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KULTURKUNDLICHE
HEFTE
OTTO KROSCHE
Die Schildkr...
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KL EINE
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BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
""«LUX-LESEBOGEN
NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
OTTO KROSCHE
Die Schildkröten-Inseln EIN »ZOOLOGISCHES TRAUMLAND« IM STILLEN OZEAN
VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Die „verwunschenen" Inseln
M it dem weit zurückliegenden Absendedatum vom 6. April 1535
erhielt im Sommer des gleichen Jahres Kaiser Karl V. von Spanien und Deutsehland ein gewichtiges Schreiben aus der Hand des Tomas de Berlange, Bischofs von Panama. Der Brief war in Puerto Viejo, einer Hafenstadt von Ekuador, aufgegeben worden und enthielt einen Bericht des Bischofs über seine Inspektionsreise in das Inka-Land und seine Irrfahrt in die Weite des Stillen Ozeans. Das Schreiben begann mit folgenden Worten: „Eure Kaiserliche Katholische Majestät: Es erscheint mir dringend erforderlich, Eurer Majestät davon Kenntnis zu geben, wie meine Reise seit meiner Abfahrt von Panama am 23. Februar dieses Jahres bis zu meiner Ankunft hier in Puerto Viejo verlaufen ist. Unser Schiff segelte sieben Tage lang mit sehr günstigem Wind, wobei der Steuermann sich immer nahe an der Küste hielt, aber dann hatten wir eine sechs Tage währende Windstille. Die Strömung war so stark und führte uns mit sich, daß wir am Mittwoch, dem 10. März, eine Insel sichteten. Da wir nur noch für zwei Tage Wasser an Bord hatten, kamen wir überein, ein Rettungsboot an Land zu schicken, um Wasser und Gras für die Pferde zu beschaffen. Aber die Männer fanden nichts weiter als Seehunde, Seeschildkröten, Leguane und große Landschildkröten, die imstande waren, einen Mann auf ihrem Rücken zu tragen . . . " Die Inselgruppe im Stillen Ozean, bis zu der das Schiff des Tomas de Berlanga verschlagen worden war, schien bis dahin noch von keinem Menschen betreten worden zu sein. Lediglich ein InkaFürst, Tupac Yupanqui, soll sie zuvor mit einer Flotte von Flößen aus den leichten Balsahölzern erreicht haben, doch erscheint es nach dem, was die Sage der Inkas von dieser Reise berichtet, zwei-
felhaft, ob es sich dabei um dieselben Inseln handelt, die Berlanga fand. Des Bischofs Inseln jedoch sind ganz eindeutig bestimmbar, denn in dem Bericht ist ihre Lage angegeben: zwischen 1/2 und lt/2 Grad südlicher Breite. Auf die Längenbestimmung allerdings verstanden sich die Schiffer offenbar nicht, denn es heißt in dem Bericht weiter, daß sie glaubten, nicht weit vom Festland entfernt zu sein, weshalb sie auf den Inseln nicht alle Fässer mit Wasser füllten, was ihnen noch üble Durstplagen auf ihrer weiteren Fahrt eintrug. Fünfzehn Jahre später steuerte der Entdecker und Abenteurer Diego de Rivadeneira mit einigen seiner Leute auf der Flucht vor den Anhängern des Pizarro, des Eroberers des Inkareiches, die Inseln an. Sie erreichten sie auch, doch gelang es ihnen tagelang nicht, an Land zu kommen. Unberechenbare und ständig wechselnde Strömungein trieben ihr Schiff zwischen den Inseln hin und her, und das Ruder gehorchte nicht mehr der steuernden Hand. Dieses willenlose Umhergetriebenwerden erschien den Spaniern schließlich so spukhaft, daß sie die Überzeugung gewannen, die Inseln selbst trieben gleich Schiffen auf dem Meere hin und her, und so nannten sie die Inseln „Las Encantadas" — die Verwunschenen. W i r werden noch hören, worin diese „Spukhaftigkeit" begründet lag. Es waren die Galäpagos-Inseln. 1000 km von der Westküste Südamerikas entfernt, bilden sie eine Gruppe von über 60 großen und kleinen, zu beiden Seiten des Äquators gelegenen Inseln und Eilanden. Seitab von den großen Schiffahrtswegen, wirtschaftlich bedeutungslos und nur schwach besiedelt, machen sie noch heute den Eindruck verwunschener Abgeschiedenheit.
Im Wirbel der Meeresströme „Denke dir fünfundzwanzig Schlackenhaufen", so beschreibt sie der amerikanische Seefahrer und Verfasser großer Seeromane, Hermann Melville, „denke dir diese Schlackenhaufen hier und da auf einem leeren Platz verteilt, stelle sie dir zu Bergen vergrößert vor und nimm als den leeren Platz das Meer, und du hast die rechte Vorstellung von den verwunschenen Inseln. Sie sehen etwa so aus wie die Erde nach einem W e l t e n b r a n d . . . Regenschauer erfrischen
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die Wüste, aber auf diesen Eilanden fällt nie Regen. Wie in der Sonne gelassene syrische Kürbisse spalten sie sich durch ewige Dürre unter glutendem Himmel. .. Ein anderer Zug dieser Inseln ist ihre ausgesprochene Unbewohnbarkeit. Wenig mehr als Gewürm findet sich hier, Schildkröten, Eidechsen, riesige Spinnen, Schlangen und die absonderliche Mißbildung einer launischen Natur, der Leguan. Man vernimmt keine Stimme, kein Gemuhe, kein Geheul, der hauptsächlichste Ton der Lebewesen hier ist ein Zischen." Wenngleich nun die Galäpagos-Inseln nicht derart beschaffen sind, daß sie einen Seefahrer nach wochenlanger Segelschiffsreise in Entzücken versetzen, wie etwa die heiteren Südseeinseln, so sind sie doch nicht so trostlos — vor allem nicht die großen Inseln —, wie Melville sie schildert. Daß es auf ihnen nie regnet, trifft keinesfalls zu. Vielmehr herrscht auf ihnen alljährlich eine Regenzeit, die in der Regel von Januar bis April anhält, während die andere Zeit des Jahres trocken und mit einer Lufttemperatur von etwas über 20 Grad für die Lage der Inseln direkt am Äquator verhältnismäßig kühl ist. Diese absonderlichen Witterungsverhältnisse — die meisten äquatorialen Gebiete der Erde haben ein heißes und feuchtes Klima — verdanken die Inseln dem kalten Humboldt-Strom, der aus den Gewässern um den Südpol an der Westküste Südamerikas nach Norden bis zum Äquator fließt, sich dort nach Westen in den Stillen Ozean hinein wendet und dabei die Galäpagos-Inseln umspült. Sein kaltes Wasser und der aus Südosten wehende Passatwind erzeugen in den niederen Gebieten der Inseln ein sonniges, mäßig warmes und trockenes Klima, während die höheren Lagen in ständigen Nebel gehüllt sind, der genügend Feuchtigkeit für das Gedeihen eines immergrünen Waldes bietet. Mitte Dezember jedoch ändert sich das Klima. Der Südost-Passat hört auf zu wehen, der Nebel verschwindet, die Temperatur steigt, die ersten Regenschauer fallen, und es erscheint El Nifio = Das Kind. Mit diesem Namen wird das Herannahen der warmen Oberflächenströmung aus dem Stillen Ozean bezeichnet, die sich bisher nördlich der Inseln mit dem kalten Humboldt-Strom vermengte und die jetzt zur Weihnachtszeit (also wenn das Christ-Kind kommt) mit dem Aufhören
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Aus der Pflanzenwelt der südlichsten Galäpagos-Inseln
des Passats nach Süden vordringt und in ausgesprochenen NirioJahren sogar den Humboldt-Strom von den Inseln abdrängt; dann fallen außergewöhnlich heftige Regen. — Diese Vermengung der beiden gegensätzlichen Meeresströme war es, die um das Jahr 1550 die Schiffe der spanischen Besucher der Inseln im Durcheinander der Strömungen und Gegenströmungen hilflos umhertreiben und so die Sage von den schwimmenden, verwunschenen Inseln entstehen ließ.
Der Mensch bricht in ein Paradies ein Ganz anders indessen als Melville hat John Byron, ein Verwandter des Dichters Lord George Gordon Byron, Ende des 18. Jahrhunderts die Landschaft gesehen: ,,Der Ort sieht wie eine neue Schöpfung aus. Vögel und Tiere laufen vor uns nicht fort. Pelikane und Seelöwen starren uns an, als hätten wir kein Recht, in ihre Einsamkeit einzudringen. Die kleinen Vögel sind so zahni, daß sie uns auf die Füße hüpfen, und all dies zwischen Vulkanen, die auf allen Seiten rings um uns brennen. Alles in allem, ist es eine so öde und wilde Landschaft, wie sich die Phantasie nur denken kann." Dies nämlich ist ein weiterer Wesenszug der Verwunschenheit dieser Inseln: die vollkommene Arglosigkeit ihrer tierischen Bewohner — mit Ausnahme der Zugvögel, die an ihren Küsten rasten und die draußen in der Welt den Menschen fliehen gelernt haben. Jene Tiere, die Seelöwen und Vögel sowie das „Gewürm", wie Melville es verächtlich nennt, sind eine Gesellschaft von eigenartigen Geschöpfen, die zum Teil nur auf diesen Inseln hier zu Hause sind und gerade dadurch der Wissenschaft eine Reihe von Problemen geboten haben. Die Tiere waren es auch, die der Inselgruppe zu ihrem jetzigen Namen verholfen haben. Isolas de Galäpagos wurden sie schon 1570 in einem Kartenwerk genannt — Schildkröten-Inseln (spanisch: galäpayo = Schildkröte). Denn außer den großen Leguanen waren es vor allem die riesigem Landschildkröten, die den Besuchern der Inseln auffielen. Die gewaltigen, zentnerschweren Tiere waren nicht nur merk-
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würdig, sondern sie erwiesen sich auch als äußerst wohlschmekkend. Alle Berichte rühmen den köstlichen Geschmack des Fleisches, des Fettes und der Eier der Schildkröten, und so wurden die Galäpagos-Inseln gerade deswegen ein von Handelsschiffen, Kaperfahrern, Piraten und Walfängern gern aufgesuchter Platz. „ W a l fischfabrer", so schreibt der Kaperkapitän Porter im Jahre 1813, „die in der Näh« der Inseln ihrem Gewerbe nachgehen, nehmen im allgemeinen zwei- bis dreihundert dieser Tiere an Bord und verstauen sie im Schiffsraum, wo sie, so seltsam es klingen mag, oft ein ganzes Jahr lang am Leben blieben, ohne Nahrung oder Wasser, und wenn sie nach Ablauf jener Zeit getötet wurden, fand sich, daß sie an Fett und Geschmack nur noch gewonnen hatten." Obwohl auf diese Weise im Laufe der Jahrhunderte viele Hunderttausende von Schildkröten geerntet wurden, schadete dieser Raubbau dem Bestand doch nicht empfindlich. Die Seeleute beschränkten sich bei ihrer Ernte meist nur auf die Küstenstreifen der Inseln und kamen selten ins Landesinnere, so daß die Schildkröten dort unbehelligt blieben. Dies änderte sich jedoch, als die Inseln von Menschen besiedelt wurden.
Sträflingsinseln Seit ihrer Entdeckung waren die Galäpagos-Inseln dreihundert Jahre lang herrenloses Gebiet geblieben, an dem kein Staat wegen seiner offenbaren Wertlosigkeit ein Interesse zeigte. Erst im Jahre 1836 ergriff Ekuador, nachdem es sich im Jahr zuvor aus der spanischen Oberhoheit gelöst und selbständig gemacht hatte, offiziell Besitz von der Inselwelt und siedelte auf der Insel Charles 80 Soldaten an, die eigentlich erschossen werden sollten, da sie am.einer Empörung teilgenommen hatten. Die Siedlung erhielt den Namen Asilo de la Paz — Freistatt des Friedens; doch ging es in ihr keineswegs immer friedlich zu. Zunächst blühte sie unter der Führung ihres Gründers, des Generals Villamil, auf. Sein Nachfolger machte sich jedoch als Statthalter schwerer Übergriffe schuldig, so daß sich die Siedler, die inzwischen durch Sträflinge ergänzt worden waren, gegen ihn erhoben und ihn verjagten. 1845 wurde die Kolonie nach der Insel Chatham verlegt, wo sie dann
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allmählich immer kleiner wurde und schließlich einging. 1870 wurde Charles abermals durch Sträflinge besiedelt, aber auch diese Koloniegründung war nicht von langer Dauer und bereits zehn Jahre später nach Mord und Totschlag wieder erloschen. 1893 schließlich wurde ein dritter Versuch unternommen, Charles zu besiedeln, aber auch dieses Unternehmen scheiterte; die Bewohner zogen bereits vier Jahre später nach der Insel Albemarle um, und diese Kolonie hat sich bis heute erhalten. Ebenso besteht heute noch auf Chatham eine Siedlung, die gleichfalls eine blutige Geschichte hat. Sie wurde 1859 von einem gewissen Manuel Cobos begründet und ebenfalls mit Sträflingen besiedelt. Cobos herrschte über sie wie ein fürchterlicher Tyrann. Wegen geringfügiger Vergehen ließ er seine Untertanen erschießen oder zu Tode peitschen, andere verbannte er auf unbewohnte Nachbarinseln, wo sie elend an Hunger und Durst zugrunde gingen. An jenem Tage endlich, als er einen Mann zu fünfhundert Peitschenhieben auf den bloßen Rücken verurteilt hatte, erhoben sich die gequälten Sklaven und erschlugen Cobos und den Regierungsbeamten der Kolonie, der die Schreckensherrschaft geduldet hatte. Heute leben auf dem ganzen Archipel etwa tausend Menschen, die meisten auf Chatham und Albemarle. Die Bevölkerung besteht in der Hauptsache aus Ekuadorianern, doch haben sich auch einige Europäer auf den Inseln Charles und Indefatigable niedergelassen. Auf Charles lebte auch Dr. Ritter, ein Berliner Zahnarzt, der Ende der zwanziger Jahre beträchtliches Aufsehen mit dem Plan erregte, die Zivilisation abzuschütteln und auf den weltentlegenen Galäpagos-Inseln zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen wie Robinson Crusoe ein einfaches, paradiesisches Leben zu führen. Doch dieser Traum vom Paradies ging nicht in Erfüllung — die einstigen Freunde veruneinigten sich bald und trennten sich. Heute bezeichnet ein pflanzenumwuchertes Holzkreuz auf der Insel Charles den Platz, wo der Träumer von einem besseren Leben in ewigem Schlummer liegt.
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Wie eine Elefantenhaut bedeckt Lava die Inseln
Schildkröten — die Ureinwohner Diese ständige Besiedlung hat, wie meist in solchen Fällen, die Ureinwohner der Inseln, die Schildkröten, fast ausgerottet. Denn anders als die Seeleute suchten nun die ständigen Bewohner die Schildkröten auch in ihren Lebensgebieten im Innern der Inseln auf. „Eine Beschreibung der Südseite der Insel Albemarle, wo die größten Schildkröten leben, dürfte eine ungefähre Vorstellung von dem Pflanzenwuchs und der allgemeinen Natur der anderen Berge und Inseln geben, wo Schildkröten hausen", schreibt 1905 der amerikanische Naturforscher R. H. Beck, der mehrmals mit wissenschaftlichen Expeditionen die Galäpagos-Inseln besuchte. „Die ersten dreihundert Meter über dem Meeresspiegel, wo das Gelände allmählich ansteigt, bestehen aus rissiger Lava, in deren Spalten Bäume und Büsche Wurzeln fassen und in den drei oder vier Monaten der Regenzeit wachsen. In den nächsten vierhundertfünfzig Metern ist der Pflanzenwuchs üppiger. Schlingpflanzen und Büsche bilden ein ernstes Hindernis für den Wanderer. Auf den Bäumen wachsen Farne und Orchideen in großer Zahl. Von etwa siebenhundertfünfzig Meter an hört der Wald auf, und langes, üppig wachsendes Gras und Flügelfarne bilden den hauptsächlichen Pflanzcnwuchs. In dieser Höhe hängt in der Sommerzeit fast ständig schwerer Nebel über dem Berg. Hier verleben die meisten Schildkröten die Zeit von Mai bis Januar. Zur Zeit meines Besuches hielten sich die meisten Schildkröten in den offenen Lichtungen und sonnigen Feldern am oberen Waldrand auf. An jedem solchen Platz längs des Pfades und an anderen Pfaden konnten wir sehen, wie sie weideten, herumliefen oder ruhig, mit dem Kopf gegen den F u ß eines Baumes oder Busches gelehnt, schliefen: dort hatten sie auch ihr Lager gegraben. Wir fanden, daß die Schildkrötenfährten sich kilometerweit den Berghang hinauf- und herunterziehen. Eines der Ziele im unteren Teil des Gebirges war ein felsiges Becken, wo sich das Wasser bei Regen sammelt. Durch jahrhundertelanges, ständiges Abschleifen durch die kriechenden Schildkröten sind diese Felsen so glatt gescheuert worden, daß es fast unmöglich ist, nach einem Regen darüber zu gehen, wenn sie naß sind. 10
In einem kleinen Tal nur wenig unterhalb des Berggipfels fanden wir eine Zahl großer Tiere. Sie waren beträchtlich stärker als alle, die wir weiter unten gesehen hatten. Dieses Tal war unzweifelhaft die Heima-t der ,Alten vom Berge', und einen besseren Ort für ihre Entwicklung konnte man nicht finden. In dem ständig reichen Gras, unter den vereinzelten Bäumen, unter den vielen Büschen zu liegen, wenn die Sonne allzusehr brennt, und das Wasser dicht bei der Hand zu haben, das sind sicher Verhältnisse, die langes Leben und vollkommenes Wohlbefinden gewährleisten. Im November fanden wir verschiedene Nester am unteren Waldrand. Alle Eier, die wir an jenem 12. November fan'den, waren vollkommen frisch, und wir sahen zwei oder drei neugegrabene Löcher mit Schildkröten nur wenige Meter davon entfernt. Die meisten der gefundenen Nester lagen in gut gebahnten Rinder- oder Schildkrötenfährten. Sie waren so angelegt, daß die Sonne nur ein paar Stunden am Tag auf sie schien, dann aber sehr heiß. Als wir die ersten Nester am Weg fanden, mußten wir unwillkürlich an die alte Volksweisheit denken: Man soll nicht alle seine Eier in einen Korb tun. Dies ist eine Mahnung, welche die Schildkröte befolgt, denn im Umkreis von fünfundvierzig Meter fanden wir vier Nester, von denen jedes acht bis siebzehn Eier enthielt. Die Löcher waren ungefähr 40 Zentimeter tief und hatten einen Umkreis von etwa 30 Zentimeter. Die Eier wurden in Schichten von drei bis sechs abgelegt. Die erste Schicht lag auf dem weichen Boden am Grunde, sie war von der nächsten durch zwei bis drei Zentimeter Erde getrennt; die zweite Schicht war von der dritten in derselben Weise geschieden. Die Erde, welche die Eier umhüllte, war locker, aber oben war das Loch bis zu einer Tiefe von sieben bis neun Zentimetern mit einer sehr harten Kruste bedeckt. Sie war wahrscheinlich so zustande gekommen, daß die Schildkröte sich daraufgelcgt und von der einen Seite zur andern in derselben Weise darauf gedrückt hatte, wie wir es häufig beobachteten, wenn sie sich in ihr Lager hineinwühlte." In dieses Schildkrötenparadies brach nun der Mensch unbarmherzig ein. Denn nicht nur zur Nahrung wurden die Tiere weiterhin gesammelt, sondern auch im großen zur Gewinnung von öl aus ihrem Fett. Jede große Schildkröte ergibt vier bis elf Liter 11
ö l . Und wenn Beck berichtet, daß er bei seiner Ankunft am Strande eine Anzahl van Fässern mit viereinhalbtausend Liter Schildkrötenöl zur Verschiffung bereit liegen sah, war es für ihn nicht schwer, zu prophezeien, daß „die Schnelligkeit, mit der die Schildkröten getötet werden, und der Grund zu ihrer Erlegung nur wenig Hoffnung läßt, daß sie nicht genau so ausgerottet werden wie der amerikanische Bison, nachdem die Hautjäger ihr Vernichtungsweirk begonnen hatten.",
Verwilderte Hunde rotten die Schildkröten aus Zu den menschlichen Jägern treten jedoch noch andere hinzu,' die die Vernichtung der Schildkröten noch nachhaltiger betreiben. Während nämlich von den Menschen nur die ausgewachsenen Tiere getötet wurden, fallen die jungen und vor allem die frisch aus den Eiern schlüpfenden kleinen Schildkröten den verwilderten Hunden zum Opfer. Damit aber wurde die Axt an die Wurzel des Bestandes gelegt, und so sind heute die Schildkröten-Inseln arm an diesen Tieren geworden und verdienen eigentlich ihren Namen nicht mehr. Offiziell heißen sie auch gar nicht mehr so, denn 1892 wurden sie anläßlich der 400-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas von der Regierung in Ekuador in Columbus-Archipel umgetauft, doch hat sich dieser neue Name nicht einbürgern können. In dieser Vernichtung der Galäpagos-Schildkröten durch die verwilderten Hunde wiederholt sich in unseren Tagen vielleicht ein Vorgang, der sich vor 60 Millionen Jahren auf der ganzen Erde zugetragen hat. Damals nämlich, in der Kreidezeit, starben in verhältnismäßig kurzer Zeit die Saurier vollständig aus, nachdem sie gerade in dieser Erdepoche ihren höchsten Ausbildunngsstand erreicht und als gewaltige Ungeheuer, gegen die unsere Elefanten und Nashörner nur niedliche Tierchen sind, die Steppen und Sümpfe als wahre Herrscher der Erde bevölkert hatten, über die Ursache dieses plötzlichen Aussterbens sind eine Reihe von Erklärungsversuchen unternommen worden. Einer besagt, daß es die um dieselbe Zeit sich entwickelnden Säugetiere waren, die den Untergang der Saurier herbeiführten, indem sie die Eier und Jungen der Saurier fraßen. Ob diese Erklärung richtig ist, wissen wir 12
Galapagos-Brletmarken Ekuadors: obere Ileihe: die Inseln im Stillen Ozean; — mächtiger Landlegüan;— ItlesenschildkrSte. Untere Ileihe: Charles Darwin und das Expeditionsschiff „Beagle"; — Columbus, nach dem die Inseln auch „Columbus-Archipel" genannt werden; — Inselmotiv.
nicht — es wirkten bei dem Aussterben der Saurier vielleicht noch andere Umstände mit, wie Klimaänderungen oder auch ein Nachlassen der Lebenskraft der ins Maßlose gesteigerten Gestalten der Saurier selbst — aber eine wesentliche Rolle mögen die Säugetiere dabei schon gespielt haben. Dem Schicksal der Riesenschildkröten von Galäpagos ist das Schicksal vieler Tiere auf Madagaskar und anderen Inseln vergleichbar; auch dorthinsind durch den Menschen fremde Tiere, Hunde, Katzen, Ratten gelangt und haben der einheimischen Tierwelt schweren Schaden zugefügt. Denn diese fern von den Kontinenten im Meer liegenden Inseln sind gewissermaßen Altersheime des Lebens. Auf ihnen haben sich oft altertümliche Lebensformen erhalten, die anderswo längst erloschen sind. Das größte und bekannteste ist Australien mit seiner reichen Fülle an Beuteltieren, die es anderswo — außer einigen wenigen Vertretern in Amerika — nicht mehr gibt. Ferner Madagaskar mit seinen Halbaffen, Neuseeland mit Brückenechse, Kiwi und Moa, Mauritius mit dem Vogel Dronte. Und so sind auch die Riesenlandschildkröten solche Alten, die auf entlegenen Inseln eine letzte Heimstatt haben: im Pazifik auf den Galäpagos-Inseln und im Indischen Ozean auf den Seychellen, den Maskarenen, auf Mauritius und Aldabra.
Wo kamen die Landtiere her ? Dieses Insel-Vorkommen der Riesenschildkröten hat einen wissenschaftlichen Streit über die erdgeschichtliche Herkunft der Galäpagos-Inseln hervorgerufen. Die ganze Inselgruppe ist ohne Zweifel vulkanischer Natur. Das Gestein ist Lava, und auf jeder erheben sich Vulkankrater, die zum Teil noch heute in Tätigkeit sind. Nach der Auffassung einiger Gelehrter sollen die Inseln etwa am Ende der Tertiärzeit, vor etwa zwei Millionen Jahren, durch gewaltige untermeerische Vulkanausbrüche entstanden sein. Dieser Meinung jedoch setzt die andere Seite die Frage entgegen, wie denn wohl die Landschildkröten «uf diese entlegenen, 1000 km vom amerikanischen Festland entfernten Inseln gekommen sein sollen. Bei allen anderen pflanzlichen und tierischen Bewohnern det
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Inseln kann man sich mit einiger Phantasie vorstellen, daß sie einmal, von Stürmen verweht, von Meeresströmungen getragen oder als blinde Passagiere im Gefieder von Zugvögeln vom amerikanischen Festland her auf die Inseln verbracht wurden — bei den Landschildkröten aber sind solche Transportmittel unmöglich. Und so glauben manche Forscher, daß die Galäpagos-Inseln früher einmal mit dem Festland durch eine Landbrücke verbunden waren, die später im Meer versank und so das heutige Galäpagos-Gebiet isolierte. Die Schildkröten aber blieben auf diesen Landresten erhalten, während sie auf dem Festland ausstarben. Tatsächlich sind ja die Riesenschildkröten, wie schon erwähnt, heute nur noch auf einigen entlegenen Inseln zu finden; vor einigen Jahrmillionen dagegen waren sie auch auf den Festländern verbreitet, wie die Funde von Versteinerungen in Nordamerika, Kuba, Patagonien, Indien zeigen. Die anderen seltsamen Tiere, die außer den Riesenschildkröten schon den alten Seefahrern auffielen, waren die Leguane. Es sind große, meterlange Eidechsen, von denen es zwei verschiedene Arten gibt, die beide auf den Galäpagos-Inseln „endemisch" sind, d. h. die nur hier vorkommen und sonst nirgends auf der Weit. Die eine ist der Drusenkopf Conolophus subcristatus, die andere die Meerechse Amblyrhynchus christatus. Der Drusenkopf ist eine düsterrot, schwarz und gelb gefärbte Landeidechse, die früher überall auf den großen Galäpagos-Inseln häufig war, heute jedoch vielleicht nur noch auf der Insel Narborough vorhanden ist. Der amerikanische Zoologe William Beebe, der die Inseln 1923 besuchte, schreibt in seinem Buch „Galäpagos, das Ende der W e l t " , daß sie wohl nur noch auf Narborough und Süd-Seymour ihr Reich hätten und daß die Vernichtung dieser prächtigen Echse auf den anderen Inseln durch den Menschen sowie durch Hunde und Schweine verursacht wurde. Auf Süd-Seymour fand Beebe diese Eidechsen in der mit Gras und einzelnen Kakteen und Büschen bewachsenen Savannenlandschaft noch häufig vor, aber diese vorletzte Heimstatt der Drusenköpfe ist leider durch den zweiten Weltkrieg vernichtet worden. 1942 nämlich errichteten die Vereinigten Staaten auf Süd-Seymour einen Flugstützpunkt, der vor allem für den Schutz des Panamakanals vor15
gesehen war. 1946 gaben die USA den Stützpunkt wieder auf und überließen ihn der Republik Ekuador, die ihn aber nicht weiterbenutzte. 1954 besuchte der österreichische Zoologe Irenäus Eibl-Eibcsfeldt mit der Expedition des Unterwasserforschers Hans Hass die Inseln und sah in Süd-Seymour noch die Reste des Kriegsflugplatzes: „ ü b e r a l l stießen wir auf leere Tanklager, verfallene Baracken und geborstene Asphaltstraßen . . . Landleguane fand ich nicht, sie sind wohl ausgerottet." So mögen diese Eidechsen vielleicht n u r noch auf der Insel Narborough, die Eibl nur kurz besuchte, eine letzte Heimstatt haben.
Das seltsame Volk der Meerechsen Die anderen großen Leguane dagegen, die Meerechsen, sind noch erfreulich häufig. Sie, die ebenfalls nur auf den Galäpagos-Inseln vorkommen, gehören zu den merkwürdigsten Erscheinungen in der Familie der Echsen, sie sind nämlich die einzigen im Meere lebenden Eidechsen. Sie bewohnen ausschließlich die Küstenstreifen der Inseln und gehen niemals ins Landinnere. Nachts verkriechen sie sich in Spalten und Höhlen der Lavafelsen, tagsüber liegen sie auf den Klippen und sonnen sich. Zur Zeit der Ebbe begeben sie sich hinunter an den Strand, um die Tangwiesen in der Brandung abzuweiden, denn der Seetang bildet die einzige Nahrung der Meerechsen. Entsprechend dieser Lebensweise sind die Meerechsen vortreffliche Schwimmer und Taucher, die mühelos von einer Insel zur anderen gelangen. In der Gestalt ist die Meerechse dem ihr nahe verwandten Drusenkopf sehr ähnlich, nur der Schwanz, beim Drusenkopf stielrund, ist bei der Meerechse als seitlich zusammengedrücktes Schwimmorgan ausgebildet. In der Färbung jedoch sind die beiden deutlich unterschieden; denn im Gegensatz zu dem bunten Drusenkopf wird die Meerechse von fast allen Beobachtern vals dunkelgrau bis schwarz gefärbt geschildert. Lediglich Eibl-Eibesfeldt beschreibt sie als schwarz und leuchtend rot gefleckt und belegt diese Beschreibung auch mit Farbphotographien. Dieser Unter16
Junges Exemplar einer Riesenschildkröte. Man unterscheidet heute 14 Arten dieser großen Tiere. Leider sind sie fast ausgerottet, da sich die anlaufenden Schiffe die Schildkröten oft an Bord holten
schied ist wahrscheinlich daraus zu erklären, daß Eibl bei seinem Besuch Anfang Januar, als der Galäpagos-Frühling gerade begonnen hatte, die Meerechsen im Hochzeitskleid antraf, während die anderen Beobachter die Tiere zu anderer Jahreszeit in ihrer gewöhnlichen einheitlich schwarzgrauen Färbung sahen. Eibl berichtet auch, daß die Versammlung von Hunderten von Meerechsen, zwischen denen er auf einem Lavaklippengebiet einige Stunden verbrachte, aus lauter kleinen, voneinander deutlich getrennten Herden von jeweils fünf bis zehn Weibchen mit einemi Männchen bestand. Jedes dieser Männchen behauptete ein kleines Revier, in dem sie keinen Nebenbuhler duldeten. Wagte sich ein anderes Männchen zu nahe heran, nahm der Revierinhaber «ine Drohhaltung ein, indem er seinen Rückenkamm aufrichtete und, dem Gegner die Breitseite bietend, langsam auf ihn .zukroch, das Maul aufriß und mit dem Kopfe nickte. Wich trotzdem der Eindringling nicht zurück, krochen die beiden Rivalen mit aufgerissenen Rachen aufeinander zu und spritzten, wie die dampfschnaubenden Drachen der Sage, einen feinzerstäubten Wasserstrahl aus den Nasenlöchern. Schließlich stürmte der Revierinhaber mit gesenktem Kopf auf den Eindringling los, der ihn in der gleichen Haltung erwartete. Dann versuchten beide, einander mit den Schädeln wegzuschieben. Bei diesen harmlosen Kämpfen beobachtete Eibl, daß der Eindringling entweder in eine Felsspalte gedrängt wurde oder aber, daß er den Kampf plötzlich aufgab und isich vor seinem Gegner flach auf den Boden legte, worauf der Sieger, mit dieser Unterwerfungsgeste zufrieden, ebenfalls die Feindseligkeiten einstellte. Beebe wiederum, der im März/April auf den Inseln weilte, berichtet von einer Familie von zwei alten Meerechsen und vier J u n gen, die er an mehreren Tagen an derselben Stelle antraf; die Jungen spielten und balgten miteinander wie junge Hunde.
„Traumland der Zoologen" Außer den Meerechsen dienen die Küstenklippen auch den ,.Seelöwen" als Heimstätte. Diese Robben bilden jeweils einen Familienverband von zwanzig bis dreißig Weibchen mit ihren Jungen und 18
einem männlichen Tier, das der Herr und Vater der Familie ist. Während die Weibchen draußen im Meere fischen oder mit ihren Jungen auf den Felsen oder im seichten Uferwasser ruhen, schwimmt der Familienvater unefmüdlich vor dem Küstengebiet seiner Familie auf und ab. An bestimmten Stellen richtet er sich hoch aus dem Wasser auf und stößt sein bellendes Gebrüll — ou, pu, ou — aus. Auf diese Weise steckt er die Grenzen seines Bezirkes ab und warnt jeden anderen Seelöwenmann, sich zu nähern. Sein stämmiger, narbenbedeckter Körper zeigt, daß er ein unerschrockener Kämpfer ist, der sich auch erst nach zahlreichen Beißereien mit anderen Robbenbullen seine Frauen erobern mußte. Zugleich bewacht er dabei die Jungen. Wagt sich eines zu weit ins Meer hinaus, schwimmt er zu ihm hin und scheucht es zurück, damit es in seiner Unerfahrenheit nicht ein Opfer der Haie wird. So ist er den ganzen Tag über tätig; erst am Abend, wenn alle Angehörigen seiner Familie zum Schlafen an Land gegangen sind, verläßt auch er endlich seinen Wachtposten im Wasser. Häufig leben auf denselben Klippen Meerechsen und Seelöwen einträchtig nebeneinander —, ein Bild, das die Einzigartigkeit und Seltsamkeit der Galäpagos-Inseln besonders sinnfällig werden läßt. Wenn man dann noch hört, daß in diese so merkwürdige Gesellschaft der Mensch sich ungescheut hineinbegeben kann, ohne daß die Tiere ihn fliehen, sondern im Gegenteil sich ihm in erstaunter Neugier zuwenden und nähern, dann kann man verstehen, d a ß diese Inseln mit ihren so paradiesischen Verhältnissen das „ T r a u m land der Zoologen" genannt worden sind. In der Tat, ist das nicht ein Traumland, wo einem eine Spottdrossel vor die Füße hüpft und an den Schnürsenkeln zupft, wo ein Bussard oder eine Eule sich dicht neben einem niederläßt und einen betrachtet, und wo man durch eine Seevogelkolonie spazieren kann, ohne daß einer der Vögel davonfliegt? Aber auch dieses Paradies h a t seinen Engel mit dem Flammenschwert. Denn gerade die kleinen, unberührten und besonders interessanten Inseln sind alle wasserlos, und so kann man sich auf ihnen unter der heißen Äquatorsonne nicht für längere Zeit aufhalten. Daher kommt es, daß über die Lebensweise vieler Tiere dieser Inseln noch längst nicht alles bekannt ist, ja zum Beispiel 19
von der Lavamöwe und dem Galapagos-Pinguin kennt man noch nicht einmal das Nest. Ja, auch Pinguine, diese Vögel der Südpolarwelt, gibt es auf den Galäpagos-Inseln am Äquator. Die Pinguine sind zwar die Charaktervögel des antarktischen Gebietes rund um den Südpol, aber eine ganze Reihe von Arten ist mit den kalten Meeresströmungen weit nach Norden vorgedrungen. An der Westküste Afrikas gerieten sie mit dem Benguella-Strom bis hinauf zur Großen Fischbai bei Mossamedes in Portugiesisch-Angola, mit dem Falkland-Strom wanderten sie längs der Ostküste Südamerikas i i s Rio Grande do Sul, mit dem Humboldt-Strom bis nach Peru. Mit der gleichen Meeresströmung sind früher einmal Pinguine auch bis zu den GaIapagos-Inseln gelangt und haben dort eine eigene, nur auf diese Inseln beschränkte Art gebildet. Wie es den Anschein hat, kommen sie nur in der Tagus-Bucht der Insel Albemarle vor, an demselben Platz, an dem auch eine andere „endemische" Galapagos-Vogelart brütet: ein flugunfähiger Kormoran, ein Vogel mit nur kurzen Fittichen, die wie Schulterstücke auf seinem Gefieder sitzen. Entsprechend der Lage der Inseln im weiten Meer setzt sich ihre Vogelwelt vor allem aus See- und Strandvögeln zusammen. Sturmtaucher, Tölpel, Albatrosse, Tropikvögel, Sturmschwalben, Wellenläufer, Fregattvögel, Schwalbenmöwen, Noddi-Seeschwalben fliegen von den Inseln hinaus aufs Meer zum Fischen, während Grün- und Blaureiher, Flamingos, Pelikane, Nachtreiher im seichten Wasser jagen und der Strand von Austerndieben und den eleganten Stelzenläufern belebt wird. Landvögel dagegen sind nur in verhältnismäßig wenigen Arten auf den Inseln vorhanden. Die Raubvögel werden von je einer Bussard- und Eulenart vertreten, je eine Enten-, Tauben-, Rallen- und Kuckucksart ist vorhanden, und die große Gruppe der Sperlingsvögel zählt hier auf den Inseln auch nur wenige Vertreter, von denen die meisten jedoch in reicher Fülle auf allen Inseln vorkommen. Da gibt es den Galapagos-Sänger Dendroica, zwei Galäpagos-Fliegenschnäpper, die Galapagos-Purpurschwalbe, die Spottdrossel. Die weitaus beherrschende Gruppe aber unter den Singvögeln bilden sowohl an Zahl der Arten wie der Einzelvertreter die „endemischen" Grund- oder Darwinfinken. Diese Vögel, die den Namen des großen Naturfor20
Mit Ihren großen, scnarfen Krallen halten sich die etwa 80 cm langen Meerechsen an den Lavabrocken feat. Zum Fressen gehen die Echsen ins Meer, wo sie in der Gezeitenzone unter "Wasser Tang und Algen- abweiden
schers tragen, waren es in der Hauptsache, die zur Entstehung der Gedanken des großen Engländers üher „Die Entstehung der Arten" beitrugen.
Die Expedition des Kapitäns Fitz-Roy Im Jahre 1831 wurden in England, der herrschenden Seefahrermacht, die Zurüstungen für eine Weltumsegelung getroffen. Auf einer mehrjährigen Reise sollte der Kapitän Fitz-Roy an den wichtigen Schiffahrtswegen gründliche Vermessungen vornehmen und so Material für einwandfreie Seekarten beschaffen. Im Zuge der Vorbereitungen regte der Astronomie-Professor Peacock an, auch einen Naturforscher mit auf die Reise zu schicken, der unterwegs gute Gelegenheit hätte, Pflanzen und Tiere der fremden Länder zu sammeln und zu studieren. Er bat den Professor der Botanik an der Universität Cambridge, Henslow, um Nennung eines geeigneten Mannes, und Henslow schlug ihm den Studenten Charles Darwin vor. Der zweiundzwanzigjährige Darwin war ein begeisterter Naturforscher. 1809 in Shrewsbury in Westengland geboren, sollte er nach dem Wunsche seines Vaters wie dieser und wie auch sein berühmter Großvater, Erasmus Darwin, Arzt werden. Aber das medizinische Studium in Edinburgh hatte ihm nicht gefallen, und er war nach Cambridge gegangen, um dort Theologie zu studieren. Doch auch dieser Beruf sagte ihm nicht zu, und er ergriff schließlich das Studium der Naturwissenschaften, Herzensneigung schon seiner Knabenjahre. Draußen im Gelände sammelte er eifrig Käfer, Schmetterlinge, Mineralien, Vogeleier, aber er versäumte auch nicht, sich mit den Werken und Lehren der großen Gelehrten jener Zeit zu beschäftigen. Denn eine Vielfalt von Gedanken und Ideen bot sich dem jungen Studenten an. Vor einem Menschenalter noch war Linne', der als erster die Pflanzen und Tiere in Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Arten eingeordnet und jedem Geschöpf seinen wissenschaftlichen Namen gegeben hatte, der Überzeugung gewesen, daß ,,es so viele verschiedene Arten von Pflanzen und Tieren auf der Erde gebe, wie Gott im Anfang der Welt geschaffen 22
habe". Dann hatte der Franzose George Cuvier Ende des 18, Jahrhunderts die Paläontologie begründet, die Wissenschaft von den Lebewesen, die in früheren Epochen einmal die Erde bevölkert hatten und deren versteinerte Überreste man in den Gesteinsschichten findet. In genialer Weise verstand Cuvier es, aus einzelnen Knochen die Gestalten der seltsamen und phantastischen Tiere wiedererstehen zu lassen, die mit ihrem Dasein den Glauben erschütterten, daß die Wellt mit all ihren Geschöpfen seit ihrer Erschaffung unverändert verblieben sei. Allein Cuvier vermochte sich von diesem Glauben nicht zu trennen. Wohl erkannte er den Gegensatz zwischen seinen Forschungen und der Oberlieferung- und versuchte ihn zu überbrücken. Er nahm an, daß von Zeit zu Zeit auf Erden gewaltige Katastrophen alles Lebendige vernichtet hätten und danach jedesmal wieder eine neue Schöpfung erfolgt wäre. Cuviers Autorität als Wissenschaftler war sehr groß, doch seine Katastrophentheorie befriedigte nicht alle Geister. Schon vor Cuvier war bei manchen Gelehrten der Gedanke einer allmählichen Umgestaltung, einer Entwicklung deir Lebewesen aus einfachen Formen in höhere aufgetaucht, und dieser Gedanke verstärkte sich immer mehr. Die meisten dieser Denker wußten allerdings nicht befriedigend zu erklären, in welcher Weise eine solche Entwicklung vor sich gehe; die beste Erklärung trug noch der Franzose Lamarck 1809 vor, indem er behauptete, daß die Umwelt auf die Lebewesen einwirke und daß durch verstärkten Gebrauch gewisse Organe fortgebildet werden oder aber durch Nichtgebrauch verkümmerten, und daß diese Aus- und Rückbildung sich auf die Nachkommen der Lebewesen vererbe und so durch die Generationen hindurch eine Veränderung der Formen bewirke.
Die Weltfahrt der „Beagle" So also standen die Dinge, als am 27. Dezember 1831 das Expeditionsschiff „Beagle" mit Darwin an Bord zu seiner Weltreise in See stach. Kurz zuvor hatte der junge Naturforscher noch das eben herausgekommene Buch „Grundlagen der Geologie" des Geologen Charles Lyell erhalten. In diesem Werk wies der Gelehrte nach, daß die Veränderung der Erdoberfläche, der Länder, Meere, 23
Küsten, Gebirge, Flüsse nicht durch Katastrophen, sondern durch das beständige Wirken von Wasser, Wind, Regen, Sonnenschein, Frost und Hitze hervorgerufen werde, daß also auch im geologischen Bereich ständig eine Entwicklung vor sich gehe. Die Richtigkeit dieser Gedanken fand Darwin bestätigt, als er die geologischen Verhältnisse von La Plata und Patagonien in Südamerika untersuchte. Sie führten ihn, wie er notierte, zu der Annahme, „daß alle Landformen das Ergebnis langsamer und allmählicher Umwandlungen sind". Auch die Gestalten und Grenzen der Kontinente können nicht ständig die gleichen gewesen sein, fand er, denn die ausgestorbenen Tiere, deren Knochen und Zähne er aus dem Boden der Weidegebiete Südamerikas ausgrub, hatten einstmals auch in verschiedenen Landstrichen Europas gelebt. Es mußten also Verbindungen zwischen den Kontinenten bestanden haben, die später durch Landsenkungen unterbrochen worden waren. Zu solchen gründlicheren Untersuchungen hatte Darwin viel Zeit zur Verfügung. Immer wieder verweilte die „Beagle" auf ihrer Fahrt längs der südamerikanischen Ostküste für längere Zeit an einem Platz, damit Kapitän Fitz-Roy seine Vermessungen vornehmen konnte. Längs des ganzen Kontinents ging es von San Salvador in Brasilien herunter bis zum Feuerland, hinüber zu den FalklandInseln und dann um das berüchtigte und für die Schiffahrt so wichtige Kap Hörn herum auf die andere Seite Südamerikas und hier wieder an der Küste Chiles und Perus hinauf nach Norden zum Äquator. Bei jedem Vermessungsplatz unternahm Darwin Reisen in das Landinnere, um zu sammeln und die Natur zu studieren. Fast vier Jahre war die Expedition schon unterwegs. Eine Fülle von Material, Beobachtungen und Ergebnissen hatte sie dem jungen Forscher schon erbracht, eine Fülle von Fragen und Problemen gestellt — und doch stand ihm der wissenschaftliche Höhepunkt der Reise noch bevor. Im September 1835 kehrte die „Beagle" Südamerika, an dessen Küsten sie jahrelang entlanggesegelt war, endlich den Rücken und steuerte nach Westen ihrem nächsten Ziel entgegen, den Galdpagos-Inseln.
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Einem Drachen aus der Urzeit gleicht die Meerechse (oben), — Unten: • Seelöwe vor Felsenwand aus geschichtetem, basaltischem Aschentuff
Wie am ersten Schöpfungstag . . . Am 17. September 1835 ankerten sie bei Chatham, der östlichsten der Inseln. Es war der erste Tag des denkwürdigsten Besuches, den die verwunschenen Inseln in ihrer abenteuerlich bunten Geschichte empfingen. Seeräuber, Soldaten, Walfänger, Sträflinge waren auf ihnen gelandet; ein Bischof hatte hier eine Messe gelesen; Robinson Crusoe — der Matrose Alexander Selkirk — war hier nach seiner Erlösung von der Insel Juan Fernandez gewesen; hier hatte der Totenzug des Königs der Sandwich-Inseln und seiner Gemahlin Halt gemacht. Das Königspaar war bei seinem Staatsbesuch in London an den Masern gestorben und wurde dann in sein Königreich im Stillen Ozean zurückgebracht. Jetzt aber war ein Mann gekommen, den der Besuch der Galäpagos-Inseln zu einer geistigen Revolution anregen sollte. Der erste Eindruck, den Darwin von der Insel Chatham gewann, war nicht überwältigend, überall nackte schwarze Lava, welche die Hitze der Äquatorsonne wie ein Ofen zurückstrahlte. Kümmerliche blattlose Sträucher und große, stachlige Kakteen wuchsen hier. Bald aber wurde ihm sein erster beschwerlicher Gang auf dieser Insel, die so gar nichts vom strotzenden Grün der T r o pen an sich hatte, belohnt durch den Anblick zweier riesiger Landschildkröten. Wie vorsintflutliche Tiere kamen ihm diese ungeheuren Gepanzerten in der wüsten, urwelthaften Landschaft vor. Er hatte den Eindruck, als befände er sich in einer Landschaft des ersten Schöpfungstages, und dieser Eindruck drängte sich ihm auch in den folgenden Tagen immer wieder auf: rauchende Vulkankrater, junge Lavafelder, eine Erde, die noch in ihrer Ausbildung begriffen schien, bevölkert von seltsamen Geschöpfen, die noch in paradiesischer Arglosigkeit lebten, und den Menschen, der sich ihnen näherte, nicht flohen. ,,Wir scheinen", schreibt Darwin in sein Tagebuch, „daher in bsiden Beziehungen, sowohl im Räume als in der Zeit, jener großen Tatsache, jenem Geheimnis aller Geheimnisse, dem ersten Erscheinen neuer Lebewesen auf der Erde, nähergebracht zu werden." Unter den Vögeln fielen ihm besonders die kleinen, schwarzen und graubraunen Finken auf, die auf allen Inseln in den Büschen 26
r hüpften. Sie waren alle miteinander verwandt, aber an ihren Schnäbeln konnte er eine ganze Reihe von Arten unterscheiden. Da gab es Vögel mit klobigen Kernbeißerschnäbeln und andere Finken mit feinen Grasmückenschnäbeln, dazwischen zahlreiche Abstufungen. Einer dieser Finken hatte die Lebensweise eines Spechtes angenommen. Darwin beobachtete, wie er mit seinem Schnabel Löcher in die Äste schlug. Da ihm aber die lange Spechtzunge fehlte, um die Insektenlarven aus dem Holz herauszuholen, benutzte er dazu einen drei bis fünf Zentimeter langen Kaktusstachel oder einen Zweig und stocherte damit seine Beute aus dem Loch heraus — einer der wenigen Fälle von Werkzeuggebrauch bei den Tieren. * Dreizehn Arten dieser Finken leben in drei Gattungen auf den Galäpagos-Inseln, und alle gehen sie auf eine Ahnenform zurück. Sie heißen Darwin-Finken, und sie tragen diesen Namen mit vollem Recht; denn sie waren es, die im Gehirn des Naturforschers einen neuen revolutionären Gedanken entstehen ließen. Angesichts dieser Vögel schrieb Darwin in sein Tagebuch: „Wenn man diese Abstufung und Verschiedenartigkeit in einer kleinen, nahe untereinander verwandten Gruppe von Vögeln sieht, so kann man sich wirklich vorstellen, daß infolge einer ursprünglichen Armut an Vögeln auf diesen Inseln die eine Art hergenommen und zu verschiedenen Zwecken abgeändert worden sei." Abgeändert — hier erscheint ein neuer Begriff in der Erforschung der Lebewesen — ja, ein neues Denken. Hier an diesen Vögeln zeigte es sich, daß die Lebewesen nicht ständig so verbleiben, wie sie einmal geschaffen worden sind und wie man bisher im allgemeinen geglaubt hatte, sondern daß sie sich zu verändern vermögen. Heutzutage ist es ein durch die Experimente der Vererbungsforscher gesichertes Wissen, daß die Nachkommen von Lebewesen plötzlich Änderungen in ihrem Körperbau aufweisen können, die die Eltern nicht besaßen. Mutationen — Veränderungen — nennt man diese sprunghaften Neuerscheinungen; Saltationen — Sprünge — nannte sie Darwin, als er sich später zu Hause mit ihnen näher beschäftigte.
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Aul allen Inseln leben die Darwin-Finken mit den verschiedenartigsten Schnäbeln. Alle diese Finken sind aber aus einer einzigen Art hervorgegangen, die in diesem Inselreich kaum einen Feind hatte
Der „Kampf ums Dasein" Fünf Wochen lang verweilte die Expedition der „Beagle" bei den Galäpagos-Inseln. Am 20. Oktober 1835 endlich wurden erneut die Segel gesetzt zur Weiterreise durch die Weite des Stillen Ozeans. Tahiti, Neuseeland, Australien waren die nächsten Ziele, dann die Koralleninseln des Indischen Ozeans. Weiter um das Kap der Guten Hoffnung wieder in den Atlantik zu verschiedenen der weltverlorenen Inseln im Süden, und dann wieder hinauf nach Brasilien und endlich zurück über die Kapverdischen Inseln und die Azoren nach England. Am 2. Oktober 1836 endete die fast fünfjährige Weltfahrt. Eine gewaltige Fülle an Sammlungen und Beobachtungen ist nun zu sichten und zu ordnen. Das erste große Ergebnis aus den Erfahrungen der Reise ist die Theorie über die Entstehung der Korallenriffe und Atolle, jener eigenartigen, aus den Steingehäusen der Meerestiere erbauten Inseln. Aber dann wird es still um Darwin. Die Strapazen der langen Seereise haben seine Gesundheit untergraben, und er bleibt bis zu seinem Tode im Jahre 1882 ein schwerleidender Mann. Er verläßt London und lebt fortan auf seinem Landsitz Down in der Grafschaft Kent, umgeben von seiner Familie und ganz seinen Forschungen hingegeben. In jenen Tagen nun erregt ein Buch Aufsehen und lebhafte Diskussionen unter den Gebildeten. Sein Titel lautet „ ü b e r Bevölker u n g " , und in ihm weist der englische Volkswirtschaftler Thomas Robert Malthus auf die rasche Bevölkerungszunahme und die sich daraus ergebenden besorgniserregenden Aussichten für die Volkswirtschaft hin. Im vergangenen Jahrhundert, von 1700 bis 1800, hatte sich die Bevölkerung in England von fünf Millionen auf über zehn Millionen erhöht, und bis zum Jahre 1820 war sie schon auf 14 Millionen gestiegen. Zugleich aber ging die Ertragsfähigkeit der Felder und Äcker immer mehr zurück. Malthus glaubte, aus dieser Entwicklung der Bevölkerungszunahme und des Rückgangs der landwirtschaftlichen Erträgnisse den Zeitpunkt nicht mehr ferne, an dem der Boden die Menschen nicht mehr ernähren könne. Hunger, Seuchen und Kriege müßten die Folgen dieses Verhängnisses sein, so daß der Bevölkerungsüberschuß gewaltsam beseitigt würde 29
— es sei denn, daß der Mensch selbst die Lenkung dieser Entwicklung in die Hand nähme. Tatsächlich ist — anders als Malthus es sich vorgestellt hatte — der Mensch mit diesem Problem fertiggeworden, als es ihm gelang, dank der Leistungen des deutschen Forschers Justus Liebig, die Ernten zu erhöhen (vgl. Lesebogen 176: Brot für die Menschheit). Das Buch von Malthus, das Darwin zunächst nur zur Unterhaltung zu lesen begonnen hatte, beeindruckte ihn sehr. In seinen Lebenserinnerungen schreibt e r : „Da ich hinreichend darauf vorbereitet war, den überall stattfindenden Kampf um die Existenz zu würdigen, kam mir sofort der Gedanke, daß unter solchen Umständen günstige Abänderungen dazu neigen, erhalten zu werden, und ungünstige, zerstört zu werden. Das Ergebnis hiervon würde die Bildung neuer Arten sein. Hier nun hatte ich denn endlich eine Theorie, mit der ich arbeiten konnte." Überproduktion von Nachkommen und daraus entstehend ein scharfer Kampf der Zuvielen um das Dasein, der eine ständige Auslese der Lebenstüchtigen bewirkt — das sind die Kernpunkte der Theorie Darwins von der Entstehung der Arten. Die Lebenstüchtigen sind vor allem jene, die mit solchen körperlichen oder geistigen Veränderungen — Mutationen — ausgestattet sind, die sie in diesem Kampf ums Dasein begünstigen. Eine solche Auslese findet in jeder Generation immer wieder aufs neue statt, und so bilden sich im Laufe der Zeit allmählich neue Arten von Lebewesen aus, die sich den veränderten Lebensbedingungen immer wieder anpassen. Die berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt, bilden hier wiederum die Galäpagos-Inseln. In diesem Tierparadies findet für viele Geschöpfe der Kampf ums Dasein nur in sehr abgeschwächter Form statt. Die Darwinfinken zum Beispiel und die Spottdrosseln haben hier kaum irgendwelche Feinde, denn die beiden Raubvögel der Inseln, der Galapagos-Bussard und die Galäpagos-EuIe, leben in der Hauptsache von Insekten, Eidechsen und Mäusen. So konnte hier die Entwicklung der Schnäbel der Finken oder der Gefiederzeichnung der Spottdrosseln ungehemmt nach allen Richtungen vor sich gehen. Interessant dabei ist die Beobachtung des Zoologen Beebe — die einer näheren Untersuchung 30
wert wäre —, daß in. den Nestern der F"inken nur die Hälfte der abgelegten Eier befruchtet war —, daß also hier durch einen inneren Anpassungsvorgang eine Dberproduktion von Nachkommen vermieden zu werden scheint. Fast zwei Jahrzehnte arbeitete Darwin an seiner Theorie, immer neue Einzelheiten zusammentragend und immer weitere Beispiele sammelnd. Er hätte sie vielleicht noch nicht veröffentlicht, wäre nicht im Jahre 1858 ein bedeutsamer Brief bei ihm eingetroffen. Er kam aus Ternate auf den Molukken von dem Forschungsreisenden Alfred Rüssel Wallace und enthielt einen Aufsatz, in dem Wallace seine Gedanken über die Entstehung der Arten darlegte, zu denen er beim Nachdenken über das Buch von Malthus gekommen war. „Niemals sah ich eine schlagendere Übereinstimmung", schrieb Darwin am selben Tag, an dem er den Brief erhielt, an Lyell, „Wenn Wallace die Skizze meiner Abhandlung von 1842 hätte, könnte er keinen besseren, kurzen Abriß geschrieben haben. Sogar seine Bezeichnungen stehen jetzt als Überschriften über meinen Kapiteln." Lyell, der die zwanzigjährige Arbeit Darwins an seiner Theorie kannte und so Darwins Erstanspruch an ihr bezeugen konnte, setzte sich mit dem Botaniker Hooker in Verbindung, und beide legten Darwins und Wallaces Schriften auf der denkwürdigen Sitzung der Linn6-Gesellschaft am 1. Juli 1858 vor. Nun endlich faßte Darwin sein großes Material zu einem Buch zusammen, das 1859 unter dem Titel erschien: „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein". Es erregte großes Interesse bei den Gelehrten, aber darüber hinaus wäre Darwins Lehre in der breiteren Öffentlichkeit kaum beachtet worden, wenn nicht auch der Mensch selbst mit in diese Lehre einbezogen worden wäre. Darwin selbst hatte sein großes W e r k mit dem Bekenntnis geschlossen: „Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat und daß aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt." Für 31
viele aber wurde Darwins Lehre zur Verneinung des göttlichen Ursprungs der Welt und des Lebens. Die Lehre Darwins verursachte eine weltanschauliche Revolution, die Darwin nicht gewollt hatte, zumal als sie zur rein materialistischen Ausdeutung führte. Ein Streit hob an, der die ganze Welt durchbrauste. Das Schlagwort vom Überleben der Tüchtigsten war just das Rechte für den rücksichtslosen Wirtschaftskampf des aufkommenden Industriezeitalters und die Eroberungslust dem Imperialismus, andererseits schien die Lehre die Ansprüche von Kirche, Staat uad den bislang herrschenden Klassen in Frage zu stellen — all das rief einen erbitterten Streit hervor, der bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein anhielt. Heute wird die Tatsache der Abstammung von niemandem mehr bestritten, und auch die eigentliche Lehre Darwins vom Wechselspiel zwischen Mutation und Auslese ist heute zumindest in beschränktem Umfange anerkannt. Die Veränderungen innerhalb der Art bis zur Bildung neuer Arten lassen sich im wesentlichen mit Darwins Theorie erklären. Daß sie jedoch zur Erklärung der Entwicklung zu neuen Gattungen, Familien, Ordnungen ausreiche, ist heute noch stark umstritten. Auf jeden Fall hat Darwins Theorie die Entwicklung der Biologie ungemein befruchtet und gefördert, und mit voller Berechtigung hat man dem großen Forscher im Jahre 1935 auf der Insel Chatham ein Denkmal gesetzt zur Erinnerung an jenen Tag, an dem er vor hundert Jahren die seltsame Welt der Galäpagos-Inseln betrat, auf denen er nach seinen eigenen Worten hauptsächlich auf das Studium des Ursprungs der Arten geführt worden ist.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Dr. Georg Scheer; Bild auf Umschlagseite 2: Gelbschöpfiger Nachtreiner von den Galapagos-Inseln; Bild S. 28: nach Charles Darwin L u x - L e s e b o g e n 224 (Erdkunde) H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vlerteljälirl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Muruau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth
IM FALLE EINES FALLES...