Jane Feather
Die perfekte Braut Roman Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten
1 »Hier, Miss Prue.« Mrs. Beedle nahm ...
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Jane Feather
Die perfekte Braut Roman Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten
1 »Hier, Miss Prue.« Mrs. Beedle nahm einen Stapel Briefe von einem der oberen Küchenborde. »Es sind recht viele heute. Der da sieht mir sehr dringend aus.« Sie zog einen länglichen, dicken Pergamentumschlag heraus und warf ganz unbefangen einen Blick auf die gedruckte Adresse des Absenders. Prudence trank ihren Tee und versuchte gar nicht erst, ihre Gastgeberin zur Eile anzutreiben. Mrs. Beedle hatte ihr eigenes Tempo und ihre ganz persönliche Art, an die Dinge heranzugehen... fast so wie Jenkins, ihr Bruder, der im Haus am Manchester Square die Pflichten eines Butlers mit denen eines Vertrauten, Helfers und manchmal auch Komplizen der drei Duncan-Schwestern zu verbinden verstand. »Gibt's was Neues von Miss Con?«, erkundigte sich Mrs. Beedle, legte schließlich die Umschläge auf den blank geschrubbten Küchentisch und griff nach der Teekanne. »Ach, gestern ist ein Telegramm gekommen. Momentan sind sie in Ägypten.« Prudence schob ihr die Tasse zum Nachgießen hin. »Unterwegs haben sie auch Rom und Paris einen Besuch abgestattet. Eine herrliche Reise.« Das klang ein wenig wehmütig, denn die sechswöchigen Flitterwochen ihrer älteren Schwester verstrichen für die in London zurückgebliebene Prudence und ihre jüngere Schwester Chastity mit quälender Langsamkeit. Zu zweit kostete es viel mehr Mühe, mit spärlichen Mitteln den Haushalt zu führen und dafür zu sorgen, dass die eigensinnige Ahnungslosigkeit, die ihr Vater bezüglich der finanziellen Situation der Familie an den Tag legte, davon nicht berührt wurde. Wie oft waren Prudence und Chastity in Versuchung geraten, ihren Vater mit der Realität zu konfrontieren, mit den Umständen, die er durch eine mehr als gewagte Investition nach dem Tod seiner Gattin selbst verschuldet hatte. Eingedenk ihrer Mutter hatten sie weiterhin geschwiegen.
Lady Duncan hätte den Seelenfrieden ihres Mannes um keinen Preis stören mögen, und ihre Töchter fühlten sich verpflichtet, ihrem Beispiel zu folgen. Da zu diesem tagtäglichen Kampf noch die Mühsal hinzukam, die Zeitung The Mayfair Lady ohne Constances Erfahrung als Verlegerin alle vierzehn Tage herauszubringen und zudem den Kontaktservice zur Eheanbahnung erfolgreich zu betreiben, war es kein Wunder, dass sie und Chastity die Nächte traumlos durchschliefen - so ging es Prudence jedenfalls durch den Kopf. Die Türglocke des Ladens an der Vorderfront des Hauses klingelte, als jemand eintrat. Mrs. Beedle eilte, ihre makellose Schürze glatt streichend, geschäftig hinaus, um die Kundschaft zu bedienen. Prudence trank einen tiefen Schluck aus ihrer nachgefüllten Tasse und nahm sich ein zweites Stück Ingwerbrot. In der Küche hinter dem Laden war es warm und ruhig. Sie konnte Mrs. Beedles geschwätzig-muntere Stimme hören, außerdem die Stimme einer anderen Frau, die schrill und hoch über die erbärmliche Qualität der Lammkoteletts des Metzgers Klage führte. Prudence streckte die Beine in Richtung Herd aus und seufzte, dankbar für die kurze Erholung von den Sorgen des Arbeitstages, während sie müßig die Umschläge durchsah, die an The Mayfair Lady adressiert und postlagernd an Mrs. Beedles Eckladen in Kensington geschickt worden waren; die Herausgeberinnen mussten nämlich ihre Anonymität um jeden Preis wahren. Der dicke Pergamentumschlag fühlte sich unverkennbar offiziell an. Der gedruckte Absender in der oberen linken Ecke lautete FALSTAFF, HARLEY & GREENWOLD. Eine böse Vorahnung beschlich Prudence: Das sah nach einer Anwaltskanzlei aus. Sie griff nach dem Buttermesser, um den Umschlag aufzuschlitzen, legte es jedoch mit einem raschen, unbewussten Kopfschütteln wieder weg. Korrespondenz, die ihre geschäftlichen Belange betraf, öffneten die Schwestern einem unausgesprochenen
Übereinkommen folgend immer gemeinsam. Und falls dieser Brief schlechte Nachrichten enthielt - und Prudence bildete sich ein, dem Umschlag entströme ein übler Hauch -, wollte sie ihn auf keinen Fall alleine aufmachen. Sie packte alle Briefe in ihre geräumige Handtasche und trank ihren Tee aus. Mrs. Beedle war noch immer mit ihrer Kundin beschäftigt, als Prudence durch den Laden ging und sich die Handschuhe anzog. »Danke für den Tee, Mrs. Beedle.« »Ach, ich freue mich immer, Sie zu sehen, Miss Prue.« Die Ladenbesitzerin strahlte sie an. »Und Miss Chas natürlich ebenso. Bringen Sie sie doch nächste Woche mit. Ich mache den Schmalzkuchen, den sie so gern mag.« »Es wird ihr sehr Leid tun, dass sie den Ingwerkuchen verpasst hat, aber sie musste heute eine alte Freundin besuchen«, sagte Prudence lächelnd und nickte der Kundin höflich zu, die sie neugierig betrachtete. Eine Dame mit Mayfair-Akzent in einem eleganten Nachmittagskleid war in einem Eckladen in Kensington ungewöhnlich, zumal wenn diese Dame aus den rückwärtigen Räumlichkeiten auftauchte. Prudence nahm ein Exemplar von The Mayfair Lady vom Zeitungsständer hinten im Laden. »Falls Sie Lesestoff suchen, Madam, wird Ihnen vielleicht diese Zeitung zusagen.« Sie reichte das Blatt der Frau, die in ihrer Überraschung danach griff. »Tja, ich weiß nicht recht«, sagte sie. »Mayfair Lady... das klingt ein wenig hochgestochen für jemand wie mich.« »Aber nein, keineswegs«, klärte Prudence sie freundlich auf. »Ich weiß, dass auch Mrs. Beedle zu den Leserinnen zählt.« »Ja, hin und wieder«, bestätige Mrs. Beedle. »Schnuppern Sie doch einfach mal hinein, Mrs. Warner. Genau richtig für einen kalten Nachmittag, wenn man mit dem Strickzeug am Kamin sitzt.«
»Na, mir gibt das Lesen nicht so viel ab«, meinte Mrs. Warner noch immer zweifelnd. »Wie viel kostet die Zeitung denn?« Sie drehte und wendete das Blatt hin und her, als wüsste sie nicht recht, was sie damit anfangen sollte. »Nur zwei Pence«, sage Prudence. »Sie würden staunen, wie viel Interessantes da drinsteht.« »Tja, ich weiß nicht... aber ich könnte ja...« Die Kundin verstummte, als sie aus ihrer Börse zwei Pence heraussuchte und sie auf den Ladentisch legte. »Ich will's mal probieren.« »Tun Sie das«, ermunterte sie Mrs. Beedle. »Sollte das Blatt Ihnen nicht zusagen, bringen Sie es einfach zurück. Sie bekommen Ihr Geld wieder.« Mrs. Warners Miene hellte sich sichtlich auf. »Das nenne ich ein faires Angebot, Mrs. Beedle.« Prudence zog insgeheim eine Braue hoch. Wie sollten sie mit der Zeitung denn Geld verdienen, wenn die Leute sie »auf Probe« lasen? Doch das konnte sie Mrs. Beedle nicht sagen, denn sie meinte es ja schließlich gut. Sie trat also mit einem freundlichen Gruß aus dem Laden hinaus in den kühlen Nachmittag, der bereits in den Abend überging, obgleich es kaum halb fünf war. In diesem Jahr scheint sich der Herbst früher einzustellen, dachte sie, aber vielleicht kommt das ja nur durch den Gegensatz zu dem langen und ungewöhnlich heißen Sommer, der ihm vorangegangen war. Sie eilte zu einer Omnibushaltestelle, in Gedanken wieder bei Constance und der ägyptischen Wüstenhitze. Mit manchen meint das Leben es gut, dachte sie, als der Omnibus Auspuffwolken ausstoßend stehen blieb. Nachdem sie eingestiegen war, bezahlte sie ihren Penny, setzte sich ans Fenster und sah die Straßen Londons vorüberziehen, während der Bus auf Wunsch der Fahrgäste anhielt und wieder weiterfuhr. Sie fragte sich, wie Chastitys Nachmittag wohl verlaufen war. Ihre Schwester hatte keine alte Freundin besucht, wie Prudence Mrs. Beedle gegenüber behauptet hatte. Stattdessen hatte Chastity
in ihrer Rolle als Tante Mabel Antworten auf drei Problembriefe von Rat suchenden Leserinnen verfasst, die in der nächsten Ausgabe der Zeitung abgedruckt werden sollten. Als Prudence aus dem Haus gegangen war, hatte Chastity am Federhalter kauend über die Tintenkleckse geklagt, die verkantete Federspitzen unweigerlich verursachten, wobei sie über einer diplomatischen Antwort für Verzweifelt in Chelsey brütete; die war der Meinung, ihre alternden Eltern hätten nicht das Recht, ihr Geld für leichtfertige Zwecke hinauszuwerfen, während ihre Tochter auf ihr Erbe wartete. An der Oxford Street stieg Prudence aus und spazierte die Baker Street entlang in Richtung Portman Square. Sie erreichte den Manchester Square und lief mit geröteten Wangen die Stufen zur Nummer 10 hinauf. Jenkins öffnete, als sie gerade den Schlüssel ins Schloss steckte. »Dachte ich mir's doch, dass Sie es sind, Miss Prue, als ich den Schlüssel hörte.« »Ich war bei Ihrer Schwester«, sagte sie und trat ein. »Sie lässt schön grüßen.« »Hoffentlich ist sie wohlauf.« »Sie macht mir ganz den Eindruck. Ist Chas oben?« »Sie hat den gesamten Nachmittag über den Salon nicht verlassen.« »Ach, die Arme. Hat sie schon ihren Tee getrunken?« Jenkins schmunzelte. Chastitys Vorliebe für Süßes wurde in der Familie gern belächelt. »Von Mrs. Hudsons Schokoladekuchen hat Miss Chas drei Stücke verdrückt. Das hat sie richtig aufgebaut, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Zuvor sah sie ein wenig spitz aus.« »Und mit Tintenflecken übersät«, sagte Prudence lachend und eilte zur Treppe. Auf halbem Weg hielt sie inne und fragte über die Schulter: »Wissen Sie, ob Lord Duncan heute zu Hause speist?«
»Ich glaube nicht, Miss Prue. Mrs. Hudson hat für Sie und Miss Chas eine delikate Fleischpastete mit kaltem Lammfleisch vom Sonntagsbraten vorbereitet.« Wenn man schon Reste essen muss, ist Lamm ungleich schmackhafter als Fisch, ging es Prudence durch den Kopf. Sie öffnete die Tür zum Salon, den sie sich mit ihren Schwestern seit dem Tod ihrer Mutter vor vier Jahren teilte. Es war ein gemütlicher, gern frequentierter Raum, ein wenig schäbig und verblichen und ziemlich unaufgeräumt. An diesem Nachmittag noch ärger als sonst. Inmitten von zerknüllten Bogen Papier, Beweisen ihrer frustrierenden literarischen Versuche, saß Chastity am Sekretär. Sie drehte sich um, als ihre Schwester eintrat. »Ach, bin ich froh, dass du kommst! Jetzt kann ich damit Schluss machen.« Sie fuhr sich durch das gelockte rote Haar, das sich unter der Mühe des Textschreibens aus den Bändern gelöst hatte und ihr lose auf die Schultern fiel. Müde streckte sie sich und ließ die Schultern kreisen. »Ich hätte ja nie gedacht, dass mir mein Mitgefühl für diese geplagten Seelen abhanden kommen könnte, aber manche sind so kindisch und verwöhnt... Ach, warte. Ich muss dir was zeigen. Jenkins hat es vor einer halben Stunde gebracht.« Ihr Ton hatte sich völlig verändert, als sie aufsprang und voller Energie ans Sideboard ging. »Sieh hier.« Sie schwenkte eine Zeitung. »Die Pall Mall Gazette. Con hat ja immer gesagt, dass es so weit kommen würde.« »Was denn?« Ein Blick auf die erste Seite genügte, und Prudence wusste sofort, worum es ging. Sie stieß einen lautlosen Pfiff aus, als sie die Schlagzeile las: PEER IN SITTENSKANDAL VERWICKELT Sie fing an zu lesen: »Der Earl of Barclay wurde in dem anonym erscheinenden Blättchen The Mayfair Lady beschuldigt, seine jungen weiblichen Hausangestellten zu missbrauchen und sie dann schwanger und mittellos auf die Straße zu setzen.«
Ihre Stimme wurde leiser, als sie für sich weiterlas, da Chastity den Artikel inzwischen ja sicher auswendig kannte. Am Ende angelangt, blickte sie auf. Ihre Schwester schaute sie erwartungsvoll an. »Die haben doch tatsächlich die von Con in diesem Artikel erwähnten Frauen interviewt.« »Und jetzt sprechen sie auf ihre typische Art das Verdammungsurteil über den zügellosen Peer«, bemerkte Prudence. »Mit geradezu religiöser Inbrunst wird hier die Verurteilung seines schändlichen Verhaltens gefordert, während man die Leser mit skandalösen Details in wohlige Erregung versetzt.« »Genau, was wir uns erhofft hatten«, sagte Chastity. »Und just vier Wochen nach Erscheinen des ersten Artikels in The Mayfair Lady. Damals wurde nur hinter vorgehaltener Hand hin und wieder geflüstert, und gelegentlich trafen Barclay böse Blicke sittenstrenger Damen der Gesellschaft. Sein Freundeskreis aber scherte sich keinen Deut darum, und er selbst ignorierte den Artikel anscheinend völlig. Ich dachte schon, es wäre inzwischen Gras darüber gewachsen. Aber wenn die breite Öffentlichkeit und die Klubs und Salons davon Wind bekommen, wird es für ihn ein echtes Spießrutenlaufen.« »Ja.« Prudence gab ihr Recht, doch es hörte sich ein wenig unsicher an. Sie öffnete ihre Handtasche und zog den amtlich wirkenden Umschlag heraus. »Der war in der Post.« »Was ist das?« »Sieht aus, als käme es von einer Anwaltskanzlei.« »Ach.« Chastity nahm den Umschlag und drehte ihn um, als könne sie intuitiv seinen Inhalt erkennen. »Ich glaube, wir müssen ihn öffnen.« Prudence reichte ihr ein Papiermesser, mit dem sie den Umschlag aufschnitt. Sie zog den dicht beschriebenen Bogen Büttenpapier heraus und fing an zu lesen, wobei Prudence ihr über die Schulter guckte.
»Ach, verdammt!«, stieß Prudence hervor, als sie fertig war. Trotz der schrecklichen juristischen Fachausdrücke war der Text nicht miss zu verstehen. »Warum verklagt Barclay uns - oder vielmehr The Mayfair Lady wegen Verleumdung und nicht die Patt Mall Gazette?«, fragte Chastity verwundert. »Die ist doch viel schlagkräftiger als wir.« »Die Gazette ist ja erst heute erschienen«, erwiderte Prudence finster. »Unsere Salve wurde schon vor einem Monat abgefeuert. Er hatte vier Wochen Zeit, um die Klage einzubringen. Hat er damit Erfolg, kann er auch gegen die Gazette vorgehen. « »Also... was unternehmen wir?« Chastity nagte an ihrer Unterlippe, als sie den Brief noch einmal las. »Hier steht, dass die Anwälte für ihren Mandanten die höchstmögliche Entschädigung fordern. Was soll das heißen?« »Keine Ahnung... nichts Gutes, das steht fest.« Prudence versank in den Tiefen des Chesterfield-Sofas und streifte ihre Schuhe ab. »Wir brauchen jedenfalls Rat und Beistand.« »Wir brauchen Con.« Ihre Schwester hockte sich auf die Armlehne des Sessels und kreuzte die Beine, wobei ein Knöchel unruhig gegen die Ecke des Sofatisches trommelte. »Was wohl Max davon hält?« »Seiner Karriere wird es sicherlich schaden, wenn bekannt wird, dass seine Frau den Originalartikel verfasst hat«, stellte Chastity düster fest. »Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht bekannt wird... auch unseren Unternehmungen zuliebe, aber ich wüsste nicht, wie wir es vor Max geheim halten könnten.« Prudence nahm den Brief vom Tisch, auf den Chastity ihn hatte fallen lassen. »Ach, das hier unten habe ich übersehen... Zusätzlich zu den Verleumdungen die Beziehungen unseres Mandanten zu seinem Personal betreffend, fordern wir die Höchststrafe wegen zu Unrecht erhobener Vorwürfe bezüglich des Finanzgebarens unseres Mandanten.Grausam sei, kühn und entschlossene, zitierte Chastity mit geballter Faust. »>Und spotte lachend Männermacht