Die Maske
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 115 von Jason Dark, erschienen am 09.10.1990, Titelbild: Sanjulian
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Die Maske
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 115 von Jason Dark, erschienen am 09.10.1990, Titelbild: Sanjulian
Er kam wie ein Gespenst. Bleich, blutig, und er war grausam. Begleitet von teuflischen Füchsen begann die Zeit des Terrors. Wo er auftauchte, hinterließ er Tote. Niemand wußte, wer dieser Killer war, denn sein wahres Gesicht verbarg er hinter einer scheußlichen Maske. Suko und ich wurden auf die Maske angesetzt. Die Spur führte ausgerechnet in ein Nonnenkloster. Zwischen alten Mauern, Kreuzgängen und einem unterirdischen Labyrinth aus Stollen und Tunnels jagten wir den unheimlichen Maskenkiller...
Nur das Keuchen war zu hören! Nicht das Rascheln der Blätter oder das Schleifen hastiger Schritte durch hohes Gras, dieses Keuchen durchdrang als einziges Geräusch die Stille der Nacht. Es drängte voran, es gab kein Hindernis, und es erreichte sehr schnell die unmittelbare Nähe des Ziels. Einen Opferplatz! Er lag mitten im Wald, wo das Gelände leicht abfiel und in muldenartige Vertiefungen mündete, die als Verstecke prima geeignet waren. Da hatte es vor Urzeiten ein Wunder gegeben, von dem nur wenige wußten. Keine Erscheinung einer Heiligen, nein, genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Der allmächtige Fürst der Finsternis und Herrscher der Dunkelheit war über dieses Land gefahren wie ein kräftiger Schatten und hatte eine bestimmte Stelle in seinen furchtbaren Besitz genommen. Noch heute waren Spuren vorhanden . . . Das Keuchen wehte über die sommerliche Vegetation hinweg. Es klang nun lauter, noch hektischer. Fast schien es, als wollten sich die Sommerblumen duk-ken, weil sie vor diesem schrecklichen Geräusch Furcht bekamen. Es hörte sich an, als wäre ein Mensch in höchster Not. Oder als wäre einer dabei, bis weit über seine Kräfte hinweg zu arbeiten und sich anzustrengen. Das alles kam zusammen. Aber wäre ein Zeuge in der Nähe gewesen, er wäre kaum auf den Gedanken gekommen, die Person zu suchen, die das Keuchen abgab. Dieses Geräusch weckte kein Mitleid. Es bereitete mehr Furcht, es war mit einer finsteren Botschaft zu vergleichen. Der Teufel holte scharf Luft und >spie< sie wieder aus. Sein Atem roch nach Pest, Schwefeldampfund Verbranntem. Noch war nichts zu sehen. Nur der dunkle Himmel über dem Land. Tiefblau, mit einem Stich ins Graue. Sterne funkelten um die Wette. Sie schienen in der Unendlichkeit versunken zu sein und hatten nur mehr winzige Löcher in den Himmel gerissen. Auch der Mond war zu sehen, wenn nicht gerade feine Wolkenschleier vor die Gondel trieben und sie verdeckten. Die kleine Lichtung strömte noch den Geruch des frühsommerlichen Tages aus. Eine Duftmischung aus Gräsern, Sommerblumen und jetzt — wie es kühler geworden war — würziger Luft. In sie hinein drang das Keuchen. Am nahen Waldrand verharrte es, hörte auf. Stille senkte sich über die Lichtung! Sekunden später war das Konzert der Grillen zu hören. Dieses Summen und Zirpen, ausgebreitet wie ein akustischer Teppich, der sich über das Areal gelegt hatte.
Dann änderte sich das Geräusch. Nicht mehr Keuchen oder heftiges Atmen, es war ein Knurren, das über die Lichtung wehte, und eine gefährliche Warnung zugleich. Da kam etwas . .. Die Halme bewegten sich, als sich das Etwas vorschob. Sie zitterten leicht, der Blütenduft nahm an Intensität zu. Er wehte wie ein starker Schleier. Auf einmal kam er! Eine Gestalt schob sich in die Höhe. Hochaufgerichtet schnellte sie auf die Lichtung zu. Ihre Sprünge wirkten grotesk, als wäre sie dabei, erst noch zu üben. Sie wischte durch das hohe Gras, trampelte Sommerblumen nieder, duckte sich noch tief, so daß kaum herauszufinden war, ob es sich bei ihr um einen Menschen oder um ein Tier handelte. Sie konnte beides sein ... Die langen Sprünge brachten sie bis auf die Mitte der Lichtung, wo ihr Ziel lag. Dort duckte sie sich, tauchte ein in das Gras und war erst einzige Zeit später wieder zu sehen, als sie sich hektisch bewegte und dumpfe Schläge ertönten. Erde flog in die Höhe, das Metallblatt eines kleinen Klappspatens blitzte auf. Große Erdbrocken, vermischt mit Gras, flogen zur Seite weg. Die Gestalt grub. Sie schuftete, sie arbeitete, denn vor dem Erreichen des Ziels hatten die Götter den Schweiß gesetzt, und das traf bei ihr wahrlich zu. Das Loch nahm an Größe und Tiefe zu. Dies innerhalb sehr kurzer Zeit, denn die Gestalt arbeitete mit einer kaum zu überbietenden Hektik und Kraft. Kein Profi hätte es schneller geschafft, innerhalb einer so kurzen Zeit ein derart tiefes und breites Loch in den Erdboden zu graben. Wer so hektisch arbeitete, der wußte von einem bestimmten Ziel, das versteckt im Boden lag. Es dauerte eine knappe Viertelstunde, da hatte er es geschafft. Das Spatenblatt stieß auf einen weichen Widerstand, der zusammenzuckte, als er berührt wurde. Lebte der Widerstand, den die starke Erde bedeckt hatte, möglicherweise? Davon ging auch die einsame Gestalt aus, obwohl diese Vorstellung schrecklich sein mußte. Das Spatenblatt wurde jetzt vorsichtiger geführt. Es stach nicht mehr so direkt in den Boden. Der angesetzte Winkel war flacher, die Lehmklumpen schabten über die glatte Fläche, viel weniger Erde türmte sich zu beiden Seiten der Mulde auf. Schließlich legte die Gestillt den Spaten zur Seite und tauchte selbst in die Grube. Ihre Hände wühlten weiter, sie räumten die Hindernisse zur Seite, die den vergrabenen Gegenstand jetzt noch einsperrten. Wenig später lag er frei.
Diesmal keuchte die Gestalt nicht, sie atmete tief und fest ein. In ihre Augen trat ein ungewöhnlicher Glanz, als würde sich darin das Licht des Mondes widerspiegeln. Noch tiefer drückte sie den Oberkörper in die Grube. Mit den gespreizten Händen griff sie zu. Zunächst fuhren sie über das feuchte glatte Fell des vergrabenen Gegenstandes, danach glitten sie an den Körperseiten herab und schoben sich unter den Bauch, und zwar so weit, daß dieses Tier auf den Unterarmen liegen konnte. Aus dem Mund der Gestalt drang ein Keuchen. Es floß in das Loch hinein, als wollte es dem dort Vergrabenen den nötigen Odem einhauchen. Ein Ruck lief durch den Körper. Die Gestalt hob den Gegenstand aus der Mulde hervor. Ein tiefes Seufzen durchwehte die Stille. Es klang so befriedigend, es war eine Belohnung, denn nach einer langen Jagd hatte es der Unbekannte endlich geschafft. Sehr vorsichtig, als könnte der Gegenstand zerbrechen, wurde er aus dem Loch gehoben und rechts zur Seite gelegt, neben dem kleinen Erdhügel. Die Gestalt drehte sich noch in der Hocke, schaute für einen kurzen Moment ihre Beute an und nickte. Sie hatte die richtige Stelle gefunden, und es war kein Traum mehr. Vor ihr lag der Fuchs! Ein relativ schmaler Körper, langgestreckt, versehen mit einem buschigen Schwanz. Der Fuchs lag auf der rechten Seite, die Pfoten von sich gestreckt. Er sah aus wie tot, aber das war er nicht. Die Gestalt nickte zugleich, während sie auch den Kopf schüttelte. Nein, nicht tot. .. Mit beiden Handflächen strich sie über das Fell. Sie reinigte es von den letzten Erdkrumen und Lehmbröseln, bevor sie den Fuchs herumdrehte und auf der anderen Seite das gleiche tat. Erst jetzt war sie zufrieden. Dann hob sie den Kopf des Tieres an. Die Schnauze war leicht geöffnet, zwischen den beiden Hälften schimmerten die Zähne perlmuttartig. Er hockte jetzt vor dem Tier und schaute gegen seine Augen. Waren sie tot? Lebten sie? Jedenfalls sahen sie dunkel aus wie zwei Tümpel und besaßen einen schwachen Glanz, ganz so, als wäre der Fuchs noch am Leben, obwohl er tief begraben worden war. Die Gestalt merkte genau, daß es kein normales Tier war, auf das ihr Blick fiel. Es besaß eine gewisse Kraft, trotz seiner Starre. Diese Kraft steckte tief in ihm, und sie war auch nicht von dieser Welt. Das stimmte.
Der rechte Arm bewegte sich, eine Hand verschwand unter der Kleidung. Sehr schnell wurde sie wieder hervorgezogen, und dann umklammerten die Finger ein Messer. Es war eine Klinge, wie es sie nicht oft gab. Jäger oder Wildhüter wurden mit ihr ausgerüstet, aber auch Fallschirmjäger, denn dieses Messer besaß zwei Schneiden, sah etwas plump aus, war nicht so elegant wie ein Stilett, aber für die Aufgabe genau das richtige Werkzeug. Dann setzte die Gestalt die Klinge an. Sie begann mit ihrer Arbeit in Höhe des Halses und fing an, die Gestalt des Fuchses zu häuten. Sehr schnell und zielsicher setzte sie die Klinge an, der das Fell kaum Widerstand entgegensetzte. j Die Gestalt arbeitete geschickt, als hätte sie nie etwas anderes getan als zu häuten. Eigentlich hätte der Boden mit dem Blut des Fuchses getränkt werden müssen, das wiederum geschah kaum. Zwar rannen hier und da Tropfen in das Gras, mehr geschah nicht. Der Fuchs sah so aus, als wäre er innerlich ausgeblutet, vielleicht sogar verbrannt, durch Kräfte, die anderen Angst einjagten. Die Gestalt ließ sich nicht beirren. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie das Fell vom Körper des Fuchses abgezogen, so daß vor ihr das rohe Fleisch lag. Doch auch nicht so, wie es hätte sein müssen. Kein dampfendes Blut, kein Geruch, abgesehen von einem leichten Gestank nach Schwefelgasen, was wiederum auf etwas anderes hindeutete. Nur der Kopf war nicht enthäutet worden. Dort spannten sich Haut und Fell noch über Schnauze und Knochen, und das beließ der Unbekannte auch so. Er kümmerte sich um den Rest des Fells. Mit der Außenseite nach unten lag das Fell im Gras. Mit dem Messer maß der Mann die bestimmten Stellen ab. Er markierte sie, maß noch einmal nach, nickte und lächelte ein böses, kaltes Lächeln. Die Größe stimmte. Dann setzte er das Messer an. Obwohl er seine Finger sehr hart um den Griff geschlossen hatte, sah es beinahe spielerisch leicht aus, wie er die Spitze durch das Fell zog und einen bestimmten Ausschnitt herausschnitt. Es war ein Rechteck, breiter als lang, und es war für ihn wie geschaffen. Aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren. Es hörte sich befriedigend an. Lange hatte er gekämpft und gesucht, endlich hatte er es gefunden. Seine weitere Existenz würde durch diesen Fuchs bestimmt werden. Einem Tier, das nur äußerlich so normal aussah, in seinem Inneren jedoch etwas besaß, das mit dem Begriff Seele nicht umschrieben werden konnte, sondern mit dem Begriff Teufelsatem.
Er legte das Messer zur Seite und hob das ausgeschnittene Stück Fell vorsichtig an. Er ließ es auf seinen ausgestreckten Unterarmen liegen, beugte sich vor und drückte seine Arme gleichzeitig in die Höhe, damit er das Fell sehr dicht an sein Gesicht bringen konnte, weil er dort die genaue Faßform suchte. Mit einem Ruck überwand er das letzte Hindernis und preßte das Fell vor sein Gesicht. Er hatte dabei die Augen geschlossen, wollte sich einzig und allein auf das Fell konzentrieren und spürte auch etwas von der Strömung, die es ausatmete. Es war eine ganz besondere Art. Nur sehr schwer in Worte zu fassen. Ein Duft von Tod und Grauen, der Atem einer fremden, sehr grausamen und bösen Welt. Ein Hauch von Hölle .. . Da waren Gerüche und auch Gedanken innerhalb des Fells vereint, die ihm bisher fremd gewesen waren. Er hatte von ihnen gehört, er hatte über sie gelesen, sich bisher aber nicht vorstellen können, daß dies alles einmal zur Wahrheit werden würde. Es stimmte, er hatte es hinter sich, er hatte es geschafft. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Kniend, den Oberkörper zurückgedrückt, so preßte er das Fell gegen sein Gesicht. Dann rutschten seine Hände daran entlang und drückten es im Nacken zusammen. So etwas Ähnliches wie eine Maske entstand . .. Die MASKE! Er hätte jubeln können, aber er beherrschte sich und konzentrierte sich auf die völlig neuen Kraftströme, die durch seinen Körper tosten, das Blut in Wallung brachten und dafür sorgten, daß er sich immens stark und kräftig fühlte. Das war noch nicht das Ende. Er stand erst am Beginn, denn es mußte noch viel getan werden. Nicht nur die andere Seite brachte etwas ein, er mußte ihr ebenfalls einiges von sich geben, und er wußte auch schon, was er der anderen Seite schuldig war. Das Fell ließ er wieder fallen. Noch war es zu frisch. Man mußte es behandeln, durch gewisse Lösungen ziehen, es mußte gegerbt werden, damit es eine bestimmte Geschmeidigkeit bekam. Das alles kam ihm in den Sinn, und er würde diese Arbeit auch nicht scheuen, weil sie einfach dazugehörten und seine weitere Zukunft stark beeinflussen würde. Dicht vor seinen Knien strich er das Fuchsfell wieder so glatt wie möglich. Dann griff er noch einmal zum Messer. Er tat es mit einer sehr verhaltenen Bewegung, als müßte er erst noch darüber nachdenken, ob es auch richtig war, was er machte.
Ja, es war richtig. Es gab keinen anderen Weg als diesen. Was hatte er schon zu verlieren? Nichts — er konnte nur gewinnen, wenn er sich auf die Seite des Schwarzen stellte. Der Mann beugte sich vor. Gleichzeitig hob er das Messer an, damit sich die Klinge seinem Gesicht nähern konnte. Er legte sie mit der Breitseite gegen die rechte Wange, dann gegen die linke, als wollte er die Kühle des Metalls spüren. Alles stimmte . . . Plötzlich drehte er die Klinge herum. Nicht mehr die breite, jetzt berührte die schmale, scharfe Seite des Messers seine Wangenhaut und bekam den nötigen Druck. Eine Wunde entstand. Wunden hinterlassen Blut. Da war auch bei dem Einsamen in dieser menschenleeren Gegend nicht anders. Der Mann sah, wie sein Blut aus den tiefen Schnittwunden tropfte und auf das Fell fiel, wo die einzelnen Tropfen sich ausbreiten konnten und zu blutigen Flecken wurden, die er mit seinen Fingerkuppen verrieb, damit eine möglichst große Fläche des Fells von seinem Lebenssaft getränkt wurde. Sein Blut und die unheimliche, uralte Kraft des Fuchses, da kamen die bestimmten Dinge zusammen, die einfach zusammenkommen mußten, um das Ziel zu erreichen. Es war für ihn wunderbar. Er lächelte, obwohl sein Gesicht brannte, als würden Flammen über die Haut streichen! Er hatte sich mehr als eine Wunde zugefügt. Das Blut konnte überall ins Freie quellen. Auf den Wangen, an der Stirn, am Kinn, nur die Lippen hatte er verschont beim Aufschneiden seines Gesicht. Es war der fast letzte Schritt gewesen, bis zu seiner Verwandlung. Wenn er das Fell behandelte und daran dachte, daß es mit seinem Blut getränkt war, gab es so gut wie keine Distanz mehr, um das zu werden, was er immer sein wollte. Die MASKE! *** Gibt es Engel? Oder anders gefragt: Engel — gibt es die tatsächlich? Natürlich gab es eine Definition des Begriffs, denn er stammte aus dem Griechischen von angelos — Bote. Im christlichen Glauben sind die Engel Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch. Als Boten Gottes werden sie zu den Menschen geschickt, um entweder etwas anzukündigen oder sie zu warnen. Es gibt unter den Engeln regelrechte Hierarchien, und die Frage, die ich mir stellte, war für mich relativ leicht zu beantworten, denn ich wußte, daß es Engel gab.
Schließlich waren an den Rändern meines Kreuzes die Anfangsbuchstaben der vier Erzengel eingraviert, und diese Wesen waren auch mir schon mehr als einmal zu Hilfe gekommen. Ich bin nicht der einzige, der sich die anfangs erwähnte Frage gestellt hat. Ein jeder von Ihnen wird sich mit diesem Problem schon einmal beschäftigt haben, und ein jeder mag wohl seine eigene Definition für den Begriff Engel gefunden haben. Feinstofflich, nicht körperlich, wundersame und wunderbare Wesen, Mittler zwischen Himmel und Erde. So ähnlich sah ich es auch, nur mußte ich mich jetzt selbst korrigieren, denn ich hatte einen nicht feinstofflichen Engel gefunden. Es war kein typischer >Hollywood-Engel Das war nicht die Äbtissin Clarissa. Im Beichtstuhl saß eine andere Person. Furchtbar anzusehen und fast nur aus einem Gesicht bestehend — eben die Maske! Christiana war dermaßen perplex, daß sie sich nicht rühren konnte. Sie blieb in ihrer knienden Haltung und starrte fassungslos auf dieses schreckliche Gesicht, das aus einer wulstigen, bleichen Masse bestand, durch deren Poren Blut sickerte. Nur die Augen waren als menschlich zu bezeichnen. Aber sie schauten die Novizin kalt und gnadenlos an, unter diesem schrecklichen Blick konnte man frieren. Darüber sah sie eine schwarzen Rand, die Krempe des dunklen Huts. Du mußt weg! Du mußt verschwinden! Du mußt fliehen! Diese Sätze hämmerten durch ihr Hirn. Es war ihr klar, daß es keine andere Möglichkeit gab. Um Hilfe zu schreien, hatte keine Sinn, sie . . . Da sah sie das Mesesr! Von unten hier war es in die Höhe geschoben worden und stand jetzt als breite blinkende Schräge vor dem häßlichen Gesicht der Maske. Ein Killer-Instrument, grausam und vernichtend.
Aus der Fläche des Gesichts drang ein zischendes und puffendes Geräusch. Die Novizin empfand es als widerlich. Ihr Gesicht verzerrte sich, sie wollte weg, da traf sie die Klinge. Es war überhaupt nicht schlimm, sie spürte nichts. Sie konnte sogar ihr Vorhaben noch durchführen und die kleine Nische an der Seite verlassen. Aber weshalb schwebte sie dabei? Warum hielt man sie in ihrem Rücken fest? Christiana wußte nicht, daß es der Vorhang war, der sie einwickeln wollte, weil sie ihn mit ihrem Gewicht samt Stange abgerissen hatte. Und sie begriff auch nicht, daß sie rücklings auf dem kalten Steinboden lag und gegen die Decke der Kapelle schaute. Warum das alles? Warum ...? Sie wollte doch weglaufen, entfliehen. Dann erreichte sie der Schmerz. Er war einfach furchtbar. Er raubte ihr das Denken, er nahm ihr die Sicht, denn die pechschwarzen Schatten verdeckten alles. Wa rum legte man ihr eine Decke über, warum . . .? Sie wollte die Decke fortschieben und schaffte es, die Arme anzuheben. So konnte sie ihre Hände sehen. Blut... sie waren voller Blut! Ihr Blut! Es war der letzte Gedanke im Leben der jungen Novizin. Die schwarzen Schatten vergrößerten sich und umfaßten sie mit ihrer alles bedeckenden Fläche. Aus, vorbei. .. Beim letzten Atemzug der jungen Novizin quoll Blut aus dem Mund und legte sich schaumig auf ihre Lippen... *** Es war nicht nur warm, sondern auch schwül geworden. Schon nach wenigen Schritten geriet ich ins Schwitzen, so daß ich froh war, den Schatten aufsuchen zu können. Ich fand einen Platz an der Klostermauer, wo wilder Wein schlangengleich hochrankte. Dort schaute ich den Nonnen hinterher, die ihrer täglichen Arbeit im Garten nachgingen. Es existierte ein fester Plan. Ein jeder mußte jede Arbeit tun. Man wechselte sich ab. Allmählich machte ich mir Sorgen um meinen Freund Suko. Er hätte eigentlich schon hier sein müssen. Er war ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte. Wenn er versprach zu fahren, dann fuhr er auch und wenn es tote Hunde regnete. Der Himmel war klar und sonnig. Möglicherweise war er auch im Verkehr steckengeblieben oder hatte andere Schwierigkeiten bekommen, hoffentlich keine schwarzmagischen.
Die Warterei fiel mir schwer. Auch das Wissen, daß etwas lauerte, uns etwas umgab, was nicht zu sehen und zu fassen war. Ich hoffte stark, daß die Äbtissin die Beichte der jungen Nonne sehr schnell hinter sich brachte und sich mir widmen konnte. Meine Gedanken drehten sich um die Urmauern des Klosters. Steckte dort möglicherweise des Rätsels Lösung? Verbarg sich da etwas, das man mit dem Begriff teuflische Rache bezeichnen konnte? Hatte die Maske dort ihren Ursprung gehabt? Davon konnte ich ausgehen, mußte es aber nicht, es war eine Möglichkeit unter vielen. Die kleine Kapelle sah ich von meinem Standort aus nicht. Ich wollte auch nicht länger in der Hitze stehen und betrat wieder die kühlen Räume des Kloster, wo ich die erste Nonne ansprach, die mir über den Weg lief. »Sagen Sie bitte, ob es hier noch ein zweites Telefon gibt?« »Nein, nur das im Zimmer der Ehrwürdigen Mutter!« Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich müßte ich telefonieren.« »Tun Sie es.« »Ohne Begleitung soll ich das Büro .. .?« Das Gesicht der Nonne verzog sich zu einem Lächeln. Zahlreiche Falten entstanden an den Augenwinkeln. »Warum denn nicht, Mr. Sinclair? Sie sind Polizist. Wenn Sie es nicht tun sollen, wer dann? Ihnen kann man doch trauen.« »Das schon, aber . . .« Die Nonne legte mir eine Hand gegen den Rücken. »Gehen Sie, Mr. Sinclair. Den Weg kennen sie ja. Und es ist auch nicht abgeschlossen, wir vertrauen uns.« »Okay, danke.« Das Büro der Äbtissin fand ich erst nach einigem Suchen. Die Gänge waren einfach zu weiträumig angelegt worden. Es hatte sich nichts verändert, das schwarze Telefon stand noch am gleichen Fleck. Der Schweiß auf meiner Stirn war mittlerweile kalt geworden. Ich nahm den Hörer mit spitzen Fingern hoch und wählte die private Nummer meines Freundes Suko. Dort meldete sich niemand. Dann rief ich unseren gemeinsamen Chef, Superintendent Sir James Powell, an. Wir hatten zwar Samstag, aber wie ich ihn kannte, befand er sich im Büro. Es stimmte. Sir James, pflichtbewußt, hockte hinter seinem Schreibtisch. Was hätte der alleinlebende Beamte auch sonst machen sollen. Er klang erfreut, als er meine Stimme hörte. »Wie kommen Sie voran, John?« »Nicht besonders. Ich trete auf der Stelle.« »Noch keine Spur?« »Das schon. Hat Suko Sie ...?« v »Ja, wir telefonierten kurz.« »Jetzt warte ich auf ihn.«
Sir James räusperte sich. »Ist er nicht da?« erkundigte er sich dann leicht erstaunt. »Richtig.« »Er wollte fahren, John. Noch brennt nichts an. Der Weekend-Verkehr hat schlimme Ausmaße angenommen. Es kann sein, daß er darin steckengeblieben ist. Ich an Ihrer Stelle würde mir keine allzu großen Sorgen machen.« »Mache ich mir auch nicht, Sir. Ich wollte mich eben nur noch einmal vergewissern.« »Das ist gut, viel Glück.« Ich legte den Hörer wieder zurück und schaute dabei durch das Fenster. Es war für mich nichts zu hören, aber zu sehen. Einige Nonnen standen aufgeregt beisammen. Zwei von ihnen weinten, eine dritte bekreuzigte sich, und an ihren Gesichtern erkannte ich, daß etwas Schreckliches geschehen sein mußte. Ich wollte raus, als ich vor der offenstehenden Bürotür hastige Schritte hörte. Dann taumelte eine ältere Nonne über die Schwelle, das Gesicht gerötet, kaum in der Lage, ein vernünftiges Wort zu sagen. Sie rang die Hände ineinander, stolperte auf mich zu. Ich fing sie ab und drückte sie auf einen Stuhl. »Mein Gott, was ist denn passiert?« Die Frau konnte kaum sprechen. Sie mußte mehrmals Luft holen, um einen halbfertigen Satz hervorzubringen. Der aber ließ mich innerlich zu Eis werden. »In der Kapelle liegt eine Tote . . .« Mehr brachte sie nicht hervor, weil ihre Stimme in Tränen erstickte. Ich stand für einen Moment bewegungslos. Meine Kehle wirkte wie umklammert. »Bitte . . . .?« Ich mußte das Wort mehrmals wiederholen, bevor die Nonne reden konnte. »Ja, in der Kapelle liegt eine Tote, Mr. Sinclair. Sie ist... sie ist aus dem Beichtstuhl.« Ich dachte sofort an die Äbtissin. »Clarissa?« »Nein, eine Novizin, Christiana.« Ich erinnerte mich an die noch junge Frau, die zur Beichte hatte gehen wollen. Nichts hielt mich mehr im Büro der Äbtissin. Ich rannte mit Riesensätzen nach draußen, verfolgt von den Blicken der Nonnen, in denen das Entsetzen lag. Es hatte sich blitzschnell herumgesprochen, was geschehen war. Irgendwo fühlte auch ich mich etwas schuldig, denn die Tat war praktisch in meiner Nähe geschehen. Die Hitze spürte ich ebensowenig wie die Kühle im Innern der Kapelle. Ich hatte nur Augen für die drei Nonnen. Eine davon war die Äbtissin. Sie saß in der letzten Bankreihe und hatte ihre Hand auf das klopfende Herz gepreßt.
Die tote Novizin nahm ich aus dem Augenwinkel wahr. Sie lag auf dem Rücken, nicht weit vom Beichtstuhl entfernt. Ihre helle Kleidung zeigte einen großen Blutfleck. . Die beiden anderen Nonnen machten mir schweigend Platz, als ich die Szene betrat. Ich beugte mich hinab zum Gesicht der Äbtissin. Die Frau hielt ihre Augen geschlossen. Die blasse Haut an den Wangen zitterten ebenso wie die Lippen, sprechen konnte sie nicht. »Bitte holen Sie ein Glas Wasser.« Eine der Nonnen verschwand, die zweite blieb zurück, vermied es aber, auf die Tote zu schauen. Da die Äbtissin momentan nicht ansprechbar war und meiner Ansicht nach dieser Zustand noch eine Weile dauern konnte, kümmerte ich mich um den Tatort und kam mir dabei vor wie ein einsamer Spurensucher. Der Novizin war nicht zu helfen. Ich schloß ihre Augen, weil ich diesen glasigen, erstarrten Blick nicht länger ertragen konnte. Auf meinem Rücken lag eine Gänsehaut. Einen Mord in der Kapelle erlebte ich nicht jeden Tag. Ich schaute mir den Beichtstuhl an. Das Fenster in der Mitte stand offen. Der Mörder mußte genau dort gesessen, es aufgedrückt und dann mit der Waffe zugestochen haben. Daß für mich als Täter nur die Maske in Frage kam, lag auf der Hand. Sie war also in die Kapelle gelangt, ohne sich abgestoßen zu fühlen. Diese Tatsache empfand ich als schlimm. Hier hatte das Böse also das Gute besiegt, weil letzteres nicht stark genug war. Warum gerade die junge Novizin? Gab es dafür einen besonderen Grund, ein bestimmtes Motiv? Oder hätte es auch jede andere treffen können? Überhaupt, was bezweckte der Täter mit diesem Mord, hatte er einen Grund gehabt, obwohl ich anders darüber dachte. Für mich gab es einfach keinen Grund, einen anderen Menschen zu töten. Ein junges Leben war radikal ausgelöscht worden. Das mußte ich als Tatsache hinnehmen. Wiederum spürte ich die Eiskörner, die über meinen Rücken rieselten. Die Gänsehaut verstärkte sich. Gleichzeitig legte sich der kalte Schweiß auf meine Handflächen, auch die Haare wurden naß, ich strich sie zurück. Spuren fand ich keine. Wie immer die Maske in die Kapelle hineingekommen war, sie hatte es wunderbar verstanden, die Spuren zu verwischen oder erst gar keine zu hinterlassen. Ich schritt auf den Altar zu und schaute mich hinter der schlichten Platte um. Es existierte keine zweite Tür, die in eine Sakristei geführt hatte. Man konnte die Kapelle tatsächlich nur durch einen Eingang betreten. Eine normale Messe zelebrierten die Nonnen sowieso nicht. Dazu wäre ein
Priester notwendig gewesen. Sie trafen sich in der Kapelle, um zu beten oder zu singen. Ich ging wieder zurück. Vom Eingang her fiel Licht in den Raum, weil die Tür aufgedrückt worden war und die Nonne mit einem Glas Wasser zurückkehrte. Ich war es dann, der ihr das Glas aus der Hand nahm und es der Äbtissin reichte. »Bitte, trinken Sie.« Clarissa mußte es mit beiden Händen umfassen, sonst wäre es ihr aus den Fingern gerutscht. Trotzdem schwappte noch Wasser über. Sie trank in kleinen Schlucken, weinte noch immer, trank und putzte anschließend ihre Nase. Ich stellte das leere Glas zur Seite und erkundigte mich, ob sie in der Lage war, Fragen zu beantworten. Die Äbtissin seufzte auf. »Das muß wohl sein«, flüsterte sie. »Wir haben beim erstenmal nicht die Polizei benachrichtigt, nur Sie. Werden Sie jetzt die Mordkommission einschalten, Mr. Sinclair?« »Das glaube ich nicht, Ehrwürdige Mutter. Der Mörder würde sich nur gestört fühlen.« Sie schaute mich lange an. »Dann wissen auch Sie, wer Christiana getötet hat?« »Die Maske.« »Ja, die Maske«, hauchte sie. »Es war die Maske.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber wer ist die Maske? Ist sie ein Mensch, ist sie ein Monster oder beides?« »Ein Dämon«, sagte ich. »Nein, nein, bestimmt nicht. Ein Dämon in unserer Kapelle. Wie ist das möglich?« Ich holte Atem. »Eine gute Frage, wirklich, Ehrwürdige Mutter. Im Prinzip hat das Gute gewonnen. Es begann am Beginn der Zeiten. Aber es istnichtderganz große Kampf zwischen den Teufel und den Kräften des Lichts. Alles hat sich verlagert, verstehen Sie? Es ist mehr ins Detail gegangen, es gibt die Kämpfe in den untergeordneten Regionen. Dort wechseln sich Siege und Niederlagen ab.« »Hier war es eine Niederlage.« »So sehe ich es auch.« Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Es war furchtbar«, sagte sie, »einfach schrecklich. Ich kam, um Christiana die Beichte abzunehmen. Ich gebe zu, daß ich mich verspätete. Wäre ich früher gekommen, hätte ich sie noch retten können . ..« »Oder Sie wären selbst tot gewesen.« • »Ja, Mr. Sinclair. Aber besser ich als dieses junge Leben. So aber fand ich sie. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Blut, es war grauenvoll. . .«
Die Stimme der Ehrwürdigen Mutter erstickte. Ich konnte mir vorstellen, was sie durchgemacht hatte. Mir wäre es in diesem Fall auch nicht anders ergangen. Wieder fiel Licht in die Kapelle, als jemand die Tür öffnete. Diesmal betrat ein bekanntes Gesicht die kleine Kirche. Es war Schwester Innocencia. Zuerst schaute sie mich an, dann wanderte ihr Blick und blieb an der Toten haften. Die junge Nonne ging nicht mehr weiter. Aus der Distanz schaute sie auf die Leiche. Dann schwankte sie, aber sie fiel nicht. Mit Zitterschritten kam sie zu uns. »Ich habe es gehört«, hauchte sie. »Ich habe es gehört und konnte es kaum glauben. Jetzt. . . jetzt sehe ich es mit eigenen Augen. Sie lebt nicht mehr.« »Ja, die Maske.« Innocencia preßte die Hand gegen ihre Lippen. Nur die klaren Augen waren zu sehen. Ihr lagen Fragen auf der Zunge, nur traute sie sich nicht, diese zu stellen. Dann kümmerte sie sich um die Äbtissin. Sie umarmte die Frau und flüsterte ihr Trost zu. »Wir werden es schaffen, Ehrwürdige Mutter, ja, wir werden es schaffen. Es darf nicht siegen. Das Böse darf nicht Überhand gewinnen.« Dabei schaute sie mich an, sie erwartete Zustimmung und sah mein Nicken. »Es ist aber so schwer«, murmelte die Äbtissin. »Es ist einfach furchtbar, verstehst du?« »Was können Sie tun, John?« »Ich bleibe bei meinem Plan. Ich werde in die Tiefen des alten Klosters hineinsteigen.« »Ist sie dort?« fragte Innocencia. »Die Maske?« »Ja.« »Möglich, daß ich sie dort finde. Zumindest aber rechneich mit einem Hinweis.« Mit der nächsten Frage wandte ich mich an alle Anwesenden. »Hat denn niemand etwas gesehen? Ist keinem etwas aufgefallen? Es muß doch möglich gewesen sein . . .« »Keinem«, sagte eine der Nonnen. »Die Kapelle liegt etwas abseits. Man kann auf verschiedenen Wegen zu ihr gelangen. Sie sind nicht alle gut einsehbar.« »Das hat die Maske gewußt«, sagte Innocencia. »Leider.« Die Äbtissin streckte ihre Arme vor, weil sie sich abstützen wollte. »Es hat keinen Sinn, wenn wir hier in der Kapelle bleiben und diskutieren. Wir müssen etwas unternehmen. Wir haben zwei Schwester verloren, das sind genau zwei zuviel. Es ist einfach schlimm gewesen, so furchtbar, wenn Sie verstehen . . .«
»Es bleibt bei meinem Plan«, sagte ich. »Wie geht es Ihnen, Ehrwürdige Mutter? Können Sie allein gehen?« »Ich versuche es.« »Ich werde Sie stützen«, sagte Innocencia, was die Äbtissin mit einer dankbaren Kopfbewegung quittierte. Normalerweise hätte ich mich darum gekümmert. Meine Aufgabe war eine andere. Ich wollte die Tote nicht vor dem Beichtstuhl liegenlassen. Diese Stelle fand ich irgendwie unwürdig. Deshalb ging ich hin und trug sie zum Ausgang. Sie war nicht schwer. In meinem Gesicht regte sich nichts, als ich mit der Toten die Kapelle verließ. Der Schauer lag wie eine Eisschicht auf meinem Rük-ken, zog sich hoch über das Gesicht und erreichte sogar die Kopfhaut. Die Nonnen hatten sich nahe der Kapelle versammelt. Sie bekreuzigten sich, als ich sie passierte. Die meisten von ihnen weinten. Es war fürmich ein schlimmer Weg. Mit einer Toten auf den Armen und dabei hineinschreiten in einen wunderschönen Morgen. Im Kloster führte man mich in das Zimmer der Toten. Dort legte ich sie auf ihr Bett nieder. An der offenen Tür standen Nonnen und schaute mir zu. Ich drehte mich um und suchte die Äbtissin. Sie war nicht da. Auf meine diesbezügliche Frage wurde mir erklärt, daß ich sie in ihrem Büro finden konnte. Dorthin führte mich der nächste Weg. Clarissa saß wie eine Steinfigur hinter ihrem Schreibtisch, versunken in Gedanken und mit einer bleichen Haut, bei der die verweinten Augen besonders auffielen. Ich blieb vor dem Schreibtisch stehen. Sie sah mein Nicken, hob den Kopf an und sagte: »Sie sind gekommen, damit ich Ihnen den Platz zeigen kann.« »So ist es.« Die Äbtissin nickte, bevor sie sich erhob. »Dann bitte, Mr. Sinclair. Ich glaube, daß jede Sekunde wichtig ist.« »Das meine ich auch.« »Und Sie wissen genau, auf was Sie sich da eingelassen haben?« »Darauf können Sie sich verlassen, Ehrwürdige Mutter. Ich bin in diesem Geschäft kein Neuling.« »Wer ist denn Ihr Gegner?« »Das Böse allgemein. Das bekämpfe ich. Daraufhabe ich einen Eid geleistet.« Sie erhob sich mühsam. Und ebenso mühsam gestaltete sich ihr Lächeln. »Es ist gut, daß es Menschen gibt, die so denken und auch handeln, Mr. Sinclair.«
»Danke.« Die Äbtissin war noch sehr schwach auf den Beinen, deshalb reichte ich ihr meinen Arm, den sie in Ellbogenhöhe umklammerte, mit einem sehr sicheren Griff. »Wir müssen es schaffen, Mr. Sinclair. Wir müssen es einfach!« »Keine Sorge. Ich werde den Killer stellen.« »Sie besitzen ein großes Gottvertrauen, das ist gut.« »Und ein mächtiges Maß an Optimismus, Ehrwürdige Mutter. Das kommt noch hinzu.« »Beides ist in unserer heutigen Zeit sehr wichtig. Leider gibt es nicht viele Menschen, die so denken.« Unsere Unterhaltung schlief ein. Ich dachte wieder an Suko, der noch immer nicht eingetroffen war. Um ihn konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Die Äbtissin hatte wirklich recht gehabt. Wir durften keine Zeit mehr verlieren. Innerhalb der Mauern war sämtliches Leben erstarrt. Wir hörten kaum noch Stimmen. Das Entsetzen hatte sich bleiern zwischen die Mauern gelegt. Im Angesicht der schlimmen Vorgänge traute sich niemand, auch nur lauter zu reden. Die Äbtissin atmete schwer. Auch sie oder gerade sie drückten die schweren Sorgen. Sie führte mich durch einen langen Gang in Räume, die nicht bewohnt waren. Sie drückte eine voluminöse Tür auf, und wir betraten gemeinsam einen großen Raum, der zwei Fenster besaß, die sich gegenüberlagen. Ein für das Kloster ungewöhnlicher Geruch umgab mich. Es roch kühl, nach Staub und auch nach alten Möbeln, die an den Wänden standen. Dunkle Schränke, einer davon nur so hoch wie eine Kommode, der andere reichte fast bis zur Decke. »Ist es hier?« fragte ich ein wenig skeptisch. Die Äbtissin nickte. »Sie müssen den Teppich hochnehmen. Der Eingang ist darunter verborgen.« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Das klingt ja richtig geheimnisvoll.« »Ist es auch. Wir haben im Prinzip vergessen wollen, daß dieses Kloster zum zweitenmal aufgebaut wurde, nachdem man es zerstört hatte.« »Gab es einen Grund?« Sie hob die Schultern. »Gerüchte. Das Kloster wurde niedergebrannt, weil sich hier Dinge abgespielt haben, die mit dem normalen Leben der Nonnen nicht zu vereinbaren waren, wenn Sie verstehen. Ober muß ich in Details gehen?« »Nein, man liest in letzter Zeit viel über die Vergangenheit der Kirchenfürsten und der Klöster.« »Auch wir wollen die Augen nicht vor unserer Geschichte verschließen, Mr. Sinclair.« Ich hatte mich gebückt und den Teppich an einer Seite angefaßt. Zum Glück stand kein Möbelstück auf ihm, der ihn beschwert hätte. Ich rollte
ihn weiter auf und wunderte mich wieder einmal, wie schwer ein Teppich war, der gar nicht so wirkte. Wie überall im Kloster bestand der Boden auch hier aus dunklen Steinen. Bis auf eine Ausnahme. Die alte Luke in der Mitte mit dem schmalen Griff, in den ich soeben noch meine Finger hineinschieben konnte. »Das ist er!« flüsterte die Äbtissin. »Ja, das ist der Zugang. Er ist noch ebenso wie früher. Nichts hat sich verändert. Ich sehe ihn erst zum zweitenmal. Zum erstenmal hat ihn mir meine Vorgängerin gezeigt. Es ist wie ein Wunder.« Ihr Zeigefinger zitterte, als sie auf die rechteckige Luke deutete. »Darunter, Mr. Sinclair, liegt eine andere Welt, die sie mit der, in der wir jetzt stehen, überhaupt nicht vergleichen können.« »Was ist anders?« »Sie werden keinen Menschen finden. Altes Gemäuer, von dem ich nicht weiß, ob noch alle Wände stehen. Rechnen Sie damit, daß einige von ihnen eingestürzt sind, auch die Decken.« »Davon gehe ich aus. Ich hoffe nur, daß ich den Killer mit der Maske auch dort finde.« »Dann werden Sie kämpfen müssen, Mr. Sinclair. Vielleicht auch töten. Denken Sie daran?« »Sehr oft.« »Es gibt Menschen, denen es sogar Spaß macht, andere zu töten. Bei Ihnen kann ich mir das nicht vorstellen.« »Sie haben recht.« »Und wenn es kein Mensch ist, der sich dort unten möglicherweise aufhält?« »Bei einem Dämon bin ich gezwungen, meine persönlichen Skrupel über Bord zu werfen, Ehrwürdige Mutter. Es gibt Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Dämon.« »Das weiß ich.« Sie trat dicht an mich heran und segnete mich. »Möge der Herr Sie beschützen«, flüsterte sie. Bei ihren Worten rann mirein Schauer über den Rük-ken, den ich nicht stoppen konnte. Ich bückte mich und schob die zusammengelegten Finger meiner rechten Hand in den Griff. Das kühle Metall hatte leicht Rost angesetzt. Beim ersten Versuch schaffte ich es noch nicht, die Klappe anzuheben. Sie klemmte an den Seiten. Ich strengte mich mehr an, hörte die leisen knirschenden Geräusche und sah auch den Staub, der aus den Ritzen hervorquoll. Beim Hochheben rissen die Spinnweben, die sich festgesetzt hatten. Die Luke wurde durch keine Klammern oder Bügel gehalten. Ich konnte sie ganz von der Öffnung wegziehen und sie danebenlegen. Jetzt war der Einsteig frei, aus dem mir ein Geruch entgegendrang, der an Grab und tiefe Vergessenheit erinnerte.
Meine Befürchtung, in die Tiefe springen zu müssen, verschwand, als ich die Treppe sah. Uralte Stufen, längst nicht mehr so verhanden, wie sie ursprünglich gewesen waren. An vielen Stellen ge- oder angebrochen und mit einem Staub bedeckt, der im Laufe der Zeit Feuchtigkeit angesammelt hatte und zu einer dunklen schmierigen Masse geworden war, die auch die Stufen glatt machte. Ich leuchtete hinein. Spinnweben flitzten im scharfen Strahl der Lampe. Käfer und anderes Kleingetier wurden aufgeschreckt und verschwanden blitzschnell in schmalen Spalten und Ritzen, wo sie nicht mehr zu sehen waren. »Das ist eine Hölle, Mr. Sinclair, in die Sie hinabsteigen«, flüsterte die Äbtissin. »Eine gefährliche Hölle, die nicht jeder überstehen kann. Ich aber traue es Ihnen zu.« »Danke.« Ich drehte mich um, lächelte sie an und sie lächelte barmherzig zurück. »Noch einmal, der Herr sei mit Ihnen.« Dieser Wunsch begleitete mich auf dem Weg in diesen uralten Teil des Klosters, wo angeblich das Böse in Gestalt des teuflischen Maskenmörders lauern sollte... *** Die Äbtissin stand wie eine Säule neben der offenen Luke, die Augen gesenkt, den Blick in die Tiefe gerichtet, die ihr eine bedrückende Angst einjagte. Aus diesem Loch wehte der Geruch der Jahrhunderte. War es ein guter oder ein schlechter? Sie wußte es nicht, sie gab aber ehrlich zu, daß sie sich nicht getraut hätte, in diese Tiefe zu steigen, obwohl sie als sehr couragiert bekannt war. Die Gestalt des Oberinspektors wurde von der Dunkelheit geschluckt. Nur mehr der feine Lampenstrahl war zu sehen, dann schlug er einen scharfen Bogen nach links, als der Mann in einem Stollen verschwunden war. Die Frau hatte ihre Hände gegen die Wangen gelegt gehabt. Jetzt ließ sie die Arme langsam sinken und spürte plötzlich, wie etwas in ihr hochkroch oder sich ausbreitete, für das sie keine Erklärung fand, weil sie es dermaßen intensiv noch nicht erlebt hatte. Es war wie eine beklemmende Kälte, die ihren Körper umfaßte und immer mehr zudrückte. Warum? Clarissa stand da und dachte darüber nach. Sie konnte den Grund nicht so rasch finden, doch aus heiterem Himmel hatte sie diese Gefühlsanwandlung bestimmt nicht überkommen. Da war etwas . ..
Es gelang ihr, die Gedanken von John Sinclair weg-zurichten und sich auf sich selbst zu konzentrieren und natürlich auf ihre Umgebung, die ihr vorkam wie in eine drückende Stille eingepackt, die sich immer mehr verengte, als würden sich die vier Wände des Zimmers aufeinander zubewegen, um sie zu zermalmen. Das war schrecklich . . . Aber herrschte tatsächlich die absolute Stille? War da nicht noch etwas anderes? Nicht im Raum, nein, außerhalb und wahrscheinlich draußen im Gang. Sie lauschte noch konzentrierter, und dann vernahm sie das unheimliche Geräusch. Eigentlich war es natürlich, in ihrem Fall allerdings flößte es ihr Angst ein. Eine Mischung aus Atmen und vorsichtig gesetzten Schritten, wobei die Sohlen noch über den blanken Boden hinwegschleiften, als würde der Ankömmling schlurfen, weil er nicht mehr die Kraft besaß, die Beine anzuheben. Clarissa drehte sich nicht um. Sie blieb stehen, und sie dachte daran, daß keine der Nonnen diesen Gang besaß. Da kannte sie fast jeden Schritt. Es gab nur eine Lösung! Ein Fremder mußte sich in den unmittelbaren Bereich des Klosters eingeschlichen haben. Wenn dem so war, gab es nur eine Lösung. Als Fremder kam der Mörder, die Maske, in Betracht! Als die Frau mit ihren Gedanken diesen Punkt erreicht hatte, durchstieß sie die Angst. Plötzlich fing sie an zu zittern. Sie dachte daran, um Hilfe zu schreien, aber wer hätte sie in diesem abgelegenen Teil des Klosters schon gehört? Zudem war auch John Sinclair zu weit weg. Clarissa fand nicht den Mut, sich umzudrehen. So blieb sie neben der Luke steif stehen und wartete darauf, daß dieser Kelch der Furcht an ihr vorbeigehen würde. Die Schritte und das widerlich klingende Keuchen waren lauter geworden. Ein Beweis dessen, wie nahe sich die unbekannte Person schon hinter ihr befand. Jetzt war sie da — und . . . Eine Hand legte sich schwer auf ihre rechte Schulter, als wollte sie die Frau in die Tiefe drücken. Die Berührung hatte sie tief erschreckt. Sie widerstand jedoch der Versuchung, sich umzudrehen und sich den Unbekannten anzuschauen. Clarissa wunderte sich selbst, woher sie die Kraft nahm, dies alles durchzustehen. Sie wehrte sich gegen den Druck und wartete zunächst nur ab.
Sekunden verstrichen. Für die Äbtissin eine lange, sehr dehnbare Zeit. Viele Gedanken durchzuckten ihren Kopf und formulierte sich zu einer Frage, die sie jedoch nicht stellen konnte, denn der Druck der Hand veränderte sich zu einem Ziehen, so daß die Frau nicht anders konnte, als nachzugeben. Der Unbekannte zog sie herum. Nicht schnell, nein, sehr langsam, beinahe gemächlich. Er ließ sich Zeit dabei, aber Clarissa kam sich vor wie in einem Kreisel. Ihr Blick glitt über die Wand, er streifte das Fenster mit dem hellen Sonnenlicht dahinter, fiel auch auf die Kommode und sah dann, was sie hatte sehen sollen. Das Gesicht! Die Äbtissin schrie. Allerdings nicht laut, sondern in Gedanken. Denn ein Gesicht sah sie nicht, sondern eine aufgequollene Masse, durchwebt von Blutfäden, weißlich blau schimmernd, aussehend wie eine Mischung aus Haut und Leder. Darüber der Hut mit seiner breiten Krempe und schwarz wie das Gefieder eines Raben. Und unter der Krempe schimmerten die Augen. Zwei Augen, ein Augenpaar, ein bestimmter Blick, eine bestimmte Farbe, die Ähnlichkeit mit der hatte, die die Äbtissin kannte. Himmel, das konnte nicht wahr sein. Das war ein Irrtum, eine satanische Täuschung. Diese Ähnlichkeit, diese ... Sie wollte es hinausschreien, das aber hatte auch die Maske befürchtet und gewußt. Plötzlich war der Schmerz da! So grauenhaft, so furchtbar und begleitet vom Geschmack des Blutes auf ihrer Zunge. Clarissa konnte es nicht mehr fassen, sie sah auch nicht, daß diese Maske eine Messerklinge in ihren Körper gedrückt hatte. Die Welt um sie herum verschwamm. Als ächzende Laute über ihre Lippen drangen, sank sie in die Knie. Das Messer war wieder aus ihrem Körper verschwunden. Sie preßte die Hände gegen die Wunde, fühlte die klebrige Nässe, und plötzlich wurde es ihr klar. Sie starb . . . Es war der letzte Gedanke der mutigen Äbtissin, bevor sie in das Reich des Todes hineingezerrt wurde. Dicht vor der Luke blieb sie zusammengekrümmt liegen. Die Maske reinigte die Klinge, ließ sie in der dunklen Kleidung verschwinden und zerrte den schweren Körper zur Seite, damit die Bahn frei war. Dumpf klingende Laute drangen hinter der Maske auf. Ungefähr dort, wo auch der Mund sein mußte. Die Maske sah es als ihren Triumph an. Es lief alles nach Plan. Die Mitwisser waren erledigt, jetzt konnte er sich um
den gefährlichsten Gegner kümmern, der sich im alten Teil des Klosters versteckt hielt. Dort aber kannte sich die Maske aus, denn diese unheimliche Umgebung war ihr Gebiet... *** Sukoe zuckte zurück, denn das Knurren über ihm war ihm Warnung genug gewesen. Er hatte sich dabei derart hektisch bewegt, daß er in dem engen Flur gegen die beiden Wilsons prallte, die zurücktaumelten und dabei eine Bodenvase umwarfen, die glücklicherweise nicht zerbrach. Der Inspektor hatte auch die Tür zugezogen, drehte sich um und schaute in die leichenbleichen Gesichter der Wilsons, die nicht in der Lage waren, einen Kommentar abzugeben. Suko nickte ihnen zu. Fr wollte zumindest erfahren, ob sie alles gesehen hatten. »Ja«, erklärte Wilson. »Ich habe es gesehen. Ich habe die Füchse erkannt. Sie sind hier. Sie haben uns eingekreist. Sie ... sie sind gekommen, um uns zu töten.« »Möglich.« Mrs. Wilson kam einen Schritt vor. Sie wirkte in diesem Augenblick wie eine Puppe, der ein Motor Leben eingehaucht hatte. »Polizist sind Sie, nicht wahr?« »Das kann ich nicht leugnen.« »Dann tun Sie was!« schrie die Frau. »Tun Sie endlich etwas gegen diese verfluchte Seuche!« »Ich werde mich bemühen.« »Und was wollen Sie tun?« fragte Duncan. Suko gab eine ausweichende Antwort. »Wir müssen herausfinden, was sie von uns wollen. Das allein zählt, das ist wichtig. Bisherhaben sie noch nicht angegriffen, sie haben das Haus umstellt, sie werden es . ..« Rita Wilsons Finger schnellten vor. »Sie, Inspektor, sind derjenige, auf den es die Füchse abgesehen haben. Durch Ihre Anwesenheit ziehen sie uns nur mit hinein. Verstehen Sie das, Mann? Der Besuch dieser Höllentiere gilt nicht uns, sondern Ihnen, auch wenn die Füchse das Haus umstellten haben.« »So dürfen Sie das nicht sehen, Mrs. Wilson. Schließlich haben die Tiere getötet. Sie brauchen nur durch den Ort zu gehen, da können Sie die Kadaver liegen sehen.« »Warum haben sie sich dann vor unserem Haus versammelt?« rief er laut. »Warum?« »Das weiß ich noch nicht.« Mrs. Wilson verzog die Lippen. Die Antwort verschluckte sie zur Hälfte. Dennoch hatte Suko herausgehört, daß sie für ihn und seinen Berufsstand nicht eben schmeichelhaft gewesen war.
Fr kümmerte sich nicht darum. Von der Küche her konnte er leider den Platz vor dem Haus nicht beobachten. Er fragte deshalb nach einem anderen Zimmer. »Der Arbeitsraum.« »Wo, Mr. Wilson?« Er winkte mit einer knappen Bewegung. »Kommen Sie!« Der Arbeitsraum entpuppte sich nicht als Büro, sondern war eine gut eingerichtete Hobby-Werkstatt, wo ein Fachmann schalten und walten konnte, wie es ihm gefiel. Das große Fenster war Suko beim Eintritt kaum aufgefallen, erst jetzt sah er, daß es nachträglich eingebaut worden war und einen Großteil der Wand einnahm. Wahrscheinlich deshalb, weil Mr. Wilson bei seiner Arbeit viel Licht brauchte. Er hielt sich selbst vom Fenster entfernt und blieb nahe der Tür stehen. Suko aber ging vor. Hinein in den stickigen Geruch aus Hitze und Holzteilchen. Zudem stank es nach Farbe. In einer Ecke standen frisch lak-kierte Holzteile, die in einem hellen Braun schimmerten. Suko sah seinen Wagen, auf dem die Strahlen der Sonne förmlich explodierten, und er sah natürlich die Füchse, wobei einer noch auf dem Dach hocken mußte. Im Geäst der Eiche wirkte das Tier mit seinen roten Augen tatsächlich wie ein gefährliches Monstrum, das nur auf seine Beute lauerte, um zuschlagen zu können. »Sind sie noch da?« fragte Rita Wilson, die die Werkstatt ebenfalls betreten hatte, aber an der Tür stehengeblieben war und sich nicht vortraute. »Ja doch!« »Hör auf, so mit mir zu reden, Duncan. Du weißt selbst, in welcher Klemme wir stecken. Warum verschwinden die nicht einfach, he? Warum laufen sie nicht weg? Auf was oder auf wen warten die eigentlich? Auf Sie, Inspektor?« Die Frage war von Mrs. Wilson nur so dahingesagt worden, doch Suko nahm sie ernst. »Das kann schon sein.« »Wie? was?« Er drehte sich um. »Ich glaube, daß diese Tiere tatsächlich auf mich warten.« »Jetzt bin ich baff!« flüsterte Duncan Wilson. »Völlig von der Rolle, ehrlich. Was wollen die denn dann, verdammt? Können Sie mir das sagen? Was wollen die?« »Ich weiß es nicht.« Auf die Lippen der Frau legte sich ein hinterlistiges Lächeln. »Ich hätte da einen Vorschlag zu machen, Mister. Gehen Sie doch einfach hinaus und probieren Sie es aus. Wäre das nicht am besten? Rausgehen und sehen, was geschieht.«
Suko nickte. »Das ist nicht schlecht. Sie werden lachen, das hatte ich vor.« »Und dann liegen Sie anschließend mit zerfetzter Kehle am Straßenrand, wie?« »Das ist mein Risiko, Mr. Wilson. Wenn Sie allerdings einen besseren Vorschlag haben, ich bin ganz Ohr.« »Nein, Duncan, den hast du bestimmt nicht. Laß den Bullen gehen. Laß ihn von hier verschwinden.« »Keine Sorge, Mrs. Wilson, ich werde auch gehen.« Suko blieb gelassen. Sie schämte sich plötzlich und senkte den Kopf, um auf ihre Füße zu starren. Suko passierte sie und schlug leicht auf ihre Schulter. »Nehmen Sie es nicht so tragisch, Mrs. Wilson. Ich kann Ihre Reaktion sehr gut verstehen! Wer nie mit außergewöhnlichen oder unerklärlichen Dingen konfrontiert wird, der muß einfach so handeln.« »Meinen Sie das ehrlich?« »Sicher.« Suko ging in den schmalen Flur und näherte sich abermals der Haustür. Die beiden Wilsons blieben zurück. Sie sagten auch nichts mehr, sondern warteten ab. Suko drückte die Klinke. Er zog die Tür noch nicht auf, sondern tat etwas, über das sich die Wilsons nur wundern konnten. Er zog seine Dämonenpeitsche, schlug einen Kreis über den Boden und ließ die drei Riemen ausfahren. Sie klatschten zu Boden, verteilten sich dort fächerförmig, und Suko steckte die Peitsche ausgefahren und mit dem Griff nach unten ziehbereit in den Gürtel. »Was haben Sie da getan?« Suko drehte sich um und lächelte Mrs. Wilson kantig an. »Damit werde ich die Füchse dressieren.« Es waren seine Abschiedsworte, denn sehr schnell zog Suko die Tür auf und war froh darüber, daß sie keine lauten Geräusche abgab. Dann huschte er nach draußen, obwohl er wußte, daß über ihm noch der Fuchs auf dem Dach lauerte. Nach drei Schritten drehte er sich um, wandte dem Fuchs seine Frontseite zu, aber das Tier rührte sich nicht. Es stand auf dem schrägen Dach, als hätte man es dort abgestellt. Die roten Augen waren auf den Inspektor gerichtet, der einzige Beweis für die magische Veränderung des Tieres. Suko wandte ihm den Rücken zu, weil er den Eindruck hatte, daß ihm von diesem Tier und den anderen dreien keine Gefahr drohte, denn keiner traf Anstalten, Suko anzugreifen. Zwei hatten seinen Wagen eingekreist. Sie bewegten nur ihre langen, buschigen Schwänze. Der
letzte Fuchs hockte im Baum, die Hinterläufe direkt in die Astgabel gestemmt. Was wollten sie? Aus dem Fenster an der Werkstatt schauten die Wilsons zu. Ansonsten sah Suko keinen Menschen im Freien. Die Leute wußten, was ihnen drohte, sie hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, um nicht Gefahr zu laufen, von den Tieren attackiert zu werden. Nur der Geruch von Blut und Verwesung, in der Hitze doppelt stark zu spüren, wehte über den kleinen Platz. Hinzu kam das Summen der zahlreichen Schmeißfliegen. Allmählich gewann Suko den Eindruck, daß die Füchse gar nicht die Initiative übernehmen wollten und es allein ihm überließen, wie es weitergehen sollte. Dieses träge Verhalten kam ihm schon mehr als komisch vor, und er beschloß, die Probe aufs Exempel zu machen. Mit möglichst ruhigen Schritten ging Suko auf seinen Wagen zu, schloß ihn auf, blieb noch davor stehen, weil er das Verhalten der beiden Tiere beobachten wollte. Sie taten nichts, blieben am Fahrzeug, auch in Sukos Nähe, hielten sich ansonsten zurück. Der Inspektor stieg ein, hämmerte die Tür zu und freute sich über die Kühle im BMW. Das Geräusch der zuschlagenen Tür war so etwas wie ein Signal gewesen. Mit einem geschmeidigen Sprung, der einem Panther zur Ehre gereicht hätte, löste sich der Fuchs aus der Eiche, landete am Boden und wartete auf seinen Artgenossen, den es nicht länger auf dem Dach hielt. Er stieß sich ab, landete sicher, rutschte aber mit ausgebreiteten Pfoten auf den Wagen zu. Jetzt standen die Tiere fast zusammen. Suko ließ den Motor an. Sofort geriet Bewegung in die Füchse. Sie hatten das Zeichen begriffen und fingen an, sich zu bewegen. Sie liefen vor wie brave Lämmer und nicht wie killende Bestien. Ihr Weg führte sie über den kleinen Platz hinweg bis hin zur Straße, wo sie sich drehten und dem Fahrzeug entgegenschauten. Ein Zeichen, das auch der Inspektor verstand. Die Tiere wollten, daß er auf sie zufuhr. Suko stufte das Verhalten der Füchse zwischen rätselhaft und lockend ein. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, hätte er mit dieser Entwicklung niemals gerechnet. Er dachte wieder nach, ließ den BMW sehr bedächtig anrollen und nickte, als er seinen Verdacht bestätigt sah. Die Tiere liefen nicht weg, sie blieben in seiner unmittelbaren Nähe und dicht am Fahrzeug.
Zwei von ihnen übernahmen die Führung. Auf der Fahrbahn blieben sie stehen, drehten die Köpfe, als wollten sie sich davon überzeugen, ob der Mensch ihnen auch folgte. Was Suko tat. Der Wagen rollte langsam weiter. Die Füchse waren zufrieden, sie liefen jetzt schneller, und zwar in die Richtung, aus der Suko auch in den Ort eingefahren war. 1 Sehr schnell hatten sie wieder die freie Fläche erreicht und auch die Abzweigung, an der eine Straße direkt zu dem Nonnenkloster hinführte. »Was wollen sie denn da?« sprach Suko mehr zu sich selbst. Dann hob er die Schultern und bog in den schmaleren Asphaltstreifen ein. Das flache Gelände war sehr übersichtlich. Bei seinem Rundblick erkannte Suko, daß sich in sichtbarer Entfernung kein weiteres Fahrzeug befand, das ihm auf den Fersen war. Die Umgebung lag wie ausgestorben in der schon mittäglichen Sonne. Die Klimaanlage arbeitete gut und beinahe lautlos. Suko gratulierte sich dazu, denn bei diesem Wetter war ein aufgeheizter Wagen mit einer Sauna zu vergleichen. Suko hatte die dunkle Brille aufsetzen müssen, um nicht geblendet zu werden. Die abgedunkelten Scheiben hielten das grelle Licht ab. Das Kloster konnte er nicht sehen. Es mußte nach der Biegung und hinter dem Waldstück liegen. Im Winter würde die Mauer sicherlich durch das kahle Geäst der Bäume schimmern, jetzt war von dem großen Bau nichts zu sehen. Die Füchse hatten sich auch nicht mehr um die weidenden Kühe gekümmert. Sie besaßen mittlerweile eine neue Aufgabe, indem sie dem BWM Geleitschutz gaben. Bis dicht vor dem Waldstück blieben sie auf der normalen Straße. Dann rannten die Tiere, die den Wagen direkt begleiteten, plötzlich vor und bogen in einen schmalen Feldweg ab, der sonst nur von Traktoren befahren wurde, wie an den Spuren im trockenen Boden deutlich zu erkennen war. Die Fahrt ging weiter. Nur nicht so bequem, denn der Weg war alles andere als eben. Gespickt mit Löchern, mit kleinen Buckeln, mit den eingedrückten Spuren und den Grasbüscheln tat er der Federung des BMW auf keinen Fall gut. Suko rollte nur im Schrittempo dahin, was den Füchsen nichts ausmachte, denn kein Tier lief schneller. Und so näherten sie sich dem Waldstück und rollten sehr bald in dessen Schatten. Wenn Suko es umfahren hatte, würde er das Kloster sehen können. So weit kam es nicht. Wie auf einen geheimen Befehl hin verließen die Füchse den Feldweg und liefen in das Gelände hinein, genau auf den dunklen Rand des Waldes zu, wo sie an einem bestimmten Punkt stehenblieben, mit ihren
Läufen kratzten, die Köpfe bewegten, als wollten sie Suko dazu auffordern, ebenfalls hinzukommen. Der BMW rollte aus. Im nächsten Augenblick verstummte der Motor. Suko wartete noch, beobachtete die Tiere, die nichts taten und nur warteten. Sollte er aussteigen? Bisher hatte alles geklappt. Für ihn gab es keinen Zweifel, das würde so bleiben. Die Füchse schienen ihre Angriffslust vergessen zu haben. Aber trauen wollte ihnen Suko nicht. Ihre roten Höllenaugen sprachen Bände, die jetzt, im Schatten, wieder deutlicher zu sehen waren, als im grellen Licht der Mittagssonne. Er ging das Risiko weiterhin ein und stieg aus. Nur flüchtig dachte er an seinen Freund John Sinclair. In der Nähe des Klosters befand er sich schließlich, womöglich führte sie der Fall auf verschiedenen Wegen zusammen. Der Wald roch. Es war ein guter, natürlicher und auch kühler Geruch, der Suko entgegenwehte. Er brauchte nicht bis zum Beginn des Unterholzes gehen, die Füchse hatten sich an einer anderen Stelle versammelt. Sie kreisten einen bestimmten Platz ein, einen kleinen Hügel, bewachsen mit dichtem Buschwerk. Suko blieb stehen, die rechte Hand auf den Griff der Dämonenpeitsche gelegt. Grillen zirpten im dichten Gras am Waldrand. Mücken summten und zeigten ihre bizarren Tänze. Die Füchse bewegten ihre Köpfe und scharrten gleichzeitig mit den Vorderläufen. Dabei deuteten sie auf eine bestimmte Stelle am Rande des Hügels, der für Suko nicht einsehbar war. Um etwas zu erkennen, mußte er das Buschwerk zur Seite drücken oder auch brechen. Er bückte sich nicht mit einem guten Gefühl, denn es war ein Risiko, den Tieren den Rücken zuzuwenden. Sie taten nichts, blieben ruhig. Suko hörte nur ihren hechelnden Atem, der schnell und keuchend aus ihren aufgerissenen Mäulern drang. Mit beiden Händen griff der Inspektor zu. So stark wie möglich bog er die Zweige zur Seite, ohne etwas anderes erkennen zu können als nur den normalen Boden. Dennoch machte er weiter, suchte auch an anderen Stellen nach, bis er plötzlich nach vorn fiel, weil er seine Hand zu stark gegen den Boden gepreßt hatte. Unter der Fläche hatte der Boden nachgegeben, war durch den Druck einfach weggebröckelt, und Suko war mit seinem Arm direkt ins Leere gestoßen. Hatten ihm die Füchse das zeigen wollen? Suko bohrte mit dem Arm nach, der bis zu seiner Schulter hin verschwunden war.
Kein Zweifel, die Füchse hatten ihm einen Stollen zeigen wollen. Suko zog den Arm wieder hervor. Seine Kleidung hatte bereits den Geruch angenommen. Nach Moder, nach Kühle, nach alten Mauern und auch nach Staub roch er jetzt. Unbeweglich wie künstliche Geschöpfe standen die vier Füchse auf dem Fleck. Suko hätte gern gewußt, wo der Stollen hinführte. Sicherlich wußten es die veränderten Tiere, nur konnten sie nicht sprechen. Der Inspektor ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Er fing an, den Eingang zu erweitern. Es war einfach. Durch Schläge mit der flachen Hand schleuderte Suko immer mehr Dreck und Stücke in die Tiefe hinein, und schon bald konnte er die Schräge sehen, die in die Erde hineinstach. Sie kippte nicht zu stark ab und war einigermaßen bequem zu laufen. Um sicher/.ugehen, leuchtete Suko hinein. Der dünne Lichtfinger verlor sich in der Finsternis. Er glitt zuvor über einen sehr schmutzigen und grauen Boden, bedeckt mit unterschiedlich großen Steinen, die sich von den Rändern und der Decke gelöst hatten. Das Loch war groß genug, um hineinkriechen zu können. Wenn er den Weg im Geiste verlängerte, konnte es durchaus sein, daß er unter dem Nonnenkloster ankam. Ein Gang also . . . eine Verbindung. Suko dachte nach. Er wußte zwar nicht viel, glaubte jedoch, der Lösung des Rätsels ein Stück nähergekommen zu sein. Und er zögerte nicht mehr. Füchse hin, Füchse her, er mußte es einfach wagen. Auf Händen und Füßen kroch der Inspektor durch die Öffnung in den Stollen. Bereits nach wenigen Yards konnte er sich aufrichten, ohne mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Er blieb stehen, drehte sich um, sah schräg über sich und etwas weiter entfernt das Loch des Eingangs. Genau dort malten sich Schatten ab. Vier Füchse drängten sich näher, um Suko wie eine lautlose gefährliche Meute zu folgen. Acht Augen leuchteten im kalten Höllenfeuer. Für Suko gab es nur mehr einen Weg. Den nach vorn! *** Mich hatte eine Tiefe gefangengenommen, durch den der Atem der Jahrhunderte wehte.
Ich ging einen derartigen Weg nicht zum erstenmal. Immer wieder beschlich mich dabei ein ungutes Gefühl, denn ich wußte nie, wo die unterirdischen Gänge und Stollen endeten. Mit der Lampe strahlte ich die Strecke ab, die vor mir lag. Viel veränderte sich nicht. Die altersschwachen Wände, die Steine auf dem Boden, die Feuchtigkeit, das Kleingetier, mal tauchte eine Nische auf, dann wiederum sah ich die Spinnwebennetze, groß wie Bälle, unter der Decke und an den Wänden kleben. Es war die Welt des Schweigens. Da hing die Dumpfheit zwischen den Wänden, und von einer normalen Atemluft war kaum zu sprechen. Der stark reduzierte Sauerstoffgehalt machte auch mir zu schaffen. Für jeden normalen Atemzug mußte ich zweimal Luft holen und hatte jedesmal das Gefühl, als würde ich den Staub der Jahrhunderte auf meiner Zunge schmecken und diesen Geschmack nicht wegbekommen. Ich hatte meine unsichtbaren Antennen ausgefahren und suchte nach einer Gefahr. Daß sie lauerte, stand für mich fest. Es gab einfach kein besseres Versteck für die Maske. Allerdings dachte ich auch darüber nach, wie es ihr gelungen sein konnte, überhaupt in diesen Stollen zu steigen. Wahrscheinlich nicht durch die Luke, die ich genommen hatte. Sie hatte so ausgesehen, als wäre sie all die Jahrhunderte nicht mehr benutzt worden. Aber nichts sprach dagegen, daß noch ein zweiter Einoder Ausgang existierte. Ich war in dem ersten Stollen geblieben und seiner Führung gefolgt. Einmal war ernach links weggeknickt. Jetzt lag wiederum diese lange Röhre vor mir mit der ziemlich niedrigen Decke, so daß ich gezwungen war, den Kopf einzuziehen, wenn ich nicht mit dem Schädel über die Unebenheiten hinwegkratzen wollte. Davon gab es leider genug. Die Decke zeigte an verschiedenen Stellen Risse und Löcher. Das darüberlic-gende Gestein drückte sich hervor. Scharfkantige Gebilde schauten in die Tiefe, und auf dem Boden lagen Trümmerstücke, über die ich hinwegsteigen mußte. Überall klebte Staub. Und weiter wanderte das Licht in die Finsternis hinein, in die Leere und über einen Boden, der leicht anstieg. Es blieb nicht bei einem Stollen. Nach einer Weile erreichte ich ein Gebiet, wo kleine Tunnels in verschiedene Richtungen hinführten und ich mir aussuchen konnte, wohin ich ging. Von der Höhe her waren sie gleich und auch mit Dreck und Steinen gefüllt. Einige von ihnen mündeten in Kellern, die allesamt leer waren. Wenn ich daran dachte, daß hier früher die Gründerinnen des Klosters gelebt hatten, wurde mir ganz anders. Jetzt sah alles verfallen aus, wie begraben.
Kopfschüttelnd suchte ich weiter. Verstecke für die Maske gab es genug, nur eben keine Wege. Allmahlich kamen mir Zweifel, ob ich mich überhaupt auf dem richtigen Dampfer befand. Möglicherweise war alles ganz anders, so daß ich nur umherlief und die Maske sich heimlich ins Fäustchen lachte, wobei die schon überlegte, wer ihr nächstes Opfer sein konnte. Damit mußte ich rechnen. Deshalb beschloß ich, hier unten nicht eine halbe Ewigkeit zu verbringen. Trotzdem war diese Umgebung nicht so langweilig wie der Gang durch den Stollen. Mir fiel ein Gitter auf, das von der Decke nach unten ragte und den Boden berührte. Verrostete Stäbe, zum Ende hin gekrümmt, sah es aus, als wäre es in der letzten Zeit bewegt worden. Ich untersuchte es, umfaßte die Stäbe, rüttelte daran und stellte fest, daß sie tatsächlich nicht so hart im Boden steckten. Ich konnte es vorziehen und wieder nach unten drücken, während ich über mir ein häßliches Knarren vernahm, als würde das Rostgitter jeden Augenblick zusammenbrechen. Ich drehte mich nach rechts und drückte mit der Schulter gegen das Hindernis. Es half. Ich war selbst überrascht, wie es sich plötzlich in Bewegung setzte, als es meinem Druck nachgegeben hatte. Es schwang nach innen, kratzte zwar noch über den Boden, aber es gab mir den Weg frei, um den Raum dahinter betreten zu können. Früher mußte er mal ein alter Keller gewesen sein, ein Verlies oder ein Vorratsraum. Noch jetzt standen dort die Reste der alten Truhen, wobei die Schlösser noch am besten in Ordnung waren. Das Holz war zu einer fauligen Masse geworden. Als ich darauf und dagegen trat, verschwanden einige Ratten. Die Tiere hatten sich in die Reste förmlich eingebuddelt gehabt und waren über einen Besuch nicht erfreut. Vier graue Körper huschten aus meiner Nähe und verschwanden in irgendwelchen Löchern. Mich plagte nicht nur das Kratzen im Hals, auch der Durst machte mir zu schaffen. Für ein Glas Wasser hätte ich einiges gegeben. Statt dessen schaute ich mich um und vergaß auch nicht, gegen die Decke zu leuchten, denn mir war etwas aufgefallen. Ein Luftzug hatte mein Gesicht berührt. Nicht so kühl und dumpf, mehr warm, fast schon stickig. Es war wie ein Hauch über die Haut geglitten und mir vorgekommen wie ein ferner Gruß aus der Oberwelt. Oberwelt? Automatisch erinnerte ich mich an meinen ersten Gedanken, als ich davon ausging, daß es noch einen zweiten Ausgang geben mußte. Jetzt, in der Tiefe der alten Klostermauern spürte ich diesen Hauch und duckte mich bei der Drehung.
Tatsächlich, da war etwas. Die alten Wände leuchtete ich sehr genau ab. Modriges, feuchtes Gestein, verklebt mit Dreck und Spinnweben, eine vorspringende Ecke, die zudem noch in einem rechten Winkel gebaut war, damit man sie nur von einer bestimmten Stelle aus betreten konnte, zog meine Aufmerksamkeit besonders stark an. Da mußte etwas sein .. . Ich ging vorsichtig weiter, weil ich auf alles gefaßt war. Die Beretta steckte locker in der Halfter. Ich würde sie mit einem blitzschnellen Ruck hervorziehen können, was allerdings nicht nötig war, obwohl ich mich an einem ungewöhnlichen Ort befand, mit dem ich hier unten wahrlich nicht gerechnet hatte. Nicht alles war zusammengebrochen, was einmal zu dem alten Kloster gehört hatte. Dieser Raum hier hatte so etwas wie einen Mittelpunkt des Gründungskloster gebildet. Es war rund, von seinen Seite zweigten Gänge ab. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht, die aussah wie Asche. Die feuchten Flecke dazwischen gefielen mir nicht. Sie sahen ziemlich frisch aus. Ich leuchtete sie direkt an. War es Blut — Menschenblut vielleicht? So genau war es nicht zu sehen, nur hatte ich das Gefühl, den Mittelpunkt erreicht zu haben. Wenn über das alte Kloster der Schatten der Hölle gefallen war, dann konnte es hier gewesen sein. Ich leuchtete auch weiterhin den Boden ab. An einigen Stellen lag die Staubschicht nicht so dick. Da sah sie aus, als wäre sie weggefegt worden. Ich schabte mit dem Fuß, leuchtete auch und legte die Gravierungen des alten Gesteins frei. Unter dem Staub hatte sich eine primitive Tierzeichnung verborgen. Beim ersten Hinsehen machte sie den Eindruck einer Hyäne oder eines Schäferhundes. Beim zweiten wußte ich es besser. Da holte ich die Umrisse eines Fuchses hervor. Ein Fuchs also! Ich schluckte hart, dachte an die Entdeckungen, die Innocencia und ich gemeinsam gemacht hatten, und fühlte mich durch diese hier unten gefundene Zeichnungen bestätigt. Schon das alte Kloster hatte unter der Magie der Füchse gestanden, die wiederum vom Teufel persönlich geleitet wurden, denn er hatte ihnen seinen höllischen Stempel aufgedrückt. Da paßte eigentlich alles zusammen, nur fehlte mir noch ein Stück der Verbindung. In der Oberwelt regierten die Füchse, hier unten ebenso! Und was lag dazwischen? Es gab nur eine Lösung — die Maske!
Wer war dieser geheimnisvolle Killer, der hier sein Unwesen trieb? Warum setzte er sich die Maske auf? Was verband ihn mit den Füchsen? Es standen einfach noch zu viele Fragen offen. Ich war ein Mensch, derauf Stimmungen abfuhr. Wenn mich nicht alles täuschte, dann würde ich hier unten der Maske begegnen. Ein Gedanke, der mir einen leichten Schauer über den Rücken trieb. Nicht allein aus der Furcht oder der Sorge geboren, ich war mittlerweile auch verdammt neugierig geworden. Ich wollte ihr zudem gegenüberstehen und dem Spuk ein Ende bereiten. Mochte sie auch hundertmal durch die Magie des Teufels infiziert sein, sie sollte nicht siegen. Fragte sich nur, wo sie sich verbarg? Das Zentrum, in dem ich stand, war wichtig. Ich hatte mich zudem über die Größe des unterirdischen Raumes gewundert. Das hier war eine Art Zentrale, in der sich die Magie konzentrierte. Mehrere Gänge zweigten von diesem Hauptraum ab. Wohin sie führten, wußte der Henker. Aus einem der dunklen Löcher aber vernahm ich ein Geräusch. Es waren keine Schritte, es war auch kein Schleifen, es kam mir vor wie ein hartes, kaum unterdrücktes Keuchen. Ich wurde sehr ruhig und kalt. Dann hob ich den rechten Arm so weit an, daß ich genau dorthin leuchten konnte. Der Strahl konzentrierte sich auf eine der Öffnungen, denn dort bewegte sich etwas. Ich ließ ihn an seiner schwarzen Kleidung entlanggleiten, bis ich die dicke, aufgepappte weiße Flache erwischte, in der das Blut geronnen war. Darüber zeichnete sich ein ebenfalls dunkler Schatten ab. Er, der Hutrand, interessierte mich nicht. Mein Blick galt einzig und allein der teuflischen Maske, die ich endlich gefunden hatte... *** Das Wissen tat gut. Ich atmete tief durch, über meine Lippen glitt sogar ein Lächeln, den ich freute mich über den Fund. Jetzt würde sie mir nicht mehr entwischen können. Ich suchte auch nach einer Waffe, sah keine. Das Messer mußte die Maske innerhalb der Kleidung verborgen haben. Ich ging vor. »Keinen Schritt weiter!« Der Befehl mochte mit einer hart und peitschend klingenden Stimme gesprochen worden sein, mich allerdings erreichte er nur mehr als ein dumpfes Gurgeln, so daß ich große Mühe hatte, ihn überhaupt zu
verstehen. Zudem hatte er mich dermaßen überrascht, daß ich meinen Schritt tatsächlich stoppte. Die Maske rührte sich nicht. Was immer sich für ein Gesicht unter ihr verbarg, eine Regung zeigte sich nicht. Selbst das Blut blieb geronnen auf der Oberfläche. Ich nickte ihr entgegen. »Okay, ich habe dich verstanden, Killer. Schließen wir einen Kompromiß. Ich werde nicht weiterkommen, aber dafür kommst du zu mir.« »Nein.« »Dann gehen wir beide«, schlug ich vor. »Jeder zwei Schritte. Wir treffen uns in der Mitte.« »Was bezweckst du damit?« »Ich habe noch Fragen, viele Fragen.« »Wer sagt dir, daß ich sie beantworten werde?« Ich lachte leise. »Den Gefallen wirst du mir doch erweisen, Mister Unbekannt. Es ist das alte Spiel. Auf der einen Seite der Killer, auf der anderen der Mann des Gesetzes. Zwei Pole, wie sie gegensätzlicher nicht sein können, und keiner weiß, wer den Sieg davontragen wird.« »Ich!« »Schön, akzeptiert. Wenn du dir dessen so sicher bist, dann wirst du mir die Fragen doch beantworten.« Die Maske überlegte. Ich ließ ihr Zeit und reizte sie auch nicht unnötig, denn ich hatte den Strahl der schmalen Lampe gesenkt, damit er nicht direkt in ihr Gesichtund damit in die beiden Augenschlitze stach. Nickte sie? Ich wußte es nicht genau und fragte deshalb nach. »Was ist, gehst du auf meinen Vorschlag ein?« Ich hatte es schon nicht mehr für möglich gehalten, aber die Maske nickte. »Ja, ich werde kommen, John Sinclair!« Fast hätte ich durch die Zähne gepfiffen. Der Killer zeigte sich gut informiert, er kannte sogar meinen Namen. Plötzlich fühlte ich mich wie ein Teil eines großen Puzzles, das nur nicht wußte, an welch einer Stelle es hingehörte. Was lief hier ab? Die Maske ging vor. Dabei löste sich der Körper aus dem Schatten der Ecke, aber viel konnte ich nicht sehen, denn er war ganz in Schwarz gekleidet. Sein Mantel erinnerte mich etwas an den kleinen Magier Myxin, den ich ebenfalls nur in diesem Kleidungsstück kannte. Bei den Gehbewegungen geriet er in Schwingungen, klaffte vorn sogar auf, so daß ich die Beine sehen konnte. Auch sie waren durch den dunklen Stoff einer Hose verhüllt. Eine Identifizierung war nicht mehr möglich. Ich ging ebenfalls vor, ungefähr mit der gleichen Schrittlänge wie die Maske. Da sie von mir nicht verlangt hatte, die Lampe auszuschalten,
ließ ich sie brennen. Unter unseren Füßen knirschte der Dreck. Ansonsten hüllte uns eine beklemmende, beinahe schon dumpfe Stille ein. Beide taten wir nichts, wir gingen nur. Ich rechnete damit, daß die Maske zum Messer greifen würde, doch auch da sah ich mich getäuscht. Sie blieb gelassen. Sie stoppte zuerst. Ich verhielt ebenfalls meinen Schritt. Zwischen uns befand sich ungefähr eine Distanz von einer Armlänge. Die Maske war kleiner als ich. Wenn sie mir ins Gesicht schauen wollte, war sie gezwungen, den Kopf ein wenig anzuheben. Ich blickte nach unten. Es zuckte mir in den Fingern, die Masse zu berühren, obwohl sich darin das Blut ausgebreitet hatte, doch ich beherrschte mich. Sie zu reizen, wäre unklug gewesen, denn ich wollte von ihr die Lösung des Falles. Ich blickte wie unter Zwang in ihr Gesicht. Diese Masse sah aus wie Leder. Ja, jetzt hatte ich den Begriff gefunden. Sie erinnerte mich an gegerbtes, zähes Leder. Nicht mehr an Käse oder dicken Quark, über den Blut floß. Ich schaute höher. Die Maske besaß Schlitze für die Augen. Durch die etwas schräg fließenden Blutstreifen wirkten sie so, als würden sie unterschiedlich hoch wachsen. Das alles kümmerte mich nicht. Fs war zweitrangig geworden, ich konnte es vergessen. Mein Blick konzentrierte sich allein auf die Augen hinter der Maske, und nur die Augen. Himmel, diese Augen, diese Pupillen. Ich ... ich hatte sie schon gesehen, ich kannte sie. Scharf saugte ich den Atem ein. Ich wollte etwas sagen, meine Stimme zerbrach. Die Maske mußte es einfach bemerkt haben. Meine Reaktion war zu auffällig gewesen. »Du weißt Bescheid?« Die Stimme identifizierte ich nicht. Sie klang einfach noch zu dumpf. »Ich . . . ich glaube . . .« »Dann schau«, sagte die Maske und zerrte das ab, was ihr eigentliches Gesicht bedeckte... *** Die Füchse waren hinter ihm her wie eisenharte Aufpasser und das wiederum gefiel dem Inspektor überhaupt nicht. Es ärgerte ihn, er hätte sie am liebsten zum Teufel gejagt, nur blieb das ein Wunschtraum, denn es waren die Füchse, die hier regierten und herrschten. Ihnen gehörte
diese unterirdische Welt. In den Stollen kannten sie sich aus, auch wenn der Eingang verschüttet gewesen war. Suko dachte nicht an einen Rückweg. Er hatte viel erlebt, nur war der Inspektor der Lösung des Falles noch nicht viel nähergekommen. Weiterhin lief er hinterher, und seinen Freund John Sinclair hatte er ebenfalls nicht gefunden. Aufrecht gehen konnte er nicht. Suko mußte sich ducken. Er sah, daß der Tunnel ein leichtes Gefälle besaß. Nicht sehr steil, doch ein Ball würde immer weiterrollen und nicht gestoppt werden, falls kein Hindernis im Weg lag. Die Luft war mit der draußen nicht zu vergleichen. Suko empfand sie als eine Zumutung, doch als Fatalist* mußte er durch, daran ging kein Weg vorbei. Manchmal, wenn der Weg frei war und er über Hindernisse hinweggeklettert war, schaute er sich um. Die vier roten Augenpaare blieben permanent hinter ihm. Einmal auf seinen Fersen wollten sie nicht aufhören und weiter am Ball bleiben. Der Stollen verengte sich noch mehr. Suko hatte den Eindruck, als würden die Wände zusammenwachsen. Wenn er sich zu stark nach einer Seite bewegte, schleifte er mit der Schulter und dem Arm oft genug an der rauhen Gangwand entlang, aus der kantige Steine hervorschauten. Ein Fuchs drängte sich vor. Suko hörte hinter sich das schnelle Aufklatschen der Pfoten, dann warder Körper schon neben ihm und drängte sich vorbei. Das Tier lief anschließend nicht mehr so schnell. Es behielt ein gewisses Tempo bei, als wollte es Suko zeigen, wie schnell er sich voranzubewegen hatte. Ein zweiter Fuchs huschte an ihm vorbei, die anderen beiden aber blieben hinter ihm. Suko kam sich vor wie jemand, der eingekesselt war. Die Füchse wollten in seiner Nähe bleiben, sie gaben keinen Zentimeter an Boden frei, sie waren die Führer und glitten in eine düstere, muffige und schaurige Welt hinein. Irgendwann und irgendwo mußte der Gang ein Ende haben. Suko rechnete mit einem zentralen Punkt, einer Stelle, wo die Maske auf ihn lauern würde. Er bemerkte die Unruhe der veränderten Füchse. Nicht daß sie gebellt hätten, wie man es von ihnen kannte, nein sie zeigten eine gewisse Nervosität. Sie huschten von einer Seite zur anderen. Die vorderen schauten auch mal zurück, um den Zweibeiner mit ihren roten Augen anzuglotzen.
* Fatalist ist jemand, der an die Vorherbestimmung glaubt.
Der Gang blieb nicht so eng. Suko verglich ihn mit einem Fluß, der manchmal breiter war, sich an gewissen Stellen wieder verengte, aber in seinem Bett blieb. Über die Körper der vor ihm laufenden Füchse leuchtete Suko hinweg und entdeckte das Hindernis, auf das der Lampenstrahl einen kleinen Kreis zeichnete. Eine Mauer, die den Weg versperrte. Dort blieben die Füchse stehen. Sie hockten sich hin und drehten ihre Körper, um Suko entgegenzuschauen. Er wurde von ihnen geführt und als er die Mauer erreicht hatte, konnte er sehen, daß es nur nach rechts ging, wo die Wand dann stufenweise aufgebröckelt war und sich dahinter wie ein riesiges schwarzes Maul eine große Höhle öffnete. War es das Zentrum? Suko hatte schon die Zeit über nachgedacht, wo er sich möglicherweise befand. Das waren nicht nur einfach Stollen, nein, in dieser unterirdischen Welt steckte ein gewisses System. Es sah aus, als wäre es von Menschenhand erschaffen worden. Möglicherweise hatten hier vor langer Zeit einmal Menschen gewohnt und sich dann später irgendwann — aus welchen Gründen auch immer — zurückgezogen. Wie dem auch gewesen war, Suko mußte sich den heutigen Gegebenheiten stellen, und das waren die Füchse, die allesamt die Mauer umrundet hatten und sich in der Höhle aufhielten, als hätten sie genau hier ihren Futterplatz. Es fiel durch keine Öffnungen Licht in die Tiefe. Helligkeit spendete einzig und allein Sukos Lampe, und der ließ den Strahl kreisen, weil er so viel wie möglich von seiner fremden Umgebung erkennen wollte. Den Füchsen paßte es nicht, wenn die Helligkeit sie streifte. Sie schraken jedesmal zusammen, wenn der Schein über ihre Augen huschte. Sie taten nichts. Suko rechnete zwar mit einem Angriff, aber die blieben auf ihren Wartepositionen. Die Umgebung faszinierte ihn. Je länger er sie durchleuchtete, um so größer wurde seine Überzeugung, daß hier vor langer Zeit jemand gelebt haben mußte. Ein Höhlenvolk? Das konnte Suko sich nicht vorstellen. Spuren der Zivilisation waren auch anhand der Bauweise zu erkennen. Die Mauern und Wände, von denen es Reste gab, brauchte Suko nur im Geiste zu vervollständigen, um so etwas wie Räume zu Zimmern entstehen zu lassen. Befand er sich vielleicht im alten Teil des Klosters? Möglicherweise in einem Keller in gefährlichen Katakomben, durch die noch der Atem der Vergangenheit wehte? Wenn er an den Weg dachte, der hinter ihm lag, konnte es durchaus möglich sein, daß diese Welt hier damals zum Kloster gehört hatte. Er
leuchtete in die Höhe. Als helles Schimmern tastete der Strahl über das Deckengestein. Suko entdeckte Risse, Mulden, kleine Vorsprünge, aber keinen Schacht oder keine Öffnung, durch die Luft geströmt wäre. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Die Füchse bewegten sich unruhig. Mit ihren Läufen scharrten sie über den Boden, senkten die langen Schnauzen oder hoben sie an, als würden sie etwas wittern. Suko sah auch die Schwänze, die ihm noch buschiger vorkamen, als sie ohnehin schon waren. Es tat sich etwas. Die Füchse besaßen ein besseres Wahrnehmungsvermögen als er. Bei ihm würde es noch seine Zeit dauern, bis er die Gefahr erkannte. Er wechselte seinen Standort und löschte die Lampe. Über ihm hing plötzlich der Sack der Dunkelheit. Suko erlebte, wie sich die Geräusche verstärken konnten. Er hatte den Eindruck, die Bewegungen der Füchse doppelt so laut zu hören. Um nicht so stören, atmete er selbst so flach wie möglich. Einen Beweis besaß er zwar nicht. Dem Gefühl nach ging er davon aus, daß sich was tun würde. Und er irrte sich nicht. Er hörte die dumpfen Laute, die ihm vorkamen, als wäre jemand dabei, mit aller Kraft seinen verräterischen Atem zu unterdrücken. Die Richtung konnte Suko noch nicht bestimmen. In dieser Höhle war es einfach zu schwer. Atmen und schleichen? Jawohl, da wurden Schritte gesetzt. Erst vorsichtig, dann mit den Sohlen schleifend. Sukos Daumen lag auf dem Kopf der Lampe. Er zögerte bewußt. Wenn er das Licht in die Dunkelheit schickte, wollte er auch sicher sein, daß es das Ziel erwischte und den anderen nicht verschreckte. Die Geräusche verklangen, weil andere sie überlagerten. Diesmal von den Füchsen, die ebenfalls ihre Stellungen wechselten, was Suko nicht gefiel, denn er rechnete auch damit, daß sie gewisse Angriffspositionen einnehmen würden. Auch er blieb nicht stehen. Dabei ging er wie ein Mensch mit verbundenen Augen, der über Hindernisse steigt. Erst einmal den Fuß hochstellen, nach vorn drücken, den Boden berühren, abrollen . . . Er blieb stehen, konzentrierte sich wieder auf das Neue, Fremde — und riskierte es. Scharf schnitt der Strahl durch die Luft. Wie ein Schwert, ein Messer, das sein Ziel traf. Direkt, denn Suko hatte Glück. Und gleichzeitig traf ihn die Überraschung wie ein Hammerhieb. Der Strahl erwischte ein Gesicht. Es war die Maske!
*** Bisher hatte Suko davon nichts gesehen, es nicht erlebt, nur darüber von seinem Freund John Sinclair gehört. Allerdings nicht detailliert, mehr als eine Annahme. Jetzt sah er sie vor sich! Sie war schlimm, sie war scheußlich. Obwohl Suko in seiner Laufbahn schon schrecklichere Anblicke hatte ertragen müssen, traf ihn dieser deshalb so hart, weil er so überraschend gekommen war und Suko sich auch keine direkte Vorstellung gemacht hatte. Diese helle weißbläuliche, mit Blut beschmierte Masse unter dem Rand des Hutes war einfach widerlich. Er hatte den Lichtstrahl so hoch gerichtet, daß er auch die Augen erfassen konnte. Sie waren nicht mehr als zwei gläserne Punkte innerhalb der Masse. Schiefsitzend, und mit dem ausgefüllt, was man als den bösen Blick bezeichnete. Der Böse Blick des Teufels! Suko schloß für einen Moment die Augen. Sein Hals saß zu. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Drohen, Schießen? Die Gestalt mit den nackten Fäusten bekämpfen? Eine sichtbare Waffe trug die Maske nicht bei sich, was aber nichts zu sagen hatte. Suko konnte kaum glauben, daß es ausgerechnet ihm gelungen war, die Maske oder den Killer zu finden. Dabei war er nur dem Verlauf des Stollens gefolgt und tatsächlich ins Zentrum gestoßen. Auch Suko mußte den Anblick verdauen. Die Maske strahlte etwas Unheimliches ab. Gleichzeitig ging von ihr ein scheußliches böses Versprechen aus. Wer war sie? Hätte Suko ein Kreuz besessen wie sein Freund John, so hätte er die direkte Probe aufs Exempel machen können. So aber blieb ihm die Beretta — und die Dämonenpeitsche. Die Maske tat nichts. Sie stand nur da, starrte ihn an. Die Augen bewegten sich dabei in der dicken, käsigen Masse. Sie waren wie kleine Räder, die jemand in Bewegung gesetzt hatte. Suko bewegte sich ebenfalls nicht. Erwartete auf eine Reaktion. Sie war gekommen, sie hatte sich gezeigt, als wollte sie auch etwas von ihm und nicht umgekehrt. Die Maske blieb starr. Keine Regung auf der Masse. Auch das Blut floß nicht mehr durch die schmalen Spalten. Es hatte sich bereits genug verteilt. Dann zuckte der Arm. Es war ein Huschen, mehr nicht, wobei die Hand über die dunkle Kleidung glitt.
Suko stieß sehr laut die Luft aus. Das Geräusch war noch nicht verklungen, als die Hand mit einem Gegenstand hervorkam, der in der Kleidung verborgen gewesen war. Ein Messer! Gewaltig kam es Suko vor. Wie ein erstarrter Schatten. Eine breite Klinge, versehen mit einem Griff, der in der behandschuhten Faust der Maske verschwand. Wenn Suko sich nicht sehr irrte, klebten sogar dunkle Flachen auf der Klinge, denn sie reflektierte das Licht der schmalen Lampe nicht überall. Blut des Vorgängers? Er schluckte, als er daran dachte. Schweiß stand plötzlich auf seiner Stirn. Wer ein Messer zieht, der will töten. Und hier gab es nur eine Person, die angreifbar war. Suko griff zur Beretta. Er hatte sich zu sehr auf die Maske konzentriert und war deshalb von den anderen Dingen abgelenkt worden. Darauf hatten die Füchse gewartet. Plötzlich sah er ihre roten Augen wieder. Vier Augenpaare tanzten vor ihm einen wilden Reigen, und ihm war klar, daß sie sich auf dem Sprung befanden... *** Sie stand vor mir, hielt die Maske in der Hand und ich sah ihr blondes Haar, das flach wie eine Perücke an ihrem Kopf klebte. »Überrascht, John?« »Ja, Innocencia!« Bei dieser Antwort hatte ich meiner Stimme einen festen Klang geben wollen, was mir leider nicht gelang. Irgendwo zwischen Kehle und Lippen versickerte sie. Es war für mich unfaßbar, die negativste Überraschung der letzten Zeit, und ich hatte Mühe, den Boden unter meinen Füßen zu bewahren. Eine Nonne war der Killer! Und nicht nur das. Sie steckte zudem mit dem Satan unter einer Decke, mußte sich mit ihm verbündet und alle anderen Nonnen getäuscht haben. Nicht daß in diesem Augenblick eine Welt für mich zusammenbrach, aber schlimm war es doch. So schlimm, daß ich auch weiterhin Mühe hatte, zu sprechen. Die Nonne und der Teufel! Oft genug ist dieses Bild gemalt worden. Von Atheisten, die sich darüber lustig machten, die sagten >Ich habe es schon immer gewußt«. Ich gehörte nicht zu diesen Menschen. Okay, es gab Ausnahmen, dafür waren alle fehlbar, mich schockte es nur, daß ich persönlich damit konfrontiert wurde. Und von einer jungen Frau, die mein vollstes Vertrauen gehabt hatte. Vertrauen bis ...
Ich konnte nicht mehr weiterdenken. Die Lampe zitterte, ich schüttelte den Kopf und atmete aus, als wollte ich ein Licht ausblasen. Es war einfach furchtbar, unglaublich, nicht zu fassen. Innocencia, die Maske — Innocencia war der Killer, der sein Gesicht versteckte. Sie hielt die Maske in der Hand, schwenkte sie dann etwas und ließ sie fallen. Mit einem dumpfen Laut landete sie auf dem Boden, wo sie als zusammengeschrumpftes Gebilde liegenblieb. »Du sagst nichts, John?« Sie duzte mich plötzlich. Mir war es egal, ich lauschte nur ihrer Stimme nach. »Es war eben zu hart«, flüsterte ich nach einer Weile. »Die Überraschung, verstehst du?« »Sicher.« »Warum?« keuchte ich und dachte daran, daß sie mir waffenlos gegenüberstand. Ich zog nicht die Beretta, es kam mir irgendwie lächerlich und dumm vor. »Warum?« flüsterte sie mir nach. »Du fragst, warum?« »Ist das nicht mein Recht?« Sie schüttelte den Kopf. Im Licht der Lampe sah ihr Gesicht mit der dünnen Haut fragil aus, als würde es im nächsten Augenblick mit einem leisen Klirren zerbrechen. »Ich warte auf eine Antwort.« Die bekam ich als Frage. »Was glaubst du denn jetzt, John Sinclair? Was glaubst du?« »Das, was ich sehe.« Sie runzelte die Stirn. »Es ist schade, daß Menschen immer nur das glauben, was sie sehen, John.« »Nein, rede nicht. Die Beweise liegen so verdammt klar auf der Hand, meine Liebe.« »Ich bin der Mörder!« »Was sonst?« »John« . . .« Sie schüttelte den Kopf. »John, es tut mir leid.« »Dann bist du es nicht?« »Richtig!« Ich schwieg, weil ich vor Überraschung nichts sagen konnte. Log sie, legte sie mich jetzt rein, wie ich selten zuvor reingelegt worden war? Ich wußte es nicht. »Denke nach, John!« »Worüber bitte?« »Über alles. Besonders über die Zeit, die wir am Grab des Fuchses verbracht haben.« »Klar, ich erinnere mich gut.« »Leider nicht gut genug. Wir sind in den Wagen gestiegen und weggefahren. Ich saß neben dir. ..« »Was soll das?« unterbrach ich sie schroff.
»Laß mich ausreden, bitte.« Ihre Stimme hatte einen kalten Klang bekommen. »Okay, rede weiter.« »Ich saß neben dir, John. Ich habe neben dir gesessen, denke daran. Dann sahen wir die Maske. Die Gestalt erschien plötzlich und war sehr schnell verschwunden. Kannst du dich wenigsten daran erinnern, John Sinclair?« »So schlecht ist mein Gedächtnis nicht.« »Schön. Nun müßtest du anders denken, mein Lieber. Kann ich die Maske tatsächlich gewesen sein, ich saß neben dir, den Killer abersahen wir draußen.« Ich schaute sie an, sie wich meinem Blick nicht aus, ein feines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. War es Spott? Häme . . .? »Nun?« »Du hast recht.« »Deshalb bin ich die Maske nicht!« Ich hob meine leere Hand. »Moment mal, so einfach ist das nicht, Innocencia. Man kann die Sache auch anders sehen, in einem anderen Licht, denn jedes Ding hat zwei Seiten.« »Erkläre du mir die andere.« »Das will ich gern. Du kannst hiereine Farce vorspielen, bist tatsächlich der Killer, und hast dir jemand als Hilfe geholt, der uns einen zweiten vorspielen soll, um mich, wenn es zur Konfrontation kommt wie jetzt, in Sicherheit zu wiegen.« Meine Worte hatten sie nachdenklich gemacht, denn sie war plötzlich ziemlich still geworden. »Und das denkt du tatsächlich, John Sinclair? Ist das deine Meinung?« »Natürlich.« »Dann bist du für mich arm, sehr arm, John. Ich muß dir die Menschenkenntnis absprechen.« »Was zu beweisen wäre.« Sie nickte sehr bedächtig. »Ich werde es dir beweisen, John Sinclair. Das werde ich.« »Bitte.« »Ich kenne den Killer!« Meine Reaktion war Null. Ich lachte nicht, ich gab keinen positiven Kommentar auch keinen negativen. Ich hatte ihre Antwort zunächst einmal hingenommen. »Du glaubst mir nicht!« »Nein, Innocencia. Ich kann dir nicht glauben. Es ist für mich unwahrscheinlich.« »Dabei ist es sehr simpel!« »Dann sage mir Bescheid. Los, ich will wissen, was du weißt. Ob es stimmt. Was hast du dir ausgedacht, Innocencia? Wer ist der Killer, der kein Erbarmen kennt?« »Er heißt Gideon!« erklärte sie mit flacher, kaum verständlicher Stimme. Ich horchte dem Klang nach, schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber der Name sagt mir nichts.«
»Das habe ich mir gedacht, du wirst ihn nicht kennen. Ich aber kenne ihn um so besser, denn Gideon, John, ist mein Bruder. Mein eigener Bruder!« schrie sie plötzlich und schüttelte dabei wild den Kopf, als wollte sie dieses Wissen loswerden. »Begreifst du es jetzt? Weißt du nun, wie es in mir aussieht? Wie zerrissen ich innerlich bin? Ich eine Nonne, habe einen Bruder, der sich mit dem Teufel verbunden hat und rücksichtslos tötet. Kannst du dir vorstellen, wie es in mir ausschaut? Wie ich mich gequält habe, wie ich versuchte, darüber hinwegzukommen, was mir nicht gelang, wie ich nachdachte, hineinglitt in die reine Verzweiflung und nicht wußte, wem ich mich anvertrauen konnte. Nicht der Ehrwürdigen Mutter, die nichts, aber auch gar nichts verstanden hätte. Nicht meinen Schwestern, nein, ich mußte es allein durchmachen. Bis ich auf den Gedanken kam, mich mit dir in Verbindung zu setzen, was ich wiederum als die einzige Lösung sah. Jetzt weißt du alles, John . . .« Sie sprach nicht mehr, blieb stehen mit Armen, die am Körper herabhingen, als wären es steife Stücke. Sie schaute an mir vorbei, wollte mir Gelegenheit geben, über das Gesagte nachzudenken, was ich auch tat, obwohl ich es weder fassen noch begreifen konnte und mir vorkam wie jemand, der einfach danebenstand und nicht mehr er selbst war. Innocencia schaute ins Leere und rührte sich auch nicht, als ich den letzten Rest der uns trennenden Distanz überwand. Dann nahm ich sie in den Arm. Ich streichelte ihren Rücken, strich sacht über das Haar und suchte nach Worten. Was sollte ich ihr sagen? Welcher Trost war in dieser Situation der richtige? »Jetzt weißt du es«, flüsterte sie. »Jetzt weißt du alles. Der Teufel ist Gideon.« »Und warum hast du dir die Maske nachgebaut, Innocencia? Es muß doch einen Grund gehabt haben.« »Ja, den gab es, aber ich weiß nicht, ob du ihn überhaupt begreifen kannst.« »Versuche es.« »Ich mußte, als ich es wußte, damit fertig werden. Ich mußte es überwinden, ich konnte nicht anders. Es ging nicht, ich suchte nach einem Grund, nach einer Lösung, alles zugleich. Es war einfach schlimm. Ich wollte mich in die Haut meines Bruders hineinversetzen und erfahren, was ihm zu dieser Tat trieb.« »Und? Hast du es geschafft?« »Nein, John, nein. Ich habe nichts geschafft. Ich konnte es nicht, denn ich bin nicht so anfällig für das
Böse, verstehst du? Mein Bruder war anders als ich, obwohl wir von den gleichen Eltern abstammen. Ich nicht, John, ich wehrte mich dagegen. Ich war für so etwas einfach nicht geschaffen.« »Das glaube ich. Aber hast du darüber nachgedacht, wieso dein Bruder so anders war?« »Er war im Prinzip nicht anders«! Sie sprach über meine Schulter hinweg. »Das kann man wirklich nicht sagen. Er war nicht anders. Aber er hat mich besucht. Er kam zu mir und interessierte sich für alles. Er mußte schon vor seinen Besuchen gewisse Nachforschungen angestellt haben, denn er kannte sich aus. Ihn interessierte sehr stark die Vergangenheit des Klosters und auch das Böse, das sich darin verteilt hatte. Es war einfach grauenhaft.« »Dann kannte er auch die Stelle, wo der Fuchs damals . ..« Sie ließ mich nicht ausreden. »Ja, John, er kannte sie. Ich habe sie ihm gezeigt. Ich hätte schon damals aufmerksam werden sollen, denn ich merkte seine für mich unnatürliche Begeisterung. Er war einfach hingerissen, er war fasziniert.« Sie holte einige Male tief Atem. »Und dann hat er es getan.« »Was tat er?« »Er schnitt die Maske aus dem Fell. Wir haben es gesehen, er hat das Fell bearbeitet, gebleicht, damit es zu einer Maske wurde. Und er mußte es mit seinem Blut beträufeln. Ich gehe davon aus, daß er sich das Gesicht einschnitt. Mit dem Messer in die Haut stechen, sein Blut auf die Maske fallen lassen oder das Fell. Der Einfluß des Teufels war vorhanden, er vermischte sich nun mit Gideons Blut und ging damit die perfekte Verbindung ein.« »Hast du mit ihm gesprochen?« »Später nicht mehr. Aber ich wußte, daß er es war, der tötete. Auch ich habe Fehler gemacht. Ich hätte mich früher offenbaren sollen, aber es ging einfach nicht. Ich kann nicht über die Grenze hinweg. Das ist schlimm, John.« Ich blieb sachlich, mußte einfach sachlich bleiben und fragte: »Weißt du, wo er sich aufhält?« »Ich nehme es an. Wir stehen in seinem Revier. Hier unten hat einmal das Böse regiert. Über die Füchse gelang es dem Satan Einfluß zu nehmen. Hier hatte er sein Reich, hier breitete er sich aus, wenn du verstehst, John.« »Dann müßten wir ihn hierauch finden.« »Davon gehe ich aus!« Sie drückte sich zurück, schaute mir ins Gesicht und fragte leise: »Glaubst du mir jetzt?« Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, räusperte mich mehr aus Verlegenheit, sprach aber nicht. Erst nach einer Weile sagte ich leise: »Ja, ich glaube dir, Innocencia.«
Sie lächelte. Es kam mir erlösend vor. Plötzlich weinte sie. Vielleicht aus Beruhigung oder aus Freude, ich wußte es nicht. Sie wischte ihre Tränen fort. »Ist das Scicksal ungerecht oder ausgleichend«, fragte sie leise. »Wie meinst du das?« »Auf der einen Seite steht mein Bruder, der dem Teufel dient, auf der anderen ich. Wobei ich das reine Gegenteil zu ihm bin. Oder ist es der ewige Kampf?« Ich atmete heftig aus. »Ja, es ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Er wird immer ausgefochten. Wahrscheinlich hast du dies vorgehabt, Innocencia. Oder nicht?« »Du denkst an meine Verkleidung?« »Richtig.« »Ich wollte ihn finden, ich wollte ihn schocken. Er sollte sehen, wie es ist, wenn man mit dieser furchtbaren Verkleidung durch die Gänge des alten Teils läuft. Ob ich es geschafft hätte, weiß ich nicht, ich kann es nur hoffen.« »Du bist dir außerdem der Gefahr bewußt, in die du dich begeben hast.« »Sicher.« »Er hätte keine Rücksicht genommen«, sagte ich. »Nicht ein Mörder wie Gideon. Ob Schwester oder nicht, er muß seiner Aufgabe nachgehen. Er ist ein von der Hölle geleiteter Killer. So traurig sich dies auch anhört, aber es ist die Wahrheit.« Sie schaute ins Leere. Nahm sich Zeit, über meine Antworten nachzudenken. Ich schaute mir inzwischen die nähere Umgebung an, geführt vom Strahl meiner Leuchte. »Kennst du dich hier unten aus, Innocencia?« »Bestimmt. Ich habe mich oft genug hier herumgetrieben.« »Okay. Wo könnte er denn sein Versteck haben?« »Bisher habe ich ihn nicht gefunden«, klang mir die Antwort aus der Dunkelheit entgegen. »Ich bin davon überzeugt, daß er sich in der Nähe versteckt hält. Außerdem wird er längst wissen, daß auch du die alten Regionen betreten hast. Er weiß alles, er hält seine verfluchten Augen auf, er folgt den Gesetzen des Teufels. Er weiß, daß wir anders leben als normale Menschen. Er rechnet mit unserer Verschwiegenheit. Bis die Polizei hier eintrifft und Untersuchungen vornimmt, hat er bereits die Hälfte der Nonnen getötet. Er will unter Umständen das vollenden, was früher nicht geschafft wurde.« »Eine Rache?« »So ähnlich.« Ich ging auf sie zu. Meine Schritte knirschten auf dem vom Staub und kleinen Steinen bedeckten Boden. Die Luft war muffig, sie stank einfach widerlich. Jeder Atemzug bedeutete eine gewisse Qual. Ich hatte das
Gefühl, beim Luftholen den Staub der Jahrhunderte in die Lungen zu bekommen. »Okay, lassen wir die Gefühle beiseite, Innocencia. Konzentrieren wir uns beide auf den Mörder und auf sein Versteck. Ich glaube kaum, daß er erscheinen wird, wenn du seinen Namen rufst. Wir müssen uns ihm anbieten, wenigstens ich.« Sie nahm ihre Hand hoch und legte die Finger gegen das Kinn. »Sprichst du von einem Köder?« »So ist es. Dabei möchte ich darauf hinweisen, daß nicht du der Köder bist, diesen Part übernehme ich. Dich allein gehen zu lassen, kann ich einfach nicht riskieren.« »Also bleibe ich bei dir.« »Ja und wir werden .. .« Es war sinnlos, einen Plan auszuarbeiten, denn andere Ereignisse trieben uns zur Eile an. Durch den Wirrwarr der Tunnels und Stollen hallten die dumpfen und gleichzeitig peitschenden Geräusche. Neben mir schrak Innocencia zusammen. Sie blieb stehen, als wäre sie vereist. »Was war das?« »Schüsse!« flüsterte ich. »Mein Gott, das ist unmöglich. Gideon schießt nicht. Er... er besitzt ein Messer.« »Stimmt.« »Wer kann dann ...« »Das ist jetzt zweitrangig. Es können sich noch andere herumtreiben. Wir müssen ihn finden.« Ich nahm sie an die Hand wie ein kleines Kind. Wieder erklang das Schußecho. Es breitete sich aus, glitt mir rollend entgegen, aber ich hatte die ungefähre Richtung feststellen können. In die liefen wir... *** Die Maske lachte dumpf auf, als die Füchse sprangen. Sie waren ihre Helfer, sie gehörten zu denen, die ebenfalls das Zeichen der Hölle trugen, und sie würden den Eindringling zerreißen. Gleichzeitig bewegte der Killer seine Hand, und die lange Messerklinge blinkte, als wollte sie irgendwelchen Personen bestimmte Zeichen geben. Für den Killer war Suko bereits so gut wie tot. Er bedauerte ein wenig, daß er dabei nicht hatte mithelfen können, aber die Füchse würden seine Aufgabe gut erledigen. Suko dachte anders darüber. Er hatte mit einem Angriff gerechnet und sich entsprechend darauf eingestellt. Zwei waren besonders schnell. Sie hatten zudem in seiner Nähe gestanden und schafften es, sich mit einem Sprung gegen ihn zu schleudern.
Bevor sie ihre Zähne durch die Kleidung in seinen Körper hacken konnten, hielt Suko bereits seine Beretta in der Hand und schoß. Zweimal drückte er ab. Er bewegte seine Pistole von rechts nach links. Der erste Fuchs fing die geweihte Silberkugel mit seiner Brust auf. Das Geschoß stoppte seinen Sprung, es hämmerte ihn buchstäblich zu Boden, wo der Fuchs schrecklich heulte und sich um seine eigene Achse drehte, dabei mit den Füßen schlagend. Die zweite Kugel schmetterte in den Schädel des nächsten Angreifers und riß ihn auseinander. Suko kam die Bewegungsfreiheit zugute. In dem engen Stollen hätte er es nicht geschafft. Hier aber konnte er ausweichen und wechselte nach dem zweiten Treffer sofort seinen Standort, um den dritten Fuchs aufs Korn zu nehmen. Die Maske war verschwunden. Wie ein schwarzer Klumpen hatte sie sich in die Finsternis zurückgezogen. Nicht einmal ihr bleiches Gesicht schimmerte durch. Der dritte Fuchs huschte dicht über den Boden wie ein schlanker Fisch über den Meeresgrund. Er kam sehr dicht an Suko heran. Das rote Leuchten in seinen Augen verriet ihn, als er den Kopf anhob. Darauf hatte der Inspektor gewartet. Die Mündung der Beretta zielte auf einen Punkt zwischen den Augen. Schuß, Treffer, der heulende, kurze Schrei, dann war es mit dem Fuchs vorbei. Er strampelte noch einige Male, drehte sich um die eigene Achse und verging. Wieder wechselte Suko seinen Standort. Er hatte sich genau gemerkt, wo die Mauer stand und preßte sich mit dem Rücken in deren Schatten. Dort blieb er stehen. Ein Fuchs und die Maske! Den Vierbeiner schätzte er als nicht sehr gefährlich ein, die Maske war es schon. Denn dieser Killer ließ sich nicht allein von seinem Instinkt leiten. Er konnte denken, war raffiniert und hatte schon zahlreiche Morde auf dem Gewissen. Er war verschwunden. Suko hörte ihn nicht. Dafür aber die letzten Zuckungen der höllischen Füchse. Das geweihte Silber trieb das Böse aus ihnen heraus. Suko sah nichts von der Verwandlung, er roch nur, wie sie vergingen. Die Tiere lösten sich unter der geheimnisvollen Kraft des Silbers auf. Ein ätzender Gestank begleitete die Schwaden. Sie roch nach Schwefelgasen und verbranntem Fell. Suko brauchte nicht hinzuleuchten, für ihn stand fest, daß er es mit drei Gegner weniger zu tun hatte. Die Maske lebte noch! Sie mußte das Geschehen mitbekommen haben und würde sich darauf einstellen.
Suko blieb an der Mauer stehen. Er freute sich über die Stille, weil sie ihm erlaubte, nach vorn zu horchen und sich auf fremde Geräusche zu konzentrieren. Noch vernahm er nichts. Selbst der vierte Fuchs verhielt sich still. Kein Tappen von Pfoten, auch keine Schritte, die sich näherten. Suko rechnete nicht damit, daß sich die Maske lautlos bewegte. Sie besaß zwar den Vorteil, sich in diesen alten Katakomben auszukennen, aber sie konnte nicht fliegen, mußte laufen, und diese Tatsache war zwangsläufig mit Geräuschen verbunden. Die Zeit verstrich. Es mußten zwei oder drei Minuten sein, in denen sich Suko auf die Stille konzentrierte. Die Pistole hatte er nicht weggesteckt. Die Mündung wies schräg zu Boden, Suko war bereit, sie jeden Augenblick in die Höhe zu reißen und auf den letzten Fuchs zu schießen, wenn er das rote Augenpaar in der Dunkelheit entdeckte. Die Wand in seinem Rücken gab ihm das sichere Gefühl, nicht von hinten überrascht zu werden. Still blieb es trotzdem nicht, denn durch die Finsternis klangen Geräusche. Sie waren noch relativ weit entfernt, in der Stille jedoch gut zu hören. Schritte? Suko wollte seinen Ohren nicht trauen. Sollte die Maske so unvorsichtig sein und normal durch dieses Labyrinth laufen, wobei sie zwangsläufig gehört wurde. Er konzentrierte sich auf die Geräusche und hörte sogar das Rollen eines kleinen Steins, wenn jemand dagegen gestoßen war. Das konnte nicht die Maske sein. Die würde sich niemals so unvorsichtig bewegen. Der Fuchs ebenfalls nicht — wer dann? Suko dachte daran, einen Fehler gemacht zu haben. Er hätte bei der ersten Begegnung mit der Maske seinen Stab einsetzen müssen. In den fünf Sekunden wäre es ihm bestimmt gelungen, den Killer zu überwältigen. Er hatte es verpaßt, jetzt mußte er die Zeche zahlen und in Kauf nehmen, daß die Maske an ihn herankam. Dann sah er das Licht! Für einen einzigen Moment erhellte ein dünner, scharfer Strahl das Dunkel. Er blieb nicht an einer Stelle, wurde geschwenkt und Suko dachte daran, daß er in der gleichen Situation ähnlich reagiert hätte. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Der Strahl, das Schwenken, das Verschwinden des Lichts - all das kam ihm bekannt vor. Sollte sich John Sinclair hier unten herumtreiben. Noch war er sich nicht sicher und traute sich auch nicht, nach seinem Freund zu rufen. Und dann war der Fuchs da. Er mußte mit geschlossenen Augen geschlichen sein. Suko hatte ihn weder gehört noch gesehen. Bis er plötzlich sprang.
Da entdeckte er ihn auch nicht sofort, das Tier war mehr ein Schemen in der Finsternis. Zudem öffnete es die Augen erst, als Suko es dicht vor sich sah. Wie rote, böse Sonnen erschienen sie, und ausweichen hatte keinen Sinn mehr. Suko riß die Arme hoch, hörte das Knurren - und bekam den verdammten Biß mit. Die Zähne hätten sich in seiner Hand verhakt, zum Glück hielt er die Beretta fest und über das Metall schrammten die Hauer der veränderten Bestie. Suko riß sein Bein hoch. Das Knie traf weiches Fell, bohrte sich hinein, der Fuchs fiel zu Boden, wo er sich überschlug. Suko sah dabei das rote Augenpaar wie einen Kreisel, weil sich das teuflische Tier mehrmals überrollte. Er schwenkte den rechten Arm. Die Beretta hatte er trotz der heimtückischen Attacke noch halten können, aber er schoß nicht, den in seiner Nähe hörte er das dumpfe gurgelnde Lachen. Die Maske war da! *** Wir waren nicht mehr allein! Ich hatte zwar niemand gesehen, doch das Gefühl, auf jemand urplötzlich zu treffen, ließ sich einfach nicht vermeiden. Innocencia dachte ähnlich. Sie war dicht hinter mir und flüsterte, daß in der Nähe das Böse lauerte und darauf wartete, zuschlagen zu können. Wir stolperten durch die Dunkelheit. Die Schüsse hatten sich nicht wiederholt, deshalb gab es für uns auch keinen Anhaltspunkt, wo wir genau suchen mußten. Es war ruhig, aber trotzdem nicht still. Irgendwo mußte sich jemand versteckt halten, die Geräusche waren einfach zu fremd und auch nicht zu überhören. Mal ein Schaben, dazu ein Tappen, und der Geruch wies uns den Weg. Es stank nach Schwefelgasen, die träge durch diese finstere unterirdische Landschaft zogen. Innocenica zeigte sich irritiert. Ich weniger, denn auf ihre Frage bekam sie eine flüsternde Antwort. »Jemand muß einen Teil der Hölle vernichtet haben. Da sind Diener getötet worden. Der Gestank ist der entsprechende Beweis, das kannst du mir glauben.« »Ja, aber .. .« »Kein Aber. Ich rechne mit den Füchsen.« »Und wer?« »Du wirst es kaum glauben. Ich bin davon überzeugt, daß sich mein Partner Suko in der Nähe aufhält.« »Dann hätten wir ihn doch sehen müssen.«
»Wir haben ihn gehört. Die Schüsse . . .« Ich sprach nicht mehr weiter, weil ich den Eindruck bekam, daß jedes zu laut gesprochene Wort verräterisch sein würde. Wir huschten weiter durch die tiefe Finsternis. Oft genug stolperten wir, konnten uns immer wieder fangen, aber das verräterisch klingende Rollen irgendwelcher Steine, die von uns angestoßen worden waren, konnten wir nicht vermeiden. Der Gestank hatte sich irgendwie intensiviert. Für mich ein Zeichen, daß wir vom Zentrum des Geschehens nicht mehr weit entfernt waren. Die Lampe einzuschalten, war ein Risiko, das ich nur ungern einging, aber ich mußte es tun. Als ich stehenblieb, prallte die junge Nonne leicht gegen mich. »Was ist denn jetzt?« »Duck dich hinter mich!« »Und dann?« »Mach schon.« Sie kam der Aufforderung nach. So war sie wenigstens geschützt. Ich hatte meinen linke Arm vorgestreckt, in der rechten hielt ich die Beretta, dann schaltete ich die Lampe ein, bewegte den Strahl so heftig in verschiedene Richtungen, weli ich so ein geringes Ziel wie möglich bilden wollte, und sah innerhalb weniger Sekunden, was passiert war. Auf dem Boden lagen die Reste der höllischen Tiere, ohne sich noch zu bewegen. Kugeln mußten ihre Körper durchbohrt haben, die sich im Tode zu einer stinkenden Masse zusammengezogen hatten, von der noch letzte Rauchfäden in die Höhe stiegen. Jetzt wußte ich Bescheid, daß sich Suko tatsächlich irgendwo aufhielt. Nur hatte er sich nicht gemeldet. Ich löschte das Licht und drückte mich zur Seite. Innocencia hauchte ihre Fraga in mein rechtes Ohr. »Waren Sie das?« »Ja, die Füchse. Sie sind erledigt. Bestimmt hat sie mein Partner mit Silberkugeln vernichtet. Wir hörten die Schüsse. Es paßt alles zusammen. »Aber wo steckt er?« »Das werden wir auch gleich haben, keine Sorge.« Mein Freund und Partner mußte sich in der Nähe aufhalten, vielleicht nur ein paar Schritte entfernt. Bei meiner kurzen Orientierungs- und Leuchtaktion war mir der Schatten aufgefallen, der vom Boden her starr in die Höhe wuchs. Ein Schatten, der sich nicht bewegte, der einfach stand. Das mußte eine der alten Mauern sein, und sie lag links von uns. In dieser Richtung bewegte ich mich. Nach dem ersten Schritt schon hörten wir die Geräusche: ein dumpfer Aufprall, dann ein Klirren und Laute, die sich anhörten wie ein Fluch.
Suko hatte sie bestimmt nicht ausgestoßen, das mußte die Maske gewesen sein. Die Nonne behielt ich in meiner Nähe. Ich zerrte sie weiter - und riskierte es, die Lampe einzuschalten... *** Suko sah im Augenblick keine andere Möglichkeit, als sich nach vorn zu werfen und dabei auf den Fuchs zu. Er hatte damit genau das Richtige getan, denn hinter ihm und in Kopfhöhe schrammte die Klinge über die Mauern, begleitet von klirrenden und brechenden Geräuschen, als sie eine Spur im Gestein hinterließ. Die Maske hatte mit dieser Aktion nicht gerechnet. Durch den eigenen Schwung war sie ins Stolpern gekommen und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie war mit sich selbst beschäftigt, was Suko wiederum Gelegenheit gab, sich um den Fuchs zu kümmern. Er war tatsächlich auf den Körper gefallen, hörte die Bestie knurren, preßte sie zwar mit seinem Gewicht gegen den Boden, aber der verfluchte Kopf lag frei, damit auch das Maul, und die Zähne versuchten, nach ihm zu schnappen. Suko veränderte den Winkel seines Arms. Er rammte dem Fuchs die Beretta mit dem Lauf nach oben in den Kiefer, so daß selbst das teuflische Tier aufheulte. Zeit durfte er nicht verlieren, denn der Maskenkiller hielt sich in seiner Nähe auf. Suko drückte ab! Das geweihte Silbergeschoß durchschlug den Oberkiefer des Fuchses. Zurück blieb ein zuckender Körper und ein zerschmettertes Etwas von Schädel. Suko rollte sich zur Seite, er kämpfte noch im Dunkeln, und auf seinem Rücken lag der Eisschauer einer Gänsehaut. Wo stand der Killer? Er rollte sich zur Seite, spürte plötzlich den Widerstand und hörte über sich das dumpfe Kichern, dieses Lachen, das die verdammte Maske so verzerrte. Da wußte er, daß er haargenau gegen die Beine dieses Monstrums gerollt war. Wer war schneller? Er oder das Messer? Ein anderer, denn plötzlich wurde es hell, und er Lichtschein traf direkt das bleiche und mit Blutfaden übersäte Gesicht des Killers. Aus der Dunkelheit rief eine Stimme. »Stop, Gideon!« ***
Der Rufer war ich gewesen, und ich hatte die Maske auch haargenau im Visier. Genau dort, wo der Lampenstrahl sein Ziel fand, befand sich das aufgequollene widerliche Gesicht dieses verdammten Killers, der ein Messer mit langer Klinge in der rechten Hand hielt. Sie wiederum wies auf den liegenen Suko. Zwar schimmerte aus seiner Hand der Stahl der Beretta, ob er allerdings schneller gewesen wäre, als der Mörder, stand in den Sternen. Jedenfalls war ich zum richtigen Zeitpunkt erschienen und hatte die Maske mit ihrem richtigen Namen angesprochen. Zwei Sekunden geschah nichts. Die Szene wirkte wie eingefroren. Bis ich mich an Suko wandte. »Nicht schießen, Partner, nicht schießen. Das machen wir anders.« »Wie du willst«, vernahm ich seine gepreßt klingende Antwort. »Ich tue ja alles für dich.« Die Maske wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie fühlte sich eingekreist und konnte sich nicht auf zwei Feinde gleichzeitig konzentrieren. Für einen mußte sie sich entscheiden. Das war in diesem Falle ich, denn in den dunkel gekleideten Körper geriet Bewegung, als sie sich langsam umdrehte. Dadurch gelang es meinem Freund, von ihr wegzurutschen. Er stand auf, die Beretta auf den Killer gerichtet. Ich wollte etwas sagen, als mich Innocencia, die hinter mir stand, auf die Schulter tippte. Ihr Flüstern war nur für mich hörbar. »Darf ich es tun?« »Was?« »Ich ... ich muß mit ihm reden, bitte.« Ihre Stimme zitterte vor Not. Ich konnte ihr die Bitte einfach nicht abschlagen. Zudem hatte sie ein Recht darauf. Der Killer war schließlich ihr Bruder. »Okay, Innocencia, sprich!« Sie schob sich an mir vorbei. Erst jetzt nahm die Maske sie wahr. Unter dieser bleich-blutigen Masse regte sich nichts. Jedenfalls war nichts zu sehen. »Gideon . . .« Nur dieses eine Wort sagte sie. Darin aber lagen all die Enttäuschungen, die Angst und auch ihr eigenes Versagen, daß sie es nicht geschafft hatte, ihn vom Weg des Satans abzubringen. Er gab Antwort. Abermals kaum zu verstehen, weil nur ein Knurren zu hören war. Sie ging weiter. »Gideon, du hast Schuld auf dich geladen, schwere Schuld sogar. Ich will, daß du der Hölle abschwörst. Was du getan hast, ist nicht wiedergutzumachen, aber ich will, daß du damit aufhörst. Du darfst nicht mehr killen, verstehst du? Es muß aufhören, du wirst den Anfang machen.« Sie hatte genug gesagt, nun war er an der Reihe. Die Maske bewegte ihren Kopf. Es sah zackig aus, als sie ihn von rechts nach links
schwenkte. In Höhe des Mundes bewegte sich die Masse, als er stöhnend Luft einsaugte. Auch die Augen blieben nicht still. Sie waren wie glitzernde Teiche, auf deren Oberfläche Quecksilber-Tropfen schimmerten. Ich glaubte nicht daran, daß Innocencia Erfolg haben würde. Sie aber war davon überzeugt, denn sie trat noch näher an ihren Bruder heran, trotz meiner gezischten Warnung. »Er ist mein Bruder«, sagte sie nur. Unter der Maske lachte Gideon dumpf. Vielleicht wollte er es nicht wahrhaben, aber die junge Nonne ließ sich nicht beirren, denn sie forderte von ihm das Messer. »Gib mir deine Waffe, Gideon! Gib sie her! Du wirst sie nicht mehr brauchen!« Ich wußte, daß Innocenica den falschen Weg schritt. Ein Killer wie er würde sein Messer niemals hergeben. Oder doch? Der Kopf senkte sich, und der Rand des Hutes warf einen noch größeren Schatten. Das Augenpaar richtete sich auf die Klinge, als wollte es von dieser Mordwaffe Abschied nehmen. Besaß die junge Nonne tasächlich diese Kraft und den Einfluß, um ihren Bruder von seinem mörderischen Weg abzubringen? Noch hielt er das Messer fest, aber seine Schwester gab nicht auf. »Ich will die Waffe haben, Gideon. Das Töten muß einmal ein Ende haben. Du kannst nicht mehr so weitermachen! Der Teufel ist nicht der Sieger. Er darf es nicht sein.« Gideon hob den Kopf an. Auch Suko hatte die Lampe eingeschaltet und strahlte von einer anderen Richtung gegen ihn. Gideon stand im Kreuzfeuer der hellen Balken. Er sah so aus, als würde er tatsächlich intensiv nachdenken. »Bitte, Gideon . ..« Ich warnte die junge Nonne. Für meinen Geschmack war sie schon zu nahe an den Killer herangekommen. »Seien Sie vorsichtig, Innocencia, seien Sie um Himmels willen vorsichtig.« »Keine Sorge, John. Ich weiß, wie man mit ihm umgeht. Das kenne ich von früher.« Sie sprach mit einer erstickt klingenden Stimme, als wäre jedes Wort abgewürgt worden. Klar, daß diese junge Frau unter einem wahnsinnigen Streß stand. Sie vertraute auf die alten Zeiten, als das Verhältnis zwischen ihr und dem Bruder noch normal gewesen war. Deshalb ging sie weiter. Noch einen Schritt und . . . Da regte sich der Killer. Und diesmal schrie er. Die Maske hielt den Schrei so gut wie nicht zurück. Er drang schrill wie das Pfeifen einer Lok aus den Öffnungen in der blutig-bleichen Masse. Er drehte die Klinge plötzlich herum, die Spitze wies genau auf seine Schwester, dann stieß er den rechten Arm
vor und wollte das Herz der Frau treffen, die sich vor Furcht nicht bewegen konnte... *** Ich schoß, Suko schoß, und ich tat noch etwas anderes. Als die Kugel den Lauf verließ, wuchtete sich mein Körper schräg nach vorn, stieß die junge Nonne um. Innocencia fiel mit einem Schrei auf den harten Boden. Das Geräusch mischte sich in die Echos der Schüsse, die peitschend und grollend durch das unterirdische Labyrinth rollten. Ob die Klinge Innocencia letztendlich doch noch erwischt hatte, konnte ich nicht erkennen! Wir mußten uns um den Killer kümmern, der seine Waffe noch immer festhielt und den rechten Arm dabei kreisend bewegte, als wollte er irgend etwas auf eine nicht vorhandene Leinwand kritzeln. Dann ließ er die Klinge fallen. Beide Silberkugeln hatten ihn getroffen. Sie waren an verschiedenen Stellen in seinen Körper gedrungen. Blut sickerte nicht aus den Wunden, aber der Killer tat etwas anderes. Seine Hände schnellten hoch zum Gesicht, sie fegten den Hut vom Kopf, und die Finger stießen hinein in die weiche Maske. Er wollte sie von seinem Gesicht reißen, aber die Hölle ließ es nicht zu. Gideon hatte sich mit dem Teufel verbündet, er hatte verloren, und Asmodis rächte sich. Die Maske fing Feuer. Kalte Flammen schlugen aus der Masse hervor und mußten auch nach innen gerichtet sein, denn wir hörten einen wahnsinnigen Schrei. Ich sprang auf den Killer zu. In der rechten Hand jetzt mein Kreuz haltend, unter dessen Berührung die Flammen des Höllenfeuers zischend verloschen. Von der Maske waren nur mehr Reste vorhanden. Ein Schmier aus Verbranntem und einer weißen Masse, vermischt mit Blut. Ich versuchte, die Maske vom Gesicht des Mannes zu reißen, während Suko Gideon an den Schultern festhielt. Die klebte auf der Haut, ich mußte daran zerren, dann hatte ich es doch geschafft. Sein Gesicht lag frei. Eine dunkle, zuckende Fläche, bestehend aus zahlreichen Wunden, die nicht zugeheilt waren und immer neues Blut produzierten, das sich mit der teuflischen Magie vermischt hatte. Die Augen sahen aus wie starre Kugeln. Ich schleuderte die Maske weg. Suko ließ den Killer los, der steif und nun tot auf den Rücken fiel, wo er liegenblieb. Noch einmal leuchteten wir in sein Gesicht!
Es sah schrecklich aus. Verbrannt, blutig und gleichzeitig schrecklich leer und tot. Mein Freund nickte. »Das ist es dann wohl gewesen, Alter, nicht wahr?« Ich schaute ihn an, nickte, bevor ich fragte: »Wo kommst du her?« »Das ist eine längere Geschichte, die ich dir später erzählen werde.« Eine gute Antwort, denn zunächst mußten wir uns um unseren Schützling kümmern. Innocencia lag am Boden. Wir ahnten Schlimmes, aber sie schaute uns an, stellte keine Fragen. Als ich ihre rechte Handfläche sah, entdeckte ich das Blut. »Mein Gott, wir . . .« »Nein, John, ich werde nicht sterben. Nur ein Kratzer verstehst du, nur ein Kratzer . . .« Nach diesen Worten wurde sie bewußtlos. Gemeinsam trugen Suko und ich sie nach oben, hinter die schweigenden Mauern des Klosters, wo wir das letzte Opfer des Maskenkillers sahen. Vor der Luke lag die Ehrwürdige Mutter. Sie war nicht von der Klinge gestreift, sondern tödlich getroffen worden, als sie mir den Weg gezeigt hatte. Ich überließ Innocencia Sukos Obhut, kniete neben der Ehrwürdigen Mutter nieder und schloß ihre Augen. Es war alles, was ich noch für sie tun konnte...
ENDE