Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 742 Der Erleuchtete
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 742 Der Erleuchtete
Die Psi-Waffe von Harvey Patton Mutantan auf Corgyar Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermittelt in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das Atlan die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und die neuen Begleiter des Arkoniden sind Chipol, der junge Daila, und Mrothyr, der Rebell von Zyrph. In den elf Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die ungleichen Partner schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So, ist zum Beispiel die Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gewährleistet – was sich auf den Kampf der Daila gegen ihre Unterdrücker positiv auswirken dürfte. Es bei dem bisher Erreichten zu belassen, wäre grundfalsch. Atlan weiß das – und seine Gefährten ebenfalls. Und so folgen sie verbissen selbst der kleinsten Spur des Erleuchteten und der seines mysteriösen Werkzeugs EVOLO. Mit Zinkoyon bietet sich eine solche Spur. Doch bevor Atlans Team ihr nachgehen kann, empfängt die STERNSCHNUPPE einen Notruf. »Freunde der Sonne« sind auf Corgyar in Gefahr. Dort erprobt man DIE PSI-WAFFE …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan, Chipol und Mrothyr - Der Arkonide und seine Begleiter leisten einem Hilferuf Folge. Singamayn - Vorsitzender des Planetarischen Rates von Xall. Vestak - Sprecher der Mutanten von Xall. Terpit - Ein Multi-Mutant und Archäologe. Takalain - Pilot der LINGADA.
1. Über dem Kontinent des Planeten Xall lag die Nacht, und um den Tower des kleinen Raumhafens pfiff ein scharfer kalter Wind. Er trieb dicke Schneeflocken vor sich her und ließ sie gegen die Rundsichtscheiben klatschen. Bei ihrem Anblick fröstelte Lankorv unwillkürlich, obwohl es im Kontrollraum angenehm warm war. Mißmutig schwang er seinen Kontursitz herum und ließ den Blick routinemäßig über die Anzeigen der wenigen aktivierten Instrumente gleiten. Dann lehnte er sich zurück, schloß die Augen und schickte einen telepathischen »Fühler« aus. Behutsam tastete er sich damit ins Bewußtsein seines Vorgesetzten und nickte dann zufrieden. »Der Alte geht gleich schlafen, von ihm ist also heute nacht keine Störung mehr zu erwarten«, murmelte er. »Nun, da kann ich ja ruhig seinem Beispiel folgen, in den nächsten Stunden verirrt sich mit Sicherheit kein Schiff hierher zu uns.« Er genehmigte sich noch einen Schlummertrunk, verstaute danach die Weinflasche und das Glas in einem Fach und legte die Füße auf den Rand des Schaltpults vor sich. Dann faltete er die Hände vor dem Bauch und schloß die Augen. Eine halbe Minute später schollen die ersten Schnarchlaute durch den Raum Lankorv schlief tief und fest. So fest, daß selbst der laute Summer des Funkgeräts einige Zeit brauchte, um ihn wieder zu wecken. Schließlich fuhr er aber doch
zusammen, blinzelte träge und kehrte widerwillig aus dem Reich angenehmer Träume in die Wirklichkeit zurück. Der Summer schrillte jedoch unerbittlich weiter, er fluchte unterdrückt und schaltete dann endlich das Gerät ein. Auf dem Bildschirm stabilisierte sich das Gesicht eines fremden Raumfahrers, und dieser murrte ungehalten: »Mann, ich rufe jetzt schon eine volle Minute, ohne daß sich jemand meldet! Schlaft ihr da unten denn eigentlich alle?« »Was heißt hier alle!« fragte Lankorv mit gespielter Empörung zurück. »Ich bin ganz allein hier im Kontrollturm und mußte eben mal raus. Wer bist du denn, und was willst du?« »Landen will ich, du Schlafmütze, was sonst!« kam es ärgerlich zurück. »Mein Name ist Nirpolan, ich bin Kommandant der PANDIARA, Heimatplanet Bacallyn; ihre Ladung besteht aus den Waffen, die euer Planetarer Rat vor kurzem bei uns geordert hat. Und jetzt beeile dich gefälligst – schalte die Platzbeleuchtung ein und sende mir einen Peilstrahl! Oder willst du, daß ich in dem Schneetreiben versehentlich direkt auf dem Tower herunterkommen soll? Sicher, dann kannst du weiterschlafen, bis in alle Ewigkeit sogar …« Das machte Lankorv plötzlich sehr munter, er kam dem Verlangen nach und nahm hastig die entsprechenden Schaltungen vor. Danach aktivierte er das Videofon und rief, nicht ohne einen gewissen Anflug von Schadenfreude, seinen Vorgesetzten an. »Mich hat man aus dem Schlaf gerissen – warum soll es ihm dann besser ergehen als mir?« lautete sein Kommentar. Doch nicht nur diese beiden Männer wurden in dieser Nacht um ihren mehr oder weniger verdienten Schlummer gebracht. Auf dem Hafen von Xall gab es weder Arbeitsroboter noch eine automatische Entladevorrichtung, dazu war die Kolonie zu klein. Als die PAN-DIARA gelandet war, kam ein Schwarm von Lastengleitern aus der nahe gelegenen Stadt heran, kämpfte sich durch den Schnee und entließ mehrere Dutzend verschlafener und
frierender Männer und Frauen. Unter ihnen waren nur wenige Telekineten, und so mußten über zwei Drittel der Container manuell umgeladen werden. Das ging nicht ohne Schweiß und viele Flüche ab, und darüber vergingen obendrein mehrere Stunden. Als endlich die letzten Gleiter abflogen, war die Nacht bereits herum und Lankorvs Ablösung traf ein – frisch und ausgeschlafen, im Gegensatz zu ihm. »Eine verdammte Ungerechtigkeit!« murrte er, als er sich dann endlich mit seinem Gleiter auf dem Heimweg befand. Wie zum Hohn hörte gerade das Schneetreiben auf, die Wolken lichteten sich und die Sonne erschien strahlend am Firmament.
* Gegen Mittag traf der Planetare Rat von Xall zusammen, aus je sechs Frauen und Männern gebildet. Sein Vorsitzender Singamayn nahm die rituelle Begrüßung vor und hielt dann einige Folien hoch. »Wir können mit der Entwicklung der Dinge wirklich zufrieden sein, Freunde«, erklärte er. »Es hat zwar lange gedauert, bis es zu einem engeren Kontakt zu unseren weit verstreuten Gefährten kam; viele Umwege mußten gegangen werden, damit weder die Ligriden noch andere Helfer der Hyptons etwas davon merken konnten. Jetzt sind jedoch diese Klippen umschifft, wir ernten die ersten Früchte.« »Das bezieht sich auf die Ladung der PANDIARA, stimmt's?« fragte Soflya, die älteste in der Runde, und der Ratsvorsitzende nickte. »Im Interesse unserer gemeinsamen Sache haben sich die Leute von Bacallyn . bereitgefunden, uns auch ohne volle Gegenleistung alle verlangten Dinge zu liefern. Vor allem die dringend nötigen Waffen – in den Containern befinden sich unter anderem auch die Bausätze für zwanzig starke Strahlgeschütze! Mit ihnen können wir unsere kleine Flotte innerhalb von zwei bis drei Dekaden bestücken,
und dann werden die Schiffe denen der Ligriden gleichwertig sein.« »Nur nicht in bezug auf die Abwehreinrichtungen, fürchte ich«, warf der Rat für Technik ein, aber Singamayn winkte ab. »Sei beruhigt, auch dafür ist gesorgt. Wir haben außerdem auch stärkere Schutzschirmprojektoren erhalten, nur die entsprechenden Schwingkristalle müssen wir selbst einsetzen. Das wird dann deine Aufgabe sein, ebenso wie die Umrüstung der Konverter, damit die neuen Anlagen genügend Energie bekommen. Setze dazu alle verfügbaren Leute ein, unsere zivilen Projekte werden solange zurückgestellt. Wenn der Ruf der Freunde der Sonne zur Befreiung der Heimatwelt an uns ergeht, müssen wir bereit sein, ihm freudig zu folgen!« Die Heimatwelt – das war Aklard, der Stammplanet aller Daila, also auch der Bewohner von Xall. Von dort aus waren viele andere Welten besiedelt worden, die meisten allerdings gegen den Willen der Kolonisten. Auf Aklard kamen seit langem auffallend viele Mutanten zur Welt, und diese waren bei den »normalen« Daila nicht gut gelitten. Deshalb pflegte man sich ihrer auf eine recht rigorose Weise zu entledigen: Man setzte sie mit ihren gesamten Sippen kurzerhand in Raumschiffe, schickte sie fort und verbot ihnen die Rückkehr. Ob und wo sie dann ein Asyl fanden, blieb ihnen selbst überlassen. Und das war meist schwierig gewesen, denn die Verbannten mieden bereits bewohnte Planeten, um nicht erneut vertrieben zu werden. So war es oft zu jahrelangen Irrfahrten gekommen, bis endlich eine geeignete Welt gefunden war, meist viele hundert Lichtjahre von Aklard entfernt. Dort hatten sich die Mutantensippen, oft nur unter Überwindung großer Schwierigkeiten, dann eine neue Zivilisation geschaffen. So auch auf Xall, der Planet war bereits seit Jahrhunderten bewohnt, und aus zwei Sippen mit knapp vierhundert Köpfen war eine Population von rund dreißigtausend Daila entstanden. Nach und nach hatten diese auch Kontakt zu anderen Verbannten gefunden,
und man half sich gegenseitig, so gut man konnte, wenn es nötig war. Und jetzt war es besonders nötig – Aklard war in höchster Gefahr! Keiner der Vertriebenen war je dorthin zurückgekehrt, aber sie alle betrachteten den Planeten noch immer als ihre Heimat. Alle Nachrichten von dort kamen nur auf vielen Umwegen zu ihnen, doch sie wurden laufend ausgetauscht und weitergegeben. Auf diese Weise hatte es sich relativ rasch herumgesprochen, daß sich Aklard nun in den Händen der Ligriden befand. Woher diese gekommen waren, wußte niemand genau zu sagen. Dem Vernehmen nach stammten sie überhaupt nicht aus ManamTuru, man hatte sie in dieser Galaxis nie zuvor gesehen. Doch nun waren sie plötzlich da, ihre Kampfschiffe griffen unerbittlich an, und Planeten aller Rassen wurden von ihnen unterjocht. Zusammen mit ihnen erschienen meist auch die Naldrynnen und Hyptons, aber diese Wesen waren den Daila auf Xall erst recht kein Begriff. Der eigentliche Feind schienen die Ligriden zu sein, und daß sie nun die Heimatwelt besetzt hielten, war ein Alarmsignal für alle Verbannten gewesen. Sie waren sich darin einig, alles zu tun, um Aklard so bald wie möglich wieder zu befreien, und zu diesem Zweck rüsteten sie ihre nur schwach bewaffneten Schiffe nun entsprechend auf. Als Initiatoren dazu fungierte eine Organisation, die sich den Namen »Freunde der Sonne« gegeben hatte, und auf ihren Ruf hin sollte der Schlag gegen die Ligriden erfolgen. Noch war es nicht soweit. Strahlgeschütze und ähnliche Waffen ließen sich nicht von heute auf morgen beschaffen, und auch die Umrüstung der meist nur kleinen und älteren Raumschiffe erforderte einige Zeit. Nur eine vereinte Flotte aller Daila-Abkömmlinge hatte Aussicht, die Ligriden zu besiegen und von Aklard zu vertreiben. Das wußte auch Singamayn, und so tat er alles, um seinen Beitrag dazu zu leisten. Jetzt waren die ersehnten Waffen endlich da und nun hieß es, schnell und zielstrebig zu handeln. Geduldig hörte er sich einige
Vorschläge der übrigen Ratsmitglieder an, ging auf die brauchbaren ein und gab auf andere Gegenargumente. Darüber vergingen fast zwei Stunden, aber danach stand fest, daß alle Voraussetzungen für ein optimales und effektives Handeln gegeben waren. Die Ratsversammlung löste sich auf, die Arbeit an den Schiffen sollte unverzüglich beginnen. Nur ein Mann blieb noch in dem Raum zurück, es war Vestak, der jüngste der zwölf Räte, erst vor einem halben Jahr in dieses Gremium gelangt. Er hatte darin keine feste Aufgabe, sondern fungierte nur von Fall zu Fall als Sprecher für die Mutanten auf Xall. Diese machten mit ihren unterschiedlichen Begabungen immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung aus, also sah ihn Singamayn erwartungsvoll an und erkundigte sich: »Hast du noch etwas auf dem Herzen', Freund? Vielleicht etwas, über das du nicht vor allen anderen reden mochtest? Sag es mir nur, ich kann deine Gedanken leider nicht lesen; meine Gabe liegt auf dem Gebiet der Teleportation, wie du weißt.« Vestak nickte, ein Ausdruck von Eifer erschien in seinen Zügen. »Es gibt da wirklich etwas, über das ich mir Gedanken mache, Vorsitzender. Sicher, wir haben jetzt die neuen Waffen für unsere Schiffe, aber damit allein ist es doch wohl kaum getan. Es kann immer Situationen geben, in denen Mutantenkräfte im Kampf eine entscheidende Rolle spielen, wenn sie nur stark genug sind.« »Das ist keine Frage«, stimmte ihm Singamayn lakonisch zu. »Ich habe sie bisher absichtlich nicht mit ins Kalkül gezogen, vor allem deshalb, weil man auf Aklard bekanntlich nicht gerade viel davon hält. Doch da der Zweck die Mittel heiligt, sollten wir dies alles etwas großzügiger sehen, denke ich. Wie lautet also nun dein Vorschlag?« »Mein Vater hat mir vor Jahren einmal von einer Expedition zum Planeten Corgyar berichtet, im Nachbarsystem der kleinen roten Sonne. Dort gibt es noch Relikte einer alten, schon vor langer Zeit ausgestorbenen Rasse – entsinnst du dich daran?«
2. »Wie schnell doch manchmal die Zeit vergeht, ohne daß man es richtig bemerkt«, murmelte Atlan, und er sah dabei nicht gerade zufrieden aus. »Weit entfernt in der heimatlichen Milchstraße schreibt man jetzt auf der Erde bereits November 3819 – und wie mag es nun dort wohl aussehen? Ich weiß es nicht, und dort ahnt wiederum niemand etwas davon, daß an meiner Stelle ein Duplikat auf Krandhor sitzt …« »Was meinst du damit?« fragte Chipol verwundert, aber der Arkonide winkte nur müde ab. »Vergiß es wieder, Junge, für dich ist es ohne jede Bedeutung. Auch die Galaxis Alkordoom ist dir kein Begriff, und erst recht nicht die Kosmokraten, die mich dorthin versetzt haben … Jetzt bin ich hier in Manam-Turu, bereits mehr als neun Monate lang, aber was habe ich in dieser Zeit schon groß erreicht?« Dies war eine rein rhetorische Frage, aber Mrothyrs scharfes Ohr hatte sie gehört. Der einstmalige Rebell vom Planeten Zyrph schob sich neben Atlan und schüttelte den Kopf. »Eine ganze Menge doch, oder etwa nicht? Schließlich haben wir den Ligriden so manches Schnippchen geschlagen, an das sie noch lange denken werden, und die Hyptons ganz schon düpiert. Weiterhin hast du den Daila und anderen Völkern geholfen, gegen beide und die Unterdrückung durch sie zu bestehen; zählt das etwa nichts? Und nun sind wir unterwegs nach Zinkoyon, und mit etwas Glück entdecken wir dort eine Spur, die uns dem Erleuchteten näher auf den Pelz rücken läßt.« »Schön wäre es ja, aber sicher ist das längst noch nicht«, gab Atlan skeptisch zurück. »Die Hyptons von Cirgro sind etwas zu früh gestorben, von ihnen haben wir nicht mehr als den bloßen Begriff Zinkoyon erfahren. Hinter diesem kann sich alles mögliche
verbergen, ein Planet ebenso wie eine Raumstation. Ist es eine solche, dürfte sie den Ligriden gehören, und was wir von denen zu erwarten …« Er unterbrach sich mitten im Satz, denn plötzlich veränderte sich der Geräuschpegel im Schiff. Das Singen des Überlichtantriebs wurde merklich leiser, ebbte immer weiter ab und erstarb schließlich, es wurde vollkommen still, und sofort richteten sich alle Bücke auf die Bildschirme der Außenbordbeobachtung. Auf ihnen erschien nun das vielfarbige Funkeln unbekannter Sonnen, und der Arkonide fragte alarmiert: »Was hat das zu bedeuten, STERNSCHNUPPE? Weshalb hast du den Flug unterbrochen, so weit von unserem Ziel entfernt?« »Es mußte sein«, erklärte das Schiff lakonisch. »Ihr habt nichts davon bemerkt, aber wir haben eben eine Zone durchflogen, in der es einen seltsamen, nicht zu definierenden Widerstand gab. Dies hat mich unverhältnismäßig viel Energie gekostet, jetzt brauche ich eine Regenerationspause. Du selbst hast eben noch betont, wie ungewiß es ist, was uns bei dem ominösen Zinkoyon erwartet. Wenn wir mit leeren Speichern dort ankommen, könnte das für uns alle verhängnisvoll sein!« »Das hättest du auch etwas früher sagen können«, murrte Atlan, doch dann resignierte er. Die STERNSCHNUPPE war kein normales Raumschiff nach herkömmlichen Begriffen, sondern fast so etwas wie ein lebender Organismus; auch jetzt nach Monaten gab sie ihm immer noch viele Rätsel auf. Doch letztendlich behielt sie mit ihren Aussagen immer recht, wenigstens das wußte er genau. Mrothyr war mit diesen Eigenheiten noch nicht vertraut, und so erkundigte er sich grollend: »Wie lange wird diese Pause dauern, wenn ich fragen darf?« »Natürlich darfst du das«, sagte das Schiff mit sanfter Stimme. »Einige Tage werden es schon sein, denn in diesem Raumsektor gibt es nur wenige kosmische Energieströme, in denen ich .auftanken' kann. Das ist zwar bedauerlich, jedoch nicht zu ändern, ganz
verloren wird diese Zeit aber wiederum nicht sein. Ich werde solange den Raum ringsum mit meinen Instrumenten genau erforschen, vielleicht finde ich dabei etwas heraus, das euch später nützen kann.« »Na, das ist doch wenigstens etwas«, meinte Chipol lächelnd. »Ehrlich gesagt, etwas Ruhe kann uns allen nicht schaden nach dem Durcheinander mit den Bikkren, Hyptons und Ligriden im System von Cirgro. Was dort wirklich los gewesen ist, weiß ich auch heute noch nicht genau.« »Ich auch nicht«, bekannte der Arkonide seufzend, »aber jetzt spielt das schon keine Rolle mehr. EVOLO hat diesen Planeten ohne jede brauchbare Spur wieder verlassen, wir sind wieder um eine Hoffnung ärmer geworden … Gut, ruhen wir uns also jetzt eine Weile aus der nächste Ärger kommt bestimmt früher, als es uns lieb sein kann!«
* »Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte der Ratsvorsitzende von Xall. »Du denkst an diese seltsamen kleinen Kästchen, die man bei der einzigen Expedition im vorigen Jahrhundert inmitten der Ruinen gefunden hat, nicht wahr? Damals verloren Mutanten plötzlich die Kontrolle über ihre Fähigkeiten, es kam zu geradezu chaotischen Ereignissen, die mehrere Todesopfer forderten. Nur mit Mühe gelang es den anderen Forschern, mit ihrem Schiff wieder nach Xall zurückzukehren, und seitdem ist Corgyar für uns tabu. Was bezweckst du nun mit der Erwähnung gerade dieser Welt?« Vestak ließ sich in einen Sessel fallen, sah zu Singamayn auf und furchte die Stirn. »Es gab da vor kurzem eine Nachricht, in der von Nolien die Rede war, einem Planeten, auf dem gleichfalls Verbannte von Aklard leben. Sie wurden von dessen eigentlichen Bewohnern geächtet und
verstoßen, aber einer Anzahl ihrer Mutanten gelang es trotzdem, sich unerkannt unter sie zu mischen. Die Ligriden griffen diese Welt an und setzten dabei Strahlen ein, die alle Psi-Fähigkeiten lähmen sollten. Diese wirkten jedoch nur auf die Nolier, wogegen die Gaben der Daila sogar noch gesteigert wurden! Sie schafften es, die Invasoren zu schlagen und in die Flucht zu treiben, soweit sie überhaupt mit dem Leben davonkamen, und seitdem werden sie auf Nolien anerkannt und als Retter gefeiert.« Singamayn nickte lächelnd. »Stimmt, dies war die einzige erfreuliche Information, die uns in letzter Zeit erreicht hat. Darin war auch von einem Fremden mit dem Namen Atlan die Rede, der dabei auch eine gewisse Rolle gespielt haben soll, zusammen mit ›Normalen‹ von Aklard. Doch was hat dies alles mit den Ruinen von Corgyar zu tun, und mit den Ereignissen aus früherer Zeit? Ich sehe da beim besten Willen keinen Zusammenhang, Freund.« »Und doch gibt es ihn!« ereiferte sich der junge Rat. »Zwar nicht direkt, aber wenn man Parallelen zwischen Nolien und Corgyar zieht, wird er deutlich sichtbar. In beiden Fällen existiert ein Faktor, der die Psi-Gaben von uns Mutanten verstärkt – verstehst du nun? Dort waren es gewisse Strahlen, und im Nachbarsystem sind es diese geheimnisvollen Kästchen der Ureinwohner. Wenn es uns gelingt, uns diese nutzbar zu machen, so daß ein ähnlicher Effekt erzielt wird, kann das bei der Befreiung Aklards ausschlaggebend sein!« Der Ratsvorsitzende setzte sich nun ebenfalls und schlug sich nach kurzem Überlegen vor den Kopf. »Natürlich … weshalb habe ich das nicht gleich begriffen! Wir haben jetzt wohl neue Waffen bekommen, aber die Raumflotten der Ligriden dürften den alten und nur mangelhaft koordinierten Schiffen der Freunde der Sonne trotzdem noch überlegen sein. Uns fehlt es vor allem an Erfahrungen im Kampf – aber dieses Manko könnten wir durch den Einsatz von Psi-Kräften ausgleichen …«
»Genau das ist es, was ich meine«, sagte Vestak ernst. »Bis die Techniker unsere Raumer ausgerüstet haben, dauert es ohnehin noch mindestens zwei Dekaden, und diese Zeit können wir entsprechend nützen! Gib mir die alte LINGADA, sie kommt für einen Einsatz im Kampf sowieso nicht in Frage, aber den Flug ins Corgyar-System schafft sie immer noch. Dazu eine Gruppe unserer besten Mutanten, die sich mit der gebührenden Vorsicht der Erforschung jener als Psi-Verstärker wirkenden Kästchen widmen, das genügt.« »Es könnte vielleicht genügen«, berichtete ihn Singamayn mit deutlicher Skepsis. »Du darfst bei allem Eifer nicht vergessen, daß schon allein die Suche in den alten Trümmerstätten alles andere als einfach sein wird, Vestak. Den alten Berichten nach gibt es aber außerdem auf Corgyar noch einige Spezies von recht wilden Tieren, mit denen erst recht nicht zu spaßen ist! Unter solchen Umständen dürfte das von dir geplante Unternehmen alles andere als ein Spaziergang sein.« »Und doch möchte ich es wagen – es geht hier schließlich um die Befreiung unserer Heimatwelt!« erklärte der junge Rat fest. »Ich habe Freunde, die ebenso denken und dabei mitmachen werden, ungeachtet aller möglichen Gefahren. Außerdem glaube ich, auch Terpit dafür gewinnen zu können, er ist nicht nur Archäologe, sondern ein Multi-Mutant.« Singamayn sah eine Weile überlegend vor sich hin. »Wenn Terpit mitmacht, kannst du die LINGADA haben und mit ihr nach Corgyar fliegen«, sagte er dann. »Er ist um einiges älter als du und die anderen jungen Hüpfer und kann euch bremsen, wenn es nötig ist. Eigentlich müßte ich dieses Projekt erst noch dem Rat unterbreiten und von ihm erörtern lassen, aber das würde nur unnütz Zeit kosten. Ich nehme es also ganz auf meine Kappe und werde sofort veranlassen, daß das Schiff dir zur Verfügung steht, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.« »Sie werden voll erfüllt, darauf kannst du dich verlassen«, gab
Vestak mit leuchtenden Augen zurück und sprang auf. »Ich sage dir meinen Dank für dein Entgegenkommen, nun werde ich sofort daran gehen, die anderen zusammenzurufen, die mitfliegen sollen. Nur ein tüchtiger Pilot fehlt uns noch, der imstande ist, den alten Kasten mit seinen Tücken sicher zu steuern. Wer kommt da in Frage?« »Am besten wohl Takalain«, überlegte der Ratsvorsitzende, »er hat die LINGADA bereits mehrmals geflogen und weiß, wie man sie landet, ohne daß sie auseinanderfällt. Ihr müßt nur rechtzeitig wieder zurück sein, in spätestens zwei Dekaden; dann wird er für den Einsatz gebraucht, falls der Ruf dazu an uns ergeht.« Der junge Mann nickte. »Hoffentlich dauert es nicht mehr zu lange damit – ich brenne darauf, ihn mitzumachen! Zwar bin ich kein Multitalent, sondern nur ein einfacher Telekinet, aber wenn es uns gelingen sollte, die Kästchen zu finden und uns nutzbar zu machen …« »Beschreie es nicht zu früh, junger Freund«, unterbrach ihn Singamayn ernst. »Einfach dürfte es wohl kaum werden, denke nur daran, wie es der ersten Expedition ergangen ist, und riskiere keinesfalls zuviel! Psi-Verstärker können uns vielleicht nützlich sein, aber Menschenleben sind wichtiger als sie.« »Ich werde es nicht vergessen«, versprach Vestak, machte die Geste des Abschieds und verließ den Raum. Der Vorsitzende sah ihm nach, von zwiespältigen Gefühlen bewegt, doch dann zuckte er mit den Schultern. »Wer nichts riskiert, kann auch nichts gewinnen«, murmelte er vor sich hin. »Terpit wird auf jeden Fall dabei sein, und mit ihm sollte eigentlich nichts schiefgehen – nur schade, daß ich nicht auch selbst mitfliegen kann.«
*
»Du hast es also geschafft«, empfing Micaela den jungen Rat, als er seine Wohnung betrat. Es war eine Feststellung, keine Frage, denn die junge Frau war eine gute Telepatin und hatte bereits seine Gedanken gelesen. Sie war seit einem halben Xall-Jahr seine Gefährtin, und das war für beide nicht immer einfach. Normalerweise war die Intimsphäre für jeden Gedankenleser tabu, aber bei ständigem Zusammensein blieb es nicht aus, daß diese Schranke zuweilen unbewußt überschritten wurde. Vestak nahm dies jedoch nicht übel, in seinem Leben gab es nichts, das er vor Micaela verbergen mußte. Auch dieses Mal nicht, er umfaßte sie liebevoll und nickte. »Jetzt kommt es nur noch darauf an, Terpit für das Unternehmen zu gewinnen, und das dürfte nicht schwer sein. Hier auf Xall gibt es für einen Archäologen kaum etwas zu tun, deshalb zerreißt er sich förmlich, sobald jemand zu einem unerforschten Planeten fliegt.« Über das hübsche bräunliche Gesicht der gut gebauten Daila mit dem langen schwarzen Haar flog ein leichter Schatten. »Trotzdem ist mir nicht eben wohl bei dem Gedanken, was euch auf Corgyar alles erwarten mag«, erklärte sie. »Singamayn hat dich mit Sicherheit nicht umsonst gewarnt, und auch ich kenne die Berichte aus der alten Zeit in großen Zügen. Ich weiß aber auch recht gut, wie impulsiv du zuweilen bist, und das macht mir Sorgen.« Vestak lächelte leicht und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Diesmal aber vollkommen unberechtigt, mein Mädchen! Es geht hier schließlich darum, Aklard gegen die Invasoren zu helfen, und das können wir nur, wenn wir am Leben bleiben. Deshalb werde ich dafür sorgen, daß genügend Waffen zur Abwehr der wilden Tiere mitgenommen werden. Als Mitglied des Rates kann ich das, ohne erst lange zu fragen. Doch nun muß ich zuerst zu Terpit fliegen, jetzt zur Mittagszeit wird er bestimmt zu Hause sein. Danach kommen dann die anderen an die Reihe, sie sind schon vorbereitet und warten nur noch auf den endgültigen Bescheid.«
Das Wetter hatte sich inzwischen gebessert, blasser Sonnenschein fiel durch die Scheiben des kleinen Gleiters, als er dann losflog. Er war dankbar für das Privileg, ein solches Fahrzeug zur Verfügung zu haben, denn in den Straßen von Xallin lag hoher Schnee, in dem sich die Bodenfahrzeuge nur mühsam vorwärts quälten, und Terpit wohnte am anderen Ende der Stadt. Er war ein kleiner beleibter Mann von etwa fünfzig Jahren, mit einem rundlichen Gesicht und schütterem grauem Haar, er mußte zu Vestak aufsehen, denn dieser überragte ihn um mehr als einen Kopf, ein Ausdruck von Verwunderung lag auf seinen Zügen. »Na, wenn das keine Überraschung ist! Dies ist das erste Mal, daß mich ein Ratsmitglied mit seinem Besuch beehrt – komm herein, mein junger Freund. Natürlich bin ich jetzt neugierig, aber ich spioniere trotzdem nicht in deinen Gedanken, obwohl es mir nur eine leichte Übung wäre. Was hast du mir zu sagen?« Vestak erklärte es ihm in wenigen Sätzen, und dann ruckte der Wissenschaftler spontan aus seinem Sessel hoch. »Eine Expedition nach Corgyar – gar keine Frage, da muß ich unbedingt dabei sein! Es ist jetzt schon acht Jahre her, seit ich zuletzt auf einem fremden Planeten war, und dort gab es absolut nichts für mich zu holen. Keine einzige noch so kleine Ruine aus früherer Zeit, auf Corgyar dagegen stehen sie überall herum und warten förmlich auf mich …« Er hatte sich in Begeisterung geredet und seine Augen blitzten bläulich, aber Vestak versuchte seinen Überschwang zu bremsen. »Deinen Eifer in allen Ehren, doch viel Zeit für Forschungen dürfte dir wohl kaum bleiben«, wandte er ein. »Diese Expedition dient in erster Linie dem Zweck, möglichst viele Psi-Verstärker zu finden und zu erproben, vergiß das nicht.« »Na und?« brummte Terpit und setzte sich wieder. »Ohne einen Mann mit meiner Erfahrung würdet ihr wohl kaum welche entdecken; oder glaubst du im Ernst, sie liegen offen herum und warten nur darauf, aufgehoben zu werden? Seit der ersten
Unternehmung sind mehr als hundert Jahre vergangen, jetzt ist auf Corgyar nichts mehr so, wie es damals war! Wir werden also graben müssen wie Wühlmäuse – hast du das bei deinen Plänen auch bedacht?« Der junge Rat winkte ab und nickte. »Die LINGADA wurde früher bei Schürfarbeiten auf unserem Mond eingesetzt, sie hat die entsprechenden Maschinen noch an Bord. Sie sind zwar nicht gerade neu, aber für unsere Zwecke dürften sie vollauf genügen. Für die nötigen Waffen zur Abwehr wilder Tiere werde ich außerdem sorgen, und die Leute, die ich mitnehmen will, sind durchwegs erstklassige Mutanten.« Er zählte zehn Namen auf und schloß dann: »Sicher, sie alle sind noch relativ jung, haben sich jedoch bereits mehrfach bewährt. Sie werden freudig mitmachen, wenn sie hören, daß du dabei bist, als Koordinator sozusagen.« Der Archäologe grinste breit. »Gar nicht dumm ausgedacht – falls doch etwas schiefgeht, wird mir als dem Ältesten dann die Verantwortung zugeschoben! Doch das soll mich nicht daran hindern, diese Expedition mitzumachen, ich habe zu lange auf eine solche Gelegenheit warten müssen. Wann soll es denn losgehen?« »Schon morgen früh«, erklärte Vestak und erhob sich. »Singamayn will, daß wir in zwei Dekaden wieder zurück sind, also dürfen wir keine Zeit verlieren. Hab Dank für deine Zusage und nimm es mir nicht übel, wenn ich mich nun gleich wieder verabschiede. Ich muß heute noch viel erledigen, wenn alles fristgerecht klappen soll.« Gleich darauf war er wieder unterwegs, verständigte die für das Unternehmen vorgesehenen Freunde und rief danach Singamayn an. Der Ratsvorsitzende war zufrieden und teilte ihm mit, daß Takalain ihm zur Verfügung stand und bereits dabei war, die Anlagen der LINGADA zu inspizieren. Er hatte also schon vorgesorgt. Vestak dankte ihm und machte sich sofort auf den Weg zum Raumhafen. Dort suchte er im Magazin
eine Kollektion der besten vorhandenen Handwaffen aus, gab Order, sie an Bord des alten Schiffes zu schaffen, und flog dann müde, aber zufrieden zu seinem Haus zurück. Es war inzwischen bereits dunkel geworden, Micaela empfing ihn liebevoll wie immer und brachte das Abendessen auf den Tisch. Dazu gab es einen vorzüglichen Wein, und so klang dieser hektische Tag doch noch in Ruhe und -Harmonie aus. Als die beiden dann zu Bett gingen, schmiegte sich die junge Frau an ihn und flüsterte: »Morgen früh müssen wir uns trennen, das erste Mal für eine längere Zeit. Versprich mir, daß du auf Corgyar keinesfalls mehr als unbedingt nötig riskieren wirst, schon gar nicht dein Leben! Natürlich bin ich auch dafür, daß unsere Heimatwelt befreit wird, aber dich möchte ich keinesfalls verlieren.« »Schon deinetwegen werde ich mich besonders vorsehen, Liebste«, versprach Vestak ernst und nahm sie in die Arme. An diesem Abend wußte er noch nichts von dem, was ihn auf der Ruinenwelt erwartete, sonst hätte er das Unternehmen schleunigst wieder abgeblasen.
3. Am nächsten Morgen schneite es wieder heftig, der Winter hielt diesen Kontinent von Xall voll in seinem kalten Griff. Es war noch fast dunkel, als Vestak vor dem Hafentower landete, er zog den Kopf ein und rannte durch die wirbelnden Flocken zum Eingang. In der kleinen Halle war es hell und warm, er atmete auf und begrüßte die anderen, die schon vor ihm eingetroffen waren. Takalain war ein großer dürrer Mann mit faltigem Gesicht und wirrem braunem Haar, die Bordmontur schlotterte förmlich um seine Glieder. Er stand mit Terpit und mehreren Mutanten vor einem Tisch, auf dem einige Folien lagen, und der Wissenschaftler winkte dem jungen Rat lächelnd zu.
»Komm her, Freund, hier ist etwas, das dich sehr interessieren dürfte. Ich habe vorgesorgt und gestern abend noch das Archiv im Ratsgebäude durchstöbert; dies sind die Karten, die man damals beim ersten Besuch auf Corgyar angefertigt hat. Auf ihnen ist die Lage der größten Ruinenfelder exakt angegeben, das erspart uns eine lange und zeitraubende Suche.« »Eine gute Idee, so weit habe ich gar nicht gedacht«, meinte Vestak anerkennend. »Die Frage ist nur, was sich seit dieser Zeit dort alles verändert haben mag … nun ja, wir werden es ja sehen. Als erstes brauchen wir einen guten Landeplatz, gibt es den auch?« Der Pilot nickte und wies auf eine blau markierte Stelle. »Hier scheint einmal ein Raumhafen gewesen zu sein, die große ebene Fläche weist darauf hin. Auf ihr gibt es nur wenig Vegetation, und eine der alten Städte ist ganz nahe, günstiger treffen wir es sonst nirgends an.« »Gut, dann landen wir auch dort«, stimmte Vestak zu. »Hoffen wir, daß in dieser Gegend nicht auch gerade Winter ist; ein gefrorener Boden und Schnee darüber würden unsere Suche sehr erschweren.« Der Archäologe grinste kurz und winkte ab. »Deswegen keine Sorge, das wird bestimmt nicht der Fall sein. Ich habe vorsichtshalber alle astronomischen Daten über Corgyar herausgesucht und in den Zentralcomputer gegeben. Deshalb weiß ich, daß auf der Nordhalbkugel des Planeten jetzt Sommer ist, wenn auch kein so warmer wie hier bei uns, weil die alte rote Sonne nicht mehr viel Kraft hat. Immerhin werden wir nicht zu frieren brauchen, dessen kannst du sicher sein.« Die Tür ging wieder auf, die letzten Nachzügler trafen ein, und Vestak musterte sie. »Wir sind vollzählig«, stellte er dann fest, »gehen wir also gleich an Bord. Ich vermisse allerdings noch den Hafenkommandanten, der uns den Start freigeben soll.« Takalain lachte sarkastisch auf. »Auf Panjomun kannst du noch lange warten, der liegt sicher noch
in seinem warmen Bett! Der arme Mann hat sich restlos verausgabt, als gestern die PANDIARA mit den Waffen hier ankam und er einmal wirklich arbeiten mußte … Hast du im Ernst geglaubt, er würde persönlich hier erscheinen, nur weil die alte LINGADA startet?« Vestak verzog das Gesicht, aber Terpit schlug ihn ermunternd auf die Schulter und bemerkte: »Gräme dich deswegen nicht lange, wir kommen gut auch ohne ihn aus. Brechen wir also auf, in einer Stunde liegt Xall hinter uns, und morgen sind wir schon auf dem Planeten Corgyar. Nur das allein ist wichtig für uns.« Gleich darauf stapfte die ganze Gruppe durch den Schnee, stieg die Rampe hoch und betrat das Schiff. Die LINGADA war wirklich ein uralter Kasten, mit ihr waren einst die von Aklard vertriebenen Mutanten nach Xall gekommen. Das war ihr schon auf den ersten Blick deutlich anzumerken, sie hielt den Vergleich mit den neueren Schiffen in keiner Weise aus. Schon in der Luftschleuse war der Kunststoffüberzug der Wände fast ganz abgeblättert, und weiter oben sah es nicht viel besser aus. Auch die Kabinen waren nur primitiv eingerichtet, wenigstens im Vergleich zu dem Standard, den die Daila auf Xall inzwischen wieder erreicht hatten. Sie boten jeweils vier Personen Platz, und der Pilot überließ es seinen Passagieren, sich darin zu verteilen, während er die Startvorbereitungen traf. Eine junge Mutantin mit entsprechender Ausbildung assistierte ihm dabei, sie mußte auch als Navigator fungieren, solange sich das Schiff im Normalraum befand. .Du hast dir dies alles etwas anders vorgestellt, nicht wahr?« sagte der Archäologe, während er seine wenigen persönlichen Dinge in einem Wandschrank unterbrachte. Er teilte sich die Kabine mit Vestak und zwei von dessen engsten Freunden, denen eine gewisse Enttäuschung ebenfalls anzusehen war. »Idealisten hatten es aber schon immer schwerer als andere Zeitgenossen, und du bist einer, sonst wärst du nicht auf die Idee gekommen, den Daila von Aklard
auf solch ungewöhnliche Weise helfen zu wollen. Mach dir deshalb nichts daraus, wenn du jetzt einige Ungelegenheiten in Kauf nehmen mußt, dies alles geht schnell vorüber. Schon morgen werden wir auf Corgyar landen, und dort wird alles ganz anders sein! Wir haben zwei Dekaden Zeit, die Psi-Verstärker zu finden und zu erproben – und wenn wir Erfolg haben, kehrst du als Held und möglicher Retter der Heimatwelt nach Xall zurück.« Das half, Vestak fühlte sich nun wieder viel besser, und schon bald darauf verkündete Takalain über den Bordfunk, daß der Start unmittelbar bevorstand. Dann begannen die Konverter zu brummen, der Normalantrieb lief an, und das alte Schiff schwang sich sogar überraschend glatt in den freien Raum hinaus. Es brauchte relativ lange für die nur knapp vier Lichtjahre, ein moderner Raumer hätte sie in einem Viertel der Zeit geschafft. Der Flug verlief jedoch vollkommen glatt, und einen Tag später glitt die LINGADA problemlos wieder in den normalen Weltraum zurück. »Wir sind da!« sagte der Pilot vom Steuerraum aus mit hörbarer Befriedigung. »Der Planet ist auf den Schirmen deutlich zu sehen, ich fliege ihn an, wir landen in etwa einer Stunde; bereitet euch also schon darauf vor.«
* Das vom Schiff gelieferte Frühstück war so opulent wie immer, aber Atlan schmeckte es trotzdem nicht. Er stocherte unlustig auf seinem Teller herum, schob ihn schließlich ganz weg und erhob sich, um den Raum zu veslassen. Mrothyr störte sich nicht daran, er aß ruhig weiter, Chipol dagegen nicht. Er sprang gleichfalls auf, folgte dem Arkoniden und fragte verwundert: »Was hast du, Atlan, wo willst du hin?« Er erhielt jedoch keine Antwort, schüttelte den Kopf und hatte dann Mühe, dem Gefährten zu folgen. Atlan stürmte förmlich
voran, bis er die Zentrale erreicht hatte, hielt dann abrupt an und ließ seinen Blick über die aktivierten Sichtschirme gleiten. Diese zeigten aber noch immer das gleiche Bild wie schon seit zwei Tagen, obwohl sich das Schiff fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegte. Sogar bei dieser höchsten im Normalraum erreichbaren Fahrtstufe schien sich draußen nichts zu verändern, die Positionen der Sonnen in der Umgebung verschoben sich kaum. Erst unter diesen Umständen merkte man, wie groß eine Galaxis wirklich war – wie winzig ein Schiff, und wie leer der Raum zwischen den Sternen. Dies alles wußte der einstmalige Kristallprinz von Arkon schon seit seiner »Lehrzeit« vor fast dreizehntausend Jahren unter dem hier auf rätselhafte Weise wieder aufgetauchten Fartuloon. Doch ihn frustrierte es, daß hier nun wertvolle Zeit verlorenging, seine rötlichen Augen funkelten ärgerlich, und er fragte scharf: »Weshalb geht es denn immer noch nicht weiter, STERNSCHNUPPE? Sicher, ich habe Verständnis für dein Problem, auch wir Lebewesen müssen neue Kräfte sammeln, wenn wir erschöpft sind. Diese Phase der Regeneration dauert mir jedoch entschieden zu lange, so viel Zeit hast du doch noch nie dafür gebraucht!« Das Schiff schien leise zu seufzen. »Ich begreife deine Ungeduld«, erklärte es dann, »aber ich bin jetzt nicht dazu imstande, so effektiv wie sonst zu funktionieren. Wie ich schon anfangs sagte, gibt es in diesem Sektor nur wenige Energieströme, die ich anzapfen kann, und in der Zwischenzeit sind auch sie fast ganz versiegt. Die Ursache dafür sind irgendwelche fremden Raumschiffe, die im Linearraum über uns immer wieder ihre Bahnen ziehen. Ihre Antriebe sind schlecht abgeschirmt, und deshalb stören ihre Emissionen den Fluß der Energien aus dem Hyperraum, auf die ich zum .Auftanken' angewiesen bin. Reicht dein Wissen dazu aus, das zu verstehen?« Der Arkonide lachte sarkastisch auf.
»Diese Dinge waren mir schon geläufig, als an deine Existenz noch gar nicht zu denken war, du seltsames Vehikel! Nun gut, ich muß mich wohl mit diesen Tatsachen abfinden, wenn mir das auch absolut nicht gefallen kann. Kannst du mir wenigstens annähernd sagen, wie lange dieser unerfreuliche Zustand noch dauern wird?« »Das ist unbestimmt«, gab die STERNSCHNUPPE lakonisch zurück, »wenn auch eine leichte Tendenz zur Besserung zu erkennen ist. Ich tue jedenfalls, was ich kann, und mehr dürfte wohl auch von einem Lebewesen nicht zu verlangen sein.« Bei dieser Anspielung schnaufte Atlan unterdrückt auf, wurde dann jedoch durch Chipol abgelenkt, der die Unterhaltung stumm verfolgt hatte, nun aber leise zu lachen begann. »Weshalb grinst du so unverschämt?« erkundigte er sich gereizt, doch der junge Daila ging nicht auf seine Frage ein. Seine Miene wurde wieder ernst, und er bemerkte so altklug wie oft zuvor: »Irgendwie hat alles im Leben seinen Sinn, wenn wir das auch oft nicht sofort erkennen können. Der Große Geist von Manam-Turu wacht auch über uns – hast du das wirklich noch nicht bemerkt? Ohne sein Wirken wären wir wohl kaum den vielen Gefahren entronnen, die wir bis jetzt schon ausgestanden haben, daran glaube ich fest! Und er wird uns auch weiterhin nicht im Stich lassen, wenn dir auch seine Absichten nicht immer verständlich sind.« »Wen die Götter lieben, den züchtigen sie!« murmelte Atlan in einem Anflug von Galgenhumor. »Eine alte Weisheit von der Erde, und wenn sie recht behält, müssen wir ihre besonderen Lieblinge sein … Warten wir also weiterhin ab, so schwer es auch fällt.« Mehr bleibt dir schwerlich übrig, fürchte ich, meldete sich nun auch sein Extrasinn, und der Arkonide seufzte innerlich. »Deine Weisheit hat mir gerade noch gefehlt!« gab er gedanklich zurück. »Du schlägst in die gleiche Kerbe wie die STERNSCHNUPPE und Chipol – diesmal scheint wirklich alles gegen mich zu sein.«
* Es war eng im kleinen Steuerraum der LINGADA geworden, denn der größte Teil der Mutanten hatte sich dort versammelt. Sie starrten gespannt auf die Bildschirme, auf denen Corgyar nun rasch größer wurde, bis der Planet schließlich nur noch teilweise zu sehen war. Alles, Meer, Land und die Wolkenfelder darüber schimmerte rötlich im Schein der kleinen alten Sonne, wie von Blut Übergossen. Eine eigentümlich beklommene Stimmung ergriff die Frauen und Männer, von denen viele noch nie eine fremde Welt gesehen hatten. Doch nicht für lange, denn bald erklärte der Pilot: »Seht zu, daß ihr wieder in eure Kabinen kommt, und schnallt euch dort fest! Ich leite gleich die Bremsperiode ein, und wenn wir dann in die Lufthülle eintauchen, könnte es hier an Bord etwas ungemütlich werden. Bisher ist alles gut verlaufen, aber ich kann nicht dafür garantieren, daß es auch so bleibt.« Nur Terpit und Vestak blieben in der Zentrale, sie fanden auf den beiden Reservesitzen Platz. Dann schaltete Takalain. Grollend lief das Bremstriebwerk an, und das alte Schiff schüttelte sich sekundenlang. Das ging jedoch bald vorüber, die LINGADA beschrieb zunächst eine Kurve und strebte dann in einem flachen Winkel der Oberfläche des Planeten entgegen. Der Pilot und seine Gehilfin verständigten sich laufend durch knappe Worte, von denen Vestak so gut wie nichts verstand. Er sah hinüber zu dem Archäologen, dieser nickte ihm beruhigend zu und bemerkte leise: »Kein Grund zur Beunruhigung, mein junger Freund. Ich kann ihren Gedanken entnehmen, daß alles in Ordnung ist, sogar der veraltete Bordcomputer arbeitet einwandfrei. Nur noch knapp eine Viertelstunde, dann haben wir es geschafft.« Sein Optimismus erwies sich jedoch als verfrüht. Solange sich das Schiff im leeren Raum befand, funktionierten die Bremsdüsen einwandfrei. Das änderte sich aber, als die LINGADA
in die Atmosphäre eintauchte – plötzlich begannen sie zu stottern, ein heftiges Rütteln durchlief das gesamte Fahrzeug. Das schrille Pfeifen der von ihm verdrängten Luft drang durch die Hülle zu den Insassen herein, Takalains Finger bewegten sich rasend schnell über die Schaltsensoren, und er schrie: »Verdammt, die Schutzschirm-Projektoren arbeiten nicht! Ohne das Schirmfeld werden wir aber hier drin gebraten … sieh nach, Nylla, dort drüben in dem roten Kasten hinter dem Computer. Die Konverter liefern genügend Energie, aber sie kommt nicht bis zu den Projektoren durch; es muß an den Sicherungen liegen.« Die junge Frau löste hastig ihre Gurte und machte sich auf den Weg, doch ein plötzlicher heftiger Stoß warf sie zu Boden. Jetzt versagten offenbar auch noch die Andruck-Absorber, mehrere Gravos schlugen durch und preßten die Männer tief in ihre Sitze. Und sie hielten auch Nylla am Boden fest – war das bereits das Ende der Expedition, ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte …? Das fragte sich Vestak in einem Anflug von Panik, sie erfüllte ihn ganz und hinderte ihn daran, noch logisch zu denken. Er sah bereits den sicheren Tod vor Augen und vergaß ganz darauf, daß er auch Psi-Kräfte besaß, die er hier einsetzen konnte. Doch an seiner Stelle griff nun Terpit ein! Er war nicht umsonst ein Multi-Mutant, zwar schon relativ alt, dafür aber mit großer Erfahrung. Zunächst neutralisierte er mit seinen Kräften den Andruck auf seinen eigenen Körper, dann griff er telekinetisch zu und half Nylla wieder auf die Beine. Er half ihr auch dabei, die wenigen Schritte bis zu dem Sicherungskasten zurückzulegen, öffnete auch diesen und las zugleich auch noch die Gedanken des Piloten. Dies alles dauerte nur wenige Sekunden, aber in ihnen entschied sich das Schicksal von Schiff und Besatzung. Die junge Frau war eine Telepathin, der Archäologe übermittelte ihr nicht nur das richtige Wissen, sondern führte zusätzlich auch ihre Hand. Ein rascher Druck auf einige Knöpfe, und schon liefen
die Schutzschirm-Projektoren an. Das Schirmfeld baute sich um die LINGADA auf, hielt die Moleküle der Lufthülle von ihr fern und entlastete damit auch den Antrieb. Die Bremsdüsen arbeiteten wieder mit voller Kraft, und plötzlich funktionierten auch die Andruck-Absorber wieder. Die Last wich von allen, Nylla konnte sich wieder normal bewegen und kehrte, wenn auch mit bleichem Gesicht, auf ihren Sitz zurück. »Danke, Terpit!« rief Takalain erlöst aus. »Ich als ›Normaler‹ hätte hier nichts mehr tun können – du hast uns alle gerettet. Wenn jetzt nicht noch etwas schiefgeht, kann ich das Schiff auch noch am vorgesehenen Landeplatz herunterbringen, die Abweichung vom Kurs ist nur minimal.« Er schaltete bereits wieder, und nun gewann auch Vestak langsam seine Fassung zurück. Er sah zu dem Wissenschaftler hinüber, dieser grinste breit und bemerkte sarkastisch: »Es geht doch nichts über einen guten Anfang, nicht wahr? Nein, ich mache dir keinen Vorwurf, du bist keineswegs dumm, aber dieses Geschehen hat dich einfach überfordert. Nur noch etwas Erfahrung, weiter fehlt dir nichts, und die kannst du dir vermutlich unten auf Corgyar sehr bald erwerben. Nur immer den Kopf hoch, wenn du auch vergessen hast, dir den Hals zu waschen.« Der junge Rat von Xall nickte langsam. »In Ordnung, Terpit, ich weiß, was du damit ausdrücken willst. Diesmal habe ich noch versagt, obwohl ich Nylla ebenfalls hätte helfen können, doch das soll kein zweites Mal passieren! Ich werde unten auf Corgyar als Initiator dieses Unternehmens die Verantwortung zu tragen haben, das ist mir klar. Folglich werde ich mir alle Mühe geben, nicht wieder den Kopf zu verlieren, was auch geschieht.« »Ein löblicher Vorsatz«, stimmte ihm der Archäologe lächelnd zu. »Und ich werde dir dabei nach Kräften helfen, verlaß dich darauf.« Dann schwiegen beide und richteten ihr Augenmerk wieder auf die Bildschirme. Das Schiff wurde nun deutlich langsamer, hielt auf
eine dünne Wolkendecke zu und durchstieß sie schließlich. Nun waren unten am Boden bereits Einzelheiten zu erkennen, der Pilot wandte sich um und erklärte zuversichtlich: »Jetzt kann uns eigentlich nichts mehr passieren, unsere alte Dame hat wieder gute Laune bekommen. Möglich, daß die Landung um einiges unsanfter ausfällt als bei einem neuen Schiff, aber das läßt sich bei den ausgeleierten Landestützen nicht vermeiden. Wir kommen jedenfalls am richtigen Ort an, das ist die Hauptsache.« Am. oberen Bildrand war eine niedrige Bergkette zu erkennen, an ihrem Rand zog ein breiter Fluß träge dahin. Beide wanderten bald wieder aus, als Takalain den Kurs etwas korrigierte, und dafür sah man nun eine weite ebene Fläche. Dies mußte der ehemalige Raumhafen der ausgestorbenen Planetarier gewesen sein, aber Vestak strengte sich vergebens an, etwas davon zu erkennen. Der Zahn der Zeit hatte im vergangenen Jahrhundert noch weitere Spuren hinterlassen, nun war das gesamte Areal bereits mit einer Humusdecke überzogen. Aus ihr ragten in unregelmäßigen Formationen Gruppen von Büschen und niedrigen Bäumen auf, deren Laub seltsam bläulich schimmerte. Kümmerliche Gewächse nach den Begriffen von Xall, doch der junge Rat schenkte ihnen nur flüchtige Blicke. Seine Augen suchten die Ruinen der alten Stadt, und schließlich sah er sie am Horizont, einige Meilen entfernt. Sie mußte einst riesig gewesen sein, vermutlich hatten in ihr Millionen der fremden Wesen gelebt. Diese schienen für die Ewigkeit gebaut zu haben, denn auch jetzt noch ragten viele dieser Gebäude zehn und mehr Stockwerke hoch auf. Doch es war der Rasse nicht vergönnt gewesen, ewig weiterzuleben – irgendwann war sie vergangen, und keiner der Daila konnte sagen, weshalb. Man wußte nicht einmal, wie diese Fremden ausgesehen hatten, die erste Expedition hatte keinen Hinweis darauf entdeckt. Sie hatte auch nur spärliche Relikte von Maschinen gefunden, deren Zweck nicht mehr festzustellen war. Selbst Metall war längst
dem Rost und der Korrosion zum Opfer gefallen, und von den Einrichtungsgegenständen war gar nichts übriggeblieben. Nur diese kleinen Kästchen, die als Psi-Verstärker fungierten, waren seltsamerweise erhalten geblieben. Ihr Vorhandensein ließ darauf schließen, daß es auch bei dieser alten Rasse Personen mit Psi-Gaben gegeben hatte, nur schienen diese nicht sehr stark gewesen zu sein. Deshalb hatte man diese geheimnisvollen Geräte konstruiert … »Achtung – wir landen in einer halben Minute!« verkündete der Pilot, und Vestak fuhr zusammen. Er begegnete dem Blick Terpits, dieser grinste kurz und bemerkte: »Du hast sehr intensiv nachgedacht und darüber alles andere vergessen, nicht wahr? Nein, ich habe nicht in deinen Gedanken gelesen, ich habe dich nur beobachtet und daraus meine Schlüsse gezogen. Es ist immer lobenswert, wenn jemand wenig redet, dafür aber viel denkt – leider halten es die meisten umgekehrt!« Dann setzte die LINGADA auf, das Grollen der Bremsdüsen schwoll noch einmal an und erstarb dann abrupt. Ein heftiger Stoß lief durch das Schiff, es bebte und ächzte in allen Fugen, kam aber nach wenigen Sekunden zur Ruhe. Plötzlich herrschte eine ungewohnte Stille in der Zentrale, doch nur für kurze Zeit. Der Pilot schaltete um, und dann erschien ein ganz anderes Bild auf den Sichtschirmen. »Wir sind gut angekommen, und dies ist nun die Umgebung, die uns erwartet«, sagte er ernst. »Seht sie euch gut an, ehe ihr hinausgeht, sie wird für etwa zwei Dekaden zu eurem Alltag gehören.« Es war kein vielversprechender Anblick, selbst aus etwa vierzig Metern Höhe waren nur Büsche und Bäume zu sehen. Sie warfen im ungewohnt rötlichen Licht der alten Sonne lange Schatten, und Vestak zog seine Folgerungen daraus. »Danke, Takalain, du hast deine Aufgabe gut erfüllt«, gab er anerkennend zurück. »Die Frage ist nur, ob es jetzt hier Abend oder Morgen ist. Ich kann das nicht beurteilen, mir fehlen einfach die
Erfahrungen dafür.« »Es ist Abend, die Sonne wird in etwa einer Stunde untergehen«, erklärte der Pilot. »Die Dämmerung dürfte noch ebensolange dauern, aber in dieser Zeit läßt sich nicht mehr viel anfangen.« »Dann bleiben wir an Bord und verbringen die Nacht im Schiff«, bestimmte der junge Rat, und der Archäologe nickte zustimmend. »Gib das über den Bordfunk durch und sorge dafür, daß alle schon kurz nach Sonnenaufgang geweckt werden. Wir verlieren dabei zwar etwas Zeit, sind dafür aber morgen ausgeruht und können unsere große Aufgabe mit voller Kraft angehen. Der Große Geist von Manam-Turu möge uns dabei helfen.«
4. Nach langer Zeit kehrte wieder Leben auf Corgyar ein. Alle Schleusen der LINGADA waren geöffnet, die Atmosphäre des Planeten drang in ihre meisten Räume vor. Sie roch zwar fremd, aber nicht unangenehm, die Daila von Xall gewöhnten sich bald daran, zumal der Sauerstoffanteil etwa derselbe war. Die Gravitation dieser Welt war sogar um mehr als ein Zehntel geringer als auf Xall, und die Temperatur kam einem der dortigen Frühlingstage gleich. Dies alles trug dazu bei, ihre Arbeit zu erleichtern, und an diesem Morgen gab es genug für alle zu tun. Container wurden aus dem Laderaum zur Lastenschleuse gebracht und schwebten dann, von Takalain dirigiert, im Antigravfeld zum Boden hinab. Dort wurden sie geöffnet und entladen, und schon nach kurzer Zeit waren die Klimazelte in einem Halbkreis um das Schiff nach Westen hin aufgebaut. Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel folgten und wurden darin verteilt, die Expedition richtete sich für die Dauer ihres Aufenthalts ein.
Nur Vestak und Terpit nahmen nicht an dieser Arbeit teil. Für sie hatte der Pilot als erstes einen Gleiter ausgeschleust. Mit diesem waren sie nun bereits unterwegs, und ihr Ziel war die alte Stadt oder das, was von ihr noch übriggeblieben war. Sie gingen auf dreihundert Meter Höhe und flogen nur langsam, um einen guten Überblick über die Gegebenheiten zu erhalten. Auf den ersten Blick wirkte alles trostlos und tot, nur die Zweige von Bäumen und Büschen wurden vom leichten Morgenwind bewegt. Zwischen ihnen wuchs niedriges binsenartiges Gras, stellenweise wucherten auch kniehohe kakteenähnliche Gewächse. Nirgends schien sich etwas zu rühren, das auf animalisches Leben hindeutete, und der junge Rat bemerkte halblaut: »Wirklich deprimierend – eine sterbende Welt.« Zu seiner Überraschung schüttelte der Wissenschaftler jedoch den Kopf. Er hatte für eine Weile die Augen geschlossen, öffnete sie nun wieder und gab zurück: »Ein Planet stirbt nur sehr langsam, Freund, und Corgyar hat bis dahin noch einige hunderttausend Jahre Zeit. Im übrigen täuschst du dich, wenn du meinst, daß es da unten außer der Vegetation keine Lebewesen gibt! Ich habe eben die Anwesenheit relativ vieler Tiere gespürt, doch sie leben unter dem Boden oder halten sich im Geäst verborgen. Unsere geräuschvolle Landung muß sie sehr erschreckt haben, kein Wunder, daß sie sich nicht sehen lassen.« »Größere Tiere?« fragte Vestak knapp. »Vermutlich nicht, ihre Gehirnkapazität ist nur gering, aber das ist nur natürlich. Die Humusdecke über dem alten Hafenbelag kann nicht sehr stark sein, bestenfalls zwei Fuß, das Nahrungsangebot ist also entsprechend knapp. In anderen Gegenden wird es erheblich anders sein, verlaß dich darauf, ich kenne das aus Erfahrung. Die erste Expedition hat nicht umsonst von wilden Bestien berichtet, vergiß das nicht.« Als sie mehr als eine Meile zurückgelegt hatten, änderte sich auch tatsächlich das Bild.
In dieser Gegend hatte sich der Schock durch die Schiffslandung weniger stark ausgewirkt und war wohl bereits wieder vergessen. Als erstes waren Schwärme verschieden großer Vögel zu sehen, sie jagten offenbar Insekten und schossen kreischend hin und her. Die nächste Spezies bestand aus etwa katzengroßen Säugetieren. Sie besaßen ein rotbraunes Fell, hoppelten unbeholfen herum und ästen eifrig die unteren Blätter der Büsche ab. Sie alle bemerkten den Gleiter nicht, der lautlos weit über ihnen dahinzog, und verhielten sich vollkommen natürlich. Dies alles änderte sich aber wiederum abrupt, als das Fahrzeug dann das Gebiet des früheren Raumhafens hinter sich ließ. An seiner Grenze ragten überwucherte niedrige Hügel auf, unter denen vermutlich die alten Hafengebäude begraben waren. Dahinter war die Vegetation erheblich höher und üppiger, die Kronen der Bäume viel umfangreicher, und ihr blaurotes Laub mit Trauben von bunten Blüten durchsetzt. Vögel waren nach wie vor zu sehen, die anderen Tiere dagegen nicht; Terpit nickte und wies nach unten. »Die Pflanzenfresser sind noch da, jetzt auch einige andere Arten, ich spüre ihre Anwesenheit. Bei genauem Hinsehen kannst du auch ihre Wechselpfade sehen, sie selbst halten sich allerdings sorgfältig verborgen. Das weist darauf hin, daß es hier andere Tiere gibt, die sie jagen – da ist schon eines davon!« Ein dunkelbrauner Schemen schoß aus einem Gebüsch hervor wie ein Blitz und überquerte eine Grasinsel mit zwei riesigen Sprüngen. Er tauchte unter eine Baumgruppe, und im nächsten Moment scholl ein entsetzliches Quieken durch die Außenmikrofone zu den beiden Männern herauf. Es erstarb nach wenigen Sekunden in einem schrillen Todesschrei, Vestak fuhr zusammen und schüttelte sich unwillkürlich. Auch der Archäologe zeigte sich betroffen, denn sein Telepathiesinn ließ ihn den Tod des Opfers mitempfinden, doch dann blockte er diesen ab und zuckte mit den Schultern.
»Fressen und gefressen werden … dieses Naturgesetz gilt nun einmal auf allen Planeten. Der Große frißt den Kleinen, und dieser kann sich nur behaupten, weil seine Vermehrungsrate entsprechend größer ist. Dieses Geschehen hat selbst dich als Nicht-Sensiblen erschreckt, im Grunde sind wir aber auch nicht viel besser als dieses Raubtier! Wir ernähren uns teilweise ebenfalls vom Fleisch unserer Nutztiere, ohne uns etwas dabei zu denken, nicht wahr? Das Schlachten wird aber durchwegs nur von Normalen oder Robotern besorgt – weshalb, kannst du dir wohl jetzt denken.« Vestak nickte mit zwiespältiger Miene. »Von diesem Standpunkt aus habe ich das noch nie angesehen«, gab er dann zu. »Doch es ist nun einmal so, und jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür, sich Gedanken darüber zu machen. Unsere Aufgabe ist es, in den alten Ruinen die Psi-Verstärker zu suchen, und sie uns dienstbar zu machen, ungeachtet aller anderen Dinge. Davon kann das Schicksal vieler Millionen von Daila auf Aklard abhängen, das allein zählt für uns!« »In diesem Fall geht es allem anderen vor«, stimmte ihm Terpit lakonisch zu und sah dann auf die Karte, die auf seinen Knien lag. »Du mußt unseren Kurs um fünf Grad nach rechts korrigieren, dann erreichen wir die Ruinen genau an jener Stelle, an der schon die erste Expedition in sie vorgedrungen ist. Dort hat sie damals die bewußten Kästchen entdeckt, die Chance, daß wir ebenfalls welche finden, ist also recht gut.« Bald darauf hatten sie die Peripherie der alten Stadt erreicht, die ersten niedrigen Gebäudereste lagen unter ihnen. Das meiste war jedoch von Pflanzen überwuchert, nur wenige Bruchstücke von Mauersilhouetten ragten noch frei daraus empor. Der junge Daila bremste den Gleiter noch weiter ab und ließ ihn über diesem Sektor kreisen, bis ihn ein Zuruf des Archäologen stoppte. »Hier muß es gewesen sein! Du wirst es kaum erkennen, aber ich bemerke deutlich die charakteristischen Vertiefungen, an denen man einst Grabungen vorgenommen hat. Dies ist die richtige Stelle,
an der wir ansetzen müssen, verlaß dich darauf.« »Du bist der Fachmann, du mußt es wissen«, gab Vestak zurück. »Soll ich jetzt sofort dort landen?« »Nein, das wäre vollkommen witzlos«, wehrte Terpit ab. »In den reichlich hundert Jahren, die seither vergangen sind, hat sich hier vieles verändert, der Boden ist nachgesackt, und die Pflanzen haben mit ihren Wurzeln weitere Verschiebungen verursacht. Wir haben zwar einen Ansatzpunkt, mehr aber nicht; jetzt heißt es erst einmal, sorgfältig zu planen, um dann methodisch und effektiv vorgehen zu können. In dieser Beziehung kenne ich mich aus, ich habe schon genügend ähnliche Grabungen durchgeführt. So, und nun zurück zum Schiff, wir haben genug gesehen.«
* Die Expeditionsmitglieder waren vollzählig im Hauptzelt versammelt, das als Aufenthalts- und Speiseraum fungierte. Der Wissenschaftler unterrichtete sie über das Resultat des Fluges und schloß dann: »Heute werden wir nicht mehr viel unternehmen können, die Tage hier auf Corgyar sind um vier Stunden kürzer als bei uns auf Xall. Dafür ist es erfreulich, daß es weder Schnee noch Eis gibt, das gleicht dieses Manko wieder voll aus. Zur Sache: Anschließend schaffen wir die Schürfmaschinen aus dem Schiff und machen sie einsatzbereit. Alles weitere hängt dann davon ab, wie schnell das geht. Wenn die Zeit noch reicht, bringen wir sie noch heute zur Stadt hinüber, wenn nicht, dann morgen früh.« Er setzte sich, an seiner Stelle stand nun Vestak auf und wandte sich an den Piloten. »Du übernimmst hier die Leitung dieser Dinge, als deine Helfer werden Kolimayn, Herlina und Zelmun fungieren. Sie alle sind als Allround-Techniker ausgebildet, können notfalls auch Reparaturen
ausführen und werden die Maschinen im Einsatz steuern. Falls du noch mehr Leute brauchst, mußt du es nur sagen, jeder wird alles tun, was in seinen Kräften steht.« Alles mußte laut besprochen werden, denn nur vier der Mutanten besaßen auch die Gabe der Telepathie, und Takalain war obendrein »nur« ein Normaler. Er nickte nun, auf seinem ohnehin gefurchten Gesicht erschienen noch einige zusätzliche Falten. »Die Schürfmaschinen haben allerhand Gewicht, und die Anlagen der LINGADA sind bekanntlich nicht mehr in bestem Zustand. Es ist also gut möglich, daß es mal eine Panne gibt, und dem müssen wir vorbeugen. Deshalb bin ich dafür, daß du mir besser jene zuteilst, die über telekinetische Fähigkeiten verfügen, damit sie eingreifen, wenn etwas schiefgehen sollte.« Drei weitere Männer erhoben sich spontan, dazu auch eine der vier jungen Frauen, und Vestak hob ebenfalls die Hand. Damit war Terpit jedoch nicht einverstanden, er winkte energisch ab. »Nein, du nicht, für dich gibt es anderweitig noch genug zu tun. Diese vier sind gut genug, wenn sie es nicht schaffen, hilft auch dein Einsatz nichts mehr. Das wäre also klar, geht sofort ans Ausladen der Maschinen, Freunde.« Der Pilot verließ das Zelt, zusammen mit Nylla, den vier Telekineten und der Archäologe sah die übrigen an. »Nehmt es mir nicht übel, falls ich jetzt vielleicht ein Wort zuviel sage, aber wir sind hier nun einmal nicht mehr auf Xall! Corgyar ist seit dem Aussterben der hiesigen Intelligenzen sich selbst überlassen und zwar ein alter, aber in vieler Hinsicht nun wieder wilder Planet. Es gibt hier ein vielfältiges animalisches Leben, und eine gefährliche räuberische Kreatur haben wir während unseres Erkundungsflugs bereits entdeckt. Den alten Berichten nach muß es jedoch noch andere und vermutlich schlimmere geben, und deshalb …« Er fuhr mit seiner warnenden Schilderung fort, gab Beispiele von anderen Welten, und die jungen Mutanten hörten aufmerksam zu.
Terpit wußte, daß der junge Rat keine schlechte Wahl getroffen hatte, sie alle besaßen überdurchschnittliche Psi-Gaben und waren in deren Einsatz geübt. Allerdings nur unter den Bedingungen des Kontinents auf Xall, der schon seit Jahrhunderten besiedelt und voll unter der Kontrolle der von Aklard vertriebenen Daila war. Auf Corgyar dagegen galt keine der dortigen Regeln. Auf dieser Welt war so gut wie alles ganz anders. Dies versuchte ihnen nun der Wissenschaftler nahezubringen, und Vestak assistierte ihm dabei, so gut er das konnte. Indessen hatte Takalain mit den ihm zugeteilten Helfern längst wieder das Schiff betreten und wurde dort sehr aktiv. Die Schürfmaschinen befanden sich in einem besonderen Laderaum; sie waren seit langem nicht mehr benutzt worden, man hatte sie zum Schutz mit Plastikhüllen überzogen. Diese wurden nun entfernt, der auf vielen Gebieten erfahrene Pilot öffnete die Steuerkabinen und erklärte seinen Schützlingen die Funktionen ihrer Geräte. Viel brauchte er nicht zu sagen, sie begriffen alles schnell. Zum Teil infolge ihrer Ausbildung, zum anderen mittels ihrer PsiFähigkeiten, und so dauerten die Instruktionen nicht viel länger als eine halbe Stunde. Dann nickte Takalain zufrieden, lächelte verhalten und bemerkte: »Bildet euch nur nicht allzuviel auf eure Kenntnisse ein – in der Praxis sieht alles oft ganz anders aus! Doch ihr müßt diese Erfahrungen, die ich jetzt meine, erst noch sammeln, und das unter möglichst realistischen Bedingungen. Dazu dürften die Ruinen der alten Stadt gerade richtig sein, denn wenn es in den Einsatz zur Befreiung Aklards geht, wird das auch kein Spaziergang sein.« »Pah!« machte Pelkoyn abfällig; er war im gleichen Alter wie Vestak und ein sogenannter »schöner« Mann. »Wenn es soweit kommt, haben wir die Psi-Verstärker, und was wollen die Ligriden dann noch gegen uns ausrichten? Wir werden es ihnen zeigen, verlaß dich darauf.«
Der Pilot zog nur die Brauen hoch, ging jedoch nicht auf diese kühne Behauptung ein. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt«, brummte er. »Geht also hinaus und stellt euch auf, in fünf Minuten beginne ich mit dem Ausladen. Behaltet die Aggregate gut im Auge und greift ein, sobald ihr merkt, daß es Schwierigkeiten gibt, was ich nicht hoffe.« Die vier Mutanten verließen das Schiff, besprachen sich kurz und nahmen dann paarweise ihre Positionen ein. Pelkoyn verstand es so einzurichten, daß er mit Weliga zusammen war, auf die er schon in Xallin ein Auge geworfen hatte. Bisher vergebens, doch hier auf Corgyar rechnete er sich bessere Chancen aus. Der Laderaum mit den Schürfaggregaten befand sich jenseits der Zelte, auf der anderen Seite der LINGADA. Takalain begab sich in den Steuerraum, öffnete die betreffende Schleuse und nahm alle nötigen Kontrollen vor. Alles schien in Ordnung zu sein, und so aktivierte er die Antigravprojektoren. Die erste tonnenschwere Maschine hob sich vom Boden, glitt auf die Schleuse zu und dann ins Freie hinaus. Der Pilot behielt sie auf seinem Monitor sorgfältig im Auge, reduzierte ganz langsam die Intensität des tragenden Feldes und richtete es zur rechten Seite hin aus. Noch eine behutsame Korrektur, und dann schwebte der Koloß schwerelos durch die Luft und setzte zwanzig Meter tiefer genau an der vorgesehenen Stelle auf. Alles war gut abgegangen, die Telekineten hatten nicht einzugreifen gebraucht. Takalain atmete auf, begann mit dem nächsten Manöver, und auch diesmal ging alles glatt. Die zweite Maschine kam links vom Schiff zu Boden, nun mußte es etwa zwei Minuten dauern, bis die dritte folgte – und diese Zeit gedachte Pelkoyn für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Die Gelegenheit war günstig, denn alle anderen konzentrierten sich auf das Ausschleusen, niemand achtete auf ihn! Er war nicht nur ein Telekinet, sondern auch ein Suggestor, der andere Personen unmerklich in seinem Sinn beeinflussen konnte.
Kein besonders starker, und auf Xall konnte er mit dieser Gabe kaum etwas anfangen, dort war die Kontrolle durch andere Mutanten zu stark. Hier jedoch war sie nicht gegeben, allein Terpit hätte etwas merken können, aber er hatte jetzt anderes zu tun … Pelkoyn ließ sich nichts anmerken und starrte ebenso wie die anderen drei zur Ladeschleuse hinauf. Sein Geist war aber sehr aktiv, ein tastender Fühler griff hinüber zum Hirn der hübschen jungen Frau und suchte Kontakt zu ihrem Willenszentrum. Sie ahnte nichts davon, denn auf diesem Gebiet war sie nicht sensitiv, und so kam die Verbindung problemlos zustande. Ihr potentieller Liebhaber stellte dies befriedigt fest, und nun war er nicht mehr aufzuhalten. Seine Impulse schlichen sich unmerklich in ihr Hirn, und er nutzte das weidlich aus. Er suggerierte Weliga als erstes einen Eindruck davon, wie er sich selbst sah: gut aussehend, liebenswert und unwiderstehlich! Dem folgte die Einflüsterung, wie schön es doch sein müßte, von einem solchen Mann begehrt zu werden, und dann das Verlangen, ihn zu lieben und ihm ganz zu gehören. Die dritte Schürfmaschine erschien in der Luftschleuse, doch Pelkoyn ließ sich davon nicht stören. Eine solche Gelegenheit ergab sich bestimmt nicht so bald wieder, nun mußte er sie auch voll nützen, bis er vom Erfolg überzeugt war. Alles andere lief doch ausgezeichnet, die beiden ersten Aggregate waren auch ohne telekinetische Nachhilfe gut unten angekommen … Und gerade beim letzten passierte es eben doch! Bis dahin hatten die Antigravprojektoren voll funktioniert, obwohl sie bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beansprucht wurden. Nun aber zeigte sich, daß das Alter auch von ihnen seinen Tribut forderte, und so war das Verhängnis nicht aufzuhalten. Erschreckt bemerkte Takalain auf seinen Instrumenten, daß ihre Leistung plötzlich um fast die Hälfte nachließ. Er bemühte sich verzweifelt, dies durch höhere Energiezufuhr auszugleichen, doch damit erreichte er gerade das Gegenteil. Die altersschwachen Spulen
konnten diese Überlastung nicht mehr verkraften, begannen zu schmoren und brannten schließlich ganz durch! Zwei der Telekineten merkten noch rechtzeitig, daß die dritte Maschine kurz nach Verlassen der Schleuse bedenklich zu schwanken begann. Sie reagierten sofort, griffen mit ihren PsiGaben zu und versuchten, den drohenden Fall abzufangen, allerdings nur von der rechten Seite her. Auf der anderen befanden sich Weliga und Pelkoyn, und nach Lage der Dinge mußten sie einfach versagen!
* Der Suggestor begriff nicht nur zu spät, was da geschah, er war auch vollkommen verstört; deshalb vermochte er nicht mehr, sich schnell genug vom Kontakt zu der jungen Frau zu lösen. Diese wiederum war vollkommen von ihrer Aufgabe abgelenkt, sie befand sich mitten im Bann heftiger sinnlicher Tagträume. Ihr Geist war angefüllt von dem unwiderstehlichen Verlangen nach Pelkoyns Liebe – und als sie endlich daraus gerissen wurde, war es längst zu spät. Das Schürfaggregat wurde nur einseitig telekinetisch in seinem Fall gebremst, aber das reichte nicht aus, um diesen aufzuhalten. Von links her wirkte sich die Schwerkraft von Corgyar voll darauf aus, und so kam es, wie es den Naturgesetzen nach kommen mußte: Die Maschine kippte ab, überschlug sich zweimal und krachte mit voller Wucht zu Boden! Sie durchschlug mit ihrem beträchtlichen Gewicht spielend die dünne Humusdecke, prallte gegen den Belag des alten Raumhafens, aber dieser hielt noch stand. Sie federte von ihm zurück, wurde mehrere Meter hochgeworfen, fiel wieder nach unten und überschlug sich dabei erneut. Dann war ihre kinetische Energie aufgezehrt und sie kam inmitten eines wahren Regens von Erdreich
und Pflanzen zur Ruhe, allerdings vollkommen deformiert. Die überraschten und erschreckten Mutanten brachten sich mit großen Sprüngen in Sicherheit, auch Weliga und Pelkoyn rannten um ihr Leben. Sie kamen gerade noch davon, wenn auch von Kopf bis Fuß verdreckt, und so forderte der Absturz wenigstens keine Opfer. Das war jedoch das einzig Erfreuliche, ansonsten war das Resultat mehr als schlimm. Als sich die Wolke aus Dreck und Staub gelegt hatte, war eines deutlich zu erkennen: das Aggregat war nur noch Schrott, an seinen Einsatz in den Ruinen war nicht mehr zu denken … Oben in der LINGADA fluchte Takalain hemmungslos. Dann legte er alle Anlagen still und verließ kopfschüttelnd das Schiff. »Wenn das so weitergeht, sehe ich sehr schwarz!« resümierte er. »Und da fühlen sich diese Mutanten immer als die Elite der Daila – ich möchte wirklich gern wissen, warum …« Drüben im Hauptzelt war Terpit heftig zusammengefahren, denn die Alarmsignale aus den Hirnen der Betroffenen drangen wie ein lauter Schrei in seinen Geist. Auch die übrigen telepathisch begabten Expeditionsmitglieder empfingen sie, und fast synchron dazu drang auch schon ein lautes Krachen zu ihnen herein. Alle stürzten eilig ins Freie, die übrigen folgten ihnen, und damit auch Vestak. Noch begriff er nichts; erst als er dann die LINGADA umrundet hatte, wurde ihm das schlimme Geschehen klar. Die Ursachen dafür allerdings nicht, nur der Archäologe mit der Gabe eines Multi-Mutanten durchschaute dies sehr schnell. »Was hast du zu deiner Rechtfertigung zu sagen, Pelkoyn?« fragte er mit grimmiger Miene. Der Urheber des Unglücks duckte sich schuldbewußt und suchte vergebens nach Worten, aber Weliga sprang überraschend zu seiner Verteidigung ein. »Er kann nichts dafür, Terpit!« erklärte sie eifrig und schob sich wie schützend vor den jungen Mann. »Pelkoyn liebt mich und hat gerade im falschen Moment an mich gedacht, ich habe es deutlich
gespürt. Das hat uns beide irritiert, und deshalb …« »Und deshalb mußte die Schürfmaschine dran glauben«, vollendete der Wissenschaftler sarkastisch. »Schon wirklich seltsam, Mädchen, von einer solchen Affinität zwischen Telekineten habe ich noch hie zuvor etwas gehört … Doch irgendwie ist es eben geschehen und nun läßt sich nichts mehr daran ändern, lassen wir das also ruhen. Wir werden in der alten Stadt auch mit den übrigen zwei Maschinen auskommen, denke ich.« Er wiegelte bewußt ab, um Pelkoyn nicht bloßzustellen, und die anderen Telepathen erkannten das, obwohl er zugleich seine eigenen Gedanken blockierte. Ihr Ehrenkodex verbot ihnen jedoch, einen der Ihren irgendwie zu verraten, deshalb schwiegen sie, und im selben Moment erschien auch der Pilot auf der Szene. »Es tut mir leid, Terpit, ich habe getan, was ich nur konnte«, erklärte er. »Nur noch ein paar Sekunden, dann wäre die ganze Aktion gelaufen gewesen, aber die alten Projektoren haben die Belastung nicht mehr ausgehalten. Sie sind durchgebrannt, weil ich den Fehler gemacht habe, ihnen noch mehr Energie …« »Schon gut, Takalain«, fiel ihm Vestak mit einer entschiedenen Handbewegung ins Wort. »Wir alle glauben dir das, es war nur ein zufälliges Zusammentreffen unglücklicher Umstände, das schuld an diesem Zwischenfall war. Jetzt noch lange darüber zu diskutieren ist sinnlos, an den Tatsachen ändert es doch nichts mehr. Lassen wir es also und überlegen statt dessen, wie es nun weitergehen soll.« Er war zwar kein Telepath, doch in dem halben Jahr täglichen Umgangs mit Micaela hatte er so manches gelernt. Deshalb fiel es ihm auch nicht schwer, aus dem Verhalten der beiden Pechvögel und aus Terpits Worten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zweifellos war es Pelkoyns Schuld, daß die Maschine nun in Trümmern lag, aber ihr Ausfall spielte keine entscheidende Rolle, darin stimmte er dem Archäologen zu. Dieser nickte nun eifrig und bemerkte: »Ich schlage vor, daß wir nichts an unseren Plänen ändern, Freunde. Das meiste, was zu
erörtern war, wurde bereits gesagt, es gibt nicht mehr allzuviel hinzuzufügen. Da wäre nur noch …« Er strafte sich selbst Lügen, denn ihm fiel doch noch einiges ein, und Vestak lächelte still vor sich hin. Terpit brannte nur so darauf, möglichst schnell mit der Suche in den Ruinen beginnen zu können, und das bestimmt nicht nur der ominösen Kästchen wegen. Mit Sicherheit hoffte er, dabei auch andere Relikte der früheren Bewohner Corgyars entdecken zu können, weniger ließ sein Ehrgeiz als Forscher einfach nicht zu. Dann war wirklich alles gesagt, die Daila suchten das Hauptzelt auf und nahmen ihr Mittagessen ein. Eine halbe Stunde später wurde es ernst, die Schürfmaschinen wurden mit je zwei Personen bemannt und rumpelten in Richtung der alten Stadt davon. Für das Gros wurde der Lastengleiter aus dem Schiff gebracht, Vestak und Terpit sollten wieder das kleinere Fahrzeug benutzen. Takalain blieb in der LINGADA zurück, er sollte später mit ihr folgen, wenn ein geeigneter Landeplatz für sie gefunden war. Ihm wurden zwei Helfer zugeteilt, um die havarierte Maschine aus dem Weg zu schaffen, und Terpit bestimmte dazu scheinbar absichtslos, aber mit Bedacht, Pelkoyn und Weliga … Sie nahmen es widerspruchslos hin, bot es ihnen doch Gelegenheit, vorerst zusammenzubleiben. Als dann jedoch die Gleiter gestartet waren, stemmte der Pilot die Arme in die Hüften und grinste maliziös. » Wir werden es ihnen zeigen … das waren doch deine Worte«, erinnerte er den Unglücksraben des Tages. »Was du aber zuvor gezeigt hast, war bestimmt keine Ruhmestat, das siehst du doch wohl ein? Du hast also eine Menge gutzumachen – fang sofort damit an!«
5.
»Hier ist es«, erklärte der Archäologe den jungen Mutanten mit einer weit ausholenden Armbewegung. »Dies ist jene Stelle, an der im vorigen Jahrhundert die erste Expedition Grabungen vorgenommen und die Psi-Verstärker gefunden hat. Wir werden natürlich nicht an genau derselben Stelle suchen, sondern die Maschinen weiter seitlich einsetzen. Dort ist noch alles so, wie es früher war, wir haben also alle Chancen, erneut fündig zu werden.« Seine Helfer nickten zwar, jedoch ohne besondere Begeisterung. Sie waren in Xallin und Umgebung aufgewachsen, inmitten von Technik und Zivilisation, und davon war auf Corgyar nicht mehr die kleinste Spur vorhanden. Hier gab es nur die wilde Natur des alten Planeten mit ihren fremdartigen Gewächsen und dazwischen die Ruinen, die auf sie wie Mahnmale des Todes wirkten. Das rötliche Licht der alten Sonne trug noch dazu bei, die ganze Szene fast unheimlich erscheinen zu lassen, aber Terpit merkte natürlich nichts davon. Er war voll in seinem Element, sein rundliches Gesicht strahlte geradezu in Erwartung der kommenden Dinge. Er malte diese wortreich weiter aus, um die Zeit bis zum Eintreffen der Schürfaggregate zu überbrücken. Diese waren auf dem Boden erheblich langsamer als die Gleiter, bis zu ihrer Ankunft mußte es noch fast eine Stunde dauern. Endlich wußte auch er nicht mehr weiter, und nun hob Herlina die Hand, die als einzige die Gabe der Teleportation besaß, wenn auch nur über relativ kurze Entfernung. »Du hast uns jetzt vieles gesagt, und dafür sind wir dankbar, wenn wir wohl manches auch erst später verstehen werden. Nur eines hast du bis jetzt vergessen, obwohl es doch eigentlich das wichtigste ist: Wie sehen die Psi-Verstärker aus, woraus bestehen sie, und woran können wir sie als solche erkennen? Bisher wissen wir nur, daß es sich dabei um kleine Kästchen handeln soll, aber dies ist ein recht vager Begriff.« Das Lächeln verschwand vom Gesicht des Wissenschaftlers, statt
dessen erschien darauf ein Anflug von Verlegenheit. Er hatte in seinem beruflichen Eifer nur über Dinge geredet, die sein eigenes Fach betrafen, das erkannte er jetzt, wenn auch reichlich spät. Doch nun kam ihm Vestak zu Hilfe und übernahm es, an seiner Stelle die nötigen Erklärungen zu geben. »Den alten Beschreibungen nach sind es tatsächlich kastenförmige Gebilde, rechteckig und aus einem rötlichen, bei uns auf Xall vollkommen unbekannten Schwermetall. Sie besitzen rechteckiges Format und ihre Größe ist nicht eben beeindruckend. Sie differiert zwischen höchstens zwölf Zentimeter und dem Ausmaß der Pillenschachteln unserer Ärzte; größere sind meines Wissens nicht gefunden worden.« »So winzige Dinger nur?« gab die junge Frau verwundert zurück. »Dann dürfte es nicht nur schwer sein, sie zu entdecken, ich kann mir auch kaum vorstellen, daß sie wirklich die Funktion erfüllen, die ihnen zugeschrieben wird.« Der junge Rat zuckte mit den Schultern. »Wir können uns nur an das halten, was in den Berichten unserer Vorgänger steht, und das ist nicht besonders viel. Bedenke jedoch, daß wir ebenfalls Minicomputer besitzen, die zwar relativ klein sind, trotzdem aber eine Menge leisten. Die Packungsdichte der Chips kann in diesen Gebilden noch erheblich dichter sein, oder die Kapazität um einiges größer. Allem Anschein nach waren diese ausgestorbenen Intelligenzen schon vor Jahrtausenden technisch weiter, als wir es heute sind.« Terpit nickte zustimmend. »Vestak hat recht, das sagen mir meine Erfahrungen auf anderen Planeten. Sie lassen sich natürlich immer nur bedingt auf unbekannte Zivilisationen übertragen, ich neige aber trotzdem dazu, der alten Rasse von Corgyar eine Menge zuzutrauen. Schon allein deshalb, weil es in ihren Reihen gleichfalls Mutanten gegeben haben muß, deren Fähigkeiten mittels dieser Kästchen gezielt verstärkt wurden.«
»Derselben Meinung bin ich auch«, ergänzte Vestak dieses Votum, »nur haben die Mitglieder der ersten Expedition es offenbar nicht verstanden, richtig mit den Geräten umzugehen. Sonst wäre es wohl nicht zu den Zwischenfällen gekommen, als deren Folge diese Welt für die Daila von Xall als tabu erklärt wurde, denke ich. Doch wir sind jedenfalls gewarnt und werden entsprechend vorsichtig sein, verlaßt euch darauf.« Onlymar hob die Hand, er war einer der Telepathen in diesem Team. Ein hagerer junger Mann mit einem schmalen Gesicht und braunem Haar, Allround-Techniker, und wohl deshalb besonders skeptisch. »Vielleicht sollten wir, sofern wir überhaupt Verstärker finden, nicht sofort Psi-Experimente damit machen«, warf er ein. »Wäre es nicht besser, sie vorher zu öffnen und genau zu untersuchen?« Terpit lächelte resigniert und winkte ab. »Das hat man schon damals versucht, soviel ich weiß, aber umsonst. Wie Vestak schon sagte, ist ihr Metall bei uns unbekannt, ich tippe auf irgendeine Legierung, vielleicht sogar molekülverdichtet. Und da sie keinerlei Öffnungen besitzen …« »Die Maschinen kommen!« unterbrach ihn Bentysh, der durch eine Lücke in den umgebenden Büschen gespäht hatte, und damit war die Diskussion automatisch beendet.
* Die beiden Ungetüme rasselten heran, ihre breiten Gleisketten walzten alles nieder, was ihnen im Weg stand. Kleinere Tiere, die sich seit der Ankunft der Daila versteckt gehalten hatten, rannten und hüpften quiekend und schreiend davon, um sich in Sicherheit zu bringen. Vögel flogen auf, zeterten laut und suchten dann ebenfalls das Weite. Vestak verzog das Gesicht, ihm war jede sinnlose Vernichtung von
Lebewesen zuwider. Doch hier ging es nun einmal nicht anders, die Schürfmaschinen waren alt und nicht flugfähig. Sie waren Allzweckaggregate, mit denen sich praktisch jede Art von Erdarbeiten ausführen ließ. Im Vorderteil saß eine riesige Gesteinsfräse, ihre schwenkbaren Flügel konnten einen Tunnel bohren, in dem das ganze Gefährt Platz fand. Die zermahlene Materie wurde in Druckkammern zusammengepreßt und dann nach vorn ausgestoßen, als stahlharte Platten, auf denen die Ketten Halt fanden. Rechts und links der Fahrerkabine waren Baggerschaufeln und Kranarme angeordnet, die je nach Bedarf ausgefahren wurden. Daneben gab es noch eine Vielzahl von Zusatzgeräten für Feinarbeiten, bei denen es auf ein schonendes Vorgehen ankam. Natürlich war es den Mutanten trotz all ihrer Gaben unmöglich, dies alles auf Anhieb einwandfrei zu beherrschen. Das besorgte ein Steuercomputer für sie, der nur entsprechend programmiert werden mußte, und in dessen Bedienung kannten sich die jungen AllroundTechniker aus. Sie hatten die beiden Kolosse gefahren, hielten sie nun dicht vor ihren Gefährten an und stellten die Motoren ab. Dann stiegen sie aus ihren Kabinen über Sprossen zum Boden hinab, streckten die steif gewordenen Glieder und kamen auf ihre Anführer zu. »Kannst du uns eine Pause gönnen, ehe es losgeht?« erkundigte sich Zelmun nach einem schnellen Rundblick bei Terpit. »Die Fahrt hierher war nicht sonderlich angenehm, das Gelände ist uneben, und die Federung dieser alten Kästen läßt sehr zu wünschen übrig.« Er war klein, aber drahtig, in seinem ovalen Gesicht unter dem braunen Kraushaar saßen wache dunkle Augen. Seine Psi-Fähigkeit lag auf dem Gebiet der intuitiven Prognostik, war allerdings nur schwach ausgeprägt. Dafür war er jedoch ein vorzüglicher Sportler, er hatte die Siebenkampf-Wettbewerbe von Xallin in den letzten beiden Jahren mit großem Vorsprung gewonnen. Wenn er nun sagte, die Fahrt wäre nicht sonderlich angenehm
gewesen, mußte sie eine regelrechte Strapaze gewesen sein. Dies war dem Archäologen auch ohne telepathische Nachforschung klar, er zog aber trotzdem eine Grimasse und verdrehte theatralisch die Augen. »Es ist immer dasselbe mit euch jungen Leuten«, beklagte er sich scheinheilig. »Wenn ich daran denke, wie ich in deinem Alter schon die lange Expedition auf dem Eisplaneten Altog … aber lassen wir das jetzt, ihr wißt ja doch nichts davon. Gut, ruht euch also eine halbe Stunde lang aus, es gibt ohnehin vor eurem Einsatz noch ein paar andere Dinge zu tun.« Er hatte allerdings vergessen, dabei seinen Geist abzublocken, und nun spürte er plötzlich einen telepathischen Fühler in seinem Hirn. Er kam von Nylla, das erkannte er, die junge Frau mußte also einiges in seinen Gedanken gelesen haben, das in klarem Widerspruch zu seinen Worten stand … Sie behielt es jedoch für sich, nur ein leicht amüsiertes Lächeln flog über ihr frisches rundliches Gesicht. »Danke, Terpit«, sagte sie leichthin und zwinkerte ihm fast unmerklich zu. »Du bist so gut zu uns, wie ein besorgter Vater zu seinen ungeratenen Kindern, wir werden dir das nie vergessen.« Niemand sonst hatte etwas von diesem geistigen Intermezzo bemerkt, nur Vestak zog aus der Mimik der beiden seine eigenen Schlüsse und grinste verstohlen. Der Wissenschaftler wiederum hatte sich indessen gefangen, fuhr herum und bedachte ihn mit einem strafenden Blick. »Diese Leute haben etwas getan und sich eine Pause verdient«, knurrte er betont mürrisch. »Du dagegen stehst hier nur die ganze Zeit über nutzlos herum – hole die beiden Koffer aus dem Gleiter, die brauche ich jetzt.« »Woher sollte ich das wissen; ich bin schließlich nur Telekinet, aber kein Telepath!« gab der junge Rat mit unbewegter Miene zurück. Terpit zuckte zusammen, denn er fühlte sich durchschaut, obwohl er inzwischen eine Gedankensperre errichtet hatte. Vestak achtete
jedoch gar nicht mehr auf ihn, er ging hinüber zu dem Fahrzeug und kam gleich darauf mit den verlangten Koffern zurück. Alle anderen hatten sich inzwischen auf dem Boden niedergelassen, sie unterhielten sich halblaut und genossen nach den Wintertagen auf Xall die angenehme Temperatur auf diesem Planeten. Das konnte ihnen nicht einmal der Archäologe verdenken, denn er fühlte ebenso, aber sein beruflicher Eifer behielt trotzdem die Oberhand. Ihm kam es nicht nur darauf an, hier einige PsiVerstärker zu finden, er war auf weitergehende Entdeckungen aus. Er löste die Verschlüsse der beiden großen Koffer. Die Deckel sprangen auf und gaben den Blick auf elektronische Instrumente mit zahlreichen Skalen und Bedienungselementen frei. Sie sagten Vestak nichts, denn er war kein Techniker, sondern als Biologe ausgebildet, aber Terpit erklärte ihm nun ihre Funktionen. »Beides sind sehr wichtige Apparate für uns, sie schaffen erst die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit. Hier siehst du einen Hohlraum-Resonator, seine Wellen durchdringen selbst hartes Gestein und Mauern, bis zu vier mannslängen Tiefe. Von dort werden sie zurückgespiegelt, die Reflexe erscheinen dann auf dem Schirm hier und sagen mir alles, was ich wissen will. Verstehst du das?« Vestak lächelte leicht und nickte. »Natürlich, wenn es auch nicht zum Elementarwissen gehört, das unsere Schulen lehren. Mit diesem Gerät lassen sich Kellerräume oder sonstige Kavernen unterhalb der hiesigen Ruinen entdecken, das ist mir klar. Und was bezweckt diese zweite Apparatur?« »Dies ist ein Metalldetektor, seine Impulse reichen etwa in die gleiche Tiefe. Er kann so eingestellt werden, daß er auf Metalle von sehr geringer Dichte anspricht, aber auch auf genau das andere Extrem. Da die bewußten Kästchen eine hohe Molekulardichte besitzen, können wir alles andere vergessen und gezielt auf sie ansetzen, die richtigen Daten kenne ich von den alten Aufzeichnungen her. Weißt du jetzt genug, können wir mit der
Erkundung beginnen?« »Wir können!« stimmte ihm der junge Rat von Xall zu, die beiden Männer erhoben sich und gingen los, auf die Fragmente der uralten Stadt einer ausgestorbenen Rasse zu. Damit leiteten sie den Beginn einer langen Reihe turbulenter, chaotischer und verhängnisvoller Geschehnisse ein, ohne das auch nur zu ahnen.
* Ein leiser Pfeifton war zu hören, eine blaue Leuchtdiode begann schwach zu flackern. Der Archäologe brummte etwas vor sich hin, dann bewegte er die Stabantenne des Resonators langsam weiter nach links. Das Pfeifen wurde lauter, das Leuchten der Anzeige immer heller und dann stetig. Terpit nickte zufrieden, tippte auf einen Sensor an dem Gerät, und nun erhellte sich auch der Schirm. Vestak bemühte sich aber vergebens, etwas von dem Bild darauf zu erkennen; er sah nur vage Schatten, die ihm nichts sagten. Auch die Zahlenkolonnen, die am unteren Rand der Bildfläche auftauchten, verrieten ihm nichts. Der Wissenschaftler dagegen las sie flüssig ab, sah dann auf und lächelte breit. »Ein rechteckiger Hohlraum in etwa zehn Meter Entfernung und sieben Meter Tiefe! Die Größe und Höhe entspricht ungefähr einem normalen Zimmer, es dürfte aber eher ein Keller gewesen sein. Nun, dann wollen wir mal sehen, was der Metalldetektor dazu sagt.« Er aktivierte auch diesen, drehte an einigen Reglern und ließ seine Antenne ebenfalls schwenken. Dann verschwand jedoch sein Lächeln, und er schüttelte mißmutig den Kopf. »Leider ein Fehlschlag! Da unten gibt es zwar einiges Metall, doch es ist nichts dabei, das wesentlich dichter und schwerer ist als normaler Stahl. Das können wir gleich wieder vergessen – ein Erfolg
beim ersten Versuch wäre wohl auch zuviel verlangt.« Er wechselte den Standort, und Vestak half ihm, die Apparate zu tragen. Er lernte auch allmählich, die Konturen auf dem Bildschirm und die Anzeigen der Instrumente zu deuten, aber bei den nächsten Objekten kam auch nicht mehr heraus. Sie entdeckten zwar noch ein gutes Dutzend weiterer Kavernen, bis zu einer Entfernung von etwa hundert Meter rechts und links der ersten. In keiner gab es jedoch Metallvorkommen mit einer Konsistenz, die jener der Psi-Verstärker entsprach, und auch im Boden selbst war nichts davon zu finden. Über diesen Fehlversuchen vergingen fast zwei Stunden, und die Miene des Archäologen verdüsterte sich immer mehr. Die anderen Expeditionsteilnehmer hatten nichts zu tun, ein Teil von ihnen begleitete die beiden Sucher und sah ihnen über die Schulter. Das lenkte Terpit ab, er fluchte schließlich leise und gab auf. »Hier gibt es offenbar nichts zu finden«, knurrte er. »Unsere Vorgänger scheinen bereits alles herausgeholt zu haben. Ja, dann wird uns wohl nichts weiter übrigbleiben, als tiefer in die Stadt vorzudringen, am besten gleich bis zu einer noch halbwegs erhaltenen Ruine. Den Weg dorthin kann uns eine der Schürfmaschinen bahnen, und dann …« »Ich fürchte, das hat heute nicht mehr viel Sinn«, unterbrach ihn Vestak und deutete zum Himmel empor. »Die Sonne wird schon in gut einer Stunde untergehen, du vergißt, daß der Tag hier viel kürzer ist als bei uns auf Xall. Meiner Ansicht nach ist es besser, jetzt noch eine ebene Fläche zu schaffen, auf der Takalain mit der LINGADA landen kann. Das erspart uns den Rückflug, wir sind morgen früh an Ort und Stelle und können direkt weitermachen.« Terpit seufzte leise, dann nickte er. »Daran hätte ich auch selbst denken können, aber wenn ich einmal an der Arbeit bin, vergesse ich alles andere. Gut, machen wir es also so, morgen geht es dann ganz früh wieder an die Arbeit.« Gleich darauf rumpelten die beiden Maschinen wieder hin und
her, etwa hundert Meter weiter draußen im freien Gelände. Die Schaufeln der Bagger hoben und senkten sich, der Boden wurde planiert, und das Erdreich wanderte in die Druckkammern. Es erschien in Gestalt von Platten wieder, und diese wurden von den Gleisketten sofort festgewalzt. So entstand nach und nach eine ebene Fläche mit einem harten Belag, der das Gewicht des Raumschiffs aushalten konnte. Zunächst ging auch alles gut, nach reichlich einer halben Stunde war der provisorische Landeplatz schon fast fertig. Vestak war in den kleineren Gleiter gestiegen, aktivierte das Funkgerät und rief Takalain an. Er teilte dem Piloten mit, daß er sich darauf vorbereiten sollte, das Schiff zur alten Ruinenstadt zu fliegen; diese kurze Strecke konnte er auch ohne eine Assistenz bewältigen. Darin kletterte er wieder aus dem Fahrzeug, und genau in diesem Augenblick kam es zum ersten Zwischenfall. Die eine Schürfmaschine hatte ihre Arbeit bereits beendet, die zweite fuhr ihre letzte Tour, nur etwa zwanzig Meter von dem Platz entfernt, auf dem sich die Mutanten niedergelassen hatten. Dabei riß eine Baggerschaufel einen scheinbar harmlosen Erdbuckel von der Seite her an – und im nächsten Augenblick war in weitem Umkreis der Teufel los! Es gab viele unterschiedliche Arten von Insekten auf Corgyar, bisher hatten sie die Daila aber kaum nennenswert belästigt. In diesem Erdbuckel aber befand sich das zentrale Nest einer Spezies, die entfernt irdischen Hornissen glich. Diese Tiere wurden durch die teilweise Zerstörung ihres Domizils aufgeschreckt, begannen auszuschwärmen und suchten zornig brummend nach dem Feind, um ihn abzuwehren. Die Maschine war indessen weitergerollt und hielt nun an, weil ihre Arbeit beendet war; der Fahrer stieg aus und begab sich zu seinen Gefährten hinüber. Er bemerkte den herannahenden Schwarm und begann zu rennen, die empfindlichen Geruchsorgane der Insekten fingen seine Körperausdünstung auf. Das Metall des
Schürfaggregats bot ihnen keine Angriffsfläche, hier aber war ein Lebewesen, und auf dieses gingen sie nun los. Es mochten etwa tausend Pseudo-Hornissen sein, und ihr wütendes Summen ließ keinen Zweifel an ihren Angriffsabsichten zu. Sofort sprangen auch die übrigen Mutanten auf und versuchten eilig, sich in Sicherheit zu bringen, aber umsonst. Büsche und Bäume boten ihnen zwar Sichtdeckung, doch das genügte nicht. Die Tiere orientierten sich vor allem nach dem Geruchssinn. Sie fanden mit untrüglicher Sicherheit die fremden Störenfriede. Die Daila konnten von Glück reden, daß sie Overalls aus Kunstfasern trugen, die zwar atmungsaktiv, aber fast undurchdringlich waren. Hunderte der aufgebrachten Insekten stürzten sich auf jeden von ihnen und stachen blindlings zu. Die meisten Stiche trafen nur die Overalls und blieben so wirkungslos. Doch die Köpfe und Hände der Opfer waren unbekleidet, und so klangen bald die ersten lauten Schmerzensschreie auf. Nur Vestak blieb verschont, er als Biologe hatte sehr schnell begriffen, was sich da anbahnte. Hastig kletterte er zurück in den Gleiter und handelte impulsiv, ohne lange zu überlegen. Mit einem schnellen Griff aktivierte er den Antrieb, ließ das Fahrzeug steigen und lenkte es dann in geringer Höhe über den Schauplatz des Dramas hinweg. Das wirkte, der starke Luftsog wirbelte einen großen Teil der Tiere durcheinander und von den Mutanten weg. Vestak wiederholte das Manöver noch einige Male, dann waren diese frei, denn nun nahmen die Pseudo-Hornissen den Gleiter als ihr neues Ziel. Sie folgten ihm fast geschlossen, die Daila rannten zu dem anderen Fahrzeug, warfen sich geradezu hinein und waren in Sicherheit. »Wie geht es euch?« erkundigte sich der junge Rat über Funk, und zuerst antwortete ihm nur ein schmerzhaftes Stöhnen. Dann kam Terpits Stimme zurück, sie klang undeutlich und deprimiert. »Welch überaus intelligente Frage. Wir lassen vorerst hier alles
stehen und liegen und kehren zum Schiff zurück. Ruf Takalain an und sag ihm Bescheid – wir brauchen schleunigst eine Medizin, die das Gift dieser verdammten Biester neutralisiert.«
6. »Das war hart, bei Mana!« sagte der Archäologe eine Stunde später. Sein Gesicht war dick verschwollen und beide Hände bandagiert; sie hatten die meisten Stiche abbekommen, weil er mit ihnen den Kopf zu schützen versucht hatte. Die anderen sahen ähnlich aus, aber sie hatten nun wenigstens keine Schmerzen mehr, dafür sorgten die Medikamente aus der Bordapotheke. Er schnaufte grimmig auf und fuhr dann fort: »Eine große Pleite, die ganze heutige Arbeit war umsonst! An dieser Stelle können wir nicht weitermachen, die Insekten würden uns wieder angreifen, sobald wir uns dort zeigen. Sie sind zwar nicht intelligent, aber sie vergessen trotzdem nichts, darin kenne ich mich aus. Doch wer hatte auch ahnen können, daß es sie gerade da gibt?« »Jeder Planet hat seine Tücken, man merkt es nur leider meist zu spät«, bemerkte der erfahrene Pilot. »Nun, jetzt sind wir ja gewarnt, ein zweitesmal wird euch das nicht mehr passieren. Eure Schwellungen werden auch bald zurückgehen, morgen früh merkt ihr schon nichts mehr davon. Wie geht es aber nun weiter?« Vestak hob die Hand und bemerkte: »Ich bin dafür, die ganze Sache anders anzupacken, Freunde. Ob es am Stadtrand noch viel zu finden gibt, erscheint mir fraglich, die erste Expedition scheint dort nur zufällig auf die Verstärker gestoßen zu sein. Statt dessen sollten wir es jetzt weiter innen versuchen, bei einer der größeren Ruinen. Einverstanden, Terpit?« Der Wissenschaftler nickte. »Zuweilen ist der scheinbar schwierigere Weg in Wirklichkeit der einfachere, insofern hast du recht. Der Fehler dabei ist nur, daß er
uns relativ viel Zeit kosten wird, doch das müssen wir wohl notgedrungen in Kauf nehmen. Außerdem dürfte es schwer sein, in der Stadt einen Landeplatz für die LINGADA zu schaffen, das ist ein weiteres Handikap.« »Das ist auch gar nicht nötig, denke ich«, überlegte der junge Rat. Er saß mit Terpit und Takalain im kleinen Aufenthaltsraum zusammen, alle anderen hatten sich bereits zur Ruhe begeben. »Das Schiff kann auf der heute planierten Fläche landen, zwei Männer in Raumanzügen steigen aus und begeben sich in die Schürfmaschinen. Dann steuern sie diese in die alte Stadt hinein, wir können ihnen später mit den Gleitern folgen. Auf diese Weise entgehen alle einem neuen Angriff der Insekten, sie sind nur darauf bedacht, ihr Nest zu verteidigen. Wir müssen nur noch eine Stelle aussuchen, die uns als geeignet erscheint – welche schlägst du vor, Terpit?« Die drei Männer beugten sich über eine der beim Anflug von der LINGADA aus gemachten Aufnahme, und dann tippte der Archäologe auf einen besonders markanten Punkt. »Hier gibt es ein relativ gut erhaltenes Gebäuderelikt, kaum fünfhundert Meter vom Schauplatz unseres heutigen Debakels entfernt. Die Maschinen können sich innerhalb von dreißig Minuten dorthin vorarbeiten, also wird der Zeitverlust doch erheblich geringer, als ich befürchtet habe. Gut, so werden wir es machen – und wir werden uns diesmal besser vorsehen, das ist sicher.« Terpits Augen blitzten unternehmungslustig, die Insektenstiche, Schmerzen und Schwellungen schienen bereits wieder vergessen zu sein. Vermutlich dachte er weniger daran, Psi-Verstärker zu finden, als Hinweise auf die ausgestorbenen Planetarier – ein Fachmann wie er konnte eben nicht aus seiner Haut. Vestak durchschaute das auch, ohne Telepath zu sein, und lächelte verstohlen vor sich hin. Er stimmte zu, der Pilot ebenfalls, und dann suchten alle drei ihre Kabinen auf.
* Die kurze Nacht von Corgyar war vorüber, das Wecksignal erklang im Schiff, und die Daila erwachten. An diesem Morgen dauerte alles etwas länger als sonst, in der kleinen Medostation herrschte Hochbetrieb. Es oblag Pelkoyn und Weliga, die Bandagen wieder zu entfernen; sie hatten diese auch am Vorabend angelegt, weil sie das Glück gehabt hatten, nicht zu den Betroffenen zu gehören. Trotzdem murrten beide nicht ob ihrer ungewohnten Aufgabe – sie hatten die Nacht zusammen verbracht, und Pelkoyns geistige Attacke hatte ihre Früchte getragen … Das Frühstück wurde aber um so hastiger eingenommen, denn Vestak hatte allen eindringlich erklärt, worauf es an diesem Tag ankam. Schon nach kurzer Zeit startete Takalain die LENGADA, sie setzte problemlos auf der provisorischen Piste auf, und dann lief alles nach dem am Vorabend vom Führungs-Triumvirat entworfenen Plan. Zelmun und Garlic trugen Raumanzüge und begaben sich, ebenso heftig wie erfolglos von den Pseudo-Hornissen attackiert, in die Steuerkabinen der beiden Schürfmaschinen. Gleich darauf rollten diese los, walzten alles nieder, was ihnen im Weg stand, und schufen eine breite Schneise durch niedrige Trümmer, Bäume und Gebüsch. Alle übrigen Daila waren im Aufenthaltsraum versammelt, Vestak erklärte ihnen nochmals das Vorhaben dieses Tages und schloß: »Wir beide, Terpit und ich, werden jetzt hinausgehen und die beiden Geräte bergen, die wir gestern hier zurücklassen mußten. Anschließend fliegen wir den Maschinen voraus zum Zielpunkt, sehen uns dort genau um und weisen sie dann ein. Die übrigen kommen erst später nach, wenn wir sicher sind, daß es dort nicht ebenfalls Insektenburgen oder ähnliche Überraschungen gibt.« Wenig später flogen die beiden Männer zu der Stelle hinüber, an
der sie die Koffer zurückgelassen hatten, stiegen aus und nahmen sie an sich. Sie wurden nicht von den Tieren angegriffen, und als sie wieder im Gleiter saßen, nickte der Archäologe. »Die Biester lernen scheinbar schnell, deine Flugmanöver von gestern abend haben ihnen offenbar Respekt eingeflößt. Trotzdem ist der jetzige Zustand keineswegs ideal, denn niemand kann ohne Schutzkleidung ins Freie gehen. Ein Teil von ihnen ist schon damit beschäftigt, den Bau zu reparieren, aber solange wir hier sind, wird immer eine Art ›Schutztruppe‹ in der Luft sein. Vielleicht sollten wir das ganze Nest mit unseren Strahlern verbrennen, dann haben wir Ruhe.« »Das wäre zwar eine Lösung, aber bestimmt keine gute«, wehrte Vestak ab. »Diese Tiere haben ihren Platz in der hiesigen Ökologie, vermutlich sammeln sie Honig und bestäuben dabei die Blüten der Bäume und Büsche. Wenn wir sie vernichten, wird dieser Planet noch oder als jetzt, und ich als Biologe bin prinzipiell dagegen, Lebewesen ohne Not zu töten.« Er brachte das Fahrzeug wieder in die Luft und ließ es der Spur folgen, die von den Schürfmaschinen inzwischen geschaffen worden war. Sie hatten jedoch noch nicht viel mehr als hundert Meter hinter sich gebracht, die Schutthügel der zusammengestürzten Gebäude boten ihnen offenbar mehr Widerstand als erwartet. Vestak winkte zu den beiden Fahrern hinab, beschleunigte dann und hatte das Ziel schon zehn Sekunden später erreicht. Diese Ruine bot auch jetzt noch einen imposanten Anblick. Welchem Zweck das Gebäude einst gedient haben mochte, blieb auch dem erfahrenen Wissenschaftler verborgen. Jedenfalls war es ein riesiger Komplex, etwa zweihundert Meter lang und halb so breit. Die Außenmauern waren noch fast ganz erhalten und ragten bis zu fünfzig Meter hoch in die Luft, vom rötlichen Schein der kleinen alten Sonne Übergossen. Vestak drosselte das Tempo und umrundete sie in geringem Abstand, und Terpit drückte sich an der Sichtscheibe fast die Nase
platt. Aus der Nähe war jedoch deutlich zu sehen, daß die Witterung auch diesen Mauern schon übel zugesetzt hatte. Aus der ehemals glatten Fassade waren große Fladen abgebröckelt, Öffnungen darin, die wohl einst als Fenster gedient hatten, waren nur noch unregelmäßig geformte Löcher. Trotzdem war der Archäologe tief beeindruckt, sein rundes Gesicht zeigte einen fast ehrfürchtigen Ausdruck. »Ein Denkmal vergangener Größe!« sagte er leise. »Ich gäbe eine Menge darum, jetzt ein Team von Fachleuten, die richtige Ausrüstung und ein halbes Jahr Zeit zu haben. Was sage ich – ein paar Jahre, diese eine Stadt allein muß schon eine wahre Fundgrube sein!« Sein Begleiter lächelte elegisch. »Deine Begeisterung in allen Ehren, aber die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus«, bemerkte er betont nüchtern. »Wir haben nicht mehr als rund zwanzig kurze Tage dieses Planeten und nur das eine Ziel, Psi-Verstärker zu finden! Verrenne dich also nicht in Dinge, aus denen ohnehin nichts werden kann.« Terpit schnaufte kurz auf, dann nickte er widerwillig. »Leider ist es so, aber es gibt ja auch noch ein Später! Wenn wir wieder auf Xall sind, werde ich nicht eher Ruhe geben, bis mir der Rat eine richtige Expedition hierher bewilligt. Du wirst mich doch dabei unterstützen, hoffe ich?« »So gut ich kann«, bestätigte Vestak, und dann widmeten sich die beiden Männer wieder profaneren Dingen. Alles, was sich innerhalb der Mauern befand, war eingebrochen und zusammengestürzt; das ganze Areal war nur ein Schutthaufen, von wild wuchernder Vegetation überzogen. An der westlichen Längsseite der Ruine dagegen sah es wesentlich besser aus, dort schien einst ein größerer freier und wohl auch befestigter Platz gewesen zu sein. Über etwa hundert Meter hinweg war das Gelände fast eben und kaum bewachsen. Vestak ließ den Gleiter bis dicht darüber absinken, und dann krallte Terpit unwillkürlich die Hand
in seinen Arm. »Eine große Öffnung … da, in der Mitte des Bauwerks! Dies muß der Haupteingang gewesen sein, und durch ihn können wir auch jetzt noch relativ leicht hineingelangen. Zumindest ein Teil der Kellerräume müßte noch erhalten geblieben sein, und wenn wir nur etwas Glück haben …« »Dann hausen jetzt darin irgendwelche wilde Tiere«, vollendete der junge Rat mit gutmütigem Spott. »Doch du hast schon recht, das hier sieht bedeutend besser aus, als die Trümmer vorn am Stadtrand. Gut, dann werde ich jetzt vor diesem Zugang landen, und du kannst schon einmal deine Geräte einsetzen. Bis die Schürfmaschinen hier sind, wird es noch etwas dauern, sie haben erst kaum den halben Weg hinter sich gebracht.« Das Fahrzeug setzte auf, sie warteten noch eine Weile und spähten aufmerksam hinaus. Doch dort regte sich nichts außer ein paar Vögeln, die aufgeregt umherflatterten, jäh aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Trotzdem griff Vestak nach einem der beiden Strahler unter dem Pilotenpult und schob ihn in die Schlaufe an seinem Gürtel. Erst danach öffnete er den Ausstieg, nahm einen der Instrumentenkoffer auf und sprang ins Freie. Der beleibte Archäologe folgte ihm bedeutend langsamer, beide blieben kurze Zeit stehen und sogen die laue Sommerluft in vollen Zügen ein. Vor ein paar Tagen hatten sie auf Xall noch jämmerlich gefroren, um so wohler fühlten sie sich nun hier. Dann aber zuckte Terpit mit den Schultern, ging einige Schritte weiter und öffnete den Koffer mit dem Hohlraum-Resonator. Schon nach kaum einer halben Minute lächelte er zufrieden und bemerkte: »Es sieht gut für uns aus, Vestak! Unterhalb dieser Ruine gibt es eine große Anzahl von Hohlräumen, und auch mehrere Gänge, die sie miteinander verbinden. Die Frage ist jetzt nur, ob darin auch noch Psi-Verstärker zu finden sind; los, gib den anderen Koffer her.« Er aktivierte auch das zweite Gerät, las aufmerksam alle von ihm ermittelten Daten ab und riß dann triumphierend die Arme hoch.
»Wir haben es geschafft, mein junger Freund! Der Detektor zeigt einwandfrei das Vorhandensein vieler kleiner Körper aus Metall mit ungewöhnlich hoher Massendichte an, und das können nur die bewußten Kästchen sein. Jetzt brauchen wir sie nur noch herauszuholen, und dann sind wir an unserem Ziel.« »Bist du auch wirklich ganz sicher?« erkundigte sich Vestak skeptisch, und der Archäologe sah ihn gekränkt an. »Überzeuge dich selbst, wenn du mir nicht glaubst«, forderte er kategorisch, zog den jungen Mann vor das Gerät und gab ihm alle nötigen Erklärungen. Schon nach wenigen Minuten mußte Vestak ihm recht geben – in dieser Ruine gab es mindestens zwei Dutzend von kleinen rechteckigen Gebilden aus Schwermetall. Etwa die Hälfte davon befand sich oberhalb des Bodenniveaus, lag also unter den Gebäudetrümmern, und war dort nur schwer zu erreichen. Der Rest dagegen befand sich in den unterirdischen Kavernen, unregelmäßig über den Erfassungsbereich des Detektors verteilt. Wenn es nun gelang, diese vermutlichen Psi-Verstärker zu bergen, kam gerade einer auf jeden Mutanten! Dann konnten sie alle gleichzeitig damit experimentieren, so daß keine Zeit verlorenging. Diese Meinung äußerte wenigstens der junge Mann, Terpit aber verzog das Gesicht und kicherte leise. »Das denkst du – ich werde schon froh sein, wenn wir überhaupt die Hälfte finden! Was meinst du wohl, wie es in den Räumen unter dem Bauwerk aussieht, heh? Auch an ihnen hat der berühmte Zahn der Zeit eifrig genagt, ein paar Jahrtausende lang konnte vor allem Wasser fast ungehindert eindringen. Das hält auch das beste Material nicht aus, glaube mir.« »Du verstehst es wirklich, einem Mut zu machen«, gab Vestak seufzend zurück. »Vorhin hörte es sich noch etwas anders an.« Dann kündigten Rasseln und brechende Geräusche die Ankunft def beiden Schürfmaschinen an. Er ging ihnen entgegen und winkte die beiden Fahrer ein. Sie erhielten den Auftrag, den freien Platz vor der riesigen Ruine zu planieren, und begannen sofort damit.
»Wir werden auf dieser Fläche die Klimazelte aufbauen«, erklärte der Wissenschaftler. »Auf diese Weise haben wir alle unsere Leute direkt vor Ort und können konzentriert an die Suche gehen, später kommt dann das Schiff nach. Ruf jetzt Takalain an und sag ihm das, er soll schnellstens alles Nötige veranlassen. Ich werde inzwischen versuchen, die Stellen möglichst genau zu lokalisieren, an denen sich die Kästchen befinden, um so schneller geht es dann.« Vestak nickte, ihm wurde nun erst so richtig bewußt, wie wichtig die Teilnahme eines älteren und erfahrenen Mannes an der Expedition war. Die ›Jungen Hüpfer‹, wie Singamayn sie genannt hatte, waren zwar eifrig und guten Willens, doch unter den hier gegebenen Umständen reichte das einfach nicht aus. Er stieg in den Gleiter und tätigte den Anruf, und der Pilot versprach, sofort alles in die Wege zu leiten. Danach brachte er das Fahrzeug auf eine bereits geebnete Fläche, verließ es wieder und sah den emsig arbeitenden Maschinen zu. Nun bemerkte er verwundert, daß dieser scheinbar unbelebte Platz in Wirklichkeit alles andere als dies war. Aus verborgenen Löchern sprangen dutzendweise verschieden große bepelzte Tiere heraus und jagten in panischer Flucht nach allen Seiten davon, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Die Schürfaggregate trugen zwar nur die Unebenheiten ab, aber schon allein ihr Gewicht genügte, die Bauten dieser Wesen hoffnungslos zu zerstören. Mit ihnen vermutlich auch eine große Anzahl von hilflosen Jungen, und bei diesem Gedanken stieg ein Gefühl von Widerwillen und Scham in dem jungen Daila auf. So etwas hatte er nicht gewollt, als ihm die Idee zu diesem Unternehmen gekommen war! Jedes dieser Wesen besaß das gleiche Recht auf Leben wie er, auch auf einer alten und langsam erkaltenden Welt. Und wenn er daran dachte, wie viele andere Tiere den Maschinen bereits zum Opfer gefallen sein mußten, als sie sich ihren Weg durch die Ruinen gebahnt hatten … Eine Hand legte sich auf Vestaks Schulter, er fuhr zusammen und
sah in Terpits Gesicht. Der Archäologe hatte indessen seine Messungen beendet und war zu ihm herübergekommen. Nun nickte er mit ernster Miene, stellte den zweiten Koffer ab und bemerkte leise: »Ich habe deine Gedanken nicht absichtlich gelesen – sie waren so intensiv, daß ich sie einfach empfangen mußte. Ich weiß also, was in dir vorgeht, und es ehrt dich, daß du so denkst, aber wir alle können nicht immer so handeln, wie wir eigentlich wollen! In unserem Fall geht es um wirklich wichtige Dinge, um die Befreiung Aklards, der Heimatwelt! Das Schicksal von vielen Millionen Daila hat Vorrang gegenüber dem Leben dieser unintelligenten Tiere, so hart das auch klingen mag.« Er als Multi-Mutant besaß auch die Gabe der Suggestion, und nun setzte er sie behutsam sein. Der junge Rat bemerkte nichts davon, aber seine Bedenken schwanden langsam, und schließlich nickte er. »Du hast recht, das sehe ich jetzt ein. Lassen wir dies also beiseite, an den Tatsachen läßt sich ohnehin nichts mehr ändern. Was hast du mit deinen Bemühungen inzwischen erreicht?« Es war Terpit gelungen, die ungefähre Position von sieben der vermutlichen Verstärker zu lokalisieren, das Ergebnis hatte er auf einer Folie notiert. Der nächste war nur rund zehn Meter entfernt, der letzte aber fast dreißig, und das in entgegengesetzter Richtung. Ein weiterer Fehler bestand darin, daß sich keines dieser Objekte in gleicher Höhe befand. »Sieben sind also bestimmt vorhanden, weitere mögen sich außer der Reichweite des Detektors befinden. Darum können wir uns später noch kümmern, im Augenblick bereitet mir der Niveauunterschied die meiste Sorge. Es gibt mindestens zwei Ebenen von Kellerräumen, offenbar aber auch Schutt oder andere Hindernisse …« Der Archäologe war so in seine Erklärungen vertieft, daß er über ihnen alles andere vergaß. Vestak dagegen hörte ihm wohl zu, sah jedoch dabei zu den Schürfmaschinen hinüber. Sie hatten
inzwischen bereits das Ende der freien Fläche erreicht, nun wendeten sie halb und krochen weiter, an einer anderen niedrigeren Ruine entlang. Vor dieser gab es eine größere Gruppe halbhoher Bäume, die nun den gefräßigen Flügeln der Fräse zum Opfer fielen. Ihre Stämme und Äste splitterten und krachten dabei, wie um gegen diesen Akt der Zerstörung zu protestieren. Das schrille Zetern von Vögeln mischte sich in dieses Geräusch. Und dann schoß plötzlich ein unbekanntes Tier aus dem Laubwerk hervor und jagte in großen Sprüngen los, quer über den Platz. Es mußte zur Gattung der Katzen gehören, und es war riesig! Ein langgestreckter Körper auf sechs Beinen mit schwarzem Fell und einem wehenden buschigen Schwanz. Seine muskulösen Schultern waren mindestens einen Meter hoch, über ihnen saß ein rundlicher Kopf mit langen spitzen Ohren. Seitlich waren vier große gelbe Augen zu erkennen, aus dem geöffneten Maul ragten zwei Doppelreihen spitzer und scharfer Zähne. Raubtiere dieser Größe gab es auf Xall nicht, der junge Daila war bei seinem Anblick vor Überraschung wie gelähmt. Die Lähmung wich aber bald blankem Entsetzen, denn das Tier kam genau auf den Standort der beiden Männer zu! Er begann zu zittern, Todesfurcht stieg in ihm auf. Er dachte nicht an die Waffe an seiner Hüfte, sondern nur an Flucht, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Und die Bestie kam immer näher, sie war nur noch zwanzig Meter entfernt … Terpit rettete ihm das Leben. Obwohl er anderweitig beschäftigt war, drangen doch Vestaks panikerfüllte Gedanken wie ein lauter Schrei in sein mutiertes Hirn. Terpit ließ die Folie mit seinen Notizen fallen und wirbelte förmlich herum. Dann setzte er seine telekinetischen Kräfte ein, und das im wirklich letzten Moment. Das schwarze Untier war bereits bis auf zehn Meter heran – nur noch zwei Sprünge, dann hatte es die Männer erreicht. Plötzlich
erstarrte es jedoch mitten in der Bewegung des Absprungs, als wäre es gegen eine Mauer gelaufen. Es konnte sich nicht mehr bewogen, nur noch ein lautes Grollen kam aus seinem Maul, und Terpit stieß Vestak energisch an. »Los jetzt – schieß endlich, du Angsthase! Oder muß ich hier wirklich alles selber tun?« raunzte er. Er half mit einem suggestiven Befehlsimpuls nach, und gleich darauf war alles vorbei. Die Riesenkatze lag tot am Boden, der junge Rat schüttelte sich und sagte dann tonlos: »Danke, Terpit!« Der Wissenschaftler lächelte flüchtig. »Du hättest dasselbe tun können wie ich, schließlich bist du ja auch ein Telekinet! Zwar kein sehr guter, aber für dieses Biest hätte es wohl noch gereicht … Im übrigen hätte ich es ohne Mühe ein paar Kilometer wegteleportieren können, doch damit wäre uns nicht viel geholfen gewesen. Tiere dieser Art haben ihr festes Jagdrevier, es wäre bald wieder hierher zurückgekehrt und hätte versucht, uns alle umzubringen. Dem wollte ich vorbeugen, deshalb mußtest du schießen – auch ich töte nie ohne Not.«
7. Eine Stunde später sah an dieser Stelle alles anders aus. Das Gelände vor der großen Ruine war planiert und vollständig mit Preßplatten belegt, die Schürfmaschinen standen an seinem Rand. Der Lastengleiter war angekommen und mit ihm alle übrigen Mutanten, an Bord der LINGADA hielt sich nur noch Takalain auf. Die Zelte wurden nahe des alten Gebäudes aufgeschlagen, und dann war auch schon die Zeit zum Mittagessen gekommen. Als es beendet war, unterrichtete Terpit die anderen von seinen Feststellungen und fuhr dann fort: »Wir werden jetzt sofort damit beginnen, nach den Verstärkern zu suchen, und zwar in drei Gruppen von jeweils drei Personen. Diese werden
zweckmäßigerweise derart zusammengestellt, daß sich die PsiGaben der Teilnehmer ergänzen, so daß jeder dem anderen im Notfall beistehen kann. Also immer je ein Telepath, Telekinet und Teleporter, auf diese Fähigkeiten kommt es besonders an. Die einen können immer nach außen mitteilen, wie es vorangeht, die anderen schaffen Hindernisse aus dem Weg, die es in den Kavernen mit Sicherheit gibt. Die dritten schließlich bringen die anderen in Sicherheit oder holen zusätzliche Geräte, gegebenenfalls auch Verstärkung. Bentysh scheidet von vornherein aus, er besitzt keine dieser drei Gaben. Nylla ebenfalls, sie muß Takalain wieder assistieren, sobald wir hier fertig sind und den Rückflug nach Xall antreten. Die restlichen neun erfüllen die eben genannten Bedingungen, ich überlasse es ihnen selbst, sich zusammenzutun. Natürlich werden auch Waffen mitgenommen, Handfunkgeräte ebenfalls für den Fall, daß es zu extremen Situationen kommt. So, damit wäre wohl alles klar, oder gibt es sonst noch Fragen?« Onlymar hob die Hand, er war Teleporter und daneben noch ein schwacher Telepath. »Du selbst willst gar nichts tun?« erkundigte er sich befremdet, und der Archäologe zog eine Grimasse. »Jede Aktion braucht einen Koordinator, und mit dieser Aufgabe werde ich voll ausgelastet sein! Ich werde nicht nur laufend alles verfolgen, was sich da unten bei euch tut, sondern euch auch Rat übermitteln, falls ihr einmal nicht mehr weiter wißt. Und wenn es ganz hart wird, springe ich ein und hole die heraus, deren Leben vielleicht gefährdet ist – genügt dir das?« Es genügte allen, niemand brachte einen weiteren Einwand vor. Zwei Minuten später hatten sich die drei Gruppen formiert. Vestak hatte sich mit der kleinen rundlichen Teleporterin Foraly und dem Techniker Garlic zusammengetan, einem ruhigen schlanken Mann und gutem Telepathen. »Ich gehöre nicht nur zum Rat von Xall, sondern habe auch den Anstoß zu dieser Expedition gegeben«, erklärte er. »Deshalb werde
ich auch mit meinen Gefährten zuerst in die Räume unterhalb der Ruine eindringen. Einverstanden, Terpit?« Der Wissenschaftler lächelte kurz und nickte. »Ich habe nichts dagegen, du wirst wohl kaum zweimal denselben Fehler machen, denke ich. Der Große Geist von Mana sei mit euch – und falls er auf Corgyar nicht wirksam genug helfen kann, bin ich ja auch noch da …« Er brachte drei etwa faustgroße schwarze Geräte zum Vorschein und übergab sie den Anführern der Suchgruppen. »Dies sind Mini-Detektoren, sie sind auf das spezifische Gewicht der Metallkästchen einjustiert und sprechen auf keine anderen Stoffe an. Ihre Reichweite beträgt etwa fünf Meter …« Er erklärte die Funktion der Geräte, Vestak dankte und verließ dann mit seinen Gefährten das Zelt. Sie begaben sich ins nächste, rüsteten sich entsprechend aus und nahmen auch starke Handlampen mit. Dann machten sie sich stumm auf den Weg und gingen auf den Eingang der Ruine zu. Schon die ersten Schritte in ihr Inneres ließen sie begreifen, daß ihr Unternehmen alles andere als ein Spaziergang sein würde. Eine Schürfmaschine hatte zwar den Schutt direkt hinter dem Zugang weggeräumt, aber schon wenige Meter drinnen türmte er sich mehr als meterhoch vor ihnen auf. Die rote Sonne stand ungünstig und ließ sonst kaum etwas erkennen, Vestak schaltete seine Lampe ein und ließ ihren Kegel wandern. Der Raum vor ihnen mußte einst riesig gewesen sein, doch das war jetzt nur noch zu erahnen. An vielen Stellen war seine Decke unter der Trümmerlast darüber durchgesackt und zerbröckelt, aus ihren Überresten ragten die Fragmente der einstigen Träger hervor. Daß sie nicht ganz eingestürzt war, hatten mehrere Reihen von runden meterdicken Säulen verhindert, doch auch sie zeigten bereits an vielen Stellen Risse. Garlic verzog das Gesicht und bemerkte halblaut: »Na, das kann ja heiter werden! Vielleicht kommt der ganze Segen schon herunter,
wenn einer von uns mal husten muß, und von einem Weg in die Keller ist überhaupt nichts zu erkennen.« »Es gibt sogar mehrere«, erklärte der junge Rat, er hatte zuvor Terpits Skizzen genau studiert. »Etwa zehn Meter geradeaus, dann ein Stück nach rechts, unter der Säulenreihe hindurch, diesen nehmen wir. Gehen wir also los – tunlichst ohne zu husten, ja?« Von gehen konnte allerdings nicht die Rede sein, es begann schon mit einer Klettertour. Vestak half Foraly auf den ersten Haufen Schutt hinauf, folgte mit dem Telepathen nach und übernahm dann die Spitze. Es ging auf und ab, stellenweise kamen sie nur noch gebückt vorwärts, und immer wieder rutschten Trümmerbrocken unter ihren Füßen weg. Die Luft war kalt und feucht, an manchen Stellen wuchs Moos und eine Art von unbekannten, fast farblosen Pilzen. Trotzdem schwitzten die drei Mutanten bald, die zehn Meter wurden infolge vieler Hindernisse fast doppelt so lang. Garlic reagierte sich zuweilen mit leisen Flüchen ab, die junge Frau dagegen nahm alles ruhig und gelassen hin. Ab und zu verriet ein Rascheln, daß es hier auch irgendwelche Tiere geben mußte, doch sie flohen vor dem ungewohnten hellen Licht, ehe sie zu sehen waren. Dann ging es plötzlich fast zwei Meter steil bergab, und die Sucher standen auf nahezu glattem Steinboden. An dieser Stelle hatte die Decke gehalten, sie befand sich etwa zehn Meter über ihren Köpfen und wies sogar noch Reste von bizarren und farbigen Ornamenten auf. Zweifellos eine Augenweide für den Archäologen Terpit. Vestak beachtete sie aber kaum und wandte sich nach rechts. Das Licht seiner Lampe fiel auf zwei Säulen, der Raum zwischen ihnen war frei, und dahinter war eine rechteckige Öffnung im Boden zu erkennen. Er atmete auf und ging darauf zu, die anderen folgten ihm und sahen dann eine schräge Rampe, die im Winkel von etwa dreißig Grad nach unten führte. Sie war grob geriffelt und wies zwar an einigen Stellen Bruchlücken auf, war aber noch gut
begehbar. »Glück gehabt!« kommentierte Garlic und wischte sich über die schweißnasse Stirn, auf Foralys Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. Vestak nickte, aktivierte dann sein Funkgerät, und Terpit meldete sich sofort. »Du brauchst mir nichts mehr zu erklären, mein Junge – ich habe alles mitverfolgt und sogar durch deine Augen diese herrlichen Ornamente gesehen! Gut, dann geht jetzt weiter, ich schicke gleich die beiden anderen Trupps los. Viel Glück und vor allem Erfolg!«
* Die Rampe lag hinter ihnen, ihr folgte ein schmaler und kurzer Gang, doch dann begannen die Schwierigkeiten erneut. Anscheinend hatten die Erbauer des Gebäudes hier unten schlampig gearbeitet und ihre Sorgfalt nur auf die oberen Stockwerke verwandt. Dieser Eindruck entstand zwangsläufig, denn in den zahlreichen Räumen der »Unterwelt« war fast nichts mehr heil geblieben. Die Wände der Kellerräume waren abgebröckelt, ihre Decken an vielen Stellen ganz eingestürzt. Wieder mußten sich die Mutanten über Schutthaufen kriechend fortbewegen, zuweilen versperrten ihnen auch die Überreste längst vermoderter Gebrauchsgüter den Weg. Sie verloren auf diese Weise bald die Richtung und standen schließlich vor einem weit gähnenden Loch im Boden, in dem es scheinbar endlos in die Tiefe ging. Hier schien einst eine Treppe gewesen zu sein. Und gerade da leuchtete erstmals die Anzeige des Detektors auf. Vestak bewegte ihn hin und her und ermittelte so, daß sich eines der Kästchen fünf Meter vor ihm befand – also hinter dem Loch, wo sich der nächste Raum auftat. Dieses nahm die ganze Gangbreite ein und war drei Meter lang, wäre also im Sprung zu überwinden gewesen;
doch der Boden dahinter sah wenig vertrauenerweckend aus, und der Telepath fluchte wieder einmal. »Laß das«, sagte die junge Frau. »Ich glaube, daß ich euch per Teleportation hinüberbringen kann! Normalerweise reicht meine Gabe dazu nicht aus, aber ich spüre deutlich, daß sie plötzlich viel stärker ist als sonst. Der Einfluß des Verstärkers scheint sich schon jetzt bemerkbar zu machen.« »Gut, dann versuche es«, stimmte Vestak zu, und auch Garlic nickte. So dicht vor dem Ziel wollte keiner aufgeben, zumal es fraglich war, ob sie diese Stelle in dem Labyrinth noch einmal finden würden. Die beiden Männer stellten sich neben Foraly, sie ergriff ihre Hände, konzentrierte sich kurz – und im nächsten Moment prallten alle drei unsanft gegen eine Wand! »Was war das?« ächzte Garlic, rappelte sich vom Boden auf und rieb sich die Stirn, auf der sich eine Beule zu bilden begann. Auch die beiden anderen waren gestürzt und hatten Prellungen, doch die Überraschung ließ sie den Schmerz kaum spüren. Vestak nahm die Lampe auf, die ihm entfallen war, half der Teleporterin auf die Beine, und diese erklärte nun: »Tut mir leid, ich kann nichts dafür! Ich habe nur ein Minimum meiner Kräfte eingesetzt, alles andere hat der Verstärker bewirkt. Diese Dinger scheinen tatsächlich enorm wirksam zu sein.« »Schon gut, Mädchen«, sagte der junge Rat, strich ihr kurz über die Wange und ließ dann den Kegel seiner Lampe wandern. Der Sprung hatte sie etwa fünfzehn Meter vorangebracht, sie befanden sich in einem erstaunlich gut erhaltenen Raum. Die Reste von Metallregalen ließen darauf schließen, daß er einst als Lager gedient hatte, auf dem Boden gab es nur wenig Schutt. Verwundert sah Vestak, daß die Anzeige des Mini-Detektors nun hell leuchtete, obwohl sich der angemessene Verstärker außerhalb seiner Reichweite befand. Im nächsten Moment hatte er begriffen, ging einige Schritte zur Seite und suchte zwischen verrosteten Metallteilen herum. Sekunden später hielt er ein kleines Kästchen in
der Hand, strahlte es an und lachte triumphierend auf. »Geschafft, Freunde – hier habe ich den ersten!« Die anderen traten neben ihn, aber dann bemerkte Garlic skeptisch: »Diese Dinger sollen doch rötlich sein, soviel ich weiß; warum mag das hier dann wohl grau sein, heh?« »Eine Art von Patina, vermute ich«, gab Vestak zurück und wies auf den Detektor. »Er spricht voll darauf an, und auch das Gewicht müßte stimmen – nun, gleich werden wir es genau wissen.« Er drückte Foraly seine Lampe in die Hand, holte ein Messer aus der Tasche und kratzte über die Oberfläche des Kästchens, das kaum größer als seine Handfläche war. Tatsächlich bröckelte der graue Überzug ab, darunter blinkte es rot, und nun waren alle Zweifel beseitigt. Die Suche ging mit doppeltem Eifer weiter, und wenig später hatten sie sogar drei Psi-Verstärker gefunden! »Mehr dürfte es hier aber nicht geben«, resümierte der junge Rat, »Terpit hat insgesamt nur sieben in diesen Kellern angemessen. Kehren wir jetzt also zu ihm zurück, er wird vielleicht staunen!« »Er weiß es schon«, grinste Garlic. »Ich empfange seine Gedanken klar und deutlich, bedeutend besser als sonst. Soweit wäre also alles klar, nur der Gedanke an den Rückweg bereitet mir Unbehagen. Noch einmal durch all die Trümmer kriechen – brrr!« Vestak nickte, dann sah er die junge Frau an. »Traust du dir zu, uns gut hier herauszubringen?« fragte er. »Das würde uns viel Mühe und Zeit ersparen, drängen will ich dich aber natürlich nicht.« Foraly lächelte verhalten. »Wir alle werden ohnehin lernen müssen, richtig mit diesen Zauberkästen umzugehen, und viel kann uns wohl kaum passieren. Ich peile eben einen Punkt dicht vor dem Eingang an, wir landen dann jedenfalls irgendwo im Freien, selbst wenn es nicht ganz glatt abgeht.« Die beiden Männer erklärten sich einverstanden und ergriffen ihre Hände – und gleich darauf fanden sie sich alle mitten auf einer Schuttfläche wieder, mehrere hundert Meter von ihrem Lager entfernt. Die Silhouette der großen Ruine wies ihnen aber den Weg,
und der Telepath murmelte verdrossen: »Nun müssen wir also doch noch Linien, ich bin aber trotzdem gegen einen zweiten Versuch. Diesmal könnten wir mitten in einem Zelt landen und mehr Schaden anrichten, als die Sache wert ist.« »Außerdem haben wir so wenigstens frische Luft, der den Moder aus unseren Lungen treibt«, stimmte ihm Vestak zu und setzte sich in Bewegung. Doch schon nach wenigen Schritten prallte er zurück – eine riesige schenkeldicke, braun und grün gefleckte Schlange glitt zwischen Steinen und Unkraut hervor, genau ihm entgegen. Zischende Laute kamen aus ihrem weit geöffneten Maul, ihre Zunge schnellte vor und zurück, und neben dieser waren große spitze Zähne zu sehen, an denen Tropfen austraten. Das war zweifellos Gift, schon ein einziger Biß konnte dem Daila den sicheren Tod bringen. Doch er überwand seinen Schreck, denn er dachte an die Psi-Verstärker in seinen Taschen, und blieb ruhig stehen. Er konzentrierte sich auf seine Gabe der Telekinetik, ignorierte den fast hypnotischen Blick der großen gelben Augen des Reptils und schlug dann zu. Der Erfolg war mehr als verblüffend: nicht nur die Schlange verschwand von einem Augenblick zum anderen, mit ihr zusammen auch etwa zwei Kubikmeter Schutt! Dies alles wurde nun kilometerweit davongeschleudert und prasselte irgendwo in andere Ruinen, und vor Vestak entstand ein großes Loch. Er starrte sprachlos hinein und begriff nun erst richtig, wie wertvoll diese Kästchen waren. Bis dahin war es ihm immer nur gelungen, kleine Gegenstände mit Hilfe seiner Psi-Gabe zu bewegen, und das auch nur über relativ geringe Entfernungen hinweg. Jetzt aber hatte er ein Vielfaches dessen geleistet, schon beim ersten Anlauf, und langsam stieg ein Triumphgefühl in ihm auf. Wenn es gelang, noch viele dieser Kästchen zu finden und die stärksten Mutanten von Xall damit auszurüsten, konnte ihr Einsatz entscheidend bei der Befreiung der Heimatwelt Aklard sein!
»Ihr habt euch wirklich gut gehalten, Kinder«, sagte Terpit. Ein zufriedenes Lächeln lag auf seinem rundlichen Gesicht. »Ich habe natürlich alles mitverfolgt und war bereit, euch im Notfall zu helfen, aber ihr habt es auch ohne mich geschafft. Diese drei Verstärker haben wir nun sicher, weitere wurden bisher noch nicht gefunden; die beiden anderen Trupps irren noch immer unten in den Kavernen und Gängen herum.« Garlic lächelte geschmeichelt, aber die kalte Dusche kam schon im nächsten Moment hinterher. »Bildet euch aber deswegen nicht ein, nun plötzlich die großen Stars zu sein!« fuhr der Wissenschaftler fort. »Nichts gegen eure Leistung von vorhin, aber ihr werdet noch erheblich mehr zu tun bekommen. Daß ihr mit den Psi-Verstärkern noch nicht richtig umgehen könnt, habt ihr ja eben erst sehr deutlich gemerkt, also heißt es jetzt üben, üben und nochmals üben. Erst wenn ihr sie vollkommen beherrscht …« Er verstummte, lauschte in sich hinein und nickte dann. »Kolimayns Gruppe ist ebenfalls fündig geworden, sie hat zwei – nein, sogar drei neue Kästchen entdeckt! Oh, da sind sogar noch mehr davon, das zeigt ihr Detektor an … Schade, sie kommen nicht heran, weil ein Einsturz dazwischen ist.« Er schwieg einige Sekunden, dann erklärte er: »Ich habe Herlina mitgeteilt, daß dieser Trupp jetzt zurückkehren soll, die anderen Verstärker können wir auch später noch bergen. Gut, geht jetzt erst einmal, um euch zu säubern und zu erfrischen, alles weitere wird sich später finden.« Erst jetzt merkte Vestak, daß er nicht nur müde, hungrig und durstig, sondern auch von oben bis unten schmutzig war. Auch die beiden anderen sahen nicht besser aus, also begaben sie sich zu dem Zelt mit der Gemeinschaftsdusche. Verwundert sahen sie, daß die kleine Sonne bereits unterging, sie hatten während des Trips durch die »Unterwelt« jedes Zeitgefühl verloren. »Heute werden wir wohl nichts mehr tun können«, sagte Foraly
und drehte sich behaglich unter den lauen Wasserstrahlen. »Die anderen müssen erst einmal alle zurück sein, vorher hat Terpit noch keinen richtigen Überblick. Es sieht aber so aus, als bekämen wir sogar mehr Verstärker, als wir Personen sind. Wie ich den Alten kenne, wird er nicht eher Ruhe geben, bis alle geborgen sind, die man geortet hat.« »Darauf kannst du dich verlassen«, stimmte Vestak ihr zu. »Es geht ja nicht nur darum, daß wir welche haben – so viele Mutanten wie möglich müssen damit ausgerüstet werden. Nur eine Handvoll dürfte kaum genügen, um die Okkupatoren auf Aklard zu besiegen.« »Und morgen heißt es dann üben am laufenden Band«, bemerkte Garlic mißmutig. »Dabei bringt mir das im Grunde kaum etwas, weil ich nur ein Telepath bin. Ihr habt wenigstens Fähigkeiten, die etwas bewirken, aber mit Gedankenlesen läßt sich wohl kaum ein Gegner ausschalten. Wo liegt denn da überhaupt ein Sinn für mich?« Die Teleporterin kicherte leise. »Du hast doch nicht etwa Minderwertigkeitskomplexe? Nun, die wird dir Terpit schon wieder austreiben, verlaß dich darauf, er weiß in allem einen Rat. Doch niemand wird dich zwingen, mit uns zusammen zu trainieren, das können wir auch allein, nicht wahr?« Sie hob die Arme über den Kopf und drehte sich so zu Vestak um. Dabei zwinkerte sie ihm zu, und der Mann stellte verblüfft fest, daß sie ganz offen kokettierte. Bis dahin hatte er sie als Frau kaum beachtet, bei den Daila auf Xall war gemeinsames Baden auch mit vollkommen Fremden eine Selbstverständlichkeit. Nun aber sah er sie erstmals bewußt an, und was sie vorzuweisen hatte, gefiel ihm nicht schlecht. Sicher, sie war kleiner und molliger als Micalea, aber alles war gut verteilt, und das rostrote Haar kontrastierte aufreizend zu ihrem samtbraunen Körper … Sie bot einen erfreulichen Anblick, die Wasserstrahlen flossen an ihren Gliedern herab, wie um sie zu streicheln.
»Ich hätte nichts dagegen«, sagte Vestak betont sachlich, »aber es kommt nicht auf uns an, sondern darauf, was Terpit mit uns vorhat. Vielleicht sehen seine Absichten ganz anders aus, und danach müssen wir uns richten.« »Ach, so ist das!« kam es plötzlich erregt von Garlic. »Ich war nur gut genug, um mit euch durch die Trümmer zu kriechen, jetzt braucht ihr mich nicht mehr … Gut, macht doch weiter, was ihr wollt, ich wünsche euch viel Vergnügen dabei.« Er griff nach einem Badetuch, trocknete sich eilig ab und verließ fast überstürzt das Zelt. Die junge Frau sah ihm belustigt nach und schüttelte dann den Kopf. »Was hat er denn nur?« fragte sie scheinbar verständnislos, aber Vestak wußte genau, daß sie sich nur verstellte. »Er ist eifersüchtig, was sonst«, knurrte er, »und du hast das geradezu herausgefordert. Schon ein normaler Mann hätte dein Tun richtig deuten können, doch er hat auch noch unsere Gedanken gelesen! Willst du im Ernst behaupten, du wüßtest das nicht?« » Unsere Gedanken …«, konterte Foraly mit sanftem Lächeln, und der junge Rat zuckte unwillkürlich zusammen. »Doch lassen wir das jetzt, wir müssen sparsam mit dem Wasser umgehen, damit es auch für alle reicht. Morgen sehen wir dann weiter, nicht wahr?« Anstelle einer Antwort drehte Vestak die Hauptleitung zu und gab ihr damit zu verstehen, daß ihm an einer weiteren Erörterung des Themas nichts mehr gelegen war. Zwei Minuten später verließen sie schweigend das Duschzelt und stießen fast mit dem zweiten Suchtrupp zusammen, der ihnen entgegenkam. »Wir haben ebenfalls drei Verstärker!« verkündete Kolimayn stolz, sein staubverkrustetes Gesicht strahlte. »Daneben haben wir noch zwei weitere lokalisiert, Terpit will sie morgen früh herausholen lassen. Pelkoyns Gruppe ist noch nicht zurück, sie hatte auch den weitesten Weg. Sie bringen aber auch zwei Kästchen mit, und ihrer Nachricht nach scheint es dort hinten noch ein förmliches Nest davon zu geben! Unsere Expedition wird ein voller Erfolg, das steht
schon jetzt fest.« Vestak sagte einige passende Worte, ging dann weiter und suchte das Zelt des Archäologen auf. Foraly hatte sich mit einem koketten Blick von ihm getrennt, sie begab sich ins Quartier der Frauen.
* »Es geht viel besser voran, als ich erwarten konnte«, erklärte Terpit befriedigt. »Acht Psi-Verstärker haben wir nun schon sicher, und eine noch größere Anzahl ist geortet worden! Ich werde sie morgen bergen lassen und dazu jene losschicken, deren Psi-Gaben uns beim Einsatz gegen die Ligriden am wenigsten nützen können. Zelmun also, den verhinderten Prognostiker, und die Telepathen Onlymar und Garlic; mit ihm hattest du vorhin eine gewisse kleine Kontroverse, nicht wahr?« »Umgekehrt, er mit mir und Foraly«, berichtigte der junge Rat, aber der Multi-Mutant winkte lächelnd ab. »Das mag schon stimmen, er sieht es jedoch ganz anders, Freund. Ich denke aber nicht daran, seinen Standpunkt zu teilen, denn er hat ja wirklich angefangen, sein Charakter ist eben etwas labil. Du wirst also zusammen mit Foraly morgen beginnen, die Ausmaße der Wirkung jener Verstärker zu testen, die ich als besonders effektiv einstufe. Was sich sonst zwischen euch tut, interessiert mich nicht, solange eure Aufgabe nicht darunter leidet.« »Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, versicherte Vestak ernsthaft, und er meinte es auch so. Der Wissenschaftler schlug ihm auf die Schulter und wies dann auf die sechs kleinen Kästchen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Man hatte sie inzwischen von dem grauen Überzug befreit, nun waren sie blank, schimmerten rötlich und sahen absolut harmlos aus. Auch ihre geringe Größe – einige hatten nur das Ausmaß einer alten irdischen Streichholzschachtel – ließ berechtigte Zweifel an
ihrer Leistungsfähigkeit zu. Und doch hatten sie diese bereits bewiesen, sogar über einige Distanz hinweg, und später bei der Begegnung mit der Riesenschlange! Daran dachte der Telekinet jetzt. Terpit verfolgte es mühelos mit und nickte. »Sie haben funktioniert, obwohl ihr euch ihrer nur sozusagen mittelbar bedient habt! Ich verzichte absichtlich darauf, etwas mit ihnen anzufangen, aber ich spüre deutlich die gewisse Aura, die von ihnen ausgeht. Wenn ihr euch auf sie konzentriert, wird ihre Wirkung um ein Vielfaches stärker sein, dessen bin ich sicher. Ihr werdet also äußerst behutsam damit umgehen müssen, laßt euch ruhig Zeit dazu.« »Wir werden vorsichtig sein, verlaß dich darauf«, gab Vestak zurück. »Schließlich haben wir ja noch anderthalb Dekaden Zeit, da kommt es auf einen Tag mehr oder weniger nicht an. Soll ich jetzt gleich zwei mitnehmen, oder …« »Besser nicht«, wehrte der Archäologe mit breitem Grinsen ab. »Du könntest dich im Traum mit ihnen beschäftigen, und wer weiß schon, was daraufhin geschehen mag … Ich gebe sie dir morgen nach dem Frühstück, ebenso wie den anderen auch, das genügt.« In dieser Nacht schlief der junge Mann nicht besonders gut, die Ereignisse des Tages verfolgten ihn in seine Träume hinein. Auch Foraly spielte eine Rolle darin. Erst gegen Morgen fiel er in einen tiefen Schlaf, und als er beim Wecksignal erwachte, hatte er alles wieder vergessen. Bei der Morgenmahlzeit ging es lebhafter zu als sonst. Jede der drei Suchgruppen hatte in der »Unterwelt« etwas anderes erlebt, und dies wurde nun eingehend diskutiert. Schließlich erhob sich jedoch Terpit und gebot Ruhe. »Ich habe mir jetzt eure Übertreibungen lange genug angehört, nun wird es wieder ernst. Wir haben nun sechs Verstärker, die zur Benutzung bereit sind; die beiden letzten müssen noch gereinigt werden, weil Pelkoyns Trupp so spät zurückgekommen ist. Deshalb
hat dieser auch noch einige Stunden Pause, die anderen dagegen …« Er bestimmte jene, die er für die ersten Versuche ausgewählt hatte, und danach die Mitglieder der Gruppe, die auf die Suche nach den übrigen Kästchen gehen sollte. Garlic setzte zu einem Protest an, doch ein dämpfender Impuls Terpits stoppte ihn bereits nach wenigen Worten. Seine Blicke waren aber recht vielsagend, als der Wissenschaftler dann zusammen mit Foraly und Vestak das Zelt verließ. »Vergeßt ihn und denkt nur noch an eure Aufgabe«, empfahl dieser seinen Begleitern. »Dabei können Emotionen nur stören, also ist es gut, daß Garlic von euch getrennt wird. Er kann sich nachher unten in den eingestürzten Kavernen abreagieren, so erfüllt sein Stau an mentaler Energie sogar noch einen nützlichen Zweck.« Dann nahmen die beiden jungen Daila die beiden größten Kästchen entgegen, sie lagen kühl und schwer in ihren Händen. Sofort war auch ihre seltsame Aura zu spüren, eine Ausstrahlung von fremder, ungebärdiger psionischer Kraft. Foraly erschauerte unwillkürlich und vergaß alle Gedanken in bezug auf Vestak, und Terpit nickte ihr mit ernster Miene zu. »So ist es richtig, Mädchen! Hier dürfen persönliche Gefühle keine Rolle spielen, es geht um das Schicksal unserer Heimatwelt. Ihr habt viel Zeit und einen ganzen Planeten für eure Versuche, ich werde sie verfolgen, so gut ich kann. Überstürzt also nichts – der Große Geist von Mana sei mit euch!« Sie verließen das Zelt, und der Multi-Mutant ging zurück zu den anderen, die als nächste an der Reihe waren. Vestak sah ihm nach, zuckte dann mit den Schultern und wandte sich an seine Gefährtin. »Jetzt sind wir ganz allein auf uns gestellt, und wir müssen sozusagen mitten ins kalte Wasser springen! Terpit wird uns wohl aus der Ferne beobachten, um notfalls eingreifen zu können, aber darauf sollten wir uns besser nicht verlassen. Außer uns werden noch zwei andere Duos unterwegs sein, und sie stehen dann vor den gleichen Problemen wie wir.«
Die junge Frau lächelte verhalten. »Deine Parabel mit dem kalten Wasser dürfte zutreffen – aber ich kann sehr gut schwimmen, wenn es darauf ankommt! Ich werde auch hier nicht versagen, verlaß dich darauf, und unseren Fähigkeiten nach bin ich wohl zuerst an der Reihe. Gib mir also deine Hand und tue selbst nichts; wir werden bald wissen, woran wir mit diesen Verstärkern sind.« Der junge Rat von Xall nickte, schob sein Kästchen kurzerhand in die Brusttasche seines Overalls und ergriff ihre Linke. Dann schaltete er geistig ab und bemühte sich, an gar nichts zu denken, das irgendwie mit der augenblicklichen Situation zusammenhing. Dies gelang ihm auch gut, er rief sich das winterliche Xallin in seine Erinnerung zurück und seine Unterredung mit Singamayn. Doch schon nach wenigen Sekunden vergaß er dies alles wieder – ein starkes Schwindelgefühl überkam ihn, und unwillkürlich schloß er die Augen. Es ebbte fast sofort wieder ab, aber dafür spürte er nun einen harten Ruck, der seine gesamten Glieder durchlief. Der ging von seinen Füßen aus, die unsanft irgendwo aufgeprallt waren, und er stöhnte leise auf. Dann öffnete er die Lider wieder und sah – nichts! Tiefe Dunkelheit umgab ihn, die Luft war kalt, und er schauerte zusammen. Warm war nur Foralys Hand, die er noch hielt, und bald stellten sich seine Augen auf das Dunkel ein. Nun erkannte er das Funkeln von Sternen am schwarzen Himmel, und im nächsten Moment lachte die junge Frau triumphierend auf. »Es hat gewirkt, und wie! Es sollte nur ein Sprung über wenige Kilometer werden, aber es müssen mehr als tausend geworden sein. Wir befinden uns in der Nachtzone von Corgyar, wo die Sonne erst später aufgehen wird – ist das nicht phantastisch?« »Das schon«, gab Vestak zu, »doch wie finden wir jetzt wieder zur alten Stadt zurück? Das dürfte schwer sein, wo du noch keine Kontrolle über den Verstärker hast.« »Ich werde sie schon bald erlangen«, erklärte Foraly überzeugt,
»schließlich habe ich den ganzen Tag Zeit dazu. Zudem kostet mich diese Art von Versetzung fast keine mentale Kraft, ich kann also beliebig oft springen. Früher oder später gelangen wir schon zu den anderen zurück, verlaß dich darauf. Und nun gib mir wieder die Hand, es geht gleich weiter!« Erneut wechselte die Umgebung, die beiden Mutanten fanden sich am Rand einer Bergkette wieder. Diesmal bedeutend weiter östlich, denn hier stand die rote Sonne schon hoch am Himmel, und die Luft war angenehm warm. Um sie herum war unberührte Natur, niedriges Gras mit duftenden bunten Blumen dazwischen, und die Teleporterin nickte zufrieden. »Das ging schon viel besser, du hast kaum noch etwas gespürt, nicht wahr? Hier gefällt es mir, laß uns diese Umgebung noch eine Weile genießen. Danach bist du an der Reihe, deine Kräfte ebenfalls zu erproben, aber damit eilt es noch nicht …« Sie zog ihn zu einer kleinen Mulde mit einem dicken Moospolster hinüber, ihre Augen lockten verheißungsvoll – und Vestak folgte ihr gern, denn er war eben auch nur ein Mann.
* Der Schutt unter Zelmuns Füßen gab nach, er rutschte zurück und fiel vor die Füße seiner Gefährten. Doch eben dies rettete ihm das Leben, denn vor ihm stürzte polternd eine Gangwand ein, die ihres Halts beraubt worden war. Staub wallte auf, drang in die Lungen der drei Mutanten und raubte ihnen die Sicht. Als er sich wieder gelegt hatte, sahen sie, daß es hier kein Weiterkommen mehr gab, und Garlic stieß einen grimmigen Fluch aus. »So ein verdammtes Pech, dabei waren wir schon fast am Ziel«, murrte er. »Jetzt müssen wir umkehren und einen neuen Weg suchen – womit haben wir das verdient?« Onlymar grinste kurz und half Zelmun wieder hoch. »Dich ärgert
doch nur, daß Vestak jetzt mit Foraly zusammen ist«, stellte er lakonisch fest, »deine Gedanken sagen es sehr deutlich. Mann, laß doch endlich diesen Unsinn, schließlich geht es hier um mehr als ein Mädchen! Aklard muß befreit werden, dazu brauchen wir die PsiVerstärker, und nur das allein zählt.« »Vollkommen richtig«, stimmte ihm der Prognostiker zu. »Darum bin ich Terpit auch nicht gram, weil er mich mit euch auf diese neue Suche geschickt hat. Im Einsatz können wir doch kaum etwas bewirken, aber hier dienen wir der Sache zumindest indirekt. Wir entlasten die anderen und geben ihnen Zeit, sich im Gebrauch der Verstärker zu üben – ist das etwa nichts?« Garlic knurrte noch etwas vor sich hin, drehte sich dann brüsk um und stapfte wieder zurück. Die drei waren dem »Nest« mit den georteten Kästchen schon ganz nahe gewesen, mußten nun aber einen anderen Zugang suchen, und das war nicht eben einfach. Gefahrvoll noch dazu, denn hier war es um die Stabilität der Kellerräume sehr schlecht bestellt. Während diese Gruppe sich in der »Unterwelt« mühsam durchschlug, waren an der Oberfläche des Planeten die übrigen Mutanten voll mit der Erprobung der Psi-Verstärker beschäftigt. Nur Nylla und Bentysh schieden dabei aus, sie waren mit dem kleinen Gleiter unterwegs zur LINGADA. Ihre Anlagen sollten noch einmal über prüft werden, und danach sollte Takalain das Schiff in die Stadt bringen, Terpit saß allein in seinem Zelt, seine Augen waren geschlossen, seine Psi-Sinne dagegen hellwach. Mit ihnen verfolgte er das Tun seiner Schützlinge, zu einem Eingreifen im Notfall bereit. Sie alle hatten Schwierigkeiten im Umgang mit den Kästchen, die ihre Gaben plötzlich um ein Vielfaches potenzierten. Das galt vor allem für Pelkoyn, denn er war von Weliga getrennt worden und nun mit Herlina zusammen. Die beiden harmonierten anfangs gar nicht, ebenso wie Kolimayn mit Weliga, erst nach und nach spielten sie sich aufeinander ein.
Die Teleporter vollführten zunächst Sprünge in alle Gegenden des Planeten, und den Rekord dabei stellte Herlina auf, denn sie landete mit Pelkoyn nahe dem Südpol. Direkt auf einem Gletscher, der gerade »kalbte«, und der Telekinet rettete beide, indem er riesige Eisbrocken wegschleuderte, die sie zermalmt hätten, ehe der jungen Frau eine neue Teleportation gelang … »Tobt euch nur aus, Kinder; nur so könnt ihr das lernen, worauf es später ankommt!« murmelte der Multi-Mutant. Ihm entging auch nicht die »Ruhepause« Foralys mit Vestak, er zog sich rasch von ihnen zurück und kümmerte sich erst eine Stunde später wieder um sie. Da aber befanden sich die beiden weiter oben in den Bergen, und der junge Rat versuchte seine Psi-Gabe an einem großen Felsblock. Normalerweise wäre es ihm nie gelungen, diesen auch nur um eine Handbreit zu bewegen, doch der Psi-Verstärker verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Die tonnenschwere Gesteinsmasse schwebte schwerelos hoch in die Luft empor und verharrte dort, Foraly schlug ihrem neuen Geliebten auf die Schulter und stieß anerkennende Worte aus. Dies war jedoch ein Fehler, es unterbrach abrupt die Konzentration Vestaks, und die Folgen waren verhängnisvoll. Der Verstärker allein bewirkte nichts, er wurde nur durch die PsiImpulse von Mutanten aktiviert. Diese brachen nun plötzlich ab, und damit setzten auch seine Funktionen aus – der Felsblock bekam sein Gewicht wieder, die Gravitation des Planeten griff voll nach ihm. Er stürzte zum Boden hinab, und Vestak bemühte sich vergebens, ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dies war sein erster Versuch, ihm fehlte noch die Übung im Umgang mit dem neuen Medium, und so sauste der riesige Block weiter dem Boden entgegen. Nur noch eine Sekunde, und dann mußte er die beiden Daila zerschmettern! Doch Terpit griff gerade noch rechtzeitig ein, auch ohne jede
fremde Hilfe. Seine Psi-Impulse stemmten sich dem Block entgegen, er blieb nur zwanzig Meter über den beiden Mutanten hängen, und dann riß sie ein telepathischer Schrei aus ihrer Erstarrung: »Lauft weg … lauft, so schnell ihr könnt!« Sie gehorchten ihm sofort, ihre Beine setzten sich automatisch in Bewegung. Das war ihre Rettung, denn über diese große Entfernung hinweg waren auch die Psi-Kräfte eines Multi-Mutanten beschränkt. Sie versagten schon Sekunden später, aber da hatten sich Foraly und Vestak bereits aus der tödlichen Zone entfernt. Nur wenige Meter hinter ihnen krachte die Gesteinsmasse mit voller Wucht zu Boden. Der Aufprall riß sie von den Beinen, ein Hagel von Erdbrocken überschüttete sie, und dann forderte ihr Retter kategorisch: »Kommt sofort zurück – so kann es nicht weitergehen! Ich werde dir helfen, hierher zurückzufinden, Foraly.«
9. »Ihr hattet großes Glück, daß ich gerade zur rechten Zeit nach euch geespert habe«, sagte Terpit, sein rundliches Gesicht war sorgenvoll. »Im Anfang habe ich mich über eure Versuche amüsiert und gedacht, alles würde sich schon einspielen. Doch dann mußte ich zuerst Kolimayn und Weliga retten – sie waren im Meer materialisiert! Dort herrschte gerade ein starker Sturm, und ohne mein Eingreifen wären sie jämmerlich ertrunken. Und wenig später der Vorfall bei euch … Nein, wir müssen anders anfangen.« »Das sehe ich jetzt auch ein«, nickte Vestak, »aber wie?« »Die Zweiergruppen bleiben zusammen, erhalten aber nur noch je einen Verstärker«, erklärte der Archäologe. »Zwei sind zuviel, ihre Kräfte potenzieren sich offenbar, auch wenn eigentlich nur einer benutzt wird. Außerdem wird immer nur ein Team trainieren, ich werde es überwachen und die Psi-Energien dämpfen, wenn es nötig sein sollte. Den Anfang werden nach dem Mittagessen Pelkoyn und
Herlina machen, sie sind noch am besten davongekommen. Ihr müßt erst einmal Abstand gewinnen, geht also und ruht euch aus.« Der Zelteingang öffnete sich, und Zelmun und seine Gefährten kamen herein. Alle drei sahen schlimm aus, denn es hatte in den Kellerräumen noch einige Zwischenfälle gegeben. Man sah ihnen die Erschöpfung deutlich an, aber ihre Mienen wirkten zufrieden, und Onlymar sagte stolz: »Wir haben es geschafft, Terpit – wir bringen elf weitere Verstärker mit!« Er legte zwei Beutel auf den Tisch, und sofort war auch die Aura zu spüren, die von ihnen ausging. Der Wissenschaftler dankte den Männern und entließ sie, und auch Foraly verließ mit ihnen das Zelt. Vestak dagegen blieb noch sitzen, denn ihm war ein Gedanke gekommen. Er sah auf und bemerkte: »Vielleicht gibt es einen Weg, um die Kapazität der Kästchen zu verringern! Sie enthalten doch vermutlich kybernetische Elemente, und wir haben einige Fachleute unter uns, die diese begutachten und ihre Funktionen enträtseln könnten. Vielleicht nicht gleich auf Anhieb, aber wir haben ja noch relativ viel Zeit dafür. Was hältst du davon, zu diesem Zweck einen oder zwei Verstärker zu öffnen?« Terpit wiegte den Kopf, dann nickte er langsam. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber die wenigen Exemplare waren mir zu wertvoll für solche Experimente. Doch nun haben wir schon neunzehn Stück davon, und bestimmt finden wir noch erheblich mehr, wenn wir in anderen Ruinen suchen. Gut, ich akzeptiere den Vorschlag, aber beginnen können wir erst, wenn die LINGADA hier angekommen ist. Hier fehlen uns die Hilfsmittel, um die Dinger aufzuknacken, du weißt ja, welche Dichte das rötliche Metall hat.« »Mit den Instrumenten im Schiff ist es bestimmt zu schaffen«, meinte der junge Rat optimistisch. »Allerdings schlage ich vor, daß Takalain diese Arbeit allein besorgt, ohne daß einer von uns Mutanten in unmittelbarer Nähe ist. Unsere Psi-Kräfte könnten sich dabei störend auswirken, er dagegen ist ›normal‹. Gut so?«
»Sehr gut sogar«, räumte der Archäologe lächelnd ein. »Zuweilen hast du wirklich brauchbare Einfälle – zumindest so lange, wie du keine riesigen Felsblöcke über dir schweben läßt …« Beim Mittagessen gab es lebhafte Diskussionen über das, was die verschiedenen Gruppen am Vormittag erlebt hatten, doch sie wurden schon bald unterbrochen. Triebwerksgeräusche kündeten die Ankunft der LINGADA an, sie schwebte herab und setzte relativ sanft am hinteren Ende des freien Platzes auf. Wenig später verließ der Pilot zusammen mit Nylla und Bentysh das Schiff, Terpit winkte ihn zu sich herüber, und Vestak gesellte sich den beiden zu. Die Mutanten erklärten Takalain ihr Vorhaben, er überlegte kurz und stimmte dann zu. »Unser alter Vogel ist zwar nicht mehr in bestem Zustand, doch gerade dieses kommt uns jetzt zugute. Ersatzteile für diesen Typ gibt es schon seit langem nicht mehr, und sie eigens anzufertigen, wäre umständlich und teuer gewesen. Also wurden die alten Anlagen immer wieder repariert, doch zu diesem Zweck wurde modernes Gerät an Bord gebracht. Unter anderem auch ein Ultralichtbrenner, mit dem sich mikrofeine Schnitte durchführen lassen, auch in härtestem Material. Er dürfte für diese Sache genau das Richtige sein.« »Dann sollten wir sie auch nicht mehr lange aufschieben«, gab Terpit entschlossen zurück. »Warte einen Moment, ich hole zwei der Kästchen; unterrichte inzwischen die anderen davon, daß es heute voraussichtlich keine weiteren Unternehmungen mehr gibt, Vestak.« Gegen diese Pause hatte keiner der Mutanten etwas, fast alle hatten in der kurzen Zeit auf Corgyar mehr mitgemacht als zuvor in ihrem ganzen Leben auf Xall. Die rote Sonne stand hoch und es war angenehm warm, und das nützten sie nun gebührend aus. Allein Foraly schickte Vestak einen langen Blick nach, als er sich dann zusammen mit Terpit und dem Piloten ins Schiff begab, aber der Mann achtete nicht darauf.
Er war mit seinen Gedanken ganz woanders, sie kreisten nur noch um das bevorstehende Experiment. Wie wirksam die Psi-Verstärker der ausgestorbenen Planetarier auch nach Jahrtausenden noch waren, hatte sich inzwischen mehr als deutlich gezeigt. Sie konnten tatsächlich eine entscheidende Rolle spielen, wenn der Ruf der Freunde der Sonne zur Befreiung Aklards an die auf vielen Planeten verstreuten, einst verbannten Mutanten erging. In ihren Händen stellten sie eine wahrhaft furchtbare Waffe gegen die »normalen« Ligriden und sonstige Unterdrücker dar. Sofern sie voll beherrscht und richtig eingesetzt werden konnten – vielleicht wurde nun ein großer Schritt in diese Richtung getan! Er fieberte diesem förmlich entgegen, und der Archäologe fing seine Gedanken mühelos auf. Ein kaum merkliches Lächeln flog um seine Mundwinkel, er dachte zwar ganz ähnlich, aber ein gewisser Schuß von Skepsis war auch dabei. Er war mehr als doppelt so alt wie Vestak und hatte oft genug erfahren müssen, daß es im Leben meist gerade dann Rückschläge gab, wenn man sie nicht erwartete. Takalain war kein Telepath, er ahnte von all diesen Überlegungen nichts. Für ihn waren die Psi-Verstärker nichts weiter als eine Art von technischen Instrumenten, nur mit einer merkwürdigen und ihm unbegreiflichen Funktion. »Geht hinauf in den Steuerraum«, wies er die beiden anderen an, »von dort aus könnt ihr alles beobachten. Schaltet Innenkamera drei ein, den Rest besorge ich.« Er selbst begab sich in den Werkstattraum, machte den Brenner betriebsklar und nahm an dem einen Kästchen eine Ultraschallmessung vor. Die ermittelten Daten gab er in einen Computer, verband ihn mit dem Brenner und legte das Objekt darunter. Dann richtete er die Kamera ein, stellte die Sprechverbindung zur Zentrale her und sagte knapp: »Aufpassen, gleich geht es los!« Ultralicht war eine Form von »niederer« Hyperenergie, für das Auge unsichtbar und ohne spürbare Wärmeabgabe. Nichts war zu
sehen oder zu hören, als der Pilot den Computer aktivierte, nur eine feine Schnittlinie erschien in dem rötlichen Metall, als der Fokus des Brenners langsam darüber hinwegwanderte. Sie lief dicht am Rand des Verstärkergehäuses entlang, schon nach wenigen Sekunden war alles vorbei, und das Gerät schaltete sich ab. »Schon erledigt«, verkündete Takalain, schob das Kästchen etwas zur Seite und setzte in seiner Mitte einen kleinen Vakuumsauger an. »Ich habe den Brenner leicht schräg arbeiten lassen, so daß der Deckel nicht nach innen fallen konnte, jetzt hebe ich ihn an.« Er tat es, und die beiden Mutanten sahen gebannt auf den Schirm vor sich. Sie erwarteten, ein halbes Wunderwerk der Mikroelektronik zu Gesicht zu bekommen, aber das Resultat war derart, daß es ihnen eine ganze Weile die Sprache verschlug. »Was ist denn das…?« kam es dann heiser von Vestak. Der Pilot grinste kurz, griff in das Kästchen hinein und holte heraus, was sich darin befand. »Ein ganz gewöhnliches Stückchen Stein, würde ich sagen«, meinte er belustigt, »vermutlich Granit. Und das soll nun eure Wunderwaffe sein …?« Terpit schüttelte ausgiebig den Kopf, doch er faßte sich zuerst. »Die Wirkung des Verstärkers ist im Moment der Öffnung erloschen«, erklärte er dann matt. »Ich habe es sofort gespürt, aber auf so etwas war ich nun doch nicht gefaßt. Könnte es sein, daß das Ultralicht diese Veränderung bewirkt hat, Takalain?« »Sehr unwahrscheinlich«, urteilte dieser, »der Computer hat den Strahl so genau dosiert, daß nichts davon ins Innere dringen konnte. Doch warum machen wir nicht noch einen zweiten Versuch, vielleicht haben wir damit mehr Glück?« Der Archäologe stimmte zu, das zweite Kästchen wanderte unter den Urenner, und der Vorgang wiederholte sich. Allerdings auch das Resultat – in dem Hohlraum war ebenfalls nur ein Stück Gestein! »Wieder genau dasselbe«, resümierte Terpit, als der Pilot damit in
den Steuerraum gekommen war, »das Metall dagegen hat sich nicht verändert. Verdammt, das verstehe ich einfach nicht! Die Dinger haben doch zuvor gewirkt, es sind jene, die du und Foraly heute morgen benutzt hast.« »Vielleicht eine Art von Schutz gegen unbefugtes Öffnen«, warf der junge Rat ein, »die alten Planetarier wollten wohl nicht, daß jemand anders hinter das Geheimnis der Verstärker kommt. Oder … könnte es sein, daß man die Kästchen nur mittels einer Psi-Gabe aufbekommt, ohne daß etwas mit ihrem Inhalt geschieht?« Der Wissenschaftler sah ihn überrascht an. »Möglich wäre das schon«, räumte er dann ein, »fragt sich nur, mit welcher. Gut, ich werde darüber nachdenken, sobald ich genügend Zeit dazu habe, aber das wird wohl nicht so bald sein. Die neuen Verstärker müssen noch von der Patina befreit werden, und morgen geht dann das Training für alle wieder los. Diesmal jedoch unter meiner strengen Kontrolle, es darf kein Fiasko mehr geben!«
* Der nächste Tag brachte dann auch recht gute Fortschritte. Nun gab es vier Zweiergruppen von Teleportern und Telekineten, jede wurde nacheinander zwei Stunden lang eingesetzt. Doch mit weiten Sprüngen und anderen Kraftakten war es jetzt vorbei, alles fand nur im Umkreis von wenigen Kilometern statt. Terpit saß in seinem Zelt, hielt die Augen geschlossen und dämpfte mit seinen starken PsiKräften jedes Zuviel an Energie. Auch Vestak und Foraly kamen am frühen Nachmittag an die Reihe, doch nun gab es für sie keine »Ruhepausen« mehr. Der Archäologe begleitete sie ständig telepathisch, und so waren sie gezwungen, sich ganz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Das wirkte sich aber sehr positiv aus, sie lernten immer besser, ihre Gaben richtig zu dosieren. sDer junge Rat entdeckte, daß er nicht
nur Gegenstände bewegen, sondern auch durch gerichtete telekinetische Energien regelrecht zertrümmern konnte, eine ganz neue Erfahrung für ihn. »Das ist gar nicht schlecht«, befand Terpit, als dann die beiden abgekämpft bei ihm erschienen. »Übe dich weiter darin, Vestak, es kann dir beim Einsatz sehr von Nutzen sein. Im übrigen habe ich zuletzt kaum noch regulierend eingreifen müssen – nur noch ein paar Tage, dann könnt ihr alles auch ohne mich!« Das galt jedoch nicht nur für dieses Team, auch die anderen bewährten sich. Während der Freizeit tauschten sie ihre Erfahrungen aus, und auch das half ihnen weiter. Daneben brachten die langen Pausen auch noch genügend Zeit für private Belange, und dies kam vor allem Foraly und Vestak sehr gelegen … Ein Drittel der Mutanten hatte jedoch nichts zu tun, der kluge Wissenschaftler fand aber auch hier Abhilfe. Es waren genügend Psi-Verstärker vorhanden, also überließ er ihnen am zweiten Tag ebenfalls welche, und das brachte verblüffende Resultate. Die reinen Telepathen bemerkten plötzlich, daß sie auch noch andere, bisher nur latente Psi-Gaben besaßen. Nylla konnte jetzt auch den Lauf von Energien durch Leitungen verfolgen, Onlymar war imstande, auch bei völliger Dunkelheit zu sehen. Garlic gelang es, kurze Teleportationen zu vollbringen, und das tröstete ihn über die fehlende Zuneigung Foralys halbwegs hinweg. Und auch Zelmun, der bis dahin versagende Prognostiker, tauchte zur Mittagszeit überraschend bei Terpit auf. »Ich sehe schreckliche Dinge voraus!« verkündete er mit düsterer Miene. »Feuer wird vom Himmel fallen und Steine, ganz Corgyar wird ein einziges Chaos sein … und auch unser Schiff wird vernichtet – wir alle müssen sterben!« Natürlich forschte der Archäologe in seinen Gedanken, entdeckte darin jedoch nichts Konkretes; das angekündigte Chaos schien nur in Zelmuns Hirn zu herrschen. Das sagte er aber nicht laut, er nickte nur mit neutralem Gesicht.
»Das klingt sehr bedenklich«, gab er ruhig zu, »doch es spricht einiges dagegen. Auf einem so alten Planeten gibt es keine solchen Naturkatastrophen mehr, wie du sie schilderst, das weiß ich als Fachmann sehr genau. Und sonst haben wir alles unter Kontrolle, auch die Psi-Verstärker …« »Du glaubst mir also nicht?« unterbrach ihn Zelmun heftig, sein Gesicht rötete sich. »Es wird aber geschehen, sehr bald sogar – ich habe wahr gesprochen, verlaß dich darauf!« »Wie bald, noch heute oder erst morgen?« fragte Bentysh spöttisch, der sich ebenfalls im Zelt aufhielt. Im nächsten Augenblick zuckte er jedoch zusammen, denn zwei Gestalten materialisierten direkt neben ihm. Es waren Herlina und Pelkoyn, sie hatten bis dahin noch trainiert, von Terpit aber die Order zur Rückkehr erhalten. Nun waren sie da, die junge Frau hielt ihren Partner von hinten umklammert und keuchte atemlos: »Schnell, Terpit – rette ihn, ehe es zu spät ist! Eine der riesigen Schlangen hat ihn gebissen, ich habe sie getötet und bin dann sofort mit ihm hierher gesprungen.« In die untersetzte Gestalt des Archäologen kam Bewegung, er nahm ihr Pelkoyn ab und legte ihn auf den Tisch. Mit seinen PsiSinnen hatte er innerhalb von Sekunden die richtige Diagnose gestellt, nun hastete er hinüber zum Medikamentenkoffer. Zelmun aber hob beide Arme in einer anklagenden Geste und sagte erregt: »Da, es geht also schon los! Glaubt ihr mir jetzt?« »Dummkopf!« knurrte Bentysh abfällig. »Du hast von Steinen und Feuer gesprochen, aber nicht von Schlagen; das hier ist ein reiner Zufall, weiter nichts.« Es gab relativ viele dieser Reptile in der Umgebung, weil in den Ruinen die meiste Nahrung für sie zu finden war. Sie mieden aber die Nähe der Daila, und seit Terpits Begegnung hatte es keinen weiteren Zwischenfall mehr gegeben. Daß dieser nun zeitlich mit Zelmuns düsterer Prophezeiung zusammenfiel, mußte wirklich ein Zufall sein.
Das sagte sich auch Terpit, während er mit fliegenden Fingern das Breitband-Serum aus dem Koffer holte. Er als Archäologe war für solche Fälle gerüstet, denn auf fremden unbewohnten Welten hatte er schon öfters den Arzt spielen müssen. Wenige Sekunden später ergoß sich das Gegenmittel bereits in Pelkoyns Kreislauf, und der Wissenschaftler nickte den anderen beruhigend zu. »Er wird leben und keinen Schaden davontragen, dessen bin ich sicher! Du hast klug gehandelt, ihn direkt zu mir zu bringen, Herlina, in der LINGADA gibt es dieses Serum nicht. Geh jetzt in dein Zelt, um dich von dem Schreck zu erholen; ihr beide schafft Pelkoyn ins Schiff, Takalain weiß dann schon, was weiter zu tun ist.« Zelmun griff wortlos mit zu, denn der Schein war gegen ihn, und nun zweifelte er selbst an seiner Prognose. Zwei Stunden später stand fest, daß das Mittel gewirkt hatte, Pelkoyn war wieder bei Bewußtsein, allerdings noch ziemlich schwach. Er blieb vorerst in dem kleinen Medoraum der LINGADA, und Nylla betreute ihn.
* »Wir machen trotzdem heute kein Training mehr«, gab Terpit nach dem Mittagessen bekannt. »Das Ganze ist noch zu frisch, ihr würdet nur immer an Schlangen denken und dann unwillkürlich Fehler machen. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.« »Ein lobenswerter Entschluß«, kommentierte Vestak und winkte ab, als nun Foraly auf ihn zukam. »Wir treffen uns später, Mädchen, jetzt habe ich noch etwas anderes vor. Bist du bereit, mir noch einen Verstärker zur Verfügung zu stellen und mir gegebenenfalls bei einem weiteren Experiment zu helfen, Freund?« Der Archäologe las seine Gedanken und fragte dann mit deutlicher Skepsis: »Mutest du dir da nicht etwas zuviel zu, Junge?« »Vielleicht, ich möchte es aber doch versuchen, weil ich etwas
gegen ungelöste Rätsel habe. Sicher, meine zweite Gabe ist noch relativ neu, doch mit einiger Vorsicht und deiner Hilfe …« »Du hast mich überredet – ich möchte ebenfalls nur zu gern wissen, was wirklich in diesen Kästchen steckt!« gab Terpit lächelnd zu. Wenig später saßen beide in seinem Zelt, vor ihnen auf dem Tisch lag rötlich glänzend einer der Psi-Verstärker. Alle übrigen waren nun im Gerätezelt untergebracht, weit genug weg, um unerwünschte Reaktionen ausschließen zu können. Vestak schloß die Augen bis auf einen schmalen Spalt, entspannte sich zunächst und richtete dann seinen Blick auf das Versuchsobjekt. Er spürte seine magische Aura, fing sie behutsam auf und machte sich mit ihr vertraut. Sie differierte bei jedem Kästchen etwas, und das seine war dem Ultralichtbrenner zum Opfer gefallen. Dann glaubte er weit genug zu sein, aktivierte den Psi-Sektor seines mutierten Gehirns und spiegelte gewissermaßen die Kraft zurück, die von dem Verstärker ausging. Es war ihm gelungen, Steinbrocken regelrecht zu pulverisieren, doch das war Materie von relativ geringer Dichte gewesen. Dieses unbekannte rötliche Metall aber war um mehrere Potenzen dichter, und das merkte er nun sofort. Es widerstand seinem ersten Zugriff, aber Vestak hatte noch Reserven, und die setzte er nun ein – und der Verstärker selbst half ihm dabei! Hier waren nun unbegreifliche Kräfte im Spiel, die ausgereicht hätten, die gesamte große Ruine in Staub zu verwandeln. Das Metall dagegen wurde von ihnen kaum angegriffen, nur winzige Fragmente lösten sich heraus und flogen irrlichternd davon. Der Mutant sah nichts mehr von seiner Umgebung, er konzentrierte sich ganz auf das Kästchen, bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Doch diese reichte trotzdem nicht aus! Bis dahin hatte Terpit den Vorgang zwar mitverfolgt, aber seine eigenen Psi-Gaben fast ganz blockiert. Nun spürte er, daß Vestak seinem Ziel schon sehr nahe war, es jedoch nicht erreichen konnte,
obwohl er sich voll verausgabte. Nur noch Sekunden, dann mußte er aufgeben, und danach würde sein Psi-Sektor regelrecht ausgebrannt und für alle Zeit wertlos sein … Nein, das durfte nicht geschehen! Kurz entschlossen löste der Archäologe seine Blockade und griff mit ein. Er vereinte seine Psi-Impulse mit denen des jungen Rates, verstärkte diese mehr als doppelt – und hatte Erfolg damit. Ein wahrer Funkenregen stieg nun von dem Kästchen auf, seine Oberfläche wurde Schicht für Schicht aufgelöst. Und dann war es wirklich soweit: die letzte dünne Metalldecke flog davon, und der Blick ins Innere des Verstärkers wurde frei! Allerdings nur für wenig mehr als eine Sekunde – dann löste sich das ganze Kästchen blitzartig auf und zerfiel. Nur ein Häufchen von mattgrauem Staub lag noch auf dem Tisch, das Geheimnis um die Psi-Waffe von Corgyar blieb auch diesmal ungelöst … Terpit schnaufte resigniert auf, aber schon im nächsten Moment bekam er wieder etwas zu tun. Vestak sackte zusammen und hing fast bewußtlos in seinem Stuhl, sein Atem ging schwer und keuchend, er war einem Kollaps nahe. Doch diese Erschöpfung war mehr geistiger Natur, der Wissenschaftler erkannte das und ließ einen Bruchteil seiner Psi-Kräfte in ihn überfließen. Das wirkte, der junge Rat richtete sich wieder auf und fragte verstört: »Was ist passiert, Terpit? Ich erinnere mich nur noch an einen Funkenregen von dem Kästchen aus, und dann war ich plötzlich weg. Habe ich versagt?« Der Archäologe grinste melancholisch. »Das durchaus nicht, du warst sogar sehr gut. Ich mußte nur noch ein wenig nachhelfen, dann war es geschafft – aber leider war der Erfolg zugleich auch ein Mißerfolg. Ich konnte zwar ins Innere des Verstärkers sehen, habe aber nicht mehr erkannt als eine Art von Mikromodulen und dazwischen einen rot leuchtenden Punkt! Schon im nächsten Augenblick löste sich alles auf, das bißchen Staub vor dir ist uns als schäbiger Rest geblieben.«
»Und damit läßt sich auch beim besten Willen absolut nichts mehr anfangen«, murrte Vestak deprimiert. »Das Schicksal scheint in der Hinsicht eindeutig gegen uns zu sein, ein zweites Experiment dürfte auch nicht mehr erbringen. Verzichten wir also darauf und geben uns mit der bloßen Existenz der Verstärker zufrieden. Wenn sie uns helfen, Aklard zu befreien, ist das immer noch eine Menge wert.« »Du sagst es, mein Junge«, stimmte ihm Terpit zu. »Und deshalb werdet ihr alle morgen wieder voll trainieren, bis ihr besser seid als je zuvor!«
10. Die nächsten Tage brachten keine besonderen Ereignisse. Alles lief gut, die Mutanten kamen mit den Verstärkern immer besser zurecht. Es schien, als würde sich eine Art von Affinität zwischen ihnen und den Kästchen entwickeln, allerdings nur immer mit einem Partner der Trainingsgruppen. Die Leistungen des zweiten fielen plötzlich wieder ab, und auch Vestak war davon betroffen. Er berichtete es dem Wissenschaftler, und dieser nickte. »Ich habe das auch schon bemerkt und mir darüber meine Gedanken gemacht. Vermutlich hat jedes Mitglied der alten Rasse seinen eigenen Apparat besessen, der irgendwie auf den Träger .abgestimmt' war und nur auf seine Impulse reagierte. Das erscheint logisch, denn sonst hätte es wohl ein furchtbares Durcheinander gegeben, wenn zwei verschiedene Befehle gleichzeitig erteilt wurden.« »So dürfte es gewesen sein«, stimmte ihm der Telekinet zu, »und jetzt wiederholt sich dieser Vorgang. Die Verstärker stimmen sich von selbst auf einen von uns ein, verweigern sich dem anderen und geben ihm so zu verstehen, daß er sich ein anderes Gerät zulegen soll. So gesehen, dürfte es wohl am besten sein, danach zu handeln,
ehe eventuell eine stärkere negative Reaktion erfolgt.« Der Archäologe seufzte. »Gut, dann soll jeder sein eigenes Kästchen bekommen, wir haben ja genug davon. Hoffentlich geht dann aber nicht alles wieder von vorn los, wie in den ersten Tagen gehabt, so daß ich erneut euer Kindermädchen spielen muß! Ich wollte so bald wie möglich mit den entbehrlichen Leuten weiter in die Stadt eindringen, dort muß es noch viele weitere Verstärker geben. Viel Zeit dafür bleibt mir nicht mehr, die erste Dekade ist bereits herum.« Natürlich beabsichtigte er vor allem, nach ganz anderen Relikten der Planetarier zu suchen, er konnte eben nicht aus seiner Haut als Altertumsforscher. Vestak durchschaute dies mühelos, doch im Grunde hatte er nichts dagegen einzuwenden, vorausgesetzt, daß es keine neuen Schwierigkeiten gab. Terpits Befürchtungen blieben jedoch grundlos, den Mutanten kamen die bereits gesammelten Erfahrungen zugute. Schon nach dem ersten Tag waren sie mit den neuen Geräten so vertraut, daß er sie sich selbst überlassen konnte, seine Exkursion ins Stadtinnere schien gesichert zu sein. Doch dann kam ein Wetterumschlag und machte seinen Plan zunichte. In der Nacht zogen dicke Wolken auf, ein heftiges Gewitter entlud sich, und es regnete in Strömen. Bald standen die Zelte in einem förmlichen See, die miteinander der verfugten Platten auf dem Platz ließen das Wasser nicht durch. Ein Ende war nicht abzusehen, der Luftdruck blieb konstant niedrig, und auch die Temperatur sank um fast die Hälfte ab. Notgedrungen wurden die Zelte abgebaut, an ein Training im Freien war ohnehin jetzt nicht zu denken. Die Daila zogen sich ins Schiff zurück, ihre Laune war nicht eben rosig. Das bekam auch Zelmun zu spüren, denn Bentysh bemerkte bissig: »Hast du nicht irgendwelche neuen Prognosen auf Lager, Freund? Letzthin hast du uns Feuer und Steine prophezeit, aber diese sind unterwegs zu Wasser geworden … Falls du nun Dauerregen
voraussiehst, wird es bestimmt bald wieder schön.« »Ignorant!« gab der Prognostiker mürrisch zurück. »Es wird geschehen, vielleicht noch nicht heute oder morgen …« Er unterbrach sich und wich erschrocken zurück, denn plötzlich war auf dem Boden des Aufenthaltsraums eine große Schlange erschienen. Sie bewegte sich langsam auf Zelmun zu, ihr Kopf war erhoben und zischende Laute kamen aus dem offenen Maul, die gespaltene Zunge spielte zwischen den spitzen Giftzähnen. Sie wirkte voll materiell und lebendig, auch auf einen Teil der anderen Mutanten, doch sie war es nicht. Der Psi-Verstärker hatte die schwache telepathische Gabe des Technikers kaum gesteigert, dafür aber eine andere erweckt. Er war jetzt imstande, vollkommen echt erscheinende, aber immaterielle Projektionen zu schaffen, Terpit hatte ihn als »Real-Illusionisten« eingestuft. Dieser Scherz aber ging ihm nun doch zu weit, er griff rasch ein, und das Reptil löste sich spurlos auf. »Laß solchen Unsinn, Bentysh!« rügte er scharf. »Wenn du uns unbedingt etwas vorgaukeln willst, wäre höchstens schönes Wetter angebracht – willst du das nicht einmal versuchen?« Das konnte Bentysh natürlich nicht, und nun entlud sich der Spott der anderen über ihn. Doch schon am Abend löste sich die Wolkendecke allmählich auf, am nächsten Morgen schien wieder die Sonne, und das sommerliche Wetter kehrte zurück. Das hob die Stimmung schlagartig, der Archäologe atmete auf und erklärte: »Die Zelte können wir jetzt noch nicht wieder aufstellen, der Platz ist noch voll Wasser. Das Programm der Trainingsteams wird aber sofort weitergeführt – los, macht euch auf den Weg nach draußen.« Weliga nickte als erste, griff nach ihrem Verstärker und faßte die Hand ihres Partners Kolimayn. Eine kurze Konzentrationsphase, dann setzte sie zur Teleportation an – aber nichts geschah! Die beiden Mutanten blieben an ihrem Platz, die junge Frau sah sich verwirrt um und schüttelte den Kopf. Zugleich war jedoch ein dumpfes Krachen im Unterschiff zu hören, alle zuckten zusammen,
und Sekunden später kam Takalains Stimme aus dem Lautsprecher des Interkom, erregt und panikerfüllt. »Ist bei euch da oben plötzlich jemand verrückt geworden …?« brüllte er. »Hier im Maschinenraum ist eben der große Transformer explodiert, obwohl er gar nicht in Betrieb war – und die Trümmer hätten mich fast erschlagen! Ich bin zwar nur ein Normaler und verstehe nichts von eurem Psi-Kram, aber das geht einfach zu weit. Wie sollen wir jetzt überhaupt noch starten können?« Was mochte da wohl schiefgegangen sein …? Terpit konnte es nicht einmal ahnen, er war ebenso verwirrt und verstört wie alle anderen. Instinktiv setzte er seinen Telepathie-Sinn ein, um sich Klarheit zu verschaffen, aber damit löste er nur ein weiteres Unheil aus. Seine Gedanken schienen an eine Barriere zu stoßen, die sie nicht durchdringen konnten, und im nächsten Moment war auch im Aufenthaltsraum der Teufel los. Plötzlich herrschte vollkommene Schwerelosigkeit darin, alle Daila lösten sich vom Boden und schwebten zur Decke empor. Auch der Wissenschaftler, er brach sofort seinen Kontaktversuch ab, aber das bekam ihm schlecht. Schlagartig kehrte die volle Gravitation des Planeten zurück, erfaßte die Mutanten und schmetterte sie zu Boden! Das ging nicht ohne schmerzhafte Prellungen ab, sie fielen übereinander und der Raum war von Schreien und Stöhnen erfüllt. Vestak kam auf Foraly zu liegen, seine Schulter prallte jedoch gegen einen Stuhl, und dieser gab nicht nach, weil er fest am Boden verankert war. Der junge Rat spürte, wie sein Schlüsselbein brach, ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn, und rote Ringe tanzten vor seinen Augen. Seine Besinnung drohte zu schwinden, doch er kämpfte verbissen dagegen an. »Bring uns hier heraus, Mädchen!« keuchte er mühsam. Foraly kam seinem Verlangen nach, aber der Psi-Verstärker war ihr aus der Hand gefallen. So mußte sie sich auf ihre normale Gabe der Teleportation beschränken – zu ihrem Glück, doch davon ahnte
sie noch nichts. Sie peilte blindlings die Stelle auf dem Platz vor der großen Ruine an, wo einen Tag zuvor ihr Zelt gestanden hatte, und im nächsten Moment war sie dort, zusammen mit dem Geliebten. Doch dieser unkontrollierte Sprung konnte kaum gut enden, und erneut prallten beide schwer auf. Die junge Frau kam mit vielen blauen Flecken noch relativ gut davon, Vestak dagegen fiel auf die bereits lädierte Schulter und verlor vor Schmerz das Bewußtsein.
* Oben in der LINGADA brach indessen Panik aus. Instinktiv strebten alle Mutanten danach, aus dem Raumschiff zu gelangen, in dem plötzlich nichts mehr normal zu sein schien. Sie drängten zu den verbliebenen Teleportern hin, um sie zu berühren, denn nur bei direktem Körperkontakt kam es zum »MitnahmeEffekt«. Doch daraus wurde bald ein Kampf aller gegen alle. Jeder versuchte den anderen wegzustoßen, um selbst in günstige Position zu gelangen, jede Rücksicht war vergessen. Allerdings wurden auch die Teleporter dabei in Mitleidenschaft gezogen, es war ihnen unmöglich, sich auf gezielte Sprünge zu konzentrieren. Dazu kamen sie erst, als zwei Männer bewußtlos auf dem Boden lagen und relative Ruhe eintrat. Sie hatten sich aber indessen so sehr an den Gebrauch ihrer Verstärker gewöhnt, daß sie blind auf diese vertrauten. Wie falsch das war, wurde keinem von ihnen bewußt – nur Terpit hätte es ihnen sagen können. Er hatte inzwischen begriffen, was der Auslöser all dieser Anomalien war. Leider etwas zu spät, denn gerade in diesem Moment hatte ihn ein Faustschlag getroffen; er war gefallen und so hart mit dem Kopf aufgeprallt, daß er die Besinnung verlor. Niemand dachte jedoch daran, etwas für ihn zu tun, die eigene Sicherheit ging allen vor. So blieb er zusammen mit Zelmun in einer Ecke liegen, und nun nahm
das Verhängnis seinen Lauf. Die Teleporter konzentrierten sich kurz und gaben mit Hilfe der Verstärker den Sprungimpuls. Sie kamen jedoch keinen Millimeter vom Fleck, dafür ereigneten sich aber überall im Schiff schlimme Dinge! Überall krachte und polterte es, das Licht flackerte, und aus dem Lautsprecher des Interkoms kam ein gräßliches Heulen. Dieses Geräusch weckte den Archäologen, er war aber noch nicht wieder imstande, seine Psi-Gaben dämpfend einzusetzen. »Aufhören – sofort aufhören!« rief er statt dessen und richtete sich mühsam auf. »Die Geräte funktionieren nicht mehr richtig, ihr dürft sie nicht mehr benutzen! Jeder eurer Psi-Impulse wird durch sie verfälscht, sie haben das Chaos herbeigeführt.« »Woher willst du das wissen?« fragte Herlina verstört. Terpit massierte vorsichtig die Beule an seinem Hinterkopf, dann machte er eine umfassende Geste. »Jetzt wird es wieder ruhig … es passiert nichts mehr, weil keiner der Verstärker mehr benutzt wird! Ich hatte erkannt, was mit ihnen los ist, und wollte es euch noch sagen, aber ihr wart völlig von Sinnen und habt mich niedergeschlagen. Hütet euch also, die Dinger noch einmal einzusetzen, schon ein simpler telepathischer Versuch kann neues Unheil anrichten. Gebt sie mir, ich verlasse das Schiff auf normalem Weg und deponiere sie in den Ruinen.« »Weißt du auch, was schuld an diesen Fehlfunktionen ist?« warf Garlic ein. Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf und lachte sarkastisch auf, dann wies er auf den noch bewußtlosen Zelmun. »Bin ich Mana? Vielleicht kann es euch unser Schwarzseher sagen, fragt ihn, wenn er wieder zu sich kommt …« Er sammelte die Verstärker ein, und während dessen erschien auch der Pilot im Raum. Sein Gesicht war grau, seine Stimme klang rauh und mutlos. »Ich weiß zwar nicht, wie ihr das gekonnt habt, aber ihr habt es dem Schiff gründlich besorgt! Alles mögliche ist entzwei gegangen, es wird allein Tage dauern, bis ich das Ausmaß aller Schäden genau
festgestellt habe. Die LINGADA war schon zuvor nicht eben ein Schmuckstück, doch jetzt ist sie nur noch ein besseres Wrack – mit ihr können wir nie mehr starten!« Terpit verzichtete auf einen Kommentar, verstaute die wertlos gewordenen Verstärker in einem Beutel und machte sich auf den Weg nach draußen. Nylla und Bentysh blieben zurück und bemühten sich um Zelmun, die restlichen Mutanten folgten ihm. Sie waren froh, das Schiff verlassen zu können, doch keiner von ihnen wußte, wie es nun weitergehen sollte. Auch der Archäologe nicht, doch er hütete sich, das Thema jetzt schon zu berühren. Statt dessen wies er die anderen an, sich um Vestak zu kümmern; der junge Rat war noch ohne Besinnung, Foraly kauerte neben ihm und schluchzte leise vor sich hin. Terpit dagegen fluchte grimmig, wich einigen Wasserlachen aus und marschierte ans äußerste Ende der planierten Fläche. Dann holte er weit aus, schleuderte den Beutel mit den Geräten von sich und half mit einem behutsam dosierten telekinetischen Impuls nach. Daraufhin verschwanden sie spurlos in weiter Ferne, er seufzte leise und trat langsam den Rückweg an. »Ich verstehe das einfach .nicht!« murmelte er deprimiert. »Wir hatten einen wirklich guten Anfang, die jungen Leute kamen immer besser mit den Kästen zurecht. Sie wären eine wirkungsvolle Waffe im Kampf um Aklard geworden, eine Psi-Waffe, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat! Und nun spielen sie plötzlich verrückt, alle mit einem Schlag … warum nur?« Vestak war indessen in den Medoraum der LINGADA gebracht worden, nur noch eine Gruppe von fünf Mutanten stand vor dem Schiff. Sie sahen dem Wissenschaftler entgegen und erwarteten einen Rat von ihm, das wußte er auch, ohne ihre Gedanken zu lesen. Er grübelte darüber nach, was er ihnen nun sagen sollte, doch dann schreckte er zusammen und seine Augen weiteten sich. Die beiden Schürfmaschinen standen noch immer am Platzrand, in ihren Steuerkabinen befand sich niemand. Trotzdem heulten ihre
Motoren nun auf, die Fräsenflügel rotierten, und auch alle übrigen Zusatzgeräte gerieten in wilde Bewegung! Und dann rasten beide Fahrzeuge gleichzeitig los, walzten die nächste Ruine nieder und entfernten sich zum Stadtinnern hin … Dies war jedoch nur der Anfang – im nächsten Moment war überall zwischen den Trümmern der Teufel los. Das Krachen von Explosionen dröhnte auf, an vielen Stellen hob sich der Boden; Fontänen von Steinen und Erdreich wurden hoch in die Luft geschleudert. Diese Welle erfaßte auch die große Ruine am Platzrand, ihre hohe Fassade begann zu wanken, und das löste Terpit aus seiner Erstarrung. Er rannte los, auf das Schiff zu, das allein noch Sicherheit bot, und die anderen Mutanten folgten seinem Beispiel. Das sind die vielen Verstärker, die hier noch herumliegen! dachte er dabei. Was wir vorhin erlebt haben, war nur ein Vorspiel, durch unsere Psi-Gaben ausgelöst. Jetzt reagieren auch alle anderen, und das ohne ersichtlichen Anlaß – ich verstehe das einfach nicht! Er befand sich noch in der Luftschleuse, als die Mauern der riesigen Ruine barsten und schwer zu Boden krachten. Der Aufprall versetzte den Belag des Platzes in wellenförmige Bewegungen, und auch die LINGADA begann zu schwanken. Die alten Landestützen fingen die Stöße zwar noch ab, aber so mangelhaft, daß im Schiff alles drüber und drunter fiel, was bis dahin noch heil geblieben war. Auch Terpit erging es nicht besser, doch diesmal fiel er weich, auf den Knäuel seiner Leidensgenossen. Es dauerte eine Weile, bis sich dieser entwirrt hatte, und dann bemerkten alle verwundert, daß es um sie herum ruhig geworden war. Das Schiff stand zwar nicht mehr ganz gerade, aber offenbar fest, Onlymar spähte hinaus und sagte dann aufatmend: »Es ist vorbei, Leute!« So war es auch, nur noch Staubwolken verdunkelten das Licht der alten roten Sonne. Die Mutanten begaben sich nach oben und sahen erleichtert, daß Vestak bereits wieder auf den Beinen war. Sein linker Arm hing in einer Schlinge und er verfolgte die hitzige Rede,
die Garlic gerade hielt. »Terpit ist an allem schuld!« behauptete dieser. »Er als Multi hätte die Tücken der Verstärker bemerken müssen, doch er hat restlos versagt. Nur deshalb konnte es zu diesem Debakel …« »Unsinn!« unterbrach ihn der Pilot scharf. »Meine noch intakten Instrumente haben angezeigt, daß es auch in den anderen Städten schwere Erschütterungen gegeben hat, überall auf Corgyar. Es muß also ein globaler Einfluß gewesen sein, der dies verursacht hat; vielleicht eine Strahlung aus dem All, ich habe in dieser Hinsicht schon viel erlebt.« »Welche Rolle spielt das jetzt noch?« sagte Kolimayn mutlos. »Wir leben zwar noch, aber die LINGADA ist hin, und unsere Vorräte reichen nicht mehr lange. Es bleibt uns also weiter nichts übrig, als Xall anzufunken und um Hilfe zu bitten – oder weiß jemand von euch eine bessere Lösung?« Die anderen stimmten ihm zu, aber Takalain bemerkte skeptisch: »Versuchen können wir es ja, aber ich kann für nichts garantieren! Der Hypersender ist zwar noch ganz, doch die Leitung zur Antenne ist restlos verschmort, und wir haben keinen Ersatz dafür. Ob man uns ohne sie auf Xall hören kann, weiß allein der Große Geist …«
* »Endlich bin ich wieder voll bei Kräften, Atlan«, erklärte die sanfte Stimme der STERNSCHNUPPE, »unserem Weiterflug stände also nichts mehr im Wege. Allerdings empfange ich schon seit gestern einen Funkspruch, der jede Stunde wiederholt wird, dessen Text ich aber erst jetzt verstehen konnte, nachdem meine Speicher …« »Uninteressant«, warf der Arkonide ungeduldig ein, aber das Schiff war anderer Meinung und fuhr fort: »Es ist ein Hilferuf, gerichtet an den Planetaren Rat von Xall und alle Freunde der Sonne, die ihn empfangen können. Willst du ihn wirklich ignorieren?«
»Kommt gar nicht in Frage!« sagte Chipol empört. »Wenn darin von Freunden der Sonne die Rede ist, muß er von Daila stammen, die in Not sind. Wenn du sie im Stich läßt, Atlan, rede ich nie wieder ein Wort mit dir.« »Immer diese leeren Versprechungen«, grinste Mrothyr, »aber der Kleine hat schon recht. Diese Bezeichnung weist auf Mutanten hin, und wie wichtig diese für unsere Aufgabe sind, weißt du doch.« Atlan nickte, ließ sich jedoch zunächst den Spruch vorspielen. Viel war allerdings nicht zu verstehen, obwohl er aus relativer Nähe kam und die STERNSCHNUPPE ihn »aufbereitet« hatte. Ein sehr schwacher Sender also, vermutlich ein Notaggregat; der Arkonide kannte das aus eigener Erfahrung, er hatte oft genug sehnsüchtig auf Hilfe gewartet. Sollte er sie nun anderen versagen? Nein, das konnte er einfach nicht, und so war das Schiff gleich darauf zum System der alten roten Sonne unterwegs. Es erreichte Corgyar, tastete mit seinen Ortungen sorgfältig die Umgebung ab, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen. Der Funkspruch wies ihm den Standort der LINGADA, und auf Atlans Anweisung hin setzte es neben dieser auf. »Keine schöne Umgebung«, urteilte Mrothyr, »und hier scheint es wirklich allerhand gegeben zu haben. Das Schiff sieht auch nicht gerade taufrisch aus, mit ihm möchte ich bestimmt nicht fliegen.« Sie verließen die STERNSCHNUPPE, und gleichzeitig kamen ihnen auch die Mutanten entgegen. Natürlich hatte Terpit inzwischen die Gedanken des Zyrphers gelesen und begrüßte vor allem Atlan freudig. »Du bist also der Mann, der Aklard retten will! Auch wir wollten unseren Teil dazu beitragen, deshalb sind wir auf diesem Planeten. Doch das Schicksal war gegen uns …« »Kommt alle mit in unser Schiff«, fiel ihm der Arkonide ins Wort. »Darin ist es zweifellos gemütlicher als bei euch, wir können in Ruhe reden und dann sehen, ob und wie euch geholfen werden kann.«
Es wurde eine lange Schilderung, und dann schloß der Archäologe: »Jetzt sind schon mehr als vier Dekaden vergangen, aber außer euch scheint niemand unseren Notruf empfangen zu haben, und die Vorräte sind fast zu Ende. Nun, dieser Sorge sind wir jetzt ledig, doch was die schlimmen Ereignisse ausgelöst hat, wissen wir noch immer nicht.« »Ich weiß es!« meldete sich überraschend die STERNSCHNUPPE. »Ich habe die Daten verglichen und festgestellt, daß zur gleichen Zeit EVOLO auf Cirgro den Glückssteinen die Psi-Energien geraubt hat. Dabei muß Sekundärstrahlung frei geworden sein, und diese hat sich irgendwie auf die Psi-Verstärker ausgewirkt!« Atlan nickte langsam. »Eine plausible Erklärung, Terpit, nur an den Tatsachen ändert sie leider nichts. Es wird keine Psi-Waffe geben, ihr werdet euch nur auf eure normalen Fähigkeiten verlassen können. Doch nun sagt uns, was ihr alles an Ersatzteilen braucht, das Schiff wird sie für euch produzieren. Danach könnt ihr nach Xall starten, wir aber setzen unsere Suche nach Zinkoyon fort.«
ENDE
Nach der Hilfsaktion auf Corgyar fliegt die STERNSCHNUPPE endlich die von den inzwischen verstorbenen Hyptons verratenen Koordinaten an. Dort befindet sich Zinkoyon, eine Raumstation der Hyptons und Ligriden – und ein Ort für das grüne Feuer … DAS GRÜNE FEUER – unter diesem Titel erscheint auch Atlan-Band 743. Der Roman wurde von H. G. Francis geschrieben.