Die Jagd nach dem Schwarzen Stein von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Ehrwürdiger A...
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Die Jagd nach dem Schwarzen Stein von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Ehrwürdiger Abt, kommt schnell!« Albian, gerade damit beschäftigt, eine Abschrift des Gleichnisses vom Büßer Johannes zu verfertigen, ließ den Federkiel sinken. Erneut gellte die Stimme Bruder Bertholds auf. Albian sprang von seinem Stuhl hoch und eilte hinaus in den Klosterhof. Mehrere Mönche standen zusammen und diskutierten heftig. Sie alle machten erschrockene, angstvolle Gesichter.
»Was ist geschehen?« fragte Albian, der Abt. Bruder Berthold deutete mit zitternder Hand auf das Wachhäuschen neben der Klosterpforte. »Graf Kasimir und seine Mannen nahen. Und es besteht kein Zweifel, daß die Raubritter Mord und Totschlag auf ihr Banner geschrieben haben ...«
Auch das Herz des Abts wurde von Furcht und Sorge erfaßt. Dennoch war er nicht überrascht. Er hatte geahnt, daß Graf Kasimirs Kommen nicht zu verhindern war. Daß es aber so bald sein würde, hatte er nicht gedacht. »Legt die Ketten und Riegel vor«, wies er die Mönche an. Dann ging er mit schnellen Schritten zum Wachhäuschen hinüber. Während die Brüder die Klosterpforte zu sichern begannen, trat er an die Seite des jungen Novizen Georg, der heute den Wachdienst an der Pforte versah. Aus dem erhöht liegenden Fenster konnte er den Zugang zum Kloster überblicken. Ja, da kamen sie. Ein gutes Dutzend Reiter, angeführt von einem Herold, der das trapezförmige Banner seines Herrn hochhielt. Das Bannertier, ein aufgerichteter Bär, der in seinen Tatzen Schwert und Keule trug, erschien Albian wie ein Symbol des Todes und der Vernichtung. Und die Tatsache, daß sich Graf Kasimir selbst unter den Reitern befand, ließ in der Tat das Schlimmste befürchten. Die Reiter sprengten heran, zügelten ihre Pferde vor der Pforte. Graf Kasimir blickte zum Fenster des Wachhäuschens hinauf. »Ah, der Herr Abt ist höchstpersönlich zu unserem Empfang erschienen«, sagte er. »Wir wissen die hohe Ehre zu schätzen.« Kasimir war ein schlanker, hochgewachsener Mann in der Blüte seines Lebens. Er hatte ein schmales Gesicht, dessen hervorstechendstes Merkmal das spitze Kinn war. Mehrere Narben und das Fehlen des rechten Ohrs zeigten an, daß er schon in so manchem Handgemenge seinen Mann gestanden hatte. »Was wollt Ihr, Graf?« fragte Albian ganz ruhig. »Laßt uns ein«, erwiderte Kasimir mit einem scheinheiligen Lächeln. »Dann sage ich es Euch.« Der Abt ließ sich durch das Lächeln nicht täuschen. Nur zu gut wußte er, daß es die wahren Absichten des Grafen nur übertünchen sollte. »Ich bin bereit, Euch einzulassen«, sagte er. »Aber nur Euch allein. Und natürlich müßt Ihr vorher Eure Waffen ablegen, wie es in unserem Kloster Sitte ist.«
»Wenn dies Euer Wunsch ist...« Kasimir zog sein Schwert aus dem Gehenk und übergab es einem seiner Getreuen. Dann blickte er wieder nach oben. »So, nun öffnet mir!« »Nicht bevor Ihr Euren Männern sagt, daß sie sich hundert Klafter von der Pforte zurückziehen sollen.« Das Lächeln des Grafen verflüchtigte sich. »Mißtraut Ihr mir, Abt?« fragte er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. »Wenn Ihr mich so geradeheraus fragt - ja!« Ein paar Augenblicke lang sah es so aus, als ob Kasimir nun zu toben beginnen würde. Das tat er dann aber doch nicht. Statt dessen lächelte er wieder. Es war das Lächeln eines Wolfes, der sich mit gebleckten Zähnen über das Beutetier beugte. »Nun gut, Abt Albian«, sagte er, »schenken wir uns das Gefecht mit dem umwickelten Schwert. Ihr wißt, warum ich gekommen bin!« »Ihr wollt den Schwarzen Stein!« »So ist es«, bestätigte der Graf. »Also?« Albian schüttelte den Kopf. »Wie ich schon vor Tagen Eurem Sendboten sagte, sind wir nicht bereit, unser wundertätiges Heiligtum herauszugeben.« »Das ist sehr uneinsichtig und töricht von Euch, Abt. Der Stein ist innerhalb der Mauern meiner Trutzburg weitaus besser aufgehoben als hier im Kloster. Wie wollt Ihr und Eure Mönche das Heiligtum schützen, wenn sich die gierigen Hände nichtswürdiger Räuber danach ausstrecken?« »Der Einzige, der seit langen Jahren seine Hände nach dem Stein ausstreckt, seid Ihr, Graf Kasimir!« Sekundenlang schwieg der Bannerträger des aufgerichteten Bären. Dann lachte er kurz auf und legte die Maske der Scheinheiligkeit vollends ab. »Genug der leeren Worte, Abt«, sagte er und schob sein Kinn so weit vor, daß es wie die Spitze einer Lanze wirkte. »Es ist nun an der Zeit, Taten sprechen zu lassen, öffnet die Pforte!« »Nein!« »Ihr wißt, daß wir uns auch ohne Eure Einwilligung Zutritt
verschaffen können?« Sehr wohl wußte Albian dies. Das Kloster zum Schwarzen Stein war keine Burg, die durch Wehrtürme und trutzige Mauern geschützt wurde. Es lag auch nicht auf der Spitze eines steilen Berges, sondern unten im Tal, frei zugänglich von allen Seiten. Obzwar sich der Abt im Klaren darüber war, daß er die Absichten des Grafen mit Worten kaum mehr ändern konnte, unternahm er einen letzten Versuch, die Reiterschar fernzuhalten. »Ihr würdet es wirklich wagen, das Kloster zu stürmen?« fragte er mit grollender Stimme. »Wir stehen unter dem Schutz des Herrn!« »Nun, so möge der Herr Euch schützen, wenn es ihm beliebt.« Kasimir wandte sich seinen Getreuen zu. »Nikolaus, Jan, sorgt dafür, daß die Pforte auf getan wird!« Sogleich setzten zwei der Ritter ihre Pferde in Bewegung. Sie ritten ganz nahe an die Außenmauer des Wachhäuschens heran und machten unmittelbar unter dem Fenster halt. Geschickt wie Katzen lösten sie ihre Füße aus den Steigbügeln und kletterten auf den Rücken ihrer Reittiere. Schon streckte der eine seine Hände nach der Fensterbrüstung aus, um sich hochzuziehen. Georg, der die ganze Zeit über schweigend hinter dem Abt gestanden hatte, machte einen entschlossenen Schritt nach vorne. In der Hand hielt er das große Silberkreuz, das er von der Kette auf seiner Brust gelöst hatte. Die Hand war zum Schlag erhoben. »Georg«, sagte der Abt mahnend. »Wir sind Männer des Friedens, nicht des Krieges. Ein Mönch hebt nicht die Hand wider seinen Nächsten, selbst wenn dieser ihm Böses will!« »Ich bin kein Mönch, ich will erst noch einer werden«, sagte der Novize mit fester Stimme. Und dann hob er das Kreuz und hämmerte es dem Ritter auf die Hand. Der Getreue des Grafen stieß einen wilden Schmerzensschrei aus. Er konnte sich nicht länger an der Fensterbrüstung festhalten, mußte loslassen. Dadurch verlor er das Gleichgewicht und stürzte vom Rücken seines Pferdes hinunter. Inzwischen hatte sich der zweite Gräfliche schon fast nach oben
gezogen. Kopf und Oberkörper tauchten bereits in der Fensteröffnung auf. Erneut hob Georg das Kreuz. Da surrte ein Pfeil durch die Luft. Tief bohrte sich die Spitze in die Brust des Novizen. Georg gab einen gurgelnden Laut von sich. Er schwankte hin und her wie ein Schilfrohr im Winde. Krampfhaft versuchte er, sich auf den Beinen zu halten. Aber es gelang ihm nicht. Das Silberkreuz glitt ihm aus den Fingern, und er stürzte schwer zu Boden. Reglos blieb er liegen. Mit eiskalter Hand griff das Entsetzen nach Albian. Solange er Abt war, hatte es im Kloster zum Schwarzen Stein niemals einen Menschen gegeben, der eines gewaltsamen Todes gestorben war. Nun aber lag der junge Novize entseelt vor ihm. Sekundenlang war Albian wie gelähmt. Der zweite gräfliche Getreue hatte es jetzt geschafft, sich ganz auf die Fensterbrüstung zu ziehen. Mit einem Satz sprang er in die Wachkammer hinein. Im nächsten Augenblick hatte er sein Schwert gezückt und hielt es dem Abt drohend entgegen. »Leistet keinen Widerstand, sonst...« Albian antwortete nicht. Sein Blick ruhte noch immer entsetzt auf dem Toten, der in verkrümmter Haltung auf dem Fußboden lag. Der Eindringling erkannte, daß ihm von Seiten des Abts keine Gefahr drohte. »Betet für seine Seele«, sagte er mit unverhohlenem Hohn in der Stimme. Dann wandte er sich von Albian ab, eilte mit schnellen Schritten durch die Kammer und erreichte die Treppe, die zum Erdgeschoß des Wachhäuschens führte. Schon stürmte er sie hinunter. Albian gelang es jetzt, die Lähmung abzuschütteln, die seine Glieder erfaßt hatte. Er wußte, daß der eingedrungene Gräfliche in wenigen Augenblicken unten auf dem Klosterhof die Pforte öffnen würde, um auch den Grafen und die anderen Männer einzulassen. Und dann konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Eindringlinge die Kapelle stürmten und den Schwarzen Stein in ihren Besitz brachten. Das jedoch durfte nicht geschehen!
Es war höchste Eile geboten. Auch Albian verließ jetzt die Wachkammer und hastete nach unten. Auf dem Hof traf er es so an, wie er es erwartet hatte. Der gräfliche Ritter machte sich bereits an der Pforte zu schaffen. Mit wuchtigen Schwertstreichen hieb er auf die von den Mönchen zur Sicherung angebrachten Ketten ein. Lange würden diese der Brachialgewalt nicht trotzen können. Und gewiß wußte der Getreue Kasimirs auch, wie er das Schloß der Pforte sprengen konnte. Händeringend standen die Brüder auf dem Hof und beobachteten das schändliche Tun des Mannes im Kettenhemd. Noch machte keiner von ihnen Anstalten, ihm in den Arm zu fallen. Aber der Abt erkannte, daß einige von ihnen diesen Gedanken allen Ernstes erwogen. Insbesondere der Novize Wenzel konnte kaum noch an sich halten. »Tu es nicht, Wenzel!« sagte Albian warnend. »Ein Toter ist mehr als genug.« Mit einer wilden Gebärde wandte sich der junge Mann ihm zu. »Ehrwürdiger Abt, sollen wir wirklich kampflos zulassen, daß diese Söhne des Bösen unser Heiligtum ...« »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, den Schwarzen Stein zu schützen«, sagte Albian so leise, daß der Getreue Kasimirs es nicht hören konnte. »Komm mit mir, Wenzel.« Er winkte noch einem zweiten Mönch. »Und du auch, Berthold!« Er verlor keine weitere Zeit, überquerte statt dessen den Klosterhof und eilte auf die Kapelle zu. Wenzel und Berthold folgten ihm auf dem Fuße. Bevor er die Kapelle betrat, warf er noch einen Blick über die Schulter zurück. Der Ritter Kasimirs war ein geschickter Mann. Schon hatte er die Ketten zerschlagen. Jetzt machte er sich bereits daran, die Spitze seines Schwertes ins Schlüsselloch zu stecken, um das Schloß zu erbrechen. »Kommt, Brüder!« Albian hastete in die Kapelle und lenkte seine Schritte geradewegs zu dem kleinen goldenen Schrein, der rechts vom heiligen Altar auf einem Podest stand. In dem Schrein ruhte auf einem
scharlachfarbenen Samtkissen das weithin berühmte Heiligtum des Klosters, dem dieses auch seinen Namen zu verdanken hatte. Der Schwarze Stein! Auf den ersten Blick wirkte der Stein beinahe alltäglich - kaum größer als ein Kinderkopf, mit ungeschliffenen Ecken und Kanten. Aber schon ein zweiter Blick offenbarte, daß die Reliquie mehr war, als sie schien. Der Stein war von einer Schwärze, wie sie selbst die finsterste Nacht nicht hervorzubringen vermochte. Und doch konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ginge ein geheimnisvolles Leuchten von seiner zernarbten Oberfläche aus. Die wundertätigen Kräfte, die in ihm schlummerten, ließen sich allerdings nur erahnen. »Schließt den Schrein und nehmt ihn hoch«, wies der Abt seine beiden Begleiter an. Wenzel und Berthold taten, was er verlangte. »Schnell, folgt mir«, sagte Albian drängend. Er rechnete jeden Augenblick damit, daß der Graf und seine Getreuen im Eingangsportal der Kapelle auftauchten. Er führte seine beiden Helfer hinter den Altar und stellte sich mit beiden Beinen auf eine ganz bestimmte Steinplatte des Fußbodens. Mit einem leisen Knarren schwang die Rückwand des Altars zurück und gab den Blick auf einen dunklen, fast mannshohen Gang frei. Wenzel stieß einen überraschten Laut aus. »Bei allen Heiligen, ich wußte gar nicht...« »Ein Novize muß nicht alles wissen«, sagte Albian mit einem feinen Lächeln. »Nun wollen wir nur hoffen, daß auch der Graf nichts von der Existenz dieses Ganges ahnt.« Allzu große Hoffnungen machte er sich in dieser Hinsicht allerdings nicht. Er mußte davon ausgehen, daß Kasimir seinen Handstreich von langer Hand vorbereitet und alle möglichen Erkundigungen eingezogen hatte. Und ein gar so großes Geheimnis war das Vorhandensein des Ganges nun auch wieder nicht. Es blieb keine Zeit, noch eine Fackel herbeizuschaffen. Aber das machte nicht viel aus. Der Abt fand sich auch in der Dunkelheit in
dem Geheimgang zurecht. »Bleibt immer dicht hinter mir«, sagte er zu seinen beiden Helfern. Einen Augenblick noch blieb er lauschend stehen. Aber bis jetzt war von den Getreuen des Grafen nichts zu hören. Die Aussichten, unbemerkt fliehen zu können, standen also nicht einmal schlecht. Entschlossenen Schrittes trat Albian in den Gang hinein. Er war ein hochgewachsener Mann und mußte den Kopf einziehen, um nicht gegen die niedrige Decke zu stoßen. Wenzel und Berthold hatten damit weniger Schwierigkeiten als er. Das Gewicht des Schwarzen Steins zwang sie ohnehin, sich tief nach unten zu beugen. Als sich alle drei Mönche in dem Gang befanden, schloß sich die Geheimtür in ihrem Rücken ganz von selbst wieder. Tiefe Dunkelheit umfing sie. Der Geruch von feuchter Erde und Moder lag in der Luft. Dies kam nicht von ungefähr, denn der Gang führte mitten durch den Hügel, an dessen Fuß das Kloster lag. Albian schritt voran, nicht allzu schnell, weil seine beiden Begleiter ihm nur langsam folgen konnten. Das Gewicht von Schrein und Stein machte ihnen schwer zu schaffen. Sehr bald schon kam ihr Atem keuchend und rasselnd. Mehrmals wurde es unterwegs erforderlich, eine kurze Rastpause einzulegen. Und noch immer war von den Getreuen Kasimirs nichts zu sehen und nichts zu hören. Albians Hoffnungen, das Heiligtum in Sicherheit bringen zu können, stiegen mit jedem Schritt, den sie zurücklegten. »Wie ... weit... ist es ... noch?« fragte Wenzel, der kaum noch Luft zu bekommen schien. »Nicht mehr weit«, beruhigte ihn der Abt. »Der Gang führt bis zum Fluß an der Ostseite des Hügels. »Wir werden es sehr bald geschafft haben.« Und schließlich war das Ende des Weges durch den Berg tatsächlich erreicht. Albians ausgestreckte Hand stieß gegen die Tür, die den Ausgang versperrte. Er tastete an der linken Wand entlang und fand den vorspringenden Felsbrocken, den die Erbauer des Geheimgangs in Brusthöhe angebracht hatten. Mit seiner ganzen
Kraft drückte er gegen den Fels. Und wieder öffnete sich knarrend die Tür. Helles Sonnenlicht fiel in den Gang. Vogelgezwitscher drang an die Ohren der drei Mönche. Und ein Geräusch, das Albian fast wie Musik empfand: das Rauschen des Flusses. Er trat nach draußen, gefolgt von Wenzel und Berthold. »Hier am Ufer liegt ein kleiner Kahn versteckt«, sagte er. »Wir werden den Schrein hineinladen und ...« »Diese Mühe könnt Ihr Euch sparen, ehrwürdiger Abt!« Aus dem Schatten eines unweiten Gesträuchs traten vier Männer hervor. Einer von ihnen war Graf Kasimir. Triumph leuchtete in seinen dunklen Augen. Albian war ein frommer Mann, dem niemals unheilige Worte über die Lippen kamen. Diesmal jedoch mußte er sich eisern beherrschen, um nicht einen gar gotteslästerlichen Fluch auszustoßen. * Einen halben Mond später ... Ritter Roland und seine Begleiter ritten in zügigem Schritt auf das Kloster zum Schwarzen Stein zu. Eine wochenlange Wallfahrt voller Strapazen und Gefahren lag hinter den sieben Männern und zwei Frauen. Nun endlich waren sie am Ziel. Bis auf Roland und seine beiden Knappen Louis und Pierre, die im Auftrag von König Artus lediglich zum Schutz mitgeritten waren, litten alle Pilger an schweren, anscheinend unheilbaren Krankheiten und Gebrechen. Graf Eduard von Arlinghaus hatte sich im Kampf eine Armverletzung zugezogen, in der seit langen Monden der Brand tobte. Der Wandermönch Gotthilf wurde von schrecklichen Gliederschmerzen geplagt, während der fette Kaufmann Mehlsack so schlecht Luft bekam, daß er ständig fürchtete, ersticken zu müssen. Richard, der junge Ritter, wurde von einer schleichenden, inneren Krankheit verzehrt, die seinen Lebensfaden wahrscheinlich in Kürze abschneiden würde. Allein was das Leiden der schönen Jungfer
Eloise anging, die von ihrer drallen Zofe Marie begleitet wurde, tappte Roland im dunkeln. Sie hatte nie darüber gesprochen, hatte ihm lediglich anvertraut, daß sie durch ein Gelübde gebunden war. In jedem Fall aber suchte sie wie die anderen im Kloster Erlösung und Hilfe. Der Schwarze Stein, jene geheimnisvolle Reliquie unbekannten Ursprungs, deren bloße Berührung alle Gebrechen und Krankheiten heilen sollte, war die große Hoffnung, um derentwillen sie alle die mühselige Reise ins Riesengebirge unternommen hatten. Es dauerte nicht mehr lange, dann standen die Wallfahrer vor der eisernen Klosterpforte. Im Licht der untergehenden Sonne machten die Gebäude mit der kleinen Kapelle in der Mitte den Eindruck tiefen Friedens. Sie strahlten eine Atmosphäre der Ruhe und der Geborgenheit aus, die warme Gefühle in den Herzen der Ankömmlinge hervorrief. Unwillkürlich war ihnen so, als seien sie nach einem endlos langen Aufenthalt in der Fremde endlich nach Hause zurückgekehrt. Daß in Wirklichkeit keiner von ihnen das Kloster zum Schwarzen Stein jemals gesehen hatte, war dabei ohne Belang. Neben der Pforte befand sich eine Glocke. Roland beugte sich im Sattel vor und brachte den Klöppel zum Schwingen. Das helle Läuten war Musik in den Ohren der Wallfahrer. Nur wenige Augenblicke vergingen, bis sich an einem Fenster des kleinen Hauses neben der Pforte das Gesicht eines jungen Mannes in Mönchstracht zeigte. »Grüß Gott«, sagte Roland und blickte lächelnd zu dem Ordensbruder empor. Der Mönch erwiderte den Gruß, gab aber das Lächeln des Ritters mit dem Löwenherzen nicht zurück. »Ihr seid gekommen, um Eure Gebrechen durch die wundertätige Kraft unseres Heiligtums heilen zu lassen?« fragte er. »Ja, so ist es.« Jetzt lächelte der Mönch. Aber es war ein Lächeln, das voller Schmerz und Trauer war. »Ich fürchte, Ihr habt Eure Wallfahrt vergebens gemacht.« »Was?« Roland glaubte nicht richtig zu hören. Ganz steif saß er im
Sattel. Und auch die anderen Angehörigen seiner Pilgergruppe waren wie versteinert. »Ich verstehe Eure Bestürzung«, fuhr der junge Mönch fort. »Dennoch kann ich Euch nichts Tröstlichers sagen. Wärt Ihr einen halben Mond früher gekommen ... Aber ich glaube, Ihr solltet alles weitere aus berufenerem Mund erfahren. Geduldet Euch noch einen Augenblick, dann wird die Pforte geöffnet.« Er zog sich vom Fenster“zurück und überließ die Wallfahrer ihrer Bestürzung. »Sollten wir wirklich umsonst gekommen sein?« Graf Eduard, seinen verletzten Arm in einer Schlinge, schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Heißt es doch, daß die Brüder vom Schwarzen Stein noch nie einen Pilger abgewiesen haben.« »Welch schreckliches Unglück«, jammerte Mehlsack, der fette Kaufmann. »Dann bin ich dem Tode geweiht.« Auch Bruder Gotthilf und dem Ritter Richard stand die bodenlose Enttäuschung im Gesicht geschrieben. Allein die Jungfer Eloise ließ sich nichts anmerken. Aber das wollte wenig besagen, denn ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht wurde ohnehin ständig von stummer Traurigkeit geprägt. Wie der Mönch versprochen hatte, wurde die Pforte wenig später geöffnet. Sie war breit genug, um die Pilger gleich auf den Klosterhof reiten zu lassen. Dort hatten sich mehrere Mönche versammelt. Sie grüßten die Ankömmlinge freundlich. Aber auch ihr Lächeln war schmerzlich und ... mitleidsvoll. Wenig später wußten Roland und seine Gefährten, was geschehen war: Ein räuberischer Graf hatte den wundertätigen Schwarzen Stein gewaltsam in seinen Besitz gebracht. Die Niedergeschlagenheit der kranken Wallfahrer kannte keine Grenzen. Die ganze lange Reise voller Mühsal und Gefahr ... umsonst. Nur eine ließ sich nicht von der tiefen Niedergeschlagenheit in den Bann schlagen: die schöne Eloise. Ein kurzes Gespräch mit einem der Mönche brachte in ihr ein wahres Wunder zuwege. Zum ersten
Mal seit Roland sie kannte, lachte sie, lachte sie aus vollem Herzen. Ihre Traurigkeit war verflogen wie eine Feder im Wind. Statt dessen strahlte sie vor Freude und Glück. Verblüfft blickten ihr Roland und die anderen nach, als sie schnell wie ein junges Reh über den Hof lief und in einem der Klostergebäude verschwand. Aber Roland hatte jetzt nicht die Zeit, dem erstaunlichen Stimmungswandel der jungen Frau auf den Grund zu gehen. Der Verbleib des Schwarzen Steins hatte Vorrang ... * Rasselnd wurde die Zugbrücke der Schwarzenburg nach unten gelassen, bis sie den mit Wasser gefüllten Graben in seiner ganzen Breite überspannte. Die Personen, die geduldig auf der anderen Seite gewartet hatten, setzten sich mit langsamen Schritten in Bewegung. Sie brauchten eine ganze Weile, um das Ende der Brücke zu erreichen. Ein jüngerer Mann, der sich mit zwei Krücken behelfen mußte, humpelte mühsam hinüber. Ein anderer Mann, alt schon und vom Tode gezeichnet, wurde auf einer Trage von zwei Helfern transportiert. Und auch die vornehm gekleidete Frau, die den Schluß der kleinen Gruppe bildete, konnte sich nicht allein vorwärtsbewegen. Sie wurde von einer Dienerin gestützt. Vier Burgwächter nahmen die Ankömmlinge in Empfang. Sie hatten harte, kalte Gesichter, und in ihren Augen lag ein lauernder Ausdruck. Der jüngere Mann mit den Krücken räusperte sich. »Wir sind hergekommen, um ...« »Wir wissen, warum ihr gekommen seid«, fiel ihm einer der Wächter ins Wort. »Man braucht euch ja nur anzusehen, dann ist dies ganz offensichtlich.« »Dann dürfen wir nähertreten?« Die vier Wächter machten keine Anstalten, den Weg freizugeben. Das Gegenteil war der Fall. Sie standen da wie eine unüberwindliche Mauer aus Fleisch und Blut.
»Langsam, langsam«, sagte der Sprecher. »Wir wollen nichts überstürzen.« Er deutete auf die Krücken des jüngeren Mannes. »Ein lahmes Bein?« »Von Geburt an.« »Das Schicksal hat es also von Anfang an nicht gut mit dir gemeint. Dem läßt sich jedoch abhelfen. Erst gestern war ein Krüppel hier. Als er uns wieder verließ, konnte er hüpfen und springen wie ein junges Fohlen. Warum sollte es dir nicht ebenso ergehen?« Ein hoffnungsvolles Lächeln huschte über das Gesicht des jüngeren Mannes. »Es wäre mein sehnlichster Wunsch. Deshalb bin ich von weither gekommen.« »Nicht mit leeren Händen, hoffe ich«, erwiderte der Burgwächter. »Nein«, sagte der jüngere Mann eifrig. »Ich habe gehört, daß es Sitte ist, eine kleine Gabe ... Hier!« Er griff in eine Tasche seines Wamses und holte drei Goldstücke hervor, die er den Burgwächtern hinhielt. Der Sprecher nahm die Goldstücke entgegen. »Ist das alles?« »Mehr besitze ich nicht.« Ein belustigtes Lächeln kräuselte die Lippen des Wächters. »Seine gesunden Glieder scheinen ihm nicht viel wert zu sein«, sagte er zu seinen Kumpanen. Die anderen drei lachten rauh. Der jüngere Mann zuckte zusammen, blickte irritiert von einem zum anderen. »Pack dich«, sagte der Sprecher der Burgwächter zu ihm. Er beachtete ihn nicht länger und wandte sich der vornehm gekleideten Frau zu, die sich schwer auf ihre Zofe stützte. Bevor er jedoch etwas zu ihr sagen konnte, machte der jüngere Mann einen Schritt nach vorne. »Wartet«, sagte er hastig. »Ich ...« Ruckartig wandte sich der Burgwächter zu ihm um. »Du bist ja immer noch da! Habe ich dir nicht gesagt, daß du verschwinden sollst?« »Aber...«
»Kein >Aber
»Ihr erweist unserem Heiligtum die Ehre, die ihm gebührt«, lobte er. »Allerdings ...« »Allerdings?« wiederholte die Frau mit einer Stimme, die ihr vor lauter Furcht kaum aus der Kehle wollte. Der Wächter zeigte auf das Haar der Frau, das durch eine große Spange aus purem Gold zusammengehalten wurde. »Dieses Schmuckstück könnte einen wesentlichen Beitrag zum angestrebten Heilungserfolg leisten«, sagte er unmißverständlich. Hastig griff die Frau in ihr Haar und nestelte die Spange aus den schwarzen Locken. »Und der Ring, den Ihr da am Finger tragt, ebenfalls«, fügte der Wächter hinzu. Auch der Ring wechselte sogleich den Besitzer. Mit traurigen Augen sah die Frau zu, wie das Schmuckstück zu den übrigen in den Lederbeutel wanderte und unter dem Waffenrock des Burgwächters verschwand. »Ihr dürft passieren«, sagte der Mann. »Und möge Euch das Glück lächeln, das Ihr hier zu finden hofft.« Die anderen drei Wächter traten zur Seite und gaben den beiden Frauen den Weg zum Burghof frei. Die ganze Zeit über hatten die beiden kräftigen Männer an der Trage im Hintergrund gestanden. Nun waren sie an der Reihe. Mit verkniffenem Gesicht ließ der Anführer der Burgwächter seine Blicke über die abgetragene, einfache Kleidung der beiden schweifen. Bei ihnen gab es nicht viel zu holen, das erkannte er sofort. Sie waren arm wie die Kirchenmäuse. Aber das mußte noch nichts besagen. Es ging um den alten Mann auf der Trage. Viel war von ihm nicht zu erkennen. Sein Körper wurde von einer Decke verhüllt, die bis zum Hals hochgezogen war. Das Gesicht, hohlwangig, abgemagert und mit Augen, die tief in den Höhlen lagen, war vom Tode gezeichnet. Sein umflorter Blick schien auf Gefilde gerichtet zu sein, die schon nicht mehr in der diesseitigen Welt angesiedelt waren. »Was fehlt ihm?« fragte der Wächter, »Er stirbt«, antwortete einer
der Träger. »Wir müssen alle sterben«, sagte der Wächter und zuckte die Achseln. »Obgleich es natürlich Wunder gibt, die den Tod auf unbestimmte Zeit vertreiben können. Er ist euer Herr?« »Unser Vater.« »Euer Vater, so, so.« Der Burgwächter begriff, daß der Alte genauso ein armer Schlucker war wie die beiden Burschen. Er würde kaum in der Lage sein, den geforderten Mindesttribut zu zahlen. Die Bestätigung für diese Annahme ließ nicht lange auf sich warten. »Wir haben kein Gold und kein Geschmeide«, sagte der eine Sohn. »Wir haben nur unsere Hände, mit denen wir kräftig zupacken können. Diese unsere Hände stellen wir zur Verfügung.« »Ihr wollt eure Schuld... abarbeiten?« »Ja. Für das Leben unseres Vaters sind wir bereit, uns zu plagen und zu schinden, bis uns die Haut von den Knochen fällt.« Der Burgwächter lachte. »Wir verfügen über genügend Leibeigene, die ihren Frondienst leisten, ohne dreiste Forderungen zu stellen. Wenn ihr sonst nichts anzubieten habt... Macht gefälligst, daß ihr uns aus den Augen kommt!« »Ihr seht kalten Herzens zu, wie unser Vater stirbt?« »Was kümmert uns der Alte? Auch ihr solltet froh sein, wenn er endlich unter der Erde ist. Ein nutzloser Esser weniger!« In den Augen des jungen Burschen blitzte es auf. »Ihr seid keine Menschen. Ihr seid elende ...« Weiter kam er nicht. Der Burgwächter machte einen Schritt nach vorne und verabreichte ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Der Schlag war so wuchtig, daß der Bursche zurücktaumelte. Er war nicht länger in der Lage, die Trage zu halten. Sie glitt ihm aus den Händen und schlug mit dem einen Ende auf dem Holz der Brücke auf. Der alte Mann rutschte hinunter, und bevor der andere Sohn ihn packen konnte, lag er bereits schwer auf dem Boden. »Vater!« Die Stimme des Burschen war ein Aufschrei des Schmerzes und
des wild lodernden Zornes. Er ließ die leere Trage fallen und stürzte sich blind vor Wut auf den Burgwächter. Der war auf diesen Angriff nicht vorbereitet. Er konnte nicht verhindern, daß ihn der Bursche an der Kehle packte und mit sich zu Boden riß. »Du gnadenloser, mörderischer Schurke! Ich ... bringe dich um!« Wie die Backen eines Schraubstockes schlossen sich die Hände des Burschen um den Hals des Wächters und drückten zu. »Helft... mir«, röchelte dieser, während ihm bereits die Augen aus den Höhlen traten. In die drei anderen Wächter kam jetzt Bewegung. Wie ein Mann rückten sie gegen den Rasenden vor. Aber da war auch noch der andere Bursche. Er hatte den Faustschlag ins Gesicht inzwischen überwunden, war bereit, seinem Bruder zu Hilfe zu eilen. Aus Mund und Nase blutend, stellte er sich den drei Männern entgegen, mit geballten Fäusten und vorgeschobenem Kopf. Die Wächter zögerten, verhielten ihren Schritt. Die wilde Kampfentschlossenheit des Burschen gab ihnen zu denken. Aber ihr Zögern währte nicht lange. Der eine von ihnen riß sein Schwert aus dem Gehenk. Schon hob er die Klinge zum tödlichen Streich. »Weg da, sonst...« Der junge Bursche wagte das Unmögliche. Er machte einen mächtigen Satz, versuchte dem Gegner in den Arm zu fallen. Es gelang ihm nicht. Der Wächter wich dem stürmischen Angriff durch eine geschickte Körperdrehung aus. Dann wirbelte seine blitzende Klinge durch die Luft. Röchelnd brach der Bursche zusammen. Noch einmal bäumte er sich auf, fiel dann jedoch todesmatt zurück und rührte sich nicht mehr. Sein Bruder erkannte, daß es ihm nun an den Kragen ging. Er ließ den Wächter, den er am Hals gepackt hatte, los und sprang hoch. Zu einer weiteren Aktion kam er nicht. Abermals zuckte die Schwertklinge nach vorne und bohrte sich tief in seine Brust. Als der Wächter sein Schwert zurückzog, war er bereits tot.
Schweratmend kam der Anführer wieder auf die Füße. Er hielt sich seinen malträtierten Hals. »Elendes Gesindel«, stieß er krächzend hervor und versetzte dem Toten einen erbitterten Fußtritt. Der Wächter mit dem Schwert steckte seine Waffe in die Scheide zurück. »Mut hatten sie, das muß man ihnen lassen«, sagte er. »Was machen wir jetzt mit ihnen?« »Wir ziehen die Zugbrücke hoch, dann erledigt sich das Problem von selbst!« Als sich die Brücke nach vorne neigte, stürzten die beiden Toten in den Graben. Und ihr hilfloser Vater ebenfalls. * »... und so entrissen mir die Getreuen des Grafen den Schrein mit dem Schwarzen Stein und schleppten ihn davon«, kam der Abt Albian zum Abschluß seiner Schilderung. Roland, Graf Eduard und der Ritter Richard saßen dem Oberhaupt des Klosters in dessen Zelle gegenüber. Es sprach für die Bescheidenheit des nicht mehr jungen, grauhaarigen Mannes, daß er seine herausragende Stellung als Abt des Klosters in keiner Weise zu seinem Vorteil nutzte. Seine Zelle war genauso karg und spartanisch eingerichtet wie die des niedrigsten Novizen. Der Grundsatz, daß vor dem Herrn alle Brüder gleich waren, wurde von ihm nicht nur als Lippenbekenntnis betrachtet. Er lebte auch danach. Graf Eduard war über all das, was er gehört hatte, besonders empört. Über die erste Enttäuschung, daß die Wunde an seinem Arm nun noch weiter schwären und ihn mit bösartigen Schmerzen plagen würde, war er mittlerweile halbwegs hinweg. Nicht verwunden hatte er jedoch, daß sich ausgerechnet ein Angehöriger seines eigenen hohen Standes für das Geschehene verantwortlich zeichnete. »Dieser Graf Kasimir«, fragte er wütend. »Was ist das für ein ... Kerl?« »Es steht mir nicht zu, über die weltlichen Herren zu richten«,
erwiderte Albian. »Aber was Graf Kasimir betrifft... Nun, es gibt wenig Grund, seiner Herrschaft Respekt zu zollen. Er ist und bleibt das, was er immer war: ein Raubritter, der es mit List und Tücke geschafft hat, vom Herzog mit einer Grafschaft belehnt zu werden.« »Der Kerl ist eine Schande für den gesamten Fürstenstand«, schnaubte Eduard. »Warum hat Kasimir Euer Heiligtum in seinen Besitz gebracht?« erkundigte sich Roland. »Diese Frage ist sehr einfach zu beantworten«, erwiderte der grauköpfige Abt. »Der Schwarze Stein ist für den Grafen eine Goldquelle, die niemals versiegt. Zu uns ins Kloster konnte jedermann kommen, der von Gebrechen und Krankheit geplagt wurde. Ein reines Herz und eine kleine Gabe zu Ehren des Herrn, mehr verlangten wir nicht. Wer reich war, gab mehr, wer arm war, gab weniger. Und derjenige, der gar keine irdischen Güter sein eigen nannte, konnte der Wundertätigkeit des Steins auch dann teilhaftig werden, wenn er gänzlich mit leeren Händen kam. Damit hat es nun jedoch ein Ende. Kasimir wird die Hilfesuchenden schröpfen, wie es tausend Blutegel nicht zuwege brächten.« »Der Schwarze Stein ist also auch weiterhin frei zugänglich?« »Für diejenigen, die dafür bezahlen können, ja. Kasimirs Burg ist der neue Wallfahrtsort.« »Habt Ihr nicht beim Herzog Klage gegen den dreisten Räuber geführt, ehrwürdiger Abt?« erkundigte sich Roland. »Gewiß. Einer unserer Brüder hat sich gleich nach dem Überfall auf den Weg zum herzoglichen Schloß gemacht. Aber ob er jemals dort angekommen ist? Ich halte es durchaus für möglich, daß die Schergen Kasimirs unseren Sendboten abgefangen haben. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, was soll der Herzog schon tun? Kasimirs Burg kann einer herzoglichen Belagerung für lange, lange Zeit trotzen.« Trotz dieser bösen Nachrichten hatte sich die finstere Miene Herzog Eduards etwas aufgehellt. Und auch der Ritter Richard blickte wieder etwas hoffnungsvoller drein. Roland verstand die
beiden Männer, die natürlich in erster Linie an die Aussichten für die Heilung ihrer Leiden dachten. Und wie es aussah, waren diese Aussichten noch nicht gänzlich dahin. »Ihr meint, wir sollten unsere Wallfahrt bis zur Burg Kasimirs fortsetzen?« fragte Roland den Grafen, dessen Schutz ihm König Artus anbefohlen hatte. Eduard nickte langsam. »Auch wenn wir das Verbrechen des Kasimir dadurch unterstützen, bleibt uns wohl keine andere Möglichkeit. Oder seht Ihr eine solche, Roland?« »In der Tat sehe ich eine solche Möglichkeit«, erwiderte der Ritter mit dem Löwenherzen. Die anderen drei Männer sahen ihn voller Spannung und Erwartung an. »Sprecht, Roland!« »Graf Kasimir hat den Schwarzen Stein geraubt. Sein Besitz des Heiligtums ist also ein schreiendes Unrecht.« »Das bedarf keiner Frage«, bestätigte der Abt. »Kasimir ist nicht nur ein Räuber, sondern auch ein Mörder. Einer unserer Brüder wurde von seinen Getreuen kaltblütig gemeuchelt.« »Dann wäre es nicht mehr als recht und billig, wenn man Gleiches mit Gleichem vergilt«, sagte Roland. »Ihr wollt...« »... dem Übeltäter den Schwarzen Stein wieder abjagen«, vervollständigte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Und sei es mit Gewalt und nötigenfalls auch Blutvergießen!« Albian, der Abt, seufzte. »Laßt diese Absicht fallen, Ritter. Die Getreuen Kasimirs verstehen sich auf ihr kriegerisches Handwerk. Niemals wird es Euch gelingen, wider ihren Willen in des Grafen Burg einzudringen und ihm die Reliquie zu entreißen. Ein Versuch wäre Euer sicherer Tod.« Roland lächelte. »Ich bin anderer Ansicht. In der Tat wäre es töricht, Kasimirs Burg zu stürmen. Aber wenn ich als Pilger komme, der angeblich krank ist und die Hilfe des Steins in Anspruch nehmen will, wird man mich gewiß einlassen. Und wenn ich mich erst einmal
innerhalb der Burgmauern befinde und weiß, wo ich den Stein zu suchen habe ...« Der Abt war vom Gelingen des Planes keineswegs überzeugt. »Ihr unterschätzt den Grafen, Ritter. Gesetzt den Fall, Ihr schafft es tatsächlich, den Stein in Eure Hand zu bekommen ... Glaubt Ihr wirklich, Kasimir würde zulassen, daß Ihr damit entflieht? Niemals könntet Ihr die Burg wieder verlassen!« »Das laßt nur meine Sorge sein. Auch ich verstehe mich ein wenig auf das Kriegshandwerk.« »Ein wenig?« wiederholte Graf Eduard. »Ihr seid der formidabelste Kämpfer, der mir jemals begegnete. Ja, wenn es einem gelingen kann, den Schwarzen Stein zurückzubringen, dann Euch! Was meint Ihr, Ritter Richard?« Es war keine ritterliche Freundschaft, die Roland und Richard miteinander verband. Auf der langen Reise zum Kloster waren sie mehrmals heftig aneinandergeraten. Aber auch Richard wußte um die unvergleichliche Stärke und Kampfkraft seines Standesbruders. »Ja«, sagte er, »wenn es einem gelingen kann, dann Roland!« Er blickte den Ritter mit dem Löwenherzen an. »Sehe ich es recht, daß Ihr allein zu reiten gedenkt?« »Nur meine beiden Knappen werden mich begleiten, ja.« »Und wann wollt Ihr aufbrechen?« »Gleich morgen.« »Hm«, machte Richard und setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Es kann Tage dauern, bis Ihr mit dem Stein zurück seid, nicht wahr?« Roland zuckte die Achseln. »Ich hoffe natürlich, mein Vorhaben so schnell wie möglich zu verwirklichen. Blinder Eifer aber schadet nur. Ich muß die günstigste Gelegenheit abpassen, um den Stein in meinen Besitz zu bringen. Und das kann in der Tat Tage dauern.« »So lange kann ich nicht warten«, sagte Richard. Er legte die rechte Hand auf sein Herz und verzog peinvoll das Gesicht. »Meine Schmerzen werden jetzt immer stärker. Ich muß damit rechnen, daß es stündlich mit mir zu Ende geht.«
Graf Eduard zog die Augenbrauen hoch. »Ihr habt uns nie gesagt, daß es so schlimm um Euch steht, Richard.« »Es ist nicht meine Art, zu jammern und zu klagen«, gab der junge Ritter zurück. »Was wollt Ihr denn jetzt tun?« »Ich werde unverzüglich zur Burg dieses Grafen Kasimir reiten. Vielleicht kann mich der Schwarze Stein noch retten.« »Unverzüglich?« »Noch heute abend!« Der Abt beugte sich vor. »Seid Ihr darauf vorbereitet, einen hohen Tribut zu zahlen, Ritter?« Richard nickte. »Ich bin kein armer Mann. Auch Euer Kloster hätte ich mit einem großzügigen Dankesgeschenk bedacht, ehrwürdiger Abt. Würdet Ihr mir den Weg zur Burg des Grafen beschreiben?« Schon eine Stunde später verließ der junge Ritter das Kloster zum Schwarzen Stein. Roland und Graf Eduard setzten die übrigen Wallfahrer in Kenntnis. Die tiefe Niedergeschlagenheit Bruder Gotthilfs und des Kaufmanns Mehlsack legte sich etwas. Sie hatten Roland als einen Mann kennengelernt, der seine Ziele mit Beharrlichkeit verfolgte und erreichte. Sie hofften nun darauf, daß es ihm gelingen würde, den wundertätigen Stein wieder herbeizuschaffen. So lange würden sie im Kloster bleiben und auf seine Rückkehr von der Schwarzenburg warten. Natürlich wollte Roland auch der schönen Eloise Bescheid sagen. Aber er fand die Jungfer nicht. »Was ist nur los mit ihr?« wunderte er sich. »Erst vorhin dieser unerklärliche Freudenausbruch, und nun scheint sie der Erdboden verschluckt zu haben!« Dem war aber doch nicht so. Der Mönch im Wachhäuschen wußte zu berichten, daß Eloise vor kurzer Zeit das Kloster verlassen hatte, um draußen einen Spaziergang zu machen. Kopfschüttelnd nahm es Roland zur Kenntnis. »Aber das ist doch viel zu gefährlich!« Er warf einen Blick zum Himmel, an dem die
Sonne längst untergegangen war. Es herrschte dämmriges Zwielicht, das sehr schnell der abendlichen Dunkelheit Platz machen würde. Obwohl die Wallfahrer inzwischen am Ziel ihrer langen Reise angekommen waren, und Roland seine Aufgabe damit eigentlich erfüllt hatte, fühlte er sich doch noch immer für das Wohl aller verantwortlich. Deshalb faßte er den Entschluß, das Mädchen zu suchen. Seine beiden treuen Knappen Pierre und Louis wollten ihn begleiten, aber das hielt Roland nicht für erforderlich. »Ruht euch aus und legt euch alsbald zum Schlafen nieder«, wies er sie an. »Morgen in aller Herrgottsfrühe brechen wir zur Burg Graf Kasimirs auf.« Während der Wallfahrt war es ihm nicht erlaubt gewesen, eine Waffe zu tragen, weil Friedfertigkeit als erstes Gebot gegolten hatte. Nun aber war er der Verpflichtung zur Waffenlosigkeit wieder entbunden. Die Klosterbrüder pflegten zwar nicht zu kämpfen, besaßen aber in ihren Lagerräumen doch einige Waffen. Dabei war auch ein Schwert, das sich Roland umgürten konnte. Als er die Waffe an seiner Hüfte spürte, fühlte er sich seit Wochen zum ersten Mal wieder wie ein richtiger Ritter. Kurz darauf ließ er sich die Klosterpforte öffnen und trat hinaus in die Dämmerung. Von dem Mönch im Wachhäuschen wußte er, daß sich Eloise nach rechts gewandt hatte. Auch er schlug diesen Weg ein. Kräftig schritt er aus. In einiger Entfernung sah er die schattenhaften Konturen eines kleinen Waldstücks. Sein Gefühl sagte ihm, daß er das gesuchte Mädchen dort finden würde. Er ließ den kleinen Berg, an dessen Fuß das Kloster lag, rechts liegen und wandte sich den Bäumen zu. Er war noch gar nicht weit gekommen, als ihm klar wurde, daß er sich geirrt hatte. Hinter sich hörte er eine Stimme. Eine Frauenstimme! Ruckartig blieb Roland stehen und fuhr herum. Mit fast zusammengekniffenen Augen versuchte er, das immer stärker werdende Dunkel zu durchdringen. Und er konnte jetzt auch etwas
erkennen. Ein Stück den Hügel hinauf, nahm er eine Bewegung wahr. Zwei Gestalten schienen es zu sein, zwei Gestalten, die ganz offenbar einen Kampf miteinander ausfochten. Roland zögerte keine Sekunde länger. Er setzte sich in Bewegung und lief, so schnell er nur konnte, den Abhang hinauf. Dabei griff er nach dem Schwert und zog es aus der Scheide. Innerhalb weniger Augenblicke war er heran. Ja, er hatte richtig gesehen. Da waren zwei Menschen in einer kleinen, mit Gras bewachsenen Mulde, ein Mann und eine Frau. Die Frau lag auf dem Rücken, und der Mann hockte über ihr. Und trotz der schlechten Sichtverhältnisse blieb Roland nicht verborgen, daß die Frau halb nackt war. Die Frage, was der Mann mit ihr vorhatte, beantwortete sich damit von selbst. Es war zu dunkel, um die Gesichter erkennen zu können. Aber Roland zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß es sich bei der Frau um die schöne Eloise handelte. Ihr kleiner Spaziergang war zu einem schrecklichen Erlebnis geworden. Aber wie es schien, war er gerade noch rechtzeitg gekommen, um das Schlimmste zu verhindern. Die beiden hatten seine Annäherung anscheinend noch gar nicht bemerkt. Aber das sollte sich jetzt schnell ändern. Roland hätte den Wüstling sofort mit dem Schwert erledigen können. Es war jedoch nicht seine Art, jemanden von hinten mit der Waffe in der Hand anzugreifen. Deshalb versetzte er dem Mann nur einen derben Stoß, der diesen seitlich ins Gras stürzen ließ. Die Frau schrie auf, laut und durchdringend. Ja, es war Eloise. Roland erkannte ihre Stimme. Er wollte auf sie zutreten, kam aber gar nicht dazu. Der Wüstling war überraschend schnell wieder auf den Füßen. Er knurrte etwas Unverständliches und machte eine schnelle Handbewegung. Dann blinkte auch in seiner Hand ein Schwert auf. Roland war leicht überrascht. Anscheinend hatte er es mit einem Ritter zu tun. Dadurch wurde sein Zorn aber nicht geringer, ja, er steigerte sich sogar noch. Ein Kerl, der unschuldige Frauen überfiel und ihnen Gewalt antun wollte, verdiente die Ritterwürde nicht.
Da griff der schurkische Ritter an, wild und ungestüm. Mit einem mächtigen Hieb wollte er Roland den Garaus machen. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen ließ sich nicht überraschen. Rechtzeitig riß er sein eigenes Schwert hoch und parierte die Attacke seines Widersachers. Er konnte jedoch nicht verhindern, daß er zwei, drei Schritte zurücktaumelte. Teufel auch, das Schwert, das man ihm im Kloster gegeben hatte, war viel leichter, als er es gewohnt war! Daran mußte er sich erst einmal gewöhnen. Sein Gegner sah sich offenbar bereits auf der Siegerstraße. Er lachte triumphierend und setzte sofort nach. Wieder mußte sich Roland seiner wuchtigen Hiebe erwehren. Er hatte Mühe dabei, denn das viel zu leichte Schwert lag ihm nicht richtig in der Hand. Und er konnte auch nicht leugnen, daß der fremde Ritter eine vorzügliche Klinge schlug. Ganz wieder Willen wurde er immer weiter den Abhang hinuntergetrieben. »Ich ... spalte dir den Schädel, du Spitzbube!« stieß sein Widersacher keuchend hervor. Aber dazu wollte es Roland ganz gewiß nicht kommen lassen. Langsam bekam er ein gewisses Gefühl für das ungewohnte Schwert. Und sofort sah er besser aus. Er brauchte sich nicht mehr nur auf die Verteidigung zu beschränken, konnte seinerseits ein paar Angriffschläge austeilen. Der andere Ritter verstand sich jedoch auch auf die Verteidigung. Rolands erste Attacken führten zu nichts, wurden samt und sonders abgewehrt. Weiter und weiter ging der Kampf. Die Funken stoben, als Stahl gegen Stahl geschmettert wurde. Grasbüschel wurden in die Luft gewirbelt, als die Füße der Männer vor- und zurückstampften. Langsam, aber sicher gewann Roland die Oberhand. Er wich jetzt nicht weiter zurück, sondern schaffte es, den verlorenen Boden wieder gut zu machen. Schlagend und stechend trieb er seinen Gegner den Hügel wieder hinauf. Verbissen wehrte sich der andere Ritter. Aber es war ihm deutlich anzumerken, daß nun er große Mühe hatte, den Kampf halbwegs
offen zu gestalten. Sein Keuchen wurde lauter und heftiger. Und von seinem anfänglichen triumphierenden Lachen war nichts mehr zu hören. Jetzt waren die beiden Männer fast wieder bei der Mulde angelangt. Roland hatte gedacht, daß die schöne Eloise inzwischen davongelaufen wäre, um Zuflucht im Kloster zu suchen. Aber das war nicht so. Die junge Frau hatte sich erhoben und ihre Blößen bedeckt, harrte jedoch an Ort und Stelle aus. Ihr Anblick spornte Roland an, den Kampf nun endlich siegreich zu beenden, der ohnehin für seinen Geschmack schon viel zu lange dauerte. Er holte tief Luft und deckte seinen Gegner dann mit einem solchen Schlaghagel ein, daß diesem Hören und Sehen verging. Für den fremden Ritter gab es jetzt nur noch eine Losung: zurück, zurück, zurück ... Und dann gab es kein weiteres Zurück mehr. Rolands Gegner geriet ins Stolpern, torkelte, ruderte mit den Armen in der Luft. Aber er schaffte es nicht, sich auf den Beinen zu halten. Rücklings stürzte er in die Mulde - genau vor die Füße der schönen Eloise. Erschrocken schrie das Mädchen auf. Mit erhobenem Schwert trat Roland an den Rand der Mulde. »Habe ich dich, Wüstling«, sagte er grimmig. Der Besiegte lag flach auf dem Rücken und atmete schwer. Er wußte, daß er geschlagen war und machte keine Anstalten, aufzuspringen. Eloise schlug die Hand vor den Mund. »Ritter Roland, seid ... ihr das? Erst jetzt erkenne ich Euch!« »Ja, mein Fräulein«, erwiderte Roland und richtet die Spitze seines Schwerts auf die Brust des Niedergestreckten. »Nein!« gellte die Stimme des Mädchens in seinen Ohren. »Um des Himmels Willen, tötet ihn nicht!« Das hatte Roland ohnehin nicht vorgehabt. Niemals wäre es ihm eingefallen, einem Wehrlosen kaltblütig die Klinge ins Herz zu stoßen. Dennoch überraschte ihn die Aufregung des Mädchens. »Ihr habt Mitleid mit diesem Wüstling, der Euch aufgelauert hat,
um Euch Eure Ehre zu rauben?« wunderte er sich. »Er hat mir nicht aufgelauert und wollte mich auch keineswegs vergewaltigen, wie Ihr zu denken scheint«, erwiderte das Mädchen. »Ich habe mich hier mit ihm getroffen und wollte mich ihm durchaus freiwillig hingeben.« »Ihr wolltet...« Roland versagte die Sprache. »Der Mann, den Ihr beinahe getötet hättet, ist mein Bräutigam«, sagte die schöne Eloise. Vor Erstaunen wäre Roland beinahe das Schwert aus der Hand gefallen. * Richard gönnte seinem Pferd keine Ruhepause. Er ritt die ganze Nacht hindurch, und als der Morgen graute, konnte er seiner Schätzung nach dem Ziel nicht mehr allzu fern sein. Ein Bauer auf dem Felde bestätigte ihm die Richtigkeit seiner Annahme. Zwar war er in der Dunkelheit ein Stück vom Wege abgekommen. Aber das ließ sich leicht verkraften. Mehr als zwei Stunden hatte er kaum verloren. Sein Vorsprung vor Roland war noch immer so groß, daß er bestimmt keine Schwierigkeiten haben würde, seinen Plan rechtzeitig zu verwirklichen. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch lange nicht erreicht, als er die Schwarzenburg vor sich liegen sah. Ein Mann wie er, der das prächtige Camelot kannte, war von dem Besitz des Grafen Kasimir nicht sonderlich beeindruckt. Die Schwarzenburg bestand aus einem großen Donjon, der von zwei Wachtürmen flankiert wurde. Umgeben wurde die ganze Anlage von einer hohen Mauer aus dunklem Felsgestein. Rundum lief ein sehr breiter Graben, der mit schmutzigem, schlammigen Wasser angefüllt war. Große Ehre konnte der Graf mit seiner Burg nicht einlegen. Aber das mochte sich bald ändern. Die Reichtümer, die ihm der Schwarze Stein höchstwahrscheinlich einbrachte, würden seine Ansprüche gewiß steigen lassen.
Richard lenkte sein Pferd den kleinen, künstlich angelegten Hügel hinauf, der dem Burgtor mit der Zugbrücke gegenüberlag, und machte halt. Natürlich waren die Burgwächter längst auf ihn aufmerksam geworden. Richard grüßte hinüber und bat, eingelassen zu werden. Zunächst wurde seiner Bitte ein abschlägiger Bescheid beschieden. »Geduldet Euch noch so lange, bis sich andere einfinden«, wurde ihm zugerufen. »Wir lassen nicht für jeden einzelnen Bittsteller die Brücke herunter.« Richard begriff. Die Burgwächter hielten ihn für einen Leidenden, der gekommen war, um die Hilfe des Schwarzen Steins zu erflehen. Mit einer gewissen Belustigung fragte er sich, ob er wirklich so schlecht aussah, daß man ihn für einen Kranken hielt. Wenn dem so war, dann brauchte er sich nicht zu wundern, daß Roland und die anderen Wallfahrer seiner Gruppe bisher keinen Argwohn geschöpft hatten und ihm seine vorgespielte Todesnähe nach wie vor abnahmen. »Ich bin kein Bittsteller«, rief er zur Burg hinüber. »Nicht? Was wollt Ihr denn?« »Ich muß mit Graf Kasimir sprechen!« »Über was?« »Das sage ich ihm lieber selbst«, antwortete Richard. »Nur so viel: es geht um den Schwarzen Stein!« Die Burgwächter berieten sich miteinander. Wie es aussah, hatten Richards Worte Eindruck auf sie gemacht. Es dauerte nicht lange, dann wurde die Zugbrücke tatsächlich heruntergelassen. Richard lächelte befriedigt und ritt zur Schwarzenburg hinüber. Die Wächter wollten jetzt Näheres von ihm erfahren. Aber er weigerte sich standhaft, ihnen Auskunft zu geben. Und als sie ihm daraufhin nicht zum Burgherren vorlassen wollten, sah er sich gezwungen, einen außerordentlich scharfen Ton anzuschlagen. »Euer Herr würde es Euch nie verzeihen, wenn Ihr mich nicht mit ihm reden laßt, Ihr Narren. Es geht nicht nur um den Schwarzen Stein, es geht auch um sein Leben!«
Das genügte. Wenig später wurde Richard von zwei gräflichen Getreuen zu Kasimir gebracht. Der Burgherr war gerade dabei, sich einem kühlen Trunk zu widmen. Eine junge Frau mit prallem Busen, der fast ganz aus ihrem tief ausgeschnittenen Kleid gerutscht war, leistete ihm dabei Gesellschaft. Augenscheinlich war sie nicht die Gemahlin des Grafen, sondern ein wohlfeile Gespielin, die sich die derben Liebkosungen ihres Herrn kichernd gefallen ließ. Auch als Richard schon im Raum stand und die beiden Getreuen wieder gegangen waren, hörte Kasimir nicht auf, an der Frau herumzutätscheln. Richard dachte sich bei diesem unziemlichen Verhalten sein Teil. Dieser Kasimir mochte es zum Grafen gebracht haben, aber er war gewiß nicht von noblem Geblüt. Er konnte seine Vergangenheit als Strauchritter nicht verbergen. Der Burgherr deutete auf einen Schemel und ließ Richard darauf Platz nehmen. »Ihr wolltet dringend mit mir sprechen, Ritter... Wie lautete doch gleich Euer Name?« »Richard.« »Gut, Richard, so sprecht!« Richard bedachte die dralle Maid mit einem unwilligen Blick. »Es wäre mir lieber, wenn ich unter vier Augen mit Euch sprechen könnte, Herr Graf.« »So?« Kasimir nahm die Hand von der Brust des Mädchens. »Geh, Jolanka!« Die junge Frau machte ein enttäuschtes Gesicht. Sicher hatte sie gehofft, Zeuge des anscheinend so bedeutsamen Gesprächs werden zu können. Aber das Wort ihres Gebieters war ihr Befehl. Sie trollte sich, dabei hastig das Kleid vor dem Busen schließend. »Nun, Ritter Richard, seid Ihr jetzt zufrieden?« fragte der Graf, während er den Weinkrug an den Mund setzte. Er machte keine Anstalten, seinem Gast ebenfalls einen Trunk anzubieten. Auch das sprach dafür, daß sein fürstliches Benehmen manches zu wünschen übrig ließ.
»Ich komme geradewegs aus dem Kloster zum Schwarzen Stein«, eröffnete Richard das Gespräch. »Und wenn?« »Die Mönche sind nicht gewillt, den Raub ihres Heiligtums ...« »Raub?« fuhr der Graf dazwischen. »Wie könnt Ihr Euch erdreisten ...« Richard lächelte. »Ihr braucht mir nichts vorzumachen, Herr Graf. Aber ich bin gewiß nicht gekommen, um Euch anzuklagen. Vielmehr möchte ich Euch warnen!« Diese Worte beantwortete der Burgherr mit einem lauten Lachen. »Warnen wollt Ihr mich? Doch nicht etwa vor dem heiligen Zorn des Abts und seiner lächerlichen Betbrüder?« »Nicht die Mönche habt Ihr zu fürchten, Herr Graf. Wohl aber einen anderen Mann!« »Ich fürchte niemanden. Nicht einmal den Herzog!« »Habt Ihr jemals von einem Mann namens Roland gehört?« erkundigte sich Richard. »Roland, Roland ...« »Ritter Roland!« »Doch nicht jener, der den Drachen Fasolt erschlug und die blutige Gräfin zähmte?« »Nämlicher.« Graf Kasimir nickte langsam. »Von diesem Roland habe ich gehört. Er soll der mächtigste und mutigste Kämpfer sein, den man sich vorstellen kann.« »Ja«, bestätigte Richard. »Und eben dieser Roland wird im Auftrag der Mönche des Klosters zum Schwarzen Stein hierher kommen, um das Heiligtum zurückzuholen. Und um Euch zur Rechenschaft zu ziehen, Graf Kasimir!« Erneut setzte der Burgherr den Weinkrug an und trank hastig. Auf einmal war es um seine Ruhe und Gelassenheit geschehen. Er blickte hoch. »Warum habt Ihr mich gewarnt, Ritter Richard? Erhofft Ihr Euch eine Belohnung dafür?« »Ich erwarte mir nur eine Belohnung«, erwiderte der junge Ritter.
»Den Tod Rolands!« »So sehr haßt Ihr ihn? Warum?« »Haß?»echote Richard. »Nein, ich hasse ihn nicht. Aber ich habe andere Gründe, seinen Tod zu wünschen.« Richard nannte die Gründe nicht. Es ging diesen Raubgrafen nichts an, daß er von dem so edlen, würdigen Wilhelmus, seines Zeichens Ritter der Tafelrunde, den Auftrag bekommen hatte, Roland zu töten. Und noch viel weniger ging ihn an, daß er, Richard, die Wallfahrt ins Riesengebirge nur mitgemacht hatte, um eine günstige Gelegenheit zur Ermordung Rolands abzupassen. Alle Versuche jedoch, die er in dieser Richtung unternommen hatte, waren gescheitert. Nun jedoch, da die Wallfahrt praktisch schon zu Ende war, sah er doch noch eine Möglichkeit, den Ritter mit dem Löwenherzen aus dem Weg zu räumen. Und Graf Kasimir sollte dabei sein Werkzeug sein. Er erzählte dem Grafen, daß sich Roland als angeblich Todkranker in die Schwarzenburg einschleusen wollte. »Ihr werdet keine Schwierigkeiten haben, ihn zu überwältigen, Herr Graf«, sagte er anschließend. »Roland ahnt nichts davon, daß ich ihn verraten habe. Und es wäre mir sehr lieb, daß Ihr es ihm auch nicht sagt, wenn er sich in Eurer Gewalt befindet.« Kasimir lächelte. »Ihr fürchtet den Roland, nicht wahr?« Richard gab dies unumwunden zu. »Wenn er über mich Bescheid wüßte, würde er mir, ohne zu zögern den Schädel spalten!« »Keine Bange, Ritter Richard«, sagte der Burgherr immer noch lächelnd. »Dazu wird er keine Gelegenheit mehr bekommen!« Im Anschluß an dieses Versprechen bot der Graf seinem Besucher doch einen Becher Wein an. * Während des Ritts zur Schwarzenburg, der so ereignislos verlief wie ein langer, traumloser Schlaf, hatte Roland ausgiebig Gelegenheit, über die Doppelbödigkeit des weiblichen Wesens nachzudenken. Eloise, die schöne junge Frau, die er schon von Anfang der Wallfahrt
an leidenschaftlich begehrt hatte, war für ihn und die anderen Pilger auch eine große Überraschung. Das schwere Leiden, von dem sie angeblich verzehrt wurde, war kein Gebrechen und keine Krankheit. Es war nichts anderes als - Liebeskummer. Nicht sie war krank gewesen, sondern ihr Bräutigam Ganelon, der Sohn eines provenzalischen Barons. Dieser Ganelon hatte auf den Tod danieder gelegen und sich schließlich entschlossen, zum Kloster zum Schwarzen Stein zu pilgern. Eloise war zu Hause geblieben, um auf seine Rückkehr zu warten. Und sie hatte ein heiliges Gelübde abgelegt, daß sie niemals einem anderen Mann angehören wollte, wenn Ganelon wieder gesund werden würde. Lange Monde waren vergangen, ohne daß sie eine Nachricht vom weiteren Schicksal ihres Bräutigams bekommen hatte. Dann war die Sehnsucht nach ihm in Eloise übermächtig geworden, und sie hatte sich Graf Eduards Wallfahrt angeschlossen, um selbst nach seinem Verbleib zu forschen. Wie groß war nun ihre Freude gewesen, als sie ihn im Kloster angetroffen hatte - fast gesundet. Es erfüllte Roland mit Bedauern, daß sie dadurch für ihn vollends unerreichbar geworden war. Andererseits jedoch besaß er ein großes Herz und freute sich mit ihr darüber, daß sie nun doch ihr Glück gefunden zu haben schien. Trotzdem, zu gerne hätte er mit Eloise die Minne gepflegt. »So nachdenklich, Ritter Roland?« riß ihn der Knappe Louis aus seinen Gedanken. »Denkt Ihr schon darüber nach, wie wir den Grafen Kasimir am besten überlisten können?« »Äh, ja, daran dachte ich«, antwortete der Ritter mit dem Löwenherzen. Louis, der glutäugige ehemalige Räuberhauptmann, war ein treuer Bursche, vor dem er normalerweise keine Geheimnisse hatte. Aber seine geheimsten Wünsche brauchte der Knappe auch nicht unbedingt zu erfahren. Aber Louis hatte recht. Es wurde in der Tat langsam Zeit, sich über das Vorgehen auf der Schwarzenburg ernsthafte Gedanken zu machen. Lange konnte es jetzt nicht mehr dauern, bis er, Louis und Pierre den Sitz des räuberischen Grafen erreicht haben würden. Früh
am Morgen waren sie vom Kloster aufgebrochen. Und nun, da sich der Tag langsam dem Ende zuneigte, waren sie ihrem Ziel nicht mehr fern. Über eins war sich Roland im klaren: Es würde nicht leicht werden, Kasimir den Schwarzen Stein abzujagen. Weder er noch seine beiden Knappen trugen Waffen bei sich, denn dies war Pilgern, die sich Hilfe von der Reliquie erwarteten, nicht gestattet. Die Kranken mußten sich dem Stein vollkommen reinen Herzens nähern, womit sich Waffenbesitz unter gar keinen Umständen vertrug. Louis hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als er fragte, welche List Roland anzuwenden gedachte. List war der Schlüssel zum Erfolg, nicht Gewalt. In einem Rasthaus am Wegesrande machten die drei Gefährten ein letztes Mal halt. Vom Schankwirt erfuhren sie, daß sie bis zur Schwarzenburg nicht einmal mehr fünf Meilen zurückzulegen hatten. Noch vor Anbruch der Dämmerung also würden sie da sein. Inzwischen hatte Roland einige Überlegungen angestellt. Das Rasthaus war der geeignete Ort, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Roland ließ sich von dem Wirt eine Blase mit frischem Ochsenblut und ein paar Leinentücher geben. Dann durchtränkte er eins der Tücher mit dem Blut und schlang es sich um den Kopf. Louis ahnte, auf was er hinaus wollte. »Ihr wollt Graf Kasimir erzählen, daß Ihr eine schwere Kopfverletzung erlitten habt?« »Eine Verletzung ganz besonderer Art«, nickte Roland. »Der Blutfluß ist nicht zu stillen, verstehst du? Die Wunde schließt sich nicht, und das Blut fließt und fließt... Ein gar schreckliches Leiden, das mich schon des öfteren ganz nah an den Rand des Todes geführt hat.« »Ich kenne diese Krankheit«, warf der dickliche Pierre ein. »Auf Camelot gab es einen Mann, der daran litt. Wenn er sich in den Finger schnitt, blutete die lächerliche kleine Wunde drei Tage lang. Eines Tages fiel er vom Pferd und riß sich dabei das ganze Bein auf. Er ist daran gestorben. Verblutet!« »Auch ich habe schon davongehört«, sagte Louis. »Man nennt es
Bluterkrankheit, nicht wahr?« »Egal, wie man es nennt«, erwiderte Roland. »In jedem Fall leide ich daran. Und wenn mir der Schwarze Stein nicht hilft, bin ich dem Tode geweiht.« Die drei Gefährten setzten ihren Ritt fort. Der Wirt hatte sich sogar noch verschätzt. Bis zur Burg Graf Kasimirs waren gerade noch knapp drei Meilen zurückzulegen. Als Roland und die beiden Knappen sie bewältigt hatten, sahen sie die auf einem Hügel gelegenen Trutzgebäude vor sich. Sofort als sie ins Blickfeld der Burg kamen, setzte Roland eine leidende Miene auf. Er ließ sich im Sattel zusammensinken und schwankte hin und her, ganz so, als könne er sich kaum noch auf dem Rücken seines Pferdes halten. »Wirke ich überzeugend?« fragte er. »Wenn Ihr meine Meinung hören wollt, Ritter Roland«, antwortete Louis. »Ich glaube kaum, daß Ihr die heutige Nacht überleben werdet!« »Gut so!« Die drei Männer ritten der Schwarzenburg entgegen. * »Warum, zum Teufel, lassen sie nicht endlich die Zugbrücke herunter?« schimpfte Louis. »Unser Herr stirbt!« Der alte, unendlich müde aussehende Mann, der zusammen mit den Gefährten auf der künstlichen Anhöhe gegenüber dem Burgturm wartete, verzog das Gesicht. »Was ist ein Sterbender für Graf Kasimir?« sagte er. »Ein Nichts! Und wenn wir hier alle tot umfallen, würde er uns das Tor keinen Augenblick früher öffnen lassen, als es ihm beliebt.« Außer dem alten Mann warteten noch ein paar andere Personen auf das Herunterlassen der Brücke. Ein Aussätziger, der sich ganz abseits hielt, ein Mann vom Stande in Begleitung seines Dieners und ein junges, ärmlich gekleidetes Pärchen, das einen Säugling bei sich
hatte. Endlich hatten die Gräflichen ein Einsehen. Die Zugbrücke senkte sich nach unten. Der Adlige und sein Diener ritten zuerst hinüber, dann Roland mit seinen Knappen. Es folgten der alte Mann und das Pärchen, während der Aussätzige den Abschluß bildete. Vier Burgwächter erwarteten die Ankömmlinge am Ende der Zugbrücke. Scharf musterten sie jeden einzelnen von ihnen. An Roland blieben ihre Blicke besonders lange haften. Der Ritter mit dem Löwenherzen tat so, als nähme er davon kaum Notiz. Wie ein Häufchen Unglück hockte er im Sattel. Louis ging geschickt auf das Spiel ein, indem er ihn mit einer Hand stützte. Dann ging es zu wie auf einem Viktualienmarkt. Wer in die Burg eingelassen werden wollte, um zu dem Schwarzen Stein zu gelangen, mußte eine Tributzahlung leisten. Der Adlige war zuerst nicht bereit, sich den dreisten Forderungen der Gräflichen zu beugen. Ein schäbiges Feilschen und Handeln hob an, das schließlich mit einem zähneknirschenden Nachgeben des Bittstellers endete. Er und sein Diener durften auf den Burghof reiten. Danach waren Roland und seine Knappen an der Reihe. Die Gräflichen wollten wissen, an welchem Gebrechen der Ritter litt. Roland, ganz leidender Mann, überließ es seinen Knappen, die Frage zu beantworten. »Blutfluß, so, so«, sagte der Anführer der Wächter, nachdem ihn Louis ins Bild gesetzt hatte. »Eine seltene Krankheit. Und eine sehr schwer zu heilende Krankheit. Was ist deinem Herrn denn die Gesundung wert?« Louis feilschte nicht lange. Graf Eduard und die Klosterbrüder hatten Roland reichlich mit Geld und Gold ausgestattet. Niemand wollte riskieren, daß der Ritter mit dem Löwenherzen abgewiesen wurde. Die Summe, die Louis den Männern Graf Kasimirs zahlte, war zwar unverschämt, ebnete den Gefährten aber den Weg. Nicht so glücklich war das junge Paar mit dem Säugling. Als Roland und seine Knappen die Rampe zum Burghof hinunterritten,
hörten sie in ihrem Rücken das laute Schimpfen der Wächter und das herzerreißende Schluchzen der jungen Frau. Kein Zweifel, die Gaben des Paares hatten nicht ausgereicht, die gestrengen Gräflichen gnädig zu stimmen. Ihr krankes Kind würde nicht die Möglichkeit bekommen, die wundertätige Kraft des Schwarzen Steins auf sich einwirken zu lassen. Roland biß sich auf die Unterlippe. Diese Willkür, diese ausbeuterische Menschenverachtung mußte aufhören! Auf dem Burghof standen weitere Getreue des Grafen bereit, um die Ankömmlinge in Empfang zu nehmen. Louis war Roland behilflich, aus dem Sattel zu klettern, und dann nahmen sich zwei Pferdeknechte der Reittiere an. »Wollt Ihr Euch zunächst noch etwas ausruhen, bevor Ihr zu unserem wundertätigen Stein geht?« wurde Roland gefragt. »Es wäre mir lieber, wenn ich mich anschließend ausruhen könnte«, antwortete der Ritter mit dem Löwenherzen. Leid und Pein standen ihm dabei im Gesicht geschrieben. »Ganz wie es Euch beliebt, Ritter ... Mit wem haben wir die Ehre?« »Mein Name ist... äh ... Hugo«, sagte Roland. »Gut denn, Ritter Hugo. Wenn Ihr uns bitte folgen würdet...« Mit einer einladenden Handbewegung deutete der Sprecher der Gräflichen auf den Turm neben dem Hauptgebäude. Als sich Roland in Bewegung setzte, wollte Louis an seiner Seite bleiben, um ihn zu stützen. Das jedoch trachteten die Getreuen Kasimirs zu vereiteln. »Mit Verlaub, Ritter Hugo, Eure Knappen können Euch nun nicht weiter begleiten. Nur der Kranke selbst darf sich dem Schwarzen Stein nähern.« »Mein Herr ist schwach«, begehrte Louis auf. »Seht Ihr nicht, daß er sich kaum auf den Beinen halten kann? Er bedarf meiner Hilfe!« »Macht Euch dieserhalb keine Sorgen, Knappe. Wir bemühen uns schon um ihn.« Und das taten sie dann auch. Zwei der Männer des Grafen nahmen Roland in die Mitte und stützten ihn unter den Achseln. Louis und
Pierre blieb nichts anderes übrig, als ihren Herrn sich selbst zu überlassen. Das war gewiß auch das Klügste, denn letzten Endes wollten sie ja keinen Argwohn aufkommen lassen. Sie blieben zurück. Als Roland mit seiner Eskorte neben den beiden, die ihn stützten, folgten noch vier weitere Gräfliche am Hauptturm der Burg vorbeikam, sah er dort einen schlanken Mann mit auffällig spitzem Kinn und zernarbtem Gesicht stehen. Nach den Beschreibungen, die er im Kloster bekommen hatte, mußte es sich um Kasimir handeln. Der Graf blickte zu ihm hinüber, wobei ein dünnes Lächeln seine schmalen Lippen umspielte. »Möge Euch der Segen des Schwarzen Steines gnädig sein, Ritter«, rief er Roland zu. Irrte sich Roland, oder hatte da wirklich ein spöttischer Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen? Aber nein, machte sich der Ritter mit dem Löwenherzen klar. Kasimir hatte keinerlei Anlaß zum Spott. Er konnte nicht wissen, daß der Ritter »Hugo« keinesweges so krank und leidend war, wie er den Anschein erweckte. Oder? Roland konnte nicht verhindern, daß ihn plötzlich ein ganz eigenartiges Gefühl beschlich. Unwillkürlich verlangsamte er seinen ohnehin schon schleppenden Schritt noch etwas mehr. Die beiden Männer, die ihn beim Gehen behilflich waren, deuteten sein Verhalten falsch. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Ritter Hugo?« erkundigte sich der eine beinahe teilnahmsvoll. »Es ... geht schon«, preßte Roland hervor. Dann schritt er, wieder etwas zügiger, weiter. Wenig später war der seitliche Turm erreicht. Ein paar Stufen führten zum Eingangsportal hinauf. Roland täuschte Kraftlosigkeit vor und ließ sich die kleine Treppe regelrecht hochziehen. »Gleich sind wir am Ziel Eurer Wünsche, Ritter Hugo«, wurde ihm versichert.
Das stimmte jedoch nicht so ganz. Durch die Vorhalle des Turms brachten ihn die Getreuen des Grafen zu einem Treppenabgang, der zu einem unterirdisch gelegenen Geschoß hinabührte. Der Abgang war düster, wurde nur durch eine blakende Fackel beleuchtet, die man mit Hilfe eines eisernen Rings an der Wand angebracht hatte. Die Wandsteine waren roh behauen und schimmerten feucht. Roland runzelte die Stirn. Er wunderte sich darüber, daß man den Schwarzen Stein ausgerechnet dort unten aufgestellt hatte. Der Weg über die recht beschwerliche Wendeltreppe mußte für alle Kranken und Gebrechlichen doch eine wahre Qual sein. Die Getreuen Kasimirs schienen seine Gedankengänge erraten zu haben. »Ihr fragt Euch, warum wir das Heiligtum nicht an einem leichter zugänglichen Ort aufbewahren, Ritter Hugo?« »In der Tat!« »Nun«, sagte der Mann zu seiner Rechten, »Ihr seid fremd in unserem Land. Es gibt hier viele Räuber, Diebe und sonstiges Gelichter. Wir müssen sehr vorsichtig sein und dürfen keine Schutzmaßnahmen außer acht lassen.« »Natürlich«, murmelte Roland, »natürlich.« Die Treppe war zu schmal, um drei Männer nebeneinander gehen zu lassen. Der eine von Rolands Helfern ging deshalb vor, während ihn der andere nach wie vor stützte. Die restliche Eskorte folgte. Ziemlich tief ging es hinunter. Ein leicht modriger Geruch stieg Roland in die Nase, der ihm gar nicht gefallen wollte. Abermals fragte er sich, ob das hier unten der richtige Platz war, um eine wundertätige Reliquie aufzubewahren. Dann war das Ende der Wendeltreppe erreicht. Links und rechts bog ein Gang ab, der sich irgendwo im Dunkel verlor. Auch hier unten gab es nur eine Fackel, die flackernde Lichtmuster auf die nackten Wände warf. »Hier entlang, Ritter Hugo!« Mit einem ausgesprochen unguten Gefühl in der Magengegend ließ sich Roland den nach rechts führenden Gang entlang geleiten. Vor
einer schweren Bohlentür machte seine Eskorte halt. »Nun seid Ihr am Ziel all Eurer Hoffnungen, Ritter Hugo!« Einer der Getreuen Kasimirs öffnete die Tür, die dabei ein quietschendes Geräusch von sich gab. Vor Roland lag ein in Dunkelheit getauchter Raum, in den kein Lichtstrahl einfiel. Der Geruch von Moder und Fäulnis schlug ihm entgegen. Das ungute Gefühl, das Roland die ganze Zeit über gehabt hatte, wurde übermächtig. Eine Falle! durchzuckte es ihn. Im gleichen Augenblick, in dem er das dachte, bekam er einen wuchtigen Stoß in den Rücken, der ihn geradezu in den dunklen Raum hineinkatapultierte. Höhnisches Gelächter schlug über ihm zusammen. »Ein großer Held mögt Ihr sein, Ritter Roland, aber auch ein großer Dummkopf!« Ritter Roland! Die Getreuen des Grafen wußten also, wer er tatsächlich war. Sie hatten ihn durchschaut - von Anfang an. Und natürlich befand sich hier unten nicht der Aufbewahrungsort des Schwarzen Steins, sondern ein finsteres Verlies, in das man ihn einsperren wollte. Blitzartig gingen Roland diese Überlegungen durch den Kopf. Der Schock der Erkenntnis saß tief, aber Roland schaffte es, ihn innerhalb einer Zeitspanne von wenigen Herzschlägen zu überwinden. Mit Mühe und Not brachte er es fertig, nicht zu Boden zu stürzen. Er fing sich, wirbelte herum. Und sah, wie die Verliestür gerade im Begriff war, sich zu schließen. Mit einem mächtigen Satz, der jeder Wildkatze zur Ehre gereicht hätte, sprang er nach vorne. Er erreichte die Tür, als diese gerade noch einen Spalt breit offen stand. Wohl wissend, daß er verloren war, wenn sie ganz zuschlug, stemmte er sich dagegen. Ein böser Fluch wurde auf der anderen Seite laut. Aber auch ein kehliges Lachen. »Gebt Euch keine Mühe, großer Held! Unseren gemeinsamen
Kräften habt Ihr nichts entgegenzusetzen!« Und schon stemmten sich auch die Gräflichen gegen die klobigen Bohlen der Tür. Sechs gegen einen - die Frage, wo sich die größeren Kräfte freisetzen ließen, stellte sich eigentlich gar nicht. Aber dieser eine war Roland, den man den Ritter mit dem Löwenherzen nannte. Und Roland hatte nicht nur das Herz eines Löwen, er verfügte auch über die urwüchsige Kraft des Königs der Wüste. Mit aller Macht kämpfte er gegen das drohende Verhängnis an. Breitbeinig stand er da, die Füße fest auf den Boden gepreßt, die Arme von sich gestreckt. So versuchte er, dem vereinbarten Druck, den die Gräflichen ausübten, standzuhalten. Die Adern schwollen ihm auf der Stirn, und die Muskeln seiner Arme gerieten in Gefahr, zu zerreißen wie Seile, die zu sehr beansprucht wurden. In Strömen floß ihm der Schweiß die Stirn hinunter. Er hielt den Atem an, bis seine Lungen fast zerplatzten. Und noch gelang es ihm, die Tür offen zu halten. Nicht um ein einziges Zoll hatte sich der Spalt verkleinert. Erstaunen und Verwunderung wurden auf der anderen Seite laut. So etwas hatten die Gräflichen noch nicht erlebt. Sechs gegen einen, und diese sechs mußten sich gewaltig anstrengen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Es war einfach unglaublich. Langsam erkannten die Männer, daß die Wunderdinge, die man sich von Roland erzählte, nicht den wild wuchernden Fantasien der fahrenden Sänger entsprangen. Die Gräflichen keuchten, versuchten, sich durch ermunternde Zurufe gegenseitig anzuspornen. Aber es half ihnen nichts. Roland ließ sich nicht unterkriegen, leistete so vehement Widerstand, daß seine Gegner an sich selbst zu zweifeln begannen. Und diese Zweifel hatten ihre Auswirkungen. Die Getreuen Kasimirs setzten ihre Kräfte nicht konzentriert ein und behinderten sich auch gegenseitig. Sie wurden unsicher. Roland spürte ihre Unsicherheit, spürte ihren nachlassenden Druck. Er mobilisierte die letzten Kräfte, die in ihm steckten, und stemmte sich mit dem ganzen Körper gegen die Tür.
Und das schier Unmögliche geschah. Die Tür flog zurück, wurde gegen die Gräflichen geschleudert und ließ diese rückwärts taumeln. Roland, durch den eigenen Schwung nach vorne gerissen, stürzte aus dem Verlies hinaus und wäre dabei fast zu Boden gegangen. Mit einiger Mühe gelang es ihm, das Gleichgewicht zu bewahren und sich auf den Füßen zu halten. Im nächsten Augenblick hatten sich auch seine Gegner wieder gefaßt. Wutschreie brachen sich Bahn. Und drei der Männer gingen sofort auf Roland los. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen war nicht bereit, seine wiedergewonnene Bewegungsfreiheit so schnell wieder preiszugeben. Er riß die Fäuste hoch, stellte sich in Positur. Da war der erste Gräfliche bereits heran, wollte mit beiden Händen nach Roland greifen. Der Versuch war zum Scheitern verurteilt. Rolands rechte Faust schoß nach vorne, traf den Mann mit der Gewalt eines Rammbocks mitten im Gesicht. So mächtig war der Hieb, daß der Kopf des Getroffenen in den Nacken gerissen wurde. Roland setzte sofort nach, schlug nach der rechten nun auch mit der linken Faust zu. Diesmal traf der Schlug die Herzgrube seines Widersachers. Und obwohl dieser eine Brünne trug, die seinen Körper schützte, entfaltete der Hieb doch seine ganze Kraft. Dem Gräflichen blieb die Luft weg, und er stürzte schwer zu Boden. Er würde in absehbarer Zeit nicht mehr in den Kampf eingreifen können. Nun aber waren die anderen beiden ganz nahe herangerückt. Gleichzeitig sprangen sie den Ritter mit dem Löwenherzen an, wütend knurrend wie zwei Raubtiere. Sie klammerten sich an seine Arme, versuchten, ihm diese auf den Rücken zu drehen oder doch wenigstens festzuhalten. Sie waren stark, diese beiden Männer. Aber nicht stark genug für einen Recken wie Roland. Er schüttelte sie ab wie lästige Insekten, die den Honig umschwirrten. Dann griff er seinerseits zu. Er packte die Köpfe der beiden und schlug sie gegeneinander. Es gab ein dumpfes Geräusch. Der eine wurde gleich schlaff in seiner Hand,
hatte offenbar das Bewußtsein verloren. Der andere gab einen stöhnenden Laut von sich, fand jedoch nicht die Kraft, sich loszureißen. Aber da waren immer noch die drei übrigen Getreuen Kasimirs. Sie hatten bisher nicht in das Handgemenge eingegriffen, weil der Gang zu eng war und sie nicht alle gleichzeitig an Roland herankommen konnten. Jetzt gab es mehr Raum, und den nutzten die Männer. Aber sie gingen nicht mit bloßen Fäusten auf den Ritter mit dem Löwenherzen los. Sie hatten erkannt, daß sie auf diese Weise nicht viel ausrichten konnten. Da Roland jedoch unbewaffnet war, und sie ihre Schwerter bei sich trugen ... Schon blitzten die Klingen in ihren Fäusten. »Ergebt Euch, Ritter Roland«, forderte ihn der eine auf. »Oder wollt Ihr, daß wir Euch in Stücke hauen?« Roland hielt sich nicht damit auf, darauf eine Antwort zu geben. Er schleuderte die beiden, die er noch immer gepackt hatte, gegen die anderen drei. Ein wildes Durcheinander von ineinander verschlungenen Armen, Beinen und Leibern entstand. Die Gräflichen mußten aufpassen, daß sie sich nicht gegenseitig mit ihren Schwertern verletzten. Für ein paar Augenblicke hatte Roland Luft. Und er nutzte diese Augenblicke. Schnell beugte er sich zu dem Mann hinunter, den er zu Beginn des Kampfes zu Boden geschlagen hatte. Dem Mann war es bisher noch nicht gelungen, sich von den Fausthieben zu erholen. Er konnte Roland keinen Widerstand entgegensetzen, mußte zulassen, daß ihm der Ritter mit dem Löwenherzen das Schwert aus dem Gehenk zog. Wenige Herzschläge später stand Roland wieder aufgerichtet da, nun ebenfalls eine scharfe Klinge in der Hand. Grimmig lachte er auf. »Kommt nur, ihr Haderlumpen! Dann werden wir sehen, wer wen in Stücke haut!« »Ja, das wollen wir sehen!« Zu dritt fühlten sie sich stark, fühlten sie sich überlegen. Und dies nicht von ungefähr. Es war eine Sache, drei Männer mit den bloßen Händen zu besiegen. Gegen drei Gegner mit Schwertern
anzukommen aber, war eine andere. Und sie gingen sehr geschickt vor. Zwei von ihnen griffen an, der dritte beschränkte sich allein auf die Verteidigung. Roland mußte sehr auf der Hut sein, um nicht gleich entscheidend ins Hintertreffen zu gelangen. Die ersten Schwertstreiche konnte er parieren. Aber als er dann selbst die Gelegenheit zu einem Angriff nutzte, war gleich die Klinge des dritten Mannes da, der die seine blockierte. Noch ungestümer drangen die Getreuen Kasimirs jetzt auf ihn ein, der eine von links, der andere von rechts. Rolands Schwertarm wirbelte wie der Flügel einer Windmühle, um die Hiebe und Stiche abwehren zu können. Und als dann auch der dritte Mann noch eine Attacke wagte, konnte er der gegnerischen Klinge nur durch einen schnellen Sprung rückwärts gerade noch so entgehen. Alsbald wurde ihm klar, daß er auf Dauer den kürzeren ziehen würde, zumal jetzt auch noch einer der bereits ausgeschalteten Gräflichen wieder so weit hergestellt war, daß er wieder in die Auseinandersetzung eingreifen konnte. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen wußte sich zu helfen. Er machte einen blitzartigen Ausfall und schlug mit dem Schwert nach der blakenden Fackel, die an der Wand hing. Diese löste sich aus ihrer Verankerung und fiel auf den Boden. Schlagartig veränderten sich die Lichtverhältnisse, obwohl die Fackel auf den Steinplatten des Bodens weiterbrannte. Für einen Augenblick waren die Gräflichen verwirrt. Roland nutzte diesen Umstand, um mit beiden Füßen auf die Fackel zu springen und sie auszulöschen. Dunkelheit breitete sich in dem Verliesgang aus. Das Licht der Fackel am Treppenabgang reichte nicht bis hierher. Es war so finster geworden, daß man die Hand nicht mehr vor den Augen erkennen konnte. Und dieser Umstand gereichte Roland zum Vorteil. Er war allein und brauchte nicht aufzupassen, wohin er mit dem Schwert schlug. Seine Gegner jedoch liefen große Gefahr, sich gegenseitig zu treffen und schwer zu verletzten.
Sogleich ging der Ritter mit dem Löwenherzen zum Angriff über. Er sah keinen seiner Widersacher, aber er hörte ihre Atemzüge. Wieder verwandelte sich sein Schwert in einen Windmühlenflügel, als es sausend durch die Luft wirbelte. Und die Klinge traf. Ein gellender Schrei wurde laut, im nächsten Augenblick noch einer. Gegen das Schwert, das aus der Dunkelheit kam, hatten die Gräflichen kaum eine Abwehrmöglichkeit. Wieder ließ Roland seine Klinge kreisen. Er hatte kein bestimmtes Ziel, drosch einfach in die Dunkelheit hinein. Diesmal traf er niemanden. Seine Widersacher hatten sich anscheinend fest an die Wände gepreßt oder auf den Boden geworfen, um sich vor seinen mörderischen Streichen in Sicherheit zu bringen. Roland war das nur recht. Der Gang, der zur Treppe führte, wurde dadurch frei. Seine Rechnung ging voll und ganz auf. Als er sich in Bewegung setzte und losrannte, stieß er auf keinen menschlichen Gegner. Er hatte sich nur in der Richtung etwas verschätzt und wäre beinahe voll gegen eine der Wände gelaufen. Im letzten Augenblick konnte er den Zusammenprall mit dem harten Mauergestein vermeiden. Dann aber war er auf dem richtigen Weg und hetzte mit langen, federnden Schritten den finsteren Gang entlang. Flüche erschallten hinter ihm. Die Gräflichen merkten jetzt, was er vorhatte. Diejenigen von ihnen, die noch dazu fähig waren, setzten ihm nach, um seine Flucht zu verhindern. Kurz darauf hatte Roland die Treppe erreicht. Ohne sich nach seinen Verfolgern umzusehen, stürmte er sie hinauf, immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend. Aber als er schon fast glaubte, es geschafft zu haben, mußte er alle seine Hoffnungen jäh aufgeben. Oben am Treppenabgang hatte ein weiteres halbes Dutzend Männer Stellung bezogen. Jeder einzelne von ihnen hielt eine Waffe in der Hand, und in ihren Augen stand die eiserne Entschlossenheit, ihn nicht vorbeizulassen. Auch Graf Kasimir selbst befand sich unter ihnen. Der Burgherr lächelte dünn. »Fürwahr, Ritter Roland, ihr seid wirklich ein Held«, sagte er
anerkennend. »Aber auch Helden können sterben!« Roland warf sein Schwert weg und senkte das Haupt. * Von einem erhöht liegenden Fenster des Hauptturms aus hatte der Ritter Richard das Kommen Rolands und seiner Knappen beobachtet. Ohne selbst bemerkt zu werden, hatte er gesehen, wie der Ritter mit dem Löwenherzen ahnungslos in die Falle ging und kurz darauf auch Louis und Pierre von den Getreuen Kasimirs überwältigt und gefangengenommen wurden. Als er dann gehört hatte, daß es Roland beinahe gelungen wäre, die sorgsam vorbereitete Falle zu sprengen, war ihm der Schrecken mit Macht in die Glieder gefahren. Zum Glück hatte sich dann doch noch alles zum Guten gewendet, als der Burgherr höchstpersönlich die Dinge in die Hand nahm. Jetzt jedenfalls saßen Roland und seine Knappen in einem finsteren Verlies und warteten auf ihren Tod. Das dachte Richard jedenfalls. Aber schon kurz nach der Gefangennahme des Ritters mit dem Löwenherzen wurde er eines Besseren belehrt. Kasimir schickte nach ihm, und Richard beeilte sich, dem Ruf des Grafen unverzüglich Folge zu leisten. Der Burgherr war wieder einmal bei seiner Lieblingsbeschäftigung. Er soff den Wein wie Wasser und ließ sich dabei von ein paar Hetzen sowie einigen seiner Getreuen Gesellschaft leisten. Als Richard den Rittersaal betrat, war das Gelage schon im vollen Gange. Er nahm an, daß ihn Kasimir gerufen hatte, um ihn daran teilhaben zu lassen. Schließlich war es ja nur ihm zu verdanken, daß Roland keine Gelegenheit bekommen hatte, den Schwarzen Stein zu stehlen. Der Graf ließ ihn auch an seiner Seite Platz nehmen und ihm einen Becher bringen. Aber schon sehr schnell rückte er damit heraus, was er tatsächlich wollte. »Wie war das doch, Ritter Richard?« begann er. »Sagtet Ihr nicht, daß dieser Roland am Hofe von König Artus hoch angesehen ist?«
»Das sagte ich«, bestätigte Richard, während er sich einen Schluck Wein zu Gemüte führte. »Nicht nur die Ritter der Tafelrunde schätzen ihn, sondern auch der König selbst, richtig?« »Man sagt, daß Artus den Roland fast wie seinen eigenen Sohn ansieht«, gab Richard Auskunft. »Sehr schön, sehr schön!« Kasimir grinste und rieb sich dabei befriedigt die Hände. »Was meint Ihr, Richard«, fuhr er dann fort. »Wieviel wäre Artus das Leben des Roland wert?« »Nun, ich könnte mir vorstellen ...« Richard unterbrach sich, als ihm die Zielrichtung der Frage richtig aufging. »Was habt Ihr vor, Graf Kasimir?« »Beantwortet zunächst meine Frage!« »Rolands Leben wäre ihm gewiß sehr viel wert, aber ...« »Ein paar pralle Beutel Gold vielleicht? Oder gar noch mehr? Wenn er ihn als seinen eigenen Sohn ansieht ...« »Darf ich nun erfahren, was Ihr plant, Graf Kasimir?« fragte Richard mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. »Ist das so schwer zu erraten? Ich möchte Artus ein kleines Lösegeld abpressen, was sonst?« »Ein ... Lösegeld?« »Und zwar ein saftiges, ja!« Kasimir leerte seinen Becher und rülpste rüpelhaft. Richard holte tief Luft. »Ihr wollt den Roland also nicht töten, sondern ihn gegen Zahlung eines Lösegelds freilassen?« »Gewiß. Es wäre doch töricht, einen leibhaftigen Goldesel zu schlachten, statt ihn Milch geben zu lassen, nicht wahr?« Die Getreuen des Grafen lachten, als sie das gelungene Gleichnis ihres Herrn hörten. Richard hingegen sah zum Lachen wahrlich nicht den geringsten Anlaß. »Ihr habt mir versprochen, ihn zu töten, Graf Kasimir«, erinnerte er den Burgherrn. »So, habe ich das?« »Ja!« Zur Bekräftigung schlug Richard mit der Faust auf den
Tisch, so daß die Weinbecher tanzten. »Nun«, sagte der Graf, »dann habe ich meine Meinung eben geändert.« »Das könnt Ihr nicht! Der Ritter Roland muß sterben!« Mit Grauen dachte Richard daran, was passieren würde, wenn Roland freikam und erfuhr, wer ihn in die Falle gelockt hatte. Sein Leben war dann nicht mehr wert als der Dreck unter den Fingernägeln. Außerdem mußte Roland auch sterben, weil der Ritter Wilhelmus seinen Tod verlangte. Und Wilhelmus hatte ihn und seine Familie in der Hand und war in der Lage, seine ganze Sippe ins Verderben zu stürzen. Nein, der Tod des Roland war beschlossene Sache, und dabei mußte es auch bleiben - unter allen Umständen!« »Ich verlange, daß Ihr Roland töten laßt, Graf Kasimir!« sagte er ganz entschieden. »Ihr... verlangt es, Ritter Richard?« »Ja!« Der Burgherr lachte. »Ihr spuckt sehr dicke Töne, Ritter! Anscheinend wißt Ihr nicht, wo Ihr Euch befindet und mit wem Ihr sprecht. Hier geschieht das, was ich sage, sonst gar nichts. Schreibt Euch das hinter die Ohren!« Beifälliges Gemurmel wurde unter den Getreuen des Grafen laut. Unfreundliche Blicke gingen zu Richard hinüber. Geldgieriges Gesindel, dachte der junge Ritter. Statt sich damit zu begnügen, das Volk mit Hilfe des Schwarzen Steins auszusaugen, gehen sie nun auch noch hin und erpressen Lösegelder. Aber er hatte es ja schon immer gewußt: einmal Raubritter, immer Raubritter. Dennoch wollte er sich noch nicht geschlagen geben. »Ihr habt mir Euer Wort gegeben, Graf Kasimir«, sagte er. »Bedeutet dies nicht mehr als Fliegengesumm?« Unmutsfalten entstanden auf der Stirn des Burgherrn. »Eure Dreistigkeiten beginnen, mich zu erzürnen, Ritter. Eigentlich hättet Ihr es längst verdient, in den Kerker geworfen zu werden.« Richard verkniff die Lippen, sagte aber nichts. Diesem schurkischen Grafen war alles Üble zuzutrauen. Er brachte es
wirklich fertig, ihn ins Verlies zu stecken. »Aber ich will großzügig darüber hinwegsehen, wenn Ihr Euch mir gefällig erweist«, fuhr Kasimir fort. »Welchen Gefallen soll ich Euch erweisen?« »Ihr sollt nach Camelot reiten und König Artus meine Lösegeldforderung unterbreiten.« Es hielt Richard nicht länger auf seinem Schemel. Mit einer heftigen Bewegung sprang er auf. »Niemals!« Der Graf schob sein spitzes Kinn vor. »Ihr verweigert Euch?« »Ja! Ein solches Schurkenstück mache ich nicht mit!« »Es ist kein Schurkenstück, den Tod eines Nebenbuhlers zu verlangen, Ritter?« »Das ist... etwas anderes.« Richard hatte nicht die geringste Neigung, den Grafen wissen zu lassen, aus welchem Grund er Rolands Tod erstrebte. Aber ihm war jetzt klar geworden, daß sich Kasimir nicht davon abbringen lassen würde, König Artus eine Lösegeldforderung zu übermitteln, gleichgültig ob er nun die Rolle des Sendboten übernahm oder irgendein anderer. Er schritt zur Tür. »Wartet!« donnerte der Burgherr in seinem Rücken. Richard blieb stehen, wandte den Kopf. »Wo wollt Ihr hin?« »Ich gehe«, sagte Richard. »Nichts hält mich mehr an einem Ort, an dem man nicht zu seinem Worte steht!« Er schritt weiter, das ärgerliche Gemurmel der gräflichen Getreuen im Ohr. Aber er erreichte die Tür nicht. »Packt ihn!« schrie Kasimir. »Der Kerl soll nicht denken, er könne uns wie tumbes Bauernpack behandeln.« Schemel wurden gerückt, polterten zu Boden. Richard wußte, daß er nicht entfliehen konnte. Dennoch begann er unwillkürlich zu laufen. Aber da waren sie schon bei ihm. Rohe Fäuste griffen nach ihm, zerrten ihn von der Tür weg. Richard versuchte sich zu wehren, versuchte, sich loszureißen. Es war vergebene Liebesmüh. Zwar
gelang es ihm, einem der Gräflichen seinen Ellenbogen in den Magen zu stoßen. Aber das war auch schon alles. Er bekam einen Schlag ins Gesicht, der ihm das Blut aus der Nase schießen ließ. Die Arme wurden ihm auf den Rücken gedreht, so daß er sich kaum noch bewegen konnte. Dann schleiften ihn die Getreuen des Grafen zu ihrem Gebieter zurück. Der Burgherr grinste übers ganze Gesicht. Er hob seinen Weinbecher und prostete Richard höhnisch zu. »Auf Euer Wohl, Ritter!« Er leerte den Becher und stellte ihn auf die Tischplatte zurück. Als er Richard wieder anblickte, lag ein lauernder Ausdruck in seinen Augen. »Seid Ihr eigentlich reich, Ritter?« Richard antwortete nicht, starrte nur verbissen vor sich hin. »Antwortet gefälligst«, sagte einer der Männer, die ihn festhielten. Er unterstützte seine Aufforderung, indem er Richards rechten Arm noch ein bißchen mehr verdrehte. Richard stöhnte vor Schmerz auf. »Ich ... ich bin nicht reich«, preßte er hervor. »Schade«, sagte Kasimir bedauernd. »Aber vielleicht ist König Artus bereit, auch für Euch ein kleines Lösegeld zu zahlen.« Er machte eine brüske Handbewegung. »Werft ihn in den Kerker!« Und mit einem tückischen Lächeln fügte er noch hinzu: »Sperrt ihn zusammen mit Roland und seinen Knappen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich die Herren Ritter einiges zu erzählen haben!« Während sich der Graf noch vor Lachen ausschüttelte, wurde Richard aus dem Saal geschleppt. * Eloise wollte den Arm um ihren Bräutigam legen, aber Ganelon wies sie zurück. »Nicht hier«, sagte er beinahe unwirsch. »Wir befinden uns in einem Kloster, und die Mönche würden es als höchst unziemlich
ansehen, wenn wir uns innerhalb ihrer Mauern der Minne hingeben.« Die junge Frau war nahe daran, in Tränen auszubrechen. »Warum bist du so garstig zu mir, Ganelon? Ich kenne dich gar nicht wieder! Seit wir uns vor Monden trennten, bist du ... ein anderer geworden. Warum denn nur?« »Das fragst du? Glaubst du, es geht spurlos an einem Menschen vorüber, wenn er den Tod ständig vor sich sieht?« »Aber das stimmt doch nicht«, widersprach ihm Eloise heftig. »Du bist so gesund wie eh und je! Der Schwarze Stein hat dich geheilt und den Keim des Todes in dir vernichtet.« »Woher willst du das wissen?« Eloise saß neben ihrem Bräutigam auf der schmalen Pritsche, die neben einem kleinen Tisch, einem rohen Schemel und einem schmucklosen Schrank das einzige Möbelstück der kleinen Mönchszelle war, in der Ganelon während seines Aufenthalts im Kloster wohnte. Sie blickte ihn von der Seite an. »Du siehst aus wie das blühende Leben«, stellte sie fest. »Als du von zu Hause fortgingst war das ganz anders. Du hattest ein totenbleiches Gesicht, fiebrige Augen, die tief in den Höhlen lagen, eingefallene Wangen. Und du warst am ganzen Körper so abgemagert, daß dich selbst ein Hungerleider bedauert hätte. Und nun? Nichts mehr von alledem!« Ganelon lächelte bitter. »Der äußere Schein trügt. Gewiß, ich habe mich erholt. Aber schon jetzt spüre ich, daß der Keim, des Todes erneut in mir Fuß gefaßt hat. Und wenn ich nicht bald wieder die wundertätige Kraft des Steins auf mich einwirken lassen kann, dann geht es unwiderruflich mit mir zu Ende. Ich brauche den ständigen Kontakt mit der Reliquie, verstehst du? Wenn ich nicht alle paar Tage in der Lage bin, ihn zu berühren ...« Tief seufzte er auf. »Ist das der Grund, aus dem du nun schon seit längerer Zeit hier im Kloster weilst und nicht zu mir zurückgekommen bist?« erkundigte sich das Mädchen. »So ist es. Ich habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, als Novize in das Kloster einzutreten. Dann könnte ich dem Schwarzen
Stein immer ganz nahe sein.« Eloise machte ein betroffenes Gesicht. »Und ich? Denkst du gar nicht an mich? Was soll aus mir werden, wenn du ... ein Mönch bist? Liebst du mich denn nicht mehr?« »Natürlich liebe ich dich, nur ...« »Nur?« »Herrgott, ist das so schwer zu begreifen? Jeder Mensch hat nur ein Leben!« Traurig nickte Eloise. »Ich verstehe schon. In erster Linie denkst du an dich selbst. Erst dann komme ich.« Sie erhob sich von der Pritsche und fing an, gedankenverloren in der engen Zelle umherzuwandern. In ihren Träumen hatte sie sich das Wiedersehen mit Ganelon ganz anders vorgestellt. Sie hatte geglaubt, daß ihr Bräutigam außer sich vor Glück sein würde, sie endlich wieder in die Arme schließen zu können. Aber davon konnte leider keine Rede sein. Fast hatte sie das Gefühl, als sei ihm ihr Kommen geradezu ... lästig. Während sie so düsterer Stimmung durch die Zelle schritt, fiel ihr Blick zufällig unter die Pritsche. Und dort sah sie etwas ganz Eigenartiges: einen unregelmäßig geformten, schwarzen Felsbrocken. »Was ist das, Ganelon?« fragte sie. »Was?« »Das hier.« Eloise bückte sich und zog den unter der Pritsche versteckten Stein hervor. Ihr Bräutigam fuhr hoch und beförderte den Gesteinsbrocken mit einem Fußtritt wieder ganz unter die Pritsche. »Geh!« sagte er. »Geh sofort hinaus!« Sein Gesicht war zu einer Grimasse geworden, zu einer Grimasse, vor der Eloise geradezu Furcht bekam. Fast fluchtartig verließ sie die Zelle. *
Wie vom Huf eines durchgehenden Pferdes getroffen, kam der Gefangene durch die Türöffnung geflogen und schlug schwer zu Boden. Krachend schloß sich die Tür wieder. Abgrundtiefe Dunkelheit herrschte in dem Verlies. Roland, der auf einem stinkenden Strohballen saß und sich mit dem Rücken gegen die feuchte Wand lehnte, konnte seinen neuen Leidensgenossen nicht sehen. Aber sein Gefühl sagte ihm, daß es dem Mann nicht gutging. »Kümmert euch um ihn«, wies er seine beiden Knappen an, die mit ihm das finstere Mauergeviert teilten. Louis und Pierre gingen zu dem neuen Gefangenen hinüber und beugten sich hilfsbereit über ihn. »Seid Ihr verletzt?« erkundigte sich Pierre. »Nur ein paar oberflächliche Hautabschürfungen«, antwortete der Leidensgenosse. »Und eine blutende Nase.« Roland spitzte die Ohren. Diese Stimme ... »Seid Ihr das, Richard?« »Ja, Roland, ich bin es. Daß wir uns hier wiedertreffen, hätte ich auch nicht gedacht.« »Warum hat man Euch eingesperrt?« wollte der Ritter mit dem Löwenherzen wissen. Bitter lachte Richard auf. »Weil ich versucht habe, mich für Euch einzusetzen! Ich sah, wie man Eure Knappen packte, und hörte, daß es Euch selbst nicht besser ergangen war. Als ich lautstark dagegen aufbegehrte und den Grafen einen üblen Leuteschinder nannte - nun, Kasimir ist ein hartherziger, rachsüchtiger Mann.« Einige Augenblicke lang schwieg Roland. Dann sagte er: »Wißt Ihr, daß ich Euch im Verdacht hatte, uns verraten zu haben?« Richard atmete schwer. »Wie kommt Ihr auf diesen ungeheuerlichen Gedanken?« »Die Gräflichen wußten von Anfang an, wer ich bin. Sie kannten sogar meinen Namen. Woher, frage ich Euch? Jemand muß es Ihnen gesagt haben. Und da niemand außer Euch wußte, daß ich mit meinen Knappen hierherkommen wollte ...« »Ihr stellt Euer Licht unter den Scheffel Roland! Ihr seid ein Mann,
dessen Namen man in allen Landen rühmt!« Es war etwas Wahres an dem, was Richard sagte. Rolands Ruhmestaten waren inzwischen weit verbreitet. Dafür hatte schon sein Freund, der gefeierte Minnesänger Volker vom Hohentwiel, gesorgt, dessen Balladen überall nachgesungen wurden. »Mag sein, daß mein Name selbst hier im fernen Riesengebirge nicht gänzlich unbekannt ist«, gestand Roland ihm zu. »Aber ich bin niemals hier gewesen. Wie sollte also jemand wissen, wie ich aussehe?« »Diese Frage kann ich Euch auch nicht beantworten. Aber daß Ihr ausgerechnet mich verdächtigt... Warum sollte ich Euch denn verraten haben? »Ihr mögt mich nicht besonders, Richard! Oder wollt Ihr dies bestreiten?« »Gewiß«, gab der junge Ritter zu. »Wir hatten während der Wallfahrt unsere Meinungsverschiedenheiten. Aber daß ich deswegen zum Verräter an Euch werden sollte? Ihr beleidigt mich, Roland! Und sagt selbst, wenn ich Euch bei Kasimir angeschwärzt hätte, wäre ich dann hier im Verlies?« »Da habt Ihr auch wieder recht«, sagte Roland langsam. »Nun, wie dem auch sei, Ihr wißt, was dieser schurkische Graf mit uns vorhat? Warum setzt er uns hier fest und schlägt uns nicht die Köpfe ab, wie es bei Männern seines Schlages üblich ist?« »Ja, ich weiß, was er plant.« »So sprecht«, forderte Roland ungeduldig. Wenig später wußte er über Kasimirs Lösegeldabsichten Bescheid. Die Nachricht stimmte ihn nicht gerade glücklich. Aber sie hatte doch etwas Tröstliches an sich. Wie es aussah, war ihr aller Leben nicht in unmittelbarer Gefahr. Und wer lebte, der konnte immer noch hoffen, daß sich die Dinge zum Besseren wendeten. * Eine Woche war vergangen, seit der Ritter Roland mit seinen Knappen das Kloster verlassen hatte, um Graf Kasimir den
Schwarzen Stein wieder zu entreißen. Aber wie es schien, war ihm der angestrebte Erfolg versagt geblieben. Jedenfalls hatte er sich nicht wieder blicken lassen und auch keine Nachricht übermittelt. Für Ganelon stand fest, was geschehen war. Die Getreuen des Grafen hatten den Ritter überwältigt und wahrscheinlich längst einen Kopf kürzer gemacht. Das wundertätige Heiligtum befand sich nach wie vor im Besitz des Burgherrn und würde dort auch bleiben. Noch länger im Kloster zu warten, war reine Zeitverschwendung. Und er, Ganelon, hatte keine Zeit zu verschenken. Schon spürte er, wie die Schmerzen in seinem Unterleib wieder stärker wurden. Der Keim des Todes, den er bereits gebannt zu haben glaubte, wuchs und gedieh. Es gab für ihn nur eine Möglichkeit: Er mußte zur Schwarzenburg. Und zwar sofort. Jeder weitere Tag, den er verlor, konnte sein letzter sein. Aber Ganelon gab sich keinen Illusionen hin. Nur zu gut wußte er, daß er nicht mit leeren Händen vor den Grafen Kasimir hintreten konnte. Er mußte dem habgierigen Schurken etwas bieten, sonst würde ihn der nicht an den Schwarzen Stein heranlassen. Die große Frage war nur, woher nehmen und nicht stehlen? Ganelon war trotz seiner noblen Herkunft nicht mit irdischen Gütern gesegnet. Er besaß nichts, was Gnade vor Kasimirs Augen finden würde. Zwei Tage lang noch überlegte Ganelon hin und her. Dann stand sein Entschluß fest. Er würde tatsächlich stehlen müssen. Und er wußte auch schon, was und wo. Er wartete des Nachts, bis alle Bewohner des Klosters, Mönche und Gäste gleichermaßen, eingeschlafen waren. Dann schlüpfte er lautlos aus seiner Zelle und schlich auf den Klosterhof. Drüben im Wachhäuschen, das wußte er, hielt einer der Klosterbrüder die Nachtwache. Aber er durfte davon ausgehen, daß die Aufmerksamkeit des Mönchs nach draußen gerichtet war. Nicht im Traum würde er daran denken, daß es auch im Inneren des Klosters etwas gab, was es zu bewachen galt. Geduckt huschte Ganelon über den Hof, verschmolz dabei weitgehend mit der Dunkelheit, die durch das schwache Mondlicht
kaum aufgehellt wurde, Schnell erreichte er sein Ziel: die Kapelle. Mit angehaltenem Atem blieb er für ein paar Augenblicke im Eingang stehen und blickte zum Wachhäuschen hinüber. Hatte der wachhabende Mönch etwas bemerkt? Nein, es sah nicht danach aus. In dem kleinen Anbau neben der Pforte blieb alles ruhig. Wahrscheinlich döste der Klosterbruder ohnehin vor sich hin und erging sich in frommen Gedanken an das Leben nach dem Tode. Ganelon hatte für solche Gedanken nicht viel übrig. Er wollte im Diesseits leben. Was später im Jenseits geschah, kümmerte ihn gegenwärtig keinen Deut. Er trat in die Kapelle, huschte am Altar vorbei und schlüpfte dann in die Sakristei. Trotz der Dunkelheit fand er sich einigermaßen zurecht, denn er war nicht zum ersten Mal hier. Der Abt, dieser alte Narr, war stolz darauf gewesen, Dankesgeschenke zeigen zu kennen, die Pilger dem Kloster zur Verfügung gestellt hatten. Ein Teil dieser Gaben wurde hier in der Sakristei aufbewahrt. Ganelon brauchte nicht lange, um fündig zu werden. Zwar konnte er die einzelnen Gegenstände nicht erkennen. Aber was er da ertastete, fand durchaus sein Wohlgefallen. Mochte auch einiger wertloser Tand darunter sein, er war fest davon überzeugt, daß er auch Utensilien von echtem Wert in die Hände bekommen hatte. Hastig stopfte er die Beute in den mitgebrachten Sack. Dann verließ er die Sakristei wieder und eilte zurück zum Klosterhof. Und dort verließ ihn das Glück dann. Als er die Kapelle gerade verlassen wollte, löste sich aus dem Schatten des Nebengebäudes eine dunkle Gestalt und vertrat ihm den Weg. »Wer...« Weiter kam der Mann nicht. Ganelon handelte, ohne lange nachzudenken. Er riß den rechten Arm zurück und ließ ihn dann wieder nach vorne schnellen. Der Mann, der ihm entgegengetreten war, wurde voll von dem Sack am Kopf getroffen. Der Mann - Ganelon konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, wer es war - stöhnte schmerzerfüllt auf. Bevor er laut loszuschreien vermochte, drosch Ganelon erneut zu. Es gab ein häßliches,
schepperndes Geräusch, als die Gegenstände in dem Sack gegeneinander schlugen. Ansonsten aber konnte er mit seiner Aktion voll und ganz zufrieden sein. Sein Widersacher war so schwer getroffen worden, daß er, ohne einen weiteren Ton von sich zu geben, zusammenbrach und reglos auf den Steinen des Klosterhofs liegen blieb. Ganelon kniete nieder, blickte dem Bewußtlosen aus allernächster Nähe ins Gesicht. Es war Bruder Leopold, der Mönch, der in dieser Nacht den Dienst im Wachhäuschen zu versehen hatte. Ganelon stieß einen unterdrückten Fluch aus. Sein Eindringen in die Kapelle war also doch nicht so unbemerkt vonstatten gegangen, wie er das gedacht hatte. Hastig sah er sich nach allen Seiten um. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, daß nach wie vor überall tiefe Ruhe herrschte. Nirgendwo flackerte ein Licht auf, niemand ließ sich blicken. Wie es schien, war der Zwischenfall mit Bruder Lepold noch keinem aufgefallen. Bisher... Ganelon stellte seinen Beutesack ab, griff statt dessen nach dem Bewußtlosen. Er packte ihn unter den Achseln und zerrte ihn in die Kapelle hinein. Dabei hatte er Schwerstarbeit zu leisten, denn der Mönch verfügte über eine mächtige Körperfülle. Den Klosterbrüdern geht es zu gut, dachte Ganelon flüchtig, sie fressen zu viel! Dennoch schaffte er es ziemlich schnell, den Niedergeschlagenen in den Altarraum zu befördern. Ganz kurz überlegte er, ob es nicht besser war, ihn in die Sakristei zu bringen. Aber er kam zu der Überzeugung, daß er sich diese Mühe sparen konnte. Eigentlich war es seine Absicht gewesen, erst am nächsten Morgen in aller Frühe aufzubrechen. An diesem Plan konnte er jedoch jetzt kaum noch festhalten. Er würde das Kloster gleich verlassen müssen. Und dann spielte es auch keine Rolle, ob man Bruder Leopold nun etwas früher oder später fand. Diesen Überlegungen folgend, ließ er den Mönch einfach hinter der Tür liegen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß es noch eine ganz Weile dauern würde, bis der fette Bruder wieder zu sich
kam, trat er wieder auf den Klosterhof hinaus. Und noch immer war alles ruhig. Das Kloster war ein Hort des Friedens und ... der Schlafmützigkeit. Jetzt, da im Wachhäuschen niemand mehr war, dessen Wachsamkeit er zu fürchten hatte, stieß er auf keine weiteren Schwierigkeiten. Er eilte noch einmal zu seiner Zelle hinüber und packte alles zusammen, was er mitnehmen mußte. Anschließend öffnete er lautlos die Klosterpforte. Als letztes ging er in den Stall und holte sein Pferd. Als er vom Klosterhof ritt, dachte er mit einem gewissen Bedauern an Eloise. Es war eigentlich nicht seine Absicht gewesen, sich so grußlos von ihr zu verabschieden. Aber nach Lage der Dinge gab es keine andere Möglichkeit. Sie liebte ihn, gewiß. Dennoch würde sie für seine Handlungsweise kaum Verständnis aufbringen. Achselzuckend ließ er seine Gedanken in andere Richtungen wandern. Es gab Wichtigeres im Leben eines Mannes als Frauen. Zügig ritt er der Schwarzenburg entgegen. * »Todeskeim im Unterleib?« Der Burgwächter machte ein bedenkliches Gesicht. »Hm, das ist gewiß ein schwerer Schicksalsschlag, Junker. Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß Ihr alles geben würdet, um wieder gesund zu werden!« Lauernd blickte er den noblen Bittsteller an. Ganelon griff in den Sack, in dem er die gestohlenen Klosterschätze aufbewahrte, und holte einen silbrig glänzenden Becher hervor. Er reichte ihn dem Gräflichen hin. Der nahm ihn entgegen und musterte ihn eingehend. Seine Prüfung war sehr genau. So verzichtete er auch nicht darauf, mit dem Fingernagel über die Oberfläche zu kratzen und sogar mit den Zähnen in den Becherrand hineinzubeißen. Unwillig verzog er das Gesicht. »Dieses Ding ist nichts wert«, stellte er fest. »Wenn Ihr nichts Besseres anzubieten habt, Junker ...«
Der Mann war nicht dumm. Er hatte erkannt, daß die Silberschicht des Bechers nur ganz dünn aufgetragen war. Schnell griff Ganelon erneut in seinen Sack. »Hieran dürftet Ihr kaum etwas auszusetzen haben«, sagte er und übergab dem Burgwächter ein goldenes Kreuz, das mit mehreren prächtigen Edelsteinen verziert war. »Schon besser«, lobte der Getreue Kasimirs. »Habt Ihr noch mehr?« »Ist das nicht schon genug?« fragte Ganelon unwirsch. Die nackte Gier stand in den Augen des Burgwächters geschrieben. »Ich fürchte, es ist nicht genug«, sagte er. »Wißt Ihr was? Am besten dürfte es sein, Ihr gebt mir alles, was Ihr bei Euch habt.« Und ehe es sich Ganelon versah, hatte er bereits zugelangt und den ganzen Sack in seinen Besitz gebracht. »Das ist doch ...« Ganelon war so empört, daß er den Mann am liebsten in den Burggraben gestoßen hätte. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, seinen Zorn zu zügeln. Der Gräfliche grinste. »Es steht Euch natürlich frei, Eure Besitztümer zurückzuverlangen. Ohne jeden Zweifel würden wir Eurer Bitte sofort entsprechen. Schließlich sind wir keine Räuber. Nur müßtet Ihr dann leider darauf verzichten, den Schwarzen Stein...« »Schon gut, schon gut«, unterbrach Ganelon sein scheinheiliges Gerede. »Behaltet Eure Beute. Kann ich nun ...« »Aber gewiß doch, Herr Junker.« Der Burgwächter trat einen Schritt zur Seite und deutete eine ergebene Verbeugung an, bei der es sich vermutlich um puren Hohn handelte. »Männer wie Ihr seid uns jederzeit herzlich willkommen.« Unten auf dem Burghof standen andere Gräfliche bereit. Zwei Pferdeknechte nahmen sich seines Pferdes an. Drei Männer des Ritterstandes erkundigten sich, ob er gleich zu der wundertätigen Reliquie gebracht werden wollte. Und ob Ganelon das wollte! Sein ganzes Sinnen und Trachten war auf nichts anderes gerichtet.
»Dann folgt uns, Junker!« Die Männer führten ihn zum Donjon, dem großen Hauptturm der Schwarzenburg. Durch die Eingangshalle ging es einen breiten Korridor entlang, der schließlich vor einer eisernen Tür endete. Dort standen weitere Getreue des Grafen Wache. Sie waren schwer bewaffnet, trugen nicht nur ihre Schwerter, sondern hatten gleichzeitig auch noch Streitäxte in ihren Waffengürteln hängen. Selbst einem Ahnungslosen wäre nicht verborgen geblieben, daß hinter der Tür ein Schatz ruhen mußte, der all diese Sicherheitsvorkehrungen verdiente. Die Tür wurde geöffnet. Ein recht kleiner Raum lag vor Ganelon, ein Raum, der nicht möbliert war. Er enthielt nur eins: den goldenen Schrein aus dem Kloster und den Schwarzen Stein. Genalons Augen begannen zu glänzen, als er der einzigartigen Reliquie ansichtig wurde. Mehrere Wochen waren es nun her, seit er den Stein zuletzt berührt hatte. Eine lange Zeitspanne, eine viel zu lange Zeitspanne. Es gab jetzt kein Halten mehr für den provenzalischen Junker. Ohne sich weiter um seine gräflichen Begleiter zu kümmern, eilte er auf den Stein zu. Die Männer hinderten ihn nicht daran, blieben jedoch an der Tür stehen, wachsam und jederzeit bereit, einzugreifen, wenn er etwas Unerlaubtes tat. Vor dem goldenen Schrein lag ein Kissen auf dem Boden. Ganelon kniete darauf nieder. Dann streckte er wie ein Ertrinkender, der den letzten Strohhalm vor sich sah, seine Arme aus. Seine Hände zitterten wie Espenlaub, als sie den Schwarzen Stein von beiden Seiten umfaßten. Der Schwarze Stein! Seine Herkunft lag im Dunkel einer Ungewissen Vergangenheit. Die einen sagten, daß er eines Tages vom Himmel gefallen war. Andere widerum meinten, daß ihn ein Heiliger aus den Gefilden der Seligen auf die Erde gebracht hatte, um jenen Menschen zu helfen, die reinen Herzens waren. Ganelon wußte nicht, was richtig war,
wenn er auch an die Geschichte von dem gütigen Heiligen nicht so recht zu glauben vermochte. Im Grunde genommen war ihm dies aber auch alles herzlich gleichgültig. Für ihn zählte nur eins. Im Kloster hatte der Stein seine Schuldigkeit getan und ihm tatsächlich geholfen. Und nun hoffte er natürlich darauf, daß dies auch jetzt wieder der Fall sein würde. Er schloß die Augen und bemühte sich, seinen Kopf freizumachen von allen überflüssigen Gedanken. Gedanken, die aus der Reinheit des Herzens kamen, waren jetzt bedeutsam. Ganelon dachte an den aussätzigen Bettler auf dem Marktplatz von Goujon, dem er einen ganzen Silberdenar geschenkt hatte. Er dachte an das kleine Mädchen, das er vor dem Ertrinken gerettet hatte, als es in den Mühlbach gefallen war. Und er dachte an den alten, räudigen Hund, dem er das Gnadenbrot gegeben hatte. All dies waren Taten, auf die er stolz sein konnte. Taten, die ein Beweis für die Reinheit seines Herzens waren. Er konzentrierte sich auf den Schwarzen Stein. Bei seinen Kontakten im Kloster hatte er stets das Gefühl gehabt, als würde die Reliquie eine Art Wärme ausstrahlen, eine Wärme, die seinen ganzen Körper durchrieselte. Jetzt jedoch spürte er davon nichts. Der Stein war kühl, beinahe kalt. Alarmgefühle stiegen in Ganelon auf. Hatte der Stein seine Kraft verloren? Nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Ohne seine wundertätige Wirkung war er verloren. Der Keim des Todes würde ungehindert weiter in ihm wuchern und ... Ganelon verdrängte diesen entsetzlichen Gedanken. Fast gewaltsam preßte er seine Hände gegen die unregelmäßigen Seiten des Steins. Mit aller Kraft wünschte er sich die wohlige Wärme herbei, die er gewohnt war. Aber sie stellte sich nicht ein. Der Stein blieb kalt, kalt, kalt... Und die Stiche in seinem Unterleib ließen nicht nach. Ja, er glaubte fast, daß sie sich noch verstärkten! Der Graf war schuld! Ja, so mußte es sein. Kasimir hatte den Stein geraubt, hatte dabei
sogar einen Menschen getötet. Dadurch hatte er gegen das Gebot der Friedfertigkeit verstoßen. Kein Wunder, daß der Schwarze Stein nun seine Wundertätigkeit nicht mehr offenbarte! Eine ganze Weile noch harrte er vor dem Schrein kniend aus. So lange, bis die Gräflichen an der Tür langsam ungeduldig wurden. »Kommt zum Ende, Junker«, rief der eine, »gewiß seid Ihr längst geheilt!« Ganelon kam der unmißverständlichen Aufforderung nicht sofort nach. Schließlich aber mußte er einsehen, daß längeres Ausharren keinen Sinn hatte. Der Stein entfaltete seine Kraft nicht. Und der Keim des Todes wütete weiterhin in seinem Leib. Müde, unendlich müde erhob er sich und kehrte zu den Getreuen des Grafen zurück. Diese blickten ihm etwas erstaunt entgegen. »Ihr seht nicht sehr glücklich aus«, stellte einer von ihnen fest. »Aber warum nicht? Spürt Ihr denn nicht, wie sich die gesundende Kraft des Heiligtums in Eurem Innersten ausbreitet?« »Nichts spüre ich! Ich bin so krank wie zuvor!« »Das ist äußerst verwunderlich. Wenige nur kehren dem Stein den Rücken, ohne daß ihnen das Glück in den Augen geschrieben steht. Ihr müßt ein arger Sünder sein!« »Ich muß ...« Ganelon verschlug es die Sprache. »Gewiß«, sprach der Gräfliche weiter. »Wußtet Ihr denn nicht, daß nur denen Hilfe zuteil wird, deren Herz ohne Makel ist?« »Nicht an mir haftet der Makel«, sagte Ganelon empört. »Ihr seid schuld. Hättet Ihr den Stein nicht mit Gewalt in Euren Besitz gebracht...« Er unterbrach sich, wohl wissend, daß es nicht gut war, die Männer Kasimirs zu erzürnen. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie skruppellos die Kerle vorgingen. Aber die Gräflichen waren überraschenderweise nicht verärgert. Sie lachten nur. »Geht in Euch, Junker, und tut Gutes«, sagte der Mann, der ihn schon als argen Sünder bezeichnet hatte. »Und dann kommt zurück und versucht Euer Glück erneut. Wie ich hörte, wart Ihr mit Euren Geschenken recht großzügig. Ihr habt eine zweite Gelegenheit
verdient.« Niedergeschlagen verließ Ganelon den Reliquienraum. Und die Stiche in seinem Leib wurden stärker und stärker. * Man hatte Ganelon einen Raum ganz oben im Donjon zugewiesen. Es war ein schäbiger, schmutziger Raum, den der provenzalische Junker normalerweise entrüstet von sich gewiesen hätte. Aber hier auf der Schwarzenburg durfte er nicht wählerisch sein. Er konnte sich schon glücklich schätzen, daß man ihn nicht unverzüglich wieder weggeschickt hatte. Er hatte nachgedacht, lange und ausgiebig. Mehr denn je war er davon überzeugt, daß der gewaltsame Raub für die erloschene Kraft des Schwarzen Steins verantwortlich gemacht werden mußte. Und er zweifelte eigentlich nicht daran, daß sich diese Kraft wieder offenbaren würde, wenn die Reliquie nur aus der Verfügungsgewalt des schurkischen Grafen entfernt wurde. Er war sich im klaren darüber, daß er allein nicht in der Lage sein würde, den Gräflichen den Stein zu entreißen. Dazu wurde er viel zu gut bewacht. Wenn es ihm jedoch gelang, schlagkräftige Bundesgenossen zu gewinnen, dann sah die Sache schon etwas anders aus. Und er wußte auch, wo er diese Bundesgenossen gewinnen konnte. Während der Stunden, die er nun schon in der Schwarzenburg weilte, war er nicht untätig gewesen. Er hatte sich umgehört, und es war ihm zu Ohren gekommen, daß in den Verliesen der Burg ein Mann gefangengehalten wurde, der zu allem möglichen fähig war. Der Ritter Roland! Zwar hatte er dem Roland keineswegs vergessen, daß er ihn vor den Augen Eloises im Schwertkampf besiegt hatte. Aber er war jetzt bereit, seine Rachegefühle in den Hintergrund treten zu lassen. Roland war der Mann, der ihm helfen konnte, den Schwarzen Stein in Sicherheit zu bringen. Schließlich war der Ritter mit dem
Löwenherzen ja auch aus eben diesem Grunde zur Schwarzenburg gekommen. Und daß er und seine Knappen jetzt noch im Verlies schmachteten ... Nun, Ganelon sah eine Möglichkeit, die Gefangenen zu befreien. Sein Plan war gewagt und auch etwas verrückt. Dennoch kam er nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluß, ihn in die Tat umzusetzen. Was hatte er schon zu verlieren? Wenn ihm die Männer Kasimirs auf die Schliche kamen, würde er höchstwahrscheinlich mit seinem Leben dafür büßen müssen. Aber sein Leben war auch verwirkt, wenn der Schwarze Stein in der Obhut des Grafen blieb. Genalon traf seine Vorbereitungen in den Abendstunden. Und als sich die Burgbewohner langsam anschickten, sich zur Nachtruhe zu begeben, schritt er zu Tat. Er verließ seinen Raum, die Waffe, die er zum Gelingen seines Planes benötigte, in der Hand. Bei dieser Waffe handelte es sich um kein Schwert, kein Messer, keine Axt, sondern um einen ... gefüllten Weinkrug. Aber Ganelon hoffte zuversichtlich, damit mehr ausrichten zu können als mit der schärfsten Klinge. Während er zum Hof hinunterschritt, begegneten ihm mehrere Burgbewohner. Niemand hielt ihn auf. Und auch dem Krug schenkte niemand sonderliche Beachtung. Offenbar fand man es hier nicht so verwunderlich, daß jemand Wein durch die Gegend trug. Unten auf dem Hof schritt Ganelon zielbewußt zu dem Turm hinüber, in dem die Verliese untergebracht waren. Und noch immer stellte sich ihm niemand in den Weg. Die Burgbewohner wußten, daß er Gast in der Schwarzenburg war und sich frei bewegen durfte. Am Eingang zu dem Nebenturm sah das jedoch anders aus. Hier stand ein Bewaffneter. Der Mann, das wußte Ganelon, war eigentlich nicht zur Bewachung der Gefangenen da. In dem Turm lagerten jedoch auch Proviant und sonstige Vorräte, die es vor zudringlichen Händen zu schützen galt. Trotzdem hielt ihm der Bewaffnete den Arm entgegen, als er wie selbstverständlich den Turm betreten wollte. »Halt, Junker. Wo wollt Ihr hin?« »Zu den Gefangenen.«
»Zu welchem Behufe?« »Ich möchte ihnen das hier zum Geschenk machen«, sagte Ganelon und hielt dem Wächter den Krug hin. Mit gerunzelter Stirn beugte sich der Mann nieder und roch daran. »Wein«, stellte er fest. »So ist es«, nickte Ganelon. Verständnislos schüttelte der Posten den Kopf. »Ich verstehe nicht...« »Ihr wißt, daß ich ein todkranker Mann bin, den der Schwarze Stein nicht heilen konnte?« fragte Ganelon. »Ich habe davon gehört. Ihr sollt ein sündiger Mensch sein, der der wundertätigen Kraft des Heiligtums nicht für würdig erachtet wurde.« »Ja«, sagte Ganelon und tat ganz zerknirscht, »mein Herz ist nicht frei von manchem Makel. Und deshalb will ich gute Werke verrichten, um den Makel von mir zu nehmen.« »Ich verstehe immer noch nicht...« »Ist es kein gutes Werk, einen schmachtenden Gefangenen mit einem Krug Wein zu beglücken?« Der Posten lachte. »Wenn es so einfach wäre, sich seiner Sünden zu entledigen, dann brauchte ich mir um die ewige Seligkeit keine Gedanken zu machen. Aber ob sich der Schwarze Stein so leicht hinters Licht führen läßt »Spottet nicht«, sagte Ganelon entrüstet. »Meine Absichten entspringen einem reinen Herzen. Darf ich nun passieren?« Einen Augenblick zögerte der Gräfliche. Dann lachte er wieder und sagte: »Meinetwegen, die Gefangenen unterstehen nicht meiner Obhut. Aber ob die Verlieswächter Eure gute Tat billigen werden, wage ich zu bezweifeln.« So gelang Ganelon der Zutritt zum Turm. Dort stieg er die Wendeltreppe hinab, die zu den Verliesen führte. Mit dem Weinkrug in der ausgestreckten Hand ereichte er das unterirdische Geschoß. Und sogleich sah er sich den Verlieswächtern gegenüber, die bei seiner Annäherung aus ihrer Wachkammer herauskamen. Drei Bewaffnete waren es, die ihn ausgesprochen finster und unfreundlich
musterten und zum Stehenbleiben aufforderten. Ganelon widerholte die Geschichte von der guten Tat, die er bereits oben zum besten gegeben hatte. Hatte der Wächter am Toreingang aber noch gelacht, so bleiben diese drei todernst. »Mir scheint, Ihr wollt uns veralbern, Junker«, sagte der eine von ihnen grimmig. »Gefangene mit edlem Wein zu beköstigen - hat man jemals einen solchen Unsinn gehört?« »Ihr schlagt mir meine Bitte ab?« stellte Ganelon fest, während Trübsal seine Miene überschattete. »Ich flehe Euch an, habt Erbarmen mit meinem Seelenheil!« »Was kümmert uns Euer Seelenheil? Hebt Euch von hinnen!« Ganelon schämte sich nicht, fast in gar unmännliche Tränen auszubrechen. »Schickt mich nicht fort! Sagt mir lieber statt dessen, welche andere Möglichkeit es in der Schwarzenburg für mich gibt, die Reinheit meines Herzens zu bekunden.« Die Männer tauschten Blicke, brachen dann doch in Lachen aus. Gar zu jämmerlich war der Anblick, den Ganelon mit seinem Kruge bot. Seine Hand zitterte so stark, daß der Wein überschwappte und auf den steinernen Boden tropfte. »Ich wüßte schon eine gute Tat, die Ihr verrichten könnt«, sagte ein anderer der drei. »Gebt uns Euren Wein, und wir legen im Himmel ein gutes Wort für Euch ein.« Der Mann lachte noch immer und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Ein Gefühl des Triumphes durchrieselte Ganelon. Genau auf diesen Vorschlag hatte er gewartet! Allerdings hatte er nicht zu hoffen gewagt, daß ihn die Wächter so schnell machen würden. Er ließ sich seine Gedanken jedoch nicht anmerken, tat vielmehr so, als müsse er sich das Verlangen des Wächters erst einmal durch den Kopf gehen lassen. »Glaubt Ihr wirklich, daß es ein Zeichen meines guten Herzens wäre, wenn ich Euch den Wein gebe?« fragte er mit gespieltem Zweifel. »Aber gewiß doch«, bekam er grinsend zur Antwort. »Schließlich könntet Ihr den Wein auch selbst trinken. Wenn Ihr ihn jedoch uns
überlaßt, spricht dies für Eure Selbstlosigkeit. Heißt es denn nicht schon in der Schrift, daß Geben seliger denn Nehmen ist?« »Vielleicht habt Ihr recht«, sagte Ganelon langsam. »So nehmt den Wein denn!« Wenig später ließen die drei Männer den Krug kreisen. Sie luden Ganelon ein, selbst einen kräftigen Schluck mitzutrinken. Das jedoch lehnte der Junker ab. Seine Gründe dafür waren jedoch andere, als die Gräflichen wohl vermuteten ... * Roland hatte sich bereits auf sein fauliges Stohlager gelegt, um die Nacht wie gewohnt in einem unruhigen, von bösen Träumen geplagtem Schlaf zu verbringen. Die wievielte Nacht das sein würde, wußte er nicht so genau. In der ständigen Dunkelheit des Verlieses verlor man das Gefühl für die Zeit. Wenn es nicht die in halbwegs regelmäßigen Abständen verabreichten Mahlzeiten gegeben hätte, wäre es nicht einmal möglich gewesen, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Die Stimme seines Knappen Louis riß ihn aus dem Dämmerzustand wieder hoch. »Ritter Roland!« »Was ... ist los?« »Da draußen auf dem Gang ... Hört Ihr es?« Roland richtete sich in eine sitzende Stellung auf und hielt den Kopf schief. Und er hörte etwas. Schmerzensschreie und ... Kampfgeräusche. Auch der Ritter Richard und Pierre waren jetzt hellwach geworden. »Was, glaubt Ihr, geht da vor, Roland?« In Richards Stimme schwang gespannte Erregung mit. »Ob dort Männer gekommen sind, um uns zu befreien?« »Wer sollte das sein? Wir sind Fremde im Riesengebirge. Ich
wüßte niemanden, der sich um unseretwillen mit Graf Kasimir anlegen würde.« »Die Mönche ...« »... sind Männer des Friedens. Ihr Glaube verbietet es Ihnen, eine Waffe in die Hand zu nehmen.« »Wahrscheinlich haben die Verlieswächter beim Würfelspiel Streit miteinander bekommen«, vermutete Pierre. »Selbst wenn sie sich dabei die Schädel einschlagen, haben wir keinen Vorteil davon.« Aber der dickliche Knappe irrte sich. Schritte wurden jetzt draußen auf dem Gang hörbar, die genau vor der Verliestür endeten. »Ritter Roland, seid Ihr hier drinnen?« ertönte eine halblaute Männerstimme. Roland war längst von seinem Strohlager hochgesprungen und zur Tür geeilt. »Wer seid Ihr?« Der Mann dort draußen hatte die Ruhe eines Bären. Sein Auflachen bestätigte es. »Ihr erkennt mich nicht, Roland?« Der Ritter mit dem Löwenherzen strengte seine Ohren an, aber die Stimme blieb ihm fremd. »Dabei haben wir doch erst unlängst die Klingen gekreuzt«, sprach der Mann vor der Tür weiter. Jetzt begriff Roland. »Ganelon!« »Ja«, sagte der provenzalische Junker, »ich bin es. Wartet, ich hole Euch heraus.« Roland konnte es noch gar nicht richtig fassen. Daß ausgerechnet Ganelon, ein Mann, in dessen Augen er den Haß leuchten gesehen hatte, zu seiner Befreiung gekommen war, verblüffte ihn über alle Maßen. Aber er konnte wohl davon ausgehen, daß der Junker seine Gründe noch darlegen würde. Er hörte, wie sich Ganelon am Schloß zu schaffen machte, nicht mit Gewalt, sondern mit Hilfe eines Schlüssels, den er wahrscheinlich den Wächtern abgenommen hatte. Offenbar fand er nicht auf Anhieb den richtigen, denn er benutzte mehrere.
Dann jedoch hatte er die rechte Wahl getroffen. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, traf auf keinen Widerstand mehr. Die Tür öffnete sich. Und da stand Ganelon, eine brennende Fackel in der linken Hand, ein Lächeln auf den Lippen. »Seid mir gegrüßt!« Roland trat aus dem Verlies hinaus und blickte gleich nach rechts den Gang hinunter, wo er die Wachkammer wußte. Ganelon erahnte seine Gedanken. »Macht Euch wegen der Wächter keine Sorgen«, sagte er. »Sie brauchen wir gewiß nicht mehr zu fürchten.« »Habt Ihr sie ...« »Ja.« Auch Richard und die beiden Knappen kamen jetzt eilig aus dem Verlies heraus. Im flackernden Lichtschein der Fackel sahen sie aus wie die heruntergekommensten Strauchdiebe, die man sich denken konnte. Abgerissen, schmutzig und mit wild wucherndem Bartwuchs, dem seit einer schieren Ewigkeit keine Klinge mehr Einhalt geboten hatte. Roland war sich im klaren darüber, daß sich sein eigener Anblick um keinen Deut von dem ihren unterschied. Aber das spielte jetzt wahrlich keine Rolle. Nur eins zählte jetzt: Sie konnten sich wieder bewegen, ohne von den Wänden ihres Verlieses behindert zu werden. Wie lange sie ihre wiedergewonnene Bewegungsfreiheit allerdings behaupten konnten, mußte sich noch erweisen. Die Verlieswächter hatte Ganelon außer Gefecht gesetzt. Aber damit war natürlich nur der Anfang gemacht. Der Weg zur vollkommenen Freiheit mußte noch erkämpft werden. * Die drei Verlies Wächter lagen in verkrümmter Haltung auf dem Boden. Ihre Gesichter waren verzerrt, die Glieder verkrampft, ganz so, als ob sie vor ihrem Tod noch schreckliche Schmerzen erlitten hatten.
Überall an ihnen war Blut. Fragend blickte Roland den provenzalischen Junker an. »Wie habt Ihr es geschafft, mit Ihnen fertig zu werden? Drei gegen einen, das war gewiß kein Kinderspiel.« Der hochgewachsene Mann mit den etwas düsteren Gesichtszügen schob eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. »Ich hatte mir einen Helfer mitgebracht«, sagte er und deutete auf die Scherben eines tönernen Krugs, die neben einem der Gräflichen auf den Steinplatten lagen. Erst jetzt wurde sich Roland des durchdringenden Geruchs bewußt, der in der Luft lag. Es roch intensiv nach Wein. »Ihr habt sie betrunken gemacht und dann ...« »Das allein hätte wohl nicht ausgereicht«, gab Ganelon zurück. »Ich habe ein bißchen nachgeholfen - mit Teufelswurz!« Teufelswurz ... Roland kannte dieses unscheinbare Kraut, das im Schatten feuchter Mauern wuchs und angeblich nur blühte, wenn der Mond am Himmel stand. Sein Genuß führte zu furchtbarem Bauchgrimmen und konnte sogar den Tod hervorrufen. Ganz offensichtlich hatte Ganelon die Wächter überwältigt, als sie sich vor Schmerzen wanden und kaum zur Gegenwehr fähig waren. Er warf einen besorgten Blick zu der Treppe hinüber, die nach oben führte. »Hat denn niemand etwas gehört?« Ganelon zuckte die Achseln. »Die Mauern hier unten sind dick. Aber der Turmwächter weiß, daß ich Euch einen Besuch abstatten wollte. Über kurz oder lang dürfte er nachsehen kommen, wo ich denn bleibe.« »Er soll nur kommen!« stieß Louis grimmig hervor. Er hatte einem der Getreuen Kasimirs das Schwert abgenommen und hielt es mit einer entschlossenen Gebärde in die Luft. Auch Roland bewaffnete sich. »Uns steht noch harte Arbeit bevor. Um aus der Trutzenburg herauszukommen, müssen wir die Torwächter überwältigen und ...« »Nicht nur die«, warf Ganelon ein. »Auch die Gräflichen, die den
Schwarzen Stein bewachen!« Roland sah ihn an. »Habt Ihr uns aus diesem Grund aus dem Verlies befreit?« Der Provenzale lächelte dünn. »Wenn Ihr es genau wissen wollt, ja! Meine ritterliche Bruderliebe zu Euch hält sich in Grenzen.« Roland nickte langsam. Das waren offene Worte, die Ganelon da gesprochen hatte. Sie waren nicht gerade freundlich gewesen, dafür aber ehrlich. Und das ehrte den Junker. Ebenso ehrte es ihn, daß er sich für den Schwarzen Stein einsetzte. Es wäre bestimmt einfacher für ihn gewesen, dem gierigen Grafen seinen Tribut zu entrichten und die wundertätige Reliquie an Ort und Stelle aufzusuchen. »Gut«, sagte Roland, »wir werden ...« Er hielt ein, als eine fremde Stimme hörbar wurde. »Andreas? Gotho?« Die Stimme kam von oben, und wem sie gehörte, war nicht sonderlich schwer zu erraten. »Der Turmwächter«, flüsterte Ganelon. Louis packte sein Schwert fester und setzte eine noch entschlossenere Miene auf. »Ich werde den Kerl...« »Halt!« zischte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Willst du, daß der Mann Alarm schlägt?« »Andreas? Warum bei allen Heiligen, meldet ihr euch nicht?« Unentschlossen blickten sich die Männer an. Da war es der Knappe Pierre, der die Situation rettete. Gänzlich unvermutet hob er an zu singen: Drei tapfere, wackere Ritter waren wir, Wir labten uns an Wein, Met und Bier, Und wenn wir genug getrunken hatten, Legten wir uns und schliefen wie die Ratten. Laut, grölend und mißtönend war sein Gesang, gar schrecklich anzuhören. Aber er erfüllte seinen Zweck. »Besoffene Kerle!« entrüstete sich der Turmwächter. »Wenn das der Graf erfährt...« Pierre grinste über das ganze dickliche Gesicht und ließ die nächste
Strophe erschallen: Drei tapfere, wackere Ritter waren wir, Wir galten als des noblen Standes große Zier, Denn wenn uns der feige Feind erkannte, Er sofort voll Furcht von dannen rannte. Der Turmwächter stieß eine Verwünschung aus. Im nächsten Augenblick waren seinen schweren Schritte auf der Treppe zu hören. Drei tapfere, wackere Ritter waren wir, Wir jagten stets das wildeste Getier, Und wenn wir mal das Wild nicht trafen, Dann legten wir uns einfach wieder schlafen. Jetzt hatte der Turmwächter den Fuß der Treppe erreicht. Im nächsten Augenblick bog er um die Ecke des Ganges. Roland stand bereits bereit, um ihn gebührend in Empfang zu nehmen. Der Gräfliche prallte zurück, als er des Ritters mit dem Löwenherzen ansichtig wurde. Seine Rechte fuhr zum Waffengürtel, der Mund öffnete sich zum Schrei. Aber da schlug Roland schon mit der Breitseite des Schwertes zu. Der Getreue Kasimirs wurde am Kopf getroffen, schwankte wie ein wahrhaft Betrunkener. Rolands zweiter Hieb streckte ihn endgültig zu Boden. »Gut gemacht, Roland«, lobte der Ritter Richard. »Niemand hat eine so sichere Hand wie Ihr!« Ganelon zog ob dieser Worte die Lippen schief. Auch Roland selbst ließ sich durch die Schmeichelei nicht beeindrucken. Er ließ das Schwert sinken und blickte den Junker an. »Wird man den Wächter oben nicht vermissen?« fragte er äußerst nachdenklich. »Das steht zu befürchten. Hier unten wird kaum jemand erscheinen, um nach dem Rechten zu schauen. Aber oben vor dem Vorratsturm ...« Roland betrachtete den Niedergeschlagenen, maß dann mit den Blicken Richards Gestalt. »Euer Äußeres gleicht dem seinen, Richard«, sagte er zu seinem Standesbruder. »Tauscht die Kleidung mit ihm!«
Der junge Ritter bekam große Augen. »Ich soll...« »Wenn Ihr das gräfliche Wappen auf der Brust tragt und an seiner Stelle Posten steht, schöpft vielleicht niemand Verdacht. Macht schon, Richard. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Richard erhob keinen Widerspruch, fing sofort damit, seine Oberkleidung abzulegen. Wenig später hatte er sich in einen Getreuen Kasimirs verwandelt, der an Glaubhaftigkeit kaum etwas zu wünschen übrig ließ. »Prächtig seht Ihr aus«, stellte Roland fest. »Vielleicht solltet Ihr den Grafen fragen, ob Ihr in seine Dienste treten dürft.« Mit säuerlichem Gesichtsausdruck nahm Richard die spöttische Bemerkung entgegen, entgegnete aber nichts. Vier Gräfliche waren jetzt überwältigt worden. Somit standen auch vier Schwerter zur Verfügung. Nach Louis und Roland bewaffneten sich auch Ganelon und Richard. Allein für Pierre blieb keine Klinge übrig. Der dickliche Knappe behalf sich, indem er eine handgroße Scherbe des zerbrochenen Krugs aufklaubte. In der Hand eines geschickten Mannes konnte auch dieser Notbehelf zu einer tödlichen Waffe werden. Und wenn Pierre auch etwas behäbig war, als ungeschickt konnte man ihn ganz gewiß nicht bezeichnen. Richard schritt als erster die Treppe hinauf, die anderen folgten ein paar Schritte hinter ihm. Der junge Ritter öffnete die schwere Tür, die auf den Burghof führte, und blickte zunächst vorsichtig nach draußen. Dann schlüpfte er hindurch. »Wartet noch«, raunte er. »Ich will erst sehen, ob die Luft wirklich rein ist.« Nach kurzer Zeit meldete er sich wieder. »Inzwischen scheinen sich alle Burgbewohner zur Ruhe begeben zu haben. Ich sehe niemanden!« »Wir wollen trotzdem kein Risiko eingehen«, flüsterte Roland. »Ganelon, Ihr könnt Euch doch frei bewegen, nicht wahr?« »Ja. Ich habe die große Ehre, die Gastfreundschaft Graf Kasimirs zu genießen.« »Dann geht als erster zum Donjon hinüber. Gebt Richard ein
Zeichen, wenn wir nachfolgen können.« »Gemacht!« Der provenzalische Junker trat nun ebenfalls nach draußen. Ganz offen schritt er über den Burghof auf den Hauptturm zu. Keiner begegnete ihm, keiner hielt ihn auf. Am Portal des Donjon angekommen, wartete er noch ein Weilchen. Dann ahmte er täuschend echt den Ruf eines Käuzchens nach. »Ihr könnt kommen«, sagte Richard leise. Auch Roland und seine beiden Knappen kamen nun aus dem Verliesturm heraus. Die Dunkelheit der Nacht nahm sie in Empfang. Nirgendwo konnten sie Fackellicht entdecken. Allein auf der Burgmauer war ein schwacher, rötlicher Schein auszumachen. Das Feuer selbst blieb jedoch unsichtbar, weil es durch die Brustwehr des Wehrgangs verborgen wurde. Eine tiefe Stille, die an die ewige Ruhe eines Gottesackers gemahnte, lag über der gesamten Schwarzenburg. »Los«, raunte der Ritter mit dem Löwenherzen seinen beiden Getreuen zu. Er setzte sich in Bewegung. Es wäre zweifelsohne zu riskant gewesen, Ganelons Beispiel zu folgen und quer über den Burghof zu gehen. Deshalb hielt er sich dicht an die Gebäudemauern, mit denen er in der Dunkelheit geradezu verschmolz. Pierre und Louis folgten ihm auf dem Fuße. Unbeschadet erreichten die drei Männer das Portal des Donjons, wo der Provenzale ihrer harrte. Nach ein paar schnellen, prüfenden Blicken über den Hof schlüpften sie alle ins Innere des Wohnturms und gelangten in die Eingangshalle. Vor ihnen lag zwielichtiges Halbdunkel. Zwei an den Wänden angebrachte Fackeln warfen ihren flackernden Lichtschein ins weite Rund, der sich jedoch in der ausgedehnten Halle weitgehend verlor. Ferne Stimmen drangen an die Ohren der Männer, aber es war kaum festzustellen, wo diese ihren Ursprung hatten. »Wo wird der Stein aufbewahrt?« fragte der Ritter mit dem Löwenherzen im Flüsterton. »Hier entlang«, antwortete Ganelon ebenso tonlos. Auf leisen Sohlen ging er an der breiten, zu den oberen
Stockwerken führenden Treppe vorbei und betrat einen dunklen Korridor, dessen Ende nicht zu erkennen war. Roland und seine beiden Knappen blieben dicht hinter ihm. Nach einem guten Dutzend Schritte machte der Gang einen Bogen nach links. Ganelon blieb stehen, so abrupt, daß Roland beinahe gegen ihn gelaufen wäre. Der Ritter mit dem Löwenherzen zerbiß eine Verwünschung zwischen den Lippen. Aber das plötzliche Stehenbleiben des Provenzalen war durchaus angebracht gewesen. Matter Lichtschein fiel den vier Männern entgegen. Und die Stimmen, die sie schon zuvor gehört hatten, waren lauter geworden. »Wir sind gleich da«, raunte Ganelon. Louis hob sein Schwert. »Sturmangriff?« Roland legte die Stirn in Falten, dachte angestrengt nach. Aber der provenzalische Junker hatte einen besseren Gedanken. »Mich kennen die Wächter«, flüsterte er. »Ich gehe ganz offen hin und verlange, zum Schwarzen Stein gelassen zu werden. Und wenn sie dadurch abgelenkt sind ...« »... greifen wir an!« vervollständigte Roland. Ganelon betrachtete sinnend sein Schwert, gab es dann an den Knappen Pierre weiter. »Jemand, der den Segen der Reliquie erflehen will, darf keine Waffe bei sich tragen« , sagte er. Nach diesen Worten marschierte er los, ohne sich dabei Mühe zu geben, seine Annäherung zu verbergen. * »Seid Ihr toll, Junker? Schert Euch weg und kommt gefälligst morgen wieder!« Der Getreue Kasimirs machte ein ausgesprochen wütendes Gesicht. Und auch die anderen beiden Wächter blickten Ganelon nicht gerade freundlich an. Wie ernst die drei Männer ihren Wachdienst nahmen, war schon daran zu erkennen, daß sie sich nicht mit einem Würfelspiel beschäftigten, sondern ihre ganze
Aufmerksamkeit der Tür widmeten, hinter der das Heiligtum aus dem Kloster ruhte. Ganelon ließ sich durch die schroffe Ablehnung nicht beeindrucken. Er preßte eine Hand gegen den Unterleib und gab ein Stöhnen von sich. »Ich ... leide Höllenqualen«, sagte er, wobei er nicht einmal die Unwahrheit sprach. »Laßt mich hinein, ich flehe Euch an!« »Nicht mitten in der Nacht, morgen! Und nun ...« »Elender Leuteschinder!« schimpfte Ganelon. Und dann ging er mit ausgestreckten Händen auf den Sprecher der Wachposten los und packte ihn am Hals. Der Mann war von dieser Attacke vollkommen überrascht, kam gar nicht dazu, sich zur Wehr zu setzen. Er mußte es hinnehmen, daß ihn Ganelon gar kräftig würgte. »Öffnet die Tür, sonst drehe ich Euch den Hals herum!« Da griffen die beiden anderen Gräflichen ein. Sie langten nach Ganelon, wollten ihn wegzerren. Aber der Junker ließ das nicht so einfach mit sich machen, lockerte seinen Würgegriff nicht. Die Geräusche des Handgemenges und das laute Keuchen der Männer erfüllte den Korridor. Darauf hatten Roland und seine beiden Knappen gewartet. Es wurde Zeit für sie ... »Kommt!« zischte der Ritter »mit dem Löwenherzen. Und dann lief er bereits los, das Schwert in der erhobenen Faust. Louis und Pierre eilten hinter ihm her. Nur wenige Augenblicke brauchten die drei Gefährten, um den Schauplatz des Handgemenges zu erreichen. Es sah nicht gut aus für Ganelon. Die drei Gräflichen waren dabei, ihm gehörig die Fideltöne beizubringen. Aber sie taten das nur mit den Fäusten, nicht mit der blanken Waffe. Und sie waren so in ihre Beschäftigung vertieft, daß sie Roland und die Knappen erst bemerkten, als diese unmittelbar vor ihnen standen. »Ritter ... Ro...« stieß der eine entgeistert hervor. Weiter kam er nicht. Roland hätte ihm das Schwert mitten in den Leib jagen können. Aber das tat er nicht, weil es ihm wie das
Abschlachten eines Stück Viehs vorgekommen wäre. Statt dessen setzte er wieder die Breitseite des Schwertes ein. Der Schlag riß dem Mann den Kopf in den Nacken. Er bekam sofort glasige Augen und kippte um wie ein übervoller Hafersack. Gleichzeitig wollte sich Louis den zweiten Wächter vornehmen. Aber dieser Gräfliche ließ sich nicht so einfach überrumpeln. Er wußte sich zu helfen. Er hielt Ganelon von hinten umklammert. Als der glutäugige Knappe mit dem Schwert auf ihn eindrang, gab er dem Junker einen Stoß. Mit Vehemenz wurde Ganelon gegen Louis geschleudert. Und dem wäre um ein Haar das arge Mißgeschick unterlaufen, den eigenen Kampfgenossen mit der Klinge zu entleiben. Auch Pierre sah sich Schwierigkeiten gegenüber. Der dritte Mann hatte Ganelon unverzüglich losgelassen und sein Schwert hervorgerissen. Als der dickliche Knappe den ersten Streich führte, parierte der Gräfliche den Hieb. Und schon ging er seinerseits zum Angriff über. Aber mittlerweile hatte Roland die Hand wieder frei. Er stoppte die Gegenattacke des Gräflichen und gab Pierre dadurch Gelegenheit, den zweiten Streich zu führen. Und diesmal bewies der Knappe, daß er sehr wohl mit dem Schwert umzugehen verstand. Mit einem gurgelnden Aufschrei brach der Getreue Kasimirs zusammen. Damit stand nur noch ein Wächter auf den Beinen. Und auch seine Zeit war gezählt. Ganelon sprang zur Seite, um Louis nicht weiter zu behindern. Und der nutzte seine Bewegungsfreiheit. Der Gräfliche unternahm den verzweifelten Versuch, noch rechtzeitig nach seiner Streitaxt zu greifen, aber er schaffte es nicht mehr. Louis' Klinge war schneller. Roland brauchte nicht mehr einzugreifen. Befriedigt blickten sich die Kampfgefährten an. Die Auseinandersetzung mit den Wächtern hatte nur wenige Augenblicke gedauert, und keiner von ihnen hatte eine Blessur davongetragen. Nun konnten sie nur noch hoffen, daß niemand im Turm etwas gehört hatte. Ganelon machte sich gleich daran, einen der am Boden Liegenden
abzutasten. Fast auf Anhieb wurde er fündig. »Wußte ich doch, daß dieser Kerl ihn hatte!« Triumphierend hielt er einen Schlüssel hoch in die Luft. Ein paar Herzschläge später hatte er den Schlüssel ins Schloß gesteckt und herumgedreht. Dann stieß er die schwere Eisentür auf. Dunkelheit lag vor den vier Männern. Aber dem ließ sich leicht abhelfen. Roland nahm die an der Außenwand befestigte Fackel aus ihrer Halterung und ging dann als erster in den Reliquienraum. Er sah den Schwarzen Stein sofort. Und war bitter enttäuscht. Er wußte nicht genau, was er eigentlich erwartet hatte. Dieser schwärzliche, unregelmäßig geformte Gesteinsbrocken, der da in einem goldenen Schrein lag, sah so alltäglich, so gewöhnlich aus, daß er ihm unter normalen Umständen keinen zweiten Blick geschenkt hätte. Ganelon hingegen sah das ganz anders. Im Licht der Fackel erkannte Roland, wie ein Leuchten in seine Augen trat. Geradezu hastig drängte sich der Provenzale an ihm vorbei und eilte mit schnellen Schritten auf den Schrein zu. Schon hatte er hineingegriffen und den Stein in seinen Besitz gebracht. Etwas überrascht nahm Roland zur Kenntnis, daß er dabei leicht schwankte. Er schien schwächlicher zu sein, als es bisher geschienen hatte. Während Louis draußen vor der Tür stehengeblieben war, hatte auch Pierre den Raum betreten. Blicke, aus denen die pure Neugier sprach, gingen zu Ganelon hinüber. »Und?« fragte er gespannt. »Spürt Ihr schon, wie alle Leiden von Euch abfallen?« »Nein, mein Freund«, antwortete der Junker. »Ich fürchte, daß meine Gedanken gegenwärtig nicht von der Milch der frommen Denkungsart genährt werden. Man muß reinen Herzens sein, um ...« »Hört auf, mit dem überflüssigen Gerede«, fuhr Roland dazwischen. »Wir haben jetzt wahrlich Besseres zu tun!« »Recht habt Ihr«, stimmte ihm Ganelon zu. »Für uns ist jetzt nur eins wichtig: die Schwarzenburg so schnell wie möglich zu
verlassen!« »Dann kommt!« Wenig später standen die Gefährten wieder am Portal des Donjon. Noch immer war im Wohnturm alles ruhig. Und auch auf dem Burghof ließ sich niemand blicken. Alles sprach dafür, daß die Burgbewohner nach wie vor nicht die geringste Ahnung davon hatten, was in der Zwischenzeit geschehen war. Angestrengt blickte Roland zur Burgmauer hinüber. Er konnte die Torwächter nicht sehen, aber er wußte, daß sie da waren. Keine Frage, das schwerste Stück Arbeit lag noch vor ihnen. »Wißt Ihr, wo die Stallungen liegen?« fragte er den Provenzalen. Als er die Burg betreten hatte, war alles so schnell gegangen, daß er sich gar nicht dafür interessiert hatte. »Ja. Sie sind in dem flachen Anbau neben dem dritten Turm untergebracht.« »Gibt es Wächter?« »Ich weiß nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, daß es einen oder auch mehrere Stallknechte gibt.« »Mit denen sollten wir ohne viel Federlesens fertig werden.« Roland wandte sich an seine Knappen. »Louis, Pierre, schleicht euch zum Stall hinüber und besorgt fünf Pferde. Und wenn ihr seht, daß die Zugbrücke heruntergelassen ist, dann kommt damit zum Tor.« »Ja, Ritter Roland.« Louis und Pierre wollten schon in der Dunkelheit verschwinden, da hielt Roland sie noch einmal zurück. »Nehmt den Schwarzen Stein mit«, sagte er. »Junker Ganelon braucht seine Hände für die Torwächter.« Der Provenzale preßte die Reliquie an sich wie eine treue sorgende Mutter ihren Säugling. »Nein!« Roland zog die Augenbrauen hoch. »Wie meint Ihr?« »Um nichts in der Welt trenne ich mich von dem Stein! Euer Knappe Louis soll mit Euch zur Brücke gehen. Er versteht sich drauf, mit dem Schwert zu kämpfen. Ich und Pierre holen die Pferde!«
»Gut, wenn Ihr meint...« Roland fand es müßig, jetzt einen Streit vom Zaume zu brechen. Außerdem war ihm Louis als Kampfgenosse im Grund genommen auch lieber als der Junker. Pierre und Ganelon huschten, eng an die Turmwand gedrückt, mit dem Stein davon. Einen hätte Roland beinahe vergessen: den Ritter Richard, der vor dem Verliesturm die Rolle eines gräflichen Wächters übernommen hatte. Diese Rolle konnte er jetzt ablegen, denn er wurde an der Brücke nötiger gebraucht. Er ließ den Klageruf des Käuzchens erschallen. * Roland, Louis und Richard standen geduckt am Fuß der schiefen Ebene, die zu dem erhöht liegenden Burgtor hinaufführte. Den Hof unbemerkt zu überqueren, war ihnen gelungen. Aber ob ihnen das Glück auch weiterhin treu bleiben würde, mußte sich noch herausstellen. Die Wächter saßen irgendwo auf der Mauer, die links und rechts vom Tor in die Höhe wuchs. Und wenn sie ihre Aufmerksamkeit nicht nur der Nacht jenseits des Grabens widmeten... Aber es half nichts. Nur der Weg über die Rampe führte letzten Endes in die Freiheit. »Wohlan denn!« Immer noch in geduckter Haltung betraten die drei Männer die Rampe und hasteten nach oben. Und da geschah es schon ... »Halt!« kam eine scharfe Stimme von oben. Unwillkürlich verhielten Roland und seine beiden Gefährten den Schritt. Sie konnten den Anrufer nicht sehen, weil er durch die Mauerbrüstung verdeckt wurde. Aber sie waren sich ziemlich sicher, daß er rechts vom Tor steckte. »Was wollt Ihr? Und wer ... « »Der Ritter Roland!« ertönte eine zweite Stimme.
Damit waren die Würfel gefallen. Jetzt halfen keine Spiegelfechtereien mehr, keine Vorwände. Jetzt half nur noch die Tat an sich. »Weiter!« zischte Roland und begann wieder zu laufen. Mit langen Schritten hetzte er die schiefe Ebene empor, stand ein paar Augenblicke später vor dem Tor, das durch die hochgezogene Zugbrücke versperrt wurde. Aber er hatte keine Ahnung, wo sich die Winde befand, mit der die Brücke heruntergelassen werden konnte. Wahrscheinlich oben auf der Mauer. Was kommen mußte, trat ein. Die Wächter erhoben ein lautes Geschrei. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die ganze Burg aus dem Schlaf erwacht war. Wild blickte sich Roland um. Ein paar Schritte weiter rechts nahm er die schattenhaften Umrisse einer schmalen Steintreppe wahr, die zur Mauerkrone hochführten. Das war der Weg, den er nehmen mußte. Schon stürmte er weiter, die steinernen Stufen hinauf. Eine dunkle Gestalt tauchte am oberen Ende der Treppe auf. Ein surrendes Geräusch wurde hörbar. Aus dem Lauf heraus ließ sich der Ritter mit dem Löwenherzen nach vorne fallen, machte dabei unliebsame Bekanntschaft mit dem kantigen, harten Stein. Aber dies war gewiß nur das kleinere Übel. Der Pfeil, den der Torwächter auf ihn abgeschossen hatte, pfiff so dicht über seinen Haarschopf hinweg, daß er den Luftzug spürte. Bevor der Gräfliche einen zweiten Pfeil auf die Sehne legen konnte, stand Roland schon wieder auf den Füßen und hetzte weiter nach oben. Er hatte keine Zeit, sich nach Louis und Richard umzusehen. Aber er hörte an den Fußtritten der beiden, daß sie dicht hinter ihm waren. Zwei weitere Burgwächter erschienen jetzt neben dem Bogenschützen. Matt glänzten die Klingen ihrer Schwerter im schwachen Mondlicht. Roland ließ sich dadurch nicht beirren. Er hielt sein eigenes Schwert längst in der Hand und war zum Kampfe bereit. Noch drei, vier Stufen ...
Gleichzeitig hieben die beiden Gräflichen mit dem Schwert auf ihn ein. Damit hatte Roland jedoch gerechnet. Er riß seine Klinge rechtzeitig hoch und parierte die Doppelattacke. Aber die Wucht der Schläge brachte ihn dennoch in Verlegenheit. Auf der schmalen Treppe mußte man sorgsam darauf achten, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und das war jetzt bei Roland gestört. Beinahe wäre er nach rechts getorkelt, was seinen Absturz bedeutet hätte, weil es kein Geländer gab. Mit Mühe und Not schaffte er es, sein Körpergewicht auf den anderen Fuß zu verlagern und dadurch den Fall zu vermeiden. Erneut zuckten die Schwerter der Torwächter auf ihn zu. Diesmal hielt der Ritter mit dem Löwenherzen nicht mit der Waffe dagegen, sondern duckte die Schläge ab, indem er blitzschnell in die Knie ging. Dann sprang er, aus der Hocke wieder hockommend, nach vorne. Mit Kopf und Schultern prallte er gegen die Beine der Gräflichen. Auf diese Aktion waren die beiden Schwertschwinger nicht gefaßt. Jetzt hatten sie Schwierigkeiten, sich auf den Füßen zu halten. Aber da war auch noch der Mann mit dem Bogen. Er hatte seine Waffe inzwischen wieder gespannt, legte auf Roland an. Rolands Schwert zuckte von unten nach oben und traf den Bogen. Der Pfeil löste sich von der Sehne, stieg aber harmlos zum dunklen Nachthimmel empor. Im nächsten Augenblick hatten auch Richard und Louis die Treppe bewältigt. Sofort warfen sie sich den beiden anderen Wächtern entgegen. Ihre Schwerter fuhren durch die Luft wie die Schwingen eines Beute schlagenden Raubvogels. Roland konnte seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit jetzt dem Bogenschützen widmen. Und der war kein Gegner für ihn. Der Mann hatte seinen nutzlosen Bogen weggeworfen und griff nun nach seinem Schwert. Roland streckte ihn nieder, bevor er es auch nur halb aus dem Gehenk gezogen hatte. Schnell blickte sich der Ritter mit dem Löwenherzen nach allen Seiten um. Drüben im Hauptturm flackerte an verschiedenen Stellen
Lichtschein auf. Laute Stimmen drangen herüber. Die Alarmrufe der Torwächter hatten ihren Zweck erfüllt. Die Schwarzenburg erwachte... Gehetzt hielt Roland Ausschau nach der Brückenwinde. Irgendwo hier oben mußte die Vorrichtung angebracht sein. Und dann sah er sie - unterhalb der Mauerbrüstung, nur wenige Schritte von der Treppe entfernt. Richard und Louis kämpften unterdessen wie die Löwen, kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Und dieser Kampfeswille trug seine Früchte. Sie gewannen die Oberhand. Louis hatte seinen Gegner an den Treppendurchgang gedrängt. Eine Finte, auf die der Gräfliche hineinfiel, dann der Stoß. Mit einem gellenden Schrei stürzte der Burgwächter rücklings die Stufen hinunter. Auch Richard wurde seines Widersachers Herr. Der Gräfliche blutete aus einer Handwunde, konnte sein Schwert kaum noch halten. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis er den Attacken des jungen Ritters endgültig erlag. Der unmittelbaren Sorge um seine Kampfgenossen ledig, kümmerte sich Roland um die Brückenwinde. Bei den herrschenden Lichtverhältnissen war es schwierig, sich auf Anhieb mit dem Mechanismus vertraut zu machen. Es gab mehrere Möglichkeiten, eine Zugbrücke zu bedienen. Welche hier zum Tragen kam, mußte er erst noch herausfinden. »Vorsicht, Ritter Roland!« riß ihn Louis' Alarmschrei aus seinen Überlegungen. Roland dachte nicht lange über Sinn und Zweck des Rufes nach. Sicherheitshalber ließ er sich, wo er gerade stand, zu Boden fallen. Das war sein Glück ... und Richards Unglück. Wieder kam ein Pfeil herangeflogen, der ganz dicht über Roland hinwegsurrte. Richard hingegen konnte nicht mehr ausweichen. Das gefiederte Geschoß traf ihn in den Rücken, gerade als er seinem gräflichen Gegner den letzten Streich verabreichen wollte. Roland fuhr wieder hoch und erkannte, daß der Pfeil auf der Mauer abgeschossen war. Drüben auf der anderen Seite, durch die
hochgezogene Brücke von ihnen getrennt, sah er die dunkle Gestalt des Schützen, der sich gerade anschickte, nach einem zweiten Pfeil zu greifen. Die Entfernung betrug nur wenige Klafter, war gering genug, einen gut gezielten Schuß anzubringen. Aber dazu wollte es der Ritter mit dem Löwenherzen nicht kommen lassen. Der Gräfliche fühlte sich sicher, weil er wußte, daß Roland und seine Gefährten über keine Bogen verfügten. Zu sicher fühlte er sich, so daß er gar nicht daran dachte, sich um Deckung zu bemühen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Roland packte sein Schwert wie eine Lanze. Und dann schleuderte er die Waffe mit aller Kraft zur anderen Seite der Burgmauer hinüber. Mit einem erstickten Aufschrei verschwand der Getreue des Grafen aus seinem Blickfeld. Louis hatte unterdessen den Mann, mit dem Richard im Kampf gewesen war, übernommen. Schnell war er auf der Siegerstraße, denn der am Arm Verletzte hatte dem wütenden Ungestüm des Knappen nicht mehr viel entgegenzusetzen. »Ro ... land!« Richards Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Der junge Ritter lag seitlich auf dem Boden, den Kopf weit im Nacken, die Arme kraftlos neben sich. Roland beugte sich über ihn. »Richard! Wie steht es um Euch?« »Es ... ist aus mit mir.« Roland wußte, daß es unsinnig gewesen wäre, jetzt begütigende Worte von sich zu geben. Er hatte einen Sterbenden vor sich, das war ganz offensichtlich. Und auch Richard selbst gab sich keinen trügerischen Hoffnungen hin. »Hört... zu, Roland«, preßte er hervor. »Ich ... ich muß Euch noch etwas ... sagen.« »Sprecht, Richard.« Roland war sich im klaren darüber, daß ihm die Zeit davonrannte. Und wenn er auch mit dem jungen Ritter nicht auf bestem Fuß gestanden hatte, so war er es ihm doch schuldig, ihn in seinen letzten Augenblicken nicht im Stich zu lassen. »Ich ... ich habe an der Wallfahrt nicht teilgenommen, weil ich ein todkranker Mann war. Der Grund war vielmehr der, daß ... daß ich
Euch töten wollte.« Roland glaubte nicht recht zu hören. »Ihr wolltet mich umbringen?« »Ja.« »Aber warum, um des Himmels willen?« »Man hat mich dazu ... gezwungen. Ihr habt einen Feind, Roland. Einen unversöhnlichen ...« Die Stimme des Sterbenden war so leise geworden, daß Roland kaum noch ein Wort verstehen konnte. Er beugte sich noch tiefer zu Richard hinunter. »Wer ist dieser Feind, Richard? Sagt es mir!« »Es ist ...« Richard konnte nichts mehr sagen. Seine gebrochenen Augen starrten zum Nachthimmel empor. Zwei, drei Sekunden blieb Roland unbeweglich neben ihm hocken. Er mußte die letzten Worte des jungen Ritters erst einmal richtig verdauen. Aber dazu blieb ihm jetzt keine Zeit. Es war laut geworden in der Schwarzenburg. Unten auf dem Burghof schwirrten Stimmen hin und her. Hastende Schrittgeräusche drangen zur Mauer empor. Fackelschein geisterte durch die Nacht. »Ritter Roland!« Louis drängende Stimme ließ Roland hochfahren. Der Knappe hatte seinen Gegner inzwischen niedergestreckt und war an die Winde herangetreten. Roland trat an seine Seite, nicht ohne vorher Richards Schwert an sich zu nehmen. »Eine Wippbaumvorrichtung«, stellte Louis sachverständig fest. »Wenn wir die Kette abrollen lassen ...« »Dazu fehlt uns die Zeit«, erwiderte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Tritt zur Seite!« Der Knappe tat wie geheißen. Roland hob sein Schwert und ließ es mit aller Macht auf das obere Ende der Kette krachen. Es war nicht seine Absicht, die Glieder zu durchtrennen, was ihm auch kaum gelungen wäre. Vielmehr wollte er die Kette aus ihrer Verankerung lösen, wodurch derselbe Effekt eintreten würde. Wieder und wieder schlug er zu. Die Funken stoben, als Metall auf Metall traf, und
Roland fürchtete schon, daß das Schwert jeden Augenblick durchbrach. Aber die Klinge hielt, und ein knirschendes Geräusch verriet ihm, daß sich die Kette langsam löste. Noch zwei weitere wuchtige Schläge, und dann ... Die Winde drehte sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit, als das ganze Gewicht der Zugbrücke an der gelösten Kette riß. Im nächsten Augenblick war es so, als würde sich ein ganzes Gewitter in einem einzigen gewaltigen Donnerschlag entladen. Die Brücke krachte nach unten. »Komm, Louis!« Roland hastete zu der schmalen Treppe, die zum nun geöffneten Tor führte. Er flog die Stufen förmlich hinunter, und sein Knappe tat es ihm gleich. Ein paar Herzschläge später lag die Freiheit lockend vor den beiden Männern. Aber noch konnten sie den Weg über den Burggraben nicht beschreiten. »Wo, beim Beelzebub, bleiben Pierre und dieser Ganelon?« stieß Louis hervor. Nichts war zu sehen von den beiden Kampfgenossen. Aber es kamen andere. Das Herunterkrachen der Zugbrücke hätte auch dem einfältigsten Toren klargemacht, was gespielt wurde. Und die Getreuen Graf Kasimirs waren keine Toren. Schon stürmten die ersten von ihnen die schiefe Ebene hoch. Roland und Louis stellten sich in Positur. Nur zu gut wußten sie, daß sie der Übermacht der Gräflichen nicht lange standhalten konnten. Eine Flucht über die Brücke jedoch wäre ihnen wie ein schnöder Verrat an Pierre und Ganelon vorgekommen. Nur noch wenige Klafter, dann würden die Getreuen Kasimirs heran sein. Sechs, sieben Männer waren es. Und jeder einzelne von ihnen trug eine Waffe in der Hand. Dann jedoch wandelte sich das Bild ... Hufschläge wurden laut, jagende Hufschläge. Und schon preschten sie heran, zwei Reiter und fünf Pferde. Sie erreichten die Rampe, galoppierten sie hinauf. Die Gräflichen blieben stehen, fuhren herum. Aber sie konnten die wilde Jagd nicht aufhalten. Ganelon und Pierre hetzten die Pferde
geradewegs auf sie los. Zwei, drei konnten im letzten Augenblick zur Seite springen, die anderen waren nicht in der Lage, dem Verhängnis zu entgehen. Sie wurden regelrecht über den Haufen geritten, bevor sie ihre Waffen heben konnten. Vor der Brücke ließen es Ganelon und Pierre langsamer angehen, um den beiden wartenden Männern Gelegenheit zu geben, aufzuspringen. Dann donnerten die Hufe der Pferde über die Brücke. Das Wutgeheul der Getreuen Kasimirs begleitete die Flüchtenden in die lang ersehnte Freiheit. * Eine ganze Zeit lang ließen Roland und seine Gefährten die Pferde galoppieren. Erst als sie sich ganz sicher waren, daß sie nicht verfolgt wurden, gingen sie zum Schrittempo über. Schließlich wollten sie ihre Reittiere nicht überfordern. Der Weg zum Kloster war noch weit. Die Dunkelheit lag wie ein schwarzer Mantel über der nächtlichen Landschaft. Es war weitgehend hügeliges Gelände, das die Männer durchzogen. Baumgruppen und zusammenhängende kleinere Waldstücke säumten den Weg, der auch bei den herrschenden Lichtverhältnissen recht gut begehbar war. Roland, der zum ersten Mal in dieser Gegend war, hätte sich das Riesengebirge wilder und unzugänglicher vorgestellt. »Reiten wir die ganze Nacht hindurch, Ritter Roland?« erkundigte sich Pierre. »Ja. Wir müssen davon ausgehen, daß Graf Kasimir sich spätestens bei Anbruch der Morgendämmerung an die Hufe unserer Pferde heften wird. Bis dahin sollten wir zusehen, daß wir das Kloster erreicht haben.« »Ihr glaubt, Kasimir kommt ebenfalls zum Kloster?« »Gewiß. Er wird sich leicht ausrechnen können, daß wir den Schwarzen Stein nur im Auftrag der Mönche zurückgeholt haben.« »Aber dann ist der Stein im Kloster doch nicht sicher!«
»Du hast recht, Pierre. Abt Albian und seine Klosterbrüder werden sich etwas einfallen lassen müssen, um ihr Heiligtum dauerhaft zu schützen. Was meint Ihr, Ganelon?« Roland wandte sich im Sattel um, aber er sah den Provenzalen nicht. »Ganelon?« Es kam keine Antwort. Roland runzelte die Stirn und zügelte seinen Samum. »Wo, bei allen Heiligen, ist er geblieben? Er war doch soeben noch dicht hinter uns!« Auch Pierre und Louis hielten an. Letzterer legte den Kopf schief und lauschte angestrengt. »Ich höre seinen Hufschlag«, sagte er. »Aber er kommt nicht näher, sondern ... entfernt sich von uns!« Auch Roland hörte den fernen Hufschlag, wenn auch sicher nicht so deutlich wie sein Knappe. Louis hatte die Ohren eines Luchses. Scherzhaft hatte er schon mal gesagt, daß er in der Lage sei, selbst das Gras wachsen zu hören. »Bist du ganz sicher, daß sich Ganelon von uns entfernt, Louis?« »Ganz sicher«, bestätigte der Knappe. »Er ist... dort!« Mit ausgestreckter Hand deutete er nach Nordosten, während die Gefährten genau aus östlicher Richtung gekommen waren. »Warum tut er es?« sinnierte Pierre. »Ob er vielleicht vom Weg abgekommen ist?« »Das kann ich mir kaum vorstellen«, erwiderte Roland. »Er war unmittelbar hinter uns, konnte sich also gar nicht verirren. Aber wir werden es bald genau wissen. Wartet hier auf mich!« Er wendete seinen Hengst auf der Hinterhand und sprengte den Weg zurück, den er gekommen war. Zunächst war ihm das Abbiegen nach Nordosten nicht möglich, weil eine mit Fichten bewachsene Felswand als Hindernis im Wege stand. Am Ende der Felsen jedoch konnte er sich nach links orientieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich auch Ganelon an dieser Stelle abgesondert. Das Gelände, über das er jetzt ritt, war uneben und mit Geröll übersät. Dennoch hatte Samum kaum Schwierigkeiten. Leichtfüßig huschten die Hufe des edlen Tieres über den Untergrund hinweg.
Viel leichtfüßiger als das Pferd des provenzalischen Junkers, dessen Hufschlag Roland jetzt schon recht deutlich hörte. »Ganelon, wartet doch!« Entweder hatte der Junker seinen Ruf nicht gehört, oder er wollte ihn nicht hören. Er gab jedenfalls keine Antwort, ritt ungerührt weiter. Allzu weit konnte er jedoch nicht mehr entfernt sein, auch wenn er mit den Augen noch nicht auszumachen war. Roland schnalzte mit der Zunge. Samum verstand sofort, ließ seine kräftigen Beine noch weiter ausgreifen. Fraglos konnte es nicht mehr lange dauern, bis Ganelon in Sichtweite kommen mußte. Dann allerdings verklangen die Hufschläge vor Roland plötzlich. War der Junker doch stehengeblieben? »Ganelon?« Wieder kam keine Antwort. Achselzuckend setzte der Ritter mit dem Löwenherzen seinen Ritt fort. Wenig später wußte er, warum er Ganelon nicht mehr hören konnte. Der steinige Untergrund hörte auf, wich weichem Boden, der mit Fichtennadeln übersät war, so daß er einem Teppich ähnelte. Trotzdem lief Roland kaum Gefahr, den Anschluß zu verlieren. Es war eine Art Hohlweg, durch den er jetzt ritt. Die Felsen links und rechts erschienen ihm nicht passierbar. Der neue Boden behagte Samum sehr. Wie ein Pfeil flog der Hengst jetzt dahin. Und dann sah Roland vor sich schattenhafte Bewegung. Ein Kiefernast, der vom Nachtwind geschüttelt wurde? Nein, es handelte sich unzweifelhaft um ein Pferd mit Reiter. »Ganelon!« Obwohl ihn der Junker diesmal unbedingt gehört haben mußte, setzte er seinen Ritt auch jetzt noch fort. »Warte, Bube«, sagte Roland zu sich selbst. Abermals schnalzte er mit der Zunge, und sein Hengst wurde noch schneller. Länge um Länge holte er auf. Sehr bald schon war er so nahe heran, daß er Ganelon eindeutig erkennen konnte. Er ersparte es sich, den Provenzalen nochmals anzurufen. Statt
dessen beugte er sich ganz dicht über den Hals seines Reittiers und feuerte es mit weiteren Schnalzlauten an. Augenblicke später war Ganelon zum Greifen nahe. Noch ein paarmal griff Samum kräftig aus, dann waren die beiden Reiter auf einer Höhe. »Ganelon, seid Ihr ...« Weiter kam Roland nicht. Der Provenzale machte unvermutet eine ruckartige Bewegung im Sattel und riß den rechten Arm hoch. Eine Schwertklinge blinkte. Und schon schnitt die Waffe durch die Luft. Im letzten Augenblick sah Roland sie kommen. Blitzschnell warf er seinen Körper nach links. Ganelons Klinge pfiff so dicht über seinen Kopf, daß einige Haarspitzen glatt abgetrennt wurden. Sein Ausweichmanöver war äußerst heftig gewesen. Beinahe wäre er aus dem Sattel gestürzt. Mit Mühe und Not gelang es ihm, sich am Zaumzeug festzuklammern und sich auf dem Rücken Samums zu halten. Im Handumdrehen hatte Ganelon wieder einen Vorsprung von mehreren Pferdelängen. Aber das half ihm nicht viel. Roland richtete sich wieder im Sattel auf. »Heimtückischer Schurke!« rief er wütend. »Aber das büßt Ihr mir!« Mit grimmigem Gesichtsausdruck zog er sein eigenes Schwert aus dem Gehenk. Dann setzte er dem Provenzalen nach. Schnell hatte er den Abstand wieder verkürzt. Noch zwei Längen, eine Länge ... Er hob das Schwert. Da tat Ganelon etwas Überraschendes. Er riß vehement an den Zügeln, so daß sein Pferd aus dem Galopp beinahe zum Stillstand kam. Auf dieses Manöver war Roland nicht vorbereitet, er jagte an seinem Widersacher vorbei. Und wandte ihm für einen Augenblick den Rücken zu. Diesen Augenblick nutzte Ganelon. Sein Schwertarm fuhr heraus, und die mörderische Klinge zuckte auf Roland hernieder. Es war sein Pferd, das ihn rettete. Als ob das brave Tier geahnt
hätte, daß sein Herr in tödlicher Gefahr war, bockte es plötzlich. Dadurch wurde Rolands Körper in die Höhe gerissen. Ganelons tückischer Schlag ging fehl. Höllischer Zorn durchfuhr den Ritter mit dem Löwenherzen. Zweimal hatte ihn der Provenzale mit hinterlistigen Attacken überrascht. Ein drittes Mal würde es nicht geben. Er riß Samum herum, so daß sich die beiden Pferde gegenüberstanden. Ein Schenkeldruck und sein Hengst jagte auf Ganelon zu. Oft schon hatte Roland so im Turnierring gekämpft. Jetzt jedoch ging es nicht um den Sieg im ritterlichen Wettstreit, jetzt ging es um Leben und Tod. Auch Ganelon wußte das. Aufgerichtet saß er im Sattel, das Schwert zum Kampf bereit. Roland war heran. Sein Schwert wirbelte durch die Luft und krachte dann auf den Provenzalen herunter. Ganelon schaffte es, den mächtigen Hieb, der seinen Körper zweifellos in zwei Hälften gespalten hätte, zu parieren. Aber es saß eine solche Wucht hinter dem Schlag, daß er aus dem Sattel geschleudert wurde. Er fiel so unglücklich auf sein Schwert, daß er sich selbst die Kehle durchschnitt. Als sich Roland über ihn beugte, war er bereits tot. * Im Kloster zum Schwarzen Stein wurden Roland und seine beiden Knappen wie Helden empfangen. Der Abt Albian und seine Brüder waren außer sich vor Freude, daß sie ihr Heiligtum wieder Innerhalb ihrer Klostermauern wußten. Und Graf Eduard, der dicke Kaufmann Mehlsack und Bruder Gotthilf waren nicht weniger froh. Mit Macht drängte es sie danach, die wundertätigen Kräfte des Schwarzen Steins unverzüglich in Anspruch zu nehmen. Überall herrschte eitel Freude und Sonnenschein. Nur in ein Herz, das fürchtete Roland, würde die Trauer einziehen - in das Herz der schönen Eloise. Er fand das Mädchen in der kleinen Mönchszelle, die ihr während des Aufenthalts im Kloster als Wohnstatt diente. Sie saß auf der
schmalen Pritsche und blickte ihm mit einem nur schwer deutbaren Gesichtsausdruck entgegen. Nie war sie dem Ritter mit dem Löwenherzen schöner erschienen als jetzt. »Ich wußte, daß Ihr zu mir kommen würdet, Roland«, sagte sie. »Deshalb habe ich mich auch nicht an der allgemeinen Begrüßung draußen auf dem Hof beteiligt.« Roland trat näher und blieb etwas unschlüssig vor der Pritsche stehen. Er wußte nicht so recht, wie er mit dem, was er sagen mußte, beginnen sollte. »Setzt Euch doch, Roland.« Roland nahm neben ihr auf der Pritsche Platz. Ihre Nähe erregte ihn, obwohl er sehr wohl wußte, daß dies wahrlich nicht der rechte Augenblick war, um Gedanken der Sinneslust zu hegen. »Ich ... muß Euch etwas mitteilen, Jungfer Eloise«, sagte er schleppend. »Über Euren ... Bräutigam...« »Ich habe keinen Bräutigam«, antwortete Eloise zu seiner nicht gelinden Überraschung. Er zog die Augenbrauen hoch. »Ganelon ...« »... war mein Bräutigam«, fuhr das Mädchen fort. »Ich liebte ihn von ganzem Herzen und wäre mit Freuden für ihn gestorben - bis ich mir bewußt wurde, daß er meine Liebe nicht verdiente. Bis ich merkte, daß er nur an sich selbst dachte und ein Herz aus Stein hat. Bis ich hörte, daß er ein Dieb und Mörder ist.« Bis jetzt war Roland nicht bekannt gewesen, daß Ganelon die Klosterkapelle ausgeraubt und dabei einen Mönch so schwer verletzt hatte, daß er am nächsten Morgen gestorben war. Und noch etwas erfuhr er jetzt. Eloise stand auf, trat an den kleinen Wandschrank und holte etwas hervor. Den Schwarzen Stein! Aber nein, wurde sich Roland sofort klar. Er hatte die Reliquie in die Obhut des Abts gegeben. Der Stein, den das Mädchen da jetzt in den Händen hielt, mußte also eine Nachahmung sein. Eloise bestätigte seine Vermutung. »Ganelon hatte diesen Stein hier unter seiner Pritsche versteckt. Es ist ein normaler Felsbrocken, mit Pech geschwärzt. Ganz offensichtlich war es Ganelons
betrügerische Absicht gewesen, den falschen gegen den echten Stein auszutauschen und letzteren in seinen Alleinbesitz zu bringen. Allerdings war ihm Graf Kasimir zuvorgekommen!« Das Mädchen legte den Stein wieder in den Schrank und kehrte zur Pritsche zurück. »Wie ich schon sagte«, fuhr sie fort. »Ganelon dachte nur an sich. Er wollte das Heiligtum mit niemandem teilen, wollte ihn für sich ganz allein haben.« Roland nickte langsam. »Deshalb hat er auch den Versuch unternommen, mit dem Stein zu fliehen. Und diese Selbstsucht wurde ihm dann auch zum Verhängnis.« Eloise sah ihn an. »Er ist... tot?« »Ja. Er hat sich sozusagen selbst gerichtet. Seid Ihr nun... traurig, Jungfer Eloise?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ganelon war bereits für mich gestorben, als er nach dem Kapellenraub das Kloster verlassen hatte. Sein tatsächlicher Tod kann also in meinem Innersten nichts mehr ändern.« Roland blickte ihr in die Augen, die so tief waren, daß man sich darin verlieren könne. »Und Euer Gelübde?« fragte er leise. »Mein Gelübde, daß ich keinem anderen Mann mehr angehören werde?« »Das meine ich, ja.« Eloise lächelte. »Dieses Gelübde ist erloschen, Roland!« In ihrem Lächeln lag mehr, als Worte auszudrücken vermochten. Es war ein lockendes Versprechen, drückte geheime Wünsche aus. Roland wagte es, sanft den Arm um ihre Schultern zu legen. »Wißt Ihr, daß ich Euch von dem Tag an, an dem ich Euch zum ersten Mal sah, von ganzem Herzen begehre, Eloise?« fragte er leise. Das Mädchen wich seinem Arm nicht aus. »So, tut Ihr dies?« hauchte sie, während ein leichter Schauder durch ihren Körper lief, bei dem es sich ganz gewiß nicht um einen Schauder des Entsetzens handelte. Roland zog sie näher an sich, was sie sich anschmiegsam gefallen
ließ. Er streichelte ihren Arm, wurde dann mutiger und ließ seine Hand zu ihrem Busen hinüberwandern, dessen köstliche Rundungen sein Blut heiß werden ließen. Und noch immer leistete Eloise keinen Widerstand. Das Gegenteil war der Fall. Auch ihre Hand löste sich aus dem Schoß, streckte sich nach ihm aus. Sie fuhr über seine schwellenden Armmuskeln, seine breite, starke Männerbrust und glitt tiefer und tiefer. Wohlig stöhnte Roland auf und gab sich ganz dem kunstvollen Spiel ihrer weichen Hand hin. Dabei geriet sein Blut so in Wallung, daß er glaubte, es kaum noch ertragen zu können. »Komm«, flüstere er heiser. Sein Atem ging schneller und schneller, als er ihr Kleid und Unterkleid öffnete und vom Körper streifte. Was darunter an prächtiger, nackter Weiblichkeit zum Vorschein kam, überstieg seine kühnsten Erwartungen. »Oh, Eloise, endlich«, stieß er schweratmend hervor. Wenige Augenblicke später hatte auch er sich seiner Kleidung entledigt. Wie von selbst fanden sich die beiden auf der Pritsche. Und Roland konnte feststellen, daß es zu schade gewesen wäre, wenn sich Eloise auch weiterhin an ihr Gelübde gebunden gefühlt hätte. * Das was geschehen mußte, geschah. Graf Kasimir kam ... Es war eigentlich von vornherein klar gewesen, daß der Raubgraf den Verlust seines wertvollsten Beuteguts nicht tatenlos hinnehmen würde. Und wie wertvoll der Schwarze Stein war, hatte er an diesem Tage bereits bewiesen. Graf Eduard, Mehlsack und Bruder Gotthilf befanden sich schon auf dem Weg der Besserung. Ihre Aussichten, bald ganz gesundet zu sein, waren gut. Besonders die Genesung Eduards erfüllte Roland mit großer Befriedigung. Nun konnte er mit Fug und Recht sagen, daß er den Auftrag König Artus ausgeführt hatte. Aber das bedeutete natürlich nicht, daß er jetzt die Hände in
den Schoß legte. Daß die Reliquie auch in Zukunft ihren Segen entfalten konnte, war ihm ein echtes Herzensbedürfnis. Deshalb mußte der Stein vor den gierigen Händen des schurkischen Grafen geschützt werden. Vom Wachhäuschen des Klosters aus, in das Roland und der Abt Albian sofort nach dem Alarmruf des Wachbruders geeilt waren, konnte man weit in die Ferne blicken. Im Licht der goldenen Nachmittagssonne waren die nahenden Reiter bereits auszumachen, als sie noch eine runde Meile zurückzulegen hatten. »Vielleicht sind es ganz normale Pilger«, sagte der Klosterherr hoffnungsvoll., Roland schüttelte den Kopf. »Gebt Euch keinen trügerischen Hoffnungen hin, ehrwürdiger Abt. Es ist Kasimir!« Näher und näher kam die Reiterschar. Genau war es noch nicht zu erkennen, aber Roland schätzte, daß es sich um mindestens fünfzig Männer handelte. Der Graf ging kein Risiko ein. Wenn er wollte, konnte er das Kloster schleifen und jeden, der sich darin aufhielt, niedermachen. Selbst der heldenhafteste Kampf Rolands und seiner Gefährten würden daran nichts ändern können. Aber es war nicht beabsichtigt, es zu diesem sinnlosen Kampf kommen zu lassen. »Es wird Zeit«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Kommt, ehrwürdiger Abt.« Die beiden Männer verließen das Wachhäuschen und eilten zur Kapelle hinüber. Unverzüglich begaben sie sich zum Altar, hinter den Altar, genauer gesagt. Albian öffnete die Geheimtür, die in den Klosterberg hineinführte. »Ich wünsche Euch viel Glück, Ritter Roland«, sagte er. »Möge Gott Euch beschützen. Und wenn Euch etwas zustoßen sollte ... Nie werden wir vergessen, was Ihr für uns getan habt!« Darauf gab es nichts mehr zu sagen. Roland bückte sich, nahm den Schwarzen Stein auf, der dort bereit lag, und tauchte in die Dunkelheit des Geheimgangs ein. Trotz der völligen Finsternis fand er sich zurecht, denn er hatte bereits vor Stunden einen Probegang hinter sich gebracht. Den Stein gegen die Brust gepreßt, bewegte er sich vorwärts. Und es dauerte
auch nicht lange, bis er das Ende des unterirdischen Wegs erreicht hatte. Der versteckte Öffnungsmechanismus war ihm bekannt. Er hatte keine Schwierigkeiten, ihn zu bedienen. Mit einem knirschenden Laut öffnete sich die Tür. Roland schlüpfte nach draußen. Jeden Augenblick mußten Kasimir und seine Männer jetzt vor der Klosterpforte ankommen. Und da sie über den Geheimgang im Bilde waren, konnte man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß sie sich auch hier blicken lassen würden. Und dann kamen sie auch schon. Roland hörte sie, bevor er sie sah. Es wurde Zeit für ihn, seine Wartestellung aufzugeben. Er lief los, ohne sich dabei auch nur im geringsten Mühe zu geben, lautlos zu wirken. Wie ein Bär stampfte er durch das Gesträuch, das bis zum Fluß hinunterreichte. Äste und Zweige zerbrachen mit lautem Knacken, Steine rollten polternd den Abhang hinunter. Selbst einem Tauben wäre seine Gegenwart nicht verborgen geblieben. Und die Männer Graf Kasimirs waren nicht taub. Sie wurden sofort auf ihn aufmerksam. »Da ist einer!« gellte eine Stimme auf. Roland warf einen schnellen Blick in die Richtung, aus der die Stimmen gekommen war. Er sah die Gräflichen, ein halbes Dutzend mindestens, wenn nicht gar mehr. Er lief, lief weiter zum Flußufer hinunter. »Packt ihn!« brüllte es hinter ihm. »Laßt ihn nicht entkommen!« Aber Roland hatte seine Flucht zeitlich gut geplant. Er erreichte den Uferstreifen mit einem beruhigenden Vorsprung vor den Getreuen Kasimirs. Ja, fast war sein Vorsprung schon zu groß. Da war das Boot, vertäut an einem Baumstumpf. Roland löste die Leine, wobei er es ausgesprochen langsam angehen ließ. Er wollte die Gräflichen ruhig noch näher herankommen lassen. Und dann waren sie fast heran. Im Sturmschritt kamen sie den Uferabhang heruntergestürmt. »Bleib, wo du bist, Kerl!« Roland beeilte sich jetzt, schob das Boot ins Wasser - mit einer
Hand. In der anderen hielt er den Schwarzen Stein, deutlich sichtbar für die Gräflichen. Die Männer sahen den Stein. Ihr Geschrei wurde lauter, wurde hektischer. »Bleib, Kerl, sonst...« Roland sprang in das Boot, wandte den Getreuen Kasimirs dabei sein Gesicht zu. »Der Ritter Roland ist es!« Roland lachte laut. »Ihr kommt zu spät, Haderlumpen!« Dann ließ er den Stein ins Boot fallen, griff nach dem Ruder und stieß sich vom Ufer ab. Zwei der Gräflichen stürmten noch ins seichte Wasser hinein, erreichten das Boot jedoch nicht mehr. Von Rolands kräftigen Ruderschlägen gepeitscht trieb das hölzerne Gefährt der Flußmitte entgegen, wo es von der Strömung erfaßt und flußabwärts gezerrt wurde. Die Getreuen Kasimirs liefen am Ufer neben dem Boot her, begleiteten Roland mit Flüchen, wüsten Beschimpfungen und Drohungen. »Kommt zurück, Roland, sonst machen wir euch den Garaus!« Die Drohung war ernst zu nehmen. Zwei der Männer hatten Pfeil und Bogen bei sich. Dennoch beherzigte der Ritter mit dem Löwenherzen die Warnung nicht. Er tauchte das Ruder ins Wasser und tat so, als versuche er, das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Dabei behielt er die Gräflichen jedoch scharf im Auge. Und so sah er, wie die beiden Schützen Pfeile auf ihre Bogensehne legten und die Geschosse auf ihn richteten. »Zum letzten Mal, Roland, kommt zurück ...« »Der Teufel hole euch, Grafenpack!« Da surrten die Pfeile durch die Luft, jagten wie Todesboten auf Roland zu. Der Ritter mit dem Löwenherzen machte eine schnelle Ausweichbewegung. Eine sehr heftige Bewegung, die ihn das Gleichgewicht verlieren und ... über Bord stürzen ließ.
Das Boot kenterte. Bevor die Wellen über Roland zusammenschlugen, hörte er die Entsetzensschreie der Gräflichen. »Der Stein! Der Stein ist ins Wasser gefallen!« Roland tauchte unter, ließ sich ein paar Körperlängen von der Strömung mitziehen, tauchte dann wieder auf. Er machte ein angstverzerrtes Gesicht und ruderte wie wild mit einem Arm in der Luft herum. »Hilfe!« brüllte er. »Ich kann nicht schwimmen! Ich ...« Er ging wieder nach unten, kam noch einmal hoch. »Zu Hilfe! Hil...« Und wieder tauchte er. Und diesmal ließ er sich nicht mehr an der Oberfläche blicken. Statt dessen schwamm er mit kräftigen Stößen unter Wasser zum anderen Ufer hinüber. Er tauchte erst wieder auf, als er sich im Uferröhricht vor den Blicken der Getreuen Kasimirs sicher wußte. * Noch vor Anbruch der Dunkelheit zogen Graf Kasimir und seine Männer wieder ab. Sie gingen davon aus, daß Roland ertrunken und der Schwarze Stein für immer im Fluß begraben war. Nicht im mindesten ahnten sie, daß nur der von Ganelon gefälschte Stein auf dem Grund des Flusses ruhte, der echte Stein jedoch nach wie vor im Kloster vorhanden war. Und in diesem Glauben sollten sie auch bleiben ...
ENDE
Räuberhauptmann Wittich, der Schrecken vom Hotzenwald, will einen sagenhaften Schatz heben, der auf dem Grunde eines tiefen Bergsees liegen soll. - Herzog von Eberstein und seine Mannen hatten den Schatz bei einem Kreuzzug erbeutet. Auf dem Heimweg kamen sie bei einem Unwetter in den Fluten um, und durch einen Erdrutsch bildete sich ein See. Um den Schatz zu bergen, entführt Wittich Männer, die ihm einen Staudamm bauen müssen. - Der See wird von einem Wasserfall und einem Bach gespeist, und die Wasserzufuhr soll abgeschnitten werden, damit der See durch seinen natürlichen Abfluß ausläuft und der Schatz aus dem Schlamm geborgen werden kann. Ritter Roland und seine Knappen haben den Auftrag, das Verschwinden der vielen Menschen und Frachttransporte aufzuklären. Das wird kein Zuckerschlecken, denn
Wittich - der Schrecken vom Hotzenwald ist ein mit allen Wassern gewaschener Räuber, der seinem Namen alle Ehre macht. Liebe Leser, holen Sie sich in 14 Tagen den Ritter-RolandBand 21, einen Roman aus einer Zeit, in der Männer noch Männer waren! DM 1,60