Die Krieger von Ultramar Graham McNeill PHASE I Entdeckung PROLOG Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von...
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Die Krieger von Ultramar Graham McNeill PHASE I Entdeckung PROLOG Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von Tarsis Ultra, getrieben von der leichten Brise, die die dicken Stängel des Getreides beugte. Es war warm und roch durchdringend nach erntereifem Mais, der sich in alle Richtungen ausdehnte, so weit das Auge reichte. Ein großes Vehikel mit hohen Seiten holperte auf einem Weg aus gestampfter Erde durch das sanft schwankende Feld. Blitzende Klingen an ausgefahrenen, geneigten Armen sensten den Mais auf beiden Seiten ab und beförderten ihn in einen Schüttgutbehälter auf seinem Rücken. Die Sonne hatte noch nicht ihren Zenit erreicht, aber der Behälter war beinahe voll, da sich die Erntemaschine des Landwirtschaftskollektivs Prandium bereits vor Tagesanbruch an die Arbeit gemacht hatte. Rauch aus dem Motor der Erntemaschine durchlief eine Reihe von Filtern und wurde schließlich in einer giftfreien Wolke über dem kleinen Führerhaus ganz vorne in die Luft abgelassen. Die Maschine ruckte zur Seite, bevor einer der beiden Insassen dem waghalsigeren Fahrer die Kontrollhebel entriss. »Corin, ich schwöre, du fährst dieses Ding wie ein Blinder«, schnauzte Joachim. »Wie soll ich denn besser werden, wenn du mich nie fahren lässt?«, fragte Corin, während er empört die Hände in die Luft reckte. Er fuhr sich mit behandschuhter Hand durch den widerspenstigen Haarschopf und starrte seinen Begleiter verärgert an. Joachim spürte den funkelnden Blick seines Freundes und sag-
te: »Du hättest uns fast in den Bewässerungsgraben gefahren.« »Vielleicht«, räumte Corin ein. »Aber ich hab's nicht getan, oder?« »Nur deshalb nicht, weil ich übernommen habe.« Corin zuckte die Achseln, da er nicht gewillt war, in diesem Punkt zuzustimmen, und ließ Joachim weiterfahren. Er zog seine dünnen Handschuhe aus und streckte die Finger, um die Steifheit aus den Gelenken zu vertreiben. Die ruckelnden Kontrollhebel einer Erntemaschine festzuhalten und sie damit über die großen Felder zu steuern, war anstrengend. »Diese Handschuhe sind nutzlos«, beklagte er sich. »Sie helfen überhaupt nicht.« Joachim grinste und sagte: »Also hast du sie noch nicht ausgepolstert?« »Nein«, erwiderte Corin. »Ich hatte gehofft, deine Elleiza würde das für mich tun.« »Ich würde nicht darauf warten, sie kümmert sich ohnehin schon um dich, als wäre sie deine Frau.« »Aye!«, lachte Corin. »Sie ist ein gutes Mädchen. Sie passt gut auf mich auf, ja, das tut sie.« »Zu gut«, stellte Joachim fest. »Es wird Zeit, dass du dir eine eigene Frau anschaffst, die sich um dich kümmert. Was ist mit Bronagh, der Medika in Espandor? Ich habe gehört, sie steht auf dich.« »Bronagh. Ah, ja, das ist ein Mädchen mit einem wirklich guten Geschmack«, sagte Corin lachend. Joachim zog eine Augenbraue hoch und wollte gerade antworten, als die Welt rings um sie explodierte. Ein krachender Einschlag traf die Seite der Erntemaschine, und beide Männer wurden in der Fahrerkabine herumgeschleudert, als das riesige Fahrzeug zur Seite ruckte. Joachim spürte Blut auf der Kopfhaut und griff nach den Kontrollen, da sich die Erntemaschine auf die Seite legte. Er riss daran, doch es war bereits zu spät. Die linke Kette glitt von der Straße in den Graben und das ganze Fahrzeug kippte. »Halt dich fest«, rief Joachim, als die Erntemaschine mit dem Kreischen von sich verbiegendem Metall auf die Seite fiel. Glasscherben überschütteten sie, und Joachim spürte, wie eine scharfe Kante in seine Schläfe schnitt. Die Maschine krachte auf die trockene Erde des Feldes und wirbelte riesige Wolken aus Mais
und Staub auf. Ihre gewaltigen Ketten bewegten sich weiter und zerwühlten die Luft, während der Motor weiterlief. Fast eine Minute verstrich, bis sich die Seitentür des Führerhauses öffnete und ein Paar bestiefelte Füße auftauchte. Vorsichtig ließ Joachim sich aus dem Führerhaus gleiten und klatschte schließlich ins knietiefe Wasser des Bewässerungsgrabens, der zwischen Straße und Feld verlief. Er landete unbeholfen und fluchte, während er sich den verschrammten, ramponierten Kopf hielt. Corin folgte ihm benommen in den Graben und hielt dabei einen Arm dicht vor der Brust. Wortlos begutachteten die beiden Männer den Schaden an der Erntemaschine. Der Schüttgutbehälter war nur noch eine verbogene Masse aus verbeultem Metall. Rauchende Trümmer und der stinkende Rest von verbranntem Mais waren alles, was von seinem Mittelteil noch übrig war, wo ihn anscheinend etwas extrem Starkes getroffen hatte. »Bei Guillaumes Fluch, was ist passiert?«, fragte Corin atemlos. »Hat jemand auf uns geschossen?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Joachim, indem er auf eine Säule aus weißem Rauch zeigte, die sich gut hundert Meter entfernt im Feld himmelwärts erhob. »Aber was es auch war, ich wette, es hat etwas damit zu tun.« Corins Blick folgte Joachims ausgestreckter Hand. »Was ist das?« »Ich weiß es nicht, aber wenn es ein Feuer ist, müssen wir es löschen, bevor die ganze Ernte verbrennt.« Corin nickte und kletterte unter Schmerzen ins Führerhaus der Erntemaschine zurück, wo er zwei Feuerlöscher von der Rückwand löste und sie nach unten zu Joachim warf. Mit einigen Schwierigkeiten erklommen sie die steile Betonwand des Grabens, und Joachim drehte sich um und zog Corin hoch, nachdem er oben angekommen war. Sie eilten durch den Mais, wobei ihnen der Weg durch die lange, dunkle Narbe im Boden erleichtert wurde, die zu der Rauchsäule führte. »Bei Macragge, so etwas habe ich noch nie gesehen«, japste Corin. »Ist das ein Meteor?« Joachim nickte und wünschte sich dann, er hätte es nicht getan, da ihm ein heißer Schmerz durch den Kopf zuckte. »Ich glaube
ja.« Sie erreichten den Rand des Kraters und blieben erstaunt über den Anblick stehen. Wenn es ein Meteor war, sah er nicht im Entferntesten so aus, wie die beiden Männer ihn sich vorgestellt hatten. Annähernd kugelförmig und aus einem leprösen braunen Material bestehend, ähnelte er einem riesigen Edelstein, der in ein Hitzeflimmern gehüllt war. Die Oberfläche sah glatt und glasig aus, wahrscheinlich infolge der Reise durch die Atmosphäre. Nun, da sie das Objekt vor sich sahen, konnten die beiden Männer erkennen, dass nicht etwa Qualm in stinkenden Wellen von ihm aufstieg, sondern Dampf. Geysire des übel riechenden Dampfes entwichen aus Spalten in seiner Oberfläche wie durch Überdruckventile. Sogar vom Kraterrand konnten sie die intensive Hitze spüren, die das Objekt ausstrahlte. »Tja, das Ding brennt nicht, ist aber noch verdammt heiß«, sagte Joachim. »Wir müssen es abkühlen, sonst könnte es immer noch das Feld in Brand setzen.« Corin schüttelte den Kopf und beschrieb das Zeichen des Adlers über dem Herzen. »Auf keinen Fall. Ich geh da nicht runter.« »Was? Warum nicht?« »Das Ding gefällt mir nicht, Joachim. Das ist was Schlimmes, das spüre ich.« »Sei kein Idiot, Corin. Das ist nur ein großer Stein, und jetzt komm.« Corin schüttelte vehement den Kopf und hielt Joachim den Feuerlöscher hin, den er in der Hand hielt. »Hier. Wenn du da runtergehen willst, dann geh, aber ich gehe zur Erntemaschine zurück. Ich rufe Prandium und lasse jemanden herkommen, der uns abholt.« Joachim sah, dass Corin nicht mit sich reden ließ, und nickte. »Ich sehe mir das Ding mal genauer an«, sagte er. »Ich komme gleich nach.« Er hing sich einen Löscher über jede Schulter und kletterte vorsichtig in den Krater. Corin beobachtete ihn, bis er unten angelangt war, und machte sich dann auf den Rückweg zur Erntemaschine. Er berührte seinen verletzten Arm und zuckte zusammen, als direkt über dem Ellbogen Schmerzen aufloderten er fühlte sich gebrochen an. Er warf einen Blick zurück, als er ein lautes Zischen hörte, als werde
Wasser auf eine heiße Ofenplatte gegossen, ging aber weiter. Das Zischen hielt an. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Dann setzten die Schreie ein. Corin erschrak und fuhr herum, als er Joachim vor Schmerzen brüllen hörte. Der Schrei seines Freundes verstummte abrupt und ein heulendes Kreischen ertönte, absolut fremdartig und absolut Grauen erregend. Corin fuhr herum und rannte zur Erntemaschine, wobei ihm die Furcht Flügel verlieh. Im Führerhaus war ein Gewehr, und jetzt wünschte er sich verzweifelt, er hätte es mitgenommen. Er lief durch die in die Erde gerissene Furche, stolperte über eine Wurzel im Boden und fiel auf die Knie. Hinter ihm ertönten schwere Schritte. Etwas Großes und unmenschlich Schnelles raste durch den Mais. Er hörte Stängel brechen, als es immer näher kam. Corin hatte keinen Zweifel, dass es ihn jagte. Er ächzte vor Furcht, rappelte sich auf und lief weiter. Er riskierte einen Schulterblick und sah eine verschwommene Gestalt wie einen Geist aus seinem Blickfeld in den Mais verschwinden. Die Schritte von etwas Großem schienen von überallher auf ihn einzudringen. »Was bist du?«, schrie er im Laufen. Er rannte blindlings weiter, erreichte die Grenze des Maisfelds und stürzte kopfüber in den Bewässerungsgraben. Er landete schmerzhaft, da er sich den verletzten Ellbogen am Beton stieß, und schluckte brackiges Wasser, als er vor Schmerzen aufschrie. Er kroch Wasser speiend rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Er schaute hoch, als eine dunkle Gestalt den Himmel über ihm verdeckte. Corin blinzelte das Wasser in seinen Augen weg und sah seinen Verfolger deutlich. Er holte Luft, um zu schreien. Doch er war schon bei ihm und ließ einen Hagel sensender Schläge auf ihn niedergehen, die ihn auseinanderrissen, bevor er den Schrei ausstoßen konnte. Ein See aus Blut breitete sich von seinem verstümmelten Leichnam aus. Corins Mörder hielt nur einen Moment inne, als wittere er. Er kletterte mühelos aus dem Graben und schlug die Richtung nach Prandium ein.
PHASE II Annäherung EINS Die Basilica Mortis war die Heimat der Mortifactors. Das uralte Heim des Mortifactor-Ordens der Space Marines mit seinen zerklüfteten und gebirgsartigen Oberflächen drehte sich langsam im blassen Licht Posuls und seiner weit entfernten Sonne. Fast zehntausend Jahre, seitdem der Gründer des Ordens, Sasebo Tezuka, vom Tarot des Imperators hergeführt worden war, standen die Mortifactors bereits Wache über die Nachtwelt Posul, und in dieser Zeit hatten diese heiligen Ritter des Imperiums immer Mitglieder ihres Kriegerordens innerhalb der Wälle ihres den Planeten umkreisenden Festungsklosters ausgebildet. Rein optisch ähnelte es einem riesigen Gebirge, das sich in die Weiten des Alls verirrt hatte. Die besten Techpriester und Adepten hatten sich vereint, um diese Festung in der Umlaufbahn zu erschaffen. Die Basilica war ein Wunder arkanen Konstruktionswissens, dessen Geheimnisse längst in Vergessenheit geraten waren. Seit Millennien sandten die Mortifactors Krieger aus der Basilica Mortis aus, um neben den Armeen des Imperiums in Diensten des göttlichen Imperators der Menschheit zu kämpfen. Kompanien, Trupps, Kreuzritter waren in den Krieg berufen worden und dreimal sogar der gesamte Orden, das letzte Mal erst kürzlich, um in den elenden Wüsten Armageddons gegen die Orks zu kämpfen. Die vom Orden errungenen Auszeichnungen konnten sich sogar mit denen solch legendärer Orden wie den Space Wolves, Imperial Fists und Blood Angels messen. In voller Besetzung beherbergte das Kloster die tausend Schlachtbrüder des Ordens und deren Offiziere sowie einen Hilfsstab aus Servitoren, Schreibern, Technomaten und Funktionären, der insgesamt siebeneinhalbtausend Köpfe zählte. Ausgedehnte Docks mit schlanken silbernen Andock-Ringen rag-
ten aus dem Bug des Adamantiumberges ins All. Zwei schwer bewaffnete Angriffskreuzer der Space Marines hatten an den Docks festgemacht, während kleinere Fregatten der GladiusKlasse und Zerstörer der Jäger-Klasse entweder vom Patrouillendienst in der Domäne der Mortifactors zurückkehrten oder zu ihm aufbrachen. Schlachtbarken, verheerende Kriegsschiffe von phänomenaler Macht, waren in gepanzerten Hangarbuchten tief in den Eingeweiden des Klosters untergebracht, deren stumme Rümpfe schreckliche Waffen von planetarer Zerstörungskraft bargen. Ein Leuchtfeuer, das in der Dunkelheit der am weitesten von den Docks entfernten Ausleger aufflammte, reflektierte das Licht vom Rumpf eines sich nähernden Angriffskreuzers. Von sechs schnellen Angriffsschiffen der Mortifactors eskortiert, glitt der Kreuzer elegant dem abgedunkelten Festungskloster entgegen. Uralte Codes und gewundene Begrüßungen auf Hochgothisch waren zwischen dem Schiffskapitän und dem Ordensmeister gewechselt worden, aber die Mortifactors gingen in Fragen der Sicherheit kein Risiko ein. Das Schiff, die Vae Victus, trieb langsam durch den Raum, nur durch Korrekturdüsen angetrieben, die ihre Fahrt zu den Docks kontrollierten. Die Vae Victus war ein Angriffskreuzer der Ultramarines, der Stolz und die Freude des Flottenkommandeurs des Ordens, und normalerweise mit einer kompletten Riege von Begleitschiffen unterwegs. Aber die Schiffe des Geschwaders Arx Praetora lagen in der Nähe des Sprungpunkts des Systems vor Anker, da ihnen die Annäherung an das alte Sepulchrum der Mortifactors nicht gestattet war. Die Schiffsaufbauten waren lang und trugen die Narben von vielen Tausend Jahren Krieg gegen die Feinde der Menschheit. Im Heck ragte eine von verzierten Strebebögen getragene kathedralenartige Zinne in die Höhe, und als Verbeugung vor den Mortifactors waren Geschützmündungen und Hangarschleusen hinter ihren Schutzschilden verborgen. Die Backbordseite des Schiffs glänzte, wo die Schiffszimmerleute von Calth den horrenden Schaden repariert hatten, den ihm ein Schiff der Eldar zugefügt hatte, und die Insignien der Ultramarines leuchteten mit neuerlichem Stolz auf der Bugpanzerung. Als sich die Vae Victus der Basilica näherte, schwang ihr Bug langsam herum, bis sie mit der Steuerbordseite längsseits des
Festungsklosters lag. Dort blieb sie stumm im All hängen, bis eine Vielzahl kleiner Schlepper aus der Basilica Mortis kamen und rasch Stellung auf der Backbordseite bezogen. Andere Schiffe mit gigantischen Andocktrossen, jedes davon dicker als ein Orbitaltorpedo, flogen der Vae Victus entgegen und brachten die Trossen an sicheren Verankerungspunkten an, während sich die Schlepper dem Kreuzer der Ultramarines langsam von der Backbordseite näherten. Wenig mehr als kraftvolle Antriebsmaschinen mit einem winzigen Servitor-Abteil obenauf, wurden die Schlepper benutzt, um größere Schiffe in eine Position zu manövrieren, wo sie andocken konnten. Ein Dutzend von ihnen manövrierte ganz langsam an die Vae Victus heran, wie winzige parasitäre Fische auf einem riesigen Seeungeheuer, um dann kontrollierte Schubstöße abzugeben. Schließlich überwand ihre vereinte Kraft die Trägheit des größeren Schiffs, und die Vae Victus kroch langsam der Basilica Mortis entgegen, wobei die dicken Kabeltrossen sie einholten und zu den gigantischen klauenartigen Andockklammern leiteten, die sie sicher mit dem Festungskloster verbinden würden. Tief im Innern des Raumschiffs waren gepanzerte Schritte und die entfernten Geräusche der Schlepper auf dem Rumpf das Einzige, was die ruhige, meditative Stille der Korridore störte. Durch unzählige Elektrokerzen hell erleuchtet, schienen die marmorweißen Wände alle Geräusche zu verschlucken, bevor sie Gelegenheit hatten, ein Echo zu erzeugen. Die sanft gewölbten Wände waren glatt und nur spartanisch verziert. Hier und da gab es winzige Nischen, die von zartem, diffusem Licht erleuchtet waren. Sie enthielten stasenversiegelte Behältnisse mit einigen der heiligen Reliquien des Ordens: den Oberschenkelknochen des Uralten Galatan, den Schädel eines Fremdwesens, der auf den Schlachtfeldern von Ichar IV erbeutet worden war, ein Buntglassplitter von einem vor langer Zeit zerstörten Schrein oder eine Alabasterstatue des Imperators persönlich. Vier Space Marines marschierten zu den Andockbuchten auf der Steuerbordseite, wo sie endlich in der Lage sein würden, die Basilica Mortis zu betreten. Der Anführer der Abordnung war ein kahlköpfiger Riese mit einer dunklen Haut zäh wie Leder und einem Netz von Narben kreuz und quer auf der linken Gesichtshälfte. Seine Züge hatten sich zu einer Miene des Missvergnügens ver-
zogen, und seine Blicke huschten bei jedem Ächzen von Metall, das der Schiffsrumpf von sich gab, zur Decke des Korridors, da sie sich den Schaden ausmalten, den die Schlepper an der Außenhülle des Kreuzers anrichteten. Lordadmiral Lazio Tiberius trug seinen zeremoniellen Amtsumhang. Die steife Halskrause aus Fuchsfledermausfell scheuerte im Nacken, und die silberne Spange, die den Umhang mit der blauen Rüstung verband, kratzte an der Kehle. Er trug einen Lorbeerkranz um die Stirn, und auf seiner Brust funkelten die vielen Auszeichnungen, die er errungen hatte, wobei der Goldorden eines Helden von Macragge leuchtete wie eine Miniatursonne. »Verdammte Schlepper«, murmelte Tiberius. »Sie hat die Werften von Calth gerade erst verlassen, und jetzt werden sie Imperator weiß wie viele Paneele und Bögen verbeulen.« »Ich bin sicher, es wird nicht so schlimm, wie Sie denken. Lordadmiral. Und sie wird Schlimmeres erleben, bis wir mit Tarsis Ultra fertig sind«, sagte der Krieger direkt hinter Tiberius, der Hauptmann der Vierten Kompanie, Uriel Ventris, dessen smaragdgrüner Gala-Umhang hinter ihm herwallte. Tiberius grunzte. »Sobald wir zurück nach Tarsis Ultra kommen, will ich nach Chordelis ins Dock und alles überprüfen. Ich führe sie nicht in die Schlacht, ohne mich vorher zu vergewissern, dass sie in bester Verfassung ist.« Als Hauptmann der Vierten Kompanie lautete einer von Uriels Titeln Flottenmeister, aber in Anerkennung von Tiberius' größerem Wissen in puncto Raumkampf hatte er ihn an den Lordadmiral abgetreten, der diese Rolle mit viel Enthusiasmus übernommen hatte. Darin lag keine Unehre, da die Krieger der Ultramarines den Lehren des heiligen Buchs ihres Primarchen folgten, dem Codex Astartes, der betonte, wie wichtig es war, dass jede Position von dem für sie am besten geeigneten Mann unabhängig von dessen Rang eingenommen wurde. Tiberius und die Vae Victus kämpften seit beinahe drei Jahrhunderten gemeinsam, und Uriel wusste, dass der ehrwürdige Lordadmiral ein besserer Flottenmeister sein würde als er. In den Monaten seit der Zerstörung des Space Hulk Tod der Tugend hatten die Rüstmeister auf dem Schiff ihr Bestes getan, um den Schaden zu reparieren, den Uriels Rüstung dabei erlitten hatte, und einen Schulterschutz ersetzt sowie die tiefen Furchen gefüllt und neu lackiert, die die Krallen des Fremdwesens hinterlas-
sen hatten. Doch ohne die Schmieden von Macragge war es unmöglich, den Schaden völlig zu reparieren. An seinen grünen Umhang war eine kleine Brosche in Form einer gehämmerten weißen Rose geheftet, die Uriel als Held von Pavonis auswies, und darunter war eine ganze Reihe Bronzesterne an seinem Brustharnisch befestigt. Sein Gesicht war eckig, die Züge von klassischem Schnitt, aber ernst und hager. Die Gewitterwolken-Augen waren schmal und hatten schwere Lider, und die beiden goldenen Langdienst-Knöpfe an der linken Schläfe funkelten hell unter der Dunkelheit seiner stoppelkurzen Haare. Uriels oberste Sergeanten marschierten im Gleichschritt hinter ihm, Pasanius links und Learchus rechts. Pasanius überragte die anderen mühelos, und die Rüstung konnte seine Körperfülle kaum halten und das trotz der Tatsache, dass ein Großteil davon von einer uralten, irreparabel beschädigten Terminator-Rüstung stammte. Sowohl er als auch Learchus trugen den grünen Umhang der Vierten Kompanie und wie ihr Hauptmann Broschen in Form der weißen Rose von Pavonis. Pasanius' blondes Haar lag eng am Kopf an, und obwohl er eine ernste Miene aufgesetzt hatte, konnte sein Gesicht auch Wärme und Humor ausstrahlen. Sein rechter Arm funkelte silbern unter dem Ellbogen, wo die Techpriester von Pavonis ihn nach der Auseinandersetzung mit dem uralten Sternengott namens Nachtbringer in den Tiefen jener Welt ersetzt hatten. Seine monströse Sense hatte Rüstung und Knochen durchschnitten, und trotz aller Bemühungen von Apothekarius Selenus war das von der Grabeskälte der Sense berührte Gewebe nicht mehr zu retten gewesen. Learchus war ein wahrer Ultramarine. Seine Abstammung war makellos, und jeder Schritt verriet den geborenen Krieger. In der Ausbildung waren er und Uriel erbitterte Konkurrenten gewesen, aber im Zuge ihres gemeinsamen Dienstes an Orden und Imperator hatten sie jeglichen diesbezüglichen Groll längst hinter sich gelassen. Lordadmiral Tiberius zog an der Pelzkrause um seinen Hals und richtete den Lorbeerkranz an den Schläfen, während sie einer Biegung im Korridor folgten und sich dem Andockhangar näherten. Ein hallendes Krachen, welches das ganze Schiff durchlief, verriet Tiberius, dass sich die Andockklammern der Basilica geschlossen hatten.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich bin nur froh, wenn das hier vorbei ist.« Uriel konnte sich nicht dazu überwinden, Tiberius zuzustimmen. Er war erpicht darauf, diese Blutsbrüder kennenzulernen, und die Gefahr, der sie sich in Kürze auf Tarsis Ultra stellen mussten, machte ihn doppelt froh, dass die Vae Victus hierhergekommen war. Die Mortifactors hatten sich in der Zweiten Gründung vor beinahe zehntausend Jahren von den Ultramarines abgespalten, stammten aber von denselben Helden ab wie Uriel. Alte Geschichten berichteten, wie Roboute Guillaume, der Primarch der Ultramarines, das Reich des Imperators nach seiner Beinahe-Zerstörung seitens des verräterischen Kriegsmeisters Horus zusammengehalten und sein Buch, der Codex Astartes, das Fundament für das noch junge Imperium gelegt hatte. Von zentraler Bedeutung für dieses Fundament war das Dekret, die mehrere zehntausend Mann starken Legionen der Space Marines in kleinere Kampfeinheiten aufzuteilen, die bis zum heutigen Tag Orden genannt wurden, so dass nie wieder ein Mann in der Lage sein würde, über die furchterregende Macht einer ganzen Legion von Space Marines zu gebieten. Jede der ursprünglichen Legionen behielt ihre Farben und Titel, während die neu gegründeten Orden einen anderen Namen annahmen und sich daran machten, die Feinde des Imperators in der ganzen Galaxis zu bekämpfen. Ein Hauptmann der Ultramarines namens Sasebo Tezuka hatte das Kommando über die neu gegründeten Mortifactors erhalten und sie zur Welt Posul geführt, wo er sein Festungskloster errichtet und bis zu seinem Tod viel Ehre im Namen des Imperators errungen hatte. Trotz ihrer gemeinsamen Abstammung von Guillaumes Blut hatte es über viele Tausend Jahre keinen Kontakt zwischen den Ultramarines und den Mortifactors gegeben, und Uriel freute sich darauf, diesen Kriegern zu begegnen, zu sehen, was aus ihnen geworden war und welche Schlachten sie ausgetragen hatten, und ihre Heldengeschichten zu hören. Eine Ehrengarde aus Ultramarines säumte den Zugang zu den Andockschleusen auf der Steuerbordseite, und die vier Krieger passierten das Spalier. Eine dicke goldene Tür mit einem Handrad und dem Motiv des Imperiumsadlers unter einem kunstvoll gestalteten Giebel wartete am Ende der Ehrengarde. Ein messing-
umrandetes Licht über der Tür leuchtete grün, um anzuzeigen, dass der Durchgang ungefährlich war, und als sich die Ultramarines näherten, rollte ein kybernetisch veränderter Servitor auf Ketten vorwärts, um das Rad zu drehen. Es funktionierte problemlos, und Dampf zischte aus den vakuumversiegelten Rändern. Die Schleuse öffnete sich mit einem Zischen der Dekompression und glitt auf geölten Rollen zur Seite, um einen langen dunklen Tunnel aus schwarzem Eisen zu enthüllen, der zu einem von schwarzen Schädeln umringten, tropfenden Portal führte. Eiszapfen-Fänge hingen an den Kiefern der Schädel, und auf dem mit Steinplatten gekachelten Boden des Andocknabels sammelte sich Feuchtigkeit. Tiberius wechselte einen unbehaglichen Blick mit Uriel, der neben den Lordadmiral trat. »Sieht nicht sonderlich einladend aus, nicht wahr?«, stellte Tiberius fest. »Nicht sonderlich«, gab Uriel ihm recht. »Na, dann bringen wir es hinter uns. Je eher wir wieder auf dem Weg nach Tarsis Ultra sind, desto glücklicher werde ich sein.« Uriel nickte und trat als Erster in den Andocktunnel. Er erreichte die Tür an seinem Ende, die aus demselben dunklen Eisen bestand wie der Rest des Tunnels. Hinter ihnen schloss sich die Druckschleuse und wurde mit hallendem Scheppern versiegelt. Ein Regen aus schmelzendem Eis tropfte von Uriels Schulterschützern, lief in dünnen Rinnsalen die Riefen in seinem Brustharnisch herunter und durchnässte den oberen Teil seines Umhangs. Er hob die Faust und hämmerte zweimal an die Tür. Dumpfe Echos der Schläge hallten hohl von den Wänden wider. Es kam keine Antwort, und er hob die Faust, um noch einmal vor die Tür zu schlagen, als sie mit dem Kreischen gequälten Metalls nach innen schwang. Trockene, tote Luft wie der letzte Atemzug eines Leichnams wehte aus der Basilica Mortis, und Uriel nahm den muffigen Geruch von Knochen und Leichentüchern wahr. Drinnen herrschte Dunkelheit, die nur von flackernden Kerzen gemildert wurde, und es war genauso kühl wie im Andocktunnel. Uriel trat durch das mit Schädeln geschmückte Portal und setzte seinen Fuß in das Heiligtum der Mortifactors. Tiberius, Learchus und Pasanius folgten ihm und schauten sich wachsam um. Sie standen in einer langen Kammer, die von sitzenden Statuen gesäumt wurde und deren Decke in Dunkelheit getaucht war.
Verblichene, schimmlige Banner hingen an den Wänden. Wasser sammelte sich hinter ihnen, da es aus dem Andocktunnel hereinlief. Vor ihnen befand sich ein weich erleuchteter Durchgang in einem blattförmigen Türbogen, der einzige andere sichtbare Ausgang der Kammer. »Wo sind die Mortifactors?«, zischte Pasanius. »Ich weiß es nicht«, sagte Uriel, während sich seine Hand um den Knauf des Schwerts schloss und er die Statuen beiderseits von sich anstarrte. Er ging zur nächsten, beugte sich vor und wischte ihr Staub und Spinnweben vom Gesicht. »Guillaumes Fluch!«, entfuhr es ihm, während er angewidert zurückzuckte, als ihm aufging, dass es sich nicht um Statuen handelte, sondern um konservierte menschliche Leichname. »Schlachtbruder Olfric, möge man seines Namens und seiner Kraft gedenken«, sagte eine tiefe Stimme hinter Uriel. »Er ist im Kampf mit den Hrud in der Schlacht von Ortecha IX gefallen. Das war vor siebenhundertdreißig Jahren. Aber er wurde gerächt, und seine Schlachtbrüder haben die Herzen seiner Mörder gegessen. Daher konnte seine Seele zur Festtafel des Ultimativen Kriegers emporfahren.« Uriel fuhr herum und sah eine berobte, Kapuze tragende Gestalt in der Tür stehen, deren Hände in den Ärmeln der Robe versteckt waren. Seine Körperfülle ließ keinen Zweifel daran, dass der Sprecher ebenfalls ein Space Marine war. Zwei messingverkleidete Servoschädel schwebten über dem Mann, die durch einen dünnen Kupferdraht miteinander verbunden waren. Baumelnde Metalltaster zuckten, als sie in die Kammer schwebten. Einer trug eine lange Pergamentrolle, und eine Feder huschte über ihre Oberfläche, während der andere zu den Ultramarines schwebte. Ein rotes Licht glühte an einer zylindrischen Vorrichtung unter seinem beständig grinsenden Kiefer. Er verhielt vor Uriel, und das rote Licht beleuchtete seinen Kopf. Er musste gegen den aus Aberglauben geborenen Drang ankämpfen, den Schädel aus der Luft zu schmettern. Der Schädel bewegte sich weiter von Uriel zu Pasanius und dann zu Learchus und hüllte dabei auch ihre Köpfe in das unheimliche rote Licht. Als er Tiberius erreichte, griff der Lordadmiral wütend nach oben und scheuchte ihn weg. »Verfluchtes Ding«, schnauzte Tiberius. »Was soll das bedeuten?«
Der Schädel jaulte und zuckte zurück, dann stieg er höher und verhielt gerade außerhalb von Tiberius' Reichweite. Sein Zwilling folgte ihm, durch das Kupferkabel gezogen, das die beiden verband. »Seien Sie nicht beunruhigt, Lordadmiral«, sagte die Gestalt in der Tür. »Die Vorrichtungen vermessen lediglich Ihren Schädel und zeichnen ein dreidimensionales Bild von ihm auf.« Als er Tiberius' Verwirrung sah, sagte der berobte Space Marine: »Damit er nach Ihrem Tod in eine Stellung gebracht werden kann, die für seine Abmessungen am vorteilhaftesten ist.« Tiberius starrte den Mann mit offenem Mund an, der seine Kapuze zurückschlug und vorwärts ins Licht trat. Seine Haut hatte die Farbe von Ebenholz, das dunkle Haar fiel in langen Zöpfen nach hinten und war mit bunten Kristallen durchwirkt. Vier goldene Knöpfe funkelten über der Braue, und seine vollen Züge und dunklen Augen waren ernst, als er sich an die verblüfften Ultramarines wandte. »Ich bin Ordenspriester Astador von den Mortifactors, und ich heiße euch willkommen, Brüder.« So hatte sich Uriel die Mortifactors nicht ausgemalt. Nach seiner Vorstellung hatte Astador kehrt gemacht und war ohne ein weiteres Wort aus der Kammer der Leichen marschiert, so dass den verblüfften Ultramarines nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Die beiden Servoschädel schwebten neben ihrem Herrn und Meister und dicht über dessen Kopf her, und Uriel fragte sich, welche anderen technologischen Artefakte die Mortificators wohl nutzten. Die Ultramarines mieden die Benutzung von Servoschädeln, da sie es vorzogen, die sterblichen Überreste gefallener Diener des Imperiums in ihrer Gänze zu beerdigen, auf dass sie vollständig zur Rechten des Imperators sitzen mochten. Die Hallen der Mortificators waren düster und still wie ein Grab. Jedes Portal und jede Kammer, die sie passierten, wies mehr Schädel auf, und erst jetzt, da er genauer hinschaute, erkannte Uriel, dass kein einziger davon geschnitzt oder künstlich gefertigt war. Alle waren echt, gebleicht und staubig vom Alter. Zwar sahen sie auf ihrem langen Marsch keine Bewohner des Festungsklosters, aber die Stille wurde durch gelegentliche Klänge hymnischer Gesänge und ernster Gedenk-Choräle gestört. Uriels Gefühl der Verwunderung wuchs, je tiefer sie in dieses
düstere Sepulchrum eindrangen. Wie konnten Krieger von seinem Blut an so einem morbiden Ort wohnen? Wie hatten sich diese Söhne Guillaumes so weit von den Lehren des Primarchen entfernen können? Er beschleunigte, bis er auf gleicher Höhe mit Astador marschierte. »Bruder Astador«, begann er. »Ich möchte keinen Anstoß erregen, aber hat Ihr Orden in seiner jüngsten Vergangenheit einen größeren Verlust erlitten?« Astador schüttelte verblüfft den Kopf. »Nein. Wir sind mit viel Ehr' und den Gebeinen unserer Gefallenen von Armageddon zurückgekehrt. Warum fragen Sie?« Uriel suchte nach den richtigen Formulierungen. Sie brauchten die Hilfe der Mortificators, und die falschen Worte konnten alle Hoffnung auf Hilfe rasch zerschlagen. »Die Hallen Ihres Klosters lassen vermuten, dass Sie in Trauer sind.« »Ist es nicht so auf Macragge?« »Nein. Die Festung Hera ist ein Ort der Feierlichkeiten, der Freude im Dienst des Imperators. Sie hallt von Geschichten über Tapferkeit und Ehre wider.« Astador schwieg einen Moment, bevor er antwortete. »Sie sind auf Macragge geboren?« »Nein, ich stamme von Calth, obwohl ich meine Ausbildung in der Agiselus-Kaserne auf Macragge im Alter von sechs Jahren begonnen habe.« »Und würden Sie sagen, dass Ihre Heimatwelt Sie geformt hat?« Uriel dachte kurz über Astadors Frage nach. »Ja, das würde ich. Ich habe auf einem unterirdischen Bauernhof gearbeitet, seit ich laufen konnte. Auf Calth ist das Leben hart, und entweder man arbeitete schwer oder man spürte die Rute auf dem Rücken.« »Hat Ihnen das Leben dort gefallen?«, fragte Astador. »Das nehme ich an, obwohl ich mich mittlerweile kaum noch daran erinnern kann. Es war harte Arbeit, aber ich stammte aus einer Familie, die mich geliebt und sich um mich gekümmert hat. Ich weiß noch, dass ich dort glücklich war.« »Und doch haben Sie das alles aufgegeben, um ein Ultramarine zu werden.« »Ja, in Ultramar arbeiten alle nur daraufhin, Soldat zu werden. Ich fand heraus, dass ich eine natürliche Begabung für den Krieg hatte, und schwor, der beste Krieger zu werden, den Macragge je
gesehen hat.« Astador nickte. »Sie sind, was Sie sind, wegen Ihrer Herkunft, Hauptmann Ventris, also maßen Sie sich nicht an, mich nach Ihren Maßstäben zu beurteilen. Die Welt unter uns war meine Heimat, und bis ich auserwählt wurde, ein Krieger des Imperators zu werden, habe ich weder Sonnenlicht noch Freude gekannt. Diese Dinge gibt es auf Posul nicht, nur ein brutales Leben der Finsternis und des Blutvergießens. Ich habe dreihundert Schädel im Kampf genommen, bevor ich auserwählt wurde, ein Space Marine zu werden, und seit diesem Tag töte ich die Feinde, des Imperators. Seitdem habe ich die Sonne gesehen, kenne aber immer noch keine Freude.« »Ein Space Marine braucht weder Freude noch Ruhm«, sagte Learchus. »Der Dienst am Imperator soll sein Wein und sein Brot sein, und seine Seele wird zufrieden sein.« Astador blieb stehen und drehte sich zu dem VeteranenSergeant um. »Sie zitieren aus dem Codex Astartes, Sergeant. Wir sind der Notwendigkeit solcher Dogmen entwachsen und pflastern uns einen eigenen Weg aus den Worten unserer Ordenspriester. Sich von Worten binden zu lassen, die vor einer Ewigkeit niedergeschrieben wurden, ist nicht unsere Art.« Die Ultramarines blieben wie angewurzelt stehen, entsetzt über Astadors beiläufige Blasphemie. Ein so leichtfertiges Abtun der heiligen Schriften Roboute Guillaumes hätten sie niemals von einem anderen Space Marine erwartet. Tiberius war der Erste, der sich fing, und sagte: »Vergeben Sie uns, Ordenspriester. Aber es hat uns überrascht, jemanden, dessen Abstammung auf den gesegneten Primarchen zurückgeht, auf solche Weise über den Codex Astartes reden zu hören.« Astador verbeugte sich respektvoll. »Ich entschuldige mich, wenn meine Worte Anstoß erregt haben, Lordadmiral. Wir verehren den Primarchen so wie Sie. Er ist der Vater unseres Ordens, und alle unsere Treueide werden auf ihn und den Imperator geschworen.« »Und doch schmähen Sie sein bedeutendstes Werk?«, schnauzte Learchus, während er die Fäuste ballte. »Nein, Bruder, ganz und gar nicht«, sagte Astador, indem er sich vor Learchus stellte. »Wir betrachten seine Worte als Grundlage unserer Lebensart, aber seinen Lehren zu folgen, ohne zu berücksichtigen, was wir selbst gelernt haben und was wir rings
um uns sehen, ist nicht Weisheit, sondern lediglich Wiederholung. Wiederholung führt zur Stagnation. Und Stagnation führt in den Untergang.« Uriel legte Astador eine Hand auf die Schulter und sagte: »Bruder Astador, vielleicht sollten wir weitergehen? Wir sind gekommen, um mit Ihrem Ordensmeister zu sprechen, und haben keine Zeit für theologische Debatten. Die Welt Tarsis Ultra wird vom tödlichsten Feind überhaupt bedroht, und wir möchten Ihren Meister in dem bevorstehenden Konflikt um seine Hilfe bitten.« Astador nickte, ohne sich umzudrehen, dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte weiter in die Dunkelheit. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und lockerte Kiefermuskeln. »Verdammt, Learchus«, flüsterte er. »Wir sind hier, um sie um Hilfe zu bitten, und nicht, um sie vor den Kopf zu stoßen.« »Aber Sie haben gehört, was er über den Kodex gesagt hat!«, protestierte Learchus. »Uriel hat recht, Learchus«, sagte Tiberius. »Wir sind alle Krieger des Imperators, und das ist das Wichtigste. Sie wissen, dass es andere Orden gibt, die den Worten des Primarchen auch nicht so unbedingt folgen wie wir. Die Söhne von Russ folgen ihrem eigenen Weg, und wir betrachten sie als Verbündete, oder etwa nicht?« Learchus nickte, obwohl Uriel sah, dass er nicht überzeugt war. Uriels Blick folgte Astador, der weiter durch die Dunkelheit seines Festungsklosters ging. Die Schädel der gefallenen Mortifactors starrten ihn von den Wänden an. Uriel seufzte. Gewiss konnten Zeit und Raum einen Orden sehr stark verändern, wie ähnlich ihre Abstammung auch sein mochte. Astador drehte sich um und winkte sie vorwärts. »Kommt. Lord Magyar wartet.« Die Galerie der Knochen war treffend benannt, überlegte Uriel, während er dastand und auf die Audienz bei Lord Magyar wartete, dem Ordensmeister der Mortifactors. Ein aus Knochen geschnitzter Kreuzgang umgab einen steingefliesten Boden, der mit vielen Hundert Grabsteinen gepflastert war. Nischen zwischen den Säulen des Kreuzgangs enthielten Skelettkrieger mit Schwertern in den Klauenhänden, und die gesamte Kuppeldecke bestand aus ineinandergeschachtelten Schä-
deln, deren augenlose Höhlen auf jene herabstarrten, die sich in ihrer Domäne befanden. Die vier Ultramarines standen im Zentrum der ausgedehnten Fläche, die von dem Kreuzgang eingefasst wurde, Uriel und Tiberius vorne, Learchus und Pasanius wie bei der Parade nach einem »Rührt-Euch«-Befehl hinter ihnen. Leichenhausstatuen von Engeln flankierten einen riesigen Thron aus den Knochen längst verstorbener Space Marines. Uriel konnte einzelne Oberschenkelknochen, Wirbelsäulen und andere Gebeine wie auch grinsende Schädel in den Armlehnen und oben in der sich verjüngenden Lehne des Throns erkennen. Ein knochenbeiniger Tisch mit einer flachen, dunkel emaillierten Schale darauf stand neben dem Thron. Wohin Uriel auch sah, der Tod wurde mehr als alles andere verehrt und erhöht. Ein tiefer Gong ertönte, und hinter dem Thron schwangen lautlos verborgene Türen auf. Eine lange Prozession betrat die Galerie der Knochen. Dutzende Kapuzen tragende Gestalten marschierten in die Kammer, von denen einige Räucherfässchen schwangen und andere leise Klagelieder sangen, aber alle hatten den Kopf gesenkt. Einer nach dem anderen bezogen sie Stellung in der Kammer, bis vor jeder Nische mit einem Skelett ein lebender Zwilling stand. Zwei Terminatoren in dunkler, mit Knochensäumen verzierter Rüstung marschierten in die Kammer, jeder mit einer langen Sense mit breiter Klinge in den Händen. Die Helme waren so gestaltet, dass sie schreienden Schädeln ähnelten, und Uriel konnte sich sehr wohl das Grauen vorstellen, das diese Krieger in ihren Feinden wecken konnten. Die Terminatoren bezogen beiderseits des Throns Stellung, während ein geflügeltes Skelett, nicht größer als ein Kind, auf zerbrechlich wirkenden Schwingen mit dünnen, membranartigen Überresten zerfledderter Gewandung zwischen den Flügelknochen in die Galerie flatterte. Es ließ sich auf der Thronlehne nieder, blieb dort hocken und betrachtete stumm die schockierten Ultramarines. Messingdrähte glitzerten an den Gelenken, und Uriel konnte einen winzigen SuspensorGenerator erkennen, der zwischen den Flügeln an der Wirbelsäule befestigt war. Uriels Lippe kräuselte sich voller Abscheu beim Anblick des geflügelten Vertrauten, als ein hochgewachsener Mann in einer Knochenrüstung die Galerie betrat. Seine Bewegungen waren langsam und gemächlich, jeder Schritt mit Bedacht gesetzt und ernst. Sein Brustharnisch bestand aus langen Rippen, die zurechtgebo-
gen worden waren. Der Imperiumsadler in der Mitte war ebenso skelettartig wie der geflügelte Vertraute, der die Vorgänge beobachtete. Jedes Einzelteil der Rüstung dieses Kriegers, von den Beinschienen bis zum Nacken- und Armschutz, bestand aus Knochen. Er trug eine gigantische Sense, deren Klinge scharf und versilbert und deren Heft aus glänzendem Ebenholz war. Lord Magyar, denn es konnte niemand anders sein, blieb vor seinem Thron stehen und verbeugte sich vor den Ultramarines. Das lange, silberne Haar war zu unzähligen, mit Kristallen geschmückten Zöpfen geflochten, die ihm bis zu den Hüften fielen, und seine kohlen dunkle Haut erinnerte mit den Kratern und Erhebungen ihrer unzähligen Runzeln an eine Mondlandschaft. Ein langer, gegabelter weißer Bart, zu scharfen Spitzen gewachst, reichte ihm ebenfalls bis zur Hüfte. Seine Augen waren dunkle Löcher, und obwohl sich das Alter des Ordensmeisters nicht schätzen ließ, war Uriel sicher, dass er mindestens siebenhundert Jahre alt sein musste. Lord Magyar setzte sich auf seinen Thron und sagte: »Ihr seid willkommen, Brüder des Blutes.« Uriel war schockiert über die Kraft und starke Autorität im Tonfall des alten Kriegers, verbarg jedoch seine Überraschung, als er vortrat und sich verbeugte. »Lord Magyar, wir danken Ihnen für das Willkommen und bringen Grüße von Ihren Brüdern von Ultramar. Lord Calgar persönlich hat mich gebeten, Sie von ihm zu grüßen.« Lord Magyar akzeptierte Uriels Begrüßung mit einem langsamen Nicken. »Sie kommen mit finsteren Neuigkeiten, Hauptmann Ventris. Unsere Ordenspriester haben schwerwiegende Vorzeichen gesehen, und sie haben Sie gesehen.« »Sie haben mich gesehen?«, fragte Uriel. »Sie, und zwar voller Blut. Als Sieger. Und als Leichnam«, verkündete Magyar. »Das verstehe ich nicht, Lord.« »Wir wissen schon lange, dass Sie zu uns kommen würden, Uriel Ventris«, nickte Magyar, »aber nicht, warum. Erzählen Sie mir, warum Sie in mein Kloster gekommen sind, Bruder des Blutes?« Erleichtert darüber, wieder bei einem Thema zu sein, das er verstand, verbeugte sich Uriel noch einmal vor Lord Magyar. »Wir treten vor Sie in der Hoffnung, dass Sie die Kriegerschuld
ehren und uns im Kampf gegen einen schrecklichen Feind zur Seite stehen werden.« »Sie sprechen von dem Eid, den Guillaume beim Großen Kreuzzug auf Tarsis Ultra geschworen hat.« »Das tue ich, Lord Magyar.« »Ihr Orden ist immer noch durch einen solchen Eid gebunden?«, fragte Magyar. »Ja, Lord. Wie es unsere Art ist, sind wir verschworen, die Bewohner von Tarsis Ultra zu verteidigen, sollte ihre Welt jemals bedroht werden, seitdem unser gesegneter Patriarch dem Soldaten, der ihm das Leben rettete, seinen Eid der Bruderschaft geleistet hat«, sagte Uriel. »Und ist ihre Welt bedroht?«, fragte Magyar formell. »Das ist sie, Lord.« »Sind Sie sicher?« »Ja, Lord. Ein Ableger des Großen Verschlingers bewegt sich darauf zu und wird sie bald angreifen. Meine Krieger und ich haben erst kürzlich ein Tod der Tugend benanntes Space Hulk geentert und zerstört, das nach Tarsis Ultra unterwegs war. Der verfluchte Koloss war voller Symbionten, und wir haben sie tapfer bekämpft. Nach der Rückkehr auf unser Schiff haben unsere Astropathen die psychischen Störungen entdeckt, die Schatten im Warp genannt werden. Sie bewegen sich auf uns zu. Die Tyraniden kommen, Lord. Das ist gewiss.« »Und was wünschen Sie von mir?« »Mein Orden ist verpflichtet, diese Gebiete zu verteidigen, und ich appelliere an das Blut, das zwischen uns fließt, und bitte um Ihre Hilfe. Die Tyraniden sind ein monströser Feind, und wir werden alle Mühe haben, sie zu besiegen. Mit Ihren tapferen Kriegern an unserer Seite hätten wir sehr viel größere Siegesaussichten.« Lord Magyar grinste und zeigte dabei strahlend weiße Zähne. »Versuchen Sie gar nicht erst, an meine Eitelkeit als Krieger zu appellieren, Hauptmann Ventris. Ich weiß sehr wohl von dieser Schuld und dem Band, das zwischen uns existiert.« »Dann werden Ihre Krieger neben uns kämpfen?« »Das bleibt abzuwarten«, sagte Magyar, indem er Astador einen Wink gab. Astador trat neben seinen Lord und Meister und erwartete dessen Befehl. »Sie werden sich auf die Suche nach einer Vision begeben, Or-
denspriester Astador?« »Ja, Lord. Wie Sie befehlen«, sagte Astador, indem er sein Gewand öffnete, so dass es auf den Grabsteinboden fiel. Seine Rüstung hatte die Farbe von vergossenem Blut, dunkel und bedrohlich, und goldene Einfassungen. Jeder Schulterschützer war mit einem Obsidianschädel geschmückt. Er trug ein Crozius Arcanum mit goldenen Flügeln, seine Waffe und ein Ordenssymbol der Autorität. Er bückte sich und zog Lord Magyar einen Panzerhandschuh aus, den er neben die Schale auf den Tisch legte. Dann hob er sein Crozius und zog seinem Meister die scharfe Schneide über die Handfläche, so dass das Blut in die Schale lief. Lord Magyar ballte und entspannte wiederholt die Faust, um zu verhindern, dass das Blut gerann, bis die Schale voll war. Astador hob die Schale und reichte sie Lord Magyar, der sie mit einem respektvollen Nicken entgegennahm. Der Ordensmeister nippte von seinem Blut und reichte die Schale dann wieder Astador. Der Ordenspriester hob sie an die Lippen und goss sich das Blut in einem roten Regen über das Gesicht. Er trank ausgiebig vom Blut seines Meisters, und Uriel verzog vor Abscheu das Gesicht. Was für ein barbarisches Ritual war dies, dass es das Blut eines Bruders bedurfte, um es vollziehen zu können? Waren die Morifactors so entartet, dass sie sich Ritualen verschrieben hatten, wie man sie gemeinhin mit den Mächten des Verderbens verband? Er warf einen Blick auf Tiberius. Die Miene des Lordadmirals war unergründlich, doch Uriel konnte die Anspannung in seinen Kiefermuskeln sehen, und er nahm sich ein Beispiel daran. Astador ächzte und streckte eine Hand aus, um sich abzustützen. Der knochige Vertraute auf der Rückenlehne des Throns erhob sich in die Luft, flatterte geräuschvoll zu dem schwankenden Ordenspriester und fing die Schale auf, als sie seinen schlaffen Fingern entglitt. Uriel konnte sich nicht mehr beherrschen und rief: »Was macht er denn? Das stinkt nach unreiner Zauberei!« »Schweigen Sie!«, tönte Magyar. »Er sucht Rat bei unseren verehrten Vorfahren. Ihre Weisheit kommt von jenseits des Todesschleiers und stört sich nicht an den Bedenken der Lebenden. Er sucht ihren Rat, ob wir uns Ihnen in diesem Kampf anschließen sollten.«
Uriel wollte gerade antworten, als er einen eisernen Griff um seinen Arm spürte. Lordadmiral Tiberius schüttelte bedächtig den Kopf. »Der Verschlinger kommt von außerhalb der Galaxis und schon durch seine Bezeichnung verraten Menschen ihre Unwissenheit«, ächzte Astador. »Das unsterbliche Schwarmbewusstsein beherrscht jeden seiner Gedanken. So viele Wesen... Milliarden mal Milliarden Ungeheuer bilden den Schwarmverstand, und es gibt niemanden hier, der sein Ausmaß begreifen kann. Es kommt hierher und will sich nur nähren. Man kann nicht mit ihm verhandeln, man kann nicht mit ihm argumentieren, man kann es nur bekämpfen. Es muss bekämpft werden.« Astador sank auf die Knie und erbrach einen Strahl gleißenden Blutes, aber der geflügelte Vertraute war da und fing die Lebensflüssigkeit in der Schale auf. Er flatterte zu Magyar und reichte ihm die mit Blut gefüllte Schale, bevor er seinen Platz über dem Ordensmeister wieder einnahm. Lord Magyar sah Uriel in die Augen und lächelte, bevor er einen Teil seines Blutes trank. Uriel hörte Learchus hinter sich würgen, zwang sich aber, seinen Ekel zu verbergen. Der Ordensmeister der Mortifactors wischte sich ein Rinnsal Blut vom Bart und sagte: »Die Omen sind nicht gut, Uriel Ventris von den Ultramarines.« Uriels Mut sank, aber Lord Magyar war noch nicht fertig. Er erhob sich von seinem Thron und schritt über den Boden der Toten, um vor Uriel stehen zu bleiben. Der Ordensmeister der Mortifactors beugte sich vor und bot ihm die Schale an. Speichelschaumiges Blut bildete einen Bodensatz. »Werden Sie den Pakt unserer Verbrüderung besiegeln, Hauptmann Ventris?« Uriel starrte in die Schale. Das Blut war leuchtend scharlachfarben. Er spürte, wie ihm die Galle hochkam, nahm die ihm von Lord Magyar dargereichte Schale jedoch an. Er hob sie an die Lippen. Blutgestank drang ihm in die Nase. Belustigung funkelte in Lord Magyars Augen, und Uriel spürte Zorn in sich auflodern. Er neigte die Schale, spürte, wie das heiße Blut in seinen Mund rann, und schluckte. Es glitt seine Kehle hinunter, und Uriel konnte spüren, wie ihn
ein gewisses Maß von Lord Magyars Vitalität und Kraft erfüllte. Das Blut trug die Last des Alters in seinem heißen, metallischen Geschmack, und Uriel würgte, als seine Sinne plötzlich von einer kraftvollen Vision eines Gemetzels überflutet wurden, die an eine Ewigkeit des Todes gemahnte. Er sah zwei fremdartige gelbe Augen, und wieder spürte er die Berührung des Nachtbringers in seinem Bewusstsein. Lord Magyar entnahm Uriels empfindungslosen Fingern die Schale und wandte sich Astador zu, der nickte. »Wir werden die Kriegerschuld ehren, Hauptmann Ventris. Ich werde Ihnen eine Kompanie meiner Krieger mitgeben und Ordenspriester Astador, um sie anzuführen. Sie werden nebeneinander als Gleichgestellte kämpften. Das Blut hat gesprochen, und Sie haben unser Band der Bruderschaft erneuert.« Uriel hörte ihn kaum, nickte aber dennoch, obwohl er eine tiefe Übelkeit verspürte. Doch ob sie die Folge des Blutes oder der Erinnerung an den Nachtbringer war, konnte er nicht sagen.
ZWEI Die riesige Stadt Erebus leuchtete wie ein grelles Juwel an den Flanken des Cullingebirges. Sie war in einer großen Wunde im Fels errichtet, als habe ein Riese eine Spitzhacke genommen und eine gigantische ovale Aussparung in die Südwestflanke des höchsten Gipfels gehauen. In einem felsigen Tal mit steilen Wänden gelegen, das an seiner Öffnung volle neun Kilometer breit war, reichte die Stadt fast vierzig Kilometer tief in das Gebirge hinein. Durch den Fluss Nevas geteilt und mit einer Bevölkerung von über zehn Millionen Menschen, war Erebus ein krabbelnder Ameisenhügel und die bevölkerungsreichste Stadt von Tarsis Ultra. Hab-Einheiten, Fabriken, hydroponische Kuppeln, Vergnügungsboulevards und andere Bauwerke wetteiferten um Platz an den steilen Talhängen. Riesige Metallgebäude aus Glas und Stahl erhoben sich wie Metallblumen von der Talseite, und beinahe jeder Quadratmeter Felsen war verbaut. Vom Talboden bis zur gebirgigen Majestät der Luxus-Habs und exotischen Würze der Fleischbars war jeder verfügbare Felssplitter mit Trägern, Pfeilern und
unwahrscheinlich dünnen Säulen geschmückt, die eine architektonisch vielseitige Stilmischung stützten, welche in krassem Gegensatz zur schlichten marmornen Eleganz der uralten, vor zehn Millennien von den Ultramarines errichteten Bauwerke stand. Als Erebus ursprünglich errichtet wurde, war es das Musterbeispiel einer perfekten Stadt gewesen, aber seit diesen Zeiten hatte sich eine Menge verändert. Wo die Stadt früher ein Beispiel für alles Gute in der menschlichen Gesellschaft gewesen war, hatten zehntausend Jahre beständiger Expansion ihren Tribut von ihren utopischen Idealen eingefordert und sie an die grimmige Realität der Makropolen auf Welten wie Armageddon oder Necromunda angenähert. Skulpturen aus Stahl erhoben sich steil über den Berghängen, jede in Hab-Einheiten gehüllt. Je höher ein Bauwerk angebracht war, desto alltäglicher wurden Unfälle. Stahlgitter gaben unter den horrenden Lasten nach, die ihnen auferlegt wurden, rissen sich von den Hängen los und glitten dann majestätisch die Felswände hinunter, wobei sie Gehwege, Brücken und Menschen mitrissen, bis sie in einem Gewirr aus verbogenem Metall, Betontrümmern und Leichen spektakulär auf den Talboden krachten. Doch selbst hier auf dem Boden, in diesem beständigen Chaos und Aufruhr aus herabstürzenden Trümmern, gediehen Menschen. Der brütende Unterbauch der Stadt das Wehr enthielt gewundene barocke Korridore und Kammern von anarchistischer Pracht, die den Bodensatz-Banden den Gesetzlosen und Ausgestoßenen Zuflucht boten. Die Adeptus Arbites, im Wehr auch die Bronzen genannt, hatten einige der wilderen Gegenden des Wehrs zu verbotenen Zonen erklärt, und selbst die zähesten Mitglieder der Vollstreckertrupps der Arbites wurden dort nur in Gruppen tätig, und ihre Schrotflinten waren dort grundsätzlich geladen und entsichert. Wilde Banden hausten in den Tiefen des Wehrs, plünderten aus den Ruinen und eingestürzten Habs und Produktionstürmen sowie voneinander, was sie konnten. Gewalttätige Scharmützel waren an der Tagesordnung, da rivalisierende Banden um die Kontrolle frisch eingestürzter Bauten und um das Vorrecht kämpften, sie auszuplündern. Und manchmal kämpften sie einfach auch nur so zum Spaß.
Schneehund flankte über den Tresen der Fleischbar. Kugeln fegten ihm entgegen und zersplitterten die Holzfront, während er darüberrollte. Er lud seine Schrotflinte durch und ließ sich hinter die Bar fallen. Flaschen und der Spiegel hinter ihm explodierten zu spiegelnden Dolchen. Der Barmann schrie auf und brach neben ihm zusammen, um sich eine blutende Schulterwunde zu halten. Glassplitter hatten ihm das Gesicht aufgeschnitten, und seine Züge waren mit roten Linien übersät. Schneehund zwinkerte dem weinenden Mann zu. »Ich schätze, das ist wirklich nicht dein Glückstag.« Die stampfende Musik übertönte beinahe das Knattern der Schusswaffen. Sechs Wyldern mit schwerer Bewaffnung waren gerade in die Bar marschiert, legten sie mit Salven in Trümmer und töteten dabei wahllos Gäste. Wer hätte das kommen sehen? Schneehund holte tief Luft und kroch ans Ende der Bar. Er schulterte seine Schrotflinte. Ihre blau-stählerne Oberfläche glänzte wie neu, und er war jetzt froher denn je, dass er ihren ersten Vorbesitzer, einen Bronzen, getötet hatte. Geschrei und panisches Gebrüll erfüllte die Bar, während die Leute zu flüchten versuchten, um auf keinen Fall in einen der Bandenkriege verwickelt zu werden, die in der Makropole von Erebus mittlerweile allzu alltäglich waren. Massive Salven hallten durch die Bar, und mehr Schreie ertönten. Die Musik verstummte, als die Lautsprecher in einer Funkenexplosion den Dienst einstellten. Leute fielen zu Boden, mit tiefen Kratern in der Brust oder von großkalibrigen Geschossen förmlich entzweigerissen. Schneehund riskierte einen Blick um die Seite des Tresens. Tigerlily war hinter einem umgestürzten Tisch festgenagelt, ein Wurfmesser in jeder Hand, und Silber hatte Schutz hinter einem dicken Stahlpfeiler gefunden. Er konnte weder Jonny Stampfer noch Lex sehen, dachte sich aber, dass der eine zu schlau war und der andere zu viel Glück hatte, um von den ersten Salven erwischt worden zu sein. Verdammte Wyldern! Das Leben war für einen gerade flügge gewordenen Bandenführer schon schwer genug, auch ohne dass diese Verrückten es einem zur Hölle machten. Es war schon schrecklich genug, dass die Bronzen aus ihrem grimmigen, imposanten Festungsrevier am Rande des Wehrs, der schlimmsten aller schlimmen Zonen der Stadt, wie ein Eisenhammer über alle
kamen, die das Gesetz brachen was in diesem Teil der Makropole praktisch alle taten. Nicht einmal die Bronzen kamen ohne massive Bewaffnung hierher. Aber die Wyldern... Er wurde nicht schlau aus ihnen. Er stahl und tötete für Geld und um das Sagen im Wehr zu haben, aber diese Irren töteten einfach nur. Niemand konnte sagen, wann oder wo sie zuschlugen, und wenn sie es taten, platzten sie mit überlegenen Waffen herein und feuerten so lange, bis alle tot waren. Töten um des Profits willen konnte er verstehen, aber für diese Massaker sah er keinen Grund, und das störte Schneehund ganz gewaltig. »Kommt raus, kommt raus, wo ihr auch seid«, rief ein Wyldern mit Singsang-Stimme. Schneehund hörte das Schnappen, als frische Munition in die automatischen Waffen gerammt wurde, und nickte Tigerlily zu. Der junge Rotschopf schnellte wie eine Feder in die Höhe und schleuderte ein Wurfmesser mit unfehlbarer Genauigkeit. Die dünne Klinge bohrte sich in das Auge des nächsten Wyldern, der wortlos zusammenbrach. Tigerlily duckte sich wieder, und Schüsse schlugen Funken an dem Metalltisch, hinter dem sie in Deckung kauerte. Ihr schwarzer einteiliger Trikotanzug war von einem Metallsplitter des Tisches eingerissen worden, und Schneehund sah, dass sie jetzt wirklich wütend war. Kaum waren die Wyldern abgelenkt, erhob sich Schneehund hinter der Theke und brüllte: »Ihr habt euch die falsche Bar für eure Späße ausgesucht, Jungs!« Er erledigte einen weiteren Wyldern mit seinem ersten Schuss und streifte noch einen mit dem zweiten, bevor sie reagierten und die Bar mit Kugeln eindeckten. Schneehund hechtete beiseite und wälzte sich weiter, während Hunderte Kugeln die Bar in Feuerholz verwandelten. Silber kam aus ihrer Deckung, eine Pistole in jeder Hand. Das lange weiße Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre eisblauen Augen waren kalt und erbarmungslos. Sie legte gelassen zwei weitere Wyldern um, bevor sie sich wieder hinter den Pfeiler zurückdrehte, so dass ihr langer schwarzer Mantel sie umwallte. »Und da waren es nur noch zwei«, murmelte er, als er die jähe Furcht und Verwirrung der beiden verbliebenen Wyldern sah. Er erhob sich, trat hinter der Bar hervor und schlenderte in die Mitte des blutgetränkten Schlachtfelds. Überall lagen Leichen, und es
stank nach Pulverdampf. »So einen Empfang habt ihr nicht erwartet, was?«, fragte Schneehund. »Wir sind die Nachtschleicher, und ihr seid uns hier ziemlich in die Quere gekommen.« »Wir legen euch alle um!«, kreischte einer der Wyldern, aber seiner Stimme fehlte die Überzeugung. »Das glaube ich kaum, Mann«, sagte Schneehund, während er Jonny Stampfer und Lex auf dem oberen Balkon der Fleischbar erblickte, während sie Stellung hinter den Wyldern bezogen. Er schüttelte den Kopf. Wo hätten Jonny und Lex auch anders sein können als bei den Mädchen und Sexdrogen, um die Ware zu probieren, bevor die Arbeit erledigt wurde? »Was haltet ihr davon, wenn ihr beiden die Kanonen weglegt und uns einfach weitermachen lasst, hm?«, sagte Schneehund. Er sah ihr Zögern und wusste, dass er an ihren Selbsterhaltungstrieb appellieren musste, bevor ihre Dummheit und Tollkühnheit wieder die Oberhand gewannen. Er sagte: »Hört mal, hier muss heute keiner mehr sterben, in Ordnung?« Seine Stimme war besänftigend, und er senkte langsam die Schrotflinte, während er ihre teure Kleidung und gefärbten Haare taxierte. Ihre Gesichter waren mit Metalldornen gepierct, und ihre vollen Züge kündeten von gesundem Essen. Teuer aussehende Elektro-Tätowierungen wanden sich die Arme empor und um den Hals und pulsierten im Einklang mit ihrem rasenden Puls. Das waren Kinder reicher Eltern im Rausch irgendeiner narkotisierenden Droge. Er sah es in ihren Augen. Und plötzlich war alles ganz klar. Sie töteten wegen des Kitzels. Reiche Bengel, die töteten, weil sie gelangweilt waren und weil sie es konnten. Doch nun, da sich das Blatt gewendet hatte, war die Mordlust aus ihnen gewichen. Er ging weiter langsam zu den Wyldern und legte seine Schrotflinte auf den Tresen. »Ihr wollt doch nur noch in einem Stück hier rauskommen.« Die Wyldern nickten, und Schneehund breitete die Arme aus. »Das kann ich verstehen«, sagte er, »aber daraus wird nichts.« Sein Blick huschte zum Balkon. »Jetzt, Jonny«, sagte er gelassen. Auf den Mienen der Wyldern zeichnete sich für einen Sekundenbruchteil Verwirrung ab, bevor Jonny Stampfers hundert Kilo auf ihnen landeten und sie zu Boden rissen. Jonny war rasch wieder auf den Beinen, zerrte den ersten Wyldern vom Boden hoch,
brach ihm mit trockenem Knacken das Genick, um sich dann dem anderen zuzuwenden, der wegzukriechen versuchte. »Nein, bitte!«, flehte er. »Meine Familie ist reich, die gibt euch alles...« »Kein Interesse«, sagte Jonny und schmetterte dem jungen Wyldern die Faust ins Gesicht. Blut und Zähne flogen, als Jonny den jungen Mann mit bloßen Händen totschlug. Schneehund drehte sich um, nahm die Schrotflinte vom Tresen und legte den Lauf auf die Schulter. Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch das gebleichte stachelige Haar, während er sich auf den zersplitterten Tresen stützte. Flackerndes Neonlicht tauchte seine robusten Züge in einen ungesunden Schein, und Glas klirrte, als es aus zerschmetterten Rahmen fiel. Er klopfte auf den Tresen. Der benommene Barmann erhob sich, die Hände über den blutigen Kopf verschränkt. »Also gut, Mann. Wo waren wir vor diesen Unannehmlichkeiten stehen geblieben?«, sagte Schneehund. Er grinste wölfisch. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Das ist ein Überfall. Raus mit dem Geld.« »Gute Einnahme?«, fragte Lex mit Blick auf den Haufen Bargeld auf der umgedrehten Kiste. Schneehund beäugte Lex argwöhnisch. »Es reicht, Lex.« Er verstaute das Geld wieder in dem kleinen Rucksack und erhob sich, wobei er eine Schachtel Lho-Stäbchen öffnete und eins herausnahm. Er holte ein Messingfeuerzeug aus der Tasche, zündete das aromatische Stäbchen an und nahm einen tiefen Zug. Er hob den Rucksack an den Trägern auf und legte ihn auf sein eisernes Bettgestell. Schneehund setzte sich auf das Bett und sah zu, wie Lex die Achseln zuckte und ins vordere Zimmer ihres augenblicklichen Unterschlupfs zu Jonny Stampfer ging. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, und die funkelnden Lichter der Talhänge schienen durch das löchrige Dach und die glaslosen Fensteröffnungen. Es herrschte eine durchdringende Kälte, und Schneehund spürte in der Luft einen rauen Winter nahen. Lex war ein Problem. Schneehund wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Lex sich ins Grab bringen würde. Normaler-
weise hätte Schneehund ihn machen lassen und die Achseln gezuckt, aber niemand kannte sich besser mit Sprengstoff aus als Lex. Was er aus Gegenständen des alltäglichen Lebens zusammenbraute, war unglaublich, und viele Bronzen hatten schon Grund gehabt, eine übereifrige Verfolgung der Nachtschleicher zu bereuen, wenn sie in eine von Lex' Sprengfallen gelaufen waren. Lex erzählte nicht viel über seine Herkunft, aber Schneehund hatte eine Zahnrad-Tätowierung auf seinem Oberarm gesehen und nahm an, dass er früher einmal Lehrling bei einer der TechGilden gewesen war, die in den Fabrikhangars und HochöfenTempeln tiefer im Tal arbeiteten. Er war vor sechs Monaten zu ihnen gestoßen, und man musste kein Genie sein, um sich zusammenreimen zu können, warum er aus der Gilde geflogen war. Lex war ein Süchtiger, wahrscheinlich schon seit Jahren, permanent auf Kalma oder Sporn und zu dämlich, um zu begreifen, dass sie dadurch auf routinemäßige Chemo-Raster ansprechen würden. Er verbannte Lex aus seinen Gedanken und legte eine Hand auf die Beute aus der Bar. Es war genug, um sich ein paar richtig fette Kanonen zu kaufen, und dann würden sie sich ein richtiges Revier erkämpfen. Und er wusste auch genau, von wem er die Waffen bekommen würde. Ja, es war ein guter Fischzug gewesen, aber die Wyldern hatten ihnen die Schau gestohlen, und das wurmte ihn. Wie sollte er die Nachtschleicher zur gefürchtetsten und angesehensten Bande im Wehr aufbauen, wenn praktisch niemand mehr am Leben war, der die Geschichte herumerzählen konnte? Vielleicht hätten sie den letzten Wyldern am Leben lassen sollen, aber Schneehund tat den Gedanken rasch ab. Jonny Stampfer daran zu hindern, jemanden zu töten, wenn sein Blut in Wallung war, das war keine gesunde Option, wenn man selbst am Leben bleiben wollte. Der große Kerl war ein eiskalter Mörder, schlicht und ergreifend, aber er war nützlich und vertraute Schneehund vollkommen. Was nur bewies, dass Jonny nicht die hellste Birne in der Fassung war, aber Schneehund nahm alle Muskeln, die er kriegen konnte. Er nahm noch einen letzten Zug von seinem LhoStäbchen, ließ es dann auf den Boden fallen und trat es mit dem Absatz aus. Er legte sich aufs Bett und streckte sich aus. Er war durchschnittlich groß, aber mit einer drahtigen Muskulatur gesegnet, die seinen peitschenschnurdünnen Körper Lügen
strafte. Er trug tigerstreifigen Kampfdrillich, dessen Beinenden in einem schweren Paar Stiefel steckten, die er einem toten Bronzen abgenommen hatte, und ein weißes T-Shirt mit einem verblichenen Holobild einer Pilzwolke, die sich ausdehnte und zusammenzog, wenn er sich bewegte. Die Beute aus der Fleischbar würde die Wölfe in Schach halten, aber er musste sich schnell den nächsten Fischzug überlegen, wenn er seine Truppe zusammenhalten wollte. Sie würden ihm so lange folgen, wie sie bei ihm Beute witterten. Aber er brauchte irgendwas, das ihm mit einem Minimum an Aufwand ein regelmäßiges Einkommen bescheren würde. Er schaute auf, als er ein Klopfen am Türrahmen hörte, und lächelte, als Silber zur Bettkante geschlendert kam und sich neben ihn setzte. »Das war 'n Tag, was?«, sagte sie. »Ja, das war es«, gab Schneehund ihr recht. »Wo ist Tigerlily?« »Sie ist mit Trask in einen Hammerclub gegangen«, antwortete Silber schläfrig. »Kominsky's, glaube ich.« »Vielleicht werde ich alt, aber diese Hammermusik ist etwas, das ich nicht verstehe. Laute Musik verstehe ich, aber die ist wie ein Überschallangriff auf die Sinne.« »Ein Haufen Leute stehen drauf«, stellte Silber fest. »Sogar ich hab nichts dagegen.« »Warum bist du dann nicht mitgegangen?« »Ich hatte keine Lust auf Trask. Du weißt ja, wie er auf Stimms ist.« »Tigerlily macht das offensichtlich nichts aus.« »Das liegt daran, dass sie zu jung und dumm ist, um zu erkennen, was für ein Verlierer er ist.« »Du bist ziemlich zynisch heute.« Silber lächelte, und Schneehund spürte, wie er lockerer wurde, als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn küsste. »Ich bin müde«, sagte sie. »Und außerdem, was kann Trask schon für mich tun, das ich nicht von dir besser bekomme?« Schneehund kicherte, da er sich an das letzte Mal erinnerte, als Trask Silber nach einer langen Nacht auf Stimms übermäßig verliebt gekommen war. Das arme Schwein hatte danach eine Woche nicht gerade gehen können. Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Wie geht's dem Rest der Truppe?« Silber zuckte die Achseln. »Ganz gut, nehme ich an. Lex wird
langsam unruhig, und Jonny will raus, um noch ein paar Schädel einzuschlagen. Er redet ständig davon, es mit den Banden in der Hochmakropole aufzunehmen.« Schneehund lachte kurz. »Jonny wird mit dem Gesicht nach unten in der Senkgrube landen, wenn er glaubt, dass er es mit den Banden der Hochmakropole aufnehmen kann. Sag ihm, er soll besser dabei bleiben, die Feiern der kleinen Banden zu sprengen, wenn er weiß, was gut für ihn ist. Für diese Spielchen sind wir noch nicht reif.« Silber gähnte, zog den langen Mantel aus und löste das albinoweißen Haar aus dem Pferdeschwanz. Sie stieg über Schneehund hinweg und legte sich mit dem Rücken zur Wand. Ein Arm lag auf Schneehunds Hüfte, während der Kopf auf seiner Brust ruhte. Er küsste sie auf die Stirn und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ist dir aufgefallen, dass nicht viele Einheiten der Bürgerwehr rings um die Fleischbar unterwegs waren?«, fragte Silber, während ihre Hand unter sein T-Shirt glitt und ihre Finger mit den Haaren auf seinem Bauch spielten. »Ja. Das war ziemlich komisch, oder?« »Ich frage mich, wo die waren? Normalerweise kann man im Hochtal keinen Schritt machen, ohne wenigstens ein paar von ihnen zu sehen.« Schneehund nickte zögernd. »Ich weiß nicht, aber jetzt, wo du es erwähnst, muss ich sagen, dass mir die ganze Stadt in letzter Zeit ziemlich komisch vorkommt, gereizt und nervös. Ich habe viele Bronzen gesehen, aber was Soldaten angeht, war es ziemlich ruhig. Ich frage mich warum? Und diese Wyldern. Normalerweise würden sie es nie wagen, eine Bar anzugreifen, die so nah bei der Hochmakropole liegt.« »Was ist da wohl los, was meinst du?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aber wenn es uns die Bürgerwehr und die Bronzen vom Hals hält, kann es mir nur recht sein.« Schneehund hätte sich nicht mehr irren können.
DREI Uriel sah die Landschaft an dem Thunderhawk vorbeirasen, der schneebedeckte Berge von majestätischer Erhabenheit umkreiste.
Ein harter Winter stand diesem Teil der Welt bevor, und die Schönheit unter ihm war atemberaubend. Gefrorene Bergseen funkelten in dem blassen Licht, und die wilde Pracht erinnerte ihn mit Wehmut an die Landschaft rings um die Festung Hera. Das Thunderhawk legte sich in eine Kurve, als es der Linie der Berge folgte, und Uriel erhaschte einen Blick auf die schwarzen Kampfhubschrauber der Mortifactors, die ebenso in Formation flogen wie die Ultramarines. Seine Miene wurde verdrossen, als er von einer starken und lebhaften Erinnerung an den Geschmack von Lord Magyars Blut überflutet wurden. Der Ordensmeister der Mortifactors hatte gelacht, ihn Bruder genannt und mit den Handflächen auf Uriels Schulterschützer geklatscht, so dass blutige Handabdrücke zurückgeblieben waren. Wie ein Orden in der Nachfolge des gesegneten Roboute Guillaume so weit von seiner Vision einer heiligen Kriegertruppe abgefallen sein konnte, wollte ihm nicht in den Kopf. Er hatte außerdem das Gefühl, dass Uriels Trinken des Blutes den Ordensmeister dazu bewogen hatte, seine Krieger zu entsenden, und nicht etwa irgendein Band gemeinsamer Bruderschaft. Wie konnte solch ein Orden funktionieren, geschweige denn gedeihen, ohne sich auf den Codex Astartes zu stützen? Nach seiner Rückkehr auf die Vae Victus hatte sich Uriel in Gebete und Reinigungsrituale vertieft, aber die in seinem Bewusstsein herumspukende Vision ließ sich dadurch nicht austreiben. Er konnte das Gefühl der Macht nicht abstreiten, das er beim Trinken des Bluts erlebt hatte, und er wusste, dass ein Teil von ihm, der Imperator mochte ihm verzeihen, sich wieder nach dieser Macht sehnte. In dem Monat, den sie gebraucht hatten, um ins System von Tarsis Ultra zurückzukehren, hatte es nur spärlichen Kontakt mit den Mortifactors gegeben, eine Situation, mit der die Ultramarines mehr als zufrieden waren. Es war ein Schock für alle gewesen, dass sich ein aus ihrer ehrenwerten Hinterlassenschaft hervorgegangener Orden so sehr verändert hatte. Sie würden mit den Mortifactors kämpfen, aber Uriel war klar, dass die Bruderschaft zwischen den Orden und die gegenseitigen Treueeide nicht erneuert würden. Sie würden gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, mehr nicht. Ihm ging auf, dass er die Fäuste geballt hatte, und ließ langsam
seinen angehaltenen Atem entweichen. Die Thunderhawks gingen tiefer, da sie die Berge hinter sich hatten, und Uriel versuchte, seine wütenden Gedanken abzuschütteln und den Blick wieder auf die Welt unten zu richten. Sie flogen über ordentliche Landwirtschafts-Kollektive, deren riesige Felder satte grüne Flächen inmitten der weißen Reifflecken des nahenden Winters bildeten. Funkelnde Eisenbahnschienen und Wasserstraßen schlängelten sich durch die Landschaft und verbanden die verstreuten Gemeinden, und ab und zu erhaschte Uriel einen Blick auf einen dazwischen verkehrenden silbrigen Zug. Der Blick erinnerte auf unheimliche Weise an die Oberfläche von lax, manchmal auch Garten von Ultramar genannt, eine der produktivsten Welten des Imperiums. Uriel fragte sich kurz, ob die Bewohner wohl auch ihre eigene Version von lax' Festungsstadt »Erstlandung« gebaut hatten. Soweit er das aus der Luft sagen konnte, sah Tarsis Ultra wie eine Modellwelt aus, die auch in Ultramar nicht fehl am Platz gewesen wäre. Aber Uriel wusste, dass es nicht immer so gewesen war. Vor zehntausend Jahren war die Welt jahrzehntelang durch die Lügen der Ketzer versklavt gewesen, bis sie von Roboute Guillaume und den Ultramarines im Großen Kreuzzug befreit worden war. Die dankbare Bevölkerung hatte den Namen ihrer Befreier in den Namen ihrer Welt eingearbeitet, auf dass sie sich immer an sie erinnern und sie ehren möge. Als die Legion der Ultramarines zu neuen Feldzügen aufgebrochen war, hatte Roboute Guillaume das Fundament einer geordneten Welt hinterlassen, die auf den Idealen von Gerechtigkeit, Ehre und Disziplin fußte anstatt auf den verheerten Wüsten, die viele andere Primarchen nach ihren Siegen hinterließen. Guillaume hatte Lehrer, Handwerker, Konstrukteure und Architekten zurückgelassen, um beim Wiederaufbau von Tarsis Ultra zu helfen. Seine Zivilisation wurde nach dem Ebenbild Ultramars neu erschaffen, die Gesellschaft geordnet und gerecht, die Bevölkerung zufrieden und produktiv. Tarsis Ultra wurde wieder eine funktionierende Welt des Imperators. Ihr Ausstoß war erstaunlich, aber anders als viele industrielle Welten, auf denen die gedankenlose Ausplünderung ihrer natürlichen Rohstoffe dazu führte, dass sie zu verschmutzten Giftwüsten wurden, sorgte umweltbewusstes
Haushalten mit den Rohstoffen dafür, dass Tarsis Ultra eine blühende, angenehme Welt blieb. Nach den grimmigen Enthüllungen hinsichtlich der Mortifactors freute sich Uriel schon darauf, den Fuß auf eine Welt zu setzen, die auch der Primarch besucht hatte. Seine Erlebnisse in der Basilica Mortis hatten ihn bis ins Mark erschüttert, und es würde ihm gut tun, eine greifbare Erinnerung an Roboute Guillimans Hinterlassenschaft zu sehen. Und er war beeindruckt von dem, was er bisher von Tarsis Ultra und seinen Verteidigungsanlagen gesehen hatte. Ungeschlachte Sternenfestungen hingen in geo-stationärer Umlaufbahn über der primären Kontinentalmasse, und in den Monaten seit ihrer Warnung hinsichtlich der sich nähernden Tyraniden hatte sich bereits eine beachtliche Flotte versammelt. Die Argus, ein Schlachtschiff der Victor-Klasse und Veteran des Ersten Tyrannenkrieges, war das Flaggschiff einer Abteilung stolzer Kriegsschiffe, darunter auch die Schwert der Vergeltung, ein Schlachtkreuzer der Herrscher-Klasse, drei Kreuzer und eine Reihe von Begleitschiffen. Ganze Flotten von Landungsbooten, mit Männern und Frauen der Imperialen Garde beladen, pendelten beständig zwischen der Planetenoberfläche und vier großen Truppentransportern in der Umlaufbahn. In wenigen Tagen würden zwei volle Regimenter, das 10. Logres und das 933. Todeskorps von Krieg, auf Tarsis Ultra stationiert sein. Weitere Schiffe wurden durch das Segmentum-Kommando in Bakka ins System beordert, und in nahen Systemen und SubSektoren wurden frische Regimenter ausgehoben, aber deren Eintreffen würde noch mehrere Monate auf sich warten lassen. Einstweilen waren sie auf sich allein gestellt. Lordadmiral Tiberius plante bereits die Strategie für die vereinten Flotten mit Kapitän Gaiseric vom Angriffskreuzer Mortis Probati und dem Kommandeur der Flotte, Admiral de Corte, einem Schüler von Lordadmiral Zaccarius Rath persönlich. »Zwei Minuten«, kam die Stimme des Piloten über Lautsprecher. Uriel riss sich aus seinen Grübeleien und beobachtete, wie Learchus durch das Thunderhawk ging. Seine normalerweise stoischen Züge verrieten Vorfreude. Es schien, als sei Learchus versessener darauf als alle anderen, Tarsis Ultra zu betreten. Pasanius saß Uriel gegenüber und sah entspannt aus. Es schien
ihn nicht weiter zu berühren, dass sie bald eine Welt betreten würden, auf der ihr Primarch einst gewandelt war. Sein schwerer Flammenwerfer war über ihm verstaut, und er nickte Uriel zu, als das Thunderhawk zum Landeanflug ansetzte. »Das dürfte interessant werden«, sagte er. »Interessant?«, lachte Learchus. »Es wird wunderbar. Das Werk des gesegneten Guillaume auf halbem Weg durch die Galaxis zu sehen, ist ein Beweis dafür, dass unsere Lebensart der Weg ist, der die Menschheit voranbringt.« »Ist es das?«, fragte Pasanius. »Natürlich«, sagte Learchus, offenbar überrascht, dass Pasanius seine Feststellung überhaupt aufgriff. »Wenn die Lebensart, der wir seit Millennien folgen, hier Blüte treibt, kann sie das überall.« »Treibt sie hier Blüte?« »Offensichtlich.« »Woher weißt du das? Du hast sie noch nicht gesehen.« »Ich brauche sie nicht zu sehen, ich habe Vertrauen in den Primarchen.« Uriel ließ seine Sergeanten über die Feinheiten von Guillaumes Vision diskutieren, als er seinen ersten Blick auf Erebus warf, einer dunklen Narbe in der schneebedeckten Flanke eines riesigen Gebirges, die mit silbernen Türmen gefüllt war. Ein großes Staubecken glitzerte auf dem angrenzenden Plateau hoch über der kilometerbreiten Talmündung. Die felsigen Hänge waren mit weißen Marmorgebäuden und eleganten Säulenbauwerken gekrönt. Eine breite, von Statuen gesäumte Straße führte durch die Mitte des Tals zum ersten Verteidigungswall der Stadt, auf allen Seiten von zahllosen Gebäuden bedrängt. Das Innere der Stadt war ein funkelndes Spinnennetz aus Silber und Weiß. Mit Ausnahme der Gebäude am Rande des Tals konnte Uriel kein Schema in der Anlage der Stadt erkennen. Hier und da fielen ihm Beispiele macraggescher Architektur auf, aber wo Raum und Licht hätten sein sollen, sah er stattdessen neuere, aufdringlichere Konstruktionen, hoch aufragende Karbunkel, welche die Eleganz der ältesten Gebäude überschatteten. Das Thunderhawk gewann wieder an Höhe und änderte den Kurs, so dass es parallel zum Tal flog. Uriel konnte erkennen, dass der Talboden anstieg, je weiter er ins Gebirge vordrang, bis er einen langen Abwehrwall mit einem schäumenden Wasserfall in der Mitte erreichte, der sich wiederum zu einem kleineren Wall
erhob, da sich das Tal verengte. Diese Stufenstruktur der Verteidigungsanlagen der Stadt setzte sich bis zum Talende fort, und nun, da er auf die Stadt hinunterschauen konnte, sah er auch baufällige Gegenden, eingestürzte Bauwerke, die aussahen, als seien sie mit Granaten beschossen worden. In den kalten Schatten der hohen Wolkenkratzer des tiefen Tals kauerten Hunderte Häuserruinen, und dünne weiße Rauchfahnen stiegen von unzähligen Kochfeuern auf. Die Enttäuschung darüber, was aus Guillaumes Vermächtnis geworden war, war wie ein Schmerz in Uriels Brust. Er lehnte sich zurück und spürte, wie sich seine Fäuste wieder ballten. Er ruckte herum, als er das schockierte scharfe Atemholen von Learchus hörte. »Was ist das?«, hauchte er. »Kommen wir zu spät? Hat der Krieg bereits begonnen?« »Nein«, sagte Uriel traurig. »Das hat er nicht.« Die Flugmaschinen der Space Marines setzten auf den oberen Landeplattformen von Erebus auf, und das Heulen ihrer Triebwerke übertönte den Pomp und die Feierlichkeit der hundert Mann starken Kapelle, die erhebende Willkommensmelodien spielte. Uriel marschierte die Rampe hinunter und spürte den stechenden Biss der kalten Luft, als er sich von der Hitze der Triebwerke entfernte. »Also das ist mal ein Empfang«, sagte Pasanius mit erhobener Stimme, um sich verständlich zu machen. Uriel nickte zustimmend. Auf den Plattformen wimmelte es von Menschen. Viele Tausend Soldaten waren in geordneten Reihen vor den Flugmaschinen der Space Marines angetreten. Von einem Dutzend Männern mit Suspensoren und Haltetauen getragen, flatterten riesige Banner an dreißig Meter hohen Fahnenmasten. Goldlitzen wehten, und das Blau und Weiß des Symbols des Ordens der Ultramarines kräuselte sich auf den Stoffbahnen. Die Kompaniestandarten aller zehn Kompanien der Ultramarines waren ebenso anwesend wie jene von einzelnen Helden aus der Legende des Ordens. In der Reihe der Standarten sah Uriel in vorderster Front das Wappen von Hauptmann Invictus und daneben das Banner der vierten Kompanie. Er musste zweimal hinsehen, als er entdeckte, dass dem Wappen eine Auszeichnung in Form der weißen Rose von Pavonis hinzugefügt worden war. Ordenspriester Astador gesellte sich über die Rampe seines eigenen Thunderhawk zu ihm. »Anscheinend eilt Ihnen Ihr Ruhm
voraus, Hauptmann Ventris«, sagte er. Uriel nickte, während er auf diesen extrem förmlichen Empfang starrte. Er hatte mit einem Empfangskomitee gerechnet, aber dies war Wahnsinn. Wie viel Zeit und Mühen hatte man in diesen Empfang gesteckt, die besser für die Stärkung der Verteidigungsanlagen der Stadt oder die Gefechtsausbildung aufgewendet worden wären? War diesen Leuten denn nicht klar, dass sie sich bald im Krieg befinden würden? Eine Ehrengarde aus vielleicht zweihundert gerüsteten Kriegern formierte sich in geordneten Reihen beiderseits der Thunderhawks. Die Rüstungen waren blau und lächerlich unpraktisch. Mit Absicht den Servorüstungen nachempfunden, sahen die Soldaten neben der wuchtigen Fülle der Ultramarines absurd aus. Ein kalter Wind peitschte über die Landeplattformen, als eine weitere Kolonne von Männern durch das Spalier der Ehrengarde zu ihnen schritt. Die Soldaten marschierten in perfektem Einklang, und ihre Uniformen waren makellos. Vor ihnen war eine andere Gruppe, die von drei Männern angeführt wurde, welche der Ausschmückung der Kleidung des Anführers nach das Kommando über diese Veranstaltung hatten. Der führende Offizier trug dieselbe zeremonielle blaue Rüstung wie die Ehrengarde, aber mit silbernem Besatz und goldenen Litzen an Schultern und Hosennähten, dazu einen blitzenden silbernen Helm mit einem langen Busch aus Pferdehaar, das bis zur Hüfte fiel, und ein goldenes Schwert mit Säbelkorb, das er vor dem Gesicht hielt. Die Brust war übersät mit goldenen und silbernen Abzeichen, und seine Stiefel bestanden aus makellos poliertem, schwarzem Leder. Seine Begleiter scheuten offenbar vor derart frivolem Schmuck zurück und zogen die schlichte GalaUniform ihrer Regimenter der Imperialen Garde vor. Uriel erkannte den schweren Mantel und den pelzbesetzten Kolpak des Krieg-Regiments und schloss aus dem silbernen Lorbeerkranz und den Sternen am Kragen, dass dies der Oberst des Regiments war. Das letzte Mitglied der Gruppe war ein älterer, um die Hüften fülliger Man mit ordentlich gestutztem Bart, der einfachen gut gebügelten Drillich und eine dick gefütterte Jacke mit Pelzkragen trug. Wie beim Oberst des Krieg-Regiments saß auch auf seinem Kopf ein pelzbesetzter Kolpak, und ihm schien dieser üppige Empfang Unbehagen zu bereiten.
»Hauptmann«, sagte Pasanius und zeigte auf die Randzonen des Landefelds. Tiefer im Tal hatten sich jenseits der hohen Zäune, welche die Landeplattformen umgaben, riesige Menschenmengen versammelt. Mienen der Ehrfurcht und der Verehrung starrten den Ultramarines entgegen, und Uriel sah, dass viele Menschen beteten und Freudentränen vergossen. Die Delegation der Offiziere blieb vor ihnen stehen, und ihr übermäßig prunkvoll gekleideter Anführer ließ in einer verschnörkelten Salut-Bewegung das Schwert durch die Luft sausen. Er schob es in die Scheide, trat vor, verneigte sich und sank vor Uriel auf ein Knie. »Verehrte Herren, ich bin Euer bescheidener Diener, Sebastien Montante, Fabrikator-Marschall der Welt Tarsis Ultra, und im Namen des Göttlichen Herrschers der Menschheit heiße ich Euch willkommen«, sagte der Mann in angestrengtem Hochgothisch. »Möge Eure Wohltätigkeit über unserer Welt erstrahlen angesichts der Herrlichkeit Eurer Wiederkehr. Tausend mal tausend Dankgebete sollen zum Lob Eurer Namen gesprochen werden. Zahlreich sind die...« »Ich danke Ihnen für den Empfang, Fabrikator«, unterbrach Uriel ihn brüsk. »Ich bin Uriel Ventris, Hauptmann der Vierten Kompanie.« Montante sah hoch, verblüfft und bestürzt darüber, in seiner Rede unterbrochen worden zu sein. Uriel sah, dass er Anstalten machte fortzufahren, und sagte eiligst: »Das sind meine obersten Sergeanten, Pasanius und Learchus. Und das ist Ordenspriester Astador von den Mortifactors.« Montante wurde klar, dass er seine Rede nicht würde beenden können. Er erhob sich, strich sich die Falten aus der Hose, verbeugte sich nervös vor Astador und sagte: »Ordenspriester Astador, wir haben von Ihrem illustren Orden gehört und heißen Sie ebenfalls willkommen.« Astador nickte und erwiderte die Verbeugung. »Ihr Empfang ist überwältigend, Fabrikator Montante, und wir danken Ihnen dafür.« Montante lächelte schief und nickte, dann wandte er sich den beiden Obersten zu, die ihn begleiteten. »Gestatten Sie mir, Ihnen die kommandierenden Offiziere unserer tapferen Verteidiger vorzustellen«, sagte Montante, der sich
rasch wieder gefasst hatte. Der Anführer des Krieg-Regiments trat vor, salutierte zackig vor den Space Marines und sagte: »Oberst Trymon Stagler, Regimentsführer des 933. Todeskorps von Krieg und Bereichskommandant. Ich entschuldige mich für diese Zeitverschwendung, aber Fabrikator Montante hat uns erst vor einer Stunde davon in Kenntnis gesetzt.« Stagler ignorierte Montantes indigniertes Stirnrunzeln, während der zweite Mann vortrat und Uriel die Hand anbot. »Oberst Octavius Rabelaq, Kommandierender des Zehnten Logres. Freut mich, Sie kennenzulernen, Uriel. Ich habe von Sebastien eine Menge von Ihnen gehört. Ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zu kämpfen. Nun ja, nicht mit Ihnen, aber Sie verstehen schon, hm?« Uriel nahm die angebotene Hand, und Rabelaq schüttelte sie enthusiastisch und umklammerte dabei mit der anderen Hand auch noch zusätzlich Uriels Ellbogen. Schließlich ließ er Uriel wieder los und trat mit einem zackigen Salut zurück, während Montante mit dem Kopf in Richtung der Ehrengarde nickte. »Ja ja, gut, jetzt, wo wir einander kennen, sollten wir mit der förmlichen Abnahme der Parade weitermachen, nicht? Und dann weiter zum Willkommensfest, wie? Wir wollen doch die köstlichen Speisen und den Amasec nicht verkommen lassen«, lächelte Montante, indem er den Space Marines wiederum bedeutete, ihm zur Ehrengarde zu folgen. »Fabrikator Montante«, sagte Uriel. »Wir haben keine Zeit, hier herumzutrödeln, und sollten umgehend mit den Vorbereitungen auf die bevorstehende Schlacht beginnen. Die Tyranidenflotte ist wahrscheinlich keinen Monat mehr von Ihrem System entfernt, und Sie wollen, dass wir uns in Lustbarkeiten ergehen?« Montantes Mund öffnete und schloss sich, während er diesen Bruch der offiziellen Empfangsetikette überdachte und sich Hilfe suchend an die Obersten der Garde wandte. »Hauptmann Ventris hat recht«, sagte Oberst Stagler. »Wir müssen mit der Planung anfangen. Der Feind steht vor den Toren.« Uriel glaubte, einen Anflug von Vorfreude in der Stimme des Obersten ausmachen zu können. »Das tut er in der Tat«, sagte eine Gestalt, die aus der Ehrengarde hinter Montante vortrat.
Uriel sah einen berobten, Kapuze tragenden Adepten, der sich auf einen silbernen Gehstock stützte, mit einem Gefolge aus Schreibern, Lexmechanikern und grün gewandeten Astropathen zu ihnen hinken. »Der Feind steht in der Tat vor den Toren«, wiederholte der Adept mit der Kapuze. »Meine Astropathen sagen mir, dass die ersten Drohnenschiffe bereits in die äußersten Bereiche des Systems einfliegen. Der Rest der Schwarmflotte kann nicht weit dahinter sein.« »Und wer sind Sie, mein Herr?«, fragte Uriel. Der Mann schob die Kapuze zurück und enthüllte ein altes, verwittertes Gesicht mit einer Tonsurkrone silberner Haare. Seine Züge hatten die fahle, wächserne Struktur regelmäßiger JuvenalBehandlungen, aber seine Augen hatten nichts von dem Feuer verloren, das Uriel auf den zahlreichen Bildern von ihm in der Kapelle der Helden auf Macragge wahrgenommen hatte. »Ich bin Lord Inquisitor Kryptman vom Ordo Xenos, und wir haben nicht viel Zeit.« Sechzigtausend Pfund Schub röhrten aus den Zwillingstriebwerken jeder Kampfmaschine vom Typ Furie, als sie über das Flugdeck der Kharloss Vincennes glitten, einem Trägerschiff der Diktator-Klasse, um dann wie Kugeln aus einem Gewehrlauf aus den Starthangars in der Flanke des Trägers zu schießen. Zwei Staffeln, jede aus drei Maschinen bestehend, hoben ab und wendeten, um ihr Abfangmanöver zu beginnen. Ein anomaler Kontakt war mit den leistungsfähigen Überwachungsgeräten der Horchstation Trajen registriert worden, einer leicht bemannten Station in einer festen Umlaufbahn am Rande des Tarsis-UltraSystems. Ihre Aufgabe würde darin bestehen, dem Kontakt auf den Grund zu gehen und ihn, wenn die Umstände günstig waren, möglichst zu zerstören. Sollte das nicht machbar sein, würden sie genaue Positionsdaten liefern und es damit den schwereren Geschützen der Kharloss Vincennes gestatten, ihn auszulöschen. Die Furien waren aerodynamische Kampfmaschinen mit Tragflächen und doppelten Heckflügeln sowie einer Lage Sprengraketen unter jeder Tragfläche. Dazu konzipiert, anfliegende Torpedos abzuschießen, angreifende Bomber abzufangen und feindliche Jäger zu vernichten, waren die Furien die Arbeitspferde der Imperialen Flotte.
Jede Furie trug einen zusätzlichen Treibstofftank unter dem Rumpf, der es ihnen ermöglichte, längere Zeitperioden auf Patrouille zu bleiben, ohne zu ihrem Mutterschiff zurückkehren zu müssen. Die Furie konnte bis zu vier Besatzungsmitglieder aufnehmen, aber für Erkundungsunternehmen waren nur ein Pilot und ein Bordschütze erforderlich. »Engel-Staffel, bitte melden«, ertönte die Stimme des Versorgungsoffiziers von der Kharloss Vincennes. »Engel-Staffel, neun-null-eins, klar«, bestätigte Hauptmann Owen Morten, Kommandeur der Jägerstaffeln des Trägers, indem er den Sendeknopf an seinem Kontrollknüppel drückte und sich nach links und rechts zu seinen beiden Flügelmännern umsah. Er wartete darauf, dass sich Leutnant Erin Harlen, Führer der zweiten Staffel Furien meldete, während Kiell Pelaur, sein Bordschütze, die Sensor-Verbindung zur Kharloss Vincennes öffnete. »Dito. Engel-Staffel, neun-null-zwo. Wir sind klar, und das ist offiziell«, ertönte die schleppende Stimme von Erin Harlen über das Netz. »Kein Gequatsche, neun-null-zwo. Wir haben Gefechtsbereitschaft. Wissen Sie überhaupt, was das heißt, Leutnant Harlen?«, erwiderte der Versorgungsoffizier in einem Tonfall, der nahe legte, dass er diese Routine schon oft durchgegangen war. »Ja, Chef! Der Befehl wurde verstanden, Chef!«, tönte Harlen. »Harlen, halten Sie mal kurz den Rand, ja?«, sagte Pelaur über das interne Kom-Netz. »Finden wir erst mal heraus, wo wir überhaupt Patrouille fliegen sollen, bevor Sie anfangen, uns in den Wahnsinn zu treiben, ja?« »Verstanden, Leutnant. Das haben wir uns auch schon gefragt«, erwiderte Harlens Bordschütze, Caleb Martoq. Die Furien umkreisten die Kharloss Vincennes, da sie darauf warteten, dass Navigationsdaten in ihre Angriffs-Cogitatoren übertragen wurden. Die Stimme des Versorgungsoffiziers ertönte wieder. »EngelStaffeln, Patrouillenschleife bestätigen.« Kiell Pelaur prüfte die Bildtafel vor sich, als ihr Kurs darauf erschien, und antwortete: »Bestätigt. Schleife wurde eingelesen.« »Bestätigt. Engel-Staffeln eins und zwo haben Waffenfreigabe und Kampferlaubnis. Gute Jagd.« »Darauf können Sie wetten, dass wir eine gute Jagd haben wer-
den. Wir machen keine Gefangenen«, sagte Harlen. Er warf einen Blick durch die Kanzel auf den Rest seiner Staffel und seinen Staffelführer, die mit ihm in Warteposition waren. »Fertig, Hauptmann Morten?«, sagte er, und die Vorfreude in seiner Stimme war selbst über Kom nicht zu überhören. Morten lächelte unter seinem Helm und sagte: »Engel-Staffel, neun-nulleins übernimmt die Führung. Harlen, übernehmen Sie den unteren Quadranten und bleiben Sie nah dran.« »Verstanden, Hauptmann. Neun-null-eins hat die Führung.« Hauptmann Morten drehte seinen Steuerknüppel in die geforderte Richtung, holte tief Luft und gab Vollschub. Es fühlte sich an, als habe ihn jemand in den Hintern getreten, als die massiven Triebwerke feuerten und die Maschine vorwärtsjagten. Der mit Suspensoren ausgestattete Druckanzug dehnte sich aus, um ein Sammeln seines Blutes zu vermeiden, und wirkte den horrenden Fliehkräften entgegen, die bei derart rapider Beschleunigung auf seinen Körper wirkten. Extrem sauerstoffhaltiges Blut wurde über Rückenmarksverbindungen direkt in seinen Körper gepumpt, und die Konturhelme, die sowohl er als auch sein Bordschütze trugen, übten Druck nach außen auf die umgebende Luft aus, um zu verhindern, dass sie bewusstlos wurden. Genau darum ging es, dachte er mit einem breiten, jungenhaften Grinsen. Die langen Jahre der Ausbildung, die unglaublichen körperlichen Anforderungen und die Risiken wurden mehr als wettgemacht durch solche Momente. Am Steuerknüppel eines der heiligsten Stücke militärischer Ausrüstung, die je gebaut worden waren, durch das All zu rasen und dabei die Macht zu haben, den Feinden des Imperators den gerechten Tod zu bringen, war so nah an der Perfektion, wie man das im Leben nur sein konnte. Seine beiden Flügelmänner blieben rechts und links hinter ihm, so dass sie die übliche V-Formation bildeten. Zufrieden legte er seinen Jäger in eine Rolle, um sich zu überzeugen, dass Harlen unter ihm in Stellung war. Morten wusste, dass Erin Harlen trotz seiner oft rücksichtslos wirkenden Art einer der besten Piloten im Geschwader war, wenn nicht sogar in der gesamten Schlachtflotte Tempestus. Aus diesem und nur aus diesem Grund ließ man ihm ein wenig mehr Freiraum, als dies an einem so streng reglementierten Ort wie einem Kampfschiff der Imperiumsflotte normalerweise üblich war.
Als Harlens Staffelführer hatte er die oftmals beschwerliche Aufgabe, ihn bei der Stange zu halten und ihm nicht zu gestatten, seine ohnehin schon großzügiger gezogenen Grenzen der Disziplin zu überschreiten. Natürlich war Harlens Staffel Furien genau da, wo sie auch sein sollte, etwas unter und hinter ihm und leicht nach steuerbord versetzt. Er vollendete die Rolle und setzte den Flug wie geplant fort. Dieses Unternehmen sollte weniger als eine Stunde dauern, und bis dahin war wenig zu tun außer sich zurückzulehnen und ein Auge auf die Anzeigen zu werfen, um ganz sicherzugehen, dass sie sich innerhalb der Toleranzen der Maschine bewegten. Auch durch das Kanzeldach gab es nichts zu sehen, und ohne festen Bezugspunkt war es unmöglich, ihre Bewegung wahrzunehmen. Dreißig Minuten ihrer Patrouillenschleife waren verstrichen, als Leutnant Pelaur ihr Ziel ortete. »Ziel erfasst. Hauptmann. Empfangene Bio-Daten entsprechen tyranidischen Lebensformen. Richtung null-drei-sechs steuerbord, Abstand eintausend Kilometer«, sagte er von seiner etwas erhöhten Position in der Pilotenkanzel hinter Morten. »Empfehle Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt, Leutnant«, sagte Morten, indem er seinen Kurs entsprechend veränderte, um im optimalen Angriffswinkel hereinzukommen, also hinter und über dem Ziel. Pelaurs Kurs hatte außerdem den Vorteil, dass sie die Sonne im Rücken haben würden, was hoffentlich dazu führte, ihre Anwesenheit noch ein paar Augenblicke länger verbergen zu können. Im Raumkampf, wo der Tod die Entfernung zwischen den Kämpfenden in Sekunden, sogar Bruchteilen von Sekunden überbrückte, hing der Unterschied zwischen Leben und Tod oft an eben diesen Bruchteilen. »Leutnant Harlen, kommen.« »Hauptmann Morten! Mein Bordschütze hat Kontakt!« »So wie meiner, Leutnant Harlen. Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt«, sagte Caleb Martoq. »Angriff in dreißig Sekunden«, sagte Pelaur. Sie näherten sich rasch dem Punkt der letzten Kursänderung vor Beginn des Angriffsanflugs. Von dieser Stelle an befanden sie sich im Krieg. »Bestätigt«, sagte Morten, indem er den Countdown für die
Kursänderung begann und Schub wegnahm, um auf Kampfgeschwindigkeit abzubremsen. »Zwanzig Sekunden«, zählte Pelaur herunter. Die Piloten nahmen rasch Geschwindigkeit weg, so dass sie angreifen können würden, ohne an ihrem Ziel vorbeizurasen. »Leutnant Harlen. Zehn Sekunden, fertig machen«, sagte Morten, der die Finger um den Steuerknüppel spannte. »Aye, Hauptmann. In zehn.« »Umschwenken auf mein Zeichen«, sagte Pelaur, den Blick starr auf die Bildtafel vor sich gerichtet. »Schwenk!« Morten legte die Furie in eine scharfe Abwärtskurve nach rechts und folgte damit dem vorgegebenen Kurs auf seinem AngriffsCogitator. Die anderen Furien folgten ihm wie eine Schar Jagdfalken. »Was haben Sie, Leutnant?«, fragte er. Das Symbol auf Pelaurs Schirm blitzte auf und leuchtete in einem stetigen Rot. »Ich habe Feindkontakt, Hauptmann.« »Bestätigt«, sagte Martoq. »Angriffsschema Delta-vier«, befahl Morten. »Ich will eine Salve von Ihrer Staffel, Leutnant Harlen.« »Angriffsschema Delta-vier bestätigt«, sagte Harlen. »Schwenken nach steuerbord ab.« Die drei Furien in Harlens Staffel setzten sich etwas nach rechts ab und erhöhten die Geschwindigkeit, während sie sich dem Ziel näherten. »Raketen bereit«, sagte Martoq. »Feuer frei«, erwiderte Morten. Morten sah die Furien von Harlens Staffel erbeben, als sich eine Rakete von jedem ihrer Flügel löste. Seine Kanzel war plötzlich strahlend hell erleuchtet, als die Raketenantriebe zündeten und die sechs Geschosse in die Dunkelheit rasten. »Raketen abgefeuert!«, rief Harlen. »Engel-Staffel neun-null-eins, folgen. Es geht los«, befahl Morten. Er gab wieder mehr Schub und raste den Raketen hinterher, während er seine eigenen scharf machte und Energie auf die Laserkanone gab. Falls irgendetwas vom Ziel ausgesandt wurde, um die Raketen abzufangen, würden er und seine Furien es in Empfang nehmen. Er hauchte ein schnelles Gebet an den Imperator
und kontrollierte die Anzeige. Die Bildtafel zeigte das rote Symbol des Ziels mit zwei grünen Pfeilspitzen, die sich ihm rasch näherten. Seine eigene Staffel folgte den Raketen, überholte dabei Leutnant Harlens Staffel und überließ es ihm und seinen Furien, sie zu decken. Jede Überraschung war in dem Augenblick verloren gegangen, als sie die Raketen abgefeuert hatten, aber sie waren lange genug unbemerkt geblieben. »Zwei Sekunden bis zum Einschlag«, sagte sein Bord-schütze. Morten richtete den Blick nach vorn und sah in der Ferne eine Blüte aus weißem Feuer aufgehen. »Raketen sind eingeschlagen, wiederhole, Raketen sind eingeschlagen«, rief Martoq über Kom. »Wir haben ihn erwischt!« »Gut geschossen, Engel neun-null-zwo!«, sagte Morten, obwohl er wusste, dass Martoqs Einschätzung, da Ziel sei vernichtet worden, verfrüht war. Das wussten sie noch nicht mit Sicherheit. »Haben sie ihn erwischt, Kiell?«, fragte Morten. »Sieht so aus, Hauptmann. Ich bekomme keine Bio-Signale mehr. Ich glaube, das war's.« »Darauf können Sie wetten, dass wir sie erwischt haben! Wir haben sie in den Warpraum zurückgepustet! «, krähte Harlen. »Also gut, wir gehen näher ran und werfen einen Blick darauf. Geschwindigkeit verringern und folgen. Harlen, Sie geben uns Deckung.« »Kein Problem, Hauptmann«, bestätigte Harlen. »Laserkanonen scharf und schussbereit. Alles, was auch nur zuckt, lutscht bald Vakuum.« »In Ordnung, gehen wir's vorsichtig an«, warnte Morten. »Kiell, halten Sie Augen und Ohren offen. Wenn wir hier schnell verschwinden müssen, will ich es möglichst sofort wissen.« »Bestätigt«, erwiderte Pelaur, der sich sofort auf die Gefahrenanzeigen konzentrierte. Morten steuerte direkt den Explosionsort an. Als seine Furie näher kam, sah er ein großes, röhrenförmiges Objekt mit riesigen Kratern in der Seite, das sich im Raum drehte. Er nahm eine Menge Geschwindigkeit weg und flog näher heran, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Das Objekt war vielleicht vierzig oder fünfzig Meter lang, die Oberfläche grünscheckig und mit wellenförmigen, schließmuskelartigen Öffnungen übersät. Ein zerfledderter, fleischiger Rüschenbesatz zog sich der Länge nach
über das Objekt, und lange, tentakelartige Kabel trieben hinter ihm. Die Vorderseite ähnelte einem riesigen gezähnten Schnabel, und Seim schäumte wie Blut in einer sich langsam ausdehnenden lila Wolke aus den Wunden in der Flanke. Wenn dieses Ding früher einmal lebendig gewesen war, sah es jetzt sehr tot aus. »Bekommen Sie Bio-Signale?«, fragte er. »Nein, Hauptmann. Alle Sensoren sagen, das Ding ist tot.« »Gut«, sagte Morten. »Geben Sie...« »Aufpassen!«, schrie Leutnant Harlen plötzlich. »Drei Uhr, hoch!« Morten riss instinktiv den Steuerknüppel nach rechts und gab Vollschub. Er erhaschte einen Blick auf ein fleischiges, zahnbewehrtes, torpedoartiges Objekt, das durch eine der gewellten Öffnungen in der Seite des angeblich leblosen Organismus in den Raum geschossen war. Er rollte hart nach links und schüttelte sie ordentlich durch, während es über ihren Köpfen aufblitzte. Wie in Zeitlupe sah er den Organismus an seiner Kanzel vorbeisegeln. Er setzte seine Linksrolle fort, richtete die Maschine wieder aus und flog eine Kurve. Beim Imperator, das war knapp gewesen! Sie hätten beinahe... »Er hängt immer noch an Ihnen dran, Hauptmann!«, schrie Harlen. »Er ist direkt hinter Ihnen!« »Beim Blut des Imperators, das Ding ist hartnäckig!« Er rollte nach rechts und ließ sich durchsacken, so dass sich seine Furie in gewundener Spirale abwärtsschraubte. »Abstand hundertfünfzig Meter!«, rief Pelaur. »Zu nah! Bringen Sie uns weg!« »Was glauben Sie, was ich hier mache?«, schnauzte Morten, indem er die Maschine wieder hochriss und Vollschub gab. Wenn das Verdammte Ding jetzt immer noch an ihm hing, war es nur eine Frage der Zeit, bis es ihn erwischte. »Abstand hundert Meter und abnehmend!« Es war zu nah, um von seinen Flügelmännern aufs Korn genommen zu werden, und Morten konnte nur hoffen, dass dieses Ding, was immer es war, auftreffen musste, um zu explodieren, falls es denn explodierte. »Hauptmann!«, rief Harlen. »Schwenken Sie nach steuerbord, Markierung neun-drei. Jetzt!«
Ohne zu überlegen, gehorchte Morten, schwenkte nach rechts und raste mit Vollschub abwärts. Er sah gerade noch Harlens Furie mit feuernder Laserkanone an seiner Kanzel vorbeirasen. Er konnte zwar nichts hören, spürte aber die enorme Druckwelle der explosiven Todeszuckungen der Tyranidenwaffe, als sie von den Laserstrahlen erfasst und zerfetzt wurde. Doch sie war zu nah gewesen, um ihrem Vernichtungspotenzial völlig zu entgehen. Das Heck der Furie ruckte trunken zur Seite, als der Jäger von vielen Hundert Chitinfragmenten getroffen wurde. Morten kämpfte um die Herrschaft über seinen bebenden, kreiselnden Jäger. Sein Helm schlug seitlich gegen die Kanzel, und sein Blickfeld verschwamm, während vor ihm auf der Instrumententafel überall Warnlichter aufleuchteten. Sein Anzug dehnte sich aus, und trotz des Druckhelms spürte er, dass er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Wenn das geschah, war alles vorbei. Die Zentrifugalkräfte würden seine Maschine auseinanderreißen, und ihre Leichen würden im Raum gefrieren. Funken und Rauch verdeckten ihm die Sicht, und er konnte den Steuerknüppel nicht richtig sehen. Morten bemühte sich, ihn trotz der steigenden Fliehkräfte in der Kanzel zu erreichen. Er konnte das Kreischen reißenden Metalls hören und wusste, dass sich seine Furie langsam in ihre Bestandteile auflöste. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung warf er sich vorwärts, packte den Steuerknüppel und nahm den Schub weg. Praktisch sofort hörte das heftige Beben seiner angeschlagenen Maschine auf und wich dem leisen Knistern von verbogenem Metall, Pelaurs raschem Atmen und dem protestierenden Jaulen der herunterfahrenden Triebwerke. Die Furie trieb eine Weile mit Seitwärts-Spin antriebslos im Raum, bevor Morten neuen Druck in der Kanzel aufbaute, Rauch und Dämpfe absaugte und vorsichtig wieder Schub auf die Triebwerke gab. »Alles in Ordnung da hinten?«, fragte er, während er den Hals reckte, um zu sehen, wie es seinem Bordschützen ging. »Es ist mir schon besser gegangen, Hauptmann. Aber ich bin noch da. Gute Arbeit«, keuchte Pelaur, dem es offensichtlich an die Nieren gegangen war, wie knapp sie dem Tod entgangen waren. »Ja, wirklich gute Arbeit. Ich hätte wissen müssen, dass aktive
Biowaffen auf uns warten könnten.« »Wir leben noch«, stellte Pelaur fest. »Ja, dafür sollten wir wohl dankbar sein«, sagte Morten, indem er das Zeichen des Adlers beschrieb und seinen Handschuh auf den kleinen Schrein neben sich presste. Er konnte Harlens Staffel auf Parallelkurs sehen. Den an seiner Kanzel vorbeitreibenden Fleischklumpen konnte er entnehmen, dass Harlen nicht nur die Biowaffe zerstört, sondern seine Staffel auch das ursprüngliche Ziel in seine Einzelteile zerlegt hatte. Er schaltete sein Kom ein und sagte: »Neun-null-zwo, wir haben's überlebt. Wir sind etwas durchgeschüttelt, aber sonst geht's uns gut. Danke, übrigens. Das war gut geschossen.« »Nicht der Rede wert, Hauptmann«, sagte Harlen leichthin. »Jetzt halten Sie still. Ich mache eine Bestandsaufnahme Ihrer Schäden.« »In Ordnung. Halte still«, erwiderte Morten, was leichter gesagt als getan war, da sich die Furie gegen alle seine Versuche wehrte, in gerader Linie zu fliegen. Harlens Maschine schob sich unter und dann um den angeschlagenen Jäger herum und endete neben Mortens Backbordtragfläche. »Wie schlimm ist es?«, fragte er und fürchtete sich beinahe vor der Antwort. »Nicht gut, das steht fest. Sie haben reichlich Treffer im Triebswerksbereich abbekommen, also wird sie schwer zu lenken sein. Und es sieht so aus, als würden Sie Treibstoff verlieren. Nicht viel, aber wir bringen Sie besser nach Hause zur Vincennes, bevor Ihnen der Sprit ausgeht.« Morten ging plötzlich auf, wie nah sie dem Tod gewesen waren. Wenn auch nur ein einziger Chitinsplitter der Biowaffe den Zusatztank getroffen hätte, wären sie in einem tobenden Feuerball eingeäschert worden. »Danke. Bringen Sie Ihre Staffel nach Hause zur Vincennes, wir kommen nach, so schnell wir können. Wenn wir Hilfe brauchen, geben wir Ihnen Bescheid«, sagte Morten. »Und unterrichten Sie die Taktik-Offiziere über diese Dinger. Ich habe das Gefühl, wir werden noch mehr davon zu sehen bekommen.« »Ja, Hauptmann. Sind Sie sicher, dass Sie zurechtkommen?« »Wir werden uns verspäten, aber wir schaffen es. Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich Sie herumkommandieren
muss.« »Jawohl, Herr Hauptmann«, bestätigte Harlen, während seine drei Furien auf Kampfgeschwindigkeit beschleunigten und kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden waren. »Sind Sie bereit, nach Hause zu fliegen, Kiell?«, fragte Hauptmann Morten. »Mehr denn je.« Hauptmann Owen Morten brachte die waidwunde Furie vorsichtig auf Heimatkurs und erhöhte ganz allmählich den Schub, um gleich darauf das Gesicht zu verziehen, als sich die Vibrationen des verbogenen Rumpfs verstärkten. Ihnen stand ein langer Heimflug bevor.
VIER Der unbekannte Künstler hatte die gesamte Kammer als Leinwand benutzt. Ein Mosaik von enormen Ausmaßen bedeckte Wände, Decke und sogar Fußboden. Die Ausführung der Arbeit war exquisit: Keiner der Buntglassplitter, aus denen das Mosaik bestand, war größer als ein Daumennagel. Größer als die Kapelle der Helden auf Macragge, war das Ausmaß der Arbeit atemberaubend. Die Kammer war über zweihundert Meter lang, und die gewölbte Decke befand sich mehr als dreißig Meter über ihnen. Uriel und die Ultramarines wanderten verzückt am Rand des langen Raums entlang, sprachlos vor Staunen ob dieses wunderbaren Anblicks, und alle enttäuschten Erwartungen in Tarsis Ultra waren von dem spektakulären Mosaik hinweggefegt worden. Pastorale Bilder eines zerklüfteten Landes von urzeitlicher Schönheit erstreckten sich vor ihnen, die Farben wunderbar hell und lebendig. Der Künstler hatte die wilde Erhabenheit seines Themas perfekt erfasst. Glasberge thronten über Glasmeeren aus funkelndem Azur, auf leuchtend smaragd-farbenen Feldern wimmelte es von stolzen Tieren. Uriel streckte eine Hand aus und berührte die Wand, wobei er fast erwartete, in das Mosaik zu greifen und zu spüren, wie die Meeresbrise über die schäumenden Wellen wehte, die sich an blendend weißen Klippen brachen. Auf den Bergen erkannte er eine majestätische Marmorfestung mit Säulen und goldenen Kuppeln, bei deren Anblick ihn eine schmerzliche Sehnsucht erfasste.
Die Festung Hera, in solch liebevollem Detail dargestellt, dass er das Salz von Macragges Meeren beinahe schmecken und den süßen Saft seiner Hochlandfichten riechen konnte. Er sah, dass das Mosaik auf Pasanius und Learchus dieselbe Wirkung hatte, denn ihre Gesichter strahlten vor Freude. Uriel reckte den Hals und sah ein Heer gläserner Krieger auf der Jagd, zu Pferd und mit blauen Chiton angetan, jenem lockeren, knielangen Wollkleid, das die Männer und Frauen auf Macragge in uralten Zeiten getragen hatten. Die Jagd wurde angeführt von einem Riesen von Mann mit goldenen Locken und Alabasterhaut, dessen Miene Liebe und Stärke widerspiegelte und der einen langen Speer und einen ovalen Schild trug. Uriel erstarrte vor diesem Bild, von Gefühlen überwältigt, denn er erkannte Roboute Guillaume. Oft hatte er im Tempel der Besserung auf Macragge, wo Guillaumes lebloser Körper in einem Stasengrab ruhte, auf das blasse, tote Gesicht seines Primarchen gestarrt, aber ihn so dargestellt zu sehen, mit so viel Leben und Lebhaftigkeit, erfüllte Uriel mit einem schrecklichen Kummer über seinen Tod. Bis zu diesem Augenblick hatte Uriel nie viel auf die Geschichten gegeben, in denen es hieß, die Wunden des Primarchen würden langsam heilen und eines Tages werde er aus seinem Todesschlummer erwachen, aber bei diesem Anblick konnte er verstehen, warum die Leute glauben mussten, dass solch ein mächtiger Krieger aus der Leere zurückkehren konnte. Etwas weiter entfernt waren Schlachtszenen dargestellt, Bilder des Kriegs aus einem längst vergangenen Zeitalter, als die Helden so groß wie Berge waren und solche mit ihrer Kraft zum Einsturz bringen konnten. Hier bekämpfte Roboute Guillaume die Armeen des Bösen, wunderbar und edel. Hinter ihm und von ihm unbemerkt glitt ein Kämpe des Bösen aus dem Schatten und machte Anstalten, ihm einen heimtückischen Todesstoß zu versetzen. Als Uriels Blick dem Fresko weiterfolgte, sah er, wie ein Krieger Guillaume das Leben rettete, meisterhaft dargestellt in Splittern aus Glas und Saphiren, da er dem Feind das Bajonett auf seinem Gewehr tief in den Bauch rammte. Rubine und Granate spritzten funkelnd aus der Wunde. Ein anderer Teil dieses Abschnitts der Decke zeigte Roboute Guillaume auf einem gebeugten Knie, während er dem Kriegervolk von Tarsis Ultra seinen Bruderschaftseid leistete. Solch eine
Darstellung der Demut bei einem so mächtigen Krieger wie ihrem Primarchen zu sehen, erinnerte Uriel nachdrücklich an alles, um dessen Schutz die Ultramarines kämpften. Überall in der Kammer gab es neue Wunder und frische Visionen von unglaublicher Schönheit zu bestaunen, doch Uriel zwang sich, den Blick von dem fantastischen Mosaik loszureißen. Pasanius und Learchus standen an seiner Seite, gleichermaßen überwältigt von diesem genialen Werk. »Es ist...«, begann Learchus, der nach den richtigen Worten suchte, um dem Meisterwerk gerecht zu werden. Uriel nickte. »Ich weiß. Ich habe vom Tarsis-Fresko gelesen, aber ich hätte nie gedacht, dass es so großartig ist.« Schritte hallten durch die Kammer, und der Bann war gebrochen. Das Mosaik war nur noch eine Wand, und die Bilder darin waren nicht mehr als Glassplitter. Uriel drehte sich um und sah Fabrikator Montante, jetzt in praktischeren schlichten grauen Gewändern, der den Kriegsrat in den Raum führte. Die kommandierenden Regimentsoffiziere, jeder in Begleitung von Schreibern, Lakaien und Adjutanten, die hinter ihnen einen Respektsabstand wahrten, folgten Montante in die Mitte der Kammer. Dieser Teil des Raums war in den Boden eingelassen. Eine Reihe von Marmorbänken und ein langer, niedriger Tisch waren vorbereitet worden. Auf dem Tisch standen Tonkrüge mit Glühwein und Holzschalen mit frischem Obst. Uriel betrat diese Senke, nahm Platz und betrachtete die anderen Kommandeure, als sie eintrafen. Montante war dünn und schien auf eine jämmerliche Weise darauf bedacht zu sein zu gefallen. Seine Züge waren zierlich und asketisch, wenngleich eindringlich. Er sah nicht wie ein Krieger aus, und Uriel fragte sich, wie er hier auf seinen Autoritätsposten gelangt war. Wie war die Herrschaftsform hier auf Tarsis Ultra? Wurde sie vererbt, war sie demokratisch oder folgte sie noch den leistungsorientierten Idealen des Primarchen? War Montante fähig, sein Volk in Zeiten des Krieges zu führen, oder musste er ersetzt werden? Stand ihm diese Entscheidung überhaupt zu? Montante beschäftigte sich damit, jedem Wein einzuschenken, und Uriel schüttelte höflich den Kopf, als ihm ein Pokal angeboten wurde. Stagler sah wie ein Krieger aus. Uriel hatte Geschichten über das Krieg-Todeskorps gehört und dass ihre Obersten für ihre Re-
gimenter grundsätzlich um Einsätze in den gefährlichsten Gefechtszonen und gegen die tödlichsten Feinde baten. Wenn Stagler in diese Kategorie fiel, hatte er für seine Soldaten ein erstklassiges Kommando errungen. Er saß so gerade da, als habe er einen Ladestock verschluckt, und schien äußerst verärgert über Montante zu sein. Er lehnte den Wein ebenfalls ab. Rabelaq sah aus wie ein Mann, für den das Soldatentum eine Lebensart war, obwohl sein beachtlicher Bauch Uriel verriet, dass die Härten des Schlachtfelds für den Obersten des LogresRegiments nur eine entfernte Erinnerung waren. Er akzeptierte mit Freuden einen Pokal von dem süßen Wein und nippte anerkennend. Ordenspriester Astador akzeptierte ebenfalls einen Pokal und hob ihn zu einem Trinkspruch. »Möge diese Bruderschaft in der Sache vereint sein«, sagte er. »Hört, hört«, stimmte Rabelaq zu, leerte seinen Pokal und schenkte sich noch einen ein, doch Astador war noch nicht fertig. »Und sollte einer von Ihnen fallen, werde ich dafür sorgen, dass Ihre Schädel einen Ehrenplatz in unserer Galerie der Knochen erhalten.« Ein unbehagliches Schweigen trat ein, bis Montante sagte: »Vielen Dank, Ordenspriester Astador. Das ist äußerst befriedigend zu wissen.« Uriel wechselte einen Blick mit seinen Sergeanten, während die letzten Mitglieder der Begleitung die Kammer betraten. Lord Inquisitor Kryptman humpelte zu der Versammlung, gefolgt von einem weiß berobten Akoluthen, der ein Zahnrad-Medaillon aus Bronze um den Hals trug. Seine haarlosen Züge waren organisch bis auf eine bionische Vorrichtung, die das rechte Auge bedeckte, was für ein Mitglied der Adeptus Mechanicus ungewöhnlich war. Eine Reihe von Linsen verschiedener Größe waren seitlich an seinem Schädel angebracht, die alle nach vorn gleiten und sich vor das leuchtend rote bionische Auge schieben konnten. Kryptman ging unter einigen Schwierigkeiten nach unten zu den Bänken, und als sein Begleiter von den Adeptus Mechanicus ihm folgte, sah Uriel erschrocken, dass er sich auf metallischen Beinen wie die Schenkel von Zirkeln bewegte, die unten aus seinem Gewand ragten. Als der Akoluth die Treppe hinunterging, um seinen Platz hinter Kryptman einzunehmen, teilte sich sein Gewand, und anstatt auf Beine und Rumpf erhaschte Uriel einen flüchtigen
Blick auf ein dickes Messingrohr, das seine Brust mit den künstlichen Beinen verband. Der Lord Inquisitor ließ sich auf eine Bank nieder und schüttelte gereizt den Kopf, als Montante ihm etwas Wein anbot. Der Blick seiner grünen Augen wanderte über die Versammlung, und er grunzte etwas vor sich hin, obwohl Uriel nicht sagen konnte, ob es Ausdruck von Zufriedenheit oder Resignation war. »Dies ist ein großes Abenteuer«, sagte Montante, nachdem er endlich Platz genommen hatte. »Die meiste Zeit beschäftige ich mich mit Büchern, Konten und allen möglichen langweiligen logistischen Arbeiten für die Fabriken. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine derart angesehene Gesellschaft im Palast bewirtet habe.« Kryptman bedachte Montante mit einem vernichtenden Blick. »Fabrikator-Marschall, das hier ist kein Abenteuer. Es ist eine Angelegenheit von absoluter Dringlichkeit und beängstigendster Natur. Ein Ausläufer der Schwarmflotte Leviathan nähert sich Ihrer Welt, und Sie glauben, es wird ein Abenteuer?« »Nun, nein, kein Abenteuer im traditionellen Sinn, wenn Sie verstehen«, sagte Montante eiligst, »aber es ist doch aufregend, oder nicht? Ich meine, schließlich tragen wir nicht jeden Tag einen Krieg aus, und ich freue mich jedenfalls sehr darauf, diesen Bestien eine blutige Nase zu verpassen.« »Dann sind Sie ein Dummkopf, mein Herr, und wären wohl beraten, die Verteidigung Ihrer Welt jenen zu überlassen, denen die extremen Gefahren einer Schwarmflotte der Tyraniden sehr wohl bewusst sind.« »Ich muss mich gegen Ihren Ton verwahren, Lord Inquisitor«, protestierte Montante. »Schließlich bin ich Gouverneur dieses Planeten.« »Einstweilen«, drohte Kryptman. »Wenn wir jetzt fortfahren könnten? Stellen wir eines von Anfang an klar: Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, gegen diese Wesen zu kämpfen, und es wird kein Abenteuer, und in ihrer Vernichtung wird kein Ruhm und nur wenig Ehre liegen. Ich habe ihre Spezies bereits vor zweihundertfünfzig Jahren zur Xenos Horrificus erklärt und sie seit diesem Tag studiert, gejagt und getötet, kenne aber trotzdem nur einen winzigen Bruchteil ihrer Xenologie.« Der Inquisitor deutete auf den Mechanicus-Adepten hinter sich.
»Um gegen die Tyraniden kämpfen zu können, muss man sie zuerst kennen«, sagte er. »Dies ist Genetor Vianco Locard von den Magos Biologis, und er weiß mehr über diese Xeno-Monstrositäten als jeder andere lebende Mensch. Er wird uns eine große Hilfe sein. Magos, wenn Sie so nett wären?« Locard trat vor sie, und ein messingumrandetes Monokel surrte vor sein rotes Auge. Als er die Hände in einer akademischen Geste verschränkte, sah Uriel, dass sie aus glattem schwarzem Metall bestanden. Ohne Vorrede begann er seinen Diskurs. »Die Tyraniden sind eine bio-eugenische Rasse xenomorpher Wesen jenseits des Lichts des Imperators. Sie wurden erstmals entdeckt im 745. Jahr dieses Milleniums, und zwar von Magos Varnak auf dem Außenposten von Tyran Primus im Segmentum Ultima, gut sechzigtausend Lichtjahre vom heiligen Mars entfernt.« »Bio-eugenisch? Was bedeutet das?«, unterbrach Oberst Stagler. »Es bedeutet, dass die Tyraniden in der Lage sind, ganze Welten und Rassen zu assimilieren, indem sie sie in ihre genetischen Bestandteile zerlegen und diese dann in ihre eigene Physiologie integrieren«, erklärte Locard. Als Kryptman die Verwirrung Staglers und vieler anderer Anwesender sah, sagte er: »Vielen Dank, Magos Locard, aber vielleicht sollte ich das erklären und die Dinge hier auf einem Niveau halten, das jeder versteht.« Uriel fuhr angesichts einer so beiläufigen Beleidigung seiner Intelligenz innerlich auf, und er sah, dass auch andere finster dreinschauten, doch dem Inquisitor eilte diesbezüglich ein wenig schmeichelhafter Ruf voraus, und es gab keine Einwände, als er fortfuhr. »Die Tyraniden sind eine monströse nomadische Rasse aus Raubwesen aus einer fernen Galaxis und durcheilen die Weiten des Alls in riesigen Schwarmflotten. Wie Heuschrecken verzehren sie alles auf ihrem Weg, und wenn sie einen Gegner besiegen, wird er assimiliert, so dass jede zukünftige Generation von Tyraniden besser an die Jagd auf diese Beute angepasst ist. Wenn sie angreifen, tun sie das mit Millionenheeren und fallen wie eine Pest und ebenso zerstörerisch über eine Welt her. Alles, jeder Grashalm, jede eingeborene Kreatur, wird von den wimmelnden Horden verschlungen. Millionen Jahre der Evolution werden vernichtet, und ungezählte Millennien hart erarbeiteter Ent-
wicklung werden durch den unstillbaren Hunger der Tyraniden ausgelöscht. Die Ozeane werden ausgetrunken und der Himmel wird zersetzt und verdaut, bis nur noch nackter Fels übrig ist, dem jegliches Leben geraubt wurde.« »Aber kann man sie besiegen?«, fragte Stagler schlicht. Kryptman lachte humorlos. »O ja, Oberst Stagler, man kann sie besiegen, aber nur für einen schrecklichen Preis.« »Der Preis ist irrelevant«, sagte Stagler brüsk. »Wichtig ist nur, dass wir sie besiegen können, oder nicht?« Inquisitor Kryptman hob eine Augenbraue, bevor er den Kopf in Uriels Richtung neigte und sagte: »Oberst Stagler hat nicht ganz unrecht. Vielleicht kann Hauptmann Ventris uns den Gefallen tun und die Geschichte der Schwarmflotte Behemoth und der Schlacht um Macragge erzählen?« »Es wird mir ein Vergnügen sein, Lord Inquisitor«, sagte Uriel stolz, indem er sich erhob und die Hände auf dem Rücken verschränkte. »Die Schwarmflotte Behemoth kam von jenseits der Halosterne am Ostrand mit einer zu großen Anzahl Schiffe, um sie zählen zu können. Diese Schiffe flogen Macragge an, aber der edle Lord Calgar, der von Lord Kryptman rechtzeitig gewarnt worden war, hatte eine mächtige Flotte versammelt, um den heiligen Boden unserer Heimatwelt zu verteidigen. Eine furchtbare Schlacht tobte im Raum, bis Lord Calgar sich zurückzog und die Schwarmflotte in den Bereich der Geschütze von Macragge zog. Während die Tyraniden breit gefächert und daher verwundbar waren, kehrte er zurück und schlug zu. Seinen Schiffen gelang es, eines ihrer verfluchten Schwarmschiffe schwer zu beschädigen und damit ihre gesamte Flotte auf fatale Weise in Unordnung zu bringen.« »Das verstehe ich nicht, Hauptmann Ventris«, sagte Oberst Rabelaq. »Wie kann der Verlust eines Schiffes ihrer Flotte so großen Schaden zufügen?« »Das beantworte ich«, warf Magos Locard ein. »Um die motivationalen Imperative der Tyraniden zu verstehen, muss man zuerst die Natur ihres Bewusstseins begreifen. Eine Schwarmflotte besteht aus Milliarden und Abermilliarden lebender Organismen, die in den Reproduktionskammern des Schwarms von der Nornenkönigin produziert werden. Im Wesentlichen ist jedes Schiff ein Lebewesen, und alle Organismen, aus denen das Schiff besteht, existieren nur, um dem Schiff zu dienen. Jedes Schiff wiederum
funktioniert nur als Teil der Flotte. Ein Gestaltbewusstsein verbindet alle Kreaturen in der Flotte, von der gewaltigsten Kriegerbestie bis zu den winzigsten Bakterien der Verdauungsbottiche, was ein gigantisches Überbewusstsein schafft, das wir Schwarmverstand nennen. Dieser Schwarmverstand ist in der Lage, von einer gewaltigen Willenskraft und einer äußerst fremdartigen Intelligenz Gebrauch zu machen. Natürlich verfügen diese Kreaturen über keinerlei Individualität und existieren nur, um dem Schwarmverstand zu dienen. Wenn man die psychische Verbindung zwischen ihnen stören kann, verwirrt das die primitiveren Kreaturen, die dann meist zu ihrer primitiven, animalischen Natur zurückkehren. Das ist der Schlüssel, um die Tyraniden zu besiegen.« »Ja«, fuhr Uriel fort, »nachdem Lord Calgars Flotte das größte Schwarmschiff zerstört hatte, konnten sie weit mehr Bioschiffe abschießen, da die Angriffe der Tyraniden zunehmend unkoordiniert und wahllos wurden. Ihre Flotte wurde von Macragge vertrieben, und obwohl viele Tausend Sporen, jede mit einem Organismus der Tyraniden, über der polaren Abwehrfestung abgesetzt worden waren, verfolgte Lord Calgar den fliehenden Feind.« »Er hat seine Welt unverteidigt zurückgelassen?«, fragte Stagler missbilligend. »Nein, Oberst, weit davon entfernt«, sagte Uriel. »Die polaren Abwehrfestungen wurden von Terminatoren der Ersten Kompanie sowie tapferen Kriegern der Hilfstruppen und Titanen der Legio Praetor gehalten. Lord Calgar war zuversichtlich, dass sie sich behaupten würden, und verfolgte die Tyranidenflotte zum Ringplaneten Circe. Gemeinsam mit neu eingetroffenen Schiffen der Schlachtflotte Tempestus zerstörte er die Tyranidenflotte in einer großen Schlacht. Wir hatten die Tyraniden besiegt, aber der Preis war furchtbar. Hunderttausende starben, das Flaggschiff der Tempestus-Flotte, die Dominus Astra, ging verloren, und unsere gesamte Erste Kompanie wurde getötet, darunter auch mein eigener Vorfahr Lucian Ventris. Sie hat bis heute ihre volle Stärke noch nicht wieder erreicht.« Uriel setzte sich wieder auf die Bank, während Kryptman weitererzählte. »Die Schwarmflotte Behemoth existierte nicht mehr, aber die Tyraniden hatten aus ihrer Niederlage gelernt, und als sie vor weniger als einer Dekade mit einer neuen Schwarmflotte zurückkehrten die wir Krake nannten -, geschah dies in sehr viel größe-
rem Maßstab. Am Ostrand sind ganze Sektoren von den psychischen Interferenzen des Warpschattens der Tyraniden verschluckt worden, aber es kommt noch schlimmer. Ich habe ein Muster in einer scheinbar willkürlichen Reihe von Angriffen im gesamten Segmentum Tempestus, Segmentum Ultima und sogar Segmentum Solar entdeckt, das Grund zu der Annahme gibt, dass eine weitere Schwarmflotte angreift, diesmal von unterhalb der galaktischen Ebene. Ich habe sie Leviathan genannt, und es hat den Anschein, dass eine Absplitterung Leviathans diese Welt bedroht. Wir müssen die Tyraniden aufhalten, meine Herren. Hier und jetzt. Denn wenn dem Schatten im Warp gestattet wird, das göttliche Licht des Astronomikaners zu verdunkeln, dann wird die Menschheit wahrhaftig sterben. Schiffe werden nicht mehr in der Lage sein, im Warp zu navigieren, die Kommunikation in der Galaxis wird enden und das Imperium zusammenbrechen. Geben Sie sich keinen Illusionen hin: Wir kämpfen hier um die Zukunft unserer Rasse, und ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, um ihr Überleben zu sichern.« Die versammelten Kommandeure blieben stumm, da sie sich das Ausmaß des bevorstehenden Konflikts vor Augen führten, was auf dem Spiel stand und welche Rolle sie darin spielen würden. Sogar Montante schien jetzt den Ernst der Lage zu begreifen und kaute nervös auf der Unterlippe. »Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um dieses System auf den Angriff der Tyraniden vorzubereiten?«, fragte Astador. »Lordadmiral Tiberius arbeitet mit Admiral de Corte zusammen, um eine Strategie zu entwickeln, die es uns ermöglichen soll, die Tyranidenflotte aufzuhalten, bevor sie diese Welt erreicht«, antwortete Uriel, »aber es ist nicht zu übersehen, dass die Abwehrvorrichtungen dieser Stadt an vielen Stellen überholungsbedürftig sind und wir Zeit brauchen, um sie auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten.« »Hauptmann Ventris hat recht«, nickte Kryptman. »Ich habe die Mobilisierung von Kriegern der Deathwatch erbeten, dem militärischen Arm meines Ordos, und in Kürze werden wir sie zu unseren Truppen zählen können. Aber wir müssen den Vorstoß der Tyraniden aufhalten, können die Flotte jedoch erst in Stellung bringen, bis wir genau wissen, woher der Angriff erfolgen wird. Astropathen melden Wirbel und Strömungen im Warp, die denjenigen entsprechen, die der Ankunft einer Flotte vorausgehen, aber die
durch den Schatten im Warp hervorgerufenen Verzerrungen machen genauere Aussagen unmöglich. Wenn wir uns darauf verließen, könnte es damit enden, dass wir uns auf eine Geisterjagd begeben.« »Das Krieg-Regiment wird seine Infanterie und die gepanzerten Einheiten in den nächsten drei Tagen am Boden haben«, sagte Stagler. »Wir werden mit der Stärkung der Abwehranlagen der Stadt beginnen, und ich habe ein Übungsschema ersonnen, das unsere Bereitschaft garantiert, wenn diese Xenos eintreffen. Sie werden das Todeskorps nicht so schnell vergessen.« Uriel sagte: »Ich überstelle Ihnen Sergeant Learchus und einen Trupp Ultramarines, um Ihnen bei Ihrem Übungsprogramm zu helfen. Er ist der beste Ausbildungssergeant, den Agiselus je hervorgebracht hat, und ich bin sicher, er wird Ihnen eine große Hilfe sein.« »Vielen Dank, Hauptmann Ventris«, bestätigte Stagler. »Ich begrüße Ihre Hilfe.« Rabelaq meldete sich zu Wort. »Meine Soldaten werden am Ende dieses Tages in Stellung sein. Wir haben weit weniger Panzertruppen zu landen als Oberst Staglers Regiment, und bis morgen Früh werden Truppen über den ganzen Kontinent verteilt sein, um den Menschen hier Geleitschutz zurück in die Sicherheit ihrer Städte zu geben. Da die Soldaten des Logres-Regiments von einer Eiswelt stammen, bereitet ihnen das hiesige Klima keine Schwierigkeiten, und wir können Ihnen vielleicht sogar das eine oder andere über Erfrierungen und ihre Behandlung und Vorbeugung beibringen. Um ehrlich zu sein, haben unsere Pflichten bis heute darin bestanden, Krillzüchter vor plündernden tarellischen Stammeskriegern zu schützen. Es wird den Männern gut tun, einen Eindruck davon zu bekommen, was richtiges Soldatentum bedeutet.« Fabrikator Montante sagte: »Meine Regimenter der Planetaren Streitkräfte werden gedrillt, seit wir die Warnung vor den Tyraniden erhalten haben. Als Oberbefehlshaber der Planetaren Streitkräfte habe ich in den letzten beiden Monaten verstärkte Ausbildung angeordnet und die Einheiten der Bürgerwehr aufgerufen, ebenfalls daran teilzunehmen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen war kürzlich an Manövern beteiligt und sieht gut aus, wenn ich das so sagen darf. Wir haben außerdem begonnen, Vorräte von medizinischen Hilfsgütern, Munition, Treibstoff und Nah-
rungsmitteln in den Kavernen unterhalb der Stadt anzulegen.« Kryptman schaute ein wenig überrascht drein ob dieser neuen Seite an Fabrikator Montante und nickte. »Ausgezeichnet. Das war eigentlich mein nächster Punkt.« »Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Inquisitor Kryptman. Wenn es etwas gibt, womit ich mich auskenne, dann ist es organisatorische Logistik. Ich bin vielleicht kein Soldat, aber ich kann Ihren Nachschub besser organisieren als sonst jemand und dafür sorgen, dass jeder Soldat genügend Munition hat und drei warme Mahlzeiten am Tag bekommt.« Kryptman gluckste. »Das ist der halbe Krieg.« »In der Tat«, strahlte Montante, der sich freute, etwas beisteuern zu können. Die nächsten zwei Stunden wurden mit der minutiösen Planung der bevorstehenden Kampagne verbracht. Alles, von den Flottenoperationen bis zur genauen Aufstellung von Menschen und Maschinen in der Stadt, wurde beraten und entschieden. Die Lage war ernst, aber am Ende des Kriegsrats war das vorherrschende Gefühl vorsichtiger Optimismus. Der Lord Inquisitor beschwor diesen Optimismus, als er sagte: »Tyraniden sind Kreaturen aus unseren finstersten Albträumen. Aber vergessen Sie eines nicht: Sie können bluten, und sie können sterben...« Uriel schenkte sich einen Pokal Wein ein, als sich die Tür am anderen Ende der Kammer öffnete und ein Kom-Offizier der Planetaren Streitkräfte eintrat. Er eilte zu Montante und reichte dem Fabrikator-Marschall eine Datentafel, bevor er sich wieder zurückzog. Montante überflog rasch den Inhalt der Tafel, und sein Lächeln wurde ausgeprägter, je mehr er las. Er reichte Kryptman die Tafel und sagte: »Ich glaube, wir haben sie.« Kryptman las die Tafel, während Montante fortfuhr. »Die Sensoren auf dem Horchposten Trajen am Rande des Systems haben ein unbekanntes Signal im Barbarus-Haufen aufgeschnappt und eine Staffel Jäger von der Kharloss Vincennes hingeschickt, um nachzusehen. Anscheinend hat die Staffel einen Kundschafter der Tyraniden gestellt und vernichtet. Die Astropathen melden außerdem eine sich nähernde Störung im Immaterium. Meine Herren, ich glaube, wir wissen jetzt, woher der Feind kommen wird.«
Tyren Mallick schob den Sicherungshebel seines Autogewehrs nach vorn und öffnete den Verschluss. Er nahm ein Magazin mit Kugeln aus der Tasche seiner Bomberjacke, vergewisserte sich, dass die Kugeln sauber waren, und schob es in die Munitionszuführung. Er drückte das Magazin herunter, schloss den Verschluss und zog den Sicherungshebel wieder zurück. Dann hob er das Gewehr an die Schulter und zielte über den Lauf auf die drei Steine, die er am Berghang aufgestellt hatte. Er atmete tief ein, ließ den Atem langsam entweichen und drückte ab. Der Schuss fegte einen Stein von seinem Platz. Er senkte das Gewehr und sah zu, wie sein Sohn Kyle seine Bewegungen ganz genau kopierte. Der Knall seines Schusses hallte von den dunklen Bergen wider, und der nächste Stein fiel von seinem Platz. Er sah, wie mehrere Leute in der tiefer gelegenen Ortschaft bei dem Geräusch zusammenfuhren, bevor sie sich wieder daran machten, die Barrikaden am Eingang der Ortschaft zu errichten. »In Ordnung, mein Sohn, gute Arbeit«, sagte er. »Und jetzt mach es noch mal. Wenn diese fremden Bestien kommen, musst du in der Lage sein, ganz schnell zu schießen. Wenn du das Gewehr mit geschlossenen Augen laden kannst, gehen wir essen.« Kyle strahlte über das Lob seines Vaters, entlud das Gewehr und fing noch einmal an. Tyren beobachtete seinen Sohn dabei, wie er die Waffe rasch neu lud und die Handgriffe wiederholte, die sie in den letzten beiden Tagen geübt hatten. Kyle war zwar erst elf Jahre alt, aber ein Naturtalent und konnte die Waffe in weniger als sechs Sekunden laden und schussbereit machen. Der letzte Stein verschwand in einer Rauchwolke, als Kyle ihn genau in der Mitte traf. Vater und Sohn übten noch eine halbe Stunde, bevor es heftig zu regnen anfing und sie rasch den mit Pfützen übersäten Weg zu der kleinen Bergbaugemeinde namens Hadleys Hoffnung entlangeilten. Sie kletterten über die schlüpfrigen Erzfässer, die vor der Hauptstraße durch die Stadt aufgestellt waren, und gingen dann weiter nach Hause, wobei sie unter den breiten Regenrinnen der Häuser Schutz suchten, welche die Straße säumten. Tyren sah, dass das andere Ende der Straße ebenfalls verbarrikadiert war. Mit Stacheldraht umwickelte Sägeböcke stapelten sich neben mit Sand und Steinen gefüllten Erztonnen. Es war nicht viel, aber alles, was sie tun konnten.
Neben der Schule, dem größten Gebäude der Gemeinde, stand Tyren Mallicks Heim, ein robust konstruiertes Haus aus Lehmziegeln, das er mit eigenen Händen errichtet hatte. Er hatte fünfundzwanzig schöne Jahre in diesem Haus verbracht, drei Kinder aufgezogen und schwer in den Bergwerken geschuftet, die Barbarus Primus wert machten, bewohnt zu werden. Er war ein so treuer Diener des Imperiums, wie man es sich nur wünschen konnte, und hörte sich jede Woche in Pelotas Pfarrer Cascus Predigt an. Außerdem verbrachte er jedes Jahr einen Monat damit, all jenen zu helfen, die nicht so viel Glück gehabt hatten wie er. Fünfundzwanzig gute Jahre, und er wollte verdammt sein, wenn er sich von einem gesichtslosen Adepten auf Tarsis Ultra vorschreiben ließ, sein Heim zu verlassen, weil irgendwelche nichtmenschlichen Piraten im Anflug waren. Die Bewohner von Hadleys Hoffnung hatten sich auch schon früher in Notzeiten zusammengeschlossen, und diesmal würde es nicht anders sein. Der Eingang zum Bergwerk war bereits versiegelt, die Stadt verbarrikadiert und die Bevölkerung bereit, ihre Herde und Heime zu verteidigen. Schwere graue Wolken sammelten sich am Himmel, und weiter die ins Tal führende Straße entlang sah Tyren die starken Turmlichter mehrerer anderer Gemeinden aufflackern, da die Nacht nahte. Sogar von hier aus konnte er erkennen, dass auch die anderen Gemeinden Vorbereitungen zur Abwehr ganz ähnlich denjenigen von Hadleys Hoffnung getroffen hatten. Das allgemeine Gefühl der Solidarität im Angesicht der Not gab Anlass zur Demut, und Tyren dankte wieder dem Imperator, dass er mit so guten Freunden und Nachbarn gesegnet war. Er und Kyle erreichten die massive Holztür zum Haus und zogen ihre schlammverschmierten Stiefel aus, bevor sie eintraten. Merria hielt das Haus sauber, und beide waren nicht so dumm, vor dem Mittagessen Schmutz ins Haus zu tragen. Die Wärme und der Geruch nach einer anständigen, daheim gekochten Mahlzeit hüllten ihn ein, als er Kyle hineinführte. Seine Frau und die beiden Töchter beschäftigten sich mit dampfenden Schüsseln und Tellern und deckten den Tisch für das Mittagessen, während er die Gewehre neben die Tür hängte, wobei er sich zunächst vergewisserte, dass beide entladen waren. »Habt ihr da draußen Spaß gehabt?«, fragte Merria, ohne sich von ihrem heißen Herd abzuwenden.
»Auf jeden Fall«, sagte Tyren, während er seinem Sohn die Haare zerzauste. »Kyle ist ein Naturtalent. Er hat nicht einmal danebengeschossen, nicht wahr, mein Sohn?« »Nein, nicht einmal«, bestätigte Kyle. Seine Mutter runzelte die Stirn, als sie sich umdrehte und sah, wie durchnässt ihr Sohn und ihr Mann waren. Sie trocknete sich die Hände an der Schürze ab und scheuchte sie in Richtung Schlafzimmer. »Ihr zieht jetzt beide eure nassen Sachen aus, bevor ihr euch den Tod holt. Ich dulde nicht, dass ihr mir hier den Boden nass tropft. Nun macht schon, beeilt euch. In fünf Minuten steht das Essen auf dem Tisch.« Vater und Sohn wussten beide, dass zu streiten sinnlos war und drängten ihren Hunger zurück, während sie sich abtrockneten und frische Kleidung anzogen. Sie kamen zum Tisch zurück, als Merria gerade das Essen au den Tisch stellte. Tyren nahm seinen üblichen Platz am Kopfende des Tisches ein. Als jeder einen vollen Teller vor sich hatte, faltet Tyren die Hände, schloss die Augen und neigte den Kopf, als er ein Dankesgebet an den Imperator sprach. »Heiliger Vater, der über und alle wacht, wir danken dir für dieses Mahl vor uns. Gib uns die Weisheit deiner Diener und die Kraft, uns gegen das Böse der Sünder und Nichtmenschen zu behaupten. Darum bitten wir in deinem Namen.« Seine Familie schloss mit einem gemeinschaftlichen Amen, und dann machten sich alle über das Essen her. Zischende Gaslaternen hingen an den Dachbalken und spendeten warmes Licht, als die Familie aß, während das grelle Licht der Bogenlampen draußen von den Blechen abgehalten wurde, mit denen Tyren die Fenster vernagelt hatte. Er lächelte seine Frau an und nahm einen Happen von seinem Essen. Sollten diese Piraten ruhig kommen, wer sie auch waren. Sie würden feststellen, dass Tyren Mallick und die Leute von Hadleys Hoffnung auf sie vorbereitet waren. Schweiß sammelte sich auf der Stirn des Dritten Technikers Osric Neru, und er wünschte, die Astropathin würde endlich den Mund halten und ihnen allen etwas Ruhe gönnen. Ihr Ächzen war zuerst ziemlich beunruhigend gewesen, aber jetzt war es nur noch lästig und erfüllte Horchposten Trajens beengte Zentrale mit
ihrem nicht enden wollenden Gejammer. Osrics Finger klopften einen nervösen Takt auf der Konsole vor sich, da er frustriert auf die Anzeige starrte. Die Werte konnten nicht stimmen, das konnten sie einfach nicht. Er rieb sich das unrasierte Kinn und prüfte die Zahlen noch einmal, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Die Zahlen huschten wieder über den Bildschirm, dieselben wie zuvor. Er wischte sich den Schweiß von seinem tonsurierten Schädel und brachte die Pergament-Liste neben sich auf den neusten Stand, wie ihm seine Vorgesetzten auf Tarsis Ultra befohlen hatten. Osric fühlte sich sehr allein und verängstigt und wünschte sich nichts mehr, als wieder auf Chordelis zu sein und in einem der vielen Hochöfen dieser Welt Dienst zu tun. Wenn diese Zahlen stimmten, näherte sich eine Feindflotte von unerhörter Größe diesem System. Schiffe der Imperiumsflotte waren von Tarsis Ultra unterwegs, aber Osric wusste, dass sie Trajen nicht vor dieser neuen Flotte auf seiner Konsole erreichen würden, und der Gedanke entsetzte ihn. Sein Blick traf sich mit dem des Adepten an der nächsten Konsole, und er versuchte beruhigend zu lächeln, konnte ihn aber nicht überzeugen. Er warf einen Blick über die Schulter auf den ranghöchsten Magos, und trotz der vielen augmetischen Veränderungen bei seinem Vorgesetzten konnte Osric doch erkennen, dass er ebenfalls extrem besorgt über das war, was sich da näherte. Wiederholte, an Admiral des Corte gerichtete Bitten um Erlaubnis, ihren Horchposten verlassen zu können, waren abschlägig beschieden worden, und sie konnten nur warten und hoffen, dass die nahende Flotte sie passieren würde. Die Astropathin lag auf einer Ruheliege neben dem Magos, die Zähne zusammengebissen, die Haut angespannt und blass. Sie zuckte und murmelte, und ihr Gesicht bewegte sich unter nervösen Zuckungen und Flatteranfällen. Ihr Ächzen hallte durch den Kontrollraum und entnervte den sechs Personen zählenden Stab des Horchpostens noch mehr. Plötzlich schoss sie kerzengerade in die Höhe und schrie aus vollem Hals. Alle schraken zusammen, als die junge Frau von der Liege sprang, an ihren grünen Gewändern riss und sich mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte. Sie fiel jämmerlich kreischend auf
die Knie, während sich ihre Fingernägel immer tiefer in ihre Haut gruben. Blut lief ihr über das Gesicht, als sie sich die Nähte über ihren leeren Augenhöhlen aufriss und die Finger hineinbohrte, als wolle sie sich das Hirn aus dem Schädel pflücken. »Sie kommen!«, heulte sie. »Sie zerkratzen mir den Verstand, kratzen, schreien, brüllen so viele Stimmen. Sie wollen uns holen mit Haut und Haaren, Leib und Seele!« Osric hielt sich die Ohren zu, um ihr Geschrei nicht mit anhören zu müssen, da sie sich schwankend erhob, mit blutigen Fingern nach ihm griff und ihn anflehte, ihren Qualen ein Ende zu bereiten. Aber er konnte nichts für sie tun. Schließlich kippte sie nach vorn und fiel zu Boden. Blut sammelte sich in einer Lache um ihren Kopf, und ihre Schreie verstummten. Uriel gesellte sich zu Lordadmiral Tiberius und Philotas, dessen Deckoffizier, als diese die Systemkarte begutachteten, die auf dem steinumrahmten Planungstisch im Querschiff auf der Kommandobrücke der Vae Victus dargestellt wurde. Eine verblüffende Menge von Informationen war auf der eingebetteten Tafel sichtbar, die eine topographische Darstellung des Systems Tarsis Ultra zeigte. Gewundene Linien von Patrouillenschleifen der Verteidigungsschiffe, Planetenumlaufbahnen und lokale himmlische Phänomene waren ebenso eingezeichnet wie die größeren Schifffahrtsrouten. Sprungpunkte am Systemrand waren gelb markiert, und jeder Planet erstrahlte in einem weichen grünen Licht. Zahlen huschten über eine Seite der Tafel, obwohl Uriel keine Ahnung hatte, was sie darstellten. »Zeigen Sie es mir«, befahl Tiberius. Philotas stellte etwas an den Runen auf dem Planungstisch ein, und die Hintergrundinformationen verschwanden von der Anzeige, so dass nur noch die planetaren Einzelheiten erleuchtet waren. »Am äußersten Rand des Systems Tarsis Ultra liegt Barbarus Primus«, sagte Philotas, als gewundene hoch-gothische Schrift in einem golden umrandeten Kasten neben dem Planeten aufleuchtete. »Eine Förderwelt«, stellte Uriel fest. »Kostbare Metalle und Edelsteinminen in der Hauptsache, obwohl es auch ein paar wert-
volle Mineralien gibt, die für die Produktion der Metalle für Raumschiffshüllen benötigt werden.« »Bevölkerung?«, fragte Tiberius. Philotas warf einen Blick auf den Informationskasten und sagte: »Ziemlich wenig. Nach der letzten Zählung sind es etwas mehr als neuntausend Seelen, von denen die meisten im Hochland der Gebirge des Ostkontinents leben.« »Was wird unternommen, um die Leute von dort zu evakuieren?«, fragte der Lordadmiral. »Der dortige Adept hat eine Warnung erhalten, und von Chordelis ist ein Frachter dorthin unterwegs, obwohl es fraglich ist, ob er Barbarus Primus noch vor den ersten Organismen der Tyraniden erreichen kann.« »Verdammt«, fluchte Tiberius. »Je mehr Welten den Tyraniden zum Opfer fallen, desto stärker und zahlreicher werden sie.« »Danach folgen zwei unbewohnte Planeten. Der erste, Parosa, hat eine Atmosphäre, die im Wesentlichen aus einer BenzolWasserstoff-Mischung besteht. Hochgradig toxisch, und obschon die Adeptus Mechanicus mehrfach versucht haben, die Atmosphäre umzuwandeln, waren ihre Versuche bisher nicht von Erfolg gekrönt. Der zweite wird Yulan genannt. Er ist ein geologisch instabiler Gesteinsbrocken, der von vulkanischen Stürmen heimgesucht wird, obwohl es auf ihm mehrere riesige Wasserstoffplasma-Abbaustationen in permanenter geo-stationärer Umlaufbahn gibt.« Philotas zoomte näher heran, da sie sich den inneren Welten näherten. »Dann kommt Chordelis, eine kleine, aber bevölkerungsreiche Welt industrieller Manufakturen. Um die sechzehn Millionen Bewohner mit fünfzigtausend Mann Planetaren Streitkräften. Die Evakuierungsprotokolle sind in Kraft, obwohl ich dazu raten würde, einen weiten Bogen um Chordelis zu machen. Es herrscht reger Schiffsverkehr, und es hat bereits mehrere Unfälle gegeben. Nach Chordelis haben wir zwei Agrarwelten, Calumet und Calydon, beide mit einer Bevölkerung, deren Hauptaufgabe die Verwaltung ist. Diese Welten werden gerade evakuiert. Und schließlich haben wir Tarsis Ultra selbst mit einer Bevölkerung von über sechzig Millionen.« »Wie lange noch, bis wir in der Lage sind, die Schwarm-flotte abzufangen?«, fragte Uriel.
Philotas verstellte erneut die Runen an der Seite des Planungstisches, und eine Reihe von Linien schlängelte sich über die Oberfläche der Tafel. Sie begannen bei der Symbolgruppe, welche die Vae Victus und die Schiffe der Imperiumsflotte darstellte, und führten durch das System zu Barbarus Primus. Mehr Zahlen huschten über die Tafel. Philotas benutzte ein stählernes Lineal und einen Zirkel, um Zeit und Entfernung auf der Systemkarte abzumessen. »Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit wird es sieben Tage dauern, bis wir die Umlaufbahn von Barbarus Primus erreichen«, sagte Philotas. »Die Tyraniden werden vor uns dort sein.« Osric Neru beobachtete die sich nähernde Wolke von Objekten in der Aussichtsbucht mit echtem Grauen, während er Schutzgebete murmelte, die ihm seit der Kindheit nicht mehr über die Lippen gekommen waren. Er hielt sich an seiner Konsole fest, als die Wolke der Fremdwesen sie einhüllte und ein weiterer explosiver Einschlag den Horchposten erbeben ließ. In den letzten zwanzig Minuten waren sporenartige Objekte aus der vorrückenden Flotte scheinbar ziellos durch den Raum getrieben, bis sie sich dem Horchposten genähert hatten, woraufhin sie rhythmisch zu pulsieren anfingen und zielstrebig auf ihre Position zuhielten. Einige explodierten wie Minen, andere platzten wie nasse Säcke voll Flüssigkeit und verspritzten zersetzende Säuren über die Station. Es gab bereits überall Lecks in der Station, wo sich Säuren und Viren durch die Hülle gefressen hatten. Die nahende Flotte war ganz einfach zu groß, um sie verstandesmäßig erfassen zu können. Tausende im Raum treibende Gegenstände umgaben die fremden Raumschiffe, tote Klumpen, die die jämmerlich unzureichenden Geschütztürme der Station gesprengt hatten, bevor ihnen die Munition ausgegangen war. Osric warf einen Blick auf die Feuerprotokolle der verschiedenen Geschütztürme, um zu überschlagen, wie viele Schüsse abgegeben worden waren. Über zwanzigtausend Granaten waren in die sich nähernde Wolke abgefeuert worden, obwohl die von ihnen angerichteten Verluste verglichen mit einer Streitmacht von solchem Ausmaß unbedeutend waren. Sie waren jetzt praktisch wehrlos. Osric fiel auf die Knie und betete, da sich noch mehr von den Sporen der Tyraniden näherten.
»Neru!«, blaffte der oberste Magos. »Zurück auf Ihren Posten.« Osric erhob sich, während die Station unter weiteren Einschlägen erbebte und eine neue Reihe von Warnlampen auf der Konsole zu blinken anfingen. »Wir werden sterben!«, rief Osric. »Was spielt es da für eine Rolle, ob ich auf meinem Posten bin?« »Es spielt eine Rolle, weil wir deswegen hier sind«, sagte der Magos mit einer Ruhe, die er nicht empfand. »Ja, wir werden sterben, aber wir werden sterben, indem wir unsere Pflicht gegenüber dem Imperator erfüllen. Kein Mensch kann mehr verlangen.« Osric nickte, neigte den Kopf und kehrte auf seinen Platz zurück, während von draußen das Ächzen sich verbiegenden Metalls in die Zentrale hallte. Wieder heulte eine Alarmsirene, die ein Leck in der Außenhülle verkündete, und die verängstigte Besatzung des Horchpostens hörte das Knirschen, als Druckschleusen langsam den betroffenen Bereich abriegelten. Dann hörten sie das Kratzen von nichtmenschlichen Krallen an der Tür zur Zentrale. Tyren Mallick verdrängte die Schmerzen in seiner aufgerissenen Schulter und lud mühsam das Gewehr nach, wobei das Zittern seiner Finger die Aufgabe zusätzlich erschwerte. Ein blutgetränkter Verband war um Schulter und Brust gewickelt, wo Fragmente der explodierenden Spore in sein Fleisch eingedrungen waren. Merria hatte die zischenden Knochensplitter aus seiner Schulter geholt, aber die Wunde wollte nicht heilen, sondern sonderte beständig infiziertes Blut ab. »Warum hat der Himmel so eine komische Farbe, Pa?«, fragte Kyle mit vor Furcht zitternder Stimme, da er durch die geschmolzenen Reste der Bleche vor den Fenstern starrte. Der normalerweise schiefergraue Himmel brodelte in einem widerlichen Bluterguss-Violett, und unnatürliche Blitze zuckten und tauchten die Berge in ein grelles unvertrautes Licht. Ein Hagel aus dunklen Objekten ging inmitten des brennenden Regens auf die Ebene nieder, der die Metalldächer von Hadleys Hoffnung wegätzte und die Leute gezwungen hatte, die Barrikaden zu verlassen und Zuflucht in der Schule zu suchen, dem einzigen Gebäude, das groß genug war, alle aufzunehmen. Die Männer von Hadleys Hoffnung waren mit einer Vielzahl verschiedener Waffen ausgerüstet, von
alten Gewehren, bei denen man schon von Glück sagen konnte, wenn die Patrone nicht im Lauf explodierte und dem Schützen die Hand abriss, bis hin zu frisch geölten Lasergewehren, die im Dienst bei den hiesigen Planetaren Streitkräften erworben worden waren. Dreiundzwanzig weinende Kinder kauerten in der Mitte der Schule, und ihre Mütter und Lehrer taten ihr Möglichstes, um sie mit Liedern und Gebeten zu beruhigen. »Ich weiß nicht, warum, mein Sohn«, gestand Tyren, als es ihm endlich gelang, „die Patronen in sein Gewehr zu drücken. Er erhob sich vom Tisch und gesellte sich zu seinem Sohn am Fenster. Sporen wie grotesk angeschwollene und geäderte Ballons fielen seit Tagesanbruch vom Himmel, und obwohl die meisten von Aufwinden aus der Ebene ins Hochgebirge geweht worden waren, trieben viele wieder zurück nach unten, als die Nacht anbrach und die Luft abkühlte. Zuerst hatten die Einwohner von Hadleys Hoffnung sie mit ängstlicher Neugier beobachtet, bis eine pulsierende Spore mit einem Ring aus trompetenartigen Kegeln und nachgezogenen Wedeln in die Siedlung getrieben war. Pastor Upden war zuversichtlich auf das mysteriöse Objekt zugegangen und hatte aus nächster Nähe in der Erwartung darauf geschossen, es werde einfach in sich zusammenfallen. Tyren hatte voller Grauen mit ansehen müssen, wie der widerliche Tropfen explodiert war und den Pastor mit einer dicklichen, zähen Flüssigkeit bespritzt hatte, und seine Schreie waren auch in den entferntesten Winkel der Siedlung gedrungen. Tyren war losgelaufen, um Upden zu helfen, aber es war zu spät seine Haut warf bereits Blasen und löste sich von den Knochen, da die unbekannten Säuren sein Gewebe zersetzten. Er schrie erbärmlich, bis seine Kehle schmolz und sich sein lebloser Körper in stinkenden Schleim auflöste. Seitdem hatten sie sehr darauf geachtet, die Sporen abzuschießen, bevor sie die Siedlung erreichten. »Bleib wachsam, Kyle, und ruf mich, wenn du irgendwas siehst«, sagte Tyren, während er durch die tropfenden, korrodierten Löcher im Metall starrte. Die Lichter in den tiefer gelegenen Ortschaften waren erloschen, und in Pelotas war schon seit mehreren Stunden niemand mehr zu erreichen. Die Lichter hier erloschen auch langsam, da der Säureregen die Kabel zersetzte, die nicht unterirdisch verliefen, und Tyren wusste, dass schon bald die ganze Gemeinde im Dunkeln liegen wür-
de. Er versuchte das Schluchzen der Kinder und die zitternden Stimmen der Frauen zu ignorieren, als er Bewegung auf der Straße sah. Der Boden wogte, als sei er lebendig, und der Regen glänzte auf den Panzern von vielen Tausend... Dingern, die zu der kleinen Siedlung liefen. Er kniete nieder, angelte ein ramponiertes, aber funktionierendes Fernglas aus dem Rucksack und richtete es auf die Straße. Die unnatürliche Dunkelheit machte es schwierig, etwas zu erkennen, aber ihm stockte der Atem, als er ein Meer von Kreaturen sah, die bergauf strömten und nur aus Klauen und Zähnen zu bestehen schienen. »Der Imperator helfe uns«, flüsterte er und ließ das Fernglas sinken. »Jeder mit einem Gewehr sucht sich einen Platz, von wo er schießen kann«, rief er. Er griff sich einen blassen Mann neben sich und sagte: »Radek, geh mit zehn Männern nach oben und schießt vom Balkon. Das Vordach wird euch vor dem Regen schützen.« Radek nickte und lief los, um Tyrens Befehl auszuführen. Tyren schaute zu seiner Frau und seinen Töchtern und warf ihnen einen beruhigenden Blick zu, bevor er sich ein Loch in der Wand suchte, durch das er schießen konnte. Kyle schulterte sein Gewehr und stellte sich neben seinen Vater, ein nervöses Lächeln auf den Lippen. »Ich bin stolz auf dich, mein Sohn«, sagte Tyren, und Kyle nickte. Tyren lugte in die Dunkelheit und sah den Schwarm der Kreaturen über die Barrikaden am Ende der Straße hinwegstürmen. »Sie kommen!«, brüllte er. »Eröffnet das Feuer!« Kinder schrien, als die Schule plötzlich von krachendem Lärm erfüllt war. Pulverdampf verräucherte die Luft, und das Knallen der Waffen in so einem beengten Raum war ohrenbetäubend. Tyren sah mehrere Kreaturen fallen und hörte mehr Schüsse von oben. Über den Waffenlärm hörte er ein pfeifendes Kreischen wie von einer heranfliegenden Artilleriegranate und zuckte zusammen, als etwas Schweres ins Dach der Schule einschlug. Er hörte Holz splittern und Schreie von oben, wusste aber, dass er nichts tun konnte, um den oben postierten Männern zu helfen. Der Boden bebte, als weitere Objekte vom Himmel fielen und mit unglaublicher Wucht einschlugen.
Er schoss wieder und wieder in die Masse der Bestien, deren geschwollene Schädel und Körperpanzer alles ablenkten bis auf die genausten Treffer. Sie drangen in die Stadt ein, schwärmten aus und umzingelten die Schule. Ein donnernder Einschlag draußen schleuderte Tyren zu Boden und sprengte die Fensterscheiben zur Straße. Ein Teil der Wand stürzte ein, und das Blech wurde von den Wänden gerissen. Heiße, stinkende Luft wehte herein. Durch das Loch konnte Tyren sehen, dass der Generatorschuppen brannte und ein großer Gegenstand wie ein Felsblock in dem Krater schaukelte, den sein Einschlag verursacht hatte. Kleinere Kreaturen kamen auf das Loch in der Wand zugelaufen, und Tyren rappelte sich auf und schoss wütend durch die Bresche. Flammen von der anderen Straßenseite beleuchteten die Kreaturen, und im Verein mit drei anderen Männern gelang es ihm, die Ungeheuer zu töten, die durch die Bresche eindringen wollten. Das Dach des Generatorschuppens stürzte ein und ließ Funken durch die Dunkelheit stieben. Unter den Trümmern ertönte ein Kreischen von etwas, das Schmerzen zu leiden schien. »Holt irgendwas, um das Loch hier zu stopfen!«, brüllte er, während er auf die Kreaturen schoss, bis seine Munition verbraucht war. Er tastete nach einem neuen Magazin, während drei Frauen einen schweren Tisch und ein paar Pulte anschleppten und vor der Bresche in der Hauswand umstürzten. Schüsse und das Geschrei der Kinder nahmen seine Sinne in Beschlag, als Tyren das Gewehr neu lud. Er hörte etwas gegen die wenigen noch verbliebenen Fenster mit einem Blechschutz prallen und sah noch eins nachgeben, als sich eine grauenhafte Kreatur hindurchzwängte. Sie sprang in den Raum. Regen dampfte auf ihrem glänzenden Panzer. Vornübergebeugt und sechsgliedrig zischte ihr bestialisches Gesicht in unmenschlichem Hunger. Tyren schoss darauf, traf aber nicht, sondern sprengte nur Gips aus der Wand daneben. Die Bestie beachtete ihn nicht und ging auf die Verteidiger der Nordwand los. Er schrie auf, als er sah, wie Kyle sich zu dem Ungeheuer umdrehte und das Gewehr hob. Doch die Bestie war unmenschlich schnell, und ihre sensenden Krallen schlugen zu und schlitzten seinen Sohn auf, bevor dieser einen Schuss abgeben konnte. »Nein! Nein! Nein!«, schrie Tyren und schoss erneut. Seine Ku-
gel traf das Ungeheuer am Halsansatz und ließ den Kopf in einem Regen aus dunklem Seim explodieren. Er ließ sein Gewehr fallen und rannte zu seinem Sohn, doch es war zu spät, sein Junge war bereits tot. Er schrie gequält und hob den Leichnam seines Sohns auf. Durch ein Tränenmeer sah er, wie sich die Ruinen des Generatorschuppens in die Höhe schraubten, als sich etwas Großes aus den Trümmern erhob. Er tastete nach seinem Gewehr, da das Schulgebäude von immer mehr Geschrei erfüllt war. Eine massige Gestalt stapfte über die Straße, warf sich gegen eine Mauer der Schule, brachte sie zum Einsturz und riss gleich noch einen Teil der Decke mit. Der Körper des Ungeheuers stand in Flammen, und es kreischte vor Wut und Schmerzen, während es sich in die Schule kämpfte. Tyren spürte, wie seine Knie nachgaben, als ein Ungeheuer wie aus seinen schlimmsten Albträumen einen donnernden Schritt in die Schule tat. Größer als eine Planierraupe ragte es auf starken behuften Beinen vor ihm auf, zwei dicke, in langen Krallen wie Rasiermesser endende Armpaare über den Kopf erhoben. Sein spitz zulaufendes Maul war mit vielen Hundert geifernden Reißzähnen gefüllt, und die dunklen Augen reflektierten das Feuer, das es verzehrte. Die Grauen erregende Kreatur kreischte ohrenbetäubend, schlug dabei mit den Krallen zu und hackte mit jedem Hieb Männer entzwei. Sie drang tiefer in die Schule ein, und ihr Gewicht ließ die Bodendielen bersten, während ihre tödlichen Krallen alles in Reichweite töteten. Tyren schrie immer noch und schoss mit seinem Gewehr auf das Ungeheuer, dessen Chitinpanzer jedoch jeden Schuss abwehrte. Noch eine der kleineren Bestien kam durch das Fenster neben Tyren. Er schoss ihr in den Kopf und rammte ein neues Magazin in seine Waffe. Das Riesenungeheuer schrie weiter, während es die Schule demolierte. Dachbalken fielen krachend nach unten, als sein gepanzerter Schädel die Decke durchstieß. Das obere Stockwerk stürzte ein und Männer fielen zu Boden, nur um von den Füßen der Bestie totgetrampelt zu werden. Kinder weinten vor Angst. Das durchdringende Kreischen der Bestie wurde noch lauter, bis eine brodelnde Kugel aus grünlichem Licht aus ihrem Maul hervorschoss und die schreienden Frauen und Kinder tötete.
Tyren brüllte vor Entsetzen und ging auf die Kreatur los. Er wusste, dass sie ihn töten würde, wollte aber nicht mehr weiterleben, da seine Familie tot war. Er schoss auf das Ungeheuer, bis das Magazin leer war, dann benutzte er das Gewehr als Keule und schlug es an den gepanzerten Beinen des Ungeheuers in Stücke. Das Ungeheuer traf Tyren mit seinen starken Armen, riss ihm einen Arm ab und schleuderte ihn durch die Wand. Er landete draußen vor der Schule, vor Schmerz und Verlustgefühl wie betäubt. Der Säureregen verbrannte seine Haut, und er spürte nichts mehr unterhalb des Halses. Zischende Ungeheuer versammelten sich um ihn und stachen immer wieder mit langen Krallen wie mit Schwertern auf ihn ein. Tyren spürte nichts. Sein Leben endete in einem verschwommenen Nebel aus Krallen und Reißzähnen.
FÜNF Eine sterbende Welt füllte die Observationsbucht. Wie monströse, saugende Parasiten versammelten sich die Kreaturen der Schwarmflotte um Barbarus Primus und bildeten einen verschwommenen, undeutlichen Halo. Flackernde Blitze zuckten durch die Atmosphäre, und obwohl der Eindruck aus dem Weltraum umwerfend und beinahe schön anzusehen war, wusste Uriel doch, dass sie das sichtbare Anzeichen der Todeszuckungen für diesen Planeten waren, der jetzt von gigantischen Stürmen heimgesucht wurde, die stark genug waren, Berge einstürzen und Kontinente versinken zu lassen. Die Oberfläche von Barbarus Primus hob sich, als die Kruste barst, da sie von gigantischen Fütterungs-Tentakeln aufgebrochen wurde, die sich tief in sie hineinbohrten und alles verschlangen, was in seine organischen Bestandteile zerlegt werden konnte. Auf Barbarus Primus konnte es kein Leben mehr geben. Die Tyraniden würden sehr bald das gesamte genetische Material dieser Welt absorbiert haben und es als Brennstoff für die immer hungrigen Reproduktionskammern der Schwarmschiffe benutzen. Mittlerweile würde die biologische Materie der Bevölkerung des Planeten bereits im Bauch dieser Bestien brodeln. Bei dieser Vorstel-
lung wurde Uriel übel, und der Hass, den er auf den Schlachtfeldern von Ichar IV empfunden hatte, kehrte zurück, grell und heiß. »Der Imperator wache über euch«, flüsterte Uriel und schwor sich, die Seelen dieser Welt zu rächen. Er stand mit Lordadmiral Tiberius auf der Brücke der Vae Victus, ohne jede Möglichkeit, der Welt unter ihnen zu helfen, aber bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass noch mehr Diener des Imperiums ihr Leben an den Großen Verschlinger verloren. Tiberius schritt zu seiner Kommandokanzel und erklomm die Treppe zu seiner erhöhten Kommandoposition. Unbewusst kratzte er sich das Spinnennetz aus Narben auf einer Gesichtsseite, Narben, die er im Kampf gegen die Tyraniden in der Schlacht um Macragge vor über zweihundertfünfzig Jahren als einer von vielen Deckoffizieren davongetragen hatte, die auf diesem stolzen Schiff Dienst taten, bevor er schließlich Kapitän geworden war. Er presste den Daumen auf die Bildtafel des Pults aus poliertem Mahagoni vor sich, und die taktische Karte baute sich vor ihm auf und zeigte die zum Untergang verurteilte Welt und die Imperiumsflotte, die gekommen war, um gegen ihre Zerstörer zu kämpfen. Neben der Vae Victus war die Mortis Probati, das Schiff der Mortifactors, und beiderseits von diesen war die Macht der imperialen Schlachtflotte versammelt. Sie konnten die Bevölkerung von Barbarus Primus nicht mehr retten, aber die Schlacht, um sie zu rächen, würden sie im Schatten ihrer sterbenden Welt austragen. »Sie werden bald kommen«, sagte er. »Woran sehen Sie das?«, fragte Uriel. »Sehen Sie da«, sagte Tiberius, indem er auf eine Stelle zeigte, wo sich eine gigantische Kreatur schwerfällig von der Planetenbeute unter sich löste. »Sie reagieren auf unsere Anwesenheit.« Länger als das größte Schlachtschiff, war die Haut des Ungeheuers knorrig und uralt, von den Kratern der Asteroideneinschläge übersät und durch Millennien der Reise durch die Leere gehärtet. Die Unterseite kräuselte sich vor winkenden, wedelartigen Tentakeln, und aus großen Saugöffnungen tropfte eine dicke, zähe Flüssigkeit, als es sich erhob, um sich ihnen zu stellen. Am, wie Uriel vermutete, hinteren Ende hingen lange Tentakel, die in stachelbewehrten Krallen endeten und in einer grotesken Bewegung pulsierten. Nichts derart Großes dürfte zur Animation befä-
higt sein, dachte Uriel, oder die Möglichkeit haben, ein so grauenhaftes Zerrbild des Lebens auszubilden. Eine ganze Flotte aus Vorhut-Organismen schwebten vor das Ungeheuer: riesige, stachelrochenartige Kreaturen mit höhlenartigen Mäulern voller Zähne, die so groß wie ein Thunderhawk waren, und messerscharfen Flügeln; sich drehende Kreaturen, die sich jeglicher Klassifizierung von Form widersetzten und nur aus gekräuselten Panzerplatten, Klingen, Krallen und nachhängenden Tentakeln zu bestehen schienen. Dutzende dieser Bestien umschwärmten das größere Schiff wie treue Diener, die eine Königin beschützten. Als sie sich auf die Imperiumsschiffe zubewegten, fühlte sich Uriel an Aasfresser erinnert, die in Rudeln jagten und sich die schwächsten Mitglieder der Herde herauspickten, um sie, einmal zur Strecke gebracht, mit sturer Wildheit zu bewachen, während sich die Rudelführer über den Kadaver hermachten. »Wie sieht ihre Taktik aus? Wie werden sie angreifen?« »Das weiß ich nicht, Uriel. Sie werden uns zuerst testen, auf Schwächen sondieren und lernen, was sie können, bevor sie die Hauptstreitmacht in die Schlacht werfen. Wir haben Glück, dass wir sie beim Fressen erwischen. So haben wir es nicht mit ihrer vollen Stärke zu tun.« Uriel beobachtete, wie sich die Vielzahl der Organismen der Vae Victus näherte, und dankte dem Imperator für diese kleine Gnade. Denn wenn dies nur ein Bruchteil des Tyranidenschwarms war, dann gab ihre volle Macht tatsächlich Anlass zu allergrößter Sorge. Lord Inquisitor Kryptman beobachtete dieselbe Szene auf der Brücke der Argus, dem Flaggschiff von Admiral Bregant de Corte und dieser Schlachtflotte. Er beobachtete, wie die gewaltige Kreatur den Fressvorgang beendete und sich erhob, um sie herauszufordern. Er hatte fast sein ganzes Leben gegen die Tyraniden gekämpft und konnte sich an kein anderes Gefühl als Hass ihnen gegenüber erinnern. Während er den Planeten unter sich sterben sah, nahm er dankbar zur Kenntnis, dass dieser Hass nun nicht weniger stark in ihm brannte. Das sich nähernde Schwarmschiff war nicht das größte, das er je gesehen hatte, diese Ehre gebührte der Bestie an der Spitze der Schwarmflotte, die den Planeten Graia verschlungen hatte, aber es war dennoch ein Gigant, vielleicht drei Kilometer lang. »Widerliche Dinger«, stellte Admiral de Corte fest.
»Aye«, gab Kryptman ihm recht, »aber tödlich. Sie sind mit furchterregenden Symbionten bewaffnet, Säurestrahlern, Bioplasma und Horden von Kriegerorganismen, die aus den Öffnungen in der steinigen Haut ejakuliert werden können.« »Unsere Waffen sind vom Imperator gesegnet und werden sich durchsetzen«, versicherte ihm de Corte. Kryptman nickte und zeigte auf den Sporennebel, der die Bestie umgab. »Sehen Sie dort, Admiral. Dieser Sporenschleier ist so dick, dass er die Kreatur vor allem außer den entschlossensten Angreifern beschützt.« »Lord Inquisitor«, sagte Admiral de Corte, und seine Stimme verriet die Anspannung, unter der die gesamte Brückenmannschaft stand. »Ich bitte um Ihre Erlaubnis, mit dem Angriff zu beginnen.« »Ja«, nickte Kryptman, der in makabrer Faszination auf den großen Taktiktisch starrte, auf dem die sich annähernden Flotten dargestellt waren. »Beginnen Sie mit dem Angriff.« Logistiker mit ausdruckslosem Gesicht, die direkt mit den Sensorsystemen des Schiffs gekoppelt waren, umringten den breiten Tisch der mit einem Gitter aus räumlichen Koordinaten überzogen war und benutzten lange Stangen mit flachen Enden, um maßstabsgetreue Nachbildungen der verschiedenen Schiffe innerhalb der Flotte zu bewegen. Der Admiral nickte kurz, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zu seinem Kommandopult. Bregant de Corte war ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit hageren, spitzen Zügen und einem bleistiftdünnen Schnurrbart. Seine Admiralsuniform hing förmlich an seiner ausgemergelten Gestalt, und viele, die ihm zum ersten Mal begegneten, konnten kaum glauben, dass dies der Mann war, der die Ork-Piraten von Charadax vernichtet, der Piraterie von Khaarx Blutaxt Einhalt geboten hatte und dessen meisterhafte Strategie die K'Nib von einer Invasion der Sulacus-Randzone abgehalten hatte. Er stand hinter dem Pult, schenkte sich ein Glas Amasec aus einer Kristallkaraffe ein, die immer dort stand, und holte tief Luft. Er nahm sich einen Moment Zeit, sich auf seiner Brücke umzusehen, und ließ ganz bewusst ein paar Sekunden verstreichen, bevor er seine Befehle gab. Es war wichtig, dass er nicht durch die sich nähernde Feindflotte eingeschüchtert wirkte, und sein ruhiges Gebaren würde dem Rest der Mannschaft ein Beispiel geben.
Er trank das Glas Amasec und sagte: »Ich grüße Sie alle und wünsche Ihnen Ehre in dieser ruhmreichen Schlacht.« Jaemar, der Schiffskommissar, nickte bei diesen Worten beifällig. Ein Flottenmatrose, traditionell der jüngste Mann auf dem Schiff, näherte sich dem Admiral. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als er fragte: »Wird das Signal gegeben, Herr Admiral?« Admiral de Corte stellte das Glas auf das Pult und sagte: »Das Signal wird gegeben. Erteilen Sie allen Schiffen den Befehl zum Angriff. Gloriam Imperator.« Die beiden Flotten kamen sich näher, obwohl der Abstand zwischen ihnen immer noch viele Zehntausend Kilometer betrug. Die Schiffe der Imperiumsflotte schwärmten aus, als die Kapitäne den Angriffsbefehl erhielten und sich der Schlachtplan des Admirals entfaltete. Der Vorgehensweise der Tyraniden schien keine Strategie zugrunde zu liegen: Die Bio-Kreaturen stiegen vom Planeten auf, um dem Feind als homogene Masse zu begegnen. Die Angriffskreuzer der Space Marines und des Geschwaders der Arx Praetora rückten vor die gepanzerten Ungetüme des Schlachtschiffs Argus und des Schlachtkreuzers Schwert der Vergeltung. Drei Fregatten der Schwert-Klasse sowie zwei leichte Kreuzer der Furchtlos-Klasse, die Yertnetov und die Luxor, bildeten eine Art Spalier vor der Flotte. Ihre furchterregenden Lanzen würden in der kommenden Schlacht gewiss entscheidend sein, und de Corte wollte hinsichtlich ihrer Sicherheit kein Risiko eingehen. An den Flanken der Flotte eilten zwei Geschwader KobraZerstörer, Cypria und Hydra, der Hauptflotte voraus. Ihre höhlenartigen Torpedohangars waren mit gesegneten Torpedos gefüllt, und ihre Piloten waren erpicht darauf, sie auf den Feind loszulassen. Das gewaltige Schwarmschiff im Zentrum der Tyrani-denflotte schauderte wie unter einem heftigen Schüttelanfall und setzte Millionen Sporen aus, die gleißende Geburtsfäden hinter sich herzogen, während sie sich von seiner zähen Hülle entfernten. Die majestätisch dahingleitenden Manta-Kreaturen bewegten sich, als schwämmen sie in einem tiefen Ozean, und ihre breiten Chitinschwingen kräuselten sich im Sonnenwind. Die Klingenwesen, die sich um die Königin geschart hatten, schwärmten in einer
Welle brodelnder Klauen vorwärts, von dem instinktiven Drang überwältigt, jene zu vernichten, die ihren Schwarm bedrohten. Die Schlacht von Barbarus hatte begonnen. »Befehlen Sie den Fregatten vorzustoßen«, sagte Admiral de Corte. »Diese Bestien an der Spitze der Flotte nehmen Fahrt auf. Ich will sie nicht in meiner Schlachtreihe haben.« »Aye, Herr Admiral«, erwiderte Jex Viert, sein ranghöchster Flaggleutnant, der den Befehl an den Signal -offizier weitergab. De Corte studierte die Observationsbucht und ver suchte zu erraten, wie die Tyraniden auf ihre Manöver reagieren würden. Bisher konnte er den taktischen Sachverstand des Feindes noch nicht einschätzen, falls so etwas in der Tyranidenflotte existierte, und er gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er sah zu, wie die Logistiker die Fregatten mit ihren Stangen vorwärtsschoben. »Diese Schiffe, die sich uns nähern, Lord Kryptman, was können Sie mir darüber sagen?« Der Inquisitor marschierte steif durch das Hauptschiff der Kommandobrücke und blieb vor der Apsis der Observationsbucht stehen. Er beugte sich ein wenig vor, als wolle er die Kreaturen eingehender studieren, und schüttelte dann langsam den Kopf. »Das sind Drohnenkreaturen, mehr nicht, obwohl sie extrem Widerstands fähig sind. Ich nenne sie Kraken, und der Wille des Schwarmverstandes kontrolliert sie. Lassen Sie sie nicht zu nah kommen, denn sie sind mit allen möglichen tödlichen Kriegerkreaturen gefüllt.« »Ich verstehe. Viert, geben Sie Befehl, dass die Kapitäne keinen dieser Organismen näher als fünftausend Kilometer an sich herankommen lassen dürfen.« »Fünftausend Kilometer. Aye, Herr Admiral.« Überzeugt davon, dass man seinen Befehl mit größter Bereitwilligkeit ausführen würde, richtete de Corte den Blick wieder auf die Observationsbucht. Eine der größeren Kreaturen löste sich von der Hauptflotte der Tyraniden und beförderte sich mit kurzen Schlägen seiner breiten Flügel in sporadischen Schüben vorwärts. »Das Hydra-Geschwader soll auf der rechten Flanke in Abfangposition gehen. Befehlen Sie der Schwert der Vergeltung, den Fregatten zu folgen. Die Yermetov und die Luxor fliegen Begleitschutz.« »Aye, Herr Admiral«, sagte Viert und tippte die Befehle des
Admirals ein. »Dürfte ich außerdem vorschlagen, dass die Angriffskreuzer der Space Marines mit den Kobras des CypriaGeschwaders vorrücken? Wenn diese Schiffe tatsächlich so widerstandsfähig sind, wie Lord Kryptman angibt, werden ihre schweren Kanonen von großem Nutzen sein.« »Ihr Vorschlag hat etwas für sich, Viert. Geben Sie den entsprechenden Befehl, und holen Sie die Bereitschaftsmeldungen der Lanzen-Decks und Geschützmannschaften ein.« Der Admiral beobachtete den Tanz der Schiffe auf dem Planungstisch und sah, wie sich der Schlachtplan entfaltete, als die Schiffskapitäne seinen Befehlen nachkamen. »Alle Waffendecks melden Bereitschaft, Herr Admiral. Hauptkanonier Mabon meldet, dass Zielerfassung für die Novakanone läuft.« »Verstanden, informieren Sie ihn, dass er Feuererlaubnis hat, wenn er so weit ist«, sagte de Corte. Er sah, dass die Kobras des Hydra-Geschwaders bald in Schussposition sein würden, und die Fregatten näherten sich rasch der ersten Welle jener Schiffe, die Kryptman Kraken nannte. Die Entfernung zwischen den beiden Flotten verringerte sich rasch, und er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten Tyraniden starben. Tief in den Eingeweiden der Argus schloss sich ächzend die fünfzig Meter breite Tür des Verschlusses der Novakanone, da viele Hundert schwitzende Matrosen die gewaltigen Rückschlagkompensatoren der Waffe in Stellung hievten. Heißer Dampf und Lärm erfüllten die längliche Kammer, deren höhlenartige Struktur von der Glutofenhitze der Hebemechanismen erfüllt war, welche die enormen Projektile aus den gepanzerten Magazinen weiter unten heraufholten. Die Kammer zog sich beinahe durch die gesamte Länge des Schiffs und stank nach Fett, Schweiß und Blut. Eine lärmende Hymne hallte aus den alten Messinglautsprechern in vergitterten Nischen in der Wand, die von den vielen Hundert Männern aus vollem Halse mitgesungen wurde. Hauptkanonier Mabon schaute von seiner Dienstbrücke über der Geschützkammer zu, während Glocken läuteten und auf dem ramponierten Eisenpaneel vor ihm Lämpchen aufleuchteten. Er konnte die Glocken nicht hören, da ihn sein langer Dienst als Ka-
nonier in der Imperialen Flotte schon vor Jahrzehnten hatte taub werden lassen. Die Granate wurde geladen, und er murmelte dem Sprengkopf das Kanoniergebet zu, während er durch einen Linsenaufsatz aus Bronze starrte, der sich auf ächzenden Angeln von dem Paneel hob. Er klemmte sein augmetisches Monokel an der Linse fest und richtete das dünne Fadenkreuz auf das rote Dreieck aus, das sein Ziel darstellte. Das Ziel bewegte sich auf sie zu, also brauchte er keine Korrekturen für Seitwärtsbewegung vorzunehmen. Es war ein leichter Schuss, den er auch schon in seiner Anfangszeit in der Flotte hätte abgeben können, gleich nachdem ihn die Press-Patrouillen auf Carpathia zwangsverpflichtet hatten. Überzeugt davon, dass die Granate ihr Ziel treffen würde, hob er den Kopf, sah sich in der Kammer um und vergewisserte sich, dass seine Geschützmannschaften Abstand zu den eingefetteten Geländern hatten, die sich der Länge nach durch die Kammer zogen, und dass jede ihre grüne Flagge gehoben hatte, um anzuzeigen, dass die Explosionsdämpfer geschlossen worden waren. Er griff nach oben und packte die Abzugskette, die über seiner Station hing. Er grunzte zufrieden, zog kräftig an der Kette und schrie: »Geister des Kriegs und des Feuers, ich erfülle euch mit dem Zorn des Maschinengottes. Fliegt los und reinigt!« Dampf zischte aus bebenden Rohren, und ein hohes Kreischen erfüllte die Waffenkammer, als die gravimetrischen Antriebspumpen Energie im Verschluss aufbauten. Mabon eilte ans Ende seiner Brücke und hielt sich am Eisengeländer fest. Das Abfeuern einer Waffe von solcher Kraft war ein Symbol der Macht der Imperiumsflotte, und er wurde seines Anblicks nie überdrüssig. Das Kreischen steigerte sich zu einer unglaublichen Lautstärke, obwohl Mabon nichts davon mitbekam, bis die Novakanone feuerte und die enorme Druckwelle durch die Kammer fegte. Das Abfeuern der Waffe ließ den dreihundert Meter langen Lauf im Rückschlag mit urtümlicher Gewalt zurückschnellen. Funken und brennender Dampf lagen in der Luft, als der Fettüberzug der Geländer in der Hitze des Rückschlags verdampfte, und der Gestank nach versengtem Metall und Treibgasen erfüllte die Kammer mit erstickenden Dämpfen. Mabon brüllte triumphierend, während ihn die stinkenden Gas-
wolken, die rings um ihn wallten, würgen ließen. Bebende Vibrationen versuchten ihn von seiner Brücke zu schleudern, aber er hatte sich schon vor langer Zeit an sie gewöhnt und hielt mühelos das Gleichgewicht. Der Rauch verzog sich langsam, und seine Mannschaftsführer peitschten ihre Männer dazu auf, die gewaltige Waffe wieder in Feuerstellung zu bringen. Die gepanzerten Buchten im Boden öffneten sich wieder ächzend, und die Ketten wurden herabgelassen, um an einer neuen Granate befestigt zu werden. Mabon hatte seine Geschützmannschaften ohne Gnade gedrillt und war stolz darauf, dass er die Novakanone binnen dreißig Minuten wieder feuerbereit machen konnte. Dieses Mal würde es nicht anders sein. Die Granate aus der Argus raste wie ein Lichtschemen durch das All und explodierte wie eine Miniatursonne im Herzen der Tyranidenschiffe. Mächtiger als ein Dutzend Plasmabomben, detonierte die Granate nur ein paar Kilometer von einem der Rochenschiffe, das sofort in einer lodernden Feuerwolke verglühte, die auch eine Flotte kleinerer Kreaturen in der Nähe versprengte. Eine löste sich von ihrem Rudel, und klebrige Flüssigkeiten leckten aus ihrem geborstenen Bauch. Sie bebte und zuckte, doch schließlich hatte der Blutsturz tödliche Konsequenzen, und sie erstarrte. Der Schwarm strebte von der Explosionsstelle weg, obwohl eine Flut kleinerer Organismen, keines größer als eine Landekapsel, auf die schrumpfende Wolke organischer Trümmer zuhielt, um dann mit furchtbarer Heftigkeit zu explodieren, als sie sich dem Zentrum der Explosion näherten. Eine Gruppe von Kreaturen schoss vorwärts, als habe sie die Explosion zu größerer Aktivität angestachelt, und näherte sich den anfliegenden Fregatten. Hinter den Fregatten kamen die Schwert der Vergeltung, die Kobras des Cypria-Geschwaders und die Angriffskreuzer der Ultramarines und der Mortifactors. Die Imperiumsflotte hatte den ersten Treffer erzielt, aber die Schlacht hatte gerade erst begonnen. Uriel umklammerte das Heft seines Energieschwerts und lauschte den Geräuschen der Vae Victus, deren Rumpf ächzte und knarrte, während sie in der Schlachtreihe manövrierte. Die Lichter im Korridor waren abgedunkelt, da er und sein Trupp an einem
der Reaktionspunkte des Angriffskreuzers warteten. Wenn sie in die Schlacht zogen, waren die Space Marines an Bord eines Kriegsschiffs überall in den Gängen des Schiffs stationiert, und zwar dort, wo feindliche Streitkräfte am ehesten versuchen würden, sie zu entern. Sein Helmkom war auf die Frequenz der Schiffsbrücke eingestellt, und er konnte den aufgeregten Wortwechsel der Schiffskapitäne verfolgen. Er hörte den Jubel, als offensichtlich wurde, dass das Flottenflaggschiff soeben mit dem ersten Schuss ein Feindschiff direkt getroffen und vernichtet hatte. Der verheißungsvolle Beginn war ein gutes Omen für die bevorstehende Schlacht, obwohl Uriel seine Beklommenheitsgefühle nicht abschütteln konnte. Er mochte die willkürliche Natur des Raumkampfs nicht, wo das Schicksal eines Kriegers in den Händen anderer lag, wie geschickt und fähig sie auch sein mochten. Vor die Wahl gestellt, würde Uriel lieber tausend Feinden auf dem Schlachtfeld entgegentreten, als in der schweißtreibenden Dunkelheit eines Raumschiffs zu warten und nicht zu wissen, ob der Tod gerade seine langen, mit Grabeserde verkrusteten Finger ausstreckte und seine furchtbare Sense kreisen ließ, um sich seine Seele zu holen. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Pasanius sah es und sagte: »Hauptmann?« Uriel schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Ich hatte nur gerade ein seltsames Déjà-vu-Empfinden.« »Schon wieder so ein >komisches Gefühl