefühl, als sollte ihm das Gehirn aus dem Schädel ge rissen werden. Sekundenlang wurde ihm schwarz vor den Augen. Er taumelte, konnte sich aber wieder fangen und sah plötzlich wieder klar. Der Alte war aufgesprungen, hatte die Ar me abwehrend in Atlans Richtung ausge streckt und sackte haltlos in sich zusammen, als der Arkonide in drohender Haltung auf ihn zuging. Ich habe dich vor dem Guulh bewahrt! wisperte der Extrasinn in Atlans Bewußt sein. Aber sein Bewußtsein ist so er schrocken darüber, daß es ihn verlassen hat und in das Guulh geflohen ist. Atlan blieb vor dem Körper des Alten ste hen, der gleich einer leblosen Puppe mit ver renkten Gliedern auf dem Boden lag. Er ahnte, daß das Guulh nichts anderes war als das Kristallmaterial, aus dem die Halle be stand. Wahrscheinlich handelte es sich um magisch aufgeladene Materie. Nachdenklich ging der Arkonide um den Körper und den Thron herum und stand gleich darauf vor einer Tür, die ihm vorher des Thrones wegen verborgen geblieben war. Als er sie berührte, öffnete sie sich. Hinter ihr lag ein Gang mit kristallenen Wänden und ebensolchem Boden sowie der gleichen Decke. Am Ende des etwa fünf Meter lan gen Ganges gab es wieder eine Tür. Er öffnete sie ebenfalls und prallte vor der eisigen Kälte zurück, die ihm aus ihr entge
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genschlug. Aber er konnte durch den Nebel, de deine Bitte erfüllen!« »Meine Forderung!« entgegnete Atlan den die kondensierende Luftfeuchtigkeit bil dete, noch einen riesigen Saal mit Wandge nachdrücklich. »Aber ich warte nicht lan ge!« stellen sehen, auf denen zahllose Lebewesen lagen: Humanoide und Nichthumanoide so »Einverstanden«, gab der Magier zurück. wie Tiere aller möglichen Arten. Auf einem »Behellige meine Diener nicht. Sie werden den Körper des ersten deiner Gefährten zu Gestell ganz vorn lag Razamon – steifgefro ren. rückholen, und ich werde ihm und deinem anderen Gefährten das Wesentliche ihrer Dann schloß sich die Tür wieder. Alle Opfer des Magiers werden eingefro Existenz zurückgeben! Aber du mußt mei ren, um sie vor Verwesung zu bewahren! nen Körper behutsam zurücklegen!« teilte ihm der Logiksektor mit. Auch Axton Atlan lachte grimmig. wird das gleiche Schicksal ereilen, wenn du »Irrtum, Freundchen! Dein Körper bleibt nicht schnell und kompromißlos handelst! mein Faustpfand, bis wir alle drei in Sicher Aber sieh dich vor! Der Magier muß Helfer heit sind!« haben! »Das ist unmöglich!« kreischte der Ma Der Arkonide kehrte in den »Thronsaal« gier. »Mein Körper darf die Yrminguulh zurück – und sah, wie aus zwei Öffnungen, nicht verlassen! Ich werde sterben, wenn die sich in einer Wand gebildet hatten, zwei auch nur ein einziger Sonnenstrahl mich riesige Tiere krochen, die halb Spinnen, halb trifft.« Termiten ähnelten. Träge krochen sie auf »Dann warten wir, bis es Nacht ist«, sagte Axtons Körper zu. Atlan. Atlan eilte zu dem schlaffen Körper des »Ich bin einverstanden«, sagte der Ma Magiers und hob ihn mühelos hoch. gier. »Wenn du mich hören kannst, dann laß Atlan merkte, daß der schlaffe Körper des dich warnen!« rief er laut. »Ich werde dei Alten sich wieder belebte. Seine Seele, sein nen Körper zerstören, so daß du niemals in Bewußtsein, sein Geist oder wie man es nen ihn zurückkehren kannst, wenn du deine nen wollte, war in ihn zurückgekehrt. Helfer nicht zurückrufst und meinen Gefähr Der Arkonide stellte den Magier auf die ten ihre Seelen zurückgibst!« Füße, hielt ihn aber an einer Falte seines Ge wandes fest. »Ich lasse dich frei, wenn du meinen Kör per schonst!« hallte es schauerlich dumpf Auch der Körper Lebo Axtons erwachte durch die Halle. wieder zum Leben. Es wirkte nicht anders, Atlan ging zu einem der Helfer des Ma als wäre Axton-Grizzard aus einer tiefen Be giers und trat mit aller Kraft gegen eines der wußtlosigkeit erwacht. Er seufzte einmal, etwa meterlangen dünnen Beine. Es zuckte dann setzte er sich auf und lächelte Atlan zu. zurück, aber nicht nur es, sondern alle Beine Die beiden Helfer des Magiers waren un des betreffenden Tieres, das in dieser Hal terdessen zur Tür hinter dem Thron gekro tung erstarrte. chen. Als sie sie berührten, öffnete sie sich. »Das genügt mir nicht!« rief Atlan. Er Sie verschwanden in dem dahinter liegenden hob den Körper des Magiers über seinen Gang. Kopf. »Ich werde deinen Körper zerschmet Axton erhob sich ganz, dann erschauerte tern, wenn du die Seelen meiner Gefährten er. nicht zurückgibst und dafür sorgst, daß wir »Es war alles andere als angenehm, kör alle drei unbehelligt wieder an die Oberflä perlos in einem körperlosen Gewimmel aller che von Dorkh zurückkehren können!« möglichen Kreaturen zu schweben. Am lieb »Halte ein!« hallte die Stimme des Ma sten würde ich dem Alten den Hals umdre hen.« giers mit kreischendem Unterton. »Ich wer-
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»Beschütze mich vor ihm!« kreischte der »Das klingt logisch«, sagte Atlan, um sei Magier. »Wir haben einen Handel geschlos nen Logiksektor zu ärgern. »Führe uns, Al sen, König von Pthor!« ter! Bis wir oben sind, wird es dunkel sein.« Lebo Axton nickte. Der Magier sträubte sich nicht länger. Er »Ich dachte es mir. Sein Leben gegen un führte Atlan, Axton und Razamon durch die seres. Dein Extrasinn hat dich also vor den Tür hinter seinem Thron. Als er im Gang die magischen Kräften dieses alten Knaben ge beiden Helfer sah und merkte, daß sie tot schützt, Atlan.« waren, zischte er giftig, aber ein drohender Die Tür hinter dem Thron öffnete sich. Blick Razamons brachte ihn zum Schwei gen. Razamon betrat die Halle, die schwarzen Augen bösartig funkelnd. In der Mitte des Ganges öffnete er in der »Da ist ja dieser Satan!« schrie er, als er rechten Wand eine weitere Tür. Dahinter lag den Magier erblickte. »Ich werde dich um ein langgestrecktes, gemauertes Gewölbe. bringen!« Der Magier nahm eine pyramidenförmige »Nein!« sagte Atlan hart. »Ich habe ein Lampe von einem Haken an der Wand des Abkommen mit ihm getroffen, ohne das du Gewölbes, murmelte einen Spruch und für immer im Guulh bleiben müßtest. Und hauchte sie an. In ihrem Innern glomm ein du weißt, daß mein Wort gilt, Razamon.« bläulicher Glutball auf und dehnte sich zu Razamon blieb stehen und nickte, aber er einer hellen Flamme. blickte weiterhin wütend auf den Magier. Auch auf dem Weg durch das Gewölbe murmelte der Alte ständig irgendwelche »Ist es draußen Nacht oder Tag?« fragte Sprüche, wahrscheinlich Beschwörungen, der Arkonide. »Meiner Schätzung nach müßte es später Abend sein.« mit denen er Gefahren fernhalten mochte, »Noch scheint die Sonne auf diesen Teil die sicherlich hinter den Mauern des Gewöl von Dorkh«, erwiderte der Magier. »Ihr bes lauerten. müßt noch warten.« Nach ungefähr einer halben Stunde endete »Gut«, meinte Atlan. »Und wie kommen das Gewölbe an einer aus dunkelgrünen wir dann an die Oberfläche zurück? Setzt du Bruchsteinen gemauerten Wand, in die le den transmitterähnlichen Effekt in umge diglich ein halbmeterhohes Loch eingelassen kehrter Richtung ein?« war. »Das ist unmöglich«, sagte der Magier. Der Magier deutete auf das Loch. »Wir müssen durch ein uraltes Gewölbe bis »Dahinter liegt der Kamin der Zauberin zum Kamin der Zauberin Laetara gehen und Laetara. Ihr braucht mich nicht mehr, denn in ihm hinaufsteigen. Eigentlich brauche ich den Weg nach oben …« euch nur bis zum Gewölbe zu führen. Den »… finden wir besser mit dir!« erwiderte Atlan und schüttelte den Alten kräftig, bis er weiteren Weg würdet ihr selber finden.« anfing zu jammern. »Vorwärts! Du kriechst »Das könnte dir so passen«, entgegnete Atlan. »Wer weiß, welche Gefahren in dem als erster hindurch, aber ich halte dich am Gewölbe und im Kamin der Zauberin lau linken Bein fest und drehe dir den Fuß um, ern. Vielleicht überfällt Laetara uns sogar, wenn du einen Trick versuchst!« Gehorsam ließ sich der Magier auf Hände wenn du nicht bei uns bist.« »Laetara ist lange tot«, erklärte der Ma und Füße nieder und schickte sich an, durch gier. »Es gibt wirklich keine Gefahren auf das Loch zu kriechen. Aber als Atlan ihm dem Weg nach oben.« die Lampe abnahm, sträubte er sich wie irr Er lügt! teilte der Logiksektor mit. Er sinnig dagegen. muß daran interessiert sein, euch ins Ver »Aha!« sagte Razamon. »Er wollte also derben zu schicken, denn nur dann könnt ihr doch einen Trick versuchen!« sein Geheimnis nicht weitererzählen! »Ohne die Lampe sehe ich nichts!« jam
8 merte der Magier. »Und ich fürchte mich im Dunkeln.« »Dann pfeife oder singe!« sagte Lebo Ax ton und versetzte ihm einen Tritt. Der Alte bewegte sich so schnell, daß At lan beinahe zu spät zugegriffen hätte. So konnte er gerade noch den linken Fußknö chel des Magiers packen – und er packte fest zu. Indem er mit der freien Hand die merk würdige Lampe hochhielt, kroch er hinter dem Magier her. Als er das Innere des Kamins erreichte, sah er im Lampenlicht eine mit einer harten Glasur überzogene Schachtwandung, die sich schlangenförmig nach oben wand. Un ter der Glasur waren zahllose Ornamente zu sehen, die unbekannte Pflanzen und Tiere sowie Dämonenfratzen darstellten. Und die se Ornamente schienen ein Eigenleben zu besitzen. Atlan richtete sich auf und packte den Magier am linken Oberarm, dann wartete er, bis auch Razamon und Axton im Kamin standen und sagte: »Wie kommen wir diesen Hexenkamin hinauf, Alter?« Als der Magier nicht gleich antwortete, verstärkte es seinen Griff. »Ich rede ja schon!« sagte der Alte. »Die Leiter ist nicht mehr da, also müssen wir meine Magie in Anspruch nehmen. Du ver sprichst mir, daß du mich freiläßt, sobald wir an der Oberfläche sind und daß mir kei ner von euch etwas tut?« »Ich brauche mich nicht zu wiederholen, denn ich habe noch nie mein Wort gebro chen«, erklärte Atlan. »Im Unterschied zu dir. Wie willst du deine Magie anwenden, um uns hinauf zu befördern?« »Ich muß einen Zauberspruch aufsagen und die Lampe in ganz besonderer Weise berühren«, erklärte der Magier. Er zitterte, aber sicher nicht nur vor Furcht, sondern auch vor Wut. »Aha!« meinte Razamon. »Deshalb woll test du die Lampe behalten. Du wolltest al lein nach oben und uns hier unten ver schmachten lassen.«
H. G. Ewers »Die Leiter …«, sagte der Magier. »Hat es sicher niemals gegeben«, erwider te Atlan und hielt ihm die Lampe hin. »Faßt ihn und mich an, Freunde, damit die Magie auf uns alle wirkt!« Seine Gefährten taten, wie er ihnen gehei ßen. Der Magier zögerte noch eine Weile, dann sah er ein, daß er gehorchen mußte. Er murmelte seinen Spruch, dann strich er mit den Fingern beider Hände gleichzeitig über die Außenfläche der Lampe. Das Licht darin verdunkelte sich, dann wurde es gleißend hell und verdunkelte sich wieder. Ein leises Pfeifen ertönte, wurde lauter und lauter. Die Luft im Kamin geriet in Bewegung. Sie schien dichter zu werden und drehte sich gleichzeitig in Spiralen nach oben. Der Magier und die drei Gefährten wur den angehoben und schwebten mit flatternden Kleidungsstücken durch den Kamin. Die Tierornamente schienen sich schneller zu bewegen, als wollten sie ihr Gefängnis ver lassen und sich auf die vier emporschweben den Gestalten stürzen. Die Dämonenfratzen verzerrten sich in wildem Haß. Endlich wirbelten die vier Gestalten durch die Mündung des Kamins ins Freie und lan deten im Sand zwischen drei riesigen Fels brocken. Über ihnen schimmerten die Sterne der Schwarzen Galaxis. »Meine Laterne!« schrie der Magier und griff nach der Laterne, die Atlan noch immer festhielt. Ihr Licht hatte sich wieder normali siert. »Erst verlassen wir die Nähe dieser Stei ne«, erwiderte Atlan. »Wer weiß, ob sie nicht einen Zauber enthalten, mit dem du uns dennoch verderben kannst.« »Ich habe meinen Teil des Abkommens erfüllt!« zeterte der Alte. »Noch nicht ganz«, erklärte der Arkonide und zog den Magier mühelos hinter sich her. »Die Steine tun euch nichts!« schrie der Magier. »Aber ich brauche sie. Es sind mei ne Schutzsteine.« Atlan schleifte den Magier ungefähr zwanzig Meter weit von den Schutzsteinen
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weg, dann ließ er ihn los. Aber er gab ihm die Lampe nicht zurück, sondern schleuderte sie in hohem Bogen zurück, so daß sie in den Kamin fallen mußte. »Damit du nicht in Versuchung gerätst, uns mit einem Zauberspruch bannen zu wol len«, erklärte er. »Und nun verschwinde so schnell wie möglich!« »Alle Götzen und Dämonen sollen euch verfolgen!« kreischte der Magier haßerfüllt und eilte mit fliehendem Gewand zurück. Aber er kam nur wenige Meter weit. Plötzlich stürzte eine undeutlich erkennbare geflügelte Gestalt herab, packte ihn und ver schwand mit ihm im Dunkel der Nacht. Sein Kreischen hallte den drei Männern noch ei nige Sekunden in den Ohren, dann brach es abrupt ab.
2. Sie entfernten sich noch einige hundert Meter von dem Ort des Grauens, dann raste ten sie. Eingedenk des geflügelten Wesens, das den Magier erbeutet hatte, wachten sie der Reihe nach, aber sie wurden während dieser Nacht von keinen Gefahren belästigt. Am Morgen genossen sie die wärmenden Strahlen der Sonne, denn in der Nacht war es recht kühl geworden, und ihre zerlumpte Kleidung bot nur wenig Schutz vor der Küh le. »Hoffentlich erleben wir nicht noch mehr solcher Überraschungen wie die mit dem Magier«, meinte Razamon. »Hoffentlich nicht«, sagte Lebo Axton und blickte sich suchend um. »Im Augen blick ist meine größte Sorge aber mein knur render Magen.« Atlan hatte sich ebenfalls umgesehen und dabei in ihrer Nähe etwas entdeckt, das wie das Skelett eines großes Tieres aussah. Er eilte mit schnellen Schritten hin. Tatsächlich war es das Skelett eines großen Tieres, aber keines wild lebenden, denn neben seinen Rippen lag ein ausgebleichtes Sitzgestell aus Holzstäben und Ledergeflecht.
Der Arkonide sah sich noch aufmerksa mer um und fand seine Vermutung bestätigt. »Kommt her!« rief er den Gefährten zu. »Ich habe eine Straße gefunden!« Razamon und Lebo Axton liefen zu ihm und musterten verwundert das Tiergerippe. »Eine Straße hatte ich mir anders vorge stellt«, bemerkte Axton ironisch. Atlan deutete nach Südwesten. »Ein Gerippe allein macht natürlich noch keine Straße. Aber dort liegen noch zwei weitere, kleinere Skelette und weiter weg noch ein großes.« Er zeigte nach Nordosten. »Und dort liegen gleich drei große Skelette und mindestens zwei kleine. Alle aber liegen auf einer gedachten Linie von Nordost nach Südwest beziehungsweise umgekehrt. Das bedeutet, daß sie eine Karawanenstraße be nutzten. Solche Straßen aber gibt es nur dort, wo ab und zu Wasserstellen sind – und vielleicht finden wir auch noch andere brauchbare Dinge.« »Waffen«, sagte Axton. »Und getrockneten Dung, der sich als Brennmaterial eignet.« »Wir könnten auch noch etwas anderes finden«, meinte Razamon mit eigenartiger Betonung. »Was?« fragte Atlan. »Das, was die da gefunden haben«, ant wortete der Pthorer und deutete auf die Ske lette. »Den Tod. Wahrscheinlich sind sie verschmachtet.« »Außerdem soll Turgan nicht südwest lich, sondern südöstlich liegen«, sagte Lebo Axton. »Der gerade Weg ist nicht immer der kür zere«, erwiderte Atlan lächelnd. »Gefahren gibt es natürlich überall, aber ich denke, daß unsere Überlebenschancen auf einer Kara wanenstraße größer sind als woanders.« »Also gehen wir deine Straße entlang«, sagte Razamon.
* Sie entdeckten auf einer Strecke von etwa zwei Kilometern Länge noch zahlreiche Ge
10 rippe. Die meisten stammten von Tieren, die entweder Reiter oder Lasten getragen hatten; der Rest stammte von humanoiden Lebewe sen, die ein wenig kleiner und etwas breiter als Menschen oder Arkoniden gebaut gewe sen waren. Razamon blieb stehen. »Vor uns sehe ich keine weiteren Skelet te«, erklärte er. »Die Karawanenstraße bringt ihren Benutzern also nicht immer den Tod, sondern ist wahrscheinlich nur zu be stimmten Jahreszeiten, in denen viele Was serstellen austrocknen, gefährlich.« »Mich beunruhigt die Tatsache, daß wir bei den Skeletten nichts Brauchbares gefun den haben«, sagte Lebo Axton. »Nicht ein mal eine leere Wasserflasche oder einen Warenballen.« »Du denkst an Wüstenräuber«, meinte At lan nachdenklich. »Das ist natürlich eine Möglichkeit. Aber wenn ich der Führer einer Karawane wäre, die nach dem Tode dieser Wesen hier vorbeikommt, würde ich natür lich alles halbwegs Brauchbare mitnehmen, was ich meinen Lasttieren aufbürden kann.« Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt zum letzten Knochenhaufen hin über. »Es sei denn, ich würde etwas überse hen.« Er ging zu dem Knochenhaufen zurück, griff durch ein Gerippe hindurch und hob ein unterarmlanges Messer mit relativ schmaler dünner Klinge und einem sorgfäl tig bearbeiteten birnenförmigen Holzgriff auf. »Das hat unter seinem Besitzer gelegen, der zudem halb von seinem gestürzten Reit tier begraben war«, erklärte er und wog das Messer in der Hand. »Donnerwetter, die Ge wichtsverteilung spricht dafür, daß es sich um ein Wurfmesser handelt – und das bei dieser Größe!« Er faßte es mit zwei Fingern an der Spit ze, hob die Hand am Ohr vorbei bis über die Schulter, dann warf er es mit kurzem, hefti gen Ruck. Es flog ungefähr fünfzehn Meter weit und bohrte sich mit der Klinge in den
H. G. Ewers Sand. Lachend drehte er sich zu seinen Gefähr ten um. »Jetzt haben wir eine Waffe, mit der wir uns gegen wilde Tiere verteidigen können.« »Oder mit denen wir ein eßbares Tier er legen können«, sagte Lebo Axton und preßte die Hände auf die Magengegend. »Mein Magen fühlt sich an, als fräße er sich vor Hunger selber auf.« Atlan schob das Messer unter das Stoff band, das seinen entfernt jackenähnlichen Lumpen zusammenhielt. »Wir werden schon etwas zu essen auf treiben«, meinte er. Sie gingen weiter, ohne auf andere Gerip pe zu stoßen. Die Sonne brannte inzwischen so heiß vom Himmel, daß sie erleichtert auf atmeten, als Wolken aufzogen. Dennoch musterte Atlan Lebo Axton immer wieder unauffällig und voller Sorge. Axton hatte in folge der gerade erst überstandenen Krank heit seines Grizzard-Körpers kaum noch Re serven gehabt. Jetzt hatte er überhaupt keine mehr. Er würde noch vor dem Abend zu sammenbrechen, wenn er nichts zu essen be kam. Eine halbe Stunde später entdeckte Raza mon in einigen hundert Metern Entfernung eine kleine Oase. Grüne Sträucher und nied riges Gras wuchsen auf einem Fleckchen von zirka fünfzehn Metern Durchmesser. »Dort gibt es Wasser und vielleicht auch besseres Obst als diese sauren Beeren, die wir neulich gegessen haben!« rief er und rannte los. »Warte!« rief Atlan. Razamon blieb stehen und sah sich unwil lig um. »Warum soll ich warten?« Atlan deutete auf Axton, der nur noch stolpernd und taumelnd ging. »Hilf ihm!« sagte er. »Außerdem, sollte es in der Oase Wild geben, hättest du es be stimmt verscheucht.« Razamon nickte schuldbewußt. »Tut mir leid. Ich hätte es selbst wissen sollen.«
Die Todeswüste Er ging zu Axton und lud ihn sich einfach auf die Schulter. Danach folgte er Atlan, der in leichtem Trab und lautlos auf die Oase zu eilte. Als der Arkonide die Oase fast erreicht hatte, prüfte er die Windrichtung. Der leich te Wind kam von links, also bog er nach rechts ab, um die Oase zu umrunden. Er war aber nicht nur des Windes wegen abgebogen, sondern auch, um im Sand rings um die Oase nach Spuren zu suchen. Als er fahrener Jäger, der sehr oft mit primitiven Mitteln hatte jagen müssen, kannte er sich aus. Tatsächlich entdeckte er die Spur eines Lebewesens, das sich hoppelnd vorwärts be wegt hatte und auch ungefähr das Gewicht eines ausgewachsenen Feldhasen haben mußte. Er schlich auf der Spur langsam und völ lig lautlos auf die Oase zu, ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch zwischen den Sträuchern hindurch. Ein Tier, das einer terranischen Eidechse ähnelte, huschte vor ihm davon, verhielt aber schon nach einem Meter und schaute neugierig zu ihm herüber. Dann war Atlan durch die Büsche hin durch und erblickte wenige Meter vor sich einen kleinen Tümpel, der mit trübem Was ser gefüllt war. Und vor dem Tümpel hockte ein Lebewe sen im Gras, das verblüffend einem terrani schen Feldhasen glich. Es knabberte an dem saftigem Gras herum, hielt aber in kurzen Abständen inne, richtete den Oberkörper auf und bewegte die großen, allerdings muschel förmigen Ohren. Der Arkonide nahm mit dem Messer Maß und warf es. Als das Tier abermals den Oberkörper aufrichtete, schlug die Messerklinge in die Brust ein, durchbohrte sie und tötete das Tier augenblicklich. Atlan sprang auf und eilte zu seiner Beu te. Als er das Tier hochhob, kam gerade Raz amon zwischen den Sträuchern hervor, noch immer den Grizzard-Körper Axtons auf der
11 Schulter. »Ha!« brüllte der Pthorer. »Atlan hat ein Häschen erlegt, Lebo! Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen!« »Wasser!« flüsterte Axton. Auch Atlan dachte im Augenblick noch nicht an Essen, sondern wandte sich dem Tümpel zu. Er dachte nicht lange darüber nach, ob das Wasser keimfrei war. Er kniete am Rand des Tümpels nieder, wischte mit dem Handrücken lediglich die Schicht staubfeinen Sandes weg, die auf der Ober fläche lag, dann beugte er sich vor und schlürfte das lauwarme und doch lebenspen dende Naß. Als sie alle fürs erste genug getrunken hatten, dachten sie darüber nach, ob sie nach Brennmaterial suchen sollten, um den »Hasen« zu braten. Sie verzichteten darauf, denn es gab kein trockenes Holz in der Oase. Atlan zog dem Tier das Fell ab, weidete es aus und zerschnitt das noch dampfende Fleisch in Stücke, die er in drei gleichgroße Haufen aufteilte. Die Leber hackte er mit dem Messer so an, daß leicht mundgerechte Stücke abgebissen werden konnten, dann reichte er sie Lebo Axton. Er brauchte diese Stärkung am nötigsten. Lunge und Herz gab er Razamon, da der Pthorer mehr Nahrung benötigte als ein Mensch oder ein Arkonide. Eine Stunde später hatten sie auch den letzten Fetzen Fleisch von den Knochen ge nagt und waren, wenn auch noch nicht ge sättigt, doch zufrieden darüber, daß sie ver nünftige Nahrung und ausreichend Wasser hatten. »Ich denke, wir sollten die Nacht über hier bleiben«, meinte Lebo Axton. »Die Ru he wird uns guttun.« Atlan und Razamon verständigten, sich mit Blicken. Beide wußten, daß vor allem Lebo eine längere Rast dringend benötigte und daß seine Überlebenschancen stiegen, wenn er am nächsten Morgen noch einmal ausreichend Wasser trinken konnte. Jetzt wäre es sinnlos gewesen, da ihre Körper kei nen Millimeter Wasser mehr speichern
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konnten, als sie bereits aufgenommen hat ten. »Einverstanden«, erwiderte der Arkonide. »Ich übernehme die erste Wache für zwei Stunden, dann kommt Razamon dran und dann Lebo – und dann noch einmal von vorn.« Er hätte Lebo Axton ausgelassen, wenn er nicht gewußt hätte, daß der alte Sin clair Marout Kennon das niemals zulassen würde.
* In dieser Nacht kühlte die Luft nur wenig ab. Die Sterne schimmerten durch lange dünne Wolkenstreifen hindurch. In der Wü ste außerhalb der Oase heulten, keckerten und schrien unbekannte Tiere. Atlan wußte, daß er nicht einschlafen würde, auch wenn er sich nach seiner ersten Wache hinlegte. Deshalb bat er Razamon und Lebo Axton, ihn die ganze Nacht hin durch wachen zu lassen. Doch beide prote stierten entrüstet dagegen. Als der Morgen anbrach, hockte der Ar konide auf dem Boden. Er hatte keine Se kunde geschlafen, dennoch fühlte er sich ei nigermaßen frisch. Sein Zellaktivator wirkte jeder physischen Erschöpfung entgegen – wenn sie nicht zu stark wurde. Nur zur Ent lastung von psychischer Erschöpfung benö tigte er hin und wieder einige Stunden Schlaf. Er stand auf und durchstreifte die Oase nach eßbaren Früchten. Tatsächlich fand er an einem Strauch zahlreiche kirschenartige Früchte. Sie fühlten sich weich und reif an und rochen süßlich. Doch da die Vögel, die es in der Oase gab, sich von diesen Früchten fernhielten, waren sie möglicherweise giftig. Wenig später aber entdeckte Atlan mehre re niedrige Pflanzen und neben ihnen Lö cher, die von Tieren gewühlt worden sein mußten. Er grub mit den Händen nach und fand mehrere dicke gelbe Speicherwurzeln. Als er ein Stück von einer Wurzel abbiß und kaute, schmeckte sie ihm wie Süßkartoffel. Er grub mehrere Hände voll aus und kehr-
te zu seinen Gefährten zurück, die sich über den Fund freuten und sich hungrig darüber hermachten. »Ich grabe nachher noch mehr davon aus«, sagte Razamon kauend. »Wir können sie als Vorrat mitnehmen, denn wer weiß, wann wir die nächste Oase finden?« Von oben erscholl mehrstimmiges lautes Pfeifen. Die drei Männer blickten hoch und sahen einen riesigen Schwarm großer fremd artiger Vögel nach Norden ziehen. »Merkwürdig!« sagte Lebo Axton. »Es könnte etwas bedeuten«, meinte Raz amon nachdenklich. »Aber das ist eine frem de Welt, und die Verhaltensweisen der Tiere werden von unbekannten Bedingungen be stimmt – trotz vieler Ähnlichkeiten mit Pthor. Es wäre sinnlos, Rückschlüsse ziehen zu wollen.« Atlan sagte nichts dazu, aber auch er war nachdenklich geworden. Nachdem sie die von Razamon geernteten »Süßkartoffeln« in den wenigen heilen Ta schen ihrer Kleidung verstaut und noch ein mal reichlich getrunken hatten, brachen sie auf. Die Hitze war noch stärker als am Vor tag, und sogar die zahlreichen eidechsenähn lichen Kleintiere verkrochen sich in Boden höhlen. Anfangs kamen sie recht gut voran, denn sie waren ausgeruht und gesättigt. Doch vor allem Lebo Axtons Kräfte ließen rasch nach, und auch Atlan und Razamon litten unter der stehenden heißen Luft. Atlan blieb stehen und sah sich prüfend um. »Ich würde mich nicht wundern. wenn es ein Unwetter gäbe«, meinte er. »Wir haben in den letzten drei Stunden zahlreiche Vögel nach Norden fliegen sehen, aber jetzt sehe ich keine mehr. Alle Bodentiere scheinen sich verkrochen zu haben. Ich wollte, es gä be in der Nähe ein paar Felsklippen, hinter denen wir Schutz suchen könnten.« Auch seine Gefährten waren stehengeblie ben und musterten die Landschaft. Doch ringsum war die Wüste brettflach und ohne Bäume oder Felsbrocken. Nur einige mehr
Die Todeswüste oder weniger große Hügel ragten aus der Ebene empor. »Wir bekommen einen Sandsturm!« sagte Razamon plötzlich tonlos. Er deutete nach Süden. Über den Horizont im Süden schoben sich dunkle Wolken. Während die Männer zusa hen, stiegen sie erschreckend rasch höher, bis sie sich vor die Sonne schoben und die Wüste verdunkelten. »Das gibt einen Sandsturm, der sich ge waschen hat«, meinte Atlan ernst. »Ohne Deckung haben wir keine Überlebenschan ce, fürchte ich.« »Das könnte die Erklärung für die Häu fung von Skeletten an einer bestimmten Strecke der Straße sein«, erwiderte Razamon düster. »Es handelte sich einfach um eine Karawane, die vom Sandsturm überrascht und zugeweht wurde.« »Warum sagst du nichts, Lebo?« wandte sich Razamon an Axton. »Du stehst nur da und starrst Löcher in die Luft.« »Ich überlege nur, ob ich vorhin etwas ge sehen habe, das ein Rundzelt gewesen sein könnte – oder auch nur die Überreste eines Rundzelts«, erwiderte Axton. »Welche Richtung?« fragte Atlan. Axton deutete nach Osten. »Ein Zelt könnte die Rettung für uns be deuten«, erklärte er. »Ich bin jedenfalls si cher, daß ich einen starken Sandsturm im Freien nicht überleben werde. Deshalb gehe ich und suche nach dem Zelt.« Er verließ die Karawanenstraße und war kurz darauf nur noch schattenhaft zu sehen, wie er schnell durch die Wüste trabte. »Und wenn du nur einen kleinen Hügel gesehen hast?« rief Atlan ihm nach. »Dann sterbe ich eben dort anstatt hier!« rief Axton zurück. »Wir dürfen ihn nicht allein lassen«, sagte der Arkonide zu Razamon. »Dann wäre er auf jeden Fall verloren.« Er setzte sich in Bewegung und eilte Lebo Axton nach. Razamon zuckte die Schultern und folgte ihm. Sie holten Axton ein, als ein schrilles
13 Heulen erscholl, das lauter und lauter wurde. »Es geht los!« schrie Razamon und riß Axton mit sich zu Boden. Atlan warf sich ebenfalls hin und barg das Gesicht zwischen den Armen. Im nächsten Augenblick prallte die Wand hochgerissenen und auf mindestens hundert Stundenkilometer beschleunigten Sandes ge gen sie, stach wie mit Millionen scharfer Nadeln auf sie ein und zerrte an ihrer Klei dung. Es wurde stockdunkel. Atlan spürte, wie der angewehte Sand an seiner rechten Körperseite hochkroch, wie der fortgeweht wurde und abermals stieg und wie auch an seiner linken Seite ein Sandwall emporwuchs. Der Sand war so fein, daß er trotz zusammengepreßter Lippen den Mund füllte, in die Nase kroch und die Ohren verstopfte. Bald hörte der Arkonide nur noch ein anund abschwellendes Rauschen. Aber er wuß te nicht, ob das von seinen versandeten Oh ren kam oder ob es der Vorbote des Er stickungstodes war, der unweigerlich eintre ten mußte, wenn der Sturm noch länger an hielt.
* Als er wieder zu sich kam und sich aus dem Sandhügel wühlte, der ihn begraben hatte, konnte er es kaum fassen, daß er noch lebte. Doch dann sah er im Südwesten einen blutroten Schimmer, der eine trübe Hellig keit schuf, und wußte, daß er noch lebte, weil der Sandsturm rechtzeitig abgeflaut war. Zwar wirbelte noch immer Sand durch die Luft, aber er war nicht so dicht, daß er jemanden verschütten konnte. Die Frage war nur, ob das das Ende des Sturmes ankündigte oder ob der Sandsturm gewissermaßen nur den Atem anhielt, um dann um so wütender zu blasen. Dicht neben ihm wölbte sich ein Sandhü gel auf, dann kam Razamon zum Vorschein. Der Pthorer wühlte sich vollends aus dem Sand, würgte, hustete und schneuzte sich,
14 dann versuchte er, seine Ohren zu reinigen. Atlan blickte sich suchend um. Ein ge hetzter Ausdruck trat in seine Augen, als er nichts von Lebo Axton bemerkte. Er ließ sich neben Razamon fallen und wühlte mit den Händen wie irr im Sand. »Was suchst du?« fragte Razamon mit krächzender Stimme. »Lebo!« gab Atlan gereizt zurück. »Er hat doch neben dir gelegen!« »Oh!« sagte Razamon. Er ließ sich nieder und durchwühlte neben dem Arkoniden den feinen Sand. Nach einigen Minuten hatten die beiden Männer noch immer keine Spur ihres Ge fährten entdeckt. Sie richteten sich auf. »Er muß während des Sturmes weiterge krochen sein«, stellte Razamon fest. »Verrückt!« kommentierte Atlan und schaute nach Osten. »Wahrscheinlich hat er das Zelt gesucht, das er gesehen haben will. Aber während des Sturmes kann er doch die Richtung nicht festgestellt haben.« »Dann ist er verloren«, meinte Razamon. »Wir müssen ihn suchen«, erklärte Atlan. Besorgt musterte er eine von Süden heran ziehende neue Sturmfront, deren Sandwol ken sich rasend schnell auftürmten. »Viel Zeit haben wir nicht.« Er zögerte nicht länger, sondern lief in Richtung Osten. Es wurde allerdings mehr ein Waten als ein Laufen, denn der frisch angewehte Sand lag so locker, daß Atlan und Razamon oftmals bis an die Knie ein sanken. Wenn die von Süden nach Norden ziehen den Staubschleier für wenige Augenblicke abrissen, glaubte Atlan, weiter im Osten eine buckelartige Erhebung zu sehen. Doch er war nicht sicher, ob diese Wahrnehmung nicht nur auf Einbildung beruhte. Die Staubschleier wurden bereits dichter, als der Arkonide über ein Hindernis stolper te und hinfiel. Sekundenlang blieb er schweratmend liegen, dann wälzte er sich herum und musterte das Hindernis aus der Nähe. Es bewegte sich, wenn auch nur ganz
H. G. Ewers langsam, und Atlan sah, daß es sich um Le bo Axton handelte. Er hob den Arm. Kurz darauf ließ sich Razamon neben ihm fallen. Der Pthorer at mete pfeifend, aber er rappelte sich bald wieder auf, kroch zu Axton und gab Atlan durch Handzeichen zu verstehen, daß er ihm helfen solle, Axton aufzurichten. Schweigend hievten die beiden Männer Axton hoch, legten sich seine Arme über die Schultern, hielten sie an den Handgelenken fest und verschränkten die Hände ihrer noch freien Arme unter den Oberschenkeln ihres Gefährten. Als sie in Richtung Osten weitergingen, sahen sie sich einen Augenblick lang an. Sie wurden sich bewußt, daß sie beide etwas im Osten gesehen hatten, aber sie besaßen nicht mehr die Kraft, um darüber zu reden. Schritt für Schritt kämpften sie sich wei ter, blieben stehen, wenn ihre Lungen und Herzen die Belastung nicht mehr ertrugen, rangen verzweifelt um Luft und setzten dann verbissen ihren Weg fort. Sie wußten nicht, wie lange sie so gegan gen waren, als die Staubschleier abrissen und sich eine fahlgelbe Helligkeit über sie und die Landschaft legte. Sie sahen nur, daß kaum zehn Meter vor ihnen ein sandverkru steter Felshügel aus der Wüste ragte, an des sen unterem Rand dunkle Flecken zu sehen waren. Wieder sahen sie sich an, ohne ein Wort zu sagen. Aber sie dachten beide das glei che. Diese dunklen Flecken konnten Höhlun gen sein, vielleicht nur Nischen im Fels, aber möglicherweise tief genug, um darin et was Schutz vor der nächsten Sturmwelle zu finden. Als sie sich wieder in Bewegung setzten, brach abermals das Inferno los. Sie wurden zu Boden geschleudert, und staubfeiner Sand fiel mit gellendem Pfeifen und Krei schen über sie her. Aber diesmal wußten sie, daß nur wenige Meter vor ihnen relative Sicherheit winkte. Atlan und Razamon tasteten über den Griz
Die Todeswüste zard-Körper Lebo Axton hinweg und ver ständigten sich mit einem Händedruck. Zentimeter um Zentimeter schoben und wühlten sie sich danach weiter, zogen den Gefährten ruckweise mit sich, obwohl das beinahe ihre Kräfte überstieg. Und Lebo Ax ton verstärkte die eigenen Anstrengungen und half mit, so gut er konnte. Sie wurden von wahren Sandfluten über schüttet, vom schrillen Heulen und gellen den Pfeifen des Sturmes fast völlig betäubt und glaubten kaum noch an eine Errettung aus dieser Hölle. Aber sie ließen nicht nach. Obwohl sie nicht mehr klar zu denken ver mochten, riß ihr Überlebenswille sie weiter und ließ sie roboterhaft Bewegungen aus führen, deren sie sich nicht mehr bewußt waren. Und irgendwann stießen sie gegen ein vor ihnen aufragendes Hindernis. Sie tasteten umher, erfühlten die Öffnung einer Höhle oder Nische und versuchten, hineinzukriechen. Schließlich aber merkten sie, daß die Höhlung zu klein für sie alle drei war. So schoben sie Lebo Axton mit dem Kopf voran hinein, zwängten auch seine Beine nach, so daß er sich in zusammengepreßter Haltung in der Höhlung befand, dann trenn ten sie sich. Atlan kroch nach links, Raza mon nach rechts. Endlich konnte sich auch der Arkonide in eine Höhlung zwängen. Zusammengekauert, mit dem Kopf zwischen den Knien, war er einigermaßen vor dem Sandsturm geschützt, denn der hintere Teil seines Körpers ver schloß die Höhlung gleich einem Pfropfen. Mühsam atmend, erholte der Arkonide sich etwas, nicht zuletzt dank seines Zellak tivators, dessen heftiges Pulsieren ihm ver riet, wie nahe er dem Tode gewesen war. Er fragte sich, wie lange er in der Höh lung aushalten konnte, ohne zu ersticken oder von einem Krampf gezwungen zu wer den, seine verkrümmte Haltung aufzugeben und damit dem Sturm wieder Zugang zur Höhlung zu gewähren. Doch seine Erschöpfung war stärker als
15 alle Furcht vor dem Tode. Atlan merkte nicht einmal, daß er einschlief …
3. Als Atlan erwachte, war es dunkel – und unheimlich still. Vorsichtig! mahnte sein Extrasinn, als er sich bewegte. Wieso vorsichtig? dachte Atlan unwillig. Der Sturm ist doch vorbei! Dennoch bewegte er sich vorsichtiger, lockerte seine verkrampfte Haltung, spie Sand aus und drehte sich langsam um, bis sein Gesicht nach außen zeigte. Mit entzündeten, tränenden Augen ver suchte er etwas von der Umgebung zu er kennen. Der Durst plagte ihn, denn die über menschlichen Anstrengungen hatten ihn viel Körperflüssigkeit gekostet. Seine Zunge war geschwollen und so trocken wie ein Stück Filz. Bei jedem Schlucken fuhr ein heftiges Stechen durch seine Kehle. Und er fror, denn der Nachtwind schickte Tausende und aber Tausende eisiger Nadeln durch seine Kleidung. Plötzlich gab es einen harten Ruck. Beinahe wäre Atlan aus der Höhlung ge fallen. Im letzten Augenblick konnte er sich herumwerfen und sich mit den Fingern im rissigen Fels festkrallen. Ein Beben! Wieder lief eine heftige Erschütterung durch den Felshügel. Im matten Schein der Sterne sah Atlan am Fuß des Hügels, dicht unterhalb seines Standorts, kleine Sandwol ken aufwirbeln. Dann setzte sich der Hügel mit kurzen Rucken in Bewegung. Atlan verlor den Halt, stürzte und fiel in weichen Sand. Er rollte sich zur Seite und spähte hinauf – und da merkte er, daß der Hügel kein Hügel, son dern ein großes Tier war, das sich schwerfäl lig wie eine terranische Schildkröte durch den Sand bewegte. Die Füße wirbelten bei jeder Bewegung kleine Sandwolken auf. Atlan sprang auf die Füße – und im näch sten Augenblick sah er in Lebo Axtons Ge
16 sicht. Axton hockte halb zusammengerollt in seiner Höhlung, so daß die Füße und der Kopf sich fast berührten, krallte sich an Vor sprüngen fest und hatte das scharfgeschnittene Grizzard-Gesicht mit dem indianischen Profil nach außen gedreht. Er schien noch nicht klar denken zu kön nen, denn die braunen Augen starrten ver ständnislos auf den Vorgang, daß der Arko nide an ihm vorbeiglitt, ohne die Beine zu bewegen. Atlan hatte sich inzwischen von seiner Überraschung erholt. Er entdeckte rechts ne ben Axton mehrere Klüfte im Panzer des riesigen Tieres, nahm Maß und sprang. Sei ne Finger krallten sich fest, und als auch sei ne Füße Halt gefunden hatten, entspannte er sich wieder. »Was … was ist …?« stammelte Axton. »Wir müssen auf einer Art Riesenschild kröte reiten!« rief Razamon von rechts und streckte seinen Kopf aus »seiner« Höhlung. »Richtig«, erwiderte Atlan. »Das, was wir für einen Felshügel hielten, ist nichts weiter als ein riesiges Tier – und unsere Höhlungen sind nur Vertiefungen im unteren Rand des Panzers.« Auf Lebo Axtons Gesicht zeichnete sich Erschrecken ab, machte aber schnell einer gewissen Heiterkeit Platz. »Das ist ein Ding!« rief er. »Wir spielen also so etwas wie Anhalter!« »Hoffentlich frißt die Schildkröte nur Pflanzen«, meinte Razamon. »Ich denke schon«, sagte Atlan. »Sie be wegt sich zu träge, um anderen Tieren nach stellen zu können. Dennoch kann sie uns tö ten, zum Beispiel, wenn wir unter ihre Beine geraten. Immerhin ist sie schätzungsweise fünf Meter hoch, zwanzig Meter lang und wahrscheinlich zehn Meter breit. Ich habe ganz kurz einen Fuß von Mathilda gesehen. Er war so groß wie ein zweisitziger Prall feldgleiter.« »Mathilda!« rief Razamon und lachte lei se. »Daß ihr Terraner allen Dingen immer Namen geben müßt! Oh, Verzeihung, du bist
H. G. Ewers ja kein Terraner!« »In gewisser Weise doch«, erklärte der Arkonide. »Jedenfalls müssen wir dank Mat hilda nicht mehr zu Fuß durch den Sand stapfen. Wir können es uns bequem machen und uns zur nächsten Oase tragen lassen, denn es erscheint mir logisch, daß ein so großes Tier große Mengen Pflanzen fressen muß – und die gibt es nur in Oasen.« »Bequem«, wiederholte Lebo Axton. »Hast du es bequem, Atlan? Ich jedenfalls nicht.« Atlan spähte nach oben. Es war nicht hell genug, um alle Einzel heiten des Panzers zu erkennen, aber an dem, was er sah, durfte er darauf schließen, auch weiter oben tiefe Schrunden vorzufin den, die ihm als Kletterhilfen dienen konn ten. »Ich steige hinauf«, erklärte er. »Wenn es oben bequemer ist als hier unten, rufe ich euch.« Er kam zügig voran und befand sich we nige Minuten später auf dem Gipfelpunkt des Panzers. Hier gab es kaum noch Schrun den, sondern viele große buckelartige Erhe bungen, zwischen denen Platz genug für zwanzig Männer war. »Hört ihr mich?« rief Atlan – und als die Gefährten bestätigten, rief er: »Kommt her auf! Hier können wir es uns gemütlich ma chen!« Axton und Razamon waren kaum oben, da ging die Sonne auf. Die drei Männer stellten sich jeder auf eine buckelartige Er hebung und sahen sich um. Im Licht der Sonne lag die Wüste ruhig und friedlich da, als hätte es nie einen verheerenden Sand sturm gegeben. »Ich sehe nichts von einer Oase«, sagte Axton und leckte sich über die aufgesprun genen Lippen. »Ich vergaß, etwas zu sagen«, erklärte Razamon. »Vorhin hörte ich es deutlich hin ter der Wand meiner Höhlung gluckern, als schwappte Wasser hin und her. Offenbar führt Mathilda ihren eigenen Wasservorrat mit sich. Sie ist also nicht darauf angewie
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sen, schnell eine Oase zu erreichen, um dort zu trinken.« »Aber sie wird Nahrung brauchen«, warf Atlan ein, um Lebo Axton aufzumuntern. »Wir übrigens auch, und unsere ›Süßkartoffeln‹ enthalten ja auch Wasser.« Sie suchten in den Taschen ihrer Kleidung nach den Wurzeln, die sie aus der Oase mit genommen hatten. Aber sie hatten die mei sten während des Sandsturms verloren und fanden nur noch zwei, die sie sich brüderlich teilten. »Wenigstens habe ich mein Messer noch«, meinte Atlan und schlug gegen das Wurfmesser, das er mit einem von seiner Jacke gerissenen Stoffstreifen an seiner Hüf te festgebunden hatte. »Vielleicht sehen wir wieder einen ›Hasen‹ oder wenigstens eine größere Eidechse.« »Ich sehe schon etwas«, sagte Razamon und deutete nach oben. »Aber es sieht nicht nach jagdbarem Wild aus, sondern eher nach dem Gegenteil.«
* »Ein Delta-Drachen!« entfuhr es Atlan. »Das Gerät sieht sogar fast genauso aus wie die Drachen, die ich auf Terra sehr oft beob achtet habe!« »Aber was da am Steuerbügel hängt, ist bestimmt kein Terraner«, sagte Razamon. »Es hatte zwei Arme, aber keine Beine, sondern einen Echsenschwanz«, meinte Ax ton. »Außerdem wiegt es garantiert viel we niger als ein Mensch. Und der Kopf! Eine Mischung der Köpfe von Windhunden, Kat zen, Greifvögeln und Schlangen!« »Ich frage mich, von wo aus das Gerät ge startet ist«, überlegte der Arkonide laut. »Ein Delta-Drachen kann ja nicht vom Bo den aus starten. Er kann auch ohne Aufwin de nicht steigen, und so früh am Morgen gibt es noch kaum Aufwinde über der Wü ste. Von sehr weit kann er also nicht gekom men sein – und er wird auch nicht weit kom men.« Er beobachtete den Drachen, der sich mit
zirka dreißig Stundenkilometern und in etwa vierhundert Metern Höhe näherte und dabei allmählich an Höhe verlor. Er sah, wie das Wesen, das den Drachen steuerte, den Bügel langsam nach links drückte. Dadurch beschrieb das Gerät eine Kurve nach rechts, schwebte in ungefähr fünfhundert Metern Entfernung an Mathilda vorbei und flog danach eine weite Linkskur ve, die es schräg von hinten wieder an die »Schildkröte« heranbrachte. »Der Bursche hat es auf Mathilda abgese hen«, meinte Razamon. »Entweder aus rei ner Neugier oder, weil sie von ihm und sei nen Artgenossen als Jagdbeute betrachtet wird.« »Falls das Letztere zutrifft, ist der Fremde nur ein Späher, der das Wild sucht und nach der Entdeckung seinen Standort über Funk durchgibt«, sagte Atlan. »In dem Fall hätten wir bald eine Jägergruppe auf dem Hals, was mir nicht gefällt, denn dann wären wir min destens unser Transportmittel los.« »Er kommt näher!« sagte Lebo Axton. »Duckt euch!« Sie duckten sich hinter den Hornbuckeln und beobachteten weiter. Der Drachenflie ger zog am Steuerbügel, wodurch der An stellwinkel des Drachens verkleinert wurde und das Gerät beschleunigte. Gleichzeitig verlor es stärker an Höhe. Atlan sah, wie der seltsame Kopf des We sens hin und her ruckte. Die drei Augen im Gesicht glitzerten, dann hob es einen undefi nierbaren Gegenstand. Etwas schlug zwischen Atlan und Raza mon in den Panzer Mathildas und blieb stecken. Der Drachenflieger drückte den Steuerbü gel, wodurch der Anstellwinkel vergrößert wurde. Die Fluggeschwindigkeit nahm ab, der Drachen stieg kurz an, dann ging er in eine Rechtskurve und glitt gleichmäßig aus. Bevor das Gerät in der Luft stillstand, drück te der Pilot den Bügel so kräftig, daß der Drachen zur stehenden Landung gezwungen wurde. »Einwandfreie Beherrschung des Geräts«,
18 meinte Atlan. »Woher willst du das wissen?« fragte Razamon. »Bist du etwa auch schon mit so einem luftigen Gerät geflogen?« Der Arkonide lächelte. »Notgedrungen. Das war bei meinem Aufenthalt auf Darrhamor, einer terrani schen Kolonie. Gemeinsam mit Siedlern kämpfte ich gegen den Diktator Hanghor Blata, der nach einem Putsch die Schür frechte an die Springer verschleudert hatte. Für unseren entscheidenden Schlag gegen Blata hatten wir uns Delta-Drachen gebaut, um ohne verräterische Energieentwicklung und lautlos in den Innenhof des Regierungs palasts einschweben zu können.« Er sah zu, wie der Pilot, der ungefähr sechshundert Meter von Mathilda entfernt war, zu der »Schildkröte« herüberblickte, sich dann aus dem Gurtzeug löste und sich im Sand ausstreckte. »Er wartet auf seine Freunde«, meinte Razamon. Lebo Axton trat an den Gegenstand heran, der sich zwischen Atlan und Razamon in Mathildas Panzer gebohrt hatte. Es handelte sich um einen zylindrischen Stab von unge fähr dreißig Zentimetern Länge und zwei Zentimetern Durchmesser. »Er ist der Fachmann«, erklärte Atlan, als Razamon dem früheren USO-Spezialisten helfen wollte. Axton lächelte, dann tastete er den Stab ab, drehte an dem oberen Viertel und löste es ab. Danach drehte er an der Stellschraube, die vorher im unteren Teil des Stabes ge steckt hatte. Die Bodenplatte des oberen Teils löste sich. Nachdem Lebo Axton hineingesehen hat te, sagte er: »Ein simpler Peilsender, allerdings mit ei ner durchaus nicht simplen Energiequelle. Sie sieht aus als wäre sie ein kompaktes Stück Gold von vielleicht zwanzig Gramm Gewicht, aber Gold speichert nicht mehr Energie als Blei.« »Zerstören wir den Sender!« sagte Raza mon.
H. G. Ewers Axton schüttelte den Kopf. »Dann wüßten die Jäger, daß etwas schiefgegangen ist, und würden in der Rich tung suchen, in die sich Mathilda zur Zeit bewegt. Wir werfen den Peilsender einfach in den Sand, dann müssen sie annehmen, daß Mathilda stehengeblieben ist.« Atlan nickte. »Einverstanden. Der Drachenflieger hat uns offenbar nicht bemerkt, sonst würde er nicht faul im Sande liegen und sich sonnen, sondern versuchen, sich unbemerkt der ›Schildkröte‹ zu nähern und herauszube kommen, was wir hier wollen.« Lebo Axton wog die Hand mit dem Peil sender, dann holte er aus und warf das Gerät fort. Es fiel etwa dreißig Meter neben Mat hilda in den Sand. Danach setzte er sich auf eine der buckel artigen Erhebungen und sagte: »Hoffentlich beeilt sich Mathilda, sonst wird sie doch noch von den Jägern erwischt, und wir müssen zu Fuß gehen.«
* Mathilda erhörte ihn. Rund fünf Stunden lang »marschierte« sie mit der Geschwindigkeit eines trainierten terranischen Wanderers nach Südwesten. Zum Glück für die drei Männer überzog sich der Himmel sehr bald mit Cirrus- und Cirro stratuswolken, so daß die Sonneneinstrah lung abgeschwächt wurde. Sonst hätten es die Männer nicht lange auf dem Rücken Mathildas ausgehalten. Dennoch machte ihnen der Durst immer stärker zu schaffen. Deshalb gingen sie schließlich dazu über, daß immer nur einer von ihnen die Umgebung beobachtete, wäh rend die beiden anderen ruhten. Gegen Mittag entdeckte Lebo Axton, der gerade Wache hielt, einen weiteren DeltaDrachen, der sich der »Schildkröte« in großer Höhe von Nordosten näherte. »Ein weiterer Scout kommt geflogen!« rief er seinen Gefährten zu. »Anscheinend hat die Jagdgruppe den Peilsender im Sand
Die Todeswüste gefunden und gemerkt, daß ihr jemand ins Handwerk gepfuscht hat.« Atlan und Razamon erwachten aus ihrem Dösen und krochen neben Axton. Vor dem Hintergrund der weißen Wol kenfläche, die zwei Drittel des Himmels be deckte, wirkte der Drachen wie ein Spiel zeuggerät. Er flog in etwa tausend Metern Höhe und näherte sich Mathilda stetig. »Es wäre unsinnig, wenn wir uns vom Pi loten sehen lassen würden«, meinte Raza mon. »Wir könnten ja doch nichts gegen ihn unternehmen. Kriechen wir also in unsere Angsthöhlen zurück!« »Aber vorher ziehen wir den Stab aus dem Panzer!« erwiderte Axton. Er umspannte den Stab mit beiden Hän den und zog daran, gab aber nach einer Mi nute keuchend auf. »Er steckt zu fest.« Danach ging Razamon ans Werk. Er strengte sich an, daß die Adern an den Schläfen deutlich hervortraten. Seine schwarzen Augen funkelten zornig, als er nach einer Minute noch immer erfolglos ge blieben war. Er verdoppelte seine Anstren gungen, und nach einer weiteren Minute glitt der Stab so plötzlich aus Mathildas Pan zer, daß der Pthorer sich rückwärts über schlug. Er rappelte sich wieder auf und musterte den Stab. »Kein Wunder«, sagte er keuchend. »Er hat einen halben Meter tief im Panzer ge steckt.« Wütend wollte er ihn wegwerfen, besann sich aber anders und nahm ihn zwi schen die Zähne, damit er ihn beim Abstei gen nicht behinderte. Lebo Axton folgte dem Pthorer sofort. At lan dagegen wartete noch, bis der DeltaDrachen aus zirka siebenhundert Metern Höhe zu einem steilen Sturzflug überging, dann stieg er ebenfalls ab und kroch in eine der Höhlungen am unteren Rand des Pan zers. Von dort aus spähte er schräg nach oben. Es dauerte nicht lange, dann tauchte der Drachen in seinem Blickfeld auf. Sein Pilot
19 hatte ihn wieder abgefangen und kreiste dicht über Mathilda. Kurz darauf ging der Drachen tiefer, so daß er für Atlan nicht mehr zu sehen war, als er hinter der anderen Seite der »Schildkröte« verschwand. Gespannt wartete der Arkonide darauf, daß der Drachen von der anderen Seite Mathildas wieder auftauchte. Als das nicht geschah, ahnte er, was ge schehen war. Der Drachenpilot hatte einen Aufwind ausgenutzt, um sein Gerät noch einmal hochzuziehen und auf dem Rücken Mathildas zu landen. Zweifellos würde er dort das Loch entdecken, das der Stab in der Panzerung hinterlassen hatte. Ohne zu zögern, kletterte Atlan am Pan zer empor. Sein Kopf tauchte über den obe ren Rand des Panzers, als der Drachenpilot, der sich von seinem Gerät gelöst hatte, gera de das Loch entdeckte. Atlan zog sich ganz hinauf und eilte auf den Fremden zu. Der Pilot bemerkte ihn, als er nur noch zwei Meter weit von ihm ent fernt war. Er schlug heftig mit seinem Ech senschwanz aus und katapultierte sich da durch ein Stück zur Seite, so daß Atlans letzter Sprung ins Leere ging. Im nächsten Augenblick griff der Pilot ihn an. Er schnellte sich auf den Arkoniden zu, rammte ihn an der Hüfte und warf ihn zu Boden. Danach wollte er sich über ihn wer fen. Doch auch Atlan schnellte sich zur Seite, so daß die sehr kräftig aussehenden sechs fingrigen Hände des Wesens ihn verfehlten. Es fiel auf den Oberkörper und schnellte sich gleich wieder hoch. Aber Atlan trat ihm von unten gegen den Brustkorb. Der Pilot kippte zur Seite, aber seine Hän de packten zu und hielten Atlans Fuß fest. Mit einem Ruck zog er den Arkoniden zu sich heran und packte mit schmerzhaftem Griff seine Schultern. Atlan wollte sich be freien, aber der Griff der Echsenhände war zu stark. Er stöhnte vor Schmerzen, als die Hände des Piloten ihm die Schultergelenke zusam menpreßten. Mit aller Kraft rollte er zur Sei
20 te und warf den Piloten gegen eine der buckelartigen Erhebungen. Es dröhnte, als der seltsame Schädel gegen den Panzer schlug. Die Hände ließen Atlans Schultern los. Aber im nächsten Moment hatte der Pilot sich wieder erholt. Abermals schnellte er sich auf den Arkoniden zu. Doch Atlan hatte die kurze Pause genutzt und das Wurfmesser ergriffen. Er stach allerdings nicht zu, son dern packte den großvolumigen Griff und hieb ihn seinem Gegner an den Schädel. Dennoch legte das Wesen ihm die Hände um den Hals und drückte zu. Atlan bekam keine Luft mehr. Verzweifelt hieb er wieder und wieder zu, bis der tödliche Griff sich lockerte. Keuchend atmete er. Vor seinen Augen flimmerte es. Erst allmählich vermochte er wieder klar zu sehen und zu denken. Er roll te sich von dem Echsenwesen fort und rich tete sich langsam auf. Plötzlich hörte er schnelle Schritte, dann tauchten Razamon und Axton von links her auf. »Bist du verletzt?« fragte Razamon, hielt neben dem bewußtlosen Piloten an und hob das Messer auf. »Laß ihn leben!« sagte Atlan mühsam. »Mir ist nichts passiert. Ich bin nur fast er drückt und erwürgt worden. Der Bursche hat noch mehr Kraft als du.« »Ich denke, wir fesseln ihn«, sagte Lebo Axton. »Hat er ein Funkgerät bei sich?« »Nein«, sagte Razamon. Atlan wankte zu dem auf dem Rücken Mathildas liegenden Delta-Drachen, drehte die leere steife Liegeschürze des Piloten um und zog ein Gerät von der Größe einer Ziga rettenschachtel aus einer kleinen Außenta sche. »Das dürfte das Funkgerät sein«, meinte er. Ein zweites Gerät lag neben der Schürze, durch einen Gurt mit ihr verbunden. Es han delte sich um eine Art Rohr, etwa siebzig Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter durchmessend, mit fünf Öffnungen an einem
H. G. Ewers Ende, aus denen je ein Stab ragte. »Die Markierungs- und Peilstäbe für die ›Schildkröten‹«, sagte er nachdenklich und musterte die fünf Auslöseknöpfe am hinte ren Rohrdrittel. »Eine gute Waffe außerdem«, erklärte Razamon. »Fesseln wir lieber erst einmal den Pilo ten, sonst entkommt er uns noch!« sagte Le bo Axton. Razamon schnitt sich mit dem Messer Streifen von seiner Jacke; Axton und Atlan taten es ihm nach. Anschließend fesselten sie den Piloten und verschnürten ihn regel recht. Keinen Augenblick zu früh, denn sie wa ren noch nicht ganz fertig, als er wieder zu sich kam und sich wild aufbäumte. »Sei unser Gast!« erklärte Atlan. »Wir können dir zwar weder Speise noch Trank anbieten, aber ein Gespräch unter Männern. Mein Name ist Atlan. Wie heißt du?« Das Echsenwesen starrte ihn aus seinen drei Augen an, sagte jedoch nichts.
4. Gegen Abend marschierte Mathilda in ein flaches Tal, aus dessen Hängen Steinklippen ragten. Atlan, der gerade Wache hatte, legte die Hand über die Augen, um nicht von den Strahlen der tiefstehenden Sonne geblendet zu werden, und hielt Ausschau nach einer Oase. Doch er konnte nichts dergleichen ent decken. Das beunruhigte ihn, denn Lebo Ax ton, dessen Grizzard-Körper noch immer von der schweren Erkrankung geschwächt war, die erst in der Ruinenstadt Tirn zum Stillstand gebracht worden war, litt schwer unter dem Durst und halluzinierte von Zeit zu Zeit. Aber der Arkonide konnte nichts tun. Mathilda war zu fremdartig, als daß er auch nur daran gedacht hätte, sie vielleicht zu be einflussen. Plötzlich änderte die »Schildkröte« ihren
Die Todeswüste Kurs und marschierte zur rechten Hangseite des Tales. Atlan spähte hinüber und sah, daß zwischen den Klippen ganze Nester von kakteenähnlichen Pflanzen wuchsen. Mit ei nem Ruck hielt Mathilda beim ersten Pflan zennest an. Kurz darauf vernahm Atlan ein lautes Grummeln und Schmatzen. Mathilda fraß. Razamon, der von dem Ruck, mit dem Mathilda angehalten hatte, aufgeschreckt worden war, sprang auf und stellte sich ne ben Atlan. »Sie frißt Kakteen«, erklärte der Arkoni de. »Ich schlage vor, daß ich hinabsteige und nachschaue, ob die Kakteen sich auch für uns als Nahrung eignen. Zumindest soll ten sie Wasser enthalten.« Razamon nickte. Atlan turnte zum Rand von Mathildas Rücken, dann stieg er an der Seitenwand hinunter und lief zur nächsten Kakteenan sammlung. Dabei sah er zum erstenmal Mathildas Kopf. Verblüfft stellte er fest, daß der Kopf der »Schildkröte« dem eines terranischen Hai fischs sehr ähnlich sah, nur daß er ungefähr fünfmal so groß war wie der Kopf eines Weißen Haies. Scharfe Mahlzähne an der Unterseite des Kopfes weideten die kakteen ähnlichen Pflanzen mit großer Geschwindig keit ab. Das rechte Auge Mathildas richtete sich kurz auf den Arkoniden, dann schaute es desinteressiert wieder fort. Vorsichtshalber schlug Atlan einen großen Bogen um Mathildas Kopf und wandte sich dem zweiten Kakteennest zu. Natürlich handelte es sich nicht wirklich um Kakteen, sondern um Pflanzen mit halb kugelförmigen Blättern, die rosettenförmig rund um einen speerähnlichen weißen Stamm auf dem Boden angeordnet waren. Aber ihre lederartige »Haut« verriet, daß sie sich ähnlich wie terranische Sukkulenten ge gen Feuchtigkeitsverlust effizient schützten und in den dicken Blättern wahrscheinlich Wasser speicherten. Atlan hatte auf zahlreichen Planeten er
21 lebt, daß Pflanzen sich oft auch gegen ihre Feinde wirksam zu schützen verstanden, deshalb warf er zuerst kleine Steine auf den Stamm und die Blätter der nächsten Pflanze, bevor er es wagte, dicht heranzugehen. Mit dem Messer stach der Arkonide in das nächste Halbkugelblatt. Er mußte dabei einige Kraft aufwenden, denn die Haut er wies sich als zäh und dick. Aus dem Schnitt quollen ein paar Tropfen einer hellgelben Flüssigkeit. Atlan kniete neben dem Blatt nieder und schnitt es kurzerhand mitten durch. Das In nere glich verblüffend dem Innern einer ter ranischen Wassermelone. Sogar Samen wa ren vorhanden, wenn auch keine Kerne, son dern schwarze eiförmige Gebilde von Wach teleiergröße. Atlan höhlte mit dem Messer eine Hälfte des Kugelblatts aus und kostete den Inhalt. Er war saftig und enthielt mehr Flüssigkeit, als es den Anschein gehabt hatte. Süß schmeckte er allerdings nicht, sondern halb nach Mohrrübe, halb nach Zitrone. Außer dem kratzte er etwas im Hals. Dennoch aß Atlan auch den Inhalt der zweiten Kugelblatthälfte und stellte danach fest, daß sein Durst gestillt war. Er wartete aber noch, bevor er einige Blätter für seine Gefährten erntete, denn bei unbekannten Pflanzen einer fremden Welt konnte man nie sicher sein, ob der Körper sie auch vertrug oder ob er etwa durch sie vergiftet wurde. Ihm hätte das Gift seines Zellaktivators we gen nicht viel geschadet, wohl aber seinen Gefährten. Als sich aber nach einer Viertelstunde keine Anzeichen einer Vergiftung oder Un verträglichkeit einstellten, erntete Atlan fünf Blätter, stopfte sie sich unter das Hemd und kehrte zurück. Auf Mathilda angekommen, schnitt er vier Früchte durch und höhlte sie aus. Raza mon stopfte sich etwas von dem »Fruchtfleisch« in den Mund, machte ein verzücktes Gesicht und schickte sich an, Le bo Axton mit dem Kakteenfleisch zu füttern. Atlan ging zu dem Gefangenen und bot
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ihm ebenfalls etwas von dem Kakteenfleisch an. Doch der drehte den Kopf zur Seite. »Es löscht den Durst«, sagte der Arkonide eindringlich in der auf Dorkh gesprochenen Sprache. Aber der Pilot reagierte nicht dar auf. »Wahrscheinlich ernährt er sich nur von Fleisch«, meinte Razamon, der herangekom men war. »Aber diese Wesen müssen doch auch trinken bei der Hitze, die tagsüber in der Wüste herrscht«, erwiderte Atlan. Razamon deutete nach unten. »Deshalb jagen sie wahrscheinlich – unter anderem – diese Tiere, die ja einen reichli chen Wasservorrat mitführen. Aber ich bin sicher, daß sie in der größten Not auch die Flüssigkeit von Kakteen trinken. Wenn un ser Freund sie nicht mag, beweist das nur, daß er noch nicht durstig genug ist.« Da Axton sich nach dem Genuß des Kak teenfleischs inzwischen erholt hatte, stiegen Razamon und Atlan hinunter und ernteten eine größere Menge der halbkugelförmigen Blätter. Mathilda äste unterdessen das sech ste Kakteennest ab. Nach Einbruch der Dunkelheit machten es sich die drei Männer auf dem Rücken Mat hildas so gemütlich wie möglich. Kurz dar auf stellte die »Schildkröte« ihre Nahrungs aufnahme ein. Wahrscheinlich schlief sie. Der Himmel war inzwischen wolkenlos geworden. Als die Sterne der Schwarzen Galaxis von ihm herab leuchteten, fing der Gefangene an zu singen. Jedenfalls deuteten At-lan und seine Gefährten die dumpfen ge tragenen Töne so, die er von sich gab. Sie regelten noch die Nachtwache, und Razamon bekam die erste zugeteilt. Atlan sah den Pthorer noch als dunkle Silhouette gegen den Sternenhimmel auf einem Rückenbuckel stehen, dann überwältigte ihn der Schlaf.
* Mitten in der Nacht schrak er hoch.
Er hatte ein Geräusch gehört, und als er
sich aufrichtete, sah er das Echsenwesen mit seinem Delta-Drachen starten. Gleich einem gigantischen urweltlichen Vogel schwebte das Gerät leise rauschend in die Nacht. Atlan sprang auf und sah sich nach Raza mon um. Der Pthorer war nicht bewußtlos, wie er vermutet hatte, sondern wankte schlafwand lerisch über Mathildas Rücken, ein Messer in der rechten Hand. Atlan griff nach der Stelle, an der er sein Messer aufbewahrte. Es war verschwunden. Also hielt Razamon sein Messer in der Hand – und es schien ganz so, als hätte er damit die Fesseln des Echsenwesens zerschnitten. »Razamon!« rief Atlan. Doch der Pthorer reagierte nicht. Atlan lief zu ihm und sah, daß Razamons Augen starr geradeaus blickten. Er befand sich in Trance. Atlan vermutete, daß der Pi lot ihn hypnotisiert hatte. Er nahm ihm das Messer weg und ver staute es an seinem Platz. Danach stellte er ihm ein Bein, denn Razamon war im Be griff, zum Rand des Rückenpanzers zu ge hen und in die Tiefe zu stürzen. Als der Pthorer stolperte, fing Atlan ihn auf und leg te ihn behutsam hin. Razamon leistete kei nen Widerstand. Der Arkonide wandte alle Tricks an, mit denen sich Hypnotisierte aus ihrem Zustand manchmal reißen lassen. Vergeblich. Er kehrte zu Lebo Axton zurück, um ihn zu wecken und um Hilfe zu bitten. Als ehe maliger Star-Spezialist der USO kannte Ax ton alias Sinclair Marout Kennon ebenfalls zahlreiche Methoden, jemanden aus einer starken Hypnose zu befreien. Aber Axton schlief so fest, daß Atlan ihn nicht aufwecken konnte, obwohl er ihn hef tig schüttelte und ohrfeigte. Da keimte in Atlan der Verdacht auf, daß nicht der Pilot Razamon in Hypnose versetzt hatte, sondern nur seinen Zustand ausgenützt hatte, um ihm zu suggerieren, ihn zu befrei en. Im gleichen Zustand mußten sich auch Axton und er selbst befunden haben – und er
Die Todeswüste war anscheinend nur deshalb früher daraus erwacht, weil sein Zellaktivator das neutrali siert hatte, das diesen Zustand verursachte. Das konnte nach allen Erfahrungen aber nur ein Gift gewesen sein, und es gab nur ei ne Möglichkeit, wie das Gift in seinen Kör per gelangt war: durch die Aufnahme des Kakteenfleischs. Es enthielt anscheinend ein Alkaloid, das diejenigen Lebewesen, die eine ausreichen de Menge davon aufnahmen, in einen hyp noseartigen tiefen Schlaf versetzte. Er schien keine nachteiligen Nebenwirkungen zu hin terlassen, sonst hätte Mathilda nicht von den Kakteen gefressen. Aber der Pilot des Drachens hatte natür lich Bescheid gewußt. Deshalb war er nicht zu bewegen gewesen, von dem Kakteen fleisch zu essen. Er hatte gewartet, bis seine Gegner schliefen und dann seine Chance ausgenutzt. Atlan schüttelte lächelnd den Kopf. Er respektierte die kaltblütige und über legte Handlungsweise des Echsenwesens, mehr noch aber die Tatsache, daß es die Hilflosigkeit seiner Gegner nicht dazu aus genutzt hatte, sie zu töten. Es war lediglich geflohen. Der Arkonide setzte sich auf einen Rückenbuckel Mathildas und blickte in die vom Sternenschein schwach erhellte Wüste. Er verzichtete darauf, nach dem Echsenwe sen zu suchen, obwohl es in der kühlen Nachtluft mit seinem Drachen nicht weit ge kommen sein konnte. Es mußte im Umkreis von hundert Metern gelandet sein. Doch es hatte Zeit genug gehabt, seine Artgenossen über Funk zu verständigen, so daß es sinnlos gewesen wäre, es wieder einzufangen. Und für seine Gefährten konnte er nicht mehr tun, als ihren Schlaf zu bewachen und darauf zu warten, daß sie aufwachten, wenn die Wirkung des Giftes abgeklungen war – was übrigens in gleichem Maß für Mathilda galt. So hatte Atlan Zeit, darüber nachzuden ken, warum der Neffe Duuhl Larx ihn und seine Gefährten auf Dorkh ausgesetzt haben
23 könnte. Er hatte ihnen zwar mit Hilfe einer Nachrichtenkapsel mitgeteilt, daß er erwar tete, sie würden Dorkh für ihn gewinnen. Aber Atlan vermochte sich nicht vorzustel len, wie drei Männer mit bloßen Händen be ziehungsweise mit nur einem Messer eine von unheimlichem Leben wimmelnde Welt gewinnen könnten. Er hatte noch keine Antwort auf die Frage gefunden, als der Himmel im Osten sich röt lich färbte und seine Gefährten sich regten …
* Nachdem er Razamon und Axton erklärt hatte, was es mit dem Saft der Kakteen auf sich hatte und weshalb der Pilot fliehen konnte, blickten sie sich mit gemischten Ge fühlen an. Razamon warf einen Blick auf den Vorrat an Halbkugelblättern, den er und Atlan am Vortage geerntet hatten. »Da haben wir also Wasser und Nahrung und dürfen nichts davon verwenden«, stellte er mit Bitterkeit fest. »Mathilda verwendet es auch, aber nur abends«, erwiderte Atlan, als er an einigen heftigen Erschütterungen spürte, daß die »Schildkröte« sich wieder in Bewegung setzte. »Seht ihr, sie frißt jetzt nicht! Aber wenn sie abends wieder ein Kakteenfeld fin det, wird sie bestimmt davon fressen, dann nachts schläft sie sowieso.« »Wir müssen also ebenfalls bis zum Abend warten«, meinte Lebo Axton. »Oder wir essen das Kakteenfleisch abwechselnd.« »Dazu rate ich nicht«, sagte Razamon. »Wir müssen damit rechnen, daß wir im Lauf des Tages Besuch von einer Jägergrup pe bekommen, die es auf Mathilda abgese hen hat. Ich bezweifle, daß wir unsere ›Schildkröte‹ erfolgreich verteidigen kön nen. Wahrscheinlich werden wir fliehen müssen, und ich möchte niemanden von euch viele Kilometer weit tragen.« »Also warten wir bis zum Abend«, erklär te Atlan.
24 Er hielt Ausschau nach dem Piloten, wäh rend Mathilda sich gemächlich durch das Tal bewegte, aber er konnte weder ihn noch seinen Drachen sehen. Wahrscheinlich hatte er das Gerät zusammengelegt und war zu Fuß fortgegangen. Bald marschierte Mathilda wieder aus dem Tal hinaus und in die fast brettflache Wüste hinein. Diesmal bezog sich der Him mel nicht mit Wolken, so daß die drei Män ner bald unter der Hitze litten. Atlan riet seinen Gefährten, sich flach zwischen Rückenbuckel zu legen und die Köpfe zu bedecken. Er selber wollte Wache halten. Razamon und Axton befolgten seinen Rat. Er setzte sich auf einen Rückenbuckel, beobachtete den Himmel und die Horizonte der Wüste und mußte unwillkürlich daran denken, wie er auf einer heißen Wüstenwelt namens Hellgate gegen Perry Rhodan ge kämpft hatte. Der Terraner und er hatten damals ge glaubt, richtig zu handeln. Er, Atlan, weil er nach Arkon zurückkehren wollte, in seine Heimat, und Perry Rhodan, weil er befürch tete, daß Atlans Rückkehr nach Arkon und sein Bericht über Terra das Große Imperium veranlassen könnten, eine Flotte zur Erde zu schicken und die Menschheit zu unterwer fen. Dabei hatte Atlan nur im Sinn gehabt, mit einer Hilfsflotte zur Erde zurückzukeh ren und den Menschen beim Aufbau einer eigenständigen Zivilisation zu helfen. Eine Verkettung von Mißverständnissen sowie falscher Stolz hatten schließlich zu dem Zweikampf auf Hellgate geführt. Atlan war dem Terraner dabei überlegen gewesen, weil er das heiße trockene Klima dort besser vertrug. Aber letzten Endes hatte doch Perry Rhodan gesiegt. Und wenig später siegte die Vernunft und besiegelte die Freundschaft zwischen zwei Hartschädeln. Unwillkürlich mußte Atlan an Algonkin-Yat ta und Anlytha denken, die ihn durch Zeit und Raum unglaublich lange gesucht hatten und ihm, als sie ihn schließlich in der
H. G. Ewers Schwarzen Galaxis fanden, wieder zu sei nem Extrasinn verhalfen. Auch zwischen ihm, Atlan, und dem Kos mischen Kundschafter sowie seiner Gefähr tin war eine starke Freundschaft entstanden. Algonkin-Yatta und Anlytha hatten am lieb sten bei ihm bleiben wollen, um seinen Kampf gegen die finsteren Mächte der Schwarzen Galaxis zu unterstützen. Doch Atlan wußte, daß er diesen Kampf nur auf seine ihm eigene Art und Weise be stehen konnte. Die Verhältnisse innerhalb der Schwarzen Galaxis waren nicht mit de nen in der Milchstraße zu vergleichen. Hier verwischten magische Einflüsse oftmals die kausalen Zusammenhänge, so daß eine an gestrebte Wirkung selten durch entspre chend zielstrebiges Handeln erreicht wurde. Das alles wäre für den Kundschafter und Anlytha nicht schnell genug durchschaubar gewesen, war es doch auch für ihn, Atlan, nicht immer durchschaubar, so daß er sich vielfach von den Ereignissen treiben lassen mußte. Aus diesem Grund hatte er die beiden Freunde gebeten, sich wieder zur Erde und in die Zeit durchzuschlagen, aus der sie ge kommen waren und Perry Rhodan eine Bot schaft von ihm auszurichten. Er hatte Algon kin-Yatta sogar sein Goldenes Vlies mitge geben, damit es erhalten blieb. Und nun ritten er und seine Begleiter auf einer gigantischen »Schildkröte« durch eine Wüste von Dorkh, erwarteten den Angriff von Jägern und fragten sich vergebens, was auf Dorkh geschehen mußte, um ein Ziel zu erreichen, das sie nicht kannten. Atlan begriff, daß er auch diesmal ge zwungen sein würde, sich von den akausalen Nicht-Zusammenhängen, die erst durch ma gische Kräfte zusammengebracht wurden, treiben zu lassen, wohin auch immer. Er schüttelte diese Gedanken ab und kniff die Augen zusammen, als er einen dunklen Punkt am Himmel sah, der sich Mathilda von Norden näherte. Doch als er nur noch wenige hundert Me ter entfernt war, erkannte der Arkonide, daß
Die Todeswüste es sich diesmal nicht um einen Drachenflie ger handelte, sondern um einen echten Flug drachen. Das Tier war allerdings groß genug, um ihm und seinen Gefährten gefährlich werden zu können, falls es angriff. Deshalb rief er Razamon und Axton zu sich und machte sie auf das Tier aufmerksam. »Das ist wirklich ein Riesentier«, meinte Razamon, nachdem er den Flugdrachen eine Weile beobachtet hatte. »Flügelspannweite etwa zwanzig Meter. Ich erinnere mich, ähn liche Tiere bei den Horden der Nacht auf Pthor gesehen zu haben, als der Dimensions fahrstuhl das vorletzte Mal die Erde heim suchte.« »Dorkh zeigt immer mehr Parallelen zu Pthor«, sagte Atlan nachdenklich. »Ich woll te, ich könnte die Zusammenhänge begrei fen.« Der Flugdrachen ging zum Sturzflug über und fing sich erst in etwa dreißig Metern Höhe wieder. Anschließend schwebte er auf das Vorderteil Mathildas zu. Deutlich konn ten die drei Männer seinen mit gelben und grünen Schuppen bedeckten Körper sehen, den langen, mit hochragenden spitzen Horn platten besetzten Schwanz, die sechs kurzen Beine mit den krallenbewehrten mächtigen Pranken und den pferdekopfähnlichen, aber dreimal so großen Schädel mit der rotgefärb ten Halswamme. Das Tier hatte inzwischen das Vorderteil Mathildas erreicht und kreiste über dem Kopf, wie es schien. Mathilda hielt an – und plötzlich stieß sie laute Töne aus, die an das Trompeten terra nischer Elefanten erinnerten. Und der Flugdrachen antwortete ihr mit einem hellen Schrei, dann bewegte er kraft voll seine goldbraun glänzenden Flughäute, schwang sich hoch empor und flog davon. Aber er flog nicht nach Norden, woher er gekommen war, sondern nach Süden. »Wieder ein neues Rätsel«, stellte Raza mon fest. »Die beiden Tiere haben sich ver ständigt, obwohl sie doch völlig verschiede nen Arten angehören.«
25 Mathilda setzte sich mit einigen heftigen Rucken in Bewegung, dann wurden die Er schütterungen schwächer. »Sie marschiert fast doppelt so schnell wie bisher«, sagte Atlan. »Es scheint fast, als hätte das mit dem Flugdrachen zu tun. Ich möchte nur wissen, was es bedeutet.« Lebo Axton setzte sich. »Wir werden es vielleicht erfahren, wenn wir lange genug bei Mathilda bleiben«, meinte er.
5. Am frühen Nachmittag war Sturm aufge kommen, kein sehr starker Sturm, aber er genügte, um die Umgebung durch Sandwol ken zu verhüllen. Mathilda hatte sich nicht daran gestört, sondern war mit dem Tempo weitermar schiert, das sie nach der Begegnung mit dem Drachen angeschlagen hatte. Als der Sturm am frühen Abend nachließ, sahen die drei Männer, daß die »Schildkröte« sich über einen Salzsee be wegte. Rechts von ihnen, also im Westen, war manchmal eine dunkle, unterschiedlich hohe Linie zu sehen: die Kämme und Gipfel eines fernen Gebirgszugs, die über den Hori zont ragten. »Eigenartig, daß die Jäger nicht gekom men sind«, meinte Lebo Axton. »Der Pilot muß ihnen doch verraten haben, welchen Weg Mathilda eingeschlagen hat.« »Vielleicht sind sie auf ein anderes Beute tier gestoßen«, erwiderte Razamon. Er kniff die Augen zusammen, als sich die Sonne plötzlich verdunkelte, dann schaute er empor. »Seht doch!« rief er überrascht und deute te nach oben. Atlan und Axton sahen auf und bemerkten eine sich ständig verändernde Wolke, die an der Sonnenscheibe vorüberzog und sie dabei verdunkelte. »Das ist keine gewöhnliche Wolke!« rief Atlan. »Das ist ein Schwarm von Flugtie ren!«
26 Mathilda beschleunigte ihre Gangart aber mals. »Ich habe so eine Ahnung«, meinte Lebo Axton düster. »Daß Mathilda verabredet ist«, sagte At lan. »Das denkst du doch, nicht wahr?« »Ja, und zwar mit einem Schwarm von Flugdrachen«, erklärte Axton. »Nicht Mathilda allein«, sagte Razamon und deutete nach Südosten. Atlan blickte hin und entdeckte in unter schiedlichen Entfernungen drei riesige Tie re, die wie Mathilda aussahen und sich über den Salzsee nach Süden bewegten. Er wandte sich um – und entdeckte auch im Westen einige dieser Riesentiere. »Da ist wohl so etwas wie ein Meeting von ›Schildkröten‹ und Flugdrachen ge plant«, sagte er. »Aber das sind Tiere«, entgegnete Axton. »Ich dachte auch nicht an eine Planung in unserem Sinn, sondern an ein Zusammen treffen, zu dem die verschiedenen Tiere durch ihre Instinkte gesteuert werden«, er klärte der Arkonide. »Ich bezweifle, daß wir dabei sehr willkommen sind.« »Was sollen wir tun?« fragte Razamon. »Ich denke auch, daß wir bei einem Massen treffen zwischen ›Schildkröten‹ und Flug drachen nichts verloren haben. Aber mir wi derstrebt es andererseits, auf die bisherige bequeme Fortbewegungsart zu verzichten.« »Ich meine, wir sollten abwarten«, sagte Atlan. »Da, Mathilda ändert ihren Kurs!« »Tatsächlich!« sagte Razamon. »Die anderen ›Schildkröten‹ auch«, er klärte Lebo Axton. »Sie marschieren alle nach Südwesten.« Atlan blickte nach Südwesten, um nach dem Ziel auszuschauen, dem die Tiere wahr scheinlich zustrebten. Dabei sah er, daß der Drachenschwarm noch immer teilweise die Sonnenscheibe verdeckte. Das bedeutete, daß er über einer Stelle der Wüste kreiste. Doch als er dabei auch nach Westen schaute, entdeckte er noch etwas anderes. Der Gebirgszug war weiter über den Hori zont gerückt und ließ sich als Oberteil einer
H. G. Ewers wildzerklüfteten Gebirgskette erkennen. Aber das interessierte ihn im Augenblick nicht sonderlich. Er wartete darauf, wohin Mathilda marschieren würde und ob es tat sächlich zu einem Treffen zwischen den rie sigen »Schildkröten« und den Flugdrachen käme.
* Eine gute Stunde später wußten sie mehr. Mathilda war in eine Schlucht hineinmar schiert, in einen gewaltigen Cañon, deren Grund stetig abwärts führte, so daß die stei len Seitenwände immer höher emporragten. Hier unten kam kein Sonnenlicht mehr hin, so daß es dunkel wurde. Dennoch glaubten die drei Männer, vor und hinter Mathilda die schemenhaften Bewegungen anderer großer Tiere zu erkennen. Der Cañon führte allerdings nicht nach Südwesten, sondern knickte bald darauf nach Süden ab. Eine halbe Stunde später ging die Sonne unter. Die Männer sahen es daran, daß am Himmelsausschnitt über dem Cañon die Sterne der Schwarzen Galaxis auftauchten. Wenig später weitete sich der Cañon zu einem großen kesselförmigen Tal, in das ge nug Sternenlicht fiel, um die Konturen zahl loser »Schildkröten« erkennen zu lassen, die sich hier versammelt hatten. Mathilda marschierte ungefähr noch drei hundert Meter weit, dann hielt sie an. Atlan drehte sich um und sah hinter Mat hilda mehrere andere »Schildkröten« aus dem Cañon kommen. Auch sie hielten nach wenigen hundert Metern im Talkessel an. Es wurde still. Aber nicht für lange. Plötzlich erhob sich ein Rauschen und Brausen, als wollte Sturm aufkommen. Doch dann sahen die Männer einen riesigen Schwarm großer Flugdrachen, der gleich ei ner Rauchfahne von Südwesten heranstrich und sich über dem Talkessel zusammenball te. »Ich denke, wir sollten uns verstecken«,
Die Todeswüste sagte Razamon nervös. »Diese Masse von Flugdrachen beunruhigt mich.« »Aber wo?« fragte Lebo Axton. Auch er wirkte nervös. »In den Höhlungen am Panzerrand«, schlug Atlan vor. Ihn beunruhigte das Rau schen und Brausen Tausender von Flughäu ten ebenfalls. Die seltsame Begegnung hatte etwas Unheimliches an sich. Sie schickten sich an, an Mathilda hinab zuklettern. Schon senkte sich der Drachen schwarm tiefer – und im nächsten Augen blick war die Luft im Talkessel erfüllt von dem Trompetenkonzert zahlloser »Schildkröten« und den hellen Schreien der Flugdrachen. Atlan spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Etwas wie eine kreatürliche Urangst überfiel ihn, eine Art instinktiver Erinnerung an Zeiten, da der gemeinsame Urahn von Menschen und Arkoniden auf ei ner von riesigen Sauriern beherrschten Welt gelebt hatte. Reiß dich zusammen! übermittelte ihm der Logiksektor. Dir kann nichts geschehen, wenn du einen klaren Kopf behältst und überlegt handelst! Als Lebo Axton voller Panik schrie und ins Tal hinausrennen wollte, hatte sich Atlan wieder gefangen. Er sprang Axton nach, warf sich auf ihn und hielt ihn fest. »Ruhe bewahren, Spezialist Kennon!« schrie er ihm ins Ohr. Und die Nennung des alten Titels und des richtigen Namens wirkte Wunder. Lebo Ax ton alias Sinclair Marout Kennon verstumm te und wehrte sich nicht mehr. »Was hier vorgeht, hat mit uns nichts zu tun«, erklärte Atlan seinem alten Mitarbeiter und Razamon, der unschlüssig neben ihnen stand. »Folglich müssen wir uns aus diesem Geschehen heraushalten. Ich denke, wenn wir nicht auffallen, geschieht uns auch nichts.« Axton seufzte. »Alles klar, Lordadmiral«, sagte er scherzhaft. »Verkriechen wir uns in den Höhlen Mathildas!«
27 Sie warfen sich zu Boden und verkrochen sich in Höhlungen. Es wurde auch höchste Zeit, denn die Flugdrachen hatten sich wei ter herabgesenkt. Mindestens zehn von ih nen umflatterten Mathilda, deren Trompeten fast hysterisch klang. Sie stießen ihre hellen Schreie aus und kamen oft so dicht an den Panzer der »Schildkröte« heran, daß sie ihn streiften. Das ganze Tal war von dem Lärmen der Tiere erfüllt. Atlan spähte aus seiner Höh lung. Er empfand keine Angst mehr, aber er war erregt. Das Schauspiel erschien ihm wie ein uraltes geheimnisvolles Ritual, zelebriert von zwei verschiedenen Tierarten, deren Existenz offenbar eng miteinander verknüpft war. Er zuckte zurück, als einer der Flugdra chen sich unmittelbar vor seiner Höhlung niederließ, die Schwingen zusammenfaltete und heftig mit dem riesigen Schädel nickte. Vorsichtshalber zog er sein Messer, doch der Drachen schien ihn nicht wahrzuneh men. Übrigens schienen inzwischen alle Drachen gelandet zu sein, denn das Rau schen und Brausen der Flughäute war ver stummt, ebenso das Trompeten der »Schildkröten« und die hellen Schreie der Drachen. Ein konvulsivisches Zucken ging durch den Leib des vor ihm gelandeten Flugdra chens, dann krümmte er sich zusammen, so daß der Rücken einen Buckel bildete. Unter heftigem Schnaufen und Scharren rollte das Tier schließlich etwas unter seinem Körper hervor, das einem großen Ei glich, zehnmal so groß wie ein terranisches Straußenei, mit einer harten grauen Schale, die mit zahllosen kleinen Pockennarben bedeckt zu sein schi en. Zuerst begriff Atlan nicht, was der Dra chen damit wollte. Erst, als er das Ei mit den Vorderpranken anhob und in die Höhlung bugsieren wollte, in der er sich verbarg, er kannte der Arkonide den Sinn des Zusam mentreffens von Drachen und »Schildkröten«. Offenbar lebten sie in einer Art Symbiose,
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vielleicht auch nur zeitweilig, aber es war klar, daß das Zusammentreffen den Zweck erfüllte, die »Schildkröten« die Dracheneier aufnehmen zu lassen. Nur dazu dienten of fenbar die Höhlungen im unteren Panzer rand. Im letzten Augenblick konnte Atlan die Höhlung verlassen, sonst wäre er von dem Drachenei erdrückt worden. Besorgt lief er zu den Höhlungen, in denen sich seine Ge fährten versteckt hatten. Doch auch sie hatten offensichtlich schnell genug begriffen, was hier vorging, und ihre Verstecke verlassen. Andere Dra chen schoben ihre Eier in die betreffenden Höhlungen. Von den drei Männern nahmen die Dra chen noch immer keinerlei Notiz. Atlan, Razamon und Axton preßten sich an die Panzerwände und warteten darauf, daß die Flugdrachen sich wieder in die Luft erho ben. Statt dessen legten sich die Tiere, nach dem sie ihre Eier deponiert hatten, ganz ru hig in den Sand, atmeten eine Weile hek tisch und mit lautem Schnaufen, kippten dann zur Seite und verstummten. »Bei der Straße der Mächtigen!« flüsterte Razamon. »Begreift ihr, was geschehen ist?« »Die Drachen sind tot«, erwiderte Atlan tonlos. »Sie haben sich einfach zum Sterben niedergelegt, nachdem sie dafür gesorgt hat ten, daß ihre Nachkommenschaft gesichert war.« Totenstille herrschte im Talkessel. Die »Schildkröten« rührten sich nicht, sondern lagen gleich dunklen Hügeln reglos im mat ten Schein der Sterne der Schwarzen Gala xis. Verloren standen die drei Männer zwi schen Mathilda und den toten Flugdrachen und warteten darauf, wie es weiterging. Aber sie mußten warten, bis die Sterne ver schwanden und sich der Himmel über dem Talkessel rötlich färbte …
*
Besorgt musterte Atlan den Grizzard-Kör per, der Lebo Axtons Bewußtsein barg. Axton lag mit geschlossenen Augen im Sand und atmete mühsam. Er war erschöpft und litt unter dem Durst. Auch Razamon und Atlan litten darunter, aber Razamons ro buste Natur konnte sich noch darüber hin wegsetzen und der Arkonide schöpfte stets neue Kraft aus seinem Zellaktivator, auch wenn ihn das Gerät letzten Endes nicht vor dem Verschmachten retten konnte. In ihrer Verzweiflung hatten sie von ihrem Kakteen vorrat essen wollen, ihn aber nirgends auf Mathildas Rücken gefunden. »Ich mache mir Sorgen um ihn, große Sorgen«, flüsterte Atlan. »Wenn wir nicht bald Wasser oder diese Kakteen finden, stirbt er uns.« Der Pthorer blickte zum nächsten toten Drachen. »Sein Körper müßte noch genügend Flüs sigkeit enthalten«, meinte er zögernd. Atlan schüttelte den Kopf. »Inzwischen hat sich Leichengift gebil det«, erwiderte er. »Wer von dem Fleisch ißt, würde jämmerlich zugrunde gehen.« Lebo Axton schlug die Augen auf. »Lieber verdurste ich«, sagte er mit leiser Stimme. »Und wie wäre es mit einem Frühstück sei?« fragte Razamon und deutete auf die nächste Höhlung im Panzer Mathildas. Axton erschauderte. »Ich bin doch kein Eierfresser – jedenfalls nicht von Dracheneiern. Außerdem enthal ten sie wahrscheinlich toxische Stoffe, und kochen können wir sie mangels Brennmate rial nicht.« Durch das Tal ging ein Rumoren und schwoll zu einem Getöse an. Die »Schildkröten« bewegten sich. »Es geht weiter!« rief Razamon, legte sich Axton über die Schulter und sprang bei Mathilda auf. Atlan folgte ihm. Sie kletterten wieder auf die Oberseite des »Schildkröten«-Panzers. Dort legte der Pthorer Axton in einer Mulde ab. Atlan
Die Todeswüste stand breitbeinig auf einer buckelartigen Er hebung und beobachtete fasziniert den Auf bruch der »Schildkröten«-Armee. Die riesi gen Tiere setzten sich alle gleichzeitig in Bewegung, so, als gehorchten sie einem Kommando. Der Arkonide fühlte sich hilflos. Er wuß te, daß er und seine Gefährten völlig von Mathilda abhängig waren. Suchte sie im Lauf des Tages eine Wasserstelle oder ein Kakteenfeld auf, so waren sie gerettet, mar schierte sie aber wieder nur durch wasserlo ses Wüstengebiet, würde zumindest Axton diesen Tag nicht überleben. Da es bei dem aufgewirbelten Staub un möglich war, eventuelle Pflanzen oder eine Wasserstelle zu erkennen, setzte sich Atlan resignierend zu seinen Gefährten. »Die Tiere haben alle einen langen An marschweg hinter sich«, sagte er. »Wir dür fen damit rechnen, daß sie deshalb so bald wie möglich Futterstellen aufsuchen wer den.« Lebo Axton lächelte kaum merklich, sagte aber nichts. Dem ehemaligen USOSpezialisten vermochte auch Atlan nichts vorzumachen. Atlan erkannte es und gab seine Versuche auf, den Gefährten trösten zu wollen. Er lehnte sich gegen eine buckelartige Erhe bung, zog sich das ausgefranste Jackett über den Kopf und verhielt sich ruhig, um den Flüssigkeitsverbrauch seines Körpers so ge ring wie möglich zu halten. Bald brannte die Sonne wieder heiß von einem glasklaren Himmel, an dem sich nicht die kleinste Wolke zeigte. Es würde ein höl lischer Tag werden. Obwohl der Arkonide sich normalerweise bei dieser Hitze wohlge fühlt hätte, litt er darunter, denn er spürte, wie sie ihm die letzten Flüssigkeitsreserven zu entziehen drohte. Wie lange er vor sich hin gedöst hatte, wußte er später nicht zu sagen. Er spürte aber, daß Mathilda sich nach einiger Zeit in eine andere Richtung bewegte. Unter Aufbietung aller Willenskraft zwang er sich dazu, die bleischweren Glie
29 der zu regen und sich aufzurichten. Ein Blick auf die Gefährten zeigte ihm, daß Le bo Axton bewußtlos war und Razamon vor sich hin dämmerte. Mühsam kroch Atlan auf den nächsten Buckel und richtete sich hoch auf. Als er sich umschaute, sah er überall die riesigen Schildkrötenähnlichen. Sie strebten nach allen Richtungen auseinander. Nur vier hielten den gleichen Kurs wie Mathilda und marschierten nach Südwesten. Im Westen erblickte der Arkonide aber mals die dunkle, unterschiedlich hohe Linie, die einen fernen Gebirgszug erahnen ließ. Aber im Südwesten, dort also, wohin Mat hilda marschierte, sprang ein Gebirgszug er kerartig nach Osten vor – und ein Gipfel ragte weit über die Horizontlinie hinaus. »Es geht ins Gebirge!« rief Atlan seinen Gefährten zu. »Dort gibt es bestimmt Was ser!« Eine halbe Stunde später schien sich seine Hoffnung überraschend und viel früher zu erfüllen. Zwischen dem Gebirge und Mathil da erblickte er plötzlich eine dunkle Fläche in der Wüste, anfangs nur als Linie erkenn bar; aber bald darauf ragten Gebilde aus ihr empor, die nur Bäume und Sträucher sein konnten. Diesmal sagte der Arkonide nichts, denn er wußte, daß hochgespannte Hoffnungen, die sich zerschlugen, für Menschen am Rand des Verdurstens tödlich sein konnten. Doch schon eine Viertelstunde später sah er schilfähnliche Gewächse und einen Vo gelschwarm, der über ihnen kreiste und sich dann niederließ. »Eine Oase!« sagte er fast andächtig. »Wir werden bald Wasser genug haben, um uns sattzutrinken.« Razamon regte sich und kroch zu Atlan hinauf. Mit Atlans Hilfe vermochte er aufzu stehen. Seine schwarzen Augen leuchteten auf, als er die Oase sah. »Wahrhaftig!« rief er mit krächzender Stimme. Dann blickte er sich um und ent deckte die vier anderen »Schildkröten«. »Aber diese Viecher können bestimmt einen
30 kleinen See leersaufen. Wir müssen vor ih nen dort sein, sonst gehen wir womöglich leer aus.« Mit einer Behendigkeit, die Atlan ihm gar nicht mehr zugetraut hätte, eilte er in die Mulde zurück, legte sich den noch immer bewußtlosen Axton über die Schulter und kletterte den Rückenpanzer Mathildas hinab. Auch Atlan fühlte neue Energie durch sei ne Glieder pulsieren. Er folgte dem Pthorer, und bald darauf stapften sie nebeneinander durch die Wüste. Sie waren nicht viel schneller als die »Schildkröten«, aber da unter einer dünnen Sandschicht harter Felsboden war, kamen sie dennoch gut vorwärts und hatten bald einen kleinen Vorsprung errungen. Doch wenige hundert Meter vor dem Ziel erlahm ten Razamons Kräfte. Er strauchelte und wä re gestürzt, hätte Atlan ihm nicht schnell Le bo Axton abgenommen. Dabei sah er, daß Axton das Bewußtsein wiedererlangt hatte. »Wir sind gleich am Wasser«, versprach Atlan. Er spürte, wie sein Zellaktivator pochte und pulsierte, um seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Dennoch brach auch er bald zusammen. Mehrere Vogelschwärme stiegen krei schend auf, als die drei Männer das Ufer des verschilften Sees erreichten. Atlan blieb einen Augenblick stehen, als er einen war nenden Impuls seines Extrasinns empfing. Er mußte sich dennoch beherrschen, um sich nicht einfach ins Wasser zu stürzen. Er wußte, wie leicht das tödlich sein konnte, falls der See versumpft war. Nach einer Weile hatte er sich soweit ge sammelt, daß er mit Axton über der Schulter vorsichtig ins Wasser watete, bei jedem Schritt den Grund mit den Füßen auf Festig keit überprüfend. Glücklicherweise war der Schlamm in Ufernähe nur knöcheltief. Als das Wasser ihm bis zur Brust reichte, ließ Atlan Axton behutsam von der Schulter gleiten, packte ihn mit einem Zangengriff unter die Achsel und tauchte ihn für ein paar Sekunden ganz unter. Danach hob er ihn
H. G. Ewers wieder hoch, beugte den Kopf und trank ei nige Schlucke des Wassers. Es war überraschenderweise kühl und schmeckte nur leicht faulig. Wieder ließ At lan Axton ein Stück hinab. Diesmal trank Axton. Neben ihm tauchte Razamon aus dem Wasser auf, prustete und lachte. Doch dann schaute er zurück, und auf seinem Gesicht malte sich Erschrecken. Atlan blickte sich ebenfalls um, und er er schrak kaum weniger als Razamon, denn die fünf »Schildkröten« hatten soeben das Ufer erreicht und ihre Riesenschädel aus den Pan zern hervorgestreckt. Fünf »Haifischköpfe« senkten sich wenige Meter hinter den drei Männern ins Wasser. Fünf erschreckende Gebisse tauchten ein, und ihre Mahlzähne bewegten sich gleich Fräsen und zermalm ten massenweise das Schilf. Und die »Schildkröten« schickten sich an, in den See zu steigen! Der Arkonide blickte sich um. Der Rückweg war ihnen versperrt, und zum seitlichen Ausweichen ließen ihnen die Riesentiere keine Zeit, denn sie rückten zwar langsam, aber unerbittlich näher. Sie schienen reine Pflanzenfresser zu sein, wa ren aber wahrscheinlich nicht intelligent ge nug, um von den drei Männern Notiz zu nehmen. Wenn sie sie nicht versehentlich mit zermalmten, würden sie sie mit dem Ge wicht ihrer viele Tonnen schweren Körper in den Grund drücken. »Schwimmen!« rief Atlan. Er drehte sich um, legte sich auf den Rücken, zog Lebo Axton halb auf sich her auf und stieß sich ab. Razamon schwamm neben ihn und musterte ihn besorgt. Aber die wenigen Schlucke Wasser hatten genügt, um die Erschöpfung aus Atlans Gliedern zu verjagen, wenn auch nur für kurze Zeit. Glücklicherweise blieben die »Schildkröten« stehen, als ihre Körper sich etwa zwei Meter tief im Wasser befanden. Sie wandten sich nach links und rechts und weideten weiter das Schilf ab. Mit sparsamen Bewegungen schwammen
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Atlan und Razamon zum anderen Ufer, wo sie auf festen Boden zurückkrochen und sich erschöpft fallen ließen …
6. Atlan erwachte nach kurzem, tiefem Schlaf. Er rollte sich unter Axton weg, der quer über ihm lag und schlief. Auch Raza mon schlief noch. Die Sonne hing schon tief im Westen über dem Horizont. Dunkle Wolken ballten sich turmartig im Süden zusammen. Die fünf »Schildkröten« waren ans jenseitige Ufer zurückgekrochen und schienen zu schlafen. Der Arkonide stand auf und sah sich auf merksam um. Schmerzhaft fühlte er die Lee re in seinem Magen. Wenn er seine Kraftre serven auffüllen wollte, genügte Wasser auf die Dauer nicht. Die Vögel, die in großer Zahl auf dem Wasser schwammen, taugten nicht als Jagdbeute für einen Mann, der nur mit einem Wurfmesser bewaffnet war. Sie waren zu wachsam, als daß sie ihn nahe ge nug für einen Wurf herangelassen hätten. Vielleicht konnte er nachts, wenn sie sch liefen, einige erbeuten. Eine andere Beute wäre ihm allerdings lieber gewesen. Er sah, daß die Vögel unablässig tauchten und mit Fischen in den Schnäbeln wieder an die Wasseroberfläche kamen. Diese Fische waren zwar klein, aber es mußte auch größe re Fische im See geben. Ein Wurfmesser eignete sich jedoch schlecht als Jagdinstru ment beim Fischfang. Es war außerdem un brauchbar bei der Konstruktion eines Fischs peers. Doch viele der Schilfstengel waren meh rere Meter lang und sahen aus, als ob sie auch fest genug zur Konstruktion von Spee ren wären. Atlan ging wieder ins Wasser, trank noch einige Schlucke und watete zu ei ner Gruppe hoher Schilfpflanzen hinaus. Nach kurzer Zeit hatte er einen brauchba ren Schilfstengel gefunden. Er tauchte und schnitt ihn mit dem Messer dicht über dem Grunde ab. Anschließend kehrte er ans Ufer zurück, schnitt den Stengel auf eine Länge
von zweieinhalb Metern und schnitzte ein Ende zu einer Speerspitze zu. Für Wild, das auf dem festen Lande lebte, hätte das genügt, nicht aber für Fische. Des halb suchte der Arkonide die Bäume und Sträucher der Umgebung ab, bis er einen Baum gefunden hatte, dessen Zweige mit fingerlangen spitzen Dornen bewehrt waren. Es war nicht schwer, vier große Dornen abzuschneiden und sie so durch das zuge spitzte Ende des Schilfstengels zu drücken, daß sie auf der anderen Seite wieder heraus kamen und daß ihre Spitzen nach oben zeig ten. Das Resultat war ein relativ leichter Fischspeer mit vier Widerhaken. Bevor Atlan wieder in den See stieg, blickte er noch einmal nach seinen Gefähr ten. Sie schliefen noch immer. Der Arkonide seufzte und brach auf. Da bei fiel sein Blick zufällig nach Südwesten. Die Sonne stand inzwischen so tief, daß sie sich unterhalb des höchsten Berggipfels be fand, wenn auch nicht direkt dahinter. Aber durch diese Art der Beleuchtung zeichneten sich die Konturen des Gipfels re lativ scharf ab, und der Arkonide stutzte. Er sah genauer hin, und seine Zweifel schwan den. Das, was er bisher für den Gipfel eines besonders hohen Berges gehalten hatte, be saß die Konturen eines düsteren Schlosses oder einer Burg. Die Ausmaße waren gewal tig. Das Bauwerk stand genau auf dem ke gelförmigen Gipfel des eigentlichen Berges. Atlan merkte, wie sein Atem unwillkür lich schneller ging, da er beim Anblick die ses Bauwerks ahnte, daß dort ein neues ge fährliches Abenteuer auf ihn und seine Ge fährten wartete. Das hat Zeit! übermittelte ihm der Logik sektor. Die Jagd nicht, denn bald wird es zu dunkel dafür sein! Atlan riß sich von dem Anblick los und wandte sich dem See zu. Er watete hinein, bis ihm das Wasser an den Bauchnabel reichte, dann stand er ganz still und wartete. Anfangs sah er nichts, denn seine Füße hatten den Schlamm des Grundes aufge
32 wühlt. Doch dann klärte sich das Wasser wieder. Die tiefstehende Sonne zauberte blutrote Reflexe an seiner Oberfläche. Dann glaubte der Arkonide, in seiner Nä he huschende Bewegung im Wasser zu se hen. Er rührte sich jedoch noch immer nicht, denn er wußte, daß er nur eine einzige Gele genheit haben würde, seinen Speer zu wer fen, den er in der hoch erhobenen rechten Hand hielt. Verfehlte er das Ziel, würde es dunkel sein, bevor sich die Fische wieder in seine Nähe wagten. So stand er gleich einer Statue, bis er dicht bei seinen Beinen einen etwa fünfzig Zentimeter langen Schatten sah und wenig später die zarte Berührung von Flossen an seinem linken Oberschenkel spürte. Mit einem Schrei entspannte er seine ver krampfte Arm- und Rückenmuskulatur und stieß den Speer mit voller Kraft nach der Beute. Er fühlte, wie die Speerspitze in festes Fleisch fuhr. Eisern hielt er den hin und her ruckenden Speer fest, bis die Kraft des Fi sches erlahmte. Atlan zog einen gut unterarmlangen Fisch mit hellgrauen Schuppen und großen Flos sen heraus. Der Kopf des Tieres glich dem eines terranischen Mopses. Als der Arkonide das offene Maul mit den scharfen Zahnrei hen sah, wurde ihm kalt. Vorsichtig drehte er sich um und watete zum Ufer. Es dauerte nicht lange, da wimmelten zahlreiche dunkle Schatten um seine Beine. Atlan ging unbeirrt weiter, obwohl alles in ihm danach drängte, loszustürmen. Doch das hätte die Raubfische sicher zum Angriff ge reizt, und wenn ihre Zähne ebenso scharf waren wie die des gespeerten Fisches, dann wäre von Atlan sicher nicht viel übrig ge blieben. So aber ging alles gut, bis er nur noch einen Meter vom Ufer entfernt war. Als er einen stechenden Schmerz oberhalb des lin ken Knöchels spürte, sprang Atlan mit ei nem großen Satz ans Ufer. Hinter ihm blieb wild aufgewühltes Wasser zurück – und an seiner linken Wade hing noch der Raub-
H. G. Ewers fisch, der ihn gebissen hatte. Erst ein paar heftige Schläge mit dem keulenförmigen Griff des Wurfmessers brachten auch dieses Tier zur Strecke. Atlan besah sich die Wunde. Sie blutete, aber nicht so stark, als wenn ein größeres Gefäß ver letzt gewesen wäre. Deshalb ließ der Arko nide sie so, wie sie war. Sein Zellaktivator würde dafür sorgen, daß sich keine Infektion ausbreitete und daß sie schnell verheilte. Anschließend entzündete Atlan auf stein zeitliche Art ein Feuer, das er mit trockenen Zweigen und Ästen nährte, entschuppte die Fische und nahm sie aus. Es war schon dun kel, als er die Tiere auf dünnen Stöcken über dem Feuer aufhing. Im Süden wetterleuchte te und grollte ein fernes Gewitter. Im Nor den, Osten und Westen erklang hin und wie der dünnes, rasch anschwellendes und kurz darauf abbrechendes Geheul. Atlan fühlte sich in eine ferne Vergangen heit der Erde zurückversetzt, aber er wüßte auch ohne Extrasinn, daß der Schein trog. Dorkh war keine Erde, sondern wahrschein lich nur ein Kontinent im Meer der Zeit, ein Dimensionsfahrstuhl voller fremdartiger und unheimlicher Geschöpfe.
* Als die Fische gar waren, weckte Atlan seine beiden Gefährten. Razamons und Ax tons Augen leuchteten auf, als sie die Beute sahen. Der Hunger war groß. Dennoch aßen die drei Männer nur langsam und kauten jeden Bissen gründlich durch. Magen und Darm mußten sich erst wieder an die Aufnahme und Verarbeitung fester Nahrung gewöhnen. Anschließend tranken sie. Aber sie blieben dabei am Ufer, denn der Arkonide hatte ih nen von den Raubfischen erzählt – und sie hatten selbst die scharfen Zähne in den Mäu lern der toten Fische gesehen. Danach berichtete er ihnen von dem schloß- beziehungsweise burgähnlichen großen Bauwerk auf einem Berg im Südwe sten.
Die Todeswüste »Es scheint so, als wollte Mathilda dort hin«, meinte er abschließend. »Oder zumin dest in das Gebirge, in dem das Bauwerk steht.« »Und es scheint so, als sollten wir dort unser nächstes Abenteuer erleben«, erwider te Razamon mit schiefem Lächeln. Lebo Axton blickte nach Norden, wo am anderen Ufer des Sees die fünf »Schildkröten« liegen mußten. Aber das Sternenlicht reichte nicht aus, um sie zu se hen. »Wie erkennen wir Mathilda eigentlich wieder?« fragte er. »Sie hat einen Leberfleck am Bauch«, er klärte Razamon. »Sehr witzig!« sagte Axton. »Wir müssen ja nicht unbedingt auf Mat hilda weiter reiten«, sagte Atlan. »Entweder marschieren die Tiere alle in ›unsere‹ Rich tung, oder wir besteigen das, das nach Süd westen geht. Wir dürfen nur ihren Aufbruch nicht verschlafen. Ich schlage vor, daß wir jetzt gleich um den See herumgehen und dicht bei den Tieren warten.« Seine Gefährten waren einverstanden. Nachdem sie das Feuer ausgetreten hatten, brachen sie auf. Im Süden grollte noch im mer das Gewitter. Es schien näher zu kom men. Als sie die Hälfte der Strecke zurückge legt hatten, ertönte auch wieder das Geheul, das für einige Stunden verstummt gewesen war. »Das klingt nach Wölfen«, sagte Raza mon, bückte sich und hob einen Stein auf. Plötzlich heulte ein Tier ganz in der Nähe; mehrere andere Tiere fielen ein, auch nicht weit entfernt. »Nachdem ich gerade satt geworden bin, möchte ich nicht gern gefressen werden«, meinte Lebo Axton. Er ging zu einem Baum, um sich einen dicken Ast abzubre chen. Atlan half ihm mit dem Messer und fer tigte auch für sich und Razamon je eine pri mitive Keule an. »Wir müssen uns immer dicht am Wasser
33 halten«, sagte er. »Dadurch haben wir not falls den Rücken frei.« Plötzlich tauchte wenige Meter vor ihnen ein großes Tier aus der Dunkelheit, sah sie und blieb ruckartig stehen. »Ein weißer Hirsch!« flüsterte Axton. »Wirf das Messer, Atlan!« Der Arkonide schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment heulte es links und rechts und vor ihnen auf. Das Tier, das tat sächlich große Ähnlichkeit mit einem Hirsch mit weißer Decke hatte, warf sich herum und stürmte wieder in die Finsternis zurück. Nur Sekunden später jagte von der ande ren Seite ein großer schwarzer »Wolf« her an, gefolgt von einem Rudel aus einem gu ten Dutzend fast ebenso großer Tiere. Die drei Männer hoben ihre Keulen; Atlan faßte sein Wurfmesser fester. Doch das Ru del huschte in weiten Sprüngen lautlos an ihnen vorbei und verschwand in der Nacht. »Das war richtig unheimlich«, gestand Ax-ton und ließ seinen Arm mit der Keule sinken. Es war unwirklich! raunte der Logiksek tor. Hast du bemerkt, daß die Tiere keinen Sand aufgewirbelt haben? Ein greller Blitz zuckte herab und schlug in den See. Krachender Donner folgte. Die drei Männer entfernten sich etwas vom Ufer, aber es folgte kein weiterer Blitz. Die Wol ken, die eben noch den Himmel bedeckt hat ten, zogen rasch davon. Dafür ertönte abermals das entnervende Heulen von wolfsähnlichen Tieren. Es kam von Westen und war von Mal zu Mal näher. »Die wilde Jagd«, flüsterte Razamon. »Dort vorn ist die erste ›Schildkröte‹. Wir sollten so schnell wie möglich aufsteigen, denn die Meute kommt immer näher!« Doch Atlan und Lebo Axton rührten sich nicht, und auch er lief nicht weiter, denn im schimmernden Licht der Sterne jagte aber mals der weiße Hirsch heran. Diesmal hatte ihn das Wolfsrudel fast erreicht, und der rie sige Leitwolf überholte ihn, um ihm in ech ter Wolfsmanier an die Kehle zu springen. Da wurde die Szene plötzlich in flackern
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de weiße Helligkeit gehüllt. »Eine Sternschnuppe!« rief Axton. Atlan blickte nach oben und sah einen hellglühenden Meteoriten von Osten nach Westen über den Himmel ziehen. Er ver folgte seine Bahn mit den Augen und sah ihn deshalb irgendwo im Gebirge aufschla gen und explodieren. Und während er noch auf das Krachen der Explosion wartete, sah er, wie der Hirsch und die schwarzen Wölfe verblaßten und gleich verwehendem Rauch verschwanden. Dann krachte die Explosion, und die Druck welle wirbelte Staubfahnen auf. »Habt ihr das gesehen?« rief Atlan seinen Gefährten zu, als der Donner der Explosion verhallt war. »Ein Feuerblitz wie von einer kleinen Atombombe«, sagte Lebo Axton. »Aber wo ist der Hirsch? Und wo sind die Wölfe?« »Das meinte ich mit meiner Frage«, er klärte der Arkonide. »Sie lösten sich in Luft auf, als der Meteorit aufschlug und explo dierte.« »Magisches Feuer«, flüsterte Razamon. »Was meinst du?« fragte Atlan. Razamon lachte unsicher. »Ich weiß es selbst nicht. Intuitiv dachte ich daran, daß von dem Kometen eine magi sche Strahlung ausgegangen sein muß, seit er in die Lufthülle von Dorkh eintauchte. Sie projizierte möglicherweise die Geisterbilder des Hirsches und der Wolfsmeute. Das wür de erklären, warum die Geisterbilder erlo schen, als der Meteorit explodierte. Aber, wie gesagt, das war nur so eine Art Einge bung.« »Auf jeden Fall sahen wir etwas, das nicht wirklich existierte«, sinnierte Atlan laut. Das hatte ich dir ja gleich gesagt! teilte ihm sein Logiksektor mit.
* »Sie bewegen sich!« rief Razamon und deutete auf den deutlich sichtbaren »Hügel« der ersten »Schildkröte« und die nur sche menhaft erkennbaren vier anderen Giganten.
Er und seine Gefährten liefen hastig zum Ufer und tranken, bis sie nicht mehr konn ten. Unterdessen hatten alle »Schildkröten« ihre Schlaftrunkenheit abgeschüttelt und be wegten sich zielstrebig. Allerdings mar schierte nur eine nach Südwesten. »Das ist unsere, egal, ob Mathilda oder nicht!« rief Lebo Axton und rannte auf das Tier zu. Bald darauf saßen die drei Männer auf dem Schildbuckel des Tieres und ließen sich tragen. Sie wußten nicht, ob es sich um Mat hilda oder eine andere »Schildkröte« handel te, denn die Tiere sahen für sie alle gleich aus. Aber das spielte keine Rolle, denn es reagierte ebensowenig auf die Reiter wie die Schildkröte, die sie bis hierhergebracht hat te. Ungefähr zwei Stunden später ging die Sonne auf und tauchte die Wüste in helles Licht. Atlan deutete nach vorn. Er brauchte nichts zu erklären, denn dies mal war der Berg mit dem Bauwerk deutlich zu erkennen. Aufmerksam blickten Raza mon und Lebo Axton hinüber – aufmerksam und ahnungsvoll. »Eine düstere Festung«, erklärte Axton. »Ich halte den Anblick eher für roman tisch«, erwiderte Razamon. Ein Rumpeln und Poltern riß die drei Männer hoch und veranlaßte sie dazu, sich aufmerksam umzusehen, bis sie merkten, daß die Geräusche von Mathilda erzeugt wurden. »Unter ihr muß sich ein Hohlraum befin den«, meinte Razamon. Doch bevor sie weitere Überlegungen an stellen konnten, fielen sie übereinander, als Mathilda ihren Kurs abrupt änderte. Atlan rappelte sich zuerst wieder auf und stellte sich auf eine der buckelartigen Erhe bungen des Rückenpanzers. »Sie marschiert nach Südosten!« rief er seinen Gefährten zu. Razamon und Lebo Axton stellten sich neben ihn.
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»Dann kommen wir vielleicht doch noch zehn Meter vorausging. »Ich sehe weiter auf bequeme Art und Weise nach Turgan«, vorn so etwas wie einige Brunnen. Viel sagte Axton. leicht gibt es da Wasser.« »Die Burg hätte mich mehr gereizt«, er Atlan blickte auf. Er war, wie auch Axton klärte Atlan. und meist auch Razamon, die letzten Stun Deine Überlegungen entbehren der Lo den mit gesenktem Kopf gegangen und hatte gik! teilte ihm sein Logiksektor mit. Ihr sich die Jacke über den Schädel gezogen, wollt nach Turgan zu den Weisen, also ist es um keinen Sonnenstich zu bekommen. nur logisch, wenn ihr eine bequeme Trans Verwundert kniff er die Augen zusam portmöglichkeit dorthin benutzt. men, um klarer sehen zu können, aber das »Auf jeder anderen Welt wäre es so, nicht Bild blieb. Sieben offenbar gemauerte Brunnenum aber auf einer, deren Geschick mit Magie verwoben ist«, erwiderte der Arkonide laut. randungen, mit kleinen Giebeldächern über den Öffnungen! Seine Gefährten stutzten, dann begriffen »Ziehbrunnen!« stieß er hervor. »Genauso sie. »Ich schlage ebenfalls vor, daß wir uns sahen die Ziehbrunnen des terranischen Mit telalters aus!« nicht von einer Logik leiten lassen, die auf Dorkh keine Gültigkeit besitzt«, meinte Ra »Aber sieben Stück auf engem Raum!« sagte Lebo Axton. »Was sollte das für einen zamon. »Zu Fuß zum Gebirge?« sagte Axton er Sinn haben?« schrocken. »Sehen wir sie uns genauer an!« rief Raz »Es sind höchstens noch dreißig Kilome amon und ging weiter. ter – wenn wir jetzt gleich absteigen«, erwi Atlan und Lebo Axton folgten ihm. Weni derte Atlan. »Na, sagen wir vierzig Kilome ge Minuten später standen sie vor dem er sten der sieben Brunnen, die einen ungefähr ter, aber mehr sicher nicht.« »Außerdem haben wir uns bei der Oase dreißig Meter durchmessenden Kreis bilde gestärkt und sattgetrunken«, meinte Raza ten. Auf der Kreisfläche lagen zahlreiche mon. »Das Stück bis zum Gebirge schaffen große, flache Steine – und jenseits der Kreis fläche ging die Sandwüste allmählich in eine wir bis heute abend, wenn wir zügig gehen.« Lebo Axton seufzte, aber er lächelte da Geröllwüste über. bei, denn auch ihn reizte die düstere Burg. Razamon, der einen Blick in den ersten Die drei Gefährten kletterten von der Brunnen geworfen hatte, fuhr wie von der »Schildkröte«, dann setzten sie sich in Rich Tarantel gestochen zurück. Sein von Natur tung Südwesten in Bewegung. aus blasses Gesicht war kalkweiß geworden. Atlan hielt Axton, der sich ebenfalls über den Brunnenrand beugen wollte, am Arm 7. zurück. Fünf Stunden waren sie durch heißen »Was hast du gesehen?« wandte er sich Sand gewandert, die Sonne hatte erbar an Razamon. mungslos auf sie herabgebrannt und sie das Der Pthorer atmete keuchend und beru meiste Wasser, das sie in der letzten Oase higte sich nur langsam, dann erklärte er: getrunken hatten, ausschwitzen lassen. »Seht nicht hinein! Dort haust etwas Un Als Atlan sah, daß Lebo Axton sich nur geheuerliches, das einen grauenhaften Sog noch mit Mühe auf den Beinen hielt, sagte auf das Bewußtsein ausübt. Ich habe nichts er: gesehen, aber etwas gespürt, das wie eine »Ich schlage vor, wir legen eine Rast ein, imaginäre Woge über mir zusam Freunde!« menschlug.« »Noch nicht!« rief Razamon, der etwa Atlan ließ Axton los und trat einen Schritt
36 auf den Brunnen zu, in den Razamon ge schaut hatte. »Du läßt es lieber sein, Lebo«, sagte er. »Da dein Bewußtsein in einem fremden Körper existiert, löst es sich möglicherweise leichter von ihm als ein Bewußtsein, das im eigenen, angestammten Körper agiert.« Du Narr! raunte ihm sein Extrasinn zu. Fordere nicht das Schicksal heraus, wenn es nicht notwendig ist! Der Arkonide erkannte die Logik dieses Arguments an, aber er vermochte dem Reiz der Gefahr und seiner Wißbegier nicht zu widerstehen. Langsam ging er weiter auf den Brunnen zu, sich innerlich gegen das wappnend, das Razamon beschrieben hatte. Am Brunnen angekommen, streifte er die Jacke von seinem Kopf, dann legte er die Hände auf den Brunnenrand und beugte sich vor. Im nächsten Augenblick war es ihm, als tauchte sein Bewußtsein in einen Strudel, der sich rasend schnell in einem wildbeweg ten Meer aus namenlosem Grauen drehte und mit unvorstellbarer Lockung eine schier unwiderstehliche Todessehnsucht auslöste. Mit einem Schrei warf Atlan sich zurück und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, obwohl er nichts gesehen hatte. Fast augen blicklich erlosch der unheilvolle Einfluß des Brunnens. Dennoch brauchte der Arkonide noch fast eine Minute, um wieder klar den ken zu können. »Was ist dort drin?« fragte Lebo Axton. »Ich weiß es nicht«, antwortete Atlan. »Ich habe nichts gesehen.« »Ich auch nicht«, meinte Razamon. »Aber ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß es vielleicht das ist, was das Grauen und die Todessehnsucht hervorruft: ein Hauch des Nichts, das alles sein wird, was eines fernen Tages vom Uni versum übrig bleibt.« Atlan nickte. »Ich denke zwar nicht, daß das Univer sum einmal spurlos vergehen wird, aber die Vorstellung einer solchen Vision wird sehr glaubhaft von dem Unsichtbaren im Brun-
H. G. Ewers nen hervorgerufen.« Er musterte das kleine Ziegeldach über dem Brunnen und die dunkelbraune Spindel mit dem bleichen Seil, an dem ein Eimer aus oxidiertem Metall hing. Genau den gleichen Anblick boten die übrigen sechs Brunnen. »Wer die Gefahr nicht kennt und bei sei ner Wanderung durch die Wüste auf die Brunnen stößt, wird unweigerlich hinein blicken, um nachzusehen, ob sich Wasser darin befindet«, sagte er tonlos. »Wie viele Wanderer mögen dabei ihre Seelen verloren haben?« Razamon hob eine der flachen Steinplat ten an und warf sie zur Seite. Lebo Axton, der ihm zusah, schrie leise auf, als er die dunkelbraune Hand sah, die aus dem Sand schnellte, als sie vom Gewicht der Steinplat te befreit wurde. Gleichzeitig kam der Sand rings um sie in Bewegung. Ein in grünes bleiches Leder ge kleidetes, riesiges humanoides Wesen wühl te sich aus dem Sand und richtete sich schließlich auf. Aus Augen, die nur aus Weiß zu bestehen schienen, starrte es Raza mon an. Es war zirka drei Meter groß, schlank und unglaublich dürr, aber keines wegs mumifiziert. Die Gelenke des Wesens knarrten gleich altem vertrocknetem Leder, das aneinander gerieben wird, als es sich langsam und steif in Bewegung setzte. Es schritt genau auf den Pthorer zu und streckte dabei die Hände nach ihm aus. Razamon blieb stehen. Er wirkte wie hyp notisiert und regte sich auch dann nicht, als das Wesen ihm die Hände um den Hals leg te. Atlan stieß einen Schrei aus, riß das Mes ser aus seinem provisorischen Gürtel und sprang vor. »Du mußt gegen ihn wie gegen einen Un toten kämpfen, Atlan!« rief Lebo Axton. Das Wesen ließ Razamons Hals los und wandte sich gegen Atlan, aber der Arkonide war schneller – und er beherzigte Axtons Rat. Als es vorbei war, begruben sie das nun
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mehr endgültig tote Wesen, legten die Stein platte wieder über sein Grab und standen schweigend eine Weile davor. »Es hat seinen Frieden gefunden«, sagte Lebo Axton. »Atlan, du hast seine Seele aus einem grauenhaften Nichtzustand befreit – oder das, was von seiner Seele übrig geblie ben war.« Der Arkonide wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wie geht es dir, Razamon?« Der Pthorer massierte seinen Hals und er widerte krächzend: »Besser. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht gewehrt hatte. Es war alles so unwirk lich.« Atlan nickte. »Verlassen wir diesen Ort des Grauens, Freunde! Ich ahne zwar, daß unter den ande ren Steinplatten andere Wesen im Nichtzu stand liegen und auf Erlösung warten, aber ich bringe es nicht fertig, noch einmal das gleiche zu tun.« Sie wandten sich ab und gingen davon, ohne sich noch einmal umzusehen …
* Als der Himmel sich mit Wolken bedeck te, war es für die drei Männer, besonders aber für Lebo Axton, wie eine Erlösung. Der Marsch durch die Geröllwüste hatte an ihren Kräften gezehrt, vor allem, als sie in ein Gelände kamen, in dem die Steine scharfkantige Splitter waren. Die Hitze des Tages und die Kälte der Nacht mußten im Lauf langer Zeiträume größere Steinbrocken nach und nach zertrümmert haben. Das unzulängliche Schuhwerk schützte kaum vor den Steinsplittern. Die Füße der Männer bluteten aus zahlreichen Wunden, und die letzten Kilometer hatten Atlan und Razamon Lebo Axton stützen müssen, sonst wäre er umgefallen. »Eine Pause!« flüsterte Axton und ließ sich auf den Boden sinken. Auch Razamon und Atlan waren er schöpft und ruhten sich aus. Sie hofften auf
Regen, doch die Wolken zogen hoch über ihnen nach Norden. Atlan erholte sich dank seines Zellaktiva tors zuerst. Er richtete sich auf und blickte nach Südwesten. Der Gebirgszug war infolge der geringe ren Entfernung hoch über den Horizont ge treten, eine Mauer aus zahllosen steil aufra genden Bergen, die bei einiger Phantasie gi gantischen Drachenzähnen ähnelten und überwiegend aus dunklem nacktem Fels zu bestehen schienen. Atlan schätzte den Berg, auf dem das burgartige Bauwerk thronte, auf eine Höhe von eintausendzweihundert Metern. Seine Wände stiegen steil an und waren von vielen Rissen und Spalten durchzogen. Die Burg selbst ruhte auf einem würfelförmigen Un terbau aus dunkelgrauem Mauerwerk, das an Zyklopenmauern erinnerte. Der Hauptturm schien hundert Meter hoch zu sein. Fünf weitere Türme waren nur halb so hoch, aber auch sie wirkten wuchtig und düster. »Imposant, wie?« fragte Razamon. Atlan wandte den Kopf und sah, daß der Pthorer sich aufgerichtet hatte und aus fun kelnden Augen zur Burg schaute. »Wie eine Zwingburg«, erwiderte er. »Gehen wir weiter?« fragte Razamon un geduldig. »Es sind höchstens noch zehn Ki lometer bis zum Fuß des Berges.« Atlan schüttelte den Kopf und blickte zu Lebo Axton, der mit offenem Munde schlief. »Morgen, Razamon. Lebo braucht Ruhe. Außerdem müssen auch wir einigermaßen frisch sein, wenn wir den Berg angehen wol len. Es wird eine höllische Kletterei werden. Eigentlich dürften wir Lebo nicht mit hinauf nehmen. Die Gefahr, daß er vor Entkräftung abstürzt, ist zu groß – und wir haben kein Seil, um ihn zu sichern.« »Wir können ihn aber nicht am Fuß des Berges zurücklassen«, widersprach der Pthorer. »Er wäre hilflos allen Gefahren aus geliefert, die es dort gibt – und ich bin si cher, daß es zahlreiche Gefahren für Ent kräftete gibt, hier wie dort.« »Wir sehen morgen weiter«, meinte At
38 lan. »Es wird ohnehin in etwa zwei Stunden dunkel. Aus der Nähe läßt sich wahrschein lich ein gangbarer Weg erkennen, der hinauf führt.« Razamon stimmte widerstrebend zu. Er wirkte erregt und ungeduldig. Wäre er nicht ebenfalls geschwächt gewesen, er hätte es vielleicht gewagt, noch am selben Tage al lein zum Berg aufzubrechen. So jedoch blieb auch er zurück. Atlan teil te sich mit dem Pthorer die Wachen. Sie wollten Lebo Axton schonen, denn sie wuß ten, daß er den Aufstieg zur Burg weitge hend aus eigener Kraft bewältigen mußte. Da Atlan wenig Schlaf benötigte, über nahm er die erste und die letzte Wache. Noch vor dem Anbruch der Nacht ging er die nähere Umgebung ihres Lagers ab. Er suchte nach Anzeichen dafür, daß es in die ser Gegend Raubtiere gab, die möglicher weise nachts ihre Baue verließen und auch Menschen gefährlich werden konnten. Aber er vermochte keine Anzeichen dafür zu entdecken. Einigermaßen beruhigt kehrte er deshalb zum Lager zurück und hockte sich neben seine Gefährten. Razamon war wieder eingeschlafen, aber er schlief unruhig und sprach mehrmals im Schlaf. Als Razamons Wache herangekommen war, streckte auch Atlan sich aus. Er schlief zwar nicht, aber er ruhte konzentriert, um sich für die Strapazen des kommenden Ta ges zu rüsten. Irgendwann in der Nacht rüttelte Raza mon ihn an den Schultern. Atlan fuhr hoch und griff nach seinem Messer. »Ruhig!« flüsterte Razamon. »Keine Ge fahr für uns, Atlan. Aber sieh dir die Gegend an, wo sich die Burg befinden muß!« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm schräg nach oben. Der Arkonide folgte der Richtung mit den Augen. Irgendwo schräg oben in der Finster nis entdeckte er eine Erscheinung, die einem kleinem Schwarm winziger Funken glich, wie sie beispielsweise aus zwei Feuersteinen fliegen, die man kräftig zusammenschlägt. »Seltsam!« flüsterte er, als könnten die ei-
H. G. Ewers genartigen Funken ihn hören. »Was kann das sein?« Razamon zuckte die Schultern. »Darüber läßt sich von hier aus nur spe kulieren, Atlan, aber sie scheinen ein Zei chen dafür zu sein, daß die Burg bewohnt wird – von wem oder was auch immer.« »Von Geistern«, scherzte der Arkonide. »Das Bauwerk ist vielleicht ein Spukschloß. Grünen Tee müßten wir haben.« »Grünen Tee?« fragte Razamon verärgert. »Was sollten wir damit anfangen?« Atlan lächelte. »Ein schottischer Edelmann erklärte mir einmal, daß man sich am besten gegen die Machenschaften von Schloßgeistern schüt zen könnte, wenn man sich grünen Tee in die Schuhe streute.« »Bei unserem Schuhwerk würde er gleich wieder herausrieseln«, erwiderte Razamon, dann erkannte er, daß er gefoppt worden war und stieß eine Verwünschung aus. Lebo Axton war erwacht und leise neben seine Gefährten getreten. »Eine getrocknete Fledermaus in der ge schlossenen linken Hand tut es auch«, mein te er ironisch. »Aber vielleicht sind das dort nur übergroße Glühwürmchen, die da oben um die Türme kreisen.« »Der Teufel soll euch Terraner mit euren dummen Sprüchen holen!« schimpfte Raza mon.
* Bei Tagesanbruch machten sie sich wie der auf den Weg. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig, denn sie wurden von Durst und Hunger gequält – und in der Ge röllwüste gab es weder Wasser noch Pflan zen oder Tiere. Nach etwa drei Stunden hatten sie den Fuß des Berges erreicht. Ihre Füße bluteten aus zahlreichen neuen Schnittwunden, doch das sowie Hunger und Durst waren verges sen, als sie die Stufen einer Treppe sahen, die in eine tiefe Felsspalte hineinführten. Fast eine Minute lang blieben sie in den
Die Todeswüste Anblick der Treppe versunken, dann brach Lebo Axton die Stille und sagte: »Ich könnte weinen vor Freude! Die gan ze Zeit über hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich mit dem geschwächten Grizzard-Körper den steilen Berg hinauf kommen sollte – und nun hat sich dieses Problem auf so wunderbare Weise gelöst.« Atlan musterte die ungefähr zwei Meter breiten und einen halben Meter hohen Stu fen. »Sie sind nicht für Menschen in den Fels gehauen, sondern für Riesen. Nach hundert Stufen werden uns die Beine zittern. Aber es besteht wenigstens nicht die Gefahr, daß wir abstürzen.« »Für Riesen …«, meinte Razamon nach denklich. »Vielleicht für solche wie diesen Dreimetermann in seinem blaßgrünen Ge wand, den ich bei den sieben Brunnen auf störte?« Er erschauderte. »Wenn ja, dann sind es zweifellos keine Untoten, denn sonst ruhten sie unter den Steinplatten bei den sieben Brunnen«, er klärte Lebo Axton. »Und wie sie aussehen, ist mir im Grunde genommen egal. Hauptsa che ist, daß es in der Burg Wasser gibt und etwas zu beißen.« Atlan lächelte. »Das ist auch meine Meinung. Fangen wir an! Ich schlage vor, daß Razamon voran geht, damit er Lebo helfen kann, wenn er nicht allein die Stufen hinaufkommt. Ich würde dann von unten nachschieben.« Axton seufzte. »Ich möchte so gern behaupten, ich brauchte eure Hilfe nicht, aber das wäre sinnlose Prahlerei. Immerhin wäre es für mich in meinem alten verkrüppelten Ken non-Körper noch schwieriger gewesen. Den noch hätte ich ihn gern wieder.« Seine Au gen verschleierten sich. Atlan legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nicht verzagen, alter Freund! Es hat schon so mancher etwas wiedergefunden, das er für immer verloren glaubte.« »So wie du deinen Extrasinn«, meinte Razamon und nickte dem Arkoniden ernst
39 zu, dann ging er in den Felsspalt und schwang sich elastisch die erste Stufe hin auf. Lebo Axton folgte ihm in forscher Hal tung. Auch er schaffte die erste Stufe mit glattem Schwung, aber oben mußte er be reits verschnaufen. Zwölf Stufen weiter schaffte er es schon nicht mehr allein. Atlan mußte von unten und Razamon von oben nachhelfen – und nach weiteren zehn Stufen legten sie die er ste Pause ein. Schwer atmend musterten sie die fast senkrecht aufsteigenden Wände aus schwar zem Marmor, durch die die Treppe führte, und ihnen wurde klar, welche Strapazen noch vor ihnen lagen. »Genau elf Meter von rund zwölfhundert haben wir in der ersten halben Stunde ge schafft«, faßte Atlan es in Worte. »Wenn ich mir vorstelle, daß noch knapp zweitausend vierhundert Stufen über uns liegen …« »Das schaffe ich niemals!« stieß Axton hervor. »Ich werde tot sein, bevor ich ein Viertel der Treppe hinter mich gebracht ha be. Am besten klettert ihr allein weiter. Ich komme so weit nach wie möglich. Wenn ihr oben Wasser und Nahrung findet, könnt ihr ja zurückkommen und mir etwas bringen. Dann schaffe ich es bestimmt auch.« Atlan schüttelte den Kopf und deutete nach oben. »Hast du die Vögel gesehen, die um den Berg kreisen, Lebo? Paß auf, gleich wird wieder einer erscheinen!« Es dauerte nur wenige Sekunden, dann huschte über den zirka zwei Meter breiten, von unten sichtbaren Ausschnitt des Him mels schemenhaft ein riesiger grauroter Vo gel. Seine Schwingen klafterten mindestens drei Meter. »Er ist nicht allein«, erklärte der Arkoni de. »Ich zweifle nicht daran, daß diese Vö gel sich auf alle wehrlosen Lebewesen stür zen und sie kröpfen. Es ist also ganz ausge schlossen, dich allein zurückzulassen.« »Aber ich schaffe es niemals bis nach oben«, erwiderte Lebo Axton verzweifelt.
40 »Und ihr schafft es auch nicht, wenn ihr mich mitschleppen müßt.« Razamon stand auf und starrte wild ent schlossen in die Höhe. »Wir kommen entweder alle hinauf oder überhaupt nicht!« erklärte er. »Aber ich will hinauf – und zwar schnell! Deshalb werden wir unsere Methode ändern, Atlan. Wir bei de heben künftig Lebo gemeinsam auf die nächste Stufe, dann folgen wir ihm – und so weiter.« »Das könnte tatsächlich besser gehen«, gab Atlan zu. Und es ging wirklich besser, nicht zuletzt, weil der Pthorer Kraftreserven mobilisierte, die Atlan nicht mehr bei ihm vermutet hatte. Sie keuchten und schnauften zwar, aber sie schafften in der nächsten halben Stunde sie benunddreißig Stufen. Eine Stunde später führte die Treppe aus dem Spalt hinaus und am freien Fels ent lang. Die drei Männer bemühten sich, nicht in die Tiefe zu sehen. Zwar waren Atlan und Razamon schwindelfrei, aber bei dem Grad ihrer Erschöpfung mochten sie sich darauf lieber nicht verlassen. Wenig später wurde die Treppe von ei nem meterbreiten Felsband abgelöst. Trotz Atlans Warnung nahm Razamon diese Gele genheit wahr, lud sich Axton auf die Schul ter und trug ihn fast einen Kilometer weit auf dem sich in zahlreichen Serpentinen windenden Band. Danach führten weitere Stufen wieder in einen Felsspalt hinein, und die Methode, Ax-ton zu transportieren, wurde wieder mühsamer. Doch der Pthorer entwickelte er staunliche Kräfte. Als Atlan die Arme kaum noch hochbekam, hob er allein Lebo Axton von Stufe zu Stufe – und er arbeitete mit berserkerhafter Verbissenheit. Atlan blieb schließlich fast hundert Meter hinter den Gefährten zurück. Aber er hielt nicht an, sondern setzte die ihm verbliebe nen und durch den Zellaktivator immer wie der mobilisierten Kräfte ökonomisch ein. Es war bereits dunkel, als er sich eine weitere Stufe hinaufzog, mit ausgestreckten
H. G. Ewers Armen nach der weiteren Stufe tastete und plötzlich über ein Hindernis stolperte. Er stürzte, rappelte sich aber gleich wie der auf und sah sich um. Und im noch schwachen Licht der Sterne erkannte er neben beziehungsweise vor sich seine beiden bewußtlosen Gefährten – und zwei Meter weiter ein gigantisches schwar zes, mit silbernen Ornamenten verziertes Tor, das ihm so hoch wie eine terranische Kathedrale vorkam. Geschafft! konnte er noch denken, dann übermannte auch ihn die totale Erschöpfung, und er brach zusammen.
8. Reiß dich zusammen! Du darfst nicht schlafen! Aufwachen! Rechne damit, daß dir und deinen Gefährten unbekannte Gefahren drohen! Nur du als Aktivatorträger kannst die Erschöpfung überwinden; du mußt nur wollen! Die intensiv auf Atlans Unterbewußtsein einhämmernden Impulse seines Extrasinns versetzten den Organismus in eine perma nente Streßsituation. Die Nebennieren schickten einen massiven Stoß Adrenalin in den Blutkreislauf. Dadurch wurde eine Be schleunigung von Atmung und Kreislauf be wirkt, die Großhirnrinde bekam dreimal so viel Sauerstoff zugeführt als normal – und als Resultat davon wachte der Arkonide auf. Nach einem tiefen Atemzug öffnete er die Augen. Sein Blick fiel auf etwas Schwarzes, auf dem etwas Silbriges schimmerte. Aufstehen! forderte sein Extrasinn. Starre nicht so träge wie ein terranischer Ochse auf einen Ausschnitt des Burgtors! Mit einer gedachten Verwünschung rich tete Atlan sich auf. Beinahe schlagartig ar beitete sein Gehirn wieder so präzise wie ge wohnt. Er wußte, wo er sich befand und daß seine Gefährten noch in tiefer Ohnmacht oder in tiefem Schlaf lagen, aus dem bezie hungsweise aus der sie in den nächsten Stunden nicht erwachen würden. Leicht schwankend stand er vor dem ge
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waltigen Tor und blickte an ihm hinauf. Sekundenlang mußte Atlan gegen eine Es mochte fünfzehn Meter hoch sein und drohende Panik ankämpfen, denn er hatte fünf Meter breit, bestand aus sehr massiv sich vorgestellt, was unweigerlich gesche wirkendem schwarzem Holz oder täuschend hen würde, wenn die Burg unbewohnt war. echtem Holzimitat und war relativ spärlich Lediglich mit einem Messer und den blo mit Silber beschlagen. ßen Händen konnte niemand das massive Da von ihm offenkundig keine akute Ge Tor aufbrechen, der nicht mindestens über fahr ausging, kümmerte der Arkonide sich die Kräfte eines Haluters verfügte. Und den erst einmal um seine Gefährten. Lebo Axton Abstieg über die tausendzweihundert Meter schien bewußtlos zu sein. Sein Atem ging hohe Treppe würde niemand von ihnen mehr zwar regelmäßig, aber flach, und sein Puls schaffen. war kaum ertastbar. Sie würden also unweigerlich ver Atlan öffnete die Kleidung Axtons und schmachten, falls das Tor nicht von innen geöffnet wurde – und die Aasvögel würden legte das Ohr auf die linke Brustseite. Auch das Herz schlug nur schwach, aber regelmä nur einen Haufen zerstreuter Knochen von ihnen übrig lassen. ßig. Es gab weder Stolpern noch Aussetzen noch Perioden rasenden Schiagens. Dem Ohne viel Hoffnung musterte der Arkoni nach bestand keine unmittelbare Lebensge de die Teile der Burgmauer, die er links und rechts neben dem Tor sehen konnte. Zumin fahr. Razamon war nicht bewußtlos, aber er dest hier bestanden sie nicht aus Zyklopen schlief den tiefen Schlaf völliger Erschöp blöcken, wie es von unten ausgesehen hatte. fung. Er hatte sich restlos verausgabt. Es Sie waren aus fugenlosem, senkrecht auf wäre gefährlich gewesen, ihn wecken zu steigendem Marmor, dem gleichen Material wollen. Starke Reize von außen konnten zur also, aus dem der Berg bestand. Es schien Verkrampfung der Koronararterien und zu fast, als wären sie aus dem Berggipfel her einem lebensbedrohenden Infarkt führen. ausgemeißelt worden. Bei einer Höhe von Nachdem Atlan seine Gefährten so gebet etwa siebzehn Metern bestand keine Mög tet hatte, daß sie nicht ersticken konnten, lichkeit, sie zu überwinden. wandte er sich wieder dem Tor zu. Schon wollte Atlan abermals mit der Warte noch! meldete sich sein Logiksek Faust gegen das Tor hämmern, als er hoch tor. Jetzt sind deine Gefährten hilflos, so daß über sich ein weißes Licht schweben sah. Es es gefährlich wäre, eine abwehrende Reakti glitt rasch von rechts nach links und ver on der Burgbewohner zu provozieren. schwand wieder aus seinem Blickfeld. Meine Kräfte sind fast aufgezehrt! dachte Sofort dachte der Arkonide an die Licht Atlan zurück, während er die Faust hob und funken, die Razamon und er während der mehrmals gegen das Tor schlug. Wenn ich vergangenen Nacht bei der Burg hatten her zu lange warte, bricht mein Kreislauf zu umschwirren sehen. Aus der Nähe hatte das sammen. Ich bin fast zum Skelett abgema Licht bedeutend größer und heller gewirkt, gert, so daß die aufputschenden Impulse des nicht wie das Leuchten eines Nachttiers. Zellaktivators sich früher oder später schäd Atlan drehte sich um – und da sah er viele lich auswirken müssen. andere Lichter oben in der Dunkelheit. Sie Wieder hämmerte er mit der Faust gegen bewegten sich mit unterschiedlichen Ge das Tor. Aber er war sich nicht einmal si schwindigkeiten und Richtungen. Es sah cher, ob man ihn auf der anderen Seite hören aus, als umschwirrten sie die Burg. konnte. Es war, als hämmerte er gegen eine Als eines der Lichter sich genau auf das Tor zu bewegte und dabei tiefer ging, weite meterdicke Wand aus Metallplastik. Anschließend wartete er einige Minuten. ten sich Atlans Augen, denn er erkannte un terhalb der Lichtquelle undeutlich die Um Aber die erhoffte Reaktion blieb aus.
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risse eines schalenförmigen Gegenstands seine Hüfte trug und in dessen Schlinge sein und hinter der Lichtquelle schemenhaft hu Wurfmesser stak. Nachdenklich schaute er manoide oder doch annähernd humanoide ihn an, dann nickte er. Konturen. Er kletterte die drei Stufen zurück. Im Eine von einem Piloten gesteuerte Flug Sternenlicht und im Streulicht der Flugscha schale! lenscheinwerfer sah er den Gegenstand dort »Hierher!« schrie Atlan, so laut er mit sei liegen. Erst jetzt erkannte er, daß es sich um ner ausgedörrten Kehle konnte. »Hierher!« eine Gürtelschnalle aus massivem Silber Er winkte wild mit den Armen. handelte. Er hob sie auf und wog sie in der Die Flugschale kam näher und schwebte Hand. Ihr Gewicht betrug mindestens drei über das Tor hinweg. Der grellweiße Licht hundert Gramm. kegel schwenkte unaufhörlich. Er tauchte Der Arkonide kehrte auf das Plateau vor einmal sogar Atlan in blendende Helligkeit – dem Burgtor zurück. Dabei spürte er, wie und kurz vorher erkannte der Arkonide, daß verbraucht er war. Die letzten Anstrengun der Pilot der Flugschale kein organisches gen und Entbehrungen hatten nicht nur jedes Gramm Fett seines Körpers verbraucht, son Lebewesen war, sondern ein plumper Robo ter mit fast würfelförmigem Rumpf, einem dern auch an den Muskeln gezehrt. Was üb rig geblieben war, reichte nur dank seines kuppelförmigen Schädel, zwei Beinen und zwei Armen. Zellaktivators gerade noch aus, um ihn ein Immerhin aber einem humanoiden Lebe paar Stunden lang auf den Beinen zu halten. wesen nachempfunden, was nach allen Er Nachdem er einige Minuten verschnauft fahrungen hieß, daß seine Konstrukteure hu hatte, stellte er aus dem Stoffstreifen eine manoid gebaut waren. Ob sie auch wie Men primitive Schleuder her. In die Schlaufe leg schen oder Arkoniden empfanden, war eine te er die silberne Gürtelschnalle. Er schwang andere Frage. sie ein paarmal probeweise, dann wartete er Als der Lichtkegel Atlan traf, schloß er auf einen günstigen Augenblick. geblendet die Augen – und als er sie wieder Als eine der Flugschalen sich dem Tor so öffnete, war die Flugschale mit dem Roboter weit näherte, daß sie in Reichweite der Schleuder war, wirbelte Atlan die Schleuder verschwunden. Er hat mich überhaupt nicht beachtet, ob mehrmals um seinen Kopf, dann richtete er wohl er mich gesehen haben muß! dachte die Kreisbahn der Schlaufe unter Berück Atlan zornig. sichtigung des Vorhaltewinkels auf die Das Verhalten von Robotern wird durch Flugschale und ließ die Gürtelschnalle da ihre Programmierung bestimmt! teilte ihm vonfliegen. sein Logiksektor mit. Sie traf, als sich der Lichtkegel des Scheinwerfers gerade auf Atlan richtete. Es »Das weiß ich auch!« schrie Atlan wü klirrte laut, dann erlosch das Licht. tend. Er dachte eine Weile nach, während er die »Darauf wirst du reagieren müssen!« Flugschalen beobachtete, die in größerer schrie der Arkonide triumphierend. Höhe um die Marmorburg kreisten, dann er Aber die Flugschale schwebte über das innerte er sich daran, daß er drei Stufen Tor und entschwand seinem Blick, ohne daß tiefer einen metallischen Gegenstand gese der Robotpilot sich um den Fremden küm hen hatte. Infolge seiner Entkräftung war er merte, der seinen Scheinwerfer zertrümmert jedoch nicht fähig gewesen, sich um ihn zu hatte. kümmern, sondern hatte seine ganze Wil Resignierend setzte Atlan sich auf das lenskraft darauf konzentriert, weiterzuklet Plateau. Obwohl er sich sagte, daß der Ro tern. boter ja nicht unbedingt direkt reagieren mußte, sondern den Zwischenfall wahr Atlan löste den Stoffstreifen, den er um
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scheinlich nur weitergemeldet hatte, sank seine Zuversicht rapide.
* Eine Stunde später war das Tor noch im mer geschlossen, und der Arkonide spürte, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis er infolge Auszehrung zusammenbrach – ohne die Möglichkeit, sich wieder zu erholen. Er mußte etwas unternehmen, solange er noch einen Rest an Kraft besaß! Er stand auf – und schloß die Augen, weil sich alles um ihn zu drehen schien. Mit zu sammengepreßten Zähnen kämpfte er gegen den Schwächeanfall und überwand ihn schließlich. Doch er wußte, daß diesem An fall weitere folgen würden und in immer kürzeren Abständen. Mühsam zermarterte er sein Gedächtnis, um sich an etwas zu erinnern, das ihm even tuell helfen könnte. Mit bitterem Lächeln quittierte er die Erfahrung, daß auch ein photographisches Gedächtnis nur so lange perfekt funktionierte, wie die Durchblutung und damit die Sauerstoffversorgung des Ge hirns optimal war. Aber er ließ nicht locker, und schließlich sah er vor seinem inneren Auge einen Ab schnitt der Treppe und ein Stück Steilwand, aus dem ein kopfgroßer Marmorbrocken herausgebrochen war. Im Geist wog er den Brocken in den Hän den und fragte sich, ob er ihn kräftig genug gegen das Tor schlagen konnte, damit das Hämmern dahinter und auch tiefer in der Burg gehört wurde. Es erschien ihm mög lich, aber nicht sicher. Doch er hatte gar kei ne andere Wahl, als diese letzte Möglichkeit wahrzunehmen. Er mußte sich allerdings bemühen, nicht daran zu denken, wo der Marmorbrocken lag, sonst hätte er gleich aufgegeben. Ungefähr eine Stunde lang kroch er auf dem Bauch von Stufenkante zu Stufenkante, ließ sich einfach auf die jeweils nächstuntere Stufe fallen und sparte auf diese Weise Kraft, dann hatte er die leichtere Hälfte sei
nes Weges geschafft. An einer scharfen Kehre lag der Stein brocken. Er war sogar noch etwas größer, als Atlan in Erinnerung gehabt hatte. Ohne sich aufzuhalten, hob der Arkonide ihn hoch und setzte ihn auf der nächsthöheren Stufe ab, danach zog er sich hoch, kroch auf dem Bauch zur Unterkante der nächsten Stufe und schob den Marmorbrocken vor sich her. Nach zwanzig Minuten hatte er ein Vier tel des Rückwegs geschafft. Aber er glaubte sich am Ende seiner letzten Kräfte. Der Brocken war ihm beim Anheben vom Mal zu Mal schwerer vorgekommen. Beim letz ten Mal hatte er ihn erst nach dem fünften Versuch auf die nächsthöhere Stufe heben können. Er selbst kam nicht mehr hoch. In seinen Händen und Armen war kein Gefühl mehr. Er lehnte an der nächsten Stufe, kämpfte gegen einen Schwächeanfall und hätte am liebsten geheult. Doch auch dazu fehlte ihm die Kraft. Wie es ihm irgendwann letzten Endes doch gelungen war, weiter zu kommen, hätte er hinterher nicht mehr sagen können. Er be wegte sich wie in Trance, ohne etwas zu se hen oder zu hören. Anscheinend hatte sein Unterbewußtsein die Steuerung des Körpers übernommen. Als es um ihn herum hell wurde, kam er wieder zu sich. Als erstes spürte er das ra send schnelle Pulsieren seines Zellaktiva tors, dann sah er, daß es Tag geworden war. Die Silberbeschläge des Tores glänzten im Licht der Sonne, als wären sie eben erst po liert worden – und erst bei diesem Anblick wurde sich Atlan bewußt, daß er wieder auf dem kleinen Plateau vor dem Burgtor lag. Panik wollte ihn übermannen, denn er vermochte sich nicht vorzustellen, daß er den Marmorbrocken trotz seiner Erschöp fung mitgeschleppt hatte – und er wollte nicht daran denken, daß er wieder zurückge hen und ihn holen würde, denn das hätte er nicht mehr geschafft. Aber dann sah er den Brocken wenige Zentimeter von seiner linken Hand entfernt auf dem Plateau liegen – und er schluchzte
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vor Erleichterung. Es öffnet sich! Langsam wälzte er sich herum. Auf den heißen Impuls der Freude folgte Lebo Axton und Razamon lagen ebenfalls die Vorstellung, was das Wesen, das das Tor öffnete, von ihm halten würde, wenn es ihn noch da. Axton schien zu schlafen, aber Razamon regte sich schon wieder. kniend und hilflos vor sich sah. »Razamon?« flüsterte Atlan. Ohne zu wissen, wie, stand Atlan plötz Der Pthorer antwortete nicht. Dazu war er lich wieder auf den Füßen. Hastig raffte er anscheinend zu schwach. den Stoffstreifen auf und schob das Messer Ganz langsam richtete Atlan sich auf. Er durch die Schlinge, dann band er sich den Streifen um die Hüften. fühlte sich wie gerädert. Seine abgemagerten Hände waren verschrammt und blutverkru Als er sich erneut dem Tor zuwandte, war stet; seine Finger zitterten. Die Adern traten der Spalt etwa dreißig Zentimeter breit und dick auf den Handrücken hervor. vergrößerte sich schneller als zuvor. Dahin Es ist eigentlich völlig unmöglich, daß ein ter schimmerte gelbliches Licht. Atlan legte eine Hand auf den Griff seines körperliches Wrack wie ich noch einmal auf stehen kann! dachte der Arkonide. Messers, die andere streckte er, mit der Dennoch schaffte er es. Aber als er sich Handfläche nach oben, grüßend aus. Er bückte, um den Felsbrocken aufzuheben, konnte nur hoffen, daß es zu einer friedli wurde ihm so schwindlig, daß er wieder hin chen Begegnung kam, denn in seiner körper fiel. Doch er stand sofort wieder auf, als der lichen Verfassung hätte ein Kind ihn besie Schwächeanfall vorbei war. gen können. Diesmal gelang es ihm, den Marmor Noch bevor die beiden Torflügel ganz brocken aufzuheben. Er schien zwei Zentner aufgeschwungen waren, sah der Arkonide zu wiegen, obwohl sein Gewicht höchstens den Fremden. Er war groß, etwa zwei Meter, und sehr zehn Kilogramm betrug. Dennoch hatte At hager und langbeinig – und er war humano lan das Gefühl, die Arme würden ihm aus id. den Schultergelenken gerissen. Zentimeterweise hob er den Brocken Seine Kleidung bestand aus einem hoch, dann ging er aufrecht und ohne zu schwarzen, mit Silber beschlagenen Leder schwanken zum Tor, hob den Marmor kilt und einem ebenfalls schwarzen, seidig brocken mit zusammengebissenen Zähnen schimmernden Hemd. hoch über seinen Kopf und schlug ihn wie Mehr vermochte Atlan nicht zu erkennen, der und wieder gegen das Tor. denn ihm wurde schwarz vor Augen. Den Nach einiger Zeit merkte er, daß er nur noch hielt er sich aufrecht, und er hörte den mit leeren Händen zuschlug. Irgendwann Fremden in der Sprache, die so sehr dem mußte ihm der Marmorbrocken entglitten Pthora glich, sprechen. Es schien ihm aber sein. Langsam, wie in Zeitlupe, brach er in nicht, als spräche er zu ihm. die Knie. Endlich vermochte Atlan wieder einiger Er wußte, daß er den Felsbrocken nicht maßen klar zu sehen. Er sah, daß der Fremde mehr aufheben konnte. Falls man ihn auch einen Gegenstand in eine Halterung seines diesmal nicht gehört hatte, war alles vorbei. Gürtels zurücksteckte und erkannte in ihm Seine Augen waren blicklos auf das Tor ge so etwas wie ein kleines Funkgerät. Eine richtet, das für ihn und seine Gefährten zum Waffe schien er nicht zu tragen, was den Ar Schicksal geworden war. koniden ungemein erleichterte. Als sich in der Mitte des Tores ein verti Ich würde dennoch vorsichtig sein! raunte kaler Spalt bildete, glaubte der Arkonide zu ihm sein Extrasinn zu. Da er das Funkgerät erst an eine Halluzination. Doch dann erwei benutzt hat, wird er Verstärkung herbeigeru terte sich der Spalt allmählich. fen haben.
Die Todeswüste Ich bin so vorsichtig, wie ein körperliches Wrack sein kann! dachte Atlan zurück. Er versuchte ein Lächeln, war sich aber nicht sicher, ob es ihm gelang, dann sagte er so klar wie möglich: »Ich bin Atlan.« Er deutete auf seine Gefährten. »Das sind Lebo Axton und Razamon. Sie sind erschöpft und brauchen Hilfe. Vor al lem brauchen sie Wasser, denn sie haben lange gedurstet.« Zum erstenmal gelang es ihm, Einzelhei ten im Gesicht seines Gegenübers zu erken nen. Es wirkte fast menschlich, war aber ziem lich flach und haarlos. Die Nase saß da, wo sie auch bei Menschen und Arkoniden saß, aber sie war nur eine kirschgroße runde Er hebung mit zwei stecknadelkopfgroßen Lö chern. Die Augen waren lange schmale Schlitze, hinter denen es hellgrün leuchtete und die sich fast an der Nasenwurzel trafen. Die Kopfoberseite wurde von einem dichten kurzen Pelz bedeckt, der goldbraunem Samt glich. Der Mund war oval, mit hellroten Lip pen. Die Haut hatte, soweit sie sichtbar war, die Farbe von hellem Ocker. Als das Wesen die rechte Hand ausstreck te, sah Atlan, daß sie fünffingrig war. Aller dings bestand der »kleine Finger« nur aus einer Art Knochendorn. »Ich bin Kuashmo«, sagte der Langbeini ge. »Willkommen in der Burg Odiara! Ich habe Hilfe für deine Begleiter gerufen, At lan. Aber mir scheint, du brauchst ebenfalls Hilfe.« Atlan atmete auf. Dennoch blieb er wach sam. »Danke, Kuashmo«, erwiderte er. »Aber wie du siehst, kann ich allein auf meinen Fü ßen stehen. Ich hätte nur gern einen Schluck Wasser.« Das letzte Wort brachte er erst beim zwei ten Ansatz undeutlich hervor, denn bei dem Gedanken an klares kühles Wasser zog sich seine Kehle in einem vergeblichen Schluck reflex zusammen. Kuashmo ließ sich nicht anmerken, ob er
45 die Sprachschwierigkeit seines Besuchers richtig deutete. Statt dessen trat er zur Seite, um Platz zu machen für die Helfer, die er über Funk gerufen hatte …
* Atlan erkannte in den sechs plumpen Ro botern sofort jenen Typ wieder, den er in den Flugschalen gesehen hatte. Doch da waren es nur undeutliche Wahr nehmungen gewesen. Für so plump, wie sie sich seinem Blick darboten, hatte er sie nicht gehalten. Sie waren ungefähr anderthalb Meter groß, mit würfelförmigen Rümpfen, deren Kantenlänge einen halben Meter betrug. Ihre kuppel-förmigen Köpfe mochten dreißig Zentimeter hoch sein und saßen auf bedenk lich schwankenden spiralförmigen »Hälsen«. Die Beine waren einfache Metall röhren mit knirschenden Kniegelenken und großen flachen Füßen. An den Seiten der Rumpfwürfel waren in Kugelgelenken dün ne Metallarme befestigt, die so lang waren, daß sich die Roboter beim Gehen auf die klobigen Greifklauen stützen konnten. Das schien auch sehr nötig zu sein, denn die Roboter verfügten offenbar nicht über Lagestabilisatoren und wären ohne Stützar me umgekippt. Wahrscheinlich waren die Stabilisatoren irgendwann ausgefallen, denn die stark korrodierte Außenhülle der Ma schinen verriet, daß sie uralt und obendrein niemals gepflegt worden waren. Erschrocken sah Atlan, wie sich jeweils zwei der Roboter zu Axton und Razamon begaben und sich schwankend darum be mühten, sie aufzuheben. Sie setzten dabei ihre Greifklauen so ungeschickt ein, daß der Arkonide mehrmals um die Gliedmaßen sei ner Gefährten fürchtete. Am liebsten hätte er diese Art von Hilfe zurückgewiesen, aber er wußte, daß seine Gefährten dringend Hilfe brauchten und mußte deshalb die Roboter akzeptieren, da es offenbar keine anderen Helfer gab. Er war fast verblüfft, als es den Maschi
46 nen trotz allem gelang, Razamon und Axton aufzuheben und mit jeweils einem Arm zwi schen sich festzuhalten, während sie die frei en Arme dazu benutzten, sich im Gleichge wicht zu halten. Zwei der Roboter stellten sich schließlich links und rechts neben ihm auf. »Ich kann allein gehen!« protestierte At lan und setzte sich in Bewegung. Doch im nächsten Augenblick schien sich alles um ihn zu drehen – und ohne die Hilfe der beiden Roboter, die ihn zu seiner Ver wunderung ziemlich behutsam stützten, wä re er gestürzt. Wenig später war er noch dankbarer für die Hilfe der beiden Roboter, denn Kuashmo führte sie eine Wendeltreppe hinab, die der Arkonide allein niemals hätte benutzen kön nen, so schwach waren seine Beine. Am Ende der Wendeltreppe führte Kuash mo sie durch einen kurzen Korridor und durch ein zweites, kleineres Tor in einen weiten Innenhof. In der Mitte des Innenhofs ragte der Hauptturm rund hundert Meter empor. Auch er schien aus dem Marmor des Berggipfels herausgehauen worden zu sein. Da der Bur ghof nicht quadratisch, sondern asymme trisch war, waren die fünf kleineren Türme nicht gleich weit von ihm entfernt, sondern zwischen etwa fünfzig und zweihundert Me ter. Das alles nahm Atlan nur verschwommen wahr, auch, daß seine beiden Gefährten ir gendwo neben einem Ziehbrunnen lagen und von »ihren« Robotern mit Wasser über gossen wurden. Irgendwann setzten seine Wahrnehmun gen völlig aus, und er kam erst wieder zu sich, als auch er mit Wasser übergossen wurde. Gierig versuchte er, das über sein Gesicht rinnende kühle Naß zu trinken. Aber seine Lippen wurden nur benetzt und waren gleich darauf wieder trocken. Dann hielt ein Roboter ihm eine mit Was ser gefüllte Kelle an die Lippen. Nur in kleinen Schlucken trinken! warnte sein Extrasinn.
H. G. Ewers Es hätte dieser Warnung nicht bedurft. Atlan besaß viel zu viel Erfahrung mit Not fällen, um seinen ausgedörrten Körper mit Wasser vollzuschütten. Er nahm zuerst einen Mundvoll Wasser und wartete, bis sein Gaumen und seine Zunge es aufgesaugt hatten. Danach ließ er einen zweiten, kleinen Schluck langsam die Speiseröhre hinabrinnen. Mit eiserner Selbstbeherrschung wartete er anschließend etwa eine Minute, dann trank er in kleinen Schlucken die Kelle leer. Er fühlte sich wie im Paradies, als er das kühle Naß schmeckte und bald darauf spür te, wie es ihn belebte. Seine Wahrnehmun gen wurden allmählich klarer. Als der Roboter ihm eine zweite Kelle voll Wasser anbot, trank er sie in einem Zug leer. Für Sekunden schwand das bohrende Hungergefühl, das er nach der ersten Kelle Wasser wieder gespürt hatte. Aber das hielt nur so lange an, bis das Wasser seinen Ma gen wieder verlassen hatte, dann verstärkte es sich. Es war ein gutes Zeichen, denn es verriet ihm, daß sein Organismus die Zeit des Dur stes und des Hungers unbeschadet überstan den hatte. Er schaute sich nach seinen Gefährten um. Lebo Axton hatte die Augen geöffnet, war aber noch zu schwach, um etwas zu sagen. Razamon dagegen richtete sich auf, stand breitbeinig und schwankend vor Kuashmo und deutete mit dem Finger auf seinen offe nen Mund. Kuashmo verschränkte die Arme vor der Brust und verneigte sich. »Ich habe alles herrichten lassen, Raza mon«, sagte er, nachdem er seinen Oberkör per wieder aufgerichtet hatte. »Wenn ihr so gütig sein wollt, mir zu folgen!« Razamon blickte den Langbeinigen ver wundert an, dann schaute er zu Atlan hin über und grinste. Der Arkonide kannte den Grund, aber im Gegensatz zu dem Pthorer amüsierte er sich nicht über den Eifer Kuashmos, ihnen zu
Die Todeswüste helfen. Er fragte sich nach dem Grund dafür, warum Kuashmo sich so eifrig um drei ab gerissene Habenichtse kümmerte, die er vor dem Burgtor aufgelesen hatte. Allerdings konnte er es sich in seiner La ge nicht leisten, die Hilfe abzuschlagen. Er war auch jetzt noch nicht in der Lage, ohne Hilfe zu gehen, und auch Razamon mußte sich von seinen beiden robotischen Helfern stützen lassen. Lebo Axton wurde weiterhin getragen. Kuashmo führte die Besucher zu einem langgestreckten Gebäude an der Nordostsei te der Anlage, die, wie Atlan erst jetzt er kannte, ein unregelmäßiges Fünfeck bildete, mit je einem Nebenturm in den Ecken. Auch das Nebengebäude bestand aus schwarzem Marmor, war aber nicht aus massivem Fels herausgehauen, sondern aus sorgfältig bear beiteten Marmorblöcken errichtet. Sein Dach war trogförmig gewölbt und bestand entweder aus massivem Kupfer oder war mit einer Kupferschicht überzogen. Durch ein vier Meter hohes Portal wurden die drei Männer ins Innere des Gebäudes ge führt. Sie gingen durch eine etwa acht Meter hohe Halle, die durch einen starken Mittel pfeiler aus Marmor abgestützt wurde. In zahlreichen Nischen standen Statuen unter schiedlichster Wesen. Nur einige wiesen die Körperform Kuashmos auf. Aus kreisförmi gen Löchern in der Decke fiel gelbes Kunst licht. Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle ging es in einen kurzen Korridor und danach in einen langgestreckten Saal, der verblüffend einem Rittersaal in terranischen Burgen des Mittelalters ähnelte. Allerdings wirkte seine Innenausstattung nicht mittelal terlich, sondern modern. Aus verglasten Streifen an den Wänden fiel Licht in den Saal und beleuchtete einen langgestreckten Tisch aus Metallplastik, um den zwölf verstellbare Sessel standen, die Kontursesseln aus terranischen Raumschif fen glichen. Eine Klimaanlage kühlte die Luft im Saal angenehm. Für Atlan war es schon beinahe zu kalt.
47 Und auf dem Tisch standen Gläser, Karaf fen, breite Eßschalen – und große Silber schüsseln, die mit unbekannten Früchten, mit Stücken gebratenen Fleisches und unbe kannten Gemüsen gefüllt waren. Axton wurde von seinen Betreuern in einen Sessel gesetzt. Aber als die Roboter ihm Fleischstücke in den Mund schieben wollten, protestierte Atlan. Er ließ sich zum Tisch führen, goß aus einem Gefäß, halb Kanne, halb Schüssel, etwas in Axtons Eß schale, das Soße oder dicke Suppe zu sein schien, dann nahm er einen neben der Eß schale liegenden, ungewöhnlich langstieli gen Löffel mit schnabelförmiger Kelle und zeigte den Robotern, wie sie Axton füttern sollten. Axton lächelte, und Atlan nickte ihm auf munternd zu. Anschließend nahm er selbst in einem Sessel Platz. Razamon saß bereits und stopfte sich den Mund voll kleiner Früchte, die einer Kreuzung zwischen Erd beeren, Kirschen und Himbeeren ähnelten. Er war ebenfalls klug genug, sich nicht so fort an feste Nahrung zu wagen. Atlan nahm sich zuerst etwas von der »Soßen-Suppe«. Sie schmeckte nach gar nichts, bis sich ein Nachgeschmack wie nach Semmelbröseln und Honig einstellte. Anschließend nahm er etwas Obst und Ge müse zu sich – und zuletzt aß er vorsichtig ein paar Fleischstücke, die nach Wild schmeckten und scharf gewürzt waren. Unterdessen hatte Kuashmo den Freunden aus Karaffen eine hellgrüne Flüssigkeit in kurzstielige Gläser, die die Form faustgroßer Schrumpfköpfe hatten, gegossen. Atlan deutete auf ein leeres Glas und sag te: »Schenk dir auch ein, Kuashmo! Wir sind es gewohnt, daß unsere Gastgeber mit uns trinken.« Kuashmo lächelte, ohne den Mund zu öff nen. Atlan merkte es sich. Dann schenkte er sich ebenfalls ein Glas voll. Atlan hob sein Glas. »Auf das, was wir lieben!« »Mögen eure Augen gnädig auf mir ru
48 hen!« sagte Kuashmo. Er wartete, bis Atlan und Razamon ihre Gläser an die Lippen setzten – Lebo Axton erhielt sein Glas von einem Roboter gereicht –, dann kippte er den Inhalt mit einem Zug hinunter. Atlan nippte erst einmal vorsichtig, dann blickte er respektvoll zu Kuashmo, denn die Flüssigkeit, die der Langbeinige gekippt hat te, bestand aus fast hundertprozentigem Al kohol, dem scharfe Gewürze beigefügt wa ren. Sie brannte wie Feuer. Razamon schien das nichts auszumachen, denn er folgte Kuashmos Beispiel. Atlan und Axton aber beließen es bei je einem winzigen Schluck. Als der Arkonide merkte, wie sich Mü digkeit in seinem Körper ausbreitete, fragte er Kuashmo nach ihrer Unterkunft. Auch diesmal reagierte der Langbeinige mit unbegreiflichem Eifer. Abermals führte er die Besucher. Razamon und Atlan konn ten bereits ohne Hilfe gehen, während Axton noch gestützt werden mußte. Kuashmo brachte sie zu einem riesigen Raum unterhalb der Burghofebene. Dort wa ren auf dem Boden große Matten ausgebrei tet – und darauf lagen wahre Berge von Decken und Polstern. Kuashmo öffnete eine Nebentür und er klärte: »Dort befinden sich die hygienischen Ein richtungen. Wenn ihr sonst etwas braucht oder durch die Burg geführt werden wollt, braucht ihr eure Wünsche nur gegen jenen Spiegel zu sprechen.« Er deutete auf einen übermannshohen ovalen Spiegel aus poliertem Metall, der an einer Wand hing. »Danke!« sagte Atlan. »Du kannst dich jetzt zurückziehen, Kuashmo!« Nachdem der Langbeinige sich unter zahlreichen Verbeugungen entfernt hatte, meinte Razamon: »Das Leben hat uns wieder, Freunde. Ich hatte nicht erwartet, so gastfreundlich aufge nommen zu werden, ehrlich.« »Ich auch nicht«, erwiderte Atlan auf In terkosmo und deutete auf den Wandspiegel,
H. G. Ewers
um auszudrücken, daß er das Interkosmo wählte, weil er annahm, daß Kuashmo über einen Spiegel, der auch als »Interkom« diente, ihre Gespräche mithören konnte. »Aber so froh ich einerseits darüber bin, be unruhigt es mich gleichzeitig. Kuashmo scheint uns mit anderen Personen zu ver wechseln. Das birgt einigen Konfliktstoff. Wir müssen sehr vorsichtig sein und ihm ge genüber keine eindeutigen Aussagen ma chen.« »Ich werde schon herausbekommen, für wen Kuashmo mich hält«, erklärte Lebo Ax ton, der noch immer von zwei Robotern ge stützt wurde. »Aber sorgt erst einmal dafür, daß diese beiden Dinger mich freigeben, sonst drehe ich durch!« Sein uraltes Kennon-Robotertrauma kommt zum Durchbruch! teilte der Logik sektor dem Arkoniden mit. Das wird Pro bleme geben! Atlan eilte zu Axton, stützte ihn und schickte die Roboter weg, dann sagte er: »Diese Dinger sind alberne Blechkästen, Sinclair. Für Männer wie dich eignen sie sich nur zum Spielen, denn sie sind dir in je der Beziehung weit unterlegen.« Lebo Axton grinste schief. »Wahrscheinlich hast du recht, Lordadmi ral. Aber jetzt möchte ich schlafen. Danach sehen wir weiter.« Atlan half ihm zu einem Lager. Im näch sten Moment war Axton eingeschlafen. Inzwischen hatte Razamon die Tür über prüft und herausgefunden, daß sich ihr Schloß verriegelte, wenn man die Hand auf eine Silberplatte daneben legte. »Damit uns niemand stiehlt«, meinte er lächelnd. Atlan ließ sich auf ein freies Lager fallen und seufzte. »Mir ist gar nicht zum Scherzen zumute. Wir haben zwar nur Kuashmo und ein paar Roboter gesehen, aber ich kann mir nicht denken, daß er allein mit den Maschinen auf Odiara lebt. Hier gibt es mit Sicherheit noch einige Überraschungen und Geheimnisse, die uns demnächst zu schaffen machen wer
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den.« Er schloß die Augen. Razamon sagte: »Ich brenne darauf, die Geheimnisse die ser Burg zu lüften, wenn auch nicht sofort.« Er gähnte. Atlan lächelte, und während er einschlief,
versuchte er sich vorzustellen, was sie in der Burg Odiara noch alles erwarten mochte.
ENDE
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Burg der Geheimnisse
von H. G. Ewers