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Alfred W Crosby beschreibt in seinem Buch eine bisher wenig beachtete Seite der europäischen Welteroberung: den ökologischen Imperialismus. Er erzählt die Geschichte dieser Eroberung nicht als Geschichte fortgeschrittener Technik und militärischer Überlegenheit, sondern als Umweltgeschichte, als ökologische Überwältigung der »fremden« Menschen,Tiere und Pflanzen. So bevölkerten die von Kolumbus ausgesetzten Hausschweine bald in großer Zahl Española und die Antillen und dienten den nachfolgenden Siedlern als Nahrung; so verdrängten auf der südamerikanischen Pampa europäische weitgehend die einheimischen Gräser, was wiederum den importierten Rindern zugute kam; so setzten sich Weizen und andere »Feldfrüchte des weißen Mannes« gegen Ökosysteme durch, die empfindlicher und störanfälliger waren als sie. Schließlich
schleppten die Europäer Krankheitserreger ein, denen das Immunsystem anderer Völker nicht gewachsen war: gleichsam eine »biologische Kriegführung« mittels Typhus, Cholera und weiterer Seuchen. Crosby gibt Antwort auf die Frage, warum die Niederwerfung fremder Völker und die anschließende Besiedlung der eroberten Gebiete immer in jenen gemäßigten Klimazonen erfolgte, wo es den Kolonialisten gelang, »neu-europäische« Umwelten zu kreieren. Er liefert damit einen wesentlichen Beitrag zu den anstehenden Jubelfeiern anläßlich der »Entdeckung« Amerikas (1492/1992) – und darüber hinaus auch zur Geschichte des Nord-/Süd-Konflikts. Alfred W. Crosby ist Professor für American Studies an der University of Texas in Austin.
V. 27005 unverkäuflich
Alfred W. Crosby
Die Früchte des weißen Mannes Ökologischer Imperialismus 900–900
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die englische Originalausgabe »Ecological Imperialism. The Biological Expansion of Europe, 900 – 900« erschien 986 bei Cambridge University Press, Cambridge. Copyright © 986 by Cambridge University Press Mit dem Einverständnis des Autors und des englischen Verlags wurde unsere Ausgabe um das ursprüngliche Kap. 0: »New Zealand«, den Anhang: »What was the ›smallpox‹ in New South Wales in 789?« und die fotografischen Illustrationen gekürzt.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Crosby, Alfred W.: Die Früchte des weissen Mannes: ökologischer Imperialismus 900 – 900 / Alfred W. Crosby. Aus dem Engl. von Niels Kadritzke. – Frankfurt/Main ; New York : Campus Verlag, 99 Einheitssacht.: Ecological imperialism ‹dt.› ISBN 3–593–3448– Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 99: Alle deutschsprachigen Rechte: Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Atelier Warminski, Büdingen Umschlagabbildung: Jan Mostaert: »Eine Episode der Eroberung Amerikas« (mit freundlicher Genehmigung des Frans Hals Museums, Haarlem) Satz: L. Huhn, Maintal Druck und Bindung: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Printed in Germany
»Die Entdeckung Amerikas und die Entdeckung eines Weges nach Ostindien um das Kap der Guten Hoffnung sind die beiden wichtigsten und größten Begebenheiten, welche die Geschichte der Menschheit aufgezeichnet hat.« Adam Smith, Der Reichtum der Nationen (776)
»Doch wenn wir auf unserem Vormarsch das Schwert der Vernichtung führen, bleibt uns kein Grund, über die vollbrachten Zerstörungen zu lamentieren.« Charles Lyell, Principles of Geology (832)
»Wo nur immer der Europäer seinen Fuß hingesetzt hat, scheint der Tod den Eingeborenen zu verfolgen. Wir können auf die großen Flächen von Amerika, nach Polynesien, dem Vorgebirge der guten Hoffnung (sic!) und Australien hinblicken, wir finden dasselbe Resultat.« Charles Darwin, Reise eines Naturforschers um die Welt (839)
»Die Entdeckung Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der
Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionären Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung.« Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (848)
Inhalt
Einleitung 9 Der Urkontinent Pangäa und die Neolithische Revolution 9 Gescheiterte Expeditionen: Vinland und Jerusalem 70 Die ersten Kolonien: Madeira, Azoren, Kanarische Inseln 20 Die Beherrschung der Winde 77 In Reichweite, aber nicht im Griff: die tropischen Zonen 222 Die Flora 24
Die Fauna 288 Die Seuchen 328 Die Eroberung der neo-europäischen Gebiete 366 Schlußfolgerungen 407 Dank 43 Literatur 434 Register 463
Einleitung Europäische Auswanderer und ihre Nachkommen sind auf dieser Welt überall anzutreffen. Das bedarf einer Erklärung. Bei anderen ethnischen Gruppen sind die Siedlungsgebiete unmittelbar einsichtig. Die verschiedenen Völker Asiens leben – bis auf relativ wenige Ausnahmen – in Asiens. Schwarzafrikaner gibt es auf drei Kontinenten, aber sie konzentrieren sich überwiegend in ihren angestammten, nämlich tropischen Breiten, wenn auch durch einen Ozean getrennt. Die amerikanischen Indianer leben – mit wenigen Ausnahmen – in Nord- und Südamerika; fast alle überlebenden australischen Ureinwohner siedeln in Australien. Die Eskimos leben in den zirkumpolaren Regionen, die Melanesier, Polynesier und Mikronesier über die Inselwelt eines einzigen, allerdings riesigen Ozeans verstreut. All diese Völker haben sich geographisch ausgebreitet. Sie haben sich also, wenn man so will, imperialistisch betätigt – allerdings meist in Regionen, die an ihre alten Siedlungsgebiete grenzten oder nicht allzu weit davon entfernt lagen; oder sie haben, wie die Völker der Pazifikregion, eine benachbarte Insel nach der anderen eingenommen, egal wieviele Kilometer Wasser jeweils dazwischenliegen mochten. Anders die Europäer: Sie 9
scheinen sich in Bocksprüngen um den Erdball bewegt zu haben. Die Europäer – Weiße, die sich durch bestimmte politische und technische Errungenschaften auszeichnen – bewohnen in großen Gruppen und fast geschlossenen Siedlungsblöcken das nördliche Eurasien vom Atlantik bis zum Pazifik. Damit nehmen sie heute weit mehr Territorium in Anspruch als noch vor tausend oder auch nur fünfhundert Jahren. Aus Europäern setzt sich aber auch die große Mehrheit der Bevölkerung in den Gebieten zusammen, die ich in der Folge als »neo-europäisch« bezeichnen werde und die Tausende Kilometer von Europa – aber ebenso weit auch jeweils voneinander – entfernt liegen. Die Bevölkerung Australiens ist fast gänzlich, die Neuseelands zu etwa neun Zehnteln europäischer Abstammung. In Amerika gibt es zwar nördlich von Mexico beträchtliche Minderheiten von Afro-Amerikanern und mestizos (ein Begriff aus der spanisch-amerikanischen Alltagssprache, der indianisch-weiße Mischlinge bezeichnet); über 80 Prozent der Einwohner beider amerikanischen Subkontinente sind jedoch europäischer Abstammung. Südlich des südlichen Wendekreises ist die amerikanische Bevölkerung ebenfalls vorwiegend weiß. Im tiefen Süden Brasiliens (den Provinzen Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul) liegt der europäische Bevölkerungsanteil zwischen 85 und 95 Prozent, und auch das benachbarte Uruguay besteht zu fast neun Zehnteln aus Weißen. Für Argentinien gehen die einen Quellen von 10
etwa 90, andere sogar von nahezu 00 Prozent europäischem Bevölkerungsanteil aus. Die Chilenen sind nur zu etwa einem Drittel europäisch; die anderen zwei Drittel sind fast durchweg mestizos. Betrachten wir jedoch die Gesamtbevölkerung jenes spitzwinkligen Dreiecks, das sich vom südlichen Wendekreis in Richtung Südpol erstreckt, so ergibt sich eine große Bevölkerungsmehrheit europäischer Abstammung. Selbst wenn wir die höchsten Schätzungen für mestizos, Afro-Amerikaner und amerikanische Indianer zugrundelegen, sind in der gemäßigten Zone Südamerikas immer noch drei Viertel aller Menschen rein europäischer Abstammung.* Die Europäer sind – um es in der Sprache der Imker auszudrücken – immer wieder aufs Neue ausgeschwärmt und haben sich dabei ihre neuen Standorte so ausgesucht, als fühle sich jeder Schwarm von allen anderen körperlich abgestoßen. Diese neo-europäischen Gebiete verfügen außerdem über ungeheure Nahrungsmittelüberschüsse, die sie seit Jahrzehnten exportieren. 982 belief sich der Gesamtwert aller Agrarexporte der Welt, also aller über nationale Grenzen hinweg beförderten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, auf 20 Milliarden Dollar. An diesem Gesamtvolumen waren Kanada, die USA, Argentinien, Uruguay, Australien und Neuseeland mit 64 Milliarden * Die statistischen Zahlen stammen aus: The New Rand McNally College World Atlas 983; The World Almanac and Book of Facts 984; The American Encyclopedia 983; Smith 972: 70).
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Dollar oder etwas über 30 Prozent beteiligt. Und dieser Anteil würde absolut wie prozentual sogar noch höher ausfallen, wenn man die Exporte Südbrasiliens einrechnen würde. An den Weizenexporten, dem bedeutendsten Sektor des internationalen Agrarhandels, hatten die neo-europäischen Gebiete einen noch höheren Anteil. 982 ging Weizen im Wert von 8 Milliarden Dollar über die Grenzen, ca. 3 Milliarden davon stammten aus den neo-europäischen Gebieten. Im selben Jahr beliefen sich die Exporte an proteinreichen Sojabohnen – der wichtigsten Neuheit im internationalen Nährstoffhandel seit dem Zweiten Weltkrieg – weltweit auf 7 Milliarden Dollar. 6,3 Milliarden davon entfielen allein auf die USA und Kanada. Im Export von frischem, gefrorenem und tiefgefrorenem Rind- und Lammfleisch und einer ganzen Reihe anderer Nahrungsmittel sind die Neo-Europäer ebenfalls führend. Ihr Anteil am internationalen Handel mit den Nahrungsmitteln, die weltweit von strategischer Bedeutung sind, ist weitaus größer als der Anteil der Länder des Mittleren Ostens an den Rohölexporten.* Die beherrschende Rolle der neo-europäischen Gebiete im internationalen Nahrungsmittelhandel ist keineswegs nur eine Sache nackter Produktivität. Die Sowjetunion produziert gewöhnlich die größten Mengen * Vgl. Food and Agricultural Organization of the United Nations Trade Yearbook 982 (publiziert 983), XXXVI: 42 ff., 52-58, 2 ff., 8 ff., 237 f.; The Statesman’s Year-book 983-84 (publ. 983), XV–II; Brown 984: 9
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von Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, Kartoffeln, Milch, Lammfleisch, Zucker und diversen anderen Nahrungsmitteln. China erzeugt von allen Ländern am meisten Reis und Hirse und hat außerdem die größten Schweinebestände. Die Produktivität pro Flächeneinheit ist in den neo-europäischen Gebieten geringer als in vielen anderen Ländern. Ihre Farmer – klein an der Zahl, doch groß im Einsatz von Technologie – sind mehr auf extensive denn intensive Anbaumethoden spezialisiert. Auf die Zahl der Beschäftigten bezogen, ist ihre Produktivität imponierend, in Hektarerträgen ausgedrückt weniger eindrucksvoll. Führend sind diese Gebiete allerdings, was die Produktion von Lebensmitteln bezogen auf den Inlandskonsuni betrifft – oder um es anders zu formulieren: in der Produktion exportierbarer Überschüsse. Um ein extremes Beispiel anzuführen: 982 erzeugten die USA nur einen geringen Prozentsatz der Weltreisernte, dennoch lagen sie bei den Reisexporten mit einem Fünftel des Welthandelsvolumens vor allen anderen Ländern an erster Stelle (The World Almanac and Book of Facts 984: 56). Wir werden auf die Produktivität der Neo-Europäer noch einmal im Schlußkapitel zurückkommen. Zunächst befassen wir uns jedoch mit dem ausgeprägten Hang der Europäer, nach Übersee auszuwandern – eine ihrer herausragenden Besonderheiten, die im übrigen viel mit der landwirtschaftlichen Produktivität der neoeuropäischen Gebiete zu tun hat. Die Europäer legten verständlicherweise keine besondere Eile an den Tag, die 13
gewohnte Sicherheit ihrer Heimatländer hinter sich zu lassen. Erst lange, nachdem Cabot, Magellan und andere europäische Seefahrer erstmals auf die neuen Landmassen gestoßen waren, und auch geraume Zeit, nachdem sich dort die ersten Siedler niedergelassen hatten, wurde die Bevölkerung der neo-europäischen Gebiete so weiß, wie sie heute ist. Nordamerika* hatte im Jahre 800 – nach fast zwei Jahrhunderten erfolgreicher europäischer Kolonialisierung und obwohl es in vieler Hinsicht für die Auswanderer aus der Alten Welt das attraktivste aller neo-europäischen Siedlungsgebiete darstellte – kaum fünf Millionen weiße Einwohner, zu denen etwa eine Million Schwarze kamen; im südlichen Südamerika lebten zu dieser Zeit weniger als eine halbe Million Weiße; in Australien lediglich 0000, und Neuseeland war noch echtes Maoriland (McEvedy/Jones 978: 285, 287, 33 f., 327; Southey 969, III: 866). Und dann kam die Sintflut: Zwischen 820 und 930 wanderten über 50 Millionen Europäer in die neo-europäischen Überseegebiete aus. Das entspricht annähernd einem Fünftel der Gesamtbevölkerung Europas zu dieser Zeit (Jones 98: 254). Wie läßt sich eine so massenhafte Völkerwanderung über so riesige Entfernungen erklären? Was war der innerste Antrieb, der diesen Sog in die neoeuropäischen Regionen verursachte? Einen erheblichen * Für die Zwecke dieses Buches steht der Ausdruck »Nordamerika« für den Teil des Gesamtkontinents nördlich von Mexiko; »Amerika« bezeichnet den Gesamtkontinent.
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Schub erzeugten die Verhältnisse in Europa selber: die Bevölkerungsexplosion und der dadurch verursachte Mangel an kultivierbarem Boden, die nationalen Rivalitäten und die Verfolgung von Minderheiten. Begünstigt wurde die Auswanderung über große Entfernungen hinweg sicher auch durch den Einsatz der Dampfkraft für die Fortbewegung zu Lande und zu Wasser. Die neu entdeckten Gebiete boten zahlreiche, regional verschiedene Attraktionen. Ausschlaggebend indes waren tiefgründigere Faktoren, die erst die verschiedenen Attraktionen so anziehend und unwiderstehlich machten, daß ein vernünftiger Mensch dazu verleitet wurde, sein Kapital und die Lebensperspektiven seiner Familie in einem neo-europäischen Abenteuer aufs Spiel zu setzen. Diese Faktoren lassen sich wohl am besten als biogeographisches Syndrom beschreiben. Gehen wir unsere Fragestellung zunächst einmal mit der Dupin-Methode an – in Anlehnung an Edgar Allan Poes Detektivfigur C. Auguste Dupin, der einen ungemein wichtigen gestohlenen Brief nicht etwa in einem Bucheinband oder einem hohlen Stuhlbein versteckt fand, sondern an einer allgemein zugänglichen Stelle – in einem Briefständer. Die Dupin-Technik läßt sich folgendermaßen beschreiben: Man halte sich an die einfachen Fragen, weil die Antworten auf komplizierte Fragen wahrscheinlich so kompliziert ausfallen, daß man sie nicht überprüfen kann; oder, schlimmer noch, weil sie eine so starke 15
Faszination ausüben können, daß man sie nicht wieder verwerfen mag. Dupins erste Frage würde also lauten: Wo liegen die neo-europäischen Gebiete? Sie sind zwar über den ganzen Globus verstreut, befinden sich jedoch in ganz ähnlichen Breiten: Sie gehören sämtlich, entweder vollständig oder mindestens zu zwei Dritteln, zu den gemäßigten Zonen der nördlichen und südlichen Erdhalbkugel. Das bedeutet, daß sie sich in den klimatischen Bedingungen weitgehend ähneln. Die Pflanzen, die den Europäern schon immer Nahrungsmittel und Fasern zur Fertigung ihrer Kleidung geliefert, und die Tiere, die sie ebenfalls mit Nahrungsmitteln und Fasern sowie mit Arbeitskraft, Leder, Knochen und Düngemitteln versorgt haben, gedeihen vor allem in einem warmen bis kühlen Klima mit einer Jahresniederschlagsmenge von 50 bis 50 Zentimetern. Solche klimatischen Verhältnisse sind charakteristisch für alle neo-europäischen Gebiete (oder wenigstens für deren fruchtbare Zonen), in denen sich die Europäer kompakt angesiedelt haben. Sie wurden offenbar vorwiegend von Gegenden angezogen, wo Weizen und Rinder gedeihen – eine Hypothese, die sich in der Tat historisch bestätigt findet. Die ursprüngliche Fauna und Flora der neu-europäischen Regionen sind untereinander wie auch von der Fauna und Flora Nord-Eurasiens eindeutig unterschieden. Diese Unterschiede stechen besonders ins Auge, wenn wir einige der wichtigsten Arten von Weidetieren vor etwa 16
tausend Jahren betrachten. Das europäische Rind, der nordamerikanische Bison, das südamerikanische Guanako, das australische Känguruh und der neuseeländische Moa (eine bis zu drei Metern große Straußenart, die heute ausgestorben ist) waren ganz unterschiedlich und kaum miteinander verwandt. Das Rind und der Büffel als die engsten Verwandten waren bestenfalls Vettern sehr entfernten Grades. Selbst der nordamerikanische Bison und das ihm am nächsten verwandte (heute sehr selten gewordene) europäische Wisent sind keineswegs dieselbe Spezies. Die neo-europäische Fauna und Flora machte denn auch auf europäische Kolonisten zuweilen einen atemberaubend bizarren Eindruck. In Australien beispielsweise bemängelte ein gewisser Mr. J. Martin in den 30er Jahren des 9. Jahrhunderts: »Die Bäume behielten ihre Blätter und warfen stattdessen ihre Rinde ab, die Schwäne waren schwarz, die Adler weiß, die Bienen hatten keinen Stachel, manche Säugetiere hatten Beutel, andere wiederum legten Eier; am wärmsten war es auf den Bergen, am kühlsten in den Tälern, und sogar die Brombeeren (engl.: blackberries; Anm. d. Übers.) waren rot.« (Powell 976: 3 f.) Wir haben es hier mit einem Paradoxon zu tun: Die Teile der Erde, die Europa im Hinblick auf ihre Bevölkerung und ihre Kultur inzwischen am meisten ähneln, liegen weit von Europa entfernt und sind durch die Weltmeere getrennt. Obwohl sie klimatisch Europa so ähnlich sind, war ihre ursprüngliche Tier- und Pflanzenwelt ganz 17
anders als die europäische. Die Regionen, die heute von allen Ländern der Erde am meisten Nahrungsmittel europäischer Provenienz exportieren, kannten vor 500 Jahren weder Weizen noch Gerste, noch Reis, noch Rinder, Schweine, Schafe oder Ziegen. Wie ist dieses Paradoxon zu erklären? In den klimatisch vergleichbaren Regionen Nordamerikas, des südlichen Südamerikas, Australiens und Neuseelands können die europäischen Menschen und ihre Fauna und Flora erfolgreich gedeihen – vorausgesetzt, die biologische Konkurrenz ist nicht zu hart. Diese Konkurrenz aber blieb im allgemeinen eher gemäßigt. In der argentinischen Pampa haben die iberischen Pferde und Rinder das Guanako und den Nandu zurückgedrängt. In Nordamerika haben die Menschen indogermanischer Sprache die Ureinwohner unterworfen, deren Muttersprache Algonkin oder Muskhogean oder eine andere indianische Sprache war. In den Antipoden Europas haben der Löwenzahn und die Hauskatze der Alten Welt den Vormarsch, Känguruhgras und Kiwi dagegen den Rückzug angetreten. Aber wieso? Der europäische Menschenschlag mag sich durchgesetzt haben, weil er überlegene Waffen, die bessere Organisation und einen größeren Fanatismus mitbrachte; aber welchen Grund sollte es dafür geben, daß heute über dem Reich des Löwenzahns die Sonne nie untergeht? Hatte der Sieg des europäischen Imperialismus womöglich eine biologische, eine ökologische Komponente? 18
Der Urkontinent Pangäa und die Neolithische Revolution »Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, daß man das Trockne sehe. Und es geschah also. Und Gott nannte das Trockne Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.« . Buch Mose, , 9–0 »Drei feine Dinge sind es, von denen sich die Welt vor allem ernährt: von dem feinen Milchstrahl aus dem Euter der Kuh in den Eimer, von dem feinen Blatt des aus der Erde sprießenden Getreidehalms, von dem feinen Faden in geschickten Frauenhänden.« The Triads of Ireland (9. Jahrhundert)
Beim Nachdenken über die neo-europäischen Gebiete muß man ganz von vorne anfangen, also nicht erst 492 oder 788, sondern ungefähr 200 Millionen Jahre früher, als eine Folge geologischer Entwicklungen einsetzte, die diese Landmassen dorthin brachte, wo sie sich heute befinden. Vor 200 Millionen Jahren, als noch Dinosaurier die Erde bevölkerten, gab es nur einen einzigen riesigen Kontinent, den die Geologen Pangäa nennen (Dietz/Holden 19
Abb. : Die Nahtlinien der Pangäa (nach: Hamblin 982: 23)
976: 26 f.). Dieser Urkontinent erstreckte sich über viele Breitengrade und umfaßte daher vermutlich unterschiedliche Klimazonen. Da es sich aber um eine einzige Landmasse handelte, konnten die Lebensformen nicht allzu verschieden gewesen sein. Dieser eine Kontinent stellte gewissermaßen eine geschlossene Wettbewerbsarena des darwinistischen Überlebens- und Reproduktionskampfes dar, in der bestimmte Gruppen von Lebewesen sich gegenüber anderen durchsetzen konnten. Auf diesem Urkontinent dominierten unter den Landtieren die Reptilien, zu denen alle Dinosaurierarten zählten, über eine Zeitspanne, die dreimal so lange andauerte wie die darauffolgende Vorherrschaft der Säugetiere. Und dennoch haben die Reptilien gegenüber den Säugern etwa ein Drittel weniger Gattungen hervorgebracht. Vor etwa 80 Millionen Jahren begann die Pangäa in Stücke zu brechen wie ein gigantischer Eisberg, den es in 20
warme Gewässer verschlagen hat. Sie brach zunächst in zwei Kontinente auseinander, dann in kleinere Stücke, aus denen sich die heutigen Kontinente entwickelten. Die Geologen haben diesen höchst komplizierten Prozeß bis heute noch nicht ganz entschlüsselt. Uns genügen die groben Umrisse: Zu den Bruchlinien des Urkontinents wurden die Zonen intensiver seismischer Aktivitäten, aus denen später untermeerische Gebirgszüge entstanden. Von diesen ist der Mittelatlantische Rücken am gründlichsten erforscht, er zieht sich als köchelnde und brodelnde Unterwasserregion von der Grönland-See bis zur Spiess-Bann zwanzig Breiten- und zwanzig Längengrade südwestlich von Kapstadt. Aus dieser und anderen zu Urzeiten abgesunkenen Gebirgsketten traten (und treten an vielen Stellen heute noch) Lavaströme hervor, die sich zu neuen ozeanischen Krustenböden verfestigten, deren Abdrift die Kontinente zu beiden Seiten der untermeerischen Rücken immer weiter auseinanderdrückte. Wo zwei solcher ozeanischen Krusten von den sie hervortreibenden Schwellenflanken abgleiten, krümmen sie sich ächzend und knirschend in den Erdmantel hinein. Dabei können das eine Mal kontinentale Gebirgsketten in die Höhe gestemmt, das andere Mal Tiefseegräben aufgerissen werden, welche die tiefsten Einkerbungen auf der Oberfläche unseres Planeten darstellen. Die Geologen bezeichnen diesen gigantisch dimensionierten und Ewigkeiten dauernden Vorgang als »Kontinentaldrift« oder auch als »Kontinentalverschiebung« (Dewey 976: 34 f.). 21
Zu der Zeit, da die Säugetiere die Dinosaurier als dominante Landtiere ablösten und sich in die zahllosen Ordnungen auszudifferenzieren begannen, die im Laufe der vergangenen Millionen Jahre entstanden sind, scheint die Trennung der Kontinente ihr Extremstadium erreicht zu haben. Mit Sicherheit war sie ausgeprägter als heute, zumal auch große Binnenmeere entstanden waren, die Südamerika und Eurasien in jeweils zwei Subkontinente teilten. Auf diesen Bruchstücken der alten Pangäa entwickelten sich voneinander unabhängige Lebensformen, die in vielen Fällen einzigartig waren. Von daher läßt sich teilweise erklären, in welch erstaunlichem Maße und mit welcher Geschwindigkeit die Säugetiere sich diversifizierten (Kurten 976: 76, 78; Elton 966: 33–49). Auch die Unterschiede zwischen der Fauna und Flora Europas und der neo-europäischen Gebiete sind weitgehend auf die Kontinentalverschiebung zurückzuführen. Jeder Europäer, der eines dieser Gebiete auf dem Seeweg ansteuerte, überquerte zwangsläufig eine oder mehrere dieser untermeerischen Trennlinien in Gestalt von Gebirgsrücken oder Grabenbrüchen. Europa und die neo-europäischen Gebiete gehören seit vielen Millionen Jahren nicht mehr zur selben Kontinentalmasse (sieht man von den zeitweiligen Verbindungen zwischen Nordamerika und Asien in der arktischen Region ab). In diesem Zeitraum haben sich die Vorläufer des amerikanischen Bisons, des eurasischen Rindes und des australischen Känguruhs auf getrennten Evolutions22
pfaden voranbewegt. Wenn man diese unter dem Wasser verborgenen Nahtlinien zwischen den Kontinenten überquerte, wechselte man zugleich von einem dieser Pfade auf einen anderen, betrat gleichsam eine andere Welt (Piclou 979: 28–3, 49–57). (Es gibt auch Nahtlinien, die nicht unter Wasser liegen und keine kontinentale Trennlinie darstellen, wir wollen sie aber der Kürze halber vernachlässigen.) Als die Pangäa sich in einen südlichen und einen nördlichen Kontinent aufspaltete, lagen das heutige Nordamerika und Europa auf demselben Kontinent. Sie befinden sich daher heute in denselben Breitenzonen und haben eine ähnliche Urgeschichte. Ihre Fauna und Flora unterschieden sich weniger voneinander als von den übrigen neo-europäischen Gebieten. Dennoch waren diese Unterschiede groß genug, um den finnischen Naturforscher Peter Kala, der 748 nach Philadelphia kam, staunen zu machen: »Ich fand mich nunmehr in eine neue Welt versetzt. Wann immer ich zu Boden blickte, fand ich allenthalben Pflanzen, wie ich sie nie zuvor erschaut hatte. Sah ich einen Baum, mußte ich innehalten und meine Begleiter befragen, wie er genannt werde … Und Schrekken ergriff mich bei dem Gedanken, mich an so viele neue und unbekannte Elemente des Naturgeschehens gewöhnen zu müssen.« (Kalm 972: 24) 23
Es gibt auch Nahtlinien, die nicht unter Wasser liegen und keine kontinentale Trennlinie darstellen, wir wollen sie aber der Kürze halber vernachlässigen. Die Bio-Geographen haben Nordamerika und Eurasien zu recht als unterschiedliche biologische Regionen eingestuft. Schließlich hat Nero die ersten Christen den Löwen und nicht den Pumas vorgeworfen (Neill 969: 98, 04). Was die anderen neo-europäischen Gebiete betrifft, so besteht ohnehin kein Zweifel, daß sie anderen biogeographischen Kategorien unterliegen als Europa – beispielsweise gibt es dort große, bis zu mannshohe, flugunfähige Vögel. 24
Die Aufspaltung der Pangäa und die Dezentralisierung des Evolutionsprozesses begann vor 80 bis 200 Millionen Jahren. Seitdem dominierten in der Evolution der Lebensformen meist die zentrifugalen Kräfte (mit Ausnahme einiger gegenläufiger Phasen, z. B. beim periodischen Wiederauftauchen der Bering-Landbrücke, die eine Verbindung zwischen Nordamerika und Eurasien herstellte und eine Vermischung von Fauna und Flora ermöglichte). Diese Vorherrschaft der zentrifugalen Tendenzen dauerte von der Zeit, als einige unserer frühesten Vorfahren sich von geraubten Dinosauriereiern zu ernähren begannen, bis vor etwa 25
einer halben Million Jahren; seitdem dominieren die zentripetalen Kräfte. Das Auseinanderbrechen des Urkontinents war ein geologischer Prozeß, der sich im majestätischen Zeitmaß der Kontinentalverschiebung vollzog. Die gegenwärtig ablaufende Rekonstituierung der Pangäa im Zeichen des Schiffs- und Flugverkehrs gehört dagegen zum Prozeß der menschlichen Zivilisation und vollzieht sich im unkontrollierten, ständig beschleunigten, rasenden Tempo der technologischen Entwicklung. Um diese Entwicklung darzustellen, müssen wir nur ein bis drei Millionen Jahre zurückgehen. Die anpassungsfähigsten der heute noch existierenden großen Landlebewesen sind die Menschen, weshalb sie auf der Welt auch am weitesten verbreitet sind. Andere Lebewesen mußten erst bestimmte genetische Veränderungen durchlaufen, bevor sie in geographische Regionen überwechseln konnten, die grundlegend anders waren als die ihrer Ahnen: Ihre Schneidezähne mußten erst zu Dolchen werden, um in der Konkurrenz um die Nahrung zu bestehen; ihre Behaarung mußte sich erst zum Pelz verdichten, bevor sie in nördlicheren Regionen überleben konnten. Anders die Menschen und ihre hominiden Vorläufer. Sie machten keinen spezifischen, sondern vielmehr einen verallgemeinerten genetischen Wandel durch: Sie entwickelten ein größeres und besseres Gehirn, das den Gebrauch von Sprache und die Handhabung von Werk26
zeugen ermöglichte. Dieses Wachstum des kompakten, im menschlichen Schädel wie in einem Schatzkästchen verstauten Nervengewebes setzte vor mehreren Millionen Jahren ein, und erst mit ihm wurden die Hominiden zunehmend lern-, das heißt kulturfähig. Kultur ist ein System der Speicherung und Veränderung von Verhaltensmustern, dessen Träger nicht die Moleküle des genetischen Code, sondern die Gehirnzellen sind. Dieser Entwicklungssprung machte die Vertreter der Gattung Homo zu Spezialisten der Anpassungsfähigkeit im Reich der Natur (Loring 979: 54–68). Vor ca. 00 000 Jahren hat das menschliche Hirn seinen heutigen Umfang erreicht, der sich wahrscheinlich nicht mehr vergrößern wird (Loring 979: 78). Seine endgültige Ausformung war vor etwa 40 000 Jahren abgeschlossen, als der Homo sapiens (der kluge Mensch!) auftauchte – das Gesicht beschmiert mit irgendeinem Farbstoff seiner natürlichen Umgebung und in der Faust einen zugespitzten oder gar steinspitzenbewehrten Stock. Die Hominiden – diese hirnlastigen Affen – waren dank ihrer neu gewonnenen Anpassungsfähigkeit in der Lage, ihre angestammten Gebiete (wahrscheinlich Afrika) zu verlassen und über die alten Landnähte der Pangäa hinweg nach Eurasien zu wandern. Seitdem ziehen Hominiden bzw. Menschen auf der Erde umher und versuchen, jede Ritze, jede Spalte, jede Nische über dem Meeresspiegel in Beschlag zu nehmen. Unsere Vorfahren (Homo erectus) – ausgestattet mit einem Gehirn, 27
das ca. 00 Kubikzentimeter kleiner war als das unsere – vermehrten sich, durchwanderten die Tropenzonen der Alten Welt und tauchten vor ca. 750 000 Jahren in den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre auf, wo sie sich in Europa und China niederließen (Loring 979: 76 f.; Campbell 976: 248; Pilbeam 984: 93–96). Die menschliche Gattung hatte von der Alten Welt Besitz ergriffen, die von Europa und Sibirien bis zur Südspitze Afrikas und zur ostindischen Inselwelt reichte. Aber es gab noch ganze Kontinente und zahllose Inseln, die wir weder erforscht noch besiedelt hatten. Vor allem hatten wir noch keine der sich ständig verbreiternden, auf dem Meeresgrund verborgenen Nahtlinien der alten Pangäa überquert (Campbell 976: 383 f.; Loring 979: 95). Erst später schickten sich die frühen Menschen an, diese Welt – das zerrissene Kerngebiet der Pangäa: Eurasien und Afrika – zu verlassen, in der ihre Vorfahren über Millionen von Jahren gelebt hatten. In der anderen Welt, zu der sie aufbrachen wie zu einem anderen Planeten, gab es weder Menschen noch Hominiden noch irgendwelche Affenarten. In ihr dominierten Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, deren Arten große Unterschiede zur Fauna und Flora der Alten Welt aufwiesen. Diese Neue Welt bestand aus Nordamerika, Südamerika und Australien; Neuseeland war noch zu weit entfernt. Im Malaischen Archipel ist die Gattung Homo schon fast so lange vertreten, wie es sie gibt. Die Meerengen zwischen diesen Inseln waren schmal und teilweise so seicht, 28
daß sie wie die zwischen Neu-Guinea und Australien im Laufe einer Eiszeit trocken fielen. Auf diesem Wege wanderten die ersten Vertreter der menschlichen Spezies vor 40000 Jahren nach Australien ein, wo sie sich als die ersten großen plazentalen (eine Plazenta ausbildenden) Säuger niederließen. Als zweite plazentale Spezies tauchte erst vor 8000 Jahren oder noch später eine Hundeart namens Dingo auf. (Diese und andere hier aufgeführte Datierungen sind noch umstritten, aber wir brauchen uns in solche Kontroversen nicht einzumischen – uns interessieren nicht die absoluten Daten, sondern allein die zeitliche Abfolge.) Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß einige Arten und Gattungen australischer Beuteltiere und Reptilien verschwunden sind, als sich die Menschen auf diesem Kontinent ausbreiteten. Die Versuchung ist groß, diese zeitliche Übereinstimmung als zwingenden Beweis zu nehmen und das Aussterben dieser Lebewesen auf diese Eindringlinge zurückzuführen. Aber selbst den Leichtgläubigsten wird man kaum einreden können, daß die steinzeitlichen Jäger diese australischen Tiergiganten ganz allein umgebracht hätten. Eine gewisse Rolle haben sicher auch die Krankheiten gespielt, die diese Menschen von den indonesischen Inseln nach Süden mitgeschleppt haben mögen. Sicher aber brachten sie das Feuer, das von den australischen Ureinwohnern bis in jüngere Zeiten eingesetzt wurde, um weite Gebiete des Kontinents in regelmäßigen Abständen abzubrennen. 29
In den prähistorischen Zeiten könnte diese Praxis die Lebenswelt der Tiergiganten so stark in Mitleidenschaft gezogen haben, daß sich diese nicht mehr halten und reproduzieren konnten.* Südlich der nordamerikanischen Eisdecke sind menschliche Wesen vermutlich erst aufgetaucht, als sie in Australien längst Fuß gefaßt hatten. Nach Amerika zu gelangen, war ein kompliziertes Unterfangen. Problematisch waren dabei weniger die kalten, nebligen und gefährlichen Gewässer der Bering-Straße; das Hauptproblem stellte vielmehr das in diesen Breiten herrschende feindliche Klima dar. So zogen von Sibirien aus gewiß nur wenige Menschen auf den Spuren ihrer Karibu-Herden über die damalige tundraartige Bering-Brücke nach Alaska hinüber. Dort stießen diese prähistorischen Auswanderer auf eine gigantische Eisdecke, die einen Großteil des amerikanischen Kontinents bis fast nach Mexiko hinunter überzog. Zwar gab es auch warme Perioden, in denen sich ein Korridor von Alaska nach Alberta und noch weiter nach Süden hin auftat, aber insgesamt gesehen war ein Fußmarsch von Asien zu den üppigen Grasebenen und Wäldern Nordamerikas ein mühsames Unterfangen. Wie in Australien fiel auch in Amerika die Ankunft menschlicher Großwildjäger mit dem Aussterben vieler großer Säugetierarten zusammen; das gilt zum Beispiel für das Mammut, das Mastodon, das Riesenfaultier, den * Thorne 98: 78 f.; Merrilees 968: -24; Mulvaney 976: 84; Blainey 976: 6, 6, 5-66
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Riesenbüffel und auch das Pferd. Einzelne Exemplare dieser Riesentierarten wurden zweifelsfrei von Menschen getötet; so hat man etwa zwischen den Rippen fossiler Mammuts steinerne Speerspitzen gefunden. Aber die meisten Experten haben Skrupel, das Aussterben ganzer Tierarten auf diese Jäger zurückzuführen. Der Mensch war wahrscheinlich nur eines von vielen verschiedenen Lebewesen, die auf die einheimische Tierwelt losgelassen wurden; den Rest erledigten wohl Parasiten und Krankheitserreger.* Der Homo sapiens fand in Australien und den beiden amerikanischen Subkontinenten paradiesische Jagdgründe vor. Auf allen drei Kontinenten liefen Riesenherden verzehrbarer Pflanzenfresser umher, die keinerlei Erfahrung hatten, wie man sich gegen menschliche Angreifer verteidigt, und die Neuankömmlinge mit offenbar unerschöpflichen Mengen von Proteinen, Fetten, Fellen und Knochen versorgten. Die Ausbreitung des Homo sapiens in Australien und Amerika hat wahrscheinlich zu einer enormen Zunahme der menschlichen Erdenbevölkerung geführt. Die neuen Kontinente glichen einem Garten Eden, den Adam und Eva erst spät betraten. »Derartiges kann es erst wieder geben, wenn der Mensch auf dem bewohnbaren Planeten eines anderen Sternensystems landet«, schreibt Francois Bordes in seinem Buch über die Altsteinzeit (Bordes 968: 28). * Martin 973: 969; Mosimann/Martin 975: 304; Martin/Wright 967: passim
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Vor ca. 0000 Jahren begannen alle größeren Eiskappen, bis auf die der Antarktis und Grönlands, abzuschmelzen; die Ozeane erreichten infolgedessen ungefähr ihren heutigen Wasserstand und überfluteten die Ebenen, die Australien mit Neu-Guinea und Alaska mit Sibirien verbunden hatten. Die wandernde Vorhut der Menschheit wurde damit in ihren neuen Heimatgebieten isoliert. Von da an – und bis zu dem Zeitpunkt, da die Europäer die Nahtlinien der alten Pangäa regelmäßig zu Schiff überqueren sollten – lebten und entwickelten sich diese Völker in völliger oder nahezu völliger Isolation. Ein vorübergehendes Innehalten der divergierenden Evolution, die mit dem Auseinanderbrechen des Urkontinents Pangäa begonnen hatte, war zu Ende. In den folgenden Jahrtausenden überwogen wieder die zentrifugalen Kräfte, drifteten die genetische und erstmals auch die kulturelle Entwicklung wie die Kontinente auseinander. Dann machte die Menschheit ihren nächsten riesigen Sprung nach vorn. Aber dieses Mal handelte es sich nicht um ein geologisches, sondern um ein zivilisatorisches Phänomen: die Neolithische Revolution. Nach der klassischen Definition begann die Neolithische Revolution, als die Menschen ihre Werkzeuge nicht mehr einfach aus zugeschlagenem Stein herstellten, sondern durch Schleifen und Polieren erstmals wirklich bearbeiteten. Und sie endete, als die Menschen lernten, Metalle in größeren Mengen zu schmelzen und zu Werkzeugen zu verarbeiten. Die Geschichte der Neolithischen Revolutionen ist 32
auch die Geschichte der Domestizierung von Haus-, Hof- und Herdentieren, der Entstehung der Schrift, der Gründung der ersten Städte und der Entstehung der Kultur (Encyclopaedia Britannica 9, II: 348–35; XIX: 372; Childe 956; passim). Die technologische Avantgarde der Menschheit, die Völkerschaften im Kerngebiet der Alten Welt, also des Nahen Ostens, legten den Weg, der uns in die Gegenwart geführt hat, schneller zurück als alle anderen. Die geographische Avantgarde der Menschheit, die in Australien und den amerikanischen Subkontinenten isolierten Pioniervölker, haben keine einheitliche Entwicklungsgeschichte durchlaufen. Die australischen Ureinwohner (die hier als Aborigines bezeichnet werden) blieben ihren altsteinzeitlichen Gewohnheiten treu, sie schmolzen keine Metalle und bauten keine Städte. Als sich im 8. Jahrhundert Captain Cook und die australischen Aborigines in der Botany Bay zum ersten Mal Auge in Auge gegenüberstanden, kreuzten ihre Blicke zugleich die Datumslinie der Neolithischen Revolution. Die Neolithische Revolution in der Neuen Welt begann langsamer als in der Alten Welt, beschleunigte sich nur zögernd und breitete sich so zaghaft aus, als seien die technischen und künstlerischen Errungenschaften der Zivilisation in der westlichen Hemisphäre weniger willkommen gewesen als in der östlichen. Am eindrucksvollsten entfaltete sie sich in Mittelamerika. Als die Konquistadoren mit Eisen und Stahl anrück33
ten, steckten die Völker der amerikanisch-indischen Hochkulturen noch in den Anfangsstadien der Metallurgie: Sie verwendeten das gewonnene Metall nur für Schmuckgegenstände und Götterstatuen, nicht aber für Werkzeuge. Warum verlief die zivilisatorische Entwicklung der Neuen Welt so langsam und zögernd? Vielleicht, weil die Hauptachse Amerikas in Nord-Süd-Richtung verläuft und deshalb die Nahrungspflanzen der amerikanischen Indianer, auf denen sämtliche Kulturen der Neuen Welt basierten, sich über extrem unterschiedliche Klimazonen verteilten. Die Hauptnahrungspflanzen der Alten Welt dagegen breiteten sich eher in Ost-West-Richtung aus und damit über Regionen mit vergleichbaren klimatischen Verhältnissen. Vielleicht aber auch, weil die Bauern Amerikas lange Zeit brauchten, um den Mais, ihr wichtigstes Grundnahrungsmittel, von seiner ursprünglichen Kümmerform zu der hochproduktiven Nutzpflanze hochzuzüchten, die dann die Europäer 492 erstmals zu Gesicht bekamen. Im Gegensatz dazu war der Weizen als die anfänglich wichtigste Kulturpflanze der Alten Welt schon zum Zeitpunkt der ersten Nutzung eine hochproduktive Getreideart. Vielleicht konnte deshalb die Alte der Neuen Welt in ihrer zivilisatorischen Entwicklung um tausend Jahre voraneilen. Aber selbst wenn sich solche spekulativen Überlegungen beweisen ließen, bliebe noch zu klären, warum die Neolithische Revolution in Amerika auch bei der 34
Domestizierung von Tieren weit hinter der Entwicklung in der Alten Welt zurückblieb. Zwar waren die amerikanischen Indianer in dieser Hinsicht den Aborigines, die nur den Hund domestizierten, überlegen, den Völkern der östlichen Hemisphäre aber bei weitem unterlegen. Man vergleiche nur das amerikanische Inventar an Haustieren – Hund, Lama, Meerschweinchen und wenig Federvieh – mit dem der Alten Welt: Hund, Katze, Rind, Pferd, Schwein, Schaf, Ziege, Rentier, Wasserbüffel, Hühner, Gänse, Enten, Honigbienen u. a. m. Die wilden Tiere der östlichen Hemisphäre waren nicht leichter zu zähmen als die des Westens. Der Vorfahre unseres Hausrindes, der Auerochse der Alten Welt, scheint sich als Haustier genauso wenig aufgedrängt zu haben wie der nordamerikanische Bison (CluttonBrock 98: 66 ff.). Im Gegensatz zu den Göttern der Alten Welt (oder jedenfalls zu dem Gott, dessen Texte die größte Verbreitung gefunden haben) verliehen die Götter der Neuen Welt den Menschen jedenfalls keine Herrschaftsbefugnisse »über Fische im Meer und über Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht« (. Moses , 28). Einige Studien gehen davon aus, daß die amerikanischen Indianer den Tieren insofern eine prohibitiv hohe Wertschätzung entgegenbrachten, als sie in ihnen dem Menschen gleichwertige oder gar überlegene Mitgeschöpfe und keine potentiell dienstbaren Kreaturen sahen (Kidwell 985: 277–287; White 967: 202–207). 35
Mark Nathan Cohen beschreibt dagegen in seinem Buch The Food Crisis in Prehistory. Overpopulation and the Origins of Culture den Bevölkerungsdruck als die eigentliche Triebkraft, die das Abwandern der Menschen der Altsteinzeit aus Afrika in die anderen bewohnbaren Kontinente bewirkt habe (Cohen 977: passim). Auf den Druck der großen Zahl führt er auch die Anfänge der Landwirtschaft zurück. Kraß verkürzt und vereinfacht läßt sich seine These so formulieren: Als die australischen und amerikanischen Steinzeit-Pioniere an die äußersten Grenzen der neuen Kontinente stießen und nur noch Wasserflächen vor sich hatten, jenseits derer die antarktischen Regionen begannen, drängte sich in ihrem Rücken die Jäger- und Sammler-Bevölkerung immer dichter zusammen. Sie konnte weder weiterziehen noch weitere Menschen ernähren. Der Homo sapiens stand – nicht zum letzten Mal in seiner biologischen Geschichte – vor der Wahl, auf das Keuschheitsgebot oder auf seinen Verstand zu setzen. Wie kaum anders zu erwarten, entschied sich unsere Spezies für den zweiten Weg. Die Jäger verloren an Bedeutung, als auf der ganzen damaligen Welt die Herden großer Tiere abnahmen und die Menschen auf die Nutzung von Kleintieren und Pflanzen ausweichen mußten. Die Stunde der größten praktischen Botaniker und Zoologen aller Zeiten hatte geschlagen. Wo besonders günstige Bedingungen herrschten – wo es also beispielsweise kompakte Flächen von Wildweizen mit einer Ährensorte gab, die mit der 36
Steinsichel gemäht werden konnte, ohne zu streuen und damit wertvolle Körner zu verlieren –, waren alle Puzzlestücke der Domestikation beisammen, und die Sammler verwandelten sich in Ackerbauern. Wahrscheinlich war der Bevölkerungsdruck – das primum mobile – in den älteren Siedlungszentren, also in der Alten Welt, stärker zu spüren als in anderen Regionen. Das mag erklären, warum sich die Neolithische Revolution in der Alten Welt schneller durchsetzte als in der Neuen Welt (Cohen 977: 86–89, 279–284). Die amerikanischen Indianer und die australischen Aborigines haben jedenfalls, aus welchen Gründen immer, ihre Neolithische Revolution erst spät vollendet – und sie mußten teuer dafür bezahlen. Der Triumph der europäischen Eindringlinge in Nord- und Südamerika, in Australien und Neuseeland ist weitgehend ein Ergebnis der Neolithischen Revolution, die eine mindestens ebenso große Rolle spielte wie die späteren Entwicklungen in der Alten Welt – von dem Zeitpunkt, da Abraham im Bereich des »Fruchtbaren Halbmondes« seine Schafe hütete, bis zum Zeitalter, da Kolumbus, Magellan und Captain Cook die Nahtlinien der Pangäa überquerten. Wenn wir also nach den Wurzeln der Erfolge des europäischen Imperialismus suchen, müssen wir uns im Nahen Osten umsehen, bei Abraham und Gilgamesch und anderen unserer zivilisatorischen Vorfahren, denen wir es verdanken, daß wir Weizenbrot essen, Eisen schmieden und unsere Gedanken in alphabetische Zeichen umsetzen. 37
Die Neolithische Revolution der Alten Welt beruhte – trotz aller frappierenden Errungenschaften auf den Gebieten der Metallurgie, der Künste, der Schrift, der staatlichen Organisation und des städtischen Lebens – letztendlich auf der direkten Kontrolle und Ausbeutung der vielen biologischen Arten zu Nutz und Frommen einer einzigen, des Homo sapiens. Die Menschen begannen, ganze Sektoren ihrer Lebensumwelt herauszugreifen und zu manipulieren: Weizen, Gerste, Erbsen, Linsen, Esel, Schafe, Schweine und Ziegen sind von den Völkern der Alten Welt vor nunmehr 9000 Jahren zwangsverpflichtet worden (der Hund war schon früher domestiziert und stellt die einzige Domestikationsleistung der Altsteinzeit dar; Clutton-Brock 98: 34). Rind, Kamel und Pferd blieben noch ein paar Jahrtausende unabhängig. Doch vor ca. 4000 bis 5000 Jahren hatten die Menschen in Südwestasien und den angrenzenden Regionen die Domestikation der meisten Nutzpflanzen- und Vieharten abgeschlossen, die für die Zivilisation der Alten Welt die größte Bedeutung hatten und bis heute noch haben (Harlan 976: 94 f.). Die erste Hochkultur in der Geschichte der Menschen entstand vor 5000 Jahren im Reich der Sumerer in SüdMesopotamien, am Unterlauf von Euphrat und Tigris. Hier beginnt die schriftliche Chronik der Menschheitsgeschichte, die zunächst auf Tontafeln, danach auf Papyrus, Pergament, Stoff und Papier die ehrfurchtgebietende Kontinuität der Zivilisation der Alten Welt beurkundet. 38
Wir alle haben teil an dieser Kontinuität: Wir schreiben und lesen mit Hilfe des Alphabets, einer höchst intelligenten Erfindung des Nahen Ostens in der Tradition der sumerischen Kultur. Die Sumerer und die Erfinder des Alphabets, meine Leser und ich selbst, wir alle fallen ausnahmslos, bei allen entwicklungsgeschichtlichen Unterschieden, in ein und dieselbe Kategorie: Wir alle sind Erben der post-neolithischen Zivilisation der Alten Welt. Die Ureinwohner der neo-europäischen Gebiete, die Steinzeitvölker (einschließlich der wenigen heute noch existierenden) und alle präkolumbianischen Indianer Amerikas gehörten selbst noch auf ihren höchsten Entwicklungsstufen einer früheren Kultur an. Der Übergang von dieser Kultur zu jener, die die Europäer beim Überschreiten der alten Nahtlinien der Pangäa mit sich brachten, war ein qualvoller Prozeß. Viele Menschen, ja ganze Völker wurden von diesem Prozeß überrollt und sind darin untergegangen. Wenn wir aus unserer heutigen Perspektive die Sumerer mit den Jägern und Sammlern vergleichen, die vor oder auch nach ihnen gelebt haben, werden wir feststellen, daß zwischen diesem allerersten Kulturvolk und jedweder Art von Steinzeitmenschen ein größerer Unterschied besteht als zwischen den Sumerern und uns. Wenn wir Jäger und Sammler betrachten, sehen wir Menschen vor uns, die zutiefst »anders« sind. Betrachten wir hingegen die Sumerer und andere frühe Kulturvölker des Nahen Ostens (wie die Akkadier, die 39
Ägypter, die Israeliten, die Babylonier usw.), blicken wir in einen – wenn auch sehr alten und staubverhangenen – Spiegel. Um erste Aufschlüsse darüber zu bekommen, wer Kolumbus war und wer wir selber sind, sollten wir also zunächst in den Nahen Osten gehen. Die Sumerer waren nicht nur ein großes und mächtiges Volk, sie wußten auch, was ihre Größe und Macht ausmachte – nämlich ihre Felder mit Gerste, Erbsen und Linsen, und ihre Herden von Rindern, Schafen, Schweinen und Ziegen. Da die Sumerer die Bedeutung ihrer dienstbaren Pflanzen- und Tierarten mit größerer Demut zur Kenntnis nahmen, als wir es heutzutage in der Regel tun, besaßen sie nicht die Unverfrorenheit, deren Existenz als ihr eigenes Verdienst auszugeben. Sie bedankten sich vielmehr bei ihren Göttern und Halbgöttern (bei Ehli, Enki, Lahar, Aschnan u. a.), denen Lob und Preis zuteil wurde, weil sie Menschenwesen, die früher »in den Staub gedrückt« gewesen waren, mit all dem vorhandenen Überfluß bedachten (Kramer 96: 96–00). Diese Segnungen, die den Bewohnern des Mittleren Ostens von den Göttern zuteil wurden, machten die Jäger und Sammler allenthalben überflüssig und die Ackerbauern der Neuen Welt zu rückständigen Existenzen. Rechnet man den ganzen Lebensbedarf zusammen, so hatten die Sumerer größere und stabilere Mengen an Nahrungsmitteln, Faserpflanzen, Leder, Knochen, Düngemitteln und Zugtieren zu ihrer Verfügung als alle übrigen Völker der damaligen Welt. Zwar hatten 40
Jäger und Sammler häufig nahrhaftere und abwechslungsreichere Kost als die Bauern des Nahen Ostens, dafür aber weniger Vorräte (wenn man von den wenigen Glücklichen absieht, die in Naturparadiesen wie z. B. der Pazifikküste im Nordwesten Nordamerikas lebten). Jäger- und Sammlerfamilien schafften es selten, Vorräte über ihren unmittelbaren Bedarf hinaus zu beschaffen, und noch seltener, sie zu konservieren. Die Bauern der Neuen Welt wiederum hatten Ernten, die ebenso stabile und reiche Erträge brachten wie im Sumererland – das gilt z. B. für Mais und Kartoffeln –, um ihre Tierhaltung war es jedoch qualitativ und quantitativ weitaus schlechter bestellt. Die Zähmung wilder Tiere war der bedeutsamste Unterschied zwischen den Sumerern und ihren Nachfahren auf der einen und dem Rest der Menschheit auf der anderen Seite. In den neo-europäischen Gebieten (wie übrigens auch in den tropischen Zonen Amerikas oder in Afrika südlich des Sudan) konnte kein anderes Mittel dem Menschen so viel Mobilität, Macht, militärische Durchschlagskraft und allgemeine Respektabilität verschaffen wie das Pferd: »Es zittert und tobet, und scharret in die Erde, und läßt sich nicht halten bei der Trommete Hall. So oft die Trommete klingt, spricht es: Hui und wittert den Streit von ferne …« (Buch Hiob 39: 24–25). Zwar hat Gott das Pferd erschaffen – »Kannst du dem Roß Kräfte geben, oder seinen Hals zieren mit seiner Mähne?« fragte Jehova den Hiob (Hiob 39: 9) 41
– der Mensch aber hat es gezähmt. Und diese Leistung war fast ebenso eindrucksvoll wie die Erschaffung des Pferdes. Tausend Jahre später konnte Sophokles, der nicht mit dem einen allmächtigen Gott leben mußte und die Menschheit unbefangener würdigen konnte, die Zähmung des »windmähnigen Wildpferdes« zu einer der größten Leistungen des Menschen erklären. Die Domestizierung von Pferden, Ochsen und anderen Tieren der Alten Welt verschafften den Sumerern und ihren kulturellen Erben von Europa bis China einen gewaltigen Vorteil gegenüber den Völkern, die fast ausschließlich auf ihre eigenen Körperkräfte angewiesen waren. Dagegen mangelte es dem Aztekenherrscher Montezuma – trotz seiner Heerscharen – an Proteinen, Fetten, Faserstoffen, Leder und ganz besonders an Macht und Mobilität. Verglichen mit den neolithischen Revolutionären der Neuen Welt war Hiob ein Milliardär. Bevor ihn das Unglück ereilte, seine sämtlichen weltlichen Besitztümer zunichte machte und seine Haut mit Aussatz überzog, besaß er 7000 Schafe, 3000 Kamele, 500 Joch Rinder und 500 Eselinnen (Buch Hiob : 2–3). Die wahre Stärke einer Gesellschaft liegt jedoch nicht bei ihren Milliardären, sondern beim »gemeinen Volk«. Auch in dieser Hinsicht hatten die Erben der Sumerer den Erben anderer Kulturen einiges voraus. Mit ihrem Vieh verfügten sie über Verbündete, die für das Nötigste sorgten und sich auch noch selbst ernähren konnten. Während das Vieh heutzutage vor dem Futtertrog steht und hungert, wenn 42
sich die Menschen nicht um Nachschub kümmern, hat es über all die Jahrtausende, die seiner Domestikation vorangingen, seine Nahrung zumeist selber gesucht, hat sich an schützenden Orten zusammengedrängt und lange Zeit auch zur Selbstverteidigung auf die eigenen Stoßzähne, Hörner und flinken Beine verlassen, während ihre Besitzer sich höchstens sporadisch um sie kümmerten. Wie wichtig domestizierte Tiere waren, läßt sich an vielen Beispielen zeigen. Kleinkinder, die durch neugeborene Geschwister von der Mutterbrust verdrängt worden waren, überlebten mit Hilfe von Ziegen- oder Kuhmilch, bis sie feste Nahrung zu sich nehmen konnten. (Der Name für die gefürchtete Mangelkrankheit Kwashiorkor – wörtlich »die Krankheit des abgestillten Babies, wenn das nächste geboren wird« – stammt aus der Ga-Sprache, also aus Ghana, wo die Tsetse-Fliege und die Schlafkrankheit die Aufzucht von Milchtieren verhindern; Eckholm 977: 95; Fordham 965: 26,30.) Die wilden, furchterregenden Mongolenkrieger überstanden während der Reiterfeldzüge des Dschinghis Khan selbst die extremsten Hungerzeiten, indem sie vom Blut ihrer Pferde tranken, und zwar so dosiert, daß sie selbst am Leben blieben, ohne jedoch ihre Reittiere zu schwächen (The Travels of Marco Polo 958: 00). Die westeuropäischen Ackerbauern nördlich der Pyrenäen und der Alpen wurden für ihre Fähigkeit, die Fruchtbarkeit ihrer Böden zu erhalten oder gar zu erhöhen, oft genug gelobt. Sie vermögen selbst Lehmboden 43
herzustellen, indem sie eine genau abgestimmte Fruchtfolge einhalten, selbst erzeugten Kompost und besonders nährstoffreiche Pflanzen unterpflügen (»Gründünger«), vor allem aber den Dung ihrer Tiere auf die Felder bringen. Dieselben Tiere, die den Bauern mit Fleisch, Milch, Leder und Muskelkraft versorgen, liefern ihm also auch das Produkt, das es möglich macht, kärglichen Ackerböden reiche Ernten an Getreide, Gemüse und Faserpflanzen abzugewinnen. Beim uralten Ritual von Aussaat, Ernte und Wiederanreicherung des Bodens erfüllten die Bauern Westeuropas gleichsam die Rolle des Priesters, die Tiere aber die der Ministranten (Hyams 976: 230–272). Die Nachfahren der Sumerer haben sich vor allem durch erfolgreiche Fortpflanzung ausgezeichnet. Unter ihren frühen Erben war Abraham eine der herausragenden Gestalten, und er erhielt von Gott das feierliche Versprechen, »daß ich deinen Samen segnen und mehren will wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres; und dein Same soll besitzen die Thore seiner Feinde« (. Moses 22, 7). Als Herdenbesitzer war Abraham mit den diversen Aminosäuren versorgt, die für den strammen Aufbruch in eine derart verheißungsvolle Zukunft unentbehrliche Voraussetzung waren. Sein Nachfahre Hiob konnte, bevor seine Schwierigkeiten anfingen, seinen Reichtum nicht nur mit seinen Herden, sondern auch mit seiner Kinderzahl unter Beweis stellen, hatte er doch sieben Söhne und drei Töchter (. Moses 22, 7; Buch Hiob , 2–3). 44
In der sumerischen, der europäischen und jedweder anderen Gesellschaft hatte der erfolgreiche Ackerbauer in der Regel einen Ehepartner – jedenfalls war das fast immer eine Voraussetzung für langfristig erfolgreiches Landwirtschaften. Er war abhängig von ihr, sie von ihm, und beide zusammen von ihren dienstbaren Lebewesen. Wenn in dieser Großfamilie der Arten ein wichtiges Mitglied ausfiel – das Mutterschwein, eine Haferernte oder das Familienoberhaupt selbst – stand das Überleben der übrigen Familienmitglieder auf dem Spiel. In der vorindustriellen Welt, in der die Muskeln oft mehr zählten als der Kopf, brauchte etwa eine Witwe zum Überleben mehr als ihr traditionelles Witwenalmosen. Und wenn sie unselbständige Kinder hatte, brauchte sie sogar erheblich mehr, selbst wenn zu ihrem Almosen ein Stück Land gehörte. Anders, wenn der selige Gatte ihr Haustiere hinterlassen hatte. Denn ob sie das Land aus eigener Kraft bebauen konnte, war durchaus offen; aber das Vieh – ihre »Verwandtschaft« im Sinne der oben beschriebenen Großfamilie – konnte sich auf der Allmende oder dem ungenutzten Ödland weitgehend alleine durchfressen. Der verblichene Ehemann der Witwe in Geoffrey Chaucers. The Nun’s Priest’s Tale hatte seiner armen Frau lediglich ein Stückchen Land, ein mageres Einkommen und zwei Töchter hinterlassen – mithin alle Voraussetzungen für ein elendes Leben oder gar ein tragisches Ende. Aber die drei Frauen kamen ziemlich 45
gut zurecht, hatten sie doch auch noch einen Hahn, ein paar Hühner, drei Sauen, drei Kühe und ein Schaf namens Molly geerbt. Die Tiere lieferten den Menschen ausreichend nahrhafte Kost, und was die Mutter und ihre Töchter darüber hinaus benötigten, beschafften sie sich im Austausch gegen ihre überschüssigen Nahrungsmittel und Mollys Wolle. Natürlich konnten sie sich keinen Schluck Wein leisten, aber mit Brot, Speck, gelegentlich ein paar Eiern und viel Milch waren sie anständig versorgt. Brotgetreide und Gemüse konnten sie leicht dazu erwerben, so daß ihr Essen insgesamt alle wesentlichen Nährstoffe enthielt (Chaucer 964: 384 f.) – ein für viele Menschen unerreichbarer Luxus. Die Fähigkeit der Haustiere, die ja eine erneuerbare Ressource darstellen, dem Menschen bekömmliche Nahrungsmittel aus dem zu erzeugen, was diese gerade nicht essen können, machten sich die Europäer auch in anderen Regionen der Welt zunutze. 77 hat ein Überlebender der ersten Pazifikreise unter Captain Cook ein wahres Loblied auf eine Milchziege gesungen, die den Europäern drei Jahre lang ihre guten Dienste in Westindien geleistet hatte, auf der königlichen Fregatte Dolphin unter Captain John Byron ein erstes Mal und auf der Endeavour unter Cook ein zweites Mal um die Welt gesegelt war, ohne »die ganze Zeit über nur ein einziges Mal trockenzustehen«. Die Menschen, denen diese Ziege von Nutzen war (und bei diesem Nutzen konnte es sich sogar um das pure Überleben handeln, 46
denn auf solchen Reisen gingen viele Teilnehmer an Fehlernährung zugrunde), wollten denn auch dafür sorgen, daß dem guten Tier »seine Dienste bis zu seinem Lebensende auf einer guten englischen Weide vergolten werden sollten« (McNab 908,: 4 f.). Nur einer Minderheit der menschlichen Spezies bleibt die Fähigkeit des Kleinkindes, größere Mengen Milch zu verdauen, das ganze Erwachsenenalter hindurch erhalten. Die meisten erwachsenen Schwarzafrikaner und Ostasiaten, die meisten erwachsenen Eingeborenen Australiens und Neuseelands, Nord- und Südamerikas können jenseits des Kindesalters Milch nur in ganz geringen Mengen vertragen. Milch macht sie regelrecht krank, weshalb sie das Milcheiweiß in Käse oder Joghurt umwandeln müssen, bevor sie es verdauen können. Das könnte manchen davon abgehalten haben, sich dem bäuerlichen Leben zu widmen (Simoons 978: 964; vgl. Flatz 973: 76 f.). Heute mag die Fähigkeit, Milch zu verdauen, als ziemlich unbedeutender Vorteil erscheinen, in der Vergangenheit aber, als sich viele Völker häufig am Rande des Verhungerns bewegten, dürfte sie von erheblicher Bedeutung gewesen sein. Als ganz besonders wertvoll erwies sich das domestizierte Milchvieh in Gebieten, wo der Boden noch nicht durch Ackerbauern kultiviert wurde. Als Julius Caesar in England einfiel, traf er im Landesinneren auf Menschen, die weder von der Jagd noch vom Ackerbau, sondern von ihren Viehherden lebten, die also von Milch und Fleisch lebten (Caesar 980: 23). 47
Die Völker, die von den fortgeschrittenen Kulturen Südwestasiens den Ackerbau und die Aufzucht domestizierter Tiere übernahmen – also die Europäer, Inder, Chinesen u. a. m. – mußten bald die Zweischneidigkeit der zivilisatorischen Errungenschaften erfahren. Sie waren zwar nicht die ersten Erdenbewohner, die Pflanzen kultivierten, wohl aber die ersten, die extensiven Ackerbau betrieben. Durch die Nutzung der Muskelkraft ihrer Tiere mittels Geräten wie dem Pflug waren sie in der Lage, mehr Nahrungsmittel pro menschlicher Arbeitskraft (wenn auch nicht je Flächeneinheit) zu erzeugen als andere Ackerbauern dieser frühen Epoche. Sie bauten diejenigen kleinkörnigen Getreidesorten an, die am besten in dichten Beständen gedeihen, also nicht im Mischanbau mit anderen Nutzpflanzen, wie er in den indianischen Kulturen Amerikas bei Mais, Bohnen und Eßkürbissen so häufig praktiziert wird. Mit den Anbaumethoden des Nahen Ostens ließ sich zwar eine größere Menge Gerste und Weizen produzieren, aber der Boden wurde zweimal im Jahr ungeschützt bloßgelegt, das eine Mal vor der Bestellung, das zweite Mal nach der Ernte, weil eben das gesamte Saatgut gleichzeitig ausgebracht und daher gleichzeitig reif wurde (Grigg 974: 50 f.). Jedes Anbausystem aber, und dieses ganz besonders, bringt Pflanzen hervor, die nur »aus Versehen« domestiziert werden. Gemeint sind die diversen Unkrautarten, die im selben Maße Geschöpfe des Ackerbauern sind wie seine Feldfrüchte. 48
»Unkraut« ist kein naturwissenschaftlicher Begriff. Er bezeichnet nicht etwa Pflanzen einer spezifischen Art oder Gattung (bzw. einer anderen offiziellen naturwissenschaftlichen Klassifizierung), sondern die Gesamtheit der Pflanzen, die dort wachsen, wo die Menschen sie nicht haben wollen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Pflanzen, die ursprünglich die bescheidene Rolle ausfüllten, sich auf dem nackten Boden anzusiedeln, den Brände, Erdrutsche, Flutwellen und dergleichen hinterlassen hatten. Diese Pflanzen brachten also bereits eine wunderbare Anpassungsfähigkeit mit, um sich auf umgepflügten oder abgeernteten Ackerflächen auszubreiten. Nachdem sie sich schon an direkte Sonneneinstrahlung und ausgelaugte Böden gewöhnt hatten, entwickelten sie die zusätzliche Fähigkeit, die Tritte von Sandalen, Stiefeln und Hufen auszuhalten. Allzeit bereit, nach zerstörerischen Naturereignissen rasch wieder aus dem Boden zu sprießen, lernten sie jetzt, das Rupfen, Zupfen und Stampfen grasender Viehherden zu überstehen. Diese ständig nachwachsenden Pflanzen dienen als Viehfutter und helfen die Bodenerosion zu bekämpfen; dennoch nennt sie der Bauer den Fluch seines Lebens. Der neolithische Bauer reduzierte also sein Ökosystem mit dem Ziel, große Mengen von Pflanzen zu erzeugen, die die Fähigkeit besaßen, auf nacktem Boden schneller zu wachsen und sich durch grasendes Vieh nicht kaputtmachen zu lassen. Doch zu diesen Pflanzen gehörten auch einige, die er verfluchte, die Zottelwicke, das Raigras, 49
das Labkraut, die Distel, den Koriander und viele andere (Anderson 967: 6 ff.; Renfrew 973: 85, 96, 64–89; Zohary 982: 92). Im Buch der Sprüche des Alten Testaments heißt es über den »Acker des Faulen«: »… da waren eitel Nesseln drauf, und er stund voll Disteln und die Mauer war eingefallen. Da ich das sah, nahm ich’s zu Herzen und schaute und lernete dran. Du willst ein wenig schlafen, und ein wenig schlummern, und ein wenig die Hände zusammen thun, daß du ruhest; Aber es wird dir deine Armut kommen, wie ein Wanderer, und dein Mangel wie ein gewappneter Mann.« (Sprüche 24, 3–34) Auch in der Tierwelt züchtete sich die bäuerliche Bevölkerung des Nahen Ostens quasi aus Versehen Schädlinge heran: Lebewesen, die in den Abfällen des Menschen hausten und sich von ihnen ernährten, wurden zu direkten Konkurrenten um die von den Menschen produzierten und aufbewahrten Lebensmittel. Die Jäger und Sammler hatten ihre eigene Ungeziefersammlung mit sich herumgeschleppt, dazu gehörten etwa Läuse, Flöhe und innere Parasiten. Aber nur wenige Nomaden hielten sich so lange und in so großer Zahl am selben Ort auf, daß jene Mengen von Müll und Schmutz anfielen, die es Mäusen, Ratten, Schaben, Stubenfliegen und Würmern erlaubt hätten, 50
sich in Scharen zu vermehren. Das änderte sich mit den Bauern. Indem sie seßhaft wurden, bereicherten sie die Tierwelt um das Gegenstück zum Unkraut: Ungeziefer und Schädlinge. Im Bemühen, sich der neuen Umwelt anzupassen, die sie selbst unfreiwillig hervorgebracht hatten, beteten die Sumerer zu Ninkilim, der Göttin der Feldnagetiere und sämtlicher tierischer Schädlinge, und erflehten von ihr den Schutz der heranwachsenden Getreideernte (Kramer 963: 05). Diese Schädlinge waren nicht nur Diebe, die sich über die Vorräte der Menschen hermachten, sondern auch Krankheitsträger. Heute wissen wir zum Beispiel, daß von der Ratte die Pest, der Typhus, das Rückfallfieber und andere Infektionskrankheiten übertragen werden; und wir können davon ausgehen, daß sie in der Vergangenheit, wie andere Schädlingsarten auch, eine ähnliche Rolle gespielt haben. Im Alten Testament berichtet uns das Erste Buch Samuel von einer Epidemie, die mit den Scharen von Mäusen und Ratten zusammenhängen, unter denen die Philister und Hebräer zu leiden hatten. Diese Krankheit führte zu »Tumoren« (nach der LutherBibel: »Geschwülsten«), wie die Erforscher der alten semitischen Sprachen meinten. Die Epidemiologen von heute würden es eher mit »Bubos« übersetzen, das sind Lymphknotenschwellungen, die durch die Beulenpest verursacht werden (. Buch Samuel, 5–6). Die Ackerbauern und Herdenbesitzer des Nahen Ostens waren die ersten Menschen, die einige wenige 51
Arten von Pflanzen und Tieren in großen Stückzahlen heranzogen. Sie waren also auf die Produktion großer und kompakter Bestände von Pflanzen und Tieren spezialisiert, und da sie Nahrungsmittelüberschüsse erzielten, nahmen auch die eng zusammen siedelnden Bestände ihrer eigenen Spezies zu. Mit dieser Konzentration von Menschen, Vieh und Feldfrüchten entstanden zugleich große Populationen parasitärer Lebewesen; einige davon waren sichtbar, wie Würmer oder Moskitos, viele aber waren Mikroparasiten wie Pilze, Bakterien und Viren. Die Ackerbauern und Hirten waren in der Lage, Unkraut herauszureißen und Wölfe zu vertreiben, aber nahezu hilflos, wenn es darum ging, Infektionskrankheiten zu stoppen, die unter den dichten Beständen ihrer Felder, Herden und Städte wüteten. Ansteckungskrankheiten wie Pocken und Masern, die entweder tödlich verlaufen oder Dauerimmunität produzieren und nur von Menschen übertragen werden, können sich in kleinen Populationen nicht lange halten – so wie auch ein Waldbrand unter locker stehenden Baumgruppen nicht lange Nahrung findet: Der Brennstoff ist rasch aufgebraucht, die Epidemie läuft sich tot. Was nun schmutzbedingte Epidemien wie Typhus betrifft, so wechselten Jäger und Sammler ihre Wohnstätte zu oft, als daß diese ernsthaft hätte verdrecken können, weshalb sie nur selten von Epidemien geplagt wurden (Dunn 968: 223, 225; Black 975: 55–58). Die ersten wirklich großen Ansammlungen von Menschen und ihren Ab52
fällen finden sich im Nahen Osten, wo die Archäologen unsere frühesten Städte aus Hügeln ausgraben, die nichts anderes als die Abfallhaufen zahlloser Generationen ihrer Bewohner darstellen. Die Jäger und Sammler hatten bestenfalls eine einzige Tierart domestiziert – den Hund. Die Bauern- und Hirtenvölker der Neuen Welt domestizierten höchstens drei oder vier Arten. Die Kulturvölker der Alten Welt hingegen besaßen Herden von Rindern, Schafen, Ziegen, Schweinen, Pferden usw. Sie lebten mit ihren Tieren zusammen, teilten mit ihnen Wasser, Luft und allgemeine Umwelt, damit aber auch viele Krankheiten. Die Wirkung dieses trauten Zusammenlebens der verschiedenen Arten – also von Menschen, Vierbeinern und Federvieh samt den jeweils dazugehörigen Parasiten – mußte sowohl neue als auch neue Varianten alter Krankheiten hervorbringen. So wanderten beispielsweise Pockenviren ständig zwischen Menschen und Rindern hin und her, bis sich irgendwann Pocken und Kuhpocken ausgebildet hatten. Oder Hunde, Rinder und Menschen tauschten ihre Viren aus bzw. kombinierten ihre verschiedenen Virustypen, wodurch sie sich drei neue Krankheiten heranzüchteten: die Staupe, die Rinderpest und die Masern (auch Hundepest genannt). Menschen, Schweine, Pferde und domestiziertes Geflügel mit Kontakt zu wildlebenden Vögeln waren und sind bis heute Träger von Grippeviren; und so produzieren sie unter- und füreinander, immer wieder und auf Dauer, neue virulente Virustypen. Als die 53
Menschen anfingen, Tiere zu domestizieren und an den menschlichen Busen zu drücken – manchmal sogar in dem wörtlichen Sinne, daß Menschenmütter mutterlose Tiere mitstillten – brachten sie zugleich Krankheiten hervor, die ihre Jäger und Sammlervorfahren selten oder nie gekannt hatten (McNeill 976: 40–53). Als die Sumerer und ihre Nachfahren noch mittels zivilisatorischer Errungenschaften wie dem Fernhandel und der Eroberung fremder Gebiete ein Hin- und Herziehen der Völker über Wüsten, Gebirge, Meere und Entfernungen hinweg auslösten, ergaben sich aus dem Kontakt mit neuen Mikrolebewesen ganz neue Gefahren. Zugleich setzten sie andere Völker, die noch im Stande immunologischer Unschuld lebten, einer bakteriellen Flora aus, wie sie nur das massenhafte Zusammenleben von Menschen und Tieren hervorbringt. Seitdem ist das Immunsystem des Menschen, das sich durch Vererbung und Erfahrung auf eine ganz bestimmte Umwelt einstellt, chronisch überfordert. Denn obwohl das menschliche Immunsystem jeweils auf eine ganz bestimmte Lebenswelt abgestimmt ist, läßt sich der Mensch immer wieder zu Kontakten mit der übrigen Welt verleiten (Cockburn 977: 03–2). In der frühgeschichtlichen Literatur des Mittleren Ostens ist oft von Seuchen die Rede. Das erste Buch Samuel berichtet von jener Krankheit, von der die oben erwähnten Philister und Hebräer heimgesucht wurden. Und auch einige der »Plagen«, die zu Moses’ Zeiten über 54
Ägypten kamen, dürften durch Mikroorganismen verursacht worden sein. In den fünf Büchern Moses ist bereits andeutungsweise von den Anfängen der Epidemiologie die Rede, also von empirischen Erkenntnissen über die Umstände, die die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen. Nach dem Auszug des jüdischen Volkes aus Ägypten sprach Gott am Fuße des Berges Sinai zu Moses: »Wenn du die Häupter der Kinder Israel zählest, so soll ein jeglicher dem Herrn geben die Versöhnung seiner Seele, auf daß ihnen nicht eine Plage widerfahre, wenn sie gezählet werden.« (2. Mose 30, 2) Zuvor hatten die Israeliten in getrennten, kleinen Gruppen gelebt, um in der Wildnis nach Wasser und Nahrung zu suchen. Offenbar war sich Gott, oder zumindest der Autor des Textes, darüber im klaren, daß die Gefahren von Epidemien sich vervielfachen, wenn eine größere Anzahl von Menschen an einem Ort zusammenkommt, und daß deshalb entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Als Jehovah den Israeliten einige Zeit später die vielen Vorteile aufzählte, die sie im gelobten Land erwarteten – aber natürlich nur, wenn sie sich an seine Anordnungen hielten – gelobte er: »Der Herr wird von dir thun alle Krankheit, und wird keine böse Seuche der Ägypter dir auflegen, die du erfahren hast; und wird sie allen deinen Hassern auflegen.« (5. Mose 7, 5) Menschen, die aus dem Niltal als der damals wohl am dichtesten besiedelten Region der Welt in die umliegen55
den, relativ trockenen und weniger dicht besiedelten Gebiete abwanderten, waren in dem neuen Territorium vor ansteckenden Krankheiten besser geschützt. Umgekehrt aber brachten sie Infektionskrankheiten mit, die für die verstreut siedelnden einheimischen Völkerschaften oft unbekannt und im Zweifelsfalle eine tödliche Bedrohung waren. Die Israeliten nahmen auf ihre Wanderung also den Vorteil ihrer eigenen Infektionen mit. Und dieser Vorteil ist ein gewaltiger, aus ihm erklärt sich weitgehend auch, warum »Kulturvölker« so häufig weniger fortgeschrittene Völker so problemlos unterwerfen konnten (William H. McNeill hat zur Klärung dieses Prozesses wesentliche Erkenntnisse beigetragen, weshalb man dieses immer wiederkehrende Strukturmerkmal der Menschheitsgeschichte auch als das McNeill’sche Gesetz bezeichnet; vgl. McNeill 976: 69 ff.; Dobyns 983: 9, .) In der frühgeschichtlichen Literatur des Nahen Ostens begegnet uns mancher Aufschrei von Menschen, die die Götter um Rettung vor einer Seuche anflehen. Der bitterste ist uns von einem Priester überliefert, der im 4. Jahrhundert in Hatti-Land lebte, das zum Reich des Hethiterherrschers Mursilis gehörte: »Seit zwanzig Jahren sterben die Menschen dahin, seit den Tagen meines Vaters, seit den Tagen meines Bruders und seit den Tagen, da ich ein Priester der Götter geworden bin … Die Pein in meinem Herzen und die Schmerzen in meiner Seele, ich ertrage sie nicht mehr.« Im Bestreben, die unsichtbaren jenseitigen Mächte zum Schutz gegen das unsichtbare 56
Kleine (nämlich die parasitären Mikroorganismen) zu mobilisieren, sucht er die Tempel aller Götter auf, freilich ohne Erfolg. Er stellt genaue Nachforschungen an, ob sich vielleicht beim ersten Auftreten der Seuche irgendetwas Neues oder Ungewöhnliches ereignet habe. Als er herausfindet, daß die Priester seit ungefähr dieser Zeit ihre Opfer an den Gott des Flusses Mala eingestellt haben, schreitet er unverzüglich zu tätiger Reue. Doch die Seuche wütet weiter. Da erinnert sich der Priester, daß die Hethiter zu Lebzeiten seines Vaters angesichts eines Krieges mit Ägypten dem Windgott ein Gelübde gemacht hatten. Danach hatten sie den Krieg offenbar gewonnen, ohne ihr Gelübde einzulösen. Als die siegreichen Hethiter dann ihre im Krieg gemachten Gefangenen nach Hause abtransportierten (also aus einer ganz anderen Krankheitsumwelt mit dichter Besiedlung in eine Krankheitsumwelt mit einer weniger dichten und durch kosmopolitische Kontakte weniger immunisierten Bevölkerung), brach die neue Krankheit unter den zweifellos unterernährten, erschöpften und gewiß auch demoralisierten Gefangenen aus und griff anschließend auf die Sieger über. »Seit diesem Tage sterben die Menschen in Hatti-Land«, heißt es im Bericht des Priesters, der noch über zwanzig Mal versuchte, den Windgott zu versöhnen. Doch die Seuche wütete weiter. Der Priester konnte nur beten und immer wieder beten, wobei er den Göttern mit allem Respekt klarzu57
machen versuchte, daß sie gegen ihre eigenen Interessen handelten: »Das Hatti-Land, dieses ganze Land, stirbt dahin, und so kann Euch niemand das Opferbrot zubereiten und das Trankopfer darbringen. Die Pflüger, die regelmäßig die Felder des Gottes bearbeitet haben, sind tot; so gibt es niemanden mehr, die Felder des Gottes zu bestellen oder abzuernten. Die Frauen, die das Getreide mahlen und regelmäßig die Opferbrote bereitet haben, sind tot; so bereiten sie keine Opferbrote mehr. Und aus welchem Rinderpferch oder aus welcher Schafhürde auch immer die Opfertiere bestimmt wurden – die Rinderhirten und die Schäfer sind tot, und der Rinderpferch und die Schafhürde sind leer. Und also ist es dazu gekommen, daß keine Opferbrote und kein Opfertrank und keine Opfertiere mehr dargebracht werden … Der Mensch hat seinen Verstand verloren, und nichts, was wir tun, ist mehr das Rechte. Oh Ihr Götter, welcher Sünden Ihr auch immer gewahr werdet, laßt einen Propheten erstehen und die Sünden kundtun, oder laßt sie die Seherinnen und die Priester erfahren … oder laßt sie einen Menschen im Traum erschauen … Oh Ihr Götter, habt Erbarmen mit dem Hatti-Land.« (Pritchard 969: 394 ff.) Vor etwa 3000 Jahren (vielleicht auch ein Jahrtausend früher oder später) wurde der Mensch der Alten Welt 58
zivilisiert. Seine Gestalt zeichnete sich weder durch ausgeprägte Muskelpakete noch durch eine ausgeprägte Stirn aus. Aber er konnte Überschüsse an Nahrungsmitteln und Faserstoffen erzielen; er konnte diverse Tierarten zähmen und ausbeuten; er konnte das Spinnrad benutzen, um einen Faden zu spinnen, und er konnte einen Tontopf herstellen oder schwer handhabbare Lasten bewegen. Seine Felder wurden von Disteln und seine Kornvorräte von Nagetieren heimgesucht. Bei feuchter Witterung bekam er pochende Schmerzen in den Nebenhöhlen, er hatte regelmäßig Durchfallprobleme, und sein Körper war durch permanenten Wurmbefall strapaziert. Aber er verfügte auch über eine eindrucksvolle Palette genetischer und erworbener Anpassungsreaktionen, und sein Immunsystem war höchst differenziert und geübt im Kampf gegen Krankheiten, die in den Zivilisationen der Alten Welt seit jeher endemisch waren. So wurde er zum Prototyp für alle menschlichen Wesen, die in der Folgezeit dazu verführt oder gezwungen waren, ihm auf seinem vor acht- bis zehntausend Jahren erstmals erkundeten Entwicklungspfad zu folgen. * Die Neolithische Revolution der Alten Welt begann ihren Vormarsch – mitsamt den Krankheiten und allen anderen Begleiterscheinungen – in den Zentren dichter Besiedlung; unterwegs nahm sie dann noch diese und jene neue Nutzpflanze oder Unkrautsorte mit, dazu ein paar neue Haustier- und Ungeziefer- bzw. Schädlingsar59
ten sowie einige neue Krankheiten wie z. B. die Malaria (Laderman 975: 587–594). Über die Ankunft dieser Revolution in Nord- und Südamerika und in Australien können wir aus schriftlichen Zeugnissen eine Menge erfahren, denn diese hat sich ja innerhalb der letzten 500 Jahre abgespielt. Ihr erster Auftritt in den meisten Regionen der Alten Welt liegt hingegen (sieht man von wenigen Enklaven ab) schon Jahrtausende zurück, und die Beteiligten verfügten in den meisten Fällen über keine geschriebene Sprache. Welcher Chronist hat z. B. beobachtet, wie vor 6000 Jahren die ersten Ackerbauern und Viehzüchter auf den Britischen Inseln landeten, oder wie vor 2000 Jahren die ersten Schaf- und Rinderhirten den Limpopo im südlichen Afrika überquerten (Ashbee 978: 70; Elphick 977: )? Die Zivilisationskrankheiten trafen als letztes Einzelmoment der Neolithischen Revolution erst später ein und breiteten sich nur langsam aus, da sie eine größere Bevölkerungsdichte zur Voraussetzung haben. Daher wurden sie meist von Chronisten der unterschiedlichsten Art beobachtet und beschrieben. Wahrscheinlich ist die erste Massenepidemie erst 664 v. Chr. über den Kanal hinweg auf die Britischen Inseln hinübergeschlichen, als nämlich »eine plötzliche Seuche zuerst die südlichen Teile Britanniens und danach das Königreich Northumberland überfiel, wo sie allenthalben entsetzliche Verheerungen anrichtete und Menschen sonder Zahl niederstreckte.« An der Südspitze Afrikas hat sich Ähnliches wahrschein60
lich erst 73 ereignet, als die Pocken in Kapstadt landeten und vielen der eingeborenen Khoikhoi den Tod brachten. Diese lasteten ihr Elend den Fremden an, wie es vielleicht auch schon die Briten während ihrer fürchterlichen Initiationserfahrung getan hatten (womöglich waren sogar die Fremdlinge von derselben Abstammung). In Kapstadt lagen die Khoikhoi »überall auf den Straßen herum … und verfluchten die Holländer, die sie behext hatten, wie sie behaupteten.«* Die Auswirkungen der Neolithischen Revolution auf die meisten Gebiete der Alten Welt lassen sich nur schwer erfassen, da es sich um eine Vielzahl von Einflüssen handelt und die verschiedenen Momente des Gesamtprozesses sich nicht gleichzeitig einstellten. Bekannt sind uns ohnehin nur die Einflüsse aus der letzten historischen Phase. Allein deren Auswirkungen können uns häufig jedoch schon einen Eindruck von den kumulativen, sich über Jahrtausende erstreckenden Gesamtwirkungen vermitteln. Als anschauliches Beispiel bietet sich deshalb Sibirien an, denn es wurde von den Europäern gleichzeitig mit den neo-europäischen Gebieten erobert und ist heute überwiegend von Europäern bevölkert. Sibirien ist beinahe ein Teil Neo-Europas, aber eben nur beinahe. Denn es gleicht zu sehr dem alten Europa, um eine neo-europäische Region zu sein. Auch liegt es * Zit. nach Bede’s Ecclesiastical History of the English People 969: 3 f.; vgl. Shrewsbury 949: 5-47; Creighton 89, I: 4-8; Elphick 977: 23 f.
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nicht weit von Europa entfernt, sondern ganz in seiner Nähe. Seine einheimische Fauna und Flora ist mit der nordeuropäischen vergleichbar, wenn nicht sogar fast identisch. Seine Urbevölkerung stammt nicht von Hominiden der Altsteinzeit ab, sondern ist fast durchweg aufs engste mit den Mongolen und anderen eurasischen Völkern verwandt, denen sie auch in der Blutgruppenverteilung ähnelt (Mourant/Kopec/Domanieska-Sobczak 976: Karten –3). Auch kulturell gehören die Sibirer zu den Eurasiern. Sie hatten im Unterschied zu den Ureinwohnern der neo-europäischen Gebiete die ersten Elemente der Neolithischen Revolution der Alten Welt schon vor Jahrtausenden übernommen: Sie kannten Metalle, Ackerbau und Viehwirtschaft, die sich häufiger auf Rentiere als auf Herdentiere der gemäßigten Zone stützte, aber dennoch Viehwirtschaft war (Okladnikov 956: 29). Heutzutage liegt der augenfälligste Unterschied zwischen Sibirien und den neo-europäischen Gebieten darin, daß jenes im Gegensatz zu diesen keine großen Überschüsse exportierbarer Nahrungsmittel produziert, obwohl in dieser Richtung ab und zu gewaltige Anstrengungen unternommen wurden (deren Scheitern z. B. zum Sturz von Nikita Chruschtschow beigetragen hat). Dieser Unterschied ist zu allererst auf das schwierige sibirische Klima zurückzuführen: Mit seiner Lage im hohen Norden und seinen extrem kontinentalen Wetterverhältnissen ist das Land einfach nicht zum »Brotkorb« geschaffen. Die 62
Winter in Zentralsibirien sind kälter als am Nordpol, und auf die Niederschläge ist kein Verlaß (Goode’s World Atlas 964: ff.; Gibson 969: XVII f.). Hätte Sibirien gemäßigte Temperaturverhältnisse und reichliche, regelmäßige Niederschläge, wären wohl schon vor Jahrtausenden Ackerbauern und Viehzüchter als Siedler angerückt, und die letzten Einflüsse der Neolithischen Revolution hätten sich schon damals durchgesetzt – vermutlich ohne schriftliche Zeugnisse zu hinterlassen. Potentielle Eindringlinge wurden durch das Klima abgeschreckt oder durch die Wüste Gobi und semiaride Steppen im Süden bzw. durch Sumpfland, Gebirge und menschenleere Gebiete im Westen ferngehalten. Im Norden und Osten grenzt Sibirien ohnehin nur an das Ewige Eis oder ans Meer. Während also die Reiche der Römer und der chinesischen Han-Dynastien ihren glorreichen Aufstieg und Niedergang erlebten, während Konfuzius, Buddha, Christus und Mohammed ihre Lehren verkündeten, während Kompaß und Schießpulver erfunden wurden, blieb Sibirien quasi eingefroren. Erst im 6. Jahrhundert kamen Menschen »mit weit vorspringenden Nasen«, wie die flachgesichtigen Asiaten vermerkten (Okladnikov 970: 444), aus dem Westen über den Ural, um Jagd auf die Pelze zu machen, nach denen die oberen Klassen und die aufsteigende Bourgeoisie Westeuropas verlangten. Größere Massen dieser Westler überschritten den Ural erstmals im Jahre 580, den Pazifik erreichten sie 63
640 – das macht 5000 Kilometer in 60 Jahren (Armstrong/Rogers/Rowley 978: 24). Um 700 herum waren die Weißen in Sibirien bereits in der Mehrheit (Peoples of Sibiria, I). Einige der Gründe für das rasche Tempo der europäischen Eroberung liegen auf der Hand. Das strenge Klima sorgte dafür, daß Sibirien weitgehend menschenleer, also leichter zu durchqueren war als vergleichbare, aber angenehmere und dichter besiedelte Gebiete wie etwa Kanada. Zudem hatten die Invasoren Feuerwaffen, die Eingeborenen nicht. Auch organisatorisch waren die Eroberer besser gerüstet als die Verteidiger. Die Westler hatten nichts anderes im Kopf als die begehrten Pelze. Die Einheimischen dagegen hatten ihre Familien, ihre geheiligten Traditionen und die vielfältigen und verwikkelten Anforderungen ihres Alltagslebens zu bewältigen. Anfangs waren die Westler freilich nur wenige, die Eingeborenen noch viele; die Umkehrung dieses Verhältnisses war allerdings keine so automatische Sache, daß etwa die unbewaffneten Ureinwohner sich angesichts der Waffen der einmarschierten europäischen Händler einfach kampflos ergeben hätten. Die Westler – wir wollen sie Russen nennen, obwohl viele von ihnen aus der Ukraine und anderen Regionen kamen – waren die Bannerträger, in deren Gefolge das komplette Arsenal der Neolithischen Revolution der Alten Welt einrückte. Sie brachten einige neue Feldfrüchte mit, wenn auch die wichtigsten der für Sibirien geeigneten Getreidearten bereits da waren. Sicher haben sie auch 64
neue Unkrautsorten eingeschleppt, obwohl wahrscheinlich die meisten schon lange vorher verbreitet waren. Pferde und Rinder brachten sie hingegen noch nicht, höchstwahrscheinlich auch nicht die ersten Ziegen und Schafe, wohl aber die ersten Hauskatzen und im Lauf der Zeit auch die ersten Hausratten, die ihre Lebensmittelvorräte wegfraßen und verdreckten. (Der Naturforscher Peter Simon Pallas hat im 8. Jahrhundert keine Ratten in Sibirien angetroffen, inzwischen kommen sie dort aber ganz sicher vor; Pallas 967: 60, 64, 86 f.) Außerdem brachten die Russen die ersten Honigbienen (Potapov 956: 3; Tooke 970, III: 27 f.). Das war ein rundum segensreicher Akt, weil damit nicht nur für Wachs und Honig gesorgt war, sondern höchstwahrscheinlich auch für eine effizientere Bestäubung vieler Nutzpflanzen, die im Süden Sibiriens gediehen. Aber all diese neolithischen Importe der Russen machten keinen besonders hohen Anteil an der Gesamtheit der sichtbaren Lebewesen Sibiriens aus. Dagegen schleppten die Eindringlinge unzählige Mikroorganismen ein, Erreger von Krankheiten, die man im dünn besiedelten Sibirien nie gekannt hatte: Pocken, eine oder mehrere Arten Geschlechtskrankheiten, Masern, Scharlach, Typhus und viele andere mehr (Reclus 884: 357, 360, 396). Die Geschlechtskrankheiten forderten sehr viele Todesopfer, weil viele der Stammesvölker den Fremden eine Art sexueller Gastfreundschaft gewährten (nach dem Motto: »Mit einer Frau ist es nicht 65
wie mit dem Essen – sie wird dabei nicht weniger«; zit. nach Shirokogoroff 933: 208), und weil sie im vorehelichen Geschlechtsverkehr junger Leute ein harmloses Vergnügen sahen. Die Geschlechtskrankheiten – von den Einheimischen manchmal schlicht als »russische Krankheit« bezeichnet – waren weit verbreitet. Sie brachten einigen Erwachsenen und vielen Kleinkindern und Embryos den Tod, machten viele Frauen unfruchtbar und ließen deshalb die einheimische Bevölkerung drastisch zusammenschrumpfen*. Die über die Atemluft übertragenen Krankheiten griffen rasch um sich, weil das sibirische Klima die Menschen zwang, ihre Zeit großenteils in geschlossenen Räumen zu verbringen und die verbrauchte Luft anderer Menschen einzuatmen. Einige der vielen über die Atemluft verbreiteten Krankheiten, so zum Beispiel die Masern, waren für Europäer und Chinesen harmlose Kinderkrankheiten, für Menschen jedoch, die nie mit ihnen in Berührung gekommen waren, eine tödliche Gefahr. Von allen neuen Krankheiten waren die Pocken am schlimmsten und am meisten gefürchtet, weil sie sich rasch verbreiteten, eine hohe Todesquote forderten und die Menschen, die sie überlebten, für den Rest ihres Lebens entstellten. In Sibirien traten die Pocken erstmals 630 auf, als sie über den Ural aus Rußland herüberwan* Shirokogoroff 933: 208; Sumner (Hg.) 90: 75, 79 f., 96; Jochelson 926: 27, 62-68; Jochelson 934: 32; Bogoras 90: 02 ff.; Krasheninnikov 972: 272; Reclus 884, I: 34; Donner 954: 8
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derten und Otjaken, Tungusen, Jakuten und Samojeden buchstäblich niedermähten. Eine einzige Pockenepidemie konnte die Sterberate über die 50-Prozent-Grenze emporschnellen lassen. Als die Pocken 768/69 zum ersten Mal Kamtschatka heimsuchten, fielen ihnen dort zwei Drittel, wenn nicht drei Viertel der Einheimischen zum Opfer. Aufgrund der dünnen Besiedlung Sibiriens blieb die Krankheit epidemisch, statt wie in Europa oder China endemisch, das heißt heimisch zu werden. Das war die schlimmere der beiden Möglichkeiten, denn wenn die Pocken periodisch – alle zehn, zwanzig oder dreißig Jahre – losschlugen, waren die Jüngeren jedes Mal wieder hundertprozentig infektionsanfällig, und innerhalb weniger Wochen konnte eine ganze Generation hinweggerafft werden. Ein Forscher, der sich im späten 8. Jahrhundert mit dem Russischen Reich beschäftigt hat, schrieb darüber: »Wahrscheinlich fallen doppelt soviele Menschen, wie in den Intervallen (zwischen den Pockenepidemien; Anm. d. Übers.) nachgewachsen sind, den Verwüstungen zum Opfer, die die Pocken bei ihrer Wiederkehr anrichten.«* Bei den Jukaghiren, die in den 30er Jahren des 7. Jahrhunderts weite Landstriche Sibiriens östlich des Lena-Beckens besiedelt hatten und am Ende des 9. Jahr* Pallas 967, III: 50. Vgl. Gibson 969: 96; Tooke 970, I: 547, 59, 594; II: 86-89; Hirsch 883, I: 33; Bogoras 90: 9; Sumner 90: 04 f.; de Lesseps 970, I: 94, 28 f., 99; II: 83 f.; Jochelson 905908: 48; Jochelson 926: 26 f.
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hunderts nur noch 500 Seelen zählten, gibt es folgende Legende: Die russischen Eindringlinge konnten die Jukaghiren erst unterwerfen, als sie eine Schachtel öffneten, in der sie die Pocken mitgebracht hatten. Da füllte sich das Land mit Rauch, und die Menschen begannen zu sterben (Jochelson 926: 27; Stepanova/Gurvich/ Khramova 956: 788 f.). Trotzdem haben die Russen Sibirien nur sehr zögernd besiedelt: 724 zählten sie bestenfalls 400 000, mehr als ein Jahrhundert später, 858, erst 2,3 Millionen. Seit 880 aber sprach es sich unter den bäuerlichen Massen Rußlands herum, daß die Aussichten östlich des Urals besser stünden als zu Hause, wo die Bevölkerung rasch zunahm und das Land immer knapper wurde. Zwischen 880 und 93 wanderten über 5 Millionen Menschen nach Sibirien, wo sie sich sehr schnell vermehrten. 9 war die Bevölkerung Sibiriens zu 85 Prozent russisch, und dieser Prozentsatz hat sich seitdem noch deutlich erhöht (Lorimer 946: , 26 f.; Treadgold 957: 32, 34; Kuczynski 93: 0). Die sibirischen Ureinwohner sind zwar nicht ausgestorben oder verschwunden, und ihre Zahl nimmt heute sogar wieder zu (The Cambridge Encyclopedia of Russia and the Soviet Union 982: 70 f.). Aber sie sind ihrer Ausrottung nur knapp entgangen. Kai Donner, der Sibirien kurz vor dem Ersten Weltkrieg bereiste und eine Zeitlang bei einem eingeborenen Stamm verbrachte, nannte seine Gastgeber – in Erinnerung an James Fenimore Coopers 68
berühmtesten Roman – »Samojedische Mohikaner« (Donner 954: 38). Wie wir gesehen haben, waren einige der wichtigsten Elemente der Neolithischen Revolution der Alten Welt in Sibirien bereits vor den Europäern anzutreffen. Wenn aber schon hier durch Eindringlinge, die andere Elemente der Neolithischen Revolution mit sich brachten, so grundlegende Veränderungen ausgelöst wurden, wie erging es dann erst Gebieten, die von dieser ganz besonderen Revolution der menschlichen Lebens- und Gewaltverhältnisse völlig unberührt waren? Welches Schicksal erlitten jene Völker, auf die das volle Revolutionsprogramm vergleichsweise plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel losschlug – oder sagen wir, wie das Jüngste Gericht?
Gescheiterte Expeditionen: Vinland und Jerusalem »Und sie gingen an Land und schauten um sich. Das Wetter war schön. Tau lag auf dem Gras, und ihr erstes Tun bestand darin, mit ihren Händen in den Tau zu greifen und ihn an ihre Lippen zu bringen, und es kam ihnen vor wie die größte Köstlichkeit, die sie jemals genossen.« Vinland Sagas »Er (Richard Löwenherz) verfolgte die Sarazenen über die Berge; am Ende setzte er einem von ihnen nach bis in ein bestimmtes Tal, wo er ihn stellte und mit dem Schwert durchbohrte, sodaß er tot vom Pferde fiel. Kaum hatte der König den Feind überwältigt, sah er auf und erblickte in der Ferne die Stadt Jerusalem.« Itinerarium Ricardi
Auf welches Datum sollen wir uns für die Vollendung der Neolithischen Revolution in ihrem Ursprungsgebiet in der Alten Welt festlegen? Lassen wir sie ruhig einmal mit der Domestizierung des Pferdes vor rund 5000 Jahren enden – ein bißchen willkürlich vielleicht, aber auch kein schlechter Näherungswert. Zwischen diesem Zeitalter und der Entstehung der Gesellschaften, die Kolumbus und andere Seefahrer auf die Weltmeere hinaussandten, 70
liegt eine Zeitspanne von 4000 Jahren, in der sich wenig wirklich Bedeutsames ereignet hat, jedenfalls im Vergleich mit den vorangegangenen Zeiten. Lassen wir einmal die vier Jahrtausende, die seit Vollendung der Neolithischen Revolution in der Alten Welt vergangen sind, im Zeitraffer passieren, so als ob wir bei einem Film nur etwa alle fünfzig Jahre ein Bild belichten. Wenn wir diesen Film in Normalgeschwindigkeit betrachten, werden wir verblüfft feststellen, wie wenig sich in dieser langen Zeitspanne getan hat. Nichts in diesen vier Jahrtausenden ist in seiner Bedeutung etwa mit der Domestikation des Pferdes zu vergleichen. Die epochalen Neuerungen der Neolithischen Revolution – die Kultivierung des Weizens, die Domestikation des Schweines, die Erfindung des Rades – stellen alles in den Schatten, was die darauffolgenden Generationen zustandebrachten. Ein’ paar neue Entwicklungen gibt es schon – Steinbogen und Gewölbe werden erfunden, das Kamel domestiziert und einiges mehr – aber im Vergleich mit den vorangegangenen Zeiten war das alles von minderer Bedeutung. Die Zivilisation der Alten Welt ist in dieser Zeit nicht mehr auf breiter Front innovativ, sie entwickelt auch kein höheres Niveau der Energieverausgabung, sie breitet sich nur immer weiter aus. Reiche entstehen und vergehen; außer denen der Pharaonen, der Römer und der Han-Dynastien halten sich kaum welche so lange, daß man sie beim Abspielen unseres Films im Zeitraffertempo klar auseinanderhalten könnte. Am Mittellauf 71
des Niger machen sich höhere Kulturen bemerkbar. Die Javaner vergessen ihre alten Götter und bauen Tempel zu Krishnas und später zu Allahs Ehren, als sie von den neuen Einflüssen erfaßt werden, die vom Festland her gegen die indonesische Inselwelt anbranden. Am anderen Ende Eurasiens geben die Engländer den Brauch auf, die Fundamente ihrer Behausungen blau anzumalen, und beginnen, sich an den Diskussionen um das Wesen der göttlichen Dreieinigkeit zu beteiligen. Die Alte Welt wird vom Prinzip des Nachmachens dominiert, nicht vom Prinzip der Erneuerung. Der entsprechende Film für die westliche Hemisphäre hat mehr Action zu bieten. Zu guter Letzt setzt sich die Neolithische Revolution in der Neuen Welt doch noch durch. An der mittelamerikanischen Golfküste und in den Flußtälern, die sich von den Anden durch die Trockenzone Perus in Richtung Pazifik hinunterwinden, tauchen Städte oder zumindest religiöse Kultstätten auf. Vermutlich durch diese ersten Vorbilder stimuliert, entstehen mit der Zeit weitere Hochkulturen. Indianer zwischen Ohio-Tal und Altacama-Wüste beginnen, sich in immer größeren gesellschaftlichen Einheiten zu organisieren und Eliten von Priestern, Kriegern und politischen Führern auszubilden. Sie errichten Tempel, bauen Staaten auf und hinterlassen der Nachwelt unterschiedliche – in Stein gehauene, in Knotenschrift verfaßte, auf Häute und papierartige Materialien geschriebene – Aufzeichnungen. Sie schaffen mithin Kulturen, die denen der Sumerer und 72
deren unmittelbarer Nachfahren zumindest oberflächlich ähneln. Den präkolumbianischen Caesaren werden jedoch keine Reiterstandbilder errichtet; und obwohl die Bewohner Amerikas, wie einige Völker der Alten Welt, das Rad erfinden, spielen sie damit nur ein bißchen herum, um sich dann wieder mit anderen Dingen zu befassen (Vaillant 965: 60). Auf Australien angewendet, zeigt uns die historiographische Zeitraffer-Methode keine Reiche, die kurz aus der Versenkung auftauchen, um gleich wieder zu verschwinden, keine Pyramiden, keine Ackerbaukulturen, die ihre Grenzen allmählich in die Wildnis vorschieben – nur das monotone Flimmern ereignisloser Steinzeit-Kontinuität. Lediglich der Beutelwolf stirbt um 000 v. Chr. in Australien aus (während er in Tasmanien noch heute vorkommt), vermutlich ein Opfer der Konkurrenz mit den Aborigines und dem Dingo. Ansonsten dämmert die Steinzeit weiter vor sich hin (Day 98: 223 f.). Vier weitere Jahrtausende vergingen: Jahrtausende, in denen Gilgamesch sich auf die Suche nach der Unsterblichkeit machte, Quetzalcoatl jenseits des Meeres im Osten verschwunden ist und Dante durch Hölle, Fegefeuer und Himmel reiste – ehe die Menschheit zu ihrem nächsten Quantensprung ins Dunkel der unvorhersehbaren Zukunft ansetzte. Im zweiten nachchristlichen Jahrtausend begann sich die Spezies Mensch auf einmal wieder zu regen und ihre Zivilisation samt der Biosphäre radikal und unwiderruf73
lich zu verwandeln. Diese jüngste Meta-Revolution – für die wir noch keinen angemessenen Begriff gefunden haben, weil wir noch viel zu tief in ihren Turbulenzen stecken – nahm ihren Ausgang von Westeuropa, nach dem Zerfall des Römischen Reiches. Die Untertanen Roms waren Teil einer Gesellschaft gewesen, die mehr mit den Gesellschaften des alten Nahen Ostens gemeinsam hatte als mit den von vorwiegend »barbarischen« Aristokratien beherrschten Gesellschaften, die auf dem brachliegenden, von den Römern geräumten Feld nachzuwachsen begannen. Dieser nächste große historische Durchbruch nach der Neolithischen Revolution machte sich am deutlichsten auf wissenschaftlich-technischem Gebiet bemerkbar, hatte aber zahlreiche, verschiedene Dimensionen. Die gewiß bedeutsamste von ihnen ist die im 6. Jahrhundert erfolgte Überquerung der versunkenen Nahtlinien der alten Pangäa. Sie führte zur Wiederentdeckung Australiens und der beiden amerikanischen Subkontinente und schließlich zur Schaffung jener neoeuropäischen Gebilde, von denen unser Buch handelt. Doch bevor wir uns mit diesem »Neo-Europa« befassen, wollen wir wenigstens einen kurzen Blick auf die früheren imperialistischen Abenteuer der Europäer werfen. Waren ihre ersten Kolonien ein Erfolg oder ein Fehlschlag? Und warum? Eine Untersuchung ihrer ersten überseeischen Siedlungsversuche wird uns vielleicht Aufschlüsse über ihre späteren Unternehmungen geben – oder mindestens einige interessante Fragen aufwerfen. 74
Bei einer menschlichen Gesellschaft läßt sich das Geburtsdatum natürlich nie genau feststellen, aber zuweilen kann man sich doch auf Näherungswerte einigen, ohne die Historiker häufig nicht auszukommen glauben. Um das Jahr 000 n. Chr. (oder zumindest im Lauf des Jahrhunderts, in das es fällt) hörte Westeuropa auf, einem gestrandeten Wrack zu gleichen, das seit dem Verebben des Römischen Reiches auf einer Sandbank festsaß, und wurde zu etwas Neuem und Vitalem. Vorbei waren die dunklen Jahrhunderte, die im Zeichen umherziehender Barbarenvölker, der historischen Frühstarts der karolingischen Reichsgründungen und einer allgemeinen kulturellen Stagnation gestanden hatten. Allenthalben begannen sich die Völker, die Städte und der Handel zu erholen, und in der Folge lebten auch die Künste, die Philosophie und die Entwicklung der Technik wieder auf. Die gotische Kathedrale, diese großartige Schöpfung des 2. Jahrhunderts, markierte die Geburt einer neuen Gesellschaft, die sich durch eine bemerkenswerte Energie, Brillianz und auch Arroganz auszeichnete. Solche Gesellschaften haben oft einen expansionistischen Charakter. Die Europäer unternahmen im Laufe des Mittelalters zwei Versuche, außerhalb ihres heimatlichen Kontinents dauerhafte Niederlassungen zu gründen. Zuerst segelten sie nach Westen, um die öden Inseln des Nordatlantik zu kolonisieren, und versuchten sogar, in der Neuen Welt Fuß zu fassen. Danach marschierten und segelten sie nach Osten und gründeten westeuropäische Staaten in 75
den alten Zivilisationen östlich des Mittelmeers. Einige dieser Kolonien – im Osten wie im Westen – bestanden nur einen Sommer lang, andere überdauerten Generationen. Island gibt es heute noch. * In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten suchten einige skandinavische Seefahrervölker die nahen Britischen Inseln und den europäischen Kontinent mit ihren Raub- und Eroberungszügen heim. Andere kehrten diesem Kontinent den Rücken, um auf den Nordatlantik hinauszufahren und zunächst die Färöer-Inseln bzw. um 870 n. Chr. Island zu besiedeln. Island liegt 000 Kilometer von seinem Mutterland Norwegen entfernt. Die Insel sitzt auf jener Nahtlinie der Pangäa, die wir als Mittelatlantischen Rücken bezeichnen, sie ist gleichsam ein vulkanischer Auswurf und daher eigentlich gar kein kontinentales Territorium. Island ist die erste große Überseekolonie Europas und 500 bis 600 Jahre oder sogar noch älter als die nächste überseeische Gründung – je nachdem, ob wir die Anwesenheit einiger weniger irischer Eremiten, die bereits vor den Norwegern da waren, als regelrechte Besiedlung sehen wollen. Im späten 0. Jahrhundert segelte eine Flotte unter Erik dem Roten von Island nach dem südlichen Grönland und gründete dort die erste Kolonie Europas jenseits des Mittelatlantischen Rückens.* Diese Grönland-Sied* In diesem Zusammenhang sollte festgehalten werden, daß vor den Norwegern bereits eine andere Gruppe von Seefahrern
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ler weideten ihre Schafe und Rinder auf den spärlichen Grasflächen zwischen der Eisdecke und dem kalten Meer, bauten Siedlungen samt Kirchen (wobei sie im Lauf der Zeit sogar eine große Glocke für ihre Kirche in Gardar aus Europa herüberschafften) und bewohnten die Insel 500 Jahre lang, etwa genauso lang also, wie sich die Europäer und ihre Nachfahren – von Kolumbus bis heute – in Amerika aufhalten (Marcus 98: 63–70). Um das Jahr 000 herum unternahm Leif Eriksson, der Sohn Eriks des Roten, von Grönland aus eine Erkundungsreise in westlicher und südlicher Richtung. Dabei stieß er, die Heimat immer weiter zurücklassend, auf Gebiete, die er (in dieser Reihenfolge) Helluland, Markland und Vinland nannte. Einige Jahre später segelte Thorfinn Karlsefni von Grönland nach Vinland. Seine Expedition bestand aus fünf Frauen, 60 oder 60 Männern (hier gehen die Angaben in den einschlägigen Sagas auseinander) und einigem Vieh. Obwohl dieser Kolonisierungsversuch hinsichtlich Planung und Leitung besser organisiert war als etwa der 600 Jahre später in Jamestown, Virginia unternommene, eine der untermeerischen Nahtlinien überquert hatten, und zwar höchst regelmäßig. Es handelt sich um die Seefahrer auf dem Indischen Ozean, die mit den Monsunwinden über den CarlsbergRücken hin- und herkreuzten, der im nordwestlichen Indischen Ozean, also zwischen den Häfen Indiens und Ostafrikas liegt. Auch dieser Rücken ist eine Nahtlinie der Pangäa, wenn auch von minderer geographischer Bedeutung als der Mittelatlantische Rücken, weil ja zwischen Asien und Afrika eine Landverbindung besteht.
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ist er letztlich gescheitert. Aber es war nicht die letzte Fahrt der Norweger nach Amerika. 72 machte sich kein Geringerer als Bischof Erik Upsi auf, um »Vinland zu erkunden«; der Ausgang dieses Unternehmens ist allerdings unbekannt geblieben. 347 segelten Grönland-Siedler nach Markland, vermutlich um sich Holz zu besorgen. Von weiteren Reisen, die zweifellos stattgefunden haben, liegen keine Berichte vor. Die Norweger haben in Amerika nie richtig Fuß gefaßt (Marcus 98: 83 f.; Gelsinger 98: 239, Anm. 26). Es ist so, als hätte es diese ganze Serie europäischer Vorstöße über den Mittelatlantischen Rücken hinweg – also auch die Siedlungen in Grönland – nie gegeben. Sie haben keine dauerhaften Ergebnisse gezeitigt – es sei denn für die Archäologen und Experten für alte Sagas, denen immerhin einige Anregungen zuteil wurden. Im westlichen Nordatlantik erlitten die Norweger, kolonialhistorisch gesehen, Schiffbruch. Aber warum? Warum beginnt die kontinuierliche Präsenz Europas jenseits des Mittelatlantischen Rückens nicht schon am Ende des 0., sondern erst am Ende des 5. Jahrhunderts? Bevor wir uns näher mit der Frage befassen, warum die Norweger im Nordatlantik scheiterten, wollen wir uns Aufschluß darüber verschaffen, wie sie überhaupt so weit gekommen sind. Da sind zunächst ihr erstaunlicher Mut und ihre großartigen seemännischen Fähigkeiten. Man kann sie buchstäblich vor sich sehen, wie sie auf den Ozean hinaussteuern und den zurückbleibenden 78
Kontinentaleuropäern über die Schulter zurufen: »Ihr könntet das nie, aber wir schaffen es!« Und tatsächlich schafften sie es. Die Norweger legten zwar nie so große Entfernungen zurück wie die Inselbewohner des Pazifik, aber diese vollbrachten ihre Wundertaten schließlich auf einem warmen Ozean mit verläßlichen Winden. Die Norweger hingegen verwirklichten ihre Heldensagas in Regionen, die zu den kältesten und tückischsten Gewässern der Erde zählen. Neben ihren erstaunlichen Fähigkeiten hatten die Norweger im Atlantik einen zweiten gewaltigen Vorteil – das Schiff, mit dem sie segelten. Das langskip (Langschiff), mit dem die Wikinger auf Raubfahrt gingen, war zu klein und für das offene Meer nicht seetüchtig genug. Dafür brauchte es ein richtiges Segelschiff: also nicht einfach ein aufgetakeltes Ruderboot, sondern einen regelrechten Segler mit breitem Rumpf, der bei schwerer See nicht so leicht zu rollen begann und zugleich mehr Ladung fassen konnte als das gängige Langschiff. Ein derartiges Schiff war die knörr (Plural: knerrir), das norwegische Handelsschiff. Flink und beweglich wie ein Langschiff, aber ein gutes Stück breiter gebaut, konnte es 20 Tonnen Ladung und 5 bis 20 Menschen aufnehmen. Bei anständigem Rükkenwind und freundlicher See erreichte es bis zu sechs Knoten (über 0 km/h), was für ein Handelsschiff noch während der Napoleonischen Kriege als respektable Geschwindigkeit galt (Marcus 98: 83 f.; Gelsinger 98: 47; Parkinson 948: 87). 79
Für ihr Zeitalter waren die Norweger einzigartig geschickte Schiffsbauer, aber als Ackerbauern und Herdenzüchter waren sie nicht sehr kreativ. Ohne das Erbe der Innovationen der Neolithischen Revolution hätten sie auf den Inseln des Nordatlantik niemals überleben können. Nicht einmal ein Isländer lebt vom Fisch allein. Doch der felsige Charakter der Insel und die kurze Vegetationsperiode des Nordens setzten der landwirtschaftlichen Produktivität enge Grenzen, und so verlegten sich die Norweger wohl oder übel auf die Viehzucht. Schaf- und Rinderherden waren von Norwegen über Island bis Grönland ihre wichtigste Versorgungsquelle (Tomasson 980: 60 ff.; Marcus 98: 64; Gad 970,: 53, 84). Ihre Tiere waren wahrscheinlich gedrungener und zottiger bzw. wolliger als die Rinder und Schafe, die Abel, der Sohn von Adam und Eva und Nachfahre der Sumerer, einstmals gehütet hatte. Aber sie gehörten zu derselben Spezies, und vielleicht reichte ihr Stammbaum in manchen Fällen sogar bis zu den Herden Abels zurück. Diese skandinavischen Viehsorten gediehen in Island und Grönland immerhin so gut, daß sie sich und ihre Besitzer ernähren konnten; in Vinland entwickelten sie sich während ihres kurzen Aufenthalts vielversprechend. In Amerika wuchs üppiges Gras, und das Klima war gewiß milder, als sie es gewohnt waren. Mit ihren Hörnern und Hufen konnten sie sich gegen die Raubtiere der Neuen Welt offenbar ausreichend zur Wehr setzen, aber womöglich hatten die Wölfe und 80
Pumas auch einfach nicht genügend Zeit, um ihre Scheu vor den neuen Tieren zu überwinden. Trotz ihrer schon seit Jahrhunderten abgeschlossenen Domestikation begannen diese Tiere aus der Alten Welt in der Wildnis von Vinland zu verwildern. In einer Saga heißt es: »Alsbald wurden die männlichen Tiere sehr unruhig und waren schwer zu bändigen.« Die halb verwilderten Tiere verschafften den Norwegern gegenüber den Skraelings (das ist der norwegische Name für Eskimos wie für amerikanische Indianer) einen ganz besonderen Vorteil. Diese Eingeborenen hatten Angst vor diesen großen Tieren, die mit ihren Herren ersichtlich eng zusammenlebten und ihnen zumindest ab und zu auch Gehorsam leisteten. Als eines Tages der Bulle, den Karlsefni mit seiner Expedition von Grönland mitgebracht hatte, lauthals zu brüllen begann, nahmen die Indianer, die eigentlich zum Tauschhandel erschienen waren, Reißaus. Der listige Karlsefni machte sich später die Angst der Skraelings zunutze, als die blonden, blauäugigen Neuankömmlinge mit einem offensichtlich überlegenen Aufgebot der Indianer zu kämpfen hatten. Er schickte zehn Männer vor, die den Gegner zu einem Angriff verleiten sollten. Als die Eingeborenen den Köder schluckten, stürmte er plötzlich auf sie zu, mit dem Bullen »in vorderster Front«. Die Kriegslist gelang, und Karlsefni konnte sein Leben als friedlicher Bauer im heimatlichen Island beenden (The Vinland Sagas 965: 65 ff., 7, 99). 81
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Norweger sich in Vinland nicht hätten behaupten können, wenn sie Pferde mit sich geführt hätten, jene Tiere, mit denen die Spanier ein paar hundert Jahre später so unwiderstehliche Wirkung gegenüber Azteken und Inkas erzielt haben. Die Grönländer verfügten zwar über Pferde – eines warf beispielsweise Erik den Roten ab, der sich dabei am Bein verletzte –, aber soweit man sich auf die Sagas verlassen kann, hat keines dieser Tiere jemals die Reise der Norweger nach Vinland mitgemacht (The Vinland Sagas 965: 55). Ein ganz spezifischer Vorteil der Norweger gegenüber den Skraelings lag darin, daß sie sich auch im Erwachsenenalter von frischer Milch ernähren konnten. Dieser Vorteil, den sie mit anderen Nordwesteuropäern teilen, hatte unvorhersehbare Folgen (Simoons 978: 964 f.): Als die Skraelings eines Tages ihre Pelze gegen die Waffen der Norweger einzutauschen kamen, boten diese ihnen stattdessen etwas völlig Neues an, nämlich Milch. Bald wollten die Eingeborenen gar nichts mehr anderes haben. Am Ende konnten die Norweger ihre Pelze mit nach Hause nehmen und »die Skraelings trugen ihre Einkäufe in ihren Bäuchen davon« (The Vinland Sagas 965: 65). Daß sie danach binnen weniger Stunden elend krank wurden, ist so gut wie sicher. Und wir können uns auch ausmalen, welche Auswirkungen diese Episode, zumal nach dem Zwischenfall mit dem brüllenden Bullen, auf die Beziehungen zwischen Norwegern und Skraelings 82
gehabt haben muß. War sie vielleicht sogar Anlaß für den Kampf, den die Norweger dann mit Hilfe des Bullen so siegreich überstanden? Der Bulle leistete den Norwegern auch deshalb unentbehrliche Dienste, weil sie ansonsten gegenüber den einheimischen Vinländern nur leichte technologische Vorteile hatten. Die Norweger kannten das Rad, die Skraelings nicht; sie hatten auch Metalle, die Skraelings nicht. Das war für die Invasoren zwar günstig, aber in der Praxis scheinen diese Vorteile nicht sehr groß gewesen zu sein. Auf einem Bauernhof in Grönland mochte ein Karren von Nutzen gewesen sein, aber ob Eriksson oder Karlsefni je ein so sperriges Luxusgut über den Nordatlantik hinweg nach Vinland mitgenommen haben, ist doch ziemlich zweifelhaft. Wozu sollte es dort auch gut gewesen sein? Die Grönländer setzten wahrscheinlich ihr Prinzip der Rollklötze ein, um in Markland Baumstämme an die Strände zu schaffen, die dann mit Schiffen nach Hause abtransportiert wurden. Aber vorerst machten das Rad, der Hebel, der Mauerbogen und all die anderen intelligenten Produkte der Alten Welt, wie das Alphabet und der Lehrsatz des Pythagoras, jenseits des Mittelatlantischen Rückens keinen großen Unterschied. Die Norweger verfügten auch in Vinland über Metalle. Archäologen haben am Standort einer norwegischen Siedlung in Neufundland sogar eine primitive Eisenschmelze ausgegraben, die erste auf amerikanischem Boden (Morison 97: 49). Die Schwerter und Äxte der 83
Norweger waren handlicher und robuster und blieben auch länger scharf als die Waffen der Skraelings. Das muß den Invasoren einen nennenswerten Vorteil verschafft haben, reichte aber für einen Sieg offenbar nicht aus. Schußwaffen lassen sich ohne Metall nicht herstellen, aber schlagkräftige – wenn auch primitivere – Keulen, Äxte, Speer- und Pfeilspitzen lassen sich auch aus Stein anfertigen. Leif Erikssons Bruder Thorvald erlitt seine tödliche Wunde durch einen Pfeil mit Steinspitze. Er verschied, norwegischer Tradition gemäß, noch während er sich in aller Ruhe den Platz für sein Grab aussuchte: »Als ich sagte, daß ich mich an diesem Ort für einige Zeit niederlassen würde, scheine ich genau die Wahrheit getroffen zu haben.« (The Vinland Sagas 965: 6) Steinspitzen können ebenso leicht zwischen die Rippen fahren wie Metall, und eine Steinaxt kann Schulter oder Schädel ebenso zerschmettern wie jedes beliebige Eisen- oder Stahlobjekt. Wenn es im Handgemenge zwischen zwei Männern ums nackte Überleben geht, wirken Stein- oder Metallwaffen »verschieden, aber ohne Unterschied«. Die Vorteile der Norweger gegenüber den Skraelings hätten wir damit erörtert. Die Liste ihrer Nachteile ist bedeutend länger. Den Norwegern fehlten die Voraussetzungen sowohl für mehr als auch für aufwendigere Amerika-Expeditionen. Die größte in den Quellen erwähnte Expedition nach Vinland bestand aus drei Schiffen und 65 oder 65 Menschen (The Vinland Sagas 965: 65, 94). Im 84
postkolumbianischen Zeitalter waren Expeditionen von Europa nach Amerika oft auch nicht viel größer, aber es wurden doch sehr viel mehr Expeditionen ausgesandt, und selbst die gescheiterten Unternehmungen scheinen das Interesse an weiteren Versuchen stimuliert zu haben. Einige der bedeutendsten postkolumbianischen Expeditionen waren jedoch auch ziemlich aufwendig. Die Flotte, die Kolumbus im Jahre 493 zu den Westindischen Inseln dirigierte, bestand aus 7 Schiffen mit insgesamt 200 bis 500 Menschen. Die erste britische Flotte, die nach Australien segelte, hatte Schiffe und nahezu 500 Männer, Frauen und Kinder an Bord. Unternehmungen dieser Größenordnung lagen jenseits der Möglichkeiten, die den Norwegern im Mittelalter auf dem Nordatlantik zur Verfügung standen. In Grönland gab es auf dem Höhepunkt seiner Besiedlung nicht viel mehr als 3500 Menschen. Island hatte allerhöchstem 00 000, Norwegen vielleicht 400 000 Einwohner (Morison 942: 395, 397; Tomasson 980: 58; Australian Encyclopedia 979, III: 25 f.). Die skandinavische Bevölkerung auf den nordatlantischen Inseln war deshalb so klein, weil ihre Siedlungen zu ärmlich waren, um größere Menschenmengen anziehen oder ernähren zu können. Norwegen selbst war weder mit dem Byzantinischen Reich noch mit dem Fränkischen Reich der Karolinger vergleichbar; es war ein kaltes und armes Land, das weit von den Kultur- und Bevölkerungszentren der Alten Welt entfernt lag. Zwischen dem . und dem 3. Jahrhundert erlangte Norwegen zwar 85
seine staatliche Einheit und auch beträchtlichen Einfluß innerhalb seiner geographischen Sphäre, aber zum Aufbau eines Reiches fehlten ihm die landwirtschaftlichen Überschüsse, die Menschenmassen, das Kapital und fast alle weiteren Voraussetzungen. Für die meisten Isländer und Grönländer war Norwegen nicht etwa der Anker, an dem ein atlantisches Reich seinen festen Halt gefunden hätte, sondern bloß ein entfernter Handelspartner und eine vage Erinnerung an eine reifüberzogene Steilküste, von der kühne Männer und Frauen aufgebrochen waren, um ein besseres Leben zu finden. Für Vinland war ohnehin nicht Norwegen das Mutterland, sondern Grönland, und norwegische Kolonien in Amerika hätten niemals lebensfähig werden können, bevor sich nicht die Siedlungen in Grönland als dauerhaft erwiesen hätten. Das aber ist – trotz jahrhundertelanger norwegischer Präsenz – nie geschehen. Wie auch, wenn dort nicht einmal Getreide richtig wachsen konnte und die meisten Grönländer nie welches zu Gesicht bekommen hatten? Holz gab es auf der Insel nur als Strandgut und Eisen überhaupt nicht. Die Inselbewohner hatten keine Erzeugnisse anzubieten, die in Europa eine konstante Nachfrage gefunden hätten, wie sie später beispielsweise für den Tabak aus Virginia oder den Zucker aus Westindien entstanden ist. Daher war auch kein ständiger Kontakt mit dem europäischen Kontinent garantiert. Die ganze Geschichte läßt sich in der ironischen Pointe zusammenfassen, daß eine dauerhafte Kolonie in 86
Vinland wohl in der Lage gewesen wäre, eine Kolonie in Grönland zu unterhalten, nicht aber umgekehrt (Marcus 98: 9 f., 99; Gelsinger 98: 93). Bevor die Eskimos nach Süden drängten (darüber in Kürze mehr), spielten Konflikte mit den Eingeborenen in Grönland keine Rolle, in Vinland dagegen stellten sie von Anfang an ein unüberwindliches Problem dar. Die Skraelings waren nicht nur deutlich in der Überzahl, sondern sahen die Eindringlinge auch als Feinde an. Letzteres war nicht weiter verwunderlich: Von den neun Eingeborenen, die den Norwegern als erste begegneten, wurden acht umgebracht, und der neunte konnte nur mit Glück und Geschick entkommen. Als die Skraelings zum ersten Mal mit Karlsefnis Leuten Tauschhandel treiben wollten, rückten sie mit so vielen Booten an, »daß es aussah, als sei die Flußmündung mit Holzkohle überzogen«. Und als sie kurz darauf zum Kampf antraten, erschienen ihre Boote den Norwegern »wie ein reißender Strom«. Die Nachfolger Karlsefnis hätten Vinland gern erobert: Das Land war reich, in seinen Wäldern gab es jede Menge Wild, in den Flüssen tummelten sich die Lachse, das Gras war wie geschaffen für ihr Vieh, und auch ein Kind war ihnen schon in Vinland geboren: Snorri, ein Sohn ihres Anführers und seines Weibes Gudrid. Und doch mußten die Norweger einsehen, daß sie in diesem Land niemals ein sicheres Leben führen könnten. Vinland war ein bewohntes und kein jungfräuliches Land, also gewissermaßen in festen Händen (The Vinland Sagas 965:66,99,00,02). 87
Um ihre zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den Indianern auszugleichen, brauchten die Norweger einen Kompensationsfaktor. Ihre Militärtechnologie genügte nicht, wie wir bereits festgestellt haben. Sie brauchten etwas mit potentiell genozidaler Wirkung, einen Faktor, der das im letzten Kapitel erwähnte McNeillsche Gesetz zu ihren Gunsten hätte aktivieren können. Aber die biologischen Waffen, die bei den dichten Populationen des Nahen Ostens ihre Wirksamkeit erwiesen, standen den Norwegern des . Jahrhunderts nicht zur Verfügung. Die Infektionskrankheiten scheinen nicht für, sondern gegen die Norweger gearbeitet zu haben. In Island und erst recht in Grönland lebten die Norweger von Europa so weit entfernt, daß sie von den Krankheiten, die in den dichtbesiedelten Zentren Europas ausgebrütet wurden, nur selten die neueste Ladung von Erregern abbekamen. Zudem war die Einwohnerzahl beider norwegischer Siedlungsgebiete zu spärlich, um Massenepidemien kontinuierlich neue Nahrung zu geben. In der Regel liefen sich solche Epidemien daher rasch tot, was freilich die nächste Generation der Inselbewohner zu derselben Anfälligkeit verdammte, die schon ihre Eltern ausgezeichnet hatte. Die Pocken zum Beispiel, die erstmals im Jahre 24 oder 306 in Island aufgetaucht waren, suchten die Insel in den darauffolgenden 200 Jahren ein um das andere Mal heim, wobei sie offenbar immer dann wieder auftauchten, wenn ausreichend pockenanfälliger Nachwuchs geboren war. Je länger sich die Epidemie 88
verabschiedet hatte, desto härter schlug sie danach wieder zu. Als die Pocken 707 nach einer langen Pause erstmals wieder auftraten, erlagen ihr 8 000 Menschen, ein Drittel der gesamten Bevölkerung (Tomasson 980: 63; Kubier 90: 45; Hirsch 883,: 35, 45). Ein Brite, der Anfang des 9. Jahrhunderts die norwegischen Gebiete im Nordatlantik bereist hatte, schrieb anschließend: »Die in Island von den Pocken angerichteten Verheerungen sind derart, daß die Krankheit eine Bedeutung selbst für die politische Geschichte der Insel erlangt hat.« (MacKenzie 8: 409 f.) Tödliche Infektionskrankheiten, die immer wieder von europäischen Schiffen eingeschleppt wurden, haben diesen Menschen, die schon unter den günstigsten Umständen nur mit größter Mühe zu überleben vermochten, immer wieder fürchterlich zugesetzt und das für eine Gesundung der gesellschaftlichen Verhältnisse unerläßliche natürliche Bevölkerungswachstum stets aufs neue brutal unterbrochen.* * Dabei konnte fast jede vom Festland importierte Infektionskrankheit vernichtende Wirkung erzielen. So gingen 797 an einer Masern-Epidemie in Island 600 Menschen zugrunde. Als dieselbe Epidemie 57 Jahre später die Färöer-Inseln erreichte, erkrankten dort 600 von 7864 Einwohnern (vgl. MacKenzie 8: 40; Lilienfeld 976: 24). Die Anfälligkeit der Norweger im Nordatlantik hat sich bis heute erhalten. Die Masern, die in Island kaum mehr endemisch sind, wurden im 20. Jahrhundert mindestens elfmal von Europa oder Amerika her eingeschleppt und lösten dabei jedes Mal Epidemien aus (die freilich aufgrund der modernen Ernährung und medizinischen Versorgung keine Todesopfer mehr fordern; vgl. Cliff/Haggett 984: 43).
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Wie groß auch immer die Aussichten für eine erneute Kolonisierung Vinlands und für das Wiederaufleben der grönländischen Siedlungen während des späten Mittelalters oder der Renaissance gewesen sein mögen – der »Schwarze Tod« hat sie im Keime erstickt. Diese äußerst bösartige Variante der Pest hatte 347 Italien erreicht, von wo sie nach Norden weiterwanderte. 349 kam sie in Norwegen an. Dort legte sie eine 50jährige Pause ein, um sich sodann nach Island aufzumachen, wo sie die Bevölkerung von 402 bis 404 heimsuchte. Diese pandemische Seuche dürfte etwa ein Drittel der gesamteuropäischen Bevölkerung hinweggerafft haben. In Norwegen und Island starben zwei Drittel aller Menschen, weil hier auf die Pest eine Hungersnot folgte. Die sterbenden Bauern konnten keine ausreichenden Vorräte an Winterfutter mehr anlegen, daraufhin verendete das Vieh, und die Menschen verhungerten. Falls die Pest danach bis Grönland gelangt sein sollte, brauchen wir nach Gründen für den jähen Niedergang dieses norwegischen Außenpostens im 5. Jahrhundert nicht mehr zu suchen (Popperwell 972: 94 f.; Tomasson 980: 63). Obwohl wir den Schwarzen Tod zu Recht für alle möglichen schrecklichen Dinge verantwortlich machen können, dürfen wir ihn aber nicht als Auslöser für den Niedergang Grönlands ansehen. Dieser war schon in vollem Gange, als die Pest noch nicht einmal in Norwegen angelangt war. Schon im 4. Jahrhundert hatte die Nachfrage der Europäer nach Produkten aus dem 90
Nordatlantik nachgelassen, und immer weniger Schiffe hatten die lange Reise von Norwegen nach Grönland unternommen. Auch zwischen Norwegen und Island lag der Handelsaustausch darnieder, und im Laufe des 5. Jahrhunderts geriet die Insel fast vollkommen in Vergessenheit. Grönland und Island waren stets die äußersten Spitzen an einem Ast des norwegischen Stammbaums gewesen, jetzt aber starb der ganze Ast ab (Marcus 98: 89, 99, 2, 55). Je seltener diese Ableger Europas von knerrir aus dem Mutterland angelaufen wurden, desto unerbittlicher schien die Natur darauf aus zu sein, ihnen vollends den Garaus zu machen. Der nutzbare Boden Islands nahm quantitativ wie qualitativ in dem Maße ab, wie das importierte Vieh die Hänge kahlfraß und die Menschen die Wälder abbrannten oder abholzten und das Land damit ungeschützt den Wirkungen der Wasser- und Winderosion preisgaben (Thorarinsson 956: 24 f.). Der Hunger wurde zum Dauerzustand und kulminierte in regelmäßigen Abständen in einer von Pestepidemien begleiteten regelrechten Hungersnot. Island als das stärkste Glied in der Kette, die Grönland und potentiell auch Vinland mit Europa verband, war allmählich brüchig geworden (Marcus 98: 90; Gelsinger 98: 73). Während in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends das Klima in Island so passabel gewesen war, daß es Abenteurer samt ihren Familien angelockt hatte (und selbst in Grönland erträglich gewesen sein 91
muß), wurde es nun kälter. Der Weizenanbau wurde immer schwieriger, die Gletscher breiteten sich aus, und das Treibeis tauchte immer häufiger vor der isländischen Küste auf, während es sich in Grönland vor den Mündungen der Fjorde aufstaute und den Zugang zu den einst so günstigen Ankerplätzen versperrte. Auf ihrer Fahrt zu den grönländischen Siedlungen mußten die Seefahrer weit nach Süden und Westen ausweichen, und im 5. Jahrhundert gab es die Hoffnung auf ein Durchkommen überhaupt nur noch im August (Gelsinger 98: 6; Thorarinsson 956: 3–8; Marcus 98: 97 f., 56). Grönland, wo das Klima nie günstiger gewesen war als in den nördlichen Randzonen Norwegens, wurde erneut zum Eskimoland. Die Eingeborenen wanderten nach Süden, um ihre Erstgeburtsrechte geltend zu machen. 379 gingen die Skraelings zum Angriff über, töteten 8 Grönlandnorweger und entführten zwei ihrer Knaben. Und bei diesem einen Vorstoß der Eskimos ist es bestimmt nicht geblieben (The Vinland Sagas 965: 22). Irgendwann gegen Ende des 5. Jahrhunderts verstarb der letzte norwegische Grönländer in eiskalter und abgrundtiefer Einsamkeit (Gelsinger 98: 73; Marcus 98: 59 f., 63). Diese erste europäische Kolonie jenseits des Mittelatlantischen Rückens erlosch ungefähr zur gleichen Zeit, als Kolumbus mit seiner Flotte nach Westen aufbrach. Von den Kanarischen Inseln aus wollte er nach Asien segeln – und bahnte damit eine neuerliche Verbindung Europas mit Amerika an. 92
Aber was wollten die Norweger überhaupt so weit im Norden? Warum suchten sie sich ausgerechnet Küsten aus, die noch eisiger waren als die Regionen Norwegens, aus denen die meisten von ihnen stammten? Vinland war weitaus attraktiver als die Inseln, die sie vorher entdeckt und völlig zu Recht »Eisland« bzw. völlig zu Unrecht »Grünland« getauft hatten. Warum unternahmen sie also keinen ernsthafteren Versuch, Vinland zu besiedeln? Wo doch Thorvald Eriksson festgestellt hatte: »Hier ist es wunderschön, hieraus würde ich gern mein Zuhause machen.« (The Vinland Sagas 965: 60) Eriksson fand in Vinland nur sein Grab, und seine Mitkolonisten kehrten alsbald wieder zu den heimischen Gestaden zurück. Aber warum ließen sie sich so rasch von ihrem Vorhaben abbringen? Die Menschen auf den Britischen Inseln, in Frankreich oder in Rußland hatten den einfallenden Wikingern mindestens ebenso hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt wie die Skraelings, und doch hatten die Invasoren dieser Gebiete stets ihre Familien mitgebracht und Städte zu gründen begonnen. Und die Norweger selbst hatten bei dem Versuch, vulkan- und eisbedeckte Inseln weit draußen im einsamen Ozean zu besiedeln, Leib und Leben riskiert. Warum hat sich dann dieses Seefahrervolk nicht beharrlicher um die Kolonisierung dieses amerikanischen Territoriums bemüht? Die Antwort ist einfach: weil es zu weit weg war. Die Norweger konnten dieses Stück Amerika zwar erreichen, nicht aber in den Griff bekommen. In den südlicheren 93
Breiten war es zwar weniger nebelig, das Eis war nicht so gefährlich, die Winde waren berechenbarer, und der Polarstern stand dicht genug über dem Horizont, um seine Höhe exakt messen zu können. Andererseits war der Ozean in diesen Breiten weiter und bot keine festen Orientierungspunkte – wenn man von den Azoren absieht, die damals aber noch nicht entdeckt waren. Aus dem Mittelalter ist uns nicht ein einziger Hinweis auf ein norwegisches Schiff überliefert, das auf direktem Wege von Europa nach Amerika oder von Amerika nach Europa gesegelt wäre, auch nicht auf eine gezielte Entdeckungsreise von Island nach Amerika. Die Norweger überquerten den Atlantik nicht etwa in einem Zug, sondern hangelten sich von einer Insel zur anderen weiter (oder zumindest von einem Inselindiz, einer Wolkenzusammenballung oder einem Schwarm Seevögel, zum andern). Und dennoch taucht in den Sagas ganz häufig das Wort hafvilla auf. Es bezeichnet einen Zustand auf hoher See, bei dem man jegliche Orientierung verloren hat. Dieser Zustand konnte tage- oder wochenlang andauern, und zuweilen, wie wir vermuten dürfen, auch bis zum Tod (Marcus 98: 78, 95 f., 06 f., 08–6; Gelsinger 98: 52–58). Um solche Risiken möglichst gering zu halten, beschränkten sich die norwegischen Seefahrer auf wenige Entdeckungsreisen. Nur ein Narr mit einer neuen Theorie im Kopf konnte aufs offene Meer hinaussegeln, ohne eine sehr genaue Vorstellung von seinem Ziel zu haben; was die Norweger betrifft, so hatten sie darüber immer eine 94
genaue Vorstellung. Nach Island segelten sie erst, nachdem Eremiten aus Irland sich dort angesiedelt und den Norwegern zweifellos darüber berichtet hatten. Erik der Rote hat Grönland nicht eigentlich »entdeckt«, vielmehr wollte er dem Bericht von Gunnbjorn Ulfsson nachgehen, der westlich von Island weiteres Land entdeckt hatte, nachdem er vom richtigen Kurs abgekommen war. Und Eriks Sohn Leif hat Amerika ebenfalls nicht »entdeckt«: Er segelte nur einem Bericht von Bjarni Herjolfsson nach, der westlich und südlich von Grönland die Orientierung verloren und bei der Gelegenheit Land gesichtet hatte (Marcus 98: 50–54). Die norwegischen Seefahrer waren konservativ, ihre knerrir ließen ihnen gar keine andere Wahl. Diese Schiffe waren vollendete Exemplare handwerklicher Kunstfertigkeit, aber sie waren eben doch klein und nicht sehr manövrierfähig und außerdem für die Besatzung elend feucht und kalt. Die Schiffe des Erik, der Erikssons und des Karlsefni waren nicht einmal dreißig Meter lang und acht bis zehn Meter breit, außerdem war der Schiffskörper höchstens zur Hälfte mit einem Deck versehen. Sie waren ganz ohne Zweifel fähig, jede Welle so geschickt auszureiten wie eine auf dem Wasser schaukelnde Möwe, aber bei rauher See müssen sie auch eine Menge Wasser übernommen haben, von dem sich das meiste im Kielraum ansammelte. Da es keine Pumpen gab, mußte der Kielraum von Hand ausgeschöpft werden (Marcus 98: 03). Die norwegischen Schiffe hatten außerdem keine 95
Steuerruder im heutigen Sinne, sondern eher eine Steuerpinne: eine sehr große und plumpe Ruderstange, die am Heck ins Wasser hing und wie der gebrochene Flügel eines Vogels hinterhergeschleppt wurde. Solange sie im Hafen waren, wurden die Schiffe mit Hilfe von Rudern bewegt, auf hoher See mit einem einzigen Rahsegel. Bei mitlaufendem Wind hatten sie keine Probleme, aber gegen den Wind konnten sie nicht kreuzen, bei frontalem Gegenwind blieb ihnen vollends nichts anderes übrig, als auf ein Umspringen zu warten. Mittels der Ruder konnten sie natürlich ein Stück weit vorankommen, aber über einen Ozean zu rudern war nicht das zweckmäßigste Verfahren. Aus seitlichem Wind konnten sie etwas machen, indem sie ihn durch Drehen des Rahsegels einzufangen versuchten, aber das war ein umständliches Manöver. Was den Norwegern fehlte, war das Schoner- oder Lateinsegel, worüber wir im 6. Kapitel mehr erfahren werden. Sich mit der knörr auf den Ozean hinauszuwagen, hieß, sich auf einen Handel mit den Göttern einzulassen. Die Seefahrer konnten freilich bestenfalls hoffen, daß die Götter sie die meiste Zeit über in die gewünschte Richtung steuern ließen, während sie sich dafür mit dem Kurs abzufinden hatten, den sich diese Götter ab und zu boshafterweise einfallen ließen. Unter solchen Bedingungen war ein Schiffbruch normal und hafvilla ein chronisches Leiden. Die Sagas sind voll von Berichten über hilflos auf dem Wasser dahintreibende Schiffe. Thorstein Eriksson – noch einer von Leifs Brüdern – wollte nach Vinland se96
geln, bekam aber von Amerika nichts zu sehen. Zu sehen bekam er dafür Island und danach sogar Vögel, die aus Irland herübergeflogen waren; aber zu guter Letzt wurde das Wetter wieder günstiger, und er konnte wenigstens nach Grönland zurücksegeln. Thorhall der Jäger machte sich zusammen mit Karlsefni auf den Weg nach Amerika, entschied sich dann aber für einen selbständigen Kurs, um Vinland auf eigene Faust zu suchen. Er geriet jedoch in einen Gegenwind, der ihn über den ganzen Atlantik nach Irland trieb, wo er verstarb und seine Mannschaft in die Sklaverei geriet (The Vinland Sagas 965: 87, 97). Die Norweger gelangten zwar in den meisten Fällen an das gewünschte Ziel, aber für die besonders schwierigen Bedingungen des Nordatlantik waren ihre Schiffe, ihre Takelage und ihre Navigationstechniken nur begrenzt geeignet. Auf diesem Ozean vollbrachten Leif und die anderen norwegischen Seefahrer wahre Wunderdinge – aber als Fundament eines ganzen Reiches braucht es solideres Material als Wunder. * Ohne Verbesserungen auf dem Gebiet der Navigationstechnik und der seemännischen Ausrüstung, des Schiffsbaus und der Takelage konnten die Westeuropäer also nicht daran denken, den Atlantik an seiner sichersten, wenn auch breitesten Stelle zu überqueren. Einige dieser nötigen Verbesserungen bezogen sie zweifellos, vermittelt durch heimkehrende Kreuzfahrer, aus der Levante. Jacques de Vitry aus der Stadt Akko im Heiligen 97
Land hinterbrachte dem Publikum 28 eine wichtige Information: »Nachdem man eine Eisennadel mit dem Magnetstein in Kontakt gebracht hat, dreht sich dieser stets in Richtung des Polarsterns, der bewegungslos am Himmel steht, wohingegen die übrigen Gestirne kreisen, wodurch er wahrhaftig die Achse des Firmamentes ist.« Und er hob hervor: »Eine solche Nadel ist deshalb für diejenigen, die zur See fahren, ein unentbehrlicher Gegenstand.« (Taylor 957: 94; Needham 97: 698). Jacques de Vitry war römisch-katholischer Bischof in einer Gegend, in der einstmals Jesus Christus gelebt hatte, und in der damals noch viele seiner Anhänger zu finden waren. Die meisten dieser Christen bekannten sich allerdings nicht zum römisch-katholischen Glauben, sondern zum griechisch-orthodoxen, zum armenischen, zum koptischen und zu den verschiedensten anderen Varianten der christlichen Konfession. Noch schockierender war für den Bischof allerdings die Tatsache, daß alle diese Christen der unterschiedlichsten Richtungen zusammen lediglich eine Minderheit der Gesamtbevölkerung ausmachten. Die Mehrheit waren Moslems, also Anhänger jenes schrecklichen ketzerischen Propheten Mohammed, dessen Heere im 7. Jahrhundert den ganzen Nahen Osten erobert und dabei Bethlehem und all die anderen Stätten, an denen der Heiland gewandelt war, in ihre Gewalt gebracht hatten. Die Europäer hatten sich über mehrere Generationen mit dieser Situation abgefunden; schließlich kam es ja auf 98
das himmlische und nicht auf das geographische Jerusalem an. Im . Jahrhundert gewann dann plötzlich dieses konkrete, wirkliche Heilige Land für die Westeuropäer eine immer größere Bedeutung. (Die Westeuropäer wurden damals allgemein als »Latiner« oder »Franken« bezeichnet, auch wenn sie in Wirklichkeit waschechte Deutsche oder Engländer sein mochten.) Nunmehr machten sich Bischöfe, Grafen, Bauern und sogar viele adlige Damen ins Heilige Land auf: eine Reisewelle, wie man sie nie zuvor erlebt hatte (Southern 953: 5; Coulton: 0–6). Als der Kaiser des Byzantinischen Reiches, aufgeschreckt durch den Siegeszug der seldschukischen Türken, Papst Urban II. um Beistand ersuchte, reagierte dieser 095 mit seinem berühmten Aufruf zum Kreuzzug: Die Antwort der römischen Christenheit war der erste Kreuzzug: eine Art selbstmörderischer Ansturm von Horden gottesfürchtiger Christenmenschen, die das Heilige Grab aus den Händen der Moslems befreien wollten. Auf diesen ersten folgten noch sieben oder acht weitere Kreuzzüge (je nachdem, wie man den Begriff definiert). Im Laufe der nächsten zweihundert Jahre machten sich Hunderttausende Westeuropäer zu Lande und zu Wasser auf, um an der Küste des östlichen Mittelmeeres die Ungläubigen zu bekämpfen und ihnen das Heilige Land zu entreißen. Sie gelangten damit in eine Region, die sich hinsichtlich ihrer Völker und Kulturen, ihrer Fauna und Flora – aber auch ihrer Krankheiten – erheblich von den Gegenden unterschied, die den meisten von ihnen vertraut waren. 99
Die Kreuzzüge stellen die spektakulärste Verausgabung religiöser Energien in der Geschichte der europäischen Gesellschaft dar. Mit ihnen unternahmen die Europäer zugleich den ersten massiven Versuch, ihren Machtbereich auf Dauer über die Grenzen des eigenen Kontinentes hinaus zu erweitern. Das unmittelbare Resultat waren vier neue Staatswesen auf biblischem Boden: das Herzogtum Antiochia und die Grafschaften Edessa und Tripolis im Norden, sowie das Königreich Jerusalem als größter der Kreuzfahrerstaaten im Süden. Die einzigen von diesen Staaten übriggebliebenen Zeugnisse sind ein paar gewaltige Ruinen, meist Überreste ehemaliger Burganlagen. Diese ersten imperialistischen Projekte der Westeuropäer in Asien sind gescheitert. Für dieses Scheitern waren alles in allem dieselben Faktoren verantwortlich, die auch späteren europäischen Expansionsversuchen nach Asien ein rasches Ende bereitet haben. Bevor wir uns jedoch diese Faktoren näher ansehen, wollen wir – wie bei den Unternehmungen der Norweger im Nordatlantik – ermitteln, welche Vorteile die Europäer im östlichen Mittelmeer auf ihrer Seite hatten. Die Schiffe und die navigatorischen Fähigkeiten, die den Europäern im Mittelalter zu Gebote standen, waren für das Mittelmeer besser geeignet als für den furchteinflößenden Nordatlantik. Zu Anfang waren die Moslems oder Sarazenen (wie sie damals häufig genannt wurden) unfähig, sich gegen die fränkischen Invasoren 100
zu vereinigen. Die Kreuzfahrer hingegen erhielten von ganz Europa über Generationen hinweg volle, ja nachgerade fanatische Unterstützung; so konnten sie einen Kräfteaufwand entfalten und durchhalten, der alles, was die Norweger jemals im Atlantik aufbieten konnten, bei weitem in den Schatten stellte. Auf dem höchsten Bevölkerungsstand waren die Grönlandnorweger vielleicht 3500, auf keinen Fall aber mehr als 5000 Menschen, wogegen die katholische Bevölkerung des Königreichs Jerusalem auf ihrem Höchststand weit über 00 000 Köpfe zählte (Marcus 98: 64; Prawer 972b: 73). Die Kreuzritter hatten mit den Völkern und Gebieten, die sie zu erobern trachteten, bereits Bekanntschaft geschlossen. Sie kämpften nicht jenseits der Grenzen der bekannten Welt gegen unbekannte Skraelings. Bei ihrem Aufbruch ließen sie die Kernregionen der Zivilisation der Alten Welt nicht etwa hinter sich, sondern marschierten direkt auf sie zu, um auf diesem alten Kulturboden nach alten Glaubensgewißheiten zu suchen. Aber der Imperialismus der Europäer des Mittelalters endete auch im Osten mit einem Fiasko. Und am Ende blieb den Kreuzrittern vom Heiligen Lande nichts als der Sand und der Staub, den sie in den Ritzen und Scharnieren ihrer zerbeulten Rüstungen nach Hause trugen. Den Norwegern blieb wenigstens Island, die Kreuzfahrer aber verloren am Ende sogar Rhodos und Zypern. Und als 453 Konstantinopel an die Moslems fiel, waren tausend Jahre Geschichte einer christlichen Metropole zu Ende. 101
Das Scheitern der Kreuzfahrer war klar und eindeutig. Aber woran lag es? Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Um nach Jerusalem zu gelangen, mußten die Kreuzritter gewissermaßen auf einen Ast hinausklettern. Der war zwar kürzer und kräftiger als jener andere Ast, der von Norwegen nach Vinland hinüberreichte, aber eben doch nur ein Ast. Die Kreuzfahrer konnten sich in der Levante nur halten, wenn sie ununterbrochen mit beträchtlichen Mengen Hilfsgütern aus Europa versorgt wurden. Der christliche Glaubenseifer hielt sich zwar über viele Jahre, aber irgendwann floß die Hilfe nur noch sporadisch, um allmählich vollständig zu versiegen. Die Kreuzritterstaaten von Edessa, Antiochia, Tripolis und Jerusalem vegetierten nur noch dahin und verschwanden schließlich von der Landkarte. Betrachten wir nun die Details: Die nautischen Instrumente und Fähigkeiten der Latiner reichten zwar für die übliche mediterrane Handelsschiffahrt, waren aber der Aufgabe, große Heere ins Heilige Land zu transportieren und mit Nachschub zu versorgen, nicht gewachsen. Dieser Mangel war insofern besonders gravierend, als er eine massenhafte Zuwanderung aus Westeuropa verhinderte, die womöglich die Überlebensfähigkeit der Kreuzritterstaaten gesichert hätte (Prawer 972b: 73). Die größeren Kreuzfahrerheere legten den Weg bis in die Levante ganz oder doch größtenteils zu Fuß zurück. Dadurch waren sie Krankheiten, extremen Wetterbedingungen 102
und Angriffen von lokalen Räuberbanden jeglicher Konfession ebenso ausgesetzt wie der Versuchung, sich monate- oder gar jahrelang dem satten und süßen Leben des Ostens hinzugeben, die Reichtümer Konstantinopels zu plündern oder den Kreuzzug zu einemprofitablen Privatunternehmen zu machen. Die Uneinigkeit der Moslems, die eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg, vielleicht sogar für das Überleben der Kreuzfahrer war, hielt nicht lange an. Nach dem ersten Kreuzzug hatten die Eindringlinge immer häufiger mit Sarazenen aus der gesamten Region zu kämpfen. Ägypten, das im Mittelalter über die größten Bevölkerungsmassen westlich des Indus verfügte, rekrutierte gewaltige Heere und einigte weite Teile des Mittleren Ostens unter der Führung der Mamelucken gegen die Franken. Im Gegensatz dazu waren die Christen der Levante – also Katholiken, Griechisch-Orthodoxe, Syrisch-Orthodoxe, Kopten usf. – nur selten in der Lage, sich im Interesse einer Sache zusammenzuschließen, selbst wenn es dabei um das nackte Überleben ging. Transportschwierigkeiten und innere Uneinigkeit waren jedoch zweitrangige Probleme im Vergleich mit dem schlichten aber gewichtigen Faktum, daß die Kreuzfahrerstaaten nicht lebensfähig waren, weil es nicht genügend Christen römischen Glaubens gab. Anfangs brüsteten sich die Kreuzritter noch mit ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit: »Wer könnte uns schon seine Bewunderung dafür versagen, wie wir, eine Handvoll Menschen 103
inmitten so vieler unserer Feinde, nicht nur auszuharren, sondern auch erfolgreich zu gedeihen vermochten.« (Zit. n. Peters 97: 25) Aber die Realität stempelte solche Sprüche alsbald zu reinem Maulheldentum. Saladin, der Jerusalem im Jahre 87 für den Islam zurückeroberte, hatte das Problem der Kreuzritter erkannt und riet Kaiser Friedrich Barbarossa in einem Schreiben davon ab, sich am dritten Kreuzzug zu beteiligen: »Wenn Ihr die Namen der Christen zusammenzählt, so sind die Sarazenen zahlreicher, und zwar um ein Vielfaches zahlreicher als die Christen. Und während zwischen uns und denen, die Ihr Christen nennt, das Meer liegt, so findet sich doch kein Meer, das die Sarazenen, deren Zahl unübersehbar ist, voneinander trennen würde; zwischen uns und denen, die uns zu Hilfe kommen werden, gibt es kein natürliches Hindernis.« (Chronicles of the Crusades 848: 89). Der Kaiser schlug den vernünftigen Rat des Sultans in den Wind, was zur Folge hatte, daß auch er zum Opfer der unzulänglichen Flottenkapazitäten des Westens wurde. Er mußte mit seinem Heer von Deutschland durch Ungarn und das Byzantinische Reich nach Kleinasien marschieren, wo er in einem Fluß ertrank, worauf sich sein Heer auflöste (Mayer 985: 28 f.). Die katholische Bevölkerung der Kreuzfahrerstaaten zählte höchstens eine Viertelmillion Menschen – mitten 104
unter vielen Millionen lauwarmer Freunde und heißblütiger Feinde. Im gesamten Königreich Jerusalem waren von insgesamt 200 Bevölkerungszentren lediglich 50 oder 60 fränkisch besiedelt. Grob geschätzt war nur jeder fünfte Bewohner der Kreuzritterstaaten römischen Glaubens. Insofern erinnern die in ihren Burgen, befestigten Dörfern und Stadtvierteln zusammengepferchten Kreuzfahrer an die britischen Sahibs in Indien kurz vor dem Sepoy-Aufstand von 857–859, die sich in ihren Enklaven nie ganz sicher fühlen konnten, zugleich aber auf all die Einheimischen angewiesen waren, die den Engländern bestenfalls mit gleichgültiger Verdrossenheit entgegentraten.* Nun gab es für die Überwindung der demographischen Nöte der Kreuzfahrer drei Möglichkeiten: Die erste bestand in der massenhaften Einwanderung von Westeuropäern, die zweite in der Rekrutierung eines großen Teils der nicht-katholischen christlichen Bevölkerung durch Heirat, Überredung, Konversion und alle erdenklichen anderen Methoden. Die dritte Möglichkeit lag in einer deutlich erhöhten Geburtenrate der Kreuzfahrerbevölkerung, die ihre eigene Sterberate bei weitem übertreffen mußte. Eine Zuwanderung größeren Umfangs in die Kreuzfahrerstaaten fand nur in Zeiten ausgesprochener Begeisterung, wie etwa während des ersten Kreuzzuges statt – aber selbst damals kehrten die meisten Überlebenden * Prawer 972a: 82; Prawer 972b: 73 f.; Richard 979, A: 3; Mayer 985:58 ff.)
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wieder nach Hause zurück. Sie hatten es fertiggebracht, Jerusalem zu erobern, aber selbst in dieser heiligsten Stadt der Christenheit ließen sie sich nur zögernd nieder. »Es gab kaum genügend Leute, um die laufenden Aufgaben des Reiches zu bewältigen«, klagte Erzbischof Wilhelm von Tyrus, »sie reichten kaum aus, um die Eingangstore der Stadt zu schützen und die Stadtmauern und Türme gegen überraschende feindliche Angriffe zu verteidigen … Die Menschen aus unserem Lande waren so gering an der Zahl und so rar, daß sie kaum eine einzige Straße füllten.« (William of Tyre 943, I: 507). Balduin I. mußte Christen der östlichen Konfessionen aus Transjordanien zur Einwanderung überreden, damit die Stadt genügend Leute hatte, um notdürftig zu funktionieren. So lange die Kreuzritter innerhalb der Mauern von Jerusalem herrschten, blieb der Arbeitskräftemangel ein chronisches Problem (William of Tyre 943: Anm. S. 508). Den fränkischen Staaten mangelte es an Franken, obwohl der Osten durchaus ökonomische Anreize bot. Für einen verkrachten Ritter war es weitaus leichter, sich mit Hilfe von Waffen oder politischen Intrigen ein fettes Lehen in der Levante zu sichern als in der Heimat, wo das Land bereits unter fränkischen Konkurrenten aufgeteilt war, die mindestens ebenso christlich waren wie er selbst. Balduin und die anderen Anführer der Kreuzfahrer lockten Ritter, die sich in ihren Reichen niederlassen wollten, mit besonderen Vergünstigungen: Sie lockerten 106
beispielsweise die rigiden patrilinearen Erbfolgeregeln derart, daß der Besitz eines Ritters auch Töchtern oder Angehörigen einer Seitenlinie zufallen konnte, und unter gewissen Voraussetzungen durften sogar Frauen ein richtiges Lehen übernehmen. Aber auch nichtadlige Einwanderer scheinen im Osten bessere Möglichkeiten für ihr privates Fortkommen vorgefunden zu haben. Zumindest konnten sie davon ausgehen, in der gesellschaftlichen Hierarchie über den orientalischen Christen zu stehen – selbst wenn diese über Landbesitz verfügten – und vor allem weit über den Moslems (Mayer 985: 39 ff., 52 f.). »Wer früher Not gelitten hat, ist hier von Gott reich belohnt worden«, schrieb der Kaplan Raymond von St. Gilles. »Wer sonst nur ein paar Pfennige hat, besitzt hier ungezählte Byzantiner (Goldmünzen, Anm. d. Übers.). Wer nicht ein einziges Dorf hatte, besitzt hier eine von Gott geschenkte Stadt. Warum sollte einer, der es im Osten dergestalt angetroffen hat, in den Westen zurückkehren?« (Zit. nach Brundage 962: 75). Eine vorzügliche Frage, denn sie sind in Scharen nach Hause zurückgekehrt. Die Kreuzfahrer hatten den größten Eifer an den Tag gelegt, das Heilige Land zu erobern, aber sie hatten offenbar nicht den Wunsch, es zu behaupten, und deshalb konnten sie es auch nicht behaupten. Das war so, als wenn Cortés und seine Konquistadoren nach der Eroberung des Aztekenreiches ihre Sachen zusammengepackt und sich wieder nach Hause begeben 107
hätten, womit Mexiko wieder unter die Herrschaft der amerikanischen Indianer gekommen wäre. Auch in der Rekrutierung örtlicher Christen, über Mischehen beispielsweise, sahen die Kreuzfahrer keine Lösung ihres demographischen Problems. Sie mußten feststellen, daß die Einheimischen einfach anders waren als die Franken: Man hielt sie »für unzuverlässig und doppelzüngig, für schlaue Füchse ganz wie die Griechen, für Lügner und Renegaten« – in vieler Hinsicht also für ebenso übel wie die Sarazenen (de Vitry 896: 67). Dennoch kam es zu einigen Mischehen zwischen westlichen und östlichen Christen, deren Nachkommen ihrer Herkunft und Erziehung nach die ersten echten Bürger dieser Kreuzfahrerstaaten und ihre einzige Hoffnung waren. Denn sie waren in der Tat »östliche Westler«, heimisch in der Levante, mindestens zweisprachig, tolerant gegenüber unterschiedlichen Kulturen und Religionen und deshalb an friedlichen Zukunftsperspektiven interessiert. Bedauerlicherweise wurden diese Menschen von den Kreuzrittern verachtet. »Sie sind weich und unmännlich, mehr dem Bade zugeneigt als dem Kampfe, einem unkeuschen und ausschweifenden Lebenswandel verfallen, gleich Frauen in weiche Gewänder gekleidet … Sie schließen Abkommen mit den Sarazenen und sind froh, wenn sie mit den Feinden Christi friedlich auskommen.« (de Vitry 896: 64 f.) Die Kreuzfahrer standen als eine kleine Minderheit von Eroberern Völkern gegenüber, die alten, in sich ru108
henden und in vielerlei Hinsicht überlegenen Kulturen angehörten. Mit ihrem kollektiven Eliteanspruch glichen sie einem Stück Zucker, das eine heiße Tasse Tee erobert zu haben behauptet. Um ihres kollektiven Überlebens willen zogen sie sich auf sich selbst zurück und grenzten sich in einer Schärfe nach außen ab, die an die heutige Apartheid erinnert. Als der Bischof von Akko sich dafür aussprach, die Einheimischen zum römischen Christentum zu bekehren, waren die Kreuzritter dagegen. Der Historiker Joshua Prawer formuliert es so: Sie waren zwar »gewillt, für ihre Religion zu kämpfen und zu sterben, nicht jedoch bereit, die Bereitwilligen zu bekehren« (Prawer 972a: 506 ff.). Als einzige Methode, ihre personelle Unterlegenheit zu beseitigen, blieb den Kreuzfahrern das natürliche Bevölkerungswachstum. Sie hätten also mit ihren aus dem Westen mitgebrachten Frauen Nachkommen zeugen müssen, diese wiederum noch mehr Nachkommen usw. Und dieser ganze Reproduktionsprozeß hätte so rasant verlaufen müssen, daß die Geburtenrate der Franken nicht nur ihre eigene Sterberate übertroffen, sondern vor allem die Reproduktionsrate der einheimischen Christen und Juden, insbesondere aber der Moslems weit hinter sich gelassen hätte. In diesem Fortpflanzungswettlauf standen die Franken auf verlorenem Posten. Mit wenigen Ausnahmen haben die Westler, die im Lauf der Geschichte den östlichen Mittelmeerraum in kriegerischer Absicht heimsuchten, ihre Hauptschwie109
rigkeiten stets auf der militärischen, logistischen und diplomatischen, vielleicht auch noch auf der theologischen Ebene gesehen; in Wirklichkeit lagen ihre akuten und unmittelbaren Probleme jedoch auf medizinischem Gebiet. Häufig sind die Westler bald nach ihrer Ankunft gestorben, und noch häufiger blieben ihnen Kinder versagt, die unter den Bedingungen des Orient bis zur Geschlechtsreife überlebt hätten. Aussagen darüber, welcher Kreuzritter woran gestorben ist, müssen reine Mutmaßungen bleiben. Im September und Oktober des Jahres 098 starben Tausende von Teilnehmern des ersten Kreuzzuges an einer unbekannten, aber offenbar ansteckenden Seuche, die rasch ein ganzes Heer von 500 neu eingetroffenen Deutschen dahinraffte. Das läßt eher auf eine Infektion als auf mangelhafte Ernährung schließen, obwohl letztere sicher dazu beitrug, daß die Neuankömmlinge der Krankheit so schnell erlagen. In jenem Herbst regnete es fast ununterbrochen, und die Kreuzfahrer hatten so gut wie keine Ahnung über die sanitäre Entsorgung eines Massenheeres. Womöglich waren also Typhus oder irgendeine Durchfallinfektion die Ursache des Massensterbens (Prinzing 96: 3). Auf dem siebten Kreuzzug hingegen waren wahrscheinlich Ernährungsprobleme die Haupttodesursache. Die Symptome – entzündeter Mund, faulender Gaumen, stinkender Atem und eine Haut »so schwarz wie die Erde oder wie ein alter Stiefel, der lange hinter einer Kiste gelegen hat« – legen die Diagnose Skor110
but nahe (zit. n. Chronicles of the Crusades 848: 432). Aber solche nachträglichen Diagnosen beruhen weitgehend auf Vermutungen. Die Kreuzfahrer selbst schilderten ihre Krankheiten widersprüchlich, und zweifellos gingen ja auch viele Krankheitserreger gleichzeitig auf sie los. Sie waren außerdem den verschiedensten zusätzlichen Belastungen ausgesetzt: einem fremden Klima, extremen Wetterverhältnissen, ungewohnter Kost, mangelhafter Ernährung, manchmal Hunger, Erschöpfung und allgemeiner psychischer Verunsicherung. Wenn ein hungriger, verschreckter, todmüder und verdreckter Mann, der an einer oder mehreren Infektionskrankheiten leidet, schließlich stirbt, läßt sich über die genaue Todesursache wohl schwerlich eine Aussage machen. Im Gegensatz zu den Franken kämpften die Sarazenen auf heimischem Boden. Der Kreuzritter Richard von Devizes notierte mit ersichtlichem Neid: »Sie waren das Wetter gewohnt, die Gegend war ihre Heimat, die Arbeit machte sie gesund, ihre Genügsamkeit war wie Medizin.« (Zit. n. Chronicles of the Crusades 848: 55) Als die Kreuzfahrer in der Levante eintrafen, mußten sie einen Prozeß durchlaufen, den die britischen Siedler in den nordamerikanischen Kolonien einige Jahrhunderte später als seasoning, als Abhärtung oder Anpassung, bezeichneten: Sie mußten zunächst die einheimische bakterielle Flora in sich aufnehmen und eine Resistenz gegen sie ausbilden (Rutman/Rutman 976:43). Sie mußten die Infektionskrankheiten überleben, um mit den Mikroor111
ganismen und Parasiten des Orients ihren spezifischen modus vivendi zu entwickeln. Dann erst konnten sie gegen die Sarazenen antreten. Diese Anpassungsperiode kostete Zeit, zehrte an ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit und endete für Zehntausende mit dem Tod. Von allen Krankheiten hat wahrscheinlich die Malaria den Kreuzfahrern am heftigsten zugesetzt. Sie war in den feuchten Tiefebenen und in den Küstenregionen der Levante endemisch, wo sich die Bevölkerungsmassen der Kreuzfahrerstaaten konzentrierten (Mayer 985:39). Kreuzfahrer aus dem Mittelmeerraum und Nordeuropa dürften eine gewisse Malaria-Resistenz mitgebracht haben, weil die Krankheit im mittelalterlichen Europa weit verbreitet war. (Selbst so weit im Norden wie in den Sumpfgebieten Englands kam sie noch bis ins 9. Jahrhundert hinein vor.) Aber sicher war die Malaria in keiner nördlich von Italien gelegenen Region so kontinuierlich und in so vielen Varianten virulent wie im östlichen Mittelmeer. Zum Unglück für die Kreuzfahrer schützt die Immunität gegen einen Malaria-Typ nicht gegen alle Typen dieser Krankheit und hält außerdem nicht lange vor. Die Levante und das Heilige Land waren malariaverseucht und sind es in einigen Gebieten noch heute. Das Sichelzellen- und das Beta-Thalassämie-Gen, die gegen schwere Malaria-Attacken resistent machen, sind in der einheimischen Bevölkerung weit verbreitet. Die Aussage des Hippokrates und seiner Zeitgenossen, wonach die 112
Malaria im östlichen Mittelmeer bereits vor gut 2000 Jahren existierte, wird dadurch handfest untermauert. Die beiden genannten Gene kommen bei Europäern nördlich der Alpen extrem selten vor, ein Beweis dafür, daß in dieser Region die schlimmsten Malaria-Typen, insbesondere die Sichelzellen-Malaria, nur selten oder nur sporadisch aktiv waren. Jeder neue Trupp von Kreuzfahrern aus Frankreich, Deutschland oder England muß daher wie eine Schaufel Kohle im Heizkessel des malariaverseuchten Orients gewirkt haben. Die Erfahrung der zionistischen Palästina-Einwanderer zu Beginn unseres Jahrhunderts bestätigt das: 42 Prozent hatten 92 ihre ersten Malaria-Anfälle innerhalb der ersten sechs Monate nach ihrer Ankunft, 64,7 Prozent innerhalb des ersten Jahres.* Am nachhaltigsten scheint die Malaria den dritten Kreuzzug beeinflußt zu haben, der in dem so plötzlich ertrunkenen Friedrich Barbarossa einen vorübergehenden, im König von Frankreich einen zögerlichen und in Richard Löwenherz einen begeisterten Anführer hatte. Der König von Frankreich nahm eine Erkrankung unbestimmbarer Natur (wobei Simulantentum als Sekundärinfektion nicht auszuschließen ist) zum Anlaß, sich in einem frühen Stadium des Kreuzzuges zu verabschieden; König Richard * Hacke« 937: 7; Laderman 975: 589, 590-602; Friedman/Trager 98: 54, 59; United States Public Health Service, Morbidity and Mortality Weekly Report, Suppl. 3, 982: 0, 5; Kligler 930: 05; Jones 975: 475
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wäre 9, schon in den ersten Monaten seines Aufenthaltes im Heiligen Lande, fast einer Krankheit erlegen. Bei ihm handelte es sich um ein ernstes Leiden, vom Volksmund Arnoldia genannt, das durch einen auf die Konstitution einwirkenden Klimawechsel hervorgerufen wurde. Nachdem er sich erholt hatte, führte er sein Heer durch die besonders malariaverseuchte Küstenebene und wandte sich dann landeinwärts Richtung Jerusalem. Dieser erste Vormarsch kam im November – in Palästina häufig der schlimmste Malaria-Monat – nach heftigen Regenfällen ins Stocken und im Januar zum völligen Stillstand, weil viele durch Krankheiten und Entbehrungen so sehr geschwächt waren, daß sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnten. Obwohl seine Armee zusehends zusammenschmolz, versuchte Richard noch einmal, Jerusalem zu erobern – mit ähnlichem Ergebnis. Wieder wurde er krank, dieses Mal war es, wie die Ärzte einander zuflüsterten, eine »akute Malaria semitertiana« (die man heute als Kombination aus dreitägig und täglich auftretender Malaria definiert). Er gab erschöpft auf und setzte sich 92 nach Zypern ab. Seitdem durften die Christen das Heilige Grab nur noch mit Erlaubnis der Moslems besuchen.* Englischen Soldaten ist es im Orient allerdings nicht immer so übel ergangen. Im Ersten Weltkrieg kämpfe * Archer 900: 84 f., 88 f., 92, 5, 7, 32, 94, 99, 205, 243, 245, 247, 28, 305, 32 ff., 38 f., 322; Ambroise 94: 96, 98, 20, 203, 207, 29, 446; Kligler 930: 2, .
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die britische Armee in Palästina mit großem Erfolg, vor allem, weil ihr Kommandeur General Allenby zur Vorbereitung des Feldzuges alle erreichbaren Quellen über die Levante, einschließlich der Berichte der Kreuzfahrer studiert und seinen Sanitätsoffizieren gut zugehört hatte. Nach Aussagen eines seiner Bewunderer war Allenby »der erste Kommandeur in dieser malariabelasteten Region, in der schon viele Armeen zugrundegegangen sind, der sich über das Risiko im klaren war und die entsprechenden Maßnahmen traf« (Wavell 940: 95, 56). Trotzdem hatte das britische Expeditionsheer in Palästina zwischen April und Oktober 98 8 500 Ersterkrankungen an Malaria zu verzeichnen und in den restlichen Monaten des Jahres über 20 000 weitere Fälle (Kligler 930: 87; Mac Pherson 924, III: 483). Die Kreuzfahrer lebten oft nicht lange. Die fränkischen Frauen hatten im Orient offenbar bessere Überlebensaussichten als ihre Männer, bekamen aber oft kranke oder gar keine Kinder (Runciman 989: 595 f.; Mayer 985: 448 f.). Malaria gefährdet besonders schwangere Frauen, verursacht oft Fehlgeburten und ist auch für Kinder sehr bedrohlich (Laderman 975: 588; Giles u. a. 969: 245–263). Wenn also die Frauen nicht imstande waren, das zukünftige Überleben zu garantieren, waren alle Anstrengungen der Gegenwart im Grunde zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Die Kreuzfahrerstaaten starben wie Blumen in der Vase. 29 eroberten die Moslems Akko zurück, die letzte 115
bedeutende Kreuzritterfestung im Heiligen Land. Der erste Versuch von Westeuropäern, große Ansiedlungen außerhab Europas zu gründen, hatte damit sein Ende gefunden (Mayer 985: 250 f.). Trotz seines erfolglosen Ausgangs hatte dieser Versuch auf spätere und erfolgreichere Unternehmungen großen Einfluß. Die Kreuzfahrer trugen wahrscheinlich zur beschleunigten Verbreitung wichtiger östlicher Errungenschaften auf dem Gebiet der Schiffskonstruktion und Navigation wie Hecksteuerruder und Kompaß bei, die für die zukünftige Expansion der Europäer von entscheidender Bedeutung waren (Needham 97: 698). Die Kreuzfahrer waren die ersten Europäer, die an einem asiatischen Erzeugnis namens Zucker Geschmack fanden – einem »äußerst wertvollen, für den Nutzen und die Gesundheit des Menschen höchst notwendigen Produkt«, wie es einer von ihnen ausdrückte. Das Zuckerrohr wanderte zunächst von Palästina nach den Mittelmeerinseln und der Iberischen Halbinsel, anschließend – wie wir sehen werden – nach Madeira und den Kanarischen Inseln und von dort über die Nahtlinien der Pangäa hinweg Richtung Westen (Deere 949, I: 73–258; Verlinden 970: 8–24, 29, 47). * Als am Ende des »dunklen Zeitalters« für Westeuropa nach Jahrhunderten wieder bessere Zeiten angebrochen waren, stiegen Bevölkerungszahl, Reichtum und Ambitionen, und ein spezifisch europäischer Imperialismus 116
setzte erstmals in der Geschichte zum Sprung nach vorn an. Die Expansionsversuche der Norweger nach Westen und der Kreuzritter nach dem Mittleren Osten waren die spektakulärsten Äußerungen dieses neuen Imperialismus, hinterließen aber kaum bleibende Spuren. Die Siedlungen in Grönland und Vinland waren nicht zu halten. Sie lagen zu weit entfernt und konnten daher mit der technischen, ökonomischen, politischen und epidemiologischen Ausstattung der Norweger nicht versorgt werden. Nicht einmal die Kirche, die zentrale Institution des mittelalterlichen Europa, konnte den Mittelatlantischen Rücken überwinden. Nach Auskunft der Quellen ist kein Priester jemals bis Vinland vorgedrungen – es sei denn, jener Kirchenmann hätte es geschafft, der in der Literatur in einem einzigen dramatischen Satz aufund sogleich wieder untertaucht: »Bischof Erik machte sich auf, um Vinland zu suchen« (Marcus 98: 67). Die Tröstungen des christlichen Glaubens hatten sogar Mühe, bis Grönland zu gelangen. Eriks Saga ist zu entnehmen, daß dort die Toten des öfteren ohne die vorgeschriebenen Zeremonien bestattet wurden, weil die Priester fast so rar waren wie die Bäume. In einem solchen Fall vergrub die weltliche Gemeinde den Verstorbenen einfach im Boden – soweit der Dauerfrost das zuließ –, und über seiner Brust wurde ein Pflock in die Erde getrieben. Wenn irgendwann ein Priester vorbeikam, zog er den Pflock heraus, schüttete geweihtes Wasser in das so entstandene Loch und holte dann die vorgeschriebenen Zeremonien 117
nach (The Vinland Sagas 965: 90). Erst als die Europäer über die erforderlichen Schiffstypen und Navigationshilfen verfügten, um den Atlantik weiter im Süden – wo er wärmer, aber auch bedeutend breiter war – überqueren zu können, wurden europäische Dauersiedlungen westlich des Mittelatlantischen Rückens möglich. Im Orient versuchten die Europäer, ihre Kolonien in dicht besiedelten Gebieten mit hochentwickelten Kulturen einzupflanzen. Der fränkische Imperialismus konnte sich immerhin über Jahrzehnte behaupten – mindestens ebenso lang wie die europäischen Kolonialherren unserer Epoche beispielsweise in Algerien oder Indien. Letzten Endes sind die Kreuzfahrerstaaten jedoch gescheitert. Nicht einmal der christliche Fanatismus des katholischen Europa konnte das zahlenmäßige Übergewicht der ansässigen Völker wettmachen. Die Europäer mochten in der Lage sein, die einheimischen Bevölkerungsmassen kurzfristig zu unterwerfen, aber sie konnten sie niemals auf Dauer entmachten – schon gar nicht in einer Krankheitsumwelt, die gegen die Invasoren arbeitete. Island, wo die europäische Präsenz weit über tausend Jahre zurückreicht, bildet eine Ausnahme in dieser trostlosen Bilanz des überseeischen europäischen Imperialismus im Mittelalter. Island liegt näher an Europa als Grönland oder Vinland, und sein Klima ist gemäßigter als das grönländische. Dazu kommt eine ebenso wichtige wie einfache Tatsache: Island beherbergte keine Skraelings, keine griechisch-orthodoxen Christen, keine 118
Moslems. Es war frei von Menschenwesen, die den Vorzug genossen, schon immer dagewesen zu sein und sich den physischen und kulturellen Umweltbedingungen fast perfekt angepaßt zu haben. In Island gab es überhaupt keine menschlichen Bewohner, bis auf eine Handvoll irischer Eremiten. Und die waren als Gegenspieler ebenso wenig ernstzunehmen wie die isländischen Möwen und Alken.
Die ersten Kolonien: Madeira, Azoren, Kanarische Inseln Die Glücklichen Inseln oder Inseln der Seligen »sind voller Früchte und Vögel mannigfaltigster Art … Freilich sind diese Inseln von einer großen Plage heimgesucht, den faulenden Kadavern von Ungeheuern, die immer wieder von der See angespült werden.« Plinius a. Ä., Naturalis historia (. Jh. n. Chr.)
Im Jahre 29 verloren die Kreuzfahrer Akko als letzte christliche Bastion im Heiligen Land. Der Zufall will es, daß im gleichen Jahr die beiden Genueser Brüder Vadino und Ugolino Vivaldi an Gibraltar vorbei in den Atlantik hinaussegelten. Ihr erklärtes Ziel war es, Afrika zu umrunden, aber das war das letzte, was man von ihnen hörte. Ihr Verschwinden war nicht ganz überraschend und ihre Reise nicht besonders wichtig – und dennoch hatte sie außerordentlich weitreichende Folgen. Mit dem gewagten Vorhaben der Gebrüder Vivaldi beginnt nämlich die wichtigste neue Entwicklung, die sowohl die menschliche Spezies als auch viele andere Lebewesen seit der Neolithischen Revolution durchlaufen haben. Nunmehr zeigten sich die Seefahrer und Imperialisten Europas bereit, ihr Glück in den Breiten zu versuchen, wo der Atlantik ein warmes, wenn auch bedauerlich weiträumiges Meer ist. 120
Die Vivaldis sind womöglich gar nicht auf hoher See oder an der afrikanischen Küste zu Tode gekommen. Selbst mit ihrem wenig seetüchtigen Gefährt könnten sie durchaus die Kanarischen Inseln, Madeira oder die Azoren erreicht haben, die bei günstigem Wetter nur ein bis zwei Wochen von Gibraltar entfernt waren. Den Römern und anderen Seefahrervölkern der alten Mittelmeerwelt waren die Kanarischen Inseln mit Sicherheit bekannt (möglicherweise gilt das auch für die anderen 121
beiden Inselgruppen), von ihnen hatten sie auch den Beinamen »die glücklichen Inseln« erhalten. Doch nach dem Niedergang des Römischen Reiches und während des Mittelalters gerieten diese Inseln bei den Europäern in Vergessenheit. Erst in der Renaissance wurden sie von den Seefahrern wiederentdeckt und zum Laboratorium für einen neuen Typ des europäischen Imperialismus gemacht. Die Kolonien auf den ostatlantischen Inseln wurden zum Prototyp für die transozeanischen Reiche des Kaisers Karl V. von Spanien, des Königs Louis XIV. von Frankreich und der Königin Victoria von England. 336 folgte ein gewisser Lanzarote Malocello den Spuren der Brüder Vivaldi und landete auf der nordöstlichen der Kanarischen Inseln, die heute noch seinen Namen trägt. Er ließ sich auf Lanzarote nieder, wurde aber nach ein paar Jahren von den kanarischen Ureinwohnern, den Guanchen, getötet. Im Lauf des 4. Jahrhunderts wurden aus Italien und Portugal, aus Mallorca und Katalonien, sicher auch aus anderen Gebieten Europas einzelne Schiffe oder ganze Expeditionen zu den Kanarischen Inseln entsandt, aber auch zu den anderen der Iberischen Halbinsel und Marokko vorgelagerten Inseln, soweit man sie inzwischen entdeckt hatte (Mercer 980:55–63,98, 27; Mauny 960:44–48, 92–96). Die Gebirgszüge dieser Inseln sind oft felsig und schroff, aber es finden sich auch große Flächen überaus fruchtbaren vulkanischen Bodens. Weil die Inseln vom 122
Ozean umgeben sind, fällt auf einen großen Teil dieses fruchtbaren Bodens reichlich Regen. Einige weniger bergige Inseln, vornehmlich die östlichen Kanaren, sind dagegen praktisch wasserlos. Sie ragen nicht hoch genug, um den vom Passat herangeführten Wolken Niederschläge abzuringen. Die Temperatur ist auf den Azoren ausgesprochen kühl und in Madeira und auf den Kanarischen Inseln immer noch gemäßigter, als die Breitenlage vermuten ließe. Der kalte Kanarenstrom und die Passatwinde sind für die mediterranen Temperaturen und den mediterranen Charakter ihrer Fauna und Flora verantwortlich. Obwohl beide Inselgruppen auf der Höhe der Sahara liegen, werden sie von den Geographen derselben Florenzone zugeordnet wie das viel weiter nördlich gelegene Mittelmeerbecken. Dennoch weisen sie viele singuläre Arten auf, was ja die Fauna und Flora aller ozeanischen Inseln kennzeichnet (Mercer 980: 2–3; Turrill 953: 2–4, 206, 2; Carlquist 974: 80). Nur ein paar Tagereisen von Europa entfernt lockten Gebiete mit gemäßigten Temperaturen und möglicherweise fruchtbarem Boden, also etwas ganz anderes als die Inseln im fernen Nordatlantik. Und diese Gebiete wurden allem Anschein nach nicht so abschreckend entschlossen verteidigt wie Vinland oder die Levante. Ureinwohner der Azoren oder Madeiras, die sich einer Eroberung widersetzt hätten, gab es überhaupt nicht, und die Guanchen der Kanarischen Inseln waren unbewaffnete Heiden, die nicht »die mindesten Kenntnisse der Kriegskunst 123
(besaßen) und von ihren Nachbarn keine Hilfe erlangen können« (Bontier/Le Verrier 872: 92). Wir werden nun die Geschichte dieser Inselgruppen nach ihrem Einfluß auf den europäischen Imperialismus betrachten. Die geringste Bedeutung kam in dieser Hinsicht dem Azoren-Archipel zu. Diese neun im Mittelatlantik gelegenen Inseln waren zunächst nichts als ein Wegweiser in der Tiefe des Raumes – von hier aus kam man, nach Osten segelnd, genau nach Portugal – und eine willkommene Zwischenstation, um auf der Heimreise von den Kanarischen Inseln oder von Westafrika Wasser und neuen Proviant zu fassen. So wurde der Archipel bald im Dienste der durchreisenden Seefahrer europäisiert und Nutztiere »ausgesät« wie später auch auf anderen Inseln und in neu entdeckten kontinentalen Gebieten. Schafe sind eigentlich zu lammfromm, um unabhängig vom Menschen überleben zu können, aber auf den Azoren gab es keine Raubtiere und höchstwahrscheinlich auch keine Krankheiten, die ihnen bedrohlich gewesen wären. Nachdem vorbeifahrende Seefahrer ein paar Widder und Mutterschafe ausgesetzt hatten, grasten spätestens seit 439 an den Azorenküsten wilde Schafherden. Sie waren damit offensichtlich früher da als die ersten menschlichen Dauersiedler: Im Jahr 439 vergab der König von Portugal erstmals Siedlungsrechte für die Inseln (Duncan 972: 2; Verlinden 970: 220). Die Schafe, später auch Rinder und Ziegen, fanden die Vegetation an den Berghängen und in den Tälern der größeren Azoreninseln nahrhaft und 124
die Umwelt bekömmlich. Also vermehrten sie sich mit wachsender Begeisterung. Die Versuche der Europäer, Nutzpflanzen einzuführen, die auf dem Festland verkauft werden konnten, waren in zwei Fällen erfolgreich. Gegen Ende der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts wurde erstmals Weizen nach Portugal ausgeführt. Auch der zur Gewinnung von Farbstoffen genutzte Waid, den man aus Frankreich übernommen hatte, erwies sich als exportfähiges Massenerzeugnis. Das profitabelste Produkt der Epoche jedoch, das Zuckerrohr, wollte unter den kühlen Azorenwinden nicht recht gedeihen. Die historische Bedeutung der Inselgruppe liegt aber nicht in ihrem Ertrag, sondern in ihrer Funktion als Zwischenstation auf den Schiffsrouten nach und von den Kolonien, in denen später ertragreiche Produkte angebaut wurden (Marques 972: 58; Duncan 972: 2–6; Serrão 97, I: 20, 797). Der Madeira-Archipel besteht aus den beiden Inseln Madeira (deren längste Ausdehnung nicht ganz 60 Kilometer beträgt) und Porto Santo (die nur ein Fünftel so lang ist) und einigen kleineren Eilanden (Greenfield 977: 537). Die beiden großen Inseln, vor allem Madeira, sind schroff zerklüftet, ihre Berggipfel ragen fast bis 2000 Meter empor. Ihre Topographie hat man mit dem Skelett eines Reptils verglichen: mit seinem hochgewölbten Rückgrad, das die Insel der Länge nach durchzieht, und scharfen Bergkämmen, die von diesem Rückgrat wie Rippen rechtwinklig abzweigen. Von einer Küstenebene kann 125
nicht die Rede sein, und einige der Bergkämme brechen an der Küste in Steilklippen ab, die zu den höchsten der Welt gehören. Die meisten Rinder Madeiras werden in Ställen geboren und herangezogen, aus der sie Zeit ihres Lebens kaum herauskommen, weil ihre Besitzer Angst haben, sie könnten beim freien Weiden abrutschen und in die Tiefe stürzen (Duncan 972: 26). Porto Santo ist die kleinere und flachere der beiden Inseln; die Wolken ziehen oft über sie hinweg, ohne einen Tropfen Regen abzugeben. Die Viehwirtschaft war daher hier immer wichtiger als der Ackerbau. Die hohen Berge Madeiras dagegen lenken die über das Meer heranziehenden Luftmassen in Höhen, wo ihre Feuchtigkeit kondensiert. Die Insel hat also genügend Niederschläge zur Kultivierung ihres fruchtbaren Bodens, doch das Wasser läuft rasch ab und verschwindet ungenutzt im Meer, wenn es nicht vorher irgendwie aufgefangen wird. In den letzten 800 Jahren wurde in armen, fruchtbaren und wasserreichen Kolonien wie Española, Haiti, Brasilien, Martinique, Mauritius, Hawaii usw. mit dem Anbau von tropischen, für den europäischen Markt bestimmten Agrarprodukten immer wieder gewaltige Gewinne gemacht. Kreta, Zypern und Rhodos waren die ersten dieser Kolonien im Mittelmeerraum, Madeira die erste im Atlantik, sie spielte sozusagen den Leithammel für alle danach entstandenen Kolonien (Bannerman/ Bannerman 966, II: XXXV ff.; Greenfield 977: 537 ff.). Die ersten Siedler kamen in den 20er Jahren des 5. 126
Jahrhunderts aus Portugal: nicht einmal hundert Menschen, die plebejischen Schichten und dem niedrigen Adel entstammten. Ihr Interesse galt dem ungenutzten Land, von dem sie sich Wohlstand und gesellschaftlichen Aufstieg erhofften. Madeira und Porto Santo waren jungfräulicher Boden, unbewohnt und bar aller Anzeichen menschlicher Besiedlung, sei es aus der Altsteinzeit, der Jungsteinzeit oder aus irgendeinem späteren Zeitalter. Die Neuankömmlinge machten sich daran, die Landschaft wie die Fauna und Flora, die vordem einzig und allein durch die blinden Naturkräfte geformt worden waren, wirtschaftlich rationell zu nutzen. Bartholomeu Perestrello, der als Verwalter von Porto Santo eingesetzt war (und später Kolumbus zum Schwiegersohn bekam), setzte ein weibliches Karnickel mitsamt den Nachkommen, die es während der Überfahrt aus Europa geworfen hatte, auf seiner Insel aus, auf der nie zuvor dergleichen Tiere gelebt hatten. Die Kaninchen vermehrten sich in erschreckendem Tempo und »breiteten sich derart über das Land aus, daß unsere Leute nichts säen konnten, was von ihnen nicht vernichtet worden wäre«. Daraufhin griffen die Siedler zu den Waffen und brachten ihre Konkurrenten massenweise um. Aber da es weder einheimische Raubtiere noch Krankheitserreger gab, die den Vierbeinern hätten zusetzen können, übertraf ihre Geburtenrate die Sterberate bei weitem. Die Menschen sahen sich gezwungen, ihren ersten Kolonisierungsversuch aufzugeben und von den 127
Azoren nach Madeira überzusiedeln – besiegt nicht etwa von der urgewaltigen Natur, sondern von ihrer eigenen ökologischen Unwissenheit. Später versuchten sie es erneut und mit mehr Erfolg, doch liegt uns noch aus dem Jahre 455 der Hinweis vor, daß Porto Santo nach wie vor von »unzähligen Kaninchen« wimmelte. Solche Fehler sollten den Europäern noch öfter unterlaufen: Die explosionsartige Vermehrung von Eseln auf der Kanareninsel Fuerteventura, Ratten im nordamerikanischen Virginia und Kaninchen in Australien wurde durch sie in Gang gebracht.* Wenn sich die Geschichte mit den Kaninchen von Porto Santo etwa so abgespielt hat wie unter vergleichbaren Umständen anderswo, haben diese nicht nur die Felder kahlgefressen, sondern so ziemlich alles abgenagt, was ihnen zwischen die Zähne kam. Einheimische Pflanzen sind dann verschwunden und einheimische Tiere – aus Mangel an Nahrung und natürlichem Schutz – ausgestorben. Der Boden litt unter Wind- und Regenerosion, und die leergeräumten Ökonischen füllten sich mit den vom Festland importierten Unkraut- und Tierarten auf. Porto Santo im Zustand von 400 ist so wenig wiederherzustellen wie die Welt vor der biblischen Sintflut. Als die Europäer zum ersten Mal auf Madeira stießen, gab es auf der Insel nicht »einen Fußbreit Boden, der * Azurara o.J., II, 245 f.; Voyages of Cadamosto 937: Anm. 7; Purchas 906, XIX: 97; Arber (Hg.) o.J., II: 47; Abreu de Galindo 955: 60; Fenner 954: 30-35
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nicht vollständig mit großen Bäumen bewachsen gewesen wäre«. Der Name Madeira, den sie der Insel gaben, bedeutet »Wald«. Zwar erwies sich das Holz als wertvolles Exportgut, aber es war einfach zu viel. Die Siedler wollten für sich und ihre Felder und Tiere schneller Platz schaffen, als es mit dem kommerziellen Holzeinschlag voranging. Deshalb begannen sie Feuer zu legen, doch mit den daraus entstehenden Waldbränden hätten sie sich fast selber von der Insel gefeuert. Eine Gruppe von Siedlern »mußte sich mit allen Männern, Frauen und Kindern vor dem wütenden Feuer ins Meer retten, wo sie zwei Tage und zwei Nächte bis zum Hals im Wasser stehend ohne Essen und Trinken auskommen mußten«. Einen Bericht, wonach der Waldbrand sieben Jahre angedauert habe, kann man vielleicht so interpretieren, daß die Siedler ihre Brandrodung sieben Jahre ohne Unterbrechung fortgesetzt haben (Voyages of Cadamosto: 0; Azurara o.J., II: XCIX). Für Madeira drängt sich dieselbe Frage auf wie schon für Porto Santo: Wie sah die Insel in ihrem Urzustand aus? Wahrscheinlich ist, daß der Welt damals einige Madeiraspezifische Arten durch den vernichtenden Feuersturm ein für allemal verlorengingen. Und ebenso wahrscheinlich ist, daß viele der »einheimischen« Arten von heute, von denen man einfach annimmt, es hätte sie schon immer auf der Insel gegeben, tatsächlich erst nach den gigantischen Brandrodungen des frühen 5. Jahrhunderts in Madeira eingeführt und heimisch geworden sind. 129
Anfangs mußten sich die Kolonisten in Madeira mühsam durchbringen. Sie ernährten sich u. a. von den einheimischen Tauben, die nicht an Menschen gewöhnt und deshalb leicht mit der Hand zu fangen waren. Sie exportierten das Holz der einheimischen Zedern und Eiben und »Drachenblut«, einen aus dem Harz des einheimischen Drachenbaumes gewonnenen Farbstoff. Darüber hinaus bot die Insel jedoch keine Naturschätze, die den Neuankömmlingen zu dem erwarteten Lebensstandard verhelfen konnten (Bannerman/Bannerman 966, II: XXI; Azurara II: 246 f.; Voyages of Cadamosto 937: 4, 7, 9 f.). Zu wirklichem Reichtum konnten sie es nur bringen, wenn sie die vorgefundene Flora und Fauna durch Pflanzen und Tiere ergänzten, die in den portugiesischen Häfen und anderswo eine Nachfrage befriedigten. Die ideale Lösung wäre es gewesen, ein stark nachgefragtes Produkt zu finden, das sich in Madeira billiger, besser, schneller und in größeren Mengen produzieren ließ als irgendwo sonst. Und so begannen sie zu experimentieren. Alsbald wühlten und grasten zum Teil halbwilde Schweine und Rinder auf der Insel. Sie sorgten auch gleichzeitig dafür, daß die Wälder Madeiras sich von den gewaltigen Brandschäden nie mehr erholten. Spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts gab es auch Honigbienen – höchstwahrscheinlich keine einheimische, sondern eine eingeführte Spezies –, die den Kolonisten Wachs und Honig lieferten. Weizen vom Festland und Weintrauben aus dem fernen Kreta gediehen auf dem fruchtbaren Boden und in der 130
warmen Sonne Madeiras hervorragend und fanden in Portugal gute Absatzmärkte.* Diese Produkte mochten ausreichen, um den Kolonisten einen gewissen Wohlstand auf Azorenniveau zu gewährleisten. Aber die hatten sich nicht auf das atlantische Abenteuer eingelassen, um ihr Leben als Bauern und heruntergekommene Aristokraten zu beenden. Sie brauchten ein Produkt, das so wertvoll war wie Gold: Zucker. Porto Santo war für den Zuckerrohranbau zu trocken. Madeira hatte offensichtlich das ideale Klima: Höchstwahrscheinlich wuchs das Zuckerrohr hier bereits vor der Mitte des 5. Jahrhunderts. Das Experiment muß vielversprechend ausgefallen sein, denn 452 genehmigte die portugiesische Krone den Bau der ersten wassergetriebenen Zuckerrohrmühle. Das war der Beginn einer ganzen Serie rauschender Erfolge, die der Zuckerrohranbau in den atlantischen Regionen erleben sollte. 455 belief sich die Jahresproduktion von Madeira schon auf über 6000 Arroba (ein Arroba entspricht bis 2 Kilo), und ein Jahr später exportierte die Insel ihren Zucker erstmals nach dem englischen Bristol. 472 stieg die Jahresproduktion auf über 5 000 Arroba, und in den ersten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts war sie bei etwa 40 000 Arroba angekommen. Hunderte von Schiffen transportierten den Zucker von Madeira nach England, Frankreich und Flandern, * Marques 972, I: 53; Verlinden 970: 20; Voyages of Cadamosto 937: 0; Azurara, II: 247 f.; de Ferraz 962: 79, 88 ff.
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nach Rom, Genua, Venedig und sogar bis Konstantinopel. Die Inselbewohner setzten auf Monokultur, um die europäischen Leckermäuler zu befriedigen.* Parallel zum Anstieg der Zuckerproduktion wuchsen auch die Einwohnerzahlen. 455 wohnten in Madeira nur 800 Menschen, bis zum Ende des Jahrhunderts waren es 7 000 bis 20 000 oder mehr, darunter wenigstens 2000 Sklaven (Serrão 97, II: 879). Diese Menschen machten Madeira innerhalb weniger Jahrzehnte zum weltweit größten Produzenten eines Stoffes, der als wichtiges Arzneimittel galt, in der Praxis aber ein Suchtmittel war und immer noch ist. Und was die erzielten Gewinne betrifft, so wurde der Zucker nicht einmal vom Tabak übertroffen, der als nächste Droge in Mode kam und der Welt seinen Stempel aufdrückte (Duncan 972: ). Die Arbeit, die der Anbau von Zuckerrohr oder Weizen oder eines beliebigen anderen Agrarprodukts in Madeira erforderte, kam nach T. Bentley Duncan »einer echten Strafe« gleich (Duncan 972: 25). Die ursprüngliche landwirtschaftliche Erschließung des Landes, also die Beseitigung der Urvegetation – mit oder ohne Brandrodung – muß eine unendlich mühselige Arbeit gewesen sein. Für normale Anbaumethoden war das Gelände großenteils zu steil und mußte daher erst terrassiert werden. Die schlimmste und gefährlichste Arbeit war jedoch die Anlage eines umfassenden und komplizierten * Greenfield 977: 545, 547; Godinho 965, II: 430; vgl. auch Rau/ Macedo 963: passim
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Bewässerungssystems, um das Wasser aus den windigen und feuchten Bergregionen zu den viel tiefer gelegenen kultivierten Feldern zu bringen. »Was für Pharao die Pyramiden, waren für die Bewohner Madeiras ihre von Menschenhand geschaffenen Bewässerungskanäle.« (Bryans 959: 30) Diese levadas bilden ein Netz von offenen oder tunnelartigen, zum Teil gemauerten, zum Teil aus dem massiven Fels herausgehauenen Kanälen, die sich an den Bergflanken entlangziehen, das Regenwasser sammeln und an scharfkantigen Berggraten und gähnenden Abgründen entlang zu den Feldern und Gärten hinunterleiten. Die Länge dieses Kanalnetzes beträgt heute schätzungsweise 700 Kilometer – auf einer Insel, die nur 60 Kilometer lang ist, wohlgemerkt (Bentley 972: 29). Seine historischen Anfänge liegen etwas im Dunkeln. Offenbar wurden die ersten Abschnitte rudimentärer Kanäle schon in den 20er und 30er Jahren des 5. Jahrhunderts angelegt. 46 setzte die Obrigkeit zwei Wasserinspektoren ein. Das läßt vermuten, daß das levada-Netz bereits einen beträchtlichen Umfang angenommen hatte, als die Zuckerrevolution begann. Die explosionsartige ökonomische Expansion hat dann vermutlich zum weiteren Ausbau des Leitungsnetzes geführt (Greenfield 977: 54). Eindeutige Hinweise auf Sklavenarbeit finden sich in den Quellen über Madeira erst für das Jahr 466, aber Sklaven müssen schon Jahre vorher importiert worden 133
sein, als die ersten Arbeiten zur Umgestaltung der Insel nach den Vorstellungen der Europäer anstanden. Diese Arbeiten zogen sich über Generationen hin, die Pflanzungen dehnten sich mit der Zeit immer weiter aus, und der Wasserbedarf nahm entsprechend zu. Immer mehr Arbeitskräfte für die Anpflanzung des Zuckerrohrs, für seine Ernte und Verarbeitung wurden gebraucht. Gegen Ende des Jahrhunderts sind die Sklaven in den Beachten über die Insel ein ständiges Thema. Madeira läßt bereits die Struktur der Plantagenkolonien künftiger Generationen in den Grundzügen erkennen (de Ferraz 962: 69; Serrão 97, II: 879). Portugal hat sich erst in den 40er Jahren des 5. Jahrhunderts in den Sklavenhandel entlang der afrikanischen Atlantikküste eingeschaltet; insofern spricht alles dafür, daß die ersten Sklaven in Madeira keine Schwarzen waren. Wir können mit guten Gründen vermuten, daß einige von ihnen Berber waren, andere portugiesische Christen, die sich noch zu sehr wie Mauren benahmen, wieder andere frisch konvertierte Christen, die sich noch zu sehr wie Juden benahmen – und dazu noch Mitglieder diverser anderer Außenseitergruppen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit waren sie mehrheitlich Guanchen (wenn nicht die absolute, so doch die relative Mehrheit) – Ureinwohner der Kanarischen Inseln, die ein paar Jahre vor der ersten Besiedlung Madeiras in den Strom des europäischen Sklavenhandels hineingeraten waren. In Mallorca sind offenbar schon 342 Gefangene von den 134
Kanarischen Inseln aufgetaucht. Wann sie in Madeira erstmals in Erscheinung traten, ist nirgends dokumentiert, aber es muß zu einem ziemlich frühen Zeitpunkt gewesen sein. Viele dieser Guanchen stammten von Inseln, die fast so zerklüftet sind wie Madeira, und da man ihre körperliche Gewandtheit besonders hervorhob, müssen sie für das Herausmeißeln der levadas aus den nackten Felswänden äußerst nützliche Arbeitskräfte gewesen sein. Ende des 5. Jahrhunderts gab es in Madeira jedenfalls so viele Guanchen, daß die portugiesischen Inselbewohner ihre zahlenmäßige Beschränkung forderten. In Massen hielt man sie offenbar für gefährlich (Colom 972: 4; Godinho 965, II: 52; Serrão 97, II: 879). Der Sklavenhandel auf dem Atlantik, deren Opfer wir uns immer nur als Schwarze vorstellen, war in seinen Anfängen großenteils auf weiße Hautfarbe aus – oder um es noch präziser zu bestimmen: auf »olivfarbene … wie die Hautfarbe sonnverbrannter Bauern«. Mit anderen Worten: wie die Hautfarbe der Menschen von den Kanarischen Inseln (Columbus 969: 60; Godinho 965, II: 520 f., 58). Der Kanarische Archipel ist nicht nur die größte der drei hier behandelten Inselgruppen, er hat auch die höchsten Erhebungen und die kompliziertesten biogeographischen Verhältnisse aufzuweisen. Die Kanarischen Inseln liegen näher am Festland als die Azoren oder Madeira (nämlich nur ca. 00 Kilometer vom nächsten Küstenpunkt entfernt) und waren als einzige bereits vor 135
Ankunft der Europäer von Menschen bewohnt. Sie liegen in tropischen Breiten und haben ein heißes, dank des Ozeans und seiner Winde aber nicht drückendes Klima. Die beiden östlichen Inseln sind trocken, die übrigen jedoch dank ihrer hohen Berge relativ regenreich. Die beiden höchsten und größten Inseln, Teneriffa und Gran Canaria, erinnern in ihrer Topographie an Madeira. Ihr Gelände scheint für Hinterhalte, blitzartige Überfälle und schnelle Rückzugsmanöver wie geschaffen; hier waren auch die größten und kampffreudigsten Völkerschaften der Ureinwohner angesiedelt (Carlquist 974: 80 f.; Mercer 980: 4, 7, 8). Erinnern wir uns, daß die Europäer des RenaissanceZeitalters die Kanarischen Inseln schon früher angesteuert haben als die anderen Inseln im Atlantik, vielleicht schon in den 90er Jahren des 3. Jahrhunderts, sicher aber spätestens in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts. Die Europäer fanden auf diesen Inseln verschiedenes, das sie mitnehmen und zu Hause gewinnbringend verkaufen konnten: z. B. Häute und Talg, die von den großen Viehherden der Guanchen stammten, oder Orseille, einen aus bestimmten kanarischen Flechten gewonnenen Farbstoff, oder auch Menschen: die Guanchen selbst. Und der Menschenmarkt blühte – vor allem seitdem der Schwarze Tod in Südeuropa so viele Bauern hinweggerafft hatte. Die Guanchen verdienen mehr Beachtung, als sie bislang erfahren haben. Sie waren – läßt man einmal die Arawak-Indianer der Karibischen Inseln außer Acht 136
– das erste Volk, das der moderne Imperialismus in den Abgrund der Ausrottung getrieben hat. Ihre Vorfahren hatten über eine Zeitspanne von vielen Jahrhunderten hinweg, vom afrikanischen Festland kommend, die Kanarischen Inseln besiedelt. Dieser Prozeß hatte frühestens im zweiten vorchristlichen Jahrtausend begonnen und spätestens in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten geendet. Die Guanchen wagten sich also gleichzeitig mit den großartigen Seefahrern Polynesiens aufs offene Meer; im Gegensatz zu diesen haben sie allerdings ihre Seefahrerkenntnisse wieder vergessen. Als die Europäer eintrafen, hatten die Guanchen sehr wenige, wahrscheinlich sogar überhaupt keine Boote – ganz sicher aber keine, mit denen sie Fahrten zum Festland unternehmen konnten (Schwidetzky 976: 20; Mercer 980: 7 f., 59, 64 f., 2). Über die Guanchen ist nur wenig bekannt. Hält man sich an die ersten Berichte, so waren manche von ihnen grobknochig, manche auch grazil gebaut, manche von dunkler, andere wieder von heller Hautfarbe. Die meisten stammten eindeutig von den Berbern der benachbarten Festlandküste ab. Aus Gewebeproben, die man von mumifizierten Leichen gewonnen hat, ergibt sich, daß die Blutgruppe B bei den Guanchen überhaupt nicht oder nur höchst selten vertreten war. Dieses Merkmal teilen sie mit den Indianern Amerikas, den Aborigines Australiens, den Polynesiern und einigen anderen, historisch lange isolierten Völkern (Mercer 980: 59 f., 64; Schwidetzky 137
976: 23; Schwidetzky 963:27 ff.). Als einzige Tierarten dürften die Guanchen auf den Kanarischen Inseln Vögel, Nagetiere, Eidechsen und Schildkröten vorgefunden haben. Die Flora der Insel dagegen hatte, trotz ihres mediterranen Gesamtcharakters, einen Reichtum an eigenständigen Detailformen aufzuweisen, wie er nur noch in Madeira anzutreffen war (Mercer 980: 0; Huxley 98, II: 232; Bramwell 976: 207). Aber auch die Guanchen bildeten keine Ausnahme von der Regel, daß Menschen beim Auswandern ihre Pflanzen und Tiere mitnehmen und insofern dazu beitragen, die Fauna und Flora unserer Erde zu vereinheitlichen. Auch sie waren – zumindest teilweise – Erben der vom Nahen Osten ausgegangenen Neolithischen Revolution und nahmen vom afrikanischen Festland Pflanzen und Tiere mit: ganz sicher die Gerste, aber wohl auch Weizen, Bohnen und Erbsen sowie Ziegen, Schweine, Hunde und wahrscheinlich Schafe. Rinder oder Pferde hingegen hatten sie nicht. Auch Kenntnisse des Töpferhandwerks brachten sie mit, hingegen konnten sie weder spinnen noch weben und auch keine Werkzeuge, Waffen oder Schmuckgegenstände aus Metall herstellen. Auf den Kanarischen Inseln gab es keine Erzvorkommen, und falls die Guanchen bei ihrer Ankunft irgendwelche metallurgischen Kenntnisse gehabt haben, mußten diese bald in Vergessenheit geraten. Das Fehlen von Metallwaffen war eine von mehreren Zivilisationslücken, die sich für die Guanchen als verhängnisvoll erweisen sollten (Mercer 980: 5–9). 138
Die brutale Unterwerfung durch die Europäer begann im Jahre 402, das wir auch als Geburtsjahr des modernen europäischen Imperialismus ansetzen können. Zu der Zeit hielten sich im Süden der Iberischen Halbinsel noch die Mauren, und die osmanischen Türken waren dabei, auf dem Balkan vorzurücken. Aber Europa hatte bereits begonnen, die Weltherrschaft zu erobern. Der erste Vorstoß der Europäer traf auf den Widerstand von rund 80 000 Guanchen, die gleichsam die vorderste Postenkette bildeten, hinter der all die anderen bedrohten Völker in den Schützengräben lagen: die Azteken und Zapoteken, die Araukanier und Irokesen, die australischen Aborigines und die Maori, die Fidschis, die Hawaiianer, die Aleuten und die mexikanischen Zuni (Godinho 965, II: 520). 402 landete ein französisches Expeditionscorps in katalanischen Diensten auf der kleineren der beiden östlichen Kanareninseln, auf Lanzarote. Binnen weniger Monate konnten die Europäer die Insel einnehmen, obwohl sie mit inneren Auseinandersetzungen und gegen den Widerstand von etwa 300 Eingeborenen zu kämpfen hatten. Damit verfügten die Invasoren über einen festen Stützpunkt auf der Inselgruppe. Innerhalb weniger Jahre eroberten sie zwei weitere, nur dünn besiedelte Inseln dazu.* * Mercer 980: 60-68, 77 f.; Bontier/Le Verrier 872: 23, 3. Eine vollständigere Sammlung von Dokumenten über die französische Invasion (mit einer Übersetzung ins moderne Spanisch) bietet: de Bethencourt 959-964 (3 Bände).
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Für die Portugiesen waren die Kanarischen Inseln ein ebenso begehrtes Ziel wie für die Franzosen und Spanier. Zwischen 45 und 466 unternahm Portugal eine Reihe kleinerer und mindestens vier größere Landeunternehmen, das größte davon im Jahre 424, mit einem Expeditionsheer von 2500 Mann Infanterie und 20 Berittenen. Keine dieser Unternehmungen war erfolgreich, doch stellten die Expeditionen eine Verbindung zwischen dem portugiesischen Madeira und den Kanarischen Inseln gerade in der entscheidenden Zeitspanne her, in der Madeira durch die Kolonisten in eine Zuckerproduktionsstätte verwandelt wurde. Denn diese Expeditionsheere machten auf ihrem Weg zu den Kanarischen Inseln fast immer in Madeira Halt, und wenn sie wieder nach Portugal zurückkehrten, führten sie als Beutegut auch Gefangene mit. Wir können davon ausgehen, daß mindestens einige dieser Gefangenen auf dem hungrigsten Sklavenmarkt im portugiesischen Einflußbereich, in Madeira, landeten, wo sie mit ihrer gemsenhaften Geschicklichkeit zum Ausbau der levadas eingesetzt wurden (Greenfield 977: 543). Während die Portugiesen und ihre Sklaven mit der Transformation Madeiras beschäftigt waren, bemühten sich die Spanier, die Eroberung der Kanarischen Inseln zu vollenden, nachdem sie diese Aufgabe von den französischen Rittern übernommen hatten. Um 475 waren nur noch drei Inseln von den Guanchen kontrolliert: La Palma, Teneriffa und Gran Canaria. La Palma war eine 140
der kleinsten Kanareninseln, und da sie nur ein paar hundert bewaffnete Männer aufbieten konnte, mußte sie früher oder später das Schicksal der beiden anderen teilen. Auf Teneriffa, der größten, und auf Gran Canaria, der drittgrößten Insel, gab es dagegen Tausende von Kriegern. Zu Beginn des Jahrhunderts hatten die Franzosen die Bewohner von Teneriffa als die härtesten Kämpfer unter den Guanchen kennengelernt, »… die sich nie überwältigen oder in die Knechtschaft abführen ließen wie die auf den anderen Inseln«. Aber auch ihre Verwandten auf Gran Canaria waren so kühne Krieger, daß die Insel sogar ihren Namen von ihnen hat. Denn das Gran wurde ihr nicht ihrer Größe wegen, sondern aufgrund der Tapferkeit und der kämpferischen Eigenschaften ihrer Bewohner verliehen (de Azurara, II: 238; Bontier/Le Verrier 872: 28; Abreu de Galindo 955: 45 f.). Die Europäer hatten im 5. Jahrhundert mehrere Invasionsversuche auf Gran Canaria unternommen, am Ende aber stets unter einem Hagel von Wurfgeschossen auf ihre Schiffe zurückflüchten müssen. 478 jedoch trat der Kampf um Gran Canaria und die gesamte Inselgruppe in eine neue Phase. Ferdinand und Isabella von Spanien, die es auf den ganzen Archipel abgesehen hatten, entsandten ein Expeditionsheer mit Hunderten von Soldaten, mit Kanonen, Pferden und allem, was das europäische Kriegshandwerk aufzubieten hatte. Die Schlacht um Gran Canaria dauerte fünf blutige Jahre. Die Spanier hatten bald die Küstenebene in ihrer Ge141
walt, aber aus den Bergregionen waren die Guanchen nicht zu vertreiben. Sie übten sich in Guerillataktik und verbündeten sich zudem mit den Portugiesen, die einige Truppen absetzten und die Nachschublinien der Spanier abzuschneiden versuchten. Als die Spanier jedoch mit den Portugiesen Frieden schlossen, hatten die Guanchen – obwohl sie noch ein paar kleinere Gefechte für sich entschieden – keine Chance mehr, einen langen Krieg zu gewinnen. Im April 483 war der Kampf zu Ende: 600 Männer, 500 Frauen und zahllose Kinder ergaben sich nach langer Belagerung in den Bergen dem Konquistador von Gran Canaria, Pedro de Vera. Wie Fria Abreu de Galindo, der Chronist der Geschichte Gran Canarias im 6. Jahrhundert, schreibt, hat die Bekehrung der Insel zum katholischen Glauben mehr Anstrengungen und mehr Blut gefordert als die Eroberung aller übrigen Kanarischen Inseln, einschließlich Teneriffas (Mercer 980:88–93; Abreu de Galindo 955: 45). Nach der Eroberung von Gran Canaria hielten sich nur noch La Palma, die zweitkleinste, und Teneriffa, die größte der Inseln. Erst im September 492 landete Alonso de Lugo in La Palma, das ihm im darauffolgenden Frühjahr in die Hände fiel, nachdem er die Einheimischen mit einer geschickten Mischung aus militärischem Druck, Überredungskünsten und falschen Versprechungen ausmanövriert hatte (Mercer 980: 95 f.). Aber es dauerte noch weitere drei Jahre, bis Teneriffa an die Spanier fiel. 142
Die erste Generation von Europäern, die auf die Eroberung der Kanarischen Inseln aus waren, hatte Teneriffa im allgemeinen links liegen lassen. Die zahlreichen und kämpf entschlossenen Verteidiger dieser Insel verschafften sich zusätzlichen Respekt, als sie in den 60er Jahren des 5. Jahrhunderts und dann noch einmal um 490 eine Eroberertruppe ins Meer zurückwarfen. 494 landete dann jedoch Alonso de Lugo mit 000 Mann Infanterie, 20 Berittenen und einigen Kanonen. Es war eine imposante Armee, aber die Guanchen konnten einen Teil der Truppe im Gebirge in einen Hinterhalt locken und Hunderte von spanischen Eindringlingen töten (nach dem Ort des Hinterhaltes bekam die Schlacht den Namen La Matanza de Acentejo, das Massaker von Acentejo). Lugo trat den Rückzug nach La Palma an, um seine Truppen zu reorganisieren, neue Pläne zu schmieden und seine Wunden zu pflegen (Mercer 980:98–203; de Espinosa 907: 93). Lugo war ein spanischer Haudegen vom Schlage eines Cortés und eines Pizarro. Er kehrte im November 495 mit 00 Mann und 70 Pferden, mit Schußwaffen gerüstet, nach Teneriffa zurück. Zehn Monate später kam für die Guanchen das Ende: Halb verhungert, durch die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen der Angreifer demoralisiert und zahlenmäßig drastisch zusammengeschrumpft, mußten sie schließlich kapitulieren – die Steinzeit auf den Kanarischen Inseln hat im September 496 ihr Leben ausgehaucht (Mercer 980: 207 ff.). 143
War die Niederlage der Guanchen unvermeidbar? Langfristig natürlich schon, aber kurzfristig? War es wirklich vorausbestimmt, daß die Spanier die Kanaren in nicht einmal zwanzig Jahren erobern konnten? Aus heutiger Sicht, nach so vielen ähnlichen Eroberungsfeldzügen in den darauffolgenden 400 Jahren, kann man es vielleicht gar nicht anders sehen. Aber die Optik mag trügen: Der Kampf zwischen Spaniern und Guanchen lief keineswegs auf ein ungleiches Duell zwischen Maschinengewehren und Speeren, ja nicht einmal zwischen Musketen und Speeren hinaus. Vielmehr standen auf der einen Seite, wie bei den europäischen Einfällen in Mexico und Peru, einige hundert Europäer mit ein paar wenig treffsicheren, nicht besonders schnell und manchmal auch gar nicht feuernden Schußwaffen, einer großen Anzahl Armbrüsten und sehr vielen Schwertern, Äxten und Lanzen aus Metall. Auf der anderen Seite standen anfangs Tausende mutiger Krieger, ausgerüstet mit Waffen, die zwar aus Holz und Stein gefertigt, in ihrer Wirkung aber mörderisch genug waren. Die Guanchen waren zahlreich und kämpften in den ausgedehnten Bergregionen der größeren Inseln, wohin sie sich nach den anfänglichen Siegen der Invasoren regelmäßig zurückzogen, tapfer und taktisch wirkungsvoll. Der Engländer George Glas, der sich im 8. Jahrhundert auf den Kanaren niederließ und eine Geschichte der Eroberung von Gran Canaria übersetzte, hat sich nach 144
einer Besichtigung des betreffenden Terrains ernsthaft gefragt, wie die Spanier hier jemals gewinnen konnten. Seiner Beschreibung zufolge sind die Inseln, ausgenommen Lanzarote und Fuerteventura, »so voller tief eingeschnittener, enger Täler oder Schluchten, so voller hoher, zerklüfteter Berge und enger, schwieriger Wegstrecken, daß eine Truppe Soldaten auf keiner der Inseln auch nur eine Landmeile (ca. 5 km; A.d.Ü.) ins Innere vordringen kann, ohne auf eine Stelle zu treffen, wo sich hundert Mann mit Leichtigkeit gegen eine Tausendschaft behaupten können. Wo sollte man genügend Schiffsraum finden für die Truppen, die nötig wären, um ein solches Volk in einer von der Natur so wehrhaft ausgestatteten Landschaft zu unterwerfen?« (Abreu de Galindo 764: 82). Schon zu Beginn der Eroberung der Inselgruppe hatten die Franzosen festgestellt, daß die Guanchen »groß und ungeheuer stark« waren, so daß sich die christlichen Sieger des öfteren im Interesse der eigenen Sicherheit gezwungen sahen, ihre Gefangenen umzubringen. Das einzige Wurfgeschoß der Guanchen waren Steine, aber die wußten sie trefflich einzusetzen, zumal in den Bergen, wo sie sich regelmäßig die beherrschenden Geländehöhen sicherten. Nach dem Zeugnis der Invasoren schleuderten sie die Steine so kräftig und so gezielt, als wären sie von der Armbrust abgeschossen, wobei sie ohne weiteres 145
»einen Schild samt dem ihn haltenden Arm zerschmettern« konnten. Und während die Europäer mühsam in dem Felsen- und Schluchtenlabyrinth herumstolperten, kletterten die Verteidiger so wendig und schnell durch die Gegend, als hätten sie ihre körperliche Gewandtheit »mit der Muttermilch eingesogen« (Bontier/Le Verrier 872: 35, 49; de Espinosa 907: 02; de Azurara, II: 209). Diese zerrissene Fels- und Kraterlandschaft im Inneren der Kanarischen Inseln machte nicht nur die Fortbewegung, sondern erst recht die Kommunikation untereinander zu einem großen Problem. Das erklärt vermutlich, warum die Guanchen – vor allem in Gomera – mit lauten, auf den Fingern gepfiffenen Tonfolgen eine regelrechte, artikulierte Sprache entwickelten, die mehr war als ein simples Signalsystem. Somit konnten sie sich selbst über breite Schluchten hinweg verständigen, was für sie im Schlachtgetümmel außerordentlich nützlich gewesen sein muß (Mercer 980: 66 f.). Die Guanchen-Häuptlinge konnten eine Gefolgschaft von vielen Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Kriegern zusammenpfeifen. Mitte des 5. Jahrhunderts schätzte Gomes Eeannes de Azurara die Streitmacht von Teneriffa auf 6000 und die von Gran Canaria auf 5000 Mann. Für die übrigen Kanareninseln ging er von einem weitaus geringeren Aufgebot aus, aber diese Inseln waren zumeist auch viel kleiner, oder sie hatten damals schon das Trauma der Eroberung durchgemacht (Azurara II: 238). Die Ureinwohner der Kanarischen Inseln bauten 146
Getreide an, im Meer gefangene Schalentiere und ihre großen Viehbestände versorgten sie regelmäßig mit tierischem Eiweiß und Fetten, und ihre großflächigen Inseln boten ihnen »alles, was der Mensch zum Leben braucht, im wahren Überfluß« (de Oviedo y Valdes 959,: 24). Azuraras Angaben, daß die Guanchen nach Tausenden zählten, sind also durchaus glaubwürdig. Weil den Spaniern das nötige Spekulationskapital und die erforderlichen Schiffskapazitäten fehlten, betrug die Truppenstärke, die sie auf den Kanarischen Inseln unterhalten konnten, maximal um die tausend Mann. Und trotzdem haben sie gesiegt, wie noch oft im folgenden Jahrhundert auf außereuropäischem Boden. Sie müssen demnach über beachtliche Vorteile verfügt haben. Aber worin bestanden die? Von ihrer waffentechnischen Überlegenheit war schon die Rede, aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß sie als Erklärung nicht ausreicht, insbesondere nicht in den Anfangsstadien der europäischen Expansion. Mit ihrer Überlegenheit zur See konnten die Europäer sich immer ihre Rückzugswege sichern und zugleich mehr Ressourcen heranschaffen als die Guanchen. Aber wieviele Ressourcen hätte man ihnen von der Regierung wirklich zugestanden, wenn der Widerstand der Guanchen wirkungsvoller gewesen wäre? Für seine zweite Invasion in Teneriffa fand Lugo noch Unterstützung, aber hätte er sie auch noch für einen dritten oder vierten oder einen zehnten Anlauf gefunden? Und was spricht für die Annahme, daß Europa bei einer 147
Serie von Niederlagen auf den Kanaren nicht ebenso rasch die Geduld verloren hätte wie beispielsweise im Heiligen Land? Oder später in den afrikanischen Tropen, wo es sich durch wiederholte Fehlschläge bis in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts hinein vor allen weiteren Invasionsunternehmen abhalten ließ? Hatten die Europäer etwa Verbündete, die wir bislang nicht gewürdigt haben? Oder waren die Guanchen schwächer als angenommen? Zunächst müssen wir berücksichtigen, daß die Guanchen zwar ein zahlreiches Volk, aber nie eine geschlossene Einheit waren. Sie lebten auf sieben Inseln, hatten aber keinerlei seemännische Kenntnisse. Sie sprachen unterschiedliche Dialekte, möglicherweise sogar verschiedene Sprachen. Die Invasoren konnten Einwohner einer Insel zum Kampf gegen die Verteidiger einer anderen Insel rekrutieren. Auf Teneriffa schafften sie es sogar, in einem Teil der Insel Verbündete gegen die übrigen Inselbewohner zu gewinnen (Mercer 980: 65 f., 20; de Espinosa 907: 89). Die uneinigen Guanchen taten sich schwer gegen die Europäer, die dank ihrer Überlegenheit zur See einen Zermürbungskrieg führten: Die Sklavenjagd auf den Kanarischen Inseln begann. Wir wissen nicht, wie viele Menschen gefangen und auf den Sklavenmärkten verkauft wurden, aber es muß eine beträchtliche Anzahl gewesen sein. 385 und 393 brachten Sklavenhändler mindestens einige hundert Guanchen aus Lanzarote, einer großen und ursprünglich dicht bevölkerten Insel, auf 148
den spanischen Markt. Zurück blieben lediglich die 300 Menschen, die dann 402 die Insel gegen die Franzosen verteidigten (Mercer 980: 48–59; Bontier/Le Verrier 872: 37). Auf anderen Inseln mußte die Bevölkerung ähnliche Verluste hinnehmen, nur auf Gran Canaria und Teneriffa war sie vermutlich zu zahlreich, als daß sie durch den Sklavenhandel entscheidend geschwächt worden wäre. Bei Abreu de Galindo findet sich allerdings die irritierende Information, vor der Eroberung habe es auf Gran Canaria weit mehr Frauen als Männer gegeben. Ein solches Ungleichgewicht kann aber nur dadurch entstanden sein, daß aus welchen Gründen immer viel mehr Männer als Frauen getötet oder verschleppt worden sind. Eine ungleiche Geschlechterverteilung ist in der Regel auf Kriege, oft aber auch auf Sklavenhändler zurückzuführen, die für die Plantagen vorwiegend Männer zu liefern hatten (Abreu de Galindo 955: 69). Die Erfolge der Sklavenhändler dürften wesentlich zu den Eindrücken beigetragen haben, die den Guanchen eine allgemeine Überlegenheit der Europäer suggeriert haben müssen. Ihre Metallgegenstände, ihre Ausrüstung, ihre Götter und sie selbst müssen die Ureinwohner der Kanarischen Inseln fasziniert und ihre Entschlossenheit ins Wanken gebracht haben, jede Kontaktaufnahme mit diesen gefährlichen Fremden konsequent – wenn nötig mit gewaltsamen Mitteln – zurückzuweisen. Auf Teneriffa erlaubten die sonst häufig so ungastlichen Guanchen den Spaniern die Einrichtung eines Handelspostens. 149
Der wurde zur ständigen Einrichtung – von den Einheimischen bestaunt und irritiert beäugt, bis die Europäer ihnen ihre Gastfreundschaft mit einem Schlag vergalten, indem sie mehrere Einheimische aufhängten (de Azurara, II: 240). Die Menschen von Gran Canaria verachteten Gold und Silber. Dem Eisen jedoch, das sich zu Angelhaken verarbeiten ließ, konnten sie nicht widerstehen. Die Guanchen müssen sich gefragt haben, ob höherwertige Angelhaken nicht gleichsam ein Indiz für höherwertige Götter seien. Nach ihrer Unterwerfung erzählten sich die Ureinwohner von Hierro die Geschichte von einem Weisen namens Yone, der vorausgesagt hatte, daß lange nach seinem Tode, wenn seine Knochen schon zu Staub zerfallen sein würden, ein Gott namens Eraoranzan in ein weißes Haus kommen werde: Sie sollten dann weder Widerstand leisten noch davonlaufen, sondern diesen Gott anbeten. Später nahmen die Europäer die Insel Hierro ohne größere Kämpfe ein (Abreu de Galindo 764: 93; Mercer 980: 78). Auf Gomera berichteten die Leute von einem christlichen Priester, der vor der Eroberung auf die Insel gekommen sei, viele von ihnen getauft und überredet habe, die Eroberung widerstandslos über sich ergehen zu lassen. Auch die Einwohner von Gomera sind mit einem Minimum gewaltsamer Gegenwehr unterworfen worden, wenngleich sie später mit portugiesischer Hilfe einen Aufstand organisierten (Abreu de Galindo 955: 80; Mercer 980: 82 f.). 150
Der berühmteste Fall einer der Eroberung vorausgehenden kulturellen Des- oder Umorientierung der Guanchen – oder wie sollten wir es sonst nennen? – trug sich auf Teneriffa zu. Der mündlichen Überlieferung zufolge geschah es etwa um das Jahr 400, daß die Heilige Jungfrau Maria einigen Schäfern in Guimar erschien. Sie ließ auch ein Abbild von sich zurück – eine Statue, die seitdem »die Muttergottes von Candelaria« heißt und in zahlreiche Wunder auf den Kanarischen Inseln verwickelt war, bis sie im 9. Jahrhundert bei einer Überschwemmung vernichtet wurde. Auf ihrem Mantelsaum und ihrem Gürtel trug sie InSchriften, die noch niemand überzeugend enträtseln konnte: TIEPFSEP-MERI, EAFM, IRENINI, FMEAREI. Dem Skeptiker mag der Gedanke widerfahren, daß diese Wörter von einem Guanchen stammen, der durch Kontakte mit Europäern die Macht – die mana – des Alphabets erkannt hatte, selbst aber Analphabet war. Zum ersten Verehrer der Muttergottes auf Teneriffa wurde – lange vor der Eroberung der Insel – ein Guanche, der als Kind von Europäern entführt und zum Dolmetscher ausgebildet worden war. Nachdem er die Taufe und den Namen Anton Guanche empfangen hatte, floh er nach Teneriffa, wo er für den Rest seines Lebens der Muttergottes von Candelaria diente (de Espinosa 907, X: 45–73; Abreu de Galindo 955: 4, 30–33). Wie immer die letzte Wahrheit über die Muttergottes von Candelaria aussehen mag – die Überlieferung zeigt, daß die christliche Religion in Guimar schon einige Ge151
nerationen vor der Eroberung Teneriffas vertreten war. Hier fanden die Europäer denn auch Freunde, während der Rest der Insel ihnen feindlich blieb; und hier fanden die Invasoren ihre Mitstreiter, die sich an der endgültigen Unterwerfung von Teneriffa aktiv beteiligten (de Espinosa 907: 89, 96 f., 03). Ihre entscheidenden Verbündeten haben die Europäer jedoch nicht auf der Insel vorgefunden, sondern mitgebracht. Denn bei ihrer Ankunft hatten die Invasoren alle möglichen Mitlebewesen, sozusagen ihre ganze Großfamilie von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen dabei, wobei es sich bei der Mehrzahl um Deszendenten von Lebewesen handelte, die schon in den Zivilisationszentren der Alten Welt von den Menschen domestiziert worden oder in ein symbiotisches Verhältnis zu den Menschen geraten waren. Darüber hinaus gab es aber sicher auch »Neuerwerbungen«, die Sklavenjäger oder Händler von der afrikanischen Küste eingeschleppt hatten. Als die Europäer zu den Kanarischen Inseln übersetzten, hatten sie – wie schon bei ihrem Sprung auf die Azoren und Madeira – eine verkleinerte und vereinfachte Kollektion der westeuropäischen Fauna und Flora, in diesem Falle der Mittelmeerregion, im Gepäck. Dieser biologische Musterkoffer war entscheidend für ihre erfolgreiche Ansiedlung auf diesen Inselgruppen wie auch für ihre erfolgreichen – oder gescheiterten – Siedlungsprojekte in späteren Zeiten und in anderen Regionen. Wo es funktionierte, wo also genügend Proben aus dem 152
Musterkoffer durch ihr Wachsen und ihre Vermehrung neue Varianten einer europäischen Umwelt kreierten, da konnten die europäischen Menschen ebenfalls gedeihen und sich vermehren. Die Lebewesen, die sich auf Mittelmeerinseln wie Kreta, Sizilien und Mallorca angesiedelt hatten, taten es auch auf den Kanarischen Inseln. Am besten klappte es beim Pferd. Die Guanchen waren zwar an ein enges Zusammenleben mit kleinem Viehzeug, etwa mit Ziegen und Schweinen, gewöhnt, aber so große Tiere wie Pferde hatten sie noch nie zu Gesicht bekommen. Und erst recht keine Tiere, die Menschen auf ihrem Rücken duldeten und im Kampfgetümmel noch auf deren Befehle reagierten. Berittene Soldaten spielten bei der Eroberung der beiden letzten und wahrscheinlich auch schon der anderen Kanarischen Inseln eine maßgebliche Rolle. Der europäische Kentaur war wesentlich wertvoller als seine unberittenen Kampfgefährten. Ein gutes Beispiel dafür bietet uns der Ritter Lope Fernández de la Guerra und sein Abenteuer, das er hoch zu Roß in der letzten Phase des Feldzugs auf Teneriffa erlebte. Er befand sich allein auf einem Erkundungsritt, als er plötzlich von 5 bis 20 Guanchen überfallen wurde. Ein unberittener Soldat wäre auf der Stelle überwältigt und getötet worden, Lope Fernández jedoch »gab seinem Pferd die Sporen, da ihm der Platz, an dem er sich gerade befand, gefährlich erschien, bis 153
er offenes Gelände erreicht hatte. Da wendete er mit seinem Pferd, um zu zeigen, daß er kein Feigling war, und machte sechs der Eingeborenen nieder, worauf sich die übrigen in die Wälder flüchteten. Da er kaum etwas ausgerichtet zu haben glaubte, wenn er nicht wenigstens einen von ihnen in seine Hände bekommen und dazu bringen könnte, ihm die Pläne und Absichten der anderen zu verraten, fing er einen der Flüchtenden an einer engen Stelle ab, ritt ihn mit seinem Pferde nieder, nahm ihn fest und brachte ihn ins Lager zurück, wo man Lope Fernández ein freudiges Willkommen bereitete.« (de Espinosa 907: 06 f.) Die Guanchen gaben, sobald sie die Macht der berittenen Soldaten kennengelernt hatten, das flache und offene Gelände vollständig auf – und damit vermutlich auch die meisten ihrer Getreidefelder und Viehherden. »Es war der Soldat zu Pferde«, schrieb Friar Alonso de Espinosa, der Chronist der Geschichte Teneriffas, »den die Eingeborenen am meisten fürchteten, und darin lag die Hauptstärke ihrer Feinde.« (de Espinosa 907: 92; Abreu de Galindo 955: 83) Die christlichen Chronisten haben den anderen Exemplaren aus dem biologischen Musterkoffer weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den Pferden und ihren Reitern. Wir aber, die wir uns mehr für die Kaninchen und ihre Vermehrung interessieren als für die Offen154
barungen der Muttergottes von Candelaria, müssen zu Rückschlüssen Zuflucht nehmen, die sich aus anderen verstreuten Informationen ergeben. Da sind etwa die Kenntnisse, die wir über den Einfluß späterer europäischer Landungen auf anderen fernen Inseln haben: das plötzliche Aussterben des Dodo (einer flugunfähigen Riesentaube) auf Mauritius bei spielsweise, die massenhafte Vermehrung des Mungo in Hawaii, über die Epidemien unter den Ureinwohnern von Samoa und so fort. Auf diesen Inseln – und sicher eben auch auf den Kanaren – hat die Ankunft der Europäer zu heftigen ökologischen Gleichgewichtsstörungen geführt (Elton 958: Kap. IV; Crosby 976: 235 f.). Wir haben schon erwähnt, daß auf Gran Canaria vor der Eroberung ein unnatürlicher Frauenüberschuß herrschte, über dessen Gründe und Konsequenzen für die Familienstruktur bzw. die Geburten- und Sterberaten wir keine gesicherten Kenntnisse besitzen. Nach Abeu de Galindo soll auf der Insel ein paar Jahre vor der Eroberung die Zahl der Geburten die Zahl der Todesfälle so weit übertroffen haben, daß das Bevölkerungswachstum der Nahrungsmittelproduktion davonlief. Hat damals vielleicht eine verbesserte Nahrungsmittelversorgung die Geburtenrate ganz plötzlich in die Höhe getrieben und die Sterberate gesenkt? Nach derselben Quelle soll mit einer Expedition aus Mallorca, die schon sehr früh auf Gran Canaria gelandet war, der Feigenbaum oder vielleicht auch nur eine neue Feigensorte auf die Insel 155
gelangt sein. Die Guanchen fanden an den Früchten Gefallen und pflanzten die Samen in die Erde; zudem verbreitete sich der Baum auch auf natürliche Weise, so daß er schließlich auf der ganzen Insel anzutreffen war. Damit wurden Feigen zu einem Hauptnahrungsmittel der Bewohner von Gran Canaria (Abreu de Galindo 955: 6). Diese zusätzliche Nahrungsquelle könnte durchaus eine Bevölkerungsexplosion ausgelöst haben, aber genau werden wir es nie erfahren. Vielleicht ist die Geschichte mit der erhöhten Geburtenrate nur die verstümmelte Fassung einer einfacheren Wahrheit: Ein uns unbekanntes Ereignis könnte die Nahrungsmittelbestände so weit reduziert haben, daß es angesichts dieses Mangels plötzlich zu viele Guanchen gab. Um eine Hungersnot zu vermeiden bzw. den Bevölkerungsüberschuß zu begrenzen, töteten die Guanchen alle neugeborenen oder alle weiblichen neugeborenen Kinder (in diesem Punkt gehen die beiden Berichte auseinander) – mit Ausnahme der jeweils Erstgeborenen (Abreu de Galindo 955: 54 f.; Torriani 978: 5). Die Natur geht mit Überbevölkerungsproblemen gewöhnlich wenig zimperlich um. Die Guanchen hatten sehr lang für sich allein gelebt – und mit einer vermutlich sehr begrenzten Auswahl parasitärer Makro- wie Mikroorganismen. Die Urbevölkerung der Kanarischen Inseln kann kaum mehr als 00 000 Menschen ausgemacht haben, das wären pro Insel höchstens einige zehntausend. Kontakte mit dem Festland bestanden nicht, und 156
ihr insulares Ökosystem war simpel im Vergleich zu den Ökosystemen Europas und Afrikas. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß sie mit einem ähnlich breiten Spektrum von Parasiten und Krankheitserregern geschlagen waren wie die Bevölkerung Europas und Afrikas. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts stellen die französischen Invasoren erfreut fest, wie gesund das Leben auf der Insel war: »Während der ganzen Zeit, die Bethencourt und seine Mannen dort weilten, litt kein einziger von ihnen unter einer Krankheit, was sie gewaltig überraschte.« (Bontier/Le Verrier 872: 92) Die Franzosen erfreuten sich demnach weitgehend derselben Vorteile wie ein paar Jahre später die Kaninchen von Porto Santo. Jeder Garten Eden hat allerdings seine Schlange, und auf den Kanarischen Inseln wurde diese Rolle von den Europäern übernommen. Aber dieselbe Rolle hätte jede andere Gruppe aus einer der fortgeschritteneren Gesellschaften der Alten Welt gespielt, völlig unabhängig von ihren Absichten gegenüber den Guanchen. Wir wissen nicht, wann, wo oder wie die ersten Krankheiten vom Festland herübergelangten und ebensowenig, wie viele Menschen von ihnen infiziert und getötet wurden. Alle historischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse, die wir über die Epidemiologie isolierter Populationen haben, sprechen freilich dafür, daß die Guanchen bereits im 4. Jahrhundert von neuen Krankheiten heimgesucht wurden. Die erste Epidemie, die schriftlich bezeugt ist, warf die Guanchen von Gran Canaria kurze Zeit vor ihrer 157
Unterjochung nieder. Die Spanier sahen darin eine Strafe Gottes für die sündige Praxis des von den Guanchen betriebenen Kindermords. Gott »sandte ihnen la peste, die in wenigen Tagen drei Viertel der Menschen vernichtete«, schreibt Leonardo Torriani in einer der beiden frühesten Darstellungen über dieses Ereignis. Die zweite, von Friar Abreu de Galindo verfaßt, erzählt die Geschichte ganz ähnlich, ermäßigt die Sterberate aber auf zwei Drittel (Torriani 978: 6; Abreu de Galindo 955: 69). Alonso de Lugos erste Invasion auf Teneriffa endete 494 mit der vernichtendsten Niederlage, die den Europäern jemals von den Guanchen beigebracht wurde. Sein zweiter Versuch begann 495 mit einzelnen spanischen Erfolgen, geriet im Winter aber an einen toten Punkt, als beide Seiten das Ende des Regens und der Schneefälle abwarten mußten. Dieser Winter war außergewöhnlich feucht und kalt, und Invasoren wie Verteidiger litten unter einer Hungersnot, weil die Feindseligkeiten die Aussaat und damit auch die Ernte des Getreides verhindert hatten. Da aber die Guanchen zahlreicher waren als die Spanier und sich aus Angst vor den Pferden der Europäer in die nebligen Bergregionen zurückgezogen hatten, muß ihre Lage kritischer gewesen sein. Und weil Gott ohnehin auf der Seite der Spanier stand und Anstoß daran nahm, daß die Guanchen bei der Matanza de Acentejo so viele Christen getötet hatten, strafte er die Verteidiger Teneriffas mit einer Seuche namens modorra: »Eine Inselbewohnerin gab von einem steilen Felsen herab Kunde 158
von der Seuche, indem sie den Spaniern Zeichen machte. Als sie nahe genug herangekommen waren, erklärte sie alles: Sie fragte, warum sie nicht heraufkämen, um das Land in Besitz zu nehmen, da es doch niemanden mehr zu bekämpfen, niemanden mehr zu fürchten gebe – es seien doch alle tot.« Die Spanier rückten zögernd näher und sahen die Leichen der Guanchen, die den Worten der Frau recht gaben. Die Hunde der Guanchen fraßen sich an ihnen satt und die Menschen, die außerhalb ihrer Bergstützpunkte von der Dunkelheit überrascht wurden, mußten aus Angst vor den verwilderten Tieren auf den Bäumen schlafen. »Die Sterblichkeit war so groß«, berichtete Friar Espinosa, »daß der Insel fast keine Bewohner mehr blieben, obwohl deren Zahl zuvor 5 000 betragen hatte.« (de Espinosa 907: 04–08; de Viera y Clavijo 95, II: 08) Der Endkampf fand im September statt, die anschließenden »Säuberungsaktionen« zogen sich aber noch weitere drei Jahre hin. »Wäre die Seuche nicht gewesen«, kommentiert Espinosa, »hätte es viel länger gedauert, denn dieses Volk war kriegerisch, zäh und geschickt.« (de Espinosa 907:08) Worum hat es sich bei der peste von Gran Canaria und der modorra von Teneriffa gehandelt? Es gibt keine detaillierte Beschreibung ihrer Symptome oder ihrer typischen Ausbreitungsformen, und so helfen fast nur ihre spanischen Namen weiter. Das Wort peste bezeichnet die Beulenpest, aber ähnlich wie das englische plague wird es auch für alle möglichen anderen Seuchen verwendet. 159
Der Ausdruck modorra ist noch unspezifischer. Als Adjektiv meint er so viel wie »benommen«, »schläfrig« oder »matschig«. Das Hauptwort bezieht sich heute auf eine Schafskrankheit. Dr. Francisco Guerra von der Universität Madrid vermutet, daß es sich bei der menschlichen Infektionskrankheit, die sich hinter dem unbestimmten Wort verbirgt, am ehesten um Typhus handeln könnte.* Zum Glück ist es gar nicht nötig, die Krankheit genau zu identifizieren. Letztlich könnten es die meisten der beispielsweise in Sevilla aufgetretenen Epidemien gewesen sein. Klarheit müssen wir hingegen darüber gewinnen, ob es sich bei den für beide Seuchen überlieferten Sterberaten um einigermaßen genaue Angaben handelt. Wenn die Angaben nicht mehr als 20 Prozent nach oben oder unten abweichen, waren die Seuchen vermutlich der entscheidende Faktor für die endgültige Niederlage der Guanchen. Virgin soil-Epidemien (Epidemien auf »jungfräulichem Boden«, wie man ansteckende Krankheiten unter zuvor noch nie von ihnen betroffenen Bevölkerungsmassen nennt) pflegen folgende Wirkungen zu haben: Erstens sind sie für den einzelnen extrem gefährlich und enden oft tödlich; zweitens erkrankt fast jede Person, die mit dem Erreger in Kontakt kommt, daher entspricht die Sterberate der Gesamtbevölkerung der unter den Erkrankten; drittens bleiben nur wenige * Persönliche Mitteilung von Dr. Francisco Guerra. Vgl. Diccionario de la Lengua Española 970: 886, 06; Zerolo (o.J.), II: 324; Millares 945, I: 72 f.
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Menschen so gesund, daß sie die Kranken versorgen können, so daß viele Menschen sterben, die bei minimaler Pflege die Krankheit durchaus überstehen könnten; und viertens kann niemand mehr die Felder bestellen oder abernten und das Vieh betreuen: Die profane Alltagsaufgabe, für die künftigen Nahrungs- und Heizmittel zu sorgen, bleibt unerledigt.* Diese Wirkungen waren schon in Island zu beobachten, als der Schwarze Tod aus Europa herübergekommen war; peste und modorra hatten auf den Kanarischen Inseln dieselben Folgen. Wann immer die Europäer eine der Kanareninseln erobert hatten, machten sie sich daran, sie im Sinne ihrer Selbstbereicherungspläne zu transformieren. Sie warfen die Orseille auf die europäischen Märkte und verkauften Getreide, Gemüse, Holz, Häute und Talg in den Mengen, die sie loswerden konnten. Sie »europäisierten« die Insel, indem sie Pflanzen- und Tierarten aus der Alten Welt importierten, die sich schon in der Mittelmeerregion bewährt hatten. Dabei waren einige wichtige Arten – Hunde, Ziegen, Schweine und wohl auch Schafe, dazu Gerste, Erbsen und wahrscheinlich auch Weizen – bereits auf den Inseln vertreten. Die Europäer brachten zusätzlich Rinder, Esel, Kamele, Kaninchen, Tauben, Hühner, Rebhühner und Enten, dazu Weintrauben, Melonen, Pfirsiche, Äpfel und vor allem Zuckerrohr (Torriani 978:46; Hakluyt 907, IV: 26). * Crosby 976: 289-299. Ein aktuelles Beispiel behandelt: Wolfe 982: 92-2
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Die meisten Importe bewährten sich, ganz besonders die Tiere. Sie verhinderten, daß nachsprießende Sämlinge sich zu Bäumen auswachsen und damit den Holzeinschlag ausgleichen konnten, dem Tausende von Bäumen zum Opfer gefallen waren, um den Holzbedarf der Europäer auf den Inseln und anderswo zu befriedigen. »Unzählige Kaninchen« bevölkerten La Palma in den 40er Jahren des 6. Jahrhunderts. Ende des Jahrhunderts zeigte das Weideland auf Hierro und La Palma deutliche Spuren ihres unersättlichen Hungers. Die große und relativ ebene Insel Fuerteventura wurde zu einem einzigen riesigen Viehzuchtgebiet, wo sich Herden verschiedener vom Kontinent importierter Tierarten tummelten. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts zählten dazu auch 4000 Kamele und vor allem Massen schreiender halbwilder Esel. Diese Esel fraßen so viele Gräser und Kräuter, daß der Nutzen der Insel für andere eingewanderte Arten, insbesondere für die Menschen aus Europa, gefährdet war. 59 schlugen die Menschen zurück, indem sie 500 Esel umbrachten und für die Raben liegenließen. Für diese Schlachtung nahmen die Menschen die Dienste zweier anderer biologischer Arten in Anspruch: der Pferde, die sie als Reittiere, und der Hunde (greyhounds), die sie dazu benutzten, die überzählige Spezies aufzuspüren und zu Tode zu hetzen (Abreu de Galindo 955: 60). Auch die Honigbiene war bald weitverbreitet. Dieses der Alten Welt entstammende Insekt könnte auf den In162
seln schon vor Ankunft der Europäer heimisch gewesen sein, weit wahrscheinlicher ist aber, daß die Eindringlinge ihre Bienenstöcke von der Iberischen Halbinsel mitbrachten. Honigbienen schwärmen selten weiter als zehn Kilometer aus, und niemals so weit, wie es der Entfernung zwischen dem Festland und den Kanarischen Inseln entspricht. Ihr Transport über große Entfernungen hinweg ist so schwierig, daß ein Zufallsimport fast ausgeschlossen erscheint. Auf Teneriffa soll es im 5. Jahrhundert noch keine Honigbienen gegeben haben. Deshalb mußte die Muttergottes von Candelaria Wunder wirken, um das Bienenwachs für die bei den Kirchenzeremonien erforderlichen Kerzen herbeizuschaffen. La Palma und Hierro erwiesen sich als außergewöhnlich bienenfreundliche Inseln und trugen im 6. Jahrhundert erheblich zum Export großer Mengen kanarischen Honigs bei.* Noch in der Renaissance war der Honig das wichtigste Süßmittel in Europa, später wurde diese Rolle vom Zukker übernommen. Zu dieser Revolution haben die Kanarischen Inseln erheblich beigetragen. Wahrscheinlich hat Pedro de Vera, der Konquistador von Gran Canaria, die Zuckerproduktion auf dem Archipel eingeführt. 484 ließ er auf den von ihm eroberten Ländereien die erste Mühle zur Zuckerrohrverarbeitung errichten. Die anderen Invasoren folgten seinem Beispiel, und bald war * Seeley 982: 58; de Espinosa 907: 6; Abreu de Galindo 955: 83, 262, 32; Fernández-Armesto 982: 86
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der Zucker das wichtigste Agrar- und Exportprodukt des ganzen Archipels (Fernández-Armesto 982: 70; Abreu de Galindo 955: 239). Zucker wurde zum Katalysator des sozialen und ökologischen Wandels. Die neue Elite der Kanarischen Inseln importierte für die Zuckerrohrfelder und mühlen Tausende von Arbeitskräften aus Europa und Afrika – einige als freie Arbeiter und viele als Sklaven – und transformierte das Ökosystem zum vornehmlichen Zweck der Zuckergewinnung. Anstelle der Wälder entstanden Zuckerrohrfelder, Weideflächen und kahle Bergflanken. Das Holz der gefällten Bäume wurde für Neubauten und vor allem als Brennstoff gebraucht, um die aus dem Zuckerrohr herausgepreßte Melasse zum Kochen zu bringen. Nach der Schilderung eines mit den Kanarischen Inseln vertrauten Engländers wurden die geernteten Zuckerrohrstengel »zu dem Ingenio genannten Zuckerlagerhaus gebracht, wo sie durch eine Mühle gepreßt werden, von wo der Zuckersaft in einen eigens dafür gefertigten großen Bottich geleitet und dort so lange gekocht wird, bis er so dick wie Wachs ist.« Die ingenios waren unersättlich. Auf Gran Canaria, einer zu Zeiten der Guanchen noch dicht bewaldeten Insel, war »Holz … die Sache, nach der am meisten verlangt wird«, wie es unser englischer Gewährsmann ausdrückte. Die Regierung auf Teneriffa sah sich bald genötigt, die Wälder vor den Holzfällern zu schützen, und erließ im Jahre 500 die ersten – wirkungslosen – Vorschriften. (Hakluyt 164
907, IV: 25 f.; Fernández-Armesto 982: 74; Parsons 98: 260–264). Das Abholzen leistete der Bodenerosion Vorschub, ließ die Flüsse abwechselnd zu reißenden Fluten anschwellen oder völlig versiegen und bewirkte – wie schon in Madeira und auf den Azoren – auch auf den Kanarischen Inseln eine Reduzierung der Niederschlagsmengen, worauf übrigens schon Christoph Kolumbus und nach ihm viele andere Beobachter hingewiesen haben. Der Hinweis dürfte durchaus richtig sein, insofern sich die vom Meer aufsteigenden Feuchtigkeitsschwaden an Bäumen und speziell an Kiefern niederschlagen, um als »Nebeltropfen« zu Boden zu fallen. Ohne Bäume können die Inseln diese Feuchtigkeit also nicht aufnehmen. Auf Fuerteventura sind die Wasserläufe, an denen die Franzosen zu Beginn des 5. Jahrhunderts noch Mühlen bauen wollten, überwiegend ausgetrocknet.* Fremde Pflanzen, nach europäischem Verständnis oft Unkraut, eroberten die kahlen Flächen, die die »europäische Erosion« und die europäischen Äxte, Pflüge und Viehherden hinterlassen hatten. Die meisten pflanzlichen Schädlinge wurden vom Festland, hauptsächlich aus Südeuropa und Nordafrika eingeschleppt. Die Liste der schlimmsten heute verbreiteten Unkrautarten verzeichnet nur zwei einheimische Gewächse. Als aggressivstes Unkraut gilt gegenwärtig der mediterrane Brombeerstrauch, * Columbus 959: 43; Mercer 980: 29; Bontier/Le Verrier 872: 35; Fernández-Armesto 982: 29; Parsons 98: 259 f.
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Rubus ulmifolius, der höchstwahrscheinlich erst nach der Unterwerfung der Guanchen importiert wurde. Unzweifelhaft stammt er aus dem Mittelmeerraum und hat sich inzwischen über alle Wundflächen der Kanarischen Inseln ausgebreitet (Kunkel 976: 250, 256 f., 259, 264 f.). Mit den Guanchen ging es noch schneller zu Ende als mit den Wäldern, und die nachrückenden Einwanderer breiteten sich rascher aus als das Unkraut. Einige Ureinwohner flohen in die Berge und lebten dort als Viehdiebe oder Banditen, die ab und zu einen Aufstand versuchten. Aber diese Art Leben war nicht lange durchzuhalten. Zu Widerstandsaktionen kam es wohl, so lange es noch reinblütige Guanchen gab. In den 30er Jahren des 6. Jahrhunderts berichtete Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdes, daß nur noch wenige Guanchen übriggeblieben seien. Der italienische Reisende Girolamo Benzoni, der die Inseln 54 besuchte, hatte den Eindruck, die Guanchen seien »fast gänzlich am Ende«. Und gegen Ende des Jahrhunderts registrierte Friar Espinosa auf Teneriffa nur noch ganz wenige Guanchen, die aber schon alle Mischlinge waren.* Das Aussterben der Guanchen hatte vielfältige Gründe. Mit ihrem Land verloren sie die Basis für ihren Lebensunterhalt. Die Spanier hatten sich Bodenrechte und Herden qua Recht des Eroberers angeeignet. Selbst ehemals verbündete Guanchen wurden allenfalls mit dem bedacht, was den Spaniern nicht begehrenswert erschien. * de Oviedo y Valdeés I: 24; Benzoni 857, I: 260; de Espinosa 907: 20; Femández-Armesto 982: 6
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In Teneriffa gingen bei den Landzuteilungen nur 50 von 992 Grundstücken an Guanchen unterschiedlichster Herkunft, und von diesen 50 Besitztiteln blieben nur wenige für immer in den Händen der Ureinwohner (FernándezArmesto 982: 39 f.; Mercer 980: 25, 230). Angesichts solch hoffnungsloser Perspektiven in der eigenen Heimat schlossen sich einige Guanchen der spanischen Auswanderung nach Amerika, Afrika und anderen Überseegebieten an, wo sie als Soldaten oder einfache Arbeitskräfte bald im Dunkel der Geschichte verschwanden: Entweder blieben sie ohne Nachkommen, oder ihre Kinder waren keine Guanchen mehr.* Die meisten Guanchen verließen ihre Heimat nur insofern freiwillig, als ihnen zumeist keine andere Möglichkeit blieb. Viele wurden von den Konquistadoren deportiert, damit sie nicht rebellieren konnten, viele wurden als Sklaven an die Plantagen in Madeira und anderswo verkauft. Über kurz oder lang erwartete sie alle dasselbe Schicksal: Die hohe Sterberate der Exilanten von den Kanarischen Inseln war allgemein bekannt. Auch können wir davon ausgehen, daß viele Familien durch Auswanderung und Versklavung auseinandergerissen wurden, was sich bei der reinen Guanchen-Bevölkerung sicher in einer höheren Sterberate bei gleichzeitig sinkender Geburtenrate niederschlug. Zwischen 480 und 500 kam von den Kanarischen Inseln ein regelrechter * Mercer 980: 23; de Vieray Clavijo 95, II: 394; Campos 90: 7; Borges 972: 237 f.
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Strom von Sklaven, der aber bald zum Rinnsal wurde. Das lag nicht etwa an der sinkenden Nachfrage, sondern am sinkenden Angebot (Mercer 980: 222–232; Œuvrea de Christophe Columb 96: 24; Fernández-Armesto 982: 20, 40, 27 ff., 74). Daß die Guanchen schließlich nicht nur von den Kanarischen Inseln, sondern von der Welt insgesamt verschwanden, ist auf viele unheilvolle Einflüsse zurückzuführen, die sie geradezu eingekreist und die sich in ihren Wirkungen noch gegenseitig verstärkt haben. Kein einzelner Faktor aber wirkte wohl so zerstörerisch wie eine Seuche, die ungehindert über eine anfällige Bevölkerung herfiel, noch die kleinste Schwäche ausnutzte, Tag und Nacht und zu jeder Jahreszeit Menschenleben auslöschte und sich so unaufhaltsam ausbreitete wie schädliches Unkraut auf frisch gerodetem fruchtbaren Boden. Die modorra kam in regelmäßigen Abständen wieder, die Durchfallepidemien hörten erst gar nicht auf, und der dolor de costado (der Schmerz in der Seite – womöglich Lungenentzündung) kostete viele Guanchen das Leben. Wir müssen auch davon ausgehen, daß Guanchen-Frauen von den europäischen Männern mißbraucht und mit Geschlechtskrankheiten infiziert wurden, vor allem mit der Syphilis, die in den Jahrzehnten nach 490 Europa heimsuchte. Diese Plage machte – wie die anderen maladies d’amour – dem Leben * Fernández-Armesto 982: ; Abreu de Galindo 955: 298; Espinosa 907: 32; de Vieray Clavijo 95, II: 56, 290, 348, 496 f.„ 5, 539; Crosby 972: 22-64
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vieler Frauen ein frühes Ende und mußte insgesamt ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigen.* Das psychologische Trauma der Unterwerfung: der Verlust von Verwandten und Freunden, die Auslöschung ihrer Sprache, der plötzliche Untergang ihrer ganzen Lebensweise, führten sicherlich ebenfalls zum Tod mancher Guanchen. Tanausu, ein Anführer des Widerstandes auf La Palma, wurde bald nach der Eroberung seiner Insel nach Spanien abtransportiert. Dort hungerte er sich aus Verzweiflung zu Tode – laut Galindo »eine ganz normale und verbreitete Angelegenheit« (Abreu de Galindo 955: 387). Als Girolamo Benzoni 54 La Palma besuchte, traf er nur noch einen 80jährigen Guanchen, der andauernd betrunken war. Die Guanchen waren zu einem armseligen Haufen geworden, der am Rande des Abgrunds dahintaumelte und teilnahmslos seinem eigenen Aussterben zusah (Benzoni 857, I: 260). Auch bei der heutigen Bevölkerung der Kanarischen Inseln müssen einzelne Guanchen-Gene hier und da noch vorhanden sein, aber diese Erbmasse hat sich inzwischen so sehr verdünnt, daß sich einige Bewohner von heute wohl nur noch aus Nostalgie auf sie berufen, um die Einzigartigkeit ihrer Inseln und ihrer Geschichte zu beschwören. Diese angeblichen genetischen Spuren, dazu ein paar Ruinen, Höhlen, Mumien und Tonscherben, eine Anzahl von Wörtern und neun Sätze der Guanchen-Sprache sind alles, was an Belegen für die Tatsache erhalten geblieben ist, daß die Kanarischen Inseln einstmals eine 169
Urbevölkerung hatten (Mercer 980: 27–4, 24–258; de Espinosa 907: XVIII: Femández-Armesto 982: 5). Man kann sich kaum eine Erfahrung vorstellen, die das Überleben eines Volkes so sehr gefährdet wie der Übergang von einer isolierten Lebensweise zum Anschluß an eine weltumspannende Gesellschaft, zu der europäische Seefahrer, Soldaten und Siedler gehören. Als unbewohnte und herrenlose Inseln sind die Azoren und der Madeira-Archipel in dem Moment, da die ersten europäischen Seeleute eintrafen, sozusagen kampflos an Europa gefallen. Die Azoren sind bis heute fast rein europäisch besiedelt. Die Pflanzer von Madeira haben im Lauf der Zeit zwar viele Tausende nichteuropäischer Sklaven importiert, aber der Anteil der Europäer – und die Sterberate der Sklaven – lagen stets so hoch, daß der überwiegend europäische Charakter Madeiras nie in Frage stand. Auf den Kanarischen Inseln tauchten um 520 die ersten neuen Bewohner auf, um die von den Guanchen hinterlassenen Lücken zu füllen. Diese neuen Kanarenbewohner waren zwar ein gemischter Haufen, aber das europäische Element war eindeutig in der Mehrheit (Fernández-Armesto 982: 3–4). Binnen weniger Generationen entwickelten sie einen Heimatstolz auf ihre Inseln, in denen sie keine Kolonien, sondern einen Teil Europas sahen (Humboldt/Bopland 88,: 293). Die drei Inselgruppen im Ostatlantik dienten dem neuen europäischen Imperialismus als Versuchslabors, und die hier gewonnenen Erkenntnisse sollten die Welt170
geschichte in den folgenden Jahrhunderten entscheidend beeinflussen. Die wichtigste Erkenntnis bestand darin, daß die Europäer samt ihren Pflanzen und Tieren auch in Landstrichen, in denen sie zuvor nie existiert hatten, ganz gut zurechtkommen konnten. Aus den Erfahrungen der Norweger war diese Erkenntnis nicht abzuleiten, und sie hätte den Iberern im übrigen kaum genutzt. Die zweite große Erkenntnis bestand darin, daß einheimische Populationen in neu entdeckten Gebieten trotz aller möglichen Anfangsvorteile, selbst wenn sie zahlreich und kampfentschlossen waren, letztlich doch unterworfen werden konnten. Es war sogar möglich, sie einfach auszulöschen, spurlos wie ein Zeichen, das am Strand vor dem Einsetzen der Flut in den Sand gemalt wurde. Das geschah im günstigsten Fall kurz vor dem Entscheidungskampf, im ungünstigsten Fall nach dem Krieg, wenn man sie als Arbeitskräfte brauchte – aber dann konnte man ja auch kräftigere und gesündere Arbeiter aus Europa oder Afrika importieren. Die Inseln im Ostatlantik waren somit lehrreiche Präzedenzfälle sowohl für Siedler- als auch für Plantagenkolonien jenseits der Nahtlinien der alten Pangäa. So sahen die Lektionen aus, die den Europäern des Renaissance-Zeitalters auf diesen Inseln geboten wurden. Was können sie uns nun über den allgemeinen Charakter des europäischen Imperialismus lehren? Warum waren diese Kolonien so viel erfolgreicher als die norwegischen Ansiedlungen im Nordatlantik und die Kreuzfahrer171
staaten im östlichen Mittelmeer? Es ist historisches Allgemeingut, daß Europa in der Renaissancezeit institutionell gefestigter und ökonomisch stärker war als im Mittelalter, mithin eher befähigt, Kolonien zu erobern und zu unterhalten. Fest steht auch, daß die europäische Technologie sich im 5. Jahrhundert deutlich weiterentwickelt hatte. Der Besitz von Schußwaffen muß für die Invasoren von ziemlicher Bedeutung gewesen sein, auch wenn sie für die Eroberung der Kanarischen Inseln nicht ausschlaggebend waren. Die Neuerungen, die das 4. und 5. Jahrhundert auf dem Gebiet des Schiffsbaus, der Takelage und der Navigationstechnik gebracht hatten, machten lange Seereisen sicherer, schneller und damit für die europäischen Seefahrer der Renaissancezeit auch attraktiver als noch im Mittelalter. All das ist unbestritten richtig, aber die Geschichte der Azoren, Madeiras und der Kanarischen Inseln hat uns noch weitere Erkenntnisse zu bieten. Die Europäer, die zu diesen Inseln aufbrachen, genossen biologische Vorteile, die weder die Norweger noch die Kreuzfahrer gehabt hatten. Für die Pflanzen und Tiere der Neolithischen Revolution waren die nordatlantischen Inseln zu kalt und zu weit im Norden gelegen. In Vinland erging es ihnen besser, den Menschen, die sie mitgebracht hatten, dagegen schlechter. Im Heiligen Land gediehen die Pflanzen und Tiere recht gut (schließlich taten sie es in der Gegend seit Jahrtausenden), aber in den meisten Fällen profitierten davon eher die Feinde der Europäer. 172
Auch auf den Azoren, auf Madeira und den Kanarischen Inseln machten sich die Importe der Europäer – Weizen, Zuckerrohr, Weintrauben, Pferde, Rinder, Esel, Schweine usw. – ganz famos, in diesem Fall jedoch exklusiv für die Europäer und ihre Sklaven. Die norwegischen Kolonien waren so weit abgelegen, daß mit Europa nur spärliche Kontakte möglich waren; die Ankunft eines Schiffes vom Kontinent konnte infolgedessen immer wieder todbringende Epidemien auslösen. Im Norden wirkten sich die Krankheiten also gegen die europäischen Kolonien aus (in Vinland scheinen sie kaum eine Rolle gespielt zu haben, wirkten aber bestimmt nicht zugunsten der Invasoren). Als die Europäer dann zu ihren Kreuzzügen nach Osten aufbrachen, bekamen sie es in einer dicht besiedelten Region mit Völkern zu tun, die seit Jahrtausenden dort gelebt und einen hohen Zivilisationsstand erreicht hatten. Diese Völker waren den Invasoren quantitativ, in vieler Hinsicht aber auch qualitativ überlegen – man denke nur an ihre diplomatischen Fähigkeiten und ihre literarische Bildung, an die Qualität ihrer Textilien oder auch an ihre epidemiologischen Kenntnisse. Tausende von Kreuzfahrern bezahlten diese Unterlegenheit mit ihrem Leben. Auf den Azoren und in Madeira hatten die Europäer solche Probleme zunächst nicht – wo niemand ist, kann auch niemand unter- oder überlegen sein. Und auf den Kanarischen Inseln hatten sie den Vorteil, daß sie aus einem Gebiet mit relativ dichter und kosmopolitischer 173
Bevölkerung auf eine Inselgruppe kamen, deren Einwohner seit vielen Generationen völlig isoliert gelebt hatten. Hier wirkten sich die Krankheiten also zugunsten der Europäer und gegen die Guanchen aus, die, »von ihren Tränen benetzt und von der modorra gemartert«, ihrem Untergang entgegensahen (Viera y Clavijo 95, II: 394). Auch nach ihrer Eroberung hatten die Inseln im Ostatlantik, wie Europa selbst, immer wieder unter periodischen Epidemien zu leiden, die allerdings nicht mehr so verheerende Wirkungen hatten. Die neuen Inselbewohner kamen so häufig in Kontakt mit dem Festland, daß sie genügend Antikörper ausbildeten, um gegen virgin-soil-Infektionen gewappnet zu sein. Im 6., 7. und 8. Jahrhundert blieben ihnen Epidemien, wie sie die neu entdeckten Gebiete jenseits der großen Meere durchzumachen hatten, erspart (Viera y Clavijo 95: passim). * Abschließend wollen wir die Bilanz der Kolonisierungsversuche der Europäer im Mittelalter und in der Renaissance einer kurzen Analyse unterziehen. Für die erfolgreiche Implantierung europäischer Siedlerkolonien jenseits der Grenzen des eigenen Kontinents gab es offenbar mehrere entscheidende Voraussetzungen: Erstens mußte die künftige Siedlung in einem Gebiet entstehen, wo Boden und Klima ähnlich beschaffen waren wie in einer Region Europas. Die Anpassung an fremde Bo174
den- und Klimaverhältnisse mißlang den Europäern und ihrem Troß aus gezähmten, wilden und parasitären Lebewesen meist. Auf geeignetem Grund und Boden eine neue Variante von Europa zu schaffen, fiel ihnen dagegen leicht. Zweitens mußten die künftigen Kolonien weit von der Alten Welt entfernt liegen, so daß die Europäer möglichst keine Raubtiere und Krankheitserreger vorfanden, die schon konditioniert waren, die Europäer und ihre Pflanzen und Tiere zu attackieren. Weit entfernte Gebiete boten außerdem die Gewähr, daß die Ureinwohner keine oder nur wenige Nutztierarten wie zum Beispiel Pferde oder Rinder kannten. Hier konnten sich die Invasoren auf eine umfangreichere Großfamilie stützen als die Ureinwohner, was vermutlich – besonders auf längere Sicht – ein größerer Vorteil war als ihre militärische Überlegenheit. Außerdem garantierte die große Entfernung, daß die Einheimischen den von den Invasoren zwangsläufig eingeschleppten Krankheiten schutzlos ausgesetzt waren. Die Kanarischen Inseln waren zwar nur einige Tagereisen vom Festland entfernt, aber doch insofern als abgelegene Region zu klassifizieren, als die Berber des gegenüberliegenden Festlands von der Seefahrt wenig Ahnung hatten und die Guanchen noch weniger. Aufgrund dieses seltsamen zivilisatorischen Defizits blieben die Guanchen in der Steinzeit gefangen – was sich beim Zusammenprall mit dem Eisen und Stahl der Europäer als Nachteil erwies. Sie waren nackt und hilflos ihren schlimmsten Feinden ausgesetzt: berittenen Soldaten und den Krankheitser175
regern von peste und modorra und sicher noch diversen anderen vom Festland stammenden Krankheiten. Die große Schwäche der Guanchen bestand darin, daß sie keine Ahnung hatten, wie man auch nur kurze Strecken übers Meer zurücklegen kann. Die Schwächen fast aller anderen Völker, die in den folgenden 500 Jahren von Europäern unterworfen oder verdrängt wurden (der amerikanischen Indianer, der Aborigines u. a. m.) waren das späte Resultat der enormen Entfernung, die ihre Vorfahren zwischen sich und die Kerngebiete der Alten Welt gelegt hatten. Der Wanderdrang ihrer Vorfahren hatte – im Verein mit dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher und dem entsprechenden Anstieg des Meeresspiegels – dafür gesorgt, daß sie sich jenseits der Nahtlinien der Pangäa, auf der »anderen Seite« wiederfanden. Wie ihre traurige Geschichte der vergangenen Jahrhunderte bezeugt, war es die Verliererseite.
Die Beherrschung der Winde »Ach, warum können sich die Menschen nicht mit den Segnungen begnügen, die uns die göttliche Vorsehung unmittelbar zugedacht hat? Warum müssen sie in die Ferne aufbrechen, um sich ständig neue Dinge zu beschaffen?« »Sie schätzen Ihren Tee, Mary Pratt – mitsamt dem Zucker und ebenso Ihre Seidenstoffe und Bänder, mit denen Sie sich kleiden, wie ich sehe. Auf welche Weise wollen Sie zu allen diesen Dingen kommen, wenn es keine Reisen mehr geben soll? Tee und Zucker und Seide und Satin wachsen nun einmal nicht wie die Muscheln im Austernteich …« Mary sah ein, wie richtig das Gesagte war, doch sie wechselte rasch das Thema.« James Fenimore Cooper, The Sea Lions
Um alle Möglichkeiten eines ökologischen Imperialismus, die durch die Erfolge der Europäer auf den ostatlantischen Inseln exemplarisch vorgezeichnet waren, weltweit voll auszuschöpfen, mußten die Expansionisten der Alten Welt die Nahtlinien der Pangäa – also die Ozeane – in großen Massen überqueren. Um solch ein ehrgeiziges Unterfangen in die Tat umzusetzen, mußten folgende fünf Voraussetzungen erfüllt sein: Die erste Voraussetzung war ein starker Drang nach imperialistischen Abenteu177
ern. Das mag so selbstverständlich erscheinen, daß wir es gar nicht zu erwähnen brauchten. Das Beispiel Chinas, auf das wir gleich zurückkommen werden, belehrt jedoch eines Besseren. Die restlichen vier Voraussetzungen betreffen technologische Entwicklungen: Man brauchte Schiffe, die so groß, schnell und manövrierfähig waren, daß sie ihre Nutzlast an Fracht und Passagieren unter profitablen und einigermaßen sicheren Bedingungen über Tausende von Kilometern und an Untiefen, Riffen oder gefährlichen Kaps vorbei zu ihrem Ziel und wieder zurück transportieren konnten. Man brauchte Instrumente und Techniken, um bei Reisen über offenes Meer, bei denen man wochen- oder monatelang kein Land zu Gesicht bekam, den richtigen Kurs ermitteln zu können. Man brauchte Waffen, die handlich genug waren, um sie auf dem Schiff mitzunehmen, zugleich aber auch so wirkungsvoll, daß sie die Eingeborenen in den Ländern jenseits der Ozeane einzuschüchtern vermochten. Und schließlich brauchte man eine Antriebsenergie, mit deren Hilfe die Schiffe Meere überqueren konnten. Mit Rudern war das nicht zu schaffen: Ohne Frischwasser und große Kalorienmengen war die notwendige Ruderleistung weder von freien Seeleuten noch von Sklaven zu erbringen. Und eine Galeere, groß genug, um den nötigen Vorrat aufzunehmen, wäre mit Rudern nicht mehr zu bewegen gewesen. Für dieses Problem gab es eine Lösung: den Wind. Aber wo wehen welche Winde? Und wann? Der Entdeckungsreisende, der sich im Glauben aufs Meer be178
gibt, daß der Wind ihn dorthin trägt, wo er hin will, wird feststellen müssen, daß die Winde ihn dort hintragen, wo sie wollen. Neo-europäische Gebiete konnten also nicht entstehen, bevor die Seeleute Europas, die sich kaum über den eigenen Festlandsockel hinausgewagt hatten, nicht zu Hochseefahrern geworden waren. Resümieren wir eine lange Geschichte, die Historiker wie J. H. Parry und Samuel Eliot Morison ausführlicher dargestellt haben (Parry 98; Morison 942), in den wichtigsten Punkten. Die meisten der oben aufgezählten Voraussetzungen waren spätestens in den 90er Jahren des 5. Jahrhunderts, im Jahrzehnt der triumphalen Erfolge von Kolumbus und Vasco da Gama, erfüllt, manche schon drei oder vier Generationen früher. So hatten etwa die Chinesen schon zu Beginn des 5. Jahrhunderts die seemännische Technologie so weit vorangetrieben, daß Chen Ho, der Flottenkommandant und Eunuch der Ming-Kaiser, ganze Geschwader aus unzähligen Schiffen, mit vielen kleinen Kanonen bestückt und mit Tausenden von Seeleuten und Passagieren an Bord, nach Indien und sogar bis Ostafrika entsenden konnte. Eigentlich müßte dieser chinesische Admiral – und nicht ein Europäer wie Bartholomeu Diaz – als die erste bedeutende Persönlichkeit des Zeitalters der Entdeckungsreisen gefeiert werden. Wären die ehrgeizigen Pläne der chinesischen Seefahrer nicht durch die politischen Wechselfälle und die kulturelle Endogenie ihres Reiches abgewürgt worden, dann wären wohl nicht Europäer, sondern Männer des Fernen 179
Ostens als die größten Imperialisten in die Geschichte eingegangen (Needham 97: 487–599). Um 400 waren die Chinesen den Seefahrern der Moslems und der Europäer – den anderen beiden Anwärtern auf die Rolle der größten imperialistischen Macht der Weltgeschichte – noch voraus. Auch deren Schiffe waren aber schon hochseetüchtig, wenn auch kleiner als die des Chen Ho. Einige führten bereits Kanonen mit, und sie wurden mit der Zeit immer mehr. Ihre Navigatoren verfügten über den Kompaß und über primitive Instrumente, mit denen sie ihre Geschwindigkeit und ihren Breitengrad grob bestimmen konnten. Die Längengrade konnten weder die Moslems noch die Europäer genau berechnen, aber das konnte ohnehin niemand, bevor im 8. Jahrhundert ein exakter Chronometer erfunden wurde. Bis dahin mußten sie sich mit einer Schätzung der Längengrade begnügen, wie sie auch in der Epoche des Kolumbus noch üblich war. Die bedeutendsten naturwissenschaftlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Navigation erfolgten erst nach dem 5. Jahrhundert (Morison 942: 83–96; Cipolla 965: 75 f.). Das ungelöste Problem betraf also den Wind. Doch es bestand nicht etwa darin, daß man seine Kräfte nicht zu nutzen gewußt hätte: Die Rahsegel der Christen und die Schoner- oder Lateinsegel der Moslems, die im Laufe des Jahrhunderts immer öfter kombiniert wurden, hätten jemanden wie Magellan nicht erst 52, sondern bereits 42 über den Pazifik tragen können. Das Problem lag 180
darin, daß 42 niemand Genaueres darüber wußte, wo und wann die Winde über den großen Meeren wehten. Die einzige Ausnahme war der Indische Ozean. Er ist auf drei Seiten von Landmassen begrenzt, und seine Winde werden vom Monsun reguliert, einem saisonalen Wettersystem, dessen Regeln auch für Landbewohner durchschaubar sind. Die Erkenntnisse, die der Indische Ozean den heimischen Seefahrern beibrachte, waren auf andere Regionen nur begrenzt übertragbar, und das mag teilweise erklären, warum diese Seefahrer jenseits der vom Monsun beherrschten asiatischen Gewässer den Europäern unterlegen waren. Ferner zählt gewiß auch die Tatsache, daß die Moslems im 5. Jahrhundert ihre Aufmerksamkeit vollständig auf das Land oder allenfalls auf das Mittelmeer richteten, das sie im Hinblick auf seine Anrainergebiete interessierte. Die Geschichte des Zusammenwachsens der Nahtlinien der alten Pangäa ist eine Angelegenheit der Europäer – aber natürlich keineswegs nur der Europäer. Denn der unentbehrliche Kompaß war eine Erfindung der Chinesen und das Schonersegel, das einem Schiff das Kreuzen gegen den Wind ermöglicht – eine unerläßliche Voraussetzung für die Erforschung unbekannter Küsten – eine Errungenschaft der Moslems. Aber die Besitzer, die Geldgeber, die interessierten Potentaten und Aristokraten, die Kartographen, Mathematiker, Navigatoren und Astronomen, die Kapitäne, Maate und einfachen Seeleute der Expeditionsflotten waren Euro181
päer oder standen mindestens in europäischen Diensten. Sie führten die Menschheit in ihr größtes Abenteuer seit der Neolithischen Revolution. Für John H. Parry heißt dieses Abenteuer nicht etwa »die Entdeckung Amerikas«, das war nur eines seiner vielen Kapitel. Der Titel seines Buches lautet vielmehr: The Discovery of the Sea (98), das bedeutet die Entdeckung der Regeln, wo und wann auf den Ozeanen welche Winde herrschen und welche Strömungen sie vor sich hertreiben. Als sich die Seefahrer des Mittelmeeres und der Iberischen Halbinsel erstmals in die Küstengewässer westlich von Gibraltar vorwagten, waren sie nur mit den Windverhältnissen ihrer heimischen Gewässer vertraut. Sie wußten absolut nichts über die Winde oder Stürme jenseits des Festlandsockels (ob sie im Kreis herum wehten? Wirbel bildeten? oder geradeaus bliesen?). Sie hatten sich aber verschiedene Lehren über die allgemeine Natur der Welt angeeignet – wenn auch um viele Ecken, denn die meisten von ihnen hatten nicht gerade einen Hang zur Wissenschaft –, die die großen Philosophen der Antike und deren Schüler hinterlassen hatten. Eine Denktradition, die Aristoteles fast schon zu einer sakrosankten Wahrheit erhoben hatte, ging davon aus, daß sich bestimmte Klimazonen – und damit auch viele andere natürliche Erscheinungen – parallel zu den Breitengraden um die Welt erstreckten, und zwar streifenweise vom Nordpol bis zum Äquator und von dort in umgekehrter Reihenfolge bis zum Südpol (Aristoteles 182
952: 79 ff.; The Geography of Strabo 97, VIII: 367–37). Deshalb war Kolumbus 492 durchaus nicht überrascht, als er auf den Bahamas und den Antillen Menschen mit brauner Hautfarbe antraf: Auch die in denselben Breiten lebenden Guanchen waren ja braunhäutig (Morison 942: 230). Die ganze Theorie war natürlich sehr vereinfacht – sie führte beispielsweise zu der falschen Annahme eines riesigen südlichen Kontinents, der terra australia incognita, die angeblich das Gegengewicht zu den Landmassen nördlich des Äquators bilden mußte –, und doch war sie nicht völlig unsinnig. Sie trifft nämlich in allgemeiner und vielfach auch in praktischer Hinsicht auf die Windsysteme des Atlantischen und des Pazifischen Ozeans zu. Und mehr konnten die Entdeckungsreisenden des 5. und 6. Jahrhunderts, deren Ozeanüberquerungen einem Blindekuhspiel glichen, weiß Gott nicht verlangen (Beaglehole 974: 07 f.). Die Winde des Atlantik und des Pazifik bewegen sich in gigantischen kreisförmigen Systemen. In jedem Ozean dreht sich nördlich des Äquators ein Luftmassenkarussel im Uhrzeigersinn, südlich des Äquators eines in der Gegenrichtung. Die polwärts liegenden Ränder dieser Kreisel sind also die konstanten Westwinde der gemäßigten Zonen im Norden und im Süden. In tropischen Breiten, zwischen den Kreiselsystemen, schwenken breite Luftmassenfronten nach außen und stoßen im spitzen Winkel auf eine Tiefdruckzone, die unter der senkrecht stehenden Äquatorsonne vor sich hinbrütet. Das sind 183
die berühmten Passatwinde (auf englisch trade winds, was auf die erloschene Bedeutung von trade im Sinne von »Bahn« oder »Kurs« zurückgeht). Die äquatoriale Tiefdruckzone ist der verhaßte »Kalmengürtel«, der Schauplatz so vieler Schauergeschichten über die Hunger- und Durstqualen der Schiffsmannschaften, die bei Windstille in brütender Hitze unter schlaffen Segeln auf dem Meer trieben. Das gesamte Windsystem – Westwinde, Passatzone, Kalmengürtel usw. – verlagert sich im Jahresverlauf in ungeheuren Schüben nach Norden oder nach Süden, im selben Rhythmus, in dem der senkrechte Sonnenstand zwischen nördlichem und südlichem Wendekreis hin- und herwandert. Zwei Eigenschaften dieses Systems – daß es sich an den Breitengraden orientiert und daß es grob berechenbar ist (es kennt allerdings eine Unzahl örtlicher Abweichungen, und das Gesamtsystem rastet immer wieder für einige Zeit völlig aus) – waren die entscheidenden Faktoren für das Gelingen jener Segelexpeditionen, die von Europa aus die Nahtlinien der Pangäa überquerten und völlig neue Welten aufschlossen. Die südeuropäischen Seefahrer, die auf dem Höhepunkt ihres historischen Wirkens Amerika entdecken, das Kap der Guten Hoffnung umsegeln und den ganzen Erdball umrunden sollten, hatten gleichsam ihre Grundschulausbildung im Mittelmeer erhalten. Für die nächste Stufe stand ihnen eine Wasserfläche zur Verfügung, deren Vorzüge einem geschlossenen Meer erfreulich naheka186
men: ein großes Stück offenen Meeres mit einigermaßen berechenbaren Winden und so vielen Inseln, daß ein Schiffsnavigator seine Fähigkeiten erproben konnte, ohne gleich das Leben einzubüßen, wenn er beim ersten Mal die Orientierung verlor. Für diese Wasserfläche hat der Historiker Pierre Chaunu die Bezeichnung »mediterraner Atlantik« erfunden. Gemeint ist damit jener Teil des Atlantik, der sich wie ein breiter Keil von der Iberischen Halbinsel aus nach Süden und Westen erstreckt, die Inselgruppe um Madeira einschließt und von den Kanarischen Inseln und den Azoren als Eckpunkten begrenzt wird. In dieser Zone des Atlantik weht in den wärmeren Monaten ein ständiger Nordwind, während Südwinde zu allen Jahreszeiten sehr selten sind und die allgemeine Westlage normalerweise nur in den gemäßigten Breitengraden der Azoren vorherrscht (Chaunu 979: 06). Auf diesem »mediterranen Atlantik« waren die Gebrüder Vivaldi 29 spurlos verschwunden; doch von denen, die es nach ihnen hinauslockte, haben die meisten überlebt. Sie entwickelten langsam eine Vertrautheit mit diesen Gewässern und wurden dabei zu hochseeerfahrenen Seeleuten, zu richtigen Seefahrern – zu marinheiros, um es in der angemessensten Sprache, nämlich auf Portugiesisch auszudrücken. Der Schlüssel zum Verständnis dessen, was sie dabei lernten und wie sie es lernten, sind die Kanarischen Inseln. Denn diese Inselgruppe hat die portugiesischen Seefahrer (und die anderen aus Genua, Mallorca, Spanien usw., die so häufig in portugiesischen 187
Diensten standen) in die Weite des Atlantiks hinausgezogen und damit für ihre historische Rolle als erste europäische Hochseefahrer seit den Zeiten der Norweger bestimmt. Mit dem Passatwind im Rücken war die Überfahrt zu diesen Inseln ein problemloses Unternehmen von höchstens einer Woche, und der Archipel lag so breit gestreut, seine Gipfel ragten so hoch übers Meer, daß man ihn praktisch nicht verfehlen konnte. Ein holländischer Reisender hat es im 6. Jahrhundert so geschildert: »Auf der Insel Teneriffa gibt es einen Berg namens Pico de Terraira, den man für den höchsten Berg hält, der je gefunden wurde, denn man kann ihn vom Meer aus leicht aus mindestens 60 Meilen Entfernung erkennen«. (The Voyage of John Huyghen van Linschoten to the East Indies, II: 264) Und am Ende der Reise auf diesem friedlichen Stück Atlantik warteten die Reichtümer der Kanarischen Inseln: Tierhäute, Farbstoffe und Sklaven. Von der Iberischen Halbinsel zu den Kanarischen Inseln zu gelangen, war einfach, die Rückkehr schwieriger. Bei der Lösung dieser komplizierten Aufgabe haben die Seefahrer Europas gewiß einige Kenntnisse und Fertigkeiten entdeckt und weiterentwickelt, die es ihnen später möglich machten, nach Amerika, nach Indien und rund um die Welt zu segeln. Der Kurs, auf dem Segelschiffe von der Iberischen Halbinsel die Kanarischen Inseln ansteuern, entspricht häufig der Ideallinie, weil sie in der Regel von der Strömung wie vom Wind genau zu ihrem Bestimmungsort getragen werden; und wenn sie die rich188
tige Jahreszeit wählen, werden sie dabei nicht einmal von der kleinsten Sturmbö belästigt. Auf dieser Hinfahrt sind lediglich Rahsegel bzw. Schonersegel, im günstigsten Fall auch überhaupt keine Segel erforderlich. Wollte man allerdings auch nur annäherungsweise auf derselben Route zurücksegeln, müßte man tagelang unablässig hin- und herkreuzen, wobei die Schiffe bei jedem Wendemanöver zurückgetrieben würden und selbst beim gelungensten Schlag (d.i. die Strecke zwischen den Wenden) kaum vorankämen, weil sie eine erbarmungslose Strömung gegen sich hätten. Die einzige Hoffnung für den Seefahrer lag darin, sich möglichst hart unter der nordafrikanischen Küste nach Norden vorzuarbeiten und dabei möglichst die Küstenwinde auszunutzen, die unmittelbar vor und nach Tagesanbruch aus südlicher und südwestlicher Richtung wehen. Gegen Mittag mußte er dann wieder auf die Küste zuhalten, um im günstigsten Falle ein Stück nach Norden voranzukommen oder mindestens nicht wieder nach Süden abgetrieben zu werden, bevor er Anker warf beziehungsweise die Küstenwinde erneut einsetzten. Aber wenn er entscheidend nach Norden vorankommen wollte, mußte er seine ganze Hoffnung auf die Rückenmuskeln seiner Rudermannschaften setzen. Aber wie sollte er an dieser unwirtlichen Küste Wasser und Proviant auftreiben, um die Ruderer bei Kräften zu halten? Für das Schicksal der Gebrüder Vivaldi ist folgendes Szenario vorstellbar: Sie könnten bis zu den Kanarischen 189
Inseln und vielleicht auch noch weiter gesegelt sein, um dann feststellen zu müssen, daß die Rückreise mit ihrer Besegelung nicht zu schaffen war und daß auch ihre durstgeplagten Rudermannschaften unmöglich gegen den Kanarenstrom ankommen konnten. Vielleicht gingen sie an Hunger und Durst und Erschöpfung zugrunde, vielleicht wurden sie aber auch bei dem Versuch, sich mit Hilfe der afrikanischen Küstenwinde nach Hause durchzuschlagen, von einem Sturm überrascht und auf eine der Sandbanken vor der marokkanischen Küste geworfen (Mauny 960: 6 f.). Wenn europäische Seefahrer vor der Epoche der marinheiros (beispielsweise die Norweger) auf starken Gegenwind stießen, gaben sie auf und traten die Heimfahrt an, oder sie holten ihre Segel ein und widmeten sich den auf einem Schiff allfälligen Bordarbeiten, bis eben der Wind aus einer anderen Richtung kam. Eine andere Methode, mit einem starken Gegenwind umzugehen, gab es nicht. Erst als sich die ersten Europäer auf den »mediterranen Atlantik« hinauswagten, haben sie eine neue Methode entdeckt. Wenn sie nicht hart am Gegenwind segeln konnten, um in die gewünschte Richtung voranzukommen, mußten sie eben versuchen, »den Wind zu umrunden«: so hart wie möglich am Wind zu segeln und diesen Kurs so lange zu halten, bis sie auf einen Wind trafen, mit dessen Hilfe sie ihr gewünschtes Ziel erreichen konnten. Wenn etwa ein Seefahrer von den Kanarischen Inseln aus nicht gegen die nach Süden drückenden Winde 190
und Meeresströmungen ankam, mußte er zunächst nach Nordwesten aufs offene Meer hinaussteuern und sich immer weiter von seinem letzten festen Punkt entfernen, wobei er tagelang der Heimat keinen Zentimeter näherrückte. Aber wenn er dann schließlich die tropischen Breiten hinter sich hatte, stieß er in den nördlichen gemäßigten Breitengraden auf konstante Westwinde, die ihn problemlos nach Hause bliesen. Er mußte dazu freilich bereit sein, sich seinen Windkenntnissen anzuvertrauen, dem sicheren Land den Rücken zu kehren und sich womöglich wochenlang auf die einsame Weite des Ozeans einzulassen. Er mußte – mit einem Wort – ein echter marinheiro werden. Dieses Segelmanöver wurde von den Portugiesen, die es zur Perfektion entwickelt haben, volta do mar genannt, was »Rückkehr« oder »Rundreise übers Meer« bedeutet (Parry 98:0 f.). Dieses komplexe Manöver – zunächst die Hinreise mit Unterstützung des Passats, dann die volta (als krabbenartige Ausscherbewegung nach Nordwesten), bis die Westwindzone erreicht war, schließlich mit diesem Westwind im Rücken die zügige Heimkehr – wurde zum Grundmuster der Segelfahrten, entsprechend dem Grundmuster der vorherrschenden Windverhältnisse. Es reduzierte die riskanten Unternehmungen von Kolumbus, Vasco da Gama oder Magellan zu zwar gewagten, aber keineswegs selbstmörderischen Abenteuern. Denn diese Seefahrer wußten erstmals, daß sie mit dem Passat im Rücken hinaussegeln und mit den Westwinden zurückkehren 191
konnten; im Vertrauen auf dieses Wissen konnten sie sich, wie der Jesuit Jose de Acosta es ausdrückte, »auf das Wagnis einlassen, zu ungewöhnlichen Hochseefahrten aufzubrechen und in der weiten Ferne nach unbekannten Ländern zu suchen« (de Acosta o.J., I: 6). Es ist durchaus zweifelhaft, ob die Seefahrer im Zeitalter der Entdeckungen die volta bereits systematisch begriffen hatten. Vermutlich war ihnen das Prinzip des ganzen Manövers nicht bewußt, sie wollten ja schließlich keine Naturgesetze erforschen, sondern sich auf dem Meer vorantasten, um günstige Winde aufzuspüren. Dennoch entwickelten die Denkstrukturen in ihren Köpfen allmählich dieselbe Stabilität wie die Struktur der herrschenden Windverhältnisse. Für die iberischen Seefahrer wurde die volta damit zu einer Art Schablone, mit deren Hilfe sie ihre Fahrten nach Asien, zu den amerikanischen Subkontinenten und rund um die Welt vorausplanten. Im 5. Jahrhundert segelten portugiesische Seefahrer über die Kanarischen Inseln hinaus und tasteten sich langsam entlang der westafrikanischen Wüsten- und Urwaldküsten nach Süden vor, wobei sie den Afrikanern mit allen möglichen Tricks nicht nur Gold und Pfeffer, sondern auch Sklaven abzuhandeln lernten. Um 460 hatten sie die Kapverdischen Inseln kolonisiert und segelten immer weiter nach Süden und um ganz Westafrika herum. Aber dort gerieten die Portugiesen in die gefährlichen und unberechenbaren Gewässer des Golfs von Guinea. In den heißen Sommermonaten wurden sie in Küsten192
nähe zu hilflosen Opfern des heftigen westafrikanischen Monsuns: Die unter der senkrecht stehenden Sonne brütende Kontinentalmasse saugt die relativ kühle Ozeanluft landeinwärts, die Winde springen also auf südwestliche Richtung um und drücken die Schiffe auf eine nahezu hafenlose Küste zu. Wenn die marinheiros dem Monsun ausweichen und weit draußen auf dem offenen Meer nach Süden vorankommen wollten, gerieten sie bald aus der Zone des Nordostpassats in den Kalmengürtel, wo die extrem erhitzte Luft senkrecht in die Höhe steigt und eine totale Windstille bewirkt, die immer wieder von gefährlichen Stürmen abgelöst wird. (Die Großregion unserer Ozeane, die von den schlimmsten Unwettern heimgesucht wird, ist der Atlantikabschnitt vor der afrikanischen Küste zwischen der Senegal- und der Kongo-Mündung.)* Am meisten Zeit büßten sie jedoch häufig bei dem Versuch ein, die Kalmen hinter sich zu lassen, die nicht weit südlich der Kapverdischen Inseln beginnen. Als Kolumbus auf seiner dritten Reise an diese nördliche Ausbuchtung des Kalmengürtels geriet, notierte er: »Hier verließ mich der Wind, und die Hitze wurde so groß, daß ich befürchten mußte, meine Schiffe könnten mitsamt der Besatzung verbrannt werden.« (Zit. nach The Four Voyages of Christopher Columbus 969: 207) Auf diesem Atlantikabschnitt vor der Südwestecke Westafrikas segelten die marinheiros auf einem Kurs, * Rudloff 98: 5; Parry 98: 9; Trewartha 968: 07 f.; Art. »Monsoons« in: Encyclopaedia Britannica, Macropaedia 982, XII: 392
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den die Jahreszeit und ihre eigenen begründeten Vermutungen nahelegten: zunächst direkt nach Osten, zu den reichen Inseln Fernando Po und São Tome. Nachdem die Portugiesen diese Inseln in den 70er Jahren des 5. Jahrhunderts entdeckt hatten, wurden sie rasch nach dem Vorbild von Madeira transformiert und mit schwarzen Arbeitskräften beschickt (Diffie/Winius 977: 47). Östlich dieser Inseln macht die Küste wieder einen Knick nach Süden – das Geheimnis der Route nach Indien war also nicht so leicht zu ergründen. Der seit 48 regierende König João II. spornte die marinheiros weiter an, und bald war die Mündung des Kongo erreicht. Südlich dieser Mündung trafen sie jedoch auf neue Hindernisse, die ihnen aber eigenartig bekannt vorkamen: auf den Benguelastrom, das südliche Gegenstück zum Kanarenstrom, und auf den Südostpassat, das südliche Gegenstück zum Nordostpassat (Parry 98: 24 ff.; Chaunu 979: 30). 487 stieß Bartholomeu Dias über die Kongomündung hinaus nach Süden vor, entlang der Küste Südwestafrikas, des heutigen Namibia. Dabei geriet er in das gleiche Dilemma wie hundert Jahre vor ihm die ersten marinheiros, die an der marokkanischen Küste entlang nach Europa zurücksegeln wollten: Südlich des Orange River, der heute die Grenze zwischen Namibia und Südafrika bildet, geriet er in stürmisches Wetter. Daraufhin nahm er einen einleuchtenden Kurswechsel vor – einleuchtend zumindest für einen marinheiro. Er steuerte hart am Wind auf das of194
fene Meer hinaus, um Abstand von der gefährlichen Küste zu gewinnen und einen günstigen Wind aufzuspüren. Wahrscheinlich wandte er sich deshalb nach Südwesten, weil er sich an die alte Überlieferung hielt, wonach Gott oder die Götter es mit der Symmetrie hielten. Wenn es also vor der Küste Marokkos Passatwinde gibt, die aus nordöstlicher Richtung auf den Äquator zustoßen, und nördlich davon Westwinde vorherrschen, und wenn andererseits vor der Küste Namibias Passatwinde wehen, die aus südöstlicher Richtung auf den Äquator zustoßen, dann müßten südlich davon ebenfalls Westwinde anzutreffen sein. Vielleicht ist Dias also klargeworden, daß das Windsystem des südlichen Atlantik weitgehend dem des nördlichen entspricht, daß mit anderen Worten die volta-Schablone – den umgedrehten Verhältnissen der »unteren« Erdhälfte entsprechend auf den Kopf gestellt – im Süden jenseits des Orange River genauso gut funktioniert wie im Norden jenseits des Senegal. Dias erreichte die Westwindzone erst ein ganzes Stück südlich der afrikanischen Südspitze, von wo er dann nach Osten und Norden bis an die Grenze des Indischen Ozeans getragen wurde. Aber an der Südostküste Südafrikas, irgendwo in der Nähe des Great Fish River, begann seine Besatzung zu rebellieren, und er mußte nach Portugal zurückkehren. Er brachte von dieser Reise zwei wertvolle Erkenntnisse nach Hause zurück. Zum ersten: Es gab eine Passage vom Südatlantik zum Indischen Ozean. Zum zweiten: Die Windsysteme auf dem Südatlantik entspra195
chen seiner Erfahrung nach spiegelbildlich den Windsystemen des Nordatlantik (Axelson 973: 00–4). Aus heute nicht mehr ganz ersichtlichen Gründen ließen die Portugiesen mehrere Jahre verstreichen, ehe sie die Entdeckungen von Dias praktisch umzusetzen begannen. Der nächste Seefahrer, der sich als Meister der volta auszeichnen wollte, war ein genuesischer Kartograph in spanischen Diensten namens Christoph Kolumbus. Dias hatte die volta südlich des Äquator lediglich umgedreht nachvollzogen, Kolumbus machte sich daran, sie in seitlicher Richtung zu erweitern. Wie jedes Schulkind weiß, wollte Kolumbus eigentlich nach Westen segeln, um Asien zu erreichen, weil er den Weg für kürzer hielt als die Route um Afrika herum. Auf den ersten Blick war der plausibelste Kurs von Spanien aus exakt nach Westen, wo dann ja Zipangu (Japan) liegen mußte. Aber Kolumbus wußte so gut wie jeder andere marinheiro, daß dies aufgrund der in diesen Breiten vorherrschenden Westwinde unmöglich war. Deshalb ließ er sich nach Süden zu den Kanarischen Inseln tragen und steuerte von dort aus im September 492 Richtung Westen, mit dem Passat im Rücken, der schräg über Steuerbord kommend die Segel seiner kleinen Flotte blähte. Zu dieser Jahreszeit war auf die Winde am äußersten Nordrand der Passatzone, an dem er sich entlangbewegte, häufig kein Verlaß (auf seinen späteren Amerikareisen ließ er sich weiter nach Süden fallen, bevor er Kurs nach Westen nahm), aber 492 war offenbar sein 196
Glücksjahr, und so gelang ihm eine perfekte Überfahrt zu den Westindischen Inseln. Sein Kurs war für eine Segelflotte so gut gewählt, daß sich noch Generationen von Navigatoren – selbst wenn sie von nordeuropäischen Häfen lossegelten – an ihm orientierten und nur wenige Korrekturen vornehmen mußten, die Kolumbus teilweise selbst noch eingeführt hatte. Die englische Expedition, die 5 Jahre nach Kolumbus die Kolonie Virginia gründete, und die holländische Flotte, die wiederum zwanzig Jahre später Neu-Amsterdam (das heutige New York) gründete, wählten ihren Kurs nach Amerika ebenfalls über das Seegebiet um die Kanarischen Inseln (Andrews 934,: 98; Jameson 909: 75). Die Spanier nannten die warmen und zuverlässigen Passatwinde las brisas und den Atlantikabschnitt zwischen den Kanarischen und den Kapverdischen Inseln auf der einen und den Westindischen Inseln auf der anderen Seite Golfo de Damas, also »Damengolf« (Acosta : 4; Purchas 905–907, XIV: 433). Kolumbus ließ sich vom Passat zu den Bahamas, den Großen Antillen und zu unsterblichem Ruhm tragen. Aber dann stand er vor der bohrenden Frage, die der »mediterrane Atlantik« immer wieder stellte: Wie war gegen diesen Passat die Rückkehr zu schaffen? Sollte man über Tausende von Kilometern von Española bis Spanien gegen ihn ankreuzen? Zu Beginn der Rückreise dümpelte Kolumbus ein paar Tage lang in den Gewässern um Española umher, um in den unbarmherzig wehenden 197
brisas eine Lücke ausfindig zu machen. Dann tat er das einzig Vernünftige: Er besann sich auf die volta do mar, wand sich Richtung Nordosten durch das Sargasso-Meer (wo der Tang so dicht wurde, daß seine Matrosen Angst bekamen, sie könnten darin steckenbleiben), bis er die Westwindzone erreichte, um dann ostwärts über die Azoren nach Spanien zurückzusegeln (Columbus 959: 5; Crone 969: 90). Kolumbus hielt sich offenbar selbst nicht für einen unfehlbaren Windexperten. Als er 496 zum zweiten Mal die Rückreise von den Westindischen Inseln nach Spanien antrat, versuchte er nochmals, durch die Passatzone zu kommen. Der ständige Gegenwind und die windstillen Roßbreiten hatten ihn und seine Mannschaft bereits auf Hungerrationen und außerdem auf den Gedanken gebracht, die mitgeführten karibischen Gefangenen zu verzehren, als endlich doch noch Wind aufkam. Seitdem versuchten nur noch Verrückte, auf dem Nordatlantik gegen den Passat anzukreuzen. Ein englischer Forscher, der sich zu Beginn des 7. Jahrhunderts mit den marinheiros befaßt hat, kam zu dem Ergebnis: »Folgendermaßen lautet das Gebot der Winde, dem jegliche Seefahrt auf diesem Meer zu gehorchen hat: Auf der einen Route muß man hinüberfahren, auf einer anderen aber zurückkehren.« (Purchas 905–907, XIX: 26) Im Juli 497 stach Vasco da Gama von Lissabon aus in See und segelte zu den Kapverdischen Inseln. Etwas weiter südlich begannen die Probleme mit den Kalmen, 198
dem unberechenbaren Wetter im Golf von Guinea und dem Ansegeln gegen den Südostpassat. Vasco da Gama fand eine neue Methode, mit der sich alle drei Probleme auf einmal erledigten. Sie war so ausgefallen, daß viele Historiker die Vermutung geäußert haben – für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt –, die Portugiesen müßten in den Jahren seit Dias’ Rückkehr von der afrikanischen Ostküste geheime Probefahrten im Südatlantik unternommen haben, um die dort herrschenden Windverhältnisse kennenzulernen. Südlich und östlich der Kapverdischen Inseln geriet da Gama in einen der für die Region üblichen schweren Stürme, der ihn eine Großrah kostete. Nach den spärlichen Zeugnissen über seine Reise steuerte er daraufhin hart am Wind nach Südwesten, so daß er sich mit Hilfe der über Backbord kommenden Passatwinde immer weiter von der Südspitze Afrikas wegtreiben ließ. Auf diese Weise trug es ihn aus der tropischen Zone hinaus, bis er die Westwindzone der südlichen Hemisphäre erreicht hatte, die ihn weiträumig in Richtung des Indischen Ozeans bringen sollte. Allerdings verschlug es ihn dann doch noch an die Westseite des südlichen Afrika, so daß er erst nach einigen Tagen mühsamen Manövrierens das letzte Kap umrundet hatte. Aber es wäre noch viel schlimmer gekommen, wäre er nicht mit seiner großartigen volta auf den Südatlantik hinausgeschwenkt. Um diesen weiträumigen Halbkreis von den Kapverdischen Inseln bis zu seinem ersten Kontakt mit der südafrikanischen 199
Küste auszufahren, brauchte er 84 Tage. Damit hatte er die längste Reise des Kolumbus – bezüglich Entfernung und Dauer – weit in den Schatten gestellt (Jones 978: 40–47; Crone 972: 28 f.; Ley 947: 4–7). Der von da Gama eingeführte Kurs – eine etwas überdimensionierte Variante der Dias-Route – war und ist die praktikabelste Lösung für ein Segelschiff, das von Europa in den Indischen Ozean gelangen will. Er führt zuerst nach Süden bis in die Umgebung der Kapverdischen Inseln, von dort in weitem Bogen nach Südwesten bis in die Nähe der brasilianischen Küste und von dort um das Kap der Guten Hoffnung herum. Der Kurs ist mit der Idealroute identisch, die sowohl von der britischen Admiralität als auch vom hydrographischen Amt der Vereinigten Staaten empfohlen wurde, solange Segelschiffe noch die Weltmeere beherrschten (Morison 940: 95 ff.). Kaum hatte Vasco da Gama das Rätsel des Südatlantiks gelöst, stand er erneut vor ungelösten Fragen. Jenseits der Mündung des Great Fish River befand er sich in Gewässern, die noch kein Europäer vor ihm befahren hatte. Marco Polo war im 3. Jahrhundert in Asien berichtet worden, daß entlang der afrikanischen Südostküste eine mächtige Strömung nach Süden drücke. Wenn man, vom Indischen Ozean kommend, in diese Strömung hineingeriete, müßte man um seine Rückkehr bangen. Dieser gewaltigen Strömung mußte sich da Gama nun entgegenstemmen. In den Gewässern, denen die por200
tugiesischen Seefahrer entgegensegelten, sollte es auch – wiederum nach den Berichten von Marco Polo – Inseln mit riesigen Vögeln geben, die angeblich sogar Elefanten erbeuteten, indem sie sie hoch in die Lüfte hoben und dann zu Boden fallen ließen (The Travels of Marco Polo 958: 300). Die Geschichte war etwas übertrieben: Der Elefantenvogel von Madagaskar (Aepyornis Maximus, heute ausgestorben, damals möglicherweise noch existent) wurde lediglich drei Meter hoch und höchstens 500 Kilo schwer, und fliegen konnte er überhaupt nicht (Day 98: 9 ff.). Sei’s drum – das christliche Europa hatte Vasco da Gama offensichtlich ein gutes Stück hinter sich gelassen. Die Reise von Europa bis zum Indischen Ozean hatte mit den Gebrüdern Vivaldi begonnen und insgesamt 200 Jahre gedauert. Jetzt mußte man sich die ganze Ostküste Afrikas entlangtasten und einen unbekannten Ozean mit einer gänzlich neuen Kombination von Wind- und Strömungsverhältnissen entziffern – eine Aufgabe von noch einmal 200 Jahren, wie man annehmen sollte. Aber Vasco da Gama umrundete das Kap um die Jahreswende und war im Mai schon in Indien. Als die europäischen Seefahrer auf den Indischen Ozean vordrangen, kamen sie in den Genuß zweier Vorteile. Der erste lag in der Stetigkeit der Monsunwinde und der Strömungsverhältnisse. Der Indische Ozean war im Vergleich mit dem Atlantik in einiger Hinsicht das »einfachere« Gewässer: Ein Schiff konnte auf dem Rückweg 201
denselben Kurs segeln wie auf dem Hinweg. Und zweitens lebten am Rande dieses unbekannten Ozeans kulturell hochentwickelte Seefahrervölker, die sich mit seinen Wind- und Strömungsverhältnissen besser auskannten als die Europäer mit denen des Atlantik. Um den Indischen Ozean zu überqueren, mußte da Gama also lediglich die vorhandenen Wissensquellen anzapfen (Boxer 969: 44). Als die Flotte da Gamas das Kap umsegelte und nordwärts auf den Indischen Ozean zuhielt, war sie sofort die mächtigste Flottenmacht auf diesem und zugleich auf allen anderen Meeren Asiens, die sich weiter nach Osten anschlossen. Die Türken hatten zwar kanonenbestückte Schiffe, aber die lagen im Mittelmeer. Wo immer da Gama im Osten auftauchte, besaß er mit seinen Großschiffen und Kanonen die stärksten Trümpfe – was seinem König schon klargewesen sein dürfte, bevor er ihn auf die Reise schickte. Der große Entdecker machte von seiner Feuerkraft ausgiebig Gebrauch und sorgte dafür, daß die Ostafrikaner und wenig später auch die Inder ihn als Feind zu fürchten und als Verbündeten zu schätzen lernten. Die artilheria überzeugte auch den Häuptling von Melindi (im heutigen Kenia) so durchschlagend von den Vorteilen, die sich aus der Freundschaft mit den Portugiesen ergeben konnten, daß er da Gama offerierte, was der Entdecker am dringendsten brauchte: einen Experten für die Frage, wie man von Ostafrika über den geheimnisvollen Indischen Ozean hinweg nach Indien gelangen konnte (Jones 978: 59–68; de Barros 973, I: 38). 202
Es gibt solide Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei diesem Experten um den berühmten Achmed Ibn Madjid handelte, einen Gudjarati, der als einer der besten Kenner des Indischen Ozeans galt. Er beruhigte die ängstlichen Europäer mit einer Karte der indischen Küsten, auf der zahlreiche Längen- und Breitenkreise verzeichnet waren. Auch wußte er, wie man Monsunzeiten bestimmen und dabei vielleicht auch ein bißchen mogeln konnte. Obwohl die Portugiesen etwas zu früh im Jahr von Melindi lossegelten (zumindest hätte das für die meisten Jahre gegolten), erreichten sie die indische Küste schon nach etwas mehr als zwanzig Tagen (Jones 978: 68–73; de Barros 973, I: 39). Achmed Ibn Madjid spielte – wenn er es denn war – auf seine Weise die gleiche Rolle, die Malinche später bei der Eroberung Mexikos durch die Spanier spielen sollte. Sie beschaffte den Europäern die Mittel, um die Sprachbarriere zu überwinden, während er ihnen die Mittel beschaffte, um ihre Unkenntnis der Wind- und Strömungsverhältnisse zu überwinden. Auf dem Indischen Ozean (wie auch auf dem Chinesischen Meer) herrschten ganz andere Gesetze als auf dem Atlantik. Von Marco Polo, der den Indischen Ozean und das Chinesische Meer befahren hatte, wußten die Europäer, daß in diesen Gewässern nur zwei Arten von Winden vorkamen: Einer trug die Segelschiffe vom Kontinent weg, der andere zum Kontinent zurück, wobei der erste im Winter, der zweite im Sommer wehte (The Travels of Marco Polo 958: 248). Kolumbus meinte damit den asiatischen 203
Monsun, den gewaltigsten überhaupt. Der Monsun im Süden Asiens gleicht weitgehend dem im Westen Afrikas, beeinflußt aber ein weit größeres Gebiet. Die Landmasse, die sich hier im Sommer aufheizt und im Winter zu weiten Teilen (bis unter die Frostgrenze) abkühlt, ist der asiatische Kontinent. Und dieser ist auch der Kontinent mit den größten Temperaturgegensätzen: von der Gluthitze des indischen Sommers bis zum eisigen Frost des sibirischen Winters, der selbst Gummi zerspringen läßt. Der kontinentale Sommer saugt die südlichen Passatwinde landeinwärts bis zum Fuß des Himalaja, der Winter dreht die Luftmassenströmung um, und die nördlichen Passatwinde stoßen dabei nach Süden bis in die Breiten von Madagaskar vor. Für Seefahrer, die von diesen gigantischen Luftströmen – und den durch sie verursachten gleichgerichteten Meeresströmungen – zuerst in die eine und dann in die andere Richtung getragen werden, scheint dieses System mit dem der anderen Ozeane kaum vergleichbar zu sein. In den asiatischen Gewässern sprechen sie daher nicht etwa von unterschiedlichen Passatwinden, sondern von dem gefürchteten Monsunwechsel (Barry/Chorley 968: 57 f.; Trewartha 968: 89–08). Schon seit langer Zeit hatten die Seefahrer Asiens begonnen, sich von den Winden und Strömungen des Wintermonsuns von Indien und dem Mittleren Osten nach Afrika und Südostasien und vom Sommermonsun in umgekehrter Richtung tragen zu lassen. Ging alles gut, hatten sie dabei ständig günstigen Wind. Die einzige 204
Navigationsleistung bestand darin, ständig vor dem Wind zu segeln und je nach Reiseziel mehr nach Backbord oder Steuerbord zu lenken. Es mußte nicht immer alles gut gehen, aber eine terminlich geschickt geplante Fahrt zwischen Melindi und Indien zum Beispiel konnte in beiden Richtungen so problemlos verlaufen wie die Reise mit den sanften brisas von den Kapverdischen zu den Westindischen Inseln. Vasco da Gama hatte mit Hilfe seines Lotsen die Fahrt von Melindi nach Indien schnell geschafft, auf der Rückreise aber war er auf sich allein gestellt und brauchte 95 Tage nach Ostafrika. Dabei verlor er durch Krankheit und Tod so viele Besatzungsmitglieder, daß er kaum noch genug Leute zum Manövrieren seiner Schiffe hatte (Crone 972: 36). Westlich des Kap der Guten Hoffnung kam er wieder in vertraute Gewässer, und sein Kurs von der afrikanischen Südspitze nach Portugal war das genaue Gegenstück zur Hinreise. Es bestätigte sich also das »Gebot der Winde, dem jegliche Seefahrt auf diesem Meer zu gehorchen hat: Auf dem einen Weg muß man hinüberfahren, auf einem anderen aber zurückkehren. Im Falle da Gamas ergänzten sich der Kurs seiner Hin- und Rückfahrt im Atlantik zu einer gigantischen, zwischen dem 40. nördlichen und dem 40. südlichen Breitengrad liegenden Achterschleife (Jones 978: 06 f.). Die Fahrt von Lissabon nach dem südindischen Kalikut und wieder zurück nach Portugal bezahlte er mit dem Verlust zweier seiner vier Schiffe und der Hälfte der Besatzung, also 80 205
bis 00 Mann, von denen die meisten an Skorbut starben. Aber er brachte eine Ladung Gewürze mit, die das Ganze doch noch zu einem profitablen Unternehmen machte (Crone 972: 38; Jones 978: 07; Chaunu 979: 32). Vasco da Gama hatte eine Entfernung zurückgelegt, die nahezu einer Fahrt um die ganze Welt entspricht. Eine wahrhaftige Weltumsegelung nahm die nächste große Figur des Zeitalters der Entdeckungsreisen in Angriff: Ferdinand Magellan, ein Portugiese in spanischen Diensten. Zwar starb Magellan noch vor dem Ende dieser Reise, aber sein Schiff und die überlebenden Mannschaften haben tatsächlich zum ersten Mal die Welt umrundet. Magellan verließ mit einer Flotte von fünf Schiffen im September 59 den spanischen Hafen San Lucar. Der Passat brachte sie in sechs Tagen zu den Kanarischen Inseln. Von dort segelten sie über die Kapverdischen Inseln Richtung Süden, bis sie vor der Küste von Sierra Leone in die schlimmsten Kalmen gerieten. Sechzig Tage lang hatten sie Regen mit schwachen Winden aus wechselnden Richtungen, die immer wieder von totaler Windstille abgelöst wurden. Sie begegneten Vögeln, die keinen After, und anderen, die keine Füße hatten, wobei die Weibchen ihre Eier im Fliegen den Männchen auf den Rücken legten – behauptet der maßgebliche Chronist dieser Reise (Morison 974: 356 f.; Nowell 962: 9–94). Schließlich kamen die Schiffe wieder in Fahrt und ließen sich von den Passatwinden quer über den Atlantik 206
nach Südamerika tragen – etwa auf demselben Kurs wie da Gama bei der ersten Hälfte seiner volta zum Kap. Dann aber bildeten Brasilien und die südlich anschließende Landmasse eine Sperre, die umsegelt werden mußte. Also fuhren sie die Küste entlang nach Süden. Ab und zu gingen sie auch an Land, um sich zu vergnügen und bei der Gelegenheit diverse Geschlechtskrankheiten mit der indianischen Bevölkerung auszutauschen, aber auch um Meutereien zu ersticken und Meuterer hinzurichten, wobei sie einmal in seichten Gewässern eines ihrer Schiffe auf Grund setzten. Im Oktober stießen sie auf die Meerenge, die seitdem den Namen ihres Anführers trägt. Nach dem Verlust eines weiteren Schiffes (dieses Mal an erfolgreiche Meuterer, die umkehrten und nach Hause segelten) und wochenlangen, äußerst schwierigen Navigationsmanövern befanden sie sich im November am Rande der gewaltigsten zusammenhängenden Wassermasse, die in unserem gesamten Sonnensystem anzutreffen ist. Magellan ordnete einen Dankgottesdienst an und ließ seine Flotte Kurs nach Norden nehmen, um endlich »der Kälte zu entkommen« (Morison 974: 359–397). Er war in Gewässern angelangt, die zuvor noch kein Mensch der Alten Welt befahren hatte – kein Phönizier, kein Wikinger und kein Araber, kein Cheng Ho und auch kein St. Brendan. Mit der asiatischen Seite des Pazifik waren die Europäer vertraut – Magellan selbst war auf den Ostindischen Inseln (also dem heutigen Indonesien) gewesen – aber diese Pazifikregion lag jetzt 207
um ein gutes Drittel des Erdumfangs entfernt im Westen. Und von dem Teil der Welt, in dem sich Magellan befand, wußte er wesentlich weniger, als die Menschen heute von der Rückseite des Mondes wissen. Dennoch steuerte er unverzüglich nach Norden auf die Passatzone zu, wo er dann problemlos nach Westen segeln konnte. »Hätte er alle Informationen über die Wind- und Strömungsverhältnisse auf den Weltmeeren zur Verfügung gehabt«, schreibt der seefahrtkundige Historiker Samuel Eliot Morison, »hätte er es auch nicht besser machen können.« (Morison 974: 405) Magellan wollte eigentlich zu den ostindischen Gewürzinseln, den knapp südlich des Äquators liegenden Molukken, aber er schlug einen großen Bogen, der zehn Grad nördlich des Äquators bei den Philippinen, also erheblich weiter nördlich endete. Damit hatte er auf den besten aller möglichen Kurse getippt, aber wie hätte er das wissen sollen? Hatte er einfach den Kurs eingeschlagen, den ihm die vorherrschenden Winde diktierten? Ja und nein. Die Winde bestimmen zwar, welche Kurse man nicht wählen kann, nicht aber, welchen von den möglichen man zu wählen hat. Magellan hätte jeden Kurs innerhalb eines Winkelausschnittes von mindestens 50 Grad einschlagen können. Er mußte nicht ausgerechnet die beste Route über den Pazifik entdecken; ihm standen auch einige völlig falsche Routen zur Auswahl, die sich von den Windverhältnissen her durchaus angeboten hätten. 208
Magellan muß während seines Aufenthaltes in der ostindischen Inselwelt einiges über die Windsysteme des westlichen Pazifik, also über den Monsun-Pazifik gelernt haben, und diese Kenntnisse legten ihm wahrscheinlich die Route nahe, die er dann für die Überquerung des Großen Ozeans tatsächlich gewählt hat (Morison 974: 406, 440). Mit Sicherheit wußte er jedoch nichts von der Weite des Ozeans. Er ging zweifellos davon aus, daß er die Philippinen noch im Laufe des Winters erreichen könnte, tatsächlich hat er es erst im März geschafft. Wäre er wie geplant im Winter angekommen, hätte er Zeit genug gehabt, sich neu auszurüsten und anschließend von den vom kalten asiatischen Festland herüberwehenden Monsunwinden leicht und bequem zu den Gewürzinseln tragen zu lassen. Offensichtlich segelte er von der Magellanstraße aus bewußt nach Norden, um die Passatzone zu erreichen. Um den Pazifik in Ost-West-Richtung zu überqueren, muß man völlig unabhängig von der Jahreszeit, ganz wie im Atlantik, las brisas aufspüren. Magellan dürfte sich gedacht haben, ein gnädiger und logisch denkender Gott müßte die Welt so vernünftig eingerichtet haben, daß die Windverhältnisse im mittleren Pazifik ungefähr denen entsprachen, die ihm von anderen Ozeanen her vertraut waren. Im übrigen gab es kaum eine andere Hypothese, die sich angeboten hätte. Magellan segelte also nach Norden in die tropische Zone und dann unentwegt nach Westen, wochenlang, 209
durch eine der leersten Meeresregionen der Welt, ohne auch nur ein Stück Land zu Gesicht zu bekommen. Er hatte den richtigen Kurs gewählt, aber dennoch mußten er und seine Leute drei Monate und dreißig Tage lang ohne frische Lebensmittel und mit extrem wenig Nahrung auskommen und dabei alle Qualen der Hölle durchleiden (Nowell 962: 22 f.). Das einzige gnädige Zeichen war das Wetter: ständig günstige Winde und ruhige See. »Hätten Gott und die Heilige Mutter Gottes uns nicht so gutes Wetter gewährt, hätten wir alle in dieser unendlich weiten See des Hungers sterben müssen. Ich glaube wahrlich, daß man nie wieder eine derartige Reise unternehmen wird.« (Zit. nach Nowell 962, 23 f.) Neunzehn Europäer und ein Indianer, den sie in Brasilien an Bord genommen hatten, fielen in dieser endlosen Weite des Pazifik, unter dem gleißenden Himmel und den gemessen dahinziehenden Wolkengebirgen, dem Skorbut zum Opfer. Im März endlich, 99 Tage nach Verlassen der Magellanstraße, kamen Guam und andere nahegelegene Inseln in Sicht. Endlich konnten sie sich mit Lebensmitteln und anderen Vorräten eindecken. Mit frischen Kräften segelten sie zu den Philippinen weiter, wo Magellan sich – vermutlich um Verbündete zu gewinnen, mit deren Hilfe sich Spanien einen östlichen Brückenkopf einzurichten gedachte – in lokale Händel einmischte und dabei den Tod fand. Er war eben kein Diplomat, sondern ein marinheiro, dem einer seiner Reisegefährten das Zeugnis 210
ausstellte: »Hunger konnte er besser aushalten als alle anderen, und Seekarten lesen und navigieren konnte er präziser als sonst jemand auf dieser Welt.« (Zit. nach Nowell 962: 72) Magellan und die Überlebenden seiner Expedition hatten die Monsungewässer Asiens – wie vor ihnen Vasco da Gama – ausschließlich mittels ihrer eigenen Fähigkeiten erreicht. Jetzt konnten sie (soweit sie Magellan überlebt hatten) wie schon da Gama auf einheimische Lotsen und einen Fundus seemännischer Erfahrungen zurückgreifen, der noch älter war als die Zivilisation der betreffenden Gebiete. Angesichts der kulturellen, sprachlichen und religiösen Barrieren glaubten die Europäer allerdings, keine andere Wahl zu haben, als sich die nötigen Lotsen durch Kidnappen zu beschaffen, was sie denn auch mit Erfolg praktizierten (Morison 974: 444 f.; Nowell 962: 99). So erreichten die Spanier bald die Molukken, die fast schon legendären Gewürzinseln, von denen Europa seine Gewürznelken bezog. Damit luden sie ihre Schiffe voll und machten sich an die Planung der Heimreise. Die Trinidad und die Victoria, die von den fünf Schiffen als einzige übriggeblieben waren (ein drittes Schiff hatten sie auf den Philippinen zurücklassen müssen, weil sie nicht mehr genügend Mannschaften hatten), sollten unterschiedliche Kurse einschlagen, um die Chancen zu erhöhen, einen Teil der Fracht sicher nach Hause zu bringen. Die Trinidad sollte über den Pazifik nach 211
Neuspanien (Mexico) segeln (ihr Schicksal wird uns später beschäftigen). Die Victoria mit ihrem Kapitän Juan Sebastian Elcano – sicherlich derjenige unter den großen Kapitänen des Entdeckungszeitalters, über den am wenigsten geschrieben wurde – sollte die Weltumseglung fortsetzen (Nowell 962:0; Morison 974: 44, 45). Neun qualvolle Monate, die der Leidenszeit im mittleren Pazifik nicht nachstanden, brauchte Elcano mit der Victoria, bis er die Heimat wieder erreicht hatte. Erst verschätzte er sich mit den Monsunzeiten, dann machte er einen zu großen Bogen um Afrika herum und mußte weit im Süden gegen heftige Westwinde ankämpfen – spätere Seefahrergenerationen haben diese Westwindzone Roaring Forties getauft. Dann folgte die nicht besonders ereignisreiche, aber lange und mühsame Fahrt durch den Atlantik nach Norden. Die Leichen der Christen, die der See übergeben wurden, gingen mit dem Gesicht nach oben über Bord, die Leichen der Ungläubigen, von denen sie einige in Ostindien angeheuert hatten, mit dem Gesicht nach unten (Morison 974: 406; Nowell 962: 255 f). Mit Glück und Geschick wurde die Kalmenzone ohne größere Verzögerungen überwunden. Dann nahm die Victoria Kurs nach Norden auf die Kanaren, von dort ging es auf der klassischen volta zu den Azoren und schließlich mit den Westwinden im Rücken nach Hause. Am Montag, dem 8. September 522, ging die Victoria, aus allen Kanonen feuernd, vor dem Kai von Sevilla 212
vor Anker. Die erste Weltumseglung war vollendet. Am nächsten Tag zog die ganze Besatzung »im Hemd und mit bloßen Füßen, jeder mit einer Kerze in der Hand, zum Heiligen Schrein der Santa Maria de la Victoria und dann zu dem der Santa Maria de l’Antigua« (Nowell 962: 259; Morison 974: 460 ff.). Fünf Schiffe mit etwa 240 Seeleuten waren 59 zu dieser ersten Weltumseglung aufgebrochen. Drei Jahre und einen Monat später war das Unternehmen vollbracht. Aber nur die Victoria hatte die Fahrt um die ganze Welt geschafft. Von der ursprünglichen Besatzung waren noch 20 Mann an Bord, als die durch Meuterei dezimierte Flotte die Magellanstraße zum Pazifik passierte. Aber nur 36 von ihnen kehrten am Ende auf unterschiedlichen Routen von der Weltreise zurück. Nur 8 der 36 waren an Bord der Victoria, als diese in Sevilla einlief, zusammen mit drei der fünfzehn Indonesier, die in Indien dazugekommen waren. Sie führten eine Ladung von Gewürznelken, Muskatblüten und Muskatnüssen mit sich, die das Unternehmen finanziell abdecken konnte und noch einen kleinen Gewinn abwarf (Morison 974: 467, 469). Wichtiger als diese Ladung Gewürze war allerdings, was die Offiziere und Mannschaften der Victoria in ihren Köpfen mitgebracht hatten: Sie kannten nun einen Weg um Amerika herum. Sie wußten, daß der Pazifik und damit die Erde insgesamt sehr viel größer waren, als vorher angenommen. Sie wußten, daß es eine Route über diesen Ozean gab, daß die Passatwinde im Pazifik – außer in 213
seinem westlichen Teil – genauso verläßlich wehten wie im Atlantik. Diese konstante Luftströmung wurde nur durch die Kontinente und Monsune unterbrochen bzw. radikal umgelenkt. Bei der Nutzung dieser Monsunwinde war man allerdings auf asiatische Lotsen angewiesen. Seit 522 besaßen die Europäer einen annähernd genauen Begriff von den Windsystemen auf den Weltmeeren. Sie wußten, wie die Windverhältnisse im Atlantik zwischen dem arktischen Polarkreis und etwa 40 Grad südlicher Breite und im Indischen Ozean zwischen dessen nördlichen Küsten und etwa 5 Grad südlicher Breite aussahen; und sie wußten, daß man den Pazifik mit Hilfe der Passatwinde in Ost-West-Richtung überqueren konnte. Auch wußten sie bereits eine Menge über die Winde jenseits der Südspitze Afrikas und hatten zu erfassen begonnen, wie die Winde südlich von Südamerika funktionieren. Nun galt es, das Erreichte auszubauen und abzusichern, Reiche zu gründen und überhaupt und allgemein die Erkenntnisse der marinheiros zu Geld zu machen. Und das hieß: Handel treiben, was wiederum die Möglichkeit von Rundfahrten über die Weltmeere hinweg voraussetzte. Die Monsunwechsel machten das Hin- und Herfahren über den Indischen Ozean und das Chinesische Meer zu einer leichten, ja fast automatischen Angelegenheit. Das Geheimnis, wie man den Atlantik in West-Ost-Richtung überqueren kann, war seit der Rückfahrt des Kolumbus von 493 entschlüsselt. Aber es blieb eine lange, mühse214
lige Schinderei, sich aus der Karibik heraus nach Norden durchzukämpfen, bis man die Passatzone durchquert und die Westwindzone erreicht hatte. 53 entdeckte Ponce de León die Halbinsel Florida und damit, ohne es selbst zu bemerken, die bequemste Route, um von Westindien aus die Westwindzone zu erreichen: den Golfstrom. Der Passat drückt ständig Wassermassen vom Mittleren Atlantik in den Golf von Mexiko, was dessen Wasserspiegel über den des offenen Atlantik ansteigen läßt. Dieses aufgetürmte Wassermassiv hat mit der Meerenge zwischen Florida und Kuba bzw. den Bahamas eine Art Ventil. Hier brechen die Wassermassen aus dem Golf von Mexico aus wie eine Pferdeherde durch ein schmales offenes Gatter. Kein Wunder also, daß de León, als er sich von Norden dem heutigen Miami näherte, trotz eines kräftigen Rückenwindes rückwärts getragen wurde, weshalb er das betreffende Küstenstück El Cabo de los Corrientes, das Kap der Strömungen, nannte (Morison 974: 507–50, 53). Sechs Jahre nach dieser Entdeckung de Leons segelte sein Lotse Antonio de Alaminos auf der Fahrt von der Karibik nach Spanien nördlich (statt wie gewohnt südlich) an Kuba vorbei durch die Meerenge von Florida und nutzte damit den enormen Schub des Golfstromes, der sein Schiff bis in die Breitenzone der Westwinde katapultierte (Sauer 969: 26). Mit dieser Entdeckung war die klassische Segelroute von der Iberischen Halbinsel nach Amerika und zurück vervollständigt. Auf der Landkarte 215
hat dieser Rundumkurs die Form eines nach rechts geneigten Parallelogramms, dessen Außenlinien von Cádiz zu den Kanarischen oder Kapverdischen Inseln, von dort nach Havanna und von dort dem Golfstrom und der Westwindzone folgend nach Spanien zurücklaufen – den gigantischen Kreisbewegungen entsprechend, die Winde und Meeresströmungen rund um das Tangloch des Sargasso-Meeres vollführen. Diese Nutzung des Golfstroms bedeutete lediglich die Optimierung bereits bekannter Prinzipien. Was den Pazifik betrifft, so war auch eine Generation nach Magellan die Überfahrt von Asien nach Amerika noch immer nicht geglückt. Wir erinnern uns: Nachdem Magellan auf den Philippinen umgekommen war, hatten seine Schiffe auf den Molukken eine Gewürzladung übernommen. Dann war die Victoria Richtung Westen weitergesegelt, um ihre Weltumrundung zu vollenden. Die Trinidad hingegen sollte nach Osten zurück, also frontal gegen den Wind ansegeln – entgegen allen Erfahrungen, die die Spanier bei der Überquerung des Pazifik in westlicher Richtung gemacht haben müßten. Die gnadenlosen Gegenwinde in der Tropenzone und die Stürme und die Kälte, die ihnen weiter nördlich entgegenschlugen, schließlich der Skorbut, dem 30 der 53 Besatzungsmitglieder zum Opfer fielen, zwangen die Trinidad jedoch, nach Ostindien zurückzukehren. Dort wurde das Schiff von den Portugiesen, die ihr lokales Handelsmonopol mit allen Mitteln zu schützen versuch216
ten, beschlagnahmt und seine Mannschaft eingekerkert (Morison 974: 545 f.). Um einen umfassenden Schiffsverkehr über den Pazifik zu organisieren, mußten die Spanier erst einmal eine östliche Anlaufstation auf oder nahe dem asiatischen Festland erwerben. Um 565 unternahm eine von Mexiko entsandte spanische Expedition unter dem Kommando des Miguel Lopez Legaspi eine Invasion auf den Philippinen. Manila mit seinen sich über den gesamten Fernen Osten erstreckenden Handelsverbindungen sollte zum Zentrum des spanischen Ostens werden. Legaspi etablierte auch rasch einen spanischen Stützpunkt auf den Philippinen und kehrte unverzüglich zurück, um den Rest des Planes zu realisieren, der sich ja nicht auf die Eroberung von Manila beschränkte. Er konnte darauf vertrauen, daß im Pazifik, entsprechend den Verhältnissen im Atlantik, jenseits des nördlichen Wendekreises ebenfalls Westwinde vorherrschten. Jetzt begann der Wettlauf zwischen zwei großen marinheiros, die als erste mit ihren Schiffen die längste aller voltas durch den Pazifik vollbringen wollten. Das Rennen gewann Lope Martin, der zum Navigator freilich besser taugte als zum Gentleman. Denn er setzte sich auf den Philippinen von der Expeditionsflotte Legaspis ab, um mit einem winzigen Schiff mit nur zwanzig Mann Besatzung und ohne zusätzliche Segel und Vorräte einfach davonzusegeln. Er steuerte zuerst nach Norden, erreichte die Westwinde und ließ sich von 217
ihnen zur kalifornischen Küste tragen, wo er dann wieder nach Süden segelte und am 9. August 565 Mexiko erreichte. Die Reise war von Skorbut, halben Meutereien und Todesurteilen, die durch Ertränken vollzogen wurden, gezeichnet. Ihr erfolgreicher Abschluß war mehr auf Glück und unverschämten Leichtsinn zurückzuführen als auf Klugheit und Besonnenheit, und für regelmäßige Verbindungen zwischen den Philippinen und Neuspanien schien sie kein überzeugender Präzedenzfall zu sein. Das Verdienst, der Menschheit vorgeführt zu haben, wie man die gewaltige Wasserfläche zwischen Asien und Amerika überqueren kann, wird in der Regel Andres de Urdaneta zugebilligt. Er hatte bei der Invasion der Philippinen als Lotse und wichtigster Ratgeber Legaspis fungiert und war von diesem mit dem Kommando für die Rückreise nach Mexiko betraut worden. (Nomineller Leiter dieser Expedition war Legaspis Neffe, aber jeder wußte, wer das tatsächliche Kommando hatte.) Die San Pablo stach am . Juni 565 von Cebu in See, ließ sich durch die Monsunwinde von den Philippinen wegtragen und arbeitete sich mühsam nach Nordwesten voran. Zwischen dem 37. und 39. nördlichen Breitengrad traf sie auf Westwinde, die das Schiff mit geblähten Segeln bis in die kalifornischen Gewässer trieben. Am 8. September erreichte es Acapulco, von wo Urdaneta nach Spanien weiterreiste, um seinem König vom Verrat des Lope Martin zu berichten. Die Fahrt der San Pablo über 218
den nördlichen Pazifik dauerte 29 Tage und kostete 6 Menschenleben (Schurz 939: 9, 22, 32, 47, 29 ff.). Erst im 7. Jahrhundert begannen die Europäer, vor allem die Holländer, die Westwinde der Roaring Forties auszunutzen und sich weit südlich der Monsunzone nach Ostindien tragen zu lassen. Dabei erlangten sie einige Kenntnisse über Australien, weil sie sich in den Längengraden verschätzten und versehentlich an der Westküste des fünften Kontinents landeten (Heeres 899: XIII f.). Und erst mit der Rückkehr des Captain Cook aus dem Pazifik erfuhren die Europäer erstmals etwas über die australische Ostküste und einiges über Neuseeland, von dem sie vorher lediglich wußten, daß es existierte. * 492 haben die marinheiros den Atlantik überquert. In den 20er Jahren des 6. Jahrhunderts haben sie zum ersten Mal die Welt umsegelt. Der bedeutendste Chronist dieser Reise bezweifelte, daß es jemals eine zweite Weltumsegelung geben werde. Seit 600 konnten sogar Privatleute eine solche Reise unternehmen – als Passagiere auf Handelsschiffen, wobei der größte Teil der Strecke mit planmäßig nach Jahreszeiten verkehrenden Schiffen zurückgelegt wurde. Francesco Carletti hat aus eigener Anschauung beschrieben, wie eine solche Reise vonstatten ging: Im Juli trat man mit der Westindienflotte die Fahrt von Spanien nach Amerika an, dort konnte man sich bei der Reise quer durch Mexiko Zeit lassen, weil man erst im März in Acapulco eintreffen mußte, wenn 219
die Gallonen nach Manila ablegten. Von Manila setzte man zunächst nach Japan und anschließend nach Macao über. Dort nahm man ein portugiesisches Kaufmannsschiff nach Goa in Indien, wo man im März eintraf. In Goa mußte man einige Monate auf den Monsunwechsel warten. Aber im Dezember oder Januar konnte man sich an Bord eines der riesigen portugiesischen Karacken begeben, die ihre alljährliche sechs Monate lange Reise nach Lissabon antraten. Einschließlich aller Verzögerungen, die durch die Übernahme von Fracht und das Warten auf günstige Winde entstanden, dauerte eine solche Reise um die Welt vier Jahre. In der entgegengesetzten Richtung konnte es länger dauern, weil die Westwinde nicht so verläßlich sind wie der Passat. Aber auch diese Runde konnte man vollständig oder fast vollständig auf Handelsschiffen unter spanischer oder portugiesischer Flagge absolvieren (Carletti 983: 09). Die Nahtlinien der Pangäa begannen sich zu schließen, wobei das Zusammenzurren der einzelnen Teile sozusagen von der Nadel der Segelmacher bewerkstelligt wurde. Jetzt kamen Hühner mit Kiwis in Berührung, Rinder mit Känguruhs, Iren mit Kartoffeln, Komantschen mit Pferden und Inkas mit Pocken – und alles zum allerersten Mal. Der Countdown für die Ausrottung der Wandertaube und der Urbevölkerung der Großen Antillen und Tasmaniens hatte begonnen. Gleichzeitig begannen bestimmte andere Arten von Lebewesen, sich in großer Zahl über die ganze Erde auszubreiten: Schweine und 220
Rinder, gewisse Unkrautarten und Krankheitserreger, angeführt von den Völkern der Alten Welt, die als erste von den Kontakten mit Gebieten jenseits der Nahtlinien der Pangäa profitierten (Crosby 972: passim). Die marinheiros haben, ohne es zu wollen, zusammengefügt, was die Götter getrennt hatten. Samuel Purcha, ein englischer Geistlicher, der im frühen 7. Jahrhundert viele ihrer Aufzeichnungen gesammelt und herausgegeben hat, stellte seine Leser und die Nachwelt vor die Frage: »Wer ergriff denn Besitz von dem riesigen Ozean und vollführte eine Prozession rund um die weite Welt? Wer entdeckte denn neue Sternbilder, wer grüßte die eisigen Pole, machte sich die heißen Zonen Untertan? Und wer schließlich hat es mit Hilfe der Kunst der Seefahrt offenbar vollbracht, den Werken des Herrn nachzueifern, der auf den Wassern Kammern aus Balken errichtet und auf den Flügeln des Windes voranschreitet?« (Purchas, I: 25) Die Antwort muß natürlich lauten: os marinheiros!
In Reichweite, aber nicht im Griff: die tropischen Zonen »… wo die Lebenssubstanz, durch die Sonnenwärme gleichsam zu gärendem Leben erweckt, mit Macht aus ihrem Mutterboden hervorbricht und sich mit einer Art und wilder Wut über das ganze Land ausbreitet.« John Bruckner, A Philosophical Survey of the Animal Creation (768) »Wenn zivilisierte Völker mit Barbaren in Berührung kommen, währt der Kampf nicht lange, es sei denn, ein tödliches Klima macht sich zugunsten der Einheimischen geltend.« Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen und die geschichtliche Zuchtwahl (87)
Mit der Beherrschung der Winde waren die Küsten aller Weltmeere zwischen Arktis und Antarktis mitsamt dem jeweiligen Hinterland in die Reichweite der Europäer gerückt. Wie der Lauf der Geschichte zeigen sollte, lag es aber keineswegs in der Macht der Europäer, alle diese Gebiete auch in den Griff zu bekommen, zu besiedeln und die Ureinwohner zu verdrängen. Um neo-europäisch zu werden, mußten diese Gebiete der Alten Welt ähnlich 222
und gleichzeitig von ihr weit entfernt sein. Die Geschichte der neo-europäischen Gebiete soll uns in der zweiten Hälfte dieses Buches beschäftigen. Doch zuvor müssen wir auf die Regionen eingehen, die heute nicht mehr zu den neo-europäischen Gebieten gehören, obwohl sie oft über längere Zeitspannen Kolonien einer europäischen Macht waren. Im Falle der asiatischen Pazifikregion nördlich des nördlichen Wendekreises können wir es kurz machen. In China, Korea und Japan trafen die Europäer auf eine kompakte Bevölkerung, die über bewährte Traditionen einer starken Zentralregierung, flexibler Institutionen und eines ausgeprägten kulturellen Identitätsgefühls verfügten, aber auch über Nutzpflanzen, domestizierte Tiere, Mikroorganismen und Parasiten, die etwa den in Europa vorkommenden Arten entsprachen. Auch die Ostasiaten selbst waren in entscheidender Hinsicht den Europäern weitgehend ähnlich. Nur auf technologischem Gebiet waren sie vorübergehend entscheidend im Rückstand. In diesem Teil der Welt haben die weißen Imperialisten niemals Siedlerkolonien gegründet: Die europäischen Viertel in Hafenstädten wie Macao, Nagasaki und Schanghai glichen lediglich Zapfhähnen, die man in die Flanken Asiens getrieben hatte, um sich etwas vom Reichtum dieses Kontinentes abzufüllen. In politischer, institutioneller und kultureller Hinsicht waren die Völker des Nahen Ostens gegenüber den Europäern ebenso solide gewappnet wie die Völker 223
Ostasiens. In dem Zeitraum, als die marinheiros mit der Eroberung der Ozeane beschäftigt waren, schickten sie sich an, ihr Herrschaftsgebiet auch in Richtung Europa auszuweiten. Mehrere Jahrhunderte lang kontrollierten die osmanischen Türken mit ihren Janitscharentruppen den Nahen Osten, den Balkan und Nordafrika, und selbst nach ihrem Niedergang wurden europäische Siedlerkolonien allenfalls am Rande der Islamischen Welt wie etwa in Algerien oder Kasachstan möglich. Die angestrengten Versuche der Europäer, sich in den heißen Zonen anzusiedeln, sind oft spektakulär gescheitert. Die heißen Zonen sollen hier in drei Kategorien von Tropen aufgeteilt werden, die sich hinsichtlich ihrer historischen Erfahrungen mit europäischen Siedlern unterscheiden. Die trockene Tropenzone bot sich kaum als Ziel einer Massenauswanderung an und stach den Europäern nur ins Auge, wenn gerade wertvolle Bodenschätze lockten. Die relativ feuchten und oft kühlen Hochlandregionen hatten eine größere Anziehungskraft, aber auch hier konnten die europäischen Eindringlinge die Urbevölkerung nur selten verdrängen. Schon lange vor Ankunft der Weißen waren nämlich bereits die Eingeborenen von den Vorzügen dieser Regionen angezogen worden. Die Hochtäler und Hochebenen waren daher in der Regel so dicht besiedelt, daß die einheimische Bevölkerung nicht ohne weiteres liquidiert werden konnte. Nehmen wir zur Illustration das zentrale Hochtal von Mexiko: Die Spa224
nier, die sich hier in beträchtlicher Anzahl niederließen, haben die Azteken und andere amerikanische Indianer nicht etwa verdrängt, sondern sich mit ihnen vermischt. Mexiko ist keineswegs ein neo-europäisches, sondern ein mestizo-Land. Auch andere Europäer strebten in die tropischen Bergregionen – beispielsweise in die »White Highlands« von Kenia –, blieben aber gewöhnlich nicht lange. Es gibt auch Ausnahmen: Die große Mehrheit der Bevölkerung von Costa Rica lebt im Hochland und ist europäischer Abstammung, läßt sich demnach als »neoeuropäisch« definieren. Aber der Fall Costa Rica ist nur eine kleine Ausnahme von der Regel, die Gesamtbevölkerung beträgt nicht einmal 2,5 Millionen. Die Regel (im Unterschied zum »Gesetz«) ist, daß die Europäer auch dann, wenn sie gelegentlich tropische Territorien erobern, diese zumindest nicht europäisieren, und zwar auch dann nicht, wenn sie europäische Temperaturen antreffen. Die dritte Kategorie von Tropen hat die europäischen Imperialisten von Anfang an interessiert und nie aufgehört, ihre begehrlichen Blicke auf sich zu ziehen: Die wasserreichen heißen Zonen in Afrika und Amerika produzierten, mindestens potentiell, Färbehölzer, Pfeffer, Zucker, Sklaven und andere gewinnbringende Landeserzeugnisse. In Südasien gab es weite Landstriche fruchtbaren Bodens, wo Millionen disziplinierter und fähiger Menschen lebten, die es gewohnt waren, einen Teil ihrer Produkte an einheimische und eingedrungene 225
Eliten abzuführen. Die Europäer bereicherten sich auch an den Tropengebieten der Alten und der Neuen Welt, aber der Errichtung europäischer Gemeinwesen war nur selten dauerhafter Erfolg beschieden. Auf lange Sicht erwiesen sich die feuchten Tropenzonen für die Europäer als zu großer Brocken, den sie zwar ergreifen, aber nicht verdauen konnten. Für den europäischen Geschmack war das tropische Asien – wie zu erwarten – großenteils zu heiß und zu feucht. Folgenreicher war für die Invasoren allerdings die wimmelnde Vielfalt feindlicher Kleinstlebewesen, mit der sie es in Asien zu tun bekamen. Die asiatische Bevölkerung hatte in Tausenden von Dörfern und Städten jahrtausendelang mit ihren Pflanzen und Tieren koexistiert, und in dieser konstanten Umgebung hatten sich viele Arten von Mikroben, Würmern, Insekten, Pilzen und allen möglichen sonstigen parasitären Organismen entwickelt, die es auf die Menschen und die ihnen dienstbaren Kreaturen abgesehen haben. In ständiger Symbiose mit ihren Peinigern hatten die Opfer jedoch eine so solide Anpassungsfähigkeit entwickelt, daß sie sich trotz dieser Parasiten am Leben halten und weiter vermehren konnten. Der europäischen Großfamilie dagegen erging es in Asien schlecht. Ihre ersten Vertreter, die Portugiesen, wurden sofort vom Wechselfieber, von der Ruhr, von Pokken, Hämorrhoiden und »geheimnisvollen Krankheiten« attackiert. In Indien grassierte eine Krankheit namens »Mordexijn« (Cholera?), die ein zeitgenössischer Reisen226
der so beschrieb: »Sie schwächt den Menschen und läßt ihn alles ausscheiden, was er in seinem Körper hält, in vielen Fällen obendrein sein Leben.« (Linschoten, o.J., I: 235–240) In Goa sei die Krankheit besonders gefährlich gewesen wegen der »unersättlichen Gelüste« der einheimischen Frauen, deren sexuelle Anforderungen den Mann »zu Staub zermalmen und wie ein Stück Dreck hinwegschwemmen« könnten (ebd.). Bei den Schwierigkeiten, die sich für die europäischen Siedler im Orient ergaben, spielten allerdings die westlichen Frauen eine zentrale Rolle: Wenn diesen nämlich klar wurde, was sie im Orient in puncto Hitze, Krankheiten, exotischen Nahrungsmitteln usw. erwartete und wie leicht die europäischen Männer Konkubinen fanden, waren sie nur selten gewillt, die gefährliche Reise rund um das Kap der Guten Hoffnung anzutreten, um sich in Asien der Kinderaufzucht zu widmen. Europäische Männer haben sich wohl manchmal nach dem Leben »östlich von Suez« gesehnt, »wo es keine Zehn Gebote gibt und ein Mann auch schon einmal über die Stränge schlagen kann«; was aber konnte sich eine zukünftige Ehefrau und Mutter davon versprechen? Die Nachkommen der in Asien lebenden Europäer waren in der Regel halbe Asiaten (in Britisch Indien gab es eine abschätzige Redewendung, wonach der Notstand die Mutter der Eurasier sei). Diese Kinder nahmen gewöhnlich die Kultur und Sprache ihrer Mütter viel selbstverständlicher an als die ihrer Väter. Und da die 227
Europäer den Eurasiern ohnehin wenig Verständnis entgegenbrachten, waren die Chancen gering, aus diesen gute kleine Portugiesen, Holländer oder Engländer zu machen (Goonewardena 959: 203–24; Boxer 975; Taylor 983, jeweils passim). Die Probleme der europäischen Eindringlinge in den Tropengebieten Asiens ähnelten denen, die ein halbes Jahrtausend zuvor die Kreuzfahrer im Heiligen Land gehabt hatten. Die begehrten Gebiete waren schon in festen Händen und von weit mehr Menschen besiedelt, als die Europäer jemals in den Orient entsenden konnten. Die Einheimischen zeichneten sich durch große physische Widerstandsfähigkeit und kulturelle Bodenständigkeit aus. Die Inder, Indonesier, Malaien usw. bevorzugten wie die Europäer kleinkörnige Getreidesorten (insbesondere Reis, der erst in der Renaissance bis Europa vorgedrungen war); sie waren auf etwa dieselben Tiere angewiesen (von denen sie nur pro Kopf viel weniger besaßen); und sie hatten gegen die gleichen Krankheitserreger und Parasiten zu kämpfen, wobei sie es zusätzlich mit mehreren gefährlichen Arten zu tun hatten, die man in Europa nicht kannte. Trotz aller Unterschiede zwischen diesen Menschen des Westens und des Ostens waren sie offenbar gemeinsame Kinder der Neolithischen Revolution der Alten Welt, weshalb die Europäer gegenüber den Asiaten allenfalls einen recht kurzfristigen Vorteil genossen. Selbst die großen Städte Singapur und Batavia (das heutige Djakarta) waren 228
als Gründungen der weißen Imperialisten im Grunde nur gigantische Handelsposten, ihre europäischen Bewohner kaum mehr als Seeleute und Frachtaufseher mit verlängertem Landurlaub, der sich freilich über Jahrzehnte hinziehen konnte. Als die Europäer in die feuchtheißen Regionen Afrikas kamen, waren dort nur wenige Elemente der Neolithischen Revolution – wie Landwirtschaft, größere Ansiedlungen und Eisen – anzutreffen. Theoretisch hätten die Europäer die Afrikaner also leichter unterwerfen können als die Asiaten, die Eroberung Afrikas war jedoch nicht vor dem Ende des 9. Jahrhunderts abgeschlossen. Das afrikanische Ökosystem war zu üppig, zu fruchtbar, zu ungezähmt und damit für die Invasoren erst mit erweitertem naturwissenschaftlich-technologischen Aufwand zu unterwerfen. Um der vorsteinzeitlichen Herausforderung des Regenwaldes gewachsen zu sein, fehlten den Europäern angemessene Vorrichtungen und Vorstellungen. 555 notierte der Chronist einer Expedition nach Westafrika, die es unter anderem auf Elfenbein abgesehen hatte: »Am heutigen Tag gingen wir mit dreißig Mann auf Elefantenjagd; alle unsere Leute waren gut gerüstet mit Hakenbüchsen, Piken, Langbogen, Armbrüsten, Streitäxten, Langschwertern wie auch kurzen Schwertern und Rundschilden: Damit trafen wir auf zwei Elefanten, die wir etliche Male mit unseren Hakenbüchsen 229
und Langbögen beschossen, die entkamen aber dennoch und verwundeten einen unserer Männer.« (Hakluyt 907, IV: 98) Dabei konnten sie von Glück sagen, daß es bei diesem Zusammentreffen von Europäern und Elefanten bei einem Verwundeten blieb. Bis zum 9. Jahrhundert – mit seinen Errungenschaften von den billigen und reichlichen Chininvorräten bis zum Repetiergewehr – hatten die Weißen einfach nicht die nötige Ausrüstung, um sich Afrika gefügig zu machen. Ihre Feldfrüchte brachten schlechte Erträge, weil sie verrotteten oder Insekten und allen möglichen hungrigen Tieren (darunter auch Elefanten) zum Opfer fielen. Selbst wenn die Pflanzen das alles überstanden hatten, sorgte die in den Tropen herrschende konstante Tageslänge dafür, daß sie falsche oder überhaupt keine Hinweise auf den richtigen Zeitpunkt bekamen, wann sie blühen oder Früchte abwerfen sollten, und schließlich an Anomie eingingen. Die ersten Portugiesen auf São Tome mußten feststellen, daß der Weizen »keine vollen Ähren ausbildet, sondern einfach in die Höhe schießt, ohne auch nur ein Korn in der Ähre zu tragen« (zit. nach Blake 92,: 63 f.). Nicht besser erging es dem europäischen Vieh in Westafrika. Die örtlichen Parasiten und Krankheiten, allen voran die Trypanosomiasis, machten die Haltung von Haustieren fast völlig unmöglich. Als die Weißen an der westafrikanischen Küste landeten, gab es dort zwar 230
schon einige Rinder, aber es waren sehr kleine Tiere, deren Fleisch »trocken und unergiebig« und deren Milchproduktion so dürftig war, daß zwanzig oder dreißig von ihnen kaum ausreichten, um den Haushalt des Vorstehers des holländischen Außenpostens zu versorgen (so die Aussage eines Reisenden aus dem 7. Jahrhundert). An der Küste und im unmittelbaren Hinterland gab es lediglich importierte Pferde, die nicht lange lebten und sich in dem feucht-heißen Klima auch nicht fortpflanzten. Die Portugiesen machten ein gutes Geschäft, als sie die Pferde weiter im Süden gegen Gold, Pfeffer und Sklaven eintauschten. Es gab zwar einige Pferde tief im Inneren Afrikas, vor allem wohl am Rande des sudanesischen Graslandes, aber die waren »so klein, daß ein großer Mann, wenn er auf ihrem Rücken saß, mit seinen Füßen fast schon den Boden streifte« (Bosman 967: 236 ff.; Law 980: 44 f., 76–82; Voyages of Cadamosto 30, 33). Das wirksamste Abwehrmittel Westafrikas gegen die europäischen Eindringlinge waren Krankheiten: das Schwarzwasserfieber, das Gelbfieber, das Denguefieber, die rote Ruhr, und eine ganze Menagerie von Wurmparasiten. Beispiele für ihre verheerenden Wirkungen gibt es zuhauf, aus ganz frühen wie aus späteren Zeiten: König João II. (48–495) entsandte einen seiner Edelmänner, einen veritablen Ritter zu Pferde und einen Armbrustschützen der königlichen Wache mitsamt entsprechendem Gefolge (insgesamt acht Mann) nach Afrika und flußaufwärts den Gambia entlang, um den 231
König von Mandi aufzusuchen. Bis auf einen, dem »diese Gebiete vertrauter waren«, kamen alle Beteiligten um (Voyages of Cadamosto: 43). Im frühen 9. Jahrhundert war es die Regel, daß Jahr für Jahr mehr als die Hälfte aller an der Goldküste stationierten britischen Soldaten starben (Curtin 968: 202 f.). Joseph Conrad nahm zwei Generationen später an dem verrückten Vorhaben des belgischen Königs Leopold II. zur Ausbeutung der Kongo-Region teil – und wäre daran fast gestorben. Er berichtet von Fieber- und Durchfallerkrankungen, die derart grassierten, daß die meisten seiner Kollegen noch vor Ablauf ihrer Vertragszeit nach Hause geschickt wurden, »damit sie nur nicht im Kongo starben. Gott bewahre! Das würde ja die Statistiken verderben, die ganz vorzüglich aussahen. Kurz und gut: es scheint, als könnten nur sieben Prozent ihre volle dreijährige Dienstzeit erfüllen.« (Zit. nach Tennant 98: 76) Afrika schien für die Europäer eine leichte Beute zu sein, aber die Hand, die sich auf den Kontinent legen wollte, hat sich an ihm verbrannt. João de Barros, der im 6. Jahrhundert die Küste von Guinea kennenlernte, verlieh den ernüchternden Erfahrungen aller Imperialisten mit gleichmäßig, daß man ihn nicht ernten kann, denn bei gleichzeitig ausgebrachter Saat sind die Halme teilweise nur in die Höhe geschossen, andere haben Ähren angesetzt; die einen werden nur zu Gras, die anderen zu Korn« (de Acosta I: 233). Nur in den Bergregionen und Hochebenen des tropischen Amerika 232
gediehen der Weizen und einige andere aus dem Nahen Osten stammende Pflanzen so, wie es nach jüdisch-christlicher Tradition zu erwarten war. Im amerikanischen Tiefland sahen sich die Europäer ähnlich wie in Afrika des öfteren gezwungen, einheimische Nutzpflanzen zu übernehmen – Maniok, Mais, Süßkartoffeln u. a. m. –, die ihnen gegenüber anderen Völkern keine Vorteile brachten. Weit besser als den Pflanzen der Alten Welt ist es auf den Karibischen Inseln und in anderen Tropenregionen Amerikas den Haustieren aus Europa – besonders Schweinen und Rindern – ergangen. Die Pferde dagegen brauchten viele Jahre, um sich beispielsweise den Umweltbedingungen des brasilianischen Graslandes und der Llanos anzupassen. Gleichwohl läßt sich sagen, daß die europäischen Viehsorten in den heißen Zonen Amerikas sehr gut, in denselben Breitenzonen Afrikas dagegen überhaupt nicht gediehen. Offensichtlich ist dies eine Erklärung dafür, warum die Kolonien auf den beiden Kontinenten eine so grundverschiedene Geschichte gehabt haben (Crosby 972: 64–2). Krankheitserreger, die in den meisten Fällen offenbar aus der Alten Welt stammten, haben unter den Indianern der amerikanischen Tropenzone heftig gewütet und die meisten von ihnen vernichtet, vor allem in den Tieflandregionen und auf den Inseln, die auf diese Weise für weiße Siedlungsvorhaben erschlossen wurden. Die spezifisch afrikanischen Krankheitserreger setzten den 233
Weißen fast ebenso hart zu und legten ihre kolonialen Unternehmungen lahm. Zwischen 793 und 796 verlor die britische Armee in ihrem karibischen Operationsgebiet etwa 80 000 Mann, wobei jeder zweite dem Gelbfieber zum Opfer fiel. Diese Zahl liegt doppelt so hoch wie die Gesamtverluste, die die Truppen des Herzogs von Wellington während des Krieges gegen Napoleon auf der Iberischen Halbinsel (808, 84) erlitten haben (Guerra 966: 23–35). In der Friedensperiode zwischen 87 und 836 lag die jährliche Sterberate bei den britischen Soldaten in Westindien zwischen 85 und 30 pro Tausend, in der Heimat hingegen nur bei etwa 5 (wobei angemerkt sei, daß sie im selben Zeitraum in Westafrika bei über 500 pro Tausend lag; vgl. Curtin 968: 202 f.). Europäische Siedlerkolonien in den amerikanischen Tropen waren selten und wenig erfolgreich. Die einzigen Spuren, die zum Beispiel ein Siedlungsversuch von Schotten am Golf von Darien (im heutigen Kolumbien) gegen Ende des 7. Jahrhunderts und 60 Jahre später ein französischer Versuch in Guyana hinterlassen haben, waren Tausende von Toten und ein paar Dutzend Hütten, die in dem feuchten Klima vor sich hinmoderten (Prebble 968: passim; Priestly 939: 04 f.; Chaia 958: passim). Eine europäische Kolonie in der feuchtheißen Zone Südamerikas bestand häufig aus einer kleinen weißen Verwalterschicht, einer begrenzten Zahl freier Schwarzer und Mulatten und einer riesigen Menge afrikanischer Sklaven. Diese waren praktisch immer unterernährt und häufig überarbeitet. In 234
einer Umwelt, deren Krankheiten für sie zwar nicht so gefährlich waren wie für die Weißen, aber doch gefährlicher als in ihrer früheren Heimat, wurden sie in rascher Folge hinweggerafft. Aber solche Ausfälle ließen sich ja laufend ersetzen (Kiple 984: passim). Die Krankheiten wurden zum wichtigsten Bedingungsfaktor für die zwangsläufige Entwicklung der feuchtheißen Zone Amerikas zu einem ethnisch gemischten Siedlungsgebiet. Die indianische Urbevölkerung schmolz dahin, und die europäischen Einwanderer konnten sich nur mühsam am Leben halten – also brachten die Veranstalter des Transatlantikhandels als Ersatz für die indianischen Arbeitskräfte Millionen von Afrikanern in die feuchten Tropenregionen Amerikas. So kam es zu den neo-afrikanischen und ethnisch gemischten Gesellschaften von heute. Sie gleichen nicht den Metropolen der gemäßigten Zone wie Montreal, deren ethnische und kulturelle Bandbreite so eng ist wie der Kanal, der in England English Channel und in Frankreich la Manche genannt wird; es sind tropische Metropolen wie Rio de Janeiro, wo Mulatten und Zambos (Abkömmlinge von Schwarzen und Indianern; A.d.Ü.) und vorgeblich reinblütige Portugiesen beim nächtlichen Karneval gemeinsam den afrikanischen Samba tanzen. * Trotz aller widrigen Umstände haben die Europäer in den feuchtheißen Tropen neo-europäische Gesellschaften geschaffen. Das Studium der Bedingungen ihres Zustandekommens vermittelt uns ein wertvolles Stück 235
biogeographischen Anschauungsunterrichts. Nehmen wir die Frühgeschichte von Queensland, dem Bundesstaat im tropischen Nordost-Australien, der sich durch eine weiße Bevölkerung und bemerkenswert gesunde Lebensverhältnisse auszeichnet. Hier konnte dank einer Serie glücklicher Fügungen eine neo-europäische Gesellschaft in einer Region mit demselben feuchtheißen Klima entstehen, in dem europäische Siedlungen anderswo verschimmelt, verrottet und an der Malaria zugrundegegangen waren. Das größte Problem europäischer Siedlungen in der feuchten Tropenzone waren weder die Hitze noch die Feuchtigkeit. Beide Faktoren trugen zwar erheblich zu den Schwierigkeiten bei, aber für die Europäer bestand das eigentliche Problem der Tropen im Kontakt mit den Menschen, mit deren dienstbaren Kreaturen und den dazugehörigen parasitären Mikround Makroorganismen. Queensland bot genügend Feuchtigkeit und Wärme für die Fiebermücke oder den Aedes-Mosquito, für die TsetseFliege oder den Hakenwurm und anderes Getier. Es fehlte dagegen eine größere einheimische Bevölkerung mit ihren Tieren und Pflanzen als Träger der winzigen Lebewesen, die den Eindringlingen hätten gefährlich werden können. Die Urbevölkerung von Queensland war nicht sehr zahlreich und beherbergte deshalb weniger Arten parasitärer Organismen; sie baute keine Nutzpflanzen an und hielt mit dem Dingo nur ein einziges Haustier, das als Träger für Krankheitserreger und alle möglichen anderen Plagegei236
ster der importierten Pflanzen und Tiere in Frage kommen konnte. Als die weißen Eindringlinge Arbeitskräfte für ihre Zuckerrohrplantagen heranschafften (Queensland gehörte zu den allerletzten Plantagenregionen des Typs Madeira), holten sie diese von den relativ »gesunden« Inseln des Pazifik und nicht etwa von den seuchengeplagten Kontinenten Asien und Afrika. Die »Kanaken«, wie diese Kontraktarbeiter genannt wurden, brachten einige tropische Infektionskrankheiten mit, ebenso wie die zugewanderten Chinesen und die britischen Soldaten, die aus Indien kamen. Aber alles in allem schleppten sie keine so reichhaltige Kollektion von Krankheitserregern und Parasiten nach Queensland ein wie etwa die Afrikaner nach Brasilien und in die Karibik. Selbst die Malaria konnte sich nicht sehr dauerhaft etablieren. Die Regierung unterband den weiteren Zuzug nichtweißer Einwanderer (aus einer Reihe von ökonomischen, humanitären und rassistischen Motiven), womit der Import von Krankheitserregern weitgehend eingedämmt wurde. Die weißen Eliten von Queensland griffen die Lehren der sanitären und bakteriologischen Revolution des 9. und 20. Jahrhunderts auf und praktizierten sie zum Schutze der Einwohner und ihrer Viehherden und Nutzpflanzen. Mit der Zeit verschwand auch die Malaria, und Queensland wurde, was es heute noch ist: eine der gesündesten Gegenden, die es auf dieser Erde innerhalb * Bolton 970, VII: 76, 49, 249, 25; Cilento 959: 289, 29, 293, 42, 437; Davidson 966: 2-46
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und außerhalb der heißen Zonen gibt. Das hat eine Menge Geld gekostet, das auf verschiedenste Weise von Australien aufgebracht wurde.* Die neo-europäische Gesellschaft von Queensland ist nicht so künstlich erzeugt wie zum Beispiel die von den USA geschaffene Kolonie um den Panamakanal. Aber der Nordosten Australiens bietet auch nicht die gleichen kühlen, bequemen und leichten Lebensbedingungen wie der gemäßigte Süden, wo sich mancher Engländer zu trügerischen Erinnerungen an den heimatlichen Lake District verführen lassen könnte. Im zweiten Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts stand eine kleine Gruppe englischer Dissenters, die sich in ihrem niederländischen Exil von der Armut wie von der Aussicht bedroht sahen, daß ihre Kinder als Holländer aufwachsen würden, vor einer schweren Entscheidung. Wohin sollten sie auswandern, um eine ebenso gottgefällige wie englische Gemeinschaft zu begründen? Ausführlich erörtert wurden die Aussichten in Guyana; zur Debatte stand aber auch der Norden Virginias. Ihre Analyse der Vor- und Nachteile beider Projekte bezog sich auf die damalige Zeit, hat aber heute noch ihre Gültigkeit (wenn man einmal die im Fall Queensland erwähnten gesundheitspolitischen Investitionen außer Betracht läßt). Guayana, so lautete ihr Urteil, sei »sowohl fruchtbar als auch angenehm und dürfte den Besitzern ein gutes Auskommen und Reichtümer 238
leichter gewähren als das andere Gebiet; zieht man jedoch noch andere Dinge in Betracht, sieht es für sie nicht mehr so günstig aus … Solche heißen Länder sind mit schrecklichen Krankheiten und gesundheitsgefährdenden Belastungen behaftet, die anderen, klimatisch gemäßigteren Gegenden in geringerem Maße zu eigen sind, und wären unseren englischen Leibern nicht so zuträglich.« (Zit. nach Bradford 963: 28; vgl. auch Kupperman 984: passim) Also segelten die »Pilgerväter«, wie wir sie heute zu nennen pflegen, nach Nordamerika, wo noch während ihres ersten Winters jedes zweite Mitglied der Gruppe an Unterernährung, Erschöpfung oder Erkältung zugrundeging. Die übrigen kamen in den – ihrer Überzeugung nach verdienten – Genuß von Segnungen, die schon Abraham von seinem Gott bekommen hatte: »Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr …, daß ich deinen Samen segnen und mehren will wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres; und dein Same soll besitzen die Thore seiner Feinde; und durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, darum daß du meiner Stimme gehorcht hast.« (. Mose 22, 7–8) Hätten die Pilger sich von der begeisterten Schilderung 239
beeindrucken lassen, die Sir Walter Raleigh von Guayana gegeben hat: »… nach meiner festen Überzeugung hat keine Gegend, ob im Osten oder im Westen, gleichermaßen gesunde Bedingungen und gute Luft, Annehmlichkeiten und Reichtümer zu bieten« (Raleigh 90: 389), und wären sie tatsächlich nach Guyana gesegelt, so hätten sie sich in eine Umwelt begeben, die mit ihrer Hitze und ihrer Luftfeuchtigkeit, ihren Raubtieren, Parasiten und Krankheitserregern die Europäer und ihre Hilfsorganismen vielfachen Gefahren ausgesetzt hätte. Und die Pilgerväter hätten schwerlich mehr hinterlassen als flache Leichengruben in feuchtem Grund.
Die Flora »Wir haben es mit der deutlich sichtbaren doppelten Anomalie zu tun, daß Australien für einige englische Pflanzen bessere Bedingungen bietet als England, und daß einige englische Pflanzen in Australien bessere Bedingungen finden als selbst die australischen Pflanzen, die den englischen Eindringlingen Platz machen mußten.« Joseph Dalton Hooker (853)
Daß die Europäer es nicht geschafft haben, Asien und das tropische Afrika zu europäisieren, ist nicht erstaunlich. In den Tropengebieten der Neuen Welt waren sie erfolgreicher, aber auch unter der glühenden amerikanischen Sonne kam es nicht zur massenhaften Gründung neoeuropäischer Gesellschaften. In manchen Gegenden haben die Europäer dies nicht einmal versucht und sich stattdessen auf die Schaffung von Plantagenkolonien konzentriert, die mit nicht-europäischen Tagelöhnern, Sklaven oder Kontraktarbeitern betrieben wurden. Das eigentlich Erstaunliche ist die Tatsache, daß die Europäer in den neo-europäischen Gebieten so zahlreich Wurzeln schlagen und in der Tat so fruchtbar werden konnten, daß sie sich »mehrten wie die Sterne am Himmel und wie der Sand an den Ufern des Meeres« (. Mose 22, 7). Das gelang trotz der großen Entfernung und trotz der 241
vielen – nach den Maßstäben der Alten Welt – befremdlichen Erscheinungen in den neo-europäischen Gebieten. Quebec mag heutzutage wie Cherbourg aussehen, aber um 700 war das bestimmt nicht der Fall. San Francisco, Montevideo und Sydney mögen heute europäisch wirken, aber vor wenigen Generationen – und es waren wirklich nur sehr wenige – hatten sie weder Steinhäuser noch Straßen und waren von amerikanischen Indianern bzw. australischen Aborigines bewohnt, die eifersüchtig über ihren Grundbesitz und ihre Rechte wachten. Wie also haben es die weißen Eindringlinge geschafft, aus diesen Hafenstädten und Küstenregionen neo-europäische Städte zu machen? Jede ernstzunehmende Theorie, die den demographischen Vormarsch der Europäer zu erklären versucht, muß für mindestens zwei Erscheinungen eine Erklärung aufbieten. Die erste ist die Demoralisierung und häufig auch Liquidierung der Urbevölkerung dieser neo-europäischen Gebiete. Die vernichtende Niederlage dieser Menschen war nicht einfach in ihrer technologischen Unterlegenheit begründet. Die Europäer, die sich im klimatisch gemäßigten Südafrika niederließen, hatten auf den ersten Blick dieselben Vorteile wie die Siedler im amerikanischen Virginia und im australischen New South Wales, und doch hat ihre Geschichte einen völlig anderen Verlauf genommen. Die bantusprechenden Völker, die im heutigen Südafrika die Weißen zahlenmäßig weit übertreffen, besaßen im Gegensatz zu den ameri242
kanischen, australischen und neuseeländischen Ureinwohnern Eisenwaffen. Aber ist ein Speer mit Steinspitze gegenüber einer Muskete oder einem Gewehr eine so viel deutlicher unterlegene Waffe als ein Speer mit Eisenspitze? Der demographische Aufschwung der Bantuvölker geht nicht auf die zahlenmäßige Stärke zurück, die sie zur Zeit ihres ersten Kontakts mit den Weißen erreicht hatten; wahrscheinlich waren sie damals weniger Menschen pro Quadratkilometer als beispielsweise die Indianer in Amerika östlich des Mississippi. Der Aufschwung der Bantu erklärt sich vielmehr daraus, daß sie die militärische Eroberung überlebten, sich von den Eroberern fernhielten oder sich ihnen als Dienstkräfte unentbehrlich machten – und längerfristig aus der Tatsache, daß sie sich stärker vermehrt haben als die Weißen. Im Gegensatz dazu überlebten in den neo-europäischen Gebieten nur wenige Ureinwohner. Dies gilt es zu erklären. Das zweite erklärungsbedürftige Phänomen ist der erstaunliche, ja geradezu unheimliche Erfolg der europäischen Landwirtschaft in den neo-europäischen Gebieten. Die Schwierigkeiten der europäischen Landwirtschaft in der sibirischen taiga, dem brasilianischen sertão oder dem südafrikanischen veldt steht in scharfem Gegensatz zu ihrer leichten, fast mühelosen Ausbreitung etwa in Nordamerika. Das Leben der weißen Pioniere in den USA und Kanada war zwar von Gefahren, Entbehrungen und unablässigen Anstrengungen gezeichnet. Als Individuen haben viele ihr Ziel nicht erreicht: Sie 243
kapitulierten vor Schnee- oder Sandstürmen, ihre Ernten wurden von Heuschrecken, ihre Herden von Pumas und Wölfen heimgesucht, und manche büßten ihren Skalp ein. Aber als Gruppe haben sie es noch stets geschafft, jeden einzelnen Abschnitt der gemäßigten Zone Nordamerikas innerhalb weniger Jahrzehnte oder noch schneller zu bändigen. Die Auslöschung der Urbevölkerung und der Vormarsch der europäischen Landwirtschaft waren so allgewaltige Phänomene, daß sie fast als übermenschlich erscheinen: als Äußerung von Kräften, die auf die menschlichen Verhältnisse einwirken und dabei mächtiger, beharrlicher und universaler sind als der menschliche Wille – von Kräften, die sich durch diesen Willen so wenig beeinflussen lassen wie das ständige unerbittliche Vorrücken eines Gletschers durch eine losbrechende Lawine. Betrachten wir die Wanderungsbewegungen der Menschen zwischen Europa und den neo-europäischen Gebieten: Einige Zehnmillionen Europäer verließen ihre Heimat und wanderten in neo-europäische Gebiete, wo sie sich in stattlichem Umfang vermehrten. In krassem Gegensatz dazu sind Ureinwohner der amerikanischen Subkontinente, Australiens oder Neuseelands extrem selten nach Europa gekommen, geschweige denn, um Kinder zu hinterlassen. Nun ist allerdings die Tatsache, daß der Migrationsfluß fast ausschließlich von Europa nach den Kolonien verlief, weder sensationell noch besonders erhellend. Die Auswanderung in die Übersee244
gebiete stand schließlich unter europäischer Kontrolle, und Europa war zum Export und nicht etwa zum Import von Arbeitskräften gezwungen. Aber dieses Grundmuster der Wanderungen ist insofern von Bedeutung, als es in der Migrationsgeschichte auch anderer zwischen Europa und den neo-europäischen Gebieten wandernder Arten wieder auftaucht. Natürlich können wir nicht auf alle diese wandernden Arten eingehen, und ein Vorgang wie z. B. die Ausbreitung des Weizen- und Rübenanbaus im Gefolge europäischer Bauern ist überdies ziemlich banal und nichtssagend. Näher betrachten müssen wir uns hingegen drei allgemeine Typen von Lebewesen, die häufig über die Nahtlinien der Pangäa hinausgelangt und in den Kolonien allenthalben erfolgreich gediehen sind, und zwar nicht mit, sondern oft ohne die Beihilfe der Europäer oder gar entgegen ihrer Bemühungen. Gemeint sind erstens das Unkraut, zweitens verwilderte Tiere und drittens Krankheitserreger, die zusammen mit menschlichen Lebewesen auftreten. Unsere Frage lautet: Ist in der Geschichte dieser drei Gruppen ein Grundmuster zu entdecken, das auf eine globale Erklärung für dieses Phänomen des demographischen Triumphes der Europäer in den neo-europäischen Gebieten oder doch wenigstens auf neue Erkundungspfade verweist? Zunächst ist es allerdings angezeigt, den Begriff der »neo-europäischen Gebiete« enger als bisher zu definieren. Nicht alle Regionen der Vereinigten Staaten, Argentiniens, Australiens usw. haben die Europäer massenweise 245
angezogen. In der Großen Sandwüste im Nordwesten Australiens leben beispielsweise nur wenige Weiße; wenn der ganze Kontinent so unfruchtbar und trocken wäre, hätte er so wenig neo-europäische Merkmale entwickelt wie etwa Grönland. Wo immer die heißesten, kältesten, trockensten, feuchtesten, also allgemein ungastlichsten Teile der neo-europäischen Gebiete heute von Weißen besiedelt sind, erklärt sich dies daraus, daß zunächst die gastlicheren Regionen sehr viele weiße Einwanderer anzogen, die sich dann von dort aus weiter verteilt haben. Diese gemäßigten Regionen sind die Schauplätze, auf denen sich nach der Ankunft von Kolumbus in Amerika und von Captain Cook in Australien die wichtigsten Existenzkämpfe zwischen den einheimischen und den fremden Arten abspielten, deren Ausgang die Voraussetzung für die Europäisierung dieser Gebiete war. Wir werden deshalb unsere Aufmerksamkeit gezielt auf diese Schauplätze konzentrieren. Als Aufzuchtbeet für die neo-europäischen Unkrautarten fungierte in Nordamerika das östliche Drittel der Vereinigten Staaten und Kanadas, wo heute, 350 Jahre nach Gründung von Jamestown und Quebec, immer noch die Hälfte der nordamerikanischen Gesamtbevölkerung lebt. In Australien war die äußerste Südwestecke, also der Abschnitt zwischen der Linie Brisbane – Adelaide und der Küste, unter Einschluß von Tasmanien, für das Unkraut besonders anziehend. Dasselbe gilt für ganz Neuseeland – mit Ausnahme der kalten Bergregionen 246
und der westlichen Steilküste der Südinsel. Die neo-europäische Kernregion des südlichen Südamerika ist die regenreiche Grasebene, in deren Zentrum Buenos Aires liegt. Dieses riesige, größtenteils ebene Territorium füllt den ganzen Halbkreis aus, der sich von Bahia Bianca im Süden über Cördoba im Westen bis Porto Alegre an der brasilianischen Küste schlagen läßt. Das weit über eine Million Quadratkilometer große Gebiet umfaßt ein Fünftel der Gesamtfläche Argentiniens, ganz Uruguay und die brasilianische Provinz Rio Grande do Sul. Mit zwei Dritteln der argentinischen und der Gesamtheit der Bevölkerung von Uruguay und Rio Grande do Sul enthält das Gebiet die größte Bevölkerungskonzentration unserer Erde südlich des südlichen Wendekreises.* * Nach dieser Übersicht über die Schauplätze können wir endlich »die Vagabunden unserer Pflanzenwelt«, also die diversen Unkrautarten auftreten lassen (Hooker 864: 25). »Unkraut« ist kein wissenschaftlicher Begriff im Sinne einer Spezies, einer Gattung oder einer Familie, und seine volkstümliche Definition ist willkürlich und fließend. Wir brauchen also zunächst eine definitorische Klärung. In der modernen Botanik wird das Wort auf alle Pflanzen angewandt, die sich rasch ausbreiten und andere Pflanzen auf geschädigten Böden verdrängen. Vor * Die statistischen Angaben stammen aus: The New Rand McNally College World Atlas 983; The World Almanac and Book of Facts 983; The American Encyclopedia 983: XXI, Smith 972: 70
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Einführung der Landwirtschaft gehörten relativ wenige dieser Pflanzen exklusiv zu einer bestimmten Spezies; es waren ganz allgemein die »Pioniere der sekundären Sukzession oder Kolonistenpflanzen«, die sich dank ihrer spezifischen Eigenschaften auf Bodenflächen festsetzen konnten, deren ursprünglicher Bewuchs durch Erdrutsche, Überschwemmungen, Feuer und dergleichen vernichtet worden war (Harlan 975: 86, 89). Unkraut ist durchaus nicht immer etwas Schlechtes. Roggen und Hafer waren früher einmal Unkrautarten, heute sind sie Getreidepflanzen (Baker 966: 5–8). Es gibt auch den umgekehrten Fall, daß sich Getreidepflanzen in Unkraut verwandeln. Der Amarant und die Fingerhirse (Eleusia) waren zu vorgeschichtlichen Zeiten in Amerika und Europa wegen ihrer nahrhaften Samen als Getreidesorten geschätzt und sind heute zu Unkrautarten degradiert. (Der Amarant ist derzeit vielleicht im Begriff, sich wieder zu einer geachteten Getreidesorte hochzuarbeiten; vgl. Harlan 975: 9; Vietmeyer 982: 43–46.) Auch sind nicht alle Unkrautarten eine allgemeine Landplage. Das Bermudagras zählt zu den hartnäckigsten Unkrautarten der Tropen, wurde aber am unteren Mississippi noch vor 50 Jahren als Mittel zur Dammbefestigung geschätzt, während zugleich die Bauern unweit desselben Flusses nur vom Teufelsgras sprachen (Harlan 975: 0). Unkraut ist also nicht gut oder schlecht. Es handelt sich lediglich um Pflanzen, die den Botaniker dazu verführen, anthropomorphe 248
Ausdrücke wie »aggressiv« oder »opportunistisch« zu gebrauchen. Schon lange bevor sich die marinheiros auf den »mediterranen Atlantik« hinauswagten, waren in Europa eine ganze Menge Unkrautarten bekannt. Als die Eiszeitgletscher nach Norden zurückwichen, bildeten sich Unkrautarten heraus, die sich auf den freigelegten nackten Bodenflächen ausbreiteten. Die im Neolithikum nach Europa einwandernden Bauern brachten mit ihren Getreidepflanzen und Viehherden auch die Unkrautarten des Nahen Ostens mit. Einige dieser opportunistischen Pflanzen sind dann wahrscheinlich über den Atlantik hinweg bis nach Vinland gelangt, wo sie die Siedlungen der Norweger jedoch nur um ein, zwei Jahre überdauerten. Als erste Besiedlungspflanzen haben zweifellos die Unkrautarten der Mittelmeerregion die Reise über das Meer geschafft: zuerst den kurzen Sprung zu den abgeholzten Hängen der Azoren, des Madeira-Archipels und der Kanarischen Inseln, und von dort die lange Reise zu den Westindischen Inseln und den tropischen Regionen Amerikas. Über die Unkrautarten im Amerika des 5. und 6. Jahrhunderts wissen wir nur sehr wenig. Die Konquistadoren schenkten der Landwirtschaft wenig Beachtung und um Unkraut kümmerten sie sich gar nicht. Auch die Historiker nahmen von den malas hierbas nur selten Notiz. Gleichwohl wissen wir, daß es sie schon gegeben hat. Europäische Getreidesorten und andere willkommene Nutzpflanzen schossen in der Karibik selbst dann noch 249
üppig ins Kraut, wenn sich die nur noch auf Gold und Eroberungen versessenen Bauern gar nicht mehr um sie kümmerten. Insofern können wir sicher sein, daß es den importierten Unkrautsorten, die ja gerade auf vernachlässigten Flächen gedeihen, in der Tat ganz prächtig ging (de Oviedo 959: 0, 97 f.). Selbst das Vegetationsverhalten der Bäume sank alsbald auf Unkrautniveau herab. Als Jose de Acosta Ende des 6. Jahrhunderts Erkundigungen einzog, wer denn die Orangenbaum-Wälder gepflanzt hätte, die er auf seinen Streifzügen durchquerte, bekam er die Antwort: daß Orangen zu Boden gefallen und verfault seien, die Kerne von den Wasserläufen über die Gegend verteilt und daraus eben jene dichten Wälder entstanden seien. 250 Jahre danach entdeckte Charles Darwin in der Nähe der Paraná-Mündung einige Inseln mit dicht wuchernden Orangen- und Pfirsichbäumen, die ebenfalls aus dem Fluß herangeführten Samen erwachsen waren (Crosby 972: 66 f.; Darwin 962: 20). In der Karibik, in Mexiko und anderswo müssen die importierten Unkrautsorten weite Bodenflächen erobert haben, denn die Eroberung durch die Spanier hatte in gewaltigem Umfang Bodenschäden verursacht. Ganze Wälder wurden abrasiert, um Nutzholz und Brennmaterial zu gewinnen oder Raum für neue Unternehmungen zu schaffen. Die Herden der aus der Alten Welt herübergebrachten Weidetiere strapazierten und zerstörten das Grasland und drangen bis in die Waldgebiete vor. Die Felder, die von der schwindenden indianischen Bevöl250
kerung aufgegeben wurden, fielen wieder an die Natur zurück – an eine Natur freilich, zu deren aggressivsten Pflanzen jetzt die eingewanderten »Exoten« aus Europa geworden waren. Friar Bartolomé de las Casas berichtete in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts über große Herden von Rindern und anderen europäischen Tieren, die auf den Westindischen Inseln die einheimischen Pflanzen bis auf die Wurzeln abfraßen, was die Ausbreitung von Farnen, Disteln, Wegerich, Nesseln, Nachtschatten, Segge und ähnlichem zur Folge hatte. Er klassifizierte diese Pflanzen als kastilische Unkrautarten und behauptete dennoch, sie seien bei der Ankunft der Spanier bereits dagewesen (de las Casas 967, I: 8 f.). Daß sich dieselben Arten in Kastilien wie auf Española entwickelt hätten, ist freilich ausgeschlossen, und daß sie im präkolumbianischen Zeitalter über den Atlantik gewandert sein sollen, klingt unwahrscheinlich. Weitaus wahrscheinlicher ist, daß sie als Pionier- oder Kolonistenpflanzen zusammen mit den Entdeckungsreisenden aus der Alten Welt eingetroffen waren und sich dann in der neuen Umgebung ebenso schnell (oder noch schneller) ausbreiteten wie die Kirchenmänner. Mindestens ebenso schnell hat das Unkraut wohl das zentrale mexikanische Hochland erobert. Dort weideten riesige Herden spanischer Rinder und anderer zahmer und wilder Tierarten. Die Vegetation wurde dadurch so sehr strapaziert, daß die Herden gegen Ende des 6. Jahrhunderts in einigen Gegenden inmitten der von ihnen 251
kahlgefressenen Landschaft zu verhungern begannen (Melville, unveröff. Ms.). So günstige Bedingungen hatten die Kolonistenpflanzen seit Erfindung der Landwirtschaft nicht mehr angetroffen. Spätestens von 555 an war der europäische Klee so umfassend verbreitet, daß die Azteken ein eigenes Wort für ihn erfunden hatten. Sie nannten ihn Castillan ocoxichitli, nach einer einheimischen Pflanze, die ebenfalls Schatten und feuchte Böden bevorzugte (Molina 955: 238). Wahrscheinlich war die zentralmexikanische Unkrautflora um 600 bereits weitgehend identisch mit der heutigen und bestand aus Pflanzen vorwiegend eurasischer, besonders mediterraner Herkunft (Rzedowski 978: 69 f.). Wie die Entwicklung im Mexiko des 6. Jahrhunderts verlaufen sein mag, läßt sich vielleicht bis zu einem gewissen Grade durch eine Untersuchung der Bedingungen rekonstruieren, unter denen sich die Unkrautarten im späten 8. und im 9. Jahrhundert in Kalifornien ausgebreitet haben. Über den ursprünglichen Zustand des kalifornischen Graslandes gibt es keine Zeugnisse aus erster Hand, historisch interessierte Botaniker haben jedoch einige Indizien zusammengetragen, winzige Wiesenrelikte aus abgelegenen Gegenden oder verstreute indirekte Hinweise in schriftlichen Quellen. Daraus haben sie eine hypothetische Flora abgeleitet, die vor allem aus büschelartig wachsenden Gräsern bestand und nur schwach von Gabelantilopen und ähnlichen Tierarten beweidet wurde. Jedenfalls haben sich damals keine Millionenherden 252
von Büffeln durch die Täler des Sacramento- und des San Joaquin-Flusses, und entsprechend wohl auch nicht durch die Hochebene von Zentralmexiko gewälzt. Der kalifornischen Flora drohten durch die europäische Einwanderung ebenso tödliche Gefahren wie der kalifornischen Urbevölkerung. Aber diese Flora blieb – wie die Menschen – auch nach dem Eintreffen der Spanier in Amerika noch 250 Jahre lang durch die isolierte geographische Lage geschützt. Das damalige Kalifornien umfaßte außer dem heutigen US-Bundesstaat Kalifornien im Norden noch einen Teil des heutigen Mexiko, die Halbinsel Niederkalifornien im Süden. Es war gegen Europa durch einen Kontinent und einen Ozean abgeschirmt, und von den Bevölkerungszentren des spanischen Mexiko durch Wüstengebiete sowie die vorherrschenden Nordwinde und Meeresströmungen des kalifornischen Golfes getrennt. Bis in die letzten Jahrzehnte des 8. Jahrhunderts blieb Kalifornien daher eine der abgelegensten Regionen aller europäischen Kolonialreiche. Nach Auskunft des Pflanzenmaterials, das man in den Lehmziegeln der ältesten kalifornischen Kolonialbauten eingeschlossen fand, waren 769 erst drei europäische Pflanzenarten vertreten: der Krause Ampfer (oder Grindwurz), die Gänsedistel und der Gemeine Reiherschnabel (oder Ackerstorchenschnabel). Insbesondere die letztgenannte Art hat einem ganzen Ensemble mediterraner Unkrautarten, denen das heiße Klima mit seinen saisonalen Dürreperioden nichts an253
haben konnte, als Pionierart den Weg bereitet (Hendry 93:25). Als Mitte des 8. Jahrhunderts russische Pelzhändler und Imperialisten an der Nordwestküste Amerikas tätig wurden, bestand die Antwort der Spanier darin, Soldaten und Missionare in die wilde Grenzregion Kalifornien zu entsenden. Diese brachten – absichtlich oder nicht – die Futterpflanzen und Unkrautarten der Mittelmeerflora mit, und zwar außer den oben genannten Arten den Blindhafer, den Wiesenfuchsschwanz, die Roggentrespe, die Aufrechte Trespe u. a. m. Diese Pflanzenarten gelangten mit den Spaniern (in einzelnen Fällen vielleicht auch schon vor ihnen) entlang der Küstengebirge in die Täler des San Joaquin und des Sacramento und noch weiter nach Norden (Clark 956, II: 748–75); Davy 902: 38, 40 ff.). Einige von ihnen hatten damit, vom Kerngebiet der Zivilisation der Alten Welt ausgehend, jede Etappe des Vorrückens der Landwirtschaftsgrenze mitgemacht. So ist mit den Franziskanermönchen z. B. der Schwarze Senf nach Kalifornien gekommen, dessen winzige Samenkörner Jesus Christus in seinem Gleichnis über das Königreich Gottes angesprochen hatte: »Und wenn es gesäet ist, so nimmt es zu, und wird größer denn alle Kohlkräuter, und gewinnet große Zweige, also daß die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.« (Evangelium des Markus 4, 32; vgl. Zohary 982, 93; Hendry 93: 25) Im Gefolge der weiter vorandrängenden Pionierpflanzen sickerten immer mehr Pflanzenarten in Kalifornien 254
ein. Als John Charles Fremont, ein Forschungsreisender aus den Vereinigten Staaten, im März 844 den Rio de los Americanos entlang zum Tal des Sacramento vorstieß, fand er dort schon den Gemeinen Reiherschnabel vor – eine Pflanze, die wie er selbst und seine Reittiere aus Europa eingewandert waren. Da sie gerade zu blühen anfingen, »bedeckten sie den ganzen Boden wie ein Grasteppich«. Die Pferde verzehrten sie »begierig«, und selbst die Indianerfrauen, denen er begegnete, aßen sie »mit offenkundigem Genuß« und gaben ihm mit Zeichen zu verstehen, daß das, was für die Tiere gut sei, auch für sie selbst gut sein müsse (zit. nach Jackson/ Spense 970: 649). Einige Unkrautarten erreichten Kalifornien in den letzten Jahren der spanischen Ära, während der Zugehörigkeit Kaliforniens zum selbständigen Staat Mexiko ab 824 wurden es mehr, und nach der Annexion durch die Vereinigten Staaten im Jahre 848, als die Angloamerikaner ihre Pflanzen von der Ostküste Nordamerikas über die große Ebene hinweg in den äußersten Westen mitbrachten, wahrscheinlich noch mehr. Der Goldrausch von 849 führte zu einer ungeheuren Nachfrage nach Rindfleisch und daher zu einer dramatischen Überweidung der Grasflächen. 862 folgten riesige Überschwemmungen und anschließend zwei Jahre drastischer Dürre. Als es dann wieder zu regnen begann, sprießten die eingeführten Pflanzen als erste und am schnellsten wieder aus dem Boden, und die kalifornischen Grasebenen nahmen das eurasische Vegetationsbild an, auf 255
das sie sich bereits seit hundert Jahren hin entwickelt hatten. Ohne die Invasion der opportunistischen Arten hätte der Verlust der Bodenkrume Tausende von Hektar Land entwertet, das heute zu den wertvollsten landwirtschaftlichen Anbauflächen der ganzen Welt gehört. Um 860 waren im Staate Kalifornien mindestens 9 fremde Unkrautarten heimisch geworden. Im 20. Jahrhundert ergab eine Erhebung im Tal des San Joaquin, daß die eingeführten Pflanzen auf den Grasflächen 63 Prozent der krautigen Vegetation ausmachten, in den Waldgebieten waren es 66 Prozent und im Chaparral (dem immergrünen Buschland) 54 Prozent.* Was Mexiko betrifft, so müssen wir uns für die frühe Geschichte der Pionier- oder Kolonistenpflanzen aus der Alten Welt mit Schätzungen begnügen, indem wir jüngere Beispiele ihrer Ausbreitung in die Vergangenheit extrapolieren. Für Peru jedoch sieht es anders aus, was wir dem Jesuiten Bernabe Cobo und dem zur Hälfte indianischen, zur Hälfte spanischen Edelmann Garcilaso de la Vega zu verdanken haben. Die beiden haben zwar nichts Spezielles über Pflanzen geschrieben, die sich durch eindeutig unkrautgemäßes Verhalten auszeichneten – solche Pflanzen konnten die Aufmerksamkeit derart erlauchter Figuren natürlich nicht erringen –, wohl aber über die verwilderten Arten, die schließlich nicht mehr von den bebauten Ackerböden fernzuhalten * Clark 956, II: 750; Allard 965: 50; Talbot/Biswell/Hormay 939; 396 f.; Robbins 940, 6 f.; Burcham 96: 40-49
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waren. Als schlimmste Übeltäter identifizierten sie die Steckrübe, den Senf, die Minze und die Kamille. Einige sollen sogar die ursprünglichen Namen der Täler überwuchert und ihre eigenen Namen durchgesetzt haben, zum Beispiel im Fall des Minzetales an der Küste, das vormals Rucma-Tal genannt wurde. In Lima beobachteten sie Winterendivien- und Spinatpflanzen, die mehr als Mannshöhe erreichten und durch die sich nicht einmal ein Pferd hindurchkämpfen konnte. Das europäische Unkraut, das im 6. Jahrhundert in Peru besonders expansionistisch auftrat, trug die Bezeichnung trebol. Es handelte sich um eine Kleeart (womöglich auch um mehrere), die mehr von den kühlen und feuchten Flächen für sich eroberten als alle anderen Arten. Trebol taugte zwar gut als Viehfutter, griff aber auch auf gutes Ackerland über. Die ehemaligen Untertanen der Inkas, denen das Schicksal urplötzlich eine neue Elite und einen neuen Gott vorgesetzt hatte, mußte jetzt auch noch feststellen, daß ihnen mit dem trebol ein Konkurrent um die landwirtschaftlich nutzbaren Böden erwachsen war (Obras de Bernabe Cobo 956, I: 44; de la Vega 966, I: 60 f.; Alva 973: 229–236). Was aber war der trebol genau? Aller Wahrscheinlichkeit nach vorwiegend weißer Klee, der dieselbe Rolle als pflanzlicher Pionier und conquistador auch in Nordamerika spielen sollte. In England, das die meisten Kolonien im nördlichen Amerika gegründet hat, wuchsen damals nach Angaben von John Fitzherberts Booke of Husbandry (Buch 257
vom Ackerbau) »vielfältige Arten von Unkräutern wie Disteln, Hederich, Ampfer, Kornrade« und andere mehr (Fitzherbert 562; f. XIII verso, XIV recto). In der Sprache Shakespeares sind sie so dicht vertreten, wie sie in seinem Garten in Stratford-upon-Avon gewuchert sein müssen. Die Aussage des Herzogs von Burgund gegenüber Heinrich V. lautet denn auch nicht einfach, daß Frankreich darniederliege, sondern daß »Lolch und Schierling und das geile Erdrauch sich eingenistet« hätten (Heinrich V., 5. Akt, 2. Szene). Und die Figur des Hotspur (alias Henry Percy, Sohn des Earl of Northcumberland) ist mit dem Ausspruch in die Literaturgeschichte eingegangen: »Aus der Nessel Gefahr pflücken wir die Blume Sicherheit« (Heinrich IV., . Teil, 2. Akt, 3. Szene). Die Felder schließlich, auf denen der wahnsinnig gewordene Lear umherirrt, sind »Bekränzt mit wildem Erdrauch, Windenranken, Mit Kletten, Schierling, Nesseln, Kuckucksblumen Und allem müß’gen Unkraut, welches wächst Im nährenden Weizen.« (König Lear, 4. Akt, 4. Szene) Es ist fast sicher, daß englische Unkrautarten bereits zu Lebzeiten Shakespeares im nordamerikanischen Boden verwurzelt waren. John Josselyn hat 638 und 663 die Neuengland-Region an der Nordostküste Nordamerikas besucht, zu einer Zeit also, da die ersten europäischen 258
Fischer schon seit vielen Jahren in der Gegend um Neufundland den Sommer zu verbringen pflegten und dabei höchstwahrscheinlich kleine Gärten angelegt hatten. Er hat uns eine Liste der Pflanzen überliefert, »die aufgekommen sind, seit die Engländer in Neuengland zu pflanzen und Vieh zu halten begonnen haben«.* Josselyn war kein ausgebildeter Botaniker und mag sich bei einigen seiner Bestimmungen geirrt haben, aber in den meisten Fällen sind seine Aussagen sicherlich korrekt. Hier also seine Liste: Gemeine Quecke Löwenzahn Sau- oder Gänsedistel Hirtentäschel Bilsenkraut Burkhardskraut (Gartenmelde) Nachtschatten, mit weißen Blüten Malve Bilsenkraut Großer Sauerampfer Schafgarbe
Knöterich Kampfer, mit weißen Blüten Große Klette (Grindwurz) Brennesseln Wegerich Wermut Gartenampfer Roberts- oder Ruprechtskraut Ackerkamille Hunds- oder Stinkende Kamille Wollkraut, mit weißen Blüten
Von dieser Liste waren die Nesseln die ersten Pflanzen, die man in Neuengland registriert hat, sei es, weil sie sich tatsächlich als erste breitgemacht hatten, sei es, weil * Josselyn 865: 37-4; Tuckerman (Hg.) 860: 26-29. Es wäre kein Problem, für die meisten hier und in der Folge erwähnten Pflanzen die wissenschaftlichen (lateinischen) Bezeichnungen anzugeben. Ich tue das aber nicht, weil ich keinen falschen Eindruck von Genauigkeit für eine Darstellung erwecken möchte, die keine naturwissenschaftliche Exaktheit beanspruchen kann.
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sie nun einmal auf der Haut brannten. Der Wegerich, den Shakespeare in der 2. Szene des . Aktes von Romeo und Julia als Heilkraut auftreten läßt (»Ein Blatt vom Wegerich dient dazu vortrefflich – … wozu? Für dein zerbrochnes Bein.«) wurde von den Indianern in Neuengland ebenso wie in Virginia als Englishman’s Foot – »Engländerfuß« – bezeichnet. Im 7. Jahrhundert waren sie davon überzeugt, daß die Pflanze nur da wachse, wo ein englischer Fuß die Erde berührt habe; vor dem Eintreffen der Engländer sei sie völlig unbekannt gewesen (Berkeley/Berkeley 965: 24; Josselyn 865: 38). Was wissen wir über die südlichen Kolonien Nordamerikas? Welches Unkraut machte sich hier zuerst bemerkbar? Ein ernsthafter Kandidat, auf den man sicher nicht als erstes tippen würde, ist der Pfirsichbaum der Alten Welt, der in Nordamerika ebenso rasch heimisch wurde wie der Orangenbaum im tropischen Amerika, von dem uns Jose de Acosta berichtet hat. Als die Engländer erstmals ins Innere von Carolina und Georgia vordrangen, blühten dort in den Obstgärten der Indianer Pfirsichbäume; viele wuchsen auch wild. Die Eingeborenen, von denen manche annahmen, daß Pfirsiche genauso original amerikanisch seien wie Mais, trockneten die Früchte in der Sonne und stellten daraus Fruchtlaibe her, die ihnen als Winternahrung dienten. Die Pfirsichkerne trieben im handumdrehen Schößlinge hervor, so daß John Lawson im frühen 8. Jahrhundert aus Carolina berichten konnte: »Wenn wir in unseren Obstgärten Pfirsiche essen, wachsen (die 260
Sprößlinge) in solcher Dichte aus ihren Kernen empor, daß wir alle Mühe darauf verwenden müssen, sie auszujäten, sonst würden sie unser Land in eine Pfirsichbaum-Wildnis verwandeln.«* Daß dieser Baum aus der Alten Welt vor den englischen Pionieren da war, erklärt sich vermutlich daraus, daß ihn die Spanier oder die Franzosen bereits im 6. Jahrhundert in Florida eingeführt hatten. Von dort wurde er von den amerikanischen Indianern nach Norden verbreitet, wo er in dem Maße heimisch wurde, in dem die indianische Bevölkerung zusammenschrumpfte und ihre Obstgärten verwilderten. Andere Pflanzen, die Europäer eher als Unkraut anzusehen pflegen, sind wahrscheinlich ebenso früh eingetroffen wie der Pfirsichbaum, wenn auch aufgrund ihres unscheinbareren äußeren Formats mit weniger Applomb. Im Bericht des Captain John Smith von 629 heißt es, daß die meisten Wälder um Jamestown in Virginia abgeholzt worden seien: »Alles wurde in Weideland und Gärten umgewandelt; und darin wachsen alle möglichen Sorten von Krautund Wurzelgemüse, die wir in England kennen, gar reichlich und üppig, und das Gras ist so gut, wie man es sich nur wünschen kann.« (Zit. nach Schery 965: 44) * Lawson 709 (repr. 966): 09 f. Vgl. auch: Hedrick 950:9, 9, 2 f.; Kalm 972: 70 f., 398; Beverley 947: 8, 34 f.; de Crèvecoeur 964: 98; Catesby 73-743; Bd. I, X, Bd. II, XX; Ewan/Ewan (Hg.) 970: 355 f., 367
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Als erfolgreichste Pioniere unter den europäischen Unkrautarten zeichneten sich in Nordamerika die verwilderten Kräuter- und Grassorten aus, die traditionell als Futterpflanzen dienten. Östlich des Mississippi hatten die einheimischen Gräser nie unter den gigantischen Herden zu leiden, die weiter westlich in den Great Plains weideten. Sie zeigten daher kaum die Eigenschaften von Pflanzen, die sich mit Rindern, Schafen und Ziegen auf denselben Flächen arrangieren müssen. Nach der Ankunft und Ausbreitung dieser Tiere konnten sich die einheimischen Grasarten deshalb in den britischen und französischen Gebieten Nordamerikas nur in einigen Nischen und Ritzen halten (Kalm 972: 264; Sauer 94: 59 f.). Am besten behaupteten sich unter den importierten Futterpflanzen der weiße Klee (den wir schon in Peru als die wohl erfolgreichste Kolonistenpflanze identifizieren konnten) und ein eurasisches Gewächs, das die Amerikaner anmaßenderweise als Kentucky bluegrass bezeichnen. Wo beide Pflanzen gemischt auftraten, sprach man von English grass, wobei sie tatsächlich in ihrer Vorliebe für ein kühles und feuchtes Klima ziemlich englisch waren. Wie sich der südliche Gürtel der europäischen Kolonien Nordamerikas besonders für Pfirsichbäume eignete, so der nördliche Gürtel speziell für das »englische Gras« (Schery 965: 4–44). Klee oder Gras oder beides wurde in Nordamerika auch von menschlicher Hand ausgesät, und zwar spätestens seit 685, als William Penn das »englische Gras« in seinem Hof ausprobierte. Dank ihrer Verwert262
barkeit als Viehfutter und ihrer aggressiven Qualitäten breiteten sich die beiden Pflanzen rasch in den dreizehn Neuengland-Kolonien und entlang des kanadischen St. Lorenz-Stromes aus. Als in den letzten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts die ersten Engländer die Appalachenkette überschritten und nach Kentucky vordrangen, waren der weiße Klee und das Kentuckygras dort bereits angekommen. Das könnte ihnen mit Hilfe der Pferde und Maultiere von Händlern aus Carolina gelungen sein, die sie vielleicht in ihrem Fell über das Gebirge hinweggeschleppt hatten. Wahrscheinlich sind sie aber bereits am Ende des 7. oder im Lauf des 8. Jahrhunderts mit den Franzosen gekommen (Carrier/Bort 96: 256–266). Der weiße Klee und das Kentucky bluegrass setzten ihren Vormarsch in Richtung Westen fort, bis jenseits des Mississippi nach und nach der Regen ausblieb. Sie mußten sich sputen, um der vorrückenden Grenze der neugegründeten Vereinigten Staaten auf den Fersen zu bleiben, eilten ihr aber gelegentlich auch voraus. »Illinois 88: Wo die kleinen Siedlerkarawanen bei ihrem Zug durch die Prärie gelagert und ihr Vieh mit dem Heu dieser ausdauernden Grasarten gefüttert haben, bleibt für immer ein Stück grüner Grasnarbe zurück, das zur künftigen Belehrung und Ermutigung tatkräftiger Menschen dienen kann.« (Zit. nach Schery 965: 4–49) 263
Von diesen grünen Flecken ausgehend, breiteten sich die nahrhaften Futterpflanzen und fast unverwüstlichen Unkrautarten unaufhaltsam über den Mittleren Westen aus. Mit der Zeit wurden sie auch über die semi-ariden Ebenen hinweg in den Fernen Westen weitergetragen, wo sie unter kühleren und feuchteren Klimabedingungen wieder ein heftigeres Expansionstempo anschlagen konnten (Campbell 934,: 785). Knapp hinter dem weißen Klee und dem Kentuckygras folgten auf der Liste der aggressivsten importierten Pflanzenarten die Berberitze, das Tüpfel-Hartheu (oder gefleckte Johanniskraut), der gemeine Hanf, der schwarze Ackerkümmel (eine Variante der Lichtnelke) und die Roggen- oder Ackertrespe; dahinter folgten die von Josselyn aufgelisteten Arten und viele andere mehr. Im Januar 832 stellte Lewis D. de Schweinitz vor dem New Yorker Lyceum of Natural History seine umfassenden Forschungsergebnisse vor, wonach in den nördlichen Staaten der USA die fremden Unkräuter mit den aggressivsten Pflanzen identisch waren, die er in einer Liste mit 37 Arten erfaßt hatte. Im Süden der USA lagen die Verhältnisse höchstwahrscheinlich ganz ähnlich (de Schweinitz 832: 48–55). Die Unkrautarten, die er und Josselyn und andere Kollegen östlich der Mississippi-Grenze registrierten, schienen um so mehr an Aggressivität zu verlieren, je mehr sie sich der Zentralregion Nordamerikas näherten. Das Büffel- und das Grammagras, die gesamte einhei264
mische Flora der Prärieebenen konnten sich gegen die Eindringlinge erfolgreich behaupten – es sei denn, die Menschen unternahmen ernsthafte Anstrengungen, die exotischen Importe zu unterstützen: In Manitoba und Dakota beispielsweise wurden die Grasflächen vernichtet und stattdessen Weizenfelder angelegt. Auf die Frage, warum die Flora der Great Plains so resistent war, werden wir später noch einmal zurückkommen. Zunächst wollen wir uns einer anderen Erfolgsgeschichte zuwenden, die sich etwa achtzig Breitengrade weiter südlich und dreißig Längengrade weiter östlich abspielte. Hier erstreckt sich die südamerikanische Pampa: eine Ebene, deren reichlich bewässerte Abschnitte dem Vordringen der Pflanzen aus der Alten Welt ebenso wenig entgegenzusetzen hatten wie die entsprechenden Gebiete im kalifornischen San Joaquin-Tal. Die Pampa ist eine riesige Ebene – im Osten wasserreich, aber desto trockener, je weiter man vom Atlantik und vom Rio de la Plata westlich Richtung Anden vorrückt. Die feuchte und fruchtbare Pampa war vor 400 Jahren »öde und flach und baumlos, außer entlang der Flußufer«, wie der erste Spanier berichtet, der sie zu Gesicht bekam. Ihre Flora bestand vorwiegend aus hochgewachsenen Nadelgräsern, von denen sich merkwürdige höckerlose Kamele und gigantische flugunfähige Vögel ernährten (de Oviedo y Valdes 959, II: 356). Die Verdrängung der ursprünglichen Lebenswelt der Pampa muß am Ende des 6. Jahrhunderts in Gang 265
gekommen sein, als die ersten Haustiere aus Europa eintrafen und zu riesigen Herden anzuwachsen begannen. Durch ihre Freßgewohnheiten, das Getrampel ihrer Hufe, die Wirkungen ihrer Exkremente und die Samen der Unkrautpflanzen, die sie mitbrachten und die der amerikanischen Umwelt ebenso fremd waren wie sie selber, wurden der Boden und die Flora der Pampa ein für allemal verändert. Diese raschen Veränderungen fanden in den zeitgenössischen Dokumenten bis zum 8. Jahrhundert kaum Beachtung. In den 80er Jahren des 8. Jahrhunderts registrierte Felix de Azara, daß die riesigen Viehbestände und die Praxis, die abgestorbenen Grasflächen alljährlich abzubrennen, die empfindlicheren Pflanzen und höher wachsenden Grasarten ausgerottet hätten, weshalb an kahlen Flächen wahrlich kein Mangel sei. Wo immer ein einsamer Siedler europäischer oder gemischter Abstammung seine Hütte aufschlug, schossen die Malven und die Disteln aus der Erde, selbst wenn es in hundert Kilometer Umkreis kein weiteres Exemplar dieser Pflanzen gab. Beide Arten breiteten sich auch an den Straßenrändern aus, wo immer ein Siedler mit seinem Pferd regelmäßig entlangkam. So glichen die Pioniere der Pampa dem König Midas, weil ihre leiseste Berührung ausreichte, um die Flora der Pampa zu verwandeln (de Azara 847, I: 56 ff.). Im 9. Jahrhundert gewinnt die Geschichte der Pampa deutlichere Konturen, zumindest was ihre spektakulärsten Merkmale betrifft. Die wilde Artischocke, die unter 266
dem Namen cardo de Castilla bereits 749 in Buenos Aires heimisch war, breitete sich immer weiter aus. Als Charles Darwin 833 diesen Teil der Welt bereiste, begegnete er der Artischocke in Chile und Argentinien, und in Uruguay wucherte sie so üppig, daß sie auf einer Fläche von Hunderten von Quadratmeilen ein undurchdringliches Hindernis für Pferde und Menschen darstellte. »Ich habe meine Zweifel«, notierte Darwin in seinem Reisebericht, »ob es irgendwo jemals noch einen Fall gegeben hat, wo sich eine Pflanze so umfassend gegen die Urbewohner durchgesetzt hat.« (Darwin 962: 9 f.; Schmieder 927: 30; Berro 975: 33 ff.) Der Naturforscher W. H. Hudson, der Mitte des 9. Jahrhunderts in Argentinien aufwuchs, erinnerte sich noch an richtiggehende Dickichte wilder Artischocken, die sich als blau-graugrün schimmernde Fläche von einem Horizont bis zum anderen erstreckten. Noch mehr aber imponierte ihm die importierte Riesendistel, eine zweijährig austreibende Pflanze aus dem Mittelmeerraum, die die Schulterhöhe eines Reiters erreichen konnte. In »Disteljahren« schoß sie überall aus dem Boden, und wenn sie verdorrt war, wurde die Gefahr von Flurbränden besonders groß: »In solchen Zeiten warf sich jeder Mann, wenn er nur in der Ferne eine Rauchwolke erblickte, sogleich aufs Pferd und eilte zu der Gefahrenstelle, wo dann versucht wurde, das Feuer aufzuhalten, indem man fünfzig oder hundert Meter vor der Feuerfront eine breite Bahn durch 267
das Disteldickicht anlegte. Eine Methode, eine solche Bahn zu schaffen, bestand darin, mit dem Lasso ein paar Schafe aus der nächstbesten Herde zu fangen und zu töten, um sie dann im Galopp durch die dichten Disteln zu schleifen, bis eine Schneise entstanden war, in der man die Flammen austreten und mit Pferdedecken ersticken konnte.« (Hudson 945: 64, 68 f.; vgl. Hedrick 973: 535; Berro 975: 40 f.) Die Belege für die Veränderungen der Grasflächen in der Rio de la Plata-Region sind anekdotisch und unsystematisch und alles andere als wissenschaftlich; doch können wir die ungeheure Ausbreitung der Disteln und der wilden Artischocken im 9. Jahrhundert als sicheren Beweis dafür ansehen, daß die Weißen und ihre Tiere dem Ökosystem der Pampa tiefe Wunden zugefügt hatten. Fast überall zwischen der Schneegrenze der Anden und der entsprechenden Vegetationsgrenze in Patagonien hatten die Viehherden Veränderungen ausgelöst. Aber nirgends war die Transformation so tiefgreifend wie in der Kernregion der Grasebene, in jenem wasserreichen, fruchtbaren und insgesamt ziemlich europäisch geprägten Gebiet von mehr als 300 Kilometern Durchmesser, in dessen Mittelpunkt die Stadt Buenos Aires liegt. Als Darwin 833 in diese Kernregion vordrang, fiel ihm der plötzliche Übergang vom »groben Pflanzenwuchs« zu einem »feinen grünen Vegetationsteppich« auf. Er wollte diese Transformation zunächst mit der Veränderung des Bodens erklären, aber »die Bewohner versicherten mir, 268
daß … dies alles nur dem Grasen des Viehs und dessen natürlicher Düngung zuzuschreiben sei.« (Darwin 962: 9; Head 967: 3 f.) 877 veröffentlichte Carlos Berg eine Liste mit 53 europäischen Pflanzen, die er in der Provinz Buenos Aires und in Patagonien erhoben hatte. Zu den am häufigsten vorkommenden Arten zählten weißer Klee, Hirtentäschel, Sandkraut, Gänsefuß, Gemeiner Reiherschnabel und Krauser Ampfer. Ebenfalls vertreten war eine Pflanze mit der spanischen Bezeichnung Wanten, die identisch ist mit dem Wegerich oder »Engländerfuß«, wie die Algonkin in Nordamerika sie nannten (Berg 877: 83–206). In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts haben empirische Botaniker ermittelt, daß von allen wild wachsenden Pflanzen der Pampa nur noch ein Viertel einheimische Arten waren (Schmieder 927: 30). Um dieselbe Zeit beklagte Hudson das Elend des europäischen Pampasiedlers, der ständig mit all dem Unkraut zu kämpfen habe, das, »wo immer er sich niederläßt, aus seinen Feldern sprießt, ihn mit den monotonen Erscheinungsformen der Alten Welt umzingelt und an dieser unerwünschten Verbindung genauso hartnäckig festhält wie die Ratten und Kakerlaken, die im Hause wohnen« (Hudson 922: 2). Aber welche anderen hätten denn, wenn es diese Arten nicht gegeben hätte, die einheimischen Pflanzen, die unter den Hufen der exotischen Viehherden begraben wurden, ersetzen sollen oder auch können? 269
Wenn es stimmen sollte, daß die einheimischen Lebensformen eines Kolonialgebietes just in dem Maße durch die europäischen Lebensformen gefährdet sind, in dem sich beide voneinander unterscheiden, dann müßte Australien mit seinen distinkten Gras- und Kräuterarten, seinen einzigartigen Eukalyptuswäldern, seinen schwarzen Schwänen, Riesenlaufvögeln und Beuteltieren sich Europa völlig angeglichen haben. Das ist, wie wir wissen, nicht geschehen. Die Rettung verdankt Australien seinem heißen, trockenen und völlig uneuropäischen Landesinneren sowie der zähen Überlebensenergie, die Organismen immer dann entwickeln, wenn sie in der Umwelt leben, die sie geprägt hat. Und dennoch hat es auch in Australien erhebliche Veränderungen gegeben. Die Europäer und die Fauna und Flora, die sie in ihrem Musterkoffer mitführten, haben die australische Umwelt unwiderruflich verwandelt. Da die Briten mit der erklärten Absicht, eine Kolonie zu begründen, nach New South Wales gekommen waren, hatten sie eine ganze Anzahl Pflanzenarten mitgebracht. Bis März 803 zählte man bereits über 200, wozu noch die aus Versehen eingeschleppten Arten kamen. Einige der absichtlich eingeführten Pflanzen, wie etwa der Portulak, entpuppten sich im Handumdrehen als tüchtige Unkrautart, was die große Verwundbarkeit der australischen Flora durch die Invasion aus der Alten Welt belegt (Historical Records of Australia, 94–925, Ser. I, IV: 234–24). Zwar konnte sich der weiße Klee an dem reichlich trockenen 270
Standort der ersten Siedlerkolonie Sydney kaum halten, aber im feuchten Klima von Melbourne begann er sich rasch auszubreiten und dabei »die übrige Pflanzenwelt häufig zu vernichten« (Hooker 860, I, pt. 3: CVI-CIX). Die Gänsedistel scheint in und um Melbourne überall, selbst auf den Dächern der Häuser, gewachsen zu sein. Auch andere Unkrautarten begannen in Victoria zu wuchern, Knöterich und Feldsauerampfer zum Beispiel, die weniger aggressive Grasarten von einigen Weideflächen glatt verdrängen konnten. Tasmanien mit seinem an Nordwesteuropa erinnernden Klima bot den neuen Unkrautarten ebenfalls günstige Bedingungen und ließ Knöterich und Natterwurz ebenso rasch heimisch werden wie die menschlichen Neusiedler (Historical Records of Australia, Series III, X: 367). In erstaunlich kurzer Zeit drangen diese Unkrautarten auch ins Innere Australiens vor und ließen zuweilen sogar die Siedlungsgrenze hinter sich. Zur selben Zeit, da Fremont an den Ufern des Rio de los Americanos am Fuß der kalifornischen Sierras den Reiherschnabel antraf, entdeckte Henry W. Haygarth in der Gegend, wo das Tal des Snowy River aus den australischen Alpen austritt, den in Europa bereits seit der frühen Eisenzeit verbreiteten wilden Hafer: »Auf diese Pflanze sind die Pferde ganz versessen, so sehr, daß sie in der ersten Frühlingszeit, wenn (der wilde Hafer) vor der übrigen Pflanzenwelt aus dem Boden sprießt, wildentschlossen über den Fluß schwimmen, 271
um an sie heranzukommen. Um diese Zeit sind die Wassermassen häufig so stark angeschwollen, daß kein Mensch sie überwinden kann; so daß der Viehzüchter, der die Spuren seines Reitpferdes am Flußufer verloren hat, sich auf einmal in der demütigenden Lage finden mag, sein Tier friedlich grasend auf dem gegenüberliegenden Flußufer zu erblicken.« (Haygarth 848: 3; vgl. Historical Records of Australia, Series III, X: 367) Aufgrund einer genauen Erhebung der naturalisierten Pflanzenarten in Melbourne und Umgebung und von einzelnen Berichten über andere Gegenden wurden Mitte des vorigen Jahrhunderts in Australien 39 wild wachsende Pflanzenarten ausländischer Herkunft ermittelt, die fast durchweg aus Europa stammten (Hooker 860, I, pt. 3: CVI-CIX). Im Staat South Australia, der später als Victoria oder New South Wales besiedelt wurde, herrschte ein trockeneres Klima als in der Gegend von Melbourne, das – ähnlich wie in Kalifornien – für mediterrane Unkrautarten besonders günstig war. In diesem Staat gab es 937 38 naturalisierte Pflanzenarten, von denen die allermeisten aus der Alten Welt und allein 5 aus dem Mittelmeerraum stammten (Price 963: 94). Die mit am häufigsten vorkommende Spezies war der Gemeine Reiherschnabel, den auch Fremont im Tal des Rio de los Americanos angetroffen hatte (Hamilton 892: 234). Im südlichen Drittel Australiens, das den größten Teil der Bevölkerung beherbergt, sind die meisten der heute vertretenen Unkrautarten europäischen Ursprungs. In 272
dieser Region herrscht praktisch dasselbe Klima wie in Europa, und die Belastung durch importierte Tiere, vor allem durch Schafe, war und ist hier ebenfalls am größten. Die einheimischen Grasarten wie das Känguruh- oder das Hafergras sind für das Vieh zwar häufig genießbar und nahrhaft, aber sie vertragen weder intensive Beweidung noch direktes Sonnenlicht, das sie versengt, sobald die schützenden Wälder abgeholzt sind. Das Känguruhgras, von dem die ersten Europäer zu berichten wußten, daß es in manchen Gegenden »bis zum Sattelriemen« gereicht habe, befand sich bereits 80 auf dem Rückzug und ist heute vielerorts nur noch an Bahndämmen, auf Friedhöfen und in anderen geschützten Nischen anzutreffen. In dem Maße, in dem die einheimischen Pflanzen verschwanden und die Siedler in ihrer Arroganz und Unwissenheit die für Australien so typischen regelmäßigen Dürreperioden außer Acht ließen und die Grassteppen mit viel zu vielen Tieren belasteten, wurden die Ökosysteme allmählich schwächer; die daraus resultierende Bodenerosion lieferte nur noch mehr Flächen dem Zugriff der opportunistischen Pflanzenarten aus. Für Victoria stellte der Botaniker A. J. Ewart 930 fest, daß in den vorangegangenen zwei Jahren pro Monat zwei neue fremde Pflanzenarten Fuß gefaßt hatten.* Nicht alle Unkrautarten sind schädlich, wie wir bereits feststellten. Die meiste wissenschaftliche Aufmerksamkeit aber gilt denjenigen, die den Bauern das Leben schwer machen, weshalb es über diese auch so umfassende und 273
verläßliche statistische Erhebungen gibt. Im Hinblick auf diese Statistiken wollen wir daher für einen Moment in die gängige Definition von Unkraut zurückfallen, denn auf der Basis dieser Zahlen lassen sich einige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie weit sich die Unkrautarten (im breiteren Sinne unserer Definition) in den neo-europäischen Gebieten durchgesetzt haben. In Kanada sind 60 Prozent der verbreitetsten Ackerunkräuter europäischer Herkunft (Salisbury 96: 87). Von den 500 entsprechenden Arten in den USA stammen 258 aus der Alten Welt, 77 davon aus Europa (Muenscher 955: 23). In der Region des Rio de la Plata verhält es sich ähnlich (Carera 953: passim; Ragonese 967: 28, 30). Von den insgesamt etwa 800 naturalisierten Pflanzenarten Australiens sind einige aus Amerika, Asien und Afrika importiert, die meisten aber aus Europa (Australian Encyclopedia, IV: 275 f.). Allerdings kommt auf jede dieser siegreichen Landplagen in den neo-europäischen Gebieten ein anderer importierter Exote, der nicht verhaßt, sondern beliebt ist und deshalb in solchen Statistiken nicht auftaucht. Die Pflanzenwelten, die sich in den neo-europäischen Gebieten verwurzelt haben, sind zu einem erheblichen Teil identisch. Von den 39 naturalisierten europäischen Pflanzenarten, die Mitte des 9. Jahrhunderts in Australien registriert wurden, waren mindestens 83 zur selben Zeit auch in Nordamerika heimisch (Hooker 860, I, pt. * Hamilton 892: 85, 209–24; Perry 963: 3, 27; Moore 962: 70 f., 74, 82; Powell 976: 7 f., 3 f.
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3: CVI-CIX). Und von den 54 europäischen Pflanzen, die 877 in der Provinz Buenos Aires und in Patagonien als naturalisierte Arten erfaßt wurden, waren mindestens 7 als wild wachsende Arten auch in Nordamerika vertreten.* Amerikanische Naturforscher zeigten sich über diesen Ansturm aus Europa besorgt, obwohl ja ihre Vorfahren zumeist von demselben Kontinent stammten wie die fraglichen Pflanzenarten. Charles Darwin ließ sich denn auch die Gelegenheit nicht entgehen, seine amerikanischen Verwandten deswegen ein bißchen auf den Arm zu nehmen: »Verletzt es nicht doch Ihren Yankee-Stolz«, schrieb er ironisch an die Botanikerin Asa Gray, »daß Sie eine so schreckliche Niederlage erleiden müssen? Ich bin sicher, eine gewisse Mrs. Gray wird in dieser Angelegenheit zu ihren eigenen Unkrautsorten halten. Erkundigen Sie sich doch bei ihr, ob sie in diesen nicht die ehrlicheren, eben die richtig grundanständigen Unkrautsorten sieht.« Die amerikanische Kollegin konterte geschickt und beschrieb die amerikanischen Unkrautarten als »bescheidene, hinterwäldlerische, zurückhaltende Wesen und daher den zudringlichen, anmaßenden, geltungssüchtigen Ausländern nicht gewachsen« (Darwin, F. (Hg.) 887, II: 39; Gray J. (Hg.) 894, II: 492). Sie erwies sich damit zugleich als Patriotin und als einsichtige Botanikerin. * Die wissenschaftliche Forschung über die Verbreitung der Lebensformen – diese Disziplin nennt sich heute 275
Biogeographie – brachte die führenden Biologen immer mehr von der orthodoxen Lehre ab und auf die neuen Pfade der Evolutionstheorie. Die Sache mit den wandernden Unkrautarten war ein aufregendes biogeographisches Phänomen, das sich direkt vor ihren Augen abspielte, und das sie dennoch nicht verstanden (vgl. dazu auch Browne 983). Joseph Dalton Hooker, der anerkannteste Botaniker des viktorianischen Zeitalters, beobachtete um 840 den Vormarsch der europäischen Unkrautarten in Australien und Neuseeland und gelangte zu der Ansicht, »daß viele der kleineren lokalen Gattungen Australiens, Neuseelands und Südafrikas am Ende verschwinden werden. Schuld daran tragen die eingewanderten Pflanzen der nördlichen Hemisphäre mit ihren usurpatorischen Tendenzen, die auch noch tatkräftige Unterstützung genießen durch die künstliche Hilfestellung, die ihnen von den nördlichen Menschenrassen gewährt wird.« (Zit. nach Turrill 953: 83) Da sich aber die europäischen Unkrautarten auch in Nordamerika durchgesetzt haben, kann diese Erklärung des Geheimnisses nicht ganz stimmen. Die Naturwissenschaftler des 9. Jahrhunderts gingen davon aus, daß der Austausch der Unkrautarten zwischen Europa und seinen Kolonien annähernd gleichgewichtig vonstatten gehen oder zumindest den Proportionen des Umfanges ihrer jeweiligen Pflanzenwelten entsprechen * Berg 877: 84–204; Nuttall 97: 2 Bde.: passim; Torrey/Gray 969: 2 Bde.: passim
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müßte: das Fingergras aus der Alten Welt gegen das Traubenkraut aus Amerika zum Beispiel. In Wirklichkeit ist der Austausch ebenso einseitig verlaufen wie der zwischen den entsprechenden Menschengruppen. Aus der Alten Welt segelten Hunderte von Unkrautarten in die Kolonien, wo sie prächtig einschlugen; die Pflanzen aus Amerika und den anderen neo-europäischen Gebieten hingegen, die in die andere Richtung über die Nahtlinien der Pangäa hinwegsegelten, siechten in der Regel dahin und gingen rasch ein – es sei denn, man gewährte ihnen eine besondere Unterkunft und spezielle Pflege wie im Londoner Kew Garden oder einem anderen Heim für schwer ziehbare Pflanzen. Einige amerikanische Arten kamen in Europa auch alleine zurecht. Die kanadische Wasserpest, die erstmals in den 40er Jahren des 9. Jahrhunderts in den englischen Flüssen und Kanälen auf sich aufmerksam machte, hatte diese innerhalb eines Jahrzehnts fast völlig verstopft. Das kanadische Flohkraut und das einjährige Flohkraut wurden im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts in Europa heimisch. Doch die meisten Unkrautarten, die in ihrer amerikanischen Heimat zu den hartnäckigsten Plagen zählten, konnten in Europa kaum Fuß fassen. Nicht eine einzige australische oder neuseeländische Pflanzenart hat es bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts geschafft, in Großbritannien heimisch zu werden, und das gilt unseres Wissens auch für das übrige Europa (Claypole 877/78: 79 ff.; Hooker 860, I, pt. 3: CV). 277
Einige Naturforscher machten Andeutungen über die größere »Plastizität« – oder auch Variabilität – der Pflanzen aus der Alten Welt. Die einen begründeten die Überlegenheit der europäischen Flora über die amerikanische damit, daß sie älter, die anderen damit, daß sie jünger sei (Gray 889: 237 f.). Die ganze Geschichte war in mysteriöses Dunkel gehüllt: »Es hat den Anschein«, meinte 878 Professor E.W. Claypole aus Ohio, »als hätten wir es mit einer unsichtbaren Barriere zu tun, die das Durchkommen in östlicher Richtung verhindert, in westlicher Richtung hingegen zuläßt« (Claypole 877/78: 79). Die naheliegendsten Erklärungen erweisen sich als unhaltbar. Zwar stimmt es, daß große Mengen Saatgetreide und damit (unbeabsichtigt) auch Unkrautsamen von Europa in die Kolonien exportiert wurden, aber mit denselben Schiffen gelangten auf dem Rückweg ballenoder fässerweise Tabak, Indigo, Reis, Baumwolle, Wolle, Holz, Häute und zunehmend auch riesige Mengen von Weizen und anderem Getreide nach Europa. Und all diese Frachtgüter stellten ein ständiges Vehikel für Samen aus den neo-europäischen Gebieten dar. Die Ballen roher Schlachthäute, die in Millionen von Buenos Aires nach Cádiz verfrachtet wurden, müssen unzählige amerikanische Samen mitgeschleppt haben – und dennoch wurde das Hinterland von Granada nie von einer aggressiven Pflanzenart aus Amerika überwuchert, etwa nach dem Vorbild der wilden Artischocke und ihrer Ausbreitung auf der Pampa. Ein einziges Flöckchen von einem Samen278
büschel, das am Splitter eines Holzstammes hängend von Portsmouth in Neuengland nach Portsmouth in Großbritannien verschifft wurde, hätte im Süden Englands zur pestartigen Verbreitung der kanadischen Seidenpflanze führen können – das ist aber nie geschehen. In Liverpool schleppten aus Sydney ankommende Seeleute in den Rissen ihrer Lederstiefel australischen Schlamm oder australische Grasspelzen die Gangway herunter, doch auf den Kaianlagen machten sich immer nur europäische und nie australische Unkrautarten breit. Es schien wider die Natur zu sein, daß australische Pflanzen in Großbritannien nicht einmal einen kleinen Zeh auf den Boden bringen konnten, während britische Pflanzen sich in Australien wild und ungezügelt ausbreiteten. Für die Naturwissenschaftler, die an einer Theorie bastelten, wonach die Arten sich ihrer Umgebung anpassen und dafür Hunderte von Generationen brauchen, war dieser schlagende Gegensatz unerklärlich. Joseph Dalton Hooker ereiferte sich heftig über »diesen totalen Mangel an Gegenseitigkeit bei den Migrationsprozessen« (Hooker 860, I, Pt. 3: CV). Legen wir uns nun einmal die Frage vor, warum Unkräuter überhaupt und allgemein so gut zurechtkommen, aber auch wo und wann sie es tun. Da ist erstens festzustellen, daß sie sich schnell und in großer Menge reproduzieren. Die Hundskamille, die schon John Josselyn im 7. Jahrhundert in Neuengland registriert hatte, produziert in jeder Generation 5 bis 9 000 Samen. Andere Arten, 279
das Hirtentäschel etwa, produzieren pro Generation viel weniger Samen, aber dafür jeweils mehrere Generationen pro Saison. Viele Unkrautarten reproduzieren sich nicht oder nicht ausschließlich durch Samen, sondern durch Zwiebeln, Wurzelabschnitte u. a. m. Mäht man sie um, bevor sie aussäen können, macht ihnen das überhaupt nichts aus. Der Kohl- oder Wiesenlauch, die große Plage der Weizenfarmer in den nordamerikanischen Kolonien, pflanzt sich beispielsweise auf sechs unterschiedliche Weisen fort (von denen die meisten ausführlicher erklärt werden müßten, als es an dieser Stelle möglich ist). Wir brauchen uns also nicht zu wundern, daß Unkraut so schwer auszumerzen ist und sich in so kompakten Massen reproduzieren kann. Um zwei extreme Beispiele zu nennen: Beim breitblättrigen Reiherkraut im San Joaquin-Tal hat man Konzentrationen von bis zu 3 000, beim Schwingelgras von bis zu 220 000 Jungpflanzen pro Quadratmeter ermittelt (Salisbury 96: 22; Iltis 949:24; Talbot/Biswell/Hormay 939: 397). Unkräuter verfügen zweitens über äußerst effiziente Methoden der Ausbreitung über größere Entfernungen, insbesondere mittels ihrer Samen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, denn 220 000 Pflanzen auf einem Quadratmeter machen einander die heftigste Konkurrenz. Einige Unkrautarten bringen so leichte – im Extremfall nur 0,000 Gramm wiegende – Samen hervor, daß der kleinste Lufthauch sie davontragen kann. Manche auf Josselyns Liste, zum Beispiel die Gänsedistel und der 280
Löwenzahn, haben Samen mit segelähnlich wirkenden Flaumfäden, damit sie vom Wind über größere Entfernungen mitgenommen werden (Salisbury 96: 97, 88). Wieder andere produzieren Samen, die klebrig oder mit Widerhaken versehen sind und deshalb an den Fellen bzw. Kleidungsstücken von Tieren und Menschen hängenbleiben, die sie dann zu neuen Standorten transportieren. Bei wieder anderen Unkrautarten sitzt der Samen in Hülsen oder Schoten und wird, wenn diese schließlich eintrocknen und explodieren, heraus- und weit in die Gegend geschleudert. Viele Arten haben den Weidetieren schmackhafte Blätter und Früchte zu bieten und bilden zugleich eine Sorte von Samen aus, die den Verdauungsprozeß intakt übersteht, so daß die Samen zu guter Letzt an anderer Stelle inmitten eines Dunghaufens abgesetzt werden. Auf diese Weise hat sich der Samen des weißen Klees mit den Siedlertrecks quer durch Nordamerika nach Westen durchgeschlagen. In Australien haben die Siedler schon früh bemerkt, daß der Klee vorwiegend von den Schafen verbreitet wurde, die sie auf ihrem Vormarsch ins Landesinnere vor sich hertrieben (Ridley 930: 364; Cunningham 828, I: 200). Drittens sind Unkräuter zähe Kämpfernaturen: Sie wuchern auf Kosten anderer Pflanzen und nehmen ihnen das Sonnenlicht weg oder drängen sie einfach beiseite. Viele Arten verbreiten sich weniger durch Samen als durch Austreiben des Wurzelstocks oder durch Ableger, die auf oder knapp unter der Erdoberfläche entlangkrie281
chen und neue Pflanzen hervorsprießen lassen (Salisbury 96: 47 f.). Solche Arten – auf Josselyns Liste etwa die Gemeine Quecke – können sich in Form kompakter Matten ausbreiten und alle anderen Pflanzen, die ihnen dabei in die Quere kommen, ersticken. Die Blätter von Unkräutern wachsen häufig in horizontaler Richtung, wobei sie die übrige Vegetation zurückdrängen oder abwürgen. Der Löwenzahn, der in allen neo-europäischen Ländern im Frühling blüht, ist eine so durchsetzungsfähige Eroberernatur, daß ein großes Exemplar auf einer Wiese für einen Kahlschlag von dreißig Zentimetern Durchmesser sorgen kann, wo nichts mehr wächst außer eben diesem einen wuchernden Löwenzahn (Solbrig 97: 686 f.). Viertens besitzt Unkraut die besondere Fähigkeit, die viele Arten in der Epoche des Rückzugs der Eiszeitgletscher ausgebildet haben: in dürftiger Mikroumwelt dennoch üppig zu wuchern. Henry Clay, Gutsbesitzer aus Kentucky und liberaler Dauerkandidat für das Präsidentenamt der USA, hat einmal im Hinblick auf das Kentucky blue grass geäußert, es gebe »keine bessere Zeit zur Aussaat als den Monat März«, wenn die Körner noch auf die Schneedecke fallen (Dunbar 977: 522). Unkraut sprießt in der frühen Jahreszeit und kann damit die noch kahlen Flächen erobern. Direktes Sonnenlicht, Wind und Regen machen ihm überhaupt nichts aus. Es wächst im Schotter neben Eisenbahngleisen oder in Ritzen zwischen Betonplatten. Es schießt schnell in die Höhe, sät sich früh 282
aus und schlägt, wenn man es ausmerzen will, mit imponierender Kraft zurück. Unkraut kann sich selbst in den Runzeln eines alten Schuhs einnisten. Viel Überlebenshoffnung hätte es da zwar nicht, aber vielleicht landet der Schuh eines Tages auf dem Misthaufen hinter dem Haus. Dann kann die Spezies wieder zu sprießen beginnen und womöglich den ganzen Hof erobern. Um die Unkrauteigenschaften des Unkrauts zu resümieren, wollen wir noch einmal auf den Wegerich oder »Engländerfuß« zurückkommen. Diese Pflanze produziert durchschnittlich 3 000 bis 5 000 Samen, von denen 60 bis 90 Prozent auskeimen; manche gehen noch nach 40 Jahren auf. Der Wegerich gedeiht auf Wiesen ebenso gut wie auf festgetretenen Wegen, und es macht ihm wenig aus, wenn man auf ihm herumtrampelt. Mit seinen breit ausladenden Blättern überwuchert und verdrängt er die anderen Pflanzen. Mit Hilfe seines unterirdischen Wurzelwerks kann er auch Wetterlagen überleben, die seine Blätter abfrieren lassen. Hackt man ihn über der Erde ab, produziert er Seitentriebe, aus denen neue Pflanzen entstehen. Seit uralten Zeiten ist er ein Weggenosse des Menschen: In Dänemark hat man Wegerich-Samen in den Mägen von Moorleichen aus der Eisenzeit gefunden. Der Wegerich gehörte auch zu den neun heiligen Kräutern der Angelsachsen, deren heilende Eigenschaften bei Chaucer und Shakespeare Erwähnung finden. Als wildwachsende Pflanze ist er heute auf allen Kontinenten, in Neuseeland und auf einer Reihe anderer 283
Inseln zu finden. Er zählt zu den hartnäckigsten Unkrautarten der Welt und wird uns wohl ewig erhalten bleiben (Salisbury 96: 220 ff.; Grieve 97, II: 640 ff.; Holm u. a. 977: 34–39). An diesem Punkt bedarf es wahrscheinlich einer Erklärung, warum nicht bereits die gesamte Landoberfläche unserer Erde vom Wegerich und ähnlichen Unkrautpflanzen überzogen ist. Kolonistenpflanzen – sprich Unkräuter – können fast alles überleben, nur nicht ihr eigenes erfolgreiches Wuchern. Indem sie sich auf geschädigten Flächen ansiedeln, stabilisieren sie den Boden, schützen ihn vor der ausdörrenden Sonnenstrahlung und sorgen trotz ihres aggressiven Konkurrenzverhaltens dafür, daß sich die Standortbedingungen für andere Pflanzen verbessern. Mit anderen Worten: Unkraut funktioniert gleichsam als Notdienst der Pflanzenwelt. Es wird bei ökologischen Stör- und Notfällen tätig, und wenn die Störung behoben ist, wird es von Pflanzen abgelöst, die vielleicht langsamer wachsen, aber höher und kräftiger werden. Das Unkraut stirbt also in der Regel ab, wenn der Notstand beseitigt ist. In einer intakten Umwelt hat es große Schwierigkeiten, sich zwischen anderen Pflanzen breitzumachen. Ein auf Unkrautforschung spezialisierter Botaniker hat einmal den Anteil von Adventivpflanzen – also Unkräutern – auf drei Feldern ermittelt; das erste war zwei Jahre, das zweite dreißig und das dritte zweihundert Jahre lang ohne schädigende Eingriffe geblieben. Der 284
Anteil der Unkräuter an der Gesamtvegetation betrug auf diesen Feldern 5, 3 und 6 Prozent. Das beweist, daß Unkraut vom radikalen Umbruch und nicht von stabilen Verhältnissen profitiert. (Kricher 980: 44; Betz/Cole 969: 44–53). Dies ist der Grund für den Siegeszug der europäischen Unkrautarten in den neo-europäischen Gebieten. Wir werden auf dieses Thema im 0. Kapitel noch ausführlicher zurückkommen, wenn wir die Erfolge der Spezies der Alten Welt in den Überseegebieten zusammenhängend erörtern. Was haben diese Betrachtungen über das Unkraut mit den Europäern in den neo-europäischen Gebieten zu tun – außer daß sie vielleicht Modellannahmen für künftige Forschungen formulieren, die den Erfolg auch anderer exotischer, von außen kommender Lebewesen wie zum Beispiel des Menschen erklären könnten? Die Antwort ist einfach: Unkräuter waren beim Vormarsch der Europäer und Neo-Europäer von ganz entscheidender Bedeutung für deren materielles Wohlergehen. Wie Hauttransplantate, die beim Menschen großflächig auf abgeschürfte oder verbrannte Stellen verpflanzt werden, haben die Unkräuter jene klaffenden Wunden zu heilen geholfen, die dem Boden durch die Invasoren zugefügt wurden. Die exotischen Pflanzen schützten also den freigelegten Mutterboden vor Wasser- und Winderosion und dem Ausdörren durch die sengende Sonne. Gleichzeitig waren die verschiedenen Unkrautarten häufig auch die wichtigsten Futterpflanzen für die exotischen Tierarten, die 285
wiederum die wichtigste Nahrungsmittelquelle für ihre Besitzer waren. Wann immer sie ihre Kolonistenpflanzen verfluchten, waren die kolonisierenden Europäer also verflucht undankbare Zeitgenossen.
Die Fauna »Wir können uns jeden Tag den Bauch füllen, unsere Kühe laufen frei herum und kommen von Milch strotzend nach Hause zurück, unsere Schweine werden in den Wäldern wie von selber fett: Wahrlich, dies ist ein gutes Land.« J. Hector St. John de Crèvecoeur, Letters from an American Farmer (782)
Die marinheiros hatten ihre Schüler gelehrt, wie man die Weltmeere überqueren kann. Die Schüler taten es ihnen nach und nahmen dabei sehr viele Menschen in die Fremde mit. Diese Menschen standen nun vor der Aufgabe, sich die neuen Gebiete als neue Heimat anzueignen. Es fehlte ihnen dazu nicht etwa an Fähigkeiten – über einen längeren Zeitraum hätten sie sich durchaus auf die neuen Verhältnisse einstellen können –, ihnen fehlte die Bereitschaft. Sie waren schließlich Europäer, keine Amerikaner oder Australier, und hätten sich den neuen Gebieten in ihrem Urzustand, den die marinheiros angetroffen hatten, niemals freiwillig angepaßt. Die europäischen Auswanderer waren in der Lage, fremdes Land zu erreichen und sogar zu erobern. Aber zur Siedlungskolonie wurde es erst, wenn es Europa ähnlicher geworden war als im Urzustand. Zum Glück für die Europäer waren 287
ihre domestizierten und optimal anpassungsfähigen Tiere trefflich geeignet, diesen Umwandlungsprozeß in Gang zu bringen. Die angehenden Kolonisten aus Europa lebten von ihren Viehherden – wie ihre Vorfahren seit Jahrtausenden. Die Gründer der neo-europäischen Kolonien waren genetisch und kulturell Nachfahren der Indoeuropäer, einer in den westlichen und zentralen Regionen des europäischasiatischen Kontinents ansässigen Völkergruppe, von deren Sprache die meisten der späteren europäischen Nationalsprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Deutsch, Russisch usw.) abstammen. Die Indoeuropäer kannten schon die gemischte Landwirtschaft, stützten sich aber vornehmlich auf Herdenhaltung (Goodenough 970: 255, 258 f.). Auch die Europäer, die 4500 Jahre später die ersten überseeischen Reiche gründeten, betrieben eine gemischte Ackerbauund Herdenwirtschaft, und vom Gedeihen ihrer Tiere hing ganz allgemein auch ihr eigenes Gedeihen ab. Die Europäer brachten auch ihre eigenen Kulturpflanzen mit. Das verschaffte ihnen einen bedeutsamen Vorteil zum Beispiel gegenüber den australischen Aborigines, die keinen Ackerbau kannten und sich nur langsam mit ihm vertraut machten. Die amerikanischen Indianer hingegen verfügten über eine Reihe ertragreicher und nahrhafter Pflanzen, deren Wert die Invasoren bald anerkannten, indem sie selbst mit ihrem Anbau begannen. In den amerikanischen Tropengebieten, besonders in Brasilien, ist 288
Maniok auch für die Menschen europäischer Abstammung zum Grundnahrungsmittel geworden. Der Mais ist das praktisch überall in Amerika heute noch, und dasselbe galt im späten 8. und im frühen 9. Jahrhundert auch für Australien (Crosby 972: 65; Dunsdorfs 956: 5 f., 34 f., 47). Vorteile gegenüber den Ureinwohnern hatten die Europäer in den Überseekolonien also nicht so sehr wegen ihrer Kulturpflanzen, sondern wegen ihrer Haustiere. Die Aborigines hatten nur ein einziges domestiziertes Tier, den Dingo. Dingos werden kniehoch und damit genauso groß wie die Hunderasse, die in England bei der Fuchsjagd eingesetzt wird (Tench 96: 48 f.). Auch die Indianer in Amerika hatten Hunde, außerdem Lamas, Alpakas, Meerschweinchen und diverse Geflügelarten – aber das war auch schon alles. Diese Haustiere Amerikas und Australiens waren zudem in fast allen Belangen weniger nützlich als die der Alten Welt – ob als Lieferanten von Nahrungsmitteln, Leder und Faserstoffen oder als Last- oder Zugtiere. Selbst mit den technologischen Hilfsmitteln des 20. Jahrhunderts wären die Europäer in der Neuen Welt, in Australien und Neuseeland nicht imstande gewesen, ihre Umwelt so erfolgreich zu verändern, wie sie es mit Hilfe ihrer Pferde, Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe, Esel, Hühner, Katzen usw. erreichten. Insofern sich diese Tiere selbst reproduzieren, sind sie hinsichtlich Tempo und Wirkungsgrad der Umgestaltung ihrer Umwelt – selbst eines ganzen Kontinents – jeder bislang erfundenen Maschine überlegen. 289
Beginnen wir mit demjenigen unter den großen Haustieren, dessen Eigenschaften am ehesten denen des Unkrauts vergleichbar sind: Das Hausschwein verwandelt gewichtsmäßig ein Fünftel seines Fraßes in Nahrungsmittel für den menschlichen Konsum (beim Fleischrind beträgt dieser Verwertungsgrad des Futters höchstens ein Zwanzigstel; diese statistischen Zahlen gelten zwar für die Viehrassen des 20. Jahrhunderts, die denen früherer Epochen an Größe überlegen sind, aber wir können davon ausgehen, daß die Differenz zwischen Schweinen und Rindern hinsichtlich des Futter-Verwertungsgrades ungefähr gleichgeblieben ist). Schweine fressen konzentrierte Kohlenhydrate und Proteine, Nährstoffe also, die häufig auch für den menschlichen Direktverzehr geeignet sind. Der Wert des Schweines für die Menschen wird dadurch vermindert. Dennoch steht die Wichtigkeit dieser Haustierart für eine neue Kolonie ganz außer Zweifel – zumal in den allerersten Jahren, wenn den wenigen Siedlern noch gewaltige Mengen an ungenutzten Kohlenhydraten und Proteinen zur Verfügung stehen (Leeds/ Vayda (Hg.), 965: 233). Schweine sind Allesfresser. Daher fanden sie in den ersten überseeischen Kolonien weit mehr Sorten von Nahrung als alle anderen importierten Tierarten, die später eine größere ökonomische Bedeutung erlangen sollten (Patino 970: 308). Schweine fraßen praktisch alle Stoffe organischen Ursprungs: Nüsse jeglicher Art, Fallobst, Wurzeln, Gräser und sämtliche Tiere, die zu klein waren, 290
um sich zu verteidigen. Besonders gierig stürzten sie sich auf die Pfirsiche von Carolina und Virginia, wo »große Obstgärten angelegt werden, um die Hausschweine (mit Pfirsichen) zu füttern; wenn die sich das Fruchtfleisch einverleibt haben, knacken sie die Pfirsichsteine, um die inneren Kerne zu fressen« (Catesby 74–743, II: XX). In Neuengland lernten sie sogar, sich von Muscheln zu ernähren, die sie aus dem Sand wühlten. »Bei Ebbe sind sie unermüdlich dabei, sich über sie sie herzumachen.« (Morton o.J., II: 6) Aus Sydney berichtet einer der ersten Reisenden, daß die Schweine »tagsüber im Busch herumlaufen dürfen, wobei ein jedes nur einen Maiskolben kriegt, damit es abends wieder nach Hause kommt … Sie ernähren sich von Gräsern, Kräutern, wilden Wurzeln und einheimischen Yams-Wurzeln am Rande von Flüssen und Sumpfgebieten, aber auch von Fröschen, Eidechsen etc., die ihnen über den Weg laufen.« (Pullar 953: 8 f.) In den sehr kalten Regionen der Kolonien gediehen die Schweine ebenso wenig wie in vegetationsarmen, heißen Ländern, weil sie weder intensive Sonnenstrahlung noch extreme Hitze vertragen; in den Tropen müssen sie leichten Zugang zu Wasserquellen und Schattenplätzen haben. In den meisten frühen Kolonien Nord- und Südamerikas wie auch Australiens und Neuseelands aber gab es genügend Feuchtigkeit und Schatten, dazu reichlich Wurzeln und Mastfutter – und bald nach Ankunft der Weißen auch entsprechend große Schweineherden. Als Ausnahme von der Regel, daß Schweine in den frühen 291
Kolonien aufs beste gediehen, erwiesen sich die Grasgebiete mit ihrer spärlichen Vegetation und ihrem mangelnden Schatten. Aber selbst in der Pampa trieben die Schweine sich in der Nähe von Wasserläufen in großen Massen herum.* Eine gesunde Muttersau wirft regelmäßig an die zehn Ferkel oder auch mehr, die bei guter Ernährung in demselben Tempo wachsen können wie die Erträge eines guten Investmentfonds. Wenige Jahre nach der Entdeckung von Española lebten dort bereits zahllose (»infinitos«) wilde Schweine, und »die Bergregionen wimmelten nur so von ihnen«. (D’Anghera 92, I: 80; de las Casas 967,: 30; de Herrera 740, II: 57) In den 90er Jahren des 5. Jahrhunderts breiteten sie sich auch auf den anderen Inseln der Großen Antillen und auf dem Festland aus, wo sie sich weiter zügig vermehrten. Sie folgten den Truppen Francisco Pizarros (der in seiner Jugend Schweinehirt gewesen sein soll) und vervielfachten sich alsbald auf dem Gebiet des eroberten Inkareiches. Auf dem amerikanischen Festland lag die Wachstumsrate wahrscheinlich niedriger als auf den Karibischen Inseln, denn hier gab es konkurrierende Fleischfresser, aber bald erhöhte sich ihre Zahl auch auf dem Kontinent auf viele Tausende. Der fromme Las Casas hielt diese Schweineherden bis ins letzte Glied für Nachkommen jener acht Exemplare, die * Pullar 953, 6 ff.; Crosby 972: 75–79; »Cerdo« in: Gran Encidopedia Argentina 956, II: 267; Hudson 945: 70 ff.; Labrador 936: 68
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Kolumbus für je siebzig mamvedis auf den Kanarischen Inseln gekauft und 493 nach Española gebracht hatte (de las Casas 95,: 35; Patino 970, V: 32). Ende des 6. Jahrhunderts wühlten sich Schweineherden auch durch die Sümpfe, Urwälder und Savannen Brasiliens. Die Schweine von Port Royal auf der Halbinsel Nova Scotia, der ersten lebensfähigen französischen Kolonie auf amerikanischem Boden, verbrachten selbst winters die Nächte oft im Freien (Crosby 972: 79; Lescarbot 907,: XI f.). Auch in Virginia gediehen sie prächtig, und um 700 wimmelten sie bereits »wie Würmer auf der Erde, und häufig werden sie auch als solche behandelt, insofern nämlich, wenn der Testamentsvollstrecker auf einem bedeutenden Hofbesitz ein Inventarverzeichnis anfertigt, die Schweine einfach weggelassen und auf der Taxierliste nicht registriert werden. Die Schweine laufen frei herum und versorgen sich selbst in den Wäldern, ohne daß die Besitzer sich um sie kümmern.« (Beverley 947: 53, 38) Das Tier der Wahl waren die Schweine für die Entdeckungsreisenden, Piraten, Walfänger und Robbenjäger, die eine einsame Insel »bestellen« wollten, auf daß die nächste Gruppe durchreisender Europäer oder NeoEuropäer einen lebendigen Fleischvorrat vorfinden sollte. Das erklärt, warum zuweilen in den allerersten schriftlichen Zeugnissen über entlegene Eilande bereits von herumlaufenden wilden Schweinen die Rede ist: so im Falle der Inseln im Rio de la Plata, von Barbados und 293
den Bermudas, von Sable Island vor Nova Scotia, der Channel Islands vor der Küste Kaliforniens, oder auch der Inseln in der Bass-Straße zwischen Tasmanien und dem australischen Festland (Crosby 972: 78; Pullar 953: 0 f.; Storer 933: 779). In Australien wühlten sich die Schweine von Sydney aus ins Landesinnere vor, im gemessenen Tempo der vorrückenden Siedlungsgrenze oder auch im Schweinsgalopp vorneweg. Zum üblichen Farmbetrieb gehörten sie fast ebenso selbstverständlich dazu wie die Schafe, wobei sie sich ihre Nahrung kilometerweit in der ganzen Umgebung zusammensuchten. Auf einem verlotterten Anwesen konnte es vorkommen, daß sie gerade noch einmal pro Monat auftauchten. Und manchmal war von ihren Haustiereigenschaften noch weniger übriggeblieben (Haygarth 848: 48). Im 20. Jahrhundert sind die wild lebenden Schweine, obwohl sie zu Tausenden abgeschossen, vergiftet und durch elektrische Zäune umgebracht wurden, auf einem Gebiet verbreitet, das den größten Teil des östlichen Drittels von Australien umfaßt (Recher/Lunney/Dunn (Hg.), 979: 36; Rolls 969: 338). Nach einigen Generationen entwickeln sich die verwilderten Exemplare zu einem Schweinetyp zurück, der sich stark von dem unterscheidet, den wir vom Bauernhof kennen. Diese Schweine haben lange Beine und einen länglichen Rüssel, schmale Flanken und einen spitzen Rücken, sie sind flink und aggressiv und mit langen, 294
spitzen Hauern ausgestattet, die ihnen in Nordamerika wie in Australien denselben Namen eingebracht haben: razorback (Pullar 953:3 ff.). Der razorback (wörtlich: Rasiermesserrücken) ist ein tückisches Tier, was ganz besonders für den Eber gilt. Ein argentinisches Exemplar hätte einmal ums Haar dafür gesorgt, daß einige Bücher über die Pampa ungeschrieben geblieben wären. Eine solche Bestie hätte nämlich den jungen William H. Hudson fast vom Pferd heruntergeholt; wenn ihr das gelungen wäre, hätte sie den kommenden Naturforscher und Autor wahrscheinlich mit ihren Hauern getötet und gefressen.* Heute sind diese halbwilden Schweine – außer in ein paar Grenzgebieten der Zivilisation – bestenfalls Jagdobjekte und schlimmstenfalls ärgerlich und gefährlich. Aber in früheren Zeiten waren sie – auf den Antillen in den 90er Jahren des 5. Jahrhunderts wie im Queensland des ausgehenden 9. Jahrhunderts – ein wichtiger Posten auf dem Speisezettel. Sie ernährten sich auf eigene Faust (und das vollständig, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gab), und ihr Fleisch war wohlschmeckend und nahrhaft. * Hudson 945: 70, 72. Auch heute noch können Schweine ebenso leicht verwildern wie zu früheren Zeiten. 983 trieben sich auf dem Gelände des Weltraumzentrums von Cap Kennedy in Florida 5000 wilde Schweine herum. Sie waren die Nachkommen der Hausschweine von ortsansässigen Bauern, deren Land von der amerikanischen Weltraumbehörde in den 60er Jahren aufgekauft worden war, als man das Gelände erweitern wollte. Vgl. New York Times vom 2. September 983, S. A20
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In den meisten Kolonien Amerikas und Australasiens kam Schweinefleisch bei den ersten Generationen europäischer Siedler häufiger auf den Tisch als jede andere Fleischsorte. Aus der Sicht der Menschen hat das Rind gegenüber dem Schwein mindestens zwei Vorzüge: Es ist mit einem wirkungsvolleren Temperaturregulierungs-System ausgestattet und kann daher Hitze und direkte Sonneneinstrahlung besser aushalten; und es besitzt die besondere Fähigkeit, die für den Menschen unverdauliche Zellulose – also zum Beispiel Gräser, Blätter oder Astsprossen – in Fleisch, Milch, Leder und anderes umzuwandeln. Außerdem dient es dem Menschen auch noch als Zugtier. Diese Merkmale, zu denen noch die natürliche Fähigkeit zur Selbstversorgung kommt, machen das Rind zu einer Spezies, die man im offenen Grasland ebenso sich selbst überlassen kann wie das Schwein in Wald- oder Dschungelgebieten. Kolumbus brachte 493 Rinder von den Kanarischen Inseln nach Española mit. Ihre Abkömmlinge wurden in den Zuchtherden gehalten, die seit 52 auf den Westindischen Inseln, seit etwa 520 in Mexiko, seit den 30er Jahren des 6. Jahrhunderts in den Inkagebieten und seit 565 in Florida weideten. Ende des 6. Jahrhunderts war das Rind bis ins heutige New Mexico vorgedrungen, 769 hatte es das heutige Kalifornien erreicht (Rouse 977: 2–65). Aber nicht überall setzte das Rind sich gleichermaßen erfolgreich durch. Im feuchtheißen Brasilien und auf den 296
Llanos Kolumbiens und Venezuelas dauerte es Generationen, bis sich die iberischen Rinder an die klimatischen Verhältnisse angepaßt hatten. In den Hochlandregionen vermehrten sie sich allerdings explosionsartig und kalbten in einem Tempo, das sogar den Kolonisten unheimlich vorkam. Ende des 6. Jahrhunderts dürften sich die Rinderherden im Norden Mexikos ungefähr alle 5 Jahre verdoppelt haben. Ein französischer Reisender berichtete seinem König von »großen, flachen Ebenen, die sich in endlose Weiten erstrecken und allenthalben von unzähligen Rindern bevölkert sind« (zit. nach Crosby 972: 88). Diese Rinder waren inzwischen vollständig naturalisiert, also ebenso zum dauerhaften Bestandteil der Fauna geworden wie Hirsche oder Coyoten, und wanderten immer weiter nach Norden. 75 Jahre später berichtete Friar Juan Agustin de Morfi von seiner Reise durch eine mexikanische Region, die Texas genannt wurde, daß er erstaunliche Mengen wilder Rinder gesehen habe (de Morfi 935: 65). Noch erstaunlicher war das Schicksal, das den Rindern in der Pampa widerfuhr. Nachdem der erste Anlauf zu einer europäischen Siedlung in Buenos Aires gescheitert war, versuchten es die Spanier 580 ein zweites Mal – mit Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt fanden sie bereits massenhaft Vierbeiner aus Europa vor: die Nachkommen von Rindern, die seit der ersten Besiedlung von Buenos Aires herumstreunten, und von verwilderten Tieren, die anderen europäischen Grenzsiedlern entlaufen waren. 297
Auch die Herkunft der halbwilden Herden östlich des Rio de la Plata, also im heutigen Uruguay bzw. Rio Grande do Sul, ist nicht eindeutig geklärt. Das allererste Vieh dürften die Spanier, die Portugiesen oder die Jesuiten eingeführt haben; sie brachten auch die ersten Rinder und Pferde mit. Einen gesicherten Hinweis haben wir erst für das Jahr 638, als die Jesuiten in dieser Region eine Missionsstation aufgaben und 5000 Rinder zurückließen (Poppino 973: 09, 233). Sicher ist, daß sich die freigelassenen Tiere wie alle Herden der Pampa sehr rasch vermehrt haben. 69 berichtete der Gouverneur von Buenos Aires, daß man jährlich 80 000 Rinderhäute vermarkten könnte, ohne die wilden Herden merklich zu dezimieren (Crosby 972: 9; Gilberti 974: 20–25; Acevedo 936, II: 7, 5). Um 700 schätzte Felix de Azara, dem wir im letzten Kapitel einige verläßliche Auskünfte über die Unkrautarten der Pampa verdankten, die Gesamtzahl der Rinder zwischen dem 26. und dem 4. Grad südlicher Breite auf etwa 48 Millionen. Das entspricht etwa der Größenordnung, die auch die Büffelherden der nordamerikanischen Great Plains in ihren besten Zeiten erreichten (Campal 969: 76; vgl. auch Falkner 935: 38). Richtig gezählt wurden die Rinder erst sehr viel später, und so müssen wir die Schätzungen Azaras wohl doch mit einem Fragezeichen versehen. 48 Millionen plus oder minus wieviel? Um ein Viertel weniger, um die Hälfte mehr? Wenn schon keine statistischen Bemühungen, so haben diese Rindermassen doch ehrfürchtige Gefühle 298
ausgelöst: William Hudson berichtet in seiner Autobiographie, wie in Argentinien um die Mitte des 9. Jahrhunderts manche Mauern um Pflanzungen und Obstgärten ausgesehen haben: »(Sie waren) ganz und gar aus Kuhschädeln errichtet, die sieben, acht oder neun Reihen tief, mit den Hörnern nach außen, gleichmäßig wie Steine aufeinandergeschichtet waren. Hunderttausende von Schädeln waren auf diese Weise verarbeitet worden, und einige der alten und sehr langen Mauern, die mit grünem Gras bedeckt und von Schlingpflanzen und wilden Blumen überwuchert waren, die aus den Höhlungen der Knochen herauswuchsen, boten einen einzigartig pittoresken, irgendwie aber doch sehr unheimlichen Anblick.« (Hudson 945: 288) Die Rinder, die zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert in Nord- und Südamerika grasten, waren in ihrer Mehrzahl wahrscheinlich verwilderte Tiere. Und sie wurden, ähnlich wie die Schweine, unter dem Einfluß der Umwelt zu flinken, mageren und tückischen Rindern, die es – ausgewachsen – mit fast jedem Gegner aufnehmen konnten. Und wie der Pater Martin Dobrizhoffer aus dem Gebiet des Vizekönigs von Rio de la Plata berichtete, ließen sich die Kühe nur melken, wenn ihre Füße zusammengebunden und ihre Kälber in der Nähe waren. Bullen und Kühe liefen »mit einer Art wilder Arroganz« 299
umher und hielten dabei die Köpfe hochaufgerichtet wie die Hirsche, deren Lauftempo sie übrigens auch fast erreichten. Die angelsächsischen Siedler, die in den 20er Jahren des 9. Jahrhunderts nach Texas vordrangen, mußten erfahren, daß diese Rinder schwerer einzufangen und unter größeren Gefahren abzurichten waren als die halbwilden Mustangs (Dobrizhoffer 822, I: 29; Crosby 972: 88). Die Rinder, die in den französischen und britischen Besitzungen Nordamerikas heimisch wurden, waren nicht so beweglich, hatten nicht so bedrohlich lange Hörner und reagierten auf die Annäherung von Menschen auch nicht so böse wie die iberischen Rinder, doch auch sie gehörten zur robusteren Sorte. Die ersten Rinderherden entstanden an der vordersten Siedlungsfront, die sich mit dem Vordringen der Bauern in Richtung Westen bewegte, obwohl in diesen Grenzzonen dichte Wälder vorherrschten, die nur ganz selten von größeren Wiesenflächen unterbrochen wurden. (Rouse 977: 92; Billington 974: 4, 60) Erst als die Neo-Europäer im Lauf des 9. Jahrhunderts die weiten Grasebenen des Mittleren Westens erreichten, wuchsen ihre Rinderherden zu einer mit den Herden des kolonialen Iberoamerika vergleichbaren Größe. Aber bereits im 8. Jahrhundert waren sie groß genug, um auf Europäer, die die Grassteppen im Süden Amerikas noch nie bereist hatten, Eindruck zu machen. John Lawson etwa, der kurz nach 700 Carolina besuchte, staunte über die »unglaublichen« Rinderbe300
stände, von denen »ein- oder zweitausend Exemplare einem einzigen Farmer gehören« könnten (Lawson 709, Repr. 966: 4). Die Rinder in den englischen Kolonien waren teils halbwild, teils zahm, immer jedoch robust. Schon 30 Jahre nach der Gründung von Maryland führten die Siedler Klage, daß ihre Rinderrassen »durch mehrere Herden wilder Rinder beeinträchtigt würden, die sich inmitten ihrer zahmen Tiere aufhielten« (zit. nach Gray 933, I: 4). Zwei Menschengenerationen später begann die Wanderung der Rinderherden von den Grenzregionen South Carolinas und Georgias nach Westen, »unter der Aufsicht von Rinderhirten, die (wie die Patriarchen des Altertums oder die modernen Beduinen Arabiens) von einem Weideland zum nächsten weiterwanderten, wenn die Grasnarbe dünner wird oder die bäuerlichen Siedler näherrücken« (zit. nach Owsley 945: 5). Um diese Rinder und andere halbwilde Tiere, die sich an den Rändern der Wildnis von Neuschottland bis zum unteren Mississippi in den Wäldern herumtrieben, halbwegs unter Kontrolle zu halten, gab es ein leicht verfügbares Mittel: Salz. Wenn ein Viehhirte seine Herde mit Hilfe des Glockengebimmels seines Leittieres lokalisiert hatte, ging er mit einem Salzbrocken auf der ausgestreckten Hand auf sie zu. Und während die angelockten Tiere das Salz aufleckten, konnte er sie anschirren oder anjochen oder auch zum Schlachten aussondern (de Crèvecoeur 964: 333, 336). 301
Diese nur halb domestizierten Herdentiere hatten in den Waldgebieten und Moorgegenden kein leichtes Leben. Auf sie wartete abends kein gefüllter Futtertrog, kein warmer Stall und kein Hirte, der sich um sie gekümmert hätte. Die schwächsten Exemplare wurden von Pumas und Wölfen erbeutet, sie versanken in Sümpfen, erfroren in Schneestürmen oder verendeten an Hunger und Durst. Aber solche Verluste konnten die überlebenden Tiere in den warmen, futterreichen Monaten wieder wettmachen, und so verbreiteten sich ihre Herden immer weiter über die nordamerikanische Wildnis (Berkeley/Berkeley (Hg.), 965: 88). Im Laufe des 9. Jahrhunderts etablierte sich Australien als einer der größten Woll- und Lammfleisch-Produzenten der Welt. Für diese Entwicklung war nicht die Natur, sondern die Mechanisierung der europäischen Textilindustrie verantwortlich, ohne deren Einfluß sich die halbwilden Rinder vielleicht auf ebenso breiter Front durchgesetzt hätten wie z. B. in Texas. Die erste Flotte mit Kolonisten erreichte die australischen Gewässer im Jahre 788. Sie hatte Viehzeug in geradezu beängstigenden Mengen dabei, das man erst im südafrikanischen Kapstadt an Bord genommen hatte. Wie der Kapitänsmaat der Sirius berichtete, glich das ganze Schiff einem vor Mist starrenden Viehstall. Unter den Tieren befanden sich auch zwei Bullen und sechs Kühe. In Sydney angekommen, machten sie sich nach ein paar Monaten gleich aus dem Staub; es wurde freilich 302
auch behauptet, ein boshafter Sträfling namens Edward Corbett habe sie davongejagt (White 962: 42, Fn 242, Fn 257; Historical Records of Australia, Ser. I, I: 55, , 96). Die Siedler nahmen einfach an, die streunenden Rinder seien von Aborigines getötet worden. Doch nach sieben Jahren entdeckte man sie auf einmal in einem Gebiet, das seitdem Cow-pastures (also Kuhweiden) genannt wird, als friedlich grasende Herde von 6 Rindern. Als der Gouverneur John Hunter die Ausreißer besichtigen wollte, wurde er mit seiner Begleitung »von einem großen und äußerst wilden Bullen aufs Wütendste attackiert, so daß wir um unserer Sicherheit willen gezwungen waren, ihn abzuschießen. Sein Ungestüm und seine Stärke waren derart, daß man sich erst in seine Nähe wagen konnte, als er von sechs Kugeln durchbohrt war.« (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 550 f.) Der Gouverneur, dem die Geschichte der Viehherden in der Pampa möglicherweise bekannt war, gab die Anordnung, man solle die Rinder sich selbst überlassen, damit sie der Kolonie dereinst »zum gewaltigen Vorteil und zur Einkommensquelle werden mögen«. 804 zählten die halbwilden Herden insgesamt bereits 3000 bis 5000 Exemplare. Die Australier sollten im Lauf der Zeit zu erfolgreichen Viehhändlern werden. Vorerst aber konnten sie mit diesen ungezähmten Tieren nicht mehr anfangen, als gelegentlich welche abzuschießen und zu Pökelfleisch zu verarbeiten oder ein paar von ihren Kälbern einzufangen. Die übrigen Rinder narrten ihre 303
Verfolger, die ihnen – »wie die Ziegen bergauf und bergab rennend« – nachzustellen versuchten. Die Herden waren inzwischen eine echte Plage geworden. In die Wildnis entflohene Sträflinge – die berühmt-berüchtigten bushrangers (also »Strauchdiebe«) – ernährten sich von ihrem Fleisch; darüber hinaus nahmen die wilden Rinder zum Teil die hochwertigsten Böden zwischen dem Meer und den (westlich von Sydney gelegenen) Blue Mountains in Beschlag und zeigten sich unerbittlich entschlossen, nicht von ihnen zu weichen (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 30, 46, 603, 608; II: 589; V: 590 ff.; VI: 64; VIII: 50 f.; IX: 75). Die Regierung ging allerdings entschieden davon aus, daß nicht die Rinder zur herrschenden Spezies von New South Wales bestimmt waren, sondern die Menschen. Also revidierte sie ihre Haltung zu den wilden Rindern und verfügte 824 die Ausrottung der letzten wilden Nachkommen der 788 entlaufenen Tiere (Historical Records of Australia, Ser. I, IX: 349; X: 9 f., 280, 682; »Cowpastures« in: Australian Encyclopedia, II: 34). Im zweiten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts fanden die Australier einen Weg über die Blue Mountains hinweg in die dahinterliegende Grasebene, die sie nun mit ihrem Vieh durchzogen. Jenseits der Berge vermehrten sich die Rinder – legt man die Ausgangszahlen zugrunde – offenbar schneller als Schafe oder Pferde (Haygarth 948: 55). Die meisten dieser Rinder waren nicht mehr südafrikanischer, sondern europäischer Abstammung, aber deshalb keineswegs besonders fügsame Tiere. Die 304
Kälber waren so wild und fast so flink wie Hirsche; viele von ihnen konnten glatt über einen zwei Meter hohen Zaun hinwegsetzen, weshalb sie von den Einheimischen auch »Känguruhs« genannt wurden (Cunningham 828, I: 272). In New South Wales gab es 820 insgesamt 54 05 zahme Rinder, 830 bereits 37 699. Eine Generation später müssen es Millionen gewesen sein. (»Cattle Industry« in: Australian Encyclopedia, I: 483). Unbekannt blieb die Anzahl der wilden Rinder, von denen bei der weiteren Erschließung Australiens manche schon vor den ersten Siedlern, andere sogar schon vor den Forschungsreisenden da waren. Als Thomas L. Mitchell 836 die Wildnis in der Umgebung des Murrumbidgee River erforschte, stieß er in der Nähe von Wasserlöchern auf breite und festgetretene Trampelpfade, die ihm wie regelrechte Straßen vorkamen. Dann »wurden unsere sehnsüchtigen Augen und erst recht unsere Mägen durch den Anblick der Rinder selbst ergötzt«. Für die Rinder waren die Menschen ein so ungewohnter Anblick, daß diese bald »von einer glotzenden Herde von wenigstens 800 wilden Tieren umringt waren« (Mitchell 838, II: 306). Selbst angeblich zahme Rinder in den Grenzgebieten bekamen so wenige Menschen zu Gesicht – die meisten Rinderstationen bestanden aus höchstens zwei bis drei Viehhütern und einem hut-keeper (also »Haushüter«) –, daß man sich fragen muß, inwieweit die Menschen tatsächlich ihre Herren waren. Die Bullen verhielten sich besonders eigenwillig. Die meiste Zeit über blieben sie 305
bei den Herden, im Winter jedoch verzogen sie sich in die Einsamkeit, um sich erst im Frühling wieder zuzugesellen und mit den anderen Bullen um die Weibchen zu rivalisieren. Zu den einprägsamsten Lauten in den australischen Grenzgebieten gehörte das herausfordernde Gebrüll der zu ihren Herden zurückstrebenden Bullen: »zunächst dumpf und tief, dann in einen schrillen Schrei übergehend, der klar wie ein Jagdhorn … zwischen den tief eingeschnittenen Schluchten und inmitten der weglosen Einöde noch kilometerweit entfernt ein Echo auslösen konnte« (Haygarth 848: 59 ff., 65 f.). Pferde waren vor 8000 bis 0 000 Jahren in Amerika ausgestorben und kehrten erst mit Kolumbus wieder zurück, der 493 einige nach Española brachte. Für die iberischen Eroberer, die in allen Gegenden der Neuen Welt zunächst in der Minderheit waren, waren ihre Pferde ein wirksames, ja absolut notwendiges Instrument im Kampf gegen die Indianer, weshalb sie ihre Tiere denn auch überall mitführten (D’Anghera 92, I: 3; Denhardt 975: 27–84; Crosby 972: 79–85). In den meisten Kolonien vermehrten sich die Pferde ziemlich schnell – vielleicht nicht so hemmungslos wie die Schweine, aber doch schnell genug (Patino 970, V: 37 f.). Selbst in den brasilianischen Küstenregionen, wo das heiße Klima für Pferde keineswegs ideal ist, waren sie Ende des 6. Jahrhunderts weit verbreitet und wurden von den Siedlern bereits nach Angola exportiert (Purchas 905–907, XIV: 500). Während in Afrika die Pferde 306
eingingen, ließen sie sich in Amerika – auf denselben Breitengraden und unter denselben Klimaverhältnissen – sogar schon züchten. Auch im Norden Mexikos vermehrten sich die Pferde enorm, wobei sehr viele von ihnen rasch verwilderten. 777 traf Fiar Morfi in der Nähe von El Paso (Texas) auf unzählige wilde mestenos (das mexikanische Wort für die Pferde der nördlichen Grasländer, das die Nordamerikaner dann zu »Mustang« verballhornten). Die ganze Ebene war kreuz und quer von ihren Trampelpfaden durchfurcht, so daß dieses leere Land wie »die am dichtesten bevölkerte Gegend der Erde« anmutete. Über weite Strecken hatten die Pferde die Grasnarbe völlig abgefressen, und auf diesen kahlen Stellen breiteten sich eingewanderte Pflanzenarten aus. Um das Wasserloch von San Lorenzo fand Morfi gewaltige Mengen von Pflanzen, die in Spanien uva de gato und in England stonecrop (auf deutsch: Steinkraut oder Fetthenne) genannt werden. Bei diesem grünen Teppich in öder Landschaft dürfte es sich um eine oder mehrere europäische Arten der Gattung Sedum gehandelt haben (sie steht heute als bodenschützende Pflanzenart hoch im Kurs), die sehr weite Verbreitung fand, seit es den marinheiros gelungen war, die Windsysteme der Weltmeere zu entziffern (de Morfi 935: 334; Perry 974: 463; Sánchez 969: 86 ff.; Clausen 975: 554). Wie der Mustang nach Nordamerika und vor dem Ende des 8. Jahrhunderts über die Great Plains bis nach 307
Kanada kam, ist so sattsam bekannt, daß wir die Geschichte hier nicht nacherzählen wollen (Denhardt 975: 92). Für diese Ausbreitung des Mustang sorgten vor allem die kriegerischen Streifzüge und die Handelsaktivitäten der amerikanischen Indianer; nach Alta California (heute: US-Bundesstaat Kalifornien) kamen die ersten Pferde dagegen in den 70er Jahren des 8. Jahrhunderts durch die Spanier. Hier nahmen die Tiere wieder die Verhaltensweisen ihrer Vorfahren in den Steppen Mittelasiens an. Als 849 der Goldrausch einsetzte, gab es schon so viele Pferde, daß sie von Viehzüchtern, die das Gras als Ernährungsquelle für profitablere Tierarten im Auge hatten, zu Tausenden über die Klippen von Santa Barbara ins Meer getrieben wurden (Denhardt 975: 92, 26). In den Kolonien an der nordamerikanischen Atlantikküste lebten einige Pferde mexikanischer Abstammung, die Händler aus dem Grasland des Mittleren Westens an die Ostküste gebracht hatten (Roe 955: 64 f.; vgl. Bartram 955: 87 f. und Harrison 93: 66–7). Die meisten Pferde aber kamen direkt aus Großbritannien und Frankreich; die ersten waren in Virginia schon 620, in Massachusetts 629 und in Neu-Frankreich, der ersten französischen Kolonie am St. Lorenz-Strom, 665 eingetroffen. Im 7. Jahrhundert liefen dem Reisenden John Josselyn in Massachusetts bereits eine Menge Pferde über den Weg, darunter »hier und da auch ein gutes«. Im Winter würden sie von ihren Besitzern in die Wildnis entlassen, wo sie sich ihr Futter alleine zusammensuchen 308
müßten. Dadurch »magern (die Tiere) bis zum Frühjahr sehr stark ab und lassen den Kopf hängen und kommen nie mehr richtig auf die Beine« (Josselyn 865:46). Nun kam Josselyn allerdings aus Europa, wo Pferde sehr teuer waren, so daß es sich lohnte, sie anständig zu pflegen. In Nordamerika waren sie relativ billig und liefen frei umher. Daß diese Pferde mit Menschen zu tun hatten, bezeugte in vielen Fällen nur noch ein Halsgeschirr. Daran war unten ein Haken befestigt, damit sie beim Versuch, über die Zäune hinweg auf bestellte Felder zu springen, an der obersten Zaunstange hängenblieben. Übrigens trugen auch die Schweine ein dreieckiges Joch um den Nacken, damit sie sich nicht zwischen den Zaunlatten durchzwängen konnten. Die Zäune sollten das Vieh also nicht einpferchen, sondern aussperren (Kalm 972: 5, 226, 255, 366; Denhardt 975: 92). Für die Grenzsiedler war es zwar von Vorteil, jederzeit auf robuste Reittiere zurückgreifen zu können, die sie lediglich die Mühe des Einfangens kosteten, aber in einigen Gegenden nahmen die Tiere so sehr überhand, daß sie zu einer wahren Landplage wurden. In Virginia und Maryland waren die wilden Pferde Ende des 7. Jahrhunderts als Schädlinge verschrien, da Hengste wertvolle Stuten besprangen, so daß man gesetzliche Regelungen traf, wonach sie einzufangen oder zu kastrieren waren. In Pennsylvania durfte man jeden in freier Wildbahn angetroffenen Hengst mit einem Stockmaß von unter 309
,30 m auf der Stelle kastrieren (Benson 937, II: 737; Berkeley/Berkeley 965: 05; Gray 933, I: 40; Beverley 947: 322). In den westlichen Staaten Nordamerikas, wo sich oft noch weite offene Landschaften erhalten haben, leben auch heute noch Tausende von wilden Pferden. Trotz Dürreperioden, Schneestürmen und Viehseuchen, trotz einer unersättlichen Hunde- und Katzenfutterindustrie oder einzelner Bürger, die sich eben mal ein herrenloses Reittier besorgen wollen, waren 959 in rund einem Dutzend Staaten der westlichen USA und in zwei Provinzen Kanadas noch immer Mustangs in freier Wildbahn anzutreffen (McKnight 959: 506, 52; vgl. Ryden 978). Als die Spanier 580, rund 40 Jahre nach dem Scheitern der ersten europäischen Ansiedlungsversuche, nach Buenos Aires zurückkehrten, grasten dort bereits große Herden verwilderter Pferde. Und die vermehrten sich in einem Tempo, das für Großherden wahrscheinlich einmalig war. In Tucumán, einer Provinz im Westen Argentiniens, gab es zu Beginn des 7. Jahrhunderts »Pferde in solchen Massen, daß sie praktisch die ganze Landschaft ausfüllen; und wenn sie eine Straße überqueren, muß man als Reisender im äußersten Falle einen ganzen Tag oder länger warten, bis der Zug vorüber ist, damit die eigenen zahmen Tiere nicht mitgezogen werden.« Im Grasland um Buenos Aires tummelten sich »entlaufene Stuten und Hengste in solchen Massen, daß umherziehende Herden von weitem wahrhaftig wie ganze Wälder aussahen« (Cros310
by 972: 84 f.; de Espinosa 942: 675, 694; Auvedo 936: 7, 5). Solchen Berichten mag man mit Skepsis begegnen, und doch entsprechen sie wahrscheinlich der Wahrheit. Die Pampa östlich und westlich des Rio de la Plata war ein wahres Pferdeparadies. Noch im 9. Jahrhundert, also nach dem Verschwinden vieler günstiger Bedingungen, die den Tieren das Leben anfangs erleichtert hatten, vergrößerten sich die Pferdeherden, die als Reservoir für die Reittiere der argentinischen Kavallerie gehegt und deshalb nicht dezimiert wurden, im Durchschnitt um ein Drittel pro Jahr (MacCann 852, I: 23). Als der Jesuitenpater Thomas Falkner im 8. Jahrhundert die Pampa bereiste, beeindruckte ihn nicht nur die »ungeheuerliche« Zahl der Pferde, sondern auch ihr Marktpreis, der für ein zwei- oder dreijähriges Jungtier bei einem halben Dollar lag. An manchen Tagen sah Falkner kein einziges wildes Pferd am Horizont, an anderen Tagen waren sie plötzlich überall. »Sie ziehen von Ort zu Ort, immer gegen die Windrichtung; und bei einer Expedition ins Landesinnere, die ich 744 antrat – für einen Zeitraum von drei Wochen hielt ich mich in der Ebene auf – traf ich dort eine so große Zahl von Pferden an, daß sie zwei Wochen lang unablässig um mich herum waren. Manchmal stoben sie in dichtem Pulk und schnellem Tempo zwei oder drei Stunden lang ohne Unterbrechung an mir vorbei, wobei ich und die vier Indianer meiner Begleitung 311
nur mit großer Mühe dem Schicksal entgingen, von ihnen überrannt und unter ihren Hufen zermalmt zu werden.« (Falkner 935: 39) Nirgends sonst auf der Welt gab es zahme oder wilde Pferde in solchen Mengen. Ihre Riesenherden haben die Pampa-Gesellschaften gründlicher und nachhaltiger geprägt, als es die Entdeckung von Goldvorkommen getan hätte. Denn das Edelmetall hätte sich bald erschöpft, wogegen die Herden wilder Pferde – als unerläßlicher Bestandteil der Gaucho-Kultur – noch 250 Jahre später existierten. In Australien trafen mit der ersten Auswandererflotte des Jahres 788 auch sieben Pferde ein. Im darauffolgenden Winter berichtete der Gouverneur, die Pferde hätten sich sehr gut eingelebt, aber das stimmte nicht (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 55): Nur zwei Exemplare überlebten die ersten Jahre. Erst als 795 einige gute Stuten aus Südafrika nachkamen, begann die Zahl der Pferde merklich zu wachsen: 80 waren es 34, ein Jahrzehnt später hatte sich diese Zahl vervierfacht, und die Siedler begannen sogar, einige zu exportieren (»Horses«, Australiern Encyclopedia, III: 329). Viele dieser Pferde liefen bereits frei in der Gegend umher. In Australien wurden sie nicht »Mustang«, sondern »brumby« genannt. Das Wort könnte von »baroomby« abgeleitet sein, was in der Sprache der Aborigines »wild« bedeutet, oder auch von Baramba, dem Namen eines Flusses in Queensland. 312
Es könnte sich aber auch auf James Brumby beziehen, der 794 als gemeiner Soldat nach New South Wales gekommen war, sich später ein paar hundert Morgen Weideland zulegte und 804 zu einer Expedition nach Tasmanien aufbrach. Vor seiner Abreise soll er seine Tiere zusammengetrieben haben, wobei ihm einige entwischt sein müssen, aus denen dann diverse brumby-Dynastien hervorgingen (»Brumby«, Australiern Encyclopedia, I: 409; Shaw/Clark 966,: 7; Rolls 969: 349). Im Inneren Australiens liefen früher Zehntausende von brumbies umher, in Westaustralien lebten 960 immer noch acht- bis zehntausend, die noch keine Bekanntschaft mit Sporen und Zaumzeug gemacht hatten. Die brumbies sind keine schönen Tiere. Vor 50 Jahren waren sie um Brust und Schultern so schmal gebaut, daß man für sie engere Sättel fertigen mußte als für europäische Pferde; und 792 verglich ein Pferdeexperte den »verfluchten Quadratschädel« der brumbies mit einem Eimer. Dafür sind sie erstaunlich zäh und ausdauernd und suchen sich sommers wie winters ihr Futter selbst. Als intelligente und ausgesprochen wendige Tiere sind sie hervorragend als Arbeitspferde geeignet (Haygarth 848: 6, 74, 77 f., 83; Walkabout, 38, 972: 4–7; Trollope 967: 22). Auch in Australien hat das Pferd dermaßen eingeschlagen, daß die Neo-Europäer dem Wunder, daß sie über fast kostenlose Reittiere verfügten, bald nicht mehr viel abgewinnen konnten und zu fluchen begannen, als 313
ihnen der Segen allmählich zu viel wurde. Die brumbies machten sich an die zahmen Pferde heran und entführten sie in die freie Wildbahn, wobei ihnen die geschädigten Besitzer nur resigniert und gedemütigt hinterherblicken konnten. Und was am schlimmsten war: Sie tranken das Wasser und fraßen das Gras, das für profitablere Tiere benötigt wurde, also für Schafe, Rinder und Zuchtpferde (Haygarth 848: 77, 8; Trollope 967: 22). Zwischen 860 und 900 waren die brumbies in New South Wales und Victoria eine echte Plage, »nachgerade das Unkraut unter den Tieren«. So viele wurden wegen ihres Fells getötet, daß ein Pferdefell in Sydney 869 nur noch vier Shilling einbrachte. Etliche Siedler zäunten in den Trockenperioden einfach die Wasserlöcher ein, um die Tiere auf diese Weise loszuwerden. Andere, denen der Tod durch Verdursten zu lange dauerte, brachten die brumbies mit Messern oder Gewehren zur Strecke, und zwar bewußt so, daß sie nicht gleich verendeten, sondern noch größere Entfernungen zurücklegen konnten. Man wollte damit verhindern, daß an wenigen Punkten große Mengen seuchenverdächtiger Pferdekadaver herumlagen. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als man für abgeschnittene Pferdeohren Prämien ausgesetzt hatte, haben zwei Männer in Innaminck innerhalb eines Jahres 4000 Pferde abgeschossen. Etwas später brachte es ein anderer Mann in einer einzigen Nacht auf 400 tote Pferde (Rolls 969: 349 ff.). Verlassen wir damit die anfangs zahmen und später verwilderten Vierfüßlerarten. Wir könnten noch über 314
Ziegen, Hunde, Katzen, Kamele oder über domestizierte Geflügelarten wie die Hühner berichten, die in diesen Regionen ebenfalls hervorragend zurechtkamen. Das Ergebnis wäre immer wieder dasselbe: Das Viehzeug aus der Alten Welt ist in den neo-europäischen Gebieten wunderbar gediehen, paradoxerweise besser als in seiner eigentlichen Heimat. Betrachten wir aber doch noch die Geschichte eines Lebewesens, das man als das einzige domestizierte Insekt der neo-europäischen Gebiete bezeichnen könnte: die Honigbiene. Rund um die Welt gibt es die verschiedensten Arten von Bienen und anderen Honig produzierenden Insekten. Aber es gibt nur eine Art, die zugleich große Mengen Honig liefert und sich vom Menschen vereinnahmen läßt: die Honigbiene, die ursprünglich in der Mittelmeerregion und im Nahen Osten heimisch war. In diesen Gegenden haben die Menschen lange vor Beginn der überlieferten Geschichte Honig und – wichtiger noch – Wachs gesammelt. Dort hat Samson auch eines der eindrücklichsten Bilder kreiert, die sich im Alten Testament finden: »Siehe, da war ein Bienenschwarm in dem Leibe des Löwen und Honig« (Buch der Richter 8, 4; Chauvin 968, I: 38 f.). Daß sich die Seeleute Westeuropas im 5. und 6. Jahrhundert zu marinheiros entwickelten, hatte – wie wir gesehen haben – sehr viele und vielfältige Konsequenzen. Eine von ihnen war die enorme Ausbreitung und Vermehrung der Honigbiene. Auf einigen Inseln des Mittleren Atlantik könnten Honigbienen womöglich 315
schon vor der Ankunft der Europäer heimisch gewesen sein. Nach Lateinamerika ist die Honigbiene relativ spät vorgedrungen, und in vielen Fällen kam sie nicht aus Europa, sondern aus Nordamerika. Bei den Ureinwohnern der amerikanischen Tropenregionen war das Sammeln von Honig lange vor dem Eintreffen von Cortés üblich und blieb es auch danach; außerdem war Zucker noch lange nach der spanischen Eroberung billig und in reichlichen Mengen zu haben. Beides wirkte dem Import von Honigbienen tendentiell eher entgegen. Argentinien ist heute zwar einer der größten Honigproduzenten der Welt, aber diese Entwicklung ist jüngeren Datums. In Nordamerika dagegen war Honig schon immer ein ganz wichtiges Süßmittel, hier war die Honigbiene also schon sehr früh eingeführt.* Die ersten nach Nordamerika verbrachten Honigbienen landeten zu Beginn der 20er Jahre des 7. Jahrhunderts in Virginia, wo Honig alsbald zur alltäglichen Kost gehörte. Nach Massachusetts gelangten die Bienen rund zwanzig Jahre später, und 663 berichtete John Josselyn bereits, sie würden dort »ganz hervorragend« gedeihen. Im 7. Jahrhundert ging es den eingewanderten Insekten in den britischen Gebieten Amerikas mindestens ebenso gut wie den eingewanderten europäischen Menschen (Crane 975: 475; Oertel 976: 70 f., 4, 28). * Free 982: 5; Pryor 983: passim; Patino 970, V: 23 ff.; Obras de Bernabe Cobo 956, I: 332–336; Nordenskiold 930: 96–20; Piccirilli/Romay/Gianello o.J., I: 4; Crane 975: 26 f., 477
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Die Ausbreitung der Bienen war zu einem gewissen Grade durch die Menschen vermittelt, insofern diese bei ihrem Vordringen ins Indianerland auf ihren Flößen und Karren auch Bienenstöcke mitführten. Meist aber schwärmte die Vorhut der Insekten aus der Alten Welt selbständig Richtung Westen aus. In den Küstenkolonien hatten sie sich im 7. Jahrhundert akklimatisiert und bis 800 bereits weit verbreitet (Crane 975: 476). Die Appalachen verhinderten zunächst ihr weiteres Vordringen. Dieses Hindernis wurde zum Teil mit menschlicher Hilfe überwunden, zum Teil auch mit Hilfe von Hurrikanen, die ganze Bienenschwärme über die Bergkette gewirbelt haben sollen. Im Mississippi-Becken breiteten sie sich offenbar noch schneller aus als östlich der Appalachen. Während des Indianerfeldzuges, der 8 mit der Schlacht von Tippecanoe endete, fanden die in die indianische Wildnis vorrückenden Soldaten der Vereinigten Staaten viele Bienenstöcke in hohlen Baumstämmen. Einer dieser Soldaten hat berichtet, er und seine Kameraden hätten innerhalb einer Stunde drei solcher Bienenbäume aufgestöbert (Crane 975: 476; Oertel 976: 25, 260). Westlich des Mississippi sollen sich die ersten Honigbienen im Jahre 792 im Garten der Madame Chouteau in St. Louis niedergelassen haben (Irving 956: Anm. 50). Zu den beliebtesten Freizeitvergnügen im ländlichen Amerika gehörte es, den wilden Bienenschwärmen nachzuspüren und ihren Honig zu stehlen. Für diesen Sport entwickelte sich mit der Zeit ein ganzes System von 317
Techniken: wie man die nektarsammelnden Arbeitsbienen aufspürt, wie man ihre Flugrouten zum Bienenbaum zurückverfolgt (selbst wenn man sich dabei die Knochen brechen oder in den Bach fallen sollte), wie man den Bienenschwarm ausräuchert und den Baum zu Fall bringt – und all das, ohne mehr als das absolut unvermeidliche Quantum von Stichen abzukriegen. Welcher Lohn für solche Abenteuer winkte, hat Washington Irving in den 30er Jahren des 9. Jahrhunderts im Grenzland von Oklahoma erlebt: Die erbeuteten vollständigen Honigwaben wurden in Kesseln zum Lager oder zur Ansiedlung zurückgeschafft, »während die zerbrochenen Waben auf der Stelle verzehrt wurden. Die kühnen Bienenjäger hielten üppige Wabenstücke in den Händen, von denen der Honig troff, und verzehrten sie so schnell wie Schuljungen die sonntägliche Cremetorte.« (Irving 956: 52 f.) Für die nordamerikanischen Ureinwohner, die als starkes Süßmittel nur den Ahornzucker gekannt hatten, war der Honig ein Segen. Die »englischen Fliegen«, wie sie die Honigbienen nannten, wurden aber als böses Omen angesehen, da sie das Näherrücken der weißen Siedlungsgrenze ankündigten. St. Jean de Crèvecoeur hat bei den Indianern von Pennsylvania folgende Beobachtung gemacht: »… wenn sie Bienen entdecken, geht die Kunde davon von Mund zu Mund und verbreitet Trauer und Bestürzung in sämtlichen Köpfen.« (Dudley 720/2: 50; de Crèvecoeur 964: 66; vgl. Peterson 975: ; Irving 956: 50). 318
In Australien gab es ursprünglich nur kleine Bienen ohne Stachel, deren sehr süßes Honigprodukt von den Aborigines hoch geschätzt wurde. Richtige Honigbienen kannte man in Australien jedoch so wenig wie in Amerika. Die kamen erst am 9. März 822 ins Land, zusammen mit 200 Sträflingen, die das Schiff Isabella nach Sydney brachte. (Crane 975: 4; »Beekeeping« bzw. »Bees«, Australian Encyclopedia, I: 275, 297; Historical Records of Australia, Ser. I, XI: 386). Kaum waren diese Bienen in New South Wales heimisch geworden, vermehrten und verbreiteten sie sich mit derselben Intensität wie in Amerika. Das erste Bienenvolk, das 832 oder kurz vorher in Tasmanien eingeführt wurde, schwärmte in seinem ersten Inselsommer zwölf-, nach einem anderen Bericht sogar sechzehnmal aus (Cunningham 828, I: 320 f.; Backhouse 843: 23; Parker 834: 93). Offenbar zählen mehrere der in Australien beheimateten Eukalyptus-Arten zu den besten Honigquellen, die man auf der ganzen Erde finden kann (Crane 975: 68 ff.). Als Anthony Trollope in den frühen 70er Jahren des 9. Jahrhunderts Australien bereiste, hatten sich die fremden Bienenarten als viel einträglicher erwiesen als die einheimischen, und Honig war »bei allen Siedlern zu einer alltäglichen Leckerei« geworden (Trollope 967: 2). Hundert Jahre später zählt Australien zu den bedeutendsten Honig produzierenden und exportierenden Ländern der Welt (Crane 975: 6–39). Die bislang behandelten Tierarten sind in den Kolonien heimisch geworden, weil die Kolonisten sie dort 319
haben wollten. Andere Tiere jedoch sind den Menschen unaufgefordert über die Nahtlinien der Pangäa hinweg gefolgt. Dieses Ungeziefer ist für unseren Zusammenhang von außerordentlichem Interesse. Denn während sich argumentieren läßt, daß die bäuerlichen Nutztiere in den Überseegebieten nur deshalb so erfolgreich gedeihen konnten, weil sich die Europäer aktiv um diesen Erfolg bemüht haben (was nicht immer stimmt, aber wir wollen das Argument hier einmal akzeptieren), würde wohl niemand behaupten, die Ratten hätten sich allenthalben durchgesetzt, weil die Siedler sie unbedingt in ihrer Nähe haben wollten. Im Gegenteil: Die Neo-Europäer gaben sich die allergrößte Mühe, sie auszurotten. Wenn sich also die Ratten in den neo-europäischen Gebieten dennoch erfolgreich behaupten konnten, müssen die Kräfte, die in den Kolonien zugunsten der Lebewesen der Alten Welt am Werke waren, schon sehr mächtig gewesen sein. Was in Europa gewöhnlich als Ratte bezeichnet wird, sind eigentlich zwei verschiedene Rattenarten: die (schwarze) Haus- oder Dachratte und die (braune) Wanderratte. Die Hausratte ist kleiner und eher ein Klettertier, die Wanderratte größer, aggressiver und eher ein Wühltier. Bei der in den kolonialgeschichtlichen Quellen vorkommenden Ratte handelt es sich in den meisten Fällen wahrscheinlich um die Hausratte (häufig auch Schiffsratte genannt), in den Chroniken ist aber immer nur von »Ratten« die Rede. Für unseren Zusammenhang ist die Unterscheidüng nicht so wichtig, wir werden des320
halb für beide Arten einfach das Wort Ratte benutzen. (Um die Sache noch verwirrender zu machen, werden im kolonialspanischen Sprachgebrauch Ratte und Maus oft mit demselben Wort bezeichnet.) Alle Schiffe, die von der Iberischen Halbinsel nach Amerika ausliefen, hatten Ratten als blinde Passagiere dabei, in den Berichten der Konquistadoren finden sie jedoch keine Erwähnung. Dennoch wissen wir ein wenig über ihre ersten Jahre an der Pazifikküste Südamerikas – dank Bernabe Cobo und Garcilaso de la Vega, denen wir schon unsere Kenntnisse zum Thema Unkraut verdanken. In Peru und Chile gab es zwar mehrere einheimische Nagetierarten, aber hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit an den europäischen Zivilisationstyp konnte es keine von ihnen mit den eingewanderten Ratten aufnehmen. Diese waren aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Protagonisten jener dreimaligen Rattenplage, von der Peru zwischen 53 (dem Jahr der Ankunft Pizarros) und 572 heimgesucht wurde. »Sie vermehrten sich in unbegrenzter Anzahl«, berichtet Garcilaso de la Vega, »überschwemmten das Land und zerstörten alles Getreide und selbst aufrechte Gewächse wie Obstbäume, denen sie vom Erdboden bis zu den ersten Trieben die gesamte Rinde abnagten.« An der Küste hielten sie sich auch später noch in derartigen Massen, »daß ihnen keine Katze in die Augen zu sehen wagte«. (Obras de Bernabe Cobo, I: 350 ff.; de la Vega 966, I: 589 f.) Auch Buenos Aires hatte praktisch seit den ersten Tagen als lebensfähige Siedlung unter Ratten und/oder 321
(vielleicht einheimischen, wahrscheinlich aber importierten) Mäusen zu leiden, die zwischen den Weinstöcken und in den Weizenfeldern herumflitzten. Die Kolonisten flehten vom Heiligen Simon und vom Heiligen Judas das Eingreifen der göttlichen Macht herbei und sangen Messen, um dieser Gnade teilhaftig zu werden. 200 Jahre später, zu Beginn des 9. Jahrhunderts, waren die Ratten immer noch so zahlreich, daß man nachts auf den Straßen über sie stolperte. »In jedem Haus wimmelt es nur so von ihnen, und die Getreidevorräte werden schrecklich in Mitleidenschaft gezogen. Diese Spezies scheint sich nicht weniger zu vermehren als die Rinder jener Gegenden.« (Acuerdos del Extinguido Cabildo de Buenos Aires 907–934, Ser. I, I: 96; II: 406; III: 374; IV: 76 f.; Gillespie 88: 20) Eingeschleppte Ratten hätten beinahe der Siedlung Jamestown in Virginia den Garaus gemacht. 609 – die Kolonie war kaum zwei Jahre alt – mußten die Siedler feststellen, daß »viele tausend Ratten« von den englischen Schiffen ihre Nahrungsmittelvorräte verspeist hatten. Um überleben zu können, waren die Siedler damit auf ihre bescheidenen Fähigkeiten als Jäger, Fischer und Farmer sowie auf die großzügige Hilfe der Indianer angewiesen (Smith 62: 86 f.). Um dieselbe Zeit mußten sich auch die Franzosen von Port Royal in Neuschottland der Rattenmeuten erwehren, die sie wohl ebenso unbeabsichtigt eingeführt hatten. Auch die Indianer der Umgebung wurden zu Opfern dieser ihnen unbekannten Art vierfüßigen 322
Ungeziefers, das »ihren Fischtran fraß oder schlürfte« (Lescarbot 94, III: 226 f.). Im australischen Sydney wurden 790 die Lebensmittelläden und Gärten der Siedler von Ratten erobert (bei denen es sich theoretisch um einheimische Beutelratten gehandelt haben könnte, die aber höchstwahrscheinlich doch jene europäischen Nager waren, die sie selber mitgebracht hatten). Der Gouverneur vermutete, daß sie »mehr als 2 000 wight« Mehl und Reis vernichtet hatten (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 43 f.). Und mit jedem Schiff trafen neue Ratten ein. Zu Beginn des 9. Jahrhunderts berichtete eine Zeitung in Tasmanien ganz verbittert, daß »man die Zahl der Ratten, die das jetzt in der Bucht festgemachte Sträflingsschiff verlassen, mit eigenen Augen gesehen haben muß, sonst glaubt man es nicht« (Rolls 969: 330). Heute sind die Häfen und Wasserläufe Australiens von den Ratten der Alten Welt geradezu überschwemmt. Diese haben sogar die unmittelbare Umgebung des Menschen verlassen und sind in den australischen Busch vorgedrungen, um in der Wildnis zu leben. Sie kehrten damit zu einer Lebensweise zurück, den sie jahrtausendelang praktisch aufgegeben hatten (»Mammals, Introduced«, in: Australian Encyclopedia, IV: ). Die Neo-Europäer gaben viele Millionen Pfunde, Dollars, Pesos aus, um die Ausbreitung der Ratten zu stoppen – in der Regel ohne Erfolg. Ebenso erging es ihnen mit mehreren anderen Schädlingen in den neo323
europäischen Gebieten, zum Beispiel mit den Kaninchen. All das scheint zu belegen, daß die Menschen die in den Überseeregionen ausgelösten biologischen Veränderungen nur selten unter Kontrolle hatten. Die allermeisten dieser Veränderungen brachten ihnen Vorteile – und dennoch hatten sie damit häufig keineswegs reflektierte und bewußte Entscheidungen getroffen, sondern wurden wie die Opfer eines Dammbruches von den Entwicklungen überrollt. Tiere aus den neo-europäischen Gebieten konnten in Europa und der Alten Welt kaum Fuß fassen. Der Austausch ist einseitig geblieben. Zwar wurde der amerikanische Truthahn auch in der Alten Welt eingeführt, aber er ist dort weder verwildert noch hat er sich heuschreckengleich über Afrika und Eurasien verbreitet. In Großbritannien hat das verhältnismäßig große und aggressive Grauhörnchen aus Amerika weithin das rötliche Gemeine Eichhörnchen der Alten Welt verdrängt, nachdem dieses zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch eine unbekannte Epidemie dezimiert worden war. Die erstmals 905 in Böhmen ausgesetzte Bisamratte hat ihr Revier seitdem stark ausgeweitet, wozu auch unüberlegte Transplantationen anderer Arten beigetragen haben. 960 war die Bisamratte von Finnland und Deutschland bis weit nach Osten, ins Einzugsgebiet der Quellflüsse des Ob, verbreitet (Errington 963: 475–48; vgl. Kampmann 975). Dennoch hat sich in der Alten Welt nichts zugetragen, was auch nur annähernd der Überflutung der neo-europä324
ischen Gebiete durch die verwilderten Haustierarten der Alten Welt entsprochen hätte. Zwischen der Neuen und der Alten Welt ist der Austausch von Tierarten – egal ob es sich um zahme oder verwilderte oder wilde Exemplare handelte – ebenso einseitig verlaufen wie der Austausch von Unkrautarten. Warum das so gewesen ist, werden wir in unseren Schlußfolgerungen erörtern. * Aus der amerikanischen Pionierzeit ist ein altes Volkslied überliefert. Es handelt von »Sweet Betsy«, die zum Treck über das Gebirge – vermutlich die Rocky Mountains – »mit ihrem Geliebten Ike, mit zwei Joch Ochsen, einem großen gelben Hund, einem stattlichen Schanghai-Hahn und einem gefleckten Hausschwein« aufbricht (Friedman 976: 432 ff.). Zwar waren, dem Lied zufolge, ihre Ochsen kastriert und ihre anderen Tiere ohne Partner, aber Betsy zog mit ihrer Truppe ja nicht allein über die Berge, sondern in einem Siedlertreck mit Bullen und Kühen, Hühnern und Hunden und Schweinen, die sich mit ihren eigenen Tieren zu Paaren ergänzen ließen. Es war also durchaus dafür gesorgt, daß sich die kolonisierenden Arten jenseits der Berge zügig fortpflanzen konnten. Betsy kam nicht als vereinzelte Immigrantin. Sie hatte ihren Ike mitgenommen und befand sich überdies in Gesellschaft eines grunzenden, muhenden, wiehernden, krähenden, zwitschernden, knurrenden, summenden Haufens von Lebewesen, die sich anschickten, für die eigene Neuauflage zu sorgen und damit zugleich die Welt zu verändern.
Die Seuchen »Die Kolonie einer zivilisierten Nation, welche entweder von einem wüsten oder von einem (so) dünn bevölkerten Lande Besitz nimmt, daß die Eingeborenen den neuen Ansiedlern gern Platz machen, erhebt sich weit schneller zu Reichtum und Größe als jede andere menschliche Gesellschaft.« Adam Smith, Der Reichtum der Nationen (776)
Die Mikroben der Alten Welt waren zwar Kleinstlebewesen, aber auch sie hatten eine bestimmte Größe, ein Gewicht und eine Masse. Auch den Mikroben stellten die marinheiros, ohne es zu wollen, ihre Schiffe für den Transport über die Meere zur Verfügung. Wenn sie die neuen Ufer erreicht und sich in den Körpern ihrer neuen Opfer eingenistet hatten, konnten sich die Mikroben dank ihrer hohen Reproduktionsrate (im Extremfall reproduzierten sie sich alle 20 Minuten) rascher vermehren und geographisch ausbreiten als sämtliche eingewanderten Makroorganismen. Die kolonialen Karrieren der Krankheitserreger der Alten Welt müssen uns schon deshalb ausführlicher beschäftigen, weil sie die Macht der biogeographischen Realitäten, die den Erfolgen der europäischen Imperialisten zugrundeliegen, am spektakulärsten repräsentieren. Denn trotz ihrer ganzen Brutalität 326
und Härte waren es keineswegs die Imperialisten selbst, sondern ihre Krankheitskeime, die vor allem dafür sorgten, daß die neo-europäischen Gebiete von Eingeborenen »gesäubert« und durch die weißen Invasoren demographisch »erschlossen« werden konnten. Bis vor kurzem wußten die Chronisten der Menschheitsgeschichte nichts über Mikroben. Die meisten Vertreter dieser Zunft hingen dem Glauben an, daß Epidemien etwas Übernatürliches seien, das man demütig auf sich nehmen müsse, ohne detaillierte Aufzeichnungen darüber anzufertigen. Infolgedessen gleicht die epidemiologische Geschichte der europäischen Kolonien jenseits der Nahtlinien der Pangäa einem Puzzlespiel mit 0 000 Einzelteilen, von denen nur die Hälfte vorhanden ist. Das reicht zwar aus, uns eine Vorstellung von Größe und den wichtigsten Komponenten der Wirklichkeit zu machen, nicht aber, um sie vollständig zu rekonstruieren. Diese Unvollständigkeit unseres Wissens ist ein bedauerlicher Mangel. Wir wissen aber genug – und neuere Erfahrungsberichte über das Schicksal isolierter Völker, denen der Anschluß an die große Weltgemeinschaft aufgezwungen wurde, ergänzen und bestätigen dieses Wissen –, um daraus zutreffende Schlüsse zu ziehen. Bevor wir uns der Wirkungsgeschichte der Krankheitserreger der Alten Welt in Amerika und in Australien zuwenden, werden wir einige jüngere Beispiele von virgin soil-Epidemien untersuchen. Solche Beispiele können 327
uns mit der Möglichkeit epidemiologischer Katastrophen vertraut machen. Als 943 der Ausbau des Alaska Highway die Indianer am Teslin Lake (im kanadischen Yukon-Territorium) ungewohnt intensiven Kontakten zur Außenwelt aussetzte, wurde sie innerhalb eines Jahres von Masern, Röteln, Ruhr, Hepatitis A, Keuchhusten, Mumps, Angina und Hirnhautentzündung epidemisch heimgesucht. Als an der Ungava Bay (im Norden der kanadischen Provinz Quebec) 952 eine Masernepidemie ausbrach, erkrankten 99 Prozent der dort lebenden Indianer und Eskimos; sieben Prozent starben an dieser eher harmlosen Infektionskrankheit, obwohl sie teilweise mit modernen medizinischen Mitteln behandelt wurden. 954 erreichten die Masern das Gebiet des damals noch extrem abgelegenen Xingu Nationalparks in Brasilien. Hier betrug die Sterberate bei den mit modernen medizinischen Mitteln versorgten Kranken 9,6 Prozent, bei den anderen 26,8 Prozent. Als 968 bei den Yanomamas im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela zum ersten Mal die Masern auftraten, starben 8 bis 9 Prozent der Betroffenen, obwohl einige moderne Medikamente und Behandlungsmethoden zur Verfügung standen. Das im Amazonasbecken lebende Volk der Kreen-Akorores hatte seine ersten Kontakte mit der Außenwelt ein paar Jahre später; mindestens 5 Prozent fielen damals auf einen Schlag einer ganz normalen Grippewelle zum Opfer (Crosby 976: 293 f.). Solche Beispiele zeigen, daß das Ende der Isolation den Beginn der Dezimierung 328
bedeutet. Die Yanomamas sind davon überzeugt, daß »die weißen Menschen Krankheiten verursachen; hätten die Weißen nie existiert, hätte es auch nie Krankheiten gegeben« (Joralemon 982: 8). Bis vor wenigen Jahrhunderten waren die amerikanischen und australischen Ureinwohner mit den Mikroorganismen der Alten Welt fast nie in Berührung gekommen. Nur ganz wenige Menschen hatten bis dahin die Weltmeere überquert, und diese waren wohl überwiegend gesund; andernfalls wären sie in der Regel bereits auf der Reise verstorben und hätten ihre Krankheitserreger in ihr Seemannsgrab mitgenommen. Die Ureinwohner hatten natürlich eigene Infektionskrankheiten. Die Indianer Amerikas kannten die Hautkrankheiten Pinta und Yaws (Himbeerpocken), Syphilis, Hepatitis, Enzephalitis (Gehirngrippe), spinale Kinderlähmung, einige Varianten der Tuberkulose (aber keine Lungentuberkulose) und Eingeweideparasiten. Dafür hatten sie keinerlei Erfahrungen mit Krankheiten der Alten Welt wie Pocken, Masern, Diphterie, Trachom (oder Ägyptische Augenkrankheit), Keuchhusten, Windpocken, Beulenpest, Malaria, Typhus, Cholera, Gelbfieber, Denguefieber, Scharlach, Amöbenruhr, Grippe und diversen Wurmkrankheiten.* Die Ägyptische Augenkrankheit war unter den australischen Aborigines schon vor der * Auf diesem Gebiet gibt es natürlich keine eindeutigen Erkenntnisse und entsprechend viele Kontroversen. Vgl. Martin 978: 48; Denevan 976: 5; Newman 976: 67; Dobyns 983: 34
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Ankunft Cooks verbreitet, ansonsten aber dürften die eingeschleppten Krankheiten dieselben gewesen sein, die schon die Indianer hingerafft hatten. Bei jenen Aborigines dagegen, die in der sterilen Umwelt der zentralaustralischen Wüste leben, konnte man bis zur Mitte unseres Jahrhunderts praktisch keine Staphylokokken (die Erreger von Furunkeln u. a.) finden (Berndt/Berndt 964:8; Moodie 973:29; Abbie 960:40). Die Anfälligkeit der amerikanischen Indianer und der australischen Aborigines für Infektionskrankheiten aus der Alten Welt machte sich sofort nach dem Eindringen der Weißen bemerkbar. 492 entführte Kolumbus einige Ureinwohner der Karibischen Inseln, machte sie zu Dolmetschern und präsentierte sie König Ferdinand und Königin Isabella. Mehrere dieser Indianer müssen auf der stürmischen Überfahrt nach Europa verstorben sein, denn in Spanien konnte Kolumbus nur noch sieben von ihnen – mit Goldschmuck, traditionellen ArawakGewändern und ein paar Papageien herausgeputzt – auftreten lassen. Als er ein knappes Jahr später abermals nach Amerika segelte, waren von den sieben Indianern nur noch zwei am Leben.* Um herauszufinden, welche westindischen Waren in Europa abzusetzen waren, schickte Kolumbus 495 etwa 550 Indianersklaven im * De las Casas 95, : 332; Journals and Other Documents of the Life and Voyages of Christopher Columbus, 963: 68, 93; The Four Voyages of Christopher Columbus 969: 5. Leicht abweichende Zahlen berichten: D’Anghera 92, I: 66; Bernáldez 878, III: 660
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Alter zwischen 2 und 35 Jahren über den Atlantik. 200 von ihnen starben bereits während der beschwerlichen Reise, die 350 Überlebenden verwendete man in Spanien als Arbeitssklaven. Auch von diesen waren die meisten bald nicht mehr am Leben, »weil das Land für sie nicht geeignet war« (Bernáldez 878, III: 68; Journals and Other Documents of Columbus: 226 f.). Die Engländer haben nie eine größere Zahl australischer Aborigines als Sklaven oder Diener oder ähnliches nach Europa gebracht. 792 jedoch wurden zwei Aborigines namens Bennilong und Yemmerrawanyea als bewunderte Vorführexoten nach England geschickt. Aber trotz der guten Behandlung, die wir unterstellen können, erging es ihnen nicht besser als den ersten amerikanischen Indianern in Spanien. Bennilong baute gesundheitlich immer stärker ab und entwickelte Symptome einer Lungeninfektion, überlebte aber immerhin die Reise. Sein Gefährte dagegen starb an derselben Infektion (möglicherweise war es die Tuberkulose, die am Ende des 8. Jahrhunderts in Westeuropa grassierte). Er wurde in England begraben, unter einem Stein mit der Inschrift: »Im Gedenken an Yemmerrawanyea, gebürtig in New South Wales, verstorben am 8. Mai 794 in seinem 9. Lebensjahr« (Becke/Jeffery 909: 74 f.). Die beiden Aborigines sind an einer Infektion der Lungen erkrankt bzw. gestorben. Woran aber starben die Arawaks in den Jahren 493 und 495? An Mißhandlungen? Durch Kälte, Hunger oder Erschöpfung? Zwei331
fellos, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Kolumbus hatte bestimmt nicht die Absicht, seine Dolmetscher zu töten, und Sklavenhändler wie Sklavenhalter konnten in keiner Weise daran interessiert sein, ihren lebenden Besitz einfach umzubringen. Fast immer handelte es sich bei den Opfern offenbar um junge Erwachsene, die normalerweise besonders belastungsfähig sind – außer gegenüber neu auftretenden Infektionskrankheiten. Gerade in den Blütejahren des Menschen kann ein an sich völlig intaktes Immunsystem auf die Herausforderung durch unbekannte Angreifer überreagieren und Entzündungen und Ödeme auslösen, die die normalen Körperfunktionen schwächen (Burnet/White 972:00). Wahrscheinlich wurden die ersten amerikanischen Indianer auf europäischem Boden – wie so viele in den darauffolgenden Jahrzehnten – von den Krankheiten der Alten Welt ausgelöscht.* Wenden wir uns nun den Kolonien zu. Aus offensichtlichen Gründen können wir im begrenzten Rahmen dieses Kapitels nicht einmal kursorisch eine Geschichte der Epidemien aller europäischen Überseekolonien oder auch nur der neo-europäischen Gebiete bieten. Beschränken wir uns also darauf, die Bewegungen des prominentesten Krankheitserregers der Alten Welt in * Ähnliche Geschichten gibt es natürlich in Hülle und Fülle. So brachte Jacques Cartier 534 von seiner Reise nach Kanada zehn indianische Eingeborene nach Frankreich zurück. Innerhalb von sieben Jahren waren alle bis auf ein junges Mädchen an europäischen Krankheiten gestorben. Vgl. Trigger 976, I: 200 f.
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diesen Kolonien nachzuzeichnen: des Pockenvirus. Als Infektionskrankheit, die im Normalfall über den Atem des Krankheitsträgers auf andere Menschen übertragen wird, sind die Pocken eine der ansteckendsten Krankheiten überhaupt, und zugleich eine der tödlichsten.* In der Alten Welt waren sie bereits sehr früh verbreitet, aber entscheidende Bedeutung erlangten sie in Europa erst mit den massenhaften Epidemien des 6. Jahrhunderts. Dieser Stellenwert blieb ihnen noch weitere 250 bis 300 Jahre erhalten – bis zur Einführung der Pockenimpfung. Den Gipfel ihrer Karriere erreichten die Pocken im 8. Jahrhundert, zu dessen Beginn in einigen westeuropäischen Staaten 0 bis 5 Prozent aller Todesfälle auf sie zurückgingen. 80 Prozent ihrer Opfer waren noch keine zehn, 7 Prozent noch nicht einmal zwei Jahre alt. Damit waren die Pocken in Europa die schlimmste aller Kinderkrankheiten. Die meisten Erwachsenen, zumal in den großen und in den Hafenstädten Europas, hatten sie irgendwann gehabt und waren immun. In den Kolonien jedoch schlugen die Pocken Junge und Alte und wurden so zur schrecklichsten aller Krankheiten (Flinn 98: 62 f.; Carmichael 985: 57). Die Nahtlinien der Pangäa übersprangen die Pocken erstmals Ende 58 oder Anfang 59 auf dem Weg nach der Insel Española. Von da an spielten sie 400 Jahre lang * Gemeint ist hier und im folgenden stets die oft tödlich verlaufende Pockenerkrankung Variola. Die gemilderte Form Variolois tritt erst seit dem Ende des 9. Jahrhunderts auf. Vgl. Hopkins 983: 5 f.
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für den Vormarsch des Imperialismus in den Überseegebieten eine ebenso entscheidende Rolle wie das Schießpulver – wenn nicht sogar eine ausschlaggebendere, denn die Ureinwohner konnten sehr wohl die Muskete und später das Gewehr gegen die Eindringlinge kehren, die Pocken hingegen ergriffen nur in Ausnahmefällen zugunsten der Einheimischen Partei. Die Eindringlinge waren in der Regel immun gegen die Pocken und andere Kinderkrankheiten der Alten Welt, die bis zu ihrer Ankunft jenseits der Ozeane unbekannt waren. Nachdem die Pockenepidemie binnen kurzem ein Drittel oder die Hälfte aller Arawak-Indianer auf Española hinweggerafft hatte, sprang sie nach Puerto Rico und auf die anderen Inseln der Großen Antillen über, um dort ihr Zerstörungswerk fortzusetzen. Dann wanderte sie weiter nach Kuba und Mexiko und tauchte im Gefolge der Cortés-Expeditionstruppen auf, und zwar in der Person eines erkrankten schwarzen Soldaten, der als einer der wenigen Invasoren nicht gegen Pocken immunisiert war. Die Krankheit raffte einen großen Teil der Azteken dahin und räumte damit eines der Hindernisse auf dem Weg zur Gründung des Neuspanischen Reiches aus dem Wege. Bald darauf tauchten die Pocken als Vorhut der conquistadores in Peru auf und töteten einen beträchtlichen Prozentsatz der Untertanen des Inkareiches, den Inka selbst und den von ihm erwählten Nachfolger. Es folgten Bürgerkrieg und Chaos und schließlich die Ankunft des Francisco Pizarro. Der erstaunliche Siegeszug dieses 334
conquistador ist – ebenso wie der seines Vorbildes Cortés – weitgehend ein Siegeszug des Pockenvirus (Crosby 972: 47–58). Die erste dokumentierte pandemische (also überall verbreitete) Seuche in der Neuen Welt hat wahrscheinlich die gesamten neo-europäischen Siedlungsgebiete Amerikas erfaßt. Die amerikanischen Indianer hatten damals eine Bevölkerungsdichte, die sie auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr erreichen sollten, und waren für die Pocken überaus anfällig. Die in Florida ansässigen Calusa-Indianer betrieben im frühen 6. Jahrhundert mit ihren Kanus einen regelmäßigen Handel mit dem benachbarten Kuba und haben so die Pocken wahrscheinlich auf den Kontinent hinübergeschleppt. Rund um den Golf von Mexiko lebten damals Völker, die untereinander mindestens sporadische Kontakte unterhielten, so daß eine kettenartige Verbindung von den pockendurchseuchten Regionen im Süden bis zum dichtbesiedelten Nordrand des Golfes, dem heutigen Südwesten der USA, bestand. Die Ufer des Mississippi waren nach Norden bis mindestens zum Ohio mit Dörfern besiedelt, die meist nicht einmal eine Tagesreise auseinanderlagen. Der Fluß war damit das ideale Einfallstor, durch das sich die Pocken über das Innere des amerikanischen Kontinentes verbreiten konnten. Im Süden ist die Epidemie über das Inkareich zunächst bis ins heutige Bolivien, dann über zahllose verstreute Siedlungen, die untereinander leicht zu erreichen waren, quer durch das heutige Paraguay und entlang des Rio de 335
la Plata und seiner Nebenflüsse bis in die Pampa vorgedrungen. Die Pocken schritten mit Siebenmeilenstiefeln voran. Zwischen 520 und 540 waren sie wahrscheinlich von den nordamerikanischen Großen Seen bis zur südamerikanischen Pampa verbreitet (Driver 969: Karte 6; Pyle 976: 84–204; Dobyns 983: 259). Die Wirkungen der Pocken waren schrecklich: Es begann mit Fieber und Schmerzen, dann traten rasch die typischen Pusteln auf, die manchmal die Haut zerstören und das Pockenopfer wie ein blutiges Monster aussehen lassen, und am Ende stand eine ungeheure Sterberate, die auf 25 oder 50 Prozent und bei den schlimmsten Virusstämmen noch höher steigen konnte. Wenn die Gesunden der Epidemie entfliehen wollten, ließen sie die Kranken im Angesicht des sicheren Todes zurück, schleppten die Viren aber häufig selbst mit sich weiter. Die Inkubationszeit für Pocken beträgt 0 bis 4 Tage. In diesem Zeitraum konnte ein äußerlich gesunder Überträger zu Fuß, mit dem Kanu oder später zu Pferde weite Entfernungen zurücklegen und sich zu Menschen flüchten, die keine Ahnung hatten, welche Bedrohung der Ankömmling für sie bedeutete. Die neue Umgebung war damit angesteckt, neue Virusträger versuchten wiederum zu entkommen und infizierten ihrerseits die nächsten Opfer. Die meisten Abipones-Indianer beispielsweise, unter denen der Missionar Martin Dobrizhoffer um die Mitte des 8. Jahrhunderts in Paraguay lebte, machten sich beim Auftauchen der Pocken bis zu 80 Kilometer weit davon. In 336
einigen Fällen mochte diese Art von Flucht-Quarantäne funktionieren, häufig aber hatte sie nur den Erfolg, die Krankheit noch weiter zu verbreiten (The Merck Manual 972: 37 ff.; Dobrizhoffer 822, II: 338). Das erste schriftliche Zeugnis über eine Pockenepidemie in den britischen und französischen Kolonien Nordamerikas stammt aus den frühen 30er Jahren des 7. Jahrhunderts und beschreibt deren Wirkung auf die Algonkin-Indianer in Massachusetts: »Ganze Städte von ihnen wurden ausgelöscht, und in manchen entkam nicht eine einzige Seele der Zerstörung.« (Zit. nach Duffy 95: 327) William Bradford, der einige Meilen weiter südlich in der Plymouth-Kolonie lebte, hat detailliert überliefert, wie hart die benachbarten Algonkin getroffen wurden und wie extrem die Sterberate bei solchen Epidemien in die Höhe schießen konnte. Nach seiner Beschreibung hatten manche Opfer der Krankheit überhaupt nichts mehr entgegenzusetzen, »… weil sie am Ende nicht mehr imstande waren, einander zu helfen, nicht einmal ein Feuer zu entfachen oder auch nur ein wenig Wasser zum Trinken zu besorgen, und keiner begrub mehr die Toten. Doch sie mühten sich, so lange sie noch konnten, und wenn sie nichts mehr anderes zum Feuermachen hatten, verbrannten sie die Holzschalen und -teller, von denen sie ihr Fleisch aßen, und sogar ihre Bogen und Pfeile. Auch krochen einige auf allen vieren davon, um sich 337
Wasser zu besorgen, und starben dann manchmal unterwegs oder konnten sich nicht mehr zurückschleppen.« (Bradford 952: 27) Die Epidemie fraß sich durch Neuengland hindurch zum St. Lorenz-Strom und den Großen Seen und von dort immer weiter nach Westen vor. In den 20er und 30er Jahren des 7. Jahrhunderts rasten die Pocken mehrfach über den heutigen Staat New York und seine Umgebung hinweg und wieder zurück, wobei sie die Bevölkerung der Huron- und der Irokesen-Föderation um schätzungsweise 50 Prozent dezimierten (Trigger 976, II: 588–602). Seitdem sind die Pocken offenbar nie länger als zwei oder drei Jahrzehnte lang ausgeblieben (Dobnys 983: 5). Ob Jesuiten- oder Mennoniten-Missionare, ob Händler aus Montreal oder aus Charleston, alle hatten immer wieder die gleichen schrecklichen Geschichten über die Pockenopfer unter den Eingeborenen zu berichten. 738 wurde das halbe Cherokee-Volk vernichtet, 759 das der Catawba fast zur Hälfte; in den ersten Jahren des 9. Jahrhunderts fielen den Pocken zwei Drittel des OmahaStammes und vielleicht die Hälfte der Gesamtbevölkerung zwischen Missouri und New Mexico zum Opfer und 837/38 fast der gesamte Sioux-Stamm der Mandan und vielleicht die halbe Bevölkerung der Hochebenen (Crosby 976: 290 f.). Sämtliche europäischen Nationalitäten, die in Nordamerika größere Siedlungsprojekte unterhielten – Engländer, Franzosen, Holländer, Spanier 338
und Russen –, berichteten mit teils melancholischem, teils triumphierendem Unterton, wie schrecklich die Pocken unter den eingeborenen Amerikanern wüteten, die damit nie zuvor Bekanntschaft gemacht hatten. Die Epidemie drang häufig weit über die Siedlungsgrenzen der Europäer hinaus und erfaßte Menschen, die von den weißen Eindringlingen noch kaum etwas gehört hatten. Um 782 oder 783 traten die Pocken auf einmal am Puget-Sund an der Pazifikküste im Nordwesten Amerikas auf, in einem Erdenwinkel, der von den damaligen Hauptbevölkerungszentren der Menschheit weiter entfernt lag als jeder andere. Als der Forschungsreisende George Vancouver 793 in den Puget-Sund vordrang, traf er auf Indianer mit pockennarbigen Gesichtern, und am Strand von Port Discovery sah er Schädel, Arm- und Beinknochen, Rippen und Wirbelsäulen in solchen Mengen herumliegen, daß er den Ort für den »Hauptfriedhof der ganzen Gegend« hielt. Seine Schlußfolgerung lautete, daß »dieses Land in einer gar nicht so weit zurückliegenden Vergangenheit viel mehr Menschen beherbergt hat als in der Gegenwart«. Eine Einschätzung, die er gleich für den gesamten Kontinent hätte treffen können (White 980: 26 f.; Ruby/Brown 976: 80). In der Pampa könnten die Pocken zum ersten Mal, wie bereits angedeutet, in den 20er oder 30er Jahren des 6. Jahrhunderts aufgetreten sein. 558 oder 560 suchte die Epidemie dann abermals (oder auch das erste Mal) die Grasebenen am Rio de la Plata heim, wobei ihr dem Hö339
rensagen nach »mehr als 00 000 Indianer« zum Opfer gefallen sind (de Velasco 894: 552). Für diese Aussage gibt es nur eine Quelle, doch die explosionsartige Ausbreitung der Pocken, die etwa um dieselbe Zeit in Chile und Paraguay und im Zeitraum von 562 bis 565 in Brasilien zu einem Massensterben unter den Eingeborenen führte, ist ein starkes Indiz für die Richtigkeit dieses Berichtes, wonach auch die Menschen am Unterlauf des Rio de la Plata von der Pockenepidemie betroffen waren (Ferrer 904: 254 f.; Molinari 937: 98; Alden/Miller o.J.). Von den letzten Jahrzehnten des 6. bis in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts hinein haben die Pocken die südlichen Steppen und die angrenzenden Gebiete immer und immer wieder heimgesucht. Sie traten offenbar immer dann auf, wenn seit der vorangegangenen Epidemie wieder genügend pockenanfällige Menschen geboren waren, die einer neuen Epidemie die nötige Nahrung liefern konnten. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts bat die Obrigkeit in Buenos Aires die spanische Krone um die Erlaubnis, mehr schwarze Sklaven zu importieren, weil die Pocken so viele einheimische Indianer hinweggerafft hatte. Buenos Aires allein machte in weniger als hundert Jahren mindestens vier Pockenepidemien durch (627, 638, 687 und 700) und in den folgenden zwei Jahrhunderten noch viele mehr. Für Rio Grande do Sul liegt der erste gesicherte Hinweis auf die Krankheit aus dem Jahre 695 vor, aber da die Provinz sowohl an portugiesisches als auch an spanisches Gebiet angrenzte, wo immer wieder 340
Epidemien aufgeflammt waren, muß sie schon lange vor dem Ende des 7. Jahrhunderts von dieser pandemischen Feuersbrunst heimgesucht worden sein.* Die Sterberaten konnten sehr hoch liegen. 729 machten sich zwei Kirchenvertreter, Miguel Ximenez und ein Pater namens Cattaneo von Buenos Aires auf, um in Begleitung von 340 Guarani-Indianern Missionsstationen in Paraguay zu besuchen. Nachdem sie acht Tage flußaufwärts gereist waren, brachen unter den Guarani die Pocken aus. Am Ende hatten sich bis auf 40 alle Indianer infiziert, und nachdem die Epidemie zwei Monate unter ihnen gewütet hatte, ließ sie 2 Überlebende und 79 Tote zurück. Die Jesuiten, die es mit den Zahlen genauer nehmen als die meisten anderen Organisationen, haben ausgerechnet, daß in ihren Missionsstationen in Paraguay während der Epidemie von 78 50 000 Menschen an den Pocken gestorben sind. Während der Epidemie von 734 ermittelten sie in den Dörfern der Guarani 30 000, bei der Epidemie von 765 noch einmal 2 000 Todesopfer. Die Frage ist nur, wie groß die der Epidemie ausgesetzte Gesamtbevölkerung war. Vielleicht werden wir die Antwort eines Tages von den Demographie-Historikern erfahren (Schiaffino 927–952,: 46 f., 49; Dobrizhoffer 822, II: 240). Nie erfahren werden wir hingegen, wieviele Tote es bei den Stämmen der Pampa-Indianer gegeben hat. Dank * Marfany 940: 24; Molinari 937: 98 f.; Luque 976: 50 f.; Cantón 928, I: 369–374; Alden/ Miller o.J.: passim
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ihrer Fähigkeit, von einem Moment zum anderen weiterzuziehen, sind sie einigen der Epidemien mit Sicherheit ausgewichen, aber je länger sie sich vor einer Ansteckung bewahren konnten, desto vernichtender muß es sie getroffen haben, wenn die Pocken am Ende doch zuschlugen. Die Chechehets gehörten um 700 zu den größeren Völkern der Grasebenen und daher wahrscheinlich zu den Stämmen, die den schlimmsten Epidemien ausgewichen waren. Als die Chechehets im frühen 8. Jahrhundert in der Nähe von Buenos Aires mit den Pocken in Berührung kamen wurden sie fast vollständig ausgelöscht. Bei dem neuerlichen Versuch, der Gefahr durch Flucht zu entkommen, vergrößerten sie nur ihre Verluste: »Unterwegs ließen sie jeden Tag ihre kranken Freunde und Verwandten zurück, einsam und allein ließ man sie liegen, ausgestattet nur mit einem Fellgestell als Schutz gegen den Wind und einem Krug Wasser.« Zum Schluß töteten sie sogar ihren Schamanen in der Hoffnung, damit ihrem Elend ein Ende machen zu können. Aber die Epidemie hat ihr Schicksal als selbständiges Volk besiegelt. Am Ende des Jahrhunderts war sogar ihre Sprache untergegangen. Von der sind heute nur noch 5 Wörter und einige Ortsnamen erhalten – weniger noch, als uns von der Sprache der Guanchen geblieben ist (Falkner 935: 98, 02 f., 7; Handbook of South American Indians 946–959, VI: 309 f.; vgl. auch Fürlong 938: 59). Die Pocken haben die Stämme der Pampa-Indianer auch weiter regelmäßig heimgesucht – so lange, bis man 342
sie in Impfprogramme einbezogen beziehungsweise die letzten Völker der argentinischen Grassteppe vernichtet, eingesperrt oder vertrieben hatte. Der Arzt, Naturwissenschaftler und Erforscher der argentinischen Medizingeschichte, Eliseo Cantón, hat die kategorische Feststellung getroffen, daß die Liquidierung der Indianer als einer wesentlichen Bevölkerungsgruppe der Pampa nicht von der argentinischen Armee und ihren Remington-Gewehren vollbracht wurde, sondern von den Pocken (Cantón 928, I: 373 f.). Die sozialmedizinische Geschichte Australiens beginnt mit Pocken (oder einer pockenähnlichen Krankheit). Nachdem die erste Flotte 788 in Sydney eingetroffen war, hatte es eine ganze Zeitlang weder unter den tausend Kolonisten noch unter den Aborigines größere Probleme mit Infektionskrankheiten gegeben. Die Siedlerkolonie hatte sich zwar mit Skorbut herumzuschlagen, aber das hinderte sie nicht, bis Februar 790 bereits 59 Babys zur Welt zu bringen (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 63, 44). Die Aborigines machten einen gesunden Eindruck, zumindest soweit die Engländer es beurteilen konnten. Doch im April 789 wurden an den Sand- und Felsstränden um die Hafenbucht herum die ersten Leichen von Aborigines gefunden. Die Sache blieb rätselhaft, bis in der englischen Siedlung eine Eingeborenenfamilie mit akuten Pockensymptomen auftauchte. Im Februar 790 erfuhren die Weißen von einem der Aborigines, der die Krankheit überstanden hatte, daß unter dessen 343
Landsleuten in der Umgebung von Sydney jeder zweite verstorben war, und daß von den anderen viele die Flucht ergriffen und die Infektion damit weitergeschleppt hatten (Historical Records of Australia, Ser. I, I: 59; Cumpston 94: 69). Die Kranken, die sie zurücklassen mußten, hatten meist nicht mehr lange zu leben und gingen schließlich an Hunger und Durst zugrunde. Nach den Aufzeichnungen John Hunters »fand man einige von ihnen am Boden kauernd, den Kopf zwischen die Knie geschoben; andere standen gegen einen Felsen gelehnt, auf dem sie ihren Kopf ausruhten. Ich selbst habe eine Frau am Boden sitzen gesehen, die ihre Knie bis zu den Schultern hochgezogen und ihr Gesicht zwischen ihren Füßen in den Sand gebettet hatte.« (Hunter 968: 93) Die Epidemie verbreitete sich die Küste entlang bis weit nach Süden und Norden und auch ins Landesinnere, wo sie über eine unbekannte Zeitspanne weiterwütete und die Reihen der Eingeborenenvölker lichtete. Nachdem sie die Blue Mountains übersprungen hatte, griff sie entlang der inneraustralischen Flußläufe auf die Eingeborenen über, die erst viel später die ersten Weißen zu Gesicht bekommen sollten. Über die an den Flußläufen lebenden Opfer wanderte die Epidemie dann Richtung Westen zum Meer; die Ufer des Murray River blieben, auf mehr als 600 Kilometer Länge, entvölkert zurück. Noch Jahrzehnte später konnte man tief im Landesinneren von New South Wales, von Victoria und Südaustralien immer wieder alten Aborigines begegnen, die von den Narben 344
dieser ersten Pockenepidemie gezeichnet waren. Womöglich hat diese Pandemie damals sogar die Küsten im Nordwesten und Westen des Kontinents erreicht. Denn solange sie immer wieder auf neue, noch nicht infizierte Eingeborene traf, war sie durch nichts und niemanden aufzuhalten (Cumpston 94: 3, 7, 47 f.; Moodie 973: 56 f.; Curr 886,: 23 f.). Im Lauf des 9. Jahrhunderts kehrten die Pocken noch drei Mal wieder, um sich erneut unter den Aborigines auszubreiten. Aber die allererste Pandemie war mit Sicherheit die gewaltigste demographische Erschütterung, die den australischen Ureinwohnern je widerfahren ist. Sie dürfte – nach Edward M. Curr, dem bedeutendsten Aborigines-Forscher des 9. Jahrhunderts – ein Drittel der Gesamtbevölkerung vernichtet haben, und nur die Stämme im nordwestlichen Viertel des Kontinents sind mit ihr überhaupt nicht in Berührung gekommen. In dieser Gegend bekamen die Menschen die ersten Pocken mit ihren verheerenden Wirkungen erst nach 845 zu spüren (Curr 886, I: 226 f.). Noch Generationen später begannen die Aborigines zu zittern, wenn sie auf die Pocken zu sprechen kamen – wahrhaftig ein Zeichen ihres »genuinen Horrors«, wenn man bedenkt, daß sie ansonsten »durch keinerlei Unbill aus ihrer natürlichen Gleichmut herauszulocken sind«. Als man 839 einige alte Männer des Yarra-, des Goulburn- und des GeelongStammes befragte, woher sie ihre Pockennarben hätten, gaben sie zur Antwort: »Big long time Dibble Dibble 345
come, plenty kill him black fellow.« (Zit. nach Angas 847, II: 226; Reynolds 972: 72; Cumpston 94: 47 f., 54; vgl. auch Wentworth 824: 3) Auf die Eingeborenen Australiens und Amerikas mußten die Pocken tödlicher, verstörender und noch viel schrecklicher wirken, als wir, aus deren Lebenswelt man den Pockenvirus mit wissenschaftlichen Methoden eliminiert hat, jemals nachfühlen können. Die statistischen Tabellen ihres demographischen Niedergangs bleiben kalte Zahlen, und die Augenzeugenberichte, die uns zunächst vielleicht anrühren, wirken letztendlich nur makaber. Die lebendigen Wirkungen der Epidemie waren so entsetzlich, daß nur ein Schriftsteller mit den Fähigkeiten eines John Milton dem Thema hätte gerecht werden können. Aber einen Beobachter seines Formats gab es weder 59 in Española noch 789 in New South Wales. Um Aufklärung über die Leiden zu erhalten, müssen wir uns nicht den Zeugen, sondern den Opfern zuwenden, und die schufen Legenden und keine epischen Gedichte. Bei den Kiowa-Indianern im Süden der nordamerikanischen Great Plains, die im 9. Jahrhundert mindestens drei, wahrscheinlich aber vier Pockenepidemien durchgemacht haben, gibt es über die Krankheit eine Legende. Der mythische Stammesheld Saynday trifft einen Fremden mit schwarzem Anzug und steifem Hut, der Kleidung nach also einen Missionar. Der Fremde beginnt zu sprechen: 346
»›Wer bist Du?‹ ›Ich bin Saynday, der alte Onkel Saynday von den Kiowas. Ich komme immer wieder hierher. Aber wer bist Du?‹ ›Pocken ist mein Name.« ›Wo kommst du her und was tust du und warum bist du hier?‹ ›Ich komme von weit her, von jenseits des Ozeans im Osten. Ich bin eins mit den weißen Menschen – sie sind mein Volk, so wie dein Volk die Kiowas sind. Manchmal eile ich ihm voraus, dann wieder schleiche ich hinterher. Aber ich bin ihr ständiger Begleiter, und du wirst mich stets in ihren Lagern und ihren Häusern finden.‹ ›Was tust Du?‹ ›Ich bringe den Tod. Mein Atem läßt die Kinder wie junge Pflanzen im Schnee des Frühlings vergehen. Ich bringe Zerstörung. Eine Frau mag noch so schön sein, sobald sie mich erblickt, wird sie häßlich wie der Tod. Und den Männern bringe ich nicht allein den Tod, ich vernichte auch ihre Kinder und richte ihre Frauen zugrunde. Die stärksten Krieger sinken vor mir in die Knie. Kein Volk, das mich erblickt hat, wird je wieder sein, was es war.‹« (Gekürzt zit. nach: Marriott/Rachlin 968: 74 f.) Die Weißen wußten den importierten Epidemien weit angenehmere Seiten abzugewinnen. John Winthrop, 347
erster Gouverneur der Massachusetts Bay Colony und von Beruf Rechtsanwalt, notierte am 22. Mai 634: »Was die Eingeborenen anlangt, so sind sie nunmehr sämtlich den Pocken erlegen, sodaß der HERR unsere Ansprüche klargestellt hat auf das, was wir besitzen.« (Winthrop Papers, III: 67) Die Pocken waren nur eine der Krankheiten, die die marinheiros auf die überseeischen Eingeborenenvölker losgelassen hatten. Die Pocken waren vielleicht die vernichtendste und zweifellos die dramatischste aller Epidemien, aber doch nur eine von vielen. Nicht berücksichtigt haben wir bis jetzt die Atemwegsinfektionen, jene »hektischen« (auszehrenden) fiebrigen Erkrankungen, die unter den Ureinwohnern so häufig auftraten, nachdem sie mit den übers Meer gekommenen Fremden in Berührung gekommen waren. Dazu das anschauliche Ergebnis einer Studie aus den 60er Jahren unseres Jahrhunderts: Von den untersuchten zentralaustralischen Aborigines hatten 50 bis 80 Prozent Husten und andere auffällige Befunde, wobei die höheren Prozentsätze bei den Probanden auftraten, die erst kurz zuvor aus der Wüste eingetroffen waren (Moodie 973: 27 f.). Auch die Darminfektionen haben wir nicht berücksichtigt, an denen im Lauf der letzten Jahrtausende zweifellos mehr Menschen auf der Welt gestorben sind als an jeder anderen Kategorie von Krankheiten (was übrigens bis zum heutigen Tage gilt). Cabeza de Vaca, der um 530 verzweifelt und ohne Orientierung durch die texanische 348
Wildnis taumelte, hinterließ seinen indianischen Rettern »zum Dank« eine Durchfallkrankheit, an der die Hälfte von ihnen zugrundeging. Sie verschaffte ihm und seinen Kameraden den Nimbus von Wunderheilern, was ihnen ironischerweise das Leben rettete (de Vaca 966: 74 f., 80). Auch die von Insekten übertragenen Krankheiten blieben unerwähnt, obwohl die Malaria im 9. Jahrhundert die gravierendste Krankheit im gesamten Mississippi-Tal war (Drake 964: passim). Die Geschlechtskrankheiten, die dafür verantwortlich waren, daß bei den Ureinwohnern von Labrador im Norden Kanadas bis Perth im Westen Australiens die Geburtenrate im selben Maße sank, wie die Sterblichkeitsrate anstieg, wurden ebenfalls nicht behandelt. Die Krankheitserreger der Alten Welt verbreiteten sich in ihrer ganzen scheußlichen Vielfalt über die neuen Gebiete jenseits der Nahtlinien der Pangäa und schwächten, verkrüppelten, töteten dabei Millionen Menschen, die zur geographischen Vorhut der menschlichen Gattung zählten. Die gewaltigste demographische Katastrophe der Weltgeschichte wurde durch Kolumbus und Captain Cook und all die anderen marinheiros ausgelöst. Und die europäischen Überseekolonien waren während der ersten Etappe ihrer modernen Entwicklung wahre Leichenhäuser. Erst später entstanden in den Kolonien der heißen Zone (mit der einzigen größeren Ausnahme Nordaustralien) Mischgesellschaften von Europäern, Afrikanern und Ureinwohnern, die sich erheblich von 349
allen davor existierenden Gesellschaften unterschieden. Weniger spezifisch entwickelten sich die Kolonien der gemäßigten Klimazone: Sie wurden zu neo-europäischen Siedlungsregionen, in der Nicht-Weiße nur als Minderheiten vorkommen.* Daß Mexiko und Peru vor dem Eintreffen der Europäer von einheimischen Völkern dicht besiedelt waren, beweisen uns die ungeheuren steinernen Zeugnisse dieser Vergangenheit und die zahllosen Nachfahren dieser alten Völker. Historischer Vorstellungskraft von sehr * Bei dieser Gelegenheit sollte ich mich vielleicht mit der alten Legende auseinandersetzen, wonach die Europäer einen bewußten bakteriologischen Krieg gegen die Eingeborenen geführt haben sollen. Nun ist keineswegs zu bezweifeln, daß die Kolonisten so etwas ganz gerne getan hätten. Und es wurde in ihren Kreisen auch tatsächlich über Pläne gesprochen, infizierte Decken und ähnliches an die Eingeborenen zu verteilen. Mitunter könnte das sogar geschehen sein. Aber aufs ganze gesehen ist diese Legende eben doch nur eine Legende. Vor der Entwicklung der modernen Bakteriologie gegen Ende des 9. Jahrhunderts konnte man Krankheiten nicht in Ampullen abpacken, und für die Lagerung solcher Ampullen hätte es ohnehin keine Kühlschränke gegeben. Eine Krankheit war vom praktischen Standpunkt aus betrachtet nichts anderes als der Mensch, der krank war. Und eine so plumpe Waffe war nicht gezielt einzusetzen. Was im übrigen die infizierten Decken betrifft, so mochten sie funktionieren oder auch nicht. Der wichtigste Punkt ist jedenfalls, daß die bewußt übertragene Krankheit auf die weiße Bevölkerung zurückschlagen konnte. Da die Weißen mit der Zeit immer länger in den Kolonien heimisch waren, gab es immer mehr, die dort auch geboren waren und deshalb den ganzen Parcours der Kinderkrankheiten der Alten Welt nicht hinter sich gebracht hatten. Für diese Menschen ging es darum, sich die Pocken vom Leibe zu halten, und nicht etwa, sie noch weiter zu verbreiten.
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langer Reichweite bedarf es aber, um zu erkennen, daß die neo-europäischen Gebiete, die heutzutage mit den alten Neo-Europäern und neuen Abkömmlingen der Alten Welt randvoll gefüllt sind, einstmals ebenfalls von Einheimischen bevölkert waren, die dann durch importierte Krankheiten liquidiert wurden. Im folgenden werden wir die Entvölkerung einer neo-europäischen Region an einem ausgewählten Fallbeispiel untersuchen. Wir wollen dazu eine neo-europäische Region herausgreifen, die von einheimischen Ackerbauern auf einer fortgeschrittenen Kulturstufe besiedelt war: den Teil der östlichen Vereinigten Staaten, der durch den Atlantik, die Great Plains im Westen, den Ohio im Norden und den Golf von Mexiko im Süden begrenzt wird. Um das Jahr 700 hatten die Europäer diese Region schon gründlich erkundet und so ausgiebig in alle Richtungen durchstöbert – oft genug auf der Suche nach einem neuen Aztekenreich oder der Route nach Kathei (dem alten China) oder auch nach Gold und Pelzen – daß sie ihnen in den geographischen Grundzügen durchaus vertraut war. In diesem ganzen Gebiet siedelten Indianervölker, die in jedem Handbuch der US-amerikanischen Geschichte aufgeführt sind: die Cherokee, die Creek, die Shawnee, die Choctaw und so fort. Zu jener Zeit hatten diese Völker – mit ein oder zwei Ausnahmen – keine ausgeprägte soziale Schichtung, keine fortgeschrittenen Kunst- und Handwerkstechniken, wie sie aristokratische und Priesterkasten hervorzubringen pflegen, und auch 351
keine öffentlichen Großprojekte aufzuweisen, die etwa den Tempeln und Pyramiden der mittelamerikanischen Kulturen vergleichbar gewesen wären. Die einzelnen Stämme zählten nicht mehr Köpfe – vielerorts eher viel weniger – als man von einer Gemeinschaft erwarten konnte, deren Mitglieder sich teils als Bauern, teils als Jäger, teils als Sammler betätigten. Ein Stamm mit mehreren zehntausend Mitgliedern war schon die Ausnahme, in den meisten Fällen waren es sehr viel weniger. 492 hatte es in diesem Teil Nordamerikas ganz anders ausgesehen. Die Mound builders (also »Grabhügelbauer«, ein Sammelbegriff für rund hundert verschiedene Völker, die einem Dutzend verschiedenen Kulturen zugehörten und knapp tausend Jahre lang ein Territorium von Tausenden von Quadratkilometern besiedelten) hatten damals zahlreiche Grab- und Tempelhügel errichtet (oder noch in Arbeit), von denen viele lediglich Knieoder Hüfthöhe erreichten, einzelne aber zu den größten Erdbauwerken zählten, die jemals von Menschenhand geschaffen wurden. Der größte derartige Komplex ist der Monks Mound, einer der 20 Hügel von Cahokia in Illinois, mit einem Volumen von 623 000 Kubikmetern und einer Grundfläche von 65 Quadratkilometern (Hawkes 974: 234). Diese gewaltigen Erdmassen mußten von den Indianern ohne die Hilfe domestizierter Arbeitstiere herangeschafft und aufgeschichtet werden. Unter den präkolumbianischen Bauten Amerikas gibt es nur zwei größere, die Sonnenpyramide von Teotihuacán und 352
die große Pyramide von Cholula. Auf dem Höhepunkt seiner Bedeutung (um 200 n.Chr.) war Cahokia eine der großen Kultstätten der Erde, und das Dorf, dessen Einwohner ihr dienten, soll nach der Schätzung mancher Archäologen von über 30 000 Menschen bewohnt gewesen sein. Zum Vergleich: 790 hatte Philadelphia als größte Stadt der Vereinigten Staaten 42 000 Einwohner (Morris 953: 442). In Gräbern wie denen von Cahokia und ähnlichen Stätten hat man Kupfer vom Lake Superior, Feuerstein aus Arkansas und Oklahoma, Glimmerblätter aus North Carolina sowie viele Kunstobjekte von erlesener Qualität gefunden. Außerdem enthielten diese Gräber nicht nur die Skelette ihrer ehrwürdigen Toten, sondern auch von Männern und Frauen, die offenbar aus Anlaß des Begräbnisses geopfert worden waren. In einem der Gräber von Cahokia fanden sich die Überreste von vier Männern, denen Kopf und Hände fehlten, und von etwa 50 Frauen, die durchweg zwischen 8 und 23 Jahre alt waren. Die Zusammensetzung dieser Überreste läßt mit Gewißheit auf eine grausame Religion schließen – und auf eine streng hierarchische Klassenstruktur, die stets ein Schlüsselfaktor für die Entstehung von Zivilisation gewesen ist. Als sich dann im 8. und 9. Jahrhundert in der Nähe von Cahokia und ähnlichen Kultzentren (wie Moundsville in Alabama und Etowah in Georgia) weiße und schwarze Siedler niederließen, boten die lokalen indianischen Gesellschaften ein völlig anderes Bild. Sie 353
hatten eine relativ egalitäre Sozialstruktur und eine bescheidene Bevölkerungsdichte, ihre künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten waren beachtlich, aber nicht mehr herausragend, ihre Handelsbeziehungen auf die engere Region beschränkt. Und über die Grabhügel und Kultstätten, um die sich seit Generationen niemand mehr gekümmert hatte, wußten diese Menschen nichts mehr. Die Weißen hingegen schrieben sie den Wikingern zu oder den verlorenen Stämmen Israels oder prähistorischen Rassen, die von der Erde verschwunden waren (Jennings 974: 220–265; Fowler 975: 93–0; Silverberg 974: 3, 6–8). Die Erbauer dieser Erdhügel waren aber amerikanische Indianer, zweifellos die Vorfahren der Menschen, die noch in der Umgebung dieser Stätten lebten, als die Siedler aus der Alten Welt eintrafen. Diese Vorfahren hatten noch in großer Anzahl existiert, als Jahrhunderte vorher die Europäer zum ersten Mal an den Küsten Amerikas eingetroffen waren. Es waren die Menschen, über deren Felder und Leichen hinweg sich Hernando de Soto seinen Weg bahnte, als er ihre Gegend zwischen 539 und 542 nach ähnlichen Reichtümern absuchte, wie er sie in Peru erblickt hatte. Die Chronisten seines Raubzuges übermitteln uns ein klares Bild von dichtbesiedelten Landschaften mit vielen Dörfern inmitten ausgedehnter kultivierter Felder, von streng hierarchischen Gesellschaften, die mit eiserner Hand von oben regiert wurden, und von vielen auf Pyramidensockeln thronenden Tempelbauten, die an 354
ähnliche Bauwerke etwa in Teotihuacán und Chichen Itzá erinnern, obwohl sie oft plumpere Umrisse hatten und nicht aus Stein, sondern aus Lehm gefertigt waren. In den Bildern, die wir uns heute üblicherweise von den einheimischen Gesellschaften Nordamerikas machen, fehlt auch de Sotos schlaue Gegenspielerin, die »Senora von Cofachiqui«, deren Herrschaftsgebiet vermutlich die Umgebung des heutigen Augusta in Georgia umfaßte. Sie pflegte in einer Sänfte zu reisen, die von ihren Adligen getragen und von einem Hofstaat von Sklaven begleitet wurde. Die Spanier registrierten mit Staunen, wie sie über Hunderte von Kilometern durchs Land reiste und überall große Autorität genoß, so daß »sämtliche ihrer Befehle prompt und gewissenhaft ausgeführt wurden« (Narratives of the Career of Hernando de Soto, I: 65, 70 f.). Um den Bereicherungsdrang der Spanier von ihren lebenden Untertanen abzulenken, überließ sie ihnen ein Grabmal oder Heiligtum zur Plünderung, das eine Länge von dreißig und eine Breite von etwa zwölf Metern hatte und von einem mit Meermuscheln und Flußperlen verzierten Dach überwölbt war, das »im strahlenden Glanz der Sonne einen großartigen Anblick bot«. Unter diesem Dach fanden sie Truhen mit den Überresten der Toten, wobei zu jeder Truhe eine Statue gehörte, die den Verstorbenen darstellte. Decken und Wände waren mit Kunstobjekten vollgehängt, und überall fanden sich fein geschnitzte Keulen, Streitäxte, Spieße, Bogen und Pfeile, die mit Einlegearbeiten aus Flußperlen verziert waren. Einer der Grabräuber namens 355
Alonso de Carmona, der auch schon in Mexiko und Peru dabeigewesen war, zählte das Gebäude und seine Schätze zu den schönsten Dingen, die er je in der Neuen Welt zu Gesicht bekommen hatte (de la Vega 962: 35–325). Die Bewohner von Cofachiqui und den anderen Indianerprovinzen, die sich über einen Großteil des Südostens der heutigen Vereinigten Staaten erstreckten, waren so etwas wie die ländlichen Verwandten der zentralen Hochkulturen Mexikos und in ihrem eindrucksvollen Zivilisationsniveau vielleicht mit den unmittelbaren Vorläufern der Sumerer vergleichbar. Auch zahlenmäßig waren sie ein bedeutender Faktor. Nach den neuesten Forschungsergebnissen dürfte die Bevölkerungszahl einer Grenzprovinz wie Florida zu Beginn des 6. Jahrhunderts schätzungsweise 900 000 betragen haben (Dobyns 983: 294); selbst wenn wir diese Zahl zur Vorsicht halbieren, bleibt sie immer noch eindrucksvoll genug. Verglichen mit diesem demographischen Zustand war derselbe Südosten Nordamerikas um das Jahr 700, als die Franzosen ihre ersten Dauersiedlungen gründeten, praktisch menschenleer. Bis zum Beginn des 8. Jahrhunderts muß die Bevölkerung von Cofachiqui also von irgend etwas vernichtet oder vertrieben worden sein. Das gilt auch für eine Reihe anderer Regionen, in denen noch zwei Jahrhunderte zuvor blühende Völker mit ähnlichem Zivilisationsniveau gewohnt hatten: für die Golfküste zwischen der AlabamaMündung und der Tampa Bay, für den Küstenstreifen von 356
Georgia und für die Uferregionen des Mississippi oberhalb der Einmündung des Red River. Im Osten und Süden des heutigen Arkansas und im Nordosten von Louisiana, wo de Soto noch dreißig Städte und Provinzen angetroffen hatte, fanden die Franzosen nur noch einige wenige Dörfer. Und wo de Soto noch auf einem Tempelhügel gestanden und über mehrere Dörfer mit ihren Grabhügeln und die dazwischen liegenden Maisfelder geblickt hatte, breitete sich jetzt die Wildnis aus. Was immer mit diesem Gebiet geschehen war, die Auswirkungen müssen bis weit in den Norden spürbar gewesen sein. Denn das südliche Ohio und das nördliche Kentucky, die mit ihren natürlichen Ressourcen zu den reichsten Gegenden des ganzen Kontinents gehörten, präsentierten sich den ersten Weißen, die aus Neufrankreich und aus Virginia einwanderten, als nahezu entvölkerte Regionen.* Selbst in den Küstenzonen des Golfes und in einem breiten Streifen Hinterland war ein bedeutender ökologischer Wandel zu verzeichnen, der sich parallel zum Niedergang der indianischen Bevölkerung vollzogen hatte und wohl auch mit ihm in Verbindung stand. Im 6. Jahrhundert hatten die Chronisten der Expedition de Sotos auf ihrem Marsch von Florida bis Tennessee und zur Küste zurück keine Bisons zu Gesicht bekommen; oder aber sie haben diese imposanten Tiere, falls sie ihnen doch begegnet sein sollten, nicht erwähnt – was freilich * Swanton 946: –2; Driver 969: Karte 6; Kroeber 963: 88–9; Haag 955: 07; Dobyns 983: 98
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äußerst unwahrscheinlich erscheint. Auch archäologische Funde und das Studium der indianischen Ortsnamen lassen darauf schließen, daß es längs der Route de Sotos, aber auch in Richtung der Golfküste keinerlei Büffel gegeben hat. Als 50 Jahre später die Franzosen und Engländer im Südosten Nordamerikas eintrafen, stießen sie allenthalben auf zumindest lockere Herden dieser zottigen Tiere, und zwar von den Bergen im Norden bis fast zur Golfküste im Süden und selbst an der Atlantikküste im Osten. Was in der Zwischenzeit geschehen war, läßt sich auf abstrakter Ebene leicht erklären: Eine Ökonische war entstanden, und der Bison hatte sie ausgefüllt. Vorher waren die Tiere von den parkähnlichen Waldlichtungen, die die Indianer immer wieder durch Abbrennen und Abholzen geschaffen hatten, durch irgendetwas ferngehalten worden, was nach 540 schwächer geworden oder ganz verschwunden sein muß. Bei diesem Etwas handelte es sich höchstwahrscheinlich um die Indianer selbst, die die Büffel töteten, um sie zu essen oder um ihre Pflanzungen zu schützen (Rostlund 970: 395–407). Ursache für die Dezimierung und das Verschwinden der Indianer waren vermutlich Krankheitsepidemien. Welcher andere Faktor sollte in der Lage gewesen sein, so viele über so weite Gebiete Nordamerikas verstreut lebende Menschen zu vernichten? Der schreckliche Ausrottungsprozeß hatte bereits begonnen, bevor de Sotos Expedition in Cofachiqui auftauchte. Diese Provinz war ein oder zwei Jahre zuvor von einer todbringen358
den Seuche heimgesucht worden. Der Ort Talomeco, wo die Spanier die oben geschilderte Plünderung des Grabtempels begangen hatten, war eine von mehreren verlassenen Städten, deren Einwohner der Epidemie zum Opfer gefallen oder geflüchtet waren. Hier stießen die Eindringlinge auch auf vier große Häuser voller toter Seuchenopfer. Cofachiqui machte auf die Spanier einen dicht bevölkerten Eindruck, aber die Bewohner selbst berichteten ihnen, daß sie vor der Epidemie weitaus mehr gewesen wären. De Soto war also im Gefolge einer pandemischen Katastrophe durch Cofachiqui gezogen, so wie er es schon einmal bei Pizarros Expedition nach Peru erlebt hatte (Narratives of the Career of De Soto, I: 66 f.; de la Vega 962: 298–325). Wie konnte diese Seuche – vorausgesetzt, es handelte sich um einen Import aus der Alten Welt – von den Küstensiedlungen der Europäer so tief ins Binnenland vordringen? Zunächst konnte jede in Mexiko grassierende Epidemie über das Medium der an der Küste siedelnden Stämme um den ganzen Golf herumwandern und dann entlang der dicht besiedelten Flußtäler landeinwärts vorstoßen. Auch waren etliche Schiffe, die von Havanna auslaufend mit Hilfe des Golfstroms nach Nordosten segeln wollten, von Hurrikanen auf die Sandbänke vor der Ostküste Floridas geworfen worden, und einige Überlebende hatten sich – mitsamt ihren Infektionskrankheiten – an die Küste retten können. Im übrigen gab es auch schon einige Weiße, die auf dem Festland lebten. Zu Beginn 359
seiner Invasion in Florida hatte de Soto einen von ihnen als Dolmetscher gewonnen. (Er war ein Überlebender jener Expedition, deren Scheitern Cabeza de Vaca in die Lage gebracht hatte, sich quer durch Texas durchschlagen zu müssen.) In Cofachiqui entdeckten die Leute de Sotos einen offensichtlich christlichen Dolch, zwei kastilische Äxte und einen Rosenkranz, die vermutlich über die Handelsrouten der Indianer von der Küste oder sogar von Mexiko bis ins Innere Nordamerikas gelangt waren. Durch Handelskontakte können Infektionskrankheiten ebenso effektiv übertragen werden wie durch alle anderen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen. Als de Sotos Expedition an der Golfküste landete, hatte sich die Alte Welt jedenfalls schon in vielerlei Gestalt auf dem nordamerikanischen Kontinent ausgebreitet (Narratives of the Career of De Soto, I: 27, 67; II: 4). In allen Regionen Amerikas, über die uns Berichte aus dem 6. und 7. Jahrhundert vorliegen, setzten die regelmäßig wiederkehrenden Epidemien ihr Zerstörungswerk beharrlich fort. Wir wollen nur ein einziges Beispiel anführen: 585/86 steuerte Sir Francis Drake eine große Flotte zu den Kapverdischen Inseln, wo sich seine Leute eine gefährliche Ansteckungskrankheit einfingen. Als sie weitersegeln und die Küste des spanischen Festlandes überfallen wollten, waren so viele Engländer durch Krankheit oder Tod ausgefallen, daß ihr Vorhaben schmählich scheiterte. Sir Francis wollte sich daraufhin an der spanischen Kolonie St. Augustin in Florida schadlos 360
halten. Bei diesem Angriff wurde die einheimische Bevölkerung mit der Epidemie von den Kapverden infiziert. Für die meisten Indianer bedeutete das einen raschen Tod, den sie sich nur mit dem Walten des »englischen Gottes« erklären konnten. Anschließend ist die Epidemie wahrscheinlich ins Landesinnere weitergewandert (Creighton 89, I: 585–589; Corbett 898, XI: 26). Als die Franzosen in das Hinterland der Golfküste vordrangen, wo sich de Soto noch mit so vielen Völkern hatte herumschlagen müssen, stieß ihr Einfall kaum auf Gegenwehr. Und die Zahl der indianischen Einwohner ging weiter und wahrscheinlich sogar in beschleunigtem Tempo zurück. Die letzten Mound Builders, die NatchezIndianer mit ihren tempelgekrönten Pyramiden und ihrem Oberhaupt »Große Sonne«, verloren binnen sechs Jahren ein Drittel ihrer Stammesmitglieder. Einer der französischen Invasoren eiferte unwissentlich dem protestantischen Gouverneur von Massachusetts nach, als er in einem Brief notierte: »Wenn man mit diesen Wilden in Berührung kommt, gibt es etwas, was anzumerken ich mir nicht versagen kann, nämlich wie sehr doch in alledem der Wunsch Gottes sichtbar wird, daß sie ihr Land an neue Völker abtreten sollen.« (Zit. nach Swanton 9: 39)* * Vgl. auch Dobyns 983: 247–290; Milner 980: 39–56. In jüngster Zeit beginnen die Archäologen konkrete Beweise zu Tage zu fördern, die für die Hypothese sprechen, daß die Region am Golf von Mexiko im 6. Jahrhundert heftige Epidemien, einen drastischen Bevölkerungsschwund und radikale kulturelle Veränderungen durchgemacht haben muß. Vgl. Curren 984: 54, 240, 242
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Der Austausch von Infektionskrankheiten – und das heißt: von lebenden Mikroorganismen, die ebenso wie die sichtbaren Lebewesen jeweils einen bestimmten geographischen Ursprungsort haben – zwischen der Alten Welt und ihren amerikanischen und australischen Kolonien ist erstaunlich einseitig verlaufen, so einseitig und eingleisig wie der Austausch von Menschen, von Unkräutern und von Tierarten. Australien und Neuseeland haben (nach dem heutigen Forschungsstand der Naturwissenschaftler) nicht eine ihrer spezifischen Epidemien – wenn es überhaupt so etwas wie exklusiv australisch-neuseeländische Epidemien gibt – in andere Regionen exportiert. Solche regional spezifischen Krankheitserreger gibt es allerdings in Amerika: die Erreger der Carrion-Krankheit und der Chagas-Krankheit (auch: amerikanische Schlafkrankheit). Merkwürdigerweise gehen diese sehr unangenehm und manchmal tödlich verlaufenden Krankheiten ungern auf Reisen und haben sich nie in der Alten Welt verbreitet (Stewart 960: 266 f.; Manson-Bahr 972: 08 f., 43, 579–582, 633 f.; vgl. Newman 976: 669). Die einzige bedeutende Exportkrankheit der Neuen Welt ist wohl die Syphilis, aber sie hat trotz ihres schlechten Rufes das Bevölkerungswachstum in der Alten Welt nie zum Stillstand gebracht (Crosby 972: 22–64). Der im tropischen Amerika heimische Sandfloh (oder niguas, wie er bei Fernando de Oviedo genannt wird), der den nackten Füßen der Spanier während des 6. Jahrhunderts hartnäckig zugesetzt hatte, ist 872 nach 362
Afrika übergesprungen und hat sich dort zu einer epidemischen Plage entwickelt, die allenthalben verstümmelte Zehen und tödlich verlaufende sekundäre Tetanus-Infektionen hinterließ. Heute zählt der Sandfloh nur noch zu den lästigen Plagegeistern, und auf die demographische Entwicklung der Alten Welt hat er sich überhaupt nicht ausgewirkt (Crosby 972: 209; Audy 958: 09 f.). Europa hat sich, was die Quantität wie die Qualität der körperlichen Qualen betrifft, die es über die Nahtlinien der Pangäa hinweg in die übrige Welt verschickte, als äußerst spendabel erwiesen. Im Gegensatz dazu haben sich seine Kolonien, die in epidemiologischer Hinsicht von vornherein mit beinahe leeren Händen dastanden, beim Export der wenigen vorhandenen Krankheitserreger auch noch sehr zurückgehalten. Dieser ungleiche Tausch – dessen biogeographische Ursachen wir anschließend im . Kapitel zu erörtern haben – bedeutete für die europäischen Invasoren einen gewaltigen Vorteil. Und zugleich einen tödlichen Nachteil für diejenigen Völker, deren angestammte Heimat jenseits der Nahtlinien der Pangäa, also auf der Verliererseite lag.
Die Eroberung der neo-europäischen Gebiete »Vielleicht ist es gerade die Einfachheit der Sache, die Ihnen den Blick trübt, meinte mein Freund.« Edgar Allan Poe, Der stibitzte Brief »Wenn wir den Begriff Unkraut auf Arten beschränken, die sich den Eingriffen des Menschen angepaßt haben, ist der Mensch definitionsgemäß das erste und wichtigste Unkraut, unter dessen Einfluß sich alle anderen Unkrautarten herausgebildet haben.« Jack R. Harlan, Crops and Men (975)
So wie sie sich heute darstellen, sind Fauna und Flora der neo-europäischen Gebiete ebenso wie ihre Gesellschaften das Resultat der unaufhaltsamen Vermehrung und Ausbreitung jener biologischen »Musterkoffer-Kollektionen«, von denen ich weiter oben gesprochen habe. Unter einem solchen biologischen Musterkoffer verstehe ich die Gesamtheit der von den Europäern mitgebrachten Lebewesen. Nur wenn wir verstehen lernen, warum sich diese importierten Kollektionen so erfolgreich durchgesetzt haben, läßt sich auch das Geheimnis des Aufstiegs der neo-europäischen Gebiete entschlüsseln. Über den Erfolg eines ziemlich prominenten Exemplars aus dem europäischen Musterkoffer hat sich bereits 364
Adam Smith seine Gedanken gemacht: »In einem Lande, das nicht halb bevölkert noch halb kultiviert ist, vermehrt sich natürlich das Vieh über die Konsumtion der Einwohner hinaus …« (Smith 924, II: 63) Adam Smith zählt gewiß zu den klügsten Köpfen überhaupt, doch war er weder Historiker noch Ökologe, und so würden wir ihn doch gerne gefragt haben, warum das von ihm erwähnte Land so dünn bevölkert und landwirtschaftlich so wenig kultiviert war. Und wir würden außerdem gerne darauf hinweisen, daß in den meisten Epochen und an den meisten Orten – ob Menschen da sind oder nicht – die Vermehrung von Vieh oder vielmehr von allen Lebewesen auf natürliche Weise durch das Wirken von Raubtieren, von Parasiten und Krankheitserregern und auch von Nahrungsmangel in erträglichen Grenzen gehalten wird. Zu Lebzeiten von Adam Smith waren freilich die umgekehrten Verhältnisse schon so allgemein verbreitet, daß sie ihm wohl den gesunden Menschenverstand verwirrt haben. In den neo-europäischen Gebieten war den biologischen Musterkoffern ein durchschlagender Erfolg beschieden. Die extremen Voraussagen von Naturforschern des 9. Jahrhunderts, die von einer weitgehenden Verdrängung der einheimischen Arten ausgingen, haben sich jedoch als übertrieben erwiesen (Hooker 864: 24; Travers 868: 2). Von den einheimischen Lebensformen in den neo-europäischen Gebieten wurden nur ganz wenige ausgerottet, und in Nordamerika wie in Australien 365
und Ozeanien nimmt die Eingeborenenbevölkerung heute rascher zu als die Nachkommen ihrer Eroberer. Aber die Ureinwohner machen jeweils nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtbevölkerung aus, und die Menge der von außen eingefallenen Lebewesen, die sich in diesen Gebieten eingenistet und breitgemacht haben, ist sehr groß. In solchen Ländern ist heute eine ganz andere Fauna und Flora anzutreffen als noch vor einigen Generationen. Wie umfassend diese Veränderungen gewesen sind, können die Menschen, die unter ihnen leiden, genauer einschätzen als die anderen, die von ihnen profitieren. Die nordamerikanischen Indianervölker der zentralen Ebene und der westlichen Bergregionen haben sich Ende des 9. Jahrhunderts, angesichts ihrer totalen Niederlage in ihrem langen Kampf mit den Weißen, eine ganz neue Religion zurechtgelegt. Sie verhieß einen unmittelbar bevorstehenden Umsturz, der so umfassend sein würde wie das, was ihnen in den vorangegangenen 300 Jahren widerfahren war: Von Westen her würde eine ganz neue Welt heraufziehen – mit ihren zum Leben erweckten Toten, mit den alten Büffelherden und den verschwundenen Wapitihirschen und anderen Wildarten – und diese Welt würde über die Oberfläche der alten Welt hinweggleiten, und die Indianer würden ihren Geistertanz tanzen und von ihrem heiligen Tanzfederschmuck in die Lüfte erhoben, um schließlich auf diese erneuerte Welt herniederzuschweben, und sie würden vier Tage lang besinnungslos daliegen, nach dem Erwachen aber 366
würde alles um sie herum wieder so sein, wie es vor der Ankunft der Europäer gewesen war (Mooney 965: 28). Die marinheiros mit ihren Musterkoffern hatten eine Revolution importiert, die tiefergreifende Veränderungen bewirkte als alle Eingriffe, die unser Planet seit der großen Artenvernichtung am Ende der Eiszeit erlebt hatte. Kein Wunder, daß sich die Verlierer die Aufhebung dieser Revolution nur in Gestalt eines kolossalen Wunders vorstellen konnten. Was aber lag und liegt dieser biologischen Revolution zugrunde? Erinnern wir uns an die im . Kapitel empfohlene Methode Dupin. Fassen wir also den naheliegendsten Faktor ins Auge: die geographische Lage. Alle neo-europäischen Gebiete liegen in Klimazonen, die der europäischen ähnlich sind, und sie liegen weit von Europa entfernt, zumindest jenseits des Atlantischen Ozeans, im Extremfall sogar am entgegengesetzten Ende der Welt. An dieser Stelle würde Dupin sagen: »Suchen wir also nach den Spuren und Auswirkungen dieser weit entfernten und isolierten Lage.« Die Nahtlinien der Pangäa entstanden vor Millionen von Jahren; damit begannen die Entwicklungen von Fauna und Flora der Alten Welt einschließlich Europas einerseits und die der neo-europäischen Gebiete andererseits in getrennten Bahnen zu verlaufen. Zwar wurde diese Trennung ab und zu durch die Entstehung breiter Landbrücken aufgehoben, über die sich die Arten austauschen konnten, aber im großen und ganzen weist 367
die Geschichte der Lebensformen in beiden Regionen ausgeprägte Unterschiede auf. Bei dieser getrennten Geschichte der Fauna- und Florazonen kann man nicht etwa von einer besseren oder schlechteren bzw. einer höheren oder niedrigeren Entwicklung sprechen, denn das sind wissenschaftlich inhaltsleere Begriffe. Aber die Fauna und Flora in den neo-europäischen Regionen war einfacher, das heißt, sie bestand aus weniger Arten als die Fauna und Flora Europas, die ja auch Teil einer viel größeren geographischen Einheit war als die seiner späteren Überseekolonien. Dieser Unterschied (zwischen Europa und Nordamerika ohnehin kaum vorhanden) darf aber nicht zu übertriebenen Schlüssen verleiten. Denn er war zur Zeit der Ankunft der marinheiros weitaus sichtbarer als Jahrtausende vorher, als die neo-europäischen Gebiete zum ersten Mal von Menschen besiedelt wurden. Hinsichtlich der heimischen Fauna und Flora haben sich die Unterschiede zwischen der Alten Welt und Amerika bzw. Australien und Neuseeland also erst in jüngerer Zeit vergrößert. Genau das ist es, was unsere Neugierde erregt. Bevor wir uns diesem Thema zuwenden, sollten wir noch die offensichtlichste Konsequenz abhaken, die sich für die beiden amerikanischen Subkontinente wie für Australien und Neuseeland aus ihrer Isolation von der Alten Welt ergeben hat. In beiden Regionen waren ursprünglich weder Menschen noch Anthropoiden heimisch. Als die ersten Menschen einwanderten, fanden 368
sie sich inmitten völlig fremder Ökosysteme wieder. In dieser neuen Umwelt waren weder die Raubtiere noch die Parasiten oder Krankheitserreger darauf konditioniert, die menschlichen Wesen zu attackieren. Am schnellsten dürften es die Raubtiere gelernt haben, weil sie über Intelligenz und Willenskraft verfügten, bei den Mikroorganismen muß es hingegen ziemlich lange gedauert haben. So weit uns bekannt ist, hat nicht eine bedeutende, die Menschen bedrohende Epidemie ihren Ursprung in Australien und Neuseeland gehabt. Und bei den wenigen Epidemien amerikanischer Provenienz haben sich die Krankheitserreger nie so gründlich auf den Menschen eingestellt, daß sie außerhalb Nord- und Südamerikas hätten Fuß fassen können – mit Ausnahme vielleicht des Syphiliserregers Spirochaeta pallida. Es ist zwar keineswegs ausgeschlossen, daß die ersten Menschen, die nach Amerika bzw. Australien und Neuseeland gelangten, ihre eigenen Krankheitserreger und Parasiten mitschleppten, aber allzuviele pathogene Begleiter mit tödlicher oder stark schwächender Wirkung konnten es nicht gewesen sein. Die Träger waren nämlich durchweg Nomaden, die ihren Herden von der sibirischen Tundra nach Alaska nachzogen oder im malaiischen Archipel von Insel zu Insel sprangen oder auf der Flucht vor Vulkanausbrüchen von einem Atoll zum anderen über den Pazifik segelten. Solche strapaziösen Unternehmungen überlebten nur die Gesündesten, die Kranken blieben einfach zurück. Ähnlich hielten es die 369
Nomaden mit ihrem Ungeziefer: Indem sie immer wieder weiterzogen, ließen sie den meisten Abfall und damit auch das meiste Ungeziefer unterwegs zurück. Wir können davon ausgehen, daß die ersten nach Amerika und Australien und Neuseeland gelangten Menschen sich sehr viel rascher vermehrt haben, als es für damalige Jäger- und Sammlergemeinschaften üblich war. In ihrer neuen Umgebung hatten sie keine speziellen Feinde, und ihre alten Feinde hatten sie hinter sich gelassen. Außerdem müssen sie zunächst ein Übermaß an Nahrungsmitteln vorgefunden haben. Wenn in einem Ökosystem eine neue Spezies von außen dazukommt, kann das Kettenreaktionen auslösen, die das gesamte System durchlaufen. Und die Wirkungen, die der Mensch – als die erste Spezies, die sich weitgehend ihrer Intelligenz und selbstgemachter Werkzeuge bediente – auf die Umwelt in Amerika, in Australien und in Neuseeland ausübte, müssen weitaus folgenreicher gewesen sein, als es dem zahlenmäßigen Anteil der Neueinwanderer entsprochen hätte. Der Mensch kann z. B. seine Jagdmethoden sehr rasch umstellen und berechenbares Abwehrverhalten einer Tierart zu seinem Vorteil ausnutzen. Er kann etwa das oder die dominierenden Männchen zum Kämpfen provozieren, um dann die Weibchen und die Jungtiere von einer anderen, ungeschützten Seite her anzugreifen. Die Menschen können auch rasch lernen, wie man Herdentiere in Panik versetzt und über Klippen abstürzen oder in einen Sumpf rennen läßt. Sie können 370
lernen, die Tiere am Ort und zur Zeit der Paarung anzugreifen oder noch gezielter als Raubtiere auf trächtige oder ganz junge Tiere Jagd zu machen. Die Menschen können Wälder und Grasflächen abbrennen. Und selbst wenn sie sich nur mit Fackeln oder Jagdwerkzeugen aus Stein oder aus feuergehärtetem Holz bewaffnen, sind die Menschen bereits zu den gefährlichsten und unerbittlichsten Raubtieren der Welt geworden. Als die ersten Menschen nach Amerika und Australien und Neuseeland vordrangen, trafen sie auf viele Arten von Riesentieren. Die Neue Welt wurde vom Mammut, vom Riesenfaultier, vom Säbelzahntiger und anderen beängstigend großen Tierarten beherrscht, und über die amerikanischen Steppen donnerten große Herden gewaltiger Büffel, einheimischer Pferde und Kamele. In Australien dominierten die großen Kloakentiere (die so heißen, weil Darm und Harnblase denselben Ausgang haben) und Beuteltiere, darunter eine Känguruhart, die um ein Drittel größer war als die größte heute existierende Art, und der Thylacoleo carnifex, ein dem Backenhörnchen ähnlicher Fleischfresser, der aber Reißzähne und Klauen und einen über zwei Meter langen Körper hatte. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Nord- und Südamerika genauso viele Riesentierarten aufzuweisen hatten wie die Alte Welt; auch in Australien waren es noch ziemlich viele, und selbst in Neuseeland kamen einige Riesentierarten vor (Martin 984: 360–363, 370–373; Murry 984: 600–625; Trotter/McCulloch 984: 708 f.). 371
Als die marinheiros am Rande der Welt der Maori, der Aborigines und der amerikanischen Indianer auftauchten, waren die Riesentiere Amerikas wie Australiens und Ozeaniens verschwunden. In Amerika gab es keine fleischfressenden Säugetierarten, die mit den Löwen und Tigern der Alten Welt, und keine Pflanzenfresser, die mit Elefanten, Nashörnern oder Flußpferden vergleichbar gewesen wären. Darauf hat im 8. Jahrhundert schon der französische Naturforscher Comte de Buffon hingewiesen, dem auch der Tapir, als der größte Vierfüßler Südamerikas, nicht imponieren konnte, weil er nicht größer sei als ein sechs Monate altes Kalb oder ein besonders kleines Maultier (vgl.: Was America a Mistake? An 8th Century Controversy 967: 53). Patriotische Amerikaner könnten zwar stolz auf ihren Kondor als größte noch existierende Vogelart verweisen, aber das ändert nichts daran, daß die Fauna der Neuen Welt in geschichtlicher Zeit weniger Vierfüßlerarten zu bieten hatte als die Alte Welt. Die Amerikaner können das freilich kompensieren, indem sie auf Australien und Neuseeland herabblicken, die noch weniger Vierfüßler vorweisen können. In dem Jahrtausend um das Ende der Eiszeit sind insgesamt und allgemein so viele Arten großer Landtiere von der Erde verschwunden wie in keiner ähnlich kurzen Zeitspanne während der Jahrmillionen davor. Und nirgends waren die Verluste größer als in Nord- und Südamerika und in Australien. Diese Aussterbewelle erreichte ein paar tausend Jahre später auch die letzten großen, noch 372
nicht von Menschen besiedelten Inseln, also Neuseeland und Madagaskar, wo die Verluste – an der ursprünglichen Artenvielfalt gemessen – mindestens ebenso groß waren (Martin 984: 358). Als dann die marinheiros anrückten, boten die Fluren und Wälder dieser artenverarmten Landmassen und Inseln den eingeschleppten Tierarten die günstigsten Bedingungen, die sie auf der ganzen Welt finden konnten. Wären diese Gebiete damals so dicht mit Herden von Weidetieren und Rudeln von Fleischfressern besetzt gewesen wie zu der Zeit, als sie von den ersten Menschen betreten wurden – oder auch nur so dicht wie in Südafrika Mitte des 7. Jahrhunderts, als sich dort die ersten Holländer ansiedelten – hätten der Siegeszug und die Ausbreitung des domestizierten oder halbwilden Viehs der Europäer viel mehr Zeit und auch ein erheblich aktiveres Eingreifen der Menschen erfordert. Und auch die Erfolge der europäischen Menschen, die noch bis in die jüngste Zeit auf ihren Pferden, Rindern, Schafen und dem ganzen übrigen Viehzeug beruhten, wären niemals so schnell eingetreten. Vielleicht wären sie auch ebenso mühselig und unvollständig geblieben wie das Bestreben der Europäer, sich in Südafrika niederzulassen. Dort mußte sich das Vieh die Grasflächen mit einigen der größten und gefährlichsten noch existierenden Tierarten teilen und war mehr Parasiten und Krankheitserregern ausgesetzt, die mit und auf den einheimischen wilden Tierarten lebten, als in sämtlichen neo-europäischen Gebieten. 50 Jahre nach Einführung der ersten Pferde 373
in Südafrika hatte sich deren Gesamtbestand auf ganze 900 Exemplare vergrößert; in der Pampa wirbelten nach der gleichen Zeitspanne solche Massen von Pferden über die Grassteppe, daß sie zahlenmäßig nicht mehr erfaßt werden konnten (Child 967: 5, 0, 4 f., 92 f.; Henning 956: 78 ff., 785–79). Will man herausfinden, wie die neo-europäischen Gebiete neo-europäisch geworden sind, ist die Frage von erheblicher Bedeutung, in welchen Zeiträumen und mit welchen Mitteln die Riesentiere ausgerottet worden sind. Eine Schule von Naturhistorikern, insbesondere aber Paul S. Martin, hat eine Ausrottungstheorie entwickelt, die unter Paläontologen, Archäologen und anderen wissenschaftlichen Spezialisten zu einer großen Kontroverse geführt hat. Sollte diese Theorie stimmen, würde sie einiges Licht in die dunkle Vorgeschichte der neo-europäischen Gebiete bringen. Martin bezieht sich auf umfangreiche Indizien für ein zeitliches Zusammentreffen zwischen dem Auftauchen der ersten menschlichen Großtierjäger und dem Aussterben der Riesentierarten, deren Fleischberge für die Jäger ja recht attraktiv sein mußten. Wo nun Menschen über viele Jahrtausende mit solchen Riesentierarten zusammengelebt hatten – wie eben in der Alten Welt –, hatten die Tiere gelernt, sich vor den Jägern in Acht zu nehmen. Deshalb konnten viele der großen Tiere bis in jüngere Zeiten oder sogar bis heute recht gut überleben: die Elefanten und Löwen in Afrika und die Elefanten, Tiger, Wildpferde und Kamele in Asien. Wo die 374
großen Tiere diesen Vorteil, sich über Hunderttausende von Jahren auf die Anwesenheit der Menschen einstellen zu können, nicht gehabt hatten – wie in Amerika, Australien und Neuseeland – waren die Jäger in der Lage, sie in so großen Mengen abzuschlachten, daß die meisten Arten schließlich fast vollständig ausgelöscht wurden (Martin 984: 358). Die Theorie hat in manchen Kreisen höchstes Befremden ausgelöst. Wie hätten die steinzeitlichen Jäger ganze Arten, ja ganze Gattungen dieser angeblich doch so gefährlichen Tiere ausrotten können? Die Gegentheorien freilich, die von einer umfassenden Klimaveränderung ausgehen (längere Winter, trockenere Sommer und anderes mehr) scheinen noch unbefriedigender zu sein: Eine solche Klimaveränderung hat es nicht gegeben, zumindest nicht in allen fraglichen Weltregionen und in den diversen und unterschiedlichen Zeitabschnitten, da den verschiedenen Regionen ihre Riesentiere abhanden gekommen sind. Und warum sollte ein solcher Klimawandel nur die großenTiere ausrotten, nicht aber die kleinen? Vielleicht weil die kleinen Tiere weniger Nahrung brauchten und deshalb magere Zeiten besser überleben konnten als die großen? Vielleicht – aber die deus ex climatica-Theorie hat, nach unserem heutigen Wissensstand, weniger Beweismaterial zu bieten als die Overkill-Theorie. Vielleicht aber sind mit den Jägern und den anderen Lebewesen, die gleichzeitig und auf demselben Wege wie diese ankamen, auch tödliche Parasiten 375
und Krankheitserreger, die es vorher nur in der Alten Welt gegeben hatte, nach Amerika, Australien und Neuseeland vorgedrungen. Aber warum sollten die nur für große und nicht auch für kleine Tiere tödlich gewesen sein? Und so sind wir wieder bei den Jägern angelangt, die für das Verschwinden der Riesentiere nach wie vor die beste Erklärung darstellen. Die großen Fleischfresser könnten natürlich auch ausgestorben sein, ohne daß die Jäger sie direkt angegriffen hätten. Wenn ihre Beutetiere, die großen Pflanzenfresserarten, verschwunden wären, wären sie nämlich gleichsam von selbst ausgestorben. Archäologische Funde wie Pfeilund Speerspitzen unmittelbar neben Mammutknochen beweisen eindeutig, daß die Menschen solche großen Pflanzenfresser gejagt haben. Überzeugende Beweise gibt es auch dafür, daß die Menschen in Madagaskar und Neuseeland kurz nach 000 n.Chr. diverse Spezies sehr großer Tiere unter Einsatz von Feuer vernichtet haben. Auf diese Weise verwandelten etwa die Maori die Osthälfte der neuseeländischen Südinsel in Grasland, in dem die Moas (die flugunfähigen Riesenvögel Neuseelands) nicht mehr überleben konnten (Dewar 984: 574–593; Anderson 984: 728–740). Die »Dummheit« von Tieren, die keine Angriffe durch den Menschen gewohnt waren, muß bei alledem eine wichtige Rolle gespielt haben. Einer Gefahr auszuweichen lernen Tiere großenteils nicht durch individuelle Erfahrung, sondern mittels vererbter Verhaltensweisen, wobei 376
es Generationen dauern kann, bis die Informationen über die neuen Gefahren im Gensatz festgeschrieben sind. Die neuen Feinde waren viel kleiner als alle Lebewesen, die bei den Tieren vorher Angstgefühle ausgelöst haben könnten. Darüber hinaus ähnelten die Menschen für die Riesentiere in Amerika wie in Australien und Neuseeland wohl keiner Kreatur, die sie bis dahin erblickt hatten. Zum Schutz gegen die Angriffe der Menschen hatten diese großen Landtiere so wenige Abwehrmittel zur Verfügung wie in viel jüngeren Zeiten etwa die Wale. Die Hochseefahrer, die in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in den europäischen und neo-europäischen Gewässern Walfang betrieben, konnten ihre Boote und Schiffe nur mit Hilfe des Windes und ihrer Muskelkräfte voranbewegen, und ihre wirksamste Waffe war die Handharpune. Doch mit diesen beschränkten Mitteln waren sie imstande, bestimmte Walarten im Atlantik und im Pazifik bis auf ganz wenige Reste auszurotten. Diese gewaltigen, kraftvollen und intelligenten Tiere besaßen zwar alle physischen Voraussetzungen, um sich ihren Jägern durch Flucht oder Angriff zu widersetzen, aber sie wußten einfach nicht, daß und wie sie das tun sollten (Marsh 965: 99 f.; Graham 956, II: 49 f.). Die große Ausnahme war Moby Dick, den man keineswegs als bösartig ansehen sollte, sondern viel eher als ein außergewöhnlich schnell lernendes Exemplar seiner Spezies. Nichts spricht dagegen, die Geschichte von den Walen und den Walfängern analog auf den Zusammenstoß 377
der Riesentiere Amerikas und Australiens mit den eingedrungenen Jägern zu übertragen. Wenn die gigantischen Landtiere, die ja nicht in die Weiten und Tiefen der Ozeane entweichen konnten, tatsächlich von Jägern ausgerottet wurden, läßt sich damit weitgehend erklären, warum die aus der Alten Welt importierten halbwilden Vieharten sich während der vergangenen Jahrhunderte in den neo-europäischen Gebieten so erfolgreich etablieren konnten. Es wäre zugleich eine Erklärung für die mysteriösen leeren Ökonischen Australiens, in denen sich die Invasoren seit 788 so rasch einnisten konnten. In Australien gab es vor der Ausbreitung von Ziegen, Kamelen und ähnlichen Tieren mit unersättlichen Mäulern und unempfindlichen Mägen keine großen Weidetiere, die sich vorwiegend von Sträuchern und Buschwerk ernährt hätten. Heute tummeln sie sich bereits zu Tausenden. Im Busch sind die Ziegen mittlerweile weit verbreitet, und noch Mitte unseres Jahrhunderts gab es in Australien die weltweit größte Population wilder Kamele in der Größenordnung von fünfzehn- bis dreißigtausend Exemplaren (Fox/Adamson 979: 36, 42 f.; Price 972: 06). Die Theorie von Paul S. Martin wirft auch ein neues Licht auf die Geschichte der Pampa, wo sich die halbwilden Herdentiere aus Europa am spektakulärsten vermehrt haben. Die Pampa liegt hundert Breitengrade von der Bering-Straße entfernt, über die vermutlich die ersten Menschen nach Amerika herübergewandert waren. Wir dürfen also annehmen, daß die Pampa eines der 378
letzten von den Jägern erschlossenen Gebiete war, daß also das Ökosystem der Pampa später aus dem Gleichgewicht geraten ist als das restliche Amerika. Als dann im 6. Jahrhundert die marinheiros mit ihrem Gefolge von Viehzeug aus der Alten Welt eintrafen, klafften in diesem Ökosystem noch beträchtliche Lücken – was die erstaunliche Ausbreitung der Rinder und Pferde in den darauffolgenden Jahrzehnten erklären kann. Selbst die sanften Schafe überlebten in der Pampa – auch ohne den Menschen – zu Tausenden (Gibson 893: 0, 2 f.). Auch das wichtigste Raubtier der Pampa entstammte dem biologischen Musterkoffer der Europäer. Die halbwilden Viehherden hätten in ihrem Wachstum eigentlich durch die einheimischen Fleischfresser eingedämmt werden müssen, aber die schafften das offensichtlich nicht. Vielleicht hatten sie sich noch nicht von der Wirkung der ersten menschlichen Einwanderungswelle erholt, die auf dem Landweg von Norden her vorgerückt war. Was immer die Gründe waren – jedenfalls hat das Herdenvieh aus der Alten Welt die heimischen Fleischfresser schlicht überrollt. Die Populationen von Pferden und Rindern beliefen sich am Ende auf viele Millionen Exemplare und wären noch weiter angewachsen, wenn sich nicht die Regel bewahrheitet hätte, daß ein leicht gefundenes Fressen letztlich auch neue Fresser hervorbringt. Zu den wichtigsten Räubern der Pampa wurden spätestens mit der Mitte des 8. Jahrhunderts, höchstwahrscheinlich aber schon lange vorher, die streunenden und verwilderten 379
Hunde aus der Alten Welt, die mit den Verhaltensweisen der Menschen und der Weidetiere vertraut waren. Diese Hunde lebten wie ihre entfernteren Vorfahren in Rudeln und ernährten sich von Aas, von halbwilden Schweinen und allen sonstigen Tieren, die sie reißen konnten. Im Vergleich mit den Löwen, Leoparden und Wölfen Eurasiens und Nordamerikas waren sie zwar keine besonders imposanten Räuber, doch traten sie in solchen Massen auf, daß die Siedler alljährlich eine Jagd ansetzen mußten, um sie etwas zu verringern.* Um das Jahr 500 war das Ökosystem der Pampa zerschlissen und beschädigt wie ein Riesenspielzeug, das von einem unbedenklichen Riesenbaby übermäßig strapaziert wurde. Dann aber kamen die Iberer und setzten es – oft allerdings, ohne sich darüber im klaren zu sein – wieder zusammen, indem sie fehlende oder defekte alte Teile durch neue ersetzten, und wurden so bis zum 9. Jahrhundert zu den beherrschenden Lebewesen der Pampa. Ganz anders lagen die Dinge in den nordamerikanischen Ebenen. Hier mußten die Europäer ein bestehendes Ökosystem auseinandernehmen, bevor sie ein neues, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes System aufbauen konnten. Auf diesen Steppen dominierten noch drei Jahrhunderte nach Ankunft der ersten Weißen die Millionenherden amerikanischer Bisons, obwohl die importierten * Gillespie 88: 20, 36; Labrador 936: 68 f., 204; Walter 974: 63; Schiaffino 927–952, III: 6 f.
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Vierbeiner Möglichkeiten gehabt hätten, sich ähnlich wie in der Pampa durchzusetzen. Im 8. und 9. Jahrhundert gab es im Süden von Texas halbwilde Rinder en masse, und als die texanischen Rancher nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges auf die Expansion der städtischen Märkte im Norden reagierten und ihre »Longhorns« nach Norden trieben, kamen diese auch in der neuen Umgebung sehr gut zurecht. Sie waren aber außerstande, sich in den zentralen und nördlichen Sektoren der Great Plains weiterhin selbständig zu versorgen und zu vermehren. Auch wilde Pferde drangen von Mexiko und Kanada aus in die zentrale Ebene vor, verbreiteten sich aber nie so massenhaft wie in der Pampa. Das Tempo ihres Vormarsches wurde wahrscheinlich mehr von den indianischen Pferdehändlern und Pferdedieben diktiert als vom natürlichen Wanderdrang der Tiere selbst. Vor dem Eintreffen der ersten Menschen war Nordamerika über viele Jahrtausende hinweg von Büffelarten bevölkert gewesen, die größer als alle heute noch lebenden Arten waren; ihr Aussterben fällt in dieselbe Periode wie das der Mammuts, Pferde und Kamele. Dagegen hat der Bison überlebt, ohne daß wir die genauen Gründe kennen. Vielleicht war er beweglicher oder intelligenter als die anderen, vielleicht hat er die Bedrohung durch die neu aufgetauchten Zweibeiner ernster genommen oder sich schneller reproduziert. Die Tatsache, daß der Bison in Nordamerika noch in jüngerer Zeit vertreten war – und mit ihm weitere mittlere Großtierarten wie der Elch, der 381
Wapitihirsch, der Moschusochse und der Grizzlybär –, gibt Anlaß zu Spekulationen. Solche großen Tiere haben weder in Südamerika noch in Australien und Neuseeland überlebt. Björn Kurten hat darauf hingewiesen, daß die meisten großen Vierfüßler Nordamerikas europäischen Ursprungs sind. Sie hätten überlebt, weil sie sich in ihrem Verhalten schon seit langem darauf eingestellt hätten, von den Menschen gejagt zu werden (Kurten 97: 22). Solche gewitzten Tiere wie den Bison mußten die Europäer zuerst beseitigen, bevor sie und ihr Vieh und ihre Pflanzen in der Lebensumwelt der nordamerikanischen Grasebenen ihre heutigen Positionen beziehen konnten. Wir können die Theorie von Paul S. Martin hier weder beweisen noch widerlegen. Sie bietet aber eine Erklärung für viele rätselhafte Erscheinungen der neo-europäischen Gebiete, die sonst im Dunkel blieben. Diese Theorie stellt im übrigen auf intellektuell herausfordernde Weise eine neue Beziehung zwischen den Indianern, Aborigines und Maori einerseits und den europäischen Invasoren andererseits her: Sie stehen sich nun nicht mehr stereotyp als »die passiven Eingeborenen« und »die aktiven Weißen« gegenüber, vielmehr müssen wir von zwei Wellen von Eindringlingen derselben Spezies ausgehen – die erste Welle bereitete als Stoßtrupp den Weg für die zweite Welle, die kompliziertere ökonomische Strukturen und größere Menschenmassen mit sich brachte. Nachdem wir nun untersucht haben, welche Einflüsse die neo-europäischen Gebiete in den Jahrtausenden vor 382
dem Aufbruch der marinheiros geprägt haben, wollen wir uns den letzten 500 Jahren zuwenden und uns damit wieder auf sichereren Boden begeben. Die Neuankömmlinge aus der Alten Welt genossen denselben Vorteil wie die ersten Menschen, die einstmals mit ihrem Troß aus Eurasien in die neue Welt herübergewandert waren: Sie betraten jungfräuliches Gelände und konnte auf dem Wege dorthin, wenn sie Glück hatten, eine Menge Feinde zurücklassen. Denn in der Alten Welt und besonders in den dicht besiedelten Kulturregionen hatten sich viele Organismen unter Ausnutzung ihrer engen Nachbarschaft zu den Menschen und ihren Pflanzen und Tieren zu Parasiten und Krankheitserregern entwickelt. Diese Schmarotzernaturen schafften die Auswanderung in die neo-europäischen Gebiete häufig erst viel später als die Menschen und die von den Menschen bewußt mitgenommenen Lebewesen. Die Europäer brachten zum Beispiel den Weizen nach Nordamerika, wo schon im 8. Jahrhundert am Delaware River der erste Weizengürtel entstand, weil diese Getreideart mangels natürlicher Feinde ganz vorzüglich gedieh. Als dann jedoch die Hessenfliege in Amerika auftauchte (was ungerechtfertigterweise den Söldnern des britischen Königs George III. angelastet wurde, die das Insekt angeblich in ihren Strohlagern über den Atlantik geschleppt haben sollen), waren die Farmer im Delaware-Tal gezwungen, sich ein anderes Hauptanbauprodukt auszusuchen. Die mayetiola destructor – deren Name bereits auf ihre ökonomische 383
Bedeutung verweist – ist später auch nach Neuseeland gelangt, in Australien und in der Pampa aber bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht aufgetaucht oder wenigstens nicht auffällig in Erscheinung getreten.* Auch die Erreger von Viehkrankheiten sind ihren gewohnten Wirtstieren teilweise mit Verspätung über den Ozean nachgereist. Die Tollwut, die in der Alten Welt bei Katzen, Fledermäusen und wild lebenden Nagetieren vorkam, hat Nord- und Südamerika offenbar erst nach 750 erreicht und konnte sich in Australien und Ozeanien niemals einbürgern.** Im 8. Jahrhundert brach in Westeuropa die Rinderpest aus und tötete riesige Viehbestände, im späten 9. Jahrhundert erreichte sie das südliche und östliche Afrika, wo sie Millionen domestizierter und wilder Huftiere niedermähte; in der Neuen Welt, in Australien und Neuseeland hat die Rinderpest dagegen nie dauerhaft Fuß fassen können (Smithcors 957: 232–235; The Merck Veterinary Manual 973: 263; Kjekshus 977: 26–32). Die Maul- und Klauenseuche, für die Mehrzahl der führenden Viehzucht-Gesellschaften eine ständig wiederkehrende Bedrohung, ist in den neo-europäischen Gebieten zwar mehrfach aufgetreten, aber sowohl in Nordamerika als auch in Australien und Neuseeland immer wieder ausgerottet worden. In * Richards/Davies 977, II: 995; Bidwell/Falconer 925: 93, 95 f.; Jones 974: 523 ** The Merck Veterinary Manual 973: 232; Henschen 966: 4; Darwin 962: 354 f.; Koprowski 97: 70 f.
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Südamerika hat sie sich einige Jahrhunderte nach der Einführung der ersten Viehexemplare aus der Alten Welt festgesetzt (Animal Diseases, Yearbook of Agriculture 956: 86; Machado 969, XI, XIII: 3, 5 f., 0). Der Artikel »Animal Diseases« (Tierkrankheiten) in der 5. Auflage der Encyclopaedia Britannica enthält eine Aufstellung jener Tierkrankheiten, die gewöhnlich auf bestimmte Weltregionen beschränkt sind. Nur zwei der aufgeführten dreizehn wichtigen Infektionskrankheiten sind in den neo-europäischen Gebieten etabliert: die ansteckende Lungen- und Brustseuche in Australien und die Maulund Klauenseuche im südlichen Lateinamerika. Durch Quarantänevorschriften, Desinfektionsmaßnahmen, allgemeine Wachsamkeit und im extremen Fall auch durch Notschlachtungen kranker oder krankheitsverdächtiger Tiere haben es die Neo-Europäer geschafft, ihren Vorteil gegenüber den Viehzüchtern der zentralen Kontinentaltafeln der Pangäa bis heute aufrechtzuerhalten (Encyclopaedia Britannica, Macropaedia, 982, V: 879). Was ihre eigenen Krankheiten anlangt, so waren die Neo-Europäer über lange Zeit fast ebenso deutlich privilegiert, obwohl sich mehr Kolonisten übers Meer begaben als mitreisende Tiere und obwohl alle oben aufgezählten Methoden gegen die Ausbreitung ihrer eigenen Krankheitserreger nichts ausrichten konnten. Immer wieder haben die europäischen Eindringlinge – ob sie im 5. Jahrhundert auf den Kanarischen Inseln oder im 9. Jahrhundert in Neuseeland landeten – die 385
gesunden Lebensbedingungen ihrer neuen Heimat hervorgehoben und begeistert berichtet, daß sie weder alte noch neue ansteckende Krankheiten angetroffen hätten. Die Umgebung von Buenos Aires hatte (wie der Name sagt) ein gutes Klima, und im 6. Jahrhundert sollen ihre spanischen Bewohner nach dem Zeugnis des Juan Lopez de Velasco ein gesundes und bis zu 90 oder 00 Jahre währendes Leben geführt haben (de Velasco 894: 28). Der Jesuitenpater Bressani berichtete 653 aus der Kolonie Neufrankreich, daß seit sechzehn Jahren keiner der Europäer, die mit der Missionsarbeit unter den Huronen zu tun hatten, an einer Krankheit gestorben war, »während in Europa kaum je ein Jahr vergeht, in dem nicht einige Menschen in unseren Kollegien sterben, wenn diese allzu viele Bewohner beherbergen« (The Jesuit Relations and Allied Documents 896–90, XXXVIII: 225). Die ersten Yankees empfahlen Neuengland geradezu als Kurort, weil »ein kleiner Schluck neuenglischer Luft besser ist als ein tiefer Zug altenglischen Bieres«. In Andover in Massachusetts erreichte die erste Siedlergeneration ein Durchschnittsalter von 7,8 Jahren – für die damalige Zeit eine beeindruckende Zahl (The Founding of Massachusetts 964: 44 f.; Bailyn u. a. 977: 88). 790 notierte der Gouverneur im australischen New South Wales: »Ein schöneres und gesünderes Klima ist auf der ganzen Welt nirgendwo zu finden«. Von den 030 Menschen, die 788 mit ihm angekommen waren – wobei jeder zweite ein Sträfling war, viele an Skorbut litten und den allgemein 386
schlecht ernährten ärmeren Klassen Großbritanniens entstammten – waren zwei Jahre danach nur 27 verstorben. Nach den ärztlichen Befunden konnte man außerdem annehmen, »daß 26 von ihnen langwierigen Erkrankungen erlagen, die sie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in England schon früher hinweggerafft hätten« (Historical Records of Australia 94–925, Ser. I, I: 44). Neuseeland schließlich wurde von den ersten Siedlern zum gesündesten Land der ganzen Welt erklärt, was sich im übrigen durch Statistiken belegen läßt: 859 betrug die Sterberate bei Infanteriesoldaten im Vereinigten Königreich 6,8, in Neuseeland hingegen nur 5,3 pro tausend. Und von 0 000 männlichen lebenden Neugeborenen überlebten im Jahr 898 9033 das erste Jahr, in New South Wales und Victoria 8672 und in England nur 844 (Thomson 859, II: 32; Adams 898: 66). In solchen Zahlen spiegelten sich zweifellos die bessere Ernährung und der langsam ansteigende Lebensstandard in den neuen Kolonien. Eine wichtige Rolle spielte aber auch, daß die Krankheitserreger der Alten Welt lange brauchten, um den Menschen nach Übersee zu folgen, und noch viel länger, um in den neuen Gebieten Fuß zu fassen. So konnte sich der Pockenvirus in Australien und Neuseeland nie und in der Pampa und in Nordamerika erst nach dem Ende der Kolonialära dauerhaft etablieren. Vorher gab es einfach nicht genügend Menschen, um die Infektion endemisch werden zu lassen. Die Pockenepidemien versetzten zwar jede Generation 387
von Neo-Europäern mindestens ein Mal in Angst und Schrecken, aber höchstwahrscheinlich war der betroffene Bevölkerungsanteil kleiner als in Europa. Die Malariaerreger naturalisierten sich in Nordamerika erst in den 80er Jahren des 7. Jahrhunderts; wann sie den Süden Lateinamerikas erreichten, ist unklar. In Australien und Neuseeland konnten sie sich nie auf Dauer einnisten, obwohl das Klima in bestimmten Teilen Nordaustraliens für Mosquitos nahezu ideal ist (Duffy 953: 2 f., 04, 08; Childs 940:46 f., 202). Die Bedeutung der Frage, ob und wann eine bestimmte Krankheit in einer bestimmten Kolonie aufgetaucht ist, sollte nicht überbewertet werden. Wichtiger ist der Ausbreitungsgrad der Pathogene – sozusagen die Dichte des Krankheitsumfeldes –, und in dieser Hinsicht war die Infektionsgefährdung in den neo-europäischen Gebieten bis lange Zeit nach dem Eintreffen der Menschen aus der Alten Welt geringer als in deren Herkunftsländern. Ein Vergleich mag das veranschaulichen: Sowohl in Denver/ Colorado als auch im irischen Dublin gibt es Iren, nur wird man in Denver zehn Querstraßen weit gehen können, ohne einen von ihnen zu treffen, in Dublin hingegen nicht einmal zehn Schritte. Die Europäer waren Seuchen von Geburt an gewöhnt: von der Grippe bis zur Pest waren sie ihre ständigen Begleiter und haben ihnen immer wieder Unheil gebracht und ökonomische Krisen, Hungersnöte und Kriege zusätzlich verschärft (Flinn 98: 47). Indem Tausende 388
dieser Europäer die Nahtlinien der Pangäa überquerten, konnten sie ihre mikroskopisch kleinen Peiniger vorübergehend loswerden. Dieser Vorteil hatte aber seinen Preis: Wenn sie auch nur für eine Generation den Kontakt mit der heimatlichen Fauna und Flora verloren hatten, war ihre gesundheitliche Anfälligkeit schon bedeutend erhöht. So wuchs etwa ein in den britischen Kolonien Nordamerikas geborener Neo-Europäer in einer Umgebung auf, in der die Pocken nicht endemisch (d. h. chronisch), sondern eher epidemisch auftraten, und erreichte das Erwachsenenalter meistens, ohne der tödlichen Seuche ausgesetzt gewesen zu sein. Die Sprößlinge aus den besseren Familien der Neuengland-Kolonien, die nach Oxford und Cambridge geschickt wurden, um dort einen gewissen Schliff zu erhalten, konnten sich leicht mit der gefährlichen und gefürchteten Krankheit anstecken, bevor sie sich an ihre englische Umgebung gewöhnt hatten (William and Mary Quarterly, Ser. II, 0: 326). Diese Gefährdung war auch ein Handicap für die Anglikanische Kirche in den Kolonien: Geistliche konnten nur von einem Bischof ordiniert werden, und alle Bischöfe residierten auf den Britischen Inseln. Wer sich also zum Diener Gottes im Dienste der Anglikanischen Kirche berufen fühlte, mußte die lange und teure Reise nach England antreten und als Lohn für die Strapazen auch noch das Risiko einer Pockeninfektion auf sich nehmen. Die protestantischen Dissidentensekten hatten so von Anfang an einen Vörsprung gegenüber der 389
englischen Hochkirche, weil sie ihre Prediger auf der seuchensicheren Seite des Atlantik ordinieren konnten (Boorstin 958: 26). Wenn aber schon ein oder zwei Generationen Abstinenz von diesen Krankheitserregern eine solche Anfälligkeit entstehen ließ, welche Folgen müssen dann zehn- oder zwanzig- oder dreißigtausend Jahre geographischer Isolation haben? Die Eingeborenen Nordund Südamerikas, Australiens und Neuseelands waren dem Ansturm der von den Europäern eingeschleppten Krankheitserreger schutzlos ausgeliefert. Die amerikanischen Indianer, die Aborigines und die Maori hatten viele alte Krankheitserreger, die noch ihre Vorfahren geplagt hatten, in der alten Heimat zurückgelassen, und in der neuen hatten sie nur wenige neue Pathogene vorgefunden. Als geographische Vorhut der Menschheit befanden sie sich jenseits der Nahtlinien der Pangäa in Sicherheit, als die im Gefolge der Neolithischen Revolution entstandenen Bevölkerungszentren der Alten Welt neue tödliche Krankheitserreger ausbrüteten. Solche dicht besiedelten Zentren hatten weder die Aborigines noch die Maori jemals errichtet, und große Herden domestizierter Tiere, mit denen sie neue Arten von Krankheitserregern ausgetauscht oder durch Kreuzung erst erzeugt hätten, kannten sie auch nicht. Die amerikanischen Indianer bauten zwar Städte, aber doch viel später als die Völker im Nahen Osten, während sie Herden domestizierter Tiere (mit der einzigen Ausnahme des Inkareiches) überhaupt nicht 390
kannten. Bezüglich der Ausbildung pathogener Kulturen lagen die Indianer Amerikas gegenüber den Europäern wahrscheinlich ebenso weit im Rückstand wie auf dem Gebiet der Metallurgie (Stewart 960: 257–279; Cockburn 963: 20–03; Fenner 970: 48–76). Diese Eingeborenenvölker bekamen die Rechnung für ihr jahrtausendelanges gesundes Leben auf einen Schlag präsentiert: Gegen die meisten Krankheitserreger, die ihnen die Völker der Alten Welt ins Land schleppten, waren sie so ungeschützt wie neugeborene Kinder, anfälliger noch als die behüteten Babies der Alten Welt, deren Vorfahren ja viele Generationen lang mit diesen Infektionen gelebt hatten. Dabei wurden über Jahrtausende hinweg die schwächsten und anfälligsten Menschen hinweggerafft und dem genetischen Gesamtpool entzogen. Doch an den Völkern in Nord- und Südamerika, in Australien und Ozeanien, die ja mindestens ebenso isoliert gelebt hatten wie die Guanchen, hatten sich die Krankheitserreger der Alten Welt noch gar nicht versuchen können. Zudem sind diese Völker gleichsam hämatologisch stigmatisiert durch ihre jahrtausendelange Trennung von Eurasien und Afrika und damit vom Hauptteil der menschlichen Gattung: Nur wenige von ihnen sind Träger der Blutgruppe B (bei den Indianern ist die Blutgruppe 0 fast zu 00 Prozent vertreten). Die Indianer, die Aborigines und die Bewohner Ozeaniens waren isoliert. Von Europäern, Asiaten und Afrikanern unterschieden sie sich bereits seit Jahrtausenden, viel391
leicht auch hinsichtlich der Fähigkeiten ihrer Immunsysteme (Mourant u. a. 976: Karte 2, Karte 6; Mercer 980: 57). Das ist allerdings reine Spekulation. Wir brauchen aber gar nicht die Genetik zu bemühen, um zu erklären, warum sich die importierten Krankheitserreger unter den Eingeborenen der neo-europäischen Gebiete so leicht ausbreiten konnten. Mit den Epidemien ist es wie mit dem Feuer und dem Wald: Hat es lange keinen Waldbrand mehr gegeben, entwickelt sich aus dem ersten, der wieder ausbricht, eine Feuersbrunst oder ein Flächenbrand. Bei jedem Volk dieser Erde, das zum ersten Mal von einem Pockenvirus heimgesucht wird, bewegen sich die Infektionsraten gegen 00 Prozent, und die Sterberaten klettern auf 25, 35 oder noch mehr Prozent und können auch mit modernen medizinischen Hilfsmitteln nur wenig gesenkt werden. Vielmehr werden diese Raten womöglich noch durch die Anwendung unangemessener volkstümlicher Heilmittel und die panischen Reaktionen der Menschen, die zum ersten Mal eine solche Seuchenplage erleben, in die Höhe getrieben. 972 schleppte ein aus Mekka zurückkehrender Pilger die Pocken nach Jugoslawien ein, wo die Krankheit seit 42 Jahren nicht mehr vorgekommen war. Bevor die Epidemie durch staatliche Gesundheitsmaßnahmen eingedämmt werden konnte, hatten sich 74 Jugoslawen angesteckt, von denen 35 starben (Hopkins 983: 98). Wenn eine Gesellschaft auf dem medizinisch-wissenschaftlichen Entwicklungsniveau des modernen Jugoslawien nicht 392
mehr auszurichten vermochte, als die Sterberate auf ein Fünftel der Infizierten zu drücken, können Berichte, wonach ähnliche Krankheitserreger unter den Aborigines von Sydney oder den Algonkins von Massachusetts oder den Guarani vom Rio de la Plata jedes dritte oder jedes zweite ihrer Opfer umbrachten, keineswegs überraschen. Die einzig wirkungsvolle Methode, sich gegen die wichtigsten übertragbaren Pathogene zur Wehr zu setzen, ist der Versuch, durch direkten Kontakt mit dem Erreger Immunität aufzubauen – was nur gelingen kann, wenn man die erste Infektion überlebt. Die Methode funktioniert auf zweierlei Weise: Man kann sich mit einem abgetöteten oder in seiner Virulenz reduzierten Virus impfen lassen oder mit einer eng verwandten, aber schwächer wirkenden Viruskultur; oder man kann die Krankheit ganz einfach bekommen, und zwar vorzugsweise im Kindesalter, solange man bessere Chancen hat, sie zu überleben. Die erste Methode ist, als allgemeine Schutzimpfung, seit etwa hundert Jahren in den entwickelten Gesellschaften üblich. Die zweite Methode kennen wir in den meisten menschlichen Gesellschaften, seit es historische Quellen darüber gibt. Eine absolute Quarantäne, das heißt permanente Isolation, dürfte nur eine kurzfristig überzeugende Antwort auf eine drohende Epidemie sein. Sie mag zwar die Individuen retten, reißt jedoch letzten Endes die ganze Gruppe ins Verderben, weil die Isolation nie dauerhaft durchzuhalten ist. Während des 393
sogenannten Kastenkrieges in Yucatan, der Mitte des 9. Jahrhunderts begann, zogen sich die Maya-Indianer der Cruzob, die das »Sprechende Kreuz« verehrten, völlig zurück und brachen alle Kontakte zur Außenwelt ab. Der Rückzug war nicht primär als Schutz vor den Pocken gedacht, hatte aber dennoch diesen Effekt. Erst 95 nahmen ihre Führer wieder Verhandlungen mit den Mexikanern auf – und steckten sich auf der Stelle mit den Pocken an. Die Folge war eine virgin soil-Epidemie, wie wir sie aus dem 6. Jahrhundert kennen, und die Dezimierung der Cruzob von 8000 bis 0 000 auf etwa 5000 Seelen (Reed 964: 250 f.; Bricker 98: 7). Einer der wichtigsten Erklärungsfaktoren für die Erfolge der biologischen Musterkoffer-Kollektion ist so schlicht, daß man ihn leicht übersieht: Die einzelnen Exemplare aus dieser Kollektion funktionieren nicht isoliert, sondern im Zusammenwirken, sozusagen als Team. Zwar konnte es auch vorkommen, daß sie gegeneinander arbeiteten, wie im Fall der Delaware-Farmer und der Hessenfliege. Aber viel häufiger leisteten sie sich gegenseitig Beistand, zumindest auf längere Sicht. Manchmal ist dieses Gegenseitigkeitsprinzip ganz offensichtlich, zum Beispiel wenn die Europäer ihre Honigbienen mitbringen, die ihre Nutzpflanzen bestäuben helfen. Manchmal ist das Zusammenwirken aber auch weniger deutlich: Auf den Great Plains rotteten die Weißen und ihre Söldlinge fast sämtliche Bisons aus und trugen damit zugleich zur Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten bei, von denen 394
einige mit Sicherheit Importe waren. Ein Arzt, der sich Ende des 9. Jahrhunderts in Fort Peck um die SiouxIndianer kümmerte, sah die Tragödie der venerischen Epidemie unter den Indianerfrauen nicht einfach als Folge verderbter Sitten, sondern als Ergebnis eines allgemeineren Wandels: »Bis zum Verschwinden des Büffels sind diese Frauen keusch gewesen.« (Holder 892: 55) Ein deutliches Beispiel, wie der biologische Musterkoffer nach genossenschaftlichen Prinzipien funktionierte, bietet die Geschichte der Futtergräser. Diese Unkrautarten (zur Erinnerung: Ein Unkraut ist nicht immer eine hassenswerte, aber in jedem Fall eine opportunistische Pflanze) waren für die Ausbreitung der europäischen Viehherden und insofern auch der Europäer selbst von entscheidender Bedeutung. Insgesamt gibt es 0 000 verschiedene Grasarten, aber ganze 40 von ihnen machen 99 Prozent des Grasweidelandes der ganzen Welt aus. Und von diesen 40 Arten stammen nur wenige aus den großen Graslandregionen außerhalb der Alten Welt. Dagegen sind 24 dieser 40 Arten offenbar schon seit sehr langer Zeit in einem Gebiet heimisch, das Europa (ohne Skandinavien), Nordafrika und den Nahen Osten umfaßt (Hartley/Williams 956: 90 ff.). Unsere wichtigsten Futtergräser stammen also aus dem Bereich der Erde, in dem auch die meisten unserer Vieharten ursprünglich domestiziert worden sind, die sich daher seit den ersten Jahrtausenden des Neolithikums von diesen Grasarten ernähren. Die wechselseitige 395
Anpassung zwischen Weidepflanzen und Weidetieren reicht sogar noch vor die Zeit des Neolithikums zurück. Die Familie der Bovidae, der das Rind, das Schaf, die Ziege, der Büffel und der Bison zugehören, hat sich während des Pliozäns (vor ca. zwei bis fünf Millionen Jahren) und des Pleistozäns (also der darauffolgenden Eiszeit) in den nördlichen Zonen Eurasiens herausgebildet und fortentwickelt. Viele Arten dieser Familie sind nach Afrika, einige auch nach Nordamerika ausgewandert, aber nicht eine einzige nach Südamerika oder Australien (Colbert 980: 46, 49). Diese Weidetiere und bestimmte Grasarten der Alten Welt hatten also Jahrtausende Zeit, sich aufeinander einzustellen. Die nach Amerika, Australien und Neuseeland verbrachten Vierfüßler der Alten Welt haben dort die einheimischen Gras- und Kräuterarten völlig abgegrast, mit der Folge, daß die vorher nur mäßig beweideten Flächen sich häufig nur sehr langsam von diesem Kahlfraß erholten. Bis es so weit war, hatten sich aber schon die Unkrautarten der Alten Welt, zumal die aus Europa und den benachbarten Teilen Asiens und Afrikas, auf ihnen festgesetzt und weit über die kahlen Flächen ausgebreitet. Diese neuen Arten gediehen selbst bei direkter Sonneneinstrahlung und vertrugen es auch, daß die Weidetiere sie bis auf die Wurzeln abfraßen und mit ihren Hufen zertrampelten. Dazu kam, daß sie über mehr als nur eine Fortpflanzungs- und Ausbreitungsmethode verfügten. Ihre Samen hatten z. B. häufig Widerhaken, die im Fell vorbeiwandernder Tiere hängenblieben und 396
so weitertransportiert wurden. Oder sie waren so robust konstruiert, daß sie die Reise durch den Magen- und Darmtrakt überstanden und sich ein Stückchen weiter absetzen ließen. Wenn das Vieh dann nach dem Winter an diese Stelle zurückkehrte, fand es bereits Futtergras vor. Und wenn der Viehhirte seine Tiere suchte, fand er sie grasend an eben diesen Stellen gesund und munter wieder. Felix de Azara hat diesen Prozeß in der Pampa beobachtet. Es war die Zeit, als die Gauchos und ihre ungeheuren Herden europäischer Vierfüßler der argentinischen Flora Wunden zufügten, die ihr während der Blütezeit des Guanako und des Nandu niemals widerfahren waren. Die Folge war, daß sich das hohe Gras unter der Einwirkung von pata y diente, also von Hufen und Zähnen, in eine »weiche, moderne Weide« verwandelte (zit. nach Schmieder 927: 309 f.). Die gleiche Entwicklung hat Thomas Budd im 7. Jahrhundert in Pennsylvania verfolgt: »Wenn wir nur ein wenig englischen Grassamen ausstreuen und anschließend auf dem ungepflügten Boden Schafe weiden lassen, wird er in kurzer Zeit mit englischem Gras bedeckt sein.« (Budd 966: 0) In New South Wales war in der Umgebung von Sydney das Känguruhgras binnen eines Jahrzehnts nach der Ankunft der weißen Siedler verschwunden, weil diese sofort daran gegangen waren, Bäume zu fällen und damit die einheimischen Grasarten der sengenden Sonne auszusetzen, und weil sich das Vieh gleich über die einheimischen Gräser und Kräuter 397
hergemacht hatte. Die kahlen Flächen wurden rasch von aggressiven europäischen Pflanzen übernommen, die von Menschenhand ausgesät wurden oder sich auch selbst aussäten (Powell 976: 7 f.; Cunningham 828, I: 94–200; II: 76; Perry 963: 3). In Neuseeland eilten die europäischen Unkräuter der weißen Siedlungsgrenze offenbar voran. 882 stieß der Naturforscher William Colenso in einem dichtbewachsenen und noch unerschlossenen Abschnitt des Seventy-Miles-Bush auf ein einziges Exemplar der Klette, auf die er »mit etwa derselben Verblüffung starrte wie Robinson Crusoe auf den Abdruck eines Europäerfußes, den er im Sand entdeckt hatte«. Als Colenso im darauffolgenden Frühjahr wiederkehrte, waren mittlerweile halbwilde Rinder in die Gegend vorgedrungen und hatten Klettensamen in ihrem Fell weitergeschleppt. Das Ergebnis war ein richtiges Gestrüpp aus Hunderten von Klettenpflanzen, die »bis vier Fuß hoch standen und dick, buschig und dermaßen kräftig gewachsen waren, daß bereits eine Gruppe weniger Pflanzen dem Reisenden ein Durchkommen unmöglich machte« (Colenso 885: 289 f.). Die kombinierte Entwicklung von Unkräutern und Weidetieren der Alten Welt und die Ausbreitung dieser Kombination über die neo-europäischen Gebiete war für die importierten Pflanzen von großem Vorteil. Auch hatten diese die Entwicklung der Landwirtschaft in der Alten Welt über sich ergehen lassen und sich an den Pflug angepaßt. Der Pflug, eine Erfindung der Alten 398
Welt, ist ein Instrument der Zertrümmerung und der Vernichtung. Der indianische Prophet Smohalla aus dem Tal des Columbia River wußte darum und fragte: »Du forderst von mir, die Erde zu pflügen. Aber wie könnte ich zum Messer greifen und meiner eigenen Mutter die Brust zerfleischen?« (Mooney 892/93, XIV, pt. 2: 72) Seit dem ersten Einsatz eines Pfluges in Mesopotamien vor vielleicht 6000 Jahren hatten die Unkrautarten der Alten Welt Zeit gehabt, sich auf ihn einzustellen, ihn zu überleben oder gar als Schrittmacher zu benutzen (Grigg 974: 50). Auch verwandelten sich Unkräuter immer wieder in Nutzpflanzen der Alten Welt wie Weizen und Flachs (und umgekehrt). Als dann die europäischen Bauern in die neo-europäischen Gebiete einfielen, waren die Unkräuter in vorderster Front dabei. Das Präriegebiet der nordamerikanischen Great Plains stellt die mysteriöse Ausnahme von den üblichen Erfolgen dar, die uns die Unkrautarten wie die halbwilden Vierfüßler der Alten Welt in den übrigen neoeuropäischen Gebieten vorgeführt haben. Die ursprüngliche Flora der Prärie hatte die Belastungen durch viele Millionen Bisons über Jahrtausende ausgehalten. Und diese Rinderspezies eurasischer Abstammung hatte auf der Prärie auch die Ankunft der marinheiros überlebt. Dabei war eine enge Partnerschaft mit den einheimischen Gras- und Kräuterarten entstanden, in der beide Partner sich gegenseitig stützten und existenzfähig hielten, womit sie zugleich die Prärie gegen die Invasion einer größeren Anzahl 399
exotischer Pflanzen und Tiere abschirmten. Der Vormarsch der europäischen Vieh- und Grasarten, die seit dem ersten Jahrtausend der Neolithischen Revolution in den gemäßigten Zonen der Erde von Sieg zu Sieg geeilt waren, kam also am Rande der Prärie zum Stehen. Das Prärieklima war für viele europäische Pflanzenarten in weiten Teilen sommers zu heiß und winters zu kalt und insgesamt zu trocken. Außerdem hatten der Büffel und seine Partnerpflanzen natürlich einen bedeutenden Heimvorteil. Die Invasoren kamen erst dann wieder voran, als der Herr über den biologischen Musterkoffer mit Gewehren anrückte. Nach dem amerikanischen Sezessionskrieg (86–865) eroberten bewaffnete Banden dieser Einwanderer aus der Alten Welt die Präriegebiete und rotteten den Bison aus, womit zugleich ein entscheidendes Element der einheimischen Fauna und Flora ausgemerzt war. Mit dem Büffel erlosch auch die Fähigkeit der Prärie-Indianer, ihre unabhängige Lebensweise gegen die neue Ordnung zu behaupten. Die Prärie wurde von Viehzüchtern und Farmern, von Rindern und Schafen der Alten Welt überflutet. Unter den Sioux-Frauen, deren Lebensweise zerbrochen war wie eine Tonschüssel, verfielen etliche der Prostitution. Natürlich verbreiteten sich die venerischen Bakterien opportunistisch, also nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes. Die Folge war ein krasser Rückgang der Geburtenrate der Sioux, was das Land für die Fremden aus Übersee nur noch sicherer 400
machte. Unter solchen Umständen konnten die weißen und schwarzen Menschen, die Rinder, Schweine und Pferde, der Weizen und die dazugehörigen Unkrautarten prächtig gedeihen, und mit ihnen die Mäuse und Ratten, und die Gräser und Kräuter, die sich um die Häuser, Scheunen und Wassergräben breitmachten. Es dürfte durchaus von Nutzen sein, diese Kooperation der einzelnen Arten unter einem weiteren Aspekt zu betrachten. Die Lebewesen der Alten Welt sind denen der neo-europäischen Gebiete per se ja kaum oder gar nicht überlegen. Der Begriff »überlegen« macht eigentlich in unserem Zusammenhang keinen Sinn, es sei denn, er soll besagen, daß ein Organismus in ein gegebenes Ökosystem hineinpaßt und ein anderer nicht. In diesem Sinne sind die Organismen der Alten Welt in ihrer heimischen Umwelt fast immer »überlegen«. So erklärt sich auch die sehr bescheidene Zahl neu-europäischer Unkräuter, Schädlinge und Krankheitserreger, die in der Alten Welt Fuß fassen konnten, und der Erfolg der Musterkoffer-Kollektion überall dort, wo eine koloniale Umwelt »europäisiert« worden ist. Aber was heißt in diesem Zusammenhang »europäisiert«? Der Begriff bezeichnet einen permanenten Prozeß des Zerreißens oder Auseinanderbrechens: Er meint gepflügte Felder, abgeholzte Wälder, überweidete Wiesen und verbrannte Prärieflächen, er meint verlassene Dörfer und expandierende Städte, er bezieht sich auf Menschen, Tiere, Pflanzen und Mikrolebewesen, die sich getrennt 401
entwickelt haben und plötzlich in engsten Kontakt miteinander kommen. »Europäisiert« meint eine immer schnellebiger gewordene Welt, in der die Unkrautarten sämtlicher Ordnungen der Fauna und Flora wunderbar gedeihen und alles Nicht-Unkraut in größeren Mengen nur noch in zufälligen Enklaven oder speziellen Reservaten anzutreffen ist. Einige einheimische Organismen der neo-europäischen Gebiete fielen schon vor Ankunft der Europäer unter den Sammelbegriff »Unkraut«, denn jede Umwelt hat ihre Spezialisten für das Ausnutzen der Mißgeschicke der anderen Arten. Und diese Organismen haben seit Ankunft der marinheiros noch an Boden gewonnen. In Neuseeland haben gewisse einheimische Pflanzen, die vom importierten Vieh verschmäht werden, auf den zerstörten Weideflächen der höheren Regionen stark überhandgenommen (Cockayne 967: 97). Aber das ist nur eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigen, wonach Unkraut – im weitesten Sinne des Wortes – eher für die Fauna und Flora derjenigen Landstriche charakteristisch ist, die schon zu alten Zeiten von der Neolithischen Revolution der Alten Welt erfaßt worden sind. In einem ursprünglichen Australien hätte das Unkraut namens Löwenzahn wahrscheinlich nur vor sich hinvegetiert oder wäre vielleicht ganz ausgestorben, wie es schon dem Unkraut passierte, das die Norweger nach Vinland mitgebracht hatten. Aber wir werden es nie erfahren, denn dieses Australien existiert seit 200 Jahren 402
nicht mehr. Als sich der Löwenzahn ausbreitete, war Australien bereits ein anderes Land: ein Land, das von europäischen Menschen besiedelt und von europäischen Menschen und ihren Pflanzen, Bakterien, Schafen, Ziegen, Schweinen und Pferden verändert worden ist. Dieses Australien bietet dem Löwenzahn eine sicherere Zukunft als dem Känguruh. Noch aufschlußreicher dürfte das Beispiel des Haussperlings und des Stars, zweier Vogelarten der Alten Welt sein, wenn man deren nordamerikanisches Schicksal mit dem der einheimischen Wandertaube vergleicht. Vom Sperling wie vom Star gab es zu Beginn des 9. Jahrhunderts in ganz Amerika (und in allen anderen neo-europäischen Gebieten) kein einziges Exemplar, dagegen gab es Milliarden von Wandertauben. Sperling und Star sind Kreaturen der städtischen und ländlichen Kulturlandschaften Europas, nicht des unberührten Europa. Sie leben am Rande von Wäldern und vereinzelten Gehölzen, sie brauchen bestellte Felder und Weideflächen, sie ernähren sich von Müll- und Abfallresten und von Samenkörnern, die sie in den Dunghaufen der großen Tiere finden. Diese Vogelarten sind also der von den Menschen umgeformten Umwelt so gut angepaßt, daß sie von den Menschen nicht einmal gegessen werden. Die Wandertaube hingegen ist ausgerottet. Sie lebte in den dichten nordamerikanischen Wäldern, wo sie sich von Eicheln, Bucheckern und ähnlichem ernährte. In dem Maße, in dem die europäischen Pioniere dieser natür403
lichen Umgebung mit Brandfackeln, Äxten und ihrem Vieh zu Leibe rückten, eignete sich Nordamerika immer besser für Sperlinge und Stare und immer weniger für Wandertauben. Diese konnten sich offenbar nicht mehr reproduzieren, weil sich in der europäisierten Landschaft nur noch vereinzelte Schwärme halten konnten. Außerdem hatten die Europäer die Wandertaube als Leckerbissen entdeckt (wie auch ihr Vieh die einheimischen Gräser goutierte) und dezimierten sie so noch weiter. Heute gibt es in Nordamerika keine einzige Wandertaube mehr, dafür aber – wie in allen neo-europäischen Gebieten – viele Millionen Spatzen und Stare (Chapman 980: 60–65; Skinner 904: 423–428; Schorger 955: 22–25). Der Erfolg der biologischen Musterkoffer-Kollektion und des europäischen Menschen als ihres Überbringers war Ergebnis einer Teamarbeit unterschiedlicher Organismen, die sich nach einer langen Periode von Konflikt und Kooperation zusammengefunden hatten. Entscheidend dafür, daß der Export dieser Lebenswelt nach Übersee erfolgreich verlief, war die Zeitspanne ihrer gemeinsamen Entwicklung während und nach der Neolithischen Revolution – einer Revolution, deren Nachbeben immer noch die Biosphäre erschüttern.
Schlußfolgerungen »Engverkettete, fruchtgesegnete Länder! Land der Kohle und des Eisens! Land des Golds, Land der Baumwolle, Zuckers und Reis! Land des Weizens, der Rinder und Schweine! Land der Wolle, des Hanfs! Land der Äpfel und Trauben! Land der Weideflächen, der Grasfelder der Welt! Land dieser endlosen Hochebenen voll süßer Luft! Land der Herden, der Gärten und der gesunden Lehmhäuser!« Walt Whitman, Von Paumanok kommend
Um die Rolle der ersten nach Amerika, Australien und Neuseeland eingewanderten Menschen, der sogenannten Eingeborenen, im Verhältnis zu der zweiten Einwanderungswelle von Europäern und Afrikanern zu beschreiben, habe ich im vorigen Kapitel eine Metapher zu Hilfe genommen. Dort habe ich die Indianer Amerikas, die Aborigines und die Maori als Stoßtrupps bezeichnet, die sich Brückenköpfe erobert und damit den Weg für eine zweite Invasionswelle freigekämpft haben. Diese Stoßtrupps sind hauptsächlich zu Fuß gekommen. Das gilt aller Wahrscheinlichkeit nach für sämtliche India405
nervölker Amerikas, aber auch für die Aborigines, die nur zwischen den indonesischen Inseln gelegentlich zum Paddel greifen mußten, während die Maori mit Booten über das Meer gekommen sind. Es mag nun hilfreich sein, diese Metapher noch etwas auszubauen (wobei zu beachten ist, daß es eine Metapher ist und kein Theorem) und bei der zweiten Einwanderungswelle wiederum zwei aufeinanderfolgende Schübe zu unterscheiden. Der erste erreichte die neoeuropäischen Gebiete im Zeitalter der Segelschiffe und läßt sich als Landung einer Armee begreifen, die mit ihrem schweren Gerät, ihren umfangreichen Versorgungseinheiten und ihrer größeren Mannschaftsstärke dazu bestimmt ist, die Stoßtrupps abzulösen. Die Soldaten dieser Armee rückten bewaffnet an, kämpften viele Schlachten und waren einer lebenslangen (oder fast lebenslangen) strikten Disziplin unterworfen. Daß die ersten Afroamerikaner Sklaven waren, ist allgemein bekannt. Hingegen wurde noch nicht allgemein zur Kenntnis genommen, daß die vor der amerikanischen Revolution nach Nordamerika ausgewanderten Weißen zur Hälfte oder zu zwei Dritteln eine Art »Zeitsklaven« waren, die per vertraglicher Dienstverpflichtung bis zu sieben Jahre ihrer persönlichen Freiheit abtreten mußten, um ihre Schiffspassage in die Neue Welt abzahlen zu können. Da die Einwanderer nach Australien bis 830 mehrheitlich Sträflinge waren, bleibt Neuseeland das einzige Sied406
lungsprojekt, das von freien Arbeitern gegründet wurde (Galenson 98: 7; Australiern Encyclopedia III: 376). Der zweite große Einwandererschub aus der Alten Welt, der fast nur aus Europäern bestand, erreichte die neo-europäischen Gebiete vor allem mit Hilfe von Dampfschiffen. Ich möchte diesen zweiten Schub als »Zivilistenwelle« bezeichnen, weil diese späten Einwanderer keine eigene Invasion mehr durchführten, sondern nur noch die Früchte vorangegangener Invasionen ernteten. Diese Zivilistenwelle bestand fast ausschließlich aus freien und unabhängigen Individuen ohne Waffen und ohne institutionalisierte Organisationsformen über dem Niveau von Verwandtschaftsbeziehungen. Aber sie kamen in großen Mengen: Insgesamt 50 Millionen Menschen sind zwischen 820 und 930 in die überseeischen neueuropäischen Gebiete ausgewandert (Jones 98: 254). Diese 50 Millionen kamen, weil sie von hinten geschoben wurden – der wachsenden europäischen Bevölkerung stand kein wachsendes Angebot kultivierbaren Bodens gegenüber –, und auch, weil seit Mitte des 9. Jahrhunderts, dank der Einführung des Ozeandampfers, die Passagen über die Weltmeere sicherer und billiger waren als je zuvor. Sie waren angezogen von der Aussicht, in der Fremde ein besseres Los anzutreffen als in der alten Heimat. Australien und Neuseeland waren Mitte des 8. Jahrhunderts noch nicht von Weißen erschlossen, aber in Nordamerika hatte sich gezeigt, daß die Europäer 407
und ihre Landwirtschaft, ihre Pflanzen und Tiere hervorragend gediehen. Stärkster Beweis für ihre Kolonisierungserfolge waren die außerordentlich hohen natürlichen Zuwachsraten. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts registrierte Benjamin Franklin voll Stolz, daß es in Nordamerika bereits eine runde Million Briten gebe, obwohl lediglich achtzigtausend aus Europa eingewandert waren. Am Ende des 8. Jahrhunderts konnte Thomas Malthus als Beleg für das enorme Vermehrungstempo, das die Menschen unter optimalen Bedingungen zu erreichen vermögen, auf die britischen Kolonien im nördlichen Nordamerika verweisen, wo die beiden großen Hemmnisse des Bevölkerungswachstums, nämlich »Elend und Laster« anscheinend nicht mehr wirksam waren. Im Zeitraum von 737 bis 743 kamen zum Beispiel in New Jersey durchschnittlich 300 Geburten auf 00 Todesfälle, in Frankreich höchstens 7 (The Papers of Benjamin Franklin 96: 233; Malthus 965: 05 ff.). Die weiter südlich gelegenen Kolonien von Virginia bis Georgia – zwischen dem bekömmlichen kühlen Klima der neuenglischen und der Kolonien des mittleren Nordamerika und dem ungesunden, feuchtheißen Klima der Karibischen Inselwelt – konnten zwar nicht mit solchen Zahlen aufwarten, aber im Ganzen betrachtet war das britische Unternehmen Nordamerika doch ein rauschender Erfolg. Das iberische Unternehmen Pampa war zwar nicht unbedingt eine Pleite, aber einen großen Erfolg konnte man es Ende des 8. Jahrhunderts auch nicht nennen. In der 408
Pampa siedelten nur wenige Menschen, und es wurden nur langsam mehr. Alejandro Malaspina, ein italienischer Seefahrer in spanischen Diensten, ereiferte sich 790 über die paradoxe Erscheinung einer Gesellschaft, die es fertigbrachte, inmitten des üppigsten natürlichen Reichtums zu stagnieren. Er gab den Menschen die Schuld an ihrer eigenen Misere: Es fehle ihnen einfach an moralischen Grundsätzen und an Disziplin (Malaspina 938: 296 ff.). Aber er übersah dabei, daß die Pampa damals noch weitgehend ungebändigt war. Obwohl die Stadt Buenos Aires hundert Jahre älter war als Philadelphia, hatte sich die Grenze der besiedelten Gebiete weniger weit von ihr nach Westen vorgeschoben als von der Hauptstadt von Pennsylvania. Die riesigen Rinder- und Pferdeherden der Pampa waren zur Ernährungsbasis der feindlichen Indianervölker geworden und hatten viele Untertanen der Könige von Spanien und Portugal dazu verführt, sich mit einem berittenen Jäger- und Sammlerdasein zu begnügen. Jedenfalls stand der Gaucho in seiner Lebensweise dem australischen Strauchdieb näher als dem australischen Schafzüchter. Ironischerweise wirkte hier also das Gratisangebot der europäischen Tierherden dem Wachstum europäischer Familien und europäischer Kultur entgegen. Die exzessive Ausbreitung der Vieharten und Futterpflanzen aus dem mitgebrachten biologischen Musterkoffer hatte die Ausbreitung des Menschen blokkiert. Außerdem hatte die Politik der spanischen Krone viele Jahrzehnte lang darauf gezielt, die Pampa anderen 409
Regionen des Reiches zu unterstellen und sie ihrer ökonomischen, sozialen und intellektuellen Stagnation zu überlassen, was ihre ökologische Absonderlichkeit noch verstärken mußte (Sánchez-Albornoz 974: 4 f., 34 f.). Wenn man allerdings, wie Malaspina, nicht völlig blind war, konnte man sehr wohl erkennen, daß die europäische Gesellschaft in der Pampa nicht für immer unterentwikkelt bleiben mußte. Wenn auf diesem Boden Millionen von europäischen Pflanzen und Tieren gedeihen konnten, war klar, daß diesem Land ein mindestens ebenso europäisches Schicksal bestimmt war wie Nordamerika. Der ökologische Imperialismus der Europäer war in Amerika so durchschlagend erfolgreich, daß die Europäer wie selbstverständlich anzunehmen begannen, sie würden überall da, wo sich Klima und Krankheitsumwelt nicht als ausgesprochen feindlich erwiesen, ganz ähnliche Triumphe feiern können. So prophezeite Captain Cook schon nach kurzem Aufenthalt in Neuseeland den prospektiven europäischen Siedlern eine rosige Zukunft. Als einer seiner Begleiter, der Naturforscher Joseph Banks, vor einem Parlamentsausschuß nach seiner Meinung über Australien als künftiges Kolonialgebiet befragt wurde, versicherte er, die Siedler in New South Wales müßten sich »zwangsläufig vermehren«. Auf die Frage, was sie dem Mutterland für Nutzen bringen könnten, antwortete er: Nun gut, sie wären ein Absatzmarkt für die englischen Fertigwaren. Im übrigen hätte Australien – das wohlgemerkt größer ist als ganz Europa – bestimmt 410
»einiges zu liefern, was günstige Erlöse verspricht« (Sources of Australiern History 957: 6 ff.). Joseph Banks sollte mit seinem einfältigen Optimismus recht behalten. Für die Einwanderer aus Europa, die für die Erfüllung der Prophezeiungen von Cook und Banks und Co. zu sorgen hatten, hing die Anziehungskraft der Überseegebiete wesentlich von drei Faktoren ab (kurzfristige Attraktionen wie den Goldrausch wollen wir hier beiseite lassen): Zum ersten mußte das Land ein gemäßigtes Klima aufweisen, denn schließlich wollten es die Auswanderer in der neuen Heimat nicht schwerer, sondern leichter haben, einen europäischen Lebensstil zu pflegen. Zweitens mußte das Land in der Lage sein – oder mindestens klar erkennbare Voraussetzungen dazu besitzen –, solche Waren zu produzieren, die in den europäischen Heimatländern nachgefragt wurden, also etwa Fleisch, Weizen, Wolle, Häute, Kaffee. Und die einheimische Bevölkerung mußte so klein sein, daß sie das nachgefragte Produkt nicht selbst herstellen konnte. Deshalb sind im 9. Jahrhundert so viele Europäer in das vor Ressourcen strotzende Nordamerika, nach Australien und in das südliche Brasilien geströmt (vor allem nach São Paulo, wo die Kaffeeplantagen nur so aus dem Boden schössen) und noch weiter südlich in die kühleren Ackerbau- und Viehzuchtgebiete (Sánchez-Albornoz 974: 54). Sie ergossen sich in Massen in die Pampa von Rio Grande do Sul, Uruguay und Argentinien, um dort alle noch vorhandenen Spuren indianischer und afrikanischer Präsenz zu 411
vernichten. Das gebirgige Chile – nach Ezequiel Martinez Estrata »das vielleicht am schlechtesten konstruierte und am ungünstigsten plazierte Land auf diesem Planeten« (Estrata 97: 9) – hatte nur wenige Produkte zu den von den Europäern gewünschten großen Mengen und niedrigen Preisen anzubieten, weshalb noch 907 nur 5 Prozent aller Chilenen aus dem Ausland kamen, verglichen mit mehr als 25 Prozent in den Pamparegionen (Whitaker 976: 63 f.; Bauer 975: 62, 70 f.). Der dritte Faktor hatte mit den persönlichen und insbesondere den leiblichen Bedürfnissen zu tun. Die Bauern im Europa des 9. Jahrhundert mögen von politischen und religiösen Freiheiten geträumt haben oder auch nicht, mit Sicherheit aber sehnten sie sich nach der Freiheit vom Hunger. Seit undenklichen Zeiten war das Leben ihrer Vorfahren vom Hunger und der Angst vor dem Hunger begleitet gewesen. Zwar war in Europa vor der Französischen Revolution der Nahrungsmittelmangel zumeist nur lokal begrenzt aufgetreten, aber die Wirkungen waren wegen des fehlenden Verteilungssystems trotzdem tödlich (Braudel 990: 68–75; Langer 974: 353–365; Flinn 98: 42, 46, 49 ff., 96). Aber auch nationale Versorgungsnotstände hatte Frankreich, das landwirtschaftlich reichste Land Europas, sechzehnmal allein im 8. Jahrhundert erlebt. Hungersnöte und vorübergehender Hunger gehörten zum Alltag, und bei den Armen kamen immer wieder Kindesmorde vor, die für eine gewisse Balance zwischen den Lebensmittelvorräten 412
und der Bevölkerungszahl sorgten. In den rohen Volksmärchen aus der bäuerlichen Welt erhält der siegreiche Held nicht unbedingt die Hand der Prinzessin oder einen Haufen Gold zur Belohnung, aber allemal ein reichliches und gutes Essen. Eines dieser Märchen endet mit einem Hochzeitsfest, bei dem die gebratenen Schweine mit Gabeln gespickt herumlaufen, damit sich die hungrigen Gäste bequemer bedienen können (Darnton 984: 43). Die Phantasiebilder, die sich die europäischen Bauern von den fernen Ländern jenseits der Ozeane ausmalten, flimmerten also wie der Rauch eines Holzkohlenfeuers, über dem ein saftiger Ochse am Spieß gebraten wird. Von den ersten Siedlerjahren, von Kriegszeiten und Naturkatastrophen abgesehen, waren Hungersnöte in Nordamerika praktisch unbekannt (Fogel u. a. 985: 264 ff.). Während der großen Hungerepidemien, die Mitte des 9. Jahrhunderts Europa heimsuchten, konnten irische Tagelöhner zur gleichen Zeit, da in Irland Millionen Menschen am Hunger oder an Seuchen starben, in der Pampa zehn bis zwölf Shilling pro Tag verdienen und dazu so viel Fleisch, wie sie essen konnten (McCann 852, I: 99). Samuel Butler, der in den 60er Jahren des 9. Jahrhunderts auf der Südinsel Neuseelands von der Schafzucht lebte, zeichnete vom damaligen Kolonialleben ein geradezu paradiesisches Bild. So prophezeite er einem potentiellen Siedler nach ein, zwei Jahren Arbeit ein idyllisches Leben: »Sie werden Kühe haben und große Mengen an Butter, Milch und Eiern; und Schweine werden Sie haben und, wenn Sie 413
wollen, auch Bienen und alle Sorten Gemüse; Sie können also wahrhaftig wie die Made im Speck leben, und das mit ganz wenig Mühe und fast ebensowenig Ausgaben.« (Butler 964: 26) Mit dieser Vision begaben sich viele Millionen Europäer auf die Reise über die Nahtlinien der Pangäa hinweg. Anthony Trollope faßte auf seiner Australienreise in den 70er Jahren des 9. Jahrhunderts in einem einzigen Satz zusammen, was hinter der Idee der Auswanderung nach Australien und Neuseeland steckte: »In den Kolonien ißt der Arbeiter, was immer seine Arbeit sei, dreimal am Tage Fleisch, zu Hause muß er in aller Regel gänzlich ohne Fleisch auskommen.« (Trollope 967: 284) Bei diesem Fleisch handelte es sich nicht etwa um einen Wapiti- oder Känguruh-Braten, sondern um ein saftiges Stück vom Hammel, vom Schwein oder vom Rind. Viele Auswanderer verspürten in den neo-europäischen Kolonien ein anfängliches Mißvergnügen, wenn sie, auf der Nord- wie auf der Südhalbkugel, mit exotischer Kost wie Waschbär- oder Opossum-Fleisch, Süßkartoffeln und Weißen Kartoffeln oder mit Maisgerichten vorlieb nehmen mußten. Aber mit der Zeit schafften sie es überall, zu einem auf den Grundnahrungsmitteln der Alten Welt basierenden Speisezettel zurückzukehren. In Nordamerika erhielten sich die Pioniere aus der Alten Welt über 200 Jahre hinweg ihre Leidenschaft für den Mais, aber selbst dort hat das Weizenbrot das Maisbrot schließlich verdrängt. Fast alle Tiere und Pflanzen, fast 414
alle Nahrungsquellen, die Crèvecoeur in seinen klassischen Letters front an American Farmer von 782 mit Lob bedenkt, sind europäischen Ursprungs (einzige Ausnahme: die Wandertaube). Die Auswanderermassen, die zwischen 840 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges von Europa aufbrachen, summierten sich zur gewaltigsten Menschenwelle, die jemals über die Meere gewandert ist. Die erste Welle dieser Flut von Weißen bestand aus hungernden Iren und strebsamen Deutschen, vor allem aber aus Briten, die zwar nie in so mächtigen Schüben emigrierten wie einige andere Nationalitäten, aber doch einen unstillbaren Drang in die Ferne hatten. Als nächste reihten sich die Skandinavier in den Exodus ein, und gegen Ende des 9. Jahrhunderts folgten die bäuerlichen Massen aus Süd- und Osteuropa. Italiener, Polen, Spanier, Portugiesen, Ungarn, Griechen, Serben, Tschechen, Slowaken, aschkenasische Juden – sie alle hörten jetzt zum ersten Mal von den Aussichten auf eine neue Existenz in Übersee und von Transportmitteln wie Eisenbahnen und Dampfschiffen, mit denen sie ihre traditionelle Armut hinter sich lassen konnten. Dieser multinationale Menschenstrom drängte in die Hafenstädte Europas und auf die Auswandererschiffe, die sie über die Nahtlinien der Pangäa hinweg in Gebiete trugen, über die sie so wenig wußten wie früher ihre Großväter über das legendäre China. Aus Rußland, das zwischen 880 und 94 bereits fünf Millionen Menschen nach Sibirien entsandt hatte, wanderten weitere vier Millionen in die 415
Vereinigten Staaten aus (Treadgold 957:34; LaGumina/ Cavaioli 974: 55). Es hatte den Anschein, als fürchteten all diese Menschen, daß ihnen diese Chancen nicht auf ewig offenstünden. Von diesen fünfzig Millionen Auswanderern gingen zwei Drittel in die Vereinigten Staaten, wo sich auch ein höherer Prozentsatz auf Dauer niederließ als in den anderen Aufnahmeländern, aus denen viele Menschen nach Europa zurück- oder in andere Länder weiterwanderten (häufig übrigens in die Vereinigten Staaten). Der Zustrom von Menschen in den USA bewirkte einen irreversiblen Wandel. Er brachte die Farmer, die die zentralen und nördlichen Regionen besiedelten, und die Arbeitskräfte für die beginnende industrielle Revolution ins Land. Die Einwanderer, besonders die neuen Einwanderer aus Süd- und Osteuropa, haben vor allem die Großstädte an der Ostküste der USA nachhaltig verändert. Bis heute werden New York und Pittsburgh und Chicago, wo man an jeder Ecke Lasagne oder Kielbasa kriegen kann, von den Nachfahren der »alten Einwanderer« aus den nord- und westeuropäischen Ländern als exotische, fast fremdländische Städte empfunden. Argentinien hat weniger Einwanderer aufgenommen als die USA, und von den zwischen 857 und 930 eingewanderten etwa sechs Millionen Menschen sind viele in andere Länder weitergezogen. Und dennoch wurde Argentinien von der Einwanderung noch stärker geprägt als die Vereinigten Staaten. Unmittelbar vor dem 416
Ersten Weltkrieg waren 30 Prozent der argentinischen Bevölkerung im Ausland geboren, in den USA lag dieser Anteil nur halb so hoch (Woodruff 967: 80; SánchezAlbornoz 974:63 f.). Diese Einwanderer waren es auch, die die Transformation der Pampa in Angriff nahmen. Den Anfang machten die Iren und Basken. Sie führten die Schafzucht ein, und in den 80er Jahren des 9. Jahrhunderts war Wolle bereits das wichtigste Exportprodukt des Landes. Italienische Pachtbauern pflügten das Grasland und verwandelten es in Weizenfelder. Am Ende des Jahrhunderts war ihre neue Heimat zu einem der größten Getreideüberschußgebiete der Welt geworden (Scobie 97: 83 f., 8 f., 23). Brasilien nahm zwischen 85 und 960 5,5 Millionen Menschen auf, von denen sich 2,5 Millionen auf Dauer ansiedelten, die meisten im äußersten Süden des Landes, etwa zwischen dem südlichen Wendekreis und Uruguay. Trotz seiner relativ kleinen Fläche absorbierte Uruguay über eine halbe Million europäischer Auswanderer und stabilisierte damit seinen europäischen Charakter (Woodruff 967: 77 f; Sánchez-Albornoz 974: 55). Im Zeitraum von 85 bis 94 wanderten vier Millionen Europäer nach Kanada, darunter nur ganz wenige Franzosen. Insofern wurde das Land durch diese Einwanderer, auch wenn viele von ihnen weiterzogen, allmählich anglisiert. Und die Gründer der alten Kolonie Neufrankreich sind seit Mitte des 9. Jahrhunderts zu einer verdrossenen Minderheit im eigenen Lande geworden (Woodruff 967: 69 f.). Dagegen 417
haben die Hunderttausende, die zwischen 850 und 94 nach Australien und Neuseeland auswanderten und in ihrer großen Mehrheit von den britischen Inseln stammten, den neo-britischen Charakter der neo-europäischen Gebiete auf der anderen Seite des Globus stabilisiert. In Neuseeland hat sich dieser Charakter im großen und ganzen bis heute erhalten. Australien hat seit dem Zweiten Weltkrieg – gemessen an seiner Einwohnerzahl – mehr Einwanderer aufgenommen als jedes andere Land außer Israel, weshalb man in Sidney heute Lasagne oder Kielbasa fast ebenso leicht auftreiben kann wie in New York City (Woodruff 967: 86; Australian Encyclopedia, III: 376–379; New Zealand Encyclopedia, II: 3 f.). Die Auswirkungen dieser Wanderungsströme beschränkten sich jedoch nicht auf die Zielregionen. In Europa ging das Bevölkerungswachstum – dessen steiler Anstieg ja die Schubkraft hinter dem europäischen Exodus erzeugt hatte – auch nach der Entlastung durch die abgewanderten Millionenmassen unvermindert weiter. Und die Übersee-Europäer verschafften den europäischen Industrien neue Märkte, neue Rohstoffquellen und neuen Aufschwung, was wiederum zum unverminderten Bevölkerungswachstum der europäischen Länder beitrug. Zwischen 840 und 930 wuchs die Zahl der Europäer von 94 auf 463 Millionen; ihre Zuwachsrate lag damit doppelt so hoch wie bei der übrigen Weltbevölkerung. In den neoeuropäischen Gebieten schossen die Bevölkerungszahlen mit einem Tempo in die Höhe, das man zuvor nie gekannt 418
oder mindestens nie registriert hatte. Zwischen 750 und 930 wuchs die Gesamtbevölkerung der neo-europäischen Gebiete fast um das Vierzehnfache, die Bevölkerung der übrigen Welt dagegen nur um das 2,5fache.* Aufgrund dieser Bevölkerungsexplosion in Europa und in den neo-europäischen Gebieten nahm die Gesamtzahl der Weißen zwischen 750 und 930 um das fünffache, der Asiaten hingegen nur um das 2,3fache zu. Afrikaner und Afro-Amerikaner vermehrten sich um weniger als das Doppelte, und dies trotz des enormen Zuwachses der schwarzen Bevölkerung der USA von einer Million auf zwölf Millionen im Zeitraum von 800 bis 930 (Davis 974: 99). In den letzten 50 Jahren ist dieser plötzliche Wachstumsschub, mit dem sich die weiße Abteilung der menschlichen Gattung vor allen anderen an die Spitze geschoben hat, durch die verspätet einsetzenden, aber riesigen Zuwachsraten der anderen Abteilungen weitgehend aufgezehrt worden. Gleichwohl bleibt dieser plötzliche Schub des Bevölkerungswachstums der Europäer eine der auffälligsten demographischen Abweichungen in der Geschichte der Menschheit. Die dreißig Millionen Quadratkilometer Land, die sich die Weißen angeeignet haben, stehen bis heute unter ihrer Kontrolle. Und die Minderheit betrachtet diesen Zustand durchaus als endgültig. * Die höchsten Reproduktionsraten aller Neo-Europäer scheinen die Kanadafranzosen erreicht zu haben. Zwischen 760 und 960 hat sich ihre Bevölkerungszahl verachtfacht, und das ohne merkliche Zuwanderung und trotz einer erheblichen Abwanderung. Vgl. Henripin/Perón 973: 24
419
Im 9. Jahrhundert kletterten die Bevölkerungszahlen in den neo-europäischen Gebieten nicht nur wegen der Einwanderung in die Höhe, sondern auch, weil die schon ansässigen Populationen die höchsten natürlichen Wachstumsraten in der Geschichte ihrer Länder produzierten. Die Sterberaten waren erfreulich niedrig, und Nahrungsmittel im Vergleich zur Alten Welt reichlich und in guter Qualität vorhanden. Die neo-europäischen Menschen dankten es, indem sie fruchtbar waren und sich kräftig mehrten. Im 8. und im frühen 9. Jahrhundert kletterten die Geburtenraten der Neo-Europäer in Nordamerika auf die wohl einzigartigen Spitzenwerte von 50 bis 75 Lebendgeburten pro tausend Einwohner pro Jahr (Bogue 959: 29; Wells 975: 263 und passim; Henripin: Perón 973: 35 f.). In Australien lag die Geburtenrate in den 60er Jahren des 9. Jahrhunderts bei 40 pro Tausend, und in Argentinien, wo erstmals größere Einwanderermengen in die Pampa einströmten, bei 46 pro Tausend (Davis 964: 32). Die Sterberate betrug in Australien in den Jahren 860–862 8,6 pro Tausend, woraus sich bei einer Geburtenrate von 42,6 ein natürliches Bevölkerungswachstum von 24 pro Tausend und pro Jahr errechnet. Im Vergleich dazu betrug die natürliche Wachstumsrate für England und Wales 3,8 pro Tausend, was damals schon als ziemlich hohes Wachstumstempo galt (Borrie 948: 40). In Neuseeland lagen die Geburtenrate und die natürliche Wachstumsrate der Einwandererbevölkerung bis in die 70er Jahre des 420
9. Jahrhunderts hinein auf ähnlich hohem Niveau wie in Australien (The Population of New Zealand, CICRED Series: 23; Vosburgh 976: 60 f.). Diese neo-europäischen Populationen waren damals durch eine aus heutiger Sicht abnorm hohe Zahl jüngerer Erwachsener gekennzeichnet, was die hohen Geburten- und die niedrigen Sterberaten teilweise, wenn auch nicht ganz erklärt. Denn andererseits waren in all diesen Gesellschaften – mit Ausnahme der nordamerikanischen – die Männer gegenüber den Frauen in der Überzahl. Ein solches Ungleichgewicht bewirkt häufig eine höhere Sterberate und natürlich immer eine niedrigere Geburtenrate. Wir müssen den entscheidenden Faktor für das hohe natürliche Bevölkerungswachstum also anderswo suchen und finden ihn in dem höheren Existenzniveau, das den Menschen – oder besser: den Einwanderern – in den neo-europäischen Gebieten geboten wurde. Hätte sich dieses Bevölkerungswachstum auf dem gleichen Niveau über längere Zeit gehalten, wären diese Gebiete nicht generationenlang unterbevölkert geblieben. Darwin, der mehr Sinn für Humor hatte, als diejenigen annehmen, die seine Werke bewundern, ohne sie gelesen zu haben, hat vor 00 Jahren folgende Rechnung aufgemacht: Würde die Bevölkerung der USA in demselben Tempo wachsen, das sie 860 auf die Einwohnerzahl von 30 Millionen gebracht hatte, würden die Amerikaner in 657 Jahren die gesamte Landoberfläche der Erde so dicht ausfüllen, daß auf jedem Quadratmeter 421
Boden vier Menschen Platz finden müßten (Darwin o. J.: 428). Hundert Jahre später ist dieser Witz gar nicht mehr so komisch. Denn, wenn die Neo-Europäer ihre Territorien mit ihresgleichen auffüllen und ihre Ernten ganz alleine verzehren, stellt sich natürlich die Frage, wer den Rest der Welt ernähren soll. Zum Glück begann sich das im 9. Jahrhundert erreichte natürliche Bevölkerungswachstum bald wieder abzuschwächen. Das lag zum einen daran, daß sich die Einwandererbevölkerung der normalen Alterspyramide annäherte und die jungen Erwachsenen älter wurden und zu sterben begannen; zum zweiten und vor allem daran, daß der steigende Lebensstandard und die damit einhergehende Urbanisierung die Neo-Europäer lehrte, daß die meisten ihrer Kinder das volle Erwachsenenalter erreichen würden und daß große Familien sich eher Feind denn als Bundesgenosse des Wohlstands erweisen. Heute gehören die Sterberaten der neo-europäischen Länder zu den niedrigsten der Welt, dasselbe gilt aber auch für die Geburtenraten. Für die Bevölkerung dieser Länder ergibt sich damit eine niedrige natürliche Wachstumsrate mit der Folge, daß der Großteil der von ihnen produzierten Nahrungsmittel in den Export gehen kann. Die neo-europäischen Gebiete haben eine größere Bedeutung, als es von ihrer Größe, ihrer Bevölkerungszahl und selbst von ihrem Reichtum her scheinen mag. Sie verfügen über eine ungeheuer produktive Landwirtschaft, von der angesichts einer Weltbevölkerung, die 422
sich der Fünf-Milliarden-Grenze nähert, das Überleben von vielen hundert Millionen Menschen abhängt. Diese enorme Produktivität erklärt sich zum Teil aus den unleugbar virtuosen Fähigkeiten der dortigen Farmer und Agrarwissenschaftler. Einige zufällige Umstände sind für den anderen Teil verantwortlich: Sämtliche neoeuropäischen Länder verfügen über große Gebiete mit ausgesprochen hohem photosynthetischen Potential. Das sind Gebiete, wo große Mengen an Sonnenenergie für die Umwandlung von Wasser und anorganischer Materie in Nahrungsmittel anfallen. In den tropischen Zonen steht natürlich auch eine riesige Lichtmenge zur Verfügung, aber das feuchtheiße Klima erzeugt viele Wolken und viel Dunst, und die Tageslänge bleibt das ganze Jahr über unverändert. Es gibt in den Tropen also keine überlangen Sommertage. Aufgrund dieser Faktoren, zu denen noch andere wie Seuchen, Tropenkrankheiten und der Mangel an fruchtbarem Boden kommen, haben die heißen Zonen ein geringeres landwirtschaftliches Potential als die gemäßigten Zonen. Hinzu kommt, daß die meisten Pflanzen, die gerade das intensive Sonnenlicht der Tropen am besten umsetzen können – wie Zuckerrohr oder Ananas –, sehr wenig Proteine enthalten, ohne die aber die Menschen unweigerlich an Unterernährung leiden werden. Was das landwirtschaftliche Potential der übrigen Klimazonen betrifft, so fallen die Polargebiete aus offensichtlichen Gründen aus, und die Zone zwischen dem 50. Grad südlicher Breite und dem südlichen Polarkreis ist 423
praktisch eine einzige Wasserfläche. Die Zone zwischen dem 50. Grad nördlicher Breite und dem nördlichen Polarkreis weist dagegen mehr Land- als Wasserfläche auf, und das Land besitzt wegen der sehr langen und oft auch sonnigen Sommertage ein hohes photosynthetisches Potential. Deshalb lassen sich in Alaska und Finnland Obst und Gemüse in Riesenexemplaren produzieren wie zum Beispiel Erdbeeren in Pflaumengröße. Die Vegetationszeit in diesen Gebieten ist jedoch so kurz, daß viele der wichtigsten Nahrungspflanzen der Welt keine ausreichend großen Blätter entwickeln könnten, um das reichlich vorhandene Sonnenlicht effektiv zu nutzen. Aus all dem ergibt sich, daß die Zonen der Erdoberfläche mit dem größten photosynthetischen Potential zwischen den Tropen und dem 50. Grad südlicher bzw. nördlicher Breite liegen. Hier gedeihen die meisten Nahrungspflanzen, die für ein optimales Wachstum eine achtmonatige Vegetationsperiode brauchen. Innerhalb dieser Zonen liegen denn auch die wichtigsten landwirtschaftlichen Anbaugebiete der Welt, die sich dadurch auszeichnen, daß sie über fruchtbare Böden und eine maximale Sonneneinstrahlung verfügen, aber auch über die Wassermengen, die unsere wichtigsten Nahrungspflanzen nun einmal brauchen. Diese Zonen intensiver landwirtschaftlicher Nutzung sind die Zentralregion der Vereinigten Staaten, Kalifornien, Südaustralien und Neuseeland, und dazu in Europa ein Gebiet, das sich vom Südwesten Frankreichs bis zum Nordwesten der 424
Iberischen Halbinsel erstreckt. Zudem haben weite Teile der nicht intensiv genutzten neo-europäischen Gebiete, wie zum Beispiel die Pampa in Süd- und Saskatchewan in Nordamerika, ein fast ebenso großes photosynthetisches Potential und sind theoretisch, wenn nicht praktisch, ein ebenso produktives Anbaugebiet wie die intensiv genutzten Regionen (Chang 970: 92–0). Wie bereits in der Einleitung erwähnt, belief sich der Gesamtwert aller landwirtschaftlichen Exporte der Welt im Jahre 982 auf 20 Milliarden Dollar. Daran waren die Vereinigten Staaten, Kanada, Argentinien, Uruguay, Australien und Neuseeland mit 64 Milliarden, etwas mehr als 30 Prozent, beteiligt. Ihr Anteil an den Gesamtausfuhren von Weizen, dem wichtigsten agrarischen Exportprodukt der Welt, lag sogar noch höher. 982 ging Weizen im Wert von 8 Milliarden Dollar über die Grenzen, wobei allein die Exporte der neo-europäischen Gebiete 3 Milliarden Dollar ausmachten (Trade Yearbook der FAO 982, XXXVI: 42 ff., 52–58, 2 ff., 8 ff., 237 f.) Der Anteil der neo-europäischen Länder an den Weizenexporten der ganzen Welt – und selbst der Anteil der USA allein – liegt damit höher als der Anteil der Nahoststaaten an den weltweiten Erdölexporten (Brown 984: 9). Heute hängt von den neo-europäischen Ländern also die Nahrungsmittelversorgung von erschreckend vielen Menschen der übrigen Welt ab. Und das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung sorgt dafür, daß es ständig mehr werden. Dieser Trend ist freilich nichts Neues: 425
Vor knapp 50 Jahren sah sich Großbritannien unter dem Druck der Urbanisierung, der Industrialisierung und der wachsenden Einwohnerzahlen gezwungen, alle Hoffnungen auf wirtschaftliche Autarkie aufzugeben. Deshalb wurde 846 das berühmte Com Law, ein Zoll auf Importgetreide, aufgehoben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reichte das von britischen Farmern erzeugte Getreide gerade aus, um das Land acht Wochen im Jahr zu ernähren. In beiden Weltkriegen wäre Großbritannien beinahe mittels einer U-Boot-Blockade ausgehungert worden, die alle Verbindungen mit den neo-europäischen Gebieten abzuschneiden drohte. Im 9. Jahrhundert lieferte noch das zaristische Rußland einen Großteil des englischen Importgetreides, aber viele der demographischen und ökonomischen Faktoren, die Großbritannien als erstes Land gezwungen haben, sich mit seiner Abhängigkeit von den Nahrungsmittellieferungen anderer Länder abzufinden, gelten inzwischen auch für die Sowjetunion. Seit den 70er Jahren muß die Sowjetunion von den neo-europäischen Ländern riesige Weizenmengen kaufen. Auch die Dritte Welt ist bei ihrer Nahrungsmittelversorgung zunehmend auf die neo-europäischen Länder angewiesen (Morgan 980: 25). Immer mehr Mitglieder unserer Gattung geraten – häufig im Widerspruch zu ihrer Ideologie und vielleicht auch zu ihrem Alltagsverstand – in Abhängigkeit von fernen Weltregionen, in denen weißhäutige Fremde Nahrungsmittel produzieren, um sie an andere zu verkaufen. Damit sind ungeheuer viele 426
Menschen zu Geiseln von Faktoren geworden, auf die sie keinen Einfluß haben – zum Beispiel von den Auswirkungen, die das Wetter, Seuchen und Epidemien, ökonomische und politische Imponderabilien oder auch Kriege in den neu-europäischen Ländern haben können. * Auf den Neo-Europäern lastet eine vielfache Verantwortung, die an ihr ökologisches Augenmaß und an ihre diplomatische Fähigkeit singuläre Anforderungen stellt. Sie verlangte von Farmern wie von Politikern staatsmännische Weitsicht und vor allem ein hohes Maß an Uneigennützigkeit. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob die Neo-Europäer eine Wahrnehmung der Welt haben, wie sie angesichts der bedrohlichen Situation unserer Gattung und der gesamten Biosphäre gefordert ist. Denn diese Wahrnehmung ist durch ihre eigenen Erfahrungen bestimmt – Erfahrungen einer 400jährigen Periode des Überflusses, die im Rahmen der Menschheitsgeschichte eine einmalige Episode darstellt. Ich behaupte keineswegs, daß dieser Überfluß gerecht verteilt ist: Auch in den neo-europäischen Gesellschaften sind die Armen arm, und die quälende Frage von Langston Hughes: »Was wird aus einem Traum, aus dem nichts wird?« quält uns immer noch. Und doch halte ich an der Meinung fest, daß die Menschen in den neo-europäischen Ländern fast durchweg der Überzeugung sind, der materielle Überfluß könne und solle allen zuteil werden, zumindest was eine anständige Ernährung betrifft. Die Vermehrung von 427
Broten oder von Fischen war in Palästina zu Jesu Christi Zeiten noch ein Wunder, in den neo-europäischen Gebieten setzt man Derartiges voraus. Amerika, Australien und Neuseeland haben der Menschheit zweimal in ihrer Geschichte unerwarteten Nutzen gebracht. Das erste Mal in der älteren Steinzeit, das zweite Mal innerhalb der letzten 500 Jahre. Der Nutzen, der dem ersten Einzug des Menschen in Amerika entsprang, ist in den ersten Jahrtausenden des Holozäns im Anschluß an die Eiszeit weitgehend aufgebraucht worden. Heute sind wir dabei, die Vorteile zu genießen, die uns aus dem zweiten Einzug in diese Gebiete, also aus der europäischen Eroberung, erwachsen sind. Die abnehmende Fruchtbarkeit und die weitverbreitete Erosion der neo-europäischen Böden und das rasche Wachstum der Menschenmassen, die auf die Produktivität dieser Böden angewiesen sind, erinnern uns daran, daß der Nutzen sich irgendwann erschöpft. Wir brauchen deshalb eine Renaissance jenes Erfindungsgeistes, der die Neolithische Revolution hervorgebracht hat, oder – wenn wir damit schon nicht rechnen können – eine Renaissance der Weisheit.
Dank Es ist unmöglich, all den Menschen namentlich zu danken, deren Hilfe mir beim Schreiben dieses Buches unentbehrlich gewesen ist. Das gilt beispielsweise für die unzähligen Bibliothekare und vor allem für ihre unsichtbaren Mitarbeiter, die für den Fernleihverkehr zuständig sind. Es gilt für die Kollegen, die mir ihren behutsamen kritischen Rat angeboten haben, aber auch für die anderen – vielleicht noch wichtigeren, aber auch leichter vergessenen – Kollegen, die nur mal einen Blick über meine Schulter geworfen und mich mit einem spontanen Hinweis auf gedankliche Fährten gebracht haben, auf die ich allein nie gekommen wäre. Der University of Texas danke ich für die Großzügigkeit, mit der sie mir Zeit und Mittel für meine Forschungen bewilligt hat, und besonders ihrer Bibliothek mit ihrem so großartigen Quellenmaterial. Entscheidend für meine Arbeit waren außerdem ein Fulbright-Stipendium an der Alexander Turnbull Library in Neuseeland sowie die anderthalb Jahre, die ich am National Humanities Institute in New Haven, Connecticut verbringen konnte, und schließlich meine Gastdozentur an der Yale University. Außerdem habe ich der Environmental Review und der Texas Quarterly für die Erlaubnis zu danken, meine bei ihnen publizierten Beiträge in dieses Buch aufzunehmen. 429
Mein besonderer Dank gilt denen, die meine Arbeit unmittelbar gefördert oder, wenn mir die Kräfte schwanden, vor dem Scheitern bewahrt haben: meinem Lektor Frank Smith, aber auch allen meinen früheren geistigen Mentoren: Wilbury A. Crockett, dem tollsten Englischlehrer der Welt, der mir als erster beigebracht hat, daß den geistigen Dingen zu leben durchaus eine ehrenwerte Sache sein kann; Jerry Gough, der mich darin einige Jahrzehnte später nochmals bestärkt hat; Edmund Morgan und Howard Lamar, an deren interessierter Aufmerksamkeit ich ablesen konnte, daß ich auf dem richtigen Wege war, und schließlich Donald Worster und William McNeill, die wie selbstverständlich davon ausgingen, daß ich auf diesem Wege vorankam, was für mich ein großes Kompliment war. Besonders dankbar bin ich Daniel H. Norris und Lynette M. McManemin, die einzelne Kapitel dieses Buches für mich durchgesehen haben, wie vor allem William McNeill, der das Rohprodukt noch ungehobelt, gleichsam mitsamt der Rinde und den herumfliegenden Spänen durchgelesen hat. Zu guter Letzt möchte ich noch den Computer-Hexenmeistern der University of Texas in Austin für ihre spezielle Hilfe danken: Morgan Watkins, der die endgültige Disketten-Fassung hergestellt hat, Clive Dawson, der eines Samstags spät in der Nacht ein ganzes Kapitel wieder einfing, das sich aus dem Staube gemacht und fast in Staub aufgelöst hatte, und Frances Karttunen, die mich mit den Worten: »Al, so sieht ein Computer-Terminal aus, 430
jetzt krieg bloß keinen Schreck«, ins Rennen geschickt und laufend mit großen und kleinen Ratschlägen in Englisch und Spanisch versorgt hat.
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Register Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Buch-Ausgabe
Abipones 199 Aborigines (australische Ureinwohner) 9, 21, 23 ff., 31, 47, 83 f., 105, 145, 172, 180, 195 f. 202–205, 225, 230 f., 239 Abreu de Galindo, Juan de 86, 94 Acapulco 131 Acentejo, Massaker von 86, 95 Achmed Ibn Madjid 122 Ackerkümmel 158 Acosta, Jose de 139, 150, 156 Ackerbauern 25, 27, 29 f., 32, 34, 40 Ägypten 63 Ägypter 27 Äpfel 96 Afrika (s. a. Südafrika) 25, 73, 117, 121, 123, 134, 137 ff., 145, 221, 226, 233 Afrikaner 9, 31, 116, 122, 141, 247 Afro-Amerikaner 10, 247 Akkadier 27 Akko 70 - Bischof von 67 Alaminos, Antonio de 129 Alaska 21 f., 249 Algerien 134 Aleuten 84 Algonkins 161, 199, 231 Lugo, Alonso de 86 Alpakas 172
Alphabet (s. Schrift) Amarant 149 Amerika (s. a. Nordamerika) 21 f., 24, 48, 51, 57, 124, 134, 140, 148, 172 f., 178, 181 f., 188, 212 f., 218–223, 225, 227, 233, 237, 252 Ampfer - Garten ~ 155 - Krauser ~ 152, 154, 161 - Sauer ~ 155, 162 Ananas 249 Antillen, Große 119, 132, 174, 176, 197 Antiochia 62 f. Araukanier 84 Arawaks 196 f. Argentinien (s. a. Pampa, Buenos Aires) 159 f., 177, 184, 187, 233, 242, 245, 247, 250 Artischocken, wilde 159 f. Asien 118, 145, 221, 233, 247 - Ost ~ 134 - Süd ~ 135 Auerochsen 24 Australien (s. a. Aborigines) 12, 21 f., 46 f., 78, 131, 141 f., 148, 161–165, 168, 172 f., 175, 179 ff., 185 f., 188 f., 191, 202 f., 213, 217–221, 223, 225–231, 233, 236 f., 240, 242, 244, 246 ff., 250, 252
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Auswanderer, europäische 9–14, 147, 171, 239–246 Azara, Félix de 159, 177, 233 Azoren 58, 73, 75 ff., 91, 101 ff., 127 Azteken 84, 134, 151, 198 Azurara, Gomes Eeannes de 88 Babylonier 27 Bahamas 119 Banks, Joseph 242 Bantu 146 Barbados 175 Barros, João de 138 Basken 245 Batavia 136 Baumwolle 155 Benzoni, Girolamo 99, 101 Berber 83, 104 Berberitze 158 Berg, Charles 160 Bering-Straße 18, 21, 223 Bermudagras 149 Bermudas 175 Bevölkerung - ~ sdichte 25, 34 f., 148, 208, 230 - ~ sexplosion 12, 25, 43, 93 - ~ swachstum 56, 67, 80, 93, 213, 240 f.,246–250, 252 Bewässerungssysteme 80 f., 85 Bilsenkraut 155 Bisons 13, 17, 24, 210 f., 224 f., 232 f., 235 Bodenerosion 57, 78, 98, 153, 163, 169 f., 252 Bohnen 32, 83 Bolivien 198
Botany Bay 23, 139 Brasilien 77, 124, 140, 172, 174, 176, 182, 201, 246 Brennesseln 150 f., 155 Briten 161, 196, 211 f., 240, 244, 246, 251 Britische Inseln 38, 48, 58, 196, 246 f., 250 Brombeerstrauch 99 Brumby, James 185 Büffel (s. a. Bisons) 13, 219, 233, 235 - Riesen ~ 22, 225 - Wasser ~ 24 Büffelgras 158 Buenos Aires 160, 164, 184, 190, 202, 227 Buffon, Comte de 219 Burkhardskraut 155 Butler, Samuel 243 Byron, John 31 Caesar 31 Cofachiqui 209–212 Cahokia 207 f. Calusa 198 Cantón, Eliseo 202 Carletti, Francesco 131 Carmona, Alonso de 209 Carolina 173, 178 Catawba 200 Channel Islands 175 Chechehets 202 Cherokee 200, 207 Chicago 245 Chile 10, 159, 190, 201, 242 f. China 11, 107, 133 Chinesen 108 f., 142 Chinesisches Meer 122, 129
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Choctaw 207 Cholera 135, 195 Cobo, Bernabe 154, 190 Colenso, William 234 Conrad, Joseph 138 Cook, James 23, 25, 30 f., 131, 148, 206, 242 Cortés, Hernando 187, 197 f. Costa Rica 134 Creek 207 Crèvecoeur, J. Hector St. John de 171, 188, 244 Cruzob 232 Dampfkraft 12 Darwin, Charles 159 f., 164, 248 Denguefieber 138, 195 Devizes, Richard von 68 Diaz, Bartholomeu 108, 117 f. Dingos 21, 24, 47, 142, 172 Diphterie 195 Disteln 32, 37, 150, 154, 159 f. - Gänse ~ 152, 155, 162, 167 Dobrizhoffer, Martin 178, 199 Drake, Francis 212 Edessa 62 f. Eichhörnchen 192 Eidechsen 83 Eisschmelze 22, 105 Elcano, Juan Sebastian 127 Elche 225 Elefanten 137, 221 Elefantenvogel 121 Elfenbein 137 England (s. Britische Inseln) English grass 157 Enten (s. a. Federvieh) 24, 96
Enzephalitis 195 Epidemien (s. a. einzelne Krankheiten u. Krankheitserreger) 33–38, 55 f., 67, 93 ff., 100, 103 f., 193–214, 218, 229, 231, 249, 251 - Virgin soil ~ 96, 103, 194, 232 Erbsen 26 f., 83, 96 Erik der Rote 48, 59 Eriks Saga 71 Eriksson, Leif 49, 59 Eriksson, Thorvald 58 ff. Esel 26, 78, 96 f., 172 Eskimos (s. Skraelings) Española 77, 119, 151, 174, 176, 181, 197, 204 Espinosa, Alonso de 92, 95, 99 Eukalyptus 161, 189 Euphrat 26 Färöer-Inseln 48, 56 Falkner, Thomas 184 Farn 150 Federvieh (s. a. einzelne Arten) 24, 34 f., 96, 172 Feigenbaum 93 Feuer 21, 57, 78 f., 159 f., 222 Fidschis 84 Fiebermücke 142 Fingergras 165 Fingerhirse 149 Finnland (s. Vinland) Flachs 234 Fledermäuse 226 Fliegen 33, 142 Flöhe 33 Flohkraut, kanadisches 165 Florida 129, 176, 210, 212 Franken 63, 65, 67 f., 72
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Franklin, Benjamin 240 Frankreich 243, 250 Franzosen 84 f., 87, 89, 157, 191, 211 f., 246 Fremont, John Charles 153, 162 Friedrich Barbarossa 64, 69 Fuerteventura 78, 87, 97 f. Gänse 24 Gänsefuß 161 Gama, Vasco da 116, 120–124, 127 Gauchos 233, 241 Geelong 204 Gelbfieber 138, 140, 195 Gerste 11, 14, 26 f., 32, 83, 96 Geschlechtskrankheiten 41, 100, 124, 135, 206, 232 Getreide (s. a. einzelne Sorten) 32, 41, 54, 88, 94, 96, 136, 149, 166, 245, 251 Gewürze 124, 127 ff. Gewürzinseln (s. Molukken) Gewürznelken 127 f. Ghana 29 Gibraltar 73 Glas, George 87 Goa 131 f., 135 Gold 116, 138 – ~ rausch 153, 182, 242 Golf von Darien 141 Golf von Guinea 116, 120 Golf von Mexiko 129, 198 Golfo de Damas 119 Gomera 88, 90 Goulburn 204 Grammagras 158 Gran Canaria 82, 85, 87, 89 f., 93
ff., 98 Grasland 49, 51, 150 f., 153, 158, 178, 182, 220, 222, 225, 232 Grauhörnchen 191 Gray, Asa 164 Griechen 244 Grippe 35, 194 f. Grizzlybären 225 Grönland 48–57, 59 f. - ~ Siedler 49 ff., 55, 62, 71 Guam 126 Guanako 13 f., 233 Guanchen 74 f., 81–96, 98–101, 103 f., 230 Guarani 201, 231 Guerra, Lope Fernández de la 92 Guinea 138 Guyana 141 f., 144 Hämorrhoiden 135 Hafer 11, 162 - Blind ~ 152 - ~gras 163 Haiti 77 Hanf 158 Haustiere (s. a. einzelne Arten) 23 f., 26, 28, 30 f., 34 f., 37, 45, 51, 79, 83, 91, 96, 103 f., 133, 135 ff., 140, 142, 172 f., 192 - der Alten Welt 24, 34, 37 f., 159 Hawaii 77, 93 Hawaiianer 84 Haygarth, Henry W. 162 Hederich 154 Heiliges Land (s. Levante) Helluland 49 Hepatitis 194 f.
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Herjolfsson, Bjarni 59 Hessenfliege 226, 232 Hethiter 36 f. Hierro 90, 96 f. Hirnhautentzündung 194 Hirse 11 Hirtentäschel 155, 161, 167 Holländer 39, 131, 220 Holz 49, 54, 78 f., 96, 98, 150, 166 - Färbe ~ 135 Homo sapiens 20 ff., 25 f. Honigbienen 24, 41, 79, 97, 186–189, 232, 244 Hooker, Joseph Dalton 165 f. Hudson, William H. 160 f., 175, 177 Hühner 24, 96, 132, 172 Hunde (s. a. Dingos) 21, 24, 26, 34, 83, 96 f., 172, 224 Hungersnöte 29, 56 f., 68, 86, 93 f., 113, 115, 119, 126, 151, 179, 203, 243, 251 Hunter, John 180, 203 Horonen 227 Immunsystem 34–37, 68, 196 f., 230 f. Indien 122 f., 131, 135 f. Indianer (s. a. einzelne Stämme) 9 f., 14, 24 ff., 32, 46, 51, 55, 83, 105, 124, 132, 134, 140 f., 145 f., 153, 156, 172, 182, 188, 191, 194–202, 204, 207 f., 210 ff., 216, 219, 225, 229 f., 235, 239, 241 Indigo 166 Indischer Ozean 118, 120 f., 128 f.
Indonesier 136 Infektionskrankheiten 33–36, 55 f., 67 f., 142, 194–197, 202 f., 205, 211 ff., 227, 230 f. Inkareich 198 Inkas 132 Iren 59 f., 132, 243 ff. Irokesen 84 Irving, Washington 188 Island 48, 50 f., 53–57, 59 f., 62, 72 Israeliten 27, 35 f. Italien 56 Italiener 244 f. Jäger 21 f., 25, 27, 33 ff., 40, 221 ff., 241 Jakuten 42 Jamestown 49, 148, 156, 190 Japan 131, 133 Jerusalem (s. Kreuzzüge) Jesuiten 177 Josselyn, John 155, 158, 167, 183, 187 Juden, aschkenasische 145 Jukaghiren 42 Känguruhgras 14, 163, 234 Känguruhs 13, 17, 132, 219, 237 Kaffee 242 Kala, Peter 17 Kalifornien 151 ff., 175 f., 182, 250 Kalmen 116 f., 120, 124, 127 Kamele 26, 45, 96 f., 159, 219, 221, 223, 225 Kamille 154 f., 167 Kampfer 155
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Kamtschatka 42 Kanada 148, 163, 174 f., 191, 224, 246, 250 Kanarische Inseln (s. a. einzelne Inseln) 57, 71, 73 ff., 81–84, 88–94, 96–104, 113–116, 118, 124, 127, 174, 176, 227 Kaninchen 77 f., 94, 96, 191 Kap der Guten Hoffnung 120–123 Kapstadt 38 Kapverdische Inseln 116 f., 120, 124, 212 Karibikinseln (s. a. Antillen) 139 f., 150, 174, 195, 241 Karibus 21 Karlsefni, Thorfinn 49, 51, 54, 59 f. Kartoffeln 11, 28, 132, 244 – Süß ~ 140, 244 Kasachstan 134 Kastilien 151 Katzen 14, 24, 41, 172, 226 Kenia (s. a. Melindi) 134 Kentucky bluegrass 157 f., 168 Keuchhusten 194 f. Khoikhoi 38 Kinderlähmung 195 Kiowa 204 Kiwis 14, 132 Klee 151, 154, 157 f., 160 f., 168 Kletten 155, 234 Klima 13 f., 21 f., 24, 39 ff., 51, 57, 63, 68, 72, 75, 77, 79, 82, 104, 110, 123, 134 ff., 138, 141 f., 144, 148, 157 f., 161 ff., 176, 182, 217, 221, 227 f., 235, 241 f., 249 ff.
Kloakentiere 219 Knöterich 155, 162 Kohl- oder Wiesenlauch 167 Kolumbien 176 Kolumbus, Christoph 25, 53, 57, 77, 98, 110, 116–122, 129, 148, 174, 176, 181, 195 f., 206 Kondor 219 Kornrade 154 Konstantinopel 63 Kontinentaldrift 16 ff., 234 Korea 133 Koriander 32 Krankheitserreger (s. a. einzelne Arten u. Parasiten) 22, 41, 55, 68, 93, 132, 136, 139 f., 142, 144, 147, 193 f., 206, 213–218, 220 f., 226–231, 236 Kreta 77, 79, 91 Kreuzzüge 61–71 Kuba 197 f. Kürbisse 32 Labkraut 32 Läuse 33 Lamas 24, 172 Lanzarote 74, 84, 87, 89 La Palma 85 f., 96 f., 100 f. Las Casas, Bartolomé de 150, 174 Lawson, John 156, 178 Legaspi, Miguel Lopez 130 León, Ponce de 129 Levante 61 f., 66, 68–71 Liberia 139 Linsen 26 f. Llanos 140, 176 Löwen 221 Löwenzahn 14, 155, 167 f., 236 f.
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Lugo, Alonso de 89, 94 Lungen- u. Brustseuche 227 Macao 131, 134 Madagaskar 220, 222 Madeira 71, 73, 75–85, 91, 100–103 Mäuse 33, 235 Magellan, Ferdinand 12, 25, 116, 124–127, 129 Mais 24, 28, 32, 140, 172 f., 244 Malaien 136 Malaiischer Archipel 20 Malaria 38, 68 ff., 195, 205, 228 Malaspina, Alejandro 241 Mallorca 81, 92 f. Malocello, Lanzarote 74 Malthus, Thomas 240 Malven 155, 159 Mamelucken 63 Mammuts 22, 219, 225 Maniok 140, 172 Maori 12, 84, 222, 225, 229 f., 239 marinheiros (s. Seefahrer) Markland 49, 52 Marokko 118 Martin, Lope 130 f. Martinique 77 Maryland 179, 183 Masern 34, 41 f., 56, 194 f. Massachusetts 183, 199, 205, 227, 231 Mastodon 22 Maul- und Klauenseuche 226 f. Mauritius 77, 92 Meerschweinchen 24, 172 Melanesier 9 Melindi 122 f.
Melonen 96 Mesopotamien 26, 234 mesteños (s. Pferde) Metalle 23, 26, 39, 52 f., 83, 90 Mexiko 130 f., 134,150– 153,176 f., 182,197, 206, 212, 224 Mikroben (s. Krankheitserreger) Mikronesier 9 Mikroorganismen (s. Krankheitserreger) Milch 11, 29, 31, 52 Minze 154 Mitchell, Thomas L. 181 Mittelatlantischer Rücken 16, 48 Moas 13, 222 Molukken 125 ff., 129 Mongolen 39 Monks mound 207 Monsun 116, 121 ff., 125–128, 131 f. Morfi, Juan Agustin de 177, 182 Moschusochsen 225 Moskitos 34, 142, 144, 228 Moslems (s. Sarazenen) Mound builders 207, 212 Müll 33 f., 218 Mumps 194 Mungos 93 Muskat 128 Mustangs (s. Pferde) Nachtschatten 150, 155 Nagasaki 134 Nagetiere (s. a. einzelne Arten) 37, 83, 190, 226 Naher Osten 23, 26 f., 34, 36, 134, 230 Nahrungsmittel 10 f., 13 f., 26,
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30 f., 50, 79, 93, 136, 153, 156, 170 ff., 242, 244, 247, 249 ff. - ~ exporte 11, 39, 87 - ~ Überschüsse 34, 37, 39, 54, 88, 218, 250 - ~ Vorräte 27, 33, 41, 56, 190 Namibia 117 f. Nandus 14, 233 Natchez 212 Natterwurz 162 Navigation 60 f., 72, 102, 108 f., 113, 118, 123 f., 126 Neo-europäische Gebiete Def. 9 f., 147 - geographische Lage der 217 Neolithische Revolution 23–26, 137, 230, 237, 252 - der Alten Welt 23–26, 38–43, 45, 236 - der Neuen Welt 23 ff., 28, 46 Neu Amsterdam (s. New York) Neuengland 155 f., 167, 173, 199, 227, 229 Neufrankreich 183, 227, 246 Neufundland 52, 155 Neu-Guinea 22 Neuschottland 191 Neuseeland 131, 148, 161, 165, 173, 175, 179,191, 203, 213, 217–222, 225–228,231, 233 f., 236, 240, 242 ff., 248, 250, 252 New Jersey 241 New Mexico 176 New South Wales 146, 161, 180 f., 186, 189, 203 f., 228, 234, 242 New York 119, 245 Nomaden 218
Nordamerika (s. a. Kanada) 143, 146, 148, 153, 156 f., 164 f., 168, 173, 178, 183, 187, 200, 207, 209–212, 224 ff., 228 f., 233, 235, 240–248, 250 Norwegen 53 f., 56 Norweger 49–55. 57 ff., 71 Ochsen 28 Omaha 200 Orangen 150, 156 Orseille 82, 96 Otjaken 42 Oviedo y Valdes, Gonzalo Fernández 99, 213 Ozeanien 219, 226, 230 Palästina (s. Levante) Pallas, Peter Simon 41 Pampa 14, 158, 160 f., 163, 173, 175, 177 f., 180, 185, 198, 200 ff., 220, 223 f., 226, 228, 231, 233, 241 ff., 245, 250 Pangäa 15–23, 25 f. Paraguay 198 f., 201 Paraná 10 Parasiten (s. a. einzelne Arten) 33 f., 38, 133, 135 ff., 142, 216 ff., 220 f., 226 Patagonien 160, 164 Pazifik 40, 125, 128–131, 133 Penn, William 157 Pennsylvania 183 Perestrello, Bartholomeu 77 Peru 154, 190, 198, 206, 209 Pest 33, 56 f., 82, 95 f., 104 - Beulen ~ 33, 95, 195 - Hunde ~ (s. a. Masern) 34
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- Rinder ~ 34, 226 - Wasser ~ 165 Pfeffer 116, 135, 138 Pferde 14, 22, 24, 26, 28 f., 34, 45, 51, 83, 92, 94, 97, 104, 132,138, 140, 153, 159, 172, 177, 181–186, 219 ff., 223 ff., 235, 237, 241 Pfirsiche 96, 150, 156, 173 Pflug 31, 234 Philippinen 125, 127, 129 ff. Pilgerväter 143 f. Pilze 34, 135 Pionierpflanzen (s. Unkraut) Pittsburgh 245 Pizarro, Francisco 174, 198 Po, Fernando 117 Pocken 34, 38, 41 f., 55, 132, 135, 195, 197–205, 228 ff., 232 - Kuh ~ 34 - Wind ~ 195 Polo, Marco 121 f. Polynesier 9, 83 Porto Santo 76 ff., 94 Portugal 76 f., 79, 81 Portugiesen 84 f., 117 f., 122, 135, 137 f., 177, 244 Portulak 161 Pumas 51 Purcha, Samuel 132 Quecken 155, 168 Queensland 141 ff., 176 Rad, Erfindung des ~ es 45 f., 52 Raigras 32 Raleigh, Sir Walter 143 Ratten 33, 41, 78, 161, 189–192,
235 Reiherkraut 167 Reiherschnabel 152 f., 161 f. Reis 11, 14, 136, 166 Rentiere 24, 39 Rhodos 63, 77 Richard Löwenherz 69 Riesenfaultier 22, 219 Rinder 13 f., 17, 24, 26 f., 34,49, 76, 83, 96, 103 f., 132, 137, 140, 150 f., 157, 172 f., 176– 181, 220, 223 f., 233 ff., 241 Rio de la Plata (s. Pampa) Rio Grande do Sul 10, 148, 177, 201, 242 Roaring Forties 131 Roberts- oder Ruprechtskraut 155 Röteln 194 Roggen 11 Rückfallfieber 33 Ruhr 135, 194 - rote ~ 138 - Amöben ~ 195 Russen 40–43, 245 Rußland 251 Sable Island 175 Säbelzahntiger 219 Saladin 64 Salz 179 Sammler 25, 27, 33 ff., 241 Samoa 93 Samojeden 42 Sandfloh 213 Sandkraut 161 Santa Catarina 10 São Tome 117, 137
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Sargasso-Meer 119 Sarazenen 62 f., 65 f., 68, 108 f. Schaben 33 Schafe 14, 24, 26 f., 34,49, 75 f., 83, 96,157, 163, 168, 172, 175, 181, 220, 223, 233 ff., 237, 243, 245 Schafgarbe 155 Schanghai 134 Scharlach 41, 195 Schildkröten 83 Schotten 141 Schrift 22 f., 26, 46, 91 Schwarzer Tod (s. Pest) Schwarzwasserfieber 138 Schweine 11,14, 24, 26 f., 34, 45, 79, 83, 92, 96, 103, 132, 140, 172–176, 178, 235, 237 Schwingelgras 167 Seefahrer u. Seefahrt (s. a. Navigation) 31, 48, 50, 52 f., 56–60, 62 f., 74, 83, 102, 108 ff., 113–121, 123–132, 134, 171, 187, 193, 205 f., 216 f., 219 f., 223, 225, 235 f., 239, 241 Segge 151 Senf 154 - Schwarzer ~ 152 Serben 244 Seuchen (s. Epidemien) Shawnee 207 Sibirien 21 f., 39–43 Sichelzellenanämie 69 Sydney (s. Australien) Sierra Leone 124, 139 Singapur 136 Sioux 200, 232, 235
Sizilien 91 Skandinavier 244 Sklaven 81 f., 85, 89 ff., 98,100 f., 103,114, 116, 138–141, 145, 195 f., 201, 209, 239 Skorbut 68, 124, 126, 130, 202, 228 Skraelings 9, 51–54, 57 f., 194 Slowaken 244 Smith, Adam 215 f. Smith, John 156 Sojabohnen 11 Soto, Hernando de 209 f., 212 Spanien 85, 195 Spanier 84–88, 94 f., 99, 134, 150, 152, 177, 182, 184, 209, 211, 213, 244 Sperlinge 237 Städte (s. a. Bevölkerungsdichte) 23, 26, 34, 46, 145, 230 Stare 237 Staupe 34 Steckrübe 154 Steinkraut 182 Südafrika 118, 146, 165, 220, 226 Sumerer 26 f., 33, 35 Syphilis 100, 195, 213, 218 Tabak 54, 80, 166 Talomeco 211 Tapire 219 Tasmanien 132, 148, 162, 175, 185, 189, 191 Tauben 79, 96 - Wander ~ 132, 237 Taubenkraut 165 Teneriffa 82, 85 f., 89–92, 94 f., 97 ff., 114
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Texas (s. a. Mexiko) 177 f., 182, 212, 224 Typhus 33 f., 41, 67, 95 f., 100, 103 f., 195 Thylacoleo carnifex 219 Tiergiganten (s. a. einzelne Arten) 21 f., 121, 159, 219–225 Tiger 221 Tigris 26 Tippecanoe, Schlacht von 188 Tollwut 226 Trachom 195 Transjordanien 65 Trespe - Aufrechte ~ 152 - Roggen ~ 152, 158 Tripolis 62 f. Trollope, Anthony 189, 244 Tropen 134–142, 145, 173, 249 f. Truthahn 191 Trypanosomiasis 137 Tsetse-Fliege 29, 142 Tuberkulose 195 Tucumán 184 Tüpfel-Hartheu 158 Türken 122, 134 Tungusen 42 Tyrus, Wilhelm von 65 Ulfsson, Gunnbjorn 59 Unkraut (s. a. einzelne Arten) 32, 34, 37 f., 41, 78, 98 f., 132, 147–170, 232–236, Def. 149 Upsi, Erik 49 Ural 40 Urdaneta, Andres de 130 f. Uruguay 10, 148, 159, 177, 242, 246, 250 Vaca, Cabeza de 205, 212
Vega, Garcilaso de la 154, 190 Velasco, Juan López de 227 Venezuela 176 Vera, Pedro de 86, 97 Victoria (s. Australien) Viehherden 22, 34, 39, 50, 76, 82, 96,150 f., 159 ff., 171, 176 f., 179 f., 184 f., 219, 223, 232 f. Vinland 49, 51 f., 54–58, 60, 71, 149 - ~ Sagas 53, 55, 57 f., 60, 72 Virginia 78, 119, 143, 146, 156, 173 f., 183, 187, 241 Vitry, Jacques de 60 f. Vivaldi, V. u. U. 73 f., 113, 115, 121 Volta do mar 115 f., 118 ff., 127, 130 Waffen 40, 52 f., 84, 87 f., 102, 107, 146 Waid 76 Wapitihirsche 225 Wechselfieber 135 Wegerich 150, 155 f., 161, 169 Weintrauben 79, 96, 103 Weizen 10 f., 13 f., 24 ff., 32, 45, 57, 76, 83, 96, 103, 137, 139 f., 158, 166, 226, 234, 242, 244 f., 250 Wermut 155 Westindische Inseln (s. a. Antillen) 119, 150, 176 Wiesenfuchsschwanz 152 Wikinger 50, 58 Winthrop, John 205 Wisente 13 Wölfe 34, 46, 51
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Wolle 166, 242, 245 Wollkraut 155 Würmer 33 f., 135, 138, 142, 195 Ximenez, Miguel 201 Yarra 204 Zapoteken 84
Ziegen 14, 24, 26 f., 34, 76, 83, 92, 96, 157, 172, 223, 233, 237 Zipangu 118 Zottelwicke 32 Zucker 11, 54, 71, 76, 80 f., 84, 96 ff., 103, 135, 142, 187, 249 Zuni 84 Zypern 63, 77