Nr. 347
Die Stahlfestung In den Verliesen von Marsocc von Peter Terrid
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Ptho...
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Nr. 347
Die Stahlfestung In den Verliesen von Marsocc von Peter Terrid
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans Ein greifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kon tinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wie der auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo gen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden. In der Maske eines Spercoiden agierend, erreicht Atlan Marsocc, DIE STAHLFESTUNG …
Die Stahlfestung
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide in der Maske eines Spercoiden.
Laccied - Eine umgewandelte Spercoidin.
Dacoon - Kommandant der BEHUTSAMKEIT.
Warscon - Kommandant von Marsocc.
1. Sein Extrasinn lieferte ihm die Informati on, aber er weigerte sich, daran zu glauben, obwohl die Beweise klar auf der Hand la gen. An Bord eines terranischen Raumschiffs, dessen war sich der Arkonide bewußt, hätte er sich niemals so lange unentdeckt bewegen können. Er war ein Fremder an Bord der BEHUT SAMKEIT. Nur die Tatsache, daß er un ablässig seinen Anzug trug, bewahrte ihn vor einem Vergleich mit einem Spercoiden. Der Arkonide hatte im Lauf seines langen Lebens einige hundert Völker und Rassen kennengelernt – daß sich ein Fremdrassiger an Bord eines Raumschiffs lange verstecken konnte, galt als ausgeschlossen. Ein blinder Passagier mußte – besonders dann, wenn er keinen Freund und Helfer in den Reihen der Besatzung hatte – früher oder später auffal len. Und insgeheim wartete Atlan zu jeder Stunde auf den Augenblick, in dem er ange sprochen wurde: »He, wer bist denn du? Wohin gehörst du?« Daß jemand eine solche Frage stellte, ver dankte er seiner Neugier – einem Gefühl, und mit Gefühlen hatten die Spercoiden glücklicherweise nicht viel im Sinn. Der Arkonide streifte durch das Schiff, das sich BEHUTSAMKEIT nannte. Näher betrachtet, schien dieser Name ein übler Witz zu sein. Eines der ersten Flaggschiffe der Solaren Flotte hatte THORA geheißen, ein andere CREST, es folgten eine. ERIC MANOLI, eine THEODERICH und so fort. Terraner pflegten Schiffe üblicherweise nach Eigen schaften oder Personen zu benennen, die sie
besonders schätzten. Hatten die Spercoiden die unerfreuliche Gewohnheit, ihre Raum schiffe nach Eigenschaften zu benennen, die sie verabscheuten? In einem Winkel blieb der Arkonide ste hen. Obwohl sich die Spercoiden nicht um ih resgleichen kümmerten, war es nicht ratsam, sich auffällig zu benehmen. Wenn er also nachdenken wollte, dann tat er gut daran, sich unauffällig irgendwo abzustellen, wo er nicht störte. Atlan begann sich an den Anzug zu ge wöhnen. Dabei kam dem Arkoniden zu Hil fe, daß er sich im Lauf seines Erdendaseins an allerlei hatte gewöhnen müssen. Einige dieser Sitten und Gebräuche hatten nicht den Beifall des Kristallprinzen von Arkon gefun den, aber der Zwang der Umstände und der Wille zum Überleben hatten ihn in allen die sen Fällen hinreichend motiviert. Unter diesen Umständen hatte er sich auch an die feuchte Kühle des Spercoiden-An zuges gewöhnt, daran, daß diese Anzüge reichlich schwer und unhandlich waren, daß man durch die Sichtscheibe die Umwelt in höchst eigentümlicher Weise verzerrt und verschwommen sah. Und wenn man die Sache einmal in Ruhe und wertfrei betrachtete, war der Spercoi den-Anzug gar nicht einmal zu verachten. Der Arkonide konnte sich nicht erinnern, in den letzten Stunden Hunger oder Durst ver spürt zu haben. Auf höchst geheimnisvolle Weise schien der Anzug den Körper des je weiligen Trägers mit allem zu versorgen, was er zum Leben brauchte. Eine Eigenschaft des Spercoiden-Anzugs machte sich allerdings zunehmend positiv bemerkbar. Der Anzug förderte das Denkvermögen. Atlan konnte sich nicht erinnern, wann er
4 in den letzten Jahrtausenden einmal so klar, präzise und folgerichtig hatte denken kön nen. Irgendwie schien der Anzug dafür zu sorgen, daß die emotional bedingte Instabili tätskomponente intellektueller Aktion elimi niert oder doch zumindest neglegierbar ge macht wurde. Dem Arkoniden erschien die ser Effekt durchaus wünschenswert; er half ihm, sich über seine eigene Lage klarzuwer den und die Entwicklung der Zukunft in kal kulierbare Bahnen zu bringen. Dank der Einförmigkeit der Anzüge konnte kein Spercoide feststellen, daß es sich bei dem Träger keineswegs um einen Spercotisierten namens Gaccurt handelte, sondern um den Arkoniden Atlan. Das war gut so – nicht nur, weil es Atlans Leben ret tete. Es konnte ihm auch ermöglichen, in der Hierarchie der Spercoiden aufzusteigen, oh ne daß man ihm auf die Schliche kam. Schwierig konnte ein solcher Aufstieg ei gentlich nicht werden. Schließlich verfügte er als Träger der ARK SUMMIA über ein funktionstüchtiges Extrasinn mit einem prä zise arbeitenden Logiksektor. Es war wirklich erstaunlich, wie glatt und reibungsfrei sich das Leben an Bord der BE HUTSAMKEIT gestaltete. Es gab keine Schlägereien, keine Liebesbeziehungen – je denfalls hatte Atlan/Gaccurt noch nichts da von gemerkt, – keine Besäufnisse. Gaccurt/Atlan erinnerte sich an die Zu stände an Bord von Terra-Raumschiffen. Perry Rhodan hatte an Bord seines eigenen Flaggschiffs Zustände geduldet, die an Bord von Arkonschiffen undenkbar gewesen wä ren. Frauen an Bord! Alkohol! Trunkenbol de, Schläger! Namen fielen ihm ein: der un verschämte, flegelhafte Siganese Lemy Dan ger, der trunksüchtige Brazos Surfat … die Liste ließ sich beliebig verlängern. Solche Zustände gab es an Bord von Spercoiden-Schiffen nicht. Gegen die Ge fühlskälte der Spercoiden ließ sich ja man ches sagen, ganz das Wahre stellte dies nicht dar. Aber, um der Ehrlichkeit Genüge zu tun, sie hatte auch ihre Vorzüge. Der Dienst betrieb an Bord lief störungsfrei ab. Jeder tat
Peter Terrid seine Pflicht, präzise und leidenschaftslos, meckerte nicht: Großartige Diskussionen, wie es sie bei den Terranern immer wieder gegeben hatte, waren bei den Spercoiden un vorstellbar. Kein Wunder, daß sie in ihrem Lebensbereich unangefochten die Oberhand hatten. Wesen, die die Probleme ihrer Zeit lo gisch, rationell und leidenschaftslos angin gen, mußten natürlich emotional labileren Rassen überlegen sein. Und Gaccurt mit seinem Logiksektor, war er nicht gerade prädestiniert, in dieser Ge sellschaftsordnung eine führende Stellung einzunehmen? Schließlich war er nicht nur in der Lage, seinen Verstand ziel- und zweckgerichtet einzusetzen – er konnte auch aufgrund eigener Erfahrung den Gemütszu stand der emotional ausgerichteten Wesen verstehen. Und mit Sperco konnte man sich sicher lich einigen. Schließlich hatte sich der Arko nide auch mit dem Terraner-Chef einigen können, obwohl der alles andere als sachlich und logisch in seiner Vorgehensweise war. Eine Position, wie Gaccurt sie unter dem Pseudonym Atlan im Reich der Terraner be kleidet hatte, sollte durchaus im Bereich des Möglichen sein. Es würde nur darauf an kommen, sich zu profilieren … »Dazu bist du auf dem besten Wege, Narr!« Blitzartig überfiel Atlan die Angst. Es war nicht nur die Furcht davor, von den Spercoi den als andersartig entdeckt und getötet zu werden. Noch schlimmer war das Er schrecken über die psychische Veränderung, die er bei sich selbst festgestellt hatte. Der schmerzhafte Impuls des Extrasinns hatte ihn gerade noch in die Wirklichkeit zurück gerufen. Dieser Spercoiden-Anzug war im höch sten Maße gefährlich. Langsam veränderte er die Psyche des Trägers. Wer in einem Spercoiden-Anzug steckte, wurde, wenn er diesen Anzug längere Zeit trug, selbst zum Spercotisierten. »Sperco ist die Macht«, murmelte Atlan.
Die Stahlfestung »Die Spercotisierten sind seine Diener!« Der Arkonide war tief erschrocken. Sein Extrasinn, das fotografische Ge dächtnis, lieferte ihm den Beweis, wie weit er in seinen Gedanken bereits aus dem Rah men gefallen war, in dem er sich sonst be wegte: Sperco, der Tyrann, als Ausbund an Logik; Perry Rhodan als sentimentaler, nicht ganz zurechnungsfähiger Barbarenhäuptling. Der Spercoiden-Anzug veränderte die ge samte Psyche seines Trägers, zumindest dann, wenn diese Person noch über ein Ge fühlsleben verfügte. Mit schmerzhafter Deutlichkeit wurde Atlan bewußt, daß er vor einem kaum lösbaren Dilemma stand, vor einer Zwickmühle, wie sie bösartiger Sperco selbst nicht hätte austüfteln können. Er konnte den Anzug ablegen. Auf der an deren Seite hätte er sich damit unwiderruf lich als Nicht-Spercotisierter zu erkennen gegeben – dann wäre sein Tod praktisch un ausweichlich geworden. Behielt er aber den Spercoiden-Anzug an, dann unterlag er weiterhin dem verhängnis vollen Einfluß des Anzugs – einem Einfluß, dessen Quelle er nicht kannte. Atlan setzte sich in Bewegung. Mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen schritt er den Gang hinunter, der zu seiner Kabine führte. Kabine war eine hochtraben de Bezeichnung für eine Art Abstellkammer für Lebewesen. Zahlreiche Spercoiden ka men Atlan entgegen und gingen achtlos an ihm vorbei. Atlan ging ruhig. Hast hätte auffällig ge wirkt, gefühlsbetont. So brauchte er einige Zeit, bis er seine Unterkunft erreicht hatte. Die letzten Meter wurden zur Qual. Die Impulse des Spercoiden-Anzugs wur den stärker, und gegen diesen Ansturm half das Psychotraining wenig, das der Arkonide früher mitgemacht hatte. Auch die Kräfte des Extrasinns waren nicht in der Lage, die sen verhängnisvollen Einfluß zu neutralisie ren. Trotz des Risikos erlaubte sich Atlan einen erleichterten Seufzer, als er seine Un terkunft erreicht hatte und das leise Klicken
5 hörte, mit dem das Schloß einrastete. Mit fliegenden Fingern nestelte der Arko nide an den Verschlüssen des Anzuges. Er stöhnte wohlig, als er endlich von dem feuchtkalten Material befreit war. »Der Einfluß hört auf«, meldete sich der Extrasinn kurz. Atlan lehnte sich gegen die Wand. Er schloß die Augen.
* Langsam zeichneten sich Konturen ab, die ersten unscharfen Umrisse eines Handlungs schemas. Wenn man dem Problem, das den Arkoni den quälte, logisch und sachlich zu Leibe ging, blieben nur wenige Möglichkeiten. Der Extrasinn rechnete die einzelnen We ge durch, und das Ergebnis war schlichtweg niederschmetternd. Die für Atlan günstigste Möglichkeit war die, daß er am Leben blieb. Das aber setzte unter den gegenwärtigen Umständen voraus, daß er den widerlichen Anzug trug und so selbst zum Spercoiden wurde. Das allein war schlimm genug, aber der Gedankengang war damit noch nicht ausgesponnen. Die Spercoiden hatten offenbar im Normalzu stand eines mit Menschen und anderen Le bewesen gemein – sie legten Wert darauf, möglichst lange zu leben. Dem übergeordnet war offenkundig die Treue zum Tyrannen Sperco. Folgerichtig würde ein spercotisierter At lan nichts Eiligeres zu tun gehabt haben, als zum Tyrannen Sperco zu eilen und ihm mit zuteilen, daß es ein Mittel gab, das organi sche Leben Spercos ins Ewige auszudehnen. Was Sperco dann unternehmen würde, ließ sich nur schwer schätzen, weil keine Infor mationen vorlagen, über welche technischen Machtmittel der Tyrann verfügte. Besaß er aber die Mittel dazu, eine Invasion in das Raum-Zeit-Kontinuum der Terraner, Arko niden und Akonen zu starten, dann würde Sperco mit Sicherheit nicht zögern. Auf an dere Weise konnte er nicht in den Besitz ei
6 nes für ihn brauchbaren Zellaktivators ge langen. Aus diesen Überlegungen folgte logisch, daß Atlan den Anzug nicht länger tragen durfte. Ohne Anzug aber wäre er sofort aufgefal len und gefangengenommen worden. Und damit stellte sich für Atlan wieder das Pro blem Leben oder Tod. Die erbarmungslos logisch denkenden Spercoiden mußten sich einfach danach erkundigen, aus welchem Grund ein vollständig organisches Lebewe sen ein durch und durch metallisches Gerät mit sich herumschleppte und auf dem Leibe trug. Der Arkonide besaß genug Phantasie, um sich ausmalen zu können, was dieser sim plen Überlegung folgen mußte. Die Spercoi den mußten entdecken, welche Wirkung der Zellaktivator hatte … und von diesem Au genblick an unterschied sich der errechenba re Verlauf der Ereignisse nur noch unwe sentlich von der ersten Alternative. »Eine knifflige Sache«, murmelte der Ar konide bedrückt. Im Grunde lief dies auf eine sehr einfache Problemstellung hinaus. Wenn Atlan verhin dern wollte, daß der Tyrann Sperco seine nicht abschätzbaren Machtmittel gegen die Terraner und ihre Freunde einsetzte, dann gab es nur ein Mittel, das nötige Maß an Si cherheit zu erreichen – Atlan mußte den Zel laktivator, vernichten. »Ich muß herausfinden …«, murmelte der Arkonide. Er schüttelte sich, als er begann, den feuchtkalten Anzug erneut überzustreifen. Das Gefühl auf der Haut war widerlich. »Mit dem Import von Weichspülmitteln könnte man ein Vermögen machen«, spotte te Atlan sarkastisch. »Brrr!« »Halte den Mund, Narr!« schalt ihn der Extrasinn. In irgendeiner Form mußte sich der Arko nide Luft machen. Der Zwang, stundenlang ohne jede Pause Gefühlskälte vortäuschen zu müssen, schuf einen Gefühlsstau, der kaum zu bewältigen war. In gewisser Weise
Peter Terrid verdankte es Atlan tatsächlich dem Einfluß des Spercoiden-Anzugs, daß er die erzwun gene Gefühllosigkeit überhaupt ertragen konnte. Sehr bald wurde ihm besser. Man konnte sich wirklich an den Anzug gewöhnen. Zwar hatte Atlan wenig Ähnlichkeit mit den molchähnlichen Wesen, die er auf Karoque gesehen hatte und die allem Anschein nach nun Spercoiden waren, aber nach ein paar Minuten begann er sich beinahe in dem feuchtkalten Anzug wohl zu fühlen. Auch die Tatsache, daß er in dem Anzug nicht zu identifizieren war, paßte dem Arkoniden. In gewisser Weise konnte man den Anzug als Uniform ansehen, ja sogar als Ehrenzeichen – nicht jeder Bewohner dieser Galaxis durfte einen solchen Anzug tragen. Wahrscheinlich wußten die Sklaven des Tyrannen überhaupt nicht, wie ihre Unterdrücker ohne die Anzü ge aussahen. Der Anzug verschaffte dem Träger ein Gefühl des Auserwähltseins. »Narr!« tobte der Extrasinn. »Glaubst du, der Gefangene mit der Eisernen Maske in der Bastille war stolz darauf, der einzige Häftling Ludwigs des Großen zu sein, der mit dieser Vorzugsbehandlung bedacht wur de.« Für einen kurzen Augenblick brachte es der Extrasinn fertig, die Impulse zurückzu drängen, die von dem Anzug ausgingen. Zum zweitenmal in kurzer Zeit fühlte der Arkonide die Angst in sich aufsteigen. Der ehemalige Kristallprinz des ArkonImperiums, der Mann, der zehn Jahrtausen de terrestrischer Geschichte miterlebt und entscheidend geprägt hatte, er hatte im Lauf dieser gewaltigen Zeitspanne mehr als ein mal in der Nähe eines sicher erscheinenden Todes leben müssen. Bisher hatte er diesen Zustand zu ertragen gewußt. Was ihn aber in diesem Augenblick würg te, das war die Angst davor, einen psychi schen Tod sterben zu müssen. Er fürchtete nicht die Beendigung seines Bewußtseins – er fürchtete dessen Beeinflussung.
2.
Die Stahlfestung »Funktionskontrolle!« Warscon bewegte die rechte obere Extre mität. »Schlecht«, klang es aus dem Lautspre cher. »Sehr schlecht.« »Noch einmal?« fragte Warscon an. »Selbstverständlich«, erklang es aus dem Lautsprecher. Die Gelenke des Anzugs ließen auch beim zweiten Anlauf die Bewegung plump ausfal len. Plump, ungeschickt – und das trotz des langen Trainings. »Noch einmal«, forderte die Lautspre cherstimme. Zum fünfzehnten Male innerhalb einer Stunde bewegte sich Warscon. Hätte in dem Anzug nicht eine absolut konstante Tempe ratur geherrscht, wäre er in Schweiß gebadet gewesen. »Wiederholung«, sagte die Lautsprecher stimme leidenschaftslos. »Die Geste wird mit geöffneter Hand ausgeführt.« »Fahr zur Hölle«, knarrte Warscon wü tend. »Vorzüglich«, lobte ihn der Lautsprecher. »Ganz ausgezeichnet. Und jetzt noch einmal die Bewegung. Der Arm wird etwas erho ben, dann ausgestreckt. Der Handrücken weist auf das Möbel. Erst in der letzten Pha se der Bewegung wird die Hand gestreckt.« Warscon versuchte die Bewegung auszu führen. »Wiederholung«, befahl der Lautsprecher. »Die Bewegung wird langsam ausgeführt.« Warscon gehorchte. »Zu langsam.« »Ich höre auf«, empörte sich Warscon. »Wofür haltet ihr mich eigentlich? Ich denke nicht daran, hier stundenlang blödsinnige Bewegungen auszuführen.« »Der Verbalteil ist in Ordnung«, klang es kalt aus dem Lautsprecher. »Du mußt aber den Bewegungsteil noch einmal üben. Es ist sehr wichtig.« »Also gut«, versetzte Warscon seufzend. »Ist es so besser?« Er gab sich diesmal besonders viel Mühe. Im Kontrollraum blieb es still, sogar ziem
7 lich lange. »Unsere Messungen sagen vorzüglich«, hörte Warscon. »Die Bewegung war ausge zeichnet – aber sie betrifft die Sinngebung 17-456 Gamma. Die Sinngebung, die ver langt wurde, lautet anders.« Warscon stand auf. Er griff mit beiden Händen nach dem Sitzmöbel. Holz barst knirschend unter dem Zugriff einer metallbewehrten Pranke. Mit einem Fußtritt, der den Stuhl ein weiteres Bein kostete, fegte Warscon das Möbel in eine Ecke. »Die Gesamtkonzeption ist zweifellos richtig«, konnte Warscon hören. »Die se mantischen Reflexbögen sind in sich selbst schlüssig. Schwierigkeiten gibt es lediglich in der Feinmotorik. Aber auch dieses Pro blem kann gelöst werden. Sperco ist die Macht – und die Spercotisierten seine Die ner.« »Phhh!« machte Warscon. »Latrinenparolen, nichts weiter!«
* Atlan erstarrte schlagartig. Nur seine Hän de bewegten sich in fieberhafter Hast. Spercoiden kannten keine Gefühle, folg lich auch keine Privatsphäre, auf die Rück sicht geübt werden konnte. Laccied hatte es trotz der Veränderung in ihrer Persönlichkeit nicht für nötig erachtet; anzuklopfen, bevor sie Atlans Kabine betrat. »Was machst du da?« fragte sie. Das Erstaunen in ihrer Stimme war nicht überhörbar. Die Wandlung in ihrer Persön lichkeit war tief und durchgreifend gewesen. »Nichts«, log Atlan hastig. »Nichts. Ich verspürte nur einen feinen Schmerz …« Laccied machte eine abwehrende Geste. »Du hast etwas getan«, stieß sie hervor. Ihre Stimme – wenig wohlklingend und knarrend wie die aller Spercoiden – machte es für den Arkoniden schwer, sich unter der Trägerin des Anzugs etwas Weibliches vor zustellen. Seine Beziehung zu der Spercoi din war ohnedies durch den Umstand stark
8 getrübt, daß Atlan sich die natürliche Gestalt der Spercoiden so vorstellte, wie er es auf Karoque erlebt hatte. »Ich habe mich bewegt, das ist alles«, wehrte der Arkonide ab. Anfänglich war Laccied psychisch noch einigermaßen stabil gewesen, hauptsächlich angsterfüllt. Das war aus ihrer Sicht zwar kein angenehmer Zustand, gab aber dem Ar koniden die Möglichkeit, das Verhalten der Spercoidin einigermaßen kalkulieren zu können. Inzwischen hatte sich das geändert. Laccied war, wie man auf der Erde gesagt hätte, das reinste Nervenbündel. Sie kam mit den vielfältigen Empfindungen, mit denen sie nach vermutlich jahrelanger Abstinenz überschwemmt wurde, überhaupt nicht zu recht; sie schwankte von einem Extrem ins andere. Mal versuchte sie, besonders sper coidisch zu sein, noch kälter, unnahbarer und teilnahmsloser als ihre Artgenossen. Dann wieder erlag sie dem Ansturm der Ge fühle, die die Behandlung auf Trühlor durch die Borgs hervorgerufen hatte. In diesem Augenblick war sie erregt, das erkannte Atlan allein an der Tatsache, daß sie wild gestikulierte. »Was soll ich denn gemacht haben?« fragte er zurück. Er hoffte, daß auf Laccieds Seite der Unmut in seiner Stimme zu hören war. »Ich bin mir ganz sicher«, beharrte Lac cied. »Du hast an deinen Verschlüssen han tiert.« »Vorsicht!« warnte der Extrasinn über flüssigerweise. Laccied hatte sich von Gaccurt dazu über reden lassen, ihren Zustand zu verheimli chen. Dabei war sie aufgrund der Umstände davon ausgegangen, es mit, einem Spercoi den zu tun zu haben. »Ich bin doch kein Selbstmörder«, be gehrte der Arkonide auf. Laccied trat an ihn heran und streckte den rechten Arm aus. »Das darfst du nicht tun, Gaccurt«, sagte Laccied leise. »Niemals, hörst du!« Atlan stand, als sei er vom Schlag getrof-
Peter Terrid fen. In der knarrenden Sprache der Spercoi den Untertöne herauszuhören, war eine Auf gabe für Spezialisten. Aber der Unterton, der im Knarren von Laccied mitschwang, dieser Unterton konnte schwerlich fehlinterpretiert werden. Laccieds Stimme troff förmlich von Ge fühlen, die Atlan kalte Schauder über den Rücken jagten. War er in der glücklichen Lage, von ei nem mannshohen Molch, Grottenolm oder wie immer das Lebewesen genannt werden mußte, vielleicht gar geliebt zu werden? »Wer sagt, daß die Spercoiden wie Mol che aussehn?« mischte sich der Logiksektor ein. »überinterpretiere den Sachverhalt nicht!« »Ich werde mich zu beherrschen wissen«, sagte Atlan ziemlich doppeldeutig. »Du kannst ganz unbesorgt sein.« Erleichtert stellte er fest, daß Laccied ih ren Arm zurückzog. »Wann werden wir auf Marsocc landen?« fragte er die Spercoidenfrau. »Ich rechne mit drei Tagen«, antwortete Laccied. »Kennst du den Stützpunkt?« fragte Atlan weiter. Laccied machte eine Geste der Vernei nung. »Und du?« »Ich kenne ihn ebenfalls nicht«, sagte At lan. Der Anzug begann wieder zu wirken. Es fiel dem Arkoniden leicht, die Gefühle zu unterdrücken, die ihn befielen, wenn er an Marsocc dachte. Was konnte ihm schon zustoßen – schließlich war er ja ein Spercoide! Laccied verlor erneut die Kontrolle über sich. Sie warf sich förmlich auf Atlan, der gerade noch Zeit genug hatte, die Arme aus zubreiten und die Spercoidenfrau aufzufan gen. Wenn Atlan die Geräusche, die durch den Anzug verzerrt an sein Ohr klangen, richtig deutete, dann erlitt Laccied einen hysteri schen Anfall.
Die Stahlfestung »Keine Gefühle zeigen, Laccied!« warnte der Arkonide. »Wir dürfen keine Gefühle zeigen. Unser Leben ist dann in Gefahr!« Er versuchte die Spercoidenfrau aufzu richten, und nach einigen Püffen und Stößen gelang ihm das auch. Psychisch war Laccied schwerer zu stabilisieren. Atlan konnte sich ziemlich gut vorstellen, wie man sich fühlte; wenn man von einander widerstrebenden Gefühlen sozusagen hin und her gerissen wird. Wie sich ein solcher seelischer Zwiespalt allerdings auswirkte, wenn die betreffende Person jahrelang über haupt nichts mit Gefühlen gehabt hatte, ent zog sich seinem Einfühlungsvermögen. Zudem – bewies nicht das haltlose Schluchzen Laccieds – anders konnte Atlan die Geräusche, die die Spercoidenfrau mach te, nicht interpretieren – wie richtig und gut es war, wenn die Anzüge dabei halfen, über flüssige Emotionen auszuschalten. So be trachtet, konnte man Laccied sehr wohl als geistesgestört betrachten. Fürchterliche Bilder stiegen in Gaccurt auf, während er auf die völlig konfuse Lac cied einredete. Wie hätte Sperco es zum Wohle aller er reichen sollen, sein Imperium aufzubauen, wenn er sich auf solche Helfer hätte verlas sen müssen? Auf Kämpfer, die vielleicht mitten im Kampf von Mitleid überfallen wurden? Die – anstatt weiter zu töten, was sich den Spercoiden in den Weg zu stellen erdreistete – womöglich über eigene Verlu ste lamentierten, ja, in extremen Fällen sogar Mitleid mit den Gegner hatten? Wie sollte man aus einer Raumflotte ein perfekt funk tionierendes Werkzeug in der Hand Spercos machen, wenn jedes Besatzungsmitglied nach Lust und Laune emotionale Anfälle von Bewußtseinstrübung bekam? Unvor stellbar! Nicht zu ertragen! »Nimm dich zusammen!« Erst beim zweitenmal bemerkte Atlan, daß der Befehl ihm galt, nicht der Spercoi denfrau in seinen Armen. Atlan kam zu Bewußtsein, daß er noch
9 immer einen mannshohen weiblichen Molch im Arm hielt. Es gab keinen Grund, warum molchähnliche Kreaturen schlechter sein sollten als humanoide, insektoide oder ande re. Aber der kleine Trick half – der Anzug unterstützte gewisse negative Empfindun gen, Stolz beispielsweise, Dünkel und Hoch mut. Der kurze Impuls des Ekels reichte aus, um Atlan wieder normal denken zu lassen. »Ich glaube, es kommt jemand!« Diese scharf hervorgestoßene Bemerkung brachte auch Laccied zur Besinnung. Sie löste sich von Atlan. Ihre Stimme bekam wieder einen ruhigen, gleichmäßigen Klang. »Wir müssen uns besser konzentrieren«, sagte Atlan. »Viel besser. Erst wenn wir auf Marsocc sind, können wir nach einer Mög lichkeit suchen, den Spercotisierten zu ent fliehen.« Einen Augenblick lang, als Laccied wie der eine unbeherrschte Geste machte, be fürchtete der Arkonide, daß Laccied zu ei nem neuen Gefühlsausbruch ansetzte. Völlig geirrt hatte er sich nicht, aber was er zu hö ren bekam, war kein flehentliches Bitten, sondern eine Bemerkung von schmerzlicher Traurigkeit. »Ich weiß nicht«, sagte Laccied, so leise, daß Atlan sie nur mit Mühe verstand, »ob ich nicht doch lieber wieder eine ganz nor male Spercotisierte wäre.« »Einsamkeitssyndrom«, diagnostizierte der Logiksektor mit boshafter Gefühllosig keit. »Wir werden sehen«, versuchte Atlan zu trösten. »Irgend etwas wird sich machen las sen. Immerhin ist es besser, daß wir leben und nach einem Ausweg suchen, als daß wir jetzt bereits von den Spercotisierten getötet worden wären.« »Die Überlegung ist nicht ganz logisch«, warf Laccied ein. Erleichtert stellte Atlan fest, daß die Sper coidin mit dieser Bemerkung zu verstehen gegeben hatte, daß sie psychisch wieder ei nigermaßen stabil geworden war. Und damit wurde für Atlan eine zweite Gefahr aktuell – diejenige, daß Laccied, nun
10 ihrerseits vielleicht wieder unter dem Ein fluß des Anzug halb spercotisiert, begann ihn mißtrauisch zu beobachten und entspre chende Fragen zu stellen. Was er befürchtete, wurde bereits nach wenigen Augenblicken wahr. »Ich war vorhin ein wenig unlogisch«, er öffnete Laccied das peinliche Verhör. »Mir schien, du wolltest deinen Anzug öffnen.« »Ich sagte bereits«, versetzte Atlan kalt, »daß diese Hypothese nicht stichhaltig ist. Träfe sie zu, würde ich mich eines extrem unlogischen Verhaltens schuldig gemacht haben. Dieses Verhalten ist, wie ich hinzufü gen möchte, selbst unter irrationalen Ge sichtspunkten abzulehnen. Selbst ein NichtSpercotisierter würde niemals sein Leben einfach wegwerfen.« Indes ließ Laccied nicht locker. »Mehr noch«, fuhr sie hartnäckig fort. »Es sah fast so aus, als hättest du den Anzug bereits geöffnet.« »Dann wäre ich jetzt tot«, konterte Atlan ruhig. »Da ich aber noch in der Lage bin, auf deine Fragen zu antworten, kann ich nicht tot sein. Logisch?« »Es hört sich so an.« Der Arkonide sah keine andere Wahl als die, zurückzuschlagen und zwar – nach menschlichen Maßstäben – unterhalb der Gürtellinie. »Außerdem«, fuhr er fort, »möchte ich dich daran erinnern, daß du in den letzten Stunden alles andere als logisch gewesen bist. Ich komme zu der Folgerung, daß die Beeinflussung durch die Borgs dein Wahr nehmungsvermögen beeinträchtigt hat. Überlege, was wahrscheinlicher ist – daß du falsch beobachtet hast, oder daß ich versucht haben soll, mich selbst zu töten!« »Verzeih!« bat Laccied. »Ich wollte dich nicht kränken. Ich …« »Heilige Galaxis«, stöhnte Atlan stumm auf. »Was soll ich nur mit dieser verrückt gewordenen Kaulquappe anfangen. Entwe der wird sie hysterisch, oder sie gebärdet sich als Verhörexperte!« »Ich werde ruhig sein«, versprach Laccied
Peter Terrid zur grenzenlosen Erleichterung des Arkoni den schließlich. »Wir werden es schaffen, ich glaube ganz fest daran.« In diesem Augenblick war sie wieder ex trem sentimental. Atlan für sein Teil war ab solut nicht felsenfest davon überzeugt, daß er es schaffen würde, sich aus den Händen der Spercoiden zu befreien. Schließlich stand er, ganz auf sich gestellt, einem Volk gegenüber, daß über eine beachtlich große Raumflotte verfügte. Vor allem aber hatte er sehr starke Zweifel an dem wir in Laccieds Rede. Die Spercoidenfrau würde – das zeichnete sich jetzt mit schrecklicher Deut lichkeit ab – ein arges Hindernis sein. »Nimm dich nicht so wichtig«, warnte der Extrasinn. »Auch du bist gegen Fehlent scheidungen und unlogisches Verhalten nicht gefeit.« Es sah nicht so aus, als werde sich Lac cieds Gemütszustand in den nächsten Stun den stabilisieren. Im Gegenteil, Atlan be fürchtete, daß sie unzurechnungsfähig wür de. Da er selbst – in seiner Rolle als Gaccurt – sich für die Normalität der Spercoidenfrau verbürgt hatte, war Atlan nahezu automa tisch mitgehangen, wurde Laccied wegen ih res abweichenden Verhaltens festgesetzt. So betrachtet, war Laccied in der Sicht des Ar koniden eher eine Art Klotz am Bein. Unwillkürlich mußte Atlan an Razamon und seinen Zeitklumpen denken. Ihm wäre wesentlich wohler gewesen, hätte er den Berserker an seiner Seite gewußt – selbst in seiner Unberechenbarkeit war Razamon als Kampfgefährte wertvoller als die Spercoidin Laccied, bei der das Pendel emotioneller Zu stände immer weiter und heftiger ausschlug, je länger sie wieder unter Spercoiden weilte. »Du vergißt Razamons besonderes Ver hältnis zum Bösen«, erinnerte der Extrasinn. Viel Wert besaß die Bemerkung unter den gegebenen Umständen nicht. Razamon war nicht erreichbar. Eine Diskussion, ob er zur Zeit der bessere Gefährte für Atlan gewesen wäre, erübrigte sich. Atlan konnte nur hoffen, daß es nicht zu einem Kampf kam. Noch war er nicht völlig
Die Stahlfestung gewöhnt an den feuchten, kalten Spercoi den-Anzug. Gewiß, der Anzug besaß Gelen ke, der Träger konnte sich darin bewegen – aber das ließ sich nicht mit dem vergleichen, was Atlan ohne Anzug hätte leisten können. Der Vorteil des Anzugs bestand darin, daß der Träger weder Nahrungsmittel noch Was ser brauchte. Gegen Schwerthiebe vermoch te die Panzerung einen hinreichenden Schutz zu gewähren, nicht aber gegen Energiewaf fen. Und es zeichnete sich ganz klar und un übersehbar ab, daß die Tage der klirrenden Schwerter vorüber waren. Nun waren wieder Schocker und Blaster, Impulsstrahler und Desintegratoren an der Reihe. Für Atlan aber war dieses Problem le benswichtig. Gegen Schwertkämpfer, Keu lenschwinger und andere Gegner dieses Ka libers konnte sich der Arkonide dank zehn tausendjähriger Erfahrung relativ einfach durchsetzen. Gegen einen gekrümmten Fin ger aber, der einen lichtschnellen Impuls strahl auf die Reise schickte, halfen weder Fußwürfe noch Beinscheren. Der Arkonide wußte, daß er in den näch sten Tagen und Wochen keinen Augenblick lang unaufmerksam sein durfte: Sein Leben würde davon abhängen, daß er keinen Fehler machte – und der ehemalige Kristallprinz und spätere Imperator des Großen Imperi ums liebte sein Leben. Wenn nur nicht die Spercoidenfrau gewe sen wäre! Im Augenblick verhielt sie sich einiger maßen gefaßt, aber der Arkonide wußte, wie gründlich sich das binnen weniger Augen blicke ändern konnte. Zu seinem Glück saß eines der wiedererlangten … »… wiedererlangt?« fragte der Extrasinn lakonisch. … neuerlangten Gefühle sehr sehr tief – die Angst um die eigene Existenz. Wäre nicht die stete Drohung durch die Spercoti sierten an Bord der BEHUTSAMKEIT ge wesen, Laccied wäre kaum zu ertragen ge wesen. »Geh zurück in deine Unterkunft«, schlug Atlan vor. »Dort bist du sicher.«
11 Der Himmel mochte wissen, was unter dem Wort sicher zu verstehen war unter die sen Umständen. Aber die Bemerkung tat ih re Wirkung. Laccieds Gestalt straffte sich. Unwillkürlich wartete Atlan darauf, daß sie sich die Tränen aus den Augen wischte, aber diese Geste war in Laccieds Repertoire nicht enthalten. In einer typisch menschlichen Regung seufzte der Arkonide tief auf, als sich die Tür hinter Laccied geschlossen hatte. Die Gefahr war vorüber – fürs erste.
3. »Wo sind die beiden gefunden worden?« Der Kommandant der BEHUTSAMKEIT zögerte keinen Augenblick mit der Beant wortung der Frage. »Gefunden wurde nur die Frau«, antwor tete er. »Das war auf Trühlor. Die Gefange ne Laccied wurde von dem Spercotisierten Gaccurt gefunden und befreit. Diese beiden können wahrscheinlich die besten Angaben über den feindlichen Stützpunkt machen.« Einen Augenblick lang schwieg der Ge sprächspartner des Kommandanten. Dann erklang wieder die knarrende Stimme. Der Arkonide lebte noch nicht lange genug unter den Spercoiden, um die Feinheiten der Spra che wahrnehmen zu können, sonst wäre auch ihm aufgefallen, was für alle Spercoti sierten in der Zentrale der BEHUTSAM KEIT sofort hörbar war: So sprach nur ein sehr ranghoher Spercoi de zu einem anderen, der ihm sehr weit un terlegen war in der Hierarchie des Tyrannen. Der Tonfall war unverkennbar. »Ich wünsche, diese beiden schnellstens zu sehen. Sie sollen heruntergebracht wer den, sobald die BEHUTSAMKEIT eine Parkbahn erreicht hat!« »Der Befehl wird ausgeführt werden«, versprach der Kommandant. »Sperco ist die Macht – die Spercotisierten sind seine Die ner!« Die Verbindung brach zusammen. Der Bildschirm wurde dunkel. Der Kommandant
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Peter Terrid
der BEHUTSAMKEIT drehte sich um. »Informiert Laccied und Gaccurt. Sie sol len in die Zentrale kommen.« Sofort setzte sich einer der Spercoiden in Bewegung.
* Es war nicht länger auszuhalten. Atlan rang nach Luft, sein Körper war in Schweiß gebadet. Die Anstrengung war rein geistiger Art, aber das machte sie um nichts weniger er schöpfend. Immer wieder mußte er sich kon zentrieren, seine Kraft zusammennehmen – die Gefahr, daß der Anzug ihn förmlich übernahm, wurde mit jeder Stunde größer, in der er dieses starre, naßkalte Etwas auf dem Körper trug. Er hatte etwas herausgefunden, was seine Widerstandskraft von innen heraus zu zer mürben begann. Der unheilvolle Einfluß des Anzugs, die Gehirnwäsche, die sich langsam abspielte, sie hörten schlagartig auf, sobald Atlan den Anzug ablegte. Dann spürte er nichts mehr, wurde er nicht mehr beeinflußt. In diesen Zeiträumen war er geistig hellwach. Nichts deutete darauf hin, daß er sich mit aller Kraft gegen eine geistige Bevormundung hatte zur Wehr setzen müssen. Es war, als hätte er den verwünschten Anzug nie getra gen. Aber diese Erholungspausen waren kurz, viel zu kurz. Da die Spercoiden kein Privat leben zu kennen schienen und daher auch keine Rücksichtnahme auf die Intimsphäre ihrer Artgenossen, gab es praktisch keinen Augenblick, in dem er nicht befürchten mußte, daß im nächsten Augenblick ein Spercoide unverhofft ins Zimmer platzte und ihn ohne Anzug sah. Behielt er den Anzug aber an … Er hatte herausgefunden, daß er von dem Augenblick an, da er den Anzug wieder trug, den Kampf gegen die fast hypnotische Wirkung des Spercoiden-Anzuges wieder aufnehmen mußte – und zwar an der Stelle,
an der er den Kampf abgebrochen hatte. Der unheilvolle Prozeß, der aus dem Kristall prinzen einen Spercotisierten machen sollte, ließ sich nur verzögern, nicht aber rückgän gig machen – jedenfalls nicht dadurch, daß er den Anzug ab und zu auszog. Der Anzug wirkte kumulativ. Was das hieß, war dem Arkoniden nur zu bewußt. Es bedeutete, daß der Kampf zwischen ihm und dem Anzug härter und härter wurde und, auf lange Sicht gesehen, nur einen Sie ger kennen konnte. Irgendwann mußte At lans Widerstand zwangsläufig zusammen brechen. Irgendwann – das allein gab dem Arkoniden noch eine gewisse Chance. Noch konnte er den heimtückischen Impulsen widerstehen. Noch war er nicht zum Spercotisierten geworden, noch hatten Be griffe wie Treue, Behutsamkeit oder wie im mer die Spercoiden ihre Schiffe zu taufen beliebten, für Atlan ihre Bedeutung. Noch kämpfte er um seine geistige Freiheit, noch streifte er sich den Spercoiden-Anzug nur widerwillig über. Noch leistete er Wider stand … Noch … Atlan wußte, wieviel in diesem Wort lag. Er ahnte, daß er den Weg zurück niemals finden würde, war er erst einmal dem Ein fluß des Anzugs erlegen. Es war ein lautloser Kampf, der um etwas geführt wurde, von dem der Arkonide ge glaubt hatte, mehr als genug zu haben – Zeit. Es war eine reine Zeitfrage, mehr nicht. Ent weder gelang es ihm zu entkommen, bevor der Anzug zu seinem Herrn und Gebieter geworden war, oder er würde übernommen, sank zu einer Marionette des Tyrannen her ab. Atlan betrachtete den Anzug mit zusam mengepreßten Kiefern. Auf die gewohnten Maßstäbe umgerech net, war es früher Morgen. Er mußte also da mit rechnen, daß irgendein Spercoide aus ir gendwelchen Gründen den Kopf zur Tür hereinsteckte. Und dann … »Es hilft nichts«, drängte der Extrasinn.
Die Stahlfestung »Du mußt den Anzug anlegen!« Atlan stieß ein leises Kichern aus. »Du hast gut reden«, murmelte er. Was wurde eigentlich aus dem Extrasinn, wenn Atlan zum Spercoiden wurde? Bislang hatte Atlan nicht bemerken können, daß auch der Extrasinn der Beeinflussung unter lag. Eine Erinnerung stieg in ihm hoch. Es war lange her, viel Zeit war seit jenem Tag ver strichen, aber das fotografische Gedächtnis half ihm, sich zu erinnern. Er war damals in die Hände eines Wahnsinnigen gefallen. Vrentizianex hatte er geheißen, der blinde Seher von Varganen. Er hatte den Kristall prinzen wie ein Haustier gehalten, als eine Art Clown oder Hofnarr. Des Irren liebster Spielgefährte war allerdings eine Amöbe ge wesen, in deren Geist die Bewußtseinsinhal te von einem halben Dutzend anderer Wesen förmlich verarbeitet worden waren. Die Amöbe hatte auch Atlan aufgesaugt und zu verarbeiten versucht. Nur an der Ex trasinn war die Amöbe nicht herangekom men. War das die Chance? Stellte der Extrasinn eine Art Lebensversicherung dar? »Keine Informationen«, warf der Logik sektor ein. »Und versuche nicht abzulen ken.« Atlan griff nach dem Anzug. Widerwillig begann er das Material überzustreifen. Ob das Zittern seiner Hände von der Kälte des Anzuges ausging oder auf Angst zurückzu führen war, untersuchte Atlan vorsichtshal ber nicht. Auf dem Gang wurden Schritte laut. Schlagartig hörte das Zittern auf. Mit größter Schnelligkeit ließ er die Verschlüsse des Anzugs zuschnappen. Zu spät. Er hörte Laccieds entsetzten Aufschrei und fuhr herum. Richtig, das Metall des Spinds spiegelte etwas. In jedem Fall genug, um Laccied se hen zu lassen, was sie nicht sehen sollte. Sie war allein gekommen, stellte Atlan fest. Vielleicht gab es noch einen Ausweg
13 aus diesem Dilemma, einen Ausweg ohne Gewaltanwendung. »Du …«, stotterte Laccied. Atlan hätte zu gern gewußt, wie der Auf lösungs- oder Vernichtungsprozeß funktio nierte, der stets dann eintrat, wenn ein Sper coide seinen Anzug auch nur ein wenig öff nete. Freiwillig oder unfreiwillig – ein Loch im Anzug hatte in jedem Fall den sofortigen Tod des Anzugträgers zur Folge. Lag das an der Technik des Anzugs? Gab es eine Vernichtungsschaltung, die in sol chen Fällen ansprach? Dann konnte Atlan behaupten, daß diese Schaltung bei seinem Anzug defekt geworden war. Selbst in einer sehr hochstehenden Technologie gab es Pan nen, der Arkonide konnte ein Lied davon singen. »Du hast den Anzug geöffnet«, stieß Lac cied hervor. Selbst der für die Feinheiten der Spercoidensprache wenig empfängliche Ar konide konnte den panischen Unterton her aushören. Oder war dieser Vernichtungsvorgang psychischer Natur? Eine Art psychosomati schen Selbstmords? Der Arkonide erinnerte sich an die Schreckwürmer, deren Rassenin stinkt sie gezwungen hatte, sich lieber selbst zu töten als ihre große Intelligenz zu verra ten. »Das sah nur so aus«, versuchte sich At lan herauszureden. »Das Spiegelbild muß dich getäuscht haben.« Atlan blieb, wie es seiner Rolle entsprach, regungslos stehen. Laccied trat zwei Schritte zurück. Diese Geste allein hätte ausgereicht, das Ausmaß ihres Schreckens erkennbar zu machen. »Ich täusche mich nicht«, antwortete Lac cied. »Ich habe dich vor drei Tagen schon einmal so gesehen. Du hast den Anzug ge öffnet.« »Dann wäre ich jetzt tot«, gab Atlan zu rück. Sollte der nervenzerreißende Dialog eine zweite Auflage erleben? Was konnte er tun? Daß Laccied ihn ent tarnt hatte, lag auf der Hand. Was Atlan im Augenblick sagte oder tat, war nicht mehr
14 als ein verzweifeltes Rückzugsgefecht. Er mußte Zeit gewinnen. Er hatte eine Waffe, und er war sich si cher, daß er schneller sein würde als die fas sungslose Spercoidenfrau. Aber … Mord kam für den Arkoniden nicht in Frage, und es sah nicht so aus, als würde Laccied ihn zu einem Zweikampf zwingen. »Du wärest tot«, setzte Laccied ihr Ver hör fort, »wärest du ein Spercoide wie ich.« Was war zu tun? Der Arkonide zermarterte sich das Hirn. Er fand keinen Ausweg. Hinhalten, Aus flüchte machen, leugnen, abstreiten, Ge schichten erfinden, lügen – mehr war im Au genblick nicht möglich. »Was führt dich überhaupt zu mir?« frag te Atlan. Unterbrechen, aus dem Rhythmus brin gen. Wie legt man eine Spercoidenfrau her ein? Erinnere dich, Arkonide! Du hast Springer und Überschwere in Grund und Boden gefeilscht, Schlitzohre aller galakti schen Provenienzen übertölpelt – willst du vor einer Spercoidin kapitulieren? »Der Kommandant läßt uns in die Zentra le rufen«, sagte Laccied automatisch. Gewonnen! Sie ist abgelenkt. Was geht hinter der Sichtscheibe ihres Helms vor? Welche Gedanken werden dort gewälzt? Wie beeinflußt man die Psyche eines We sens, von dem man noch nicht einmal das Aussehen kennt. Eine weitere Frage stellen. Sie darf nicht auf das heikle Thema zurückkommen. Du redest um deinen Kopf, Arkonide! »Ist ein Planet in Sicht?« Die Stimme muß ruhig klingen. Wer weiß, vielleicht ist die Spercoidensprache doch geeignet, Gefühle durch den Tonfall oder die Satzmelodie auszudrücken. Ganz ruhig bleiben, keine Aufregung zeigen. Es ist nichts passiert. Laccied hat eine Bewe gung in einem miserablen Spiegel gesehen und völlig falsch interpretiert. Mehr ist nicht vorgefallen. Es lohnt nicht, darauf zurückzu kommen. »Unser Stützpunkt Marsocc. Wir werden
Peter Terrid bald in eine Parkbahn einschwenken.« »Ich komme mit dir.« Atlan rührte sich nicht. Er wartete. Lac cied setzte sich in Bewegung. Sie verließ die Kabine. Hat sie ihren Verdacht aufgegeben? Ist sie überzeugt? Atlan folgte mit gleichmäßigen Bewegun gen. »Ist Marsocc eine bedeutende Welt?« Laccied machte eine Geste der Zustim mung. Aus einer offenstehenden Tür trat ein Spercoide auf den Gang. Jetzt genügte ein Wort … Laccied sagte nichts. Wortlos schritt sie weiter, vorbei an dem ersten Spercoiden, an dem zweiten. Eine Wache tauchte auf, die plumpe Waffe schußbereit. Auch an ihr ging Laccied vorbei. Hatte sie den Vorfall ver gessen? Atlan glaubte es nicht, obwohl alles da nach aussah. Vielleicht aber … »Richtig«, bestätigte der Extrasinn. »Sie schweigt, weil sie dich nicht früher gemeldet hat. Machte sie ihre Gefährten jetzt auf dich aufmerksam, würde man auch sie genaue stens untersuchen. Davor hat sie natürlich Angst.« Ich hatte sie in einen unlösbaren Gewis senskonflikt gestürzt. Entweder hielt sie zu ihrem Volk und verriet den geheimnisvollen Fremdling, der seinen Anzug öffnen konnte, ohne sofort zu vergehen – dann mußte sie, die nicht mehr Spercotisierte, sterben. Oder sie schwieg, sie half dem Fremden, am Le ben zu bleiben, rettete so – vorläufig – das eigene Leben … und beging damit Verrat an ihrem Volk, das allerdings von einem Ty rannen beherrscht wurde. So oder so … jede Entscheidung war falsch, jedes Bezugssy stem hatte seine Mängel. Die Wachen am Eingang zur Zentrale rührten sich nicht, als die beiden Gestalten den Raum betraten. Atlan erschien es immer noch rätselhaft, wie sich die Spercoiden so genau gegensei tig erkennen konnten. Er selbst hatte äußer ste Mühe damit, und er hätte manchen tödli
Die Stahlfestung chen Fehler begangen, wäre nicht der Extra sinn gewesen, das im Zweifelsfall stets einen Ausweg fand. »Marsocc?« fragte Atlan leise. Auf seiner Stirn standen feine Schweiß tropfen. Es war schwierig, die Konzentration zu wahren, die nötig war, um die Impulse des Anzugs zurückzudrängen. Auf der ande ren Seite erforderte die augenblickliche Si tuation höchste Konzentration. Der geringste Fehler konnte verhängnisvoll werden. Auch wenn die Spercoiden Atlan gegenüber nicht mißtrauisch waren, mußte der Arkonide auf der Hut sein. Eine einzige Geste, eine unge schickte Bemerkung konnten sein Schicksal besiegeln. Was der Arkonide auszufechten hatte, war ein stummes Duell an zwei Fron ten – mit den gefühlskalten, logischen, er barmungslosen Spercoiden und mit dem gleichermaßen erbarmungslosen Anzug. »Dies ist Marsocc«, bestätigte der Kom mandant der BEHUTSAMKEIT. Auf den Bildschirmen der Raumortung waren Einzelheiten erkennbar. Sichtbar waren auf den Schirmen eine große, gelbe Sonne und insgesamt vierzehn Planeten. In einer Analogprojektion, die je der Raumfahrer jeder beliebigen Zeit ver standen hätte, wurden die zentrale Sonne und die Planeten in Symbolen dargestellt. Daß die Maßstäbe dabei stark verzerrt wa ren, verstand sich von selbst – bei einer maßstabgetreuen Darstellung der Bahn des entferntesten Planeten wäre die Zentralsonne praktisch nicht mehr sichtbar gewesen. Die Welten – sie wurden wie üblich von innen nach außen durchnumeriert – drei, vier, fünf und sechs waren vermutlich be wohnt. Darauf deutete die unterschiedliche Färbung der Planeten auf der graphischen Darstellung hin. Die inneren Welten waren dann vermutlich zu heiß, die äußeren hinge gen zu kalt, um Leben zu ermöglichen. Der Arkonide leckte sich die Lippen, die trocken geworden waren. War Marsocc die Heimatwelt der Spercoi den? War diese geheimnisvolle Spezies auf diesem Planeten entstanden?
15 Wenn ja, ergaben sich daraus ungeahnte Möglichkeiten. Der Arkonide war nicht sonderlich in Eth nologie und Paläanthropologie bewandert, aber er erinnerte sich noch an die Zusam menhänge. Mensch und Tier waren mitein ander verwandt, soviel stand fest. (Daß in diesem Zusammenhang die Tiere weit mehr Grund hatten, diese Verwandtschaft zu leug nen, stand auf einem anderen Blatt.) Wenn man die Linien der Entwicklung vom Ein zeller bis zum Menschenaffen betrachtete und fortrechnete, kam man fast zwangsläu fig beim Menschen an. Wenn es dem Arko niden gelang, sich etwas näher mit der Fau na des Planeten zu beschäftigen, konnte er vielleicht ausrechnen, in welchem Wesen diese biologische Entwicklung gegipfelt hat te. Dann wäre das Geheimnis der körperli chen. Beschaffenheit der Spercoiden gelöst gewesen. Eine Welt, auf der es riesige Sumpflandschaften gab, hätte beispielsweise die Molch-Theorie gestützt – eine Trocken welt hätte das Gegenteil bewiesen. »Marsocc ist nur ein Stützpunkt«, kom mentierte der Extrasinn trocken. Dieser knappe Kommentar brachte den Arkoniden wieder zur Besinnung. Die Hoff nung, endlich Genaueres über die Spercoi den in Erfahrung bringen zu können, ver flog. »Wir machen ein Beiboot startklar«, gab der Kommandant bekannt. Atlan zog die Brauen in die Höhe, darauf vertrauend, daß die Spercoiden ebensowenig wie er in der Lage waren, zu erkennen, was hinter den Sichtscheiben der Anzüge vor ging. Andernfalls hätte der Arkonide seine Identität nur schwer verbergen können. Schlohweiße Haare und rote Albinoaugen waren im Imperium der Spercoiden sicher lich nicht an der Tagesordnung. Beiboot, rätselte der Arkonide. Warum landete die BEHUTSAMKEIT nicht auf Marsocc? Braute sich da irgend etwas zu sammen, das für den Arkoniden verhängnis voll werden konnte? Nach seinen bisherigen Erfahrungen mit Spercotisierten mußte At
16 lan auf alles gefaßt sein. »Welche Welt ist Marsocc?« Laccied nahm dem Arkoniden die Aufga be ab, sich nach Einzelheiten zu erkundigen. »Die Sonne heißt so«, wurde Laccied be lehrt. »Der vierte Planet trägt ebenfalls die sen Namen. Dort wird das Beiboot landen.« Die Auskünfte kamen schnell, knapp und präzise, ganz nach Spercoidenart. Atlan wandte den Blick nicht von den Schirmen. Der Arkonide dachte an Flucht. Diese Ge danken waren naheliegend angesichts der Gefahr; in der Atlan in jedem Augenblick lebte. Im Geiste begann er bereits damit, sei ne Vorkehrungen zu treffen. Aufmerksam verfolgte er sämtliche Be wegungen auf den Bildschirmen. Er brauch te die einzelnen Objekte nicht zu zählen, ih ren Kurs oder ihre Größe zu bestimmen – diese Aufgabe konnte er getrost dem Zusam menspiel von Extrasinn und fotografischem Gedächtnis überlassen. Auf den ersten Blick war allerdings schon klar, daß Marsocc ein Stützpunkt von Be deutung sein mußte. Der Schiffsverkehr im Bereich der Sonne Marsocc war erheblich. Atlan schätzte einige hundert Schiffsbewe gungen pro Stunde – nicht genug für eine Zentralwelt, entschieden zuwenig für ein kleines Depot. Auf Marsocc würde sich eini ges über die Spercoiden herausfinden lassen, soviel stand für den Arkoniden fest – unter der Voraussetzung allerdings, daß er von den Spercoiden nicht enttarnt wurde. In kurzer Zeit wuchs der leuchtende Punkt auf dem Schirm der Normaloptik an, wurde zur Scheibe und füllte schließlich das Recht eck des Schirmes völlig aus. »Orbit erreicht«, gab eine Stimme be kannt. Der Kommandant machte eine Geste der Befriedigung. »Das Beiboot?« »Startklar!« Mit einer herrischen Geste wurden Atlan und Laccied aufgefordert, sich an Bord des Beiboots zu begeben. Die Spercoidin Lac-
Peter Terrid cied setzte sich sofort in Bewegung. Atlan zögerte einen kurzen Augenblick lang. »Vorwärts!« drängte der Extrasinn. »Ein Spercotisierter wird niemals zögern, einen erhaltenen Befehl unverzüglich auszufüh ren.« Jetzt erst verließ auch der Arkonide die Zentrale der BEHUTSAMKEIT, die ihren Namen so wenig verdiente wie die anderen Spercoidenschiffe auch. Niemand kümmerte sich um die beiden, als sie durch die Gänge schritten. Wortlos benutzten sie die Trans portmittel, die sie zum Beiboothangar brach ten. Im Innern des Spercoidenschiffs konnte der Arkonide eine Stimmung spüren, die ihn nicht minder stark beeindruckte als das Tra gen des Anzugs. Er vermißte, wo immer er sich auch an Bord der BEHUTSAMKEIT umsah, die kleinen Anzeichen dafür, daß es sich bei der Besatzung des Schiffes um lebende Wesen handelte, nicht um Roboter. An Bord eines terranischen Schiffes – auch eines reinen Militärfahrzeugs – hätte es anders ausgesehen. Karikaturen über den Klingelknöpfen, witzige Kreidesprüche an den Wänden, Erinnerungsphotos über den Betten. In Spercoidenschiffen gab es diese senti mentalen Details nicht. Die Spercotisierten schienen so leidenschaftlich zu sein wie der Stahl, aus dem ihre Schiffe bestanden. Hinter seiner undurchsichtigen Helm scheibe mußte der Arkonide grinsen. War es nicht die Gefühlsduselei der Ter raner gewesen, die immer wieder seine Kri tik herausgefordert hatte? Hatte er nicht im mer wieder seinen Freund Perry Rhodan aufgefordert, seine sentimentalen Anwand lungen zu vergessen und so zu handeln, wie der Arkonide es nach der Geschichte seines Volkes für richtig halten mußte – eiskalt, nur nach sachlichen, nach Machtgesichtspunkten ausgerichtet. Die Spercoiden schienen auf diesem Ge biet die härtesten der alten Arkonadmiräle zu übertreffen.
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Den Arkoniden schauderte es.
4. Die BEHUTSAMKEIT wurde kleiner. Nach wenigen Minuten hatte sich das Bei boot so weit vom Mutterschiff entfernt, daß die Hülle des Spercoidenschiffs gegen das Dunkel des Raumes nicht mehr auszuma chen war. Atlan fröstelte. Das Gefühl kam nicht nur von der Kühle des Anzuges. Es resultierte vor allem aus der Ungewißheit. Niemand, auch nicht das sonst so leistungsfähige Extrasinn, konnte vorher sagen, wie sich das Schicksal des Arkoniden gestalten würde. Dafür war viel zu wenig über die Spercoiden bekannt. Datenstand nicht ausreichend, würde die Antwort einer großen Positronik vermutlich lauten, wenn man ihr das Problem vorlegte. Als sich das Beiboot drehte, konnte Atlan einen Blick auf Marsocc werfen. Er hatte Zeit genug, sich den Planeten anzusehen; weder Laccied noch der Pilot des Beiboots kümmerten sich um den Arkoniden. Mar socc hatte voraussichtlich eine ähnliche Schwerkraftanziehung aufzuweisen wie die Erde. Das machte die Lage für Atlan erträg licher. Daß es sich bei Marsocc um eine Sauerstoffwelt handelte, stand fest. Wenn in einem System mehrere Welten zur Auswahl standen, würde jedes intelligente Volk sich zur Anlage eines Stützpunkts stets die Welt aussuchen, deren ökologische Verhältnisse weitestgehend mit den Gegebenheiten der Heimat übereinstimmten. Da im Innern der BEHUTSAMKEIT eine Sauerstoff-Atmo sphäre geherrscht hatte, mußte Marsocc lo gischerweise ähnlich geartet sein. Erkennbar waren aus dem Blickwinkel des Arkoniden zwei große zusammenhän gende Landmassen. Der Rest des Blickfelds wurde von Wasser ausgefüllt; die blaugrüne Farbe war nicht zu verkennen. Auch die weißen Streifen, die sich über Land und Meer zogen, waren leicht als Wol ken zu identifizieren.
Marsocc besaß also eine Sauerstoffatmo sphäre und große Mengen freien Wasser, beides Voraussetzung für Leben in der Form, die sich auf der Erde und den Arkon welten entwickelt hatten. Diese Voraussetzungen erleichterten die Lage des Arkoniden erheblich, vor allem dann wenn es sich bei Marsocc um einen Stützpunkt der Spercoiden handelte und nicht um eine ihrer Hauptwelten. Stütz punktplaneten waren in der Regel nicht voll besiedelt – es mußte weite Gebiete geben, in denen sich ein Flüchtling gut verstecken konnte. Langsam ging das Beiboot tiefer. Der Pi lot hatte offenbar den Befehl, das Material zu schonen. Er ging jedenfalls mit den Kon trollen so behutsam um, wie dies bei einem Spercotisierten überhaupt möglich war. Er schaltete Schirmfelder ein, die den Aufprall der Luftmoleküle absorbierten. Im Innern des kleinen Raumfahrzeugs wurde es laut. Das Beiboot war so spartanisch eingerich tet, wie Atlan es erwartet hatte. Es gab die nötigen Instrumente, nicht eines mehr als unbedingt nötig. Es gab Sitzgelegenheiten, eng und unbequem, es gab ein Triebwerk, dessen hauptsächlicher Vorzug seine Ro bustheit war. Der Pilot hatte offenbar Anweisung, auf dem größeren der beiden Kontinente der au genblicklichen Tagseite zu landen. Im Nä herkommen konnte Atlan den Raumhafen erkennen, ein Areal von beachtlicher Größe, das einem Raumhafen irdischer Bauart durchaus gleichwertig schien. Rings um das Landefeld zog sich ein Kranz von Gebäuden hin, danach gab es nur freies Feld. Jedenfalls sahen die landschaftlichen Gegebenheiten aus der Luft so aus. Wie die Region wirklich beschaffen war, mußte sich später erweisen, nach der Landung. Im Innern des Spercoiden-Beiboots wurde kein Wort gewechselt. Der Pilot machte sich nicht einmal die Mühe, auf die bevorstehen de Landung hinzuweisen. Er überließ es der Intelligenz seiner Passagiere, sich rechtzeitig vor dem Aufsetzen anzuschnallen. Im letz
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ten Augenblick brach dann der Andruckab sorber einmal mehr zusammen. Mit einem kräftigen Puff setzte das Beiboot auf, und der stoß trieb dem Arkoniden erst einmal die Luft aus den Lungen. So nahm er nur halb zur Kenntnis, daß der Pilot die Luke öffnete. Erst als er Laccied mühsam das Beiboot verlassen sah, kam er wieder zu sich. Umständlich kletterte auch er aus dem Boot. Eine Überraschung wartete auf ihn.
* Daß man die aus den Händen der Borgs errettete Laccied zu befragen wünschte, lag auf der Hand. Daß man auf Spercoidenseite gleichermaßen an einem Gespräch mit dem unmittelbaren Befreier der Spercoidenfrau interessiert war, war ebenfalls einleuchtend. Mit einem Empfangskommando hatte der Arkonide als logisch denkendes Wesen ge rechnet. Nicht gefaßt aber war er auf einen förmli chen Staatsempfang erster Klasse. Es fehlten nur noch die Böllerschüsse und eine Musik kapelle. Alles andere war vorhanden – eine Ehrengarde, ein Empfangskomitee. Der Unterschied, der ins Gewicht fiel, be stand darin, daß Laccied und Atlan auf Mar socc keineswegs als Staatsgäste, sondern vielmehr als Verbrecher der übelsten und gefährlichsten Sorte zu gelten schienen. Laccied jedenfalls nahm beim Anblick der Spercoiden sofort Haltung an. Die sicht bare Geste des Respekts war erklärlich – die Spercoiden des Empfangskommandos waren größer, wuchtiger als jene Spercotisierten, die Atlan bereits kannte. Vielleicht handelte es sich bei diesen Spercoiden um eine Elite innerhalb der Elite. Angesichts der Propor tionen der Spercoiden und den gezückten und entsicherten Waffen der Kampfroboter verbot sich jeglicher Widerstand von selbst. Atlan entschloß sich, jede von Laccieds Be wegungen exakt nachzuvollziehen. Darin sah er seine einzige Chance, keinen Fehler zu machen, der ihn den Kopf kosten konnte.
Der Anführer des Empfangskommandos machte eine herrische Geste. Aus dem Schatten eines Gebäudes am Rand des Lan defelds löste sich ein Gleiter und jagte her an. Die kurze Pause bis zum Eintreffen des Gleiters nutzte Atlan zu einem raschen Rundblick. Stahl, das war der erste Eindruck. Das Landefeld bestand aus Stahl, vermutlich me terdick, um die Last der Schiffe tragen zu können. Stählern war auch die Haut der Schiffe, stählern die Schale des Gleiters, und Atlan vermutete, daß auch die Tore der Ge bäude aus Stahl bestanden. Zu diesen fe stungsähnlichen Bauwerken hätte kein ande res Material gepaßt. Der Platz hatte etwas Bedrückendes. Er erinnerte an die Festungs anlagen, die es einmal auf der dritten Arkon welt gegeben hatte, damals, als der Herr scher aus Stahl, der Robotregent, über das Arkon-Imperium geherrscht hatte. Seinerzeit hätte man den Industrieplaneten Arkon III getrost als Stahlwelt bezeichnen können. Die Härte und Kälte der Landschaft paßte zum Charakter der Spercoiden. Die Welt aus Stahl war den Spercotisierten sozusagen auf den Leib geschmiedet. Der Gleiter blieb vor der Gruppe stehen. Als erste mußte Laccied das Gefährt bestei gen, dann Atlan. Der Sitz bestand aus Stahl. Dann kletterte das Empfangskommando in die offene Schale. Ihre, Waffen waren schußbereit, die Mündungen zielten auf die beiden Gefangenen. Als der Gleiter startete, setzten sich auch die Roboter in Bewegung. In klirrendem Trab folgten sie dem Gleiter. Auch ihre Waffen zielten ununterbrochen auf Laccied und Atlan. Der Boden dröhnte unter den Tritten der Kampfmaschinen. In Atlans Ohren hörte sich das Geräusch an, als würden die Glocken zum Jüngsten Gericht läuten. Die sem Klang entsprechend fiel auch die Ge mütslage des Arkoniden aus. Ein Regisseur, betraut mit der Aufgabe, einen Gast in Angst und Schrecken zu versetzen, hätte keine ein drucksvollere Szenerie erfinden können.
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Ohne sich zu rühren, ließen sich die bei den Gefangenen zum Rand des Raumhafens fahren. Erst im Näherkommen waren die einzelnen Forts und Befestigungen zu erken nen, die stählernen Kolosse der Geschütze. Die Mündungen ragten drohend in die Höhe. Atlan mußte an die Hundertsonnenwelt denken, die Zentralwelt der Posbis. Nur ein mal hatte Atlan vor seiner Ankunft auf Mar socc eine derartige Waffenansammlung ge sehen – in den Befestigungen der Hunderts onnenwelt. An einer Überlegung konnte jetzt kein Zweifel mehr bestehen: Marsocc, das war nicht irgendeine Welt im Imperium des Ty rannen Sperco – Marsocc war vielleicht die wichtigste Niederlassung der Spercotisierten in der Galaxis Wolcion überhaupt. Geräuschlos öffnete sich ein Tor im Fe stungswall. Mehr als vierzig Meter hoch war dieses Tor, drei Meter war der Stahl dick. Wenn dieses Fort zusätzlich noch von Schirmfeldern geschützt wurde, mußte ein eventueller Gegner allerhand aufbieten, um diese Festung knacken zu können. Als sich das Tor hinter Atlan wieder schloß, kam er sich vor, als sei er gerade eingesargt worden.
* »Absteigen!« Atlan zögerte nicht, dem Befehl sofort zu folgen. Zusammen mit den Wachen verließ er den Gleiter. Er hatte eine Fahrt von knapp fünfzehn Minuten hinter sich. Es war eine rasche Fahrt gewesen, die durch ein Labyrinth von Gängen geführt hatte. Der Extrasinn hatte Atlan geholfen. Er wußte, daß er sich schät zungsweise fünfzig Meter unter dem Niveau des Raumhafens befand. Er wußte auch, daß in diesem Gebiet der Festung einige Hun dertschaften schwerbewaffneter Spercoiden stationiert waren. Es war eine Anlage, die dem ehemaligen Admiral der Arkon-Flotte Achtung abnötig te.
Man mochte über die Spercoiden denken wie man wollte, vom Befestigungsbau ver standen sie etwas. Atlan konnte das beurtei len – er hatte mehr als eine Fortifikation ge baut und ebensoviele gestürmt. An den fran zösischen Festungsbauer Vauban, der für den vierzehnten Ludwig Forts gebaut hatte, erinnerte er sich besonders gut. Manch ein Plan, der der Nachwelt nicht erhalten geblie ben war, trug die Handschrift des Arkoni den. Die Wachen beeindruckten Gaccurt nicht minder. Das waren Soldaten, die man für jeden Zweck verwenden konnte – stark, ge schmeidig in ihren Bewegungen, todesmutig wie alle Spercoiden, nur noch kälter, noch härter in den Anforderungen, die sie an sich und ihre Gegner stellten. Vergleichbar viel leicht mit der Alten Garde Napoleons, oder den Zehntausend Unsterblichen, mit denen die Perser ihr Reich errichtet hatten. Oder aber, der Gedanke drängte sich Gaccurt förmlich auf, mit den Spartiaten, jener eisen harten Truppe der Spartaner, die nur für den Krieg erzogen worden waren und an deren Härte und unnachgiebiger Tapferkeit die Truppen des Xerxes gescheitert waren. Der Große Philipp, der sich mit wenigen harten Schlägen Griechenland erobert hatte, die Spartaner hatte er nicht überwinden können – Sparta war an Altersschwäche eingegan gen. Ja, dieser Vergleich stimmte. Die Spercoi den waren die Spartaner ihres Universums. Es mußte eine Ehre sein, dieser Truppe an zugehören. »Narr!« Noch genügte dieser kurze Impuls. Er drängte den Spercoiden Gaccurt zurück und gab Raum für den Arko niden Atlan. Im gleichen Augenblick verflog das Gefühl der Sympathie für diese EliteSpercoiden, deren Grausamkeit und Härte schwerlich zu überbieten war. Schweigend hatten die Spercoiden Atlan und Laccied in die Mitte genommen. Im Gleichschritt stapften sie durch die Gänge. Auch hier verriet die Einrichtung militäri sche Nüchternheit. Es gab keine Verklei dung, die Kabel für die Leuchtkörper waren
20 einfach an den nackten Fels der Stollen ge heftet. Verglichen damit waren die Bunker der Maginotlinie die reinsten Luxusapparte ments gewesen – im Frieden, wohlverstan den. Der Trupp blieb stehen. »Hier herein!« Laccied, die vor Atlan ging, machte eini ge Schritte auf das Schott zu, das nach ei nem Knopfdruck den Eingang freigab. Atlan begann sich ebenfalls zu bewegen, wurde aber mit einem Rippenstoß belehrt, daß er nicht angesprochen war. Der Arkonide hielt den Atem an. Was würde Laccied tun, da sie jetzt von Atlan getrennt wurde? Wenn es in diesen Höhlen so etwas wie eine Atmosphäre gab, dann war dieses Klima von Furcht und Ge walt geprägt. Konnte Laccied sich beherr schen? Sie begann nicht zu jammern und zu kla gen. Sie schwieg, als sich das Schott wieder schloß. »Vorwärts!« Atlan stieß einen unhörbaren Seufzer der Erleichterung aus. Der Trupp marschierte weiter, vorbei an einer ganzen Reihe von Schotten. Als der Anführer erneut den Be fehl zum Halten gab, begann das Herz des Arkoniden unwillkürlich schneller zu schla gen. Seine Augen begannen zu tränen – ein untrügliches Zeichen dafür, daß er hochgra dig erregt war. Der Offizier trat zur Seite, um Atlan den Weg freizumachen. Der Arkonide ging an dem Spercoiden vorbei. Mit einer geschmei digen Bewegung nahm der Spercotisierte die Waffe von der Hüfte des Arkoniden. Für Atlan gab es jetzt keine Entschei dungsfreiheit mehr. Einen Augenblick lang hatte er mit der Versuchung gekämpft: Eine rasche, überfallartige Reaktion konnte ihm vielleicht die Freiheit wiedergeben, viel leicht auch den Tod bringen. In jedem Fall aber hätte ihn dies vor der Gefahr gerettet, zum Verräter zu werden. Diese Möglichkeit gab es jetzt nicht mehr. Die Alternativen waren klar:
Peter Terrid Verrat an Perry Rhodan, den Terranern und den Völkern der Galaxis, die winzige Chance, irgendwie aus diesem Dilemma her auszukommen, und den Tod. »Am wahrscheinlichsten ist die letzte Möglichkeit«, gab der Extrasinn mitleidlos bekannt. Atlan ging vorwärts. Der Raum, in den er trat, war nicht leer. Atlan erkannte einen Spercoiden, der mitten im Raum stand. »Ich heiße Warscon«, sagte der Spercoi de. Mit einer Handbewegung lud er Atlan ein Platz zu nehmen.
* Das wissenschaftliche Spezialgebiet des gewesenen Arkon-Admirals und späteren Weltbummlers war Hochenergiephysik …. Psychologie war nicht seine Sache. Indes hatte der Arkonide in zehn Jahrtau senden auf der Erde gelernt, wie man sein Gegenüber nach kurzer Zeit einigermaßen präzise einschätzen konnte. Atlans Psycho logie entsprang seiner in Jahrtausenden er worbenen Menschenkenntnis. Eines der Mittel, Menschen zu beurteilen, war die Sprache. Es gab da gewisse Ge wohnheiten, die deutliche Rückschlüsse auf den Sprecher erlaubten. Wer – beispielswei se – jedem Halbsatz ein um Zustimmung heischendes »nicht wahr?« anhing, war schwerlich jemand, der vor Selbstbewußt sein strotzte. Und wer jeden Satz mit einem eingestreuten »ehrlich!« verzierte, nahm es vermutlich mit der Wahrheit nicht sehr ge nau – andernfalls hätte er es nicht für nötig erachtet, seine Wahrhaftigkeit so oft zu er wähnen. Es gab viele solche Erkennungsmittel – eines davon war das, was man als Körper sprache bezeichnete. Das Phänomen als solches war jedermann geläufig. Stumme konnten sich durch Gesten mitteilen, Schauspieler griffen zu diesem Mittel. Menschen, die einander sehr gut kannten, konnten an Bewegungen, die nie
Die Stahlfestung mandem sonst etwas sagten, sehr viel erken nen. Das Heben der Brauen, ein angedeute tes Naserümpfen, eine kaum merkliche Ver zögerung beim Erwidern eines Grußes – wer sich auf Körpersprache verstand, konnte aus solchen Kleinigkeiten allerhand entnehmen. Diese Erfahrung war es, die den Arkoni den stutzen ließ. Mit einer Handbewegung hatte Warscon ihn zum Sitzen aufgefordert. Aber mit was für einer Handbewegung! Der Arkonide konnte selbst nicht genau sagen, was ihn daran irritierte. Irgendwie stimmte die Bewegung nicht mit dem über ein, was man füglich von einem Spercoiden erwarten konnte. Die Geste war, dem Arkoniden fiel kein anderes Wort dafür ein, … sie war gefühl voll gewesen, ausdrucksvoll, höflich. Ein höflicher Spercoide aber war ein Un ding, ein Widerspruch in sich selbst. Vorsichtig nahm Atlan Platz. Er traute seinem Gesprächspartner nicht. Warscon nahm auf dem zweiten Sessel Platz. Der Ausdruck Sessel war in diesem Fall durchaus angemessen – verglichen mit der Kargheit, mit der sich Spercoiden nor malerweise umgaben, waren diese Sitzmö bel wirklich komfortabel, fast schon luxuriös zu nennen. »Du bist Gaccurt.« Wieder stutzte der Arkonide. Was irritierte ihn an der Stimme? Hatte Warscon eine Feststellung getroffen oder ei ne Frage gestellt. Der Tonfall war nicht ein deutig. »Ich bin Gaccurt.« »Du hast Laccied gefunden?« »Das trifft zu.« Wieder dieser Unterton in der Stimme des Spercoiden. War er erleichtert darüber, daß die Spercoidenfrau gerettet worden war? Er leichtert? Ein Spercoide? »Was kannst du über Trühlor berichten?« Auf diese Frage hatte Atlan gewartet. Den Text seiner Erklärung hatte er sich sorgfältig überlegt. Das fotografische Gedächtnis hatte ihm dabei geholfen, sich an die Einzelheiten
21 der Station auf Trühlor zu erinnern. Der Lo giksektor hatte dafür gesorgt, daß es in dem Bericht keine gravierenden Fehler gab – im merhin hatte der Arkonide einiges zu ver schweigen, und diese Lücken mußten ir gendwie ausgefüllt werden. Für einen er folgreichen Lügner brachte der Arkonide die denkbar besten Voraussetzungen mit – ein untrügliches Gedächtnis. Gleichzeitig, auch das war zu beachten, mußte der Bericht einige kleine, erkennbare Fehler und Irrtümer enthalten. Auch Sper coiden waren nicht perfekt – ein Extrasinn hatten sie jedenfalls nicht. Also durfte der Arkonide diese Fähigkeit nicht erkennbar werden lassen. In jeder freien Stunde hatte Atlan an die sem Bericht gefeilt. Selbstverständlich kann te er ihn buchstabengenau. Jetzt brauchte er den präparierten Text nur abzuspulen. Während er redete wie ein Prophet – mit fremder Zunge, die aus ihm sprach und strömte –, behielt er den Spercoiden im Au ge. Von Jugend an hatte der Arkonide viel mit Militärs zu tun gehabt – erst als Gegner in seinem Kampf um seine Rechte als Kri stallprinz, dann in der Arkon-Flotte und da nach in jedem zweiten Heer, das über die Oberfläche Terras gezogen war. Die typi sche Denkweise der Militärs war dem Arko niden vertraut, und er verhielt sich nach die ser Erfahrung. In seinen Bericht hatte er eine Menge unwichtiger Details eingebaut, die seine sorgfältige Beobachtung beweisen sollten. Es war das Glück des Arkoniden, daß er sozusagen sein Extrasinn sprechen ließ – er hatte gleichsam die Sprechorgane mit dem fotografischen Gedächtnis zusammenge schaltet. Mitten in seinem Vortrag bewegte sich Warscon. Er bewegte sich nur einmal. Diese Bewegung platzte in einen Teil von Atlans Bericht, in dem er die Räumlichkei ten auf Trühlor in geradezu epischer Breite schilderte. Diese Bewegung hatte einen Sinn.
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Peter Terrid
In die Sprache der Terraner übersetzt be sagte die Bewegung: »Fasse dich kurz, du langweilst mich. Ich werde ungeduldig. Komm endlich zum We sentlichen.« Es gab noch eine Menge anderer Deutun gen dieser Geste, die allesamt zu ähnlichen Ergebnissen führten. Mit dieser Armbewegung hatte der Sper coide seinen Unwillen kundgetan.
5. »Vorsicht!« warnte der Extrasinn. Atlan war verstummt. Sein Bericht war beendet. In der letzten Viertelstunde hatte sich Warscon nicht um Haaresbreite bewegt. Die Warnung des Extrasinns war durchaus angebracht. Aus einer einzigen Geste zu fol gern, daß … Da war vor allem die naheliegende Über legung, daß nicht jede Bewegung eines hö heren Lebewesens unbedingt als kommuni kative Geste gedacht sein mußte. Gähnen konnte durchaus lediglich auf Sauerstoff mangel zurückzuführen sein – möglich war allerdings auch, daß es sich dabei um einen mehr unbewußt ausgeführten Versuch han delte, einen lästig gewordenen Besucher sanft zum Gehen aufzufordern. Dazu kam, daß der Arkonide praktisch nichts über die Gestik der Spercoiden wußte. Möglich war auch, daß der Anzug des Sper coiden nicht richtig saß. Es gab viele Grün de, warum sich Lebewesen bewegten. »Sehr interessant«, sagte Warscon. »Deine Informationen werden uns helfen. Sperco ist die Macht …« »… die Spercotisierten sind seine Die ner«, antwortete Atlan automatisch und ohne Zögern. Das Gespräch war damit beendet. Atlan stand auf und ging zur Tür. Mit einem Knopfdruck ließ Warscon das Schott auf gleiten. Auf dem Gang warteten vier Sper cotisierte und acht Roboter mit entsicherten Strahlern auf Atlan. Der Arkonide fühlte sich versucht, einen
Witz zu reißen. Zwölf Schwerbewaffnete, um einen alten Arkoniden zu bewachen, das war mehr als aufwendig. Aber für den Spott, den der Arkonide zu anderer Zeit und ande renorts entwickelt hätte, wären die Spercoti sierten unempfänglich gewesen. Also schluckte der Arkonide die boshaften Be merkungen herunter. Zu seinem Leidwesen wurde er nicht, wie er erhofft hatte, in der Nähe von Laccieds Unterkunft einquartiert. Das war um so be dauerlicher, als der Arkonide stündlich da mit rechnen mußte, daß die Spercoidin vollends die seelische Balance verlieren würde. Wenn die Spercoiden sie bei einem ihrer unangebrachten Gefühlsausbrüche er tappten … »Hier herein!« Atlan gehorchte. Hinter ihm schloß sich eine Tür – aus Stahl. Fels und Stahl, daraus bestand offen bar die Unterwelt von Marsocc. Unverrück bar und stahl, hart, so waren auch die Cha raktere der Spercoiden. Die Einrichtung der Zelle war diesem Charakter angepaßt, mit einem Wort – spartanisch. Es gab nichts au ßer einer Liege. Atlan streckte sich auf der Pritsche aus. Jetzt konnte er nur noch eines tun – war ten.
* Wenn man sich die Sache genau überleg te … Aufgepaßt! Wirklich, so übel waren die Spercoiden nicht. Zu beklagen war vielleicht, daß sie im Kampf weniger Lust zeigten, bis zum Äu ßersten um die Erhaltung des eigenen Le bens zu kämpfen. Das war zweifelsohne ein Nachteil. Wesen, die ihr Ende als Person mehr als alles andere fürchteten, kämpften gerissener, niederträchtiger, infamer. Und auf Eigenschaften wie diese kam es an, wenn es zum Kampf kam. Der Arkonide kannte sich aus. Er hatte mehr Kämpfe hin ter sich gebracht als irgendein Wesen, das je
Die Stahlfestung den Boden der Erde berührt hatte – Schwert duelle in Japan, bei denen es auf jede Bewe gung ankam, bei denen es keine Grenze gab zwischen Angriff und Verteidigung. In der Zeit, die man später die galante nennen soll te, hatte er mehr als eine Blessur von Degen stichen davongetragen. Der Arkonide hatte mit Steinen gekämpft, mit Bronze und Ei sen, dann hatte Stahl in seiner Hand gelegen. Du phantasierst. Nimm dich in acht! Der Arkonide begann wehmütig zu lä cheln. Er hätte sich damals zum Herrn der Welt machen können, zum Halbgott. Die Versuchung war allerdings nicht sehr groß gewesen. Vielleicht war das der Fehler, den er gemacht hatte … Es war richtig. Erinnere dich! Hätte ich nicht … Damals, als die Mongolen auszogen, um die Erde zu erobern … wenn er damals ent schlossen genug gewesen wäre … wer hätte ihn stoppen können, ihn, den Unsterblichen, den Kristallprinzen des Großen Imperiums der Arkonen? Niemand, mußte er sich ein gestehen. Niemand. Auch nicht Rhodan … Halt ein! Damals in dem Museum; wenn er richtig zugeschlagen hätte … er hatte es nicht ge tan. Und was war daraus geworden? Ha, zum Spielball war er geworden. Nur dank der Hilfe der Terraner war er in die Lage versetzt worden, die ihm angestammten Rechte auszuüben. Rhodan hatte ihm auf den Thron des Imperators geholfen. Gonozal VIII, Seine allessehende, alleshörende, tau sendäugige, immermilde etc …. Erhaben heit. Was war daran erhaben gewesen, als man ihn davongejagt hatte? Mildtätig hatte man ihn aufgenommen. Hunderte von Malen hatte er den Kopf hingehalten für die Terra ner, und was war der Dank gewesen? Werde wach, Arkonide. Wach auf! Zum Hampelmann hatte Rhodan ihn ge macht. Jawohl, zum Hampelmann! Lordad miral, ein famoser Titel. Dahinter hatte nichts gesteckt. Ein besserer Verwaltungs posten. Das ihm! Die USO war doch stets nur eine Art Feuerwehr gewesen, die für die
23 Terraner die Kastanien aus dem galaktischen Feuer zu holen hatte. Raffiniert waren die Terraner gewesen, sie hatten für diese kitzli ge Aufgabe vornehmlich Kolonialterraner und Außerirdische eingesetzt, allen voran den Arkoniden. Vermutlich nur aus dem einen Grund, um den lästigen Mahner loszu werden, den einzigen Mann in der Füh rungsspitze der Galaxis, der wirklich über Kultur verfügte. Was waren die zehn Jahr tausende irdischer Primitivgeschichte, verg lichen mit den Glanzzeiten des ArkonImperiums? Die Finger bewegten sich, ohne daß ein ersichtlicher Grund dafür vorlag. Verschlüs se wurden geöffnet. Der Arkonide seufzte tief auf. Er fand schlagartig in die Wirklichkeit zu rück, sobald er den Anzug geöffnet und ab gelegt hatte. Die Beeinflussung durch den Anzug war erschreckend in ihrer Wirkung, vor allem, weil sie so heimtückisch war. Gegen einen hypnotischen Angriff hätte Atlan sich weh ren können, auf solche Attacken war er trai niert. Das heimtückische am Spercoiden-Anzug war, daß seine Impulse ganz langsam das Denken vergifteten. So ähnlich hatten sich die Menschen früher die Versuchungen durch den Teufel vorgestellt, ein leises, ver führerisches Wispern, das vom rechten Pfad der Tugend locken sollte. Wer diesem Wis pern nachgab, kam unweigerlich in Be drängnis. Der Arkonide hatte es am eigenen Leibe erfahren. Die Tatsachen, die Informationen, die in seinem Schädel gespeichert waren, sie blie ben – wenigstens vorläufig – unangetastet. Aber die Impulse des Spercoiden-Anzugs verschoben die Bewertung. Die USO war, das stand zweifelsfrei fest, ein Machtinstrument, dem in der gesamten Galaxis nur noch die Solare Flotte gleich kam. Daß Perry Rhodan diese Galaktische Feuerwehr – eine Feuerwehr mit eigener Schlachtflotte, wohlgemerkt – geschaffen
24 und dem Arkoniden anvertraut hatte, war ein mehr als deutliches Zeichen gewesen, wie sehr Rhodan und die Terraner dem ehemali gen Arkon-Imperator vertrauten. Aus die sem Vertrauensbeweis hatte der Anzug eine Herabsetzung gemacht, ein Abschieben. Die Heimtücke, die darin lag, war beängstigend. Und Atlan begann zu ahnen, daß es damit noch lange nicht sein Bewenden haben wür de. Er traute dem geheimnisvollen Anzug der Spercoiden, den zu fürchten und hassen er gelernt hatte, noch allerlei zu, darunter Dinge, die keinem normalen Hirn entsprin gen konnten. Der Arkonide holte tief Luft. Er wußte, daß er nicht Zeit hatte. Der Raum, in dem er sich aufhielt, war zwar ver schlossen, aber diese Riegel unterlagen nicht dem Einfluß des Arkoniden. Das hieß, daß er auch jetzt darauf gefaßt sein mußte, im nächsten Augenblick ohne Anzug überrascht zu werden. Die Atemübungen, die Atlan langsam und konzentriert ausführte, waren sehr alt. Sie waren das Resultat jahrtausendealter Erfah rung, eine selbstgewonnene Mischung aus Zen-Meditation, autogenem Training, Selbs thypnose, Joga und einem halben Dutzend anderer Verfahren. Allen gemeinsam war das Ziel der Übung – die Wiederherstellung der geistigen und körperlichen Kräfte des Übenden. Atlan wußte, daß er dieses Training brauchte, um dem Anzug widerstehen zu können. »Ich bin stark«, hämmerte er sich ein. »Ich kann dem Anzug wiederstehen. Ich kann alles ertragen, ich bin unüberwind lich.« Wieder und wieder murmelte er unhörbar diese Formel, gleichzeitig verstärkte er seine Atemübungen. Der Erfolg stellte sich nach einigen Minuten bereits ein. Der Herzschlag des Arkoniden verlangsamte sich. Er wurde ruhiger, ausgeglichener und – wichtiger als alles andere – zuversichtlicher. Er wußte, daß ihm nicht viel Zeit blieb, sich zu erholen. Wie wenig Zeit ihm blieb,
Peter Terrid das wurde ihm klar, als er die verhaßte Mon tur wieder überstreifte – nach der kürzesten Übungszeit, die überhaupt einen Erfolg er kennen ließ. Der Anzug war kaum geschlos sen, als auch schon das Schott geöffnet wur de. Die Wachen tauchten im Eingang auf. Sie bewegten sich nicht. Sie vertrauten darauf, daß ein intelligenter Gefangener von selbst merkte, was man mit ihm vorhatte. Atlan stand auf und verließ den Raum. Die Prozession – zwei Spercoiden und vier Ro boter gingen vor, die gleiche Besetzung schritt hinter dem Arkoniden – setzte sich in Bewegung. In dem Vernehmungszimmer – so hatte der Arkonide den Raum im stillen getauft – wartete Warscon bereits auf seinen Besu cher, Gefangenen, sein Opfer … Atlan war sich da nicht ganz sicher. Wieder wurde der Arkonide aufgefordert, Platz zu nehmen. »Wir wollen die Befragung fortsetzen«, sagte Warscon. »Einverstanden?« »Einverstanden«, bestätigte er. Warscon begann mit einer Reihe von knappen Fragen, die technische Einzelheiten der Trühlor-Station betrafen. Atlan, der sich seinerzeit nicht sonderlich gründlich hatte umsehen können, geriet nach kurzer Zeit ins Schwitzen. Er beantwortete alle Fragen so gut wie möglich, aber es ließ sich nicht leug nen, daß die Fragen des Spercoiden immer schneller und härter kamen. Als Warscon dann eine Pause vorschlug, war der Arkonide völlig erschöpft. »Beruhige dich«, sagte Warscon. »Ich kenne das.« Mitgefühl? Bei einem Spercotisierten? Und … Was, bei allen Geistern der Galaxis, be deutete die kurze Bemerkung, er kenne das? Was kannte er? Die Lage eines Wesens, das erbarmungslos verhört wird? Oder steckte mehr dahinter? Kannte er den Zustand, in dem sich Atlan befand? Unaufgefordert, ungefragt fuhr Warscon fort: »Ich war selbst einmal Gefangener der
Die Stahlfestung Borgs. Ich konnte ihnen gerade noch ent kommen, bevor …« Er brach ab. Atlan zuckte mit keinem Muskel, obwohl es in ihm arbeitete. Diese Eröffnung des Spercoiden war ungeheuerlich. Sie war un erhört wichtig für Atlan, von dieser Bemer kung hing alles weitere ab. Was wollte Warscon wirklich sagen? Er hatte einen Grund, sich zu unterbrechen – was Spercoiden kaum taten. Sie kannten kei ne lästigen Gefühle, die sich in einen Satz drängten und den Sprecher stottern oder ver stummen ließen. Der Begriff der Fehllei stung war auf Spercoiden nicht anwendbar. Aber einen Sinn mußte diese Bemerkung ha ben. Spercoiden sagten nichts ohne Grund. Der Arkonide war gewarnt. Die Spercoi den konnten logisch denken, auch Warscon, der für einen Spercoiden ein wenig klein wirkte, vor allem aber ein wenig korpulent aussah. Die hochgewachsenen, fast hünen haften Spercoiden seines Wachbataillons bildeten einen starken Kontrast zu ihrem dicklichen Kommandeur. Atlan schwieg. Es gab auf Warscons Be merkung für einen normalen Spercotisierten in dieser speziellen Situation nichts zu sa gen. War Warscon … Er hatte gesagt – der Extrasinn lieferte prompt den exakten Wortlaut – er sei den Borgs gerade noch entkommen, bevor … bevor was? Bevor er von ihnen behandelt werden konnte, wie die Borgs es mit Lac cied getan hatten? War Warscon ein Umge wandelter, ein geheilter Spercoide? Ein potentieller Verbündeter …? Atlan beschloß, auf der Hut zu sein. Warscon gönnte seinem Besucher einige Minuten Pause, dann setzte er die Befragung ebenso unbarmherzig fort, wie er sie begon nen hatte. Es hagelte Fragen. Sie kamen aber in einem ruhigen, völlig leidenschaftslosen Tonfall; Atlans vage Hoffnung brach wieder in sich zusammen. Erst nach einer Stunde, die Atlan das Äu ßerste abverlangte, brach Warscon die Be
25 fragung ab. Mit einer Handbewegung gebot er dem Arkoniden, den Raum zu verlassen. Atlan erhob sich mühsam. Er schwankte ein wenig, als er zur Tür ging. Seine Kräfte wa ren von dem unerbittlichen Kampf mit der Tücke des Anzugs extrem beansprucht. Die unerbittliche Tretmühle von Warscons Fra genkanonade war fast mehr, als der Arkoni de ertragen konnte. Die Wachen nahmen Atlan wieder in die Mitte und führten ihn ab. Die Prozession geriet nach kurzer Zeit ins Stocken. Atlan begann zu taumeln. Er bemerkte, daß er – allen Atem- und Konzentrationsübungen zum Trotz – zusam menzubrechen drohte. Vor diesem Augen blick hatte der Arkonide, wie er sich selbst gestand, eine panische Angst. Wenn er kör perlich verfiel oder gar einschlief – würde der Anzug nicht die Chance nutzen und den Schläfer übernehmen? Die Wachen blieben stehen. Sie warteten, bis Atlan wieder bei Kräften war. »Er war selbst einmal Gefangener bei den Borgs«, hörte der Arkonide eine halblaute Stimme sagen. »Und die Borgs müssen ir gend etwas mit ihm gemacht haben. Alle seine Gefangenen kippen ihm um.« Also doch, dachte der Arkonide. Diesmal wurde er nicht in eine normale Zelle geführt. Als sich das Schott hinter ihm schloß, sah er verwundert, daß er den Raum mit Laccied teilen mußte. Die Spercoiden fräu lag auf einer der beiden Pritschen. Sie rührte sich nicht. Erst als das Schott hörbar verriegelt worden war, kam Bewegung in die Gestalt. Atlan machte sofort ein Zeichen, daß Lac cied ruhig sein sollte. Er deutete mit Gesten an, daß er Mikrophone befürchtete. »Du kannst völlig beruhigt sein«, sagte Laccied ruhig, als sie begriffen hatte, was die Gesten ihres Zellengenossen besagen sollten. »Solche Maßnahmen treffen Sper coiden untereinander nicht.« »Ich weiß nicht recht«, murmelte Atlan. »Wie ist es dir ergangen?« »Ich wurde verhört«, berichtete Laccied:
26 Einstweilen verriet ihre Stimmung nichts von der geistigen Umwandlung, die sie bei den Borgs durchgemacht hatte. »Er nennt sich Warscon.« Atlan machte eine bestätigende Geste. »Der gleiche Sperco …« Er hatte Spercoide sagen wollen, konnte sich aber gerade noch verbessern. »… tisierte hat auch mich vernommen. Er erschien mir merkwürdig. Irgendwie anders, als wäre er kein wirklicher Spercoide.« »Seltsam«, erklärte Laccied. »Ich habe den gleichen Eindruck. Fast könnte man glauben …« »Ja?« Laccied befand sich im Augenblick wie der in jener Phase, in der sie mehr einer Spercotisierten glich. Sie reagierte nicht auf die knappe Frage. »Er verhält sich nicht normal«, konstatier te Laccied. Atlan war zum gleichen Ergebnis gekom men, wenn auch unter der Voraussetzung, daß ihm das Benehmen eines Spercotisierten grundsätzlich nicht normal erschien. Der Ar konide sagte nichts. Er überließ es der Sper coidin, das Gespräch fortzuführen. »Ich«, begann Laccied. Sie machte eine heftige Geste, deren Sinn Atlan nicht deuten konnte. »Ich habe Angst vor ihm, er ist un heimlich.« Eine merkwürdige Feststellung aus dem Mund einer Spercoidenfrau, in der besonde ren Lage aber, in der sich Laccied befand, mehr als verständlich. »Ich glaube«, sagte Laccied zögernd, »daß Warscon vielleicht … es könnte ihm ähnlich ergangen sein wie mir. Hältst du das für möglich?« Der Arkonide hütete sich zu sagen, daß er diese Erklärung sogar für höchstwahrschein lich hielt. Wer konnte wissen, was die ver unsicherte Spercoidenfrau anstellte, wenn sie von Atlans Verdacht erfuhr. Ihre Reak tionen waren nicht vorhersehbar, sie stellte für den Arkoniden eine fast noch größere Gefahr dar als Warscon. »Hat Warscon gesagt, wann er uns wieder
Peter Terrid sehen will?« »Morgen früh, glaube ich«, antwortete sie ratlos. »Dann wollen wir unterdessen unsere Kräfte sammeln«, schlug Atlan vor. Er war erschöpft von den Anstrengungen des Tages. Außerdem war ihm wenig an weiteren Dis kussionen mit Laccied gelegen, von denen er nicht wissen konnte, wie sie enden wür den. Der Arkonide streckte sich auf seiner Pritsche aus. Diesmal machte er seine Übungen, wäh rend er den Anzug trug. Das machte das Konzentrieren schwieriger, aber noch durfte er sich der Spercoidenfrau nicht in seiner wahren Gestalt präsentieren. Nur zu deutlich erinnerte er sich an ihre Aufregung, als sie vor Tagen einmal den Eindruck gehabt hat te, er hätte seinen Anzug geöffnet. Irgendwann schlief er dann ein.
* Er erwachte, weil Laccied ihn unsanft an stieß. Blitzartig zuckte Schrecken in dem Er wachenden hoch, dann wußte er, daß er noch Atlan war, der Spercotisierte. Der Schlaf hatte ihm gutgetan. Atlan stand auf. Im Eingang der Doppelzelle stand wieder ein Wachkommando. »Du bist an der Reihe«, erklärte Laccied knapp. Sie machte einen ruhigen Eindruck, zeigte keinerlei Aufregung. Die Prozedur unterschied sich in keinem Detail vom Vorgehen der Wachen am Vor tag. Sie nahmen Atlan in die Mitte und ge leiteten ihn in einer feierlichen, stummen Prozession in das Vernehmungszimmer. Wie gestern nahm Atlan Platz, auch diesmal von Warscon mit einer Handbewegung dazu aufgefordert. Sobald Atlan ruhig saß, nahm Warscon die Befragung an dem Punkt wieder auf, an dem er sie abgebrochen hatte. In dieser Be ziehung war er ein echter Spercoide. Viel leicht, so überlegte sich der Arkonide, half der Anzug Warscon sogar, seine Rolle als
Die Stahlfestung
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Spercotisierter weiterzuspielen – und vor al lem perfekt zu spielen. Wenn dem so war, wieso hatte er selbst dann so große Schwie rigkeiten, den Impulsen des Anzugs nicht zu erliegen? Vielleicht lag es daran, daß er nicht von den Borgs behandelt worden war. »Die Antwort ist unlogisch«, unterbrach Warscon an einer Stelle Atlans Redefluß. »Wiederholung!« Folgsam wiederholte Atlan, was er gesagt hatte. Der Extrasinn half ihm dabei, den ge nauen Wortlaut zu rekapitulieren. »Fehler«, beharrte Warscon. »An deiner Aussage ist einiges fehlerhaft! Was ist mit dir geschehen, sprich!« Der Arkonide fühlte sich in die Enge ge drängt. Er gab eine Antwort, wurde von Warscon zurechtgewiesen. Plötzlich hatte der. Spercoide an allem etwas auszusetzen, was der Arkonide zu sagen hatte. Wie am Vortag geriet Atlan ins Schwitzen. Seine geistigen Kräfte waren der Doppelbelastung kaum mehr gewachsen – auf der einen Seite mußte er den anschwellenden Impulsen des Anzugs widerstehen, auf der anderen Seite mußte er, um seine Rolle glaubhaft zu spie len, die Fragen Warscons in einer Weise be antworten, als sei der Anzug voll wirksam. Es dauerte Sekunden, bis Atlan bemerkte, daß Warscon überraschend verstummt war. Eine Pause entstand, ein Schweigen, das immer beklemmender wurde. Warscon breitete die Arme aus. »Wie wäre es, würdest du endlich die Wahrheit erzählen«, schlug er vor.
6. Es gab keine andere Wahl. Eine der bei den Fronten mußte zusammenbrechen. In stinktiv entschied sich der Arkonide dafür, die Wahrheit zu sagen. »Ich bin nicht spercotisiert«, sagte er schwach. »Nicht mehr.« »Und deine Begleiterin?« fragte Warscon sanft. »Ist auch sie – frei?« Mit dieser Formulierung waren die letzten Zweifel des Arkoniden überwunden. Er
seufzte erleichtert auf. »Nicht aus der Rolle fallen«, warnte der Logiksektor. »Du mußt weiterhin vorgeben, ein Spercoide zu sein!« »Auch sie ist umgewandelt«, stieß er her vor. Warscon nickte beifällig. »Endlich«, sagte er seufzend. »Das hat lange gedauert. Mach es dir bequem. Du bist bei Freunden, bei einem Freund jedenfalls.« »Bist du auch …« Warscon machte eine zustimmende Geste. »Ich war auch bei den Borgs gefangen«, verriet er. »Ich weiß, was ihr beide durchge macht habt. Benutzen die Borgs immer noch das gleiche Verfahren …?« »Achtung!« Der Impuls des Extrasinns glich einem gellenden Aufschrei. Er kam für den Arko niden völlig überraschend, so überraschend, daß er vorerst keine Antwort auf Warscons Frage fand. »Machen sie es immer noch so wie frü her?« wiederholte Warscon seine Frage. »Du bist hereingefallen«, signalisierte der Logiksektor. »Warscon weiß überhaupt nicht, wie die Borgs vorgehen. Er blufft – andernfalls würde er eine präzise Frage stellen, aus der ein Betroffener sofort able sen kann, das Warscon selbst umgewandelt worden ist.« »Nun rede schon«, drängte Warscon. »Ich habe nichts zu sagen«, blockte. Atlan ab. Eine kurze Pause entstand, dann fiel dem Arkoniden auf, daß Warscon sich nicht mehr bewegte. Der Spercoide rührte kein Glied. Hinter Atlan erklang ein Geräusch. Das Schott wurde geöffnet. Nacheinander mar schierten die Wachen in den Vernehmungs raum. Ihre Zahl hatte sich verdoppelt. »Der Verräter kommt in das Behand lungszimmer«, erklärte der Anführer des Trupps. »Die Maschine wird ins Lager zu rückgebracht. Das Programm muß abgeän dert werden.« Jetzt fiel es dem Arkoniden wie Schuppen von den Augen. Warscon, das war kein Spercoide gewe
28 sen. In dem undurchsichtigen Anzug steckte kein ehemaliger Spercotisierter – Warscon war nichts weiter als ein Roboter mit einer speziellen Programmierung, einer Program mierung die zumindest perfekt genug gewe sen war, dem Arkoniden ein verhängnisvol les Geständnis abzuluchsen. Der Arkonide gab sich geschlagen – vor erst. Dies war nicht das erste Mal, daß er in einer schier ausweglosen Lage gewesen war; er war sicher, daß es mehr bedurfte als eini ger Molche, um einen Zehntausendjährigen endgültig zu schlagen. Folgsam trottete er hinter den Wachen her. Dem scheinheiligen Roboter namens Warscon gönnte er keinen Blick mehr. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, aus wel chem Grund die Spercoiden für diese Aufga be ausgerechnet einen Roboter eingesetzt hatten. Lebende Wesen, die – Laccieds Um wandlung bewies das schlagend – kein Ge fühlsleben hatten und dennoch zur Überli stung von Verrätern ausgerechnet gefühlvol le Roboter baten – das wirkte irgendwie un logisch. Naheliegender wäre gewesen, hätte ein Spercoide Gefühle geheuchelt – die Nie dertracht und Heimtücke dazu traute Atlan den Spercoiden ohne weiteres zu. Statt eines Befehls bekam er einen harten Stoß, der ihm bedeutete, den Gang zu ver lassen. Der Raum, in den er gestoßen wurde, enthielt einige Apparaturen, die einen annä hernd medizinischen Eindruck machten. Der Arkonide erkannte zwei Rohrgestelle. In ei nem dieser Gestelle war bereits eine Gestalt förmlich befestigt worden. Laccied! Ein neuer stoß trieb Atlan auf das zweite, freie Gestell zu. Mit steigender Besorgnis erkannte Atlan, das am Kopfende der Ge stelle Kübel angeflanscht worden waren, Kübel, in denen junge Pflanzen wuchsen. Pflanzen dieser Art kannte der Arkonide be reits, er hatte sie bereits auf Karoque gese hen. Unwillkürlich wandte sich Atlan zur Flucht, aber die Bewegung kam zu spät. Harte Fäuste griffen nach ihm, packten ihn
Peter Terrid und hoben ihn an. Atlan erkannte, daß Wi derstand sinnlos geworden war. Er ließ sich auf das Gestell heben, hörte, wie man seinen Anzug mit allerlei Kontakten verband … … und dann hörte er den ersten gellenden Schrei, den Laccied ausstieß, und es verging keine Sekunde, dann wußte er auch, warum die Spercoidenfrau schrie. Ihm war, als griff eine Hand aus rotglü hendem Stahl nach seinem Gehirn und quetschte es unbarmherzig zusammen. Der Schmerz war kaum zu ertragen. Wider Wil len begann auch er zu schreien. Der Schmerz fraß sich tiefer und tiefer. Es war ein unspezifischer Schmerz, eine fast abstrakt zu nennende Qual – das machte sie aber um nichts leichter zu ertragen. Der Ar konide fühlte sich, als werde ihm das Inner ste zu äußerst gekehrt – und diese Darstel lung traf das Wesentliche recht genau. Die Pflanze hatte sich an die Arbeit gemacht. Ihr Ziel stand fest und war unverrückbar – aus dem Arkoniden sollte ein perfekter Spercoti sierter gemacht werden. Atlan spürte Haß in sich aufsteigen, einen brennenden, alles verzehrenden Haß. Wut kam dazu, eine infame Freude an der Heim tücke, der Niedertracht. Blitzartig zogen Bil der vor seinem geistigen Auge vorbei, Bil der aus vielen Jahrhunderten, Bilder des Leids, des Elends, der Not. Schlachtenge mälde, weit entfernt von dem heroisierenden Pathos mit dem das Schlachten von Men schen durch Menschen für gewöhnlich dar gestellt wurde; diese Bilder waren echt, un verfälscht, wirklich – Atlan hatte diese Sze nen selbst erlebt und nicht vergessen. Er erinnerte sich an Notzeiten. Hungers nöte, das Wüten des Schwarzen Todes, har tes Brot in entfleischten Händen, Häuser, in denen es Ratten vor Ungeziefer nicht mehr aushielten und in denen dennoch Kinder ge zeugt und großgezogen wurden, Armenspei sungen mit stinkenden Suppen, die Greise, die den Bergwerken entstiegen waren – zwanzigjährige mit den Gesichtern von Hundertjährigen – den hohlen Husten der Weber, die selbst beim Essen ihre Arbeit
Die Stahlfestung nicht unterbrechen durften, wenn sie am nächsten Tag noch etwas zu essen haben wollten. Es war ein Film, der vor den Augen des Arkoniden abgespult wurde, und die teuflische Wirkung der Pflanze machte aus den blitzartig aufflackernden Bildern des Entsetzens eine zynische Komödie des Grauens. Der ohrenbetäubende Schrei des Arkoniden wurde leiser. Es begann zu ki chern. Jahrtausende hatte der Arkonide auf der Erde verbracht. Er hatte Reiche kommen und gehen sehen, Hunderten von Gottköni gen hatte er ins Auge gesehen, einigen zu Augenblicken, da sie alles andere als gött lich wirkten. Vieles hatte sich geändert in den einhundert Jahrhunderten menschlicher Geschichte. Und doch war das Wesentliche stets gleich geblieben – die fortgesetzte Quä lerei des Menschen durch den Menschen. Es war gleich, ob er sich König nannte oder Kaiser, Tenno oder Schah-in-Schah, ob er eine Krone trug oder das Schwert in der Hand. Stets waren die, die sich auserwählt gefühlt hatten, die Geißel gewesen, mit der sich die Armen von ihren Göttern gestraft fühlten – gleichgültig ob dieser Gott auf schmucküberladenem Altar, auf blutbesudel tem Teocalli oder einem hölzernen Pfahl an gebetet wurde. Angst hatte die Geschichte der Menschen geprägt; Angst vor der Natur und ihren un begreiflichen Kräften, Angst vor der harten Hand des Grundbesitzers, vor dem gnaden losen Zugriff des allmächtigen Staates – und, größer als alle anderen Ängste, vor den Launen des als allmächtig gepriesenen Got tes. Furchtbar, so hatten die Priester stets ge tönt, waren die Götter in ihrem Zorn, und Zorn war der Grundzug ihres Wesens. Aber jetzt … Alles würde anders werden. Sperco mußte die Herrschaft übernehmen. Sperco allein war die Rettung. Lag das Problem nicht allein darin be gründet, daß er sich Gedanken darüber machte? Wurde das Elend vertrieben, da durch daß man des Elends gedachte? Wer
29 wurde satt durch Mitleid allein? Wenn man Mitleid vergaß, wurden dann nicht alle Probleme leicht und lösbar? Gab es dann überhaupt noch Probleme? Unterlag nicht auch das höher entwickelte Leben dem ewigen Auslesegesetz der Natur – friß oder werde gefressen? Hatte nicht gerade dieses Phänomen, der sogenannte Selektionsdruck der Natur, dazu geführt, daß die Natur im mer bessere, immer perfekter angepaßte Le bewesen geschaffen hatte – bis hinauf zu den höchsten Kreaturen, Menschen und Spercoiden. Ja, war es nicht geradezu unna türlich, sich diesem Selektionsdruck durch Gefühlsduselei entgegenzustemmen? War es nicht vielmehr im Interesse der Betroffenen, wenn eine Rasse durch unbarmherzige Aus wahl der Besten veredelt wurde, emporge züchtet wurde …? Der Arkonide lächelte zufrieden. Sein Schreien war verstummt, das Kichern war abgeebbt. Die Spercoiden standen reglos. Sie warte ten noch einige Minuten lang, dann waren sie offenbar ihrer Sache sicher. Bei der Frau war es ziemlich schnell ge gangen. Der Mann hatte erheblich mehr Wi derstand geleistet. Geholfen hatte es beiden nicht. Die Pflanzen hatten präzise funktioniert. Der Prozeß war abgeschlossen. Die bei den Abweichler waren zurückgekehrt in die Reihen der Ihrigen. Die Spercotisierung war gelungen – wie immer. Beide, die Spercotisierte Laccied und der Spercotisierte Gaccurt, konnten wieder als vollwertige Spercoiden gelten.
* Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Atlan die Mühen verflucht, die man ihm aufgebür det hatte. Er hatte damals keinen Sinn darin erblicken können, unter geradezu selbstmör derischen Bedingungen um die höchste Ehre zu ringen, die das Große Imperium zu verge ben hatte – die ARK SUMMIA, die Aktivie
30 rung des Extrasinns. Nicht der Ehrgeiz des Kristallprinzen war es gewesen, der letztlich zu diesem Erfolg geführt hatte. Fartuloons beharrliches Arbeiten und zähes Drängen hatten den Ausschlag gegeben. Nur der Tod konnte die ARK SUMMIA rückgängig machen, nichts sonst. Auch keine Pflanze, deren bewußtseins verändernden Fähigkeiten gewiß erstaunlich waren. Atlan war ein Spercotisierter geworden. Der Extrasinn nicht. Es wartete, geduldig. Es hatte Zeit. Die Spercoiden, fest vom Erfolg der Pro zedur überzeugt, lösten die Kontakte, die die Pflanzen mit den beiden Patienten verban den. Es klickte leise, wenn die Steckkontak te auseinandergezogen wurden. Deutlich konnte der Extrasinn spüren, wie der Einfluß der Sperco-Pflanze schwächer wurde und endlich ganz verstummte. Jetzt hatte es der Extrasinn nur noch mit den Impulsen des Anzugs zu tun, dem wei taus gefährlicheren Feind, dem der Extrasinn weniger entgegenzusetzen hatte. Es kam darauf an, den Freiraum im Geist des Arko niden zurückzuerobern, bevor der Anzug dieses psychische Terrain besetzen konnte. Der Extrasinn griff an. Es rief die gleichen Erinnerungen wach, die vorher den Geist des Arkoniden durch tobt hatten. Aber es beschönigte nicht, es entwickelte keine Philosophie des Zynis mus. Der Extrasinn ließ das Ekelgefühl vor soviel Zynismus wachsen, ließ die Angst vor der Übernahme einer solchen Philosophie des Grauens anschwellen – und stemmte diese Gefühle den andrängenden Impulsen des Anzugs als Bollwerk entgegen. Der Arkonide zuckte einmal kurz, als die Gefühle in seinem Schädel wie feindliche Armeen zusammentrafen, der Wall aus Ge fühlen unter dem Ansturm der Gefühllosig keit erbebte. Die Spercoiden sahen die Be wegung nicht. Die Schlacht dauerte nur wenige Herz schläge lang.
Peter Terrid Der Damm hielt. Der Arkonide war wie der er selbst, und das Gefühl freudiger Er leichterung eroberte ihm ein weiteres Stück Freiraum. Auf dem anderen Gestell gab es eine Be wegung. Laccied stand langsam auf. Nichts in ihrer Stimme ließ eine Erinnerung an die frühere Laccied wach werden. Mit einer Stimme, an der förmlich Eiszapfen zu hängen schienen, sagte sie laut: »Sperco ist die Macht – die Spercotisier ten sind seine Diener!« Atlan unterdrückte einen Laut des Schmerzes. Für ihn war Laccied verloren. Die Pflanze hatte sie zu einer perfekten, ab solut gefühlskalten Spercoidin zurückent wickelt. Der heilsame Prozeß, den die Borgs eingeleitet hatten, war rückgängig gemacht worden. Eisiger Schreck durchfuhr den Arkoniden. Was wurde jetzt aus ihm? Würde Laccied plaudern, ihren Gefährten verraten? Der Ar konide hielt den Atem an, er wagte nicht, auch nur ein Glied zu rühren. Laccied verriet ihn nicht. Atlan sah nur den einen entscheidenden Handgriff, dann wußte er, daß Laccied ihn nicht verraten würde – daß sie ihn nicht ver raten konnte. Mit einem Handgriff hatte der Anführer des Spercoidentrupps den Verschluß von Laccieds Anzug geöffnet. Die Spercoiden frau verging in Sekundenschnelle. Der Arkonide preßte die Zähne zusam men. Wieviel von Laccieds Tod hatte er sich selbst anzulasten? Wie weit ging seine Ver antwortung in diesem Fall. Zu einer schlüssigen Antwort kam der Ar konide nicht. Die Spercoiden verfolgten ganz offenkundig den Plan, ihre Opfer erst zu vollwertigen Spercoiden zu machen und dann erst hinzurichten. Laccied war bereits … war sie tot? Vergangen? Oder übergetre ten in eine Zustandsform, die der Arkonide noch nicht begreifen konnte. Die Spercoiden packten und stellten Atlan
Die Stahlfestung auf die Beine. Fast geräuschlos öffneten sich unter ihren Händen die Verschlüsse von At lans Anzug. Der Arkonide tat sein Möglich stes, seine Enttarnung hinauszuzögern. Als er dann sich zu bewegen begann, war die Überraschung selbst für Elite-Spercoiden zu groß. Der Anzug fiel auf den Boden, und noch bevor sich die Spercoiden an den Anblick des Fremden gewöhnt hatten, lag bereits der erste der Spercotisierten auf dem Boden. At lan schlug mit beiden Händen. Er wußte nicht, wie man Spercoiden richtig bekämpf te, er konnte nur hoffen, daß sie über etwas Ähnliches verfügten wie einen Kopf, und auf diese Köpfe ließ er seine Handkanten herabsausen. Ob es die Wucht seiner Hiebe war oder die Überraschung, die die Spercoiden förm lich lähmte – es gelang dem Arkoniden nach einer knappen Minute, in der er sich mit dem Tempo eines Zauberkünstlers bewegte, den gesamten Spercoidentrupp auf dem Bo den liegend zu bewundern. »Ein Glück, daß keine Roboter dabei wa ren!« murmelte der Arkonide. Er versetzte dem Anzug, in dem er nach seiner Ansicht viel zuviel Zeit zugebracht hatte, einen Fußtritt, dann verließ er den Raum. Er wußte, daß seine Chancen unglaublich gering waren – wie gering erwies sich, als der Extrasinn sich in diesem Fall ausnahms weise nicht meldete, um dem Arkoniden die Winzigkeit seiner Chance vorzurechnen. Im Grunde hatte der Arkonide nur dann eine echte Aussicht auf ein Entkommen, wenn – wider Erwarten – die Spercoiden un ter ihren Anzügen aussahen wie Menschen oder Arkoniden. Er konnte sich auch als eine Art Haustier ausgeben, aber ernsthaft glaub te der Arkonide nicht daran, daß dieser Trick funktionieren konnte. Er nahm eine der Energiewaffen an sich, die die Spercoiden bei sich getragen hatten. Ein Anzug – ihm stand nun auch noch Lac cieds Kleidung zur Verfügung, ein Gedanke, der ihn abstieß – hätte ihm zwar etwas mehr
31 Bewegungsfreiheit gegeben, auf der anderen Seite aber vielleicht seine Entschlußkraft er heblich beeinträchtigt. So oder so – seine Chance lag in der Schnelligkeit, in der er sich vom Schauplatz der letzten Ereignisse entfernte. Der Gang, auf den Atlan nun trat, war leer. Offenbar kam es nicht häufig vor, daß Spercoiden auf diese grausame Art und Wei se behandelt wurden. »Dann los«, munterte der Arkonide sich selbst auf. Er begann zu laufen. Ob er dabei auffiel oder nicht, konnte ihm gleichgültig sein. Er mußte zusehen, daß er aus dem eigentlichen Festungsbereich kam. Im Freien hatte er dann vielleicht eine Chance, sich in der Wei te des Landes zu verstecken und abzuwar ten, bis sich eine Möglichkeit eröffnete, die se Welt aus Stahl zu verlassen. Der stählerne Boden unter seinen Füßen klang dumpf und drohend, während der Ar konide durch das Labyrinth der Gänge, Flu re und Säle rannte. Das Glück war auf seiner Seite. Es begeg neten ihm zwar Spercoiden, aber sie nahmen keine Notiz von dem einsamen Läufer. Hiel ten sie ihn für ein Tier? Atlan fand keine Zeit, sich um dieses Problem zu kümmern. Sobald er erkannt hatte, daß man sich – vorerst jedenfalls – nicht um ihn kümmerte, wurde der Arkonide zuversichtlicher. Viel leicht … er begann wieder zu hoffen, und seine Hoffnung wuchs mit jeder Minute. Als dann aber die Sirenen aufzuheulen be gannen, wußte er plötzlich, daß er sich zu früh gefreut hatte. Aus der Lautstärke des Heultons ließ sich mühelos folgern, daß Warscon oder wer immer der Chef dieser Anlage war, den gesamten Stützpunkt in Alarm versetzt hatte. Atlan schätzte, daß es auf dem Areal des Raumhafens und seiner Nachbarbereiche Platz genug für zwanzig- bis sechzigtausend Spercoiden gab. Bei aller Hochachtung vor sich selbst war dem Arkoniden dennoch klar, daß er gegen diesen Gegner keine Chancen hatte.
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Peter Terrid
* »Wissen wir, wo der Flüchtling steckt?« Ein Bildschirm leuchtete auf. Er zeigte ei ne Übersicht über den gesamten Nahbereich des Stützpunkts. Der Kommandant betrach tete angelegentlich den roten Leuchtpunkt, der sich in dem Liniennetz bewegte. »Sehr gut«, lobte der Kommandant. Gleichmütig sah er zu, wie sein Doppelgän ger den Raum betrat, sich an den Großen Rechner anstöpselte und so seine Program mierung vervollständigte. Die Maschine hat te ihren Zweck erfüllt. »Nimmt der Flüchtling den Weg, den wir wünschen?« »Die Abweichung ist signifikant«, lautete die Antwort. »Teilalarm«, befahl der Kommandant. »In den Nachbarregionen sollen Roboter aufzie hen. Von den Waffen ist Gebrauch zu ma chen. Der Flüchtling darf allerdings nicht getötet werden. Eine Verletzung ist vorläu fig ebenfalls zu vermeiden.« »Wir geben zu bedenken …« Der Sprecher wartete, bis der Komman dant mit einer Geste erklärt hatte, daß er be reit war, sich einen Vorschlag anzuhören. Früher hätte es der Untergebene niemals ge wagt, Bedenken zu äußern. »Eine geringfügige Verletzung des Flüchtlings würde ausreichen, daß der Frem de glaubt, daß er selbst die Richtung seiner Flucht steuert. Der emotionale Umschwung beim erwünschten Kontakt wäre zudem ent schieden größer. Das sagt jedenfalls der Rechner.« Der Kommandant wartete einen Augen blick lang. Selbst wenn er den Vorschlag rundweg ablehnte, brauchte er ein wenig Zeit, die Ablehnung logisch zu formulieren – nicht der Untergebenen wegen, sondern vielmehr für den Rechner, der den Dialog aufzeichnete. Auf diese Weise konnte der Kommandant vermeiden, daß man seine Entschlüsse als übereilt und zuwenig durch dacht bezeichnen konnte.
»Das Ausmaß der Verletzung des Flücht lings kann nicht ausreichend präzise be stimmt werden«, sagte der Kommandant schließlich. »Unter Umständen wird er nicht mehr in der Lage sein, sich ungehemmt fort zubewegen. Unter diesen Gegebenheiten würde ein gezielter Waffeneinsatz mit dem Ziel der Verwundung des Flüchtlings das geplante Unternehmen eher gefährden als fördern.« »Wir ziehen unsere Bedenken zurück«, erhielt der Kommandant zur Antwort. Er reagierte nicht darauf. Auf dem Bildschirm zeichnete sich ab, daß der Fliehende die Richtung gewechselt hatte. Er wurde gejagt wie ein lästiges Unge ziefer – mit dem Unterschied, daß es dem Kommandanten einstweilen nicht darum ging, das Ungeziefer schnellstens auszurot ten. Das hatte Zeit. Der Tod des Fremden war nur aufgescho ben. Er war nur eine Frage der Zeit. Sterben mußte er – das hatte die Auswertung des Rechners ergeben – in fast jedem denkbaren Fall. Die denkbaren Ausnahmen aber …
7. Der Arkonide sah sich gehetzt um. Seine Hoffnung, sich still und heimlich absetzen zu können, war zerronnen. Er wuß te jetzt, daß er gejagt wurde. Offenbar mach te es den Spercoiden sogar Spaß, ihn wie einen Hasen zu hetzen. Zugetraut hätte At lan den Spercoiden ein derart perverses Ver gnügen. Der Atem des Arkoniden ging schwer. Seine Brust bewegte sich krampfhaft. Seit langem war Atlan nicht mehr so viel und so lange gerannt. Wäre der Lordadmiral der USO nicht stets bemüht gewesen, in körper licher Höchstform zu sein, wäre er wahr scheinlich längst in irgendeinem Winkel der Stahlfestung zusammengebrochen. »Wohin jetzt?« stieß Atlan hervor. Er er schrak über den Klang seiner eigenen Stim me. Sie verriet, daß er nicht mehr sehr lange
Die Stahlfestung durchhalten würde. Vielleicht … Der Gedanke kam blitzartig, und er wurde ebenso rasch in die Tat umgesetzt. Wenn es dem Arkoniden gelang, die Reihen seiner Verfolger unbemerkt zu durchbrechen, dann war er fürs erste gerettet. Die Schwierigkeit lag aber darin, diesen Durchbruch so zu ge stalten, daß die Spercoiden ihn nicht be merkten – ein alles andere als leichtes Un terfangen. Der Arkonide überlegte hin und her, dann faßte er einen Entschluß. Er wußte, daß er ein selbstmörderisches Risiko einging, wenn er den Spercoiden, die Jagd auf ihn machten, entgegenlief. Auf der anderen Seite aber … das Ergebnis wäre das gleiche gewesen, wä re er bis zur restlosen Erschöpfung gerannt und dann aufgefunden worden. So oder so – sein Manöver mußte eine Entscheidung her beiführen. Der Arkonide betätigte den Drücker eines Schottes. Ihm war es egal, was sich hinter dem Stahl verbarg. Hauptsache, daß man ihn nicht sofort fand. Das Schott glitt in die Hö he. Atlan erkannte einen Maschinenraum, auch wenn er nicht zu sagen wußte, was für Maschinen hier arbeiteten. Die Technik der Spercoiden blieb vorerst ein Rätsel. Der Blick des Arkoniden irrte durch den Raum. Er blieb nach kurzer Zeit an einer rechteckigen Klappe hängen, die sich mit ei nem einfachen Handgriff würde öffnen las sen. Der Arkonide wußte nicht, was sich hinter dieser Klappe abspielte. Er wußte nur, daß er sich unsichtbar machen mußte. Einige weite Sätze brachten ihn in die Nähe der Maschine. Die Klappe öffnete sich sofort. Was für eine Maschine das war, konnte der Arkonide nicht einmal ahnen. Er sah nur ein Gittergestell, das von einem rötlich schimmernden Feld umwabert wurde. Im Hintergrund wurden Stimmen laut. Spercoidenstimmen. Atlan zögerte nicht länger. Hastig kroch er durch die Öffnung, die Beine voran. Mit einem Handgriff zog er dann die Klappe in ihre ursprüngliche Lage zurück.
33 Er konnte hören, wie die Spercoiden den Raum durchsuchten. Die Schritte von me tallbeschlagenen Stiefeln auf dem Metall des Bodens waren nicht zu überhören. Offenbar gingen die Spercoiden nicht sehr gründlich vor. Der Arkonide gab keinen Laut von sich. Immer wieder schielte er an seinem Körper hinab. Das Energiefeld umspielte seinen Körper vom Nabel abwärts, und Atlan sah mit steigendem Unbehagen, daß seine Füße durchsichtig zu werden begannen. Merkwür digerweise lief dieser Prozeß in Schichten ab – als erstes war Atlans Schuhwerk ver schwunden, jetzt konnte er das Geflecht der Adern unter der Haut bewundern. Indes spürte er keinen Schmerz, und aus der Tatsa che, daß kein Blut floß, folgerte der Arkoni de, daß es sich um einen mehr optischen als physiologischen Prozeß handelte. »Weiter!« Atlan konnte den Befehl des Spercoiden offiziers deutlich hören. Geräuschvoll pol terten die Spercotisierten aus dem Maschi nensaal. Atlan schielte wieder nach unten. Von seinen Füßen waren nur noch die Knochen zu sehen. Der Anblick schlug auf den Magen. Atlan sah zu, daß er aus diesem Versteck herauskam, bevor er sich vollstän dig auflöste. Die Verschlußklappe fiel herab, als Atlan sie losließ. Mit beiden Händen griff der Ar konide nach den Rändern der Öffnung und spannte die Muskeln an. Leicht und mühelos glitt er aus dem Versteck. »Alle Wetter!« staunte der Arkonide. Der Effekt, den sein merkwürdiges Ver steck hervorgerufen hatte, hielt an. Mit ge mischten Gefühlen sah der Arkonide, wie sich seine Knochenfüße über den Boden be wegten. Vom Nabel bis zu den Knien war das nackte Fleisch zu sehen, Muskeln und Sehnen. Von den Knien abwärts war nur noch das Skelett zu erkennen. Der Arkonide hatte keine Zeit, sich über seinen Zustand Gedanken zu machen. Auch wenn er den hinlänglich bekannten Schloß
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gespenstern ähnlich zu sehen begann, würde das die Spercoiden nicht aufhalten. Immerhin machten die Knochen auf dem Stahlboden kein Geräusch. Es kam auch nicht zu einem unmittelbaren Kontakt zwi schen Knochen und Stahlboden. Für einen Außenstehenden mußte es so aussehen, als schwebte der Arkonide einige Zentimeter über dem Boden. Der Gang war leer, stellte Atlan fest, nachdem er das Schott geöffnet hatte, durch das die Spercoiden den Saal betreten hatten. Der Arkonide grinste zufrieden. Die Lage sah nicht schlecht aus.
* »Der Flüchtling handelt nach Plan.« Der Kommandant nickte zufrieden. Der Fremde hatte sich als logisch denkendes Wesen entpuppt. Seine Flucht entsprang zwar zweifelsohne irrationalen Beweggrün den, aber er war auch zu logischen Denkstrukturen fähig. Das bewies das Ma növer, sich durch die Reihen der Verfolger zu schleichen und in deren Rücken zu gelan gen. Zu der Einsicht, daß ein so naheliegen der Trick von den Häschern vorauskalkuliert und durch Gegenmaßnahmen aufgefangen werden konnte, reichte es bei dem Fliehen den indes nicht. Er war – so lautete die still schweigende Schlußfolgerung des Komman danten – zwar intelligent, aber nicht genug, um einem Spercoiden geistig gewachsen zu sein. Der Kommandant hatte mit diesem Er gebnis gerechnet – im Grunde konnte über haupt kein Wesen einem Spercoiden geistig gewachsen sein. »Bewegungsrichtung?« »Nach Plan, Kommandant.« Wenn der Kommandant einer Irrationali tät fähig gewesen wäre, hätte er sarkastisch gelächelt. So stellte er nur fest, daß sein Denk- und Entscheidungsmodell sich einmal mehr als richtig erwiesen hatte. Die Ereignisse der nächsten Stunden lie ßen sich ebenfalls vorherkalkulieren.
* Atlan verlangsamte das Tempo seiner Flucht. Er hatte mittlerweile zwei Spercoiden-Strei fen ausweichen, müssen und war nach seiner Schätzung mindestens zwei- bis dreihundert Meter von den Postenketten entfernt, die die Stahlfestung nach dem Arkoniden durch kämmten. Vorläufig also war der Arkonide in Sicherheit. Das diese Sicherheit ein arg relativer Begriff war, war dem Arkoniden bewußt. Im Grunde war er seines Lebens so sicher wie ein gerade zum Tode Verurteilter – innerhalb der nächsten Stunden würde es ihm mit Sicherheit nicht ans Leben gehen. Danach aber … Der Arkonide schnellte zurück wie eine Stahlfeder. Er hatte von dem verlassenen Gang abbie gen wollen und gerade noch rechtzeitig er kennen können, daß vor einer Tür zwei Spercoidenroboter als Wachen aufgezogen waren. Regungslos standen die beiden Kampfmaschinen auf dem Gang, zwischen ihnen war eine stählerne Tür zu erkennen. Anders als organische Wachen verspürten die beiden Roboter keine Langeweile. Sie sahen sich nicht ab und zu einmal um. Nur dieser Tatsache hatte es der Arkonide zu verdanken, daß er nicht gesehen worden war. Der Arkonide lehnte sich an die Wand und dachte nach. Er kannte nur einen sehr kleinen Teil der Stahlfestung, aber bisher war er noch nir gendwo auf Wachen gestoßen, jedenfalls nicht auf Posten, die vor irgendeiner Tür standen. Was also gab es da zu bewachen? Sofort drängte sich dem Arkoniden der Verdacht auf. Bewacht wurden entweder Gefangene oder besonders wichtige Persön lichkeiten. Hinter der Tür, überlegte sich At lan, saß entweder ein potentieller Verbünde ter, ein Mitgefangener, oder der Komman dant der Stahlfestung. Wenn es ihm gelang,
Die Stahlfestung
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den Kommandanten … Atlan schielte kurz um die Ecke. Die beiden Roboter standen günstig. Er konnte mit einem gezielten Schuß den ersten Roboter zerstören und den zweiten zumin dest in seiner Kampfkraft stark beeinträchti gen. Es fragte sich nur, ob der Gebrauch von Waffen ratsam war. »Du sitzt ohnehin in der Tinte«, kommen tierte der Extrasinn trocken. »Auf einen klei nen Fehler mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an!« Der Arkonide hob die Waffe. Ein Satz brachte ihn mitten auf den Gang. Er krümm te den Finger.
* »Robotfalle I vollständig zerstört«, wurde dem Kommandanten gemeldet. »Die zweite Maschine ist reparaturfähig aber einstweilen nicht einsatzbereit.« Der Kommandant sagte nichts. Er hatte mit diesem Ergebnis gerechnet. Er wußte auch schon, was sich in den nächsten Augenblicken abspielen würde.
* Von dem ersten Robot war nicht mehr ge blieben als ein dampfender Metallkuchen, der zweite lehnte an der Wand und, ruderte mit einem verstümmelten Waffenarm in der Luft herum. Krachend schlug er auf dem Boden auf, nachdem ihm Atlan mit einem gezielten Schuß das stählerne Kniegelenk zerschossen hatte. Der Weg war frei. Ein Knopfdruck ließ das Schott aufglei ten. Atlan betrat den Raum.
* Ein kurzer Befehl ließ den Bildschirm aufflammen. Interessiert betrachtete der Kommandant das Bild. Verwundert stellte er fest, daß es nicht zu den Szenen kam, die er sich ausgerechnet hatte.
Irgend etwas an den Kalkulationen des Kommandanten war offenkundig falsch.
* Nein, dieses Wesen war mit Sicherheit nicht der Befehlshaber der Stahlfeste. Dieses Wesen war vielleicht ein Haustier, vielleicht aber auch – die Bewachung bekräftigte die sen Verdacht – ein Gefangener der Spercoi den; oder eine Gefangene, denn wohin die ses Wesen einzuordnen war, blieb vorläufig rätselhaft. Rasch nahm Atlan die wichtigsten Einzel heiten auf. Der Vergleich war vielleicht etwas anzüg lich, aber er stimmte einigermaßen – das Wesen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Flasche. Am unteren, dem dickeren Ende sah Atlan zwei sehr kurze Beine mit Tellerfüßen. Ein Sprinter war der Gefangene folglich nicht. Mit den Händen mußte er da gegen erheblich besser umgehen können. Atlan erkannte lange und kräftige Arme mit Greifhänden. Er zählte acht Finger, die einen sehr beweglichen Eindruck machten. Wahr scheinlich war der oder das oder die Fremde – der Arkonide wollte sich da, übler Erfah rung eingedenk, nicht festlegen – ein äußerst geschickter Rangier und Kletterer. Weitere Einzelheiten wurden dem Blick allerdings entzogen. Das Wesen trug eine gelbe Kleidung, die den größten Teil des Körpers verhüllte. Diese Kleidung wirkte ziemlich steif und fest, wie eine Art Schale. Nicht bedeckt wurden die Beine, die Arme – dort konnte Atlan feststellen, daß die wirkli che Haut des Fremden dunkelbraun war – und der Kopf. Jedenfalls nannte Atlan so einen breiten Ring, der um den Hals der Fla sche lief und offenbar mit einigen undefi nierbaren Sinnesorganen besetzt war. Unterhalb dieses Organrings besaß der Fremde eine Membran, mit der er Töne er zeugen konnte – ein leises Fiepen, mit dem der Arkonide nicht das geringste anfangen konnte. »Wer oder was bist du?« fragte der Arko
36 nide. Das Fiepen hielt an, wechselte aber die Klangfarbe, als der Arkonide den Fremden nicht länger mit der Waffe bedrohte. Das Wesen besaß also Intelligenz. Darauf deute te auch die Tatsache hin, daß der Fremde an gekettet war. Die Spercoiden trauten dem Wesen also nicht. Die Schlußfolgerungen aus diesen Tatsa chen lagen auf der Hand. Die dunkelbraune Flasche war ein poten tieller Verbündeter des Arkoniden, ein Ver bündeter allerdings, mit dem Atlan verzwei felt wenig anzufangen wußte. Der Arkonide wiederholte seine Frage. Er benutzte dazu das Idiom der Spercoiden, auch wenn ihm das nicht leichtfiel – jetzt machte es sich störend bemerkbar, daß Atlan keinen Spercoiden-Anzug mehr trug. Der Fremde beantwortete Atlans Frage mit ei nem wilden Gestikulieren. Kettengeklirr mischte sich in die Stimme des Fremden, die wie eine übergeschnappte Piccoloflöte klang. Atlan unternahm einen weiteren Anlauf. Der Extrasinn verzichtete auf eine sarkasti sche Bemerkung; der Arkonide wußte auch ohnedies, daß es sich entsetzlich anhörte, als er in höchstem Falsett eine Frage formulier te. Auch auf diese Gewaltkur für die Stimm bänder reagierte der Fremde nicht. Atlan hielt inne. Er sah ein, daß seine Verständigungsver suche zum Scheitern verurteilt waren. Er hatte zwar dank seines Extrasinns eine bes sere Ausgangsposition als jeder andere, aber das half in diesem Zusammenhang nicht viel. Theoretisch war der Extrasinn in der La ge, die halbe Arbeit eines positronischen Translators zu übernehmen, dank der Kom bination von fotografischem Gedächtnis und Logiksektor. Voraussetzung dafür aber war, daß der Dateninput – also das, was das je weilige Gegenüber von sich gab – ebenfalls nach logischen Gesichtspunkten aufgebaut war. Zu Beginn eines Gesprächs zwischen
Peter Terrid zwei Fremden wurden für gewöhnlich be stimmte Grußformeln ausgetauscht, dann die Namen der Sprecher und dergleichen mehr. Dieses »Ich Tarzan, du Jane«-Verfahren funktionierte naturgemäß nicht mehr, wenn einer der beiden Gesprächspartner nichts Wichtigeres kannte als die letzten Sporter gebnisse. Mit dem, was der Gelbbraune von sich gab, konnte Atlan jedenfalls nichts anfan gen. Mentalität, biochemischer Haushalt, Charakter – der Fremde war grundverschie den von allem, was Atlan kannte. Ein brauchbarer Kontakt hätte den Einsatz von Rechnern notwendig gemacht – vor allem aber Zeit gekostet. Und Zeit war das, woran es dem Arkoniden am meisten ermangelte. Der Arkonide überlegte, was aus der Lage zu machen war. Natürlich hätte er den seltsamen Gefange nen befreien können. Aber was stellte dieser Fremde dann an? Vielleicht – auszuschlie ßen war die Möglichkeit nicht – begann er einen Amoklauf, und bei aller Abneigung gegen die Gefühlskälte der Spercotisierten war dem Arkoniden dennoch nicht daran ge legen, ein Blutbad zu veranstalten. »Was fange ich nur mit dir an, alter Freund«, murmelte Atlan ratlos. Er dachte fieberhaft nach, aber er kam zu keinem Schluß. Daß der Fremde angekettet war, deutete darauf hin; daß er gefährlich war – durfte man ihn dann auf die Spercoi den loslassen? Auf der anderen Seite konn ten dem Arkoniden Gefährten, vor denen die Spercoiden Angst verspürten, nur recht sein. Er entschloß sich, der Entwicklung ihren Lauf zu lassen. Er wollte den Fremden be freien – was sich dann zutrug, lag nicht mehr in seiner Hand. Der Fremde konnte sich dem Arkoniden anschließen, er konnte aber auch auf eigene Faust die Stahlfestung unsicher machen. Atlan hob die Waffe, um die Ketten zer schießen zu können. Er kam nicht mehr dazu abzudrücken. Er sah noch wie der Fremde angsterfüllt zurückwich, offenbar, weil er Atlans Bewe
Die Stahlfestung
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gung mit der Waffe fehldeutete. Dann aber explodierte irgend etwas an oder in seinem Schädel und stieß ihn in die undurchdringli che Schwärze einer Bewußtlosigkeit.
* Der Arkonide stand aufrecht, von zwei Kampfrobotern gehalten. Sein Gegenüber nannte sich Warscon. Der Spercoide war der Kommandant der Stahlfe stung. Dieser Warscon kannte keine einladenden Gesten. So paradox es sich anhörte, er wirk te, verglich man ihn mit seinem robotischen Double, härter, kälter als die Maschine. Der Warscon-Roboter war fast ein ausgesproche ner Gemütsspercoide, stellte man ihn neben sein lebendes Original. Irgendwie erwartete man fast, um die Füße des Spercoiden eisi gen Nebel wehen zu sehen. »Wer bist du, was bist du, wie kommst du hierher, was hast du hier zu suchen.« Die Fragen kamen wie Pfeile aus Eis her übergeschossen. Sie wirkten wie ein Hagel schlag. Dieser Warscon übertraf seine Art genossen noch an Härte und Unerbittlich keit. Der Arkonide antwortete langsam. Er hatte behauptet, ein Gefangener der Spercoiden vom Stützpunkt Karoque zu sein. Von dort aus sei ihm die Flucht gelun gen. Zu seinem Leidwesen sei er aber nicht auf seiner Heimatwelt gelandet, das Schick sal habe ihn vielmehr nach Marsocc ver schlagen. Bei allen bisherigen Verhören war Atlan bei dieser Geschichte geblieben, und diese Verhöre waren alles andere als angenehm gewesen. Die Spercoiden waren zwar nicht gerade die besten Folterer, die der Arkonide je erlebt hatte – diesen zweifelhaften Ehren preis verdienten andere – aber für die Ge fühle des Lordadmirals reichte der Sadismus der Spercotisierten vollauf. Vor allem waren sie rücksichtsvoll genug, ihn nie so zu schinden, daß er bleibende Verletzungen davontragen konnte. Die Aus
sicht, eines Tages werde die Folter dadurch ein Ende finden, daß er keinen Knochen mehr zum Brechen habe, war dem Arkoni den schon beim ersten Verhör genommen worden. Im Gegenteil, Warscon hatte dem Gefangenen unmißverständlich klargemacht, daß die Spercoiden in dieser Beziehung über eine schier unerschöpfliche Geduld verfüg ten – sie würden ihn foltern, bis er gestand, notfalls jahrelang. »Gestehe, du bist ein Spion der Borgs!« Warscon stellte immer wieder die gleichen Fragen. Bereits nach zwei Verhören war dem Arkoniden klargeworden, daß seine Zu kunft feststand – Warscon stellte an jedem Tag die gleichen Fragen, bekam die gleichen Antworten und verordnete die gleichen Fol termaßnahmen. Es lag einzig an dem Arko niden, aus dieser Routine, an die nur er sich nie gewöhnen würde, auszubrechen, indem er ein Geständnis ablegte. Was für eine Be handlung man ihm angedeihen lassen würde, wenn er zugab, ein Spion der Borgs zu sein, stand auf einem anderen Blatt. »Ich bin kein Spion der Borgs!« wehrte sich der Arkonide. Zu seiner Überraschung wich Warscon vom üblichen Schema ab. Er gab nicht, wie er es bei früheren Verhören getan hatte, den Befehl, daß sich einige seiner Untergebenen des Arkoniden annahmen. »Ich glaube dir«, sagte Warscon. Der Ar konide glaubte, seine Ohren versagten den Dienst. »Du hättest dich anders verhalten müssen, wärest du ein Spion der Borgs. Deine Be gegnung mit dem Borg hätte ganz anders ausfallen müssen.« Begegnung mit dem Borg? Atlan entsann sich nur einer Begegnung in der letzten Zeit – seiner Begegnung mit dem flaschenähnli chen Wesen in der Zelle. War die Flasche ein Borg gewesen? Wenn das zutraf, dann war durchaus ver ständlich, warum sich Borgs und Spercoiden so wenig verstanden – auch ihre Metabolis men wichen erheblich voneinander ab, vor ausgesetzt allerdings, die Spercoiden sahen
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Peter Terrid
so aus, wie Atlan sie vermutete. Zugleich aber zerschlug sich für den Ar koniden eine Hoffnung. Mit Hilfe von Sei ten der Borgs konnte er nun nicht mehr rech nen – auch für die Gegner der Spercoiden war der Arkonide ein Fremder. »Schafft ihn fort!«
8. Der Arkonide stellte den Behälter auf das Regal und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war drückend heiß in dem Raum. Das war nicht weiter verwunderlich, denn in die sem Magazin gab es keine Lüftung. Eine Klimaanlage hätte radioaktives Material in die Außenwelt geblasen. Der Arkonide besaß kein Strahlenmeßge rät. Er wußte nur, daß der Raum, in dem er arbeitete, hochgradig verseucht war. In dem Magazin bewahrten die Spercoiden veraltete oder verbrauchte Brennelemente für Spal tungsreaktoren auf, außerdem lagen noch die Trümmer einiger atomarer Bomben herum, zu deren Zündung ebenfalls hochradioakti ves Material gebraucht wurde. Der Arkonide griff wieder zu. Der Behälter war aus Blei. Als ob das noch etwas genutzt hätte! Wäre radioaktive Strahlung sichtbar gewesen, der Raum hätte vor Helligkeit gestrahlt. Zur Kennzeichnung dieser Strahlung gab es praktisch nur ein Wort – mörderisch. Und dabei stimmte auch die in mörderisch enthaltene Bedeutung, daß hier mit Vorsatz gearbeitet wurde. Die Sper coiden waren alles andere als dumm – sie wußten ganz genau, daß kein lebendes We sen über längere Zeit eine solche Strahlungs dosis ertragen konnte, ohne dabei Schaden zu nehmen. Atlan ahnte, daß die Strahlung so hoch war, daß sie früher oder später zu seinem Tod führen mußte. »Die Pest an euren Hals«, wünschte der Arkonide, als er mit dem schweren Bleige fäß an der Kamera vorbei kam. Die Spercoi den ließen ihn beobachten, sei es um einen unwahrscheinlichen Fluchtversuch vereiteln
zu können, sei es, um rechtzeitig ihre Liste von strahlenverseuchtem Abfall um die Po sition eines an Radioaktivität verstorbenen Sklaven zu bereichern. Atlan hatte in Interkosmo die Verwün schung ausgestoßen, obwohl er sich sagte, daß die Spercoiden ohnehin nicht auf seine Temperamentsausbrüche reagieren würden. Was aus dem Gefangenen – Atlan war sich nicht ganz sicher, wie er verbucht wurde – in den nächsten Tagen wurde, interessierte die Spercoiden ohnehin nicht. Was den Ar koniden fast noch mehr ärgerte als die Tat sache, daß man seinen Tod einfach einkal kulierte, war die völlige Gleichgültigkeit, mit der die Spercoiden verfuhren. Daß man einen Gegner tötete, war allgemein verbrei tet. Daß man ihn quälte, galt als üblich, daß man ihn wirtschaftlich ausnützte, war die Regel. Aber all dies setzte voraus, daß es zwei Parteien gab, die einander bekämpften, die sich haßten. Atlan haßte die Spercoiden nicht, noch nicht. Er hatte den Spercotisier ten nichts getan – warum also mußte er in dieser Strahlenhölle arbeiten? Warum ver wendeten die Spercoiden keine Roboter für diese Aufräumungsarbeiten? Galt der Arkonide den Spercoiden viel leicht weniger als eine Maschine? Für die Arbeiten, die Atlan aufgebürdet worden waren, brauchte man an Robotern nur das Primitivste. Die Aufgabenstellung war simpel – es kam praktisch nur darauf an, sicher zuzugreifen und genügend Kraft auf zubringen. Zur Lösung dieser Probleme brauchte man nicht einmal Positroniken – dazu reichten Maschinen, die mit echten Ro botern nur noch den Namen gemein hatten. Eine solche Maschine hätte obendrein, da sie keinerlei Ermüdung kannte, die anste henden Aufgaben schneller und auch billiger gelöst. Der Arkonide kam sich vor, als sei er oh ne ersichtlichen Grund in ein Gespann Schlittenhunde gesteckt worden, wo er im Grunde nichts zu suchen hatte und überflüs sig war. »Lumpen!« knurrte Atlan, als er zurück
Die Stahlfestung kehrte. Der Inhalt des Bleigefäßes – eine hochak tive Flüssigkeit – ruhte jetzt auf dem Boden eines Schachtes, der ungefähr drei bis vier Kilometer in die Erde reichte. Daß etwas von dieser Flüssigkeit überschwappte und auf Atlans Kleidung geflossen war, daß die Luft so ionisiert war, daß sich der Arkonide allenthalben kleine elektrische Schläge ein fing, daß ein Geiger-Müller-Rohr in diesem Raum nicht mehr getickt, sondern gerattert hätte … daß mithin die Maßnahme der Sper coiden viel zu spät kam und obendrein wir kungslos war, das heizte die Wut des Arko niden immer wieder an. Die Flüssigkeit stand in einem Bottich, kniehoch. Das Gebräu schillerte in allen Farben des Spektrums, und was aus dem brodelnden Gemisch in die Höhe stieg, war ein Faust schlag von Gestank. Dem Arkoniden war bei dieser Ausdünstung mehrfach übel ge worden. Wußten die Spercoiden vielleicht, wie diese Zusammenstellung von optischen, akustischen und Geruchseindrücken auf den Arkoniden wirken mußte? Kannten sie die Psyche ihres Opfers? Atlan konnte sich das nicht vorstellen. Woher hätten die Spercoiden etwas von dem unbändigen Stolz des Arkoniden wissen sol len. Ein ehemaliger Kristallprinz und Impe rator von Arkon – degradiert zum Reiniger einer radioaktiven Latrine von Molchen. Die Kombination war das Perfideste, das sich der Arkonide vorstellen konnte. Er konnte zwar nicht glauben, daß die Spercoiden vor gehabt hatten, ihn auf diese Weise zu demü tigen, aber das nahm dem ganzen Vorgang nichts von seiner Schändlichkeit. Als der Bleibottich gefüllt war, wuchtete der Arkonide das Gefäß mit lautem Ächzen auf die Schulter, dann setzte er sich in Be wegung. Umständlich stieg er aus dem Bot tich, eine glitschige Treppe hinab, auf der er schon dreimal ausgerutscht war. Ihm war al lerdings erspart geblieben, daß die Spercoi den bei diesem Anblick lachten – zum einen,
39 weil sie ohnehin nie lachten, zum anderen, weil Atlan seine Peiniger nicht sehen konn te. Nach der Treppe waren sechsundachtzig Schritte zu machen. Der Arkonide hatte sie gezählt. Beim fünfzigsten Schritt war ein stählerner Pfeiler in der Nähe einer Kamera erreicht. Dort pflegte sich Atlan sekunden lang gegen den Pfeiler zu lehnen, ein freund liches Gesicht zu machen und ein heiteres Lied zu pfeifen. Nach Munterkeit war ihm bei diesen Ge legenheiten zwar nicht zumute, aber er woll te den Spercoiden zeigen, daß ein ArkonImperator nicht so leicht in die Knie zu zwingen war. Daß ein Gutteil dieser An wandlungen auf die typische Sturheit seiner terranischen Freunde zurückging, die er sich in zehn Jahrtausenden angewöhnt hatte, zählte in diesem Zusammenhang nicht. Nach der kurzen Pause am Pfeiler, die At lan dazu nutzte, die Last von einer auf die andere Schulter zu verlagern, ging es dann sechsunddreißig mühsame Schritte auf das Loch im Boden zu, das groß genug war, um nicht nur die faulige Brühe und den Bleibe hälter zu schlucken. Die Öffnung war so be messen, daß darin auch der Transporteur Platz fand. Bereits einige Male war der Ar konide auf dem glitschigen Boden ausge rutscht und hatte sich in dem Schacht wie dergefunden – perfiderweise lag das Schutz gitter eine halbe Mannslänge unterhalb der Schachtöffnung. Auch diesmal mußte der Arkonide sich erheblich anstrengen, um nicht das Gleich gewicht zu verlieren und einmal mehr in den Schacht zu rutschen. Die Brühe, die er be fehlsgemäß in diesen Schacht zu entleeren hatte, stank nicht nur grauenerregend, sie war auch ausgesprochen fettig. Bei jedem Schritt schwappte etwas über und landete auf dem Boden, der auf diese Weise nach kurzer Zeit zu einer Rutschbahn wurde, auf der im Gleichgewicht zu bleiben erhebliche Kräfte und Mühen kostete. Sechsundachtzig Schritte hin, sechsun dachtzig Schritte zurück. Mehr als einhun
40 dert Mal am Tag mußte der Arkonide diese Strecke zurücklegen, bei jedem Mal zumin dest von der Last des Bleigefäßes beschwert. Ein Plastikeimer hätte den gleichen Dienst getan, war aber nicht im Sinne der Spercoi den. »Aufhören!« Der Arkonide blieb abrupt stehen. Dreimal am Tag meldeten sich die Sper coiden. Sie weckten ihren Arbeitssklaven, sie gestatteten ihm eine Mittagspause, und sie erlaubten ihm abends nach dem Befehl zum Aufhören erschöpft zusammenzubre chen. Längst hatte Atlan sein Zeitgefühl verlo ren. Sein Leben wurde durch die Befehle der Spercoiden geregelt. Es war unglaublich, wie rasch man sich an diese Tretmühle ge wöhnte, wie wenig Zeit verging, bis man zum stumpfen Arbeitstier verfiel, das kaum mehr in der Lage war, über sich selbst und seine Umwelt nachzudenken. Ächzend sank der Arkonide auf den Bo den, langsam, um die schmerzenden Mus keln zu schonen. Im Futterkorb – eine ande re Bezeichnung wäre ein blanker Euphemis mus gewesen – erschien ein Stück jener zä hen, modrig schmeckenden Masse, mit der Atlan abgefüttert wurde. Am ersten Tag hat te der Magen des Arkoniden noch rebelliert – derartige Zumutungen hatte er bisher noch nicht zu ertragen gehabt – dann aber hatte der Hunger gesiegt. »Du mußt etwas unternehmen«, drängte der Extrasinn. Gierig schlang der Arkonide das erste Stück Nahrung hinab. Auf den Impuls des Extrasinns reagierte er nicht. Was hätte er auch unternehmen sollen? Waffenlos, bis an den Rand des körperlichen Zusammen bruchs geschunden? Eingesperrt irgendwo in der kilometergroßen Stahlfestung, umgeben von Zehntausenden von Spercoiden, die kei ne Zehntelsekunde zögern würden, ihn wie Ungeziefer zu vernichten. Unter diesen Um ständen an Flucht zu denken, verbot sich von selbst. Und doch tat Atlan in den wenigen Au-
Peter Terrid genblicken, in denen er seine Gedanken zu sammenfassen konnte, nichts anderes. Er dachte nur an Flucht. Der Arkonide war viel zu oft eingesperrt gewesen, um nicht zu wis sen, daß es überall eine Chance gab. Man mußte nur aufpassen, Geduld haben, auf den richtigen Augenblick lauern. Wer wußte schon, daß es nicht jener Ca sanova gewesen war, dem als erster etwas angeblich Unmögliches gelungen war – die Flucht aus dem Stadtgefängnis von Venedig, den berüchtigten Bleikammern. Allerdings hatte der Arkonide dafür gesorgt, daß sein Ausbruch nicht ganz so spektakulär verlau fen war. Es hatte in der Geschichte der Men schen viele Gefängnisse gegeben, die als ab solut ausbruchsicher galten, und das zu Zei ten, da die Gefängniswärter Leuteschinder waren und nicht Sozialarbeiter, da das Le ben eines Gefangenen nichts galt. Atlan kaute langsam. Wenn er in dieser Gestankhölle zu schnell aß, revoltierte sein Magen. Irgendwo mußte es eine Methode geben, dieser Hölle zu entrinnen. Davon war der Arkonide fest überzeugt. Er mußte nur den Trick herausfinden. Als er den letzten Bissen gegessen hatte, war er der Lösung seines Problems schon er heblich nähergekommen. Daß er noch lebte, verdankte er neben sei ner Zähigkeit vor allem dem Zellaktivator. Ohne dieses Geschenk des Fiktivwesens von Wanderer wäre der Arkonide längst gestor ben. Die Spercoiden wußten, daß kein We sen diese Schinderei lange ertragen konnte. Was sie Atlan zumuteten, war eine Hinrich tung auf Raten. In ihrer Kalkulation aber konnte es keinen Zellaktivator geben. Von der Wirkung die ses Geräts wußten die Spercoiden nichts. Wenn also am nächsten Morgen … Der Arkonide überlegte sehr sorgfältig jeden Schritt, und als er schließlich einschlief, stand sein Plan fest.
*
Die Stahlfestung Das Einschlafen war unter den Umstän den, unter denen der Arkonide lebte, kein Hinüberdämmern in den Schlaf, es glich vielmehr dem jähen Abgleiten in einen bo denlosen Abgrund. Auch das Erwachen glich eher dem Wiederauftauchen aus einer Ohnmacht. Der Arkonide hörte das Gellen des Wecksignals in seinen Ohren und richte te sich langsam auf. »Anfangen!« sagte der Spercoide aus dem Lautsprecher. Es knackte leise, als er die Verbindung trennte. Atlan wußte, daß man ihm nun ein paar Augenblicke Zeit lassen würde. Wenn er danach nicht an der Arbeit war, setzte es Elektroschocks, die von Minu te zu Minute an Intensität zunahmen. Ir gendwann wurde dann auch der Bockigste brav und fügsam. Atlan griff nach dem Bleibottich und wankte zu dem Bassin hinüber. Auf geheim nisvolle Weise war das Becken in der Schlafperiode aufgefüllt worden. Es hätte den Arkoniden nicht gewundert, hätte am Ende des Schachtes eine Pumpe gestanden, die die radioaktive Brühe in den Behälter zurückpumpte. Lautstark ächzend und schnaufend füllte der Arkonide das Gefäß, wuchtete er den Bleibehälter auf die Schultern. Um ein Haar wäre er gefallen, als er unsicher aus dem Becken stieg. Anders als sonst marschierte er nicht zielstrebig zu dem bekannten Pfeiler hinüber. Er torkelte, schwankte, geriet aus der Richtung. Als er endlich den Pfeiler erreicht hatte, sank er langsam an dem Metall zu Boden. Er hatte die Augen verdreht, aber noch hielt er den Bottich. Kleine Funken knisterten auf der bewegten Oberfläche. Die Spercoiden machten sich nicht die Mühe, den Arkoniden zu ermuntern. Atlan konnte sehen, wie der Projektor sein Ziel er faßte. Die Spercoiden warteten einen kurzen Augenblick lang, dann ließen sie eine knat ternde Entladung zu dem Arkoniden hin überzucken. Es tat höllisch weh, und dies um so mehr, als der Arkonide den Schock provoziert hat
41 te und bewußt darauf hatte warten müssen. Er schrie gellend auf. Unter der Wirkung des Elektroschocks streckte sich sein Körper. Er flog förmlich dem Projektor entgegen. Mit aller Kraft stieß Atlan den schweren Bleibehälter von sich. Er konnte nicht sehen, was sich abspielte. Er spürte nur, wie er auf dem Boden auf prallte, danach gebot ihm sein Plan, reglos auf dem Boden liegenzubleiben. Er hörte aber, wie der Bleieimer gegen das Objektiv der Kamera prallte. Das Bersten des Glases klang geradezu lieblich in seinen Ohren. Se kundenbruchteile danach hörte er, wie ein Stromstoß aus dem Projektor sein Ziel ver fehlte. Durch das radioaktive Material, das von Projektor und Kamera tropfte, war der Schockstrahl abgelenkt worden. Atlan konn te am Geschrei der Spercoiden hören, wie sich der Strahl einen neuen Weg bahnte. Wahrscheinlich schmolz er in der Beobach tungsstation einige Leitungen zusammen. Das Geschrei der Spercoiden jedenfalls ver stummte abrupt. Jetzt erst wagte sich der Arkonide wieder zu bewegen. Mit einem Blick stellte er fest, daß er nicht mehr gesehen werden konnte. Die Ka mera an der Decke hatte nur noch Schrott wert, und die Spitze des Projektors zielte auf die Decke. Atlan grinste zufrieden. Er holte sich den schweren Eimer aus Blei zurück, dann stellte er sich neben der Tür auf, der einzigen, die in diesen Saal führte. Er war sicher, daß die Spercoiden jemanden schicken würden, der die Anlage in Ordnung zu bringen hatte. Besonders fatal wäre das gewesen, hätten die Spercoiden ausgerech net ihren Borg-Gefangenen dazu abgeteilt – auf eine lange Diskussion mit dem Flaschen wesen hätte sich Atlan nie einlassen dürfen. »Prachtvoll«, freute sich der Arkonide. Draußen schepperte etwas. Gleisketten waren zu hören, dazu ein unüberhörbares Kreischen und Quietschen. Das Schott glitt auf. Atlan hielt den Atem an. Der Bleieimer ging in die Höhe.
42 Der Robot blieb einfach stehen, als das Blei auf seinen metallenen Schädel herabs auste. Das Werkzeug fiel der Maschine aus den Greifern und bildete vor seinen Ketten einen Haufen. Der Schlag ließ den Arkoniden vor Schmerz stöhnen. Er hatte das Gefühl, als habe er sich die Schultergelenke ruiniert. Der Robot drehte sich langsam herum. Daß er dabei seine Spezialwerkzeuge und ei ne nagelneue Kamera zerquetschte, schien er nicht wahrzunehmen. Ein Greifarm schoß vor und bekam den Bleieimer zu fassen. Leicht verwirrt starrte der Arkonide auf den Robot, der den Eimer in den metallenen Händen zu drehen begann und sorgfältig be äugte. Er kümmerte sich nicht länger um die Maschine. Ihre Bewegungen verrieten, daß das Gehirn des Robots hochgradig gestört sein mußte. Atlan konzentrierte sich einen Augenblick lang. Bei den Verhören, seiner Flucht und als man ihn zu seiner »Arbeitsstelle« ge bracht hatte, hatte der Arkonide einiges von der Stahlfestung zu sehen bekommen. »Nach links«, informierte ihn der Extra sinn. Vor seinem geistigen Auge entstand für kurze Zeit eine grobe Karte der Stahlfe stung. Wenn die Angaben stimmten, dann hatte er eine relativ gute Chance, das Freie zu erreichen. Wegen der starken radioakti ven Strahlung lag der Arbeitsplatz des Arko niden in den Randgebieten der Festung. »Achtung!« Einen Augenblick lang konnte der Arko nide mit dem Impuls des Extrasinns nichts anfangen. Dann aber erkannte er den Robo ter. Er hielt den verbeulten Eimer in der Hand und setzte sich in Bewegung. Es sah ganz danach aus, als trachte er danach, Glei ches mit Gleichem zu vergelten. Atlan zuckte zusammen, dann drehte er sich um und begann zu traben. Er wußte, daß sein Schädel erheblich weniger stabil war als der Metallkopf des Robots. Ein Schlag, wie ihn der Robot klaglos verdaut
Peter Terrid hatte, mußte den Arkoniden auf der Stelle töten. »Verschwinde!« rief der Arkonide dem Robot zu. Der Extrasinn kommentierte die sen Ausruf mit einem gequälten Seufzer. Atlan begann zu laufen. Es war erstaun lich, wozu sein ausgepumpter Körper noch in der Lage war. Wahrscheinlich lag es an der Wirkung des Zellaktivators, daß er es noch zu einem erstaunlich flotten Tempo brachte. Der Robot blieb zurück. Diesem Tempo war er nicht gewachsen. Er dachte allerdings nicht daran, die Verfolgung aufzugeben. Mit quietschenden Gleitketten setzte er dem Ar koniden nach. Den Eimer aus Blei schleppte die Maschine getreulich mit. Atlan hatte keinerlei Interesse daran fest zustellen, ob der Robot ihm den Eimer schenken oder über den Schädel ziehen wollte. Seine Aufmerksamkeit galt anderen Dinge. Er brauchte eine Waffe, unbedingt. Das Leben auf Marsocc würde auch in der freien Landschaft keineswegs angenehm sein. Ohne Waffe sah sich der Arkonide vor eine Situation gestellt, die er aus seiner Ver gangenheit nur zu gut kannte – ohne auch nur das geringste technische Hilfsmittel ge gen eine feindliche Natur gestellt. »Der Bruder der stählernen Wölfe wird reaktiviert«, spottete er leise. Es tat ihm gut, in die Welt aus Stahl und Fels, in der er sich bewegen mußte, eine persönliche Note zu bringen – und seien es Scherze auf eigene Kosten. Dann tauchte das erste Hindernis auf. Der Spercoide oder die Spercoidin, Atlan fand nicht die Zeit, sich um den kleinen Un terschied zu scheren, lief dem Arkoniden ge nau in die Arme. Der Anzug des Grauens, wie Atlan die Spercoiden-Montur insgeheim getauft hatte, war hervorragend gearbeitet, vor allem in den Gelenken. Aber er war dennoch nicht so leicht, daß er seinen Träger überhaupt nicht behindert hätte. Der Spercoide brauchte eine knappe Zehntelsekunde mehr, um seine Gliedmaßen in Bewegung zu setzen – und
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diese kleine Spanne reichte, um die Hand kante des Arkoniden in der Halsbeuge seines Gegners landen zu lassen. Der Molch in der Rüstung sackte in sich zusammen. Atlan bückte sich hastig. Was das Geräusch besagte, das hinter ihm immer lauter wurde, wußte er, auch ohne daß er sich hätte umdrehen müssen. Der ver rückte Robot. Die Maschine gab nicht auf. »Sturkopf«, maulte der Arkonide. Der Spercoide trug eine Waffe im Gürtel. Atlan nahm den Strahler an sich, und im gleichen Augenblick begann er sich erheb lich wohler zu fühlen. Wenn es jetzt zum Äußersten kam, hatte er wenigstens noch ei ne echte Entscheidungsmöglichkeit, auch wenn diese Entscheidung lediglich den Zeit punkt seines Todes betraf. Es war dennoch ein angenehmes Gefühl zu wissen, daß er im Notfall die Möglichkeit hatte, allen Quäle reien ein Ende zu machen. Der Arkonide setzte sich wieder in Bewe gung. Bereits nach wenigen hundert Metern stieß er auf ein Hindernis, ein Schott, daß ihm den weiteren Weg versperrte. Atlan mußte nur einen Blick auf den Verschluß werfen, um zu wissen, daß er sein erstes Teilziel erreicht hatte. Dieses Schott war von ähnlich kolossalen Abmessungen wie die Pforte, durch die Atlan die Stahlfestung betreten hatte. Draußen, auf der anderen Seite des Stahls, lag die Freiheit.
9. Nervös trommelte der Arkonide mit den Fingerspitzen auf dem Meßgerät herum. Der Druck in den Pressen, die das Schott beweg ten, stieg mit nervenzerfetzender Langsam keit. Und der vermaledeite Robot mit dem Bleibottich kam immer näher. Er hatte eine kleine Pause eingelegt, um den Eimer einem Spercoiden auf den Schädel zu schmettern, den sich der Maschine unverhofft in der Weg stellen wollte. Aber dieser Zwischen fall hatte nur wenige Sekunden gedauert,
und das Schott ließ sich Zeit. Mit steigender Ungeduld wartete der Ar konide, daß der Zeiger in dem Meßinstru ment die farbig markierte Zone erreichte. Dann erst konnte er den Öffnungsmechanis mus in Tätigkeit setzen. Dieses Schott wur de offenbar nur äußerst selten benutzt. An ders ließ sich nicht erklären, warum der Ar konide es erst vorbereiten mußte, bevor es zu öffnen war. Atlan atmete erleichtert auf, als der Zeiger endlich den farbigen Bereich erreichte. Alles weitere regelte der Automat. Er brachte Druck auf die Hydraulik, er entriegelte die Verschlüsse, er ließ den Motor anlaufen, mit dessen Kraft die schweren Flügel des Schot tes bewegt wurden. Von Hand waren die tonnenschweren Metallungetüme nicht von der Stelle zu bringen. Draußen, das konnte Atlan sehr bald se hen, dämmerte es. Das war eine Überraschung für den Arko niden. Aus der Tatsache, daß er gerade erst geweckt worden war, hatte er gefolgert, daß es früher Morgen sein mußte – was er indes zu sehen bekam, war die Abenddämmerung. Offenbar war sein Zeitgefühl während der Verhöre und der unmenschlichen Arbeit ge stört worden. Der Spercoiden-Robot sagte nichts, aber er blieb dem Arkoniden auf den Fersen. At lan mußte sich förmlich durch den Spalt quetschen, der ins Freie führte, sonst hätte ihn die Maschine erwischt. »Geschafft«, murmelte Atlan. Er wußte, daß sich das schwere Tor weiter öffnen würde, daß also in wenigen Minuten auch der verflixte Robot das Freie erreichen konnte. Dennoch nahm sich der Arkonide die Zeit, erst einmal tief Luft zu schöpfen und sich dabei umzusehen. Zur linken Hand erkannte er den Raumha fen. Die Silhouetten der Schiffe hoben sich deutlich gegen den Abendhimmel ab. Vor aus und zur rechten Hand erstreckte sich ein Gebirge mittlerer Höhe. Keine der Bergspit zen war von Schnee bedeckt. Es mußte mög lich sein …
44 Der Arkonide setzte sich wieder in Bewe gung, als er neben sich einen Greifarm auf tauchen sah, der wild in der Luft herumru derte. Diese Verfolgungsjagd nahm langsam ku riose Züge an. Was den Arkoniden beson ders nervte, war die Lautlosigkeit, mit der der Robot die Jagd betrieb. Es war ein wi derliches Gefühl, von einer so primitiven, ja geradezu idiotischen Maschine gehetzt zu werden – und das nicht, weil diese Maschine für Jagdzwecke gebaut worden war. Ursache der Hatz war vielmehr ein Schaltungsfehler, eine positronische Gehirnerschütterung. Ir gendwo im Schädel der Maschine war etwas entzweigegangen. Dieser kleine Schaden reichte aus, den Arkoniden zu einem gehetz ten Wild zu machen, das einen erbarmungs losen Jäger auf seinen Fersen wußte. Die Hoffnung des Arkoniden bestand dar in, daß der Robot früher oder später die Spur verlieren mußte. Er war nicht dafür gebaut worden, flüchtigen Arbeitssklaven ins Ge birge zu folgen. Aber bis zum Gebirge war es noch sehr weit, und der Robot besaß gegenüber dem Arkoniden den unschätzbaren Vorteil, nie mals zu ermüden. Seine Energiereserven reichten sicherlich für einige Wochen, wäh rend der Arkonide früher oder später schla fen mußte. Selbst der Zellaktivator war nicht in der Lage, die Strapazen der Arbeit und die Auszehrung durch eine tagelang unaus gesetzte Verfolgung zu kompensieren. Zu allem Übel hatte das Gerät auch noch genug damit zu tun, die Schäden zu beheben, die das strahlende Material hervorgerufen hat ten. Das unebene Gelände zwischen der Stahl festung und dem Ausläufer des Gebirges kam dem Arkoniden zustatten. Die Uneben heiten waren für die Gleisketten des Robots zwar nicht unüberwindlich, hielten ihn aber auf. Atlan schlug einen flotten Trab ein. Auf einer Anhöhe blieb er einmal kurz stehen und sah sich nach seinem Verfolger um. Noch immer war ihm die Maschine auf den Fersen, und der klobige Gegenstand in den
Peter Terrid Greifhänden war vermutlich der Bleieimer, von dem der Robot sich nicht trennen woll te. Die kurze Beobachtung genügte dem Ar koniden, ihm zu zeigen, daß sein Trab ein wenig schneller war als das Tempo, das der Robot anschlagen konnte. Wenn Atlan seine Flucht in dieser Geschwindigkeit fortsetzte, mußte er bald einen genügend großen Vor sprung haben, um einen Haken schlagen zu können. Irgendein Verfahren mußte es ge ben, sich die verwünschte Maschine vom Hals zu schaffen. Der Einsatz der Waffe ver bot sich allerdings von selbst – diese ver zweifelte Maßnahme hätte nur dazu geführt, daß sich eine Tausendschaft von Spercoiden an die Arbeit machte, die der Robot dann nicht mehr erledigen konnte. »Sieh zu, daß du zum Raumhafen kommst«, gab der Extrasinn durch. Der Ar konide stutzte. Auf dem Gelände des Raumhafens wim melte es wahrscheinlich von Spercoiden. Wenn es auf Marsocc ein Gelände gab, auf dem sich Atlan nicht sehen lassen durfte – jedenfalls vorerst nicht –, dann war das der Raumhafen und die angrenzenden Gebiete. Irgendwann mußten die Spercoiden schließ lich merken, daß ihnen ein Arbeitstier ent laufen war, und dann … »Richtig!« kommentierte der Logiksektor. »Arbeitstier – man wird also nicht sehr in tensiv nach dir suchen.« Der Arkonide war sich nicht ganz sicher, ob diese Vermutung des Logiksektor stimm te, aber in bisher zehn Jahrtausenden hatte sich der Extrasinn bewährt, und mehr als einmal hatte der Arkonide sein Überleben nur einer rechtzeitigen Warnung des Extra sinns zu verdanken gehabt. »Wie die hohen Herrschaften wünschen«, murmelte der Arkonide. Es tat gut, wieder einmal eine menschliche Stimme hören zu können, auch wenn es nur die eigene war. Wieviel Zeit würde wohl vergehen müssen, fragte sich der Arkonide, bis er wieder mit Menschen zu tun haben würde – mit den Be wohnern der Erde, ihren seltsamen Gebräu chen und Gewohnheiten, ihrem oft bissigen
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Humor und dem schier grenzenlosen Opti mismus. Der Arkonide verschärfte das Tempo. Er pfiff vergnügt, als er plötzlich einen Felsspalt entdeckte. Der Riß war lang, meh rere hundert Meter, und die Ränder waren alles andere als leicht begehbar, vor allem mit Gleisketten. Tröstlich war, daß der Spalt höchstens fünf Meter breit war. »Wenn ich das nicht schaffe«, kommen tierte der Arkonide sarkastisch, »werde ich von der USO gefeuert. Diesen Sprung hätte sogar Lemy Danger geschafft – jedenfalls mit dem Mund.« Der Arkonide ging ein paar Schritte zu rück. Hinter sich erkannte er eine Staubwol ke. Der Robot kämpfte sich, allen Unbilden der Natur zum Trotz, Meter um Meter durch das unwegsame Gelände. »Viel Glück!« spottete der Arkonide. Der Anlauf reichte aus. Mit einem weiten Satz überwand der Arkonide den Spalt. Er hoffte, daß ein Wort wie Sprung in den Denkschablonen des Robots überhaupt nicht enthalten war. Traf das zu, dann war Atlan seinen Verfolger los – wenn nicht, nun, dann hatte der emsige Metalldiener mehr als ge nug damit zu tun, den Riß zu umfahren. Zu einem Fünf-Meter-Sprung war der Robot mit Sicherheit nicht fähig.
* Der Logiksektor verzichtete auf jeden Kommentar. Bemerkungen erübrigten sich auch in dieser Lage. Spercoiden-Roboter waren in der Lage, Felsspalten zu überwinden. Jedenfalls war der Roboter, den Atlan in Gedanken mit den boshaftesten Spitznamen bedachte, ihm wie der auf den Fersen. Und da Atlan sich in den letzten zwei Stunden nicht mehr um seinen mechanischen Jäger gekümmert hatte, war die Maschine sogar erheblich näher gekom men. Wie es der elende Blechkerl geschafft hatte, den Riß im Fels zu überspringen, war dem Arkoniden ein Rätsel. Atlan stieß einen Fluch aus.
Es zeichnete sich eine Hetzjagd ab, die um einiges härter und erbarmungsloser aus fallen würde, als der Arkonide sich bisher hatte träumen lassen. Gewiß, er lief vor dem Robot davon, aber wirklich ernst hatte Atlan diese Hatz bisher nicht genommen. Was war schon ein primitiver Spercoidenrobot gegen einen arkonidischen Ex-Imperator? Jetzt mußte Atlan einsehen, daß er sich verrechnet hatte. Er mußte etwas unterneh men, und das möglichst schnell. Immerhin, inzwischen war es sehr dunkel geworden. Über der Landschaft hing ein Mond, viel zu klein, um die Region auszu leuchten. Aber immerhin noch lichtstark ge nug, um Atlan seine Füße erkennen zu las sen. Seinen Widersacher konnte er mühelos sehen – bei Erreichen einer bestimmten Grenze hatte sich ein hellrotes Positionslicht eingeschaltet, das fröhlich zu dem Arkoni den hinüberblinkte. Hell erleuchtet hingegen war der Bereich des Raumhafens. Die Spercoiden hatten Tiefstrahler aufflammen lassen. Es war taghell auf dem Landefeld, und Atlan konnte Hunderte von Spercoiden sehen, die sich im Lichtkreis der Lampen bewegten und arbei teten. Aus der Ferne wirkte das Bild friedlich. Atlan hatte des öfteren ähnliche Bilder gese hen, wenn er abends … Er verdrängte den Gedanken an Terrania, an den Raumhafen, den Goshun-See, die Freunde. Seine Sorgen waren anderer Art. Da war der Robot, den der Arkonide in jeder Minute dreimal in die positronische Hölle wünschte. Und da waren die Schiffe, die von den Spercoiden gewartet, repariert, beladen und betankt wurden. Dem Robot mußte At lan entgehen, zu den Schiffen mußte er ir gendwie einen Zugang finden. Indes hatte der Arkonide nicht einmal den Ansatz einer Idee, die ihm aus seiner Klem me hinausgeholfen hätte. Er schob sich vorsichtig an das Landefeld heran. Dabei behielt er seinen hartnäckigen Widersacher stets im Auge. Der Himmel mochte wissen, wie die Maschine es fertig
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brachte, dem Arkoniden auf der Spur zu bleiben, und dies trotz aller Tricks und Fi nessen, die sich Atlan hatte einfallen lassen. »Hmm!« machte der Arkonide. Er brauchte einen Anzug, das war das Hauptproblem. Wenn er Marsocc verlassen wollte, dann nur in einem Raumschiff der Spercoiden – andere Raumer schienen hier nie zu landen. Und das ergab den Zwang, sich erneut einen Anzug zu beschaffen; wenn er sich an Bord eines Spercoiden schiffs schleichen wollte, mußte er wie ein Spercoide aussehen. An diesem Hindernis gab es kein Vorbeikommen. »Wo nehme ich einen Spercoiden-Anzug her?« rätselte Atlan. Der Robot war nähergekommen. Die La ge drängte auf Entscheidung. Es gab Sper coiden-Anzüge in Hülle und Fülle. Es gab sie in den Magazinen der Raumschiffe, jeder Spercoide trug einen – aber in die Raum schiffe kam Atlan nicht hinein, und einem Spercoiden konnte er einen solchen Anzug schlechterdings nicht abnehmen. Das hätte den sofortigen Tod des betref fenden Spercoiden zur Folge gehabt – Mord wäre die einzige angemessene Bezeichnung gewesen, hätte Atlan zu diesem Mittel ge griffen. Dieses Verfahren verbot sich dem nach von selbst. Was blieb übrig?
* »Berichte!« Der knappe Befehl des Kommandanten wurde sofort befolgt. Ein Untergebener brachte eilends die Lageberichte der einzel nen Stationen herbei. Der Kommandant las die Dokumente, aufmerksam und konzen triert. Der Stapel war beachtlich groß, und der Kommandant ließ sich Zeit. »Gibt es Neues vom Landefeld?« Ein Un teroffizier trat vor. »Der Herrscher …« Der Kommandant sah auf. »Ist ihm etwas zugestoßen?« Der Spercoide machte eine Geste der Ver-
neinung. »Er wird gerade an Bord der BESCHEI DENHEIT geführt«, meldete er. »Es gibt dort keine besonderen Vorkommnisse.« »Das will ich hoffen«, sagte der Kom mandant scharf. »Der Würdenträger eines fremden Volkes, das dem Tyrannen Sperco seinen gesamten Herrschaftsbereich fried lich übertragen will, ist von außerordentli cher Bedeutung. Der Würdenträger ist daher vorsichtig zu behandeln.« Die Spercoiden, die sich vor dem Kom mandanten der Stahlfestung aufgebaut hat ten, machten zustimmende Gesten. »Dieser Fremde«, überlegte der Komman dant. »Was ist mit ihm?« »Keine Meldungen«, mußte ein Unterge bener berichten. »Es wird bereits nachge forscht. Soll ich …« »Kein überflüssiger Aufwand«, wehrte der Kommandant ab. »Das lohnt nicht. Der Fremde kann uns nicht gefährlich werden. Er hat mit den Borg nichts zu tun. Wir wer den ihn arbeiten lassen, bis er stirbt. Auf die se Weise ist er wenigstens nützlich.«
* Es gab kein Zurück mehr. Der Robot war jetzt schon zu hören. In wenigen Augen blicken mußte er Atlan erreicht haben. »Ablenkungsmanöver!« riet der Extrasinn. Atlan hob die Waffe. Der Schuß selbst dauerte nur den Bruch teil einer Sekunde. In diesem Augenblick verging der Spercoiden-Roboter, und er tat Atlan den Gefallen, mit lautem Getöse zu explodieren. Atlan rannte los. Er hörte das Krachen der Explosion, kur ze Zeit später das Aufheulen der Sirenen. Sein Schuß hatte die Spercoiden alarmiert. Aufgeregt liefen sie durcheinander. Unruhe, Aufregung, das war das, was der Arkonide jetzt brauchte. Einzelne Spercoiden, die die glühenden Reste des Roboters sahen, eröffneten mit ih ren Waffen das Feuer auf einen Gegner, den
Die Stahlfestung sie nur vermuteten. Andere Spercoiden, die versucht hatten, sich dem Explosionsherd von einer anderen Seite her zu nähern, wähnten sich bedroht und schossen zurück. Am Rand des Landefeldes entbrannte ein erbittert geführtes Gefecht. Das Schrillen der Sirenen wurde immer lauter. Atlan huschte zwischen den Spercoiden umher. Er hielt sich dabei stets im Schatten der Schiffe, die auf dem Landefeld standen. Er hörte, wie Befehle ausgegeben wurden, sah, wie sich Luken öffneten. Gleiter tauch ten auf, luden Hundertschaften ab und jagten mit heulenden Motoren durch die Reihen der abgestellten Raumschiffe. Mit einem einzigen Schuß hatte es der Ar konide fertiggebracht, ein Chaos auszulösen, das sich in jedem Augenblick verstärkte. Eine Hundertschaft von Spercoiden trabte an Atlan vorbei. Der Arkonide wartete, dann stellte er dem letzten Mann ein Bein. Der Spercoide stolperte, aber er fiel nicht, wie Atlan gehofft hatte, auf seinen Vordermann und schuf so neue Unordnung. Der Spercoi de drehte sich im Fallen, und er schlug ge gen die Landestütze des Schiffes, in dessen Schatten sich Atlan geflüchtet hatte. »Du hast es verursacht«, sagte der Extra sinn, »nicht verschuldet.« Es ließ sich nicht ausmachen, wie groß oder winzig die Beschädigung des Anzugs war. Aber es gab eine Beschädigung. Der Spercoide verging. Sekundenlang stand Atlan wie betäubt. Dann sagte er sich, daß er an dem Ge schehen nichts mehr ändern konnte. Er zerr te den Anzug in den Schatten und öffnete die Verschlüsse. Es traf ihn wie ein Schlag, als er den letz ten Verschluß einrasten ließ. Überfallartig kamen die Impulse des An zugs. Atlan stöhnte auf, begann zu taumeln. Er ließ die Waffe fallen und griff mit beiden Händen an den Kopf. Es war, als habe er den Anzug nie ausge zogen. Die Wirkung schloß unmittelbar an die letzten Augenblicke an, in denen er einen Anzug getragen hatte. In diesem laut
47 losen Kampf um das Bewußtsein konnte der Arkonide nur ein Rückzugsgefecht führen – ein Angriff war ausgeschlossen. Der Arkonide war müde, körperlich und geistig. Das verstärkte noch die Mühe, die er hatte, als er sich mit allen Kräften gegen die Beeinflussung durch den Anzug wehrte. Der Arkonide taumelte aus dem Schatten des Raumschiffs. Unwillkürlich ging er dort hin, wo er die meisten Spercoiden sehen konnte. Zu seinem Glück herrschte auf dem Raumhafen ein Durcheinander, das schlech terdings nicht mehr zu überbieten war. Glei ter rasten umher. Vom Rand des Landefelds erklang das Röhren von schweren Maschi nenwaffen. Offenbar griffen in die Schlacht um die Stahlfestung jetzt auch Kampfrobo ter ein. Ein Mißverständnis, das sich durch Tei lung vervielfacht hatte. Atlan glaubte sich in einem Wirklichkeit gewordenen Alptraum. Es war sein Glück, daß in dem allgemeinen Durcheinander niemand auf den offenbar er krankten Spercoiden achtete, der von einer Landestütze zur nächsten taumelte, an einem Lastenroboter vorbei, in eine Material schleuse. Atlan blieb stehen. Langsam klärte sich sein Blick. Die Schlacht mit dem Anzug des Grauens war gewonnen, wieder einmal. Sie war härter ausgefallen, hatte mehr Kraft gekostet. Und es war klar, daß jede weitere Auseinander setzung noch mehr Kraft kosten würde – bis … An diese Möglichkeit wagte der Arkonide im Augenblick gar nicht erst zu denken. Er sah sich um. Irgendwie hatte er es geschafft, sich an Bord eines Raumschiffs zu schmuggeln. Er stand in der Schleuse für Materialien, die of fenbar normalerweise nur von Robots be nutzt wurde. Spercoiden, die mit dem Schiff zu tun gehabt hätten, konnte Atlan in der Nähe der größten Schleuse entdecken. Ein ganzes Kommando hatte dort Aufstel lung genommen. Atlan schätzte, daß fast die gesamte Besatzung angetreten war, dazu ein
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Kommando von beeindruckend häßlichen Kampfrobotern. »Alle Wetter«, staunte der Arkonide. Aus dem Zwielicht näherte sich ein Sche men. Ein Fahrzeug wurde sichtbar, ein Glei ter, dessen Fahrgastzelle verhängt war. Die Spercoiden schienen im Augenblick nur an dieses Fahrzeug zu denken, das mit hoher Fahrt an der Rampe in die Höhe glitt und im Innern des Schiffes verschwand. Sofort spritzten die Spercoiden auseinan der. Der hohe Herr – der Kommandant der Stahlfestung? – schien es eilig zu haben. At lan zog sich zurück, als sich ein Robotkom mando der Materialschleuse näherte. Wie man sich an Bord eines Spercoiden raumers versteckte, hatte er hinreichend ge übt. Nach kurzer Zeit hatte der Arkonide einen Winkel gefunden, in dem er einstwei len sicher war vor Entdeckung. Was er gesehen hatte, reizte seine Neu gierde. Er beschloß, herauszufinden, was sich da abspielte. Einem Mann vom Schlag des Lordadmirals sollte es doch ein leichtes sein, Informationen zu sammeln. Der Arkonide lauschte in sich hinein. »Richtig«, murmelte er zufrieden. »Ich habe mich nicht geirrt.« Das Schiff hob ab und beschleunigte. Die
Geräusche waren unverkennbar, vor allem für einen Mann, der soviel Zeit an Bord von Raumschiffen verbracht hatte wie der Arko nide. »Also«, sagte er leise. »Als erstes werde ich herausfinden, wie dieses Schiff heißt. Ich tippe auf GEMÜTLICHKEIT! Und dann werde ich herausbekommen, was es mit dem geheimnisvollen Fahrgast auf sich hat.« Solange das Schiff noch in den Raum vor stieß, waren die meisten Spercoiden be schäftigt. Einen besseren Zeitpunkt für Er kundigungen konnte sich der Arkonide kaum vorstellen. Vorsichtig verließ er sein Versteck. Auf dem Gang rührte sich nichts. Bereits nach wenigen hundert Metern fand er eine Lösung für seine erste Frage. Das Schiff hieß BESCHEIDENHEIT. Atlan kicherte unterdrückt. »Wenn das kein gutes Zeichen ist, Lor dadmiral«, murmelte er sarkastisch. »An die Arbeit.«
E N D E
ENDE