Atlan - Der Held von Arkon Nr. 222
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 222
Die stählernen Schwingen von Orxh Ein Totgeglaubter erscheint - und die Welt des Friedens revoltiert von Peter Terrid Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol, den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. Die große Chance eines neuen Schlages gegen den Thronräuber sieht Atlan in dem Moment gekommen, als es ihm und Fartuloon, seinem Erzieher und Lehrmeister, gelingt, die Leiche Gonozals VII. von Hocatarr zu entführen und mit Hilfe des letzten noch in seinem Besitz befindlichen Lebenskügelchens aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Der Kristallprinz bringt seinen Vater nach Xoaixo, der Welt des Friedens, die sich durch das Erscheinen des Totgeglaubten sofort in einen Unruheherd verwandelt. Hauptschauplatz des turbulenten Geschehens sind DIE STÄHLERNEN SCHWINGEN VON ORXH …
Die stählernen Schwingen von Orxh
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und der Bauchaufschneider machen ein Experiment. Thaher Gyat und Zihat Baluch - Zwei alte Herren versetzen einen Planeten in Aufruhr. Gonozal VII. - Ein Totgeglaubter erscheint. Nander Guntakal - Gouverneur von Xoaixo. Guma Tarthing - Ein Spitzel der POGIM.
1. Verzweiflung war noch die schwächste Umschreibung für den Zustand, in dem ich mich befand. Ich saß in einer Zwickmühle gefangen, die bösartiger selbst der tote Sofgart nicht hätte erdenken können. »Es war dein Wille und Entschluß!« erinnerte mich das Extrahirn. Natürlich, es war Fartuloons Idee gewesen, aber ich hatte sie aufgegriffen und durchgeführt. Letztlich trug ich die Verantwortung für das Geschehene. »Vorwürfe helfen jetzt nicht viel«, meinte Fartuloon gelassen. »Wir müssen etwas unternehmen.« Ich machte eine Handbewegung, die meine Ratlosigkeit offenkundig machte. Mit zusammengebissenen Zähnen betrachtete ich meinen Vater. Er war mein Vater, so, wie ich ihn kannte. Fartuloon und seine Helfer hatten ganze Arbeit geleistet. Die Auswirkungen, die die Einbalsamierung hervorgerufen hatte, waren nicht mehr zu sehen. In dem Sessel saß ein hochgewachsener Mann, knapp vierzig Jahre alt. Das markante Gesicht, das meinem so ähnlich sah, mußte jeder Arkonide kennen – so hatte Gonozal VII. Imperator des Großen Imperiums, zu seinen Lebzeiten ausgesehen. Jeder wußte auch, daß der Imperator bei einem Jagdunfall auf dem Planeten Erskomier ums Leben gekommen war. Seither regierte sein Bruder Orbanaschol das Imperium. Genaugenommen war Gonozal VII. immer noch tot, obwohl ich versucht hatte, ihn mit meinem letzten Lebenskügelchen aufzuwecken. Der Versuch war kläglich fehlgeschlagen. Aufgeweckt hatten wir den Körper; den Geist,
den Verstand, die Persönlichkeit meines Vaters hatten wir nicht zurückrufen können. Vor uns saß ein lebender Leichnam. Ich konnte den Blick nicht von der Gestalt wenden. Diese lebende Leiche war mein Vater. Hatte ich das Recht, so mit seinem Leib zu verfahren? Was wußten wir schon über die andere Seite jener Grenze, die das Leben vom Nicht-Leben trennte. Fartuloon hatte behauptet: wäre dieser Körper beseelt, er würde mir auch in dieser Form helfen wollen. Das mochte stimmen, aber was, wenn Fartuloon sich irrte? »Atlan!« erklang Fartuloons Stimme und riß mich gewaltsam in die Wirklichkeit zurück. »Ich habe einen Plan.« »Laß hören!« sagte ich lustlos. »Es hilft uns nichts, wenn wir Gonozal anstarren und ihn und uns bedauern«, stellte der Bauchaufschneider sachlich fest. »Ich gebe zu, daß dein Vater ein tragisches Schicksal erlebt. Es ist unsere Sache, dafür zu sorgen, daß seine Wiederbelebung einen Sinn bekommt. Ich habe Befehl gegeben, das System Llaga-del-Amrgh anzufliegen. Dort wird der Imperator zum ersten Mal eingesetzt werden. Stimmst du mir zu, Atlan?« Ich nickte stumm. Er sprach von meinem Vater wie von einer neuartigen Waffe. In diesem Augenblick widerte er mich an.
* Von den Planeten des Llagadel-Armgh-Systems genoß Xoaixo den Ruf eines wahren Paradieses. Von den vier Kontinenten galt Sighan als der schönste, speziell an der Westküste. Von den Stätten an der Westküste wurde vor allem Ahjod seiner
4 Schönheit wegen gerühmt, dort lagen die exklusivsten – und teuersten – Heime. Von diesen Heimen wiederum galt jenes als das erlesenste, das den Namen »Die stählernen Schwingen von Orxh« führte. Dort wohnte die Creme de la Creme Xoaixos. Seinen Namen verdankte das Heim Thaher Gyat. Thaher Gyat genoß den Ruf, die widerwärtigste, unausstehlichste, übellaunigste Person zu sein, die das Große Imperium zu bieten hatte. Der Mann kokettierte wie eine alte Jungfer mit seinem Alter; seinen gelegentlichen Andeutungen zufolge hätte er die Erschaffung des Universums als technischer Direktor miterlebt haben müssen. Thaher Gyat überragte die meisten seiner Bekannten um mehr als zwei Köpfe, dafür war er nur halb so umfangreich wie sie. Seine Bewegungen waren gezeichnet von der Grazie eines schrottreifen Ballettrobots, seine Rede laut, anmaßend und voll Bosheit. Seine Flüche ließen selbst Kralasenenoffiziere schamrot werden, seine Komplimente riefen gelegentlich Ohnmachten hervor. Thaher, Gyat verschlang Nahrungsmittel, als wolle er seinen Leibesumfang binnen einer Woche verzehnfachen, dazu trank er unmäßig. Thaher Gyat war ein Scheusal, aber er war der Mann, der Orbanaschol ins Gesicht gesagt hatte, er sei ein aufgedunsener Schwachkopf. Der Mann drehte sich ächzend im Bett herum und starrte blinzelnd an die Decke. »Bei allen Göttern Xoaixos«, seufzte er wehleidig. »Schon wieder Morgen!« In dem Raum brannte nur eine schwache Notbeleuchtung. In diesem Licht konnte Thaher von dem großen Chronometer neben seinem harten Bett ablesen, daß die Sonne in vierzig Minuten aufgehen würde. Thaher holte tief Luft, dann sprang er aus dem Bett. Sekunden später lief ihm eiskaltes Wasser über die mageren Schultern; auf die Annehmlichkeit eines warmen Duschbades verzichtete der alte Mann. Nach dem Bad zog er Sportkleidung an und verließ das Zimmer. Die Gänge der »Stählernen Schwingen
Peter Terrid von Orxh«, waren menschenleer. Leise schritt der Mann die Korridore entlang. Die Wärme seiner Handfläche, die er gegen eine gekennzeichnete Platte preßte, ließ die Tür zum Übungsraum geräuschlos aufschwingen. »Guten Morgen«, wünschte Zihat Baluch freundlich. Sein braungebrannter, muskulöser Körper glänzte leicht im Licht der Deckenlampen. Nur auf der Stirn war der Schweiß deutlicher zu sehen. »Du hast dich verspätet.« »Man wird langsam alt«, murmelte Thaher grinsend und streckte sich auf der Hantelbank aus. Dann begann er das schwere Gewicht zu stemmen, wieder abzusetzen, erneut zu heben. Zihat Baluch legte das Sprungseil zur Seite und kam näher. Kopfschüttelnd bemerkte er: »Ich möchte wissen, wo du in deinem Körper die Muskeln untergebracht hast, die du für diese Übung brauchst. Vermutlich verstecken sie sich im Innern deiner Knochen.« Thaher nahm den Spott kommentarlos hin. Er kannte Zihat seit vielen Jahren, seit sie mit dem gleichen Schiff nach Xoaixo gekommen waren. Zihat Baluch war einige Jahre jünger als Thaher, aber jenseits von einhundert Jahren zählte der Unterschied nicht mehr viel. Baluch war, wie Thaher, Arkonide, aber er besaß im Gegensatz zu seinem Freund noch alle Haare. Zihat Baluch lag knapp unter der Durchschnittsgröße von Arkoniden, er war eher stämmig und muskulös und trotz seines hohen Alters noch sehr beweglich und ausdauernd. Zihat Baluchs Gesicht strahlte Freundlichkeit und Friedfertigkeit aus, während Thahers Raubvogelphysiognomie seinem Spitznamen »Der große Giftige« vollauf entsprach. Es ließ sich kaum ein Paar denken, das so gegensätzlich gewesen wäre, aber jedermann auf Xoaixo wußte, daß die beiden Männer fast unzertrennlich waren. Zihat Baluchs Aufgabe bestand darin, das Porzellan, das Thaher genußvoll zerschlug,
Die stählernen Schwingen von Orxh leidlich zu kitten. Er entledigte sich dieser Aufgabe mit soviel Geschick, daß Thaher trotz seines mehr als rüpelhaften Benehmens nicht aus dem Heim gewiesen wurde. Genaugenommen wäre dies auch unmöglich gewesen, denn Gyat Thaher war der Besitzer der »Stählernen Schwingen von Orxh«. Zwei Stunden lang trainierten die beiden Männer an den Geräten, hart und intensiv. Sportlich gesehen waren beide in Höchstform. Obwohl die Reize des Planeten Xoaixo zum Müßiggang verführten, achteten die Männer sorgfältig darauf, ihre körperliche Leistungsfähigkeit weitestgehend zu erhalten. Nach den Trainingsstunden nahm Gyat Thaher ein zweites Duschbad, dann zog er sich vollständig an. Als er den großen, gemeinschaftlichen Speiseraum betrat, trug er weite, schmutzigbraune Hosen, reichlich mit irisierenden Schmuckbändern bestickt. Allerdings war deutlich zu sehen, daß diese Arbeit weder von einem Fachmann noch von einem Robot erledigt worden war. Ebenso schlampig gefertigt wirkte die weite Jacke mit dem schiefen Kragen und den deutlich erkennbaren Flicken, die allerdings zum größten Teil von den zahlreichen Orden und Ehrenzeichen verdeckt wurden, mit denen sich Gyat Thaher zu schmücken liebte. Bei jedem Schritt klingelten die glänzenden Metallstücke gegeneinander. »Morgen!« knurrte Thaher und schob sanft, aber nachdrücklich eine Frau zur Seite, die sich an der Essensausgabe angestellt hatte. Die Frau drehte sich empört herum und wollte protestieren, aber dann erkannte sie, mit wem sie es zu tun hatte. Verzerrt lächelnd wich sie zurück und machte Thaher Platz. Thaher entschied sich für gebratenes Geflügel und eine riesige Portion knusprigen Gebäcks. Daß er das gebratene Wildgeflügel mit einer süßsauren Sauce förmlich ertränkte, wunderte nur einen betagten Arkoniden, der im Hintergrund des Speisesaals saß und angewidert das Gesicht verzog. Aus den Augenwinkeln heraus sah Thaher die Grimasse
5 und beschloß, sich zu revanchieren. Erfahrene Gäste schmunzelten, als Thaher sich durch die Menge schob und auf den freien Platz gegenüber dem neuen Gast zusteuerte. Thaher grinste den Mann freundlich an, dann setzte er das Tablett ab. Dabei stand ihm das Geschirr des alten Mannes im Wege. Schnell schob Thaher das Frühstücksgeschirr seines Gegenüber so zusammen, daß dem Mann kaum noch Platz blieb. Thaher ignorierte die Fassungslosigkeit des Mannes, setzte sich und streckte die Beine aus. Die Füße legte er nach alter Gewohnheit auf einen freien Stuhl. Thaher griff nach dem Geflügel, packte eines der Tiere mit beiden Händen und halbierte es mit einem kräftigen Griff. Sauce spritzte herum und traf auch den Gast, der Thaher Gyat mit einem Ausdruck fassungslosen Staunens betrachtete. Gierig schlug Thaher die Zähne in das saftige Fleisch; er kümmerte sich nicht darum, daß die schwere rote Sauce in dicken Tropfen an seinen Mundwinkeln entlang in den Kragenausschnitt tropfte. Mit saucenfeuchten Fingern griff Thaher nach den Keksen und stopfte sich einen davon in den Mund. Der Anblick des unbekümmert essenden Thaher, der zudem deutlich hörbar schmatzte, ging über die Kraft des Gastes. Er raffte sich auf und sprach Thaher an: »Hören Sie«, begann er. »Ich habe keine Lust, mir dies noch länger stillschweigend anzusehen!« »Appetit bekommen?« erkundigte sich Thaher mit vollem Mund. Sofort griff er nach einem Geflügelbein und drückte es seinem Gegenüber in die Hand. Sekunden später starrte auch die seidene Hose des Gastes von Saucenflecken. Angewidert legte der Gast das Geflügelbein auf die Servierplatte zurück. Sein Gesicht nahm langsam einen Ausdruck wütender Entschlossenheit an. Betont energisch schob er Thahers Geschirr zurück und verschaffte sich selbst mehr Platz. Thaher schien dies nicht zu stören, ungerührt nahm er einen Keks und stippte ihn in die Tasse seines Tischnachbarn.
6 Die Tasse enthielt heißen Argyrt-Tee, ein Getränk, das leicht anregend wirkte, wenn es heiß und ohne Zucker genossen wurde. Jeder Krümel Zucker und jedes Grad Abkühlung verstärkte hingegen die sedative Wirkung des Getränks, das sich seines feinen Aromas wegen großer Beliebtheit erfreute, vor allem bei jenen Mitmenschen, die es sich leisten konnten, in der Form einer Tasse Argyrt-Tees das Monatseinkommen eines Raumsoldaten zu verzehren. Es war ein Getränk für Stutzer und Neureiche, und das wußte Thaher Gyat selbstverständlich. Die Augen seines Gegenübers wurden groß und rund. Der Mann merkte, daß er im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand und dabei war, zum Gesprächsgegenstand des Tages aufzurücken. Wenn er sich nicht schnell und vor allem eindrucksvoll der Übergriffe des hageren Flegels erwehrte, würde man ihn wochenlang mit dieser Geschichte veralbern. »Mein Herr!« begann der Mann energisch. »Ich gestatte mir die Feststellung, daß Sie ein ausgemachter Flegel sind, dessen Tischmanieren jeder Beschreibung spotten!« Thaher zog die linke Braue in die Höhe. »Sie sehen auch nicht sehr manierlich aus«, meinte er ungerührt und deutete auf die befleckte Hose des Mannes. Die Tatsache, daß er als Zeigestock ein Stück Fleisch verwendete und so den Fleckenkatalog auf der Hose stark vergrößerte, führte zu einem unterdrückten Gelächter im Hintergrund. Der Gast stand auf. Stehend überragte er den sitzenden Thaher beträchtlich, und dieser Umstand schien sein Selbstvertrauen zu stärken. »Ich heiße Huzur Mistis«, stellte er fest. »Ich war Oberster Richter am Handelsgericht zu Olp'duor!« Olp'duor war, wie Thaher Gyat genau wußte, einer der größten, wenn nicht der absolut größte Handelshafen von Arkon II. Huzur Mistis hatte zweifellos eine beachtliche Karriere hinter sich. »Oberrichter?« fragte Thaher kauend. »Mit solchen Hosen?«
Peter Terrid Huzur Mistis sah an sich herunter, betrachtete die Flecken und schloß in einem Anfall ohnmächtiger Wut die Augen. »Natürlich nicht«, fauchte er. »Ich bin ohne die Hosen Richter geworden!« Das einsetzende Gelächter machte Huzur Mistis schnell klar, daß er verloren war. Es würde nur wenige Tage dauern, bis er auf dem ganzen Planeten als der Richter ohne Hosen bekannt sein würde. »Ein interessantes Muster, das Sie da auf ihren Hosen haben«, bemerkte Thaher. »Es erinnert mich an eine Sternenkarte, an ein ganz bestimmtes Gebiet sogar …« »Die stählernen Schwingen von Orxh!« ergänzte der Chor der Gäste, es klang auf merkwürdige Weise erleichtert. Thaher grinste still, während der pensionierte Richter sich erstaunt umsah. Man hatte Mistis gesagt, daß die »stählernen Schwingen von Orxh« etwas ganz Besonderes sei. Mit dieser Auslegung der Worte hatte Huzur Mistis nicht gerechnet. Der Mann winkte einen Robot heran. Die Maschine kam dem Befehl sofort nach. »Ich wünsche, daß dieser Mann zum Verlassen des Speiseraums veranlaßt wird!« bestimmte Huzur Mistis. »Außerdem möchte ich den Inhaber sprechen!« Thaher legte die Beine auf den Tisch. »Das tun Sie bereits seit geraumer Zeit«, verkündete er grinsend. Im Hintergrund des Speisesaals wurde es sehr ruhig; jedermann wartete ab, wie sich Mistis aus dieser Klemme befreien würde. Dem Richter war anzusehen, daß er weder ein noch aus wußte. Ratlos wanderte seinen Blick von dem leicht zerbeulten Robot zu Thaher, dann zu den Gästen, die ihn erwartungsvoll anstarrten. Bevor Thaher etwas gegen die Attacke unternehmen konnte, hatte Huzur Mistis die offene Schale mit Gelee ergriffen und den Inhalt auf Thahers kahlen Schädel geschüttet. »Sie haben mir gezeigt«, begann Huzur Mistis freundlich, »wie man den Farbton meiner Hosen besser zur Geltung bringt. Ich
Die stählernen Schwingen von Orxh erlaube mir, mich mit einem alten Hausmittel gegen Kahlköpfigkeit zu revanchieren!« Aus den Augenwinkeln heraus sah Thaher das Grinsen seines Freundes Zihat Baluch. Thaher wußte, daß die Szene jetzt auf Messers Schneide stand. Der plötzliche Mut des Richters hatte Thaher förmlich überrumpelt; gab er sich jetzt geschlagen, war der Ruhm der »stählernen Schwingen von Orxh« für alle Zeiten vernichtet. Die Orden und Ehrenzeichen an Thahers Brust klingelten, als sich der Mann aufrichtete. Unwillkürlich trat Huzur Mistis einen Schritt zurück, als Thaher sich in voller Länge vor ihm aufbaute. Thaher streckte ihm die Hand entgegen und lächelte den Mann an. »Gratuliere!« sagte er. »Sie sind mir offenbar ebenbürtig. Darauf müssen wir trinken!« Huzur Mistis strahlte über das ganze Gesicht, während sich bei den Gästen Fassungslosigkeit breitmachte. Gab sich Thaher wirklich geschlagen? Thaher Gyat griff nach der noch halbvollen Tasse und drückte sie Huzur in die Hand; er selbst bediente sich am Fruchtsaft eines anderen Gastes, der die Szene mit angespannter Aufmerksamkeit verfolgte. »Auf Ihr Wohl!« sagte Thaher, setzte den Fruchtsaft an und leerte das Glas in einem Zug. Sofort folgte Huzur Mistis seinem Beispiel. Erst als er die Tasse wieder auf den Tisch stellte, begriff der Richter, daß Thaher ihn erneut hereingelegt hatte. Er hatte die Tasse mit dem inzwischen längst erkalteten Argyrt-Tee geleert. Huzurs Augen schlossen sich halb, dann begann der Mann zu schwanken und fiel schließlich in die vorsorglich ausgebreiteten Arme Thahers. Zufrieden lächelnd übergab Thaher den Schlafenden an einen Robot. »Bringt ihn ins Bett und sorgt dafür, daß er ausschläft!« befahl er. Anschließend wandte er sich an den Chef der vollrobotischen Küche. »Die Frühstückszeit ist beendet!« stellte
7 Thaher nach einem Blick auf die Uhr fest. »Abräumen!« Es bereitete ihm großen Spaß, zu verfolgen, wie die Gäste, die von dieser Anordnung überrascht worden waren, in aller Eile soviel in sich hineinstopften, wie sich in der kurzen Zeit bewerkstelligen ließ, die die Servierrobots für diese Arbeit benötigten. »Der Befehl für das Mittagessen fehlt noch«, erinnerte der positronische Küchenchef. Thaher sah nachdenklich an sich herunter. »Ein wenig Mäßigung wird nicht schaden«, murmelte er. »Es wird Wasser und Konzentrate nach Belieben geben!« Während sich der Küchenrobot entfernte, ging ein wehleidiges Stöhnen durch die Reihen der Gäste. Sie wußten, was ihnen bevorstand. Vor jedem Gast würden die ewig grinsenden Servierrobots ein großes Glas mit klarem Wasser abstellen, dazu gab es für jeden Tisch eine große Schüssel, die bis zum Rand mit unappetitlichen, braunen Würfeln gefüllt waren. Eingeprägte Buchstaben verrieten, welches normale Gericht von den Würfeln vorgetäuscht werden sollte. Der Gast hatte freie Auswahl, was ihm aber wenig half, da die Würfel seit langer Zeit in einer riesigen Kiste gestapelt worden waren und sich die Aromastoffe im Laufe der Zeit zu einem nichtssagenden Gebräu vereinigt hatten. Eingeweihte wollten herausgefunden haben, daß besagte Konzentratwürfel Anlaß der großen Flottenmeuterei von '34 gewesen sein sollten. In den vielen Jahren, die seither verstrichen waren, konnte sich der Geschmack schwerlich verbessert haben. »Muß das sein?« erkundigte sich eine zaghafte Frauenstimme. Thaher drehte sich herum und erkannte Galacca Kidal, eine ältere Frau von zierlicher Gestalt, aber großem Durchsetzungsvermögen. »Pah!« machte Thaher. »Jeder Tag zeigt es mir aufs neue. Seit dieser Orbanaschol an der Macht ist, ist der Mumm verschwunden. Damals, als wir noch einen richtigen Imperator hatten, haben sich die Männer um die Ehre geprügelt, in der ruhmreichen Flotte
8 Gonozals VII. Konzentrate essen zu dürfen. Nur Schwächlinge vertragen diese wissenschaftlich einwandfreie, rationelle Nahrung nicht!« »Wenn Sie es so sehen«, murmelte Galacca Kidal und lächelte schwach. »Glauben Sie, daß Orbanaschol dadurch zu stürzen ist, wenn wir uns vorwiegend von Nahrungskonzentraten ernähren?« Bevor Thaher auf diese Frage eine Antwort geben konnte, war die Frau bereits verschwunden. Der Speisesaal war jetzt fast leer, denn die Trainer sahen es nicht gerne, wenn die Bewohner lange auf sich warten ließen. Der letzte, der auf dem Übungsplatz eintraf, hatte üblicherweise einen Kilometer mehr zu laufen als die übrigen Bewohner. Die »stählernen Schwingen von Orxh« waren ein Heim, in dem sehr viel Sport getrieben wurde. Wer den Mindestanforderungen seiner Altersklasse nicht genügte, suchte vergeblich um einen Platz nach. In solchen Fällen kannte Thaher Gyat keine Gnade, weder Geld noch Rang und Namen machten auf ihn einen Eindruck. Wenn alle Plätze belegt waren – ein Ziel, das Thaher nur selten verfehlte –, lebten über vierhundert Männer und Frauen in den »stählernen Schwingen von Orxh«, und keiner von ihnen beklagte sich über schlechtes Essen oder die ruppige Behandlung, die Thaher Gyat seinen Gästen gegen erstklassige Bezahlung angedeihen ließ. Zu den »Spezialitäten« seines Hauses gehörte, daß er selbst sich nicht an den sportlichen Übungen beteiligte, sondern sein Vergnügen darin fand, neben den Trainingsplätzen zu stehen, die Hände in die mageren Hüften gestemmt, und die schwitzenden und schnaufenden Gäste der »stählernen Schwingen von Orxh« mit Spott und Hohn zu überschütten. An diesem Tag mußte Thaher von diesem Vergnügen Abstand nehmen, er wurde in Ahjod gebraucht, um Verwaltungsärger zu beseitigen. Kleinere und unbedeutendere Heime versuchten immer wieder, Thahers Stil zu kopieren, aber dank den Beziehungen
Peter Terrid des Mannes zu hohen und höchsten Stellen der planetaren Verwaltung konnten diese Imitationen meist recht schnell beseitigt werden. Thahers Gleiter stand, deutlich von den Fahrzeugen der Gäste getrennt, auf einem Platz vor dem Eingang. Die »stählernen Schwingen von Orxh« bestanden aus insgesamt achtundfünfzig Gebäuden, die von einem auf den ersten Blick verwirrenden, aber sorgsam ausgetüftelten System von Gängen und überdachten Wegen verbunden waren. In je einem der fünfzig flachen, stets sonnenbeschienenen Flachbauten lebten jeweils acht Personen, sorgfältig so ausgesucht, daß diejenigen zusammenlebten, die sich am wenigsten vertrugen. Zank und Streit und Zerwürfnisse waren an der Tagesordnung, und auch das war geplant. Thaher vertrat die Auffassung, daß nichts einen Menschen mehr in Schwung hielt als entweder Liebe oder Haß, und er handelte nach dieser Devise. Da Haß im allgemeinen länger währte als Liebe, sorgte er für immer neue Zwistigkeiten unter den Gästen. Natürlich blieb diese Form von Personalpolitik nicht lange ein Geheimnis, aber merkwürdigerweise verringerte sich die Zahl der Gäste, die obendrein für das zweifelhafte Vergnügen schwer zu zahlen hatten, trotz des Rufes der »stählernen Schwingen von Orxh« nicht. Im Gegenteil – hatten die geschundenen Gäste ihren Aufenthalt hinter sich, pflegten sie mit Erfahrungsberichten nicht zu geizen. Wer ihnen zuhörte, mußte den Eindruck bekommen, als sei das Paradies Xoaixo von tödlicher Langeweile – mit Ausnahme der »stählernen Schwingen von Orxh«. Dort war es immer turbulent. Allein das immer noch ungelüftete Geheimnis des merkwürdigen Namens bildete für die Gäste ein schier unerschöpfliches Gesprächsthema. Thaher Gyat hatte sich bislang standhaft geweigert, zu erklären, was es mit den »stählernen Schwingen von Orxh«, auf sich hatte. Zwar gab er immer wieder Hinweise, aber diese Andeutungen waren offenkundig dazu bestimmt, den Schleier des Geheimnis-
Die stählernen Schwingen von Orxh ses immer dichter zu machen. Thaher fuhr, wie man es bei seinem Ruf als größtes Ekel der bekannten Galaxis erwarten konnte, schnell und rücksichtslos. Er fuhr bei Höchstgeschwindigkeit bis auf Handbreite auf voranfahrende Gleiter auf, schnitt, wo sich ihm eine Gelegenheit bot, und verwendete eine schauerlich klingende Sirene, mit der er sich den Weg freibrüllte. Die Beleidigungen, mit denen er andere Fahrer zu überschütten pflegte, waren von fast sprichwörtlicher Unverschämtheit. Es fiel Thaher nicht im Traum ein, die Reservierungen zu beachten, mit denen die Parkplätze unmittelbar neben dem Verwaltungsgebäude für höhere Dienstränge freigehalten werden sollten. Besonderes Vergnügen empfand er dann, wenn er den Platz des amtierenden Gouverneurs mit Beschlag belegen konnte. Auch an diesem Morgen kam seine Exzellenz wieder einige Minuten zu spät und fand seinen Platz von Thahers häßlichem Gleiter belegt. Nander Guntakal lief dunkelrot an, als er Thahers Gleiter sah. Leise befahl er seinem Chauffeur: »Verständigen Sie ein Abschleppunternehmen und schaffen Sie dieses Ding hier weg. Ich kann mir diese Anmaßung nicht länger gefallen lassen!« Einige hundert Meter über dem erzürnten Gouverneur stand Thaher Gyat am Fenster und blickte vergnügt grinsend auf die Szene. Er wußte, wie das Spiel weiterlaufen würde. Nander Guntakal entschloß sich, den Abtransport von Thahers Gleiter abzuwarten. Er wollte seinen kleinen Triumph auskosten. Es dauerte nicht lange, bis der Abschleppwagen kam. Man tat auf Xoaixo gut daran, seine Exzellenz nicht lange warten zu lassen; der Mann galt als ungeduldig, reizbar und einflußreich. Für einen kleinen Unternehmer war dies eine gefährliche Mischung von Eigenschaften. Der Abschleppunternehmer war ein stämmiger Zaliter, der seinem Schicksal dankbar war, daß er die unmittelbare Nähe Arkons hatte verlassen dürfen. Auf Xoaixo war er
9 halbwegs sicher, wenn es Orbanaschol einfallen sollte, die Zaliter wieder einmal die Macht des Imperiums spüren zu lassen. »Entferne dieses Fahrzeug!« befahl Nander Guntakal herrisch. »Aber schnell!« »Sofort, Erhabener!« murmelte der Zaliter unterwürfig. »Ich werde mein Bestes tun!« Er befestigte ein langes Seil aus Stahlfasern bester arkonidischer Fertigung am Heck von Thahers Gleiter. Nander Guntakal sah, wie der Mann plötzlich zusammenzuckte. Interessiert trat Guntakal einen Schritt näher. Auf dem Heck von Thaher Gyats Gleiter klebte eine handtellergroße Plakette. Verwirrt las Nander Guntakal den Text. »Wer dieses Fahrzeug gegen den Willen des Eigners benutzt, abtransportiert oder anderweitig behandelt, tut dies auf eigene Gefahr!« Der Zaliter sah ratlos den Gouverneur an, dieser musterte ebenso verwirrt die Plakette. Neben dem Text war eine Fotografie des Besitzers angebracht, auf der Thaher Gyat dem Betrachter eine bemerkenswert lange Zunge herausstreckte. »Worauf wartest du?« herrschte Nander Guntakal den Zaliter an. »Vorwärts!« »Aber …«, begann der Unternehmer; eine Handbewegung des Gouverneurs ließ ihn verstummen. Wortlos kletterte der Zaliter in den Führerstand seines Fahrzeugs und ließ den Motor an. Dann setzte sich der Abschleppgleiter langsam in Bewegung. Das Stahlseil straffte sich, aber Thahers Gleiter rührte sich nicht von der Stelle, obwohl das tragende Prallfeld aktiviert war und der Gleiter zwei Handbreit über dem betonierten Boden schwebte. »Mehr Energie!« bestimmte Nander Guntakal energisch. »Los, Mann!« Der Zaliter blinzelte ratlos. Er wußte, daß die Aggregate seines Gleiters stark genug waren, um das abzuschleppende Fahrzeug in zwei Teile zu reißen. Fraglich war nur, wer dann für den Schaden haftete. Der Gouverneur sicherlich nicht, Guntakals Geiz galt als berüchtigt. Und sich mit Thaher Gyat anzulegen, war nicht die Sache des ängstlichen
10 Zaliters. Auf der anderen Seite würde er größte Schwierigkeiten bekommen, wenn er Guntakals Anordnungen nicht befolgte. Schweiß trat auf die Stirn des Mannes, als er langsam dem Motor mehr Energie zuführte. Das Stahlseil begann zu schwingen; ein anschwellender Brummton lag in der Luft. Thahers Gleiter verharrte auf seinem Platz und rührte sich nicht. Nander Guntakal verlor die Geduld. Er stieß den Zaliter weg und nahm selbst den Platz hinter dem Steuer ein. Mit einer energischen Handbewegung stieß er den Hebel für die Energiezufuhr nach vorne. Der Motor des Gleiters brüllte auf, und Nander Guntakal spürte mit steigender Befriedigung, daß sich der Abschleppgleiter bewegte. Hinter ihm erklang ein dumpfes Knirschen, aber Guntakal kümmerte sich nicht darum. Er lächelte verzerrt und verstärkte die Energiezufuhr. Ruckartig bewegte sich der Abschleppgleiter nach vorn, während der Zaliter einen entsetzten Schrei ausstieß. Guntakal bremste den Gleiter ab und drehte sich herum. Seine Augen weiteten sich, der Unterkiefer klappte nach unten. Thahers Gleiter hatte sich zwar ein beträchtliches Stück bewegt, aber das beeindruckte Nander Guntakal wenig. Erschreckt war er über das mindestens zwanzig Meter durchmessende Loch in seinem Regierungsgebäude. Ein riesiges Stück der Außenwand war herausgerissen worden, auf dem Boden lag ein abgestürzter Bürorobot und wedelte mit einem Bündel Akten hilflos in der Luft. Im ersten Stockwerk stand eine junge Frau an der Öffnung und schrie gellend. Weiter oben hatte Thaher Gyat große Mühe, seinen Lachanfall in erträglichen Grenzen zu halten. Er allein wußte, daß er beim Verlassen des Gleiters einen überaus starken Traktorstrahlprojektor aktiviert hatte, der auf die Außenwand des Gouverneurspalasts zielte und dafür sorgte, daß sich das Fahrzeug keinen Millimeter von der Wand entfernte, es sei denn, die Wand machte die Bewegung mit.
Peter Terrid Der Zaliter stand schreckensbleich neben dem Trümmerstück, gedankenlos ergriff er das Aktenbündel, das ihm der halbzerstörte Robot in die Finger drückte. Nander Guntakal brauchte einige Zeit, bis er sich von seinem Schreck erholt hatte. Er verließ den Gleiter des Zaliters, schritt an dem Mann vorbei und betrat seinen Palast. Er war fest entschlossen, mit dem unverschämten Besitzer des falsch geparkten Gleiters abzurechnen.
* Thaher Gyat hatte die Füße auf den kostbaren Tisch des Gouverneurs gelegt. Mit dieser Maßnahme kam er dem ersten Wutausbruch des Regierungschefs des Planeten zuvor. Nander Guntakal war ein Mann, der daran gewöhnt war, daß man vor ihm zitterte und seine Tobsuchtsanfälle wie Heimsuchungen des Schicksals über sich ergehen ließ. Eine Person wie Thaher Gyat war in seiner Welt noch nicht aufgetaucht. »Sie haben mich herbestellt«, eröffnete Thaher das Gespräch. »Was wollen Sie?« Er vermied es geflissentlich, den Gouverneur mit »Erhabener« anzureden, wie Nander Guntakal es gewohnt war. Auch diese Frechheit trug dazu bei, den Gouverneur um seine Fassung zu bringen. Guntakal bedachte Thaher mit seinem standardisierten Drohblick, der aber ohne Wirkung blieb. Guntakal brummte etwas Unverständliches, dann zerrte er aus einem Bündel von Akten eine Mappe hervor, die erstaunlich dick war. »Dies hier«, begann Guntakal, »sind Beschwerden, die Sie und Ihr Heim betreffen! Wie Sie sehen können, liegt ziemlich viel gegen Sie vor!« »Ich höre«, erklärte Gyat ungerührt. Er machte es sich in seinem Sessel etwas bequemer, wobei seine Füße über den Schreibtisch rutschten und eine deutlich sichtbare Spur hinterließen. »Hier ist beispielsweise die Beschwerde Ihres östlichen Nachbarn«, fuhr Guntakal
Die stählernen Schwingen von Orxh fort. Er kam langsam in Fahrt und betrachtete wohlwollend das Aktenbündel. Er würde jetzt diesem knochigen Scheusal nacheinander alle Vorwürfe vortragen, bis Gyat um Gnade winseln würde. »Der Mann führt bewegte Klage über das Benehmen Ihrer Gäste. Es, heißt, daß auf Ihre Veranlassung hin mehr als ein Dutzend Männer und Frauen die Bewohner des Nachbarheims belästigt haben.« Thaher Gyat erinnerte sich natürlich an den Vorfall. Schließlich hatte er ihn selbst inszeniert. Besagter Nachbar hatte die Frechheit besessen, ein freies Stück Küstenland einzuzäunen und dort begonnen, aufwendige Sonnenplätze zu bauen. Gegen solche Menschen hatte Thaher eine tiefe Abscheu. Er wußte, daß dies nur der erste Schritt war, dem weitere folgen würden, bis die Küste in der Nähe Ahjods ähnlich aussehen würde wie viele andere Küsten auch – mit hohen, häßlichen Häusern übersät. Um dies zu verhindern, hatte Thaher zusammen mit seinen begeisterten Stammgästen ein wüstes Schauspiel in Szene gesetzt. Zu Dutzenden waren seine Freunde und er über den Zaun geklettert; vor allem den vielen ehemaligen Soldaten unter den Heimbewohnern hatte es ein ungeheures Vergnügen bereitet, an längst vergangene Zeiten anzuknüpfen. Natürlich waren sie nicht annähernd so betrunken gewesen, wie sie gespielt hatten, und auch die wüste Massenschlägerei war nur gestellt, aber die erschreckten Gäste hatten fluchtartig das Weite gesucht, als Thahers Horde über sie hereingebrochen war. Thaher wußte genau, daß man ihn persönlich dafür nicht belangen konnte, und als die Polizei angerückt war, hatten sich seine Gäste mit verblüffender Geschwindigkeit absetzen können. »Noch etwas?« wollte Thaher wissen. Nander Guntakal merkte, daß er mit diesen Methoden bei Thaher Gyat nicht weiterkam. »Ich habe mir Ihre Personalakte geben
11 lassen«, fuhr der Gouverneur fort. »Und ich habe überrascht festgestellt, daß über Sie sehr wenig bekannt ist, genaugenommen wesentlich weniger, als gesetzlich zulässig ist. Es fehlen Angaben über Ihre früheren Tätigkeiten, über die Einkünfte, von denen Sie leben. Woher beispielsweise kamen die Mittel, die Sie zum Bau Ihres Heimes brauchten?« »Mein persönliches Geheimnis!« behauptete Thaher grinsend. »Sie können meinethalben versuchen, mehr herauszufinden. Es wird Ihnen nicht gelingen!« Nander Guntakal machte ein verblüfftes Gesicht, dann begriff er, was Thaher meinte. Der gesamte Planet Xoaixo diente gleichsam als planetares Altersheim. Wohlhabende Bürger des Großen Imperiums verlebten hier die letzten Jahre ihres Lebens in einem angenehmen, milden Klima und allem nur erdenklichen Luxus, sofern sie ihn bezahlen konnten. Es galt als ausgemacht, daß Xoaixo mehr Fürsten und Edle beherbergte als jeder andere Planet der bekannten Galaxis, Arkon selbst eingeschlossen. Aber es gab auf Xoaixo nicht nur freiwillige Pensionäre. Orbanaschol hatte es sich einfallen lassen, einen Teil seiner politischen Gegner auf diese vergleichsweise sanfte Art kaltzustellen. Auf Xoaixo wimmelte es von Oppositionellen, vor allem Anhängern und Gefolgsleuten des toten Imperators Gonozal VII. Die meisten Bewohner des Planeten aber waren, schon aus Altersgründen, überaus konservativ und hielten zu Orbanaschol. Er war Imperator, und das reichte. Orbanaschols Taktik ging in den meisten Fällen auf. Die noch energischen alten Arkoniden, die Gonozal die Stange hielten, erschöpften sich in dem stillen, aber hartnäckigen Widerstand ihrer greisen Mitbewohner. Immerhin gab es auch Spitzel auf dem Planeten, Personen, die jeden eventuell noch vorhandenen Widerstandswillen feststellten und – wo nötig – unauffällig abstellten. Da man solche Arkoniden schlecht unter der Berufsbezeichnung Spitzel in den amtlichen Listen führen konnte, erhielten sie Scheini-
12 dentitäten, die sie vor neugierigen Fragern schützen sollten. Nander Guntakal hatte begriffen. Thaher Gyat war einer dieser POGIM-Spitzel, und im stillen bewunderte der Gouverneur die Gerissenheit seines Gegenübers. Ein Heim zu bauen, das nahezu ausschließlich hartgesottene Orbanaschol-Gegner beherbergte, war ein raffinierter Trick. Jetzt wußte der Gouverneur auch, welchem Zweck die merkwürdigen Aktionen und Einfälle Gyats dienten – sie sollten die zähen alten Herren beschäftigen, damit ihnen die Lust auf politische Aktionen verging. Nander Guntakal lächelte freundlich. Was blieb ihm anderes übrig? Vor dem Zugriff der POGIM und ihrer Spitzel war niemand sicher, nicht einmal der Gouverneur von Xoaixo. POGIM-Männer hatten weitreichende Vollmachten. War nicht vor kurzer Zeit erst eine der schillerndsten Gestalten der feinen arkonidischen Gesellschaft, das Oberhaupt einer berühmten Sippe, kurzerhand verhaftet worden? Guntakal hatte seine speziellen Quellen, die ihn über alles auf dem laufenden hielten, was auf der Kristallwelt vorging, und so wußte er, daß Regir da Quertamagin seine Gegnerschaft zu Orbanaschol mit dem Tode gebüßt hatte. Auch Thaher Gyat lächelte. Er wußte, daß er für absehbare Zeit seine Rune haben würde. Nander Guntakal war zwar ziemlich skrupellos, aber beileibe kein Held. Die wenigen Andeutungen, die Thaher sorgfältig eingestreut hatte, genügten, um den Gouverneur zu überzeugen. Genau das war es, was Thaher Gyat hatte erreichen wollen. Guntakal klopfte mit der flachen Hand auf die Mappe. »Ich werde das erledigen lassen«, versprach er freundlich. »Ich nehme an, daß dies in Ihrem Interesse ist.« »Und im Interesse der Sache«, verkündete Thaher und stand auf. Der Gouverneur ließ sich sogar dazu herab, Thaher die Hand zu geben, als dieser das protzige Büro verließ. Sobald Thaher gegangen war, machte sich der Gouverneur daran,
Peter Terrid die Mappe durchzuarbeiten und die Personen vorzumerken, die sich Thaher Gyat in den Weg stellten. Nander Guntakal war fest entschlossen, diesen Menschen beizubringen, daß sie Thaher Gyat in Ruhe zu lassen hatten.
2. Guma Tarthing war für arkonidische Verhältnisse ungewöhnlich klein, dazu sehr schlank, fast zierlich. Tarthing trug gerne gutgeschnittene, aber unauffällige Anzüge, verwendete dezente Parfüms und las gerne. Er lächelte gerne und oft und zeigte dabei seine kleinen, weißen Zähne. Sein Haar war weiß und schon ein wenig schütter, um dies auszugleichen hatte er sich einen Bart wachsen lassen. Sorgfältig wachte er darüber, daß die Barthaare stets in einem ehrfurchtgebietendem Weiß strahlten. Guma Tarthing hatte kleine Hände mit kurzen, sehr zierlichen Fingern. Er war ein Mann, dem man zutraute, daß er stundenlang am Meer saß, meditierte oder die Vögel fütterte. Man hätte ihm bedenkenlos Kinder zur Aufsicht anvertraut, wenn es auf Xoaixo Kinder gegeben hätte. Er machte ganz den Eindruck eines freundlichen alten Herren, der vielleicht insgeheim an einem philosophischen Werk schrieb. Was Guma Tarthing wirklich schrieb, waren Geheimberichte an die POGIM. Vögel zu füttern wäre ihm nicht eingefallen, und Kinder haßte er inbrünstig ihrer Unbefangenheit und Ehrlichkeit wegen. Sie machten Lärm und brachten Unruhe in sein Leben. Womöglich wären sie sogar neugierig gewesen. Und Neugierde konnte Guma Tarthing überhaupt nicht gebrauchen. Er wollte seine Ruhe. Guma Tarthing hatte sich vor vielen Jahren, kurz vor seiner Volljährigkeit überlegt, welchen Beruf er einschlagen sollte. Und er hatte sich für den eines ausgemachten Schurken entschieden. Böse und Gute gab es auch ohne seinen Entschluß, hatte er sich ge-
Die stählernen Schwingen von Orxh sagt. Die Bösen gingen zwar ein größeres Risiko ein, aber dafür verdienten sie auch entschieden mehr. Guma Tarthing war mit sich und seiner Arbeit zufrieden. Immerhin hatte er genug verdient, um seinen Lebensabend auf Xoaixo verbringen zu können. Die politischen Verhältnisse waren einigermaßen stabil, es sah ganz danach aus, als würde Orbanaschol länger regieren als Tarthing leben würde, daher machte sich der Mann keine Sorgen um die Zukunft. Zu seiner Freude fand er auch nach seiner Pensionierung noch etwas zum Spionieren und Verraten. Auf diese Weise konnte er die rechtmäßig verdiente Rente der POGIM noch etwas aufbessern. Das einzige, was Guma Tarthing noch fehlte, war ein großer, ein triumphaler Erfolg. Er hatte nie herausbekommen können, wer die Chefs drei oder vier Rangstufen über ihm waren, wie sie aussahen. Gern hätte sich Tarthing einmal mit einem dieser Männer unterhalten, aber dazu würde er nur Gelegenheit haben, wenn er einen außergewöhnlich dicken Fisch an Land zog. Für sich hatte er diese Hoffnung fast begraben, aber irgendwo in seinem Schädel war dieser geheime Wunsch immer noch rührig. Guma Tarthing sah Thaher Gyat aus der Stadt zurückkommen und lächelte. Natürlich war Gyat nicht der dicke Fisch, aber schon ein ansehnlicher Fall. Seit Jahren lieferte Tarthing seine Berichte über den Besitzer der »stählernen Schwingen von Orxh« nach Arkon, ohne je eine Antwort bekommen zu haben. Wahrscheinlich war man dort der Ansicht, daß Gyat harmlos sei, solange er sich aufs Reden beschränke. Immerhin wurden Guma Tarthings Berichte bezahlt, also arbeitete der Mann weiter. »Sind Sie erfolgreich gewesen?« fragte Tarthing freundlich, als Thaher den Raum betrat. Er war nahezu allein in dem großen Speisesaal, denn die anderen Gäste hatten es vorgezogen, nach den strapazenreichen Sportübungen etwas zu schlafen, bevor sie sich auf die Konzentratwürfel stürzten. »Selbstverständlich«, erklärte Thaher
13 grinsend. »Kennen Sie irgend jemand, der mir erfolgreich Widerstand leisten könnte?« Es war hauptsächlich diese Überheblichkeit Gyats, die Tarthings Haß geweckt hatte und ihm immer wieder Nahrung lieferte, zumal er spürte, daß dieses Auftreten Gyats nicht die Kompensationsversuche eines Minderwertigkeitskomplexes waren, sondern auf einem durchaus gesunden Selbstvertrauen beruhte – etwas, das Tarthing immer gefehlt hatte. »Wo sind die anderen?« wollte Thaher wissen. »Beim Mittagsschlaf«, berichtete Zihat Baluch. »Der Trainer hat die alten Herren fürchterlich geschunden. Immerhin, die sportlichen Durchschnittsleistungen sind seit einem halben Jahr zusehends angestiegen. Sportlich gesehen, sind unsere Freunde erstklassig für ihr Alter!« Die Bemerkung über das Alter der Heimbewohner machte auf Thaher einen erheiternden Eindruck. Immerhin waren auch er und Zihat Baluch ziemlich alt, wie alt genau, das verschwiegen sie, wie es auch die Mehrzahl der anderen Gäste, vor allem die Frauen, taten. »Sie hätten auch teilnehmen sollen«, sagte Baluch mit einem Seitenblick auf Guma Tarthing. »Schaden könnte es nicht.« Tarthing lächelte zurückhaltend. »Ich bin nicht sehr sportlich veranlagt«, sagte er freundlich. »Meine Begabungen liegen auf anderen Gebieten.« »Sie sollten uns endlich einmal etwas aus dem geheimnisvollen Roman vorlesen, den sie in der Stille Ihrer Wohnung offenbar fertigstellen«, sagte Thaher. »Vielleicht gibt es dann wieder etwas zu lachen.« Mit dieser letzten Bemerkung hatte Thaher einmal mehr seinen Ruf als Ekel unterstrichen. Er fiel nie aus seiner Rolle, selbst in Augenblicken wie diesem nicht, wo ein etwas freundlicherer Ton zu erwarten gewesen wäre. Guma Tarthing zuckte mit keiner Wimper und steckte den kleinen Seitenhieb widerspruchslos ein. »Wenn die Zeit reif ist«, versprach er,
14 »werde ich daraus vorlesen, und es wird sicher sehr lustig zugehen.« Im stillen freute er sich über den boshaften Doppelsinn, den diese Worte aus seinem Blickwinkel erhielten. Tarthing war sich sicher, daß keiner in den »stählernen Schwingen von Orxh« über seine Doppelrolle auch nur das geringste wußte. »Sie gestatten, daß ich mich zurückziehe!« Tarthing verließ den Raum und ließ Thaher und Zihat allein. Thaher setzte sich auf einen freien Sessel und lehnte sich zurück. »Manchmal«, sagte er so leise, daß nur Zihat Baluch ihn verstehen konnte, »frage ich mich, ob all das, was wir hier tun, wirklich einen Sinn hat. Orbanaschol sitzt fester auf dem Thron denn je, und solange er gegen die Maahks kämpft, wird ihn auch keiner von dort verjagen können. Ein Bürgerkrieg in einer solchen außenpolitischen Lage wäre für das Imperium das sichere Ende.« »Dann müssen wir warten«, sagte Baluch und nahm neben seinem Freund Platz. »Wir müssen warten, bis der Zeitpunkt gekommen ist, Orbanaschol zu stürzen und ihn und seine Clique mit einem Schlag durch vertrauenswürdige Männer und Frauen zu ersetzen.« »Das kann lange dauern«, seufzte Thaher. »Ich habe Angst, daß wir beide diesen Zeitpunkt nicht mehr erleben werden, unsere Freunde im Heim noch viel weniger. Wir sind viel zu alt, um noch etwas ausrichten zu können.« Solche Niedergeschlagenheit war Zihat Baluch neu; er kannte Thaher nur als energischen, harten und mitunter boshaften Leiter des Heimes. »Seit Jahren haben wir eine Organisation aufgebaut«, sagte Thaher, mehr zu sich selbst als zu Baluch gewandt. »Wir haben Kontakte geknüpft, Freunde geworben, und dies alles unter großer Gefahr. Bislang ist alles glattgelaufen, aber wann hört diese Glücksträhne auf? Wann wird irgendeiner aus der Organisation so senil, daß er zu
Peter Terrid plaudern anfängt und der POGIM eine Möglichkeit an die Hand gibt, die ganze Organisation aufzurollen?« »Dieses Risiko war uns klar, als wir mit unserer Arbeit anfingen«, versetzte Baluch. »Aber es wird von Jahr zu Jahr größer«, murmelte Thaher. »Eine Untergrundorganisation braucht Erfolge, sonst fällt sie früher oder später auseinander. Vielleicht sinkt unsere stolze Organisation eines Tages auf das Niveau eines Traditionsvereins ab, der wehmütig über längst vergangene Zeiten sinniert.« »Noch ist es nicht soweit«, versuchte Zihat Baluch den Freund zu beruhigen. »Bis die Organisation auf Xoaixo die nötige Größe und Schlagkraft hat, werden noch einige Jahre vergehen. Dann können wir uns um andere Probleme kümmern.« Thaher sah Baluch an und grinste. »Recht hast du«, sagte er und stand auf. »Ich werde mich etwas um unsere Gäste kümmern. Sorge du bitte dafür, daß keiner etwas anderes zu sich nimmt als Wasser und Konzentrate. Im Ernstfall kann man auch keine Lebensmittel schmuggeln.« Zihat Baluch nickte und zog sich zurück. Thaher überlegte kurz, dann entschloß er sich, die Funkstation des Heimes aufzusuchen. Vielleicht gab es Neuigkeiten.
* Rasch überflog Thaher Gyat die wenigen Notizen, die der Funker gemacht hatte. Zur Zeit hatte der Mann Mittagspause, da um diese Uhrzeit weder Nachrichtensendungen noch wichtige Durchsagen zu erwarten waren. Die Funkstation des Heimes war gut ausgerüstet. Über Satelliten war sie mit allen anderen Stationen des Planeten verbunden, über eine Relaisstrecke auch mit Arkon und anderen Planeten des Großen Imperiums. Neben dem eigentlichen Funkgerät stand, ein Hyperkomfernschreiber, der in dem Augenblick zu rattern begann, als Thaher gerade den Raum verlassen wollte.
Die stählernen Schwingen von Orxh »Um diese Zeit?« wunderte er sich. Er ließ die Tür wieder zugleiten und ging zum Fernschreiber hinüber. Halblaut las er den Text ab, der von der Maschine geschrieben wurde. »Im Norden von Ahjod wurde ein unbekannter Mann gesichtet, der an der Küste entlanggeht. Der Mann ist festzunehmen. Auf Anwendung von Gewalt ist zu verzichten!« Thaher Gyat schüttelte verwirrt den Kopf. Die Meldung hatte offenbar keinen Absender und auch keinen bestimmten Empfänger. Vor allem war sich Thaher nicht klar, was diese Meldung überhaupt zu besagen hatte. Thaher überlegte sekundenlang, dann riß er den bedruckten Streifen aus der Maschine. Er entfernte auch den Durchschlag und das Farbpapier. Anschließend verließ er die Funkstation. Auf dem kürzesten Wege suchte er Zihat Baluch auf. Baluch war nicht minder verwundert als Thaher, als er die Meldung las. »Ich weiß nicht«, meinte er, »was diese Nachricht zu besagen hat, aber ich meine, wir sollten in jedem Fall nachsehen. Vielleicht erleben wir eine Überraschung.« Thaher überlegte laut. »Aufgenommen wurde die Meldung vom Hyperkomfernschreiber. Sie muß also aus dem Raum kommen. Aber das nächste Versorgungsschiff ist erst in einigen Tagen fällig. Wachboote gibt es nicht – wer mag diese Nachricht abgesetzt haben?« »Wir werden es bald herausbekommen«, versprach Baluch; er ging zum Schrank hinüber, holte den Waffengurt heraus und schnallte ihn sich um. Thaher bewaffnete sich ebenfalls. Im Norden Ahjods war die Küste des Meeres noch unverbaut, und das aus gutem Grund. Dort trieben sich die Pathandokhs herum, eine Art schwimm- und tauchfähiger Flugdrachen mit langen zahngespickten Kiefern. Wenn diese Tiere in ganzen Schwärmen angriffen, nahmen selbst unerschrockene Raumsoldaten die Beine in die Hand.
15 Die beiden Männer benutzten Thahers Gleiter. Das Fahrzeug enthielt einige Zusatzeinrichtungen, die für jeden Uneingeweihten böse Überraschungen bereithielten. »Norden ist ein reichlich dehnbarer Begriff«, meinte Zihat Baluch, als der Gleiter an der Küste entlangschwebte. »Das können einige hundert Kilometer sein. Wie wollen wir dort den einen Mann finden?« »Vielleicht erwartet er uns und gibt Rauchzeichen«, hoffte Thaher; er hatte hinter dem Steuer Platz genommen. »Ich möchte wissen, was der Bursche dort will. Die Gegend ist ziemlich verrufen.« Nördlich von Ahjod, weiter landeinwärts, erstreckte sich ein weites Gebiet, das in kürzeren Abständen immer wieder vom Meer überflutet wurde. Da es einstweilen auf Xoaixo genügend Platz gab, hatte man auf die Mühe verzichtet, das Gebiet trockenzulegen und zu bebauen. Dort gab es etliche Milliarden bösartiger Insekten. Einige Arten produzierten langsam wirkende Gifte, gegen die Besucher des Gebiets stets eine kleine Kiste mit Antidoten mitführen mußten. Es gab allerdings Gerüchte, die wissen wollten, daß diese Landschaft bei weitem nicht so unbewohnt war, wie es gemeinhin geglaubt wurde. Auch Thaher hatte davon gehört, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß es dort größere Anlagen geben sollte. Thaher hielt den Gleiter in geringer Höhe, um besser die Küste absuchen zu können. Die Sonne Llaga-del-Armgh hatte die Mittagshöhe schon überschritten, aber sie brannte heiß auf die beiden Männer in der offenen Schale des Gleiters herab. Von der See wehte ein frischer Wind, der angenehme Kühlung brachte. »Nichts zu sehen!« stellte Baluch fest. »Ob der Mann bereits gefunden worden ist?« Thaher zuckte mit den Schultern. Im niedrigen, klaren Wasser der Bucht erkannte er einige Dutzend Akolas. Er wußte, daß die Akolas jetzt ihre Paarungszeit hatten und entsprechend bösartig waren. Wehe dem Segler, der zwischen ihnen über Bord ging;
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Peter Terrid
er würde binnen Sekunden zerfleischt werden. Xoaixo besaß neben seinen unbestreitbaren Reizen auch einige handfeste Nachteile, die aber dort, wo zahlreiche Menschen lebten, mit dem für Arkoniden üblichen technischen Aufwand beseitigt worden waren. Vor Ahjod beispielsweise schwammen viertausend Robots in der See und vernichteten alle Akolas, die sie innerhalb einer bestimmten Zone antrafen. So war die Sicherheit der Badenden garantiert. Nur vor den »stählernen Schwingen von Orxh« schwammen einige, wenn auch imitierte Akolas herum, die Thaher zur Erziehung seiner Gäste erforderlich erschienen. Immer noch rätselte Thaher an dem Funkspruch herum. Er begriff nicht, wozu die geheimnisvolle Meldung taugen sollte. Thaher fand nur eine halbwegs plausible Erklärung: Irgendwo in den Sümpfen steckte ein besonderes Heim. Dort war der Mann wahrscheinlich entwichen und würde jetzt gesucht. Daß die Meldung auf Thahers Hyperkomfernschreiber gelaufen war, mußte einem zufälligen Versagen der Technik zuzuschreiben sein. »Ich habe ihn!« rief Baluch plötzlich aus. »Dort unten, mehr nach links!« Thaher befolgte die Anordnung, und Sekunden später sah auch er den Mann, der langsam über den weißen Sand des Strandes ging. Er schien die Männer in dem Gleiter überhaupt nicht wahrzunehmen. Thaher setzte das Fahrzeug einige hundert Meter von dem einsamen Wanderer in den Sand; Zihat Baluch sprang sofort heraus und ging auf den Fremden zu.
* Zwei Dinge erkannte Thaher Gyat nahezu gleichzeitig. Als erstes fiel ihm auf, daß er das Gesicht des Fremden kannte. Das zweite war der Schwarm Pathandokhs, der sich in einiger Entfernung sammelte und zum Angriff ansetzte. Thaher stieß einen warnenden Ruf aus,
der Zihat Baluch zusammenzucken ließ. Der Mann reagierte schnell und umsichtig. Während Thaher den Gleiter startete, lief Baluch, so schnell er konnte, auf den Fremden zu. Mit einem Ruck schoß der Gleiter vorwärts, und Baluch sprang auf, sobald das Fahrzeug ihn erreicht hatte. Der Gleiter stoppte auf der Höhe des Fremden, Sekunden bevor der erste Angreifer auf die Gruppe herabstieß. Thaher war gewohnt, ohne langes Fragen zu handeln. Er packte den Fremden beim Arm und zerrte ihn unsanft an Bord. Neben sich hörte er das Krachen eines Blasterschusses, dann den gellenden Schrei eines getroffenen Pathandokhs, der neben dem Gleiter auf den Boden prallte und den Sand blutig färbte. Der Fremde ließ sich widerstandlos an Bord zerren, und sobald der Mann in der offenen Schale des Gleiters lag, zog auch Thaher seine Waffe. Es waren mindestens zwanzig Pathandokhs, die sich versammelt hatten und die drei Menschen angriffen. Thaher versuchte, den Mann, den er an Bord gezerrt hatte, eine Waffe in die Hand zu drücken, aber der Fremde reagierte nicht. Thaher fluchte erbittert. Er beachtete den Fremden nicht länger, sondern konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Gleiter und die Pathandokhs. Der ganze Schwarm hatte inzwischen den Gleiter erreicht und attackierte die Insassen. Thaher gab eine Serie von ungezielten Schüssen in die Luft ab. Mindestens einen der Pathandokhs mußte er dabei getroffen haben, wie ihm der schrille Schrei des Tieres zeigte. Der Gleiter ruckte nach vorne, dann zwang Thaher das Fahrzeug in eine extrem enge Kurve. Etwas knirschte, während sich der Gleiter bewegte. »Beeile dich!« rief Zihat Baluch. »Lange können wir uns nicht halten gegen eine solche Meute!« Er traf zweimal tödlich, der dritte Pathandokh kreischte auf und zog sich mit einer großen Wunde an der Schwinge zurück. Thaher hatte den Gleiter auf Kurs gebracht,
Die stählernen Schwingen von Orxh jetzt ließ er das Fahrzeug mit höchster Geschwindigkeit zurückrasen. Die Pathandokhs waren vorzügliche Flieger und außerordentlich hartnäckig, wenn sie sich einmal für eine bestimmte Beute entschieden hatten. Immer wieder schraubten sie sich schnell und gewandt in die Höhe und stürzten dann mit angelegten Schwingen auf die Beute herab. Thaher klemmte das Steuer fest. Der Gleiter jagte jetzt schnurgerade über den Strand, während Thaher die Hände zur Abwehr der Pathandokhs freibekam. »Verfluchtes Alter!« knurrte Thaher, als nacheinander drei Schüsse ihr Ziel verfehlten. Ein Pathandokh prallte gegen die Windschutzscheibe des Gleiters. Das Glassit zersprang und krümelte in das Innere. Thahers Reflexe waren in Anbetracht seines Alters noch sehr gut, aber er mußte einsehen, daß sie für diese gefährliche Lage nicht voll ausreichten. Hätte er den etwas jüngeren Zihat Baluch nicht an seiner Seite gehabt, wäre die Situation lebensgefährlich geworden. Baluch kämpfte mit sichtlicher Begeisterung, aber er war erfahren genug, um sich nicht hinreißen zu lassen. So ruhig, als stünde er im Schießstand, zielte er und feuerte. Und er traf. Der Gleiter ließ eine blutige Spur hinter sich, aber die Pathandokhs gaben ihren verbissenen Angriff nicht auf. Fast gleichzeitig setzten drei der Flugechsen zum Sturz auf Thaher an. Zwei der Angreifer konnte der alte Mann außer Gefecht setzen, dem dritten Pathandokh entging er nur durch eine schnelle Körperbewegung. Der Flugdrache schnappte zu und bekam Thahers linken Arm zu fassen. Thaher schrie auf, aber er besaß genügend Selbstbeherrschung, um mit der Waffenhand zielen und treffen zu können. Dem Pathandokh wurde der Hals durchtrennt. Während der Körper von der Bordwand des Gleiters auf den Boden fiel, gruben sich die Fänge des Pathandokhs in einer letzten Zuckung noch tiefer in Thahers Arm. Der Mann stöhnte unterdrückt auf. Besorgt warf er einen Blick auf den unbe-
17 kannten Passagier. Der, Mann saß auf seinem Platz und starrte geistesabwesend vor sich hin. Thaher spürte, wie ihn ein Gefühl der Wut überkam, und er tobte dieses Gefühl an den Pathandokhs aus. Erst als der Schwarm auf ein Viertel zusammengeschmolzen war, gaben die restlichen Tiere auf. Eine Zeitlang verfolgten sie noch den Gleiter, kreischten die Insassen böse an, dann drehten sie ab und waren bald verschwunden. Zihat Baluch übernahm die Steuerung des Gleiters, während Thaher sich bemühte, den Kiefer der Flugechse von seinem Arm zu entfernen, bevor die Leichenstarre einsetzte. Auf dem Boden des Gleiters bildete sich neben Thahers Sitz eine zusehends größer werdende Blutlache. Der Mann verbiß den wütenden Schmerz, der durch seinen Körper zuckte, dann riß er die Zähne des Pathandokhs endgültig aus seinem Fleisch und schleuderte den häßlichen Schädel der Echse über Bord. Die Wunde schmerzte und blutete heftig, aber Thaher sah sofort, daß kein lebenswichtiges Gefäß verletzt worden war. Zihat Baluch sah Thahers schmerzverzerrtes Gesicht und grinste. »Was willst du«, meinte er erheitert, »es ist genau wie in alten Zeiten, als wir in der Flotte Dienst taten. Ich bin gespannt, was unsere Freunde sagen werden.« Thaher warf einen Blick auf den Passagier und lächelte schwach. »Es wird eine große Überraschung geben«, murmelte er. »Jetzt möchte ich Orbanaschols Gesicht sehen!«
3. Guma Tarthing saß neben Galacca Kidal an der großen Tafel und kaute mißmutig auf einem Konzentratwürfel herum. Angeblich aß er gerade bestes Fleisch, aber von dem Aroma war nicht mehr viel herauszuschmecken. Immerhin war das Wasser klar und kalt. Galacca Kidal erörterte mit ihrer Tischnachbarin ein verwickeltes Problem
18 der Rentenberechnung. Nach ihrer Darstellung war sie von der Versicherung ziemlich schamlos um beträchtliche Summen geprellt worden, und die zierliche Frau machte aus ihrer Entrüstung keinen Hehl. Gespräche dieser Art zerrten an Guma Tarthings Nerven, aber er zeigte, wie man es von ihm gewohnt war, ein freundliches, interessiertes Gesicht. Der Speisesaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Zwischen den einzelnen Tischreihen gingen Servierrobots, die nach Schmieröl rochen und dennoch widerlich knirschten und quietschten. Ältere Modelle ließen sich wahrscheinlich nur noch in Museen auftreiben, dachte Tarthing grimmig. Als Thaher Gyat erschien, verstummten die Gespräche schlagartig. Jedermann konnte den Verband sehen, den Thaher am linken Arm trug. Neben ihm stand, gleichfalls mit sehr ernstem Gesicht, Zihat Baluch. Zur Verwunderung der Gäste trugen beide Waffen. »Freunde«, begann Thaher Gyat. »Ich habe Wichtiges mitzuteilen. Ihr alle wißt, daß ich aus meiner Einstellung nie einen Hehl gemacht habe. Ich bin ein Gegner des gegenwärtigen Imperators und ich werde es bleiben. Jetzt mehr noch als zuvor. Ich habe dieses Heim gegründet, um hier Freunde einer gerechten und gesetzmäßigen Regierung zu sammeln und zu beschäftigen, bis der Tag gekommen ist, an dem – auch durch unsere Mitarbeit – das tyrannische Regime Orbanaschols gestürzt werden kann.« Thaher machte eine Pause. Im Saal wurde es laut. Natürlich wußte jeder, wie Thaher eingestellt war, aber er hatte noch nie öffentlich darüber gesprochen. Ratlos sahen sich die Männer und Frauen an. Was hatten die bedeutungsvollen Worte zu sagen? War Thaher wahnsinnig geworden, daß er es wagte, in dieser Art öffentlich zu reden? Thaher bewegte nervös den Mund, dann ging er einige Schritte zurück und ließ die Tür, durch die er den Speisesaal betreten
Peter Terrid hatte, wieder aufschwingen. Sekundenlang war es totenstill in dem Raum, dann schrien alle durcheinander. In der Öffnung der Tür stand Gonozal VII. Thaher brachte mit einer energischen Handbewegung die Menschen zum schweigen. »Ihr wißt, wer dieser Mann ist«, sagte er langsam. »Wir fanden den Imperator einige Kilometer nordwärts von hier. Er ging einsam am Strand entlang.« »Ist der Imperator krank?« fragte eine Stimme. Thaher nickte. »Ich weiß nicht«, sagte er zögernd, »was wirklich vorgefallen ist. Aber ich habe einen ganz bestimmten Verdacht. Wir alle wissen – zumindest hat man es uns so erzählt –, daß der Imperator bei einem Jagdunfall auf Erskomier gestorben ist. Nun, dieser Mann lebt. Ich vermute daher, daß Orbanaschol seinen Bruder nicht getötet, sondern nur ausgeschaltet hat. Wahrscheinlich hat man Gonozal VII. nach Xoaixo verschleppt, und ihn hier versteckt gehalten, bis man ihn für irgendeine Schurkerei wieder brauchte. Vorher aber hat man, so bin ich überzeugt, Gonozal zum Schweigen gebracht, seine Psyche rücksichtslos zerstört. Zihat Baluch und ich haben festgestellt, daß praktisch nur noch der Körper des Imperators lebt; sein Geist ist weitestgehend zerstört. Der Imperator spricht nicht, und er scheint uns auch kaum zu hören. Wer für diese Tat verantwortlich ist, die schlimmer ist als Mord, brauche ich wohl nicht zu sagen!« Ein merkwürdiges Geräusch durchdrang die Stille, es war das Knirschen vieler Kiefer. Thaher sah, daß einigen Männern und Frauen, vor Erregung die Augen tränten. »Vermutlich«, fuhr Thaher fort, »ist der Imperator durch einen Zufall seinen Wächtern entwischt. Jetzt ist er bei uns. Es wird unsere Aufgabe sein, den zerstörten Geist des Imperators wieder zu heilen. Dazu aber brauchen wir viel Hilfe – Hilfe, die wir nur auf Arkon bekommen können. Und Arkon wird uns erst dann helfen, wenn der verbre-
Die stählernen Schwingen von Orxh cherische Imperator Orbanaschol gestürzt ist. Das ist unsere erste, vordringliche Aufgabe. Ich frage euch …« Thaher brauchte nicht weiterzusprechen. Die Bewohner der »stählernen Schwingen von Orxh« waren sich einig. »Tod dem Verbrecher«, klang es durch den Saal. »Nieder mit Orbanaschol … Es lebe Gonozal!« Thaher hatte große Mühe, die Bewohner des Heimes wieder zu beruhigen. Niemand hatte länger und intensiver unter der Unterdrückung gelitten, und diesem Ausmaß an Unterdrückung entsprach die Begeisterung, mit der die Männer und Frauen nun das Wiederauftauchen des totgeglaubten Imperators Gonozal VII. feierten! Während Zihat Baluch den Imperator behutsam aus dem Saal führte und in sein Quartier brachte, entwickelte Thaher Gyat den Freunden seinen Schlachtplan. Die Rentner und Pensionäre planten nicht mehr und nicht weniger als die Eroberung des gesamten Planeten Xoaixo.
* Nander Guntakal war damit beschäftigt, Akten zu lesen, mit Anmerkungen zu versehen und wieder in ihre Fächer zu verstauen. Auf diese Weise schaffte er einen Nachweis seiner Existenz, ohne gleichzeitig für irgendeine Entscheidung geradestehen zu müssen. Das Leben auf dem Planeten war wohlgeordnet und verlief seit vielen Jahren in stets denselben überschaubaren Bahnen. Guntakal dachte nicht daran, dieses Gleichmaß durch irgendwelche administrative Erlasse zu stören. Es war ein bequemer Posten für einen bequemen Mann. Noch fünf Jahre Dienst als Gouverneur, und Nander Guntakal konnte sich seinen Herzenswunsch erfüllen – ein Trichterhaus auf Arkon I, nach Möglichkeit in Sichtweite des Kristallpalasts. Nander Guntakal träumte von einem Leben in der Nähe der absoluten Spitze des Imperiums, einem Leben in Wohlstand und ohne Ver-
19 antwortung. Die letzte Akte, die Nander Guntakal an diesem Tage zu bearbeiten hatte, war ein Kostenvoranschlag für die zerstörte Außenwand seines Regierungssitzes. Die Reparatur schien entsetzlich teuer werden zu wollen, und eigentlich hätte Guntakal den Schaden selbst begleichen müssen. Nervös überlegte er, woher er den Betrag nehmen sollte. Daß die Summe nicht aus seiner Privatschatulle fließen würde, stand für Nander Guntakal fest. Unglücklicherweise hatte er den monatlichen Etat schon so stark zugunsten seines eigenen Kontos belastet und verfälscht, daß nicht daran zu denken war, den Staatssäckel von Xoaixo mit dieser Ausgabe zu belasten. An Thaher Gyat traute sich Guntakal nicht heran, es blieb nur noch … »… natürlich, der Zaliter!« murmelte Guntakal zufrieden und rieb sich die Hände. Der Abschleppunternehmer besaß sicherlich einiges Geld, und es würde einigermaßen einfach sein, ihn um den erforderlichen Betrag zu erleichtern. Nötigenfalls mußte man mit ein wenig Druck seiner Zahlungsfreudigkeit nachhelfen. Eine Zwangsausweisung war dafür genau das rechte Mittel. Anschließend konnte man dem Zaliter die Summe wenigstens teilweise durch Staatsaufträge wieder zuspielen. Nander Guntakal wußte, daß sich vieles machen ließ, von dem sich brave Bürger nichts träumen ließen. In diesem Fach war der Gouverneur Meister. Das Interkom summte leise. Nander Guntakal schaltete das Gerät an, und sobald sich das Bild stabilisiert hatte, blickte er in das erzürnte Gesicht von Thaher Gyat. »Endlich!« schimpfte Thaher erbost. »Ich dachte schon, Sie hätten sich rechtzeitig vor dem Skandal abgesetzt.« Nander Guntakal wurde hellhörig. Skandale konnte er in keinem Fall brauchen, sie schadeten nur seiner Karriere. »Was für ein Skandal?« fragte er vorsichtig. »Ich weiß von nichts verehrter …« »Sparen Sie sich die Schmeichelreden«,
20 fauchte Thaher grob. »Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.« Guntakal hob abwehrend die Hände, während er fieberhaft überlegte, auf welche schwache Stelle seiner Amtsführung Gyat wohl zielen mochte. Es gab da einiges, was besser nicht in aller Öffentlichkeit diskutiert wurde. »Bitte, glauben Sie mir«, beschwor Guntakal seinen Gesprächspartner. Thaher Gyat machte ein überaus wütendes Gesicht, und der Gouverneur bekam es langsam mit der Angst zu tun. Er traute dem Ekel alles zu. »Es geht um unseren Schnaps«, stellte Gyat fest. »Die Ware ist verpanscht worden, schlechthin ungenießbar.« Nander Guntakal wurde bleich. Haben diese Narren tatsächlich auch an den reizbaren Gyat den selbstgebastelten Fusel ausgeliefert, dachte er erschrocken. Er entschloß sich, die Sache selbst zu überprüfen und hart durchzugreifen. Solche Pannen durften nicht vorkommen. »Sie schweigen«, stellte Thaher weiter fest. »Das genügt mir als Eingeständnis Ihrer Schuld.« Guntakal schluckte und antwortete hastig: »Von Schuld kann keine Rede sein. Ich werde selbstverständlich nachprüfen lassen, welcher subalterne Beamte für dieses peinliche Versehen verantwortlich zu machen ist. Sie dürfen mir glauben, daß es sich nur um einen unglücklichen Zufall handeln kann!« »Zufall, ha ha«, spottete Gyat. »Ich werde Ihnen zeigen, wie alte Arkoniden vom besten Schrot und Korn auf solche Herausforderungen reagieren!« Er verstellte die Einstellung der Kamera, und der Hintergrund des Raumes, in dem sich Thaher Gyat aufhielt, wurde auch für Nander Guntakal sichtbar. So schlecht kann der Selbstgebrannte nicht sein, dachte der Gouverneur bei sich. Es sah aus, als hätte jeder Bewohner des Heimes, soweit sichtbar, mindestens einen Liter reinen Alkohols konsumiert. »Sie werden sich wundern, Guntakal!« brüllte Thaher. »Wir veranstalten einen Pro-
Peter Terrid testzug vor Ihrem Palast, und dann werden wir über Hyperkom eine gesalzene Beschwerde an seine Erhabenheit persönlich richten. Der Imperator soll erfahren, wie man auf Xoaixo mit verdienstvollen Männern und Frauen umspringt!« Vor Nander Guntakals Augen begann das Bild zu flimmern, und der Gouverneur wußte, daß ihm seine Nerven diesen Streich spielten. Er traute es Gyat ohne weiteres zu, daß er des Schnapses wegen die halbe Galaxis rebellisch machte. Diese Aktionen müssen schnell und geräuschlos unterbunden werden, überlegte Guntakal, und er fand auch schnell eine Möglichkeit. Zuerst wollte er versuchen, den streitsüchtigen Besitzer der »stählernen Schwingen von Orxh« zur Ruhe zu bringen. »Hören Sie, Gyat«, sagte Guntakal so freundlich wie möglich, »ich werde dafür sorgen, daß diese Panne augenblicklich behoben wird. Ich ersetze die schlechte Ware durch bessere. Noch in dieser Stunde wird die Lieferung bei Ihnen anlangen, wenn Sie wollen.« Thaher Gyat grinste boshaft. »Bemühen Sie sich nicht«, erklärte er. »Wir machen uns auf den Weg und holen uns, was uns zusteht. Warten Sie auf uns!« Bevor Nander Guntakal noch ein Wort sagen konnte, schaltete Gyat die Verbindung ab. Nander Guntakal begann trotz der Klimaanlage zu schwitzen. Er suchte nach einem Ausweg, während seine Uhr die Sekunden mit anscheinend immer größer werdender Geschwindigkeit heruntertickte. Endlich fand der Gouverneur eine Lösung. Schnell griff er zum Interkom und tippte eine Nummer in die Tastatur.
* Es war ein Bild des ungetrübten Friedens. Die Sonne Llaga-del-Armgh schien auf den Strand herab und beleuchtete einige hundert schläfrige Männer und Frauen, die es sich in ihren Sesseln bequem gemacht hatten. Im
Die stählernen Schwingen von Orxh Hintergrund spielte ein Bandgerät Folklore von Afzgot, während menschliche Kellner eifrig kalte Getränke, Kuchen und eine durch heftiges Rühren fest gewordene Fett/ Wasser-Emulsion servierten. In kleinen Gruppen diskutierten die Gäste das Wetter, Tagesaktualitäten und den krassen Unterschied zwischen der guten alten und der schlechten neuen Zeit. Über dem Sonnenstrand lag eine Atmosphäre gepflegter Langeweile. »Ich muß schon sagen«, murmelte ein Veteran des Phansigenaufstands von '37, »die alten Leute von heute sind auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Ja, zu meiner Zeit …« Er konnte weitersprechen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Obwohl seine Nachbarn in kurzen Abständen immer wieder nickten, hörten sie ihm nicht zu, sondern flüsterten oder murmelten selbst – wiederum ohne Zuhörer. Ab und zu wurden die Stimmen etwas lauter, wurden aber sofort durch verweisende Blicke wieder gedämpft. »Orgien, meine Teure, Orgien, sage ich Ihnen«, erklang eine offenbar neiderfüllte Frauenstimme. Der Veteran hätte gern mehr gehört, aber die Sprecherin dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ja, ja, zu meiner Zeit«, murmelte er und schloß die Augen, um den Nachmittagsschlaf fortzusetzen. Er öffnete sie erst wieder, als das allgemeine Murmeln sich verstärkte und sich allmählich zu einem Tumult steigerte. In einiger Entfernung erklangen wilde Gesänge. Der Veteran setzte sich auf und blickte finster entschlossen um sich. »Zu den Waffen!« rief er. »Die Phansigen kommen!« Ein unwilliges Kopf schütteln zeigte ihm, daß er der Wirklichkeit um etliche Jahrzehnte hinterherhinkte. Immer lauter wurde der Lärm, und dann wurden die ersten Gestalten sichtbar. »Heilige Galaxis«, stöhnte einer der Kellner laut auf, »Thaher Gyats Renten-Rocker
21 sind im Anmarsch!« Unwillkürlich zogen sich die Gäste zurück, sammelten sich und rückten verängstigt zusammen. Einige Gesichter wurden bleich, andere zeigten den Ausdruck trotzigen Märtyrertums. »Sie werden uns umbringen, alle miteinander!« schluchzte eine Frau. Der Blick ihres Nachbarn zeigte, daß er mit dieser Lösung durchaus einverstanden war. Instinktiv wichen die Menschen zurück, als Thaher Gyat, der beträchtliche Mühe hatte, aufrecht zu gehen, die Gruppe erreichte. Der Wind wehte so, daß den Gästen eine intensive Alkoholwolke entgegenschlug. In der rechten Hand trug Thaher eine dickbauchige Flasche, halb geleert, in der linken einen Blaster, offenbar mit vollem Magazin. Thaher entdeckte den Veteranen und stieß einen triumphierenden Schrei aus, der furchtsameren Gästen eine Gänsehaut verschaffte. »Alter Freund!« brüllte Gyat und drängte sich durch die Menge. »Es leben die alten Zeiten. Hier, trink, auf die Phansigen und alles, was sich der guten Sache in den Weg stellt!« Der Veteran straffte sich und sah sich um, stolzerfüllt über den Umstand, daß Thaher ihn sofort als die wichtigste Person anerkannt hatte. Die altertümliche Prothese an seiner rechten Hand öffnete sich, dann krallte er die stählernen Finger um den Hals der Flasche, die Thaher ihm entgegenhielt. Der Veteran wußte, daß alle Augen auf ihm ruhten, darum setzte er die Flasche erst ab, als er beim besten Willen keinen Schluck mehr herunterbringen konnte. »Das nenne ich den Durst eines echten Mannes«, brüllte Thaher. »Brüder und Schwestern …« Während Thaher laut und überschwenglich sprach, stürmte ein Teil seiner Mannschaft, angeführt von Huzur Mistis, das zentrale Wohnheim. Sie beschlagnahmten sämtliche Schnapsvorräte und machten sich dann daran, die Flüssigkeit gleichmäßig unter alle Gäste des Heimes aufzuteilen.
22
Peter Terrid
Währenddessen redete Thaher ununterbrochen. Er führte alles auf, was man gegen den Gouverneur und seine Beamten vorbringen konnte, und nach einer halben Stunde lagen sich die Gäste und Thahers Trupp brüderlich und betrunken in den Armen und schworen, gemeinsam gegen die Tyrannei des Gouverneurs vorzugehen. Sobald er sein Ziel erreicht hatte, sorgte Thaher dafür, daß dieser Schwur auch in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Wenige Minuten später machte sich der mehr als verdoppelte Trupp auf dem Marsch in die Stadt. Bis zum Gouverneurspalast war eine beträchtliche Strecke zurückzulegen. Zudem gab es an der Straße noch ein halbes Dutzend weiterer Heime, deren Bewohner sich ziemlich bald dem Protestzug anschlossen. Alles sah danach aus, als würde es in Ahjod einen denkwürdigen Tag geben und wahrscheinlich auch eine Nacht, die in die Annalen Xoaixos eingehen würde.
* »Sie haben mich also verstanden?« fragte Nander Guntakal zurück. »Ich habe verstanden, Erhabener!« bestätigte der Leiter der Funkstation. »Wenn die alten Leute kommen und nicht abzuwimmeln sind, lege ich den Hyperkomsender lahm und lasse sie in der Galaxis herumfunken, solange es ihnen Spaß macht!« »Wenn etwas schiefgeht …«, sagte Nander Guntakal und lächelte bedeutungsvoll. »Es wird keine Pannen geben«, versprach der Funkoffizier selbstsicher. »Wir werden doch noch mit ein paar alten Leuten fertig werden!« »Hoffentlich«, antwortete Guntakal reserviert und unterbrach die Verbindung. Der Gouverneur hatte sich einen Plan zurechtgelegt und seine Vorbereitungen getroffen. Die Pensionäre konnten kommen.
* »Was wird Guntakal gegen uns unterneh-
men?« fragte Zihat Baluch leise. Thaher zuckte mit den Schultern. Thaher hätte dafür gesorgt, daß die Bewohner seines Heimes zwar einen stark angetrunkenen Eindruck machten, aber sich sonst sehr zurückhielten, um nicht den gesamten Plan in Gefahr zu bringen. Die Bewohner der »stählernen Schwingen von Orxh« sorgten still und unauffällig dafür, daß der Protestzug die Richtung nahm, die Thaher vorbestimmt hatte. Beim Erreichen des großen Platzes vor dem Gouverneurspalast hatte der Zug eine Kopfstärke von fast zehntausend Personen erreicht, und es wurden in jedem Augenblick mehr. Von allen Seiten strömten Menschen, junge und alte, auf den Platz und mischten sich unter die Protestierer. Der überreichlich mitgeführte Alkohol sorgte dafür, daß die Stimmung erhalten blieb. Was die meisten der Protestler bewegte, war eine Art Volksfeststimmung. Sie wollten den Gouverneur ein wenig ärgern und ansonsten für einen möglichst turbulenten Tag sorgen. Das gelang vollständig. Als Nander Guntakal sich auf dem Balkon des obersten Stockwerks zeigte, wurde er mit Buh-Rufen empfangen, und der Gouverneur zog sehr schnell den Kopf wieder zurück, obwohl er in dieser Höhe ungefährdet war. Die Demonstranten bauten schnell ein Rednerpodium, das Thaher Gyat bestieg. Aus den Augenwinkeln heraus sah Thaher, wie sich Zihat Baluch mit einer Gruppe von Frauen und Männern entfernte. Thaher grinste zufrieden, dann griff er zum mitgebrachten Megaphon und begann zu sprechen.
* Das Publikum raste und tobte vor Vergnügen, aber Guma Tarthing wußte sehr wohl, daß es damit nicht sein Bewenden haben würde. Er war immerhin einer von denen, die Thahers Plan kannten, und Guma Tarthing war fest entschlossen, diesen Plan zu vereiteln.
Die stählernen Schwingen von Orxh Der Mann befand sich in einer Hochstimmung, die er in seinem Leben noch nie gekannt hatte. Tarthing zweifelte nicht daran, daß der lebende Leichnam, den Thaher mitgebracht hatte, tatsächlich der totgeglaubte Imperator Gonozal VII. war. Thaher konnte es niemals wagen, eine Imitation vorzuschieben. Irgendwann würde sich der schwerkranke Imperator einem Test unterziehen müssen, der einwandfrei beweisen konnte, ob der Mann tatsächlich der alte Imperator war oder nicht. Einer solchen Prüfung konnte Thaher unter keinen Umständen entgehen. Tarthing kannte Thaher viel zu gut, um nicht zu wissen, daß Thaher kein Mann war, der das selbstmörderische Risiko eingegangen wäre, einen falschen Imperator zu präsentieren. Ganz abgesehen davon wäre es absurd gewesen, den alten Imperator ausgerechnet auf Xoaixo zu präsentieren. Es gab für einen solchen Auftritt andere Orte, an denen die Wirkung wesentlich stärker sein mußte. Ein großer Flottenstützpunkt beispielsweise, auf dem sich der Imperator die Unterstützung starker Militäreinheiten hätte verschaffen können. Guma Tarthing war sich sicher. Der Imperator war echt, und er der unscheinbare, immer freundliche Guma Tarthing, der Verräter aus Berufung, war vom Schicksal dazu bestimmt, die Karriere des wiederaufgetauchten Imperators Gonozal VII. nach kürzester Zeit wieder zu beenden. Guma Tarthing überließ die Menge den aufrührerischen Reden von Thaher Gyat. Der Leiter der »stählernen Schwingen von Orxh« hetzte die Pensionäre und Rentner auf, den Gouverneurspalast zu stürmen. Allerdings flocht er in seine Rede so viele boshafte Witze ein, daß die allgemeine Stimmung eher vergnügt als aggressiv wurde. Thaher hatte den Protestzug unter Kontrolle. Das war auch für Guma Tarthing sehr wichtig. Tarthing zog sich vorsichtig zurück. Sobald er außer Sichtweite war, begann er zu
23 rennen. Nach kurzer Zeit hatte er den Dienstboteneingang des Regierungsgebäudes erreicht. Guma Tarthing begann zu lächeln. Das Wichtigste hatte er geschafft.
* Nander Guntakal blickte sorgenvoll auf die Menschenmenge hinunter. Immer größer wurde die Zahl der Demonstranten. Guntakal konnte sehen, wie die Menschen aus den Seitenstraßen auf den Platz vor dem Palast strömten. »Dieser Gyat macht noch den ganzen Planeten rebellisch«, murmelte Guntakal erbittert. Immerhin zeichnete sich allmählich ab, daß der Protestmarsch sich langsam zum Volksfest entwickelte. Guntakal winkte einen jungen Mann zu sich. »Sorgen Sie dafür«, befahl der Gouverneur, »daß möglichst unauffällig mehr Schnaps unter die Leute gebracht wird. Wir müssen die Menge von ihren eigentlichen Zielen ablenken. Und geben Sie dem Orchester meinen Befehl weiter. Die Männer sollen, sobald ihnen die Gelegenheit günstig erscheint, für Stimmung sorgen und die Veranstaltung umfunktionieren!« Der junge Mann salutierte vorschriftsmäßig und verschwand dann sehr schnell. Aus dem Hintergrund löste sich eine Gestalt und ging auf den Gouverneur zu. Nander Guntakal sah dem Mann verwundert entgegen. Was wollte der Alte von ihm? Guma Tarthing trat an Nander Guntakal heran und verbeugte sich. »Erhabener«, begann der Mann. »Fragen Sie nicht zuviel, warten Sie, was ich zu sagen habe. Mein Name ist Guma Tarthing, ich bin Mitarbeiter der POGIM!« Diese Eröffnung verschlug dem Gouverneur die Sprache. Tarthing konnte sehen, wie nervös Guntakal wurde. Nander Guntakals Gedanken überschlugen sich förmlich. Was wollte der Mann von ihm? Wußte er etwas, was besser niemand erfahren hatte? Wurde die Menschenmenge
24 vor dem Palast Guntakal zum Verhängnis, hatte er versagt? »Hören Sie auf zu zittern, Mann!« herrschte Tarthing den Gouverneur an; er genoß es, dem mächtigen Gouverneur solches sagen zu können. »Ich habe wichtige Informationen. Was draußen vor der Tür geschieht, ist völlig unwichtig. Thaher hat den Aufmarsch nur als Ablenkungsmanöver inszeniert. Was wirklich zählt, ist der Mann, den Thaher vor wenigen Stunden gefunden hat. Gonozal VII. ist wieder aufgetaucht, es gibt keinen Zweifel!« Nander Guntakal wurde käsig weiß im Gesicht, auf seiner Stirn erschienen feine Schweißtropfen. Mit offenem Mund starrte er Tarthing an. »Was sagen Sie da?« stammelte er. »Der alte Imperator ist wieder aufgetaucht. Thaher will für ihn den Planeten in seine Gewalt bringen. Dazu braucht er vor allem die große Hyperfunkstation von Xoaixo. Wenn er sie in seine Gewalt bringen kann, hat er vor dem Rest des Imperiums einstweilen Ruhe und kann den ganzen Planeten zum Aufruhr bewegen. Verstehen Sie mich, hier wird eine Revolution inszeniert, und noch haben wir Zeit, diesen Versuch im Keim zu ersticken. Aber es muß jetzt schnell gehandelt werden. Sobald Thaher die Funkstation erobert hat, wird er die Relaiskette unterbrechen. Dann kann Arkon nicht mehr informiert werden.« Guntakal schluckte und griff hinter sich nach einer Säule. Er hatte Mühe sich aufrecht zu halten. Guma Tarthing bedachte den Gouverneur mit einem geringschätzigen Blick, dann fuhr er fort: »Sie wissen so gut wie ich, daß es auf Xoaixo von Anhängern Gonozals wimmelt. Wenn Thaher genügend Zeit bekommt, kann er den ganzen Planeten unter sich bringen. Wissen Sie, was das heißt? Xoaixo beherbergt Mitglieder der größten und einflußreichsten Familien Arkons, zahllose Sippenoberhäupter, ehemalige Flottenoffiziere, die auch jetzt noch Einfluß auf ihre früheren
Peter Terrid Untergebenen haben. Hier wohnen genügend alte Gonozal-Admirale, um die halbe Flotte zur Desertation zu bewegen. Thaher kann hier einen Brand legen, den kein Ozean voll Blut mehr zu löschen vermag.« Den letzten Satz hatte Tarthing in einem alten Schmöker gelesen und behalten, weil er sich so melodramatisch anhörte. Auch jetzt verfehlte er seine Wirkung nicht. Langsam kam Guntakal wieder zu sich. »Folgen Sie mir!« bestimmte er und rannte zu seinem Büro. Mit fliegenden Fingern wählte er den Anschluß der Funkstation.
* Zihat Baluch schwankte wie eine Nußschale bei Sturm, und seine Gefolgsleute machten einen ähnlichen Eindruck. Die dreiköpfige Besatzung der Funkstation verbiß sich mit Mühe ein Grinsen, als die Männer und Frauen herangetorkelt kamen. »Hier darfst du nicht herein, Opa«, meinte der Wachoffizier und breitete die Arme aus. »Du könntest etwas kaputtmachen.« Zihat Baluch blieb heftig schwankend stehen. »Aus dem Weg, ihr beiden!« lallte er. »Wir haben eine wichtige Nachricht für die ganze Galaxis. Wir werden Thaher Gyat zum unabhängigen Großkaiser von Xoaixo ernennen und ausrufen. Wir werden Orbanaschol auffordern, unserem neuen Großkaiser zu huldigen, andernfalls hetzen wir die dili, deri … delirösen Bestien auf ihn.« Der Wachoffizier behielt die Nerven und unterdrückte den Lachreiz; dabei half ihm der Geruch, der ihm aus Zihat Baluchs Mund entgegenschlug. »Das könnt ihr auch morgen erledigen«, meinte er. »Sie sind widerlich!« stellte Baluch fest. »Und Sie betrunken«, gab der Offizier trocken zurück. »Aber ich bin morgen wieder nüchtern«, meinte Baluch grinsend, »wohingegen Sie …!« Die beiden anderen Männer in der Funk-
Die stählernen Schwingen von Orxh station verstanden den bösen Scherz auch ohne die letzten Worte, die Baluch nicht über die Lippen kommen zu wollen schienen. Sie begannen laut zu lachen, und der Offizier drehte sich entrüstet zu ihnen um. Diesen Augenblick nutzte eine Frau und warf sich dem Mann an den Hals. Der Offizier hatte gewißlich nichts dagegen, geküßt zu werden, aber nicht von einer Frau, die seine Urgroßmutter sein konnte und obendrein ekelhaft nach billigem Schnaps stank. Der junge Mann versuchte die Frau abzuschütteln und wich dabei unwillkürlich einige Schritte zurück. Bevor sich der Mann der lästigen Frau erwehrt hatte, hatte Zihat Baluch den Raum betreten. Mit einer schnellen Bewegung zückte er seine Waffe und richtete sie auf den Kopf des jungen Offiziers. »Dies ist kein Spaß, Freunde!« sagte er freundlich und bewegte auffordernd den Blaster. »Nehmt die Hände hoch und stellt euch an die Wand. Ich werde nicht zögern, wenn einer eine falsche Bewegung macht!« Auch die anderen Männer und Frauen hatten ihre Waffen gezogen und hielten sie auf die Funker gerichtet. »He, was soll das?« fragte einer der Männer verblüfft. Er wollte aufstehen, aber eine Mündung wurde ihm gegen die Brust gedrückt. Entgeistert starrte der Mann in das Gesicht der alten Frau, die nicht den Eindruck machte, als wisse sie nicht, wie man die Waffe zu betätigen habe. »Seid ihr wahnsinnig geworden?« Die Funker wurden an die Wand gedrängt und entwaffnet. Kurze Zeit später summte der Interkom. Zihat Baluch stellte die Verbindung her und grinste den Gouverneur fröhlich an. Er wußte, daß die Gefangenen von der Kamera nicht erfaßt wurden. Zihat wollte seine Rolle als Säufer weiterspielen, wurde aber daran gehindert. Hinter Nander Guntakal tauchte für einen kurzen Augenblick ein Gesicht auf, das Zihat Baluch merkwürdig bekannt erschien, dann wurde der Bildschirm schwarz, noch bevor einer der Männer ein Wort gesagt hatte.
25 Zihat Baluch sah sich ratlos um, dann zuckte er mit den Schultern. »Weiter, Leute!« kommandierte er. »Wir müssen die anderen Wachen überwältigen!« Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, dann war der Regierungssitz des Gouverneurs fest in der Hand der Rebellen. Die Soldaten vor dem Waffenmagazin, das auch schwere und schwerste Waffen enthielt, wurden ähnlich schnell und wirkungsvoll von den Männern und Frauen überwältigt. Nach dieser Aktion besaß der Gouverneur faktisch keine Macht mehr. Seine Soldaten waren ausgeschaltet, Waffenlager und Funkstation fest in der Hand der Rebellen. Nander Guntakal hatte keine Möglichkeit mehr, nach Arkon zu berichten, daß der totgeglaubte Imperator Gonozal VII. wieder aufgetaucht war und sich anschickte sein Imperium zurückzuerobern.
4. Guma Tarthing hatte nur einen Bruchteil einer Sekunde gebraucht, um festzustellen, daß die Funkstation des Gouverneurspalasts verloren war. Tarthing kannte Zihat Baluch und wußte, daß dieser Mann schnell und umsichtig zu handeln pflegte. Vermutlich waren auch schon sämtliche Waffenlager von Ahjod in der Hand der Rebellen. Nander Guntakal saß bleich und niedergeschlagen in seinem Sessel und wischte sich in kurzen Abständen den Schweiß von der Stirn. Da es in dem Raum angenehm kühl war, konnte es sich nur um Angstschweiß handeln, überlegte Guma Tarthing. Ihn widerte der Gouverneur an. Nander Guntakals Körper zeigte deutlich Spuren seines Lebenswandels. Der Körper war zwar noch leidlich schlank, aber von zahlreichen Gelagen aufgeschwemmt; das Gesicht zeigte erschlaffte Züge, die kleinen Augen blinzelten nervös. Guma Tarthing wußte, daß ihnen nur wenig Zeit blieb, wollten sie noch eine kleine Chance haben, den Gang der Dinge aufzuhalten oder wenigstens zu ändern.
26 »Gibt es noch eine Großfunkstation auf Xoaixo?« wollte Tarthing wissen. Nander Guntakal nickte. »Es gibt noch eine geheime Station in den Sümpfen«, berichtete er zögernd. »Dort steht auch noch ein überlichtschnelles Schiff, mit dem man Arkon erreichen kann. Die Männer, die dort arbeiten, sind unmittelbar meinem Befehl unterstellt. Sie dürfen sich nicht rühren, wenn ich es ihnen nicht ausdrücklich befehle oder offiziell als tot erklärt worden bin. Dann unterstehen sie dem neuen Gouverneur.« »Und wenn für die Männer klar zu erkennen ist, daß eine Revolution den Tod des alten Gouverneurs herbeigeführt hat?« fragte Guma Tarthing. »In diesem Fall sind sie ermächtigt, nach eigenem Ermessen zu handeln«, erklärte Guntakal. Guma Tarthing grinste bösartig. »Das heißt«, überlegte er laut, »wenn ich Sie jetzt erschieße, sind die Männer berechtigt, Arkon um Hilfe zu bitten!« Nander Guntakal wurde noch bleicher, als er ohnehin schon war. »Hören Sie …!« stammelte er und starrte ängstlich auf die Waffe in Guma Tarthings Hand. »Sie werden doch nicht …!« Guma Tarthing überlegte kurz. Er dachte nicht über Moral oder dergleichen nach, sondern rechnete sich die Zukunft aus. Wenn er jetzt Guntakal erschoß, würde die Geheimstation zu funken beginnen. Es würde nur einen halben Tag dauern, bis das erste Flottenaufgebot über Xoaixo erschien, um dem Gonozal-Spuk ein Ende zu bereiten. Den Mord an Nander Guntakal würde man Guma Tarthing schwerlich anrechnen. Auf der anderen Seite hatte Guntakal auf Arkon einige einflußreiche Verwandte, die Guma Tarthing an die Kehle fahren konnten. Tarthing entschloß sich, Guntakal einstweilen ungeschoren zu lassen. Vielleicht konnte der Gouverneur noch einmal nützlich sein. »Stehen Sie auf!« herrschte Tarthing den
Peter Terrid Mann an. »Wir müssen hier verschwinden, bevor Thahers Leute uns einfangen können!« »Es gibt einen versteckten Ausgang«, berichtete Guntakal. Er war sichtlich erleichtert, als Tarthing die Waffe zurücksteckte. »Nur ich kenne den Kode, der die Tür öffnet.« Nander Guntakal warf einen scheelen Blick auf Tarthing und ergänzte: »Auf dem Weg zu der Station gibt es noch etliche Fallen, die ebenfalls nur ich kenne und desaktivieren kann!« Guma Tarthing verzog keine Miene, aber er war mit sich zufrieden. Deutlicher hätte Guntakal seine Angst vor ihm und seiner Waffe kaum ausdrücken können. »Beeilen Sie sich«, sagte er ruhig. »Thahers Leute können in jedem Augenblick hier auftauchen!« »Helfen Sie mir!« bat Nander Guntakal. Zusammen stemmten sich die Männer gegen den schweren Schreibtisch, der langsam zur Seite rückte. Eine Öffnung wurde sichtbar, ein Licht flammte auf. »Ein Antigravschacht!« erklärte Guntakal, den diese geringe Anstrengung bereits schwitzen ließ. »Der Tisch schiebt sich später automatisch wieder über die Öffnung!« Draußen auf den Gängen wurde Lärm hörbar; offenbar rückten die Männer um Thaher Gyat dem Gouverneur auf den Pelz. »Schnell!« flüsterte Guma Tarthing und stieß Nander Guntakal vorwärts. »Gyat kommt!« Nander Guntakal wurde wieder einmal blaß, dann sprang er beherzt in das Loch, das gerade groß genug war, um ihn durchzulassen. Guma Tarthing folgte Sekunden später. Er blickte nach oben, während das Antigravfeld ihn langsam sinken ließ. Zufrieden nickte der Mann, als er sah, wie der schwere Schreibtisch in seine alte Stellung zurückglitt. Dann hörte er ein Krachen. Offenbar waren Thahers Männer gewaltsam in das Büro des Gouverneurs eingedrungen.
*
Die stählernen Schwingen von Orxh Zihat Baluch stieß einen Fluch aus. Der Amtssitz des Gouverneurs war leer, der Vogel offenkundig in letzter Sekunde ausgeflogen. Die Männer und Frauen hatten den Palast systematisch durchgekämmt, aber keine Spur von Nander Guntakal finden können. Mehr noch als das Verschwinden des Gouverneurs ärgerte sich Baluch über den Verrat des Mannes, den er endlich hatte identifizieren können. Erst jetzt war ihm eingefallen, wer die Verbindung zwischen der Funkstation und dem Büro des Gouverneurs so schnell unterbrochen hatte. Zihat Baluch wußte nicht genau, was er von Guma Tarthing halten sollte, aber er war sich sicher, daß er von dem Mann nichts Gutes zu erwarten hatte. Offenbar war Guma Tarthing ein eingefleischter Anhänger Orbanaschols, der alles daran setzte, seinen Herrn und Gebieter rechtzeitig über die neue Gefahr ins Bild zu setzen. »Habt ihr Erfolg gehabt?« wollte Thaher Gyat wissen. Er hatte die tobende Menschenmenge sich selbst und ihren Vergnügungen überlassen. Fürs erste stand nichts zu befürchten. Thaher hatte Zeit genug, den alten – und hoffentlich auch neuen – Imperator der Menge vorzustellen. Baluch schüttelte verbittert den Kopf. »Nander Guntakal ist uns entwischt«, berichtete er grimmig. »Und dies, wie ich vermute, hauptsächlich, weil sich ein Bewohner deines Heimes auf die andere Seite geschlagen hat.« Er erzählte kurz, was er gesehen hatte. Thaher Gyat ballte die Fäuste. »Auf normalem Wege konnte Guntakal das Haus nicht verlassen«, stellte Thaher fest. »Also gibt es einen Schleichweg. Und wer für sich einen versteckten Ausgang baut, hat mit Sicherheit auch noch andere Heimlichkeiten. Wir werden aufpassen müssen, damit Nander Guntakal unsere Pläne nicht durchkreuzt.« »Die Geheimstation in den Sümpfen!« mutmaßte Zihat Baluch. »Vielleicht ver-
27 sucht er, sich dorthin durchzuschlagen.« »Wir werden ihn rechtzeitig abfangen«, versprach Thaher Gyat. »Aber zuvor werden wir etwas anderes zu tun haben. Auf in die Funkstation!«
* »Von Hyperfunk keine Spur«, meldete Jedim Kalore. »Dafür haben die Burschen aber den großen Telekomsender aufgedreht, daß ihnen bald die Röhren um die Ohren fliegen werden.« Eigurd Terbakh, wie Kalore stellvertretender Kommandant der CRYSALGIRA, sah seinen Kollegen verweisend an. Für seinen Geschmack war Kalores Meldung reichlich burschikos und wenig nach Dienstvorschrift ausgefallen. Die beiden Männer bildeten ein seltsames Gespann, das seine nicht minder merkwürdige Ergänzung in dem schweigsamen Kommandanten Kejt Argalth fand, der hinter den Kontrollen saß und sich auf seine Arbeit konzentrierte. Im Hintergrund lief ein Bildschirm. Er zeigte die gleichen Bilder, die von der planetaren Station ausgestrahlt wurden; sie waren auf ganz Xoaixo zu empfangen. Auch die Antennen der CRYSALGIRA hatten die Impulse aufnehmen und verstärken können. Dieser Thaher Gyat imponierte mir. Ganz offenkundig hatte er die Leitung der Aktion an sich gerissen, und er verwendete seine Autorität so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Man hatte ein Podium aufgebaut, und darauf stand neben dem hageren Thaher Gyat mein Vater und blickte teilnahmslos vor sich hin. Es tat weh, den Mann anzusehen, der einmal das Große Imperium der Arkoniden klug und umsichtig regiert hatte. Die Erklärung für den Gesundheitszustand meines Vaters hatte sich Gyat natürlich aus den Fingern saugen müssen, aber seine Darlegungen klangen außerordentlich eindrucksvoll und wirklichkeitsnah. »Der Bursche hat Phantasie«, murmelte Fartuloon neben mir. »Diese Legende ist so gut, daß wir vielleicht bei Gelegenheit dar-
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Peter Terrid
auf zurückgreifen sollten!« Ich achtete weniger auf das, was Thaher Gyat sagte. Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf seine Zuschauer und Zuhörer, die immer wieder ins Bild gebracht wurden. Die Reaktion, die das Auftreten meines Vaters hervorrief, war unbeschreiblich. Vielleicht lag es daran, daß viele der Pensionäre meinen Vater noch persönlich gekannt hatten. In jedem Fall war sein Erscheinen nur triumphal zu nennen. »Mit einem solchen Erfolg hätte ich nicht zu rechnen gewagt«, gestand Fartuloon ein. »Es ist nicht zu glauben, wie begeistert Gonozal VII. aufgenommen wird. Ich frage mich, wie die Hauptwelten auf ihn reagieren werden.« Sprach da der nüchterne Wissenschaftler, der zufrieden den Erfolg eines riskanten Experimentes betrachtete? Ich sah Fartuloon von der Seite an, aber der Bauchaufschneider zeigte keine Zeichen von Bewegung. Er war ruhig und konzentriert, schien völlig unbeeindruckt. Erst als er sich zu mir umdrehte, sah ich den Glanz in seinen Augen. »Wir haben es geschafft«, sagte er stolz. »Zumindest den ersten Schritt!« Ich betrachtete den Bildschirm. Welchen Fortgang würden die Ereignisse nehmen?
* Am Ende des Antigravschachts, der durch eine der tragenden Säulen des Palasts führte und bis tief in den Untergrund reichte, nahm ein großer Raum die beiden Flüchtenden auf. Guma Tarthing nickte anerkennend, als er das Arsenal an Ausrüstungsgegenständen sah. »Das alles hat noch mein Vorgänger gebaut und eingerichtet«, erklärte Nander Guntakal. Guma Tarthing war zur gleichen Überlegung gekommen. Die Anlage des Raumes und der Ausrüstung bewies wesentlich mehr Umsicht und Vorsorge, als sie Nander Guntakal zuzutrauen waren. Es waren mehrere
flugfähige Kampfanzüge vorhanden, aber die beiden Männer verzichteten darauf. Es war abzusehen, daß man nach ihnen suchen würde, und die Streustrahlung eines Anzugaggregats war relativ leicht anzumessen. Die beiden Männer versorgten sich mit Waffen. Guma Tarthing konnte beobachten, daß sich Guntakals Selbstvertrauen sichtlich steigerte, als er einen Strahler zu fassen bekam. Ergänzt wurde die Ausrüstung durch Lebensmittelkonzentrate, Wasser und Verbandsmaterial. Guntakal verzog das Gesicht, als er sah, wie Tarthing den Verbandskasten in seinem Rucksack verstaute. An die Möglichkeit, daß er verletzt werden könnte, hatte der Gouverneur nicht gedacht. »Wo geht es hinaus?« wollte Tarthing wissen. »Ich weiß es nicht«, gestand der Gouverneur verlegen. »Ich habe diesen Teil des Palasts noch nie betreten. Ich weiß nur, daß es einen Ausgang gibt, mehr nicht.« Guma Tarthing schloß die Augen und holte tief Luft. Wenn schon zu Beginn des Marsches solche Schwierigkeiten auftauchten, stand den beiden Männern allerhand bevor. »Ich gehe voran«, entschied Guma Jarthing. Er war sich klar darüber, daß er die Führung übernehmen mußte, denn der Gouverneur war zweifelsohne dazu nicht in der Lage. Jarthing fragte sich, wie dieser Mann überhaupt an diesen Posten gekommen war. Der Gang stieg sanft an, und Guma Tarthing schätzte, daß er mindestens zwei bis drei Kilometer lang war. Diese Länge bot Gewähr dafür, daß man beim Verlassen des Ganges nicht sofort Thaher Gyats Männern in die Hände lief. Vermutlich wurde ganz Ahjod bereits jetzt nach dem Gouverneur und ihm abgesucht. »Öffnen Sie das Schott!« befahl Tarthing, als das Ende des Ganges erreicht war. Nander Guntakal beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten. Er schien sich damit abgefunden zu haben, daß man nun ihm Befehle gab. Gehorsam trat er vor und legte die flache Hand auf die vorgezeichnete Stelle des Schlosses. Eine Kleinpositronik verglich
Die stählernen Schwingen von Orxh sein Handlinienmuster mit den eingespeicherten Werten, dann klickte es vernehmlich. Leise schwang der schwere Stahlkörper des Schottes zur Seite. Tageslicht fiel in den Gang und blendete die Männer. Einen Augenblick lang standen sie still, warteten ängstlich darauf, daß jemand sie ansprach und aufforderte, die Hände hochzunehmen und die Waffen abzulegen. Nichts geschah. »Sie wissen noch nicht, wo wir stecken«, murmelte Tarthing zufrieden. »Wo genau liegt nun diese Station?« Nander Guntakal deutete die Himmelsrichtung an. »Neben dem Ausgang ist noch eine Garage«, erklärte er eifrig. »Ein leistungsfähiger Gleiter steht darin. Damit sind wir in kurzer Zeit am Ziel.« Guma Tarthing schüttelte den Kopf. »Es würde nur wenige Augenblicke dauern«, widersprach er, »dann hätten uns Gyats Männer angepeilt und aufgestöbert. Wir werden zu Fuß gehen!« Nander Guntakal stöhnte unterdrückt auf. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er letztmalig größere Strecken auf den eigenen Füßen zurückgelegt hatte. Es mußten Jahrzehnte seither verstrichen sein. »Muß das sein?« »Es muß«, gab Tarthing trocken zurück. »Wollen Sie lieber zurückbleiben und sich von Gyats Leuten gefangennehmen lassen?« Nander Guntakal wog die Vor- und Nachteile dieser Aussicht gegeneinander ab und seufzte dann kläglich. »Ich folge Ihnen«, sagte er widerwillig. Folgsam trottete er hinter dem Mann her, dessen Gesicht noch immer ein freundliches, unverbindliches Lächeln zeigte.
* Thaher Gyat war ziemlich müde. Es war spät am Abend, die Sonne war längst untergegangen. Er hatte es sich mit seinem kleinen Führungsstab in Nander Guntakals Wohnräumen bequem gemacht. Nebenan lag der Imperator in seinem Bett und schlief,
29 von zwei zuverlässigen Männern bewacht. Wenige Stunden zuvor hatte Thaher die Geliebte des Gouverneurs, eine hübsche, aber nicht sehr intelligente Zaliterin, nach Hause geschickt. Das Mädchen hatte sich in einem Schrank versteckt und allen Ernstes befürchtet, von den Rebellen getötet zu werden. »Guntakal ist verschwunden, und dieser Guma Tarthing ist ebenfalls nicht aufzufinden. Sind alle Fahrzeuge, die Ahjod verlassen wollten, genau kontrolliert worden?« Thahers Frage wurde von Zihat Baluch beantwortet. »Wir haben alles kontrolliert, was zu kontrollieren war. Guntakal kann Ahjod nicht verlassen haben.« »Es sei denn, er ist zu Fuß gegangen.« »Guntakal?« fragte Baluch Ungläubig. »Ausgeschlossen. Der geht keinen Schritt mehr, als unbedingt nötig ist.« »Mit einer Waffe im Rücken wird auch er marschierfreudig. Ich weiß nicht, was ich von Tarthing halten soll. Er hat uns getäuscht, das ist erwiesen. Fraglich ist, wie weit er uns über seine wahren Absichten im unklaren gelassen hat.« »Der Mann lebte seit Jahren im Heim«, gab Baluch zu bedenken. »Er hat aber keine Sekunde gezögert und sich sofort auf die Seite der Orbanascholfreunde geschlagen. Das heißt, daß er ein ziemlich guter Schauspieler ist. Ich halte den Mann für außerordentlich gefährlich, zehnmal gefährlicher als Guntakal.« »Wohin wird er sich wenden?« überlegte Thaher laut. »Ich nehme an, daß er versuchen wird, sich zu der Geheimstation durchzuschlagen und von dort aus Arkon zu alarmieren, noch bevor die Verhältnisse auf Xoaixo so stabil sind, daß wir es wagen können, den Imperator auf einer der großen Welten vorzustellen. Das Problem ist eine reine Zeitfrage – wer wird schneller sein?« »Wir!« behauptete Baluch. »Ich schlage vor, daß wir Patrouillen aussenden, die das Sumpfgebiet pausenlos überwachen. Sobald Guntakal und Tarthing dort ankommen, wer-
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den sie festgesetzt.« »Warum erst dann?« wollte Galacca Kidal wissen. Thaher grinste Baluch an. »Ich stellte fest, daß Zihat mir immer ähnlicher wird. Wir werden deshalb warten, damit, wenn wir die beiden auflesen, sie am Ende ihrer Kräfte sind. So kurz vor dem Ziel noch geschnappt zu werden, wird ihre Moral brechen. Vermutlich werden sie Tage brauchen, bis sie auch nur den Rand des Sumpfes erreicht haben werden, Sie werden Hunger haben, verdreckt sein, müde und ausgelaugt. Um so williger werden sie dann unsere Fragen beantworten. Die Station selbst werden wir unbehelligt lassen. Vielleicht wohnen dort überhaupt keine Menschen, und wir würden nur einen Großalarm auslösen, wenn wir unbefugt dort eindringen. Wer will den Patrouillendienst übernehmen und organisieren?« Huzur Mistis und Galacca Kidal hoben fast gleichzeitig die Hände. »Einverstanden. Ich wünsche euch gute Jagd!«
* »Ich kann nicht mehr!« Nander Guntakal hatte diesen Satz schon fast einhundertmal ausgesprochen, und die Antwort war stets gleich gewesen. Guma Tarthing hob den Blaster, richtete die Mündung auf den Kopf des Gouverneurs und sah ihn fragend an. Diesmal half die stumme Drohung nicht. Nander Guntakal knickte in den Knien ein und ließ sich auf den weichen Boden fallen. Er rang nach Luft, seine Kleidung war von Schweiß durchtränkt. Hände und Unterarme waren von Dornen und Insekten zerstochen und leicht angeschwollen. An seine Füße wagte der Gouverneur gar nicht erst zu denken. Nach seinem Gefühl ging er bereits auf den blanken Knochen. Guma Tarthing hatte den gleichen Weg zurücklegen müssen, und innerlich fühlte er sich Thaher Gyat zu Dank verpflichtet. Oh-
ne das harte Training im Heim der »stählernen Schwingen von Orxh« hätte er den anstrengenden Marsch kaum so gut überstanden. Wahrscheinlich hätte er ein ähnliches Bild des Jammers geboten wie Nander Guntakal, der sich mühsam von dem schweren Rucksack befreite und zur Wasserflasche griff. Guma Tarthing hatte zufällig einen Blick auf die Hausbar des Gouverneurs werfen können; es war erstaunlich, wie schnell sich die Geschmäcker wandeln konnten – Guntakal saugte an der Flasche, als enthalte sie feinsten Vurguzz. »Einverstanden, eine Stunde Rast!« Nander Guntakal stöhnte erleichtert auf. Seit zwei Tagen marschierten die Männer durch die unberührte Landschaft rings um Ahjod. Sie hatten einen weiten Bogen geschlagen, um nicht Patrouillen in die Hände zu fallen, die Thaher Gyat mit Sicherheit auf die beiden Flüchtlinge angesetzt hatte. Sorgfältig vermieden die Männer jeden Kontakt zu anderen Menschen. Guma Tarthing hatte einen kleinen Telekom mitgeschleppt, und er hatte die Nachrichten sorgfältig abgehört. Er wußte, daß es nur wenige Bewohner Xoaixos gab, die jetzt noch bereit gewesen wären, ihnen zu helfen. Die Mehrheit der Bevölkerung stand eindeutig hinter dem alten Imperator. Auf Xoaixo hatte Orbanaschol ausgespielt, fürs erste jedenfalls. Guma Tarthing war fest entschlossen, diesen Zustand zu ändern. Vielleicht … Nander Guntakal ächzte und stöhnte. Es wurde Zeit, diesen Mann durch einen besseren Gouverneur zu ersetzen. Warum sollte dieser neue Mann nicht Guma Tarthing heißen? Noch waren beide Männer weit von ihrem Ziel entfernt. Nach Guma Tarthings Schätzung würden sie noch mindestens einen Tag brauchen, bevor sie den Rand des Sumpfgebiets erreichten, in dem die geheime Station des Gouverneurs lag. Allerdings war Tarthing klar, daß diese Station kaum mehr als geheim zu bezeichnen war. Schließlich hatte Thaher noch im Heim deutlich seine Vermu-
Die stählernen Schwingen von Orxh tung ausgesprochen, daß der Imperator aus dieser Station entkommen war. Thaher Gyat wußte also, daß es eine solche Anlage gab, und er würde seine Vorsichtsmaßnahmen treffen. Es würde sicherlich schwierig werden, seinen Männern zu entwischen, aber Guma Tarthing war zuversichtlich, daß ihm dies gelingen würde. Er hatte schon ganz andere Männer als Thaher Gyat überlistet. »Seien Sie still! Wollen Sie, daß Gyats Männer uns hören?« Nander Guntakal schluckte die Zurechtweisung widerspruchslos und stellte sein Wehklagen ein. Lustlos kaute er auf den Konzentratwürfeln herum, die es anstelle eines normalen Mittagessens gab. Guma Tarthing hatte sich bereits an diese Verpflegung gewöhnt. Nander Guntakal hingegen war nie in die Verlegenheit gekommen, Konzentrate essen zu müssen. Seine Familie hatte Beziehungen gehabt, so daß er gleich im Offiziersrang in die Flotte eintreten konnte. Und in den Offiziersmessen der Arkon-Flotte wurde selbstverständlich frische Kost serviert. Guma Tarthing sah auf die Uhr. »Weiter!« Der Weg war schwierig. Langsam wurde das Gelände weicher, dann morastig. Es wurde strapaziös, den Fuß bei jedem Schritt erst aus dem Schlamm ziehen zu müssen, ihn nach vorne zu bewegen, wo er dann wieder bis an die Knöchel in dem Morast einsank. Nander Guntakal schnaufte und ächzte, als gelte es sein Leben, und auch Guma Tarthings Atem ging schwerer. Während des Marsches überlegte Tarthing, wo man ihnen wohl auflauern würde. Thaher Gyat hatte mit Sicherheit Wachen aufgestellt, vielleicht hatte er sogar einen Sturmangriff auf die Station versucht. In diesem Fall quälten sich die beiden Männer ohne Sinn und Zweck durch die Wildnis. Thaher Gyats Charakter war Guma Tarthing ziemlich gut bekannt, und so rechnete sich Tarthing aus, daß man versuchen würde, ihn: kurz vor dem Ziel abzufangen. Je näher er der Station kam, desto mehr mußte
31 er folglich aufpassen. Stunden vergingen, in denen die beiden Männer verbissen mit den Unbilden der Natur zu kämpfen hatten. Guma Tarthing sah ein, daß er Nander Guntakal nicht mehr lange würde antreiben können. Langsam war der Mann tatsächlich am Ende seiner Kräfte angelangt. Auch Guma Tarthing fühlte sich nicht wesentlich besser. Der Altersunterschied zwischen dem noch relativ jungen Gouverneur und dem wesentlich älteren Tarthing begann sich bemerkbar zu machen. Die Dämmerung senkte sich über diesen Teil des Planeten, als der eigentliche Sumpf von den beiden Männern erreicht wurde. Jetzt mußte die Wachsamkeit verdoppelt werden, wollte man nicht gefangengenommen werden. »Ganz leise«, flüsterte Guma Tarthing, und der Gouverneur nickte. Zum zweiten oder dritten Mal hatte Nander Guntakal bereits den toten Punkt hinter sich gebracht, vorwärtsgetrieben von Guma Tarthings, entsichertem Strahler. Der Mann bewegte sich wie in Trance, setzte fast mechanisch ein Bein vor das andere. Die Landschaft war ziemlich eben, wie Tarthing erbittert feststellte. In dem spärlichen Bewuchs waren Menschen vergleichsweise leicht zu entdecken. Langsam schlichen die beiden Männer vorwärts.
* »Glauben Sie allen Ernstes, daß die beiden ausgerechnet in unserem Gebiet versuchen werden, sich durchzuschlängeln?« Huzur Mistis zuckte mit den Schultern. »Irgendwo werden sie es versuchen«, stellte er fest. »Warum nicht hier? Jeder Punkt des Überwachungskreises ist gleichermaßen wahrscheinlich!« Der Gleiter schwebte mit geringer Fahrt über den Sümpfen. Der Wind strich über die Fläche, kräuselte die Wasseroberfläche, wo sie zutage trat, niedrige Gräser beugten sich. Hier durchzukommen erschien nahezu un-
32 möglich. Huzur Mistis fühlte sich prachtvoll. Er hatte sich bei der Eroberung Ahjods ausgezeichnet, und er wußte auch, wie bedeutsam der Auftrag war, der ihm nun übertragen worden war. Wenn es Nander Guntakal oder dem Verräter Tarthing gelang, die Station zu erreichen, die im Sumpfgebiet vermutet wurde, bestand höchste Gefahr für das Unternehmen Imperator. Huzur Mistis war fest entschlossen, es dazu nicht kommen zu lassen. Bei ihm im Gleiter war die zierliche Galacca Kidal, die sich trotz ihres unleugbar hohen Alters schnell und sicher bewegte. Daß die Frau zudem meisterlich mit ihrer kunstvoll ziselierten Waffe umzugehen wußte, hatte Mistis erst bemerkt, als sie sich ihren Weg durch eine Kolonie bösartiger Hanturs hatten freischießen müssen. Diese Nagetiere konnten in größerer Zahl auch Menschen gefährlich werden, aber mit vereinten Kräften hatten die Frau und der Mann den Angriff zurückgeschlagen. »Was halten Sie davon – sollen wir versuchen, die Lage der Station auszukundschaften?« Huzur Mistis wiegte den Kopf. »Thaher hat uns verboten, die Anlage zu betreten. Man kann nie wissen, wie die Bewohner darauf reagieren werden.« »Von Betreten war nicht die Rede. Ich will nur herausfinden, wo genau diese rätselhafte Station zu finden ist. Mehr habe ich nicht vor.« »Und der Bezirk, den wir bewachen sollen?« »Wir verkürzen nur die innere Linie. Wenn wir von unserem Erkundungsflug zurückkehren, werden wir entweder nichts sehen, oder aber sofort auf die beiden Flüchtlinge stoßen. Einverstanden?« Huzur Mistis lächelte und gab sich damit geschlagen. Galacca nahm hinter dem Steuer Platz und lenkte das Fahrzeug zum Mittelpunkt des Kreises, der von den Patrouillen abgeflogen wurde. Sie ließ den Gleiter ganz tief über den morastigen Boden schweben,
Peter Terrid um so spät wie möglich geortet werden zu können. Es rauschte leise, als der Gleiter sich durch das Schilf schob. Hinter dem Fahrzeug richteten sich die schlanken Halme sofort wieder auf. Keine Spur zeigte, daß sich noch vor wenigen Augenblicken ein Produkt einer höchstentwickelten Technik durch die unberührte Natur bewegt hatte. Galacca flog sehr langsam, hatte aber die Hand ständig am Beschleunigungshebel, um jederzeit die Flucht antreten zu können, falls es nötig werden sollte. Berücksichtigte man das Alter der Frau, dann waren ihre Reflexe hervorragend. Absolut betrachtet, reagierte sie aber einen Sekundenbruchteil zu langsam. Sie sah noch das metallische Blitzen, dann schlug der Treffer aus der ferngesteuerten Paralysatorkanone bei den beiden Menschen ein. Galacca Kidal stieß in der letzten kontrollierten Bewegung den Beschleunigungshebel nach vorne, dann sank sie zur Seite. Das Steuer bewegte sich, der Gleiter beschleunigte und raste mit neuem Kurs davon. Huzur Mistis spürte nur den Schock des Paralysators, dann kippte auch er zur Seite. Er landete auf dem Rücken und blickte nach oben, wo allmählich die Sterne zu sehen waren. Huzur Mistis hörte das tiefe Brummen des mit voller Kraft arbeitenden Gleitermotors, das Brausen des Fahrtwinds, das Geräusch des vorbeizischenden Schilfs, ab und zu das leise Plätschern von Wasser. Huzur Mistis versuchte sich zu konzentrieren. Er berechnete den ungefähren Kurs, die voraussichtliche Dauer seiner Paralyse, die Treibstoffvorräte des Gleiters. Dann versuchte er, sich an den Wetterbericht für die nächsten vierundzwanzig Stunden zu erinnern. Das Ergebnis seiner Berechnungen war niederschmetternd. Der Gleiter würde stundenlang weiterrasen, die Küste hinter sich lassen und weit hinaus auf die offene See fliegen. Immerhin, die Treibstoffvorräte würden etliche Stunden
Die stählernen Schwingen von Orxh länger ausreichen, als die Betäubung andauern konnte. Huzur Mistis hätte gerne noch einen Blick auf die zierliche, tapfere Frau an seiner Seite geworfen. Er wußte, daß er sie nicht wiedersehen würde. Es war Sturmwarnung gegeben worden.
5. Guma Tarthing sah den Gleiter davonrasen. Er wußte, daß dies die Chance für ihn und Nander Guntakal war, auf die er gehofft hatte. Eine zweite ähnlich gute Gelegenheit würde es nicht mehr geben. »Los, laufen Sie, Guntakal. Laufen Sie so schnell Sie können, bevor ein anderer Gleiter hier auftaucht!« Tarthing wartete nicht auf Guntakals Reaktion, sondern setzte sich in Bewegung. Es war schwer und anstrengend, auf dem sumpfigen Boden zu laufen, aber der Wille war stark genug, um die Muskeln anzutreiben. Hinter sich hörte Tarthing das Keuchen und Schnaufen des Gouverneurs, der sich anstrengte, um nicht abzufallen. »Langsam!« rief Guntakal. »Hier steckt eine Falle für Uneingeweihte, die erst desaktiviert werden muß! Ich habe den Kodeschlüssel!« Zum ersten Mal während des Marsches wartete Guma Tarthing auf Guntakal, und dies nicht nur, weil er den Kodeschlüssel brauchte. Guma Tarthing war erschöpft. Er war in einem Maß gefordert worden, das selbst die Kräfte seines trainierten Körpers weit überstieg. Jetzt machte sich der Altersunterschied voll bemerkbar. Guntakal war zwar ebenfalls ausgelaugt, aber er hatte noch Reserven, die er in Anspruch nehmen konnte. Zudem stiegen Guntakals Zuversicht und Selbstvertrauen mit jedem Meter, den die beiden Männer der Station im Sumpf näher kamen. Nander Guntakal grinste Tarthing spöttisch an, dann klappte er den kleinen Deckel hoch, den Tarthing für einen Schmuckstein gehalten hatte. Unter dem Deckel war an-
33 stelle des Steines ein kleiner Sender in dem Ring versteckt. Nander Guntakal brauchte einige Zeit, bis ihm seine zitternden Hände erlaubten, den winzigen Schalter zu betätigen. »Geschafft«, murmelte er schließlich. »Jetzt weiß man in der Station, daß wir kommen!« Nun ging Guntakal voran. Er allein wußte, wo die versteckten Fallen zu suchen waren. Tarthing hätte zwar ebenfalls die zahlreichen, mit nadelspitzen Pfeilen gespickten Gruben entdecken können, aber dazu hätte er Tage gebraucht. Tarthing konnte nur staunen, mit welchem Aufwand man den Zugang zu der Station gesichert hatte. Da gab es einfache Fußangeln, primitiv vielleicht, aber ungemein wirkungsvoll. Daneben existierten Hypnoprojektoren, kleine Impulskanonen und Paralysatoren. Ein beträchtlicher Teil der wilden Tiere, die den Sumpf unsicher machten, war, wie Tarthing verblüfft feststellen konnte, offenbar in arkonidischen Robotfabriken entstanden und wurde von einer Positronik gesteuert. Obwohl Guntakal die Fallen kannte, brauchten die beiden Männer doch geraume Zeit, bis sie die Station endlich erreicht hatten. Vor allem die mechanischen Fallen hielten die Männer auf, denn diese Hindernisse ließen sich nicht durch einen Knopfdruck desaktivieren, sondern mußten zunächst aufgespürt werden. Da sich der Boden im Lauf der Jahre verändert hatte, war es außerordentlich schwierig, die Gruben und Eisen zu erkennen. Nur um Haaresbreite entging Guntakal dem Schicksal, in einem der stählernen Kiefer ein Bein zu verlieren. Endlich war das Ziel erreicht. Guntakal tastete mit beiden Händen auf dem bemoosten Boden herum, dann hatte er den Öffnungsmechanismus gefunden. Eine runde Stahlplatte senkte sich eine Handbreit und glitt zur Seite. Nander Guntakal sah zufrieden in den so geöffneten Antigravschacht hinab. »Vorwärts!« sagte er und bedeutete Guma Tarthing, als erster den Schacht zu benutzen.
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Guma Tarthing biß sich auf die Lippen. Plötzlich überfiel ihn die Angst, aber es gab kein Zurück mehr für ihn. Der Antigravschacht nahm ihn auf.
* »Bei allen Göttern Arkons, Erhabener, wir wissen nichts darüber. Hier ist niemals ein Mann festgehalten worden. Wir wissen nicht, woher dieser falsche Imperator kommt, Erhabener, aber er kommt gewiß nicht aus dieser Station!« Nander Guntakal starrte den Wachhabenden verwirrt an. »Sind Sie sicher?« »Völlig, Erhabener. Wir wurden vor einem halben Sonnenumlauf hier abgesetzt, und seither hat niemand die Station betreten oder verlassen!« »Hm!« machte Guntakal. Es gab noch eine andere Möglichkeit; die nämlich, daß nicht einmal er die Befugnis besaß, etwas über den gefangengehaltenen Imperator zu wissen. War dem so, würde es ratsam sein, nicht durch allzu große Neugier aufzufallen. »Können wir einen Funkspruch nach Arkon absetzen?« wollte der Gouverneur wissen. »Selbstverständlich, Erhabener, aber …!« »Reden Sie, Mann, wir haben nicht viel Zeit!« »Wenn die Aufständischen den großen Sender von Ahjod als Störsender einsetzen, wird unser Spruch unter Umständen nur verstümmelt aufgefangen werden. Unter diesen Umständen würde viel Zeit vergehen, bis der Spruch rekonstruiert ist und Arkon uns zu Hilfe kommen kann!« Nander Guntakal biß sich auf die Lippen. Zeit war das, wovon er am wenigsten besaß. Die Zeit arbeitete für die Rebellen. »Wir haben doch ein Beiboot, nicht wahr?« »Es ist sofort startklar, Erhabener!« Die Station wurde von zwölf Männern bewohnt, dazu kamen Nander Guntakal und
der alte Mann, der sich Guma Tarthing nannte. »Nehmen Sie den Alten mit, dazu drei Ihrer Leute. Versuchen Sie zu starten und vom Raum aus Arkon anzufunken. Die Botschaft brauche ich wohl nicht erst zu erklären.« »Nein, Erhabener! Wir werden in kurzer Zeit starten können!« »Beeilen Sie sich. Und jetzt möchte ich den Funker sprechen!« Nander Guntakal erwiderte flüchtig den Gruß des Offiziers, der sich schnell zurückzog, um die Mannschaft des Beiboots zusammenzurufen. Guma Tarthing sah den Gouverneur erleichtert an; erst nach diesem Befehl Guntakals fühlte er sich wieder in Sicherheit. Von dem Augenblick an, an dem er den Antigravschacht betreten hatte, hatte Guma Tarthing mit dem sicheren Gefühl gelebt, daß Nander Guntakal ihn kurzerhand erschießen lassen würde. Immerhin war Tarthing der einzige, der Nander Guntakal erschöpft, niedergeschlagen und unfähig zur Selbstkontrolle gesehen hatte. »Vielen Dank, Erhabener!« Nander Guntakal nahm den alten Mann überhaupt nicht mehr wahr. Er beschäftigte sich mit anderen Gedanken. Es war durchaus nicht sicher, und das wußten Guntakal und die Soldaten, nicht aber der Alte, ob das Beiboot überhaupt sein Ziel erreichen würde. Xoaixo war, wie alle von Arkoniden besiedelten Welten, mehr oder minder stark befestigt gegen Angriffe aus dem All. Für die Männer hinter den Impulskanonen war es rein fachlich gesehen völlig gleichgültig, ob sie ein angreifendes Maahkschiff abschossen oder einen fliehenden Arkonraumer. Und Guntakal wußte, wie gut diese Männer schießen konnten. Er entschloß sich zu gleichzeitigem Vorgehen. Sobald das Beiboot gestartet war, würde er die Sender der Station in Betrieb nehmen. Für einen stark gerafften Funkspruch brauchte er nur wenige Augenblicke. Diese Zeitspanne würde hoffentlich zur Verfügung stehen, wenn die Rebellen das Beiboot entdeckten und ihre Abwehrmaßnah-
Die stählernen Schwingen von Orxh men einleiteten. Zu diesem Zeitpunkt würde sich die ganze Aufmerksamkeit auf das Boot richten, und bevor der Störsender aktiviert wurde, konnte Guntakal seinen Funkspruch bereits abgesetzt haben. Nander Guntakal lächelte zufrieden. Es sah so aus, als wäre der Gonozal-Spuk in einigen Tagen beendet, und dann würde er, Nander Guntakal, der strahlende Sieger sein. »Das Beiboot ist startklar, Erhabener!« Nander Guntakal drehte sich zu Tarthing um. »Viel Glück!« wünschte er und log dabei nicht einmal.
* »Verdammt, wo kommt dieses Boot her?« Thaher Gyat war äußerst erregt. Alle verfügbaren Boote, Jachten und Raumschiffe waren von seinen Leuten übernommen worden. Eigentlich durfte es das Boot gar nicht geben. »Die Station«, murmelte Zihat Baluch niedergeschlagen. »Guntakal hat es geschafft, wer weiß wie. Hoffentlich reagieren die Geschützmannschaften schnell genug!« Sorgenvoll betrachtete er die Bildschirme, die das Geschehen im Raum in der Nähe Xoaixos zeigten. Wenn sich das Beiboot mehr als zwei Lichtsekunden von dem Planeten entfernen konnte, war es in Sicherheit – weiter reichten die planetaren Abwehranlagen nicht. Es galt, das Schiff bereits während des Starts abzuschießen, und Thaher Gyat wußte, wie schwierig das war.
* Die Männer an Bord des Bootes waren ruhig und konzentriert, nur Guma Tarthing zitterte um sein Leben. Erst kurz nach dem Start hatte er begriffen, welcher Gefahr er sich ausgesetzt hatte. Von allen Seiten schien der Planet tödliches Feuer nach dem winzigen Schiff zu spucken. Tarthing versuchte die Kiefer zusammenzupressen, um nicht laut zu schreien.
35 Das Beiboot hatte eine winzige Chance, davonzukommen. Es mußte im Zickzack, in abenteuerlichen Wendungen und Kurven die Stratosphäre durchfliegen. Dabei blieb es zwar länger im Feuerbereich der Kanonen von Xoaixo, aber es wurde bislang noch nicht getroffen. Wäre es auf dem kürzesten Wege gestartet, hätte der leicht zu berechnende Kurs den Gunnern die besten Schießunterlagen geboten. »Seien Sie ruhig, Mann, oder ich lasse Sie über Bord werfen!« Guma Tarthing zuckte unter den schneidenden Worten des Offiziers zusammen, als sei er von Peitschenschlägen getroffen worden. »Noch zwei oder drei Minuten!« schrie der Navigator. Die Zelle des Beiboots vibrierte unter dem Einschlag eines Strahlschusses, der das Boot glücklicherweise nur gestreift hatte. Ein Volltreffer hätte das Beiboot atomisiert. Die Männer an Bord waren angeschnallt, und nur diesem Umstand verdankten sie ihre Gesundheit, als das Boot umhergewirbelt wurde wie ein welkes Blatt im Herbststurm. Die Aufprallenergie hatte das Boot so weit aus seiner Bahn geworfen, daß auch die nächsten Schüsse weit am Ziel vorbeistrichen. Wieder wurde das Boot getroffen, wieder aus dem Kurs gebracht. Der technische Offizier begann zu grinsen. »Volltreffer, Kameraden, aber einwandfrei absorbiert. Wir haben es geschafft!« »Kurs auf den Transitionspunkt nach Arkon!« befahl der Kommandant. »Und Sie bleiben, wo Sie sind. Sie bringen nur Unruhe in den Betrieb!« »Zu Befehl!« murmelte Guma Tarthing. Er schielte über die breiten Schultern des Kommandanten hinweg auf den Bildschirm der Raumbeobachtung. So sah er das Schiff als erster, das sich – aus allen Rohren feuernd – mit rasender Geschwindigkeit dem Beiboot näherte. Guma Tarthing begann gellend zu schreien.
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* »Keine Volltreffer, bitte! In dem Boot sitzen Arkoniden!« Ruhig und leidenschaftslos klang die Stimme von Kejt Argalth durch die Zentrale. »Schieß mich ab, aber bring mich nicht um«, gab Jedim Kalore respektlos zurück. »Kunststück!« Auf dem Bildschirm neben seinem Kopf war einer der Gunner zu erkennen. Der Mann grinste breit. »Versuchen Sie, mit kleineren Geschützen die Triebwerke zu beschädigen«, befahl der Kommandant ruhig. »Und unterlassen Sie das vorschriftswidrige Grimassieren!« Jetzt hatte der Gunner noch mehr Mühe, ein gelassenes Gesicht zu zeigen. »Funkkontakt!« rief der Mann an der Hyperkomüberwachung. »Irgendein kleinerer Sender auf Xoaixo hat angefangen, ein Hyperkom-Gespräch zu starten, aber die Großstation hat ihn nach einigen Sekunden mit Störimpulsen eingedeckt. Jetzt ist nur noch Wellensalat zu hören!« »Eine Sekunde reicht vollauf!« stellte Fartuloon neben mir fest; er strich sich mit der rechten Hand über den schwarzen Vollbart. »Eine Sekunde ist viel zuviel Zeit!« Er sah mich bedeutungsvoll an. »Du weißt, was das bedeutet?« »Arkon wird sehr bald wissen, was auf Xoaixo geschehen ist, und eine starke Flotte auf den Weg schicken. Spätestens morgen wimmelt der Raum um Xoaixo von Schiffen!« »Richtig, Sohn. Und darum müssen wir deinen Vater zurückholen. Das Experiment ist gelungen und kann jetzt beendet werden. Kalore, lassen Sie für mich ein Beiboot klarmachen. Ich werde den Imperator abholen!« »Kommt nicht in Frage!« Fartuloon sah mich an, und da wußte ich, daß es keinen Sinn hatte, mit ihm zu debattieren. Er würde wieder einmal seinen Willen durchsetzen. »Wenn ich einmal Imperator sein sollte«,
drohte ich ihm an, »werde ich die Person, die meine Befehle wiederholt frech mißachtet hat, köpfen lassen!« Fartuloon antwortete auf seine Weise. »Lasse nie einen Kopf abschlagen, der größer und inhaltsreicher ist als der deine!« Ich sah ihn nachdenklich an. Natürlich hatte er recht. Er war älter und klüger, erfahrener und wahrscheinlich auch gerissener als ich. Er war mein Lehrmeister gewesen; einen großen Teil der Fähigkeiten und Fertigkeiten, auf die ich stolz sein zu dürfen glaubte, verdankte ich diesem Mann voller Rätsel. »Geh nur und laß dich abschlachten. Was aus dir wird, interessiert mich nicht.« Ich machte unwillkürlich eine Pause. »Bring mir meinen Vater mit!« Fartuloon legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir in die Augen, aber bevor die Stimmung allzu feierlich werden konnte, begann er zu lachen, daß sein Harnisch zitterte und das Skarg leise in der Halterung klirrte. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen nach, als er die Zentrale der CRYSALGIRA verließ. Die Lage auf dem Planeten, um den wir kreisten, war hochgefährlich geworden. Mußte ich jetzt um zwei Männer zittern, um meinen Vater und den Mann, der ihn in bewunderungswürdiger Weise vertreten hatte? »Der Dicke wird sich schon nicht umbringen lassen«, meinte Jedim Kalore gemütlich. »Dafür ist er viel zu schlau! Ich wünschte, ich könnte ihn begleiten!« »Es verdirbt den Charakter eines Mannes, wenn er seinen Pflichten zu oft entzogen wird. Schlimmer noch, wenn er sich ihnen entziehen will!« »Eigurd Terbakh, Sprüche, Erster Band, Kapitel zweitausendvier!« Jedim Kalore ließ sich von seinem pedantischen, etwas trockenen Mit-Stellvertreter keine Zurechtweisung gefallen, und Terbakh war zu korrekt, um diese Respektlosigkeit Kalores mit gleicher Münze heimzuzahlen. Auf den Ortungsschirmen war zu sehen, wie sich das kleine Beiboot vom Körper der
Die stählernen Schwingen von Orxh CRYSALGIRA löste. Es war ein Flug in ein besonderes Abenteuer. Ich hätte wahrscheinlich nicht gewußt, wie ich den alten Herren und Damen auf Xoaixo zu begegnen hatte. Es waren viele darunter, denen ich schon aus Altersgründen respektvoll zu begegnen hatte. Ein Feuerball entstand auf dem Panoramaschirm; im ersten Augenblick glaubte ich, Fartuloons Boot sei getroffen worden, dann begriff ich den wahren Sachverhalt. Um dem Feuer der CRYSALGIRA zu entgehen, hatte der Kommandant des Bootes, das von Xoaixo gestartet war, eine Kurve beschrieben, die ihn wieder in die Reichweite der Geschütze des Planeten brachte. Und die Bewohner Xoaixos hatten das Schiff ohne Zögern abgeschossen. Gleichfalls ohne Zögern würden sie auch Fartuloons kleines Boot abschießen, wenn er ihnen vor die Mündungen geriet.
* Der alte Bauchaufschneider wußte sehr genau, was ihm bevorstand, wenn er leichtsinnig wurde. Aber die Trickkiste Fartuloons war groß und gut gefüllt. Fartuloon entschloß sich, einen Meteor zu spielen. Das dauerte zwar beträchtlich länger als ein normaler Landeanflug, war aber entschieden sicherer. Fartuloon steuerte das Beiboot in einem weiten Bogen um den Planeten herum, dann erst ließ er das winzige Schiff auf Xoaixo zufliegen – antriebslos. Fartuloon machte es sich in seinem Pilotensessel bequem. Jetzt mußte er warten, bis es entweder Zeit wurde, den Sturz des Bootes dicht vor dem Boden abzufangen, oder aber die ersten Volltreffer der Geschütze bei ihm einschlugen und ihn mitsamt dem Boot atomisierten. Für die Raumbeobachter von Xoaixo bot sich das Bild eines Himmelskörpers, der gradlinig auf den Planeten zuflog und mit großer Wahrscheinlichkeit in den oberen Schichten der Planetenatmosphäre verglü-
37 hen würde. Auf diese Ansicht stützte sich Fartuloons Plan. Wurden die Beobachter mißtrauisch, würden sie den vermeintlichen Meteor vorsichtshalber zerschießen. Fartuloon konnte hören, wie das Boot in die Stratosphäre eintauchte. Die Reibung der wenigen Luftmoleküle heizte das Boot auf, gleichzeitig übertrugen sich die Schwingungen auf den Bootskörper. »Eine halbe Minute!« murmelte Fartuloon. Die dreißig Sekunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Jetzt konnte der Bauchaufschneider sich einigermaßen sicher fühlen. Vor dem Teil des Bootes, der dem Planeten zugewandt war, staute sich die Luft. Sie erhitzte sich, wurde ionisiert. Die Bewohner des Planeten konnten jetzt mit ihren Ferngläsern einen kleinen, feurigen Punkt erkennen, der auf Xoaixo herabstürzte. Hinter der Feuerwand der ionisierten Luft war die Form des abstürzenden Körpers nicht mehr auszumachen. Fartuloon begann zu schwitzen. Der Arkonstahl, aus dem das Boot erbaut worden war, würde noch höhere Temperaturen vertragen, aber die Hitze wurde von dem Stahl auch weitergeleitet und erwärmte die Luft im Innern des Bootes. Noch wagte Fartuloon nicht, die Maschinen des Bootes stärker zu belasten. Die Streustrahlung dieser Aggregate war grundsätzlich von der Hitzestrahlung der ionisierten Luft verschieden, selbst kleine Kinder fanden den Unterschied sofort. Auch Fartuloons Beobachtungsmöglichkeiten wurden von der gestauten Luft behindert. Der Bauchaufschneider mußte einfach schätzen, wann es Zeit wurde, den Kurs des Bootes zu ändern. Griff er zu früh in die Steuerung, konnte die Abwehr aufmerksam werden, handelte er zu spät, würde er nur einen großen Explosionskrater in der Oberfläche des Planeten hinterlassen. Immerhin war die Spanne zwischen diesen beiden Zeitpunkten einigermaßen groß. Das Boot war annähernd zehn Kilometer vom Boden entfernt, als Fartuloon die Trieb-
38 werke anlaufen ließ, und den Sturz abbremste. Nach seiner Schätzung war die Aufmerksamkeit der Raumüberwachung jetzt eingeschlafen. Immerhin, Fartuloon biß sich nervös auf die Lippen und wartete auf die ersten Treffer. Nachdem eine halbe Minute vergangen war, wußte der Bauchaufschneider, daß sein gewagtes Manöver geglückt war. Er atmete erleichtert auf. Erst knapp fünfhundert Meter über dem Boden brachte Fartuloon das Boot zum Stillstand. Aus den Luken heraus konnte er das Graugrün des Meeres erkennen. »Sehr gut«, murmelte der kahlköpfige Mann. Er richtete die Nase des Bootes auf den Strand und schob den Beschleunigungshebel nach vorne. Das Boot schnellte einige Meter über den Spitzen der Wellen in die Richtung, in der Fartuloon Ahjod vermutete. Dort mußte sich der Imperator befinden. Fartuloon war noch einige Dutzend Kilometer von der Küste entfernt, als ihm seine Instrumente anzeigten, daß sich ihm eine metallischer Gegenstand näherte. Sofort verringerte Fartuloon die Geschwindigkeit und setzte das Beiboot auf dem Wasser ab. »Ein Gleiter!« stellte Fartuloon fest. »Offenbar ohne Besatzung!« Schnell hatte er sich einen Plan zurechtgelegt. Fartuloon ließ das Beiboot wieder aufsteigen, dann programmierte er den Autopiloten des Bootes. Er würde das Boot selbsttätig steuern, wenn Fartuloon sein Fahrzeug verließ. Der Kurs verlief genau parallel zu dem des führerlos dahinrasenden Gleiters. Nach wenigen Minuten flog das Beiboot genau über der offenen Schale des Gleiters über das Meer. In einiger Entfernung konnte Fartuloon gewaltige Wolkenwände sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Orkan das Beiboot und den Gleiter erreichen würde. »Auch das noch«, stellte Fartuloon fest, als er die beiden reglosen Körper in der offenen Schale des Gleiters entdeckte. Fartuloon ließ die Luke am Unterkörper
Peter Terrid des Beiboots aufklappen, dann ließ er sich an einem langen Seil in den Gleiter hinab. Mit einem Handgriff verringerte er die Geschwindigkeit des Gleiters, und der Autopilot des Beiboots korrigierte sofort seinen eigenen Kurs. Die Augen der beiden Menschen an Bord des Gleiters waren offen. Fartuloon sah sofort, daß sie von einem Paralysator getroffen worden waren. Der alte Mann und die alte Frau konnten Fartuloon sehen und auch hören. Nur bewegen konnten sie sich nicht. »Herzlich willkommen«, sagte Fartuloon heiter. Er konnte sich annähernd vorstellen, welche Gedanken die beiden Menschen beschäftigten. Fartuloon hatte sich schnell ausgerechnet, was geschehen war, und er wußte, daß die beiden praktisch auf ihren Tod warteten. Um so größer mußte ihre Überraschung sein, daß nun ein reichlich dicker Mann mit einem verbeulten Brustpanzer, einem uralten Schwert und einem geradezu bedrohlich aussehenden schwarzen Bart als Retter erschienen war. »Ich werde Sie an Bord meines Bootes bringen. Anschließend werde ich das Boot unter der Wasseroberfläche verstecken. Sie brauchen also keine Angst zu haben, wenn das Wasser über Ihnen zusammenschlägt. Sobald ich meine Arbeit getan habe, werde ich zurückkommen und sie mit Ihrem Gleiter an einer sturmsicheren Stelle absetzen. Bis dahin verhalten Sie sich ruhig. In meinem Boot gibt es genug Nahrungsmittel und auch Wasser! Sie werden also nicht umkommen müssen. Allerdings warne ich Sie. Versuchen Sie nicht, mit meinem Boot zu verschwinden oder gar meine Arbeit zu stören. Das Boot ist auf solche Experimente vorbereitet!« Die Augen der beiden Betäubten blieben ausdruckslos. Fartuloon nahm sich nicht die Mühe, ihnen seine Aufgabe zu erklären. Er legte sich als erste die alte Frau über die Schulter und brachte sie an Bord seines Beiboots. Scheinbar spielerisch schaffte er dann auch den Körper des Mannes aus dem Glei-
Die stählernen Schwingen von Orxh ter. Ein Funksignal ließ das Beiboot wenig später in den Fluten versinken. Fartuloon sah befriedigt zu, wie das Wasser an der Bordwand immer höher stieg und dann das ganze Boot überspülte. Erst als von dem Boot nichts mehr zu sehen war, nahm Fartuloon hinter dem Steuer des Gleiters Platz, wendete das Fahrzeug und raste zur Küste zurück. Hinter ihm bewegten sich die Wellen heftiger, die Kämme zeigten weißen Schaum. Der Orkan zog auf.
* Zum ersten Male in seinem langen, von Abenteuern erfüllten Leben fand Thaher Gyat keinen Fluch, der der Lage angemessen gewesen wäre. »Es bestehen keine Zweifel?« »So leid es mir tut, Thaher, aber ein Teil des Spruches ist mit Sicherheit durchgekommen. Wir wurden von dem Boot dermaßen abgelenkt, daß wir Sekunden zu spät handelten.« Zihat Baluch machte ein finsteres Gesicht. Er wußte nur zu gut, was diese Tatsachen zu besagen hatten. In Kürze würde eine Flotte Arkons über dem Planeten erscheinen und den Himmel verdunkeln. So wie Thaher und auch Zihat den Charakter Orbanaschols einschätzten, würden sich dann die Geschützmündungen öffnen und dem Tod auf Xoaixo eine reiche Ernte bereiten. Xoaixo wäre nicht die erste Welt der Galaxis, die nach einem Besuch der Arkonflotte nicht mehr war als eine ausgeglühte Ruine in Planetengröße. Vielleicht hatte der Kommandant gar den Befehl, nicht erst lange zu fackeln, sondern den Planeten völlig zu zerstören, einen unlöschbaren Atombrand anzulegen oder dergleichen. »Wir werden den Männern den Imperator zeigen. In der Flotte gibt es noch viele alte Gonozal-Anhänger. Sie werden es nicht wagen, auf den Imperator zu schießen!« Zihat Baluch wußte selbst, daß dieses Argument nicht zog. Selbstverständlich würde
39 Orbanaschol zur Vernichtung Xoaixos nicht ausgerechnet gonozalfreundliche Truppen einsetzen. Es gab genug Offiziere, deren Karriere mit Orbanaschol stand oder fiel – sie würden keine Rücksicht kennen. Thaher sagte langsam: »Wir haben noch zwei Chancen. Die eine besteht darin, daß der Spruch Arkon gar nicht oder so erreicht hat, daß man ihn nicht verstehen kann. In diesem Fall können wir unsere Arbeit wie geplant fortsetzen.« »Und Nummer zwei?« »Auf Xoaixo leben viele Leute, deren Verwandte zum engeren Führungskreis des Imperiums gehören. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Usurpator es wagt, unter den Angehörigen seiner Freunde und Helfer ein Blutbad anzurichten.« »Wenn besagte Angehörige dadurch endlich an das Familienvermögen herankommen können, wird Orbanaschol nur Beifall ergattern!« Thaher Gyat sprang auf und marschierte unruhig im Zimmer auf und ab. Tief in seinem Innern nistete die Überzeugung, daß das gewagte Spiel, auf das er sich eingelassen hatte, bereits verloren war. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Gegner seine Trumpfkarten ausspielen würde. »Sollen wir verschwinden und den Imperator mitnehmen?« »Unsinn, Zihat. Das wäre eine offene Flucht. Wie willst du das den Männern und Frauen, die hier ihr Leben aufs Spiel setzen, begreiflich machen?« »Ein lebender Gonozal auf der Flucht ist tausendmal besser als ein toter Held!« »Auch richtig, aber …« Thaher schlug mit der geballten Faust auf den Schreibtisch, an dem früher Nander Guntakal gesessen und sein Vermögen gemehrt hatte. Thaher Gyat fühlte sich eingekreist, obwohl die Gefahren, die ihn bedrückten, einstweilen nur Rechenergebnisse waren. Thaher wußte, daß es keine Möglichkeit gab, den Planeten zu evakuieren. Dazu fehlte es an Schiffen. Es gab zwar etliche Privat
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Jachten, auf die man hätte zurückgreifen können, aber mit diesem Schiffsraum hätten sich bestenfalls zehn von hundert Bewohnern in Sicherheit bringen können. Die Transportschiffe, die kostbare Luxusgüter von Arkon und anderen Welten nach Xoaixo schafften, waren für Personentransporte nur nach langwierigen Umbauten zu gebrauchen. Natürlich hätten sich trotzdem Tausende mit diesen Schiffen retten können, aber Thaher Gyat kannte den Menschenschlag zu gut, der Xoaixo bevölkerte. Ob Gonozal-Anhänger oder nicht, die Männer und Frauen des Planeten waren sich ihres gesellschaftlichen Ranges bewußt. Sie würden genauso argumentieren, wie Zihat Baluch es gerade erst widerlegt hatte. Niemals würden sie glauben, daß Orbanaschol ihnen ans Leben wollte; begreifen würden sie erst, wenn sie die Klinge des Henkersschwertes herabsausen hörten. »So oder so«, murmelte Thaher. »Uns bleibt nur eines. Wir werden weiterarbeiten. Mehr können wir nicht tun!«
* Nander Guntakal rieb sich zufrieden die Hände. Er hatte mitbekommen, wie das Beiboot der Station abgeschossen worden war. Das Problem Guma Tarthing war damit erledigt. Den Ruhm, das Komplott Thaher Gyats so schnell entdeckt zu haben, konnte nun ihm zufallen. Eine Belohnung war Nander Guntakal nahezu sicher, denn der wichtigere Teil des Funkspruchs an Arkon war aus den Antennen gegangen, ohne daß Thahers Sender Störimpulse ausgeschickt hatte. Der Rest war zwar verstümmelt, aber Nander Guntakal vertraute darauf, daß die Funkspezialisten auf Arkon den Sinn nach kurzer Zeit herauskristallisieren konnten. Eigentlich hätte Nander Guntakal nur zu warten brauchen, aber der Mann war damit nicht zufrieden. Sein Ruhm wäre noch vergrößert worden, wäre er selbst derjenige ge-
wesen, der den Aufstand der Pensionäre niedergeschlagen hatte. Sich persönlich in das Getümmel zu stürzen, entsprach nicht der Wesensart des Gouverneurs. Aber er hatte noch ein paar erfahrene Männer, die er für seine Zwecke verwenden konnte. Acht erprobte Raumsoldaten standen Guntakal zur Verfügung. »Gibt es hier auch Robots?« Der angesprochene Offizier nickte und deutete auf den Servierrobot, der Guntakal ein Getränk überreicht hatte. Der Schnaps war nicht eben der beste, stellte der Gouverneur fest. »Ich meine Kampfrobots.« »Einhundert Maschinen sind bei uns gelagert«, berichtete der Offizier. »Sie können sehr schnell aktiviert werden.« »Machen Sie sich an die Arbeit!« befahl Guntakal. »Und bringen Sie mir einen genauen Plan der Stadt Ahjod!« Der Offizier brüllte eine Reihe von Befehlen in den Antigravschacht, der in die tieferen Etagen der Station führte. Danach zog er aus einem Fach eine erstaunlich präzise Karte hervor. »Wir teilen die Robots in vier Kampfgruppen auf«, erklärte Guntakal. Von dem, was er als Flottenoffizier gelernt hatte, war nicht mehr viel übriggeblieben, aber für diese Aufgabe würde es reichen. Seit er die Station erreicht hatte, war Nander Guntakals Selbstvertrauen in geradezu beängstigender Weise gewachsen. Einige Augenblicke lang fühlte sich der Gouverneur versucht, den fünften Trupp selbst zu führen und Thaher Gyat eigenhändig zur Strecke zu bringen. Dann aber fiel ihm ein, daß Gyat seine Waffe präzise zu handhaben wußte, und dieses Argument ließ Guntakals Plan in einem negativen Licht erscheinen. »Die Robots werden die Stadt angreifen, um sich zu meinem Palast durchzuschlagen. Natürlich werden die Rebellen versuchen, die Maschinen daran zu hindern. Während sie damit beschäftigt sind, die Robots zu bekämpfen, werden Sie und Ihre Männer den Palast im Handstreich nehmen. Ich will die-
Die stählernen Schwingen von Orxh sen falschen Imperator haben!« Der Offizier betrachtete nachdenklich den Plan, dann nickte er. »Das Vorhaben könnte gelingen. Wir werden jedenfalls versuchen, den falschen Imperator in unsere Hand zu bekommen. Sollen wir anschließend in die Station zurückkehren?« Nander Guntakal grinste bösartig. »Die Rebellen haben noch nicht herausgefunden, daß man den ganzen Palast unter einem Schirmfeld verstecken kann, das nur Schlachtschiffe aufbrechen könnten. Ich werde Ihnen sagen, wie Sie den Schirmfeldprojektor aktivieren können. Es ist ganz einfach.« Der Offizier verkniff sich die Frage, warum Guntakal nicht schon wesentlich früher auf die Idee gekommen war, den Regierungspalast auf diese Weise gegen den Zugriff der Aufständischen zu sichern. Er wußte, daß er dem Gouverneur zu gehorchen hatte, gleichgültig, wie unsinnig seine Befehle sein mochten. Immerhin sah Guntakals Plan tatsächlich einigermaßen erfolgversprechend aus. »Machen Sie sich an die Arbeit!« Der Offizier salutierte und zog sich zurück. »Nur noch ein paar Stunden«, murmelte Guntakal und rieb sich die Hände, »dann hat der Spuk ein Ende. Und dieser Thaher Gyat wird seine Frechheit teuer bezahlen müssen!«
6. Fartuloon hatte die Küste erreicht, einige Kilometer nördlich von Ahjod. Er flog langsam an der Küste entlang und suchte nach einer Möglichkeit, ungesehen so nahe wie möglich an die Stadt heranzukommen. Endlich fand er eine Straße, die landeinwärts führte. Einen Kilometer vom Ufer entfernt, dessen Rand immer heftiger von der Brandung überspült wurde, entdeckte er einen Gleiter, der neben einem Haus geparkt war. »Ausgezeichnet!« murmelte Fartuloon.
41 Sein Fahrzeug hatte nicht mehr genug Treibstoff für eine längere Fahrt, der fremde Gleiter aber konnte noch tagelang ohne Energiezufuhr auskommen. In solchen Dingen kannte Fartuloon wenig Hemmungen. Wenige Minuten nach der Entdeckung des Fahrzeugs stand Fartuloons Gleiter neben dem Haus, und der Bauchaufschneider fuhr unbehelligt in dem fremden Fahrzeug der Stadt entgegen. Langsam senkte sich die Nacht über Xoaixo. Fartuloon schaltete die Scheinwerfer ein. Der Planet hatte keinen Mond, und ein Teil der nicht sehr weit entfernten Sterne wurde von kosmischen Staubwolken verdeckt. Entsprechend kraß war der Unterschied zwischen Tag und Nacht auf Xoaixo. Was nicht vom Licht des Scheinwerfers erfaßt wurde, schien nicht zu existieren, wurde von der Dunkelheit förmlich verschluckt. Als Vorbote des Orkans braute sich über der Landschaft ein heftiges Gewitter zusammen. Das konnte Fartuloon nur recht sein. Als die unförmigen Kolosse in Fartuloons Blickfeld auftauchten, riß der Mann sofort das Steuer herum. Er brauchte nicht viel Zeit, um zu begreifen, was sich vor ihm abspielte. Sekundenbruchteile später erloschen die Scheinwerfer, und Fartuloon sprang hastig aus dem noch immer fahrenden Gleiter. »Kampfrobots!« staunte er. »Woher kommen die?« Die Beantwortung dieser Frage blieb der Zukunft überlassen, Fartuloon mußte zusehen, daß er von den gefährlichen Maschinen nicht erwischt wurde. Welchen Auftrag die Robots hatten, zeigte sich wenig später, als der führerlose Gleiter in ihre Nähe geriet. Mit maschinenhafter Schnelligkeit brachten sie ihre schweren Strahler in Stellung und schossen mit einer kurzen Salve den Gleiter zu einem rotglühenden, unförmigen Klumpen zusammen. »Verfluchte Bande!« schimpfte Fartuloon leise. Er zog das Skarg aus der Scheide. Der Blitz, der wenige Augenblicke später
42 krachte, hätte eigentlich einen hohen Baum treffen sollen, aber die geheimnisvollen Kräfte des Skargs zogen ihn förmlich an. Der Energiestrahl, der sich aus dem Blitz entwickelte, zuckte von der Spitze des Skargs zur Gruppe der Robots hinüber und wirkte dort wie der Treffer eines schweren Schiffsgeschützes. Explosionen zerfetzten einige Maschinen, abgerissene Arme und Beine flogen durch die Dunkelheit und prallten funkenstäubend auf den Beton der Straße. Acht oder zehn Robots, Fartuloon konnte wegen der Dunkelheit nur schätzen, wurden sofort vernichtet. Zwei weitere fielen durch kleinere Defekte aus, bei einer Maschine detonierte das Waffenmagazin und riß den betreffenden Robot in Stücke. Metallsplitter pfiffen durch die Luft. Wieder zuckte ein Blitz auf die Gruppe herab, und wieder trat das Skarg in Aktion. In ihrer Verwirrung begannen die Robots planlos herumzuschießen und setzten sich so gegenseitig außer Gefecht. Dennoch war der verbliebene Rest der Robotgruppe zu stark für Fartuloon. Der Bauchaufschneider wich vom Weg ab. Sobald er sicher sein konnte, daß die Robots ihn nicht hören oder sehen konnten, begann er zu laufen. Fartuloon war nicht sehr groß und wirkte übermäßig fett. Daß unter der Fettschicht kräftige Muskeln saßen, zeigte sich, als der Mann einen flotten Trab anschlug und diese Gangart beibehielt, bis er die Stadtgrenze von Ahjod erreicht hatte. Fartuloon atmete nur wenig schneller als üblich, als die ersten Häuser Ahjods vor ihm sichtbar wurden. Die Straße war hell erleuchtet. Dort tanzten und sangen Menschen, zum größten Teil mehr oder weniger berauscht. Als Fartuloon auf die Straße trat, hörte der Lärm schlagartig auf, dann begannen die Männer und Frauen lauthals zu lachen. Fartuloon wußte, daß er zur Zeit keinen sehr ansprechenden Eindruck machte. Als er sich aus dem Gleiter geworfen hatte, war er in ei-
Peter Terrid ner Wasserlache gelandet, und entsprechend mitgenommen sah seine ohnehin schon kurios wirkende Kleidung aus. »Lacht nur«, rief Fartuloon. »Die Robots werden euch das Lachen vergehen lassen.« »Robots?« Die Menschen drängten sich an Fartuloon heran. »Was ist mit Robots, erzählen Sie!« Fartuloon deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. »So ungefähr fünfundzwanzig Kampfrobots sind im Anmarsch auf die Stadt!« berichtete er. Unwillkürlich wollte er hinzufügen, daß er den Trupp mehr als halbiert hatte, aber Fartuloon sah ein, daß man ihm nicht glauben würde. »Das ist Guntakals Werk!« knurrte ein Mann. »Los, Freunde. Wir müssen uns verbarrikadieren!« »Wo ist der Imperator?« erkundigte sich Fartuloon. Offenes Mißtrauen schlug ihm entgegen. »Was wollen Sie von Seiner Erhabenheit?« fragte ein Mann; er legte demonstrativ die rechte Hand an den Griff des Impulsstrahlers. Fartuloon ließ sich von diesem Gehabe nicht beeindrucken. »Ich will nur wissen, ob er in Sicherheit ist, mehr nicht!« »Seine Erhabenheit wohnt im Regierungspalast«, wurde Fartuloon erklärt. »Wenn Sie etwas von ihm wollen, müssen Sie sich dorthin bemühen!« Fartuloon dankte und ging weiter. Hinter ihm begannen die Bürger von Ahjod damit, Hindernisse aufzustellen. Fartuloon hätte den Männern sagen können, daß solche Maßnahmen wenig taugten. Die Robots konnten die Hindernisse samt ihren Verteidigern einfach zusammenschießen, sie konnten sie auch umgehen. Eine gut programmierte Kampfmaschine wog an Kampfkraft eine halbe Hundertschaft normaler Kämpfer auf. Sie waren reaktionsschneller, schußstärker, zielsicherer und vor allem rücksichtsloser als Menschen. Hinweise dieser Art hätten allerdings
Die stählernen Schwingen von Orxh nicht viel genutzt. Fartuloon hatte erkannt, daß die Männer und Frauen den neuen Imperator verteidigen wollten, gleichgültig, wer oder was angriff. Der Regierungspalast war das höchste Gebäude in Ahjod und deshalb nicht zu verfehlen. Zielstrebig marschierte Fartuloon auf das Haus zu.
* »Leise, Männer!« Der Offizier legte den Zeigefinger an die Lippen, und seine Männer stellten ihr Flüstergespräch ein. Nathel Sunwar hatte nur eine bescheidene Karriere hinter sich. Er betrachtete seine Versetzung nach Xoaixo fast als Demütigung. Um so froher war der junge Offizier über die Ereignisse der letzten Stunden. Sie boten ihm endlich eine Möglichkeit, sich auszuzeichnen und ein neues Kommando zu übernehmen. Nathel Sunwar betrachtete das Zifferblatt seiner Uhr. Nach dem Zeitplan, der in der Station erarbeitet worden war, mußten die ersten Robots in diesem Augenblick die Stadtgrenze erreicht haben und angreifen. Daß die Maschinen durchweg auf alte Männer und Frauen trafen, interessierte den Offizier nicht. Die Menschen, die sich den Robots in den Weg stellten, waren Rebellen und hatten ihr Schicksal verdient. Vor allem wurden durch die Straßenkämpfe seine Aktionen am Palast hervorragend gedeckt. Auf den Rücken trugen die acht Männer kleine Feststoffraketen, die sie im geeigneten Augenblick in die Höhe steigen lassen sollten. Vom Dach aus, so sah es der Plan vor, sollte der Palast gestürmt werden. Die normalen Ein- und Ausgänge wurden sicher überwacht, die Luft desgleichen. Mit einem Gleiter hätte der Trupp niemals auf dem Dach landen können, daher hatte sich Sunwar für die Feststoffraketen entschieden. Wenn die Robots für genügend Aufregung sorgten, würde der Feuerstrahl, auf dem die Männer in die Höhe reiten sollten, kaum auffallen.
43 Nathel Sunwar konnte den Lärm hören, der sich in den sonst stillen Straßen der Stadt ausbreitete. Er hörte Schüsse, Detonationen und Schreie. In einiger Entfernung hatte ein Haus Feuer gefangen, die Flammen stiegen rasch in den nachtdunklen Himmel. Rauch wälzte sich durch die Straßen und nahm vielen die Sicht. »Vorwärts, aber leise. Wir wollen nicht gesehen werden!« Geräuschlos huschten die Männer vorwärts. Sie bewegten sich hauptsächlich auf Nebenstraßen, denen in der allgemeinen Aufregung niemand Beachtung schenkte! Nathel Sunwar spürte, wie sein Mund austrocknete. Er war schon einmal in Lebensgefahr gewesen, als der Kreuzer, auf dem er Dienst tat, von zwei kleineren Maahkeinheiten abgefangen und beschossen worden war. Damals hatte Nathel Sunwar keine Zeit gehabt, sich um seine Angst zu kümmern. Er hatte soviel zu tun gehabt, daß er erst nach dem Gefecht, das die halbe Besatzung des Kreuzers gekostet hatte, bleich geworden war. Jetzt war die Angst da. Sie war stark und fast greifbar. So vieles konnte geschehen. Er konnte von einem Bürger Ahjods entdeckt werden, ein wildgewordener Robot konnte ihn treffen, die kleine Rakete auf halber Höhe versagen und ihn abstürzen lassen. Nathel Sunwar ärgerte sich über seine Angst, vor allem, weil er wußte, daß die Männer, die ihm folgten, dieses Gefühl offenbar nicht zu kennen schienen. Jeder einzelne von ihnen hatte eine lange Dienstzeit hinter sich; sie waren auf Methanplaneten gelandet und hatten Maahks im Nahkampf bezwungen. Es ärgerte Sunwar, daß diese Männer im Fall des Falles so sterben würden, wie es die Videostreifen zeigten, während er – das wußte er genau – ein jämmerliches Bild bieten würde, obwohl er den Männern in fast allen anderen Bereichen haushoch überlegen war. Das Regierungsgebäude kam in Sicht. Nathel Sunwar wischte sich die feuchtgewordenen Handflächen an der Hose ab, dann
44 winkte er den Männern zu, ihm zu folgen. Vorsichtig schlich der Trupp von hinten an das Gebäude heran. Der Platz vor dem Palast war von zahllosen Menschen bevölkert, die wild durcheinanderliefen und gestikulierten. Der Überfall der Robots schien die Bevölkerung von Ahjod in Panik versetzt zu haben. »Gut so!« murmelte Nathel Sunwar. »Bald werden sie nicht nur kopflos herumrennen, sondern tatsächlich kopflos sein.« Die Rückwand des Regierungspalasts war erreicht. Nathel Sunwar sah sich um. Die Aufmerksamkeit der Bürger von Ahjod konzentrierte sich auf den Platz vor dem Gebäude, auf der Rückseite war keine Bewegung zu sehen. Nathel Sunwar gab das vereinbarte Zeichen. Mit der flachen Hand schlug er den kleinen roten Knopf in die Fassung. Er spürte einen heftigen Schlag an den Schulterblättern, dann verloren seine Füße den Boden. Mit steigender Geschwindigkeit begann Sunwar in die Höhe zu steigen. Der Mann lächelte zufrieden. Neben ihm schwebten seine Männer. Von unten mußte es aussehen, als schwebe eine Reihe feuriger Perlen langsam in die Höhe. Plötzlich erlosch eine der Perlen. Mit einem lauten Schrei stürzte der Mann wie ein Stein in die Tiefe. Nathel Sunwar preßte die Kiefer zusammen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann war das Dach erreicht. Es gehörte Geschick dazu, das kleine Triebwerk im rechten Augenblick abzuschalten. Geschah dies zu früh, stürzte der Mann ab, es sei denn, er war reaktionsschnell genug, um die Rakete sofort wieder zu zünden. Wurde die Rakete zu spät ausgeschaltet, stürzte der Mann aus beträchtlicher Höhe auf das Dach. Nathel Sunwar landete sanft und sicher, fünf seiner Männer kamen ebenfalls glatt auf, der letzte konnte gerade noch die Kante des Daches umklammern. Neidisch stellte Nathel Sunwar fest, daß der Mann nicht schrie, sondern stumm wartete, daß ihm sei-
Peter Terrid ne Kameraden halfen. »Legt die Raketen ab. Wir brauchen sie nicht mehr. Oder … halt!« Nathel Sunwar grinste breit, dann löste er eine Thermobombe aus dem Gürtel und befestigte sie an dem Gurtzeug, das die Rakete an seinem Rücken gehalten hatte. Die anderen Männer folgten sofort Nathels Beispiel. Dann ließ Sunwar das Feststofftriebwerk wieder anlaufen. Die Rakete raste führerlos davon, gefolgt von den restlichen Geschossen. Sie beschrieben eine wirre Bahn am finsteren Himmel. Irgendwo würden sie niedergehen, und dann würden die Thermitbomben zünden. Was er damit traf, war Nathel Sunwar gleichgültig. Wichtig war, daß dadurch das allgemeine Durcheinander vergrößert wurde. Einer der Soldaten machte ein finsteres Gesicht. »Paßt dir etwas nicht?« »Das da unten sind Arkoniden!« stellte der Mann fest. »Und selbst, wenn es keine wären …!« Nathel Sunwar winkte ab. Soldaten mit moralischen Bedenken waren das letzte, was er jetzt brauchen konnte. Man mußte sich diesen Mann merken, für später, damit er in der Flotte keine Unruhe stiften konnte. Die Luke, die hinabführte in das Innere des Regierungspalasts, war rasch gefunden. Schnell stiegen die Männer in die Öffnung, dann verschlossen sie die Luke wieder. Nathel Sunwar stellte fest, daß seine Männer fast gleichzeitig ihre Impulsstrahler zurücksteckten und statt dessen Paralysatoren zur Hand nahmen. »Alle verweichlicht!« murmelte Sunwar so leise, daß niemand ihn hören konnte. Einer der Männer ging voran, ohne daß Nathel Sunwar dazu einen Befehl gegeben hatte. Nathel hatte nichts dagegen einzuwenden, obwohl er merkte, daß die altgedienten Soldaten ihm stillschweigend die Führung abgenommen hatten. Wenn er einen Befehl gab, würden sie allerdings gehorchen. »Wo wird Thaher stecken?« flüsterte einer der Männer.
Die stählernen Schwingen von Orxh »Vermutlich in Guntakals Büro«, lautete die leise Antwort. »Fangen wir ihn. Wenn wir Thaher haben, ist der falsche Imperator nicht mehr weit.« Nathel widersprach nicht. Er wußte vom Gouverneur, daß sich in dem Büro auch der Hauptschalter für die Schirmfeldprojektoren befand. War das Feld erst einmal aufgebaut, war Widerstand nur noch von den Personen zu befürchten, die im Innern des Hauses steckten. Nathel Sunwar rechnete damit, daß fast alle Männer und Frauen, soweit sie Waffen tragen und benutzen konnten, mit der Abwehr der Kampfrobots beschäftigt waren. Die Männer stießen auf keinen Widerstand, als sie sich durch die Gänge des Palasts bewegten. Offenbar waren die Wachen auf den unteren Teil des Hauses verteilt worden. Dann verriet eine Aufschrift, daß man sich den Privatgemächern des Gouverneurs näherte.
* Thaher Gyat schaltete den Interkom aus und legte die Stirn in Falten. »Es sieht schlecht aus!« stellte er fest. Zihat Baluch machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Die Robots dringen immer weiter vor, trotz ihrer Verluste. Unsere Freunde mühen sich redlich, aber gegen solch eine Zahl von Kampfrobotern braucht man fast eine Raumlandedivision. Ich fürchte, wir müssen uns ergeben, wenn wir ein Blutbad verhindern wollen.« Zihat deutete durch das Fenster auf die Menschenmenge vor dem Palast. »Diese Männer und Frauen sind fest entschlossen, sich nicht zu ergeben«, sagte er halblaut. »Sie wählen sich schnell ihre Kommandeure, bewaffnen sich und stellen sich den Robots entgegen. Niemand gibt ihnen den Befehl dazu, sie tun es aus eigenem Antrieb.« Thaher Gyat nickte resignierend. Er setzte
45 zum Sprechen an, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Ein Mann in Uniform stürzte in den Raum, ein zweiter folgte. Zihat Baluch wollte zur Waffe greifen, aber der zweite Eindringling schoß ihn nieder, noch bevor die Hand den Kolben erreicht hatte. Thaher Gyat stand wie versteinert. Er kannte Zihat Baluch seit vielen Jahren, und er hatte sich einen Abschied, eine endgültige Trennung anders vorgestellt. Damals, bei den »stählernen Schwingen von Orxh«, hatten sie darüber gesprochen, und beide Männer hatten gehofft, sie würden nicht im Bett sterben. Für Zihat Baluch war der Wunsch auf grausame Weise in Erfüllung gegangen. Langsam hob Thaher die Hände. Es war sinnlos, Widerstand zu leisten. Vielleicht gab es später eine Möglichkeit, dem Unvermeidlichen noch einen Sinn zu geben. Am rechten Unterarm hatte Thaher unter einem hautgleichen Pflaster eine scharfe Klinge versteckt – für alle Fälle. Der Offizier, der Zihat Baluch erschossen hatte, nahm selbst die Waffe aus Thahers Gürtel und warf sie einem seiner Männer zu. Thaher stellte fest, daß nur der Offizier eine tödliche Waffe verwendete. »Wo ist der Hochstapler?« fragte der Offizier. Noch immer war seine Waffe auf Thaher gerichtet. »Nebenan«, sagte Thaher müde. »Er schläft und wird zur Zeit nicht bewacht. Der Mann ist krank, Sie brauchen sich nicht um ihn zu kümmern! Der Imperator wird keinen Widerstand leisten!« Der Offizier grinste spöttisch. »Das wäre auch sinnlos!« Thaher sah zu, wie der Mann die Täfelung an der Rückwand des Büros abtastete. Auf einen leisen Druck hin schwang eine Holzplatte zur Seite. Dahinter wurde eine rotlackierter Schalter sichtbar, der nach einer Handbewegung des Offiziers leise klickend einrastete. Thaher konnte den entsetzten Aufschrei der Menge hören, die auf dem Platz vor dem
46 Haus beobachtete, wie sich das Schirmfeld aufbaute und den Palast einhüllte. Der Regierungspalast war praktisch von der Außenwelt abgeschlossen. Nicht einmal die Kampfrobots hätten den Schirm aufbrechen können. »Damit haben Sie nicht gerechnet, Thaher? Sie werden noch einige Überraschungen erleben! Was gibt es?« Der Soldat, der den Nachbarraum betreten hatte, war zurückgekehrt. Der Mann war für einen einfachen Mannschaftsdienstgrad schon ziemlich alt – alt genug, um Gonozal VII. noch gesehen zu haben. Der Soldat lächelte verzerrt. »Er ist es. Er schläft tief und fest. Ich habe darauf verzichtet, ihn zu wecken. Waffen habe ich im Zimmer nicht entdeckt. Einen zweiten Ausgang gibt es nicht!« Sunwar nickte zufrieden und bedeutete seinen Männern mit einer Handbewegung, Thaher zu fesseln. Anschließend wurde Gyat in den Nebenraum geschafft. Vom Gang her erklang Lärm. Einer der Soldaten stürzte herein. »Die Männer im Haus haben sich versammelt und versuchen das Büro zu stürmen!« »Erklären Sie ihnen, daß wir den Imperator erschießen, wenn sie ihren Widerstand nicht aufgeben. Entwaffnen Sie die Leute und sperren Sie sie ein!« Der Soldat verließ den Raum, während Nathel Sunwar den Armbandminikom einschaltete. »Sunwar spricht, Erhabener! Der Regierungspalast ist in unserer Hand. Die Robots können zurückgerufen werden!« »Ich gratuliere«, quäkte eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. »Ich werde die Robots zurückholen. In ein paar Stunden wird hoffentlich eine Flotte über Xoaixo eintreffen. Halten Sie bis dahin die Stellung. Ende!« Nathel Sunwar schaltete das Gerät aus und sah sich triumphierend um. »Bis die Flotte kommt, können wir es uns gemütlich machen!«
Peter Terrid
* Fartuloon betrachtete nachdenklich den Energieschirm über dem Regierungspalast. Sein Verstand sagte ihm, daß man im Innern unmöglich wissen konnte, daß er im Anmarsch war. Der Schirm war also nicht dazu gedacht, den Bauchaufschneider fernzuhalten. Die Reaktion der Menge bewies zudem, daß auch sie von dem Entstehen des Schirmfelds überrascht worden war. Fartuloon spitzte die Ohren. Von Kampflärm war nichts mehr zu hören, offenbar zogen sich die Robots wieder zurück. Das ließ nur den einen Schluß zu, daß der Befehlshaber der Kampfmaschinen mit dem Ergebnis der Aktion zufrieden war, und des wiederum besagte, daß der Besitzer des Palasts und der unbekannte Robotkommandant auf der gleichen Seite standen. »Der Imperator ist noch drinnen«, hörte Fartuloon eine Frau sagen. Fartuloon schüttelte unwillig den Kopf. Gonozal VII. in der Hand seiner Gegner – es wurde notwendig, sehr rasch und entschlossen einzugreifen. Fartuloon machte sich daran, das Gebäude zu umkreisen. Auf der Rückseite fand er eine Menschentraube um einen Körper, der am Boden lag. Fartuloon drängte sich durch die Menge und betrachtete den Körper. Man mußte nicht Leibarzt eines arkonidischen Imperators gewesen sein, um zu wissen, daß dieser Mann tot war. Wesentlich mehr interessierte Fartuloon das kleine Feststofftriebwerk auf dem Rücken des Mannes. Es erklärte ihm, auf welche Weise die Angreifer in das Gebäude eingedrungen waren. Fartuloon zückte das Skarg, und die Menge wich zurück. »Vorsicht, er ist verrückt geworden!« schrie jemand, und die Menge ging noch einen weiteren Schritt zurück. Obwohl man ihn für verrückt hielt, versuchten einige Männer dennoch, Fartuloon vor dem sicheren Verderben zu retten, als der Bauchaufschneider gradlinig auf den flimmernden
Die stählernen Schwingen von Orxh Schutzschirm zuging. Fartuloon vertrieb die Männer, die ihn von der tödlichen Sperre zurückhalten wollten, mit dem Skarg. Er war den Männern nicht böse, wer wußte schon, daß das Skarg die Fähigkeit besaß, Schirmfelder so zu verändern, daß für Fartuloon passierbare Strukturlücken entstanden. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als Fartuloon durch die Strukturlücke schritt und auf der anderen Seite unbeschädigt herauskam. Auf der anderen Seite war niemand zu sehen. Damit hatte Fartuloon gerechnet. Von der Menschenmenge, die den Palast umgab, war nicht mehr viel zu erkennen, das wurde durch das Schirmfeld bewirkt. Mit einigen raschen Schritten überwand Fartuloon die Distanz zwischen dem Schutzschirm und der Außenwand des Palasts. Vorsichtig schob sich der Bauchaufschneider weiter. Ziemlich bald hatte er einen unbewachten Eingang entdeckt. Entweder besaßen die Eroberer des Palasts eine geradezu atemberaubende Zuversicht, oder es waren so wenige Männer, daß sie nicht alle Ein- und Ausgänge überwachen konnten. Fartuloon tippte auf den zweiten Fall. Im Innern des Regierungsgebäudes war es beängstigend ruhig. Offenbar hatten die Eindringlinge den Widerstand der Rebellen vollständig gebrochen. Weder von Gefangenen noch von Wachen war etwas zu sehen. »Vermutlich stecken sie im Keller.« Das war in solchen Fällen der übliche Aufbewahrungsort für Gefangene. Die größten und bequemsten Räume in einem solchen Gebäude lagen meist weit oben, und es war naheliegend, anzunehmen, daß sich sowohl Thaher Gyat und seine Männer als auch die neuen Herren des Regierungsgebäudes dort einquartiert hatten. Fartuloon war ein sehr guter Kenner menschlicher Schwächen und Neigungen, und er war sich sicher, daß seine Kalkulation aufgehen würde. Ihm war klar, daß er sich nicht in einem Antigravschacht in die Höhe tragen lassen
47 durfte. Dort waren mit Sicherheit Wachen aufgestellt, wenn der Kommandant der Eroberer nicht vollendet schwachsinnig war. Also mußte der Bauchaufschneider den langen und beschwerlichen Weg über die Treppen nehmen. Da die steinernen Stufen nur in Fällen einer Katastrophe benutzt wurden, traf Fartuloon keinen Menschen. »Wenn mich Atlan so sehen könnte«, ächzte Fartuloon einige Zeit später. Obwohl sich unter seinen angeblichen Fettwülsten förmliche Muskelberge verbargen, war auch für ihn der Aufstieg eine echte Qual. Der Regierungspalast erwies sich als unangenehm hoch. Fartuloon hatte gar nicht erst versucht, die Stufen zu zählen, sein Instinkt sagte ihm, daß er für diese Aufgabe einen Taschenrechner gebraucht hätte. Fartuloon schwitzte stark, und seine lebhafte Phantasie führte ihm die erfrischenden Getränke in großer Zahl auf, die er jetzt gern getrunken hätte. Zu allem Überfluß war dieser Bereich des Gebäudes nicht in die allgemeine Klimatisierung einbezogen worden. Unter der Glocke des Schirmes staute sich die Hitze, die von den vielen Geräten, auch von den Projektoren des Feldes selbst, abgestrahlt wurde. Fartuloon schätzte die Temperatur auf mindestens fünfzig Grad, und das war mehr, als er über längere Zeit zu ertragen vermochte. »Weiter!« gab er sich selbst einen Befehl.
7. Nathel Sunwar hatte alle Gefahr vergessen. Seine Männer machten sich ebenfalls keine Sorgen mehr. Der falsche Imperator – nur einer der Männer war sicher, daß es sich wirklich um Gonozal VII. handelte – schlief nebenan, die Bewohner des Hauses waren entwaffnet und in einen ausbruchsicheren Raum im Keller gesperrt worden. Von außen konnte niemand in das Haus eindringen, und ein kurzer Funkkontakt mit Arkon – der merkwürdigerweise ebenfalls leicht gestört worden war – hatte Nathel Sunwar die
48 Nachricht eingebracht, daß noch einige Stunden vergehen würden, bis die Flotte von Arkon über Xoaixo erscheinen würde. Zudem war der Schrank mit Spirituosen reichlich gefüllt gewesen. Die Männer hatten nicht einsehen können, warum sie sich nach ihrem triumphalen Sieg nicht einen guten Tropfen gönnen sollten. Nur einer der Männer hatte sich an dem Gelage nicht beteiligt. Es war der Mann, mit dem Nathel auf dem Dach einen kurzen Wortwechsel gehabt hatte. Er hatte auch den schlafenden Imperator identifiziert. Maruol Chembar hatte einen Sessel neben den Eingang des Nachbarzimmers gerückt. Seine Augen wanderten von den schnarchenden Männern im Büro des Gouverneurs immer wieder zur Tür, hinter der ein Mann lag und schlief, von dem Maruol sicher zu wissen glaubte, daß er der Bruder jenes Mannes war, der jetzt das Imperium regierte. Nervös drehte Maruol die Finger. Er wußte, daß er keine Aussicht hatte, mit dem schlafenden Imperator das Gebäude zu verlassen. Zwischen ihm und der Freiheit lagen sechs betrunkene Raumsoldaten und eine große Menschenmenge vor dem Palast. Maruol Chembar dachte beklommen an den Augenblick, an dem der Schlafende den Truppen seines Erzfeinds übergeben wurde. Gab es eine Möglichkeit, diesen Ausgang der Ereignisse abzuwenden? Den merkwürdigen Mann sah Maruol Chembar erst, als der dicke Fremde unmittelbar vor ihm stand und ihm die Mündung des Paralysators unter die Nase hielt. Maruol wollte aufspringen, aber der Fremde, dessen Oberkörper von einem unförmigen Blechding umhüllt wurde, hielt ihn zurück. »Kein Wort, Sohn, oder ich drücke ab. Wo ist der Imperator?«. Maruol deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. »Was wollen Sie hier?« fragte der Soldat. Er wurde nicht ganz schlau aus den Absichten des Fremden. Zu welcher Partei gehörte er? »Ich werde den Imperator entführen«, er-
Peter Terrid klärte Fartuloon freundlich. »Ich habe ihn hier abgesetzt, und ich hole ihn auch wieder ab!« »Nehmen Sie mich mit?« Fartuloon war über diese Frage einigermaßen verblüfft, aber er nickte. Vielleicht konnte er den Mann brauchen. Im übrigen vertraute Fartuloon seiner Menschenkenntnis, die ihm sagte, daß der Mann seine Frage ehrlich meinte. »Kommen Sie!« Der Soldat ging voran. Er bemühte sich, die Tür möglichst leise zu öffnen. Fartuloon konnte in den Nebenraum sehen. Er erkannte auf dem breiten Bett Gonozal VII. der tief und fest schlief. Neben dem Bett lag ein gefesselter Mann auf dem Boden. Fartuloon trat näher und betrachtete den Gefangenen. Der Bauchaufschneider durfte nicht wagen laut zu lachen, denn im Büro des Gouverneurs lagen sechs betrunkene Männer, die er hätte wecken können. Aber Fartuloon konnte lautlos lachen, und das tat er ausgiebig. »Thaher Gyat«, flüsterte er schließlich kichernd. »Der Held der stählernen Schwingen von Orxh. Was machst du hier, alter Freund?« Dem Gefangenen schienen die Augen aus dem Kopf quellen zu wollen. Vergeblich ruckte er an seinen Fesseln, bis Fartuloon die Riemen mit seinem Skarg durchschnitt. »Psst!« machte Fartuloon, als der Gefangene sich von dem Knebel befreite. »Keinen Laut, nebenan liegen die Wachen und schnarchen um die Wette. Dieser da will uns helfen.« »Fartuloon!« sagte Thaher Gyat so leise, wie es die Umstände erforderten. »Was, bei allen Götzen der Galaxis, machst du auf Xoaixo? Gehörst du auch schon zum alten Eisen?« Fartuloon deutete wortlos auf den schlafenden Imperator. »Richtig, du warst ja seinerzeit Leibarzt Seiner Erhabenheit. Hast du …?« Fartuloons Nicken bestätigte Thahers Vermutung, daß er es gewesen war, der den
Die stählernen Schwingen von Orxh Imperator auf Xoaixo abgesetzt hatte. Thaher war intelligent genug, um zu begreifen, daß dieses Zusammentreffen reiner Zufall war. Fartuloon konnte unmöglich wissen, daß ein alter Freund von ihm auf Xoaixo lebte. »Wir haben nicht viel Zeit!« erinnerte der Soldat. »Sunwar wird bald wieder erwachen!« Fartuloon weckte den Imperator. Es schmerzte ihn jedesmal aufs neue, den alten Freund und Patienten in dieser hilflosen Lage zu sehen. Gonozal VII. konnte einige einfache Befehle ausführen, zu mehr war der lebende Leichnam nicht fähig. Die Männer führten den Imperator langsam und vorsichtig durch das Büro des Gouverneurs. Fartuloon verzichtete darauf, den Schutzschirm zu desaktivieren. Wenn die Männer aus ihrem Rausch erwachten, sollten sie nicht auf den ersten Blick merken können, daß etwas vorgefallen war. Für den Rückweg benutzte Fartuloon den Antigravschacht. Es war ausgeschlossen, den Imperator die vielen Stufen hinabzuführen. Irgendwann würde er ausrutschen und zumindest Lärm machen, wenn nicht Schlimmeres geschah. Glücklicherweise begegnete ihnen niemand. Ungestört erreichten sie das Erdgeschoß. »Was nun?« fragte Thaher Gyat ratlos. »Hast du einen Plan, Fartuloon?« Der Bauchaufschneider grinste vergnügt. »Hast du die Möglichkeit, an ein schnelles Fahrzeug heranzukommen?« wollte er wissen. Thaher nickte. »Nimm diesen Mann mit dir und versuche, das Fahrzeug zu stehlen. Du steuerst dann diesen Kurs …!« Fartuloon beschrieb dem Mann, wo ungefähr das Beiboot der CRYSALGIRA zu suchen war. Dort wollten sie sich wieder treffen. Thaher war mit dem Plan einverstanden. Zusammen bewegte sich der kleine Trupp durch das verlassene Haus. Fartuloon wartete einige Zeit, dann hatte er einen Fleck er-
49 späht, an dem nicht zu befürchten stand, daß die Ausbrecher von Passanten bemerkt werden konnten. An dieser Stelle schaffte das Skarg eine Strukturlücke im Schirmfeld, durch die die Männer ungesehen den Regierungspalast verlassen konnten. »Beeile dich«, warnte Fartuloon die beiden Männer, bevor sie sich auf den Weg machten. »Die Flotte ist im Anmarsch. Wenn wir Pech haben, werden die Schiffe schon in kurzer Zeit über Xoaixo auftauchen!« Thaher hob grüßend die Hand. »Auf bald!« Wenige Augenblicke später war er verschwunden. Fartuloon nahm den Imperator bei der Hand und schlich sich davon.
* Zum Glück hatten wir die Triebwerke der CRYSALGIRA abgeschaltet, daher konnten uns die Energieorter der Flotte nicht anpeilen. Ein um so besseres Bild zeichnete sich auf unseren Bildschirmen ab. Vor wenigen Sekunden hatten die Strukturtaster zum ersten Mal angeschlagen. Der Mann an dem Gerät hatte Mühe gehabt, die genaue Zahl der Einheiten festzustellen, die im Raumbezirk der Sonne Llaga-del-Armgh aufgetaucht waren. Die Endsumme lautete auf mehr als fünfhundert Einheiten. Die Flotte war so transistiert, daß sie uns nicht erfassen konnte. Die CRYSALGIRA wurde von dem Planeten Xoaixo verdeckt, jedenfalls solange wir uns nicht bewegten. Innerhalb einiger Stunden aber würden wir den Schlagschatten des Planeten verlassen. Bis dahin mußte Fartuloon wieder an Bord sein. Deutlich zeichneten sich die Energieechos auf unseren Schirmen ab. Die Schlachtschiffe würden einige Zeit brauchen, bis sie die Umlaufbahn von Xoaixo erreicht hatten, aber ihnen weit voraus war eine erschreckend große Zahl kleinerer, wendiger Einheiten, die in kurzer Zeit den Planeten wie ein Insektenschwarm umkreisen konn-
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ten. »Verdammt«, knurrte Jedim Kalore. »Wo bleibt der Dicke nur?« Seit Stunden gab es kein Lebenszeichen von Fartuloon mehr, und wir wußten auch nicht, was sich auf Xoaixo abspielte. Lediglich das große Schirmfeld über dem Palast des Gouverneurs war zu erkennen, und wir hatten auch ein Gefecht zwischen Robotern und Arkoniden anmessen können, das aber nach kurzer Zeit abgebrochen worden war. Steckte, Fartuloon noch in dem Kampfgebiet? Hatte er es geschafft, zu meinem Vater durchzudringen? Außer Fragen hatte ich nicht viel zu bieten, vielleicht noch meine Nervosität, die sich von Minute zu Minute zu steigern schien. Und von Minute zu Minute schmolz der Abstand zwischen den schnellen Zerstörern der Arkonflotte und dem Planeten. Langsam begann ich zu fürchten, daß unser grandioser Plan in furchtbarer Weise gescheitert war.
* Thaher Gyat hatte es geschafft. Die schnelle Privatjacht des Gouverneurs hatte unbewacht auf dem kleinen Landefeld im Osten der Stadt gestanden. Den Schlüssel hatte Thaher im Büro Nander Guntakals an sich genommen, und Nathel Sunwars Männer hatten übersehen, ihm den Impulsschlüssel abzunehmen. Maruol Chembar hatte sich als fähiger Kopilot erwiesen, der auch mit der durchaus nicht üblichen Instrumentierung der Luxusjacht zurechtgekommen war. »Wo mag Fartuloon stecken?« rätselte Thaher. Es war nicht einfach, die Jacht über dem aufgepeitschten Wasser des Meeres zu halten. Der Orkan griff auch nach der Jacht und stieß sie gewaltsam vor sich her. Hätte es keinen automatischen Piloten gegeben, die Männer hätten das Fahrzeug schwerlich auf Kurs halten können. »Da ist er!«
Maruol Chembar deutete auf den Schirm des Bordradars. Dort zeichnete sich ein Körper ab, dessen Konturen langsam deutlicher wurden. Es war für Thaher klar, daß es sich um Fartuloons Boot handeln mußte, das aus den Tiefen des Meeres emporstieg. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die beiden Boote längsseits lagen. Thaher ließ die Mannschleuse auffahren. In der gegenüberliegenden Öffnung in Fartuloons Boot erkannte Thaher Gyat zwei Gestalten in Raumanzügen. Sie hatten zwar beträchtliche Mühe, aber nach kurzer Zeit war es ihnen gelungen, zu Thaher hinüberzukommen. Hinter den von Spritzwasser überzogenen Scheiben des Helmes erkannte Thaher vertraute Gesichter – Huzur Mistis und Galacca Kidal. »Fartuloon läßt dir ausrichten, du sollst dich absetzen. Auf Xoaixo sei in kurzer Zeit die Hölle los. Er wünscht dir viel Glück und hofft, daß man sich irgendwann einmal wiedersieht!« Thaher war enttäuscht. Er hatte gehofft, Fartuloon begleiten zu können, aber dann sah der alte Mann ein, daß die Zeit der großen Abenteuer für ihn zu Ende war. Den Knall, den Fartuloons Boot verursachte, als es beim rasend schnellen Aufstieg die Schallmauer durchbrach, war im Toben des Orkans kaum noch zu hören. »Viel Glück, alter Freund!« murmelte Thaher Gyat, dann betätigte er den Schließmechnismus der Mannschleuse. Wenig später nahm die Jacht Fahrt auf.
* »Du spielst falsch, Grothmyn!« Der Versorgungsmeister seiner allessehenden, tausendäugigen Erhabenheit Orbanaschol III. machte ein verwundertes Gesicht. Natürlich spielte er falsch, schließlich mogelte Seine Erhabenheit auch fortwährend. Grothmyn hatte besonderen Grund, nicht zu verlieren. Er hatte in der letzten Zeit einige böse Schläge des Schicksals verdauen
Die stählernen Schwingen von Orxh müssen. Zuerst war seine Organisation auf dem Asteroiden Krassig zerstört worden, dann hatte man den großen Ring auf Arkon II ausgehoben. Nur der Tatsache, daß die beiden Anführer bei einem Fluchtversuch gestorben waren und daher keine Aussage mehr machen konnten, verdankte Grothmyn seine Freiheit und sein Leben. Orbanaschol wäre sicherlich ungehalten gewesen, hätte er herausgefunden, daß sein Versorgungsmeister große Mengen an kriegswichtigem Nachschub von eigens dafür angeheuerten Diebesbanden stehlen ließ, um sie anschließend mit horrendem Gewinn an die Flotte zurückzuverkaufen. Wegen dieser Rückschläge war Grothmyns Kasse ziemlich angeschlagen, und angesichts der Wahnsinnsbeträge, um die Orbanaschol zu spielen pflegte, blieb dem Versorgungsmeister gar nichts anderes übrig, als ebenfalls zu mogeln. Sonst hätte er nach kurzer Zeit Bankrott anmelden müssen. Das wiederum hätte zu einer genauen Überprüfung seiner Bücher geführt, und das wiederum … Grothmyn wagte nicht, an diese Möglichkeit zu denken. Er leckte sich die Lippen und nahm die Karte zurück, die im Spiel eigentlich nur einmal hätte auftauchen dürfen. Eine hatte Grothmyn zusätzlich eingeschmuggelt, zwei weitere steckten in den Ärmeln seiner Erhabenheit. »Ich bitte um Vergebung«, winselte der Versorgungsmeister und spielte eine andere Karte aus. Orbanaschols Hand blieb in der. Luft hängen. Grothmyns Karte gehörte zweifelsfrei zum Spiel, das, Gegenstück in Orbanaschols Hand mit gleicher Sicherheit nicht. Der peinlichen Notwendigkeit, entweder die Mogelei eingestehen oder Grothmyn als Falschspieler hinrichten lassen zu müssen, wurde der Imperator durch das Eintreten eines Kuriers entbunden. Großzügig ging Orbanaschol sogar über die Tatsache hinweg, daß der Kurier in den Gemächern des Imperators eine Waffe trug. Orbanaschol nahm sich vor, nächstens ein
51 ernstes Wort mit dem dafür zuständigen Offizier der Naat-Leibgarde zu sprechen. »Was gibt es? Warum wird meine Ruhe gestört?« Der Kurier richtete sich auf und berichtete. Der Imperator wahrte mit Mühe seine Fassung. Orbanaschol wußte, daß Gonozal VII. tot war, schließlich war er sein Mörder. Der Mann, der Xoaixo in Aufregung versetzt hatte, mußte also eine Imitation sein. Aber es war beängstigend, welche Wirkung diese Nachahmung hervorgerufen hatte. Wenn ein nachgemachter Gonozal VII. schon solches Furore machte, was würde erst geschehen, wenn dieser verfluchte Kristallprinz Atlan sich wieder rührte und seinen Anspruch auf den Thron von Arkon in der Öffentlichkeit erhob? Orbanaschol glaubte sein Imperium bereits zerbröckeln fühlen zu können. Der Kurier beendete seinen Bericht, und Orbanaschol machte ein gleichgültiges Gesicht. »Ich erwarte von der Flotte, daß sie hart und unnachsichtig durchgreift. Die Rädelsführer sind strengstens zu bestrafen, nötigenfalls hinzurichten, wenn es sich nicht um Angehörige besonders berühmter Familien handelt.« Orbanaschol wurde nachdenklich. Der Kurier stand noch immer aufrecht vor dem Lager des Imperators, während Grothmyn geschickt die Kartenkonstellation ein wenig zu seinen Gunsten veränderte. »Dieser Atlan wird mir langsam zu frech«, murmelte Orbanaschol. »Ich glaube, ich werde stärkere Mittel gegen ihn anwenden müssen.«. Er wandte sich an Grothmyn. »Ich denke daran, Klisanthor einzusetzen!« Grothmyn wurde so weiß wie das Kissen, auf dem er saß. Der Kurier stammelte: »Klisanthor? Den Magnortöter?« Orbanaschol registrierte befriedigt die Reaktion, die seine Worte hervorriefen. »Eure Erhabenheit, ich gebe zu bedenken
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…« Genaugenommen war es ein todeswürdiger Frevel, daß der Kurier wagte, die Entschlüsse des Imperators zu kritisieren. Aber Klisanthor …? Mit einer Geduld, die selten an ihm war, hörte sich Orbanaschol die förmliche Beschwörung des Kuriers an. Als dem Mann die Worte ausgingen, fiel Grothmyn ein. Zum ersten Male wagte er Widerspruch, und Orbanaschol hörte auch ihn an. Aber je mehr die beiden Männer auf ihn einredeten, um so fester wurde Orbanaschols Entschluß. Einige Minuten lang hörte sich der Imperator noch die beiden Männer an, dann gebot er ihnen zu schweigen. Als Grothmyn die Augen seines Herren betrachtete, fiel ihm das Funkeln darin auf. Grothmyn wußte, was dieses Funkeln zu bedeuten hatte, und er hatte Angst davor. Es gab kein Zurück mehr, Orbanaschol würde Klisanthor rufen.
* Nander Guntakal verfolgte den Angriff der Flotte auf den Bildschirmen der Station. Irgend etwas war an Bord der Schiffe falsch verstanden worden. Die Offiziere glaubten offenbar, der Energieschirm um den Regierungspalast bedeute Widerstand, und sie handelten dementsprechend. Rücksichtslos griffen sie den Palast an. Sie hörten mit dem Beschuß erst auf, als der Schirm zusammenbrach und die oberen Stockwerke restlos zerstört waren. Unter den Toten würde man später auch Nathel Sunwar finden, mit einem Ausdruck unendlicher Überraschung im Gesicht. Der Kommandant des Schlachtschiffs sah die Zerstörungen und gebot dem Beschuß Einhalt. »Wir sollen Ahjod nicht entvölkern, sondern nur züchtigen. Es wird das beste sein, wir geben ein paar Warnschüsse ab, die das Volk beeindrucken werden. Zielen Sie auf das nutzlose Sumpf gebiet im Norden der Stadt. Wir werden es ein wenig austrock-
nen!«
* Die CRYSALGIRA raste mit höchsten Beschleunigungswerten durch den Raum, dicht hinter uns jagten die flinken Zerstörer der Flotte. Es war eine Angelegenheit von einigen Sekunden, die wir mehr Zeit gehabt hatten. Jetzt waren wir schon fast schnell genug, um die Transition einleiten zu können. Fartuloon war gerade noch rechtzeitig gekommen. Er stand neben mir und starrte auf den Planeten herab, der nur noch als kleine Scheibe zu sehen war. Die Verwüstungen, die von der Flotte angerichtet wurden, konnten wir uns ausmalen. Ich empfand ein großes Bedauern, und ich verhehlte meine Gefühle nicht. Dort unten starben Menschen, die das gleiche Recht auf Leben besaßen wie ich. Hatten wir richtig gehandelt, als wir diese friedliche Welt für unser Experiment aussuchten? »Die Revolution, die unser Ziel ist, Atlan, unser berechtigtes Ziel, wie ich hervorheben möchte, wird in jedem Fall Opfer kosten, das Leben von Menschen, die es mehr als Orbanaschol verdient hätten, glücklich und in Frieden zu leben. Wir haben nicht das Recht, über diese Leben zu bestimmen, aber ich glaube auch nicht, daß wir das Recht haben, Orbanaschol weiterhin gewähren zu lassen. Auch dann werden Unschuldige ihr Leben lassen müssen. Aber dieser Versuch, Sohn; hat uns gezeigt, daß wir im Kampf gegen den Tyrannen eine wirkungsvolle Waffe besitzen!« Ich wußte, daß Fartuloon recht hatte, aber es blieb ein schaler Geschmack dabei zurück. Dann war der Transitionspunkt erreicht.
* Irgendwo fiel das kleine Schiff in das Normalkontinuum zurück. Thaher Gyat atmete erleichtert auf. Die Flucht war gelungen.
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Thaher wandte sich zu anderen um. »Wir haben es geschafft«, sagte er lächelnd. »Jetzt haben wir genügend Ruhe, um einen neuen Kurs zu berechnen und zu programmieren. Ich habe auch schon ein Ziel für uns.« »Doch nicht etwa …?« Huzur Mistis schüttelte sich. »Doch, die stählernen Schwingen von Orxh!« erklärte Thaher mit leuchtenden Au-
gen. »… was auch immer das sein mag«, murmelte der fahnenflüchtige Soldat. »Es hört sich nicht sehr gut an!«
ENDE
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