KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
EIN KULTURZENTRUM ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
EIN KULTURZENTRUM VOR 5000 JAHREN
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MIJRNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Vergessenes Land
D
er Indus ist ein gewaltiger Strom, der in den westlichen Gebirgsstöcken des Himalaya als tosendes und brausendes Wildwasser entspringt, in tiefen Schluchten, unter schwankenden Hängebrücken dahinrauscht und, mit Geröll und San,d beladen, quer durch ganz Pakistan seinen weißen Gischt zu Tale trägt. Grau und schlammig durchströmt er zuletzt in träger Breite eine unendliche Ebene «nd ergießt sich in einem weit verzweigten, sumpfigen Delta in den Indischen Ozean. Mit seinen vier bedeutendsten Nebenflüssen — Dschelam, Tschinab, Rawi und Satledsch — hat er dem ganzen Gebiet seines Oberlaufes den Namen ,Pandschab\ Fünfstromland, gegeben. Das Gebiet seines Unterlaufes dagegen hat den Namen ,Sind' erhalten, was des Wort ,Indus' entspricht. Vor fünf Jahrtausenden war die Indus-Ebene hervorragend fruchtbar. Es herrschte ein feuchtes Klima. Die glühende Sonne ließ unter wolkenbruchartigen Regengüssen dichte und unabsehbare Urwälder wuchern, in denen Tiger, Elefanten und andere Dschungeltiere hausten. Eines Tages, in jener Zeit der Morgenfrühe, drangen Men-
sehen in die Wildnis ein, rodeten den Urwald und siedelten sieh an. Dann aber — als das Klima trockener wurde — kam der Sand, fraß die Siedlungen und bedeckte das Land mit einem weiß-glitzernden Leichentuch. Alles erstarb unter dem regenlosen Sonnenbrand, So lag dieses Grab verdorrten Lebens, bis die Engländer in Indien erschienen und im Zuge der Neuordnung dieses riesigen Landes auch das Brachland am Indus in ihre tatkräftige Verwaltung einbezogen. Die tote Sandwüste begann wieder fruchtbar zu werden. Staudämme wurden angelegt und weite Landstrecken mit einem Netz von Kanälen durchzogen. Diese englischen Wasserbauten am Indus gehören zu den umfangreichsten technischen Bauten überhaupt, und ihnen ist es zu danken, daß aus jahrtausendealten Wüsten am Indus der Garten Indiens und heute der Garten Pakistans geworden ist. Nur einzelne umgrenzte Sandgebiete widersetzten sich der Bewässerung, weil sie hügelig waren. Irgendein Grauen umwitterte sie, und die Eingeborenen nannten sie Geisterstätten. Man erzählte sielt, daß Dämonen dort umgingen, und die meisten Bauern mieden diese verlassenen Regionen. Doch nicht alle waren so dämonengläubig, man sah immer wieder fleißige Männer dort hantieren; denn die Hügel erwiesen sich als fast unerschöpfliche Steinbrüche. Was man dort fand, %varen jedoch keine natürlichen Bruchsteine, sondern schöne glatte gebrannte Ziegelsteine, ganz ähnlieh denen, mit denen man im heutigen Europa baut. Als die Engländer das Land auch verkehrsmäßig erschlossen, folgten sie denn Beispiel der Eingeborenen und besorgten sich aus diesen Geisterstätten Material für den Bau ihrer Eisenbahnen und Straßen. Der Reichtum schien unerschöpflich, man holte davon, soviel man brauchte. Niemand machte sich Gedanken darüber, woher das alles kam, den braunen und weißen Arbeitern war das völlig gleichgültig. Sie räumten weg, was sie schaffen konnten. Dann und wann aber ereignete sich doch etwas Merkwürdiges. Die indischen Hilfsarbeiter wiesen den europäischen Aufsehern seltsame Fundstücke vor, die sie aus dem Hügelschutt herausgegraben hatten: schöngeschnitzte Stempel aus Stein oder gebranntem Ton, die auf der 3
Unterseite sorgfältig geformte Tierbilder und schriftartige Zeichen trugen. Man wußte nichts Rechtes damit anzufangen, Altertumsforscher waren nicht anwesend, und so steckte man die Sachen ein, ließ die Kinder damit spielen oder verkaufte die Dinge an die Altwarenhändler in Bombay und Kalkutta. In den indischen Städten aber forschten seit langem schon Beauftragte der Regierung nach Altertümern aus der Frühzeit Indiens, dessen Anfänge bisher hinter Schleiern der Sage verborgen gelegen hatten. Einer der unermüdlichsten und kundigsten unter ihnen war der Engländer Sir John Marshall, Direktor für Altertumskunde in Indien. In den Trödlerläden der Stadt erwarb er für billiges Geld einige der erstaunlichen Stücke, und seinem vorsichtigen Erfragen gelang es schon bald, ihre Herkunft aus den Ziegelsteinhügeln des Pandschab zu ermitteln. Das Ergebnis seiner Nachforschungen erschien ihm so bedeutsam, daß er mit aller Energie die Freilegung der Ruinenhügel betrieb. Dank der Tatkraft und Umsicht Sir Marshalls kam ein Ausgrabungsunternehmen in Gang, das zu den großartigsten in der Geschichte der Altertumsforschung gehört. Das Ergebnis war so überraschend, daß die Geschichtsforschung ihre Zeitstäbe erneut weit zurückstecken mußte. Unvermittelt wurde eine uralte Hochkultur der Menschheit aufgedeckt, von der bisher keine antike oder neuere Quelle auch nur eine Ahnung vermittelt hatte. Viele Anschauungen über das Altertum wurden umgestürzt und unsere Vorstellung von der Vor- und Frühgeschichte in die asiatische Welt hinein so umfassend erweitert, daß wir nun ein neues und gegen früher wesentlich reicheres Bild von den Altkulturen der Erde besitzen. Die am Indus erschlossene Kulturwelt blühte mit ihrem hohen Lebensstil, mit Städten, Kunstwerken und machtvollen technischen Bauten bereits vor fünftausend Jahren, in einer Zeit, als in Mitteleuropa außerhalb der unermeßlichen Urwälder mit ihren Bären und Wölfen, Luchsen und Wildkatzen erstmals primitive Häuser zu Dorfsiedlungen vereint wurden und die Ackerwirtschaft mit Weizen, Gerste und Hirsebegann.
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Gelehrte beginnen zu arbeiten Es war im Jahre 1921, als Sir John Marshall dem eingeborenen Altertumsforscher Rai Bahadur Sahni die Anregung gab, in einem der sandbedeckten Schutthügel der Indusebene eine Probegrabung zu beginnen. Es handelte sich um jene Trümmerstätte, die bis dahin schon am emsigsten als Steinbruch ausgebeutet worden war. Hier brauchte am wenigsten Oberflächenschutt abgetragen zu werden, um bis zu den Mauern vorzudringen. Der Ruinenhügel führte unter den Einheimischen den Namen Harappa und lag im Bezirk Montgomery des Pandschab, nahe dem ehemaligen und heute ausgetrockneten Bett des Rawi in der nördlichen Indusebene. Wegen der jahrelangen rücksichtslosen Ausbeutung waren hier die einzelnen Kulturschichten aber so durcheinandergeworfen, daß sich dieser Platz als höchst ungünstig für archäologische Untersuchungen erwies. Deshalb faßte Sir Marshall einen anderen auffälligen Trümmerhügel ins Auge. Er lag südlicher, nicht allzu weit entfernt vom ehemaligen Strombett des mittleren Indus. Als Sir Marshall seine Ausgräberkolonne verpflichtete, ergab sich, daß bereits ein anderer den Hügel zu durchforschen begonnen hatte. Es war der Inder R. D. Banerji. Dieser Gelehrte suchte jedoch keine vorgeschichtlichen Altertümer, sein Interesse galt den Ruinen eines alten buddhistischen Klosters und eines dazugehörigen Stupa, eines Reliquienturmes, die einen Teil des Trümmerhügels einnahmen. Das Kloster stammte aus der Zeit um 200 v. Chr., konnte also in keinem Zusammenhang mit der verschollenen Kultur, nach der Sir Marshall fahndete, stehen. Obwohl Banerji ganz mit der Baugeschichte dieses Klosters beschäftigt war, erkannte er doch bereits, daß die Mauerreste, auf die er bei seinen Grabungen stieß, vorgeschichtlich sein mußten. Kloster 5
und Reliquienturm waren über und mit dem uralten Mauerschutt errichtet worden. Als nun auch Sir Marshall mit einer Grabung begann, ergab sich, wie wertvoll das Vorhandensein der Klosterstätte für sein Unternehmen war. Der Hügel mit dem Kloster war von den Ziegelsteinräubern viel weniger heimgesucht worden als der Hügel von Harappa, so daß Marshall hoffen durfte, hier mehr ungestörte Hinterlassenschaft aus dem Altertum zu finden als am Oberlauf des Indus. Das Ergebnis gab ihm recht. Er stellte fest, daß sich an den Klosterhügel eine große Stadtanlage anschloß, die, von salzigem Sand bedeckt, hier seit noch unbestimmbarer Zeit geruht hatte. Bei den Eingeborenen trug dieses ,Grab' einer unbekannten Vorzeit den Namen Mohendscho-Daro = „Totenstätte". Schon bald sollte es gelingen, diese Totenwelt zu beschwören. Als Sir Marshall nach sorgfältigen Probegrabungen erkannt hatte, welche Bedeutung dem Grabungsfeld zukam, ging er daran, die englische Regierung für die Aufgabe zu interessieren. Die bewilligten Geldmittel reichten aus, um nicht nur in Mohendscho-Daro, sondern indem ganzen in Frage kommenden Umkreis Ausgrabungen in großzügigem Stile durchzuführen. Mit der Leitung des gewaltigen Unternehmens beauftragte Marshall im Jahre 1923 den Archäologen M. S. Vats, im Jahr darauf zog er einen zweiten erfahrenen Ausgräber, K. Dikshit, hinzu. Die Grabungsarbeiten erstreckten sich nun nicht mehr nur auf den Hügel Mohendscho-Daro und seine Umgebung, sie wurden auf eine Reihe anderer Plätze ausgedehnt, wo man Überreste der verschollenen Kultur zu finden hoffte. Von 1925 an griff Sir Marshall persönlich mit einem Stab von Gelehrten ein, auch Rai Bahadur Sahni und der amerikanische Archäologe Ernest Mackay wurden mit herangezogen. Schließlich übernahm Mackay die Oberleitung über die gesamten Arbeiten. Weithin im Indusgebiet wurden Suchgräben in den Boden gewühlt oder Bagger eingesetzt, um die deckenden Sandschichten beiseite zu schaffen. Die Ausgräber arbeiteten in Harappa und in
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Mohendscho-Daro, an alten Flußufern und in den Bergen. M. G. Majumdar bereiste das ganze Sindgebiet, um nach neuen Fundplätzen zu suchen, und an zahlreichen Stellen konnte er Siedlungen nachweisen, die offensichtlich zu jener Altkultur gehörten, die man erschließen wollte. Sie lagen zerstreut zwischen den heutigen Städten Haidarabad und Jakobabad und weiterhin in dem gesamten Landstrich zwischen dem gegenwärtigen Lauf des Indus und den Khirtharbergen im Westen, hinter denen Belutschistan liegt. Da man auch in dem Khirthar-Gebirgsland Ruinenstätten erwartete, wurde der Forschungsreisende Sir Aurel Stein -— ein Zeitgenosse Sven Hedins — mit dem Flugzeug entsandt. Aus dessen Vogelschauperspektive konnten weitere zahlreiche Siedlungsreste erkannt werden, die mit den schon gefundenen in Zusammenhang standen. Fast jeder Tag erweiterte den Forschungsraum, und fast jeder Tag brachte Neues, neue Plätze, an denen es sich zu graben lohnte, und großartige Bodenfunde — und so ging es jahrelang fort. Aber diese herrliehe und von Erfolgen gekrönte Arbeit fraß Geld — ungeheures Geld, und die Weltwirtschaftskrise hatte die öffentlichen Mittel sehr rar gemacht. Im Jahre 1931 verödeten überall die Grabungsplätze. Die englischen Gelehrten kehrten nach Europa oder an ihre indischen Amtssitze, ihre eingeborenen Mitarbeiter und Helfer in ihre Heimatorte zurück. Jahrelang geschah nichts mehr. Dann aber sprang Amerika in die Bresche. Es waren die „Schule für indische und iranische Forschungen" sowie das „Museum der schönen Künste" in Boston, die 1935 Ernest Mackay mit erneuten Grabungen beauftragten. Der große Archäologe ging sofort an die Arbeit. Die Fundstelle, der er sich zuwandte, lag etwa 130 Kilometer südöstlich von Mohendscho-Daro, ebenfalls im Sind-Gebiet. Bei den Eingeborenen wurde sie „Chanhu-Daro" genannt, „Geisterstätte". Eine Gruppe von Sandhügeln barg die Ruinen einer kleineren Stadt als Mohendscho-Daro. Sie war offenibar sehr wohlhabend gewesen, ein Mittelpunkt der alten Metallindustrie und des Schmuckhandwerks. Hier grub Maekay ein Jahr lang.
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In den späteren Jahren bis in die jüngste Zeit folgten weitere Ausgrabungen im Indusgebiet. Heute weiß man, daß die verschollene Kultur sich hunderte Kilometer weit vom östlichen Belutschistan über die Indus-Ebene hinweg bis weit in das Stromgebiet des Ganges hinüber erstreckt. Da ihr Ausstrahlungszentrum im Industal gelegen war, hat sich für diese frühgeschichtliche Kulturepoche der Name „Indus-Kultur" eingebürgert. Vielleicht wird diese Bezeichnung eines Tages überholt sein, wenn es nämlich gelingen sollte, den Namen des Volkes zu ermitteln, das in uralter Zeit die Städte Nordindiens gebaut und bewohnt hat.
Moderne Stadt vor 5000 Jahren Wenn man heute durch die vom Schutt der Jahrtausende befreiten Straßenschluchten von Mohendscho-Daro wandert, dann ist es wie ein Gang durch eine zerbombte Großstadt unserer Tage. Hellrot, mit einem glasigen, apfelgrünen Schimmer, stehen die schartigen Häusermauern geigen das sandverschleierte Violett des Himmels und starren in kahlem Schweigen auf die Gassen nieder. Keine Säule, kein Gesims^ kein anderer baukünstlerischer Schmuck unterbricht belebend die stumme Gleichförmigkeit der mächtigen Hauswände. Fensterlos schließen die riesigen Mauerflächen aus hartgebrannten Ziegeln aneinander und geben den Bauten den Anblick von trutzigen Festungen oder gewaltigen Bunkern. Schmale Tore bilden den Zugang in diese wuchtigen Steingewände. Man glaubt durch einen Tunnel zu gehen, wenn man durch die meterdicken Mauern das Innere eines der Häuser betritt. Auf den Straßen ist dieselbe Verlassenheit wie in den Häusern, auch an den Gassen und Plätzen findet man kein Bildwerk. Nur Totengebein liegt hier und dort auf dem Pflaster, meist in unnatürlicher Lage, als wäre einst ein gewaltiges Sterben über die Bewohner gekommen. Kein Laut regt sich in der hitzezitternden Luft. Kein Vogel singt. Hoch oben in der flirrenden Helle 8
kreist ein verirrter Falke über dem Trümme rfeld. Wahrlich ein Ort des Grauens, eine Toten- und Geisterstätte. Große Teile von Mohendscho-Daro sind in den letzten Jahren freigegraben worden, so daß man in dieser Stadt Spazierengehen kann wie in Pompeji oder Herkulaneum. Ein unbeschreibliches Erlebnis ist es, über die breite Hauptstraße zu schreiten, die durch die Mitte der Stadt von Süden nach Norden zieht. Viele enge Gassen queren von der Hauptstraße ab, man kann sich darin verirren wie in einem Labyrinth. Der Weg führt an Wohnhäusern vorüber, deren massige Bauweise immer erneut erstaunen läßt. Dann trifft man plötzlich auf ein noch mächtigeres Mauer-Ungetüm, das trotz seines Ruinencharakters in seiner nüchtern-monumentalen Wucht fast unheimlich wirkt. Moderne Sachlichkeit scheint sich hier antiker Größe verbunden zu haben. Die Starrheit der Würfelform ist wie bei fast allen Bauten der Stadt durch Schrägstellung der Mauern etwas gemildert. Mohendscho-Daro ist nicht wie die meisten alten und neuen Städte allmählich entstanden. Diese älteste Stadt der Welt wurde von vornherein nach einem festen Plan angelegt, wie in Römerzeiten die Kolonialstädte an Rhein und Donau, wie in neuerer Zeit die Städte Mannheim und Karlsruhe, Salzgitter und Wolfsburg und viele Neugründungen in der Neuen Welt. Es waren große Stadtplaner am Werk, und es ist gewiß, daß diesen Städtegründungen Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende einer immer reifer werden Kulturentwicklung voraufgegangen sein müssen. Alle Straßen und Gassen überschneiden einander fast rechtwinklig, sie verlaufen durchweg südnördlich oder west-östlich, vielleicht, damit die Durchlüftung der Stadt durch die damals vorherrschenden Winde ungehindert erfolgen konnte. Den gesamten Umfang und die Gestalt der ganzen Stadt hat man trotz der weitgetriebenen Ausgrabungen noch nicht feststellen können, und man vermag deshalb noch nicht zu sagen, ob Mohendscho-Daro von einer Mauer umgeben gewesen ist. Wahrscheinlich aber war die Stadt gegen das umgebende Land durch eine Mauer umhegt, ähnlich wie Harappa, wo man Reste einer Stadtmauer
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freigelegt hat. Vermutlich umzog sie genau rechteckig die Stadt, das läßt sich aus der geometrischen Form der bisher ausgegrabenen Straßenzüge folgern. Ähnliche, streng geometrische Stadtanlagen sind neuerdings auch im alten Turkistan in Mittelasien festgestellt worden. Trotz des großen Fläehenumfangs, den die Ausgrabungen bereits erreicht haben, ist es bisher noch nicht gelungen, bis zu den untersten Schichten in die Tiefe vorzudringen. Im Laufe der Jahrtausende hat sich der Grundwasserspiegel gehoben, fast überall stehen die Fundamente der Häuser in einem tiefreichenden schlammigen Brei, der tiefer greifende archäologische Untersuchungen unmöglich macht. Das Steigen des Grundwassers hängt nicht mit vermehrten Regenfällen zusammen — denn der Reigen ist im Laufe der Zeit in diesem Teile Pakistans mehr und mehr ausgeblieben. An der Veränderung des Grundwasserspiegels ist der Indus schuld. Das ständig mitgeführte Geröll und der herangenutete Schwemmsand haben sein Bett allmählich beträchtlich erhöht, wodurch auch das Sicker- und Grundwasser im Stadtgebiet gestiegen ist. Doch ist der Indus beute nicht mehr der Stadt benachbart, er hat seinen Lauf verändert. Mohendscho-Daro liegt nicht mehr wie ehemals unmittelbar an seinem Ufer, sondern einige Kilometer von ihm entfernt. Der Besucher, der die Straßen der toten Stadt durchwandert, erblickt über den Ruinen im Nordwestviertel den machtvollen Hügel, auf dem sich die Ruinen des buddhistischen Heiligtums erheben, von dem aus die Entdeckung der Stadt begonnen hat. Wahrscheinlich hat dort einst die Stadtburg, die „Akropolis", gestanden, ähnlich wie die altgriechischen und viele altdeutsche Städte einst ihren Burgberg besaßen. Am Klosterhügel sind Tiefgrabungen unmöglich, weil erst der heilige Turm abgetragen werden müßte, was die eingeborenen Buddhisten nicht zulassen. Die vermutete Burganlage bleibt deshalb vorerst den Forschern unerreichbar. Daß eine beherrschende Stadtburg in dem Hügel verborgen liegt, ist fast gewiß. Auch bei den jüngsten Ausgrabungen in Harappa ist eine Burganlage aus dem Schutt und den Sandverwehungen zutage getreten. Würde auch die 11
Burg von Mohendscho-Daro erschlossen, so könnte man vielleicht etwas über das Volk erfahren, das in igrauester Vorzeit diese Kulturlandschaft geschaffen und in ihr eine der rätselvollsten Stadtstaatengründungen der Menschheit vollzogen hat. Da man bei den Ausgrabungen in Mohendscho-Daro noch nicht bis an die Stadtmauer gelangt ist, weiß man auch nicht, wo die Stadttore gelegen haben und wie die Straßenzüge verlaufen sind, die aus der Stadt in die Weite des Landes führten. Wahrscheinlich gab es an der Südfront der Stadt in Fortsetzung der mehr als einen Kilometer langen Hauptstraße ein großes Tor, zu dein sich eine Anzahl kleinerer Tore an den übrigen Seiten gesellte. Die Bauentwicklung der Stadt war aufs engste mit dem Indus verbunden, der ihr das Leben gegeben hat und wohl auch ihren Untergang herbeiführte. Unstet war seine Laufrichtung — ähnlich dem stets wechselnden Lauf des chinesischen Gelben Flusses. Unregelmäßig erwies sich auch die zu Tal strömende Wassermenge. Riesige Überschwemmungen gehörten deshalb zum Jahresablauf. Jedes Hochwasser trug ungeheure Massen von Sand und Geröll in die Straßen von Mohendscho-Daro. Die Schwemm-Massen waren zu ungeheuer, als daß sie von den Bewohnern hätten weggeräumt werden können. Mit jeder Überflutung hob sich der Boden; Straßen, Plätze und Höfe wuchsen in die Höhe, Schicht lagerte sich über Schicht. Da man der Geröll- und Samdanschwemmungen und -ablagerungen nicht Herr wurde, begnügte man sich damit, den Schutt einfach einzuebnen. So versanken die Häuser immer mehr in die Erde. Um aber den nötigen Wohnraum zu wahren, stockte man die Bauwerke auf. Ehemalige Erdgeschosse wurden zu Kellern, der erste Stock zum Parterre. Heute ist der Schutt in langwieriger Ausgrabungsarbeit bis unmittelbar über die Grundwassergrenze weggeräumt, und so bieten die Bauwerke von Mohendscho-Daro dem Besucher ein ganz eigenartiges Bild: Die einstigen Türöffnungen der Erdgeschosse liegen oft meterhoch über dem Erdboden und sind nur mit Leitern zugänglich. Ehemalige Brunnenschächte ragen wie Türme empor. Alles würde noch 12
Der älteste uns bekannte Wagen (ausgegrabenes Kindersplelzeug) höher hinaufragen, wenn nicht überall die obersten Teile zerstört •