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Die Stadt der Sirianer von Axel Nord Das „Erste Licht“ verging gerade. Der große Zwillingsplanet schob sich am Himmel über Fon vor das silbrig leuchtende Zentralgestirn. Oh, Fon … Du Herz des sirianischen Reiches, du Stadt der tausend blühenden Gärten und der glücklichen Sorglosigkeit. Die Gärten blühten auch heute noch, doch die Sorglosigkeit hatte der unerbittliche König verbannt, der die Gesetze willkürlich änderte. Heute schlug er zu. Seine Feinde sollten endgültig vernichtet werden. Von den hohen Türmen riefen bereits die Lichtsignale in die hereinbrechende Dunkelheit – sie riefen seine fliegenden Riesen, die seine Befehle übermitteln sollten. Der Sirianer, der in einem leichten, ovalen Boot auf einem der vielen Kanäle von Fon dahinfuhr, wußte es. Er mußte sie warnen – alle mußte er warnen. Nur er wußte von den Verschwörern, wie es um die Sache der Freiheit stand. Es stand schlecht um sie. Aber noch war nicht alles verloren. Xa mußte die ferne Erde rufen. * Neun Lichtjahre trennten … Aber sie waren nur für den Kleinherzigen wie eine Ewigkeit, die unermeßlich schien. Sie waren zu bezwingen. 3
Jim Parker hatte sie vor einem Zeitraum bezwungen, den man auf der Erde mit „zwei Jahre“ umschrieb. So geheimnisvoll, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Sirius – das war eine Sonnenwelt unter vielen anderen. Aber eine Welt für sich. Geschlossener in sich als das Sonnensystem, dem die Erde angehörte. Sirius. Acht Doppelplaneten und einige kleinere Weltkörper bewegten sich unter dem Lebensfeuer des Zentralgestirns in großen, kreisförmigen Bahnen. Drei der Doppelplaneten waren dicht bevölkert. Auf einem der beiden, die der Sonne am nächsten kamen – bis auf wenige Milliarden Meilen – lag Fon, die Hauptstadt der Sirianer, die sich auf fast alle Planeten verteilten und doch nur ein Volk waren, mit einer Sprache, mit einer Religion, mit einer Kultur. Geboren vor langen Zeiten aus dem heiteren Leuchten der Sonne. Hineingestellt in eine paradiesische Welt, in der es eine immerwährende Fruchtbarkeit gab, die nur von kurzen Kälteperioden unterbrochen wurde, viele hügelige Landstriche, die verzaubert wurden von der segnenden Kraft des Zentralgestirns, viele klare Seen, in denen köstliche Fische schwammen, die sie fangen und zubereiten lernten, sie wurden bekannt mit den Tieren, die durch die lichten Wälder der roten Bäume und über die Hügel streiften, und es war seltsam, daß sie diese nicht zu jagen begannen – nur die Fische der Seen und einige Vögel lieferten ihnen die Nahrung. Und der Saft der Sonnenbeere. Sie war das eigentliche Geschenk der Schöpfung an die Sirianer. Sie wuchs wild an kleinen, schlanken Sträuchern und war überall zu finden; sie war von einem leuchtenden Gelb, und wenn man sie mit den Zähnen öffnete, spendete sie einen Saft, 4
der sahnig und wohlschmeckend über die Zunge floß und so viele Nährstoffe enthielt, daß er unentbehrlich für sie wurde. Die Sirianer begannen die Sonnenbeere – Hana, das „Lächeln der Sonne“, nannten sie sie auch – planmäßig anzubauen, sie und zwei Getreidearten. Dann wurde – im ersten Jahrtausend – Mesao geboren, der große Begründer des einheitlichen sirianischen Reiches, der zugleich der erste sirianische Gelehrte war; denn er lernte die kosmischen Kräfte im Sonnenreich beherrschen und schuf das erste sirianische Raumschiff, mit dem er seine Heimat – sie lag im Gebiet der jetzigen Hauptstadt Fon – verließ, die Sirianer der anderen Planeten aufsuchte und sie einte. Drei glückliche Jahrtausende kamen. Einmal stießen sirianische Raumschiffe bis an die Grenze einer fernen, fremden Sonnenwelt vor, zu der auch die Erde gehörte. Sie trafen hier mit den Raumschiffen eines uralten Volkes des Planeten Mars zusammen. Als sie zurückkehrten, war die Herrschaft von Menschen angebrochen, die zwar Sirianer waren, aber nichts von ihrer Heiterkeit und Arglosigkeit hatten – sie waren kalt und hart und rücksichtslos. Sie wollten herrschen. Niemand konnte sagen, woher sie kamen. Die Gelehrten der Sirianer vermuteten, daß sie einer Sippe entstammten, die sich auf einem fernen Planeten vor Hunderten von Jahren abgesondert hatte und in einer einsamen, bergigen Landschaft von Eindringlingen aus einem anderen Sonnensystem unterwandert wurden, deren furchtbare Kriegssklaven – die fliegenden Riesen – sie übernahmen. Die Gelehrten kamen nicht dazu, ihre Vermutungen zu verbreiten, denn sie wurden zusammengetrieben und gemeinsam niedergemacht. Das war das Gesetz, das von nun an das sirianische Reich regierte: Wer sich den neuen Königen – den „großen Königen“, wie sie sich nannten – widersetzte, wurde niedergemacht. 5
Einfach. Brutal. Primitiv. Bis sich dann nach einem guten Jahrtausend das sirianische Volk erhob und in einem grandiosen Aufstand den gerade regierenden „Großen König“ davonjagte, ihn und seine furchtbaren Riesen. Sie wurden auf den Planeten der erloschenen Sonne verbannt. Die Sirianer aber sollten noch einmal dafür büßen, daß sie nicht so rücksichtslos und brutal und konsequent vorgingen wie ihre einstigen Herrscher. Wieder kamen glückliche Zeiten. Die Hanafelder gediehen. Die Sirianer sangen wieder die alten, kraftvollen Lieder ihres Volkes, sie trugen ihre Wettspiele aus und förderten die sirianischen Wissenschaften – leider beschränkten sie sich darauf. Das Geschlecht der großen Könige aber starb auch in der Verbannung nicht aus. Auch nicht sein Wille zum Herrschen. Die Sternenzeiten flossen über die fruchtbaren Landschaften der Planeten und verwischten immer mehr die Erinnerung an vergangene Schrecken. Schließlich ging die Sorglosigkeit der Sirianer so weit, daß sie die Kontrolle über den Planeten der schwarzen Sonne immer mehr lockerten, und dann kam der unglückselige Tag, an dem der sirianische Allgemeine Rat auf Vorschlag des rechtmäßigen Staatsoberhauptes feinstimmig beschloß, alle Strahlenwaffen als der Sirianer unwürdig abzuschaffen. Die Sirianer stimmten jubelnd zu – sie waren weder weich noch feige, aber sie beurteilten die Situation ihres Reiches falsch und glaubten, darauf verzichten zu können, seine Unabhängigkeit mit so furchtbaren Waffen zu sichern. Zehn Jahre nach der Zeitrechnung der Erdenmenschen gab es zum zweiten Mal ein freies sirianisches Reich nicht mehr. Wieder war ein „Großer König“ gekommen, und er brachte das mit, was die Sirianer vernichtet hatten: überaus wirkungsvolle Waffen – Doppelschallwaffen –, die er in der Geborgenheit 6
seiner Verbannung geschaffen hatte, ein Heer von fliegenden Riesenmenschen, die ebenso grausam wie stupide waren und die er in den Weiten des Planeten neu formiert hatte. Keiner wußte, was das eigentlich für Wesen waren. Man sprach von Geistern einer erloschenen Sonne. Wieder begann ein „Großer König“, alles niederzumachen, was intelligent war und sich ihm nicht gleich unterwarf. Der rechtmäßige Herrscher der Sirianer – der 238. „Sohn des Sirius“, Sira – mußte auf Beschluß des Allgemeinen Rates, der sich gleich darauf auflöste, die Waffen strecken, nachdem in einem kurzen Verzweiflungskampf die besten Sirianer gefallen waren. Mit einem Raumschiff verließ Sira seine Heimat. * Er entkam nicht. Der „Große König“ hatte seine Häscher überall. Sie nahmen ihn gefangen und steckten ihn in ein „Fliegendes Dreieck“, in dem man früher einmal Verräter und Staatsfeinde einige Milliarden Meilen weit in das Weltall hinausschoß, um es dann explodieren zu lassen. Auch Sira erging es so. Er wurde aber von einem fremden Menschen gerettet, der ihn zu dem Planeten einer fernen Sonne brachte, den sie die Erde nannten. Es war Kommodore Parker, der beste Raumflieger dieses Planeten. Sein väterlicher Freund Xa, der hervorragendste Gelehrte, den die Sirianer noch hatten, konnte sich auf einem kleinen Sternfetzen am Rand des sirianischen Reiches in Sicherheit bringen und war dort zunächst unter der Obhut der ebenso gespenstischen wie unfaßbaren „Schattenwesen“ geborgen … So standen heute die Dinge. Xa versuchte von seinem Zufluchtsort aus die Widerstandsgruppe zu lenken, die sich aus geflüchteten Offizieren und Ab7
geordneten des Allgemeinen Rates gebildet hatte und verzweifelt, aber mit viel kalter Überlegung, nach einem Weg suchte, wie die Herrschaft des „Großen Königs“ und seiner fliegenden Riesen zu brechen war. Dann sollte er Sira herbeirufen. Er konnte es, denn er verstand es, viele Kräfte der Natur zu nutzen. * Aber heute schlug der „Große König“ zu. Über viele mittlere Zeitwerte hinweg hatten seine Häscher die Angehörigen der Widerstandsorganisation beobachtet, ohne ihnen in irgendeiner Weise zu nahe zu treten. Die Dämmerung schlich weich um die gelben Buschreihen an den Ufern der Kanäle. Der Sirianer stellte zwei Hebel, die vor ihm auf einem kleinen Schaltbrett angebracht waren. Das Boot erhob sich aus dem grünlich fließenden Wasser und strich die Kanalböschung hinauf den Getreidefeldern entgegen, die hier mitten in den weiten Gebieten von Fon zwischen den einzelnen Siedlungen der Hauptstadt angelegt waren. Der Sirianer trug die weiße Kopfhaube, die ihn als einen hohen Beamten der Regierung auswies. Noch vor einigen Stunden hatte er mit dem Großen König gesprochen. Der Gefürchtete hatte gelächelt und mit der linken Hand das Zeichen des Wohlwollens gemacht, als er ihn entließ. Aber das wußte der Sirianer bereits, daß ihre Sache verraten war – er wußte es, seit vor zehn Stunden das „Erste Licht“ anbrach. Zwei der besten Häscher des Königs waren immer in seiner Nähe geblieben. Trotzdem hatte er ihnen entwischen können. Sein Boot pfiff nun mit großer Geschwindigkeit über das 8
wogende Getreidefeld. Er duckte sich und riß sich dabei die weiße Haube herunter. Um ihn war nichts. Die Stadt wurde leer, wenn es dunkelte – aber sie suchten ihn, das war klar. Er mußte zu Tin-Fon, dem Schriftsteller, der zu ihnen gehörte. Vor ihm tauchte eine Siedlung auf, mit einer langen Reihe von halbrunden, weißen und roten Sippenhäusern, dann wieder ein Kanal und auf ihm vier Boote der Streitkräfte des Großen Königs. Sie kümmerten sich anscheinend nicht um ihn. Auch zivile Boote waren da – es war einer der belebtesten Kanäle von Fon. Der Sirianer wurde trotzdem ein unheimliches Gefühl nicht los. Er richtete sich wieder auf und sah hinunter. In den Militärbooten leuchteten die blauen Uniformen mit dem großen, weißen Brusteinsatz auf; er konnte die Waffen in ihren Fäusten sehen und noch etwas mehr: Sie blickten ihm nach. Vielleicht hatten sie ihn erkannt und riefen nun in der zentralen Militärleitstelle an. „Ich muß zu Tin-Fon!“ Er jagte weiter. * Tin-Fon blickte auf. Sein feines, längliches Gesicht, in das sich die Sorgen einsamer Stunden tief eingegraben hatten, blieb für einige Herzschläge regungslos im weichen Schein der leuchtenden Scheiben. Draußen lag die Dunkelheit bereits schwer auf Fon – vor den herabgerollten Fenstern aus durchsichtigen, lackierten Gräsern. Dann richtete er sich auf seinem Ruhelager auf. Starrte aus halbgeschlossenen Augen auf den Sirianer, der durch den langen Hausgang eintrat, die Tür hinter sich schloß und ohne weiteres die leuchtenden Scheiben löschte. 9
Die Nacht von Fon floß nun auch in den Wohnraum des Schriftstellers, dessen gefühlvolle Tanzspiele auch heute noch aufgeführt wurden. Tin-Fon fühlte eine eisige Kälte in sich aufsteigen, eine lähmende Kälte, die ihm die Kehle zuschnürte und das Herz dumpf aufhämmern ließ. „Valnö!“ „Ich weiß nicht, ob sie mir gefolgt sind“, sagte der Staatsbeamte mit einer Stimme, die wesentlich ruhiger und gefaßter klang. „Aber der König weiß um unsere Sache.“ Tin-Fon krümmte sich und preßte die Hand auf sein Herz. Er fühlte sich so elend, daß eine feuchte Kälte seine Stirn zu bedecken begann. „Der kluge Valnö muß sich irren“, stieß er angstvoll hervor. „Weiß er nicht, was es bedeuten würde, wenn …“ „Für uns bedeutet es den sicheren Tod“, schlug ihm wieder die harte Stimme des anderen entgegen. „Macht Euch nichts vor, Tin-Fon! Wenn es wieder hell wird, sind wir nicht mehr, aber die Freiheit – die müssen wir retten! Ruft Xa! Ruft ihn!“ Tin-Fon richtete sich auf und ging schweigend durch den dunklen Wohnraum. An Valnö vorbei, der zur Tür hinaussah und angestrengt horchte, Der Schriftsteller sah flüchtig sein enges, grünes Gewand und das weiße, strenge Gesicht darüber. Dann zog er aus einem schrankähnlichen Kasten, der aus roten, lackierten Matten bestand, einen handlangen Stab, über den drei Kugeln gezogen waren, die man drehen und verschieben konnte. Es war ein Nachrichtengerät, das auf den kosmischen Prinzipien der Siriuswelt beruhte. Tin-Fon hatte sich gefaßt. Er hielt den Stab senkrecht und verschob die Kugeln in einem schnellen, spielerischen Rhythmus zueinander. Er war jetzt ruhig. Auch als in diesem Augenblick vor seinem abseitsgelegenen Einzelhaus Schritte laut wurden, die kurz und hämmernd herankamen. Valnö lächelte grimmig und zog seine Handwaffe. 10
„Ich halte sie auf! Vernichtet den Stab, wenn Ihr mit Xa gesprochen habt! Ihr wißt, was Ihr ihm sagen müßt!“ Er warf sich herum und rannte auf den Gang hinaus. Die Tür pendelte kreischend zu. Tin-Fon war allein. Er rief Xa – er hörte im Gang das Pfeifen der Abschüsse. Tin-Fon wußte, daß er gleich verloren sein würde. Er nutzte die letzten Sekunden. * Die Lichtsignale riefen. Die Soldaten des Großen Königs stutzten, als sich ihnen Valnö mit der Waffe in der Faust entgegenwarf. Aber nach wenigen Herzschlägen überwältigten sie ihn, konnten aber nicht verhindern, daß er noch einen Schuß abgab. Der Schuß tötete ihn. Tin-Fon nahmen sie gleich darauf gefangen. Sie sahen in seinen schmalen Händen eine Stichflamme, die ihn schwer verletzte. Er war sehr weiß, aber er lächelte. Auch dann noch, als sie ihn schlugen, daß er in die Knie brach. Sie packten ihn und schleppten ihn hinaus. Die Lichtsignale riefen von den Türmen. Fon duckte sich in der Erwartung eines neuen Grauens. Was würde der Große König unternehmen? * „Ich bitte, mich zu entschuldigen …“ Neun Lichtjahre trennten, und doch war es großen und starken Herzen möglich, sie zu bezwingen. Sira spürte sogar körperlich, daß in Fon etwas Entscheidendes vor sich ging, aber es war ja auch seine Heimat, in der es geschah. Er trug die Kleidung der Erdenmenschen und blieb ihnen 11
doch ziemlich fremd. Nur Eva Henderson nicht, denn sie gehörte zu ihm, seit sie sich im Garten ihres Landhauses in Venezuela geküßt hatten. Ihre Freundinnen waren blaß vor Neid geworden: Sie hatte sich mit einem hübschen Jungen geküßt, der von einem anderen Stern kam. Doch Eva wußte, es war mehr. Sie ging auch gleich zu ihm, als er sich an diesem warmen Juniabend auf der Party des Oberbürgermeisters von Orion-City erhob und sich verabschiedete. Sie sahen ihn neugierig an. Er war in den zwei Jahren zu einer prominenten Persönlichkeit geworden, an die man sich irgendwie schon gewöhnt hatte – in dieser Stadt der Raumflieger hatte man ihn sogar ins Herz geschlossen. Und doch: Wie er so ruckartig aufstand und sie mit einem Blick ansah, der sie nicht erfaßte, der weit ging, unendlich weit –, da wurden sie verlegen und befangen und wußten nicht, warum. Eva war schon neben ihm. „Sira – ist dir nicht gut?“ „Sie werden mich gleich rufen“, erwiderte er leise in seinem immer noch etwas angelernt klingenden Amerikanisch. „Komm!“ In einem Nebenraum spielte eine Band. Ein Akkordeon legte die dumpf ausklingende Melodie eines langsamen Tanzes über die Aufmerksamkeit der Gäste, die sie begleitete bis sich die Glaswand hinter ihnen zuschob. Zwei junge Menschen. Das Mädchen von der Erde in seinem perlgrauen Cocktailkleid, das ihre schönen, jungen Schultern freiließ, und der braunhaarige, schmächtige Junge, der über ein mächtiges Sonnensystem herrschen sollte. Sie traten in die Sternennacht, die ein klarer Himmel über die Atomstadt breitete; sie wußten, daß sie beieinander waren, und doch waren sie plötzlich sehr ernst, und die leiser klingende Musik war sehr weit weg. „Ich will dir noch einmal danken“, sagte er, und seine Hände 12
faßten sie und zogen sie vorsichtig zu sich heran. „Als ich zu euch kam, war ich fremd – nun, da mich meine Freunde in meine Heimat zurückrufen werden, gehe ich fast ebenso schwer wie ich kam …“ „Überall schlagen Menschenherzen“, lächelte das Mädchen, aber sie sagte es nur so vor sich hin, ohne über den tiefen Sinn ihrer eigenen Worte nachzudenken. Die Sterne kreisten hoch über ihnen, hoch und fern – doch das Mädchen Eva Henderson fürchtete sich nicht mehr vor ihnen. „Wenn sie dich zurückrufen, komme ich mit dir.“ * Pausenlos diese furchtbaren Lichtsignale … Auf den Kanälen von Fon schwammen nur noch wenige zivile Boote, aber hinter den herabgelassenen Lackfenstern ihrer Sippenhäuser standen die Sirianer und sahen zur Mitte ihres Stadtgebietes hin, wo von den drei schlanken Befehlstürmen der Regierung die Signale in einem unbekannten Rhythmus gegen den dunklen Himmel geworfen wurden. Sie wußten, daß der Große König damit seine Truppen zusammenrief. Die fliegenden Riesen waren in der Nähe, denn sie mußten diese Befehle übermitteln. Kurz. Lang. Kurz. Längere Pause. Kurz. Kurz … In einem unterirdischen Untersuchungsraum der zentralen Militärleitstelle vernahmen sie Tin-Fon. Es blieb nicht bei kalten Worten. Sie mißhandelten ihn wieder, gaben ihm dann eine Droge, die ihn rasend vor Durst werden ließ, und als er nach Wasser jammerte, setzten sie in seine Sichtweite Schalen mit köstlichen kalten Getränken – neben ihn aber wieder einen Vernehmer. Tin-Fon sagte alles, was sie wissen wollten. Der Große König erfuhr auch noch die letzten Geheimnisse der Widerstandsgruppe. 13
In der Hauptstadt aber flüsterten sich die verängstigten Sirianer ihre bangen Ahnungen zu, während über ihnen das Teufelsfeuer der Signale flammte, erlosch und wieder flammte … „Er wird uns alle noch mehr quälen.“ „Fon soll von den fliegenden Riesen besetzt werden.“ „Das hat er nicht mehr nötig! Wenn er einen Aufstand fürchtet, kann er uns viel einfacher seine Macht spüren lassen. Ich weiß es. Er wird uns lähmen!“ „Ich habe es auch gehört! Er hat eine neue Waffe.“ „Es gibt keine Rettung mehr.“ * Wo blieb Xa? Sira saß neben Eva Henderson, die ihren weißen, breiten Sportwagen über den Jupiter-Boulevard dem Zentral-Park entgegenjagte, an dem das Haus lag, das man dem Sirianer zur Verfügung gestellt hatte. „Ich komme mit, Sira!“ „Dann mußt du aber alle Furcht aus deinem Herzen verbannen!“ Warum rief Xa nicht? Er wollte doch mit ihm sprechen. Sira spürte es am Hämmern seines Blutes. Die Lichterreihen wurden vorbeigerissen und lösten sich in bunten Wirbeln auf. Evas Gesicht war so ruhig und heiter wie immer. Der rote Mund war leicht geöffnet, und sie sah nicht anders aus wie immer, wenn sie neben ihm war und darauf wartete, daß er sie küßte – etwas leichtsinnig, aber immer sehr nett. „Wenn du bei mir bist, habe ich keine Furcht!“ Dann war Sira allein in seinem Haus. Er hatte sie darum gebeten. Die Erde mußte um ihn versinken, er mußte sich ganz in seine Heimat zurückversetzen; Eva raste wieder zu ihrer Party. Sira saß im Dunkeln – wartete und betete … 14
Endlich meldete sich Xa. Von der nahen Hauptverwaltung herüber hallten gerade die tieftönenden Zeitgongs und kündeten die dritte Morgenstunde, und vor den Fenstern sangen die Vögel unter dem hellwerdenden Himmel. Neun Lichtjahre legte die Meldung zurück. Sira fühlte es an seinem Nachrichtenstab, den er senkrecht in der Rechten hielt – er schloß die Augen und lehnte sich weit zurück. Ein großes, mächtiges Heimweh wogte in dem Jungen auf, als er den Ruf vom Sirius vernahm. „Der Große König hat alles erfahren! Das Schicksal des sirianischen Reiches liegt nun in deinen Händen! Kommt, aber seid vorsichtig!“ Sira gab das Antwortzeichen. * Wieder dämmerte es. Über Fon kreisten die fliegenden Riesen, und nun, nachdem die Schatten des großen Nachbarplaneten gewichen waren und das klare Leuchten des Zentralgestirns sich wieder über Gärten und Kanäle ergoß, konnten die Sirianer sie deutlich wahrnehmen. Nicht mehr als 3000 Meter hoch kreiste ein Verband. Wie Unholde eines Alptraums. Wenn eine der Bestien herabstieß, zogen die, die es sahen, ihre Köpfe ein. Aber nach wenigen mittleren Zeitwerten verschwand der Verband wieder. Er hatte den Befehl erhalten, Xa zu fangen … Dafür erlebten die Einwohner Fons eine neue Verhaftungswelle. Die blauen Uniformen der Soldaten des Großen Königs waren überall. Fast in jedes Haus kamen sie. Aus vielen Häusern trieben sie blasse Gestalten. „4310!“ meldete der Kommandant von Fon. 15
* Der Große König lächelte. „4310! Wenn sie klug gewesen wären, hätten sie gestern Fon verlassen!“ „Eure Umsicht, Herr, war stärker als ihre Heimtücke.“ „Ach, die Narren! Wären sie geflohen, hätten meine Truppen sie doch gefaßt! Sie werden nun wohl einsehen, daß über das sirianische Reich nur mein Geschlecht zu herrschen hat – wenn sie dem großen Gericht entgegenjammern!“ „Du wirst sie nicht gleich töten, Herr?“ „Warum? Das ganze Volk soll daran Freude haben, wenn es soweit sein wird!“ Der Große König war nicht einmal das, was man auf der Erde einen Sadisten nannte – er hielt es aber für zweckmäßig, ihnen allen auf einmal den Prozeß zu machen. „Ich hoffe nur, Sira wird kommen!“ „Xa wird ihn schon gerufen haben.“ * „Es ist soweit, Jim!“ Der Sohn des Sirius stand bereits am nächsten Morgen dem größten Raumflieger der Erde gegenüber, der eben erst von seinem zweiten Vorstoß in das Gebiet jenseits des Transpluto zurückgekehrt war. Jim Parker und Fritz Wernicke hörten sich schweigend an, was Sira Ihnen berichtete. Der Junge war so aufgeregt, daß er am ganzen Körper flog. Aber er vermochte doch, einen zusammenhängenden Bericht zu geben, der für Jim sehr wertvoll war. „Eva kommt mit“, sagte er dann. „Das ist unmöglich!“ 16
„Ich will, daß sie mit uns kommt!“ beharrte er. „Sie soll in Fon meine Frau werden!“ Jim Parker sah in das Gesicht des jungen Sirianers, der sein Haar noch immer lang trug und es auf dem Rücken mit einer gelben Schnalle zusammenhielt. Er dachte daran, wie er vor zwei Jahren Sira aus den Trümmern des „Fliegenden Dreiecks“ befreit hatte.* Er wußte auch um die tiefe Zuneigung, die zwischen Sira und der reichen, verwöhnten Eva Henderson gewachsen war, seit Sira auf der Erde weilte und hier sein Wissen abrundete. Aber war es Liebe? Sira wich seinem Blick nicht aus. Jim, der in seiner weißen Sommeruniform breit und hochgewachsen vor ihm stand, empfand das dringende Bedürfnis, es ihm auszureden, aber er verzichtete darauf. Ich werde noch einmal mit Eva reden, nahm er sich vor. Sira nahm das Glas, das der kleine Commander ihm reichte, und goß es mit einem Kennergriff hinunter, der bei Wernicke ein beifälliges Grinsen auslöste. Dann folgte er den beiden Freunden an den großen Kartentisch. Generaldirektor Cunningham trat ein. Breitschultrig und wuchtig, eine lebende Anpreisung des Wohlstandes aller Generaldirektoren. Er trat neben Sira und legte ihm schweigend und mit einer guten Geste die Hand auf die Schulter. Die Erde würde den Sirianern helfen! Sira schluckte und sah, wie der Kommodore mit seinem Druckblei über eine Karte fuhr, die das sirianische Planetensystem darstellte, dann aber plötzlich den Druckblei hinwarf. „Wir müssen bluffen“, sagte er entschlossen, „sonst kommen wir nicht ’ran.“ „Und – womit?“ „Wir schicken dem Großen König ein Raumschiff mit Vierfüßlern und einem K-Seher ins Haus, dann …“ * Siehe UTOPIA-Kleinband Nr. 81: „Der Sohn des Sirius“
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Sira ließ ihn nicht ausreden. Er wirbelte herum und packte Jim an den Schultern. „Das nicht, Jim! Das nicht! Ich will keinen Bluff – ich will einen offenen Kampf!“ „Sira, du wirst noch kämpfen müssen!“ * Sie fuhren am Staatsgefängnis entlang. Es lag tief unter dem Wasserspiegel eines Kanals, der zum Rund der Regierung gehörte und nicht dem allgemeinen Verkehr diente. Der Große König fuhr in dem einzigen Tauchboot, das es im sirianischen Reich gab. Er stand neben seinen Vertrauten an einer großen ovalen Scheibe, und in seinem breiten, eckigen Gesicht, das sich sosehr von der Physiognomie der eigentlichen Sirianer unterschied, war nichts als die sachliche Befriedigung eines Mannes, der seine Rechnung aufgehen sieht. Sie glitten nur ein paar Zentimeter entfernt an der langen Reihe von Käfigen vorbei, die zum Wasser hin durch glasartige Wände gesichert waren, und in denen die Gefangenen hockten. Es waren schon fast 5000, und sie sahen danach aus, daß sie ziemlich fertig waren – die Wärter, die in geschlossener Kette und schwerbewaffnet auf einer Galerie hinter den Käfigen standen, waren sicher alles andere als Menschenfreunde. Ein seltsames und gespenstisches Bild war das. Unter dem Wasser, wie in einer Schaukastenreihe, 5000 Männer. Sie hockten in den Knien, und ihre Arme waren so nach hinten gebunden, daß sie sich kaum bewegen konnten. Der Große König genoß das Schauspiel, bis ein Offizier aus dem mittleren Raum des Tauchbootes nach vorn kam und meldete: „Herr, ein fremdes Raumschiff nähert sich unserem System.“
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* Noch war es weit entfernt. Aber den kosmischen Gesetzen gehorchend, die sein Führer beherrschen mußte, näherte es sich rasend schnell. Schon konnten die äußersten Raumposten des sirianischen Sonnensystems seine Gestalt ausmachen. Sie erkannten es auf Anhieb wieder. Ein solches Raumschiff hatte sich vor einigen größeren Zeitwerten dem Sirius genähert und war dann ebenso geheimnisvoll wieder verschwunden. Man sagte, es habe damals Sira gerettet und entführt: Es war ein seltsames Gebilde aus fünf voneinander unabhängigen Kugeln, von denen vier in einem größeren Abstand von der etwas kleineren Mittelkugel um sich selbst rotierten. Kein Zweifel: Es stammte von diesem verfluchten Planeten Erde. Das junge, sirianische Mädchen, das in einem grünen Boot über einen der wichtigsten Kanäle fuhr, als das „Erste Licht“ viermal danach wieder die Dunkelheit vertrieben hatte, wußte es, und es weinte vor Freude und Hoffnung. Mara wartete auf den Sohn des Sirius. Ihr Leben war nur noch Warten zwischen Dämmerung und Dämmerung, zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Sie war die Tochter eines angesehenen Wissenschaftlers, der seit langer Zeit in Haft gehalten wurde. Sie hatte versprochen, in zwei großen Zeitwerten einen Sohn des Großen Königs zu heiraten, aber sie wollte es nicht erleben – sie wollte nur noch abwarten, ob nicht vorher Sira kam. Boote begegneten ihr. Viele Bekannte, die scheu an ihr vorbeigleiten wollten, aber Mara rief ihnen überglücklich zu: „Sira kommt! Sira kommt!“
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* Sira kommt! Bei allen Sternengöttern, die sonst immer das Volk der Sirianer behütet hatten: Es ging wie ein erstes Aufatmen nach einem schwülen, peinigenden Alptraum durch die große Stadt der blühenden Gärten. Ein Raumschiff kam – ein fremdes Raumschiff! Mara vergaß sich, sie dachte nicht daran, daß sie sich selber in große Gefahr brachte. Sie jubelte es allen zu: „Sira kommt!“ Und zu einigen sagte sie noch mehr, leise, aber voll gläubiger Entschlossenheit: „Wir müssen Sira helfen! Wir müssen uns gegen den Großen König erheben!“ * Wie durch ein Wunder erfuhr das der Große König noch nicht. Er hatte in diesen Zeitwerten auch andere Sorgen. Er warf dem Raumschiff einen starken Verband der fliegenden Riesen entgegen. Der König war klug, doch ihm fehlte jede Vergleichsmöglichkeit mit der Intelligenz der fernen Erdenmenschen, und das mochte die Ursache dafür sein, daß er geradezu prompt auf Jims Bluff hereinfiel. Die fliegenden Riesen warfen sich auf ihren schwarzen Teufelsschwingen durch die Weiten des sirianischen Raumes, passierten drei Doppelplaneten und einige einsame Sterne und griffen dann das heranrasende Raumschiff an. Ihr Führer war der schreckliche Wromm. Wromm war der einzige fliegende Riese, der das Gehirn eines Menschen besaß, dazu aber die Kraft eines Titanen und eine fanatische Treue zu dem Geschlecht der Großen Könige. Er flog an der Spitze des Verbandes. 20
* Wie in einem Märchen … Doch es war jene Wirklichkeit, die der Erdenmensch vielleicht ahnte, als er sich vor Jahrtausenden solche Märchen gab. Es waren Geschöpfe, entstanden aus der Urkraft des Alls. Noch immer waren sie einige Milliarden Meilen von dem Raumschiff entfernt. Auf dem Transpluto, dem zehnten und letzten Planeten des Sonnensystems, zu dem die Erde gehörte, warteten sie ab. In einem hochgelegenen, gläsernen Kasten, in dem die irdische Organisation für interstellare Raumfahrt – „Organisation Andromeda“ – und das Kommando der Sonderstaffel ihren Sitz hatten. Jim Parker war da, Commander Wernicke, der in beiden Händen Flaschen trug, die er eifrig schüttelte und dabei das Gesicht eines Zauberers machte. Der hohe Rundraum war hellerleuchtet, denn draußen wogte die ewiggraue Wolkendecke dieses unfreundlichen Planeten um die kosmische Stadt „Großer Bär“. Eben traten zwei ein. Sira und das Mädchen Eva Henderson. Eva lächelte auch jetzt noch. Sie war wirklich ein ganzer Kerl und mehr als ein verwöhntes Millionärstöchterchen – doch dem Kommodore paßte es gar nicht, sie hier zu sehen. An einer Schaltwand standen zwei Offiziere der Sonderstaffel und lasen von einem schmalen Band, das aus der Wand in ihre Hände rollte, etwas ab. „Beobachtungsschiff ‚Kassiopeia’ hat die ‚R I’ aus der KSicht verloren, Kommodore!“ „Wie weit kann die ‚R I’ sein?“ Sira trat neben die beiden und sah auf ihre Zeitmesser. „Die fliegenden Riesen werden sie noch nicht erreicht haben, wenn 21
der Große König sie eingesetzt haben sollte! Ich nehme es an! Soll ich die Vergleiche überwachen, Jim?“ Der Kommodore nickte und winkte verstohlen Eva Henderson, die in ihrer Raumkombination seltsam schmal und unbeholfen aussah. Über ihr blasses Gesicht flog es wie Erschrecken, aber sie folgte ihm doch. Draußen war ein Gang, eine gläserne Wand zu ihrer Rechten. Jim schaltete das Ganglicht ab. Trostlos wischte die graue Dämmerung des Planetentages um sie. Eva zuckte zusammen. „Was soll das?“ fragte sie scheu. Das Ganglicht flammte wieder auf. „Warum sind Sie mit zum Transpluto gekommen, Eva? Das ist nichts für Sie! Auch die Welt der Sirianer nicht. Sie haben doch eben gesehen, wie unheimlich es schon hier ist. Glauben Sie denn wirklich, Sira wird in seiner Heimat so sein, wie Sie ihn kennen?“ Es sah so aus, als wollte sie ihm ins Gesicht springen. „Ich liebe ihn doch!“ rief sie so impulsiv aus, wie es nur eine Eva Henderson konnte. „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Was kann schon dabei sein, in einem anderen Sonnensystem zu leben – atmen und froh sein kann man dort auch, und …“ Sie stockte, wurde rot und sah verlegen vor sich nieder. Jim lächelte und nahm ihren Arm. „Sie sehen die Dinge nun doch zu einfach, Mädel! Jede Welt hat ihre eigenen Gesetze! Wer weiß, wie die der Sirianer sind! Ich habe Sira versprechen müssen, Sie mitzunehmen, und Ihr Vater hat unklugerweise seine Einwilligung dazu gegeben. Aber unter uns, Eva …“ „Kommodore, bitte sprechen Sie nicht weiter!“ „Sie müssen wissen, was Sie tun, Eva.“ * Die Soldaten grinsten triumphierend. Die fliegenden Riesen hatten das fremde Raumschiff erreicht 22
und es so in ihre Mitte manövriert, daß es ihren titanenhaften Impulsen folgen mußte. Sie kehrten mit ihm zum Wohnplaneten zurück. Mara hörte es, als sie durch die Gänge des Regierungspalastes ging. Sie zwang sich, so freundlich zu sein wie immer. Sie grüßte, wenn eine blaue Uniform neben ihr war, aber sie schlug den Weg zum Sternengarten ein. Der Sternengarten lag auf dem riesigen Dach des schneeweißen Mittelgebäudes, in dem früher die Herrscher „Sohn des Sirius“ und heute der Große König ihre Privatgemächer hatten. Er war ein Traum aus taufrisch schimmernden Blüten und heiteren Teichen, auf denen die weißrote Sternenblume schwamm. Mara erreichte ihn ungehindert. Sie liefen über einen Rasen und dann einen Weg hinunter, hin zu einer Balustrade, von der aus sie über die ganze Stadt sehen konnte und bis zu den südlichen Hügeln des Fon-Landes, denn der Sternengarten lag dreihundert Meter hoch. Mara war allein – sie glaubte es wenigstens zu sein. Sie wurde immer unvorsichtiger. Schon hatten die Häscher des Großen Königs ihrem Herrn gemeldet; sie versuche, die Bevölkerung zum Aufstand aufzuwiegeln. Mara stand und wartete. Endlich, als der Zwillingsplanet sich massig über die südlichen Hügel hochschob und damit das baldige Ende des „Ersten Lichtes“ ankündigte, sah sie das fremde Raumschiff im Verband der fliegenden Riesen heranjagen. Sie steuerten Fon an, aber sie waren noch viele Meilen entfernt. Mara wurde das Herz schwer als sie es sah. Sie wollte nicht glauben, daß sie Sira gefangen hatten. In übermächtiger Sehnsucht nach dem Jugendfreund streckte sie dem Raumschiff die Arme entgegen. Da trat plötzlich aus einem Gebüsch heraus ein hoher Offizier des Großen Königs neben sie. 23
„Du hast dich selber verraten, Mara! Komm mit! Die Käfige unter dem Wasser sind noch nicht gefüllt!“ Entsetzt starrte sie ihn an. * „Herr, wir haben sie festgenommen!“ Der Große König machte nur das Zeichen der Bejahung. Er stand vor einer weißen Wand, auf der in groben Umrissen das fremde Raumschiff und die fliegenden Riesen sichtbar wurden. „Sie werden hier sein, wenn die Dunkelheit vor ihrer Wende steht.“ „Daß sie sich nicht einmal gewehrt haben!“ gab einer seiner Vertrauten zu bedenken. Der Große König wandte sich von der primitiven Fernsehwand ab. Der Ring der Männer, der sich um ihn gebildet hatte, öffnete sich. Der Große König, der heute ein schwarzes, weites Gewand trug, mit den Zeichen des Kampfes, des Blutes und des Sieges, winkte einen der Nachrichtenoffiziere herbei, die wartend an der großen Saaltür standen. „Laß Wromm von mir melden, er soll bei der Landung im Flugrund vorsichtig sein.“ Der Nachrichtenoffizier salutierte und verschwand. Gleich darauf verließ auch der Große König mit seinem engeren Stab den Regierungspalast. Sie fuhren in einem offenen Boot über die Hauptkanäle der Stadt. Einige hundert Meter vor ihnen drei Militärboote, die alles vom Wasser jagten, was sich zeigte. Sie fuhren dann auf dem Landkanal weiter vor die Stadt zum Flugrund. Die Kugel des Nachbarplaneten war hinter den südlichen Hügeln hochgerollt, wie von spielenden Giganten, und stand groß und in einem matten Rot über ihnen. In drei kürzeren Zeitwerten würde sie das Zentralgestirn bedecken, das dann auch 24
schon tief hinter Fon am Horizont verglühen würde – und dann kam die Dunkelheit. Sie warteten auf das fremde Raumschiff. Das Flugrund war nichts als ein meilengroßes, rundes Feld, von einer grünen, moosartigen Pflanze bewachsen und von Kanälen umgeben, die von schwerbewaffneten Booten wimmelten. Noch vor der Wende der Dunkelheit landeten sie. Zwei sirianische Raumschiffe – unbeholfen wirkende Halbkugeln – hatten sich ihnen angeschlossen und lösten die fliegenden Riesen ab, die in tausend Meter Höhe abzweigten und in das Weltall zurückjagten. Dann setzte die „R I“ auf. * Ein rasender Kreisel … . Ein schlankes Boot pfiff aus dem nahen Wasser hoch. Mit Doppelschall bewaffnet. Ein hartes Bellen. Die Mittelkugel kreiselte unter der glühenden Wolke der Doppelschallexplosionen aus, dann auch die anderen Kugeln … Der Große König hielt sich einige hundert Meter von dem fremden Ungeheuer ab. Er ging auch nicht näher heran, als die Abteilungen seiner technischen Garde, die ein mächtiges Rund bildeten, vorrückten und Offiziere mit sehr viel Mut das grandiose Gebilde zu untersuchen begannen. Endlich schafften sie es – die Hermetikluken klappten aus … Was dann aus dem Innern der Kugeln auf die erste Reihe der Soldaten zumarschierte, waren kleine, eckige Wesen, die wie Tiere auf vier Beinen gingen, aber irgendwie nicht richtig zu leben schienen … „Schießen!“ schrie der König. Wieder bellte es über das Flugrund. 25
* Von Transpluto lösten sich acht Raumschiffe. Sie waren von demselben Typ wie die „R I“, nur – sie hatten Menschen an Bord und keine lächerlichen, kleinen Roboter. Das Flaggschiff dieses interstellaren Verbandes war die „Hope II“. Wernicke führte es, er hatte auch jetzt zwei Flaschen bei sich und einen Schüttelbecher, und es war immer noch nicht klar, was er damit wollte. Der interstellare Verband der „Organisation Andromeda“ flog zunächst in Kiellinie. Die Kapitäne der anderen sieben Raumschiffe wußten, daß nur die „Hope II“ in diesem Spiel wichtig war, das jetzt weitergehen sollte – eine richtige Pokerschlacht mit Bluffs und Raffinessen, bei der einer auf der Strecke bleiben würde: der Große König oder der Sohn des Sirius. Neun Stunden nach dem Start kam Sira nach vorn. „Ich versuche Xa zu erreichen – mein Nachrichtenstab ist in Ordnung, aber er schweigt.“ Er sah zurück zu dem Startschiff „Transpluto“, von dem sie abgeflogen waren. Noch stand es als matter Punkt in der Verlorenheit des Alls. Aber dann begann das interstellare Magnetfeld „S“, das nur den Sirianern und jetzt auch den verantwortlichen Männern der „Organisation Andromeda“ bekannt war, zu wirken. Der Transpluto war zehn Stunden und zehn Minuten nach dem Start nicht mehr zu sehen. Nicht mehr war als die Unendlichkeit, die sie aufnahm. Aber die Menschen in den acht Raumschiffen blieben dieselben, Sira versuchte noch einmal, mit Xa über den Nachrichtenstab zu sprechen, noch einmal schickte er ihnen einen Ruf voraus. Xa antwortete nicht. 26
* Die kleinen Roboter blufften nur kurz. Der Große König ließ einige von ihnen unter dem Bellen des Doppelschall zusammenknicken. Dann aber gab er den Soldaten den Befehl, die „Puppen“, wie er sie verächtlich nannte, in das Militärmagazin zu bringen. Die „Puppen“ gehorchten erst nicht recht. Erst als es einige der technischen Offiziere mit starken Wellenimpulsen versuchten, waren die kleinen, grauen Dinger, die bis dahin stur voranmarschiert waren, zum Stehen zu bringen. Man konnte sie anfassen und transportieren. Eine Wolke von Männerlachen und tosender Heiterkeit erfüllte das Flugrund. Wenn die ferne Erde nicht mehr zu bieten hatte als diese lächerlichen Gebilde … Sie hatte aber mehr zu bieten. Noch immer nicht erwachte in dem Großen König der Argwohn, auch nicht als er eine der Schiffskugeln betrat und dabei auf ein Gerät stieß, das bei einigen seiner Vertrauten das nackte Entsetzen hervorrief. „Dämonenwerk!“ wehrte der erste Priester seines privaten Sterntempels ab und spreizte alle Finger, um seine Abscheu auszudrücken. Der Große König dachte nicht an Dämonen und lachte nur höhnisch; er trat ganz nahe an das Ding heran – es war eine Säule, die sich schlank und in einem glänzenden Weiß aus dem Boden eines kleinen Raumes in der Kugel erhob und an ihrer Spitze einen schmalen, längeren Bildschirm trug. Der Herr der fliegenden Riesen sah in den Schirm. Er sah in die Unendlichkeit des Alls und erfaßte auch sogleich, daß er viele Milliarden Meilen weit sehen konnte. „Welch ein Wunder!“ rief er in offener Begeisterung aus. 27
Er ahnte nicht, daß er genau das tat, was Jim Parker in seiner Pokerpartie vorausberechnet hatte. „Welch ein Wunder!“ wiederholte er etwas leiser und winkte die anderen heran, die groß und in farbenprächtigen Gewändern den kleinen, sachlichen Raum füllten. „Wir werden es genau untersuchen müssen, doch ich sehe bereits, daß es uns den Weg zu unseren Feinden zeigen wird.“ „Zu dem Sonnensystem, zu dem der Planet Erde gehört?“ Der Große König fuhr herum. In seinen dunklen Augen brannte ein Feuer auf, das wild und verzehrend und doch wie ein jubelnder Triumph war. Seine mit gelblichen Ketten verzierten Hände schossen vor und packten den Vertrauten, der entsetzt zurückwich. „Hab keine Angst!“ lachte er ihm entgegen. „Ich danke dir! Wir werden sie angreifen!“ Das war schon ein Befehl. * Ein mörderischer Befehl. Denn noch war der Große König mit seinem Stab nicht in den Regierungspalast zurückgekehrt, als schon seine Boten zu den drei großen sirianischen Raumflugbasen auf dem Wohnplaneten unterwegs waren. „Angriff auf die Erde!“ Angriff auf die Erde in vier größeren Zeitwerten – das waren gut drei Monate. In diesen drei Monaten wollte er seine Feinde endgültig schlagen. Über tausend sirianische Fernraumschiffe standen bereit. Der K-Seher der Erdenmenschen würde ihnen den Weg zeigen.
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* Jim Parker ahnte es. Er wußte, welch ein Risiko er einging, als er dem Herrn der Sirianer das größte Geheimnis zuspielte, das die Erde seit einiger Zeit zu bieten hatte: Den K-Seher. Er ahnte es, aber er war voller Zuversicht und guter Dinge. Der Verband der O.A.-Raumschiffe stand bereits an der Grenze des Raumes, über den dieser „Zauberschlüssel“ reichte. Kapitän Ohlson führte die „Hope II“. „Ich kann die Henderson nicht verstehen“, schüttelte er zum tausendsten Male den Kopf, als der Kommodore neben ihn trat. Der Kapitän war jung und rauhbeinig, aber wenn er Eva Henderson einmal schnoddrige Unhöflichkeiten sagte, hätte er sie am liebsten in seine Arme gerissen – so stand es um ihn. Jim grinste. „Sorgen, Ohlson! Wir kennen Fon nicht, und Eva kennt er auch nicht! Da kommen wir nicht mit! Abwarten, mein Junge!“ Ohlson wurde rot, aber Jim war taktvoll genug, an ihm vorbeizusehen. „Wir müssen vor allem sehen, daß es mit dem Umsteigen klappt. Hoffentlich fällt der Bursche auch noch auf diesen Dreh herein. Sie müssen uns doch schon bald sehen können.“ „Ich glaube, in zwei Stunden sind wir ran.“ * Sie ließen das fremde Raumschiff auf dem Flugrund stehen. Der Große König wagte einfach noch nicht, den Zauberschlüssel, der ihm die Unendlichkeit näherbrachte, aus dem Plattenboden der Schiffskugel herauslösen zu lassen oder das ganze Raumschiff zu der zentralen Militärwerft zu transportieren. 29
Die besten Spezialisten der sirianischen Raumfahrt waren ständig in der Kugel. Sie untersuchten nicht nur das Wunderwerk der fernen Erdenmenschen, sie überwachten auch bereits die Tiefen des interstellaren Raumes. Ein schwarzgähnender Abgrund, dessen Schauerlichkeit von unzähligen glosenden Sternen nicht aufgehoben wurde. Selbst Sinna, der mutigste Raumflieger der Sirianer, mußte sich an den Haltegriffen halten, als er einige kleine Zeitwerte lang hineingesehen hatte und ihn das Gefühl überkam, betrunken zu sein – und doch nahm er sie als erster wahr … Kleine, silbrige Fädchen, die unbeweglich zu sein schienen. Sie meldeten es noch nicht, Sinna und seine Kameraden; sie beobachteten angespannt weiter, aber nach einigen weiteren Zeitwerten sahen sie doch, daß die Fädchen rasend schnell ihre Position änderten. „Das sind die von der Erde“, sagte einer und wurde blaß. Sinnas Augen glühten … * Dann pokerten sie eifrig mit. Ein Verband von zwanzig der kleineren, aber aktionsweiten, halbkugelförmigen sirianischen Raumschiffe jagte gleich darauf den Erdenmenschen entgegen. In Fon wurde vorsorglich Alarm für die Truppen gegeben. Die fliegenden Riesen bildeten eine Sperre um die inneren Wohnplaneten. Aber was dann – 27 Milliarden Meilen von Fon entfernt – geschah, war kaltschnäuzig und auch so erstaunlich kühn, daß der König raste, als er dahinterkam. Die Verbände stießen aufeinander. Es war der 28. Juni zwei Jahre vor der Jahrtausendwende 30
und genau im 24. Jahr seit dem Beginn der irdischen Raumfahrt, als das geschah. Es war der erste Zusammenstoß mit einem Gegner, der nicht zum eigenen Sonnensystem gehörte. Jim Parker hätte aufjubeln können. Seine Schiffe bestanden die Machtprobe glänzend. Sie feuerten mit ihren weittragenden Superstrahlern, daß alle Doppelschallraffinessen der Sirianer dagegen nicht ankamen. Aber er hatte noch anderes zu tun als zu jubeln. Ein Sirianer hatte sich der „Hope II“ bis auf wenige Meilen genähert. Den mußte er haben! Er stellte das Feuer ein. Die anderen schossen weiter durch alle Mündungsfilter, um sich die Sirianer vom Hals zu halten. Diesen aber ließ Jim an sich heran. Noch mehr. Wahrscheinlich glaubten die Sirianer, der rasende Kreisel mit den rotierenden, roten Kugeln sei schon eroberungsreif. Jim und die zehn anderen Besatzungsmitglieder standen in Wulstpanzern zum Aussteigen bereit. Jim war der einzige, der noch vorn im Steuerraum war und den rasenden Flug regulierte. Plötzlich stoppte er das Schiff. Der Sirianer, der bis jetzt noch tief unter der Sichtscheibe des Steuerraumes stand, zögerte nicht lange. Er tauchte durch den freien Raum zwischen den Kugeln auf und kam auch prompt auf die stillgelegte Mittelkugel zu. Jetzt konnte sich Jim nicht mehr halten. Alles an ihm war bis zum Reißen angespannt. Aber er pfiff ganz kurz und triumphierend auf, als er auf den Gang hinaustrat. Blasse Gesichter starrten ihm entgegen. „Sie sind gleich da! Sira, Eva und Ohlson bleiben zunächst zurück, die anderen in die Schleuse! Zupacken! Ein paar Judogriffe, und dann runter mit ihnen!“ Eva hatte Sira gepackt. Sie zitterte. Ihr war jämmerlich zumute.
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* Nach einer halben Stunde war alles entschieden. Von Fon aus konnten sie über den K-Seher sehen, wie die Raumschiffe des Großen Königs ihre erste schwere Niederlage einstecken mußten. Keines der Schiffe wurde zerstört – aber die Raumschiffe der Erde wehrten sie ab und beschädigten sie so sehr, daß sie mit aufgeschmolzenen Rundwänden und schwerverletzten Soldaten den Rückflug antreten mußten. Der Große König glaubte, wahnsinnig zu werden. Doch er faßte sich rasch wieder und war auch imstande, im KSeher zu beobachten, was nach dem kurzen Feuergefecht der Raumschiffe geschah. Er atmete auf, als er sah, daß sieben Raumschiffe der Erde sich mit größter Geschwindigkeit entfernten, während eines in seinem eigenen Verband mitgeführt wurde. Schon war wieder das kalte, überlegene Lächeln in seinen Augen. Er ahnte nicht, daß sich in dem scheinbar aufgebrachten Raumschiff vier Sirianer befanden, die sich nicht mehr rühren konnten, weil Jim und seine Männer sie kurzerhand gepackt und gebunden hatten, als sie in die Schleuse der „Hope II“ eindrangen. Das war sehr schnell gegangen. Als die Sirianer sahen, daß hinter den gespenstisch und leer dastehenden Raumpanzern in der Schleuse Menschen standen und auf sie warteten, war es zu spät für sie. Nicht einmal die anderen sirianischen Raumschiffe merkten etwas. Die Gefangenen lagen gebunden und bewußtlos auf dem Boden der Schleuse, während die „Hope II“ im Verband der Sirianer zurückgeführt wurde. Wahrscheinlich gelang selbst einem Jim Parker so ein Dreh nur einmal. Wenn das nur gut ging … 32
* Auch sie flogen noch im Verband. Das sirianische Raumschiff war von einer erstaunlichen Primitivität, aber Sira wollte es führen – er übernahm auch schon das Kommando. Neun Erdenmenschen waren bei ihm. Darunter das Mädchen, das er liebte und immer bei sich behalten wollte. Dann Wernicke mit seinen zwei Flaschen im Wulstpanzer und einem Grinsen als wollte er sagen: Wenn ihr wüßtet, was die sollen … Eva hielt sich neben Sira, der den Antrieb des Raumschiffes bediente. Wernicke, Kapitän Ohlson und die anderen Jungen, die das zum erstenmal sahen, verwahrten ihre Zweifel still in ihrem Inneren. Der „Antrieb“ bestand nur aus einem Tastgerät, das die Impulse umwandeln und regulieren konnte, die der Raum des sirianischen Sonnensystems pausenlos gab. Sira hatte nichts zu tun, als an schmalen Ringen, die um einen hohen Stab liefen, zu drehen und sie zu verschieben – ähnlich wie bei dem sirianischen Nachrichtenstab. Ein Erdenmensch wäre daraus nicht klug geworden. „Wir brechen gleich aus!“ sagte Sira. Sein junges Gesicht war gezeichnet von der großen Anspannung, denn jetzt hing alles von ihm ab. Es gelang. Als sich der sirianische Verband im Raum zwischen den Planeten befand und Eva wie in einem schrecklichen Traum durch den durchsichtigen Boden des Raumschiffes fliegende Riesen sehr fern erblickte, machte Sira ein paar schnelle Bewegungen. Wie von Zauberhänden gelenkt, tauchte das Raumschiff unter dem Verband weg und raste auf einen kleinen, roten Stern zu, der weit am Rand des sirianischen Raums lag. 33
Nach einer halben Stunde landeten sie. „Komm!“ sagte Sira zu Eva. Das Mädchen fühlte, wie erregt er war. Sie sah seine Augen unnatürlich groß und glänzend. Sein weiches Gesicht veränderte sich. Sira wurde hart in diesen Sekunden seiner Heimkehr – unerhört hart. Sira wurde zum Kämpfer. Jim ließ die beiden als erste aussteigen. Kapitän Ohlson sah, wie eine scharfe, gleißende Helligkeit über sie fiel, als sie auf den roten Sand des Wüstenplaneten traten. Sira sagte leise etwas zu ihr – Ohlson verstand es nicht. Aber er konnte sich denken, daß es Worte waren, wie man sie zu einer Frau sagt, die man liebt und die man in die eigene Heimat führt. Ohlson war ein rauher Kerl – aber er begann den Sirianer fast zu hassen. Drei Mann blieben als Wache zurück. Sira wandte sich um und winkte Jim Parker neben sich. Sie waren alle schwer bewaffnet. Der Kommodore erkannte, daß sie ungefähr an der Stelle heruntergekommen waren, an der sie schon vor zwei Jahren zum erstenmal aufsetzten. Jim Parker mußte an Professor Thor denken, den großen Narren, der die Menschheit auf seine Art retten wollte und doch die Gesetze des Universums anerkannte, als er seine eigenen Fehler einsah. Er war freiwillig bei dem Sirianer Thor geblieben – hier auf dem einsamen Sternbrocken in der Nähe des unheimlichen Schattenplaneten. Thor, du Narr – lebst du noch? * Der Große König tobte. Er ließ den verantwortlichen Leitoffizier der Raumschiffe festnehmen und in das Staatsgefängnis werfen, aus dem es kein Zurück mehr gab. 34
Mit einem Boot raste er in seinen Palast zurück. „Sie haben den roten Stern angeflogen!“ herrschte er den Chef der inneren Überwachung an. „Das sind Erdenmenschen! Sie haben uns getäuscht!“ Der andere stammelte entsetzt: „Ja – ja – Herr …“ „Fang sie! Sonst …“ „Herr, ich werde Wromm den Befehl übermitteln. Nur – wenn die Schattenwesen wieder stärker sein sollten als die Riesen?“ „Die Riesen müssen sie holen!“ * Thor – lebst du noch? Zeitwerte flossen aus dem Himmel herab auf den roten Sand des einsamen Sternbrockens und auf die Menschen, die ihn durchstreiften. Weit im Süden reckte sich schroff der Felskegel. Sie fanden nichts. Nicht Xa! Nicht Thor! Nur Spuren, die aus der Einsamkeit kamen und in ihr verschwanden. Viele Spuren. Die von Xa und die von Thor. Die beiden mußten oft lange Wanderungen unternommen haben. Langsam näherten sie sich dem Felskegel. „Ich kann mir nicht denken, daß die fliegenden Riesen sie gefangengenommen haben“, sagte Sira bedrückt, als sie sich nach vier kleineren Zeitwerten erschöpft im Sand niederließen, weil sie einfach nicht weiterkonnten. „Xa lebte doch hier unter der Obhut der Schattenwesen.“ „Irgendwo müssen sie doch gewohnt haben“, warf Ohlson ein und sah auf Jim, der neben ihm saß. Wenn nicht die Spannung des mörderischen Pokerspiels sie so in Atem gehalten hätte, würden ihnen vielleicht tiefsinnige Gedanken gekommen sein – hier in der fast idyllischen und nicht einmal furchterregenden Einsamkeit. 35
Neun Lichtjahre weit von der Erde – von New York, von Berlin, von Paris. Aber sie kamen nicht zum Philosophieren. Jim Parker antwortete nicht auf Ohlsons Einwand. Er stand auf und zeigte nach oben. Dann sahen sie es alle: Von den mittleren Doppelplaneten – den sogenannten Wohnplaneten – kamen die fliegenden Riesen der Kerntruppe. Wie große Fabelwesen durchstießen sie das Weltall. Die Erdenmenschen sahen noch keine Einzelheiten. Aber Siras Augen waren schärfer; sie konnten genau die mächtigen Leiber der fliegenden Ungeheuer ausmachen, ihre großen Fangpfeile und Netze. Eva Henderson schrie auf. Es hörte sich schrecklich an, ein junges Mädchen beim Anblick dieser Scheusale aufschreien zu hören. Sira umfaßte sie und winkte ab. Vielleicht ließen die Schattenwesen sie nicht durch. Bald erkannte er, daß sie verloren schienen. Der Doppelplanet, auf dem die gespenstischen und unheimlichen Freunde Xas lebten – die Schattenwesen –, kam am Himmel hoch, und das bedeutete, so hatte ihm Xa erzählt, immer seine Rettung; denn vor den Schattenwesen die von ihm aufstiegen, wichen die fliegenden Riesen zurück. Die Schattenwesen blieben aus. Immer näher kam der Verband der Ungeheuer. Der Anblick dieser Fabelwesen wirkte auf die Erdenmenschen so sehr, daß keiner etwas sagte. Sie sahen abwechselnd auf Jim Parker und Sira und auf das, was an der Klarheit des Himmels immer näherkam. „Wir können nichts mehr tun“, sagte Sira kaum vernehmbar. „Sie werden uns gefangennehmen.“ „Gefangennehmen?“ fragte Jim rauh. „Sie werden uns vor den Großen König bringen …“ 36
* Fon wurde wach. Maras Worte – „Sira kommt!“ – wirkten. Sie pflanzten sich fort, sie waren wie ein Kampfruf. Der Große König wußte um die Gefühle, die ihm das sirianische Volk entgegenbrachte: Haß, Abscheu, Furcht. Doch der Haß wuchs mit diesen Worten. Seine Häscher waren überall. In jeder Siedlung, auf jedem Kanal, in jedem Garten. Auch in den „Gärten der Zwiegespräche“. Das waren nach irdischen Begriffen große Gartenlokale, in denen auch Wein und erstaunlicherweise ein bierähnliches Getränk geschenkt, aber auch von Wissenschaftlern und Priestern der verschiedenen Sterntempel tiefgründige Gespräche geführt wurden. Schon geschah es, daß in einem dieser „Gärten der Zwiegespräche“ einer der Häscher verprügelt wurde. Niemand erwischte die Täter. Der Große König ließ einfach siebzig Sirianer festnehmen, die sich gerade in der Nähe aufgehalten hatten und ins Staatsgefängnis werfen – zu jener Stunde, da die fliegenden Riesen den roten Stern anflogen. Des Großen Königs Augen wurden schmal. „Das lasse ich mir nicht bieten! Ich werde etwas unternehmen müssen!“ „Herr, ich schlage vor, Fon zu evakuieren.“ „Warum? Ich habe eine neue Zuchtrute …“ „Herr, ich weiß: die Waffe des blauen Feuers!“ * „Helft mir! Helft mir doch!“ Eva konnte nicht mehr. Sie brach in Siras Armen zusammen 37
und warf sich so herum, daß sie nicht mehr sehen konnte, was schrecklich und düster herankam. Sira hob sie auf und sah Jim ratlos an. „Wie lange dauert es noch?“ fragte der Kommodore kurz. „Eine gute Stunde.“ „Irgendwo müssen die beiden doch gewohnt haben!“ begehrte Ohlson wieder auf. Er konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, wie das Mädchen sich verzweifelt in Siras Armen wand. Verdammter Sirianer! Man hätte Eva mit Gewalt von diesem halsbrecherischen Abenteuer abhalten sollen! „Vielleicht dort in dem Felskegel?“ Jim wirbelte herum und sah auf den Sandboden. Xa und Thor waren nebeneinander gegangen. Die Spuren führten von Osten heran zu der Stelle, an der sie jetzt standen, und dann weiter nach Westen. Nicht auf den Felskegel zu. Aber vom Kegel her kam eine weitere Spur, die nicht ganz bis zu ihnen reichte. Nelson, der zweite Ingenieur, konnte recht haben. Wieder schrie das Mädchen jämmerlich auf. Sira riß es ganz fest an sich. Scham und Wut wogten in ihm auf. „Sie muß sich irgendwo verstecken! Sie dürfen sie nicht mitnehmen!“ „Der Felsen wird doch Hohlräume haben“, drängte Ohlson, der aussah, als wollte er den Sirianer in Stücke reißen. „Verdammt noch mal, wir können hier doch nicht einfach stehen und warten, bis sie uns anfassen! Kommodore, sollen sie uns wirklich …?“ „Wernicke, ruf die drei vom Schiff her!“ „Kommodore!“ keuchte Ohlson, weiß vor Wut. „Das ist doch …“ „Wir müssen nach Fon“, schnitt Jim Parker ihm kalt das Wort ab. „Wir haben Xa und Thor nicht gefunden – wenn sie nicht im Kegel sind …“ „Dann müssen wir nachsehen!“ „Wir dürfen sie nicht zu nahe an den Kegel heranlassen.“ „Warum nicht?“ 38
„Weil Eva sich dort verbergen muß“, entschied der Kommodore, während um sie die Stille in einem Pfeifen zu ersterben begann, das noch ganz leise und ganz fein war, aber näherkam. „Sira, du oder …“ „Ich muß nach Fon!“ „Bleib bei mir!“ bettelte sie und hob den Kopf. Sie hörte auf das Pfeifen, das das Nahen der Ungeheuer ankündigte, die jetzt zu kurven begannen – immer tiefer … „Ich muß nach Fon!“ entschied sich der Mann, dessen Arme sie hielten, den sie unsagbar liebte. Ihn aber rief die Heimat. „Ich darf mich hier nicht wie ein Feigling verstecken!“ Ohlson riß ihm das Mädchen fast aus den Armen. „Dann tue ich es!“ * Der Große König zögerte nicht. Das blaue Feuer mußte heran! Fon war mit einem Male voller Unruhe und voller Haß. Seine Häscher berichteten erschreckende Dinge. Das Wort „Sira kommt!“ wurde zu einem leuchtenden Fanal, das den Haß peitschte und den Willen, für den Sohn des Sirius zu kämpfen. Der Große König lächelte dünn. „Wie ist es, wenn Zwerge sich erheben? Ich könnte Fon von den Riesen besetzen lassen …“ „Herr, ich würde es tun!“ „Noch nicht, mein Freund! Ich habe die neue Waffe, und ich will sie an Menschen ausprobieren, die berauscht sind von ihrer eigenen Kraft – die triumphieren – verstehst du mich?“ „Herr, ich gebe mir Mühe, Euch zu verstehen!“ „Ich werde Fon dem blauen Feuer aussetzen, um zu sehen, wie es wirkt.“ 39
„Ich glaube, ich kann Euch folgen.“ „In vier größeren Zeitwerten greifen wir die Erde an!“ * Wromm gab das Zeichen. Die fliegenden Riesen – es waren siebenundzwanzig, wie sie vom roten Wüstensand aus feststellen konnten – teilten sich in zwei Schwärme, von denen der eine auf das Raumschiff herabstieß. Die Männer der Wache rannten gerade auf die Gruppe um Jim zu. Wromm sah es, aber er sah noch mehr. Er sah den Menschen, der einen anderen auf den Armen trug und auf den Felskegel zulief. Wromm riß den Fangspeer hoch und zielte. Der Fliehende durfte den Felskegel nicht erreichen! * Vom Fangspeer heulte es los. Ein flammendes Geschoß raste aus vierhundert Meter Höhe herab auf den Kapitän, der Eva Henderson in Sicherheit bringen wollte. Verdammter Sirianer! Jetzt läßt er die Frau im Stich, die er liebt, hämmerte es in Ohlsons Gehirn. Das Geschoß schlug einige Meter vor ihm in den Sand. Eva Henderson war zum Glück bewußtlos. Sie sah nicht, wie ein mächtiger Strahl vor ihnen aus dem Sand aufzischte und Ohlson nur im letzten Augenblick zur Seite ausweichen konnte. Er rannte um die Flamme, die meterhoch und sehr hell war. Er fluchte, aber er tat es diesmal nur, um leichter über den Schreck hinwegzukommen. Wromm versuchte es noch zweimal. 40
Wieder heulte es heran und schlug knapp neben ihnen ein. Dann noch einmal. Aber im Davonjagen erkannte Ohlson, daß der Felskegel allerhand Möglichkeiten bieten würde. Das rote Land stieg vor ihm an. Er keuchte. Der Schweiß hüllte ihn ein wie eine warme, feuchte Wolke. Vor ihm klaffte ein Spalt, der den Kegel aufzuteilen schien. Breit war er nicht, aber er gähnte dunkel aus dem hellbraunen Gestein. Man konnte dort vielleicht das Mädel verteidigen, wenn es darauf ankam. Er sah sich nicht um. Ein vierter Flammenspeer von oben knallte auf. Ohlson rannte einfach in einen sich vor ihm öffnenden Spalt hinein. Er stolperte dabei und stieß Eva hart gegen das Gestein. Armes Mädel … Der Spalt war meterbreit, aber nicht tief. Dafür fiel er an der einen Seite steil ab. Ohlson blieb tiefatmend und unschlüssig stehen. Er sah über seine Schulter auf die Wüste hinaus. Er sah auch, daß ganz in der Ferne das sirianische Raumschiff von den Ungeheuern umkreist wurde, die gerade landeten. Aber das war noch meilenweit entfernt. Er trat dicht an die Stelle heran, wo der Spalt abfiel, und prallte mehr erstaunt als erschrocken zurück. Unten wurde es hell. Über einige Felsvorsprünge konnte man sicher hinabkommen. Vielleicht zehn Meter war es tief. Ohlson versuchte es. Mit der bewegungslosen Eva auf den Armen. Es ging. Er mußte sich durch einen regelrechten Schacht in die große Höhle vorarbeiten, die sich vor ihm auftat. Es war eine Wohnhöhle, mit braunen Matten ausgelegt, wie sie Ohlson bereits im Raumschiff bemerkt hatte, und mit einem Podest an einer Wand, auf dem eine flache Schale stand, der ein blauer, wohlriechender Rauch entstieg. Ohlson atmete auf. Hier also hatten sie gewohnt! Noch immer hielt er in seinen Armen das Mädchen. Ich werde sie nie wieder loslassen, schoß ihm ein Gedanke durch den heißen Schädel. Sira, was würdest du dann wohl sagen? 41
Still war es hier, und still war auch der Mann, den er auf den Matten liegen sah, als er ein langes, tischähnliches Gestell in der Mitte der Höhle umgangen hatte. Er hatte den Mann nie gesehen, aber er erkannte ihn auf Anhieb: Es war ein Erdenmensch … Es war Professor Thor – und er war tot. Sein sirianisches Gewand, das er über dem zerschlissenen Raumanzug mit den Zeichen des SA.T. und der „Organisation Andromeda“ trug, war zerrissen und blutig. Neben ihm ein Zettel – mit Bleistift flüchtig beschrieben. Ohlson wandte sich ab, bettete Eva auf ein Mattenlager und bückte sich dann zu dem Zettel hinab. „Sie haben Xa gefangengenommen“, stand dort kaum leserlich hingeworfen. „Ich rannte fort, aber ich kann nicht …“ Nichts mehr. Ohlson nahm den Taschensprecher aus der Wulstkombination und schrie hinein. * „Hallo, Kommodore! Hallo!“ Jim Parker stand mit den anderen noch auf derselben Stelle, von der aus Ohlson mit Eva losgerannt war. Sira hatte ihnen nachgesehen. Sein Gesicht war sehr hart und sehr schmal. – Als der TS-Sprecher sich meldete, nahm der Kommodore das Handgerät und ließ sich von Ohlson berichten. Sie hatten alle ihre Strahler in den Fäusten. Beim sirianischen Raumschiff, das von hier aus nur als kleiner Punkt sichtbar war, standen jetzt gigantische Gestalten in der flirrenden Hitze des Tages. Ihre Schwingen hatten sie auf den Rücken zusammengelegt. Engel des Satans! Drei von ihnen hoben das Raumschiff wie ein Spielzeug hoch. Sie schreckten zusammen, die sieben anderen Jungen, als sie ihren Chef sprechen hörten. „Ich habe verstanden, Ohlson. Dan42
ke! Bleiben Sie, wo Sie sind! Achten Sie auf das Mädel! Lassen Sie es unter keinen Umständen den Riesen in die Krallen fallen! Wo und wann wir uns wiedersehen, müssen wir abwarten! Schluß!“ Dann wandte er sich Sira zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Xa ist von den Riesen gefangengenommen worden. Thor ist tot. Er hat das noch aufgeschrieben, bevor er starb.“ Sira warf seine Waffen fort. „Dann müssen wir mit ihnen! Es tut mir leid um euch, meine Freunde, aber …“ „Schon gut, Sira.“ Sie warfen alle ihre Waffen in den Sand. * Mara bückte sich. Die Glockenpeitschen der Wärter pfiffen wieder von der Galerie herab in die Käfige der Staatsgefangenen. Das Zentralgestirn stand hoch über Fon – man würde ihnen gleich die Beutel mit den Sonnenbeeren herabwerfen. Der Wink mit der Glockenpeitsche war der gehässige Auftakt dieses täglichen Ereignisses. Mara zog den Kopf ein, bis der Wärter mit einem grölenden Lachen weiterging. Dann richtete sie sich wieder auf und ging durch den Käfig, der nur einige Schritte lang und auch nicht breiter war, an die Glaswand, die sie von dem grünlich schimmernden Wasser des tiefen Kanals trennte. Mara war traurig. Sie wußte nicht, daß weit über ihr bereits die Flamme aus der Glut des Hasses aufzüngelte. Sie hatte zuviel gesehen in den letzten Zeitwerten, zu viele Schreie gehört, die aus der großen Vernehmungshalle herüberhallten. Sie preßte ihre Stirn gegen die Kühle der Sichtwand 43
und weinte vor sich hin. Die Fische, die stumm und still aus ihrer untergründigen Welt hervorkamen und mit rötlich leuchtenden Augen hereinstarrten, konnten sie nicht mehr ablenken – zunächst waren sie ihre stillen Tröster gewesen. „Mara!“ Sie wollte es nicht hören, aber es war so: Hinter ihr auf der Galerie stand wieder ein Wärter und schrie zu ihr herab. Sie wandte sich um. Er verschwand und trat gleich darauf durch eine schmale Tür in den Käfig. Er blieb stehen und winkte. Stumm und ergeben folgte sie ihm über die Galerie, dann einen Abhang hinunter und durch viele Gänge. Sie achtete nicht darauf, daß er verschiedene Rangabzeichen trug. Sie wurde aber aufmerksam, als er sie auf den Gang führte, der direkt auf den weiten Platz vor dem Staatsgefängnis ging, von dem aus der nächste Kanal zu erreichen war. Er blieb stehen. Sie waren allein hier – bis auf ein paar Wärter, die sich aber erstaunlich ruhig verhielten. „Das Volk von Fon wartet auf dich“, sagte er leise. „Du kannst fliehen – keiner wird dich hindern.“ Mara glaubte, umzusinken; aber sie sah, daß seine Augen und auch sein Lächeln gut waren. „Geh, Mara! Geh – die Freiheit bricht an!“ * Mara ging. Sie lief an den Wärtern vorbei und durch das große Automatictor, das sich wie von selbst vor ihr öffnete – dann hinunter zum Kanal, wo ein Boot bereitlag. Als sie den Kanal entlangfuhr, hörte sie schon ein mächtiges Singen. Es waren die Sirianer. Sie kannten keine Musik. Aber sie sangen. Zum Zentralgestirn empor und aus den roten und gel44
ben Blüten der blumenartigen Gewächse, die gerade in diesen Zeitwerten ihren ganzen paradiesischen Zauber verströmten, stieg das alte sirianische Freiheitslied, das sie seit mehreren großen Zeitwerten nicht mehr singen durften. Maras Augen glänzten. In der Ferne sah sie Militärboote auftauchen; sie warf ihr Boot herum und steuerte eine der großen Kernsiedlungen an. Dort sprang sie an Land und rannte die Böschung hoch zu der ersten besten Straße. Sie packte den schlanken Stamm der silbrigen Palme und versteckte sich hinter ihr. Noch wurde sie nicht gesehen – aber was sie sah, war das Wunder. Das große Wunder, auf das schon ihr Vater gewartet hatte. Fon stand auf! Die Straßen und Wege der großen Siedlung waren überfüllt von Sirianern, von Männern, Frauen und Kindern. Sie drängten sich alle zum großen Rundplatz in der Mitte und über ihn weg zu ihrem höhergelegenen „Garten der Zwiegespräche“, wo gerade etwas geschah, was Mara nie für möglich gehalten hätte. Mit großen, glänzenden Augen sah sie es. Junge Sirianer in Festtagskleidung stürzten die hohe, schlanke Säule um, die die Symbole des Geschlechts der Großen Könige trug – sie hingen an ihr und rüttelten sie so lange, bis sie nachgab und brach. Dann sprangen sie rasch weg. War das etwa in ganz Fon so? * Das war der Aufstand! Aber es war ein Aufstand der Gefühle, der Schwärmer und der Träumer. Alle Macht lag noch beim Großen König. Alle Waffen hatte er. Raumschiffe, Doppelschall und das blaue Feuer. Und die Verbände der fliegenden Riesen. 45
Wromm landete als erster. Er kippte sich nach hinten weg, als er zweihundert Meter hoch war, und ging in aufrechter Haltung vor Jim Parker nieder, der furchtlos vorgetreten war. Wromm war mehr als zwanzig Meter groß und entsprechend breit. Er war ein Turm für die Sirianer und die Erdenmenschen – eine Bestie, geboren aus der Urkraft der Sonne. Wromm hatte ein hartes, weißes Gesicht. Aber man sah ihm an, daß er ein Intelligenzwesen war. Die anderen Riesen, die in geschlossener Formation und gestaffelt hinter ihm niedergingen, waren sicher nicht imstande, das zu beurteilen, was sie taten – ihr Führer aber konnte denken. Fritz Wernicke spielte gereizt mit seinen beiden Flaschen und schmiedete finstere Pläne. Er kam zum Glück nicht dazu, Dummheiten zu begehen. Es ging alles zu schnell. Der Abstand zwischen Wromm und den Menschen betrug vielleicht zehn Meter. Jim gab mit der Hand verstohlen ein Zeichen – sie sollten sich nicht bewegen. Er war ganz ruhig. Jim Parker hatte schon zuviel durchgemacht, um sich vor diesem gigantischen und grandiosen Wesen des Kosmos überwältigen zu lassen – er wußte, daß er ihm physisch unterlegen war. Er würde ihm aber auch nur physisch unterliegen. Das Pfeifen, das bei ihrer Ankunft die Atmosphäre des Planeten bewegt hatte, blieb. Es war, als wenn ein Wind unaufhörlich durch Baumwipfel strich. Dann aber konnten ihre Sinne es nicht mehr aufnehmen. Eine große Müdigkeit senkte sich auf die acht Männer herab, die nicht wußten, was ihnen geschah. Es wurde schwarz um sie. Jim fühlte noch, wie er in die Knie brach, und er glaubte auch noch zu sehen, daß die Ungeheuer die Arme hoben und etwas über sie warfen. Aber dann war es schon aus. 46
* „Herr, sie stürzen Eure Symbole!“ „Ich weiß“, lächelte der Große König und musterte seine Vertrauten und seine Nachrichtenoffiziere mit offenem Hohn. „Sie toben sich aus wie kleine Kinder. Warum sollen wir ihnen nicht ihren Spaß lassen?“ „Aber – Eure Symbole!“ „Ich werde sie nach ein paar größeren Zeitwerten wieder aufrichten lassen, nur …“ Atemlos warteten sie auf das Urteil des Schrecklichen. „… dann wird kein Einwohner Fons die Sonne mehr sehen.“ Sie wußten es: Die neue Waffe lähmte und zerstörte die Sehnerven. Draußen jubelte Fon. * Kapitän Ohlson sah, was mit den anderen geschah. Er war hochgeklettert. Eva lag noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit. Er aber stand im Spalt und stemmte sich mit den Fäusten gegen das rissige Gestein, um nicht irgendeine Dummheit zu begehen. Die Riesen spielten mit den kleinen Menschen. Sie brachten das sirianische Raumschiff heran und hoben mit ihren Fangspeeren die Bewußtlosen herein. Dann stiegen sie wieder auf. Ohlson preßte die Kinnbacken zusammen, daß sich sein Gesicht verzerrte. Kamen sie? Sah nicht der Anführer der Riesen herüber zum Felskegel? Ja, Wromm sah hin. Vielleicht sah er sogar den Menschen, der sich dort vor ihm verbergen wollte. Aber er wandte sich nur schroff um, und dann stiegen sie auf. 47
Das Raumschiff in der Mitte des Verbandes. Sie kurvten hoch und schlossen sich wieder zu einer Marschformation. Jetzt waren sie allein. Eva und er. Ohlson legte den fieberheißen Kopf auf seinen ausgestreckten Arm und stöhnte auf. Vielleicht war in seinem Stöhnen ein Beten. Er wußte es selber nicht. Der davonfliegende Verband funkelte im Schein des Zentralgestirns auf. Aber der schwarze Doppelplanet, von dem sie sagten, daß auf ihm unheimliche und unbekannte Schattenwesen hausten, geisterte immer höher am Himmel auf und glitt auf das Zentralgestirn zu. Die Nacht würde kommen – sie würde nur Stunden dauern, aber er war allein mit Eva … Kapitän Ohlson kletterte wieder zurück. Er zog eine kleine Flasche aus der Wulstkombination und rieb sich mit dem eisigen und scharfen Wasser Gesicht und Handgelenke ab. Dann war er soweit, daß er den armen Thor nach oben schaffen konnte. Er wickelte große, braune Matten um ihn und mußte sich damit erheblich abmühen. Thor tat ihm leid. Fremde Planeten hatten um ihn gekreist und ihn eingeschlossen in eine Welt, zu der er nicht gehörte. Vielleicht war er hier glücklicher gewesen als auf der Erde – aber Ohlson schauderte zusammen bei dem Gedanken, daß es Eva und ihm ebenso ergehen sollte. Er bettete Thor draußen im Schatten des Kegels. Mehr konnte er noch nicht für ihn tun. Es dunkelte schon. Die davonfliegenden Riesen mit dem sirianischen Raumschiff waren nicht mehr zu erkennen, aber die Dunkelheit kroch wie ein lebendes Wesen auf ihn zu. Wieder schauderte Ohlson zusammen. Die große Einsamkeit begann ihn zu würgen. Geisterte nicht etwas in ihr auf? Irgend etwas? Wie auf unsichtbaren Schwingen? Er kletterte wieder zurück. 48
* Wromm sah Fon unter sich. Fon lag noch in vollem Sonnenlicht, und deutlich konnten die Riesen erkennen, daß es voller Bewegung war, voller Brüllen und Singen. Wromm fragte über ein kugelartiges Gerät bei der zentralen Militärleitstelle an. Sie sollten in vierzigtausend Meter Höhe verhalten, lautete die Antwort, und bei einem neuen Befehl südlich von Fon landen. Die große Pokerpartie erreichte ihren Höhepunkt. War Parker ein hervorragender Stratege, so waren die Heimtücke und die Schläue des Großen Königs nicht zu überbieten. Er berechnete genau, was jetzt zu geschehen hatte. Während die fliegenden Riesen und ihre Gefangenen noch immer in den oberen Schichten der Atmosphäre kreisten, geschah etwas, was selbst in dieser Stunde des Aufruhrs so unwahrscheinlich war, daß es die Einwohner von Fon zunächst mehr betäubte als begeisterte: Die Truppen des Großen Königs begannen abzuziehen. Nur das Regierungsrund blieb unter dem Schutz von Kerntruppen. * Die grünen Militärboote schwirrten hoch. Geschwaderweise stiegen sie aus den Kanälen, die bisher für den zivilen Verkehr verboten waren. Vollgepfropft mit blauuniformierten Soldaten. Anrro, der Gelehrte der „Himmelswissenschaften“, eilte in den größten „Garten der Zwiegespräche“, als er das sah. Er gehörte zur Widerstandsbewegung und hatte in jedem 49
Zeitwert mit seiner Verhaftung gerechnet. Nun erkannte er, daß er alles tun mußte, den Aufruhr in geordneten Bahnen zu halten. Über ihn hinweg schwirrten die Militärboote auf und verschwanden südwärts. Anrro war weit davon entfernt, in den Begeisterungssturm einzustimmen, der ihn im Garten empfing. Er kannte den Großen König zu genau. Aber was half es – Tausende von großen Booten flogen vollbesetzt ab. Auf dreimal tausend schätzten die besonnenen Sirianer sie. Das war ein Ereignis, das stärker zu sein schien als alle Zweifel. Aus dem Freiheitslied wurde das uralte Kampflied der Sirianer. Anrro stieg auf die halbierte Ehrensäule des Großen Königs und hob beide Arme. „Hört mich! Hört mich doch!“ Sie sahen ihn, sie verehrten ihn wie Sira und Xa und alle anderen edlen Männer. Sie überschrien sich und warfen Blumenkränze zu ihm empor. Dann schrie es einer zuerst: „Holt sie raus! Befreit sie aus dem Staatsgefängnis!“ „Schlagt den Großen König!“ * Zwei Boote kamen von Süden. Sie trugen nicht die Merkmale des Militärs, aber sie konnten den schwerbewaffneten Kordon der Kerntruppen passieren, der um das Regierungsrund stand. Sie glitten in den Kanal, der direkt in die Vorhalle des Palastes führte. Unter dem hohen, goldenen Dach wurden sie aus den Booten getragen: Jim Parker, Sira, Fritz Wernicke und die anderen. Sie lagen noch immer regungslos in den Soldatenarmen. Ein hoher Offizier, der am Kai auf dem roten, kostbaren Plattenboden stand, nahm gerade eine Meldung entgegen, die von draußen kam. 50
„Vom ersten ‚Garten der Zwiegespräche’ her nähern sich Zehntausende unter der Führung des Anrro!“ „Dann laßt Anrro auf der Stelle erschießen!“ begehrte ein anderer Offizier auf, der danebenstand. „Das würde der Große König nicht gutheißen! Anrro soll ruhig triumphieren. Doch noch dürfen wir sie nicht passieren lassen!“ Das Wasser gluckste leise. * Einige Meilen weiter aber rauschte es auf. Rauschte auf unter dem Ansturm der roten und gelben Boote, die besetzt waren mit vielen Tausenden von Sirianern, die ihre Freiheit erkämpfen wollten. Anrro führte sie. Sein längliches Gesicht war ernst in all dem Jubel. „Schlagt den Großen König!“ * Davon hörte Kapitän Ohlson nichts. Die Dunkelheit kroch heran an den Felskegel und floß um ihn zusammen, bedeckte sein hellbraunes, rissiges Gestein mit tastenden Schattenhänden. Kein Laut ringsum. Mit klopfendem Herzen hockte Ohlson unten in der Höhle neben Eva. Noch lag sie auf ihrem Lager und wußte von nichts. Aber in ihrem schönen, schmalen Gesicht zuckte es wie vor dem Erwachen. Ohlson fürchtete sich davor. Wenn sie nur noch einige Stunden schlafen würde, bis die schreckliche Dunkelheit gewichen war. Ohlson traute der schweigenden Nacht nicht. 51
Er wirbelte auch gleich herum, als hinter ihm im Schatten etwas war. Er fühlte es körperlich. Ein Schattenwesen stand am Eingang. Stand? Seine Form war kaum zu erkennen. Es war nichts als eine nebelhafte Schwärze, die sehr schmal war, aus dem Boden aufwuchs und nur ganz unklar menschliche Umrisse zu zeigen schien. Das Schattenwesen war nicht ruhig. Es pendelte nach vorn und dann nach hinten und wieder nach vorn in einem grotesken Rhythmus, als wolle es sich gleich auf die beiden stürzen. Ohlson sprang auf. Riß seinen Strahler hoch. Feuerte. Zweimal. Dreimal. Aber die harten Strahlenschüsse fuhren in das Gestein und zeichneten es. In wildem Entsetzen sprang er zum Eingang. Es mußte doch etwas gewesen sein! Er wollte es unschädlich machen. In diesem Augenblick öffnete Eva die Augen. „Ohlson?“ fragte sie laut und furchtsam. „Was ist?“ * „Schlagt den Großen König!“ In Sprechchören kam es heran, ließ die warme Luft des bald vergehenden „Ersten Lichtes“ erzittern und drang über das stille Wasser in die pompöse Vorhalle des Palastes. Aber auch Jim Parker und Sira hörten es noch nicht. Sie wurden durch die lange Halle geführt, die sich ihr anschloß. Zuerst der Kommodore. Umgeben von acht schwerbewaffneten Soldaten mit goldenen Behängen an den blauen Uniformen. Erst nach ihm Sira. Ebenfalls umgeben von Uniformierten, nur, daß diese die Rangabzeichen von Offizieren trugen. Jim Parker hatte eine Stirnwunde, über die man ihm ein heilendes Pflaster geklebt hatte. Wahrscheinlich hatte einer der 52
fliegenden Riesen ihn verletzt. Jim Parker wußte aber nicht, wie. Er fühlte sich überhaupt nicht gut. Seine Knie waren weich, und um ihn war ein Dröhnen, wie das einer herannahenden Flut. „Schlagt den Großen König!“ rollte dröhnend der Sprechchor der Sirianer. In der Halle wurde es mit einem Schlage dunkel. Der wohltuende Duft getrockneter und verbrannter Pflanzen verstärkte sich jedoch, und als plötzlich ein hünenhafter Sirianer in der blaugoldenen und mit Symbolen reichverzierten Uniform eines hohen Stabsoffiziers auf sie zukam und sich kurz verneigte und sie dann über vier breite, schneeweiße Stufen in einen Kuppelraum geführt wurden, wußte Jim Parker, was ihnen bevorstand: Die Begegnung mit dem Großen König. * Transpluto. Aus dem Nebel heraus, der nie von diesem verdammten, schwerfälligen Planeten am Rande des Sonnensystems weichen würde, tauchte ein Schrauber auf. Er setzte auf dem „Feld A“ auf, das der eigentliche Ausgangspunkt aller interstellaren Raumflüge war. Hier wurden die Raumschiffe der „Organisation Andromeda“ gebaut und klargemacht – hier, in den gigantischen Hallenbauten, die eine Fläche von der Größe New Yorks einnahmen und die in einem großen Halbkreis das Feld umstanden. Der Stellvertreter Jim Parkers als Chef der „O.A.“, Kapitän Tenfor, und der Personalchef der Organisation, Dr. Ahlberge, stiegen aus dem Schrauber und gingen auf eine Gruppe von Raumkapitänen zu. Einer von ihnen trat vor und meldete fünfzehn interstellare Raumschiffe startklar. Von den Raumschiffen 53
war allerdings nichts zu sehen. Sie wurden in den Hallen aus den Kugeln zusammenmontiert. Tenfor lächelte. „Meine Herren! Sie werden sich wohl denken können, wohin die Reise geht.“ „Sirius! Nicht schwer zu erraten.“ „Richtig! Der Kommodore hat bei seinem Abflug den Befehl erteilt, daß ihm in vierzig Tagen fünfzehn Raumschiffe zu folgen hätten. Die vierzig Tage sind um! Sie erhalten noch vor dem Erreichen des sirianischen Systems von dem Kommodore über IS-Funk oder auf eine andere Weise weitere Informationen. Wenn nicht, haben Sie rücksichtslos die sirianische Hauptstadt Fon anzugreifen.“ „Wir fliegen im Magnetfeld ‚S’?“ „Selbstverständlich! Sie starten in elf Stunden!“ * Der Große König kam ihnen entgegen. Jim Parker dachte in diesen Minuten an seine Kameraden, die sich jetzt wohl fertigmachen würden, um ihm zu folgen – aber dann sah er nur noch den Mann, für den nichts galt als die Größe seines Geschlechts und seine eigene. Man konnte vieles gegen ihn sagen – etwas Königliches In Haltung und Würde konnte man ihm nicht absprechen. Jim Parker würde diese Begegnung nie vergessen. „Ich weiß nicht, wie man in Eurer Sonnenfernen Heimat Grüße austauscht“, sagte der Große König langsam auf sirianisch. „Aber ich sehe, Ihr hattet Euch den König der Sirianer anders vorgestellt.“ Jim schwieg – er erwiderte sehr ruhig und beherrscht den Blick des Sirianers. Auf dem Kanal hatten die Sprechchöre der Aufständischen fast den Kordon der Kerntruppen erreicht. 54
„Ich werde Euch leider nicht lange bei mir sehen können“, fuhr der König lächelnd fort und machte mit der Rechten eine unbestimmte Bewegung, daß seine goldenen Ketten fein klirrten. „Die Herrschaft unseres Geschlechts über diesen Planeten endet in wenigen kurzen Zeitwerten! Sira!“ Unvermittelt wandte er sich an den, den er bisher noch nicht beachtete und in dessen tiefen, umschatteten Augen ein fanatischer Haß brannte. „Wir mußten Euch vor einigen großen Sonnenumläufen die Herrschaft entreißen! Die Sendung unseres Geschlechts ist auf diesem Planeten erfüllt. Seid Ihr bereit, Euer Erbe in Fon wieder anzutreten?“ „Das hängt nicht von Euch ab“, antwortete Sira stolz. „Ich glaube doch!“ Das Lächeln auf dem glatten, klugen Gesicht blieb. „Vielleicht habt Ihr es noch nicht vernommen, als wir Euch zu uns bringen ließen! Ihr habt eine treue Freundin, Sira, eine schöne sogar! Ihr kennt doch Mara, die Tochter des Neda.“ Sira stieg das Blut zu Kopfe – er wollte einen Schritt vortreten, aber die Offizierswache hielt ihn. „Sie sollte meinen Sohn heiraten, aber sie wurde zu der Botin Eurer Rückkehr! Das Volk von Fon steht hinter Euch, und ich glaube, auch das der Länder, die zu Fon gehören! Soll ich es Euch ganz offen sagen? Ihr könnt triumphieren, Sira! Es ist aufgestanden, um mich davonzujagen! Warum bleibt Ihr so ernst?“ Stille. Er blickte nur noch Sira an, und der Blick, den er von dem jungen Sirianer erhielt, sagte ihm genug – Sira würde sich wahrscheinlich nicht damit zufriedengeben, ihn davonzujagen. Zwei Offiziere traten durch eine Nebentür ein und machten dem König ein Zeichen. Die Aufständischen und die Kerntruppen standen sich jetzt an der Grenze des Regierungsrunds in breiter Front gegenüber. 55
Ein Zurück gab es für Anrros Fanatiker nicht mehr. Jeden Augenblick konnte die Hölle losbrechen. Das Lächeln des Großen Königs vertiefte sich noch. „Verzeiht, daß ich den Aufstand Eures Volkes nicht ernst nehme! Ich bin dafür, daß man Zwerge spielen läßt, aber wenn meine Sendung in Fon nicht erfüllt wäre, hätte ich mit der Antwort, die den Ungehorsamen eigentlich gebührt, nicht gezögert. So mögen sie glauben, ich weiche vor ihnen.“ Sira wurde hellwach. Aus der dumpfen Wut, die nur an Hohn und Verspottung zu glauben wagte, stieg die Aufmerksamkeit eines Raubtieres, das unvermittelt seine Beute wittert. Er spannte sich, hob die Schultern an und neigte sich etwas vor. Jim sah es. Er betete, daß Sira jetzt keine Dummheiten begehen möge. „Ich warne Euch, Sira!“ fuhr der Große König fort, und seine Stimme wurde härter. „Fon ist nicht das sirianische Reich! Versuche nicht, über diesen Planeten hinauszugreifen.“ Sein Blick senkte sich wieder in den des Jungen. Dann wandte er sich noch einmal an den Erdenmenschen. Aufrecht und im Bewußtsein seiner Unbesiegbarkeit. So wandte er sich auch ab und schritt davon – gefolgt von einem ganzen Haufen seiner Vertrauten, die nicht ganz so gelassen zu sein schienen wie ihr Herr. Sira stieß einen Laut aus, in dem sich alles brach, was er geduldet und erlitten hatte. Er wollte vorspringen. Aber die Offiziere packten ihn und zerrten ihn zu einer Säule. Auch Jim faßten sie so hart an. Sira wehrte sich verzweifelt. Er sah, daß von der Säule Ketten herabhingen. Sein Laut ging in ein Brüllen über, das nichts war als Wut und Haß und. Haß und Wut – aber es half ihm nichts. Jim wehrte sich nur zum Schein, er zwinkerte Sira zu, aber der sah nichts mehr, der beugte sich tief vor und stemmte sich 56
und war kaum zu bändigen. Sie schlossen die Ketten um sie, die sie mit den Säulen vereinten. Sehr rasch ging es. In den Gesichtern der Offiziere und Soldaten arbeitete die Unruhe. Dann ein scharfes kurzes Kommando. Sie ließen von ihnen ab und rannten auf die Nebentür zu. Die Schritte hämmerten. Blaue Uniformen blitzten im schrägfallenden Licht. Dann das Fallen der Tür. Sie waren allein. Aber bevor sie noch etwas sagen konnten, wendete sich das Schicksal für sie und scheinbar auch für Fon. Wieder wurde es laut. Von der langen, schmalen Halle her lärmte es auf mit Schritten und Schreien, mit Jubel und Singen. Das waren nicht wenige! Das mußten viele sein! Es waren viele! 5000 Sirianer aus dem Staatsgefängnis. An ihrer Spitze der edelste Gelehrte des sirianischen Systems, der Mann, der nie versagt hatte. Er stürmte ihnen voran über die vier weißen Stufen in den Kuppelraum. Es war Xa. * In diesem Augenblick siegten die Aufständischen. Der Kordon der Kerntruppen des Großen Königs löste sich auf. Nicht panikartig. Auf ein Kommando, das über die Nachrichtengeräte des Königs an die Boote verteilt wurde. Sie wendeten schlagartig und gingen gleich auf Flug. Der Schrei von Zehntausenden dröhnte hinter ihnen her. Die grünen Militärboote pfiffen auf das Regierungsrund zu, kurvten dort wie Schwärme von Insekten und stiegen dann auf einige hundert Meter. Sie nahmen Südkurs. Unter ihnen ergoß sich die Flut der Aufständischen. Hier war Anrro an der Spitze. Er hörte den sich immer erneuernden Jubel, der ihm gegen 57
die Ohren dröhnte, aber er war der einzige, dessen Gehirn fieberhaft arbeitete, der nicht glauben wollte, daß der Große König vor ihnen floh. Aber jetzt gab es kein Halten mehr. Sein Boot fuhr an der Spitze eines Triumphzuges. Vor sich sah er den Kanal in ihre Fahrtrichtung kreisen, der direkt in die Vorhalle des Regierungspalastes führte. Die schneeweißen Blüten an den Ufern verströmten einen betäubenden Duft in der ersten Dämmerung, die auf Fon fiel. Über der Vorhalle eine Balustrade. Viele Gestalten wurden auf ihr sichtbar. Sie winkten ihnen entgegen. Zwei traten vor – sie hielten sich umschlungen. Xa und Sira. * „Die Narren …“ Der Große König sah auf Fon herab, das sich weit unter ihm wegdrehte. Gleich darauf geriet er in den Schatten des Wohnplaneten und stieß dann in die gleißende Helle des Weltraums vor. Seine Raumschiffe flogen in Schlachtformation. Es waren vier. Aber nur drei von ihnen waren mit seinen Vertrauten und hohen Offizieren besetzt. Im vierten befanden sich nur technische Spezialisten, einige Wissenschaftler und ein Ding, das er am liebsten vor jedermann verborgen hätte. Er hatte den Verantwortlichen für das vierte Raumschiff die Todesstrafe für jede Unachtsamkeit angedroht. Sie flogen dem dritten Doppelplaneten des Systems entgegen. Der Große König spürte noch immer den haßerfüllten Blick des Sohnes des Sirius, aber er wußte auch, was Fon noch bevorstand, und wieder lächelte er. Er trat an eine große weiße 58
Rundwand, die sehr grob und unscharf die Umrisse einer Stadt wiedergab. Aufmerksam prüfte er die Umgebung der Stadt und winkte dann einen Vertrauten heran. „Wir werden dort sein, bevor die Dunkelheit Ars erreicht hat! Ist alles vorbereitet?“ „Herr, die Truppen erwarten Euch!“ „Die Stadt muß geräumt werden! Ich brauche Platz für das blaue Feuer!“ „Die Stadt wird bereits geräumt!“ Der Große König überlegte. Dann befahl er: „Die ersten Feueraugen sollen nach Fon!“ * Über Fon sank die Dämmerung. Sie deckte die Blüten an den verträumten Kanalufern zu, die sich vor ihr schlossen. Den Jubel der aufgewühlten Herzen dämpfte sie nicht. Die Männer, die dem Staatsgefängnis entkommen waren, bildeten bereits eine provisorische Wachtruppe für den Sohn des Sirius. Die tobende Menge war aber nicht aus dem Regierungspalast zu entfernen. Von den hohen Türmen riefen die Signalfeuer die männlichen Sirianer auf, militärische Formationen zum Schutze der Länder um Fon zu bilden. In einigen mittleren Zeitwerten würde Sira eine neue Regierung bilden. Vom Weltall herab aber nahte bereits der Tod. „Die ersten Feueraugen sollen nach Fon!“ Der Große König lächelte. *
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Die Signalfeuer der schlanken Türme riefen. In allen Siedlungen von Fon verstand man die Zeichen, die nicht mehr die geheimnisvollen Signale der Gewaltherrschaft enthielten, die jetzt zerbrochen war. Zerbrochen wie die Säulen des Großen Königs. Nur noch heruntergerissene Uniformen fand man an einigen Stellen. Blaue Uniformen. Und schwerverletzte Soldaten des Großen Königs. Von irgendwoher kamen neue Gerüchte. Der Große König wird zurückkehren, sagten sie, er wird mit einer neuen grausamen Waffe die Stadt vernichten und uns alle, die wir in ihr wohnen – dann das Land – dann die ferne Welt unserer Freunde, die Erde. Sie lachten, als die Gerüchte ihre Ohren erreichten. Der Große König ist geschlagen! Seht ihr nicht, wie hilflos seine Soldaten daliegen, die mit ihren Booten nicht mehr entkommen konnten, die unsere jungen Draufgänger abfingen und sie dann zusammenschlugen? Das ist eines Sirianers unwürdig, sagt ihr? Denkt an alles, was sie uns vorher zufügten. Sie bargen die Verletzten und brachten sie in die Spitäler, in denen man sie mit Kräutern und taufeuchten Gräsern behandeln würde. Sie tauchten unter für die Blicke der Öffentlichkeit – sie waren nicht mehr. Nichts war mehr, was an den Großen König erinnerte. * Die Signalfeuer riefen. Sie riefen den Namen eines Mädchens über die Stadt, und alle, die es sahen, stimmten Hochrufe an und warfen leuchtende Blütenkränze gegen den dunklen Himmel. Das Mädchen aber war bereits unterwegs zum Regierungspalast. Sira saß neben Jim Parker und Xa auf den Matten im Kuppel60
haus. Xa hatte eine Schreibrolle vor sich und einen langen dünnen Stift. Seine Hand zitterte, wenn er die Schriftzeichen setzte, die aus lauter winzigen Kreisen bestanden, denn auch er hatte gelitten in der Haft, auch er hatte sich gebückt, wenn von der Galerie her die Peitschen in die Käfige pfiffen – aber er war frisch und elastisch wie immer. Einer von der provisorischen Wachtruppe trat ein und meldete, Mara sei eingetroffen. Sira erhob sich. Ein großes Erschrecken befiel ihn. Er sah Jim Parker an. Der nickte nur. Jim sah ihm nach – er mußte an Eva denken; sie tat ihm leid, denn nun würde sich die Welt wieder um Sira schließen, die eben doch neun Lichtjahre von der Erde entfernt lag. Sira trat in die schmale Halle. Er winkte den Sirianern zu, die in einem Halbkreis um das Mädchen standen. Sie verneigten sich und gingen. Mara rührte sich nicht. Sie sah sehr schön aus in dem kurzen weißen Gewand, das sie trug und das mit roten Blüten geschmückt war. Siras Herz hämmerte auf. Er trat auf sie zu. Seine Hände hoben sich und tasteten über ihre Schultern. Mara hob ihm ihr Gesicht entgegen. In ihren dunklen Augen leuchteten alle Sterne, und ihre Arme legten sich um ihn. Dann sah sie, daß er lächelte, aber ernst und befangen. „Du warst lange fort, Sira“, sagte sie leise. „Die Sonne umlief uns, und immer wieder kam eine Dämmerung, eine hoffnungsloser als die andere.“ „So sehr hast du auf mich gewartet?“ „Nur noch auf dich!“ „Mara!“ Er riß sie an sich, wie er das früher sooft getan hatte, und sie preßten ihre Gesichter zusammen, wie es unter dieser Sonne alle taten, die sich gern hatten. Aber dann schob er sie sachte wieder von sich und sah an ihr vorbei. „Ich muß dir etwas sagen, Mara!“ 61
* Kapitän Ohlson bückte sich. Hier, an dieser Stelle vor dem Schacht war der Schatten aus dem Boden gewachsen, der rissig war und steil abfiel. Von allen guten und bösen Geistern ließ er sich nicht davon abbringen, daß hier wirklich etwas gewesen war. Ohlson hielt noch immer seinen Strahler in der Hand, doch er schob ihn rasch in die Kombination, als er vor sich etwas liegen sah, was dort vorhin noch nicht gelegen hatte. Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte sie. Es waren einige kleine, durchsichtige Kristalle. Ohlson schob sie in eine Kunststoffdose, die er ebenfalls in die Kombination steckte. Dann wandte er sich wieder der Höhle zu. Er war enttäuscht und doch auch irgendwie beruhigt. Er wollte es nicht erleben, daß noch einmal so ein Schattenwesen auftauchte, denn Eva ging es nicht gut. Das Mädel schien einfach fertig zu sein. Sie lag auf dem Rücken und sah ihn an. Sie lächelte. Aber er hätte alles dafür gegeben, daß sie es nicht getan hätte. Wie konnte man nur so unnatürlich lächeln – so wissend und doch wieder so niedergeschlagen! Was hatte sie nur? Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, und doch schienen sie etwas in sich, aufzunehmen, was es hier gar nicht gab. Hatte sie etwa Halluzinationen? Auf diesem Stern war alles möglich! Verdammte Sirianer! Ich nehme das Mädel mit zur Erde, darauf kannst du dich verlassen, Sohn des Sirius! Er ließ sich bei ihr auf die Knie nieder und packte ihre Schultern. Sie schüttelte den Kopf. „Sie brauchen nicht so besorgt zu sein, Ohlson! Sie werden gleich ein sirianisches Raumschiff entsenden, das uns holen wird …“ „Was sagen Sie da?“ 62
„Sie können es mir glauben, Ohlson! Ich phantasiere nicht! Ich sehe nur, daß sie in Fon einen großen Aufstand haben und daß sie den Großen König verjagt haben! Sira und Parker und die anderen leben! Nur …“ „Woher wissen Sie das?“ rief er erregt dazwischen. „… nur – ich hätte doch nicht mitgehen dürfen“, fuhr sie ganz leise fort, und dann auf einmal änderte sich ihr Blick. Er ging nicht mehr weit. Er faßte den Kapitän, seine graue Wulstkombination mit den schwarzen Einsätzen. Ihre feuchten Lippen bewegten sich. „Ich weiß es! Es wird seine Jugendfreundin sein oder …“ Sie wandte sich ab und weinte leise vor sich hin. * „Holt sie zurück, Xa!“ Jim Parker und Xa berieten bereits die ersten Maßnahmen, während Sira noch draußen bei Mara war. Xa sprach einige Worte zu einem seiner Mitverschworenen, der das Zeichen der Bejahung machte und davonging. Er begegnete an der Tür dem Sohn des Sirius, der wieder eintrat. „Wir haben ein Raumschiff zum roten Stern beordert, Sira, um die beiden zurückzuholen.“ Jim sah ihn dabei fragend an. Doch Sira wich seinem Blick aus. Nicht scheu, aber so wie einer, der mit sich selber nicht zurechtkommt. Er war sehr blaß, und wenn die ihn gesehen hätten, die draußen die Nacht durchjubelten, die tanzten und Freudenfeuer entflammten und sich in den Sterntempeln drängten – ach, es war gut, daß sie ihn so nicht sahen! Sira aß ein paar seiner farblosen Kapseln und rieb sich die Schläfen mit einer scharfen Essenz. Dann begann die erste Beratung im freien Fon. Vierzehn Sirianer, alle aus dem Staatsgefängnis, bis auf Anrro, 63
der ebenfalls anwesend war, betraten den Kuppelraum, Es war gut, daß das Volk von Fon auch sie in diesem Zeitwert nicht sah, denn sie waren sehr ernst. „Liebe Freunde“, eröffnete Xa die Beratung, „wir alle sind noch überwältigt von der wunderbaren Fügung, die die Hüter des Unendlichen uns allen bescherten. Der Große König hat mit seinen Truppen Fon verlassen. Ich sehe aber euren Gesichtern an, daß auch ihr ihm nicht traut.“ Das war es: Sie glaubten nicht daran, daß die eben errungene Freiheit nicht in Gefahr sein sollte. Jim Parker sprach schließlich aus, was sie alle meinten: Der Große König mußte geschlagen werden – ein für allemal. * Nach der Beratung besuchte er das Flugrund. Das Raumschiff „R I“ lag in der anbrechenden Morgendämmerung vor ihnen, doch Jim erkannte gleich, wie sehr sich der Große König für das eigenartige Gebilde interessiert hatte. Er hatte so ziemlich alle technischen Einrichtungen ausmontieren lassen, die man sich denken konnte. Den wertvollen KSeher hatten sie gleich mit dem ganzen Plattenboden der Schiffskugel herausgenommen. Jim Parker und Fritz Wernicke grinsten, als sie das sahen. „Verdammt wißbegierig, was?“ „Sogar die X-Zellen haben sie herausgeschnitten“, stellte der Kommodore etwas mißmutig fest. „Wir können nicht mit dem Geschwader verkehren! Die müssen schon unterwegs sein! Verdammte Schweinerei!“ „Nelson!“ Der zweite Bordingenieur kam und brachte die IS-Anlage 64
wenigstens soweit in Ordnung, daß sie einmal kurz die fünfzehn interstellaren „O.A.“-Raumschiffe anrufen konnten, die auf das System zuflogen. „Hoffentlich kommt das durch.“ „Muß, Wernicke!“ „Ich baue das schon wieder zurecht“, sagte Nelson. * Kapitän Ohlson und Eva trafen ein. Ein Boot brachte sie von einer der sirianischen Raumflugbasen zum Regierungsrund. Eva Henderson war wieder ganz ruhig. Sie war früher sicher die ziemlich verwöhnte Tochter eines der größten Wirtschaftsführer gewesen, ein leichtlebiges Ding. Als sie die großartige Vorhalle mit der blumenüberfluteten Balustrade darüber vor sich auftauchen sah, war sie es nicht mehr. Das zauberhafte Bild von Fon war ihr nicht fremd. Sie hatte es schon in der Höhle auf dem roten Stern vor sich gesehen. Das Boot glitt in die Vorhalle, unter das goldene Dach, und legte an. Sira und der Kommodore, der eben von der „R I“ kam, erwarteten sie. Ohlson erschien das Ganze zu pomphaft und zu weich, aber er war eben ein rauhbeiniger Bursche. Er sah, daß der Sohn des Sirius ein schnittiges, grünes Gewand trug, das auf der rechten Seite drei große Flammen zeigte, die von einem Sonnenball ausgingen. Sira kümmerte sich nicht darum, daß er das Gewand des rechtmäßigen Staatsoberhauptes der Sirianer trug. Der gute Junge wurde von Zweifeln und Gewissensbissen hin und her gerissen, daß er es kaum noch ertragen konnte. Er tat aber so, als habe er nie eine Mara zärtlich begrüßt. Er trat die Stufen zum Wasser hinunter und breitete die Arme aus. „Eva – ich …“ 65
Sie lächelte ihm zu. „Ich freue mich, daß ihr wieder frei seid, Sira! Pa wird sich auch freuen! Auch, wenn er mich wiedersieht …“ Er verstand sie sofort und schüttelte nur den Kopf. Er konnte nichts sagen. „Ich möchte aber noch mit Mara sprechen“, kam es aus dem Boot. „Was weißt du von Mara?“ fragte er ganz leise. Nur sie konnte es hören – nur sie sollte es hören. Eva sprang aus dem Boot. War schon neben ihm. Wie vor Wochen auf der Party in Orion-City auf der fernen Erde. „Ich weiß alles, Sira“, sagte sie ebenso leise und so ernst, wie er es noch nie von ihr gehört hatte. „Ich weiß, daß eine auf dich gewartet hat, die mehr Rechte hat! Laß es so sein, Sira! Eure Gesetze werden stärker sein als alles, was uns beide verbindet.“ Ohlson ging fast ostentativ an ihnen vorbei die Stufen hoch und hörte es. „Endlich kommt sie zur Einsicht!“ knurrte er respektlos und zwinkerte Jim Parker zu. „Ich habe was gefunden, Parker – vielleicht wissen die Sirianer damit umzugehen.“ Sira kam mit Eva herauf. Er war ziemlich blaß und sah sie unentwegt an. Die Erde! Das waren zwei Sommer gewesen und viel Licht und viele Schritte miteinander. Jim hätte ihnen gern geholfen, aber das mußten die beiden schließlich allein entscheiden. Sira winkte einem der bewaffneten Sirianer, die in der weiten Halle standen. Eva folgte ihm. * Wieder kam es heran. Wie ein Diskus sah das Ding aus, das sich dem Wohnplaneten 66
aus jener Richtung näherte, die der Große König eingeschlagen hatte. Vierzigtausend Meilen über Fon verhielt es. Feuerauge – von ihm aus würde die lähmende Kraft der neuen Waffe in einem blauen Satanslicht über die Stadt hereinbrechen, wenn der König es befahl. Nur noch dreimal sollte das „Erste Licht“ vergehen. * Ohlson sah sich neugierig um. Sira betrat mit Jim Parker und ihm den Kuppelraum, in dem wieder die vierzehn bei einer Beratung saßen. Sie erhoben sich, und ihre Oberkörper neigten sich vor Sira. Sira winkte ihnen zu und ließ sich an seinem Platz nieder. Xa blickte auf den breitschultrigen Kapitän, der mit dem Kommodore auf ihn zukam und ihn mit knapper Höflichkeit grüßte. Dabei zog er die Kunststoffdose hervor. Xa war voller Aufmerksamkeit. „Du warst auf meinem Stern, mein Freund?“ lächelte er, und in seinen gütigen Augen, die unter der Stirn eng zusammenstanden, leuchtete es auf. Aber dann wurde er wieder ernst. Er dachte an Thor, den toten Gefährten seiner Einsamkeit. Jim Parker übersetzte. Ohlson nickte. „Komischer Stern, Herr, das kann man wohl sagen! Das Mädchen wurde mir fast verrückt, und wenn man sich umdrehte, geisterte es hinter einem auf wie ein Nebelstreifen. Hier, das habe ich gefunden – vielleicht ist es nur …“ Er unterbrach sich, hob die Schultern und öffnete die Dose. Xa sah die durchsichtigen Kristalle. Er fuhr hoch. „Berichte!“ befahl er scharf und hastig. Ohlson berichtete knapp und sachlich. Xa nahm die Dose und schüttete sich die Kristalle in die geöffnete Rechte. Die 67
Versammelten erhoben sich. Anrro kam heran mit großen, aufmerksamen Augen, dann Tin-Fon, der Schriftsteller. Die Kristalle übten eine seltsame Wirkung auf sie aus. Keiner beachtete es, daß Sira ebenfalls aufstand, kurz herübersah und dann den Kuppelraum verließ. „Den meisten sind sie unheimlich, die Schattenwesen der schwarzen Sonne“, lächelte Xa und hielt eines der Kristalle gegen das Licht. „Wer ihre Geschichte und ihr Wesen studiert hat, weiß, daß auch sie denken und handeln können und – ihren Freunden die Treue halten.“ „Das verstehe ich nicht“, sagte Tin-Fon leise und nicht ohne untergründige Furcht. „Gehört habe ich von ihnen. Du gehörtest also zu ihren Freunden?“ „Mehr als einmal ließen sie es mich spüren. Aber dann stießen die fliegenden Riesen zu mir vor, und ich glaubte mich von ihnen verlassen. Vielleicht haben auch sie gegen ein übermächtiges Schicksal zu kämpfen! Ich werde noch mehr über ihre …“ Er begann vor sich hinzugrübeln. Jim Parker aber faßte energisch seine Schulter. „Was ist das nun, Xa? Was für einen Wert haben diese Kristalle?“ Xa zuckte zusammen. „Wenn wir alle Furcht aus unseren Herzen verjagen, können Sie uns endgültig die Freiheit bringen!“ * Sira traf Mara in ihrem Wohnraum. Sie war aber allein, und der Junge schwankte zwischen Enttäuschung und Erleichterung, als er das sah. Der Wohnraum lag hoch. Rechterhand trieb einer der Dachgärten seine Blütenpracht an eine glasartige Wand, während auf der anderen Seite die Palastwand zum Kanal hin abfiel. Mara stand am Fenster und sah auf das Wasser. 68
„Du kommst zu spät“, sagte sie leise und grüßte herab. Er ging rasch über die grünen Matten und trat neben das Mädchen. Unten glitt ein Boot davon – zwei Sirianer steuerten es, und eine weibliche Gestalt saß zwischen ihnen. „Eva?“ „Sie hat mir alles gesagt.“ Mara senkte den Kopf. „Du kannst sie noch zurückrufen lassen! Ich werde dir nicht böse sein, Sira! Dein Leben führte dich in jene ferne Welt, der sie entstammt. Ich mag sie gern und …“ „Das ist ja erbärmlich!“ stieß er in der Sprache hervor, die sie ihn auf der Erde gelehrt hatten. Er hätte jetzt was für einen Schnaps von Wernickes bester Sorte gegeben. „Sie wird Fon verlassen, wenn weitere Raumschiffe der Erde eintreffen, Sira.“ Nein, hämmerte sein Herz los, ich will sie nicht … Die Tür wurde aufgerissen. Einer von der Wachtruppe stürmte herein, machte nur flüchtig das Zeichen der Freundschaft und lief aufgeregt auf ihn zu. „Sira, sie haben eben einen Gefangenen gebracht, der weiß, wo sich der Große König aufhält. Xa bittet dich, wieder in den Kuppelraum zu kommen.“ Sira riß Mara an sich. Wieder berührten sich ihre Gesichter. Dann rannte er hinaus. * Wieder fünf Feueraugen. Sie wurden von einer Zentrale aus gesteuert, die sich irgendwo im sirianischen Reich befand. An einer langen, schmalen Meßtafel standen Offiziere des Großen Königs – hart, kalt, mit schmalen Lippen. „Hörst du das Pfeifen? Die Riesen kommen!“ „Sie sollen die Anlagen bewachen! Der Herr weiß, daß sie 69
nicht zu überwinden sind – auch nicht von diesen verdammten Erdenmenschen!“ Über der Zentrale kreiste ein starker Verband der fliegenden Riesen ein. Er kam aus dem Weltall und wurde von Wromm geführt, der ihn jetzt über der Stadt herabdirigierte. Die Stadt hatte eine Ähnlichkeit mit Fon, war aber nicht so lieblich. Ihre Kanäle waren strenger und zeugten von einer gewissen Nüchternheit im Denken ihrer Einwohner. Tatsächlich war diese Stadt im ganzen sirianischen Reich bekannt für das Können ihrer Werkstätten, in denen man für alle sirianischen Planeten arbeitete. In diesen Zeitwerten war diese Stadt allerdings tot. Ihre Einwohner hatten die blauuniformierten Soldaten in das Land hineingetrieben. Nur sie selber tobten sich hier aus, denn der Große König hatte die Stadt „für einen halben Sonnenumlauf“ seinen Truppen geschenkt … Wromm ließ seinen Verband auf einem Flugrund niedergehen und erhob sich dann wieder. Die Soldaten auf den Kanälen wurden stiller, wenn das Ungetüm über ihren Köpfen war. Dann landete er vor einem großen Doppelrund, auf dem sich über einem riesigen zehn Meter hohen Sockelbau sechs schlanke Säulen erhoben, die große, diskusähnliche Feueraugen trugen. Die Feueraugen rotierten in gespenstischer Lautlosigkeit – die Luft über dem Doppelrund war wie ein leichter, bläulicher Nebel. In den Sockelbau hinein führte eine große, gähnende Öffnung. Sie war für Wromm viel zu niedrig, aber aus ihr trat der Große König mit einigen seiner technischen Mitarbeiter. Wromm stand bewegungslos – er machte aber kein Grußzeichen. „Willkommen, Wromm!“ sagte der König in einem Tonfall, den er seinen anderen Kreaturen nie gönnte. „Ich habe eine neue Aufgabe für dich und deine Riesen.“ 70
Das Ungeheuer nickte und ließ ein hohes Pfeifen hören. „Ihr sollt diese Anlagen bewachen!“ * „Wo hält sich der Große König auf?“ „In Ars-Fon“, antwortete der Gefangene sofort, der noch sehr jung war und sicher mit einer geringen Strafe davonkommen würde. Ein Aufatmen ging durch den Kuppelraum. Jim Parker sah Xa fragend an. „Das gibt uns Spielraum“, sagte der Gelehrte. „Ars-Fon liegt auf dem dritten Doppelplaneten, also nicht in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.“ Dann fragte er wieder den Gefangenen: „Was plant der Große König?“ „Er will das blaue Feuer gegen Fon richten.“ „Das blaue Feuer“, sagte Xa leise, und es sah aus, als wollte er aufbegehren. Er ließ aber nur seine Hände auf die Knie klatschen. „Wann wird er soweit sein?“ „Sicher, bevor die Dämmerung zum drittenmal hereinbricht.“ „Abführen!“ Sie rissen den Gefangenen herum und führten ihn hinaus. Xa stand auf. In den Händen hielt er die Kristalle. Er sah in Gesichter, die blaß geworden waren wie unter einem ungeheuren Hieb. „Dann wird es Zeit, daß wir den Vermessenen überwinden!“ „Xa!“ rief Anrro aus. Er legte sich feuchte Gräser auf die Handgelenke, so erschüttert war er. „Wie willst du das tun? Keiner kann gegen die fliegenden Riesen an!“ „Ich werde mit Sira und unserem Freund von der Erde die Anlagen vernichten, die das blaue Feuer erzeugen.“ Jim Parker rannte um die Versammlung herum zu Xa. Sein Gesicht glühte. Xa war kein Phantast. „Meine Raumschiffe werden erst in zwei Wochen hier sein! Sage mir, was können wir tun?“ „Die Kristalle werden uns in Schattenwesen verwandeln.“ 71
* Dann waren die drei allein. Sie entkleideten sich in einem Baderaum. Xa legte die Kristalle in eine durchsichtige, kleine Kugel, die er einer starken Bestrahlung aussetzte. Jim Parker hielt nichts von Märchen. Er sah aufmerksam zu, was Xa machte. „Wir werden unseren Seelen die physische Schwere ihrer Körper nehmen“, lächelte der Gelehrte. „Das Ganze wird ein natürlicher Vorgang sein, den man auch auf euren Hochschulen erklären könnte.“ Jim nickte und blickte auf seinen Zeitmesser, bevor er ihn ablegte. Er fühlte in sich eine eigenartige Unruhe. Sie prickelte nicht wie vor einem großen Abenteuer. Sie lastete schwer wie vor einer Gefahr, die atemberaubend rasch näherrückte. Er nahm noch seinen TS-Sprecher und rief Wernicke an, der mit Nelson auf der „R I“ hockte, um die IS-Anlage zurechtzubasteln. „Wernicke“, kam es fernmündlich zurück. Jim hörte Metall auf Metall klingen. Sie waren schwer am Arbeiten. „Wir haben immer noch keine Dauerverbindung mit dem Geschwader! Nelson säuft mir beide Flaschen leer. Das ist alles!“ „Das ist nicht alles“, grinste Jim. „Ich werde mich in den nächsten Stunden nicht melden können! Verstehst du?“ „Der Teufel soll mich auseinandernehmen, wenn ich einfach ja sage!“ „Bleibe, wo du bist! Wenn hier in Fon etwas Unvorhergesehenes geschieht, übernimmst du das Kommando über unsere Leute! Nun verstanden?“ „Leider“, seufzte Wernicke. *
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„Leider“, seufzte er noch einmal, als Jim abgeschaltet hatte. „Was ist los?“ erkundigte sich Nelson, der am Peilrahmen saß, den sie von der mit zerstörten IS-Antennen weit im Süden liegenden „Hope II“ herübergebracht hatten. Wernicke nahm ihm die Flasche weg, die neben ihm stand, und setzte sie an den Mund. „So eine Gemeinheit“, schimpfte er los. „Der Knabe geht auf Raubzüge und läßt mich hier auf dem Trockenen sitzen.“ „Wenn du deinen Mitmenschen schon den Schnaps stiehlst, sitzt du doch nicht auf dem Trockenen, Heuchler!“ „Das ist meine Flasche, verstehst du? Die hatte ich mitgenommen, um den Sirianern zu zeigen, was ein anständiger Erdenmensch zu sich zu nehmen pflegt. Die sind hier aber kulturell viel weiter als wir. Nelson – die haben Weine …“ „Kulturell ist gut“, grinste der Bordingenieur und wirbelte dann auf seinem Drehsitz herum, als die rote Kontrollscheibe der IS aufflackerte – unsicher, schwach, aber immerhin … „Bei allen Sonnengespenstern! Wernicke, wir schaffen es!“ Wernicke beugte sich vor. „Glückwunsch, Nelson!“ „Das ist das Geschwader! Die rufen uns!“ „Die kommen aber verdammt gut voran.“ * „Sira!“ Der Sohn des Sirius ging durch den Baderaum. Er glaubte es jedenfalls. In Wirklichkeit war diese Vorstellung nur noch eine Reflexion des Gehirns, die ihnen noch immer ihre physische Existenz vorgaukelte. Die Kristalle hatten sie verwandelt. Sie sahen alles, was um sie war. Allerdings sah Sira Jim Parker und Xa nicht, und den beiden erging es ebenso. Dafür nahmen sie sich gefühlsmäßig deutlich wahr. Jeder hörte den anderen sprechen und konnte ihn deutlich verstehen. 73
„Sira, am besten ist es, du verhältst dich ganz ruhig.“ „Ich muß mich doch bewegen, verdammt noch mal!“ „Du bist anscheinend immer noch den physikalischen Gesetzen deines Körpers unterworfen, was sich aber bald geben wird! Du hast keinen Körper mehr, Sira!“ Sira wußte, daß Jim rechts von ihm und Xa links von ihm war. Er überwand das scheußliche Empfinden, betrunken zu sein. Ich habe keinen Körper mehr! Das ist doch nicht möglich! Ich gehe doch! Die Wände vor mir sind doch senkrecht und kommen auf mich zu! Aber dann sind sie nicht mehr. Der Sternengarten ist neben mir und unter mir, und Fon ist unter mir, und auch Fon ist nicht mehr! Ich steige auf, aber das Weltall ist unten … Sira möchte schreien, aber er tut es nicht. Ein Sohn des Sirius schreit nicht. Von irgendwoher rollt eine mattrote Kugel heran, wird immer größer, kommt direkt auf sie zu – dann gleitet sie plötzlich steil nach oben weg. Sie flogen nebeneinander. Sie hörten sich atmen. Jim Parker entspannte sich so sehr, daß er jedes Körpergefühl verlor. Er wurde leichter mit diesem gespenstischen Zustand fertig als der Junge, der sich abmühte und tapfer sein wollte – tapfer … Und der doch erst eine große Unsicherheit überwinden mußte. „Tue so, als wenn du die Augen schließt, Sira – dann geht es leichter.“ Sira versuchte es. Er wunderte sich, wie gut das tat. Wie in einem Halbtraum floß es um ihn, er verlor jeden Maßstab für Zeit und Raum. Zeit und Raum? Ach, diese beiden Faktoren gab es nicht mehr für sie. „Wir sind da, Sira.“ Er öffnete die Augen, tat so – sie schwebten in der Nähe der Stadt Ars-Fon. 74
Über dem dritten Planeten, auf dem der Große König einen neuen Befehl gab: „Laßt drei Feueraugen aufglühen!“ * Fon wußte es nicht. Es wurde wach aus dem Taumel der ersten Begeisterung, es legte die Blütenkränze beiseite, mit denen es die Freiheit begrüßt hatte. Sie lagen irgendwo und welkten unter der Sonne eines neuen „Ersten Lichts“. Die Begeisterung aber welkte nicht. Sie wurde leiser, gewiß, sie wurde sachlicher. Die Sirianer von Fon gingen wieder an die Arbeit, aber in ihnen war ein fanatischer Wille, nur noch in Freiheit zu arbeiten. Sie wußten nicht, daß drei Schattenwesen sich auf dem dritten Doppelplaneten umsahen, sie ahnten auch nicht den Tod, der herannahte. Bis in der Abenddämmerung dieses „Ersten Lichts“ ein Sirianer auf einem Kanal zum Himmel emporsah, sich über die Augen fuhr, dann wieder hinaufsah und dabei so sehr die Kontrolle über sein Boot verlor, daß es hart gegen die Böschung stieß. Das – das war doch nicht möglich! Da war ganz fern und hoch ein winziger, blauer Punkt, wie irgendein Stern sah er aus, und doch schien es keiner zu sein. Von ihm flossen Nebel herab. Leichte, blaue Nebel. * Ars-Fon nahm sie auf. Sie konnten deutlich die fliegenden Riesen sehen, die in drei 75
Ketten das Doppelrund absperrten – so dicht und so beherrschend, daß kein Lebewesen hindurchkonnte. Nur Schatten – die würden auch sie nicht halten. Xa lächelte spöttisch. Sie gingen auf dem Sockelbau nieder. Sira sah ihn grau und glatt herankreisen, sah die Säulen mit den rotierenden Feueraugen neben sich und erkannte auch gleich, daß sie diese vernichten mußten. Sira hatte sich nun beruhigt. Er fand sich damit ab, körperlos zu sein. „Die Dinger dort oben!“ rief er verhalten Jim Parker zu, den er an seinem Atem einige Schritte vor sich erkannte, „Von denen geht es aus.“ Xa kam heran. Sie waren jetzt eng beieinander. Jim sah sich um. Dann näherte er sich einer der Säulen und glitt an ihr hoch. Über ihm rotierte es leise und gespenstisch. * Auf Fon sank der blaue Nebel. Er floß nun von drei Punkten aus vom Himmel herab, der immer mehr ausdunkelte. Den Sirianern stockte der Atem. Sie sprangen von ihren Matten auf, stoppten ihre Boote, verrenkten sich die Hälse und schwiegen. Ihre Hände machten die fahrigen Abwehrbewegungen der maßlos Überraschten. Einige rannten blindlings und keuchend los, als wollten sie vor den fingernden Nebelstreifen fliehen, die aus drei verschiedenen Richtungen herabkamen. Die meisten aber konnten nichts tun. Nichts – nichts … Im Regierungspalast handelten sie bereits. Anrro rief Wernicke an, aber der Commander wußte auch nicht, was er dagegen unternehmen sollte. Irgendwo in einem Einzelhaus standen Eva Henderson und Kapitän Ohlson nebeneinander und sahen ebenso 76
schweigend und entsetzt wie die meisten anderen den Nebelstreifen entgegen. Noch waren sie weit voneinander entfernt, noch waren es Streifen, die sich scharf und fast gradlinig vom klaren Nachthimmel abzeichneten. Aber in einigen Hundert Metern verschwammen sie, fingerten aufeinander zu und verwoben sich zu einem feinen Nebelschleier. Er senkte sich bis auf die Höhe der Türme im Regierungsrund. Von den Türmen riefen die Signalfeuer: Bewahrt Ruhe! Laßt euch nicht einschüchtern! Der Sohn des Sirius kämpft mit seinen Freunden gegen den Großen König! Mehr konnte Anrro nicht tun. Für eine Evakuierung war es zu spät. Noch bewahrten sie Ruhe. Aber dann brach der erste gelähmt zusammen … * Er streckte die Arme weit von sich. Seine Knie versteiften sich, während er auf sein Haus zuging, das in einer der großen Mittelsiedlungen lag. Sie sahen es alle, seine Frau, seine Nachbarn. In einer plötzlichen Angst fiel er vornüber. Schrie um Hilfe. Das Schreien erstarb nicht, es wurde aufgenommen von denen, die es sahen und weitergereicht in den ersten Herzschlägen der Panik, die nun doch losbrach. Fon sang nicht mehr. Es schrie. Es wußte, wehren konnte es sich nicht. Aber auf dem dritten Doppelplaneten des Systems war Jim Parker unmittelbar unter dem, was auf der Säulenspitze rotierte. Er wußte noch nicht, wie er das Ding stoppen sollte. „Xa!“ Er versuchte dorthin zu sehen, woher er das kurze, an77
haltende Hüsteln des Gelehrten vernahm. „Ihr nehmt ebenfalls eine Säule! Ich glaube, wir können sie hochstemmen!“ Wieder glitten Schatten hoch. Sah Wromm sie nicht? Er stand doch mit dem Gesicht zu ihnen, und seins Augen waren groß und aufmerksam und drohend. Sie waren alle drei unter den Feueraugen. „Los!“ * „Wir sehen neue Raumschiffe!“ Der Große König stand in seinem Befehlsraum tief unter dem Sockelbau. Er war blaß, seine Augen flackerten. Ahnungen? Bah, es gab für einen Mächtigen keine Ahnungen! „Raumschiffe von der Erde? Wann werden sie heran sein?“ „Die Dämmerung wird zehnmal sinken.“ „Die Flotte soll sie aufhalten!“ befahl er kurz und wandte sich dann schnell einem anderen Sirianer zu, der die Stärke des blauen Feuers kontrollierte. Noch war das Gros nicht an Fon heran und schon wütete es furchtbar. Fon, triumphierst du noch? Der König lächelte höhnisch und malte sich aus, wie es dort jetzt, in diesen Herzschlägen, aussah: Blaue Nebel wallten aus den Feueraugen herab auf die, die ihn haßten, die ihn davonjagen wollten – seine neue Waffe. Seine Rache! Es war gut, daß die grauen, runden Dinger rotierten, hier und vor Fon! Der König vergaß, wo er war. Er sah nur noch Fon! Die Perle der Sirianer! Sie sank. Hört ihr es nicht, spürt ihr es nicht, seht ihr es nicht – wie sie die Augen aufreißen, wie sie blind und steif vornüberfallen, wie sie beten und jammern? Wromm! Wromm, halte gute Wacht! Du, der du mit deinen Riesen vor unzähligen Sonnenumläufen ausgestoßen 78
wurdest von den Schattenwesen der schwarzen Planeten, zu denen ihr gehörtet. Nur sie fürchtest du. Es tut gut, Fon so sterben zu sehen! Der König lächelt! Er lächelt auch noch, als einer seiner eigenen Offiziere auf ihn zustürzt, als um ihn alles aufschreit. Was will der Kerl? Was sagt er? Drei Feueraugen fallen aus? Was? Schattenwesen sind auf den Säulen? Verdammtes Ungeziefer, ich werde dich für deine Angst bestrafen! Berühre nicht meinen Arm, du … „Herr – Herr – hört Ihr es nicht?“ Da brach die Traumwelt. Der Große König war wieder in seinem Befehlsraum. Es war hier nicht mehr schön. Die Hand des Offiziers hatte seinen Arm gepackt. Er riß sich los und rannte an seinen erstarrten Vertrauten vorbei, über einen Gang, zum Feuerbecken, aus dem es hohl und alarmierend aufheulte. Er rannte vier, fünf Stufen hinab. Die Röhren warfen mattes Licht. „Stoppen! Stoppt doch den Antrieb, sonst fallen die Nebel über uns her!“ „Wir können es nicht!“ „Wromm! Wromm!“ * Jim sah sie herankommen. Wromm und seine Ungeheuer. Sie fielen wie eine pfeifende, schwarze Masse über den Sockelbau her. Aber sie kamen zu spät. Schon zerbrachen die drei Feueraugen unten auf dem harten Stein. „Die anderen …“ Schatten glitten wieder herab. Bewegten sich weiter. Wromm sah es. Sein Herz stockte ihm. Schatten? Sein Pfeifen wurde zu einem wilden Orkan, der alle Angst verjagen sollte. Der Herr rief ihn, der Große König. 79
Du kannst ihm nicht mehr helfen, Wromm! Sieh doch, sieh, wie wieder ein Schatten an einer Säule hochgleitet, sich einem der noch rotierenden Feueraugen nähert! Sieh doch! Wromm sah den Schatten und auch die beiden anderen … Wieder pfiff er, aber es hörte sich anders an, schriller, alarmierender. So hatte er seit vielen Jahrtausenden nicht gepfiffen – es war das Signal zur Flucht! Die drei stemmten sich wieder. Die Feuerräder, diese verdammten Dinger, saßen ziemlich locker auf Walzenlagern. Wieder genügte ein kräftiger Ruck. Sie fielen auf die Oberfläche des Sockels und zerbrachen. In der Ferne verschwand der Verband der fliegenden Riesen. Keiner konnte sagen, wohin. Vielleicht würden sie es später einmal erfahren. Xa sah ihnen nach, aber er grübelte nicht lange. Fon war frei – jetzt war es frei – für immer – – Sira ließ sich als erster wieder herabgleiten. „Wir müssen ihnen helfen! Das ist doch die Hölle!“ Aus der großen gähnenden Öffnung des Sockelbaues strömte es in dichten blauen Nebelwolken, kroch über das Doppelrund der Kanäle und auf die Stadt zu: Das blaue Feuer! Die Stadt war voller Soldaten! Das Heer des Großen Königs lagerte in ihr! Zwei seiner Offiziere kamen schon von einem Kanal her angerannt, stockten plötzlich, warfen die Arme hoch und fielen hin; Schreiende Gespenster – – – Jim war wieder der erste. Der Nebel konnte ihnen nichts anhaben, aber sie mußten ihn stoppen. Als sie unten in den Befehlsraum drangen, sahen sie die ersten Toten. Die Macht des blauen Feuers war hier so stark, daß es gleich alle Atmungsorgane stillegte. Sie drangen schweigend und keuchend in den ovalen Raum vor, in dem das blaue Feuer durch verschiedene Verwandlungen erzeugt wurde. Sie fanden den Großen König neben einer Schaltsäule. Seine Hand umklammerte einen Hebel, hatte ihn 80
aber nicht mehr herunterreißen können, denn auch der Große König war seiner eigenen Waffe erlegen … Xa war ernst, sehr ernst. Fast behutsam vollendete er die Bewegung – legte den Hebel um – – Das blaue Feuer erstarb. * Nach elf Tagen landete das Geschwader. „Andromeda“ stand in großen leuchtenden Buchstaben auf den Mittelkugeln der rasenden Gebilde, die als Giganten einer anderen Welt auf Fon herabfielen. Jubelnd wurden diese Giganten empfangen. Jim Parker und Fritz Wernicke begrüßten den Geschwaderchef, der mit großen; Jungenaugen auf Fon sah und doch irgendwie enttäuscht war, als er horte, daß bereits die große Entscheidung gefallen war. „Dann können wir ja wieder nach Hause fliegen.“ „Vier Schiffe!“ sagte der Kommodore knapp. „Die anderen setzen zum Planeten Ars über, wo wir einen Stützpunkt errichten werden.“ Der Geschwaderchef blickte aufmerksam. „Warum, Kommodore?“ „Sira und seine Sirianer wünschen es!“ Dann fuhren sie in einem langen Triumphzug zum Regierungsrund. Sira begrüßte sie mit einem lauten: „How do you do!“ Neun Lichtjahre von der Erde entfernt – – – Ende
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