Rex Corda � Corda Nova � Nova Nr. 3 � 3
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Rex Corda � Corda Nova � Nova Nr. 3 � 3
Manfred H. Rückert �
Die Rückkehr des � Diktators � Nach einer Idee von Dirk van den Boom
Prolog
Eilmeldung der ›Republique Africaine P&N Agency‹, der größten unabhängigen Presseagentur des schwarzen Kontinents. Zuerst von der Station Kinshasa ausgestrahlt, kurz darauf über die ganze Erde verbreitet: 25. August 1992 � Präsident Kalunde kommt heute von UNO-Besuch zurück! � Randa Evariste Kalunde, unser über alles geliebtes Staatsoberhaupt, � besuchte die große UNO-Versammlung in Peking, wo er zusammen mit unserem Verbündeten, Tsien Hsia, dem chinesischen Marschall und Parteisekretär der Asiatic Union, gegen die westlichen Eroberer unter Rex Corda tagte. Es ging um gewisse Praktiken des jungen Senators Rex Corda, der sich offenbar anmaßt, der Herr dieser Welt zu sein. Es ist eine Tatsache, dass Senator Corda einige Erfolge verbuchen konnte. Er war früher ein äußerst beliebter, aufstrebender Mann. Offenbar sind ihm jetzt seine Erfolge zu Kopf gestiegen. Wir haben Beweise, dass er wissenschaftliche Unterstützung von Seiten der Laktonen erhält, die er offenbar dazu benutzen will, die Vormachtstellung der USA weiter auszubauen. Rex Corda war als einziger der eingeladenen Staatsmännern nicht zur Versammlung erschienen. Das ist eine Beleidigung ohnegleichen und zeigt deutlich, was dieser Politiker über uns denkt. Von den Amerikanern wird als Flüsterpropaganda verbreitet, dass unser Verbündeter von den Laktonen abgewiesen wurde. Die Wirklichkeit war ganz anders. Rex Corda erreichte es mittels unlauterer Mittel, vor Tsien Hsia mit Jakto Javan sprechen zu können. 2 �
Schon vor seiner Landung auf der Erde hatte sich der Oberbefehlshaber der Laktonen entschlossen, nicht mehr als zehntausend Raumschiffe landen zu lassen. Diesen Erfolg kann Corda nicht auf seinem Konto verbuchen, wenn er es auch gern möchte. Über etwas anderes schweigen sich die Gerüchte wohlweislich aus: Rex Corda hat versucht, die USA von landenden Raumschiffen freizuhalten. Als 'Preis' hat er dem Laktonenführer die freie Ausnutzung der übrigen Welt angeboten. Sehen Sie jetzt, wie gefährlich dieser Mann ist? – Der Beweis liegt klar auf der Hand: Warum weigert sich der Senator beharrlich, eine Konferenz der UNO einzuberufen? Es wäre endlich an der Zeit, dass die Völker gemeinsam entscheiden, wie man sich zu den Laktonen zu stellen hat. Es geht nicht an, dass ein einzelner Mann, der von unserer Warte aus gesehen kaum den Kinderschuhen entwachsen ist, uns laufend in unverschämter Weise bevormundet! Welch ein Glück, dass unser Präsident für unsere Rechte gegen den Rest der Welt kämpft. Wir danken Gott dafür, dass unser geliebter Präsident Randa Evariste Kalunde wieder gesund zurückkommt! (mhr) Anmerkung: Die ›Republique Africaine P&N Agency‹ untersteht Präsident Kalunde persönlich. Selbstverständlich herrscht staatliche Zensur für sämtliche Mitarbeiter der Agentur. Wer dagegen verstößt, wird wegen Landesverrats zum Tode verurteilt. * Dienstag, 25. August 1992 »… und dann… Achtung, wir befinden uns in einem Luftloch!«, rief der Pilot des Präsidentenjets über Lautsprecher. Keine Sekunde später spürten die Insassen des Flugzeugs ein eigenartiges Schütteln. Mehrere Menschen fielen durch die 3 �
Kabine. Übermächtige Kräfte schienen die Maschine zu zerreißen. Der plötzliche Überdruck fuhr den Passagieren voll in den Magen. Manch einer musste sich daraufhin übergeben. Vereinzelt ertönten Schreckensschreie. So gingen die einen mit ihrer Angst um. Andere schlossen die Augen und beteten, dass ihnen nichts passieren sollte. Und dann war es wieder vorbei. Als wäre nichts geschehen. Erst nach Minuten löste sich die Anspannung in einem nicht enden wollenden Applaus für die Piloten, die gerade das Leben ihrer Passagiere gerettet hatten. Als Randa Kalunde die Augen schloss, erschien ihm das Dröhnen der Motoren wie tödliche Maschinengewehrgarben. Der Mann mit dem tiefschwarzen, aufgedunsenen Gesicht wusste, dass dieses Gefühl trog, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Wie alle Leute seiner Art wurde er von tiefstem Misstrauen den Menschen gegenüber erfüllt, die er nicht beherrschen konnte. Das Gefühl, etwas wichtiges übersehen zu haben, wurde immer stärker in ihm. Doch er wusste nicht, welchen Fehler er begangen hatte. Und ob er überhaupt einen Fehler begangen hatte. Waren das eben wirklich die Auswirkungen eines Luftlochs, oder spielten die Piloten mit seinem Leben? »Ich darf mich nicht verrückt machen lassen!«, zischte er und blickte sich in der Kabine des Überschallflugzeugs um. Seine Untergebenen an Bord der Staatsmaschine durften nicht bemerken, dass er wieder unter einer dieser demütigenden Angstattacken litt. Seine Autorität wäre dahin gewesen. »Bitte, Erhabener?«, flüsterte Nagalla Udande, der wie immer eine Reihe vor ihm saß. Der kleine, asketisch wirkende Mann mit der hellbraunen Hautfarbe verneigte sich leicht. Sein Gesicht 4 �
war ernst und beherrscht wie immer. Nie hatte man ihn lächeln, geschweige denn lachen gesehen. Der persönliche Berater von Randa Evariste Kalunde, dem Herrscher der Republique Africaine des vereinigten Afrika, schien stets nur seine Aufgabe zu kennen. Nicht ganz ernst gemeinte Gerüchte erzählten, dass er zum Lachen in den Keller ging. Wie viele andere Gerüchte, so besaß auch dieses einen wahren Kern. Nagalla Udande, ehemals General der afrikanischen Bodenstreitkräfte, war seinem Herrn treu ergeben. Er kannte nur seine Pflicht und besaß kein Privatleben. Emotionen waren ihm zum größten Teil fremd. »Nichts, Nagalla«, antwortete Randa Evariste Kalunde widerstrebend. Er hasste es, wenn er sich durchschaut fühlte. »Nachricht von Kinshasa an den Erhabenen«, meldete der Funker von Kalundes Privatjet über die Sprechverbindung. Der Diktator des schwarzen Erdteils richtete sich im Sitz auf. Er blickte sich mit glühenden Augen in der Kabine um, doch seine Leibwächter und Berater schienen auch nicht zu wissen, was in der derzeitigen Hauptstadt Afrikas vorgefallen war. Kalundes Hände ballten sich zu Fäusten. »Was besagt die Nachricht?« Seine hohe, nervöse Stimme erklang, die auf viele Menschen wie eine Gabel wirkte, mit der jemand über einen Teller kratzte. »Warum wird mir nicht sofort Meldung gemacht?« Nagalla Udande zuckte zusammen. Wie alle Gewaltherrscher hatte auch Randa Evariste ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Er wollte stets über alles auf dem Laufenden sein. Unvollständige Meldungen konnten sein Leben gefährden – und das war seiner maßgeblichen Meinung nach wichtiger, als die Leben aller restlichen Menschen zusammengenommen. Mit anderen Worten: er litt unter extremem Verfolgungswahn. Der Funker schien nicht zu wissen, dass Kalunde Menschen wegen geringe5 �
rer Nichtigkeiten exekutieren ließ. »Es wird von einer große Menschenansammlung am REK-Airport berichtet«, beeilte sich der Funker, die Meldung so schnell wie möglich zu verkünden, als er die Aufregung des Gewaltherrschers bemerkte. »Darunter befinden sich die Black Heroes.« Dabei handelte es sich um die Kalundes Leibwache. Bestens ausgebildete Kämpfer von ungeheurer Brutalität, vor denen jeder aus gutem Grund gebührenden Respekt hatte. »Na und?«, keifte Kalunde zurück. »Das ist doch vollkommen normal, wenn der zu Recht über alles geliebte und verehrte Herrscher aller Afrikaner von einer Konferenz mit dem Marschall der Asiatic Union zurückkommt.« Man konnte ihm ein gewisses Maß an Realitätsverlust, gepaart mit Wunschdenken, nicht absprechen. Kaum einer seiner über 500 Millionen Untertanen freute sich über Kalundes Anwesenheit; außer den wenigen, die davon profitierten. Kalunde kam gerade von einer Versammlung, an der außer Diktator Tsien Hsia auch der Vertreter der European United States teilnahm. Während dieser Versammlung hatte der amerikanische Senator Rex Corda eine UNO-Konferenz einberufen, bei der das weitere Vorgehen gegen die Orathonen beraten werden sollte. Aus diesem Grund wurde die Versammlung zwischen Kalunde und Tsien Hsia beendet. Beide Männer wollten bei der UNO-Konferenz in New York anwesend sein. (siehe Rex Corda Nummer 9: ›Die Falle im Kosmos‹) »Die Berichte sprechen von mehreren zehntausend Versammelten. Angeblich zwischen 50.000 bis 100.000 Menschen. Und sie sollen alle Waffen besitzen.« Das schwarze Gesicht des Funkers – Kalunde duldete zum größten Teil nur dunkelhäutige Menschen in seiner Umgebung – wurde von einer unnatürlichen Helligkeit überzogen. »Außerdem sollen sie den halben Flughafen in Schutt und Asche gelegt haben.« 6 �
»Nagalla?« Kalunde blickte seinen Berater scharf an. »Wir sollten nicht landen, Erhabener«, gab Udande zu bedenken. »Wenn der Mob auf die Straße geht, haben wir keine Chance.« »Man könnte uns das als Feigheit auslegen«, mischte sich Toan Collong ein, seines Zeichens Kalundes zweiter Berater. Er saß stets hinter dem Diktator. »Wer wollte uns eines solchen Verhaltens bezichtigen?« Udande legte alle Schärfe, zu der er fähig war, in seine Stimme. Collong und er besaßen nicht das beste Verhältnis zueinander. Er fühlte sich durch den ungebetenen Rat seines Kollegen brüskiert. »Das ist doch egal!«, antwortete Collong. Er war über einen Kopf größer als Udande und blickte verächtlich auf ihn hinab. Collongs massiger Körper bebte bei jedem seiner Worte wie zur Bekräftigung seines Standpunkts. »Ich…« »Verdammt noch mal. Bin ich denn nur von Narren umgeben?«, dröhnte Kalundes keifende Stimme durch die Fahrgastkabine. Die grellweißen Zähne, die in starkem Kontrast zu seiner tiefschwarzen Gesichtsfarbe standen, blitzten auf, als wollte er seine Berater beißen. »Ihr sollt ruhig sein. Sofort!« Mit einem Schlag schien die Temperatur um mindestens zehn Grad gefallen zu sein. Udande und Collong sahen sich an, als wäre der jeweils andere ein Stück Dreck. Kalunde wusste um die Abneigung seiner Getreuen gegeneinander, und aus genau diesem Grund hielt er sich beide als Berater. Jeder versuchte auf seine Art, den anderen zu übertreffen. Und beide waren ihrem Diktator treu ergeben. Der Herrscher der Republique Africaine erhob sich aus seinem Sitz und lief ratlos hin und her. Sein Gesicht wirkte verkniffen. Er blickte zu Boden. 7 �
Verdammt, was soll ich nur tun? fragte er sich verzweifelt. Wenn wir landen, kann ich das Leben verlieren. Fliegen wir weiter, verliere ich das Gesicht. Dass er bei einer Landung von einer Menschenmenge empfangen wurde, war normal. Unnormal war die Größe der Menge sowie deren Bewaffnung. »Und weshalb unternehmen meine Black Heroes nichts dagegen?«, fragte er sich, obwohl er wusste, dass seine Eliteeinheit – trotz aller Kampfkraft und Brutalität – gegen annähernd 100.000 bewaffnete Menschen keine Chance hatte. Die Frage bewies nur seine Hilflosigkeit. Obwohl er in seiner Position ständig mit einem Aufruhr rechnen musste, hatte er doch nicht ernsthaft mit einer Gegenbewegung gerechnet. Kalunde war eitel, egoistisch, leicht erregbar und absolut von sich selbst überzeugt. Durch sein charismatisches Auftreten gelang es ihm, andere ebenso leicht von sich zu überzeugen. Aus diesem Grund war es für ihn undenkbar, dass sich sein Volk gegen ihn gewandt haben sollte. »Das kann einfach nicht sein«, hauchte er so leise, dass es niemand hörte. Er klammerte sich an die Worte wie ein Kind das glaubte, lautes Pfeifen bei Dunkelheit würde böse Geister vertreiben. »Es darf nicht passieren.« »Vielleicht stehen sie noch unter dem Einfluss der semibiotischen Konduktoren«, vermutete Nagalla Udande. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich selbst von den Peinigern befreien könnten.« »Diese verdammten Orathonen«, stöhnte Toan Collong auf. Udande nickte zustimmend. Wenigstens in diesem Punkt waren sie sich immer einig. Beide verachteten die Invasoren der Erde bis aufs Letzte. Sie waren nicht mehr wert als Ungeziefer, dass man zertreten musste. »Anflug auf den REK-Airport«, befahl Kalunde. »Wir kreisen 8 �
über dem Flughafen und beobachten, was dort los ist.« Der Pilot bestätigte den Befehl. Er drosselte die Leistung der Motoren und flog langsam auf den Randa Evariste Kalunde-Airport zu. REK Kinshasa war der größte Flughafen des Kontinents, nachdem die Städte Kairo und Kalemi von den außerirdischen Invasoren vernichtet wurden. Kairo traf es gleich zu Beginn der Laktoneninvasion, Kalemi wurde während der Suche der Orathonen nach dem laktonischen Terra-Jet vernichtet. Zu dieser Zeit befand sich Senator Rex Corda bei Kalunde, um von ihm die letzten Atombomben der Erde zu erhalten. Randa Evariste Kalunde dachte voll Zorn an diesen nicht lange zurückliegenden, schmachvollen Besuch. Obwohl der Amerikaner nur eine Handvoll Begleiter besaß, hatte er es geschafft, mitsamt den Atombomben zu entkommen. Und das würde er ihm nie vergessen. Corda hatte ihn während seiner Flucht aus Kalundes Palast gefügig gemacht: »Passen Sie auf, Kalunde. Ich stelle die Zündung jeweils auf dreißig Sekunden ein. Das wiederholt sich so lange, bis wir aus diesem Bau verschwunden sind. Ist das klar genug ausgedrückt?« »Eines Tages werden Sie dafür bezahlen!«, hatte Randa Evariste Kalunde daraufhin seinem Feind gedroht. »Das werden Sie noch bereuen. Von jetzt an sind Sie mein Feind, Corda. Ich schwöre Ihnen, dass ich Sie vernichten werde…« (siehe Rex Corda Nummer 5: ›Die Bomben des Verräters‹) »Das glaube ich nicht«, stöhnte Toan Collong, der nichts von den hasserfüllten Gedanken seines Herrn wusste, als der Staatsjet über dem Flughafen kreiste. »Was ist los?«, erkundigte sich Nagalla Udande bei seinem Kollegen. Statt einer Antwort deutete der auf die Szene, die sich unter ihnen abspielte. Udande erschrak, als er durch das Fenster blickte. Die Straßen von Kinshasa schienen zum Greifen nahe. Eine 9 �
unübersehbare Menschenmenge strömte an dem Aufnahmegerät vorbei. In Kinshasa war ein spontaner Aufruhr entstanden. Von der ›Avenue Randa Evariste Kalunde‹ her zogen Afrikaner mit Spruchbändern und Plakaten. Sie protestierten gegen die Rücksichtslosigkeit der grünhäutigen Besatzer sowie das Schreckensregime ihres Gewaltherrschers. Die Polizei wollte anfangs eingreifen, doch angesichts der rasenden Menge hielten sich die Beamten zurück. »Sie bringen das gerade im Fernsehen«, sagte jemand aus Kalundes Regierungsmannschaft. »Sehen Sie nur…« Der Bildschirm zeigte das ganze Ausmaß der Demonstration. Menschen, soweit man blicken konnte. Und alle protestierten gegen die eigene Regierung. »Das müssen ja weit mehr als eine Million Menschen sein…«, hauchte Nagalla Udande. Nun zeigte er doch Nerven, er lockerte die blauschwarz gemusterte Krawatte. Kalunde zuckte zusammen – jetzt kam der Ton. Die Menschen sangen Hasslieder, uralte Gesänge, monoton und nervenzermürbend. Lebensgroße, bekleidete Puppen wurden über den Häuptern der Uniformierten geschwenkt. Manche dieser Puppen, die Kalunde und seinen engsten Mitarbeitern täuschend ähnlich sahen, waren in Brand gesteckt worden. Dann wanderte die Kamera, sie enthüllte den gewaltigen Platz, vor dem das prunkvolle Regierungsgebäude Randa Evariste Kalundes lag. Die unteren Scheiben des Hochhauses waren eingeworfen. Aus den obersten Stockwerken züngelten Flammen. Leichen lagen mit verdrehten Gliedmaßen vor dem Gebäude. Die Kamera fuhr heran. Mit Entsetzen sah der Diktator seinen Innenminister in einer Blutlache liegen. Der Mob hatte ihn mit großen Nägeln, wie sie oft von Zimmermännern benutzt wurden, auf eine Holztür genagelt. Er brüllte seinen Schmerz hinaus und zuckte unkon10 �
trolliert mit Armen und Beinen – zumindest, soweit er sie bewegen konnte -, dann rührte er sich nicht mehr. Die Abwesenheit des Diktators war von vielen seiner ehemaligen Gefolgsleute als Anlass genommen worden, sich zu organisieren und den Aufstand zu planen. Die Black Heroes, die von amerikanischen Wissenschaftlern von ihren semibiotischen Konduktoren befreit worden waren, hatten die Macht im Lande an sich gerissen, das erkannte Kalunde erst jetzt deutlich. Seine ehemals so treue Leibgarde hatte nach der Befreiung ihres Geistes mehr getan, als in den alten Trott zurückzufallen: sie hatten sich die Geschichte von Ugalla Nkonde, ihres ehemaligen Kommandanten zu Herzen genommen, der für die Erde und im Kampf sowohl gegen Orathonen wie auch gegen Kalunde zusammen mit seiner Frau Rosa gefallen war. Sein Porträtfoto zierte nicht wenige der Plakate, die Demonstranten zum Flughafen trugen, an dem der Diktator zurück erwartet wurde. Kalunde schüttelte den Kopf über die eigene Naivität. Er wollte es nicht glauben, obwohl die Fernsehübertragung klar und deutlich war. Er rechnete mit einer prunkvollen Parade auf dem Flugplatz, nachdem er mit einer Sondermaschine aus den Vereinigten Staaten eintraf. Aber zu seinem Entsetzen erwarteten ihn protestierende Bürger, bewaffnete Aufständische und revoltierende Militärs. Sein politischer Instinkt hatte ihn nicht verlassen, egal, wie verfahren die Situation auch schien. Er ahnte, dass sein Leben auf dem Spiel stand, sollte er tatsächlich die Landung wagen. Die Menschen machten einfach nicht mehr mit! Er hatte ihnen zuviel angetan. Das Pulverfass war zur Explosion gekommen. »Wir befinden uns im Landeanflug«, informierte sie der Pilot. Kalunde zuckte erneut zusammen. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Er begann zu zittern. »Elender Narr!«, schrie er seine Angst hinaus. »Du sollst wei11 �
terfliegen.« So schnell er konnte, stand er auf und hastete den Mittelgang entlang zur Pilotenkabine. Seine Leibwächter folgten ihm. Im Nu befand er sich hinter dem Piloten und seinem Co. »Landeanflug eingeleitet«, sagte der Pilot in sein Funkgerät. Er hatte nicht bemerkt, dass er Besuch bekam. »Wir landen nicht«, befahl Kalunde mit unnatürlich ruhiger Stimme. Der Pilot drehte den Kopf zur Seite. Mühsam beherrschte er sich. Jedes falsche Wort konnte sein Todesurteil bedeuten. Kalunde kannte keine Gnade, wenn er Widerworte erhielt. »Ich habe schon den Landeanflug eingeleitet«, krächzte der Pilot voller Todesangst. »Dann leitest du ihn wieder aus.« Kalundes Augen glühten mehr vor Angst als vor Wut. »Erhabener…« Die Augen des Co-Piloten wurden groß. Auch er wusste, dass sein Leben nicht mehr viel wert war, wenn er sich nicht den Befehlen fügte. Trotzdem wollte er auf dem REKAirport landen. Sobald sie wieder auf der Erde waren, musste sich Kalunde den Demonstranten stellen. Er hätte keine Zeit, sich um die widerspenstigen Piloten zu kümmern. »Ihr startet die Maschine sofort wieder!«, schrie Randa Evariste Kalunde in panischem Entsetzen. Die Piloten sahen sich nervös an, sie wussten, dass sie keine Chance zur Flucht erhielten. Der Co-Pilot spürte etwas kaltes, stählernes an seiner Schläfe. Eine Pistole! durchzuckte es ihn. Eine eiskalte Faust schien seinen Magen zu umfassen. »Ich mache alles, was Sie wollen, Erhabener«, bettelte er um sein Leben. »Aber bitte tun sie das nicht.« »Das liegt ganz allein in deiner Hand«, zischte der Diktator. »Solange du gehorchst ist alles gut, aber wenn nicht…« Der Co-Pilot wusste auch ohne Worte, was ihn in einem sol12 �
chen Fall erwartete. Er nickte langsam. Ein verkniffener Zug lag um seinen Mund. Sein Kollege blickte ihn scharf an. Er war enttäuscht darüber, dass sein Kollege so schnell aufgab. »Und du…«, Kalunde hielt dem Piloten die Pistole gegen die Stirn, »folgst auch, sonst ist dein Leben verwirkt.« »Wenn Sie uns umlegen, ist das auch Ihr Ende«, gab der Pilot mit vor Aufregung heiserer Stimme zu bedenken. »Der Vogel knallt auf die Erde und explodiert.« Kalundes Zeigefinger zog den Abzug etwas an. Der Tyrann drückte die Waffe stärker an die Stirn des Piloten. »Aber vorher blase ich dir das Licht aus«, versprach er äußerlich kaltblütig. In seinem Zustand wäre er dazu fähig gewesen, den Piloten zu erschießen. »Außerdem ist dein Kollege zimperlicher als du.« Der Pilot und sein Co-Pilot, der verschämt das Genick einzog, verständigten sich mit einem Blick. Sie hatten keine andere Möglichkeit, als zu gehorchen. Andernfalls hätte es sie das Leben gekostet. Nach der Landung konnten sie immer noch versuchen, zu entkommen. Die wütende Menge schickte der fliehenden Maschine laute Verwünschungen hinterher. Doch selbst wenn Kalunde diese vernommen hätte, so wären sie von ihm ignoriert worden. * Auf der Stirn des Piloten war ein Loch zu erkennen, aus dem langsam aber beständig Blut sickerte. Er hatte das Gesicht in seltsamer Art und Weise verzogen, als glaubte er selbst nicht, was er sah. Die lebensleeren Augen schienen in unendliche Fernen zu sehen. Erst auf den zweiten Blick erkannte man, dass der Pilot tot war. 13 �
Genauso wie der neben ihm sitzende CoPilot. Erschossen mit einer Pistole. Randa Evariste Kalunde persönlich hatte die beiden Männer umgebracht, nachdem sie den Stützpunkt mitten im Urwald anflogen. Er beschloss, dass es besser wäre, wenn ihre Spuren verwischt würden. Die Bluthunde waren ihnen schon auf den Fersen, davon war Randa Evariste überzeugt. Er glaubte nicht, dass sie ohne Spuren zu hinterlassen, verschwinden könnten. Also musste ein Unglück vorgetäuscht werden, um ihre Verfolger – und Kalunde war überzeugt, dass es davon jede Menge gab – zu täuschen. Zumindest sollten sie mit der Untersuchung der Präsidentenmaschine so lange aufgehalten werden, dass sich der ehemals mächtigste Mann Afrikas und seine engsten Mitarbeiter in Sicherheit gebracht hatten. Danach würde er über die weitere Vorgehensweise entscheiden. Ein Mann seiner Einsatztruppe schwebte gerade an einem Fallschirm der Erde entgegen. Er hatte das Flugzeug nach der Ermordung der Piloten gestartet und war kurz vor dem Aussetzen der Motoren abgesprungen. Der Überschalljet des Herrschers der Republique Africaine explodierte mitten im Dschungel. Hohe Flammen zuckten durch die Luft und setzten die Bäume in Brand. Hunderte Tiere starben bei diesem Unglück. Aus sicherer Entfernung betrachtete der gestürzte Gewaltherrscher die Szene. Verächtlich blickte er auf die meterhohen Flammen. Die beiden Piloten mussten sterben, weil sie seinen Befehlen nicht sofort gefolgt waren. Ihre Hoffnung auf Flucht nach der Landung wurde bitter enttäuscht. Es war ein Vergnügen für Kalunde gewesen, die Hoffnungslosigkeit in ihren Augen zu sehen, ehe er abdrückte. 14 �
»Und so soll es jedem gehen, der mir nicht gehorcht«, flüsterte er fast unhörbar. Nur Nagalla Udande und Toan Collong bekamen seine Drohung mit. Sie sahen sich an, und diese Blicke waren wie ein Schwur, dass sie alles für ihren Herren unternehmen würden. Dann gingen sie an Bord eines kleineren Flugzeugs, das sie weiter in unwirtliches Dschungelgebiet bringen sollte, auch wenn Kalunde den Aufenthalt im Dschungel verabscheute. Sie waren entkommen. Noch war der Herrscher Afrikas nicht geschlagen…
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1. � »Irgendwo weht der Wind, aber das hat keine Bedeutung mehr für mich…« (Queen, 1975: ›Bohemian Rhapsodie‹) Sonntag, 30. August 1992 Ich weiß, dass ich niemandem trauen kann! Aber ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt, dass ich vor meinem eigenen Volk fliehen muss wie ein Verbrecher. - Was habe ich getan, dass ihr mir das antut? Habe ich euch denn nicht immer behandelt, als ob ihr meine Kinder wärt? Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, dass sich so viele Leute gegen mich versammelt haben. Aber ihr zerbrecht mich nicht. Keiner zerbricht mich! Ich bin stärker als ihr alle. Und das werde ich euch beweisen! - Um zu überleben, muss ich viele tapfere Männer und Frauen opfern. Sie würden ihre Leben mit Freuden geben, damit ich meines behalte – wenn sie denn davon wüssten. Ich muss sterben, wenn ich überleben will – zumindest für die Meute, die mir wegen einiger Unannehmlichkeiten ein Tod wünscht. - Notfalls würde ich auch Udande und Collong opfern. Sie sind zwar meine Berater und damit meine engsten Mitarbeiter, aber jeder ist ersetzbar… Außer mir! Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde *
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Der Alptraum ließ ihn nicht mehr los. Er kam jede Nacht wieder zu ihm, seit jenem verhängnisvollen Tag, an dem er gefangen genommen wurde. Er hatte weder ein Verbrechen begangen, noch konnte ihm sonst etwas nachgewiesen werden. Keine Unterschlagung, keine Unterlassung, keine Körperverletzung. Noch nicht einmal eine Verkehrsübertretung. Nichts, absolut nichts. Er war so unschuldig, wie es ein normaler Bürger nur sein konnte. Sein 'Verbrechen' bestand darin, dass er Randa Evariste Kalunde so ähnlich sah, als wäre er sein Zwillingsbruder. Das war Grund genug gewesen, ihn festzunehmen. Er wurde öffentlich für tot erklärt; angeblich war er bei einer Explosion ums Leben gekommen. Danach wurde er einer Gehirnwäsche ausgesetzt, bei der ihn Kalundes Geheimdienst – er nannte diese Leute bei sich stets seine 'Peiniger' – auf seine neue Aufgabe einstellte. Nach einigen kleinen Operationen wurde sein Aussehen vollkommen dem des Tyrannen angepasst. Sogar die Stimmlage war fast identisch mit der Kalundes. Sein neues Leben war ohne Freude und ohne Freunde. Er stand unter ständiger Bewachung und durfte nichts aus eigener Initiative ergreifen. Für alles gab es Befehle, so unsinnig sie ihm auch erscheinen mochten. Er fühlte sich innerlich wie abgestorben. Er durfte keine Freude zeigen und kein Leid. Er hatte nur zu funktionieren! »Wie eine Maschine!«, knurrte er leise. Einer Maschine gestand man wenigstens zu, dass sie aufgrund hohen Verschleißes kaputt ging. Und war sie defekt, so wurde sie umgehend repariert. Aber er war weitaus schlimmer dran. Er durfte nie Ausfallerscheinungen zeigen. Seine Peiniger nannten ihn auch nie bei seinem richtigen Namen. Wahrscheinlich wussten sie ihn nicht einmal. Er war schon froh, wenn sie ihn »Double« riefen und nicht »Kanonen17 �
futter« oder »Bio-Schutzweste«, wie es schon einige Male passierte. Nach all den Jahren voller Schmerz hatte er seinen Namen fast schon vergessen. »Abdallah«, flüsterte er und schloss die Augen dabei. »Ich heiße Abdallah.« Einer der zahlreichen Leibwächter blickte ihn scharf an. Er hob warnend seine Maschinenpistole und fuchtelte damit herum. »Hast du was gesagt?«, herrschte er Abdallah an. Er schürzte die Lippen und brachte ein verächtliches »Double!« hervor. Abdallah öffnete die Augen wieder, er versuchte, gleichgültig zu erscheinen. Er wusste, dass der Sicherheitsmann kein Wort verstanden hatte. Das war beim Lärm des landenden Flugzeugs schier unmöglich. Aber er musste die Lippenbewegung gesehen haben. »Ich habe nichts zu sagen«, antwortete Abdallah laut und deutlich. »Ich habe nur gehustet.« Der Wächter lachte auf. »Ich bin zu deinem Schutz da«, sagte er spöttisch und winkte mit der MP, »und ich sorge dafür, dass dir nichts passiert.« In Abdallahs Ohren klang es wie der reine Hohn. Er wusste genau, dass nur solange für ihn gesorgt wurde, wie man ihn brauchte. Sollte eine gefährliche Situation für Randa Evariste Kalunde entstehen, so musste er an dessen Stelle diese Situation bereinigen. Natürlich nicht ohne dass er Instruktionen erhielt, wie er sich zu verhalten hatte. Auch dabei durfte er keine Eigeninitiative entwickeln. Nicht einmal in bereitgestellte Mikrofone durfte er sprechen, trotz der Angleichung seiner Stimmlage. Das stellte einen Schutz dar, damit er trotz aller anderen Vorsichtsmaßnahmen nicht verriet, wer er war. Abdallah wusste genau, dass ihn einer seiner Bewacher beim ersten falschen Wort erschießen würde. 18 �
Er hatte nur zu repräsentieren, dem Volk zuzulachen und gönnerhaft zu winken. Und zwar mit der gleichen, einstudierten Körpersprache wie das Kalunde-Original. Sonst nichts. Er fühlte sich wie eine Art menschliche Kugelweste für den Diktator. Nur prallten die Geschosse nicht wirkungslos an ihm ab. Wie viele Doppelgänger von Kalunde mag es wohl geben? fragte er sich oft, ohne darauf eine Antwort zu finden. Wie viele Opfer der Umstände – so wie ich? Fragen dieser Art wurden von den Leibwächtern einfach nicht beantwortet. Sie stellten sich, als hörten sie die Frage nicht. Am Anfang seiner Gefangenschaft – und um nichts anderes handelte es sich – hatte er noch Zorn über dieses Verhalten empfunden. Jetzt nicht mehr. In der letzten Zeit stumpfte er immer mehr ab. Immer öfter wünschte er sich, dass er in Ausübung seiner Zwangsarbeit erschossen würde, damit der unwürdige Zustand endlich ein Ende hätte. Abdallah wusste nichts von den Geschehnissen in Kinshasa. Nichts vom Aufruhr und von Kalundes schmählicher Flucht. Solche Nachrichten bekam er nicht zu hören, damit er seine Aufgabe stilgerecht durchführen konnte. Dennoch hatte er bemerkt, dass die Leibwächter seit einigen Tagen nervös waren. Dazu kam, dass er in der letzten Woche an jedem Tag woanders hingebracht wurde. Er war nicht dumm und konnte sich an den Fingern abzählen, dass ihre Lage mehr als schlecht war. Irgendetwas war nicht so gelaufen, wie seine Peiniger erwartet hatten. Nur half ihm das nicht viel, falls er der anderen Partei in die Hände fiel. Abdallah war klar, dass Kalunde eine Menge Feinde auf dem eigenen Kontinent besaß. Und wenn die ihn erwischten und mitbekamen, dass er nur ein Doppelgänger war, würden sie 19 �
annehmen, dass er den gutbezahlten Job als Doppelgänger aus freiem Willen angenommen hatte. Gutbezahlt war seine Aufgabe, das musste er zugeben. Aber was nutzte ihm das viele Geld, wenn er tot war? Du bist jetzt schon eine lebende Leiche! hämmerte es hinter seiner Stirn. Je öfter er beschloss, die quälende Stimme zu ignorieren, umso öfter und lauter meldete sie sich. Und jetzt war er schon wieder mit einem Flugzeug zu einem ungewissen Ziel unterwegs, um eine noch unbekannte Aufgabe durchzuführen. Der Pilot leitete den Landevorgang ein. Sobald der Stahlvogel auf der Rollbahn stand, musste Abdallah wieder in eine gepanzerte Limousine einsteigen. So war es zumindest bis jetzt immer gewesen. Es wurde Zeit, dass sich daran etwas änderte. Er musste hellwach sein und die geringste Chance zur Flucht ergreifen. Dieses Mal würde er den kleinsten Moment der Unachtsamkeit seiner Bewacher ausnutzen, nahm er sich vor. Lieber auf der Flucht sterben, als so ehrlos wie die letzten Jahre weiterzuleben! * Randa Evariste Kalunde war überaus schlank. Nur sein tiefschwarzes aufgedunsenes Gesicht wollte nicht recht zu seinem Körper passen. Dazu hatte er eine hohe und nervöse Stimme. Kalunde war eitel, egoistisch, leicht erregbar und von sich selbst absolut überzeugt. Nach der Zerstörung Kairos und Kalemis sowie der Flucht aus Kinshasa hatte Kalunde die Bergfestung im südlichen Afrika bezogen. Dieser Standort war nur ihm und seinen engsten Mitarbeitern bekannt. Der ehemalige Alleinherrscher Afrikas war ein außergewöhnli20 �
cher Mann – was ihm selbst seine Gegner zugute hielten. Geboren und aufgewachsen 1933, vor 59 Jahren, in Ostafrika, hatte er eine bürgerliche Karriere angestrebt und ein erfolgreiches Medizinstudium begonnen. Im Jahr 1972, zur Zeit des kurzen, aber heftigen Schlagabtausches des Dritten Weltkrieges war er in Indonesien gewesen, auf der Basis eines Begabtenstipendiums. Nach seiner Rückkehr begann er, sich in die chaotische Nachkriegspolitik Afrikas einzumischen, und sein kometenhafter Aufstieg verblüffte Gegner wie Verbündete. Bei den ersten Präsidentschaftswahlen der Republique Africaine errang er eine absolute Mehrheit – nur, um sich wenige Wochen darauf zum 'Präsidenten auf Lebenszeit' zu ernennen. Diejenigen, die sich ihm in den Weg stellten, bestrafte er rücksichtslos. Folter, Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Doch jene, die ihm folgten, ließ er an wohldosierten Häppchen der Macht teilhaben. Als bekannt geworden war, dass unter seiner Initiative das Atomwaffenprogramm gestartet worden war, wurde jedem klar, dass Kalundes Ehrgeiz über die Grenzen des afrikanischen Kontinents hinaus reichte. Wäre nicht die Invasion der Laktonen und Orathonen ab Mitte Juni 1992 dazwischen gekommen, wer weiß, wie weit Kalunde seine Pläne zur Erlangung der Weltherrschaft getrieben hätte. Kalunde hielt sich für eine gelungene Mischung aus spirituellem, traditionellen und modernen Führer. Er sah sich selbst als einen Helden, war stolz auf seine Hautfarbe, und pflegte einen subtilen afrikanischen Rassismus, der dazu führte, dass er alle Andersfarbigen verachtete. Das hatte ihn aber nicht daran gehindert, die weiße Afrikanerschicht aus dem ehemaligen Südafrika in seinen Herrschaftsapparat einzubinden. Kalunde war in erster Linie Pragmatiker. Vier Dinge waren es, die ihn zu einem äußerst gefährlichen Gegner machten: seine hemmungslose Machtgier, seine offen21 �
sichtlichen Fähigkeiten, diese Gier in Resultate umzusetzen, sein ausgezeichnetes Spionagenetz und er opferte seine Leute ohne mit der Wimper zu zucken – wenn er sich dadurch Vorteile versprach. Dazu hatte Kalunde einen Komplex, der noch stärker war als sein Machthunger. Er hasste den Dschungel. Mehr noch: er hatte Angst vor ihm! Obwohl Kalunde Afrikaner war, gab es für ihn nichts Schlimmeres, als den Dschungel mit seinen Moskitos und Schlangen. Kalunde hatte seit seiner Zeit in Indochina eine wahnsinnige Angst davor, Malaria zu bekommen. Als ehemaliger Arzt kannte er die chronischen Anfälle dieser Krankheit. Trotzdem hatten seine Vertrauten – die um seine übergroße Furcht wussten – darauf bestanden, zuerst die geheimen Dschungelfestungen, von denen nur eine Handvoll Menschen wusste, anzufliegen. Unter dem dichten Blätterdach des afrikanischen Urwalds war es fast unmöglich, sie zu orten. Obwohl es Kalunde nicht gefiel, musste er Nagalla Udande und Toan Collong Recht geben. Hier würde sie so schnell niemand finden. Randa Evariste knirschte mit den Zähnen. Manchmal würde er seine engsten Vertrauten am liebsten erschießen. Sie zeigten ihre Ängste nicht, denn sie waren es gewohnt, in solchen Situationen kühl zu reagieren. Und genau das fiel ihm zurzeit unendlich schwer. Der Verlust seiner Stellung bedeutete ein Trauma, von dem er sich kaum erholte. Immer öfter ließ er seine Launen an seinen Untergebenen aus. Udande und Collong hatten alle Hände voll zu tun, um die Situation wieder zu bereinigen. Sie hielten ihm vor, dass er seine letzten Diener noch gegen sich aufbringen würde. Toan Collong hatte seinen massigen Körper in den Co-Pilotensitz gepresst. Er wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Seine kurz geschnittenen schwarzen Haare waren nass. Mit der anderen Hand strich er sich über den Schnauzbart, der ihm das Aus22 �
sehen eines Walrosses verlieh. 'Das schwarze Walross', so lautete auch sein Schimpfname. Collong grinste verächtlich. Jeder, der ihm gegenüber diesen Namen gebrauchte, hatte das bisher nicht überlebt. Und so sollte es auch bleiben! Er gab dem Piloten die Koordinaten durch, die er anfliegen sollte. Nur dem engsten Führungsstab Kalundes waren die Stellungen bekannt. Jeder hatte die Positionen auswendig lernen müssen. Es gab keinerlei offizielle Aufzeichnungen, dass überhaupt Festungen existierten. »So dicht wie möglich über den Wipfeln halten«, befahl Kalundes zweiter Berater. Seine Stimme war auch an Bord der drei anderen Maschinen zu hören, die sie begleiteten. »Damit wir nicht über Radar geortet werden.« Der Pilot biss sich auf die Lippen. Er konnte es schon nicht mehr hören. Collongs Warnung kam im Fünf-Minuten-Takt. »Ich fliege schon so tief, wie ich es verantworten kann«, presste er hervor. »Wenn ich noch niedriger gehe, bringe ich das Leben des Erhabenen in Gefahr.« Collong blickte ihn scharf an. Der Pilot sah unentwegt zum Cockpit hinaus. Es wirkte, als würde er Collong nicht sehen. »Ach, wirklich«, brachte der Berater hervor. Es hörte sich extrem provozierend an. Der Pilot schluckte. Bei Kalundes Ratgebern musste er außergewöhnlich vorsichtig sein. Mindestens so sehr, wie bei seinem Herrscher. Das hatte er gesehen, als seine Vorgänger erschossen wurden. Udande und Collong hatten nur ein abfälliges Lächeln für die beiden Männer übrig gehabt. Und als die tödlichen Schüsse fielen, freuten sie sich wie kleine Kinder. »Natürlich geht es auch um Ihr Leben, Berater, und um das Ihres Kollegen«, krächzte der Pilot. Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Das dürfen wir nicht vergessen. Schließlich sind 23 �
Sie die wichtigsten Personen von Afrika.« Toan Collong zog die Stirn in Falten. Er war nicht sicher, ob die Worte des Piloten dessen wirkliche Meinung darstellten, oder ob er sich nur eine bessere Ausgangsbasis verschaffen wollte. Collongs Lächeln verhieß nichts Gutes. Er vertraute niemand – böse Stimmen sagten ihm nach, dass er noch nicht einmal sich selbst vertraute. Und irgendwo hatten diese Stimmen nicht ganz unrecht: er vergewisserte sich stets mindestens dreimal, ob er alle Arbeiten richtig erledigt hatte. Der Pilot stand auf der Liste seiner Verdächtigen ganz weit oben. Sollte irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen, dann würde er einer der ersten sein, die seinen Zorn spürten. Collong legte dem Piloten die linke Hand auf die Schulter, mit der rechten zeigte er über das bis zum Horizont reichende, in sämtlichen grünen Schattierungen schimmernde Baummeer hinweg. »Dort hinten, kaum fünf Kilometer entfernt, fließt ein Bach«, erklärte er langsam und kniff die Augen zusammen. »Aber man kann ihn von hier oben kaum sehen. Die Baumkronen reichen über ihn hinweg.« »Und was passiert, sobald wir den Bach erreicht haben?« Der Pilot blickte ihn fragend an. Er hantierte an seinen Instrumenten. »Wir fliegen nach rechts und folgen seinem Verlauf«, antwortete der dicke Ratgeber. »Es sind dann nur noch wenige Kilometer bis zu unserem Ziel.« Und wirklich! An der angegebenen Stelle folgten sie dem kaum einsehbaren Bach. An wenigen Stellen glänzte seine Oberfläche im Licht der Nachmittagssonne. Der Urwald erhob sich etwas. Unter ihnen schien sich ein Hügel zu erheben, bloß konnten sie das von ihrem Standpunkt aus nicht genau erkennen. »Vorsichtig sein!«, warnte Collong, als sie näher kamen. Er hob die Hand und machte einige eindeutige Bewegungen. »Langsa24 �
mer werden.« Der Pilot zuckte zusammen. Sein sonst dunkles Gesicht war vor Anstrengung hellbraun. Es schien ihm nicht gut zu gehen. »Was…«, krächzte er und wies mit einer Hand auf den Hügel. Toan Collong kniff die Augen zusammen. »Das ist doch… ein… feindliches Flugzeug!«, schrie er die letzten Worte förmlich hinaus. Er funkte das fremde Flugzeug im Geheimcode von Kalundes Luftwaffe an. »Was ist los?«, fragte Nagalla Udande von hinten. »Sie antworten nicht«, zischte Collong. »Dann gibt's nur eins«, befahl Udande. »Wir müssen sie abschießen!« Collong nickte grimmig. Genau denselben Befehl wollte er den sie begleitenden Flugzeugen geben. Die drei Kampfjets die ihnen folgten, verteilten sich, um dem Gegner kein festes Ziel zu bieten. Dann griffen sie ohne Vorwarnung an. Die Attacke hatte sofort Erfolg. Eine winzige kleine Sonne leuchtete für kurze Zeit über dem afrikanischen Urwald auf. Dann fiel sie in sich zusammen und Myriaden von Bruchstücken torkelten dem Boden entgegen. Die wenigen Überreste fielen in den Bach ohne Namen, wo sie zischend versanken. * Dichter schwarzer Rauch quoll kurz darauf hinter Kalundes Flugzeugen zum Himmel empor. Dort, wo sich vorher einer seiner geheimen Stützpunkte befand, herrschten nun Höllengrade vor. Sie hatten alles unter Feuer genommen und restlos vernichtet. Kein Mensch konnte das Inferno überleben. Kalundes Kämpfer hatten ganze Arbeit geleistet. Der Diktator blickte ohne äußere Regung auf das Bild der Zer25 �
störung. Menschenleben galten ihm nichts, schließlich handelte es sich um seine Feinde. Für seine Begriffe war es völlig legitim, dass er sie töten ließ, um sein Leben zu retten. Dass es sich dabei um kaltblütigen Mord handelte, machte ihm nichts aus. Ein Hochgefühl erfüllte ihn aufgrund des soeben gemachten Erfolges; Adrenalin jagte förmlich durch seine Adern. Er wirkte wieder wie der geborene Gewinner. Seine Gestalt straffte sich, und das Leuchten kehrte wieder in seine Augen zurück. »Ihr habt mich zu früh abgeschrieben«, lachte er laut auf, er ballte die Hände, drohte seinen unsichtbaren Feinden und fügte hinzu: »Ihr Bastarde!« So wollten ihn seine Anhänger sehen: als starken Mann, der eine unwahrscheinliche charismatische Ausstrahlung besaß und seinen Leuten das Gefühl gab, als würde er sie herrlichen Zeiten entgegen führen. In dieser Hinsicht war er der ungeschlagene Meister. Kein anderer Staatsmann konnte dieses Gefühl in seinen Anhängern so wecken und vertiefen wie Randa Evariste Kalunde. Und das wusste er genau. Kalunde war aber auch sehr gut bewusst, dass er nur eine winzige Schlacht gewonnen hatte und noch nicht einmal einen kleinen Teil des Krieges. Der erste Stein zu seiner Wiederkehr war gerade gelegt worden. Andere Bauteile mussten möglichst schnell folgen. Und das, ohne dass jemand etwas davon ahnte. Toan Collong und Nagalla Udande konnten es kaum glauben, wie sehr sich Randa Kalunde nach der Zerstörung seines ehemaligen Stützpunkts verändert hatte. Neue Energien schienen den ehemaligen Gewaltherrscher Afrikas zu durchfließen. »Und jetzt?«, wollte Nagalla Udande wissen. »Was werden wir als nächstes in Angriff nehmen, Erhabener?« »Jetzt?«, fragte Kalunde zurück. »Als erstes erkämpfen wir uns eine neue Zentrale und dann…« Er ließ offen, was er plante. Toan Collong presste die Lippen 26 �
zusammen und wartete auf eine Antwort auf Udandes Frage, doch Kalunde schien es einen Heidenspaß zu machen, seine engsten Vertrauten zappeln zu lassen. »Und was geschieht danach?«, erkundigte sich Collong, als er die Spannung nicht mehr aushalten konnte. »Danach?« Randa Evariste Kalunde lachte laut auf, als er die ungläubigen Gesichter seiner Leute sah. Es schien, als könne er sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Erst nach einigen Minuten war er imstande, zu antworten. »Ich muss erst einmal sterben, wenn ich überleben will…« Collong und Udande kamen erst viel später darauf, was er mit seinen sybillinischen Worten meinte. * Tod im Dschungel Kalassas Nebenleute gingen in Deckung, als sie mit Gewehrschüssen empfangen wurden. Er blickte hinter sich, als erwartete er, dass die Gegner das Feuer von dort eröffnen würden. Gewiss war das nur pure Einbildung, aber er konnte sich nicht dagegen wehren. Der Kampf tobte schon den ganzen Tag und die vorhergehende Nacht, und er war so erschöpft, wie noch nie in seinem Leben. Seine Ausbilder hatten ihm beigebracht, stets wachsam zu sein. Da war es nur natürlich, dass er den Feind auch in seinem Rücken vermutete. Er kämpfte mit einigen hundert Kameraden mitten im afrikanischen Dschungel um den zweiten von Kalundes geheimen Stützpunkten. High Tech-Ausrüstung nutzte ihnen hier wenig im Kampf Mann gegen Mann. Was zählte, war die Ausbildung und daraus resultierende, antrainierte Reflexe. Und sie bildeten, nach den Black Heroes, die Elitetruppe von Randa Evariste Kalundes Soldaten. Wer von ihnen gewisse Ein27 �
sätze überstand, wurde selbst zum Black Hero ernannt, das höchste für sie erstrebenswerte Ziel. Jean Pierre Kalassa zog das Genick ein und ging in die Hocke. An seinem rechten Oberarm brannte es wie Feuer. Mit der rechten Hand hielt er den Abzug seiner Maschinenpistole fest, einer unterarmlangen olivgrünen Uzi der neuesten Bauart. Mit der linken wischte er sich über den rechten Oberarm. Als er die Hand vor die Augen hielt, bemerkte er erst das Blut. Verdammt, ein Streifschuss! durchzuckte es ihn. Es schien sich um einen Querschläger zu handeln. Anders konnte er es sich nicht vorstellen. Trotz seiner umfassenden Ausbildung und unzähligen harten Trainingseinheiten hätte nie gedacht, dass es so höllisch wehtat. Dabei hatte er jede nur denkbare Deckung versucht auszunutzen. Ihm war es egal, ob es sich um einen Querschläger handelte, einen Zufallsschuss sozusagen, oder um eine gezielte Garbe. Das Geschoss hatte ihn getroffen und er blutete wie ein Schwein, das gerade abgestochen wurde. Die Wunde war normalerweise nicht lebensgefährlich, solange er den Arm abband und die Blutung stillte. Die Wunde brannte wie Feuer, aber wenn er versuchte die Schmerzen zu ignorieren, wie es ihm in der Ausbildung beigebracht wurde, dann musste er eine Chance zu Überleben haben. Jean Pierre Kalassa stöhnte vor Pein auf. Das alles war leichter gesagt als getan. Wie oft schon hatte er derartige Situationen während seiner Ausbildungszeit geübt. Aber zwischen Ausbildung und rauer Wirklichkeit bestand immer noch ein riesiger Unterschied. Er wischte sich über den schweißüberströmten rasierten Kahlkopf. Als Zeichen seiner Zugehörigkeit zu Kalundes Spezialeinheit musste er sich den Schädel tätowieren lassen. Ihm graute heute noch, wenn er an die damaligen Qualen dachte. Aber ein 28 �
Anhänger von Randa Evariste Kalunde durfte nie zeigen, dass er Furcht oder Schmerz empfand. Hohn und Spott wären ihm sicher gewesen, und danach der gewaltsame Tod. Er stöhnte erneut mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte, den blutenden Arm mit einer Hand abzubinden. Es dauerte einige Sekunden, ehe es ihm gelang. Zum Glück befanden sich seine Kameraden weit von ihm entfernt, so dass sie sein erneutes Stöhnen nicht wahrnahmen. Außerdem hätten sie sowieso nicht auf seine Pein geachtet. Der Feind zielte viel zu gut, als dass sie sich die Blöße der Unachtsamkeit erlauben durften. Er hätte nicht gedacht, dass eine solch kleine Wunde derartige Schwierigkeiten bereiten würde. Der Blutverlust war enorm, daraus resultierend waren große Kreislaufbeschwerden. Er wollte nicht glauben, als die Schmerzen mit einem Schlag nachließen. Ist das schon der Schock oder eine normale Entwicklung unter den gegebenen Umständen? Wie auch immer, er war froh, dass er wieder normal denken konnte und nicht mehr gebremst wurde. Er packte die Uzi fester und hielt sie vor die Augen. Zwischen den dichten Bäumen, sah er das Aufblitzen einer MG-Garbe. Er ließ sich fallen und merkte sich die Stelle, an der sein Antagonist stand. Kalassa hielt das Gewehr an die Wange. Er zielte durch Kimme und Korn und hob den Kopf etwas an, so dass er gerade das dichte, hüfthohe Gras überblicken konnte. Er zog kurz am Abzug und tötete seinen Feind mit dem ersten Schuss. Er kam nicht auf die Idee, dass es sich nur um einen Gegner von Kalunde handelte und nicht um einen Rivalen von ihm, Jean Pierre Kalassa persönlich. Die Kriegspropaganda und die gehirnwäscheähnliche Ausbildung hatten ganze Arbeit geleistet. Jeder, der Randa Evariste Kalunde in Frage stellte, galt automa29 �
tisch als Todfeind seiner Untergebenen. Erneut wischte sich Jean Pierre Kalassa über die Stirn. Er atmete schwer, als würde eine große Last auf seinem Oberkörper liegen. Die Umgebung verschwand kurz vor seinen Augen; ihm war schwindelig und todübel zugleich. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, um Halt zu finden. Die Atemnot wurde immer größer. Panik drohte ihn zu überrollen. Die Uzi rutschte ihm aus der Hand und fiel auf den Dschungelboden. Er presste die Hände gegen den Brustkorb. Und dann war die Attacke von einer Sekunde auf die nächste vorbei. Er konnte wieder klar sehen. Es war, als hätte jemand ein schwarzes Tuch weggezogen, das über seinem Gesicht lag. Er atmete tief ein und schloss kurz die Augen. Das Luftholen fiel ihm so schwer, als befände er sich in einem zähflüssigen See. Aber es ging schon leichter, als noch vor wenigen Minuten. Dafür begann er mit einem Mal erbärmlich zu frieren. Er wusste, dass der Blutverlust daran schuld war. Kalassa stützte sich mit der gesunden Hand am Baumstamm ab. Er blickte sich fragend um. Keiner seiner Kameraden war zu sehen. Sie mussten ohne ihn weiter gegen den Feind vorgedrungen sein. Aber warum hörte er dann keine Schüsse oder sonst wie gearteten Kampflärm? Es herrschte fast vollständige Stille vor. Kalassa wunderte sich nicht über das Fehlen von Vogeloder Affenstimmen. Zu Beginn der Kampfhandlungen, kurz nach Benutzung der ersten Maschinenpistolen, waren die meisten Tiere in panischer Angst geflohen. Aber wo befanden sich Freund und Feind? Und weshalb hörte er nichts? Kalassa erinnerte sich daran, dass er im gleichen Augenblick, als er verletzt wurde, eine Explosion hörte. Aber durch den Schmerz und die einsetzende Schwäche hatte er nicht weiter darauf geachtet. 30 �
Er schaute nach oben, als könne er durch das dichte Blätterdach sehen. Ich muss weiter, sonst bin ich hier verloren! hämmerte es hinter seiner Stirn. Er stieß sich von seinem Baum ab und lief einige Meter in die gestern Abend befohlene Richtung. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Dann ging er wieder zurück und hob seine Uzi auf. »Dich hätte ich beinahe vergessen«, flüsterte er mit fast schon zärtlichem Tonfall. Wie seine Kameraden liebte auch er Waffen jeglicher Art über alles. Aber die Maschinenpistole war sein auserkorener Liebling. Auf ihn traf der alte Spruch zu, dass das Gewehr die Braut des Soldaten war. In der Ferne hörte er auf einmal Schreie, Schüsse und Explosionen. Er versuchte, so schnell wie möglich zum Kampfgeschehen zu gelangen, doch schien ihm alles quälend langsam zu gehen. Wie in Zeitlupe! Er bewegte sich torkelnd auf den Kampfplatz zu. Schon nach kurzer Zeit musste er sich ausruhen. Erneut bekam er Atemschwierigkeiten und es drehten sich Feuerräder vor seinen Augen. Trotz der Anstrengung fror er immer mehr. Seine Zähne schlugen aufeinander. Seine Kameraden befanden sich kurz vor Kalundes zweitem Stützpunkt. Es sah ganz danach aus, als hätten sie die Übermacht gewonnen. Einige Männer standen vor der unscheinbaren Felsöffnung, hinter der sich der Eingang befand; davor befand sich eine kleine Ebene, ringsum war alles mit Bäumen überwuchert. Kalundes Männer schossen mit Flammenwerfern auf den Eingang und versengten alles, was sich dort aufhielt. Grausame Schmerzensschreie ertönten von den Leuten, die den Stützpunkt gegen die Truppe des ehemaligen Diktators verteidigten. Trotz seiner Konditionierung rann es Jean Pierre Kalassa kalt den Rücken hinab. Selbst wenn sie die Todfeinde seines Herren waren – diesen schrecklichen Tod hatten sie nicht verdient. 31 �
Kalundes Männer rannten an ihren verbrannten Feinden vorbei und in den Stützpunkt hinein. Sie hielten die Maschinenpistolen und Flammenwerfer in Anschlag, damit sie etwaige Überlebende sofort erschießen konnten. Durch seine Verletzung gehandicapt, folgte Kalassa mit einer halben Minute Abstand. Immer wieder musste er stehen bleiben und Atem holen. Kurz bevor er den Eingang zum teilzerstörten Stützpunkt erreichte, flog etwas undefinierbares an ihm vorbei. Unwillkürlich blieb er stehen. Gleich darauf explodierte der Stützpunkt! Geröll prasselte hinunter, die Steine kamen wenige Zentimeter vor ihm zum Stillstand. Jean Pierre Kalassa blickte ungläubig auf das Tohuwabohu, das sich seinen Augen bot. Vor Schreck war er unfähig zu reagieren. Er drehte sich in die Richtung um, aus der das Undefinierbare geflogen kam. Er konnte nicht fassen, was er sah. Die eigenen Leute hatten auf die Kameraden geschossen. Nicht nur die eigenen Leute, erfasste Kalassa, als er erkannte, wer sich wirklich bei ihnen befand. Randa Evariste Kalunde persönlich hatte das Geschoss ausgelöst. In den letzten Augenblicken seines Lebens erkannte Jean Pierre Kalassa, dass Kalunde seine Leute kaltblütig geopfert hatte – wie schon so oft. Er würde auch in Zukunft viele Hundert seiner eigenen Truppen in den Tod schicken um das eigene Leben zu retten. Es war nie vorgesehen, dass die Einsatztruppe den Stützpunkt zurückerobern sollte. Der Diktator verfolgte einen perfiden Plan, in dem Kalassa und die Leute seiner Truppe nur winzig kleine Mosaikstückchen darstellten. Als Kalassa das realisierte, geschah es: Das nächste Geschoss schlug direkt neben ihm ein und zerriss ihn in unzählige Teile.
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* � Zentralafrika, ein paar Tage später Die Explosion kam unerwartet; ohne vorherige Ankündigung und ohne dass auch nur einer aus der Schar seiner Peiniger davon wusste. Der ersten Explosion folgte eine zweite und gleich darauf eine dritte, ganz in seiner unmittelbaren Nähe. Beim ersten Ton hatten ihn seine Peiniger unsanft zu Boden gerissen und mit ihren Leibern bedeckt. Trotzdem wurde er von Gesteinssplittern übersät. Sie wollen mich tatsächlich schützen! durchfuhr es ihn. Ich diene nicht nur als Kanonenfutter für Kalunde. Und diese Erkenntnis erschütterte ihn stärker als die Tatsache, dass ein Anschlag auf sein Leben gemacht wurde. Dass es in Wahrheit eine Attacke auf das Kalunde-Original sein sollte, bedachte er dabei nicht. Dazu war alles viel zu schnell vor sich gegangen. Den drei Explosionen folgte zuerst Stille. Dann sprangen einige Sicherheitsmitarbeiter auf und suchten Deckung. Kollegen von ihnen übernahmen die Sicherung: Sie schossen auf die Stelle, von der sie den oder die Attentäter vermuteten. Vereinzelte Zurufe hallten über den Platz, und plötzlich erklangen nur noch die Kommandos des Chefs von Randa Evariste Kalundes Securityeinheit. Die Zuschauer der Szene schrieen nach den ersten Schrecksekunden laut auf und versuchten verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen. Abdallah verdrehte die Augen. Das Gewicht zweier Leibwächter drückte ihn dermaßen zu Boden, dass er kaum noch atmen konnte. ›Kalunde-Double hat Attentat überlebt und ist beim Rettungsversuch durch seine Wächter gestorben‹, erschien eine imaginäre Schlagzeile vor seinen Augen. Gegen seinen Willen musste er grinsen. Er spannte die Muskeln an und versuchte, sich aufzu33 �
stützen. »Untenbleiben, Sie verdammter Narr!«, zischte ihm die Stimme des einen Bodyguards ins Ohr. »Weshalb sollte ich das tun?«, knurrte Abdallah zurück. »Weil der Alarm noch lange nicht aufgehoben ist«, belehrte ihn der zweite Leibwächter. Auf ein Kommando des Securitychefs hin erhoben sie sich gleichzeitig. Abdallah blickte kritisch zu ihnen auf. Er vermutete, dass sie ihn noch eine Weile auf den harten Steinplatten des Marktplatzes von Kisangani liegen lassen wollten, bis die Gefahr vorbei war. Doch er wurde positiv enttäuscht. »Aufstehen, Double!« Die Stimme des Einen klang metallisch, als wäre er ein orathonischer Bronzeroboter. »Ich habe einen Namen. Vergiss das nicht.« Abdallah stand langsam auf und klopfte sich den Staub aus der Kleidung. Es war das erste Mal nach über vier Jahren, dass er seinen Peinigern widersprach. Er wusste nicht, woher die Anwandlung von Trotz kam, aber es war ihm ein inneres Bedürfnis, Tajkan zu ärgern. Und es war ihm egal, welche Konsequenzen das nach sich ziehen mochte. Tajkan kam auf ihn zu und blickte ihm scharf ins Gesicht. Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach unten. Er verachtete Abdallah, wie alle, die in seinen Augen unter ihm standen. »Du bist ganz schön frech für jemand, der nichts anderes darstellt als… Kanonenfutter!«, höhnte der Mann. Abdallah gab den Blick auf die gleiche Art zurück. Er wusste genau, dass er zurzeit geschützt werden sollte – aus welchen Gründen auch immer. Darum traf ihn die Beleidigung nicht sonderlich. Er brachte es sogar fertig, seinem Peiniger ins Gesicht zu lachen. »Kanonenfutter, das von dir sehr gut geschützt wurde, mein Lieber«, parierte er die Bemerkung. »Also kann ich mir erlauben, 34 �
frech zu sein. Trotzdem vielen Dank für eure Hilfe.« »Lass gut sein, Kumpel«, versuchte Akunda seinen Kollegen zu beruhigen, als er sah, wie dessen Hände sich zu Fäusten ballten. »Wir dürfen nicht negativ auffallen. Schon allein der vielen Fernsehsender wegen, die übertragen könnten, was sie nicht übertragen sollen«, setzte er so leise hinzu, dass ihn nur sein Kamerad verstand. Sie nahmen Abdallah in die Mitte und zwangen ihn, so unauffällig wie nur möglich die gepanzerte Limousine anzusteuern, die am Rande des Marktplatzes stand. Ihnen folgten zwei Männer, die den Präsidentenberatern Nagalla Udande und Toan Collong täuschend ähnlich sahen. Auch sie waren nichts anderes als Doppelgänger. Der Termin in der Zentralafrikanischen Stadt wurde abgebrochen. Kalundes Doppelgänger sollte sich öffentlich zeigen, damit seine überall existierenden Anhänger weiter hinter ihm stehen sollten, hieß die offizielle Order. Natürlich hatte sich Randa Evariste Kalunde etwas total anderes dabei gedacht. Aber was, blieb vorerst noch sein Geheimnis. Abdallah und seine Bewacher stiegen in den Mercedes. Die Doubles von Udande und Collong setzten sich in den Wagen dahinter. Langsam lenkte der Fahrer das schwere Fahrzeug Richtung Udande-Flughafen. Abdallah blickte durch die verdunkelten Fenster auf die Silhouette der Stadt. Rund um den Marktplatz befanden sich alte, verdreckte Häuser und Straßen, die diese Bezeichnung nicht verdienten, da sie mehr aus Schlaglöchern und Schlamm bestanden, denn aus ebener Fläche. Stadtauswärts kamen sie durch ein Neubaugebiet, das ganz untypisch für diesen Teil Afrikas war. Hier wohnten die Neureichen, alles sah extrem sauber aus. Vor und hinter dem Mercedes fuhren Polizisten auf Motorrädern in Zweierreihen nebeneinander. Sie sollten eine Sicherheit vorgaukeln, die es nicht mehr gab. Das wusste auch Abdallah, 35 �
der längst nicht so ruhig war, wie er vorgab. Die Ereignisse der letzten Tage kamen ihm immer merkwürdiger vor. Das Verhalten der Leute ihnen gegenüber hatte sich total verändert. Bis vor kurzem war der Großteil der Zuschauer extrem ängstlich gewesen. Sie hatten sich zurückgehalten und nur die bekannten Partei-Parolen geschrieen, wenn es ihnen befohlen wurde. Der kleinere Teil dagegen jubelte ihm – beziehungsweise dem, was sie für den Original-Kalunde hielten – ekstatisch zu. Aber was zurzeit ablief, verunsicherte ihn extrem… Eine ungeheure Aufbruchstimmung schien alle erfasst zu haben. Vereinzelt wurde mit Steinen und fauligem Essen auf ihn geworfen; etwas, das bis vor kurzem undenkbar schien. Die Sicherheitskräfte beschränkten sich auf die Verteidigung. Auch das war bis vor knapp zwei Wochen anders gewesen. Sie hätten jeden halbtot geprügelt und danach in Verwahrung genommen. Der Doppelgänger des Diktators hatte durch das Rufen der versammelten Menschenmenge einiges mitbekommen; schließlich war er weder taub noch dumm. So sollte Kalunde nicht mehr an der Macht und aus seinem Domizil Kinshasa vertrieben worden sein. Das war etwas, das sich Abdallah schlecht vorstellen konnte, bei all den Absicherungsmaßnahmen, die der Gewaltherrscher ergriffen hatte. Und doch schien es so zu sein. Aber welchen Grund sollte ein Besuch wie der eben erfolgte haben, wenn Randa Evariste sich kaum noch blicken lassen durfte? Er musste doch ständig in der Angst leben, durch den Mob umgebracht zu werden! Ratlos blickte Abdallah, der in der Mitte auf der Rückbank saß, seine Peiniger an. Sie wollten oder konnten ihm auch nicht bei der Lösung des Rätsels helfen. Abdallah schüttelte den Kopf. Sicher verkündete Kalunde auch ihnen nicht alle seine Pläne. »Ich habe ein seltsames Gefühl«, bekannte Tajkan zögernd. Akunda winkte ab. »Was soll schon passieren?«, meinte er 36 �
abwiegelnd. »Wir fliegen bald weiter über den Bahr el Ghazal nach El Khartûm. Dort treffen wir auf Verbündete…« »Sei ruhig!«, befahl Tajkan in schroffem Tonfall. »Unser Freund hier…« »Ach was.« Erneut winkte Akunda ab. »Er ist doch nicht auf den Kopf gefallen. Hast du nicht bemerkt, dass er einiges aufgeschnappt hat?« Er wandte sich an Abdallah. »Du hast zwar versucht, dir nichts anmerken zu lassen, aber mich kannst du nicht täuschen.« Der Doppelgänger lachte heiser auf. »Was hätte ich davon? Es wäre genauso lächerlich wie eure Geheimnistuerei.« »Nur hat diese so genannte Geheimniskrämerei ihren Grund«, konterte Akunda. Abdallah erwiderte nichts darauf. Er wünschte sich nur, an Bord des auf sie wartenden Flugzeugs zu gehen und Kisangani zu verlassen. Schneller als gedacht erreichten sie ihr Ziel. Wiederum wurden sämtliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um Abdallah von den Leuten fern zu halten. Angeblich nur, damit ihm nichts passierte. Am Flughafen angekommen, stiegen Abdallah und seine Begleiter aus und betraten das Gebäude durch einen Nebeneingang. »Mir ist erst wieder wohler, wenn wir dieses Mistkaff verlassen haben und in El Khartûm sind«, grollte Tajkan, während sie durch den Terminal schritten. »Du mit deinen komischen Gefühlen«, lachte Tajkan. »Und das Attentat vorhin, war das etwa nichts?«, fragte sein Kollege empört. Tajkan verzichtete auf eine Antwort. Er beeilte sich, die Gangway hinaufzugehen. Obwohl er es nicht zeigte, steckte ihm der Anschlag sehr wohl noch in den Knochen. Aber das würde er 37 �
nicht zugeben. Das Tajkan seine Angst indirekt zugegeben hatte, galt schon als Sakrileg. Er selbst würde sich hüten, so weit zu gehen. Die Boeing 747 hob ab und schlug Richtung Bahr el Ghazal ein. In dem riesigen Flugzeug, das nur für Kalundes Doppelgänger und seinen Begleittross gedacht war, herrschte Stille. Die Doppelgänger von Udande und Collong saßen weiter hinten. Sie wurden stets getrennt voneinander untergebracht, als Vorsichtsmaßnahme, dass sie sich nicht miteinander absprechen konnten. Die Angst der Herrschenden vor ihren wie Sklaven gehaltenen Untergebenen war grenzenlos. Abdallahs Herz schlug bis zum Hals. Er war froh, diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Als die drei Explosionen erfolgten, hatte er Todesängste ausgestanden. Und das, obwohl ich lieber sterben wollte, als so weiterzuleben, wunderte er sich. Er schien doch stärker am Leben zu hängen, als er selbst wahrhaben wollte. Er hoffte immer noch auf eine Flucht vor seinen Peinigern und vor Kalundes langem Schatten. »Hallo, meine Lieben«, ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher; sie befanden sich noch keine zehn Flugminuten von Kisangani entfernt. Eine hohe, nervöse Stimme, die fast genauso wie Abdallahs Tonfall klang. Der Doppelgänger zuckte erschrocken zusammen. Er richtete sich in seinem Sitz auf. »Was soll…«, brachte er krächzend hervor.« »Ich bedanke mich sehr herzlich bei euch«, lachte der Sprecher. »Und es war mir ein Vergnügen, euch während eures aufschlussreichen Besuchs zu beobachten.« »Kalunde, unser Erhabener«, hauchte Tajkan. »Richtig. Das Original«, stimmte Randa Evariste zu. »Der Eine und Einzige. Und es kann nur einen geben…« »Was bedeutet das?«, wollte Abdallah wissen. »Nun…« Kalunde legte eine kleine Kunstpause ein. Er schien 38 �
sich köstlich zu amüsieren. »Ich habe eine für euch – und selbstverständlich auch für mich, da möchte ich mich pietätshalber nicht ausschließen – betrübliche Mitteilung zu machen…« »Was soll das, du Schwein?«, schrie Abdallah seine Verachtung hinaus. Tajkan zog seine Pistole und hielt sie Abdallah gegen die Stirn. »Sei vorsichtig mit dem, was du sagst«, drohte er dem Doppelgänger. »Du sprichst mit dem Erhabenen.« Abdallahs Hände zitterten. Sein Gesicht war mit einem Mal schweißbedeckt. Wieder lachte Kalunde hell auf. Er wollte sich nicht beruhigen. »Das macht jetzt auch nichts mehr«, amüsierte er sich. »Ein Todgeweihter muss doch keinen Leidensgenossen bedrohen.« »Ich verstehe nicht.« Tajkan nahm die Waffe von Abdallahs Schläfe und steckte sie irritiert wieder ein. Die Worte seines Herrschers hatten ihn irritiert. »Ich habe mich bei euch für die Dienste bedankt, die ihr in den letzten Jahren für mich geleistet habt«, sagte Kalunde. »Und ich sage euch Lebewohl…« »Der Chef will uns opfern!«, schrie Tajkan, als ihm klar wurde, was Kalunde mit ihnen vorhatte. »Opfern! Welch hartes Wort«, maßregelte ihn Kalunde. »Im Rahmen meines Planes ist euer Tod absolut unerlässlich, denn er sichert mir wiederum das Leben. Ihr solltet mich bedauern, denn gleich fehlen mir viele fähige Mitarbeiter. Ebenso die armen Piloten, die ja nur ihre Pflicht tun, und die auch erst jetzt von ihrem baldigen Ableben erfahren. Ihr habt noch genau… 45 Sekunden Zeit bis zur Explosion. Lebt wohl. Besonders du, Abdallah…« Das Rauschen im Lautsprecher zeigte an, dass Randa Kalunde abgeschaltet hatte. Abdallah sank zu Boden. Er presste die Arme vor das Gesicht und heulte laut auf. »Mein Gefühl…«, ächzte Tajkan. Trotz seiner dunklen Haut39 �
farbe wirkte er unnatürlich bleich. »Scheiß drauf!«, brüllte sein Kollege. Er blickte hilflos um sich, dann stand er auf und begann, hin und her zu laufen. Er musste etwas tun, und wenn es noch so sinnlos erschien. Eine nie gekannte Ruhe durchzog Abdallah. Er wusste, dass ihm nur noch eine halbe Minute zu Leben blieb. Läppische 30 Sekunden! Eine wahnwitzig kurze Zeitspanne! Und die Sekundenzeiger schienen so schnell zu laufen, wie noch nie zuvor. Lieber auf der Flucht sterben, als so ehrlos wie die letzten Jahre weiterzuleben! dachte er und stand auf. Er blickte aus dem Fenster und sah doch nichts. Er hätte nicht gedacht, dass sein Wunsch so schnell in Erfüllung gehen würde. Sein Leben zog wie ein wahnsinnig schneller Film an seinem inneren Auge vorbei. Nie hatte er sich vorzustellen vermocht, dass es so etwas gab. Er blickte auf die beiden Leibwächter, und Verwunderung stahl sich in sein Gesicht. Sie wollten mich tatsächlich schützen! erkannte er. Sie dienten ebenso wie ich als Kanonenfutter für dieses Miststück Kalunde. In dieser letzten Sekunde seines Lebens begriff Abdallah, dass er genau das getan hatte, was Kalunde wollte. Er hätte ihm keinen größeren Gefallen erweisen können. Abdallah spürte nicht mehr, wie sein Körper von der Bombe zerrissen wurde. * Eilmeldung der ›Southafrican Press & News Agency‹, der größten � unabhängigen Presseagentur des schwarzen Kontinents. Zuerst � 40 �
von der Station Kinshasa ausgestrahlt, kurz darauf über die ganze Erde verbreitet: Präsident Kalunde auf der Flucht getötet! Wie uns soeben von unserem Büro aus Kisangani mitgeteilt wurde, kam der ehemalige Diktator Randa Evariste Kalunde bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Sein Flug sollte ihn nach unseren Recherchen über Bahr el Ghazal nach El Khartûm führen. Zeugenaussagen berichten, dass eine riesige Stichflamme, vermutlich von einer Explosion, die Maschine in unzählige Teile zerfetzte. Vor wenigen Tagen wurde der Schlächter von Afrika von über 100.000 Menschen vom REKAirport Kinshasa vertrieben. Seit dieser Zeit befand er sich auf der Flucht vor der Gerechtigkeit. Schlussendlich konnte er seinem Schicksal nicht entkommen. Toan Collong und Nagalla Udande, die beiden engsten Vertrauten des vertriebenen Präsidenten, befanden sich an Bord des Flugzeugs. Sie haben die Explosion zum Glück ebenfalls nicht überlebt. Sie standen ihrem Herrn und Meister in nichts nach. Es ist gut, dass Kalunde tot ist und seine Macht ein für alle mal gebrochen wurde. Aber viele Millionen geknechtete Afrikaner hätten es lieber gesehen, wenn der Unterdrücker eines ganzen Kontinents und seine Schergen ihre gerechte Strafe erhalten hätten: Tod durch die eigenen Folterknechte, die das Volk so lange quälten! Heute ist ein Feiertag für alle geknechteten Afrikaner. Wir danken Gott dafür, dass diese Geißel der Menschheit ausgerottet wurde! (mhr) Ironie des Schicksals: Die ›Southafrican Press & News Agency‹, hieß bis vor wenigen Tagen ›Republique Africaine P&N Agency‹ und unterstand Präsident Kalunde persönlich. Nach wegfallen der staatlichen Zensur ließen die Mitarbeiter der Agentur kein gutes Haar an ihrem ehemaligen Brötchengeber. Gerade der Journalist, der die größten Lobeshymnen über den ehemaligen Diktator losgelassen hatte, kritisierte ihn jetzt am meisten. 41 �
2. � »Du kannst keinen Schatten bekämpfen, du kannst keinen Toten ermorden…« (John Fogerty, 1986: ›Eye of the Zombie‹) Anfang September 1992 Was ist das nur für eine grausames Zeitalter? Die schlimmsten Menschen aller Zeiten lebten im 20. Jahrhundert! Mao Tse-tung, Adolf Hitler, Jossif Stalin… Jeder von ihnen war ein Massenmörder ohnegleichen. Jeder ein Monster in Menschengestalt. Es ist gut, dass sie tot sind. Und vor wenigen Tagen wurden ihre Enkel gestürzt. Randa Evariste Kalunde und Tsien Hsia wurden von ihren Völkern davongejagt. Wir freuen uns darüber, dass auch sie tot sind… Marjam Mkobe, stellvertretende Chefin des Chemiekonzerns African-Medic, einen Tag nach Kalundes Absturz * Die rechte Hand des Mannes zitterte, als er nach dem Glas griff, um es zum Mund zu führen. Nachdem er einen kleinen Schluck getrunken hatte, stellte er das Glas sofort wieder auf den schwebenden Tisch. Das Gesicht des Schento wirkte wie versteinert. Nur das kurze Aufblitzen seiner Augen und das Knirschen seiner Zähne bewiesen, dass er große Schmerzen litt. Aber das war auch kein Wunder, schließlich hatte ihm Sigam Agelon, der Mörder seines Sohnes Lento und damit sein größter Feind, vor einem halben Tag die rechte Hand abgeschlagen – und erst vor wenigen Minuten war ihm eine Prothese an die offene Wundes 42 �
seines Armstumpfs angebracht worden. Der Raum stank nach Desinfektionsmitteln, in dieser Hinsicht unterschieden sich Laktonen nicht von Menschen. Jakto Javans Gesichtsausdruck bezog sich nicht nur auf die Schmerzen, die immer noch trotz eines Narkotikums durch seinen rechten Arm rasten, sondern auch auf die Feinmotorik seiner neuen Finger. Die künstliche Hand gehorchte den Nervenreflexen noch nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Er würde noch einige Zeit üben müssen, ehe er die vollständige Kontrolle über sein neues Körperglied erlangte. Dabei hatte er noch Glück gehabt, dass ihn Rex Corda auf der nun durch semibiotische Kolonien zerstörten Insel Mayaguana fand und vor dem Verbluten rettete. Durch diese Aktion war Corda enorm in Javans Achtung gestiegen. Trotzdem konnte und wollte der Schento, der gleichzeitig als Oberbefehlshaber der Laktonen im Sonnensystem fungierte, Corda nicht als gleichberechtigt anerkennen. Er lächelte grimmig, als er an Rex Corda dachte und daran, dass er ihm diesen Dienst nicht würde vergelten können. Als Oberbefehlshaber der laktonischen Truppen musste er so handeln, dass sein Volk an erster Stelle stand. Die Interessen des Laktonischen Reiches gingen vor. »Schade, Corda, wirklich schade!«, murmelte Jakto Javan. Er lächelte, als er daran dachte, dass Corda bei der in Kürze stattfindenden Präsidentenwahl einen Gegenkandidaten erhalten sollte, der den Vorstellungen der Laktonen entsprach. Es handelte sich dabei um Randy Seagren, den Gouverneur von Kalifornien. Ob Seagren ein würdiger Gegner für Corda sein würde, musste sich erst noch entscheiden. (siehe Rex Corda Nummer 11 ›Die Stunde der Mutanten‹) »Aber das war noch nicht alles, mein terranischer Freund«, lachte Javan und entblößte dabei seine Zähne. Laktonen waren 43 �
sehr menschenähnlich, sowohl was Farbe der Haut, der Haare und der Augen betraf. Sie besaßen eine Durchschnittsgröße von etwa zwei Meter. Vom menschlichen Standpunkt aus galten sie als fettleibig, was sie aber bestimmt nicht waren. Zwei besondere Unterschiede gab es zwischen den Laktonen, die an eine Schwerkraft von fast genau 1,5 Gravos gewöhnt waren und den Terranern: Die Außerirdischen besaßen rötliche Zähne sowie einen herben Körpergeruch, der je nach Situation schärfer wurde. Vom Charakter her waren sie sehr stolz und selbstbewusst. Als Gegner musste man die Laktonen unbedingt ernst nehmen. Das hatten sie im galaktischen Krieg bewiesen, den sie seit 4897 Jahren gegen die Orathonen führten. Und das, obwohl das Sternenreich der Orathonen fast doppelt so groß war wie das der Laktonen. Das Ausbreitungsgebiet von Lakton umfasste in der Hauptsache einen Spiralarm von 400 bewohnten Planeten. Auf dem zentralen Planeten Ferga war der Sitz des Schenna, dem als Gott verehrten Führer des Laktonenreiches. Auf Lakton selbst saßen Regierung und Räte. Zum laktonischen Sternenreich gehörten mehr als 3000 Sonnensysteme mit mehr als 7000 Welten. Wie weit Lakton von Terra entfernt lag und in welcher Richtung man suchen musste, sollte niemand erfahren. Das zählte zum Selbstschutz der grobschlächtigen Außerirdischen. Jakto Javan gehörte dem Schenta an, dem Hofrat der Laktonen, der aus vier Adligen, den Schento, bestand. Er galt als Sprachrohr des Schenna. Durch den Hofrat erfuhr die Regierung der Laktonen, welche politische Richtlinien beachtet werden sollten. Das bekannteste Mitglied des Schenta war er, Jakto Javan. Er sorgte dafür, dass die zahlenmäßig unterlegene Flotte der Laktonen den Feinden trotzte. Seine persönliche Ansprache hatte die Wende in dieser Schlacht herbeigeführt, die vielleicht zum Schicksal der beiden Sternenreiche werden konnte. Nur zufällig 44 �
wurde diese gigantische Schlacht innerhalb des Sol-Systems ausgetragen. Der grünlich schimmernde fünfdimensionale Energiemantel, jene neueste Entwicklung der orathonischen Waffenforschung, hatte sich vor kurzer Zeit um das System geschlossen. Auch Jakto Javan war in der Falle gefangen, ebenso wie sein Kontrahent Sigam Agelon. Der Schento wusste nicht, wie seine Feinde das Kunststück vollbracht hatten, ein ganzes Sonnensystem mit einem gigantischen Schutzschirm aus 5D-Energie zu umhüllen. Woher nehmen die Federköpfe die Energie her? fragte sich Javan wiederholt, ohne darauf eine Antwort zu finden. Welche Sonne bluten sie dafür aus? Eigentlich konnte es sich nur um eine der nächsten Sonnen handeln. Unermessliche Energiemengen waren dazu notwendig, um ein Loch im Weltraum geöffnet zu halten. Von der Sonne Alpha Centauri tauchten kilometerdicken Glutbahnen ins Nichts, verschwanden dort. Mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit jagte der Strom der freien Energie durch den fünfdimensionalen Pararaum. Jakto Javan schloss die Augen. Er versuchte sich an die Ereignisse zu erinnern, die zu seinem Duell mit Agelon führten. Er dachte an die Schreckensmeldungen, die urplötzlich eintrafen: ›Vor uns eine grüne Energieschranke… versuchen auszuweichen…‹ � ›Eine Mauer im All… wir stürzen auf sie zu… kein Zurück…‹ � ›Notruf… die Schiffe zerschellen… versuchen, tangential…‹ � Alle Meldungen brachen ab. Hunderte von laktonischen � Schlachtschiffen verglühten an dem grünen Schirm. Panik brach aus. Die meisten Schiffe der Orathonen waren entkommen, bevor sich der Kugelschirm gebildet hatte, aber viele hatten es nicht geschafft. Gemeinsam mit ihren Verfolgern waren sie 45 �
gefangen. Innerhalb des 5D-Schirms waren die Laktonen zahlenmäßig überlegen. Wo sie auf Orathonenschiffe trafen, ließen sie ihrer Aggression freien Lauf. Und trotzdem konnte Sigam Agelon entfliehen! Die Energieblase flackerte an mehreren Stellen, wo sie die Wucht einiger kilometerlanger Schlachtschiffe getroffen hatte. Aber der Schirm hielt und verstärkte sich weiter. Dank der Energie, die von Alpha Centauri übermittelt wurde. (siehe Rex Corda Nummer 9: ›Die Falle im Kosmos‹) Es gab also weitaus vordringlichere Probleme für den laktonischen Oberbefehlshaber, als die aufmüpfigen Menschen und einen Senator namens Rex Corda, der sich anschickte, Präsident über die Erde zu werden. Zuerst galt es, den 5D-Schirm, diese unüberbrückbare Energiewand zu beseitigen, damit sie gegen ihre Feinde angehen konnten. Ein großer Teil der laktonischen Flotte befand sich im SolSystem. Für die Orathonen wäre es ein leichtes, gegen den Rest außerhalb vorzugehen. Danach musste Sigam Agelon gestellt und bestraft werden. Alles andere war zweitrangig. Die Erde, ihre Bewohner und deren Probleme waren ihm ziemlich gleichgültig. Der Planet war gut genug als Ressourcenbasis für Lebensmittel und Rohstoffe. Sonst nichts. Trotzdem wollte Jakto Javan auch auf diesem Schlachtfeld nichts dem Zufall überlassen. Je mehr Fäden er in der Hand hielt, umso besser. Er öffnete die Augen wieder und starrte auf seine absolut echt aussehende künstliche Hand. Zum nachlassenden körperlichen Schmerz kam nun die seelische Pein. Es war unverantwortlich von ihm gewesen, sich Sigam Agelon im Duell zu stellen, nur um den Mord an seinem Sohn Lento zu rächen. Der hatte sich 46 �
vor Jahren einer Rebellengruppe angeschlossen und war nach seiner Gefangennahme von Sigam Agelon ermordet worden. (siehe Rex Corda Nova Band 1: ›Feind der FAMILIE‹) Jakto Javan schüttelte den Kopf, um die trüben Gedanken zu vertreiben. Er hatte einen Entschluss gefasst. Senator Rex Corda sollte nicht nur einen Widersacher erhalten, sondern deren zwei. Mit einem Gegner sollte er sich sofort herumärgern. Den anderen wollte Javan langfristig aufbauen. Nur wusste der noch nichts davon. Der Oberbefehlshaber der laktonischen Truppen hatte die Wahl zwischen zwei gefallenen Staatsmännern und entschloss sich spontan für einen davon. »Viel Feind, viel Ehr, mein Freund«, murmelte der Schento. Dabei wusste er noch nicht einmal um die Bedeutung, die das Wort Freund auf der Erde hatte. Für Javan war ein Freund jemand, der ihm nützte. Oder jemand, den er benutzen konnte. »Fast bedauere ich es, dass du auf einer so niedrigen Kulturstufe stehst, Corda.« Es klang anerkennend. Und irgendwie auch ehrlich. Jakto Javan gab seine Geheimbefehle. Nur zwei Laktonen weihte er in seine Pläne ein. Nicht jeder normale Raumsoldat sollte wissen, was er beabsichtigte. Noch nicht einmal die höchsten Offiziere bekamen Mitteilung davon. Am wenigsten der Synoptiker Latak Decimo. Zu offen sympathisierte er mit den Menschen. An Rex Corda und seinen Leuten schien er einen Narren gefressen zu haben. Und das konnte Jakto Javan nicht gutheißen. Er wollte dem jungen Mann keine Steine in den Weg legen, dazu schätzte er ihn zu sehr. Aber alle Informationen, welche die Unterstützung eines Gegenspielers von Rex Corda beinhalteten, wurden mit allerhöchster Geheimhaltungsstufe behandelt. * 47 �
»… und aus diesem Grund brauchen wir weitere Truppen notwendiger als alles andere«, schloss Nagalla Udande seine kurze Ansprache. Der kleine dürre Mann blickte über den oberen Rand seiner schmalen Lesebrille hinweg die Versammelten an, während er den Klettverschluss des Aktenordners, der seine Unterlagen enthielt, verschloss. Sie hielten sich in einem Stützpunkt am Rand der Sahara auf. Die Besprechung fand im so genannten kleinen Beratungszimmer statt. Um einen ovalen Tisch hatten sich sechs Männer und zwei Frauen versammelt. Nur Kalunde und seine beiden Berater waren Zivilisten. Die anderen Personen waren ausnahmslos Mitglieder des Militärs. Udandes Blick blieb an seinem Kollegen Toan Collong hängen. Der große, massige Mann gähnte ausgiebig und streckte sich dabei. Schließlich besah er sich dermaßen ausgiebig seine Fingernägel dass man den Verdacht bekam, es gäbe nichts wichtigeres auf der Welt. Udandes Vortrag schien ihn sehr zu langweilen. In Wahrheit hasste er es, wenn ihn jemand über den Brillenrand anstarrte. Das hatte ihn schon bei seinen Lehrern und seiner Großmutter gestört und ihn dadurch aus der Ruhe gebracht. Aber das hätte er Udande gegenüber nie zugegeben. Also gab er sich betont als Mister Cool. »Ein klein wenig Aufmerksamkeit und Feedback habe ich schon erwartet«, knurrte Udande, als Collong die Hände verschränkte und mit der Innenfläche nach vorne drückte. Da sein strafender Blick bei Collong offensichtlich nicht ankam, nahm Udande mit einem resignierenden Seufzen die Brille ab, klappte sie zusammen und steckte sie in die Innentasche seines schneeweißen Anzugs. »Was halten Sie von meinen Worten, Erhabener?«, wandte er sich schlussendlich an Randa Evariste Kalunde. Der presste die 48 �
Lippen zusammen, dass sie wie ein schmaler Strich wirkten und wiegte leicht den Kopf hin und her. »Ich stimme dir auf jeden Fall zu, Nagalla«, gab er seinem Berater recht. »Aber woher sollen wir wissen, wer uns noch treu ergeben ist und wer nicht? Wen hat der Feind schon auf seine Seite gezogen? Wo sollen wir anfangen zu suchen?« »Wir haben knapp 10.000 Anhänger, verteilt auf dreizehn Stützpunkte«, mischte sich Toan Collong in das Gespräch ein. Er war der einzige, der sich das erlauben durfte. Bei Kalunde hatte er Narrenfreiheit, was Udande verständlicherweise nicht gern sah. »Sie sind die Reste der Garde und sollen der Stamm für unsere nächsten Einsätze sein. Wir müssen halt die anderen militärischen Stützpunkte, sowie die Zentren der REK-Partei abklappern…« »Hast du sie noch alle?«, ereiferte sich Nagalla Udande. Sein Gesicht glühte schwarzrot vor Zorn. Er stand auf und lief mehrere Male durch den Raum, dann kam er zum Beratungstisch zurück, hielt sich mit den Händen am Tischrand fest und blickte Toan Collong fest in die Augen. Selbst einem schlechten Beobachter musste auffallen, dass Collong von Udandes Blicken fast erstochen wurde. Unsichtbare Dolche schienen zwischen den Beratern hin und her zu fliegen. »Habe ich richtig verstanden? Abklappern sollen wir die Schar der Anhänger unseres Erhabenen? Naiver Narr! Wie kann man nur so dumm sein? Und so jemand nennt sich Berater des Erhabenen!« Collong lehnte sich zurück. Selbst im sitzen war er größer als sein Kollege. Er wusste um dessen Minderwertigkeitskomplex, und es machte ihm einen Riesenspaß, das auszunutzen. Aber im Augenblick dachte Toan Collong nicht daran. Er starrte Nagalla Udande an wie eine Schlange das Kaninchen, das ihm als Beute dienen sollte. Der kleine Berater des Ex-Herrschers über Afrika zog leicht das 49 �
Genick ein. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er eine unsichtbare Grenze überschritten hatte. Er konnte und sollte Kritik an Collong üben, aber nur in Gegenwart seines Chefs. Waren andere Leute zugegen, so hatte er sich zurückzuhalten und seine Kritik moderat anzubringen. Das gelang ihm selten genug. Meist stritt er sich trotz dieser Vorgabe mit Collong. »Es reicht!«, zischte Collong, was bei seinem Bass wie ein Grollen klang. Sein Schnauzbart schien ein Eigenleben zu führen. Der hünenhafte Mann stand auf, verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust und sah auf seinen Kollegen hinab. Die Militärs blickten sich bedeutungsvoll an. Die engsten Mitarbeiter Kalundes stritten sich vor den Leuten. Das hatte es in dieser extremen Art noch nie gegeben, seit sie für den Diktator arbeiteten. Es war bekannt, dass beide Männer sich nicht besonders leiden konnten, aber bisher hatten sie zumindest vor den Militärs noch immer die Form gewahrt. »Es reicht wirklich!« Die hohe, nervöse Stimme von Randa Evariste Kalunde schnitt förmlich durch den Raum. Die meisten der Anwesenden bekamen dabei eine Gänsehaut. »Bin ich denn nur von geistig Minderbemittelten umgeben? Ich verlange, das augenblicklich Ruhe herrscht. Wir haben ein großes Ziel, und das können wir nur zusammen erreichen.« In Wahrheit war es so, dass nur er das Ziel vor Augen hatte, wieder an die Macht zu kommen. Die anderen waren ohne Ausnahme Mitläufer, die auf den fahrenden Zug aufsprangen. Allein hätte keiner von ihnen den Mut gehabt, sich gegen mehr als eine halbe Milliarde Afrikaner zu erheben. Es war die Energie ihres Anführers, die sie zusammenhielt. Das wusste ein jeder von ihnen, aber alle waren klug genug, nichts darüber zu sagen. »Also?« Kalunde musterte die Streithähne aus zusammengekniffenen Augen. Udande hielt den Atem an und schloss kurz die Augen. Dann 50 �
atmete er mehrere Male tief ein und aus. Verdammt noch mal, wie konnte ich mich nur so gehen lassen! schalt er sich selbst. Seine Zähne mahlten aufeinander als wollten sie etwas zerbeißen. »Die Situation zehrt an meinen Nerven«, gab er zu, als er die Augen wieder öffnete. Das stimmte auch. Seit sie sich hier im Untergrund befanden, gingen alle unglaublich aggressiv miteinander um. Hilflosigkeit auf der einen Seite und Ungewissheit auf der anderen Seite machte jedem schwer zu schaffen. Unter größter Anstrengung presste er hervor: »Es tut mir leid.« Dabei wirkte er, als müsste er seine Familie verkaufen. Was ihm nichts ausgemacht hätte. Udande hatte weder Familie noch sonstige Verwandte. Hätte er Angehörige besessen, so würde er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Meistbietenden abtreten. Für ihn zählten Macht und Geld mehr als alles andere. Collongs wulstige Lippen zuckten verächtlich. Er blickte kurz zu Kalunde und nickte als Zeichen, dass er Udande nicht weiter stören würde. Dann setzte er sich unendlich langsam wieder auf den gemütlichen breiten Sessel. Seine Hände hatte er dabei gegen die Lehnen gepresst. Als er saß, verschränkte er wieder die Arme vor der Brust. Er sah aus, als wäre er ein dunkelhäutiger Buddha. »Vergessen wir es«, sagte Collong mit unendlich gelangweilter Stimme. Allein dafür hätte ihm Udande am liebsten den Hals umgedreht. Die nächsten Worte des ›schwarzen Walrosses‹ ließen ihn zusammenzucken: »Aber ich stimme Nagallas Worten zu, dass wir unbedingt mehr Anhänger um uns scharen sollten. Nicht hier in der Wüstenfestung, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.« Collong hob die Hand und blickte die Versammelten an. »Wir benötigen diese Zentrale, in der wir sicher sind. Aber über den ganzen schwarzen Kontinent verstreut sollten unsere Anhänger sein.« 51 �
»Genau das schwebte mir vor«, stimmte Randa Evariste Kalunde zu. »Ich warte auf Vorschläge, wie wir das lösen können. Ich kann ja schließlich nicht alles für euch erledigen.« »Wir haben uns selbst geschwächt«, warf Nagalla Udande ein. Kalunde blickte ihn stirnrunzelnd an. Er schüttelte den Kopf. »Was meinst du damit?« »Die Sache mit Ihrem vermeintlichen Tod, Erhabener«, beeilte Udande sich zu antworten. »Unsere… Ihre treuen Anhänger glauben, dass sie nicht mehr unter den Lebenden weilen. Werden da nicht einige von ihnen zu Ihren Gegnern überlaufen? Es wird schwer sein, ihnen begreiflich zu machen, dass das nur eine List war. Schließlich muss sich herumgesprochen haben, dass Sie angeblich zwischen Kisangani und El Khartûm abgeschossen wurden.« »Da ist etwas dran«, gab Randa Kalunde zu. Er ging nicht auf Udandes Versprecher ein, aber ein Leuchten in seinen Augen bewies sehr wohl, dass er ihn bemerkt hatte. Er zeigte mit seinen nachfolgenden Worten, dass er die Herrschaft für sich allein beanspruchte und alle eigenen Fehler anderen zuschrieb: »Das hatten meine engsten Berater nicht zu Ende bedacht.« Kalundes Stimme triefte vor Spott, während er wie kurz zuvor Toan Collong seine Fingernägel betrachtete, als wären sie das einzig wichtige auf der Welt. »Ihnen hätte klar sein müssen, was das für Folgen nach sich zieht. Aber ihnen war damals nur wichtig, dass unsere Verfolger die Jagd auf uns aufgaben…« Mit einem Schlag herrschte Stille im Beratungszimmer. Die Militärs hielten den Atem an, Collong und Udande wechselten einen vielsagenden Blick. Jeder wusste, dass es Kalundes Idee gewesen war, offiziell tot zu sein, aber niemand wagte einen Einspruch. Sie kannten ihren Herrscher und seine wechselnden Launen und wussten, wann es ratsam war, ruhig zu sein. »Umso triumphaler wird Ihre und unsere Rückkehr sein«, 52 �
meinte Toan Collong nach einer kurzen Pause. Er räusperte sich vernehmlich und ging nicht weiter auf Kalundes Vorwurf ein. Kritiken waren lebensgefährlich. »Aber das…« Niemand erfuhr jemals, was Nagalla Udande einwenden wollte, denn in diesem Augenblick platzte der erste Funker der Wüstenfestung mit einer Meldung dazwischen: »Erhabener! Wir haben Funkkontakt mit einer unserer treuesten Gruppen. Es handelt sich um Hauptmann Moratti und seine Leute. Sie befinden sich in der Bergfestung und sie kämpfen gegen wilde Hunde…« ›Wilde Hunde‹ war der Schimpfname für die Feinde der Gruppe Kalunde. Randa Evariste nickte und schaute seine engsten Mitarbeiter an. Er stand auf. Sein Gesicht strahlte vor Freude. »Dann zeigen wir ihnen, was das Schicksal eines jeden wilden Hundes ist«, sagte Randa Kalunde, und zum ersten Mal seit Wochen lachte er wieder. »Schlagen wir sie tot!« * Es war zum Verzweifeln. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Der Himmel mochte wissen, wie die ›wilden Hunde‹ ihr Versteck gefunden hatten. Es war von außen so gut gegen Sicht geschützt, dass ein Suchen zwecklos war. Selbst mit den besten Hilfsmitteln und der genauesten Beobachtung konnten sie unter normalen Umständen nicht gefunden werden. Nur herrschten derzeit keine normalen Umstände. Auf der Erde nicht – und in Afrika schon gar nicht. Seit sich zwei außerirdische Invasorenvölker um die Erde stritten und Städte wie Washington, Kairo oder Kalemi zerstörten und die gesamte Einwohnerschaft mit einem Schlag töteten, konnte man beim besten Willen nicht mehr von normalen 53 �
Umständen reden. Das waren Massenmorde ohne Beispiel. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatte es derartiges gegeben. Zwar gab es 1972, vor ziemlich genau 20 Jahren, den kurzen dritten Weltkrieg zwischen Afrika und Nordamerika, dem der größte Teil von New York nach der Explosion einer Wasserstoffbombe zum Opfer fiel, aber das war ein absoluter Einzelfall in dieser Größenordnung gewesen. Die Stadtteile Manhattan, New Jersey, Queens und Bronx existierten nicht mehr. An ihrer Stelle gab es einen über 2000 Meter tiefen und etwas mehr als drei Kilometer durchmessenden Trichter, in dem Mutanten hausten. (siehe Rex Corda-Nova Band 2 ›Welt im Trichter‹) Rigo Moratti interessierten weder die Mutanten noch der Trichter. Der schmale, trotzdem athletisch gebaute Hauptmann von Randa Evariste Kalundes früherer Geheimabwehr fürchtete um sein Leben und um das seiner Leute. Es konnte kein Zufall sein, dass mehrere Hubschrauber um die Bergfestung kreisten. Auch die bewaffneten Truppen, die sich um ihren Stützpunkt zusammenzogen, konnte nur die Absicht hergeführt haben, sich hier festzusetzen. »Verrat!« Niemand wusste, wer dieses Wort aufgebracht hatte, das die Runde in der Festung machte, aber jeder dachte so. Moratti biss sich auf die Unterlippe. Wer sollte sie verraten haben? Wer hatte ein Interesse daran, sie in seine Gewalt zu bekommen? Wer konnte etwas mit der Bergfestung anfangen? Vor allen Dingen: wer wusste von der Festung? Ihr Standort war nur wenigen Personen bekannt. Ein jeder von ihnen war Geheimnisträger im Dunstkreis um den ehemaligen Diktator. Hauptmann Rigo Moratti hatte die Vertreibung seines Idols ebenso mitbekommen wie seinen plötzlichen Tod vor knapp zwei Wochen. Er hatte sofort angenommen, dass es sich dabei 54 �
um den Sabotageakt einer geistig verwirrten Gruppe handelte. Es konnte gar nicht anders sein! Für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Er hatte einige Tage gebraucht, um sich mit dem Gedanken an Kalundes Tod anzufreunden. Gewöhnen konnte er sich daran nicht. Randa Evariste Kalunde war sein auserkorenes Vorbild. Dazu kamen die ungezählten Vergünstigungen, die Kalundes Streitkräfte erhielten. Angefangen bei freien Bordellbesuchen bis zu Baugenehmigungen und Kinderförderung war alles drin. Und nun sollte das alles vorbei sein! Baugenehmigungen und Kinderförderung waren Rigo Moratti ziemlich egal. Er führte ein Zigeunerleben und wusste mit einem festen Wohnsitz nichts anzufangen. Außerdem schätzte er ziemlich realistisch ein, dass er kein guter Vater sein würde, da ihm Kinder auf die Nerven gingen. Aber die freien Bordellbesuche gingen ihm schon sehr ab… »Sie bewegen sich auf Eingang Westaußen zu«, meldete Kamtea Doron mit heiserer Stimme. Sie hielten sich in der Funkzentrale auf. Die kleine Frau mit der knabenhaften Statur überwachte die Videokontrolle. Sie fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen, krausen schwarzen Haare. Auffordernd blickte sie Rigo an. »Was sollen wir unternehmen?« »Wir lassen sie näher kommen«, antwortete Hauptmann Moratti. »Wir greifen erst dann an, wenn sie den Eingang betreten haben. Vorher ergibt es keinen Sinn.« »Aber dann wissen sie, das wir leben…«, wagte sie einen Einwand. »Jetzt vermuten sie es vielleicht nur.« Moratti schüttelte den Kopf. »Wissen wir, ob sie eventuell nur einen Entflohenen suchen? Sie könnten in wenigen Minuten wieder abdrehen. Falls wir vorher agieren, machen wir sie auf uns aufmerksam. Es bleibt dabei, dass wir uns erst dann wehren, wenn sie die Berg55 �
festung betreten wollen.« Seine Handbewegung war endgültig. Er würde nicht weiter darüber diskutieren. »Alter Sturkopf«, murmelte Kamtea Doron. Sie glaubte, dass er es nicht hören würde, aber sein Grinsen bewies ihr das Gegenteil. Sie ärgerte sich darüber und winkte ab. Der nächste Blick auf die Bildschirme ließ sie zusammenzucken. »Rigo! Sie sind da!«, rief sie erschrocken und deutete auf einen der vielen Monitore. Wie alle anderen geheimen Festungen Kalundes besaß auch dieses Domizil High Tech-Ausrüstung. Der Diktator hatte für den Fall vorgesorgt, dass er selbst einmal fliehen musste. Selbst in der Verbannung sollte sein Lebensstandard gesichert sein. Ein gewisses Maß an Luxus wollte er nicht unterschreiten. »Aber weshalb ist er nicht hierher geflohen?« Das hatte sich Moratti schon oft gefragt. Woher auch sollte er wissen, dass es mehrere dieser Festungen gab? Das wussten nur Kalunde, Udande und Collong. Ihm war nur eine weitere Gruppe ehemaliger Kalunde-Mitarbeiter bekannt, die ihr Hauptquartier etwa 150 Kilometer weiter aufgeschlagen hatte. Moratti kam näher und beugte sich etwas vor, damit er die Aktionen der Fremden besser erkennen konnte. Ein Hubschrauber war auf dem Berg gelandet. Zwei Männer stiegen aus und kamen im Laufschritt auf den verborgenen Eingang zu. »Sie kommen von zwei Seiten«, warnte Kamtea. Sie zeigte auf einen anderen Bildschirm an der großen Monitorwand. »Da, sie versuchen es vom Dschungel aus über das Hochplateau. Es war also kein Zufall«, stellte sie fast schon zufrieden fest. »Die Drecksäcke dringen wirklich ein!«, zischte er wütend. Sein Gefühl hatte ihn also nicht getrogen. »Zeigen wir ihnen, was wilde Hunde verdienen.« Sofort wandte sich Rigo Moratti über Funk an die Besatzung der Bergfestung. 56 �
Alle Eindringlinge sollten ihre Kühnheit mit dem Leben bezahlen. Nicht ein einziger sollte davon kommen. Gnade durfte es für niemand geben. So lautete der Oberbefehl für derartige Situationen. »Das darf nicht wahr sein!«, stöhnte Kamtea. »Sie werden von Yussuf angeführt.« »Kein Zweifel möglich?« Rigo Moratti wollte es nicht glauben. Erst der Blick auf den Monitor belehrte ihn eines besseren. Ein Mann, den fast jeder Afrikaner kannte, lief an der Spitze des Dschungeltrupps. Moratti spie vor Verachtung aus. »Machalachem, du bist der letzte Dreck.« Yussuf Machalachem war der ehemalige oberste Polizeichef unter Randa Evariste Kalunde. Ein muskulöser, drahtiger Mann ohne Skrupel. Moratti hatte angenommen, dass Machalachem ebenfalls untergetaucht war. »Der muss ganz langsam sterben«, verlangte Rigo Moratti. »Wie es bei Verrätern Brauch ist.« »Welche Sicherheitsstufe?«, wollte einer seiner Leute wissen. »Alarmfall Tollwut!«, lautete die Antwort. Mehr sagte Moratti nicht. Es waren auch keine weiteren Befehle nötig. Seine Leute wussten, was sie unternehmen mussten. In unzähligen Alarmübungen hatten sie den Ernstfall geprobt. Jeder konnte die erforderlichen Handgriffe blind ausführen. Doch zuvor befahl Moratti der Funkerin Kamtea Doron, einen verschlüsselten Warnruf an die zweite Gruppe absetzen. Er ahnte nicht, wer den Spruch sonst noch empfing… * Der Weg über das Hochplateau war gefährlich. Schon der Aufstieg war kein Zuckerlecken gewesen, aber das Eindringen in die � Bergfestung würde alle ihre Kräfte kosten. Die ungewohnte � 57 �
Hitze hier oben raubte alle Energien. Der leichte Wind, der ständig hier oben blies war nicht imstande, die Schwüle zu vertreiben. Ein eigenartiger Geruch nach Verwesung hing in der Luft. Sie mussten mit allem rechnen und lieber einmal mehr Bescheid geben, sobald ihnen etwas auffiel. Das hatte der Mann gesagt, der sich an der Spitze des Trupps bewegte. Er hob den Kopf und blickte auf ihr Ziel. »Wir müssen extrem vorsichtig sein«, warnte Yussuf Machalachem die rund drei Dutzend Männer und Frauen, die den steilen Weg mit ihm gegangen waren. »Falls Kalunde wirklich noch leben sollte, dann wird er mit allen Mitteln aus dem Hinterhalt gegen uns kämpfen.« »Und falls er wirklich tot ist?«, fragte Oberstleutnant Kagrselassie, ein Hüne mit stechendem Blick, und gab sich sogleich die Antwort. »Dann war unser Weg umsonst gewesen.« »Falls Kalunde überlebt hat, dann wird er sich hier versteckt halten. Aber selbst wenn die Bergfestung nicht bewohnt ist, so haben Sie wenigstens eine geheime Basis für Ihre Leute«, erwiderte Machalachem. An den Felsen angelangt, die aussahen als habe jemand verschiedene Steinplatten aufeinander geschichtet, hob er eine Hand und sagte: »Still jetzt. Wir müssen konzentriert eindringen.« Kagrselassie blickte sich um und knurrte: »Wo soll dieser verdammte Eingang sein? Ich kann nichts sehen.« »Na hier.« Machalachem klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen eine Steinplatte. Dabei legte er mehrere Pausen ein. Sie mussten nur wenige Sekunden warten, ehe der gewünschte Effekt eintrat. Geräuschlos öffnete sich ein bis dahin unsichtbarer Eingang. Dunkelheit empfing sie… »Das ist ebenso einfach wie genial«, musste Kagrselassie aner58 �
kennen. »Und es ist absolut sicher. Nur, wer ein ausgemachtes Signal klopft, kann eintreten.« »Kein Uneingeweihter und auch kein Tier kann hier hinein«, bestätigte Machalachem. »Aus diesem Grund haben wir damals auch diesen Code eingeführt. Allerdings habe ich nicht mehr geglaubt, dass er noch gültig ist. Aber das bestätigt eigentlich nur unsere Annahme, dass sich hier niemand mehr befindet.« Kagrselassie wandte sich an seine Leute und bestimmte einen Mann und eine Frau als Späher. Sie sollten das Stollensystem nach eventuellen Feinden oder Stolperstellen erkunden und über Funk Bescheid geben. Die beiden Späher erhielten zusätzlich Lampen und Nachsichtgeräte zu ihrer Ausrüstung. Schon nach wenigen Metern waren sie vom Eingang her nicht mehr zu erkennen. Die Dunkelheit schien sie zu verschlingen. Gedämpftes Fluchen klang aus dem Funkgerät. »Was ist passiert?«, erkundigte sich Kagrselassie besorgt. Rauschen drang aus dem Lautsprecher. Dann ertönte die belustigte Stimme des Mannes: »Llana hat sich den Kopf an der niedrigen Decke angestoßen.« Llana war der Name der Späherin. Sie war, ebenso wie alle aus ihrem Zug, im Nahkampf ausgebildet. Sollte jemand versuchen sie aufzuhalten, würde er das schnell bereuen. »Nichts passiert«, beruhigte sie ihren Vorgesetzten. »Das gibt höchstens eine Beule. Außerdem wird der Gang jetzt höher und breiter. Hier können zwei Personen bequem nebeneinander laufen.« »Habt ihr schon etwas verdächtiges bemerkt?«, wollte Kagrselassie wissen. »Spuren von Menschen etwa oder…« »Außer uns befindet sich niemand hier«, unterbrach ihn Llana, obwohl sie wusste, dass er das auf den Tod nicht ausstehen konnte. »Es sieht so aus, als wäre schon lange niemand mehr 59 �
hier gewesen.« »Der Weg führt nach unten«, bemerkte ihr Kamerad. »Aber wir können immer nur ein paar Meter weit sehen.« Der Oberstleutnant nickte Machalachem zu. Er lächelte triumphierend. »Sieht so aus, als wäre der Bunker wirklich menschenleer«, sagte er mit zufriedener Miene. »Genau, wie Sie sagten.« »In dem betreffenden Fall haben Sie wirklich eine neue Basis«, folgerte Machalachem. »Ein Glück für uns, dass sie die Seiten wechselten«, lachte Kagrselassie. »Ich war schon vorher auf Ihrer Seite«, behauptete der ehemalige Polizeichef von Afrika. »Nur durfte ich das während Kalundes Gewaltherrschaft nicht offen zeigen. Es hätte mich das Leben gekostet, obwohl ich in der Hierarchie mit oben stand.« Die gleiche Ausrede für ihre Feigheit und mangelnde Zivilcourage hatten viele Anhänger der Nazis nach dem Ende des zweiten Weltkriegs parat gehabt. Beim unglaublich kurzen dritten Weltkrieg, vor 20 Jahren, war diese Ausrede nicht mehr nötig gewesen. Kagrselassie nickte, obwohl er den Worten Machalachems nicht voll und ganz glaubte. Er konnte ihm nicht das Gegenteil beweisen. Außerdem war es ihm egal. Auf der Habenseite stand die Tatsache, dass sie ohne Machalachems Hilfe die Bergfestung nicht gefunden hätten. Solange er sich so kooperativ verhielt, war dem Oberstleutnant egal, wie viel Dreck am Stecken sein neuer Kompagnon hatte. Er war ja selbst kein Unschuldslamm… »Gibt's was neues bei euch?«, fragte Kagrselassie, als die Späher sich eine Weile nicht mehr meldeten. »Hier kommen wir nicht mehr weiter«, berichtete Llana. »Sieht aus wie ein Steintor. Vielleicht kann das der Officer knacken.« Damit war ohne Zweifel Machalachem gemeint. Kagrselassie 60 �
wusste nicht, ob er über die Bezeichnung lachen, Llana maßregeln oder darüber hinweg sehen sollte. Er entschied sich für letzteres. »Wir kommen«, entschied er und winkte die Leute zu sich, die jetzt von den Hubschraubern kamen. »Nur die Piloten bleiben hier«, befahl er. »Sie sollen den Eingang sichern. Die anderen kommen alle mit.« Gemeinsam drangen sie in die Unterwelt des Berges ein. Llana hatte recht gehabt. Hier sah wirklich alles aus, als wäre schon lange kein Mensch mehr durchgelaufen. Kagrselassie beglückwünschte sich zu der Entscheidung, Machalachem Asyl zu gewähren. Der ehemalige Oberbefehlshaber über die afrikanische Polizei sollte ihm seine Verbindungen sowie alle Verstecke verraten, die er noch von der Ära Kalunde her wusste. Und das waren eine ganze Menge. Kagrselassie wollte selbst seinen eigenen kleinen Machtbereich aufbauen. Und Machalachem sollte ihm durch seine Verbindungen dabei helfen. Zumindest solange, bis Kagrselassie voll im Geschäft war. Dachte der Oberstleutnant. Er führte die Gruppe an. Der Funk hielten sie Kontakt mit den Hubschrauberpiloten. Lampen und Fackeln erhellten das Dunkel. Unruhige Schatten huschten über die Innenwände und versetzten die Leute in Unruhe. Nur würde das niemand von ihnen je zugeben. Sie drangen schnell in das Innere des Berges vor, bis sie nach kurzer Zeit an dem von Llana so bezeichneten Steintor ankamen. Kagrselassie musste ihr recht geben. Die Sperre sah auf den ersten Blick einem Tor sehr ähnlich. »Was ist das für ein Grollen?« Llana zog das Genick ein und blickte an die Decke. Sie fühlte sich sehr unwohl. Machalachem hielt sich einige Meter von der Gruppe entfernt. Als er die Geräusche vernahm, lief er schnell Richtung Ausgang 61 �
zurück. »Was soll sein?« Kagrselassie sah ebenfalls hoch. Das Grollen wurde mit jeder Sekunde lauter. Und jetzt zitterte der Boden. Und dann passierten zwei tödliche Dinge zugleich. Erstens wurden im Gestein vor ihnen Dutzende Panzerfäuste aktiviert. Feuer umloderte sie und machte menschliche Fackeln aus ihnen. Sie ließen ihre Ausrüstung fallen und versuchten verzweifelt, das Feuer zu löschen, obwohl ihnen der Verstand sagen musste, dass es umsonst war. Aber die rasenden Schmerzen hatten längst das logische Denken ausgelöscht. Unmenschlich klingende Schmerzensschreie hallten durch das Stollensystem und brachen sich an den Wänden. Zweitens fielen von der Decke zentnerschwere Steine und Felsbrocken auf Kagrselassie und seine Leute. Augenblicke später lebte niemand mehr in der Felsenhalle. * Die Hubschrauberpiloten bekamen das Grollen und Zittern der Felsen mit. Sie standen vor dem Eingang zum Bergstollen und konnten sich nicht über ihr weiteres Vorgehen einig werden. Ehe sie reagieren konnten, erschienen die Leute von der Bergfestung. Sie befanden sich in mindestens fünffacher Überzahl, und sie ließen sofort ihre Gewehre sprechen. Die Piloten wurden innerhalb kurzer Zeit verhört und gleich danach erschossen. Rigo Moratti konnte keine Zeugen gebrauchen. Der junge Hauptmann kannte kein Erbarmen. Gerade als sie die letzten Piloten umgebracht hatten, tauchte eine Gruppe auf, von der niemand angenommen hätte, dass sie noch unter den Lebenden weilte. Sie befanden sich mit Hubschraubern im Anflug und sendeten das Codewort ›Black Heroes‹. 62 �
Das schützte sie vor dem sofortigen Abschuss. Gleich darauf landeten die vier Maschinen direkt neben den anderen Helikoptern. »Collong und Udande«, hauchte Moratti mit heiserer Stimme, als er die beiden Berater ankommen sah. Als er den letzten Mann erkannte, der aus dem Hubschrauber stieg, war es um seine Beherrschung geschehen. »Erhabener«, flüsterte er und sein Magen begann vor Glück zu vibrieren, dass ihm fast schon schlecht wurde. Er sank vor seinem Herrscher auf die Knie und er schämte sich seiner Tränen nicht. »Das ich das Glück noch erleben darf, Randa Evariste Kalunde zu begrüßen.« Kalunde blickte ihn lange an. Er nickte, und seine Augen leuchteten vor Freude. »Mein treuester Untertan«, sagte er und legte Rigo Moratti beide Hände auf die Schultern.
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3. � »Die Chance, die du deinem Gegner gibst, war deine letzte.« (Werner Kurt Giesa, 1954 † 2008, deutscher Schriftsteller) Ende September 1992 Im nachhinein betrachtet fällt es mir schwer, mir alle Eindrücke zu merken, die kurz nach meiner Flucht auf mich eingestürzt sind. Es war einfach zu viel, was ich bewältigen musste. Trotzdem hatte ich mir einen Schlachtplan überlegt, mittels dessen ich innerhalb einer gewissen Frist wieder an meinen vorbestimmten Platz zurückkehren konnte. Dort, wo ich hingehörte. Oben an der Macht. - Ich bin der gewählte Präsident aller Afrikaner, und dieses Recht lasse ich mir von keinem nehmen. - Ein Sprichwort lautet: »Dem Tüchtigen hilft das Glück.«Und Glück hatte ich eine Menge. Wenn ich nur daran denke, wie wir zu weiteren Verbündeten kamen… Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde * Die Sternenteufel sollten die Außeneinsätze auf der Erde holen! Rastor Noltan, ein Laktone, dessen Rang auf der Erde übersetzt soviel wie Oberleutnant bedeutete, ballte die Hände zu Fäusten, als er sich unbeobachtet glaubte. Warum hatte der Schento gerade ihn für diese Mission ausgesucht? Es war schon schlimm 64 �
genug, dass er, Noltan, diesen verfluchten Planeten betreten musste, aber warum musste Er noch dabei sein? Er – das war ein Kynother mit Namen Gen-Daro. Die kleinwüchsigen Humanoiden dienten den Laktonen als Dolmetscher. Aber sie redeten nicht nur dann, wenn sie übersetzen sollten. Kynother quasselten fast immer, selbst dann, wenn sie nicht gefragt wurden. Halt! wandte Noltan in Gedanken ein. Er blubbert mich besonders dann voll, wenn er nicht gefragt wird. Damit ist er fast noch schlimmer als meine Ehefrau. Und das wollte etwas heißen! Schließlich war Noltan froh, dass ihn seine Aufgabe oft genug von seiner Angetrauten wegführte, von der er beim besten Willen nicht mehr wusste, weshalb er sie geehelicht hatte. Früher hatte ihre Stimme auf ihn wenigstens noch eine erotisierende Wirkung. Doch mittlerweile elektrisierte ihn diese Stimme nicht mehr. Sie ging ihm auf die Nerven. So, wie der Zwerg, der zwanzig Meter vor ihm stand. Gen-Daro war eben ein extrem gesprächiges Exemplar seiner Art. So zumindest empfand es Rastor Noltan. Und er hätte eine Menge dafür gegeben, nicht mit seinem Kollegen in den Einsatz gehen zu müssen. »Befehl ist nun einmal Befehl«, grummelte er leise vor sich hin. Er saß auf einer Bank vor den Beiboothangars und wartete darauf, dass die Freigabe zum Betreten erteilt wurde. »Da kann man nichts machen.« Und dem Schento widersprach man schon gar nicht. Auch wenn's schwer fiel. »Kommst du jetzt – endlich?«, ertönte die quäkende Stimme des Kynothers, wobei er das letzte Wort besonders betonte. Er vergaß stets, dass er der Untergebene und Rastor Noltan sein Vorgesetzter war. »Oder soll ich wieder einmal auf dich warten? Na ja, es ist eigentlich wie immer. Ist ja schlimm, dass ihr Großen 65 �
immer glaubt, Zeit im Überfluss zu haben, und dass wir Kleinen immer die Leidtragenden sind. Aber das kenne ich ja schon. Das sind wir Kynother ja von euch gewohnt. Ich wäre geschockt, wenn es anders wäre…« Noltan blickte kurz auf und erkannte an den Farbspielen an der Wand, dass die Freigabe da war. Dann schloss er kurz die Augen und zählte bis zehn. Er atmete tief ein, stand auf und ging zu Gen-Daro hinüber. Wie die meisten Vertreter seines Volkes trug der Kleine einen fast schwarzen Anzug mit einem farbigen Emblem auf der Brust. Das dunkelgrüne Zeichen erinnerte vage an einen Keil, wurde jedoch zweimal von kleinen Schlaufen unterbrochen. Gen-Daro war klein, er maß gerade einmal einhundertfünfundzwanzig Zentimeter vom Boden bis zu den Haaren, und von knabenhafter Statur. Sein Kopf war, wie bei allen Leuten seines Volkes, unproportional groß, was ihm ein kindliches Aussehen verlieh. Damit nahmen Kynother die meisten humanoiden Intelligenzen für sich ein. Seine Haare schimmerten blau. Die dunkelblauen Brauen endeten bei Kynothern nicht über dem Jochbein, sondern zogen sich in feinem Bogen bis zu den Kinnladen herab. Das Kinn selbst war unbehaart. »Die Bewohner dieser Welt sind schon eigenartige Wesen«, begann Gen-Daro seinen Monolog, während sie durch das Hangarschott traten und zu den Beibooten gingen. »Und ich kann das allen Ernstes behaupten, denn in dieser Hinsicht habe ich unschlagbare Erfahrung. Ich war ja schon auf vielen Welten…« »… um nicht zu sagen auf hunderten«, murmelte Rastor Noltan, der wusste, was gleich folgen würde. »… um nicht zu sagen auf hunderten«, wiederholte Gen-Daro die Worte seines Vorredners, »aber ich kann dir eines sagen…« »… so schlimm wie hier war es noch auf keinem anderen Planeten…«, nuschelte Noltan und grinste. Schließlich kannte er die 66 �
Sprüche seines Untergebenen zur Genüge. Sie standen vor dem für sie bestimmten Gleiter, einem verzerrt diskusförmigen Wunder der Technik. Er war knapp fünf Meter lang und durchmaß etwa dreieinhalb Meter an der breitesten Stelle. Die Höhe betrug fast zwei Meter. Zwei Deltaflügel halfen, den Gleiter, eine Kleinausgabe der so genannten Landeteller, bei Flügen in Sauerstoffatmosphären stabil zu halten. Er wurde waagerecht auf vier ausfahrbaren Teleskopstützen gestartet und gelandet. Die Kabine konnte verschlossen werden, aber bei trockenem, nicht zu kalten Wetter war es Usus, sie offen zu lassen. Die Einstiegsluke stand weit offen. »… so schlimm wie hier war es noch auf kein…« Gen-Daro drehte sich um und hielt die Hände gegen die Seiten gepresst. Empört blickte er Rastor Noltan an. »Sag mal, Großer, du äffst du mich doch nicht etwa nach?« »Das würde mir fast nie einfallen.« Noltans Grinsen wurde eine Spur breiter. Er liebte es, wenn sich der Kynother ärgerte. Deshalb fügte er provozierend hinzu: »Und wenn doch?« Gen-Daros Blick wollte ihn schier durchbohren. Der Kynother drehte sich so abrupt um, dass er fast gestürzt wäre. Er fing sich gerade noch und betrat den Gleiter hoch erhobenen Hauptes. Der Laktone folgte ihm. Er lachte noch, als er schon lange auf dem Pilotensitz saß. Er aktivierte die Bedienungselemente durch Berühren einer Hand. Sensoren erfassten seine Daten und stuften ihn als Bevollmächtigt ein, den Gleiter zu fliegen. Das Summen der Instrumente und Aufleuchten der Displays zeigte an, dass der Gleiter sofort startbereit war. Die Einstiegsluke schloss sich automatisch, als Noltan Befehl zum Abheben gab. Mit hoher Geschwindigkeit schoss der Gleiter seinem Ziel entgegen. Rastor Noltan flog so niedrig, wie er es verantworten konnte. Dadurch wollte er der Ortung durch Radar entgehen. 67 �
Alles mussten die Menschen auch nicht wissen. Um dem Fahrtwind nicht übermäßig ausgesetzt zu sein, hatte er das Dach der Kabine verschlossen. Die Flugstrecke war im Bordgehirn eingespeist, Noltan konnte sich also unmöglich verfliegen. Seiner Schätzung nach würde der Flug etwa drei Stunden dauern. Das Mutterschiff des Gleiters, ein gewaltiger raketenförmiger Trakonkreuzer mit 2160 Meter Länge und knapp 160 Meter Durchmesser, stand in der Nähe von Kinshasa. Ihr Ziel sollte mitten im Dschungel liegen. Noltans Meinung nach hätte es mehr Sinn ergeben, wenn ein Enterkommando der Laktonen den Auftrag übernommen hätte. Aber die Befehle des Schento waren etwas fast schon heiliges. Niemand durfte darüber diskutieren oder gar Kritik oder Verbesserungsvorschläge anbringen. Er blickte nach rechts. Gen-Daro hatte auf dem Sitz neben ihm Platz genommen. Der Kynother schmollte immer noch. Noltan war es recht. So hatte er wenigstens seine Ruhe und konnte überlegen, wie der Auftrag am besten durchgeführt werden konnte. Nachdem Randy Seagren, der Gouverneur von Kalifornien, die Wahl gegen Rex Corda verloren hatte, trat Schritt zwei von Jakto Javans Plan in Kraft: Kontaktaufnahme mit einem der zwei gefallenen Herrscher aufzunehmen. Javan hatte sich nach längerem Nachdenken dabei gegen Tsien Hsia entschieden. Der Chinese war zu starr in seinem Denken; nicht flexibel genug. Der afrikanische Diktator schien ihm weitaus geeigneter für seine weiteren Pläne, hinter Rex Cordas Rücken zu intrigieren. Zumal beide Kontrahenten ein besonderes Verhältnis zueinander hatten. Natürlich sollten Noltan und Gen-Daro dabei die Umstände auskundschaften, unter denen Randa Evariste Kalunde hauste. 68 �
Jede noch so kleine Information konnte wichtig sein, wenn sie gegen Kontrahenten Verwendung fand. Möglicherweise war etwas darunter, das die Stellung der Laktonen weiter stärkte. Der Schento liebte solche Spielchen; Rastor Noltan empfand sie als unwürdig. Die Laktonen sollten stark genug sein, um über die primitiven Bewohner der Erde zu triumphieren. Beim niedrigen Stand ihrer Technik waren die Menschen nicht ansatzweise in der Lage, dem Laktonischen Reich Paroli bieten zu können. Innerhalb eines halben Tages mussten Corda und seine Leute kapitulieren, falls es denn wirklich zu Kampfhandlungen käme. Weshalb also ein solch bescheuerter Einsatz, mit einer solch hirnamputierten Quasselstrippe wie Gen-Daro? fragte Noltan sich erbittert. Doch dann tröstete er sich. Der Einsatz wird nur kurz sein. Bald sind wir wieder zurück an Bord. Doch da täuschte er sich gewaltig. Es handelte sich um den Irrtum seines Lebens. Die Landschaft zog unter ihnen hinweg. Gen-Daro hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine vollen Wangen und die übermäßig große Nase wollten irgendwie nicht recht zusammen passen. Immer wieder blickte er zu Rastor Noltan hinüber. Der bemerkte die Blicke wohl, doch er hütete sich, etwas zu sagen. Beim ersten Wort hätte der Kynother seinen Zorn vergessen und sofort wieder zu plappern begonnen. Und darauf konnte der Laktone gerne verzichten. »Wie lange dauert das denn noch?«, unterbrach das quäkende Organ des Kynothers Noltans Gedanken. »Wir sind ja schon ewig lange unterwegs. Bei der Geschwindigkeit des Pontas müssten wir doch schon längst am Ziel sein.« Pontas wurden die Fünf-Personen-Gleiter kurz genannt. Noltan atmete einmal mehr tief durch. Zu früh gefreut! ärgerte er sich. »Aber mal ehrlich«, führte der Dolmetscher weiter aus. »Hast 69 �
du dich verflogen, oder hängt die Automatik? Sind wir vielleicht in die falsche Richtung geflogen? Ich meine, das kann doch möglich sein. Kleine Programmierungsfehler passieren immer wieder.« »Der Autopilot kann nicht hängen«, knurrte Noltan als Antwort. »Und du weißt genau, wie lange wir unterwegs sind, bis wir unser Ziel erreicht haben. Das ist doch wieder nur einer deiner Kniffe, um mich zum Reden zu zwingen.« »So etwas habe ich doch nicht nötig! Ich schon gar nicht!«, behauptete Gen-Daro mit Nachdruck. »Kynother brauchen so etwas nicht. Im Gegenteil, wir sind die ruhigsten und verschwiegensten Wesen, die das Universum kennt.« »Das glaubst aber auch nur du«, versetzte Rastor Noltan. »Und von was träumst du nachts?« »Ich…« »Still!«, fiel Noltan ihm ins Wort. »Die Ortungen…« »Du willst mich doch nur abwürgen«, beklagte sich Gen-Daro. »So, wie du es immer ergebnislos versuchst… Also, was soll das bedeuten?« Statt einer Antwort zeigte Noltan auf das Display der Distanzortung. Sie stellte mit hoher Präzision die Entfernung zwischen dem eigenen Standpunkt und dem des georteten Gegenstandes fest, gleichgültig, ob es sich dabei um Lebewesen, Raumschiffe oder Planeten handelte. Das geortete Objekt war nicht unbekannt. »Das ist ein so genannter Sonnengleiter der Menschen«, erklärte Noltan. Sonnengleiter besaßen die äußere Form amerikanischer Straßenkreuzer der sechziger Jahre. Die Energieschöpfung aus so genannten Sonnenbatterien, die sich über die gesamte Oberfläche spannten, erzeugte einen Auftrieb wie bei Hubschraubern. Der Gleiter startete und landete auf zwei flachen Kufen an der 70 �
Unterseite. In punkto Geschwindigkeit konnten sie es mit manchen kleineren Flugzeugen aufnehmen. »Das brauchst du mir nicht zu sagen«, antwortete Gen-Daro mit säuerlicher Miene. »Ich kenne die technischen Zumutungen der Menschen. Unsereins ist solch primitive Geräte seit tausenden von Jahren nicht mehr gewohnt.« »Ein Glück, dass ihr laktonische High-Tech benutzen dürft«, konterte Noltan. »Sonst würde es bei euch genau so aussehen, wie auf der Erde. Ich finde, ein wenig Demut wäre angepasst.« Gen-Daro beschloss, nicht darauf zu antworten. Er versuchte krampfhaft, die Ortungen zu verfolgen, damit er ausnahmsweise nichts sagen musste. »Was will der von uns?«, wunderte sich Rastor Noltan laut. »Du meinst, der verfolgt uns?« Gen-Daro blickte ihn erschrocken an. »Schon seit mehr als zehn Minuten irdischer Zeit«, antwortete Noltan. »Zuerst dachte ich, dass sich deren Kurs mit unserem zufällig kreuzt. Aber der hat die Geschwindigkeit des Sonnengleiters erhöht, um uns nicht zu verlieren.« Dabei zeigte er erneut auf das Display. Gen-Daro las ab, dass die Geschwindigkeit derzeit bei umgerechnet 700 Stundenkilometer lag, der Obergrenze für einen Sonnengleiter. »Und wenn das nur Neugier ist, was ein laktonischer Ponta hier verloren hat?« Der Kynother versuchte, sich selbst Mut zu machen. »Das geht ihn absolut nichts an«, entgegnete Noltan schärfer, als beabsichtigt. Der Energiemantel aus 5D-Energie stand immer noch um das irdische Sonnensystem. Er zog sich sogar zusammen und bedrohte damit alles Leben, das sich in seinem Inneren befand. Und solange das so blieb, reagierten Laktonen noch kompromissloser als normal. »Also unternehmen wir etwas dagegen.« 71 �
Er erhöhte die Geschwindigkeit seines Fluggeräts bis kurz unterhalb der Schallgrenze, und nach cirka fünf Minuten hatten die Ortungen des Pontas den Sonnengleiter verloren. * Rastor Noltan hatte sich nicht getäuscht. Der irdische Sonnengleiter folgte ihnen nicht zufällig. Zwei Menschen befanden sich an Bord. Vera Crooth und Joaquim Acero waren als Reporter für die Southafrican Press & News Agency tätig. Sie galten beide als Meister ihres Faches. »Ich habe dir doch gleich gesagt, dass die Laktonen etwas vorhaben«, grinste Vera ihren Kollegen an. Sie liebte es, wenn ihr Name wie die Stadt 'Veracruz' ausgesprochen wurde. Man konnte sie nicht unbedingt als Schönheit bezeichnen. Vera hatte stets fettige rote Haare, eine Nickelbrille saß auf der krummen Nase, und die Pausbäckchen schienen nie still zu stehen. Sie wirkte stets wie ein nervöses, besserwisserisches Eichhörnchen. »Und peng, haben wir sie.« »Wir haben sie fast verloren«, warf Joaquim ein und schürzte die Lippen. Er stand seiner Kollegin in nichts nach; weder im Aussehen noch im Gehabe. Schon am Gesicht sah man ihm das überhebliche Arschloch an, das er auch in Wirklichkeit war. Dass er auf seinem Gebiet teils überragendes leistete, konnte man kaum glauben. »Aber das stimmt nicht ganz. Wir hätten sie fast verloren… wenn wir mich nicht hätten.« »Was sind wir wieder stolz auf uns«, kicherte Vera und hieb dem Piloten des Gleiters auf die Schulter. »Aber du darfst zufrieden sein, Alter. Pass auf, die erhöhen die Geschwindigkeit!« »Hab ich doch längst schon bemerkt«, versetzte Acero und brachte den Sonnengleiter bis auf Höchstgeschwindigkeit. Mit einem Mal verschwand das selbstgefällige Grinsen aus seinem 72 �
überaus hässlichen Gesicht. »Oh, verdammt, da müssen wir noch 'ne Schippe zulegen.« »Dann sag mir, wo die Kohlen sind«, zischte Vera. Sie befürchtete, dass ihnen der Ponta mit seinen Passagieren durch die Lappen ging. »Wenn ich das nur wüsste«, ächzte der Spanier. Seit er den überheblichen Gesichtsausdruck abgelegt hatte, wirkte er fast sympathisch. »Wir haben sie gleich aus der Reichweite unseres Radars verloren.« »Dann flieg schneller!«, versuchte Vera ihn anzutreiben. »Du hast den Kasten doch selbst getunt.« »Schneller geht es selbst nicht mit der eingebauten Energiereserve«, behauptete Acero. »Joaquim, die sind vom Radar verschwunden.« Croothes Stimme vibrierte. »Das hat uns gerade noch gefehlt…« Der Ponta blieb verschwunden. Es schien gerade so, als habe er nicht existiert. * Sie hatten den Sonnengleiter abgeschüttelt. Trotzdem behielt Rastor Noltan die jetzige Geschwindigkeit bei. Er flog sogar noch etwas tiefer und unterbot damit die Sicherheitsflughöhe. Eigentlich sollte ich mich sicher fühlen, dachte er verwundert. Aber ich habe immer noch diese seltsame Anspannung in mir. Verärgert winkte er ab. Bestimmt spielten ihm die überreizten Nerven nur einen Streich. »Wenn das nur gut geht«, unkte Gen-Daro, der die Handbewegung gesehen hatte und die falschen Schlüsse zog. »Da muss ich an meinen Vetter Ga-Venga denken. Der hat auch nichts als Ärger mit Fatlo Bekoval, dem Anführer des laktonischen 73 �
Geheimdienstes für Raumschiffeinheiten, und stolpert mit ihm von einem Ärgernis ins nächste. Ständig schwirren sie um diesen Rex Corda herum und erleben die unmöglichsten Einsätze. Und der Schento sagt nichts dagegen. Bei jedem anderen hätte er schon längst dazwischen geschossen. Nun, das wissen wir ja schon: alle sind gleich, nur manche sind gleicher…« Noltan verdrehte die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Er war so froh gewesen, dass sein geschwätziger Partner ruhig war, und jetzt das… »Oder Gon-Rendo, ein anderer Vetter mütterlicherseits. Mit seinem Vorgesetzten Gomar Hencip flog der vor einigen Wochen, kurz nach der Landung der Orathonen, zu dieser komischen Trichterstadt New York. Das muss man sich erst mal überlegen, eine Stadt, die es nicht mehr gibt. Was sind diese Menschen doch für wahnsinnige Wesen, ihre Welt und damit sich selbst vernichten zu wollen. Du siehst also, meine Meinung über sie ist mehr als gerechtfertigt…« Von dem ominösen Trichter hatte Noltan schon gehört, aber das Gesagte hatte sein Interesse nicht wecken können. Zwar hatte eine solch außergewöhnliche Stelle irgendwo ihren Reiz für Atomforscher, aber Noltan hielt nichts von Mutanten und dergleichen. Ihn interessierte auch nicht, dass vor wenigen Tagen eine schicksalhafte Begegnung zwischen der Mutantin Saya und dem Laktonen Gomar Hencip sowie dem Orathonen Demon Adilon auf der anderen Seite stattgefunden hatte, wobei die beiden letzteren das Leben verloren. Gen-Daros Vetter Gon-Rendo war schon einige Tage vorher gestorben. Nur wusste von alldem niemand auf Seiten der Laktonen, Kynother und Orathonen, und Saya war klug genug, nichts davon nach außen dringen zu lassen. (siehe Rex Corda Nova Band 2: ›Welt im Trichter‹) 74 �
Rastor Noltan war das alles egal. Er wollte lediglich seinen Auftrag in der kürzest möglichen Zeit erledigen, um wieder zurück auf den Trakonkreuzer zu gelangen. Dort fühlte er sich bei weitem wohler. Er hatte die Nase gestrichen voll von Sonderaufträgen dieser Art. »Wir befinden uns in der Nähe unseres Zielortes«, unterbrach Noltan den Monolog seines Partners. »Ich lande den Ponta und versiegele ihn.« »Die Ortungen sind ausnahmslos negativ«, meldete Gen-Daro mit ernstem Gesichtsausdruck. Mit einem Mal hatte er sein kindisches Gehabe abgelegt. Er war sich seiner Lage wohl bewusst. Mit dem Plappern wollte er sich selbst beruhigen. »Gut, landen wir«, befahl Rastor Noltan und leitete die nötigen Vorbereitungen ein. Er ließ den Ponta zwischen dem Rand des Urwaldes und den angrenzenden Bergen niedergehen. Ein kleines Plateau schien ihm der richtige Landeplatz zu sein. Es war von oben und unten kaum einsehbar, außerdem konnte man es schlecht zu Fuß erreichen. »Zufrieden?«, erkundigte er sich bei Gen-Daro. »Perfekt«, antwortete der Kynother kurz angebunden. Seinen Worten zum Trotz ließ er seine Blicke zwischen dem Himmel und den Ortungen hin und her pendeln. Er fühlte sich sehr unwohl in der ungewohnten Umgebung. Um nicht von eventuell hier patrouillierenden Einheimischen gesehen zu werden, aktivierten sowohl Rastor Noltan als auch Gen-Daro ihre am Gürtel angebrachten Tarnschirme. Die Kraftfelder dieser technischen Wunderwerke beruhten auf einem Lichtumlenkeffekt, der auftreffende Lichtstrahlen um das Feld selbst herumleitete und seine Träger somit aus dem sichtbaren Bereich des Spektrums verschwinden ließ. Natürlich war dieser Schutz nicht hundertprozentig; ein kaum wahrnehmbares, ständiges Flimmern verriet dem geübten Beobachter, wo Tarn75 �
schirme arbeiteten. Nahezu unsichtbar für menschliche Augen konnten sich der Laktone und der Kynother frei auf der ihnen fremden Welt bewegen. Ein zweiter Defensiv-Effekt des Tarnschirms neben der Lichtumlenkung war die Resistenz gegen Strahlenschüsse bis zu einer gewissen Stärke. Bevor sie den Landeplatz verließen, aktivierte Noltan den Tarnschirm des Ponta. Durch einen Sender, der sowohl in seine als auch in Gen-Daros Gürtelschnalle eingebaut war, konnte er den Tarnschirm wieder deaktivieren. Nun erst fühlte er sich wohler. »Ich weiß nicht wie's dir geht, Großer«, flüsterte Gen-Daro, »aber ich fühle mich trotz Tarnschirm beobachtet.« »Das glaubst du doch selbst nicht«, empörte sich Noltan. Jetzt wusste er auch, was ihn die ganze Zeit über gestört hatte. Auch er hatte schon das Gefühl gehabt, dass jemand sie heimlich beobachtete. Doch um seinen Partner nicht zu verunsichern, hatte er geschwiegen. »Es kann sich nicht um Orathonen handeln«, flüsterte GenDaro. Der Kynother hatte seinen Tarnschirm auf Rastor Noltans Frequenz eingestellt und konnte seinen Partner dadurch sehen. Der Begriff Sehen bedeutete in diesem Fall nicht, dass er den Dolmetscher klar erkannte. Er nahm ihn dabei eher wie einen Schatten wahr. »Es kann aber auch kein Laktone sein. Das würde ich fühlen. Es muss ein Mensch sein«, behauptete der Kynother. Noltan war sich nicht sicher, ob Gen-Daro parapsychisch begabt war, doch er fragte nicht danach. Kynother hatten die unselige Gabe, einen seltsamen Singsang anzustimmen, wenn es kritisch wurde. Und das wollte Noltan aus nahe liegenden Gründen auf keinen Fall. Kynothischer Gesang galt nämlich aus gutem Grund als nicht sehr viel besser als der eines gewissen bekannten gallischen Barden aus der Zeit um 50 vor Christus. 76 �
Mit anderen Worten: Noltan empfand den Singsang als Mischung aus schwerer Körperverletzung und seelischer Grausamkeit. »Leise«, flüsterte er und legte eine Hand an die Lippen. Er hoffte, dass sein Partner das Zeichen wahrnahm. Schließlich sah auch Gen-Daro ihn als eine Art Schemen. »Wir wollen nicht noch durch Lautstärke jemand auf uns aufmerksam machen.« Schweigend begannen sie den Abstieg. Sie mussten höllisch aufpassen, dass sie nicht hinabfielen. Kleine Steine rutschten unter ihren Füßen hinweg und kullerten den Abhang hinab. Gen-Daro zischte leise etwas vor sich hin. Noltan versuchte nicht darauf zu hören. Auch er hatte Schwierigkeiten, nicht ins Rutschen zu geraten. Er machte sich schwerer als Bergsteiger, als er gedacht hatte. Erneut fluchte Gen-Daro, diesmal etwas lauter. »Was soll das?«, fuhr Noltan ihn an. »Soll uns der ganze verdammte Dschungel hören?« »Der hört uns auch so«, behauptete der Kynother mit vor Zorn bebender Stimme. »Dafür sorgt schon der verfluchte Steinschlag. Das war wirklich eine gute Idee, Herr Teamleiter.« Die letzten beiden Worte betonte er extrem. Rastor Noltan blickte genervt zum Himmel. Dann fiel ihm ein, dass sein Partner das durch den schemenhaften Zustand wohl nicht erkennen konnte. »Welchen Vorschlag hättest du stattdessen gemacht?«, knurrte er zornig. »Teleportieren können wir leider nicht.« »Aber wir besitzen unsere Antigravitations-Aufheber«, machte Gen-Daro ihn aufmerksam. »Was ist mit denen? Können oder wollen wir die nicht benutzen? Wir sollten es uns doch nicht schwerer machen, als unbedingt nötig. Das musst doch sogar du einsehen…« »Die Energieleistung kann angemessen werden«, unterbrach 77 �
Noltan den Redeschwall seines Kompagnons. »Das weißt du genau…« »Ach ja, und die Tarnschirme können nicht geortet werden«, ereiferte sich der Dolmetscher. »Das ist doch Dummheit hoch…« »Ein falsches Wort und ich drehe dir den Hals um«, drohte Rastor Noltan. »Mir reicht es jetzt.« »Mir auch«, antwortete der Kynother. »Laktonen können die Energie anmessen, Orathonen auch, aber die Menschen sind dazu doch überhaupt nicht in der Lage. Und das bisschen Energieverbrauch mehr bringt's auch nicht.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aktivierte Gen-Daro seinen A-Grav-Aufheber. Langsam schwebte er dem Boden entgegen. »Siehst du, da passiert doch nichts«, keifte Gen-Daro, als er auf der Erde stand. Im nächsten Augenblick glühte sein Tarnschirm lichterloh auf. Lodernde Flammen umspielten den Kynother, doch der Tarnschirm hielt stand. Gen-Daro stieß einen hellen Schrei aus und ließ sich auf den Boden fallen. Er rollte sich blitzschnell zur Seite. Einen Wimpernschlag später verbrannte ein Laserstrahl die Stelle, an der er sich befunden hatte. Gen-Daro rollte sich ab und brachte sich hinter einem mannsgroßen Felsen in vorläufige Sicherheit. Rastor Noltan zog seinen Blaster und feuerte in die Richtung, aus der der Angriff erfolgte. »Verdammt, das sind Orathonen!«, schrie der Kynother außer sich vor Angst. * »Orathonen?«, echote Rastor Noltan. Er wollte nicht glauben, � dass sich noch einige ihrer gefiederten Feinde auf der Erde befin78 �
den sollten. Automatisch hob er seinen Blaster und schoss erneut auf den Angreifer, obwohl er ihn immer noch nicht sah. Ein Schmerzensschrei ertönte, dem ein erbärmliches Wimmern folgte. »Du hast ihn getroffen, Großer«, freute sich Gen-Daro. »Die Gefahr ist vorüber…« Erneut glühte der Tarnschirm des Kynothers auf. Das Aggregat seines Anzugs benötigte alle Energien für die Schutzschirmfunktion. Die Tarnvorrichtung wurde aufgehoben, Gen-Daro wurde sichtbar. »Rastor, hilf mir!«, bat der zwergenhafte Dolmetscher. Er zielte mit seiner Waffe in Richtung des unbekannten Angreifers und gab zwei kurze Strahlschüsse ab. Dann herrschte Stille. Gen-Daro kam das eigene Atemholen unnatürlich laut vor. Er blickte sich wie gehetzt um, ob sich noch weitere Angreifer in der Nähe befanden. Er glaubte ein Knacken und ein erneutes Wimmern zu hören, aber das schien wohl nur auf Einbildung zu beruhen. Da spielen mir meine überreizten Nerven einen Streich, vermutete er. Gen-Daro ärgerte sich über die eigene Unruhe. Er hatte seine Spezialausbildung doch nicht erhalten, damit er bei der erstbesten Schwierigkeit in Panik verfiel und alles vermasselte! »Komm mit, Kleiner!« Rastor Noltan rannte in geduckter Haltung auf ihren Gegner zu, wobei er einen Zickzackkurs einschlug, um kein festes Ziel zu bilden. Er hielt seinen Blaster in der Hand, bereit, jederzeit zu schießen. Gen-Daro folgte ihm, so schnell es seine kurzen Beine zuließen. »Sei vorsichtig, Rastor«, riet er seinem Begleiter, anstatt die Luft während des Laufens zu sparen. »Sollte es sich wirklich um einen Orathonen handeln, dann müssen wir mit jeder Gemein79 �
heit rechnen. Wir kennen doch die grünen Federköpfe…« Noltan kümmerte sich nicht um das Gerede des Kynothers. Er konzentrierte sich einzig und allein auf die Stelle, von der die Strahlschüsse gegen sie kamen. Die Tatsache, dass kein weiterer Schuss abgefeuert wurde verleitete ihn nicht dazu, leichtsinnig zu werden. Wer wusste, was der Feind plante? Er konnte sie in Sicherheit wiegen, um dann umso härter gegen sie vorzugehen. Der Laktone verlangsamte sein Tempo. Er blickte sich genau um, damit ihm auch keine Bewegung entging. Seine Aufmerksamkeit wurde schließlich von dem hausgroßen verbrannten Felsbrocken gefesselt, auf den er geschossen hatte. Das Wimmern wurde lauter, es stammte von einem Wesen, das hinter dem Felsen Deckung gesucht hatte. »Du rechts, ich links?«, erkundigte sich Gen-Daro, als er zu Noltan aufgeschlossen hatte. »Das wollte ich gerade vorschlagen«, bejahte der Laktone. Er wartete, bis sein Kamerad die Waffe aus dem Holster gezogen hatte, dann gingen sie beide in den angegebenen Richtungen um den Felsen herum. Ein erneuter Strahlschuss verfehlte Gen-Daro nur um wenige Zentimeter, kaum, dass er halbwegs den Felsen umrundet hatte. Der Kynother ließ sich auf die Knie fallen, dabei aktivierte er den Abzug seines Blasters, noch ehe er seinen Antagonisten sehen konnte. Ein Schrei bewies ihm, dass er getroffen hatte. Auf der anderen Seite des Felsens erschien Rastor Noltan. Er zielte auf die beiden verbrannten Personen, die vor ihnen auf dem Boden lagen. Der eine, dem Gen-Daro die rechte Hand direkt am Gelenk weggestrahlt hatte, wimmerte und schrie vor Schmerzen, während er die linke Hand um den Stumpf presste. Seltsamerweise hatte die Hitze des Strahls die Adern nicht verschweißt; der Mann verlor große Mengen Blut. 80 �
Der andere Angreifer – war tot! Gen-Daro starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die seltsamen Gestalten. Der Dolmetscher stand selbst unter Schock. »Das… was sind das für Kreaturen?«, stieß er ungläubig hervor, während er die Waffe wieder ins Holster schob. Die Frage war berechtigt. Der dunkelhäutige Tote lag auf dem Rücken. So konnten sie genau sehen, dass aus seiner Brust ein kleiner zweiter Kopf wuchs. Die weitaufgerissenen Augen des monströsen Wesens waren blutunterlaufen. Der weiße Schwerstverletzte hingegen besaß ein drittes Bein, das ihm oberhalb des Steißes herauswuchs. »Es handelt sich um Mutanten«, antwortete Noltan, während er sich bückte, um die durch Hitze verbeulte Strahlwaffe vorsichtshalber an sich zu nehmen. »Seit dem so genannten dritten Weltkrieg gibt es viele davon auf der Erde. Wusstest du das nicht?« Gen-Daro antwortete ihm nicht. Etwas zu wissen und das gleiche dann zu sehen waren zwei verschiedene Dinge, die sich nicht miteinander vergleichen ließen. Sie deaktivierten die Tarnschirme. Noltan stellte seinen Blaster auf schwächste Einstellung und schoss erneut auf den schwerstverletzten Mutanten. Die Strahlung betäubte den blutenden Stumpf, sodass die rasenden Schmerzen erträglicher wurden. Nach wenigen Sekunden wurden die Klagelaute des erbarmenswürdigen Wesens leiser. Noltan griff in seine linke Brusttasche und zog ein kleines Sprayfläschchen heraus. Dann sprühte er eine helle, klebrige Flüssigkeit auf die Wunde. »Was tust du da?« Gen-Daro erwachte aus seiner Starre. »Ich versuche, die Blutung zu stillen«, antwortete der laktonische Oberleutnant. »Normalerweise müsste das auch klappen, solange er keine blutverdünnenden Medikamente einnimmt.« 81 �
»Wirkt das auch bei den eigenartigen Bewohnern dieser Welt?« Noltan schüttelte in menschlich anmutender Gestik den Kopf. »Woher soll ich das wissen? Genetisch scheinen sie nicht allzu weit von uns entfernt zu sein. Außerdem habe ich nichts anderes.« Der Mutant stierte auf die grauenhafte Wunde. Er stand immer noch voll unter Schock und konnte nicht glauben, dass er diesen einzigartigen, unersetzlichen Verlust davon getragen hatte. Trotz des Wundsprays floss weiter extrem dünnes Blut. »Weg«, stöhnte er laut auf und begann zu zittern, »einfach weg… Nicht mehr da…« »Du bist selbst daran schuld«, klagte ihn Rastor Noltan an. Gen-Daro übersetzte gleich darauf. »Weshalb hast du auch auf uns geschossen?« »Hat doch der da getan.« Der Mutant zeigte mit dem Kopf in Richtung des Toten. »Der da?« Noltan kniff zweifelnd die Augen zusammen. »Wie konnte er uns unter dem Tarnschirm sehen? Wir waren doch unsichtbar für menschliche Augen.« »Sein Brustkopf…« »Und weshalb hast du die Waffe gehabt?« »Hab ich erst genommen, als… der tot war.« Der Mutant zitterte stärker. Sein Gesicht war von wächserner Blässe überzogen. »Und woher habt ihr die Waffe?«, mischte sich Gen-Daro selbst in die Befragung ein. »So etwas wird nicht auf der Erde hergestellt.« Der Mutant blickte den Kynother fragend an. Erst nach wenigen Sekunden schien er die Worte zu verstehen. »Der grüne Dreck aus dem All… die mit den Federn«, stöhnte er. Vor Schmerz begann er zu weinen. »Einer ist notgelandet und… hat dabei das Leben verloren.« Noltan hielt ihm den Blaster gegen das Kinn. Er drückte leicht 82 �
zu, so dass sich der Kopf des Verletzten etwas Richtung Genick bewegte. Der Mutant stierte ihn mit einer Mischung aus Angst, Pein und unbändigem Hass an. Über seine Glatze rann der Schweiß in Strömen; die dunklen Bartstoppeln ließen sein Gesicht noch bleicher aussehen. »Kennst du Kalunde?«, wollte Gen-Daro wissen. Der Mutant blickte sich um, als würde der ehemaligen Diktator gleich herbeieilen. Es war eindeutig, dass er Angst vor dem gestürzten Herrscher hatte. »Randa Evariste?«, hauchte er. Dann nickte er. »Wo ist er?« Noltan drückte noch etwas stärker mit dem Lauf seiner Waffe zu. »Wir wissen, dass er sich in der Nähe befindet, und dir rate ich, uns dieses Geheimnis zu verraten.« Der Mutant schluckte. Sein Zittern hörte nicht auf. Im Gegenteil, es wurde immer stärker. Er litt unter Schüttelfrost. »Du hast die Wahl«, sagte Gen-Daro im allerfreundlichsten Tonfall. »Hilfst du uns, geht's dir gut. Hilfst du uns nicht…« Den Rest ließ er offen. »Nicht töten«, stöhnte der Mutant. Er weinte jetzt lauter. »Will nicht sterben… hab so große Schmerzen.« »Antworte schnell und wir helfen dir«, versprach der kynothische Dolmetscher wider besseres Wissen. »Nordöstlich von hier«, keuchte der Schwerstverletzte. »Es müssen über fünfzig Kilometer sein… Wir zählen zu seinen Spähern…« Der Anblick der grässlichen Wunde raubte ihm schier den Verstand. Er hielt den Armstumpf unter die linke Achsel gepresst; es schien, als könne er so die Schmerzen besser ertragen. Blut tränkte seine Weste und Hose und verteilte sich in einer großen Pfütze auf dem Boden. Er musste schon mindestens drei Liter des kostbaren Lebenssaftes verloren haben. »Helft mir«, presste er unter zusammengebissenen Zähnen her83 �
vor. Sein Oberkörper schwang vor und zurück, bis sein Kopf mehrere Male an den Felsen prallte. Er begann wieder zu brüllen und zu stöhnen. »So helft mir doch!« Noltan blickte Gen-Daro kurz an. Dann schockte er den Schwerstverletzten. Im gleichen Augenblick setzte dessen Herz aus. »Er ist tot«, sagte der Kynother, der vor dem Mutanten kniete, nach kurzer Untersuchung. »Wahrscheinlich war die Wirkung des Schockers zu viel für ihn.« »Es wird Zeit, dass jemand einen kurzen Funkbericht an Jakto Javan durchgibt«, befahl Rastor Noltan, ohne weiter auf den Mutanten einzugehen. »Das erledige ich«, schnaufte der Dolmetscher, der genau wusste, das Noltan ihn mit dem jemand gemeint hatte. Er stand langsam auf und konnte seinen Blick kaum von dem toten Mutanten lösen. »Na, ist wohl besser so. Für ihn wie für uns. Der hätte uns eh nur behindert…« Es ist wirklich besser so, stimmte Noltan Gen-Daro in Gedanken bei. Er war froh über den schnellen Tod des Verletzten. So hatten sich einige Probleme für ihn gleich auf einen Schlag erledigt. Der Schento hätte nie im Leben einen Arzt zu ihnen geschickt, um den Armstumpf behandeln zu lassen – obwohl gerade er nach seinem Kampf gegen Sigam Agelon wissen musste, unter welchen unsäglichen körperlichen und seelischen Qualen ein Wesen nach einer Zwangsamputation litt. Andererseits hätte der Mutant durch die Schmerzenschreie nur auf sie aufmerksam gemacht. Und dass einer von ihnen beiden als Pfleger zurückblieb, stand außerhalb jeder Diskussion. Für Rastor Noltan und Gen-Daros Situation war es wirklich besser, dass ihr Gegner tot war. Und obwohl beide die Menschen als primitiv ansahen, fühlten sie sich nicht wohl dabei. Während Gen-Daro seinen Bericht per tragbarem Bild-Funk84 �
Gerät durchgab, überlegte Noltan die weiteren Schritte. »Nordöstlich von hier, sagte er«, dachte der Laktone laut nach. »Und dann nur fünfzig Kilometer…« Noltan wusste sehr genau über die Maßverhältnisse auf der Erde Bescheid. Das war mit eines der ersten Dinge, die ein laktonischer Agent lernen musste. Er rieb sich mit der Hand über das Kinn. In Gedanken versunken biss er sich auf die Unterlippe. Wären nicht die rötlichen Zähne gewesen, man hätte ihn für einen fettleibigen Menschen gehalten. »Selbst mit unseren Hilfsmitteln dauert es eine Zeitlang, bis wir ihn gefunden haben«, unterbrach ihn Gen-Daro. Der Kynother hatte seinen Bericht beendet. Noltan blickte auf den Dolmetscher. Er nickte; auch bei den Laktonen galt diese Geste als Zustimmung. »Diese grüne Hölle muss erst einmal durchquert werden«, bestätigte er. »Überflogen meinst du wohl«, berichtigte ihn sein Begleiter. »Zu Fuß haben wir schlechtere Überlebensaussichten. Und von oben können wir besser sehen, wo das Versteck unseres zukünftigen… Bundesgenossen liegt. Das man dir aber immer auf die Sprünge helfen muss.« Noltan verdrehte die Augen und ersparte sich einen Kommentar. Wäre er auf die Worte seines Begleiters eingegangen, hätte das wieder endlos lange Diskussionen nach sich gezogen. Und das wollte Rastor auf keinen Fall. Sie aktivierten die Tarnschirme und die Flugaggregate ihrer Einsatzanzüge. Langsam stiegen sie soweit in die Höhe, bis sie die obersten Wipfel erreichten. »Sobald wir das angebliche Versteck sehen, stellen wir Funkkontakt zum Schento her«, befahl Noltan. »Also noch bevor wir Kontakt aufnehmen. Hast Du das verstanden?« »Immer auf Sicherheit bedacht«, lachte der Kynother 85 �
meckernd. »Was soll uns hier schon passier…« Ein gleißender Strahl aus einer Baumkrone heraus brachte ihn zum verstummen. Er wurde von Flammenspeeren umhüllt, die am Tarnschirm auf- und ableckten. Für Sekunden wurde Gen-Daro sichtbar. Sein Flugaggregat setzte aufgrund von Überbeanspruchung aus, weil der kleine Zentralcomputer seines Anzugs alle verwendbaren Energien zur Aufrechterhaltung des Schutzschirms einsetzte. Gen-Daro wedelte während des Sturzes wie verrückt mit den Händen. »Rastor, hilf mir!«, brüllte er laut auf. »So hilf mir doch!« Noltan verstärkte die Leistung seines eigenen Flugaggregats. Er hoffte, den Dolmetscher noch rechtzeitig zu erreichen, ehe der zu Boden stürzte oder sich während des Falls an einem der starken Äste verletzte. Ein weiterer gleißender Strahl traf seinen eigenen Tarnschirm und brachte den Laktonen ins Trudeln. Wir sind gescheitert, noch ehe es zu einem Kontakt kam! schoss es ihm durch den Kopf. Rastor Noltan blickte verzweifelt auf das schier unübersehbare Blätterdach des Dschungels, während er in rasendem Fall darauf zu stürzte. Er war sicher das es das Letzte war, was er in seinem Leben sehen würde. * »Und schon wieder habe ich recht gehabt«, lachte Vera Crooth. Die Texanerin nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. Sie inhalierte kurz und blies den Rauch gegen die Frontscheibe ihres Sonnengleiters. »Da unten sind sie.« »Weit sind die ja nicht gekommen«, sagte Joaquim Acero. Er 86 �
tätschelte fast schon zärtlich das Gabelsteuer des Gleiters, während er stark abbremste und nur noch mit geringer Geschwindigkeit über dem Plateau mit dem Ponta kreiste. Wie üblich verunzierte das überhebliche Grinsen sein Gesicht. »Kein Wunder, nach der Schiesserei, die sie sich mit den Mutanten geleistet haben.« Vera drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Gleich darauf zündete sie sich einen neuen Sargnagel an und setzte die Kopfhörer auf. »Sei froh, dass die Schiesserei statt fand, sonst hätten wir sie vielleicht nicht wieder gefunden«, gab Acero zu bedenken. Vera Crooth verzichtete auf eine Antwort. Mit der freien Hand fuhr sie durch die fettigen Haare und kratzte sich am Kopf. »Du, die haben eine Funkmeldung durchgegeben!«, stieß sie hervor. »Die sprechen mit ihrem Obermacker Jakto Javan.« »Hast du den Spruch aufgezeichnet?« »Was denkst du denn!« Crooth stellte auf Wiedergabe. ›…chnesseji korantan te Randa Kalunde to ke…‹, tönte es in fremder Sprache aus dem Lautsprecher. »Hat der wirklich Randa Kalunde gesagt?«, fragte Crooth ungläubig. »Was soll der Mist schon wieder bedeuten«, beschwerte sich Joaquim Acero, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Das kann doch kein normaler Mensch verstehen.« Vera verschluckte sich vor Lachen an einem Zug aus ihrer Zigarette. »Seit wann siehst du dich als normalen Menschen?«, hustete sie. Dabei hatte sie Tränen in den Augenwinkeln. Sie winkte ab, ehe Acero Antwort geben konnte. »Für was haben wir unser neues Spielzeug dabei?«, lachte sie. »Probieren wir es doch einmal aus. Angeblich soll die Simultanübersetzung klappen…« 87 �
›…und deshalb scheint fest zu stehen, dass Randa Kalunde noch lebt…‹, übersetzte das neue Spielzeug in korrektes Englisch. Joaquim Acero pfiff überaus schrill. »Ja, leck mich doch!«, stieß er hervor, nachdem er Gen-Daros Funkspruch angehört hatte. »Wollen die uns auf den Arm nehmen?« Vera schüttelte langsam den Kopf. »Das glaube ich nicht, Alter. Die wissen ja nicht, dass wir sie belauschen. Außerdem soll Jakto Javan verdammt streng mit ihnen umgehen. Der verzeiht keine Falschmeldung. Degradierung, Gehirnwäsche und Ausstoß aus den Reihen der kämpfenden Laktonen sind noch das wenigste. Da rollen Köpfe, und das im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie lehnte sich im Sitz zurück. In Gedanken versunken drückte sie mit einer Hand die Kippe aus und fingerte mit der anderen Hand einen neuen Glimmstängel zutage. Sie kam leicht auf einen Verbrauch von drei Päckchen pro Tag, was man auch an ihrem ständigen Husten bemerkte. Abgesehen von einem abgestandenen Qualmgeruch, der sie ständig umgab. »Hat der Drecksack von Kalunde uns alle gelinkt?«, fragte sie im Selbstgespräch. Dabei nahm sie ihre Nickelbrille an den Bügeln und schwenkte sie herum. »Sieht so aus«, antwortete Acero, den diese Marotte von ihr nervte. Er verringerte die Geschwindigkeit des Sonnengleiters so weit, dass er in der Luft stand. Außenkameras nahmen jede Bewegung unter dem Gleiter auf. »Wir müssen sofort Bescheid geben«, forderte Vera ihren Kollegen auf. »Damit uns jemand zuvor kommt?«, empörte der sich. Er hieb mit der Hand gegen die Konsole. »Auf gar keinen Fall! Erst suchen wir das Versteck des Ex-Diktators, dann präsentieren wir ihn der Weltöffentlichkeit. Falls der wirklich noch lebt, dann gehört uns der Ruhm, ihn gefunden zu haben.« 88 �
»Joaq, was soll das?«, versuchte sie, ihn zu beruhigen, obwohl sie selbst aufgeregt war. Die Aussicht, eine derartig große Schlagzeile veröffentlichen zu können, ließ sie innerlich vibrieren. »Wir sind nur zu zweit. Gegen Kalunde und die beiden da unten kommen wir nicht an.« Acero blickte sie böse an. Seine geballten Fäuste bewiesen, dass er anderer Meinung war. Bevor er zu einer geharnischten Antwort ansetzen konnte, sah er ein blitzen auf dem Bildschirm des Videophons. Flammenzungen umspielten den Kynother und gleich darauf den Laktonen. »Joaq, die werden angegriffen!«, schrillte Vera Crooth. Acero reagierte ohne groß nachzudenken. Er ließ den Sonnengleiter einige hundert Meter höher steigen und erhöhte gleichzeitig den Zoom der Außenkameras. So konnten sie die Kampfhandlungen klar mitbekommen. Schon nach wenigen Sekunden war der Kampf entschieden. Die Außerirdischen stürzten beide ab, der grünen Hölle entgegen, und nichts konnte sie mehr aufhalten. Nur wenige Sekunden noch und sie mussten mit voller Wucht auf dem Boden oder gegen einen Baum prallen. Kein normales Wesen konnte das überleben. Vera Crooth handelte automatisch, als sie ihre Redaktion über die neuesten Erkenntnisse benachrichtigte. »Na, die werden sich über die Neuigkeit freuen«, murmelte sie. * »Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« Es hörte sich nicht gerade so an, als wäre der Chef der Southafrican Press & News Agency mit ihnen zufrieden. »Auf einen Funkspruch hin behauptet ihr, Kalunde würde noch leben? Und ihr Hornviecher überzeugt euch noch nicht ein89 �
mal davon, ob das überhaupt stimmt? Wir haben einwandfreie Beweise und Zeugenaussagen, dass Kalunde und sein engster Kreis vor Wochen über Afrika explodiert sind. Und selbst wenn er noch leben würde, können wir das nicht einfach so in die Welt setzen. Genauso gut könnten wir ohne Beweise behaupten, dass Fußballnationalspieler Spiele manipulieren. Das wäre eine Sauerei und wir würden zu Recht Schadensersatzklagen in Millionenhöhe erhalten. Herrschaften, ich will Fakten sehen. Fakten und Fotos, die einwandfreie Beweise liefern! Es muss alles hiebund stichfest sein. Wenn ich das bekomme, bin ich für jede Schweinerei zu haben. Ansonsten…« Sein Schweigen sagte mehr aus, als es Worte vermochten. Er löschte die Verbindung, ohne sich zu verabschieden. »Blödmann!«, schimpfte Vera dem grauen Bildschirm entgegen. »Na, dem hast du es aber gegeben«, stichelte Acero. »Ach, halt doch die Klappe.« Vera winkte ab, sie wollte in Ruhe nachdenken. Dazu spielte sie wieder mit ihren Brillenbügeln. Joaquim beachtete sie nicht weiter. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Bilder, die die Außenkameras übermittelten. Er kniff die Augen zusammen, da die Übertragung unklar war. Helle Streifen wanderten von der Bildschirmoberseite herab. »Was ist denn das?« Vera setzte die verschmierte Brille wieder auf ihre Nase. Es war ein Wunder, dass sie durch die verschmutzten Gläser etwas erkennen konnte. »Bedeutet das, dass der Laktone noch lebt?« Joaquim Acero zuckte mit den Schultern, dann drehte er an den Bedienelementen des Videophons, bis das Bild wieder klar erschien. »Auch der Zwerg bewegt sich noch«, flüsterte er, als könnten ihn die Außerirdischen hören. Widerwillig fügte er hinzu: 90 �
»Respekt, Jungs! Das hätte ich nicht gedacht.« »Aber dort unten…« Vera zeigte auf die Stelle, von der aus gerade mit Blastern auf das laktonisch-kynothische Kommando geschossen wurde. »Orathonen! Mindestens zwei von diesen Hurensöhnen!« Acero hasste die Invasoren wie nichts auf der Welt. Er hatte gehofft, dass mittlerweile alle Angehörigen der gefiederten humanoiden Intelligenzen, die sich innerhalb des 5D-Schirms befanden, ausgelöscht wären. »Scheiße, warum nicht?«, knurrte er leise. Vera zog die Stirn in Falten. Sie wusste nicht, was ihr Kollege mit seinem Selbstgespräch meinte. »Die Kamera nimmt immer noch alles auf«, meldete sie. »Wollen wir nicht näher herangehen? Vielleicht können wir dem Laktonen helfen, damit der uns zu Kalunde führt…« Acero presste die Lippen aufeinander. Nach wenigen Sekunden hatte er sich entschieden, auf Veras Vorschlag einzugehen. »In Ordnung«, nickte er und wollte den Sonnengleiter tiefer gehen lassen. Da hieb ihm seine Kollegin auf die Schulter. »Joaq, da hinten!«, brüllte sie und zeigte mit der Hand in eine Richtung, die für Acero toter Winkel war. »Flugzeuge!« Acero drehte den Kopf in die angegebene Richtung. »Kampfflugzeuge«, hauchte er ungläubig. Es war unfassbar für ihn: Kampfflugzeuge mit der Beschriftung der Republique Africaine. Mit rasender Geschwindigkeit kamen drei Kampfjets näher. Acero versuchte verzweifelt, den Sonnengleiter zu beschleunigen, aber selbst dann, wenn er volle Geschwindigkeit gehabt hätte – es hätte ihm nichts genutzt. Herrschaften, ich will Fakten sehen. Fakten und Fotos, die einwandfreie Beweise liefern! hämmerte es hinter Veras Stirn. Seltsam, dass sie gerade jetzt daran denken musste. Hart lachte sie auf, als ihr die Wahrheit bewusst wurde – nur war es kein Lachen, das 91 �
Freude aussagte. Sie wusste genau, dass sie für alle Zeit verloren hatte. Ihr Chef würde seine verdammten Fakten nie bekommen. Vera Crooth zitterte am ganzen Körper und weinte leise. Kalundes Abwehrjäger ließen Joaquim Acero und Vera Crooth nicht den Hauch einer Chance. Nur ein Schuss genügte, um den Sonnengleiter zu vernichten und in unzählige Trümmerstücke zu verwandeln, die langsam auf den Dschungel hinabregneten… * Die drei Kampfflugzeuge mit der Beschriftung Republique Africaine drehten ab, als sie sahen, dass die Überreste des Sonnengleiters gen Boden trudelten und kein Überlebender zum Verhör aufzubringen war. »Tango Leader an Tango zwo und Tango drei: Habe Kampfhandlungen mit außerirdischen Waffen angemessen«, meldete der Anführer seinen Untergebenen. In der Funkverbindung herrschte das übliche Rauschen und Knacken. »Tango drei an Tango Leader: Habe die Kampfhandlungen gefilmt und sende sie an Basis Tango.« »Tango zwo an alle: Es ist unmöglich für uns, dort zu landen.« »Tango Leader an alle: Für uns schon, aber nicht für das Einsatzkommando…« Die drei Flugzeuge setzten Kurs Richtung Basis Tango. * Rastor Noltan wischte sich Blut aus dem Gesicht. Beim Versuch Gen-Daro zu retten, hatte er einen Ast gestreift. Eine klaffende Wunde auf seiner Stirn zeugte davon. Trotz seiner gewaltigen Kopfschmerzen reagierte er gedankenschnell, als die Orathonen erneut mit Energiestrahlen angriffen. 92 �
Er hatte den Kynother mit einem Stoß hinter den nächsten Baum gedrängt und sich selbst in vorläufige Sicherheit gebracht. Sofern man bei ihrer Lage von vorläufiger Sicherheit sprechen konnte. In zehn Meter Höhe standen sie auf mehr als schenkeldicken Ästen und hielten Ausschau nach ihren Feinden. Dichtes Laub machte dieses Vorhaben fast unmöglich. »Bei allen Sternenteufeln!«, fluchte Gen-Daro mit heiserer Stimme. »Wenn wir wenigstens einen Infrarot-Blaster mitgenommen hätten, käme ich mir nicht so hilflos vor.« Sein linker Arm hing schlaff herunter. Noltan hatte den Dolmetscher gerade noch mit beiden Händen fassen können, ehe er nähere Bekanntschaft mit dem Ast schloss. Das Endergebnis waren ein gezerrter Arm von Gen-Daro und eine leichte Gehirnerschütterung für Rastor Noltan. »Gib auf, Laktone!«, rief einer der beiden Orathonen. »Weder du noch der Zwerg können gewinnen.« Gen-Daro zuckte zusammen. Mit giftigem Gesichtsausdruck starrte er dort hinüber, wo er seine Feinde vermutete. »Was hat der über mich gesagt? Zwerg? Das soll der gefiederte Drecksack bereuen!«, zischte er erbost. »Sei still!«, befahl Noltan und machte eine abwehrende Handbewegung. Er zog seinen Magnet-Smash aus dem Holster und ging in die Hocke. Bei der mit MAS abgekürzten Waffe handelte es sich um ein bleistiftdünnes Gerät mit kleinem Abzugshebel. Mit dem MAS verschoss man winzige Stahlnadeln, die einen starken Elektroschock verursachten, sobald sie auf Metallhaut von orathonischen Bronzerobotern, auftrafen. Das positronische Gehirn eines Bronzeroboters wurde durch den Schock vernichtet. Auf Menschen, Laktonen oder Orathonen angewendet rief die Waffe ein Koma hervor. Nach mehreren Stunden drohte Eintritt des Todes, falls nicht mit einem Herzschrittmacher das Herz 93 �
wieder voll aktiviert wurde. Eine Serie von Blastersalven deckte sie ein. Der Gestank von verbrannter Rinde stieg in Noltans Nase. Seine Augen tränten, er blinzelte ständig. Eine dichte Qualmwolke zog an ihnen vorbei. »Lange halten wir das nicht mehr aus«, rief er Gen-Daro zu. »Aufgeben kommt nicht in Frage!« Der Kynother schüttelte den Kopf und blickte verächtlich in Richtung der Orathonen. Noltan griff sich an die Stirn, die Kopfschmerzen wurden mit jeder Minute stärker. »Rastor, pass auf!« Der Laktone hörte die Stimme seines Begleiters wie durch einen Schleier. In der nächsten Sekunde erhielt er einen Stoß in den Rücken. Er hob die Hände und fiel herunter von dem schützenden Ast. Gen-Daros Flugaggregat musste die erhöhte Last tragen. Die Aktion des Kynothers erfolgte gerade noch rechtzeitig. An der Stelle, an der sich vor einer Sekunde noch Rastor Noltan befunden hatte, explodierte eine Blendgranate. Die Orathonen wollten ihre Gegner so schnell wie möglich ausschalten. Der Dolmetscher konnte das Flugaggregat in der Eile nicht auf volle Leistung stellen. So kamen er und seine laktonische Last unsanft auf dem Boden zu liegen. Fluchend rappelte Gen-Daro sich wieder auf. Während des Sturzes hatte er seine Waffe verloren. Ein Blick zeigte ihm, dass Rastor Noltan bewusstlos war. Beim zweiten Blick hatte er seinen Blaster entdeckt. Gerade als er sich nach der Strahlenwaffe bücken wollte, ertönte eine kehlige Stimme in Orathkant, der orathonischen Handelssprache, von hinten. »Das würde ich nicht machen, Laktonenknecht!« Gen-Daro drehte sich langsam um. * 94 �
Bei ihren Antagonisten handelte sich um zwei Orathonen. Einer der Gefiederten maß nur einssechzig, der andere mochte knapp zehn Zentimeter größer sein. Nichtsdestotrotz waren sie überaus gefährliche Gegner. An eine Schwerkraft von fast 1,85 g gewohnt, waren sie körperlich bei weitem stärker als jeder Laktone. »Was ist mit dem?« Der größere Orathone zeigte auf Noltan. »Wenn er sich ohnmächtig stellt, ist es sofort mit ihm aus.« »Er hat eine Kopfwunde erlitten«, berichtete Gen-Daro zögernd. Als Dolmetscher beherrschte er natürlich die orathonische Sprache. Abgesehen davon, dass jeder Laktone in der Sprache des Todfeindes unterrichtet wurde. »Ich glaube, dass er eine Gehirnerschütterung erlitten hat.« Der Orathone zeigte ein breites Grinsen. Wenn es seinen Gegnern schlecht ging, fühlte er sich automatisch besser. »Wo nichts ist, kann man nichts erschüttern«, lachte er und zwinkerte seinem Kameraden zu. »Dann wollen wir ihn doch einmal aufwecken. Fang an, Leigam.« Der hielt ein schmales dunkelgraues Kästchen in der Hand. Die rötlich glänzende Vorderseite hielt er auf Rastor Noltan gerichtet. Ein leises Summen verriet, dass das Kästchen in Betrieb war. Der laktonische Oberleutnant zuckte zusammen und stieß mehrere Schreie aus. Die Hände hatte er gegen die Schläfen gepresst. Sein Körper wand sich, als leide er unter unerträglichen Schmerzen. »Hört auf damit«, brüllte Gen-Daro. Die Orathonen blickten erstaunt auf. Eine derartige Lautstärke hätten sie ihm nicht zugetraut. Als der Kynother zu Noltan gehen wollte, hielt ihm der größere Orathone den Blaster gegen das Kinn. »Geht doch«, knurrte Leigam. Er berührte einen Sensor und erhöhte die Leistung. Sofort zeigte sich das Ergebnis seiner 95 �
Bemühung. Noltan schrie im höchsten Diskant, bis er keine Luft mehr bekam. Als er nur noch röcheln konnte, schaltete Leigam das Foltergerät aus. »Weißt du nicht, dass es nicht gut für dich ist, wenn du mein Vergnügen störst?«, fragte der Orathone, als er den Blaster von Gen-Daros Kinn wegnahm. Mit dem Griff des Blasters schlug er dem Kynother blitzschnell gegen den Hinterkopf. Gen-Daro sackte in sich zusammen und fiel zu Boden. Er war bewusstlos, noch ehe er aufschlug. »Und jetzt zu dem«, zischte Leigam, als er sich dem Laktonen zuwandte. »Er soll alles sagen, was wir wissen wollen, und dann kann er in Ruhe sterben.« »Noch wichtiger ist aber, dass wir durch den 5D-Energiemantel zurück zu unseren Leuten kommen«, wandte sein Kamerad ein. »Es kotzt mich an, so viel Zeit auf diesem beschissenen Planeten zu verbringen. Noch dazu mit drittklassigen Lebewesen wie diesen Menschen oder denen da.« Dabei zeigte er auf den Laktonen. Rastor Noltan war inzwischen wieder auf die Knie gekommen. Mit einer Hand stützte er sich auf dem Boden ab, mit der anderen massierte er seine Stirn. Er war vor Schmerz und Anstrengung schweißüberströmt. »Geht's dir gut?«, erkundigte Leigam sich mit scheinheiliger Stimme. »Falls ja kann ich dir versprechen, dass das nicht mehr lange der Fall ist.« Noltans Brust hob und senkte sich. Es war ersichtlich, dass es ihm schlecht ging. Er stand vollends auf, noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber immerhin konnte er nun auf seine Feinde herabblicken. »Leck mich am Arsch, Orathone!«, stieß er hervor. Dabei hielt er beide Hände an die Gürtelschnalle gepresst, als leide er unter Bauchschmerzen. 96 �
Hoffentlich merken die Mistkerle nichts! dachte er, während er die Orathonen verächtlich betrachtete, als würde er sich allein vor ihrer Anwesenheit ekeln. Leigam hob erneut die Hand mit dem dunklen Kästchen. »Mach doch«, keuchte Noltan. »Wenn ich tot bin erfährst du nie von mir, was du wissen willst.« Die Hand mit dem Kästchen wanderte abwärts. Beide Orathonen kamen näher heran. »Du kannst freiwillig erzählen, was ihr beide hier zu suchen habt«, sagte Leigam mit kehliger, gleichzeitig heiserer Stimme. »Das kürzt es für beide Parteien ab.« Noltans Hände krallten sich um die Gürtelschnalle. Seine Magenschmerzen nahmen anscheinend zu. Ein Knacken und Rascheln ertönte hinter den Rücken der Orathonen. Beide fuhren herum um zu sehen, was das bedeuten sollte. »Lauf, Gen-Daro!«, brüllte Rastor Noltan, so laut er nur konnte. Leigam hob das dunkle Kästchen, ließ es aber sogleich wieder sinken, als er erkannte, dass er damit keinen Erfolg haben würde. Sein Kamerad hastete los, um den Kynother wieder in seine Gewalt zu bekommen. Er war gerade wenige Meter weit gekommen, als ihn eine Maschinengewehrgarbe von den Beinen riss. Er war tot, noch ehe er den Boden berührte. Leigam blickte ungläubig auf die Leiche seines Kameraden. Er achtete einige Sekunden nicht auf seinen Gefangenen. Diese kurze Zeitspanne genügte Rastor Noltan. Er aktivierte den Verschluss der Gürtelschnalle und jagte Leigam eine kleine Giftspritze, die er dort verborgen trug, in den Rücken. So starb auch der zweite Orathone wenige Augenblicke nach dem ersten. Noltan wischte sich über die Augen, als er Gen-Daro auf sich 97 �
zukommen sah. Der Kynother wurde von mehreren dunkelhäutigen Menschen begleitet. Der Anführer war ein schmaler, trotzdem athletisch gebauter Mann. Mit 184 Zentimetern Körpergröße war er fast einen Kopf kleiner als Noltan. Die grünbraunen Augen standen in krassem Gegensatz zu seiner schwarzbraunen Hautfarbe. Von seinem dunklen Haar, das im Genick zu einem dünnen kurzen Pferdeschwanz gebunden war, und das er künstlich hatte glätten lassen, sah man nichts, denn auf dem Kopf trug er einen rot-weiß gestreiften Turban. Es handelte sich um Rigo Moratti, den Hauptmann von Randa Evariste Kalundes früherer Geheimabwehr. Basis Tango, die neue Zentrale von Kalundes Kampfflugzeugen, hatte ihn informiert. Alles verschwamm vor seinen Augen. Noltan versuchte verzweifelt, gegen die Ohnmacht anzukämpfen. Als Gen-Daro ihn ansprach, fiel er regelrecht in sich zusammen, wie ein nasser Sack. »Was ist mit dem?«, fragte Moratti, als er den bewusstlosen Laktonen auf dem Boden liegen sah. »Ich kenne mich mit Außerirdischen nicht aus, aber er scheint nur ohnmächtig zu sein«, lautete die Antwort, nachdem einer seiner Männer Noltan untersucht hatte. »Nehmen wir sie mit«, befahl Moratti, als er den schlechten Gesundheitszustand von Noltan bemerkte. So gelang die Kontaktaufnahme mit Randa Evariste Kalunde leichter als gedacht…
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4. � »Reich mir die Hand, mein Leben, nenn mir den Preis. Ich schenk dir gestern, heute und morgen, dann schließt sich der Kreis. Kein Weg zurück, das weiße Licht kommt näher, Stück für Stück. Will mich ergeben! Muss ich denn sterben, um zu leben?« (Falco, 1998: ›Out of the dark‹) Ende November 1992 Die laktonischen Rebellen haben erste Hilfslieferungen geschickt. So genannte High-Tech, damit wir unser Dasein nicht mehr so primitiv führen müssten, sagte Rastor Noltan nach seiner Genesung. Ich bin sehr zufrieden darüber und ausgesprochen erleichtert, dass er auf unserer Seite steht. - Ich darf bei allem Sicherheitsdenken eines nicht vergessen: meinem Todfeind Rex Corda Schaden zuzufügen. Ich habe ihm damals geschworen, dass er nicht ungeschoren davonkommt. Und ich werde diesen Schwur halten, mag kommen was da will! - Ich weiß auch schon, wie ich Corda so tief treffen kann, wie nur möglich. Er soll es nicht genießen können, dass er nun Präsident der Erde ist. Ich schicke ihm einen Schatten aus der Vergangenheit… Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde * »… und deshalb muss ich über alles informiert werden«, erklang � 99 �
Randa Evariste Kalundes Stimme wieder in Hens Ohr. »Wenn nötig, müssen alle unsere Gegner eliminiert werden.« Hen schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Er drückte den Ohrhörer tiefer, mit dem er ständig mit Kalunde in Funkverbindung stand. Dann blickte er sich nach seinen Kameraden um, die ebenso wie er auf dem steinigen Boden kauerten. A.J. hielt den Daumen nach oben gerichtet. ›Alles klar‹ sollte das bedeuten. Kit nickte nur. Keiner der drei dunkelhäutigen Männer sprach ein Wort. Sie waren so aufeinander eingespielt, dass sie sich fast blind verstanden. Aber weshalb hat der Erhabene nur drei Mann geschickt, statt einer ganzen Armee? fragte sich Hen zum wiederholten Male, ohne eine befriedigende Antwort darauf zu erhalten. A.J. stieß ihn leicht mit der Hand gegen die Schulter. Hen verzog das Gesicht. Er wusste selbst, dass er viel zuviel nachdachte. Er sollte sich besser um die Durchführung ihres Planes kümmern. Nicht unseres Planes, durchzuckte es ihn. Seines Planes. Schließlich steckte der Erhabene hinter ihrer Aktion. Kalunde versuchte, nichts dem Zufall zu überlassen. Nur gelang das nicht immer. Störungen und Unabwägbarkeiten gab es immer, und sie waren nicht im voraus zu berechnen. In solchen Fällen zählten Intuition und Erfahrung mehr als alles andere. Und es gab seinen Hass! Hens gerechten Zorn vor allem gegen Rex Corda. Der Präsident war an seinem Unglück schuld. Das sollte er bereuen. Aber seine Rache musste er sich für später aufsparen. Zuviel Hass machte ihn nur blind für seine Aufgabe. Hen hielt das Nachtsichtgerät an seine Augen. Er versuchte, das Areal, das in tiefer Dunkelheit unter ihnen lag, zu überblicken. Dank des Nachtsichtgeräts war das ein Kinderspiel. Er sah die wenigen Gebäude so deutlich wie am Tag. Und was noch 100 �
wichtiger war: zwischen den Gebäuden bewegte sich niemand. Die Forschungsstätte von Will Rimson lag bei Salt Lake City und beherbergte den größten Computer der Erde. Der größte Teil der Anlage war unterirdisch in einer Vakuum-Kammer angelegt. Und genau in diesen abgesperrten Teil wollten Hen und seine Kameraden gelangen. Nur wenige Menschen wussten, dass der geniale Erfinder Walter Beckett kurz vor seinem Tod, zu Beginn der Laktonen-Orathonen-Invasion, eine umwälzende Entdeckung machte. Das Wissen darüber wurden Rex Corda, seiner Schwester Velda und seinem Bruder Kim auf hypnotischem Weg eingeprägt. Velda und Kim wurden von den Laktonen entführt. Erst jetzt, nachdem Corda seine Geschwister wieder gefunden und zur Erde zurück gebracht hatte, konnten Will Rimson und seine Mitarbeiter daran gehen, Becketts Geheimnis zu ergründen. Kalunde hatte durch seinen wieder funktionierenden Geheimdienst davon erfahren und beschlossen, sich Becketts Erfindung anzueignen, um seinem Feind Rex Corda eine empfindliche Schlappe zu bereiten. Ein großes Kommando wäre zu sehr aufgefallen, deshalb war Kalunde davon überzeugt, dass wenige Leute eine bessere Erfolgschance hätten. Kit schnippte einmal kurz mit den Fingern. Hen und A.J. blickten zu ihm hinüber. Kalunde hatte Wert darauf gelegt, dass sich seine Untergebenen nur mit Abkürzungen ansprachen. Ihre richtigen Namen durften nie genannt werden, um Kalunde nicht zu verraten. Er hatte extra befohlen, dass nur US-Amerikaner zu dem kleinen Trupp gehörten. Aber auch sonst hatte er vorgesorgt, damit kein Verdacht auf ihn fiel. Nur wussten das seine Leute nicht. Seit der ehemalige Diktator im Dschungelexil lebte, litt er verstärkt unter Phobien. Hen blickte durch das Nachtsichtgerät in die angegebene Richtung – das typische Summen eines Sonnengleitermotors war 101 �
deutlich zu vernehmen. Er erhob sich und hieb Kit mit der Hand auf die Schulter. Der muskelbepackte Hüne lief einige Meter über den kieselsteinübersäten Weg. Dabei schaltete er seine Taschenlampe an und schwenkte sie mehrmals hoch in Richtung des Sonnengleiters. Der Pilot des Gleiters reagierte wie gewünscht. Er bremste den Flug seines Gefährts stark ab und flog auf die Lichtquelle zu. »Was soll das bedeuten?«, fragte die einzige Passagierin des Sonnengleiters. Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn, als sie den Piloten anblickte. »Dort unten«, antwortete der dunkelhäutige Mann mit kehliger Stimme. Er zeigte auf die leuchtende Taschenlampe von Kit »Sehen Sie das nicht?« Katja Leskow, die Chefprogrammiererin der Forschungsstätte Will Rimson, aktivierte den Zoom des bordeigenen Videophons. Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Das sollen sich die Leute vom Sicherheitsdienst ansehen«, befahl sie und schaute den Piloten erneut scharf an. Der Mann flog sie heute zum ersten Mal. Wahrscheinlich hatte er die Vorschriften noch nicht ganz verinnerlicht. »Fliegen Sie mich unverzüglich in den Hangar. Ich werde die Security persönlich benachrichtigen.« Der Pilot ließ den Gleiter etwas absinken. Mit der linken Hand hielt er das Gabelsteuer, in der rechten hielt er einen Revolver. Blitzschnell drückte er ihn gegen Katja Leskows Schläfe. »Das werden Sie schön bleiben lassen«, fauchte er sie an. Die pechschwarzen Augen der Programmiererin öffneten sich weit als sie bemerkte, dass es dem Mann todernst war. »Ist schon in Ordnung. Ich werde keine Meldung machen«, sagte sie vorsichtig. Sie hob die Hände bis auf Schulterhöhe. Ihr Herz schlug schneller. »Was wollen Sie?« Der Pilot gab keine Antwort. 102 �
Der Gleiter schwebte zu Boden, die drei Männer aus Kalundes Garde sprangen blitzschnell in die hinteren Einstiege hinein. Zwei Pistolen drückten sich an Leskows Hinterkopf. Der Pilot nahm seine Waffe weg und konzentrierte sich auf den Einflug in den Bodenhangar. »Sie verhalten sich wie immer!«, knurrte Hen und verstärkte den Druck seiner Pistole. »Sonst sind Sie Ihren hübschen Kopf los.« Katja Leskows Hände zitterten. Sie wusste, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing. Jetzt nur keinen Fehler machen! dachte sie verzweifelt. Sie machte sich die größten Vorwürfe. Warum hatte sie nicht gleich darauf bestanden, von einem ihr bekannten Piloten geflogen zu werden? Die nächsten Minuten nahm sie zweigleisig wahr. Auf der einen Seite nahm sie alles überklar auf, als wollte sie jede kleinste Handlung speichern. Auf der anderen Seite erlebte sie alles wie in Trance. Bin ich im Schockzustand? Sie kam sich vor, als wäre sie im falschen Film. Das darf nicht wahr sein! Und dann waren sie durch! Die Sicherheitsleute gaben ihnen die Freigabe, als sie Katja Leskow erkannten. Die drei Eindringlinge hatten sich im Fond des Sonnengleiters versteckt. Der Pilot landete den Gleiter im Bodenhangar. Katja fuhr sich mit einer nervösen Bewegung durch die langen dunklen Haare. Sie unterdrückte ihr Verlangen nach einer Zigarette. Bei der ersten falschen Bewegung hätten die Männer übertrieben brutal reagiert. »Zum Hauptlabor, in dem Sie die Cordas untersuchten«, befahl Hen. Katja zuckte zusammen. Was wollten die Männer mit der Becon-Formel? Sie war das einzige, was Terra Lakton voraus 103 �
hatte. In diesem Augenblick verfluchte sie die Tatsache, dass der 5-D-Energiemantel um das Sonnensystem seit einigen Wochen verschwunden war. Corda wäre nicht mit der Walter Beckett aufgebrochen und die drei Fremden hätten keinen Grund gehabt, mit ihrer, Katjas, Hilfe in die Station einzudringen. Im nächsten Augenblick schämte sie sich dieser Gedanken. Velda und Kim Corda würden sich immer noch Lichtjahre weit von der Erde entfernt befinden. Und Rex Corda würde vor Sorge um seine Geschwister vergehen. Erst gestern hatte er eine Auseinandersetzung mit dem Schento gehabt. Gleich, nachdem der Raub der Goldvorräte der USA durch Orathonen erfolgte. »Sie sind nicht gerade bestrebt, die Freundschaft mit Lakton zu vertiefen, Corda«, hatte ihm Jakto Javan vorgeworfen. »Sie haben durchaus recht, Schento«, hatte Corda geantwortet, wohl wissend, dass er dabei Minuspunkte beim laktonischen Befehlshaber gesammelt hatte. »Sie sind für die Folgen verantwortlich!«, hatte Javan gedroht. (siehe Rex Corda Nummer 17: ›Die Rache der Orathonen‹) Leskow schüttelte den Kopf. In ihrer Situation sollte sie sich auf die Reaktionen der Männer konzentrieren und versuchen, soviel Informationen wie möglich zu sammeln. Sie glaubte nicht, dass die Männer von den Laktonen gedungen wurden. »Was wollen Sie dort?«, fragte sie und deutete auf ein Schild, auf dem 'HAUPTLABOR' stand. »Das werden Sie noch sehen«, lautete die sybillinische Antwort. »Gnade Ihnen Gott, wenn Sie uns zu lange aufhalten.« Kit hieb ihr mit voller Kraft gegen die Schulterblätter. Leskow schrie kurz auf, sie stolperte und fiel auf die Steinplatten. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht stand sie langsam wieder auf. Mit der rechten Hand massierte sie den linken Ellenbogen. 104 �
»Reißen Sie sich zusammen. Wir haben keine Zeit, uns mit Ihrer Wehleidigkeit aufzuhalten«, zischte A.J. ihr zu. Leskow schnaubte empört auf. Sie wagte nicht, gegen die überharte Behandlung zu protestieren. »Weiter«, verlangte Kit und zerrte sie am linken Oberarm. Katja biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. »Dort vorne ist eine Personenschleuse«, erklärte sie bereitwillig. Sie zerrte an dem silbernen Kettchen, das sie um den Hals trug. An einem Schnellverschluss war ein dünnes Kärtchen angebracht, das alle wichtigen Daten erhielt, damit Katja Leskow sich überall in der Forschungsstation aufhalten konnte. Es konnte sowohl als Stechkarte wie als Türöffner benutzt werden. »Da können Sie nicht mit.« Blitzschnell drückte Hen ihren Kehlkopf mit einer Hand zusammen. In der anderen Hand hielt er wieder seine Pistole. »Wir kommen mit, Täubchen«, bestimmte er hart. »Und wenn nicht, war es das Letzte, was du getan hast.« Leskow nickte, da ihr vor Angst die Stimme versagte. Mit ihren 29 Jahren hatte sie schon einiges erlebt. Und seit sie für Will Rimson arbeitete, wurde ihr Leben ständig gefährlicher. Aber so brutal wie die drei Männer war noch niemand zu ihr gewesen. Verzweifelt schaute sie, ob einer ihrer Kollegen das Überfallkommando bemerkte. Sonst herrschte hier zu jeder Tages- und Nachtzeit Betrieb, aber heute schien sich alles gegen sie verschworen zu haben. Und sie bekam keine Gelegenheit, ihre Kollegen zu warnen. Hen und seine Kumpane passten mit Argusaugen auf, dass Katja nichts berührte. Innerhalb weniger Minuten gelangten sie vor das Hauptlabor. Hier hatten Rimson und Leskow erst vor wenigen Tagen die Corda-Geschwister untersucht. Die Entschlüsselung des Becon105 �
Codes war der bisherige Höhepunkt in Katjas beruflicher Laufbahn. Sie glaubte nicht, dass sie dieses Ereignis so schnell übertrumpfen konnte. (siehe Rex Corda Nummer 17: ›Die Rache der Orathonen‹) Durch dicke, gepanzerte Fenster, die angebracht wurden, damit man Untersuchungen auch aus sicherer Entfernung beobachten konnte, blickten sie in das Hauptlabor. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher von Aussehen und Wesensart nicht sein konnten, befanden sich im Herzen der Forschungsstätte. Sie waren in ein Gespräch vertieft und hatten die Eindringlinge noch nicht bemerkt. Der ältere, massigere, hatte dunkelblonde Haare und darunter eine niedrige Stirn. Durch die dunklen Bartschatten wirkte er bedrohlich, was er aber bestimmt nicht war. Er hinkte leicht beim Laufen. Bei ihm handelte es sich um den berühmtesten Biologen der Welt. »Sam McClude«, flüsterte Hen. Er hatte den 48 Jahre alten Professor der Biologie sofort erkannt. Es war allgemein bekannt, dass McClude ein guter Freund von Präsident Corda war. Der zweite Mann war exakt zehn Jahre jünger. Mit 170 Zentimeter Körpergröße maß er etwa gleichviel wie McClude. Nackenlanges, sehr weiches, schwarz schimmerndes Haar fiel ihm in die Stirn. Der Physiker und Atomwissenschaftler John Haick war der engste Freund von Corda. »Umso besser.« A.J. grinste zufrieden. »Ein gutes Druckmittel.« »Idiot«, warf Kit, der besonnenste unter ihnen, ein. »Das macht es doch nur komplizierter. Es muss alles im Stillen ablaufen.« A.J. zuckte mit den Schultern. Er machte sich um das Gelingen ihres Einsatzes nicht so viel Gedanken wie seine Kumpane. Für ihn schien alles nur ein spannendes Spiel zu sein, an dem er sich mit voller Begeisterung beteiligte. »Schnappen wir sie!«, befahl Hen. Die Aussicht, zwei Freunde von Corda gefangen nehmen zu können, ließ seine sonstige 106 �
Bedachtsamkeit versiegen. Er forderte Leskow auf, das Labor zu öffnen. Mit zitternden Händen befolgte die Chefprogrammiererin den Befehl. Sie spürte, dass besonders Hen und A.J. für keinerlei Argumente mehr zugänglich waren. * Irgendetwas war anders! John Haick hatte doch etwas bemerkt, obwohl er mit Professor McClude ein ernstes Gespräch über die Herstellung von Becon führte. Der Physiker hatte ein Gefühl, als beobachtete ihn jemand intensiv. Er blickte hoch und sah Katja Leskow mit ihren drei Entführern zur Haupttür hereinkommen. »Auf den Boden legen und ruhig sein!«, donnerte Hens Stimme durch das Hauptlabor. Der Raum war fünfundzwanzig Meter lang und fast ebenso breit. Haick reagierte automatisch, er packte den Professor am Arm und zog ihn mit sich, dem hinteren Ausgang entgegen. Er dachte nicht daran, dem Befehl des Ganoven Folge zu leisten. Nur wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt zischte eine Kugel vorbei. Hen meinte es ernst. Todernst! Und dann waren die beiden Wissenschaftler durch die Tür entflohen. Hen schoss ihnen zwei weitere Patronen hinterher, doch die blieben im metallenen Türrahmen stecken. »Lass das!«, befahl Kit. Er nahm Katja die Karte ab, rannte zu der Hintertür und versuchte sie zu öffnen. Doch vergebens. »Verdammter Mist! Wie haben die das nur geschafft?« Kit ballte die Hände zu Fäusten. Er versuchte, sich innerlich zu beruhigen. Es half ihnen nichts, wenn er den wilden Mann spielte. Katja hätte ihnen von einer Sicherung gegen unbefugtes Eindringen erzählen können, aber im eigenen Interesse hielt sie den 107 �
Mund. »Was bedeutet das?« Hens Augen glühten auf vor Zorn. Sie waren das einzige, was sich in seinem Gesicht bewegte. Katja lief es kalt den Rücken hinab. Sie wusste, dass sie extrem vorsichtig sein musste, wollte sie am Leben bleiben. Schon wieder hielt er seine Pistole an ihre Schläfe. Leskow hielt einige Sekunden den Atem an. Sie überlegte fieberhaft, wie sie sich verhalten sollte. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich, während sie wieder weiter atmete. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ganz ruhig, sonst ist gleich alles vorbei! »Die Karten sind manchmal defekt, das heißt, die Signale werden nicht weitergeleitet«, erklärte sie mit metallisch klingender Stimme. »Dann müssen wir die zentrale Leitstelle anrufen, damit die Störung beseitigt wird.« A.J. war neben Hen getreten. Er starrte die Programmiererin an, als sollte sie auf der Stelle tot umfallen. Sie sah seine Handbewegung nur im Ansatz. Dann fand sie sich auf dem Boden wieder. Er hatte sie tatsächlich geschlagen! Katja hielt eine Hand an ihren Mund. Sie wischte über die aufgeplatzten Lippen und blickte ungläubig auf das Blut in ihrer Handfläche. »Und das war erst der Anfang«, drohte der junge Heißsporn, der wie seine Kumpane zwischen 20 und 25 Jahren alt war. Er stellte seinen rechten Fuß auf ihre Schulter. Seine schweren, dreckigen Springerstiefel drückten sie auf den Boden. »Entweder, du kooperierst mit uns, oder dein Leben ist nichts mehr wert.« Das ist es doch sowieso nicht mehr, du Kretin, dachte sie voller Angst und Verachtung. ich alles gemacht habe was ihr wollt, tötet ihr mich. Kit drängte A.J. zurück. Er half Katja aufzustehen. 108 �
»Meine Kumpels sind heißblütig, das musst du verstehen«, erläuterte Kit mit ruhiger Stimme. Er hoffte, dass er auf die sanfte Tour weiterkam. »Sie meinen es nicht so, aber wenn du dich ständig weigerst uns zu helfen, dann kann ich dir auch nicht mehr beistehen…« Katja nickte langsam. Ihr Gesicht brannte vor Schmerz. Tränen liefen ihre Wange hinab. Schnell wischte sie die Tränen mit dem Ärmel weg. Sie gönnte es den Dreckskerlen nicht, sie weinen zu sehen. Das gebot ihr das bisschen Stolz, das sie ihr gelassen ahnten. »Schon gut«, erwiderte sie leise und wischte das Blut mit einem Taschentuch weg. »Ich helfe euch.« »Warum nicht gleich so?«, bellte A.J. sie an. »Du hättest dir einiges erspart.« Katja Leskow nahm die Karte wieder an sich. Gleichzeitig mit der Daten-Aktivierung drückte sie ihre Hand gegen den Datenleser. »Wenn ich die Hand länger als zehn Sekunden draufdrücke, werden meine persönlichen Daten gelesen und die Tür öffnet sich.« »Gut, das zu wissen.« A.J. grinste über das ganze Gesicht. »Wenn du dich das nächste Mal gegen unsere Befehle sperrst, schneiden wir deine Hand ab und sichern uns durch die Prints den Durchgang.« Und das meinte er genauso, wie er es sagte. * Sam McClude und John Haick befanden sich in der Falle! Vom Nebenzimmer des Hauptlabors führte kein Weg weiter. »Verdammt, wir befinden uns in einer Sackgasse«, fluchte Haick ausgiebig. Er blickte sich verzweifelt nach allen Seiten um. 109 �
»Wir sind denen ausgeliefert.« »Sind wir nicht«, widersprach Professor McClude. »Katja ist denen ausgeliefert, wir nicht. Wir können abhauen.« »Aber…« »Aus Sicherheitsgründen besitzt jeder Laborraum einen Notausgang«, erklärte McClude und zeigte auf das typische Schild. »Hau ab und benachrichtige Rex über diese Schweinerei.« »Aber…« »Aber, aber, aber. Nichts aber. Tu, was ich dir sage.« »Und was wird aus dir?« Der Gelehrte biss sich auf die Unterlippe. Er zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. »Das weiß ich noch nicht. Aber ich kann Katja nicht im Stich lassen.« Haick erbleichte. Er schrie den Professor an: »Und wenn die dich umbringen?« McClude sah ihn ratlos an. »Dieses Risiko muss ich eingehen, John.« Dann hieb er dem Astrophysiker auf den Rücken und sagte: »Rex muss wissen, was hier abläuft. Hau ab und lass dich nicht hier blicken, solange die noch da sind.« * Katja Leskow starrte auf ihre rechte Hand, die immer noch den Datenleser berührte. Sie sagte nichts. Die Drohung des Gangsters, ihr die Hand abzuschneiden, war ungeheuerlich. Ein leichtes Knacken ertönte, als die Tür aufsprang und sich einige Zentimeter öffnete. »Seid vorsichtig«, warnte Kit. »Wir wissen nicht, ob die bewaffnet sind.« Er hielt Katja als Schutzschild vor sich und rief in den Neben110 �
raum: »Professor McClude? Doktor Haick?« »Ich bin hier«, antwortete Sam McClude. Kit kniff die Augen etwas zusammen. »Und wo ist Ihr Begleiter?« »Der ist nicht mehr hier.« »Wenn Sie uns für dumm verkaufen wollen, sprengen wir die Forschungsstation in die Luft«, drohte Kit. »Was hätte ich davon, Sie anzulügen?«, fragte der Professor. »Kommen Sie herein und überzeugen sich davon, dass ich die Wahrheit sage.« Kit nickte seinen Leuten zu. A.J. und Hen stürmten sofort mit gezückten Waffen in den angrenzenden Raum. Dort fanden sie tatsächlich nur noch Professor McClude vor »Wo ist Ihr Begleiter?«, wollte Kit wissen. »Nun, er zog es vor, zu verschwinden«, erwiderte McClude bereitwillig. Dabei deutete er mit der Hand auf das Schild mit der Aufschrift 'NOTAUSGANG'. »Er ist dort hinaus.« »Und weshalb sind Sie noch hier?«, fragte Hen misstrauisch. »Ich kann doch meine Kollegin nicht alleine lassen«, lautete die Antwort des Biologen. Hen drehte sich auf der Stelle. Er sah seine Kumpane scharf an. »Hier stimmt etwas nicht!«, stieß er hervor. »Wir sitzen in der Falle.« »Beruhige dich«, forderte Kit energisch. »Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen. Wir gehen vor wie geplant.« »Bemerkst du denn nicht, dass da etwas nicht stimmt?« »Ich…« In diesem Augenblick ertönte eine Stimme über Lautsprecher: »Hallo, hier spricht Rex Corda, der Präsident der Erde. Sie haben meine Mitarbeiter gefangen genommen. Ich fordere Sie auf, Miss Leskow und Mister McClude unverzüglich freizulas111 �
sen.« »Sie haben nichts zu fordern oder zu verlangen, Mister Corda!«, knurrte Hen. »Wir haben Ihre Mitarbeiter in der Gewalt und sollte etwas passieren das uns nicht gefällt, dann können wir für nichts garantieren.« »Wir verlangen ungehinderten Abzug, Mister Corda«, mischte sich Kit in das Gespräch ein, ehe sein Kollege alles kaputt machte. »Unsere Forderungen bestehen aus erstens, einem Sonnengleiter mit genug Energie für mindestens zwölftausend Kilometer und zweitens der Formel für Becon. Drittens reagieren wir sofort wenn wir Verfolger bemerken. Dann wird einer Ihrer Leute sofort erschossen. Zu Ihrer Beruhigung kann ich eines versichern: wir halten Ihre Mitarbeiter nur solange gefangen, bis wir in Sicherheit sind.« »Moment, junger Mann…« Kit ließ ihn nicht ausreden. »Sollten wir bemerken dass uns jemand folgt, ist das Leben Ihrer Leute verwirkt. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt.« * »Die meinen es ernst«, sagte der Lithalonier Percip. Die Kerbe auf seiner Oberlippe schimmerte rötlich; deutliches Zeichen einer Mutation. »Was gedenken Sie, gegen die Verbrecher zu unternehmen?« »Salt Lake City ist nicht weit entfernt«, sagte Rex Corda bedächtig. Er strich sich mit einer Hand durch das dunkelblonde Haar. Selbst er musste zu Percip aufblicken; der Lithalonier war mit 2,04 Meter um zwölf Zentimeter größer als er. »Wir haben einen Sonnengleiter bereit gestellt«, meldete sich der Leiter der polizeilichen Eingreiftruppe über Videophon. Er klärte einige offene Fragen bezüglich des kommenden Einsatzes 112 �
mit Corda ab. »Ich werde mit einem Sonnengleiter nach Salt Lake City fliegen«, bestätigte Corda Percips Vermutung, nachdem er die Verbindung gelöscht hatte. »Hier vom NORAD aus ist das ein Flug von etwas mehr als zwei Stunden.« NORAD, die unterirdische Kommando- und Ortungszentrale der amerikanischen Streitkräfte sowie der Zentralgefechtsstand des 'Nordamerikanischen Luftverteidigungskommandos' lag in der Nähe von Colorado Springs. »Wir werden fliegen«, verbesserte ihn der technische Kommandant der Walter Beckett, einem eroberten Orathonen-Raumer. »Gemeinsam. Und zwar mit einem Ponta. Das geht schneller.« Die Art wie er es sagte, duldete keinerlei Widerspruch. Rex Corda war es recht. Wenn er einen Freund bei den Außerirdischen hatte, dann war es der ehemalige Agent im Dienste Laktons. Der auf dem Kolonialplaneten Lithalon geborene Percip war vom Charakter her ruhig und ausgeglichen. Es war schwer vorstellbar dass es etwas gab, das ihn aus der Ruhe brachte. Kurz darauf saßen sie in einem Ponta und flogen Richtung Salt Lake City. * Die Bereitstellung des Fluchtgefährts hatte nur wenige Minuten gedauert. Der Sicherheitsdienst hatte sich zurückgezogen, um Sam McClude und Katja Leskows Leben nicht zu gefährden. Hen und Kit stiegen mit ihren Gefangenen in den bereitgestellten Sonnengleiter. Es war früher Morgen, die Sonne würde in wenigen Minuten aufgehen. A.J. ließ es sich nicht nehmen und untersuchte das Untere des Gleiters auf eventuell vorhandene Peilsender. 113 �
»Komm endlich an Bord, du Narr«, forderte ihn Hen zum wiederholten Mal auf. A.J. kniete unter dem Gleiter und ließ den Lichtstrahl seiner Taschenlampe hin und her kreisen. »Ich traue Corda nicht weiter über den Weg, wie ich ihn werfen kann«, zischte er. Ein Knurren aus dem Hintergrund schreckte A.J. auf. Er zuckte zusammen und leuchtete mit der Lampe in die Richtung, aus der der Knurrlaut kam. »Steig ein, sonst fliegen wir ohne dich.« Als A.J. den Rat seines Kumpans befolgen wollte, landete etwa schweres auf seinem Rücken. Spitze Zähne verbissen sich in seiner Schulter. A.J. schrie auf und schlug mit dem freien Arm nach hinten. Ein Jaulen zeigte, dass er getroffen hatte. Gleich darauf schoss Hen aus dem Sonnengleiter auf den Schäferhund, ohne ihn zu treffen. Erneut verbiss sich der Hund in der geschundenen Schulter. Zwei weitere Schüsse folgten dem ersten. Sie richteten genauso wenig Schaden an. Zersplitterte Steine flogen in die Luft, ohne A.J. und seinen Angreifer zu gefährden. »Pass auf, Nukleon«, rief eine Männerstimme von der Forschungsstation her. A.J. trat nach dem Hund und traf ihn an der Flanke. Nukleon heulte erneut auf. »Lass den Narren hier«, befahl Kit, der am Gabelsteuer saß. Er ließ den Sonnengleiter einige Meter aufsteigen. Hen nickte mit grimmigem Gesichtsausdruck. Auch auf diesen Fall hatten Kalundes Einsatzkräfte sie vorbereitet. Nukleon, der telepathisch begabte Schäferhund, schrak zusammen. Er beeilte sich mit einem Mal, möglichst weit weg von A.J. zu gelangen. 114 �
»Eliminiere ihn. Sonst wird A.J. von unseren Feinden gefoltert.« Kalunde sprach mit beschwörender Stimme. Sein Befehl musste unbedingt ausgeführt werden. »Tut mir leid, Bruder«, flüsterte Hen. Tränen standen in seinen Augen. Am liebsten hätte er sich den Ohrhörer herausgerissen und fortgeworfen. Innerlich sträubte er sich gegen das, was er gleich machen musste, doch er hatte keine Chance gegen die geistige Konditionierung. Er schoss auf das Medaillon, das A.J. an einer Kette um den Hals trug. Kit und Hen trugen Kopien dieses Schmuckstücks, das in Wirklichkeit Sprengstoff orathonischer Fertigung enthielt. Jakto Javan hatte dafür gesorgt, dass kein Verdacht auf die Laktonen fiel. Eine Explosion zerriss den muskelbepackten Körper des afrikanischen Söldners. Im Fond des Sonnengleiters blickten sich Sam McClude und Katja Leskow betroffen an. Die harte Reaktion ihrer Entführer schockierte sie. Hen verschloss mit einem Knopfdruck die offene Tür des Gleiters. Kit beschleunigte den Sonnengleiter mit Höchstgeschwindigkeit. Er schlug gleich Richtung Mittelamerika ein. Dass sein Ziel Afrika war, würde er niemand auf die Nase binden. »Jemand zu sehen?«, erkundigte er sich bei seinem Kompagnon. Hen schaute durch sein Fernglas. Er suchte nach etwaigen Verfolgern. »Bis jetzt nicht«, antwortete er nach kurzer Zeit. Kit aktivierte den Mittelschutz zwischen der vorderen und der hinteren Sitzreihe. Außerdem verriegelte er die Türen. »Damit keiner auf dumme Gedanken kommt«, sagte er. Jetzt sind wir ihnen ausgeliefert, durchfuhr es Professor McClude. Es gibt keine Chance mehr, zu fliehen. Der Flug verlief für etwas mehr als eine Viertelstunde vollkom115 �
men ruhig. »Corda gehorcht aufs Wort«, lachte Hen. »Kein Sonnengleiter und kein Flugzeug weit und breit zu sehen.« »Ich traue ihm nicht«, warf Kit ein. »Er ist ein gerissener Fuchs.« »Was sollte er wohl ausrichten, wenn wir seine Lieblinge in unseren Händen haben?« Hen grinste zufrieden. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er alles versuchen wird, uns an der Landung am Bestimmungsort zu hindern.« Hen lachte laut auf. Vielleicht auch, um seine Nerven zu beruhigen. »Alter Schwarzseher«, warf er seinem Kollegen vor. »Weshalb sollten wir keinen Erfolg haben?« »Daran glaube ich erst, wenn alles vorbei ist.« Die nächsten Minuten herrschte Stille. Weder sagten die Entführer ein Wort noch ihre Opfer. Und mit einem Mal passierte es! »Kit! Sieh nur!«, rief Hen. Der Pilot des Sonnengleiters schreckte verstört auf. Sein Begleiter zeigte mit bebender Hand auf das Armaturenbrett, auf dem ein faustgroßes, orangenes Licht flackerte. »Massenortung! Jemand kommt uns entgegen!« Kit war für einen Augenblick wie versteinert. Unwillkürlich richtete er seine Blicke zum Himmel. Wenn, dann musste das Inferno eines heranstürmenden Flugzeugs von dort kommen. Dann sah er es! Kits Hand krallte sich unwillkürlich in die Schulter Hens. Der Mann zuckte zusammen. Seine schwarzen Finger glitten über die gelbe Transparentleiste. Augenblicklich wurde das Dach vollständig durchsichtig. Kit erschauerte. Ungläubig starrte er in den Himmel hinauf. Ein schlankes, metallglitzerndes Stäbchen jagte über den blauen 116 �
Horizont. Von Sekunde zu Sekunde wurde der silberne Diskus mit den angeflanschten Deltaflügeln größer. »Der sieht aus wie ein überdimensionaler fliegender Tropfen«, murmelte Katja Leskow. Kit wischte sich über die Augen. Dann sah er Hen an. Für einen Augenblick hoffte er, der Freund habe sich einen seiner geschmacklosen Scherze einfallen lassen. Mit einem kleinen Trick war es für Experten möglich, den Himmel, das innere Dach eines Sonnengleiters als Bildschirm zu präparieren. Doch Hen war aschgrau im Gesicht. Unzählige Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. »Brems ab!«, verlangte Hen. »Was soll ich? Das meinst du doch nicht im Ernst!« »Du sollst abbremsen und etwas tiefer gehen, habe ich gesagt.« »Ich denke nicht daran«, stellte Kit klar. »Sobald wir weiter runter gehen, können die uns zur Landung zwingen. Aber wenn wir oben bleiben haben wir ihre Täubchen als Druckmittel.« »Vorsicht!«, brüllte Hen laut auf. Da war der Ponta auch schon heran. Hen sah sie im Geist schon mit dem Gleiter laktonischer Fertigung kollidieren. Die Gefangenen auf den Rücksitzen klammerten sich voller Angst aneinander. Kit verriss das Gabelsteuer, der Sonnengleiter geriet ins Trudeln. Doch nach wenigen Sekunden hatte Kalundes Söldner die Steuerung wieder im Griff. »Verdammt noch mal, wo sind sie?«, stieß er hervor, als er den Gleiter wieder auf Kurs gebracht hatte. Sam McClude auf dem Rücksitz konnte gerade noch ein Stöhnen unterdrücken als er bemerkte, wo der Ponta flog. Er machte Katja Leskow mit einer unauffälligen Handbewegung darauf aufmerksam. Doch auch Hen hatte schon gesehen, wo sich der fliegende Diskus befand. »Kit! Die sind über uns!«, schrie er mit überschlagender 117 �
Stimme. Der Pilot sah kurz auf den Himmel des Sonnengleiters. Eine eiskalte Faust schien seinen Magen zusammen zudrücken. Der Ponta befand sich höchstens zwei Meter über dem Sonnengleiter, und der laktonische Pilot hielt die derzeitige Geschwindigkeit von 580 km/h genau ein. Mit größter Selbstbeherrschung schaffte es Kit, sich wieder auf den Flug zu konzentrieren. »Wie macht der das nur?«, raunte er im Selbstgespräch. »Ich übernehme«, befahl Hen. Mittels eines Alarmschaltung konnte das Gabelsteuer von beiden Seiten der ersten Sitzreihe aus bedient werden. Eine der Teleskopstützen des Ponta wurde ausgefahren. Sie berührte den Sonnengleiter nur leicht, doch reichte das schon aus, um den Gleiter ins Schaukeln zu bringen. Hen nahm etwas Geschwindigkeit weg, er ging ein wenig tiefer, außerdem drehte er sofort nach links ab. »Pass auf die Berge auf!« Der Einwurf war berechtigt. Die Rocky Mountains waren hier über 3000 Meter hoch, und der Sonnengleiter flog extrem tief. Bei der jetzigen Geschwindigkeit musste Hen noch vorsichtiger agieren als sonst. Er wusste, dass er gegen den Ponta keine Chance hatte, trotzdem ließ er den Sonnengleiter während des Fluges um die eigene Achse kreiseln. Er stabilisierte den Flug, ging noch etwas tiefer und fegte gleich darauf nach rechts weg. Kit hielt den Atem an. Einen solchen Flug hatte er noch nie erlebt. Er erkannte neidlos an, dass Hen der beste Pilot war, der je existierte. Wenige Meter von ihnen entfernt flogen die Felsen förmlich vorbei. »Hier Rex Corda«, kam die Stimme des Präsidenten aus dem Videophon. Kit hatte nur die Sprechverbindung aktiviert. Er wollte ihre Identifizierung verhindern. »Meiner Meinung nach 118 �
haben Sie keine Chance zu entkommen.« Kit sah seinen Kumpan an. Hen zeigte nach hinten auf die Gefangenen. Er aktivierte die Bildverbindung. »Glauben Sie wirklich, dass wir aufgeben werden, Corda?«, fragte Hen. »Das werden weder mein Freund noch ich machen.« Rex Corda blickte Hen erschrocken an. Er wollte nicht glauben, was er sah. »Hendro? Bist du das wirklich? Hendro Rimmin?«, stammelte er. Er kniff seine blauen Augen zusammen, als zweifelte er an dem, was er sah. »Das kann nicht sein.« Hen lachte auf, aber sein Lachen verhieß nichts Gutes. »Es kann sein und es kann doch nicht sein, Corda«, erklärte er während er versuchte, dem Ponta zu entkommen. »Du bist jünger als Hendro…« »Ich bin Hendro Rimmin junior«, sagte Hen und wusste gleichzeitig, dass diese wenigen Worte bei Corda wie eine Bombe einschlagen würden. »Und du, Corda, trägst die Schuld am Tod meines Vaters…« * Die ersten Sekunden nach dieser Eröffnung waren purer Schock. Rex Corda war beileibe nicht auf den Mund gefallen, aber die Demaskierung von Hendro Rimmins Sohn traf ihn ins Innerste. Rimmin war Cordas Fahrer und Leibwächter gewesen, damals, als er noch nicht Präsident der Erde war, sondern einfacher amerikanischer Senator und Vorsitzender des US-Verteidigungsausschusses. Damals… Es schien Rex manchmal, als ob dieses 'damals' Jahrhunderte her war, fast wie in einem anderen Leben – dabei war noch nicht einmal ganz ein halbes Jahr seitdem vergangen. 119 �
(siehe Rex Corda Nummer 1: ›Die Stunde Null‹) »Hören Sie Hendro, das ergibt doch keinen Sinn«, versuchte Corda den Sohn seines Freundes zu beschwören. »Für mich schon«, sagte Hen. »Und damit ist die Sache für mich erledigt.« »Was soll das heißen?« »Du oder ich, Corda. Nur einer von uns kann weiterleben.« »Ihr Vater wäre nie damit einverstanden.« Hen lachte wieder verächtlich. »Mein Vater war auch nicht damit einverstanden, dass du ihn umgebracht hast«, behauptete er. »Was?« Corda war erschüttert. »Das stimmt nicht, Hendro. Es war ein Unglücksfall gewesen, der sich während der Invasion der Lakto…« »Geschwätz!«, fauchte Hen. »Leb wohl, Corda.« Damit schaltete er die Videophonverbindung ab. Er wollte sich nur aufs Fliegen konzentrieren. Er erhöhte die Geschwindigkeit und drückte den Sonnengleiter weiter nach unten. Lange konnte der Flug nicht mehr gut gehen. * »Der Mann ist wahnsinnig«, sagte Fatlo Bekoval. Der hochgewachsene Laktone wirkte fett, obwohl er nur ungewöhnlich kräftig war. Er presste die ohnehin schmalen Lippen zusammen, dass sie wie ein Strich wirkten. Auf den ersten Blick wirkte er klobig und ungehobelt, und es machte ihm Spaß, dass das Fremde von ihm glaubten. »Zweifellos«, bestätigte Rex Corda. Der Schock saß ihm immer noch tief in den Gliedern. Drei weitere Pontas kamen heran. Sie kreisten den Sonnengleiter ein. 120 �
»Wir dürfen McClude und Leskow nicht gefährden«, beschwor Corda seine außerirdischen Verbündeten. Er hatte nur Kontakt aufgenommen weil er hoffte, mit den Entführern verhandeln zu können. »Wir brauchen beide, um mit dem Becon weiterzukommen«, bestätigte Percip. »Halten wir ihn doch mittels Traktorstrahl fest«, schlug Bekoval vor. »Und ich gehe rüber«, grinste Percip. »Wenn Ga-Venga hier wäre, könnte man ihn wenigstens als Geschoss verwenden…« Trotz des Ernstes der Lage musste Corda schmunzeln. Der kynothische Dolmetscher würde sich ärgern, dass er diesen Einsatz nicht mitmachen konnte. Die vier Pontas hielten den Sonnengleiter mittels gebündelter Traktorstrahlen fest. Percip verzog das Gesicht. »Der ist gar nicht so dumm«, sagte der Lithalonier. »Er hat sofort bemerkt, dass er keine Chance gegen uns hat. Das Triebwerk wurde ausgeschaltet.« »Was?« Corda war erschrocken. »Solange die noch Ausbruchversuche machen sind unsere Wissenschaftler in Sicherheit, aber so…« »Sie meinen wirklich…?« Bekoval sprach seinen Verdacht nicht aus. Bevor Corda antworten konnte, ließ Percip sich aus der Schleuse aus zwei Meter Höhe auf das Dach des Sonnengleiters fallen. Trotz seiner Masse kam er auf allen vieren wie eine Katze auf. Er zog einen Blaster aus dem Gürtelholster und brannte ein Loch in das erste Drittel vom Dach des Sonnengleiters. Kit öffnete das Seitenfenster und versuchte, auf Percip zu schießen. Corda gab ihm Feuerschutz, während Fatlo Bekoval das Steuer übernahm. »Das ist verdammt gefährlich«, rief Corda Bekoval zu. »Wir 121 �
gefährden die Gefangenen und Percip.« »Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen«, gab der Laktone zur Antwort. »Sie wissen, dass Rettungsaktionen bei uns nach einem anderen Schema ablaufen als bei Ihnen. Wir leisten uns keine Sentimentalitäten.« Corda erwiderte nichts darauf. Er konzentrierte sich auf den Lithalonier und auf die vier Menschen im Sonnengleiter. Percip vergrößerte das Loch mit seinem Blaster. Kit schoss zweimal auf ihn, glücklicherweise flogen die Patronen nur wenige Zentimeter an ihm vorbei. Als Percip sah, dass der Schwarze nachladen musste, setzte er alles auf eine Karte. Er schwang sich mit den Füßen voran durch das Loch im Dach in die Fahrgastzelle. Er wusste, dass er nicht ganz durch das Loch passte, dessen Ränder noch glommen, aber er wollte den Schützen überraschen. Ein lautes Knacken verriet ihm, dass er Kit empfindlich getroffen hatte. Sofort zog er die Füße wieder zurück, damit ihn der Pilot des Gleiters nicht beschießen konnte. Gerade noch rechtzeitig, denn gleich darauf schoss Hendro zweimal auf ihn, ohne Percip zu gefährden. Der Lithalonier, an eine Schwerkraft von 1,5 Gravos gewöhnt, sprang ohne Anlauf hoch zum Ponta. Er zog sich an der Schleuse hoch und war gleich darauf im Inneren des Landetellers verschwunden. »Was ist jetzt, Hendro?«, fragte Corda über Videophon. »Das außerirdische Schwein hat Kit das Genick gebrochen«, klagte Hendro Rimmin Junior. »Ergeben Sie sich, Hendro«, forderte Rex Corda. »Das ist das vernünftigste, was Sie machen können.« »Nie im Leben«, sagte Hen, und es hörte sich an wie ein Schwur. »Wenn Sie dich erwischen ist es aus mit dir. Stirb mit Ehre!«, häm122 �
merte es aus dem Mini- Lautsprecher des Ohrknopfs. Eine Stichflamme zuckte aus dem Loch auf dem Gleiterdach. Der Sonnengleiter wurde hin und her geschüttelt. Die Traktorprojektoren der Pontas hatten alle Mühe, ihr Objekt einigermaßen festzuhalten. Die Energien wurden kurzfristig vorne und hinten verstärkt. »Das haben wir beim anderen schon gesehen«, erklärte Percip unbeeindruckt. »Ein faustgroßes Medaillon, das Sprengstoff enthält.« Es handelte sich dabei um Kits Schmuckstück. Kalunde hatte es ferngezündet, aber das wussten die Insassen des Ponta nicht. »Kein irdischer Sprengstoff ist in solch geringer Dosierung so wirkungsvoll«, widersprach Corda. »Laktonischer schon«, warf Fatlo Bekoval ein. Er überlegte, ob er seine Mutmaßung mitteilen sollte. »Und… orathonischer auch.« »Ein menschlicher Körper ist aus dem Gleiter gefallen«, meldete einer der beiden anderen Pontapiloten. »McClude oder Leskow?« Deutlich war Rex Cordas Angst um seine Mitarbeiter herauszuhören. »Weder noch«, erhielt er als Antwort. »Es handelt sich um…« Eine Explosion zerriss den aus 500 Meter Höhe herabfallenden Hendro Rimmin. Er hatte sich in dem Augenblick aus dem Sonnengleiter gestürzt, als die Traktorprojektoren ihren Einsatzradius wechselten. Lieber wollte er sterben, als seinem vermeintlichen Todfeind in die Hände zu fallen. Dabei hatte er nur einen Todfeind besessen, und das war der Erhabene Randa Evariste Kalunde. Ausgerechnet der Mann, für den er sein Leben weggeworfen hatte. Sam McClude und Katja Leskow wurden aus dem Fond des Sonnengleiters befreit und an Bord von Cordas Ponta gebracht. Sie würden sich erst von diesem Schock erholen müssen. 123 �
»Gescheitert!«, sagte Rex Corda, als er sah, dass die anderen zwei Pontas den Sonnengleiter zu Boden schweben ließen. Die Einsatztruppe des Geheimdienstes würde ihn dort abholen und zu klären versuchen, wer hinter der ganzen Aktion steckte. Er lächelte verbittert, als er den entsetzten Blicken von Leskow und McClude begegnete. Er ließ sich in die weichen Polster des Ponta fallen. Percip und Bekoval flogen den Mini- Landeteller zurück nach Colorado Springs. * Im Dschungel Afrikas Die Funkverbindung stand bis zur letzten Sekunde ausgezeichnet. Sie hätte nicht besser sein können, obwohl sich der Sender über zehntausend Kilometer entfernt befand. Laktonische Technik machte es möglich. Die drei Männer im so genannten kleinen Saal hatten jedes Wort klar und deutlich gehört. »Nun, was sagt ihr dazu, meine Herren?« Randa Evariste Kalunde war mit sich und der Welt zufrieden. Er legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander, dass es wie eine Pyramide aussah. »Wenn nötig, müssen alle unsere Gegner eliminiert werden«, rezitierte Kalunde. »Das war doch genial gewesen. Es ist zwar schade um die guten Leute… aber der Zweck heiligt die Mittel.« »Der Plan hat geklappt«, sagte Nagalla Udande anerkennend. »Mein Plan hat geklappt«, berichtigte ihn der gefallene Diktator. In letzter Zeit hechelte er geradezu nach Anerkennung. Der Jubel seines Volkes und gewisse Bauchpinseleien fehlten ihm mehr, als er es sich selbst gegenüber zugeben wollte. »Selbstverständlich Ihr Plan, Erhabener«, stand Toan Collong ausnahmsweise seinem Kollegen bei. »Das meinte Nagalla auch bestimmt. Aber wir hatten die Ehre, die Ausarbeitung zu beglei124 �
ten.« Kalunde zog die Stirn in Falten. Das galt als ein schlechtes Zeichen. »Das macht uns so stolz, als hätten wir selbst die Idee dazu gehabt«, beeilte sich Collong zu versichern. Dabei bebte sein massiger Körper noch mehr als sonst. Schleimer, sagte Udandes Blick. Collong verzog leicht das Gesicht, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann zuckte er andeutungsweise mit den Schultern. Mir ist egal, was du dazu denkst, hieß das. Jeder war sich selbst der Nächste und Collong wäre dumm gewesen, hätte er nicht zu solchen Mitteln gegriffen. In dieser Hinsicht war er weitaus flexibler als sein erzkonservativer Kollege. Er war eben ein richtiger Politiker. Kalunde winkte ab. Er hatte jetzt andere Sorgen. »Mein Ablenkungsmanöver war ein voller Erfolg«, lachte er. »Aber wie sieht es mit dem Objekt unseres Einsatzes aus?« »Da ist alles in Ordnung, Erhabener«, antwortete Nagalla Udande. Die Augen des kleinen Mannes glänzten vor Stolz, das einzige Zeichen emotionalen Ausdrucks, das er sich anderen gegenüber gestattete. Er aktivierte das Hauptvideophon des kleinen Saales. Auf dem großen Bildschirm erschienen mehrere Beiboote der Laktonen mit Unmengen an technischen Hilfsgütern. Mehrere Bedienungsroboter der Ba-3-Klasse halfen beim Ausladen. Jakto Javan hatte Bescheid gewusst über Kalundes Plan, Corda und ihm freundlich gesinnte Laktonen über Nordamerika abzulenken. Dass dabei der Sohn von Cordas ehemaligem Mitarbeiter gegen seinen Willen mitspielte, machte die ganze Angelegenheit nur umso delikater. Der ehemalige Diktator hätte sogar alle drei Sprengstoffbehälter in den Medaillons über die Funkverbindung fernsprengen können. Aber das hatte Kalunde weder seinen Ein125 �
satzkräften noch seinen Beratern verraten. »Wie fühlen Sie sich, Erhabener?«, fragte Toan Collong. Es war das tägliche Ritual, das immer um die gleiche Zeit durchgeführt wurde. Randa Kalunde schloss genüsslich die Augen. Er lehnte sich in seinem überaus prunkvoll verzierten Sessel zurück. »Rex Corda hat eine Niederlage erlitten«, sinnierte er keckernd. »Und die versprochene Hilfeleistung der Laktonen ist eingetroffen, ohne dass jemand etwas davon bemerkt hat.« Er beugte sich leicht vor, ergriff sein Glas und trank einen Schluck besten Südafrikanischen Weines. »Wie ich mich fühle, fragst du? Heute war ein schöner Tag«, sagte er zufrieden.
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5. � »Auch vom Feind kommt häufig ein guter Rat.« (Aristophanes, 445 – 385 v. Chr., griechischer Dichter) Mitte März 1993 Das wohl entscheidendste Ereignis in der Zeit nach meiner Vertreibung geschah zu jener Zeit. Ich machte den größten Fehler meines Lebens, als ich Moratti befahl, Fremde zu uns zu holen. Um wen es sich dabei handelte, wusste ich sofort. Aber ich dachte nicht, dass alles so verknüpft miteinander war. Nun, aus Schaden wird man klug. Ein zweites Mal würde ich so etwas nicht mehr machen. Trotzdem war es für mich ein Gewinn, obwohl ich zwei herbe Verluste hinnehmen musste. Aber Menschenleben kann man leicht ersetzen… Der Verlust eines Ortes, der für eine gewisse Zeit Sicherheit versprach, wiegt da weitaus schwerer… Auszug aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde * Statisches Rauschen drang aus den Lautsprechern der FunkZentrale. Der Funker vom Dienst wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Luftfeuchtigkeit betrug einhundert Prozent um die Dschungelfestung herum, und das Atmen bereitete ihm Schwierigkeiten. Dazu kam der muffige Geruch, der in diesem Teil der Festung vorherrschte. Selbst noch so starkes Lüften konnte keine 127 �
Besserung bringen. »Na komm schon, Baby«, krächzte er und stand von seinem Drehsessel auf. Er blickte unwillig auf die Displays seiner Instrumente. »Was sollen denn diese Zicken?« Er schlug mehrmals mit der Hand gegen den Funkempfänger. »Verdammter Scheißkasten!«, fluchte er, als er sich wieder setzte. »Und da heißt es immer, dass Laktonentechnik unserer weit überlegen sein soll. Pah…« »Was ist los, Kana?«, ertönte eine kehlige Stimme hinter ihm. Es handelte sich um den Cheffunker der Dschungelfestung. Der Angesprochene drehte sich nur kurz um und nickte dem Ankömmling zu, dann blickte er wieder auf sein Instrumentarium. Fast schon anklagend zeigte er mit der Hand auf das Funkgerät. »Ich empfange auf allen Frequenzen nichts als Rauschen«, beklagte er sich. »Auch auf den Oszillos ist nichts zu sehen. Dabei müsste die Leistung nach Einbau des laktonischen Geräts dreimal höher liegen als vorher.« Der Cheffunker beugte sich vor und begutachtete die Anzeigen. Nach wenigen Sekunden hatte er die Prüfung beendet. Er schüttelte den Kopf. »Das ist alles so, wie es sein soll«, wunderte er sich. »Sag ich doch.« Kana schlug mit geballter Faust auf den Rand des geschwungenen Tisches dass seine Kaffeetasse und der Kugelschreiber einige Zentimeter hoch sprangen. Der Cheffunker kniff die Augen so fest zusammen, dass seine Brauen ein Eigenleben zu führen schienen und sah Kana streng an. »Nimm dich gefälligst zusammen!«, herrschte er seinen Untergebenen an. Kana presste die Lippen zusammen und hütete sich davor, seinem Chef zu widersprechen. Für einige Sekunden herrschte 128 �
Stille in der Funk-Zentrale. Die Stille wurde von einem bekannten Knistern unterbrochen. In dieses Knistern mischte sich eine Stimme. »Der Scheißkasten geht wieder«, staunte Kana. »Aber wer ist…« »Ruhe!«, forderte der Cheffunker. Seine Handbewegung dazu war eindeutig. Das Knistern und Knirschen verstärkte sich noch. Die Stimme des unbekannten Sprechers wurde teilweise total überlagert. Dann wieder war er perfekt zu verstehen. »… wenn du das erleben willst, dann musst du unter dem Himmel suchen…«, klang es aus dem Lautsprecher. Der Unbekannte am anderen Ende der Funkverbindung sprach fast akzentfrei. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Kana. Er wischte sich mit dem Ärmel seines Uniformhemds über die Stirn. Er blickte seinen Vorgesetzten an und bemerkte erfreut, dass der nicht weniger schwitzte als er selbst. Sogar unter den Achseln färbte sich das Hemd dunkler. Dazu stank er penetrant nach altem Schweiß. »Wenn ich das wüsste.« Der Cheffunker kratzte sich ratlos am Kinn. Er überlegte kurz, dann nickte er. »Major Moratti soll unverzüglich in die Funk-Z kommen«, befahl er. Nur drei Minuten später tauchte der Major in der Funk-Zentrale auf. Moratti war aufgrund seiner Verdienste befördert worden. In Wahrheit war er der oberste Leibwächter von Kalunde und der Ex-Diktator wollte ihm so seine Dankbarkeit beweisen. Moratti stellte keine langen Fragen, als er den Bericht des Cheffunkers vernahm. Er wunderte sich über den Ausfall des angeblich störsicheren laktonischen Funkgeräts. »Ob uns da jemand einen Streich spielt?«, fragte er mehr sich selbst als die beiden in der Funk-Zentrale befindlichen Männer. 129 �
»Kann es sein, das ein Unbekannter unseren Funk stört und uns nur bestimmte Sprüche hören lässt?« Kana und sein Vorgesetzter sahen sich an. Sie schüttelten die Köpfe. »Das halte ich für sehr weit her geholt«, antwortete der Chef. »Das würde bedeuten, dass jemand über uns Bescheid weiß.« »Die Laktonen wissen über uns Bescheid«, sagte Moratti. Gleich darauf relativierte er seine Aussage: »Wenigstens Noltans Rebellen.« Dann gab er Befehl, dass sie sich die Aufzeichnung des Funkspruchs anhörten. »… aber Perle alles Schwarzen, wenn du das erleben willst, dann musst du unter dem Himmel suchen… Und der Himmel wird sich auf das Auge deiner Welt niederlassen…« »Das Auge deiner Welt«, echote Kana. »Was meint der Spinner damit?« »Ruhig!«, befahl Moratti. »Ich will hören, was er noch sagt.« »… Perle alles Schwarzen, wenn du sehen willst, wie sich der Himmel auf das Auge deiner Welt niederlässt, dann antworte mir…« Der Cheffunker beendete die akustische Wiedergabe. »Das ist alles, was wir haben, Herr Major«, sagte er. »Perle alles Schwarzen«, überlegte Rigo Moratti laut. »Damit kann nur der Erhabene gemeint sein. Und ich glaube ich weiß, wen der Unbekannte mit unter dem Himmel meint.« Kana und der Cheffunker sahen ihn fragend an, doch Moratti lächelte auf eine seltsame Art. Damit war klar, dass er seine Vermutung vorerst noch nicht sagen würde. »Aber was bedeutet das… Und der Himmel wird sich auf das Auge deiner Welt niederlassen…« Kana war so gefangen von dem Rätsel, dass er die Schwüle in der Funk-Zentrale nicht mehr bemerkte. »Das Auge in der Welt des Erhabenen? Was soll das sein?« Der 130 �
Cheffunker beteiligte sich an der Spekulation. »Was auch immer«, mischte sich Moratti ein. »Wir werden es erst dann erfahren, wenn ich nachfrage.« »Bei wem?« »Natürlich beim Erhabenen!« * Es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Noch nicht einmal den Sonnengleiter, der nur wenige Meter nebenan stand. Rigo Moratti saß in seinem Sonnengleiter und verkniff sich einen lauten Fluch. Er schüttelte nur den Kopf. Natürlich wurde er wieder mit dieser Spezialaufgabe betraut – so wie immer. Auf der einen Seite fühlte er sich durch das Vertrauen seines Idols geehrt. Andererseits hatte er nichts dagegen, wenn sich seine Kameraden auch einmal durch besonderen Mut und Umsicht auszeichnen wollten. Die beiden Sonnengleiter hatten ihre Lichter ausgeschaltet. So war es mit dem Unbekannten ausgemacht. Die Nachtsichtgeräte machten das Suchen nach der Zielperson erträglicher, obwohl Moratti es als ehemaliges Mitglied der Black Heroes als Schande empfand, derartige Hilfsmittel zu gebrauchen. Nach Rücksprache mit Randa Evariste Kalunde hatten sie dem Unbekannten geantwortet und in verschlüsselter Form Ort und Zeit ausgemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass es der Tanganjikasee ist. Moratti grinste leicht. Der Baikalsee als größter Süßwasserspeicher von Terra, wurde das Auge der Erde genannt. Was also lag näher, als den Tanganjika als zweittiefsten See das Auge deiner Welt zu benennen? Darauf muss erst mal jemand kommen. Moratti hatte Respekt vor der Treffsicherheit seines obersten Befehlshabers, denn er selbst 131 �
hatte beides nur erraten. Kalunde dagegen wusste sofort, um wen es sich bei dem Unbekannten handelte, und wo der Treffpunkt lag. »Wo bleiben die nur?«, zischte Nagalla Udande, der im Sonnengleiter neben ihm saß. Seine Worte wurden per Funk übertragen. Der Berater des Diktators hatte es sich nicht nehmen lassen, Moratti zum verabredeten Treffpunkt zu begleiten. »Haben Sie noch ein wenig Geduld«, bat Moratti. »Es kann nicht mehr lange dauern.« »Ihr Wort in Gottes Ohr«, grummelte Udande. Geduld zählte nur in Ausnahmefällen zu seinen guten Eigenschaften. Solange das Warten andere Personen betraf, machte es ihm nichts aus. Aber die Dunkelheit und die ungewohnte Situation zehrten an seinen Nerven. »Dort vorne, Herr Major.« Der Pilot des Sonnengleiters machte Moratti auf eine kaum wahrnehmbare Bewegung aufmerksam. »Hinter dem Wäldchen.« Moratti nickte anerkennend über die guten Augen seines Piloten. Er hatte die leichte Bewegung der Bäume erst nach einiger Zeit erkannt. »Beim Wäldchen vor uns ist etwas«, meldete er über Funk. »Etwas, oder… jemand…« »Ich sehe nichts.« Udande klang ärgerlich. »Wo genau soll das sein?« Moratti hielt eine Hand auf das Mikrofon, damit Udande ihn nicht hören konnte. Er beugte sich zu seinem Piloten hinüber. »Blind wie ein Maulwurf«, flüsterte er ihm ins Ohr. Der Pilot lachte leise. Nagalla Udandes Sehschwäche, besonders beim Lesen, hatte schon oft Stoff für Witze geboten. Aber der Berater des Ex-Herrschers von Afrika war zu eitel, Kontaktlinsen oder gar eine Brille zu benutzen. »Na dort«, sagte Moratti, nachdem er die Hand wieder vom 132 �
Mikrofon nahm. Eine weitere Bewegung erfolgte an der angegebenen Stelle. Ein Hund undefinierbarer Rasse von Terriergröße rannte aus dem Wäldchen. »Wie interessant«, bemerkte Udande ironisch. »Ich habe mir unsere Kontaktperson irgendwie anders vorgestellt.« Erneut hielt Moratti das Mikro zu. »Das war einer seiner berühmten Witze«, grinste er. Der Pilot prustete vor Lachen. Udandes Humorlosigkeit war berüchtigt. »Wie haben Sie sich die Kontaktperson vorgestellt? Etwa so?«, fragte Major Moratti, als sich ein Mann asiatischen Aussehens auf die Sonnengleiter zu bewegte. »Aber das ist ja…« »Tsien Hsia«, vollendete Moratti den angefangenen Satz. »Oder in unsere Sprache übersetzt: unter dem Himmel.« * »Wie ich sehe, musstest auch du Abstriche machen.« Tsien Hsias Stimme dröhnte durch den Besuchersaal der Dschungelfestung. »Aber ich muss zugeben, dass dein Exil den Umständen entsprechend luxuriös ist.« Seine Schritte hallten laut durch den Saal. Randa Kalunde stand am hinteren Ende des langen Beratungstisches. Er bewegte sich keinen Schritt auf seinen Gast zu, denn er wollte ihm gleich klarmachen, dass er hier das Sagen hatte. Tsien Hsias Miene wirkte gleichgültig, als würde ihm das nichts ausmachen, aber Kalunde kannte ihn besser. Er wusste, das es innerlich in dem Chinesen kochte. »Ich habe wenigstens noch ein Exil.« Kalunde konnte sich den Satz nicht verkneifen, da er wusste, wie er auf Hsia wirkte. Doch 133 �
der reagierte nicht darauf. Seine Beherrschung war mustergültig. Er reichte seinem Kollegen die Hand und blickte ihm dabei freundlich ins Gesicht. Der ehemalige Marschall und Parteisekretär der kommunistischen Partei Chinas strich sich mit einer fahrigen Bewegung über die strähnigen weißen Augenbrauen. Sein rotes, rundes Gesicht wirkte eingefallen. Der weißhaarige, mittlerweile 44 Jahre alte Ex-Herrscher über mehr als drei Milliarden Menschen liebte es, von einem prunkvollen Zeremoniell umgeben zu sein. Nur hatte er im Laufe des letzten halben Jahres keine Gelegenheit gehabt, Prunk zu genießen. Das sah man auch daran, dass seine Finger nicht mehr so gut manikürt waren wie früher. Er war ständig auf der Flucht vor seinen Häschern. Dieses Schicksal teilte er mit Kalunde. Bloß hatte der Afrikaner es klüger angefangen als sein asiatischer Kollege. Mit insgesamt vier Sonnengleitern hatte Major Moratti ihn und seine Leute vom Tanganjikasee hierher geflogen. Die Gleiter flogen alle verdunkelt; keiner der Wageninsassen wusste, wohin sie geflogen wurden. Abgesehen von seinen beiden Leibwächtern, deren eigentliche Aufgabe schon seit Jahren darin bestand, Hsia dauernd mit Zigaretten zu versorgen, standen hinter ihm vier Männer aus seiner schwarzgekleideten Ex-Elitetruppe. Kalunde hatte gleich 25 seiner Leute aufmarschieren lassen. Das ist mein Bereich, und du kommst nur als Bittsteller, sollte das heißen. Der Chinese beobachtete, wie die Versammelten im Besuchersaal Platz nahmen, ehe er sich langsam setzte. Dann ließ er sich von einem Leibwächter eine Zigarette reichen, befestigte sie sorgfältig in einer elfenbeinernen Zigarettenspitze und nickte Kalunde zu, der neben ihm Platz genommen hatte. Der Besitzer der Dschungelfestung saß allein an der Stirnseite. Rechts neben ihm saßen Collong und Udande, daneben waren zwei Plätze 134 �
frei; links hatte Tsien Hsia Platz genommen. »Wie ich sehe, hast du immer noch dieselben Vorlieben«, lächelte Kalunde gewinnend. Aus seinem tiefschwarzen Gesicht blitzten die grellweißen Zähne. »Verpestest ständig die Luft, ohne deinen Gastgeber zu fragen, ob es ihm recht ist…« Tsiens Blick sprach Bände. Wer ihm das Rauchen verbieten wollte, nahm ihm die Lebenslust. Er lehnte sich im leidlich bequemen Plastikstuhl zurück und sog die Luft tief ein. Dabei zeigte er einen angewiderten Gesichtsausdruck. »Das ist nur gegen den Mief hier…« Kalunde blieb ruhig sitzen, aber Nagalla Udandes Gesicht lief rot an. »Der einzige Mief kommt von Ihren Sargnägeln!«, ereiferte er sich. »Wer hier als Gast weilt, sollte sich auch wie einer benehmen.« Tsien Hsia verzog keine Miene, als er sich verteidigte. »Was erlauben Sie sich? Ich…« »Ruhe! Alle beide!« Kalundes Stimme klirrte wie zerbrechendes Glas. »Wenn ihr es nicht schafft euch zusammenzureißen, löse ich die Versammlung sofort auf. Du, Nagalla, überlässt das Machtwort mir, und du«, damit wandte er sich an Tsien Hsia, »benimmst dich als das, was du hier bist: nämlich als Gast. Falls du das nicht kannst, beende ich die Versammlung auf der Stelle.« Das waren harte Worte, doch sie wirkten auf die Streithähne. Nagalla Udande saß kerzengerade auf seinem Stuhl, als hätte er einen Stock verschluckt. Man sah ihm an, dass er Widerworte geben wollte, sich aber nicht traute, gegen seinen Herrn und Meister anzugehen. Tsien Hsia hatte gerade einen tiefen Zug von seiner Zigarette genommen. Trotzdem hielt er die Luft an. Erst nach wenigen Sekunden blies er den inhalierten Rauch wieder aus. Er beeilte 135 �
sich, die erst halbgerauchte Zigarette im eilig herbeigestellten Ascher auszudrücken. Dann entfernte er die zerquetschte Kippe aus der Zigarettenspitze. »Geht doch!« Kalunde grinste wie ein Lausejunge, der gerade jemand einen Streich gespielt hatte. Er ließ einige Sekunden verstreichen, um die Spannung der Versammelten zu steigern. So hatte er es immer bei seinen Ansprachen gehalten. Er sprach erst als er der Meinung war, alles unter Kontrolle zu haben. »Willkommen bei den Verbannten, Herr Kollege.« Er drehte sich zur Seite und zeigte mit den Handflächen nach oben auf Tsien Hsia. »Deine Eskorte darf ich dabei natürlich nicht vergessen. Obwohl ich zugeben muss, dass sie schon einmal größer gewesen war…« Damit spielte er darauf an, dass der Marschall früher zumeist von mindestens zehn Leibwächtern umgeben war. »Viele meiner Leute wurden auf der Flucht aus China getötet«, gab Tsien Hsia mit heiserer Stimme zu. Was er nicht sagte war, dass er einige Mitglieder seiner früheren Einsatztruppe selbst wegen Befehlsverweigerung erschossen hatte. Als die Leibwächter sahen, dass das Volk sich gegen den Tyrannen erhob, wollten sie Fahnenflucht begehen. Und das konnte sich der ehemalige Parteivorsitzende nicht gefallen lassen. »Es ist immer traurig, wenn fähige Leute fallen«, sagte Kalunde. Gerade aus seinem Mund hörten sich diese Worte wie der reine Hohn an. Schließlich hatte gerade er schon etliche eigene Leute geopfert, nur um seine Stellung zu halten. Er wusste also genau, was Tsien Hsia mit seinen Worten meinte. Doch aus Angst vor seiner Rache getraute sich niemand, auch nur ein Widerwort zu sagen. »Aber unser Dank ist ihnen über das Grab hinaus gewiss.« »Das ist es«, hieb Tsien Hsia in die gleiche Kerbe. Er war kei136 �
nen Deut besser, als sein Vorredner. »Aber sie haben ihr Leben geopfert, damit wir weiterleben können. Ihr Opfer soll Ansporn für unsere weiteren Pläne sein.« Seine Finger vollführten kleine Trommelwirbel auf der Tischplatte. Er blickte seine Leibwächter an, dann Kalunde, schließlich wieder seine 'Zigarettenanzünder'. Man sah ihm förmlich an, dass er unter dem Nikotinverlust litt. »Aber daran sind nur Rex Corda und seine verfluchten außerirdischen Freunde schuld«, zischte Tsien ganz ohne asiatische Höflichkeit. »Wen meinst du?«, wollte Randa Kalunde wissen. Da er sich mehr von ihrem Gespräch versprach, bedeutete er seinem Gast, sich eine Zigarette anzuzünden. Einer der Leibwächter reichte Tsien Hsia ein Lungentorpedeo. Tsien beeilte sich, den Sargnagel in der Zigarettenspitze zu verankern. Mit zitternden Händen zündete er die Zigarette an. Nach mehrmaligem Inhalieren war er bereit, weiterzusprechen. »Na, wen wohl?«, fragte er in ätzendem Tonfall. »Ich meine diese verfluchten Laktonen mit ihren Hilfsvölkern.« »Mit solchen Worten solltest du bei uns vorsichtig sein«, warnte Randa Kalunde. »Warum denn das?« Tsien blickte seinen Gastgeber verständnislos an. »Weil die Laktonen seit neuestem unsere Freunde sind. Ebenso wie ihre Hilfsvölker…« »Ich verstehe nicht…« Randa Kalunde machte eine Handbewegung zu seinen Untergebenen an der Tür. Fassungslos sah Tsien Hsia, wie Rastor Noltan und Gen-Daro den Besuchersaal betraten. »Darf ich vorstellen?« Randa Kalunde lächelte über das ganze Gesicht. »Unsere wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Rex Corda…« 137 �
* � Etwa 150 km Luftlinie entfernt Über dem Dschungel kreiste ein Sonnengleiter, nicht weit von der Stelle entfernt, an der der damalige Hauptmann Moratti zum ersten Mal auf Rastor Noltan und Gen-Daro traf… Zwei Reporter befanden sich an Bord des Gleiters. »Herrschaften, ich will Fakten sehen. Fakten und Fotos, die einwandfreie Beweise liefern!«, hatte ihr Chef mit seinem Standardspruch gefordert, nachdem alle Versuche, etwas über Veras und Joans Verschwinden herauszufinden, gescheitert waren. Der Tod der beiden Reporter war schon über drei Monate her, aber bis zum heutigen Tag konnten weder Überreste ihres Sonnengleiters noch die Leichen gefunden werden. Es schien, als hätten Vera Groth und Joaquim Acero nie existiert. »Wenn ich mich richtig erinnere, dann haben Vera und Joaq ungefähr von hier aus ihren letzten Funkspruch gesendet.« Jorge deutete auf einen Punkt weit unter ihrem Gefährt. »Sie befanden sich zwar anderen Leuten auf der Spur als wir…« »Aber sie haben ebenso hilflos in ihrem Sonnengleiter gesessen wie wir jetzt.« Es war unüberhörbar, dass sein Partner Kant Angst hatte. Sie waren beide Reporter der Southafrican Press & News Agency, ebenso, wie ihre getöteten Kollegen. Sie hatten die Spur von Tsien Hsia durch ganz Asien und den halben afrikanischen Kontinent verfolgt. Am Tanganjikasee hatten sie die Spur des Chinesen verloren, nachdem der in einen Sonnengleiter gestiegen war. Jorge vermutete, dass es sich um einen technischen Trick der Laktonen handelte. »Es kann nur so sein«, behauptete er nach längerer Diskussion. 138 �
»Die Außerirdischen besitzen andere Möglichkeiten als wir.« Er wusste nicht, dass er damit hundertprozentig recht hatte. * Tsien Hsia blickte verächtlich auf den Laktonen und seinen kynothischen Begleiter. Mit einem Mal war es mit der Beherrschung des Chinesen vorbei. Er stand auf und zeigte auf Rastor Noltan. Der Oberleutnant und sein zwergenhafter Dolmetscher blieben am entgegengesetzten Ende des Tisches stehen. »Du machst Geschäfte mit diesem Abschaum?«, zischte Tsien. Seine Augen glühten vor Zorn. »Ausgerechnet mit den Kretins, die schlussendlich an unserer Situation Schuld haben?« »Setz dich hin und beruhige dich«, befahl Kalunde. Er blickte Rigo Moratti kurz an und senkte leicht die Augenlider. Das ganze dauerte noch nicht einmal eine Sekunde lang. Dann wandte er sich wieder seinen chinesischen Gästen zu. Der Major wusste sofort, was er zu tun hatte. Er gab den Befehl ebenso lautlos an seine Untergebenen weiter. »Ich denke nicht daran!«, polterte Tsien Hsia. »Mir hat kein Mensch etwas zu befehlen. Ich war der mächtigste Mann der Erde…« Er verstummte, als er den Blick seines Gastgebers auf sich ruhen sah. »Das stimmt, du warst es«, gab Kalunde ihm recht. »Aber du bist es nicht mehr. Davon abgesehen hast du hier überhaupt nichts zu melden. Denn das Sagen hier habe ich! Du bist ein Mann mit Vergangenheit, und damit gleichzeitig auch einer ohne Zukunft.« »So siehst du mich?« Tsien Hsia war erschüttert. Trotz allem hatte er gehofft, dass Kalunde ihn als gleichberechtigt ansehen würde. Nach wenigen Schocksekunden hob er einen Arm, um 139 �
seiner Garde einen Befehl zu geben. Darauf hatte Rigo Moratti nur gewartet. Innerhalb weniger Sekunden wurden Tsien Hsias Begleiter entwaffnet, ohne dass sie groß Gegenwehr leisten konnten. Damit war Kalundes stumme Order erfüllt. »Das würde ich nicht machen!« Nagalla Udande stand auf, er hatte eine Pistole aus dem unter der Jacke unsichtbaren Schulterpolster gezogen und hielt auf Tsien Hsia an. »Ein falscher Befehl und du bist eine Sekunde später tot!« »Nagalla, mach keinen Mist!« Zum ersten Mal mischte sich Toan Collong in die Auseinandersetzung ein. Vielleicht auch, weil er als Udandes Sitznachbar extrem gefährdet war. So dick wie das schwarze Walross war, so ängstlich konnte er sein. Obwohl es im Saal, gemessen an den äußeren Umständen, kühl war, transpirierte er übermäßig. »Er beleidigt den Erhabenen«, verteidigte Udande sich. »Und damit auch uns.« »Lass das, Nagalla. Ich will die Waffe nicht mehr sehen.« Kalunde war verärgert über die Eigenmächtigkeit seines Untergebenen. Widerstrebend steckte Udande die Pistole in das Schulterpolster. Als er sich setzte, kamen Rastor Noltan und Gen-Daro näher. Noltan blickte von oben auf Tsien Hsia herab. Ein herber, abstoßender Geruch umschwebte den Laktonen. Kurz musterte er den Ex-Tyrannen. Er bedeutete Udande und Collong, sich auf die freien Plätze zu setzen, da er ihrem Gast gegenüber sitzen wollte. Widerwillig machten Kalundes Berater Platz. Aufreizend langsam setzten sich Noltan und Gen-Daro auf die zwei nun freien Sitze. Der laktonische Oberleutnant musterte Tsien Hsia immer noch. Der Chinese wand sich unter diesen Blicken wie eine Schlange, die getreten wurde. Kalunde lehnte sich zurück und sah die Versammelten der 140 �
Reihe nach an. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn. »Wie ich eben schon einmal sagte, sind Laktonen und Kynother unsere wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Rex Corda«, sagte Kalunde mit maliziösem Lächeln. »Auch wenn dir das nicht gefällt.« Tsien Hsia entgegnete nichts darauf. Sein Gesicht hatte wieder den maskenhaft starren Ausdruck angenommen. »Ich bin der Botschafter von den Sternen, der Befehlshaber der Laktonen für den Bereich Afrika«, sagte Rastor Noltan mit kehliger Stimme. Seine rötlichen Zähne irritierten Tsien Hsia. »Gleichzeitig gehöre ich einer Gruppe meines Volkes an, die von euch Menschen Rebellen genannt wird.« Das war eine riesengroße Lüge, und sie kam Noltan leicht über die Lippen. »Und die Kontaktaufnahme zwischen Laktonen und Menschen ging von mir aus…« Natürlich war Jakto Javan immer noch Oberbefehlshaber der Laktonen. Einen Befehlshaber allein für Afrika gab es nicht. Aber das brauchten die Menschen nicht zu wissen – auch Kalunde hatte Noltan nichts davon gesagt. Für ihn, wie auch für alle Terraner, die von Noltans Existenz wussten, handelte der Laktone angeblich hinter Javans Rücken. »Komm, Großer, glaubst du wirklich, dass der Gelbe das versteht? Der sieht dich an, als wärst du ein Geist. Bei mir könnte ich ja noch verstehen, dass er erstaunt ist, aber bei dir…« GenDaros helles Organ war nicht zu überhören. Er stoppte sofort seinen Monolog, als er Noltans abwehrend erhobene Hand sah. Erste Falten zeigten sich auf Tsien Hsias Stirn. Er blickte von Noltan zu Kalunde, sagte jedoch nichts. Er hasste es, wenn ihn jemand nicht unterwürfig behandelte und war sicher, dass ihn die Außerirdischen nicht ernst nahmen. »Was wollt ihr von mir?« Sein Äußeres wirkte absolut kühl 141 �
und überlegen, aber seine heisere Stimme konnte die Nervosität nicht verbergen. Es rann ihm kalt die Wirbelsäule hinunter. Noltan legte beide Hände auf die Tischkante, er beugte sich vor. Seine Augen funkelten sein Gegenüber an, der Mund verzog sich zu einem abschätzigen Grinsen. Sein herber Geruch nahm an Intensität zu. »Antworten«, sagte er leise. Er verschränkte seine Finger ineinander, drehte die Handflächen nach außen und streckte beide Arme von sich. Es gab ein hässliches, trockenes Knacken. Der Blick aus seinen Augen war unglaublich hart. »Wir wollen Antworten von dir bekommen.« »Ich gestehe Ihnen nicht das Recht zu, mich zu duzen«, begehrte Tsien Hsia auf. Vor Empörung hatte er die Zigarettenspitze im Ascher liegen gelassen. Der Zigarettenfilter verbrannte und verbreitete Qualm, doch niemand störte sich in diesen Augenblicken daran. Noltans Grinsen wurde breiter, unverschämter. »Das macht nichts«, sagte er mit grollender Stimme. »Ich nehme mir dieses Recht einfach, und du kannst nichts dagegen tun.« Tsien Hsia hielt die Luft an. Er fühlte, dass Noltan sich seine Antworten auch mit Gewalt holen würde. Sein Herz schlug bis zum Hals. Ein eiskalter Stein schien in seinem Magen zu liegen. Sein Herz schlug so wild, dass er das Pochen an den Adern der Handgelenke sah. Er drehte sich herum und schaute Kalunde an. Dessen Blick war sezierend, als beobachtete er ein wissenschaftliches Experiment. Tsien Hsia fiel der Vergleich mit einer Schlange ein, die ihre Beute beobachtet. »Was soll das, Randa?« Kalunde hob die Augenbrauen etwas an. »Arbeite mit ihm zusammen, und alles ist in Ordnung.« 142 �
»Wer oder was steckt hinter deinem Besuch?«, wollte Rastor Noltan wissen. »Was soll dieser Unsinn?« Tsien Hsia stand auf. »Ich weiß nicht…« »Spar dir deine Lügen.« Noltan winkte sichtlich genervt ab. »Solltest du allen Ernstes erklären wollen, dass du angeblich keine Ahnung davon haben willst, dass dein Besuch einen bestimmten Zweck verfolgt, so sagst du die Unwahrheit.« Tsien Hsia kniff die Augen zusammen. Er ballte die Hände zu Fäusten. Seine Fingernägel bohrten sich dabei schmerzhaft in die Handteller. Woher hat der Kretin das erfahren? Wenn ich den Verräter erwische, soll er tausend Tode sterben. »Setz dich!« Rastor Noltan ließ sich nicht beirren. Als der Chinese seinem Befehl keine Folge leistete, legte er ihm beide Hände auf die Schultern und drückte ihn mit Gewalt auf den Stuhl zurück. »Ich habe extrem wenig Geduld oder Verständnis dafür, falls du nicht mit mir zusammenarbeiten willst.« »Wer oder was steckt hinter deinem Besuch?«, wiederholte Gen-Daro Noltans Worte. Ein der Leibwächter reichte Tsien Hsia eine neue Zigarette. Mit bebenden Händen nahm der Chinese einen tiefen Zug. Er verzichtete sogar darauf, die Zigarettenspitze zu benutzen. »Ich wollte Randa anbieten, dass wir uns zusammentun«, erklärte er den Grund seines Besuchs. »In einem geheimen Versteck im Himalaja warten über 2000 Männer meiner ehemaligen Eliteeinheit darauf, in Einsätze zu gehen.« »Einsätze welcher Art?«, fragte Randa Kalunde. »Gegen Rex Corda und seine Verbündeten natürlich«, antwortete Tsien erstaunt. »Und weshalb kommst du damit hierher?« Das war Rastor Noltan. Er grinste breiter, als er Tsiens verwirrtes Gesicht sah. 143 �
Keine Frage, der Laktone kostete die Situation voll aus. »Wir kennen und schätzen uns seit Jahren. Da war nahe liegend, dass ich es zuerst bei Randa versuche. Schließlich sind wir beide Todfeinde von Rex Corda.« Der chinesische Marschall schüttelte den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht…« »Woher wusstet ihr, wo dieses Versteck ist?«, lautete GenDaros nächste Frage. »Wir wussten es nicht. Wir haben verschiedene Funksendungen über ganz Afrika verbreitet. Es war Zufall, dass wir euch so schnell gefunden haben.« »Und warum…«, begann Noltan seine nächste Frage. »Hören wir auf damit«, befahl Kalunde mit sanfter Stimme. »Wir wollen alte Freunde doch nicht vor den Kopf stoßen. »Selbstverständlich nicht«, beeilte sich Rastor Noltan zu versichern. »Es ist nur so, dass ich aufgrund meiner Ausbildung extrem misstrauisch bin. Wenn auch wir Freunde geworden sind, wird er verstehen und mir verzeihen.« Dabei nickte er Tsien Hsia zu. Der Chinese kniff die Augen zusammen. Er konnte nicht glauben, dass die Befragung schon vorbei sein sollte. Vor allem traute er dem Laktonen nicht über den Weg. »Ich schlage vor, dass wir uns für die kleine Feier nachher frisch machen«, sagte Randa Evariste Kalunde. Er wandte sich an Tsien Hsia: »Entschuldige bitte das Misstrauen, aber in unserer Situation kann man nicht vorsichtig genug sein.« »Sollen wir seine Gefährten schon in ihre Gemächer führen?«, fragte Toan Collong. Irgendwie hatte Tsien Hsia das Gefühl, als wäre alles schon vorher zwischen Kalundes Leuten abgesprochen worden. Auf eine seltsame Art kam ihm der Stimmungsumschwung zu schnell. »Ja, lasst sie zusammen«, antwortete Kalunde. »Sie werden die 144 �
Kabinen neben meinem Freund«, dabei deutete er auf Tsien Hsia, »beziehen.« Innerhalb weniger Sekunde wurden die Begleiter des chinesischen Ex-Tyrannen aus dem Saal gedrängt. Auch Kalundes Soldaten verließen den Saal. Nur er, seine beiden Berater, Moratti, Noltan und Gen-Daro befanden sich zusammen mit Tsien Hsia im Beratungssaal. »Jetzt sind wir unter uns.« Rastor Noltans Geruch wurde noch herber als bisher. »Und wenn ich nicht in ein paar Sekunden weiß, weshalb nur eure Funkbotschaft durchkam und alle anderen Sendungen unterbrochen wurden, werde ich ungemütlich.« »Das…« »Ich hasse es, Lügen zu hören«, gestand der laktonische Oberleutnant. »Die Zeit ist zu schade, als dass ich sie mit Unwahrheiten vergeuden will.« »Wir können selbstverständlich ein paar semibiotische Konduktoren aus orathonischer Fertigung benutzen, um ihn willfährig zu machen«, warf Gen-Daro in lockerem Plauderton ein. Der Chinese zuckte zusammen und starrte ihn ungläubig an. »Ich weiß, wo sich noch ein Ätzer befindet, der seine Freude an ihm haben wird.« Noltan lachte, aber dieses Lachen wirkte nicht freundlich. Tsien Hsia knurrte wie ein in die Enge getriebenes Tier. Noltan griff in die Brusttasche seiner Uniform. Er brachte ein Stecknadelkopfgroßes silbernes Kügelchen zum Vorschein. »Das ist ein orathonische Sendegerät«, erklärte er. »Im terranischen Sprachgebrauch eine so genannte Wanze. Jeder deiner Leute hatte mindestens eins dieser schönen Geräte an euch. Wir haben alle entfernt und deaktiviert, als die Sonnengleiter euch am Tanganjikasee aufnahmen.« Tsien Hsia gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Sein Kinn sank langsam nach unten. In seinen Augen loderte grenzenloser 145 �
Hass. Gen-Daro hielt einen Strahler unbekannter Bauart in seiner Hand. Er betätigte eine Sensortaste, worauf die Waffe ein leises Summen von sich gab. »Wer steckt hinter allem?«, fragte Rastor Noltan. »Orathonen«, antwortete Tsien Hsia bereitwillig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Antworten zu geben. Bei Gen-Daros Waffe handelte es sich um einen Hypno-Strahler. »Um wie viele Orathonen handelt es sich?«, wollte Gen-Daro wissen. »Ich habe nur drei gesehen, aber es dürften mehr sein.« »Geht die Funkstörung auch auf das Konto der Federköpfe?« Das war wieder Noltan. »Die Störung und auch die gerichteten Sendungen«, gab der Chinese zu. »Wie verhält es sich mit deinen 2000 Elitesoldaten?« »Es ist die Wahrheit. Ich habe so viel Leute, die nur darauf warten, gegen Corda loszuschlagen. Das Kennwort und die Koordinaten lauten…« Toan Collong nickte Kalunde zu. Er hatte die Daten aufgeschrieben. »Das waren alle Informationen für uns?« Tsien Hsia nickte. »Dann haben wir keine Verwendung mehr für dich.« Kalunde lachte meckernd. Er beugte sich zu Tsien Hsia vor. »Nicht wahr, mein Freund?« »Du bist nicht mein Freund«, sagte der Chinese mechanisch, der immer noch unter dem Einfluss des Hypno-Strahlers stand. »Ich habe immer nur so getan als ob ich dich akzeptiere.« »Und was hältst du in Wahrheit von mir?« »Du bist der letzte Dreck!«, brüllte Tsien Hsia plötzlich mit gellender Stimme. »Der allerletzte Dreck! Ich habe es dir bloß nie 146 �
gezeigt, weil ich mir Vorteile versprach…« Das waren seine letzten Worte. Nagalla Udande sprang auf, zog seine Pistole aus dem Schulterholster und schoss ohne Vorwarnung auf Tsien Hsia. Durch die Wucht des Schusses getrieben flog der Ex-Tyrann über den halben Tisch. Tsien Hsia starb, bevor ihn auch nur einer der Versammelten erreicht hatte. »Er hat Sie beleidigt, Erhabener«, flüsterte Udande wie zur Entschuldigung, als er seine Pistole wieder ins Schulterholster steckte. »Ich sagte zwar, dass ich keine Verwendung mehr für ihn habe«, sagte Kalunde langsam, »aber das Vergnügen, ihn zu erschießen, wollte ich mir selbst gönnen.« »Entschuldigen Sie Ihrem niedrigsten Diener, Erhabener«, stammelte Udande. Er wirkte, als stehe er unter Schock. »Wir werden sehen…« Kalunde ließ offen, wie er reagieren wollte. »Ja, wir werden sehen…« »Erhabener, eine Alarmmeldung von Basis Tango«, rief Rigo Moratti. Er stand mit der Funkzentrale in ständiger Verbindung. »Genau an der Stelle, an der wir vor über drei Monaten die Reporter abschossen, sucht ein zweiter Sonnengleiter nach etwas.« »Abschießen!«, befahl Kalunde. »Vom Tanganjikasee aus suchen etliche Hubschrauber und Flugzeuge. Sie kommen in unsere Richtung«, meldete sich Kamtea Doron aus der Funkzentrale Randa Kalunde biss sich auf die Unterlippe. Er überlegte fieberhaft. »Wir können sie ebenfalls abschießen«, dachte er laut nach. »Andererseits…« »Und was passiert, falls sie Verstärkung mitbringen oder unsere Position melden?« Toan Collong stellte die Frage. 147 �
»Schlimmer noch, wenn sie genau wissen, wo sie uns zu suchen haben? Wir befinden uns noch nicht in der Position, dass wir vielen Feinden trotzen könnten. Sollten wir uns nicht besser tot stellen, und erst nach Feststellung der Lage reagieren? Wir haben eh nur diese zwei Möglichkeiten.« »Falls es sich nur um wenige Einheiten handelt, die vorbeifliegen, haben sie Glück gehabt«, sagte Major Moratti. »Dann lassen wir sie am Leben. Sollten sie uns gefährlich werden, löschen wir sie aus.« »Es handelt sich um mindestens 20 Hubschrauber und fünf Flugzeuge«, mischte sich Kamtea Doron wieder über Funk ein. »Sie halten einwandfrei Kurs auf uns.« »Und das, wo wir bald die nächste Ladung von den Laktonen erhalten sollen«, knurrte Toan Collong. Sein Kollege Nagalla Udande hielt sich total zurück, was absolut untypisch für ihn war. »Erhabener, halten wir uns bereit, notfalls den Stützpunkt vorläufig aufzugeben? Falls die doch weiterfliegen sollten, können wir immer noch zurück. Ich sorge dafür, dass alles korrekt abläuft.« Kalunde nickte zu Morattis Worten. »Wir geben den Stützpunkt vorerst auf«, lautete seine Order. »Sofortiger Vollzug.« »Sofort, Erhabener.« Moratti leitete das ›Unternehmen Rückzug‹. Kalunde bemühte sich, Nagalla Udande nicht anzusehen, während er an ihm vorbei aus dem Saal ging. Dieses Mal hast du einen Fehler gemacht, Nagalla, dachte Kalunde. Ich fühle, das etwas mit dir nicht stimmt. * Obwohl die Sirenen so durchdringend in der Dschungelfestung � 148 �
heulten, dass man die Lautsprecherdurchsagen kaum hören konnte, liefen alle Aktionen mit größtmöglicher Disziplin ab. Rigo Moratti hatte seine Leute in monatelanger Arbeit so hart gedrillt, dass sie sämtliche Handgriffe blind durchführen konnten. Ein Mann von seiner Art versuchte, stets an alle Eventualitäten zu denken. Trotzdem herrschte riesige Aufregung unter Kalundes Leuten. Es war ein Unterschied, ob nur eine Übung durchgeführt wurde, oder ob das eigene Leben in Wirklichkeit auf dem Spiel stand. Moratti hatte stets versucht, jede Übung als Ernstfall zu gestalten, um diesen Unterschied zu egalisieren. »Hier spricht Major Moratti. Sofortige Räumung der Dschungelfestung. Der Fall Unternehmen Rückzug ist eingetreten«, hämmerte ununterbrochen die Stimme von Kalundes oberstem Leibwächter durch den Stützpunkt. »Achtung! Dies ist keine Übung! Sofortige Räumung der Dschungelfestung befohlen! Fluchtkoordinaten werden erst im Hangar angegeben.« Letzteres war als Sicherheitsmaßnahme gedacht. Kein Zurückbleibender sollte ihren neuen Zufluchtsort verraten können. Zusätzlich wurde eine orathonische Waffe benutzt, die auf Funkkontakt von außen reagierte. Bei Auslösung des Kontaktes explodierten alle Lebewesen, die sich in einem gewissen Bereich aufhielten. Moratti befand sich schon im Hangar. Er hatte den Sonnengleiter Kalundes extra für den Fluchtfall präpariert. Neben Moratti stand Kamtea Doron. Der Major teilte die ankommenden Leute auf die Gleiter und Bodenfahrzeuge auf. Effektivität bestimmte sein Handeln. Randa Evariste Kalunde kam mit seinen beiden Bewachern und den obligatorischen Leibwächtern. Er ließ seine Leute nicht lange warten, denn natürlich wollte er seinen Kopf zuerst retten. »Ich musste noch eine Kleinigkeit erledigen«, murmelte er, 149 �
nachdem er sich auf den Rücksitz des Gleiters setzte. Rigo Moratti erwiderte darauf nichts. Sein Idol war ihm keine Rechenschaft schuldig. Außerdem wusste Moratti, dass mit der so genannten ›Kleinigkeit erledigen‹ die Exekution von Tsien Hsias Wache gemeint war. Kalunde galt als tot, und das wollte er die nächste Zeit auch so bleiben – bis seine Organisation stark genug war, ihren Feinden zu trotzen. Er wollte nicht, dass irgendein Verdacht auf ihn und seine Leute fiel. Auch nicht auf die Laktonen, die ihn mit Waren und Technik unterstützten. Orathonischer Technik, wohlgemerkt. Sollte jemand ihr Versteck entdecken, so musste der Verdacht auf die grünhäutigen ›Federköpfe‹ fallen. Rastor Noltan und Gen-Daro sorgten dafür, dass eindeutige Hinweise zurückblieben, die sowohl auf Tsien Hsia als auch auf die Orathonen hinwiesen. Sie als Spezialisten hatten ein Auge für die Technik ihrer Feinde. Menschen wären die Unterschiede zwischen Laktonen- und Orathonentechnik kaum aufgefallen. * Mehr als 20 Hubschrauber landeten in der Nähe der Dschungelfestung. Dazu umkreisten fünf Kampfflugzeuge Kalundes geheimen Stützpunkt. Basis Tango, die etwa 20 Kilometer südlich gelegene Zentrale von Kalundes Luftabwehr, verhielt sich auffallend ruhig, um keine Feinde anzulocken. Aus den Hubschraubern stiegen nahkampferprobte Soldaten aus und huschten geduckt zu den verschlossenen, von außen kaum sichtbaren Eingängen. Die Tarnung war nahezu perfekt, die Soldaten folgten den Peilsignalen eines Senders. Aus den kreisenden Flugzeugen sprangen Fallschirmspringer ab, um ihren Kameraden Rückendeckung zu verschaffen. Sie mussten mit allen Hinterhältigkeiten rechnen. 150 �
»Wir haben das Einflugschott für Gleiter gesprengt«, meldete der Einsatzleiter über Funk an seinen Befehlshaber. »Die ersten Männer schwärmen aus um festzustellen, ob die Festung geräumt wurde.« »Gab es keine Gegenwehr?« »Wir sind keiner Menschenseele begegnet«, antwortete der Einsatzleiter, ein dunkelhäutiger, glatzköpfiger Hüne mit kantigem Gesicht, als er durch das Schott trat. Sein Hintermann filmte so viel wie möglich. Die Aufnahmen wurden sofort an die Zentrale gesendet. »Das ist einwandfrei orathonischen Ursprungs«, erklang eine kehlige Stimme mit seltsamem Akzent aus dem Funk. Der Einsatzleiter kannte den Sprecher nicht. »Kein Zweifel möglich?« Der Befehlshaber des Einsatzleiters klang skeptisch. »Ich werde doch die Technik meines Volkes kennen«, grollte der zweite Sprecher. »Aber es erstaunt mich, dass ein orathonischer Stützpunkt auf der Erde existiert, den ich nicht kenne. Wir haben die Erde erst kurz vor unserem Kampf gegen die Laktonen entdeckt. Es hatte nie offizielle Invasionspläne für Ihren Planeten gegeben.« Er konnte nicht wissen, dass von 1952 bis 1972 mindestens ein orathonischer Stützpunkt auf der Erde existiert hatte. Und das vierzehn Stockwerke unterhalb vom Empire State Building. Ketrel Goron war einer der führenden Wissenschaftler im orathonischen Imperium, doch seine Arbeiten wurden durch die FAMILIE erheblich gestört, als man ihn zwang, sich auf die Arbeit für das Militär zu konzentrieren. Er und ein Dutzend seiner Mitarbeiter flohen mit einer kleinen Flottille Diskusraumer und suchten sich eine Welt, auf der sie überleben konnten. Sie fanden die Erde und arrangierten sich mit der amerikanischen Regierung. 151 �
Goron und seine Leute lebten und arbeiteten zwanzig Jahre unentdeckt vor der FAMILIE und betrieben ihre privaten Forschungen – bis der kurze dritte Weltkrieg der Einheimischen sein Werk zunichte machte. (siehe Rex Corda Nova Band 2: ›Welt im Trichter‹) Der Einsatzleiter ging mit schnellen Schritten die Gänge entlang. Der Kameramann folgte ihm auf dem Fuß. Er hielt alles im Bild fest. »Alles sieht verlassen aus«, berichtete der Einsatzleiter. Immer wieder kamen Späher zurück und bedeuteten, dass sie niemand gefunden hatten und dass alles frei war. »Es wirkt, als hätten die Orathonen in unglaublicher Eile die Festung verlassen.« »Das ist einwandfrei Orathonen-Technik«, bestätigte der Orathone noch einmal über Funk. »Sollte sich nicht der angeblich tote Kalunde hier befunden haben?« Der Befehlshaber schien ungeduldig zu sein, obwohl er durch die Filmaufnahmen den gleichen Wissensstand besaß wie der Einsatzleiter. »Zumindest hat das Tsien Hsia uns gegenüber behauptet«, sagte der Einsatzleiter, während er Richtung Besuchersaal ging. »Welch ein Glück, dass er den Peilsender noch aktivieren konnte.« Dort aber erwartete sie eine Überraschung: Die sechs Leibwächter des Chinesen lagen tot im Gang vor dem Besuchersaal. Tsien Hsias Leiche auf dem Tisch aber war verschwunden! Nur Blutflecke erinnerten daran, dass hier jemand erschossen wurde. »Wir haben nur die sechs Begleiter von Tsien Hsia gefunden«, meldete der Einsatzleiter. »Aber von ihm selbst fehlt jede Spur…« »Vorsicht!«, warnte einer seiner Untergebenen. »Dieses Gespräch wird abgehört…« 152 �
Auf diesen Augenblick hatte Randa Kalunde nur gewartet. Er hatte alles über Funk mitverfolgt. Auf einen Befehl von ihm explodierten mehrere Bomben und verwandelten die Dschungelfestung in eine qualmende Ruine. Nicht einer der in der Festung befindlichen Soldaten überlebte. * »Das darf doch nicht wahr sein!« Randa Evariste Kalunde knirschte vor Zorn mit den Zähnen. »Kaum, dass der chinesische Bastard bei uns eintrifft, werden wir von Elitetruppen angegriffen…« Nur Rigo Moratti, Toan Collong und Kamtea Doron als engste Berater befanden sich bei ihm. Kalunde wollte Nagalla Udande nicht sehen, zumindest nicht heute. »Wir haben deutlich genug gehört, dass Tsien Hsia angepeilt wurde«, gab Doron zu bedenken. »Und unsere Leute haben ihn ausgiebig gefilzt. Ihnen müsste aufgefallen sein, falls er eine Wanze bei sich trug.« »Ich war einer derjenigen, die ihn und seine Begleiter an Bord nahmen.« Rigo Moratti wirkte zerknirscht. »Ich habe streng darauf geachtet, dass alle genau untersucht wurden.« »Aber du warst nicht allein«, sagte Kalunde und blickte den Major an. »Wer war noch dabei?« Er drehte sich zu Collong und Doron um. Sein Gesicht war ohne Leben. Im harten Licht der Lampe wirkte es wie aus Stein gemeißelt. »Glaubt ihr mir jetzt, dass wir einen Verräter unter uns haben? Aber ich will ihn erst auf frischer Tat ertappen…« Jeder wusste, wen er meinte…
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6. � »Keine Gewalt hat Dauer.« (Leonardo da Vinci, 1452 – 1519, italienisches Allroundgenie) Ende Mai 1993 Selbst wenn ich vorerst für die Welt nicht mehr existiere, kann ich mir nicht alles gefallen lassen. Es gibt Leute, die ständig nachtreten und ihre Freude darüber bekunden, dass ich angeblich tot bin. Aber das lasse ich mir nicht länger gefallen! Euch werde ich es zeigen! »Die Strafe ist mein, sprach der Herr!«, und in diesem Fall bin ich der Herr über Leben und Tod. Du hast es so gewollt, Marjam Mkobe. - Ich habe Nagalla Udande einem knallharten Verhör unterzogen und bin mir sicher, dass er nichts mehr ohne meine Zustimmung machen wird. Er bat mich, ihn einem laktonischen Trupp zuzuteilen, der HighTech schmuggeln soll. Quasi als Wiedergutmachung für seine Verfehlung. Er wirkte noch kleiner, als er ohnehin schon ist. Ich liebe es, wenn er wie ein Bettler vor mir steht… Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde * Kreuzer der Pithon-Klasse besaßen die unglaubliche Länge von � 4060 Meter und einen Durchmesser von knapp 400 Meter. So ein � raketenförmiges Raumschiff war eine kleine Welt für sich eine � 154 �
eigene Stadt. An Bord der Khachtaar – was übersetzt soviel wie Höllenschlange bedeutet -, 500 Kilometer über der Erde, saßen zwei Männer im obersten Beratungszimmer. Den einen Mann umgab ein Hauch von Macht. Seine Bewegungen waren sparsam und äußerst diszipliniert. Man sah ihm auf den ersten Blick an, dass er gewohnt war zu befehlen. Schento Jakto Javan verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. Er wusste genau um seine Wirkung auf andere Personen. Der andere Mann stand im Rang eines Oberleutnants, er war angeblich einer der führenden Köpfe der laktonischen Widerstandsbewegung. Rastor Noltan erzählte seinem obersten Befehlshaber vom Stand der Dinge. Javan war sehr angetan darüber, dass sein Plan bis jetzt voll aufgegangen war. »Und Kalunde glaubt immer noch, dass er es nur dem Geschick seiner Leute zu verdanken hat, der Gefahr entronnen zu sein?«, fragte der Schento. Er betrachtete seine rechte Hand, die sich auf einen geistigen Befehl hin schloss und wieder öffnete. Selbst jetzt kam ihm die Prothese manchmal wie ein Fremdkörper vor. »Er ist fest überzeugt davon«, bestätigte Noltan. »Er hat nicht durchschaut, dass Lakton hinter allem steht. Die Roboter, die in die Dschungelfestung eingefallen sind, haben die Menschen für Originale gehalten.« »Das soll auch so bleiben«, bestimmte Javan. »Es wird noch einige Monate dauern, aber ich kriege ihn und seine Leute schon dahin, wo ich sie haben will. Ein sehr interessantes Spiel.« Noltan enthielt sich eines Kommentars. Kritik stand ihm nicht zu. »Ich frage mich nur, wo der Leichnam von Tsien Hsia 155 �
hinkam«, warf Rastor Noltan ein. »Es kann doch nicht sein, dass eine Leiche einfach so verschwindet.« »Kommen wir zum nächsten Punkt meines Planes«, sagte Schento Javan, ohne auf Noltans Einwand einzugehen. »Erschrecken wir Kalunde erst ein wenig, ehe er seine Belohnung erhalten soll…« * Die freie Sicht betrug höchstens zwanzig Meter. Alles andere lag hinter der Dämmerung verborgen. Fünf Pontas flogen extrem niedrig über dem Sand der Sahara. »Und so etwas schimpft sich Wüste!« Der laktonische Pilot des vordersten Ponta fluchte ununterbrochen. Ihm schien der Auftrag überhaupt nicht zu gefallen. »Tagsüber ist es so heiß, dass dir der Verstand ausdörrt, und bei Nacht ist es so kalt, dass dir die Eier abfrieren!« »Es reicht!«, stöhnte Nagalla Udande, sein menschlicher Begleiter. »Du fluchst schon, seit wir losgeflogen sind.« Der Pilot blickte ihn verständnislos an. »Ich kann nur fliegen, wenn ich fluche«, behauptete er grinsend und entblößte dabei seine glänzenden rötlichen Zähne. Anscheinend hatte er sie mit einer Art Klarlack bestrichen. »Anders geht's nicht.« »Erzähl mir nichts. Deine Chefs treten dir auf die Zehen, wenn du dich zu sehr gehen lässt.« Ein erneutes Grinsen des Laktonen war die einzige Antwort. Udande verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Er deutete auf seine Armbanduhr. »Wie lange dauert das noch, bis wir im neuen Urwaldcamp sind? Lange kann es nicht mehr dauern.« »Wenn wir weiter so schleichen müssen, können wir den Zeitplan nicht einhalten«, knurrte der Pilot und kratzte sich ausgie156 �
big am Kinn. »Da kann ich nichts für. Die Befehle stammen von Moratti und Noltan. Wenn's dir nicht passt, musst du dich bei ihnen beschweren.« Udande hob den Kopf etwas an und schnüffelte. Mit einem genervten Aufschrei hielt er sich die Nase zu. »Wascht ihr Laktonen euch manchmal?«, ächzte er. »Du stinkst ja schlimmer als ein Iltis.« »Kann man das essen?«, konterte der Pilot. Als er keine Antwort erhielt, erklärte er: »Wir Laktonen besitzen nun einmal diese Duftnote – und wir sind stolz darauf.« Ihr braucht eure Gegner nicht zu bekämpfen, dachte Udande. Das erledigt schon der abstoßende Gestank. Da sinken die Feinde reihenweise zu Boden und ihr habt gesiegt, ohne einen Finger zu rühren. Doch er sagte nichts, um den Piloten nicht zu verärgern. »Was ist das?«, fragte er, als er ein unbekanntes Geräusch vernahm. »Das?« Der Laktone kniff die Augen zusammen. »Es kann sich nur um den Antrieb handeln.« Er aktivierte die Funkverbindung zu den begleitenden Pontas: »Sofortige Landung und Überprüfung des Antriebs notwendig.« Er wartete die bejahenden Meldungen seiner Kameraden nicht ab und leitete den Landevorgang ein. »Verdammt!«, fluchte er erneut. »Die Steuerung funktioniert nicht.« »Was soll…« Ein Schlag durchfuhr den Ponta. Der Gleiter nahm rapide an Fahrt ab und sackte nach rechts hinüber. Udande wurde während des Bremsvorgangs mit dem Rücken voran gegen eine Konsole geschleudert. Dann herrschte Stille.
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* � »Von allen Großstädten der Welt ist Den Haag mit weitem Abstand die kleinste und hässlichste«, lautete ein neues Sprichwort, das der niederländischen Stadt seit der Wahl zur Hauptstadt der Erde nachgesagt wurde. »Neid ist die ehrlichste Form der Anerkennung«, lautet dagegen ein verhältnismäßig altes Sprichwort. Die Wahrheit lag wohl irgendwo dazwischen. Es war nur verständlich, dass viele Bewohner anderer Länder neidisch auf die Niederländer waren. Dabei konnten die bis dato keinen erkennbaren Vorteil daraus ziehen, dass sie nun 'Hauptstädter' waren. Marjam Mkobe waren derartige Eifersüchteleien fremd. Die stellvertretende Chefin des Chemiekonzerns African-Medic hatte gerade Rex Corda ihren Antrittsbesuch abgestattet. Bei den Gesprächen ging es vor allem um die wirtschaftliche Expansion des Konzerns. Politische Themen wurden nur am Rand gestreift. Nachdem die UNO in der Weltregierung aufgegangen war, führten Rex Corda und sein Stellvertreter Will Rimson Verhandlungen mit allen höheren Politikern. Kofi Akerele hieß der ständige Vertreter Afrikas im Weltrat, und auf einen Tipp von ihm hin hatte Marjam Mkobe sich zu diesem Besuch entschlossen. Mkobe war seit Jahren erklärte Gegnerin des Kalunde-Regimes, und sie ließ in der Vergangenheit keine Gelegenheit aus, Kritik zu üben. Dies brachte ihr zunächst Arrest ein; sie durfte ihre Wohnung jahrelang nicht verlassen. Als eine der bekanntesten Bewohner Afrikas konnte Randa Kalunde sie nicht einfach vor Gericht stellen, geschweige denn einfach erschießen. Weltweite Proteste und politische Verwicklungen wären die Folge gewesen. Darum wurde sie vor über zehn Jahren verbannt. Sie galt als persona non grata. Sofort nach Beendigung der Kalunde-Diktatur kehrte Marjam 158 �
Mkobe aus Paris zurück nach Kisangani. Aufgrund ihrer großen Popularität gelang es Marjam mit Leichtigkeit, wieder in ihre ehemalige Stellung aufzusteigen. Rex Corda setzte große Hoffnungen in die kleine, übergewichtige, dunkelhäutige Frau mit dem herzlichen Lächeln. Marjams Ausstrahlung war enorm, kaum jemand konnte sich ihr entziehen. Wenn sie einen Raum betrat, so füllte sie diesen Kraft ihrer Aura aus. Corda war davon überzeugt, dass es niemand geeigneteren für die Aufgabe gab als sie, Afrika zu repräsentieren. Herzlich verabschiedete Rex Corda Marjam Mkobe. »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise und hoffe, dass wir uns bald wieder sehen«, lauteten seine Abschiedsworte an sie, während sie auf die unterste Stufe der Gangway des Flugzeugs trat. Marjam lächelte ihm zu und winkte zum Abschied. Sie beeilte sich, ins Innere des Flugzeugs zu gelangen. Abschiede gingen ihr immer auf die Nerven. Sie war froh, wenn sie diese Prozedur überstanden hatte. Außerdem wollte sie nicht zeigen, dass sie vor dem Fliegen Angst hatte. Und das zu Recht. Sie wusste nicht, dass Randa Evariste Kalunde immer noch lebte. Sie wusste auch nicht, dass er ihr immer noch grollte. Und sie wusste nicht, dass er auf ihren Tod ein Kopfgeld ausgesetzt hatte. Das Überschallflugzeug hatte im Nu die niederländische Grenze hinter sich gelassen. Auch Belgien, Frankreich und Spanien glitten blitzschnell unter Marjam hinweg. Sie war froh, das kühle Klima hinter sich zu lassen. Sonne und Hitze hatte sie sehr vermisst. Und die Herzlichkeit ihrer Landsleute. Mitten über Spanien begann ein Motor zu stottern. »Was ist das?«, wollte Marjam wissen. »Eine unbedeutende Störung, Ma'am«, antwortete eine Stewardess. Ihr seltsames Lächeln strafte die Worte Lügen. 159 �
»Ladies and Gentlemen«, drang die Stimme des Piloten über Lautsprecher. »Wir haben Schwierigkeiten mit einem Motor. Wir werden entweder auf einem spanischen Flughafen landen, oder gleich nach der Meerenge von Gibraltar. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben alles im Griff.« Eine eiskalte Hand griff nach Mkobes Herz. Sie wollte den Worten glauben, aber irgendwie schaffte sie es nicht. Wie zur Bestätigung ihrer Vorahnung begannen zwei Motoren zu stottern. »Wir landen auf dem nächsten Flugplatz«, meldete der CoPilot. »Gott sei Dank«, flüsterte Marjam und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie faltete die Hände und betete leise. Nach wenigen Sekunden war das Geräusch verschwunden. Die Motoren arbeiteten wieder, als wäre nichts geschehen. »Die Motoren funktionieren wieder wie gewohnt«, sagte der Co-Pilot. »Wir werden erst in Marokko landen.« Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. »Ein Sonnengleiter befindet sich auf unserem Kurs.« Der Pilot deutete auf das Radar. »Von Richtung Tanger aus kommt er uns entgegen.« »Die halten genau auf uns zu«, bemerkte der Co-Pilot. »Wir müssen auf Ausweichkurs gehen.« »Ich versuch's, aber der Narr fliegt mit Höchstgeschwindigkeit«, ächzte der Pilot. Es blieb beim Versuch, auszuweichen. Der Pilot des Sonnengleiters passte sich dem Kurs an. Kurz vor der Detonation bemerkte der Pilot, dass an Bord des Sonnengleiters zwei Menschen saßen. »Das sind Selbstmordattentäter«, hauchte er. Es waren seine letzten Worte. Über der Meerenge von Gibraltar, kurz vor der afrikanischen 160 �
Küste bohrte sich der Sonnengleiter in das Flugzeug. In einer starken Explosion vergingen beide Maschinen mitsamt ihren Besatzungen. Myriaden von Einzelteilen tanzten dem Meer regelrecht entgegen. Kurz danach eintreffende Rettungskräfte konnten keine Lebenden mehr bergen. Die Selbstmordattentäter waren Angehörige von Randa Kalundes Einheiten. Für Kalunde zählten nur der Tod von Marjam Mkobe und seine späte Rache. Dass die Passagiere und die Crew des Flugzeugs mit Mkobe starben, wurde von ihm in Kauf genommen. Der Tod der stellvertretenden Konzernchefin zum jetzigen Zeitpunkt diente einzig und allein der Ablenkung vom laktonischen High-Tech-Transfer in die neue Zuflucht des Ex-Diktators. Welch makabrer Grund, sein Leben zu verlieren… * Zur gleichen Zeit, Afrika »Wo bleiben die bloß? Sie sollten doch längst hier sein!« Randa Kalunde lief nervös in der Funkzentrale auf und ab. Selbstverständlich ging er allen damit auf die Nerven, nur getraute sich niemand, ihn darauf anzusprechen. »Ich habe schon zig Mal versucht sie anzupeilen, aber der Erfolg war bisher Null«, sagte der Funker Kana. Er entfernte kurz den Kopfhörer von seinen Ohren und blickte Kalunde an. »Weder antworten sie, noch können wir sie auf den Radargeräten sehen.« »Das lässt nur den Verdacht zu, dass ihnen etwas passiert ist.« Toan Collong schnaufte schwer. Während alle anderen in den letzten Monaten aufgrund der extremen Stresssituation abgenommen hatten, hatte er sichtlich zugelegt. Wie er das bei den rationierten Portionen geschafft hatte, war sein Geheimnis. Mehr 161 �
denn je sah er einem Walross auf Beinen ähnlich. »Lassen wir uns nicht verrückt machen«, warf Rigo Moratti ein. »Solange nichts gegenteiliges bewiesen ist gehe ich davon aus, dass sie sich nur verspätet haben.« »Sie haben Nagalla an Bord«, sagte Collong in einem Tonfall, als würde das alles erklären. »Ich hoffe, das ist kein böses Omen.« »Ich will nichts davon hören«, schnarrte Kalunde. »Bisher war er immer zuverlässig. Bis auf den Tod von dem Chinesen…« »Ich wollte das auch nicht so verstanden wissen«, beeilte sich Collong zu versichern. »Aber du hast es so gesagt.« Randa Kalunde blickte seinen Berater durchdringend an. »Möglicherweise bist du der Verräter und nicht er?« Toan Collong wurde trotz seiner dunklen Hautfarbe erkennbar bleich. »Erhabener, das glauben Sie doch nicht im ernst«, stieß er hervor. »Wer weiß…« Der ehemalige Herrscher der Republique Africaine presste die Lippen zusammen und schwieg. Seine Worte zerstörten die Aufbruchstimmung, die alle erfüllt hatte. Sie befanden sich nun schon einige Wochen im neuen Quartier. Wie die vorherige, etwa 2000 Kilometer entfernte Festung, so befand sich auch diese mitten im Dschungel. Die Pontas unter Udandes Führung hatten laktonische High-Tech an Bord, die – angeblich – von einem Freund Noltans über dunkle Kanäle beschafft wurde. Endlich würden sie mit ihren Feinden gleichziehen. Rastor Noltan ließ die Menschen immer noch im Glauben, dass er einer der führenden Köpfe der laktonischen Widerstandsbewegung wäre. Der Schento sollte aus allem herausgehalten werden. Auf ihn sollte kein Verdacht fallen. 162 �
»Erhabener, Sie wissen, dass ich einer ihrer treuesten Diener bin«, keuchte Collong. Seit er zugenommen hatte, litt er vermehrt unter Atemnot. »Wenn nicht sogar der allertreueste.« »Ich wurde schon von so vielen Menschen verraten«, sagte Kalunde wie im Selbstgespräch. »Von meinem Volk, das mich davon jagte, obwohl ich nur das Beste für meine Leute wollte…« Wahrscheinlich glaubte er selbst, was er von sich gab. Er holte tief Luft. »Von meinen Mitarbeitern… und schließlich von meinem ehemaligen Kollegen, der mich an die Orathonen verriet und dessen Heimtücke mich die Dschungelfestung kostete…« »Erhabener…« Collong war erschüttert darüber, dass Kalunde sich so gehen ließ. »Aber Sie haben uns als Freunde. Moratti, Doron und ich haben Ihnen geholfen, gleich nach unserer Flucht aus der alten Festung die 2000 Elitesoldaten von Tsien Hsia zu finden. Ihre Position ist besser als noch vor Monaten.« Kalundes Blick schien durch Collong hindurch zugehen. Der Diktator wirkte unendlich müde. »Das weiß ich, Toan.« Es klang so, als wollte er sagen: »Lass mir meine Ruhe!« »Eine Meldung von der Southafrican Press & News Agency«, unterbrach Funker Kana Kalundes Selbstmitleid. »Auch die haben mich verraten«, murmelte der Diktator. Zur Zeit seiner Schreckensherrschaft hieß die Nachrichtenagentur Republique Africaine P&N Agency. »Was besagt die Meldung?«, wollte Rigo Moratti wissen. »Das Attentat auf Marjam Mkobe hat geklappt«, antwortete Kana. »Ihr Flugzeug explodierte direkt an der afrikanischen Küste. Sie und ihre Begleiter konnten nur noch tot geborgen werden.« »Wenigstens eine gute Nachricht.« Randa Kalunde schnaufte tief ein. »Aber wo befindet sich der Convoy?«
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* � 3000 km entfernt »Alle Pontas müssen getarnt oder vor feindlichen Blicken geschützt werden«, befahl Nagalla Udande, nachdem er aus seinem Gefährt geklettert war. »Übertreibst du da nicht ein bisschen?« Sein laktonischer Pilot war nicht ganz mit dem Befehl einverstanden. »Weit und breit ist niemand zu sehen.« »Gerade deshalb sollten wir vorsichtig sein! Wir haben jetzt Vormittag und es ist ein leichtes, uns von oben zu sehen. Da braucht man keinen Radar oder sonstige Ortungen.« »Wie bitte? Manchmal glaube ich, dass ihr Menschen unter der Invasion geistig gelitten habt. Wer sollte uns wohl angreifen? Wir sind ein laktonischer Convoy.« »Und du bist mit der arroganteste Narr, der mir begegnet ist«, entgegnete Udande. Der Ausfall des Laktonen-Gleiters zehrte an seinen Nerven. »Falls uns meine Landsleute entdecken, machen sie Hackfleisch aus uns. Schließlich gehörte ich einst zu ihren Unterdrückern. Und bei deinen Leuten geht es uns nicht anders. Ich denke, wir betreiben High-Tech-Schmuggel? Die machen kurzen Prozess mit uns.« Der Laktone kratzte sich am Hinterkopf und blickte auf den drei Köpfe kleineren Udande. Er machte eine zustimmende Geste, dass er seinen Begleiter verstanden hatte. »Aber wir sind doch bestimmt bald wieder startbereit«, warf er ein. »Da müssen wir doch nichts tarnen…« »Das ist mir egal. Wir tarnen die Pontas! Das ist mein letztes Wort.« Langsam wurde Udande böse auf seinen Piloten. Er griff sich mit beiden Händen an die Hüften, wo er sich beim Sturz geprellt hatte. So ein Ponta ist auch nicht bequemer als unsere Sonnengleiter, dachte er. Auf Bequemlichkeit schienen die Lakto164 �
nen nicht allzu viel Wert zu legen. Innerhalb weniger Minuten waren die Pontas getarnt und Udandes Pilot machte sich mit einem seiner Artgenossen daran, den Antrieb zu überprüfen. Udande blickte missmutig auf seine Uhr. Sie hinkten schon drei Stunden hinter dem Zeitplan her. »Das wird dem Erhabenen nicht gefallen«, murmelte der Berater. Er wusste, dass er seit Tsien Hsias Ermordung schlechte Karten hatte und hoffte, sich durch den High-Tech-Transfer wieder beliebt bei Kalunde zu machen. Einzig aus diesem Grund hatte er die Herausforderung angenommen. Außerhalb des Ponta war es unerträglich heiß. Nagalla Udande blickte in die Wüste. Eine riesige Rinne erstreckte sich vor ihm. Udande wusste, dass es sich um das ausgetrocknete Bett eines Baches handelte, der vor Urzeiten Eschbach genannt wurde. Selbst nach so langer Zeit und trotz der widrigen Verhältnisse mit Sandstürmen und Verwehungen konnte man deutlich erkennen, wo damals das Wasser geflossen war. Der Name Eschbach bürgte eben für Qualität. »Weißt du schon, ob die Störung wirklich am Antrieb lag?«, rief Udande in den Ponta hinein. Sein Pilot zuckte in menschlicher Manier die Schultern. »Keine Ahnung, da musst du Ka-En fragen.« »Ka-En?« »Na, unseren obersten technischen Überwacher. Hat immer den Überblick, der Gute. Nicht wahr, Ka-En?« Der Angesprochene verdrehte die Augen, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Im Gegensatz zu den anderen Laktonen war Ka-En schmal, trotzdem athletisch gebaut. Und er besaß nicht den überaus strengen Geruch seiner Artgenossen, was Udande freudig bemerkte. »Der hört sich auch gern selbst reden«, stöhnte Ka-En in 165 �
akzentfreiem Terranisch. »Ihr würdet sagen, eine Art Ansaugstutzen ist defekt. Aber das ist kein Problem. Gegen Nachmittag habe ich das erledigt.« »Kann Sabotage ausgeschlossen werden?« Udande zog die Stirn in Falten. »Wann kann man das?«, stellte Ka-En eine Gegenfrage. »Aber in diesem Fall handelt es sich um Verschleiß. Der Kollege, der für diesen Ponta zuständig ist, hat gnadenlos geschlampt.« Er blickte den Piloten scharf an, aber der stellte sich unwissend. »Kampfflugzeuge von Norden«, meldete einer seiner Kollegen und rettete ihn vor weiteren Vorwürfen. »Scheiße, und ich wollte die Verzögerung gerade dem Erhabenen melden«, fluchte Udande. »Er wird sich fragen, wo wir bloß bleiben.« »Der Erhabene? Meinst du Jakto Javan?«, wunderte sich sein Pilot. »Du Narr, ich meine selbstverständlich Imperator Kalunde«, berichtigte ihn Nagalla. »Dessen Imperium ist aber verdammt klein geworden.« Ka-En konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Absolute Funkstille!«, ordnete Udande an. Er beschloss, KaEns Bemerkung einfach zu überhören. Laut und deutlich war das Geräusch der Kampfflugzeuge zu vernehmen. Sie flogen mehrere Male über den Standort der Pontas hinweg. Udande kam es vor, als würden sie mit jedem Mal tiefer fliegen. Aber das kann auch nur Einbildung sein, redete er sich selbst Mut zu. * Kaffee und Zigaretten wurden in dieser Nacht zu den wichtigs166 �
ten Genussmitteln in der neuen Dschungelfestung. Rigo Moratti vermochte nicht zu sagen, die wievielte Tasse des schwarzen Muntermachers er schon getrunken hatte. Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit, nur zu bestimmten Gelegenheiten eine Zigarre zu rauchen, hatte er schon ein ganzes Päckchen Zigaretten verbraucht. Hier oben in der Funkzentrale durfte man rauchen. Im Beratungssaal oder in Kalundes Räumen war Tabakgenuss verboten. »Verdammt noch mal, wo bleiben die bloß?« Moratti blickte von Kamtea Doron zu Kutzmutz. Er hieß natürlich nicht wirklich so. Der Nachname des Funkers war so lang, dass Moratti ihn einfach zu Kutzmutz gekürzt hatte. Während der Funker das zweite Zigarettenpäckchen aufriss und sich einen Sargnagel angelte, hatte die Frau den Kopf auf ihre verschränkten Unterarme gelegt. Leise Schnarchtöne verrieten, dass sie schlief. »Ich wollte, das könnte ich auch.« Kutzmutz lächelte und wischte sich mit einer Hand zuerst über die müden Augen und danach über die beginnende Stirnglatze. Dann zündete er die Zigarette an. »Na, und ich erst.« Moratti inhalierte tief und blies den Rauch bedächtig zur Zimmerdecke hoch. »Aber der Erhabene zählt auf uns.« Kalunde selbst schlief den Schlaf des Ungerechten, während sich seine Leute quälten. Moratti hatte noch am Vortag zwei Sonnengleiter von ihren Verbündeten aus Ägypten angefordert, die die Strecke abfliegen und ihm Bescheid geben sollten. Über ganz Afrika verstreut gab es noch zigtausend Leute, die mit Kalunde sympathisierten. Viele ehemalige Untergebene in höheren Positionen waren auch jetzt noch bereit, für den Erhabenen zu arbeiten und sie träumten davon, die alten Zeiten wiederherzustellen, als sie von der Diktatur profitierten. Auch die 167 �
Besatzungen der beiden Gleiter rekrutierten sich aus solch treuen Träumern. Doch obwohl sie den geplanten Kurs hin und wieder zurück geflogen waren, konnten sie keine Spur von den fünf Pontas entdecken. »Bald wird's hell.« Kutzmutz gähnte und streckte sich ausgiebig. »Dann ist mein Kollege wieder dran.« Ich wollte, das könnte ich auch sagen, dachte Moratti. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und griff gleich darauf nach einem Stück Schokolade. Die süße Schleckerei war ein weiteres Laster von ihm. Nur sah man ihm, im Gegensatz zu Toan Collong, den Genuss nicht an. Das schwarze Walross hatte die Funkzentrale schon vor Stunden verlassen. Wahrscheinlich frönte er seinem Hobby, dem maßlosen Essen und darauf folgendem Schönheits- oder Verdauungsschlaf. Mit jeder verstreichenden Minute wurde es ein wenig heller. Bald schon erstreckte sich das Morgenrot über den Himmel. »Ich höre Funksprüche von hundert verschiedenen Leuten auf allen Frequenzen«, stöhnte Kutzmutz. »Bloß nicht von denen, die wir suchen.« Er stellte den Verstärker lauter, um seine Aussage zu demonstrieren. Moratti winkte müde ab. »Sie brauchen mir nicht zu beweisen, dass Sie ein Meister Ihres Faches sind«, sagte er langsam. Auch er gähnte zum Steinerweichen. »Schalten Sie wieder leis…« »Ich habe Kontakt!«, stieß Kutzmutz hervor. Er hob die Hand und bedeutete Moratti, still zu sein. Kutzmutz hielt beide Hände gegen den Kopfhörer, als könne er das Signal so besser verstehen. Nach wenigen Sekunden nickte er und schaute Moratti an. »Sie kommen bald«, berichtete er. »Der Erhabene muss Bescheid wissen«, bestimmte Moratti. Als 168 �
engster Vertrauter Kalundes übernahm er diese Aufgabe selbst. Es bereitete dem Major einen Riesenspaß, gleich darauf Collong aus dem Bett zu werfen. Das müde Gesicht des schwarzen Walrosses war sehenswert. Es entschädigte Moratti für einiges. Moratti und Doron warteten am Hangar auf den Diktator und seinen Berater. Gerade als die zuletzt genannten eintrafen, sahen sie die fünf Pontas heranfliegen. Zuerst erschienen sie winzig klein und kaum sichtbar am Horizont, aber innerhalb weniger Sekunden hatten sie die Distanz bis zur Dschungelfestung zurückgelegt. »Ab heute beginnt eine neue Zeit für uns«, sagte Kalunde, als die Pontas landeten.
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7. � »Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.« (Konfuzius 551 – 479 v. Chr., chinesischer Philosoph) Ende Juli 1993 …denn die irdische Regierung musste mit zunehmendem Missfallen feststellen, dass die laktonische Entwicklungshilfe Ende letzten Jahres ein großes Betrugsmanöver war. Es wurden zwar interessante wissenschaftliche Daten geliefert, diese führen aber nach einigen Jahrzehnten der Forschung in Sackgassen. Eine geheime Dissidentengruppe von laktonischen Wissenschaftlern, die in ihrer Heimat wie in einem Goldenen Käfig gehalten werden, trat an mich heran mit der Bitte, einige Mitglieder der Gruppe vom Hauptplaneten der Wissenschaftler, Teckan, auf die Erde zu bringen. Zum Ausgleich wollten sie für die Erde arbeiten. Ein erster Schritt führte uns auf die laktonische Handelswelt Szahan, wo wir uns illegale Einreisepapiere nach Teckan besorgen mussten, damit Latak Decimo, der Kopf der laktonischen Wissenschaftler, auf Teckan einen Transmitter installierte, mit dem die Renegaten fliehen konnten. Schließlich gelang es Decimo, den Transmitter nach Teckan zu bringen und aufzubauen. Auf Teckan versuchten die Wissenschaftler um ihren Führer Fan Kar Kont, die laktonische Abwehr an der Nase herumzuführen, um sich gemeinsam mit mir und Decimo in einem Haus zu treffen und von dort per Transmitter zu entfliehen. Ich und einige der Wissenschaftler konnten auf das in sicherer Entfernung wartende laktonische Wachboot entfliehen, mit dem wir in das Gebiet der Laktonen eingeflogen 170 �
waren. Erwartungsgemäß begann ein Kesseltreiben mit der Jagd nach dem Raumschiff, das Kurs auf die Erde nahm… Auszug aus den persönlichen Aufzeichnungen von Rex Corda * …und was ich trotz der Wirkung des Hypno-Strahlers zuerst als Bluff von Tsien Hsia abtun wollte, stimmte: er hatte über 2000 Männer und einige hundert Frauen im Himalaja stationiert. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber in meiner augenblicklichen Situation benötige ich jeden Mann und jede Frau, um gegen Corda und seine außerirdische Clique bestehen zu können. - Was mir aber nicht in den Kopf will ist, wie die Leiche von Tsien Hsia spurlos verschwinden konnte. Ich habe sämtliche Bilddokumente mehrfach angesehen, doch konnte ich nicht erkennen, wer ihn mitnahm. Oder war er gar nicht tot und hat uns nur etwas vorgespielt? Aber ich habe doch deutlich gesehen, dass ihn Nagalla erschoss! Manchmal weiß ich nicht, was ich glauben und wem ich trauen darf. Am besten niemand! - Ein Kommando unter dem Befehl von Rigo Moratti und Kamtea Doron flog heimlich in den Himalaja und holte Tsien Hsias ehemalige Leute zu uns. Aber nicht in die Dschungelfestung, so viele Leute könnten wir zusätzlich nicht unterbringen. Wir haben sie auf mehrere Stützpunkte quer über Afrika verteilt. Das habe ich Rastor Noltan und dem schleimigen Kynother natürlich auch nicht mitgeteilt. Einige Geheimnisse behalte ich selbstverständlich für mich. Für sie sind die Asiaten bei einem Angriff gestorben, noch ehe wir sie rekrutieren konnten. Für die Durchführung dieses Planes sorgte Toan Collong. - In der Nähe des Himalajaverstecks trafen sie auf einen Orathonen. 171 �
Nach kurzem Kampf gelang es ihnen, den außerirdischen Kretin festzunehmen. Wir halten ihn in einem Versteck gefangen. Die Laktonen wissen nichts davon, und wenn es nach mir geht, werden sie es nie erfahren. - Rigo Moratti ist mein wichtigster Mitarbeiter. Danach kommt Kamtea Doron. Sie hat mich mit ihrem Verhalten und ihren Ideen überzeugt – was aber nicht bedeutet, dass ich ihr bedingungslos vertraue. Ebenso wenig wie Toan Collong, obwohl er mir kaum Grund gibt, misstrauisch zu sein. Einzig bei Nagalla Udande habe ich ein ungutes Gefühl. Ich wollte ihn aus dem Verkehr ziehen, aber falls er wirklich ein Verräter ist, brauche ich seine Hintermänner, und die bekomme ich nur, wenn ich ihn sozusagen in flagranti erwische. Falls er aber loyal zu mir steht, kann ich seine zahllosen Verbindungen ausnutzen. - Rastor Noltan glaubt, dass ich ihm vertraue. Aber für mich ist unser Verhältnis nur ein Zweckbündnis auf Zeit. Ihm und diesem absolut ekelerregenden Gen-Daro traue ich nicht weiter, als ich sie werfen kann. Also überhaupt nicht. Aber das binde ich ihnen nicht auf die Nase, solange ich sie brauche. - Ich weiß, dass es noch lange dauern wird, ehe ich meine Position wieder zurück gewonnen habe. Doch ich arbeite seit Monaten Tag und Nacht darauf zu. Und Gnade euch Gott, wenn es soweit ist! Gnade dir, Rex Corda. Ich habe deine Demütigungen nicht vergessen und ich werde mich an dir rächen. - Sobald ich wieder an der Macht bin, werden Rastor Noltan und Gen-Daro die ersten sein, die meinen Zorn spüren. Ich hasse es bis auf den Tod, wenn ich auf andere angewiesen bin – besonders dann, wenn diese anderen glauben, mir Befehle erteilen zu können… Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde
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* � Seit Tagen schon stand der 2160 Meter Lange und 160 Meter durchmessende Pithon- Kreuzer Klanndarr auf dem halbzerstörten Flughafen von Harare. Nur wenige Laktonen waren von Bord gegangen; meistens um Geschäfte zu tätigen. Die Raumfahrer benötigten vor allen Dingen Wasser und Lebensmittel, sowohl tierischer als auch pflanzlicher Art. Meistens verließen die Laktonen den Pithon-Kreuzer mittels Ponta. Die Gleiter waren ideal, um die gekaufte Ware an Bord zu bringen. Es fiel auf, wenn die Rotzähne zu Fuß unterwegs waren. An diesem Vormittag verließen mehr als 30 Laktonen das Raumschiff. Schon an den Uniformen und an ihrem Gebaren war erkennbar, dass es sich um höhere Offiziersgrade handelte. Alle bewegten sich zu Fuß, da heute ein hoher laktonischer Gedenktag war, und sie wollten sich auf dem nahe gelegenen Basar mit persönlicher Ware eindecken. Den normalen Mannschaftsdienstgraden war das verboten. Nun, auch bei Laktonen waren manche gleicher als die anderen. Ein Ponta folgte den Offizieren zuerst, überholte sie aber nach etwas mehr als hundert Meter. Der Gleiter landete abseits vom Basar. Zwei Männer stiegen aus. Sie sahen sich unablässig um. Sie glaubten, dass ihnen Verfolger auf der Spur waren. Darum sondierten sie die Umgebung genau. Und dennoch fiel ihnen nicht auf, dass sie beobachtet wurden… Tausend exotische Gerüche drangen an die Nasen der beiden. Sie wiederum strömten den typischen herben Mief aus, der allen Angehörigen ihres Volkes bei Aufregung zu eigen war. Doch in diesem Schmelztiegel fiel das nicht weiter auf. Drei Meter weiter wurden sie von der Note eines teueren Parfüms umschmeichelt. 173 �
Fünf Meter weiter roch es nach Essen. Das machte ihnen nichts aus. Lediglich die ungewohnte Hitze machte ihnen zu schaffen. Sie mischten sich unter die Eingeborenen und tauschten ihre laktonischen Vielzweckuniformen gegen irdische Kleidung ein. Mit Turban und Burnus verkleidet, waren sie nicht von Menschen zu unterscheiden, solange sie den Mund hielten. Ein Schleier half zu verhindern, dass sie aufgrund ihrer roten Zähne erkannt wurden. Trotzdem fielen sie allein aufgrund ihrer Körpergröße und ihrer Masse auf. Die Menschen, die hier wohnten, waren fast ausnahmslos zierlicher gebaut als die beiden überbreiten Außerirdischen. Wobei gesagt werden muss, dass Laktonen auf Menschen fettleibig wirken, obwohl sie es nicht sind. Ihr Körperaufbau ist eben anders. Tagert Decron und Patan Kront waren zwei laktonische Wissenschaftler, die auf Teckan festgehalten wurden. Kurz, nachdem Fan Kar Kont und seine Leute vom Wissenschaftsplaneten flohen, flüchteten sich Decron und Kront an Bord des PithonKreuzers Klanndarr, was übersetzt soviel wie Flammenschwert bedeutet. Dort verbrachten sie die letzten Wochen als blinde Passagiere. Wie die meisten anderen Laktonen-Schiffe, so war auch die Klanndarr über Dellentar, einen der Hauptplaneten des Reiches, geflogen. Viele Laktonen gingen von Bord, frische Kräfte wurden aufgenommen, sodass die Wissenschaftler nicht groß auffielen. Die Flüchtlinge entfernten sich schnell und möglichst unauffällig vom Basar, was ihnen nicht ganz leicht fiel. Sie versuchten, die engeren Gassen von Harare zu erreichen, weg von der Offiziersdelegation. »Wo bleibst du nur?« Decrons Stimme klang vorwurfsvoll. Sein Partner blieb schon nach kurzer Zeit mehrere Meter hinter ihm. Immer wieder drängten sich Eingeborene zwischen die bei174 �
den Männer hindurch. »Hetze nicht so, dann kann ich dir auch folgen«, beschwerte sich Patan Kront. »Je eher wir von hier verschwunden sind, umso besser ist es für uns«, zischte Tagert Decron. »Ich möchte nicht von unseren Leuten gefunden werden. Sie würden uns verhören und töten.« »Ich beeile mich ja schon.« »Davon bemerke ich leider nicht viel.« Kront erwiderte nichts darauf. Decron zog seinen Partner am Ärmel. »Dort hinten!« Er deutete auf einen schnauzbärtigen, unglaublich massigen Mann, der einen weißen Burnus trug. Wie die meisten Menschen in dieser Region besaß er eine dunkle Hautfarbe. Lange graue Haare fielen ihm bis auf die Schultern, und auf dem Kopf saß ein brauner Turban. Der Mann wischte sich ständig über die Stirn, auch ihm schienen die Temperaturen schlecht zu bekommen. Der Mann bewegte sich langsam auf einen weißgelb gestreiften Sonnengleiter zu. Alle paar Meter blieb er stehen und verschnaufte. »Ihm nach!«, zischte Decron. »Das ist die Gelegenheit für uns.« Am Sonnengleiter angekommen, stützte sich der dicke Mann erst einmal ab. Er öffnete das Gefährt mittels Fernbedienung. Als er in den Gleiter stieg, öffnete Decron die Beifahrertür und schwang sich auf den Sitz. Kront saß innerhalb von drei Sekunden hinter dem Fahrer. Der stierte erschrocken von Decron zu Kront. Sein grauer Oberlippenbart zitterte, als er die Laktonen anschnauzte: »Was soll das? Was wollen Sie von mir?« Decron zog einen Magnet-Smash aus dem Burnus hervor und richtete ihn auf den Mann. »Schließen Sie die Tür!«, forderte er ihn auf. Ein Translator, der 175 �
an seinem Hals hing, übersetzte die Worte fast simultan. Wären sie reguläre Besatzungsmitglieder der Klanndarr, dann hätten sie eine Hypnoschulung in terranischen Sprachen erhalten. So mussten sie auf das technische Hilfsmittel zurückgreifen. Kronts MAS an seinem Hinterkopf brachte den Mann dazu, den Befehl so schnell wie möglich zu befolgen. »Und jetzt? Was wollen Sie?« »Fragen Sie immer soviel?«, wollte Patan Kront wissen. Bevor der Mann antworten konnte, sagte Tagert Decron: »Starten Sie und fliegen Richtung Süden. Wir teilen Ihnen unser Ziel mit.« »Und fragen Sie nicht so viel«, fügte Kront hinzu. »Übrigens, wie heißen Sie?« »To… Toran«, antwortete der Dicke. »Gut, Toran.« Decron nahm den Schleier vom Gesicht und grinste. »Sie… Sie sind… Laktonen!«, hauchte der Mann. Er aktivierte die Bedienungsleiste und drückte einige Knöpfe. Dann startete er den Sonnengleiter und flog in nordöstliche Richtung. Nach einer knappen Stunde senkte Toran die Flughöhe. »Ist das südliche Richtung?« Kront schien nicht überzeugt zu sein von Torans Flugkünsten. Er versuchte, das Gebiet vor ihnen zu überblicken, aber bis zum Horizont konnte er nur Bäume sehen. »Sie bringen mich total durcheinander«, jammerte der Fettleibige. Er deutete auf ein rotes Blinklicht auf dem Armaturenbrett. »Und jetzt habe ich hier draußen sogar eine Panne.« »Was bedeutet das?« Kront setzte wieder den MAS an Torans Hinterkopf. Er drückte die Waffe etwas nach vorne. Toran reagierte mit verstärktem Schwitzen. »Das heißt, dass wir bald landen müssen, sonst stürzen wir ab«, keuchte Toran. 176 �
»Wenn das eine Falle sein soll…«, knurrte Decron. »Aber nein, wo denken Sie hin«, stammelte Toran. Er zeigte auf ein kleines Stück freies Gelände im endlos großen Blätterdach. »Dort können wir erst einmal notlanden. Wenn nötig, rufe ich per Funk um Hilfe.« »Untersteh dich.« Kront drückte den MAS in Torans Genick. »Schon gut.« Der Dicke versuchte vergeblich, das Zittern zu unterdrücken, das seinen schwabbeligen Körper durchlief. Er steuerte den Sonnengleiter noch tiefer. Auf dem freien Gelände, einem Areal von nicht mehr als 30 Meter Durchmesser, stand ein zweiter Sonnengleiter, nicht weit von den nächsten Bäumen entfernt. Die gläserne Sichtkuppel war geöffnet, aber es befand sich niemand an Bord. »Weiter kreisen«, befahl Decron. Nachdem sie zehnmal über den anderen Gleiter gekreist waren, gab er den Befehl, zu Landen. »Vielleicht können wir mit dem anderen Gefährt weiter fliegen«, sagte Patan Kront, als Toran seinen Gleiter nur zehn Meter von dem anderen aufsetzte. »Ich weiß nicht«, gestand Tagert Decron, »aber das kommt mir etwas seltsam vor… zuerst fliegt unser menschlicher Freund in die falsche Richtung, dann steht hier ein Gefährt ohne Fahrer.« »Bitte, ich kann doch nichts dafür, dass der Gleiter zufällig hier steht«, flehte Toran und blickte die Laktonen treuherzig an. »Aussteigen!« Sie näherten sich dem zweiten Sonnengleiter. Kront blickte sich fortwährend um, als erwartete er Feinde, die hinter ihrem Rücken heranstürmten und versuchten, sie zu überwältigen. Dabei registrierte er die einmalige Luft in diesem Bereich. Nie hatte er ähnliches gerochen. »Einsteigen«, lautete Decrons knapper Befehl. »Zu wem wollen Sie überhaupt hin?«, fragte Toran zum wie177 �
derholten Male, nachdem er eingestiegen war. »Am besten zu Rex Corda«, antwortete Patan Kront. »Der ist weit von hier«, nuschelte Toran. Er aktivierte die Bedienungsleiste. Erstaunt sah er die Laktonen an. »Die haben vergessen, die Wegfliegsperre einzuschalten.« Decron bedeutete ihm, zu starten. Er fühlte sich nicht wohl, solange sie mitten im Dschungel standen. Die Sichtkuppel schloss sich, die Turboprops jaulten auf. Ein leises Zischen ertönte, das fast im Geräusch der Turboprops unterging. »Was ist d…?« Tagert Decron sank im Sitz zusammen. Der Magnet-Smash entfiel seiner Hand. Patan Kront im Fond des Sonnengleiters erging es ebenso. Die beiden Laktonen schliefen tief und traumlos. Das Gas hatte ganze Arbeit geleistet. Toran zog sich den Turban mit den daran befestigten grauen Haaren vom Kopf. »Verdammt heiß unter dem Mistding«, fluchte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. In den Sender seines Armbandvideophons sagte er: »Ihr könnt kommen, Leute, die Jungs sind außer Gefecht!« * Stimmen drangen an sein Ohr. Zuerst wispernd, dann immer lauter. Er kannte die Sprecher nicht, konnte sie auch nicht sehen. Während das Gehör schon wieder funktionierte, ließ ihn die Sehkraft im Stich. Er konnte sich kaum bewegen. Fast so, als habe man ihn festgeschnallt. »Der Tipp war goldrichtig gewesen.« »Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist, sie zu fangen.« 178 �
Diese Stimme kannte er: Toran! »Vergiss nicht, sie sind Wissenschaftler, keine Soldaten.« Er versuchte, ein Stöhnen zu unterdrücken, um die Sprecher nicht auf sich aufmerksam zu machen. Er wusste nicht, wer die Leute waren, doch war er seit ihrer Flucht von Teckan überaus vorsichtig. Sein Name fiel ihm zuerst nicht ein, auch nicht, wie er in diese Lage gekommen war. Erst nach einigen Sekunden erinnerte er sich wieder an seinen Namen. Eine kräftige Ohrfeige riss seinen Kopf nach hinten. »Du brauchst dich nicht zu verstellen«, sagte Toran. »Wir wissen, dass du wach bist.« Tagert Decron öffnete die Augen und starrte den dickleibigen Menschen an. Die grauen Haare fehlten, auch hatte Toran nun einen schwarzen Schnauzbart, aber Decron hätte ihn sogar mit Glatze wieder erkannt. Er starrte an sich hinab. Toran grinste widerwärtig. »Wir haben dich vor dir selbst beschützt«, behauptete er. »Du könntest Dir ja etwas antun.« »Was soll…?« »Die Fragen stellen wir!«, mischte sich einer der Sprecher mit hoher Stimme ein. Decron blickte zur Seite und erkannte, dass mindestens 20 Menschen um ihn herum standen. Er saß gefesselt auf einem Stuhl, anstatt wie noch kurz vorher im mitten im Dschungel gefundenen Sonnengleiter. Nur befanden sie sich nicht mehr an der Fundstelle. Hinter den Menschen war es dunkel, wahrscheinlich befanden sie sich in einer Halle. Er sah zur Seite. Patan Kront saß auf dem Beifahrersitz. »Was suchen Laktonen mitten im Dschungel?«, fragte Rigo Moratti. Als weder Kront noch Decron antworteten, hielt er dem ersteren den MAS gegen die Stirn. Kront schluckte, er blickte Decron an. 179 �
»Wir wollen zu Rex Corda«, antwortete er. »Ach, zu Corda«, höhnte der Mann mit der hohen Stimme. »Aus welchem Grund?« Keiner der beiden Gefangenen antwortete ihm. Toran, in Wahrheit Toan Collong, hielt nun Decron den anderen MagnetSmash gegen das Kinn. Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, den beiden zurückzuzahlen, was sie ihm angetan hatten. »Sollten Sie keine Antwort geben wollen, so machen meine Leute kurzen Prozess mit Ihnen«, drohte Randa Kalunde. »Wenn Sie aber mit uns zusammenarbeiten sorge ich dafür, dass Ihr Wunsch erfüllt wird.« »Sie müssen verstehen, dass wir misstrauisch sind«, gab sich Toan Collong redselig. »Laktonen, die sich heimlich unter uns mischen, könnten uns gefährden. Wir wissen nicht, wer Sie sind, was Sie herführt und wo Sie hin wollen. Reden Sie mit uns und denken Sie daran, dass wir Ihnen helfen können.« Wie zur Bekräftigung seiner Worte nahm er den MAS von Decrons Kinn und steckte ihn ein. Moratti machte das Gleiche bei Kront. Der laktonische Wissenschaftler nickte langsam. »Wir bekommen unsere Freiheit wieder?«, fragte er. »Aber sicher«, bestätigte Moratti mit beschwörender Stimme. »Sie müssen nur mit uns zusammenarbeiten. Ohne Ihren guten Willen geht es nicht. Auch wir müssen uns schützen.« »Nicht, Patan!«, bat Decron als er sah, wie es in seinem Partner arbeitete. »Wir sind Wissenschaftler, die auf der Erde Asyl suchen«, antwortete Kront. Decron schloss die Augen. Seine Zähne mahlten aufeinander. »Sie sind Überläufer?« Kalunde beugte sich überrascht vor. »Ja, vom Planeten Teckan«, gestand Kront. »Verräter!« Tagert Decron konnte sich kaum beherrschen. »Nicht doch«, versuchte Moratti, ihn zu beruhigen. »Sie brau180 �
chen sich nicht aufzuregen.« »Sie wollen unbedingt zu Corda? Das kann ich arrangieren. Aber wäre es nicht besser, Sie würden für mich arbeiten?«, fragte Randa Evariste Kalunde lauernd. »Geben Sie uns Bedenkzeit…«, bat Patan Kront. * Moratti hatte Recht gehabt. Sie waren wieder frei, zumindest innerhalb der Mauern des unbekannten Gebäudes. Sogar die Übersetzungsgeräte hatten sie ihnen als Zeichen ihres guten Willens gelassen, obwohl sie doch damit alle Gespräche mitbekamen. Und sie hatten Zutritt zu den meisten Räumen. Ein kleiner schmaler Mann mit hellbrauner Haut begleitete sie fast ständig. Das Gesicht des kleinen Mannes war stets ernst und beherrscht. Er lächelte nie, geschweige denn dass er lachte. Die beiden Laktonen hatten gehört, dass er sogar zum Lachen in den Keller ging. Was es mit diesem Spruch auf sich hatte, wussten sie nicht. Decron bemerkte nur zu Kront, dass die Menschen seltsame Bräuche besaßen, wenn sie noch nicht einmal im Freien lachen durften. Der Mann hatte sich als Nagalla vorgestellt. Er schien zur oberen Schicht zu gehören, wie Moratti und Collong. Aber etwas war anders an ihm, etwas, das Decron aufgefallen war, das er aber nicht richtig interpretieren konnte. »Er scheint nicht mit den Ideen der anderen einverstanden zu sein«, flüsterte er Kront zu, während Nagalla mit Kamtea Doron sprach. »Was meinst du damit?«, wollte sein Partner wissen. »Es ist nur ein unbestimmtes Gefühl. Ich kann es nicht näher erklären.« Patan Kront sah ihn überlegend an, doch er verzichtete auf 181 �
weitere Fragen, da Nagalla in diesem Moment zu ihnen zurückkam. »Ich zeige Ihnen Ihre Zimmer«, sagte er und nickte ihnen zu. »Folgen Sie mir.« »Was ist das für ein seltsames Gebäude?«, erkundigte sich Tagert Decron, während sie durch einen Stollen gingen, der weit hinab führte. »Das war ein ehemaliges Bergwerk, an dessen Eingang eine Halle gebaut wurde«, antwortete Nagalla bereitwillig. »Aber beides ist schon lange verlassen.« Der Stollen gabelte sich. Nagalla blieb stehen und blickte die Lakonen an. Man sah, dass es in ihm arbeitete. »Nach dort geht es zu den Unterkünften…«, sagte er und zeigte nach links. Dann wandte er sich abrupt nach rechts. »Folgen Sie mir.« »Was ist los?« Decron konnte sich den Gesinnungswandel ihres Führers nicht erklären. Nagalla blieb ebenso abrupt stehen, wie er losgegangen war. Er drehte sich um. »Verstehen Sie denn nicht? Das ist nur eine Falle von Kalunde. Er denkt im Leben nicht daran, Sie zu Rex Corda zu bringen!«, ereiferte er sich. »Im Gegenteil! Er ist Cordas Todfeind. Er stellt sich nur gut mit Ihnen, weil er Informationen will.« »Was?« Patan Kront war sichtlich erschüttert. Waren sie nur geflohen, damit sie ein noch schlimmeres Schicksal erleiden sollten? »Weshalb erzählen Sie uns das?« Tagert Decron hatte sich schneller gefangen als sein Partner. »Weil ich mit seinen Plänen nicht einverstanden bin«, antwortete Nagalla. »Man darf intelligente Lebewesen nicht so behandeln.« Damit log er sie schamlos an, denn er wäre der Letzte, der 182 �
etwas auf die Würde anderer Wesen gab. Er verschwieg, dass er schon seit langem nicht mehr mit Kalunde und dessen Zielen einverstanden war; genauer gesagt, schon vor ihrer Vertreibung. Die Entscheidung, die Laktonen nicht zu ihren Zimmern zu führen, hatte er spontan gefällt, da er für Aufregung in diesem Stützpunkt sorgen wollte. Er hatte schon so lange darauf gewartet, Kalunde zu beerben und kam mit der gegenwärtigen Situation noch weniger klar, als der ehemalige Diktator. »Wohin führen Sie uns?« Kront blickte sich hilfesuchend um. »Dort vorne sind die Parkgelegenheiten für Sonnengleiter«, erklärte Nagalla. »Nehmen Sie sich einen und fliegen sie weg, bevor es für Sie zu spät ist.« »Zu spät?« Kronts Denkvorgänge liefen langsamer ab als gewohnt. Die Eröffnungen Nagallas hatten ihn geschockt. »Ja, glauben Sie denn, er würde Sie lange am Leben lassen?« Nagalla bedeutete den Laktonen, ihm zu folgen. »Sobald Kalunde seine Informationen hat, lässt er Sie umbringen.« »Was ist mit Ihnen?« Decron war kaltblütiger, er konnte nicht so leicht aus der Ruhe gebracht werden wie Kront. »Ich werde behaupten, dass Sie mich niedergeschlagen haben«, sagte Nagalla. »Schließlich kann ich Ihren körperlichen Kräften nichts entgegen setzen.« »Er hat recht«, beschwor Kront seinen Kollegen. »Lass uns fliehen.« »Das gefällt mir überhaupt nicht«, gab Decron zurück. »Aber Sie haben keine andere Wahl, wenn Sie überleben wollen«, behauptete Nagalla, als sie kurz vor dem Parkdeck standen. »Oder haben Sie die lange Reise nur gemacht, um hier zu sterben?« Decron hielt an. Jetzt zitterten auch seine Hände leicht. »Und wer sagt, dass Sie uns nicht verraten?« »Das ist Ihr Risiko.« Nagalla hob beide Hände leicht an. »Hätte 183 �
ich Sie töten wollen, wäre das schon lange geschehen. Da hätte ich mir die Erklärungen sparen können. Oder glauben Sie denn, Sie wären durch Zufall in unsere Gewalt geraten?« »Was soll das bedeuten?« Kront wirkte noch verkrampfter, als er normal schon war. »Das heißt, dass Ihre Landsleute von Ihrem Besuch auf der Erde wissen.« »Das kann nicht sein«, entfuhr es Decron. »Laktonen verbreiteten über Funk und sämtliche Medien eine Meldung über ganz Terra, dass Sie Flüchtlinge sind«, behauptete Nagalla. »Wer sagt das?« Kront wurde noch aufgeregter. Vor allem als er bemerkte, wie Nagalla herumdruckste. Er schien Ewigkeiten zu brauchen, bis er den Namen aussprach. »Ein gewisser Jakto Javan.« Kront zuckte zusammen, und auch Decron fühlte, dass sich sein Magen zusammenzog. »Der Schento«, flüsterte er. »Dann sind wir verloren.« »Lass uns gehen, Tagert«, flehte Patan Kront. »Solange noch Zeit dazu ist.« Decron nickte nach kurzem Nachdenken. »Also gut. Wir vertrauen Ihnen.« Sie betraten das Parkdeck, auf dem sieben Autos und vier Sonnengleiter standen. Um diese Zeit befand sich hier kein Mensch. Nagalla trat an einen grünbraun gefleckten Sonnengleiter. »Nehmen Sie den«, forderte er die Laktonen auf. »Die Tarnfarbe sieht man nicht so leicht.« Decron stieg ein und besah sich die Armaturen. Nagalla machte ihn kurz mit den Bedienungselementen vertraut. »Das ist extrem einfach zu steuern«, erkannte Decron. »Beeilen Sie sich!« Nagalla drängte ihn zum Start. »Jede Sekunde kann jemand kommen.« 184 �
»Ich hoffe, ich kann Ihnen einmal dafür danken«, sagte Decron. Er beugte sich über das Steuerpult des Fahrzeugs und aktivierte sämtliche Sonnenbatterien. Die Turboprops heulten kurz auf, dann übernahmen die lärmschluckenden Absaugfelder die überschüssigen Energien und führten sie den starken Motoren zu. Der Sonnengleiter hob ab und beschleunigte. Patan Kront drehte sich um und winkte Nagalla Udande zu. Im nächsten Augenblick zerriss eine Explosion den Sonnengleiter. Kront und Decron besaßen nicht die geringste Chance zu Überleben. Nagalla zuckte zusammen, als ihn die Druckwelle erreichte und umwarf. Sein Gesichtsfarbe wechselte innerhalb einer Sekunde von hellbraun zu kalkweiß. Ungläubig starrte er auf die Stelle, an der eben noch der Sonnengleiter geschwebt hatte. »Hallo Nagalla«, begrüßte ihn eine bekannte Stimme. Langsam stand er auf, drehte sich um und sah in Rigo Morattis lächelndes Gesicht. Kalundes auserkorener Liebling winkte ihm zu. In der Hand hielt er einen Magnet-Smash mit dem einen Ende auf Udande gerichtet. Neben ihn trat Kamtea Doron. Auch sie bedrohte Udande mit ihrer Waffe. Der Berater Kalundes glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. »Schön, dich zu sehen, Nagalla…«
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8. � »Ich hoffe, du hast dich darauf vorbereitet, leise zu sterben.« (CCR, 1969: 'Bad moon rising') Ende Juli 1993 …dreiundzwanzigster geheimer Eintrag, eingespeist im Raffer-Code der FAMILIE. Aufgezeichnet durch die Gedankenpositronik in der Gürtelschnalle: Sie halten mich schon seit 46 Tagen gefangen, wie man ein Stück Vieh hält, bevor es zur Schlachtbank geführt wird. Mich, Korom Sedilon, einen weit entfernten Verwandten der Agelons. Ich gehöre zur herrschenden Klasse des Orathonischen Reiches. Ich gehöre zur FAMILIE! Sie dagegen sind nicht mehr wert als Würmer, die von uns zertreten werden. Nur weigern sie sich, diesen Fakt anzuerkennen. Sie beobachten mich ständig, das weiß ich. Aber das würde ich ihnen nie zeigen. Jede Regung von mir wird genau von ihnen analysiert. Ich fühle mich wie ein totes Tier, das seziert wird. Die Tage vergehen in stupidem Gleichklang in einer düsteren, schalldichten Zelle. Ich habe keine Zerstreuung und bekomme keine Informationen. Niemand unterhält sich mit mir. Selbst wenn sie mir Essen durch die Tür schieben erhalte ich weder Gelegenheit, mich mit jemand zu unterhalten, noch den Überbringer zu überwältigen, denn in die Tür ist eine Sicherung eingebaut. Es ist frustrierend. Aber auch das würde ich niemals zugeben. Schließlich bin ich ein Orathone. Ich bin der letzte Überlebende meines Trupps, alle anderen wurden erschossen oder lebendig verbrannt. Ich würde auch Leute erschießen 186 �
oder verbrennen, die meinen Planeten besetzen, aber das ist doch etwas grundlegend anderes als hier. Ich bin sowohl ein Orathone als auch ein Mitglied der FAMILIE, und damit automatisch mehr wert als alle Lebewesen anderer Sternenvölker. Das ist der Unterschied! Wir waren zu viert. Mit einem Diskus der Pon-Klasse flogen wir zu dem Gebirge, das von den Menschen Himalaja genannt wird. Nach Erledigung unseres Auftrags wollten wir zurück zur Tarkoann, einem Hantelraumer der Arca-Klasse. Gleich nach unserem Start erhielten wir einen Funkspruch mit der Mitteilung, dass die Tarkoann, die unter dem Kommando von Kera Agelon, dem 18. Sohn des Moga steht, sich schon weit über der Erde befinden würde. Eine Übermacht der verfluchten Laktonen hatte unser Mutterschiff angegriffen und zum Alarmstart gezwungen. Der Versuch, mit unserem Pon-Boot ins Weltall zu entkommen, ging schief. Knapp fünfhundert Meter über der Erdoberfläche beschoss uns ein Raumer der Pithon-Klasse. Wir hatten keine Chance gegen die verhassten Feinde. Unser Diskus wurde getroffen, der Antrieb dabei zerstört. Unser Pilot versuchte noch, irgendwo Notzulanden, aber ein zweiter Schuss machte die Hoffnung zunichte. Sadon Carilon und mir gelang es noch, mit Rettungsanzügen abzuspringen. Die Antigravaggregate ließen uns sanft zu Boden schweben. Unsere beiden anderen Kameraden hatten nicht dieses Glück. Das Pon-Boot explodierte etwa 50 Meter über der Erde. Die Druckwelle blies uns von den Beinen. Weshalb sich die Laktonen nicht weiter um uns kümmerten, bleibt mir bis heute unerfindlich. Wir Orathonen hätten sofort mit der Desintegrierung von zwei Personen angefangen, sobald diese aus einem feindlichen Beiboot fliegen. Nahmen die uns nicht ernst, weil wir nur zu zweit waren? Kein Wunder, dass wir es im endlos langen galakti187 �
schen Krieg weiter gebracht haben, als die laktonischen Schwächlinge. Und dann waren alle orathonischen Einheiten aus dem Solaren System verschwunden. Sadon und ich mussten uns allein durchschlagen. Das ging auch die ersten Monate gut. (Zum besseren Verständnis wurden die Angaben von Korom Sedilon in irdische Größen umgewandelt) Bei der Suche nach einer Bleibe gab uns ein Mann mit Namen Yussuf Machalachem den Rat, es im übernächsten Bergdorf zu versuchen. Laut eigener Aussage war dieser Mann erklärter Feind der Laktonen, was ihn automatisch zu einem Verbündeten machen konnte. Wir hatten unverschämtes Glück, denn wir schlugen unser Quartier in einem teilzerstörten, verlassenen Dorf auf, in dem es genug zu essen und trinken gab. Wir hörten Funknachrichten ab und richteten uns ein, bis zur Rückkehr unserer Flotte hier zubleiben. Bis zu dem Tag, an dem eine Horde Sonnengleiter über uns hinweg jagte. Eins der seltsam anzusehenden Fluggeräte musste notlanden. Ein Mann stieg aus und schaute in den Häusern nach, ob er ein Ersatzteil für den defekten Antrieb bekommen könnte. Stattdessen fand er uns. Sadon Carilon beschoss ihn sofort. Es gelang ihm, den Terraner zu töten, aber dessen Gefährten rächten sich. Carilon wurde von ihren Patronen durchlöchert. Beim Versuch zu fliehen, erwischten sie mich. Ich habe weitaus größere Kräfte als ein Mensch, da ich unter fast doppelt so hoher Schwerkraft aufgewachsen bin, aber schlussendlich half mir das nichts gegen die Übermacht meiner Feinde. Machalachem war ein muskulöser, drahtiger Mann ohne Skrupel. Wäre er kein minderwertiger Mensch, hätte ein brauchbarer Orathone aus ihm werden können. Ihm gelang es noch zu fliehen. Rigo Moratti hieß der Offizier, der mich im Triumphzug zu seinem Befehlshaber brachte, als habe er mich eigenhändig erlegt. Sie haben mich verhört und gefoltert, aber ich habe mich als echter Orathone erwiesen. Ich habe ihnen vieles verraten, was sie schon wis188 �
sen, aber keine militärischen Geheimnisse. Eher beiße ich die Vexidolkapsel auf, die in meinem linken Backenzahn untergebracht wurde. Das große Vergessen würde innerhalb von fünf Sekunden über mich kommen… Auszug aus den Gedankenaufzeichnungen von Korom Sedilon * »Schau es dir genau an, Randa! Siehst du es? Und du bist mit Schuld daran, dass so etwas passierte! Du hast immer nur an dich gedacht, nie an deine Untergebenen. Und du hast so viele unsinnige Befehle gegeben, wobei wir unsere Existenzen fast verloren hätten… Deshalb musste ich es machen.« Nagalla Udande stand mit hoch erhobenem Kopf vor Randa Evariste Kalunde. Trotzdem war er immer noch kleiner als der Ex-Diktator. Udande trug eine hellbraune Uniform, an die Orden und Abzeichen angeheftet waren. Um die Hüften schlang sich ein Gürtel, der eher einer Art Schärpe glich. Ein überdimensionales Gürtelschloss vervollständigte sein Erscheinungsbild. Dem ehemaligen Berater waren die Hände auf dem Rücken gefesselt worden. Er wirkte ruhig, als habe er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Sie befanden sich im Besuchersaal der Dschungelfestung. Zehn Meter hinter Kalunde standen mehrere Soldaten, bereit einzugreifen oder den Befehlen ihres Anführers zu gehorchen. Der Grund für Udandes Anklage war deutlich auf dem großen Fernsehschirm zu sehen. In ganz Afrika gab es tausende von Demonstrationen. Zig Millionen Menschen gingen auf die Straße. Heute war der Jahrestag der Vernichtung Kalemis. Sigam Agelon, der Anführer der Orathonischen Flotte, dritter Sohn von Moga Agelon und Mitglied der FAMILIE, hatte an der Stadt am 189 �
Tanganjikasee ein Exempel statuiert. Die Kamera spielte die Bilder von vor einem Jahr ein, dazu erklang der O-Ton des Reporters von damals: »In Kalemi bricht die Ordnung zusammen. Die Truppen meutern. Die Situation scheint außer Kontrolle zu geraten, seit eine Kompanie afrikanischer Soldaten drei Orathonen auf offener Straße angriff und tötete. Mehrere Flugabwehrraketen schossen in die Höhe, als eine Abwehrstellung auf einen Diskus zielte. Der Energieschirm wehrte die Geschosse ohne größere Probleme ab, doch das Lichterspiel am Himmel forcierte den Aufstand. Lange aufgestaute Frustrationen brachen sich Bahn, als reguläre Truppen und aufständische Zivilisten sich gleichermaßen gegen Regierungseinrichtungen wie auch Installationen der Besatzer wendeten. Weitere Orathonen wurden von der Menge überwältigt und zum Teil brutal hingerichtet.« Die Bilder wechselten. Nun war zu sehen, wie Hantelraumer der Orathonen über der Stadt standen und ihre Feuer des Verderbens spieen. Ein anderer Sprecher kommentierte das grausame Geschehen von damals: »Heute wissen wir: die Berichte über den Aufstand wurden Sigam Agelon überbracht, der sie mit kalter Wut zur Kenntnis nahm. Es war notwendig, ein Exempel zu statuieren – und so befahl er die Vernichtung der Stadt. Sofort stürzten sich die Schiffe der Orathonen wie Racheengel feuerspeiend auf die Stadt. Sie kamen aus Warteräumen, aus den Tälern und vom wolkenlosen Himmel. Und sie zerstörten ohne Gnade! Bis alles vernichtet war…« Die Stimme des Sprechers stockte. Selbst jetzt, nach einem Jahr, steckten ihm die Erlebnisse noch in den Knochen. Langsam berichtete er weiter, und seine Stimme klang, als gehörte sie einer seelenlosen Maschine: »Mit einem Schlag leuchteten hundert Sonnen am Ufer des 190 �
Tanganjikasees auf. Das Seewasser begann zu brodeln. Gebäude schmolzen unter den ungehinderten Energien der Strahlschüsse wie Butter dahin. Tausende von Menschen vergingen als lebende Fackeln und der Boden wurde durch die Kraft der Vernichtung aufgewühlt. Wieder vernichteten die Orathonen eine Stadt.« (siehe Rex Corda Nummer 5: ›Die Bomben des Verräter‹) Niemand, der diese Bilder einmal sah, würde sie jemals wieder vergessen. Zu gewaltig war der Schock über dieses Ereignis, zu unvorstellbar die Folgen. Ein kontinentales Trauma war geboren. Zuerst wurde Kairo ausgelöscht und kurz darauf Kalemi. Und beide Städte jeweils innerhalb weniger Stunden. »Deshalb musste ich es machen«, wiederholte Kalunde tonlos Udandes Worte. Auf seiner Stirn erschien eine steile Zornesfalte. »Was bildest du dir ein? Ohne mich bist du ein Nichts!« Udande blickte ihn abschätzend an, er enthielt sich eines Kommentars. »Warum hast du das getan, Nagalla? Habe ich dich nicht immer wie einen Sohn behandelt?« »Du hast mich wie den letzten Dreck behandelt, so wie du die anderen auch behandelst«, korrigierte ihn Udande. Kalunde sah aus, als wollte er sich auf den kleinen Mann stürzen. »Du weißt, dass heute der letzte Tag deines Lebens ist?« »Ich wünschte, es wäre dein letzter.« Angesichts des nahen Todes nahm Udande kein Blatt vor den Mund. Er siezte sein Gegenüber auch nicht mehr. Kalunde seufzte und schüttelte den Kopf. Er wirkte wie ein resignierender Vater, der seinem störrischen Nachwuchs, der nichts kapieren will, zum wiederholten Mal etwas erklärt. »Was ist nur aus dir geworden«, beklagte er sich. »Hör auf mit dem Gejammer und dem ewigen Selbstmitleid, in dem du ständig zerfließt.« Nagalla Udande mochte es nicht 191 �
mehr mit anhören. »Weißt du, dass ich Tsien Hsia nicht richtig erschossen habe? Die Munition betäubte ihn nur.« »Warum erzählst du solche Unwahrheiten? Nur, um mich zu treffen?« »Es ist wahr. Das hatten wir vorher so ausgemacht, oder glaubst du, er kam ohne Absicherung für sein Leben in die Höhle seines Konkurrenten?« In Kalundes Gesicht arbeitete es. Seine Augen schienen zu glühen. »Und wie entfloh er?« »Da musst du Yussuf Machalachem fragen«, lautete die Antwort, die Kalunde fast um den Verstand brachte. »Nachdem er die einstürzenden Felsen und das Massaker in der Felsenhalle überlebte, möchte er sich bei dir auf seine Art bedanken.« »Du lügst!« Kalunde brüllte vor Wut. »Du lügst, um dein erbärmliches Leben zu retten!« »Das habe ich nicht nötig… Erhabener.« Das letzte Wort betonte Udande so verächtlich wie möglich. »Oder bist du so naiv zu glauben, dass die Frequenzen auf Verdacht gestört wurden? Tsien Hsia hat von mir genau gewusst, auf welcher Frequenz und um welche Zeit er dich erreichen kann. Ich habe ihm nur eines nicht verraten…« Die Pause dauerte Kalunde zu lange. »Und das wäre?«, fauchte er den Gefangenen an. »Wo wir zu finden sind. Schließlich wollte ich deine rechtmäßige Nachfolge antreten, und da wollte ich mir mein Domizil nicht zerstören lassen. Aber als ich merkte, dass du ihm nicht Paroli bietest, konnte ich nicht anders und habe die Wanze, die ich Tsien Hsia abnahm, aktiviert.« »Danke für so viel Loyalität«, höhnte Kalunde. »Ich werde es dir bestimmt nicht vergessen. Du wolltest Kalif anstelle des Kalifen werden, aber was hättest du anders oder sogar besser 192 �
gemacht als ich?« »Fast alles«, lautete die höhnische Antwort. »Man kann nicht mehr Fehler machen, als du!« »Wir stehen besser da als jemals zuvor, seit wir fliehen mussten«, sagte Kalunde. Erstaunt bemerkte er, dass er sich vor Udande rechtfertigte – obwohl er sich in der weitaus stärkeren Position befand. Er, der Erhabene. »Wir haben einige zigtausend Verbündete in ganz Afrika, zu denen wir ständig Verbindung halten, und die uns mit Informationen überhäufen. Lass es noch ein oder zwei Jahre dauern. Solange bleiben wir im Untergrund und breiten uns weiter aus. Aber dann sind wir wieder an der Macht!« Er legte eine kurze Pause ein und lachte Udande an. »Dann bin ich wieder an der Macht! Und du hättest diese Macht mit mir teilen können…« »Du hast dich schon immer gern selbst reden gehört, selbst wenn du nichts kluges dabei sagst.« Den Seitenhieb konnte Nagalla Udande sich nicht verkneifen. »Bringt ihn fort«, befahl Kalunde zwei Soldaten. »Ich kann ihn nicht mehr sehen. Er soll seinen letzten Freund treffen… den Tod!« * Nagalla Udande zögerte, als er Korom Sedilon sah. Der Orathone war nur zwei Zentimeter größer als Udande, aber viel breiter und massiger. Unter der roten Uniform zeichneten sich die Muskelbündel ab. Udande biss sich auf die Unterlippe. Er wusste, dass er im Normalfall keine Chance gegen den erfahrenen Kämpfer hatte. Gerade hatte die Dunkelheit eingesetzt. Man hatte sie am Ufer eines Sees abgesetzt. Rund um das Ufer wuchsen Palmen und im Hintergrund stand der Tower eines Raumhafens. Neben dem 193 �
Tower stand etwas Rundes, das Udande zuerst für einen Kugelraumer oder den Teil eines Hantelraumers gehalten hatte. Nach näherem Hinsehen erkannte er, dass es sich um eine Wartungshalle handeln musste. »Ein schöner Platz und eine gute Zeit zu Sterben«, stichelte Randa Kalunde. Weder Sedilon noch Udande antworteten darauf. »Dabei ist es nur einer von euch beiden, der heute sein Leben lassen muss«, fuhr der Ex-Chef der Republique Africaine fort. Korom Sedilon sah ihn misstrauisch an. »Du kannst mir ruhig vertrauen, mein außerirdischer Freund…«, Randa Evariste lächelte, er wollte das Misstrauen des Orathonen einlullen. »Was soll dieses Spielchen bedeuten?«, grollte Sedilon. Seine Kopffedern, die er als Orathone anstelle von Haaren trug, standen etwas ab, ebenso der Flaum auf den Armen. Ein Mensch hätte an seiner Stelle eine Gänsehaut bekommen. »Wenn du dein Leben für ein Spiel hältst, ist das deine Sache…« Kalunde legte eine Kunstpause ein. »Ich biete nur einem von euch die Möglichkeit, nicht ins Gras zu beißen. Der andere…«, Kalunde fuhr sich mit dem Finger quer über den Hals, eine Geste, die auch der Orathone verstand. »Was ist mit dem Sieger? Bleibt der weiter in deiner Gefangenschaft?« »Der Sieger besitzt die Freiheit des Universums und kann sich überall bewegen, wo er nur hinkommt«, lautete die schwer verständliche Antwort. Udande blickte misstrauisch um sich. Er witterte eine Falle. Er glaubte nicht, das Kalunde einem von ihnen eine Chance ließ. Sowohl der Orathone als auch er selbst würden den Kampf nicht überleben, das war sicher. Nie im Leben würde REK sich um das Vergnügen bringen, seine Feinde sterben zu sehen. 194 �
Sedilon bemerkte, dass einige struppige, seeigelähnliche Wesen neben den Palmen lagen. Er sah auf den ersten Blick, um was es sich handelte. »Befinden sich semibiotische Kolonien hier?«, fragte er sich. Dann erkannte er, dass die semibiotischen Konduktoren nicht echt waren. Wahrscheinlich sollte er vom Kampf abgelenkt werden. Dieser Kalunde kämpft mit allen Mitteln, egal ob erlaubt oder nicht. Aus ihm könnte ein guter Orathone werden. Rigo Moratti bestieg seinen Sonnengleiter und kam mit zwei kleinen Geräten zurück, die Udande bekannt waren. Sie bestanden aus einem zylinderartigen Griff und einem Schutzkorb, der einem Schwertkorb ähnelte. Moratti nahm eines der Geräte in die rechte Hand und umklammerte den Griff mit seinen Fingern. Seine Hand verschwand unter dem verzierten Schutzkorb. An der Vorderseite ragte ein zwei Zentimeter langes, konisch geformtes Rohr aus dem Korb. »Eine Teufelskralle«, entfuhr es Udande. Woher hat der Mistkerl die laktonischen Waffen? dachte er. »Schaut her«, sagte Major Moratti, »ich zeige euch, was mit der Teufelskralle gemacht werden kann.« Ein schwach blau leuchtender Energiefinger drang mit zischendem Geräusch aus der konischen Röhre. Mit einer kurzen Handbewegung fällte Rigo Moratti eine kleinere Palme. Er trennte sie einen Meter über dem sandigen Boden durch. Mehrere Sekunden dauerte es, bis die Baumkrone langsam zur Seite kippte und mit einem eigenartigen Geräusch auf dem sandigen Boden aufkam. Korom Sedilon verzog keinen Muskel seines eckigen Gesichtes. Nur auf seinen Augenlidern erschienen bunte Farbmuster. »Unter dem Einfluss der Schwingung des Feldes zerfällt Materie«, erklärte Rigo Moratti. »Ich brauche euch nicht zu erklären, 195 �
dass jede Berührung von Materie zur vollkommenen Zerstörung führt. Selbst bei kleineren Verletzungen kann der Nervenschock tödlich sein; sowohl für Menschen als auch für Orathonen.« »Lass uns endlich anfangen«, forderte Nagalla Udande. Toan Collong nahm eine Teufelskralle von Moratti entgegen und warf sie zu Udande. Moratti warf dem Orathonen die zweite Teufelskralle zu. Korom Sedilon fing sie weitaus geschickter auf als sein Gegner. Moratti wartete, bis sich beide den Schutzkorb über die Hand gestreift hatten. Er gab ihnen zusätzlich einige Sekunden Zeit, bis sie sich an die Handhabung der Teufelskralle gewöhnt hatten. Sedilon übte einige Hiebe mit der eigenartigen Waffe. Seine Bewegungen wirkten überaus kraftvoll und elegant. Man sah ihm an, dass er gewohnt war, zu kämpfen. Bei seinem Gegner sah alles ein wenig ungelenker aus. »Nagalla hat nicht die geringste Chance gegen ihn«, flüsterte Collong in Kalundes Ohr. Der grinste lediglich, sagte aber nichts dazu. Er hat es auch nicht anders verdient, wenn er sich gegen mich stellt, bedeutete sein Blick. Sedilon machte sofort einen Ausfallschritt und stieß die rechte Hand mit einer kurzen, abgehackt wirkenden Bewegung vor. Aber Nagalla Udande hatte aufgepasst. Er berührte sofort den Auslöser und tänzelte rückwärts. Die Energiefinger trafen sich dort, wo bei normalen Schwertern die Klingen waren. Ein Sirren ertönte, das den Zuschauern kalte Schauer über die Rücken jagte. Korom Sedilon sprang nach links. Er versuchte, Udande mit einem Hieb zu enthaupten, doch der bückte sich gedankenschnell. Der Energiestrahl bohrte sich einen knappen Meter neben Udande in den sandigen Boden. An der Auftreffstelle schmolz der Sand zu einem Glasklumpen. 196 �
»Alle Achtung.« Collongs Stimme klang heiser. Er wischte sich wie üblich den Schweiß von der Stirn. »Der Orathone ist wirklich gut. Und dass Nagalla dagegenhalten kann, hätte ich nicht gedacht.« »Wir sollten ihn als Wachhund engagieren«, sagte Kalunde. Seine Untergebenen lachten dazu. Nun versuchte Udande einen Ausfall. Sedilon drückte den Auslöser und traf den linken Ärmel des Afrikaners. Der zog blitzschnell die Hand zurück und schaute auf das Gelenk. Dann atmete er kurz auf. Der Energiefinger hatte nur den Stoff des Jacketts erwischt. Doch Sedilon gönnte ihm keine Sekunde Pause. Udande bückte sich unter einem überraschenden Angriff. Die Energiestrahlen zischten wirkungslos gegeneinander. Sofort stieß Sedilon nach, doch Udande war auf der Hut. Der verbissene Kampf tobte minutenlang unentschieden. In kurzen Abständen prasselten die Energiestrahlen aufeinander ein. Aber weder Korom Sedilon noch Nagalla Udande gelang es, dem Gegner einen tödlichen Treffer anzubringen. Udande sprang drei Schritte zur Seite. Schnell und mit erstaunlicher Behändigkeit. Dann drückte er wieder ab. Korom Sedilon parierte jedes Mal mit unheimlicher Präzision. In immer schnellerer Folge prallten die Energiestrahlen gegeneinander. Die Gesichter der beiden Männer waren vor Anstrengung und Todesfurcht verzerrt. Mit rasender Geschwindigkeit zischten die Energiestrahlen, wenn sie zusammen trafen. Für wenige Minuten gab es kaum noch Pausen in dem Kampf auf Leben und Tod. Udande bückte sich und rollte sich gleich darauf zur Seite ab. Dabei ritzte er Sedilons Hose auf Schienbeinhöhe. Der Orathone zuckte zusammen. Automatisch fuhr seine Hand, die die Teufelskralle umklammert hielt, auf Udande herab. Der Afrikaner 197 �
hob geistesgegenwärtig seine Teufelskralle und betätigte den Auslöser. Korom Sedilon blickte mit Unglauben im Gesicht seiner davonfliegenden, abgetrennten Hand nach, die noch den Griff der Teufelskralle festhielt und mit einem dumpfen Geräusch im Sand landete. Der Orathone sank auf die Knie. Seine gesunde Linke umfasste automatisch das rechte Handgelenk. Sein verbrannter Armstumpf verbreitete einen abstoßenden Gestank. Sedilon blickte staunend auf Udande. Er wollte nicht glauben, dass ihn der schwache Mensch besiegt hatte. Er holte mehrere Male tief Luft, als litte er unter Atemschwierigkeiten. Obwohl er unter Schock stand und noch keine Schmerzen leiden konnte, biss er die Zähne wie im Krampf aufeinander. Der klare Ausdruck seiner Augen und seines Gesichts wechselte innerhalb von Sekunden zur Grimasse eines Vollidioten. Das Vexidol zeigte innerhalb kürzester Zeit Wirkung. Es begann mit beißendem Schmerz unter Sedilons Schädeldecke. Der Schmerz hielt nicht lange an, er ebbte in Wellen ab und versiegte schließlich völlig. Sedilon lallte völlig wirres Zeug daher. Zurück blieb erneute Benommenheit und der Verlust seiner gesamten Erinnerung. Dazu kam der Nervenschock durch das Schwingungsfeld. Er wusste mit einem Schlag nicht mehr, wer er war. Er wusste überhaupt nichts mehr. Korom Sedilon kippte vornüber in den Ufersand und blieb liegen. Er würde nie wieder aufstehen. Noch nicht einmal eine Minute, nachdem er die Hand verloren hatte, war er tot! Nagalla Udande zitterte am ganzen Körper. Nun machte sich die übermenschliche Anstrengung bemerkbar. Er warf die Teufelskralle neben Korom Sedilons Leiche. Er wusste, das er keine Chance hatte, gegen Kalundes Leibwache zu bestehen. »Du hältst dein Wort nicht, Randa.« Schwer atmend stand 198 �
Udande vor Kalunde und Collong. »Ich kenne dich doch.« Das schwarze Walross blickte seinen Befehlshaber fragend an. Er wirkte, als wollte er sich für die Begnadigung Udandes einsetzen. »Der Sieger besitzt die Freiheit des Universums und kann sich überall bewegen, wo er nur hinkommt«, wiederholte Kalunde seine Worte von vorhin. »Das war natürlich nur eine Metapher. Das heißt, ein Toter hat alle Freiheit des Universums, und seine Seele kann überall hin.« Er kicherte, als wäre er komplett irre. »Du kennst mich gut, Nagalla, alter Freund…« Er zog einen Magnet-Smash aus seiner Uniform und richtete ihn auf Udande. »Kompliment, alter Knabe. Ich habe noch nie einen so mitreißenden Kampf gesehen wie eben. Schade, dass du gehen musst…« Randa Evariste Kalunde betätigte den Abstrahlpol des MAS. Nagalla Udande sah wie gebannt auf die Waffe und wusste, dass sie das Letzte war, was er in seinem Leben sehen würde… * Famous last words »Das Leben ist ungerecht. Aber denk dran: nicht immer zu deinen Ungunsten.« John F. Kennedy, 35. Präsident der USA (1917 † 1963) Dienstag, 26. April 1994 Von meiner Warte aus hat alles bestens geklappt, was ich vor eineinhalb irdischen Jahren vorbereitet hatte. Ex-Diktator Kalunde hat seine Untergrundorganisation erstaunlich weit ausgebaut. Was er immer noch nicht weiß: er ist nur eine meiner Marionetten. Dabei glaubt er, dass er alles fest im Griff hat. Wenn ich wollte, könnte ich seine Festung innerhalb weniger Tage so ausbauen lassen, dass sie der sicherste 199 �
Ort auf dem blauen Planeten ist. Aber das möchte ich nicht. Noch nicht! - Rex Corda ist ein ebenbürtiger Gegner für Kalunde. Vor allen Dingen ist er ein unangenehmer Gegner und ein großartiger Verhandlungspartner. Das hört sich fast so an, als würde ich ihn bewundern, aber ohne ihn wäre ich tot. Ich bin ihm also zu Dank verpflichtet, trotzdem kann ich ihn natürlich nicht als gleichberechtigt anerkennen. Dazu fehlt den Menschen einige tausend Jahre geistiger Entwicklung. Nur schade, dass dieses Volk so primitiv ist. Sie sind zumeist sehr einfach auszurechnen, aber es schadet nichts, wenn wir alles im Griff haben. Im Gegenteil, ich liebe es, wenn ich mit ihnen spielen kann, als hätte ich Figuren auf einem Feld. - Mir hat das Spiel bis jetzt jede Menge Spaß gemacht. Kalunde wohl weniger, aber das ist zweitrangig, so wie er für mich nicht relevant ist. Was zählt, ist, dass meine Pläne durchgeführt werden. Ich habe Geduld. Im Gegensatz zu ihm… Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Jakto Javan * Donnerstag, 12. Mai 1994 »Die Republique Africaine steht besser da, als jemals zuvor«, hatte mir heute einer meiner Untergebenen gesagt. Er hat dabei eines vergessen: die Republique Africaine bin in erster Linie ICH. Ich, Randa Evariste Kalunde, ehemaliger Herrscher über Afrika und zukünftiger Beherrscher der Erde. Alle anderen sind nur Beigabe. - Irgendwie vermisse ich die Streitgespräche zwischen Toan Collong und Nagalla Udande. Danach hatten die beiden immer fabelhafte Ideen, die stets meine Vorteile herausstrichen. Trotzdem ist es besser, dass ich Udande getötet habe. Ich kann keine Nestbeschmutzer brauchen, die mir ans Leben wollen. 200 �
- Rastor Noltan und sein quengelnder Zwergenpartner lassen sich in den letzten Wochen seltener hier sehen. Ich kann nicht sagen, dass ich traurig darüber bin. Der Laktone und der Kynother haben mir zwar immer geholfen, egal ob mit Tipps oder mit High-Tech seines Volkes, aber ich fühle mich ihnen irgendwie unterlegen – und das kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Doch solange ich sie noch benötige, dürfen sie weiterleben. - Die vorläufige Nachfolgeorganisation der Republique Africaine ist aufgebaut und sie bereitet meine erneute Machtergreifung vor, aber sie ist noch nicht schlagkräftig genug. Doch müssen wir uns zurückhalten, solange Rex Corda für die Laktonen unter Jakto Javan einen gewissen Wert besitzt. Noch hat der Amerikaner bei diesem Schento die besseren Karten als ich, aber das wird sich bald ändern. Ich werde es euch beweisen! Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen von Randa Evariste Kalunde * Samstag, 09. Juli 1994 Meldung der ›Southafrican Press & News Agency‹, der größten unabhängigen Presseagentur des schwarzen Kontinents. Zuerst von der Station Kinshasa ausgestrahlt, kurz darauf über die ganze Erde verbreitet: Vor fast zwei Jahren wurde Afrika vom Monster Kalunde befreit! Der Diktator wurde mit Schimpf und Schande von unserem Kontinent gefegt. Kurz danach starb er bei der Explosion einer Boeing 747. Kein Mensch kann einen solchen Unglücksfall überleben, auch REK nicht. Nur wurde die Katastrophe von Kalunde zu unserem Glücksfall. Nie wieder soll es jemand gelingen, in ganz Afrika so ein Schreckensregime aufzubauen, wie es der ehemalige Erhabene machte. Nie wieder soll uns jemand unterdrücken, egal, wer es auch sein möge. 201 �
Wir wollen frei sein. Freiheit ist das höchste Gut aller Menschen. Und weshalb sollten wir schlechter gestellt sein, als der Rest der Erdbevölkerung? Wir sind Teil der Weltregierung, und das wollen wir auch bleiben: stolze Afrikaner! Bald wird es wieder einen Freudentag für alle ehemals geknechtete Afrikaner geben. Mit dem heutigen Datum erklären wir, dass der 25. August zum gesamtafrikanischen Feiertag erklärt wird. Wir können Gott nicht genug dafür danken, dass diese Geißel der Menschheit für alle Zeiten ausgerottet wurde! (mhr) Erneute Ironie des Schicksals: Der Journalist der ›Southafrican Press & News Agency‹, der diesen Artikel schrieb, überlebte die Veröffentlichung nur um wenige Stunden. Nach dem Fall des Diktators wurde der Journalist, der unter dem Kürzel (mhr) schrieb, und der nach der Vertreibung kein gutes Haar an seinem ehemaligen Brötchengeber gelassen hatte, erschossen aufgefunden. Das ist sehr schade, aber Morde geschehen hier oft. Berichte, die aussagen, dass ihn ein Doppelgänger von Kalunde ermordet hätte, müssen darum ins Reich der Fabel verwiesen werden. ENDE
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Rex Corda-Glossar � Mit Sternchen* versehene Begriffe in Kursivschrift werden als eigenes Stichwort behandelt. Quellennachweise: [C1] = Rex Corda – Retter der Erde (Classics, also die überarbeiteten Hefte) [N1] = Rex Corda Nova (Corda Einzelabenteuer) [SigAg1] = Sigam Agelon – Schatten über der Galaxis (Corda Spinoff-Serie) [C3] bedeutet z. B. dabei, dass es sich um den 3. Band der Classic-Serie handelt, und [SigAg4] um den 4. Band von Sigam Agelon. Diese Angaben stehen in eckigen Klammern. Agelon, Moga – (* 1932) Orathone*, Herrscher des Orathonischen Imperiums, Oberhaupt der FAMILIE* und Vater von Sigam Agelon*. Eine Persönlichkeit magischen Aussehens und ungeheurer Willensstärke, sowie großer Grausamkeit; ihm haben sich alle unterzuordnen. Moga umgibt sich gerne mit Beratern und Helfern aus treuen Hilfsvölkern, er bringt ihnen oft mehr Vertrauen entgegen als den intriganten Mitgliedern der FAMILIE, denen er einflussreiche Positionen zugestehen muss, um selbst an der Macht bleiben zu können. Agelon, Sigam – (* 1953) Orathone*, dritter Sohn des Herrschers über das Orathonische Imperium. Sigam ist ein ausgesprochen machthungriger und rücksichtsloser Mann, der in einer Elite eines machthungrigen und rücksichtslosen Sternenimperiums aufgewachsen ist. 203 �
Außerhalb der orathonischen Volkes, und da noch mit besonderer Präferenz für die oligarchische Herrschaftsschicht der FAMILIE*, ist er kaum bereit, irgendjemanden als intelligentes und eigenständiges Lebewesen wahrzunehmen oder anzuerkennen. Alles, was er tut, ordnet er letztendlich seinen Bestrebungen unter, die Macht im Imperium zu erlangen. Es findet sich kaum ein »guter« Kern in ihm. Er ist gebildet, qualifiziert und intelligent. Er leidet unter Jähzorn und kompensiert Frustration mit Wutausbrüchen, verbunden mit Gewalt, aber er ist niemand, dem einer »abgeht«, wenn er jemanden foltert. Er ist also kein Sadist, er setzt Gewalt jedoch als legitimes Mittel zur Verfolgung seiner Ziele ein und ist dabei denkbar rücksichtslos. Mitgefühl, Sanftheit, Freundschaft, Güte, Menschlichkeit sind für Agelon Zeichen von Schwäche. Er kann diese simulieren, aber nur, um sie gegen seine Gegner zu wenden. [C1 & N1] A-Vaut-T-Diskus – Diskusförmiges Raumschiff der Orathonen* mit 53 Meter Durchmesser und 17 m Höhe. [C6 & N1] Bronzeroboter – Roboter der Orathonen*. Absolut menschenähnliches Aussehen: wie ein mit Bronze überzogener, kahlköpfiger Mann. Besitzen Persönlichkeit, können lachen. Das Gesicht glänzt metallisch, glatte Lippen, sehr kräftig. In den Augenhöhlen schimmern Linsen. Schwenkbare Drehkränze auf dem oberen Schädel – nicht größer als ein flacher Teller und kaum von der Kopfform abweichend – rotieren schussbereit. Das Metall ist so geschmeidig, dass es sich den Bewegungen weich anpasst. Es kann nicht durch Mechanische Mittel verletzt werden. Flexibilität des Metalls 204 �
wird durch ein spezielles Energiefeld aufrechterhalten. Sie haben Orathonen immer in der Form anzusprechen, dass sie sich zuerst vorstellen. Bezeichnungen bestehen aus Buchstaben- und Zahlengruppen, wobei jeweils eine Zahl mehr als Buchstaben zu nennen ist (3 Buchstaben – 4 Zahlen, z. B. Sig3258) [C1] Collong, Toan – (* 1944) Einer der zwei engsten Berater von Randa Kalunde. 1,88 cm Körpergröße bei 140 Kilo Gewicht; kurz geschnittene schwarze Haare; ein dunkler Schnauzbart verleiht ihm das Aussehen eines Walrosses. »Das schwarze Walross«, lautet auch sein Schimpfname. Jeder, der ihm gegenüber diesen Namen gebraucht, hat das bisher nicht überlebt. Er transpiriert übermäßig, sein massiger Körper bebt bei jedem seiner Worte. [N3] Doron, Kamtea – (* 1957) Funkerin und Überwacherin der Videokontrolle unter Rigo Moratti*, 1,56 cm Körpergröße mit knabenhafter Statur; kurze schwarze Kraushaare. Leicht heisere Stimme. Nachdem sie und Moratti in die Dschungelfestung von Ex-Diktator Kalunde überwechseln, nimmt sie bald die Stellung von Nagalla Udande* als Beraterin ein. [N3] Dorr-Klasse – Hantelraumer mit einem Kugeldurchmesser von je etwa 200 Meter und einem zylinderförmigen Mittelteil von cirka 300 Meter Länge und 75 Meter Durchmesser. [C1] FAMILIE – Bezeichnung für das Herrschergeschlecht der Orathonen*. Es handelt sich um die Nachkommen jenes Kolonistenraumers, dessen Besatzung auf einer unbesiedelten Welt den Grundstein für das Sternenreich gelegt hat, das nun diesen Teil der Galaxis domi205 �
niert. [C1] Galaktischer Krieg – Auseinandersetzung zwischen Orathonen* und Laktonen*. Mitte 1992, kurz nach Beginn der Orathonisch/Laktonischen Invasion der Erde ist bekannt, dass der G. K. seit 4897 Jahren TerraZeit andauert. Der G. K. begann also nach unserer Zeitrechnung im Jahr 2905 v. Chr. [C1] Hantelraumer – Bezeichnung für Kampfraumschiffe der Orathonen*. Rote Beschriftung auf silbern glänzenden Hüllen. Es handelt sich dabei um zwei Kugeln, die durch einen Zylinderförmigen Steg verbunden sind. Das Größenverhältnis ist 1 : 1,5 zwischen den Kugeln und dem Zylinder und 1 : 4 zwischen Steglänge und -durchmesser. Beispiel: besitzt eine Kugel einen Durchmesser von 200 m, so ist der Zylinder 300 m lang und durchmisst 75 m. Die Triebwerksdüsen besitzen jede einen Durchmesser von vierzehn Metern. [C1] Kalunde, Randa Evariste – (* 1933) Aufgedunsenes, tiefschwarzes Bulldoggengesicht, das nicht so recht zu seinem schlanken Körper passt, grellweiße Zähne, hohe nervöse Stimme. Kalunde ist eitel, egoistisch, leicht erregbar und von sich selbst absolut überzeugt. Er war Diktator der Republique Africaine*, des vereinigten Afrika. Er ließ Atombomben herstellen, die er eigentlich zur Machtergreifung auf der ganzen Welt hatte nutzen wollen, nur kam ihm dann die kombinierte laktonisch-orathonische Invasion dazwischen. Er blieb Herr von Afrika von Orathons Gnaden. Rex Corda beschaffte sich jedoch seine Atombomben, um die Logistik der orathonischen Besatzer zu vernichten. Als die Orathonen abzogen und auch ein Bündnis mit 206 �
dem Gewaltherrscher Chinas nicht fruchtete, wurde Kalunde von seinem Volk abgesetzt und verschwand. [C 5 ] Kalunde praktizierte als Internist in Indonesien. Seine Klientel bestand fast nur aus Beamten und hohen Politikern. Er vermutet überall Feinde, die ihn beseitigen wollen. Frauen sind immer irgendwo im Hintergrund, wenn Kalunde die Szene betritt. [C3 & 5 & N3] Khara – orathonischer Planet. Dort befinden sich die politische Zentrale des Reiches – die wirtschaftliche Zentrale ist der Planet Moratha* – sowie der Sommerpalast des Moga Agelon*. Laktonen – (der Laktone, die Laktonin, des Laktonen, pl.: die Laktonen, laktonisch) humanoides außerirdisches Volk, vom menschlichen Standpunkt aus fettleibig. Die Schwerkraft von Lakton beträgt fast 1,5 g. Aussehen: Sie sind sehr menschenähnlich, was Größe und Farbe der Haut, der Haare und der Augen betrifft. Besonderer Unterschied: Sie haben rötliche Zähne. Laktonen haben einen herben Körpergeruch, der je nach Situation schärfer wird. Charakter: Sehr stolz und selbstbewusst. Sie sind keine harmlosen Blender, sondern echte Gegner, die stets brandgefährlich sind. [C1] Laktoran – die Hauptsprache des Laktonischen Reiches, die von Menschen auch als laktonisch bezeichnet wird. [N3] Moratti, Rigo – (* 1955) schmaler, trotzdem athletisch gebauter Hauptmann von Randa Evariste Kalundes früherer Geheimabwehr. 1,84 cm groß, grünbraune Augen, sein dunkles Kraushaar hat er künstlich glätten lassen. Im Genick sind die Haare zu einem dünnen 207 �
kurzen Pferdeschwanz gebunden. Moratti genießt Kalundes Vertrauen, er wird der neue Chef der Geheimabwehr. Wie alle engeren Mitarbeiter Kalundes ist M. negroid. [N3] Orathkant – die Hauptsprache des Orathonischen Reiches, die von Menschen auch als orathonisch bezeichnet. [SigAg4 & 5 & N3] Orathon – Heimatwelt der Orathonen*. Es ist derzeit nicht bekannt, wie weit O. von Terra entfernt ist. Die Schwerkraft von Orathon beträgt 1,85 g. Besonderheit: Der Siegesplatz, eine große Fläche in der Mitte der größten Metropole auf Orathon, die normalerweise für Aufmärsche und Paraden verwendet wird. An ihrem Rand reihen sich kleine Restaurants und Geschäfte aneinander. Es ist eines der wohlhabenden Viertel der Stadt, denn hier flanieren die höchsten Repräsentanten der Wirtschaftselite des Reiches in ihrer freien Zeit entlang, um sich zu entspannen. Orathonen – (der Orathone, des Orathonen, pl: die Orathonen, orathonisch) humanoides außerirdisches Volk. Sie entstammen einer Oligarchie (Vorherrschaft einer kleinen Gruppe). An der Spitze dieses gigantischen Staates steht die Familie Agelon*. Sie herrscht mit diktatorischer Gewalt über ein Reich von über 3600 von Orathonen bewohnten Planeten. Der gesamte Einflussbereich des Orathonischen Imperiums – mit allen unterdrückten Völkern – beträgt etwa 10.000 Sonnensysteme und knapp 15.000 Planeten. Aussehen: Menschenähnlich, was Größe und Form der Gliedmaßen anbetrifft. Ihre Haut ist olivgrün. Der Kopf eines O. ist von enganliegenden, sehr feinen 208 �
Federn bedeckt. Daher auch ihre Spitznamen »Featherheads« oder »Gefiederte«. Die Farbe der Federn ist überwiegend blauschwarz oder bräunlich gelb, seltener rötlich bis hellgrau oder grün. Im Alter werden die Federn stumpfgrau; sie fallen nicht aus. Die Gesichtsform ist oft quadratisch. Das Gesicht wirkt immer gedrungen und zuweilen gutmütig, obwohl die Orathonen das auf keinen Fall sind. Durchschnittliche Größe beträgt 1,65 m. Orathonen bevorzugen bequeme, weiche Kleidung. Jacken und Umhänge sind ausschließlich der Familie Agelon vorbehalten. Besonderheit: Frauen gelten nichts unter den Orathonen, sie sind nicht mehr als Eigentum der Männer und haben sich ihrem Willen gänzlich zu unterwerfen. Den Mädchen hoher Familien werden früh die Sehnen an den Füßen gekürzt, damit sie, dem orathonischen Schönheitsideal entsprechend, nur mit Trippelschritten zu gehen in der Lage sind. Charakter: Orathonen sind sehr aggressiv. Angriff ist etwas selbstverständliches für sie. Hier liegt eine Überbetonung ihrer Grundinstinkte. Selbst ein »vernünftiger« Featherhead würde immer aggressiv reagieren. Zudem sind die Gefiederten noch energisch, selbstbewusst, zielstrebig, egoistisch, expansionslüstern und vom unbändigen Willen nach totaler Herrschaft besessen. [C1] Ponta – Gleiter der Laktonen, der bis zu fünf Personen aufnehmen kann. Ein P. ist knapp fünf Meter lang und durchmisst etwa dreieinhalb Meter an der breitesten Stelle, er sieht von oben betrachtet verzerrt diskusförmig aus. Die Höhe beträgt fast zwei Meter. Zwei Del209 �
taflügel helfen, den Gleiter, eine Kleinausgabe der sogenannten Landeteller, bei Flügen in Sauerstoffatmosphären stabil zu halten. Er wird waagerecht auf vier ausfahrbaren Teleskopstützen gestartet und gelandet. Die Kabine kann verschlossen werden, aber bei trockenem, nicht zu kalten Wetter ist es Usus, sie offen zu lassen. [N3] Semibiotischer Konduktor – (= »halblebender« Dirigent) Gedankenkontrollgerät der Orathonen*. Besteht zur einen Hälfte aus organischer, halbselbständig denkender Materie und ist zur anderen ein elektronisches Gerät. Wird ins Gehirn eingepflanzt. Es ist schwarz, hat Stacheln wie ein Seeigel, aber es ist beweglicher. Mittels elektronischer Fernsteuerung lässt sich die gesamte Instinkt- und Gefühlsskala abspielen. Zwei Zusatzfunktionen können eingespeichert werden: 1.) hemmungsloser Hass kann gegen Personen erzeugt werden, der die Betroffenen veranlasst, sie zu ermorden. 2.) der Konduktor kann explodieren, wenn man näher als zehn Schritte an das Opfer herankommt. [C1] Teufelskralle – laktonische Waffe. Sie besteht aus einem zylinderartigen Griff und einem Schutzkorb, der wie ein Schwertkorb aussieht. Unter dem Einfluss der Schwingung des Feldes zerfällt Materie; jede Berührung von Materie führt zur vollkommenen Zerstörung. Auch bei kleineren Verletzungen durch die blauen Energiestrahlen kann der Nervenschock tödlich sein. [C5] Udande, Nagalla – (* 1936) Einer der zwei engsten Berater von Randa Kalunde. Ein kleiner, asketisch wirkender, negroider Mann; 1,58 cm Größe; Hakennase; 210 �
braune Augen; hellgraue Haare, die zur dunklen Haut abstechen. Sein Gesicht ist stets ernst und beherrscht. Man sieht ihn fast nie lächeln, geschweige denn lachen. Der persönliche Berater von Randa Evariste Kalunde, dem Herrscher der Republique Africaine des vereinigten Afrika, scheint stets nur seine Aufgabe zu kennen. Nicht ganz ernst gemeinte Gerüchte erzählen, dass er zum Lachen in den Keller geht. Der ehemalige General der afrikanischen Bodenstreitkräfte, ist seinem Herrn treu ergeben. Er kennt offiziell nur seine Pflicht und besitzt kein Privatleben. Emotionen sind ihm zum größten Teil fremd. Aus Enttäuschung über Kalundes Verhalten kurz vor dessen Sturz und während des ersten Jahres seiner Untergrundtätigkeit, arbeitet U. gegen den Ex-Diktator. Kalunde erschießt U., nachdem dieser gegen einen Orathonen im Duell mit einer Teufelskralle* siegte. [N3] Vexidol – unscheinbare Pillen der Orathonen*, die Gedächtnisverlust erzeugen. Es beginnt nach der Einnahme mit beißendem Schmerz unter der Schädeldecke. Der Schmerz hält nicht lange an, ebbt in Wellen ab und versiegt schließlich völlig. Zurück bleibt erneut Benommenheit und der Verlust der Erinnerung. [N1 & 3] Manfred H. Rückert
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