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Man schrieb den 2. August des Jahres 1588. Der Ostwind blies unangenehm kalt über die S...
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Seewölfe 172 1
Fred McMason 1.
Man schrieb den 2. August des Jahres 1588. Der Ostwind blies unangenehm kalt über die See und ließ den Lordadmiral, Charles Lord Howard von Effingham, frösteln. Der betagte alte Herr mit dem weißen Spitzbart, dem hageren Gesicht und der großen, schmalen und leicht gebogenen Nase blickte aus engen Augen auf die riesige Formation spanischer, portugiesischer und anderer Schiffe, die in Sichelform schwerfällig und langsam gegen den Ostwind kreuzte. Das riesige Aufgebot bestand aus mehr als hundert Schiffen aller Größen und Klassen und wurde vom spanischen Generalkapitän der Ozeanischen Meere, Don Alonso de Guzman el Bueno, dem Herzog von Medina Sidonia, befehligt. Der Anblick dieser gewaltigen Streitmacht zur See ist schaurig-schön und schrecklich zugleich, dachte der Lordadmiral. Mit diesem großen Aufgebot würden die Engländer ihre liebe Not haben, und mit Sicherheit würde dieser Aufmarsch in die Geschichte eingehen, wie immer es auch ausgehen mochte. Lord Howard ließ sich das Spektiv reichen, fuhr mit der Hand bedächtig über seinen gestutzten Bart, lehnte sich leicht gegen die Schmuckbalustrade des Flaggschiffes und setzte das Spektiv dann an das rechte Auge. Lange Zeit sprach er kein Wort, sah nur immer wieder starr auf die gewaltige Armada und wandte sich endlich an seinen ersten Offizier. Seine Stimme war ruhig wie immer, nichts schien den Lordadmiral zu erschüttern. „Es hat den Anschein, als beabsichtige Medina Sidonia Weymouth anzugreifen, Mister Gardiner. Vermutlich will er dort landen. Die Spanier sind uns gegenüber eindeutig im Vorteil, denn sie haben die Luvposition.“ „Richtig, Mylord, bis auf einige wenige.“ Die einigen wenigen, wie Gardiner sagte, strichen wie hungrige Wölfe um die Armada, bereit zum Zupacken, um sich auf einen der Spanier zu stürzen. Aber bisher
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war noch nichts passiert, die Gegner belauerten sich, warteten auf eine Schwäche des anderen und ließen sich vorerst noch nicht in Gefechte verwickeln. Da war Admiral Frobisher mit der gewaltigen „Triumph“, einer der größten englischen Kriegsgaleonen, eintausendeinhundert Tonnen groß und armiert mit vierundvierzig Kanonen schwersten Kalibers. Die begehrte Luvposition hatten außerdem drei bewaffnete englische Handelsfahrer, dann die „Le Vengeur“ unter dem ehemaligen Karibik-Piraten Jean Ribault und schließlich die „Isabella VIII.“, das Schiff des Seewolfs Philip Hasard Killigrew, eine schlanke Galeone mit flachen Aufbauten, überlangen Masten und Culverinen, die wesentlich weiter feuern konnten als die anderen Schiffe. Unter dem Oberbefehl Lord Howards fuhren außerdem Admiral Sir John Hawkins, der das Flaggschiff „Victory“ befehligte, und Admiral Sir Francis Drake auf der „Revenge.“ Das Gros der englischen Flotte befand sich zu diesem Zeitpunkt leewärts, hinter der gigantischen Sichelformation der Spanier, größtenteils hinter ihrem rechten Flügel. Die Spitze der Armada stand jetzt vor der Landzunge von Portland Bill, dem südlichsten Punkt der Insel Portland, Weymouth noch vorgelagert, als Lord Howard seine Bedenken äußerte. Noch immer war er der Ansicht, daß die Spanier Weymouth angreifen würden und ihnen eine Landung gelingen konnte. Lord Howards Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die anderen Schiffe, auf diese gewaltige Massierung von wuchtigen oder schlanken Schiffsrümpfen, Masten, Segeln, Seesoldaten. Er versuchte, sich in die Gedankengänge eines Medina Sidonia zu versetzen. Es gelang ihm nur sehr schlecht, denn der Generalkapitän dachte nicht daran und hatte auch nicht die Absicht, Weymouth anzugreifen, geschweige denn dort zu landen. Die eigentliche Absicht der Spanier war, sich mit Parmas Truppen in den Niederlanden zu vereinigen und erst
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dann den großen Schlag gegen England zu führen. Der Ostwind war fast eisig, der jetzt über das Achterkastell der Kriegsgaleone „Arc Royal“ aus Osten heranfegte. Lord Howard zog das Genick ein, rieb sich nachdenklich über seinen sauber gestutzten Bart und ließ kein Auge von der spanischen Formation, die, auf Backbordbug liegend, Nordkurs steuerte. Howards Blickrichtung wechselte. Er schaute in die harten grauen Augen des ersten Offiziers, der die Luft angehalten hatte und sie erst nach einer Weile hörbar wieder ausstieß. Da begann Lord Howard sekundenlang sanft zu lächeln. „Ganz richtig, Mister Gardiner“, sagte er bedächtig, „Medina -wird mit diesem Schlag leewärts von Portland Bill stehen, und das wird er sich jetzt selbstverständlich ausgerechnet haben. Es sieht so aus, als hätten wir eine Chance, in die spanische Herde einzubrechen, sobald er auf den anderen Bug geht.“ „Ja, Mylord, die Formation muß sich dann in die Länge ziehen“, antwortete Gardiner. „Aber wer weiß, vielleicht tut er es nicht.“ „Medina ist kein überragender Seemann, Mister Gardiner. Ich muß allerdings hinzufügen, daß auch ich keine besonderen seemännischen Qualitäten aufzuweisen habe. Dennoch ...“ „Aber Mylord“, protestierte der Erste. „Sie sind ein hervorragender Könner, Sie verstehen es meisterhaft, die Flotte taktisch einzusetzen, und Ihre Admirale haben genügend Handlungsfreiheit und Spielraum. Man sagt Ihnen Intuition nach, Mylord, und das haben Sie gerade eben wieder bewiesen. Sie ahnen die Bewegungen des Gegners im voraus.“ Der alte Herr lächelte immer noch und neigte den Kopf, als wolle er in sich hineinlauschen. Nein, er paßte nicht so richtig auf das Achterkastell eines Flaggschiffes. Ein Frobisher, Drake oder Hawkins paßte sicher besser hierher. Das waren Männer, .die sich täglich im Kampf auf See bewährt hatten, die ihren Ruhm auf den Meeren
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erworben hatten, im Gegensatz zu ihm. Er war von erlauchter Herkunft. Bereits drei Mitglieder seines Hauses hatten den Tudors als Lordadmirale gedient. Aber das mit der Intuition und Taktik mochte stimmen, überlegte er. Er hatte das, was man den „richtigen Riecher“ bei der Flotte nannte, und das war ein unschätzbarer Vorteil. Lord Howard wog immer sorgfältig ab, er war keiner der Heißsporne wie Drake, die auf Biegen oder Brechen drauflossegelten, wie Wölfe in die Herde der Spanier einbrachen und mitunter in ihr eigenes Mißgeschick gestolpert waren. Ihm war das noch nie passiert, aber das mochte wohl an seiner Abgeklärtheit liegen, an seiner Ruhe und dem sinnvollen Planen. Er war keineswegs in tiefe Gedanken versunken, wenn es auch den Anschein erwecken mochte. Seine wachen Augen waren überall, und so entging ihm auch nicht, daß an der spanischen Sichelformation die erste Veränderung eintrat - genauso, wie er es vorausgeahnt hatte. Damit wollte er Medina Sidonia keinesfalls abwerten, denn der Mann verstand sein Handwerk sicher ebenso gut wie er selbst. Sidonia war aber kein Seemann, wie Howard gehört hatte. Der König von Spanien hatte ihm den Posten eines Generalkapitäns angehängt, und Sidonia hatte sich in diese Rolle gefügt. Darin mochte er sich wahrscheinlich todunglücklich fühlen. Bisher hatte er die Armada jedenfalls vorzüglich geführt, das erkannte Howard neidlos an. . Soviel Howard wußte, sollte Medina Sidonia sogar den Anstand gehabt haben, sich vor dem König als ungeeignet für den Posten des Generalkapitäns zu bezeichnen. „Die Sichel der Formation beginnt, eine Wende zu fahren, Mylord“, hörte er neben sich die Stimme des Ersten. „Welche Befehle haben Sie?“ „Zunächst einmal abwarten“, entgegnete Lord Howard gelassen. „Wir bleiben auf Backbordbug bis vor Portland Bill. So Gott
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will, wird es uns dann gelingen, in die Lücke zu stoßen.“ „Aye, aye“, sagte Gardiner bewundernd. Die ersten Spanier fuhren eine Wende und gingen auf Steuerbordbug. Damit hielten sie von Portland ab und mußten einen Schlag seewärts steuern. Es dauerte eine geraume Zeit, bis das Manöver beendet war. Manche der Schiffe reagierten nur sehr schwerfällig und wälzten sich buchstäblich mühsam auf den anderen Bug wie dicke überfressene Kühe; behäbig und faul. Auf Lord Howards Gesicht erschien wieder das feine wissende Lächeln. Diesen Entschluß der Spanier gedachte der Lordadmiral gründlich zu nutzen. Sie blieben immer noch hart am Wind und auf nördlichem Kurs. * Admiral Sir John Frobisher, der das Flaggschiff „Triumph“ befehligte, winkte einen vorläufig letzten Gruß zur „Isabella VIII.“ hinüber und änderte den Kurs. „Ein Satansbraten, dieser Killigrew“, sagte er andächtig zu seinem ersten Offizier, der neben ihm auf dem Achterkastell stand. „Woher nimmt dieser Mann nur immer so vortreffliche Ideen? Hm, er denkt anscheinend weiter als wir alle zusammen.“ Lieutenant O'Connor nickte zustimmend und blickte sich nach der „Isabella“ um, die jetzt im Kielwasser der „Triumph“ zurückblieb. Ein weiteres Schiff, die „Le Vengeur“, blieb ebenfalls zurück. Frobisher wußte nicht genau, was die beiden Männer planten, aber er ahnte es ungefähr. Jedenfalls hatte der Seewolf ihn auf diese verwegene Idee gebracht, und Frobisher gedachte, sie so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Das, was der Seewolf ihm vorgeschlagen hatte, hörte sich im Grunde genommen ganz einfach an. Es war aber äußerst kompliziert und nicht ungefährlich. Ein paar Seemeilen östlich von Portland Bill gab es eine lange flache Muschelbank,
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die unregelmäßig zum Wasserspiegel von Südwest nach Nordost aufstieg. Shambles nannte man diese tückische Muschelbank. Von der Landspitze Portland Bill lief der Gezeitenstrom mit fast vier Knoten auf die Shambles zu. Bei ablaufendem Wasser nun — so die Überlegung des Seewolfs — wird die Ebbe zwischen der Ostküste Portland und den Shambles wie durch einen Schlauch gepreßt. Eine vorzügliche Falle! Vorausgesetzt, man dachte in den Regionen eines Seewolfs. Bei Einsetzen der Ebbe wollte Frobisher möglichst dicht unter Land auf der südlichen Ostseite der Insel vor Anker gehen und einen Ruderschaden vortäuschen. Das mußte die Spanier geradezu anlocken und sie zum Angriff auf die „Triumph“ verleiten. Damit aber, so hatte es sich der Seewolf ausgerechnet, war das Schicksal der angreifenden Schiffe so gut wie besiegelt, denn der Ebbstrom würde sie unbarmherzig auf die Muschelbänke treiben. Selbst wenn der Angreifer Glück hatte, würde er zumindest im Ebbstrom herumzappeln, ohne etwas unternehmen zu können. Frobisher holte mit der rechten Faust aus und schlug sie in seine linke Handfläche. Der Knall ließ O'Connor zusammenzucken. Ja, das gefällt dem alten Kämpen, dachte der Lieutenant, das möbelt ihn auf und läßt ihn immer wieder anerkennend in Richtung der Seewolfs-Galeone nicken. „Lassen Sie die Leute unterrichten“, sagte Frobisher, und in seinen kühlen grauen Augen tanzten kleine Funken. „Wir laufen in einer halben Stunde von Nordosten her zwischen Shambles und der Portland Ostküste hindurch. Etwas weiter nördlich gehen wir dann vor Anker.“ „Aye, Sir, ich gebe aber zu bedenken, daß wir starken auflandigen Ostwind haben.“ „Na und?“ polterte Frobisher los. „Das soll mich den Teufel scheren. Der Wind hat sich gefälligst nach uns zu richten!“ O'Connor blickte auf Frobishers fleischige Nase, auf den Knebelbart des Admirals und seufzte ergeben.
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Na schön, dachte er, dann soll der Alte das dem Wind gefälligst selber sagen, vielleicht hörte der sogar auf ihn. Frobisher war nicht mehr zu bremsen. Er war von dieser tollkühnen Idee geradezu besessen, und nichts würde ihn jetzt mehr davon abhalten, die Dons in die Falle zu locken. Für die Spanier mußte dieser mehr als tausend Tonnen große Riesenköder so verlockend wirken, dass sie blindlings auf ihn hereinfielen. O'Connor gab den Befehl weiter, und innerhalb kürzester Zeit wußte jedermann an Bord, um was es ging. Das brachte die Kerle richtig hoch, und auf ihren Gesichtern lag ein impertinentes Grinsen, das nicht mehr verschwinden wollte. Wartet nur, ihr lausigen Dons, hieß dieses Grinsen. euch werden wir es schon zeigen! Frobisher scherte sich jetzt nicht mehr um die Formation der Dons, die den Kurs geändert hatten. Er konzentrierte sich voll und ganz auf sein Vorhaben und nahm den Rudergänger des Flaggschiffes höchstpersönlich ins Gebet. „Sie werden jetzt so segeln, Mister Paine, wie Sie noch nie in Ihrem Leben gesegelt sind, verstanden? Ein einziger Fehler, und wir sitzen auf Land. Dann haben die Dons allen Grund, sich zu freuen. Geben Sie also Ihr Bestes, Mann!“ Das Gesicht des Rudergängers war maskenhaft starr. Er wußte, daß es ein Problem war, bei diesem auflandigen Wind zwischen den Shambles und der Ostküste hindurch zu steuern. Genau gesagt, war es ein verteufeltes Risiko, und wenn er etwas vermurkste, dann würde ihn der Admiral eigenhändig über Bord werfen. So nickte er hastig, preßte ein gemurmeltes „Aye, aye, Sir“ durch die Zähne und konzentrierte sich auf die Führung des großen Schiffes. Der Wind blies immer noch mit gleicher Stärke. Über die kabbelige See tanzten kleine Schaumkronen. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Es war kurz vor neun Uhr morgens, als Frobishers Flaggschiff „Triumph“ noch bei Flut unendlich vorsichtig zwischen den Shambles und der Ostküste
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hindurchsegelte. Sie lief jetzt, von Nordosten kommend, Südwestkurs, und Frobisher warf vom Achterkastell aus einen nachdenklichen Blick auf jene kritische Stelle, die sich unter Wasser, verbarg und ein Schiff vom Bug bis zum Heck der Länge nach mühelos aufschlitzen konnte. Die Engländer kannten diese Stelle genau, und die 'Spanier würden die Muschelbank erst bemerken, wenn es für sie zu spät war. Frobisher warf einen Blick auf die Sanduhr, die jeweils die halbe Stunde anzeigte und dann wieder umgedreht werden mußte. In einer Stunde würde der Ebbstrom einsetzen, bis dahin mußte die „Triumph“ auf der südlichen Ostseite der Insel bereits vor Anker liegen. Eine bange halbe Stunde verging, der auflandige Ostwind schob das große Schiff näher zum Land. Der Rudergänger fluchte verhalten, während Admiral Frobisher unruhig auf dem Achterkastell von Backbord nach Steuerbord wanderte. Dann hatten sie es geschafft. Der Anker fiel und faßte Grund. Das große Schiff wurde in eine schwimmende Festung verwandelt, ohne daß die Spanier etwas davon ahnten. Frobisher ließ einen Teil der Besatzung am Heck versammeln, und gleich darauf herrschte dort eine emsige Aktivität. Zahlreiche Männer benahmen sich wie die Verrückten, fummelten am Ruderschaft herum und brüllten sich gegenseitig an. Die Falle war aufgebaut, perfekt, wie es schien. Der Admiral war zufrieden, er brauchte jetzt nur noch abzuwarten, bis die ersten Dons in die Falle gingen. Etwas später sah der Admiral, wie die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ ihrem Kurs folgten, an dem Flaggschiff mit einer Kabellänge Abstand vorbeiliefen und Portland Bill rundeten. Dort wollten sie in Lee die Entwicklung der Dinge abwarten. Der Seewolf und Jean Ribault lagen auf der Lauer. Sie warteten auf jene Spanier, die es vielleicht noch schafften, zwischen den Shambles und Portland Bill hindurchzuschlüpfen. Die wollten sie schnappen und abfangen.
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Medina Sidonia spürte nicht den rauhen Wind, er nahm auch die unruhige See nicht wahr, die sein Flaggschiff, die „San Martin“, sanft hob und senkte. Eine ungeheure Aufregung hatte sich seiner bemächtigt, denn jetzt stand die Konfrontation zwischen Engländern und Spaniern unmittelbar bevor. Er fühlte sich auf seinem Posten deplaciert und spürte, wie die Verantwortung an seinen Nerven zerrte. Aber zum Wohle Spaniens und Philipp II. wollte er sein Bestes geben, auch wenn es seinen Tod bedeutete. Medina Sidonia hoffte insgeheim, daß Enterkämpfe stattfinden würden, denn nur dann konnten die Spanier ihre Überlegenheit beweisen, darauf waren sie eingestellt mit der Masse ihrer Soldaten. Aber schon seit einer Weile hatte Sidonia diese Hoffnung begraben müssen, wenn er die starke Armierung der Engländer sah. Die würden sich nicht auf Enterkämpfe einlassen, die vertrauten lieber ihren weitreichenden Kanonen. Sidonia warf einen schnellen Blick zurück. Hinter ihm lief die gigantische Flotte, aufgeteilt in sechs Geschwader nach den einzelnen Provinzen wie Portugal, Biscaya, Andalusien, Kastilien, Guipuzcoa und der Levante. Eine Flottille leichterer Segler begleiteten diesen gewaltigen Aufmarsch als Kundschafter. Auf der Backbordseite, schräg nach achtern versetzt, segelte das kastilische Geschwader unter Diego Flores de Valdes. Auf Steuerbord befanden sich die portugiesischen Schiffe, Medina Sidonia direkt unterstellt, während achterlich direkt hinter der „San Martin“ die vier Galeassen aus Neapel unter dem Kommando Hugo de Moncadas folgten. Diese Galeassen waren mit je fünfzig Kanonen bestückt und trugen außer den Ruderern noch weit über dreihundert Mann Besatzung. Zwischen dem kastilischen und dem portugiesischen Geschwader, ebenfalls hinter dem Flaggschiff Sidonias, segelte unter dem
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Kommando Don Antonia de Mendozas ein großer Pulk kleiner Ein- und Zweimaster, denen das Transportgeschwader, die „Urcas“, folgte. Sie bestanden aus Frachtern, Hulks und Proviantschiffen. Die Spanier transportierten darauf Maultiere, Wagen, Pferde, Ausrüstungen und Soldaten. Für im Kampf Verwundete standen zwei Lazarettschiffe bereit. Das Kommando über dieses Transportgeschwader hatte Juan Gomez de Medina. Den linken hinteren. Teil der Sichelformation bildeten von außen nach innen die Geschwader von Juan Martinez de Recalde und Pedro de Valdes. Aber das war noch nicht alles. Auf der Steuerbordseite des Sichelhorns, wieder von außen nach innen, segelte das Levantegeschwader unter Martin de Bertendona sowie das Guipuzcoageschwader unter Miguel de Oquendo. Die vier letzten Geschwader von jeweils zehn Schiffen bestanden aus großen Kauffahrteiseglern, die ziemlich schwer armiert waren. Wenn Medina Sidonia diese gewaltige Streitmacht zur See überblickte, erfüllte ihn sekundenlang tiefe Ruhe. Er wußte erfahrene und draufgängerische Männer hinter sich wie de Recalde oder de Leiva, kampferfahrene Burschen, die den Teufel am Schwanz zogen, wenn es darauf ankam. De Leiva war Generalkapitän der Mailänder Kavallerie und dazu ausersehen, den Oberbefehl über die Landtruppen zu übernehmen. Von de Recalde wußte er, daß er ein Draufgänger und guter Seemann war. Sidonia hätte ihn am liebsten als Generalkapitän gesehen, denn der Mann war vom Fach. Wind und Wellen waren sein Metier, und liebend gern hätte er sich ihm untergeordnet. So aber blieb alles an ihm hängen, und er stieß einen entsagungsvollen Seufzer aus. Er wandte sich an den Capitan Jose Santraz, einen ruhigen, unerschütterlichen Mann mit grauen Haaren, bartlos und wasserhellen Augen, der auf dem
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Achterkastell stand und ebenfalls seit geraumer Weile auf die vielen Schiffe blickte. Medinas Stimme klang ruhig. Feingliedrig, und mittelgroß, war er mehr als einen Kopf kleiner als der Capitan, und trotz aller Sorgen strahlte eine gewisse Ruhe von ihm aus. „Die Engländer bleiben auf Backbordbug“, sagte er nachdenklich. „Das heißt also, der Befehlshaber des Flaggschiffes wird versuchen, zwischen uns und dieser Insel durch die Lücke zu schlüpfen, um auf diese Weise in die Luvposition zu gelangen.“ „Das wird er mit Sicherheit versuchen, Don Alonso“, entgegnete der Capitan zurückhaltend. Er sah Medina fragend an, der mehrmals vor sich hin nickte. „Gut“, entschied Medina nach kurzer Überlegung, „dann veranlassen Sie, daß die Formation wieder auf den nördlichen Kurs geht, den nordöstlichen Kurs natürlich“, verbesserte er sich sofort. Genau diese Entscheidung hatte der Capitan erwartet, und Medina sah ihm die Erleichterung an, als er den Befehl weitergab. Etwas später lag die Armada wieder auf Backbordbug, und der Generalkapitän beobachtete weiter. „Ich befürchte, daß es nicht mehr lange dauert, bis die Engländer angreifen, Capitan Santraz. Das Flaggschiff wechselt erneut den Kurs. Vermutlich nehmen diese Leute an, wir wollen Weymouth anliegen, und das möchten sie jetzt gern verhindern.“ Santraz schien es, als wolle Medina noch etwas hinzufügen, doch der Generalkapitän schwieg und starrte wieder verbissen durch das Spektiv. Als er es absetzte, schüttelte er den Kopf. „Sie sollten sich das einmal ansehen“, sagte er leise, „da scheint sich einer dieser übereifrigen Kerle das Ruder gebrochen zu haben, wenn mich nicht alles täuscht.“ Auch von der Backbordseite erfolgte jetzt ein Signal, um Medina auf den Vorfall hinzuweisen. Etliche Männer standen am Schanzkleid und blickten zu dem Riesenschiff hinüber.
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„Es ist die „Triumph“; sagte Capitan Santraz, „ein ganz beachtlicher Brocken. Tatsächlich scheint er aus irgendeinem Grund manövrierunfähig zu sein. Wenn wir an den herangelangen und ihn entern könnten, das wäre ein Erfolg!“ Medina Sidonia war weder ehrgeizig noch hartnäckig, aber als er jetzt den englischen Brocken sah, packte es ihn doch, das Jagdfieber, das auch in ihm tief verborgen schlummerte. Sein Blick war zwar noch milde und liebenswürdig, doch seine Augen begannen zu funkeln. Dann erschien ein triumphierendes Grinsen auf seinem Gesicht. Entern, dachte er, ja, wenn das gelänge, und es hatte ganz den Anschein, als stünde dem nichts im Wege, dann konnten sie den verhaßten Engländern eine empfindliche Beule schlagen und sie durch den Verlust dieses Brockens schwer demoralisieren. Das wäre ein beachtlicher Anfangserfolg, den sie sich nicht entgehen lassen durften. Hektische Flecken erschienen plötzlich im Gesicht des Spaniers, und wieder griff er zum Spektiv. Jetzt sah er es schon deutlicher. Auf dem Heck des großen Schiffes tummelten sich viele Männer, die wie Ameisen durcheinanderrannten und immer wieder am Ruderschaft hantierten. Mindestens zwanzig Leute schienen sich in heller Aufregung zu befinden. „Vermutlich ist ihnen der Ruderschaft gebrochen“, sagte Medina. „Aus diesem Grund hat er auch Anker gesetzt. Ich finde es nur merkwürdig, daß ihm kein anderer zu Hilfe eilt.“ Es war kein Mißtrauen, es war nur eine Feststellung, bei der sich auch Capitan Santraz nicht viel dachte. „Die Engländer haben genug mit sich selbst zu tun. Sie rechnen ganz sicher damit, daß wir das Schiff nicht angreifen“, sagte er deshalb. Wieder nickte Sidonia zustimmend. Dann, Santraz glaubte seinen Augen nicht zu trauen, rieb sich der Generalkapitän zufrieden die Hände und lachte stoßartig auf.
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„Signalisieren Sie an Capitan de Moncada, daß er sich mit den vier Kriegs-Galeassen den Brocken schnappt“, befahl Sidonia. „Kurs Nordwest, und dann nichts wie drauf, Capitan!“ Santraz salutierte korrekt, konnte sich aber das schadenfrohe Grinsen auf seinem Gesicht nicht verkneifen. Todos Santos, dachte er, das wird diesen Engländern sauer aufstoßen. Damit rechnen sie nicht, die haben genug mit ihrem gebrochenen Ruderschaft zu tun. „Moncada soll versuchen, in jedem Fall das Schiff zu entern“, setzte Sidonia nachdrücklich hinzu. Der Befehl wurde an Moncadas Flaggschiff, die „San Lorenzo“, weitergegeben, wo man den Brocken schon früher erspäht hatte als Sidonia. Moncada lauerte bereits auf den Einsatz und gab dem scheinbar hilflosen Engländer kaum eine Chance, wenn er mit vier Galeassen angriff. Die „San Lorenzo“ scherte aus dem schwerfällig segelnden Pulk aus und ging auf Nordwestkurs. Moncada ließ die Schlagzahl erhöhen. Dreihundert Rudersklaven legten sich in die Riemen und trieben das Schiff, halb Galeone und halb Galeere, schnell vorwärts. Auch die Segel waren alle gesetzt. Der Galeasse folgten die „Zuniga“; die „Patrona“ und als vierte und letzte die „Girona“. Auf Nordwest umliefen sie die englischen Schiffe und hielten auf Frobishers „Triumph“ zu. Keiner der Spanier ahnte, daß Admiral Sir John Frobisher sich bereits die Hände rieb und den Gegner freudestrahlend erwartete. Hugo de Moncada sah vom Achterdeck seines Flaggschiffes jetzt ganz deutlich, daß dem mächtigen Engländer etwas fehlte und er offenbar hilflos in der Klemme saß. Fünfzig Kanonen waren geladen, mehr als dreihundert Männer brannten darauf, den „verdammten Engländer“ auseinanderzunehmen. In Kiellinie segelten die vier Galeassen ihren Nordwestkurs weiter, unterstützt von den Ruderern.
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Inzwischen hatte der Ebbstrom eingesetzt, doch von der Besatzung des Flaggschiffes schien das niemand zu merken. Sie sahen auch nicht das Kabbelwasser Backbord voraus, das die unheilvollen Shambles verriet. Moncada sah nur noch die Beute vor sich und konnte es kaum erwarten, sich darauf zu stürzen. Außerdem wurde er von einem rollenden: Donner abgelenkt und warf einen Blick achteraus. „Das Gefecht ist eröffnet“, sagte er zu seinem Ersten. „Ich hatte gedacht, wir würden den ersten Schuß abgeben, aber jetzt haben die Engländer offenbar Angst, daß Sidonia die lausige Stadt angreifen will.“ Howard hatte indessen tatsächlich das Feuer von seinem Flaggschiff aus eröffnen lassen, in der Befürchtung, Sidonia wolle die Stadt angreifen. Er verwickelte die Spanier in Einzelgefechte, hielt aber immer noch eine gewisse Distanz und verließ sich dabei auf seine überlangen Culverinen. Auch von einem zweiten und dritten Schiff blitzte es auf, und gleich darauf rollte der Donner grummelnd über die See. Vor den Schiffswänden erschienen dunkle Qualmwolken. „Die lassen sich nicht auf Enterkämpfe ein“, schimpfte der Erste. „Klar, weil sie wissen, daß sie dann unterlegen sind. Aber dem Himmelhund dort drüben Wird nichts anderes übrigbleiben, als sich entern zu lassen, die haben sogar noch ihre Stückpforten geschlossen“, sagte Moncada verächtlich. „Die Kerle sehen nur noch ihr Ruder, und bevor sie feuern, ist es zu spät.“ Er blickte ins Wasser und runzelte die Stirn. „Madre Dios!“ stieß er gleich darauf hervor. „Wir sind schneller als der Teufel. Die Kerle rudern, als hätte ich ihnen eine Extra-Ration versprochen.“ Gleich darauf aber wurde sein Blick wieder: von der Wasserfläche abgelenkt und konzentrierte sich auf die „Triumph“, auf der immer noch mehr als zwanzig Leute am Ruderschaft beschäftigt waren. Die anderen sah Moncada nicht, die hatten
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sich hinter dem Schanzkleid versteckt und waren bereit, auf Frobishers Befehl sofort die Stückpforten zu öffnen und die Kanonen auszurammen. Das mußte in Sekundenschnelle geschehen. Kopfschüttelnd sah Moncada, daß sich der große schwere Engländer überhaupt nicht um sie kümmerte. „Pennen die Kerle denn?“ fragte er immer wieder. „Oder halten die- uns für harmlose Idioten?“ Darauf wußte auch der Erste keine Antwort, aber er empfand aus irgendeinem Grund ein flaues Gefühl in der Magengegend, so, als ob etwas nicht stimme. Er hütete sich jedoch, bei dem zuversichtlichen Moncada seine Zweifel anzumelden. Die Geschwindigkeit des Flaggschiffes nahm zu, auch die der drei anderen Galeassen. Der Ebbstrom jagte sie unaufhaltsam weiter - in Richtung der Muschelbänke. Einem einzelnen Mann auf der Back fiel auf, daß das Schiff mit wahnwitziger Fahrt dahinschoß, als sei es in einen Mahlstrom geraten, und als er zur Backbordseite ging und von dort aus ins Wasser sah, staunte er, daß die Kerle im Bauch der Galeasse wie die Verrückten pullten. Aber trotzdem hätten sie niemals diese Geschwindigkeit erreichen können. Dann sah er das Kabbelwasser, blickte mit schreckgeweiteten Augen in die See, die auf Backbord zu kochen schien, und erkannte in diesem Augenblick dicht unter der Wasseroberfläche eine Art langgestrecktes Gebirge, auf das die Galeasse mit mörderischer Fahrt zuraste. Zu spät, dachte er, zu spät. Da blieb nicht mal die Zeit, um einen Warnschrei auszustoßen. Keine Macht der Welt hätte das schnelle Schiff jetzt noch stoppen können. Er war nahe daran, sich vor Schreck zu übergeben, hob die Hand und wies nach achtern, wo Moncada stand. Aber der sah die Bewegung nicht und hörte auch nicht den unartikulierten Schrei des Mannes, er blickte stur zu dem englischen Riesen hinüber und glühte vor Eifer, ihn zu entern.
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Dann war der Traum vom Entern schlagartig vorbei, schlagartig in des Wortes doppelter Bedeutung, denn die. Galeasse wurde wie von einer Riesenfaust im voller Fahrt gestoppt. Ein betäubend hallender Schlag ertönte, Knirschen folgte, Bersten, unheimliches Krachen. Die ganze Welt schien mit einem brüllenden Donnerschlag unterzugehen. Moncada und die Leute der Schiffsführung wurden aus ihren Enterträumen mit brutaler Gewalt gerissen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, geriet in Bewegung. Moncada flog nach vorn, der Rudergänger überschlug sich fast in der Luft und sauste mit dem Kopf voran zwischen die brüllenden und fluchenden Männer, die aufs Achterdeck fielen und ein Knäuel aus Menschenleibern bildeten. Auch der Mann an der Backbordseite suchte noch nach einem Halt, doch er fand ihn nicht mehr. Er wurde über Bord katapultiert und verschwand mit einem Aufschrei in der See. Im Bauch der Galeasse war der Teufel los. Die angeketteten Rudersklaven, die ebenso ahnungslos waren wie alle anderen, hatten das Gefühl, als habe jemand mit einem gigantischen Hammer zugeschlagen. Das Schiff stoppte, und durch den gewaltigen Ruck wurden ihnen die Riemen aus den Händen geprellt. Gleichzeitig flogen ihre Körper nach vorn, und die Ketten schnitten ihnen wie glühende Messer in die Leiber. Dazu gesellten sich das Knirschen und Krachen und das wilde Gebrüll an Deck, und da hakte es bei den meisten aus. Schreiend und brüllend wollten sie sich erheben, doch das ging nicht, und so verstärkte sich das angstvolle und hilflose Gebrüll noch mehr. Die Ruderer wußten, was ihnen blühte, wenn Wasser ins Schiff drang, und so blickte jeder angstvoll zu Boden, ob es hier oder da nicht schon zu sprudeln begann. Hilflos ersaufen würden sie, wenn das Schiff vollschlug, und niemand würde ihnen helfen. Sie wurden schon immer wie der letzte Dreck behandelt.
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Die Ungewißheit war es, die außerdem an ihren Nerven zerrte, denn keiner konnte sich erklären, was passiert war. Ja, sie waren irgendwo mit voller Wucht aufgebrummt, aber weshalb hatten die verdammten Kerle von der Schiffsführung das nicht eher bemerkt? Die konnten doch nicht mit offenen Augen schlafen! Moncada erhob sich, stieß einen üblen Fluch aus und 'betastete. sein Gesicht, mit dem er zuerst aufs Deck geschrammt war. Doch er gelangte nicht mehr dazu, weitere Überlegungen anzustellen, denn jetzt ging alles Schlag auf Schlag, und auf sämtlichen Galeassen brach von einer Sekunde zur anderen „Zustand“ aus. Der Ebbstrom riß die drei anderen mit sich, die in wahnsinnigem Tempo der „San Lorenzo“ im Kielwasser folgten. Direkt hinter der „San Lorenzo“ segelte die Galeasse „Zuniga“. Auch ihr Kapitän hatte nur den Engländer im Auge behalten und war ganz scharf darauf, ihn anzugreifen. Doch er reagierte blitzschnell, als er sah, wie sich das Flaggschiff aufbäumte und schlagartig gestoppt wurde. Und sie fuhren mit der gleichen Geschwindigkeit direkt auf das Flaggschiff zu. „Todos los Santos!“ schrie der Kapitän. Das Malheur ließ sich kaum noch aufhalten, und er sah im Geiste die ganze Kettenreaktion vor sich, wie eine Galeasse die andere rammte, wie ein unbeschreibliches Chaos entstehen würde. „Halt Wasser!“ brüllte er, um die Fahrt abzustoppen. „Ruder hart Steuerbord! Streich überall, verdammt noch mal!“ Der Schlagmann begriff sofort, daß etwas nicht in Ordnung war, und schrie die angeketteten Männer in der gleichen Lautstärke an. Schon wuchs das Heck des Flaggschiffes drohend vor ihnen auf, schon glaubte jeder das Krachen und Bersten zu hören, mit dem sich die Schiffe ineinander bohrten. Die Riemen tauchten bremsend ins Wasser, daß die Ruderer glaubten, die Arme würden ihnen aus den Gelenken gerissen. Dann wurde rückwärts gerudert, doch noch immer hatte das Schiff Fahrt drauf.
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Der Capitan hatte sich noch nie so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick. Er fluchte, betete und legte einen Eid nach dem anderen ab, diesem lausigen Engländer den Hals umzudrehen, wenn er erst wieder genügend Bewegungsfreiheit hatte. Von achtern nahte ein neues Unglück. Es segelte ebenso schnell heran wie die anderen. Die „Patrona“ holte auf, wurde immer größer und ging erst im allerletzten Augenblick hart auf Westkurs, als der Capitan glaubte, sie würde sein Schiff jetzt rammen. Dennoch geriet sie bedrohlich nahe, und da halfen alle Manöver nicht mehr. Sie schrammte an die Bordwand der „Zuniga“, es gab ein ekelhaft berstendes Geräusch, einen Anprall, der etliche Riemen wie Zahnstocher wegknicken ließ. Die Kapitäne brüllten, die Mannschaften schrien, die Ruderer fluchten, und dann lief die schwere Galeasse weiter aus dem Kurs und hielt genau auf den großen Engländer zu. In dem allgemeinen Chaos glaubte der Kapitän der „Patrona“ deutlich zu sehen, daß auf dem Engländer die Kerle an Deck standen und sich vor Lachen die Bäuche hielten. Der einzige, der das Unglück sofort bemerkte und dementsprechend schnell reagierte, war der Kapitän der „Girona.“ Er gab den Befehl zur Hartruderlage und nutzte den Ostwind aus, der ihn in Richtung Ostküste von Portland bringen sollte. Vorerst ging das gut, er war dem mahlenden Ebbstrom noch einmal entwischt und näherte. sich nun ebenfalls der „Triumph.“ Capitan Montego von der „Girona“ sah zu dem scheinbar hilflosen Schiff hinüber und erstarrte vor Schreck, denn dort ging jetzt eine schreckliche Veränderung vor. Zuerst verschwanden die Kerle, die sich am Ruderschaft herumgetrieben hatten, wie durch Zauberei und gingen auf ihre Stationen. Im selben Augenblick flogen bei dem Engländer blitzartig die Stückpforten hoch, die schweren Kanonen wurden ausgerannt. Damit war die „Girona“
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unvermittelt in den Bereich der englischen Artillerie gelangt. Also doch eine Falle! schoß es Montego durch den Kopf. Diese Erkenntnis, plötzlich der Überrumpelte zu sein, ließ sein Blut wie Eiswasser durch die Adern kreisen. Er wollte schreien und seinen Männern etwas zurufen, doch er kam nicht mehr dazu, denn die Engländer langten in die Vollen. Dreimal hintereinander blitzte es an der Bordwand auf, eine Qualmwolke legte sich vor die Kanonen, und dann hörten sie das Brüllen und Donnern. „Keine Angst, noch treffen sie nicht“, sagte Montego zu dem Rudergänger, der sich unwillkürlich duckte, als es weiter drüben aufblitzte. „Wir sind noch zu weit Leg.“. Aber gleich darauf sah er seinen furchtbaren Irrtum ein. Sie waren nicht zu weit weg, wie er schätzte, sie lagen haargenau in Frobishers Ziel. Zwei Sekunden später kriegten sie es zu spüren. Ein eisernes Ungetüm raste durch die Luft, knallte drei, vier Yards von der Bordwand entfernt ins Wasser und ließ eine hohe Fontäne entstehen. „Puta madre santissima!“ schrie Montego und legte die Arme schützend über seinen Kopf. Denn die zweite Kugel schlug donnernd in den Fockmast, hob ihn an, ließ ihn eine Sekunde lang senkrecht in der Luft stehen und fegte ihn dann einschließlich Lateinersegel außenbords. Ein Teil des Schanzkleides verwandelte sich in einen unansehnlichen Trümmerhaufen. Die Spanier rannten kopflos hin und her, von Befehlen gescheucht, die niemand hörte, vor Überraschung geschockt und durch das Donnern der dritten Kugel restlos eingeschüchtert. Die pfiff mit schrecklichem Jaulen dicht über ihre Köpfe weg und verschwand in der See. „Die „Girona“ wurde durch den über Bord hängenden Fockmast aus dem Kurs gebracht und geriet wieder in den Ebbstrom. Den Fockmast schleppte sie mit,
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er war durch das stehende Gut immer noch mit der Galeasse verbunden. „Kappt den verdammten Mast!“ brüllte Montego schon zum wiederholten Mal. „Ihr lausigen Bastarde, Diablo, wir müssen ihn loswerden! Beeilt euch!“ Eine Horde bunt durcheinander- quirlender Männer griff zu Entermessern, Schiffshauern, Beilen und Messern und hieb auf das Tauwerk ein, bis der außenbords hängende Mast sich endlich löste und neben dem Schiff hertrieb. Damit war Montego aber immer noch nicht in Sicherheit, denn der Ebbstrom, der sie jetzt wieder erfaßte, trieb sie genau auf die „Patrona“ zu. Montego auf dem Achterkastell rang verzweifelt die Hände, er tobte und brüllte, fluchte zwischendurch und flehte seinen Gott inständig an, daß er ihm helfen möchte. „Diese englischen Bastarde!“ schrie er immer wieder. „Die haben uns in die Falle gelockt, und wir Idioten sind auch prompt hineingegangen.“ Den Entschluß, die eigenen Kanonen auf die „Triumph“ abfeuern zu lassen, revidierte er sofort wieder. Sie hätten nur unnötig Munition verschwendet, ohne auch nur einen einzigen Treffer zu erzielen, denn das zur schwimmenden Festung umfunktionierte Schiff befand sich weit außerhalb ihrer Reichweite. Chaos, Verwirrung, blinde Wut und grenzenlose Enttäuschung herrschten unter den vier Kapitänen der Galeassen, die eben noch so siegessicher ausgezogen waren, um den Engländer zu vernichten. Jetzt hieb dessen Artillerie erneut zu. Diesmal nahm sie die „Patrona“ unter Feuer, und, das mußte man diesen englischen Satansbraten lassen, sie trafen verdammt gut. Voller Erbitterung knirschte Montego mit den Zähnen, als die eisernen Ungetüme heranjagten. Der dritte Schuß der Engländer schlug voll auf der „Patrona“ ein. Es krachte, als flöge das Schiff auseinander. Geschrei wurde laut, Stöhnen, Fluchen.
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Es sah aus, als würde der Bugspriet von innen heraus in einer gewaltigen Wolke explodieren. Die Blinde zerbarst einschließlich der Besegelung, der Rah und des Tauwerks. Das alles flog in die Luft, zersplitterte, zerfetzte und fiel ins Meer, begleitet von dem Schreien verwundeter. Männer, die es ebenfalls erwischt hatte. Noch zweimal schoß der Engländer, aber „Patrone“ und „Girona“ hatten die Schlagzahl der Riemen erhöhen lassen, jagten mit dem Ebbstrom in Höchstfahrt .davon und gerieten auf diese Weise langsam aus dem Bereich des feuernden Flaggschiffes. Die Spanier waren entnervt und fühlten sich tief gedemütigt, daß sie auf den miesen Trick des Engländers hereingefallen waren. Das griff an ihre Ehre, das fraß und bohrte. Eine beschämende Niederlage war das. Alle vier Galeassen befanden sich immer noch in höchster Gefahr. Da war der Ebbstrom, da gab es Muschelbänke, an denen sie vorbeijonglierten wie Artisten, da waren der Engländer, das aufgebrummte Flaggschiff und schließlich noch der Ostwind. Der „Zuniga“ war es nach vielen Versuchen endlich gelungen, eine Leine zum Flaggschiff hinüberzubringen. Was der Kapitän vorhatte, grenzte an Wahnsinn. Es war ein Akt der Verzweiflung. Er manövrierte gegen den harten Ebbstrom, als er die Schleppverbindung zum Flaggschiff hergestellt hatte, und versuchte nun, sie von den Muschelbänken Zu ziehen. Im Bauch des Schiffes wurden die Ruderer angebrüllt, die das letzte an Kraft gaben, was in ihren geschundenen Körpern steckte. Ein Mann mit der Peitsche in der Hand war unten erschienen. Er schrie und schlug, brüllte die schweißnassen verängstigten Kerle an, rannte von vorn nach achtern, brüllte mit dem Schlagmann, der wie besessen auf die Trommel hieb, immer schneller, immer dumpfer. Die Ruderer ächzten qualvoll, schrien vor Haß auf, wenn die Peitsche auf ihre Rücken
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klatschte, rissen die Münder auf, um Luft zu schnappen. und hieben die Riemen in das Wasser. Auf dem Schiff herrschte totales Chaos, und der Kapitän der „Zuniga“ war kaum noch Herr der Lage. Er befand sich in einer scheußlichen Situation. Einerseits drückte ihn der harte Ostwind mit aller Gewalt nach Westen, dann befanden sie sich in dem Ebbstrom, dem sie das Heck zugedreht hatten und der sie auf die Muschelbänke zutrieb. Wenn der Strom jetzt ihre Breitseite packte, war es für die „Zuniga“ endgültig vorbei. Sie durfte ihre schmale Silhouette in dem Ebbstrom nicht verlieren. Jetzt auch noch das Flaggschiff abzuschleppen, war so gut wie ausgeschlossen und mehr als ein waghalsiges Unternehmen. Der Kapitän gab dennoch nicht auf. Verbissen versuchte er, die aufgebrummte „San Lorenzo“ von der Muschelbank zu lösen. Aber dazu reichten die Kräfte der Ruderer nicht mehr aus. Sie waren erschöpft. hatten -sich total verausgabt und spürten auch nicht mehr die Schläge. die auf ihre Körper prasselten. Das Flaggschiff hatte sich noch kein Stück von der Stelle gerührt! Einmal ging ein kurzes Aufstöhnen durch die Reihen der Soldaten. als die „Zuniga“ querzuschlagen drohte. Der Strom drückte sie herum. Erst als im allerletzten Augenblick die Schleppleine gekappt wurde, gelang es ihr, wieder die alte Position einzunehmen. Hugo de Moncada hatte jetzt genug. Wenn es dem Engländer einfiel, seinen Anker zu lichten und etwas näher heranzusegeln, dann würde er sie aus sicherer Entfernung allesamt zu Kleinholz verwandeln. Zum ersten Male verließ er das Achterkastell und ging nach vorn. „Es hat keinen Zweck“, sagte er müde zu seinem Ersten. „Wir werden versuchen, aus eigener Kraft abzustaken. Ich will mich nur überzeugen, wie hart wir aufsitzen.“ „Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, Capitan, ich weiß nur, daß wir noch kein
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Wasser im Schiff haben. Die Planken halten.“ Moncada lief zurück. Er legte die Hände trichterförmig vor den Mund und brüllte, so laut er konnte: „Hört auf, Männer! Keine neue Schleppverbindung mehr! Das ist ein Befehl. Versucht, die Muschelbank zu umfahren, und kehrt zur Flotte zurück.“ „Und euch schießen sie zusammen!“ schrie jemand zurück. „Wir versuchen es aus eigener Kraft. Wir werden uns mit den Riemen von der Bank abstoßen. Los, zurück zur Armada, und seht euch höllisch vor!“ Die Anordnung wurde weitergebrüllt. Erst dann holten sie die zweite Leine ein, und als die „Zuniga“ langsam schwerfällig weitersegelte, geriet auch das englische Flaggschiff wieder in Bewegung. Schuß auf Schuß verließ die Rohre, doch zu Moncadas großer Erleichterung donnerten die Kugeln kurz vor dem Schiff in die See, warfen riesige Fontänen auf und ließen das Wasser aufstieben. Mehr als fünfzig Yards fehlten dem Engländer, sonst hätte er das Schiff getroffen. * In der Zwischenzeit hatte sich das Gefecht Howards gegen das linke Horn der Armada-Sichel verstärkt. Der größte Teil der englischen Schiffe hatte jetzt direkte Feindberührung. Die Spanier konnten ihre Träume vom Enterkampf endgültig abschreiben, denn sie gelangten an den Gegner nicht heran, der stets in sicherer Entfernung blieb und sich auf seine langen Rohre verließ. Das Flaggschiff Howards, die „Arc Royal“, spuckte Blei und Eisen zwischen die Spanier, und Lord Howard gab mit großer Gelassenheit seine Anweisungen und Befehle. Howard wuchs in dieser Stunde über sich selbst. hinaus und führte das Gros. der englischen Flotte selbstsicher und taktisch klug. Schuß auf Schuß verließ die Rohre, und immer wieder schlug es bei den Spaniern
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ein, es gab Kleinholz; Verwundete und Tote. Nach mehr als einer Stunde Gefecht erzielte die „Arc Royal“ ihren ersten harten Treffer. Eine der Urcas, ein Transportschiff, war leicht aus dem Kurs geraten und trieb in die Nähe der Reich- weite von Howards Kanonen. Der Admiral beobachtete 'das Schiff aus schmalen Augen, das versuchte, sich wieder in die „Sichel“ einzugliedern. „Lassen Sie das Feuer auf den Transporter eröffnen, Mister Gardiner!“ befahl er seinem ersten Offizier. „Wir gehen zwei Strich nach Backbord!“ Der Waffen- und Stückmeister der „Arc Royal“ nahm die Sache persönlich in die Hand und visierte an. Als der Transporter den Kurs wechseln wollte, ließ er feuern. Vier Zwanzig-Pfünder jagten donnernd aus den Rohren. Der Waffenmeister rieb sich nervös die Hände, verzog das Gesicht und sprang in die Höhe, als es bei dem Transporter mit donnerndem Getöse einschlug. Die Bordwand riß auf, Planken wirbelten durch die Luft, eine Großrah brach herunter, Segel zerfetzten, und schon schlug es direkt an der Wasserlinie erneut ein. Die Urca lief aus dem Kurs und legte sich leicht auf die Seite. Zwei weitere Zwanzig-Pfünder knallten in die Seite, rissen den Leib des Schiffes noch weiter auf, und Howard sah, wie das Seewasser mit einem gewaltigen Schwall ins Innere strömte. Auf dem Transportschiff war der Teufel los. Soldaten wurden durch die Luft gewirbelt und verschwanden in der See. Maultiere spielten verrückt und wieherten ihre Todesangst hinaus, als das Schiff sich wieder auf die Seite legte. Entsetzen und Panik brachen aus, das teilweise zerfetzte Deck bot ein Bild des Grauens. Der Transporter hatte Maultiere, Karren und Eisenkugeln geladen und lag tief und schwerfällig im Wasser. Nach dem sechsten Treffer begann er zu sinken. Immer mehr Männer sprangen über Bord, als das Schiff sich weiter zur Seite
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neigte und riesige Mengen Wasser soff. Einigen Maultieren gelang es, das Schiff zu verlassen. Jetzt schwammen sie in der kalten See, zwischen Trümmern, riesigen Segelfetzen und Soldaten, die sich an alles klammerten, was über Bord gegangen war. Aus Medinas Geschwader scherte eine Galeone aus, um die Schiffbrüchigen an Bord zu nehmen. Gleichzeitig wurden von der Galeone die ersten Schüsse auf das Flaggschiff abgefeuert. Aber sie lagen zu kurz und richteten keinen Schaden an. „Weiterfeuern, Mister Gardiner?“ fragte der Stückmeister. Der Offizier warf einen Blick auf den Lordadmiral, sah, wie es in dessen Gesicht zuckte und er leicht den Kopf schüttelte. „Nein“, sagte er knapp. „Das Schiff sinkt, es reicht.“ „Aber Admiral Drake hätte es jetzt total ...“ Gardiner warf dem Stückmeister einen harten Blick zu, musterte ihn eisig und drehte sich um. „Was Admiral Drake getan hätte, geht uns nichts an“, sagte er kalt. „Der Lordadmiral wünscht es nicht und damit Schluß. Dort drüben gibt es nichts mehr zu zerstören.“ „Zwei Strich Steuerbord“, hörte er den Lordadmiral sagen. „Wir gehen auf den alten Kurs zurück.“ Die Kanonen wurden gewischt, geladen und waren gleich darauf wieder feuerbereit. Die „Arc Royal“ ging auf den alten Kurs zurück und übernahm wieder die Führung. Aus schmalen Augen sah der Lordadmiral auf das Chaos, das sie hinterlassen hatten. Der Transporter lag jetzt so hart auf der Seite, daß man fast seinen Kiel sah. Um das Schiff herum hatte sich ein Knäuel tobender und um sich schlagender Männer gebildet, die mit den Maultieren um die Wette brüllten. Fässer, Planken, tote Tiere und Holzspieren trieben in der See. Viele wurden von der heransegelnden Galeone aufgefischt, die ein Boot zu Wasser gelassen hatte und auf der Stelle verharrte. Viele wurden nicht gerettet, einige gerieten in den Sog des Schiffes, das sich jetzt im
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Wasser schwerfällig herumwälzte und seine Unterseite zum Himmel streckte. Ziemlich schnell ging es unter, begleitet vom Schreien der Männer, der Maultiere und einem hohlen Brausen, das aus ihrem Inneren drang, mit dem es die Luft ausstieß wie ein zu Tode getroffener Wal. Blasen zerplatzten über dem sinkenden Rumpf. Fontänen wirbelten hoch, und aus dem Meer erklang ein Blubbern. Dann war es verschwunden. Im Meer entstand ein blasenwerfender Trichter, ein Strudel, der sich immer schneller drehte und alles mit sich riß, was sich im Umkreis befand. Dann hatte die See ihr erstes Opfer verschlungen. Wenig später erinnerten nur noch ein paar Trümmer an das Chaos, das sich soeben abgespielt hatte. Der Kampf ging weiter, bei den Spaniern setzte es Kleinholz. Da flogen Masten durch die Gegend, da donnerte, krachte und blitzte es, Pulverqualm legte sich beizend um die Schiffswände, Befehle wurden gebrüllt, dazwischen krachten Schüsse aus Musketen. Bisher waren die Spanier eindeutig im Nachteil. Lord Howard sah, daß sie aber immer darum bemüht waren, die Formation ihrer Sichel beizubehalten —trotz aller Ausfälle und Angriffe der Engländer. Dazu gehörte eine ganze Portion seemännisches Können, dachte der Lordadmiral, denn die Formation der Mondsichel hatte für die Spanier den .Vorteil der Verteidigung nach allen Seiten. Ihr Nachteil war, daß sie nur schwerfällig und starr nachrücken konnten. Man muß an diesem gekrümmten Bogen herumsägen, überlegte Howard, einen nach dem anderen herauspicken und zusammenschießen, angreifen, ausscheren, aus der Entfernung feuern und wieder auf den alten Kurs zurückgehen. Das würde die Armada langsam, aber sicher dezimieren. 3.
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Auf der „Isabella“ ging der Plan genau nach den Vorstellungen des Seewolfs auf. Philip Hasard Killigrew hatte das Geplänkel, wie er es nannte, seit mehr als einer Stunde durch das Spektiv beobachtet. Aus dem Großmast der „Isabella“ hätte er die beste Übersicht, und jetzt enterte er über die Luvwanten ab und ging zum Achterkastell. Die Seewölfe lagen auf der Lauer, bereit zum Zupacken, sobald die erste Galeasse hier aufkreuzte. Die Culverinen waren ausgerannt, geladen und feuerbereit. Jeder Mann befand sich auf seiner Station. Der eisenharte Profos Edwin Carberry wachte mit Luchsaugen darüber, daß Wasser und Sand bereitstanden, daß genug SiebzehnPfünder und Pulver an Deck gemannt waren. Der Waffen- und Stückmeister Al Conroy schlich ebenfalls überall herum. Ihm entging nichts. Auf dem Weg zum Achterkastell hörte der Seewolf das dumpfe Wummern der Geschütze. Frobishers „Triumph“ hämmerte ihr eisenhaltiges Lied gegen den spanischen Gegner, den sie so trickreich in die Falle gelockt hatten. Jetzt saß er darin und hatte alle Mühe, dem Gemetzel zu entrinnen. Wenn ihm das gelang, stand ihm der nächste Schreck gleich bevor, nämlich die „Isabella“ und die „Le Vengeur“, die auf der Lauer lagen. „Howard hat eine Urca versenkt“, sagte Hasard zu Ben Brighton und dem jungen O'Flynn, die sich ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielten. „Bei den Spaniern wird es noch eine Menge zertrümmertes Holz geben“, meinte Dan O'Flynn, „aber auch wir werden diesmal wohl kaum mit einem blauen Auge davonkommen. Die Dons verstehen etwas von Seemannschaft, und dieser Herzog von – äh ...“ „Medina Sidonia“, sagte der Seewolf. „Richtig, Sidonia, der ist gar nicht so unfähig, wie sie ihn immer hingestellt haben. Er hat seine Flotte prächtig aufgebaut, das muß ihm der Neid lassen. Der segelt seine Sichelformation stur weiter, trotz der Ausfälle. Der Mann ist
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über sich selbst hinausgewachsen in dem Moment größter Gefahr.“ „Das stimmt“, sagte Hasard. „Aber jetzt werden wir uns die beiden Dons vorknöpfen, die da heransegeln. Frobisher hat sie pausenlos unter Feuer, aber er erreicht sie kaum noch.“ „Welche beiden sind das?“ wollte Brighton wissen. „Die ,Girona` und die ,Patrona`. Etwas später wird die ,Zuniga` folgen, das Flaggschiff liegt noch immer fest.“ Hasard stand an der Schmuckbalustrade, hob die Hand und winkte Al Conroy heran, der zu ihm hochblickte. Auch der Profos erschien und wartete auf Befehle. „Wir werden versuchen, die Dons abzutakeln“, sagte er. „Das Feuer wird erst eröffnet, wenn ich den Befehl gebe. Dann aber voll drauf! Wir stoßen blitzschnell vor und schnappen uns die ,Girona'. Heransegeln, feuern, was die Rohre hergeben, und sofort Kursänderung.“ „Wie ein Albatros, der sich auf seine Beute stürzt“, sagte der Profos und verzog sein narbiges Gesicht zu einem harten Grinsen. „Oder wie ein Seeadler“, bemerkte Al Conroy. „Die sind nämlich nicht so schwerfällig.“ „Daß du immer alles besser wissen willst, Al“, knurrte Ed. „Jean Ribault schnappt sich den anderen Eimer“, sagte Hasard. „So haben wir es besprochen, wenn alles nach Plan verläuft.“ Bis jetzt verlief alles planmäßig und mit einer geradezu unglaublichen Präzision, was sogar den Seewolf erstaunte. Er hatte sich die Gedanken der Galeassen-Kapitäne vorgestellt und konnte ihr Tun und Handeln :voraussehen, denn nach den Gesetzen der Logik mußten sie so und nicht anders handeln, nachdem sie in die Falle gegangen waren. Sie würden jetzt also bei Portland Bill auftauchen, um ihre Haut zu retten, und zur Armada zurückkehren, um sich der Formation wieder anzuschließen. So geschah es auch. Die „Girona“ segelte heran, gefolgt von der „Patrona“, die sich etwa zwei
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Kabellängen hinter ihr befand. Der „Girona“ fehlte der Fockmast, sie segelte langsamer als sonst, wurde aber durch die Riemen doch noch schnell genug vorangetrieben. „Denkt daran, daß wir in die Takelage halten“, sagte Hasard noch einmal eindringlich. „Ihr wißt, daß unten die armen Kerle angekettet auf den Bänken sitzen. Viele von euch haben es am eigenen Leib gespürt und wissen, was es heißt, hilflos da unten zu hocken und elend zu ersaufen, wenn es einschlägt. Wir führen gegen die Dons an Deck Krieg und nicht gegen die Burschen auf den Bänken!“ Ja, das wußten sie, und für die armen Rübenschweine empfanden sie sogar Mitleid, die Männer von der „Isabella“. Sie würden, verdammt noch mal, darauf achten, daß keine Kugel in die Bordwand oder an die Wasserlinie schlug. Yes, Sir, das würden sie zu verhindern wissen, das war Ehrensache. Aber den Dons an Deck, den würden sie die Zähne zeigen. „Hoch die Segel!“ brüllte der Profos mit seiner Donnerstimme. „Willig, willig, ihr triefäugigen Kakerlaken. Schnell wie ein Seeadler wollen wir sein!“ Alles ging in der gewohnten Routine und tausendfach geübt blitzschnell. In die „Isabella“ kam Fahrt, vor dem Bug hob sich eine kleine Welle, und schon begann es zu gurgeln und zu rauschen, als aus der Welle ein Bart wurde. Auch auf der „Le Vengeur“ hatte der Franzose Ribault nur auf dieses Signal gewartet. Die Segel füllten sich mit Wind und schoben das Schiff durchs Wasser, dem verdutzten Gegner entgegen. Bei den Spaniern wirkte das Erscheinen der beiden Schiffe wie eine eiskalte Dusche. Schon hatten sie sich halbwegs in Sicherheit geglaubt, da liefen sie in die nächste Falle. Hasard ließ mit Vollzeug auf die erste Galeasse zusegeln. Er brauchte Pete Ballie, der als Gefechtsrudergänger das Schiff steuerte, nichts weiter zu sagen. Pete wußte, worauf es ankam, und seine Hände,
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groß wie Ankerklüsen, legten sich hart in die Speichen des Ruders. Der Seewolf blickte zu. der ersten Galeasse hinüber. Dort hatte der Capitan die Schlagzahl der Riemen erhöhen lassen. Er hatte anscheinend begriffen, daß es jetzt noch einmal hart auf hart ging, und suchte sein Heil in der Flucht. Hasard hatte aber nicht vor, ihn den Vorteil seiner Geschwindigkeit ausnutzen zu lassen. Die schlanke Dreimast-Galeone des Seewolfs rauschte heran, wild und unbändig, und dem Capitan der Galeasse stand bei diesem Anblick der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. „Feuer frei!“ schrie der Seewolf, als die Position günstig für die „Isabella“ war. Die Lunten senkten sich. Conroy hielt seine an das Zündkraut, Stenmarks Arm fuhr nach unten, Smokys Lunte senkte sich, Ferris Tucker entzündete das Kraut, und dann brüllten die überlangen Culverinen auf, und durch den Dreimaster ging ein Ruck, als die Culverinen auf den fetten zurücksausten und von den Brooktauen gehalten wurden. Beißender Pulverqualm stieg auf, den der Wind jedoch rasch auseinander blies. Wieder einmal hatten sie gezielt, als wollten sie einer Fliege das Auge herausschießen. Die eisernen Siebzehn-Pfünder gingen auf die Reise, heulten durch die Luft, und dann war auf der „Girona“ wieder einmal der Teufel los. Der Besanmast zersplitterte, barst auseinander, flog nach allen Seiten davon und regnete über das ganze Schiff, das mit einem Hagel aus Holzstücken, Tauwerk und Segelfetzen übersät wurde. Die Spanier gingen entnervt und verängstigt in Deckung, rasten über Deck, als sei der Satan persönlich hinter ihnen her, und brachten sich vor dem splitternden Segen in Sicherheit. Den Capitan schockte dieser blitzartige Überfall so, daß er sekundenlang wie gelähmt auf dem Achterdeck stand. Er dachte nicht im Traum daran, seine eigenen Kanonen einzusetzen, denn diese Distanz konnte er nicht überbrücken. Da
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fehlten ihm mehr als hundert Yards. Außerdem hatte er seinen legendären Gegner erkannt. Wenn die Spanier auch den Teufel nicht fürchteten, aber den Seewolf fürchteten sie, denn der war schlimmer als der Teufel, der brach mit Feuer und Schwefel mitten in die Herde und versengte ihnen die Haare. „El Lobo del Mar“, flüsterte der Capitan entsetzt, und dann wurde aus seinem Flüstern ein überlautes Gebrüll, als er den Befehl gab, mit härtester Schlagzahl abzulaufen und auf Ostkurs zu gehen. Das Deck bot einen wüsten Anblick, denn den Besanmast hatte es so in Stücke gehauen, daß es aussah, als hätte ihn eine Horde wütender Zimmerleute mit Äxten zu Kleinholz zerhackt und überall herumgestreut. Auf der „Isabella“ brandete Freudengebrüll auf, denn die Galeasse bot jetzt einen trostlosen Anblick. Der Fockmast fehlte ohnehin, und vom Besan stand nur noch ein lächerlicher zersplitterter Stummel, der anklagend zum Himmel wies. Im Bauch der Galeasse pullten die Ruderer wie die Irren. Rasend schnell tauchten die schweren Riemen ins Wasser, hieben klatschend in das Element, teilten es und jagten die „Girona“ vorwärts. Hart auf Ostkurs türmte sie, so schnell es ging. Hasard gab die Verfolgung auf, weil sie dann erst aufkreuzen mußten und es unwahrscheinlich war, daß sie die „Girona“ ein zweites Mal erwischten. Sie sah ohnehin wie ein riesiges zerrupftes Huhn aus mit ihren fehlenden Masten und Segeln. Medina Sidonia würde seine helle Freude an ihr haben. Inzwischen hatte sich auch die „Le Vengeur“ ihrem Gegner, der „Patrona“, genähert, und die Seewölfe konnten in aller Ruhe beobachten, wie Jean Ribault seinen Gegner anging. Er tat es mit dem gewohnten Elan und Schneid, die ihn schon immer ausgezeichnet hatten, denn schließlich war er beim Seewolf in die Lehre gegangen.
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„Der haut ihn kurz und klein“, sagte der Profos andächtig und rieb mit der Hand über die Bartstoppeln an seinem Kinn. Sie sahen, wie sich auf Ribaults Schiff grelle Blitze lösten. Der infernalische Donner folgte sofort danach, die Wolke aus Ruß und Qualm verdunkelte die „Le Vengeur“ sekundenlang. Auf der „Patrona“ schlug es krachend ein. Die Großrah flog in Stücke geschossen davon, über das Deck des Spaniers ergoß sich ein Regen aus Splittern. Auch dort hasteten sie brüllend durcheinander. Ribault hielt sich ebenfalls daran und schoß nicht auf den Rumpf des Spaniers. Das war für ihn Ehrensache, genau wie bei den Seewölfen. Der zweite Blitz fegte durch ein Segel und hinterließ ein mehr als manngroßes Loch, das der Wind sogleich erweiterte, bis nur noch traurige Fetzen herunterhingen. Der Kapitän der „Patrona“ reagierte ebenso wie der andere Spanier. Er flüchtete und ging auf Ostkurs mit zerschossenen Masten, zersplitterten Rahen und zerfetzten Segeln. „Die haben die Hosen voll, die Dons“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker zu dem alten O'Flynn, der grimmig die Fäuste hinter den Spaniern herschüttelte und sie lautstark verfluchte. Ribault gab ebenfalls die Verfolgung auf, die ohnehin nicht viel eingebracht hätte. „Die laufen wie die Hasen, diese Kastanienfresser“, sagte Old O'Flynn. „Damals, auf der ,Empress of Sea`, da hatten wir „O nein, nicht schon wieder“, sagte Tucker und hielt sich die Ohren zu, als der Alte wieder eine seiner Schauergeschichten vom Stapel lassen wollte. „Wir haben jetzt wirklich keine Zeit mehr, Donegal, uns das anzuhören.“ „Na, dann eben nicht“, brummte O'Flynn verärgert. „Steht nicht herum und faselt, ihr abgewrackten Plattfische!“ rief Carberry. „Unser nächster Freund taucht auf, oder seht ihr die Mastspitzen nicht, was, wie? Auf die Stationen!“
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Die Männer waren längst auf ihren Stationen, aber Carberry brauchte ein Ventil, um sich Luft zu verschaffen, denn er brannte darauf, dem nächsten Don eins zu verpassen. Inzwischen lief die „Le Vengeur“ mit einer Kabellänge Abstand vor der „Isabella“ her, als die „Zuniga“ auftauchte und in der Nähe von Portland Bill erschien. Hasard winkte vom Achterdeck Ribault zu und hob beide Hände mit abgespreizten Daumen hoch. Ribault streckte einen Arm in die Höhe, ein Zeichen, daß er verstanden hatte. Diesen Gegner würden sie jetzt gemeinsam angehen, daß ihm Hören und Sehen verging. „Eine volle Breitseite“, sagte Hasard zu Al Conroy, „sobald er sich in Reichweite befindet. Ribault wird ihm die erste verpassen, von uns kriegt er die nächste. Diesem Burschen kann ich schon jetzt versprechen, daß er ohne Masten weiterfährt. Haltet wieder voll in die Takelage.“ „Wenn Ribault uns noch etwas übrig läßt“, sagte Carberry. Aber Ribault ließ ihnen noch etwas übrig. Auf der „Zuniga“ hatte man das Verhängnis in Gestalt der beiden englischen Schiffe ebenfalls bemerkt und wollte ablaufen. Doch der Franzose war schon wie der Blitz heran und jagte eine Breitseite aus seinen Rohren. Der erste Schuß rasierte einen Teil der achteren Balustrade weg. Der nächste zerfetzte den oberen Teil des Besans und ließ ihn zersplittern. Die „Zuniga“ schluckte die Breitseite, aber danach sah sie gar nicht mehr stolz aus, und als sie den Seewölfen vor die Rohre lief, hielt Hasard sein Versprechen. Das, was Ribault noch übrig gelassen hatte, wurde jetzt von den Culverinen der „Isabella“ systematisch zerhackt, in Fetzen gelegt und abgewrackt. Aus dieser Entfernung saß jeder Schuß und verkleinerte die Masten, bis nur noch traurige Stümpfe an Deck standen.
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Während der kurzen Begegnung feuerte jedoch auch die „Zuniga“ zweimal hintereinander. Sie war immerhin mit fünfzig Kanonen bestuckt, und als es bei ihr aufblitzte und der Eisenhagel aus ihren Rohren stob, da hörte es sich so an, als würde der Weltuntergang eingeleitet. „Himmel, machen die einen Krach“, sagte der Profos in gespieltem Entsetzen. „Da kann einem ja angst und bange werden. Nur treffen müssen sie noch“, setzte er grinsend hinzu, als die schweren Kugeln mehr als vierzig Yards von der „Isabella“ entfernt ins Wasser schlugen. „Dons zertrümmern Meeresspiegel“, sagte der Gambianeger Batuti. „Schießen vielleicht auf Fisch.“ Alle lachten laut, bis auf die Spanier, die zähneknirschend sahen, daß sie es nicht schafften, ihre Kugeln ins Ziel zu bringen. Sie hatten außerdem noch einen Nachteil. Da sie sich fast ausschließlich auf Enterkämpfe verließen, waren ihre Stückpforten ziemlich eng und gestatteten keinen Spielraum. Sie konnten die Kanonen nicht schwenken wie die „Isabella“ oder Ribaults „Le Vengeur“, die dadurch einen größeren Winkel bestreichen konnten. Dann waren die Schiffe aneinander vorbeigelaufen, und die „Zuniga“ sah aus, als wäre sie durch einen fürchterlichen Orkan gesegelt. Sie hatte keinen Mast mehr, keine Rah, kein Segel, nur noch ein total verwüstetes Deck, und für Hasard wäre es ein leichtes gewesen, sie zu versenken. Dazu hätte eine Breitseite auf die Wasserlinie genügt. Die „Zuniga“ setzte sich ebenfalls nach Osten ab, nur noch rudernd und mit erhöhter Schlagzahl. „Das wird Medina Sidonia die Tränen in den Bart treiben“, sagte Ben Brighton, als das entmastete und abgetakelte Schiff sich mit Ostkurs verzupfte. „Das war seine bisher größte Pleite. Drei Galeassen kehren als halbe Wracks zurück, und eine sitzt wie festgenagelt auf den Muschelbänken.“ Die „San Lorenzo“ hatte sich immer noch nicht von der Stelle gerührt, wie die Seewölfe sahen. Und außerdem lag sie im
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Feuer der „Triumph“ von Frobisher, die sich immer genauer auf das Flaggschiff einschoß. Carberry, der eine Weile zusah, schüttelte schließlich den Kopf. „Das ist nicht normal“, sagte er. „Es ist unmöglich, daß die Frobishers diese Distanz überbrücken.“ Al Conroy konnte sich das ebenfalls nicht erklären. „Solche Kaliber gibt es gar nicht, Ed. Die feuern ja mühelos von einem Ende der' Welt zum anderen.“ „Du sagst es, Al! Aber ich wette, die Frobishers schießen nicht mit der üblichen Menge Pulver. Die nehmen mindestens das Doppelte, wenn nicht gar das Dreifache an Ladung.“ „Anzunehmen“, erwiderte der Waffenmeister. „Dann wird es nicht mehr lange dauern, und die Rohre ihrer Culverinen fliegen ihnen selbst um die Ohren. Das geht vielleicht mal ausnahmsweise, aber nicht auf die Dauer.“ Schuß um Schuß jagte die „Triumph“ hinaus. Immer wieder übertönte das Wummern ihrer Artillerie jedes andere Geräusch. Die „Isabella“ und „Le Vengeur“ segelten noch etwas weiter nach Süden und legten sich in der Nähe der Muschelbänke erneut auf die Lauer. * Für die Leute auf dem festsitzenden Flaggschiff war es die Hölle selbst, die sich aufgetan hatte. Moncada bewies noch einigermaßen gute Nerven und hatte auch seine Ruhe wiedergefunden, jedenfalls nach außen hin, um der Mannschaft nicht den Anblick eines verzweifelten Mannes zu bieten. Doch immer wieder zuckten die Spanier zusammen, wenn die brüllenden Abschüsse des Engländers erklangen, wenn das Gewitter über die See rollte und der Blitz in Form von rundem Eisen ganz in ihrer Nähe einschlug. Verdammt, dachten sie, es sah ganz so aus, als würde der Engländer mit jedem Schuß
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dichter an das Schiff geraten. Er schoß sich systematisch auf die „San Lorenzo“ ein. Seit mehr als einer halben Stunde schufteten sie unter unmenschlichen Bedingungen und im Feuerhagel der „Triumph“, der sie total entnervte. Sie hatten gesehen, wie ihre Schwesterschiffe in die Falle gelaufen waren, wie man sie zerschossen hatte und es ihnen geglückt war, entmastet und zerstört zur Armada zurückzukehren. Und sie saßen immer noch auf den verdammten Muschelbänken! Hugo de Moncada setzte alles daran, um das Schiff freizukriegen. Zur Zeit schufteten annähernd vierhundert Männer mit Spieren, Riemen und Ersatzrahen, um das Schiff von der heimtückischen Muschelbank zu drücken. Es wurde alles verwendet, was es an Bord gab. Sie hatten sogar die Ruderer losgekettet, um ihre Haut zu retten. Jetzt stakten sie und schoben das Schiff Zoll um Zoll über die Muscheln. Es war eine zeitraubende, nervtötende und schweißtreibende Plackerei, die kein Ende na im. Immer wieder scharrte der Rumpf über die scharfkantigen Muscheln, immer wieder wurde das Schiff auf Lecks geprüft, aber der unglaublich starke Holzboden hielt das aus. Die Muscheln hinterließen zwar Kerben, Dellen, Einbuchtungen und lange Risse, aber den Rumpf schafften sie nicht. Die Männer stakten unter dem Gebrüll der anderen, die sie zur Eile antrieben. Sie zogen die Köpfe ein, wenn es krachte, beteten und fluchten, schimpften oder fügten sich in ihr Schicksal. Immer wieder klatschten schwere Brocken ins Wasser, mitunter stiegen die Fontänen so hoch, daß der Wasserschleier ihre Körper näßte. Ab und zu zerbrachen Riemen, hin und wieder fiel einer der schuftenden Männer entkräftet um und blieb liegen. Sie könnten sich nicht darum kümmern, die Zeit drängte, und der Engländer traf immer besser. Moncada lief von vorn nach achtern, ließ Tiefe loten und sah immer wieder besorgt
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auf die beiden anderen Engländer, die die Galeassen abgewrackt hatten und jetzt seelenruhig auf der Lauer lagen. „Diablo!“ schrie er seinen Ersten an. „Kriegen wir denn keine Hilfe? Der Generalkapitän muß doch gemerkt haben, daß wir hier in der Falle sitzen und die anderen zurückgekehrt sind und aussehen, als wären sie nur noch Trümmerhaufen.“ „Er schickt ganz sicher bald ein paar Galeonen“, erwiderte der Erste müde. „Sobald er sich einigermaßen freigekämpft hat. Das Gefecht mit den Engländern hat sich jetzt weiter nach Osten verlagert.“ „Das sehe ich selbst“, knurrte Moncada unwillig. „Nur hilft uns das im Augenblick nicht viel. Mich wundert nur noch, daß dieser Engländer nicht ankerauf geht und uns zusammenschießt.“ Seine Worte wurden wiederum von einem nachhallenden Dröhnen überlagert. Diesmal zog auch Moncada das Genick ein, denn ganz dicht vor der Bordwand knallte ein Eisenbrocken ins Wasser, und im selben Moment gab es einen dumpfen Schlag an den Planken. „Treffer“, konstatierte der Erste zähneknirschend. „Sehen Sie nach, ob Wasser eingedrungen ist, sonst saufen wir ab, sobald wir von den Bänken sind.“ „Si, Senor.“ Die Prüfung ergab, daß der ZwanzigPfünder der englischen Artillerie keinen Schaden angerichtet hatte. Die Kugel war schräg auf die Wasseroberfläche geprallt und dann weitergehüpft. Erst als sie keine Geschwindigkeit mehr hatte, schlug sie gegen die Bordwand, mit einem kraftlosen dumpfen Geräusch. Moncada stieß erleichtert die Luft aus, griff zum Spektiv und blickte nach der Armada, deren Sichelhorn immer noch in schwere Kämpfe verwickelt war. Es sah nicht rosig für die eigene Flotte aus, fand er. Die Engländer sägten sich ihre Brocken aus dem Verband heraus, stießen vor, feuerten und zogen sich wieder zurück. Auf einer der am linken Horn segelnden Galeonen war Feuer
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ausgebrochen, und eine dunkle Qualmwolke strebte zum Himmel. Als Moncada das Spektiv absetzte, stieß er seinen Ersten erleichtert an. „Der Generalkapitän schickt vier Galeonen des kastilischen Geschwaders zu unserer Entlastung und zu unserem Schutz. Er hat also gesehen, in welcher Lage wir uns befinden.“ Erleichterung griff um sich, Jubel brandete auf, als die Nachricht wie ein Lauffeuer durch das Schiff ging. Jetzt wurde noch verbissener gestakt, mit allen Kräften, mit dem letzten Einsatz, und immer weiter „marschierte“ die Galeasse über die Muschelbänke. Wie ein dwarslaufender Riesenkrebs sah sie von weitem aus. Medina Sidonia war es tatsächlich nicht entgangen, was sich dort bei den Shambles abspielte, und als er die drei zurückkehrenden und total zerrupften Galeassen sah, da zuckte er zusammen. Sofort setzte er daraufhin einen Teil des kastilischen Geschwaders in Marsch. Jetzt scherten diese vier Kriegsgaleonen aus dem Kurs und gingen unter vollen Segeln auf Westkurs. Dabei mieden sie die Nähe der Muschelbänke und hielten sich weiter südlich davon. „Jetzt werden diese beiden Engländer das große Flattern kriegen“, sagte Moncada und deutete auf die „Isabella“ und die „Le Vengeur“, auf die das aus vier Galeonen bestehende kastilische Geschwader zusegelte. „Passen Sie mal auf, wie schnell die sich jetzt absetzen.“ Der Erste glaubte das auch, er war sogar davon überzeugt, daß auch die „Triumph“ jetzt gleich das Weite suchen würde. Aber das war ein schwerwiegender Irrtum. * Dem Seewolf war die emsige Aktivität nicht entgangen. Sein Schiff war nach Süden abgelaufen, war feuerbereit und erwartete den neuen Gegner, der sich aus dem Geschwader gelöst hatte und sich jetzt näherte.
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Auf Rufweite stand Hasard mit Ribault in Verbindung. „Jetzt wird zum großen Tanz aufgespielt“, versicherte er seinen Männern. „Big Shane und Batuti, ihr werdet die Kerle mit Brandund Pulverpfeilen begrüßen.“ Die fraglos besten Bogenschützen der „Isabella“, der ehemalige Schmied von Arwenack und der herkulische Mann aus Gambia, hatten bereits vorgesorgt. Ihre riesigen Bogen lagen bereit, auch das Sortiment von Pulver- und Brandpfeilen fehlte nicht. „Feuert vom Großmars „aus, da habt ihr die beste Übersicht, und heizt den Burschen kräftig ein. Bill trägt euch die Messingbecken mit der Holzkohle nach oben.“ Bill, das war der jüngste Mann an Bord, trotz seiner zwanzig Jahre immer noch der Moses, der sich längst bewährt hatte und der ein echter Seewolf geworden war. Das hatte er immer wieder neu bewiesen und sich erkämpft. Er enterte in Luv auf, bepackt mit Pfeilen, dem Messingbecken mit glühender Holzkohle, und verstaute alles hinter der Segeltuchverkleidung auf der Plattform. „Keinen Befehl zum Feuern abwarten, Shane, Batuti“, sagte der Seewolf noch. „Ihr kennt eure Reichweite. Wenn ihr glaubt, den Don treffen zu können, dann legt los.“ Die beiden Riesen nickten, sagten kein Wort mehr und enterten sofort auf, um ihre Position einzunehmen. Sie würden den Dons einmal demonstrieren, was man mit den Brandpfeilen alles anstellen konnte und wie weit die Dinger tatsächlich schossen. Inzwischen war Ribault, dem der Aufmarsch der vier Kriegsgaleonen ebenfalls nicht entgangen war, näher an die „Isabella“ herangesegelt. Beide Schiffe lagen jetzt auf Parallelkurs. Der Seewolf sah den sonnenverbrannten Franzosen auf dem Achterdeck stehen und grinsen. „Wie nehmen wir sie in die Zange?“ rief er laut herüber.
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Hasard grinste zurück und deutete mit der Hand nach Süden. „Frobisher geht ankerauf!“ rief er zurück. „Wenn du weiter nach Süden abläufst, können wir den Verband aufsplittern. Vielleicht segeln ein oder zwei der Dons euch nach!“ „Hoffen wir das Beste!“ rief Ribault. Gleich darauf, er lief nur unter einem kleinen Sturmsegel, ließ er mehr Segel setzen und änderte leicht den Kurs. Die vier Galeonen näherten sich. Ihre Stückpforten waren hochgezogen, dahinter drohten die Schlünde großer Kanonen. Doch diese Rohre waren wesentlich kürzer als die der „Isabella“ und hatten auch dementsprechend eine geringere Reichweite. Oben im Großmars legte Big Old Shane, der graubärtige Riese, seinen ersten glimmenden Pfeil bedächtig auf den Bogen. Shane überhastete nichts, er war immer die Ruhe selbst, regte sich auch nur ganz selten auf und hatte trotz aller Schnelligkeit und Stärke doch ein gewisses Maß „Blei im Arsch“, wie Smoky es formulierte, denn den Riesen brachte nichts aus der Ruhe, da mußten schon Berge einstürzen, ehe es ihn erschütterte. Er spannte mit seinen gewaltigen Armen den Bogen und zog so weit durch, daß der Bogen eine gekrümmte Linie bildete. Seine Oberarmmuskeln traten scharf hervor. Er hob den Bogen noch etwas höher und zielte auf die erste Galeone, die wie ein wilder Schwan heranrauschte und eine weiße Bugwelle vor sich auftürmte. „Ist noch zu weit“, bemerkte Batuti und schüttelte zweifelnd seinen Krauskopf. „Das wird sich ja gleich herausstellen“, sagte Big Shane bedächtig und ließ den Pfeil los. Eine kaum sichtbare Rauchspur zog er hinter sich her, die Luft entfachte die Spitze zu heller Glut. Batuti grinste höflich. „Batuti sagen zu weit, Pfeil treffen Wasser, Shane.“ „Bis jetzt fliegt er noch“, sagte Shane gelassen und sah dem winzigen Strich
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nach, der auf die noch weit entfernte Galeone zuflog. Noch ein paar Yards, dachte Shane, und dann grinste er, denn der Pfeil sauste dicht unter die Blinde des Spaniers und blieb außenbords im Holz stecken. Dort, wo er eingeschlagen war, lohte eine winzige Flamme, die der Wind entfachte und größer werden ließ. „Blödes Don haben nix gemerkt“, sagte Batuti und legte jetzt, nach einem anerkennenden Blick in Shanes Richtung, ebenfalls einen Pfeil auf die Sehne des Langbogens. Die Spanier hatten tatsächlich nichts davon bemerkt, denn der Pfeil brannte rauchlos und die kleine Flamme sah man nicht. Batutis Pfeil ging auf die Reise, beschrieb einen Bogen und landete auf der Back des Spaniers. Anschließend stellten die beiden Riesen ihre Schußfolge unter Beweis und griffen zu den Pulverpfeilen, die beim Aufschlagen grell brannten. Auf dem Spanier wurden zwei Rohre abgefeuert, aber wieder lagen die Schüsse viel zu kurz und peitschten nur die See auf, Der dritte Pfeil, den Shane auf die Reise schickte, und der vierte, den Batuti hinterher jagte, schlugen wiederum auf der Back ein, und gleich darauf begann es zu brennen. Ein Dutzend Spanier stürzte zur Back. Sie versuchten, die Pfeile aus dem Holz zu zerren, gossen Wasser darüber und bildeten eine Kette, damit der Brand nicht weiter um sich griff. Die mit Schießpulver gefüllten Spitzen hatten es jedoch in sich. Einige zerplatzten, verstreuten ihren Inhalt und setzten überall kleine Brände. Jetzt brannte es auch unter der Blinde, und ehe die Dons begriffen, was los war, flammte das Segel der Blinde auf. Glühende, versengende und brennende Fetzen lösten sich, wurden vom Wind ins Meer getragen oder fielen auf die Back, auf der sich immer stärker der Rauch kräuselte.
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Pfeil um Pfeil schossen die beiden Männer aus dem Großmars. Ihre Zielsicherheit war verblüffend. Shane jagte einen auf das Achterkastell, der vor einem entsetzten Spanier in die Planken fuhr und sofort zu brennen anfing. Der Spanier, er gehörte zur Schiffsführung, wie Hasard durch das Spektiv sah, sprang in die Höhe, verlor das Gleichgewicht und kollerte den Niedergang hinunter. Die Dons hasteten durcheinander, löschten hier, gossen dort Wasser auf Deck, hieben jetzt mit. Beilen nach den Pfeilen und warfen sich der Länge nach aufs Deck, sobald wieder eines der glühenden Biester heransirrte. Auf der Back brannte es jetzt stärker. Die hochschlagenden Flammen drohten in die Takelage überzuspringen. „Er dreht ab!“ rief Brighton. „Der hat genug und muß erst seinen Brand löschen.“ Tatsächlich scherte die Galeone aus dem Kurs, lief nach Backbord ab und segelte hinter dem Gros der anderen her. Auf ihrem Vordeck wimmelte es von Seeleuten, die ängstlich darum bemüht waren, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Mit unerschütterlicher Ruhe nahmen sich Shane und Batuti die zweite Galeone vor, die 'jetzt Spitzenschiff geworden war. Nicht lange, und auch auf ihr zerplatzten die ersten Pfeile. Das Schiff antwortete mit einer vollen Breitseite, und als die dunklen Qualmwolken vor der Bordwand auftauchten, jagte Shane einen Pfeil nach dem anderen in die Wolken. In der Luft war ein Sausen zu hören. Diesmal duckten sich die Seewölfe unwillkürlich. „Jetzt gibt's was auf die Mütze“, prophezeite der Decksälteste Smoky und verzog das Gesicht. Carberry blieb mit ausdruckslosem Gesicht am Schanzkleid stehen. „Das glaubst du doch selbst nicht“, sagte er. „Das Heulen und Jaulen stammt von den Spaniern, weil die sich den Hintern verbrannt haben.“
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Eine riesige Wasserwand stieg dreißig, vierzig Yards. vor der „Isabella“ in die Höhe und erreichte Achterdeckshöhe. „Mann, sieht das herrlich aus“, sagte der alte O'Flynn und verzog verzückt das Gesicht, als hätte er so etwas „Schönes“ noch nie in seinem Leben gesehen. „Das sieht aus wie ein riesiger Blumenstrauß, der aus dem Wasser wächst.“ „Kannst ihn ja mal pflücken“, sagte der Profos grinsend. „Aber der Kapitän hat das Laufen auf dem Wasser während der Fahrt streng verboten.“ Gelächter brandete auf. Für die Seewölfe war es bezeichnend, daß sie sich über diese Breitseite der Galeone nicht weiter aufregten. Sie lästerten sogar darüber, denn sie kannten die Reichweite der spanischen Kanonen. Allerdings, auch das war jedem klar, würde die nächste Salve etwas dichter dran sitzen. Dann konnte O'Flynn seinen Blumenstrauß vielleicht gleich an Deck pflücken, mit langen Stielen, die aus zerfetzten Holzplanken bestanden. Näher heran traute sich der Spanier jedoch nicht. Er ließ lediglich die Kanonen wischen und wieder laden. „Breitseite!“ rief der Seewolf. „Feuer frei!“ Der Winkel für eine Breitseite war der größeren Stückpforten wegen noch ausgesprochen günstig, und die überlangen Culverinen würden diese Distanz mit Sicherheit überbrücken. Die „Isabella“ erbebte in allen Planken, als die acht Culverinen ihren Eisenhagel über die See spuckten. Acht gewaltige Donnerschläge gingen auf die Reise. Diesmal würde nicht in die Takelage gehalten, denn es gab keine Ruderer an Bord der Galeone. Etwas wie Unglauben breitete sich auf den Gesichtern der Seewölfe aus. als die Breitseite beim Gegner einschlug. Sie alle glaubten zu träumen, denn Treffer wie diese waren äußerst selten. Einmal war es dem Seewolf vor Shanghai gelungen, mit einem einzigen Schuß eine gewaltige Kriegsdschunke, viermal größer als die „Isabella“, schlagartig in die Luft zu blasen. Mit dem Glückstreffer hatte er die
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Pulverkammer des Riesenschiffes erwischt. Jetzt wiederholte sich das. Auf der Galeone breitete sich ein Blitz aus, so grell und blendend, daß jeder die Augen zukniff. Ein hallender Schlag ließ sie alle zusammen- fahren. Der Blitz breitete sich aus, wurde zu einer kleinen Sonne, die fortwährend zu explodieren schien. Niemand sagte etwas, sie standen nur da, stumm, ergriffen und staunend. Geblendet starrten sie in dieses himmelhohe grelle Licht und schluckten hart. Die Galeone fetzte auseinander, die Masten knickten weg, hoben sich und rasten in den Himmel. Gleichzeitig blähte sich das Mittelschiff gewaltig auf, das Deck flog hoch, das Schiff wurde immer breiter, bis es sich in seine Bestandteile auflöste. Eine heiße Glutwelle fegte heran, der Riesenball aus Feuer vergrößere sich immer noch, und ein bestialischer Donnerschlag folgte dem anderen. Vergessen war das Gefecht England gegen Spanien. Alle Schiffe hatten ihr Feuer eingestellt. Die Mannschaften starrten ungläubig und fassungslos auf den tosenden Glutball, der sich übers Wasser bewegte, aus dem immer noch Planken, Trümmer, Fetzen und Holzstücke in alle Richtungen flogen. Schließlich schluckte die See das Inferno aus Feuer und Rauch. Leiber trieben im Wasser, es waren nicht mehr viele, und jene, die es überlebt hatten, die der Explosionsdruck fortgeblasen hatte, fragten sich verblüfft, weshalb sie sich plötzlich mehrere Kabellängen entfernt von ihrem Schiff befanden. Hasard stieß langsam die Luft aus. Er hatte beide Hände um den Rundlauf der Schmuckbalustrade gekrampft und fand lange Zeit keine Worte, so beeindruckend war das eben gewesen. „Es hat die Pulverkammer erwischt“, sagte Smoky trocken. Carberry sah ihn an und fand auch jetzt erst wieder Worte.
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„Ja, was sonst, Mann! Glaubst du Stint etwa, wir hätten in den Nachttopf des Kapitäns gefeuert und der wäre dann explodiert, was, wie? Klar war das die Pulverkammer, du Klotzkopf!“ „War ja nur 'ne Feststellung“, murrte Smoky, und dann sah er sich verblüfft tim. Tiefe Stille herrschte ringsum. Nicht einmal das leise Gluckern des Wassers war mehr zu hören. Es sah aus, als hätte eine Riesenfaust alle Schiffe gestoppt und ihre Bewegungen erstarren lassen. Bis sich der allgemeine Schock gelöst hatte, verging eine ganze Weile. Selbst auf der „San Lorenzo“, dem Flaggschiff Moncadas, merkten die Kerle erst später, daß ihre Galeasse wieder frei war und in tieferem Wasser stand. Noch einen hatte diese Explosion tief erschüttert. Das war Don Alonso de Guzman el Bueno, der Herzog von Medina Sidonia. Tief betroffen stand der zartknochige Mann auf dem Achterkastell seines Schiffes und blickte aus wehmütigen Augen auf jene Stelle im Wasser, wo soeben der gewaltige Glutball versank. Entsetzen erfaßte ihn über diesen Volltreffer, Entsetzen über den Verlust der Männer und des Schiffes. Jetzt spürte er überdeutlich, wie die gewaltige Verantwortung ins Grenzenlose wuchs und ihn diese fürchterliche Last zu erdrücken schien. Er betete still vor sich hin, nur seine Lippen bewegten sich dabei, kein Wort war zu hören. Erst dann gab er sich einen Ruck und sah Capitan Santraz mit müden Augen an. „Es ist furchtbar“, sagte er leise, „das war ein schwerer Schlag, Capitan.“ „Es war dieser Mann, den sie Seewolf nennen“, sagte der Capitan heiser. In seinem Gesicht erschienen hektische rote Flecke. „El Lobo del Mar“, fügte er hinzu. „Lassen Sie sammeln“, sagte Sidonia. „Wir brechen das Gefecht vorerst ab und gehen auf Südostkurs, weg von der Küste!“ „Wie Sie befehlen, Don Alonso. Sammeln, Gefecht abbrechen und auf Südostkurs gehen.“
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„So lautete meine Anordnung.“ Auf den beiden anderen Galeonen hatte man den Schreck noch nicht verwunden, aber die Holzerei setzte jetzt wieder verbissen ein. Ribault war es gelungen, den Verband aufzusplittern, und die beiden restlichen Galeonen des kastilischen Geschwaders segelten hinter der „Le Vengeur“ her. Die erste hatte sich wieder, qualmend und immer noch leicht brennend, in den Verband eingegliedert, der jetzt den Kurs änderte und von der Küste wegsegelte. „Medina Sidonia bricht den Kampf ab“, meldete der junge O'Flynn. „Den muß der Verlust ganz schön genervt haben. Die gesamte Armada ändert jetzt den Kurs.“ „Und die ,San Lorenz& ist frei!“ rief Stenmark. „Der könnten wir noch ein Ding verbraten.“ „Dann los“, sagte Hasard, als er sah, daß die Spanier tatsächlich von der Küste fortstrebten. „Hacken wir ihr die Takelage weg!“ Ein paar Minuten später aber sah er etwas anderes. Die Galeasse, die jetzt wieder tieferes Wasser erreicht hatte, pullte zu jener Stelle hin, wo die Galeone untergegangen war. Dort fischten die Spanier Überlebende aus dem Wasser und hievten sie an Bord. Es waren immer noch genug, die da im Wasser trieben. Hasard blickte nachdenklich in die Richtung. „Nein“, sagte er dann hart. „Ihr wißt, daß wir gewisse Prinzipien haben, und eines davon ist, daß wir keine hilflosen Männer zusammenschießen oder Schiffe angreifen, die Schiffbrüchige aus dem Wasser fischen. Ich heiße nicht Drake und bin auch kein Marodeur. Die Dons haben von uns genug abgekriegt. Außerdem haben wir noch die beiden anderen Galeonen, mit denen sich Ribault herumschlägt. Also, Pete, Kurs auf die beiden Dons, denen heizen wir noch ein wenig ein.“ Niemand murrte, es gab keine Widerrede, denn das hatten sie alle schon hundertmal durchexerziert. Hilflose waren absolut tabu, auch wenn sie bitterböse Gegner waren. Das war ihr Ehrenkodex. Sie
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kämpften, daß die Fetzen flogen, und im Entern waren sie gewiß auch nicht kleinlich, aber einen schon geschlagenen Gegner, der hilflos und demoralisiert war, den ließ man entweder in Ruhe, oder man half ihm, wenn kein anderer zur Stelle war. Yes, Sir, und davon biß keine Maus einen Faden ab, das war die einhellige Meinung an Bord der „Isabella“. Die beiden Galeonen, noch weit vor ihnen, beharkten die „Le Vengeur“ ziemlich hart, und Ribault gab zurück, was er konnte, hielt sich dabei aber nach Möglichkeit aus der Reichweite der spanischen Kanonen. „Die ,Le Vengeur' hat einen Treffer abgekriegt“, sagte Dan, der das Schiff beobachtete. „Da scheint sich einer gegen das Schanzkleid gelehnt zu haben, ein Zwanzig-Pfünder, meine ich.“ „Vollzeug!“ rief Hasard, und jetzt ging auch das letzte Segel hoch und trieb die ranke Galeone voran. Die beiden Spanier waren so emsig beschäftigt, daß sie die „Isabella“ reichlich spät bemerkten. Sie war jedoch noch nicht auf Schußweite heran, als man das Unheil bemerkte, das da aufkreuzte wie ein wütender Schwan. Den Dons fuhr erneut der Schreck in die Knochen, denn dieses Schiff segelte geradezu aus der Hölle heran, und die Kerle an Bord hatten einen Kontrakt mit dem Teufel geschlossen. Im Geiste sahen sie sich schon in die Luft fliegen wie die zweite Galeone, die sich in einen rasenden Feuerball verwandelt hatte, und das bei nur einer einzigen Breitseite. „El Lobo del Mar!“ ertönte ein Schrei. Es war eigentlich kein Schrei, es war ein hysterisches Kreischen, das da auf dem Achterdeck des einen Spaniers erklang, und dieses Kreischen trieb den anderen Totenblässe in die Gesichter. Selbst die Seewölfe staunten, wie schnell man bei den Dons die Segel setzen konnte. Da klappte alles wie am Schnürchen, da gab es keinen falschen Handgriff, da gab es nur noch lausige nackte Todesangst, und die verlieh ihnen ungeahnte Kräfte. Da riß sogar Ed Carberry den Mund auf und schüttelte den Kopf. „Seht euch das
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an, ihr Lahmärsche“, sagte er zu den Männern. „Und da wollt ihr noch behaupten, ihr seid schneller? Lahme Krücken seid ihr im Segelsetzen gegen die Dons. Das nenne ich blitzschnell ein Schiff in Fahrt bringen!“ „Kein Kunststück mit vollen Hosen“, sagte Blacky abfällig. „Da wird es unter dem Hintern warm und brennt, und dann ist man eben schnell.“ Auf der „Isabella“ begann zuerst Ferris Tucker zu lachen, dann fiel Smoky ein, dann brüllte der Profos, und schließlich hieben sich auch die anderen auf die Schenkel und lachten laut. Es war erstaunlich, wie schnell sich die beiden schweren Kriegsgaleonen verholten und fast über dem Wasser schwebten. Der Profos war sicher, daß sie noch das unbändige Gelächter der Seewölfe hinter sich hörten, und das trieb sie erst recht noch schneller voran. „Shane, Batuti!“ rief Hasard den beiden Männern zu. „Jagt ihnen noch einen Brandpfeil hinterher, das müßte bei dem Wind zu schaffen sein. Dann können sie schneller segeln, wenn es ihnen die Bärte versengt.“ Die beiden Männer ließen sich das nicht zweimal sagen. Der Wind stand tatsächlich günstig und trug weit. Zwei Pfeile flitzten von der Sehne. Gleichzeitig ließ Al Conroy noch einen eisernen Gruß aus der vorderen Drehbasse folgen, der den Spaniern nachjaulte, aber keinen Schaden mehr anrichtete. Dafür trafen beide Pfeile die letzte Galeone ins Achterkastell. Sie blieben im Holz links vom Ruderschaft stecken und brannten. Das dröhnende Gelächter der Seewölfe begleitete die beiden Galeonen auf ihrer rasenden Flucht. „So“, sagte der Profos zufrieden und verschränkte seine gewaltigen Arme über der noch gewaltigeren Brust. „Jetzt soll bloß noch einer sagen, wir hätten den Dons kein Feuer unter den Hintern gesetzt. Das wird sie noch schneller segeln lassen, denn wer Feuer unter dem Achtersteven hat, kann besser und schneller rennen, was, wie?“
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Hasard gab die Verfolgung auf, denn die Dons segelten jetzt hinter ihrem ablaufenden Gros her und waren kaum noch einzuholen. Inzwischen hatte auch die „Triumph“ ihren Ankerplatz verlassen. Die Frobishers verfolgten die Galeasse, die jetzt ebenfalls auf Kurs ging, nachdem sie die letzten Überlebenden an Bord geholt hatte. Allerdings ging Frobishers Rechnung nicht mehr auf, denn die „San Lorenzo“ schaffte es, zu fliehen und sich dem Gros anzuschließen. Bedauernd sah er ihr nach und staunte ebenfalls. So schnell hatte er noch keine Mannschaft rudern sehen. Die Riemen wirbelten so schnell durch das Wasser, daß man sie kaum noch sah. Etwas später erreichte Hasard die „Le Vengeur“ und segelte neben ihr her, bis er auf Rufweite heran war. Auch dort sah er nur grinsende Gesichter. „Alles wohlauf?“ rief er hinüber. „Bis auf das Schanzkleid ist alles in Ordnung“, erwiderte der Franzose lachend. „Habt ihr nichts abgekriegt?“ „Wieso?“ fragte Carberry dazwischen. „Habt ihr denn einen ausgegeben?“ „Ja, aber nur für die Spanier. Mehr als einen Treffer konnten wir nicht unterbringen, die Dons allerdings auch nicht.“ Ferris Tucker, der sich das Schanzkleid aus der Ferne ansah, winkte geringschätzig ab. „Nicht der Rede wert“, sagte er. „Das ist nichts weiter als eine Vergrößerung der Stückpforte. Dadurch könnt ihr aus einem größeren Winkel feuern als bisher.“ Auf der „Le Vengeur“ wurde gelacht. „Wir sehen uns noch nach Nachzüglern um, Jean!“ rief der Seewolf. „Da krebsen noch einige rum, die noch nicht zur Herde zurückgefunden haben.“ „Wir segeln mit, Hasard!“ So geschah es dann auch. Beide Schiffe liefen nebeneinander her und suchten nach Nachzüglern. 4. Es gab einen Nachzügler, der allerdings erst am nächsten Tag gesichtet wurde.
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Es war das Flaggschiff der Urcas, die „Gran Grifon“, ein Sechshunderttonner mit neunzehn Kanonen auf jeder Seite. Die „Gran Grifon“ war ein schwerer, ungelenker Segler und hinter dem ablaufenden Gros zurückgeblieben, als der Wind auf Südwest gedreht hatte. Sie war das, was man als Seekuh bezeichnete, denn sie wälzte sich träge und schwerfällig durch ihr Element und kriegte kaum Fahrt drauf. Für Francis Drake war sie das gefundene Fressen. Sein Flaggschiff war die „Revenge“, und er war seit Stunden hinter dem plumpen Kasten hergesegelt. Der ehrenwerte Admiral Sir Francis Drake, vor Beutegier fast blind, sah nur noch diesen dicken Brocken und sonst nichts mehr. Die übrige Welt versank um ihn herum, als er neuen Ruhm an seine Flagge heften wollte. Die neunzehn Kanonen schreckten ihn nicht, sie hatten zu kurze Rohre. Drake hielt wohlweislich immer genügend Distanz und ließ eine halbe Stunde später das Feuer eröffnen. Diesen fetten Brocken wollte er versenken, der stachelte seinen Ehrgeiz geradezu an. Breitseite um Breitseite löste sich, die „Revenge“ hämmerte aus allen Rohren auf das Flaggschiff ein. Von dort wurde das Feuer erwidert, aber Drake registrierte hohnlachend, daß die Schüsse alle zu kurz lagen. Bald konnte er auch die ersten Treffer feststellen, und nun gab es für den Admiral kein Halten mehr. Er hatte einen Mast des Flaggschiffes abgetakelt und ihn in Trümmer verwandelt. Ein zweiter Brocken schlug ins Vorschiff und riß ein klaffendes Loch in die Planken, die wie Pinsel auseinander standen. Fenner wagte seinen Admiral daran zu erinnern, daß es bald nicht mehr genügend Munition an Bord geben werde, falls die pausenlosen Breitseiten anhielten. „Soll ich deswegen das Gefecht abbrechen?“ schrie Drake mit hochrotem Kopf. „Jetzt, da wir den Don so in der Zange haben, daß es nur noch eine Frage
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der Zeit ist, bis er sinkt! Es wird weitergefeuert, verstanden?“ „Aye, aye, es wird weitergefeuert“, sagte Fenner wütend. Die nächste Breitseite folgte. Die „Revenge“ erbebte von den pausenlosen Abschüssen in allen Fugen, wurde von Blitzen und Qualmwolken eingehüllt, die sich wie Nebel um sie legten. Drake rannte von einer Seite auf die andere, blieb zeitweilig an der achteren Balustrade stehen und feuerte seine Leute höchstpersönlich an. So hatten sie den Admiral. selten erlebt. Es ging ihm nicht schnell genug, es dauerte zu lange, bis dieser störrische Maulesel endlich seine letzte Reise antrat, und der dachte noch lange nicht daran. Zwar war die „Gran Grifon“ stark beschädigt, aber das tat dem Koloß keinen großen Abbruch. Feuerte Drake, dann feuerte auch das Flaggschiff zurück, und einmal wurde die „Revenge“ von einem schweren Brocken in der Kuhl getroffen. Daraufhin kriegte der Admiral fast einen Tobsuchtsanfall. Der Vorrat an Kugeln nahm rapide ab. Schon bevor die Armada aufkreuzte, hatte Drake Schießübungen abhalten lassen und dadurch seine Pulvervorräte arg verringert. Aber es schien ihn nicht zu stören, er hatte ein Ziel vor Augen, und er war erst dann zufrieden, wenn dieses Ziel versenkt auf dem Grund des Meeres lag. So merkte der übereifrige Drake auch diesmal wieder nicht, daß den Spaniern das Nachzugsgefecht nicht entgangen war. Medina Sidonia, noch leicht entnervt von den erlittenen Verlusten, schickte Entsatz für die „Gran Grifon“, zwei Kriegsgaleonen, die ihr aus der prekären Lage helfen sollten. In dem Gefecht hatten sich die Gemüter unter Drakes Leuten erhitzt, und auch die Rundum-Ausgucks starrten nur noch auf die brüllenden und fauchenden Breitseiten, die Drake aus allen Rohren hämmern ließ. So bemerkten sie das Verhängnis, das da auf sie zueilte, reichlich spät. Ganz genau merkten sie es erst, als die Luft bleihaltig
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wurde und vor der Backbordseite eine Wand aus Wasser aufgischtete. Zwei schwere Galeonen rauschten heran, feuernd, Drake von seinem Opfer ablenkend und gleichzeitig hart eingreifend. Wenn der Admiral auch ein Hitzkopf war, der sich blindlings in seine Beute verbiß, so ging ihm jetzt doch ein Licht auf, daß er selbst in der Falle saß und es höchste Zeit wurde, von diesem Brocken abzulassen und sich zu verdrücken. Außerdem erkannte er noch zwei weitere Schiffe, die sich aus dieser Entfernung noch nicht identifizieren ließen. Drake ließ noch eine Breitseite feuern, ballerte aus den Drehbassen auf die heransegelnden Galeonen und wurde starr von der Mitteilung, daß ihr Vorrat an Kugeln jetzt endgültig zur Neige ging. Ziemlich kleinlaut wandte er sich an Fenner, der nervös von einem Bein auf das andere sprang, die Hände rang und es nicht erwarten konnte, endlich zu verschwinden, denn jetzt saßen sie wirklich in der Klemme. Womit hätten sie sich auch gegen die heransegelnden Spanier wehren wollen, wenn dieser blindwütige Hitzkopf von einem Admiral das ganze Pulver verschoß. Die Galeonen rückten bedrohlich nahe und feuerten wieder. Aber noch lag die Salve zu kurz. Drake hatte nicht mehr viel Zeit, dann würde es Eisen in das Flaggschiff hageln. Er ließ jeden Fetzen Leinwand setzen und empfahl sich. Zwischendurch schnauzte er die Männer an, drohte dem Ausguck disziplinarische Strafen an und warf immer wieder einen Blick, auf die beiden Spanier, die ihn mit ihren Drehbassen und Kettenkugeln beharkten. Sir Francis Drake wurden die Knie weich, als es das Flaggschiff erwischte, und Fenner fluchte insgeheim, daß sie sich so lange und so großkotzig mit dem Brocken angelegt hatten. In den Besan des Flaggschiffes schlug es ein. Die Kettenkugel sirrte durch das Segel, zerfetzte es, schlug noch den Handlauf des Schanzkleides kaputt und ratschte ins Wasser.
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Drake ließ unter lautem Gefluche und mit hochrotem Schädel sofort ein Ersatzsegel anschlagen, aber dadurch hatten die beiden Galeonen Gelegenheit, weiter aufzurücken. Für Drakes Flaggschiff sah es mulmig aus. * „Wenn das nicht der sehr ehrenwerte Admiral ist“, sagte Carberry grimmig, „dann freß ich die ganze Armada und als Nachspeise die englische Flotte.“ Er setzte das Spektiv ab und gab es Hasard. „Und wenn der sehr ehrenwerte Admiral nicht mal wieder bis zum Hals im Mist steckt, dann freß ich das, was du noch übrig läßt, Ed“, sagte Dan O'Flynn. „Seine Admiralität haben sich Wieder mal übernommen.“ „Überfressen an einem Spanier hat er sich“, setzte Brighton hinzu. „Jetzt jagen sie ihn wie einen Hasen.“ Der Seewolf lachte, und in diesem Lachen steckte auch deutlich etwas Schadenfreude über den übereifrigen Admiral. „Jedenfalls kann er gut segeln, das muß man neidlos anerkennen“, lobte Hasard. „Allerdings segelt er, ganz gegen seine Gewohnheit, vom Gegner weg. Er hat es ziemlich eilig.“ „Volles Tuch, Sir?“ fragte der Profos. „Oder lassen wir den ehrenwerten Sir noch ein wenig schwitzen?“ „Nein, volles Tuch, Ed. Die Dons rücken ihm immer näher auf die Pelle und sind jetzt schon auf Schußweite heran. Die durchlöchern ihn gleich.“ Etwas später sahen sie es deutlich, als sich von einer der Galeonen der Eisenhagel löste und das Besansegel in Fetzen ging. Und merkwürdig genug: Drake feuerte nicht zurück. Dafür hatte er jeden Fetzen Segel gesetzt, den die Masten trugen. Er flüchtete ziemlich überstürzt, während ihm die beiden Spanier unbarmherzig im Nacken saßen. Auf der „Isabella“ grinsten die Seewölfe. Ja, da hatte sich der Alte wieder mal verkalkuliert, und jetzt hatten sie ihn am Wickel und jagten ihn über das Meer.
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Dabei bekleckerte er sich nicht gerade mit Ruhm. „Drake kneift aus“, sagte Gary Andrews lachend. „Und wir können ihn wieder mal aus der Scheiße holen.“ „Tja“, seufzte Smoky. „Wir sind so was wie seine Kindermädchen, weißt du! Immer wenn der Admiral sich in die Hosen geschissen hat, müssen wir sie auswaschen.“ Jetzt lachten die rauhen Kerle noch lauter. Die „Isabella“ segelte unter Vollzeug, aber der Wind hatte nicht mehr die Kraft wie gestern noch. Er war müde geworden und schob die ranke Galeone nur widerwillig durchs Wasser. Dank ihrer überlangen Masten segelte sie jedoch immer noch schneller als Drake oder die spanischen Galeonen. Die „Le Vengeur“ blieb etwas achteraus zurück und segelte in drei Kabellängen Abstand hinterher. Die Distanz verkleinerte sich. An der Spitze segelte Drake, gefolgt von den beiden Spaniern, während die „Gran Grifon“ sich abgesetzt hatte und einen anderen Kurs einschlug. Sie hatte mit sich selbst genug zu tun und kam kaum voran. Aber auf den Galeonen merkte man bereits, wer ihnen auf den Fersen war. Die „Isabella“ hatte bei den Spaniern keinen guten Ruf, sie wurde gehaßt und gefürchtet, und man ging ihr nach Möglichkeit aus dem Weg und vermied Gefechte, denn allen war noch die in die Luft geblasene Galeone in unangenehmer Erinnerung. Hasard sah, daß Drake erneut beharkt wurde, und registrierte einen Treffer mitschiffs, der ins Deck schlug und ein Loch in die Planken riß. „Verdammt!“ rief Carberry. „Warum haut denn der Kerl nicht ein paar Brocken aus der Drehbasse? Der kann doch weiter feuern als die Spanier.“ „Es gibt nur eine Erklärung“, sagte Hasard. „Der ehrenwerte Sir hat sich verschossen, es mangelt ihm entweder an Pulver oder an Kugeln.“ „Na, dann sitzt er ja fein in der Klemme. Kein Wunder, wenn er den Kasten
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stundenlang mit Breitseiten bepflastert hat.“ Im Kombüsenschott tauchte der Mann ohne Namen auf: der Kutscher, der sich an Deck stellte, den Kopf schüttelte und die Situation blitzartig erfaßte. „Mein Gott!“ rief er theatralisch aus. „Schon wieder Francis Drake, zum Teufel! Dem müssen wir jedesmal die Hosen runterlassen, wenn er über Bord schifft. Langsam ödet mich das an. Und was ist der Dank von diesem Knochen, frage ich euch? Er meckert und motzt und weiß alles besser. Man sollte diesem Burschen den nackten Achtersteven vor versammelter Mannschaft mit dem Tauende beklopfen und ihm Salz draufstreuen.“ Das stellten sich die meisten bildlich vor, und so gab es wieder einmal grinsende Gesichter und eitel Schadenfreude, bis Hasard das Gelächter unterbrach. „Feuer frei auf die Galeonen, Gents, und knallt ihnen ordentlich eine aufs Achterkastell.“ Gleich darauf zuckten aus den beiden vorderen Drehbassen grelle Blitze; von einem rollenden Donner begleitet und von dunklen Qualmwolken umgehen, rauschten die Kettenkugeln durch die Luft, entfalteten sich und eierten auf die achtere Galeone zu. Der erste Schuß fauchte ins Wasser, der zweite traf. Die um ihre Achse wirbelnden Kugeln, durch eine Kette verbunden, sägten in den Besan, rissen den Topp herunter und fetzten das Segel aus dem Liek. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell die Spanier Reißaus nahmen, wenn die „Isabella“ feuerte. Die ersten Treffer genügten, und die Galeone fiel hart ab, scherte aus dem Kurs und verduftete nach Backbord. Bei der zweiten waren drei Treffer nötig, bis sie nach Steuerbord ausscherte und der „Isabella“ das Feld überließ, die jetzt genau in Drakes Kielwasser segelte. Ribault setzte zur Verfolgung auf die nach Steuerbord ausgescherte Galeone an und eröffnete das Feuer, während die „Isabella“ den Kurs änderte, hinter der anderen
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Galeone herlief und sie noch weiter abdrängte. Als die Gefahr gebannt war, kehrte Hasard auf den alten Kurs zurück und segelte etwas später an der. „Revenge“ auf Parallelkurs vorbei. Sein Grinsen war süffisant, als er zu Drake aufs Achterkastell blickte und sich spöttisch vor dem Admiral verneigte. Er fand, daß Drake kleiner geworden war, er wirkte fast wie ein Zwerg. Aber wahrscheinlich war er in dem Kanonendonner etwas geschrumpft, oder der Anblick des Seewolfs hätte ihn zusammengestaucht. Auf der Steuerbordseite standen grinsende Seewölfe, selbstbewußt bis in die Knochen und dienerten ebenfalls vor Drake, wobei sich hauptsächlich Carberry immer wieder verneigte, sein Gebiß entblößte und einen Kotau nach dem anderen abzog, als hätte er Scharniere in der Wirbelsäule. Dem Admiral schwoll auch sofort der Kamm, er plusterte sich auf und reckte die Brust heraus, um die Blamage zu überspielen, die er soeben hatte hinnehmen müssen. Da tauchte dieser verdammte Bastard von einem Seewolf auf, dachte er ärgerlich sich zu bedanken fiel ihm ohnehin nicht ein -, und der fegte die Spanier mal eben so beiseite, als wären sie nichts. Dabei hatten sie ihn wie ein Huhn gescheucht und gejagt, und als er dann noch Killigrews Stimme hörte, rann es ihm eiskalt über den ganzen Körper, denn diese Stimme war geteert, voller Öl und von der Liebenswürdigkeit eines Gletschers, und der Hohn troff wie Kleister aus ihr. „Wir danken Ihnen, Sir, daß Sie uns zwei Spanier vor den Bug jagten!“ rief dieser Killigrew. „Ohne Ihre großzügige Hilfe hätten wir die Burschen nicht erwischt. Ein Hoch auf Ihr mutiges Vorgehen, Sir! Natürlich haben Sie nicht zurückgeschossen, um uns nicht zu gefährden, das war selbstlos von Ihnen, Sir!“ Drakes Spitzbart zitterte, er sprang mit einem Satz zur Backbordseite seines Schiffes, seine Hände legten sich wie
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Krallen um den Handlauf. Verbiestert und ohnmächtig vor Wut starrte er den Seewolf an, der den Hohn über ihn ausgoß und sich immer wieder in spöttischer Ehrfurcht verneigte. Oh, wie er diese ganze versammelte Satansbrut haßte! Mit bloßen Händen hätte er die überheblichen Kerle erwürgen können. „Ich hatte keine Kugeln mehr!“ schrie er zurück. „Das erklärt wohl alles!“ Carberry gab ihm einen guten Rat, der dem Admiral die Schamröte ins Gesicht steigen ließ. „Hätten Sie doch in die Rohre Ihrer Kanonen geschissen, Sir“, sagte er liebenswürdig. „Das hätte die Spanier ganz sicher verbiestert. Aber nein, der ehrenwerte Sir wartet immer, bis seine Kindermädchen auftauchen und ihm die Hosen wechseln.“ Für Drake war das mehr als eine tödliche Beleidigung. Zudem mußte er sie sich vor versammelter Mannschaft anhören, die guten Ratschläge des verdammten häßlichen Profos', der einmal unter seinem Kommando gefahren war, den Hohn der Seewölfe und das schadenfrohe Grinsen dieser Arwenacks. Er verlor zusehends sein Gesicht, denn die Kerle zahlten ihm alles heim. Seine Ignoranz, seinen Starrsinn, seine Selbstherrlichkeit und sein überhebliches Gehabe. Aber das verkraftete der eigensinnige, starrköpfige Mann nicht. Heiser vor Wut, daß sie ihn kaum verstanden, schrie er zurück: „Eines Tages stehen Sie vor meinem Degen, Carberry, und dann werde ich Ihre häßliche Fratze bis zur Unkenntlichkeit verunzieren. Und vielen anderen wird es ähnlich ergehen, das verspreche ich Ihnen! Wenn ich noch einen Schuß in den Rohren hätte, würde ich ihn auf die ‚Isabella' feuern lassen“, setzte er giftig hinzu. „Versprechungen“, sagte Ed verächtlich. „Ohne uns würden Sie jetzt in der See schwimmen, Sir. Wir helfen Ihnen gern mit ein par Siebzehn-Pfündern aus, wenn Sie wollen.“
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„Ihr Dank war schon immer von etwas merkwürdiger Art“, sagte Hasard eisig. „Schließlich sind es meine Männer, die für Ihre Schlafmützigkeit die Knochen hinhalten. Denken Sie an Cadiz und die vielen anderen Male.“ Die offene Feindschaft zwischen den beiden so ungleichen Männern wurde immer stärker und brach immer heftiger aus. Dabei hatte der Seewolf eigentlich nichts gegen Drake, obwohl er ihm manches nicht verzieh. Aber statt einmal einzulenken und die Leistungen der Seewölfe anzuerkennen, wertete der Admiral sie stets geringschätzig ab und half sich mit faulen Ausreden. Das und die grenzenlose Sturheit waren es, die Hasard mißfielen, und daher brachte er auch keinen Respekt mehr auf. „Wir waren in harte Gefechte verwickelt“, behauptete Drake. „Wir haben gekämpft, und Sie sind hinterher gesegelt ...“ „Zu Ihrem großen Glück, Mister. Drake. Wir haben natürlich nicht gekämpft, sondern gesoffen und gepennt. Und das, was Sie als Kampf bezeichnen, war nichts anderes, als einen lahmen Spanier zu durchlöchern, aus sicherer Entfernung, versteht sich. Und dabei schwimmt er immer noch. Eine Schande ist das!“ Drake fiel vor Wut nichts anderes ein als zu sagen: „Ich bin für Sie nicht Mister Drake, ich bin der Admiral!“ Daraufhin brach auf der „Isabella“ ein Gelächter aus, das sich so anhörte, als begännen fünfzig Pferde gleichzeitig zu wiehern. „Hört, hört!“ rief Tucker. „Der Admiral hat gesprochen.“ Drake wandte sich ab, er hielt es nicht mehr aus, diese Demütigungen waren zuviel. Doch dann drehte er sich noch einmal um, kreideweiß im Gesicht. „Ich lasse Ihr verdammtes Schiff entern, Killigrew!“ schrie er voller Wut. Hasards Augen verengten sich, sein Gesicht wurde noch härter. „Dann kriege ich Sie endlich vor den Degen, Mister Drake. Versuchen Sie es!“
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Drake schluckte trocken. Diese Tour zog nicht, damit konnte er den Seewolf nicht einschüchtern, und wenn er diese Kerle sah - und er hatte sie schon oft genug kämpfen sehen -, dann konnte er sich im voraus ausmalen, was passierte. Die würden sein Flaggschiff hohnlachend in Stücke hauen und seine große Mannschaft erbarmungslos ins Meer jagen. „Wir sehen uns noch!“ versprach er düster. „Ganz bestimmt“, erwiderte Hasard kalt. „Spätestens dann, wenn Sie wieder bis an beide Ohren im Dreck stecken. Es war mir ein Vergnügen, Ihnen helfen zu dürfen, Mister Drake.“ Und dieses „Mister Drake“ ließ er genüßlich auf der Zunge vergehen. Die „Isabella“ zog vorbei und ließ auf dem Achterkastell einen hilflosen, vor Wut fast ohnmächtigen Mann zurück, dem pausenlos die Galle aufstieg. 5. Der Wind war flau geworden, er blies nur noch ganz schwach über die See. Der Himmel blieb grau und verhangen. Über das Meer zog die Armada, die immer ihre Sichelformation beibehielt, in Richtung Calais, gefolgt von den Engländern, die bei dem flauen Wind ihre Beweglichkeit nicht voll ausspielen konnten. Die Flotte erreichte am Nachmittag des 6. August 1588 die Klippen von Calais und ging vor Anker. Medina Sidonia hoffte darauf, von Alexander Farnese, Herzog von Parma, dessen Truppen und Landeschiffe bei Dünkirchen lagen, Entsatz zu erhalten oder zumindest die Lage besprechen zu können. Eigenartigerweise ging auch die englische Flotte vor Anker. Nur auf die Schußweite einer langen -Feldschlange voneinander getrennt, lagen sie sich gegenüber wie zwei gewaltige Feldheere, die ihre Kräftesammeln, um dann erneut aufeinander loszuschlagen. Am selben Tag erhielt die en englische Flotte Verstärkung durch Kanalgeschwader unter Admiral Seymour, der mit
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fünfunddreißig Schiffen zu den Engländern stieß. Lordadmiral Howard ließ daraufhin am nächsten Tag eine Lagebesprechung ansetzen. Kapitäne und Admirale fanden sich etwas später auf der „Arc Royal“ zum Kriegsrat ein. In der Admiralskammer gab es unter den erlauchten Gentlemen das übliche Geplänkel, das zu nichts führte. Die Lage änderte sich erst, als der Seewolf das Wort ergriff. Hasard fühlte sich im Kreis dieser Männer nie besonders wohl, obschon er das ausgesprochene Wohlwollen einiger Kapitäne und Admirale hatte. „Es wird allerhöchste Zeit, etwas zu unternehmen, Sir“, sagte er zu Howard, der zustimmend nickte. Die einzigen, die starr an dem Seewolf vorbeiblickten und so taten, wäre er Luft für sie, waren Drake und Seymour. „Es ist nur noch eine Frage der bis sich Medina Sidonia und der zog von Parma ins Einvernehmen setzen“, führte Hasard weiter „Deshalb sollten wir sofort zuschlagen und nicht länger warten.“ Wieder nickte der Lordadmiral: „Und welche Pläne haben Sie zu unterbreiten, Kapitän Killigrew?“ Hasard hatte sich seinen Plan längst zurechtgelegt. Er ignorierte die teilweise geringschätzig und überheblich auf ihn gerichteten Blicke der ehrenwerten Herren, die es ihm verübelten, daß er keinem Kommando unterstand, frei wie der Vogel war und niemandem zu gehorchen hatte. Dabei hatte ausgerechnet dieser Mann ihnen immer wieder gezeigt, was er unter taktischer Seekriegsführung verstand. Bisher hatte er mehr geleistet als die gesamte englische Flotte, doch das hätte niemand der Gentlemen laut zugegeben. „Man müßte die spanische Flotte noch heute nacht bei Flut und hoffentlich günstigem Wind mit Brandern angreifen. Wir haben zur Zeit Westwind, für das Vorhaben also günstigen Wind.“ Gesichter starrten ihn an, mißtrauische, überhebliche, indignierte und blasierte.
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Seymour zog die Augenbrauen hoch, Drake zuckte mit den Mundwinkeln, und zwei andere lächelten herablassend. Lediglich Howard selbst, Frobisher und Hawkins sahen dem Seewolf interessiert in die eisblauen Augen. „Mit Brandern?“ fragte Lord Howard leise und nachdenklich. „Mit Brandern, Sir. Die Flotte liegt vor Anker. Ich bin bereit, dieses Unternehmen zu leiten und würde jeden der Brander mit je einem meiner Männer besetzen und ins Ziel steuern.“ Drake kriegte wieder einen roten Schädel. Er stand auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und wurde gallig. „Ein Branderangriff ist Wahnsinn“, sagte er knapp. „Wahnsinn, wiederhole ich.“ „Das ist kein Wahnsinn“, sagte Hasard kalt und warf Drake einen eisigen Blick zu. „Meine Männer sind es gewohnt, ihre Chance beim Schopf zu packen, und sie sind ausgezeichnete Rudergänger. Alle“, betonte er nachdrücklich. „Und sie alle werden zurückkehren, sobald sie die Brander ins Ziel gesteuert haben. Das ist lediglich eine Frage der Organisation. In meiner Crew gibt es keine wahnsinnigen Selbstmörder, die Männer werden rechtzeitig abspringen. Aber damit können wir der Armada einen sehr empfindlichen Schlag versetzen. Panik wird ausbrechen und alles drunter und drüber gehen.“ Frobisher, Hawkins und einige andere klatschten spontan Beifall. Die anderen rührten sich nicht und gaben sich weiterhin überheblich und besser wissend. Howard sah den Seewolf immer noch an, dann lächelte er und blickte zu den Männern, die Killigrews Plan begeistert aufnahmen. „Ich halte Ihre Idee für durchführbar und ausgezeichnet, Kapitän Killigrew“, sagte der Lordadmiral. „Würden Sie mir bitte erklären, wie Sie sich das im einzelnen vorstellen?“ „Selbstverständlich, Sir.“ Damit waren Drake, Seymour und die anderen Ignoranten bereits so gut wie überstimmt, denn die Mehrheit der
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Kapitäne war von diesem Branderangriff fasziniert. „Ich brauche etwa acht Segler, die schlechtesten und ältesten natürlich, und werde sie etwas umrüsten lassen. Das muß schnell gehen, denn wir stehen unter Zeitdruck, und lange wird die Armada dort nicht mehr ankern. Medina wird mit diesem Angriff vermutlich auch nicht rechnen, jedenfalls heute nacht nicht.“ Howard nickte wieder, nicht bedächtig, sondern hastig. „Gut, Sie sollen diese Schiffe haben, Sir.“ Das „Sir“ blieb einigen der ehrenwerten Herren im Hals stecken, daher räusperten sie sich dezent. Admiral Hawkins, dem dieser Plan ebenfalls gefiel, hatte aber noch einen Einwand. „Die acht Segler kosten viel Geld, auch wenn sie nicht gerade neuesten Typs sind.“ „Richtig, Sir“, sagte Hasard. „Daran wollte ich Sie noch erinnern. Die Kapitäne erhalten natürlich Schadenersatz aus der Schatzkasse für ihre zur Verfügung gestellten Schiffe.“ Hasard lächelte freundlich in die verdutzten Gesichter. „Was die königliche Schatzkammer betrifft, dürfte sie ja bis zum Bersten gefüllt sein. Ich habe sie schließlich mit einer ganzen Schiffsladung Gold, Silber und anderem gemästet. Dazu kam noch die Beute aus dem Schiff ,San Felipe'. Damit könnten wir sogar die gesamte Armada aufkaufen, nur fürchte ich, daß es dem König von Spanien nicht recht sein würde.“ Gelächter erklang, die Gentlemen schmunzelten, bis auf Drake, der ein saures Gesicht zog, denn Hasard hatte ihm das mit Gold gefüllte Beuteschiff großzügig „geschenkt“, was der ehrenwerte Admiral zumindest als moralische Ohrfeige verstanden hatte. Ja, die Schatzkammer war gefüllt, die Kapitäne würden reichlich für den Verlust ihrer Schiffe entschädigt werden, und so stimmte der Lordadmiral zu.
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Hasard erhielt die acht Segler. Damit konnten sie den Dons zu einem heißen Tänzchen aufspielen. 6. Drei der acht Schiffe, die Hasard erhielt, sahen ziemlich mitgenommen und lädiert aus. Es waren alte Kähne, aber ihren Zweck als Brander würden sie noch gut erfüllen. Die Mannschaften brachten sie heran, legten sie in einem Pulk um die „Isabella“ und verankerten sie. Drei andere englische Schiffe nahmen die Besatzungen dann wieder an Bord, um sie auf Galeonen und Flaggschiffe zu verteilen. Auch Ribault, von Hutten und seine Männer waren erschienen, um den Seewölfen zu helfen. Pulverfässer hatte man gleich an Bord gelassen, und auch der übliche Kram fand sich auf den alten Schlorren wie geteertes Tauwerk, Strohsäcke und Ersatzplanken. „So, jetzt wird geschuftet bis zum Umfallen“, kündigte der Seewolf an. „Bis zur Dunkelheit müssen die acht Schiffe auf Brander umgerüstet sein, anschließend, entscheiden wir, wer die Brander übernimmt und ins Ziel steuert.“ Sie meldeten sich gleich alle, aber der Seewolf winkte ab. „Später, erst beginnt die Arbeit.“ „Acht Leute brauchen wir“, sagte Luke Morgan. „Irrtum, Luke. Einen Brander übernehme ich selbst, wir brauchen also nur sieben.“ In den Schiffen wurde jetzt alles gesammelt, was brennbar oder leicht entzündlich war. Während Strohsäcke, Seegrasmatratzen, zerschlissenes Segelgut und trockenes Holz gesammelt wurden, beschäftigte sich der Waffenmeister Al Conroy mit den Pulverfässern und brachte sie an Deck. Sie wurden mit langen Lunten versehen, die bis zum Kolderstock des jeweiligen Schiffes reichten und von dort aus leicht in Brand gesetzt werden konnten. Das dauerte lange und hielt auf, aber Conroy versah eins der Schiffe nach dem anderen damit.
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und vergaß in weiser Voraussicht auch nicht, die luntenbestückten Höllenflaschen am Kolderstock bereitzustellen, falls sich den Brandern Boote nähern sollten, um sie vom Kurs abzubringen. Ferris Tucker war damit beschäftigt, für die acht Schiffe, das größte war zweihundert Tonnen groß, Holzkeile herzustellen. Damit sollten im letzten Augenblick die Ruder festgekeilt werden, damit die Brander nicht mehr aus dem Kurs liefen, wenn sie ihr Ziel ansteuerten. Smoky, Pete Ballie, Gary Andrews und Bowie schleppten Wasserfässer herbei und füllten sie. Das war eine bittere Notwendigkeit, denn wenn die Schiffe erst einmal brannten, dann gab es Funkenflug und unerträgliche Hitze. Mit Hilfe der Wasserfässer war der jeweilige Steuermann in der Lage, sich sä lange wie möglich auf seinem Posten zu halten. Jeder hatte zu tun, pausenlos, ohne Unterbrechung wurde geschuftet, brennbares Material angehäuft, legte Ferris Tucker die Holzkeile bereit. Hasard inspizierte jeden einzelnen Brander, obwohl er wußte, daß er sich auf seine Leute verlassen konnte. Dem prüfenden Auge des Seewolfs entging nichts. Schließlich wollte er, daß seine Männer mit heilen Knochen zurückkehrten. Aber er fand alles in Ordnung. Die Seewölfe hatte schon selbst dafür gesorgt und mit der ihnen eigenen Gründlichkeit gearbeitet. „Die Schiffe sind umgerüstet“, sagte der Profos. „Jetzt fragt sich nur noch, wer fährt.“ Dabei sah er lauernd den Seewolf an. „Alle fahren natürlich“, sagte Matt Davies, „aber das wird schlecht gehen.“ Sie drängten sich um ihren Kapitän, voller Eifer und Tatendrang, und jeder wollte der erste sein. Jeder von ihnen wollte einen Brander übernehmen. Hasard hob die Schultern. „Ich kann nicht sagen, wer einen Brander übernimmt“, erklärte er schließlich. „Wenn ich jemanden vorschlage, würde ich die
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anderen dadurch gleichzeitig abwerten oder zurücksetzen. Ich selbst werde den Zweihunderttonner führen.“ „Dann nehme ich den kleinen Kahn“, sagte der junge O'Flynn. „Noch nimmst du gar nichts, Dan. Zwar können wir deinen Vater ausklammern wegen seines ...“ „Ach nee“, brummte der Alte erbost. „Nur weil ich ein verdammtes Holzbein habe, kann ich keinen Brander steuern, was?“ „Ruhig, keine Aufregung. Wir lassen das Los entscheiden, dann hat jeder eine reelle Chance, dabeizusein.“ „Ich auch?“ fragte der Moses Bill mißtrauisch. „Ja, du auch, jeder Name wird aufgeschrieben und gleichzeitig das Schiff. So, Bill, jetzt geh nach achtern und hole nein warte, ich tue es selbst“, sagte Hasard und ging nach achtern. Es dauerte nicht lange, bis er zurückkehrte mit einer Handvoll zusammengeknüllter Zettel aus Reispapier, auf die er etwas geschrieben hatte. Nur ein kleines Kreuz stand darauf. Der alte O'Flynn zog als erster, fand nichts auf dem Zettel und warf ihn über Bord. Verbiestert humpelte er davon. Dann ging es weiter, und einer nach dem anderen zog, sagte entweder gar nichts oder begann zu grinsen. Danach standen die Männer fest, die die Brander führen sollten. Es waren Ferris Tucker, Big Old Shane, Al Conroy, der mehr als überrascht war, dann der Decksälteste Smoky, der junge O'Flynn, Jeff Bowie, der Mann mit der Hakenprothese, und schließlich als letzter Luke Morgan, der über das ganze Gesicht grinste. Damit war die Sache besiegelt, und es fühlte sich auch keiner der Seewölfe benachteiligt. Es war alles gerecht zugegangen. Auch wie die Männer auf die Brander verteilt wurden, entschied das Los. Hasard führte den großen Brocken, und den kleinsten, einen alten Schlorren von neunzig Tonnen, erhielt Luke Morgan.
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Jetzt überprüfte noch einmal jeder der Seewölfe seinen Brander und fand, daß alles seine Ordnung hatte. Glühende Holzkohle würde der Kutscher später bereitstellen. Dann sprach Hasard mit den Männern den Angriffsplan durch und erklärte, wie er vorgehen wollte, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. 7. Kurz vor Mitternacht' setzte die Flut ein. Der Wind hatte nach Südwest gedreht, und am Himmel jagten Wolken dahin, die den Mond nur ab und zu erkennen ließen. Für die Seewölfe war es eine fast ideale Nacht. Die spanische Flotte lag ruhig vor Anker. Dort ahnte niemand, daß bald die Hölle losbrechen Würde. Hasard beobachtete das Wasser. Nur undeutlich waren die kleinen Jollen zu erkennen, die die Engländer ausgesetzt hatten, um die Steuerleute der Brander nach ihrem Einsatz aus dem Wasser zu fischen. Aber sie waren alle da und lagen auf der Lauer. Wind und Flut würden die Brander jetzt genau in die gegnerischen Reihen treiben, sofern man noch etwas nachhalf und auf dem richtigen Kurs lag. Hasard stand auf dem Achterdeck seines Branders, auf dessen Deck sich eine Menge brennbares Zeug angehäuft hatte. Er sah nach, ob alle Männer auf dem Posten waren, und gab dann das Handzeichen. Dann ging er nach vorn. Die Ankertrossen wurden gekappt und blieben auf dem Grund liegen. Danach setzte jeder blitzschnell ein Segel, und schon begann die Flut zu schieben und der Südwest die Segel zu füllen. Hasard segelte in der Mitte, ganz links außen befand sich der Brander von Ferris Tucker, und rechts außen segelte Big Old Shane seinen Höllenkasten. Gesprochen oder gerufen wurde nicht, das war überflüssig, denn jeder wußte genau, was er zu tun hatte und wohin er seinen Brander steuern mußte.
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Als auf dem Schiff des Seewolfs mittschiffs ein Feuerschein aufzuckte, fing es auch zur selben Zeit 'auf den anderen zu brennen an. Jeder hatte das zusammen gesammelte Zeug angesteckt. Lichtsäulen erhoben sich, Feuer zuckte zum Himmel und beleuchtete die unheimlichen Schiffe, die ziemlich rasch auf die dicht an dicht ankernde Armada zutrieben. Dort entdeckten die Ankerwachen jetzt die brennenden Schiffe und gaben Alarm. Die meisten Spanier schliefen und wurden jäh aus ihren Träumen gerissen. Bis sie merkten, was hier gespielt wurde, hatten die Brander schon wieder ein Stück zurückgelegt und rückten rasch näher. Medina Sidonia wurde geweckt und erschien verschlafen und verstört an Deck. Acht riesige Fackeln standen auf dem Wasser und erhellten alles. Diese unheimlichen Riesenfackeln knisterten und knackten und näherten sich unaufhaltsam. „Madre de Dios“, stammelte der Generalkapitän, bleich im Gesicht und am ganzen Körper zitternd. Der Anblick dieser heranjagenden Höllenschiffe lähmte -ihn, und wieder einmal spürte er die schwere Bürde, die Verantwortung über mehr als hundert Schiffe und einige tausend Menschen. „Beiboote aussetzen, Jollen, Pinassen, alles, was wir haben“, flüsterte er. „Bringt diese Todesboten aus dem Kurs, lenkt sie ab, sonst verbrennen wir alle.“ „Sollen wir die Ankertrossen kappen?“ fragte jemand aus der Dunkelheit. „Ja, natürlich, die Ankertrossen kappen!“ Bei den Spaniern griff schlagartig helle Verzweiflung um sich. Befehle wurden durch die Nacht gebrüllt, Männer schrien, Beile sausten durch die Luft, pfiffen auf die Ankertrossen, und jeder glaubte, den heißen Atem der Hölle schon im Genick zu spüren. Die Luft war vom Prasseln, Heulen, Fauchen und Knistern des; heransegelnden Feuers erfüllt. Etliche Spanier griffen zu den Musketen und nahmen die Brander unter Feuer. Aber noch lag das Musketenfeuer zu kurz.
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Eine Panik brach aus, wildes hektisches Durcheinander bestimmte das Bild. Jeder wollte sich und sein Schiff in Sicherheit bringen, denn wenn die Brander in die Reihen ein- drangen, dann gab es ein einziges Flammenmeer, denn das trockene Holz brannte wie Zunder. So war innerhalb kürzester Zeit der Teufel auf der Reede los. An eine geordnete Flucht war nicht mehr zu denken. Die Schiffe behinderten sich gegenseitig, kohlten nicht ablaufen, verkeilten sich ineinander oder trieben wie dicke unförmige Klumpen gegen die anderen. Auf dem Flaggschiff „San Martin“ kniete Medina Sidonia auf dem Achterkastell und betete laut zum Himmel, Gott möge ihm diese verdammten englischen Brander vom Hals halten. * Ferris Tucker, der links außen segelte, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und atmete nur noch ganz flach durch die Nase. Ein unbeschreiblicher Glutorkan war um ihn herum. Das Feuer prasselte und knackte, fraß die Planken, das Deck und leckte an den Masten hoch. Ferris fühlte sich, als würde er lebendig gebraten. Auch die Luft; die er nur noch ganz flach in die Lungen sog, schien aus flüssiger Glut zu bestehen. Eine halbe Minute darauf war die Hitze so unerträglich geworden, daß Ferris es nicht mehr aushielt. Er überprüfte, ob der Brander auf Kurs lag, und stieg in das wassergefüllte Faß. Eine Wohltat war das! Ein Labsal inmitten dieser Gluthitze. In dem Faß fühlte er sich so richtig wohl, und er tauchte unter, bis sein Schädel darunter verschwand. Dann kam er prustend hoch und stülpte sich den klatschnassen Lappen, der im Faß gelegen hatte, auf den rothaarigen Schädel. Er sah sich nach seinen Kameraden um und fand, daß sie alle auf Kurs lagen und in die Reihen der total verstörten Spanier hineinhielten.
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Dann sah er den Seewolf winken. Er stieg aus dem Faß und änderte den Kurs ein wenig, bis sich die Brander auffächerten und eine breitere Formation einnahmen. Er sah aber noch mehr. Bei der Armada war der Teufel los. Dort ging es drunter und drüber, es herrschte ein einziges unvorstellbares Chaos. Auf den Galeonen wurden Beiboote und Pinassen abgefiert, tausend Männer rannten wie aufgescheuchte Ameisen brüllend, schreiend und fluchend durcheinander. Sein Körper war im Nu wieder rocken, und wieder spürte er wie glühendes Eisen auf der Haut den heulenden Feuersturm, der das Schiff begleitete. Der Wind fachte das Feuer immer mehr an. Ferris Tucker grinste mit gefletschten Zähnen, denn er kam sich vor wie der Satan persönlich, der auf Feuer und Schwefel zu den Spaniern ritt, um sie auszuräuchern. Und so ähnlich mochte er wohl auch aussehen. Da entdeckte er, halb geblendet von der grellen Glut, eine Pinasse, die den Kurs seines Branders kreuzte. Fünf Kerle konnte er erkennen, bewaffnet mit Enterhaken, Beilen und Schiffshauern. Einer von ihnen trug eine Muskete und zielte in seine Richtung. Tucker warf sich platt auf das Deck, robbte ein Stück vor und ergriff eine seiner selbstgebastelten Höllenflaschen, eine einfache Flasche, gefüllt mit Eisen, Steinen und Pulver. Sie war mit einem Korken verdämmt, in dem eine Lunte steckte. Er wußte, was die Kerle vorhatten. Enterhaken werfen, ihn erledigen und den Brander aus dem Kurs steuern, damit er an den Schiffen vorbeilief. Er hörte den Schuß nur undeutlich, denn das Tosen des Feuers überlagerte jedes andere Geräusch. Aber er sah, daß zwei Enterhaken durch die Luft flogen und sich in der Bordwand verkrallten. Ferris robbte noch weiter vor, entzündete die Lunte an der Flasche, stand auf und warf sie in die Pinasse .hinunter.
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Die Glut war jetzt so stark, daß sie ihm die Haare und die Augenbrauen versengte. Außerdem fing jetzt das Segel Feuer und raste am Mast hinauf wie tausend tanzende Teufel. Er riskierte einen schnellen Blick über die Bordwand und sah im Flammenschein die Flasche, die seitlich unter der Ducht des Bootes lag und jeden Moment krepieren mußte. Dann knallte es auch schon bestialisch, und da sich die Explosion nicht ausbreiten konnte, riß sie ein Loch in den Rumpf des Bootes. Ein vielstimmiger Schrei war die Antwort. Verletzte Spanier sprangen ins Wasser und fluchten. Ferris sprang wieder in sein Faß, um sich abzukühlen, denn er hatte das Gefühl, als bestünde er nur noch aus rohem Fleisch. Die Pinasse zog Wasser, legte sich auf die Seite, trieb noch ein Stück mit dem Brander mit und soff dann ab. Noch knapp zweihundert Yards bis zur Armada! Die gnadenlose Hitze höhlte ihn aus und schwächte ihn, denn sein Schiff brannte weitaus heller als die anderen. Aber der Schiffszimmermann preßte die Zähne zusammen und steckte immer wieder seinen Schädel in das Faß. Er segelte weiter nur mit einem brennenden Fetzen am brennenden Mast. Wie der leibhaftige Feuerteufel glitt er auf die Armada zu. Dann setzte er die Lunte in Brand, als er die ersten Schiffe dicht vor sich sah. Er sah, wie die Glut sich auf das große Pulverfaß zufraß, und es wurde langsam Zeit für ihn, daß er ausstieg, denn nach seiner Berechnung würde das Faß genau zwischen zwei spanischen Galeonen in die Luft fliegen. Doch Ferris Tucker konnte nicht mehr selbständig aussteigen, nachdem er das Ruder verkeilt hatte. Vom Mast kam ein glühender Feuerreigen, eine in heller Glut stehende, abgesplitterte Rah wirbelte über Deck und traf seinen Schädel. Er spürte den dumpfen Schlag, dann merkte er noch, daß er in bodenlose Tiefen
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fiel. Das war sein letzter Eindruck, danach spürte er überhaupt nichts mehr. Aber sein Brander saß voll im Ziel. Eine gewaltige Explosion fetzte ihn auseinander und verstreute die glühenden Trümmer über zwei Spanier, „die den ganzen Segen abkriegten und sofort in Brand gerieten. Die Panik bei den Spaniern steigerte sich noch. * Auch der Seewolf war dieser bestialischen Hitze ausgesetzt und kriegte kaum noch Luft. Er konnte sich jetzt nicht mehr um die anderen kümmern, denn links und rechts von ihm befanden sich nur noch glühende Flammenwände. Die Flut trieb seinen großen Brander auf eine riesige spanische Galeone zu, die nicht mehr ablaufen konnte, weil andere sie behinderten. Hasard blieb so lange an Bord, bis es wirklich nicht mehr auszuhalten war, bis die Glut ihn austrocknete und zu fressen drohte. Noch fünfzig Yards trennten ihn von der dickbauchigen Galeone. Er verkeilte das Ruder, hielt sich die Hände schützend vor die Augen und entzündete die Lunte. Dann kletterte er auf das Schanzkleid, sah noch einmal auf die schwimmende Riesenfackel und sprang mit einem Satz über Bord. ' Noch im Wasser sah er den Erfolg. Der Brander rammte die schwere Galeone mittschiffs, bei der die Planken barsten, die aufgeschlitzt und von einem glühenden Feuerregen überschüttet wurde, der sich auf das gesamte Schiff verteilte. Noch während der brennende Mast an Deck der Galeone krachte, explodierte das Pulver. Eine heiße Welle fegte über das Wasser, die Galeone stand sofort in Flammen, legte sich auf die Seite und brach nach kurzer Zeit mittschiffs auseinander, nachdem sie in heller Rotglut stand. Im Wasser schwammen schreiende. und um sich schlagende Dons, die jetzt völlig die Nerven verloren.
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Überall schwammen Treibgut, Grätings, Fässer und Spieren. Bei Luke Morgan, dem Hitzkopf, hatte sich das Feuer des Branders mehr nach achtern verlagert, als ihm lieb war. Immer wieder steckte er seinen Schädel fluchend und unbeherrscht in das Wasserfaß, aber es half nicht viel. Die brüllende Hitze versengte ihm die Haare, ließ seine Haut rot aufleuchten und zerrte ihm das Fleisch von den Knochen. Luke schrie nicht, dafür fluchte er laut, und als er seinen Schädel erneut ins Faß steckte, entging ihm die Pinasse, die seinen Brander schon. geentert hatte. Vier behelmte Spanier sprangen an Deck des kleinen Schiffes, sahen Luke und hieben ihm einen Belegnagel ins Kreuz. Einer wollte ihm den Schädel tiefer ins Faß drücken, aber er wich vor der fauchenden Hitze zurück, und außerdem hatte Luke durch den harten Schlag sofort rotgesehen. Da er ein äußerst jähzorniger Mann war, verzerrte sich sein Gesicht, und seine Fäuste schossen vor. Es gab keinen Überraschungsmoment für ihn, er hatte ohnehin damit gerechnet, daß sie an Bord erschienen, allerdings nicht so schnell. Er stürzte sich mit einem wölfischen Knurren mitten zwischen die Angreifer und schlug erbarmungslos zu. Der erste Spanier wurde von der Wucht des Schlages von den Beinen gerissen, verlor die Balance und stand auf der Kippe. Luke half ihm mit einem weiteren Faustschlag nach und schickte ihn über Bord. Aber die drei anderen erwiesen sich als zähe Burschen. Sie gingen Luke an und kämpften wie die Teufel. Während sie im Feuerregen und Funkenflug sich gegenseitig auf die Köpfe hieben, was sie konnten, glitt der Brander weiter auf die Armada zu. Luke mußte einen Hieb einstecken, der ihn etliche Yards über Deck beförderte, hinein in die lodernde Glut, die mit tausend gierigen Fingern nach ihm griff und ihn mit mörderischer Wut fraß. Da war es bei ihm vorbei. Der rasende Schmerz des Feuers trieb ihn hoch, seine Hose brannte, aber das scherte ihn jetzt nicht mehr, er war an einem Punkt
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angelangt, da er es mit zehn Spaniern aufgenommen' hätte. Links und rechts hieben seine Fäuste, einem Don riß es fast den Schädel ab, der zweite verschwand freiwillig, und den dritten trieb Luke mit harten Fäusten von einer Seite zur anderen, bis er ihn mit einem Schlag über Bord hebelte. Dann wurde es allerhöchste Zeit, sonst lief sein Brander total aus dem Kurs. Er merkte, wie es ihm schwarz vor Augen wurde, wie er immer wieder sekundenlang die Besinnung verlor, und riß sich noch einmal zusammen. Seine Bewegungen waren unendlich langsam, als -er das Ruder verkeilte und die Lunte entzündete. Danach konnte er nicht mehr, sein Körper war nur noch ein roher, blutiger und verbrannter Klumpen Fleisch. Er konnte auch nicht mehr über Bord springen, dazu reichten seine Kräfte nicht mehr. Er ließ sich hintenüberfallen und verlor das Bewußtsein, noch während er fiel. Aber auch sein kleiner Brander saß im Ziel, landete zwischen zwei kleineren Galeonen und ließ sie in Flammen aufgehen. Der einzige, der glücklos blieb, war Big Old Shane, der graubärtige Riese von der Feste Arwenack. Er hatte sich einen Hut aufgestülpt, von dem pausenlos das Wasser troff und mit dem er wieder nachschöpfte, wenn die Hitze zu groß wurde. Er hatte seine Galeone schon im Ziel und war nur noch sechzig Yards von ihr entfernt, als er das Ruder festkeilte und die Lunte entzündete. Dann mußte er von Bord, wenn er nicht selbst mit verbrennen wollte, und das lag keineswegs in seiner Absicht. Sie hatten den Spaniern schon jetzt herbe Verluste beigebracht, dachte er noch, als er aufklatschend im Wasser landete, doch dann sah er zu seinem großen Ärger und Entsetzen, daß es den Seeleuten auf der Galeone im allerletzten Augenblick gelungen war, die Ankertrossen zu kappen.
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Brüllende Männer zerrten Segel hoch, angetrieben von fluchenden Stimmen, und auf die letzten Yards nahm die Galeone leicht Fahrt auf. Shane zappelte im Wasser und fluchte in allen Tonarten. Er soff Wasser, spie es wieder aus und wartete auf ein Wunder, das nicht mehr geschah. Haarscharf, ein knappes Yard fehlte, segelte der Brander an seinem Ziel vorbei. Die Dons drückten mit allem, was sie in die Hände kriegten, den Brander noch mehr aus dem Kurs, auf dem jetzt das Riesenfaß mit Pulver in die Luft flog. Der Don kriegte noch einen Hagel ab, aber die an Deck fallende Glut wurde von Hunderten von Männern sofort gelöscht. Dann zerriß es Old Shanes Brander in zwei Teile. Alle beiden Teile gingen auf Tiefe, und das Riesenfeuer erlosch. „Scheiße“, fluchte der bärtige Riese erbittert. „Das war der größte Mist, den ich in meinem Leben gebaut habe.“ Auch der Decksälteste Smoky kam bei diesem Branderangriff nicht ohne Kratzer weg. Smoky hatte einen Eimer von hundertzwanzig Tonnen unter sich, der sich seinem Ziel näherte. Er steuerte eine Galeone an, die sich in eine andere verkeilt hatte, und sah, daß sich ihm ebenfalls eine Pinasse näherte. Noch lange bevor sie ihn erreichte, griff er zu den Höllenflaschen und setzte die Lunte in Brand. Dann wollte er schwungvoll ausholen, aber irgendwie ging das nicht mehr, denn etwas schlug gegen seine linke Schulter und lähmte seinen Arm. Es war kein harter Schlag gewesen, eher so. als hätte ihn ein Stein getroffen. Der Schmerz folgte erst ein paar Sekunden später, aber dann wurde er gewaltig und brannte wie die Glut des Branders. Smoky sah den Kerl, dem er seine gelähmte Schulter zu verdanken hatte. Er stand aufrecht im Boot und hielt eine schwere Muskete in seinen Händen, die ihm gerade jemand gereicht hatte. Damit wollte er Smoky auch zu einer anderen gelähmten Schulter verhelfen.
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Smoky ließ sich fallen und starrte auf die Flasche, die ihm jeden Moment unter den Fingern krepieren konnte. Blitzschnell packte er sie und holte aus, um sie in die Pinasse zu werfen. Aber er hatte Pech, ausgesprochenes Pech, denn in diesem Augenblick löste sich vom Segel ein brennender großer Lappen und klatschte ihm ins Gesicht. Smoky ließ die Flasche fallen, riß sich das brennende Stück Leinwand herunter und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Dann sprang er trotz der Schmerzen vor, denn er sah die verdammte Höllenbuddel nicht mehr. Er wußte aber sofort, wohin sie gefallen war, als ihm das Wasserfaß um die Ohren flog und er von einem lauwarmen Schwall überschüttet wurde. Eigentlich war das bei der Gluthitze gar nicht so unangenehm. Unangenehmer war vielmehr, daß ihm auch die Dauben dabei um die Ohren flogen und diese Dreckskerle von Dons in wieherndes Lachen ausbrachen. Smoky packte voller Zorn die nächste Buddel, nahm sich gar nicht erst die Zeit, die Lunte anzustecken, sondern warf sie dem Musketenschützen mit Wucht an den Schädel. Der Don ließ die Muskete fallen, schrie, griff sich an den Kopf und fiel bei seinem Gehampel über Bord. Das fachte die Wut der anderen an, die seinen Brander entern wollten. Einer feuerte mit einer Pistole dicht an Smokys Kopf vorbei, der jetzt die dritte Buddel in der Hand hatte. Diesmal setzte er die Lunte in Brand und warf. Das Boot schaukelte auf den Wellen, und die drei Spanier darin rührten sich nicht mehr. Dann wurde es für den Decksältesten ebenfalls allerhöchste Zeit, und er tat das, was auch die anderen taten. Ruder festkeilen, Lunte anbrennen und achtern über Bord. Nur schwimmen konnte er kaum, denn in der linken Schulter verspürte er einen wahnsinnig brennenden Schmerz. Die anderen Brander von O'Flynn, Jeff Bowie und Al Conroy erreichten ebenfalls
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ihr Ziel und heizten den Spaniern ein, als sie brennend detonierten. Bei den Dons herrschte jetzt das, was die Seewölfe immer als Zustand bezeichneten. Nur war es diesmal noch schlimmer. Auf der Reede schwammen brennende, verkohlte, teilweise abgewrackte und beschädigte Galeonen. Einige von ihnen hatte bereits die See verschluckt. Das Rudel der Armada floh kreuz und quer, ziel- und wahllos durcheinander. Den meisten war es gelungen, die Ankertrossen zu kappen, aber jetzt gerieten sie in die Flut, hatten sich ineinander verkeilt und trieben unter dem entnervenden Gebrüll ihrer Besatzung vor dem Wind auf die Küste zu. Das Flaggschiff Sidonias kam frei, setzte Segel und ging auf Kreuzkurs, um Leute aus dem Wasser zu fischen, die von den brennenden Galeonen gesprungen waren. Weitere Pinassen fischten ebenfalls nach Überlebenden. Einer Fünfhundert-Tonnen-Galeone gelang es nicht mehr, aufzukreuzen, sie schob sich auf den Strand und blieb mit starker Schlagseite liegen. Ihr folgten noch einige andere, mehr oder minder leicht beschädigt, denn in dem allgemeinen Chaos hatten sich die Schiffe gegenseitig behindert, und dabei war es zu ständigen Havarien gekommen. Das Chaos setzte sich fort, und an ein Sammeln der unbesieglichen Armada war nicht zu denken. Alles krebste durcheinander, wie es sich gerade ergab. Da waren vorerst keine Führung und keine Organisation mehr bei den Spaniern. Man konnte sie am besten mit aufgescheuchten, verstörten und durcheinander flatternden Hühnern vergleichen. Und die Nacht sorgte dafür, daß es noch schlimmer wurde. 8. Hasard sah dieses gewaltige Durcheinander aus der Froschperspektive. Er konnte es selbst noch nicht so richtig glauben, daß sie den Dons so kräftig
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eingeheizt hatten. Himmel, waren diese Burschen entnervt, die drehten völlig durch und fanden sich nicht mehr zurecht. Er fühlte sich wie zerschlagen, denn auch ihm hatte diese ernorme Hitze gewaltig zugesetzt und ihm fast das Blut in den Adern zu Staub werden lassen. Er schwamm weiter, ruhig und gleichmäßig, bis er einen Körper im Wasser treiben sah. Zuerst hielt er ihn für einen ertrunkenen oder bewußtlosen Spanier, doch im Feuerschein, der auf das Wasser fiel und alles widerspiegelte, erkannte er zu seiner Freude, daß er Luke Morgan vor sich hatte. Der Bursche lebte noch, wie Hasard gleich feststellte, aber es hatte ihn sehr übel erwischt. Luke hing die Haut in Fetzen vom Körper, und er war durch die Schmerzen bewußtlos. Hasard schleppte ihn vorsichtig ab und griff so behutsam zu, daß er ihm nicht wehtat. Im Wasser befand sich genügend Treibgut, und als er eine große Gräting entdeckte, schob er Luke vorsichtig darauf, damit er nicht im Wasser ertrank. Die Gräting schob er vor sich her durchs Wasser, auf der Luke Morgan wie ein nasser Sack lag und sich nicht rührte. Der Seewolf hielt nach einer der Jollen Ausschau, die die Engländer zu Wasser gelassen hatten, um sie aufzufischen. Er entdeckte auch etwas später eine und wollte gerade rufen, als er seinen Irrtum erkannte. Es war ein spanisches Beiboot, das sich ihnen näherte und in dem sechs Dons saßen. Wahrscheinlich hielten sie den Mann im Wasser und den auf der Gräting für einen der ihren. Hasard grinste, denn in diesem Augenblick ging ihm etwas durch den Kopf. „Diablo“, sagte er und sprach perfekt Spanisch. „Gut, daß ihr uns gefunden habt. Wir sind halbtot. Diese verdammten Engländer soll der Teufel holen.“ Einer legte seine Muskete beiseite und half dem vermeintlichen Landsmann an Bord. Der entpuppte sich jedoch ganz schnell als ein ausgesprochener Bösewicht.
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Er stand kaum im Boot, als ein harter Schlag den ersten Don blitzartig über Bord fegte. Bevor die anderen sich noch wundern konnten, segelte der zweite im hohen Bogen davon. „He, bist zu wahnsinnig?“ schrie der dritte und wollte sich auf den Seewolf stürzen. „Es ist nur zu eurem Wohl, Amigo“, sagte Hasard. Dann wandte er jene Methode an, die er und die meisten anderen bei den Mönchen auf Formosa so exakt gelernt hatten,. den Kampf ohne Waffen nämlich, die Hebeltechnik und die präzisen Schläge, die jeden sofort außer Gefecht setzten. Ein Hüftwurf beförderte den dritten zu seinen Kameraden, ein Griff an den Arm und ein kurzer Ruck ließen den vierten über Bord gehen. Bis sich die beiden anderen in dem schwankenden Boot erhoben hatten, war es schon zu spät für sie. Der Seewolf -kam über sie wie ein Gewitter mit voll einschlagenden Blitzen. Dann hatte er das Boot für sich und drohte den Kerlen mit dem Finger, die wieder heranschwimmen wollten. „Laßt es bleiben, Amigos, pullt lieber zu euren Wracks und helft den anderen, sonst gibt's was auf die Finger!“ Sie verfluchten und beschimpften ihn, aber der Seewolf schien das nicht zu hören. Er hatte wieder ein Boot und zog erst einmal Luke Morgan von der Gräting. Dann hielt er nach den anderen Ausschau. Sie konnten nicht mehr sehr Weit sein, weil sie etwa an den gleichen Stellen abgesprungen waren. Dann sah er, daß der junge O'Flynn auf ihn zupaddelte. Er ließ sich nicht ins Boot helfen, sondern zog sich selbst hinein. „Mann, siehst du aus“, sagte Hasard. „Viele Haare hast du nicht mehr auf dem Schädel, Dan!“ „Die wachsen wieder“, versicherte Dan, „aber du siehst auch nicht viel besser aus, und Luke hat es ziemlich übel erwischt, was?“ „Ja, leider“, sagte Hasard besorgt. „Dort drüben schwimmt noch einer von uns“, sagte Dan nach einer Weile. „Das könnte Smoky sein.“
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Es war Smoky, der Wasser spie und fluchte. „Jetzt friere ich wie verrückt“, sagte er, nachdem sie ihn an Bord gehievt hatten, „und vorher war mir so heiß wie in der Hölle. Das ist vielleicht ein komisches Wetter.“ Hasard kletterte über die Ducht zu ihm hin, als er den Decksältesten unterdrückt stöhnen hörte. „Mann, du hast ja eine Kugel in der linken Schulter. Hast du große Schmerzen?“ „Nur beim Handstand“, versicherte Smoky grimmig. „Beim Lachen tut's überhaupt nicht weh.“ Der Mond schien wieder, nur ab und zu wurde er von Wolkenbänken, die rasch vorbeitrieben, verdeckt. Smokys Schulter blutete, und als der Seewolf leicht auf die Wunde drückte, spürte er, daß die Kugel noch im Fleisch steckte. „Verdammter Mist“, sagte er und riß einen Streifen aus der Hose, den er Smoky auf die Wunde drückte. „Halt das fest, bis wir an Bord sind, dort wird man dich auf dem Flaggschiff verarzten oder bei uns, je nachdem, wo wir zuerst landen werden.“ „Halb so schlimm“, versicherte Smoky. „Die Kugel muß trotzdem raus, Smoky, sonst gibt es Ärger.“ „Ärger haben die Spanier“, sagte Smoky und grinste wieder. Dan hatte sich im Boot halb aufgerichtet und suchte pausenlos mit seinen scharfen Augen die See ab. „Dort drüben, Hasard, etwas mehr Backbord“, sagte er zu dem Seewolf, der das Boot ruderte. „Da treibt auch noch einer im Wasser.“ Hasard erkannte den treibenden Körper jetzt auch und hielt darauf zu. Dan zog den Mann aus dem Wasser, aber er blickte in gebrochene Augen. „Ein toter Spanier“, murmelte er, „dem können wir leider nicht mehr helfen.“ Er ließ den Mann wieder los, der weitertrieb. „Wo, zum Teufel, sind denn die anderen geblieben?“ fragte er immer wieder.
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Hasard gab keine Antwort und pullte weiter, ebenso verbissen die See absuchend wie Dan. Einmal erwachte Luke Morgan, sah sich um, entdeckte über sich den Himmel und murmelte etwas, das kein Mensch verstand. So ein bißchen hörte es sich nach einem gemurmelten Fluch an. Dann wurde er wieder bewußtlos. „Dort drüben treibt noch etwas“, sagte Dan, „da, wo der halbabgesoffene Kahn schwimmt.“ Der Kahn war ausgebrannt, aber nicht untergegangen. Er trieb bis zur Halskrause im Wasser, aber er schwamm noch. An Bord befand sich kein Mensch mehr. „Ferris!“ schrie Dan. „Das ist Ferris! Er hat sich an irgendwas geklammert.“ Tucker hing halb über einem verkohlten Mast und war ebenfalls ohne Bewußtsein, als sie ihn ins Boot zogen. Hasard beugte sich über ihn und sah die Kopfverletzung, die der Schiffszimmermann hatte. Aus der Wunde sickerte in einem dünnen Faden Blut. Der Seewolf schluckte hart. Dieser Branderangriff hatte sie alle ganz schön gebeutelt und mitgenommen. Die meisten waren verletzt. Luke Morgan, Smoky und Ferris hatte es schlimm erwischt. Entweder war Tucker beim Aussteigen mit dem Kopf auf diesen Mast gefallen, oder ein absplitterndes Holzstück hatte ihn getroffen. Das war letztlich auch egal, die Hauptsache war, daß er lebte, denn seine mächtige Brust hob und senkte sich in regelmäßigen Atemzügen. Hasard stieß erleichtert die Luft aus. Bis jetzt hatten seine Männer trotz allem Glück gehabt, jedenfalls die, die er bisher aufgefischt hatte, denn noch immer fehlten Al Conroy, Jeff Bowie und Big Old Shane. Sie suchten weiter, drehten Kreise und achteten auf alles, was im Wasser trieb und menschliche Formen hatte. Ab und zu warf der Seewolf auch einen Blick auf die Spanier, die immer noch völlig aus dem Häuschen waren. Etliche von ihnen waren weiter hinten an der Küste gestrandet, einige brannten immer noch, andere trieben wie Geisterschiffe in der See, von der Besatzung Hals über Kopf
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verlassen, tot, ausgebrannt oder langsam sinkend. „Medina Sidonia hat eine ziemlich harte Schlappe hinnehmen müssen“, sagte Dan. „Ich möchte wissen, wie viele Schiffe er verloren hat. Es müssen einige sein, ich schätze, mehr als zehn.“ „Kann sein, viele sind beschädigt und müssen erst ausgebessert werden.“ Dan zeigte mit dem Daumen nach Steuerbord. „Da paddelt wieder einer.“ Sie zogen auch diesen Mann an Bord, schweigend, und stellten fest, daß es ein Spanier war. Auch der Spanier war der Ansicht, von Landsleuten gerettet worden zu sein, doch dann hörte er zu seinem größten Entsetzen plötzlich englische Worte. „Was tun wir mit dem?“ fragte Smoky. „Wir können ihn doch nicht wieder über Bord schmeißen.“ „Wir nehmen ihn mit“, entschied Hasard, „oder wir rudern ihn zu einer verlassenen Jolle.“ Der Don war starr vor Entsetzen. Eiswasser floß plötzlich durch seine Adern, und er sah sich gehetzt um. „Nur mit der Ruhe, Junge“, sagte Dan und bleckte die Zähne. Aber davon wollte der Don nichts wissen. Er richtete sich vorsichtig in dem Boot auf, stieß einen Schrei aus und jumpte wie besessen über Bord. Im Wasser begann er zu paddeln und schwamm drauflos, um eine möglichst große Distanz zwischen sich und diese Satansbraten zu bringen. „Merkwürdige Leute sind diese Dons“, sagte Dan grinsend. „Kaum hat man sie gerettet, hauen sie wieder ab. Fast glaube ich, daß er Lins Engländer nicht leiden kann.“ „Ja, das scheint so, er schwimmt auf die Gräting zu – oder was da im Wasser treibt. Lassen wir ihn schwimmen, er fühlt sich jetzt bestimmt wohler.“ Zwischen den vielen Trümmern wurde es immer schwieriger, einen menschlichen Körper zu entdecken, und so krebsten sie noch einmal herum. Sie sahen auch die
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englischen Jollen, die in weitem Umkreis die See absuchten. „Wir sollten mal zu einer hinpullen“, sagte Hasard. „Möglicherweise haben sie einen von uns aufgefischt.“ Er änderte etwas den Kurs, doch dann zuckte er zusammen, als er von Backbord aus einen Fluch hörte. „Das ist Shane“, sagte er, „der hat uns wohl erkannt.“ Es war tatsächlich Big Old Shane, der mit triefendem Bart und wirren Haaren einsam herumschwamm. Er hatte sich an ein Faß geklammert und wartete, bis das Beiboot heran war. Hasard fiel ein Stein vom Herzen, daß er seinen väterlichen Freund gefunden hatte. Aber Shane war kaum an Bord, als alles Väterliche von ihm abfiel und er sofort lospolterte. „So ein verdammter Mist“, sagte er laut. „Alle Brander haben voll getroffen und den Dons eingeheizt, aber ausgerechnet meiner mußte an dieser lausigen Galeone vorbeilaufen. Himmel noch mal, da hat nur eine dicke Daumenbreite gefehlt, dabei habe ich mir alle Mühe gegeben.“ „Ich hatte ohnehin nicht damit gerechnet, daß alle treffen, Shane“, sagte Hasard beruhigend, „du hast weiter nichts als Pech gehabt, es lag nicht an deinem Können. Ich habe es beobachtet. Die Galeone konnte wirklich im allerletzten Moment ihre Ankertrossen kappen, sonst hätte es sie voll erwicht. Die Dons hatten Glück und du nicht. Das ist doch kein Beinbruch. An dem, was wir angerichtet haben, werden sie noch lange kauen.“ „Trotzdem ist das ein elender Scheiß“, beharrte Shane, der vor Wut über sein Mißgeschick kochte. „Wie stehe ich jetzt da?“ polterte er. „Wie einer, der mit vollen Hosen zurückkehrt!“ Hasard setzte ihm das Für und Wider geduldig auseinander, aber der bärtige ehemalige Schmied wollte sich nicht beruhigen. Er war sauer, und seine Wut kannte keine Grenzen. „Eine Pinasse nähert sich“, sagte Smoky, „aber das ist eine spanische, wie es aussieht.“
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„Keinen Ton“, warnte der Seewolf. „Laßt mich reden, wenn sie auf uns zuhält.“ Die Pinasse, ebenfalls nach überlebenden Ausschau haltend, näherte sich. Hasard erkannte sieben Mann, ein anderer lag quer über der Ducht und war vermutlich schwer verletzt. „Von welchem Schiff seid ihr?“ schrie ein herkulisch gebauter Mann auf spanisch. „Habt ihr überlebende an Bord?“ „Schert euch zum Teufel!“ brüllte Hasard auf spanisch zurück. „Seht ihr nicht, daß wir welche haben! Haltet euch nach Steuerbord; dort haben wir noch nicht gesucht.“ „Von welchem Schiff?“ beharrte der Mann. Hasard richtete sich zu voller Größe auf. „Was soll euer Gequatsche? Wollt ihr das etwa verantworten, daß andere, die dringend der Hilfe bedürfen, in der Zeit absaufen, die ihr hier verquasselt. Wie ist Ihr Name, Senor? Ich werde Sie dem Generalkapitän persönlich melden.“ Das saß in den Vollen. „In Ordnung!“ rief der Spanier. „War nur eine Frage, Senor. Wir suchen da drüben weiter!“ Die Pinasse setzte sich ab, ziemlich eilig, denn das mit dem Generalkapitän war den Burschen doch wohl etwas hart in die Knochen gefahren. Als sie abdrehten, fing der rußgeschwärzte Dan an zu feixen. „Das ging ja noch einmal gut“, sagte er erleichtert. „Jetzt müssen wir nur noch Jeff und Al finden, dann bin ich zufrieden. Und einen kräftigen Schluck könnte ich nachher auch noch brauchen.“ „Ich auch“, sagte Smoky. „Ich ein ganzes Faß“, grollte Shane. Conroy sichteten sie etwas später und nahmen ihn an Bord. Der Waffenmeister sah aus, als wäre er der Hölle entsprungen. Rußschwarz im Gesicht, versengte Haare; kaum noch Augenbrauen und ganz kurze versengte Wimpern. „Jeff habe ich vorhin mal gesehen“, sagte er, „der hockt auf einer Leiter wie eine Henne, aber ich habe ihn nicht erreichen können, weil Spanier auftauchten.“
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„Welche Richtung?“ wollte Hasard wissen. Conroy, leicht erschöpft und übermüdet, zeigte sie ihm. „So, auf einer Leiter hockt der gute Jeff wie eine Henne?“ fragte der Seewolf. Er grinste nicht, er lachte, denn jetzt hatte er seine Schäfchen alle beisammen und wußte, daß auch der letzte Mann, der noch fehlte, überlebt hatte. Die Leiter hatte er selbst an Bord gehabt, aber das Feuer hatte sie nicht erfaßt, und so hatte Bowie sie über Bord geworfen und sich der Länge nach darauf ausgestreckt. Er grinste strahlend, als Dan ihn unter den Achseln faßte und an Bord zog. „Mann, seht ihr aus“, sagte er erleichtert. „Da müssen sich die Dons ja fürchten, wenn sie euch sehen.“ „Glaub nur nicht, daß du besser aussiehst, du Stint. Du könntest direkt der Hölle entsprungen sein.“ Glücklich und erleichtert hockten sie in dem Boot, rußgeschwärzte finster aussehende Gestalten mit atzenden weißen Zähnen, leicht lädiert, aber munter. Blieben noch Tucker und Luke Morgan, dachte der Seewolf, die hatte es am ärgsten erwischt, und er hatte Sorgen um sie, weil weder Tucker noch Luke aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachten. Smoky gab, sich dagegen reichlich unbekümmert. Seine Schulter schmerzte, aber das ließ er sich nicht anmerken. Hasard und Dan pullten jetzt gemeinsam und setzen das kleine Segel, weil ihnen die Flut so viel Widerstand entgegensetzte. Sie brauchten nicht lange zu pullen, denn etwas später näherte sich wieder ein Beiboot und hielt auf sie zu. „Das stammt vom Flaggschiff“, sagte Dan und behielt recht. 9. „Acht Mann?“ fragte der Mann, der die Pinasse steuerte, noch einmal. „Junge, Junge, dann habt ihr aber Glück gehabt. Hört auf zu pullen, wir schleppen euch ab. Strengt auch bloß nicht an, ihr habt schon genug getan.“ „Einverstanden“, sagte Hasard.
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„Wir bringen euch zuerst zur ,Arc Royal', seid ihr damit ebenfalls einverstanden?“ Hasard sah seine Männer an, aber die hoben die Schultern. „Wir haben zwei gute Ärzte an Bord und eine Station, auf der ihr bestens versorgt werdet“, versprach der Pinassenführer. „Auch einverstanden“, sagte Hasard. „Die ‚Isabella' wird uns ja schließlich nicht weglaufen. Bringt uns also zum Flaggschiff.“ An dem Beiboot wurde eine Leine befestigt, dann segelte die Pinasse los mit gesetztem Segel. „Die haben in der ganz falschen Ecke gesucht“, sagte Dan. „Aber die hatten ja auch nicht den Überblick wie wir.“ „Alles kann man ja auch nicht überblicken“, meinte Al Conroy und sah dabei ängstlich und besorgt auf Luke Morgan. „Den hat es ja übel erwischt“, stellte er fest, als er sich die verbrannte Haut ansah. „Das wird Wochen dauern, bis er wieder einigermaßen hergestellt ist:“ „Das befürchte ich auch“, sagte Hasard. „Und die Schmerzen hat er erst nach dem Aufwachen, dann geht es richtig los. Bei Ferris kann es auch eine ganze Weile dauern.“ „Bloß ich habe nichts“, beschwerte sich Big Old Shane grimmig. „Ich habe kaum Brandwunden, keine Schmerzen und meinen verdammten Scheißbrander nicht ins Ziel gebracht. Ich könnte mich totärgern.“ Shane war verstimmt, und seine alte Wut brach wieder auf. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihn beruhigt hatten, aber auch dann motzte er immer noch vor sich hin. Die Pinasse erreichte das Flaggschiff und wurde vertäut. An Deck standen schweigende Seesoldaten. Die Stille wirkte fast gespenstisch, denn niemand sprach ein Wort. Alle starrten sie die Seewölfe an wie Wundertiere und griffen sofort zu, als sie über die Jakobsleiter an Bord stiegen. Hasard trug den bewußtlosen Ferris Tucker und reichte ihn nach oben. Dann wollte er Luke Morgan holen, aber Shane hatte es
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schon versucht, und daraufhin hatte Luke nur tief gestöhnt. „Die sollen ein Segelleinen oder etwas Ähnliches heruntergeben“, sagte er. „Sonst heult der Kerl vor Schmerzen. Man kann ihn nicht auf den Armen tragen.“ Etwas später wurde Luke unendlich vorsichtig in dem Segeltuch an Bord gehievt und in das Bordlazarett gebracht. Auch die anderen gingen mit. Die Lords traten ehrfürchtig und bewundernd zur Seite. Ihre Blicke blieben an dem dunklen Gesicht des Seewolfs hängen, der hinter seinen Männern herging. Sie schnitten Luke die verkohlte Hose auf und betrachteten seine Brandwunden. An etlichen Stellen ließ sich die Haut mühelos abziehen. Die beiden Ärzte, die sie an Bord hatten, verstanden ihr Handwerk. Sie packten Luke in weiße Salbe und stäubten ein grünliches Puder darüber. Ferris Tucker kam als nächster an die Reihe, und ein anderer kümmerte sich um Smoky. „Das Ding haben wir gleich raus“, versicherte einer der Ärzte. „Es sitzt nicht sehr tief. Hol mal tief Luft und denke an etwas Molliges.“ Smoky grinste. Es schien ihn auch nicht zu stören, daß sie in seiner Schulter eine ganze Weile herumstocherten. Er zuckte nur einmal zusammen, als einer der Ärzte einen gotteslästerlichen Fluch ausstieß, weil er die Kugel nicht gleich erwischte. Dann war sie draußen, und Smoky kriegte einen dicken Verband mit viel Salbe um die Schulter. „In drei Tagen soll euer Feldscher mal nachsehen, dann ist das Schlimmste vorbei.“ Auch die anderen wurden mit weißer Salbe und einem stinkenden Zeug eingerieben. Nur Tucker regte sich immer noch nicht, aber er atmete regelmäßig. Hasard sah die Ärzte besorgt an. „Was fehlt ihm? Hat er eine Gehirnerschütterung?“ „Vermutlich ja.“ „Das kann Monate dauern, ich kenne das.“
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„Nicht bei dem da, dem gebe ich höchstens noch eine Stunde, dann steht er wieder auf. Der Kerl ist aus Eisen, der zuckt jetzt schon mit den Augenlidern.“ „Und das ist ein gutes Zeichen?“ „Ganz bestimmt!“ Tucker zuckte tatsächlich mit den Augenlidern, und seine Finger bewegten sich. Dann schluckte er, als hätte er Durst. „Achtung, der Lordadmiral!“ schrie jemand in der Krankenstation. Lord Howard erschien und ging direkt auf den Seewolf zu. Er reichte ihm die Hand, schluckte und fand vorerst keine Worte. Etwas verlegen stand er herum, und Hasard sah die Rührung in dem Gesicht —und die Bewunderung. Der Lordadmiral räusperte sich. „Ich habe solche Männer wie euch noch nicht erlebt“, sagte er leise und tief beeindruckt. „Was Sie geleistet haben, Kapitän Killigrew, das, schafft eine ganze Flotte nicht. Sie werden mit dieser Tat in die ruhmreiche Geschichte eingehen, man wird noch lange von Ihnen sprechen, Sir!“ Das wiederum brachte den Seewolf in Verlegenheit, der sich in der Rolle des vergötterten Helden noch nie wohlgefühlt hatte. Er schüttelte dem Lordadmiral die Hand. „Wir haben es für England getan, Sir, es war für uns selbstverständlich.“ Sir Howard schluckte nur. Das war für sie selbstverständlich, hatte der Seewolf gesagt. Nein, es gab keine solchen Kerle wie diese Seewölfe, dachte er. Und wie sie bei den Dons aufgeräumt hatten, das grenzte schon an Zauberei. „Reden wir nicht mehr darüber, Sir“, sagte Hasard. „Ich bin froh, wenn es meinen Männern wieder besser geht, denn die haben wirklich ihr Letztes gegeben.“ Howard hatte immer noch das Bild dieser verwegenen Kerle vor Augen, wie sie mit ihren lichterloh brennenden Schiffen in das Gros der spanischen Flotte hineinsegelten, bis sie dicht vor den Spaniern standen. Er glaubte diese brüllende Hitze und dieses Inferno zu spüren, und dann beugte er sich über Luke Morgan.
Die Höllenschiffe
Luke war erwacht, aber als er nach einem kurzen Augenblick gemerkt hatte, wer alles um ihn herumstand und ihn bedauerte, da schloß er schnell wieder die Äugen. Er glaubte, sein ganzer Körper sei in siedendes Öl getaucht worden, aber dieses weiße Zeug, das sie ihm um den Leib geschmiert hatten, linderte die Schmerzen doch und brachte eine angenehme Kühle auf seine heiße Haut. Er hielt die Augen auch krampfhaft geschlossen, als der Lordadmiral sich über. ihn beugte, stumm den Kopf schüttelte und vor Mitleid fast verging. Howard streichelte Luke Morgan ganz sanft, und in seinem rechten Auge erschien eine Träne, die ihm langsam über die Wange rann und im Bart versickerte. Da begann dieser Satansbraten von einem Luke Morgan auf seine eigene ganz infame Art zu grinsen, öffnete die Augen, sah den Lordadmiral an und grinste noch mehr. „Vielen Dank, Sir“, quetschte er mühsam durch die halbverbrannten Lippen. „Mich hat in meinem ganzen Leben noch nie ein Lordadmiral gestreichelt. Das tut gut, Sir!“ Damit war er wieder weg, aber alle, die da herumstanden und denen das Schauspiel nicht entgangen war, grinsten jetzt ebenfalls. Auch in Howards Gesicht erschien ein stilles Leuchten. Der alte Herr nickte verstehend und lächelte. „Ja, so sind diese Männer“, sagte er zu den umstehenden Männern und Offizieren. „Man kriegt sie nicht kaputt, sie sind unverwüstlich und grinsen selbst dann noch, wenn sie gar nicht mehr grinsen können.“ Dann ging er still hinaus, nachdem er Hasard und den anderen noch einmal freundlich zugenickt hatte. Wie der Arzt schon richtig vorausgesagt hatte, kam auch Ferris Tucker langsam wieder zu sich. Er fand sich nur noch nicht zurecht und richtete sich auf. Der Arzt versuchte, ihn niederzudrücken, aber Ferris' Körper war aus Eisen, und das schaffte er nicht. Tucker sah sich verwundert um und blickte die Männer an. Er griff sich an den Schädel
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und sagte verdutzt: „Verdammt, eben war ich doch noch auf einem Brander. Was, zum Teufel, ist denn hier los?“ „Du hast eine Kopfverletzung, Ferris“, sagte der Seewolf, „und wir haben dich aus dem Bach gefischt. Wie fühlst du dich?“ „Wie ich mich fühle? Ein bißchen versengt. Himmel, war das eine lausige Hitze. Wo sind wir hier?“ „Auf dem Flaggschiff ,Arc Royal', im Lazarettraum.“ „Und was wollen wir hier?“ „Unsere Wunden behandeln lassen.“ Ferris griff sich wieder an den Schädel, den ein dicker Verband zierte. „Meine ist wieder in Ordnung“, versicherte er. „Haben die Dons ordentlich was aufs Dach gekriegt?“ „Das kann man wohl sagen. Auf der Reede herrscht das totale Chaos. Die haben genug zu tun, sich zu sammeln und neu zu formieren. Einige sind gestrandet, viele ausgebrannt und etliche durch die Brander gesunken.“ „Dann hat es sich also gelohnt“, sagte Ferris und blickte auf Luke Morgan, der wieder blinzelte. Später brachte sie die Pinasse wieder an Bord der „Isabella“ zurück, und dort erwartete die acht Männer ein wahres Freudenkonzert. Carberry beklopfte seinen alten Freund Tucker ohne Rücksicht auf dessen Kopfverletzung und hieb ihm immer wieder auf den breiten Rücken, bis Tucker schmerzlich das Gesicht verzog. „Ist ja gut“, sagte er, „deswegen brauchst du mich doch nicht gleich zu verprügeln.“ „Das nenne ich einen Freund begrüßen“, sagte der Profos, und dann widmete auch er sich Luke Morgan, der von allen bedauert wurde. Der Kutscher brachte ihn nach unten und jagte auch die anderen fort, die etwas abgekriegt hatten und verletzt waren. Aber da geriet er bei Smoky an die falsche Adresse. „Laß mich bloß in Ruhe, Mann“, fauchte er den Kutscher an. „Nachher gibt's Rum, und ich soll verschwinden, was? Damit du meinen Anteil mitsäufst.“
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„Du hast eine schwere Verletzung, du Stint!“ rief der Kutscher beschwörend. „Zum Saufen brauche ich nur eine Hand, und das geht mit der rechten einwandfrei.“ Der einzige, dem die ganze Freude vergällt blieb, war Big Old Shane, der sich brummend und wütend verzog. „Es gibt Rum für alle“, sagte Hasard. „Ihr könnt trinken, so viel ihr wollt.“ „Und die Armada?“ fragte Dan. „Howard geht nachher ankerauf, um sie zu verfolgen. Wir bleiben noch hier. Zusammen mit Ribault feiern wir erst einmal anständig, denn das haben wir uns verdient, oder ist jemand anderer Ansicht?“ Nein, das waren sie nicht, die Seewölfe, diesmal vertraten sie einhellig alle dieselbe Meinung, und als Ribault und die Leute seiner Crew erschienen, da gab es auf der „Isabella“ kein halten mehr. Da wurden drei Fässer Rum an Deck gemannt, und selbst der vor Wut platzende Shane tauchte wieder auf. Die Becher kreisten, und sie langten kräftig zu. Auch der Seewolf hielt sich diesmal nicht zurück und warf Ferris Tucker nur einen milde verweisenden Blick zu, der so viel heißen sollte, daß Ferris ja nicht seine Kopfverletzung vergaß, von wegen Schädelbrummen und so. Aber Tucker tat so, als meine der Seewolf immer einen anderen, und drehte sich jedesmal grinsend um. „Wir alle werden uns gründlich ausschlafen“, sagte Hasard. „Und zwar so lange, bis wir von allein aufwachen. Das gilt auch für die, die zuviel saufen.“ Sie standen an Deck und blickten in die Nacht hinaus, dort, wo die vielen Lampen und Laternen brannten, dort, wo die Armada zerrissen und chaotisch durcheinander lag. Da wurde immer noch geschuftet, Schiffe von den Sandbänken gezogen, ausgebessert, geklopft, gelöscht. Dort versuchten die Dons einigermaßen Ordnung in das Chaos zu bringen, das ihnen acht verwegene Männer beschert hatten, die den Teufel nicht fürchteten und
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die von ihrer lebensgefährlichen Exkursion längst wieder zurück waren. Im Morgengrauen ging die englische Flotte ankerauf, um die Armada zu verfolgen, die sich in Marsch setzte und nur noch einige Nachzügler hinterließ. Auf dem Achterkastell stand der Lordadmiral und warf einen langen Blick auf die „Isabella“. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich an seinen Offizier. „Verstehen Sie das. Mister Gardiner?“ fragte er. „Was sind das nur für Satansbraten. diese Seewölfe! Sie haben Unmenschliches geleistet, sind verwundet worden, durch die Hitze halbtot und total erledigt, aber wenn ich das eben richtig durch das Spektiv gesehen habe, dann
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stehen doch einige von ihnen da drüben an Deck und leeren drei Fässer Rum in sich hinein. Gibt es denn so etwas, Mister Gardiner?“ „Eigentlich nicht, Sir“, meinte der Erste. „Eigentlich gibt es das nicht. Die haben bisher mehr geleistet als die gesamte englische Flotte zusammen und müßten total erschöpft sein. Aber uns beweisen sie genau das Gegenteil.“ „Tja“, sagte Howard nachdenklich und strich mit der Hand über seinen gepflegten Spitzbart. „Schade, daß wir nicht solche Leute haben, Mister Gardiner.“ „Ja, das ist wirklich sehr schade, Sir“, erwiderte der Erste kleinlaut. Er kam sich ziemlich belämmert vor.
ENDE