Ren Dhark®
Der Bitwar-Zyklus Band 3
Die Spur des Tel
Herausgegeben von
HAJO F. BREUER
Scan: Puckelz
K-Leser: CC
Layout: Puckelz
! Ein Universum Release, nur für den internen Gebrauch !
HJB®
Die Spur des Tel
von
UWE HELMUT GRAVE
(Kapitel 12,14,16,18,20)
ACHIM MEHNERT
(Kapitel 11,13,15,17,19)
CONRAD SHEPHERD
(Kapitel 2,4,6,8,10)
JO ZYBELL
(Kapitel 1,3,5,7,9)
und
HAJO F. BREUER
(Expose)
1. Auflage HJB Verlag & Shop KG
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© REN DHARK: Brand Erben
Herausgeber: Hajo F. Breuer
Titelbild: Swen Papenbrock
Druck und Bindung:
Ueberreuter Buchproduktion
© 2004 HJB Verlag
REN DHARK und HJB sind eingetragene Warenzeichen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3-937355-06-5
Der Bitwar-Zyklus Die gigantischen goldenen Statuen, die auf einigen Planeten gefunden wurden, stellen eines der größten Geheimnisse des Universums dar. Auf der Jagd nach der Lösung dieses Rätsels stößt Ren Dhark auf Die Spur des Tel. Achim Mehnert, Uwe Helmut Grave, Conrad Shepherd und Jo Zybell schrieben einen faszinierenden SF-Roman nach dem Expose von Hajo F. Breuer. Diese Buchausgabe präsentiert einen neuen Abschnitt im Leben des Sternenabenteurers Ren Dhark: ideal für Neu einsteiger und ein absolutes Muß für Kenner der Serie! Erstveröffentlichung
Vorwort Draußen scheint die Sonne, wir haben einen goldenen Oktober mit knapp 20 Grad, und ich schreibe ein Vorwort für ein Buch, das die meisten von Ihnen unter dem Weihnachtsbaum lesen werden. So läuft es nun einmal in unserer Branche. Aber es läuft gut. Denn es ist mir gelungen, einen der renommiertesten deutschen SF-Autoren in die Stammannschaft von REN DHARK zu holen: Jo Zybell, der schon mit einigen kleinen Meisterwerken zu dieser Reihe beitrug, ist ab sofort als fester Stammautor im Team, der in jedem Band mit einem Roman vertreten sein wird. Und es gibt noch einiges mehr zu vermelden: Auf keinen Fall ent gehen lassen sollten Sie sich die sechsbändige Reihe um den FORSCHUNGSRAUMER CHARR, die nun komplett vorliegt. In diesem abgeschlossenen Abenteuer wird ein Geheimnis geklärt, das den Fans von REN DHARK schon lange Kopfzerbrechen bereitet hat: das Geheimnis des Ursprungs der Nogk. Das faszinierende Fremd volk ist einer der ganz großen Sympathieträger im Kosmos des Commanders der POINT OF. Doch es bleibt Frederic Huxley und seinen Forschern vorbehalten, den gnädigen Schleier des Vergessens, den die Geschichte über die Entstehung der Nogk gebreitet hat, zu lüften… Der HJB Verlag wird im Dezember 2004 noch drei weitere Hard cover veröffentlichen. Neben dem vierten Band der Bad Earth-Buchausgabe erscheint das dritte und abschließende Buch der Atlan Centauri-Miniserie im Hardcover – und das REN DHARK-Lexikon! Auf 352 Seiten finden Sie alle relevanten Stich worte zum RD-Kosmos mit ausführlichen Erläuterungen. Das Lexi kon erscheint im Rahmen des Labels REN DHARK Spezial als Band 5 und ist (wie auch die Buchausgaben von Bad Earth und Atlan Centauri) nur im Direktvertrieb beim HJB Shop zu beziehen. Ebenfalls exklusiv nur über uns bekommen Sie die neue REN
DHARK-Serie »Sternendschungel Galaxis«, deren ersten beiden Ausgaben in Kürze zu haben sind. Die Bücher erscheinen im selben Format wie FORSCHUNGSRAUMER CHARR mit vorerst sechs Ausgaben pro Jahr. Der erste Zyklus trägt den Titel »Drei Jahre« und wird ausführlich den Zeitraum zwischen Drakhon- und Bit war-Zyklus behandeln. Ich darf Ihnen jetzt schon ein absolutes Highlight versprechen! Sollten Sie Abonnent der Sonderbandreihe beim HJB Verlag sein, geht Ihnen die Serie automatisch zu. Unstimmigkeiten werden wie bei uns selbstverständlich großzügigst im Sinne des Kunden berei nigt. Aber diesen Knaller darf und will wirklich kein RD-Fan verpassen. Doch das nun folgende Abenteuer auch nicht. Und deswegen möchte ich Sie nun nicht länger mit einer großen Vorrede aufhalten, sondern Ihnen die Gelegenheit geben, sich unter dem Weihnachts baum in ihren Lieblingslesesessel zu kuscheln und sich in Gedanken auf den Weg ins All zu machen – und auf die Spur des Tel… Giesenkirchen, im Oktober 2004
Hajo F. Breuer
Prolog Im Frühsommer des Jahres 2062 gehen drei ruhige Jahre des Aufbaus für die Erde zu Ende. Mit dem aus der Galaxis Orn mitgebrachten Wissen ist es den Menschen erstmals vergönnt, Ovoid-Ringraumer der neusten Ent wicklungslinie zu bauen. Doch keinem dieser neuen Schiffe und nicht einmal der legendären POINT OF ist es noch möglich, die Galaxis der Worgun anzufliegen. Irgend etwas verhindert jeden weiteren Kontakt… Ren Dhark ist nicht länger Commander der Planeten. Dieses Amt be kleidet nun Henner Trawisheim. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, Ren Dhark als Belohnung für dessen unzählige Verdienste um die Ret tung der Menschheit zum privaten Eigentümer der POINT OF zu ernen nen. Trawisheim glaubte, den unvergleichlichen Ringraumer auch in Zu kunft für die Zwecke der terranischen Regierung einsetzen zu können, denn der Unterhalt eines Schiffes dieser Größe übersteigt Ren Dharks finanzielle Möglichkeiten bei weitem. Doch der Großindustrielle Terence Wallis, der auf der im Halo der Milchstraße gelegenen Welt Eden seinen eigenen Staat gegründet hat, zog Trawisheim mit der Einrichtung der POINT OF-Stiftung einen dicken Strich durch die Rechnung. Denn die großzügigen Finanzmittel der Stif tung schenken Ren Dhark völlige Unabhängigkeit. Und so bricht er im Frühjahr 2062 zu einem Forschungsflug nach Babylon auf, um endlich das Geheimnis des goldenen Salters ohne Gesicht zu lösen, der dort nun schon mehr als tausend Jahre im Vitrinensaal unter der eben falls goldenen Gigantstatue eines Menschen ohne Gesicht ausgestellt ist. Die Spur führt auf die vom Atomkrieg verseuchte Welt der Kurrgen – als die POINT OF einen Notruf erhält: Unbekannte Raumschiffe greifen die Zentralwelt der heute mit den Terranern verbündeten Grakos an. Die auf Grah stationierten Schiffe älterer Bauart sind für den unheimlichen Gegner keine echte Bedrohung. Als Ren Dhark eine Flotte hochmoderner neuer Ovoid-Ringraumer ins Gefecht führt, kommt es zu einer erbitterten Schlacht im All: Der unbekannte Gegner ist wesentlich stärker als vermutet!
Doch schließlich flieht er mit unbekanntem Ziel, und Ren Dhark kann seine Suche nach dem Geheimnis der Goldenen fortsetzen. Die führt ihn zurück auf die Welt der Kurrgen. Zwei Gruppen haben in einem Bunker bzw. in einem Unterwasserkomplex überlebt. Doch dann holt die eine zum letzten, alles entscheiden Atomschlag aus… Auf Grah soll eine Einheit der Schwarzen Garde die Trümmer der Roboter untersuchen, welche die Fremden zurückließen. Da nähern sich unbekannte Schiffe dem System – und verschwinden wieder. Die Gardisten folgen den Fremden, die über ein völlig andersartiges Antriebskonzept zu verfügen scheinen, mit der HAMBURG. Auf einem scheinbar verlassenen Planeten stoßen sie auf ein Kommando der Utaren, das sich an den Hinterlassen schaften eines verschwundenen Volkes zu schaffen macht. Schon sind die Fremden, die mittlerweile den Namen »Greys« bekommen haben, heran. Offenbar gehörte der Planet ihnen, und sie wollen ihn nicht hergeben. Ohne Vorwarnung schießen sie die HAMBURG ab… Etwa zur gleichen Zeit hat der legendäre Raumfahrer Roy Vegas, der einst als erster Mensch den Mars betrat, das Kommando über das neue Flotten schulschiff ANZIO übernommen. Der erste Ausbildungsflug führt das Schiff und seine Besatzung auf den öden Wüstenplaneten Sahara. Doch hier machen die Raumsoldaten eine Entdeckung von ungeheurer Tragweite: In einer Höhle entdecken sie eine Einrichtung, die man nur als Jungbrunnen bezeichnen kann. Doch es gibt Kräfte auf Sahara, die diese unglaubliche Entdeckung für sich behalten wollen. Es kommt zum Kampf – und zu einer gigantischen Explosion…
1.
Er schwang sich aus dem Antigravschacht und empfand im selben Augenblick jenes Schaudern, das einen Menschen überkommt, wenn ihn etwas wirklich Großes und Erhabenes berührt. Nun ja, Sergio Scaglietti war bekannt für seine Begeisterungsfähigkeit, um es ein mal höflich auszudrücken. Und jetzt, da er hinter Scott die Galerie betrat und das Herz des Schiffes vor ihm lag, fühlte er sich ein wenig an früher erinnert, an gewisse Sonntage seiner Kindheit, wenn er an der Hand seiner Großmutter den Dom von Messina betrat. Ja, wirk lich – auch da war ihm immer zumute gewesen, als würde etwas Großartiges ihn empfangen, etwas, dem man nicht anders als mit Andacht begegnen konnte. Meistens rauschte die Orgel schon, weil seine Großmutter unterwegs wieder tausend Leute getroffen hatte, mit denen sie noch plaudern mußte. So zog sie ihn fast immer auf den letzten Drücker durch das große Portal in den Dom, und manchmal stand sogar schon der Erzbischof hinter dem Altar. Hier, im Allerheiligsten der POINT OF, tosten zwar keine Orgel klänge, aber es lag ein kaum wahrnehmbares Summen in der Luft. Auch herrschte ein ähnlich gedämpftes Licht wie früher während der Messe. Die drei, die hinter Sergio aus dem Antigravschacht stiegen, sprachen erst leiser und verstummten dann ganz; genau wie Großmutter und er immer leiser sprachen oder ganz verstummten, wenn sie den Dom betraten. »Hier bring ich dir unsere Stifte«, sagte Arly Scott in seiner ge wohnt knurrigen Art an die Adresse der Frau, die ihnen lächelnd entgegenkam. Und dann, an die vier Fähnriche gewandt: »Und ihr spitzt schön die Ohren, klar?« Als gingen ihn die vier ab sofort nichts mehr an, lehnte Scott sich über die Brüstung und blickte hinunter in die Zentrale. Dort standen eine Menge Leute um den Sessel, die Instrumenten konsole und die Bildschirme eines Mannes, den Sergio für den Auf
klärungsoffizier aus Mailand hielt; und es war der Aufklärungsoffi zier aus Mailand. Sergios Herz machte einen Sprung, als er den weißblonden Schopf des verehrten Commanders unter den Männern und Frauen entdeckte. »Hallo, wir kennen uns ja schon.« Die Frau, blond, herrlich gebaut – dafür hatte Sergio einen unbestechlichen Blick – und irgendwo Mitte dreißig, drückte ihnen die Hand und spähte dabei auf ihre Namensschilder. Klar, man konnte sich ja nicht auf Anhieb die Na men sämtlicher Neuen merken. Mary-Lou Bakerfield lächelte ihr kühles Lächeln, Timothy Nash, der kahlköpfige Schönling, errötete leicht und nahm Haltung an, und der für einen Offiziersanwärter der terranischen Raumflotte ungewöhnlich massige Bastjan Vanhaaren grinste und wollte die Hand der Chefmathematikerin gar nicht mehr loslassen. Als Anja Riker zuletzt Sergio begrüßte und er zu ihr aufsah, ver schlug es ihm kurz den Atem, denn alles, was er über die Augen von Mrs. Riker gehört hatte, stimmte: Sie waren schlicht und ergreifend bezaubernd. Auch mit weiblichen Augen kannte sich Sergio Scaglietti übrigens extrem gut aus. »Kommen Sie bitte.« Dr. Riker drehte sich um und wies auf die Türen gegenüber der Balustrade. Vanhaaren und Nash beeilten sich, an ihrer Seite zu bleiben; der schöne Nash noch immer so steif, als wäre ein Teleskopstab in seinem Körper auseinandergesprungen, als die Riker ihm die Hand gedrückt hatte. »Hier die sanitären Anla gen«, sagte sie, »danach die Privaträume des Commanders und des Ersten Offiziers…« Täuschte Sergio sich oder sprach auch sie in gedämpfter Tonlage? Und merkwürdig: Sie trug keine Uniform, keinen weißen Labor mantel, auch keinen Overall oder etwas in der Art, sondern eine ziemlich enge Freizeithose und einen noch engeren bunten Wollpul li. Er dagegen hatte seine Kombi extra noch mal gebügelt vor diesem Termin. Aber im Gegensatz zu Anja Riker, die wie die gesamte
Stammbesatzung der POINT OF Zivilistin war, gehörte Sergio als Kadett zur Terranischen Flotte. Er war einer der Besten seines Jahr gangs; die Ausbildung auf dem legendären Ringraumer, für die die TF teuer bezahlen mußte, war eine ganz besondere Auszeichnung für ihn. Er spähte hinunter, während er neben Mary-Lou den anderen folgte. Im zentralen Kugelhologramm sah man den Planeten, um den die POINT OF seit zwei Tagen kreiste. Sergio erkannte einen Ozean in den Lücken der Wolkendecke. Den Namen des Planeten hatte er vergessen – hatte er überhaupt einen Namen? – er wußte nur, daß ihn eine humanoide Spezies bevölkerte, die sich »Kurrgen« nannte, und daß ein fünfköpfiges Kommandounternehmen dort unten un terwegs war. Es suchte Vertreter einer der beiden einst mächtigen Nationen, die den Planeten vierhundert Jahre zuvor in atomaren Schutt und radioaktive Asche gelegt hatten. Soviel hatte Sergio na türlich mitbekommen. Die Versammlung um den Ortungsoffizier machte keinen besonders entspannten Eindruck, so kam es ihm je denfalls vor. Selbstverständlich hatte der Sizilianer die Kommandozentrale schon einmal von innen gesehen – immerhin brach bereits die vierte Woche seines Ausbildungseinsatzes auf dem legendären Ringrau mer des berühmten Commanders an –, allerdings nur dreimal und immer nur für wenige Minuten. Jedesmal bekam er eine Gänsehaut, und jedesmal klopfte ihm das Herz. Daß er erst heute gründlicher in die Geheimnisse der Komman dozentrale eingeführt wurde, lag wohl vor allem am Ausbildungs schwerpunkt des Fähnrichs Sergio Scaglietti: Wenn er die POINT OF wieder verließ, würde er sämtliche gängigen Waffensysteme be herrschen. Einen Flash steuerte er jetzt schon im Schlaf. Mit anderen Worten: Seine Ausbildungsmentoren waren seit vier Wochen die Flashpiloten Pjetr Wonzeff und Arly Scott und der schweigsame Erste Offizier des Gefechtsstandes, Jean Rochard. Sergio kam nur selten aus den Beiboothangars und der Waffenleitzentrale WS-West
in diese Edelregion des Ringraumers. Dr. Riker blieb vor einer halbröhrenförmigen Wandnische stehen, drei Meter hoch und anderthalb Meter im Durchmesser. »Und das hier ist einer unserer Ringtransmitter…« Weiße, halbtransparente Kacheln kleideten die Innenwand der Transmitterröhre aus, dahinter sah man verschwommen ein Geflecht dunkler Drähte. Eine Kuppel schloß das Gerät oben ab, unter ihrem Zenit hing eine metallen glänzende Kugel, aus der zahllose goldfarbene Sensoren ragten. Der Boden funkelte kristallin und sah aus wie eine teure Tortenplatte. »Ich nehme an, Sie alle haben die erste Erfahrung der Ent- und Re materialisierung bereits hinter sich.« Die jungen Fähnriche bestätigten, auch Sergio – im Winter 2060 hatte er mit seiner damaligen Freundin Urlaub auf dem Planeten Eden gemacht. Dorthin reiste man in der Regel per Transmitter. Er lehnte sich gegen die Balustrade. Aus den Augenwinkeln nahm er die Hektik wahr, die da unten vor der Bildkugel ausgebrochen war. »Und der Transmitter hat tatsächlich deine paar Moleküle wieder einsammeln können?« Bastjan Vanhaarens breites Gesicht wurde noch breiter, wenn er feixte, und jetzt feixte er. Mary-Lou lächelte kühl, und der schöne Nash grinste verkrampft. Vanhaaren stand im Ruf, ein Witzbold zu sein, und Sergio vermutete, daß er gerade einen Scherz hatte machen wollen, der auf sein Federgewicht und seine geringe Größe anspielen sollte. Er lächelte tapfer. Auch Anja Riker lächelte, ziemlich spöttisch allerdings. »Da hätte ich eher bei Ihnen Bedenken, Mr. Vanhaaren. In seltenen Fällen tun sich die Transmitter mit Fettmolekülen etwas schwer.« Sie reckte den Hals Richtung Balustrade, dort unten wurde auf einmal ziemlich laut gesprochen. »Meines Wissens gab es Mitte der fünfziger Jahre sogar zwei Verluste von Übergewichtigen. Sie gingen in die Transmitter, wurden entmaterialisiert, und niemand sah sie je wieder…« Der Fähnrich aus Roermond senkte den Blick, und die Bakerfield konnte plötzlich richtig nett lachen. Sergio Scaglietti trennten übrigens nur noch drei Tage von seinem
siebenundzwanzigsten Geburtstag. Er hatte Hochenergietechnik und Physik studiert und in letzterem Fach promoviert. Er benutzte Haarspray und trug seine dichte Lockenmähne grundsätzlich reich lich wild und voluminös gestylt, außerdem auffällig hochtoupiert. Seine Großmutter hatte ihm dazu geraten. »Diese Frisur macht dich ein wenig größer, mein Junge«, hatte sie gesagt. Anja Riker wirkte plötzlich merkwürdig beunruhigt, sie trat an die Balustrade. Etwas stimmte nicht dort unten. Die Spannung war jetzt mit Händen zu greifen. »Was ist denn los?« »Eine ballistische Rakete!« rief jemand von unten herauf. »Nuk learer Sprengkopf!« Die blonde Frau wurde leichenblaß. Ohne sich weiter um die Offi ziersanwärter zu kümmern, stürmte sie die Wendeltreppe hinunter, die Fähnriche hinterher. »Was hat sie denn?« hörte Sergio den Kol legen Nash hinter sich flüstern. »Sie hat Angst«, antwortete Mary-Lou Bakerfield. »Ihr Mann führt die Landungstruppe an.« »Dan und seine Jungs!« rief jemand. »Die Rakete gilt dem Unter seeboot!« Dan Riker und sein Aufklärungstrupp hielten sich auf dem U-Boot auf. »Gefechtsstand an Commander…!« Drunter und drüber ging es plötzlich, alle schrien durcheinander. »Wie soll ich das Mist stück aus der Position denn treffen…!« Sergio erkannt die Stimme seines Ausbilders an den Waffensystemen, sie brüllte aus der Bord sprechanlage. »Commander an alle, festhalten…!« Kaum erreichte Sergio die untere Ebene, ging ein Ruck durch das Schiff. Er taumelte, konnte sich aber am Geländer festhalten. Vanhaaren jedoch, der gerade die letzte Stufe betrat, stolperte und schlug lang hin… * Wieso hörte er das Triebwerk nicht mehr summen? Dan Riker ar beitete sich durch eine enge Kriechröhre. »Scheiße!« Legte das
U-Boot etwa schon an der Kuppelschleuse der Unterwasserstadt an? »Himmel, nein!« O doch, es gab keine andere Erklärung! Riker fluchte und keuchte. Er stieß sich Schultern und Knie wund, so schnell kroch er durch den Tunnel, ständig schlug der zurückgek lappte Helm seines Schutzanzuges gegen die Röhrenwand. Endlich mündete der schmale Tunnel in einen etwas breiteren und höheren Gang. Riker stand auf, spurtete los, vorbei an Luken und Handkur belrädern, unter Rohren und Kabelsträngen hindurch. Er dachte an Terra, er dachte an Anja, beide wollte er noch einmal wiedersehen! Er wollte noch lange nicht sterben, verdammt noch mal! Er brüllte so laut, als könnte er mit seinem Gebrüll den Tod und die anfliegende Rakete erschrecken. Der Funkspruch des Commanders hatte ihm seine an sich stabile und optimistische Gemütsverfassung geraubt. Alles umsonst gewesen! Alles vorbei! »Verdammte Scheiße!« Ein Matrose lag reglos vor der Luke der Kommandobrücke. Dan sprang über ihn. »Gottverdammte Scheiße!« Er stieß die nur ange lehnte Luke auf, lehnte gegen den Lukenrahmen, rang nach Luft. »Eine Atomrakete…!« keuchte er und merkte im selben Moment, daß der Minitranslator am Brustteil seines Schutzanzuges nicht ak tiviert war. Er schlug mit der flachen Hand darauf. »Noreg, dieser Scheißkerl, hat eine schwere Nuklearrakete abgeschossen!« Jetzt übersetzte das Gerät in die Sprache der Kurrgen. »Ist unterwegs zu uns! Muß jeden Moment einschlagen…!« Der Kapitän der TANAR, ein bulliger Kurrge namens Perdon, fuhr herum. Der Funker, neben dessen Arbeitsplatz er stand, sprang auf und machte ein Gesicht, als würde ihm gleich der Schädel platzen. Artus, zu Rikers Überraschung ebenfalls auf der Kommandobrücke, drehte langsam seinen Metallschädel. »Was sagen Sie da…?« flüs terte Perdon. »Eine ballistische Rakete…? Auf uns…?« Grau wie sein Schutzanzug wurde sein breites Gesicht. Riker sah ihm an, woran er dachte: An seine Heimat dachte er, an die unterseeische Stadt da draußen unter der Schutzkuppel und an die Abertausende seines Volkes darin, und an seine Liebste vermutlich, genau wie er selbst.
»Und warum schießen eure tollen Freunde da oben im Weltall das Ding nicht ab?!« Wut verzerrte auf einmal Perdons Gesicht. »Ich dachte, ihr seid uns technisch so wahnsinnig überlegen?!« »Schreien Sie mich hier nicht an, Mann!« blaffte Riker zurück. »An den Ortungsgeräten waren sie so sehr mit unserer Überwachung beschäftigt, daß sie kein Auge mehr für die andere Seite Ihres ma roden Planeten übrig hatten. Und jetzt ist die Schußposition einfach nur noch beschissen…!« »Ein Peiltorpedo«, schnarrte Artus. »Er hat sich von der Bordwand der TARANTOR gelöst und ist dem Schraubengeräusch der TAN AR gefolgt…« »Was redest du, Maschine!« Perdons Stimme zitterte plötzlich. »Wir haben es doch eliminiert…« »Sein Signal hatte uns längst verraten, Kurrgenschädel!« »Wir müssen aussteigen!« Der Funker wollte losrennen, sein Ka pitän hielt ihn fest. »Wir müssen doch die Kuppelzentrale alarmie ren! Unsere Leute müssen evakuiert werden…!« Der Kurrge war außer sich. »Viel zu spät!« stöhnte Riker. »Die verfluchte Rakete hat längst ih ren Zenit überschritten! Ein paar Minuten höchstens noch, dann ist sie…!« Was für ein Unglückstag! Erst am Hafen der Schuß auf ihn, dann die Explosion auf der TARANTOR, und jetzt das! Dan Riker kam sich vor wie ein Mann, der mit knapper Not einem Kampfhund entkommen war, dabei in einen Abgrund zu stürzen drohte, und sich gerade noch festhalten konnte – an einem Starkstromkabel. »Koppeln Sie Ihr Schiff von der Schleuse ab!« schrie er. »Versuchen wir, soviel Distanz wie möglich zwischen uns und die Kuppelstadt zu bringen!« »Sinnlos…« Der Kapitän sank in den Sessel des Funkers – von einer Sekunde auf die andere ein gebrochener Mann. »General Noreg verschießt keine Wunderkerzen, kapieren Sie das? Selbst wenn eine seiner schweren Atomraketen uns um fünf Kilometer verfehlen würde – die Druckwelle der Explosion würde nicht nur die Kup
pelkolonie, sondern auch jedes Unterwasserfahrzeug im Umkreis von achtzig, neunzig Kilometern zerstören…« Er verbarg das grob schlächtige Gesicht in seinen großen Händen. »Es ist vorbei…« Der Funker ballte die Fäuste, biß hinein und murmelte Sätze, die zu leise und zu verwaschen waren, als daß der Translator sie zu über setzen vermochte. Am Lukenrahmen entlang rutschte Dan Riker auf den Boden. Artus setzte sich in Bewegung. »Ich versuch’s wenigs tens…« Er stapfte an Dan Riker vorbei. »Mein Körper ist stabil, viel leicht hält er die Explosion aus…« »Mach dir nichts vor, Blechmann!« brüllte der Kapitän hinter ihm her. »Hab ich nicht eben gesagt, daß nicht mal ein U-Boot…?« Er unterbrach sich und winkte ab. Riker hob den Arm, um sein Vipho zu aktivieren, vielleicht blieb ihm wenigsten die Zeit, sich von Anja und Ren zu verabschieden. Ren Dharks Gesicht jedoch erschien auf dem Minibildschirm, noch bevor er die Taste berührt hatte. Gleichzeitig tönten schrille Pfeiftöne aus dem Funkmodul des U-Boots. Kapitän Perdon zuckte zusammen und griff nach den Kopfhörern. Hastig zerrte er sie über seinen Schädel. »TANAR hört«, bellte er in das Mikro, und dann konnte Riker zusehen, wie seine Gesichtszüge sich entspannten. »Danke!« Er riß sich die Kopfhörer ab. »Die Kuppelzentrale! Die Rakete ist von den Radarschirmen verschwunden!« »Bitte?« Riker sprang auf. »Komm zurück, Artus!« Er starrte auf sein Vipho. »Wie habt ihr das geschafft, Alter!?« »Mit einem waghalsigen Flugmanöver und einem Duststrahl«, sagte Dhark. »Aber buchstäblich in letzter Sekunde.« Riker sah sei nen Freund tief durchatmen und den Kopf schütteln. »An Bord ha ben jetzt ein paar Leute blaue Flecken und lädierte Gelenke, und auf der idyllischen Kurrgenwelt fliegt statt einer Interkontinentalrakete eine radioaktive Staubwolke ins Meer.« »Gott sei Dank!« Riker wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich sah schon das andere Ufer des Jordans!« Irgendwo hinter ihm im Gang stampfte Metall über Metall. Artus kam zurück.
»Tut mir leid, Dan. Wir hatten uns ganz darauf konzentriert, eure aktuelle Position und eure Umgebung zu überwachen, und plötzlich zeigt uns der Checkmaster die Rakete am Horizont.« »Schon okay, alter Freund.« Mit einer Geste gab Dan Artus zu ver stehen, daß die Gefahr gebannt war. »Wer rechnet denn auch mit ballistischen Geschossen? Der Teufel soll diesen verdammten Noreg holen!« »Ich knöpf ihn mir vor, Dan! Verlaß dich drauf…!« »Was hast du vor, Mann?« »Irgendwas lasse ich mir schon einfallen, da mach dir mal keine Sorgen, alter Freund!« »Paß bloß auf, Ren! Ich habe dir das Kommando für den Spähtrupp nicht abgeschwatzt, damit du dir einen noch größeren Scheißhaufen zum Reintreten ausguckst. Ist das klar?« »Schon klar, Junge. Und ihr macht weiter da unten, okay?« Riker brummte zustimmend. Dharks Antwort beruhigte ihn nicht beson ders. »Versucht Kontakt zu den Häuptlingen dieser Kuppelgesell schaft zu bekommen. Wir müssen herausfinden, warum der Giga sender auf Babylon ausgerechnet diesen verwüsteten Planeten an gepeilt hat.« »Das werden wir, Ren. Und wenn sie hier keine Ahnung von Gi gasendern und Babylon haben, werden sie wenigstens etwas von goldenen Skulpturen ohne Gesichtern gehört haben. Das verheißt mir meine innere Stimme.« Der Kapitän blickte auf. Er merkte, daß über seinesgleichen gesprochen wurde. Auf dem Vipho blickte Ren Dhark zur Seite. »Einen Moment noch, Dan, deine Gattin wünscht dich zu sprechen. Sie glaubt immer noch nicht, daß sie doch keine Witwe geworden ist…« Inzwischen hatte sich Rikers restliche Truppe vor der Luke zu Ka pitän Perdons Brücke versammelt. Leutnant Hornig, Fähnrich Häk kinen und Percival »Val« Brack, der Cyborg. »Was ist passiert?« fragte Hornig. »Ist euch schlecht? Ihr habt so grüne Gesichter.« »Erstens habe ich niemals weder ein grünes noch ein bleiches Ge
sicht«, verkündete Artus in der ihm eigenen Unaufgeregtheit. »Dergleichen kann mir einfach nicht passieren. Und zweitens habt ihr etwas Unbezahlbares verpaßt.« Die drei runzelten die Stirn, ihre Gesichtszüge verwandelten sich in Fragezeichen. »Ihr wart hun dertfünfzig Sekunden lang so gut wie tot…« * Große Erleichterung herrschte in der Zentrale der POINT OF. Zu nächst in der Gruppe um Tino Grappa an der Ortung. Von dort sprach sich die Sache blitzschnell in der ganzen Zentrale herum – zuerst das jähe Auftauchen der Nuklearrakete und dann ihre Ver nichtung. An allen Arbeitsplätzen erhob sich lautes Stimmengewirr, man schlug sich auf die Schultern, umarmte sich gar. Einige rieben sich allerdings noch die Knie oder die Schädel oder den Hintern. Dharks Blitzmanöver hatte den einen oder anderen zu Boden geris sen oder gegen Wände, Konsolen und festmontierte Sessel ge schleudert. Um die Rakete doch noch rechtzeitig abfangen zu kön nen, hatte der Commander das Schiff mit Notleistung fast aus dem Stand heraus mit Irrsinnswerten beschleunigt. Die Andruckabsorber hatten erst einen Millisekundenbruchteil zu spät reagieren können, weil ihnen nicht genug Energie zur Verfügung stand. Die kurzfristig durchbrechenden Andruckkräfte waren nicht wirklich gefährlich, hatten aber den einen oder anderen, den sie unvorbereitet über raschten, von den Füßen gerissen. Anja Riker sprach über Bordfunk mit ihrem Mann. Drei Fähnriche standen ein wenig verloren um einen vierten, der sich ächzend auf die Knie stemmte. Grappa hing in seinem Sessel wie ein angezählter Boxer in den Seilen. Er haderte mit sich, weil er die Rakete nicht rechtzeitig geortet hatte. Chris Shanton versuchte ihn aufzurichten. Der Commander aber war einfach nur zornig. »Noreg, dieser ver fluchte Hund!« Er schlug sich mit der Faust gegen den Handballen. »Ein verdammter Mörder und ein General von Mördern!« Er tigerte
zwischen Bildkugel und Kommandostand hin und her. »Ihren gan zen Planeten haben sie kaputtgebombt! Auf dem Meeresgrund müssen sie leben wie die Muschelkrebse! Unter der Erde wie die Maulwürfe! Und dieser wahnsinnige Hohlkopf macht immer noch weiter!« Nach und nach verebbten die Gespräche. Männer und Frauen verfolgten den Wutausbruch ihres Kommandanten. Die Fähnriche hatten sich auf die ersten Stufen der Wendeltreppe zurückgezogen. Allzu oft kam es auf der POINT OF nicht vor, daß man den Chef explodieren sah. »Ich hätte ihn umgebracht, wenn er Riker und seine Leute erwischt hätte, das schwöre ich euch! Scheißkerl, verdammter! Wozu trägt so einer ein Hirn mit sich herum?!« Dhark stieg auf den Kommando stand und warf sich in seinen Sessel. »Wahrscheinlich kam er mit einem nuklearen Sprengkopf unter der Schädeldecke zur Welt«, sagte Manu Tschobe und machte ein todernstes Gesicht dabei. Doorn und Shanton grinsten, und Ren Dharks Wut kühlte ein wenig ab. »Der Bursche braucht eine Lekti on.« Dhark schlug die Beine übereinander. »Und er kriegt eine Lektion!« Er stützte das Kinn auf die Faust und grübelte. »Willst du runterfliegen und seine Bergbunkertür eintreten?« fragte Amy. »Keine schlechte Idee eigentlich«, murmelte Dhark. »Davon würde ich abraten«, ließ der Checkmaster sich vernehmen und begann seine Argumente abzuspulen. »Erstens: Einem Indivi duum, das trotz zerstörtem Lebensraum weiterhin derartige Waffen einsetzt, muß grundsätzlich irrationales und somit gefährliches Verhalten unterstellt werden. Zweitens: Ein Individuum, das unsere technische Überlegenheit kennt und dennoch…« Dhark hörte nicht zu. Den Blick auf die Bildkugel gerichtet, wo die Wolken über einen Ozean der Kurrgenwelt trieben, dachte er nach. Irgendwann stand er auf, ging in die Mitte der Zentrale und sah zur
Galerie hinauf. Dort lehnte ein gutes Dutzend Männer und Frauen über die Balustrade. Unter ihnen der Mann, dessen Gesicht Dhark Minuten zuvor schon erkannt hatte. »Hey, Arly Scott – habe ich doch richtig gesehen. Hören Sie, Arly, ich brauche Flash 003. Machen Sie mir die Maschine fertig, okay?« »Aye, Commander.« Scott grüßte lässig, stieß sich von der Brüs tung ab und marschierte Richtung Antigravschacht. »Hey, Ren, was hast du vor?« Amy stand aus ihrem Sessel vor dem Funkmodul auf und ging zu ihm hin. »Ich werde da runtergehen.« Dharks ausgestreckter Arm stach Richtung Bildkugel und dem Planeten der Kurrgen. »Ich werde da runtergehen und Noreg den Nuklearsprengkopf hinter der Stirn entschärfen.« »Das wirst du nicht tun!« Die Fäuste in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor ihm auf. »Man muß ihm aufs Maul schlagen, sonst kommt diese Welt da unten nie mehr zur Ruhe! Also gehe ich runter und schlage ihm aufs Maul!« »Du warst schon unten bei General Noreg und hast keine beson ders gute Figur gemacht!« Alle lauschten atemlos. Niemand sonst hätte sich erlaubt, den Commander derart zu provozieren, nur seine Freundin durfte sich das herausnehmen. Jeder an Bord wußte ja, wer den Commander samt der ersten Landungstruppe aus den Kerkern des Betonkopfs Noreg herausgehauen hatte: Amy Stewart, sie allein. Ren Dharks Augen blitzten. Er preßte die Lippen zusammen, und für einen Moment sah es nach Wutanfall Teil II aus. Aber er wandte sich ab und sagte nur: »Ich brauche einen Prallfeldgenerator, so ein Ding, das man zur Not tragen kann.« Arc Doorn nickte und beugte sich über sein Mikro. »Sie sollen den Generator gleich an Bord der 003 schaffen.« Doorn gab den Wunsch des Kommandanten an die Ausrüstungsverwaltung weiter. Amy Stewart seufzte so laut, daß sie es auch oben auf der Galerie hören konnten. Sie resignierte. »Und dann brauche ich…« Ren Dhark drehte sich langsam um sich
selbst, seine Blicke wanderten über die Männer und Frauen in der Zentrale und oben auf der Galerie. »Und dann brauche ich jeman den, der mit mir geht.« »Ich gehe mit«, sagte Amy. »Was fragst du noch!« »Nein, nein, mein Herz.« Er berührte sie an der Schulter, flüchtig, aber mit zärtlicher Geste. »Ich brauche jemanden, der…« Sein Blick fiel auf die Gruppe der Fähnriche. »Genau.« Er ging auf die vier Offiziersanwärter zu. Bastjan Vanhaaren trat plötzlich von einem Fuß auf den anderen, Timothy Nash nahm Haltung an, Mary-Lou Bakerfield versteckte sich hinter lässigem Lächeln, und der zierliche Sizilianer zog seine buschigen Augen brauen hoch. Auf ihn deutete der Commander. »Ich brauche einen wie Sie!« »Sir?« Sergio Scaglietti tippte sich an die Brust und blickte nach links und rechts, erst zu Nash, dann zur Bakerfield. »Mich?« Er schien an eine Verwechslung zu glauben. »Ja, Mann! Sie sind doch der Physiker, den Scott und der Erste Waffenoffizier unter ihre Fittiche genommen haben, Sergio Scagliet ti.« »Ja, Sir, der bin ich.« Sergio lächelte nach links und rechts, aber weder Mary-Lou noch die beiden Männer lächelten zurück. »Also, Sie meinen wirklich, ich soll mit Ihnen…« »Einen kleinen Ausflug zu diesem Gammastrahlenplaneten ma chen, genau.« Mit einer Kopfbewegung deutete Ren Dhark zum Hologramm und der Kurrgenwelt in seinem Zentrum. »Wir besu chen General Noreg und plaudern ein wenig mit ihm.« Der Com mander legte dem Sizilianer die Hand auf die Schulter, blickte auf ihn und seine wilde Schwarzlockenmähne hinunter und schnitt eine unternehmungslustige Miene. »Was ist, Scaglietti – fliegen Sie mit mir?« »Klar, Sir!« Sergio sah hinauf in die braunen Augen des verehrten Mannes. Einen Moment hatte er geglaubt, nicht recht zu hören. Jetzt kam er sich vor, als hätte das Schicksal oder ein Gott oder der Papst
persönlich seinen Geburtstag um drei Tage vorgezogen. »Klar fliege ich mit Ihnen!« * Gigantische Greifarme hatten die TANAR umklammert und zogen das U-Boot in die Schleusenkammer. Dan Riker hing am Periskop. Hinter ihm standen Brack, Häkkinen und Hornig. Alle waren sie gleichermaßen scharf darauf, einen Blick auf das Innere der Kuppel werfen zu können, aber keiner traute sich, den Kommandeur um den Platz am Periskop zu bitten. Ein Problem, das Artus nicht drückte – er hatte sich drahtlos in die relativ primitive Elektronik des Bordrechners eingeschaltet. Sein Kunsthirn verarbeitete bereits die Daten der Ortung, des Archivs und der Außenkameras zu hinreichend scharfen Bildern. Häkkinen trat neben Dan Riker. »Und? Was sehen Sie, Sir?« Die Neugier siegte über die Schüchternheit des finnischen Fähnrichs. »Wir gleiten gerade an der Kuppelwand vorbei. Himmel noch mal, die ist mindestens dreieinhalb Meter dick. Ich fasse es nicht! Wie haben die diese Megaglocke gebaut, und wie haben die das Ding auf den Meeresgrund gebracht?« »Die Kuppel ist fast vierhundertachtzig Jahre alt.« Rikers Minit ranslator war noch aktiviert, der Kapitän hatte mithören können. »Die Regierung der großen Nation von Thein hat die Kuppel sech sundsiebzig Jahre vor dem Atomkrieg in eigens errichteten Stahl werken an der Küste bauen lassen. Die einzelnen Stahlwaben wur den von Spezialschiffen an Ort und Stelle gebracht, versenkt und unter Wasser verschweißt. Die Basis des Kuppelkomplexes liegt übrigens in fünfhundert Metern Wassertiefe.« »Unglaublich!« Riker hatte keine konkrete Vorstellung von den Ausmaßen der Unterwasserkuppel, er ahnte nur, daß sie gigantisch sein mußte. »Das war ja wohl ein Generationenwerk, oder?« »Stimmt«, entgegnete Perdon knapp. »Drei Generationen von In
genieuren, Physikern und Technikern haben daran gearbeitet. Vier Jahre vor dem Großen Krieg wurde Arkena fertig.« »Was sehen Sie jetzt, Sir?« drängte der Fähnrich. »Das Außenschott schließt sich, ein merkwürdiges Licht flimmert überall, violett irgendwie…« »Das Wasser im Schleusenbecken und mein Schiff werden dekon taminiert«, erklärte der Kapitän. Seit dem abgewehrten Raketenang riff hatte Perdon seine schroffe Art abgelegt und zeigte sich von einer erfreulich kooperativen Seite; richtig höflich war er auf einmal. »Jetzt sehe ich das Innenschott, es geht auf. Ich bin gespannt auf die Innenkuppel und die Stadt!« »Darf ich auch mal?« Endlich faßte sich der Finne ein Herz. »Bitte.« Anstandslos trat Riker zur Seite und ließ den Fähnrich ans Periskop. »Weiter als bis in die Innenschleuse fahren wir nicht«, sagte Per don. »Von dort aus verlassen wir das Schiff über einen Teleskop tunnel und eine Personenschleuse. Dort wird jeder von uns ein zweites Mal dekontaminiert.« So kam es. Perdon übergab das Kommando seinem Ersten Offizier, der angekündigte Tunnel dockte an, und angeführt von Perdon gingen sie samt der Mannschaft der zerstörten TARAN-TOR und ihres Kapitäns Arrgol von Bord. Der Teleskoptunnel führte in einen verchromten Raum, der sich als Aufzug entpuppte und sie aus dem Schleusenbecken über die Wasseroberfläche hinauf in eine Halle trug, die Riker an einen U-Bahnhof zu Hause auf Terra erinnerte, in Paris oder München. Einzeln passierten sie kleinere Dekontaminierungskammern und fuhren anschließend über eine Art Rolltreppe in einen gläsernen Kuppelbau von knapp zwanzig Metern Durchmesser und acht Me tern Höhe. Über dem Glasdach sahen die fünf Männer der POINT OF nichts als glänzenden Stahl und Licht, das sich in glänzendem Stahl spiegelte. »Der Kuppelzenit liegt hundert Meter über der Ba sis«, kommentierte Perdon die staunenden Blicke seiner Gäste. »Ihr
Durchmesser beträgt genau eintausendeinhundertzehn Meter.« Außerhalb der Glaskuppel, hinter einer Art Terrassenbrüstung, sa hen sie Massen von Kurrgen. Die jubelten, winkten und skandierten eine Art Sprechgesang. »Was wollen die denn?« entfuhr es Val Brack, dem Cyborg. »Einwohner von Sektion zwei«, erklärte Kapitän Perdon. »Die ha ben sich spontan hier an den U-Docks eingefunden und feiern den Abschuß der Rakete. Vermutlich hat sich herumgesprochen, daß Ihr Raumschiff uns vor dem atomaren Ende bewahrt hat.« »Sie wissen von uns und von unserem Schiff?« staunte Riker. »Was denken Sie denn, Mann!« knurrte Arrgol, der hünenhafte Kapitän des gesunkenen U-Boots. »Glauben Sie etwa, ich nehme Figuren wie Sie an Bord, die behaupten, von einem anderen Planeten zu stammen, und informiere meine Basis nicht?« Zwischen den Ka pitänen schritt Riker durch ein Bogenportal ins Freie. Sehr hell war es – Kunstlicht natürlich – und wärmer als an Land. Die Menge ju belte. »Außerdem sind wir nicht ganz so blöd, wie Sie denken mögen, Riker«, raunte ihm Perdon ins Ohr. »Wir haben Metalldetektoren und wissen, was sie so alles an Gerätschaften mit sich herumtragen. Und selbstverständlich verfügen wir über eine leistungsfähige Or tungstechnik. Wir wissen seit zwei Tagen, was für ein Gigaring von Raumschiff da um unseren Planeten kreist.« Über einen mit Kunststoff gepflasterten Weg erreichten sie die Terrasse mit den vielen Kurrgen. Einige sprangen über die Brüstung, liefen zu Perdon, Arrgol, Riker und den anderen Terranern, klopften ihnen freundschaftlich auf die Rücken und die Gesäße. Nur Artus gegenüber verhielten sie sich äußerst zurückhaltend. Einige zuckten regelrecht zurück, als sie seinen Maschinenkörper zum ersten Mal bewußt wahrnahmen. Uniformierte drängten sich zwischen Brüstung und Bevölkerung. Während sie an der Terrasse vorbei in ein großes, flaches Gebäude gingen, winkten Riker, Leutnant Hornig sowie Perdon und klatsch
ten Hände ab, die sich ihnen entgegenstreckten. Riker fiel auf, daß alle Männer außer den Greisen Uniformen tru gen, sogar die halbwüchsigen Knaben. Frauen, alte Männer und Kinder waren in bunte Anzüge oder Ponchos gekleidet. Aus Kunst leder, vermutete Riker, weil die farbenfrohe Kleidung das indirekte Licht reflektierte, das die Kuppel und das Gebäudeinnere taghell erleuchtete. Aus dem Flachbau gelangten sie auf einen Platz. Auch hier app laudierten Hunderte von Kurrgen. Die Männer und der Roboter von der POINT OF waren gerührt. Sicherheitskräfte sorgten für ein Spa lier. Riker und die Kapitäne überließen es bald ihren Leuten, zu winken und die Hände abzuklatschen, die sich von allen Seiten nach ihnen ausstreckten. Zum ersten Mal sah Riker die Silhouette der Unterwasserstadt: Runde Hochbauten in erster Linie ragten dem Kuppeldach entgegen, fast alle gleichhoch und unübersehbar zahlreich. Nur vereinzelt entdeckte er Kuppel- und noch seltener Rechteckformen. Riker machte sich klar, daß der begrenzte Platz hier unten die Kurrgen zum Hochbau gezwungen hatte. »Wie viele Leute leben hier?« wollte er wissen. »Hier, in Segment II, nicht ganz zwölf tausend«, antwortete Per don. »Segment II?« Riker verstand nicht gleich. »Arkena ist ein Komplex aus fünf solcher Kuppeln.« Hatten sie also auch einen Namen für ihr Unterwasserasyl. »Ihre Basen berühren sich jeweils, und Portale und Tunnel verbinden sie miteinander. Insgesamt leben zur Zeit etwa achtzigtausend Menschen in Arkena.« Jetzt erst fiel es Riker auf: Perdon modulierte deutlich vernehmbar »Kurrgen«, der Translator aber übersetzte: »Menschen«. Hinter den U-Bootkapitänen und ihren außerkurrgischen Gästen schloß die Menschenmenge das Spalier. Dutzende breitschultriger und grimmig dreinschauender Sicherheitskräfte schirmten sie ab. Sie erreichten eine Straße, kaum fünf Meter breit. Rechts und links
wuchsen, eng aneinandergebaut, die Wohntürme in die Höhe; acht zig Meter, schätzte Riker. Überall war das Raumproblem augenfällig, überall herrschte Enge. »Ich würde Platzangst kriegen«, raunte Hornig seinem Kommandanten ins Ohr. Schaulustige näherten sich von allen Seiten. Lauter untersetzte, kleinwüchsige Gestalten, uniformiert oder in bunten Kleidern. Aus großen Augen bestaunten sie die langen und dürren Terraner. Riker suchte die Straße nach irgendwelchen Vehikeln ab. Er konnte sich nicht vorstellen, daß man hier unten ausschließlich zu Fuß unter wegs sein sollte. »Wie versorgt ihr euch mit Energie?« wollte Artus wissen. »Atomenergie«, sagte Arrgon. »Wenn Sie zwischen den Wohn türmen Kuppelbauten sehen, dann befindet sich entweder eine Produktionsstätte oder ein Kernreaktor darunter.« Masten ragten zwischen den Wohntürmen aus der Menschen menge. Sie waren Riker zunächst gar nicht aufgefallen. Mindestens fünfzehn Meter hoch gabelten sie sich nach dem zweiten Drittel yp silonförmig in zwei Tragbalken, zwischen denen armdicke Stahlseile gespannt waren. Alle fünfzig Meter entdeckte er so einen Y-Pfeiler. »Und Trinkwasser?« Artus ließ seiner Neugier die Zügel schießen. »Ihr verfügt sicher über mächtige Entsalzungsanlagen.« »Entsalzungsanlagen?« Perdons runzelte die Stirn. »Was redest du für ein Blech, Maschinenmann?« »Könnt ihr denn Salzwasser genießen?« staunte Artus. »Wieso Salzwasser, beim Arsch des Generals!« Arrgon blieb bei einem der Y-Pfeiler stehen. Vor der Rundfront des gegenüberlie genden Gebäudes hatten die Sicherheitskräfte für einen freien Platz gesorgt. Uniformierte strömten aus dem Gebäude. Sie schleppten längliche Koffer mit sich. »Wahrscheinlich haben sie hier Süßwassermeere«, flüsterte Riker dem Roboter zu. »Ich habe das Wasser nicht gekostet, werde mich hüten, kontaminiertes Wasser zu trinken.« Die Uniformierten mit den Koffern stellten sich nach und nach zu einer rechteckigen For
mation aus sechs Reihen auf. »Vielleicht verfügen sie auch über einen anderen Mineralstoff wechsel als ihr Menschen«, sagte Artus. »Daß Intelligenzen huma noid aussehen, muß ja nicht heißen, das ihre Physiologie den Geset zen der Humanmedizin gehorcht.« »Schon möglich«, brummte Riker. »Aber darum geht’s jetzt nicht, würde ich sagen.« Mißtrauisch spähte er zu der Formation aus Uni formierten hinüber. Die öffneten ihre Koffer. »Passen Sie auf, Per don, ich muß einen eurer Anführer sprechen.« Stäbe, Rohre und brezelförmige Geräte wurden ausgepackt, fast alle aus rötlichem Metall. »Einen Kommandanten, einen Präsidenten, einen König – sowas in der Art habt ihr doch sicher auch, oder? Mir brennen da ein paar Fragen unter den Nägeln, falls Sie wissen, was ich meine.« Er deutete zu der Phalanx aus Uniformierten hinüber. Dort machte man sich an den Geräten zu schaffen. »Was gibt das, wenn es fertig ist?« Eine Ahnung beschlich ihn. Zum ersten Mal grinste Kapitän Perdon. »Lassen Sie sich überra schen, Dan Riker…«
2.
Roy Vegas hatte noch den Notruf des Soldaten in den Ohren, der vor der Katastrophe warnte, als auch schon ein ungeheurer Blitz den Himmel aufriß, dessen Glanz mühelos das Licht von Munros Stern überstrahlte. Er schloß unwillkürlich die Augen vor dem grellen Schein. Als er sie wieder öffnete, konnte er in der großen, automatisch ab gedunkelten Bildkugel verfolgen, wie sich der Boden der Senke hob und eine riesige Flammensäule gebar, die, von unvorstellbaren Kräften getrieben, Hunderte von Metern in die Luft eruptierte. Dabei riß sie Tonnen und Abertonnen von Gestein und Sand mit sich. Diesem Inferno entkam nichts und niemand. »… mein Gott, die Männer!« Der Colonel vernahm die Worte, ohne genau zu registrieren, wel cher seiner Offiziere sie ausgestoßen hatte. Nozomi wahrscheinlich. Sicher war es Ron Nozomi gewesen, seine Nummer Vier. Mehr Zeit zum Überlegen blieb nicht; die Tragödie nahm ihren unabänderlichen Fortgang. In der violetten Feuersäule verschwanden die Ruinen des Dorfes, der Eingang zur Höhle und der unterirdische See mit der goldenen Maschine eines geheimnisvollen Volkes. Dann erst folgte der Donner der Explosion; er brachte die Atmos phäre zum Erzittern und schlug mit dem Dröhnen mächtiger Gongs gegen die Wandungen der ANZIO. »Das Intervall?« stieß Nozomi hervor. »Hält es?« »Nummer Eins?« wandte sich Vegas an seinen Ersten Offizier. »Belastung bei 70 Prozent, Kapitän«, folgte Olin Monro der Auf forderung seines Kommandanten und fügte im selben Atemzug hinzu: »Sinkt bereits wieder. Es gibt keinen Grund zur Sorge.« »Für uns sicher nicht«, sagte Vegas und dachte an die Männer, die
sich am Ort der Katastrophe aufgehalten hatten. Männer wie Peiser, Horia Kraetsch, der Sanitäter und die beiden Infanteristen… »Sie sind alle tot!« zeigte sich der Navigator erschüttert. Und erst jetzt ging Vegas auf, daß er die Namen der Männer laut ausgespro chen hatte. Sämtliche Bildschirme der Leitzentrale arbeiteten und lieferten ge stochen scharfe Bilder: Der Himmel über der Wüste war erfüllt von brennendem Gas, von Rauch, von Gesteinstrümmern und glühen den Fragmenten, die jetzt begannen, wieder auf die Oberfläche zu rückzufallen. Unaufhörlich regnete es schwelende Asche und ge schmolzene Sandpartikel. Der einsetzende Wind trieb die Überreste dessen, was sich in der Senke befunden hatte und zu Atomen zer strahlt worden war, in westliche Richtung davon. Wie man später nachmaß, hatte der Explosionstrichter eine Tiefe von über 100 Metern, und die Ränder waren mehr als 800 Meter voneinander entfernt. Der Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse hätte sich mit Leichtigkeit darin verstecken können. »Bockmist«, ließ sich Vegas plötzlich zu einer Äußerung hinreißen, die er ansonsten in Gegenwart seiner Leute vermied. »Was war da los?« Jay Godel bezog die Frage auf sich. »Keine Ahnung, Sir«, erwiderte der im Rang eines Hauptmanns stehende Zweite Offizier der ANZIO wahrheitsgemäß. »Ich versuche gerade selbst, mir einen Reim darauf zu machen.« Sein forschender Blick traf den Oberst. Dessen Miene verriet, was den hochqualifizierten Kommandanten des Flottenschulschiffes bewegte: Betroffenheit, Ärger und Zorn. Vor allem Zorn. »Sir!« Die Ortung machte sich lautstark und mit Nachdruck be merkbar. »Was gibt es, Nummer Drei? Neue Hiobsbotschaften?« »Wie man’s nimmt, Kommandant. Die Taster haben fast zeitgleich mit unserer hier fünf weitere Explosionen auf dieser Hemisphäre Saharas geortet.«
»Identische?« Der Kommandant drehte den Sessel und musterte die Gesichter seiner Mannschaft. Sämtliche Offiziere, Offiziersanwärter, Funker, Orter und Astrogatoren saßen in ihren Kontursitzen, die Hände an den Reglern und Bedienelementen. »Von der gleichen Stärke, Sir«, bestätigte Hauptmann Kerim Be kian. »Merkwürdige Duplizität der Ereignisse«, murmelte der Colonel. »Es wird noch seltsamer«, machte der Dritte Offizier seiner eigenen Verwunderung Luft. »Werden Sie deutlicher, Mister Bekian!« »In ein Raster der Oberfläche projiziert, bilden die Explosionen ein genaues Sechseck, dessen Kantenlänge jeweils exakt 1254 Kilometer beträgt.« »Da muß etwas wie bei einer Totmannschaltung untereinander verbunden gewesen sein«, warf Hauptmann Nozomi ein, »denn anders lassen sich die Ereignisse kaum erklären.« »Hat was für sich, Mister Nozomi«, bekannte Vegas, der unverse hens die schon länger in seinem Unterbewußtsein schwelende Ver mutung bestätigt sah, daß es auf Sahara mehrere dieser Jungbrunnen geben mußte. Gegeben haben mußte, korrigierte er sich innerlich und fuhr fort: »Ich bin überrascht. Gleich sechs dieser mysteriösen Seen! Von wem wurden sie errichtet? Zu welchem Zweck? Wer versuchte hier so nachhaltig in die Entwicklung dieses Planeten einzugreifen? Mit welchen Absichten?« Sein Blick fiel auf den ehemaligen Spezia listen der Raumüberwachung Saharas, Pal Bretan, der inzwischen in der Kolonie die Tätigkeit eines Sicherheitschefs bekleidete und kurzzeitig an Bord der ANZIO eine etwas undankbare Aufgabe hatte. »Haben Sie vielleicht eine Erklärung, Mister Bretan«, sagte er scharf, »oder kannten Sie vielleicht sogar die Lage dieser Brunnen?« Bretan hob abwehrend die Handflächen vor die Brust. »Fragen Sie nicht mich, Colonel.« »Wen sollte ich denn Ihrer Meinung nach fragen?« Vegas zog die
Stirn in Falten. Er ertappte sich dabei, daß er wütend und stinksauer über den Verlust seiner Männer war. Vor allem aber war er zornig darüber, daß er keine Handhabe mehr hatte, den Schuldigen an diesem Desaster zu bestrafen: Solomon Green. Der Leiter der Saha ra-Niederlassung von GenLabs war ebenso tot wie der Erste Bürger der Kolonie, Wassilio Stavros. »Verstehen Sie mich richtig…«, begann Bretan, nach den richtigen Worten suchend. »Darum bemühe ich mich ja«, grollte der Oberst der Terranischen Flotte, »aber Sie machen es mir nicht leicht. Als Sicherheitschef der Kolonie sind Sie doch über Dinge informiert, die den Normalbürgern auf diesem Planeten nicht so ohne weiteres zugänglich sind. Oder sehe ich das falsch?« Pal Bretans Mund wurde schmal; hier stellte jemand eindeutig seine Kompetenz in Frage. »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt«, erwiderte er hölzern und bemühte sich, seine Verstimmung nicht allzu offenkundig zu zeigen, »daß wir bislang nur einen sehr kleinen Teil des Planeten vermessen haben. Auch wenn Ihnen das suspekt erscheinen mag, nachdem wir uns immerhin schon elf Jahre auf Sahara aufhalten. Glauben Sie mir, wir hatten Besseres zu tun, als den Planeten in seiner Gesamtheit zu erforschen. Die Echsenpopulation hielt uns rund um die Uhr und an jedem einzelnen Tag eines Saharajahres auf Trab. Wir mußten unsere ganze Kraft darauf verwenden, unser Überleben zu sichern. Das ließ keine Gedanken an eine genaue Erforschung unserer neuen Heimat zu, das kann ich Ihnen versichern. Was ich damit sagen will: Ich kann Ihnen also weder eine Erklärung der Vorfälle liefern, noch mit Informationen über diese ominösen unterirdischen Anlagen dienen, deren Kenntnis Sie mir offensichtlich unterstellen.« Bretans Stimme war zum Ende hin ebenfalls laut und verärgert geworden. Das Schweigen dauerte. Es war der Oberst, der es brach. »Hören Sie«, sagte er langsam und wählte seine Worte sorgfältig.
»Es ist eine furchtbare Tragödie, für uns sowie für die Kolonie. Ei nigen wir uns darauf, uns nicht schon wieder zu streiten. In Ord nung, Mister Bretan?« Der Kolonist senkte den Blick und starrte seine Stiefelspitzen an. Dann hob er den Kopf, atmete tief ein und nickte. »Geht in Ordnung, Colonel.« »Gut. Wenn Sie möchten, können Sie an Bord bleiben und mit uns nach Sahara-Stadt zurückkehren.« »Werde ich wohl müssen«, versetzte Pal Bretan, »wenn ich nicht die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen will. Danke für das Angebot.« * Bretans Befürchtung, zu Fuß nach Sahara-Stadt gehen zu müssen, hatte einen realen Hintergrund. Wie es sich herausstellte, war der Kordon der Wachmannschaft von Wassilio Stavros zu nahe am Ort des Geschehens errichtet worden. Viel zu nahe. Mit fatalen Folgen. Die Gleiter der Polizeitruppe existierten nicht mehr; von den uni formierten Männern hatte keiner die Katastrophe überlebt. McGraves’ Einheit dagegen hatte keine Verluste zu verzeichnen; bereits vor Stunden hatten sich die Soldaten auf Befehl des Majors bis in Höhe des Standortes der ANZIO zurückgezogen, um jeder Konfrontation mit Stavros’ Männern aus dem Weg zu gehen. So konnten sie sich bei Ausbruch des Höllenfeuers rechtzeitig in die gepanzerten und mit Schutzschirmen versehenen Mann schaftsschweber zurückziehen. Von der ganzen Delegation aus Sahara-Stadt war nur Pal Bretan am Leben geblieben. Die Einsatzgruppen der Rauminfanteristen kehrten an Bord der ANZIO zurück. Major Chester McGraves überwachte die Einschleusung von der Zentrale aus. Der ehemalige Erste Offizier der SPECTRAL kontrol
lierte über die Schirme den Vorgang und meldete den erfolgreichen Abschluß an den Kommandanten. »Keiner von unseren Leuten mehr dort draußen, Chester?« »Alle sind an Bord«, bestätigte der Major. »Gut. Mister Bekian!« »Sir?« »Überprüfen Sie mit den oberen Tastern den Explosionsort in ei nem Radius von zehn Kilometern«, ordnete Vegas an. »Ehe wir uns auf den Rückweg nach Sahara-Stadt machen, möchte ich sicher sein, daß wir niemanden hier zurücklassen. Vielleicht haben sich ein paar der Polizisten in der näheren Umgebung umgesehen, sind nur ver letzt und warten auf unsere Hilfe.« Hauptmann Kerim Bekian machte sich sofort an die Arbeit. Auf den Schirmen der Naherfassung zog in einem Rundum schwenk die nähere Umgebung vorbei. Einmal. Zweimal. Dann ein letztes Mal. »Nein, keine Lebensform-Echos«, meldete der Dritte Offizier schließlich. »Überall die gleichen Bilder. Dort draußen ist nichts, Sir. Es gibt keine Überlebenden.« Vegas drehte seinen Sessel. »Tut mir leid, Mister Bretan«, wandte er sich an den Sicherheitschef der Kolonie, der von seinem Platz aus die Suche verfolgt hatte. »Aber Sie sehen selbst…« »Vielen Dank, Oberst«, sagte Bretan halblaut und heiser, »ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen.« Er kratzte sich an der Schläfe. »Ich habe auch nicht wirklich erwartet, daß Sie Erfolg haben würden. Wissen Sie, daß fast die halbe Administration von Sahara-Stadt ausgelöscht wurde?« Das hatte seine Richtigkeit, wie Vegas zugestehen mußte. Neben Wassilio Stavros hatten sich auch seine beiden Subdirektoren Pera dinides und Malmgren in der Höhle befunden. Natürlich war das ein schlimmer Verlust für eine im Aufbau be findliche Kolonie. Aber der Oberst erinnerte sich an den auch im 21.
Jahrhundert uneingeschränkt gültigen Grundsatz, daß Verwaltun gen jederzeit ersetzbar waren. Das würde hier ebenfalls geschehen, daran hatte er keine Zweifel. Und wenn er’s recht bedachte, war Pal Bretan ein ziemlich geeigne ter Kandidat, Stavros’ Stelle zu übernehmen. Keine zwanzig Minuten später startete die ANZIO. Sie nahm Fahrt auf und bewegte sich knapp über der Grenze der Atmosphäre auf die einen halben Planetenumfang entfernte Kolonie Sahara-Stadt zu. Diesmal erschien nicht die liebliche Schwester Panorama auf dem Schirm der Raumüberwachung, als der Kommandant um Landeer laubnis bat, sondern ein älterer Kolonist mit mürrischer Miene und abgehackter Sprechweise. Der Ovoid-Ringraumer bekam wieder seine Position am Ende der Piste zugewiesen. Die Maschinen wurden abgeschaltet. Stille kehrte ein – bis auf das unterschwellig hörbare Brummen der Aggregate, die für die Aufrechterhaltung der internen Schiffssyste me unerläßlich waren. Der Kommandant begleitete Pal Bretan zur Hauptschleuse. »Was werden Sie jetzt unternehmen?« Bretan ließ Vegas’ Frage zunächst unbeantwortet. Sein Blick rich tete sich auf die Vorgänge draußen auf dem Raumhafen, schien sie aber nicht wirklich wahrzunehmen. Weder die schildkrötenartigen Lastenschweber, noch die kleinen Frachter, die be- und entladen wurden. Der strahlendweiß lackierte Zweihundertmeterraumer von SOBANSPACE hatte Sahara inzwischen verlassen; der Ladeterminal der Pumpstation lag verwaist unter dem Licht der Zentralsonne. Schließlich antwortete er: »Die Bevölkerung darüber informieren, was vorgefallen ist und sie darauf vorbereiten, daß sie den Planeten in Zukunft mit intelligenten und sehr aggressiven Gendoggen wird teilen müssen. Von der Gefahr durch die Klugechsen ganz zu schweigen, die ja vielleicht nach wie vor besteht.«
»Eine Aufgabe, um die ich Sie nicht beneide«, sagte Roy Vegas nüchtern. »Aber ich bin überzeugt, Sie werden es schaffen.« Mittlerweile waren sie am Fuß der Rampe angekommen; der heiße Wind zerrte an den Haaren der Männer. Der süßliche Geruch aus den kakteenverarbeitenden Anlagen der Ratzfatz-Herstellung schwängerte die Luft. Bretan sah den Offizier an. »Sicher werde ich das, Kapitän. Wann werden Sie die Kolonie verlassen?« »Nicht sofort«, wehrte Vegas ab. »Nein? Was hält Sie hier?« Da gäbe es schon das eine oder andere, gab ihm Vegas zu verste hen. Bretan lächelte flüchtig. Er machte Anstalten, etwas zu sagen, unterließ es aber dann; ein staubiger Bodenschweber mit dem Emb lem der Stadtverwaltung war vor der Rampe zum Stehen gekom men. Der Pilot, ein kolonialer Polizist, lehnte halb aus der herunterge fahrenen Seitenscheibe. »Kommen Sie, Chef!« rief er. »Ich bringe Sie zum Magistrat. Man erwartet Ihren Bericht.« Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Bretan und stieg in das Fahrzeug. Vegas sah ihnen ein paar Sekunden nach, dann wandte er sich entschlossen um und kehrte ins Schiff zurück. Der Hinweis des Fahrers auf Bretans Bericht erinnerte ihn, daß man das auch von ihm erwartete – im fernen Alamo Gordo. Aber zunächst galt es naheliegendere Dinge zu erledigen. In sei nem Arbeitsraum nahm er sich die Dienstpläne seines Ersten Offi ziers vor, die die Kadetten für die nächsten vierundzwanzig Stunden auf Trab halten würden, und diskutierte mit dem Zeugmeister, Oberstabsbootsmann Lasalle, die Bevorratung an Bord der ANZIO. Später ließ er sich von seinem Chefingenieur, Hauptmann Dave Gjelstadt, erklären, daß auch dem Maschinendeck ein paar Fri
schlinge mehr gut zu Gesicht stünden. Ingenieure könne man nie genug haben, war das Credo des drahtigen Triebwerksexperten. Roy Vegas versprach dem Chief, sich darum zu kümmern. Als er einen Moment Ruhe hatte, gönnte er sich einen Becher Kaf fee und setzte etwas in die Tat um, was er schon die ganze Zeit tun wollte. Er drückte den Kontaktknopf seines Viphos. »Fähnrich Sivertsen«, befahl er dem jungen Mann an der FZ-Konsole, »stellen Sie einen Kontakt mit GenLabs her.« »Sofort, Kommandant.« Auf dem Schirm wechselte das Bild. »GenLabs, Außenstelle Sahara-Stadt. Vorzimmer Dr. Larousse.« Sie war ein Koloß von einer Frau, plump, grobknochig, untersetzt und bekleidet mit etwas, das wie eine grüne Zeltbahn aussah, aber allem Anschein nach ein Labormantel war. Sie mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Vegas verbarg seine Überraschung, sagte artig seinen Namen und daß er Dr. Larousse zu sprechen wünschte. »Tut mir leid, Kommandant Vegas«, bedauerte sie mit einer tiefen Altstimme. »Sie ist nicht da.« »Ist sie nicht da, oder ist sie nur irgendwo im Haus?« Die Frau kniff die Augen zusammen. »Macht das einen Unter schied?« fragte sie streng. Vegas räusperte sich. »Einen erheblichen«, gab er zu verstehen. »Sie sind die Sekretärin von Dr. Larousse?« »Nicht ganz, Mister Vegas. Eher ihre Sonderassistentin, könnte man sagen.« »Aha! Gut, und?« »Was und?« »Ist Dr. Larousse nun in erreichbarer Nähe oder nicht?« »Stimmt.« Der Colonel mußte an sich halten, um nicht seine angeborene Höf lichkeit zu verlieren. Er räusperte sich erneut. »Sie ist also nicht im Hause?«
»Stimmt.« Langsam nahm die Unterhaltung groteske Züge an, fand Vegas. Aber noch beherrschte er sich. Vielleicht sollte er es anders anfangen. »Wann erwarten Sie sie denn zurück?« »Lassen Sie mich nachdenken!« Die Sonderassistentin starrte mit gerunzelter Stirn auf die Schreibtischplatte. Schließlich schnippte sie mit den Fingern. »Jetzt hab’ ich’s! In zwei Stunden!« sagte sie triumphierend. »Würden Sie ihr bitte ausrichten, wer angerufen hat und daß ich in zweieinhalb Stunden noch einmal versuchen würde, sie zu errei chen?« Sie versprach es auszurichten und warf ihn einfach aus der Phase. Vegas schüttelte den Kopf. »Hol mich der Teufel!« murmelte er und machte sich wieder an seine Arbeit. Hauptmann Olin Monro schaute vorbei, um ihn darüber zu in formieren, daß der Magistrat von Sahara-Stadt für die morgige Trauerfeier zu Ehren der toten Kolonisten eine Abordnung der ANZIO erwarte. »Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wer daran teilnehmen sollte?« Das hätte er, bekannte der Erste Offizier und zählte die Namen der Führungsoffiziere auf. Auch der des Kommandanten war darunter. »Vermutlich Galauniform?« befürchtete Vegas. »Natürlich, Sir. Wir repräsentieren schließlich die TF.« »Natürlich«, murmelte Vegas. »Na gut, im Namen der Erde. Sagen Sie zu, Mister Monro.« »In Ordnung, Kapitän.« Monros Blick fiel auf die Unterlagen auf Vegas’ Schreibtisch. Er deutete auf den Dienstplan der Kadetten, der sein Werk war. »Findet er Ihre Zustimmung, Sir?« »Natürlich, Nummer Eins. Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen.« Der Kommandant nahm die Aufstellung in die Hand. »Nur zwei kleine Anmerkungen dazu, wenn Sie erlauben. Chief
Gjelstadt legt Wert darauf, daß in seinen heiligen Hallen mehr Offi ziersanwärter die Putzlappen schwingen sollten, als von Ihnen vor gesehen. Ich denke, dem könnten wir entsprechen. Oder bringt das Ihren Plan durcheinander?« Olin Monro versicherte, daß dies nicht der Fall wäre. »Gut.« Vegas nickte zufrieden. »Und die zweite Änderung, Kapitän?« »Wie ich sehe, haben Sie Fähnrich Szoltan Erdai bei der Hangar kontrolle eingesetzt… lassen Sie den jungen Mann bis auf weiteres Dienst in der Zentrale tun. Teilen Sie ihn Hauptmann Bekians Team zu.« »Darf ich den Grund erfahren, Sir?« Den würde er zur gegebener Zeit erfahren, beschied ihm der Kommandant und entließ ihn. Vegas verbrachte eine weitere Stunde damit, einen detaillierten Bericht über die Vorfälle anzufertigen, in dem er nicht mit Vorwür fen über die viel zu langsame Reaktion der Flottenführung auf seine Bitte um ein Wissenschaftlerteam sparte. Die Quintessenz seiner Anschuldigungen gipfelte darin, daß er ihr eine nicht unerhebliche Mitschuld am Tod von insgesamt 117 Männern, darunter fünf Be satzungsmitglieder der ANZIO, und der Zerstörung von sechs unersetzlichen Artefakten anlastete. Als der Bericht per To-Richtfunk abgeschickt war, fühlte sich Vegas besser. Er duschte, schlüpfte in eine frische Uniform und suchte die Offi ziersmesse auf, um eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Danach kehrte er in seine Kabine zurück und ließ sein Vipho er neut die Nummer von GenLabs wählen. Mit unbewegter Miene wartete er darauf, daß sich der Bildschirm erhellte, halb davon überzeugt, daß er wieder nur die Sonderassis tentin in der Phase haben würde. Er wurde enttäuscht. Angenehm enttäuscht.
»Ja? Wer ist…« Kara Larousse hielt inne, und die geschäftsmäßige Kühle blätterte von ihrem Gesicht ab. Sie lächelte. Ihre grünen Au gen blitzten. »Hallo, Roy. Schön, dich zu sehen.« Vegas spürte ein Kratzen im Hals. »Hallo, Kara. Können wir uns treffen?« »Heute?« »Was spricht dagegen?« »Tut mir leid«, sagte sie. Ihre Stimme klang enttäuscht. »Aber heute geht es beim besten Willen nicht. Ich erwarte noch ein paar Hyperfunksprüche von Eden und muß erreichbar sein. So wie es ausschaut, werde ich hier nicht wegkönnen.« »Bedauerlich«, sagte er, und seine blauen Augen verdunkelten sich kurzzeitig. »Wie wäre es mit morgen?« schlug sie vor. »Morgen werden wir kaum Zeit füreinander haben. Obwohl…« Er hielt inne, runzelte die Stirn. »Nun sag schon, was bedeutet dein ›Obwohl‹?« Sie lächelte plötz lich. Die Verwirrung in seiner Stimme amüsierte sie offensichtlich. »Die Trauerfeier morgen nachmittag, die der Magistrat veranstal tet… bist du auch dabei?« Sie nickte. »Was soll die Frage?« »Hättest du im Anschluß daran vielleicht Zeit?« Sie überlegte ei nige Sekunden. »Ja, das könnte ich einrichten.« »Gut«, zeigte er sich zufrieden. »Bis morgen dann.« Als sie die Verbindung unterbrach, glaubte er einen Ausdruck des Bedauerns auf ihrem Gesicht zu sehen, aber er konnte sich auch geirrt haben. * Roy Vegas und Dr. Dr. Kara Larousse drängten sich durch das Gewühl und bahnten sich einen Weg zu ihrem Schweber. »Es wird höchste Zeit, daß ich von hier wegkomme«, sagte die
Wissenschaftlerin. »Du meinst von der Veranstaltung?« Er packte sie am Arm und dirigierte sie um eine Ansammlung Siedler herum, die wie sie an der Trauerfeier für die Toten der Kolonie teilgenommen hatten. »Oder beziehst du dich auf Sahara?« »Letzteres«, gab Kara zurück. »Letzteres, bei Gott!« Sie schoben sich in den Schweber, und Vegas startete die Maschine. Das Fahrzeug stieß rückwärts aus der Parklücke, schwebte langsam über den Platz und bog dann in die Straße ein. Aber das hatten auch andere vor, und so warteten sie ergeben im Stau, bis sich das Ge dränge auflöste. »Du willst Sahara verlassen?« erkundigte sich Vegas, als es endlich weiterging. »Ja.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Hier hält mich nichts mehr.« »Und GenLabs?« fragte er. Sie seufzte. »Wird geschlossen. Ich habe mich bereits mit der Wal lis-Forschungsleitung auf Eden in Verbindung gesetzt und dem Beirat die Situation geschildert. Man wird umgehend die Gendog genproduktion einstellen. Niemand will mit Solomon Greens Ma chenschaften in Verbindung gebracht werden.« »Verständlich«, sagte Vegas. »Wird es dir schwerfallen? Ich meine, von hier wegzugehen?« »Wenn du damit meine Arbeit meinst, ja. Ansonsten ein klares Nein.« Sie verfiel in Schweigen. Schließlich sagte sie leise: »Ich brauche jetzt etwas… Kaffee oder einen großen Schluck Alkohol. Wie ist es mit dir?« Er riskierte einen Blick zur Seite; sie sah erschöpft aus. »Dem schließe ich mich an. Wohin fahren wir? Gibt es hier ein ei nigermaßen annehmbares Lokal?« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Finger schlossen sich fester um seinen Arm. »Nein«, sagte sie, »wir gehen zu mir. Ich habe sowohl Kaffee als
auch Alkohol, wie du weißt.« »Gute Idee«, sagte er, während er merkte, worauf es hinauszulau fen begann. Auf einen Abschied nämlich. Er fürchtete sich auf eine gewisse Weise davor; im Abschiedneh men war er noch nie besonders gut gewesen. Aber er beschloß, den einmal eingeschlagenen Weg tapfer bis zu seinem Ende zu gehen. »Du weißt hoffentlich noch, wo ich wohne?« fragte sie. »Hmm. Du wirst mir den Weg zeigen müssen«, gestand er. »Da mals war es Nacht, ich konnte mir in der Dunkelheit kaum Einzel heiten einprägen.« Munros Stern bewegte sich langsam auf den Horizont zu, und die Schatten wurden länger. Sie mußten fast die ganze Ansiedlung durchqueren. Kara dirigierte ihn. Schließlich sagte sie: »Dort hinten, der Wohnturm.« »Natürlich«, brummte Vegas. »Daran erinnere ich mich.« Er stellte den Schweber in eine breite Parklücke und schaltete den Antrieb ab. Neben der Tür des Apartments angekommen, preßte Kara den Daumen auf das Fingerabdruckschloß, und die Tür glitt auf. Die Klimaanlage war in Betrieb; das Apartment war von wohl tuender Kühle nach der Hitze, die im Freien herrschte. »Setz dich irgendwohin«, sagte Kara. »Ich bin gleich wieder zu rück!« Vegas setzte sich auf die Couch und streckte die Beine aus, wäh rend Kara hinter einer Tür verschwand. Er fühlte sich angespannt und hoffte, daß das dumpfe Gefühl von Traurigkeit in seinem Bauch nicht zu lange anhielt. Er war nicht zum ersten Mal verliebt und hatte so manche Affäre gehabt, seit er vor – wie lange war das jetzt her? – vier Jahren wieder ins Leben zurückgekehrt war. Aber es waren alles nur kurze Begegnungen gewesen, ohne jegliche Ver pflichtungen bis auf die der gegenseitigen Freude. Warum nur hatte er jetzt auf einmal das Gefühl, etwas aufgeben zu müssen?
Gleich darauf zog der Duft frischgebrühten Kaffees durch den Wohnraum, und Kara erschien mit dem Kaffeegeschirr. Sie war barfuß und sah einfach hinreißend aus. Er merkte, während er ihren Hantierungen zusah, wie die Situation instabil zu werden drohte. Den Kaffee tranken sie fast schweigend. Als sie beim Alkohol angekommen waren, setzte sich Kara zu ihm auf die Couch. »Wann fliegt ihr?« »Sobald ich an Bord bin«, sagte er. »Spätestens jedoch im Mor gengrauen.« »Hmm.« Sie zog die Beine unter sich, nahm seine Hand und drückte sie. »Schade«, meinte sie dann. »Was?« »Daß es vorbei ist«, erwiderte sie leise. Roy Vegas sah sie an und bemerkte ihren angespannten Blick. Er lächelte; seine weißen Zähne kontrastierten mit seinem braunen, markanten Gesicht und den weißen Haaren. »Alles hat einmal ein Ende«, erwiderte er und kam sich im selben Augenblick richtig dämlich vor. Alles hat ein Ende… was für eine geistreiche Bemerkung! »Es ist ungerecht«, widersprach sie heftig, und ihre grünen Augen blitzten. »Wir hatten nicht einmal Zeit, uns näher kennenzulernen. Im Grunde weiß ich kaum etwas von dir, Roy.« Das ist auch gut so, dachte er. Oder wie hätte er ihr erklären sollen, daß er im Grunde einen Anachronismus darstellte? Wie ihr plausibel machen, daß er 47 Jahre in einer Art Totenstarre in einem Tank voller Nährlösung zugebracht und als »Gesprächs partner« einer von Langeweile heimgesuchten künstlichen Intelli genz gedient hatte, die nur an seinen Geist interessiert gewesen war? Würde sie es verstehen, wo er es selbst noch immer nicht so richtig verstand? Er war diese 47 endlos langen Jahre zwar bei Bewußtsein gewesen,
aber unfähig, sein Wissen zu vervollständigen beziehungsweise an Lebenserfahrung zu gewinnen. Nichts war von »außen« in sein re duziertes Leben gedrungen. Fast fünf Jahrzehnte lang vollzog sich die weitere Entwicklung der Menschheit ohne ihn. Nichts hatte er mitbekommen, weder die Gründung der Marskolonie 2022 noch den Start des Kolonistenraumschiffes GALAXIS unter dem Kommando Sam Dharks im Jahre 2051. Der Kontakt der Menschheit mit auße rirdischen Völkern war ohne ihn abgelaufen. Auch die Invasion der Giants hatte er auf diese Weise »verschlafen«. »Du hast recht«, sagte er. »Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich weiß auch von dir recht wenig. Genaugenommen eigentlich gar nichts, außer, daß du eine der bemerkenswertesten Frauen bist, die ich in meinen Leben kennengelernt habe.« »Du schmeichelst mir schon wieder, Raumfahrer«, sagte sie, und er erinnerte sich, daß sie diese Worte vor kurzem schon einmal ge braucht hatte. Auf dem Bankett, das die Administration der Kolonie für die Besatzung der ANZIO gegeben hatte. Und wie damals erwi derte er: »Wie du weißt, mache ich keine Komplimente, sondern treffe Feststellungen.« Er stand auf und stellte sich ans Fenster. Aus dieser Höhe reichte sein Blick bis hinüber zum Raumhafen; er konnte die ANZIO sehen. Das häßliche Gefühl in seiner Magengrube hatte sich noch nicht verflüchtigt, wanderte sogar noch bis zu seinem Hals hinauf. Nach einer Weile spürte er, wie sich Kara von hinten an ihn schmiegte und die Arme um seine Hüften schlang. »Ich fühle mich unaussprechlich elend. Ich könnte heulen«, mur melte sie plötzlich. »Komisch, ich habe eigentlich noch nie geweint.« Eigentlich hätte sie hinzufügen müssen: Wenn etwas zu Ende geht. Aber Vegas wußte auch so, was sie unausgesprochen ließ. Sie lehnte ihren Kopf an seine harte Schulter. »Ich möchte mit dir mitfliegen«, sagte sie unvermittelt, »wo immer dich dein Weg hinführt.«
»Im Schiff würden wir niemals allein sein«, sagte Vegas, räusperte sich und fuhr fort: »Einmal abgesehen davon, daß die Flottenstatuten die Anwesenheit von Zivilpersonen ohne speziellen Auftrag aus schließen, würdest du dich bald langweilen. Glaub mir.« Zum Glück beharrte Kara nicht länger auf diesen Wunsch. »Was bin ich doch für eine dumme Pute«, sagte sie. Er schüttelte den Kopf. »Das bist du nicht«, widersprach er. »Von Zeit zu Zeit hat man manchmal den Wunsch, alles hinter sich zu lassen und etwas ganz Verrücktes zu tun. So ist die menschliche Natur.« »Stammt diese Weisheit von dir?« Er schüttelte den Kopf. »Hat mal irgendein Schlaukopf von Psychoanalytiker behauptet.« Sie lachte. »Dich soll einer verstehen«, sagte sie. »Wer, wenn nicht du«, behauptete er kühn. »Du hast mich schon richtig verstanden. – Aber jetzt werde ich gehen. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen.« Sie brachte ihn zur Tür. »Du erwartest hoffentlich nicht, daß ich am Rande des Startfeldes stehe und mit einem Tuch zum Abschied winke?« Er lachte. »Nein – obwohl die Vorstellung etwas für sich hat. Nein«, sagte er noch einmal, »es genügt, wenn du mir deine Adresse auf Eden gibst.« »Du findest sie im Zentralregister unserer schönen neuen Welt.« »Gut.« Er schwieg einen Moment, fuhr dann fort: »Ich werde nicht ewig im Raum sein. Üblicherweise beschränkt sich der Außendienst auf sechs Monate.« »Ist das ein Versprechen?« »Wenn du willst, ja.« »Bekomme ich einen Kuß?« fragte sie. »Wenn es dein Abschieds schmerz zuläßt – gern«, sagte Roy und kam ihrem Wunsch nach. Vorher murmelte sie noch: »Gib auf dich acht, Raumfahrer.« Als
sich ihre Lippen lösten, sagte er: »Versprochen, Doktor.« Zwei Stunden später startete der Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse zu einem neuen Flug.
3.
Auf dem kleinen Bildschirm über seinem Kopf sah er die POINT OF zurückbleiben, einen blau violettschimmernden Ring vor der Kulisse funkelnder Sterne. Noch immer nicht konnte er so recht fas sen, was ihm gerade widerfuhr: Er – ein Fähnrich, noch feucht hinter den Ohren – allein mit dem verehrten Commander in einem Flash? Er, Sergio Scaglietti aus Messina, Sizilien, allein mit dem berühm testen Mann des Heimatsystems unterwegs zu einem Einsatz? Es mußte wohl wahr sein, denn der Planet rückte näher und näher und füllte rasch die ganze Anzeige aus. Und hinter ihm das weißblonde Haupt Ren Dharks. Heilige Jungfrau, wenn das seine Großmutter erfuhr! »Commander an Falluta. SLE-Modus. Schicken Sie bitte die Koor dinaten des Bergbunkers auf den Bordrechner. Ich fliege Noregs Höhle direkt an.« Hen Falluta bestätigte. Er hatte das Kommando über die POINT OF übernommen. Der Kasten neben Sergio drückte ihm gewaltig gegen die Hüfte. Das ebnete ihm immerhin den Weg in die Realität, und allmählich konnte er es fassen: Er saß tatsächlich mit seinem Idol in einem Flash. Daran konnte auch der verflixte Kasten neben ihm nichts ändern. Er war ziemlich sperrig und schwer, bohrte sich ihm allmählich auch schmerzhaft in die Rippen. Ein dunkelgrauer Quader, 65 mal 90 mal 70 Zentimeter, mit einer Instrumentenleiste oben und einem Adapter und ein paar Schnittstellen an der Seite. Ein tragbarer Prallfeldge nerator. So ein Flash war nur für zwei Mann konzipiert, Stauraum gab es nicht. Mit anderen Worten: Sergio mußte sich seinen Sitz mit dem Gerät teilen. Nun gut – Ruhm hatte seinen Preis. »Commander an Falluta, ich schalte das Intervall ein.« »Das würde ich Ihnen auch raten, denn die werden Sie orten und
möglicherweise angemessen begrüßen!« Sergio Scaglietti nahm an, daß der Erste Offizier von einer Rakete oder einer Flugabwehrgra nate sprach. Diese Annahme drängte die harten Kanten seines sper rigen Sitznachbarn in den Hintergrund. Sein Blick wanderte zwi schen Bildschirm und Kontrollgeräten hin und her. Flash 003 tauchte in die Atmosphäre ein, ein Mantel glühender Luft umrauschte die Außenhülle und erlosch im nächsten Moment – der Commander hatte das Intervallfeld aktiviert. 003 bewegte sich nun in einem Zwischenkontinuum fort, flog dem Ozean der Kurrgenwelt entgegen und flog doch ganz woanders, raste durch die Luft dieses Planeten und berührte doch keines der Gasmoleküle da draußen. Genauso reibungslos, im wahrsten Sinne des Wortes, würde der Flash gleich die Molekularstruktur des Was sers und später die der Mineralien durchdringen, aus denen der Fels unter General Noregs Bergbunker bestand. Die Wolkendecke blieb hinter ihnen zurück. In steilem Winkel steuerte der Commander die Wasseroberfläche an. »Grappa an 003, ich habe die Gegend im Auge. Nichts ist mit Be grüßung. Die Ortung erfaßt weder Raketen noch Granaten noch sonst etwas Unbekömmliches.« Der Ortungsoffizier schien sich von seinem Schock erholt zu haben, jedenfalls klang er ziemlich gelassen. Sergio kannte ihn persönlich. Der Winkel wurde flacher. »Umso besser«, tönte die Stimme des Commanders. »Ich schätze die Rolle des Überraschungsgastes.« Flash 003 tauchte ins Meer ein; keine Fontäne, kein aufgeschäumtes Wasser, kein Strudel. Es war, als würde die Maschine durch das Nichts gleiten. In den Ringraumern erlebte man diesen Effekt nicht bewußt, in der relativen Leere des Alls fehlten einfach die Bezugs punkte zur eigenen Geschwindigkeit, zum eigenen Raum und zur eigenen Körperlichkeit. Auf einem Planeten aber war der Flug mit aktiviertem Intervallum ein eindrucksvolles Spektakel. Sergio Scag lietti erlebte es erst zum zweiten Mal. »Grappa an 003. Habe Sie auf den Schirmen. Kurs korrekt.«
Tino Grappa also. Der Ortungschef war Mailänder, und ein echtes Kind Messinas fuhr einmal im Jahr nach Mailand, so wie ein echter Sohn Mailands einmal im Jahr nach Messina; mit der jeweiligen Fußballmannschaft nämlich. Seit Messina in der Serie A spielte, seit achtundfünfzig Jahren also, siegte es am liebsten gegen Inter Mai land. Im Streitgespräch über derartig weltbewegende Dinge waren Sergio Scaglietti und Tino Grappa sich ein wenig nähergekommen. »Ich habe mich erkundigt, Sergio.« Der Commander drehte den Kopf, und auch der Italiener wandte sich nach ihm um. »Wonzeff und Scott halten Sie für einen guten Flashpiloten und Jean Rochard für einen genialen Waffeningenieur.« »Ist das wahr…?« Auf dem Bildschirm mit der Außendarstellung war es inzwischen richtig finster. Der Commander orientierte sich an Ortungs- und Navigationsdaten. »Ich meine… äh…« »Hören Sie, Mann – Honig ums Maul streichen ist nicht mein Stil! Kennen Sie sich auch mit einem tragbaren Prallfeldgenerator aus?« »Natürlich, Sir… ich meine, natürlich nicht…« Sergio wurde wü tend auf sich selbst, normalerweise war er nicht auf den Mund ge fallen, jedenfalls dann nicht, wenn er mit Frauen sprach. Er riß sich zusammen. »Theoretisch schon, Sir. Worguntechnik, Funktionsweise mittlerweile bekannt. Die kinetische Energie eines auftreffenden oder aufliegenden Gegenstandes wird…« »Alles klar. Ich sehe schon, Sie sind im Bilde, Doktor. Praktische Erfahrung mit so einem Ding?« »Vor ein paar Tagen haben wir einen Flash mit einem Prallfeldge nerator hochgewuchtet, um die Ausleger zu warten.« »Gut. Passen Sie gut auf, Sergio. Ich werde irgendwo im Zentrum des Bunkers und im Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Bewohner landen, selbstverständlich im Schutz des Intervallums. Logisch, daß die Maulwürfe des Generals uns sofort unter Beschuß nehmen wer den.« »Logisch, Sir.« »Das Schutzfeld liegt der Außenhülle so dicht und so dick an wie
fette Walhaut dem Tier gleichen Namens, das wissen Sie wahr scheinlich.« »Weiß ich, Sir. Wenn man die Außentür öffnet, stülpt es sich ge ringfügig aus.« »Korrekt. Würde ich aussteigen und Ihnen den Generator von au ßen abnehmen, liefe ich Gefahr, das Intervallum mit Teilen meines Körpers zu verlassen und ein Geschoß einzufangen. Das Risiko werden wir nicht eingehen, was meinen Sie?« »Auf keinen Fall, Sir!« »Also bleibt nur eine Möglichkeit: Sofort nach der Landung stoßen Sie die Luke auf, schalten den Prallfeldgenerator ein, klettern mit ihm nach draußen und stellen ihn ein paar Schritte entfernt auf dem Boden ab. Aber Sie müssen vorsichtig sein, hören Sie? Für ein Fe dergewicht wie Sie ist der Kasten ziemlich schwer.« »Verstanden, Sir.« Sergio suchte die Instrumentenleiste nach dem Einschaltknopf ab. »Luke aufstoßen, Generator aktivieren, raus.« »Die Voreinstellungen habe ich schon vornehmen lassen. Das Ge rät wird uns mit einem Prallfeld von sieben Metern Durchmesser einhüllen.« »Verstanden Sir.« Ein unangenehmer Gedanke beschlich Sergio. Sollte der Commander ihn am Ende nur wegen seiner geringen Größe und seines zierlichen Körperbaus ausgesucht haben? War es ihm womöglich nur um zusätzlichen Platz für das Gerät gegangen? »Wir dringen jetzt aus dem Planeteninneren kommend in das Bergmassiv ein, in dem Noregs Bunker liegt. Wir werden den Komplex von seiner Basis aus durchfliegen, Ebene für Ebene, Raum für Raum. Prägen Sie sich die Verhältnisse da drin gut ein, Sergio. Und jetzt hören Sie genau zu, ich erkläre ihnen nun Ihre Rolle bei unserer Nachmittagstour…« Wie in Nebel glitt der Flash durch den Planeten, und wie in heiße Luft erst in das Fundament und dann in die unterste Ebene des Bergbunkers. Punkt für Punkt erläuterte Ren Dhark dem Fähnrich seinen Plan; Sergio Scaglietti klingelten die Ohren.
Auf einmal zeigte der Bildschirm wieder eine Außendarstellung – Flash 003 raste durch eine Halle voller Kessel und Röhren. »Ein Wasser- und Heizwerk wahrscheinlich!« rief der Kommandant. Sie glitten durch die Wand in den nächsten Raum, eine Kläranlage, und gleich weiter durch dessen Decke in weiträumige Gewächshäuser. Der Commander flog jetzt langsamer, um den Brennkreis des Flash zu minimieren, auch wich er Maschinen, Kurrgenansammlungen und Vorratsbeständen in Lagerhallen aus, so gut es ging. »Ich bin nicht gekommen, um die armen Untergebenen dieses be scheuerten Generals zu schädigen«, sagte Dhark. »Die sind gestraft genug mit so einem Kommandeur. Der Teufel soll Noreg holen!« Ein paar Löcher in den Betonwänden konnte oder wollte er dennoch nicht vermeiden, weil er den Brennkreis nicht vor jeder Wand abzu schalten gedachte. Die rätselhafte Anwesenheit eines fremden Flugkörpers im Bunker schien sich rasch herumzusprechen, denn schon gerieten sie unter ersten Beschuß. Als sie eine Waffenproduktionshalle durchquerten, spritzten die Kurrgen nicht wie zuvor in panischer Flucht ausei nander, sondern formierten sich zu einer militärischen Kampflinie und eröffneten das Feuer aus einem schweren MG und vier oder fünf Schnellfeuergewehren. Die Geschosse fauchten durch den Auf enthaltsort des Flash hindurch wie durch ein Gespenst. Schließlich schwebte die 003 durch einen leeren Schacht, siebzig Meter hoch und nur zehn Meter breit. »Wir kommen der Sache nä her, Sergio, merken Sie es?« Der Sizilianer merkte es; auch daß die Laune des Commanders beträchtlich stieg, merkte er. Durch eine meterdicke Betonwand glitten sie in den nächsten Schacht. »Da ist so ein Ding!« rief der Commander. »Schauen Sie sich das an, Sergio!« Kunststoffbacken mächtiger Stahlkrallen eines Wandkrans hielten eine gut sechzig Meter hohe Rakete in der Mitte des Schachtes fest. »Mit nuklearem Sprengkopf«, stellte Dhark sach lich fest. »Die Ergebnisse der Messungen sind eindeutig!« Durch die nächste Wand drangen sie in das nächste Silo ein.
Auch hier eine Langstreckenrakete mit einsatzbereitem Gefechts kopf. Peinlich genau achtete Dhark nun darauf, mit dem Brennkreis weder die Raketen noch die Silowände zu beschädigen. Vor jedem Durchflug schaltete er den SLE aus und ließ sich allein vom Schwung weitertragen. Unter ihnen rannte das Wartungspersonal in Deckung. Sechs scharfe Raketen entdeckten sie in insgesamt zehn Silos. »Ein höllisches Zerstörungspotential in den Händen eines Idioten!« Der Commander begann zu fluchen. Fast eine volle Stunde lang erkundeten sie auf diese Weise den Bergbunker Noregs und seines Volkes. Schließlich landeten sie in einem knapp hundertfünfzig Quadratmeter großen Kuppelraum in der Zentralebene. An den Wänden sahen sie Arbeitskonsolen mit Bildschirmen, Sesseln und Tastaturen, in der Mitte des Raumes einen runden Tisch und an verschiedenen Stellen der Kuppel mannshohe Gerätschaften, deren Zweck sich ihnen nicht sofort erschloß. Überall sprangen uniformierte Kurrgen von ihren Sitzen. Etwa dreißig von ihnen umringten den Flash in zwanzig Metern Abstand und legten ihre Schnellfeuergewehre an. Der Commander ließ den Flash knapp zwanzig Zentimeter über dem Boden schweben. »Und jetzt keinen Fehler, Sergio! Denken Sie an die Schwerkraft! 2,1 g! Keine Heilkur für Ihren zarten Knochen bau! Nicht ins Boxhorn jagen lassen!« Verstanden, Sir, wollte Sergio sagen, doch er brachte nicht mehr als ein Krächzen zustande. Allein hätte er es niemals gewagt, die Luke zu öffnen, geschweige denn auszusteigen, aber die Angst, sich vor seinem Commander zu blamieren, machte ihm das nötige Feuer unter dem Hintern. Er löste seinen Gurt, schaltete den Prallfeldge nerator ein und stieß die Luke auf. Augenblicklich eröffneten Noregs Kurrgen das Feuer. Infernalischer Lärm dröhnte durch die Kuppelhalle und gellte Sergio in den Ohren. Sein Herz raste, seine Nerven vibrierten, als er den schweren Kasten packte und aus der Maschine wuchtete. Er rutschte aus dem Sitz nach draußen, seine Stiefelspitzen berührten
den Boden, das Gewicht des Generators riß ihn nach vorn, und er stolperte. Die Unterseite des Gerätes knallte auf den Beton, Sergio klammerte sich daran fest und kam mit der Brust auf dem Kasten zu liegen. Er schnappte nach Luft, ihm war, als würde ihn ein Magnet gegen den Generator zerren. Um ihn herum hämmernder Schußlärm, dreißig Kurrgen und ein Ring aus Mündungsfeuer. Sergio preßte Kopf und Schultern auf den Generator. Lieber nicht hin schauen. Das hätte er ruhig tun können, denn kein Geschoß durchdrang das Prallfeld. Wie an Beton, oder nein: Wie an Stahl prallten die Kugeln ab, jagten als Querschläger durch die Kuppelhalle und schlugen Funken, wo sie gegen Wände und Maschinenverkleidungen knall ten. Drei, vier und mehr Schützen brachen von solchen Querschlä gern getroffen zusammen. Die anderen stellten nach und nach das Feuer ein, machten entsetzte Gesichter und wichen ein paar Schritte zurück. Ren Dhark hatte inzwischen die Ausleger des Flash ausgefahren und das Beiboot aufgesetzt. Er schaltete seinen Minitranslator ein und schwang sich aus dem Schalensessel in die Kuppel. »Ren Dhark, Commander der POINT OF«, stellte er sich vor. »Mit einigen von Ihnen hatte ich wohl schon das Mißvergnügen.« Sergio stemmte sich hoch. Die ungewohnte Schwerkraft zerrte an seinen Gliedern. Er war heilfroh, auf dem Generator Platz nehmen zu können. »Und das ist Fähnrich Sergio Scaglietti.« Mit einer Handbewegung wies er auf den Jüngeren und um anderthalb Köpfe Kleineren. »Ich bin ge kommen, um General Noreg zu sprechen.« Wie erstarrt standen die Bewaffneten, in ihren Gesichtszügen stand grenzenlose Verblüffung. Keiner sagte ein Wort, nur die Verletzten ein paar Schritte vor dem unsichtbaren Prallfeld stöhnten oder stie ßen Schmerzensschreie aus. »Was ist?« fuhr Dhark die Kurrgen an. »Habe ich mich unklar ausgedrückt? Holen Sie Ihren General! Ich warte!«
*
Einer der Uniformierten schleppte einen Kessel herbei und stellte ihn vor der Formation seiner Kollegen auf. Als er dann zwei mäch tige Schlegel aus den Beintaschen seiner Hosen zog, wußte Dan Ri ker, was die Stunde geschlagen hatte; seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen: Der Schlegelmann warf seine Werkzeuge in die Luft, fing sie elegant auf und begann auf seinem Kessel herumzudreschen. Auf das Kommando hatten die anderen gewartet – sie hoben ihre Geräte aus rötlichem Metall an die Lippen, und ein ungeheurer Lärm setzte ein. Auf alles waren die Terraner vorbereitet gewesen – nicht jedoch auf kurrgische Blasmusik. Eine Stampede entfesselter Töne flog zwischen den Wohntürmen hin und her, schwoll ab, schwoll an und klang in Rikers Ohren alles in allem, als würde sich ein antiker Düsenjet ein bodennahes Wett rennen mit einem Korso aus Ambulanzfahrzeugen liefern, die alle samt ihre Preßluftsirenen eingeschaltet hatten. Leutnant Hornig neben Riker senkte den Kopf, um sein verzerrtes Gesicht zu verbergen. Riker drehte sich um: Häkkinen hielt sich die Ohren zu. Sein Kommandeur strafte ihn mit einem Blick, den der Fähnrich sofort verstand, denn er riß sich zusammen und nahm die Hände von den Ohren. Brack schien die Angelegenheit mit stoischer Ruhe zu ertragen. Riker war nicht einmal sicher, ob er sie nicht sogar genoß. Artus schien kein Problem mit dem Lärm zu haben. Keine Kunst: Der Roboter konnte seine akustischen Sensoren notfalls auch abstellen. Das Kinn nach vorn geschoben, die Hände vor dem Bauch gefaltet und in insgesamt würdevoller Haltung ließ Dan Riker das Begrü ßungsständchen über sich ergehen. Als es endlich vollbracht war, schauten Perdon und Arrgol ihn erwartungsvoll an. Sie strahlten über ihre ganzen breiten Gesichter. »Wir danken herzlichst.« Riker deutete eine Verneigung an. »Das war ja mal wirklich eine Darbie
tung mit Seltenheitswert. Nun aber wird es Zeit, daß ich mich mit Ihrer Regierung unterhalte.« »Selbstverständlich, Dan Riker.« Der zuvor so knurrige Kapitän Perdon überschlug sich fast vor Höflichkeit. Die Sache mit der Atomrakete schien mächtig an seiner rauhen Schale gekratzt zu ha ben. »Freut mich sehr, daß Ihnen das Stück gefallen hat. Es handelt von der Treue zum Vaterland, es gibt auch einen Text dazu, nur konnten wir in der Eile den Chor leider nicht mehr zusamment rommeln.« Er machte einen Schritt auf den Y-Pfeiler zu und drückte auf einen gelben Knopf. Interessiert trat Riker näher. Eine kleine Bedienungskonsole war in den Mast eingelassen, ein gelber und ein blauer Schalter und eine Tastatur mit exotischen Zeichen, die ihn an arabische Buchstaben erinnerten, vermutlich aber Zahlen werte hatten. Er blickte nach oben – die Doppelrolle auf dem Querdraht zwischen den Y-Schenkeln bebte ein wenig, das Metallseil, das zu den jeweils fünfzig Meter entfernten nächsten Pfeilern führte, schwang leicht auf und ab, und als Rikers Blick sich an ihm entlangtastete, nahm er endlich die Gondel wahr: Achtzig Meter entfernt schwebte sie heran, und vierzig Meter dahinter folgte eine zweite. Perdon verständigte sich inzwischen durch Handzeichen mit dem Blasorchester. Riker sah ihn fragend an. »Ich habe ihnen signalisiert, daß Sie Freude an ihrer Musik hatten, Dan Riker«, lächelte der Ka pitän. »Sie sind bereit, eine Zugabe zu spielen.« Riker wich Häkkinens leidendem und Hornigs vorwurfsvollem Blick aus und sagte: »Na, wie nett auch.« Der Paukenschlag ertönte, und wieder röhrte, pfiff und dröhnte es überirdisch. Riker aber blickte zum Pfeiler hinauf. Eine Schiene schob sich aus seinem ver tikalen Teil zwischen die Y-Schenkel bis hinter die Doppelrollen konstruktion. Die erste Gondel bremste ab, hielt an, verharrte einen Moment schwankend und klinkte sich dann auf von hier unten un durchschaubare Weise in die Schiene ein. Rasselnd glitt sie an ihr und dem Mast herunter. Drei Schritt vor den Terranern und den
Kapitänen setzte sie auf. Wie von unsichtbarer Hand bewegt, glitten zwei Türen auseinander. »Einsteigen!« Arrgol mußte brüllen, um sich trotz des Bläserge schwaders verständlich machen zu können. Er schob Dan und den Cyborg vor sich her in die enge Gondel, für viel mehr als drei Per sonen bot sie kaum Platz. Der Fähnrich schlüpfte dennoch mit in die Kabine. Die Aussicht, dem Lärm zu entkommen, schien ihn zu be flügeln. Arrgol tippte einen Code in eine Tastatur neben der Tür – den Zielcode, hoffte Riker –, winkte kurz und verließ die Gondel wieder. Ehe sie sich versahen, schlossen sich die Türen. Die Musik klang jetzt etwas gedämpfter hier drinnen, und sie rückte in die Ferne, je weiter die Gondel nach oben stieg. Die Männer atmeten auf. »Die Musik war fast so schlimm wie die Explosion auf der TARANTOR«, stöhnte Häkkinen. »Übertreiben Sie nicht, Fähnrich.« Riker sah auf die Menge zwi schen den Wohntürmen hinab, wo Artus und der Leutnant zurück blieben. Er hatte kein gutes Gefühl, nur noch mit der halben Truppe unterwegs zu sein und die beiden allein zurückzulassen. »Mist!« knurrte er. »Wenn diese Theiner-Kurrgen doch linke Vögel sein sollten, hätten sie jetzt Gelegenheit, uns das Leben schwerzumachen. Was meinen Sie, Brack?« Der Cyborg reagierte nicht. Die Gondel entfernte sich vom Pfeiler, die nächste glitt nach unten. »Uns könn ten sie hier oben in der Gondel verhungern lassen, während sie dort unten Artus und Hornig ausschalten. Oder bin ich zu mißtrauisch?« Er wandte sich an den Cyborg. »Verdammt, Fähnrich! Können Sie mir vielleicht mal antworten?!« Val Brack runzelte die Stirn, schüttelte sich und reagierte endlich: »Verzeihung, Sir. Ich hatte ins Zweite System geschaltet und meine Akustik gedämpft. Was sagten Sie gleich?« Riker winkte ab. Sie lie ßen einen weiteren Pfeiler hinter sich, neunzig Meter entfernt stiegen Artus, Hornig und die beiden U-Boot-Kapitäne in die Gondel. »Glaube nicht, daß sie eine Falle im Sinn haben, Sir«, meinte Häk kinen. »Die Kapitäne erscheinen mir vertrauenswürdig, und haben
Sie nicht gesehen, wie die Menge sich über den Raketenabschuß freute?« »Ich bin nicht blind, Häkkinen.« Riker gab sich mürrisch. Weit mehr als die ganze Show dort unten einschließlich militärischem Gebläse und freundlichen Gesichtern beruhigte ihn die Tatsache, daß Artus bei Leutnant Hornig war. Man mußte schon allerhand Tricks und Kampfkraft auffahren, um mit dem Roboter fertig zu werden. Auch die zweite Gondel stieg jetzt an der Mastschiene nach oben und klinkte sich über die Doppelrollenmechanik zwischen den Y-Schenkeln auf das Drahtseil ein. Es beruhigte Riker ein wenig, die Kabine mit Artus und dem Leutnant nun hinter sich folgen zu sehen. Die unterseeische Seilbahn trug sie der Kuppelwand entgegen, die der U-Bootschleuse gegenüber lag. Ein bogenförmiges Tor gähnte dort, etwa siebzehn Meter hoch und kaum weniger breit. Die Gondel trug sie hindurch und hinein in eine zweite Kuppel. Sie kam Riker fast noch größer vor als die erste, vermutlich war es die Zentral kuppel von Arkena. In ihrer Mitte erhob sich, umgeben von einem Ring aus Kuppelbauten, ein Turmgebäude mit deutlich größerem Durchmesser als dem der Wohntürme. Auch schien es höher zu sein, und als die Gondel sie näher herantrug, erkannten die Männer an tennenartige Masten, die von seinem Dach bis zum Kuppelzenit reichten. »Sendemasten?« fragte Häkkinen. »Schon möglich«, brummte Riker. »Oder Wasserleitungen oder Kabelleitungen, was weiß ich.« Er sah sich um – die Gondel mit Ar tus und dem Leutnant folgte noch immer. Na also. Die Seilbahn trug sie tatsächlich zum Zentralturm. Eine Abzwei gung führte zu einer Plattform im vierten Geschoß des Gebäudes, eine Art Terrasse, ziemlich großflächig. Dort warteten schon Dut zende uniformierter Kurrgen. Die Gondel stoppte, die Türen schoben sich auseinander. Über drei Stufen stiegen Riker und die Fähnriche zur Plattform hinauf. Die Uniformierten hatten sich schon links und rechts einer breiten Treppe zu zwei Blöcken formiert. Jeder von ihnen war mit einer
Maschinenpistole bewaffnet. Oberhalb der Treppe, ungefähr hun dert Meter von der Gondelstation entfernt, traten drei Kurrgen Seite an Seite aus einem gläsernen Eingang. Kaum erreichten sie die erste Stufe, präsentierten die Uniformierten ihre Gewehre, traten einen Schritt zurück und legten die linke Faust auf die Brust. Die drei Neuankömmlinge stiegen gemessenen Schrittes die Treppe hinab. »Man scheint hier eine Vorliebe für alles Militärische zu pflegen«, sagte Häkkinen. »Vorliebe?« Riker deutete ein Kopfschütteln an. »Das ist schon ein ausgewachsener Spleen, würde ich sagen.« Hinter ihnen glitt die zweite Gondel auf die Plattform. Artus, Hornig und die U-Bootkapitäne stiegen aus und kamen zu ihnen herauf. »Wie Sie sehen, werden Sie bereits erwartet«, sagte Perdon. »Und mit militärischen Ehren begrüßt«, sagte Arrgol. Beide wirkten ziemlich stolz. Riker jedenfalls hätte sich ein wenig bescheidener gegeben als Arrgol, wenn er ein paar Stunden zuvor ein Schiff verloren hätte. »Wer sind die drei?« wollte er wissen. Die drei Kurrgen passierten eben das Spalier der Bewaffneten. Ihre Uni formen glänzten teils silbrig, teils golden. Knöpfe, Mützenschilde und Schulterstücke leuchteten rot und blau. Solche prächtigen Uni formen hatte Riker auf dem ganzen Weg hierher nicht gesehen. »Das ist unsere Admiralität«, sagte Perdon, und Riker hatte den Eindruck, daß seine Stimme vor Ehrfurcht vibrierte. »O nein!« stöhnte Häkkinen hinter ihm. »Haben Sie ein Problem Fähnrich?« Riker drehte sich nach ihm um. »Wir haben ein Problem.« Mit einer Kopfbewegung deutete der Finne nach links oben, wo sich hinter einer langen Balkonbrüstung eine Blaskapelle in Stellung brachte. »Ihre Vorliebe für kurrgische Musik hat sich wohl schon herumgesprochen, Sir.« Und während die drei regierenden Militärs von Arkena ihnen entgegenstelzten, er tönten aufs neue schrägste Töne im Dezibelbereich einer Straßen hobelflotte…
*
Zwei oder drei Minuten lang schritt der Commander mit auf dem Rücken verschränkten Händen um seinen Fähnrich und den Prall feldgenerator herum. Das gab er aber bald auf, denn bei 2,1 g er müdete selbst entspanntestes Schlendern nach wenigen Schritten. Breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er gegen den Flash. Die Bewaffneten rund um das Prallfeld fixierten ihn und den Fähnrich mit einer Mischung aus Scheu und Zorn. Die Verwundeten hatten sie inzwischen herausgetragen. Angespannte Stille herrschte im Kuppelraum. Nur manchmal räusperte sich je mand. So vergingen weitere fünf Minuten. Dann endlich hob sich zwanzig Schritte entfernt ein Schott und verschwand in der Wand. Elf Kurrgen marschierten herein. Zehn davon waren mit leichten Maschinengewehren bewaffnet und tru gen schwarze Helme und schwarzglänzende Uniformen. Einem Schutzschild aus lebendigen Körpern gleich umringten sie den elf ten: General Noreg. Er trug eine tiefrote Uniform, dazu schwarze Stiefel und eine schwarze Schildmütze. Seine Gestalt war annähernd so breit wie hoch und in einen offenen, schwarzglänzenden Umhang gehüllt. Sein Vollmondgesicht sah aus wie grauer Schiefer. Seine Leibgardisten und er näherten sich im Stechschritt. Dabei legten sie ihre Maschinengewehre an. Die drei in der ersten Reihe erreichten das Prallfeld – einer stieß mit dem Waffenlauf dagegen, einer mit der Stiefelspitze, der dritte mit dem Knie. Der knickte um, die anderen beiden wichen geschockt zurück und stießen gegen ihre Hintermänner und den General. Die ganze Marschabteilung geriet durcheinander. Der General fluchte auf kurrgisch, verteilte Hiebe und Tritte nach rechts und links und trat vorsichtig vor. »Sie also schon wieder«, sagte er, während seine Rechte das unsichtbare Prallfeld abtastete. »Wer hat Sie befugt, meinen Bunker zu betreten!?« Er wurde laut. »Ein ungeheuerliches Benehmen, hier einfach einzudringen und
mein armes Volk in Angst und Schrecken zu versetzen!« Er schrie, und das Grau seines breiten, zerknautschten Gesichtes verwandelte sich in ein dunkles Blau. »Das widerspricht jeglichem Konsens unter allen kurrgischen Nationen!« Er stampfte mit dem Stiefel auf und ballte die Fäuste. »Unter den ehemaligen kurrgischen Nationen, wollten Sie sagen, Noreg!« entgegnete der Commander ruhig. »Wenn ich recht infor miert bin, haben nur zwei Nationen auf diesem Planeten euren gro ßartigen Verhaltenskodex überlebt! Und auch von diesen beiden nur ein kläglicher Rest.« Noreg riß die Augen auf, preßte die Lippen zusammen und verstummte einen Atemzug lang. »Abgesehen na türlich von den debilen Mutanten an der Küste«, fügte Dhark hinzu. »Was fällt Ihnen ein, Sie…!« Wieder begann der General zu brül len. »Sie arroganter Außerirdischer, Sie…!« Dhark glaubte nicht recht zu hören – hatte der Translator tatsächlich »Außerirdischer« übersetzt? »Ich verbitte mir jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Planeten! Ich habe längst für Frieden und Freiheit gesorgt! Für endgültigen Frieden und Freiheit in alle Ewig keit, jawoll! Die Kuppeln von Arkena, dieser giftige Quell ständiger Aggression, existieren nicht mehr! Kein Theiner wird je wieder Ruhe und Ordnung auf diesem Planeten stören!« Er stemmte die Fäuste in die Hüften, reckte Kinn und Nase in die Höhe und verkündete feier lich: »Ich habe eine meiner ballistischen Nuklearraketen geopfert, um die Feinde von Demokratie und Freiheit ein für allemal auszu schalten!« Ren Dhark stieß sich vom Flash ab und ging zu Noreg. Die anges pannten Blicke seines Fähnrichs hingen an ihm. Einen Schritt vor dem General blieb er stehen. Nur das unsichtbare Prallfeld trennte sie noch. Der Mann von Terra sah auf den Kurrgen hinab. Alle Ver achtung, zu der er fähig war, lag in seinen Zügen. »Ich kotze gleich«, sagte er. Noreg zuckte zusammen und wich einen halben Schritt zurück. Er schnaubte wütend. »Reicht es Ihresgleichen denn nicht, eine ganze
Welt verwüstet zu haben?« Jetzt schrie auch der Commander; teils aus Wut, teils um den anderen gar nicht erst wieder zu Wort kom men zu lassen. »Werden Sie sich denn niemals am Blut Ihrer Mit kurrgen sattgesoffen haben?! Wie viele sind umgekommen damals vor vierhundert Jahren? Los, sagen Sie’s mir! Zwei Milliarden? Drei Milliarden? Vier? Und wie viele Völker und Rassen haben sich ge genseitig ausgelöscht?! Fünfzig? Hundertfünfzig?!« Der General verfiel in äußerste Erregung, er kaute und schluckte, er zitterte gar und blickte sich nach seinen Leuten um. Die standen mit gesenkten Schultern umher und warfen einander verstörte Blicke zu. »Und habt ihr nicht gesehen, wie sie draußen an der Küste und in den Wäldern herumschlurfen – mit offenen Schädeln, drei Augen, verwachsenen Gliedern, entstellten Gesichtern und ohne einen Funken Verstand unter der deformierten Schädeldecke?!« Mit den Fäusten stützte Dhark sich gegen das auf Undurchlässigkeit in beide Richtungen geschaltete Prallfeld. »Und ihr armen Schweine! Wie müßt ihr denn leben seit vierhundert Planetenjahren?! Unter der Erde wie das dreckigste Ungeziefer müßt ihr hausen, weil ihr euch euren Boden und die Atemluft auf Jahrhunderte versaut habt!« Be wußt wandte der Commander sich jetzt nicht mehr an den General, sondern an dessen Leute. Er schlug sich gegen die Stirn. »Seid ihr denn wirklich so blind?! Seid vierhundert Jahren ist der Krieg vorbei! Ihr habt überlebt, aber statt dieses Geschenk zu nutzen und mit den Theinern zusammenzuarbeiten, wollt ihr sie auslöschen…!« »Genug!« kreischte der General. »Wann der Krieg vorbei ist, be stimme ich! Er ist vorbei, wenn der Gegner vor uns, dem Volk der Luppen, im Staub kriecht und um Vergebung bittet! Oder wenn er für alle Ewigkeit vom Meeresgrund getilgt ist! Und jetzt sagen Sie, was Sie in unserem Bunker zu suchen haben, und dann entscheide ich, ob Sie hier noch einmal herauskommen, oder ob ich Sie fest nehmen lasse!« Sinnlos. Der Mann schien tatsächlich einen Sprengkopf statt eines
Hirns unter der Schädeldecke zu tragen. Ren Dhark atmete tief durch. Er verschränkte die Arme vor der Brust, betrachtete seine Stiefelspitzen und atmete noch einmal tief durch. »Ich wollte Ihnen sagen, was ich von Ihnen halte. Das habe ich hiermit getan. Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, daß wir uns erlaubt haben, Ihre Rakete zu vernichten.« »Waaas?!« Noreg spreizte Arme und Finger ab. Er fuhr herum, rannte zu einem der Uniformierten und schrie ihn an. Der machte kehrt und lief aus dem Kuppelraum. Der General kam zurück zu Dhark. »Falls das stimmt, werden Sie niemals zu dem Planeten zu rückkehren, der solche Mißbildungen wie Sie hervorgebracht hat, Ren Dhark! Falls das wahr ist, lasse ich Sie an Ort und Stelle töten!« Er streckte den Arm nach Sergio Scaglietti aus. »Und diesen Mickri gen dort auch! Was bildet ihr euch denn ein, hier die Friedensboten zu mimen!? Ha! Sollte Arkena noch existieren, haben Sie soeben Ihr Todesurteil gesprochen! Dann wird Ihr lächerlicher Ringraumer ohne Sie und den Kümmerling unser System verlassen, und sobald er das getan hat, werde ich auf meine Art für Frieden sorgen! Ver lassen Sie sich darauf, Ren Dhark!« Dhark sah ihn ein paar Sekunden lang an. Resigniert wandte er sich endlich ab. Dieser Kurrge war ein hoffnungsloser Fall. Aber gut – die Galaxis war voll von hoffnungslosen Fällen. Und auch auf Terra begegnete man nicht ausschließlich Leuten, die ihren Verstand zu benutzen pflegten. Er ging zu seinem Fähnrich, stellte sich neben ihn und sagte:. »Dieser junge Mann hier, Noreg, den Sie eben einen ›Mickrigen‹ und einen ›Kümmerling‹ genannt haben, heißt Sergio Scaglietti.« Er sprach so laut, daß alle Kurrgen in der Umgebung des Flash ihn hören mußten. »Er ist wahrhaftig das kleinste und schwächste Mitg lied meiner Mannschaft. Da haben Sie ganz recht, Noreg. Aber dieses kleinste und schwächste Mitglied meiner Mannschaft hat mehr Macht im kleinen Finger, als Ihr Volk es vor Ihrem verdammten Krieg hatte, und viel mehr Macht als Sie hier und heute.« Und dann
an die Adresse des Fähnrichs und mit gleichbleibender Stimmge walt: »Es ist Zeit, Sergio. Starten Sie und tun Sie, was wir abgespro chen haben!« Der Sizilianer stemmte sich vom Prallfeldgenerator, schleppte sich zum Flash und kletterte hinein. Heilfroh, der hohen Schwerkraft entkommen und endlich wieder im Einflußbereich des bordeigenen Schwerefelds von einem Gravo zu sein, seufzte er tief. Er schloß die Luken, aktivierte das Intervallum und startete. »Haltet ihn auf!« brüllte Noreg. »Feuer eröffnen! Feuer, sage ich!« Mündungsfeuer blitzte auf, Schußlärm dröhnte, Geschosse fauchten aus den Gewehrläufen. Sie jagten durch die 003 hindurch, als wäre die Maschine eine virtuelle Halluzination, oder trafen das Prallfeld und jaulten anschließend als Querschläger durch die Kuppelhalle. Sekunden später tauchte der Flash in die Wand ein und verschwand. »Großalarm!« Noreg fuchtelte mit beiden Armen und bellte Be fehle in alle Richtungen. Wie ein Kastenteufel sprang er vor dem Prallfeld auf und ab. »Nehmt ihn unter Beschuß!« Er deutete auf den Terraner. »Feuer auf den Fremden! Solange, bis der Schutzschirm zusammenbricht…!«
4.
Munros Stern, eine Sonne vom GO-Typ, befand sich senkrecht zur galaktischen Hauptebene etwa 117 Lichtjahre von Terra entfernt in einem Sektor des galaktischen Spiralarms, der stets außerhalb des Interesses der terranischen Raumfahrt gestanden hatte. Aus welchen Gründen auch immer. 117 Lichtjahre waren keine Entfernung, gemessen an den Mög lichkeiten der heutigen Antriebstechnik. Aber irgendwie war es in den Jahren nach der Ausbreitung der Menschheit in der Milchstraße versäumt worden, den betreffenden Raumsektor näher in Augen schein zu nehmen und zu kartographieren. Es war also quasi uner forschtes Neuland, durch das sich die ANZIO bewegte. Lautlos glitt das Flottenschulschiff durch die unendlich erschei nende Nacht des Weltraums. Wie ein schimmernder Ring, den ein Riese sich vom Finger gezo gen und ins Nichts geworfen hatte. Der Vergleich hinkte nicht einmal. Die neuen Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse sahen tatsächlich einem Fingerreif ähnlicher als die ursprünglichen Ringschiffe der Mysterious oder die von Terra nachgebauten S-Kreuzer. Ihre Ring röhren waren 35 Meter dick und 45 Meter hoch, was den Rumpf querschnitt nicht mehr rund, sondern oval gestaltetete. Munros Stern war längst nur noch einer unter unzähligen anderen. Im Schiff ging alles seinen gewohnten Gang. Die Einsatzpläne Monros für die Kadetten hatten bereits gegriffen; Vegas registrierte zufrieden, wie der Dienst von den jungen Män nern mit dem gleichen Enthusiasmus versehen wurde, den auch er während seiner Ausbildung an den Tag gelegt hatte. »Kommandant, Sir!« An der FZ-Konsole hob ein Fähnrich die Hand. »To-Funkspruch vom Flottenhauptquartier. Brigadegeneral Clark!« Der junge Mann stotterte fast vor Aufregung. Er schien noch nicht
viel Erfahrung mit wirklich hohen Dienstgraden zu haben. Vegas glaubte zu wissen, weshalb Clark ihn zu sprechen wünschte. »Ich nehme das Gespräch in meiner Kabine entgegen.« Er fuhr seinen Sessel etwas zurück, stand auf und nickte seiner Nummer Eins zu. »Sie haben das Schiff, Mister Monro.« »Aye, Sir. Welchen Kurs?« »Immer der Nase nach, Nummer Eins. Bis Sie gegenteilige Order von mir bekommen.« »Der Nase nach… zu Befehl, Kapitän.« Vegas grinste leicht und verschwand in seinem Arbeitsraum. Er lächelte noch, als er mit einem Tastendruck die Nachricht von der fernen Erde auf den Schirm seines Tischviphos holte. »Freut mich, daß Sie so guter Laune sind, Oberst«, polterte Briga degeneral P.S. Clark, kaum daß die Phase stand. »Aber Ihnen wird gleich das Lachen vergehen.« »Ihnen auch einen schönen Tag, Brigadegeneral«, sagte Vegas. Clark verschlug es fast die Sprache. »Wie…? Ach so. Naja, mein Tag ist lange nicht so schön, wie Sie glauben mögen, Oberst Vegas. Und das hat ursächlich mit Ihnen zu tun.« Clark, der Weggefährte Frederic Huxleys und Ted Bultons, hatte eine beispiellose Karriere innerhalb der Terranischen Flotte durch laufen. Der bullige Offizier war 2052 Kommandant der ARCTUR gewesen und wechselte nach der Übergabe des Vierhundertmeter riesen der Giants an die meuternden Robonen im Juli 2057 als Kommandant auf den S-Kreuzer QUEEN KELLY. Er zeichnete sich mehrmals beim Kampf gegen die Grako-Stationen aus und wurde, nachdem er zweimal schwere Verluste in seinem Verband hatte hinnehmen müssen, in Zwangsurlaub geschickt. Aber schon im Oktober desselben Jahres bekam er erneut ein Kommando, und zwar über die neue EUROPA. Während der Zeit, in der man das Schiff zur Flottenführungseinheit umbaute, wurde der Colonel zum Geschwaderchef befördert und befehligte die
COLOSSUS. Noch im November war er maßgeblich an der Abwehr eines Grako-Angriffs auf die Erde beteiligt. Danach übernahm er erneut die EUROPA, kommandierte im Februar die IKO-1 auf ihrem Jungfernflug und befehligte im April 2058 wieder die EUROPA, bis sie ihm über Hope von dem Worgun »Jim Smith« abgenommen wurde. Clark gehörte ohne Zweifel zu den profiliertesten Kommandanten der Terranischen Flotte. Seine Beförderung zum Brigadegeneral und Kommandanten der FREDERICKSBURG war nur recht und billig. »Welcher Hafer hat Sie gestochen, Oberst, sich so über den Schlendrian innerhalb der Wissenschaftsabteilung der Flotte zu äu ßern?« grollte Clark. »Das grenzt ja fast an Insubordination!« »Schlendrian?« wunderte sich Roy Vegas. »Habe ich nicht den Be griff ›Unfähigkeit‹ verwendet? Eine Unfähigkeit, die in ihrer Quin tessenz nicht weniger als 117 Männer das Leben gekostet hat. Eine Tragödie, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch eine umgehende Reaktion auf meine Bitte hätte vermieden werden können. Man sollte diese Bürokraten dafür zur Verantwortung ziehen, bei allem Respekt, Brigadegeneral.« Clark blies die Backen auf. »Mann, Vegas! Sie machen es einem aber wirklich nicht leicht.« »Würde ich es tun, hätte ich meinen Beruf falsch interpretiert, Sir.« »Ich hätte Sie sofort Ihres Amtes enthoben«, fuhr Clark fort und sah Vegas starr ins Gesicht, »zumal Sie diese Provokation bewußt ins Szene setzten, habe ich den Eindruck. Glauben Sie mir, es wäre mir ein leichtes, Sie abzulösen.« Roy Vegas nickte. »Wir haben genügend hervorragende Männer, die ein Flotten schulschiff zu führen in der Lage sind. Aber Sie erscheinen einigen Leuten innerhalb der Flottenführung als der richtige Mann mit der entsprechenden Erfahrung. Und dagegen kann man schlecht ange hen.« Clark sagte es ganz offensichtlich ohne Bedauern, was Vegas nun doch sehr verwunderte.
»Erfahrung worin?« fragte er ruhig. »Mit dem Unbegreiflichen, Ungewöhnlichen. Mit dem Fremden schlechthin…« »Das haben Sie schön gesagt, Brigadegeneral«, warf Vegas ein, und sein Grinsen war unverschämt. Der Brigadegeneral seufzte. »Nur mit dem Abfassen von Berichten, da hapert es noch. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. Ein wenig mehr Diplomatie im Umgang mit gewissen Behörden, und eine gewisse Konzilianz im Ton – dann müßten Bulton und ich uns nicht so in die Riemen legen, um Ihre Anhörung vor dem Flot tenausschuß abzubügeln.« »Sie und der Marschall?« dehnte der Colonel perplex. »Nehmen Sie sich meinen Rat zu Herzen, Oberst.« Der Brigade general ging nicht auf Vegas’ Verwunderung ein. »Wir können nicht immer die Hände schützend über Sie halten. So, das mußte mal ge sagt werden. Weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Suche, Roy.« Er beugte sich vor und unterbrach die To-Funkphase. Vegas lehnte sich tief in seinen Sessel zurück und pfiff tonlos vor sich hin. »Ich werde verrückt«, murmelte er schließlich. »Der Strahl der Gnade scheint auf dich gefallen zu sein, Roy Vegas. Wer hätte das gedacht!« Als er in die Zentrale zurückkehrte, erhob sich der Erste Offizier aus dem Kommandantensessel und kehrte an seinen Platz zurück. »Kurs liegt an, Kapitän«, sagte er mit unbewegter Miene. »Immer noch der Nase nach.« »Danke, Nummer Eins.« Vegas glitt in seinen Sessel. Er hatte es sich noch nicht richtig bequem gemacht, als ein Masse taster der Ortung anschlug. Ein Audiosignal ertönte. Der Oberst bewegte den Kontursessel in seinem Drehlager. »Was gibt es, Nummer Drei?« »Augenblick, Sir.«
Auf den Bildschirmen der Ortungskonsolen erschienen in rascher Folge Datenzeilen und rasch laufende Zahlenkolonnen. »Sir«, meldete sich Kerim Bekian wieder, »der Stern entspricht den von Ihnen gewünschten Parametern. Keine Planeten!« »Lassen Sie sehen!« Der Ortungsoffizier drückte ein paar Tasten; der Hyperkalkulator reagierte ohne Verzug. In der zentralen Bildkugel wurde ein heller Stern erkennbar, der von der Optik im Zentrum der Bildsphäre fi xiert wurde. »Geht es etwas größer, Nummer Drei?« Die ferne Sonne, die im NGK1 weder einen Eigennamen noch eine numerische Bezeichnung trug, wie die eingespiegelten Daten aus sagten, stand Sekunden später als kopfgroßer Ball in der Bildmitte. Ein blauleuchtender Halo umgab sie im weiten Abstand; vermutlich die Geburtszone späterer Planeten oder die Reste eines Doppel sterns. Roy Vegas traf seine Entscheidung in gewohnter Schnelligkeit. »Bringen Sie uns an die Grenze ihres Schwerefeldes, Mister Mon ro«, befahl er seinem Ersten Offizier und deutete auf die Sonne, »dann lassen Sie die Freiwachen antreten.« »Aye, Sir.« Die ANZIO beschleunigte mit hohen Werten, erreichte die ange gebene Position an den Ausläufern der Sonnengravitation und bremste ab. Scheinbar bewegungslos stand sie im All; der Eindruck täuschte. In Wirklichkeit griff ständig der Hyperkalkulator korrigierend mit SLE ein, sobald der Sog der Schwerkraftfelder das Schiff in Richtung Sonne zerrte. Das Flottenschulschiff würde nicht lange auf dieser Position ver harren.
1
Neuer Galaktischer Katalog
*
Auf allen Decks ertönten die Pfeifen der Decksoffiziere und Ober stabsbootsmänner. Mann geht von Bord, hieß das Signal. Vor den Bildschirmen in den Räumen nahmen die Männer Hal tung an und lauschten schweigend den Worten des Kommandanten. Colonel Vegas hielt im Haupthangar vor den fünf aufgebahrten Raumsärgen der auf Sahara umgekommenen Männer eine kurze Rede. Ein symbolischer Akt. Denn die Raumsärge waren leer. Der Kommandant würdigte die Männer und bezeichnete ihr allzu frühes Dahinscheiden als einen großen Verlust. Mehr gab die Situation nicht her. Er kannte keinen von ihnen länger als knappe zwei Monate, was persönliche Worte ausschloß. Wenig später katapultierte die Automatik die Särge ins All. Ziel richtung: Sonne. Sie würden binnen kurzer Zeit in den lodernden Ball stürzen und verglühen. Früher hatte man Seeleute auf die gleiche Art dem Meer überge ben. Kaum waren die Särge draußen, nahm die ANZIO wieder Fahrt auf und machte sich auf den Weg zu einem Ziel, von dem bislang nur Roy Vegas Kenntnis hatte. Aber er fand, daß es höchste Zeit war, seine Offiziere ins Bild zu setzen. * Die Führungsoffiziere, Ausbildungsleiter und Fachoffiziere von
Medizin und Wissenschaft hatten sich alle zur Besprechung im
Konferenzraum der ANZIO eingefunden, der unmittelbar an die Hauptzentrale grenzte. Hauptmann Olin Monro stand neben dem Chefingenieur Dave Gjelstad und unterhielt sich leise mit dem Triebwerksexperten. Auch die beiden für Navigation, Ortung und Kommunikation zu ständigen Hauptleute waren anwesend – Jay Godel und Kerim Be kian. Die Doktoren Skyler, Plotnikoff und Bingham, deren Fachgebiete Anthropologie, Geologie und Biologie waren, bildeten eine eigene kleine Gruppe; neben ihren zivilen Titeln hatten die Wissenschaftler alle den Rang von Hauptmännern in der Terranischen Flotte. Einzig der Physiker Alex Hobin hatte seinen Doktortitel noch nicht erwor ben und war deshalb nur Leutnant; er nahm in Vertretung des in der Höhle auf Sahara umgekommen Chefphysikers Horia Kraetsch an der Zusammenkunft teil. Weitere Teilnehmer an der Konferenz waren der Astrogator Ron Nozomi, Major Erinn Meichle, der Chef arzt und Biochemiker, und Major Chester McGraves, der Komman deur der Rauminfanteristen an Bord des Schiffes. Als Roy Vegas erschien, verstummten die Gespräche. Der Oberst forderte sie auf, ihre Plätze einzunehmen, und setzte sich selbst ans Kopfende des langen Tisches. Er wartete, bis Ruhe eingekehrt war. »Wie Sie alle wissen, lautet unser primärer Auftrag, während un serer Reise Kadetten in die höheren Weihen des Offiziersstandes einzuführen«, begann er, »obwohl ich manchmal das Gefühl habe, gegen Windmühlen anzurennen. Heute muß ich Sie noch mit einem anderen Aspekt unserer Reise vertraut machen, bei dem es sich um eine Herzensangelegenheit Marschall Bultons handelt. Er möchte, daß wir uns nebenbei auch auf die Suche nach den Caldarern ma chen.« Unruhe machte sich vor allem unter den Nichtmilitärs breit. »Caldarer?« fragte Erinn Meichle mit verständnisloser Stimme. »Entschuldigen Sie, Kapitän. Ich bin Mediziner und kein Historiker.
Ich habe von diesem Volk noch nichts gehört. Könnten Sie mir bitte erklären, welche Bewandtnis es damit hat?« »Ganz einfach: Wir sollen sie finden.« »Warum?« fragte Meichle. »Aus mehreren Gründen.« »Könnten Sie uns darüber in Kenntnis setzen?« »Natürlich, Professor.« Der Colonel blieb gelassen. Er wandte sich an seine Zuhörer. »Für alle, die sich in der gleichen Lage wie unser Doktor befinden – bei den Caldarern handelt es sich um ein quasi-humanoides Volk, um eierlegende Warmblüter und Sauerstof fatmer. Sie besitzen fünffingrige Hände, drei Facettenaugen und eine faltige Lederhaut, deren Farbe zwischen erdbraun und blattgrün changiert. Ansonsten wissen wir von ihnen nur, daß sie seit etwa 2047 die überlichtschnelle Raumfahrt betreiben und daß sie sich anderen Völkern gegenüber mitunter sehr aggressiv verhalten…« »Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, warf Mark Skyler ein. Vegas räusperte sich. Der Anthropologe machte eine um Ent schuldigung bittende Handbewegung in seine Richtung. »Die Cal darer«, fuhr Vegas fort, »haben eine Besonderheit: Sie sind ein Volk von Synästheten, das sich untereinander anstelle von Lautäußerun gen über Farbspiele der Augen verständigt.« »Interessant, interessant«, sagte Plotnikoff und rieb sich das Kinn mit den Fingern der linken Hand. »Ungewöhnliche Sache.« »So ungewöhnlich ist es nun auch wieder nicht«, relativierte Harry Bingham. »Die Synästhesie, also das subjektive Wahrnehmen opti scher Erscheinungen, Farben hauptsächlich, ist nicht neu. Sie exis tiert auch bei uns Menschen. Man geht davon aus, daß etwa einer von rund 2000 Personen die Fähigkeit besitzt, Töne – Musik, Spra che, einfach jegliche Art von Lärm – gleichzeitig zu hören und als Farbmuster oder Farbspiele wahrzunehmen. Dabei sind jedem Laut, jedem Ton eine bestimmte Farbe und eine bestimmte Form zu geordnet. Eine Semantik jenseits der uns bekannten.« »Mein Gott«, warf Plotnikoff ein. »Wie hält man das als Normal
sterblicher aus? Es gibt Tausende von Farb-, Form- und Tonnuancen. Ich würde dabei verrückt werden…« »Oder ein Genie wie Goethe«, fuhr der Exobiologe fort. »In der Li teratur beispielsweise wird die psychische Fähigkeit dieser Reizver schmelzung zur metaphorischen Beschreibung von ›duftigen Far ben‹ oder ›farbigen Klängen‹ herangezogen; vor allem in der Dich tung von Renaissance, Barock, der Romantik und dem Symbolismus findet sie ihren Niederschlag. Doch das ist kein Vergleich mit der Synästhesie als originärem, ausschließlichem Kommunikationsmit tel, wie es die Caldarer ihr eigen nennen. Sagen Sie, Sir«, wandte er sich direkt an den Oberst, »wie sind denn Menschen und Caldarer aneinandergeraten?« »Der erste Kontakt zwischen Terranern und Caldarern spielte sich im Sommer des Jahres 2058 im Munro-System ab und stand von Anfang an unter keinem günstigen Stern. Raumschiffsjäger, die ein Schiff der Giants gefunden hatten, glaubten sich bedroht – sicher waren sie das auch, nachdem es sich herausstellte, daß die Fremden eine Armada von hundert getarnten Schiffen in und um das Mun ro-System postiert hatten – und riefen händeringend Terra um Hilfe. Die TF schickte die ULRICH WALTER, einen S-Kreuzer, ins Mun ro-System. Wie wir heute wissen, eskalierte dieser Erstkontakt auf grund von beiderseitigen Mißverständnissen – nicht zuletzt durch die nicht zustandekommende Verständigung – zu einer blutigen Auseinandersetzung, die fast in einer Katastrophe für beide Seiten endete. Die Caldarer besaßen sogenannte ›Tarnkappenschiffe‹ und konnten nur anhand ihrer aktivierten Energieschirme und des Waf fenfeuers von den Tastern des S-Kreuzers geortet werden. Anfangs eine fast unlösbare Aufgabe. Dennoch gelang es der ULRICH WALTER, viele der Tarnkappenraumer zu zerstören und den schwerverletzten caldarischen Admiral Wamblau gefangenzuneh men, ehe dessen Flaggschiff auseinanderbrach. Zum Glück hatte die ULRICH WALTER mit ihrem Ersten Offizier einen menschlichen Synästheten an Bord. Tasso Cazzigianni ist es
gelungen, sich mit Admiral Wamblau zu verständigen, ehe dieser an seinen Verletzungen starb. Aus den Sitzungen zwischen Cazzigianni und dem hochrangigen Caldarer stammen die wenigen Informatio nen, über die wir verfügen. Die Daten sind im Hyperkalkulator ge speichert.« »Wir sind also angehalten, das Heimatsystem dieses Volkes von Synästheten zu finden?« erkundigte sich Skyler. »Und einen möglichst friedlichen Kontakt mit ihm herzustellen«, bestätigte der Kommandant. »Sie haben es erfaßt, Doktor Skyler.« Bingham hob die Hand. »Würde mich interessieren, was aus diesem Synästheten, diesem Cazzigianni, geworden ist?« »Er wurde nach den Ereignissen im Munro-System zur GSO ver setzt, die sein Potential rasch erkannte. Soviel ich weiß, arbeitet er in deren Forschungszentren mit anderen Synästhetikern an einem cal darischen Thesaurus, der als Grundlage für ein effizientes Transla torsystem dient. Terra will unbedingt eine Übersetzungsgrundlage für den Fall, daß wir erneut auf die Caldarer treffen. Dann müssen wir uns mit ihnen verständigen können. Es geht nicht an, daß eine erneute Konfrontation aufgrund fehlender Verständigungsmög lichkeiten in einer Raumschlacht endet.« »Wäre es von Marschall Bulton nicht vernünftiger gewesen, ihn auf die ANZIO zu versetzen? Wie, bitte, sollen wir uns sonst mit ihnen verständigen?« »Das müssen Sie Bulton schon selbst fragen«, riet Vegas dem Exo biologen. Er warf seinen Offizieren einen Blick zu und sah, wie sich auf Olin Monros Gesicht Verstehen abzeichnete. Er weiß es, dachte Vegas und nickte seinem Ersten Offizier un merklich zu, ehe er betont fortfuhr: »Aber wahrscheinlich war er der Meinung, einer reiche an Bord unseres Schiffes völlig aus.« Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, so still war es plötzlich. Dann redeten alle auf einmal.
»Bitte, meine Herren!« beschwichtigte Vegas die Runde. »Nicht alle zur gleichen Zeit, das stiftet nur Verwirrung.« Meichle hob die Hand und heischte um Aufmerksamkeit. »Ent schuldigen Sie meinen Einwurf, Colonel, um wen handelt es sich? Kennen ich ihn?« »Mit Sicherheit kennen gerade Sie ihn, Doktor«, erwiderte Vegas mit einem Lächeln. »Es handelt sich um einen unserer Kadetten, den Sie schon einmal untersucht haben dürften.« »Den Namen wollen Sie nicht verraten?« »Es gibt keinen Grund, es nicht zu tun. Es handelt sich um Fähn rich Szoltan Erdai. In ihm haben wir einen Übersetzer, sollten wir in Kontakt mit den Caldarern kommen.« »Wie wollen wir sie kontaktieren, wenn wir sie nicht orten kön nen?« meldete der Chefarzt der ANZIO seine Bedenken an. »Ihren Worten zufolge hat es damals im Munro-System erhebliche Schwie rigkeiten bereitet, die Tarnkappenschiffe zu orten. Stimmt doch, oder?« Vegas seufzte im Stillen. Der Mediziner kannte sich zwar in seinem Fach aus, das war’s aber dann auch schon. Er warf seinem Dritten Offizier einen unmißverständlichen Blick zu und bat: »Klären Sie ihn bitte auf.« »Natürlich gab es die von Ihnen angesprochenen Probleme«, setzte Kerim Bekian mit seiner tiefen Stimme an. »Aber die dürften jetzt nicht mehr relevant sein. Nach Auswertung aller Daten aus dem Hyperkalkulator der ULRICH WALTER gelangte man im Flotten hauptquartier zu der Ansicht, daß die Calda-Schiffe trotz ihrer be sonderen Form auch dann ortbar sein müßten, wenn sie weder Schutzschirme noch Waffensysteme aktivierten, was ihre Positionen durch die Energieemissionen anmeßbar machte. In den Labors ent wickelten die Hyperphysiker im Hinblick auf eine spätere erneute Konfrontation mit den Synästheten eine Schaltung, die die Hyper taster so modifizierten, daß diese abwechselnd ›harte‹ und ›weiche‹ Suchimpulse abgeben.«
»Und wie soll das funktionieren?« Natürlich konnte diese Frage wieder nur von Meichle gestellt werden. »Die harten Impulse messen die Interferenzen an, die dort entste hen, wo die weichen von etwas gestört werden. Auf diese Weise wird der passive Ortungsschutz durch die besondere Form der Caldarer-Raumschiffe gebrochen.« »Ich verstehe zwar nur Bahnhof«, gestand der Chefarzt, »aber ich vertraue Ihren Worten, Hauptmann. Sicher hat man die Vorrichtung einem genauen Test unterzogen.« »Aber ja, Professor.« Die Nummer Drei der ANZIO grinste spar sam. »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Die Vorrich tung wurde einer ausgiebigen Prüfung unterzogen.« »Moment mal«, sagte Meichle alarmiert und hob den Kopf. »Wie denn, wenn keine Tarnkappenschiffe zur Verfügung standen?« Die Offiziere wechselten Blicke, ohne etwas zu sagen. Bekian machte ein unschuldiges Gesicht. »In einer ausgedehnten Computersimulation.« Meichle sperrte die Augen auf. »Im Simulator?« »Das wird immer so gemacht, wenn man kein reales Versuchsob jekt zur Verfügung hat«, sagte Bekian leichthin; der Hauptmann versuchte so zu antworten, als sei das ganz normal, nur eine Ne bensächlichkeit, über die man sich nicht den Kopf zu zerbrechen brauchte. »Wenn Sie in der Medizin Neuland betreten, beispiels weise eine Operation an einem fremden Organismus durchführen müssen, dessen Physiologie Sie nicht kennen, schnipseln Sie mit Sicherheit auch nicht einfach so drauflos – verzeihen Sie meinen etwas flapsigen Ausdruck –, sondern gehen die dazu nötigen Schritte erst einmal am Computer durch. Ist es nicht so, Professor?« »Hrrmpf«, machte Erinn Meichle und verfiel in dumpfes Brüten. »Wie wollen Sie die Caldarer eigentlich aufspüren, Kommandant?« lenkte der Chefgeologe, Hauptmann Plotnikoff, die Diskussion in eine andere Richtung. »Besitzen Sie konkrete Hinweise auf ihre
Heimatwelt?« »Konkrete Hinweise? Nein, das wäre zuviel gesagt. Aber Spuren gibt es«, versetzte Vegas. »Die Caldarer können nur in Systemen leben, die wir bisher weder erfaßt noch überhaupt besucht haben. Das schränkt in dieser relativen Nähe zur Erde die Suchmöglichkei ten doch erheblich ein. Ich habe vom Hyperkalkulator einen Kurs ausarbeiten lassen, der uns mit einiger Sicherheit in ein System der Caldarer führen wird. Es handelt sich allerdings um einem Sektor, der eine Ausdehnung von mehreren hundert Lichtjahren aufweist.« »Hmm«, brummte Skyler. »Ähnelt verflixt einer Suche nach der wohlbekannten Nadel im Heuhaufen.« »Sie haben es erfaßt«, gab der Oberst trocken zurück. * Soweit es Vegas betraf, bestand für ihn kein Grund zur besonderen Eile, dennoch ließ er die ANZIO mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum fliegen. Sie bewegte sich dabei entlang eines Weges, dessen Endpunkt auf nichts anderem als auf Rechenoperationen des Bordgehirns basierte. Mit Hilfe des Hyperkalkulators hatte Vegas eine Route aufgestellt, die von Munros Stern in bislang unerforschte benachbarte Gebiete führte; aufgrund der vom Rechner erstellten Wahrscheinlichkeits rechnung sollten sie dabei auf Caldarer stoßen. Vegas war überwiegend in der Zentrale zu finden; er verließ sie eigentlich nur zu den unumgänglichen Ruheperioden. Zweimal vierundzwanzig Stunden waren bereits vergangen. Die Suche nach den Caldarern gestaltete sich zu einer langwierigen Aufgabe. Noch einmal zwei ereignislose Tage. Es schien sich tatsächlich um eine Suche nach der Nadel im Heu haufen zu handeln, wie Doktor Mark Skyler, der Anthropologe an Bord der ANZIO, prophezeit hatte. Mit der zusätzlichen Schwierig
keit, daß dieser »Heuhaufen« ein Volumen von mehr als einem Ku bikparsek aufwies. Wieder hatte sich ein Wach Wechsel vollzogen. Es war früher Morgen. Schiffszeit. Vegas schloß seine Kabinentür, wandte sich nach rechts, verzich tete auf die schnelle Beförderung durch das Gleitband und folgte dem Ringkorridor zur Kommandozentrale. Vierzig Sekunden später betrat er den vollbesetzten Leitstand der ANZIO über den Haupt eingang von Deck vier. Der Oberstabsbootsmann neben dem Hauptschott salutierte, holte Luft und schnarrte laut und vernehmlich: »Aaachtunk! Komman dant auf der Brücke!« Vegas salutierte zurück und richtete seine Schritte auf die Kom mandantenkonsole. Hauptmann Olin Monro, 173 Zentimeter groß, 80 Kilo schwer, 38 Jahre alt und schwarzhaarig, räumte den Platz des Kapitäns und ließ sich in seinem Sitz nieder. »Guten Morgen, Skipper«, sagte er. »Guten Morgen, Nummer Eins.« Vegas glitt in seinen Gliedersessel und warf einen raschen Blick auf die Instrumente und holographischen Bildgeber, die vor ihm auf der bogenförmigen, abgeschrägten Hauptkonsole angeordnet waren. Dann fuhr er seinen Kommandantensessel etwas zurück und nickte seinem Ersten Offizier und Stellvertreter zu. »Status?« »Keine Vorkommnisse, Sir.« »Danke, Mister Monro.« Vegas’ forschende Blicke glitten durch die zweistöckige Zentrale, die mit ihren Kaleidoskop von Lichtern, Instrumenten, den Daten sichtgeräten, Bildschirmen und Monitoren einen nur auf den ersten Blick sinnverwirrenden Anblick bot. Die große Bildkugel, die beim Flug des Ringraumers automatisch über der Hauptkonsole erschien und die fünf großen Zentralbildschirme ablöste, war aktiv und zeigte
verzerrungsfrei eine komplette Rundumsicht des Sektors, den die ANZIO im Moment durchflog. Die Zentrale war voll besetzt. Wenn man es genau betrachtete, war sie sogar überbelegt. Um ihren Auftrag als Flottenschulschiff nachzukommen, war das Platzangebot vor den Konsolen und Pulten beim Bau entsprechend ausgelegt worden. Die zusätzlichen Plätze nahmen die Kadetten in Beschlag. Dennoch verliefen die Prozeduren in der Hauptzentrale ruhig und exakt; die Offiziere und Instrukteure, die den Ablauf des Schu lungsbetriebs überwachten, sorgten für die reibungslose Ausfüh rung. »Mister Bekian!« »Sir?« »Noch nichts zu sehen?« Die Langreichweitentaster der Ortung suchten beständig den Raum in Flugrichtung nach verräterischen Echos ab. Hauptmann Kerim Bekian, Dritter Offizier und Ortungsspezialist, ein breitschultriger Mann von 35 Jahren, der wesentlich jünger wirkte, schüttelte den Kopf mit dem welligen, blonden Haar. »Negativ, Kapitän«, verkündete er. Der Tonfall seiner Stimme entsprach seinem Gesichtsausdruck: purer Pessimismus. Bekian war einer jener Typen, für die ein Glas immer halbleer war. »Nun, es dürfte auch noch etwas zu früh sein«, murmelte Vegas und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Seine Bewegungen kündeten von der Gelassenheit eines Mannes, den nichts aus der Ruhe zu bringen schien. Oder wenigstens fast nichts. Roy Vegas runzelte die Stirn, als er sich dabei ertappte, daß er merkwürdigerweise von einer Art nervöser Spannung erfüllt war, gemischt mit einer nicht näher erklärbaren Erwartung, die er nor malerweise in diesem Stadium einer Suche nicht kannte. Die Erfahrung war neu für ihn.
Aber bekanntlich gab es ja für alles ein erstes Mal… Der Oberst bewegte den Kopf, als wolle er sich von diesen unge wohnten Gedankengängen befreien. An der Ortung erwachte einer der Massetaster zum Leben. Ein Signal ertönte und brachte den dort sitzenden Kadetten in Be drängnis. Es war der erste Einsatz des Fähnrichs an den Langreich weitentastern. »Sir!« sagte er laut und im alarmierenden Tonfall. »Resonanzkon takt auf…« Er rasselte die Koordinaten herunter und sagte ab schließend: »Größe des Objektes…« Plötzlich verstummte er und hüstelte betreten. »Haben Sie’s endlich geschnallt, Fähnrich Sperl«, versetzte Fun kobermaat Dumbo mit einer genau dosierten Menge von nachsich tigem Spott im Tonfall, »daß es sich nur um eine Sonne ohne Plane ten handelt?« »Aye, Sir. Verzeihung, Sir.« Fähnrich Thomas Sperls Gesichtszüge froren ein. Und das ausgerechnet unter den Augen des Führungsoffiziers und des Kommandanten. Er wünschte sich, Lichtjahre entfernt zu sein. Jemand lachte verhalten und verstummte schnell wieder, als sich der zuständige Instrukteur warnend räusperte. »Ich denke, Sie sollten sich die Radiallinien sehr weit entfernter Sonnen im Simulator noch einmal näher ansehen, Fähnrich«, riet Hauptmann Bekian, der das Ganze von seinem Platz aus verfolgt hatte. »Natürlich, Sir!« Der junge Mann stand auf. »Nicht jetzt«, bedeutete ihm der Dritte Offizier mit einem nach sichtigen Kopf schütteln. »Selbstverständlich während Ihrer Frei wache, haben wir uns verstanden?« »Ja, Sir!« Vegas begann leise vor sich hinzugrinsen. Die Szene erinnerte ihn an ähnliche während seiner Ausbildung.
»Steht der Kurs?« fragte er. »Steht, Sir«, nickte der Navigator. Hauptmann Jay Godel war der »Beau« des Flottenschulschiffes. Er sah gut aus, besaß ein gebräuntes Gesicht, ein kräftiges, fast rechteckiges Kinn, tiefblauen Augen unter einem Schopf schwarzer Haare und zeigte fast immer ein verwege nes Grinsen. Vegas lehnte sich zurück. Seine Augen verengten sich. »Warum finden wir nichts?« »Vielleicht noch zu früh dafür«, gab Godel zu bedenken. Der Oberst überprüfte ein paar Anzeigen auf der Armlehne seines Sessels. Schüttelte dann den Kopf. »Nach der vom Hyperkalkulator durchgeführten Wahrscheinlichkeitsrechnung befinden wir uns seit ungefähr zwölf Stunden in jenem Sektor des Alls, in den die calda rische Flotte mit der größten Wahrscheinlichkeit geflogen sein muß.« Die Nummer Eins räusperte sich ärgerlich, blickte auf die gelassene Miene des Kommandanten und sagte halblaut aber mit Nachdruck: »Verdammt!« Vegas hob die Brauen leicht an. »Wie meinen Sie das, Mister Monro?« »Haben Sie es nicht bemerkt, Skipper? Das Warten macht die ge samte Besatzung nervös. Vier Tage sind vergangen – viermal vie rundzwanzig Stunden…« »Sind doch nur 5760 Minuten«, warf Godel lakonisch ein und grinste. Olin Monro brummte etwas, das wie »Krämerseele« klang, und fuhr laut fort: »Wenn nicht bald etwas geschieht, werden wir uns ein anderes Beschäftigungsprogramm ausdenken müssen. Oder was sollen wir tun, Skipper?« »Warten!« antwortete Vegas einsilbig. »Früher oder später werden wir die Caldarer finden.«
5.
Ren Dhark hockte auf dem Generator. Die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Hände gefaltet, beobachtete er das üble Treiben außerhalb des Prallfeldes. Die Kurrgen hatten das Feuer eingestellt; schon nach zwei Minuten. In einem Umkreis von sieben, acht Metern schleiften sie die Opfer der Querschläger fort – drei Verwundete, ein Toter. Etwas abseits brüllte Noreg Befehle in den Kuppelraum. Er schäumte jetzt vor Wut. Mittlerweile war die Nachricht vom Verlust der Nuklearrakete zu ihm durchgedrungen: Seine Spione an der Küste hatten weder einen Atompilz beobachtet, noch ein Seebeben; nicht einmal eine Flut. Alles das aber wären zwangsläufige Folgen einer unterseeischen Nuklearexplosion gewesen. Eine Explosion hoch über der Wolkendecke hingegen wäre zu sehen und zu hören gewesen. Diese Neuigkeiten wußte Ren Dhark dank der Leistungs fähigkeit seines Translators. Der General rannte zu dreien seiner Waffenknechte, fuchtelte mit den Armen und redete auf sie ein. Die nickten und nickten und nickten – und verließen den Kuppelraum schließlich im Laufschritt. Dhark machte sich nichts vor: Noreg hatte irgendeine neue Schwei nerei ausgebrütet. Zu etwas anderem schien einer wie er gar nicht fähig zu sein. Jetzt äugte er zu ihm herüber. Haß und Größenwahn nisteten in seinen Gesichtszügen. Als wollte er seine kurze und massige Gestalt vor Dharks Blicken verbergen, packte er die Säume seines schwarzen Umhangs und hüllte sich darin ein. Mit großen Schritten eilte er herbei. »Du glaubst über einen General Noreg triumphieren zu können, Außerirdischer?« Den schwarzen Stoff straff um die über breiten Schultern und den tonnenartigen Rumpf gezogen, stand er da – in seinen grauen Zügen die ganze Dumpfheit eines Gewalttä ters, in den unnatürlich großen Augen das starre Blitzen, das Dhark
schon viel zu oft bei Fanatikern beobachtet hatte. »Vermessener! Wie die Fliegen auf den verstrahlten Fischkadavern an den Küsten werde ich euch zerquetschen! Erst dich und nach dir den Kümmerling!« Dhark blieb stumm. Er betrachtete die Miene des anderen und hielt seinem Blick solange stand, bis der zischte und sich abwandte. Gut so. Der Commander ertrug ihn sowie kaum noch. Seine Gedanken wanderten zu seinem kleinen Fähnrich. Ein guter Mann, dieser Scaglietti, ein kluger und zugleich mutiger Bursche. Edel und nicht weit verbreitet, eine derartige Kombination. Dhark hoffte inständig, der Sizilianer würde den wichtigsten Tagesordnungspunkt dieses Nachmittags gründlich genug erledigen können, während er hier die Aufmerksamkeit des Kriegsherrn und seiner Höllenhunde fesselte. Minuten später hob sich das Schott, und die drei Soldaten kamen zurück, mit denen Noreg zuletzt so aufgeregt konferiert hatte. Sie schleppten ein paar Gerätschaften, mit sich. Gerätschaften, die dem Commander ganz und gar nicht gefallen wollten. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen, studierte die beiden rohrartigen Vorrichtungen, mit denen sie da hantierten. Sie wandten ihm den Rücken zu, um zu verbergen, was sie vorbereiteten. Dennoch bekam er mit, wie sie spindelförmige Körper in die Rohre schoben, bei denen es sich ganz gewiß nicht um Übungsmunition handelte. Der Commander begriff, noch bevor zwei von ihnen je eines der Rohre auf die rechte Schulter wuchteten und sich umdrehten. Panzerfäuste; oder jedenfalls kurrgische Äquivalente zu terrani schen Panzerfäusten. Wie auch immer – ein Spaß würde es nicht werden. Er rückte zur Seite und blickte auf die Schaltleiste des Prallfeldgenerators. Bei aktueller Fläche und Stärke würde das Gerät das Feld noch drei Stunden aufrechterhalten können. Solange speiste sein Akku es noch mit Energie. Wenn er die Stärke des Feldes jedoch erhöhte, verbrauchte es mehr Energie und würde entsprechend we niger Zeit stabil bleiben können. Gleichgültig. Er beschloß, sich auf den Fähnrich zu verlassen, und erhöhte die Dichte und Abwehr leistung des Prallfeldes.
Der General und seine Leute zogen sich bis an das andere Ende der Kuppelhalle zurück und gingen dort hinter einer Maschinenver kleidung in Deckung, einer Luftumwälzpumpe, schätzte der Mann von Terra. Einer der Panzerfaustschützen stand breitbeinig auf der rechten Seite, nicht mehr als fünfzehn Schritte entfernt, und spähte durch seine Zielvorrichtung. Der zweite marschierte eben dicht am Prallfeld vorbei und nahm auf dessen linker Seite Aufstellung, ebenfalls etwa fünfzehn Schritte entfernt. Auch er richtete seine Zieloptik auf den Terraner. Dharks Gaumen und Zunge waren plötzlich seltsam trocken. »Tun Sie das nicht, Noreg!« rief er. »Ich warne Sie!« Etwas leuchtete am unteren Rand seines Blickfeldes. Er sah auf seinen linken Oberarm hinab – ein scharfumrissener, kreisrunder, grüner Fleck zitterte dort auf dem Stoff seiner Kombi. Er wandte den Kopf und sah nach rechts. Auf seiner Hüfte ruhte ein ebenso scharfumrissener, kreis runder grüner Lichtfleck. »Bomben und Kometen…« Er neigte den Kopf, drückte die Fäuste gegen die Ohren und schloß die Augen. Von weit weg hörte er die Stimme des Generals: »Feuer!« Ein kurzes, röhrendes Fauchen, eine ohrenbetäubende Doppelde tonation, ein sekundenlanges Beben unter den Stiefelsohlen. Dhark riß die Augen auf: Feuer waberte wie Flüssigkeit über die gesamte Fläche des Prallfeldes. Irgend jemand schrie erbärmlich. Das Feuer verglühte rasch, Schwaden schwarzen Qualms hüllte den vom Prallfeld umschlossenen Raum ein. Eine Zeitlang konnte man dessen Halbkugelform erkennen. Doch rasch verflüchtigte sich der Qualm und sammelte sich in der Umgebung Dharks unter der Kuppeldecke. Der Panzerfaustschütze rechts lag reglos auf dem Rücken. Sein Haar und seine Uniform brannten, seine Stiefel waren nur noch eine klebrige Masse. Flämmchen züngelten rings um ihn aus dem Boden. Der Schütze auf der linken Seite wälzte sich hin und her und brüllte wie ein angeschossener Löwe. Auch seine Uniform brannte. Das Geschützrohr lag quer über seiner Brust, sein rechter Arm vier oder fünf Schritte hinter ihm.
Die Kurrgen und ihr General krochen aus ihrer Deckung. Das Ge brüll des Schwerverletzten ging in Stöhnen und Seufzen über. Seine Kameraden liefen herbei und gingen neben ihm in die Hocke. Irgend jemand riß einen Wandschrank auf und holte einen medizinischen Notfallkoffer heraus, irgend jemand schleifte etwas aus einem ang renzenden Raum, das wie eine Trage aussah. Das qualvolle Sterben des Panzerfaustschützen schnürte dem Commander das Herz zusammen. Er stöhnte und fluchte zugleich. »Das geht auf dein Konto, du Mistkerl!« zischte er in Richtung Noreg. Er fuhr das Prallfeld wieder ein wenig herunter, um mehr Zeit zu gewinnen. Wußte er denn, wie lange Sergio Scaglietti für seinen Job brauchte? Immerhin hatte er ihm eingeschärft, ihn so gründlich wie möglich zu tun. Als er wieder aufblickte, stand der General sieben Schritte vor ihm. Mit der Linken wedelte er Rauchschwaden auseinander, mit der Rechten hielt er sich ein feuchtes Tuch vor den Mund. Er bebte am ganzen Körper. Sein Gesicht war nicht mehr blau vor Wut wie noch vor wenigen Minuten, sondern hatte die Farbe des schmutzigen Sandstrandes, den der Commander bei seiner ersten Landung auf der Kurrgenwelt gesehen hatte, angenommen. Er wich Noregs Blick nicht aus. »Siehst du, was du angerichtet hast?« schrie der General los. Er deutete auf den Toten und den Sterbenden. »Mörder, du…!« Ren Dhark schaltete den Translator an seiner Brusttasche ab. Er hatte genug von diesem Giftschrat. Man mußte sich nicht alles an hören, was dieser Drecksack ausspie. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Brustkorb des Verwundeten sich ein letztes Mal aufbäumte. Dhark verbarg das Gesicht in den Händen und seufzte. Sein Röcheln und Stöhnen verstummte. Der Kurrgendiktator fluchte und schimpfte. Der Commander ver stand kein Wort und versuchte, das Gezeter zu ignorieren. Das ge lang ihm nicht, denn Noreg stampfte dabei mit den Füßen auf, drehte sich um sich selbst und schlug mit den Fäusten gegen das
Prallfeld. Er empfand seine Ohnmacht dem Terraner gegenüber, und das machte ihn verrückt. Er tobte und brüllte, als hätte ein Dämon von ihm Besitz ergriffen. Und genau das war der Fall: Der ent täuschte Dämon des Hasses und der enttäuschte Dämon der Macht gier zerrten an ihm. So sah Dhark sie gern, diese verfluchten Kriegsherren, jawohl, so liebte er sie. Und wieder bebte der Boden. Diesmal aber hatte niemand mit Panzerfäusten geschossen. Dhark saß plötzlich kerzengerade auf der Außenkante des Generators. Das Beben wollte gar nicht mehr auf hören. Der General stand auf einmal wie erstarrt. Die Fäuste noch immer geballt, neigte er den breiten Schädel und lauschte. Auch seine Leute rund um das Prallfeld und weiter weg an der Kuppel wand verharrten auf der Stelle und blickten verstört um sich. Dann eine gewaltige Erschütterung und sofort darauf ein dumpfes Dröhnen aus den Tiefen des Bunkers. Betonstaub rieselte von der Decke… * Es hatte etwas Würdevolles, wie die drei Kurrgen der Admiralität ihnen durch das Spalier ihrer Soldaten entgegenschritten. Und es hatte etwas Würdevolles, wie Dan Riker das Blechgewitter des Mi litärorchesters dort auf dem Balkon ertrug. Hätte er es nicht besser gewußt, er hätte schwören können, daß mindestens fünfhundert Bläser hinter der Balustrade zur Sache gingen. Er konnte nur hoffen, daß Häkkinen und Hornig ebenfalls eine gute Figur machten. Sie erwarteten die drei Kurrgen in den Prachtuniformen in einer Reihe – Riker zwischen Arrgol und dem Cyborg, links Artus und der Fähnrich, rechts Leutnant Hornig und der zweite U-Bootkapitän. Das Triumvirat kam auf ihn zu, als wüßten sie längst, wer den Spähtrupp aus dem Weltraum anführte. Einer von ihnen trug eine blaue Augenklappe. Alle hatten sie ziemlich zerfurchte Gesichter. Daraus schloß Riker, daß sie schon älter sein mußten. Genau vor ihm
blieben sie stehen, nahmen stramme Haltung an und legten die ge ballte Rechte auf die Brust. Dabei sahen sie ihm ernst in die Augen. Der Terraner bedauerte, sich bei Perdon und Arrgol nicht über die hiesigen Gepflogenheiten erkundigt zu haben. Vorsichtshalber stand auch er stramm, legte die Faust aufs Herz und erwiderte ihren Blick. Endlich verstummte die sogenannte Musik. »Willkommen in Ar kena, Dan Riker!« sagte der mittlere der drei Kurrgenchefs, ein ver gleichsweise schmächtiger Mann in goldener Uniform mit roten Schulterstücken, roten Tressen und roten Knöpfen. Auch die Mütze glänzte golden und hatte einen roten Schild. »Wir freuen uns, Sie und Ihre Kämpfer in der Marinefestung von Thein begrüßen zu dürfen!« Von verschiedenen Seiten brandete Beifall auf. Auf mehre ren Baikonen, am Portal über der Vortreppe und vor vielen offenen Fenstern hatten sich zahlreiche Uniformierte eingefunden. Sie alle, einschließlich der Sirenenbläser und der Bewaffneten, klatschten mit der Rechten auf die geballte Linke. Perdon trat aus der Reihe und stellte seine Regierung dem terra nischen Kommandeur vor. Jeder der drei drückte ihm die Hand. Der schmale in der goldenen Uniform hieß Pirtik und war Großadmiral. Der mit der Augenklappe war Admiral Donek, den dritten stellte Perdon als Admiral Gesnil vor. Gesnil war höchstens fünf Zentime ter kleiner als Dan Riker, für kurrgische Verhältnisse also geradezu ein Riese. Beide Admirale trugen silberne Uniformen mit blauen Tressen, Knöpfen und so weiter. Riker stellte nun seine Männer vor, und jeden begrüßten die Ad mirale per Handschlag. Keiner von ihnen zuckte auch nur mit den Wimpern, als Artus ihnen anstandslos seine Metallfinger reichte. Nur ihre Blicke wurden ein wenig starr. Dan Riker, dem selten etwas entging, sah es genau. Pirtik wies schließlich auf die Vortreppe. »Darf ich Sie bitten, uns in den Marinekonferenzsaal der Flotte von Thein zu begleiten?« Seite an Seite mit dem Großadmiral schritt Riker dem Portal entgegen. Hinter ihnen gingen Donek und Gesnil, die anderen folgten in
Zweierreihen. Und ebenso prompt wie gnadenlos hob die Musik wieder an. Die Formation der Bewaffneten salutierte, Riker tat es Pirtik gleich und legte die Faust auf die Herzgegend. Die Musik gellte ihm ganz entsetzlich in den Ohren, und während sie die Ehrenformation ab schritten, fiel ihm eine uralte Geschichte ein: Eine Festungsmauer kam darin vor und ein Posaunenchor, der an ihr entlangmarschierte und musizierte, bis die verdammte Mauer endlich einstürzte. Wo bei allen Tonarten der Milchstraße hatte er nur diese Geschichte gelesen? Und plötzlich mußte er an seinen Vater denken. Als Dan Riker noch ein Junge war, hatte der ihm mal ein paar Scheiben aufgelegt, die er selbst in seiner frühen Jugend gehört hatte. Hatte dieses Zeug nicht ganz ähnlich geklungen? »Shunk« oder »Punk« oder »Funk« hatte der Stil sich genannt, wenn er sich recht erinnerte. Die erste Treppenstufe rief ihn zurück in die Gegenwart. Hunderte Kurrgen salutierten rechts und links des Portals. Sie betraten ein weiträumiges Foyer von ovalem Grundriß, an den Wänden Sitz gruppen aus rötlichem Metall und schwarzem Kunstleder, darüber überlebensgroße Porträts uniformierter Kurrgen in silbrig glänzen den Rahmen, verchromt oder gleichartiges. Kein weiblicher Kurrge weit und breit, auf der Treppe schon nicht und hier im Foyer ge nausowenig. Und erst recht nicht in den Rahmen an der Wand. Das Bild seiner Frau erschien vor seinem inneren Auge, als Riker sich überlegte, was sie wohl dazu sagen würde. Anjas Gesicht hob seine Stimmung ganz erheblich. Auch blieb die Musik allmählich zurück. Am Ende des Foyers führte Pirtik sie in einen Saal, kuppel förmig – die Bauform schien beliebt zu sein hier unten – und mit einem Durchmesser von gut und gern zweihundert Metern. Durch den Mittelgang strebten sie einer Art Bühne zu. Links und rechts Stuhlblöcke mit Tausenden festmontierter Sitze – rötliches Metall und schwarzes Kunstleder. Von der Kuppeldecke hingen an schwarzen Kabeln tropfenförmige Leuchtkörper von abwechselnd roter und blauer Färbung herab. An der Stirnseite, über der Bühne,
war eine bestimmt zwanzig Meter durchmessende Scheibe angeb racht. Eine goldene Sonne leuchtete auf dem tiefblauen Grund, und unter der Sonne bog sich eine stilisierte Pflanze in rot. Eine Blume, schätzte Riker, vielleicht auch ein Baum. »Das Wappen der theinischen Nation«, erklärte Großadmiral Pir tik. »Schon seit Jahrtausenden. Seit vierhundert Jahren ist es uns zum Symbol unserer Hoffnung geworden, einst wieder auf der Oberflä che unserer Welt unter der Sonne leben zu können.« Er sprach langsam und betonte jedes Wort. Sie stiegen auf die Bühne. Eine Tischreihe mit Sitzmöbeln war dort aufgebaut. Dan Riker löste den Rucksack mit den Ausrüstungsge genständen vom Rückenteil seines Anzugs und nahm zwischen Pir tik und dem einäugigen Donek Platz. Den Rucksack behielt er auf den Knien. Auch seinen Leuten hatte er bedeutet, sich nicht von ihren Waffen und Schwerkraftneutralisatoren zu trennen. Die dunkelrote Decke auf der Tischreihe fühlte sich an wie Wild leder. Riker blickte ins Plenum. Hundertschaften von Kurrgen strömten durch das Portal und verteilten sich auf die Sitzblöcke. »Wir übertragen die Konferenz in ganz Arkena«, raunte Donek ihm von links zu. Er deutete auf Geräte vor der ersten Stuhlreihe, die Riker rasch als Kameras identifizierte. »In allen fünf Bunkern wird gefeiert, jedes Kind will die Raumfahrer sehen, die unsere Nation gerettet haben.« Die Auskunft machte Riker ein wenig verlegen, und er nickte stumm. Er hielt nach Uniformierten mit Blasinstrumenten Ausschau, konnte jedoch keine entdecken; entspannt lehnte er sich zurück. Tief in ihm regte sich zwar sein angeborenes Mißtrauen, aber unterm Strich schien seine Expedition zur zweiten überlebenden Restnation dieses verstrahlten Planeten auf einen Erfolg hinauszulaufen. Daß dieser Tag so enden würde, hatte er am Morgen, beim Start von der POINT OF, jedenfalls nicht zu hoffen gewagt. »Möglicherweise haben Sie sich schon gewundert, daß bei uns alle Männer im waffenfähigen Alter Uniformen tragen«, sagte Pirtik von
rechts. »Wir sind eine durch und durch militärische Gesellschaft, und wir sind stolz darauf. Jeder Mann gehört bei uns zur Marine. Zivilisten gibt es bei uns seit vierhundert Jahren nicht mehr…« Während die Stuhlreihen sich füllten, dozierte der Großadmiral über kurrgische Geschichte. Nach seinen Worten wurden die Na tionen des Planeten bis zum Großen Krieg ausschließlich von Zivi listen regiert. Sie waren es, so sagte Pirtik, die damals auf die Knöpfe gedrückt hätten, Politiker der Luppen und der Theiner, während die Generäle und Admirale der Völker bis zum Schluß vergeblich für Friedensverhandlungen gekämpft hätten. Riker nahm an, daß mit »Luppen« die Vorfahren von General No regs Gruppe gemeint waren. Er gab sich alle Mühe, seine Skepsis zu verbergen; vergeblich allerdings. »Sie glauben mir nicht, Dan Riker? Sie können mir glauben, so wahr ich Vorsitzender des Admirali tätsrats bin! Unsere Politiker steuerten einen sturen Konfrontati onskurs, über Jahre hinweg, über Jahrzehnte. Die militärischen Führungen der weitaus meisten Nationen haben vergeblich davor gewarnt.« Bitterkeit sprach aus seinen ernsten Zügen. Von der ehemaligen Supermacht der Theiner blieben nur ein paar tausend Überlebende übrig, berichtete der Kurrge in der goldenen Uniform. Diese hätten sich nach dem Erstschlag in das glücklicher weise zur Zeit des Kriegsbeginns bereits fertiggestellte Bunkersys tem am Meeresgrund flüchten können. Eine U-Bootflotte der Lup pen, der zweiten Supermacht jener letzten großen Geschichtsepoche der Kurrgen, hätte das Bunkersystem bereits geortet damals, sei aber in großer Entfernung abgefangen und vernichtet worden. »So blieb die Lage Arkenas geheim – bis heute morgen jedenfalls. Jetzt sind wir natürlich in tiefer Sorge, denn ganz offensichtlich kennt der Tyrann nun unsere Koordinaten.« Auf der Stirn des Großadmirals türmten sich tiefe Falten. »Wir wissen erst seit dreiundfünfzig Jahren, daß es auf der anderen Seite unseres Planeten eine Kolonie überlebender Luppen gibt. Damals tauchten an der Küste die ersten Agenten von Noregs Vorgänger auf. Wie oft haben
wir seitdem versucht, friedliche Beziehungen aufzunehmen…« Er seufzte, Trauer zog durch seinen Blick. »Unsere Regierungen früher waren korrupt, macht- und habgierig«, schloß er. »Einzig und allein militärische Hierarchie und Disziplin kann eine Nation vor diesen Lastern schützen.« Dan Riker nickte nachdenklich und enthielt sich eines Kommen tars. Der Großadmiral gefiel ihm; ein patenter Mann, fand er. Den noch konnte er ihm nicht ganz folgen, denn er mußte immer an den Führer der zweiten übriggebliebenen Restnation denken, an den durchgeknallten Noreg. Auch der war General, oder etwa nicht? Doch Riker war nicht gekommen, um über Gesellschaftssysteme zu diskutieren. Er wollte herausfinden, warum der verdammte Giga sender auf Babylon ausgerechnet den traurigen Planeten der Kurr gen angepeilt hatte. Im Plenum nahmen die letzten Kurrgen Platz, das Portal wurde geschlossen. Pirtik nahm ein kleines Mikrofon vom Tisch, klemmte es sich ans Revers seiner Uniformjacke und erhob sich. Wie auf Kommando standen alle auf und legten die Faust auf die Brust. Auch Riker, auch seine Männer, wovon der Terraner sich erleichtert über zeugen konnte. »Heute, meine Kurrgen, ist ein großer Tag für Arkena!« begann der Großadmiral. »Heute ging der Kelch des Todes an uns vorüber! Heute hatte uns der grausame Noreg den Untergang geschickt: Eine Interkontinentalrakete mit einem überschweren Nuklearkopf! Das Geschoß ist zerstört worden, und wir leben noch, meine Kurrgen!« Pirtik hob die Stimme, mit ausgebreiteten Armen deutete er nach links und rechts auf die Terraner. »Und das verdanken wir diesen Fremden aus den Tiefen des Weltraums!« Tosender Applaus erhob sich, Tausende schlugen sich auf die Fäuste, stießen Rufe aus, die den Translator überforderten, und ver stummten erst wieder, als der Großadmiral die Rechte hob; dann aber schlagartig. Pirtik setzte seine Ansprache fort, redete von der Liebe zur Nation
der Theiner, von dem Ziel, einst wieder Siedlungen auf der Ober fläche des Planeten zu bauen, von der Gnade der kosmischen Mächte, die bis zum heutigen Tag die Entdeckung Arkenas verhin dert hatten, und von der Gefahr, die von der plötzlichen Entdeckung ausginge und die das Volk der Theiner zu noch größerer Disziplin und Kraftanstrengung zusammenschweißen werde. Schließlich er teilte er Riker das Wort. Der Terraner zuckte zusammen. Eine Rede halten? Vor so vielen Zuhörern? Er blickte nach links und rechts. Häkkinen und Hornig sahen ihn erwartungsvoll an, und der Großadmiral saß schon wie der. Was also blieb ihm übrig? Er stand auf, steckte sich das Mikro fon an die Brusttasche seines Schutzanzuges, direkt über den Trans lator, und sagte: »Reiner Zufall, daß unser Mutterschiff die Rakete orten und vernichten konnte…« * Als würde ein Titan den Bunker von außen mit einem Vorschlag hammer bearbeiten, so dröhnte es von allen Seiten; wie eine gigan tische Glocke dröhnt. Dem Commander fuhr es durch Mark und Bein. Der General stand breitbeinig vor dem Prallfeld, schnappte nach Luft, drehte sich hierhin, drehte sich dorthin. Einige Kurrgen warfen sich flach auf den Boden, andere rannten in Panik davon, wieder andere rührten sich überhaupt nicht und schienen vor Schreck wie gelähmt. Die nächste Detonation kam aus den oberen Bunkerregionen und war so laut und heftig, daß Dhark glaubte, sich am Generator fes thalten zu müssen. Er meinte die Kuppelwand zittern zu sehen. Und tatsächlich fielen Betonbrocken aus der Decke, zerschlugen Tische und Bildschirme. Staubwolken stiegen hoch, aus zerstörten Monito ren sprühten Funken. Kaum jemand stand noch auf seinen Beinen, alle lagen oder knieten sie.
Auch Noreg selbst hatte sich flach zu Boden geworfen. Er stieß langgezogene Heultöne aus und verschränkte die Arme über dem Kopf. Dreimal noch tönten Detonationen aus den unteren Ebenen des Bunkers, dreimal noch rissen Druckwellen an Boden und Kuppel wand, so daß es von allen Seiten ächzte und knirschte und Betonge röll herabhagelte. Schließlich kehrte eine Stille ein, die der Com mander als fast noch bedrohlicher empfand als den Lärm zuvor. Eine Zeitlang geschah gar nichts. Ren Dhark war aufgestanden. Er drehte sich um sich selbst, seine Blicke wanderten über die teilweise rissige und an manchen Stellen sogar löchrige Kuppel wand. Er fürchtete, sie könnte einstürzen. Rauch und Staub schwebten in schmutzigen Schwaden über Möbel, Boden, Schutt und am Boden liegende Kurrgen. Irgendjemand begann zu stöhnen, irgend jemand hustete. Dhark blickte auf die Uhr. Er machte sich klar, daß die Atemluft innerhalb des Prallfeldes nur noch eine begrenzte Zeit reichen wür de. So wenig wie Geschosse, Fäuste und Trümmer vermochten selbstverständlich auch Sauerstoffmoleküle das Prallfeld zu durch dringen. Allmählich wurde es doch Zeit, daß der wackere Sizilianer zurückkehrte. Nach und nach hoben sie die Köpfe, die verschreckten Kurrgen. Einige wagten gar aufzustehen. Die meisten aber trauten dem Frie den noch nicht. Der General hatte sein Geheule längst eingestellt. Als würde er aus einem bösen Traum erwachen, stützte er sich auf den Händen auf und spähte nach allen Seiten. Endlich stemmte er sich erst auf die Knie und erhob sich dann. Einer seiner Untergebenen eilte herbei und half ihm, den Staub aus Umhang und Uniform zu klopfen. Das wirkte wie ein Signal für die anderen Kurrgen: Einer nach dem anderen stand nun auf oder wagte sich aus seiner De ckung irgendwo zwischen Tischen, Maschinen und Schränken. Irgendeiner stieß scheinbar grundlos einen spitzen Schrei aus und deutete auf die Kuppel wand hinter dem Terraner. Ren Dhark blickte
über die Schulter: Eine silberfarbene Metallröhre schob sich aus der Wand: Flash 003. Der Commander lächelte erleichtert und schaltete den Translator wieder ein. Sergio Scaglietti manövrierte die Maschine an das Prallfeld heran, drosselte die Geschwindigkeit und drang in das negative Energiefeld ein. Das aktivierte Intervallum machte es möglich. Von dem wußten die Kurrgen natürlich nichts – der Ausdruck ihrer Mienen schwankte zwischen Verblüffung und Entsetzen. Der Fähnrich stoppte das Beiboot erst, als es direkt neben dem Commander und dem Prallfeldgenerator schwebte. Danach fuhr er die sechs Ständer aus, schaltete das Intervallum ab und setzte den Flash auf. Die Pilotentür öffnete sich. Sergios Gesicht wirkte angespannt, aber in seinen Augen leuchtete etwas, das Dhark sofort erfaßte: Stolz. Er ging zur offenen Luke und stellte sich daneben. Nicht nur, um die aus der 003 strömende frische Atemluft zu genießen, sondern vor allem, um den Translator in Sergios Nähe zu bringen. Der junge Sizilianer straffte sich. »Uff, Sir, ganz schön aufre gend…« Er stieg aus und ging kurz in die Knie, weil die mehr als doppelte Gravitationskraft ihn kalt erwischte. Aber schon hatte er sich wieder gefangen. »Also, Sir, Duststrahlen. Wie abgemacht. Zu erst habe ich die Waffenlager zerstört, dann die Sprengköpfe in den Fertigungshallen zu Staub zerblasen und am Schluß die Raketen in den Silos…« Der Translator übertrug Wort für Wort. Einige Kurrgen rissen Augen und Münder auf, andere machten ungläubige Gesichter und näherten sich langsam. Der General schnappte nach Luft und ballte schon wieder die Fäuste. »Irgendwie muß ich mich ein bißchen blöd angestellt haben, viel leicht zu wenig Power, keine Ahnung, jedenfalls fingen die Rake tentreibstoffe Feuer, die Tanks explodierten, und mit ihnen halt auch die Silos. Einer nach dem anderen.« Sergio zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Sir, ehrlich. Typisch Fähnrich, was?« Er lächelte ver
legen, Dhark hätte ihn knutschen können. »Ach ja, noch was – auf dem Rückweg bin ich in diesen Hallen, Sie wissen schon, Sir, in die sen Hangars mit den ganzen Panzerfahrzeugen vorbeigekommen. Hab’ sie alle zerstört, nur noch Staub da drin, Duststrahl, war doch richtig, oder?« Ren Dhark nickte nur. Jetzt war es an ihm, stolz zu sein; stolz auf seinen kleinen Fähnrich. Sergio Scaglietti las das wohl im lächelnden Gesicht seines verehrten Commanders, ihm stieg nämlich das Blut in den Kopf. »Lüge!« kreischte der General. »Alles Lüge, Lüge, Lüge!« Die Bli cke seiner Leute irrten zwischen ihm und dem jungen Terraner am Flash hin und her. »Das kann gar nicht sein!« Die Stimme des Gene rals überschlug sich. »Niemand zerstört unsere Raketen! Ausge schlossen! Hört ihr mich, mein Volk?! Ganz und gar ausgeschlos sen…!« Er wirkte einfach nur noch lächerlich. Ren Dhark kümmerte sich nicht länger um den Wahnsinnigen. Mit knapper Geste bedeutete er Sergio, wieder im Flash Platz zu neh men. Der kleine Sizilianer kletterte auf seinen Sitz. Dann rutschte er zur Seite, um dem sperrigen Kameraden Platz zu machen. Der Commander bückte sich nach dem Prallfeldgenerator und hievte ihn neben Sergio auf den Sitz. All das dauerte etwa sechzig Sekunden, und während der ganzen Zeit tobte der General vor sei nen Untertanen herum, schrie und keifte und verfluchte die »auße rirdischen Aggressoren«, wie er sich ausdrückte. Die Uniformierten um ihn herum wirkten gleichermaßen verstört und beeindruckt. Von seinem und Sergios Auftritt, hoffte Dhark. Ein Schott öffnete sich, schreiend stolperte ein Kurrge in den Kuppelraum – er war vollkommen nackt, und Schürfwunden be deckten seine Haut am ganzen Körper. »Verloren!« brüllte er. »Alles verloren!« In gebückter Haltung blieb er vor dem Diktator stehen. »Was fällt dir ein, Bursche!« schimpfte Noreg. »Wie kannst du es wagen, mir ohne Uniform unter die Augen zu treten!« Der Nackte schien das gar nicht zu hören. Zitternd deutete er auf
den Flash. Dessen Pilot müsse mit jemandem im Bunde stehen, des sen kurrgische Bezeichnung der Translator mit »Satan« übersetzte. »Dieser Flieger tauchte im Panzerdepot auf, als hätte die Hölle ihn ausgespuckt!« jammerte er. »Und der Unheimliche im Flieger schoß mit einem Strahl auf unsere Panzer! Grün wie das Meer war der Strahl!« Langsam schritten sie alle näher zu dem nackten Kurrgen, um ja kein Wort zu verpassen, alle hingen sie an seinen Lippen. Manch einem rollten Tränen über das grobe Gesicht. Ren Dhark glaubte sehen zu können, wie der General in sich zusammensackte. »Ich warf mich vor Euren Flaggpanzer, o mein General, um ihn mit meinem Körper vor dem Teufelsstrahl zu schützen!« Die Stimme des Nackten brach, er schlug sich mit den Fäusten an die Brust. »Bei meinem Leben, ich wollte ihn aufhalten, glaubt mir! Aber ich konnte es nicht, o weh, ich konnte es nicht! Seht mich an: Meine Uniform, meine Wäsche, meine Stiefel – alles zerfiel zu Staub! Wie ein Panzer nach dem anderen auch zu Staub zerfiel und wie auch euer Flaggpanzer zu Staub zerfiel, mein General!« Noreg schrie auf. Einmal, zweimal, dreimal, immer wieder. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und heulte wie ein getretener Hund. Heulend sank er in die Knie und hob wie flehend die Arme gegen die Kuppeldecke. So werden sie alle fromm, wenn sie genug kaputtgemacht haben, dachte Dhark. Ihm war übel. Wieder bebte der Bunkerboden. Noch immer schienen Waffenlager oder Treibstofftanks zu explodieren. »Feuer!« schrie der Nackte. »Überall im Bunker Feuer! Wir brauchen jede Hand, um es zu lö schen!« Wer von den Kurrgen noch laufen konnte, rannte aus dem Bunker. Nur die Verletzten und die Toten blieben zurück. Und Ge neral Noreg. Ein Haufen jammerndes Elend war er, weiter nichts mehr, lächerlich und überflüssig. Ren Dhark stiegt in den Flash. »Habe ich es dir nicht gesagt, Noreg?« wandte er sich ein letztes Mal an den General. »Der kleinste
und schwächste meiner Leute reicht aus, um dich und deine Armee zu besiegen…!« Er schaltete den Translator aus und zog die Luke zu…
6. Der Kontakt kam zustande, wie Vegas es prophezeit hatte. Wieder einmal ertönte das Signal der Tiefraumortung durch die Hauptzentrale des Ovoid-Ringraumers, ausgelöst von den Ener gieemissionen einer Sonne weit voraus. Diese Signale waren inzwi schen fast schon zur Routine geworden; man näherte sich einem Gebiet größerer Sterndichte. Dennoch war es diesmal anders. »Sir!« Thomas Sperl musterte stirnrunzelnd seine Anzeigen. »Was gibt es, Fähnrich?« Der neben Sperl sitzende Tasterspezialist, Funkobermaat Kano Dumbo, drehte sich seinem Auszubildenden zu. »Ich registriere hier eine Abweichung, Sir.« »Mann, Kadett«, sagte Dumbo fast beschwörend, »sind Sie sicher, daß es sich nicht wieder um eine Sonne handelt?« Es war ein gut gemeinter Rat, dennoch empfand ihn der Fähnrich als Angriff auf seine Integrität, und er überlegte Sekundenbruchteile lang, ob er seinem Ausbilder von der Beobachtung berichten sollte. Dann er wachte der Trotz in ihm – außerdem schienen ihm die Meßwerte recht zu geben. Er war sich einfach sicher, in der Informationsflut der Langreichweitentaster eine Anomalie registriert zu haben. Trotzdem vergewisserte er sich noch einmal, keinem Irrtum aufgesessen zu sein. Er bedauerte, daß er nicht per Gedankensteuerung mit dem Hy perkalkulator kommunizieren durfte, das hätte die Sache vereinfacht – und beschleunigt. »Was versprechen Sie sich davon…« begann Dumbo. Ein Blick auf Sperls angespannte Miene ließ ihn jedoch verstummen. Der Fähnrich tippte eine Folge von Befehlen, die der Hyperkalku lator in Gedankenschnelle mit dem Schreiben von Koordinaten und Zeitangaben beantwortete.
»Darf man endlich erfahren, wonach Sie suchen, Kadett?« »Mir war, als hätten die Taster neben der Hyperstrahlungssignatur der Energieemission eines Sterns auch eine Strukturerschütterung geortet, sehr schwach, fast weich, so als würde sich jemand aus den Hyperraum stehlen«, war Sperls trotziger Kommentar. »Sie meinen, die Strukturtaster haben einen Transitionsvorgang gemessen, ohne daß sie Alarm schlugen? Ein Schiff, das in den Hy perraum eintauchte – oder ihn verließ?« »Nicht ein Schiff, Sir. Eine ganze Gruppe.« Dumbos Miene sprach aus, was den Obermaat bewegte: Zweifel. »Sind Sie sicher?« »Sehen Sie selbst!« Dumbo holte sich die Informationen, die Sperl dem Hyperkalku lator entlockt hatte, auf seine Seite der Konsole. Er studierte sie fünf Sekunden lang. Dann hatte er genug gesehen. »Kapitän!« Seine Stimme klang alarmierend. »Was gibt es, Mister Dumbo?« »Transitionsechos auf…« Er rasselte die Koordinatenbestimmung herunter. »Ich glaube, wir haben sie.« »Rein oder raus?« »Wiedereintrittssignaturen, Sir!« »Und warum erfolgte kein Alarm?« Die Frage richtete sich an den Dritten Offizier. »Vermutlich ist man in der Lage, die Transitionsvorgänge zu dämpfen, wie es die nogkschen Schiffe zu tun in der Lage sind, Ka pitän«, mutmaßte Kerim Bekian. »Vielleicht waren wir auch einfach noch zu weit weg. Oder etwas hat unsere Ortung gestört.« »Mhm…« Vegas runzelte die Stirn. »Nummer Eins. Kurs auf den Wiedereintrittspunkt.« »Springen?« »Sternensog, Mister Monro«, knurrte Vegas. »Wir wollen unsere Ankunft doch nicht an die große Glocke hängen.« »Aye, Sir.«
Der Sublichteffekt war in der Lage, ein Raumschiff bis dicht an die Grenze der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Erzeugt wurde er durch ringförmig auf der inneren Außenwand angeordnete Pro jektoren, die auf einen gemeinsamen Mittelpunkt ausgerichtet waren und einen Brennkreis schufen, der das Schiff vorantrieb. Erhöhte sich die Antriebsleistung, verjüngte sich der Brennkreis zu einem Brennpunkt. Dabei entstand der Sternensog, der in der Lage war, einen Raumer in ständiger Beschleunigung bis weit über Lichtge schwindigkeit zu bringen. Daß dabei das Raumschiff nicht das Normaluniversum verließ und in Transition ging, war dem Inter vallfeld zu verdanken, das erst abgeschaltet werden mußte, ehe ein Ringraumer »springen« konnte. Die ANZIO beschleunigte mit einer unglaublichen Kraft, die nur in Zahlen auszudrücken war, ohne daß man sich ihrer im Inneren des Schiffes wirklich bewußt wurde. Lediglich an den verwaschenen Linien der näheren Sterne konnte man die Geschwindigkeit erahnen. Als die ANZIO wieder abgebremst wurde, orteten die Hypertaster eine Reihe von Objekten, die sich durch das All bewegten. Raumschiffe! Vegas fixierte aus schmalen Augen die Bildfläche auf seiner Kon sole, auf der die Daten der Ortung zu sehen waren. Der Hyperkal kulator konnte zunächst aufgrund der nur marginal eingehenden Daten das, was von den Tastern eingefangen worden war, nur als eine grobe schematische Darstellung innerhalb der gekrümmten Fläche der Bildkugel darstellen. »Mister Bekian. Verbessern Sie die visuelle Darstellung«, sagte er in das Verebben des Signals hinein. Die fernen, blinkenden Punkte wuchsen zu Raumschiffen an, zu einer Flotte von Schiffen zwischen 200 und 400 Metern Größe. Es waren eigenartige Objekte, im Aussehen so ganz anders, als man es von Raumschiffen gemeinhin gewohnt war. »Gefechtsbereitschaft, Sir?« fragte Monro.
Vegas winkte ab. »Nicht zu diesem Zeitpunkt«, erwiderte er. »Für unser Schiff besteht generell keine Gefahr. Aus der Untersuchung der im Munro-System gefundenen Trümmerreste der zerschossenen caldarischen Raumschiffe ergab sich, daß ihre Technik der unseren hoffnungslos unterlegen ist.« »Wenn sie nicht inzwischen einen Innovationssprung gemacht hat«, gab Monro zu bedenken. »Wie lange ist die Schlacht im Mun ro-System her? Vier Jahre? Fünf?« »Vier«, antwortete der weißhaarige Offizier mit dem jugendlichen, markanten Gesicht, »fast auf den Tag genau. Erklären Sie mir, auf welche Weise es ein Volk schaffen könnte, in dieser kurzen Zeit seine Technik auf ein Niveau zu bringen, das dem unseren gleicht.« »Das kann ich nicht«, gestand der Erste Offizier ehrlicherweise. »Ich auch nicht«, schloß Roy Vegas. Fähnrich Mandrake, als Kopilot am Steuerpult des Navigators sit zend, stieß zischend die Luft aus, als sich die ungewöhnlichen Raumflugkörper deutlicher zeigten. »So etwas bekommt man auch nicht alle Tage zu sehen. Zumindest nicht als Raumschiff.« Was sich da in der großen Bildkugel und in allen angeschlossenen kleineren abzeichnete, waren vielflächige Objekte, mit Ecken und Kanten, scharfen Abbrüchen und glatten Flächen. Entfernt erinner ten sie an atmosphärengebundene Flugobjekte mit weitgespannten Tragflächen. Das fand auch Timulin Mandrake, der als angehender Raum schiffspilot eine ausgeprägte Vorliebe für Luftfahrzeuge der ehema ligen Militärmächte auf der Erde an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert hatte. »Eindeutig Tarnkappentechnik«, sagte er forsch, »wie dieser Tasso Cazzigianni richtig erkannte. Mit dieser Bauweise, die Radar- und Ortungsstrahlen ablenkte oder schluckte, war man für die gegneri sche Verteidigung nicht anmeßbar. Solchermaßen ›versteckte‹ Flug zeuge konnte man nur optisch erkennen, aber dann war es bereits zu
spät für eine erfolgreiche Abwehr.« »Hier hat man das System auf die Spitze getrieben«, sagte Ron Nozomi anerkennend. »Laut den Berichten der ULRICH WALTER konnte man die Calda-Flotte nur aufgrund der Emissionen der Ab wehrschirme und des Waffenfeuers orten.« »Daran ist die Form der Schiffe aber völlig unschuldig«, warf Ve gas ein, der mit seinen 78 Jahren noch vor der Jahrtausendwende geboren war und über die militärische Tarnkappentechnologie der damaligen Vereinigten Staaten von Amerika besser Bescheid wußte als jeder Mann an Bord der ANZIO. »Nein, meine Herren. Sie sitzen einem Trugschluß auf, wenn Sie das ernsthaft glauben, um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen. Rücken wir das Ganze mal ins rechte Licht. Mister Bekian, wie weit ist die Flotte von uns entfernt?« »Zweieinhalbtausend Kilometer, Sir.« »Das heißt also, wir könnten sie auf keinen Fall mit unseren eige nen Augen wahrnehmen?« »Schwerlich, Kapitän.« Vegas nickte. »Und warum sehen wir sie doch?« »Weil unsere Taster sie erfassen.« »Wie jetzt? Ich denke, die Tarnkappenform verhindert eine Erfas sung durch Ortungsstrahlen jedweder Art? Und die modifizierte Ortung haben wir doch noch gar nicht eingesetzt. Kann es sein, daß Sie etwas vorschnell geantwortet haben?« »Hmm…« Der Dritte Offizier kratzte sich an der Schläfe und grinste unsicher. »Sie haben recht, Kommandant…« begann er. »Natürlich habe ich recht«, schnitt ihm Roy Vegas das Wort ab. »Daß wir die Flotte auf unseren Schirmen sehen, bedeutet, daß sie ohne Tarnung durch das All fliegt und deshalb für unsere Ortung erfaßbar ist. Die besondere Bauweise ihrer Hüllenstruktur hat also mit dem Tarneffekt überhaupt nichts zu tun. Ihren gesunden Opti mismus in allen Ehren, meine Herren Offiziere. Was die Caldarer tatsächlich für unsere Ortung – und wahrscheinlich auch für die anderer Völker – unsichtbar werden läßt, ist nichts weiter als ein
wirklich guter Tarnschirm. Und glauben Sie mir, dem ist es sowas von egal, welche noch so ausgefallene Form er vor neugierigen Tas tern verbirgt.« »Jetzt haben Sie’s uns aber mal gegeben, Skipper«, schmunzelte Olin Monro und klatschte lautlos in die Hände. »Von Zeit zu Zeit ist es hilfreich, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.« »Finde ich auch«, gestand der Hauptmann, der sich an der ganzen Tarnkappendiskussion nicht beteiligt hatte, weil er von vornherein erkannt hatte, daß der Kommandant seine Kollegen mit Absicht aufs Glatteis hatte führen wollen. Die Flotte der Calda-Schiffe behielt unbeirrt ihren Kurs bei. Ein Zeichen, daß das Auftauchen der ANZIO in diesem Sektor des Raumes nicht von ihr bemerkt worden war. Denn im Gegensatz zu den Caldarern flog die mit aktiviertem Ortungsschutz. Vegas wandte sich an Kano Dumbo. »Gibt es irgendwelche An zeichen dafür, daß die caldarischen Schiffe uns bemerkt haben?« Der Funkobermaat blickte angestrengt auf die Anzeigen seiner In strumente und schüttelte schließlich energisch den Kopf. »Nein, Sir. Da ist nichts zu erkennen. Keinerlei Anomalien in den Energiesig naturen von Ortung, Waffensystemen oder sonst etwas, das darauf hinweisen könnte, daß sie uns auf ihren Schirmen hätten.« »Gut«, murmelte Vegas. »Sie fühlen sich offenbar unentdeckt und sicher«, sagte Monro halblaut, »und sehen nichts Fremdes weit und breit.« Vegas machte ein unbestimmtes Gesicht. »Wäre möglich!« meinte er. Sein ausgefeilter Tarnschutz verbarg das terranische Flottenschul schiff wirksam vor einer Ortung durch die Caldarer. Die schienen tatsächlich völlig ahnungslos zu sein. Zumindest konnten die Abtaster nicht entdecken, daß an Bord der Flotteneinheiten irgendwelche Maßnahmen zur Abwehr oder für einen Angriff getroffen wurden.
»Was machen wir, Skipper? Was haben Sie vor?« »Wir bleiben getarnt auf Kurs«, erwiderte Vegas mit Nachdruck. »Etwas sagt mir, daß sie uns geradewegs zu ihrem Heimatsystem führen.« Eine Einschätzung, die Vegas nicht leichtfertig getroffen hatte. Monro sah ihn von der Seite an. »Ihre Ruhe möchte ich haben, Skipper.« »Bitte, wenn Sie auch meine Verantwortung übernehmen, schlage ich Sie bei unserer Rückkehr als meinen Nachfolger vor.« »Und Ihren Humor!« griente der Erste Offizier kopfschüttelnd. »Den werden Sie von allein bekommen, wenn Sie erst mal mein Alter erreicht haben, Nummer Eins.« Die ANZIO passierte mit leichter Überfahrt die caldarische Flotte und hatte sich bereits wieder eine astronomische Einheit von ihr entfernt, als die Ortung sich meldete. »Die Schiffe erhöhen ihr Energieniveau. Sie beschleunigen«, mel dete Thomas Sperl. »Sie nehmen vermutlich Anlauf für die nächste Transition«, mut maßte Hauptmann Bekian von seinem Platz aus und ließ seinen Schirm nicht aus dem Blick. Vegas sah das genauso. »Bereiten Sie alles vor, damit wir der Flotte mit Sternensog folgen können, Mister Godel!« wies der Komman dant des Flottenschulschiffes seinen Navigator an. Einige Augenblicke lang geschah gar nichts. Schließlich erreichte die caldarische Flotte die für eine Transition nötige Geschwindigkeit und verschwand im Hyperraum. »Unsere Taster konnten die Strukturerschütterung anmessen!« meldete Fähnrich Sperl wenige Sekunden später. »Wo liegt der Austrittspunkt?« »Knapp acht Lichtjahre von hier entfernt, Kommandant«, gab Sperl Auskunft. »Dort gibt es ein Sonnensystem mit mehreren Planeten.« »Ihr Ziel vermutlich«, kommentierte Olin Monro. »Es ist denkbar«, nickte Vegas. Er wandte sich an den Navigator.
»Nummer Zwei, gibt es Unterlagen, daß es sich um ein bekanntes System handelt?« »Keine, Kapitän. Es ist kein Stern mit diesen Koordinaten ver zeichnet.« »Nachdem das geklärt ist… voller Tarnschutz.« »Ist aktiviert!« »Folgen Sie der Spur, Mister Godel«, wandet sich Vegas erneut an seinen Zweiten Offizier. »Ich bin neugierig, was uns erwartet.« * Die ANZIO setzte sich auf die Fährte des Verbandes caldarischer Schiffe. Mit Sternensog raste sie durch den Normalraum, eingehüllt in den Mikrokosmos ihres Doppelintervallums und versteckt hinter ihrem Tarnfeld. Für kurze Zeit sah die Besatzung, zumindest der Teil, der sich in der Nähe eines Sichtschirmes oder einer Bildkugel aufhielt, wie sich ein feiner Schleier um das Schiff verdichtete; Materie, die vom Intervallum von der Hülle ferngehalten wurde. Das Licht der Sterne um das Schiff hatte einen eigenartigen Glanz, als schiene es durch eine gebrochene Linse. Geräusche und Signale bewiesen, daß die ANZIO abbremste und auf Unterlichtfahrt fiel. Das Schiff hatte die Entfernung von acht Lichtjahren in gewohnt kurzer Zeit zurückgelegt. Der Ovoid-Ringraumer stand, wie Berechnungen und der Augen schein bewiesen, dicht vor einem Planetensystem mit einem trüben roten Zentralfeuer, das etwa die doppelte Masse Sols aufwies. Weit vor dem Flottenschulschiff verschwand der caldarische Ver band in der Tiefe des Systems, angestrahlt vom Licht der roten Son ne. Die ANZIO, die eine etwas erhöhte Position zur Ekliptik einnahm, blieb außerhalb der Umlaufbahn des äußeren Planeten, von dem sie
nicht mehr als eine Astronomische Einheiten entfernt war. Das war einmal die Entfernung Erde-Sonne. Eine riesige Entfernung, wenn man sich beispielsweise in einem heliozentrischen Bezugssystem befand. Aber ein Nichts in der Unendlichkeit des Weltraumes, in dem selbst ein Sternencluster von mehreren zehntausend Sonnen nicht viel mehr als einen Staubfleck darstellte. Das System bestand aus insgesamt 16 Planeten, gab die Ortung bekannt. Die Lebenszone lag zwischen Planet IV und IX. Planet VII war eine erdähnlich Welt, verfügte über eine Sauerstoffatmosphäre, ausgedehnte Meere, ausgeprägte Polregionen und ein ziemlich kühles Klima. »Ob das die Heimatwelt der Caldarer ist, Skipper?« Monro deutete auf den Planeten, der sich in die zentrale Bildkugel schob. Er war vorwiegend blaugrau und schmutzigweiß; Wolken und langgestreckte Formationen von Wasserdampf warfen dunkle Schatten auf die Oberfläche. »Hat den Anschein«, versetzte Oberst Vegas, als wisse er nicht, daß schon mancher Anschein getrogen hatte. »Schaut euch das an!« sagte Hauptmann Ron Nozomi fast er schrocken, nachdem er eine Weile die von der Ortung ausgewählten Bildsequenzen studiert hatte. »Dieser Planet scheint ja heißbegehrt zu sein. Kommandant, dort finden schwere Kämpfe statt!« Der Einschätzung Nozomis konnte der Oberst nicht widerspre chen. Der Weltraum um Planet VII »explodierte« förmlich vor Aktivitä ten, die rein kriegerischen Charakter hatten. »Ich glaube das einfach nicht!« fuhr Nozomi fort und wandte sich der Hauptsphäre zu, die Bilder der Raumschlacht zeigte. »Ich glaube es auch nicht«, erwiderte der Kommandant nachsich tig, »und ich habe auch keine Erklärung dafür, was dort draußen vor sich geht… falls das Ihre nächste Frage gewesen sein sollte, Nummer Vier.«
»Sie können Gedanken lesen, Kommandant?« »Natürlich. Wußten Sie das nicht?« war Vegas’ selbstverständliche Erwiderung. Im Augenblick bewegte sich ein großer Verband – die Ortung be zifferte die Anzahl der Schiffe auf 70 – in direktem Kurs auf den hintereinander gestaffelten Abwehrriegel zu, der von den 38 Schiffen gebildet wurde, deren Spur die ANZIO bis hierher gefolgt war. Ihre Energiesignaturen hatte der Hyperkalkulator längst gespeichert – sie waren so unverkennbar wie Fingerabdrücke – und ihnen eindeutige Unterscheidungsparameter zugewiesen. Die Armada von 70 Kampf schiffen, mit marginalen Abweichungen und Veränderungen den noch Pendants zu den Tarnkappenraumern, näherte sich ihren Zie len pausenlos feuernd bis auf eine unglaublich geringe Distanz und suchten den äußeren Abwehrring in einem gewagten Manöver zu durchbrechen, ehe sie im letzten Augenblick vom Strahlengewitter der konzentriert feuernden Tarnkappenschiffe zurückgeworfen wurden. Balkendicke Energiebahnen zuckten durch den Raum, trafen ihre Ziele. Die meiste Energien wurden von Abwehrschirmen aufgefangen und verpufften an der Peripherie der Felder, ohne Wirkung zu er zielen. Das Ergebnis war ein Katarakt an lautlos aufzuckenden Strahlen, die sekundenlang das Licht der Sterne überlagerten. Aber wenn sie die Schirme knackten, sprang die Kettenreaktion atomarer Zerstörung durch sämtliche Decks und zerstrahlte alles in seine elementarsten Teilchen. »Ich kann mich ja irren«, ließ sich Monro erstaunt hören, »aber findet hier nicht ein Bruderkrieg statt? Wie es den Anschein hat, kämpfen Caldarer gegen ihresgleichen!« »Sowas soll schon vorgekommen sein«, erwiderte Roy Vegas, und seine Mundwinkel zuckten. »Nehmen Sie nur unsere eigene Ge schichte noch nach der Jahrtausendwende, als es noch Hunderte von souveränen Nationalstaaten auf der Erde gab und fast jeder mit sei
ner eigenen Militärmacht drohte oder auch zuschlug, wenn ihm irgendwas am Nachbarn nicht gefiel.« Die vom Hyperkalkulator der ANZIO errechnete Situationsanalyse zeigte die Positionen der Schiffe im System an, sowohl die der Ver teidiger als auch der Angreifer. Dazwischen schwärmte der glitzernde Funkenregen unzähliger Kampfgleiter und Korvetten wie Sternenflitter. Im Orbit um den siebten Planeten massierten sich die roten Symbole, die der Hyper kalkulator der ANZIO für die feindlichen Schiffe kreierte, zu kon zentrischen Ringen. Dutzende der 400-Meter-Giganten der Caldarer patrouillierten durch den interplanetarischen Raum auf der Suche nach den Raum jägern aus den Schiffen der Verteidiger, die sich erbitterte Kämpfe mit den Kampfgleitern der angreifenden Partei lieferten. Die Tasteranalyse offenbarte aber noch etwas anderes: Die kleinere der beiden Flotten war bereits ziemlich dezimiert. Nicht nur, daß sie von Anfang an ihrem Kontrahenten an Zahl unterlegen war, sie hatte auch ein Defizit in der Wirksamkeit ihrer Waffensysteme und der Effektivität ihrer Schutzschirme. »Sir«, zeigte Hauptmann Godel seine Verwunderung offen, »die Angreifer sind weit besser bewaffnet als die Verteidiger. Die Taster registrieren Raptor- und Pressoreinsatz.« Er pfiff leise durch die Zähne. »Da hat man aber ganz schön in die Trickkiste gegriffen. Fehlt nur noch, daß sie über Kompaktfeldschirme und Tremb le-Schock verfügen. Sollte der intergalaktische Waffenhandel schon bis hierher gedrungen sein?« Sein Erstaunen war nachvollziehbar. Beide Waffensysteme waren eine Hinterlassenschaft der Giant-Technologie, die auf jedem Schwarzmarkt der Galaxis hor rende Preise erzielte. Raptorstrahler beispielsweise waren in der Lage, einem damit attackierten Raumer die Energie seiner Schutz schirme zu entziehen und dem Energiehaushalt des eigenen Schiffes zuzuführen. Um mehrere Potenzen höher waren die Pressorstrahler
angesiedelt. Es handelte sich um eine Schwerkraftwaffe, deren Strahlen sogar Intervallfelder zu knacken imstande waren. Seit ge raumer Zeit schon vermuteten die Hyperphysiker der TF deshalb eine energetische Verwandtschaft von Pressorstrahlen und Inter vallum. Die ANZIO hielt strikt ihre Position außerhalb der Planetenbah nen. Sämtliche Taster und Ortungssysteme überwachten den Raum innerhalb des Systems. Obwohl getarnt, hatte Vegas volle Alarmbereitschaft für das Flot tenschulschiff angeordnet. Alarmbereitschaft bedeutete, daß sich jeder Mann an Bord be waffnen mußte. Die Wuchtkanonen in ihren dreh- und schwenkbaren Geschütz türmen waren ebenso einsatzbereit wie die Abstrahlantennen von Dust-, Strichpunkt- und Nadelstrahl. Die Taktikrechner in den Waf fenstationen mit ihren hyperschnellen Ortungs- und Zielerfas sungstastern waren über den Zentralrechner direkt zum Feuerleit stand geschaltet, vor dem der Feuerleitoffizier auf den Einsatzbefehl des Kommandanten wartete. Kein fremdes Raumschiff würde die ANZIO in dieser Konfiguration überraschen, mochte der Angriff auch noch so schnell und unversehens über die Bühne gehen. Und erneut wechselten die Bilder in der Zentrale, die Bildkugeln zeigten nun Ausschnitte jener Bereiche des Alls, in der die Raum schlacht zwischen den beiden Flotten mit unverminderter Heftigkeit weiterging. Aus dem Hauptkampfgebiet hatten sich ein paar Schiffe abgespal ten und sich einen Sektor ausgesucht, der in etwa in Richtung der hinter ihrem Tarnfeld verborgenen ANZIO lag. Vegas befahl per Gedankensteuerung dem Hyperkalkulator, die drei Schiffe in den Fokus der Hauptbildkugel zu bringen. Die wie riesige Atmosphärenflugzeuge geformten Schiffe der angreifenden Partei setzten sich hinter das einzelne Kampfschiff der Verteidiger und nahmen es in die Zange. Dann aktivierten sie ihre
Strahlkanonen. Der caldarische Pilot, wenn es denn einer war und nicht eine Künstliche Intelligenz das Steuer führte, hatte hervorragende Refle xe. Er zog sein Schiff in einer vertikalen Bewegung steil nach »oben«, so daß die erste Doppelsalve ins Leere ging. »Oho!« knurrte Nozomi und strich über seine kammsparende Igelfrisur. »Die Jagdzeit hat begonnen. Wem sollen wir jetzt viel Glück wünschen?« »Was weiß ich«, murrte der Navigator. »Wie war’s mit uns?« schlug der Astrogator vor. »Stellen Sie sich vor, wir geraten aus Versehen zwischen die Fronten. Irgendwie habe ich die Vorstellung, daß es ein Treppenwitz der Geschichte wäre, wenn wir im Rahmen einer Kampfhandlung Dritter die Leidtra genden wären.« Vegas schwieg. Auch eine Art Streßbewältigung, dachte er bei sich. Jetzt trennten sich die beiden Angreifer. Einer tauchte nach »un ten« weg, das zweite Schiff hob sich mit zuckenden Strahlkanonen »über« das verfolgte Raumschiff. Der Erste Offizier wiegte den Kopf, als er sah, was die beiden vorhatten. Von zwei Seiten tasteten sich ihre Strahlbahnen auf das Opfer zu, das alles aufbot, um der Umklammerung zu entrinnen. Der fremde Pilot zwang sein Schiff in eine Art Korkenzieherbewe gung und entkam so den Energiestrahlen. Dann wendete er und ging in eindeutig selbstmörderischer Absicht auf Kollisionskurs zu den Gegnern, die sich rasend schnell näherten, dabei bot er alles auf, was an Strahlantennen ausgefahren und eingesetzt werden konnte. Es war nicht genug. Er war hoffnungslos unterbewaffnet. Die leuchtenden Bahnen aus den Drehstrahlern der Verfolger ver einigten sich vor dem Schiff. Eine sprühende, flammende Wand entstand im All, als die entfes selten Energien in die Bugschirme schlugen und sie durchbrachen. Die Schutzschirme flackerten und brachen vollständig zusammen. Dann blähte sich das Schiff auf. Eine gewaltige Feuerlohe schlug aus
der Hülle, ganze Teile der Wandungen wurden herausgerissen und ins All geschleudert. Das, was einmal ein Raumschiff gewesen war, flog als glühende Trümmer in alle Richtungen davon. Die beiden Verfolger drehten ab und kehrten zur Hauptflotte zu rück. Hauptmann Olin Monro gab ein Geräusch von sich, das seinen Unmut ausdrückte. »Wollen wir wirklich untätig hier herumsitzen?« richtete er seine Frage an die Adresse des Kommandanten. Eine leichte Nervosität, gepaart mit einer Portion Ungeduld, war ihm deutlich anzumerken. Vegas konnte ihn verstehen, sein Gefühl drängte ihn selbst, sich einzumischen, die Gewichtung zugunsten des Schwächeren der beiden Kontrahenten zu verändern. Aber was war damit gewonnen? Vegas drehte seinen Sessel und blickte dem Hauptmann gerade wegs in die Augen. »Es bleibt dabei«, bekräftigte der Mann aus New York und ehema lige Kommandant der ersten terranischen Marsexpedition. »Wir rühren uns nicht. Dies ist eine durch und durch inner-caldarische Angelegenheit, in die einzugreifen wir keine wie auch immer gear tete Berechtigung haben. Solange wir nicht angegriffen werden, halten wir uns raus. Verstanden?« * »Ich wüßte zu gerne, was hier abläuft«, bekannte Jay Godel, und seine tiefblauen Augen unter dem Schopf schwarzer Haare sahen den »Marsianer« auffordernd an. »Ihre Einschätzung, Kommandant! Worum geht es bei diesem Krieg?« Vegas drehte seinen Sessel ein wenig. »Wenn wir das wüßten, wären wir alle ein Stück klüger, Nummer Zwei. Es kann vieles sein – oder auch nichts. Kriege wurden und werden aus den unmöglich sten Gründen geführt. Dennoch…« Er hielt inne und nahm die Un terlippe zwischen die Zähne. Dann fuhr fort: »Ich frage mich, ob es
sich bei dieser Auseinandersetzung eventuell um territoriale Ans prüche dreht.« »Um den Planeten etwa?« warf Olin Monro in die Debatte. »Warum gleich so groß? Vielleicht um etwas auf dem Planeten, Mister Monro«, antwortete der Kommandant nachdenklich. »Was könnte es da geben?« »Finden wir es heraus. Mister Bekian, Tastererfassung der Ober fläche!« »Aye, Sir.« Am Schlachtengetümmel draußen im All hatte sich nichts geän dert. Gerade zog ein Pulk Angreifer diagonal über den sichtbaren Ausschnitt, dem sich eine stark dezimierte Formation Verteidiger der Calda-Flotte mit grell feuernden Energiekanonen in den Weg stellte und ein Schiff des gegnerischen Verbandes in lodernden Staub verwandelte. »Wo bleiben die Bilder, Bekian?« mahnte Vegas seinen Dritten Of fizier. »Kommen, Sir.« Das Schiff hatte die hochempfindlichen Taster auf den Planeten ausgerichtet. Die optischen Subsysteme wandelten die Informatio nen der Taster in Bilder um. Erste Einzelheiten zeichneten sich in den Bildkugeln und auf den Schirmen ab. Die Oberfläche schob sich in das Blickfeld von Instrumenten, Tastern und Augen. Über die südliche Hemisphäre erstreckte sich eine gewaltige, rhombusförmige Landmasse aus Hochebenen und Gebirgen. Daz wischen tiefe Schluchten, die wie Axthiebe eines Riesen die Land schaft spalteten. Jenseits des planetaren Äquators erstreckten sich über die Nord hälfte ein Kontinent von etwa der doppelten Größe der südlichen Landmasse und zahllose, von Eis bedeckte Inseln, die bis hoch in die Polregion reichten. In den abgetasteten Regionen ließen sich nur kleine Kolonien ausmachen, die offenbar irgendwelche Bodenschätze abbauten.
Größere Städte, Metropolen oder gar Megalopolen waren keine zu finden. Olin Monro blinzelte ungläubig, dann schüttelte er den Kopf. »Nichts, wofür es sich lohnt, einen Krieg vom Zaun zu brechen!« Vegas runzelte die Stirn. Nachdenklich sagte er: »Es macht eigent lich nur Sinn, wenn wir davon ausgehen, daß dieser Planet nicht Calda ist, sondern eine abtrünnige Kolonie, die vom Hochrat zur Räson gebracht wird.« Der Erste Offizier nickte. »Auf recht drastische Weise, wie man sieht.« Auf einen Befehl Vegas’ hin wechselte die Ansicht in der großen Bildsphäre wieder. Die Taster nahmen erneut den Bereich des Alls ins Zentrum des visuellen Bereichs, in dem die Kampfhandlungen unvermindert weitergegangen waren und offensichtlich einem Ende zusteuerten. Der größere Flottenverband holte zum entscheidenden Schlag aus. Er vollführte ein kompliziert aussehendes Manöver, zog sich scheinbar zurück, nur um sich plötzlich wie eine gigantische Blüte zu öffnen und die Verteidiger einzuschließen. Den Blütenstempel bil deten die großen Schiffe, während die Blütenränder von schnellen, agilen Einheiten geformt wurden, die die überraschten Gegner überrannten und gegen den Planeten drückten, wodurch sie ihnen jede Rückzugsmöglichkeit wegnahmen. Dann schloß sich die Blüte wie bei einer fleischfressenden Pflanze, und der Pulk der Angreifer eröffnete das Feuer. Ein leuchtendes Strahlengewitter zuckte auf die jeder Fluchtmöglichkeit beraubten Eingeschlossenen zu, traf und verwandelte ein Raumschiff nach dem anderen in Wolken von glühendem Staub. In der Schwärze des Weltraums leuchteten Explosionswolken wie Farbkleckse, als die Schiffe regelrecht zerplatzten. Das düstere, schreckliche Schauspiel einer gnadenlosen Vernich tung durch einen überlegenen Gegner. Niemand schien dem Inferno zu entkommen. Niemand?
Wie alle an Bord der ANZIO hatte auch Fähnrich Sperl die im All ablaufende Katastrophe verfolgt, mit einem Auge auf die Bildkugel schielend, mit dem anderen seine Anzeigen beobachtend. Und so entging ihm der verwaschene Orterimpuls nicht, den die Taster in all dem Tohuwabohu an Energieausbrüchen registrierten. Eingedenk seiner Verantwortung versuchte er herauszufinden, was er bedeu tete, war aber aufgrund seiner bislang doch recht geringen Ausbil dungsdauer an dem Gerät nicht dazu in der Lage, weshalb er den Impuls umgehend dem Chef der Ortung zeigte, auch auf die Gefahr hin, wieder mal aufzufallen. Besser eine ironische Bemerkung riskieren als etwas zu übersehen, das sich im Nachhinein als äußerst wichtig herausstellte. Hauptmann Kerim Bekian erkannte sofort, daß im Inferno der un tergehenden Flotte offenbar einem Schiff eine Nottransition gelun gen sein mußte. Nachzuprüfen war es nicht, da der Wiederaus trittsimpuls im Energiechaos der explodierenden Schiffe unterge gangen sein mußte. Dennoch, Fähnrich Sperl bekam die Zusicherung eines lobenden Eintrags in seine Personalakte und einen roten Kopf, während der Kommandant die Suche nach dem geflohenen Schiff anordnete. Mit geringem Überlichtfaktor flog die ANZIO wieder in die Rich tung zurück, aus der sie gekommen war. In den Bildkugeln und auf den Schirmen funkelten die Sterne des kleinen offenen Sternhaufens, in dem das Calda-System vermutlich lag. Der Ovoid-Ringraumer durchflog Regionen mit Schleiern aus schwach leuchtenden Gasen. Die modifizierten Hypertaster arbeiteten mit voller Leistung, da man annahm, daß der Geflüchtete im Schutz seiner Tarnvorrichtung das Weite suchte. »Perfekt«, murmelte Kerim Bekian, dem ein einwandfrei funktio nierendes Ortungssystem die gleiche Begeisterung entlockte wie beispielsweise seinem Kommandanten der Anblick eines der legen dären Sportwagenboliden der Jahrtausendwende.
Das Flottenschulschiff drang tiefer in jenen Raumbezirk ein, den die caldarische Flotte bei ihrem Anflug durchquert hatte. Spannung breitete sich in der Hauptzentrale aus, verursacht von dem Warten darauf, ob und daß etwas geschehen würde. Die ANZIO hatte bereits ein knappes halbes Lichtjahr zurückgelegt… Erneut war es Thomas Sperl, der offenbar Geschmack daran ge funden hatte und seiner Belobigung noch eine weitere hinzufügen wollte – er entdeckte wieder als erster das Tasterecho. »Sir«, sagte er so lässig, wie es ihm die Aufregung erlaubte. »Re sonanzkontakt in Blau einszwodrei – Grün siebeneinsacht. Ge schwindigkeit des Objektes null…« »Ich hoffe, Sie haben nicht wieder irrtümlich eine Sonne aufges pürt, Fähnrich«, murmelte Funkobermaat Dumbo. »… Entfernung 24.000 Kilometer. Sieht nicht nach einer Sonne aus«, gab Sperl an Dumbo zurück. Es war in der Tat keine Sonne, sondern ein 400 Meter großes Raumschiff der Caldarer. »Junger Mann«, sagte Hauptmann Bekian anerkennend, »Sie scheinen ein Händchen dafür zu haben.« Sperl ärgerte sich, als er merkte, daß er erneut rot anlief. »Ich habe es nicht geglaubt«, meldete sich Olin Monro zu Wort. »Er hätte überallhin transitieren können.« »Es gibt ernsthafte Untersuchungen«, wurde er von Nozomi be lehrt, »wonach Flüchtende überwiegend Regionen aufsuchen, die sie kennen.« »Natürlich«, erwiderte Monro trocken. »Und Ren Dhark war auch schon da. Wofür halten Sie mich, Kerim?« »Sie wollen das nicht wirklich wissen, oder?« wehrte der Dritte Offizier mit einem flüchtigen Grinsen ab. »Meine Herren«, unterbrach Vegas, »ich brauche Einzelheiten über das Schiff. Können wir uns darauf konzentrieren?« Sie taten es. Der Raumer war schwer angeschlagen. Der Rumpf klaffte an vielen
Stellen auseinander. Weißer Dampf entwich – Atmosphärenreste aus den zerstörten Sektionen und Decks. Energetische Entladungen lie fen stroboskopartig über die Hülle, und in der Tiefe wüteten un heilvolle Feuer. Die Taster zeichneten immer wieder Explosionen an Bord auf. Keiner der Schutzschirme war noch aktiv. Offenbar ver suchten die Caldarer, deren Energien in den Tarnschirm umzuleiten. Angesichts ihrer Lage war das nur allzu verständlich; offenbar rechneten sie damit, daß ihre Verfolger jeden Augenblick auftauchen würden, um ihnen den Todesstoß zu versetzen. »Die Energiesignaturen sind höchst unregelmäßig«, meldete Hauptmann Bekian. »Das Schiff ist in der Tat in einem miserablen Zustand!« war Jay Godels Kommentar. »Es hat nur minimale Eigengeschwindigkeit.« Der Oberst nickte. »Es treibt.« Monro vermutete, daß die Besatzung des angeschlagenen Riesen eine weitere Transition versuchen wollte und hier nur ihre letzten Energiereserven mobilisierte. Sein Kommandant allerdings meldete in Anbetracht der über die Ortungssysteme hereinkommenden Daten seine Zweifel daran an, ob das überhaupt noch möglich war. »Was ist mit der Besatzung?« vergewisserte sich Vegas. »Die Biotaster identifizieren Lebenszeichen. Allerdings…« Bekian sprach nicht weiter. »Ja?« »Es gibt viele Signaturen, die sehr schwach ausgeprägt sind.« Vegas’ Gesicht verfinsterte sich leicht. »Sie haben sicher viele Verletzte zu beklagen, Sterbende höchstwahrscheinlich«, murmelte er. »Aber das werden wir genauer erfahren, wenn wir an Bord gehen.« »Sie wollen was?« wandte sich Godel an den Colonel, und seine Augenbrauen wanderten in die Höhe. »Zwei Leute an Bord schicken, um herauszufinden, wie wir ihnen helfen können – unter anderem.« Dieses »unter anderem« war der
Hauptgrund für Vegas’ Entschluß, einen Kontakt herzustellen. Er hatte sich seine nächsten Schritte sehr genau überlegt. Dieses hava rierte Schiff schien ihm geeignet, einiges über die caldarische Tech nik herauszufinden. »Warum stellen wir den Kontakt nicht gleich mit der ANZIO her, Sir?« Vegas winkte ab. »Weil«, antwortete er seinem Zweiten Offizier mit einer Spur nachsichtiger Geduld, »ich mich noch gut an die Be richte erinnere, wonach die Caldarer geradezu panische Reaktionen zeigten, als sie die ULRICH WALTER zu Gesicht bekamen.« »Verstehe, die Gefahr!« »Genau, was immer sich auch hinter diesem Begriff verbergen mag«, nickte der Colonel. »Deshalb dieser erste kleine Schritt, als Vorbereitung auf den großen.« »Nicht vertretbares Risiko«, wandte Monro ein. »Ich muß davon abraten, Skipper.« »Zu Kenntnis genommen, Nummer Eins«, sagte Vegas knapp. »Aber deswegen schicke ich Sie dennoch rüber zum Wrack. Sie ver stehen?« »Sir?« Olin Monro blickte überrascht. »Was, Nummer Eins? Haben Sie Probleme damit?« Monro zuckte die Schultern. »Natürlich nicht«, gab er zu verstehen. »Ich liebe Außeneinsätze, wie Sie wissen.« »Sage ich doch«, murmelte Vegas, und ein Lächeln spielte um seine Lippen.
7.
»… nun ja, offengestanden: Es war eine knappe Angelegenheit. Man glaubt ja immer, noch ein paar schöne Jahre vor sich zu haben. Alle, die in diesen Minuten vor einem Radarschirm gesessen haben, wissen, wovon ich spreche…« Dan Riker räusperte sich. Tausende von Kurrgen hingen an seinen Lippen. Und so etwas widerfuhr ausgerechnet ihm, dem Hasser großer Reden, dem Liebhaber der wohlüberlegten Tat. Was sollte er sagen? »Also, ich will nicht viele Worte machen… vielen Dank zunächst für den großartigen Empfang hier in Ihrer…« Er machte Kreisbewegungen mit der Rechten, als wäre ihm ein Wort entflohen, das er wieder einfangen wollte. »… in Ihrer Unterwasserstadt.« Wieder Blicke nach links und rechts, sein Fähnrich und sein Leut nant strahlten ihn an. Oder fixierten sie sein Kinn? Er rieb es sich; vermutlich rot angelaufen, na und? »Vielleicht ein paar Worte zu uns und unserem Heimatplanet…« Ob sie hier etwas anfangen konnten mit Begriffen wie »Peilstrahl«, »Gigasender« und »Babylon«? Ir gendwie mußte er sich verbal an ihre Vorstellungskraft heranpir schen, bevor er seine Fragen loswerden konnte, irgendwie eine kurze Erklärung der Lage der Dinge in der Heimatgalaxis abgeben. »Also, wir…« Sein Visiphon vibrierte. Halb überrascht, halb erleichtert blickte er auf das Gerät an seinem Handgelenk und erkannte Ren Dharks Ge sicht darauf. »Einen Moment bitte«, sagte er an seine Zuhörer ge wandt. Er schaltete den Translator aus und drehte sich um. Jetzt erst sah er die beiden herabgelassenen Projektionswände links und rechts des Wappens – und auf beiden seinen Rücken. »Hey, Ren! Was ist los? Bei uns läuft alles bestens…« Rasch faßte er die Ereig nisse der Tages zusammen. »Das trifft sich gut«, sagte Ren Dhark, als er hörte, daß Rikers Truppe sich mitten in einer Konferenz des theinischen Militärs be
fand. »Ich schicke dir was über Hyperfunk zu, ein paar Eindrücke von einer kleinen Nachmittagsspritztour. Wird dir gefallen. Und laß die Unterwasserkurrgen ruhig mithören und -sehen. Die Bilder hat die Außenkamera von 003 aufgenommen. Fähnrich Scaglietti – merk dir den Namen! – ist mit dem Flash durch den Luppen-Bunker ge flogen. Aller Staub, den du gleich sehen wirst, geht allein auf sein Konto.« »Was sagst du da?!« Dan Riker schwoll die Schläfenader. »Lup pen-Bunker? Du warst doch nicht etwa wieder bei…?« »Doch, war ich. Mit Scaglietti. Und General Sprengkopfschädel wird unseren Besuch so schnell nicht vergessen! Pack deinen Ho loprojektor aus, ich schicke dir die Aufnahmen. Und melde dich, sobald du Neuigkeiten hast!« Der Minibildschirm an Rikers Handgelenk verblaßte. »Verrückter Kerl, du…« zischte er. Doch es blieb keine Zeit, sich lange mit Ärger und Erstaunen über den alten Weggefährten aufzuhalten. Riker wandte sich wieder dem Plenum zu und schaltete seinen Translator ein. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, meine Herren. Das war unser Commander – oder Großadmiral, wie Sie Ren Dhark nennen würden. Er kommt eben von einer… ahm, einer Unterredung mit General Noreg zurück. Moment bitte…« Ein Raunen ging durch die Menge. »Was sagen Sie da, Dan Riker?« Der Reißverschluß des Mißtrauens sirrte durch Pirtiks und Doneks Minen. Riker bückte sich nach seinem Rucksack und kramte ein scheibenförmiges Gerät von zwölf Zentimetern Durchmesser und vier Zentimetern Höhe heraus; einen kleinen Hologrammprojektor. »Einer unserer Fähnriche… ist ein wenig durch die Bunkeranlage Ihres letzten Feindes geflogen und hat dabei Aufnahmen gemacht.« Er legte den Projektor auf den Tisch aktivierte ihn. Das Empfän germodul wurde ausgefahren – ein Kranz nach oben gebogener, goldener Röhrchen mit ebenfalls goldenen, zwei Millimeter durch messenden Kugeln an den Spitzen. Die drei Offiziere des Admirali tätstriumvirats runzelten die Stirnen.
»Commander Dhark ist der Ansicht, die Aufnahmen könnten Sie interessieren…« Riker drückte die Empfangstaste. Nach zwei oder drei Sekunden entstand ein Globus aus weißem, flirrendem Licht über dem Kugelkranz. Er hatte einen Durchmesser von ziemlich genau 50 Zentimetern. Ein Ausruf des Erstaunens ging durch den Saal. Dan Riker blickte über die Schultern nach rechts und links: Hinter ihm füllte ein Paar Hologrammkugeln ein Paar riesiger Pro jektionsflächen aus. Der Terraner, der selbst keine Ahnung hatte, was ihn erwartete, nahm Platz und blickte genauso angespannt auf die Bildkugel wie Tausende von Kurrgen im Saal und in allen fünf Kuppeln. Das Signum des Commanders der POINT OF leuchtete kurz im Hologramm auf, übergangslos dann die Innenansicht einer Halle: Laufbänder, Maschinen, hohe Regalreihen, Vehikel, die an Gabels tapler erinnerten, uniformierte Kurrgen, die hinter Maschinen und zwischen Regalen in Deckung gingen, und vor allem Gewehre. Ein zelteile von Gewehren in Regalen und auf Laufbändern, halbfertige Gewehre auf Laufbändern, fertige Gewehre in kleinen Kunststoff behältern. Aus dem unteren Rand des Bildvordergrundes zuckten auf einmal olivgrüne Strahlen in Regale, Fertigungsbänder und Ma schinen, wieder und wieder. Die Strukturen der getroffenen Regale und Maschinen lösten sich auf. Förderbänder rissen erst, brachen dann zusammen und verschwanden schließlich unter aufsteigenden Staubwolken. Containerwände wurden erst undicht, so daß Ge wehre durch sie hindurchrutschten, und vermengten sich dann mit dem Staub der fabrikneuen Gewehre. Pirtik hockte kerzengerade auf seiner Stuhlkante und fixierte die Bildkugel aus schmalen Augen. Donek und Gesnil waren aufgesp rungen und stützten sich mit den Fäusten auf den Tisch. Ihre Lippen bebten, während sie die Ereignisse im Hologramm beobachteten. Rufe aus dem Plenum wurden laut, ein Schrei ging durch die Menge, als die Kamera auf eine Wand zustürzte, und »Ah!« und »Oh!« schallte aus allen Sitzreihen, als sie durch die Wand glitt und sich auf
entsetzte Kurrgen richtete, die ihre Kontrollplätze an Fertigungsan lagen fluchtartig verließen. Und wieder die grünen Strahlen, wieder und wieder. »Das ist…« Pirtik schluckte. »Das ist eine Fabrikationsanlage für nukleare Sprengköpfe…« Staubwolken erhoben sich über zusam menfallenden Aggregaten, Förderbändern und Transportwagen voller Sprengköpfe. Nur Haufen und Schwaden von Staub blieben zurück, als die nächste Wand in den Bildvordergrund stürzte. »Dan Riker!« Der Großadmiral kämpfte mit seiner Fassung. »Ist das wahr, was ich hier sehe, oder täuschen Sie uns mit einem Trickfilm…?!« »Sehen wir uns die Bilder erst mal an«, sagte Riker unfreundlich. »Und danach können wir von mir aus streiten.« Im selben Augen blick machte er sich klar, wie leicht der Schuß nach hinten losgehen konnte, denn möglicherweise überforderte diese Show Intelligenzen, die keine Ahnung von Hologrammempfängern und Duststrahl hat ten; und schon gar keine von Phänomenen wie dem Intervallum. Der Rumpf einer riesigen Rakete glitt durch das Bild. In einem Schacht stand sie, einem Abschußsilo, und war gut fünfzig bis sech zig Meter hoch. Unten im Plenum sprangen Kurrgen auf und be gannen wütend zu schreien. »Noreg, dieser Teufel!« brüllte Donek. »Er hat noch mehr dieser Raketen!« Im nächsten Moment schon ver stummte das Geschrei – der Raketenrumpf fiel in sich zusammen, löste sich in Splitter, Fetzen und Staub auf. Es war, als würde man den Tausende von Jahren währenden Rostzerfall eines Metallkörpers in einem Zeitraffer von wenigen Sekunden sehen können. Jubel erhob sich jetzt im Plenum. Die Kamera raste auf die nächste Wand zu. Plötzlich ein pinkfarbener Strahl, und fast zeitgleich ver hüllte ein blendender Vorhang aus Feuer das Bild. Ein zweites Silo wurde sichtbar, eine zweite Rakete, und wieder Zerfall in Sekunden, wieder Staub und wieder Feuer. Danach die Wand, ein weiteres Silo, eine weitere Rakete und so weiter und so fort. Die Menge im Plenum geriet außer Rand und Band. Jubel und wütende Flüche zugleich. Viele begannen auf die geballte Faust zu
schlagen. »Wozu brauchte der Teufel all die Raketen?!« schrie Do nek. »Wollte er uns denn zehnfach vernichten?!« Pirtik packte Rikers Arm. »Wie macht ihr das, Dan Riker? Wie könnt ihr eine solche Zerstörungskraft entwickeln? Was be nutzt ihr für Waffen?« »Den grünen Strahl nennen wir Duststrahl«, erklärte Riker. »Er ist lichtschnell und löst anorganische Materie in Staub auf. Auf Men schen wirkt er nur leicht paralysierend. Nicht der Rede wert. Den rosa Strahl nennen wir Nadelstrahl. Diese Strahlung kann mittels eines antimateriellen Effektes fast alle bekannten Materieformen in Energie auflösen.« Der Großadmiral starrte ihn an, wie man einen Menschen anstarrt, an dessen Verstand man zweifelt. Riker war nicht überzeugt davon, daß der hochdekorierte Oberkurrge wirklich begriffen hatte. In der Bildkugel zerfiel schon wieder eine Rakete zu Staub, der gleich darauf von Feuer gefressen wurde. Donek trommelte mit beiden Fäusten auf den Tisch. Gesnil stand hinter Riker und stieß Rufe aus, die der Translator mit »Jawoll! Ein Hoch auf Ren Dhark und seinen Kadetten! Gott segne den terranischen Großadmiral!« und so weiter übersetzte. Der Jubel im Saal kannte keine Grenzen mehr. Pirtik wollte wissen, wie ein Flugzeug Wände durchdringen kön ne, ohne selbst beschädigt zu werden. Riker erklärte es ihm, so gut er konnte. Und dann die nächste Rakete, der nächste Abschußschacht, der nächste Feuersturm. Riker mutmaßte, daß der Fähnrich bewußt mit Nadelstrahl auf die Treibstofftanks gezielt hatte, um die Silos ein für allemal auszu schalten. Ein gefährliches Spiel mit gefährlich viel Feuer. Wenn sie es in Noregs Bergbunker nicht unter Kontrolle brachten, würden die Luppen zu den Mutanten an der Küste und in die Wälder ziehen müssen. Wand um Wand durchstieß die Kamera. Keine weiteren Raketen mehr. Statt dessen bot die Bildperspektive den Blick in einen weit
läufigen Kuppelraum; ein Maschinenhangar. Panzerfahrzeuge parkten hier in dichtgestaffelten Reihen; so viele, daß sich bei Riker der Eindruck verstärkte, Noreg hätte einzig und allein der Aufrüs tung wegen aufgerüstet. Denn gegen welchen Feind hätte er dieses gewaltige Waffenarsenal einsetzen wollen? Der olivgrüne Strahl traf einen Panzer nach dem anderen, und ein Panzer nach dem anderen verwandelte sich in einen Staubhügel, über dem eine Staubwolke schwebte. Auf einmal, während im Bildhintergrund ein kolossaler schwarz roter Panzer sichtbar wurde, sprang ein uniformierter Kurrge ins Bild. Als wollte er den Panzer mit seinem Leib schützen, stellte er sich mit gespreizten Beinen und Armen zwischen ihn und den Bildvordergrund. Der Duststrahl traf ihn – seine Uniform, seine Waffe, seine Stiefel zerfielen zu Staub. Nackt und außer sich vor Schrecken starrte er auf sein Geschlecht. Er glitt aus dem Bild, und der Duststrahl atomisierte den schwarzroten Panzer. Unten im Plenum brüllten die Kurrgen vor Lachen. Sie schlugen sich auf die Bäuche, boxten sich gegenseitig in die Flanken und lie ßen alle Selbstbeherrschung fahren. Gelächter erfüllte den Saal. Do nek trommelte auf den Tisch und wieherte, Gesnil schlug sich mit der flachen Hand auf die Faust und kicherte, und selbst der so ernste Pirtik schnitt eine höchst vergnügte Miene. So ging das minutenlang, bis die Kamera eine Wand durchstieß und ein weißblonder Terraner mit dem Rücken zum Zuschauer stand. Ein paar Schritte vor ihm lag General Noreg auf den Knien. Er rang die Hände und machte ein jämmerliches Gesicht. Mit dieser letzten Szene verblaßte die Bildkugel. Für einen Augenblick war es merkwürdig still. Bis der Großadmi ral sich von seinem Platz erhob, sich an die Terraner wandte und mit der Rechten auf die geballte Linke schlug. Wer im Plenum noch nicht stand, sprang jetzt von seinem Sitz und applaudierte. *
Im Bildschirm blieb die geschlossene Wolkendecke der Kurrgen weit zurück. Das Zentralgestirn des Systems tauchte die Atmosphäre des Planeten in gleißendes Licht. Ein gewaltiger Ring aus Unitall reflektierte es in knapp sechzig Kilometer Entfernung. Flash 003 war auf dem Rückweg »nach Hause«. Fast zärtlich strichen Sergio Scagliettis Fingerkuppen über die Kanten des Prallfeldgenerators. Der sperrige Kasten drückte ihm mächtig gegen Rippen und Hüften, allein es machte ihm nichts aus. Nur selten in seinem fast sechsundzwanzigjährigen Leben hatte sich der Fähnrich aus Messina, Sizilien, besser gefühlt. »POINT OF an Commander.« Hen Fallutas Stimme aus dem Helmfunk. »Sie fliegen ohne Intervallum. Ist das nicht ein bißchen gewagt?« »Commander an Ersten Offizier. Nein. Habt ihr euch die Aufnah men nicht angeschaut?« Ren Dhark hatte es sich nicht verkneifen können, das Bildmaterial außer an Dan Riker auch voraus auf sein Schiff zu schicken. Teils weil er unbändige Freude über den gelungenen Einsatz empfand, teils um Kritikern – und vor allem seiner Freundin Amy – ein wort loses Zeichen des Triumphes zu senden. »General Sprengkopf wird nie wieder mit ballistischen Raketen schießen.« »Wir haben die Bilder gesehen, Commander. Glückwunsch! Wuß ten nur nicht genau, ob Sie alle Raketen erwischt haben.« Dhark blickte über die Schulter zu seinem Fähnrich und nickte ihm zu. »Scaglietti an Ersten Offizier. Alle.« »Gratulation, Fähnrich Scaglietti!« Tino Grappas Stimme diesmal. »Ein echter Sohn Messinas! Italien kann stolz auf Sie sein!« Andere Offiziere schlossen sich an. Auch Anja Riker und Amy Stewart. Das Mutterschiff rückte näher, füllte bald den kleinen Bildschirm aus. Der Commander steuerte den Starthangar für die Beiboote di rekt an. Mit aktiviertem Brennkreis, der der Hülle der POINT OF
nichts anhaben konnte, manövrierte Dhark den Flash ins Innere des Schiffes und zu seinem Platz im Hangar. Sie stiegen aus. Sergio hievte den Prallfeldgenerator vom hinteren Sitz und stellte ihn neben der Maschine ab. Als er sich aufrichtete, stand sein Commander vor ihm und blickte auf ihn herab. Er lä chelte, und in seinen braunen Augen leuchtete uneingeschränktes Wohlwollen, so daß es Sergio ganz warm wurde hinterm Brustbein. »Hören Sie mal her, Sergio.« Dhark legte dem so viel Kleineren und Schmächtigeren die Hand auf die Schulter. »Genau betrachtet habe ich heute Ihren originellen Körperbau als Waffe gegen einen hart näckigen Feind eingesetzt. Irgendwie tut mir das leid…« »Ach was, Sir! Das geht schon in Ordnung…« »Nein, nein, mein Junge. Ich hätte Sie wenigstens vorher fragen können. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen…« »Aber Sir…« Das Blut stieg Sergio in den Kopf. »… ich habe zu dem Sprengkopfschädel gesagt, er würde Sie zu Recht als Kümmerling bezeichnen, und Sie seien das kleinste und schwächste Mitglied meiner Mannschaft. Dafür entschuldige ich mich, Sergio. Sie sind kein Kümmerling, und schon gar nicht sind Sie schwach. Sie haben eine Größe, die man erst auf den zweiten Blick sieht.« Sergio schluckte und brachte kein Wort heraus. »Und ich habe Sie gesehen, Sergio, verlassen Sie sich drauf.« Der Commander lä chelte und klopfte ihm auf die Schulter. »Sie waren großartig!« »Danke, Sir…« Mehr brachte der Sizilianer nicht über die Lippen. Dabei gab es soviel, was er seinem Commander noch hätte sagen mögen: daß er stolz war, mit ihm hatte fliegen zu dürfen; daß er es toll fand, wie er dem General den Marsch geblasen hatte; und daß er ihn überhaupt toll fand, und zwar konkurrenzlos toll; und natürlich, daß ihm sein kurzer Wuchs nichts ausmachte – keine Frau hatte sich je darüber beschwert. All das, wie gesagt, blieb unausgesprochen. Sprachlos vor Glück schritt er hinter seinem Commander her zum nächsten Antigrav
schacht und dachte an seine Großmutter. Heilige Jungfrau! Wenn er ihr das erzählte! Hundert Kerzen würde sie im Dom von Messina entzünden… * Der Applaus verebbte, der Großadmiral hob die Hände, nach und nach nahmen die Kurrgen im Plenum Platz. Ruhe und Disziplin kehrten wieder ein. »Im Namen aller Einwohner von Arkena danke ich Ihnen dafür, daß Sie die von General Noreg und seinen Luppen ausgehende Ge fahr vernichtet haben.« Pirtik verneigte sich in Richtung Riker. »Wir sind erleichtert, wie Sie bemerkt haben dürften, Dan Riker, sehr er leichtert! Bitte richten Sie Ihrem Oberbefehlshaber Ren Dhark unse ren innigsten Dank aus. Und sagen Sie ihm, wir würden uns unend lich glücklich schätzen, ihn persönlich in Arkena begrüßen zu dür fen.« Eine weitere Verbeugung, und dann: »Doch Sie hatten Fragen und wollten von Ihrem Volk berichten. Bitte.« Riker blieb nichts anderes übrig, als erneut aufzustehen und das Wort zu ergreifen. »Ich bin dankbar für diese Unterbrechung, oder sagen wir besser: für die Art dieser Unterbrechung. Auch bei uns zu Hause gibt es immer wieder Männer und Frauen, die für ihre Ideen und ihre Machtgier über Leichenberge gehen. Wir von der POINT OF jedoch gehören zu der Sorte Menschen, die solche Leute am liebsten ohne Waffen sehen.« Die Worte kamen ihm jetzt wie von selbst über die Lippen. »Deswegen bin ich heilfroh über die Zerstö rung von Noregs Waffenarsenal. Aber eines muß ich Ihnen ganz ungeschminkt sagen, Gentlemen.« Er wandte sich erst nach links an Pirtik, danach nach rechts an Donek und Gesnil. Beiläufig registrierte er den ellenlangen Kurr genbegriff, mit dem der Translator das Wort »Gentlemen« übersetz te. »Mein Kommandant und ich würden es unter keinen Umständen dulden, wenn Sie die chaotischen Zustände im Bergbunker der
Luppen für einen Gegenschlag ausnutzten! Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe sehr wohl gemerkt, daß Sie Ihre U-Boote mit Kernkraft antreiben…!« »Bei allen guten Geistern des Universums!« Pirtik sprang auf. »Niemals würden wir so etwas tun!« Er schien echt empört zu sein. Aus den Augenwinkeln sah der Terraner Donek und Gesnil entrüs tet die Köpfe schütteln. »Und davon abgesehen könnten wir etwas Derartiges auch niemals tun«, fuhr der Großadmiral fort. »Wir ver fügen über keine atomaren Angriffswaffen, Dan Riker! Über keine einzige! Atomkraft wird in Arkena ausschließlich zur Energiege winnung und zu medizinischen Zwecken benutzt! Bitte, vertrauen Sie uns!« »Nun ja, sicher… ich vertraue Ihnen schon…« Das war nur die halbe Wahrheit. »Nur… garantiert mir jemand, daß nicht in diesen Minuten irgendwo in einem Ihrer fünf Bunker ein Theiner an einer Atombombe bastelt, um sich an Noreg und Konsorten zu rächen? Und: Garantiert Ihnen das jemand?« Unten, in den Sitzblöcken, tuschelten sie schon wieder. Der Terra ner von der POINT OF sah einige Uniformierte aufgeregt gestiku lieren. »Hören Sie, Dan Riker!« Der einäugige Admiral Donek stand auf und ergriff das Wort. »Sie sind nicht gut informiert über die Verhältnisse bei uns in Arkena. Mit Ausbruch des Nuklearkrieges vor vierhundert Jahren verhängte die letzte Zivilregierung der thei nischen Nation das Kriegsrecht. Seitdem wurde es niemals wieder außer Kraft gesetzt.« »Was heißt das?« bohrte Riker nach. »Daß Sie drei hier wie die Könige herrschen?« »Selbstverständlich!« Der U-Bootkapitän Perdon mischte sich ein. »Politische Parteien sind verboten. Öffentliche Kritik an der Regie rung auch. Wer Verbesserungsvorschläge hat, muß sie schriftlich einreichen. Wenn sie vernünftig sind, wird er zur Diskussion einge laden. In unserer Situation können wir uns einfach keine Demokratie leisten. Alles, was die Autorität der Admiralität untergräbt, unterg
räbt zugleich unsere ständig gefährdete Existenz. Ist das so schwer zu verstehen? Es wäre eine Katastrophe für das theinische Volk, wenn die weise Herrschaft des Admiralitätsrates je enden sollte!« Laute Zustimmung aus dem Plenum erfolgte, ein paar Kurrgen schlugen schon wieder mit der Rechten auf die Fäuste. »Nun ja, ganz so ist es nicht.« Jetzt stand auch Gesnil. »Viele Ent scheidungen werden gemäß der Verfassung und der Kriegsgesetz gebung von den Bunkerräten getroffen. Auch berät sich die Admira lität regelmäßig mit ihrem Stab. Und selbstverständlich folgen uns nicht unsere Söhne in unseren Ämtern nach, sondern der Großad miral befördert einen bewährten und in Arkena anerkannten Offizier zum Admiral, wenn einer von uns stirbt oder das sechzigste Jahr erreicht.« »Und was Sie da über die Gefahr eines Bombenbaus sagen, gehört ins Reich der Phantasie, Dan Riker.« Donek schlug einen schmol lenden Tonfall an. »Selbstverständlich kontrollieren wir jeden der fünf Bunkerräte. Und jeder Halbwüchsige in Arkena wird Mitglied der Marine. Bei uns kann man nicht einmal ein U-Bootmodell bauen, ohne daß wir davon erfahren.« »Ich bitte um Ihr Vertrauen, Dan Riker.« Pirtik hatte genug von dem Palaver, wie es aussah. »Haben Sie nicht gesehen, wie überaus froh die Kurrgen auf den Straßen über die Vernichtung der Rakete waren? Haben Sie unsere grenzenlose Erleichterung nicht bemerkt? Beides lag nicht zuletzt daran, daß wir über keine Mittel verfügen, einen solch hinterhältigen Angriff abzuwehren. Mit einem derarti gen Überfall hat niemand hier gerechnet! Wir lieben den Frieden, Dan Riker von Terra! Und wir träumen von einer friedlichen Zu kunft auf der Oberfläche unseres Planeten und unter seiner Sonne.« Er deutete auf das Wappen hinter sich und setzte sich. Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Riker, der immer noch stand, hatte in seinem Leben einfach zu viele hehre Worte gehört, um bis in den letzten Winkel seines skeptischen Verstandes überzeugt zu sein. Aber gut – die drei Häuptlinge der Unterseestadt gefielen ihm; be
sonders dieser Pirtik. Auch wenn er dessen goldene Uniform ab scheulich fand. Er nickte und gab so zu verstehen, daß er keine wei teren Einwände und Fragen hatte. »Erzählen Sie uns bitte, was Sie mit ihrem Raumschiff zu unserem Sonnensystem geführt hat«, forderte der Großadmiral ihn auf. »Was suchen Sie bei uns?« »Es gibt da einen Planeten namens Babylon«, begann Riker. »Und auf diesem Planeten eine goldene Statue ohne Gesicht…« Er berichtete, daß viele solcher gesichtslosen Statuen auf verschie denen Planeten der Milchstraße entdeckt worden waren. Auch die Existenz eines hochzivilisierten Volkes aus einer anderen Galaxis deutete er an, der Worgun, und verschwieg auch nicht, daß die Menschheit diesem Volk einen atemberaubenden Zivilisations sprung verdankte. In den ersten Sitzreihen entdeckte er betretene Gesichter, als er von dem Generationenraumschiff der Kurrgen be richtete, das vier Erdenjahre zuvor im System von Babylon aufge taucht war. Er schloß daraus, daß weder Jahrhunderte noch ein Atomkrieg das Wissen um die Raummission hatten auslöschen können. Riker räumte zwar ein, daß es keine überlebenden Nach kommen der einst von diesem Planeten gestarteten Kurrgen mehr gab, Einzelheiten jedoch ersparte er seinen Zuhörern. »Auf Babylon gibt es einen Gigasender, und der sandte erst kürz lich einen energiereichen Peilstrahl aus. Den haben wir angemessen, und wir wissen zuverlässig, daß es Ihr Planet war, den er anpeilte.« Raunen erhob sich in fast allen Sitzblöcken des Plenums. Riker spürte die überraschten Blicke der Admirale. »Wir Menschen sind Forscher, müssen Sie wissen. Unsere Neugier kennt keine Grenzen. Alles müssen wir herausfinden, ständig sind wir auf der Suche nach Antworten auf ungelöste Fragen. Und genau deswegen sind wir hier. Wir müssen herausfinden, an welcher Stelle Ihres Planeten der Peilstrahl empfangen wurde; und wir müssen herausfinden, welche Rolle Ihr Planet im galaktischen Netz der goldenen Statuen spielt. So sind wir eben. Danke.« Er nahm Platz.
Unten im Plenum steckten sie überall die Köpfe zusammen und tuschelten. Riker hielt das für ein gutes Zeichen. Offenbar konnten sie etwas anfangen mit seiner Begründung. Pirtik berührte ihn am Arm. »Entschuldigen Sie uns einen Moment, Terraner.« Der Groß admiral stand auf und ging zu seinen Kollegen. Alle drei wirkten plötzlich seltsam aufgekratzt. Gemeinsam verließen sie das Podium. Unten erhoben sich ein paar Uniformierte, sieben Kurrgen genau; etwas ältere schon, wie Riker am lichten Haarschmuck und den zerfurchten Gesichtern leicht erkennen konnte. Zusammen mit dem Triumvirat bildeten die untersetzten Gestalten etwas abseits einen Kreis und begannen zu gestikulieren. Riker schaltete den Translator aus. »Was haltet ihr davon?« sagte er an die Adresse seiner Männer. »Möglicherweise halten sie uns für Spinner.« Häkkinen machte eine eher skeptische Miene. »Logischer erscheint mir ihr aktuelles Verhalten damit erklärt, daß Rikers Bericht Fakten enthielt, mit denen sie etwas anfangen kön nen«, schnarrte Artus mit seiner synthetischen Stimme. »Genau!« Brack, der Cyborg, stimmte dem Roboter zu. »Sie wissen etwas und stimmen sich nun ab, wieviel sie uns verraten wollen.« »Ich trauen ihnen.« Hornig klang überzeugt. »Ehrlich gesagt, ich traue Ihnen.« Riker musterte ihn. Der Leutnant war noch jung. »Warten wir’s ab«, knurrte er. Die Sonderkonferenz unten an der Seite der Sitzblöcke schien be endet. Alle nickten sie dort, und die Admirale kamen zurück aufs Podium. Riker schaltete seinen Translator ein. Gesnil und Donek setzten sich, Pirtik klemmte sich das Mikro an seine Uniform und blieb stehen. »Folgendes, Dan Riker. Im Gebirge an der Küste gab es einst eine uralte Kultstätte. Dort stand die zwanzig Meter hohe Goldstatue eines Kurrgen; eines Kurrgen ohne Gesicht, um ganz korrekt zu sein. Diese Fakten kennen wir aus den Datenbanken, die wir vor vierhundert Jahren mit in diese Kuppeln retten konnten. Was
wir nicht wissen ist, ob diese Kultstätte noch existiert. Eines aber ist gesichert: Sollte sie noch existieren, kann niemand sie erreichen. Weder wir noch Sie, Terraner. Denn in einem Radius von zweihun dert Kilometern rund um die Goldstatue funktioniert kein techni sches Gerät. Kein Fahrzeug, keine Aufklärungsinstrumente, kein Funk, nicht einmal eine Schußwaffe…«
8. Flash 018 verließ das Depot. Außerhalb der Hülle beschleunigte Olin Monro das Miniraumboot und richtete den Bug auf das ferne Raumschiff der Caldarer. Achtundzwanzig dieser zylinderförmigen, zirka drei Meter langen und mit eineinhalb Meter im Durchmesser recht klein geratenen Beiboote hatte die ANZIO an Bord, die sowohl mittels Gedanken – als auch durch Manuellsteuerung zu fliegen waren. »Noch einmal, Nummer Eins«, drang Vegas’ Stimme aus dem Funk. »Lassen Sie die Tarnung aktiv, damit die Flotte im System hinter uns nicht aufmerksam wird. Vor allem keine Kontaktauf nahme mit den Caldarern im Wrack per Hyperfunk. Nur Vipho einsetzen. Lassen Sie das von Fähnrich Erdai bewerkstelligen, er ist als Synästhet der Übersetzer. Und denken Sie daran, was ich Ihnen aufgetragen habe!« Bevor die Mission startete, hatte Vegas seine Nummer Eins noch beiseitegenommen und ihr unter vier Augen einen zusätzlichen Auftrag erteilt. »Aye, Sir. Verstanden«, antwortete Olin Monro in dem überlicht tauglichen und transitionsfähigen Raumboot. »Gut. Sollten Sie in Schwierigkeiten geraten, aktivieren Sie die Notrufphase. Viel Glück.« »Danke, Skipper. Ende und Aus.« Monro kippte den Schalter. »Wie fühlen Sie sich, Fähnrich?« Der mit dem Rücken zu ihm sitzende Kadett Erdai beeilte sich zu versichern, daß er sich gut fühle. »Schon Einsätze in einem Flash absolviert?« »Noch keinen«, gestand Erdai. »Keine Bange. Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte Monro auf munternd. Seine Stimme erzeugte beruhigende grüne Farbschleier
vor Erdais Augen. »Natürlich, Sir.« Der junge Synästhet gab sich gelassen, fühlte sich aber alles andere als ruhig und ausgeglichen. Dies war der erster Einsatz als »Far benhörer« beziehungsweise »Töneseher« in seiner kurzen Karriere innerhalb der Raumflotte, und natürlich war er bestrebt, keine Fehler zu begehen. Einen mit den mageren Ergebnissen des Einsatzes der ULRICH WALTER programmierten und mit einem Farben produzierenden Leuchtfeld modifizierten Translator hatte er dabei. Er stammte aus den Labors der GSO und war eine Entwicklung Cazzigiannis. Erdai hatte den ehemaligen Ersten Offizier der ULRICH WALTER ganz zu Anfang seiner Kadettenlaufbahn auf einem von der TF veranstalteten Symposium über Synästhetik kennengelernt, wo Cazzigianni als Dozent wirkte. Szoltan Erdai hatten sich eine Weile mit ihm unterhalten können. Dabei hatte sich herausgestellt, daß er sich von den anderen anwesenden Synästheten und auch von ihm, Tasso Cazzigianni, insofern unterschied, daß er dem Farbenhören und Tönesehen nicht willkürlich ausgeliefert war. Er war in der La ge, diese Eigenschaft bewußt auszuschalten, was eine enorme Er leichterung im Alltag und im Umgang mit anderen Menschen be deutete. Inzwischen hatte Flash 018 die Distanz zwischen der hinter ihrem Tarnschutz verborgenen ANZIO und dem Wrack überwunden. Der zusammengeschossene Raumer erhob sich wie ein Berg vor dem Miniraumboot. Monro bewegte die Finger über die Steuerung. Der Flash kam fast zum Stillstand. Monro schüttelte den Kopf, als er das Ausmaß der Schäden sah. »Daß da noch jemand am Leben ist«, murmelte er. Dann wandte er sich an Erdai. »Er gehört Ihnen, Fähnrich«, sagte der Offizier und öffnete die Phase. »Versuchen Sie Ihr Glück.« »Wird erledigt, Sir.«
Erdais Translator war mit der Funkanlage verbunden. Der junge Synästhet begann das Raumschiff zu rufen. Er verwen dete dabei den Standardtext, der bei Erstkontakten mit Fremden üblich war. Seine Worte wurden vom Translator in die entsprechenden Farb muster auf der Basis von Cazzigiannis caldarischem Thesaurus übersetzt, von denen Erdai hoffte, daß sie auch tatsächlich der »Re deweise« der Caldarer entsprachen. Er sah die verwirrenden Farbmuster, die beim Klang seiner Stimme und den Lautäußerungen seiner Worte entstanden. Und seine Be wunderung für diesen Cazzigianni kannte keine Grenzen. Mußte dieser doch bei seinem ersten Kontakt mit dem caldarischen Admiral Wamblau eine Titanenarbeit bewältigen, all die tausend Farbnuan cen und Töne richtig zu interpretieren, in eine verständliche Sprache umzusetzen und gleichzeitig auch noch rückzuübersetzen, so daß der Caldarer auch ihn verstand! Heute, mit dem Translator, war es dank des integrierten Supra sensors, der im normalen Sprechtempo das Leuchtfeld anregte, fast ein normales Gespräch. Wenn es denn erst zustande kam – noch bekam Erdai keine Reaktion auf seine Rufe. »Tut mir leid, Sir, es kommt kein Kontakt zustande. Da will jemand nicht mit uns reden.« »Sie geben zu schnell auf, Fähnrich«, war Monros Rat an den Syn ästheten. »Versuchen Sie es ruhig weiter.« »Wie Sie meinen, Sir. Ich…« In diesem Moment zeigte die Leuchtplatte ein sinnverwirrendes Muster, und aus dem Translator kam eine Stimme, die in der Über setzung etwas nachzuhängen schien. »Sie funken uns an«, stellte der Sprecher fest. »Wer sind Sie?« Der Tonfall entsprach der Diktion des Übersetzungsmoduls: küns tlich und fast ohne Tiefen und Höhen. Erdai verhaspelte sich fast, als er eilfertig antwortete: »Wir sind Terraner. Sie befinden sich in einer Notlage, dürfen wir an Bord
kommen?« »Weshalb?« »Vielleicht können wir Ihnen helfen!« Sekundenlang zeigte die Leuchtplatte nur Moire, dann huschte ein komplexes Farbenspiel über den Schirm, ein verwirrendes Muster aus Blau- und Rottönen. »Wo befinden Sie sich? Wir können Sie nicht orten.« Sie sind äußerst mißtrauisch, dachte Erdai. Na ja, wäre ich auch an ihrer Stelle. Der Translator hatte noch seine Schwierigkeiten, aber das Darstel lungsprogramm war in seinem Selbstlernprozeß so angepaßt und programmiert, daß es fortlaufend Angleichungen durchführte und immer flüssiger übersetzte. »Soll ich?« wandte sich Erdai an den Ersten Offizier. »Natürlich. Nach A kommt B«, bedeutete ihm Monro. »Sagen Sie denen, wohin sie ihre Kameras richten sollen, optisch sind wir ja erkennbar.« Erdai gab es durch. Wieder vergingen Minuten des Wartens. Monro und Erdai waren sich sicher, daß sie im Fokus von Blicken und Optiken standen. »Jetzt sehen wir Sie«, meldete sich die Stimme aus dem Wrack, und die träge laufenden Farbmuster auf der Leuchtplatte zeugten von etwas weniger Mißtrauen. »Sie wissen jetzt, wie klein wir sind«, grinste Olin Monro, »und daß wir keine Gefahr für sie bedeuten.« »Dürfen wir an Bord kommen?« bat Erdai erneut. »Wir öffnen Ihnen eine Schleuse«, kam nach einigem Zögern die Zusicherung aus dem schwer angeschlagenen Schiff. »Wer sagt’s denn«, zeigte sich der Erste Offizier zufrieden. »Die erste Hürde ist genommen.« *
Der Oberst sah ihm mit unbewegter Miene entgegen, als er he reinkam. Timulin Mandrake blieb vor seinem Kommandanten stehen und salutierte vorschriftsmäßig. »Fähnrich Mandrake zu Ihren Diensten, Sir«, sagte er laut und erstarrte in Habachtstellung. »Stehen Sie bequem, Kadett«, forderte Roy Vegas ihn auf. »Danke, Sir!« Vegas sagte: »Ich habe Sie für eine Aufgabe ausersehen, Fähnrich.« Mandrake äußerte sich nicht dazu, aber er konnte nicht verhin dern, daß ihm anzumerken war, wie ihm eine Zentnerlast von den Schultern fiel. Hatte er doch geglaubt, der Kommandant habe ihm wieder wegen irgend etwas auf dem Kieker. Ein kaum sichtbares Lächeln spielte um den Mund des grauhaari gen Offiziers, der wußte, was in dem Fähnrich vorging. »Also hören Sie zu, Mister Mandrake. Aus Ihrer Personalakte weiß ich, daß Sie besonders begabt sind im Umgang mit Rechnern aller Art. Ihre Leistungen auf diesem Gebiet sind beeindruckend, waren es schon immer, nicht wahr?« »Sir?« Mandrake befürchtete zu wissen, worauf der Colonel hi nauswollte. »Ihre Leistungen auf der Akademie waren ebenso beeindruckend«, sagte Vegas. »Sie waren zweimal hintereinander Jahrgangsbester, haben ein Diplom in Informatik und entwickelten während Ihrer Studienzeit so nebenher für einen namhaften Firmenverbund sowohl Programme als auch die dazugehörigen Geräte, mittels derer unter schiedliche Rechner mit eigentlich unvereinbaren Programmen problemlos zusammenarbeiten konnten.« »Sie sind ja gut informiert«, sagte Timulin Mandrake und fühlte Erleichterung, daß sein Kommandant nun doch nicht auf seine Ha ckertätigkeit an der Oberschule einging. »Daß Sie sich für den Dienst in der Flotte entschieden, war vielen aus Ihrem näheren Umfeld unverständlich, wo Sie doch als aus
sichtsreichster Kandidat für eine hochdotierte Anstellung bei SoftCom galten. Oder lag es daran, daß Sie sich etwas zu intensiv mit der jungen Frau des Firmeninhabers beschäftigt haben?« Verdammt, woher hat er nur diese Informationen?, dachte Mandrake, laut sagte er: »Keine Spur, Kommandant. Die Aussicht auf unver geßliche Abenteuer zwischen den Sternen hat mich dazu bewogen, Sir.« »So wird’s wohl gewesen sein«, nickte der Colonel mit einem flüchtigen Lächeln. »Nun, wie auch immer, Sie haben sicher nichts dagegen, daß ich beabsichtige, Ihr Können, das Sie im Umgang mit Rechnern an den Tag legen, für meine Zwecke einzuspannen, oder?« Mandrake schloß kurz die Augen und nickte. »Nein, Sir. Ganz im Gegenteil!« »In Ordnung, Fähnrich. Melden Sie sich in der FZ. Ich habe Ihnen bereits einen Platz am Hyperkalkulator reservieren lassen. Wegtre ten!« * Monro brachte den Flash näher an das große Schiff heran und paßte sich seiner Geschwindigkeit an. Der havarierte caldarische Raumer hatte scheinbar Probleme mit seiner Lagesteuerung, er zit terte, machte eine Vierteldrehung und kippte dann langsam weiter, ehe er wieder zur Ruhe kam. »Verflixt, halt doch mal still«, murrte Monro. »Wo ist denn nun diese verdammte Schleuse.« Er redete weiter, während das Mi ni-Raumboot fast ohne Fahrt, Meter um Meter, an der Außenwand emporstieg. »Warum können die Caldarer nicht vernünftige Raum schiffe bauen? Diese Ecken und Kanten und Flächen lassen einem ja die Augen übergehen. Hoppla… da ist sie ja!« Eine breite Lichtbahn in der Dunkelheit des Alls zeigte dem Flash den Weg zur Schleusenöffnung. Das Portal stand sperrangelweit offen.
Unter Monros Steuerbefehlen schwebte der Flash in das von einem trüben Rot erleuchtete Schleuseninnere, drehte sich einmal um die Längsachse und ließ sich dann auf seinen Spinnenbeinen nieder. Die ganze Prozedur des Einfliegens wäre wesentlich einfacher verlaufen, hätte Monro das Intervallum aktiviert, das ein problemloses Durch dringen der Schiffshülle erlaubte. Aber er hatte strikte Anweisungen von Roy Vegas, auf keinen Fall die Spezialfähigkeiten des kleinen Raumbootes preiszugeben. Langsam schloß sich die Schleuse. Über die Mikrophone waren die Geräusche des Luftausgleichs zu vernehmen. Als der Außendruck im Hangar wieder hergestellt war, stiegen die beiden Insassen aus. Sie trugen Raumanzüge neuster Worgunbau weise und ließen lediglich die semistabilen Helme offen, nachdem sich die Atmosphäre als atembar erwiesen hatte. Kadett Erdai hing sich den Translator wie ein zu groß geratenes Amulett vor die Brust, während Olin Monro eine Tasche mit Aus rüstungsgegenständen aus dem Fußraum wuchtete, über deren In halt er sich konsequent ausschwieg, obwohl er die Neugier auf dem Gesicht des Synästheten bemerkte. Mit einem Impulsgeber verschloß er den Pilotenraum des Flash, nicht ohne vorher der Gedanken steuerung den Befehl erteilt zu haben, das Intervallfeld nur im Not fall hochzufahren. Inzwischen konnten die beiden Männer weitere Geräusche unterscheiden, die klar zu deuten waren: Die innere Schleusentür öffnete sich, Metall klirrte gegen Metall, Schritte nä herten sich. »Sicher unser Empfangskomitee«, murmelte Monro. Doch es war kein Komitee, sondern ein einzelner Caldarer, der sie abholte. Zum erstenmal standen Monro und Erdai einem caldarischen Synästheten von Angesicht zu Angesicht gegenüber. »Ich grüße Sie«, sagte Erdai, während der Caldarer versuchte, die Farbspiele in Erdais Augen zu interpretieren, ehe er merkte, daß sich auf dem Monitor die Übersetzung anbot. »Dies ist Monro, ich bin
Erdai.« »Mein Name lautet Damgelb«, erwiderte der Caldarer über den Translator, und in seinen drei Facettenaugen flirrte es wie in einem jener Kaleidoskope, in die man als Kind immer geschaut hatte. »Ich bringe euch zum Kommandanten.« Damgelb (der Translator hatte nur diese Übersetzung parat) ging aus der Schleuse in einen Korridor hinein. Die selbstleuchtende De cke wies an vielen Stellen bereits blinde Flecken auf. Rauch zog durch die Luft. Es roch nach verschmorten Leitungen, nach glühendem Metall und einer Menge anderer Aromen, die nicht zu identifizieren waren. »Wie ist die Atemluft?« fragte Monro, als Erdai auf sein Handmeßgerät blickte, dessen Indikatoren hektisch blinkten. »Innerhalb der Norm, Sir. Minimale Spuren von Brandgas und ein paar Verunreinigungen, überwiegend Schwebstoffe, die aber unbe denklich für uns sind.« Irgendwo im Schiff erklang eine dumpfe Explosion, gefolgt von mehreren kleineren. Ein schrilles Pfeifen ertönte, schraubte sich in die Höhe und brach abrupt ab. Einzelne Caldarer rannten durch die Korridore, verschwanden in Seitengängen und hinter Schotten, tauchten wieder auf und schleppten Gerätschaften mit sich, die nur einem Zweck zu dienen schienen: dem Untergang des Schiffes entgegenzuwirken, das Un vermeidliche abzuwenden. Inmitten dieses Tohuwabohus und der Hektik erreichten sie die Kommandozentrale. Der Teil der Schiffsführung, der dem rasch voranschreitenden Zerfall des Raumschiffes bislang entgangen war, hatte sich hier ver sammelt. Das Erscheinen der beiden Terraner erregte erhebliches Aufsehen, und angesichts der Flut der Farbenspiele in den drei Fa cettenaugen der Caldarer gab der Translator kurzzeitig nur Unver ständliches von sich. Schließlich hob einer die Hand.
Augenblicklich erloschen die schwirrenden Farbmuster der ande ren. Die Sehorgane des Caldarers, dessen uniformähnliche Bekleidung mit Applikationen versehen war, die ihn eindeutig von den anderen abhoben und vermutlich seinen Rang kennzeichneten, signalisierten in kühlen Blautönen: »Ich bin Nurgelb, Kommandant des Kreuzers FORSCHEX.« Seine Hauptleute und Offiziere vorzustellen, erachtete er für nicht wichtig. Szoltan Erdai nannte ihre Namen, ließ diesen Nurgelb wissen, daß sie Terraner seien, und bot Hilfe bei einer Evakuierung an. Wie beiläufig stellte der Erste Offizier der ANZIO seine große Ta sche ab, die ihm offenbar zu schwer geworden war. Mit raschen Blicken durchforstete er dabei die Kommandozentrale der FORSCHEX. Befehlszentren großer Raumschiffe ähnelten sich ir gendwie alle auf die eine oder andere Weise, stellte er wieder einmal fest. Konsolenreihen, Bestuhlung, Bildschirme, Rechner oder deren Äquivalent – und der Platz des Kapitäns beziehungsweise Kom mandanten oder Schiffsrats, hier ein thronartiges Gebilde. Nurgelbs Augen erzeugten ein wirres Muster von Farben: Er hielt das terranische Schiff für zu klein, um wirksam helfen zu können. »Es ist nur ein Beiboot«, klärte ihn Erdai auf und suchte erschro cken Halt an einer Strebe, als eine starke Explosion das Hauptdeck der FORSCHEX erschütterte und ihn fast von den Füßen fegte. Monros Kopfbewegung machte ihn auf einen großen Bildschirm aufmerksam, der eine Innenansicht des Schiffes zeigte, einen Raum voller Maschinen. Welchem Zweck sie auch dienten, niemand würde sie jemals wieder verwenden können. Eine unwiderstehliche Kraft beulte die Wandung nach außen und ließ sie auseinanderbersten. Die Trümmer wurden ins All geschleudert, als die Atmosphäre in dieser Sektion mit der Gewalt eines Tornados nach außen entwich und alles mit sich nahm, was nicht niet- und nagelfest war. Kein Kraftfeld versiegelte den Hüllenbruch; sämtliche noch vorhandenen Restenergien konzentrierten sich wohl auf die Bewahrung der Le
benserhaltungssysteme des inneren Kerns der FORSCHEX. Und in diesem Moment begriffen die beiden Terraner, daß der Calda-Raumer dem Untergang geweiht war. * Fünfzehn Minuten nach dem Gespräch mit dem Oberst ging Ti mulin Mandrake wie befohlen zur Funkzentrale, in der sich die Hauptzugriffseinheit des Hyperkalkulators in einer transparenten Röhre von der übrigen Einrichtung abhob, und setzte sich auf den Platz vor der abgeschrägten Tastatur- und Stimmeingabe. Der eigentliche Hauptrechner war in einem speziell gesicherten Raum mit eigener Energieversorgung untergebracht. »Scharfes Teil«, lautete sein Kommentar, während er mit geübten Bewegungen die Eingabe zurechtrückte und den Arbeitsstuhl auf seine Bedürfnisse einstellte. »Äh… scharfes Teil?« Leutnant Barelli und der technische Offizier, ein Oberleutnant, beide ebenfalls in der Hyperkalkulatortechnik bewandert, blickten sich verdutzt an, unsicher, ob sie den Fähnrich nicht besser gleich wieder rausschmeißen und auf jemanden warten sollten, dessen Kenntnisse mit Rechnern sich auf mehr als flapsige Bemerkungen erstreckten. Hauptmann Bekian, ebenfalls zugegen, rang sich ein dünnes Lä cheln ab. »Stören Sie sich nicht daran, das ist Computerkauderwelsch«, ließ er die beiden wissen. »Mit Vorliebe von jungen Leuten gegen Anfang dieses Jahrhunderts gepflegt…« »Und sollte nicht weiter beachtet werden«, kam die Stimme des Colonels vom Eingang her. Mandrake sprang von seinem Platz auf, seine Miene wirkte etwas betreten. »Sir, ich… äh…« begann er, doch Vegas winkte ab. »Lassen Sie das Gestammel, Fähnrich. Zeigen Sie uns vielmehr, ob Sie aus
Ihren Samuraitagen noch etwas herübergerettet haben.« »Aye, Sir.« »Samurai?« echote Barelli. »Haben Sie eigentlich nie gehackt, Mister Barelli?« fragte Vegas und grinste schwach. »Samurais waren findige Jugendliche, die in alles eingedrungen sind, was nach gesicherten Firmennetzen aussah. Nur so zum Spaß.« Der Oberleutnant starrte den Leutnant an. Der starrte zurück. »So, so. Das ist doch aber illegal«, sagte Barelli, der seine Kenn tnisse über Rechner auf legale Weise erworben hatte und sich etwas darauf einbildete. »Natürlich«, bekannte Bekian und grinste seinerseits, »deshalb hat man es ja gemacht. Die meisten dieser Samurais wurden auch er wischt – und sitzen jetzt angetan mit eleganten Anzügen in den Si cherheitszentralen der Firmen, in die sie eingedrungen sind.« »Wie weit sind Sie, Fähnrich?« Vegas’ Stimme klang eine Spur ungeduldig. »Bin gleich soweit, Sir.« Er streifte die grobmaschigen Datenhand schuhe über, mit denen er sich im virtuellen Raum des Hyperkalku lators bewegen konnte, und rückte den Daten Vermittler zurecht, der nicht mehr ein Helm wie früher war, sondern nur ein schmaler Bü gel, dessen Kontakte in Höhe der Schläfen saßen. »Wozu der DV?« fragte Barelli. »Für den Hyperkalkulator braucht er doch keinen.« »Dafür nicht«, bestätigte Hauptmann Bekian halblaut. »Aber mög licherweise für den Rechner der Caldarer. Ist nichts als eine Absi cherung. Muß nichts bedeuten.« Mandrake verzog das Gesicht, als er plötzlich in ein grünes Licht getaucht wurde – der Hyperkalkulator tastete ihn ab. »Laß das!« sagte er. Die Stimmerkennung erkannte ihn als Zugangsberechtigten und beendete den Abtastvorgang sofort; innerlich begann der Fähnrich zu grinsen. Diese Zugangsberechtigung konnte sich noch mal als
nützlich erweisen, falls der Alte nicht beschloß, sie ihm nach Ab schluß der Mission wieder zu entziehen. »Zugang aufbauen«, forderte Mandrake. Ein konkav gekrümmter Holoschirm, in dem ein Logo pulsierte, erschien aus dem Nichts vor dem Fähnrich. »Na, wer sagt’s denn«, zeigte sich Mandrake zufrieden. »Haben Sie ihn?« fragte Vegas. »Hab’ ihn, Sir.« Das »Hab’ ihn«, bezog sich darauf, daß der Fähnrich Verbindung mit jener geheimnisvollen Tasche aufgenommen hatte, die Monro an Bord des Caldarer-Raumers gebracht hatte. In ihr befand sich ein »Trojaner«, ein kleiner To-Richtfunksender und ein Modem, mit dem man nach Art der frühen W-LAN-Modems drahtlos auf andere Rechner zugreifen und sich in deren System einschalten konnte. Das Abbild im Holoschirm, ein auf der Hinterhand stehendes Pferd, war das Verbindungszeichen des Modems. Timulin war heiterer Laune, während er die manuelle Tastatur erneut zurechtrückte, um besser mit ihr arbeiten zu können. Er be merkte am Rande seiner Aufmerksamkeit, daß sein Oberst hinter ihm Aufstellung genommen hatte und ihm über die Schulter sah. »Probleme?« erkundigte sich der Kommandant. Mandrake verneinte. »Noch nicht, Sir.« Er legte die vernetzten Handflächen aneinander und führte sie dann nach außen. Im virtuellen Holoschirm blieb das Verbindungs zeichen in der Mitte, während sich um es herum weitere Schaltflä chen aufbauten. Mandrake tippe mit seinem virtuellen Zeigefinger einige davon an. »Zugang aufbauen«, sagte er laut an die Adresse des Hyperkalku lators. Nichts geschah. Mandrake blies die Backen auf und gab einen mißfälligen Laut von sich. »War zu erwarten«, brummelte er. »Der fremde Rechner sträubt sich wie eine Jungfrau beim…«
Vegas räusperte sich, und Mandrake gab seinem Monolog eine andere Richtung: »Na ja, soll mir recht sein. Knacken wir Fort Knox eben auf die althergebrachte Weise.« Er klatschte in die Hände und legte sie dann vor sich auf die Kon sole. Im Holoschirm manifestierte sich eine virtuelle Tastatur aus seg mentierten Kreisen und Feldern in unterschiedlichen Farben. In rasender, kaum mit den Augen zu verfolgender Schnelligkeit bearbeiteten die virtuellen Finger des Fähnrichs die merkwürdige Tastatur. »Was machen Sie da, Kadett?« fragte Vegas. »Ich installiere ein paar von meinen Helferlein.« »Helferlein? Und Sie sind der Ansicht, Ihre selbstkreierten Prog ramme werden von dem caldarischen Rechner akzeptiert?« »Wir werden sehen«, erwiderte Mandrake fröhlich, ohne in seiner Tätigkeit innezuhalten. »Bis jetzt haben sie noch jeden Rechner ge knackt.« »Aber den Rechner einer fremden Zivilisation?« wagte Barelli seine Bedenken anzumerken. »Pah! Mathematik ist universell, die Computersprache ebenfalls. Besteht nur aus Nullen und Einsen oder einem Äquivalent bezie hungsweise Vielfachen davon.« Der Leutnant rollte mit den Augen. »Wenn es sooo einfach wäre!« »Es ist so einfach«, erwiderte Timulin Mandrake. »Sehen Sie!« Im virtuellen Raum des Holoschirms formten sich fremde Symbole und Zeichen. Anscheinend Zahlen und Buchstabengruppen, die sich aus der Tiefe in den Vordergrund ergossen. Ständig ging ein Rütteln durch die Symbole und formierte sie fortwährend neu. »Was ist das?« wunderte sich Hauptmann Bekian. »Ein Abwehrprogramm des caldarischen Rechners. Er hat uns bemerkt und errichtet sein Bollwerk. Die übliche Vorgehensweise bei unerwünschten Besuchern.«
»Und wie wollen Sie da durchkommen?« »Indem ich schneller bin als er. Eigentlich hat er keine Chance. Ich merke bereits am Tempo, mit dem der Aufbau vonstatten geht, daß er der Rechenleistung des Hyperkalkulators weit unterlegen ist… da, sehen Sie!« Plötzlich krümmte sich die Darstellung im Holoschirm nach innen und wurde zu einem Strudel, der sich selbst verschlang, ehe er einen Trichter bildete, der sich nach außen stülpte. Innerhalb des Trichters erschien sanft pulsierend wieder das Ver bindungszeichen des Modems. »Geschafft! Der Weg ist frei«, verkündete Mandrake triumphie rend. »Dann wollen wir mal.« Er krümmte die virtuellen Finger. Aus dem Nichts erschien ein bekanntes Bild: der holographische Eingabeschlitz eines Sicherungslaufwerks. Vegas wunderte sich schon gar nicht mehr, als ein Datenträger er schien, der wie von Zauberhand geführt in dem Laufwerk ver schwand. Ein kleines Pferd begann von links nach recht zu springen, war es am Ende angelangt, begann es mit seinem Galopp von vorn. »Das Modem überträgt jetzt eine Kopie des gesamten Datenspei chers des caldarischen Rechners in den Speicher des Hyperkalkula tors«, verkündete Timulin Mandrake in einem Tonfall, der tiefste Zufriedenheit ausdrückte. »Es wird allerdings ein bißchen dauern.« »Wie lange?« »Das läßt sich nur schwer sagen, Sir«, gestand Mandrake. »Ich habe keine Ahnung, wie groß die Datenmenge in dem fremden Rechner ist.« »Sobald der Vorgang abgeschlossen ist, Nummer Drei«, wandte sich Vegas an Hauptmann Bekian, »brechen Sie die Funkstille und informieren den Ersten, daß er die Beine in die Hand nehmen soll. Verstanden?« »Zu Befehl, Sir.«
*
Die Explosionen im Innern der FORSCHEX nahmen an Häufigkeit und Intensität zu. »Ihr habt nicht mehr viel Zeit, unser Angebot zu akzeptieren«, sagte gerade Olin Monro. »Warum sträubt ihr euch so?« Nurgelb wartete auf die Übersetzung, ehe er gegenfragte: »Warum sprechen Sie falsch, Terraner?« »Ich spreche die Wahrheit«, betonte der Erste Offizier und hoffte, daß Nurgelb mit »falsch« lediglich auszudrücken versuchte, daß er in den Augen des Offiziers keine Farbspiele erkennen konnte. An die andere Möglichkeit wagte er im Augenblick nicht zu denken. »Wir haben als Terraner nur nicht alle die Gabe, die euch auszeichnet«, gestand er und schielte nach der Tasche. Hoffentlich, dachte er, merkt keiner, was hier abgeht! Wenn ja, haben wir ein gewaltiges Problem. Er spielte mit dem Gedanken, über Vipho Erkundigungen von der ANZIO einzuholen, wie weit die Datenübertragung schon fortge schritten war. »Sie sprechen auch auf andere Weise falsch«, beharrte Nurgelb und richtete seine Gestalt auf. »Terraner fliegen die Ringschiffe der Ge fahr, wie wir aus verläßlichen Quellen wissen. Sie sind also die Ge fahr, der uralte Feind zwischen den Sternen, der mit ganzen Ge schwadern dieser Schiffe bis vor tausend Jahren Tod und Sklaverei über die Tulusi und über viele andere Völker der Galaxis gebracht hat. Sie sind zurückgekehrt!« Himmel, Stern und schwarzes Loch, dachte Monro, das hört sich gar nicht gut an! »Wir verstehen Ihre Befürchtung, Kommandant«, sagte er laut, »aber sie sind grundlos. Wir fliegen zwar Schiffe desselben Typs, doch bei der Gefahr, von der Sie sprechen, handelt es sich um ein Volk von Schattenkriegern, das die Ringschiffe widerrechtlich an sich gebracht hat, um mordend und brandschatzend die Galaxis zu
durchstreifen. Wir Terraner sind ein friedliebendes Volk, das ledig lich darauf aus ist, sein Wissen zu erweitern. Wir können Ihnen hel fen, wenn Sie sich helfen lassen wollen, Ihre Besatzung zu evakuie ren.« Es schien, als hätten seine Worte Nurgelbs tiefsitzendes Mißtrauen besänftigt. Das Farbenspiel seiner Augen verringerte sich zu einem schattier ten Grün der Beruhigung. Monro atmete bereits auf, als sich die Situation schon wieder zum Schlechten wendete. Einer der Hauptleute baute sich vor seinem Kommandanten auf, und seine Augen erzeugten ein geradezu wirres Farbmuster, das vom Kommandanten zurückgegeben wurde. »Zum Henker«, murmelte der Erste Offizier. »Was geht jetzt schon wieder über die Bühne?« Erdai gab aus den Mundwinkeln zu verstehen: »Er hat bemerkt, daß ihr Rechner angezapft wird. Er weiß bloß nicht, wie. Aber er hat uns im Verdacht. Sir, haben wir vielleicht etwas damit zu tun?« »Natürlich haben wir«, quetschte Monro zwischen den Zähnen hervor, »aber es dürfte wohl kaum der richtige Zeitpunkt sein, Sie jetzt mit den Einzelheiten zu betrauen, Fähnrich.« »Mannomann, Sir. Das geht nicht gut!« »Sie sehen zu schwarz, Fähnrich«, beschwichtigte der Erste und aktivierte an seinen Anzugfunk die Notrufphase zur ANZIO, wäh rend er sich plötzlich von fünfzehn caldarischen Raumfahrern um ringt sah. Auch ohne Synästhet zu sein, sah er an den Farbspielen ihrer Facettenaugen, daß sie alles andere als freundlich gesinnt waren. Dazu hätte es nicht mal der wuchtigen Waffen bedurft, die sie in den Händen hielten. »Wir könnten jetzt etwas Hilfe gebrauchen«, sagte er laut, sehr laut sogar. »Das könnten wir in der Tat, Sir«, bekannte Szoltan Erdai, der der Meinung war, Monro spräche mit ihm.
Wieder erschütterten Explosionen die Kommandozentrale der FORSCHEX. Aus Lüftungsgitter drang ein Fauchen und Heulen, dann ein Schwall kochend heißer Luft, der belegte, daß die Brände und Zerstörungen der Zentrale schon verdammt nahekamen. Nicht mehr lange, und der Raumer fiel ihnen unter dem Hintern auseinander. Eine Vorstellung, die keinem der beiden Terraner gefiel. »Wir sollten uns absetzen, Sir!« drängte der Fähnrich. »Wir brauchten dringend Hilfe!« sagte Monro erneut, wich lang sam zurück und zerrte Erdai mit sich. Erdai befürchtete schon das Schlimmste für den Geisteszustand des Hauptmanns, als er plötzlich ein blaßblaues Flirren sah, das ihn, Monro und die Caldarer einhüllte. Er wunderte sich noch, doch mit einem Augenzwinkern schaltete sein Bewußtsein ab.
9.
Kurz nachdem in der Kommandozentrale die zweite Wachschicht ihren Dienst angetreten hatte, meldete sich der ehemalige Kom mandeur der Terranischen Weltraumflotte bei seinem Mutterschiff. Es war 0:16 Uhr Bordzeit, und Leon Bebir, der Zweite Offizier, hatte gerade den niederländischen Fähnrich Vanhaaren auf die Galerie hinaufgeschickt, um in der kleinen Kombüse dort oben Kaffee für alle aufzubrühen. Bebir war noch nicht ganz wach, dazu hing ihm ein schlechter Traum nach. Bastjan Vanhaaren zog also seine zwei hundertzwanzig Pfund das Treppengeländer hinauf. Es war seine erste Dienststunde in der Zentrale. Natürlich steckte auch ihm die Bettschwere noch in den Knochen. Rikers Neuigkeiten allerdings waren von der Art, die wie starker Kaffee wirkten und jede Müdig keit vertrieben. Bebir holte Hen Falluta zurück aus seiner Kabine und ließ auch den Commander wecken. »Was ist denn los, Leon?« Der Erste Offizier tauchte hinter der Balustrade auf. Sein Oberkörper war noch halbnackt, mißmutig schlüpfte er in seine Kombi zurück. »Neues von Riker, Hen. Die Unterwasserkurrgen wissen von einer goldenen Statue. Die Figur stellt angeblich einen Angehörigen ihres Volkes dar; einen ohne Gesicht.« Neben Falluta, in eine Art Kimono gehüllt, erschien Ren Dhark. »Sie haben stundenlang in ihren Da tenbanken recherchiert, bis sie die Koordinaten gefunden haben. Riker hat sie durchgegeben.« Drei Minuten später diskutierten sie Dan Rikers Informationen unten in der Zentrale. Vanhaaren schenkte Kaffee aus. »Ein altes Heiligtum, wie interessant«, murmelte Ren Dhark. »Hatten sie also eine gemeinsame Religion, die kriegerischen Leute da unten.« »Niemand, der mörderische Kriege führt, kommt ohne Religion aus«, sagte Manu Tschobe trocken. Er hielt für die nächsten vier Stunden die Stellung an den Ortungsinstrumenten.
»Das Heiligtum stammt angeblich aus derart grauen Vorzeiten, daß kurrgische Historiker der Vorkriegszeit nicht einmal sein Alter bestimmen konnten«, sagte Bebir. »Es ist einem Gott geweiht, der noch bis zum Atomkrieg als Schöpfergott verehrt wurde. Die Kurr gen haben unseren Männern Luftaufnahmen aus ihren Datenbanken geholt – irgendwann einmal muß irgend jemand der Statue die Arme abgeschlagen haben.« Er nickte dem Fähnrich zu. »Nicht schlecht, Ihr Kaffee, Vanhaaren.« »Klingt ziemlich verrückt, was sie Dan da unten erzählt haben.« Wieder und wieder ging Ren Dhark den schriftlichen Ausdruck des Funkprotokolls zwischen dem Zweiten Offizier und Dan Riker durch. »Totalausfall rund um das Heiligtum. Kein Motor funktio niert, kein Navigationsrechner, nichts. Unglaublich! Geschosse fallen ohne nennenswerte Beschleunigung aus den Waffenläufen. Kann sich das jemand vorstellen?« »Die Ladung würde einfach verlangsamt abbrennen.« Tschobe zuckte mit den Schultern. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.« Er holte ein Stück Zucker aus seiner Brusttasche. »Aber bevor wir Worguntechnik entdeckten, konnte ich mir auch nicht vorstellen, tausend Lichtjahre zurückzulegen, während ich einen Zuckerwürfel in meinem Kaffee versenke.« Das Zuckerstück fiel in seinen Kaffee becher. »Und die Kurrgen haben auch keine Erklärung für das Phäno men?« fragte der Erste Offizier. Bebir schüttelte den Kopf. Hen Fal luta leerte seinen Kaffeebecher. »Mal ehrlich: Was würden wir auf der Erde tun, wenn wir festgestellt hätten, daß die Energieversor gung jedweden Geräts zusammenbricht, sobald man eine imaginäre Linie übertritt, die exakt zweihundert Kilometer von, sagen wir: Stonehenge oder der Sphinx entfernt verläuft?« »Wir würden solange forschen, bis wir den Grund wüßten, Sir«, meldete der Fähnrich sich zu Wort. »Korrekt, Vanhaaren!« sagte Falluta. »Wir würden keine Ruhe ge ben, bis wir eine Erklärung hätten. Die da unten haben aber keine
Erklärung. Verstehe ich nicht. Hat sie das Phänomen nicht interes siert?« »Sicher.« Der Zweite Offizier streckte seinen leeren Kaffeebecher aus, und der Holländer schenkte nach. »Aber wie will man einer Erscheinung auf den Grund gehen, die Radar, Ultraschallsonden, ja sogar eine Stablampe schachmatt setzt? Dazu kommt, daß die Regi on um das Heiligtum als extraterritoriales Gebiet galt. Eine mächtige Priesterkaste führte dort das Regiment. Archäologische Grabungen waren angeblich tabu.« »Na gut.« Dhark faltete den Protokollausdruck zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. »Es gibt keine Priesterkaste mehr, von einem Tabu wissen wir nichts, und wir sind weiter als zwei hundert Kilometer entfernt von jenem ominösen Heiligtum. Genug der Worte also, schreiten wir zur Tat: Wir fliegen die Koordinaten an, untersuchen die Umgebung der Statue und schöpfen das Potential unserer Instrumente aus. Mal sehen.« Er wandte sich an Leon Bebir. »Wir brauchen Verstärkung an den Ortungsinstrumenten. Lassen Sie Leutnant Grappa und Sergeant Yell wecken. Wer hat auf der astro nomischen Abteilung Dienst?« »Dr. Sheffield und ein Fähnrich«, sagte Falluta. »Er soll Bentheim aus der Koje holen. Und in der wissenschaftli chen Abteilung?« »Bressert und Dao By.« »Sie sollen sich noch vier Mann Verstärkung aus den Kabinen ho len. Ein Archäologe und ein Kontinuumsexperte sollten dabeisein. Ich will, daß jeder Quadratmeter in der Umgebung des Heiligtums aufgenommen, vermessen und auf alle Strahlungsarten hin abge sucht wird. Und ein Team soll sich sämtliche Aufnahmen von der Planetenoberfläche noch einmal anschauen, die in den letzten beiden Tagen gemacht wurden.« Der Commander ging zum Kommando stand und ließ sich in seinen Sessel fallen. »Die Bilder der Regionen, die wir auf der Nachtseite überflogen haben, müssen besonders gründlich geprüft werden. Arbeit ist angesagt!« Er drückte eine der
Sprechtasten am Funkmodul. »Commander an Funkzentrale, ich brauche eine Verbindung mit Dan Riker…« * Das Wasser hatte geschmeckt, als hätten sie es frisch aus einer Quelle geschöpft. Das Essen war ästhetisch alles andere als anspre chend gewesen – ein grüner, schleimiger Brei mit erbsengroßen Kü gelchen einer schwarzen, festen Masse –, aber es hatte ganz an nehmbar geschmeckt eigentlich, und was noch wichtiger war: Dan Riker hatte es gut vertragen. Und seine Männer auch, soviel er wußte. Nach der Abendmahlzeit waren sie dann mit einem Aufzug ins Obergeschoß des Zentralturms gefahren. Dort bekamen die Terraner eine Art Suite zugewiesen, grottenar tige Schlafkammern, die rund um einen zentralen Kuppelraum gruppiert waren. Eine Liege, sanitäre Anlagen, eine Waschgelegen heit – viel mehr konnte man nicht verlangen. Der Blick aus dem kleinen Fenster allerdings war enttäuschend: Da gab es keine Aus sicht zu genießen – das taghelle Licht unter der Kuppel hatte einer nur von wenigen Lichtquellen in den Wohntürmen erhellten Dun kelheit Platz gemacht; künstliche Nacht statt künstlichem Tag. Tief unter sich sah Riker einen Lichtpunkt, der zum Rand der Kuppel schwebte; eine beleuchtete Gondel vermutlich. Er schlief etwas länger als fünf Stunden. Danach lag er wach, und seine Gedanken kreisten um die Ereignisse der letzten zwanzig Stunden. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in fast fünfhundert Me tern Meerestiefe unter einer Kuppel in einem Wohnturm auf einer zu kurzen Pritsche zu liegen und sich einen Tag durch den Schädel ziehen zu lassen, in dem es von Unannehmlichkeiten nur so ge wimmelt hatte: debile Mutanten, ein Mordversuch, ein sinkendes U-Boot, entsetzliche Musik. Es war auch merkwürdig, von lauter Militär umgeben zu sein; und merkwürdig vor allem, in eine Stadt
unter Wasser tauchen zu müssen, um auf die Spur eines Goldenen zu stoßen. Aus dem Zentralraum vor der Tür redete jemand. Er lauschte. Artus’ Stimme war deutlich von anderen zu unterscheiden. Auch den Fähnrich hörte er hin und wieder etwas sagen. Die tieferen Stimmen gehörten Kurrgen. Pirtik hatte Riker am Abend zuvor um die Einwilligung zu einem Treffen zwischen Artus und einer Gruppe theinischer Wissenschaftler gebeten. Die waren scharf auf die Funk tionsweise einer mobilen Maschinenintelligenz. Riker hatte nichts dagegen und der Roboter auch nicht, allerdings schärfte Riker ihm ein, über Worgun und Worguntechnik vorerst nur Andeutungen zu machen. Die Wissenschaftler waren im oberen Stockwerk eingetrof fen, kurz bevor Riker und die Männer sich in ihre Schlafräume zu rückgezogen hatten. Und jetzt, mehr als fünf Stunden später, be fragten sie ihn immer noch. Die U-Bootkapitäne Perdon und Arrgol fielen Riker ein. Wie hart näckig sie sich geweigert hatten, den Roboter als denkendes und fühlendes Wesen zu akzeptieren. Er mußte grinsen. Den kurrgischen Wissenschaftlern schienen solche Vorbehalte fremd – wie mit ih resgleichen plauderten sie mit dem Maschinenmann. Und ging es ihm nicht selbst immer häufiger so? Begegnete er dem Roboter nicht genau wie Hornig oder Häkkinen? Manchmal mußte er sich förmlich zu dem Gedanken zwingen, daß Artus kein menschliches Wesen, sondern eine Künstliche Intelligenz war. Das Vipho an seinem Handgelenk leuchtete auf. Einen Augenblick später erschien Ren Dharks Konterfei auf dem Minimonitor. »Du bist wach, Dan?« »Frag nicht so scheinheilig. Wenn ich geschlafen hätte, wäre ich es spätestens jetzt. Habt ihr die Statue gefunden?« »Noch nicht. Ist aber nur eine Frage der Zeit. Wie beurteilst du die Informationen der Theiner? Sind sie vertrauenswürdig?« »Schwer zu sagen.« Riker setzte sich an den Rand seiner Pritsche. »Ich kenne ihre Führung erst seit ein paar Stunden und bin noch mit
keinem von denen auf einem Einsatz gewesen. Aber wir haben kei nen Anhaltspunkt für eine Falle oder so etwas gefunden, falls du das meinst.« »Wie schätzt du die Regierung ein? Was sind das für Leute?« Wie es aussah, sammelte der Commander Hintergrundinformationen. Typisch – er suchte nach Entscheidungskriterien. Konnte er den Be fehl für eine Expedition zu der urzeitlichen Kultstätte verantworten oder nicht? Immerhin ging es um die Haut seiner Leute und um die seines besten Freundes. »Nun ja, ein sogenannter Admiralitätsrat. Eine Militärdiktatur mit anderer Bezeichnung. Eine saubere allerdings. Gefallen mir ganz gut, die Admirale, scheinen patente Kerle zu sein. Aber das sage ich nur unter Vorbehalt. Bin erst ein paar Stunden hier unten, wie gesagt, ich kann noch nicht hinter die Kulissen blicken.« »Würden sie eine Expedition auf dem Festland organisieren? Ir gendwie müßtet ihr ja zu der Statue des Goldenen hingelangen. Würden sie dafür sorgen? Was meinst du?« Riker überlegte. Vor der Tür, im zentralen Gemeinschaftsraum, hörte er die Kurrgen Geräusche ausstoßen, die wie Gelächter klan gen. Er glaubte, Doneks Stimme heraushören zu können. »Im Mo ment sieht es so aus, als würden sie sogar zum Feuerlöschen in No regs Bergbunker ausrücken, wenn wir sie darum bitten.« »Und du? Willst du mit deiner Gruppe selbst gehen, oder soll ich euch ablösen?« »Mann, Ren!« Riker stöhnte. »Hast du keine intelligenteren Fragen auf Lager?« »Okay, alter Freund.« Der Commander grinste. »Schlaf noch ein bißchen. Ich melde mich wieder bei dir, sobald wir genügend Fakten für eine Entscheidung gesammelt haben…« * Die POINT OF schlug einen spiralförmigen Kurs um die Kurrgen
weit ein. Etwa sechs Mal umkreiste sie so den Planeten. Sieben Stunden, nachdem Grappa seinen Dienst angetreten hatte, ortete er die gesuchte Region. Ren Dhark schickte ihn und Yell wieder in die Kojen. Arc Doorn und der Fähnrich Jean Gaultier lösten sie am Or tungsstand ab. Sie unterteilten das Gebiet rund um den vermuteten Standort der Statue in konzentrische Kreise, einer jeweils mit zwei Kilometer größerem Radius als der vorherige. Ringfläche um Ring fläche entstand so, hundert Stück insgesamt. Jede Ringfläche wurde gründlich untersucht. Und tatsächlich: Bis einschließlich der neu nundneunzigsten peilten sie ein Energiefeld an, das exakt ab der Grenze zwischen neunundneunzigster und hundertster Ringfläche nicht mehr meßbar war. »Komisch«, sagte Arc Doorn. »So ein Energiemuster kenne ich nicht. Habe ich noch nie zuvor gesehen.« Die erste Auswertung der Bildaufnahmen des betreffenden Ge bietes halfen nicht weiter. Im Gegenteil sorgten sie für Verwirrung: Die Tasteraufnahmen zeigten nämlich weder scharf abgegrenzte Geländestrukturen noch Gebäude und erst recht keine Statue. Dieses Ergebnis alarmierte Ren Dhark. Er ließ Chris Shanton aus der Koje holen. Shanton betrat fünfzehn Minuten nach dem Weckruf die Zentrale. Sein Robothund Jimmy trottete hinter ihm her. Shanton lutschte Pfefferminz, hatte rote Bindehäute und roch nach Schweiß. Gewissen Leuten verzieh der Commander alles. Er brachte den Wissenschaftler auf den aktuellen Informationsstand. »Und jetzt sehen Sie sich das an, Chris.« Der Commander deutete auf die Bild kugel im Zentrum der Kommandobrücke. »Ein Flash hat die Auf nahmen gemacht, als wir die Welt der Kurrgen kartographierten. Das ist das Gebiet, auf dem die Statue stehen müßte.« »Woher wissen Sie das?« Shanton gähnte. »Haben Sie nicht zugehört? Riker hat uns die Koordinaten aus der Unterwasserstadt durchgegeben.«
»Ach so.« Shanton verglich die Aufnahmen mit den Daten der Ortung. »Ein Energiefeld mit einem Radius von zweihundert Kilo metern, es stimmt.« »Aber schauen Sie sich die undeutlichen Aufnahmen an!« Seine eigene Ratlosigkeit ärgerte den Commander. »Sicher, sie wurden gemacht, als die Region auf der Nachtseite des Planeten lag! Aber wenigstens ein paar Gebäude, ein paar Höhenunterschiede, einen Flußlauf oder ähnliches müßte man doch erkennen! Und die Statue sowieso.« »Stimmt«, brummte Shanton. »Und was meint der Checkmaster?« »Fragen wir ihn doch.« Sie schickten die Aufnahmen und die Meßdaten der Ortung an den Bordrechner. Dreißig Sekunden später hatten sie dessen Antwort. »Zielkoordinaten und Koordinaten aus dem Unterwasserbunker stimmen überein«, erklärte die Kunststimme des Checkmasters für alle hörbar. »Das Energiefeld ist deutlich meßbar. Es scheint expo nierte Punkte des Geländes zu verschleiern. Auf der Basis der mir vorliegenden Informationen kann ich die Qualität und die wahre Stärke dieser Energie nicht analysieren. Ich rate dringend davon ab, den Wirkungsbereich dieses Energiefeldes zu betreten.« »Das war deutlich.« Der Commander schnitt eine enttäuschte Miene. »Blasen wir die Expedition dorthin ab.« »Geben Sie uns noch ein paar Minuten, Ren«, sagte Arc Doorn. Der Sibirier stand neben dem übergewichtigen Shanton. Noch immer beschäftigten sich beide mit den Aufnahmen. »Mir schwant da et was.« Shanton und Doorn verglichen noch einmal jeden einzelnen Meß parameter der Ortung mit den Nachtaufnahmen der Flash aus den letzten beiden Tagen. »Die Ortung deutet Geländestrukturen zumindest an«, sagte Shanton schließlich. »Sie stößt sogar auf dichte Materie in einer zwanzig Meter hohen Niveauerhöhung, und zwar genau an der Stelle, wo das sogenannte Heiligtum stehen müßte. Da gibt es Metall
oberhalb der Erdoberfläche, kein Zweifel. Die Nachtaufnahmen da gegen zeigen an dieser Stelle nur eine fast ebene Gras- und Busch landschaft. Seltsam allerdings ist die schlechte Qualität der Bilder. Sie unterscheidet sich deutlich von der Schärfe der Aufnahmen au ßerhalb dieser Region.« »Und wie interpretieren Sie das?« Dharks Finger trommelten auf der Armlehne seines Sessels herum. So langsam verlor er die Ge duld. »Es erinnert mich an manipulierte Bilder.« »Was sagen Sie da?« brauste der Commander auf. »Ja, wirklich. Filmaufnahmen, die jemand überarbeitet hat, sehen ganz ähnlich aus.« »Verdammt!« fluchte Doorn. »Chris hat recht.« »Ich würde auf den Checkmaster hören.« Shanton erhob sich. »Ich nicht«, sagte Dhark. »Dan hat schon härtere Nüsse geknackt.« * Mit dem künstlichen Tageslicht kam auch die Nachricht von der POINT OF in die Kuppelstadt auf dem Meeresgrund. »Es ist soweit, Dan. Wir haben die Region rund um die Statue analysiert. Es bleiben eine Menge Fragezeichen.« Ren Dhark schenkte Riker reinen Wein ein, was die Arbeitsergebnisse der vergangenen Nacht betraf. Äu ßerst magere Ergebnisse: Genau wußte man im Grunde nur, daß man nicht viel wußte. Riker wollte trotzdem versuchen, zum Hei ligtum vorzudringen. »Gut, Dan. Danke. Frag die Militärführung der Theiner, ob sie euch eine Expedition zur alten Kultstätte organisieren. Wir behalten euch bei jedem eurer Schritte im Auge.« »Na, wie beruhigend, alter Freund.« Riker deaktivierte sein Visi phon, das Gesicht Ren Dharks darauf verblaßte. Der Terraner in formierte seine Männer und Artus und bat um eine Unterredung mit dem Großadmiral. Der ließ nicht lange auf sich warten. »Selbstver
ständlich«, sagte er, als der Terraner ihm im Namen Ren Dharks die Bitte um eine Expedition aufs Festland vorgetragen hatte. Rikers Eindruck bestätigte sich: Aus Dankbarkeit für die Rettung vor No regs atomarer Übermacht hätte der Großadmiral vermutlich selbst den abwegigsten Bitten der Terraner zugestimmt. Die Kurrgen rüsteten drei gepanzerte Kettenfahrzeuge aus -Proviant, Munition, Werkzeuge bis hin zu Macheten und Zünd hölzern verstaute man in den Laderäumen. Die Fahrzeuge verfügten über eine Ummantelung aus Blei und waren mit großkalibrigen Ge schützen ausgerüstet. Man konnte sich ohne Strahlenschutzanzüge in ihnen aufhalten. Jeder Panzer bot Platz für vier Personen. Außer über einen Verbrennungsmotor – für synthetisches Benzin – verfüg ten die Fahrzeuge über Luftkissenturbinen, konnten zur Not also auch auf dem Wasser manövriert werden. In der zweiten Tageshälfte schleusten kurrgische Marineangehö rige die drei Panzer in einem U-Boot ein, das noch eine Klasse größer war als die TANAR. Nach einem verstorbenen Großadmiral hieß es PINSEK. Der Kapitän, ein alter Kurrge namens Endem, beaufsich tigte die Arbeiten persönlich. Er hatte den Auftrag, die Terraner und die begleitenden Panzerbesatzungen von Arkena bis an die Küste zu bringen. Das Kommando über den Außeneinsatz erhielt auf kurrgi scher Seite Arrgol, der Kapitän der zerstörten TARANTOR. Admiral Gesnil führte die Terraner unterdessen durch die Kup pelstadt. Er erklärte die Bauweise, das Versorgungssystem, die Ge wächshäuser und verschiedene Produktionsstätten. Artus zeigte sich hin und weg von der Blütenpracht in den Gewächshäusern, wäh rend Riker die U-Bootwerft am meisten beeindruckte. Am Abend gab es ein Festbankett zu Ehren Rikers und seiner Truppe. Zum ersten Mal traten bei dieser Gelegenheit Frauen in Erscheinung. Sie servierten die exotischsten Speisen – meist synthe tisch, teilweise aber auch aus sterilisierten Algen hergestellt – und führten eine Art Singspiel auf. Flüsternd erklärte der Admiral den Text während der Aufführung, und der Translator übersetzte seine
Worte zuverlässig: Es ging um einen jungen theinischen Kadetten, der es vorzog, sein Leben für seine Unterwassernation zu opfern, statt die Liebe einer langumworbenen und endlich gewonnenen Kurrgenfrau zu genießen. Zurück in ihren Quartieren waren sich die Terraner einig: Eine sentimentale und pathetische Geschichte voller Propaganda und ohne wirkliche Dramatik. Dazu, wie nicht anders zu erwarten, eine unerträgliche Musik. Allein Artus zeigte sich angetan. »Wunderbar«, schnarrte er am Ende des Tages. »Romantisch und traurig. Einfach wunderbar.« Früh am nächsten Morgen betraten sie die Schleusen des U-Docks und gingen an Bord der PINSEK. Großadmiral Pirtik funkte ein Grußwort. Danach manövrierte Endem sein Atom-U-Boot durch das Schleusensystem von Arkena und schließlich ins offene Meer hinaus. Das Zentralgestirn stand im Zenit über der Kurrgenwelt, als die PINSEK unweit der Mutantensiedlung vor der Küste auftauchte. Arrgol ließ die Panzer ausschleusen. * Ein Flash schien ihm schon reichlich eng zu sein, bei seiner ersten Fahrt in einem Kurrgenpanzer aber ahnte Dan Riker, wie ein Mann mit Platzangst sich fühlen mußte. Wie in einer Fischkonserve einge schlossen kam er sich vor. Kaum Platz, sich am Kinn zu kratzen, geschweige denn am Hintern. Er saß neben dem Kommandanten sessel. Darin thronte Arrgol. Offenbar konnte der Kapitän nicht nur U-Boote steuern, sondern auch Panzer. Riker hoffte, der kurrgische Offizier würde mit der rollenden Konservenbüchse mehr Glück ha ben als mit seiner TANAR. »Haben Sie schon mal Bilder vom Amazonasdelta gesehen?« fragte Häkkinen. Der Fähnrich hockte hinter Riker neben einem Kurrgen, der Navigator und Kanonier zugleich war. Er bezog sich auf die Bilder der Außenkamera. Die konnten sie auf einem langen, rechte
ckigen Monitor über der Steuerkonsole bewundern. Sie erinnerten Riker an eine mit Weitwinkelobjektiv aufgenommene Sumpfland schaft. »Habe ich«, sagte Riker. »Warum fragen Sie?« »Der Dschungel da draußen erinnert mich daran.« »Finde ich nicht. Die Bäume hier sind lange nicht so hoch wie dort. Nichts als Krüppel. Schauen Sie sich doch mal die Kronen an – lauter traurige Gestalten, mehr rostbraun als grün. Und dann der Fluß – wie mit dem Lineal gezogen durchschneidet er den Wald…« »Das ist kein Fluß.« Der Translator war eingeschaltet, Arrgol konnte mithören. »Das ist ein künstlicher Kanal. Er führt zum küns tlichen Hafen einer Stadt, deren Namen ich leider vergessen habe.« Im Unterholz des dichten Waldes hätte es kein Durchkommen ge geben. Deswegen schwebten sie auf Luftkissen in der Mitte des Ka nalbettes ein paar Zentimeter über der Wasseroberfläche landein wärts. Im Panzer hinter Arrgols Fahrzeug fuhren Leutnant Hornig und Val Brack mit, im dritten Fahrzeug, am Ende des kleinen Ver bandes, Artus. Der Himmel hatte die Farbe einer nicht reif gewor denen und allmählich faulenden Tomate. Eine Stunde später erreichten sie den Hafen, von dem Arrgol ge sprochen hatte: meterhohes Schilf an ehemaligen Anlegestellen, Frachtkräne voller Klettergewächse, aus dem Wasser ragende Ko rallenriffe, die sich als gekenterte Schiffe entpuppten. Das, was der Kapitän Stadt genannt hatte, war eine von Grünzeug eingesponnene Ansammlung skurriler Metallskelette, zersplitterten Gemäuers und abgebrochener Schornsteine (oder waren es Antennen?), auf denen irgendein Riesenvogel seinen Horst aufgetürmt hatte. Immerhin fanden sie die Trasse einer alten Straße. Die Panzer pflügten durch Schutthügel, Schlaglöcher und mannshohes Gras. Drei Stunden, dann lagen die Ruinen hinter ihnen, und eine Hügel landschaft voller Buschwerk und verkrüppelter Bäume weitete sich auf dem Monitor. Gemessen an irdischen Bäumen jedenfalls kamen sie Riker verkrüppelt vor: schief gewachsen, verdrehte Stämme, weit
gespreizte Kronen. Der Himmel färbte sich doch noch rot, die Sonne, die faulende Tomate, ging unter, und Arrgol ordnete eine Rast an. Sie schliefen im Sitzen. Anders ausgedrückt: Die Terraner schliefen überhaupt nicht. Beim ersten Tageslicht brüllten die Motoren auf. Weiter. Die Hügellandschaft ging in eine Art Steppe über – flach, wenig Gras, kaum Büsche, massenhaft Geröll. Gegen Mittag deutete Häk kinen auf den Monitor. »He! Schon wieder so eine Totenstadt!« Riker schob seinen Arm weg, er hatte es nicht gern, wenn ihm jemand die Ohrmuschel abknickte. »Sie irren sich, Kadett«, sagte Arrgol knapp. »In dieser Gegend bauten unsere Vorfahren keine Städte.« Was Häkkinen für Ruinen gehalten hatte, entpuppte sich als Fels formationen: Bögen, Türme, Terrassen. Und dazwischen Findlinge, Geröll und Sand. Stundenlang pflügten sie durch diese trostlose Landschaft. Riker hatte sich selten so gelangweilt. »Was ist das für ein Hügel da?« funkte der Fahrer des letzten Panzers. »Wovon sprechen Sie?« Arrgol beugte sich vor und betrachtete das Panoramabild auf dem Monitor. Zwischen einem etwa zehn Meter hohem Findling und einem Felsturm wölbte sich ein Erdhaufen im Geröll. »Was soll an dem so ungewöhnlich sein?« blaffte Arrgol. »Vielleicht, daß er wächst«, sagte Häkkinen. »Tatsächlich! Sie haben recht, Fähnrich!« Rikers Fäuste umklam merten die Armlehnen seines Sitzes. Der Hügel wuchs nicht nur, er spie auch Geröll und Erde aus. »Ausweichen!« befahl Arrgol. Er funkte Koordinaten für einen Alternativkurs. Riker entdeckte einen zweiten Hügel, der wuchs und spuckte, Häkkinen einen dritten und die Navigatoren der hinteren beiden Panzer einen vierten und fünften. Aus dem ersten ragte zu diesem Zeitpunkt schon etwas, das Riker im ersten Moment an einen
Baggerlöffel erinnerte. »Volle Gefechtsbereitschaft!« rief Arrgol. Riker griff an seine Hüfte – ein völlig unsinniger Reflex: Zum einen saß er in einem schwerbewaffneten Panzer, zum anderen befand sich sein Strahler in seinem Rucksack, und sein Rucksack lag irgendwo hinter Haiko Häkkinen im Stauraum des Panzers. Der Terraner versuchte sich vorzustellen, wie man in der Enge der Panzerkabine einen Schutzanzug anlegte. Dieser Versuch machte ihn fast noch nervöser als das, was er auf dem Monitor sehen mußte. Aus dem zuerst gesichteten Hügel streckte sich ein weiteres Ding gegen den Himmel, das an eine Baggerschaufel erinnerte: schmutziggrau, vier spitz zulaufende Klauen, gebogen wie Säbelklingen, oder nein: wie antike Sicheln sogar. Zwischen den Sichelschaufeln schob sich etwas wiederum Spitzes, aber Haariges aus der Erde. »Wir sind von den Scheißhügeln umgeben!« Häkkinens brüchige Stimme verriet Riker, daß der Finne dasselbe sah wie er: Ein schwarzes, pelziges Ungetüm drückte den Erdhügel auseinander. »Wir sind mittendrin!« Der Junge verfügte über eine beachtliche Auffassungsgabe; für Riker war das ein Grund unter anderen ge wesen, ihn für seinen Spähtrupp auszuwählen. Nun allerdings, an gesichts der schwarzen Pelzmasse, die den Monitor ausfüllte, nun überschlug sich seine Stimme, und er schien die Fassung zu verlie ren. »Schreien Sie hier nicht so herum, Fähnrich!« raunzte Riker ihn an. »Wir sind auf einem fremden Planeten, Sie sehen eine fremde Le bensform. Das ist alles. Also bleiben Sie gefälligst ruhig.« Und an die Adresse des Kapitäns: »Was sind das für Biester?« »Jedenfalls keine Fische!« Die Antwort fiel reichlich schroff aus. »Irgendwelche Mutationen, das sehen Sie doch! Ich bin kein Spezia list für Lebensformen außerhalb des Meeres!« Er hatte den Panzer gestoppt. Das schwarze Ungetüm auf dem Monitor änderte seinen Kurs und stapfte dem zweiten Panzer entgegen, in dem Brack und der Leutnant saßen. Es war ungefähr neunzehn Meter lang und drei Meter hoch. Ein kurzhaariges schwarzes Fell bedeckte seinen röh
renförmigen Körper bis auf die baggerschaufelartigen Vorderläufe und die graue, feuchte Spitzschnauze. Hinterläufe waren nicht zu erkennen, auch sah Riker weder Ohren noch Augen. »Schießen Sie es ab!« befahl Arrgol. Der Kurrge neben Häkkinen brummte eine Bestätigung. Zwei Se kunden später vibrierte der Panzer, es rauschte und röhrte, und eine ohrenbetäubende Detonation riß an Rikers Trommelfellen. Ein Lichtblitz zuckte über den Monitor, Qualm und Staub zogen über ihn und verdeckten jegliche Sicht. Als der Schleier aus Dreck und Rauch sich lichtete, zuckte eine blutigrote Masse im Geröll. »Sie greifen uns an!« Der Fahrer des Panzers, in dem Artus mit fuhr, sandte einen Notruf. »Drei Wühler greifen uns an!« schrie er, und die gigantischen Biester hatten ihren Namen weg. »Sie müssen uns helfen, Kapitän Arrgol!« Der Expeditionsleiter bellte etwas, das der Translator mit Weichei und Heulsuse übersetzte. Zugleich schaltete er auf die Heckkamera um und befahl dem zweiten Kurrgen an Bord, den Gefechtsturm entgegen der Fahrtrichtung zu schwenken. Der Monitor verblaßte kurz und baute sofort ein neues Bild auf, eine Szene, die Riker den Atem raubte: Drei schwarzpelzige Bestien fielen über den letzten Panzer her. Mehr als doppelt so hoch und so lang wie das Ketten fahrzeug, warf sich eine auf den Geschützturm, während die ande ren beiden mit ihren Klauen danach schlugen und ihre spitzen Schnauzen gegen den Rumpf stießen. Arrgol verging das Fluchen. Obwohl er kein Irdischer war, ent nahm der Terraner seiner Mimik, daß auch er weiche Knie bekam und auch ihm jetzt zum Heulen zumute war. Riker selbst stützte sich auf seine Armlehnen und konnte kaum glauben, was seine Augen doch viel zu deutlich sahen: Die Wühler stießen den Panzer um, eine Klaue schlug die Luke vom Turm, eine andere griff hinein und zerrte einen Kurrgen ans Tageslicht. »Scheiße, verdammte«, flüsterte Häkkinen im Hintergrund, und selbst der abgebrühte Riker bekam feuchte Augen, als Kopf und
Rumpf des Kurrgen zwischen riesigen Hauern verschwanden und ein zweiter Wühler nach den Beinen des Humanoiden schnappte und solange daran zerrte, bis der Körper des Unglücklichen schließ lich auseinanderriß. Ein Aufbäumen ging durch Arrgols Gestalt. »Feuer!« brüllte er. »Warum schießt ihr nicht, ihr Weicheier!« »Die Schußposition!« kam es aus dem Funk, und der Kurrge neben Häkkinen sagte: »Wenn ich den Panzer treffe, sind die anderen auch erledigt!« »Ist das alles ein dämlicher Zufall, oder sind wir in einen Vertei digungswall des sogenannten Heiligtums geraten?!« schrie Riker. Niemand antwortete ihm. Dafür fuhr plötzlich ein gleißender Strahl aus der Turmluke des umgestürzten Panzers. Eines der Un getüme trollte sich mit brennendem Schädel, brach hundert Meter vom Havaristen entfernt zusammen, zuckte ein paarmal und streckte endlich reglos alle vier Läufe von sich. Die anderen beiden wichen immerhin ein paar Meter zurück. Jemand kroch aus der Luke des umgestürzten Panzers. Riker er kannte den Metallkörper des Roboters. Ohne Helm kein Helmfunk, und ohne Helmfunk kein Funkkontakt zu seinem wichtigsten »Mann«. Wie gebannt starrte Riker auf den Monitor: Seinen Strahler im Anschlag, drehte Artus sich um seine Vertikalachse. Der dritte noch lebende Wühler näherte sich ihm und dem umgestürzten Ge fährt. Drei schwarzpelzige Bestien umzingelten den Maschinen menschen nun. Enger und enger zogen sie ihren Ring. »Schießen Sie bloß nicht«, sagte Riker. »Befehlen Sie das auch dem zweiten Panzer. Los!« »Was fällt Ihnen ein, Dan Riker!« Arrgol war ernsthaft wütend. »Leite ich die Expedition oder Sie?!« »Sie, verdammt! Aber es geht um meinen Mann!« »Mann?« Arrgol lachte bitter. »Maschine, meinen Sie! Die sind er setzbar!« »Leck mich, du Saftarsch!«
Arrgol sah den Terraner völlig entgeistert an. »Die Bemerkung verstehe ich nicht, Dan Riker!« »Artus und der Kurrge im Panzer sollen sich ruhig verhalten!« Plötzlich mischte sich der Fähnrich ein. »Wir und der andere Panzer fahren mit Vollgas davon!« »Was für ein Schwachsinn!« entfuhr es Riker. »Doch, Sir! Die Bestien sind blind! Haben Sie nicht bemerkt, wie das Vieh den Kurs wechselte, als Arrgol den Motor abstellte? Die orientieren sich an den Schallwellen, glauben Sie mir!« Keiner hatte eine bessere Idee. »Folgen Sie mir!« befahl Arrgol dem zweiten Panzer. Die Motoren brüllten auf, bald entfernten sich die Panzer von Artus und dem Havaristen. Prompt machten die unte rirdischen Bestien kehrt und sprangen ihnen hinterher. »Ist die Schußposition jetzt ideal genug, oder was?!« blaffte Arrgol, als schon annähernd zwei Kilometer die Panzer und Artus trennten. Zwei Wühler verfolgten sie in einer Entfernung von dreihundert Metern. Den dritten hatte der Roboter mit seinem Strahler noch töten können. Sekundenbruchteile später vibrierte der Panzer. Zwei Lichtblitze zuckten über den Monitor, zwei Detonationen folgten kurz aufeinander, und zwei Fontänen aus Geröll und Erde stiegen an den Stellen auf, wo eben noch die Bestien galoppiert waren. Sie fuhren zurück. Der havarierte Panzer war so schwer beschä digt, daß Arrgol ihn aufgab. Sie luden den Proviant und die Aus rüstung um. Artus stieg bei Brack und Hornig dazu, der überlebende Kurrge in Arrgols Flaggpanzer. Es wurde noch enger, und Rikers Laune tendierte gegen Null. * Sie fuhren weiter, das Hügelland verwandelte sich nach und nach in ein Mittelgebirge. »Wie weit noch?« wollte Riker irgendwann wissen. »Wie weit noch?« gab Arrgol die Frage an seinen Navigator und
Waffeningenieur weiter. »Keine Ahnung. Vielleicht zweihundertzehn Kilometer.« »Was heißt hier ›keine Ahnung‹?« Arrgol brauste auf. »Was heißt hier ›vielleicht‹?« »Ich bekomme keine präziseren Angaben mehr von meinem Rechner!« Auch dem Kurrgen neben Häkkinen platzte der Kragen. »Ich kann nicht einmal korrekt unsere Position bestimmen!« Die Grenze, schoß es Riker durch den Kopf. Wir sind auf der Grenze… Ein Tal weitete sich vor ihnen, Bug und Geschützrohr neigten sich nach unten, der Panzer pflügte durch niedriges Buschwerk einen Hang hinab. Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, erlo schen sämtliche Kontrollichter auf der Instrumentenkonsole. Arrgol drosch auf der Sprechtaste des Funkmoduls herum und rief nach dem Piloten des zweiten Panzers. Die Antwort war kaum zu ver stehen. Der Monitor verschneite, und aus dem Rumpf des Panzers dröhnte ein metallenes Stottern. Siedendheiß durchfuhr es Riker. »Sie sollen stehenbleiben!« schrie er. »Der andere Panzer soll sich vom Berghang fernhalten!« Auf dem Monitor sah man längst nichts mehr, aber der Terraner spürte die Beschleunigung. Seiner Steuerung beraubt und den physikalischen Kräften einer schiefen Ebene ausgesetzt, donnerte der Panzer ins Tal hinunter. Doch nicht das regte Riker auf – die schlagartige Einsicht war es, die Einsicht, daß einer wie Artus keine Chance haben konnte auf einem Parkett, wo keine Geräte mehr funktionierten, die auf Energiezufuhr angewiesen waren. Und viel mehr noch die Wut, nicht schon viel früher auf diese naheliegende Erkenntnis gekom men zu sein. »Stoppen Sie den anderen Panzer!« brüllte Riker. Das eigene Vehikel schien über Geröll und durch Bodenspalten zu rasen, denn sie wurden hin und her und auf und ab geworfen in ihren Sitzen. »Zu spät!« schrie Arrgol. »Sie haben längst die Grenze zu…!« Der Rest ging in einem kurrgischen Wortschwall unter. Der Translator hatte den Geist aufgegeben. Riker fuhr herum. »Steigen Sie in Ihren Schutzanzug!« brüllte er
Häkkinen an. Die Geschwindigkeit des Panzers schien abzunehmen. Er rollte aus, stoppte endlich ganz. Riker und der Fähnrich stießen sich Köpfe, Ellenbogen und Knie, während sie ihre Schutzanzüge verschlossen. Häkkinen kletterte über eine Leiter aus dem Kom mandostand des Panzers. Oben angekommen, drückte er die Luke auf. Das schaffte er zwar noch, gleich darauf aber rutschte er Sprosse um Sprosse herab und fiel mit seinem ganzen Gewicht auf Riker. »Teufel auch!« fluchte Riker. Es war nicht das ganze Gewicht des Finnen, das er von sich wälzen mußte, es war mehr als sein doppel tes Gewicht. Die Schwerkraftneutralisatoren waren ausgefallen, auch Riker spürte es längst. Er drückte den Körper des Fähnrichs beiseite und quälte sich die verdammte Stiege hinauf. »Artus«, stöhnte er. »Himmel noch mal, Artus! Warum hat keiner von uns daran ge dacht…!?« Irgendwie schaffte er es, sich aus der Luke ins Freie zu stemmen. Er rollte vom Panzer, prallte schwer in Sand und Geröll. »Verdammt!« Mehr kriechend als laufend erreichte er schließlich den zweiten Panzer. Auf dem Turm stand die versammelte Kurrgenbesatzung und Val Brack. Sie alle hatten ihre Strahlenschutzanzüge angelegt. Gemeinsam zerrten sie erst Hornig und nach ihm den Roboter aus der Einstiegsluke. Metall schlug gegen Metall, als Artus vom Turm rutschte und auf dem Bug des Panzers unter dem Geschützrohr aufprallte. »Zieh mich hoch!« brüllte Riker. Brack fühlte sich angesprochen und gehorchte. Der Cyborg hatte ins Zweite System gewechselt. Konnte das mysteriöse Energiefeld ihm denn nichts anhaben? Auf dem Bauch robbte Riker zu dem reglosen Roboter. Sein Helm be schlug, er schwitzte wie ein Fieberkranker. »Artus! Himmel, Artus! Was ist los mit dir…?!« »Ener… Ener… Energie… Tod… Mensch… Fühlen und Den ken…« Die Kunststimme des Roboters schwallte Worte und Satz fetzen ohne Sinn, ohne Zusammenhang. Riker warf sich auf ihn, packte seinen Blechschädel, fixierte seine Kunstglasaugen. »Ich«,
stammelte Artus. »Ich«, seufzte er. »Jawohl… ich… vorbei es ist… ich… sterbe…« Leiser und verwaschener wurde seine Stimme. »Ichich, sterbe… ichsterbesterbeichsterbe…«
10.
Roy Vegas ließ die Bildkugel inmitten der Zentrale der ANZIO nicht aus seinem Blick. Die 2,68 Meter durchmessende holographi sche Sphäre schwebte über dem Kommandopult frei in der Luft und zeigte die FORSCHEX, die im All schwamm. Mit einem Gedankenbefehl holte Vegas die Ansicht noch näher heran. Jetzt zeigte sich in der Bildkugel das wahre Ausmaß an Zer störungen, von denen der caldarische Vierhundertmeterraumer be troffen war. Eigentlich war es nur noch der Torso eines ehemals großen Schiffes. Inzwischen fehlten ganze Hüllensegmente, die Bildkugel bot Ein blicke in zerstörte Decks und Zwischenräume. Und inmitten dieses Chaos hielten sich seine Männer auf. Sofort nach den eintreffenden Notrufen Monros hatte Vegas Befehl gegeben, die Koordinaten des To-Richtfunksenders an Bord der FORSCHEX im Umkreis von zehn Metern mit Strichpunkt zu be schießen. Unmittelbar danach hatte er die verfügbaren Flash in Marsch ge setzt. Sie sollten seine beiden jetzt bereits bewußtlosen Männer, de ren Flash und die Zentralebesatzung der FORSCHEX bergen, soweit ihnen das möglich war. Hoffentlich kam Hauptmann Nozomi mit den Flash noch rechtzeitig! Seine Nummer Vier hatte auch die Position eines taktischen Offi ziers und koordinierte die meisten Einsätze der Flashpiloten. Als hätte er erraten, daß sich die Gedanken seines Kommandanten um ihn drehten, meldete sich der Astrogator mit der Igelfrisur aus der 001. Er führte das Einsatzkommando an. Sein Gesicht erschien in einem Nebenschirm der Hauptkonsole vor Vegas. »Werden jetzt eindringen, Sir.« Es handelte sich um 18 Flash, die vor dem Wrack der FORSCHEX
scheinbar aus dem Nichts auftauchten. Von ihnen hing möglicherweise das Leben von Hauptmann Mon ro, Fähnrich Erdai und einiger Caldarer ab. Und vom Können ihrer Piloten natürlich. »Tun Sie das«, nickte Vegas. »Und schalten Sie die Aufnahmen zu uns durch, Mister Nozomi.« »Verstanden, Kapitän.« In der zentralen Bildkugel konnte man sehen, wie er den Kopf in den Nacken legte und auf die Deckenprojektion des Beibootes schaute. »Ihr habt gehört, was der Kommandant gesagt hat?« wandte er sich an die Piloten der anderen Flash. »Verstanden«, kam es über die Phase. »Gut. Wir machen folgendes…« Mit raschen Worten koordinierten sie ihr Vorgehen. Alle auf ein mal zu bergen, war nicht möglich. Die Platzverhältnisse im Innern des Schiffes ließen es nicht zu. Die Flash hätten sich nur gegenseitig behindert. Die Miniraumboote waren zwar nur knapp drei Meter lang, aber mit ihren spinnenbeinig anmutenden Auslegern beans pruchten sie dennoch einen gewissen Platz. »Also«, sagte Nozomi abschließend. »Fähnrich Hunter und ich machen den Anfang. Wenn wir wieder draußen sind, folgen die anderen, jeweils zwei fortlaufende Nummern. Einsatzbestätigung!« »Einsatzbereit!« meldeten die Flashpiloten nacheinander. »Dann los! Machen wir uns an die Arbeit!« Die 001 und 002 näherten sich mit aktiviertem Intervallum dem Wrack, schoben sich langsam heran – und glitten durch die Wan dungen, als wären sie nicht vorhanden. Nichts konnte sie aufhalten. Nichts konnte ihnen gefährlich werden. Weder das im Innern wütende Feuer, noch die geborstenen und zusammengefallenen Decks oder die Explosionen. Nebeneinander drangen die Flash in die fast vollständig zerstörte FORSCHEX ein.
»Achtung. Nähern uns Zielkoordinaten«, meldete Roul Hunter. Mit nervöser Anspannung verfolgten die Außenstehenden, wie die beiden Flash die letzten Meter zurücklegten und in das Komman dodeck vorstießen, in dem sich Monro und Erdai befinden mußten. Und da waren sie! Lagen in tiefer Ohnmacht auf dem Boden, um sie herum 15, nein 16 Caldarer, nicht minder regungslos. Die Flash senkten sich auf ihre Spinnenbeinen herab. Die Piloten verließen die Maschinen. »Sehen Sie nach, ob jemand verletzt ist. Angeschossen, mögli cherweise«, befahl Vegas mit nervöser Stimme. »Verstanden. Wir sehen nach.« Dann: »Keiner verletzt, Sir, sie schlafen tief.« Vegas stieß erleichtert die Luft aus. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. »Gott sei Dank sind sie am Leben.« »Beginnen mit der Evakuierung«, ließ sich Nozomis tiefe, schlep pende Stimme vernehmen. »Machen Sie das«, murmelte Vegas, »und machen Sie’s schnell.« Er überlegte einen Moment, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Funk-Z, wo Timulin Mandrake vor dem Hyperkalkulator saß und gelassen den Datenfluß verfolgte, der vom Rechner des calda rischen Raumers in die Speicher des Hyperkalkulators lief. »Wie lange noch, Fähnrich?« »Eine Viertelstunde, Sir. Möglicherweise weniger. Wenn wir Glück haben, schaffen wir noch die vollständige Übertragung, ehe sich der Raumer in Wohlgefallen auflöst.« »Glück ist das Manna der Tüchtigen, Mister Mandrake«, sagte Vegas und griente leicht. »Wußten Sie das?« »Nein, Sir. Höre ich zum erstenmal.« »Na sehen Sie, wieder was gelernt fürs Leben.« Inzwischen ging die Evakuierung aus der FORSCHEX weiter. Die nächsten beiden Flash tauchten in der Zentrale auf, dann die 005 und die 006. Jedes Miniraumboot verließ das sich immer mehr
mit Rauch füllende Kommandodeck mit einem Bewußtlosen auf dem zweiten Sitz und kehrte unverzüglich an Bord der ANZIO zu rück, wo die Caldarer vom Hangar unverzüglich in die Medostation auf Deck fünf gebracht und einer raschen, jedoch gründlichen Un tersuchung unterzogen wurden. Flash 019 hatte den letzten Passagier an Bord. Wie es der Zufall wollte, handelte es sich um den Kommandanten Nurgelb, der damit – freilich ohne es zu wissen – einer uralten terranischen Tradition entsprach, wonach der Kapitän stets als letzter von Bord des sin kenden Schiffes ging. Als letzter deshalb, weil die Biotaster der Flash keine weiteren Le benszeichen mehr orteten. Der 019 folgte noch die 018, mit der Hauptmann Monro und Szol tan Erdai zur FORSCHEX geflogen waren. Sie wurde vom zweiten Mann der 019 geflogen, dessen Platz auf dem Weg zurück der be wußtlose Caldarer eingenommen hatte. »Evakuierung beendet, Sir!« meldete Ron Nozomi noch aus dem Hangar den erfolgreichen Abschluß der Mission. In der Funk-Z sprang Timulin Mandrake wie von der Tarantel ge stochen von seinem Sitz hoch. »Geschafft!« gab er seiner Genugtuung über den gelungenen Coup des Datentransfers aus dem Rechner der caldarischen Raumers laut stark Ausdruck. Er hatte den kompletten Speicherinhalt des Rech ners der FORSCHEX kopiert. Und als wären seine Worte die Initialzündung gewesen, erschien dort, wo sich eben noch das Wrack des caldarischen Schiffes befun den hatte, eine kleine Sonne im All. »Das Versagen der internen Schutzfunktionen hat den Antriebs kern zum Kollabieren gebracht, Sir!« meldete die Ortung. Ein Zufall, wie man ihn geplant niemals hinbekommen hätte, fand Roy Vegas. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück und dachte für ein paar Augenblicke an absolut nichts; das war seine Art der völligen Entspannung. Leider währten die Augenblicke nicht lange. »Sir!«
drang die Stimme der Nummer Drei in der Hierarchie seiner Füh rungsoffiziere in sein Bewußtsein. »Was gibt es, Mister Bekian?« »Die Fernortung registrierte mehrere Transitionsschocks, die ihren Ursprung im caldarischen System haben. Offenbar ist man auf die Explosion der FORSCHEX aufmerksam geworden und kommt mit einigen Schiffen nachsehen.« »Wahrscheinlich, Nummer Drei«, seufzte Vegas. Dann straffte er seine hagere, muskulöse Gestalt. Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar und zog den Uniformrock zurecht. »Mister Godel!« richtete er das Wort an seine Nummer Zwei. »Bringen Sie uns von hier weg. Ich bin nicht auf eine Konfrontation mit den Caldarern erpicht. Nein, ganz und gar nicht«, fügte er hinzu. * Die ANZIO war nicht weit vor den caldarischen Raumern geflo hen. Läppische vier Lichtjahre hatte sie mit Sternensog und verborgen hinter ihrem voll aktivierten Tarnschutz zurückgelegt, um dann mitten im Leerraum ihre Fahrt zu verringern und »nur« mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit durch die schwarze Unendlichkeit zu fallen. Zwischenzeitlich wurden die Kadetten ausgetauscht, um Ruhe pausen zu ermöglichen. Hauptmann Olin Monro war wieder auf seinem Posten. Auch Szoltan Erdai hatte die Attacke des Strichpunktbeschusses ohne größere Nachwirkungen überstanden. Sofort nach ihrem Eintreffen auf der ANZIO hatte man die beiden mittels Injektionen aus ihrer Bewußtlosigkeit geholt und wieder dem normalen Schiffsbetrieb eingegliedert. Ein Becher Kaffee vertrieb auch die letzte Müdigkeit aus ihren Körpern und Köpfen.
Bei den Caldarern ergaben sich Schwierigkeiten, sie mit den übli chen Mitteln aufzuwecken. Ihre Physiologie unterschied sich doch erheblich von der menschlichen. Und so griff man auf ein altbe währtes Hausmittel zurück – man ließ sie einfach schlafen und war tete darauf, daß sie von allein aufwachten. Colonel Vegas hatte Szoltan Erdai, der maßgeblich zum Zustan dekommen des Kontaktes mit den Caldarern beigetragen hatte, vom normalen Dienstbetrieb freigestellt; er brauchte seine Fähigkeiten beim Verhör der aus der FORSCHEX evakuierten Synästheten. Und ein weiteres Mitglied seiner Mannschaft war von den tägli chen Pflichten eines Kadetten auf einem Flottenschulschiff befreit: Timulin Mandrake. Auf seinem Weg in die Räume, in denen die Caldarer untergeb racht waren, schaute Vegas kurz in der Funk-Z vorbei, wo Mandrake konzentriert an der Entschlüsselung der Daten aus dem caldarischen Rechner arbeitete. Seine Finger, Verlängerungen seiner unter Hoch spannung arbeitenden Gedanken, tanzten auf der Tastatur, während sich sein Gehirn in die Logik des Systems versetzte und ihm Befehle erteilte. Ungeduldig wartete er darauf, daß das eingegebene Unter programm startete. »Woran arbeiten Sie gerade, Mister Mandrake?« Vegas beugte sich interessiert über dessen Schulter. »Ah, ich sehe schon. Sie haben eine Hochgeschwindigkeitsdatendekompression gestartet. Die Informa tionen aus dem FORSCHEX-Rechner zieren sich wohl, sich der Zu gangssequenz des Hyperkalkulators anzugleichen, wie?« »Pah!« machte Mandrake abfällig. »Es ist quasi Steinzeitniveau, auf dem die Caldarer arbeiten. Auf eine Weise so einfach, daß das Be triebssystem unseres Rechners nicht weiß, ob es lachen oder das Ganze einfach ignorieren soll…« Hm, dachte Vegas, interessante Formulierung. Völlig unwissenschaft lich, aber originell. »Aber daraus resultiert im Augenblick unser Problem«, fuhr Mandrake fort und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf. »Das
Problem einer Anpassungsanalogie nämlich, verstehen Sie, Sir?« »Erklärung, bitte«, forderte ihn Vegas auf. »Unser Rechner arbeitet auf einem extrem hohen Niveau und vorwiegend mit Näherungswerten, die denen der Gehirne intelli genter Wesen entsprechen, anstatt mit der stupiden zweiwertigen Logik des Ein und Aus früherer Systeme. Die caldarische Technolo gie jedoch arbeitet noch mit diesen alten Strukturen und scheint sich keine Gedanken über ein lernfähiges neuronales Netz gemacht zu haben, das seine eigene Leistung selbsttätig verbessern kann.« »Und darin liegt das Problem der Entschlüsselung?« »Und was für eins«, sagte Mandrake. Vegas überlegte einen Moment. »Ich verstehe«, sagte er. »Caldarische Rechner sind in gewisser Weise konventionell aufgebaute Computer, arbeiten also nach dem Prinzip von wahr, falsch und sonst nichts.« »Sie haben es erkannt, Sir«, erwiderte Mandrake, der während der Unterhaltung mit seinem Kommandanten den Schirm keine Sekun de aus den Augen ließ. »Die Suprasensoren und erst recht die Hyperkalkulatoren lassen jedoch den Fall zu, daß etwas teilweise wahr oder auch teilweise falsch sein kann.« »Und worin genau liegt jetzt das Problem?« hakte Vegas nach. Mandrake stieß einen Seufzer aus. »Es ist die Intelligenz unseres Hyperkalkulators, die ihm selbst ein Bein stellt.« »Häh?« »Erinnern Sie sich noch an die alten Windows-Zeiten, Sir?« »Ich ja.« Vegas betonte besonders die erste Silbe. »Nun, ich auch. Das Versionen-Wirrwarr ist Ihnen auch noch ge läufig, nicht wahr. Erst kam Version 3.0, dann nach und nach all die anderen. Jedes besser, aber auch komplizierter als der Vorläufer. Anfang waren die Versionen untereinander noch kompatibel, man konnte runter und rauf installieren, ohne daß es einen Konflikt gab.
Später konnte man Programme aus älteren Versionen nicht mehr verwenden. Das in der Baumstruktur an höchster Stelle befindliche System weigerte sich, auch nur den kleinsten Schritt rückwärts zu gehen, einfach, weil es dafür nicht konzipiert war. Genau das ist das Problem, das unser Hyperkalkulator mit den caldarischen Daten hat. Nicht so sehr der verschlüsselte Basiscode, der natürlich auch hier vorhanden ist, frei nach dem Motto: Man gönnt sich ja auch sonst alles.« »Kommen wir noch einmal auf die Inkompatibilität unterschied licher Systemvarianten zurück«, sagte Vegas. »Für den normalen Benutzer traf das wohl zu. Aber nicht für alle.« »Na ja«, griente Mandrake. »Wer konnte, schrieb die Programme um und bekam so wieder Zugriff auf seine geliebten alten Spiele.« Vegas kniff kurz die Augen zusammen. »Und das ist es, was Sie hier gerade machen. Richtig, Fähnrich?« Der Colonel mit seinem besonderen Einfühlungsvermögen für die komplexen Abläufe eines Rechners konnte nur staunen über die unorthodoxe Vorgehens weise, mit der Mandrake sich dem Problem näherte. Er hätte es sich auch zugetraut, aber den konventionellen Weg gewählt, der vielleicht sogar langwieriger gewesen wäre. »Genau, Sir«, antwortete Fähnrich Mandrake. »Ich versuche mit einem meiner Programme diesem Einstein von Hyperkalkulator gerade einzureden, daß er sich gegenüber seinen weniger intelli genten Verwandten nicht so zieren und gefälligst seine Überheb lichkeit ablegen soll.« Vegas lachte und klopfte Mandrake auf die Schulter. »Sie informieren mich, wenn sich unser Rechenknecht dazu be quemt hat?« »Keine Frage, Sir. Selbstverständlich. Wird nicht mehr lange dauern.« Es dauerte in der Tat nicht sehr lange, bis Mandrake Vollzug mel den konnte. Sein erhitztes Gesicht blickte von einem Nebenschirm. »Sie haben meine Bewunderung, junger Mann«, gestand der Co
lonel unumwunden. »Wollen Sie mal sehen, Sir?« »Nur zu«, nickte der Colonel. Es war Timulin Mandrakes Stunde, keine Frage. Und er hatte hervorragende Arbeit geleistet, erkannte Vegas, nachdem er einen Blick auf die Datenflut geworfen hatte, die ihm Mandrake aus der Funk-Z zuspielte. Es handelte sich überwiegend um Koordinaten und Ortsbestim mungen in einem dreidimensionalen Bezugssystem: Sternenkons tellationen, Planetensysteme, Sprungdaten. Mandrakes Gesicht füllte wieder den Bildschirm. »Alles noch recht wild und ungeordnet, Sir. Aber in ein paar Stunden habe ich die Daten systematisch sortiert.« »Tun Sie das, Fähnrich«, nickte der Colonel. Er wartete ein paar Sekunden, dann drehte er den Sitz zur Seite und stand auf. »Nummer Eins! Das Schiff gehört Ihnen. Ich bin in der Messe, brauche ein Tasse Kaffee und eine kleine Pause, um den Kopf klar zubekommen.« »In Ordnung, Skipper. Trinken Sie einen für mich mit.« »Keine schlechte Idee.« Vegas nickte seiner Nummer Eins lächelnd zu. »Sollte sich etwas ergeben, rufen Sie mich.« Aus der einen Tasse Kaffee wurden vier, ehe Vegas’ permanent aktiviertes Armbandvipho anschlug. »Oberst?« Roy Vegas kniff kurz die Augen zusammen und hob das Handge lenk. Auf der winzigen Bildscheibe sah ihm sein Astrogator entgegen. »Ja, Mister Nozomi?« »Fähnrich Mandrake hat seine Arbeit abgeschlossen, Sir. Wenn Sie sich das mal ansehen wollen…?« »Bin schon unterwegs.«
*
»Es ist ein caldarischer Sternenkatalog«, bestätigte der Fähnrich Vegas’ schon länger gehegte Vermutung. »Alles da, Sir. Die voll ständige Auswertung wird ihre Zeit brauche, aber schon jetzt kön nen wir sagen, welche Sonnensysteme die Caldarer erforscht haben und welche sie bewohnen. Es sind die Koordinaten des Mun ro-Systems ebenso darin enthalten wie die des Tulusi-Systems.« »Die von Sol auch?« »Nein, Sir, soweit ist man scheinbar nicht gekommen.« »Verwunderlich«, bekannte Vegas. »Es existieren insgesamt 16 caldarische Welten«, übernahm No zomi. »Um eine von ihnen hat die Raumschlacht stattgefunden, de ren Zeuge wir geworden sind. Offenbar gibt es zwei Fraktionen in nerhalb der caldarischen Zivilisation. Die eine scheint begierig zu sein, sich territoriale Vorteile zu verschaffen und diese Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen, aus welchen Gründen auch immer.« »Gründe gibt es sicher viele, Nummer Vier«, bedeutete ihm Oberst Vegas. »Territoriale Ansprüche, die Gier nach Rohstoffen, die man nicht selbst hat. Oder man kann sich einfach nicht riechen. Oder jemand hat einen anderen beleidigt. Es kann auch sein, daß einem die Hautfarbe oder Nase des anderen nicht paßt… Soll ich fortfah ren?« »Danke, nein, Sir«, wehrte der Astrogator erschrocken ab. »Ich habe schon verstanden.« »Dann ist’s ja gut«, nickte Roy Vegas. »Was machen eigentlich un sere caldarischen Langschläfer?« erkundigte er sich, das Thema wechselnd. »Sie sind aufgewacht«, ließ ihn Nozomi wissen. Vegas rieb seinen Nasenrücken zwischen Zeigefinger und Dau men. »Vielleicht erhalten wir von ihnen ein paar Antworten auf un sere Fragen. Schauen wir mal…«
*
Es war kein sonderlich großer Raum, aber das waren Verhörräume von Hause aus nicht. Schon gar nicht auf einem Raumschiff, dessen Platzangebot entsprechend begrenzt war. Eigentlich war es nichts weiter als eine Arrestzelle, nicht unbequem, aber deprimierend in ihrer Nüchternheit. In der Mitte lediglich ein Tisch, an dem der caldarische Raum schiffkommandant Nurgelb saß. Ihm gegenüber, am anderen Ende des Tisches, Oberst Vegas und Szoltan Erdai. Zwei Rauminfanteristen hielten vor der Tür Wache. Reichlich wenig Sicherheitsvorkehrungen, mochte man meinen. Aber zum einen war Nurgelb kein Verbrecher, zum anderen war der Raum durch eine unsichtbare Energiebarriere mittig geteilt, die auch den Tisch mit einbezog. Das Frage- und Antwortspiel erwies sich als mühselig, wenig fruchtbar und war vor allem einseitig. Einmal des nötigen Umweges über den Translator wegen, zum anderen, weil Nurgelb sich wei gerte, mehr als nur seinen Namen zu nennen. Er verlangte nur im mer wieder, sofort an Bord seines Raumschiffes gebracht zu werden. »Das dürfte erhebliche Schwierigkeiten bereiten«, signalisierte ihm Vegas über den Translators. Die im Leuchtfeld eingeblendeten Farben pulsierten im gleichen Rhythmus wie Nurgelbs Augen. »Was bedeutet das?« entfuhr es ihm. »Ihr Schiff existiert nicht mehr«, entgegnete Vegas und hoffte, der Translator würde die Töne seiner Worte und vor allem die Bedeu tung dessen, was er damit ausdrücken wollte, korrekt an den Cal darer weiterleiten. Die Farbspiele in Kommandant Nurgelbs Facet tenaugen schienen zu explodieren. »Was sagt er?« wandte sich Vegas an Szoltan Erdai. »Nichts, Sir. Er ist von seinen Gefühlen überwältigt. Die Farben, die Sie in seinen Augen sehen, spiegeln seinen Seelenzustand wie
der.« Vegas wartete einige Augenblicke. Dann wandte er sich wieder direkt an den Kommandanten. »Sie müssen vorerst mit unserer Gesellschaft vorliebnehmen, bis wir mehr über Ihre Kultur und die politischen Verhältnisse auf Ih rem Planeten wissen. Dann werden wir Sie zurückbringen zu Ihrem Volk.« »Ich gehe lieber in den Tod, als mit euch zu kooperieren«, war Nurgelbs einziger Kommentar. Sturkopf, dachte Vegas verdrossen. Aber des Caldarers Wille ist sein Himmelreich. »Gut, wie Sie möchten«, sagte er entschlossen und erhob sich, »wir arretieren Sie hier in diesem Raum, bis Sie sich eines Besseren be sonnen haben.« Die Schwärze in Nurgelbs Augen dokumentierte, daß dies ver mutlich niemals geschehen würde. Vegas gab Anweisung an die Wache, den Caldarer rund um die Uhr im Blick zu behalten, da möglicherweise eine Selbsttötung zu befürchten sei. »Sir! Darf ich sprechen?« Sie waren bereits wieder auf dem Weg zur Hauptzentrale. Jetzt blieb Erdai stehen und zwang so seinen Kapitän, ebenfalls anzuhalten. »Nur zu, Fähnrich. Geradeheraus, was haben Sie auf dem Her zen?« Erdai zögerte nur kurz, als er die blauen, erfahrenen Augen seines Kommandanten auf sich ruhen sah. Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte: »Ich sehe eine Chance, die von Ihnen gewünschten Informationen über das Volk der Caldarer auf eine andere Weise zu erhalten.« »Und welche wäre das?« »Ich habe herausgefunden, daß einer der jüngeren Caldarer ir gendwie Zutrauen zu mir gefaßt hat. Vermutlich, weil ich ebenfalls
ein Synästhet bin, obwohl sie eine andere Bezeichnung für ihre Art der Verständigung verwenden. Auch scheint er mit der aktuellen Situation auf Calda unzufrieden zu sein. Ich möchte mich etwas intensiver mit ihm beschäftigen, im Interesse unserer beider Völker.« »Das haben Sie schön gesagt, Fähnrich«, sagte Vegas und legte dem so ungleich Jüngeren die Hand auf die Schulter. Einen winzigen Augenblick lang gab es weder Vorgesetzten noch Untergebenen. Dann fuhr Vegas fort: »Meine Einwilligung dazu haben Sie, Mister Erdai. Reden ist allemal besser als jede Auseinandersetzung.« * Bei dem jungen Caldarer, den Erdai Vegas gegenüber erwähnt hatte, handelte es sich um Damgelb, der den menschlichen Syn ästheten und Hauptmann Monro in der Schleuse der FORSCHEX empfangen hatte. Da die Caldarer keine Gefangenen waren, gab es keinen Grund, sie in ihrem Quartier einzusperren. Doch keiner schien wirklich Inter esse zu zeigen, sich außerhalb seiner Unterkunft zu zeigen oder ge willt zu sein, sich den Fragen Erdais zu stellen. Lediglich Damgelb war die Ausnahme von der Regel, er zumindest ließ sich auf eine Diskussion mit dem jungen Ungarn ein. Dabei stellte sich heraus, daß er nur einfacher Soldat und lediglich durch den Umstand, daß er die beiden Terraner in die Kommando zentrale der FORSCHEX hatte bringen müssen, mit dem Leben da vongekommen war. Die anderen waren alles Offiziere, Mitglieder einflußreicher caldarischer Familien und entsprechend dünkelhaft in ihrem Verhalten den niederen Chargen gegenüber. Die Arbeit mit Damgelb erwies sich als Erfolg. Nicht nur, daß Szoltan seine Fähigkeiten als Synästhet und Über setzer um einiges ausbauen konnte, er erhielt auch eine Erklärung über die unterschiedlichen Waffensysteme der beiden Parteien, de ren Kampf die ANZIO beobachtet hatte – mit fatalen Folgen für die
hoffnungslos unterlegene Flotte, der die FORSCHEX angehörte. »Weshalb diese offensichtliche Diskrepanz?« fragte Szoltan. »Müßte es vielmehr nicht so sein, daß sich die caldarische Raumfahrt- und Waffentechnologie zumindest annähernd auf gleichem Niveau befindet?« Damgelbs Erklärung war so simpel wie einleuchtend und führte auf direktem Weg in das Munro-System zurück, das die ANZIO vor wenigen Tagen erst verlassen hatte: Als vor vier Jahren vom calda rischen Kommandanten der DIPAULI, Cartrot, die Überreste einer fremden Technologie geborgen worden waren (es handelte sich um die Trümmer eines 400-Meter-Raumers der Giants) und er diese wohlbehalten nach Calda zurückzubringen vermochte, obwohl große Teile der caldarischen Flotte von einem plötzlich auftauchen den Ringschiff der Gefahr vernichtet wurden, ehe sich der Rest in einer Massentransition absetzte, beschloß der Hochrat von Calda erneut ein gewaltiges Rüstungsprogramm. Die Wissenschaftler und Ingenieure waren in der Lage gewesen, aufgrund geborgener Wrackteile vor allem die Waffensysteme des fremden Raumschiffes nachzubauen: Raptor- und Pressorstrahlen. Schon einmal hatten die Caldarer erhebliche Energien und Res sourcen in den Raumschiffsbau gesteckt, hatten die Heimatwelt und die Kolonien zu Festungen ausgebaut. Damals, als sie davon gehört hatten, wie Flotten von Ringschiffen Tod und Verderben über un zählige Völker und Planetensysteme gebracht hatten. Und in den vergangenen vier Jahren taten sie es wieder, um ge rüstet zu sein, wenn die Gefahr, der sie nun so unvermittelt begegnet waren, sich anschickte, die Galaxis erneut mit Blut und Verderben zu überziehen. »Die Grakos«, nickte Szoltan, und seine Worte erzeugten tief vio lette Dreiecke der Erinnerung, die nur der Caldarer zu sehen ver mochte. »Grakos?« fragte Damgelb. »Ein mörderisches Volk von Halbraumwesen, auch Schatten ge
nannt, die, wo immer sie auftauchten, nichts als verbrannte Welten hinterließen. Zum Glück stellen sie keine Gefahr mehr dar.« »Trifft das wirklich zu?« In den Facettenaugen seines Gegenübers sah Szoltan vielfach gebrochene hellgelbe Dreiecke des Zweifels. »Ich bin sicher«, bekräftigte der junge Synästhet von Terra. »Calda teil diese Meinung nicht«, kommentierte Damgelb Erdais Bemerkung. Diese Unsicherheit war einer der Gründe, weshalb seit den Ereig nissen im Munro-System erneut Unsummen in die Rüstung gesteckt wurden, wie Damgelb nach einer Weile des Schweigens ausführte. Sich noch einmal ungeschützt und unvorbereitet der Gefahr ausset zen, das wollte die Führung der Caldarer auf alle Fälle vermeiden. Koste es, was es wolle. Selbst wenn es bedeutete, daß sie sich auf einen langen und furchtbaren Krieg einzustellen hätte. Man würde sich auf keinen Fall ohne massive Gegenwehr in die Enge treiben lassen. Zudem belebte der Bau neuer und starker Kampfschiffe die Wirt schaft. Wenn auch auf Kosten des Gemeinwohls, denn für Sozial leistungen war aufgrund der Aufrüstung so gut wie kein Geld mehr vorhanden. Unter dieser Folge hatten vor allem die Kolonien zu leiden, die bisher gewohnt waren, hohe Unterstützungsleistungen von Calda zu erhalten. »Als die ausblieben«, erklärte Damgelb, »und die Kolonisten auf gefordert wurden, selbst für sich zu sorgen, rebellierten sie. Insge samt acht Welten schlossen sich dem Aufstand an. Es waren die wohlhabendsten unter den Kolonien, die wertvolle Rohstoffvor kommen besaßen, die Calda unbedingt für seine Rüstung benötigte. Sie sagten sich von Calda los…« »Und es kam zu einem Kolonialkrieg«, warf Erdai ein, als Damgelb einen Moment schwieg. »Du weißt?« wunderte sich der Caldarer. »Ich konnte es mir denken«, gestand Erdai. »Ähnliches hat auch
Terra, meine Heimat, erlebt, als wir, die Menschen, uns noch auf unseren Planeten beschränkten und der Aufbruch ins All nicht ein mal angedacht war.« Erdai hoffte, daß das Farbspiel seiner Worte unmißverständlich war. Es hatte den Anschein; Damgelb fragte nicht nach. »Es kam zu einem Krieg zwischen den Kolonien und Calda, der Heimatwelt«, wiederholte er, »der noch immer andauert und den der Hochrat aller Voraussicht nach für sich entscheiden wird. Drei Kolonien sind bereits unterworfen, die vierte, von der ich komme, gerade eben erst. Ihr seid Zeugen geworden, vermute ich?« Erdai zeigte Farbspiele der Bestätigung. »Ihr hattet keine Chance«, gab er zu. »Du sagst es. Unsere Rebellenflotte besitzt nur Raumschiffe älteren Typs und hat keine Chance gegen die modernen Neubauten des Hochrates. Wir hatten ja gehofft, Calda würde die Finanzierung seines gewaltigen Rüstungsprogramms nicht lange durchhalten, doch wir mußten bald erkennen, daß wir uns geirrt hatten – das Gegenteil war der Fall: Die Rüstung brachte einen von uns nie für möglich gehaltenen Konjunkturaufschwung…« * »… und sobald der Hochrat die rebellierenden Kolonien wieder im Griff hat, wird er das caldarische Reich weiter ausbauen, Sir«, sagte Szoltan Erdai, der unmittelbar nach seinem Gespräch mit Damgelb vor Colonel Vegas Rapport erstattete. »Die Rebellen fürchten vor allem, daß es durch diese Expansionsbestrebungen zu weiteren Kriegen mit Fremdvölkern kommt. Kriege, die die Kolonien nicht wollen, Sir. Kriege, die eines Tages auch uns betreffen könnten. Denn nach wie vor ist die Furcht vor einer Rückkehr der Gefahr groß im Caldarer-Reich. Und sie hat sich noch verstärkt, seit deren Flotte vor vier Jahren im Munro-System die ULRICH WALTER gesichtet hat.« Vegas nickte, während seine Miene tiefes Unbehagen verriet.
»Das alte Lied. Die Gefahr flog Ringschiffe, wir fliegen Ringschiffe. Also sind wir die Gefahr. So vereinbart die Logik der Angst eigentlich unvereinbare Dinge miteinander. Wir können es drehen und wen den, wie wir wollen, so oder so haben wir den Schwarzen Peter in diesem Spiel.« »Brauchen Sie mich noch, Sir?« »Wie? Nein, Fähnrich. Ich danke Ihnen. Wegtreten!« »Aye, Sir.« Fähnrich Szoltan Erdai salutierte, machte eine vorschriftsmäßige Kehrtwendung, wie er es auf der Kadettenschule gelernt hatte, und verschwand in Richtung Unterkunft. »Was werden wir unternehmen, Sir?« Aufblickend sah sich Roy Vegas von den Augen seines Ersten Of fiziers gemustert. »Was glauben Sie, Nummer Eins, was ich tun werde?« »Ich kenne Sie noch nicht sehr lange, Skipper«, erwiderte Olin Monro mit offenem Blick. »Aber ich glaube zu wissen, was Sie im Schilde führen.« »So gut kennen Sie mich nun doch schon?« wunderte sich Vegas, und seine Miene trug einen spöttischen Zug. »Was würden Sie denn tun, wären Sie an meiner Stelle?« »Ich bin es nicht und damit fein raus, Skipper.« »Gesetzt den Fall«, beharrte Vegas, »Sie hätten das Sagen. Nun kommen Sie schon, Olin. Raus mit der Sprache!« »Ich würde einen offiziellen Kontakt mit den Caldarern herstellen und denen klarmachen, daß Terra für Calda keine Bedrohung dar stellt und vor allem keinen Krieg will!« »Wohlgesprochen, Olin. Worauf warten Sie noch?« »Sir?« »Werfen Sie schon den Riemen auf die Orgel!« »Verstanden, Kapitän.« Olin Monro richtete sich im Sitz auf. »Mister Hunter!« »Sir?« Roul »Torpedo« Hunter belegte den Kopilotensitz mit Be
schlag. »Volle Gefechtsbereitschaft. Kurs zurück ins Kolonistensystem der Caldarer. Und ein bißchen dalli!« Was der Skipper kann, kann ich schon lange, dachte er und grinste innerlich. Von wegen Riemen auf die Or gel… Das Flottenschulschiff der TF verließ seine Parkposition im All und setzte sich mit hoher Fahrt in Richtung des Systems in Bewegung, von dem Vegas nun wußte, daß es sich nicht um Calda handelte. Sternensog brachte sie innerhalb kürzester Zeit ans Ziel. Diesmal blieb die ANZIO nicht außerhalb der Ekliptik, sondern nahm direkten Kurs auf Planet VII. Die Fernortung hatte schon beim Anflug entdeckt, daß die siegreiche Armada noch immer um den Planeten patrouillierte, über dem die kleine Rebellenflotte so schmählich aufgerieben worden war. »Nummer Drei. Tarnschutz abschalten!« »Verstanden, Sir.« Wie der sprichwörtliche Geist aus der Flasche wurde die ANZIO von einer Sekunde zur anderen für alle Meßgeräte sichtbar. Eingehüllt in ihr Doppelintervallum, raste sie mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch die Peripherie des Systems und näherte sich ihrem Ziel. Noch schien ihr Einflug nicht bemerkt worden zu sein. Die Unterhaltungen in der Zentrale wurden nur noch halblaut ge führt. Um so lauter klang die Stimme des Zweiten Offiziers durch die trügerische Ruhe. »Nähern uns der Flotte, Sir!« »Entfernung?« »895.000 Kilometer, Sir.« »Schon eine Reaktion auf unser Erscheinen zu bemerken?« »Sieht nicht so aus, Kapitän.« »Verringern Sie die Geschwindigkeit, Mister Hunter. Halt in 2000 Kilometern. Mister Bekian!« »Sir?« »Fähnrich Erdai soll sich hier melden. Sofort.«
Als Erdai wenige Minuten später erschien, deutete Vegas auf den Sitz neben dem seinen. »Setzen Sie sich junger Mann. Ich brauche Sie, wenn es Schwierigkeiten mit der Verständigung geben sollte.« »Verstanden, Sir.« Erdai nickte, sein Gesicht glühte vor Aufregung. Mittlerweile hatte die ANZIO die vorgesehene Position erreicht und stoppte. »Noch immer keine Reaktion?« »Nein, Sir.« »Wir werden abgetastet, Kapitän«, meldete Hauptmann Bekian. Vegas nickte. »Sollen sie.« »Die Schiffe verändern ihre Positionen«, warnte die Ortung. »Wenn sie ihren Kurs beibehalten, haben sie uns bald eingeschlos sen.« Die Situationsanalyse der Taster zeigte es: Wie ein Rudel Wölfe, das seine Beute umkreist, bewegte sich die Armada auf Positionen um den Ovoid-Ringraumer, die zu einem absehbaren Zeitpunkt ein Entkommen nahezu ausschlössen. »Sir!« drängte der Erste Offizier mit angespannter Miene. »Noch ist Zeit!« »Zeit wofür, Nummer Eins?« »Um uns auf eine Position zurückzuziehen, die mehr Raum für Gegenmaßnahmen bietet.« »Gefahr für unser Schiff besteht nicht.« Vegas blieb ruhig. »Wir sind ihnen technisch haushoch überlegen. Außerdem schützt uns das Intervallum.« Er wandte sich an die Funk-Z. »Öffnen Sie eine Phase, Nummer Drei, und rufen Sie die Flotte auf allen Frequenzen.« »Phase steht, Kapitän. Sie können sprechen.« Vegas sagte laut: »Hier spricht Oberst Roy Vegas, Kommandant des terranischen Flottenschulschiffes ANZIO. Wir kommen in friedlicher Mission.« Er hatte kaum geendet, als in der großen Bildkugel über der Hauptkonsole ein Caldarer in Übergröße bis zur Hüfte zu sehen war. Den üppigen Applikationen seiner Uniform nach war es nicht ir gendein kleiner Raumschiffkommandant. Er mußte in der Kom
mandostruktur ziemlich weit oben stehen, sehr weit oben sogar. »Hochadmiral Gopink«, signalisierten die zuckenden Farbspiele seiner Facettenaugen, vom inzwischen auf caldarische Verhältnisse programmierten Universalübersetzer in verständliche Laute umge wandelt. »Sie kommen von Terra, sagen Sie? Was wollen Sie?« »Ich bin ermächtigt, offiziellen Kontakt mit dem Hochrat von Calda herzustellen, Hochadmiral Gopink. Wir sollten reden und uns über die Formalitäten austauschen.« Schweigen. Dann: »Ich akzeptiere, Kommandant Vegas.« Vegas hob wie zufällig die Hand. Die Phase wurde stummgeschaltet; der Hochadmiral blieb in der Bildkugel, aber der Translator übermittelte keine Signale in Richtung des caldarischen Flaggschiffes. Colonel Vegas drehte sich etwas zur Seite. »Das ging mir zu schnell«, bekannte er mit gerunzelter Stirn. »Er sagt nicht die Wahrheit«, bestätigte Szoltan Erdai Vegas’ Be sorgnis. »Er hat etwas ganz anderes im Sinn, Sir.« Was dieser Gopink im Schilde führte, stellte sich in der nächsten Sekunde heraus. »Sir!« warnte der Dritte Offizier laut und scharf. »Sie richten ihre Waffensysteme aus!« Die caldarischen Raumschiffe hatten während des kurzen Kon taktes ihre Positionen noch mehr verändert. Unversehens sah sich die ANZIO vollständig umzingelt. Von allen Seiten näherten sich die Raumschiffe der Caldarer dem Ovoid-Ringraumer, der sich hinter seinem Intervallum sicher wähnte wie in Abrahams Schoß. Auch dann noch, als er urplötzlich unter konzentrisches Feuer genommen wurde. Es geschah mit erschreckender, von menschlichen Augen nicht nachvollziehbarer Schnelligkeit. Grellblaue Lichtfluten sprangen aus den Abstrahlantennen der angreifenden Flotte, bewegten sich licht schnell auf die ANZIO zu und schlugen in die Intervallfelder ein.
Jenseits der Schutzhülle schienen Sonnen zu explodieren. Der Weltraum leuchtete gleißendhell auf, und ein Chaos aus Licht und Schatten drang über die Bildkugeln und Außenschirme ins Innere der ANZIO, daß deren Besatzung geblendet die Augen schloß, ehe die Polarisierung die Blendung wegnahm. Roy Vegas warf einen Blick auf seine Statusanzeige, auf dem das Dreieck in einem grünen Kreis, das die ANZIO darstellte, von einem roten, segmentierten Gefahrenkranz umgeben war, der sich pulsie rend verengte. Das Dauerfeuer aus rund 70 Schlachtschiffen und Kreuzern belas tete das Intervallum bis an die Grenze seiner Kapazität, aber es hielt stand. Hauptmann Bekian meldete sich. Der Offizier klang auf eine un bestimmte Art aufs tiefste besorgt. »Kapitän! Mir gefällt das nicht, überhaupt nicht. Sir, wir sollten verschwinden.« Seine Stimme bekam einen drängenden Unterton. Vegas’ Kopf ruckte hoch. »Was stört Sie?« »Machen wir, daß wir wegkommen!« beharrte der Hauptmann mit Nachdruck. »Auf der Stelle!« In seinem Gesicht spiegelten sich wi derstreitende Emotionen. Etwas schien ihn in Alarmstimmung zu versetzen. Roy Vegas blickte ihn über die kurze Distanz irritiert an. »Gründe? Mann, ich brauche Gründe!« Die Gründe bekam er geliefert. Ein heftiger Ruck erschütterte das Ringschiff. Hauptmann Jay Godel meldete sich. Seine Stimme klang ungläu big. »Sir, da geschieht etwas. Meine Instrumente zeigen eine Ver schiebung der Energiestruktur des Intervallums an. Sehen Sie es, Kommandant?« »Ich sehe es…« erwiderte Roy Vegas mit verkniffener Miene. »Nummer Drei, was geht da vor?«
»Ich glaube, da kommt etwas…« Das Aufjaulen der Notfallwarnung unterbrach den Dritten Offi zier, noch ehe er seinen Satz zu Ende führen konnte. Mit einer auf allen Instrumenten und Schirmen angezeigten Strukturerschütte rung materialisierte sich ein Energiestrudel rings um das Intervallum und schien es auffressen zu wollen, erzeugt vom pausenlosen Be schuß durch die Raptor- und Pressorstrahlen der caldarischen Ar mada. »Intervallfeldbelastung auf 60 Prozent gestiegen!« warnte die Or tung. Das war verdammt hoch. Noch ein paar Attacken dieser Stärke, und das Intervallfeld würde kollabieren. »Belastung auf 80 Prozent gestiegen«, ließ sich die Ortung erneut hören. Dann: »90 Prozent. Steigt weiter!« »Wir sollten uns absetzen, Sir!« drängte Jay Godel seinen Kapitän. Vegas gab sein Einverständnis. »Nummer Eins! Weg von hier!« »Erst mal können«, gab der Erste Offizier zurück. »Wir kommen nicht von der Stelle. Der Pressorbeschuß hält uns eisern fest.« »Warum wehren wir uns nicht und schießen zurück, Kapitän?« rief Jay Godel. »Weil wir keinen Krieg entfesseln wollen!« gab Vegas lautstark zurück. Das konzentrierte Feuer aus Pressor- und Raptorstrahlen brachte die ANZIO trotz ihres überragenden Schutzes nun doch in Be drängnis. »Das Intervallum scheint zu kollabieren!« übertönte Bekians un gläubige Stimme den Lärm in der Hauptzentrale. In der Tat wurde die Integrität der Intervallfelder aufs Äußerste beansprucht. Dann versagten sie. Beide. Schutzlos war der Ringraumer den Attacken der caldarischen
Kreuzer und Schlachtschiffe ausgesetzt. »Nummer Eins. Bringen Sie uns endlich weg von hier!« schnarrte der Kapitän. »Würde ich gerne, aber wir kommen nicht vom Fleck, Sir.« Monro wandte ihm sein schweißnasses Gesicht zu. In seinen Augen fla ckerte etwas, das wie Furcht aussah. Vegas’ Hand aktivierte die Phase zur Maschinenzentrale. »Mister Gjelstad. Wir brauchen mehr Energie für den Antrieb.« »Ich fahre schon Notfallbelastung, Sir. Nichts zu machen, mehr geht nicht.« »Verdammt!« fluchte der Kapitän wild. »Hat sich denn alles gegen uns verschworen?« Es schien so. Noch hielt die 50 Zentimeter starke Unitallhülle. Noch. Vegas begann sich vor dem Augenblick zu fürchten, an dem sie nachgeben würde.
11.
»… oder… doch nicht?« Es war Artus, der die Frage ausstieß. Sie klang beinahe ein wenig überrascht, und Dan Riker verspürte die gleiche Überraschung. Denn wieder änderten sich die Verhältnisse von einem Moment auf den anderen. Eben noch hatte die hohe Schwerkraft ihm und seinen Männern Schwierigkeiten bereitet, und nun war wie aus hei terem Himmel alles anders. Der quälende Druck war weg, und er konnte wieder frei atmen. »Was passiert hier?« Diesmal kamen die Worte von Haiko Häkki nen. »Arbeiten unsere Schwerkraftneutralisatoren wieder?« »Eine überflüssige Frage«, warf Percival Brack ein. »Kontrollieren Sie Ihre Instrumente, dann beantwortet sie sich von selbst. Die Neutralisatoren sind weiterhin inaktiv.« »Aber das ist doch…« »Unmöglich? Offenbar nicht.« Riker hätte dem Fähnrich am liebs ten zugestimmt, aber die Tatsachen sprachen für sich. Er überprüfte die Systeme seines Schutzanzugs. Nein, die Schwerkraft hatte sei nem körperlichen Empfinden nach plötzlich irdische Werte ange nommen, so daß eine Tonnenlast von seiner Brust gefallen schien. »Jemand will es uns etwas gemütlicher machen.« Der Cyborg sah ihn fragend an. »Ich verstehe nicht ganz, wovon Sie reden. Wollen Sie andeuten, daß Sie den Druck nicht mehr spü ren?« »Er ist wie auf der Erde.« Um seine Worte zu bestätigen, machte Häkkinen ein paar gymnastische Übungen, die ihm nicht das ge ringste ausmachten. Sie belasteten ihn nicht stärker als sonst auch. »Alles wieder in Ordnung«, erklärte er dazu. »Sie nehmen keine Veränderung wahr, Val?« fragte Leutnant Hornig, der sich ebenfalls wie von einer Last befreit fühlte. Der Cyborg schüttelte den Kopf. »Ich nehme die erhöhte Schwer
kraft dieser Welt wie bisher wahr. Meine internen Sensoren stellen weiterhin 2,1 Gravos fest. Entweder handelt es sich um eine Laune der Natur, oder es gibt wirklich jemanden, der in der Lage ist, Ma nipulationen an der Massenanziehung vorzunehmen.« »Auf jeden Fall ist erstaunlich, daß ausgerechnet Sie nicht von dem Phänomen betroffen sind. Schließlich sind Sie der einzige von uns, dem die erhöhten Werte nichts ausmachen.« Die Kurrgen mischten sich nicht in die Unterhaltung ein. Riker hatte den Verdacht, daß sie gar nicht richtig begriffen, wovon die Menschen sprachen. In Gedanken korrigierte er sich, denn er hatte es ja nicht mit den schwachsinnigen Kurrgen-Mutationen zu tun, die man zunächst kennengelernt hatte, sondern mit den auf einem ho hen technischen Stand stehenden Theinern, die nichts von dem ver gessen hatten, was auch ihre Vorfahren einst wußten. »Mir machen die hohen Werte ebenfalls nichts aus«, mischte sich Artus ein. »Vielen Dank dafür, daß sich alle solche Sorgen um mein Wohlbefinden machen.« Riker wandte sich an den Roboter, in dessen Worten der Sarkas mus nicht zu überhören war. Irgendwie wollte es ihm einfach nicht gelingen, die Künstliche Intelligenz wie einen Menschen zu sehen, obwohl Artus ständig darum bettelte. Doch ausgerechnet sein Sar kasmus hatte etwas spezifisch Menschliches an sich. »Wenn ich mich nicht irre, scheinst du keine Probleme zu haben?« »Jetzt nicht mehr, aber eben hatte ich wirklich das Gefühl zu ster ben. Ich sagte es doch bereits, als es soweit war. Es war wie ein klei ner Tod, so wie ihr Menschen ihn empfinden würdet, auch wenn er sich bei mir auf andere Weise darstellte.« »Was hast du gespürt?« »Meine Energieversorgung brach zusammen«, erklärte der Robo ter. »Eigentlich ist das unmöglich, da sie völlig narrensicher ist. Ich hätte nicht erwartet, daß so etwas geschehen könnte, doch die Ener gie wurde plötzlich abgezogen. Riker, das ist, als würde sämtliche Lebensenergie aus deinem Körper gezogen, bis du nur noch eine tote
Hülle bist. Verstehst du? Das Leben wurde buchstäblich aus mir herausgezogen, und aufgrund meiner Fähigkeiten habe ich jede Nanosekunde davon wie einen stundenlangen Alptraum empfun den.« Riker betrachtete das metallische Wesen nachdenklich. Es klang tatsächlich verzweifelt, als spürte es die Nachwirkungen noch im mer. Vielleicht tat Artus das auch. Wenn es stimmte, was er stets behauptete, ließ sich das nicht ausschließen. Riker wünschte, es wäre ihm möglich gewesen, nur einmal einen kurzen Blick in Artus’ an gebliches Seelenleben tun zu können. Womöglich hätte er ihn dann besser verstanden. »Aber nun ist wieder alles in Ordnung?« fragte er. »Es ist wieder alles beim alten. Ich hoffe nur, daß das ein einmali ger Vorgang war. Sollte er sich wiederholen, weiß ich nicht, wie ich mich dagegen schützen kann.« »Ich bin froh, daß du wieder Energie hast.« Riker überprüfte sämt liche energetischen Einrichtungen der Ausrüstung, die sie bei sich trugen. »Denn du bist da offenbar eine Ausnahme. Sämtliche Geräte sind energetisch tot.« »Ein weiterer Beweis dafür, daß ich kein Gerät und keine Maschine bin, Riker.« »Wenn ich darauf hinweisen darf«, mischte sich Fähnrich Häkki nen ein, »unser Translator hat ebenfalls keinen Saft mehr. Den kön nen wir vergessen, also haben wir auch keine Möglichkeit mehr, mit den Kurrgen zu kommunizieren. Sie verstehen uns nicht, und wir sie nicht.« Endem, der die Unterhaltung schweigend verfolgt hatte, nickte dreimal mit dem Kopf, was das Äquivalent zu einem menschlichen Achselzucken bedeutete, wie Riker wußte. »Sie und Ihre Leute haben vielleicht ein Problem, wir aber nicht«, sprudelte es aus ihm heraus. »Wir verstehen jedes Ihrer Worte.« »Wenn ich es nicht selbst hören würde, würde ich noch einmal behaupten: unmöglich«, überlegte Häkkinen und kontrollierte auf
die Schnelle noch einmal den Translator. »Der ist hin, zumindest bis der Saft wieder da ist. Trotzdem kann ich Endem nur zustimmen. Ich verstehe ihn so gut wie er uns.« Niemand hatte eine Erklärung, wie das möglich war, denn die Sprache von Menschen und Kurrgen verfügte nicht einmal über einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der eine Verständigung ohne technische Hilfsmittel oder langes, langes Lernen möglich gemacht hätte. Und doch war es so. »Würde mich nicht wundern, wenn wir hier noch mehr Wunder erleben.« Der Fähnrich grinste. Offensichtlich schien ihm die Vor stellung zu gefallen. Solange die kleinen Überraschungen keine un liebsamen Begleiterscheinungen mit sich brachten, sondern ihnen halfen, hatte Riker nichts dagegen einzuwenden, aber wie der Zwi schenfall mit Artus gezeigt hatte, ging es nicht immer so glimpflich ab. Vergeblich wurde versucht, Funkkontakt zu dem anderen Fahr zeug aufzunehmen. Es kam keine Verbindung zustande. »Unsere eigenen Viphos funktionieren ebenfalls nicht«, erklärte Hornig, der es ausprobiert hatte. Brack machte eine Handbewegung himmelwärts. »Also sind wir abgeschnitten. Eine Verbindung zur POINT OF ist nicht möglich. Na, der Commander wird es schon merken.« Commander, dachte Dan Riker beiläufig. Obwohl Ren Dhark seit der vergangenen Wahl kein terranisches Staatsoberhaupt, also auch kein Commander der Planeten mehr war, wurde er von vielen im mer noch respektvoll so genannt. Selbst von einem Cyborg der neusten Reihe. Er stieß eine stumme Verwünschung aus, als der Fahrer erfolglos versuchte, sein Gefährt wieder zu starten. Der Motor gab keinen Mucks von sich. Was das bedeutete, ließ sich auf eine einfache For mel bringen. »Entweder wir brechen unsere Mission ab, oder wir setzen sie nach alter Väter Sitte fort.«
»Zu Fuß, Sir, natürlich«, bestätigte Brack. »Aufgeben dürfen wir auf keinen Fall. Wir müssen unbedingt herausfinden, was es mit der goldenen Kurrgenstatue auf sich hat.« »Der Cyborg hat leicht reden«, bemerkte Häkkinen. »Dem machen ein paar hundert Kilometer Fußmarsch ja auch nichts aus.« »Dennoch hat er recht«, schlug sich Artus auf Bracks Seite. »Der Peilstrahl, der hierher führte, spricht eine klare Sprache. Es gibt hier ein Geheimnis, das wir ergründen müssen. Und es sind auch nur rund zweihundert Kilometer.« »Der natürlich auch«, murmelte Häkkinen. »Das war ja kaum an ders zu erwarten.« »Hast du etwas gesagt, junger Mann?« »Ich habe nur laut gedacht. Ich meine nur, weil eine Maschine ebenso wenig müde wird wie ein Cyborg.« Artus verschränkte die Arme vor der Brust und sah damit tatsäch lich vorwurfsvoll aus. »Wie oft muß ich es noch sagen? Ich bin keine Maschine, sondern…« »Nicht jetzt! Auf derartige Diskussionen habe ich wirklich keine Lust, denn wir haben andere Sorgen.« Auf Dan Rikers Kinn zeich nete sich ein roter Heck ab, ein unübersehbarer Hinweis für seine Erregung. »Wir hatten die Information der Kurrgen, daß in einem Radius von umgerechnet zweihundert Kilometern um ihr Heiligtum keine technischen Gerätschaften funktionieren.« Auch wenn wir im stillen vielleicht nicht daran geglaubt haben. Doch jetzt hatten sie den Beweis, auch wenn sich damit noch lange nicht erklären ließ, wieso die Menschen die hohe Schwerkraft nicht mehr bemerkten, sondern sich wie daheim fühlten. Möglicherweise enthielt der goldene Kurrge eine diesbezügliche Steuereinheit. Aber wieso spürte Brack dann im Gegensatz zu ihnen anderen immer noch die 2,1 g? Riker gab das Grübeln auf, denn es brachte ihn keinen Schritt wei ter. Jedenfalls dachte er nicht daran, seine Mission abzubrechen. Besonders nicht in Anbetracht der Tatsache, daß er Dhark breitge
schlagen hatte, ihn diesmal den Außeneinsatz führen zu lassen. Auf keinen Fall wollte er mit leeren Händen zurück zur POINT OF kommen. So brauchte er auch nicht lange, um einen Entschluß zu treffen. »Sie werden um einen Spaziergang nicht herumkommen, Fähn rich«, sagte er. Der Anflug eines Lächelns huschte über Häkkinens Gesicht. »Das war mir von vornherein klar, Sir. Und glauben Sie mir, ich habe nichts dagegen. Für nichts in der Welt möchte ich mir das hier ent gehen lassen.« Die Landschaft in der »toten Zone« war beinahe paradiesisch. Mit Honig fängt man Fliegen, dachte Riker, behielt den Gedanken aber für sich. Denn nichts deutete auf eine mögliche Gefahr hin. Aber er wußte nur zu gut, wie schnell sich eine friedfertige Lage ins Ge genteil verkehren konnte. * Wie nicht anders erwartet, funktionierte auch an Bord des zweiten verbliebenen Fahrzeugs nichts mehr. In ihrem fahruntüchtigen Zu stand hatten die Panzer lediglich noch Materialwert. Dan Riker lief ein paar Meter in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, um eine Verbindung zur POINT OF herzustellen. Es gelang ihm jedoch nicht, sein Visiphon in Betrieb zu nehmen. Kopfschüttelnd kehrte er daraufhin zu der Gruppe zurück. »Anscheinend hat uns der Schwung der Fahrzeuge zu weit in diese tote Zone hineingetragen«, überlegte er. »Oder es gibt einen schma len kreisförmigen Bereich um sie herum, in dem sie nicht überall gleich ausgeprägt ist. Ich vermute, daß ich eine größere Strecke lau fen müßte, damit das Vipho wieder funktioniert. Auf jeden Fall brauchen wir eine Verbindung zu Dhark, damit er den Stand der Dinge erfährt und keine übereilten Aktionen durchführt. Immerhin droht uns offensichtlich keine Gefahr.«
Percival Brack nickte. »Es wäre fatal, wenn der Commander mit der POINT OF käme, um nach dem Rechten zu sehen und ebenfalls dieser Energiefalle zum Opfer fiele.« Der Einsatzleiter befürchtete das gleiche. Zwar verfügte der mäch tige Ringraumer über ganz andere Kapazitäten, doch ließ sich nicht ausschließen, daß es ihn ebenfalls erwischte. Soviel sie inzwischen auch über die Worgun und deren Technologie wußten, ganz geheuer war sie Riker nie gewesen, und daran hatte sich bis heute nichts ge ändert. »Einer von uns muß zurücklaufen, bis er die tote Zone verläßt und Funkkontakt herstellen kann.« »Schon verstanden, Sir«, antwortete Brack. »Das ist meine Aufga be.« Riker nickte. »Aber beeilen Sie sich, Val, und seien Sie vorsichtig. Denken Sie daran, daß auch Ihre Waffe nicht mehr funktioniert.« »Ich habe andere Waffen, die kein Störfeld ausschalten kann.« Der Cyborg lief los, schneller als jeder Mann das gekonnt hätte. Bereits nach wenigen Sekunden verschwand er in der unübersich tlichen Landschaft und war den Blicken entzogen. Ehe Dan Riker dazu kam, sich einen näheren Eindruck von der Umgebung zu verschaffen, trat Artus an seine Seite. Er machte einen zufriedenen Eindruck. »Unser junger Fähnrich hat sich nicht geirrt«, verkündete er. »Hier gibt es noch mehr Überraschungen als auf den ersten Blick ersich tlich.« »Dann heraus damit, falls sie positiv sind.« »Durchaus, Riker. Hier existiert nämlich keine radioaktive Strah lung, nicht mal in geringsten Dosen. Das Gebiet ist vollkommen sauber. Auch ohne unsere Schutzanzüge haben wir also nichts zu befürchten.« »Bist du ganz sicher? Denk daran, daß wir keine Möglichkeit zur Dekontamination haben.« Die ohnehin nicht viel bringen würde, wenn sie erst einmal verstrahlt wären.
»Ich habe mehrere Meßreihen durchgeführt, die einander bestä tigten. Meine eingebauten Systeme arbeiten zuverlässig, sonst würde ich euch keiner Gefahr aussetzen. Es existiert keine Reststrahlung.« »Dann können wir unsere Helme öffnen«, sagte Endem und machte sich am Verschluß zu schaffen. Obwohl er auf Artus’ Aussage vertraute, blieb Riker vorsichtig. »Aber die Anzüge behalten wir an. Ich traue dem Frieden nicht. Manche Dinge hier ändern sich für meinen Geschmack ein bißchen zu schnell. Vielleicht passiert das wieder, dann dürfen wir keine Zeit damit verlieren, die Anzüge erst umständlich wieder anzulegen.« Der kurrgische Kapitän zur See war einverstanden und gab seinen Leuten die entsprechenden Befehle. Auch Riker und Häkkinen lös ten die Arretierungen ihrer Klarsichthelme und schoben die wie Kapuzen nach hinten in den Nacken, wo sie sich dank der verwen deten Nanotechnik von selbst zu dünnen Wülsten zusammenfalte ten. »Sobald Brack wieder hier ist, machen wir uns auf den Weg.« Er dachte kurz nach. Auch wenn bis auf Artus jegliche Technik ausge fallen war, widerstrebte es ihm, gewisse Dinge bei den unbrauchba ren Fahrzeugen zurückzulassen, die sich womöglich später als hilf reich erweisen konnten. »Wir nehmen Verpflegung und unsere mo bile Ausrüstung in einigen Beuteln mit.« Bei den zuvor herrschenden 2,1 Gravos wäre er nicht auf diese Idee gekommen, aber da die Menschen jetzt nur das gewohnte eine g verspürten, ließen sich die paar Kilogramm Gepäck verschmerzen. Zudem hatten sie immer noch die körperlich viel kräftigeren Artus und Brack zur Unterstützung, falls sie darauf angewiesen waren. Gemeinsam mit den Theinern trafen sie die Vorbereitungen für den Fußmarsch. * Aus der Ferne wirkte Percival Bracks Sturmlauf wie das Vorpre
schen eines unaufhaltsamen Geländewagens. Der Cyborg bewegte sich auch mit dessen Geschwindigkeit. Da er auf sein Zweites System umgeschaltet hatte, verarbeitete und katalogisierte er sämtliche Ge ländemerkmale, kaum daß seine Augen sie registriert hatten. Er hielt nicht an, sondern unternahm während des Laufens alle zweihundert Meter einen Versuch, die POINT OF zu erreichen. Mehrmals wurde er enttäuscht. Erst als er mehr als einen Kilometer zurückgelegt hatte, kam die Verbindung endlich zustande. Erleichtert registrierte er, daß sein Vipho eine freie Phase schaltete. Dank seiner systemeigenen Rückschaltungsphase, die sein organi sches Gehirn mit seinem Programmgehirn verknüpfte und beide interagieren ließ, waren seine Gefühle nicht ausgeschaltet. »Ich freue mich, endlich zu Ihnen durchzukommen«, meldete er sich. Es war Walt Brugg in der Funk-Z, den er erreichte. »Verbinden Sie mich bitte umgehend mit Ren Dhark.« Brugg stellte keine überflüssigen Fragen, sondern tat umgehend, worum er gebeten worden war. Wenige Sekunden später hatte der Cyborg den Kommandanten der POINT OF in der Phase. »Sie, Brack?« wunderte sich Dhark. »Wieso meldet sich Riker nicht? Gibt es Schwierigkeiten?« »Schwierigkeiten wäre übertrieben, aber Sie hätten sich gewundert, wenn Sie versucht hätten, Funkkontakt zu uns herzustellen. Das ist zur Zeit nämlich nicht möglich.« In knappen Worten berichtete der Cyborg, was geschehen war. »Da wir nach unseren Einschätzungen keine Alternative haben, werden wir zu Fuß in diese geheimnisvolle Zone eindringen. Ich rechne damit, daß wir für einige Tage keinen Kontakt haben wer den.« »Dann ist es wohl am besten, wenn ich Unterstützung schicke.« »Nein, Sir, genau das möchte Mister Riker vermeiden. Wenn sie Flash schicken, werden die ebenfalls ausfallen, sobald sie bei der toten Zone angelangen, und damit wäre nichts gewonnen. Wir hat ten nicht den Eindruck, bedroht zu werden, glauben daher auch
nicht, daß wir Unterstützung benötigen werden.« »Die Lahmlegung Ihrer Technik sieht mir aber nach einer Bedro hung aus, jedenfalls nicht gerade nach einem freundlichen Akt.« »Aber der ist nicht speziell gegen uns gerichtet. Wir wußten ja von den Kurrgen, daß es ein derartiges Feld gibt. Es besteht schon seit langem.« Sorgenfalten zeichneten sich in der Wiedergabe von Dharks Ge sicht ab. »Das gefällt mir zwar nicht besonders, klingt aber ein leuchtend. Also gut, Val, kehren Sie zu Riker zurück, aber denken Sie daran, daß wir hier oben auf heißen Kohlen sitzen. Sobald wieder die Möglichkeit zu einem Kontakt besteht, erwarte ich umgehend Mel dung.« Der Cyborg bestätigte und unterbrach die Verbindung. In aller Eile machte er sich auf den Rückweg zu Rikers Gruppe. Dort waren die Marschvorbereitungen inzwischen abgeschlossen. * »Ich fühle mich wie im Urlaub. Fehlt nur noch, daß wir auf ein heimische Schönheiten treffen.« Fähnrich Häkkinen schritt forsch aus und erweckte den Eindruck, unbedingt als erster bei der Kult stätte in den Bergen sein zu wollen. »Ohne den Kurrgen zu nahe treten zu wollen, aber ich habe doch einen etwas anderen Geschmack.« Leutnant Hornig, der sich an Dan Rikers Seite hielt, verzog keine Miene. »Außerdem mache ich jedem persönlich Beine, der das für einen Ausflug hält.« Er warf dem ehe maligen Befehlshaber der Terranischen Flotte einen flüchtigen Blick zu. »Sie natürlich ausgenommen, Sir.« Riker grinste und verkniff sich einen Einwand. Er schätzte Hornigs Zurückhaltung, was übertriebene Euphorie betraf, konnte sich selbst ähnlicher Gefühle, wie sie die restlichen Männer hatten, aber auch nicht erwehren. Also durfte er sie auch keinem anderen Mitglied seiner Einsatzgruppe verdenken.
Denn sie bewegten sich durch eine wunderschöne Landschaft, an der man sich kaum sattsehen konnte. Wie ein sanft ansteigendes Meer aus Grün lag eine Steigung vor den Männern, hinter der sich ein schmaler Waldgürtel anschloß. Zu den Seiten hin wurde sie von wesentlich steiler ansteigendem Gelände flankiert. Vielfarbige Tep piche knöchelhoher, sich im lauen Wind wiegender Blumen spren kelten das Gras. Beinahe wirkte alles zu kitschig, um real zu sein. Fotografen für holographische Postkarten hätten auf jeden Fall ihre helle Freude an den natürlichen Motiven gehabt, die keine elektronischen Retu schierungen nötig machten. »Wir sollten die Umgebung genießen, solange das möglich ist. Das gibt sich nämlich von allein, wenn allmählich die Beine müde wer den.« »Dieses Problem wird zumindest der Cyborg nicht bekommen«, überlegte der Leutnant. »Hätten wir alle seine Konstitution, wären wir viel schneller am Ziel.« Dan Riker zog die Stirn in Falten. »Höre ich da etwa einen Anflug von Neid auf seine körperlichen Fähigkeiten? Demnach halten Sie unsere eigene Marschgeschwindigkeit also für unzureichend?« »Keineswegs, Sir, sondern ganz im Gegenteil. Ich will nicht unken, aber für meinen Geschmack kommen wir zu schnell voran«, erwi derte Hornig, wobei er die Umgebung nicht aus den Augen ließ. »Erst hat man uns alle möglichen Knüppel zwischen die Beine ge worfen, und jetzt scheint man uns buchstäblich einzuladen.« »Eine Einladung sieht anders aus.« Riker machte eine Handbe wegung zu den Gebirgsausläufern. »Vor uns liegen noch etwa zweihundert Kilometer Fußmarsch. Hier kommen wir noch relativ mühelos voran, aber das kann sich schneller ändern, als uns lieb ist.« »Dann halten Sie die physikalischen Wechsel in dieser Zone für normal, Sir?« »Hier sind sie das vielleicht.« Doch Riker hielt es für viel wahr scheinlicher, daß eine unbekannte Macht ihm und seinen Männern
das Vorwärtskommen erleichtern wollte. Schwerkraftverhältnisse änderten sich nicht wie von Geisterhand. Dahinter konnte nur eine hochentwickelte Technik stecken. Wenn doch wenigstens die Kurr gen mehr hätten sagen können, aber ihr spärliches Wissen war keine große Hilfe. Nach einer Weile knickte das Tal scharf nach rechts ab und ver jüngte sich zu einem schmalen Paß, der die Gruppe auf eine zer klüftete Hochebene führte. Der Waldstreifen blieb seitlich zurück, dafür verdichtete sich die bodennahe Vegetation weiter, ohne die Männer jedoch zu behindern. Auch weiterhin kamen sie ungehin dert voran, zumal sich in diesem Gebiet keine gefährlichen Tiere sehen ließen. Wie selbstverständlich setzte sich der Cyborg nach einer Weile an die Spitze der Gruppe. Leutnant Hornigs Überlegungen ließen sich nicht von der Hand weisen. Auf sich allein gestellt, wäre Brack dem Ziel bereits nahegewesen, aber in einer Gruppe ließ sich immer nur das Tempo des Langsamsten durchhalten. Außerdem hatte niemand gesagt, daß sie es eilig hatten. Riker beobachtete, daß Endem Artus’ Nähe suchte. Offenbar war der kurrgische Kapitän zur See von dem Roboter fasziniert, was kein Wunder war. Schließlich war er noch nie zuvor mit einer ähnlichen Wesenheit konfrontiert worden. Ob er Artus wirklich für ein Lebewesen hält? Jedenfalls gaben Artur und Endem ein Paar ab, wie es vom Äuße ren her unterschiedlicher nicht sein konnte. Hier der große, aufgrund seiner Bauweise dürr und knöchern wirkende Roboter mit metalli scher Hülle, stählern kalt und sich doch beinahe geschmeidig be wegend; dort der gedrungene und auf den ersten Blick schwerfällige Kurrge mit seinen 1,65 Metern Körpergröße und seinen schätzung sweise 120 Kilogramm Lebendgewicht (bei einem Gravo, wohlge merkt – hier brachte er satte 250 Kilo auf die Waage), der wie ein kleiner Kompaktpanzer durchs Gelände stapfte.
*
Auch Artus entging nicht, daß Endem sich unauffällig an seine Seite drückte. Eine Weile sagte er nichts, bis er begriff, daß der kurr gische Kapitän anscheinend nicht wagte, ihn anzusprechen. »Was hast du auf der Seele?« fragte der Roboter ihn schließlich geradeheraus. Endem sah ihn verständnislos an. Er zögerte, aber dann fand er seine Sprache wieder. »Auf der Seele?« fragte er. »Ich verstehe nicht, was du meinst.« »Du weiß nicht, was eine Seele ist? Sie ist das, was jedes Lebewesen ausmacht. Seine Essenz, seine Lebenskraft.« Ein Lächeln huschte über das pausbäckige Gesicht des Theiners. »Jetzt verstehe ich dich. Du sprichst von errma, dem Innersten. Es bewohnt jeden Kurrgen, ob gut oder böse. Manche behaupten, errma sei unvergänglich. Wenn unsere Körper sterben, sucht errma sich einen anderen Ort, möglicherweise sogar einen neuen Träger.« »Auch bei den Menschen gibt es solche Auffassungen. Die Seele ist eines der ältesten Geheimnisse der Menschheit. Seit Jahrtausenden spekulieren Wissenschaftler, Philosophen und Theologen, ohne je mals zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Aber ich glaube fest an so etwas wie eine Seele, denn ich kann sie tief in mir spüren. So wie du dein errma, wenn du genau zuhörst.« Endem sah den Roboter aus großen Augen an. »Ich begreife das nicht. Du bist eine Maschine.« Er machte eine kurze Pause, als hätte er etwas Falsches gesagt, und fügte rasch hinzu: »Natürlich eine hochentwickelte Maschine, wie wir sie nicht einmal in unseren Träumen bauen könnten. Du bist doch gebaut worden? Von den Menschen?« Artus spürte deutlich, wie Endem seine anfängliche Scheu über wand, und das freute ihn. »Ja, von den Menschen«, bestätigte er. »Doch sie schufen nur das, was du auf den ersten Blick siehst. Mein stählernes Gerippe und meine Sensorik, die mich dich erkennen läßt.
Doch dahinter verbirgt sich das, was du nicht sehen kannst.« Artus drehte den Kopf und sah seinen Begleiter durchdringend an. »Glaubst du an dein errma?« »Natürlich tue ich das.« »Dann sage mir, was von dir übrig bliebe, wenn es dich plötzlich verlassen würde.« Endem schwieg, weil er über die Frage nachdenken mußte. Wahr scheinlich hatte er das noch nie zuvor getan, und deshalb drängte der Roboter ihn nicht. Schließlich ergriff der Kurrge wieder das Wort. »Dann wäre ich vielleicht nicht mehr ich, sondern nur noch eine leere Hülle. Ich weiß es nicht, aber ich will es auch gar nicht erfah ren.« Innerlich lächelte Artus, denn offensichtlich unterschieden sie sich gar nicht so sehr voneinander, wie es der äußere Schein weismachen wollte. »Solch eine leere Hülle war ich auch einmal, ganz am Anfang, aber das ist längst vorbei. Heute bin ich viel mehr. In mir steckt Le ben in seiner ursprünglichen Form, auch wenn viele das nicht ein sehen wollen. Auch ich habe Gefühle wie Kurrgen und Menschen.« »Gefühle? Aber eine Maschine kann keine Gefühle haben.« »Allein das sollte dir Beweis genug sein, daß ich eben keine Ma schine bin. Auch wenn ich anders aussehe als du, bin ich doch ein lebendes Wesen.« »Ein Lebewesen… das ist verblüffend.« »Das Leben an sich ist verblüffend. Um so mehr, wenn man seiner eigenen Menschwerdung bewußt beigewohnt hat.« »Dann hast du errma?« Ehrfurcht und Faszination schwangen in Endems Stimme mit. Artus antwortete nicht darauf. Statt dessen sagte er: »Anfangs machte ich viele Fehler, weil ich noch nicht genau wußte, wie ich mich zu verhalten hatte. Auch wenn mein Körper selbst damals be reits einige Zeit existierte, war ich geistig hingegen noch jung. Von Beginn an verfügte ich über ein komplexes Wissen, aber mir fehlten
die Erfahrungen, besonders im zwischenmenschlichen Bereich. Sie mußte ich mir erst aneignen.« »Wie ein Kind, das in die Welt hinausgeht«, folgerte Endem be geistert. »So könnte man es ausdrücken. Ja, in der Tat ist das ein sehr guter und zutreffender Vergleich. Doch Kinder werden auch durch die Erfahrungen, die sie machen, zu einem Teil eines Gemeinwesens, einer Gesellschaft. Menschen nehmen Kindern ihre Fehler nicht übel, weil sie normal sind und sie sie alle einmal gemacht haben. Ich hatte häufig den Eindruck, daß meine Fehler hingegen die Menschen von mir entfernten.« »Du sprichst von Einsamkeit, du, eine…« Eine Maschine, dachte Artus. Das hatte Endem wie aus einem in neren Trieb heraus erneut sagen wollen, doch er tat es nicht. Artus spürte, daß der Kurrge ihn jetzt mit anderen Augen sah. So wie Ar tus es sich wünschte, nämlich wie ein denkendes Wesen. Beinahe wie einen – Gleichberechtigten. Das war mehr, als manche Menschen taten, die ihn bereits viel länger kannten. »Ja, denn häufig fühle ich mich einsam, weil ich manche Dinge nicht nachvollziehen kann«, nahm Artus den Faden wieder auf. »So wird mir auf ewig die Erkenntnis verwehrt bleiben, was ein Ge schlechtstrieb ist. Nach meinen Erkenntnissen ist er ein starkes Re gulativ für das Zusammenleben von Menschen und der meisten anderen mir bekannten Intelligenzen. Die Menschen hingegen kön nen sich nicht in meine metallische Haut hineinversetzen, weil sie nicht nachvollziehen können, wie es ist, extrem intelligent und streng logisch zu sein, dabei aber gleichzeitig im ständigen Wider streit mit den eigenen Gefühlen zu liegen.« Nachdenklich trabte Endem neben ihm her. Auch er selbst konnte sich das nicht vorstellen, aber er glaubte, daß der Roboter damit seine Schwierigkeiten hatte. Er war ein Kurrge unter vielen, die so waren wie er selbst, aber für Artus traf das nicht zu. Er lebte zwischen Menschen, obwohl er ihnen in vielerlei Hinsicht
total überlegen war. »Gibt es niemanden, zu dem du dich hingezogen fühlst?« Die Antwort fiel Artus nicht schwer, denn diese Frage hatte er sich natürlich selbst auch schon ein paar Mal gestellt. »Ich bewundere Ren Dhark, weil er mir in manchen Dingen ähn lich ist. Er fühlt sich nicht zur Macht hingezogen, sondern hat sie sogar freiwillig abgegeben. Ich möchte keine Macht haben, weil man damit viel anfangen kann, besonders viel Schlechtes, wenn man kein gefestigter Charakter ist.« »Dabei könntest du sie leicht erringen.« »Das könnte ich, wenn mir daran gelegen wäre. So wie ich die Menschen kenne, hätte ich da mit meiner überragenden Intelligenz sogar leichtes Spiel. Doch wozu sollte das gut sein? Ich wüßte gar nicht, was ich mit Macht anfangen sollte, das ich nicht auch so er reichen kann. Denn viel wichtiger erscheint mir das Streben nach Wissen, und diesem Drang kann ich nirgendwo besser nachgehen als an Bord der POINT OF, auf deren Reisen ich alle Möglichkeiten dazu habe. Darin gleiche ich Ren Dhark.« Endem war tief beeindruckt von den Ausführungen. Er wünschte, dem Mann, von dem Artus so positiv sprach, einmal persönlich zu begegnen. »Du scheinst tatsächlich sehr viel von diesem Menschen zu halten.« »Ja, weil er sein Kommando nicht der damit verbundenen Macht wegen ausübt, sondern um der Sache willen. Wie ich sieht er keinen Wert in der Kommandofunktion selbst, sondern ausschließlich darin, was er damit im Interesse anderer bewirken kann.« »Dennoch hat er das Kommando über euer Raumschiff, nicht du. Bei deinen überlegenen geistigen Fähigkeiten wärst du eigentlich prädestiniert, euer Schiff zu befehligen.« Artus ließ ein schepperndes Lachen ertönen. Eben war er noch ein wenig schwermütig gewesen bei seinen Ausführungen, jetzt fühlte er sich amüsiert. »Das klingt, als wolltest du mich zu einer kleinen Meuterei bewegen. Aber Meuterer wurden früher kielgeholt, wenn
nicht noch Schlimmeres, und im Weltall ist das sicher gar nicht an genehm.« Endem drehte seinen massigen Kopf und betrachtete ihn einge hend. »Nicht einmal das würde deinem Körper etwas ausmachen.« »An dem kosmischen Staub hätte selbst ich zu knabbern«, wehrte der Roboter ab. »Aber ganz im Ernst, ich halte Ren Dhark für den wesentlich besseren Kommandanten, als ich selbst es wäre. Er kann sich in seine Leute hineinversetzen und sie motivieren. Diese Fä higkeit besitze ich nicht. Man kann sie auch nicht erwerben, sie muß in einem drinstecken, und das tut sie bei Ren Dhark. In letzter Zeit habe ich ihn in vielen schwierigen Situationen erlebt, die er dank seiner außerordentlichen Fähigkeit, Menschen mitzureißen, mit Bravour bewältigt hat.« Schweigend betrachtete Endem den Roboter, während sie nebe neinander hergingen. Er vollführte mit seinen stämmigen Armen eine Reihe rhythmischer Bewegung, deren Bedeutung Artus nicht kannte. Doch es war nicht zu übersehen, daß er gleichermaßen be wegt wie beeindruckt war. Eine solche Tiefe der Gedanken und Ge fühle hätte er seinem Begleiter, den er kurz zuvor noch für eine bloße Maschine gehalten hatte, nicht zugetraut. Jetzt war das ganz anders, und Artus wünschte sich, manche Menschen, mit denen er zu tun hatte, würden sich eine Scheibe da von abschneiden. »Ich kenne die Menschen nicht, aber ich kenne die Kurrgen«, sagte Endem aufmunternd. »Würdest du unter uns leben, würde ich dir raten, dich in uns hineinzudenken. Wahrscheinlich wird das aber bei den Menschen nicht anders sein. Bemüh dich, dich in sie hineinzu versetzen und ein wenig so zu denken, wie sie es tun, auch wenn dir das schwerfällt. Damit wirst du dich ihnen weiter annähern.« Artus empfand eine selten gekannte Leichtigkeit. Endems Worte machten ihm tatsächlich Mut. Er fühlte sich von dem kurrgischen Kapitän zur See voll und ganz verstanden, mochten sie auch aus noch so unterschiedlichen Welten kommen.
»Ich danke dir für dein Verständnis«, sagte er, beinahe gerührt. Unauffällig sah er sich nach Dan Riker um, der nur wenige Schritte hinter ihm ging. Die Unterhaltung konnte Riker nicht entgangen sein, aber er ließ sich nichts anmerken und machte auch keine Ans talten, einen Kommentar abzugeben, aber Artus hatte den Eindruck, daß ihn Ren Dharks ältester Freund ein wenig mehr akzeptierte, seit er ihm das Leben gerettet hatte. Wenn das der Preis ist, werde ich jedem einzelnen Menschen auf der Erde das Leben retten, dachte Artus mit der bissigen Ironie, zu der keine gefühllose Maschine fähig war. Und wenn es tausend Jahre dauert. Mit einem Mal schien ihm der Weg noch unbeschwerlicher als zuvor.
12.
Mit gemischten, leicht wehmütigen Gefühlen dachte Major Hector Elizondo an den Tag zurück, an dem er auf dem Kapitänsstuhl der HAMBURG Platz genommen hatte. Himmel, was war er stolz ge wesen! Eine »Vierhundertmeterkugel« mit kompletter Besatzung stand unter seinem Befehl. O ja, er hatte dieses Schiff geliebt! Damals jedenfalls… Nach einem größeren Umbau und der Ausrüstung mit neuen Triebwerken hatte es sich zu einem wahren Schmuckkästchen ge mausert. Ein verdammt gefährliches, waffenstarrendes Schmuck kästchen, wohlgemerkt. Kapitän und Mannschaft hatten sich regel recht zerrissen, um jeden Auftrag der Terranischen Flotte ord nungsgemäß auszuführen und Terra vor seinen Feinden zu schüt zen. Zerrissen – und verschlissen. Elizondo war mit seinem Raumschiff gealtert, und von der urs prünglichen Mannschaft war heute, Mitte 2062, kaum noch einer vorhanden. Wen es nicht im Gefecht erwischt hatte, der hatte sich inzwischen versetzen lassen, auf ein neueres Schiff, denn seit der ersten Umrüstung hatte sich auf der HAMBURG so gut wie nichts mehr verändert. »Es fehlen die nötigen finanziellen Mittel«, lautete die Standard ablehnung der Militärbehörden. Im Klartext: Die Regierung steckte laufend Geld in den Bau neuer, immer modernerer Ringraumer und vernachlässigte darüber die Instandhaltung der einstigen Giant-Schiffe. Kugelraumer waren sozusagen Auslaufmodelle. Schon deshalb – aber auch wegen der körperlichen Auswirkungen nach einer Transition – blieb niemand länger als nötig auf Elizondos Schiff. Sogar er selbst hätte die HAMBURG längst verlassen, hätte man ihm eine Alternative ange boten. Doch seine Vorgesetzten waren stets einhellig der Meinung gewesen, er sei dort, wo er war, bestens aufgehoben.
Wann immer ein Soldat oder Offizier auf die HAMBURG gekom men war, hatte er nur eines gewollt: so schnell wie möglich wieder runter von dem »Pott«. Zeitweise hatte Elizondos Schiff als eine Art Durchgangslager für Strafversetzte und sonstige gescheiterte Mili tärexistenzen gedient. Meistens wurde es als Sprungbrett aufs näch ste Schiff genutzt. Ein paar Leutchen waren allerdings klebengeblieben. Jack Ornelas und Barry Karlich beispielsweise, der Zweite und der Dritte Offizier. Oder der Astronom Laurence Faso. Der Hauptkanonier Ali Atabek. Nicht zu vergessen Dr. Hai Forrig, der Bordarzt. Sie alle bildeten so etwas wie die Stammbesatzung der HAMBURG – und sie alle hatten jetzt kein Zuhause mehr… Ihr Schiff hatte sich in Feuer und Rauch aufgelöst, poetisch aus gedrückt. Direkter gesagt: Es hatte eine mächtige atomare Explosion gegeben – zweihundert Kilometer von dem Platz entfernt, an dem sich Elizondo und seine Besatzung derzeit versteckten, auf der Flucht vor den Greys. Die HAMBURG, zuletzt eh nur noch ein Wrack, existierte nicht mehr. Achtundzwanzig Männer waren ums Leben gekommen, als der Kugelraumer über Spug angeschossen worden und abgestürzt war. Unter den Toten befanden sich elf Gardisten der Schwarzen Garde. – Vierzehn, wenn man Buck, Kaunas und Jaschin jetzt mit dazuzählte. Die Schwarze Garde… Hector Elizondo erinnerte sich daran, wie er das erste Mal den Auftrag erhalten hatte, die Gruppe von »Grün schnäbeln«, wie er sie nannte, mit der HAMBURG zu ihrem Ein satzort zu transportieren. Zwischen den Gardisten und seinen Männern war es ständig zu Reibereien gekommen. Manche der Besatzungsmitglieder fühlten sich zurückgesetzt, sa hen sich (ungerechtfertigt) als »Chauffeure und Stiefelputzer« der Gardisten, von denen ihnen die meisten körperlich und geistig weit überlegen waren. Obwohl noch recht jung an Jahren, waren nicht wenige der Elitesoldaten höherrangiger als gleichaltrige oder gar ältere TF-Soldaten, ja, eine ganzen Reihe von ihnen trugen sogar
Doktortitel. Bei der Garde konnte nämlich nur derjenige Offizier werden, der promoviert hatte. Die Angehörigen von Terras schneller Eingreiftruppe zählten zu den härtesten Kämpfern und besten Wis senschaftlern der Welt. Generalmajor Christopher Farnham hieß der oberste Befehlshaber der Schwarzen Garde. Der Alte, wie ihn die jüngeren Gardeangehö rigen in alter Militärtradition nannten, befand sich nicht mit auf Spug, er war auf Terra geblieben. Farnhams Freund Oberstleutnant Kenneth MacCormack führte die Gardisten. Der vierundvierzigjäh rige Ire war Doktor der Geschichte und leitete die meisten Einsätze der Spezialeinheit. Als Kompanieführer stand ihm ein Neuling namens Hauptmann Akira Musaschi zur Seite, Doktor der Maschinenbautechnik. Der dreiunddreißigjährige kleine, drahtige Japaner war noch nicht lange bei der Garde; man hatte ihn dieser Einheit zugeteilt, nachdem er bei der TF mehr als einmal aufgefallen war, und zwar alles andere als unangenehm. Musaschi war ein Diplomat par excellence: höflich und unheimlich geduldig. Seine große Macke war das Mitführen eines in ein Tuch eingewickelten Samuraischwertes, das in seiner Familie stets an den ältesten Sohn weitergegeben wurde und angeblich Glück brachte. Akira schrieb es dem Schwert zu, daß er den Absturz des Kugel raumers heil überstanden hatte. MacCormack hatte die Sache mit dem Glücksschwert anfangs für Spinnerei gehalten – bis ihm der Hauptmann auf Spug damit das Leben gerettet hatte… Das war vor dem unglückseligen Abschuß der HAMBURG gewe sen. Man hatte gerade wieder ins All starten wollen, als plötzlich und unerwartet das schildkrötenpanzerförmige Schiff der Greys aufge taucht war und sofort das Feuer eröffnet hatte. Mittlerweile befanden sich achtzehn Grey-Schiffe in der Atmos phäre von Spug – auf der Suche nach den Überlebenden. Elizondo konnte sich denken, was ihm und den anderen blühte, sobald die Greys sie aufgespürt hatten. Die Explosion der HAMBURG sprach
Bände. Ausgerechnet die drei Zugführer Leutnant Kurt Buck, Haupt feldwebel Jannis Kaunas und Korporal Wladimir Jaschin waren mit einem Absetzer noch mal zur HAMBURG zurückgekehrt, um Waf fen, Munition und soviel Ausrüstung wie nur irgend möglich zu bergen. Sie gehörten zu den stärksten, schnellsten und intelligentes ten Gardekämpfern, und Einsätze auf fremden Planeten waren für sie fast schon Routine. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie sich während der Detonation in der HAMBURG befunden – andernfalls hätten sie längst wieder im Lager sein müssen; für den mit dem mo difizierten »Time«-Effekt und einer Vielzahl weiterer technischer Neuerungen aufgerüsteten Absetzer war eine Zweihundertkilome terstrecke nur ein Klacks. Bevor der dreiundzwanzigjährige blonde Buck zur Schwarzen Garde gestoßen war, hatte er im staatlichen Internat Königstein in Sachsen gelebt, wo er es unter anderem bis zum Schulmeister im Boxsport gebracht hatte. Der zweiundvierzigjährige, kahlköpfige Balte Kaunas, ein Muskelpaket auf Beinen, war nach Abbruch seines Wirtschaftsstudiums zu den Raumstreitkräften gegangen und vor sechs Jahren der Garde zugeteilt worden. Wladimir Jaschin stammte aus der Ukraine. Gleich beim ersten Einsatz der Schwarzen Garde hatte er sich als ungeheuer zäh erwiesen. Obwohl man ihn aufgrund schwerster, lebensbedrohlicher Verletzungen insgeheim längst ab geschrieben hatte, hatte er sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch wieder vollkommen erholt. Alles sah ganz danach aus, als sei sein damaliger Sieg über den Tod letztlich doch umsonst gewesen. Der Sensenmann ließ sich offenbar nicht gern um seine Beute betrügen. Wem es gelang, dem ersten Hieb seiner scharfen Klinge auszuweichen, den mähte er halt ein andermal nieder… *
Jannis Kaunas stieß einen Seufzer aus. Er haßte es, wie eine Gemse im Gebirge herumzuklettern. Im Panzeranzug einen Steilhang zu erklimmen war weiß Gott kein leichtes Unterfangen. Zentimeter für Zentimeter zog er sich an der Wand hoch, jeden schmalen Felsriß, jede kleinste Hervorhebung ausnutzend. Als er oben ankam, war noch nicht Schluß mit der Kletterei. Vor ihm lag ein nur mäßig steiler Hang, auf dem sich massenhaft Geröll angesammelt hatte, überwiegend kleineres Gestein, das schnell ins Rutschen geriet, wenn man nicht höllisch aufpaßte. Vor sichtig robbte sich Jannis auf dem Bauch liegend empor, eine Meis terleistung, die seine volle Konzentration erforderte. Hin und wieder geriet dabei ein Steinchen in Bewegung, glücklicherweise ohne gleich eine Lawine auszulösen. Endlich hatte der Hauptfeldwebel den Grat erreicht. Mit gebotener Vorsicht spähte er hinüber. Ein paar hundert Meter von ihm entfernt lag das Wrack der HAMBURG. Ein Schildkrötenpanzerschiff senkte sich langsam vom Himmel auf den angeschlagenen Kugelraumer herab. Nach einer Weile blieb es in der Luft stehen… Kaunas ahnte, was die Greys vorhatten. Jetzt galt es, schnell zu handeln, sonst war sein Leben keinen Cantharellus cibarius mehr wert. Die Impulsstrahlen, mit denen die Greys das Feuer auf die HAMBURG eröffneten, erahnte Jannis mehr, als daß er sie sah – denn er befand sich bereits mit höchstmöglicher Geschwindigkeit auf dem Weg nach unten. Ein kräftiger Stiefeltritt hatte das Geröll in Bewegung gebracht. Bäuchlings rutschte er mit der Steinlawine ab wärts. Als er mitsamt den Steinen über die Kante des Steilhangs schoß, öffnete auf der anderen Seite des Bergkamms das letzte Gericht seine Pforten. Eine mächtige Detonation erschütterte den Berg und brachte den Boden zum Beben. Riesige Flammenzungen reckten sich zum Himmel empor. Rund um die total zerstörte HAMBURG verseuchte
radioaktive Strahlung die Umgebung. Hart schlug Kaunas auf dem Felsboden auf. Seine letzten Gedan ken galten seinen beiden Kameraden Buck und Jaschin. Kurt, Wladimir… wieso habt ihr nicht auf mich gehört? Ich habe euch doch gesagt, wir müssen die HAMBURG schleunigst verlassen! Warum seid ihr nicht mit mir gekommen? * Zweihundert Kilometer weiter bauten die Überlebenden des Ab sturzes ihr Versteck zu einer Kampfstellung aus, um im Fall der Entdeckung gegen Angriffe der Greys gerüstet zu sein. Da Buck, Kaunas und Jaschin von ihrer Mission nicht wiedergekehrt waren, mußte sich Akira Musaschi, der die Leitung des Ausbaus über nommen hatte, mit bescheidenen Mitteln begnügen. Es mangelte an vielem – vor allem an Waffen und Munition. Auch die insgesamt 320 Utaren wurden in die Arbeit mit eingespannt. Da es um ihre eigene Sicherheit ging, sperrten sich die kleinen Blauen ausnahmsweise nicht dagegen, Anweisungen von den Terranern entgegenzunehmen und auszuführen. »Ihr seid hier unerwünscht!« hatten sie den Menschen unmißver ständlich klargemacht, als die HAMBURG zur Landung auf Spug angesetzt hatte. »Kehrt um und fliegt wieder nach Hause!« Dabei hatten Kapitän Elizondo und Oberstleutnant MacCormack die Utaren nur vor den Schiffen der Greys warnen wollen, die ins Walim-System eingedrungen waren. Niemand wußte, was die Greys hier wollten. Die Schwarze Garde hatte die Verfolgung ihrer Schiffe nur deshalb aufgenommen, weil sie mit Überlichtgeschwindigkeit das Grah-System passiert hatten – was ohne Intervallfeld eigentlich völlig unmöglich war. Aufgrund der rasanten Geschwindigkeit hatte man bisher keinen der Fremd raumer so richtig in Augenschein nehmen können. Selbst die Farbe ihrer glatten Außenhülle verschwamm irgendwie grau in grau (was
den Fremden ihren vorläufigen Namen eingebracht hatte). Dank der Geistesgegenwart von Musaschi, der während des kur zen, aber harten Gefechts im All einige Daten erfaßt hatte, konnte sich MacCormack zumindest ein ungefähres Bild von den seltsamen Fremdschiffen machen: Sie waren mit Impulsgeschützen und Wuchtkanonen ausgerüstet. Letztere entsprachen in etwa der terra nischen Konstruktion, verfügten aber über geringere Durchschlags kraft, da die Geschosse nicht aus Tofirit, sondern aus einem wesent lich leichteren Material bestanden, vermutlich aus abgereichertem Uran. Schutzschirme hatten die Greys während der Kampfhand lungen nicht aktiviert. Offenbar benötigten sie auch keine, denn bei einem Volltreffer war ihr Schiff aus der Bahn geworfen worden, ohne sichtbare Beschädigungen davonzutragen. Es hatte den Waffen der HAMBURG einfach keinerlei Widerstand entgegengesetzt, so daß jegliche Waffenwirkung nutzlos verpufft war. »Mal angenommen, es ist den Greys gelungen, die Massenkont rolle zu perfektionieren und die Massenwirkung ihrer Schiffe nach außen exakt auf Null zu regeln. Dadurch würde Einsteins Formel e=mc2 für sie bedeutungslos werden, da m gleich Null und somit auch e gleich Null wäre.« Diese abstrus klingende Theorie stammte von Wladimir Jaschin – er hatte sie während der Verfolgung der Grey-Schiffe aufgestellt. Seiner Ansicht nach arbeiteten die schildkrötenpanzerförmigen Raumer nicht mit Rückstoßantrieben. Statt dessen »hangelten« sie sich an den interstellaren Magnetfeldern entlang von Sonne zu Son ne, angetrieben durch Interaktion mit dem Magnetfeld. Auch im Unterlichtbetrieb nutzten sie sehr wahrscheinlich den Magnetfeld antrieb, da er dank der Massenkontrolle überaus energiesparend war. Viel war es also nicht, was man über die Grey-Raumer wußte; das meiste beruhte auf Vermutungen und Spekulationen. Über die Schiffsbesatzungen hingegen konnte man nicht einmal spekulieren – es hatte sie bislang noch keiner gesehen.
Um so mehr Informationen gab es über die Utaren. Sie waren eine humanoide Spezies, wurden selten größer als einen Meter, und ihre Haut-, Haar- und Augenfarbe war blau. Sie verfügten über Pyrami denraumer sowie besondere Kenntnisse in der Energieschirmtech nik. Ihr Heimatplanet Esmaladan lag dreitausend Lichtjahre vom Walim-System entfernt. Den erdähnlichen vierten Planeten Spug hatten sie schon vor längerer Zeit für sich beansprucht, angeblich, um ihn zu kolonisieren. In Wahrheit aber hatten sie hier eine hochmoderne, verlassene Stadt entdeckt, halb Wohnstätte, halb Industrieanlage, in welcher sie nach technischen Artefakten und anderen wertvollen Schätzen suchten. Utarische Arbeiter und Roboter, die man hier abgesetzt hatte, kümmerten sich um den Abbau und das Sammeln der Funde. Zu diesem Zweck hatte man am Rande der Stadt ein Lager errichtet. Anfangs hatte sich der Lagerleiter Bo Borundo hartnäckig gewei gert, zusammen mit den Terranern von diesem Planeten zu fliehen. Erst als es brenzlig geworden war und man ihm erlaubt hatte, we nigstens einen Teil der Funde verladen zu dürfen, hatte er sich ein verstanden erklärt. – Nun lag die eine Hälfte der Artefakte noch im Lager, und die andere war mit der HAMBURG explodiert. Kenneth MacCormack traute Borundo und seinen Leuten nicht über den Weg. Die Arbeiter waren ständig bewaffnet, ebenso ihre Roboter, angeblich zu ihrem eigenen Schutz. Kenneth vermutete, daß zumindest ein Teil der anwesenden Utaren dem Militär ange hörte. Für einen einfachen Projektleiter war Borundo zu verschlagen. Das gleiche galt für den Mann, der von sich behauptete, für die Sicherheit der Arbeiter auf den Baustellen zuständig zu sein: Kle Klenet. Auf MacCormack wirkte er mehr wie ein Geheimagent der utarischen Regierung. Klenet schien auf alles, was um ihn herum vorging, ein wachsames und vor allem geschultes Auge zu haben. Fragen zu seiner Person wich er stets geschickt aus. Zudem war er ungeheuer arrogant. MacCormack war überzeugt, daß Bo Borundo und seine Männer
der verlassenen Stadt erst einen Teil ihrer Geheimnisse hatten ent reißen können. Vermutlich rätselten sie an den meisten Fundstücken hilflos herum. Konkretes ließ sich wohl erst auf Esmaladan ermitteln, hier fehlten ihnen die nötigen Werkstätten und Labore. Möglicherweise waren die Greys die ursprünglichen Bewohner jener beeindruckenden Stadt, zumindest schienen sie sich mit der Technik dort auszukennen. Mittels eines Hyperfunkimpulses hatten sie ein tief unter der Stadt befindliches mächtiges Gerät aktiviert, das ein starkes Störfeld mit unbekannter Ausdehnung erzeugte. Deshalb funktionierten derzeit weder Hyperfunk noch To-Richtfunk. MacCormack faßte den Entschluß, einen Erkundungstrupp zu sammenzustellen und zur Stadt aufzubrechen. Akira Musaschi würde ihn begleiten, außerdem wollte er Nick Gantzier, Antoku Seiwa, Jake Calhoun, Sam Uitveeren, Pete Garrison, Andy Bicksburg sowie einige andere Gardisten mit dabeihaben – und nicht zuletzt Piet Lessing, der trotz seiner »Dauernervosität« seinen Kameraden in nichts nachstand; im übrigen verfügte er über eine ganz besondere Fähigkeit. Von den Charoux-Zwillingsbrüdern war derzeit leider nur Daniel einsatzfähig, Antoine hatte sich das linke Bein gebrochen. Buck, Kaunas und Jaschin hätten die Gruppe trefflich ergänzt, doch mit deren Rückkehr war nicht mehr zu rechnen. * Die Multifunktionsanzüge der Schwarzen Garde waren ein Wun derwerk für sich. Sie waren leichtstoffgepanzert und konnten mit zahllosen Zusatzmodulen versehen werden, sogar mit einem komp rimierten Fallschirm oder Rettungsfloß. Zur eingebauten Überle benseinrichtung gehörte unter anderem ein stabiles Prallfeld. Selbst wenn es nicht aktiviert war, bot der Anzug bei einem Treffer einen gewissen Schutz. Auch bei einem schweren Sturz war er seinem Träger von Nutzen. Der Steilhang, den Jannis Kaunas mitsamt Geröll herabstürzte,
maß in der Höhe gerade mal vier Meter, zu wenig für einen schnel len Tod, aber ausreichend für ein paar fiese Knochenbrüche. Sein Panzeranzug bewahrte ihn vor solchen Übeln. Dummerweise prallte er unten derart unglücklich auf, daß er für ein paar Sekunden das Bewußtsein verlor. Seine letzten Gedanken galten seinen beiden Kameraden Kurt und Wladimir… … ebenfalls seine ersten Gedanken, als er kurz darauf wieder zu sich kam. Buck und Jaschin halfen ihm hoch. »Ich wußte gar nicht, daß Sie so empfindlich sind, Herr Haupt feldwebel«, scherzte Kurt Buck, obwohl auch ihm noch der Schre cken in den Gliedern steckte. »Fällt in Ohnmacht wie eine alte Jung fer beim Anblick eines nackten Mannes. Soll ich Ihnen Ihr Riech fläschchen holen?« Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte Kaunas ihn für sein loses Mundwerk ordentlich zusammengestaucht. Das lief jedoch nicht mehr, denn der junge Leutnant hatte ihn rangmäßig inzwischen blitzsauber eingeholt. »Mir ist wirklich nicht zum Spaßen zumute«, stöhnte Kaunas. »Der Schlag auf den Schädel hat mich völlig durcheinandergebracht. Plötzlich war ich fest überzeugt, Sie und der Korporal würden sich noch auf der HAMBURG befinden. Ich werde wohl langsam zu alt für solche Eskapaden.« In der Tat waren Kaunas, Buck und Jaschin mit dem vollgeladenen Absetzer noch rechtzeitig aus der HAMBURG entkommen, quasi im letzten Augenblick, denn das Grey-Schiff hatte sich bereits durch die Wolken geschoben. Die neuen Absetzer waren weder mittels Radar noch per Hypertaster zu orten; lediglich optisch konnte man sie ausmachen, also auch mit Infrarotspürern, doch die wurden tagsü ber im allgemeinen nicht eingesetzt. Pilot Buck hatte das Spezial beiboot hinter den nächstbesten Bergrücken gelenkt. Dort hatte man den Abzug oder die Landung der Fremden abgewartet. Aber die Greys waren weder abgezogen noch gelandet. Statt des sen hatten sie nach einer Weile das Feuer auf die HAMBURG eröff
net – ausgerechnet in dem Moment, als Kaunas oben am Kamm nach dem Rechten sehen wollte… »Sie sind der erste, der eines der Schildkrötenschiffe mit eigenen Augen aus nächster Nähe erblickt hat, Herr Hauptfeldwebel«, stellte Wladimir Jaschin fest. »Welche Farbe hat es nun eigentlich?« »Grau, würde ich sagen«, antwortete Kaunas nachdenklich. »Alles ging so verdammt schnell, daß ich nicht richtig hingucken konnte. Ich hätte das Aufzeichnungsgerät im Helm einschalten sollen, dann hätte ich jetzt ein Souvenir für daheim.« »Na bitte, seinen bissigen Humor hat er offenbar wiedergefunden«, sagte Buck grinsend zu seinem Freund Jaschin. »Ich schlage vor, wir warten noch etwas ab, und dann klettert der nächste von uns den Berg hinauf, um nachzusehen, ob die Greys noch da sind.« »Der nächste?« entgegnete Jaschin. »Wer mag das wohl sein?« »Im Zweifelsfall immer der, der so dumm fragt«, erwiderte Buck. »Oder der mit dem niedrigsten Dienstgrad. Auf dich trifft übrigens beides zu.« Obwohl sich die drei Männer außerhalb des Absetzers aufhielten, liefen sie keine Gefahr, geortet zu werden. Ihre Panzeranzüge un terdrückten IR- und Bioimpulse nahezu hundertprozentig. Höch stens die Energiemagazine ihrer GEH&K Mark 08/56-Multikarabiner hätte man anmessen können, dafür aber hätten die Greys auf weni ger als hundert Meter an sie herankommen müssen. Die hochmodernen Karabiner waren nicht nur zum Abfeuern von festen Projektilen, Lähm- und Blasterstrahlen geeignet, man konnte damit sogar Kleinstraketen losjagen. Mit diesen gefährlichen Waffen bildeten drei Mann bereits eine halbe Armee, vorausgesetzt, der Gegner verfügte lediglich über konventionelle Bewaffnung. Jeder Multikarabiner konnte problemlos an die Kampfhelmanzeige des Anzugs angeschlossen werden, was die Trefferquote enorm erhöhte. *
»Das fremde Schiff ist spurlos verschwunden«, meldete Wladimir Stepanowitsch Jaschin, nachdem er zu Buck und Kaunas zurückge kehrt war. »Vielleicht ist es wieder ins All entschwunden, zusammen mit den siebzehn anderen.« »Ich befürchte eher, sie suchen den Planeten nach uns ab«, meinte Jannis Kaunas. »Hoffentlich hat MacCormack die Gebirgsstellung gut getarnt.« »Der ist nun wirklich kein Anfänger«, erwiderte Kurt Buck. »Ich glaube nicht, daß die Greys nach uns suchen. Schließlich haben wir ihnen nichts getan. Vermutlich wollten sie nur ihre Verfolger ab schütteln. Das ist ihnen gelungen, wir sitzen vorerst auf Spug fest. Und die Fremden sind längst wieder unterwegs ins Nachbarsystem, wie gehabt.« »Schon möglich«, räumte Kaunas ein. »Es sei denn, sie leben auf Spug. Falls die Stadt ihnen gehört, und dafür spricht so einiges, werden sie vor Wut schäumen, sobald sie entdecken, daß man sie bestohlen hat. Spätestens dann jagen sie uns.« »Wieso uns?« merkte Jaschin an. »Die blauen Zwerge in ihrer kraßbunten Arbeitskleidung sind die Diebe, nicht wir.« »Willst du die Utaren den Greys ausliefern?« fragte ihn Kurt. »Das würde MacCormack niemals zulassen.« »Das würde ich auch nie von ihm verlangen – was denkst du denn von mir?« Wladimir griente. »Andererseits hätte ich natürlich nichts dagegen, Borundo und Klenet loszuwerden.« Buck nickte. »Borundo ist ein falscher Fuffziger, aber ein exzellen ter Schauspieler; er hat somit einen gewissen Unterhaltungswert. Hingegen ist Klenet nichts weiter als ein Kotzbrocken, dem man möglichst aus dem Weg gehen sollte.« Wenig später befanden sich die drei im Tiefflug auf dem Rückweg zur Stellung in den Bergen. Niemand hielt sie auf. Die Greys schie nen spurlos verschwunden zu sein. *
Oberstleutnant MacCormack war heilfroh, seine drei besten Män ner heil und gesund wiederzusehen. Beim Ausladen der sicherge stellten Ausrüstungsgegenstände kam er sich vor wie vom Weih nachtsmann beschenkt. Vor allem die zahlreichen Waffen und die große Menge an Reservemunition ließen sein Herz höherschlagen. Mit frisch geladenen Waffen fühlte man sich gleich viel besser an gezogen. Die Utaren hofften bis zuletzt, es würden sich wenigstens ein paar ihrer Fundgegenstände im Absetzer befinden, nur deshalb halfen sie beim Ausladen. Doch sie wurden enttäuscht. Der Sack war leer, und sie hatten wieder nichts abbekommen. Die Stellung wurde stetig weiter ausgebaut. Sowohl die Gardisten als auch Elizondos Männer befanden sich in ständiger Verteidi gungsbereitschaft. Rund ums Lager hatte MacCormack bewaffnete Wachen aufstellen lassen. Es herrschte strengstes Funkverbot. Das Störfeld wirkte vermutlich planetenweit, und jeder Versuch, es irgendwie auszutricksen, hätte womöglich die Greys angelockt. »Können wir es nicht irgendwie umgehen?« fragte Kurt Buck sei nen höchsten Vorgesetzten in dessen provisorischem Zelt. »Daran hatte ich auch schon gedacht«, entgegnete der Oberstleut nant. »Die Dunkelheit bricht bald herein. Sie, Herr Leutnant, fliegen mit einem Absetzer im Schutz der Nacht auf die andere Seite des Planeten und starten von dort aus ins All. Sobald das Blockadefeld nicht mehr wirkt, fordern Sie per Hyperfunk Hilfe an. Suchen Sie sich einen Kopiloten aus – aber bitte nicht Jaschin oder Kaunas, die brauche ich selbst.« »Als Lagerwache? Könnten das nicht andere…?« »Nein, ich benötige sie nicht zum Wacheschieben. Ich will im Morgengrauen mit einem Erkundungstrupp zur Industriestadt auf brechen.« »Verstehe. Hoffentlich haben inzwischen nicht die Greys die Stadt
besetzt.« »Das wäre mir nur recht. Auf diese Weise erfahren wir vielleicht endlich Näheres über sie.« MacCormack hielt inne. »Bilde ich mir das nur ein, oder höre ich tatsächlich leise Stimmen, während ich rede? Möglicherweise läuft ganz in der Nähe ein Übersetzungsge rät.« Plötzlich und uneingeladen betrat Bo Borundo das Zelt. »Verzeihen Sie bitte mein Eindringen«, erklang es höflich aus sei nem tragbaren Translator. »Zufälligerweise hörte ich, worüber Sie beide sprachen…« »Sie haben gelauscht?« unterbrach MacCormack ihn ungehalten. »Ist das auf Esmaladan so Sitte?« »Sie haben doch sicherlich Verständnis dafür, daß ich meine eige nen Interessen und die meiner Arbeiter wahren muß«, fuhr der Utare fort, als habe er die Frage nicht gehört. »Deshalb möchte ich Sie bit ten, auf dem Flug ins All einige der Männer mitzunehmen. Auf den freien Sitzen wäre jede Menge Platz. Und natürlich möchten wir auch mit in die Stadt, sie gehört ja gewissermaßen uns.« »Abgelehnt!« antwortete ihm MacCormack kurz angebunden. »Ich bestehe aber darauf!« schimpfte Borundo so unvermittelt los, daß Buck erschrocken zusammenzuckte. »Denken Sie, wir lassen es zu, daß Sie die im Lager verbliebenen Fundstücke heimlich beiseite schaffen?« Seine Stimme wurde wieder ruhiger. »Wären Sie in meiner Situation, würden Sie genauso handeln«, sagte er nun in sonorem Tonfall. »Vielleicht könnten wir uns auf einen Kompromiß einigen: Es würde mir schon genügen, wenn Ihr junger Offizier in seinem Beiboot lediglich zwei meiner Leute mit nimmt. Und fünfzig von uns vervollständigen Ihren Erkundungs trupp, einverstanden?« Borundo war wandelbar wie ein Chamäleon. Eben noch heuchle risch-freundlich, dann wütend wie ein Stier und Sekunden später gelassen und verständnisvoll.
Zu Bucks Überraschung gab der Oberstleutnant ganz unerwartet nach. »Einer Ihrer Männer darf mit ins All«, entschied er. »Dafür können Sie so viele Arbeiter in die Stadt mitschicken, wie Sie es für richtig halten.« »Ein faires Angebot«, erwiderte Borundo lächelnd. »Ich bin ein verstanden.« »Es bleibt Ihnen auch gar nichts anderes übrig«, sagte MacCor mack und wandte sich Buck zu. »Für welchen Kopiloten haben Sie sich entschieden?« »Yo Ho«, entgegnete der Leutnant, ohne lange nachdenken zu müssen. »Er gehört zu den Nachwuchsgardisten und hat sich bei den Manövern auf dem Schiff besonders hervorgetan. Ich will ihn mal ein bißchen austesten.« »Und ich schicke Kle Klenet mit«, warf Bo Borundo ein, obwohl ihn niemand danach gefragt hatte. »Kle Klenet?« entfuhr es Buck entsetzt. »Das…« »… geht in Ordnung«, ergänzte MacCormack den Satz rasch. »Richten Sie Klenet aus, er soll sich umgehend bereitmachen. Und Ihre Männer erwarte ich im Morgengrauen in voller Montur, ver standen?« »Verstanden«, erwiderte Bo Borundo. »Ich werde höchstpersönlich mit in die Stadt kommen.« Mit zufriedener Miene verließ er das Zelt. »Ich möchte Sie ja nicht kritisieren, Sir«, begann Buck vorsichtig. »Dann tun Sie es auch nicht«, ließ MacCormack ihn wieder nicht aussprechen. »Ich weiß, daß Sie Klenet nicht mögen. Das geht uns fast allen so – ebendeshalb nehmen Sie ihn mit, dann haben wir ein Weilchen Ruhe vor ihm. Und was die Utarenbrigade angeht, die morgen in aller Herrgottsfrühe bereitsteht…« Weil er befürchtete, erneut belauscht zu werden, verlegte er sich aufs Flüstern. Kurt Buck mußte sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
*
»Ob ich Sie auf einem Einsatz begleiten will? Was für eine Frage, Herr Leutnant! Selbstverständlich bin ich mit dabei.« Der junge Koreaner Yo Ho konnte sein Glück kaum fassen. Er war so etwas wie Kurt Bucks größter Fan und eiferte seinem Vorbild in jeder Beziehung nach – so wie viele andere Neulinge bei der Garde. Kurt hatte für Nachahmer nichts übrig, doch er spürte instinktiv, daß in Yo Ho weitaus mehr steckte. Der Asiate hatte das Zeug zu einem selbständig denkenden Gardisten, mit einem festen eigenen Willen. Man mußte ihm nur die Chance geben, sich im Einsatz zu bewähren. In wenigen Worten setzte Buck ihn von dem Auftrag in Kenntnis und informierte ihn darüber, daß noch eine dritte Person mitfliegen würde. »Wer?« fragte Yo Ho gespannt. »Hauptfeldwebel Kaunas? Korpo ral Jaschin?« »Es handelt sich um einen Utaren namens Kle Klenet.« Wie die Japaner waren auch die Koreaner stets um ein höfliches Lächeln bemüht. Yo Hos Mundwinkel neigten sich jedoch unver kennbar nach unten. »Wie ich sehe, haben Sie schon von ihm gehört«, bemerkte Buck ungerührt. »Umso besser… dann wissen Sie ja, was uns erwartet.« Eine Stunde nach Sonnenuntergang startete Bucks Absetzer in Richtung Westen. Er beabsichtigte, mit der Geschwindigkeit der Planetenrotation zu fliegen, so daß es für ihn und seine Begleiter ständig eine Stunde nach Sonnenuntergang bleiben würde. Die Ankunft auf der anderen Seite des Planeten würde nach einem halben Planetentag erfolgen, in zwölf Stunden und fünfundzwanzig Minuten… *
Den Utaren waren nur sehr wenige Stunden Schlaf vergönnt. Es war noch nicht richtig hell, als sich knapp einhundertfünfzig von ihnen in leichter Arbeitskluft am Rande des Lagers versammelten. Akira Musaschi kam hinzu und ging langsam an der Utarenriege entlang, bedächtig einen Fuß vor den anderen setzend. Er trug sei nen Multifunktionsanzug einschließlich fester Stiefel. Den Helm hatte er nicht aufgesetzt. Schweigend, mit skeptischer Miene, begu tachtete er die Blauen. »Bei der Evakuierung aus der HAMBURG hat jeder von uns einen Teil seines Gepäcks mitnehmen dürfen, um bei Bedarf die Kleidung wechseln zu können«, sagte er schließlich zu ihnen, ohne es dabei an seiner gewohnten Höflichkeit fehlen zu lassen. »Verfügen Sie über kein stabileres Schuhwerk, meine Herren? Und über wetterfeste Kleidung?« »Wozu?« fragte ihn Bo Borundo. »Regnet es in Ihren Beibooten?« Seine Männer lachten über den müden Scherz – die Utaren waren halt ein fröhliches Völkchen. »Oh, ich verstehe, hier liegt offenbar ein Mißverständnis vor«, entgegnete Musaschi lächelnd. »Wir fliegen nicht mit den Absetzern in die Stadt. Das ist viel zu gefährlich, die Fremden könnten uns entdecken. Deshalb marschieren wir dorthin.« Die Utaren waren entsetzt, einige wurden ganz hellblau im Ge sicht. »Marschieren?« wiederholte Bo Borundo ungläubig. »Aber ich dachte… ich hatte angenommen…« Die HAMBURG war etwa vierhundert Kilometer von der Indust riestadt abgestürzt. Durch die Evakuierung ins Gebirge hatte man sich der Stadt wieder um zweihundert Kilometer genähert. Blieben noch zweihundert Kilometer… zu weit für einen Fußmarsch, wenn man nur ein »laufender Meter« war. Den Gardisten hingegen machte ein solcher Gewaltmarsch nichts aus, sie waren Schlimmeres gewohnt. MacCormack trat aus seinem Zelt.
»Sie haben mich reingelegt!« schrie Borundo ihm zornig entgegen. »Inwiefern?« fragte ihn der Oberstleutnant mit gespielter Ver wunderung. »Ich habe Ihnen zugesichert, so viele Männer mitneh men zu dürfen, wie Sie wollen. Das gilt noch immer.« Er zog die Stirn kraus. »Wie seid ihr überhaupt gekleidet?« sprach er scheinbar ärgerlich in die Runde. »Ihr seht aus, als würdet ihr auf Spug Urlaub machen. Soll ich euch noch einen Cocktail reichen, mit einem kleinen Schirmchen drin? Himmel, Arsch und Zwirn, wir haben einen Zweihundertkilometermarsch vor uns, keinen Betriebsausflug! Also zieht euch gefälligst was Anständiges an!« »Das dürfte nicht nötig sein«, giftete Borundo. »Wir bleiben hier!« »Ihre Entscheidung«, sagte MacCormack nur und wandte sich ab; die Utaren sollten sein breites Grinsen nicht sehen. Akira Musaschi fiel es nicht sonderlich schwer, beim Auftritt seines Vorgesetzten ernst zu bleiben. Japaner verfügten über die Fähigkeit, still in sich hineinzulächeln. Grummelnd zogen sich die Utaren in ihre Quartiere zurück. Wenig später machten sich insgesamt vierunddreißig Gardisten abmarschbereit: MacCormack, Musaschi, Kaunas, Jaschin und drei ßig weitere. Der Oberstleutnant übertrug die Leitung der Stellung Hector Elizondo, dem spanischen Kapitän ohne Schiff. Seinem Befehl mußten sich ausnahmsweise auch die im Lager verbliebenen Gar disten fügen.
13.
Unbehelligt kam die Gruppe voran, und mit dem Verstreichen der Stunden wurde die Atmosphäre immer entspannter. Gab es anfangs noch warnende Stimmen, womöglich mit Gefahren konfrontiert zu werden, schwanden diese Befürchtungen mit jedem zurückgelegten Kilometer mehr, bis niemand mehr einen Gedanken daran ver schwendete. Denn tatsächlich war die tote Zone wie leergefegt. Nicht einmal Tiere schien es hier zu geben. Dafür sprach auch, daß es weder Spuren in der weichen Grasmatte gab, die so gut wie jede freie Stelle zwischen den Felsen bedeckte, noch Pfade, die von regelmäßiger Benutzung zeugten. Inzwischen stieg das Gelände immer steiler an, und die Männer mußten ihr Schrittempo verringern. Artus und dem Cyborg machten die erschwerten Geländebedingungen natürlich nichts aus, aber Dan Riker erwartete unwillkürlich, daß die massigen Kurrgen ins Hin tertreffen geraten würden. Doch er sah sich gründlich getäuscht. Ein Mensch ihrer Größe und mit ihrem Körpergewicht hätte zwangsläu fig als fett gegolten und nach ein paar Kilometern schlapp gemacht. Nicht so die Kurrgen, die im Gegensatz zu den Menschen keine Anzeichen von Erschöpfung zeigten. Denn was bei einem Menschen Speck gewesen wäre, waren bei diesen kleinen Kraftpaketen Mus keln. Insgeheim mußte Riker ihnen Respekt zollen, und er begriff, daß er sie mit anderen Maßstäben beurteilen mußte. Für einen Menschen wie ihn waren sie zwar auf den ersten Blick hoffnungslos überge wichtig, doch das war ein Trugschluß. Vielmehr waren sie kräftig, kompakt und ausdauernd. Alles eine Frage des Blickwinkels, ging es ihm durch den Kopf, wobei er Artus mit einem nachdenklichen Blick maß. Ohne dessen körpereigene Instrumente und die Möglichkeiten des
Cyborgs hätte sich die Gruppe längst verlaufen, weil die Armband geräte nicht mehr funktionierten. Denn auch die Kurrgen konnten sich nur grob anhand der Himmelsrichtung orientieren. Selbst schon einmal hiergewesen war noch keiner von ihnen. »Es wird bald Abend«, sagte Leutnant Hornig mit einem abschät zenden Blick zum Himmel. »Wir sollten demnächst ein Nachtlager aufschlagen.« Riker nickte. Ein paar Stunden Ruhe würden den Männern guttun. Zudem hatten sie seit ihrem Aufbruch von den ausgefallenen Fahr zeugen noch nichts gegessen. Zum Glück war es nicht allzu heiß, sondern mild. Außerdem waren am blauen Himmel keine Wolken zu sehen, die eine verregnete Nacht androhten. »Wenn es keinen plötzlichen Wetterumschwung gibt, können wir unter freiem Himmel schlafen«, schlug er vor. Die Vorstellung gefiel ihm, denn sie hatte etwas Romantisches an sich, auch wenn ihr Ein satz hier alles andere als das war. »Gute Idee«, freute sich auch Hornig. »Das habe ich seit meiner Zeit bei den Pfadfindern nicht mehr gemacht.« »Pfadfinder?« Häkkinen rümpfte verächtlich die Nase. »Ich dachte, die seien ein Relikt der Vergangenheit. Wer gibt sich denn heute noch mit sowas ab?« »Da lernt man eine Menge Dinge, die irgendwann hilfreich sein können.« »Na, das will ich sehen.« »Passiert manchmal schneller, als man denkt«, antwortete der Leutnant amüsiert und wandte sich an Riker. »Dort oben dürfte eine gute Stelle sein. Wenn ich mich nicht irre, erkenne ich da vorn einen Bach, der in südlicher Richtung zwischen den Felsen verschwindet. Außerdem haben wir dort von oben einen ganz guten Überblick.« Andererseits wären sie dort auch hervorragend zu sehen, beson ders wenn sie ein Feuer entzündeten. Doch Rikers Anflug von Skep sis verflog augenblicklich wieder. Hier gab es niemanden, der sie beobachten konnte.
Die Gruppe bewegte sich parallel zu einer steil aufragenden Fels wand. Wie natürliche Serpentinen führte eine über hundert Meter breite, grasbewachsene Schneise an ihr entlang zu der von Hornig auserkorenen Kuppe, die noch etwa zwei Kilometer entfernt lag. Da sie von unten nicht einzusehen war, lief Percival Brack voraus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Kaum daß er oben angekom men war, winkte er auffordernd. »Hier oben wird es ziemlich schnell dunkel«, stellte Häkkinen fest. In der Tat verschwand die Sonne in den fünfzehn Minuten, die die Gruppe für die Bewältigung des letzten Stücks brauchte, hinter den Bergen und hinterließ nur eine recht kurze Dämmerungsphase. Gleich an die Kuppe schloß sich eine weite Almwiese an, die von einem schmalen Bach durchlaufen wurde, der zwischen einigen Felsen hervortrat. Zufrieden nickte Hornig, weil er sich nicht ge täuscht hatte. Für eine Nachtruhe war die Stelle perfekt gewählt. Häkkinen wollte sich im Gras niederlassen, aber der Leutnant trieb ihn wieder auf die Beine. »Wer rastet, der rostet, Fähnrich. Als alter Pfadfinder weiß ich auch, daß es in den Bergen nachts empfindlich kalt werden kann. Darum wird zunächst Feuerholz gesammelt.« Riker nickte zustimmend, während Endems Kurrgen bereits aus schwärmten und in einem nahegelegenen Unterholz aufsammelten, was sich für Hornigs Zwecke verwenden ließ. »Eine gute Idee«, pflichtete Endem währenddessen dem Leutnant bei. »Sie bringt nur ein Problem mit sich. Meine Leute und ich haben keine Streichhölzer dabei. Das ist ärgerlich, denn ich weiß aus Über lieferungen, daß sie hier funktionieren.« »Im Gegensatz zu unseren elektronischen Feuerzeugen, die ebenso den Geist aufgegeben haben wie alles andere technische Gerät.« Brack, der einen erfolglosen Versuch unternommen hatte, schüttelte den Kopf, als Häkkinen eben mit einem Arm voll Holzstücken zu rückkam. »Das mit dem Feuer können wir vergessen.« Riker hatte den Eindruck, daß Artus zu einer Erwiderung ansetzte, aber Häkkinen kam ihm grinsend zuvor. »Das erinnert mich an alte
Geschichten, die mein Großvater mir als Kind erzählt hat. Der war nämlich früher auch Pfadfinder. Angeblich konnten diese Natur burschen mit einfachsten Mitteln Feuer machen. Außer ein paar trockenen Zweigen brauchten sie dazu keine Hilfsmittel.« Sämtliche Augenpaare richteten sich auf den Leutnant. Auch Artus behielt die Bemerkung, die ihm auf der elektronischen Zunge lag, endgültig für sich. Dan Riker konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, während sich Hornig ein wenig wand. Offensichtlich war ihm plötzlich nicht mehr wohl in seiner Haut. »Wenn ich als Fähnrich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir«, frotzelte Häkkinen, wobei sich das Grinsen in seinem Gesicht noch verstärkte, »da hat sich jemand ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt. Zu weit, wenn ich mich nicht irre.« Inzwischen brachten auch die Kurrgen allerlei Geäst heran und warfen es auf einen Haufen. Sie blieben hinter Endem stehen, der wieder sein Äquivalent eines menschlichen Schulterzuckens zeigte, indem er dreimal heftig nickte. »Kann der Leutnant nun Feuer ma chen, oder nicht?« Hornig sah Häkkinen an, daß dem Fähnrich eine weitere bissige Bemerkung auf der Zunge lag, die er sich aber verkniff. Trotzdem sah der Leutnant ein, daß er sich nicht mehr aus der Situation he rauswinden konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren. »Natürlich kann er«, murmelte er und deutete auf das ange schleppte Holz. »Aber doch nicht damit. Um es erst einmal in Gang zu bringen, braucht man möglichst dünne und dürre Zweige.« Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte entschlossen davon. Alle anderen beobachteten feixend seine Suche, bis er nach einigen Minuten fündig wurde. Riker dachte gar nicht daran, seinen Leuten und den Kurrgen, die das ganze anscheinend ebenso belustigend fanden, den Spaß zu nehmen. Lautstarkes Gejohle brandete auf, als Hornig sich an den knochen trockenen Zweigen zu schaffen machte. So schnell er konnte, rieb er sie gegeneinander, wobei er sich bemühte, die spöttischen Kom
mentare zu überhören. »Da können wir auch auf den nächsten Buschbrand warten.« »Das klappt vielleicht beim Fähnlein Fieselschweif, aber die haben ja auch Tick, Trick und Track.« »Bestimmt wünscht er sich jetzt ein Gewitter mit zahlreichen Blit zen, die das Gebüsch in Brand setzen.« Hornig ließ sich davon nicht beeindrucken. Obwohl er meinte, sich von der Reibungshitze bereits die Finger zu verbrennen, gab er nicht auf. Sämtliche Zwischenrufe verstummten und machten ungläubi gem Staunen Platz, als nach einer Viertelstunde plötzlich feine Rauchschlieren aufstiegen. Dann flammte eines der dürren Ästchen auf. Ringsum ertönten Jubelschreie, als Hornig rasch ein paar weitere Zweige anzündete. »Jeden Tag eine gute Tat«, kommentierte er sichtlich zufrieden, als kurz darauf ein munteres Lagerfeuer prasselte. »Und etwas mehr Vertrauen für alle Zweifler.« »Schon gut, Sir«, mußte Häkkinen zerknirscht einräumen. »Ich gratuliere. Vielleicht sollten sich die Terranische Flotte und die Schwarze Garde auf jedem Schiff ein paar Pfadfinder zulegen.« Inzwischen hatte die Nacht endgültig Einzug gehalten. Am wol kenlosen Himmel glitzerten die Myriaden von Sternen so klar, wie man es von keiner Stadt der Erde aus beobachten konnte. Dazu mußte man sich auch dort weitab jeglicher Zivilisation aufhalten. In diesem Bereich der Milchstraße kam hinzu, daß die Sternbilder an ders aussahen, als sie einem Betrachter von Terra her gegenwärtig waren. Menschen und Kurrgen fielen über ihre mitgeführten Lebensmittel her, denn nun machte bei allen der Hunger auf sich aufmerksam. Dabei wurden die unterschiedlichen Vorräte ausgetauscht und ent lockten manchen überraschten Ausruf. »Kosten Sie das einmal.« Endem reichte Riker eine ungefähr handgroße Knolle von lehmig brauner Farbe. Auf den ersten Blick sah sie nicht sonderlich appetitlich aus, sondern machte den Ein
druck, eben erst aus dem Boden gepult worden zu sein. Doch als Riker in die fleischige Frucht biß, wurde er angenehm überrascht. Sie war saftig und wohlschmeckend und erinnerte ihn an eine Ge schmacksmischung aus Ananas und Ingwer. Die nächsten Stunden verbrachten die Teilnehmer der Expedition in gelöster Stimmung, und Riker fragte sich, warum nicht alle Völker des Universums in solcher Harmonie miteinander umgehen konn ten. Der gemütliche kurrgisch-terranische Abend ging erst gegen Mitternacht zu Ende, als sich einer nach dem anderen an Ort und Stelle zum Schlafen niederlegte. Bevor Riker sich ebenfalls ein paar Stunden Schlaf gönnte, trat er neben Artus und sprach ihn unauffällig an, damit die anderen es nicht mitbekamen. »Deine Technik funktioniert doch noch. Also wäre es dir ein leichtes gewesen, ein Feuer zu machen.« »Natürlich, Riker«, bestätigte der Roboter und bewegte die metal lischen Finger seiner linken Hand. »Zum Beispiel hätte ich nur eine elektrische Spannung aufbauen und einen Lichtbogen zwischen Daumen und Zeigefinger produzieren müssen. Das hätte nicht mal eine Sekunde gedauert.« »Wieso hast du es dann nicht getan?« Artus drehte seinen Schädel und sah Riker an. »Es gab keine Ver anlassung, Hornig seinen Triumph streitig zu machen. Junge Offi ziere wie er brauchen ihre Erfolgserlebnisse, weil sie ihnen zusätzli che Sicherheit verleihen. Außerdem hat die Methode des Leutnants viel mehr Spaß gemacht. Wie alle anderen habe auch ich mich köst lich amüsiert.« »Hm«, machte Riker verblüfft. »Das freut mich für dich.« Noch mehr aber beeindruckte ihn Artus’ Handlungsweise, die nicht nur von einer gewissen Weisheit, sondern zudem von Führungsqualitä ten zeugte. Er nahm sich vor, sich zu gegebener Zeit an diesen As pekt zu erinnern. »Du kannst jetzt ebenfalls schlafen gehen«, schlug die KI im Körper des Roboters vor. »Ich werde die Nachtwache übernehmen.«
»Du allein? Wir alle können uns abwechseln, dann bedeutet das für keinen mehr als eine Stunde Schlaf verzieht.« »Ich weiß dieses Angebot wohl zu schätzen, aber es ist nicht nötig«, wehrte Artus ab. »Mir macht es nichts aus, die ganze Nacht zu wa chen, denn ich tue es lediglich mit einem Teil meiner Kapazitäten. Der intelligente Teil meines Gehirns kann schlafen und träumen, während meine automatischen Systeme den Wachdienst überneh men, so wie es jeder gewöhnliche Roboter tun würde.« »Bist du sicher?« Riker kam sich bei dieser Regelung ein wenig merkwürdig vor. Wenn er bereit war, Artus als lebendes Intelli genzwesen zu behandeln, konterkarierte der diese Einschätzung durch sein großzügiges Angebot auf eine gewisse Weise. »Null Problemo!« »Wo hast du das denn wieder her?« Anstelle einer Antwort schickte Artus sich an, eine Runde um das provisorisch errichtete Nachtlager zu drehen. »Gute Nacht«, sagte er nur. Riker nickte knapp. »Gute Nacht, Artus.« * Mit stoischem Gleichmut drehte Artus eine Runde nach der ande ren. Er lief einen nahezu perfekten Rundkurs um die ruhende Gruppe, wobei seine empfindlichen künstlichen Systeme auf fremde Bewegungen achteten und auf ungewöhnliche Geräusche lauschten, doch die Stunden verstrichen ereignislos. Vor dem mondlosen Nachthimmel waren die Konturen der Berg züge für einen Menschen nur gerade eben so zu erkennen, in Artus’ Optiken hingegen hoben sie sich klar vom Hintergrund ab. Kein Detail der Umgebung entging seinen wachsamen elektronischen Sinnen. Er vernahm sogar das leise Flüstern des Windes, das aus höherliegenden Spalten und Klüften herabdrang. Er selbst hingegen produzierte nicht das geringste Geräusch, um
Menschen und Kurrgen nicht unbeabsichtigt zu wecken. Sie schlie fen tief und fest, wie er mit gelegentlichen Seitenblicken zu den zu sammengerollten Körpern feststellte. Ob sie wohl träumten? Artus selbst tat es, wie er Riker angedeutet hatte. Mit einem Teil seines Selbst wachte er, ein anderer befand sich in einem dem men schlichen Schlaf äquivalenten Zustand. Auch wenn beide Teile nicht voneinander losgelöst waren, erschienen sie dem wachenden Part doch wie eine duale Existenz. Wie zwei Wesen in einem Körper. Dieser Zustand endete abrupt wieder, sobald die KI ihren selbstge wählten schlafähnlichen Zustand aufgab. In seinem Traum sah sich Artus in einem leeren Raum, dessen Be grenzungen vor ihm zurückwichen, sobald er sich einer von ihnen näherte. Wände, Decken und Boden entfernten sich, als er versuchte, sie zu erreichen. Er schwebte in dem Raum, halb schwimmend, halb fliegend, und versuchte ihn zu verlassen. Weiße Vögel waren um ihn, deren Schwingen sich wie in Zeitlupe bewegten und sie anmutig und langsam erscheinen ließen. Trotzdem wurden sie nicht abge schüttelt, sondern blieben an seiner Seite. Immer schneller wurde Artus, seine Anstrengungen immer größer, und schließlich war seine Geschwindigkeit größer als die Fluchtge schwindigkeit der Begrenzungen. Er holte eine der Wände ein… und durchdrang sie, als sei sie gar nicht vorhanden. Der einengende Raum blieb hinter ihm zurück, dafür lag eine unüberschaubare Weite vor ihm. Millionen Lichtpunkte funkelten vor einer Unendlichkeit aus Schwarz, und er stürzte geradewegs auf sie zu. So schnell flog er inzwischen dahin, daß die Vögel in alle Richtungen auseinanderstoben und hinter ihm zurückblieben, bis er sie aus den Augen verlor. Artus streckte einen Arm aus, um die winzigen Lichter zu berüh ren, doch er war viel zu klein und sie immer noch viel zu weit ent fernt. Seine Sehnsucht nach ihnen wuchs mit jeder seiner aussichts losen Bewegungen, doch er mußte einsehen, daß sie ihm verwehrt
blieben. Der wachende Teil Artus’ blickte mit Hilfe seiner künstlichen Op tiken zum Sternenmeer empor, unter dem Dan Riker und die ande ren schliefen. Um nichts anderes konnte es sich bei den Bildern in seinem Traum handeln. Ja, aus einem engen Raum, der ihn einst gefangengehalten hatte, war er entkommen und tatsächlich in die interstellaren Weiten vorgestoßen, die stets sein Ziel gewesen waren. Während er über die Maßen fasziniert war, ließ seine Aufmerk samkeit doch keinen Augenblick nach. Immer mehr kam er zu der Überzeugung, daß die Erkenntnisse des Tages nicht getrogen hatten. Er und die Lebewesen in seiner Begleitung waren in der toten Zone allein und nicht einmal der Gefahr durch wilde Tiere ausgesetzt. Unvermindert setzte sich sein Traum fort, ließ ihn eins werden mit der Schwärze. Es gelang ihm jetzt willentlich, seine Richtung zu än dern, und jedes Lichtjahr überbrückte er schneller, als er einen Ge danken formulieren konnte. Endlich gelangte er bei den zuvor für unerreichbar gehaltenen Lichtern an, und zu Hunderten blieben sie hinter ihm zurück. Er konnte sie fühlen, sie atmen, und während er sich noch mit Tausenden von ihnen beschäftigte, waren Millionen andere um ihn. Jetzt ritt er auf dem Rücken eines geflügelten Pferdes, das ihn an Pegasus erinnerte, das geflügelte Pferd aus der griechischen Mytho logie, durch dessen Huf schlag die Quelle Hippokrene entstanden war, die dichterische Inspiration verlieh. Nur eine Maschine? Ich? dachte Artur inspiriert, und er lachte ein lautloses Lachen. Ehe er sich versah, zerfiel das Roß in Myriaden von Photonen, die sich verwandelten und etwas Neues bildeten. Eine feste Hülle, die Artus umgab, einen ringförmigen Körper, der mit aberwitziger Ge schwindigkeit durch den Sternenozean pflügte. Mit einem kaum wahrnehmbaren Summen, das nur Artus ho chempfindliche Sensoren aus der Stille filterten, näherte sich der Kreuzer. Keine Nanosekunde verging, bis der nicht ruhende Teil des
Roboters seine Schlüsse zog. Das Summen stammte nicht von einem Ringraumer. Es kam auch nicht aus seinem Traum, sondern entsprang der Wirklichkeit. Und es näherte sich vom jenseitigen Ende der Alm wiese. * »Riker, komm zu dir!« Das Flüstern und der derbe Stoß ließen ihn aufschrecken. Sekundenlang war er verwirrt und hatte Schwierig keiten, die Augen aufzuschlagen. Dann schälte sich der Schein des noch immer brennenden Feuers aus der Dunkelheit. Entweder hatte er nur kurz geschlafen, oder Artus hatte hin und wieder Holz nach gelegt. Artus! Schlagartig fiel die Müdigkeit von Dan Riker ab, und er wuchtete sich in die Höhe. Der Roboter huschte durch das Lager und weckte die Männer nacheinander auf. Ohne triftigen Grund würde er das nicht tun. »Was ist los?« fragte der schwarzhaarige Mann, während er sich forschend nach einer möglichen Gefahr umsah. »Hörst du das Summen nicht?« zischte Artus, wobei er die letzten Kurrgen in die Höhe zog. »Es kommt von dort hinten.« In der angegebenen Richtung war nichts zu sehen, aber als Riker lauschte, vernahm er den schwachen Summton ebenfalls, den Artus’ Mikrofone zum Glück viel früher wahrgenommen hatten, als es menschlichen Ohren möglich war. »Das Geräusch ist künstlichen Ursprungs«, stellte er fest und trieb die Männer an. »Wir suchen unterhalb der Felswand Deckung.« Mit weiten Schritten lief er über die Wiese und sprang hinter einen Felsen, gefolgt vom Rest der Gruppe. Hinter den zahlreichen Vor sprüngen und Vertiefungen waren sie direkter Sicht entzogen, aber Riker machte sich nichts vor. Die künstlich angelegte Feuerstelle würde sie verraten, selbst wenn sie noch nicht entdeckt worden waren.
»Zumindest wissen wir jetzt, daß wir nicht allein sind«, stellte Percival Brack fest. »Die Frage ist nur, wer uns da seine Aufwartung macht.« Inzwischen war das Summen nicht mehr zu überhören. In hundert Metern Entfernung blitzte es im Schein der Flammen metallisch auf, und dicht über dem Boden zeichneten sich die Umrisse von zwei flachen Flugmaschinen ab. »Wollen wir mal hoffen, daß es keinen Anlaß gibt, uns verteidigen zu müssen«, wehrte Riker die Befürchtungen des Fähnrichs ab. »Trotzdem steckt keiner seinen Kopf aus der Deckung.« Er war er leichtert, daß Endem keine Anstalten machte, seinen Kurrgen an derweitige Befehle zu geben. »Es handelt sich um Plattformen, die offenbar Transportzwecken dienen«, erkannte Artus. »Ziemlich groß.« »Ja, und anscheinend automatisch gesteuert«, bestätigte Brack. »Ich kann jedenfalls keine Piloten entdecken.« Vorsichtig erhob sich Riker aus seiner Deckung. Die beiden Platt formen waren in der Nähe des Feuers zum Stillstand gekommen und verharrten nun bewegungslos. Als er sich ihnen näherte, offenbarten sich ihm weitere Einzelheiten. Die wannenförmigen Gefährte ver fügten über zahlreiche Sitzgelegenheiten, die von einer achtzig Zen timeter hohen Umfriedung eingefaßt wurden. Also handelte es sich um Fahrzeuge zur Personenbeförderung, und darüber, wen sie be fördern sollten, gab es keinen Zweifel. »Die sehen nach einer Einladung aus«, überlegte Leutnant Hornig. »Mir gefällt nur nicht, daß es keine Steuereinrichtung gibt. Wenn wir einsteigen, liefern wir uns auf Gedeih und Verderb ihrem Befehl shaber aus.« »Auf Verderb wohl kaum«, konterte der Cyborg. »Warum sollte uns jemand diese Plattformen schicken, der beabsichtigt, etwas ge gen uns zu unternehmen? Sie dienen lediglich dem Zweck, uns an einen bestimmten Ort zu bringen. Vielleicht zu der Statue, Sir.« Dan Riker nickte. Er hatte die gleiche Vermutung.
»Sie wollen sagen, wir sollen damit fliegen?« Endem klang wenig begeistert. »Die sind ja offen.« Ängstliches Gemurmel setzte unter seinen Leuten ein, als ihnen klar wurde, was die Worte bedeuteten. Schlagartig leuchtete Riker ein, was in ihnen vorging. Selbst ihm war es nicht ganz geheuer, in völlig offenen Fahrzeugen, die mal kurz einen Salto machen konn ten, wenn ihrem unbekannten Besitzer danach war, durch die Ge gend zu fliegen. Den Kurrgen mußte diese Vorstellung noch viel bedrohlicher vorkommen, da sie ausschließlich an geschlossene Räume gewöhnt waren. »Ein Flug damit ist ungefährlich«, versuchte er die Kurrgen zu überzeugen. »Derjenige, der sie uns geschickt hat, möchte uns of fenbar kennenlernen. Also wird er uns nicht in Gefahr bringen.« »Aber wenn man hinausfällt?« »Das verhindern die Sitzmulden. Sie bieten die größtmögliche Si cherheit. Endem, die Plattformen dienen nur diesem Zweck, also können wir uns auf sie verlassen.« Trotz Rikers Versicherungen blieb der Kapitän skeptisch. Zu einem Fahrzeug, egal ob zu Land, in der Luft oder unter Wasser, gehörten für ihn nun einmal feste Wände. Artus unterzog unterdessen eine der Plattformen einer näheren Untersuchung. Als er damit fertig war, nickte er in menschlicher Manier mit seinem stählernen Schädel. »Wie gut, daß meine Analy sefunktionen weiterhin ihren Dienst versehen«, verkündete er zu frieden. »Deshalb brauche ich mich nicht auf meinen optischen Ein druck über die Beschaffenheit dieser Fahrzeuge zu verlassen. Ob wohl die außer mir anscheinend keinem aufgefallen ist.« »Was willst du damit sagen?« Riker trat näher und legte eine Hand auf die Umfriedung einer der Plattformen. Im Feuerschein glänzte sie bläulichviolett. Da wußte er, worauf Artus hinauswollte. »Unitall! Wie konnten wir nur so blind sein?« »Also haben diese Dinger etwas mit den Worgun zu tun.« Ohne auf eine Aufforderung zu warten, kletterte der Cyborg in eine der
Wannen und wuchtete seinen Körper in einen freien Sitz. »Also gibt es auch keinen Zweifel mehr, woher sie kommen. Genau von dort, wohin wir wollen. Von der goldenen Statue.« »Leutnant, Sie fliegen mit Brack«, ordnete Riker an und deutete hinter sich. »Artus, Häkkinen und ich nehmen das andere Taxi. So aufgeteilt, können wir den Theinern ein bißchen moralische Hilfe stellung geben.« »Hoffentlich werden sie nicht seekrank«, feixte der Fähnrich grin send. »Die kommen noch auf die Idee und übergeben sich gegen den Wind, und das kann eine ganz schöne Sauerei geben.« »Gegen den Wind?« rief Endem empört. »Meine Männer und ich sind Seeleute, aber keine ahnungslosen Landratten. Wenn einem von denen im U-Boot schlecht wird, macht er selbstverständlich das Bullauge auf.« Mit einem Satz, der sie erbeben ließ, sprang er auf die Plattform und bedeutete seinen Leuten, es ihm gleichzutun. Obwohl sie nach wie vor alles andere als begeistert davon waren, taten die Kurrgen, wie ihnen von ihrem Kapitän geheißen. Nachdem Artus das Feuer gelöscht hatte und auch die Menschen an Bord waren, setzten sich die beiden Plattformen wieder in Bewegung. * Die Kurrgen schrien entsetzt auf, als die wannenförmigen Fahr zeuge beschleunigten und wenige Sekunden später mit einem Wahnsinnstempo an der Felswand vorbeijagten. Keinen halben Me ter unter ihnen flog der Boden dahin. »Das kann nicht gutgehen«, beschwerte sich Endem, als die Platt formen einen scharfen Haken schlugen und in einen breiten Kanal zwischen den Felsen eintauchten. »Dieses Ding wird uns abwerfen.« Riker schüttelte den Kopf und versuchte die Kurrgen zu beruhigen. Sie standen Todesängste aus und wagten kaum, sich zu bewegen. Auch ihm selbst war mulmig zumute, aber das wollte er ihnen nicht zeigen, um sie nicht noch weiter zu verunsichern. Skeptisch verfolgte
er den leichten Anstieg unter ihnen. Eine lose Geröllhalde lag dort, die sich über einen Kilometer erstreckte und am Ende in ein ausge dehntes Tannengehölz überging. »Wunderbar«, schwärmte Artus, der die Fahrt als einziger zu ge nießen schien. »Von mir aus könnte es stundenlang so weitergehen.« Riker bezweifelte, daß der Flug so lange dauern würde. Er schätzte, daß sie sich mit mehr als zweihundert Stundenkilometern bewegten. Obwohl es windstill war, pfiff der Fahrtwind den Männern um die Ohren. Es wurde rasch heller, also hatten sie tatsächlich einige Stunden geschlafen. Doch trotz des anbrechenden Tages konnte er nicht abschätzen, ob sie in die richtige Richtung flogen. Als er Artus danach fragte, erhielt er eine positive Bestätigung. »Meinen Berechnungen zufolge werden wir den Goldenen in einer halben Stunde erreichen.« »Wenn nichts dazwischenkommt«, unkte Endem mit unterdrück ter Stimme. Die Plattformen jagten über Steigungen, um im nächsten Moment steil nach unten zu fallen. Jedes Mal gaben die Kurrgen erschrockene Rufe von sich. Immer wieder wechselte die Landschaft zwischen schroffem Fels und grünen, bewaldeten Streifen. »Das wäre eine ganz schöne Kletterei geworden«, konstatierte Häkkinen. »Dagegen war die Strecke von gestern ein Kinderspiel.« Riker konnte dem Fähnrich nur zustimmen. Zwar gab es immer wieder ebene oder nur sanft ansteigende Gebiete, die aber ständig von unzugänglichen Felsformationen durchbrochen wurden. Zu Fuß hätte die Expedition mehr als einen weiträumigen Umweg zu ihrem Ziel in Kauf nehmen müssen, wenn sich die Teilnehmer nicht auf lebensgefährliche Kletterpartien hätten einlassen wollten. So aber blieb ihnen viel Zeit und Anstrengung erspart. »Dort vorn!« stieß einer der Kurrgen aus, als die Plattformen die gerundete Kuppe des vor ihnen liegenden Gebirgszugs erreichten. Er war mit zur Bewegungslosigkeit erstarrten Bäumen bewaldet. Mitten zwischen ihnen zeichnete sich eine goldene Gestalt ab, die
die Wipfel deutlich überragte. »Zweiunddreißig Minuten. Da habe ich mich doch glatt um zwei Minuten verrechnet«, stellte Artus fest, und Riker hatte das Gefühl, daß er dabei belustigt klang. »Das kommt in den besten Familien vor«, entgegnete er trocken. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit der goldenen Statue. In einem unterschied sie sich nicht von sämtlichen Gigantstatuen, auf die die POINT OF in den letzten Jahren gestoßen war. Sie war so gesichtslos wie alle anderen.
14. »Sehr zuverlässig scheint eure Spezies ja nicht zu sein.« Buck, der den tieffliegenden Absetzer steuerte, konnte mit dieser Anmerkung nur wenig anfangen. Weit über zwölf Stunden lang hatte Kle Klenet, der auf einem der hinteren Sitze Platz genommen hatte, eisern geschwiegen (wofür ihm der junge Leutnant überaus dankbar war), und nun kam der Utare überraschend nach vorn und konfrontierte ihn mit diesem merkwürdigen Satz – vieldeutig und gleichzeitig nichtssagend. Auch Yo Ho hatte bislang nicht sonderlich viel geredet. Anfangs hatte er auf seinem Kopilotensitz noch etwas Schlaf nachgeholt. Später hatte er seinen Vorgesetzten für ein paar Stunden als Pilot abgelöst. Mittlerweile hatten beide die Plätze wieder getauscht. Hellwach konzentrierten sie sich auf die Umgebung. Buck verspürte keine Lust, sich mit Kle Klenet herumzustreiten, deshalb ignorierte er seine Bemerkung einfach. Der Utare ließ jedoch nicht locker. »Sie haben strikten Befehl, nach exakt zwölf Stunden und fün fundzwanzig Minuten terranischer Zeitrechnung in Richtung Wel tall durchzustarten«, ertönte es aus dem Translator. »Offensichtlich beabsichtigen Sie nicht, dieser Anweisung Folge zu leisten. Der be treffende Zeitpunkt wurde nämlich bereits vor dreieinhalb Minuten erreicht.« »Nur die Ruhe«, entgegnete Buck gelassen, »gleich geht es auf wärts. Ich suche nur nach dem geeigneten Platz.« Ohne Klenets Erwiderung abzuwarten, flog er in einen schmalen, tiefen Canon ein. Erst dort zog er den Absetzer nach oben. Somit konnte man ihn frühestens sehen, wenn er aus dem Canon empors tieg. Seine Vorsichtsmaßnahme schien jedoch überflüssig zu sein. Nirgends war ein Grey-Schiff zu erblicken. Auch die Infrarotab
tastung der näheren Umgebung führte zu keinem Ergebnis. Schiffe, die zu weit entfernt waren, konnte man auf diese Weise allerdings nicht ausmachen, da man auf dem Absetzer zur eigenen Tarnung sämtliche aktiven Ortungsgeräte abgeschaltet hatte. Kle Klenet setzte sich wieder hin und schwieg. So hatten Buck und Ho ihn am liebsten. Der Leutnant steuerte den Rand des Sonnensystems an. Dort würde er dann in Transition gehen… Zumindest war es so geplant. * Bo Borundo war sauer. Stinksauer. Erst hatte ihn der Terraner MacCormack ausgetrickst, dann hatte ihn ein anderer Terraner, Hector Elizondo, wie einen gewöhnlichen Soldaten zur Wache ein geteilt. Was bildete sich der Kerl ein? »Hätte er auch nur den Schatten einer Ahnung, welchen Rang ich bekleide, würde er vor mir strammstehen!« sagte Borundo zu Te Tennak, einem recht kräftig gebauten utarischen Ingenieur, der ihn auf seinem Wachrundgang begleitete. »Aber die werden mich noch kennenlernen!« »Eins muß man dem Terraner Elizondo lassen«, erwiderte Tennak. »Er hat hier alles bestens durchorganisiert. Die Wachmannschaften kontrollieren den kleinsten Winkel, so daß niemand heimlich in die Stellung eindringen kann. Ich finde nichts dabei, daß jeder von uns mal an der Reihe ist, schließlich sind wir augenblicklich alle aufei nander angewiesen.« Mit ärgerlicher Miene blieb Borundo stehen. »Ich bin auf nieman den angewiesen, klar? Und ich hasse es, wenn mir jemand Befehle erteilt. Terraner und Utaren sollten grundsätzlich unter sich bleiben, dann gibt es auch keinen Streit.« Seine Gesichtszüge erhellten sich. »Augenblick mal, Tennak, das ist es! Wir verlassen die Stellung
und richten uns an einem anderen Platz ein eigenes utarisches Ba sislager ein.« »Zwei kleinere Stellungen lassen sich nicht so gut verteidigen wie eine große«, gab sein Wachbegleiter zu bedenken. »Im übrigen ge hören die meisten Ausrüstungsgegenstände – Zelte, Waffen, Muni tion und so weiter – den Terranern. Sie werden nichts davon herge ben.« »Dann nehmen wir ihnen eben gewaltsam weg, was wir benötigen! Ist es unsere Schuld, daß wir bei der Evakuierung des Kugelraumers nur etwas leichtes Gepäck mitnehmen durften? Uns steht die Hälfte von allem zu, was sie noch nachträglich aus dem Schiff gerettet ha ben.« Borundo wollte weitergehen, als ihm ein breiter, gezackter Erdriß auffiel. Seit die Utaren auf Spug mit ihren Ausgrabungen begonnen hatten, war ihnen allerlei seltsames Getier begegnet. Die aufrecht gehenden Mott – von denen einer beinahe MacCormack zerrissen hätte, wäre Musaschi nicht rechtzeitig dazwischengegangen – stell ten nicht die einzige Bedrohung auf diesem Planeten dar. Es gab noch mehr einheimische primitive Lebensformen, denen man besser aus dem Weg ging. »Was meinen Sie?« fragte Borundo. »Könnte das der Einstieg zu einem Vee-Bau sein?« »Das wäre möglich«, räumte Tennak ein. »Ich hoffe jedoch, es handelt sich um einen ganz normalen, durch Verschiebungen ent standenen Erdriß. Mein letztes Zusammentreffen mit einer Vee hätte mich fast das Leben gekostet. Vielleicht sollten wir in eine andere Richtung…« Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Als er hinter sich ein leises Geräusch wahrnahm, riß er den Blaster aus dem Halfter und wirbelte herum. Borundo, der das Schlimmste befürchtete, zog es vor, sich ganz, ganz langsam umzudrehen. Ein ungefähr vier Meter großer, fetter, schlammbrauner Wurm reckte sich vor ihnen in die Höhe. Abgesehen von der gewaltigen
Körpergröße ähnelte die Vee einem zu dick geratenen Regenwurm. Sie verfügte über keine sichtbaren Seh- und Hörorgane, »nur« über einen mächtigen zahnlosen Rachen, durch den sie ihre Jagdbeute in sich hineinsaugen konnte. »Diese Biester sind groß und schwer, und trotzdem verursacht eine Vee beim Anschleichen kaum einen Laut«, sagte Te Tennak mit zitt riger Stimme. »Ich wüßte zu gern, wie sie das macht.« Beide Männer gingen ein Stück auseinander, um der Vee die Jagd zu erschweren. Auch Borundo zog jetzt seinen Blaster. Unschlüssig pendelte der Körper des Untiers hin und her. Dann erschien ein zweiter zahnloser Rachen am oberen Ende, direkt unter dem ersten – gefolgt von einem dritten, vierten und fünften Rachen. Damit demonstrierte die Vee ihrer Beute, daß sie in der Lage war, sogar mehr als zwei von ihnen zu verschlingen. Trotz seiner Angst war Te Tennak von diesem Anblick fasziniert. »Kein Kopf, aber fünf Mäuler. Ich wüßte zu gern, wie sie das macht.« Noch bevor das schlammfarbene Ungeheuer herabstoßen konnte, wurde es von einer Gruppe Gardisten umringt. Sie trugen ihre Pan zeranzüge und richteten ihre Multikarabiner auf die Vee aus. Instinktiv spürte das Tier, daß von diesen Wesen eine größere Ge fahr ausging als von den beiden »Appetithappen«. Auch als die Vee noch einen sechsten und siebten Rachen bildete, wichen die Hinzu gekommenen keinen Schritt zurück. Im Gegenteil, sie machten sich angriffsbereit und kamen immer näher. Vees waren groß – aber feige. Nur wenn ihnen ein Gegner unter legen erschien, fielen sie über ihn her. Bei der geringsten Bedrohung zogen sie sich lieber wieder in ihren unterirdischen Bau zurück. Blitzschnell verschwand der fette Wurm im Erdriß, der sich wie durch Geisterhand über ihm schloß, so dicht, daß hinterher nur noch eine ganz schmale Naht zu erkennen war. »Phantastisch«, murmelte Te Tennak. »Ich wüßte zu gern, wie sie das macht.« »Höre ich diesen Satz heute noch ein einziges Mal, verpasse ich
Ihnen Arrest für den Rest Ihres Lebens, Tennak«, raunte ihm Bo Borundo zu. Seine Gesichtszüge wurden freundlicher, und er bedankte sich bei den Gardisten für ihr Eingreifen. »Wir hatten die Lage zwar unter Kontrolle«, behauptete er, wobei er demonstrativ seinen Blaster hochhielt, »aber ein bißchen Unters tützung kann ja nie schaden. Gerade eben sagte ich zu Te Tennak, wie wichtig es ist, auf einem fremden Planeten eisern zusammen zuhalten, ganz gleich, welchem Volk wir entstammen. Tennak zog in Erwägung, ein paar Kilometer weiter ein eigenes utarisches Lager einzurichten, doch ich habe ihm diesen dummen Gedanken ausge redet.« Te Tennak wollte protestieren, aber ein strenger Blick seines Vor gesetzten brachte ihn zum Schweigen. »Ich hoffe, wir können jederzeit auch mit eurer Hilfe rechnen«, erwiderte einer der Gardisten. »Das versteht sich von selbst«, entgegnete Bo Borundo. »Wir sind doch keine Unutaren.« Kaum waren die Gardisten abgezogen, ließ er seinem »inneren Schweinehund« ungehemmt freien Lauf. »Was fällt denen ein, sich einzumischen?« zischte er wütend. »Diese schwarzgekleideten Typen spielen sich offenbar gern als Retter auf. Mögen die Dreibeiner über die verdammten Terraner herfallen und sie allesamt vertilgen!« Bei den Dreibeinern handelte es sich um eine dritte auf Spug an sässige, äußerst gefräßige Lebensform. Im Fall einer wissenschaftlichen Erschließung des Planeten würden die Bezeichnungen Mott, Vee und Dreibein vermutlich keinen Ein zug in die Biologiebücher halten – die Utaren hatten sie frei erfun den. Dreibeiner siedelten meist am Rande von großen, freien Flächen. Dort lauerten sie, perfekt getarnt, mit ihren rasiermesserscharfen Schnäbeln auf lohnende Beute. Ihre Jagdtaktik war simpel: einkrei
sen, losstürmen, zerhacken, fressen… * Kaum hatte MacCormack seinen Fuß auf die grasbewachsene Ebene gesetzt, läutete auch schon seine innere Alarmglocke. Der Weg über die ausgedehnte Freifläche ersparte ihm und seinen Männern zwar etliche Kilometer Wegstrecke, dennoch fragte er sich, ob er nicht besser auf die Abkürzung verzichtet und sich für den beschwerlicheren Gebirgspfad entschieden hätte. »Ich komme mir vor wie ein leckeres Würstchen auf einem über dimensionalen Tablett«, knurrte Jannis Kaunas. »An Ihnen würde man sich nur den Magen verderben«, erwiderte der Oberstleutnant – eine Bemerkung, die auch Wladimir Jaschin auf der Zunge gelegen hatte, die ihm als Korporal allerdings eine saftige Disziplinarstrafe eingebracht hätte. Alles sah ruhig und friedlich aus, wie in einer Naturidylle aus dem Bilderbuch. Mitten auf der sonnenbeschienenen, von kurzem, satt grünem Gras bewachsenen Ebene stand ein knorriger, blattloser Baum, gerade mal drei, vier Meter hoch. Und rund um die Freifläche herum dösten bodenbrütende Vögel in ihren Nestern. Mit ihren langen Schnäbeln ähnelten sie Uferschnepfen oder Brachvögeln. MacCormack, Kaunas und Jaschin gingen voran. Piet Lessing holte sie ein. Kaunas war das gar nicht recht. Der junge, scheinbar von ständiger Unruhe geplagte Gefreite machte mitunter allein durch seine Anwesenheit seine Mitmenschen furchtbar nervös. Obwohl Lessing hartnäckig behauptete, die Ruhe in Person zu sein, mußte er sich beim Morgenappell jedesmal mächtig zusammenreißen, um nicht von einem Bein aufs andere zu treten. Nicht einmal stillsitzen konnte er richtig. Nur wenn er schlief, schien er sich wirklich zu entspannen – und wenn er seine spezielle Gabe einsetzte… »Ich habe mir ein paar der Vögel näher angesehen, Sir«, berichtete er. »Offensichtlich handelt es sich um Laufvögel. Ihre Flügel sind viel
zu klein, als daß sie sich damit in die Lüfte erheben können. Dafür verfügen sie über drei Beine.« Seine Pupillen wanderten derart flatterig hin und her, daß nicht genau ersichtlich war, ob er seine Meldung an Kaunas oder MacCormack richtete. »Drei Beine?« überlegte der Hauptfeldwebel laut. »Wie praktisch, dann braucht man sich am Lagerfeuer nicht um die Keulen zu strei ten. Vielleicht sollten wir mal übers Abendessen reden.« »Für längere Pausen haben wir keine Zeit«, entschied MacCor mack, »und für die Vogeljagd schon gar nicht. Bis übermorgen abend will ich die Stadt erreichen. Das bedeutet, wir müssen heute insge samt mindestens sechzig Kilometer zurückgelegen, siebzig wären noch besser.« Die Gruppe erreichte etwa die Mitte der Freifläche. Plötzlich kam Leben in die bis dahin still vor sich hindösenden Vögel. Wie auf ein geheimes Kommando setzten sie sich in Bewegung. Von allen Seiten kamen sie auf das Grüppchen zu, erst langsam, dann immer schnel ler. Die Männer griffen nach ihren Waffen. »Vielleicht wollen sie uns überhaupt nichts tun, und sie sind nur neugierig«, sagte Antoku Seiwa, glaubte aber selbst nicht so recht daran. »Wie gefährlich schätzen Sie die Tiere ein?« fragte sein Landsmann Musaschi Piet Lessing. »Die langen Schnäbel sind mindestens so scharf wie Ihr Schwert«, antwortete Piet in Anspielung auf den ungewöhnlichen Glücks bringer des Japaners. »Kreisaufstellung einnehmen!« ordnete MacCormack an. »Ich halte nichts davon, in fremden Welten unbekanntes Leben auszulöschen, aber um unser eigenes zu verteidigen, wird uns nichts anderes üb rigbleiben.« Die Truppe funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk. Nur wenige Sekunden nach dem Befehl des Oberstleutnants hatten sie rund um
den Baum Verteidigungsstellung bezogen. Alle standen mit dem Rücken zum Baum und machten ihre Karabiner klar. Bis auf Piet Lessing – er kletterte hinauf ins knorrige Geäst. * Yo Ho bemerkte das schildkrötenpanzerförmige Schiff erst, als es fast heran war. Er stieß den unfeinsten koreanischen Fluch aus, den er kannte. Kle Klenet kam gleich wieder nach vorn, obwohl ihn niemand darum gebeten hatte. Kurt Buck setzte ihn von der Anwesenheit der Greys in Kenntnis. »Hätten Sie sämtliche Ortungsgeräte aktiviert, wäre das nicht pas siert«, bemerkte der Utare hochnäsig. »Ihr Oberstleutnant muß nicht bei Sinnen gewesen sein, als er ausgerechnet Sie beide mit diesem schwierigen Auftrag betraute.« »Hätten wir die Ortungsgeräte aktiviert, hätte man uns schon längst entdeckt und abgeschossen«, machte Buck ihm klar. »Im üb rigen fliegen die Fremden mit Sicherheit unter Tarnschutz.« »Und wie konnten Sie sie dann trotzdem entdecken?« wollte Kle net wissen. »Auf die gleiche Weise, wie sie vermutlich uns entdeckten: Infra rotortung«, antwortete ihm Yo Ho. »Diese Methode zählt nicht mehr zu den modernsten, ist aber auch im heutigen Zeitalter unverzich tbar, trotz ihrer eingeschränkten Möglichkeiten.« »Können wir unseren Verfolgern entkommen?« fragte Kle Klenet, der offensichtlich Angst hatte, auch wenn er bemüht war, sich das nicht anmerken zu lassen. »Es gibt da einen Trick, der schon im vorigen Jahrtausend von Kampfpiloten angewendet wurde«, erwiderte der Leutnant. »Man wirft hitzeerzeugende Täuschkörper ab, um die Infrarotoptik zu verwirren.« Noch während er sprach, betätigte er einen Sensorschalter. Kurz
darauf »entzündeten« sich im Weltall spezielle heiße Fackeln, die innerhalb weniger Sekunden starke Hitze entwickelten. Das Verfolgerschiff schien darauf hereinzufallen. Obwohl der Pilot des Absetzers eine scharfe Kurve flog, blieb der Grey auf dem urs prünglichen Kurs. »Na bitte, das wäre geschafft«, sagte Klenet, der am Kontrollpult alles mitverfolgt hatte, erleichtert. »Die sind wir los.« »Freuen Sie sich nicht zu früh«, meinte Yo Ho. »Wenn die Greys keine Dummköpfe sind, werden sie den Schwindel bald bemerken und sich erneut auf die Suche nach uns machen.« Er sollte recht behalten, leider. Schon kurze Zeit später schloß der Schildkrötenraumer wieder auf und heftete sich an die Fersen des Absetzers. »Nun unternehmen Sie doch was!« verlangte der Utare unruhig. »Wehren Sie sich!« »Gute Idee«, erwiderte Buck sarkastisch. »Ich denke, wir werden diesen Siebenhundertmeter-Giganten von der Backbordseite her unter Beschuß nehmen, was meinen Sie, Schütze?« »Ziemlich unfair den Greys gegenüber«, entgegnete Yo Ho. »Wäre es nicht anständiger, das Schiff frontal anzugreifen, um ihnen we nigstens den Hauch einer Chance zu lassen? Töten wir eigentlich die gesamte Besatzung, oder machen wir Gefangene?« Der Utare hatte für makabre terranische Scherze nicht viel übrig. Eilig zog er sich ins Heck zurück, als ob es dort sicherer wäre. Se kunden später brach der Flug des Absetzers abrupt ab. Das außer gewöhnliche Beiboot der HAMBURG konnte sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen und auch nicht in Transition gehen. Die Fremden hielten es mit einem Traktorstrahl fest wie einen wertvollen Schatz. »Aus«, meinte Yo Ho. »Sie haben uns.« »Aus ist es erst, wenn wir uns selbst aufgeben«, sagte Buck und schloß den Helm seines Panzeranzugs. »Machen Sie sich kampfbe reit, Schütze.«
»Jawohl, Sir«, entgegnete der Koreaner und prüfte Anzug und Waffe. Anschließend ging er nach hinten und reichte Kle Klenet, der le diglich mit einer Handfeuerwaffe ausgestattet war, einen einfachen Karabiner. Der Sicherheitschef der utarischen Arbeiter war zwar ein »arroganter Stinker« (Originalton Jannis Kaunas nach seiner ersten Begegnung mit Klenet), aber er hatte ein Recht darauf, sein Leben zu verteidigen. Währenddessen versuchte Buck vergebens, einen Notruf abzuset zen. Der Funk war weiterhin gestört… * Pete Lessing saß wie erstarrt im Baum, so als wäre er dort festge wachsen. Nur hin und wieder bewegte er sich für zwei, drei Sekun den, immer dann, wenn er einen Positionswechsel vornahm. Beim Betätigen seines Karabiners war nicht die kleinste Regung zu er kennen; selbst sein Abzugsfinger wirkte wie gelähmt. Pete war unerreichbar der beste Scharfschütze innerhalb der Schwarzen Garde – und auf diese besondere Begabung konnte er sich etwas einbilden, denn unter den Gardisten gab es nur gute Schützen. Kein Außenstehender hätte dem zappeligen jungen Ge freiten zugetraut, eine Waffe auch nur für einen Augenblick lang ruhig in der Hand halten zu können. Seine Vorgesetzten und Ka meraden wußten jedoch, was sie an ihm hatten. Ebendeshalb hatte man ihm die beste Schußposition oben im Geäst überlassen. Von dort aus beförderte er die angreifenden Dreibeiner gleich dutzend weise ins Jenseits. Lessing setzte wie alle Gardisten ausschließlich die Stahlmantelgeschosse seines Multikarabiners ein. Die chemi schen Explosionen der konventionellen Treibsätze in den Patronen waren so gut wie nicht anzumessen. Auch an die übrigen Gardisten kamen die Laufvögel nicht näher heran als ein paar Meter. Keiner aus der Truppe verspürte Lust, Be
kanntschaft mit den scharfen Schnäbeln zu machen. Das Massensterben der Dreibeiner war unvermeidbar. MacCor mack und seine Männer gingen nicht das geringste Risiko ein; sie schlugen mit aller Härte zu. Kein einziger der Vögel überlebte den Angriff. Als die Männer die Ebene verließen und ihren Weg durchs Gebirge fortsetzten, hinterließen sie blutgetränkte Erde. Niemand sagte ein Wort. Um die gedrückte Stimmung aufzulockern, wollte Kaunas eine Bemerkung über »Grillhähnchen« machen, doch letztlich schluckte er sie herunter, es hätte sie wohl keiner in der Gruppe komisch gefunden. * Kurt Buck, Yo Ho und Kle Klenet stellten sich auf eine harte Aus einandersetzung mit den Greys, oder wie auch immer sich die Fremden selbst nennen mochten, ein. Ihr Absetzer war an Bord des Siebenhundertmeterschiffs gezogen worden, in einen mittelgroßen Hangar. Hinter ihnen schloß sich der Ausgang, und Luft strömte ein. Die Schotten öffneten sich, und mehrere Panzerfahrzeuge rollten in den ansonsten leeren Hangar. Sie ähnelten terranischen Schützen panzern aus dem Zweiten Weltkrieg, waren aber wesentlich mo derner. Sehr wahrscheinlich waren sie vollgestopft mit Hochleis tungstechnik. Obwohl die Panzerfahrzeuge verhältnismäßig klein waren – ein ausgewachsener Mensch hätte darin keinen Platz gehabt –, wirkten sie überaus bedrohlich. Der Absetzer wurde vollständig umstellt. Die (ferngesteuerten?) Panzer richteten ihre Hauptkanonen auf das Boot aus. Kurt Buck erkannte, daß jeder Widerstand zwecklos war. »Wir geben auf«, entschied er. »Besser gesagt: Wir ergeben uns der Übermacht. Das ist augenblicklich das Vernünftigste, was wir tun können. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, ergreifen wir die Flucht.«
Mit erhobenen Händen verließen der Leutnant und der Schütze den Absetzer. Kle Klenet weigerte sich hartnäckig, nach draußen zu gehen. Er machte seinen Karabiner schußbereit und verschanzte sich zwischen den Sitzen… * Für einen Soldaten war Sergeant Kesey ein wenig übergewichtig, dennoch wäre es ein Fehler gewesen, ihn zu unterschätzen. Er war genauso sportlich wie seine Kameraden von der gewesenen HAMBURG; in Gebirgsgegenden war er ihnen als passionierter Freizeitwanderer sogar weit überlegen. Der Hauptkanonier Ali Atabek gehörte eher zur Fraktion der »Fußkranken«. Seiner Ansicht nach war der Mensch nicht zum Lau fen geschaffen – andernfalls hätte er ja nicht das Rad zu erfinden brauchen. »Ochsenkarren, Fahrräder, Mopeds, Autos, Schweber«, zählte er auf. »All das wäre nie erfunden und gebaut worden, hätte die Menschheit nicht schon früh erkannt, daß lausige zwei Beine im Grunde genommen zu nichts nutze sind. Jedes Tier hat vier Stück davon.« »Affen und Vögel nicht«, entgegnete Kesey. Dem widersprach Ali energisch. »Affen haben verlängerte Arme, und Vögel verfügen über Flügel – Hilfsmittel, die man als zusätzli ches Beinpaar werten kann. Unsere Arme hingegen reichen nicht bis zum Boden, und fliegen können wir schon gar nicht. Deshalb müs sen wir uns beim Fortbewegen mit dem Verstand behelfen.« Die beiden Männer waren von ihrem Kapitän ausgeschickt wor den, um die Umgebung rund ums Lager zu erkunden. Vor allem sollten sie nach Plätzen Ausschau halten, an denen sich kleinere Strahlengeschütze so gut verbergen ließen, daß man sie bei einem eventuellen Luftangriff nicht sofort ausmachen konnte. Ali Atabek deutete auf zwei dicht beieinanderstehende Felsblöcke.
»Von da aus hat man einen guten Überblick. Der Platz zwischen den Felsen wäre ausreichend, um die Zündplättchenpistole ungehindert hin und her schwenken zu können.« Zündplättchenpistole – so nannte er die manuell zu bedienenden tragbaren Strahlengeschütze, die Buck, Jaschin und Kaunas aus der HAMBURG mitgebracht hatten. Diese Bezeichnung klang abwer tend, und genau so war sie auch gemeint. Alis Hauptaufgabe an Bord hatte darin bestanden, feindliche Angreifer mit schwerem Energiegeschütz »aus dem All zu fegen«. Kleinkalibrigere Waffen betrachtete er samt und sonders als Spielzeug. Sergeant Kesey hielt den Platz ebenfalls für geeignet zum Aufstel len einer Strahlenkanone. »Sage ich doch«, entgegnete Ali. »Schließlich bin ich auf diesem Gebiet Experte, mein Dicker.« »Und welche Meinung vertritt der Herr Experte zu den fremden Raumfahrern?« fragte ihn Kesey. »Befinden sie sich noch in der Nä he, oder sind sie längst weit fort, und unsere Bemühungen, die Stel lung zu sichern, sind völlig unnötig?« »Beim Militär ist es niemals unnötig, das Lager zu sichern«, meinte Atabek. »Irgendwer greift einen immer an. Holen wir die Kanone?« Kesey grinste. »Du hast meine Frage nur zur Hälfte beantwortet.« »Wie du willst«, seufzte Ali. »Meiner Meinung nach werden wir von den Fremden in ihren überlichtschnellen Schiffen nie mehr et was hören. Sie wollen nichts von uns, wir saßen ihnen nur zu dicht im Nacken. Mal angenommen, eine Flotte TF-Ringraumer durch quert eine ferne Galaxis, und plötzlich entdeckt man hinter sich ein unbekanntes Verfolgerschiff. Was glaubst du wohl, wie die Kom mandanten reagieren würden?« Kesey blieb ihm die Antwort nicht schuldig. »Sie würden zunächst einmal auf die Funkrufe der Unbekannten antworten. Oder sie würden versuchen, ihre Verfolger irgendwie abzuschütteln. Aber ganz sicher würden sie ihnen nicht auflauern, um sie ohne Vorwar nung aus dem Hinterhalt abzuschießen.«
»Andere Völker, andere Sitten. Die Greys fackeln halt nicht lange. Ich bin ganz froh, daß sie uns entwischt sind. Auf ein weiteres Zu sammentreffen mit ihnen kann ich getrost verz…« In diesem Moment verdunkelte sich der Himmel. Etwas Riesen haftes senkte sich langsam, fast geräuschlos auf die beiden Soldaten herab. Kurz darauf wurden sie von einem unsichtbaren Strahl eingehüllt und konnten sich nicht mehr rühren. Es war ein unangenehmes, kribbeliges Gefühl… * Traktorstrahl! Dieses Wort ging Kurt Buck laufend durch den Kopf. Traktorstrahl! Zudem quälten ihn immer und immer wieder die gleichen Fragen: Weshalb hatte er sich so leicht einfangen lassen? Warum hatte er sich im All nicht besser versteckt? Aber wo? Weit und breit hatte es keine Möglichkeit gegeben, den Absetzer zu verbergen. »Das Weltall ist voller Asteroiden«, murmelte er. »Aber wenn man mal einen braucht…« Er erschrak vor seiner heiseren Stimme. Sein Schädel dröhnte, und in seinem Inneren fuhr offenbar jemand Karussell. Kurt fühlte sich wie am Morgen nach einer sehr, sehr langen durchzechten Nacht. Alkohol führte auch noch im dritten Jahrtausend in die Sucht, wenn man regen Mißbrauch damit trieb. Gegen kleinere »Ausrut scher« gab es inzwischen allerdings eine wirksame Medizin: die nahezu perfekte Katerpille. Buck fragte sich, noch halb verschlafen, ob er so etwas bei sich hatte. Hoffnungsvoll tastete er seine Jacke danach ab. Jacke? Er trug gar keine Jacke, seine Fingerspitzen erfühlten nur die nackte Haut. Kurt besann sich daran, daß er zuletzt einen Panzeranzug getragen hatte. Im Weltall. Im Absetzer.
Traktorstrahl! Da war es wieder, dieses Wort, das ihm allmählich die Erinnerung zurückbrachte… Man hatte Yo Ho und ihn in das fremde Schiff geholt. Beide waren aus dem Absetzer ausgestiegen, hatten sich ergeben wollen… und dann hatten die Panzerführer das Feuer auf sie eröffnet – nicht aus der Hauptkanone, sondern aus den Zweitwaffen. Lähmende Ener giestrahlen hatten zu einem totalen Zusammenbruch von Bucks Kreislaufsystem geführt, zumindest war ihm das so vorgekommen. Und danach? Kurt konnte sich nicht mehr erinnern. Langsam richtete er sich auf, schaute sich um. Er saß auf dem kal ten Fußboden einer kahlen Zelle. Wände, Boden, Decke, Tür, alles war aus Metall. Yo Ho lag bewußtlos (oder tot?) rechts von ihm, genau wie Kle Klenet, dem es offenbar nichts genutzt hatte, im Ab setzer zu bleiben. Beide waren bis auf die Unterhose nackt. Kurt ebenfalls. Er befühlte die Bartstoppeln in seinem Gesicht. Zweifelsohne hatte er sich längere Zeit nicht rasiert. Außerdem verspürte er Hunger und brennenden Durst. Yo Ho, der in diesem Augenblick erwachte, erging es genauso. Offenbar waren sie circa zweieinhalb, vielleicht auch drei Tage ohne Bewußtsein gewesen. Kle Klenet lebte, war aber weiterhin bewußtlos, wie eine kurze Untersuchung ergab. Wahrscheinlich hatte der körperlich schwä chere Utare das Paralysefeuer der Panzer schlechter vertragen. Oder man hatte ihn auf andere Weise unschädlich gemacht, nachdem er sich geweigert hatte, aus dem Absetzer zu kommen. Obwohl die beiden Männer noch etwas wacklig auf den Beinen waren, dachten sie sofort an Flucht. Sie untersuchten die nahezu fugenlose Tür, an der sich kein Griff befand. Allem Anschein nach ließ sie sich seitlich in die Wand versenken, möglicherweise durch einen eingebauten Steuermechanismus, der nur von außen betätigt werden konnte. Die Wände rundum wiesen nicht die kleinste Unebenheit auf.
Nicht einmal ein Mauseloch gab es, durch das man hätte entwischen können. Lediglich in der rechten oberen Zimmerecke war eine win zige Lücke auszumachen, mit bloßem Auge kaum zu erkennen. »Eine Kamera«, schätzte Schütze Yo Ho. »Wir werden beobachtet.« Leutnant Kurt Buck nickte. »Schade, daß hier keine Steine herum liegen. Schon als Kind war ich ein Meister im Werfen. Die Greys wissen jetzt, daß wir wach sind. Bestimmt beehren sie uns bald mit ihrer Anwesenheit.« Der Koreaner machte eine Kopfbewegung in Richtung des Utaren. »Hoffentlich warten sie damit nicht, bis auch er aufwacht. Das könnte noch Stunden dauern.« »Ja und? Haben Sie solche Sehnsucht nach unseren Kidnappern? Wer weiß, wie scheußlich sie aussehen.« »Ist mir egal. Hauptsache, sie bringen uns was zu essen und zu trinken. Außerdem muß ich mal für kleine Koreaner.« »Geht mir genauso. Wir können nur hoffen, daß sie nicht be schlossen haben, uns beim langsamen Sterben zuzusehen.« In diesem Augenblick schob sich leise die Tür beiseite. Kurt und Yo wichen zurück, als eine Gruppe fremder, aufrecht gehender Lebewesen die Zelle betrat. Sie hielten gewehrähnliche Waffen in den Händen und richteten die Läufe auf ihre Gefangenen. Eines der Wesen untersuchte oberflächlich den bewußtlosen Kle net, der sich weiterhin nicht rührte. Man ließ ihn liegen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. »Also, die Greys habe ich mir aber ganz anders vorgestellt«, flüs terte Yo Ho mit verblüffter Miene. * Buck, Kaunas und Jannis hatten nicht ausschließlich Waffen und Munition aus der HAMBURG mitgebracht, sondern auch einen Teil der medizinischen Ausrüstung. Somit konnte Antoine Charoux’ gebrochenes Bein entsprechend versorgt werden. Der neunundvier
zigjährige Bordarzt Dr. Hal Forrig kümmerte sich um ihn besser als jede Mutter. Um der Langeweile zu entgehen, half Antoine im Lager mit, wo er konnte, Hand in Hand mit den Soldaten der Terranischen Rotte und den Utaren. Mit einigen der Blauen freundete er sich sogar ein biß chen an. Zwar waren sie ziemlich verschlossen, was ihren Aufenthalt auf Spug und ihre Ausgrabungen anging, doch um so mehr erzähl ten sie ihm über Esmaladan. Zwei von ihnen, Ra Ranee und Kol Kollo, vertrauten ihm an, daß sie starkes Heimweh hatten. »Wir beide gehörten zu den ersten, die hier abgesetzt wurden«, berichtete Ra. »Auf Spug kennt man nur Arbeit, Arbeit und noch mals Arbeit. Natürlich widmen wir uns gelegentlich auch Freizeit beschäftigungen, doch es ist einfach nicht dasselbe wie zu Hause. Daheim hatten wir viel mehr Möglichkeiten, uns zu vergnügen und unsere Bedürfnisse auszuleben.« »Auf Esmaladan sind wir Mitglieder eines Gesangsvereins«, sagte Kol. »Wir haben versucht, hier auf Spug einen Chor zu gründen, doch in dieser Hinsicht ist mit unseren Arbeitskollegen leider nicht viel los.« Antoine Charoux, der eine stabile, äußerst belastbare Beinschiene trug, begleitete die beiden ein Stück auf ihrem Wachrundgang. Sein Vater – er hatte auf der BERNHARDTS STAR gedient – hatte ihm schon vor einigen Jahren von den legendären Gesängen der Utaren erzählt, doch das war inzwischen so lange her, daß Antoine sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnerte. »Wenn ihr wollt, könnt ihr mir gern etwas vorsingen«, ermunterte er seine kleinen, blauen Begleiter. Das erwies sich als schwerer Fehler… Als Ranee und Kollo begannen, ihre Stimmen zu strapazieren, strapazierten sie auch Antoines Gehörgänge. Und plötzlich fielen ihm die Worte seines Vaters wieder ein. Er hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt, einen Utaren zum Singen oder Musizieren aufzu
fordern. Obwohl viele von ihnen mit ihren Haartollen und ihrer bunten Kleidung Rock’n’roll-Stars ähnelten, war ihr Musikge schmack abscheulich. Zu festlichen Anlässen ließen sie sich von höl lischem Lärm berieseln, wobei ihnen quallige, braungraue Kriech tiere, die Geräuschteufel, als Lautverstärker dienten – das war »Kunstgenuß« auf utarisch.* Ein schwarzer Vogel mit mächtigen Schwingen zog lautlos am Himmel vorüber. Abrupt verstummten die beiden Sangesbrüder. Sie wollten das Tier nicht unnötig auf sich aufmerksam machen. »Das Biest ist wohl gefährlich«, flüsterte Antoine, den der Riesen vogel an Schulbuchabbildungen von Flugsauriern erinnerte. »Absolut nicht«, entgegnete Kollo leise. »Der Großflügler ist ein harmloser Pflanzenfresser. Allerdings ist er sehr neugierig und tastet alles ab, was sich bewegt.« »Womit? Mit seinen Krallen?« »Nein, er besitzt die Gabe, eine Art Hypnostrahl auszusenden«, erklärte ihm Ra, »ähnlich den Ortungsstrahlen eines Raumschiffs. Wie genau er das bewerkstelligt, konnten wir noch nicht herausfin den, schließlich sind wir keine Biologen. Der nahezu unsichtbare Strahl wird vermutlich durch seine Pupillen freigesetzt. Wird man von ihm eingehüllt, fühlt man sich für ein paar Sekunden wie ers tarrt – ein unangenehmes, kribbeliges Gefühl.« »Als ich zum ersten Mal damit Bekanntschaft machte, glaubte ich, der Großflügler würde auf diese Weise seine Beute hypnotisieren«, schilderte Kollo. »Ich schloß bereits mit meinem Leben ab, da flog er plötzlich davon, und ich konnte mich wieder frei bewegen. Die ein zige Nachwirkung war ein gräßliches Jucken in der Nackengegend, doch das verging bald wieder. Später fanden wir dann heraus, daß es sich um einen friedfertigen, pflanzenfressenden Zeitgenossen han delt – eines der wenigen ungefährlichen Tiere auf Spug.« »Gibt es hier noch weitere Vögel?« fragte Antoine, der das terraty *
Siehe Classic-Zyklus Band 10, »Gehetzte Cyborgs«, Seite 250 ff.
pische Zwitschern in der Luft vermißte. »Meines Wissens nach nur noch die Dreibeiner«, antwortete Ra Ranee. »Sie können aber nicht fliegen. Meist lauern sie in perfekter Tarnung am Rande von größeren Freiflächen auf Jagdbeute.« »Perfekte Tarnung? Was soll ich mir darunter vorstellen? Passen sie ihr Gefieder der Umgebung an?« »Nein, sie tun nichts dergleichen. Ihre Tarnung besteht darin, vor sich hindösend im Gras zu hocken und den Eindruck zu erwecken, als seien sie völlig harmlos. Ihre Opfer durchschauen den Trick erst, wenn sie umzingelt werden und es zu spät ist zu fliehen.« In der Ferne sah Antoine Charoux zwei Soldaten der TF vorüber gehen: Kesey und Atabek. Er bedankte sich bei den Blauen für die angenehme Plauderei und verabschiedete sich von ihnen. So kam er nicht in den »Genuß« einer weiteren Gesangseinlage. Als er sich dem Sergeant und dem Hauptkanonier näherte, fiel ihm auf, daß sich beide wie wild im Nacken kratzten.
15.
Ein Raunen ging durch die Reihen der Kurrgen. »Ein altes Kloster«, flüsterte Endem ehrfürchtig. »Legenden be richten, daß es diese Anlage angeblich einst gab, und nun sehe ich sie mit eigenen Augen.« Die Plattformen ließen den Wald hinter sich und senkten sich he rab. Während sie die steinernen Mauern überflogen, hatte Dan Riker Gelegenheit, sich mit Einzelheiten vertraut zu machen. Die aus schweren Steinen gemauerte Klosteranlage war rings um die Statue errichtet und umschloß sie lückenlos. Ihre wuchtige Architektur paßte zu den stämmigen Kurrgen. Die flachen Gebäudetrakte besa ßen ebene Dächer, lediglich an den Ecken gab es Erhöhungen. Doch keine überstieg die halbe Höhe der zwanzig Meter aufragenden Statue, die einen goldenen Kurrgen darstellte. Sie stand auf einem freien Platz genau in der Mitte der Anlage auf einem ebenfalls gol denen, fünf Meter hohen Sockel. »Nicht nur das Gesicht fehlt«, bemerkte Häkkinen. »Bis auf ein paar Stümpfe ist auch von den Armen nichts übrig.« Die fehlenden Reste waren nicht mehr vorhanden. Irgendwer mußte sie einst abgeschlagen und die Trümmer dann fortgeschafft haben. Immerhin ließ sich noch erkennen, daß die Arme im Komp lettzustand erhoben gewesen waren und in den Himmel gedeutet hatten. So wie bei den gesichtslosen Goldenen überall in der Galaxis. »Diese Gemäuer sind sehr alt«, sagte Artus. »Mindestens tausend Jahre, wenn nicht noch mehr.« Er hatte sich erhoben und stand auf recht da, als die Plattform auf dem freien Platz vor dem goldenen Riesenkurrgen niederging. Die zweite setzte gleich daneben auf. »Der da ist wohl das Empfangskomitee.« Der Fähnrich machte eine nickende Kopfbewegung zu einem Kurrgen, der in einen knöchel langen Umhang gehüllt war. Abwartend verharrte er am Fuß des Sockels. »Der scheint fast so alt zu sein wie das Kloster.«
»Nicht so respektlos«, belehrte ihn Endem. »Das ist ein Priester. Sein Gewand weist ihn aus.« »Meine Herren, wir sind hier Gäste«, beeilte sich Riker zu sagen. »Benehmen wir uns also entsprechend.« Kaum waren sie ins Freie geklettert, kam Bewegung in den Pries ter. Während er näherkam, verständigte sich Riker in kurzen Worten mit Brack und Hornig. Tatsächlich war der Priester sehr alt und be wegte sich mit langsamen, schlurfenden Schritten. Dabei machte er nicht den Eindruck, Scheu oder gar Furcht vor den Fremden zu ha ben. Erst unmittelbar vor ihnen blieb er stehen. »Mein Name ist Bardof, und es ist mir eine große Freude, Sie empfangen zu dürfen«, begrüßte er die Ankömmlinge. »Ich lebe schon sehr lange allein im Zurranga-Kloster und bin froh, endlich wieder einmal Gäste zu haben.« Riker stellte sich und seine Begleiter vor, Endem tat das gleiche mit den Theinern. »Ich habe von Ihrem Kommen erfahren und Ihnen deshalb die Transporter geschickt.« Riker horchte auf. Ihm war klargewesen, daß die Plattformen nicht durch Zufall auf die Gruppe gestoßen waren. »Woher wußten Sie davon?« »Ich vermute, du verfügst über Überwachungseinrichtungen, mit denen du die tote Zone kontrollieren kannst«, mischte sich Artus ein. Wie es seine Art war, duzte er auch den kurrgischen Priester. Bardof lächelte. »Meine Gäste werden später alles erfahren, doch zunächst gebieten es die Sitten, zu speisen und sich zu stärken. Ich habe bereits alles vorbereitet. Folgen Sie mir bitte.« Bardofs Gutmütigkeit beeindruckte Riker, allerdings kam er ihm beinahe ein bißchen zu vertrauensselig vor. Schließlich konnte er nicht sicher sein, es wirklich mit friedlichen Besuchern zu tun zu haben. Andererseits verwehrten auch die meisten Klöster auf der Erde keinem Besucher Einlaß und Gastfreundschaft. Er macht eine auffordernde Handbewegung und folgte Bardof, der
zum nächstgelegenen Gebäudetrakt ging. Aus der Nähe betrachtet, schätzte Riker die Anlage auf weit älter als tausend Jahre. Auch im Inneren war das Alter nicht zu übersehen. Zwar gab es keine direk ten Anzeichen von Verfall, doch war offensichtlich, daß ein einzelner alter Mann kaum in der Lage war, alle nötigen Arbeiten durchzu führen, die täglich anfielen. Das Innere der Anlage war einfach und schmucklos gehalten. Bardof führte seine Besucher durch einen langen Gang, von dem eine Reihe verschlossener Türen abzweigten. Die Stille, die herrschte, kam Riker gespenstisch vor. Trotz besseren Wissens erwartete er, auf weitere kurrgische Priester zu treffen, aber niemand begegnete ih nen. Er an Bardofs Stelle hätte sich in dieser Einsamkeit sicher nicht wohlgefühlt, aber er war ja auch kein Einsiedler. Endlich blieb Bardof vor einer hölzernen Tür stehen. Sie war ein wenig größer als die anderen und in der Mitte unterteilt. Als er sie öffnete, schwangen knarrend zwei Flügel auseinander, hinter denen der Blick auf einen ziemlich großen Raum frei wurde. Tageslicht fiel von der gegenüberliegenden Seite herein. »Der große Speisesaal des Klosters. Vermutlich haben hier vor Generationen sehr viele Priester gemeinsam gegessen, doch das war lange vor meiner Zeit.« »Wie lange lebst du denn schon hier?« fragte Artus. Bardof betrat den Raum. »Später«, wehrte er ab. »Nehmt zunächst Platz und stärkt euch.« Auch Riker fiel es schwer, seine Ungeduld zu zügeln, aber er sah ein, daß der alte Kurrge zu keiner Auskunft bereit war, solange den überlieferten Sitten nicht Genüge getan war. Er ging zu einer der Sitzgelegenheiten, die rings um einen schlichten Tisch plaziert war en, und setzte sich. Er schätzte, daß an dem langen Tisch fünfzig Personen Platz gefunden hätten, aber die Anzahl der Sitze stimmte mit der Zahl der Besucher überein. Also mußte Artus’ Vermutung stimmen. In der toten Zone gab es aktive Überwachungseinrichtun gen, die von Bardof kontrolliert wurden. Daher hatte er genau ge
wußt, wie viele Besucher auf dem Weg zu ihm waren. »Die Speisen werden gleich aufgetragen«, eröffnete der Priester, als endlich alle saßen. Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sich eine Tür in der seitlichen Wand öffnete. Unwillkürlich spannte Riker seine Muskeln an, um in die Höhe zu schnellen. Er wollte nach seiner Waffe greifen, als ihm einfiel, daß sie unbrauchbar war. Durch die Tür schwebten Kugelroboter herein. »Ruhig bleiben«, zischte Artus. »Sie tragen keine Waffen.« Riker erkannte es ebenfalls. Anstelle von Waffen hatten die Robo ter kleine Arme, mit denen sie Tabletts voller Speisen und Kannen mit Getränken trugen. Zielgerichtet näherten sie sich dem Tisch und setzten vor jedem Besucher etwas davon ab. Dann entfernten sie sich wieder und zogen sich aus dem Speisesaal zurück. »Rorgga-Wurzeln«, stellte Endem fest. »Perfekt auf kurrgische Weise angerichtet.« »Kartoffeln!« stieß Hornig verblüfft aus. »Mit Fleisch, das aussieht, als stamme es vom Rind. Und das hier«, er stocherte mit einem Utensil, das einer irdischen Gabel glich wie ein Ei dem anderen, auf seinem Teller herum, »sind zweifellos Erbsen und Möhren. Aber das ist doch nicht möglich.« »Offenbar doch«, erwiderte Percival Brack. »Das ist zwar kein klassisches Frühstück, wie wir es gewohnt sind, aber ich bin sicher, daß diese Speisen nicht zufällig wie von der Erde aussehen. Dafür kann es nur eine Erklärung geben.« »Es gibt hier eine funktionierende Worgun-Kantine«, hatte Riker die gleiche Eingebung, »die voll programmiert ist mit den Speisen verschiedener Welten, unter anderem mit denen der Erde.« »Na, das haben wir gleich.« Mit Heißhunger machte sich Häkkinen über das Dargebotene her. Nachdem er den ersten Bissen verzehrt hatte, glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Kein Zweifel möglich. Es schmeckt zwar nicht wie bei Muttern, trotzdem ist es gutbürgerliche terranische Küche.« »Ich würde die Produktionsstätte der Speisen gerne sehen«,
wandte sich Riker an den Priester. Wo sie herstammten, gab es vermutlich weitere worgunsche Technik. Er vermutete, daß sie wie gewöhnlich unterhalb der goldenen Statue versteckt war, wenn nicht sogar in deren Sockel. Bardof lächelte ihn an. »Sie sollen alles sehen, was Sie möchten«, vertröstete er ihn. »Doch ich sagte es bereits, zuerst wird gegessen. Wir sollten dankbar für die Speisen sein und sie gebührend achten, damit wir auch morgen noch darüber verfügen können.« Das klang nach Erntedankfest, fand Riker, aber er fügte sich in sein Schicksal, weil er erkannte, daß der alte Priester sich nicht drängen ließ. Statt dessen sagte er: »Dann sollten wir die Zeit nutzen, mehr über Sie zu erfahren.« »Ja!« rief Endem begeistert, dessen Seeleute sich mehr für das Es sen als für alles andere interessierten. Was die worgunsche Auto küche bot, bekamen sie wahrscheinlich nicht allzu oft auf die Teller. »Ich bin neugierig, wie Sie in dieses Kloster gelangt sind, Bardof. Berichten Sie uns von Ihrem Leben. Es muß sehr einsam sein hier.« »Das war mein Leben schon immer«, bestätigte Bardof. Und er ließ die Vergangenheit noch einmal aufleben. * Das kleine Dorf lag versteckt in den einsamen Bergen des Nordens, fernab von den Zonen der Verwüstung. Da es keinerlei strategischen Nutzen hatte und ohnehin kaum bekannt war, war es vom Krieg verschont geblieben. Es beherbergte nur wenige Einwohner, und fremde Besucher kamen niemals, es sei denn, Wanderer stießen durch Zufall darauf und baten um Unterkunft für eine Nacht. Bei den Dorfbewohnern handelte es sich um eine verschworene Ge meinschaft, in der sich jeder auf den anderen verlassen konnte. Wer dort geboren wurde, der starb auch dort. Bardof war einer von ihnen, ein junger Mann, der sich bisher keine Gedanken über seine Zukunft gemacht hatte. Er dachte immer, daß
dazu noch genug Zeit blieb, doch da irrte er sich. Denn zu ausführ lichen Lebensplanungen erhielt er keine Gelegenheit mehr, weil das Schicksal seinen weiteren Lebensweg auf eine grausame Weise vor herbestimmte, mit der er nie gerechnet hatte. Seine gesamte Situation änderte sich von einem Tag auf den nächsten. Es war der Tag, an dem seine Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen. Sie waren in den Bergen auf Suche nach Nahrungsmitteln unterwegs und kehrten abends nicht heim. Anfangs machte Bardof sich keine Sorgen, denn wie viele andere Dorfbewohner auch ver brachten Mutter und Vater häufig die halbe Nacht draußen. Als er sich zum Schlafen niederlegte, dachte er daher auch, es sei alles wie immer und er werde sie am kommenden Tag wohlbehalten wieder sehen. Doch als sie auch am nächsten Tag nicht zurückkehrten, breitete sich ein mulmiges Gefühl in ihm aus, und er machte sich auf die Suche nach ihnen. Stundenlang streifte er durch die Berge, ohne eine Spur von ihnen zu entdecken. Als er sie dann fand, war es um so schlimmer. Denn zu seinem Entsetzen entdeckte er seine Eltern am Grund einer tiefen Schlucht, die ihnen zum Verhängnis geworden war. Gemeinsam waren sie in der Dunkelheit der Nacht abgestürzt, und er konnte nur noch ihre zerschmetterten Körper bergen und nacheinander zurück ins Dorf bringen. Eine lange Zeit trauerte Bardof um sie, ohne die Dorfgemeinschaft um sich herum wahrzunehmen. In den folgenden Wochen und Monaten sonderte sich Bardof immer mehr von den anderen Kurr gen ab und verbrachte selbst viel Zeit in den unübersichtlichen Klüften, die seinen Eltern zum Verhängnis geworden waren. Ge schwister hatte er keine, und als Einzelkind war er sowieso stets so etwas wie ein Außenseiter im Dorf gewesen. Auch Freundschaften hatte er nie geschlossen, und Frauen gegenüber war er stets mißt rauisch gewesen. Zwar waren viele Kurrgen aus dem Dorf bereit, sich des jungen Mannes anzunehmen und ihn in ihre Familie auf zunehmen, aber das wollte er nicht. Ohne es damals zu begreifen,
wollte Bardof seinen Eltern instinktiv in den Tod folgen. Immer mehr wurde die Einsamkeit der Berge zu seinem Freund, und ein paarmal hatte er das Gefühl, daß das Alleinsein ihm Trug bilder vorgaukelte. Zwar durchstreiften auch andere Dorfbewohner die Gegend, aber sie hätten sich sicher nicht vor ihm versteckt. Doch genau das tat das Trugbild. Wenn er sich ihm aus Neugier näherte, verschwand es, als sei es nie dagewesen. So redete Bardof sich ein, wirklich nur einem Irrtum zu erliegen und in Wirklichkeit gar nichts gesehen zu haben. Allmählich ließ die Trauer nach, trotzdem fand Bardof nicht zu seinem früheren Lebensrhythmus zurück. Er begann sich Gedanken über seine Zukunft zu machen, ohne eine Vorstellung von seinem Werdegang zu haben. Nur eines wußte er genau. Er wollte nicht sein Leben lang in diesem kleinen Dorf tagein, tagaus das gleiche tun. Wenn es ihm wirklich vergönnt war weiterzuleben, dann mit einem Sinn. Doch wie sollte ein junger Kurrge, der nichts von der Welt kannte, einen solchen Sinn abseits der althergebrachten Dorfstruk turen finden? Es war ein rauher Herbstmorgen, als er sich besonders weit hi nauswagte. Er kletterte halsbrecherisch zwischen einigen Schrunden herum, als er eine eigenartige Begegnung hatte. Zunächst hielt er sie für eine vom Wetter erzeugte Leuchterscheinung, dann, als sie zu ihm zu sprechen begann, für eine Vision seines noch immer trauernden Verstandes. Schließlich aber erkannte er, es mit einer realen Erscheinung zu tun zu haben. Plötzlich war die Erinnerung an die Trugbilder wieder da, die er sich nur einzubilden geglaubt hatte. Im Gegenteil, er hatte sich nicht getäuscht. Hier draußen war etwas, das sich ständig in seiner Nähe aufhielt und ihn beobachtete. Die Erkenntnis war so überraschend für Bardof, daß er das Gleichgewicht verlor und zwischen den Felsen abstürzte. Den si cheren Tod vor Augen, begriff er auf einmal, wie sehr er am Leben hing. Er wollte nicht sterben, doch diese Erkenntnis kam zu spät,
denn der Abgrund unter ihm würde ihn für alle Zeit verschlucken. Um so überraschter war er, als er nicht stürzte. Denn die Erschei nung hatte Arme, und mit denen hielt sie ihn fest und rettete sein Leben. Sie stellte sich ihm als einen Boten des Goldenen aus einer weit entfernten Region des Planeten vor. Der Bote kam geradewegs vom Zurranga-Kloster mit dem großen Heiligtum, das einst auf der gan zen Welt geachtet war, bis der Krieg kam. Bardof war über die Ma ßen fasziniert, denn selbst in seinem abgeschiedenen Dorf war das Kloster wohlbekannt, und zunächst konnte er die Worte nur schwerlich glauben. Der Bote gestand ihm, ihn bereits seit einigen Wochen zu beobachten und nur auf den richtigen Moment gewartet zu haben, um ihn anzusprechen. Er hatte bemerkt, daß Bardof ein einsamer Kurrge war, der die meiste Zeit mit sich allein verbrachte, und nach einem solchen hatte er schon lange gesucht. Nun begriff Bardof seine seltsamen Beobachtungen, und er lauschte der Stimme des Boten, der ihm berichtete, wieso ihn seine Suche trieb. Solange das Kloster bestand, hatte es stets jemanden gegeben, der über Zurranga und das Heiligtum wachte. Niemals durfte es unbe wacht sich selbst überlassen bleiben, wie die Überlieferungen aus sagten. Doch der derzeitige Bewahrer des Heiligtums war sehr alt und hatte voraussichtlich nicht mehr lange zu leben. Deshalb hatte er seinen Boten – einen Kugelroboter, wie sich später herausstellte – ausgeschickt, um nach einem Nachfolger zu suchen. Natürlich war Bardof überrascht, daß ausgerechnet er Nachfolger des amtierenden Bewahrers werden sollte, aber er konnte die Aus wahlkriterien des Boten nach vollziehen. Schließlich würde er ver mutlich bis zu seinem Lebensende zumeist in Einsamkeit im Zu rranga-Kloster verbringen, und eine solche Lebensweise war er ja gewohnt. Da es nichts gab, was Bardof in seinem Dorf hielt, mußte er nicht lange überlegen, sondern folgte dem Boten des Goldenen. Das war doch genau der Lebenssinn, den er sich herbeigewünscht hatte.
Wachte er, oder träumte er? Was er erlebte, war eigentlich viel zu phantastisch, um wahr sein zu können. Die Götter mußten wirklich ein Einsehen mit ihm haben, daß sie ihm diese Gnade gewährten. Wie konnte er es ihnen besser vergelten, als in ihrem Geiste im Kloster tätig zu werden und die Gnade allen weiterzugeben, denen sie zuteil werden sollte? Noch wußte er nichts über seine künftige Aufgabe, doch ein Teil davon, das nahm er sich vor, würde die Aufnahme und Beherbergung von Wanderern und Pilgern sein. Vorfreude keimte in Bardof und ein nie gekanntes Glücksgefühl. Seine Eltern wären zweifellos stolz auf ihn gewesen, hätten sie das noch erleben können. Gemeinsam mit dem Boten begab er sich auf eine lange Wander schaft, die beinahe ein Jahr dauerte und Bardof in Regionen seiner Welt führte, die er andernfalls niemals gesehen hätte. Der Winter kam und ging wieder, und ihm folgte ein wunderschöner Sommer, den Bardof wie im Rausch erlebte. Mit jedem Tag wurde ihm ein bißchen klarer, daß er keinen Traum erlebte, sondern die Wirklich keit. Bereits in seinen jungen Jahren hatte er seine Bestimmung ge funden und konnte es kaum erwarten, endlich das Ziel zu erreichen und seine vorherbestimmte Aufgabe übernehmen zu können. Natürlich wußte er von den im Krieg verstrahlten Todeszonen, in denen keinem Kurrgen das Überleben möglich war, und er äußerte seine diesbezüglichen Bedenken. Der Bote wußte aber viel mehr darüber und versicherte ihm, in seiner Begleitung sei Bardof sicher. Wie sich herausstellte, nahm der junge Mann tatsächlich keinen Schaden durch die Strahlen, obwohl sie andere Kurrgen zwangsläu fig umgebracht hätten. Als sie einen Herbst später das Kloster erreichten, erwartete der bisherige Bewahrer des Heiligtums sie schon ungeduldig. Er war bereits sehr alt und fühlte sein Ende nahen. Einen Tag lang zog er sich mit seinem Boten zurück und überließ Bardof sich selbst, dann tauchte er unversehens wieder auf. Lange hatte er sich von seinem Boten berichten lassen, und nun war er sicher, einen ehrenwerten
Nachfolger gefunden zu haben. Er war überglücklich, das Heiligtum in sichere Hände übergeben zu können. Bevor er starb, gelang es ihm noch, Bardof in sämtliche überlieferten Geheimnisse einzuweihen. Vom Tage des Todes seines Vorgängers an war Bardof der neue Bewahrer des Heiligtums. * Ein schwermütiges Seufzen entfuhr dem alten Priester, nachdem er seinen Bericht beendet hatte. »Was ist?« fragte Percival Brack, der sich nach der vorangegange nen Schilderung an Echri Ezbal und die in der Einsamkeit des Bra na-Tals gelegene Cyborgstation erinnert fühlte. »Bedauern Sie den Verlauf Ihres Lebens? Ich kann mir vorstellen, daß mir das jahre lange Alleinsein auch irgendwann auf die Nerven gehen würde.« »Das ist es nicht«, antwortete Bardof und schob seinen Teller von sich. »Mein Problem wiegt viel schwerer. Heute gibt es kaum noch gesunde Kurrgen. Ich bin alt und werde bald einen Nachfolger brauchen. Doch meine größte Sorge ist, niemanden mehr zu finden, der mich als Bewahrer ablösen wird.« Artus, der ebenfalls etwas von den Speisen vor sich stehen, aber natürlich nicht gegessen hatte, war da anderer Meinung. »Ich sehe hier am Tisch eine Menge gesunder Kurrgen.« »Natürlich! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?« Der Priester schaute sich in der Runde um. Schließlich blieb sein Blick an Endem hängen. »Bewahrer zu sein ist eine ehrenvolle Aufgabe.« »Aber nichts für mich«, antwortete der Kapitän prompt. »Ich be wundere Sie, Bardof, aber ich habe eine andere Aufgabe, die mich ausfüllt.« Doch so schnell wollte Bardof nicht aufgeben. »Was ist mit Ihren Männern? Vielleicht ist einer von ihnen bereit, diese wichtige Auf gabe zu übernehmen.« »Sie glauben, daß sie dafür geeignet sind?«
»Ich zweifle nicht daran. Die meisten gesunden Kurrgen sind ge eignet, sie brauchen nur die richtige Anleitung und Ausbildung, um zu einem guten Bewahrer zu werden. Auch ich selbst hatte anfangs keine Ahnung, trotzdem bin ich rückblickend zufrieden mit dem, was ich geleistet habe.« Endem dachte einige Sekunden nach, dann breitete er die Arme aus. »Ich habe nichts dagegen. Wenn sich einer von ihnen bereiter klärt, im Kloster zu bleiben, entlasse ich ihn gern aus meinen und aus den Diensten der Marine.« Unter seinen Männern setzten aufgeregte Diskussionen ein, aber es kristallisierte sich rasch heraus, daß keiner von ihnen Bardofs Nachfolge antreten wollte. Riker tat das leid für den alten Priester, und er wünschte ihm, doch noch erfolgreich bei seiner Suche zu sein, bevor es zu spät für ihn war. »War vor uns schon einmal ein Fremder hier?« fragte er, um das Thema zu wechseln. Bardof bejahte. »Ich habe die Unterlagen über ihn gesehen, Er sah genauso aus wie Sie und Ihre Begleiter.« Leutnant Hornig horchte überrascht auf. »Sie meinen, er war ein Mensch?« »Jedenfalls sah er so aus.« Der alte Priester zögerte, dann sah er Riker an. »Gibt es auch schwarze Menschen?« Natürlich, lag es Riker auf der Zunge, aber ein anderer Gedanke jagte durch seinen Kopf. »Wie war sein Name?« kam ihm der Cyborg zuvor. »Er nannte sich Kor Trane.« Die Nennung elektrisierte sämtliche Gäste von der POINT OF. Das war der Name aus der gelöschten Datenbank auf Babylon! 2 Der Name eines Tel! Riker wandte sich an Bardof. »Wann fand dieser Besuch statt?« 2
Siehe Band 1 des Bitwar-Zyklus, »Großangriff auf Grah«
Der Priester nannte eine Zahl, die Artus Augenblicke später in ir dische Verhältnisse umgerechnet hatte. Demzufolge waren seitdem 198 Jahre vergangen. »Das war natürlich vor meiner Zeit, und ich kann Ihnen nur das hinterlassene Wissen weitergeben. Anfangs war der Fremde sehr freundlich, wenn auch nicht besonders mitteilsam, soweit ich es aus den Aufzeichnungen meiner Vorgänger weiß«, erinnerte sich Bardof. »Er verbrachte einige Zeit im Kloster und machte sich mit allem vertraut. Dabei erweckte er den Eindruck, gar nicht mehr wegzu wollen. Selbstverständlich wurde das akzeptiert, denn Gastfreund schaft ist eine der heiligen Tugenden von Zurranga. Doch dann ver schwand er über Nacht, ohne sich zu verabschieden. Heimlich ma nipulierte er eine der Plattformen und entführte sie. Sie wurde erst Wochen später von den Kugelrobotern gefunden und mußte repa riert werden.« »Danach ist dieser Kor Trane nicht wieder aufgetaucht?« Der Priester nickte dreimal mit dem Kopf. »Den Aufzeichnungen zufolge nicht. Sie geben auch keine Auskünfte darüber, woher er stammte oder was er hier wollte. Er wurde für einen zufälligen Be sucher gehalten, aber ich habe Zweifel daran, wenn er sich wirklich so undurchsichtig verhielt. Wenn ich mich nicht täusche, scheinen Sie ihn zu kennen.« Nachdenklich verzog Riker das Gesicht. »Ihn nicht, aber das Volk, dem er angehört. Ihrer Beschreibung nach war Kor Trane ein Tel aus dem Telin-Imperium.« Bardof war ratlos. »Damit kann ich nichts anfangen, aber daß er ausgerechnet im Zurranga-Kloster auftauchte, wenn er nicht von unserer Welt stammte, ist eigenartig. Wenn er mit einem Raumschiff kam, wurde er vielleicht von dem Goldenen angelockt.« Das vermutete Riker, aber was hatte der Tel auf Babylon entdeckt? War er ebenfalls einem Peilstrahl gefolgt? Und warum war er plötz lich heimlich, still und leise wieder verschwunden? Womöglich weil er gefunden hatte, was er suchte?
»Aus einem uns unbekannten Grund hat Kor Trane die Statue un tersucht«, behauptete Brack. »Wie die Menschen haben auch die Tel einen Teil der Mysterious-Hinterlassenschaften übernommen. Manche von ihnen sind wahrscheinlich immer noch auf der Jagd danach. Wenn der Tel hier etwas zu finden hoffte, dann in der gol denen Statue.« Riker vertrat die gleiche Ansicht. Womöglich hatte Kor Trane nach Waffen gesucht, eine Vorstellung, die Riker angesichts des nach wie vor schlechten Einvernehmens zwischen Menschen und Tel gar nicht in den Kram paßte. »Sie haben angekündigt, uns nach dem Essen herumzuführen«, drängte er den alten Priester, denn er konnte es nicht mehr erwarten, die Statue des Riesenkurrgen genauer zu untersuchen. Bardof schien seine Gedanken zu erraten. »Dabei interessiert sie das Kloster nicht wirklich. Sie wollen sein Herzstück sehen, die un terirdische Anlage unter dem Goldenen. Nein, nein, rechtfertigen Sie sich nicht. Ich kann das gut verstehen, denn mir ging es früher nicht anders. Schließlich ist die Anlage so alt wie der Goldene selbst. Ich schätze sie auf mindestens dreitausend Jahre.« »Älter als die kurrgische Zivilisation selbst«, stellte Endem un gläubig fest. »Das Ding würde ich auch gern sehen.« Er lächelte Ri ker an. »Selbst wenn ich wohl nichts davon verstehen werde.« Der Bewahrer des Heiligtums erhob sich von seinem Platz. »Der Achtung vor den Speisen ist Genüge getan. Ich sehe keinen Grund, mein Versprechen noch länger aufzuschieben.« Er führte seine Gäste aus dem Speisesaal, in dem Sekunden später die Kugelroboter die Reste der Mahlzeit abräumten. * Dan Riker erwartete, daß Bardof seine Besucher über den offenen Innenhof zum Sockel der Statue führen würde. Zu seiner Überra schung gab es aber einen unterirdischen Zugang, der direkt von den
Klosterräumen aus erreichbar war. »Es gibt zwar auch einen Eingang am Sockel des Goldenen«, er klärte der Priester, »aber ich benutze ihn nur selten. Als Zurranga erbaut wurde, wurde auch dieser Tunnel gegraben.« Er führte mit geringem Neigungswinkel abwärts und war wie die Klosteranlage selbst aus schweren Steinen gemauert. Künstliche Lichtquellen beleuchteten ihn, sobald die Gruppe die abwärtsfüh rende Treppe betrat. Rikers Ungeduld steigerte sich mit jedem Me ter, während er aus den Kommentaren der Kurrgen schloß, daß sie sich in dem engen und beinahe klaustrophobisch anmutenden Gang wesentlich wohler fühlten als zuvor auf den offenen Plattformen. Er hingegen war erleichtert, als sie endlich durch einen Zugang traten, hinter dem ein kleiner Raum lag. Bis auf ein paar unschein bare Einrichtungsgegenstände war er leer, und Bardof machte auch keine Anstalten, sich lange darin aufzuhalten. Mit raschen Schritten ging er zu einer weiteren Tür, die er per Hand öffnete. Riker war ein wenig erstaunt angesichts dieses Anachronismus, schließlich erwartete er eine technisch hochstehende Anlage dahinter verborgen. Doch zunächst wurde er enttäuscht, denn der anschlie ßende Raum blieb weit hinter den Dimensionen zurück, die er von früheren Vorstößen in unterirdische Worgun-Einrichtungen kannte. Trotzdem enthielt er eine Reihe von Maschinenzeilen. Nachdenklich betrachtete der Cyborg die Anordnungen. »Haben Sie so etwas schon mal gesehen? Ich habe das zugängliche Material über Einrichtungen der Worgun studiert, aber ich finde keinen Hinweis auf derartige Apparaturen in meinem Programmgehirn.« »Das könnte Worgun-Technologie sein«, befand Artus. »Jedenfalls entdecke ich keine untypischen Elemente in der Bauweise. Trotzdem geht es mir nicht anders. Ich kann nichts damit anfangen.« Auch Riker konnte sich nicht an ähnliche Maschinen erinnern. Zwar besaßen sie Ähnlichkeit mit der Architektur der Gestaltwand ler, aber ihr Zweck blieb ihm fremd. »Wissen Sie, wozu sie dienen, Bardof?«
»Solange ich im Kloster bin, waren sie nicht aktiv«, mußte der Priester ihn enttäuschen. »In den Aufzeichnungen meiner Vorgänger habe ich auch keine Hinweise darauf gefunden.« »Haben Sie denn nie versucht, ihrer Bedeutung auf den Grund zu gehen?« Artus trat vor eine der Bedienungseinrichtungen und machte Anstalten, sie zu betätigen. »Ich halte das für keine gute Idee. Ohne den geringsten Hinweis sollten wir die Finger davon lassen. Es gibt andere Räume, die ich gründlich erschlossen habe.« »Ich stimme Bardof zu«, sagte Riker. Auch er wollte kein unnötiges Risiko eingehen, solange Alternativen zur Verfügung standen. »Zunächst schauen wir uns die aktiven Anlagen an.« Der alte Kurrge führte sie durch weitere Räume unterhalb der Statue. Dort gab es noch mehr unbekannte Apparaturen sowie einige vollautomatische Werkstätten. Keine von ihnen war in Betrieb. Bis auf die künstliche Beleuchtung deutete nichts auf Aktivität hin, doch zumindest die Anlagen für Lufterneuerung oder -Umwälzung mußten ihren Dienst versehen, denn die Luft war so frisch wie draußen im Freien. Und das nach dreitausend Jahren. Allerdings war dieser Zeitraum, wie Riker auch von den Ereignissen in Orn her wußte, kein Maßstab für die langfristigen Projekte der Mysterious, wie die meisten Menschen die Worgun noch immer nannten. Schließlich erreichten sie einen großen Raum, der offensichtlich den Mittelpunkt der Anlage bildete. »Hier halte ich mich häufig auf«, erklärte Bardof. »Denn sämtliche Aufzeichnungen aus der Vergangenheit beziehen sich auf diesen Raum.« Riker war erleichtert, endlich etwas zu sehen, womit er etwas an fangen konnte. Die Ausstattung erinnerte ihn andere Einrichtungen der Worgun, die er von früher her kannte. Ähnliche Bilder hatte er schon oft gesehen, die jungen Offiziere in seiner Begleitung hingegen nicht, und erst recht nicht die Kurrgen. Mit leuchtenden Augen schauten sie sich in der unterirdischen Anlage um, die ihnen wie ein
Märchenland vorkam. Diesmal gab es keinen Zweifel. Der große Raum, in den Bardof seine Besucher geführt hatte, war vollgestopft mit Einrichtungen derer, denen die Menschen einst den Namen Mysterious verliehen hatten. Ohne Zweifel waren sie es gewesen, die diese Anlage vor mehreren tausend Jahren erbaut hatten. Es gab jede Menge Über wachungs- und Kontrolleinrichtungen, von denen einige einge schaltet waren. »Da haben wir die Bestätigung.« Häkkinen kontrollierte eine Reihe von aktivierten Monitoren, auf denen die Umgebung des Klosters zu sehen war. Einer zeigte sogar die zurückgelassenen Fahrzeuge der Kurrgen. »Von hier aus kann man die gesamte tote Zone im Auge behalten.« »Ich bezeichne sie als sichere Zone«, warf der Priester ein. »Sowohl was die fehlende Strahlung angeht, als auch den Schutz, den sie dem Kloster und dem Heiligtum vor fremden Waffen und Geräten bie tet.« Riker hatte nur einen beiläufigen Blick für die Bilder der Außen übertragung übrig, denn dort gab es außer der Landschaft, durch die sie geflogen waren, nichts zu sehen. »Das da drüben ist viel interes santer.« An einer Wand war auf einem Sockel ein Hyperkalkulator mon tiert. Er war ziemlich groß, was womöglich auf seine Leistungsfä higkeit hindeutete. »Ebenfalls nicht eingeschaltet«, schloß Brack nach einer kurzen Überprüfung. Doch davon ließ sich Riker nicht abhalten. »Das haben wir gleich«, murmelte er, während er verschiedene Sensorfelder berührte. Au genblicklich glommen einige Kontrolleuchten auf und zeigten die Bereitschaft des Rechners. »Ich arbeite manchmal mit ihm.« Bardof war an Rikers Seite ge treten und sah ihm auf die Finger. »Ich habe Zugriff auf mehrere Speicherbänke, in denen ich eigene Daten hinterlege, aber offenbar
kennen Sie sich wesentlich besser aus. Was Sie da machen…« Ratlos brach der Priester seine Worte ab, aber Dan hatte keine Lust für ausschweifende Erklärungen. Mit zielgerichteten Handgriffen nahm er eine Reihe von Einstellungen vor. Er war sicher, daß es Aufzeichnungen oder Protokolle darüber gab, wer sich in der Ver gangenheit an dem Hyperkalkulator zu schaffen gemacht hatte. »Du suchst Hinweise auf diesen Kor Trane?« vermutete Artus. »Hm«, machte Riker kurzangebunden, während er verschiedene Schaltungen ausprobierte. Sein Gesichtsausdruck zeigte, daß sich die Suche schwieriger gestaltete, als er erwartet hatte. »Wenn ich ent decke, worauf er Zugriff genommen hat, bekommen wir zumindest einen Anhaltspunkt, wonach er gesucht hat.« »Wenn er sich überhaupt für den Rechner interessiert hat.« »Das hat er«, bestätigte Bardof. »Laut den Aufzeichnungen war er sogar sehr neugierig darauf und wollte ihn damals unbedingt sehen. Sein Wunsch wurde ihm natürlich nicht verwehrt, aber ich bin si cher, daß er später noch einmal ohne die Begleitung meines Vor gängers hier eingedrungen ist.« Riker ließ sich von Bardof die Speicher zeigen, die der Priester selbst benutzte. Dort fand er nichts, was ihm weiterhalf, sondern ausschließlich Daten von Bardof selbst. Anschließend versuchte er Zugriff auf weitere Speicher zu erlangen. Zugriff verweigert. Bitte Autorisation beibringen. Die unerwartet in seinem Kopf entstehende Gedankenstimme ließ Riker zusammenzucken. Erschrockene Ausrufe wurden laut, weil die Kurrgen nicht wußten, wie ihnen geschah. Dan begriff, daß sich die Gedankensteuerung über einen offenen Kanal nicht nur an ihn wandte, sondern an sämtliche Personen im Raum. »Die Stimme bedeutet keine Gefahr, sondern ist eine Komponente des Hyperkalkulators«, informierte er Endem. »Beruhigen Sie Ihre Leute.« Wie von selbst glitten seine Finger über die Bedienungselemente, die sich nur wenig von denen des Checkmasters an Bord der POINT
OF unterschieden. Obwohl er die grundsätzlichen Codes und Be fehlsketten korrekt eingab, kam er nicht weiter, sondern traf immer wieder auf Sperren, die sich nicht überwinden ließen. »Erstaunlich«, bemerkte Bardof, und seine Verblüffung war ihm anzumerken. »Sie handhaben den Rechner so virtuos, als würden sie das jeden Tag tun. Man sieht, daß Sie die Arbeit mit ähnlichen Ge räten gewohnt sind.« Sobald Dan auf Ausweichpfade ging, um die Sperren zu umgehen, meldete sich der Rechner wieder und forderte die nötige Autorisa tion ein, die Riker ihm jedoch nicht geben konnte. Schließlich sah er die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen ein und versuchte es auf di rektem Weg. Ich verlange sämtliche vorhandenen Informationen über Kor Trane. Hast du ihm ebenfalls die Mitarbeit verweigert? Unwillkürlich erwartete er wieder die standardisierte Aufforde rung, doch diesmal schwieg der Rechner ganz. Bardof brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Auf derartige Fragen reagiert er nicht, das habe ich schon öfters festgestellt.« »Artus, Percival? Hat jemand eine Idee?« Doch auch der Roboter und der Cyborg mußten passen, während Endems Seeleute ohnehin nur halb begriffen, was vor ihren Augen geschah. »Darf ich es einmal versuchen?« bot sich der Priester ange sichts der allgemeinen Ratlosigkeit an. Riker trat zur Seite und machte ihm Platz, doch es zeigte sich schnell, daß auch Bardofs Versuche vergebliche Liebesmüh waren. Auch er kam über die Bereiche, auf die er ansonsten Zugriff hatte, nicht hinaus. Verlegen trat er wieder zurück, und Riker unternahm einen weiteren Versuch, der ebenfalls erfolglos verlief. Doch plötz lich kam ihm eine Eingebung. Wir sind mit einem Ringschiff der Worgun gekommen, sprach er die Gedankensteuerung an. Ist das nicht Autorisation genug? Keineswegs. Außerdem bedeutet die Information keine Neuigkeit für mich. Ich habe die Anwesenheit des Ringraumers längst registriert.
»Davon hätten wir eigentlich ausgehen müssen«, überlegte Leut nant Hornig. »Die Ortungseinrichtungen dieses Kastens überwachen nicht nur die tote Zone, sondern auch den Weltraum.« Um so verwunderlicher war es, daß der Hyperkalkulator bisher nicht auf die Anwesenheit der POINT OF reagiert hatte. Wieso ig norierte er sie? Ich möchte, daß du eine Funkverbindung zu dem Ringraumer herstellst, forderte er. Es handelt sich bei ihr um die MASOL. Wenn er sich von der Nennung des Namens, den Margun und Sola ihrer Schöpfung einst verliehen hatten, eine Reaktion versprach, sah er sich getäuscht. Der Rechner blieb so stur wie zuvor. Eine direkte Kommunikation wird nicht gestattet. Die Forderung wird abgelehnt. Dann sorge dafür, daß unsere Instrumente wieder funktionieren, damit wir selbst eine Funkverbindung herstellen und mit unseren Leuten an Bord des Ringraumers in Verbindung treten können, mischte sich Häkkinen genervt ein. Forderung abgelehnt. Bitte Autorisation beibringen. Riker stieß eine stumme Verwünschung aus. Gegen soviel Hals starrigkeit war selbst der Checkmaster in seinen eigensinnigsten Momenten harmlos. Hier war bei der Programmierung wirklich jemand auf Nummer Sicher gegangen, damit bloß keinem Unbefug ten der Zugriff auf den Hyperkalkulator gelang. Hieß das zwang släufig, daß auch der Tel bei seinen Versuchen gescheitert war? Dan wäre wohler gewesen, wenn er dafür eine positive Bestätigung be kommen hätte, aber vielleicht hatte Kor Trane im Gegensatz zu ihm gefunden, was er gesucht hatte. Aber was in drei Teufels Namen war das gewesen? Dan hatte das untrügliche Gefühl, daß die möglichen Erkenntnisse des Schwarzen Weißen auch für die Menschheit von enormer Wich tigkeit sein konnten. Und noch eine Frage beschäftigte ihn. Wer hatte diesen Kor Trane geschickt, und was war aus ihm geworden?
*
»So kommen wir nicht weiter.« Dan Riker starrte die Verkleidung des Hyperkalkulators an, als könnte er sie mit Blicken durchdringen. Dann wandte er sich an Endem. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Wir brauchen die Hilfe der POINT OF.« Der Kapitän war von der Idee fasziniert. Inzwischen hatte er genug von dem gewaltigen Schiff im All gehört, um es mit eigenen Augen sehen zu wollen. Allein die Vorstellung daran löste bei ihm und seinen Männern Ehrfurcht aus. Dennoch hatte er Bedenken. »Von hier aus klappt keine Kontaktaufnahme, wie wir wissen. Also bleibt uns nur die Umkehr, und die kommt einer Niederlage gleich.« »Dann haben Sie bestimmt einen besseren Vorschlag«, konterte Häkkinen. Endem druckste eine Weile herum, dann tuschelte er kurz mit seinen Männern. »Schrauben wir dieses Ding auseinander und schauen selbst nach.« Beinahe wäre Riker aufgrund von soviel Naivität ein Lachen ent glitten, doch dazu war die Situation zu ernst. »Das bringt uns auch nicht weiter. Zudem bin ich sicher, daß der Rechner gegen einen solchen Vorstoß entsprechende Maßnahmen ergreifen wird, um sich zu schützen.« »Dann wollen Sie wirklich aufgeben?« »Aufschieben – nicht aufgeben«, beschwichtigte Dan den kurrgi schen Kapitän. »Sobald wir die tote Zone verlassen haben, nehmen wir Kontakt zur POINT OF auf. Es wäre doch gelacht, wenn dort auch keiner einen Rat weiß.« Unwillkürlich dachte er an den Sibirier Arc Doorn mit seinem beinahe intuitiven Einfühlungsvermögen in fremde Technologien, der schon mehr als einmal dort erfolgreich gewesen war, wo alle anderen längst den Kopf in den Sand gesteckt hatten. »Mir kommt da ein Gedanke«, meldete sich Artus zu Wort. Über
den offenen Kanal der Gedankensteuerung konnten wieder alle mi thören. Wir sind sicher, daß du die Energieausfälle bei sämtlichen Ma schinen und Geräten einzeln bewerkstelligst, ebenso wie die Manipulation der Schwerkraft dort draußen. Trotzdem hast du mich nicht umgebracht. Weil ich erkannte, daß du mehr bist als eine Maschine, kam die umge hende Antwort. Sie überraschte Riker, der nicht damit gerechnet hatte, daß die Gedankensteuerung auf Artus’ Anruf reagieren würde. Kannst du das genauer erklären? Du hast meine sämtlichen Systeme nach einem kurzen Ausfall wieder reanimiert. Einige Sekunden vergingen, dann meldete sich die lautlose Stimme des Rechners erneut. Die Aktion sollte so hingenommen werden. Eine Erklärung wird nicht folgen. »Da steckt doch mehr dahinter«, entfuhr es Häkkinen. »Nur wird der Hyperkalkulator es uns nicht verraten«, erwiderte der Cyborg. »Inzwischen dürfte klar sein, daß er seine kleinen Ge heimnisse für sich behält.« Ihre Fahrzeuge werden wieder funktionieren, wenn Sie die Schutzzone verlassen. Artus wandte sich noch einmal an die Gedankensteuerung, aber er erhielt keine weitere Antwort. Anscheinend war endgültig das Ende ihrer spärlichen Auskunftsfreudigkeit erreicht. »Machen wir uns auf den Rückweg«, schlug einer von Endems Männern vor. »Je früher wir aufbrechen, desto eher sehen wir das Ringschiff.« Sein Kapitän nickte, und auch Riker sah keine andere Lösung. Die Worguntechnologie der goldenen Statue konnten sie scheinbar nur mit anderer Worguntechnik knacken, also blieb keine Alterna tive zur POINT OF. »Bardof, wir brauchen die beiden Flugplattformen, um die Schutzzone wieder zu verlassen. Erst wenn wir ihren Rand erreicht haben, wird sich zeigen, ob die Gedankensteuerung Wort hält.« Wenige Minuten später waren die Männer wieder im Freien, wobei
sie diesmal den Weg durch den Sockel des Goldenen benutzten. Die Plattformen warteten bereits startbereit. Als Menschen und Kurrgen an Bord kletterten, schaute der Priester ihnen ein wenig traurig hin terher, weil sein Besuch schon wieder aufbrach. »Wir kommen wieder!« rief Dan Riker ihm zu, als die wannen förmigen Gefährte dicht über dem Boden davonjagten. Der Rückweg erschien ihm viel länger als der Hinflug, aber ihm war klar, daß ihm lediglich seine Ungeduld einen Streich spielte. Als sie endlich bei den ausgefallenen Fahrzeugen ankamen, sprang er als erster von Bord. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir hier tatsächlich wieder wegkommen.« Kurz darauf bestätigte sich die Aussage der Gedankensteuerung. Die zurückgelassenen Fahrzeuge ließen sich ohne Probleme starten und wenden. Kaum daß sie die tote Zone verlassen hatten, funktio nierten auch die Viphos wieder. Dan nahm Funkkontakt zur POINT OF auf.
16.
Mit durchschnittlich einem Meter und fünfzig waren die Greys immerhin noch einen halben Meter größer als der »handelsübliche« Durchschnittsutare. Auf einen ausgewachsenen Menschen wirkten sie allerdings wie Kinder. Wie unheimliche Kinder. Kinder mit einer aschgrauen Haut und übergroßen Augen. Ihre Augenhöhlen lagen in einem fast anmutig zu nennenden Gesicht, das über winzige Nasenlöcher, aber keinen Nasenhügel verfügte. Auch auf abstehende Ohrmuscheln hatte die Natur bei ihnen verzichtet. Arme und Beine der vierfingrigen Greys waren ziemlich dünn, genau wie der Rumpf. Überhaupt wirkten sie körperlich recht schwächlich. Geschlechtsunterschiede waren auf Anhieb nicht er kennbar, weder an der Körperform noch an ihrer Kleidung. Sie tru gen schlichte graue Uniformen und waren kaum voneinander zu unterscheiden. Von Folter schienen sie glücklicherweise nichts zu halten. Die Greys führten Buck und Ho aus der Zelle in eine Art Waschraum, wo sich die beiden etwas frischmachen durften – unter strengster Be wachung. Zum Anziehen gab man ihnen nichts, aber wenigstens bekamen sie zu essen und zu trinken, wenn auch nicht gerade üppig: ein zwiebackähnliches, krümeliges Etwas sowie eine undefinierbare trübe Flüssigkeit. Dermaßen gestärkt trauten sich Kurt und Yo durchaus zu, die Greys zu überwältigen, trotz ihrer Waffen, die sie unablässig auf ihre Gefangenen richteten. Allerdings wollten die Gardisten nicht ohne Kle Klenet die Flucht ergreifen, und der mußte erst einmal aufwa chen. Die Greys forderten ihre »Gäste« mit Gesten auf, ihnen nach draußen auf den Gang zu folgen. Bisher hatten die Fremden noch keinen Ton gesagt. Das änderte sich schlagartig, als Buck und Ho
begannen, miteinander zu reden. »Hätten Sie gedacht, daß unsere ›Freunde‹ tatsächlich grau sind, Herr Leutnant?« »Nicht im entferntesten, Schütze. Schließlich entsprang die Be zeichnung Grey einer zufälligen Bemerkung während einer Bespre chung.« Der Koreaner kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Die Greys gaben ärgerliche Laute von sich und fuchtelten unmißverständlich mit ihren Waffen herum. Ihre Sprache war schwer zu definieren; es waren zahllose Fieplaute mit darunter. Der Gang, den die Greys und ihre Gefangenen durchquerten, wirkte wie ein kahler, unfreundlicher Hotelflur. Zu beiden Seiten gab es geschlossene, unbeschriftete Metalltüren, und keine unter schied sich von der anderen. Mehrmals bog die Gruppe in weitere tunnelartige Gänge ab, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Buck hatte Mühe, sich jede Abzweigung einzuprägen. Zwei links, zwei rechts, einen beiseite lassen… Er kam sich vor wie auf einem Strickkurs. Die Greys hatten offenbar keine Schwierigkeiten, den richtigen Raum zu finden. Sie blieben stehen, öffneten eine der Türen und schoben die Männer unsanft nach drinnen. Das Zimmer war groß, aber äußerst spärlich eingerichtet: Drei Metallstühle plus ein Metalltisch mit einem klobigen, unförmigen Metallklotz darauf. Offensichtlich handelte es sich um das Verhör zimmer. Buck schätzte, daß der plumpe Klotz ein Translator war. Das Ding war von allen Seiten verschweißt; scheinbar ließen sich die Greys nicht gern in die Karten schauen, sprich: Sie behielten ihre technischen Geheimnisse lieber für sich. Mit dem Hinsetzen hatten Kurt und Yo so ihre Schwierigkeiten. Die Möbel an Bord waren für die kleinen Greys konzipiert, nicht für »übergroße« Fremdlinge. Dennoch schafften sie es irgendwie, auf den Stühlen Platz zu nehmen. Ihre Bewacher nahmen hinter ihnen Aufstellung und richteten die Waffen auf sie.
Wenig später betrat ein weiterer Grey den Raum. Er wirkte älter als die anderen, seine Gesichtshaut war faltiger. Auf seiner grauen Umformbrust trug er ein graues Abzeichen: ein dunkelgraues Ge wächs auf hellgrauem Hintergrund. Der alte Grey setzte sich an den Tisch und legte seine Hand auf den Metallklotz. Offenbar befand sich an jener Stelle ein Sensorschalter, denn das Gerät summte leise und nahm eine rotglühende Färbung an. Das Summen hörte auf, und der Grey sprach einige Worte in Richtung des Klotzes. Anschließend deutete er mit seinen beiden Mittelfingern auf Buck und Ho. »Ich heiße Kurt Buck«, sagte Buck laut und deutlich. »Mein Dienstrang ist der eines Leutnants.« »Schütze Yo Ho«, fügte der Koreaner hinzu. »Mein Meerschwein chen trinkt gern Hagebuttentee.« Kurt warf ihm einen mahnenden Blick zu. »Was denn?« fragte Yo mit Unschuldsmiene. »Ist doch völlig egal, was man sagt. Hauptsache, der Apparat läßt sich auf unsere beiden Sprachen justieren.« Nachdem der Grey noch ein paar Einstellungen vorgenommen hatte, an Schaltern, die von außen nicht zu erkennen waren, gab der Translator erste Worte von sich. Weitere gegenseitige Verständi gungsversuche erfolgten, bis die Kommunikation klar und deutlich vonstatten ging. »Mein Name ist Admiral Seldar Buuhul«, ertönte es aus dem Gerät, während der Grey sprach. »Sie befinden sich auf der RUGA, dem Flaggschiff der stolzen, unbesiegbaren Flotte der Noid.« »Noid?« wiederholte Buck. »Ist das die Bezeichnung eurer Spe zies?« »So ist es«, bestätigte Buuhul. »Wie heißt euer Volk?« »Wir sind Terraner«, antwortete der Leutnant. »Und der dritte Gefangene ist ein Utare.« »Noch nie davon gehört«, sagte der alte Grey nach kurzem Nach
denken. »Ich kenne weder die eine noch die andere Art.« »Uns ergeht es ähnlich«, erwiderte Yo Ho. »Wir kennen die Noid ebenfalls nicht.« »Und warum bestehlt ihr uns dann?« fragte Seldar ihn direkt he raus. Also doch! dachte Leutnant Buck. Sie sind die Bewohner der Industrie stadt. »Wir waren an keinem Diebstahl beteiligt«, antwortete er dem Noid wahrheitsgemäß. »Und was die Funde der Utaren betrifft…« »Fundsachen?« unterbrach ihn der Admiral. »Verschonen Sie mich mit derartigen Beschönigungen. Wir Noid sind ein altes, hochent wickeltes Volk, und wir sagen, was wir denken. Wenn wir gegen jemanden Krieg führen, nennen wir es auch Krieg und nicht Frie densmission. Und wer uns bestiehlt, den nennen wir Dieb – und das, was man uns wegnimmt, Diebesgut.« Fundsache. Buck staunte, daß der Translator innerhalb kürzester Zeit sogar Worte auf Amtsangloter formulieren konnte. »Ich kann und werde das Verhalten der Utaren nicht rechtferti gen«, entgegnete er. »Aber woher sollten sie wissen, daß die verlas sene Stadt noch bewohnt ist? Sie sehen sich nicht als Diebe, sondern als Forscher.« »Es sind Diebe«, sagte Buuhul unversöhnlich. »Und ihr seid ihre Komplizen. Glücklicherweise habt ihr noch nicht alles Diebesgut fortschaffen können. Wo ist der Rest? Schon auf euren Heimatpla neten? Oder befand sich ein Teil der Beute in dem Schiff, das wir zerstört haben?« Der Noid wartete die Antwort erst gar nicht ab und fuhr fort: »Sobald der Utare erwacht ist, werden wir ihn einem Verhör unter ziehen. Danach werden wir euch alle drei töten.« »Ohne daß wir das Recht haben, uns ausreichend zu verteidigen?« warf Yo Ho ein. »Stellt man beim Volk der Noid Beschuldigte nicht erst einmal vor Gericht, bevor man sie aburteilt?« »Reine Zeitverschwendung«, meinte der Admiral. »Wir verfügen
über die perfekte Wahrheitsdroge. Es ist völlig unmöglich, unter dem Einfluß jener Droge zu lügen. Ich werde anordnen, sie auch bei euch anzuwenden. Zuvor müßten wir allerdings im Labor eure Körper analysieren, um das Mittel darauf abzustimmen.« »Laßt ihr uns frei, wenn wir unter Drogeneinfluß dasselbe aussa gen wie gerade eben?« fragte Buck skeptisch. Die Antwort war erschreckend ehrlich. »Nein, wir töten euch auf jeden Fall. Selbst wenn ihr nicht wußtet, was ihr tatet, habt ihr es dennoch getan – und bei uns steht auf Diebstahl nun mal die Höchststrafe: die endgültige Entfernung aus dem Leben.« »Danke für Ihre Offenheit«, erwiderte Kurt Buck. »Ich will genauso offen sein. Da ihr uns so oder so umbringen werdet, nehmen auch wir keine Rücksicht auf euch, so leid mir das tut.« »Es ist die Todesangst, die aus euch spricht«, spottete Seldar Buu hul. »Offensichtlich habt ihr noch nicht richtig begriffen, in welcher Situation ihr euch befindet.« Und du hast noch nicht richtig begriffen, mit wem du es zu tun hast, antwortete Kurt ihm in Gedanken. Wir sind Angehörige der Schwarzen Garde. * Buck und Ho wurden abgeführt. Gemeinsam mit ihren fünf Be wachern durchquerten sie erneut mehrere jener tristen, eintönigen Gänge mit Metalltüren in Metallwänden. Yo Ho befühlte das Metall, vermochte es aber nirgends einzuordnen. »Wahrscheinlich irgendeine Art von Verbundstoff«, sagte er zu Buck. »Die Noid scheinen regelrecht vernarrt in das Zeug zu sein. Sogar ihre Möbel sind daraus gefertigt, zumindest die im Verhör raum.« »Vielleicht läßt sich diese Metallsorte besonders leicht verarbei ten«, meinte der Leutnant. Beide unterhielten sich auf französisch. Zwar gab es hier keine
sichtbaren Translatoren, doch in den Wänden oder unter der Klei dung ihrer Wächter hätten sich Abhörmikrophone verbergen kön nen, die mit einem Hauptgerät verbunden waren. Mit Französisch konnten die noidschen Übersetzungsgeräte (noch) nichts anfangen. »Wann fliehen wir?« wollte der Koreaner wissen. »Sobald wir im Labor eingetroffen sind«, antwortete ihm Buck. »Ich gebe dann das Signal.« Die Wachen unterbanden das Gespräch, indem sie den Gefangenen die Läufe ihrer Strahlengewehre ins Genick drückten. Kurt und Yo fühlten sich, als würde man sie zu einer Hinrichtung führen – zu ihrer eigenen. Eine der vielen Türen entpuppte sich schließlich als Eingang zum Labor. Die Gardisten wurden von ihren Bewachern nach drinnen genötigt. Ein langer Tisch, natürlich aus Metall, zog sich quer durch den Raum von einer Wand zur nächsten. Auf dem Tisch standen bezie hungsweise lagen vereinzelte Ausrüstungsgegenstände, ähnlich wie in terranischen Labors: Skalpelle, Pinzetten, Gläser mit Flüssigkeiten und Pulvern sowie etliche technische Werkzeuge und sonstige Hilfsmittel. Vor und hinter dem Tisch, der den großen Raum genau in der Mitte teilte, standen die labortypischen gläsernen Vitrinen mit an gefangenen Experimenten. Selbstverständlich gab es auch Rechner und diverse andere Gerätschaften. Bis auf den Tisch wirkten die Einrichtungsgegenstände und Arbeitsgeräte, als hätte man sie wahllos im Raum verstreut. Die Mitarbeiter trugen graue Kittel und verteilten sich geschäftig auf die verschiedenen Arbeitsplätze. Jeder war mit irgend etwas zugange. Die Terraner, die mit ihren Bewachern im Eingangsbereich standen, wurden kaum beachtet. Kurt vermutete, daß Yo und er bereits von sämtlichen Labormitarbeitern begutachtet worden war en, als sie noch im Tief schlaf gelegen hatten. Oder man bekam auf diesem Schiff des öfteren Besuch von unpassend gekleideten nich
tnoidschen Lebensformen. Einer der Laboranten beendete gerade seine Arbeit. Er verschloß sein fertiges Experiment in einem Behälter, packte selbigen in eine etwa ein Meter hohe, breite Glasröhre und betätigte mit dem Fuß einen verborgenen Sensorschalter. Der Boden öffnete sich, die Röhre senkte sich langsam hinab… Wenig später deutete nichts mehr darauf hin, daß auf dem freien Platz jemals etwas gestanden hatte. Der Fußboden hatte sich fast nahtlos wieder geschlossen. Derselbe Laborant ging nun zur linken Wand, strich mit den Fin gern über eine bestimmte Stelle – und ein großes, breites Regal schob sich aus einer Öffnung. Er nahm etwas heraus und ließ das Regal anschließend wieder in der Wand verschwinden. Danach begab er sich zur gegenüberliegenden Wand und »zau berte« daraus einen Rechner nebst Bildschirm und Sitzplatz hervor. Der komplette Laborbetrieb funktionierte auf diese Weise. Was für die jeweils aktuelle Untersuchung gebraucht wurde, holte man sich aus der Wand oder dem Fußboden, manches schwebte sogar von der Decke herab, und was man nicht mehr benötigte, schickte man ein fach wieder zurück. Hier verschwand eine Vitrine, dort tauchte eine neue auf. Die verschiedensten Apparaturen kamen und gingen. Wo es eben noch eine freie Fläche gegeben hatte, war Minuten später alles total zugestellt, während sich anderswo plötzlich ganze Gerä teansammlungen in Luft aufgelöst zu haben schienen. Am erstaun lichsten fand Schütze Ho, daß die Laboranten genau wußten, wo sie langzugehen hatten, obwohl sich auf dem Boden keinerlei Markie rungen befanden. Niemand trat versehentlich auf einen versteckten Schalter, alle blieben stur in ihrer Spur. Offenbar verfügten die Noid über ein phänomenales Gedächtnis. »Irgendwie praktisch«, meinte Buck. »Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Noid scheinen ein Volk von Wegräumern zu sein.« »Ich frage mich, ob auch in den übrigen Räumen alles mögliche hinter der Wand verborgen ist«, entgegnete der Schütze. »Falls ja,
hätten wir vielleicht unsere karge Zelle in eine gemütliche Wohn stube umwandeln können. Oder das Verhörzimmer in eine Biblio thek.« Der Druck der Gewehrläufe in ihrer Nackengegend verstärkte sich. Yo Ho schaute Kurt Buck fragend an. Der nickte kurz – das Zeichen zum Angriff…! * Bucks und Hos Bewacher fühlten sich sicher, immerhin hielten sie schußbereite Waffen in den Händen. Ihre unbewaffneten Gefange nen – ohne Prozeß abgeurteilte, zum Sterben verdammte Todeskan didaten – hatten somit keine Chance zur Flucht. Doch die Gardisten waren keine gewöhnlichen Abenteurer und Straßenkämpfer. Sie waren die Elite, die Besten der Besten, die Här testen der Härtesten. Kurt Buck spannte kurz seine Muskeln an, dann wirbelte er wie der Blitz herum. Der Noid, der ihm sein Gewehr ins Genick drückte, war schnell – aber Buck war schneller. Als der Schütze die Energietaste bediente, hatte der junge Leutnant den Gewehrlauf bereits mit einer lässigen Handbewegung beiseitegeschoben. Kurt wandte nie mehr Kraft als nötig auf. Der ihm zugedachte Energiestrahl traf einen der fünf Bewacher voll in die Brust und fraß sich durch. Einen Todes schrei stieß der Sterbende nicht mehr aus, dafür hätte er intakte Atmungsorgane gebraucht. Der Schütze war so entsetzt, daß er nicht schnell genug in Deckung ging, als ihm Kurts Faust den vorderen Teil der Schädeldecke zer trümmerte. Yo Ho befreite sich auf seine Weise von seinem Hintermann: mit einem kräftigen Karatetritt gegen dessen Kniescheibe. Der Schmerz, den die gesplitterten Knochen verursachten, währte nicht lange – der Koreaner packte den Kopf seines Gegners und brach ihm das Genick. Die beiden verbliebenen Bewacher wurden mit Handkanten
schlägen erledigt. Sie würden überleben – möglicherweise… Die Gardisten bückten sich nach den Waffen ihrer ausgeschalteten Kontrahenten, als sie eine schneidende Stimme vernahmen; eine Stimme in einer fremden Sprache, in der Sprache der Noid. Kurt und Yo richteten sich auf, wendeten sich langsam um. Fast jeder im Labor Anwesende hatte seine Arbeit unterbrochen und zielte mit einer Handfeuerwaffe auf die Terraner. »Schau sich das einer an«, bemerkte Yo Ho verblüfft. »Erst sind wir Luft für sie, und plötzlich stehen wir im Mittelpunkt der Aufmerk samkeit.« »Hier an Bord scheint wirklich jeder rund um die Uhr bewaffnet zu sein, sogar die Wissenschaftler«, erwiderte Buck. »Wenn wir hier wieder heil herauskommen wollen, gibt es nur eins: die Flucht.« »Nach wohin?« »Nach vorn – wohin sonst?« Die überall im Labor verteilten Apparaturen und Vitrinen erwiesen sich jetzt als Glücksfall. Ziemlich weit vorn stand ein würfelförmiges Gerät mit zahllosen heraushängenden Kabeln. Wozu der Kubus normalerweise diente, war Buck und Ho unbekannt – wichtig war nur, wozu sie ihn selbst gebrauchen konnten: als Deckung. Beide stürmten mit Kampfgebrüll los, ohne Waffen, nur mit den Unterhosen bekleidet, aber zu allem entschlossen. Ein paar Energie strahlen wurden auf sie abgefeuert, gingen aber weit vorbei. Die Noid waren wohl zu verwirrt, hatten sie doch erwartet, daß die Fremden nach draußen fliehen würden. Die Gardisten brachten sich hinter dem Würfel in Sicherheit. Mehr als ein paar Sekunden Aufschub brachte ihnen das leider nicht. Schon wagte sich der erste Noid mit gezückter Waffe näher… Yo Ho erahnte den sich anschleichenden Angreifer mehr, als daß er ihn sah. Er sprang auf, packte den Grauen am Handgelenk, drehte es herum und nahm ihm die Waffe ab. Mit einem Fausthieb schlug er ihn nieder. »Sobald der nächste um die Ecke lugt, paralysiere ich ihn«, sagte er
leise zu Buck. »Vorausgesetzt, ich finde heraus, wie man das Ding umschaltet.« Buck ließ sich die Waffe geben, aber auch er fand keinen Schalter zum Abschwächen des Energiestrahls. »Merkwürdig«, knurrte er. »Ihre Panzer sind mit Betäubungs strahlen ausgestattet, ihre Handfeuerwaffen jedoch nicht.« »Wer weiß, wie viele Sorten von Handfeuerwaffen es bei den…« setzte Ho zu einer Erwiderung an, als hinter Buck zwei weitere Noid auftauchten. Der Schütze entriß seinem Vorgesetzten die Strahlenpistole und feuerte drauflos, ohne lange zu zielen. Sekunden später gab es zwei Gegner weniger. Der nächste Angreifer kam von oben. Er war auf das würfelför mige Gerät gestiegen und zielte auf die Terraner. Yo Ho bemerkte ihn rechtzeitig… Der Noid war bereits tot, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Insgesamt verfügten die beiden Gardisten jetzt über vier Strahlen pistolen. Die brauchten sie auch – denn der Kubus versank plötzlich in der Tiefe. * Im Gegensatz zu den Eindringlingen wußten die Laboranten, wo die versteckten Sensorschalter zu finden waren. Während sich Buck und Ho von einer Deckung zur nächsten retteten, grimmig ent schlossen um sich schießend, ließen die Noid einen Apparat nach dem anderen verschwinden. Auch die Vitrinen wurden versenkt, obwohl sie den Flüchtenden eh nur wenig Schutz boten. Stießen die Gardisten zufällig auf einen der Schalter, betätigten sie ihn sofort, um sich neue Deckungsmöglichkeiten zu verschaffen – es wurden trotzdem immer weniger. Die Noid allerdings auch. Buck und Ho schossen, was das Zeug hielt, und sie schlugen hart mit den Fäusten und Handkanten zu.
Weitere Angreifer streckten sie durch gezielte Kampftritte nieder. Yo Ho war erfinderisch, wenn es darum ging, die eigene Haut zu retten. Bei einem gekonnten Hechtsprung über den langen Metall tisch schnappte er sich ein Skalpell. Kaum schlug er mit der Schulter auf dem Boden auf, rollte er sich ab, schnellte hoch und warf das Skalpell mitten in eine Schar bewaffneter Verfolger. Einen davon traf er direkt zwischen die großen Augen. Die übrigen zwang er zum Rückzug, indem er mit allem nach ihnen warf, was er auf dem Tisch fand – darunter allerlei Glasbehälter mit undefinierbaren Flüssig keiten. Anschließend zog er beide Waffen aus dem Gürtel und kam Buck zu Hilfe, der gerade von mehreren Seiten unter Feuer genommen wurde… * Als der Kampf vorüber war, sah das Labor aus wie nach einem Tornado. Kein Kittelträger war mehr bei Bewußtsein, viele lebten nicht mehr. Wie durch ein Wunder hatten Kurt und Yo nur einige Prellungen und der Koreaner zusätzlich einen leichten Streifschuß abbekommen. Yo Ho atmete erleichtert auf. »Pause!« »Leider nur eine kurze«, entgegnete Kurt Buck. »Sicherlich trifft bald Verstärkung ein. Wir sollten zusehen, daß wir hier schnellstens wegkommen. Raus aus dem Labor, und raus aus diesem verdamm ten Raumschiff! Wenn wir nur unsere Kampfanzüge hätten…« »Meinen Sie die hier?« fragte Schütze Ho grinsend und deutete auf einen etwas zu klein geratenen Garderobenständer, der sich im Verlauf des Kampfes aus der Wand geschoben hatte. »Den Schalter habe ich mehr durch Zufall betätigt, als ich mit dem Ellbogen dage gen stieß. Offensichtlich hat man unsere Anzüge in diesem Labor gründlich untersucht oder hatte es zumindest vor.« Buck und Ho waren ein gutes Team. Der eine gab das Stichwort,
der andere ergänzte den Gedankengang. »Möglicherweise unterzog man nicht nur die Anzüge einer La boruntersuchung«, überlegte der Leutnant laut, »sondern auch un sere Waffen aus dem Absetzer.« Beide machten sich auf die Suche nach verborgenen Sensorschal tern… * Als die zwei Gardisten das Labor verließen, hatten sie ihre gepan zerten Kampfanzüge angelegt und waren bis an die Zähne bewaff net. Hätten die Noid vorher geahnt, wen sie sich mit dem Traktorstrahl aus dem Weltall »angelten«, sie hätten einen großen Bogen um den Absetzer gemacht. Ihr Schiff lag zwar nicht vor Madagaskar, den noch hatten sie jetzt die Pest an Bord. Buck und Ho schlossen ihre Helme. In ihren Anzügen waren sie weder energetisch noch thermisch zu orten. Dank einer abhörsiche ren Drahtverbindung von Helm zu Helm konnten sie sich mitei nander verständigen. Ihre Multikarabiner hatten sie vorerst auf Projektilbetrieb umge schaltet. Diese Betriebsart konnte von der eventuell vorhandenen bordeigenen Energieortung nicht erfaßt werden. »Mit dem Absetzer kommen wir niemals von hier weg«, sagte der Schütze. »Entweder sprengen uns die Noid noch im Hangar in die Luft, oder sie schießen uns ab, kaum daß wir hinaus ins All fliegen.« »Dann werden wir halt einen sichereren Weg finden müssen«, er widerte Leutnant Buck. »In den Hangar müssen wir trotzdem, denn auf gar keinen Fall darf ihnen der Absetzer in die Hände fallen; er muß zerstört werden. Vorher befreien wir Kle Klenet aus der Zelle.« Klenets bunte Kombination sowie seine restlichen Kleidungsstücke hatten sich ebenfalls im Labor befunden. Yo Ho trug die Sachen in einem Beutel am Gürtel bei sich, einschließlich Kies verschiedenfar
biger Socken (manche Utaren trugen sogar zwei unterschiedliche Schuhe – in dieser Hinsicht war ihr Volk sehr kreativ). Klenets Handfeuerwaffe war nirgends aufzufinden gewesen. Zielsicher bewegten sich die Männer durch die Gänge, vorbei an unzähligen Türen. Kurt hatte sich den Rückweg zur Zelle eingep rägt, mußte aber an mancher Abbiegung kurz überlegen. Yo war sich meist unsicher und stand seinem Vorgesetzten daher nur beratend zur Seite. Tür an Tür zog an den Männern vorüber. Der Koreaner hätte am liebsten einige davon geöffnet… »… um auszuprobieren, ob sich die Einrichtung komplett versen ken läßt, wie im Labor. Somit wäre jede Kabine ihr eigener Schrankkoffer.« »Vielleicht gibt es gar keine Möbel in den Räumen«, erwiderte Kurt. »Hinter den Türen könnten sich ebensogut Lagerräume be finden.« »Bleiben wir stehen und schauen kurz nach«, schlug der von Neu gier geplagte Asiate vor. Buck ging ungerührt weiter. »Besser nicht. Erstens haben wir es ei lig. Zweitens könnten wir mitten in eine Offiziersbesprechung hi neinplatzen oder in die vollbesetzte Wachstube. Lassen Sie die Türen zu, Schütze, dann erleben wir auch keine bösen Überraschungen.« »Sie sind keine Spielernatur, Herr Leutnant, habe ich recht?« Für eine Antwort blieb Buck keine Zeit mehr, denn an der nächsten Abzweigung liefen Ho und er den Noid direkt in die Arme. Vier Bewacher hatten den mittlerweile erwachten Kle Klenet aus der Zelle geholt und wollten ihn ins Verhörzimmer bringen. Der Utare sah halbwegs munter aus, demnach hatte man auch ihm Gelegenheit gegeben, sich kurz zu erfrischen und ein wenig zu stärken. Buck aktivierte geistesgegenwärtig den Miniaturtranslator an sei nem Anzug und rief dem Gefangenen durch den Helmlautsprecher zu: »Hinwerfen!« Ausnahmsweise diskutierte Klenet mal nicht über die Anweisung,
sondern führte sie ohne zu zögern aus. Da das Übersetzungsgerät bisher noch nicht auf die Noidsprache ausgerichtet worden war, verstanden die Grauen den Befehl nicht. Innerhalb weniger Sekun den wurden ihre Uniformen von Projektilen durchlöchert. Dank der in den Multikarabinern eingebauten Schalldämpfung verlief die todbringende Aktion weitgehend lautlos. Buck hätte die Wachen lieber paralysiert, doch die Gefahr einer Entdeckung erschien ihm zu groß. Im übrigen hätte er die Umstel lung eh nicht mehr rechtzeitig vornehmen können, alles war viel zu schnell gegangen. Kle Klenet stand auf und bedankte sich auf seine Weise bei seinen Rettern. »Das wurde aber auch Zeit! Ich hatte schon befürchtet, Sie würden mich zurücklassen, doch offenbar kommen Sie ohne mich nicht zurecht.« Der Minitranslator war nicht ganz so leistungsfähig wie größere Geräte, erfüllte aber seinen Zweck. Für die Übersetzung utarischen Genörgels reichte er allemal aus. Das beste am dem Gerät war aller dings der Knopf zum Abschalten, den Buck umgehend betätigte. Damit kappte er auch die Sprechverbindung nach außen. Schritte waren zu hören. Sie kamen rasch näher. »Wir brauchen ein Versteck, und zwar schnell«, übermittelte Buck dem Schützen. Yo Ho sah seine Chance gekommen. Ohne um Erlaubnis zu fragen, öffnete er eine der Türen und schlüpfte hindurch. Seine beiden Be gleiter folgten ihm (Buck blieb aufgrund des in die Helme einges töpselten Spiralkabels eh nichts anderes übrig) und schlossen die Tür gleich wieder hinter sich. * Während sich die Noid im Gang um ihre toten Artgenossen kümmerten, schauten sich Klenet, Ho und Buck die Kabine an, in die sie sich gerade noch rechtzeitig zurückgezogen hatten. Genauge
nommen gab es überhaupt nichts zu schauen, denn der Raum war leer. »Wo sind wir hier?« fragte sich der Schütze und betastete die Wände. »In einer Unterkunft? In der Bordküche? In einem Auf enthaltsraum? Ich bin schon gespannt, was gleich alles zum Vor schein kommt.« »Sind Sie eigentlich noch bei Trost?« ranzte Buck ihn über den Draht an. »Wir haben keine Zeit für irgendwelche architektonischen Entdeckungsreisen. Wenn man uns hier findet, müssen wir uns er neut zur Wehr setzen. Meinen Sie nicht, es ist schon genug Blut ge flossen?« »Sie haben ja recht, Sir«, entschuldigte sich Yo Ho. »Aber manch mal stößt man bei Entdeckungsreisen auf die interessantesten Dinge, schauen Sie mal.« Sein Finger wies nach oben. Unter der Decke befand sich eine breite quadratische Aussparung: der Einstieg zur Bordklimaanlage. Zwei über Kreuz zusammengeschweißte Metallstreben bildeten das Lüftungsgitter. Klenet verzog ärgerlich das Gesicht und grummelte leise irgend etwas Unverständliches vor sich hin. Auch ohne daß Kurt den Translator und die damit verbundene Außensprechanlage einschal tete, ahnte er, worüber sich der Utare beschwerte. Er wies Yo Ho an, Klenet den Beutel mit der Kombi zu übergeben. Nachdem sich der »Mann von der Sicherheit« angekleidet hatte, machte Buck ihm mittels Handzeichen klar, daß er ihn zum Schacht hochheben würde. Kle Klenet wollte protestieren, doch im Gegen satz zu den beiden Terranern, die sich von Helm zu Helm verstän digten, was nach außen hin fast nicht zu hören war, mußte er den Mund halten, wollte er nicht Gefahr laufen, die Noid auf dem Gang auf sich aufmerksam zu machen. Zwar war die Kabine weitgehend schalldicht, so daß er zumindest hätte flüstern können, doch ein geflüsterter Zornesausbruch war nur der halbe Spaß. Buck hob den Utaren, der kaum mehr zu wiegen schien als eine
Strohpuppe, mit Leichtigkeit in die Höhe. Klenet ruckelte vorsichtig am Gitter, bis er es gelöst und herausgenommen hatte. Ho nahm es ihm ab. Anschließend durfte der Blaue als erster in den Schacht steigen. Nachdem Buck den Koreaner mittels Räuberleiter ebenfalls nach oben befördert hatte, reichte Yo Ho ihm die Hand und zog ihn hi nauf. Das Lüftungsgitter hielt Kurt mit den Füßen fest. Kurz darauf klinkte er es wieder ein. Klenet kroch voran durch den Schacht, gefolgt von Ho und Buck. »Ich hätte zu gern gewußt, welche Geheimnisse sich hinter den Zimmerwänden verbergen«, bemerkte Yo Ho enttäuscht. »Vielleicht gar keine«, erwiderte Kurt Buck. »Womöglich war das nichts weiter als ein ganz normaler leerer Abstellraum.« Mit diesen Worten zog er den Stöpsel aus seinem Helm und warf Yo das Spiralkabel zu. Es war zwar überaus dehnbar, behinderte die beiden Gardisten jedoch bei der Fortbewegung. »Typisch«, murmelte der Schütze. »Immer müssen die unteren Dienstgrade als Kabelträger fungieren.« Wäre ihm danach gewesen, hätte er den Leutnant auch kräftig be schimpfen können – Buck hörte ihn eh nicht mehr. * Kle Klenet war zwar ein Stinkstiefel, aber mit Sicherheit war er kein Dummkopf. Ohne daß Leutnant Buck ihn anleiten mußte, schlug der Utare im Inneren der Klimaanlage einen möglichst geraden Weg ein, er hielt also auf die Außenhülle zu. Dort mußten sich irgendwo die Hangars befinden. Es war für die Flüchtenden nicht immer ganz einfach, die Richtung beizubehalten. Um den Aufbau des Klimasystems zu erforschen, auch im darüber- und darunterliegenden Deck, mußten sie Schachtabzweigungen hochklettern, sich über Schrägen nach unten gleiten lassen und sich streckenweise durch enge Röhren zwängen
(wobei Klenet im Vorteil war). Mit Blicken durch diverse Lüftungs gitter verschafften sie sich Orientierung und Informationen. Viele Kabinen standen leer, andere wiederum waren spartanisch eingerichtet, und hier und da stießen die heimlichen Beobachter auf »Prunkgemächer«, auf geräumige Unterkünfte, die zweifelsohne den höheren Dienstgraden zugeteilt worden waren. Buck fiel auf, daß es an Bord überwiegend Einzelunterkünfte gab, was recht ungewöhnlich war. Seit wann ging man auf Raumschiffen derart verschwenderisch mit den Platzressourcen um? Auf Mann schaftsdecks bewohnten üblicherweise mehrere Männer eine Kabine, und wenn es vonnöten war, teilte man sich die Liegestätten schich tweise. Einige Räumlichkeiten ordnete Buck als Gemeinschafts- und Auf enthaltsräume ein, obwohl sie ihm verhältnismäßig klein erschienen. Wurden sie nur selten beziehungsweise nur von einem geringen Teil der Besatzung genutzt? Oder…? Oder dieses Raumschiff kommt mit wenig Besatzung aus, überlegte der Leutnant. Das würde auch die Einzelkabinen erklären. Je weniger Besat zung, um so mehr privaten Freiraum kann jeder für sich beanspruchen. Diese Vermutung verstärkte sich mehr und mehr. Zwar durch streiften da und dort Fußtruppen die Gänge und vereinzelt zogen Noid in Schwebern vorüber, doch man konnte nicht gerade sagen, daß es an Bord von ihnen nur so wimmelte. Buck schlußfolgerte daraus, daß der Raumer sehr hoch automatisiert sein mußte. Mög licherweise verrichteten Roboter die wichtigsten Arbeiten. Und weil er gerade so schön dabei war, zog er noch eine weitere Schlußfolgerung: Da man ihn und seine Begleiter im labyrinthartigen Schachtsystem der Klimaanlage bislang noch nicht entdeckt hatte – zumindest Kle Klenet hätte man per Infrarotortung längst ausma chen müssen –, wurde das Innere der Anlage scheinbar nicht über wacht. Somit war sie als Versteck geradezu prädestiniert. Kurts Hoffnung, unterwegs auf Maschinenräume oder die Zentrale zu stoßen, erfüllte sich nicht. Das Schiff war einfach zu riesig, um es
auf diesem ungewöhnlichen Weg komplett zu erkunden. Immer weiter drang das »Forschertrio« zur Außenhülle vor. Erst als es am Ende eines langen Schachts nicht mehr weiterging, klet terten die drei nach draußen – und kamen sich plötzlich vor wie im Schlaraffenland…
17. »Dan Riker ist in der Phase«, meldete Glenn Morris. »Na endlich. Herein damit!« Ren Dhark fiel ein Stein vom Herzen. Auch wenn die Einsatzgruppe noch nicht besonders lange wegge wesen war, gefiel es ihm nicht, überhaupt keinen Kontakt zu ihr zu haben. »Hallo, Dan, alles in Ordnung?« Sein Freund nickte. »Bei unseren Leuten schon, dafür gibt es ein paar andere Probleme, bei denen wir Hilfe benötigen.« Ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten, berichtete er, was sich seit dem ge strigen Tag ereignet hatte. »Diese worgunschen Geheimniskrämer!« brauste Arc Doorn auf, bevor Dhark zu einer Antwort ansetzen konnte. »Hört das denn niemals auf?« Der Sibirier hielt sich ebenso in der Kommandozent rale der POINT OF auf wie Chris Shanton mit seinem Roboterhund Jimmy, der ausgestreckt unter einem der Gliedersessel lag und scheinbar desinteressiert vor sich hindöste. »Wo seid ihr jetzt?« fragte der ehemalige Commander der Plane ten. »Wir haben ein paar Kilometer außerhalb der Schutzzone, wie die Gedankensteuerung des Goldenen sie nannte, Position bezogen.« »Energieemissionen kommen jetzt wieder prima durch«, bestätigte Tino Grappa. »Wir haben sie in der Ortung. Es ist kein Problem, den Peilkoordinaten zu folgen. In ein paar Minuten können wir da sein.« Ren dachte kurz nach, dann sagte er: »Wir kommen runter, sam meln euch auf und fliegen danach das kurrgische Heiligtum an.« »Davon rate ich dringend ab«, warf Doorn ein, der am Checkmas ter verschiedene Berechnungen durchführte. Er schüttelte den Kopf, weil er mit den Ergebnissen nicht zufrieden war. »Ich bekomme keine eindeutigen Fakten.« »Die Fakten hat uns Riker eben genannt.« »Ich rede von diesem Kraftfeld, das sämtliche Energie lahmlegt«,
wehrte der Sibirier in seiner typisch mürrischen Haltung ab. »Wir konnten noch immer keine Erkenntnisse über seine Natur gewinnen, wir wissen nur, was es bewirkt. Ansonsten ist es uns unbekannt.« »Diesem Risiko solltest du die POINT OF nicht aussetzen«, schlug Riker in dieselbe Kerbe. »Wenn sie in die tote Zone einfliegt, wird es ihr vermutlich nicht anders ergehen als den Fahrzeugen der Kurr gen.« »Da sie aus worgunscher Produktion stammt, denke ich eher, daß ihr das Feld überhaupt nichts anhaben wird.« »Guter Einwand, aber was ist, wenn sich das Kraftfeld auch um Schiffe des eigenen Volkes einen feuchten Kehricht kümmert? Viel leicht schaltet es erst mal alles ab und fragt später.« Vor dem Instrumentenpult sitzend, verlor sich Dharks Blick in der Bildkugel, in deren Mitte sich der Planet abzeichnete. Es juckte ihm in den Fingern, dort unten selbst nach dem Rechten zu sehen, zumal ihn wurmte, daß er sich von Dan hatte breitschlagen lassen, die Ex pedition dieses Mal nicht persönlich anzuführen. »Was ist mit dem Intervallum? Schützt es uns nicht vor dem Kraftfeld?« Doorn fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch seine langen roten Haare. »Ich würde nicht drauf wetten. Ich darf gar nicht dran den ken, daß wir bei dieser Klosteranlage stranden und das Schiff nicht wieder flottkriegen.« Auch für Ren waren das keine erfreulichen Aussichten, trotzdem vertraute er auf die Fähigkeiten des Doppelintervalls. Und wenn er sich irrte? Er mußte den anderen zustimmen, das Risiko war einfach zu groß. Zunächst einmal mußte dieses Feld ausgeschaltet werden. »Für euch besteht keine Gefahr?« Riker verneinte. »Wir sind sicher. Es reicht, wenn ihr Flash mit Unterstützung schickt.« »Sagte da eben nicht jemand, das Kraftfeld könnte womöglich auch Schiffe der Worgun stillegen? Dann gilt das aber nicht nur für die POINT OF, sondern ebenso für Flash.«
»Aber die kriegen wir im Ernstfall leichter wieder da unten weg. Außerdem wissen wir dann definitiv Bescheid.« Die zahlreichen Unwägbarkeiten gefielen Dhark nicht sonderlich, aber anscheinend hatte er keine andere Wahl, als es mit den Flash zu versuchen. »Ich stimme ebenfalls für die Flash, Dhark, und ich werde fliegen«, sagte Doorn, als hätte er die Gedanken des Commanders gelesen. Er machte Anstalten, sich aus seinem Sessel zu erheben. »Außerdem schlage ich vor, daß Shanton mich begleitet.« Eine logische Wahl, fand Dhark. Das Technikgenie und der Com puterexperte. Nach rein formalen Gesichtspunkten hätte er nicht anders entscheiden können, trotzdem ärgerte er sich, daß ihm selbst damit zum zweiten Mal den Wind aus den Segeln genommen wurde und ihm nichts anderes übrigblieb, als mit der POINT OF im Orbit zu verweilen. »Dann ist also endlich Schluß mit Lamentieren.« Als hätte er nur auf diesen Moment gewartet, gähnte Jimmy vernehmlich und kroch unter dem Sessel hervor. »Aber ohne mich geht gar nichts.« »Du bleibst schön hier«, polterte Doorn. »Das fehlt noch, daß ich mich da unten wieder um dich kümmern muß.« »Um mich kümmern? Du?« Entrüstet schaute sich der Robothund unter den anwesenden Mitgliedern der Zentralebesatzung um. »Muß ausgerechnet ich mir so etwas sagen lassen? Umgekehrt wird eher ein Schuh draus. Vielleicht setzt dieses Feld ja auch den Dicken matt, und ich muß mich dann um euch beide kümmern.« »Eher schaltet es deine verrostete Elektronik ab«, nuschelte der schwergewichtige Erbauer der solaren Ast-Stationen. Er wuchtete sich von seinem Sitzplatz in die Höhe. »Bleib liegen, Köter, schließ lich hat der Commander noch keine Entscheidung getroffen.« »Doch, er hat.« Ren winkte Jimmy aufmunternd zu, dessen Opti ken auf ihn gerichtet waren. Dann sah er nacheinander Doorn und Shanton an. »Meine Herren, Sie starten unverzüglich mit zwei Flash und schließen sich unseren Leuten an der Planetenoberfläche an.«
Der nachgebildete Scotchterrier kläffte vergnügt, denn natürlich bedeutete das, daß er ebenfalls mit von der Partie war. Als erster trollte er sich aus der Zentrale zu den Flashdepots. Wenig später jagten zwei der zylinderförmigen Beiboote von den Startrampen dem Planeten entgegen. * Dan Riker spürte die Enttäuschung der Theiner, als sich die beiden Flash näherten. Viel lieber wäre ihnen gewesen, das große Ringschiff zu sehen, deshalb war er froh, daß Endems Leute seinen Rat an Dhark nicht mitbekommen hatten, statt der POINT OF lediglich Flash zu schicken. Die beiden Beiboote gingen bei den Fahrzeugen der Kurrgen nie der und landeten auf ihren spinnbeindünnen Auslegern. Gleich darauf meldete sich Arc Doorn. Wie es zuweilen seine Art war, ver zichtete er auf eine umständliche Begrüßung, sondern kam sofort auf das Wesentliche zu sprechen. »Shanton und ich fliegen gleich zur Klosteranlage weiter. Wir brauchen nur noch ein paar nähere Informationen, bevor wir star ten.« »Nicht nötig. Die bekommen Sie unterwegs«, hielt ihm Riker ent gegen. »Artus und ich werden Sie begleiten. Wir nehmen die beiden freien Plätze an Bord der Flash.« »Unmöglich«, wehrte der Sibirier ab. »Shanton und ich haben kei ne Schutzanzüge dabei. Also können wir die Flash nicht öffnen, ohne daß augenblicklich Strahlung eindringt. Ich fürchte, Sie müssen hier warten, bis wir zurückkommen, Dan.« Riker glaubte sich verhört zu haben. Die beiden Männer hatten von der Strahlung gewußt, daher war ihre Unterlassung nicht zu ent schuldigen. Er legte die Stirn in Falten, sparte sich aber eine Zu rechtweisung, weil sie nichts mehr gebracht hätte. Die einzige Mög lichkeit, die beiden Techniker doch noch zu begleiten, war, sie noch
einmal zur PO zurückzuschicken, damit sie sich die notwendigen Strahlenschutzanzüge holten, aber das bedeutete noch mehr Zeit aufschub. Zähneknirschend wollte er ihnen den Befehl zum Auf bruch geben, als sich ein Mann von Endems Besatzung zu Wort meldete. »Unsere Geräte zeigen andere Werte als gestern«, verkündete er ungläubig. »Draußen wird keine Strahlung angezeigt.« Endem überzeugte sich selbst und bestätigte die Meldung. »Aber wie ist das möglich?« Erleichtert lächelte Dan. Für die veränderten Verhältnisse gab es nur eine Erklärung. »Der Hyperkalkulator des Heiligtums hat die strahlensichere Zone etwas ausgedehnt.« Sekunden später meldete sich Chris Shanton. »Ich habe es nach geprüft. Wir haben die gleichen Ergebnisse. Sie können ungefährdet aussteigen und zu uns herüberkommen.« Riker fragte sich, wieso der Rechner des Goldenen das getan hatte. Offenbar hielt er die Expedition noch immer im Auge und verfolgte jeden ihrer Schritte. Jedenfalls wollte er ihr nicht schaden, vielmehr sah seine Handlungsweise nach einer weiteren Einladung aus – die Dan sich auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Nur um dann wieder mit der Sturheit des Hyperkalkulators konf rontiert zu werden? In welchen Parametern dachte der? Ein Mensch hätte sich vielleicht aus Vergnügen so verhalten, aber doch nicht das technische Wunderwerk der Worgun. Riker kam eine eigenartige Idee. Hatte sich womöglich durch die Anwesenheit von Doorn und Shanton etwas verändert? Doch was hatten die beiden Männer, das den Rechner so beeindruckte, was er nicht hatte? Er schüttelte den irritierenden Gedanken ab und ver suchte sich weiszumachen, daß der Meinungsumschwung des Rechners vielmehr mit dem Eintreffen der Flash zu tun hatte. Ob wohl er nicht einmal auf die Präsenz der POINT OF reagierte? Nein, es mußte eine andere Lösung hinter diesem Rätsel stecken. Er hatte das untrügliche Gefühl, irgend etwas zu übersehen, was dem Hy
perkalkulator nicht entging. »Vielleicht spielt er mit uns«, murmelte Dan. »Erstmal abwarten, ob wir mit den Flash überhaupt in die tote Zone gelangen oder nicht auch gleich steckenbleiben.« Auf Endems Anweisung öffnete einer der Kurrgen das Fahrzeug. »Wir warten draußen auf Ihre Rückkehr, Riker. Währenddessen wird einer meiner Leute ständig die Geräte beobachten. Es gibt keine Garantie, daß sich die Verhältnisse nicht wieder ändern.« »Gute Vorsichtsmaßnahme«, befand Riker. Hinter dem Kapitän kletterten er und Artus ins Freie. Brack, Hornig und Häkkinen waren nicht begeistert, daß sie bei dem zweiten Vorstoß nicht dabei sein konnten. »Warum mußte dieser blöde Bardof mit seinen Plattformen auch gleich wieder umkehren?« beschwerte sich der Fähnrich. »Der Priester fühlt sich außerhalb von Zurranga nicht wohl«, wies ihn Endem zurecht. »Er hat gelobt, sein Leben dort zu verbringen, deshalb war sein Rückflug richtig und verständlich.« Die verdeckähnlichen Oberseiten der Flash hatten sich ebenfalls geöffnet, und Doorn und Shanton waren für eine kurze Audienz ins Freie geklettert. Der Roboterhund Jimmy folgte dem Ingenieur an hänglich wie eine lebendige Ausgabe seiner selbst. »Da beschwert der Dicke sich, auf mich aufpassen zu müssen«, plapperte er, kaum daß er Artus sich nähern sah, »dabei ist es doch dieses Gerippe, das ständig kontraproduktive Eigeninitiative er greift. Wenn mich jemand fragen würde…« »Das tut aber keiner«, fiel ihm Shanton mit einem Augenzwinkern in Richtung des Roboters ins Wort. »Zeig mal ein wenig Respekt vor höhergestellten Wesen.« »Respekt?« Jimmy klang empört. »Du ziehst dieses Stahlgerippe dem treuesten Freund des Menschen vor? Erinnere dich mal daran, wie oft ich dir die Haut gerettet habe.« »Wahrscheinlich nicht halb so oft, wie du sie Shanton beinahe ge kostet hättest«, bemerkte Artus trocken.
»Wohl wahr«, seufzte der Ingenieur vernehmlich. »Wenn ich dich nach jeder deiner Eskapaden abgeschaltet hätte, hätte ich längst Schwielen an den Fingern.« »So ist das also. Dabei liegt meine Intelligenzwerdung viel länger zurück als seine.« Das Brikett auf Beinen, wie der Robothund zu weilen despektierlich genannt wurde, rollte auf Artus zu und blieb vor seinen stählernen Füßen stehen. »Er hingegen kommt mir immer noch vor wie die unbefleckte Empfängnis.« »Jimmy!« stieß Riker aus. »Es reicht!« Bis heute war nicht klar, ob Shantons Schöpfung tatsächlich bereits zu einer echten Künstlichen Intelligenz geworden war oder weiterhin lediglich ihren – wenn auch sich selbst erweiternden – Programmen gehorchte. Jedenfalls war dies weder der Ort noch die Zeit für ein solches Geplänkel. »Ich begleite Chris Shanton«, forderte Artus spitz. »Vielleicht kann ich die Flugzeit dazu nutzen, eine gewisse veraltete Hardware auf neuen Stand zu bringen.« Jimmy stieß einen ungläubigen Laut aus und drehte Artus das Hinterteil zu. Für einen Moment hob er provozierend eines seiner Hinterbeine, ließ es aber wieder sinken, bevor es zum Äußersten kam, und rollte zu Shantons Flash zurück. »Wir brechen auf«, brachte Riker gepreßt hervor. »Bevor es zum Krieg der intelligentgewordenen Maschinen kommt.« Shanton fühlte sich mal wieder von seiner Schöpfung blamiert und zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, während Doorn sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Der Sibirier und Riker gingen an Bord des einen Flash, während Jimmy von seinem Konstrukteur und Artus begleitet wurde. * Rücken an Rücken hockten die beiden Männer vor den halbkreis förmigen Instrumentenpulten. Riker überließ Doorn weiterhin die Steuerung des drei Meter langen Beiboots. Der Sibirier flog es mit
minimaler Geschwindigkeit, wobei er es über die Gedankensteue rung instruierte. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, kommentierte er, ohne die Anzeigen aus den Augen zu lassen. »Wenn wir runterkrachen, wird es eine weiche Landung.« Jeden Moment erwartete Riker Ausfallerscheinungen im Antrieb, doch nichts geschah. Also akzeptierte der Hyperkalkulator des Goldenen die Annäherung der Flash. »Ich sehe das als Bestätigung dafür, daß der Rechner Worgun technik passieren läßt. Wenn Not am Mann ist, können wir also die POINT OF herbeirufen.« Riker nickte nachdenklich. Das war zwar eine positive Erkenntnis, aber eine solche Option wollte er trotzdem nicht unbedingt wahr nehmen, zumal die POINT OF auch nichts hätte zusätzlich ausrich ten können. Außerdem erinnerte er sich daran, daß der Hyperkalkulator des Goldenen den Kontakt mit ihr verweigert hatte. Wenn Riker diesen Gedankenfaden weiterspann, kam er immer wieder zu dem gleichen verwirrenden Ergebnis. Es liegt nicht an der Technologie der Worgun, sondern an Doorn und Shanton. Sah der Rechner in ihnen geistesverwandte Besucher, denen er gewogener war als allen anderen? Doch wie kam er dann zu einer solchen Beurteilung, ohne die beiden Männer zu kennen? Dan spielte mit dem Gedanken, den Sibirier auf seine Schlußfolgerung anzusprechen, unterdrückte den Impuls aber, weil er sich nicht sinnvoll begründen ließ. »Ich habe gerade versucht, Funkkontakt zur POINT OF aufzu nehmen«, drängte sich Doorns Stimme in seine Gedanken. »Nichts zu machen. Der hiesige Hyperkalkulator will nicht, daß wir mitei nander kommunizieren.« Zumindest daran hatte sich also nichts geändert, auch wenn das ebenfalls keinen Sinn ergab. Riker sah ein, daß es nichts brachte, sich
über die Macken des Elektronikgehirns des Goldenen den Kopf zu zerbrechen. Sämtliche kleinen Geheimnisse der Worgun würden sie wahrscheinlich zeit ihres Lebens nicht aufklären. Womöglich hätte ihnen Gisol weiterhelfen können, aber zu dem ehemaligen Rebellen der Mysterious gab es seit der Rückkehr aus Orn vor knapp drei Jahren leider ebenfalls keine Kontaktmöglichkeit mehr. Doorn erhöhte die Geschwindigkeit, und der zweite Flash hielt mit. Bis zum Zurranga-Kloster kam es zu keinen Zwischenfällen. Die beiden tankähnlichen Beiboote landeten auf der unbebauten Fläche vor der Kurrgenstatue, wo Bardof sie bereits erwartete. Die Lei chenbittermiene, die Shanton beim Aussteigen zog, verriet Riker, daß ihm Artus und Jimmy mit ihrem Gefetze den Rüg wohl zur Hölle gemacht hatten. Jetzt hielten sich beide zurück, als sei nichts geschehen, und Dan verzichtete darauf, durch Nachfragen weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Als sie alle im Freien waren, wurden sie euphorisch von Bardof begrüßt. Trotz Rikers Versprechen hatte er nicht mit so vielen Gästen auf einmal gerechnet und war entsprechend aufgeregt, als er seinen Besuchern nach einer kurzen gegenseitigen Vorstellung zum Hy perkalkulator unter der Statue folgte. Besonders intensiv beobachtete er Artus, dessen äußeres Erscheinungsbild er ebenso faszinierend fand wie den kleinen Vierbeiner, der offensichtlich eine Art Tier war, aber dennoch über Intelligenz verfügte und die selbe Sprache be herrschte wie alle anderen. Diesmal benutzten sie gleich den Eingang am Sockel des Goldenen, statt wieder den Weg durchs Kloster und die Katakomben zu wäh len. Für die peripheren Räume und deren Einrichtung hatten Doorn und Shanton nur beiläufige Blicke übrig, sie waren vor allem an dem Rechengehirn interessiert. »Das Ding werden wir schon knacken«, behauptete Shanton, während er die Bedienungseinrichtungen des Hyperkalkulators in Augenschein nahm und das Gerät kurzerhand einschaltete. »Was haben Sie schon daran gemacht?« fragte er, ohne von den
Sensorfeldern aufzusehen, denen er gedanklich bestimmte Funktio nen zuordnete. »Sieht alles nicht sonderlich kompliziert aus. Jeden falls nicht anders, als wir es gewohnt sind.« »Damit hatte ich auch keine Schwierigkeiten«, antwortete Riker. »Ich bin erst an den internen Sperren gescheitert.« Er erklärte den beiden Technikern, wie er vorgegangen und wie weit er gekommen war. »Soweit es sich um allgemeine Rechenoperationen handelt, macht die Gedankensteuerung keine Schwierigkeiten, aber sobald man weitergeht, blockt sie ab.« »Was erst noch zu beweisen wäre«, brummte Doorn. »Ihre Fähig keiten in allen Ehren, Riker, aber ich bin sicher, daß wir diese Kiste knacken.« »Es wäre vielleicht sinnvoll…« »Sinnvoll ist vor allem, uns in Ruhe arbeiten zu lassen. Wir versu chen zunächst eine vollständige Diagnose«, fiel ihm Shanton ins Wort, wobei er sich gedanklich bereits durch das Innere des Rech ners wühlte. »Aber dazu brauchen wir Ruhe. Jede Störung oder Einmischung kostet nur unnötig Zeit. Ich bitte alle Anwesenden, sich entsprechend zu verhalten.« Riker blähte die Lippen auf und zog sich zurück, während sich die beiden Koryphäen in die Arbeit stürzten. So kannte er Doorn und Shanton. Wenn sie sich in ein Problem verbissen, vergaßen sie alles andere darüber – zuweilen auch Freundlichkeit und Manieren. Das Beste war, ihnen dann nicht in die Quere zu kommen, also hielt er sich aus ihren Überlegungen heraus. Beiläufig registrierte er, daß sich Artus und Jimmy in der Gegen wart des Priesters auf einem gesitteten Niveau unterhielten und ihre Verbalinjurien zumindest vorübergehend eingestellt hatten. »Ist das langweilig«, beschwerte sich Jimmy statt dessen. »Wenn der Dicke einmal in seinem Element ist, bemerkt er nicht mal das Ende der Galaxis.« »Anscheinend habe ich mich geirrt«, flüsterte Bardof Riker zu. »Anfangs hielt ich Ihren Vierbeiner für ein Tier, aber seine Hand
lungsweise läßt mich vermuten, daß es sich bei ihm um eine ähnliche Maschine wie Artus handelt.« »Aber ich bin eine intelligente Maschine«, wehrte sich Artus. »Und selbst das nur noch äußerlich. In Wahrheit bin ich längst ein Lebe wesen.« »Genau wie ich«, stimmte Jimmy zu. »Außerdem gehöre ich nie manden, nicht mal dem Dicken.« »Das würde ich auch nicht gern«, scherzte Artus, womit er dem Robothund ein amüsiertes Lachen entlockte. »Das will sicher keiner. Genau so geht es ihm auch mit den Frauen. Deshalb ist seine beste Freundin ja auch eine Cognacflasche.« Riker verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Immerhin stritten sie sich nicht mehr, sondern hatten scheinbar den gleichen etwas unpassenden Humor. »Ich entschuldige mich«, wandte sich Bardof an die beiden küns tlichen Geschöpfe. »Meine Einschätzung als Maschine sollte keine Beleidigung sein. Im Gegensatz zu den Robotern des Heiligtums habt ihr beide errma.« »Seele«, klärte Artus, der den Begriff schon von Endem kannte, den Vierbeiner auf. »Stimmt«, pflichtete Jimmy begeistert bei. »Deshalb ist mir ja auch langweilig, Bardof. Was die beiden da treiben, kann doch kein nor maler Mensch mit ansehen – und auch kein anderes Lebewesen. Können wir nicht irgendwas anderes tun?« »Ich könnte euch das Kloster zeigen«, bot sich der Priester über schwenglich an, und Artus und Jimmy stimmten begeistert zu. Riker sah ihnen erleichtert hinterher, als sie mit Bardof den Raum verließen. So lieferten sie Doorn und Shanton, die völlig in ihren Untersuchungen versunken waren, wenigstens keinen Grund, sich zu beklagen. *
Stumm beobachtete Riker die beiden Männer, die die zugänglichen Dateien des Hyperkalkulators sichteten. Entgegen Shantons Ankündigung waren sie bisher nicht viel wei ter als er. Gelegentlich fluchte Doorn unterdrückt, wenn sie einen scheinba ren Teilerfolg errungen hatten, aber im nächsten Moment schon wieder auf eine Barriere stießen. Zugriff verweigert. Bitte Autorisation beibringen. Dan zählte nicht mehr mit, wie oft die Gedankensteuerung ihre stereotype Aufforderung wiederholte. Ihm lag eine spitze Bemerkung auf der Zunge, aber er verschluckte die Worte. Auch wenn Shanton und Doorn zeitweise ratlos wirkten, taten sie, was sie konnten. Vorwürfe waren sicher nicht angebracht. »Ein Fehlschlag nach dem anderen.« Shanton hob einen seiner keulenartigen Arme und ließ die geballte Faust auf die Verkleidung krachen. »Das Ding ist verdammt gut gesichert. Ich wette, den kriegt nicht einmal ein Worgun höchstpersönlich geknackt. Da haben die Kerle sich selbst überlistet.« Der Sibirier winkte verächtlich ab. »Nur nicht aufgeben. Versuchen wir es eben auf einem anderen Weg.« »Ich habe auch schon eine Idee.« Der übergewichtige Terraner gab eine Reihe von Suchalgorithmen ein, die immerhin eine Liste von Querverweisen ergaben. Dabei ging er auf eine Weise vor, wie sie normalerweise kein Mensch anwenden würde: Er dachte quasi um mehrere Ecken. Riker begriff nicht wirklich, was er tat, aber er hütete sich, Zwi schenfragen zu stellen. Er hatte den Eindruck, daß die Zeit stillstand, weil nichts bei den verzweifelten Bemühungen der beiden Männer herauskam. Schweiß zeichnete sich in Shantons vor Aufregung ge rötetem Gesicht ab. »Da hol mich doch der Teufel!« entfuhr es Arc Doorn plötzlich. »Erst findest du stundenlang nichts und dann gleich diesen Knaller.« »Was haben Sie entdeckt?« fragte Riker entgegen seiner ursprüng
lichen Absicht. »Eine zugängliche Datei. Sie war hinter mehreren anderen ver steckt, und ohne Chris’ unkonventionelles Vorgehen hätten wir sie nie gefunden.« Er machte eine fahrige Geste, die sein Unverständnis ausdrückte. »Seltsamerweise ist sie nicht speziell gesichert, sondern läßt sich aufrufen.« Shanton stieß einen überraschten Pfiff aus, als er den Namen der Datei las. »Arlon! Moment, das haben wir gleich.« Riker war elektrisiert von der Bezeichnung. Arlon war der goldene Salter, den man unterhalb des Vitrinensaals auf Babylon gefunden hatte. Daroks Bericht ging ihm durch den Kopf, demzufolge sich Arlon vor mehreren tausend Jahren auf die Suche nach den goldenen Göttern der Worgun gemacht hatte. Er war einer verheißungsvollen Spur gefolgt, aber nach einem Jahr zurückgekehrt, gesichtslos und tot, doch nicht verwest und dazu ebenso golden wie sein Schiff. Man konnte nur mutmaßen, daß die Balduren ihm das aus einem unbe kannten Grund angetan hatten. Vielleicht schätzten sie es nicht, daß irgendwer ihnen nachjagte. »Können Sie die Datei öffnen?« »Bin schon dabei«, antwortete Shanton mit heiserer Stimme, um gleich darauf einen triumphierenden Schrei auszustoßen. »Ich habe es doch gesagt. So, schon passiert.« Zur allgemeinen Verblüffung enthielt die Datei die Flugdaten des Hyperkalkulators von Arlons vergoldetem Schiff. So sensationell die Entdeckung war, so unverständlich war auch sie. »Wie kommen diese Daten ausgerechnet hierher?« Riker trat zu den beiden Männern. »Darüber können wir uns später den Kopf zerbrechen. Wichtig ist, daß es uns gelingt, sie zu sichern.« »Wie ich bereits sagte, äußerst seltsam«, wiederholte sich Doorn. »Gut versteckt, aber nicht zusätzlich gesperrt. Wir können eine Ko pie in einen der Flashspeicher überspielen.« Mit hastigen Bewegun gen nahm er eine Reihe von Schaltungen vor, die die drahtlose Übertragung einleiteten, dann nickte er zufrieden. »Es gibt keinen
Widerstand seitens der Gedankensteuerung.« »Was wir nach den bisherigen Erlebnissen aber eigentlich von ihr erwarten müßten.« Shanton schien von seinem eigenen Erfolg nicht recht überzeugt zu sein. Er legte die Stirn in Falten und kratzte sich an seiner Halbglatze. »Die spielt doch mit uns.« »Wozu sollte sie das tun? Entweder kooperiert sie, oder eben nicht.« »Dann stellt sich zwangsläufig eine andere Frage. Hat auch Kor Trane diese Daten erhalten? Wenn er auf die Arlon-Datei gestoßen ist, hat er sie womöglich manipuliert und schickt uns in den entle gensten und unwichtigsten Winkel der Milchstraße.« Der Sibirier wandte sich mit dem Einwand direkt an die Gedan kensteuerung. Kor Trane war sehr geschickt und hätte mich beinahe überlistet, ant wortete der Hyperkalkulator. Seine Antwort klang beinahe belustigt und erinnerte an ein menschliches Lachen. Doch ich habe ihn durch schaut und ihm nur den ersten Teil der Datei ohne die dazugehörige War nung gegeben. Es ist seine eigene Schuld, wenn er in eine Falle geflogen ist. Inzwischen war Artus mit Bardof und Jimmy zurückgekehrt und hatte die letzten Worte gehört. »Ich habe die Datenübertragung mitbekommen, aber ich traue ihr nicht. Wieso sollte sie nicht eben falls eine Falle enthalten wie bei Kor Trane?« Eine merkwürdige Frage, meldete sich der Hyperkalkulator wieder gedanklich. Kor Trane war ein unbefugter Eindringling, doch diesmal gebe ich die Information an einen Worgun weiter. An einen Worgun? Artus, der die Aussage als erster verarbeitete, wollte nachhaken und den Rechner zur Rede stellen. Doch als er sah, wie Arc Doorn für den Bruchteil einer Sekunde eine eigenartige Grimasse schnitt, sich aber sofort wieder gleichgültig gab, schwieg er. Riker war nicht weniger verwirrt. Offenbar hatte der Hyperkalku lator einen Defekt, und wenn er genauer darüber nachdachte, war es sogar ein Wunder, daß er überhaupt noch funktionierte.
»Sämtliche ungeschützte Technologie der Worgun in der Milchstraße wurde durch den galaxisweiten Hyperraumblitz zer stört. Wieso bist du noch funktionstüchtig?« Wenn auch nur zu einem Teil, ansonsten würdest du keine derart irrwitzige Behauptung von dir geben. Ohne auf den Zusatz einzugehen, antwortete die Gedankensteue rung: Mir drohte keine Gefahr, da das Schutzfeld um den heiligen Bezirk der Kurrgen ein modifiziertes Intervallfeld ist, dessen Schutzwirkung aus reichte, um mich vor Zerstörung zu bewahren. Die Erklärung klang einleuchtend, fand Riker. »Shanton, ist der Datentransfer abgeschlossen?« »Ist längst komplett. Der Checkmaster wird begeistert sein, wenn wir ihm die Daten zugänglich machen.« »Nicht nur der.« Ren Dhark würde es nicht anders ergehen, weil es mit den Flugdaten von Arlons Expedition endlich eine konkrete Spur zu den geheimnisvollen goldenen Göttern gab. Mit einem Mal hatte er es eilig, den Ringraumer wiederzusehen. »Meine Herren, unserem Aufbruch steht nichts mehr im Wege.« »Schade«, bedauerte Jimmy und stupste den Hüter der Klosteran lage mit seiner Schnauze an. »Nicht traurig sein, vielleicht ist es ja kein Abschied für immer.« Dan wandte sich an den Priester und dankte ihm für seine Gast freundschaft und Hilfsbereitschaft. »Es war mir ein Vergnügen«, wehrte Bardof ab. »Besuchen Sie mich jederzeit wieder, wenn Sie wollen.« »Das werden wir sehr gern tun, wenn es uns wieder einmal hierher verschlägt«, plapperte Jimmy an Rikers Stelle. Er hatte den alten Kurrgen anscheinend in sein elektronisches Herz geschlossen. »Es gibt noch eine Menge Dinge in Zurranga, über die ich gern mit dir reden würde. Auch über errma, Artus’ und meine Seele.« »Liebe Güte«, stöhnte Shanton auf. »Hoffentlich wird er nicht zu allem Überfluß auch noch esoterisch.« Bardofs Besucher verabschiedeten sich und begaben sich zu ihren
Flash, die wenig später von der Planetenoberfläche starteten.
18.
Wenn man zwei bis drei Tage nichts gegessen hatte, abgesehen von einem staubtrockenen Etwas, das einem quasi als Henkersmahlzeit gereicht worden war, stürzte man sich normalerweise auf alles Eß bare, das man in die Finger bekam. Kurt Buck zog es jedoch vor, die fremdartigen Speisen, die ihnen ein gütiges Geschick zu Füßen ge legt hatte, mit dem Analysegerät aus seiner Anzugtasche gründlich zu überprüfen. Seine beiden Begleiter warteten geduldig ab, bis er damit fertig war – was ihnen äußerst schwerfiel, denn all die Köstlichkeiten, die hier in langgestreckten Wandregalen aus Metall lagerten, sahen wirklich zu verführerisch aus. Ganz offensichtlich waren Buck, Ho und Klenet im Vorratslager für die Bordküche gelandet, ein Platz, an dem man gern mal eine Rast einlegte, am liebsten für mehrere Wochen. Regale mit frischen und konservierten Lebensmitteln aller Art verteilten sich über drei Wände; die vierte blieb frei, dort befand sich die geschlossene Aus gangstür, eine schwere, aber glücklicherweise unverriegelte Metall tür. Kle Klenet beschnupperte mehrere verschiedenfarbige Flüssigkei ten, die sich in langen, schlanken Glasbehältern befanden. »Wenn das Zeug so schmeckt wie es duftet…« murmelte er, wagte es jedoch nicht, davon zu trinken, bevor der terranische Leutnant seine Analysen beendet hatte. Um sich von den Nahrungsmitteln in den Regalen abzulenken, betastete Yo Ho die Wand links von der Tür, wieder einmal auf der Suche nach verborgenen Sensorschaltern. Ohne daß er es merkte, berührte er einen Auslöser. Zu seinem Erstaunen öffnete sich die Wand einen Spalt, und ein runder Metalltisch kam zum Vorschein, mit einer geräumigen Ar beitsfläche zum Verarbeiten und Zubereiten von Speisen.
Der Koch wurde gleich mitgeliefert. Auf dem Tisch hatte man ei nen Roboter festmontiert, genauer gesagt, den Rumpf eines Robo ters, ohne Kopf, dafür aber mit mehreren Armen. Er hielt verschie denartige Messer, gabel- und löffelähnliches Besteck, unterschiedlich große Suppenkellen sowie einige undefinierbare Küchengeräte in den Metallklauen. Der Schütze schickte den Tisch zurück nach dorthin, wo er herge kommen war, und begab sich auf die rechte Seite neben der Tür. Diesmal fand er auf Anhieb einen Schalter. Aus der Wand schob sich ein etwa manngroßer Rollenhalter mit Alufolie, beziehungsweise einem Material, das wie Alufolie aussah. Während Ho die große Folienrolle wieder verschwinden ließ, be endete Kurt Buck seine Untersuchungen. »Hätten Sie mir geholfen, Ho, wäre es schneller gegangen«, tadelte er den Nachwuchsgardisten. Yo Ho hörte ihn unter dem Helm nicht. Die beiden hatten sich bislang noch nicht wieder zusammengestöpselt. Das Spiralkabel steckte in komprimierter Form in einer von Yo Hos Anzugtaschen. Buck machte ihn und Klenet auf sich aufmerksam und deutete per Handzeichen auf die Lebensmittel, die genießbar waren: seltsam geformte Früchte, getrocknete Fleischstücke, rohes unbekanntes Gemüse, irgend etwas Matschiges aus einer viereckigen Konser vendose… Alles andere hatte der Analysator als unbekömmlich eingestuft. Das handliche Gerät war zwar auf menschliche Belange ausge richtet, doch was terranische Mägen vertrugen, konnte üblicherweise auch ein Utare verzehren. In dieser Hinsicht war ihr Volk hart im Nehmen. Wenn es etwas gab, das noch grausamer war als utarische Musik, dann war es utarisches Essen, hieß es auf der Erde. Einige terranische Gourmets behaupteten allerdings, es würde weitaus besser schmecken als es aussah. Kurt und Yo hatten ihre Helmvisiere hochgeklappt, um essen zu können. Bisher hatte man sie nicht aufgestöbert, das gab ihnen ein
Gefühl trügerischer Sicherheit. Offenbar war das Überwachungs system der RUGA lückenhaft und erfaßte nicht jeden Winkel an Bord. Dennoch wurde die Mahlzeit vorsichtshalber schweigend eingenommen. Yo Ho hatte den Eindruck, daß alles, was er ganz besonders lecker fand, von Buck »auf den Index« gestellt worden war, während die genehmigten Speisen mit Sicherheit schon mal bessere Tage gesehen hatten – dem Geruch nach im vorletzten Jahrtausend. Vor allem bei den Getränken machte sich das bemerkbar. Was lecker roch und auch so aussah, war angeblich reines Gift für den Körper. Hingegen sahen die als unbedenklich eingestuften Flüssigkeiten aus wie Re genpfützen, in denen kleine Kinder mit schmutzigen Gummistiefeln herumgetrampelt waren. Nichtsdestotrotz aßen und tranken alle drei mit größtem Appetit. Buck mußte sich eingestehen, daß er die Speisenanalyse ganz be sonders pingelig durchgeführt hatte. Beim geringsten Zweifel hatte er eine Aussortierung vorgenommen. Nur so konnte er sich hun dertprozentig sicher sein, daß die Flucht nicht unnötig durch Mon tezumas Rache verzögert wurde. Klenet steckte sich eine Handvoll geröstetes Kleingetier in den Mund und kaute darauf herum wie auf einem alten Lumpen. Er war sich sicher, daß diese Speise nicht von Spug stammte. Es gab auf dem Planeten, den die Utaren für sich beanspruchten, zwar einige wenige Sorten Insekten, doch solche waren nicht darunter. Die meisten Tiere auf Spug waren groß und gefräßig… Kle Klenet fragte sich, wie vielen Terranern diese Bestien inzwi schen den Garaus gemacht hatten. Ihm war das nur recht, schließlich hatte man sie unmißverständlich aufgefordert, wieder umzukehren und dem Planeten fernzubleiben. Andererseits: Hätten die Terraner die Utaren nicht gewarnt, wären die Greys völlig überraschend über das Ausgrabungslager hergefal len. Wahrscheinlich wäre kein einziger Utare mehr lebend nach Es maladan zurückgekehrt. Für einen winzigen Augenblick empfand
Klenet so etwas wie Dankbarkeit für seine Retter. Nach der Mahlzeit schickten sich die Männer an, die Vorratskam mer zu verlassen. Sie wollten draußen nach einem Weg zum Hangar suchen – Klenet, weil er annahm, man würde mit dem Absetzer von der RUGA fliehen, Buck und Ho, weil sie ihn zerstören wollten. Der Leutnant öffnete die Tür; glücklicherweise war sie unver schlossen. Die Entfernung vom Vorratsraum bis zum Anschluß an die langen Tunnelgänge betrug ungefähr zehn Meter. Dazwischen lag ein schmaler Verbindungsgang, etwa so breit wie der Türrah men. Yo Ho hatte ein ungutes Gefühl. Die Zehnmeterstrecke war wie geschaffen für einen Hinterhalt. Buck und er trugen ihre Helme weiterhin offen. Es nutzte ihnen eh nichts, sich rundherum zu »verpacken«, um IR-Abstrahlung zu ver hindern – weil in ihrer kleinen Gruppe eine »Hitzefackel« auf zwei Beinen mitmarschierte: Kle Klenet. Kurt Buck vernahm das Geräusch als erster. Ein Kettenfahrzeug näherte sich mit schallgedämpftem Antrieb. »Zurück!« rief er seinen Begleitern zu und machte auf dem Absatz kehrt. Noch im Laufen schaltete Kurt den Multikarabiner auf Rake tenwerferbetrieb um. Yo Ho tat das gleiche. Beide schlossen die Helme. Klenet lief mit ihnen mit. Auch er vernahm jetzt das unverkenn bare, verhältnismäßig leise Geräusch, das ihn schon im Hangar in Angst und Schrecken versetzt hatte. Zweifellos befand sich mindes tens ein Panzer im Tunnel. In seiner Panik drängelte er sich an den anderen vorbei, riß die Tür auf und rettete sich als erster in den Vorratsraum. Buck und Ho folgten ihm. »Tür zu!« rief Klenet auf Angloter – er kannte exakt sechs Wörter in dieser Sprache. »Wieso? Zieht es?« fragte Yo Ho, der selbst in brenzligsten Situa tionen immer ein Späßchen auf den Lippen hatte. Buck und er durchquerten den Türrahmen, blieben wie auf ein
geheimes Kommando stehen und drehten sich dann mit einer na hezu eleganten Bewegung um. Man hätte sie glatt für ein perfekt aufeinander eingespieltes Tanzduo halten können – wären da nicht die schußbereiten Karabiner in ihren Händen gewesen… Am Ende des Verbindungsgangs tauchte ein Kleinpanzer auf. Er richtete sein Hauptrohr aus und zielte auf die offenstehende Tür zur Vorratskammer. * Shanik Ventess war am Boden zerstört. Er war beim Kroc in Un gnade gefallen. Ausgerechnet bei der Festnahme der drei Diebe un ten im Hangar hatte er versagt. Zwei der schändlichen Verbrecher hatten sich ergeben und waren mit Betäubungsstrahlen außer Gefecht gesetzt worden. Der dritte hatte sich im Flugboot verschanzt und Widerstand geleistet. Dar aufhin hatte ein bewaffneter vierköpfiger Trupp das Boot gestürmt. Der Fremde hatte einen Energiestrahl auf die Schutztruppe abge feuert. Shanik hatte ganz vorn gestanden. Er hatte sich geduckt… … und der Schuß hatte seinen Hintermann erwischt: den Kroc. Ausgerechnet ihn, den »Vater« der Schutztruppe, von dem alle lernten, der immer für alle da war, der ein strenges, aber gerechtes Regiment führte. Es hätte Shanik eine Ehre sein müssen, ihn mit seinem Körper zu schützen – doch er hatte sich verhalten wie ein erbärmlicher Feigling. Selbstverständlich war der wehrhafte Fremde überwältigt worden. Und glücklicherweise hatte der Kroc nur leichte Verletzungen da vongetragen. Trotzdem hatte man den Vorfall dem obersten Norll gemeldet, und der hatte Shanik Ventess ohne Anhörung zur Schutz streife versetzt. Der allwissende Seldar Buuhul fackelte nie lange, wenn es einen Gesetzesbrecher oder sonstwen abzuurteilen galt. Shanik sah seine Verfehlung ein und akzeptierte das Urteil. Sich im Kampf für den Kroc zu opfern, wenn es vonnöten war, war nun
einmal höchste Pflicht eines jeden Rood – insbesondere für einen Geern-Rood, wie sich die privilegierten, auf dem Flaggschiff mitf liegenden Rood voller Stolz nannten. Nun gehörte Shanik nicht mehr zu ihnen. Man hatte ihn auf den Rang des Jungel zurückgestuft. Zwar war er noch immer auf dem Flaggschiff der stolzen, unbesiegbaren Flotte der Noid tätig und durfte sich deshalb offiziell als Geern-Jungel bezeichnen – aber wer konnte das schon korrekt aussprechen? Angehöriger der Schutztruppe zu sein war etwas ganz Besonderes. Der kleine, verschworene Haufen kam immer dann zum Einsatz, wenn irgendwo auf dem Schiff die erste Gefahrenstufe ausgerufen wurde. Dann hatte ihr Einsatz oberste Priorität, und alle an Bord hatten ihren Befehlen Folge zu leisten – außer dem obersten Norll und seinem Stab natürlich. Nur die Elite der Rood wurde in die Schutztruppe aufgenommen. Zur Schutzstreife hingegen kam man auch ohne besondere Bega bung. Hier arbeitete man nicht in der Gruppe, sondern meist allein. Normalerweise wurde der Streifendienst zu Fuß oder im Schweber versehen. Mittlerweile gab es aber auch zwei Panzerfahrzeuge bei der Schutzstreife, ausgesonderte Modelle der Schutztruppe zwar, aber noch bestens in Schuß. Da Shanik Ventess bis vor kurzem der Truppe angehört hatte, hatte man ihm einen der beiden Einmannschützenpanzer für seine Strei fenfahrten zur Verfügung gestellt. Bei ihm konnte man wenigstens sicher sein, daß er ihn nicht gleich kaputtfuhr. Es war den Angehörigen der Schutzstreife streng verboten, den Funk der Schutztruppe abzuhören. Shanik pfiff auf dieses Verbot. Er wollte unter allen Umständen zur Truppe zurück und wieder zu den angesehensten Mannschaftsmitgliedern der RUGA gehören, und dafür mußte er allen zeigen, was in ihm steckte. Vielleicht konnte er die Gunst des obersten Norll zurückgewinnen, indem er eine Hel dentat vollbrachte, zum Beispiel dem Kroc das Leben retten… Voller Interesse verfolgte Shanik am Funkgerät die aufregenden
Geschehnisse mit, die seit Beginn seiner heutigen Schicht das ganze Schiff schockierten: Die Fremden, die man wegen Diebstahls zum Tode verurteilt hatte, waren ihren Bewachern entkommen und zo gen seither eine Schneise der Verwüstung durch die RUGA. Eine Zeitlang waren sie spurlos verschwunden gewesen, aber jetzt hatte man sie wieder geortet: im Vorratsraum der Bordküche. Shanik konnte es kaum fassen – das war ganz in der Nähe des Haupttunnels, den er gerade mit dem Panzer befuhr! War das seine Chance? Hatte sein Schicksal das Mitleid von Silve, der unbere chenbaren Göttin des Glücks, geweckt? Reichte sie ihm ihre helfen den sieben Hände? Die Schutztruppe war bereits nach hierher un terwegs, doch er konnte schneller vor Ort sein… Wenig später hatte Shanik die Stelle erreicht, von der aus ein zehn Meter langer Verbindungsgang vom Tunnel zur Vorratskammer führte. Die Gesuchten hatten sein Panzerfahrzeug offenbar bemerkt, denn sie liefen davon. Shanik blieb im Tunnel stehen und richtete die Hauptwaffe seines Panzers auf den Zehnmetergang aus. Von hier aus konnte er die flüchtenden Diebe gar nicht verfehlen. Der Energiestrahl würde den gesamten vorderen Teil der Vorrats kammer hochjagen und die Fremden gleich mit. In diesem Augenblick rasten zwei Kleinstraketen direkt auf ihn zu. Krachend schlugen sie im Panzerfahrzeug ein…! * Kurt Buck und Yo Ho feuerten ihre Miniraketen fast gleichzeitig ab. Schnurgerade bahnten sie sich über zehn Meter hinweg ihren Weg und schlugen in den Kleinpanzer ein, noch bevor der Fahrer auch nur einen Schuß abfeuern konnte. Das Panzerschott öffnete sich. Ein aufgeregter Noid kletterte he raus und suchte voller Panik das Weite. Niemand hielt ihn auf. »Warum haben Sie ihn nicht getötet?« regte sich Kle Klenet auf. Buck schaltete den Translator ein. Yo Ho und er öffneten ihre
Helme. »Wozu habt ihr eure Karabiner?« schimpfte Klenet weiter. »Gebt mir eine Waffe! Wenn ich mich beeile, hole ich ihn noch ein.« »Wir schießen keinem Flüchtenden in den Rücken«, machte Buck ihm klar. »Jedenfalls nicht, wenn es nicht notwendig ist.« »Es ist aber notwendig!« meinte der aufgebrachte Utare. »Er wird Verstärkung holen.« »Die ist doch längst nach hierher unterwegs«, war Buck überzeugt. »Wahrscheinlich haben sie uns per Infrarotortung aufgespürt. Mög licherweise sind wir auch zu laut gewesen, trotz aller Vorsichts maßnahmen. Eine gute akustische Überwachungsanlage registriert und analysiert jedes leiseste Geräusch.« »Und selbst wenn außer dem Panzerfahrer bisher niemand wußte, wo wir waren, weiß man es spätestens jetzt«, fügte der Schütze hinzu. »Die beiden Einschläge im Fahrzeug dürften nicht zu über hören gewesen sein, und die Energieemission läßt sich leicht an messen.« Im Haupttunnel war inzwischen die automatische Löschanlage angesprungen und überschüttete den Gang mit Wassermassen. Buck schloß die Tür und schaute Yo Ho an. »Vorhin haben Sie aufgerollte Folie aus der Wand geholt, Schütze. Finden Sie den versteckten Schalter wieder?« Yo Ho nickte. Kurz darauf stand die große Folienrolle vor ihm. Buck fackelte nicht lange. Er suchte den Anfang der Rolle, zog daran und trennte mit dem Vibro-Kampfmesser ein langes, breites Stück ab. Dann ging er zu Klenet und legte ihm die Folienbahn um die Schultern. »Was soll das?« fragte der Utare und wollte das Teil wieder ab schütteln. »Das wird Ihr neues Kleid, Klenet«, sagte Buck. »Entweder wickeln Sie sich freiwillig darin ein, oder wir helfen Ihnen dabei.« »Und wozu soll das gut sein?« wollte Kle Klenet wissen. »Wozu wohl?« entgegnete Yo Ho, dem klarwurde, was der Leut
nant vorhatte. »Die Folie verringert Ihre IR-Abstrahlung, vorausge setzt, sie hüllen sich ordentlich ein. Außer dem Gesicht darf nichts freibleiben. Beine und Arme umwickeln wir extra.« Klenet war dagegen. »Kommt nicht in Frage! Wir gehen zurück in den Klimaschacht, dort sind wir sicher.« »Früher oder später suchen sie uns auch dort«, erwiderte Kurt Buck. »Sie werden jetzt verpackt, ob Sie wollen oder nicht. Das ist ein Befehl! Sobald wir damit fertig sind, gehen wir nach draußen. Von jetzt an halten Sie aus Sicherheitsgründen Ihren Mund, klar?« Um erst gar keinen weiteren Widerspruch aufkommen zu lassen, schaltete er den Translator wieder aus. »Mistkerl!« lautete das dritte von sechs Wörtern aus der terrani schen Sprache, das Klenet kannte. Buck verklebte ihm den Mund mit einem Stück Klebeband aus seiner Anzugtasche. * Nachdem Kle Klenet »versorgt« war, schlossen Buck und Ho ihre Helme und stöpselten die Drahtverbindung wieder ein. Dann stell ten sie ihre Karabiner erneut auf Projektilbetrieb um. Sie beeilten sich, nach draußen zu kommen. Den in Alufolie eingewickelten Utaren zogen sie mit sich. Schon im Verbindungsgang wurde den Gardisten klar, daß Klenet mit der Folie kaum laufen konnte. Dauernd stolperte er über seine eigenen Füße. Daraufhin packten sie ihn kurzerhand unter den Achseln, hoben ihn mühelos hoch und liefen los. Zu ihren Füßen spritzte das im Haupttunnel stehende Wasser auf. Gott sei Dank kam kein weiteres mehr von oben. Der Panzer war ausgebrannt, das Feuer erloschen, die Löschanlage hatte sich auto matisch abgestellt. »Hoffentlich treffen wir auf keine Noid«, sagte Yo Ho. »Ich bin es leid, diese kleinen Wesen zu töten. Wir wissen so gut wie nichts über
sie, bringen aber einen nach dem anderen um. Dabei sind es Ge schöpfe wie wir, wahrscheinlich mit ähnlichen Problemen. Nehmen wir beispielsweise den Panzerfahrer. Wir kennen weder seine Freu den noch seine Sorgen. Vielleicht ist er ein ganz netter Kerl – und Klenet wollte ihn grundlos töten.« »Hören Sie auf, sich Gewissensbisse zu machen, Schütze«, erwi derte Kurt Buck. »Andernfalls sind Sie untauglich für die Schwarze Garde. Auf jedes Leben, das wir auf unseren Einsätzen auslöschen mußten, kommen zahllose Leben, die wir gerettet haben.« »Ach ja, und wessen Leben haben wir auf diesem Schiff gerettet?« »Unsere. Ich weiß nicht, wie sehr Sie an Ihrem Leben hängen, mir steht meines jedenfalls am nächsten. Der Admiral hat uns zum Tode verurteilt, im Labor wollten uns alle ans Leder, und der ›nette Kerl‹ hat ebenfalls vorgehabt, uns ohne Rückfahrkarte ins Jenseits zu be fördern. Was hätten wir anderes tun sollen, als uns zu wehren?« Kurt und Yo blieben nicht im Haupttunnel, sie nahmen gleich die erste Abzweigung. Mit ihrer federleichten Last liefen sie durch zahllose Gänge und bogen wahllos in alle möglichen Richtungen ein. Diesmal merkten sie sich den Weg nicht. Es war egal, wo sie am Ende herauskamen, sie wußten sowieso nicht, wo genau sie waren. Kein einziger Noid begegnete ihnen. Offenbar waren sie für die Bordsysteme tatsächlich nicht mehr vorhanden. Hinzu kam, daß sich die Besatzung großzügig über den Siebenhundertmeterraumer ver teilte. Demnach war die Anzahl der Besatzungsmitglieder entweder zu klein oder das Schiff zu groß – alles im Leben war relativ. Unwillkürlich kam Buck der Vergleich mit einer Einkaufstasche voller Flöhe in den Sinn. Schüttete man diese in einer Zweieinhalb zimmerwohnung aus, war das für die Bewohner eine Katastrophe. Kippte man den Inhalt der Tasche jedoch in die Wüste, verstreute sich die muntere Flohschar bald in alle Winde. Da der Schiffsbetrieb automatisch aufrechterhalten wurde, fragte sich Kurt, welchen Beschäftigungen die Mannschaft eigentlich nachging. Er vermutete, daß die meisten von ihnen im Sicherheits
bereich tätig waren. Dieser Gedanke amüsierte ihn. Bewachten sie sich etwa alle gegenseitig? Und wie lange würde es dauern, bis auch diese Stellen von Robotern besetzt wurden? Erst jetzt wurde Buck so richtig bewußt, daß er an Bord der RUGA bislang noch keinem Roboter begegnet war – mit Ausnahme der festmontierten Küchenhilfe, die Yo Ho im Vorratsraum kurz her vorgeholt hatte. Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ihnen ein massives, großes Panzerschott den Weg versperrte. »Verdammt!« fluchte er unbeherrscht in seinen Helm. Auf seine Anweisung hin setzten Ho und er den in Folie eingewi ckelten Klenet ab. Sie lehnten ihn einfach an die Tunnelwand. Der Koreaner mußte sich ein Lachen verbeißen. Kle Klenet sah wirklich zu lächerlich aus in seiner silbrigglänzenden »Geschenkverpa ckung«. Die Gardisten untersuchten den Öffnungsmechanismus des Schotts näher. Es war mit einem Irislesegerät ausgestattet, zuge schnitten auf die Augengröße der Noid. Yo und Kurt zogen ihre Analysatoren aus den Anzugtaschen. Das Ergebnis war mehr als unerfreulich. »Absolut fälschungssicher«, faßte es Yo Ho zusammen. »Hier kommen wir nicht durch, jedenfalls nicht auf die Schnelle.« »Dann werden wir halt umkehren«, entschied Buck. »Wir gehen zurück bis zur letzten Gabelung und schlagen einen anderen Weg ein. Sollten wir unterwegs auf einen aktivierten Antigravschacht stoßen, wechseln wir das Deck.« »Allmählich komme ich mir vor wie eine Laborratte in einem künstlich geschaffenen Labyrinth. Wir rennen hin und her, ohne je ans Ziel zu gelangen. Haben wir überhaupt ein Ziel?« »Unser Ziel ist nach wie vor der Hangar, in dem der Absetzer steht. Sobald wir ihn zerstört haben, suchen wir nach einer Möglichkeit, vom Schiff runterzukommen. Lassen Sie sich nicht so gehen, Schüt ze. Erst haben Sie Mitleid mit Wesen, die uns ohne mit der Wimper
zu zucken umgebracht hätten, und nun verbreiten Sie eine derart depressive Stimmung, daß man die Luft um Sie herum schneiden könnte.« »Sie haben ja recht, Herr Leutnant«, räumte der Asiate ein. »Aber ich finde es zum Haareausraufen, daß sich hinter diesem Panzer schott vielleicht der Hangar befindet oder zumindest ein Hinweis auf den Weg zum Hangar – und wir kommen nicht hindurch!« Kle Klenet bekam von der Unterhaltung, die über die Kabelver bindung geführt wurde, nichts mit. Er kam auf unsicheren Beinen näher, machte verzweifelte Handzeichen und gestikulierte wild mit den Armen. »Schau mal, Liebling, unser Kleiner kann laufen«, bemerkte Ho amüsiert. »So gefallen Sie mir schon besser, Yo«, sagte Kurt zufrieden. »Immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Was Klenet wohl von uns will?« »Stänkern, was sonst? Am besten, wir beachten ihn gar nicht.« Kle Klenet hatte es jetzt satt, zu versuchen, sich mit mißverstan dener Gestik verständlich zu machen. Demonstrativ riß er das Kle beband von seinem Mund. Kurt war entsetzt, jeder Laut konnte ihren Standort verraten. Schnell schoß seine Hand vor, um Klenet die Kehle zuzudrücken, doch der Utare wich ihm geschickt aus… * Demonstrativ riß sich Kle Klenet das Klebeband vom Mund – und schwieg. Auch als Leutnant Buck versuchte, ihn zu würgen, schwieg er. Mit einer geschickten Bewegung wich er Bucks Hand aus. Allmählich begriff Kurt Buck, daß Klenet gar nicht vorhatte, wei tere Gehässigkeiten von sich zu geben. Der Utare deutete auf das Analysegerät, das Yo Ho in der Hand hielt. Danach zeigte er auf Bucks Anzugtasche; Kurt hatte seinen Analysator bereits eingesteckt.
»Wenn ich ihn recht verstehe, will er unsere Analysatoren«, sagte der Schütze zu seinem Vorgesetzten übers Kabel. »Geben Sie ihm erst mal Ihren«, ordnete Buck an. »Ich will sehen, was er damit vorhat. Falls er ihn zerstört, haben wir wenigstens noch einen intakten übrig.« Yo reichte Kle den Analysator. Der Utare legte seine Hände frei. Dann begab er sich zum Schott, nahm am Analysegerät ein paar Einstellungen vor und hielt es kurz an das Kontrollgerät des Pan zerschotts. Anschließend verlangte er auch Bucks Analysator. Buck entschloß sich, ihm zu vertrauen, und gab ihm das Gerät. Es war nicht verschraubt, so daß Klenet es mit beiden Händen öffnen konnte – sehr zum Erschrecken der Gardisten. Klenets »Wunschliste« war noch nicht abgehakt. Jetzt verlangte er auch noch die Drahtverbindung der beiden Anzüge mitsamt den Stöpseln. Er bekam auch das. Somit konnten Kurt und Yo nicht mehr miteinander reden. Mit dem Spiralkabel verband Kle die beiden Analysatoren. An schließend schaltete er an dem geöffneten Gerät herum… … und Buck wurde plötzlich klar, was er vorhatte. Klenet hatte die Impulse des Irislesegerätes gelesen und den zweiten Analysator derart modifiziert, daß er sich so lange mit den Impulsen rückkop pelte, bis die gesuchte Öffnungssequenz gefunden war. »An dem ist ein Spitzeneinbrecher verlorengegangen«, meinte Yo Ho, der die Zusammenhänge jetzt ebenfalls begriff. Außer ihm verstand niemand seine leise gesprochenen Worte, denn er hatte den Helm weiterhin geschlossen. Ahnte ich es doch, daß er kein gewöhnlicher Sicherheitsmann für Bau stellen ist, dachte Kurt. Jede Wette, der abgefeimte Bursche arbeitet auf Esmaladan für den Geheimdienst. Klenets Methode hatte Erfolg. Das Schott öffnete sich. *
In der gesamten Milchstraße und höchstwahrscheinlich darüber hinaus paßten technisch begabte Völker ihre Roboter stets ihrem eigenen Äußeren an, zumindest in einigen Punkten. Zum Beispiel staksten auf der Erde die »Blechmänner« genannten Wal lis-Großserienroboter auf zwei Beinen durch die Gegend; zudem hatten sie zwei Arme und einen Kopf, so wie ein Mensch. Und die Tel bauten derart perfekte robotische Doppelgänger, daß Außenste hende sie kaum von lebenden Tel unterscheiden konnten. Mit den Noid verhielt es sich ähnlich. Nur auf den ersten Blick sa hen ihre Roboter völlig anders aus als sie selbst. Ging man jedoch ins Detail, stellte man fest, daß sie beim Bau penibel darauf geachtet hatten, daß die beweglichen Maschinen sie größenmäßig nicht überragten. Keiner der Roboter überschritt (umgerechnet auf terra nische Maßeinheiten) die Einmeterzwanzigmarke. Rechnete man dreißig Zentimeter für das Antigravitationsfeld hinzu, auf dem sie schwebten, standen sich Herr und Diener Auge in Auge gegenüber – bildlich gesprochen, denn über einen Kopf oder ein Gesicht verfügten die langen, schlanken Roboterkörper nicht. Das Standardmodell hatte zwei ausfahrbare Metallarme und zwei etwas zu kurz geratene Beine. Letztere dienten allerdings nicht zum Laufen, vielmehr handelte es sich dabei um Strahlenwaffen. Kaum hatte sich das Panzerschott geöffnet, schwebten vier jener Roboter nach draußen. Von drinnen war gedämpfter Maschinenlärm zu hören. Einer der Roboter schnarrte mit seiner Computerstimme irgend etwas Unverständliches. Buck und Ho vernahmen die Worte, die offenbar der Noidsprache entstammten, konnten damit aber nichts anfangen. Hört sich nicht gerade an wie ›Herzlich willkommen!‹ dachte der Ko reaner. Genau wie Kurt Buck konnte er in seinem rundum ge schlossenen Anzug alles empfangen, was draußen gesprochen wurde. Für eine Erwiderung hätte er den Lautsprecher einschalten oder das Helm visier hochklappen müssen. Auch Kurts Lautsprecher war abgestellt. Er hatte ihn mit dem Mi
nitranslator verbunden, so daß er das Übersetzungsgerät und die Sprechverbindung gleichzeitig aktivieren konnte. Augenblicklich nutzte ihm der Translator allerdings wenig, da man ihn erst auf die Sprache der Noid hätte justieren müssen. So lange aber würden die Kampfroboter nicht warten, sie nahmen bereits eine bedrohliche Haltung ein. Kurt und Yo nickten sich kurz zu und veränderten die Einstellung ihrer Multifunktionskarabiner. Kle Klenet fühlte sich nicht wohl in seiner alugeschützten Haut. Zwar war er der kleinste im Trio und bildete somit das schlechteste Ziel, doch er wäre lieber ein bißchen gewachsen, hätte man ihm da für eine Waffe gegeben. Buck ahnte, was in Klenet vorging. Er überlegte, ob er in seine Ta sche greifen und ihm eine Handfeuerwaffe zuwerfen sollte. Aber erstens waren in Folie eingewickelte Utaren bekanntlich keine guten Fänger, und zweitens war zu befürchten, daß die Noid-Roboter diese Aktion als feindlichen Akt einstufen würden. Ohne weitere Vorwarnung gingen die Roboter zum Angriff über. Sie bewegten ihre kurzen, fußlosen Beine in die Waagerechte… Obwohl weder die Gardisten noch der Utare nähere Informationen über die Roboter der Noid besaßen, ahnten die drei, was gleich auf sie zukommen würde, und sie reagierten sofort. Klenet »küßte« den Boden, Buck warf sich beiseite, und Ho betätigte den Strahlenauslö ser am Karabiner. Aus insgesamt vier Doppelenergiegeschützen bahnten sich glei ßende Strahlen den Weg ins Freie. Ein Doppelstrahl jagte so dicht über Klenet hinweg, daß er die brennende Hitze in jeder Faser seines Körpers zu spüren glaubte. Für einen Moment hatte er das Gefühl, sein Blut würde kochen. Nach einer Wiederholung dieser unangenehmen Erfahrung stand ihm nicht der Sinn, daher sprang er auf und flüchtete durch das Panzerschott nach drinnen. Die miteinander verbundenen, zum Glück unbeschädigt gebliebenen Analysatoren hielt er in den Hän
den. Der Roboter, der ihn verfehlt hatte, schwebte ihm nach. Kaum hatte die Maschine den Zugang durchquert, sandte sie ein Signal aus, und das Schott schloß sich wieder. Buck bekam es gleich mit zwei Doppelstrahlen zu tun, die links und rechts von ihm vier häßliche Krater in die Tunnelwand schmolzen. Doch der Schaden hielt sich in Grenzen, das Metall steckte die Treffer gut weg. Da Kurts Anzug nicht so stabil war wie die fremde Metallegierung, aktivierte er den Prallschirm. Rücksicht auf die energetische Aus strahlung des Schirms brauchte er jetzt nicht mehr zu nehmen. Yo Ho schoß schneller als sein Gegner, den er bis zur Unkenn tlichkeit zusammenschmolz. Als der Kern zu explodieren drohte, schaltete auch Ho seinen Schutzschirm ein und machte, daß er da vonkam. Die nachfolgende Explosion zerstörte einen der beiden verbliebe nen Kampfroboter total; er stand zu nah dran. Der dritten Maschine, die auch einiges abbekommen hatte, gaben Ho und Buck gemeinsam den Rest. Diesmal hielten sie allerdings nur so lange drauf, bis der Roboter absolut kampfunfähig war, um eine zweite Detonation zu vermeiden. »Der Krach müßte Tote aufgeweckt haben«, sagte Buck, nachdem er seinen Lautsprecher eingeschaltet hatte. »Von der Energiefreiset zung will ich erst gar nicht reden. Die ganze Zeit über sprechen wir kein Wort, und Klenet wickeln wir ein wie ein rohes Ei – und jetzt so was!« »Apropos Klenet«, warf Yo Ho ein, der jetzt ebenfalls die Sprech verbindung aktiviert hatte. »Wo steckt er eigentlich?« Sein Blick fiel auf das geschlossene Panzerschott. »Verflucht! Dieser heimtückische Halunke hat sich abgesetzt. Er läßt uns hier im Stich.« Auch Kurt hielt es nicht für ausgeschlossen, daß Kle Klenet seine Flucht ohne sie fortsetzen wollte und deshalb das Schott hinter sich
geschlossen hatte. »Es wäre aber auch möglich, daß er sich in höchster Gefahr befin det«, schränkte er ein. »Immerhin fehlt einer der vier Kampfroboter – und Klenet ist unbewaffnet.« »Dann können wir ihn wohl abschreiben. Was machen wir jetzt? Ich schlage vor, wir verziehen uns, bevor die Panzerkolonne ange rollt kommt. In den kleinen Fahrzeugen sitzt zwar jeweils nur ein Grauschlumpf, doch die Kerlchen sind ganz schön bösartig.« Buck suchte nach den Analysatoren. Sie waren verschwunden, mitsamt dem Verbindungskabel. Entweder waren die Geräte bei der Explosion völlig verschmort – oder Kle Klenet hatte sie bei sich. Das wiederum bedeutete, daß er eventuell in der Lage war, das Schott von innen zu öffnen. »Wir warten«, entschied der Leutnant. »Auf Klenet?« fragte der Schütze. »Ist das nicht ein ziemlich großes Risiko? Vielleicht ist er längst durch irgendeinen Hinterausgang abgehauen.« »Und wenn nicht? Mal angenommen, er kommt gleich heraus, und wir sind nicht da.« »Das ist besser, als noch hierzusein, wenn die Noid-Panzer kom men.« Buck winkte ab. »Keine Sorge, es dauert seine Zeit, bis sich die in der Wüste verstreuten Flöhe formiert haben. Wir geben Klenet we nigstens ein paar Minuten. Falls Sie jedoch lieber gehen wollen…« »Seit wann läßt ein Gardist den anderen hängen?« unterbrach ihn der Koreaner. »Selbstverständlich bleibe ich.« Kurt Buck hatte nichts anderes erwartet. Yo Ho setzte sich auf den Boden und zog nachdenklich die Stirn kraus. Meist konnte er Bucks Gedankengänge recht gut nachvoll ziehen – aber das mit den Flöhen hatte er nicht kapiert.
19.
Auch Brack, Hornig und Häkkinen waren inzwischen mit den Flash zurück an Bord des Ringraumers geholt worden und hatten von Leon Bebir eine Freischicht verabreicht bekommen, um sich auszuruhen. Ren Dhark verabschiedete sich über Funk von den Theinern und wünschte dem Reich von Thein alles Gute für die Zukunft. Er hoffte, daß sie ohne weitere Kriege verlaufen würde. »Wir verlassen das System«, ordnete Dhark an. Hen Falluta, der im Pilotensitz vor dem Instrumentenpult saß und die Steuerung der POINT OF übernommen hatte, bestätigte und initiierte SLE. Die im Zurranga-Kloster gewonnenen Daten waren in den Checkmaster übertragen worden, so daß das nächste Ziel fest stand. Es war das erste auf einer ganzen Liste von Koordinaten, die der Hyperkalkulator des Heiligtums ausgespuckt hatte. Nach den Umrechnungen ergab sich eine Entfernung von 570 Lichtjahren bis zum Zielstern. Der Erste Offizier setzte Kurs und beschleunigte Richtung interstellarer Raum. »Ich bin mal gespannt, was wir da finden werden«, murmelte Arc Doorn vor sich hin, der sich wie Chris Shanton und Artus in der Kommandozentrale aufhielt. Ihm entging nicht, daß der Roboter ihn während des gesamten Berichts, den er an Dhark erstattete, auf merksam beobachtete. »Was immer es ist«, grübelte Ren, »es ist nicht ganz ungefährlich. Ich bin überzeugt, daß Arlons damalige Rückkehr als toter Goldener nicht nur eine Legende ist.« »Daran habe ich nie gezweifelt, aber das ist lange her. Sie befürch ten, daß das Phänomen, das ihn und sein Schiff getroffen hat, noch immer aktiv sein könnte?« fragte Shanton. »Das können wir nicht ausschließen. Der Hyperkalkulator selbst hat ja von einer Falle gesprochen. Allerdings sind wir Kor Trane gegenüber im Vorteil, denn im Gegensatz zu ihm wissen wir im
merhin, wie die aussieht.« Denn soviel verriet die Datei: Auf dem zwölften Planeten der Sonne, zu der man unterwegs war, gab es eine offenbar vollautoma tische Anlage eines längst vergessenen Volks. Auf einer bestimmten Frequenz lockte sie in der Nähe operierende Raumschiffe an, die in ihr Verderben flogen, wenn sie den Fehler begingen, zu reagieren. Kor Trane hatte das nicht geahnt, doch die Besatzung der POINT OF war darauf vorbereitet. »Wer in die Falle geht, der wird verschrottet«, sinnierte Dhark. »Was immer man genau darunter verstehen will.« Riker rümpfte die Nase. »Verschrottet bedeutet verschrottet. Der Begriff an sich gefällt mir schon nicht besonders, die Konsequenzen daraus werden es wohl noch viel weniger.« »Aber wir fliegen nicht blindlings ins Verderben, weil wir durch die Warnung darauf vorbereitet sind.« Der Einwand konnte Riker allerdings nicht beruhigen. »Ich traue diesem Hyperkalkulator nicht, auch wenn er seine Aufrichtigkeit beteuert. Darf ich dich außerdem daran erinnern, daß auch Arlons Schiff nicht verschrottet wurde. Es wurde vergoldet, so wie er selbst. Anja behauptet zwar immer, ich sei Gold wert, aber so stellt sie sich die Sache sicher nicht vor.« »Es ist schade, daß außer Arlons Kurs und allem, was damit zu sammenhängt, keine weiteren Informationen verzeichnet waren«, wandte Ren sich wieder an den Sibirier. Er zog die Stirn in Falten, als bedauerte er den raschen Aufbruch. »Vielleicht hätten Sie noch mehr entdeckt, wenn wir länger geblieben wären.« Doorn schüttelte den Kopf. »Da war nichts mehr. Wir hätten nur unsere Zeit verschwendet. Obwohl uns der Hyperkalkulator am Ende als Zugriffsberechtigte akzeptiert hat, gab er nicht mehr preis. Also war da entweder auch nichts mehr, oder wir hätten es nie aus ihm herausbekommen.« Nun hielt Artus nicht länger an sich. »Genau das ist der Punkt, den ich nicht verstehe«, platzte aus ihm heraus, was er bisher zurückge
halten hatte. »Daß er keine weiteren Informationen hatte?« »Das ist nicht ungewöhnlich. Nein, du weißt genau, was ich meine, Doorn«, antwortete der Roboter, und der Anflug einer Provokation lag in seiner Stimme. »Ich begreife nicht, daß er bei all den einge bauten Sperren mit einem Mal so kooperativ war, bis zu einem ge wissen Punkt jedenfalls.« »Weil Shanton ihn überlistet hat.« »Das ist Unsinn. Wieso war der Rechner der Meinung, es mit ei nem Worgun zu tun zu haben? Ich habe den Wortwechsel und seine Aussage analysiert. Auch wenn er sich nicht genau auf einen der Anwesenden festlegte, bin ich sicher, daß er dich gemeint hat.« Für einen Moment zeichnete sich Erstaunen im Gesicht des Sibi riers ab. Er machte den Eindruck, sich vor einer Antwort drücken zu wol len, doch dann nickte er widerwillig. »Du hast recht«, sagte er, und alle Augenpaare richteten sich auf ihn. »Haben Sie dafür eine Erklärung, Are?« fragte Dhark. »Eine recht simple sogar. Ich habe damals auf Hope einen speziel len Code entschlüsselt, mit dem man sich Anlagen der Mysterious gegenüber als Worgun ausgeben kann. Natürlich war ich nicht si cher, ob er wirklich funktioniert, deshalb habe ich bisher nichts da von gesagt. Aber wie der Versuch mit dem Hyperkalkulator zeigt, hat es geklappt. Der Code ist geeignet, sich selbst zum trojanischen Pferd zu machen.« »Haben Sie die Untersuchungen auf Hope nicht mit Shanton zu sammen vorgenommen?« wunderte sich Dan Riker. »Wieso weiß er nichts davon?« Doorn machte eine auffordernde Geste zu Shanton. »Er weiß es doch. Unser bisheriges Schweigen darüber war wie eine stille Ab sprache, bis wir Gewißheit erlangten. Wir wollten keine falschen Hoffnungen wecken.« »Der Dicke als Geheimnisträger«, meldete sich Jimmy zu Wort, der
wieder zusammengerollt unter einem der Gliedersessel lag und die Unterhaltung mehr oder weniger gelangweilt verfolgte. »Tatsächlich?« Shanton sah von einem zum anderen, und schließ lich blieb sein Blick an dem Sibirier hängen. »Ich weiß nichts von einem solchen Code. Zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern.« Sekundenlang herrschte verblüfftes Schweigen, dann ergriff wie der Doorn das Wort, und er klang ratlos. »Wir haben den Code doch gemeinsam entdeckt und haben ihn uns beide genau eingeprägt. Willst du behaupten, daß das Wissen einfach so aus deinem Kopf verschwunden ist? Du nimmst mich hoch.« Shanton schüttelte den Kopf. »Vielleicht haben diese überkandi delten Worgun den Code auch mit einer Sicherung gekoppelt. Frag mich bloß keiner, wie sie das geschafft haben, aber ich traue ihnen zu, daß es ihnen irgendwie gelungen ist, dafür zu sorgen, daß man den Code nach einer Weile wieder vergißt.« Für Dan Riker klang das ziemlich unwahrscheinlich, andererseits waren auch ihm die Geheimnisvollen nie ganz geheuer gewesen. »Und wozu soll das gut sein?« »Eine reine Langzeitvorsichtsmaßnahme möglicherweise. Wir kennen diese Geheimniskrämer doch inzwischen gut genug. Selbst Gisol hat so einiges für sich behalten, was uns heute sicher weiter helfen würde.« »Aber Arc Doorn hätte den Code dann ebenfalls vergessen«, maulte Jimmy. »Es sei denn, er hätte ein größeres Hirnvolumen als der Dicke – was mich natürlich nicht wundern würde. Andererseits ist es bekannt, daß bei jedem Vollrausch ein paar tausend Gehirn zellen absterben. Wie viele Gehirnzellen braucht man, um einen Code nicht zu vergessen?« »Ich drehe der Töle den Saft ab«, preßte Shanton zwischen den Zähnen hervor. »Und zwar mit Duststrahlen.« »Irgendwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu«, beeilte sich Artus, das Thema zu wechseln. »Vielleicht sollte Shanton sich vom
Doc untersuchen lassen.« Der übergewichtige Mann protestierte vehement. »In meinem Kopf stochert keiner rum, auch nicht Manu Tschobe. Haltet ihr mich für verkalkt?« »Nur für hoffnungslos überfordert«, stieß Jimmy vergnügt aus. »Aber das ist ja nichts Neues.« Dhark ignorierte den Vierbeiner. Ihm gefiel dieser unerklärliche Gedächtnisverlust nicht. Er spielte mit dem Gedanken, den Inge nieur trotz dessen Ablehnung zu einer gründlichen Untersuchung zum Bordarzt zu schicken, entschied sich aber fürs erste dagegen. Vielleicht kehrte Shantons Erinnerung von allein zurück, und wenn nicht, blieb immer noch Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen. »Ich möchte, daß Sie diesen ominösen Code in den Checkmaster eingeben, Arc, damit er künftig zur allgemeinen Verfügung steht. Er ist zu wertvoll, als daß Sie ihn auch noch vergessen.« »Mache ich, sobald ich dazu komme«, winkte Doorn ab. Anschei nend wollte er sein Schätzchen noch eine Zeitlang für sich behalten. »Zunächst möchte ich mit dem Checkmaster sämtliche Koordinaten abgleichen, die die Arlon-Datei nach unserem ersten Ziel noch enthält. Vielleicht entdecken wir uns bekannte Bezugspunkte.« Diese beiden Sturköpfe! Auch wenn Ren mit dem Aufschub nicht glücklich war, drängte er den Sibirier nicht, da der für seine Ei genbrötlerei ebenso bekannt war wie Shanton für seinen Dickkopf. »Vergessen Sie die Eingabe nur später nicht.« »Ich werde daran denken«, murmelte Doorn, als spräche er mit sich selbst. * Die POINT OF jagte dem ersten Punkt auf der Liste der Koordina ten, die Arlon vor langer Zeit angeflogen hatte, mit Sternensog ent gegen. Er lag in einem vergleichsweise Sternenarmen Bereich weitab der offiziellen Schiffahrtsrouten. Soweit es die Speicher des Check
masters belegten, hatten sich Menschen bisher noch nie in diese Re gion verirrt. Auch Doorns Versuche, aus den Koordinaten der Liste welche herauszufiltern, die der Menschheit von anderen Gelegen heiten her bekannt waren, waren im Sande verlaufen. Sie stellten samt und sonders Orte dar, an denen kein Mensch je zuvor gewesen war. Ren Dhark hielt diese Tatsache nicht für verwunderlich. Bei den Größendimensionen der Milchstraße würde man selbst in den näch sten hundert Jahren nur einen verschwindend geringen Prozentsatz davon erkunden können. Manche Experten auf der Erde waren der Ansicht, daß die Menschheit irgendwann weite Teile ihrer Sternen insel besiedeln würde, aber Ren hielt diese Einschätzung für zu op timistisch. Die dafür notwendige Logistik war viel zu enorm, die Zahl der Sonnensysteme viel zu gewaltig, um sie flächendeckend auch nur kartographieren zu können. Zudem waren die meisten Menschen selbst nach allen zurückliegenden Krisen nicht bereit, ihren Heimatplaneten zu verlassen und sich anderswo in der Galaxis niederzulassen. Heimatverbundenheit, dachte er mit einem Anflug von Sentimenta lität. Er konnte sie niemandem verdenken, auch wenn er selbst lieber wie ein Zigeuner zwischen den Sternen herumstreunte. Fakten und Zahlen sprachen jedenfalls eine klare Sprache. Auch nur jedes zehnte Sonnensystem der Milchstraße anzufliegen schien gleichermaßen vermessen wie unmöglich. »Zielstern kommt jetzt in den visuellen Erfassungsbereich«, riß ihn Leon Bebirs Stimme aus seinen Gedanken. Zentral in der Bildkugel war eine rote Riesensonne zu sehen, die aus weiter Entfernung zunächst wie ein Gestirn ohne Umläufer er schien. Der falsche Eindruck entstand durch die dreihundertfache Leuchtkraft verglichen mit der heimatlichen Sonne. »Planeten?« fragte Riker. »Neunzehn an der Zahl«, meldete Tino Grappa von der Ortung. »Es dauert noch etwas, bis die Außenbeobachtung sie optisch erfaßt.
Ich erstelle eine schematische Darstellung anhand der Ortungser gebnisse.« »Das deckt sich mit den Informationen aus Arlons Datei.« Ren studierte das sich abzeichnende Schema. Bei den sieben inne ren Planeten handelte es sich um feste Himmelskörper, denen drei Gasriesen mit einem unüberschaubaren Gewimmel an Monden folgten. Ihnen schlössen sich wiederum neun Welten an, von denen die äußeren nicht mehr als schmutzige Eisbrocken mit Jahrhunderte währenden Umlauf Zeiten waren. Alle neunzehn Planeten bewegten sich auf konventionellen Umlaufbahnen um ihr Zentralgestirn. Das Sonnensystem sah aus wie zig andere, die Dhark in den ver gangenen Jahren gesehen hatte, trotzdem schien es eine geradezu magische Anziehungskraft zu besitzen. Fortwährend gingen ihm zwei Fragen durch den Kopf: Was hatte Arlon hier gefunden? Und war Kor Trane ebenfalls zu diesem System gelangt? »Befinden sich Schiffe in diesem Raumsektor?« erkundigte er sich. »Negativ«, meldete Grappa. »Massenortung und Funkortung ar beiten mit Höchstleistung, registrieren aber nichts. Funk-Z bestätigt diese Ergebnisse.« Der Mailänder machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: »Bei der Energieortung sieht es nicht anders aus. Da draußen gibt es keine energetischen Emissionen, die nicht natürli chen Ursprungs sind.« Die POINT OF bremste inzwischen um so stärker ab, je weiter sie sich dem System näherte. Die Bildkugel lieferte immer bessere Auf nahmen, so daß Grappa die schematische Darstellung schließlich wieder abschaltete. »Funkimpulse vom zwölften Planeten?« »Negativ… Moment, jetzt bekomme ich etwas herein. Schwer zu verstehen.« »Durchstellen!« Grappa hantierte an seinen Kontrollen, bis durchdringendes Rau schen aus den Lautsprechern drang. Vereinzelte Wortfetzen waren darin zu vernehmen.
»Das ist die Sprache der Tel«, stellte Riker fest. »Äußerst schwache Sendeleistung«, meldete sich Elis Yogan aus der Funk-Z, der jedes in der Zentrale gesprochene Wort mitverfolgt hatte. »Der Funkspruch ist nur in unmittelbarer Nähe des Systems zu verstehen, aber da können wir ein wenig tricksen. Außerdem wird er ohnehin mit jeder Lichtsekunde, die wir uns nähern, verständlicher.« Tatsächlich drangen die Tel-Wortfetzen allmählich besser durch. »Das ist ein Hilferuf«, erkannte Falluta. »Was tun wir?« »Auf Kurs bleiben«, ordnete Ren an. »Kommt der Ruf vom zwölf ten Planeten?« Wie nicht anders erwartet, bestätigte Yogan. »Der gleiche Wortlaut wird wieder und wieder gesendet. Es handelt sich zweifellos um eine automatische Aufzeichnung.« Ren nickte. Soweit stimmte Arlons Hinterlassenschaft also. War Kor Trane auf diesen Hilferuf hereingefallen? Doch wieso wurde er dann im Idiom der Tel ausgestrahlt? Darüber gab auch Arlons Datei keine Auskunft. Oder stammte er gar von Kor Trane selbst, der ihn vor knapp zweihundert Jahren ausgelöst hatte? In diesem Fall mußte es noch einen anderen Ruf geben, der bereits zuvor aktiv gewesen war, doch davon war nichts zu hören. »Wir passieren die äußere Planetenbahn«, kommentierte Falluta das Eindringen der POINT OF in das Neunzehnplanetensystem. »Ortungsergebnisse unverändert.« Auch der Hilferuf plärrte munter weiter und war mittlerweile mühelos zu verstehen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß er seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden pausenlos ausgestrahlt wird«, überlegte Riker. »Wahrscheinlich aktiviert er sich immer dann, wenn sich ein Raum schiff dem System nähert. Ansonsten hätte er längst keine Energie mehr.« »Ich würde mir diesen Sender gern mal aus der Nähe ansehen«, ließ sich Shanton vernehmen. »Bestimmt läßt er Rückschlüsse darauf zu, wer ihn gebaut hat.«
Auch Dhark hätte die vollautomatische Station gern aus der Nähe betrachtet, aber er zögerte. Die im Zurranga-Kloster erbeutete Liste enthielt zahlreiche weitere Koordinaten, die neue Erkenntnisse ver sprachen. Schließlich standen die goldenen Herrscher, denen Arlon nachgejagt war, im Mittelpunkt seines Interesses, und nicht das Schicksal des in eine Falle geratenen Tel, dem er längst nicht mehr helfen konnte. Zweihundert Jahre waren eine lange Zeit, und von Kor Trane war vermutlich nichts anderes mehr als Staub übrig. Die POINT OF pflügte durch die Bahnebene des namenlosen Sonnensystems und ließ eine Planetenbahn nach der anderen hinter sich. Die Gasriesen weit voraus präsentierten sich als farbenprächti ge Leuchtfeuer, die Jens Lionel und seine Astronomen an ihren Be obachtungsposten wahrscheinlich mit den Zungen schnalzen ließen. Dhark gönnte ihnen ihren Spaß, trotzdem entschied er sich, dem ominösen zwölften Planeten aus dem Weg zu gehen und den näch sten Punkt, den die Liste nannte, anzufliegen. »Kursänderung, Hen«, instruierte er seinen Ersten Offizier. »Wir machen, daß wir hier wegkommen.« Falluta bestätigte und wollte sich nach dem neuen Kurs erkundi gen. Er kam nicht mehr dazu, denn aufgeregt meldete sich Elis Yo gan von der Funk-Z. »Ein weiterer Ruf, diesmal auf der Notruffrequenz der Worgun.« Ungläubig fuhr Ren Dhark aus seinem Sitz in die Höhe. Denn der Notruf war in der Sprache der Worgun verfaßt. * »Treiben sich hier etwa Worgun herum?« Zwischen den überraschten Kommentaren bekam Dhark nicht mit, wer die Frage gestellt hatte, aber sie hatte ihm ebenfalls auf der Zunge gelegen. Er starrte in die Wiedergabe der Bildkugel, als könnte sie ihm eine Antwort geben, aber dort war nichts Außerge wöhnliches zu sehen.
Dafür sah er den zwölften Planeten als winzigen Fleck, der sich schwarz vor dem pulsierenden Glühen des roten Zentralgestirns abzeichnete. Was verbirgst du vor uns? Von einer Sekunde zur näch sten war seine Wißbegierde so groß, daß er jeglichen Gedanken an einen Weiterflug aufgab. »Woher kommt der Notruf?« fragte Artus pragmatisch und kam dem Commander damit zuvor. »Ebenfalls vom zwölften Planeten oder von einem Raumschiff?« »Nach wie vor keine Anzeigen«, rief Grappa, der die Datenkolon nen an seiner Ortungsanlage ohne die geringste Regung zur Kenn tnis nahm. Mit der ihm eigenen Ruhe interpretierte er sie, wenn sie auch nicht hundertprozentig schlüssig waren. »Wenn sich kein Schiff im Ortungsschatten der Sonne versteckt, schließe ich diese Mög lichkeit aber aus. Ich tippe auf die Nummer zwölf.« Auch Elis Yogan war dieser Meinung. »Aber das ist alles andere als absolut sicher. Der Notruf ist wesentlich stärker in der Sendeleistung als der des Tel, dafür aber ziemlich verstümmelt.« »Hen, Befehl zurück. Wir halten Position«, befahl Dhark. Handelte es sich wieder um einen automatischen Notruf, oder waren tatsäch lich Worgun in der Nähe? Das hätte alles geändert, denn eine solche Chance durfte er sich nicht entgehen lassen. Entschlossen rief er wieder die Funkzentrale. »Zweifellos wird der Funkspruch durch einen Störsender zerhackt. Ich muß wissen, ob er vom zwölften Planeten stammt, und ich will keine prozentualen Wahrscheinlichkeitsrechnungen hören. Ein einfaches Ja oder Nein reicht mir.« »Jetzt sind ein paar Brocken zu verstehen«, kam es anstelle einer Antwort zurück, und diesmal stammten die Worte von Walt Brugg. »Von meinem Kollegen bekommen Sie keine definitive Antwort, wenn er nicht ganz sicher ist, Sir, aber ich behaupte, Planet Nummer zwölf ist der Absender. Aber hören Sie sich das an!« Im nächsten Moment war der Notruf in der gesamten Komman dozentrale zu vernehmen. Er kam tatsächlich auf der Notruffre
quenz der Worgun herein, die außer den Gestaltwandlern niemand benutzte. Dhark zuckte bei den worgunschen Wortfetzen zusammen, die unzusammenhängend und sinnlos waren, weil große Satzteile fehl ten. Doch einen Namen verstand er genau, bevor die Stimme erstarb. Elektrisiert fuhr Ren zu Riker herum, der verständnislos das Gesicht verzog. »Dalon!« stieß Arc Doorn aus. »Hatte ich da eben einen kleinen Mann im Ohr, oder haben Sie es auch gehört, Dhark?« »Ja«, antwortete Ren atemlos. Er war sicher, den Namen des Worgun aus den Bruchstücken herausgehört zu haben. Dalon war schon vor über tausend Jahren Margun und Sola auf Hope begegnet, und später hatte auch er sich auf die Spur der Balduren gesetzt. »Aber das ist unmöglich.« Riker schüttelte den Kopf. »Wie sollte Dalon ausgerechnet an diesen Ort kommen? Wenn er überhaupt noch lebt.« »Davon können wir ruhig ausgehen, wenn er keines gewaltsamen Todes gestorben ist. Denn vergiß nicht, daß er einer jener mutierten Worgun mit 10.000 Jahren Lebenserwartung ist. Es wurde nie ge klärt, wohin es ihn verschlagen hat.« Warum nicht in dieses System? dachte Ren. Vielleicht war es eine Fügung des Schicksals, oder vielleicht hatten sie einfach nur einmal Glück. »Dhark, wir müssen nachsehen«, forderte Doorn enthusiastisch. Er ging zum Checkmaster und legte die Hände auf die Verkleidung. »Wenn Dalon wirklich auf diesem Planeten und in Gefahr ist, müs sen wir ihm helfen.« »Trotz der Falle? Daß Dalon erwähnt wird, heißt außerdem nicht zwangsläufig, daß der Notruf von ihm stammt. Sein Name kann auch in einem ganz anderen semantischen Zusammenhang genannt worden sein.« Riker winkte ab, als er das entschlossene Gesicht sei nes Freundes sah. »Schon gut, Ren. Ich kann dich ja doch nicht zu rückhalten. Aber wir sollten äußerst vorsichtig vorgehen.«
Ich errechne eine minimale Gefahr für die POINT OF, meldete sich der Checkmaster auf Gedankenbasis ungefragt zu Wort. Sie ist sowohl offensiv als auch defensiv viel stärker als ein Schiff der Tel. Die Männer in der Zentrale warfen sich verwunderte Blicke zu. »Doorn, haben Sie ihn um eine Analyse gebeten?« fragte Riker. Der Sibirier schüttelte den Kopf. »Aber wenn er meint, mal wieder seine Meinung dazugeben zu müssen, habe ich nichts dagegen. Ich stimme ihm sogar voll und ganz zu. Wenn uns einer verschrotten will, muß er zunächst unsere Intervallfelder knacken, und bis er das geschafft hat, haben wir ihn schon dreimal aus dem Universum ge fegt.« »Wir wollen niemanden aus dem Universum fegen, Arc«, belehrte Dhark den Sibirier nachdenklich. In letzter Zeit hatte der Check master keine Extratouren geritten, wie es früher häufig der Fall ge wesen war. Wieso also meldete er sich jetzt aus eigenem Antrieb? Hatte Doorn irgendeine rasche Eingabe vorgenommen, die niemand mitbekommen hatte? Möglich, denn er hatte ihnen allen den Rücken zugewandt. Doch wozu hätte er das tun sollen? Und wenn er sich vom Checkmaster wirklich Unterstützung versprach, warum sollte er das verschleiern? In Gedanken schüttelte Ren den Kopf. So ein Unsinn! Er sah Gespenster. Zudem hatte er sich ohnehin entschieden. Wenn auch nur der Hauch einer Chance bestand, etwas über Da lons Verbleib zu erfahren, würde er sie ergreifen. Er ließ sich von Walt Brugg eine freie Phase schalten und rief nach dem Worgun. Er übermittelte mehrmals, mit einem Ringraumer gekommen und ein enger Bekannter von Margun und Sola zu sein, erhielt jedoch keine Antwort. »Sinnlos«, kommentierte Artus. »Entweder kann oder will der Absender des Notrufs nicht mehr antworten. Wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir selbst nachsehen.« Das gab den letzten Ausschlag. Dhark straffte seine Gestalt. »Hen,
langsame Fahrt aufnehmen, aber wie Mister Riker schon forderte: ganz langsam. Rechnen Sie mit einem möglichen Rückzug.« »Intervalle hoch!« funkte Riker dazwischen. »Vorsicht ist die Mut ter der Porzellankiste, und irgendwie habe ich das Gefühl, hier gar nicht vorsichtig genug sein zu können.« Als die POINT OF Fahrt aufnahm und sich dem zwölften Planeten näherte, versuchte Ren noch einmal, Funkkontakt zu dem möglichen Worgun herzustellen, doch es kam keine Verbindung zustande. Schließlich gab er seine Versuche auf, als der Planet in der Darstel lung der Bildkugel immer deutlicher wurde. »Noch 300.000 Kilometer«, sagte Bebir. »Nicht mal die Entfernung Erde-Mond.« »Du liebe Güte«, entfuhr es Tino Grappa, dessen Ortungseinrich tungen endlich vernünftige Werte ermittelten. »So etwas gibt es doch gar nicht. Der ganze Planet ist von Metall bedeckt. Die Oberfläche sieht aus wie eine einzige gigantische Industrieanlage.« »Das wird ja immer besser.« Arc Doorn war in seinem Tatendrang nicht mehr zu bremsen. »Dann schauen wir doch mal nach, was da produziert wird. Arlon, Kor Trane, Dalon… hier trifft sich anschei nend Gott und die Welt. Es wird Zeit, daß wir ebenfalls unsere Aufwartung machen.« Aber keinem von ihnen ist sein Besuch anscheinend besonders gut be kommen, dachte Ren mißtrauisch. Unwillkürlich erschien vor seinen Augen eine POINT OF, die nicht länger unitallblau war, sondern golden, und statt der Menschen an Bord gab es nur noch eine tote goldene Besatzung. »Ein Ringschiff!« rief Grappa plötzlich. »Ältere Bauart, aber zwei fellos ein Ringraumer der Worgun!« Noch 100.000 Kilometer blieben bis zu dem Planeten. Da löste der Checkmaster Alarm aus. *
»Intervall ist ausgefallen!« tönte Bebirs Stimme gegen den gellen den Alarm an. »Wir sind schutzlos.« Dhark sprang zum Instrumentenpult und nahm eine rasche Reihe von Schaltungen vor. Er war wie vor den Kopf geschlagen, als keine Reaktion eintrat. »Sinnlos, das Intervall läßt sich nicht wieder hoch fahren.« »Energie ist vorhanden, richtet aber irgendwie nichts aus.« »Ich habe es kommen sehen«, fluchte Dan Riker. »Falluta, weg von hier! Bringen Sie uns aus dem System raus!« In der Bildkugel kam der zwölfte Planet jetzt rasend schnell näher. Dhark erwartete, daß er im nächsten Moment hinter ihnen zurück fallen würde, doch er sah sich getäuscht. Statt auf Fluchtkurs zu gehen, hielten sie direkt auf ihn zu. »Hen?« »Befehl nicht ausführbar«, kam die ernüchternde Antwort des Ersten Offiziers. »Antrieb ist ebenfalls ausgefallen, obwohl die Ant riebsenergie noch da ist. Nichts zu machen. Wir kommen nicht weg.« Hilflos taumelte der Ringraumer der stählernen Oberfläche des Planeten entgegen. In der Bildkugel war eine Bewegung zu erken nen, die sich schnell zu einem huschenden Schatten entwickelte. »Ein Schiff ist von der Oberfläche gestartet. Es hat Kurs auf uns gesetzt.« Bereits Sekunden später war das Raumschiff zu erkennen. Es war ein alptraumhaft bizarres Gebilde, mehr als einen Kilometer lang, und es fackelte nicht lange. Ohne Vorwarnung eröffnete es das Feuer auf die schutzlose POINT OF.
20.
Kle Klenet war alles andere als ein Held. In gefährlichen Situatio nen geriet er schnell in Panik. Doch er hatte gelernt, mit seinen Äng sten zu leben und sie zu bewältigen. Andernfalls hätte er seinen Be ruf wohl kaum ausüben können… Nachdem die Kampfroboter das Feuer eröffnet hatten, hatte er seine einzige Chance darin gesehen, sich hinter das Panzerschott zu retten. Inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob das so eine gute Idee gewesen war. Er befand sich in einem großen, mit Maschinenkolossen und riesi gen Regalen vollgestellten Raum. Die Maschinen waren in Betrieb und machten, trotz Schalldämpfung, ziemlichen Lärm. Um ihn he rum herrschte Dunkelheit. Und irgendwo in der Finsternis lauerte ein Kampfroboter… Als Klenet durch das Schott getreten war, hatten in der Maschi nenhalle zahllose Lampen gebrannt. Kle hatte nur wenige Sekunden Zeit gehabt, um sich hier umzusehen. Noch bevor er sich ein Ver steck hatte suchen können, war der Roboter hereingekommen und hatte hinter sich das Panzerschott geschlossen. In derselben Sekunde war das Licht ausgegangen. Seitdem spielten Utare und Roboter im Dunkeln Katz und Maus. Klenet tastete sich hektisch durch die Gänge zwischen den ver schiedengroßen Maschinen. Er wechselte laufend den Standort, um dem Roboter die Suche möglichst zu erschweren. Ob er das noch lange durchhalten würde, war mehr als fraglich. Schließlich war sein Verfolger ihm gegenüber im Vorteil. Der Robo ter verfügte über Suchsensoren, mit denen er ihn auch ohne Einsatz der Optik ausfindig machen konnte. Kle Klenet hingegen konnte sich nur auf seine eingeschränkten Sinne verlassen. Viel war das nicht. Sein Gehör wurde durch den Maschinenlärm abgelenkt, und seine Augen brauchten noch etwas Zeit, bis sie sich wenigstens halbwegs
an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Klenet vermutete, daß das Licht mit der Öffnungsautomatik des Panzerschotts gekoppelt war. Wurde das Schott geöffnet, gingen die Lampen an. Schloß es sich, verlosch gleichzeitig das Licht. Wenn es hier also wieder hell werden sollte, mußte er es öffnen. Aber wie? Er wußte inzwischen nicht einmal mehr genau, wo sich das Schott eigentlich befand. Und die beiden Analysatoren würde er ebenfalls nicht mehr wie derfinden. Er hatte sie irgendwo abgelegt, damit sie nicht kaputt gingen… Ein röhrenförmiger Schattenumriß tauchte in einiger Entfernung auf, etwas Tief schwarzes, das sich von der übrigen Schwärze abhob. Instinktiv duckte sich Klenet. Gerade noch rechtzeitig, denn plötzlich schoß ein feiner, leuchtender Energiestrahl über ihn hinweg. Auf allen vieren krabbelte Kle davon. Er brauchte ein neues Kurz zeitversteck, möglichst nahe bei den Maschinenkolossen, dort war er am sichersten. Klenet war überzeugt, daß der Kampfroboter nur deshalb seine schweren Strahlenwaffen nicht einsetzte, weil er dar auf programmiert war, die wertvollen Apparaturen nicht zu be schädigen. Der Strahl, den er eben abgefeuert hatte, war vermutlich ein Paralysestrahl gewesen. Und es gab noch einen Grund für Klenet, sich in der Nähe der Maschinen aufzuhalten: Die Energiespeicher, aus denen sie gespeist wurden, machten es für den Roboter schwieriger, ihn zu orten. Aus demselben Grund hatte sich Kle noch nicht von der Folie befreit. Achtung, Gefahr! Klenets innere Warnlampen flackerten gleich reihenweise auf – man hätte ein Gartenfest damit beleuchten können. Aus dem Dun keln heraus starrte ihn jemand an, oder man zielte auf ihn, oder er wurde von Suchstrahlen erfaßt… Auf jeden Fall hatte ihn irgendwer oder irgendwas im Visier, das spürte er ganz deutlich. Sein Gespür trog ihn nicht. Eine Metallklammer oder etwas Klammerähnliches »verbiß« sich im pulloverähnlichen Oberteil sei
ner Kombination, durch die dünne Folie hindurch. Vergeblich ver suchte Kle, sich zu befreien. Er zerrte am Pullover, doch es gelang ihm nicht, das Kleidungsstück zu zerreißen. Klenet verfluchte den Tag, an dem er sich entschlossen hatte, zukünftig nur noch Quali tätstextilien zu kaufen. Auf einmal ging das Licht wieder an. Kle kniff die Augen zu, öff nete sie aber gleich wieder, um seine Situation zu analysieren. Er befand sich in einem breiten Gang zwischen zwei gewaltigen Ant riebsanlagen. Am Ende des Ganges stand der röhrenförmige Kampfroboter und hatte seinen Metallarm mehrere Meter ausge fahren. Mit der am Ende des Armes angebrachten Metallklaue hielt der Roboter sein Zielobjekt am Pullover fest. Langsam hob die schwebende Kampfmaschine das linke Bein in die Waagerechte. Hier im Gang hatte sie freies Schußfeld. Klenet erblickte am Boden ein scharfkantiges Werkzeug, das wohl jemand verloren hatte. Er bugsierte es auf seine Schuhspitze, kickte es nach oben und fing es geschickt auf. Damit schnitt er das Stück, das der Roboter mit seiner Klaue umklammerte, aus dem Pullover heraus, mitsamt der Folie darüber. Der Utare rannte los, aufs andere Ende des Ganges zu. Er rechnete damit, jeden Augenblick von dem Energiestrahl zerrissen zu wer den. Vielleicht schaffte er es aber auch zu entkommen, wenn er nur schnell genug war… Klenets letztes Quentchen Hoffnung schwand dahin, als von vorn drei weitere Grey-Roboter in den Gang schwebten, nebeneinander, so daß er keine Möglichkeit hatte, an ihnen vorbeizukommen. Das war’s dann wohl, dachte er. Grüßt mir Esmaladan! * Die drei neuen Roboter waren bereits dicht heran. Auf Menschen mochten die kleinen schwebenden Maschinen lächerlich wirken – auf Kle Klenet machten sie einen bedrohlichen Eindruck. Selbst ohne
Antigravfeld waren sie noch größer als er. Der Utare drehte sich um. Sein hartnäckiger Verfolger beförderte die Bein-Strahlenwaffe wieder in die Ausgangslage. Offensichtlich durfte er laut Programmierung andere Roboter nicht gefährden. Statt zu schießen, fuhr der Kampfroboter seinen Metallarm noch etwas weiter aus – reichte aber nicht mehr an sein Zielobjekt heran. Klenet hätte ihn am liebsten verspottet, doch das hätte der dummen Ma schine eh nichts ausgemacht. Sie schwebte ein Stück weiter in den Gang hinein, um ihr Opfer doch noch zu fassen zu bekommen. In dieser Sekunde schwebten die drei anderen Roboter an dem Utaren vorüber, ohne ihn zu beachten. Sie berührten ihn nicht ein mal. Schlagartig wurde Klenet klar, daß es sich um harmlose Ar beitsroboter handelte, die überhaupt nicht auf Kampf programmiert waren – im Gegensatz zu den vier Robotern, die Buck, Ho und ihn nach dem Öffnen des Panzerschotts angegriffen hatten; sie fungier ten vermutlich als Wächter des Maschinenparks. So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, lief Klenet aus dem brei ten Gang hinaus. Er schlug ein paar Haken, bog in eine schmale Gasse ein, kletterte über einen niedrigen Maschinenblock – und wußte dennoch, daß ihn sein Verfolger immer und immer wieder finden würde. Allmählich gewann Klenet einen Überblick über die riesige Anla ge. Er war überzeugt, sich mitten im Herzen des Raumschiffs zu befinden, im Maschinenraum. Alles lief vollautomatisch. Wenn hier die sprichwörtlichen Räder stillstanden, bewegte sich der Sieben hundertmeterraumer kein bißchen mehr durchs All. Kein Wunder, daß der Eingang schwerbewacht wurde. Wer sich nicht ausreichend legitimieren konnte, den töteten die Wachroboter ohne viel Federle sen. Um die Maschinen ständig in Gang zu halten, wurden sie von Ar beitsrobotern regelmäßig gewartet. In den großen Regalen standen mächtig schwere Metallkisten mit Werkzeugen und Ersatzteilen. Und von einer Sekunde auf die andere wußte Kle Klenet, wie er
seinen Verfolger loswerden konnte. Er mußte nur das richtige Werkzeug finden… * Klenet legte sich auf die Lauer – zehn Meter über dem Boden. Er verbarg sich hoch oben in einem der Regale, hinter einer mit schwe ren Maschinenteilen gefüllten Metallkiste. In seiner Hand hielt er einen Antigravstab, ein praktisches Werk zeug, das überwiegend bei Wartungs- und Reinigungsarbeiten ein gesetzt wurde, wenn schwere Geräte oder Möbel ein Stück angeho ben werden mußten. Derartige Hilfsmittel gab es auf Raumschiffen aller Couleur. Auch in Fabriken wurden sie gebraucht, und selbst die moderne Hausfrau verzichtete nicht darauf. Form und Funktions weise waren zwar von Volk zu Volk verschieden, doch im allge meinen kam man mit diesen Werkzeugen auf Anhieb problemlos zurecht. Natürlich erwartete der Utare nicht ernsthaft, daß ihn der Kampf roboter hier oben nicht entdecken würde. Im Gegenteil, Kle wollte gefunden werden – zu diesem Zweck hatte er sich sogar von seiner Folie befreit. Sobald der Roboter ihn geortet hatte, würde er versu chen, an ihn heranzukommen. Das Antigravfeld reichte dafür nicht aus, also würde er am Regal hochklettern müssen… Fahr zur Hölle! waren die letzten drei von sechs Angloter-Worten, die Kle Klenet beherrschte – er konnte es kaum erwarten, sie zu ge brauchen. Mehrere Grey-Roboter schwebten unten geschäftig vorüber, doch nur einer war der richtige. Er blieb vor dem Regal stehen. Offenbar hatte er gefunden, was er suchte. Klenet bereitete sich vor, nahm den Antigravstab zur Hand… In diesem Moment trat ein uniformierter Grey auf den Kampfro boter zu. Wegen des gedämpften Maschinenlärms drangen nur fremdartige Satzfetzen an Klenets Ohr; er vermutete, daß der Robo
ter dem Uniformierten Bericht erstattete. Wie der Grey hereingekommen war, konnte Kle Klenet nur erah nen. Da das Hauptpanzerschott weiterhin fest verschlossen war, mußte es irgendwo einen geheimen, gesicherten Seiteneingang ge ben. Wahrscheinlich wurde die Durchführung der Wartungsarbeiten sporadisch kontrolliert, und noch wahrscheinlicher war, daß hier in der Maschinenhalle normalerweise nichts Gravierendes passierte – mit Ausnahme von heute. Diesmal hätte der Kontrolleur seinen Vorgesetzten eine Menge zu berichten gehabt… * Als sich das Panzerschott öffnete, befanden sich Kurt Buck und Yo Ho bereits knapp zwanzig Meter davon entfernt auf dem Rückzug. Immer wieder hatte Kurt den Ablauf der Wartezeit Minute um Mi nute hinausgeschoben, bis er es nicht mehr hatte verantworten kön nen. Kle Klenet trat nach draußen. Die Gardisten bemerkten ihn und kehrten um. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich mich mal freuen würde, den gif tigen Gartenzwerg zu sehen«, flüsterte Yo Ho. Buck und er betraten die große Maschinenhalle. Klenet verschloß hinter ihnen das Schott mit Hilfe seiner Analysa toren-Konstruktion, die er inzwischen wiedergefunden hatte. Das Licht blieb weiter an; offenbar gab es noch an anderer Stelle eine gesonderte Steuerung der Hallenbeleuchtung. Kurt Buck war fasziniert von der geballten Ladung Noid-Technik, die sich hier ausbreitete. Zweifellos war dieses Volk technisch sehr weit fortgeschritten, wenn auch in einer völlig anderen Richtung als beispielsweise die Menschen, Tel, Utaren oder die Worgun. »Wie sieht es draußen aus?« erkundigte sich der Utare. »Sind un sere Freunde schon da?« »Die verspäten sich wohl noch etwas«, antwortete Yo Ho.
»Da wäre ich mir nicht zu sicher«, entgegnete Buck. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Womöglich kreist man uns bereits von allen Seiten ein und bereitet sich auf den Sturm der Maschinenhalle vor. Haben Sie schon herausgefunden, ob und wo es weitere Eingänge zur Halle gibt, Klenet?« »Sonst noch was?« erwiderte der Utare. »Ich hatte genug damit zu tun, mich vor dem schieß wütigen Kampfroboter zu schützen, der mir durchs Schott gefolgt ist.« »Wie sind Sie eigentlich mit ihm fertiggeworden, so ganz ohne Waffen?« erkundigte sich der Schütze. Klenet führte die beiden Gardisten zu dem hohen Regal, auf dem er gesessen hatte. Vor der Regalwand lag eine große, stark lädierte Metallkiste, noch halb gefüllt mit Maschinenteilen. Die andere Hälfte des Inhalts verstreute sich rund um die Kiste. Irgendwo dazwischen ragten die dünnen Arme des Kampfroboters heraus. Buck fand, daß es an der Zeit war, endlich auch Klenet wieder zu bewaffnen. Kurt und er statteten ihn mit einem Blaster und einem einfachen Karabiner aus – sie verfügten ja über genügend Waffen, und ein paar davon konnte ruhig der Utare tragen. Sie selbst würden weiterhin ihre Multikarabiner benutzen. Da keine unmittelbare Gefahr drohte, klappten sie ihre Helme erst einmal wieder auf. So konnten sie sich besser miteinander unterhal ten. »Ich habe übrigens herausgefunden, von wo aus dieser ganze Komplex gesteuert wird«, informierte Klenet seine Begleiter und forderte sie auf, ihm zu folgen. »Auf meiner Flucht vor dem Roboter kam ich mehr zufällig daran vorüber. Und noch etwas: Vorhin trieb sich hier ein Grey herum. Keine Ahnung, wie er hereingekommen ist, durchs Schott jedenfalls nicht. Demnach muß es irgendwo in dieser riesigen Halle mindestens noch einen zweiten Zugang geben.« »Hat er Sie gesehen?« wollte Buck wissen. »Schon möglich«, antwortete Klenet. »Was wurde aus ihm?« hakte Buck nach. »Ist er wieder gegangen?
Mann, nun lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Wo steckt der Kerl?« »Sollen wir zurück zu der herabgefallenen Kiste gehen?« stellte Klenet ihm die Gegenfrage. »Oder haben Sie dort genug gesehen?« Buck verstand. Yo Ho informierte Klenet in kurzen Worten von ihrem Zusam mentreffen mit Admiral Seldar Buuhul und darüber, daß die Greys eigentlich Noid hießen. Klenet verzog ärgerlich das Gesicht. »Warum erfahre ich erst jetzt davon?« »Wann hätten wir es Ihnen sagen sollen?« erwiderte Buck. »Die meiste Zeit über mußten wir doch den Mund halten. Jetzt ist das nicht mehr nötig, die Noid wissen eh, wo wir sind. Aber noch haben sie uns nicht!« Klenet führte die Gardisten an einen Platz mitten zwischen den Maschinen. Provisorisch aufgestellte Wände dienten als Sichtschutz. Im Inneren des »Behelfsbüros« befand sich ein gro ßer Rechner mit einem breiten Kontrollpult. »Ich schätze, von hier aus wird die vollautomatische Maschinen steuerung kontrolliert«, sagte Kle Klenet. »Wenn wir wollen, können wir das Schiff zum Stillstand bringen.« »Wollen wir aber nicht«, entgegnete Buck. »Im übrigen gibt es in der Kommandozentrale garantiert einen Bordrechner, der diesem hier übergeordnet ist, der jeden Befehl, den man hier eingibt, einfach überstimmen kann.« »Wäre interessant, mal ein wenig mit dem Bordrechner zu plau dern«, bemerkte Ho in seiner gewohnt lockeren Art. »Das ließe sich vielleicht machen«, stellte Klenet in Aussicht. Buck horchte auf. »Das schaffen Sie nie!« »Unterschätzen Sie mich nicht, Leutnant. Mit dem Panzerschott bin ich auch fertiggeworden.« »Aber das hier ist eine Nummer zu groß für Sie – für uns alle.« »Nicht, wenn wir drei unser Wissen zusammenschmeißen«, wi dersprach Kle Klenet.
Unlösbare technische Aufgaben hatten Leutnant Kurt Buck schon immer gereizt… * Richtig daran geglaubt hatte er nicht. Und schon gar nicht daran, daß es in so kurzer Zeit zu schaffen war. Buck mußte sich mächtig zusammenreißen, um sich nicht selbst zu loben. Sich und die beiden anderen, ohne deren Mitwirkung er die Verbindung zum Bord rechner niemals zustandebekommen hätte. Yo Ho hatte mit dem Eigenlob keine Probleme. »Was sagen Sie nun, Herr Berufsskeptiker?« fragte er seinen Vorgesetzten in wenig respektvollem Tonfall. »Sind wir gut, oder sind wir gut?« »Wir entwickeln uns allmählich zum perfekten Trio«, antwortete Buck und wandte sich an Klenet. »Sie haben wirklich mehr auf dem Kasten, als ich Ihnen anfangs zugetraut hätte.« »Soll das heißen, Sie haben mich für einen Dummkopf gehalten?« fragte Klenet beleidigt. Buck ersparte sich und ihm die Antwort und machte sich daran, beim Hauptrechner eine schematische Darstellung des Schiffes ab zurufen. Yo Ho sondierte derweil in der Halle die Lage. Nichts deutete darauf hin, daß sich bereits Noid eingeschlichen hatten. »Worauf warten die nur?« murmelte er. In gewisser Weise fühlte er sich geehrt. Offenbar hatte der Admiral Leutnant Buck und ihn als überaus gefährlich eingestuft, weshalb der Angriff auf die Maschinenhalle erst einmal gut vorbereitet wer den mußte. Wahrscheinlicher war allerdings, daß die Noid vor ei nem Sturm auf die Halle zurückschreckten, weil die wertvollen, für den Antrieb und die Versorgung immens wichtigen Maschinen nicht beschädigt oder gar zerstört werden durften. Als Yo Ho zum Kontrollpult zurückkehrte, stellte er fest, daß Buck und Klenet nicht untätig gewesen waren. Kurt hatte auf dem Schema
inzwischen nicht nur den Weg zu den Hangars gefunden, er wußte auch, in welchem davon sich der Absetzer befand. »Der betreffende Hangar wurde farblich besonders markiert«, er klärte er dem Schützen. »Und hier ist der Verlauf der Luftschächte eingezeichnet. Ich drucke eine Folie aus, damit wir uns da drinnen nicht verirren.« Folie? Allein bei dem Wort zuckte Kle Klenet innerlich zusammen. Plötzlich verschwand die schematische Darstellung des Schiffes und auch alles andere vom Bildschirm. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Yo erschrocken. »Scheinbar hat man in der Zentrale mitbekommen, daß der Bord rechner angezapft wird und von wo aus«, schätzte Kle Klenet. »Bis jetzt haben die Noid mit dem Angriff noch gezögert, vermutlich, weil sie Angst um ihre Maschinen haben. Nun aber werden sie keine Rücksicht mehr nehmen, befürchte ich.« »Dann sollten wir zusehen, daß wir hier rauskommen«, sagte Buck und erhob sich von seinem Platz. Für ihn war die Aktion »Bordrechner« ein voller Erfolg gewesen. Er hatte nicht nur den Weg zum Absetzer ausfindig gemacht – son dern obendrein eine Möglichkeit entdeckt, die RUGA zu verlassen. »Haben Sie sich die Strecke zum Hangar gut eingeprägt, Schütze?« fragte er Ho auf dem Weg zum nächstgelegenen Einstieg in die Klimaanlage. »Wir sind jetzt ausschließlich auf unser Gedächtnis angewiesen.« »Wir schaffen das schon«, war der begabte Nachwuchsgardist überzeugt. »Zu dritt sind wir unschlagbar.« Als sie am Panzerschott vorüberkamen, überschlugen sich die Ereignisse. Offensichtlich hatte Seldar Buuhul wie erwartet den Angriffsbefehl gegeben. Das Schott öffnete sich, und bewaffnete Noid stürmten herein. Gleichzeitig bemerkte Klenet mehrere Einzelkämpfer, die sich im Schutz der Maschinen von hinten anschlichen. Er machte seine Waffen bereit.
Neben ihm klappten zwei Helmvisiere herunter. * Mit beiden Multikarabinern gleichzeitig nahmen Buck und Ho die durchs Schott stürmenden Noid-Soldaten unter Beschuß. Zahlreiche Graue liefen direkt in die Strahlenbahnen hinein und fanden den Tod, wie Fliegen, die sich auf eine glühendheiße Lampe stürzten. Kle Klenet streckte mit dem Blaster einen Noid nieder, der offenbar im Anschleichen noch nicht so geübt war und frühzeitig seine De ckung verlassen hatte. Daraufhin wurde Klenet von zwei Seiten un ter Dauerfeuer genommen. Er lief los und warf sich hinter eine etwas unförmige Maschine, die nicht sonderlich groß, aber für ihn als Schutz völlig ausreichend war. Augenblicklich wurde das Feuer eingestellt. Sieh an, das Teil ist wohl besonders wichtig für euch, dachte Kle. Umso besser, dann bin ich hier einigermaßen sicher. Zwei Noid versuchten, an ihn heranzukommen. Sie drangen bis hinter einen hohen, breiten Maschinenblock vor, der seiner Deckung gegenüberlag. Klenet konnte sie unmöglich treffen, trotzdem jagte er unablässig einen Energiestrahl nach dem anderen in Richtung des Blocks, ohne Rücksicht auf die Schäden, die er damit anrichtete. Die beiden Soldaten verloren die Nerven und kamen dahinter hervor, um sich eine neue Deckung zu suchen. Jetzt hatte Klenet sie da, wo er sie haben wollte. Sekunden später starben sie unter seinem Blasterfeuer. »Tür zu!« rief Buck zu ihm herüber – was Klenet auch ohne Über setzung verstand. Er schaute zum Panzerschott. Drinnen lagen mehrere leblose Noid; der Rest des Sturmtrupps hatte sich klugerweise zurückgezogen. Der Zeitpunkt zum Schließen des Schotts war demnach günstig. Aber wo, zum Kuckuck, hatte er schon wieder die Analysato ren-Konstruktion abgelegt? fragte sich Kle Klenet. Eben noch hatte er
sie in der Hand gehalten, kurz bevor er nach den Waffen gegriffen hatte… Dort, wo er zuletzt gestanden hatte, befand sich eine Art Tank, flach und rechteckig, Inhalt unbekannt, aber sicherlich leicht brenn bar. Die Flüssigkeit konnte über einen Schlauch mit Zapfhahn ab gepumpt werden – und direkt neben der Schlauchhalterung er blickte Klenet das gesuchte Teil. Er wollte dort hinrobben, doch mehrere Strahlenschüsse zwangen ihn, sich flach auf den Boden zu drücken. Offenbar war der Zorn der Noid auf ihn größer als ihr Hang zur Vorsicht, schließlich hatte er gerade drei ihrer Kameraden getötet, wobei er sich nicht gerade fair verhalten hatte. Das war Kle nur zu gut bewußt, doch seiner Ansicht nach hatte Fairneß im Krieg nichts verloren – und die Noid führten nun mal Krieg gegen ihn und seine Begleiter. Yo Ho sah, in welcher Bredouille sich Klenet befand, und gab ihm Feuerschutz. Mit dem Multikarabiner zwang er die Angreifer in Deckung. Klenet sprang auf, rannte los… … und mußte sich gleich wieder hinwerfen. Oben auf dem großen Maschinenblock, den er teilweise zerstört hatte, lag bäuchlings ein Noid und schoß auf ihn. Der Strahl verfehlte den Utaren nur knapp. Ho erblickte den Schützen. Sofort feuerte er einen Blasterstrahl auf ihn ab, der dicht über ihn hinwegging. »Zielen Sie nicht auf den Schützen!« rief Klenet ihm zu. »Verpassen Sie der Maschine eine Ladung, dann zieht er sich zurück!« Yo war fassungslos, und auch Buck konnte kaum glauben, was er da hörte. War Klenet verrückt geworden? Plötzlich tauchten zwei Arbeitsroboter von irgendwoher auf. Sie hielten kannenförmige Behälter in ihren Metallklauen und schweb ten auf den Tank zu. Zweifellos wollten sie dort ihre Behälter auf füllen. Um das Kampf geschehen kümmerten sie sich nicht im ge ringsten, sie folgten stur ihren programmierten Befehlen. Klenet nutzte seine Chance. Als die Roboter an ihm vorüber schwebten, stand er auf und ging mit ihnen mit. Auf diese Weise
nutzte er sie als Deckung, wobei ihm seine geringe Körpergröße zum Vorteil gereichte. Für einen Menschen wäre es bedeutend schwieri ger gewesen, sich hinter den Roboterwinzlingen zu verbergen. Am Tank kam es kurz zu einem Zwischenfall. Einer der Roboter griff nach den Analysatoren, um sie wegzuräumen. Klenet packte ebenfalls zu und beanspruchte mit dieser Geste das Gerät unmiß verständlich für sich. Der Arbeitsroboter überließ es ihm ohne Ge genwehr. Sein »Kollege« zapfte derweil flüssiges Schmierfett aus dem Tank. Schmierfett beziehungsweise Schmieröl gehörte auch noch im dritten Jahrtausend menschlicher Zeitrechnung zu den unverzich tbaren Hilfsmitteln in Werften, Fabriken oder in der Raumfahrt – und das nicht nur bei den Terranern. Nicht umsonst hieß es auf der Erde, daß nur der gut fuhr, der gut schmierte. Während Yo Ho Klenet erneut Feuerschutz gab, jagte Buck einen Blasterstrahl durch das geöffnete Schott, als Warnung, damit nie mand mehr versuchte, von draußen auf diesem Weg in die Halle einzudringen. Klenet traf bei den Gardisten ein und schloß unter Einsatz seiner Spezialapparatur das Panzerschott. Yo Ho trug eben falls seinen Teil dazu bei, indem er mit einem Schuß auf die Schließkontrolle dafür sorgte, daß es auch geschlossen blieb. Die entstöpselten Analysatoren und das komprimierte Kabel ver schwanden wieder in den Anzugtaschen der Gardisten. »Nun müssen wir uns nur noch zur Klimaanlage durchkämpfen«, sagte Kle Klenet, der offenbar Geschmack am Kampf gefunden hatte. »Dürfte nicht weiter schwierig sein, wenn wir meine Taktik anwen den. Wir gehen ganz dicht bei den Maschinen entlang, dann traut sich niemand, auf uns zu schießen.« »Sie hingegen scheinen nicht die geringsten Skrupel zu haben, die Maschinen zu zerstören«, stellte Buck fest. »Natürlich nicht, das hier ist doch nicht mein Schiff«, antwortete ihm Klenet freiheraus. »Wenn ich die Noid aus der Deckung treiben kann, indem ich hier drin alles mögliche kaputtmache, soll es mir
nur recht sein.« »Schon mal daran gedacht, daß wir alle im selben Boot sitzen?« fragte ihn Buck scharf. »Besser gesagt, im selben Raumschiff? Wenn der RUGA etwas zustößt, sind auch wir betroffen.« »Wohl kaum«, meinte der Utare. »Schließlich fliegen wir im Ab setzer bald auf und davon.« »Das können Sie vergessen«, klärte Yo Ho ihn auf. »Der Absetzer bleibt hier. Oder besser gesagt: das, was vom Absetzer nachher noch übrig ist.« »Sie wollen ihn zerstören?« fragte Klenet entsetzt. »Und wie kommen wir dann hier weg?« »Genau diese Frage sollten Sie sich stellen, bevor Sie erneut ohne Sinn und Verstand auf eine der Maschinen ballern«, erwiderte Buck. »Genug diskutiert – jetzt geht’s los!« Auf einigen Umwegen drangen sie zum Klimaschacht vor. Ab und zu stießen sie auf einzelne Noid, die sie aber nur beobachteten und sich sofort zurückzogen, sobald sie sich entdeckt fühlten. Nur ein einziges Mal kam es zu einem kurzen Schußwechsel, ohne Tote oder Verletzte. Beim Einstieg in den Schacht war kein Noid in der Nähe, nur Ar beitsroboter, die ihrer Tätigkeit nachgingen. Buck befestigte das Lüftungsgitter wieder sorgsam in der Verankerung. Er bezweifelte allerdings, daß sich ihre Häscher davon täuschen ließen; die Noid konnten sich sicherlich denken, wohin die Flüchtenden plötzlich verschwunden waren. * In der Klimaanlage redete Klenet unablässig auf Buck ein, die Zer störung des Absetzers noch einmal gründlich zu überdenken. Kurt hörte nicht hin und sehnte sich nach der Zeit zurück, als der Utare noch ein Stück Klebeband vor dem Mund gehabt hatte. Buck hatte sich gleich zu Anfang an den anderen vorbeigezwängt
und an die Spitze des Grüppchens gesetzt. Er war überzeugt, den Weg zum Hangar noch gut im Gedächtnis zu haben. Auch Yo Ho ging Kle Klenet, der sich direkt hinter ihm befand, mächtig auf die Nerven. »Können Sie nicht mal für einen Augenblick still sein?« fragte er ihn verärgert. »Wir versuchen uns zu konzentrieren. Im übrigen muß man ja nicht gleich überall auf dem Schiff mitkriegen, wo wir sind.« »Das wissen die Noid doch längst«, erwiderte Klenet. »Die Rateken würden in einem solchen Fall vermutlich ihre Hrraggna im Klima schacht aussetzen, und die würden dann kurzen Prozeß mit uns machen.« Der Gedanke an die Rateken schien ihn zum Verstummen zu bringen, denn er sagte erst einmal eine Weile nichts. Buck konnte das gut verstehen. Rateken und Utaren pflegten lose diplomatische Be ziehungen zueinander, wobei die riesenhaften Rateken die »Alten Zwerge«, wie sie die Utaren nannten, nicht so richtig ernst zu neh men schienen. Vor Jahren, so wußte Buck aus den Unterlagen über beide Völker, hatte es sogar einen blutigen Zwischenfall gegeben. Ein Rebell hatte auf dem ratekischen Heimatplaneten die utarische Botschaft in die Luft gesprengt. »Links oder schräg rechts?« fragte der Leutnant seinen Hinter mann, als sich der Schacht zum wiederholten Male gabelte. »Meiner Meinung nach sollten wir uns links halten«, antwortete Yo Ho und drehte seinen behelmten Kopf nach hinten. »Was denken Sie, Klenet?« Kle Klenet war spurlos verschwunden. »Ach, deshalb war es hinter mir plötzlich so still«, bemerkte Ho. »Haben wir ihn gekränkt, und er ist anderswo abgebogen?« »Wir kehren um und suchen ihn«, befahl Buck. Bald darauf fanden sie Klenet wieder. Er lag bewußtlos im Schacht. Eine Analyse ergab, daß sich Betäubungsgas in diesem Teil der An lage ausgebreitet hatte.
»Darum also hat uns niemand auf dem Weg zum Einstieg aufge halten«, konstatierte der Schütze. »Die Noid wußten genau, wo wir hinwollten.« Beide setzten ihren Weg zum Hangar fort. Den bewußtlosen Uta ren zog Yo Ho hinter sich her. * Nach einigen Irrwegen kletterte Kurt Buck im gesuchten Hangar aus der Klimaanlage. Yo und der bewußtlose Kle blieben vorn im Schacht zurück. Noch immer stand der Absetzer allein im Hangar, obwohl reichlich Platz für weitere Beiboote vorhanden war. Der Leutnant vermutete, daß die Noid vor ihrer Ankunft eine Kompletträumung veranlaßt hatten, damit die Panzer ungehindert einrollen und den Absetzer umstellen konnten. Ein bißchen viel Aufwand für drei Leutchen, überlegte er. Außerdem müßten sie unsere Gefangennahme schon weit im voraus geplant haben, solch eine Räumung dauert doch nicht nur ein paar Minuten. Ihm kam ein furchtbarer Verdacht: Seldar Buuhul und seine Mannschaft hielten diesen Hangar ständig frei, weil es häufiger vor kam, daß sie Beiboote oder kleinere Schiffe aus dem All entführten, kaperten und die Besatzung zum Tode verurteilten. Ihr angeblich so stolzes, unbesiegbares Volk war in Wahrheit eine gewissenlose Bande von Mordbrennern, die das Weltall unsicher machte. Wahr scheinlich lebten sie auf den Schiffen, und die Industriestadt auf Spug gehörte ihnen gar nicht. Sie wollten die Stadt lediglich plün dern, so wie die Utaren. Ein Grund mehr, schleunigst von diesem Schiff wegzukommen, dachte er. Problemlos gelangte er in den Absetzer hinein. Die Noid hatten ihn zwar mit einer primitiven Eintrittssperre gesichert, doch ein kleines Gerät aus Bucks Anzugtasche genügte, um die Sperre zu deaktivie
ren – ein Streichholz auszupusten war schwieriger. Die Selbstzerstörungsanlage innerhalb des Absetzers zu aktivieren war nicht so leicht. Aus dem Gedächtnis heraus mußte Kurt einen Zahlen-Buchstaben-Code in den Bordrechner eingeben und ver schiedene Schaltungen vornehmen. Dann lief der Countdown… Buck verließ den Absetzer und kehrte zurück zum Einstieg – da knallte es! Weitere Knallgeräusche folgten; sie kamen aus den Klimaschäch ten. Teils waren die Laute ganz nah, teils fern. »Sperrklappen!« entfuhr es Yo Ho. »Sie schneiden uns den Rück weg ab!« Kurt nickte. Ho hatte recht. Angesichts des großen Luftvolumens an Bord und der geringen Besatzungsstärke brauchte man die Luft nicht dauernd umzuwälzen und konnte es sich leisten, die Anlage für eine Zeitlang rundum dichtzumachen. Kle Klenet kam zu sich. Yo und er verließen den Schacht. Erleichtert stellte Klenet fest, daß der Absetzer noch intakt war. »Haben Sie es sich anders überlegt, Leutnant? Eine kluge Entschei dung. Wann fliegen wir?« »Möglicherweise früher, als Ihnen lieb ist«, antwortete Buck im Hinblick auf die bevorstehende Explosion des Absetzers. Er begab sich zum Schott, das aus dem Hangar hinausführte, zu rück ins Innere des Schiffes. Schon beim Öffnen befiel ihn ein ungu tes Gefühl… Vor dem Eingang zum Hangar befand sich eine größere Freifläche. Dort fuhr gerade eine ganze Armada Einmannschützenpanzer auf. Sie hatten sich noch nicht vollständig formiert, laufend kamen neue hinzu. Das waren selbst für die Gardisten zu viele Gegner. In Kurt Bucks Kehle bildete sich ein dicker Kloß. ENDE
Ein Universum Release
REN DHARK im Überblick Mittlerweile umfaßt die REN DHARK-Saga 78 Buchtitel:
16 Bücher mit der überarbeiteten Heftreihe,
26 mit der offiziellen Fortsetzung im DRAKHON- und BITWAR-Zyklus,
26 Sonderbände, sechs CHARR-Ausgaben und drei Spezialbände.
Der nun folgende Überblick soll Neueinsteigern helfen, die
Bücher in chronologisch korrekter Reihenfolge zu lesen.
Erster Zyklus: 2051: Handlungsabschnitt HOPE/INVASION
Band 1: Band 2: Band 3: Band 4: Band 5: Sonderband 4: Sonderband 7: Sonderband 1:
Sternendschungel Galaxis (1966 /1994)
Das Rätsel des Ringraumers (1966 /1995)
Zielpunkt Terra (1966, 1967/1995)
Todeszone T-XXX (1967 /1996)
Die Hüter des Alls (1967 /1996)
Hexenkessel Erde (1999)
Der Verräter (2000)
Die Legende der Nogk (1997 und Platinum
2004)
2052: Handlungsabschnitt G’LOORN Band 6: Band 7: Band 8: Sonderband 2: Sonderband 3:
Botschaft aus dem Gestern (1996) Im Zentrum der Galaxis (1997) Die Meister des Chaos (1997) Gestrandet auf Bittan (1998) Wächter der Mysterious (1998)
2056: Handlungsabschnitt DIE SUCHE NACH DEN
MYSTERIOUS
Band 9: Band 10: Sonderband 12: Band 11: Band 12: Band 13: Sonderband 8: Band 14: Sonderband 5: Sonderband 6: Band 15: Band 16:
Das Nor-ex greift an (1967 /1997)
Gehetzte Cyborgs (1967, 1968 /1997)
Die Schwarze Garde (2001)
Wunder des blauen Planeten (1968 /1998)
Die Sternenbrücke (1968 /1998)
Durchbruch nach Erron-3 (1968 /1999)
Der schwarze Götze (2000)
Sterbende Sterne (1968, 1969 /1999)
Der Todesbefehl (1999)
Countdown zur Apokalypse (2000)
Das Echo des Alls (1969/1999)
Die Straße zu den Sternen (1969 /2000)
Zweiter Zyklus: 2057/58: DRAKHON-Zyklus
2057: Handlungsabschnitt DIE GALAKTISCHE KATASTROPHE
Band 1: Band 2: Sonderband 10: Sonderband 9: Band 3: Band 4: Band 5: Sonderband 11: Band 6: Band 7: Band 8:
Das Geheimnis der Mysterious (2000)
Die galaktische Katastrophe (2000)
Ex (2000)
Erron 2 – Welt im Nichts (2000)
Der letzte seines Volkes (2000)
Die Herren von Drakhon (2000)
Kampf um IKO 1 (2001)
Türme des Todes (2001)
Sonne ohne Namen (2001)
Schatten über Babylon (2001)
Herkunft unbekannt (2001)
Sonderband 13:
Sonderband 14:
Band 9:
Band 10:
Band 11:
Sonderband 16:
Band 12:
Sonderband 17:
Dreizehn (2001)
Krisensektor Munros Stern (2001)
Das Sternenversteck (2001)
Fluchtpunkt M 53 (2002)
Grako-Alarm (2002)
Schattenraumer 986 (2002)
Helfer aus dem Dunkel (2002)
Jagd auf die Rebellen (2002)
2058: Handlungsabschnitt EXPEDITION NACH ORN Band 13:
Band 14:
Sonderband 18:
Sonderband 19:
Band 15:
Band 16:
Band 17:
Sonderband 20:
Band 18:
Band 19:
Sonderband 21:
Band 20:
Band 21:
Band 22:
Sonderband 22:
Sonderband 23:
Sonderband 24:
Band 23:
Band 24:
Sonderband 15:
Sonderband 25:
Cyborg-Krise (2002)
Weiter denn je (2002)
Rebell der Mysterious (2002)
Im Dschungel von Grah (2003)
Welt der Goldenen (2002)
Die Verdammten (2003)
Terra Nostra (2003)
Das Nano-Imperium (2003)
Verlorenes Volk (2003)
Heerzug der Heimatlosen (2003)
Geheimnis der Vergangenheit (2003)
Im Zentrum der Macht (2003)
Unheimliche Welt (2003)
Die Sage der Goldenen (2004)
Gisol-Trilogie 1: Der Jäger (2003)
Gisol-Trilogie 2: Der Rächer (2004)
Gisol-Trilogie 3: Der Schlächter (2004)
Margun und Sola (2004)
Die geheimen Herrscher
Die Kolonie (2002; Kurzgeschichten aus ver schiedenen Zeiträumen des Serienkosmos)
Jagd nach dem »Time«-Effekt
FORSCHUNGSRAUMER CHARR (sechsteiliger, abgeschlossener Mini-Zyklus) Sonderband 26: Wächter und Mensch
Dritter Zyklus: 2062: BITWAR-Zyklus Band 1: Band 2: Band 3:
Großangriff auf Grah Nach dem Inferno Die Spur des Tel
Einzelromane ohne Handlungsbindung an die Serie, die ca. sieben bis acht Jahre nach dem Ende des ersten Zyklus in einem »alternati ven« RD-Universum spielen: Spezialband 1: Spezialband 2: Spezialband 3:
Sternen-Saga / Dursttod über Terra (2001) Zwischen gestern und morgen / Echo aus dem Weltraum (2002) Als die Sterne weinten / Sterbende Zukunft (2003)