Monika Lukl
Die Farbe Des Himmels Roman zum Thema Kindesmissbrauch
Roman über Kindesmissbrauch. Sarkastischer, gesells...
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Monika Lukl
Die Farbe Des Himmels Roman zum Thema Kindesmissbrauch
Roman über Kindesmissbrauch. Sarkastischer, gesellschaftskritischer Roman, der versucht, die facettenreichen Verdrängungen des "unliebsamen" Themas, aufzuzeigen.
Erst lieben die Kinder ihre Eltern. Dann prüfen sie sie und urteilen. Selten vergeben sie ihnen. Oscar Wilde, Zitat aus : Eine Frau ohne Bedeutung
Inhalt I n h a l t ................................................................................................................. 3 P R O L O G ........................................................................................................ 4 H I M M E L H O C H ............................................................................................ 9 A L L E S N U R V E R S Ä U M T ....................................................................1 9 B L U T I S T D I C K E R A L S T R Ä N E N ..................................................2 7 M O N O L O G F Ü R Z W E I .........................................................................4 7 A H N U N G E N ...............................................................................................6 6 W E R Z U S I C H K O M M T , I S T A U S S E R H A L B D E R Z E I T ..8 2 A M O K L A U F D E R S E E L E ....................................................................9 3 R Ü C K K E H R .............................................................................................1 0 7 B E R G K R I S T A L L ...................................................................................1 2 5 M U T T E R T A G ..........................................................................................1 3 5 S T I C H W O R T V E R Z E I C H N I S ..........................................................1 4 4
PROLOG Das Zwanzigste Jahrhundert schaufelt sich bereits sein eigenes Grab, errichtet ein bombensicheres Mausoleum. Menschen lieben ihre Mitmenschen mit konzentrierter Nachsicht. Vor dem Ende sind wir doch alle gleich. So predigen jene, die gleicher sind. Die grausame Süße der Verdrängung lässt die Bauchspeicheldrüsen der Langzeitarbeitslosen platzen. Die aufgeblähten Feindbilder der inkompetenten und gesundheitsschädigenden Chefs, deren Skizzieren und Verriss am Stammtisch oder beim Kaffeekränzchen gesellschaftsfähigen Unterhaltungswert hatte, werden zunehmend von den Originalen überschwemmt: den ursprünglichsten aller ursprünglichen Feinde des Menschen: den Eltern. Wie bitte? Die heiligen Kühe der autoritätshungrigen Herde sollen geschlachtet werden!? Es sind doch immerhin die E l t e r n! Also bitte! Christliche Einschüchterungstaktik wehret den Anfängen! Aber mag für den einen oder anderen der Begriff Verdrängung nur ein wichtigtuerisches Vokabel im Sprachzentrum von Psychologen und Tierschützern gewesen sein, so muss er im Laufe seiner Arbeitslosigkeit oder Frühpensionierung entdecken, dass die Essstörungen, Depressionen, die chronischen Bauchentzündungen, Magengeschwüre und die hartnäckige Migräne nicht mehr dem allseits verhassten Boss zugeschrieben werden können. Auch nicht der Arbeitslosigkeit. Denn das unsägliche Leid in der Brust hat man auch schon vorher mit sich herumgetragen. Also, woher kommt es nun? Schlechtes Fernsehprogramm? Ungesunde Ernährung? Wie, was sagen Sie Monsignore... ?... ah, ja, selbstverständlich... mangelnde Gottesfurcht schafft all das Leiden... freilich... aber lassen Sie doch auch einmal ihren liberaler gesinnten, jungen Kollegen zu Wort kommen... wie, was soll das heißen, er ist suspendiert worden... ? Die leutselige, wohlernährte, europäische Gesellschaft, bei -4 -
genauerem Betrachten eigentlich nur die orange beseelten Niederländer, übt Nachsicht und Toleranz. "Mütter machen Männer!" lautet eine der niederschmetterndsten Erkenntnisse der pädagogischen Philosophen. Mütter machen Sadisten, einen Löffel Grießbrei zuviel auf Babys Tellerchen, den Partner impotent und die Wäsche sauber. Sadistische Kinderschänder sind ebenso lästig wie Sperrmüll und Giftgas. Der Großteil der Bevölkerung begegnet diesen Risiken mit gottergebener Ignoranz; einige wenige "Zersplitterte", seelisch Zerfetzte, weil zu den Opfern zählend, gründen Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen. Christlich orientierte Gottesgeschöpfe lauschen der sonntäglichen Predigt über "irregeleitete Schafe", die liebevoll wieder in die Herde integriert werden sollten. Liebe deine Feinde. Ehre deine Eltern. Das sei Gottes Wille. So haben es dereinst ausgehungerte und psychotische Wüstenwanderer niedergeschrieben. Nicht immer, aber immer käuflicher, sind unter den Entsorgern der gesellschaftlich irregeleiteten Sadisten auch engelsgleich therapierende Individuen vorzufinden. Bei ihrer analytischen Arbeit über gequälte Seelen, die eifrig katalogisiert und statistisch verwertet werden. Da kommt man dann zu dem lehrreichen Schluss, dass so manches Männerwesen sein Martyrium nur noch dadurch ertragen kann, indem es sich an jenen abreagiert, die in seinen Augen sozial und moralisch unterliegen: Frauen, Kinder und Tiere. Und diese unbedarften Weiberseelen, im Wiener Jargon liebevoll als "Tschapperl" tituliert, provozieren ihr Leid oft auch noch auf äußerst penetrante Art und Weise. Unbewusst, versteht sich. Weswegen die therapierenden Engel auch heilende Absolution verteilen. Aber nur selten auf Krankenschein. Nein, man sollte der allseits informierten und analysierten Gesellschaft zu Ende dieses Jahrhunderts doch ein wenig fortschrittliche Erkenntnis zugestehen : -5 -
Tiere werden zunehmend verschont. Da und dort erschrickt so mancher Mann zu Tode, wenn er sich klarmachen muss, dass seine Mutter eben doch nur eine Frau ist. Aber er tröstet sich schnell mit dem Gedanken, dass sie durch seine Geburt eine immense Wertsteigerung erfahren durfte. Übrigens, Mami, wie war das, als du mich zur Welt gebracht hast... nein, bitte hör auf... deinem Hansi Burli wird schlecht...! Mami hat geblutet. Wie ein Tier. Das Leben einer Frau ist eben kein langer, ruhiger Ausfluss. Da toben die Elemente des Zornes und der Ohnmacht, die so manches Weiblein im schmeichelnden Takt der männlichen Religionen zu beruhigen versucht. Es fällt ihr dann zwar schwer, am heiligen Sonntag den familiären Berg Wäsche nicht zu bügeln; und es ist auch mühsam für sie am folgenden Montag den aufgestauten Berg an schmutzigem Geschirr zu bewältigen, aber, oh, Sancto Machismo, es ist gottgefällig! Der psychologische Rat ist bei Weibern nicht so gefragt. Denn da gibt es keine Absolution und sonntags keinen Freigang in Richtung Kirche. Außerdem sind Seelenklempner aufwieglerisch und verraten ihre Geschlechtsgenossen. So manche Ehe ist da schon zerbröselt. Nach zehn psychoanalytischen Sitzungen. Mehr bewillig t die Krankenkasse nicht. Au, weh! Da und dort kann man das Gemunkel über HypnoseTherapeuten hören. Schwarzäugige, schmalbrüstige Männekiens, mit der Aura von Südseefischern, in entspannter Körperhaltung und lila Unterhosen, werfen ihre Angeln aus und ziehen blondäugige "Nordsee-Kundinnen in ihre von Mamas Hand gesponnenen Netze; ein Blick der gierigen Seelenmagier -6 -
genügt und das Weib, schlechthin, ist ihnen willenlos ergeben. Erzählen Sie demjenigen, der zwei Drittel ihrer privaten Matratze beansprucht, von dem Umstand, dass Sie seit einiger Zeit eine Hypnose-Therapie "genießen". Wie erlösend und entspannend für Sie schon eine Sitzung gewesen ist... Der Rosshaar-Spießer in Jockey-Unterhose und weißen Tennissocken wird sie ab sofort in einem anderen Licht sehen. In einem völlig anderen. Nämlich im Lichtschein der Straßenlaterne, wenn er nächtens zu ihrem Fenster hinauf schaut und unter fluchendem Gezeter seine Schuhspitzen gegen die Bordsteinkante donnert. Wie lauteten wohl seine letzten Worte, ehe er aufspr ang und aus ihrer Tür sprintete?! Nun, etwa in der Art, wie: "Bei dem Halunken machst du ES, und bei mir nicht?!" In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Halunken um einen kultivierten, schwulen Therapeuten, der gerne vegetarisch essen geht. Und die Hypnos esituation erreicht er, indem er einen kleinen, rosa-lila Elefanten vor Ihr geistiges Auge malt. Mit der monoton summenden Wiederholung des Satzes: "Stellen Sie sich auf keinen Fall einen kleinen, rosa-lila Elefanten vor... auf keinen Fall stellen Sie sich einen rosa-lila Elefanten vor... also, Sie als vernünftige Frau können sich doch sicherlich alles vorstellen, nur keinen rosa-lila Elefanten...!" Der Gute hat schlau erkannt, dass es sich bei Ihnen um eine, im schulmedizinischen Pseudo-Fachjargon diagnost izierte, BTypa handelt, der prinzipiell der Gedanke ins Hirn springt, den ihr ein Mann unter keinen Umständen erlauben will. Nach meiner Hypnose-Therapie malte ich in moderater Besessenheit eine Unzahl von rosa-lila Elefanten an die Schlafzimmerwände. Bis hinaus ins Vorzimmer ließ ich die Herde traben. Aber dann fing mein Kater an, etwas neurotisch darauf zu reagieren, und ich übermalte meine kreativen Machwerke wieder mit weißer Farbe. Aber seither scharrt der -7 -
süße Vierbeiner immer noch an den gewissen St ellen, von denen er sich mal so bedroht fühlte. Übertünchen bringt wohl nichts. Da müssen schon Wände eingerissen werden. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Es lebe die dreckige Phantasie und die panische Angst vor Vergleich bei den chauvinistischen Mitbewohnern unserer Mutter Erde! Denn, wie sonst könnten wir Frauen diese Prachtstücke von Liebhabern loswerden, nachdem der Lack vom Bettgestell ab ist!? Frau kann guten Mutes auf den Macho-Staub aufwirbelnden Geist des Dritten Jahrtausends vertrauen. Es kann nur besser werden. Dessen bin ich mir völlig sicher, denn in den letzten Wochen haben bereits zehn männliche Vertreter verschiedener Sekten meditativ hysterisch an meine Tür geklopft, um den baldigen Untergang der Welt zu verkünden. Jawohl, Burschen, Ihr habt Recht, Eure patriarchalische Welt wippt im apokalyptischen Rhythmus und das Paradies der Göttinnen wartet!
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HIMMELHOCH Hannes Wolf, von nebliger Schönheit der Wiener Vorstadt gezeichnet, wird in den nächsten Tagen vierzig Jahre alt. Genüsslich lehnt er sich in sein schwarz riechendes Ledersofa zurück. Seine trüben Augen mustern die tänzelnden Blätter des sechshundert Jahre alten Olivenbaumes, der sich dem sanften, aber nachdrücklichen Südwind neigt und im Swimmingpool unheimliche Schattenbilder in Bewegung bringt. Der stolze Blick des Hausherrn, der es bevorzugt, die Natur vom klimatisierten Wohnzimmer aus zu bewundern, bleibt schließlich bei den schwingenden Hüften der zwanzigjährigen Nachbarin Maja hängen. Nicht von schlechten Eltern, denkt der. Ein gerüttelt Maß an Vernunft könnte ihr nicht schaden, aber sonst gibt's nichts an ihr auszusetzen... diese langen, gebräunten Beine, der wuchtige und pralle Hintern... wahrlich, das sind nicht zu verachtende, weibliche Werte! Sie erscheint ihm unerträglich jung und provoziert ihn in der Art, wie sie seinen Blicken mit naiver Stärke begegnet. Aber sie wird sich schon noch abschleifen lassen. Zu einem leuchtenden Edelstein! Nein, aus der jungfräulichen Maja wird er keinen kalten Diamanten formen. As frozen as cocaine. Maja hat die Bestimmung zu einem Bergkristall; verschwommen funkelnd, wie von tausend Tränen bedeckt, wird er all den vorstellbaren Schmerz einer Frau reflektieren... "Good morning, Mister Wolf!" Hannes wird aus seinen Visionen gerissen. Er er hebt sich in majestätischer Pose und lässt in zufälliger Geste die Zeitung auf den Rauchglastisch fallen. So, die Straße wäre gerettet, denkt Hannes und geht der ungeduldig winkenden Putzfrau Sophia entgegen. Er öffnet ihr die Tür. "Good morning!" jubelt s ie, während sie bereits Anstalten macht, die Küche in Ordnung zu bringen. "Only kitchen and Bathrom. Thats enough for such a wonderful day!" ruft ihr Hannes nach. Er erhält keine Antwort. -9 -
Keine Ahnung, ob diese zypriotische Matrone ihn jetzt verstanden hat, oder nicht. Wie auch immer, die zugedeckte Straße muss konsumiert werden, aber pronto! Der arrogant anmutende Hausherr hat Federn vor weiblichem Personal!? Nun, immerhin hat sie Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Hannes benutzt einen schmutzigen, blauweiß gestreiften Plastikhalm, einmal tief eingeatmet und Ciao bellt! "... Du bist so weiß wie Schnee, und frisst so gerne Schokolade... oh yeah.." trällert der Barde, "... und wenn du in meinen Liebes-Flammen schmilzt, hab ich einen braunen Fleck im Bade... " Hannes ist begeistert von seinem kreativen Moment. Schleunigst will er diese Zeilen zu Papier bringen, bevor sich die Idee wieder aus den Gehirnwindungen schleudert. Verdammt schwierig für den einst so gefeierten Musiker und Sänger, den Anschluss an seine Karriere zu finden. Wien bedeutete vor zwanzig Jahren den Anfang, und Zypern, so scheint es zusehends, das Ende. Aber hier an diesem verlassenen Fleck, im griechischen Teil der Insel kann ihn niemand bedrängen, oder darauf lauern, dass er endlich krepiert. Als ob das ein Kunststück wäre, ihm ständig zu prophezeien, dass er bald an seinen Drogen-Exzessen scheitern wird. Endgültig. Sophia ist bereits mit ihrer Arbeit fertig. Hannes begleitet sie noch bis zur Gartentür und winkt ihr fröhlich nach: "You are a Venus, Sophia!" Hier in Zypern ist es die gottverdammte Pflicht, sozusagen das Mindeste, dass Männer die dienstbeflissenen, abgerackerten, verheirateten, kinderbesegneten Frauen mit der schaumgeborenen Venus vergleichen. Ist eine junge, aufblühende Maid noch nicht verehelicht, wird sie von ihren Brüdern bewacht, wie die "Green line" in Nicosia. Keiner beachtet sie; es sei denn die Hormone der Söhne des Zeus schießen ins Kraut, dann wird sie im Namen der Ehre blutig -1 0 -
verteidigt. Hannes findet an dem griechisch zypriotischen Ehrenkodex der Patriarchen Gefallen. "Tja, die Gesetze im Namen Gottes waren doch schon immer die besten, für uns Männer." sinniert er. Dann verneigt er sich dreimal in Richtung Rom, schließt seine von Jasmin bewachsene Gartenpforte wieder ab und aktiviert die Alarmanlage. Panik ist der Preis für Erfolg und Reichtum. Das wussten auch schon die alten Ägypter. Aber, was solls! In einem Mausoleum lässt es sich ungestört koksen. Zwei Jahre schon verbringt Hannes hier im südlichen Teil der Insel Zypern. Eigentlich wollte er nur ein paar Wochen Urlaub hier verbringen. Aber dann fühlte er sich in diesem HundertSeelen-Dorf derart wohl, dass er beschloss das Zweithaus des hiesigen Bürgermeisters zu kaufen. Zum nächsten Strand sind es zwar ein paar Kilometer, aber für einen motorisierten GoldenCard- Besitzer wie Hannes war das kein Thema. Außerdem bietet der Swimmingpool im kleinen Garten, hinter dem weißgetünchten, einstöckigen Haus, auch genügend Abkühlung in überhitzten Momenten. Jeden zweiten Tag, frühmorgens um Elf Uhr, schaut Sophia vorbei, um die nötigen Hausarbeiten zu verrichten. Manchmal kocht sie auch eine Lemon-Soup oder mit Feigen gebratenes Huhn und verwöhnt ihn mit selbst fabriziertem Schafkäse. Obwohl es sich Hannes nicht gerne eingesteht, aber diese Art von weiblicher Zuwendung... thats it!... mehr will ein Mann gar nicht... von einer Frau! Er blättert in seinem VIP-Telefonregister mit Namen aus den Tagen des Höhenfluges. Über zehn Jahre ist es her, dass er es geschafft hatte, international einen Hit zu landen. Überall, sogar hier im südlichen Hinterland, war sein Name ein Begriff. Dieses eine Lied war ständig auf allen Sendern zu hören. Dieses eine Lied! Der Traum, in dem alle Musikinterpreten schwelgen. Wenn er mal wahr wird, ist das Leben danach nicht mehr zu -1 1 -
ertragen. Nicht ohne Hilfsmittel. Nicht ohne Krücken. Und die Beschaffung ebensolcher kostet Hannes bei dem ansässigen Arzt ein Vermögen. Da gibt es kein heimlich anrüchiges Getue mit Treffen um Mitternacht hinter der Kapelle. Nein, da trifft man sich im Pub an der Dorfstraße. Hannes klimpert am Klavier für einheimische Bewunderer, der Arzt betritt die Szenerie lautstark mit den Worten: "Hey, Pianoman, Uncle Doc is here and got nice stuff for you!" Niemand schenkt diesem Vorgang Beachtung. Man nippt an seinem Glas mit Fig Whisky, spült mit ein paar Flaschen Bier nach, erzählt sich schlüpfrige Anekdoten über blonde Touristinnen und verbringt einen gemütlichen Abend. Unter Männern. Dann, etwa um Mitternacht, macht man sich auf den Weg ins familiäre Heim und beglückt Venus. Hannes schaut zu später Stunde noch in die nächstgelegene Stadt Larnaca, versackt in einer Touristen-Disco und wacht am nächsten Vormittag mit einer Touristin auf. Er ekelt sich dann zeremoniell eine Stunde lang vor sich selbst, schreibt ein paar Zeilen, intoniert sie in seinem kleinen Studio, hofft ein paar Minuten auf ein Comeback, schreibt der Touristin, die sich noch immer in seinem Bett räkelt, ein Autogramm auf blaues Klopapier und wünscht ihr gute Heimreise. Good fuck, good luck! Der Geburtstagsmorgen ist hereingebrochen. Ist von den Göttern heraufbeschworen worden. Gott sei Dank, er ist heute alleine in seinem Bett aufgewacht. Also kein üblicher Stress. Eine gute Voraussetzung, um die Heimat zu bluffen. Er wählt konzentriert die Telefonnummer seiner Mutter. "Hallo, Mama! Wie gehts dir? Gut? Na, fein! Danke, danke, ich fühle mich großartig, könnte nicht besser gehen! Ja, ja, ich freue mich auch schon auf deinen Besuch! Du kommst in sieben -1 2 -
Stunden hier an... ja, ich bin am Flughafen, alles klar... Bussi, Bussi,... bis dann!" Mit einem schweren Stoßseufzer legt Hannes den Hörer wieder auf. Ganz schön anstrengend, ohne Dope gute Laune vorzutäuschen. Er hebt noch einmal ab und wählt die Drei. Eine gespeicherte Rufnummer. Am anderen Ende der Leitung meldet sich nur der Anrufbeantworter. Geburtstagskind Hannes beginnt zu schnauben: "Hey, Cousinchen! Wann bist du eigentlich einmal zu Hause, wenn ich dich erreichen will?!... Na, gut, also, heute ist der 18. August, remember!???... ich hab heute Geburtstag, den Vierzigsten, und danke, dass du ihn mit deinem unterlassenen Glückwunsch zu einem wahren Freudentag machst!... tja, Renata, ich muss mit dir reden, vielleicht ist es dir möglich, herzukommen... aber erst in zehn Tagen, oder so,... meine Mutter kommt heute und wird eine Weile bleiben... da muss ich wieder mal kräftig in den göttlichen Farbtopf des Himmels greifen... du weißt schon... ich probier es später noch mal, oder ruf du mich kurz zurück, die Nummer hast du ja... und übrigens, ich hasse Anrufbeantworter! Ciao, Renata!" Hannes geht in sein Studio im Keller, wo er in einer Schublade, hinter alten Demobändern, seine eiserne Mutterkommt-zu- Besuch-Dope-Reserve versteckt hält. Auf einem kristallenen Teller legt er sich die Ration bereit, will aber seine depressiven Momente vorher noch auskosten und bringt sie zu Papier: ... Ich will nicht mehr leben, der Atem der anderen Menschen bricht in meine Eingeweide ein, schnürt mich zu, wie ein Paket von innen nach außen, ein Paket, das nie aufgegeben wird und auf dem Schoß eines trägen Postbeamten ruht, der geschworen hat, sich nie wieder zu bewegen, um eines Tages sitzend begraben zu werden, mit der Aura des Freimaurers, der die -1 3 -
Schusslöcher in seiner Seele nicht sehen will, weil wohlmeinende Freunde sie geschickt zuhalten, mit kleinen Sonnenschirmchen aus der Eisdiele "Sancto Mafioso". Nie wieder will ich Musik hören, will nie mehr die eitel schwingende Stimme eines Sängers bei seinem Konzert ertragen müssen, die Konkurrenz lässt mein Gefühl für Fähigkeit, für Talent schwinden, wie eine aufgeblasene Rauchwolke, die nur so lange existiert, wie die Zigarette am Glühen ist. Der Glimmstängel der Illusion ist in eine trübe Lache abgestandenen Weines gefallen. Der Trank, der sonst die heile nde Illusion versüßt, er ist das Grab der phantastischen Ideen, der trotzigen Individualität geworden. Aber das zornige Staunen der Menge kann mich nicht abschrecken. Ich will weiterhin einfach nur da sein und den Tod beobachten, ich will nicht ein das Nic hts erahnender Beteiligter in diesem Spiel sein. Will mich nicht ducken, wenn der unruhige Geist aufgestauter Angstwinde mir die Oberstübchen des Publikums auf mein Dach donnern lässt. Kein Schutz, keine uniformierte Feuerwehr für die kleinen Katastrophen, die meinem Schutzengel ein Dorn im Auge sind, weil er durch sie auch nicht zur seligen Ruhe kommen kann. Aber ist die Stille, dieser ewige Schlaf wirklich unsere wahre Sehnsucht, ist es nicht viel mehr das Treiben und raschelnde Suchen, das die Seele in erleichternde Schwingungen versetzt, ein Versickern und Aufwehen, das uns deutet: Bleib nicht stehen, denn sonst könntest du mit dem falschen Teil verwachsen werden! Dieses ungeliebte Ding, dieses verworrene Ideal, das uns im Wege steht, uns zum Stolpern bringt, ich will es nicht missen. Es will gehegt werden, auch im Schlaf begleitet es unsere gnadenlose Berechnung. Träume, gehüllt in reale Gegebenheiten, die wir fliehen oder suchen, in der Hoffnung, endlich an ein willkommenes Ziel zu gelangen, oder aber auch um die kritische Bewertung der göttlichen Kraft herauszufordern. -1 4 -
Nicht den Frieden suchen wir, wir suchen das Getümmel von Missverständnissen und Ratlosigkeit, das Wirrwarr von Liebesdiensten und Hasstiraden. Was zu unserer Tarnung beiträgt, ist das aufgesetzte Lächeln und die Beschwörung der friedvollen Liebe, die wir sogar im Grabe noch fürchten. Ich will diesen Weg weitergehen und den Mut haben, meine Begegnungen auszuhalten. Denn, was wir ertragen können, das genießen wir auch. Nur der Andere soll es nie erfahren. Hinter seinem Lächeln verbirgt er die selbe Sehnsucht nach Herausforderung und Spannung, aber sein Mund spricht von gesicherten Verhältnissen, oder was sonst noch im Aufgebot an den Mauern der Kirche zum Schaukasten ausgehängt wird, zum Gaudium derer, die bereits ihr Schiff in diesem modernden Hafen vor Anker gelegt haben. Sie pflegen ihr rostiges Gefährt und vergessen mit der Zeit, dass sie ursprünglich auf der Reise waren. Gierig registrieren sie weitere Opfer dieser gesetzlichen und kirc hlichen Verankerung. Wieder ein Paar mehr, das sich in diesen Reigen der Aussichtslosen einfügt. Scheinbar vermittelt man sich Solidarität und Kraft. Nährt die Kinder mit der selben Flaschennahrung, versorgt sie mit den selben Windeln, wie sie auch in der Werbung angepriesen werden. Oder man giert nach den Baumwollfetzen, die von den Bio - Aposteln ultimativ stofflich gesäubert werden, während sie die Schnecken im Salat noch in guter alter Tradition mit der Hand erschlagen. Kein Gift, keine Konservierung. Wir ertragen die Vergänglichkeit und die Grausamkeiten der Natur. Wir spielen mit, in diesem Katz und Mausspiel der Eitelkeiten. Wer hat die wenigsten Pickel im ganzen Land? Natürlich der, mit dem ungebleichten Linnengewand! Er sonnt sich im Schatten der ungespritzten Obstbäume und kratzt sich nicht bei Mückenstichen. Er bespricht alles und jeden, aber nur in der biblischen Tonart, die unendliche Interpretationen zulässt. Aber nur eine Version ist gültig, nämlich die des Patriarchen. Wie in der guten alten Zeit der Uhrlosen. -1 5 -
Die Stiefel sind geputzt, die Sporen blitzblank. Es kann losgehen! Wir fangen uns einen Ochsen und schlachten ihn zu Ehren des einen und wahren Gottes. Aber vorher die Hände und das Gesicht in Salzwasser gewaschen, die Füße in Mandelöl getaucht und anschließend in borstige Schafwollsocken gesteckt. Die Schuhe knarren, sie geben die Laute des Kosmos von sich, der sich schon seit langem von dem Planeten Erde trennen will, aber noch nicht die geeignete Naturkatastrophe dafür erfunden hat. D a s Weltall, es lauert, es sitzt uns im verkrampften Nacken. Wir haben keinen Platz mehr in diesem göttlichen Spiel, aber wir versuchen es mit gesunder Ernährung. Kraftstrotzend stellen wir uns der Herausforderung. Mit gemäßigtem Cholesterinspiegel im wallenden Blut. Wir lieben dieses Spiel. Aber, was solls, wenn wir verlieren, der liebe Herrgott wird uns aufnehmen, in seinen bewölkten Himmel. Dort, wo die Engel verlernt haben, die Harfe zu spielen. Zurücklehnen und die Kräfte wirken lassen. Nur keine Angst, die Schatten sind nicht zum Angriff gewappnet, sie spenden nur kühle Erfrischung, weil sonst das ewige Licht unsere Augen blenden würde. Liebet die Finsternis, denn sie schenkt die Erholung. Blassblaue Vermutungen sind nicht vonnöten, denn all diese Menschen haben nur Eines im Sinn: Sie wollen so bald als möglich die himmlische Wahrheit erfahren. Aber sie haben keine Ahnung davon, dass sie dann wertlos sein werden. Denn nur als naive Geschöpfe erfüllen sie ihre Funktion in diesem kosmischen Geschehen. Das Schicksal annehmen und hin und wieder einmal ein Schaufel selbst in die Hand nehmen. Den Dreck wegkehren, der eigentlich nur die Ausfahrt blockiert: Die Schleuse der Seele aus dem Körper. Nur, wo die erst einmal gelandet ist, da muss sie lange verweilen. Niemand kann diesen Vorgang beeinflussen, aber alle brauchen die Illusion, dass sie hinter die Kulissen schauend, irgendwann einmal den Spielablauf verstehen. Hinterfragen nützt auch nichts und auf -1 6 -
den Pfarrer hören besänftigt nur den gröbsten Hunger. Aber wir haben auch quälenden Durst und den kann nur Eines löschen: Das analytische Hinterfragen der täglichen Verrichtungen, der regelmäßigen Nadelstiche, die wir einander zufügen, die Wunden, die wir ausbluten lassen, oder aber mit letzter Regung zu stillen versuchen. Alles ist möglich, so tönt eine irdische Phrase. Aber dieses "alles" sollte in Stille und Demut geplant werden. Die Ausführung wird gelingen, wenn man Geduld hat. Geduld, das Altern zu ertragen, ohne die Jugend zu hassen. Geduld, die Hässlichkeit zu akzeptieren, wissend, dass sie nur in unseren eitlen Köpfen existiert. Eitelkeit ist ein Zeitvertreib für diejenigen, die nicht das Glück hatten, in ihrer Kindheit geliebt und akzeptiert zu werden. Wer sich selbst respektiert, kann gar nicht zulassen, von anderen als Spiegelbild ihrer selbst missbraucht zu werden. Der hat den Mut allen entgegenzutreten, die es "gut mit ihm meinen", der durchschaut alle Verlogenheiten und merkt schlussendlich, dass dies auch nur bloßer Zeitvertreib ist. Bis es irgendwann ein mal zu einer Explosion kommt, aber dann wird es eben nicht zu spät sein. Nichts da, von wegen Apokalypse im nächsten atomaren Novemberregen, den man fliehen muss. Zu fürchten ist nur, dass die apokalyptischen Reiter nie eintrudeln werden, weil sie auch nur zeitvertreibende Phantasiegestalten sind. Frei nach dem christlichen Motto: wir Menschen sind derart einmalig, dass uns nur ein überirdisches Ereignis von diesem Planeten fegen könnte. In Wirklichkeit schleudern wir uns alltäglich gegenseitig in unendliche Weiten, wo uns die Einsamkeit das Licht zum Atmen für die Seele nimmt. Wir schreien und weinen, und alles ist uns lieber, als dieses stumpfsinnige Alleinsein und Warten. Spekulieren mit der Katastrophe gibt wenigstens den paar Jahren, die man noch leben muss, einen Sinn. -1 7 -
Ach herrje, ich bin müde, sagt der Prediger und isst vor dem Zubettgehen noch ein Schneebusserl, das er aus der Keksdose seiner Mutter fischt..... Hannes legt den Schreibstift beiseite, überlegt noch einmal kurz, ob er das soeben verfasst e Machwerk zerfetzen soll, oder nicht. Er entschließt sich für die Ablage in seinem "Archiv der Depressionen". Mit diesem Titel hat er einen grauen Schuhkarton versehen, der bereits mit verstaubten Tagebuchaufzeichnungen vollgestopft ist.
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ALLES NUR VERSÄ UMT Sie gehen nicht, sie sind sich fremd. Camay und Leon Wolf; ein Ehepaar, das Leiden schafft, weil es nichts mehr mit Eifer sucht. Camay ist sechzig Jahre alt, von kleiner, zarter Statur und blauäugiger Ausstrahlung. Ihre kurzen, blonden Dauerwellen, sow ie die goldgefasste Brille stellen das Markenzeichen der vorstädtischen Frau in den güldenen Jahren dar. Die Krone der schlichten Schöpfung sind das Outfit der Konfektions- Baronin Fürnkranz und die sanft schleichenden Schuhe von Salamander. Streng kontroll ierte Nahrungsaufnahme und ein VerdauungsRitual, unter Anbetung der Göttin Glyzerin, bringen Camay Anerkennung im Olymp der Magertüchtigen ein. Leon feiert morgen, am 19. August 1997, seinen Siebzigsten Geburtstag. Der Herr Geheimrat hat bereits zwei ansehnliche Ecken in sein graues Haupthaar gemeißelt; aber dennoch genügend Material für Haarspaltereien hinterlassen. Leon hat eine Vorliebe für Jogging-Anzüge von Dusika oder C&A. Er radelt jeden Morgen gegen den Strom des Alterns und geht beim wöchentlichen Saunabesuch dem Neid -Teufelchen auf den Leim, das ihm fröhlich von den angespannten Bizeps der jüngeren Mitschnitzer entgegenwinkt. Den bevorstehenden Jubeltag kommentiert er mit den aufdringlich bescheidenen Worten: "Da gibt es eigentlich nichts zu feier n." Und: "Ich kann nicht klagen." lautet die stereotype Antwort für etwaige Ignoranten, die es wagen, sich nicht nach seinem Befinden zu erkundigen. Tragische Langeweile schleicht um das Zweifamilienhaus, in dem auch die gemeinsame Tochter aufgewachsen ist. Renata ist blond, grünäugig, achtunddreißig Jahre alt und kämpft -1 9 -
erfolgreich gegen ihre Sucht nach Unabhängigkeit. Diese chronische Krankheit wird von Camay und Leon seit Jahrzehnten geduldig gepflegt; wie ein zartes Pflänzchen, das ihnen wertvolles Über lebenselixier ist. Solange es gedeiht, bleibt ihnen der Anblick der Wurzeln erspart. Das elterliche Heim befindet sich in einer vorstädtischen Gegend von Wien. Nicht drinnen und nicht draußen; mit geschärftem Blick für Nachbars Garten und Blindheit für den Haufen vor der eigenen Tür. Der Lebensmaßstab wird ganz, ganz eng, zwischen den himmelblauen Verdiensten des Papstes und den schwülroten Verfehlungen des Bürgermeisters angelegt. Die Großmütter treffen sich beim Bäcker am Pfarrplatz zum Tratschen, und Mütter säuseln am Gartenzaun von Ach und Weh im honigbackenen Familienalltag. Väter joggen die Donau entlang, oder ertränken ihre Illusionen beim Heurigen; und die Kinder lernen schon im katholischen Kindergarten, dass ein "A" deutlich vor ein "B" zu setzen ist. Hier im Vorstädtchen gibt es keine Skandale. Man erschaudert nur vor den Mark und Bein beutelnden Ungerechtigkeiten, mit denen das europäische Adelshaus konfrontiert wird... dass da nicht endlich eine Ruh ist, wie weit wollen die es denn noch treiben, diese verwöhnten Gören, diese Dei, diese Förgi, der arme Prinz Albert, oder heißt er König Olaf, ah nein, das ist ja der Mann von der Marketenderin Silvia, und die arme, leidgeprüfte Quien, die bedauernswerte Gräs Källi,... ein Kaiser ghört eben wieder her ... ! Die Toten besucht man am Friedhof, die Kranken bekommen die Blumen, pünktlich zur Besuchszeit, ins Spital geliefert. Der in den letzten Zügen liegende, röchelnde Schöngeist erstickt unter der Kruste der logisch gedüngten, rasenmähergeschorenen Gärten der Günste. Hinter weiß verhangenen Fenstern ziehen schwarze Nebel von der Küche ins Schlafzimmer. Tosende Kinderstimmen werden -2 0 -
heiser und der Mann im Mond schaut zu... ... La Le Lu. Eine ältere Dame, Alleinherrscherin in der nobel bröckelnden Villa, steht staunend im Supermarkt vor den Regalen mit Katzenfutter: "Jessas, na, so was, da gibt es schon zehn Regale, voll gestapelt mit Katzenschmankerln in Dosen, und trotzdem rennen noch so viele von den graupelten Viechern bei uns herum!" Darauf meint ein älter er Herr mit Gehstock und silbrig blitzenden Wanderabzeichen auf seinem braunen Filzhut: "Das ist wie mit den Juden. Da sieht man in Filmen und Fotos diese Massen von Toten in den Konzentrationslagern, und schaun Sie sich um: von denen rennen wieder mehr herum, als vor dem Krieg!" Gemeindebauasylanten besiedeln die "Rote Burg" im Ortskern. Aber der gestandene Ortsansässige vermeidet geschickt die Konfrontation mit den Ortanstößigen. In den Siebziger Jahren wurde ein sechzehnjähriges Mädchen vergewaltigt, als sie von der Schnellbahnstation nach Hause ging. Da gibts eine kurze Strecke, die links und rechts von dichtem Buschwerk gesäumt wird. Und da soll, schließlich weiß man ja nichts Genaues, ein unbekannter Mann dieses Mädchen von hinten überfallen, in einen Busch gezerrt und eben mit Gewalt gezwungen haben... nun, Detailliertes weiß man da nicht... aber grauslich muss das schon gewesen sein... auch für dieses Mädchen. Immerhin hatte es zur Folge, dass diese Strecke nach Einbruch der Dunkelheit von anständigen Mädchen gemieden wurde. So ein bisserl Vorsicht kann nicht schaden.... aber, den sogenannten Täter hat man nie zu fassen bekommen, die Polizei hat sich lange bemüht, hat dieses Mädchen wirklich ernst genommen und ihre Beschreibung dieses Mannes protokollie rt, Anzeige ist erstattet worden, aber leider, bei einem Mann dieser -2 1 -
Figur und Aussehens ist man, laut Polizeiinspektor Navratil behördlich nicht fündig geworden... so hat er gemeint, der Navratil, jedes mal, wenn er beim Heurigen einen über den Beamtendurst getrunken hat. Und der Wirt hat erklärt, dass dieses Mensch bestimmt ein rotes war, denn sonst hätts das nicht geben können... wie, was sagen Sie Navratil, die war die Tochter vom Glasermeister?... a geh, na, dann war bestimmt der Täter ein Roter, der ausgschamte Hund... nix gegen Sie, Navratil, sie san ja sozusagen unfreiwillig bei de Roten, Berufsrisiko, gö, na machens Ihna nix draus, trinkens no a Vierterl auf Haus... Aber das wahre Feindbild des Vorstädters ist und bleibt das größere Auto des Nachbar n. Oder dessen Frau, die öfter zum Friseur geht, als man sein Stiegenhaus aufwischt. Oder aber sein Sohn, der beim Fernsehen arbeitet... Na, der wird Geld verdienen! Das kann man sich ja vorstellen. So viele Leutln, die da jeden Abend schauen! Obwohl, sein e Großmutter hat da ganz Schauerliches berichtet, beim Bäcker, am Pfarrplatz, nämlich... seit der Bub beim ORF ist, kommt er nur noch jedes zweite Wochenende zu Besuch! Ist so was zu glauben? Aber pssst... von dieser Schand soll man ja nichts weiter erzählen... schlimm genug, wenns manche sowieso mitkriegen, weils seinen roten Porsche schon lange nicht mehr gesehen haben... na, da sagn ma halt, dass er so viel arbeiten muss, der arme Bub... dann traut sich keiner mehr was antworten... und wenns einem noch immer keine Ruh geben, dann zaubern ma den Neffen, der auf Pfarrer studiert hat, aus dem Hut... na, aber nachand sans ruhig, ganz ruhig...! In dem zweistöckigen, blondgetünchten Haus von Camay und Leon wohnten früher auch Camays Mutter, die Eltern von Leon, und der ehrenträchtige Onkel, seines Zeichens gewitzter Pfarrer, und dessen Lieblingsstudent aus Schwaben. Und zu Schrei und Feiertagen wimmelte es nur so von diversen QualVerwandtschaften. Camay hatte zu diesen Anlässen die -2 2 -
ungeteilte Ehre, die Horden zu verköstigen und zu betreuen. Leon setzte derweil seine überforderten Nerven in einer Sauna unter Dampf; erschien allerdings immer pünktlich zu den Mahlzeiten. Keine leichte Aufgabe für die Hausfrau, die von Leons "Mir warn scho imma Östarreicha"- Anhang nur allzu gerne als Putzlappen betrachtet wurde. Abgesehen davon, dass man sie mit christlicher Verachtung strafte, weil sie in die Ehe mit Leon "nur eine kranke Mutter mit rein brachte". Demütigungen am laufenden Band, von denen sich Camay bis zum heutigen Tag nicht erholen konnte. Seit zwei Jahren lebt sie mit Leon ungestört in dieser einstigen Festung der hochmütigen Seelen. Aber das mit katholischem Inquisitionsodem vollgesogene Mauerwerk strahlt noch immer Ablehnung und Missgunst aus. Eine Atmosphäre, in der auch Renatas Herz das Frieren lernte. Nichts ahnend, dass sie einmal eine vergeblich nach Wärme Suchende sein wird. Als Erbin des eisigen Throns. Renata gelang es, ihre ersten Lebensjahre unauffällig erfolgreich zu absolvieren, indem sie problemlos und sogar noch Wochen vor der Altersnorm gehen und sprechen lernte. Acht Monate früher, als für ihre Mitstreiter, wurde der Startschuss für die intellektuelle Karriere in der Volksschule abgefeuert. In panischem Wettbewerb gelöste Aufgaben, die ihr von der Lehrerin Löschpapiere und Buntstifte als Lohn einbrachten, garantierten auch Anerkennung und Zuneigung im trauten Heim. Und landete der Siegerpokal einmal nicht ihren Händen, dann lauerte die elterliche Frage: "Wer, außer Dir.... ?" Wer, an Stelle von Renata, hatte den Sieg eingeheimst? War es ein Kind aus einer "Haus und Garten"-Familie, so ließ man sich zu mildem Verständnis herab, doch wehe, wehe, der ehrgeizige Durchstarter kam aus dem Gemeindebau, dann brachte das gnadenlose Verachtung ein. -2 3 -
Für die siebenjährige Renata kam es einmal zu einer katastrophalen Verwirrung, als sie entdecken musste, dass eine Freundin hinter einem Betonplattenbau entschwand. Sie fürchtete schon, dass sie wegen ihres schlechten Umganges gescholten würde. Aber Camay erklärte ihr, dass es sich hier um eine Genossenschaftswohnung handelte; es also in Ordnung wäre, wenn sie mit diesem Mädchen befreundet ist. Abgesehen davon, dass Freunde sowieso nicht viel Wert sind, sondern einzig und allein die Eltern, die es immer nur gut meinten. Mit zehn Jahren durfte Renata entdecken, dass es Menschen gibt, die lieb und freundlich zu ihr waren, obwohl es ihr nicht mehr gelang, Klassenbeste zu sein. Auch zu Hause blieb der erwartete Zorn darüber aus. Immerhin hatte sie die Selektion in ein Gymnasium bestanden, wo sie von nun an zu der "breiten Masse", zum vielgelobten Durchschnitt zählen durfte. Mit zwölf Jahren war Renata bereits einen Kopf größer, als ihre Mutter, was die Aufgabe an sie stellte, sich ducken zu müssen, um der geforderten Norm wieder entsprechen zu können. Und dieses "Sich- Hinunter- Beugen", um nicht an die stacheldrahtverhauene Obergrenze des unauffälligen, unkomplizierten Durchschnitts anzustoßen, gestaltet sich bis zum heutigen Tag zu ihrer schwierigsten Übung. Renata leidet seit frühen Kindertagen an Migräne; meistens in jenen verhängnisvollen Momenten, wenn sie wieder einmal unvorsichtig gegen einen Grenzpfosten geprallt ist. Camay und Leon haben gelernt, damit umzugehen, wenn Renata wieder einmal den kläglichen Versuch machen sollte, sich stolz aufzurichten, um anschließend schmerzverzerrt auf den Boden der elterlichen Tatsachen zu donnern: "Na, ja, sie hat halt wieder was probieren müssen... " "... und wo sind nun deine Freunde, jetzt wo es dir schlecht geht!?" Die Freunde sin d überall dort, wohin Camay und Leon keinen -2 4 -
Zugang haben. Nur allzu leicht lassen sich die beiden bis zum heutigen Tage dazu verführen, derbe Spuren in sensibles Territorium zu trampeln, wenn sie, von Langeweile und plumper Neugier getrieben, schwach markierte Grenzen rücksichtslos durchbrechen. Morgen steht der Besuch bei den Eltern auf Renatas Pflicht Terminkalender. Ihr Geschenk ist nicht maßgeblich. Ist sowieso nur etwas, das aus der Tasche von Camay und Leon bezahlt worden ist. Dieser Zuschuss stellt seit zehn Jahren etwa ein Drittel ihres Monatseinkommens dar; neben einer Berufsunfähigkeitspension, die der Staat dem Bruttosozialprodukt- Ballast zugesteht. Satte Behinderung stillt den Hunger der Mächtigen. Vogelfreiberufliche und ehrenamtliche Gesänge wiegen die Honoratioren in den Schlaf der Gerechten, aus dem sie nur anlässlich des Opernballs aufschrecken. Zu familiär feierlichen Auftrieben wünschen sich Camay und Leon sowieso nur, dass das Kind endlich gesund wird; zumindest so gesund, um zu erkennen, was für ein Glück sie doch mit ihnen hat. Das wär Geschenk genug. Renata nimmt den kleinen Elefanten aus grüner Jade und wickelt ihn in buntes Geschenkpapier. Dann legt sie das Paket griffbereit auf die Kommode im Vorzimmer. Die schwarzen Schuhe werden geputzt und daneben gestellt. Eine passende Handtasche wird bereitgelegt. Renata steckt ihre wichtigsten Utensilien hinein: Schmerztabletten, Fahrscheine, Zigaretten, Feuerzeug und Geldbörse. Nun sollte sie es noch schaffen, in der folgenden Nacht ausreichend zu schlafen, dann kann morgen nicht viel schief gehen. Sie lässt sich ein Bad ein, gießt Lavendelöl ins Wasser und streckt sich wohlig seufzend in der Wanne aus. Renata schließt die Augen und konzentriert sich auf positive Gedanken. -2 5 -
Suggestiv wappnet sie sich gegen jeglichen abschätzenden Blick, jede mögliche, spöttische und herablassende Bemerkung:... bloß nicht darauf reagieren... nur das Gute wahrnehmen... keine schlechte Erinnerung hochkommen lassen... es ist das Mindeste, dass ich zu diesem Geburtstag erscheine... es ist eine Pflicht, die ich gut erfüllen werde...
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BLUT IST DICKER ALS TRÄNEN Die Sonne verkündet bereits den Geburtstagsmorgen von Leon. Soeben hat der Hausherr mit seiner Gemahlin gefrühstückt und durchforscht nun die Tageszeitung nach skandaltriefenden Schlagzeilen. Camay macht in der Küche die nötigen Vorbereitungen für das Festessen. Sie deckt den Tisch mit dem weißen Porzellanservice; einem Erbteil der vor kurzem verstorbenen Tante. Sorgfältig legt sie das Besteck auf blumendekorierte Servietten und versinkt in Gedanken:... Leon ist nun siebzig Jahre alt, ein alter Mann, der ihr, der erst Sechzigjährigen, nicht mehr allzu gerecht werden kann... wie ist das bloß passiert, dass die Zeit so schnell vergangen ist... die früh verstorbene Mutter, einst auch in diesem Haus... herzkrank... pflegebedürftig... der Mann an ihrer Seite, ein Fremder, der vertraute Ansprüche hat... seine Angina Pectoris... Operation im vergangenen Jahr, schonungsbedürftig... Tochter Renata ist seit Jahrzehnten krank, Operationen im Unterbauch, chronische Migräne, rätselhafte Depressionen, sorgebedürftig... die Schwiegermutter... bis vor ein paar Monaten noch unter dem selben Dach... Demütigungen im Namen des Sohnes... seit einigen Monaten ist sie im nahegelegenen Pensionistenheim ... Schuldgefühle im Namen des Vaters... ewige Hetzerei im Namen der Anderen... Körperlicher Einsatz ohne Gewinn... immer alles gut gemeint und nichts Gutes zurück erhalten... Schnell wischt sie die Tränen aus ihrem Gesicht, dass Leon nichts davon bemerkt. Seine hilflose Reaktion würde alles bloß noch verschlimmern. Camay zieht sich in die Küche zurück, um nach dem Braten zu sehen. Zur gefüllten Kalbsbrust gibt es Reis und verschiedene Salate. Zum Nachtisch Malakofftorte und Kaffee. Es ist kurz vor zwölf Uhr und Renata ist bereits im Elternhaus eingetroffen. Sie atmet tief ein, bevor sie, die Stufen hinauf, in den ersten Stock, das Wohnzimmer betritt, wo sich Leon in -2 7 -
seinem Ohrenfauteuil gemütlich niedergelassen hat. Noch immer spürt Renata dieses heftige Pochen in ihren Schläfen und ein Gefühl von bedrohlicher Einengung, wenn sie dieses Zimmer betritt: Dunkler Einbauschrank, wuchtige, goldgerahmte Blumenbilder an den Wänden, geblümte Sitzgarnitur, Couchtisch aus Glas und Esstisch mit vier grünfarbenen Stühlen. In ihren Kindertagen diente dieser Raum als Wohn und Schlafzimmer. Darin befanden sich eine blaugraue Polsterbank, die man zu einem Doppelbett ausklappen konnte, ein elfenbeinfarbener Tisch mit Messingfüßen, zwei kleine blaugraue Fauteuils und eine gelbe Joka-Couch; Renatas ehemalige Schlafstatt. Über ihre Nachtruhe wachte der wasserfarbene Schutzengel an der Wand, der ein blasses, blond gelocktes Kind, in weißem Leibrock, über einen schmalen Flusssteg geleitete. Renata war sich immer sicher, dass, wenn das Kind in den Fluss fiele, der Engel es nicht halten würde; er tat bloß so, als ob er es vor Gefahr bewahren wolle... Sie erinnert sich schmerzlich an diese einsamen Momente in nächtlicher Dunkelheit, wenn sie an die Zimmerdecke starrte, als w äre es der Himmel. Blutrot verfärbte er sich dann manchmal und diese grelle Farbe schoss ihr dann wie ein Messer in die Kehle und setzte sich fest, sodass sie nicht schreien konnte... Nein!!! – Nicht jetzt, Renata wischt diese Erinnerung weg, wie ein Spinnennetz, das sich übers Gesicht legt, wenn man im Halbdunkel eines Kellerabgangs nach dem Lichtschalter sucht und dabei immer wieder die falschen, angsteinflössenden Ecken abtastet An der Zimmerwand gegenüber der gelben Couch stand ein hellbrauner Kleiderkasten mit Glasvitrine, in der bunte Schnapsgläschen im typischen Fünfzigerjahre-Stil und ein feines Teeservice mit asiatischen Bildmotiven ausgestellt waren; und die kleine Puppe mit Keramikgesichtchen und rosafarbenem Häkelkleid. Irgendwann einmal ist sie zerbrochen. Vor über zwanzig Jahren, als Renata bereits dreizehn Jahre alt -2 8 -
wurde, war dieses Wohn-Schlaf-Zimmer um die ehemalige Küche von Camay erweitert worden. In der Trennwand zur ehemaligen Kanzlei des hochwürdigen Onkels ist jetzt ein Durchgang, der in das jetzige Schlafzimmer führt. Und das Kochlöffel-Reich der Hausfrau befindet sich heute im einstigen Schlafkabinett von Camays Mutter. Durch die Raumausdehnung hat sich der Horizont der Insassen nicht ein Stückchen erweitert. Seelenloses Durchmarschie ren und Abschreiten von hartnäckig erobertem Territorium findet statt. Eins, zwei, drei im Sauseschritt, es eilt das Prestige, wir rennen mit. Eine bis vor zehn Jahren noch lebende Imagepolitur stellte der ehrwürdige Pfarrer-Onkel dar. Er war der Bruder von Renatas Großmutter; und schon damals in der ehemaligen Heimat Südmähren hatte ihre Familie die größten Erdäpfel und den höchst gewachsenen Weizen. So war es wohl auch kein Zufall, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg im Wiener Vorstadt-Exil den Turmbau zu Babel zelebrierten. Stolz steht der Kasten nun da; hochnäsig und unpersönlich wuchtig. Das Erdgeschoss ist schon etwas in den Keller hinunter gerutscht; das passierte allerdings erst nach dem Tod des Hochheiligen. Sein Begräbnis wurde in dem Dorf zelebrie rt, wo er als autoritärer Diener Gottes den Einwohnern zeigte, wo der Bartel den Most herholt. Wenn Onkelchen mit der Faust auf den Tisch schlug, dann konnte man heiligen Donner grollen hören. Dann standen die ländlichen Mannen stramm; und wiederum gabs eine entehrte Jungfrau weniger. Ein mürrisches Raunen ging durch die Kirche, als der Pfarrer erstmals ein Mikrophon als Verstärkung des göttlichen Sprachrohrs installierte: "Der hat ja Asthma! Da, hörts es net, wia er schnauft und wia des pfeift in da Technik! Grundgütiger, der ist ja krank, Jessas Maria, der wirds nimma laung mehr mochn!" -2 9 -
Seit jenem verfluchten Tage begegneten die Schafe dem Hirten mit mitleidiger Verachtung. "Kraunk wern nua de Sünda!" blökten sie und rannten von nun an fröhlich dem kraftstrotzenden Wolf hinterher. Otto von Habsburg gab sich des öfteren die Ehre, hielt Pan-Tauische Reden im Kirtagsgetümmel. Der Pfarreronkel bedankte sich, demütig hustend, darob der ungemeinen Ehre. Und die Bäuerin Erni pfiff fröhlich das Kaiserlied, als sie am nächsten Morgen in den Kuhstall zum Melken ging. Legendär waren auch die Familientreffen, die beispielsweise an Geburtstagen der Urgroßmutter, im ländlichen Pfarrhof stattfanden. Da kamen sie alle an: die Neffen und Großneffen; und, da Gott nicht nur Segen beschert, auch die Nichten und Großnichten. Die einbeinige Köchin hatte wirklich keinen Grund zum Klagen: sorgte doch ihr himmlischer Chef dafür, dass sie eine holzwurmfreie Prothese zur Verfügung hatte; und einen freien Nachmittag; alle zwei Wochen. Selbstverständlich gab es für die verwöhnte Sklavin auch freies Quartier, Essen und Trinken; Weihwasser und Messwein bis zum Abwinken. Es wurde in mehreren Gängen getafelt: Germknödel mit Rindfleisch und Krensoße, Germknödel mit Huhn und Tomatensoße, Germknödel mit Schweinsbraten und gedünstetem Kraut, Germknödel mit Powidl, Mohn und Zucker. Danke, Herr Jesu Christ, dass du unser Gast gewesen bist! So sprach das Oberhaupt der geknechteten Tafelrunde und fügte lakonisch hinzu: "Ihr Jungen wisst ja gar nicht, wie gut ihrs habt!" Yes, Sir. Wenn wirs wüssten, gings uns gut. Logischer Folgeschluss eines altklugen, männlichen Sprosses, der es einmal besser wissen wird, wenn er groß ist. Und die Dirndln müssen bald heiraten, dann bleibens auch nicht ganz blöd, und lassen beim Stricken nicht immer eine Masche fallen. -3 0 -
Die Ehe ist zum Schutz der Frauen gedacht! So hat der Onkel gesprochen, nein, schon eher päpstlich verkündet. Wovor sollen die Frauen denn beschützt werden, meinte damals die kleine Renata ängstlich. Das wirst du schon noch merken, meine Liebe, noch früh genug; viel zu früh wahrscheinlich! So lautete die katholische Antwort. Was für Mafiabosse gilt, hatte auch für Monsignore heilige Bedeutung: Die Liebe zur betagten Mama. Es ging natürlich nicht so weit, dass er sie umarmte, Jessas nein, auch gab es kein Ödi- Bussi auf die Wange. Seine Mutterliebe demonstrierte er auf etwas subtilere Art; wie beispielsweise bei der morgendlichen Begrüßung, wenn er ihr ein zärtliches: "Na, was tut dir denn heute einmal nicht weh?" entgegenschleuderte. Die rüstige Sechsundneunzigjährige konnte bei der Antwort auch nur schwer ihre hingebungsvolle, mütterliche Liebe verbergen: "Glaubst, nur du darfst krank sein?!" Im Irrgarten der familiären Gefühle passierte, was auch die Habsburger nur selten vermeiden konnten. Großcousin, Hannes, und Großcousine, Renata, fingen Feuer. Bei der rasanten Verfolgungsjagd der pubertierenden Hormone, holte sie die Blindheit ein, die normalerweise nur Masturbierende befällt. Renata und ihr Cousin drit ten Grades sind sich dereinst, nach dem vorletzten Abendmahl, bei dem wieder einmal die Killer Germknödel zugeschlagen hatten, näher gekommen; eine Nähe, die eigentlich nur Cousins im Vierten Grad zugestanden wird. Im Vierten Grad Celsius. Unter Null. Wenn die Heizdecken ausgegangen sind. Renata laborierte an Blähungen; Hannes an Magen und Kopfschmerzen. Wie wärs mit einer Rumkugel, die hilft vielleicht gegen die Schmerzen? Gesagt, getan; bald torkelten sie frohgestimmt am nahegelegenen Friedhof von Grab zu Grab; um sich mit diesem Fauxpas ihr Eigenes zu schaufeln. Hannes, sprach die Frau Mama, Renata scher dich weg, und du bleibst da! -3 1 -
Braver Bub. Braver katholischer Judas! Er hörte untertänigst auf die Mutter, stritt ab,... brav, Mama hat es nicht anders von dir erwartet,... die Renata, dieses Miststück hat sich an dich rangeschmissen, die hats wohl sehr nötig, wie? Hannes Mama räkelte sich in hysterischem Entsetzen. Abkanzeln ohne Mikrophon. Sonst hätte man das geile Stöhnen gehört. Wie heißt es so schön: Wer am lautesten quietscht, der will dringend geschmiert werden! Renata und Hannes verbindet bis zum heutigen Tag dieses Schicksal eines weitmäuligen, gefräßigen und angsteinflössenden Elternteils, dem man auf realem Boden keinen wirklichen, befreienden Wid erstand leisten konnte. Bis zum heutigen Tag. Bis auf alle Tage dieses Lebens wahrscheinlich. Aber die beiden hatten im Alter von etwa sieben Jahren gemeinsam eine Möglichkeit entdeckt, wie sie sich mit Hilfe ihrer Phantasie Lebenskraft bewahren und entwic keln konnten. Esoterische Abwege? - Nein, einfach der Überlebenstrieb zweier Kinder, die den himmlischen Ausweg entdeckten. Hatte sich ein Elternteil von ihnen wieder einmal gefräßig mit weit aufgerissenem Schlund über sie gebeugt und sie beinahe erstickt, dann rissen sie die vertränten Augen so weit auf, dass es vor Schmerz schon bald nicht mehr auszuhalten war und dann... plötzlich... erschienen in der schwarzen, ausweglos scheinenden Dunkelheit bunt flirrende Punkte, die mit liebevollen Gesängen, wie „Ha llo meine liebe Renata“ oder „Hallo mein lieber Hannes“ ihre Schützlinge begrüßten. Dann umfing die Kinder ein wärmendes, angenehm kribbelndes, tragendes Gefühl, als würde es sie aus ihren Bettchen hochheben und dem Himmel näher bringen. Und schoss dieser rote, würgende Schmerzensstrahl in ihre Kehlen, dann entschlüpften den bunten, tänzelnden Punkten elfenähnliche Wesen, die Farbtöpfe in den Händen hielten. Sie flatterten dicht zu den Kindern und boten ihnen an, die Fingerchen einzutauchen und ihren -3 2 -
schwar zen, blutdurchdrängten Himmel wieder schönzufärben. Wenn Hannes und Renata darüber sprachen, wie sie sich ihren Himmel malten und diese zauberhaften Elfen lieblich dabei sangen und sie aufmunterten, dann gab ihnen das ein unbeschreiblich schönes Gefühl von Verbundenheit und Stärke. In Tagen ihres Erwachsenenlebens, als ihnen kein Elternteil mehr dieses schmerzliche Rot aus dem schwarzen Himmel in die unschuldigen Körper rammen konnte, da war noch diese verdrängte Erinnerung daran... und um diesen dunklen, blutverfärbten Erinnerungshimmel in Momenten der Unerträglichkeit wieder aufhellen zu können bedurfte es diverser Hilfsmittel, wie Schmerzmitteln, Tranquilizern; und bei Hannes half nur noch gleißend weißer Schnee... Apropos Gemeinsamkeiten. Die einzige, gemeinsame Leidenschaft, die von Camay und Leon geteilt wird, ist die Liebe zur Ignoranz. Diese Charakterqualität lässt sie aufkeimende Gefühle von Zweifel oder gar den Drang, ihrem Leben einen Sinn auferlegen zu wollen, schnell beseitigen. Wozu gibt es schließlich Kartenspiel und Krankenschein? Was sich nicht allzu leicht überspielen lässt, wird einfach wegoperiert. "Was hältst du davon, wenn wir deine Nase operieren lassen?" So lautete die stolzgeschwellte Frage der Eltern eines schönen Sommermorgens, als bereits die Schulferien für Renata begonnen hatten. Sie war nun vierzehn Jahre alt und hatte die Unterstufe im Gymnasium durchschnittlich erfolgreich absolviert. Ab September sollte der Ernst des Lebens in der Handelsakademie beginnen. Neue Schulkameraden, neue Umgebung, nun, was solls, Camay und Leon zeigten sich großzügig, warum nicht auch eine nagelneue Nase!? Dieses jüdisch anmutende Riechorgan von Renata, war überragend in seiner Erscheinungsform und unübersehbar -3 3 -
störend, um sich ein liebliches Bild von der pubertierenden Puppe machen zu können. Renata war von diesem Vorschlag begeistert. Verlockend war die Aussicht, nie mehr abschätzend angesehen zu werden. Der Arzt gefiel ihr auch sehr gut. Braungebrannt und gutgelaunt, eben vom Urlaub aus Ibiza zurückgekehrt, wo er sich an den liebeshungrigen Produkten seiner Kollegen weiden konnte. Er empfing Renata in einer pompös ausgestatteten Ordination, nahe beim Hotel Sacher, und legte ihr diverse "Vor und Nachher"Fotos auf den Marmortisch. Die kleine Seele mit dem großen Riechorgan witterte Liebe. Gefühle, die man eben nur schöngeformten Menschen entgegenbringt. Den Busen lassen wir noch, so wie er ist, beziehungsweise, wie man ihn erahnen kann, witzelte der Grand Signeur der Puppenmacher und fotografierte sein e dankbare Kundin im Profil. Dann überdeckte er die Barbra-Streisand-Nase mit diversen Schablonen. Stupsig, nein, das sollte sie nicht werden, das passt dann im Erwachsenenalter nun doch nicht mehr so ganz, nein, wir heben sie ein wenig an, brechen den Höc ker weg und... fertig ist das Party Girl! Renata seufzte wohlig. Nichts ahnend, dass ihr für das komplette Glück die gelungene Party nicht mitgeliefert wird. Die Operation wurde ohne Vollnarkose durchgeführt. Renata konnte die amüsierten Urlaubsberichte der beteiligten Operateure mitanhören: Ibiza war noch ein Geheimtipp unter den elitären Schönheitsfetischisten; noch nicht so überrannt vom Touristenpöbel, der es kaum für nötig hielt, den Bierbauch einzuziehen. Hin und wieder vernahm die Patientin ein Knirschen im Bereich der Stirn, dumpfe Hammerschläge erschütterten ihren Kopf und das Geräusch von Sägen stellte die Nerven auf eine harte Probe. Aber nach zwei Stunden war alles vorüber. Das Werk war vollbracht. Ein Gipsverband über Stirn und Nase wurde angele gt und Renata in das Patientenzimmer zurückgebracht. Eine Krankenschwester in katholischer Ordenstracht erwartete sie bereits und zupfte das frisch -3 4 -
bezogene Bett zurecht. Sie warf der Patientin einen strengen Blick zu, und als Renata sich über Schmerzen beklagte, meinte die Dienerin Gottes nur: "Wer schön sein will, muss leiden." Eine diplomatisch weltliche Version davon, dass ein Mensch nicht in Gottes Werk reinpfuschen soll. Camay und Leon waren selig. Auch Renata hatte das Gefühl, etwas Tolles geleistet zu haben. Nur passiv, versteht sich, aber sie hatte sich tapfer geschlagen. Es ohne Klagen und Jammern ertragen. In Vertrauen auf den hohen Herrn im weißen Kittel. Nach drei Wochen konnte der Gips entfernt werden. Renata wurde vom Schöpfer selbst zum baroc ken Spiegel geleitet. Oh mein Gott! Was musste sie da erkennen! Der Bereich um die Augen war blau bis schwarz verfärbt, und die Nase erinnerte an eine zu lang gekochte Knackwurst. Renata ließ sich nichts von ihrem Entsetzen anmerken; stand doch der Arzt neben ihr und lächelte zufrieden: "Das wird wunderschön," konstatierte er, "es braucht nur noch ein paar Wochen, bis alles abgeschwollen ist!" Bei diesen Worten küsste er drei Finger seiner rechten Schaffenshand. Renata verbrachte den Rest ihrer Ferien im Garten; oder aber im Bett. Die Migräne wurde immer unerträglicher. Aber wenn sie lieb Männchen machte und winselte, bekam sie ein Schmerzzäpfchen. Camay sah dann streng auf die Uhr und meinte: "Was, schon wieder, du kannst doch nicht so viele Medikamente nehmen!? Das kann doch nicht so weitergehen!" Sprachs und entschwand, um dann mit Gönnermiene der wimmernden Tochter das begehrte Wundermittel zu überreichen. Kurz vor Schulbeginn stellte sich tatsächlich ein zufriedenstellendes Ergebnis ein; was die Schwellu ngen im Gesicht der operierten Tochter anbelangte. Trotz der Freude über das gelungene Werk quälte Renata nun eine Art -3 5 -
Verfolgungswahn. Sie befürchtete, Freunden von früher begegnen zu müssen; deren skeptische Blicke und Fragen nicht ertragen zu können. Die eingeweihte Familie starrte ihr fortwährend auf die Nase und murmelte: "Na, ja, ganz schön, ja, ja, also, man sieht eigentlich gar nichts, nein, es ist nicht zu erkennen, dass sie operiert ist!" Und eines schönen Tages meinte Leon: "Also, bei der Renata ist es so schön du dich auch operieren lassen!" Diese Camay, die seit der einschneidenden Tochter, unglücklich seufzend vor dem ihrer Nase zupfte.
geworden, da könntest Worte richtete er an Veränderung bei der Spiegel stand und an
Gesagt, getan. Eine Woche später ließ sich Camay operieren. Der erste Zertrümmerungsversuch schlug fehl, das kann ja mal passieren, in Ihrem Alter, meinte der Arzt und setzte einen neuen Termin fest. Nach dem zweiten Mal verlief alles nach Plan; der Chirurg war zufrieden. Camay, die auf ihre Brille nicht mehr länger verzichten konnte, setzte diese viel zu früh auf und von nun an zierten zwei kleine Dellen am Nasenrücken das Kunstwerk. Was aber die Umgebung nicht registrierte, weil Camay sowieso immer ihre Brille trug. Nur abends, wenn sie allein vor dem Spiegel stand, befiel sie ein beklemmender Schmerz von Reue. Es vergingen ein paar Wochen und im Hause von Camay und Leon kehrte der Alltag wieder ein. Ohne tägliche Nasenkonferenz. Aber der Schein trügte. Eines Tages erklärte Leon: "Also, ich weiß nicht, was mich bisher daran gehindert hat, aber ich finde, ich sollte mir auch die Nase operieren lassen!" Tadaa!! Das Familienoberhaupt forderte sein Recht ein! Da gab es auch keine langen Diskussionen mehr, kein Abwägen von Risiken, kein Hin und Her, ob das nun notwendig sei, oder nicht. Leon hatte sich als Kind die Nase gebrochen. Nicht -3 6 -
einmal seine Mutter konnte sich an diesen Vorfall erinnern. Was solls, meinte Leon, er sei kein Marlon Brando, so wie die Weiberleut nie und nimmer eine Barbra Streisand sein können, und, Ende der Debatte, der Herr im Haus bin ich, ich will auch eine neue Nase! Bei Leon klappte es schon das erste Mal. "Na, das wird kein Zufall sein!" kommentierte er selbstzufrieden. Die Großmutter und der Großvater saßen schweigend in ihrer Küche und schüttelten den Kopf. Aber eigentlich war nichts passiert und keiner hats gesehen... "Die besten Wünsche zu Deinem Ehrentag!" mit diesen Worten überreicht Renata ihrem Vater das Geburtstagsgeschenk. Leon packt aus und beäugt das gewichtige Präsent skeptisch im grellen Lichtschein des Kristalllusters: "Was ist das für ein Stein?" fragt er missmutig. "Jade." flüstert Renata heiser. "Aha, sehr schön." konstatiert Leon knapp und gönnerhaft. Dann patscht er seiner Tochter ungeschickt auf die Schulter. Renata macht sich auf den Weg in die Küche, um ihre Mutter zu begrüßen. Sie schaut neugierig auf die Töpfe am Herd. Camay seufzt und meint: "Lass nur, ich komme schon alleine hier zurecht!" Es ist bereits fünf Minuten nach Zwölf, als die Haustorglocke läutet. Leon erhebt sich aus seinem Fauteuil: "Ah, das werden Marisa und Max sein!" Camay öffnet das Küchenfenster und winkt ihrem Bruder und der Schwägerin zu. Dem metallicgrünen Opel entsteigt ein Ehepaar, das gemeinsame Stunden im Verwandtenkreis mit unerschütterlicher Energie durchsteht, weil es gelernt hat, zweisamen Dialogen geschickt aus dem Weg zu gehen. Sie haben keine Kinder, aber reichlich Zeit und Geld; Bluthochdruck und Kopfschmerzen. In touristischem -3 7 -
Gleichschritt durchforsten sie den Erdball, auf der Suche nach dem verloren gegangenen Gral der Zärtlichkeit. Doch Marisa scheint ihn manchmal wiedergefunden zu haben: Bei der Fernsehübertragung eines Fußball-Länderspiels, wenn Max in seliger Ekstase der Angetrauten in die Arme fällt, in der irrigen Meinung, sie sei der pfiffige Torwart, der eben einen mordsmäßigen Ball gehalten hatte. Renata geht den beiden Besuchern entgegen: "Hallo Tante Marisa, schön, Dich wiederzusehen, wie geht es Dir?" Marisa küsst ihre Nichte auf beide Wangen und lacht erfreut: "Schön, dass man Dich endlich einmal zu Gesicht bekommt!" Max reicht Renata die Hand und nickt ihr schweigend zu. "Nun, mein lieber Leon, wie fühlt man sich mit stolzen Siebzig?" Mit aufmunterndem Blick überreicht die Schwägerin dem Jubilar zwei Flaschen Weißwein. "Schön, schön, die können wir gleich nach dem Essen trinken," meint Leon, "na, und wie soll man sich schon fühlen, mit Siebzig? Alt eben." Marisa lässt die Antwort nicht gelten und korrigiert mit dem bewährten Trostspruch für depressive Greise: "Man ist so alt, wie man sich fühlt , mein lieber Schwager!" Man oh Man! "Na, ja, wenn du meinst... " mit diesen Worten nimmt Leon am Esstisch Platz. Renata, Marisa und Max folgen seinem Beispiel. Camay serviert das Essen und in den ersten Minuten wird schweigend gespeist. Dann eröffnet Leon ein monotones Gemurmel, dessen Lautstärke sich mehr und mehr steigert, wieder abflacht, um nach einer kurzen Schweigesekunde erneut zu entfachen: "Hm, das schmeckt sehr gut... das ist dir wirklich gut -3 8 -
gelungen, Camay... wer will noch Reis, es ist genügend in der Küche... warum will denn niemand den grünen Salat, ist er zu sauer... nein, nein Camay, alles in bester Ordnung... vielleicht noch ein Stückchen Kalbsbrust.... nein, danke, es reicht... den Tomatensalat dürft ihr nicht übrig lassen... wirklich, ein sehr guter Salat... das Kalbfleisch ist schön weich... und gar nicht teuer gewesen... na, ja, Fleisch wird immer billiger... da wirds schon Gründe dafür geben... BSE ist jetzt schließlich auch schon in Österreich ein Thema geworden... bitte, das ist kein geeignetes Gesprächsthema beim Essen... aber, wenns wahr ist... warum muss es immer Fleisch geben... hättest du lieber Fisch gehabt... nein, dann doch lieber das Kalb, obwohl das mit dem Rinderwahn sollte nicht unterschätzt werden... ich könnte dir noch schnell ein Fischfilet abbraten, das dauert nicht lange... nein Camay, das war doch nur so ein Gerede... dann ist es ja gut... eigenartig, dass man nichts mehr von Würmern in den Fischen hört, gibt es die jetzt nicht mehr, oder was... meine Güte, da könnte man ja gar nichts mehr essen... ja, und was bleibt uns dann noch... ?" - Schweigen Nach der Hauptmahlzeit gibt es Kaffee und Malakofftorte. Und dann, endlich, wird eine Flasche des Geburtstagsweines entkorkt. Schon nach dem ersten Glas werden die Anwesenden zutraulich. Max patscht seiner Marisa wohlig auf die Schultern. Und Camay lächelt. Das Geburtstagskind bekommt noch ein zweites Glas. Ausnahmsweise. Wie Leon betont. Max erhebt sich in feierlicher Haltung und prostet dem Jubilar zu: "Mein lieber Leon, auf dass Du noch viele schöne Jahre vor dir haben mögest!" Die anderen schließen sich dem Glückwunsch an: "... tja, man ist ja froh, dass man noch lebt, wenn man bedenkt, was es heute schon so alles gibt... ja, ja, Hauptsache man ist gesund... nun, zumindest sollte es nicht schlimmer -3 9 -
werden... ja,ja, so ist das Leben... es kann auch schön sein... na, ja, manchmal, aber nicht oft, aber wir müssen zufrieden sein." Leon bedankt sich. Plötzlich ergreift er mit der rechten Hand seine linke Brust, schnappt nach Luft und rutscht vom Sessel zu Boden. "Er muss sich flach hinlegen!" schreit Marisa. Camay starrt Leon entsetzt an: "Mein Gott, Leon, was ist denn mit dir?" und bevor dieser eine Antwort geben kann, mahnt sie mit zornigem Unterton: "Das war das zweite Glas Wein, ich habs ja gleich gewusst!" Leon fasst sich schnell wieder, steht mit Hilfe von Max auf und verkündet: "Nur keine Aufregung, es ist schon vorbei! Für einen kurzen Moment hab ich so einen stechenden Schmerz in der Herzgegend verspürt. Vielleicht hab ich zuviel von der Kalbsbrust gegessen. Aber es geht schon wieder!" Er wiederholt noch mindestens dreimal, dass „es schon wieder geht“. Dabei zieht er die Stirn in Falten, senkt währenddessen den Blick, um ih n dann langsam und bedeutungsvoll wieder auf die Anwesenden hoch zu richten. Renata zündet sich eine Zigarette an. "Unter diesen Umständen wirst du doch wohl nicht rauchen! Meine Güte, nimm doch Rücksicht auf deinen Vater!" zischt die Tafelrunde im Chor. Die gescholtene Tochter verlässt das feindselige Terrain und zieht sich in den Garten zurück. "Dass die Renata so gefühllos ist, das hätte ich nicht geglaubt!" meint Max. Marisa fügt hinzu: "Na, ja, sie wird es nicht so böse meinen!" Leon räuspert: "Ich hab auch einmal geraucht. Aber so abhängig war ich -4 0 -
nie!" Und Camay jammert: "Was soll man da noch sagen?" Renata macht einen Spaziergang durch den Garten. Der Rasen ist frisch gemäht; den Himmel wird er wohl nie erreichen. Drei zartgewachsene Birken neigen ihre Äste demütig im Wind; dort wo einst ein prächtiger Zwetschkenbaum seine Wurzeln tief in die Erde grub. Menschen müssen nicht sehr stark sein, wenn sie einen derart mächtigen Baum entwurzeln wollen. Einfach nur sägen, sägen, ein bisschen da, ein bisschen dort, nur Geduld, den überheblichen Herrscher hat man bald erlegt. Renata erinnert sich an ihren Großvater. großgewachsener, gutaussehender Mann mit Haar und etwas Übergewicht, das er sich aber ließ. Er war stolz darauf, dass es ihm nun so gut den Kriegsschrecken und den daraus Entbehrungen.
Er war ein schlohweißem nicht nehmen ging; nach all resultierenden
Der Großvater hatte damals mit viel Liebe ein kleines Gemüsebeet und eine Weinlaube in der Mitte des Gartens angelegt. Renata sieht ihn vor ihrem geistigen Auge, wie er, mit einer "Giftspritze" um den Rücken geschnallt, dem lästigen Ungeziefer den Garaus machte. Dieses Ungetier konnte sehr lästig und zäh sein. Das musste der Großvater im Zweiten Weltkrieg leider oft erleben. Manchmal veredelte er die beiden Marillenbäume und die Weinstöcke. Renata hatte keine Ahnung, welche Sorten er da zur Geschmacksverbesserung kreuzte, aber es werden schon solche, von der Masse als anständig anerkannte gewesen sein. Renata entsinnt des wohl einzigen Reifeprozesses, der im Dunstkreis ihrer Familie je wirklich zu beobachten war: Die Auferstehung eines ordinären Topfens, zu einer himmlischen Götterspeise. Im Paradies des Lukullus, wo der Großvater das -4 1 -
Zepter führte. In einem großen, weißen Porzellantopf setzte er eine Mischung aus Topfen, Kümmel und Salz an; er deckte den Inhalt mit einem weißen Leinentuch ab und verschnürte das geheimnisvolle Topfentöpfchen mit einem breiten, roten Gummiring. Dann stellte der König der Käsemacher das Prachtstück in die Mitte des Gartens, versteckt in der Weinlaube, jedoch so, dass noch etwas Sonne darauf scheinen konnte. Nach einigen Schönwettertagen war auch der Nachbarschaft klar, dass der Sommer Einzug ins Land hält. Die Zaubermischung des Großvaters begann einen unverkennbaren Duft von eigenwilliger Reife zu verströmen; und kurz bevor die Nachbarn den Zivilschutz alarmierten, und dieser die Sirenen zum Notstand aufheulen ließ, trottete Opa erwartungsvoll zur Weinlaube. Er breitete einen imaginären, roten Teppich aus, und unter den Fanfaren von tausend Engelsposaunen wurde das Töpfchen von ihm entblättert. Dann schmierte er mit einem Messer eine Kostprobe dieses graugrünen Nektars auf schwarzes Manna; er betrachtete noch einmal kurz das gelungene Kunstwerk, biss hinein, und... es ward Lic ht im Dunkel seines Erdendaseins! Ein fröhliches Pfeifen auf Opas Lippen und diverse Fliegenleichen in der näheren Umgebung bestätigten den triumphalen Erfolg seiner diesjährigen "Stinkerten- Kas"-Ernte. Renata wischt die Tränen mit der Handfläche aus dem Gesicht; sie hatte ihren Großvater sehr gemocht, trotzdem oder gerade weil sie nie etwas Konkretes aus seiner Vergangenheit in Erfahrung bringen konnte. Ihre für ihn bedingungslos gehegte Sympathie beruhte zum Teil auch darauf, dass er sie oft vor der tobenden Camay beschützt hatte; oder ihr zumindest großväterlichen Trost zusprach; in einer Art und Weise, die Renata wohl nur einem Mann, der zwei Weltkriege körperlich heil überstanden hatte, zugestehen konnte. Etwa mit seinen -4 2 -
legendären Worten für kleine, weinende Mädchen: "Euch jungen Leut gehts viel zu gut," und nach einer pädagogisch wertvollen Pause fügte er das populäre: "Heutzutag!" hinzu. Klang es auch lieblos, blasiert patriarchalisch oder sogar aggressiv, Renata akzeptierte diese "Schwäche", muss aber heute noch angestrengt ihre gesamten Ressourcen an positiver Vorstellungskraft aufbrauchen; für dieses eine schöne Bild der Vergangenheit: die Erinnerung an einen liebevollen Opa. Renata nimmt nun auf der kleinen Holzbank, nahe beim Kirschbaum, Platz. Ihre Blicke schweifen in die umliegenden Gärten und insgeheim hofft sie, Markus, den Sohn des Nachbarn erspähen zu können. Er ist zwei Jahre älter, als sie, und in Kindertagen hatten sie manchmal miteinander gespielt. Seine Eltern waren Lehrer und praktizier ende Katholiken und hegten eine dezente Verehrung für den hochwürdigen Onkel von Renata. Zumindest ließ ihnen diese klerikale Nähe die nachbarschaftliche Anwesenheit der restlichen Familie erträglicher erscheinen. Freundlich lächelnd wurde ein Federball, der durch Leons sportlichen Aufschlag in Nachbars Garten landete, zum zehnten Male geduldig retourniert. So konnte auf der einen Seite die tägliche Christenpflicht abgehakt werden, und Leon hatte Gelegenheit, beim Bücken der Nachbarin, deren Körperbau zu studieren. Schließlich brauchte er hin und wieder einen Vergleich zur Hausmannskost. Eine Frau muss man äußerlich abschätzen, bevor man sie schätzen kann. So lautete sein Wahlspruch. Und diesem Credo ist er treu geblieben. Die ältere Tochter der maßgeblichen Nachbarn, Elsa, aß gerne Petersilie. So hatte sie auch Renata zu schmecken. Der Sohn, Hannes, war sehr sportlich. Also wurde auch Renata aufs Fahrrad geprügelt. Elsa hatte einen elfenhaften Gang. So sollte auch Renata dahinschweben. Markus war in der Pubertät, also durfte auch Renata tanzen gehen. Gemeinsam mit ihm, in eine nahegelegene Tanzschule; unter der Schutzpatronanz des CV. -4 3 -
Brüder sind wir, Brüder bleiben wir... Renata ist sich bis heute nicht im klaren, ob Markus je freiwillig auch nur ein Wort an sie gerichtet hätte. Sie hatte immer das Gefühl, dass eine elastische Distanz zwischen ihnen bestand. Ein Status -Quo-Band schlang sich um die Herzen der beiden Königskinder. Das eine Ende hielt seine Mutter in festen Händen, der andere Zipfel wurde von Camay dirigiert; und ab und zu prallten die Kinderseelen aufeinander. Renata war froh, wenn es zu einem kleinen Geplänkel am Gartenzaun kam. Markus zeigte dann immer eine Art von leidenschaftlicher Schüchternheit. Ein lächelndes Gesicht mit weinenden Augen. Unsichtbare Tränen rollten in seinen Mund, um sich dort in eine verbale Liebeserklärung an das Schweigen zu verwandeln. Er redete nicht sehr viel, aber sagte umso mehr. Renata, die am Wochenende ihre Bettdecke bis zum Mittag über beide Ohren zog, fragte Markus eines Tages, als er fleißig an seinem geliebten Motorrad bastelte, warum er denn am Sonntag immer schon so früh auf den Beinen sei. Er antwortete: "Wenn ich früher aufstehe, habe ich mehr vom Tag." Basta. Das wars. Peng! Ein Schuss in das Herz eines faulen Teenagers. Eine Absage an alle Langschläfer und trägen Nichtsnutze. Nein, es war viel schlimmer. Es zeigte Renata, dass es für Markus möglich war, aufzuwachen und einem Tag entgegenzusehen, ohne mit Schmerz und Demütigung rechnen zu müssen. Oder, aber, vielleicht wollte er schneller sein, als ebendiese... Renata schaut auf den riesigen Kirschbaum inmitten "Nachbars Garten", inhaliert einen tiefen Zug von der Zigarette und versucht, weitere Erinnerungen herauf zu beschwören. Es kommt ihr das letzte Zus ammentreffen mit Markus in den Sinn: Sie war eben siebzehn Jahre alt geworden und hatte ein paar Schulfreunde zu einer Party eingeladen. Und er war auch gekommen. Bei diesem Tete à Tete der im Schleudergang -4 4 -
Pubertierenden hatte sie viel zu viel getrunken, viel zu viel geredet... Renata hatte Markus dann noch am nächsten Tag angetroffen und sich bei ihm entschuldigt; dass sie so maßlos betrunken gewesen war, sich nicht mehr erinnern könne, und dass ihr so etwas noch nie passiert wäre. Der wortsprühende Moses kommentierte ihren Sündenfall: "Es gibt für alles ein erstes Mal." Diese Situation war damals sehr peinlich für Renata und auch jetzt spürt sie, wie ein Gefühl von Scham in ihr hochsteigt. "Hallo Nachbarin!" Das war die Stimme von Markus! Fröhlich winkend kommt er auf sie zu. Gut sieht er aus in seinen schwarzen Jeans und brauner Lederjacke; er streift mit der rechten Hand über seine blonden, kurz geschnittenen Haare und mit stahlblauem Blick strahlt er. Mein Gott, diese rätselhafte Mischung aus Sonnen und Sand-in-die- Augen-Strahl, die er aus seinen Pupillen abfeuert! Renata hat Mühe, ihre Nervosität zu verbergen: "Hallo, Nachbar!" verunsichert.
antwortet
sie
heiser
und
hüstelt
Markus steht nun direkt vor ihr. Der Gartenzaun aus Kupferdraht trennt sie unmer klich. Wie eine weiße Linie auf Papier. "Das ist eine schöne Überraschung, Renata, wo bist du denn die ganzen Jahre über gewesen? Hier hat man dich ja nie gesehen!" "Es lässt sich darüber streiten, ob ich in diesem Moment ganz... da... bin." antwortet Renata. Als er ihre Verlegenheit registriert, schlägt er vor: "Hättest du Lust, dass wir an einem anderen Ort weiter plaudern? Wie wärs mit der Pizzeria ums Eck, sieben Uhr? Wär dir das Recht?" "Sehr gerne. Ich werde da sein! " -4 5 -
Renata geht zurück ins Haus und findet die Familienrunde schweigend beim Kartenspielen vor. Sie verabschiedet sich: "Ich muss los, hab noch Einiges zu erledigen daheim! Ist eh alles wieder in Ordnung?" "Ja, klar, ich fühl mich bestens!" antwortet Leon. Renata schnappt ihren Mantel und die Handtasche und entschwindet. Leon meint nur noch: "Hauptsache, ihr gehts gut." Und Marisa fügt kopfschüttelnd hinzu: "Ja, so sind sie eben, die jungen Leut, heutzutag!"
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MONOLOG FÜR ZWEI Es ist bereits sieben Uhr. Renata betritt die Pizzeria. Von Markus ist noch nichts zu sehen. Sie legt an der Garderobe den Mantel ab und spürt plötzlich eine sanfte Berührung auf ihren Schultern. "Es scheint, dass wir beide gerne pünktlich sind." stellt Markus zufrieden fest, während er sie zu einem kleinen Tisch am Fenster geleitet. Renata packt ihre Zigaretten aus der Handtasche und legt sie neben den Aschenbecher. "Du rauchst noch immer?" fragt Markus ironisch. "Ja, seit dem Bombenalarm an unserer Schule. Kannst du dich erinnern? Mitte der Siebziger Jahre wimmelte es von Wahnsinnigen, die telefonisch ankündigten, dass in den nächsten Stunden eine von ihnen versteckte Bombe losgehen würde." "Meistens waren das doch nur leere Drohungen." erklärt Markus. "Aber man konnte nie wissen. Vorsichtshalber ist es immer ernstgenommen worden. Wir wurden mitten im Unterricht davon überrascht. Mit Hausschuhen sind wir in das nächste Cafe gelaufen und haben abgewartet. Und in dieser Anspannung habe ich das erste Mal gierig zu einer Zigarette gegriffen, und diese Gewohnheit habe ich beib ehalten." Markus überlegt mit philosophischer Miene: "Leere Drohungen haben dich also abhängig gemacht!?" "Scheint so." trotzt Renata. Sie versucht, ein anderes Thema anzuschneiden: "Und was hast du in all den Jahren angestellt? Keine Laster, keine Schwächen? Los, zier dich nicht, ich will Geständnisse hören!" Markus spielt mit einem Bierdeckel und beginnt, zu erzählen: -4 7 -
"Renata, ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll. Rückblickend muss ich zugeben, dass mein bisheriges Leben eine einzige Schwäche war. Ich habe mich in dieser katholisch geregelten Atmosphäre immer sehr sicher und auch wohl gefühlt. Du weißt ja, mein Vater war aktiv in der Kirchenarbeit mit Jugendlichen beteiligt und meine Mutter hat im Kirchenchor gesungen. Es war daher logisch, dass meine ältere Schwester und ich die Lebensgewohnheiten aus diesem "heiligen" Bannkreis übernommen haben. Ihr ist das nicht allzu schwer gefallen: Sie ist Mathematikerin, kann ihre Grenzen gut berechnen und sich innerhalb derer sicher bewegen. Dasselbe hat man auc h von mir erwartet. Liebevoll hat man meinen Schlendrian während des Medizinstudiums beäugt, so nach dem Motto, der Bub ist ja nur einmal jung, soll er sich nur die Hörner tüchtig abstoßen.... " "Bravo! Vom CV schnurstracks in die Pathologie! Da hast du wohl kaum einen Unterschied bemerken müssen: schlabberige Organe, konserviert in hochprozentigem Alkohol!" ätzt Renata belustigt. "Ah, ja, eine dezente Kostprobe vom herben, sozialdemokratischen Charme? Du gestattest, dass ich diesen linken Schluckauf in mein er vornehmen, christlichkonservativen Art ignoriere!" "Alles klar, erzähl weiter!" meint Renata versöhnlich. "... außerdem konnte ich jedermann mit meiner Begeisterung für Sport gewinnen. Jede außergewöhnliche und verrückte Sportart wurde mir zugestanden. Aber, als es dann um Heiraten und Familiengründung ging, verlangte man sehr wohl katholisch berechnete Überlegungen von mir. Ich hab gleich nach dem absolvierten Studium die Rosi geheiratet, die ich bereits von der Tanzschule her kannte. Vielleicht erinner st Du dich an sie.... ?" Renata erinnert sich an die kleine Rothaarige, wie sie von allen genannt wurde. Rosi, ja natürlich! Der verzwickte Charme -4 8 -
der unterwürfigen Reblaus! Eine Freundin erzählte, dass Markus nun mit Rosi, einem unscheinbaren Mädchen zusammengekommen sei, und um Renata zu gefallen meinte sie noch: "Na, eine bessere hat er sich wohl nicht finden können!" Renata hatte Rosi nie wahrgenommen. Sie war ja auch nicht oft in der Tanzschule gewesen. Die hatte sie hauptsächlich als Alibi missbraucht, um endlich auch einmal in die Disco gehen zu können. "Ah, ja, Rosi, die erste große Liebe, wie?" murmelt Renata sichtlich gelangweilt. "Ha, was willst du jetzt von mir hören? Meine erste Liebe warst selbstverständlich du!" Da war es schon wieder! Dieses rätselhafte, traurige Lächeln um seine Mundwinkel. Markus fährt fort: "Glaubst du, ich habe unseren Heiratsschwur am Gartenzaun vergessen? Ich war sieben und du warst fünf Jahre alt, stimmts!" "Auf den Tag genau!" entgegnet Renata schelmisch. Sie nimmt einen Schluck vom Rotwein. "Keine Zigarette?!" feixt Markus. "Nein, jetzt nicht." Renata wirft ihm einen zornigen Blick zu. Markus lächelt sie an und setzt seine Erzählung fort: "Rosi hat allen in der Familie gefallen. Sie war bescheiden und zurückhaltend und konnte sich sehr gut anpassen." "Vor allen Dingen stellte sie keine Konkurrenz für deine Mutter und deine Schwester dar... " murrt Renata undeutlich. "Was hast du eben gesagt?" "Ach nichts. Es war nicht so wichtig." Er nimmt einen Schluck Wein und erzählt weiter: "Sie hat gepasst. Wie ein maßgeschneiderter Schuh für den Sohn meiner Eltern, der ich vielleicht einmal war. Nun, mich hat er gleich zu Beginn schmerzlich gedrückt, aber das war schließlich mein Problem, dass ich nicht verweigerte. Das heißt, -4 9 -
ich dachte, dass es so etwas , wie eine ideale Beziehung zwischen Mann und Frau sowieso nicht geben könnte, also wars ja egal, mit wem man es nun gütlich versuchte... bis dass... der Anwalt uns vergangenes Jahr schied. Rosi trug an diesem Scheitern keine Schuld ; sie hat eben auch an diesen sanften, anspruchslosen Markus geglaubt, dessen Bild meine Eltern bei jeder Gelegenheit präsentiert hatten." "Ich erinnere mich gut, wie meine Mutter sehr unter deinem perfekten Image litt, das ihr oft von deiner Mutter vorgezeichnet wurde. Gelitten, selbstverständlich ganz ohne Klagen, hat sie deshalb, weil sie mir nicht ein Ähnliches aufdrücken konnte." "Ich weiß, das war oft zu spüren, und manchmal ja auch lautstark zu hören, wenn sich deine Eltern über ihre Enttäuschung Luft gemacht haben." bestätigt Markus. "Die berühmten Fenster zum Garten... " seufzt Renata. So oft waren sie eiligst geschlossen worden, bevor Leon einen seiner berüchtigten, cholerischen Anfälle hatte. "Mach dir nichts daraus, Renata," versucht Markus, zu trösten. "die Kämpfe bei uns waren genauso heftig, sie wurden vornehm, still und leise, da tief drinnen ausgetragen." Bei diesen Worten drückt er beide Hände auf sein Sonnengeflecht. "Derartige Narben brechen noch heute bei mir auf. Oft ist es bloß ein best immtes Wort, das ich an meinen Sohn richte, und ich überlege panisch, ob ich damit vielleicht einen ähnlichen Psychoterror bei ihm anrichten könnte, wie es mein Vater bei mir getan hatte. Du weißt ja, Schuldgefühle können auch mit liebevoll klingenden Worten vermittelt werden." "Ja, ich weiß." flüstert Renata. "Und, wie siehts mit deinem Liebesleben aus? Geheiratet hast du ja nicht, soweit ich informiert bin... " fragt Markus neugierig. "Stimmt. Du weißt ja, diejenigen, die man wirklich liebt, kriegt man nicht und jene, die dich über alles anbeten, findest du uninteressant. Außerdem glaube ich, dass ich mich in einer -5 0 -
festen Beziehung nie wohl fühlen würde. So eigenartig das klingen mag, aber eine wirkliche Liebesbeziehung konnte ich nur zu einem Landstrich in Niederösterreich... " Renata bricht für einen Moment die Erzählung ab, schüttelt dann lachend den Kopf und korrigiert sich: "... nein, das stimmt nun doch nicht so ganz! Da gab es schon einen Jungen, den ich geliebt habe und der mich auch... na, ja, immerhin haben wir uns verlobt und für fast zwei Jahre ist auch alles gut gegangen. Er hieß Walter und war sehr süß, mit seinen treuherzigen, dunklen Augen... er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit dem jungen Omar Sharif!" "Und warum seid ihr auseinander gegangen?" fragt Markus. "Das kann ich heute gar nicht mehr beurteilen. Ich war erst Zwanzig und er ein Jahr jünger als ich. Möglicherweise ist es daran gescheitert, weil wir das Glück erzwingen wollten. Dann kam auch noch dieser Vorfall dazwischen,... " Renata nip pt am Glas und winkt ab: "... nein, ich erzähle dir das lieber ein andermal!" "Dann erklär mir doch diese ominöse Liebe zu einem Landstrich in Niederösterreich. In welchen Fleck hast du dich da verknallt?" "In das unvergleichliche Waldviertel!!!" strahlt Renata. "Ah, ja, die Hochburg der kommentiert Markus höhnisch.
esoterischen
Phantasten!"
"Ja, aber davon habe ich als Kind bewusst nichts mitbekommen. Möglicherweise war es kein Zufall, dass es mich so stark dort hingezogen hat; ich weiß es nicht, aber ich habe großen Respekt vor Menschen, die auf eigenes Risiko die Grenzen der Realität überschreiten. Man braucht halt ein dickes finanzielles und soziales Polster, um bei der Rückkehr aus dem Jenseits nicht allzu hart aufzuprallen. Denn sonst steht man alleine da. Um phantastische Erkenntnisse reicher, aber um Lebensfähigkeit in dieser Wirklichkeit ärmer." "Sprichst du da aus eigener Erfahrung?" will Markus wissen. -5 1 -
"Na, ja, sagen wir, ich habe meine Probezeit auf der anderen Seite nicht bestanden. Aber ich habe diese sogenannten paranormalen Erlebnisse mit eigenen Sinnen wahrnehmen können. Für mich ist es nicht nur das Geschwätz von wichtigtuerischen Spinnern." antwortet Renata nachdenklich. "Lass nur, ich habe auch keine absolute Meinung zu derartigen Phänomenen, obwohl die Schulmedizin dazu eindeutig Stellung bezieht... aber berichte weiter von deiner Sehnsucht nach dem Waldviertel." lenkt Markus ein. "Als Kind war diese Gegend für mich das reinste Paradies. Ich verbrachte meine Schulferien bei einem Onkel und einer Tante, auf deren Bauernhof. Erste, große Leidenschaft empfand ich dort für einen Jagdhund. Er begleitete mich auf Spaziergängen entlang des Kamp-Flusses; in seiner Nähe habe ich mich sehr beschützt gefühlt. An die Menschen rundum kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern; die habe ich damals wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen. Abgesehen von Charly, dem Sohn des Malermeisters. Wenn der mit seinem Moped durch die Ortschaft geknattert ist, dann hat mein Herz wie wild gepocht. Es kam selten zu einem Zusammentreffen, da die Verwandten ein waches Auge auf mich warfen. Da gab es so etwas, wie einen Ehrenkodex, bei dem es galt, die Mädchen vor dem Titel buamanarrisch zu bewahren. In jedem Dorf war dann eine Geächtete, die es in ihren jungen Jahren mit jedem im Kornfeld trieb; der Rest der weiblich Pubertierenden sortierte die geblümte Aussteuer im Wäscheschrank. Es war so gut wie unmöglich, den Bauernhof zu verlassen, wenn die Burschen mit ihren heißen Öfen das Hohelied der Brunst anstimmten. Dieses Hormonkonzert wurde am späten Abend veranstaltet, und für ein anständiges Mädchen ziemte es sich nicht, um diese gottlose Zeit noch auf die Straße zu gehen. Manchmal ist es mir doch, mit Hilfe meiner Cousine gelungen, in die verbotene Dunkelheit hinauszusteigen. Dann prallte die langweilige Wirklichkeit auf die spannende Illusion. Da standen wir nun da und bildeten -5 2 -
einen meditativen Kreis am Dorfplatz. Die Burschen, lässig und unbeteiligt an ihrem heißen Gefährt angelehnt; und wir Mädchen nuschelten dämlich grinsend irgendwas von habt ihr schon das neue Bravo gelesen, da ist ein Poster von Jürgen Markus, mein Gott ist der süß... Charly hat dann demonstrativ gegähnt oder in einem Anfall von unkontrollierter Bewegungslust einen Fußball zwischen uns geworfen, dem wir dann mit hängender Zunge nachgehechtet sind. Ein Tritt gegen das Schienbein, ein Rempler in die Magengegend. Das waren die Liebesbezeugungen der nach Berührung hungernden Teenager. Und ein von Charly an mich adressiertes: Meine Güte, stellst du dich beim Fußballspielen blöd an! mit anschließendem Haxelstellen, bedeutete in Wahrheit: Ich mag dich und würde gerne öfters bis zum Umfallen mit dir spielen. Aber dieses süße Geheimnis lüftete Charly erst achtzehn Jahre danach. Als wir uns in Wien einmal zufällig über den Weg liefen und beide das Bedürfnis hatten, unsere trübe Gegenwart mit romantischen Erinnerungen aufzuhellen.... " "Ohne Missverständnisse hätten wir wohl kaum Abwechslung in unserem Leben." unterbricht Markus den wehmütigen Monolog von Renata. "Und zur Zeit bist du liiert oder ein glücklicher Single?" "Ich hab eben eine dreijährige Beziehung zu einem acht Jahre älteren Kunstmaler erfolgreich zerstört." gesteht Renata lächelnd. "Das klingt ja spannend! Ein Maler und eine Fotografin im K a m p f u m künstlerische Anerkennung! Machst du heute noch Aufnahmen von Außenseitern der Gesellschaft? Ich hab mal in einer Illustrierten was von dir gesehen: Sandler feiern Weihnachten lautete die Byline." fragt Markus. "Ja, das ist lange her. Ich arbeite nicht mehr für Zeitschriften, nur noch für mich und meinen Kater, Moritz." "Und das tierische Feedback genügt dir?" -5 3 -
"Scheint so. Ich habe die letzten Jahre am Fließbanderfolg meines Exfreundes partizipiert. Gotthilf, so wird er berufen, bemalt täglich eine Leinwand, absolviert pro Tag einstündige Spaziergänge im Wienerwald, isst alle achtzig Minuten eine Orange, oder in der Gier nach Abwechslung mal eine Banane, und liebt es, im Spiegel seinen Bauch mit Entsetzen zu bewundern. Na, ja, und ich bin drei Jahre daneben gestanden. Als Wachposten seiner Eitelkeit." "Lebt er so extrem diszipliniert, weil er an Übergewicht leidet?" fragt Markus. "Er ist 1,88 in groß und wiegt 64 kg; jault wegen seines unästhetischen Fettbauches in schamanistischer Ekstase das Wolgalied, wie ein Fakir, der beklagt, dass seine Körperhaut ihn daran hindert, das Lustgefühl am Nagelbett voll ausschöpfen zu können." "Der Beste scheint eine Tendenz zum Masochismus zu haben... " stellt Markus schlau fest. "Masochistisch war er nur, wenn er keine Chanc e mehr hatte, seinen Sadismus auszuleben." "Fein. Fein. Und das Prachtstück hast du sausen lassen?" "Yes, Sir! Ich habe es vollbracht. Obwohl es mir wirklich schwer gefallen ist. Er zelebrierte auch noch so einen goldigen, religiösen Pascher, dass es eine Freude war... " "Ist er Mitglied einer extremistischen Sekte?" "Ja. Er ist Katholik." antwortet Renata in trockenem Tonfall. "Hoppla, da höre ich doch nicht etwa einen Hauch von religiöser Blähung heraus?" "Vielleicht ein Lüfterle davon, eine zarte Brise, die dir im Intercity Wien- Vatikan die Augen zum Tränen bringt. Nein, aber im Ernst..im Bruder Ernst hat sie sich vorher lange aufgestaut... " "Könnte es sein, dass dem berufenen Gotthilf deine verbalen -5 4 -
Sprengcocktails ein wenig zu schaffen gemacht haben?" forscht Markus. "Möglich isses." Renata macht eine bedeutungsvolle Geste mit den Händen, so als ob sie Staub vom Tisch fegen wolle. "Das ist gegessen, wie unseren deutschen Nachbarn zu sagen pflegen!" "Und was hast du jetzt vor? Ist die große Klausur anges agt?" "Ich fotografier mein Klo, ich hab so eine schöne knallbunte Klobrille, also, die ist es wirklich wert, im Bild festgehalten zu werden. Damit tapeziere ich dann meine Wohnung, um immer daran erinnert zu werden, was ich alles durchgemacht habe." seufzt Renata mit meolodramatischem Gesichtsausdruck. "Hör auf, du klingst so resigniert! Du musst nur wieder den Mut finden, an dich und dein Talent zu glauben. Hinter der Vergangenheit einen dicken Strich ziehen. Ich hab dich damals so beneidet, weil du gleic h nach der Matura von den Eltern weg gezogen bist. Weit weg von ihnen. Ich war so dumm, und hab mir eine Wohnung gleich vis à vis von den meinen genommen; somit biete ich ihnen ständig eine Bühne, auf der sie mein diszipliniertes Leben beobachten können. Auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten." "Für mich war eine örtliche Distanz dringend nötig. Aber, wie du es vorhin so treffend formuliert hast, da tief drinnen sitzen sie mir nach wie vor auf der Pelle. Durch meine Berufsunfähigkeit ist es sogar soweit gekommen, dass sie einen Gutteil meines "Aufkommens" finanzieren. Außerdem hat mir meine Mutter vor kurzem eine Eigentumswohnung, hier im selben Bezirk geschenkt. Sechzig Quadratmeter, Kaufpreis 1,3 Millionen." "Woher hatte sie denn dafür das Geld?" fragt Markus neugierig. "Geerbt. Aber offiiziell wird die Version vertreten, dass sie ein Leben lang gespart und sich nichts gegönnt hat. Wegen der geliebten Tochter, die es doch einmal besser haben sollte.... " -5 5 -
"Auf mich haben die beiden aber nie den Eindruck gemacht, als würden sie dahindarben." "Danke, dass du das sagst, Markus, aber das Talent der komplexbeladenen Mütter besteht darin, die Fassade gut aussehen zu lassen. Hinter den Mauern gönnt das Leidenspaar sich nicht die Butter aufs Brot. Und das in meinem Namen!" "Das ist traurig... da fällt mir ein, dass sie vor etwa vier Jahren, des öfteren sehr eindrucksvoll und mit viel Gesumse das Auto mit Lebensmitteln beladen haben, die offensichtlich für dich bestimmt waren." "Eine zeitlang war das auch notwendig, w eil ich nicht imstande war, einkaufen zu gehen." Renata senkt bei diesen Worten den Kopf. "Warum das denn?" will Markus wissen. "Ich habe vor vier Jahren einen Medikamentenentzug machen müssen, weil sowieso nichts mehr eine Wirkung gezeigt hat; von dem ver dammten Dreckszeug gegen Schmerzen. Seit meinen Unterbauchoperationen, vor fünfzehn Jahren, laboriere ich neben der chronischen Migräne auch an einer Colitis Ulcerosa; einzig und allein mit Schmerztabletten und Kortisonpräparaten konnte ich mir Linderung verschaffen. Außerdem brauchte ich im Laufe der Jahre auch Tranquilizer und Antidepressiva... und dann ist eben alles zuviel geworden. Es kam beinahe zu einem Darmdurchbruch... , nun, ja, der Entzug war dann unvermeidlich, wenn ich nicht krepieren wollte. Und nachher war ich fast zwei Jahre zu nichts imstande. Ich hab nur den Weg vom Bad ins Schlafzimmer absolvieren können; und bin fleißig am Heimtrainer geradelt, dass meine Muskeln sich nicht gänzlich zurückentwickeln." Renata unterbricht für einen Augenblick ihren Monolog und zündet sich eine Zigarette an, dann fährt sie fort: "Medikamentenentzug mag harmlos klingen, aber es war die Hölle; jedem sogenannten Experten vergönnt, der behauptet, es -5 6 -
sei vergleichbar mit einer mittleren Grippe! In einem der Schmer zmittel, an das ich mich gewöhnt hatte, war ein Morphinderivat, dem verwerflichen Heroin ähnlich, und das in Kombination mit Kodein und Benzodiazepinen war eine teuflische Mischung! Ich hab erst im Spital erfahren, dass meine Entwöhnung davon komplizierter war, als die eines H-Junkeys. Das hat mir die Augen für immer geöffnet. Noch einmal mache ich diese Tortour nicht mit. Du mutierst zu einem hilflosen Kleinkind, das dankbar ist, wenn man ihm ein Glas Wasser einschenkt. Weil der Tisch, auf dem die Flasche steht, zu hoch und nicht erreichbar scheint... " "Eine willkommene Situation für aufopfernde Helfer, die sich sonst im Leben nichts beweisen können," kommentiert Markus nachdenklich, "deine Eltern hatten somit ihre kleine, schwache Tochter wiedergewonnen, von der sie nur allzu früh haben Abschied nehmen müssen. Nun, immerhin haben sie dafür gesorgt, dass du ein Dach über dem Kopf hast und nicht verhungern musst." meint Markus ironisch. "Dafür bin ich auch dankbar, aber, dass meine Mutter nicht mehr darauf verzichten kann, mein Leben zu kontrollieren, macht mir schwer zu schaffen. Mehr als meine Schmerzen, Depressionen oder der Entzug damals." "Lass mich raten, Renata, sie hat doch bestimmt auch Sündenböcke gefunden, die dafür verantwortlich waren, dass du in eine suchtabhängige Situation geraten bist. Ich tippe da mal ganz blauäugig auf den schlechten Umgang... habe ich Recht?" "Der Kandidat hat einen Dosenöffner gewonnen!" lacht Renata und verkündet in strengem, pädagogischen Tonfall: "Die Freunde, die mich nur ausnutzen sind an allem Schuld, jawohl, so isses!" "Wenn jemand von dir behauptet, dass man dich ausnutzen kann, dann wird er es wohl am Besten wissen... wie man das am Geschicktesten anstellt!" überlegt Markus. -5 7 -
"Diese Tatsache wollte ich nie wahrhaben. Welches Kind glaubt schon freiwillig daran, dass die Eltern es als Spielzeug, Herzeig -Objekt und Bestätigung des eigenen kaputten Ego missbrauchen... denk doch nur daran, wie unsere innere Stimme "Mama!" schreit, wenn wir in seelische Not geraten. Wir haben doch alle dieses blinde Vertrauen mit der Muttermilch eingesogen." "Stimmt. Das habe ich mir noch gar nicht so überlegt. Aber du hast Recht... mit dieser inneren Stimme; die macht sich bei mir auch oft bemerkbar. Ich weiß aber in diesem Moment ganz genau, dass dieses verzweifelte Mama! in mir, nichts Anderes bedeutet, als die Erinnerung daran, dass sie die Erste war, die einen derartigen Schmerz bei mir ausgelöst hat. Dann ist dieser vermeintliche Hilfeschrei, von dem du sprichst, nur ein Aufschrei des Entsetzens." "Ja," Renata zieht an ihrer Zigarette, spielt ein wenig mit dem Rotweinglas und sieht dann Markus fest in die Augen, "es tut mir verdammt gut, dass ausgerechnet du das sagst." "Wieso, ausgerechnet ich?" fragt Markus erstaunt. "Weil ich immer ein bisschen neidisch auf dich und deine Schwester war. Ich weiß noch, dass Elsa eure Mutter manchmal liebevoll Mamschi genannt hat... das hat mir sehr weh getan, weil ich das nie im Leben über die Lippen gebracht hätte... " "Nun, Elsa hatte auch ein besser es Verhältnis zu ihr. Glaube ich. Denn derartige Gespräche haben wir nie miteinander geführt. Das hätte die katholische Etikette verletzt. Durch einen lieben Kosenamen kann man sich aber auch eine Illusion schaffen, meinst du nicht?" "Erneut muss ich dir Recht geben. Verflixt noch mal, ich hätte nie gedacht, dass du mit mir auf einer Wellenlänge liegen könntest. Ja, Wellenreiten am Amazonas, das passt in meinen Augen zu dir, aber.... " "Stop, stop! Soll das heißen, dass dir meine sportlichen -5 8 -
Ambitionen ein Dorn im Auge sind?" entrüstet sich Markus. "Genau. Mir sind Extremsportler suspekt. Für mich eben nicht greifbar. Nicht begreifbar. Außerdem plädiere ich für: Es lebe das Wort! Nun, und zu wie vielen zusammenhängenden Worten ein Sportler fähig ist, das weiß man ja!" provoziert Renata. "Ach ja? Und ich? Da sitze ich breit und sportbesessen vor dir, und hast du allen Ernstes den Eindruck, dass ich mich nicht artikulieren kann?" "Schon. Aber ich spüre, dass du erst durch meine Worte warm geworden bist. Oder nim mst du mir diese Überheblichkeit krumm?" "Nein. Es ist schon was dran, an deinem Gespür. Es ist lange her, dass ich mich vor einem Anderen so öffnen konnte." gesteht Markus. "Da rate ich jetzt mal kühn drauf los: dein Gesprächspartner dabei war keine Frau! " Keine Antwort von Markus. Renata merkt, dass sie ein wenig zu weit gegangen ist und versucht, wieder einzurenken: "Markus, ich wollte dich nicht verletzen. Aber, es ist mir schon als Kind nicht entgangen, dass du dich deinen Geschlechtsgenossen gegenüber viel lockerer gegeben hast. Andrerseits, wer tut das nicht in der Pubertät... " "Nein, nein, lass nur. Du hast auf deine brutal unverblümte Weise ins Schwarze getroffen! Die Gesellschaft von Motorrädern und Männern ist mir nun mal lieber, als die kompliziert strukturierte Beziehung zu einer Frau. Männer sind direkter, einfacher zu handhaben, was weiß ich, wie ich es benennen soll. Die jammern nicht über ihre demolierte Frisur, wenn sie den Sturzhelm abnehmen, mit denen musst du nicht eine Ewigkeit durch die Stadt hetzen, bis sie endlich ein Motorrad-Outfit gefunden haben, das hauteng ist, die AlwaysBinde jedoch soll nicht drücken... aber... "
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"... aber am Schlimmsten sind wohl die brutal, unverblümten Frauen, die sich dann doch als verstrickte und wehleidige Tschapperl entpuppen!" unterbricht ihn Renata. "Richtig. Denen musst du dann Schwimmflügel anlegen, wenn du mit ihnen im Planschbecken sitzt." "Na, bravo. Und mir graust vor Männern, die sich eine geistige Schwimmweste umschnallen, wenn du mit ihnen über Gefühle reden willst!" "Okay, du Zornbinkel! Frieden! Waffenstillstand! Ich habs begriffen. Cogito, ergo Rum! Ich bestell noch Wein." Für eine kurze Weile scheinen sich die beiden voneinander entfernt zu haben. Der Kellner bringt den frischen Rotwein und nimmt die leeren Gläser mit. Renata greift zur Zigarettenschachtel, um sich zu bedienen, doch Markus kommt ihr zuvor. Er nimmt das Päckchen, schüttelt es ein wenig, dass zwei Zigaretten rausrutschen. Renata nimmt eine davon. Dann gibt ihr Markus Feuer, sie nimmt einen tiefen Zug, sieht ihn dabei herausfordernd an und bläst ihm den Rauch genüsslich ins Gesicht. Markus schließt die Augen, hüstelt leise und währenddessen umfasst er eine Hand von Renata. Ganz fest umschließt er sie. Es fühlt sich zuerst an, als wolle er ihr wehtun, doch sie spürt nach und nach, wie eine Welle der Zärtlichkeit von ihm ausgeht. Bereitwillig lässt sie diese Annäherung zu, und durch einen sanften Gegendruck ihrer Finger signalisiert sie ihm Vertrauen und Wohlbehagen. Markus versucht, wieder ein Gespräch zu beginnen: "Ich weiß auch, was es heißt, depressiv zu sein, aber ich habe immer vermeiden wollen, dass man es mir anmerkt." "Und ich hab Dir von meinem leidvollen Leben vorgejammert und dich dann als ignoranten Sportler verdammt. Es tut mir leid. Auf meinem egomanen Trip komme ich gar nicht auf die Idee, dass du auch an Depressionen leiden könntest... " "Diese Quälgeister sind meine treuesten Lebensbegleiter. Das -6 0 -
hat nichts mit der Scheidung zu tun, und dass ich meinen Sohn nicht mehr so oft sehen kann. Diese krankhaften Verstimmungen waren schon immer da. Was glaubst Du, warum ich mich so im Extremsport austobe? Doch bloß deswegen, um meinen Körper zu maldretieren, dass ich die seelischen Schmerzen nicht mehr so spüre!" "Das tut mir leid. Ich habe es zwar geahnt, aber, wenn es um andere Menschen geht, so will man doch nicht so recht wahrhaben, dass sie auch derartig schlimme Zustände kennen. Man ist ja so gern das einzig und alleinige Opfer dieses Universums. Und die Illusion schmeic helt, dass man etwas aushält, was andere wahrscheinlich umbringen würde." "Konkurrenz gibts eben auf allen Gebieten," sinniert Markus, "einerseits tröstet es, dass man mit seinen Problemen nicht alleine dasteht, andrerseits will man von dem Seelenmüll der anderen nicht wirklich etwas wissen. Es könnte einen nur noch weiter hinunter ziehen." "So isses." Renata dämpft ihre Zigarette aus. "Außerdem bringt eine ärztliche Behandlung da auch nicht viel, weil früher oder später rauskommt, dass nur du allein in der Lage bist, dir zu helfen." fügt Markus hinzu. "Aber, man will lange nichts davon wissen und akzeptiert medikamentöse Therapien, die zumindest eine notwendige Ruhepause für die Seele erzwingen." "Ich komme mit der Verdrängungstherapie am Besten zurecht. Da bleiben dann nur diese diffusen Alpträume in der Nacht, die man aber bei einem rasanten Motorradtrip wieder abschütteln kann. Ich habe nicht den Mut, mich den etwaigen Ursachen dafür zu stellen, da bin ich doch lieber der Held beim Wildwasserpaddeln, oder so... und du, Renata, bist du schon auf die Spur einer Ursache in deinem Leben gestoßen?" Markus bietet ihr bei diesen Worten unaufgefordert eine Zigarette an. Sie führt sie mit leicht zitternder Hand an den Mund, und er -6 1 -
erkennt den unsagbaren Schmerz in ihren Augen. Sie hebt ihre rechte Hand leicht an und deutet ihm, nicht mehr zu reden. Markus ruft nach dem Kellner und bestellt noch zwei Gläser Wein. Renata hält nun ihren Kopf in die rechte Hand gestützt und starrt durch die Fensterscheibe, auf die Straße. Es ist bereits dunkel geworden. Ein schöner, ruhiger Sommerabend; die Gefühle verlangen ungeduldig, lauter werden zu dürfen. Markus beobachtet sie stumm. Er scheint, ihren Gedanken aufmerksam folgen zu wollen, um sie ja nicht aus den Augen zu verlieren. Renata wendet sich ihm wieder zu und ihr Blick verrät eine Zuneigung, die ihm noch nie entgegengebracht wurde. Er genießt das spannungsgeladene Knistern dieses Funkens, der auf beide übergesprungen ist; die Erkenntnis, dass von nun an ein gemeinsamer Weg vor ihnen liegt. Sie sind bereit, ihn zu gehen, egal, wohin er auch führen mag. Zögernd versucht Markus, seine Hand auf die ihre zu legen. Renata löst sich langsam aus der Anspannung und kommt seiner Berührung entgegen. Einen kurzen Augenblick spüren ihre Fingerspitzen einander, um dann blitzschnell wieder in die Ausgangsposition zurückzufahren... dann ein Aneinanderpressen, die Nägel krallen in die Handfläche des anderen; gemeinsamer Schmerz, der Lust verspricht und Druck standhält. Markus bricht vorsichtig das Schweigen: "Was meinst Du, setzen wir unsere Lebensbeichten in meiner Wohnung fort? Es wären nur ein paar Schritte bis dorthin. Was red ich, du weißt ja, wo ich zu Hause bin!" "Ja, ich muss zugeben, dass ich schon manchmal, bei meinen raren Besuchen im Elternhaus, in deine Fenster hineingespäht habe." erwidert Renata. "Und, was konntest du erkennen?" fragt Markus neugierig. "Vorhänge
und
im
Hintergrund -6 2 -
einen
schwachen
Lichtschein." "Und, wenn ich zu eurem Haus rübergeschaut habe, dann konnte ich kein Licht sehen. Lediglich einen Vorhang, der sich nervös tänzelnd bewegte." "Ein Luftzug wirds wohl nicht gewesen sein!" kommentiert Renata mit sarkastischem Unterton. Renata und Markus bezahlen die Rechnung gemeinsam und verlassen die Pizzeria. Sie gehen nic ht weiter die Hauptstraße entlang, sondern nehmen eine Abkürzung durch die Gemeindebau-Siedlung. Die Vorhänge in Renatas Elternhaus sollen nicht aus ihrer Nachtruhe gerissen werden. Markus nimmt Renata bei der Hand und führt sie die Stufen hinauf in den zw eiten Stock seines Wohnhauses. Während er die Tür aufsperrt, sieht Markus seine Nachbarin fasziniert an. Sie erscheint ihm so vertraut, wie sie jetzt so vor ihm steht, im Schein des Neonlichtes: etwas müde vielleicht, aber mit einem magischen Funkeln in ih ren Augen. Wortlos fallen sie einander in die Arme und halten sich regungslos fest. Lederjacke und Mantel knirschen und stimmen das Lied der Königskinder an. Bei der dritten Strophe erlischt das Licht im Stiegenhaus. Markus und Renata reagieren nicht darauf. Wortlos wiegen sie sich in ihrer Umarmung und scheinen aller Erzählungen müde zu sein. Er tastet im Dunkeln nach dem Türschloss und sperrt mit der linken Hand auf. Mit der Rechten hält er Renata weiterhin umschlungen und zieht sie ins Vorzimmer hinein. Er nimmt ihr den Mantel ab und hängt ihn auf die Garderobe. Dann schlüpft er aus seiner Lederjacke und legt sie darüber. Renata schmiegt sich fest an ihn, und in sanften Bewegungen, mit abwechselndem Festhalten und Wegstoßen, landen sie im Wohnzimmer. Markus knipst die Schreibtischlampe an, geht zum Fenster und zieht mit vielsagender Miene die Vorhänge zu. Dann meint er in mahnendem Tonfall: -6 3 -
"Wir haben zwar vor über dreißig Jahren am Gartenzaun geheiratet, aber weißt Du eigentlich, dass wir uns noch nie geküsst haben?!" Renata zwinkert mit den Augen, als würde sie die Lampe blenden und flüstert leise, geradeso, als hätten Camay und Leon hier Abhörwanzen installiert: "Das ist gut so. Denn für unseren ersten Kuss hätte es nie einen schöneren Augenblick geben können, als jetzt!" Sie geht auf Markus zu, nimmt seinen Kopf sanft in beide Hände, streicht um seinen Nacken, blickt ihm noch einmal tief in die Augen und dann versinken die Sehnsüchtigen in einem intensiven Kuss. Ihre Lippen lösen sich für einen Moment voneinander, ertasten sich vibrierend; heißer Atem strömt aus ihren Mündern; dann tauchen sie, wie von einem Stromschlag erschüttert, mit heftigen Bewegungen, in die Quelle der Sprachlosigkeit ein. Markus unterbricht jäh diese gierige Reise in die tot geglaubte Glückseligkeit und stößt Renata von sich. Sie zieht sich zurück und nimmt auf der blauen Ledercouch Platz. "Willst du etwas trinken?" fragt er Renata. Sie nickt wortlos und er verschwindet in der Küche, um eine Flasche Wein zu holen. Markus nimmt Gläser aus der Vitrine und stellt sie vor Renata auf den Tisch. Er selbst nimmt nun auch auf der Couch Platz. Während er beide Gläser füllt, bemerkt sie, wie sich sein Brustkorb heftig senkt und hebt. So, als würde er gleich kollabieren. Renata zündet sich eine Zigarette an. Markus prostet ihr zu und etwas zögernd nippen sie an den Gläsern. Dann lehnt er sich zurück und legt seinen Kopf auf Renatas Schulter. Er beginnt immer lauter zu stöhnen: "Ich weiß nicht, ob du auch so stark empfindest... ich habe das Gefühl, dass ich in der nächsten Sekunde aus meinem Körper rase... und... " -6 4 -
Renata dämpft ihre Zigarette aus: "... und ich komme mit." Ein paar Rauchwolken schweben an der Zimmerdecke und schauen herab: auf zwei Liebende, die sich die Kleider vom Leib reißen; sich dem Kampf gegen bittere Zweifel ergeben und das bedingungslose Einswerden ihrer Körper und Seelen heraufbeschwören.
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AHNUNGEN Und zur selben Zeit, irgendwo, in einem anderen Sonnensystem, verabschieden Camay und Leon den familiären Geburtstagsbesuch. "Lasst mir die Renata recht lieb grüßen! Vielleicht sehe ich sie ja mal wieder, das würd mich freuen!" ruft Marisa, während sie zu Max ins Auto steigt. Camay und Leon winken ihnen noch eine Weile nach und gehen ins Haus zurück. "Na, die haben es wieder mal lange ausgehalten!" zischt Camay und wendet sich besorgt ihrem Leon zu: "Und Du, mein Lieber, du hättest was sagen müssen. Ich meine, die kriegen mit, dass es dir nicht gut geht und bleiben bis in die späte Nacht.... " "... das ist doch nicht so schlimm. Ich habe mich gefreut, dass die beiden uns so lange Gesellschaft geleistet haben. Von Renata kann man das ja nicht behaupten!" trotzt Leon mit finsterer Miene. Noch eine ganze Weile ergibt sich ein Hin und Her zwischen Camay und Leon, was denn nun gut oder schlecht an diesem Abend gewesen sei. Aber in einem ist man sich einig: Um Renata muss man sich Sorgen machen! Camay geht zum Telefon und ruft ihre Tochter an. Als sich nach ein paar Minuten keiner meldet, meint sie: "Jetzt mache ich mir wirklich Sorgen!" Und Leon seufzt: "Mit dem gestrigen Tag bin ich also Siebzig Jahre alt geworden. Erlebt hab ich genug, aber herumgekommen bin ich nicht viel... " "Was soll denn das nun bedeuten? Ich mache mir Sorgen um unsere Tochter und du... du denkst bloß an dich! Es ist schon -6 6 -
nach Mitternacht und die meldet sich nicht, hörst du Leon!?" mahnt Camay. "Dann probier es in der Früh noch einmal. Ich geh gleich schlafen, ich bin hundemüde." "Ja, ja, leg dich nur hin und schnarch den Schlaf der Gerechten! Und ich werde wieder einmal kein Auge zukriegen!" Leon begibt sich in sein Schlafzimmer im Erdgeschoss. Schon seit Jahren teilt er es nicht mehr mit Camay. Er musste nachts so oft aufstehen und weckte sie dabei immer auf. Also entschloss man sich zu getrennten Schlafgemächern. Vernünftig, wie man nun mal ist. Camay ist seitdem schlaflos im ersten Stock und Leon zu ebener Erde. Vor einigen Jahren entschied sich Leon, wegen seiner Schlafstörungen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei Nacht und Nebel machte er sich auf den Weg in die naheliegende Ambulanz der Krankenkasse. Ein junger Neurologe hatte Nachtdienst und verschrieb ihm ein Neuroleptikum. Nach einem Sekunden-Dialog. Leon ging es auf dieses Medikament schlechter und schlechter, und schließlich wandte er sich an einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Dieser diagnostizierte ihm Depressionen und verordnete Antidepressiva und Tranquilizer. Leon war anfangs sehr zufrieden, denn er konnte nun tatsächlich besser schlafen. Allerdings registrierte er eine sich steigernde Hilflosigkeit und Unruhe, womit er wiederum nicht fertig werden konnte. Der Arzt wies ihn darauf hin, dass er Geduld haben müsse, und dass eventuell eine Gesprächstherapie Erfolg bringen könnte. Camay begleitete Leon zu der Ärztin, die ihm nun mittels Gesprächen helfen sollte. Während der Therapiestunde wiederholte Leon ununterbrochen: "Ich weiß gar nicht, was ich erzählen soll, ich hab gar keine Probleme, nur diese lästigen Schlafstörungen.... !" Und Camay pflichtete ihm heftig nickend bei: -6 7 -
"Ja, Frau Doktor, er hat Schlafstörungen, sonst nichts!" Nach dem einmaligen Besuch bei der Therapeutin meinte Leon: "Ja, und was hat mir das nun gebracht? Die glaubt doch nicht etwa, mir helfen zu können, wo ich doch schon mein Lebtag nicht hab schlafen können!" "Na, ja, hast halt was probieren müssen." tröstete ihn Camay herablassend. Das liegt nun schon fünf Jahre zurück und Leon hat sich endgültig mit seinem Problem abgefunden. Ein wenig autogenes Training nach dem Mittagessen verhilft ihm zu einem labenden Kurzschlaf; und eigentlich geht es ihm gegenwärtig ganz leidlich. Bis auf die Angina pectoris, an der er seit zwei Jahren leidet. Leon entschied sich für eine Bypass -Operation im vergangenen Herbst und seither geht es ihm nicht besser und nicht schlechter. Aber: Es ist etwas geschehen! Camay hat seitdem einen sorgfältigen Küchenplan aufgestellt: kein Cholesterin, kein Zucker, kein Alkohol... kurzum: kein Genuss für Leon. Und für sie schon gar nicht. Aber da geht ihr nichts ab, denn Sinnesfreude war für sie immer sc hon tabu! Leon nascht ein paar Pralinen, die er in dem Aufbewahrungsfach für Batterien, im Handwerkskoffer, vor Camay versteckt hält. Ein sicherer Platz, den sie niemals durchstöbern würde. Aus Angst einen Stromschlag von einem losen Kabel zu erleiden. Wenigstens im Hauswartungsbereich hat Leon die Nase vorn. Zufrieden legt er sich zu Bett und schließt die Augen. Schon nach wenigen Minuten fällt er in einen tiefen Schlaf: Er wandert durch das Schlaraffenland. Dieses heißersehnte Exil für schamlose Kalorienfetischisten. Er ist mit einer knallbunten Badehose bekleidet und pfeift fröhlich ein -6 8 -
Liedchen: "Rund und gsund und leiwand drauf, rund und gsund gehts mit mir bergauf, rank und schlank und zwider ist, wer viel zu wenig isst... " Er steuert auf ein Haus zu, dessen Fenster rot erleuchtet sind. Auf einem riesigen Willkommensschild ist zu lesen: "Iss heute, zahle morgen!" Es handelt sich um ein illegales Bordell für Fresssüchtige. Hier wird Leon freundlich empfangen. Ein rosarotes Lätzchen wird ihm umgebunden und er steuert siegessicher auf das Buffet mit den Vorspeisen zu. Ein schier niemals endendes Karussell, voll mit goldenen Tabletts, auf denen eine Unzahl von Vorspeisen angerichtet sind: Artischockenherzen und Garnelen in amerikanischem Dressing, Mayonnais e-Eier, gefüllte Schinkenrollen, Kaviar auf oberstriefenden Toastscheiben, Muscheln in Pfeffersauce, Kartoffelsalat und faschierte Laibchen... Leon genießt vorerst einmal den fulminant köstlichen Anblick dieser verführerischen Leckereien. Dann bedient er sich nach Herzenslust, schmaust eine geraume Weile und macht sich dann auf den Weg in die Höhle der Hauptspeisen, Hmmm... ein wunderbarer Geruch von fein gewürztem Grillfleisch steigt ihm in die Nase, Stelzen und Kartoffelknödel laden den gierigen Jäger zu der verbotenen Lust ein. Leon beißt in das rosige Fleisch eines Entenbratens, er schaufelt mit seinen Händen das mit Speckwürfeln garnierte Rotkraut in den gierigen Schlund, sein Gaumen weidet sich an dem jungfräulichen Fleisch der gefüllten Täubchen. Er schmatzt und grunzt vor Wohlbehagen. Doch er hat die Nachspeisen noch nicht gekostet! Da sind sie ja: seine heiß begehrten, flambierten Pflaumen in Rumsauce, die unwiderstehlichen Himbeeren mit Vanilleeis und der köstliche Mohr im Hemd. Her damit, alles rein in den armen malträtierten Magen, der sich sonst in Kalorienentzugsschmerzen winden muss; und da freut sich auch der Darm, der darob des fetten Essgenusses endlich wieder einmal so richtig in Schwung kommt, Leon hockt sich auf den dafür vorgesehenen Latrinen aus Zuckerguss nieder und entleert sich. Entspannt sitzt er auf der Pritsche und summt: "... alles hat -6 9 -
ein Ende, nur die Wurst hat zwei, leb wohl mein Schatz, es ist vorbei... " Es ist aber noch lange nicht vorbei. Nach erfolgreicher Sitzung geht es w eiter zu den verführerischen Cocktails. Pina Colada mit viel, viel Obers, Tequila Sunrise mit karamellisierten Orangenscheiben garniert... Leon packt plötzlich das Entsetzen. muss er doch tatsächlich mit ansehen, wie ein anderer Kunde, abartig, wie der ver anlagt sein muss, zu einer Bloody Mary greift, Tomatensaft und Wodka, pfui Teufel, was für ein barbarisches Erlebnis muss das für dessen Geschmacksnerven sein ... was will dieser Spielverderber hier? Leon versucht, diese unliebsame Stätte zu verlassen, aber es gelingt ihm nicht... seine Beine versinken in einem blubbernden Sumpf aus Schokopudding; bis zu den Hüften steckt er schon in der klebrigen Masse... da kommt der Mann mit der Bloody Mary auf ihn zu, schüttet dieses ekelhafte Getränk über Leons Kopf ; und der Arme ist verloren! Er versinkt zur Gänze im Pudding... Wild um sich fuchtelnd erwacht Leon aus diesem Schreckenstraum. Wie schon so oft, hatte ihn dieser Perverse wieder einmal mit seinem blutigen Tomatengetränk in den Tod getrieben! Seit fünf Jahren häufen sich diese skurrilen Fressorgien; jäh beendet durch jene missliche Situation, aus der sich Leon nur durch Aufwachen retten kann. Das Leben ist hart, denkt der Schläfrige, beißt in eine Praline und wagt aufs Neue die abenteuerliche Reise ins Schlar affenland. Irgendwann wird es ihm schon gelingen, diesen Teufel mit seinem blutroten Trank zu überlisten! Camay wählt noch einmal die Rufnummer ihrer Tochter. Wieder keine Antwort. Ein leichtes Zittern überfällt ihren Körper. Sie will unbedingt wissen, wo Renata ist, und, dass es ihr nicht gelingt, dies herauszufinden, versetzt sie in Rage. Sorge nennt sie dieses Gefühl; in ihrer Rolle, die sie als Mutter spielt. Verdammt noch mal, sie hat es sich schließlich nicht aussuchen können, eine derart schwache und undankbare Tochter gebären zu müssen. Schwach, wie dereinst ihre Mutter -7 0 -
auch war. Nicht stark genug, tägliche Pflichten, zur Zufriedenheit der anderen, zu erledigen. Camay hatte immer all ihre Kraft dafür einsetzen müssen, dass die Umwelt nicht mitbekam, welche Schande sich hinter den Mauern ihres Heimes verbarg. "Wenn man das den Anderen erzählen würde... !" Mit diesen Worten schlägt sie die Hände vors Gesicht und bricht in Tränen aus. Immer dieses ambivalente Bedürfnis, ahnungslose Mitmenschen an ihrem Leiden teilhaben zu lassen, dieses giftdampfende Gefühl, das die eigene Seele zersetzte. Und zugleich die feige Scham, die davor schützte, es wirklich zu tun. Einzig und allein ein paar kryptische Bemerkungen streute sie in die Öffentlichkeit. Hilferufe, die sie selbst nicht verstand, und die andere nicht verstehen wollten. Camay legt sich in ihr Bett und schließt die Augen. Wie immer in diesem Augenblick des sich Schlafenlegens, fühlt sie sich hellwach. Das Blut pulsiert fühlbar in der Halsschlagader, in den Schläfen bis in die Stirn hinauf. Wenn sie sich dem Moment der Entspannung am Nächsten wähnt, surrt plötzlich ein mysteriös zischendes Geräusch in Blitzgeschwindigkeit durch ihren Kopf. In derartigen Situationen überfällt Camay panikartig die Angst vor einem Schlaganfall. Schwägerin Marisa hatte vor einigen Jahren, mit viel Glück, einen überstanden. Es kostete sie fünf Monate der körperlichen Anstrengung, bis sie wieder halbwegs auf den Beinen war. Aber, Gott sei Dank, ist ihr sonst nichts geblieben! Was für Camay so viel bedeutet, dass Marisa keinen geistigen Schaden davongetragen hatte. Na, das fehlte noch! Da wollte man doch gleich lieber tot sein! Camay erschaudert bei diesen Gedanken, schaltet ihre Nachttischlampe ein und holt sich aus der Küche ein Glas Wasser. Nein, bloß nicht schwach werden und den anderen ausgeliefert sein. Das wäre für sie unvorstellbar! -7 1 -
Sie überlegt kurz, ob sie noch einmal bei Renata anrufen sollte, zögert erst, weil es im Bett doch schon so schön warm und kuschelig ist, entschließt sich dennoch, es nochmals zu probieren. Wieder keine Antwort. Es ist bereits Ein Uhr vorbei. Camay malt sich Horrorvisionen aus, mit wem und was ihre Tochter wohl treibt. Und mit diesen Gedanken taucht sie in das Land der Träume ein: Camay befindet sic h in ihrem Elternhaus. In der Küche ist Feuer ausgebrochen und sie sucht verzweifelt einen Ausgang; sie kommt an verschiedene Türen, die aber verschlossen bleiben. Draußen auf der Straße kann sie ihren Vater erkennen; er winkt ihr zu und ruft, dass sie zu ihm kommen solle. Sie tritt gegen eine der Türen, doch nichts bewegt sich. Ihr Vater ruft ihr zu, dass sie aus einem Fenster springen solle, es sei nicht so hoch und nicht gefährlich, aber sie solle endlich springen. Ihr Kleid hat auch schon Feuer gefangen, sie will schreien, doch die Stimme versagt, und es ist ihr nicht mehr möglich, sich von der Stelle zu rühren... Camay schreckt aus dem Traum auf. So oft hatte sie ihn schon träumen müssen. Sie nimmt einen Schluck Wasser und versucht, sich zu beruhigen. Ob der Traum wohl eine Bedeutung hat? Renata hatte schon des öfteren davon gesprochen, dass dies sehr wohl der Fall sein kann. Aber Camay hatte ihr dabei nie richtig zugehört. Außerdem, wo käme sie da denn hin, die schwache, untaugliche Tochter um einen Rat zu fragen! Die kommt doch mit ihren eigenen Problemen nicht zurecht. Und überhaupt, das geht diese Göre doch gar nichts an, dass ihre Mutter an Alpträumen leidet! Die meint doch sicher wieder, dass das der Seelenmüll ist, der aufgearbeitet werden soll. Was nimmt sich dieses Balg eigentlich heraus, von der Mutter zu behaupten, dass sie so etwas wie Seelenmüll hätte! Camay entsinnt sich, dass ihr Renata einmal ein Traumdeutungsbuch geschenkt hatte. Da will sie schon gar nicht nachschlagen, denn da steht sowieso nur was Sexuelles drinnen. -7 2 -
Das ist ja krank, wenn einer an nichts Anderes denken kann! Aber dann ist doch die Furcht vor dem Weiterträumen stärker und Camay steht auf und holt das Buch. Sie schlägt nach: Haus... das soll die seelische und körperliche Verfassung des Träumers sein und dort, wo das Feuer ausgebrochen ist, die Küche, aha, die gilt als alchemistischer Ort der Transformation, weiß der Kuckkuck, was das bedeutet, doch was solls, noch mal aufstehen und das Wörterbuch holen... : alchemistisch, Alchemist... Goldmacher... wie, bitte... ah, ja irgendwas Unchristliches, Magisches wahrscheinlich und Transformation... Umwandlung, Umformung, aha... , also dort, wo sich bei Camay etwas Magisches umwandelt brennts,... Traum von Feuer, aha, das bedeutet seelische Läuterung, sexuelle Leidenschaft, na, da hammas,.. hängt nach Freud auch mit Bettnässen zusammen, was in Wien auch zündeln genannt wurde... Aber wirklich nicht! Es reicht! Zornig klappt Camay das Buch zu und legt es zurück in den Schrank. Das hat sie wieder nötig gehabt. Jetzt ist sie noch aufgeregter, als vorher. Bevor sie sich damit auseinandersetzt, dass bei ihr etwas Leidenschaftliches brodelt, da träumt sie doch lieber diesen Horror weiter : Camay befindet sich wieder in dem brennenden Haus. Rüttelt an einer Tür nach der anderen, tritt dagegen, hört die Stimme ihres Vaters, der ruft, dass sie aus dem Fenster springen soll. Sie steigt auf die Fensterbank, sieht ihren Vater, der plötzlich einen eigenartigen Vollbart hat und ihr zuruft: Ich bins, Sigmund Freud, spring noch nicht, du musst erst das Feuer in der Küche löschen! Vor lauter Schreck, wen sie da plötzlich vor sich hat, rutscht Camay von der Fensterbank und fällt... und sie fliegt und fliegt und fliegt... Camay schläft, selig seufzend. ....und fliegt und fliegt. Da hört sie nochmals die Stimme von Sigi Freud, der neben ihr einher schwebt und ein Buch überreicht... er ruft ihr zu: "Camay, du musst nachschlagen, was -7 3 -
Fliegen bedeutet."... sie nimmt das Buch, schlägt nach und liest: fliegen, Flu gträume bedeuten Selbstüberschätzung oder Flucht aus Problemsituation... Befreiungstraum... Rauscherlebnis, nach Sigi Freud: "sexuelle Wunsch und Erektionsträume". Camay verschluckt eine schwarze Gewitterwolke und stößt einen gellenden Schrei aus: "Nein, aber wirklich net!" stürzt ab, und... Camay wacht auf. Sie rast wutentbrannt zum Schrank und holt nochmals das Traumbuch. Schweißperlen haben sich auf ihrer Stirn gesammelt. Einmal noch, denkt sie, einmal schau ich noch nach... Absturz, aha,... Warnung vor übertriebener Nüchternheit, man sollte sich fallen lassen, verweist auf Verluste durch Fehleinstellungen des Träumers, wird oft bei Orgasmusschwierigkeiten geträumt... Nun reichts ihr endgültig! Camay atmet tief ein und aus und versucht, abzuschalten. Sie legt das Buch mit spitzen Fingern, nein, nicht mehr in den Schrank, sondern raus damit, in den Mülleimer, wo derartiger Schrott hingehört. Siegessicher kehrt sie in ihr Bett zurück, schließt die Augen und dankt Gott dafür, dass sie derartig teuflischen Theorien keinen Glauben schenkt. Was ja, lieber Gott, und steh ihr bei, die Renata, das arme, schwache Kind leider nicht lassen kann. In Ewigkeit, Amen. "Frühstück ist fertig!!!" tönt es durch das Haus bis ins Schlafzimmer von Camay. Sie öffnet vorsichtig die Augen und schaut auf den Wecker. Ach du meine Güte, schon acht Uhr vorbei! mahnt sie sich vorwurfsvoll. Sie springt behände aus dem Bett und geht in die Küche. Dort wartet Leon schon ungeduldig auf sie: "Na, du hast herausfordernd.
aber
tief
geschlafen...
"
begrüßt
er
sie
"Ja, von wegen, ich und tief schlafen, so was hats noch nie gegeben. Ich habe mich wieder die ganze Nacht hin und her gewälzt; die letzten Minuten muss ich wohl eingedöst sein... " "Ja, ja, schon klar. Ich hab Frühstück gemacht. Bleiben wir -7 4 -
hier in der Küche oder gehen wir damit ins Esszimmer?" "Bleiben wir gleich hier." murmelt Camay verschlafen. Sie nehmen am kleinen Tisch beim Küchenfenster Platz. Von da aus können sie die Aussicht auf die Straße und die gegenüberliegenden Häuser genießen. Camay und Leon schmieren sich Leicht -Margarine und DiätMarmelade auf Vollkornbrot und trinken dazu ungesüßten Kaffee. Beide zwinkern noch ziemlich müde mit den Augenlidern und haben auch noch nicht so recht den Elan, miteinander zu reden. Nach ein paar Minuten des morgendlichen Schweigens fragt Leon: "Wirst du die Renata dann gleich anrufen?" "Ja, ich warte noch ein wenig; die schläft sicher bis mittags und murrt mich unfreundlich am Telefon an." antwortet Camay. "Das tut sie doch zu jeder Tageszeit." raunzt Leon. "Da hast du auch wieder Recht." meint Camay und geht zum Telefon. Sie wählt Renatas Nummer; es meldet sich niemand am anderen Ende der Leitung. "Nun wird es mir aber zu bunt!" knurrt Camay und setzt sich wieder zu Leon an den Tisch: "Ich renn ihr doch nicht hinterher!" "Meine Rede!" kommentiert Leon. Camay lehnt sich zurück und schaut aus dem Fenster. Noch kein Mensch auf der Straße zu erspähen. Bei einigen Wohnungsfenstern werden Jalousien aufgezogen. "Ist heute Sonntag?" fragt Camay. "Nein, Samstag." antwortet Leon. "Na, weil es schon nach acht Uhr ist und kein Mensch auf der Straße zu sehen ist!" Camay nippt an der Kaffeetasse. Plötzlich wird sie aschfahl im Gesicht, beginnt heftig zu schlucken und reißt Mund und -7 5 -
Augen gleichzeitig auf. "Da! Da! " schreit sie, "da ist eben Renata zu sehen gewesen!" "Unsinn, das gibt es doch nicht. Wo denn?" Leon erhebt sich und öffnet das Fenster. Camay springt vom Sessel auf und deutet auf die Wohnungsfenster von Markus: "Da, hast du sie nicht gesehen, in der Wohnung von Markus, da ist sie eben gestanden und hat Vorhänge weggezogen!" Camay holt tief Luft. Leon drückt sie auf den Küchenstuhl nieder und meint: "Was immer du gesehen hast, das ist doch kein Grund, sich derart aufzuregen." "Ganz sicher! Das war sie . Vielmehr das ist sie! Sieh nur, Leon! Unsere Tochter hat die vergangene Nacht bei Markus verbracht! Ist dir das klar!?" Camay will sich nicht beruhigen. "Na, ja, und wenn, das ist doch keine Tragödie!" antwortet Leon bestimmt. "Na, ja, und wenn... " äfft sie ihn nach, "mehr fällt dir dazu nicht ein?" und nach einer kurzen Pause fährt sie fort: "Ich bleibe hier sitzen und rühre mich nicht von der Stelle, bis Renata auf die Straße kommt. Ich meine, irgendwann muss sie ja da vorbeikommen, wenn sie heimgeht! Um zumindest den Kater zu füttern! Wenn wir ihr auch egal sind, das geliebte Viecherl würde sie nie und nimmer hungern lassen!" "Da hast du Recht." murmelt Leon. "Glaubst du, dass das schon länger geht, mit den beiden?" fragt Camay verstört. "Möglich." "Na, da hat sie ja jetzt den richtigen gefunden, mit dem sie die Schrecken ihrer Kindheit auferstehen lassen wird. Und der gibt ihr vielleicht in diesem und jenem Recht... ach du meine Güte, da kommt was auf uns zu!" -7 6 -
"Was denn?" "Was??? Du fragst mich allen Ernstes was??" Camay knallt ihre leere Kaffeetasse in die Spüle. "Die lässt doch keine Gelegenheit aus, uns schlecht zu machen!" "Also, meine Liebe, steigere dich nicht so hinein. Die beiden werden wohl Besseres miteinander zu tun haben, als... " "Als... als was? Na, sag es! Du weißt doch auch, dass sie mich ständig anprangert. Was für eine schreckliche und verständnislose Mutter ich doch gewesen bin. Das Kind macht mich schlecht, ich weiß es, ich spür das!" Camay beginnt zu schluchzen und fährt fort: "Weil ich ein schlechter Mensch bin, jawohl, so ist das, ich bin ein schlechter Mensch... " Leon schweigt. In derartigen Momenten, so weiß er, hat es keinen Sinn, Camay zu unterbrechen. Erst kommt ihre Selbstanklage, gefolgt von Selbstmitleid, das der Zuhörer schließlich nicht mehr aushält und gezwungen ist, ihr einzureden, dass sie sehr wohl ein guter Mensch sei, es immer gut meine, und so fort, und so fort. Dann schnäuzt sie sich heftig in ein Taschentuch, erhebt sich mit stolzer Begnadigungsmiene und der Alltag geht weiter; so als ob nichts geschehen wäre. So auch jetzt. Leon ringt sich seine letzten aufmunternden Worte ab und weist Camay darauf, dass sie ja bald mit Renata wird reden können, und alles wird sich aufklären, was auch immer, aber dann wird endlich wieder Ruhe sein. Basta. Jawohl, Ruhe für Leon. Die hat er sich schließlich verdient; mit seinen nunmehr siebzig Jahren! Er zieht sich an und verabschiedet sich von Camay: "Ich fahr schon los in die Sauna. Ich werde zum Mittagessen wieder da sein!" "Ja, ja, fahr du nur! Ich bleibe da und warte auf Renata." -7 7 -
antwortet Camay mit leiser Stimme und murmelt weiter: "Was will dieses Kind mit diesem schönen und sportlichen Markus! Außerdem hat der doch eine Freundin; eine schöne, schlanke, große und junge Frau! Un d Lehrerin , oder so, ist die sicherlich auch, weil sie doch so viel Freizeit mit ihm verbringen kann. Diese dumme Renata, der will doch nie und nimmer was von ihr, höchstwahrscheinlich hat sie sich ihm an den Hals geworfen und er weiß nicht mehr, wie er sie loswerden soll... " Zur selben Zeit, in der Wohnung von Markus: "Guten Morgen, Nachbarin!" Markus richtet sich langsam im Bett auf und betrachtet Renata, die nachdenklich im Türstock des Schlafzimmers lehnt: "So früh schon auf?" flüstert er und streckt ihr eine Hand entgegen. Renata reicht ihm nackt und schmiegen wohlig schnurrende Begrüßungsritual mit
die ihre und zieht ihn hoch. Beide sind sich ganz fest aneinander. Sie geben dabei Laute von sich und beschließen dieses innigem Seufzen.
Markus geht ins Wohnzimmer und bemerkt sofort, dass die Vorhänge bereits weggezogen sind: "Na, hallo, du kleine Exhibitionistin, hast du deinen Eltern bereits einen Guten-Morgen-Gruß hinüber geschickt!?" "Ich vermute, dass er angekommen ist. Denn ihre Küchenvorhänge haben zurück gewunken!" antwortet sie mit aufgesetzt fröhlicher Miene. Renata sammelt ihre Jeans, Pullover und Unterwäsche vom Fußboden auf und zieht sich an. Markus beobachtet sie dabei und sein Gesichtsausdruck verfinstert sich: "Du bereust es doch nicht etwa, dass... ?" "Ja, freilich, genauso, wie ich bereue, dass es mir heute so verdammt gut geht, und dass die Sonne scheint, und... " Markus unterbricht sie mit einem Kuss, streichelt über ihre -7 8 -
blonden Haare und flüstert: "Ich liebe dich." Renata ignoriert dies es liebevolle Geständnis und geht ins Vorzimmer. Sie schlüpft in ihre Schuhe, zieht den Mantel über, hängt die Handtasche über ihre Schulter und lächelt Markus an, während sie bereits an der Wohnungstür steht. "Ich muss los. Mein Kater wird schon die Tapeten von der Wand fressen!" "Warte! Deine Telefonnummer... ich hab sie noch nicht." Markus geht zu seinem Schreibtisch und durchstöbert die Schubladen nach einem Zettel. Hektisch fuchtelt er herum, bis er endlich ein weißes Blatt Papier findet. Er drückt Renata einen Schreibstift in die Hand und deutet ihr, die Telefonnummer aufzuschreiben. Dabei schaut er sie unsicher an: "Was ist denn los, du bist auf einmal so abweisend und kalt?" Sie retourniert ihm den Zettel, auf den sie ihre Nummer notiert hat und antw ortet: "Es hat nichts mit dir zu tun. Ich hab Schiss, da raus auf die Straße zu gehen..und ich muss auf jeden Fall da vorbei gehen... und ich weiß, dass sie mich gesehen haben... es war ja grade so, als ob ich es darauf angelegt hätte... und nun habe ich Angst.... es klingt verrückt, aber ich habe dir doch gestern abends von Walter erzählt... " "Ja, ich erinnere mich, du hast von einem gewissen Vorfall gesprochen... " "Ja, und ich weiß nicht, warum ich jetzt daran denken muss. Es mag sich für dich pathetisch anhören, aber ich habe letzte Nacht mit dir verbracht, einem Mann, den ich liebe... und damals habe ich Walter auch geliebt und es endete beinahe mit meinem Tod!" Renata schreit hilflos auf und bricht zitternd zusammen. Markus hilft ihr hoch und setzt sie vorsichtig auf die Couch: -7 9 -
"Du meine Güte, Liebes, was ist denn los mit dir?" "Ich kann es ja selbst nicht verstehen, in mir verstricken sich schmerzliche Erinnerungen ineinander... aber ich habe in diesem Moment das Gefühl, ich müsste bald sterben... damals hatte ich Angst, dass ich nie wieder ohne Migräne- Medikamente werde leben können. Ich war in ständiger Behandlung bei einem Internisten und der hat mir zusätzlich zu den Schmerzzäpfchen noch Tranquilizer, Vitamin B und Ergotamin injiziert. Das waren har mlose Substanzen, ich weiß, aber eines Tages traf ich in seiner Ordination eine alte, zittrige Frau mit leblosem Gesichtsausdruck, die neben mir saß... und auf ihrem Schoß hielt sie mit gichtigen Fingern diese Ampullen umklammert... die selben, wie ich sie auch hatte. Ich habe diese Frau angestarrt, als würde ich mich selbst im hohen Alter in ihr erkennen. Eine schreckliche Panik überfiel mich, ich ließ die Ampullen fallen und rannte weg... daheim empfing mich dann Walter mit den ätzenden Worten: na, hast du wieder was bekommen, dass es dir drei Stunden gut geht?... und da war mir klar, dass ich da wirklich in einem teuflischen Kreislauf gefangen war... immer diese Bettelei nach Schmerzmitteln... dann musste ich auch noch mein Umfeld trösten, besser gesagt, ihnen vorspielen, dass alles gar nicht so schlimm sei... denn sonst wären die Vorwürfe noch unerträglicher gewesen... und dann eben, noch zwei Tage darauf habe ich eine Überdosis Tranquilizer mit Whisky geschluckt. Ich hab alles genau berechnet. Ich wollte wirklich Schluss machen, aber was genau die Initialzündung für meine Wahnsinnsidee gewesen ist, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich bin dann im Spital, in der Entgiftung zu mir gekommen und habe ängstlich Hallo gerufen, worauf eine Krankenschwester angebraust kam und mich anbrüllte: Da gibt es keinen Hallo!... nun, da wusste ich, dass ich noch lebte. Was dann auf mich zukam, kannst du dir ja ungefähr vorstellen... viel ärgere Demütigungen, als jene, die ich beim Medikamentenbetteln ertragen musste... und dann einen Monat später hatte ich eine -8 0 -
Bauchfellentzündung und musste fast sterben... das hat dann den Rest gegeben... ich konnte von nun an keine Kinder mehr bekommen... und Walter und ich waren noch so jung... ich wollte nicht sein Mitleid... ich wusste, dass er sich sehnlichst eine Familie wünschte... also habe ich schweren Herzens diese Beziehung beendet, und mir somit seine endgültige Verachtung eingehandelt... und wir beide, Markus, lieben uns auch... und ich habe Angst, dass etwas beginnt, das bald zu Ende sein wird.... " Renata bricht in Tränen aus. Markus ist verwirrt und will sie überreden, die Angelegenheit noch einmal in Ruhe durchzusprechen, aber sie reißt sich los und rennt auf den Flur, die Stufen hinab auf die Straße, vorbei am Haus von Camay und Leon. Renata hat dabei das Gefühl, als würde sie durch Raum und Zeit fliegen. Markus beobachtet sie vom Wohnzimmerfenster aus. Und Camay sitzt beim Küchenfenster und tut dasselbe. Renata rennt und rennt und... plötzlich hört man ein lautes Quietschen von Bremsen, einen dumpfen Knall... Renata wurde von einem Auto erfasst und liegt nun reglos am Boden. Eine Blutlache sammelt sich um ihren Körper. Der Lenker des Autos steigt aus, schlägt die Hände vor sein Gesicht und starrt dann die Leblose an. Er dreht ihren Körper etwas zur Seite und scheint, wie vom Blitz getroffen zu sein. Er fasst sich mit der linken Hand zur Brust und fällt zu Boden. Markus zündet sich eine von Renatas liegen gebliebenen Zigaretten an. Tränen laufen aus seinen stahlblauen Augen. Augen, die nun nicht sehen wollen, was sie sehen müssen. Das ist nicht wahr, das darf nicht wahr sein,... er murmelt diese Worte vor sich hin, bis er endlich kapiert und zum Telefon greift, um Polizei und Rettung zu verständigen.
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WER ZU SICH KOMMT , IST AUSSERHALB DER ZEIT Renata schlägt vorsichtig die Augen auf. Ihre Lider sind bleischwer, der Kopf schmerzt. Sie will den rechten Arm bewegen, doch es ist ihr nicht möglich, da sie beidseitig am Bett angeschnallt ist. Mit trotzig zerrenden Bewegungen versuc ht sie, sich frei zu strampeln. "Nein! Bloß nicht bewegen!" schreit die, schon etwas ältlich wirkende, Oberschwester auf, "wir haben ihre Hände festgebunden, dass sie nicht unwillkürlich die Drainagen aus ihrem Bauch reißen. Ich glaube, dass wir sie bald lo smachen können, wenn Sie erst einmal begriffen haben, was mit ihnen geschehen ist." Camay beugt sich über ihre Tochter und küsst sie auf die Wange: "Mein Gott, Kind, schön, dass Du wieder bei dir bist. Die Operation hat ja so lange gedauert.... aber nun w ird alles gut." Renata schaut sich im Zimmer um. Ein paar Schritte hinter Camay steht Leon mit betroffener Miene. Er geht auf ihr Bett zu und sie schreckt angewidert vor seiner Berührung zurück: "Lass mich, was machst Du denn hier? Ich dachte, du... " "Nun, was dachtest du?" schmunzelt Leon. "dass ich nicht bei meiner Tochter bin, wenn es ihr schlecht geht, oder was meinst du denn?" Renata erfasst ein heftiges Beben, sie schnappt nach Luft, um schreien zu können, doch nur ein heiseres Röcheln ist zu hören. Camay streicht ihr über die Haare und sieht den Arzt fragend an: "Was glauben Sie, warum muss meine Tochter so nach Luft ringen?" "Sie wurde ein paar Stunden künstlich beatmet und der Organismus muss sich erst umgewöhnen, das ist eine völlig -8 2 -
normale Reaktion. Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen!" antwortet der Arzt und deutet Camay und Leon, das Zimmer zu verlassen. Renata klammert sich nun an der Hand der Oberschwester fest. Ohne Unterlass murmelt sie mit tränenerstickter Stimme: "Warum ist er da, er soll wieder weg, er wird mich töten, ich weiß es... " Der Arzt setzt sich zu ihr ans beschwichtigend auf sie einzuwirken:
Bett
und
versucht,
"Renata, Sie haben eine schwere Operation hinter sich. Durch eine Bauchfellentzündung ist Ihr gesamter Bauch unter Eiter. Die Drainagen, die hier rausragen sind dazu da, um Eiterflüssigkeit und Blut rauszuleiten. Seien Sie tapfer und Sie werden sehen, in ein paar Tagen, wenn das hohe Fieber zurückgeht, werden Sie sich besser fühlen. Ein wenig Geduld müssen Sie schon noch haben." "Was soll das? Ich denke, ich bin von einem Auto überfahren worden. Vom Auto meines Vaters... und der ist dann an einem Herzinfarkt gestorben... und da war Markus am Fenster... und am anderen meine Mutter und die haben zugesehen, aber haben mir nicht geholfen... " entrüstet sich Renata. "Nein, nein, das ist bloß das Fieber, dass sie sich derartiges einbilden. Sie wurden operiert und Körper und Seele müssen sich im Laufe der Zeit wieder beruhigen. Das dauert noch eine ganze Weile; leider kann ich Ihnen nichts Anderes sagen." "Nein, es ist wahr, ich bin angefahren worden, ich lag in einer Blutlache, vor dem Haus meiner Eltern!" Renatas Stimme wird immer schwächer, bis sie erschöpft den Kopf ins Kissen sinken lässt und ihren Anspannungen nachgibt. "Morgen früh schicke ich einen Psychologen vorbei, der wird sich dann um ihre Fieberphantasien kümmern. Vielleicht haben Sie das alles während der Narkose geträumt. Das kommt vor, -8 3 -
dass manche Patienten dabei sehr intensiv und realistisch träumen. Zu unserem Pech kriegen manche auch unsere Schlampereien im OP mit, das wird für die Kollegen mitunter sehr peinlich!" mit diesem hippokratischen Scherz erhebt er sich und verlässt das Krankenzimmer. Die Oberschwester bleibt noch bei der Patientin und tätschelt ihre Ha nd. Renata stammelt mit immer leiser werdendem Ton: "Da war ein Psychologe, und der hat mit meiner Mutter geredet, ich war ja dabei, ich hab das alles gesehen und gehört... und Markus war im Wartezimmer... und er hat geraucht... obwohl er das sonst nie getan hat... " "Ja, ja, meine Liebe, es wird alles wieder gut. Gleich werden Sie einschlafen und morgen siehts dann besser aus." Bei diesen Worten streicht die Schwester geduldig über Renatas glühend heiße Stirn, und bleibt an der Bettkante sitzen, bis die Patientin einschläft. Es ist sieben Uhr morgens, Renata wurde bereits gewaschen und ihr Bett neu bezogen. Die zerfransten, braunen Lederschnallen für die Hände wurden auch schon entfernt. Leicht aufgerichtet sitzt sie nun auf ihrem Krankenlager und betrachtet fassungslos den riesigen Berg vor ihr, der ihr Bauch sein soll. Sie tastet diese Gegend vorsichtig ab und zählt die Drainagen. Sechs Stück sind es. Sie hebt die Decke leicht an und lugt darunter. Ach herrje! Und, was, bitteschön, soll das nun sein!? U m den Nabel herum sind vier Scheiben befestigt, in deren Mitte zusammengedrehte Drahtenden herausragen. Der Anblick erinnert an Teelichter mit überdimensionalen Dochten. Renata berührt diese Auswüchse chirurgischer Baukunst misstrauisch, und sie fühlen sich wie Beton an. Sie ist fassungslos und ruft ängstlich nach der Schwester: "Sind die Ärzte während der Operation die Wände hochgegangen und haben mir dann ein paar abgekratzte -8 4 -
Mörtelbrocken da eingepflanzt?" kreischt sie und deutet auf ihren Nabel. "Das sind Drahtstützen, denn während der Operation ist der Bauch aufgegangen und.... " "Aufhören! Nix da, nicht weiterreden, mir wird schlecht... " Renata schließt die Augen. Alles dreht sich. Ein Gefühl steigt in ihr hoch, so eine Ahnung, ja eigentlich fast eine Gew issheit: Das hier hatte ich doch schon einmal erlebt...! Sie öffnet die Augen und blickt in ein junges, hübsches Männergesicht. "Guten Morgen, ich bin der Psychologe. Ich habe gehört, dass Ihnen die Narkose heftige Alpträume beschert hat. Na, wie geht es denn heute?" "Großartig! Das Mauerwerk ist solide, das wird wohl eine Weile halten." Renata äugt missmutig auf die Drahtstützen. "Na, das schaut schlimmer aus, als es ist. Ich weiß zwar nicht, was es ist, aber... " "Danke, danke, nur keine umständlichen Überlegungen. Ich bin schon von der Oberschwester ausreichend aufgeklärt worden." "Also, man hat mir erzählt, dass Sie der Meinung sind, von einem Auto überfahren worden zu sein... " "Das stimmt. Ich bin überzeugt davon. Ich lief aus der Wohnung meines Freundes, Markus, auf die Straße und da kam mein Vater mit dem Auto... und es hat einen dumpfen Knall gegeben und ich habe das Bewusstsein verloren. Ich lag dann im Koma. Und was sich unmittelbar danach abgespielt hat, konnte ich beobachten:... wie meine Mutter und Markus im Spital gewartet haben, und ein Arzt hat ihr dann die Nachricht übermittelt, dass mein Vater schon auf dem Weg ins Krankenhaus einem Herzinfarkt erlegen ist... und ich hätte gute Chancen, zu überleben... " -8 5 -
Renata setzt sich abrupt auf und schaut auf das Schild oberhalb des Bettes. Sie reißt den rechten Arm hoch und deutet darauf. Dort steht mit Kreide auf schwarzer Tafel geschrieben: Name: Renata Wolf Alter: 23 Jahre "... ja, und das stimmt achtunddreißig Jahre alt!"
nicht,
denn
ich
bin
bereits
Der Psychologe hüstelt, schaut konzentriert auf das Schild, dann eine Weile zu Boden. Er atmet tief ein, und versucht, Renata mit verständnisvoller Miene anzusehen: "Wie kommen Sie darauf? In Ihrer Anamnese ist auch vermerkt, dass Sie dreiundzwanzig Jahre alt sind." "Nein, ich bin achtunddreißig Jahre alt, und das, was sich hier und jetzt abspielt, das habe ich bereits erlebt, ich kann mich ganz deutlich daran erinnern, zuerst war es nur so eine Vermutung, doch mit einem Mal habe ich Gewissheit: ich bin vor fünfzehn Jahren wegen Bauchfellentzündung operiert worden, ich konnte deswegen nie Kinder bekommen, aber ich habe mich daran gewöhnt, ich bin damit fertig geworden, auch mit den verfluchten Geschwüren im Darm, die sich immer wieder entzündeten, Colitis Ulcerosa, ja, chronische Beschwerden, und diese Depressionen, verdammt noch mal... " In diesem Augenblick begreift Renata, dass es sich verrückt anhört, was sie da erzählt, und, dass da ein Psychologe vor ihr sitzt, der wahrscheinlich seine Diplomarbeit über Déjà -vécuErlebnisse geschrieben hat, und dass er gleich so etwas Ähnliches, wie das kriegen wir schon wieder in den Griff, von sich geben wird... Der Experte nickt. Er runzelt die Stirn, überlegt eine Weile, dann zieht er die Schultern hoch, neigt den Kopf zur Seite und fragt mit lauerndem Blick, wie Columbo, wenn er vom Gärtner hören will, dass er der Mörder ist:
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"Und, was vermuten Sie, welches Jahr und Datum wir heute haben?" "Den 20. August 1997. Gestern hatte mein Vater Geburtstag, den Siebzigsten." Antwortet Renata ungerührt. "Nun, das ist bedenklich. Denn wir schreiben erst das Jahr 1982. Genauer gesagt haben wir den 28. November 1982." "Sie sagen, es ist bedenklich. Aber ich nehme an, dass Sie nicht viel Zeit verschwenden werden, es tatsächlich zu bedenken, sondern spontan zu Psychopharmaka, als sogenannte Therapie, greifen werden. Habe ich Recht? " "Auch noch hellseherisch veranlagt, wie? Im Ernst, wir können es auch ohne Medikamente versuchen, es kommt darauf an, ob Sie die psychische Kraft aufbringen können, Ihre Bewusstseinsstörung zu akzeptieren. Möglicherweise dauert sie nur ein paar Stunden oder Tage an... " "Oder, aber sarkastisch.
vielleicht
auch
bis
1997!"
meint
Renata
"Lassen wir es einstweilen gut sein, Sie bekommen abends leicht schlaffördernde Psychopharmaka, es sei denn, sie verlangen nach mehr. Warten wir die körperliche Genesung ab... dann sehen wir weiter. Ich lasse Sie jetzt allein, aber ich schau nachmittags wieder vorbei. Versprochen!" Renata lächelt zufrieden und während der geduldige Seelenjünger sich von Ihrem Bett erhebt, ergreift Sie noch schnell seine Hand und fragt: "Übrigens, wie heißen Sie eigentlich?" "Mein Name ist Dr. Heinrich Walther; aber sagen Sie Henry zu mir!" "Tja, Henry, Sie werden lachen, aber diesen Namen habe ich auch in Erinnerung. Interessieren Sie sich für HypnoseTherapie?" Er stutzt eine Weile, dann meint er: -8 7 -
"Ja, das stimmt. Aber bei den schulmedizinischen Kollegen stoße ich damit noch immer auf Ablehnung. Die meinen, dass es ein zu unsicheres Vorhaben sei, in die Abläufe des Unterbewussten einzugreifen. " "Geduld, Geduld, Ihre Zeit wird kommen. Also, der Dr. Machacek, der Vorstand der Tiefenpsychologie, wird sich eines Tages um Sie reißen... " "Moment mal, den Namen Machacek habe ich noch nie gehört... " "Heinrich, lieber Heinrich... das wird sich ändern!" "Na, ja, gut und schön, aber Sie sollten sich einstweilen bemühen, so viel, wie nur möglich, zu schlafen. Wies aussieht liegt noch eine interessante Zusammenarbeit vor uns. Also, wir sehen uns morgen, nach der Morgenvisite!" "Bis dann... und, nochmals Danke!" Renata schließt die Augen und versucht, sich zu konzentrieren. Immer wieder tauchen Bilder des Autounfalls auf, diese Schrecksekunden, die an mysteriöser Bedeutung gewinnen, weil sie angeblich nie stattgefunden haben. Nach ein paar Stoßseufzern schläft sie endlich ein. Kurz vor der Besuchszeit wacht Renata auf. Das geschäftige Treiben der Krankenschwester hat sie aufgeweckt. Die Bettdecke wird zurechtgezupft, die Infusionsflasche ausgetauscht und das Nachtkästchen abgeräumt; um Platz für Mitbringsel zu schaffen. Schlag fünfzehn Uhr öffnet sich die Tür und Camay, in Begleitung von Leon, tritt ein. Sie überreicht einen Blumenstrauß und strahlt ihre Tochter an: "Hallo, meine Liebe! Du siehst ja schon viel besser aus. Wie geht es Dir denn?" "Ganz gut, ich habe ziemlich lange geschlafen." "Das ist fein, und was sagen die Ärzte?" fragt Leon lächelnd. -8 8 -
"dass es noch ein paar Tage dauern wird, bis ich überm Berg bin, aber es sieht gut aus, also, was die Operatio n betrifft... " "Na, was denn sonst?" entrüstet sich Camay. "Es ist etwas Eigenartiges geschehen, ich habe nämlich das Gefühl, das alles hier schon einmal erlebt zu haben, vor etwa fünfzehn Jahren.." "Ach herrje, da hast du schlecht geträumt, sonst nichts! Oder glaubst du das tatsächlich?" erwidert Leon breit lächelnd. "Ja. Schon." antwortet Renata. "Meine Güte, Kind, du musst Geduld haben, das wird sich schon wieder legen, habe ich Recht, Schwester?" wendet sich Camay and die Krankenpflegerin, die soeben eine Vase für die Blumen gebracht hatte. Sie zuckt nur ratlos mit den Schultern, und weil sich Camay eine etwas produktivere Antwort erwartet hatte, gerät sie in Rage: "Was soll denn das bedeuten? Hast du durch die Narkose, nun, ja, wie soll ich es formulie ren, etwa im Kopf Schaden erlitten? Aber das ist ja Unsinn, du wirkst ganz normal auf mich. Also, unterlass diese Spielereien, von wegen, du hast das schon einmal erlebt... " "Nun, ja, ich bin davon überzeugt, dass ich nicht erst dreiundzwanzig Jahre alt bin, sondern bereits achtunddreißig, und dass ich vor kurzem von einem Auto überfahren wurde, und zwar von dem meines Vaters, der dann an einem Herzinfarkt gestorben ist... " "Aufhören!! Hör sofort damit auf, so einen Unsinn daher zu reden. Kind! Mein Gott, Kind, was bildest du dir da denn ein!? Sag das bloß keinem Anderen, die denken sich ja sonst, wer weiß was!" "Ein Psychologe war heute vormittags schon bei mir und wir haben uns darüber unterhalten." "Was!!?? Du erzählst diese Spinnereien auch noch weiter ? -8 9 -
Mein Gott, dir ist ja nicht zu helfen! Ich möchte sofort mit dem Arzt sprechen, die sollen dir was geben, dass du gut schläfst, doch nicht ohne Grund einen Psychiater auf den Hals hetzen!" "Psychologen." korrigiert Renata. "Na, das macht's auch nicht besser!" und nach einer kurzen Atempause fährt sie Leon an: "Und du, was sagst du dazu, stehst da, ganz seelenruhig, als ob dich das Ganze nichts angehen würde!" "Diese Anwandlungen gehen mit Sicherheit bald vorbei. Ist ja ein gescheites Kind, die Renata, gell?" Mit diesen Worten beugt er sich über die Tochter. Sein forscher Blick trifft sie wie ein Giftpfeil. Renata dreht den Kopf zur Seite und flüstert resigniert: "Lasst mich schlafen. Es wird sich schon alles aufklären." Camay und Leon schauen etwas betreten zur Schwester; diese wendet den Blick ab; dann räuspern sie sich lautstark und verabschieden sich beleidigt. Während sie zur Tür hinausgehen murmeln sie: "... was soll sich da aufklären, weißt du, was die meint... aber was, die ist noch nicht ganz bei Trost...!" Renata hat bereits eine Woche Aufenthalt in der Intensivstation hinter sich gebracht und ihre Genesung macht gute Fortschritte. Deshalb wurde sie heute morgen in einem Krankenzimmer, auf der chirurgischen Station, untergebracht. Sie ist nun in Ges ellschaft einer dreißigjährigen Frau, der die Gallensteine herausoperiert wurden. Renata findet sie sehr sympathisch, aber eine Gesprächsbasis will sich nicht so recht ergeben. Die Frau ist sehr verschlossen und nickt nur schweigend zurück, wenn sie angesprochen wird. Während der Besuchszeit, wenn ihr Mann und der kleine Sohn auftauchen, wird sie immer auffallend unruhig und kann sich erst Stunden danach wieder beruhigen. Sie flüstert und stöhnt dann immer wie im Fieber: -9 0 -
„Ich will endlich Ruhe haben, endlic h mein Leben leben, Zeit für mich haben, Zeit nur für mich...!!!“ Immer flehentlicher wiederholt sie dann diese wie Gebete anmutenden Phrasen und ihr Körper bäumt sich währenddessen vor Schmerzen auf. Aber diese Frau findet nicht das Vertrauen, mit ihrer Zimmernachbarin über ihr Problem zu reden und wenn ihr schmerzlicher Anfall vorbei ist, dreht sie sich sofort weg, um jeglichen Blickkontakt zu vermeiden. Renata respektiert diese stille Botschaft und es stört sie nicht weiter, im Gegenteil, für jede Minute kostbarer Stille ist auch sie sehr dankbar. Um die Gedanken ordnen zu können. Sich selbst besser spüren zu können. In ein paar Minuten wird Henry bei ihr antreten, um einen Therapievorschlag zu unterbreiten. Das hat er ihr gestern bei seiner Stippvisite angekündigt. Renata ist schon erwartungsvoll angespannt. "Guten Morgen, meine liebe Zeitreisende!" begrüßt er die vor Neugier fiebernde Patientin, "Ich habe einen Entschluss gefasst. Das heißt, mit dem Sanktus des Oberarztes und des Primars. Wir werden es mit einer Hypnose-Therapie versuchen!" "Großartig! Ich habe nichts Anderes von Ihnen erwartet!" triumphiert Renata. "Schon gut, verschonen Sie mich wenigstens eine Weile mit Ihrer Hellseherei, ich möchte Ihnen gerne erklären, wie das ablaufen soll, mit der Hypnose... " "Aber solange ich hier, in diesem Krankenzimmer ans Bett gefesselt bin, ist das doch gar nicht möglich." "Eben. Lassen Sie mich ausreden! Wir beginnen mit der Therapie erst dann, wenn Sie aufstehen dürfen. Dann können wir uns in eines der Ärztezimmer zurückziehen." Renata ist selig. Immerhin hat sie es ja in der Hand, die Genesung mit gutem Willen zu beschleunigen. Und die paar Tage hält sie es schon noch aus. Das Gefühl der Ungewissheit. -9 1 -
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AMOKLAUF DER SEELE Endlich ist es soweit! Renata hat bei der Morgenvisite erfahren, dass sie tagsüber das Bett nicht mehr länger hüten muss. Ein Krankenpfleger hilft ihr bei den ersten zaghaften Schritten und führt sie an seinem Arm durch das Zimmer. Es ist ihr noch etwas schwindlig zumute, aber der Gedanke an die bald stattfindende Therapie mit Henry verleiht ihrem von Drainagen bleischweren Körper Flügel. Renata wäscht ihr Gesicht und die fettig verklebten Haare, trocknet sich mit einem Handtuch und wagt einen Blick in den Spiegel. Diesen Moment hatte sie la nge vor sich hergeschoben, denn schon die Schwester hat ihr des öfteren einen kleinen Handspiegel angeboten, um sich besser frisieren zu können. Aber sie konnte sich bis zu dem heutigen Tag nicht dazu überwinden. Zu groß war die Angst vor dem, was sie erblicken müsste. Aber nun war es gar nicht so schlimm, wie Renata es sich vorgestellt hatte: sie muss eben nur akzeptieren, dass ihr da tatsächlich das Ebenbild einer Dreiundzwanzigjährigen entgegenschaute. Gar nicht so übel, denkt Renata, schließlich träumt jede Frau von derartigen Verjüngungskuren! Also, ein fröhliches Motto mit den Gedankenschmieden: keep smiling... freu dich des Lebens... so jung, wie heut, komm ma nimmer mehr zamm... du bist so alt, wie du dich fühlst, nein, das nun besser nicht! Henry er scheint um elf Uhr und strahlt seine Patientin an: "Wunderbar! Diese schönen, blonden Haare! Die hab ich vorher gar nicht an Ihnen bemerken können. Nun, wie fühlen Sie sich?" "Großartig! Und ich kann es nicht erwarten, dass wir endlich anfangen, mit unserer gemeinsamen Reise in meine Seele." "Es wird vielleicht nicht sofort klappen, aber ich denke bei so viel Bereitschaft, es zuzulassen, haben wir es bald geschafft. -9 3 -
Den Zustand der Hypnose zu erreichen, meine ich." Renata schlüpft in ihren orangefarbenen Morgenmantel, zieht Flanellschuhe über, hakt sich bei Henry ein und sie machen sich auf den Weg in das Ärztezimmer. Dort steht ein kleiner, weiß lackierter Schreibtisch, zwei Stühle und eine Couch, auf der die Ärzte der Nachtschicht ihr Schläfchen halten. Henry geleitet sie zu der Couch, auf der sich einige blaue Kissen befinden. Sie streckt sich darauf aus und wartet gespannt auf das, was nun kommen würde. Henry setzt sich in Renatas Kopfhöhe auf einen Stuhl. Sie können einander nun nicht in die Augen sehen. Er spricht mit leiser eindringlicher Stimme, die sehr entspannend auf Renata wirkt. Henry erklärt, dass sie sich nun vollkommen entspannen, die Ruhe und Schwere in ihrem Körper zulassen soll. Sie atmet tief und ruhig und hält dabei ihre Hände über dem Bauch gefaltet. Gottvertrauen und liebevolle Erwartung durchströmen ihren Körper. Henry weist sie nun auf die Tür zu ihrem Unterbewussten hin, dass diese nun vorsichtig geöffnet wird, und kein Grund zur Angst bestünde. Er fordert sie auf, ihm zu folgen, und zu beschreiben, was sie in dem jeweiligen Augenblick sieht und fühlt. Renata sieht sich vor ihrem geistigen Auge vor einem riesigen Schreibtisch mit unzähligen Schubladen. Sie erkennt, dass darauf diverse Jahreszahlen geschrieben stehen und Henry rät ihr, die Lade herauszuziehen, zu der sie sich am meisten hingezogen fühlt. Sie greift nach jener, die mit dem Jahr 1897 beschriftet ist. Henry zögert ein wenig, aber dann ermutigt er sie doch, in diese hineinzuschauen: "Bleiben Sie ganz ruhig, egal, was Sie jetzt erleben werden. Ich bin bei Ihnen. Es wird nichts passieren, was sie nicht zulassen wollen." Renata empfindet seine Gegenwart als die eines Schutzengels, zieht die Schublade ein wenig heraus und sieht hinein. Die Bilder vor ihr bewegen sich wie in einer Traumlandschaft, in der -9 4 -
sich die imposante Figur eines vierzigjährigen, blonden Mannes abzeichnet. Renata erkennt sich selbst in dieser Person. "Nein ich kann nicht!" schreit Renata auf, "Es ist so beklemmend und unheimlich, dass ich mich nicht traue, dies e Identität anzunehmen!" "Warum denn? " fragt Henry. "Ich weiß es nicht. Noch nicht. Ich will es ja herausfinden, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass mich etwas von innen her erwürgen... ja, hindern will, es zu tun." "Ich sehe diesen Mann auch," erwid ert Henry in ruhigem Tonfall, "er scheint ein sehr unglücklicher Mensch zu sein." "Ja, und er wird etwas Schreckliches tun... gleich, noch in dieser Stunde, ich spüre es, das Blut kocht in seinen Adern, er hat Mühe, atmen zu können, er muss sich Erleichter ung schaffen... er geht in diesen Kuhstall, da hinter der Scheune, da ist dieses kleine Mädchen, er geht auf sie zu, mit schweren Schritten, das Mädchen streichelt ein eben geborenes Kalb, es ist so unbeschwert in seinem roten Kleidchen, den braunen Schuhen,.... es schüttelt das braune, schulterlange Haar, hundertmal hat ihre Mutter gemahnt, sie solle es flechten und hochstecken, das sei anständiger für ein achtjähriges, hübsches Mädchen, aber sie hat das Haar offen, sie lacht das Kälbchen an, streichelt es, Ignaz.... " "Wer ist Ignaz?" "Ich bin Ignaz! Ignaz Wolf. Ich bin eben in diesen Stall gegangen, wo mein Mädchen mit einem Kalb spielt. Ich gehe zu ihr hin, streichle über ihr Haar, mein Körper zittert, der Atem geht immer schneller, ich schnaufe, wie ein altes Raubtier, zerre das Luder zu Boden, reiße ihr das rote Kleidchen vom Leib, ich bebe vor Gier und Verzweiflung, ich öffne meine Hose, drücke die Wehrlose zu Boden und dringe mit meinem juckenden Glied in ihre lockende Scham ein. Das Biest schreit auf, ich presse meine Hand auf ihren Mund, ich sehe in ihre weit aufgerissenen, -9 5 -
grünbraunen Augen, sehe ihr Entsetzen, ihre Panik, aber ich muss es vollenden, ich muss ihr den gierigen Schlund mit meinem Nektar stopfen... " Renata fleht weinerlich: "Henry, hol mich aus dieser Situation raus, ich kann es nicht mehr ertragen!" Henry wiederholt eindringlich die Worte: "Ich bin bei Dir, Renata, du bist hier bei mir in dem kleinen Zimmer, im Spital, wo du vor einigen Tagen eine schwere Operation hattest, du bist hier, in Sicherheit, es kann dir nichts passieren....." Renata liegt auf dem Boden. Schweiß ist aus ihren Poren getreten, sie stöhnt und wimmert. Ihren Schlafrock hatte sie sich während der Hypnose-Situation vom Leib gerissen. Nur langsam begreift sie, dass sie wieder in der Realität ist. Was das auch immer bedeuten mag. "Es war so schlimm, Henry. Ich weiß nicht, ob ich das aushalten werde. Ich habe diese schlimmen Worte gesagt, dieses arme Mädchen geschunden... mein Gott, ich war ein Arschloch von Mann!" "Ja, aber du musst diese Situation zu Ende erleben. Sie ist wahrscheinlich der Schlüssel zu deiner jetzigen Bewusstseinsstörung. Keine Frage, dass es hart sein wird, ich habe dich schließlich beobachten müssen, wie du zu einer Bestie mutiert bist. Aber du hast die Kraft, das durchzustehen, ich weiß es!" "Ja. Nur eine kleine Pause noch. Hast du eine Zigarette für mich?" Henry reicht ihr seine Packung und bietet ihr eine Zigarette an. Während er ihr Feuer gibt, erkennt er in Renatas Augen ein seltsames Flimmern. Es macht auf ihn den Eindruck, als hätte sie das Bild eines brennenden Hauses in ihren Pupillen. Aber er erwähnt es nicht. "So, es geht schon wieder," verkündet Renata, sichtlich beruhigt, "wir können weitermachen!" -9 6 -
Nach ein paar Worten von Henry, der ihr die Szene erneut vor Augen führt, fällt sie in Hypnose: "Ich bin wieder in diesem Stall, liege noch immer auf der Kleinen, sie sieht schlimm aus, Kuhdreck ist in ihrem Gesicht verschmiert, wahrscheinlich von meinen Händen, ich spüre, dass ich bald zum Ergus s kommen werde, jaaahh, es ist soweit, es tut so gut, ich fühle mich so erleichtert, es ist als würde ich auf Wolken schweben und tausend Engel singen für mich, sie würdigen mein Werk, das ich endlich vollbracht habe, im Namen Gottes habe ich dieses Kind geweiht, mit meinem Heiligen Glied, das Gott mir gegeben hat, um alle Kinder dieser Welt zu retten... jaaah... " Henry steigt ein: "Was ist mit dem Mädchen, lebt sie noch, ist sie verletzt?" "Nein, sie ist in Ordnung, rührt sich aber nicht, na wahrscheinlic h habe ich sie erschreckt mit meiner liturgischen Handlung, das wird schon wieder, komm steh auf, meine Kleine... " "Kennst du ihren Namen?" "Ja, natürlich, das ist meine kleine Tochter, so eine dumme Frage, als würde ich mein eigen Fleisch und Blut nicht kennen, Marga heißt sie. Meine kleine Marga." Renata erschaudert: "Mein Gott, das ist Markus! Meine kleine Tochter ist Markus, der Sohn der Nachbarn meiner Eltern!" "Lass dich jetzt nicht beirren. Denk daran, jetzt vor dir, das ist deine kleine Tochter. Mach weiter!" Renata stöhnt: "Ja, Marga! Endlich ist sie geweiht, mein Schutzengel hat mir geholfen, dieses wunderbare Werk zu vollbringen! Aber was soll das denn? Marga! Heee, Marga! Du kannst doch noch nicht weglaufen, der Papa muss dir doch erst erklären, dass du es niemandem erzählen darfst! Die sind doch alle zu dumm, um es zu verstehen! Hallo, so lauf doch nicht weg!" -9 7 -
"Was machst du jetzt?" fragt Henry. "Na, was schon, ich laufe ihr nach und du kommst mit, du musst mir helfen, dass sie keine Dummheiten macht! Da, da vorne ist sie, sie ist in den Heustadel gerannt! Komm, die kriegen wir schon! Aber was ist das denn? Rauch? Mein Gott, es brennt im Heustadel und schau da oben, da ist meine kleine Marga, sie steht reglos am Fenster, ich muss sie holen, komm... " Henry und Ignaz laufen in den Heuschober und steigen eine kleine Holzleiter, die schon zum Teil Feuer gefangen hat, hinauf. Ignaz hustet schwer, der Rauch ist schon so dicht, dass man die Hand vor dem Gesicht nicht mehr erkennen kann. Er scheint die Kleine noch im letzten Augenblick erreichen zu können, aber da bricht schon alles über ihnen zusammen. Ignaz spürt das Brennen der Flammen auf seinem Körper, es ist als würde er in sich zusammenschmelzen. Dann überfällt ihn eine unbeschreibliche Leichtigkeit und er steigt aus seinem verkohlten Körper. Er schaut sich um und sieht, wie seine Frau, Theresa, weinend an der Stalltür zusammenbricht. Neben ihr steht der Schwager Fritz, der mit drohender Gebärde in die Flammen ruft: "Das wirst du büßen, du Schwein! Ich habe oft mitbekommen, was du der Kleinen angetan hast, das wirst du noch bereuen! Der Tod ist nicht Strafe genug für Dich!" Henry schaltet sich ein: "Was ist jetzt mit dir, Ignaz?" "Ich bin tot. Und ich muss wieder in dieses irdische Geschehen eingebunden werden, um meine Schandtat zu sühnen. Ich habe Unrecht getan, aber ich war getrieben von einer höheren Macht, ich war zu schwach, um mich wehren zu können. Ich hätte doch niemals meinem kleinen Mädchen etwas antun können. Ich habe es doch nur gut gemeint!" Renata ist wieder bei Bewusstsein, zurück in der jetzt gültigen Realität. Henry hält seine Arme um ihre noch immer zitternden -9 8 -
Schultern und versucht, sie zu beschwichtigen: "Das hast Du gut gemacht, Renata, ich glaube, es war ein gewaltiger Fortschritt für dich!" "Meinst Du? Ich bin mir nicht so sicher. Es ist mir noch nicht ganz klar, ob dies alles nur ein schlimmer Alptraum, oder tatsächliche Erinnerung an ein früheres Leben gewesen sein soll. " "Wie auch immer Du es interpretieren willst. Eines ist sicher: Du versuchst, deine Opferrolle, die du nicht mehr ertragen kannst, durch die Annahme einer Identität als Täter zu kompensieren. Hypnose-Therapie wird noch nicht so lange angewendet, als dass ich dir eine befriedigendere Auskunft geben könnte. " "Es war alles nur Einbildung? Ich war nie und nimmer Ignaz Wolf? Und Markus war niemals Marga?" fragt Renata skeptisch. "Vielleicht doch. In irgendeiner Form ist dieses Ereignis in deinem Unterbewusstsein gespeichert. Ich kann mir nicht anmaßen, zu behaupten, dass es nur ein ausgleichender, seelischer Mechanismus ist, der sich am Informationsmaterial der Vergangenheit bedient, um endlich ein inneres Gleichgewicht herzustellen." "Und die andere Möglichkeit?" "Das wäre die Tatsache, dass du in einem früheren Leben Ignaz Wolf warst und dein Karma in diesem Leben einen gerechten Ausgleich geschaffen hat... " "Aber wodurch sollte das geschehen sein?" "Nun, nach unseren derzeitigen psychologischen Statistiken zu urteilen, ist es wahrscheinlich, dass du als Kind sexuell missbraucht worden bist." "Das ist absurd!" Renata wird wütend und greift nach einer Zigarette. "Wer sollte mir das denn angetan haben?" "Ein Erwachsener, dem du als Kind anvertraut warst. Das -9 9 -
wäre doch die logische Schlussfolgerung!" "So ein Unsinn! Zugegeben, ich bin in einer neurotischen und emotional unkontrollierten Umgebung aufgewachsen; das hat sicherlich gewisse, psychische Schäden mit sich gebracht. Emotionaler Abusus... ja, auf alle Fälle, schon,... aber doch niemals...!" Renata erstickt beinahe an ihrem Ekelgefühl. "Das reicht ja auch! Wir sollten jetzt die Sitzung abbrechen und morgen weitermachen. Vorausgesetzt, du hast noch Interesse daran." Renata nickt zustimmend, dämpft die Zigarette aus und erhebt sich mühsam von der Couch. Sie kann sich nur mit Mühe losreißen. Es ist grade so, als wäre sie in der letzten Stunde mit ihr verwachsen. Die folgende Nacht plagt sie ein schrecklicher Traum. Alle zehn Minuten wacht sie schweißüberströmt auf, geht hin zum Waschbecken, wäscht sich das Gesicht und trinkt ein paar Schluck Wasser. Dann legt sie sich wieder hin und der Traum geht von vorne los: Sie befindet sich in einem Heuschober, irgendwo im Waldviertel, in einem kleinen Dorf. Die Umgebung ist ihr vertraut, sie hatte dort Ferientage als Kind verbracht. Aber die Menschen um sie herum sind ihr fremd. Eine Frau, etwa dreißig Jahre alt und ein Mann um die Vierzig sitzen an einem riesigen Holztisch in der Küche. Sie kann vom Heustadel aus durch das Fenster die beiden beobachten. Sie schneiden sich Schnitten von einem großen Laib Brot, schmieren Butter und Marmelade darauf und scheinen die Mahlzeit zu genießen. Dann erhebt sich der Mann und tritt auf den Hof hinaus. Er durchquert den Kuhstall und steht plötzlich vor Renata. Sie beginnt zu zittern, aber es gibt eigentlich keinen ersichtlichen Grund dafür. Der Mann spricht in sanften Worten zu ihr, fragt nach, ob sie vielleicht Hunger hätte. Renata schüttelt nur panisch den Kopf und deutet ihm, dass er sie in Ruhe lassen soll. Sie wolle allein -1 0 0 -
ihren Gedanken nachgehen. Was das denn für Gedanken seien, fragt der Mann und lacht spöttisch, kleine Mädchen haben doch nur Unsinn im Kopf und den sollte man ihnen gehörig austreiben. Dann zieht er ein langes Messer aus der Hosentasche und geht damit auf Renata zu. Sie erstarrt und es ist ihr unmöglich wegzulaufen. Er kommt immer näher und sie kann die Klinge blitzen sehen. Wie gebannt starrt sie auf dieses glänzende Ungetüm, das der Mann ihr nun an die Kehle setzt und sie dabei durchdringend anstarrt. Von oben bis unten mustert er ihren zarten Mädchenkörper, Wohlgefallen ist in seinen Augen zu erkennen. Dann verkündet er mit hämischem Tonfall seinen religiösen Sprechgesang: "Nur die gottlosen Heiden lassen sich scheiden, ein wahrer Katholik hat nur nen heimlichen Fick!" Er wiederholt diese Worte ohne Unterlass und dann sticht er zu... "Guten Morgen!" schallt die Stimme der Krankenschwester durch den sonnenerhellten Raum. "Alles aufgewacht, ein wunderbarer Tag beginnt! Na, Renata, wie geht es Ihnen heute?" "Nicht besonders; ich habe schlecht Demonstrativ hält sie die zitternden Hände hoch.
geschlafen."
"Na, das erzählen Sie dann bei der Visite. Vielleicht brauchen sie abends eine höhere Dosis Schlafmittel. Ich werde den Arzt darauf ansprechen." "Danke, aber vielleicht klärt es sich auch in der HypnoseTherapie auf." "Ach, ja, sie machen ja dieses obstruse Experiment mit. Nun, ich habe noch nichts davon gehört, dass es tatsächlich einem Patienten geholfen hätte. Bei seinem Genesungsprozess, meine ich. Und der ist ja jetzt das Wichtigste. Auf alles andere können sie sich konzentrieren, wenn sie körperlich wieder voll auf der Höhe sind." "Möglicherweise möglich."
ist
das
Eine
-1 0 1 -
ohne
das
Andere
nicht
"Das verstehe, wer wolle. Ich bin ja nur eine einfache Krankenschwester. Aber jetzt kommt erst mal die Morgenwäsche an die Reihe und anschließend das Frühstück. Alles zu seiner Zeit." Renata kann es nicht erwarten, Henry endlich wiederzusehen und mit ihm eine neuerliche Sitzung abzuhalten. Sie ist sich jetzt sicher, dass sie weitermachen möchte. Dieser Traum der vergangenen Nacht hat ihr den letzten Impuls dafür gegeben. Pünktlich um 11 Uhr kommt Henry. Er braucht Renata erst gar nicht zu fragen, ihre Augen verraten die Ungeduld, mit der sie einem weiteren "Experiment" entgegenfiebert. Die beiden ziehen sich wieder in das kleine Ärztezimmer zurück und ohne lange Vorreden lässt Henry seine Patientin wieder in Hypnose fallen. Renata befindet sich wieder in jenem Raum, wo verschiedene Schubladen übereinander gestapelt sind. Diesmal entscheidet sie sich dafür, jene mit der Jahreszahl 1964 herauszuziehen. Sie taucht ein in die ihr vertraute Landschaft, rund um ihr Elternhaus. Renata spielt mit Markus an der Hinterseite des Hauses in der Sandkiste. Er gräbt ihre kleinen Füßchen in Sand ein. Mit einer kleinen, roten Schaufel häuft er einen riesigen Berg über ihre Füße. Es ist sehr heiß. Renata ist mit einer weißen Short bekleidet und Markus trägt kurze, blaue Hosen und ein weißes Leiberl. Mit den Händen drückt er jetzt den Sand ganz fest und meint : "So jetzt musst du dir keine Sorgen mehr machen, dass jemand deine Zehen sieht!" Renata gluckst vor Freude, denn sie hatte vor einigen Tagen das erste Mal bemerken müssen, dass ihre Zehen anders aussehen als die der anderen Kinder. Das hat ihr großen Kummer bereitet und Markus hat ihr als Lösung das Eingraben in den Sand vorgeschlagen. Damit sie keiner mehr sehen kann. Und Renatchen nicht mehr traurig ist. Plötzlich erschallt die Stimme von Camay. Sie ruft aus der -1 0 2 -
Küche, im ersten Stock und mahnt Renata, zum Mittagessen hochzukommen. Markus nickt ihr aufmunternd zu und wischt den Sand von ihren Füßen. Renata springt auf und rennt ins Haus. Bei der Eingangstür fängt sie Leon ab und reißt sie an der Hand. "Nicht so eilig, meine Puppe!" lacht er, "komm erst noch zum Opa und zur Oma rein, die wollen dir was sagen." Er zieht Renata in den Wohnbereich der Großeltern und schließt die Tür. Aber die beiden sind nicht da. Leon setzt das kleine Mädchen auf den riesigen Küchentisch und zieht ihr die Shorts runter. "Die sind ja ganz voll Sand, so kannst du doch nicht zum Essen gehen." meint er und klopft das Höschen mit seinen Händen ab. Dann greift er der kleinen Renata zwischen die Beine und steckt seinen Zeigefinger in ihre Scham. "Na, das gefällt dir doch, oder?" Sie schluchzt: "Wo sind Oma und Opa, und wo ist die Mama? Ich will weg von dir, das tut weh!" Leon legt die andere Hand auf ihren Mund und beginnt zu stöhnen: "Das tut dir doch gut, das weiß ich genau, das hat dir doch sonst immer gefallen!" und nach einer kur zen Pause fügt er hinzu: "Wenn du das irgendjemandem erzählst, ist der Papa tot, und du bist dann schuld daran und wirst deswegen auch sterben! Also merk dir das. Außerdem glaubt sowieso kein Mensch so einem kleinen, dummen Kind." Renatas zarter Körper wir d ganz starr und sie reißt die Augen weit auf. Leon nimmt nun seinen Penis und reibt damit an ihren Schamlippen. Sie spürt, wie ein penetranter Geruch in ihre Nase steigt und hustet; sie beginnt, zu zählen. Sie hat schon gelernt, bis zehn zu zählen. Immer wieder von vorne. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht... sie fixiert währenddessen die rotbraun geblümten Küchenvorhänge und erspäht Markus. Etwas undeutlich, weil ihr Blick von den Tränen getrübt ist. Er steht draußen und sieht durch das Fenster herein. Als er bemerkt, dass sie ihn entdeckt hatte, rennt er davon. Leon hat davon nichts mitbekommen, weil er mit dem Rücken zum Fenster dasteht und außerdem immer intensiver mit sich selbst beschäftigt ist. Er ächzt und presst sich immer fester -1 0 3 -
gegen Renata, die nur noch teilnahmslos dahockt. Nach etwa fünf Minuten hört man die klappernden Schritte von Camay, die jetzt vor den beiden steht: "Renata, wo bleibst du denn? Verflixt noch mal, aber jetzt komm doch endlich!" murrt sie mit unbeteiligtem Blick auf Leon und macht im selben Augenblick am Absatz kehrt. Der Hausherr fasst sich sehr schnell, dreht sich zur Seite, um seine Hose zu schließen, dann zieht er Renata die Shorts über und schreit in dominanter Vaterpose: "Ja, ja, Camay, sie kommt ja schon. Das brave Kind hat mir nur ein wenig geholfen!" Als Renata im ersten Stock ankommt, versetzt ihr Camay eine Ohrfeige. Sie rüttelt und zerrt sie zum Küchentisch. "Da, iss, es ist schon bald kalt!" Renata kann ihre Tränen nicht unterdrücken. Sie rinnen die glutroten Wangen hinunter. "Da, da ist ein Taschentuch, was hast du denn schon wieder zu plärren? War was mit dem Markus?" schreit Camay hysterisch. Renata antwortet weinend: "Nein, mit Markus war nichts, aber es tut so weh!" Camay faucht: "Was denn? Hast du dich schon wieder verkühlt? Da müssen wir eben wieder mal zum Arzt gehen!" Renata würgt die letzten Bissen tapfer hinunter, dann bleibt sie mit geducktem Kopf noch eine Weile sitzen. Camay meint unwirsch: "Geh, geh wieder spielen. Vielleicht erbarmt sich der Markus, und spielt mit dir!" Henry schaltet sich ein: "Ich glaube, das genügt, ich hole dich zurück, ganz langsam, gewöhne dich wieder an diese Umgebung, du bist mit mir in einem Ärztezimmer, wir machen eine Hypnose-Therapie, und du wirst gleich aufwachen." -1 0 4 -
Renata bleibt ganz ruhig sitzen. Mit leicht gesenktem Kopf. Henry berührt sie zaghaft an den Schultern. Sie reagiert nicht. Ihr Oberkörper hebt und senkt sich heftig. Renata ergibt sich einem erlösenden, schier niemals enden wollenden Heulkrampf. Henry bleibt geduldig bei ihr und wartet ab. Nach etwa einer Viertel Stunde ist Renata wieder ganz entspannt. "Das hätte ich nie geglaubt. Nein, das ist zuviel. Das lasse ich diesem alten Bock nicht durchgehen!" schreit sie auf. Henry hält es nicht für angebracht, jetzt eine phrasenhafte, psychologische Beruhigung vom Stapel zu lassen. Statt dessen sagt er: "Was auch immer du jetzt fühlst, nur du wirst eine Lösung finden. Und da bin ich ganz sicher, dass du das schaffen wirst!" "Danke, Henry! Ich fühle mich so erleichtert, aber ich möchte trotzdem noch eine Sitzung wagen. Es ist mir jetzt klar, dass wir das Jahr 1982 haben, aber ich will in der Hypnose einmal in die Zukunft, um diesen ominösen Autounfall möglicherweise noch einmal zu erleben." "Ich glaube nicht, dass du den tatsächlich erleben wirst. Es handelt sich eher um ein unbewusstes Wunschdenken, das du schon sehr lange in dir trägst und welches durch das Narkosetrauma ins Bewusstsein gedrängt worden ist." "Ja, das klingt plausibel. Aber ich möchte trotzdem in die Zukunft. Nenne es sportlichen Ehrgeiz oder einfach nur Neugier, aber das will ich unbedingt noch tun." "Einverstanden." Henry bringt seine Patientin in das Krankenzimmer zurück, wo bereits ihre Eltern auf sie warten. Er zögert erst, geht aber dann doch, als ihm Renata beschwichtigend zunickt. Das schaffe ich, denkt sie, das packe ich, die beiden werde ich überleben! Leon begrüßt sie: "Na, Puppe, was tut sich?" -1 0 5 -
Eine vertraute Frage, die sonst immer Übelkeit in ihr hervorgerufen hat. Jetzt nicht. Mit klarem Blick und erhobenem Haupt erwidert sie: "Danke, ich habe mich noch nie so gut gefühlt, wie heute!" Camay lacht gehässig auf, dann tätschelt sie ihre Tochter am Kopf: "Na, na, nur nicht übertreiben. Ein Wunder wird doch wohl nicht geschehen sein ?" "Nein, aber die Wahrheit hat mich stark gemacht. " "Was soll denn der Blödsinn bedeuten? Hat man dir denn keine Medikamente gegeben, dass diese Spinnereien endlich aufhören!?" murrt Leon. Renata antwortet nicht mehr. Sie drückt mit einem lautstarken Ruc k die Türklinke nach unten und deutet ihren Eltern, dass sie doch endlich gehen sollten. Camay ist fassungslos und Leon schreit: "Was glaubst denn du, du undankbare Göre, wir machen uns Sorgen um dich, und du wagst es, deine Eltern rauszuschmeißen. Aber wirklich net! Nicht mit mir. Ich gehe, wenn es mir beliebt und keine Sekunde früher!" Leon holt kräftig aus und verpasst Renata eine schallende Ohrfeige. Sie kann ihm wenig körperliche Widerstandskraft entgegensetzen, fällt und stößt ihren Kopf an der Tischkante.
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RÜCKKEHR "Aufwachen! Meine Liebe, bitte machen Sie Ihre Augen auf!" Die Situation kommt Renata bekannt vor. Diese Worte hatte sie doch schon einmal gehört. Sich schon so ähnlich dabei gefühlt. Vorsichtig öffnet sie die Augen und blickt in das gütig e Gesicht einer Krankenschwester. "Gott sei Dank, meine Liebe! Sie haben einen Autounfall gehabt und sind eine Woche im Koma gelegen. Aber jetzt ist es geschafft! Sie sind endlich bei Bewusstsein!" Renata schließt die Augen gleich wieder und versucht, sich zu konzentrieren. Der Kopf schmerzt. "Ich habe mir den Kopf verletzt?" "Nein, nein, nur ein paar Rippen sind gebrochen. Der Kopf ist in Ordnung. Bis vor kurzem hatten sie keine Herzfrequenz mehr, nur noch Ihre Gehirntätigkeit war zu messen." "Aber ich bin doch mit dem Kopf gegen einen Tisch gestoßen, weil mir mein Vater eine Ohrfeige gegeben hatte." "Ganz ruhig. Das legt sich. Sie sind nur ein bisschen durcheinander, aber da kommt ja schon der Arzt, der kann ihnen alles besser erklären, als ich. " Henry! Ach du meine Güte! Das ist Henry! Der Psychologe, mit dem sie die Hypnose-Therapie gemacht hatte! "Henry, das freut mich aber, dass ich dich wiedersehe!" begrüßt sie den vermeintlichen Freund. "Frau Wolf? Ja, mein Name ist Heinrich Walther, ich bin der Ober arzt der chirurgischen Station. Woher kennen Sie meinen Namen?" "Sie sind doch Psychologe?!" fragt Renata misstrauisch. "Nein, ich war bis vor zehn Jahren als Hypnose-Therapeut für Doktor Machacek, dem Vorstand der Tiefenpsychologie, tätig, aber jetzt bin ich Chirurg. Es freut mich zwar, dass Sie mich -1 0 7 -
kennen, aber ich wüsste nicht... Moment, waren Sie eine Studentin von mir?" "Nein. Aber ich habe das Gefühl, ich sollte nicht mehr reden. Es ist so viel passiert. Aber eine Frage hätte ich noch: Welches Datum ist heute?" "Ja, das ist die häufigste Frage, wenn jemand aus dem Koma erwacht, also, heute ist der 27. August 1997." "Na, bravo! Das ist doch mal eine spannende Abwechslung!" "Wie bitte?" "Ach nichts weiter. Hat sich vielleicht ein gewisser Markus nach mir erkundigt?" "Ja, freilich. Mein Mitstreiter in der Schulmedizin. Er kann es nicht erwarten, Sie endlich zu sehen. Der Arme war ja Zeuge dieses grässlichen Unfalls und das hat ihm schwer zu schaffen gemacht. Ich habe das Gefühl, wenn Sie ein wenig länger im Koma weitergedöst hätten, dann wäre der Kollege ebenfalls ein Patient unseres Hauses geworden!" Nach einigen Minuten erscheint Markus. Weißer Kittel, Mundschutz, weiße Überschuhe. Er sieht etwas verschreckt aus und stammelt: "Hallo, liebste Renata, ich habe dich sehr vermisst." Markus hat mit den Tränen zu kämpfen. Sie kollern über sein Gesicht, er verschluckt sich an ihnen, muss husten, stolpert und fällt ihr ungeschickt in die Arme. Renata hält ihn ganz fest, spürt das Gute, das von ihm ausströmt, einen Strahl voll Sonne. "Alles wird gut." flüstert er ins Ohr. Camay erscheint im Hintergrund; mit eisiger Miene steht sie nun da. "Hauptsache, ihr geht es gut." murmelt sie mit verächtlicher Miene und entschwindet gleich wieder. Markus und Renata registrieren sie überhaupt nicht. Nur die Krankenschwester fühlt sich verpflichtet, den harten Kommentar -1 0 8 -
von Camay zu rechtfertigen: "Sie dürfen das Ihrer Mutter nicht übel nehmen, aber Ihr Vater war der Verursacher des Autounfalls, bei dem Sie verletzt wurden. Er is t noch an der Unglücksstelle verstorben. An einem Herzversagen. Seien Sie verständnisvoll mit ihr, sie hat es jetzt nicht leicht." "Dazu fällt mir nichts mehr ein." antwortet Renata ungerührt. Leon ist für sie schon seit langem tot. Nach vier Tagen Spitals pflege wird Renata entlassen. Markus holt sie ab. Bevor sie in seinen Wagen steigt, hält sie noch einen Moment inne: "Ich kann Dir nicht genau sagen, warum, aber ich möchte mit Dir noch unbedingt diesen Dr. Machacek aufsuchen. Er ist in der Tiefenpsychologie zu finden, da gleich hinter diesem Pavillon!" Markus erklärt sich einverstanden, sie zu begleiten. Obwohl ihn tausend Fragen quälen, zieht er es vor, einstweilen noch zu schweigen. Die beiden erreichen die Station des Dr. Machacek. Ein großes Messingschild weist darauf hin, dass er im ersten Stock zu finden ist. Renata macht sich zielstrebig auf den Weg, merkt, dass Markus nun doch ein wenig zögert und schlägt ihm vor, im Vorraum zu warten. Er nimmt dort Platz und beginnt in ein paar medizinischen Zeitsc hriften zu blättern. Renata meldet sich bei der Stationsschwester an und bittet um ein dringendes, privates Gespräch mit dem Vorstand. Die Schwester notiert Renatas Namen auf einem Zettel und verschwindet im Ärztezimmer. Nach ein paar Minuten schon steht Dr. Machacek vor ihr: "Guten Tag, meine Liebe Frau Wolf! Ich muss zugeben, dass ich Sie schon erwartet habe!" bei diesen Worten deutet er auf den herannahenden Dr. Walther. "Henry! Ich freue mich, dass Sie hier sind. Da kann ich Ihnen auch gleich mein Anlie gen vortragen." begrüßt ihn Renata -1 0 9 -
erfreut. "Ja, ich habe meinem ehemaligen Chef schon Bescheid gesagt. dass Sie mich erkannt haben, als Sie aus dem Koma erwachten, und dass ich seither auch das Gefühl nicht loswerden kann, dass uns eine gemeinsame Station in der Vergangenheit verbindet. " "Und ich schließe mich dem Gespür von Henry an!" bemerkt Dr. Machacek, "Ich würde vorschlagen, dass wir uns ohne Verzögerung gemeinsam an die Arbeit machen. Ich habe schon ein Zimmer vorbereitet, in dem wir eine Hypnosesitzung abhalten können!" Renata ist verblüfft über den zügigen Fortgang der mysteriösen Dinge und erwartet diese gemeinsame Reise ins Unterbewusstsein mit Spannung. Alle Beteiligten machen es sich gemütlich in dem kleinem Kämmerchen. Renata streckt sich auf der Couch aus und legt ihren Kopf auf einen dicken Polster. Henry und Dr. Machacek nehmen auf weißen Stühlen Platz. "Nun, so ganz unvorbereitet bin ich natürlich nicht," erklärt Machacek, "ich habe schon Ihre Anamnese studiert und mit Henry ein wenig über Sie geplaudert." "Ich habe nichts dagegen, dass Sie sich einen kleinen Heimvorteil herausschlagen. Ich vertraue Ihnen." antwortet Renata. Henry beginnt, suggestiv auf Machacek und einzureden. Die beiden fallen gleichzeitig in Hypnose:
Renata
Diesmal findet Renata keinen Raum mit Regalen und Schubladen vor, sondern taucht sofort in eine grausige Szenerie ein. Eine, die ihr erschreckend bekannt vorkommt: Sie ist wiederum Ignaz Wolf. Der Heuschober, wo sich die kleine Marga verschanzt hat, steht schon in Flam men und sie muss diesen qualvollen Erstickungstod als Ignaz nochmals -1 1 0 -
erleben. Die Schwägerin und der Bruder Fritz stehen in der Nähe des Kuhstalls, wo das entsetzliche Verbrechen das letzte Mal von Ignaz begangen worden ist. Fritz erhebt seine Stimme: "Ich habe dich oft beobachtet. Das wirst du mir büßen, der Tod ist nicht Strafe genug für Dich!" Da fällt es Renata wie Schuppen vor den Augen, denn in Fritz erkennt sie Dr. Machacek! Wild entschlossen beugt er sich über die Leiche von Ignaz und wiederholt schreiend seinen Fluch. Dabei schlägt er mit den Fäusten gnadenlos immer wieder auf dessen Körper ein. Und am Dach kann man Henry als Engel erkennen, wie er die Seele von Ignaz in Empfang nimmt....... Henry holt die beiden Probanden aus der Hypnose. Er ist ziemlich aufgeregt über das, was er miterleben musste: "Ist es denn zu fassen!" stößt er entsetzt aus. Und Dr. Machacek erwidert in ruhigem Tonfall: "Ja, mein lieber Kollege, das ist phänomenal! Ich hatte immer schon so einen starken Drang, die Menschen in ihrem Unterbewussten aufzurütteln, so als ob ich in jeder Seele eine Antwort finden wollte auf das, was sich mir jetzt hier offenbart hat. Endlich... " Renata ist auch nicht allzu überrascht von diesem Ergebnis. Sie wendet sich an Dr. Machacek: "Dann sind Sie also der unerbittliche Feind des Ignaz Wolf! Jetzt haben Sie ihn endlich gefunden; was haben Sie nun mit ihm vor?" Machacek schüttelt den Kopf, "Also, so einfach kann man das nicht sehen. Von wegen, ich sei der Feind eines lustgetriebenen, abartig veranlagten Mannes und würde nun seine Schandtat rächen. Nein, die Lösung sieht anders aus." "Und zwar?" fragt Renata neugierig. "Es hat sich herauskristallisiert, wie schon bei so vielen Hypnosebehandlungen, die ich bei verschiedenen Patienten -1 1 1 -
durchgeführt habe, dass es einen menschlichen Drang nach Ausgleich gibt. Der Täter wird zum Opfer und das Opfer zum Täter. An dieser Forderung des Unterbewusstseins führt kein Weg vorbei, glauben wir!" antwortet Dr. Machacek in patriarchalischem Tonfall. "Und was ist mit den zurückhaltenden Zeugen einer Schreckenstat, die erst aufschreien, wenn Opfer und Täter tot sind?" will Renata noch wissen. "Die verlieren ihren bigotten Heiligenschein, indem sie in eine private oder berufliche Situation gedrängt werden, in der sie erkennen müssen, dass man bei beobachtetem Schmerz und Unrecht sofort handeln muss. Wer sich einmal beugt und zurückzieht, um nur ja keine Scherereien einzuheimsen, der bleibt für immer ein seelischer Krüppel. Was mich anbelangt, so werde ich von heute an, meine Chance, Menschen in seelischem Schmerz tatkräftig beizustehen, bewusster nutzen!" Renata steht auf und will sich verabschieden. Sie schüttelt Dr. Machacek herzlich die Hand und wendet sich nun an Henry: "Ich danke Ihnen. Ich weiß zwar nicht genau, für welche Engelstaten in meinem Leben Sie noch verantwortlich sind, aber ein paar offene Fragen sollte man schon lassen. Sonst verliert das Leben ja völlig an Spannung!" "Sie haben Recht. Möglicherweise war das auch der Grund, warum ich die Tiefenpsychologie verlassen und mich dem konkreteren Handwerk der Chirurgie verschrieben habe! Der Patient hat eine Gallenkolik, ich operiere ihm die lästigen Steine heraus, und nach einer Woche kann er wieder schmerzfrei leben. Das ist mein konkretes Erfolgserlebnis. Was hinter seiner Anfälligkeit zu Gallenkoliken seelisch verborgen bleibt... nun, das ist seine persönliche Lebensaufgabe, es herauszufinden." Antwortet Henry mit philosophischer Miene. "Das kann ich verstehen. Ich habe beschlossen, mich wieder voll und ganz meiner Fotografie zu widmen. Das Hier und Jetzt -1 1 2 -
unverfälscht festhalten und über das Gestern und Morgen spekulieren können, das fasziniert mich an dieser Arbeit. Ein Spielraum der Phantasie bleibt erhalten." sinniert Renata. Dr. Machacek nimmt seine beiden Schützlinge in die Arme und erklärt mit seliger Miene: "Da entlasse ich jetzt zwei verklärte Menschen in die Welt der Grausamkeit und Kälte, auf dass es ihnen gelingen möge, die Wachsamkeit in jeder Beziehung zu erhalten! Ich wünsche Euch beiden alles Gute! " Henry sagt nun Renata mit einer stummen Umarmung Lebewohl und geht zurück in die Chirurgische Station. Markus wartet bereits ungeduldig: "Na, was ist bei Eurer geheimnisvollen Zusammenkunft herausgekommen? Erzähl doch schon, ich bin so gespannt!" "Während der Autofahrt werde ich dir alles berichten. Ich habe jetzt Lust, in den Prater zu fahren, einfach so, ich war schon so lange nicht mehr dort!" "Deine Wünsche sind mir Befehl!" lacht Markus. "Lass mir noch ein bisschen Narrenfreiheit, bis ich wieder imstande bin, diese Realität fest im Griff zu haben! Apropos, wie geht's meinem geliebten Mäusezwicker Moritz? Hast du öfters nach ihm geschaut?" "Freilich! Ich war täglich bei ihm, zuletzt heute Morgen. Einige Spuren haben darauf hingedeutet, dass auch Camay da gewesen sein muss. Du weißt schon, offensichtlich durchstöberter Schreibtisch und Ähnliches, aber das überrascht dich sicher nicht... die Wohnungsschlüssel habe ich aus deiner Handtasche genommen. Das war doch in deinem Sinn, oder?" "Du bist ein Schatz! Ich danke Dir!" Renata wirft ihm eine Kusshand zu. Markus fährt über den Wiener Gürtel in Richtung Prater. Es ist bereits 17 Uhr und es staut sich der Berufsverkehr. So hat -1 1 3 -
Renata ausgiebig Zeit, ihrem ungeduldigen Markus detailliert über die traumatische Veränderung in ihrem Leben zu informieren. Als sie ankommen, ist die Sonne schon unter gegangen. Auf einem riesigen Pappschild beim Eingang zum Wurstelprater ist zu lesen: Livekonzert im Wilden Mann Uli Malör spielt auf, in Begleitung seiner Kapelle Begin n 19 Uhr "Das schaffen wir noch, wenn du Interesse hast!" meint Markus. Renata erklärt sich einverstanden. Sie war einmal mit Uli Malör befreundet. Vielleicht ist es treffender zu sagen: gut bekannt. Er war ein zorniger, aggressiver, Gitarre spielender Spr oss einer viel zu schönen und viel zu gescheiten Mutter. Keine seiner zahlreichen Eroberungen konnte ihr je das Wasser reichen. Wenn Uli über sie sprach, dann funkelten seine Augen in einem Glanz aus Hass und Liebe, während sich um die Mundwinkel ein Netz von Trauer spannte. Er liebte es, seine Umwelt wegen zwischenmenschlicher Verkrampfungen anzuprangern. Bei jeder Gelegenheit plädierte er für das unbegrenzte Ausleben des sexuellen Triebes. Die wahre Erfüllung lag für ihn darin, dem Rattenfänger Testosteron bedingungslos zu folgen; in den Abgrund, wo die gierigen Östrogene frohlockten. Einmal fragte er Renata provokant, was sie vom "Rudl- Bumsen" hielte, und sie antwortete trocken darauf: "Ich kenn den Rudl nicht." Dann umarmten sich Frauenverächter und Männerhasserin in geschwisterlicher Zuneigung. "Verkrampf di net!" So lautete der Titel eines Malör-Liedes. Damals. Vor etwa dreizehn Jahren. In Renatas Sturm und -1 1 4 -
Drangzeit als draufgängerische Foto-Reporterin. Lang ists her, aber unvergessen! Chaos der Gefühle herrschte in der Redaktion einer Boulevard-Wochen-Zeitschrift. Junge Spunde, die eifrig Staub aufwirbelten und glaubten, den Journalismus erfunden zu haben. Medienwirksamkeit wurde gepredigt und Whisky gesoffen; um die Tatsache ertragen zu können, dass die Leser nur Idioten sind, denen man Skandal-Schmankerl ins Hirn blasen muss, damit sie ihren Alltagstrott besser bewältigen können. Spitzfindige Überlegungen wurden angestellt; über das nahende Jahr 2000. Ein neues Zeitalter, das nur einer elitären Handvoll Überleben bieten wird? Werden nur noch zwei Kategorien von Menschen zu verzeichnen sein: Diejenigen, welche sich mit religiösem Flügelschlag über die erstickte Erde erheben und die Anderen, die mit ihren SchreibtischDrehstühlen verwachsen, notlindernde Hilfe im Internet anpeilen? Wenn Bill Gates keine Ablenkung mehr parat hat, dann wird die Hoffnung auf Außerirdische immer dringlicher werden. Aber wer weiß schon, ob der Microsoft-Pate nicht auch schon zu den intergalaktischen Abgeordneten zählt, die sozusagen das Menschenmaterial präparieren, damit es dann als mikroweiche Einheitsmasse in die Abfallkanäle des Kosmos fließen kann!? Fragen über Fragen, die auch tatsächlich nur von Journalisten beantwortet werden. Politiker prüfen im Spiegel ihre Glaubwürdigkeit und lernen, mit überzeugenden Gesten, dem ahnungslosen Volk irgendeine Zukunftsperspektive zu skizzieren. Die Malfarben für diese Zeichnungen werden von herrschenden Banken und Großindustrien spendiert; und die Medien entscheiden, welche Bilder zum günstigsten Zeitpunkt verbreitet werden. Die Medien haben die Macht. Das ist hinreichend bekannt. Vor allem bei der Boulevardpresse. Rufmorde können zwar aufgeklärt, aber nicht aus dem Bewusstsein der Konsumenten -1 1 5 -
gelöscht werden. Ganz logisch, dass es intelligente Menschen heutzutage nur noch zu Presse oder Fernsehen ziehen kann. Solche Jobs sind sicher, wenn man es schafft, seine Gesundheit im Griff zu behalten. Seelisches Gleichgewicht um jeden Preis muss erhalten werden; ausreichend Geld wird verdient, um sich in einem Privaten Krankenhaus behandeln zu lassen. Dort wird Diskretion geboten. dass nur ja nichts von Schwäche nach außen dringt. Dorthin, wo die gefräßigen Wölfe schon gierig warten; in der Hoffnung ihr elitäres Rudel dezimieren zu können. Valium gärte in den Schubladen der Redaktions Schreibtische. Ein Kollege war wieder einmal vom stationären Entzug entlassen worden. Alles fing von vorne an. Für Renata war dieser Teufelskreis zum damaligen Zeitpunkt noch kein Problem. Sie vertrug sehr lange diese Mischung aus Analgetika, Amphetaminen und Tranquilizern. Was man als Kind gelernt hat... Mit Enthusiasmus und einer Überdosis Blauäugigkeit machte sie sich ans Tagwerk. Besuche von Würstelständen, Geplauder mit Huren, Schnappschüsse von Zuhältern, die dar über philosophierten, warum man zur Käsekrainer keinen süßen Senf essen sollte. Begegnungen mit Sandlern am Westbahnhof. Naives Erstaunen darüber, dass sie großteils freiwillig in dieses soziale Abseits gerutscht waren. Renata liebte diese Atmosphäre und den von ihr nicht erwarteten Umstand, dass sie akzeptiert wurde; von den SchicksalsLieferanten. Das voyeuristische Publikum war ihr herzlich egal. Diese geifernde Masse von gelangweilten Duckmäusern, die gierig nach Außenseitern Ausschau hielten, um sich von ihrem verlogenen, glatt gebügelten Alltagseinerlei ablenken zu können. Renata liebte die einsamen Akteure, die ihre Seele auf wackligen Bühnen bloß legten; jederzeit zum Absturz bereit. Vor allem hatte sie ein Herz für talentierte Musiker, die sich abmühten, die Gäste diverser Beisl zum Zuhören zu bewegen. Uli Malör war einer dieser Hofnarren, der es beinahe einmal schaffte, einen Zugang zu Renatas Seele zu finden. Als sie -1 1 6 -
einmal in seiner Wohnung war, machten sich Entzugserscheinungen bei ihr bemerkbar. Verzweifelt wurde nach der Rettung gerufen. Uli meinte später, dass er geglaubt hatte, sie würde krepieren. "Mach mir das ja nie wieder, Mädchen, fertig bin ich selber!" kommentierte er dieses Unannehmlichkeit patriarchalisch verstimmt. Die Musikszene in Wien hatte in den Achtziger und Neunziger Jahren nur eine Handvoll schwarzer Schafe aufzuweisen. Was den illegalen Drogenmissbrauch anbelangte. Zwei davon starben an einer Überdosis, beziehungsweise an schmutzigem Stoff; die anderen beiden ließen sich vom Rücklagen-Etat der Plattenfirma aufpäppeln und das Gebiss reparieren. Sie grinsen bis zum heutigen Tage demütig in die boulevardesk voyeuristischen Seitenblicke- Kameras und produzieren Musik, mit der man sie vorher hätte killen können. Schmeichelweichen Stoff, der über Radio in die Wohnzimmer von häkelnden Hausfrauen fließt, und dort klebrige Spuren in den Gehirnwindungen hinterlässt. Der Musikanten-Stadl ist keine Schande, nein, er nährt seine, nach Tschinderassabumm und Plattitüden hungernden Wölfe im Schafsgewande. Bei Wohlgenährten lässt sich nicht so einfach eine Revolution anzetteln. Renata denkt plötzlich an Hannes. Da war doch etwas, was sie nicht vergessen wollte, aber es fiel ihr nicht ein. Eigentlich kann man ihn nicht zu der österreichischen Pop-Szene zählen. Er hat eine Kategorie für sich gebildet: Ein musikalisches, von profanen Profi-Pädagogen verschmiedetes Genie; von der nasenaufreibenden Krankheit des banalen Menschsein gequält. Im Exil der sonnigen Insel Zypern fleht er nun die Götter um Gnade an, während er mit weißem Sand eine Zeitmaschine baut. Die weniger erfolgsverwöhnte Renata legte manchmal mit stolzgeschwellter Brust ihrer patriarchalischen Großmutter ein selbst gestaltetes Zeitschriften-Cover auf deren Küchentisch. -1 1 7 -
Na, ja, ganz schön, war die Reaktion. Kann man davon leben, so lautete die Zusatzfrage. Keine Antwort von Renata. Sie hatte den Jackpot wieder einmal verspielt; hat sich selbst um die erbettelte Liebesgabe gebracht. Wie Hannes, als er seiner Mutter die "Goldene Schallplatte" präsentierte, und sie ihn strafend an die biblische Geschichte mit dem goldenen Kalb erinnerte.... Renata will Markus nicht darauf hinweisen, dass ihr Uli Malör bekannt ist. Möglicherweise hätte er nicht sehr verständnisvoll reagiert. Jetzt, nachdem sie ihm bei der Herfahrt erklärt hatte, dass nichts im Leben Zufall sei. So, wie sie es in ihrer Hypnose erlebte. Also, besser Stillschweigen bewahren! Wer weiß, was aus dem Rockbarden geworden ist. Vielleicht ein demütiger KirtagsHampelmann, dem es gar nicht angenehm wäre, durch Renata an frühere Träume von Erfolg erinnert zu werden. Der Wilde Mann ist im Prater ein beliebter Treffpunkt. Für Kenner eines guten, offenen Budweisers und knuspriger, gegrillter Stelzen. Den kleineren Hunger stillen Kartoffelpuffer oder Maiskolben. Schon bei der Eingangstür kann man die dröhnende Musik aus Verstärkern hören. Es ist kein Eintritt zu bezahlen. Umsonst ist Uli Malör. Und der kostet Markus einige Nervensubstanz, um dessen Anblick auszuhalten. Renata wird auch ein wenig unsicher und überlegt, ob es nicht besser wäre, gleich wieder zu gehen. Uli spielt nach wie vor Gitarre, hat aber Schwierigkeiten, sie fest im Griff zu behalten. In den kurzen Intervallen, in denen er nicht spielen muss, weil der Schlagzeuger ekstatisch in die Becken drischt, erkennt man, dass sein rechter Arm etwas zittert. Den Kopf hält Uli leicht geneigt und um seine Augenbrauen ist auch ein leichtes Zucken zu bemerken. Er wirkt unbeteiligt und scheint sich nur mit Mühe auf das richtige Setzen der Finger auf die Gitarresaiten konzentrieren zu können. Das Publikum ist ihm gleichgültig. Ganz im Gegensatz zu früher. Da liebte er es, mit den Mädels zu flirten und sie in der Pause auf seine typische -1 1 8 -
aggressivliebevolle Art anzubaggern. Er müsste jetzt vierundvierzig Jahre alt sein, überlegt Renata; sein nackenlanges, leicht gewelltes Haar ist schlohweiß, aber seine Augen strahlen wie eh und je. Eben hatte sie es bemerkt, als er sich für eine Weile dem Publikum zuneigte. Das Lokal ist ziemlich voll. Alle Tische besetzt. In den Musikpausen ist ein Mampfen und Schmatzen zu hören; ein Gegröle und Geschimpfe wegen des Kellners, der den Gästen zu langsam bedient. Wer vor den Augen der freizeitbeseelten Wiener arbeitet, ist entweder zu ungeschickt oder schlecht organisiert. Das, wenn sich ein jeder erlauben tät, der hat ja ein Tempo, wie ein Beamter... so raunt es durch die Menge. Uli trägt ein neues Lied vor. Er kündigt es als Widerhall seiner Gefühle im Fin de Siècle an. Dann beginnt er, nur in Begleitung seiner Gitarre, zu singen: "...... I bin da Enkel vom Schopenhauer und da Neffe vom Wittgenstein, beim Frühschoppen trog i scho Trauer, weil im Hefen kane Titten wern sein, Fressen und gfressen wern, durchdrahn oder sterbn.... i denk nimmer mehr an murgn, drah heut no a Linke und loss mi in Staa versurgn ... oh uhhh ohh.... Markus scheint von diesen künstlerischen Ergüssen nicht sehr angetan zu sein, denn er verzieht das Gesicht missmutig, während er auf die Bühne deutet: "Willst du deine Rückkehr ins Jetzt und Hier auf diese Weise zelebrieren? Da vergeht dir doch gleich wieder jeglicher Lebensmut, bei dem wehleidigen Gejammer!" -1 1 9 -
Renata deutet ihm, dass sie noch eine halbe Stunde bleiben möchte und bestellt beim Kellner Bier und Kartoffelpuffer. Markus schließt sich an und erinnert sich, dass Renata ihn gebeten hatte, ihr noch ein wenig Narrenfreiheit zu geben. Alles klar, das macht er doch glatt. Mit ein paar Bierchen intus wird dieser letzte, lebende Zeitzeuge von Woodstock hoffentlich besser auszuhalten sein. "Ich kenne diesen Sänger!" erklärt Renata. Markus runzelt vorerst die Stirn, dann meint er lachend: "Sag bloß! Ich nehme an, ihr seid Euch auf einem Wikinger Raubzug begegnet. Er hat dich als Beute mit in sein Dorf geschleppt... " "Hör auf, Markus. Ich wollte zwar zur Ablenkung hier herkommen; unter anderem auch, um zu vergessen, dass du ein stummgebliebener Zeuge meiner Kinderqualen warst und ich dich in einem früheren Leben, anderen Bewusstsein, wie auch immer, missbraucht habe, .... " "Das klingt so herrlich melodramatisch!" ätzt Markus."Ist wohl nichts für deine schulmedizinischen Ohren! Dann lass doch die Scheuklappen runter; du weißt schon, jene, mit deren Hilfe du das Jammern der Kassenpatienten über hören kannst!" "Wenn ich daran denke, wie sehr wir uns vor zw ei Wochen zugetan waren... und jetzt scheinen wir wieder auseinander zu driften. Was geht bloß mit uns vor? Warum misst du deiner Vergangenheit so viel Bedeutung zu. Es zählt doch nur das Heute!" Renata stöbert in ihrer Handtasche und findet endlich eine Packung mit Zigaretten. Gierig fischt sie eine heraus und zündet sie an. Markus quittiert diesen Vorgang mit Missbilligung: "Du hast schon seit Tagen zu keiner Zigarette mehr gegriffen, warum jetzt schon wieder... ?" "Weil ich sie brauche. Weil da noch irgend etwas ist, das -1 2 0 -
mein Gefühlspuzzle komplett machen könnte. Ich weiß es noch nicht, aber ich habe da so eine Ahnung... " "Schluss damit! Ich will nichts mehr davon hören. Ich brauche meine reale Welt, auf die ich mich verlassen kann... dass es morgen dort weitergehen wird, wo es heute endet... " "Heute endet," wiederholt Renata murmelnd. Es fällt ihr auf, dass sie tatsächlich nur wegen Markus zur Zigarette gegriffen hatte. Was mag das bedeuten? Stellt er den sogenannten ungeklärten Rest ihrer mühsamen, seelischen Aufarbeitungsarbeit dar, oder wird es immer so einen Rest geben, der ein Weiterleben erst möglich macht, weil er nach einer Veränderung schreit? Aber das ist doch Liebe, dieses starke Gefühl, das sie zu Markus hingedrängt hat? Sollte gar keine gemeinsame Zukunft am Fahrplan des Schicksals eingetragen sein? Sondern nur ein temporärer Zusammenstoß, der allen Beteiligten die Möglichkeit geben sollte, ihren weiteren Lebensweg zu überdenken? "Was hast du da eben gesagt?" fragt Markus ungeduldig. "Ich habe nachgedacht. Ignaz Wolf war ein ruheloser, zerrissener Mensch. Das, was er heimlich getrieben hat, war kriminell und verachtenswert. Er bezahlte dafür mit dem Tod, und in diesem Leben als Opfer eines ähnlichen Verbrechens. Aber da war dieser Zuschauer, Machacek, also der damalige Bruder Fritz. Der hat dieses Verbrechen schon vorher des öfteren beobachtet und nichts dagegen getan. Machacek sucht als Konsequenz den Ausgleich, indem er gequälten Seelen hilfreich zur Seite steht. Du, Markus warst einmal das missbrauchte Opfer und spielst in diesem Leben jene Rolle des feigen Zeugen , vielleicht sollten wir gemeinsam... " "... mein Gott, Renata! Ich war damals ein Kind! So, wie du auch. Was hätte ich denn tun sollen? Keiner hätte mir geglaubt, wenn ich etwas erzählt hätte!" unterbricht Markus unwirsch. "Aber, du hast es nicht einmal versucht. Du hast gespürt, dass -1 2 1 -
da etwas vor sich geht, das nicht in Ordnung ist, aber du hattest noch mehr Respekt vor der Tatsache, dass es nicht in Ordnung wäre, darüber zu reden. Höchstens in der geschützten Atmosphäre eines Beichtstuhls... meine Güte, du hast doch nicht etwa... ?" "... doch, ja, das habe ich getan. Ich habe es damals unserem Pfarrer gebeichtet. Der wusste auf Anhieb, dass ich es war, der da bibbernd im Beichtstuhl vor ihm saß." gesteht Markus widerwillig ein. "Und!? Wie hat er reagiert?" fragt Renata ungeduldig. "Er hat nur gemeint, ich solle ein paar Vaterunser beten und von nun an deine Gegenwart meiden!" antwortet Markus und zuckt gleichgültig mit den Schultern. Renata spürt einen brennenden Schmerz in ihrem Herzen. Das hatte sie nie und nimmer erwartet! Doch, ja, sie konnte sich entsinnen, dass da irgendwann so eine distanzierte Fremdheit von Markus ausging. Dieses rätselhaft traurige Lächeln! Das pflichtbewusste Abholen von der Schule, Renata hatte oft diese Kälte gespürt. Ja, kein Zweifel! Markus hatte seine katholische Pflicht erfüllt. Nach außen blieb er weiterhin freundlich zu ihr, aber tief drinnen diktierte sein Denken ein katholischer Priester, der so gnädig war, ihm die Beichte abzunehmen! Renata inhaliert gierig den Zigaretten rauch, in der Hoffnung nicht ihre Fassung zu verlieren. Aber, was ist denn das nun wieder? Dieser scheußliche Geschmack und der eklige Geruch von frisch geteertem Asphalt? Sie hat sogar das Gefühl, sich übergeben zu müssen, als sie die Zigarette ausdämpft und ihr noch ein wenig Rauch in die Nase steigt. Was war geschehen? "Bravo, ein Laster weniger!" kommentiert Markus. "Welche bleiben dann noch übrig?" bohrt Renata entschlossen weit er. "Wenn du mich fragst, der Versager da oben zählt ab heute wieder dazu! Er hat dich schon längst entdeckt und schielt die -1 2 2 -
ganze Zeit her! "Weißt du was, Markus!? Steh jetzt einfach auf, steig in dein poliertes Auto und schau nicht mehr zurück! Zurück, auf dieses lasterhafte, undankbare Wesen, um das du ein paar Wochen gezittert hast, und das sich nicht angemessen zu bedanken versteht!" "Was meinst du mit angemessen?" "Angemessen, angepasst... das, was Du mehr zum Leben brauchst, als dir lieb ist!" faucht Renata. Markus begleicht seine Rechnung, dann erhebt er sich mit theatralischer Geste und verabschiedet sich stumm; er lässt kurz seinen Kopf auf die Brust fallen, erhebt ihn dann wieder mit einem Ruck, greift in seine linke Hosentasche und lässt Renatas Schlüsselbund auf den Tisch knallen. Renata bleibt reglos auf ihrem Platz sitzen. Keiner der beiden dreht sich nach dem anderen um; sie tauschen keinen Blick mehr aus; schon viel zu viel war sichtbar geworden. Renata atmet tief durch, wischt die Tränen aus dem Gesicht, schnäuzt sich kräftig in ein Taschentuch und winkt damit dem Sänger zu: "Was ist Maestro, haben Sie auch das Lied von OstbahnKurti, Reserviert für zwa, im Repertoire?" Uli, der Renata schon seit geraumer Zeit beobachtet hatte, nickt ihr zu und stimmt sichtlich wohlgelaunt das gewünschte Lied an: "Lassts mi afoch nua in Friedn, lassts mi afoch nua in Rua, deswegn sitz i do alaa, und es is reserviert für zwaa... " Die Gondeln des Riesenrades sind hell erleuchtet. Eine nach der Anderen küsst den Boden, verweilt für einen nützlichen Augenblick und stößt sich im Nu wieder ab; um eine neuerliche -1 2 3 -
Fahrt zu den Sternen anzutreten...
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BERGKRISTALL Renata schlägt die Augen auf. Welch angenehme Überraschung! Sie befindet sich in vertrauter Umgebung, in ihrem Bett. Es liegt eine anstrengende Nacht hinter ihr. So manches Krügerl Bier hat sie noch mit Uli gestemmt, während sie Erinnerungen auffrischten. Der Kopf brummt ein wenig. Renata geht ins Badezimmer und nimmt zwei Tabletten Aspirin. Den morgendlichen Blick in den Spiegel meidet sie lieber. Sie schaltet den Fernseher ein und stellt zufrieden fest, dass heute der erste Tag im Monat September ist. Das ist doch mal eine wohlige Abwechslung! Gestern war der 31. August, dramatischer Schluss mit Markus im Prater, Wiedersehen mit Uli... und heute ist der erste September. Da hat man doch was, woran man festhalten kann! Bravo, den Kalender hätte Renata also wieder fest im Griff. Mal schauen, was der Anrufbeantworter gespeichert hat; während der letzten zwei Wochen. Moritz streift ihr schnurrend um die Beine und will sie nicht einmal mehr alleine auf die Toilette gehen lassen. Renata ist gerührt von dieser tierischen Anhänglichkeit und streichelt den Mäusezwicker zärtlich über den rotblonden Kopf. Dann hört sie die Anrufe ab. Als sie gleich zu Beginn Hannes Stimme erkennt, schlägt sie die Hände auf die Stirn. Meine Güte, wie konnte sie nur seinen Geburtstag vergessen! Zu groß war die Nervosität am Tage vor Leons Jubeltag gewesen. Gefürchteter Vater und geliebter Hannes im selben Sternzeichen geboren. Das schreit nach Verdrängung. Flüchtig nimmt sie noch die Nachricht ihrer Mutter wahr, die sich wieder einmal in hysterischer Erpressung versucht. Renata bereitet sich noch schnell eine Tasse Kaffee, greift zum Telefonhörer und ruft Hannes Nummer in Zypern. Prompt meldet er sich mit den Worten: "This is the genius speaking! Who, the fucking hell, is calling -1 2 5 -
me?!" "Hallo, mein Lieber, du klingst, als wäre deine Mutter noch bei Dir zu Besuch!" "Renata? Hey, du bist es wirklich. Echt toll von dir, dass du dich schon nach vierzehn Tagen bei mir meldest, aber, so what, wie geht es Dir? Hier gab es echt schwarzen Himmel in der letzten Zeit, aber gestern zog ein reinigendes Gewitter mit heilsamem purple rain auf, na, und jetzt, wo du anrufst, zieht ein Hauch von Königsblau über meinen Kopf hinweg... volles, kräftiges Blau, das meine Schmerzen endgültig stillen wird!" Renata überlegt... „roter Regen“... „heilsam“? Wieso „heilsam“? Rot ist doch... Sie will Hannes antworten, aber er setzt seinen manischen Monolog fort: "...tja, königsblau, das ist wohl eher die richtige Bezeichnung für diese Wahnsinnsfarbe, die ich und Gott je zustande gebracht haben, ich könnte noch Stunden über diese herrliche Farbe reden, aber ich schlag vor, ich hör auf damit, zumindest unterbrechen wir jetzt und ich ruf dich zurück... okay?" Renata legt den Hörer auf. Ihre Hände zittern. Ein paar Sekunden später klingelt das Telefon. Hannes lacht jetzt versöhnlich: "Hey, Renata, ich weiß, du hasst meine gönnerhaften Touren, aber so ist es doch besser, nicht wahr?" "Ja, mein König, ich danke für deine materielle Großzügigkeit, aber jetzt erzähl mir doch, warum du mich so dringend sprechen wolltest." Renata verdrängt ihre Ahnungen und spricht diese Worte in betont ruhigem Tonfall. "Ich hatte Panik... und dann der Besuch meiner Mutter... Ich plaudere mit ihr doch immer so fröhlich und zuversichtlich am Telefon. Da war es verdammt schwer, dieses Getue durchzuhalten, während sie hier war. Ich hab verdammt viel Koks und Whisky gebraucht, aber ich habe es geschafft. Sie ist zufrieden und glücklich abgereist. Sie freut sich, dass ich so -1 2 6 -
schön braun bin und so gut aussehe, und dass ich hier Musik machen kann, ohne irgendwelche Nachbarn zu stören..." "Ich bitte dich, hör auf, du... das klingt ja schrecklich!" unterbricht Renata. "Ich komme mit dem nächsten Linienflug nach Larnaca. Ich hab dir auch einiges zu erzählen!" "Okay, ich hol dich ab. In etwa vier Stunden bin ich am Flughafen und warte dort einfach, bis du da bist. Ciao, man sieht sich!" Renata legt den Hörer auf und blickt in die Augen von Moritz. Mit misstrauischer Miene und in Erinnerung an die vergangenen Zisch-und-Weg- Besuche von Camay scheint er fragen zu wollen: "Und wer kümmert sich um mein Fressen und meine Streicheleinheiten in den nächsten Tagen, hmm?" Renata sucht in der Schreibtischlade nach dem Impfpass ihres schnurrenden Lieblings. Sie fuchtelt mit dem gelbgrünen Papier vor seinen bernsteinfarbenen, rollenden Augen: "Und du, mein Süßer, kommst mit nach Zypern!" Moritz erstarrt in Tierarzt-Pose. Es ist bereits fünf Uhr nachmittags, als Renata samt präpariert anmutendem Moritz in Larnaca ankommt. Hannes fällt in ihre Arme und wirft einen skeptischen Blick auf den vierbeinigen Begleiter. "Hast du den Armen ausstopfen lassen?" fragt er lachend. "Nein, der erfängt sich schon wieder. Aber Tiere sind nun mal nur im Frachtraum des Flugzeuges erlaubt." seufzt Renata. "Ein Glück, dass ich einen passenden Transportkorb für ihn daheim hatte." Hannes nimmt Korb und Koffer und verstaut sie am Rücksitz seines weißen Geländewagens: "So, und jetzt fahren wir erst mal zum besten Fischrestaurant der Stadt. Dort gibt es himmlische Shrimps!" "Alles klar. Aber vorher möchte ich Moritz in dein Haus -1 2 7 -
bringen. Damit er sich eingewöhnt, der Arme." meint Renata bestimmt. Der importierte Mäusezwicker zieht seine ersten skeptischen Runden im Hause von Hannes und beschließt nach zwei Minuten, dass sein Lieblingsplatz von nun an auf der knackigen Ledercouch zu finden ist. Wohlig streckt er sich, lockert sein vom Dritte-Klasse-Flug verspanntes Kreuz, lässt die Krallen in das schwarze Leder eintauchen und döst im selben Moment selig seufzend ein. "Na bravo! " ätzt Hannes, "der Meister hat mit seinen Krallen das gnädige Zeichen für unseren Abmarsch gegeben!" Und Renata fügt mit spöttischer Miene hinzu: "Wer Straßen quer durch sein Haus baut, der darf sich über Schlaglöcher in seiner Couch nicht wundern!" Sie geht in die Küche, füllt eine Glasschale mit Wasser und stellt sie mit liebevoller Geste auf den Boden, zu Füßen des schnarchenden Prinzipalen: "So, jetzt können wir gehen!" triumphiert sie. Der weiße Geländewagen samt Insassen braust in Richtung Larnaca. Hannes hatte schon vor einer Stunde einen Tisch im Restaurant "Aphrodite" reservieren lass en. Um punkt sieben Uhr kommen sie an. Er parkt direkt vor dem eindrucksvoll bemalten Portal des Lokales. Blaue Delphine im übermütigen Spiel mit Meerjungfrauen. Wie passend für Hannes, denkt Renata. Aber zu ihrer Überraschung wird Mister Popmusic hier nic ht erkannt. Weder Besitzer noch Kellner hofieren den erfolgsverwöhnten Star. Hannes bemerkt Renatas Erstaunen und erklärt ihr: "Ich wollte dich nicht unbedingt an einen Ort bringen, wo man mich und meine Exzesse bereits kennt. Verstehst Du?" "Alles klar," antwortet Renata. "Ich habe ehrlich gesagt auch keine Lust, den ganzen Abend lang angestarrt zu werden... übrigens hast du das Gemälde beim Eingang gesehen? Die -1 2 8 -
blauen Delphine? Also, irgendwie habe ich das Gefühl, dass dein Leben irgendwas mit diesen Tier en zu tun hat... " "Na, ja, das griechische Wort delphinos heißt übersetzt Schoß, weil sie lebend gebärende Meeresbewohner sind. Man sieht in ihnen Seelenbegleiter und sie sind wegen ihrer Intelligenz sehr beliebt. Hier in Zypern ist es Tradition, dass christliche Priester zu Weihnachten das Meer ihretwegen segnen. Meine Nachbarin Maja ist deswegen schon öfters ausgerastet, weil sie behauptet, dass Delphine matriarchalisch organisierte Lebewesen sind, und es eine Frechheit wäre, dass unbedarfte Männer sich anmaßen, sie zu segnen... so what... vielleicht wird man mich auch einmal segnen... oder zumindest nach meinem Tod heilig sprechen... was meinst du?" Renata schüttelt schweigend den Kopf. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stürzen sich die beiden Hungrigen auf die servierten Shrimps in Knoblauchsauce und verspeisen anschließend noch gemeinsam eine Portion "Aphrodites Hot Love"; heiße Himbeeren mit Vanilleeis, flambiert mit Zyperns Leib und Seelentröster Nummer Eins: Fig Whisky! Renata genießt diese Köstlic hkeit mit all ihren Sinnen, und für eine Weile scheint das Leben wunderbar zu sein. Bis zu dem Moment, wo Hannes zur Zigarette greift, einmal laut hüstelt und schließlich sagt: "Du, Renata, ich hab gestern mit einem Mädchen... also, wie sage ich es am Besten, also, ich habe mit ihr gewisse Schwierigkeiten gehabt... " "Ja, ja, das kennen wir ja von Dir,... " unterbricht ihn Renata, "lass mich erst mal von meinen phantastischen Reisen ins Unterbewusste erzählen!" Sie nimmt einen kräftigen Schluck Whisky und berichtet von den sich überschlagenden Ereignissen der letzten Wochen. Angefangen mit dem zermürbenden Besuch bei den Eltern, anlässlich des Geburtstages von Leon, den ominösen -1 2 9 -
Zeitsprüngen, der Hypnose... Renata übersprudelt sich vor Begeisterung und regis triert mit Genugtuung das beeindruckte Erstaunen in Hannes Blick. Er war also doch noch zu überraschen! Dennoch kommentiert er ihre Erzählung in außerordentlich trockenem Tonfall: "So kommt sich also jeder Mensch auf die unterschiedlichste Art und Weise im Labyrinth seines Wesens näher... bis er seinem Ego einmal kräftig auf die Füße tritt und wieder umkehrt; schnurstracks zurück in die wohlige Welt der Verdrängung." "Ah, ja, das klingt sehr abgeklärt aus deinem Munde. Sonst spuckst du doch nur allzu gerne ein paar geschmacklose Machismen aus, wenn es darum geht, sich mit der fatalen Wahrheit auseinander zu setzen, dass diese Welt von brutalen Männerspielen beherrscht wird; Haudrauf-Strategien, die auch dem hinterweltlerischsten Bürscherl verständlich sind." Renata hält inne und bemerkt, dass Hannes nur teilnahmslos mit einem Zahnstocher spielt: "Was ist los mit dir? Sag schon, ich hör auch mit meinen Hasstiraden gegen die Männerwelt wieder auf... okay... ?" "Du hast schon recht... irgendwie... also, ich bin jetzt dran mit Erzählen, ja? Gut, also meine Mutter war die letzte Woche hier... sie hat ihren Liebling besucht und ihm zum Geburtstag ein reizendes Präsent überreicht." "Was denn? Einen Dildo mit Papstköpfchen? So weiß wie Schnee!? ätzt Renata. "Nein, viel besser! Eine Familienbibel mit Goldeinband. Auf der ersten Seite ist ein riesiger Stammbaum abgebildet, mit starken goldbraunen Ästen. Sie hat unsere gemeinsamen Ur -UrUrgroßeltern darin eingetragen, ganz unten, gleichsam als starke Wurzeln... und ein zartes, zerbrechliches Zweiglein mit meinem Namen läuft in ein Ehesymbol aus, mit ein paar Punkten... ein paar Punkte für den Namen meiner Zukünftigen. Als sie es mir -1 3 0 -
gab, kommentierte sie es mit den Worten: "Aber, dass deine Frau eine christliche Österreicherin sein muss, ist dir schon klar, gell, Bub? Da auf dieser griechischen Insel kannst du dich noch eine Weile mit diesen dunkelhaarigen Huren austoben, aber dann kommst du wieder zu deiner Mutter zurück und wirst ein anständiger Familienvater!" Hannes speit diese Worte aus. "Ja, und wie hast du darauf reagiert?" will Renata wissen. "Ich hab lieb gelächelt und scheinbar vor Rührung geschnieft, und die beste Mutter von allen Christen hat mich selig umarmt... " "Ja, und weiter?" "Nichts Besonderes. Ich hab sie wieder zum Flughafen gebracht, hab ihr ein herzliches Bis bald! nachgerufen.... und dann bin ich nach Hause gefahren, hab meine Nachbarin besucht und sie umgebracht. Sie liegt jetzt im Keller, zwischen Keyboard und Schlagzeug. Ich hab sie erdrosselt." Hannes sieht seinem Gegenüber bei diesen Worten herausfordernd in die Augen. Renata lehnt ihren Oberkörper zurück, zieht die Augenbrauen hoch und lächelt ungeduldig mit leicht geöffnetem Mund, so als ob sie es nicht erwarten könnte, die Pointe dieser Kostprobe schwarzen Humors endlich hören zu dürfen: "Jaaa, und weiter!" lacht sie hysterisch. "Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!" Doch es scheint, als ob Hannes keine weitere Erklärung mehr abgeben wollte. Er starrt vor sich hin und nestelt am Aschenbecher herum. Er schiebt ihn langsam zu Renata, die ihm gegenüber sitzt, dann dreht er ihn um, dass die bereits ausgedrückten Zigarettenstummel und die Asche auf Renatas Schoß rieseln. Sie bleibt reglos und blickt Hannes streng an. So, als wollte sie ihm sagen, na gut, ich verzeih dir, dass du meine Hose dreckig gemacht hast, aber jetzt sei bitte wieder vernünftig. Sie will nicht akzeptieren, was er ihr eben erzählt -1 3 1 -
hatte. Hannes sagt mit gleichgültiger Miene: "Das musst du mir schon glauben! Über so etwas würde nicht einmal ich schlechte Witze machen. Der Grund, warum ich es dir hier, inmitten all der anderen Gäste, in einem öffentlichen Lokal, erzählt habe, ist der, dass ich wahnsinnige Angst hätte vor deiner Reaktion, wenn wir jetzt irgendwo allein wären. Möglic herweise hättest du dich dann so ähnlich wie meine Mutter verhalten, und ich wäre dann noch einmal ausgerastet und... " "Hör auf Hannes! Du würdest mir nie etwas antun, das weiß ich. Und ich habe, verflucht noch mal auch keine Angst davor, dass ich mich je tzt falsch benehmen könnte, ich hab schlicht und einfach Angst um dich, um dich allein, verstehst du mich?" Mit diesen Worten greift Renata wie ferngesteuert nach dem Portemonnaie und legt ein paar Geldscheine, die sie noch schnell in Wien gewechselt hatte, auf den Tisch. Über den Daumen geschätzt müsste diese Summe reichen. Sie erhebt sich majestätisch von ihrem Stuhl, nimmt Hannes unter den rechten Arm und verlässt mit ihm das Lokal. Er reicht ihr stumm die Autoschlüssel und sie fahren schweigend bis zu seinem Haus. Ein paar Mal hat Renata Schwierigkeiten mit dem ungewohnten Linksverkehr und wäre beinahe in ein anderes Fahrzeug hineingekracht. Aber anscheinend kommt in derartigen Situationen die überirdische Kraft eines Menschen im Schockzustand zum Tragen, und es passierte nichts. Nein es war nichts passiert. Das sagte sich Renata auch noch vor, als sie mit Hannes das Studio im Keller betrat. Schon von der Eingangstür aus konnte sie die schlanke Gestalt eines schwarzhaarigen Mädchens erkennen. Ihre Leiche lag, wie rein zufällig hingestreut, zwischen den Instrumenten. Man konnte geradezu den Eindruck haben, sie wäre während einer künstlerischen Darbietung von Hannes vor Langeweile eingeschlafen. Am Mittelfinger ihrer rechten Hand, mit der sie das Keyboard zu umschlingen schien, blitzt ein riesiger, weißer -1 3 2 -
Edelstein. Ein Diamant, wie Renata vorerst vermutet. Wahrscheinlich ein großzügiges Dankeschön von Hannes. "Du hast Recht, " sagt Hannes, der Renata bei ihrem Gedankengang ängstlich beobachtet, "der Ring ist von mir. Und der Stein mutet an, als wäre er mit Tränen benetzt, findest du nicht auch, Renata?" "Ja, ein Diamant, mit Tränen benetzt. " erwidert Renata mechanisch. "Nein, ist doch weicher, Klumpen
es ist ein Bergkristall! Siehst du das denn nicht? Das kein Diamant! Dieses strahlende Prunkstück ist viel wärmer und viel liebevoller, als so ein brutal kalter aus Kohlenstoff!" entrüstet sich Hannes lautstark.
Renata schlägt ihm ins Gesicht und brüllt: "Hör sofort mit deiner krankhaften Liebe zum Detail auf! Als ob das jetzt wichtig wäre, dass wir abklären, ob nun ein Diamant oder ein Bergkristall liebevollere Schwingungen erzeugt! Wir müssen schnellstens überlegen, wohin wir sie bringen!" "Willst du gar nicht wissen, wie es passiert ist?" fragt Hannes weinerlich. Ein eisiger Blick von Renata ist ihm Antwort genug. Nach ein paar hysterischen Hick- Hacks entschließen sich die beiden Handlanger der Ohnmacht, die Leiche nach Anbruch der Dunkelheit, was erst in einer halben Stunde zu erwarten ist, im Meer zu versenken. Der Transport wird geplant. Die unbeobachtete Verfrachtung ins Auto wird kein Problem darstellen; dank Hannes Hang zu verschanzter Wohnkultur. Renata rennt in die Küche, kramt dort nach einem dunkelgrauen Müllsack. Einem von der Sorte, die offensichtlic h dem europäischen Standardmaß einer Menschenlänge entsprechen, und bringt ihn in den Keller. Hannes packt Majas Füße zuerst und stülpt den Sack über die Leiche. Die offenen Enden dreht er und verknotet sie.
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"Übrigens, sie hieß Maja... sie hieß Maja... " murmelt er dabei unentwegt. Einmal noch schafft er es, Renata ruhig dabei anzusehen; dann beginnt er laut zu ächzen, wirbelt seine Arme wie einen Propeller durch die Luft und setzt zu einem Schrei an: " S i e h i e ß M a j a! "
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MUTTERTAG Dem eiskalten Verbrechen folgt ein heißer Sommermorgen. Ein hungriger Kater und das schlechte Gewissen treiben Hannes und Renata schon um fünf Uhr aus dem Bett. Geschlafen haben sie nicht, aber hin und her überlegt, wie groß die Chance wohl sein mag, dass Majas Leiche niema ls gefunden wird. Jetzt waren die Fischer schon mit ihren kleinen Booten draußen am Meer unterwegs. Hannes hatte sich vergangene Nacht eines ihrer Boote bedient, war ziemlich weit hinaus gerudert, mit einem Zeit und Ortsgefühl, wie es wahnsinnige Mörder nun mal haben. Er habe sie an der "richtigen Stelle" ins Meer geworfen, hat er Renata erzählt, dort wo die Untiefe für keinerlei menschliches Maß mehr erwägbar ist. Renata war derweil am Ufer geblieben; sie wollte den Boden unter den Füßen nicht gänzlich ver lieren. Nur Hannes hatte diese Angst überwinden können; mit einer vollen Nase und einem leeren Herzen. Es dauerte beinahe drei Stunden, bis er endlich zurückgerudert kam, um das Boot wieder an der Anlegestelle zu befestigen. Schweigend hatte er Renata an der Hand gepackt, sie auf den Beifahrersitz geschoben und mit der linken Hand festgehalten. Um ihr ein bisschen Halt zu geben. Er hat ihr nicht erzählt, wie und warum das alles passiert war. Sie wollte es auch nicht wissen. Hannes bringt Renata eine Tasse Kaffee ans Bett: "Hier, der wird dir gut tun. Ich muss noch Sophia Bescheid geben, dass sie heute nicht zu kommen braucht." "Was wirst du ihr sagen?" fragt Renata. "Na, was schon. dass ich verkatert bin, sie kennt doch ihren Pappenheimer!" lacht Hannes gekünstelt. Renata hat den Eindruck, sich wie auf rohen Eiern bewegen zu müssen; bei dem Versuch aus dem Bett aufzustehen und ein paar zaghafte Schritte zu wagen. Es ist ihr, als ob sie sich in -1 3 5 -
einer Hypnosesituation befände und nun sehnlichst darauf wartet, von ihrem engelsgleichen Henry wieder in die Realität zurückgeholt zu werden. Aber keine Spur von ihm. Weit und breit kein Engel in Sicht. "So, das mit Sophia wäre geklärt. Ich glaub, die Beste war ganz froh mal wieder einen freien Tag zu haben!" erklärt Hannes. "Na, da hast du ja direkt eine gute Tat vollbracht!" keift Renata wütend. "Lass das, wir waren uns einig, dass wir in dieser angespannten Situation nicht mehr aufeinander losgehen." mahnt Hannes vorwurfsvoll. "Schon gut. Aber mir ist gerade eingefallen, dass... " Das Telefon läutet. Besser gesagt, es piepst wie ein neugeborenes Küken. Nach einer ersten Schrecksekunde meldet sich Hannes in griechischer Sprache: "Nä, ambros?" An seiner versteinerten Miene kann Renata erahnen, dass es sich bei der Anruferin um seine Mutter handeln muss. Er verlässt mit dem Handy das Schlafzimmer und schließt die Tür hinter sich. Renata kann nichts mehr hören. Jetzt fällt ihr auch wieder ein, was sie Hannes gerade eben sagen wollte! Genau, der Ring muss noch im Studio unten sein. Sie kann sich erinnern, dass Hannes angestrengt versuchte, ihn Maja vom Finger zu streifen, bevor er sie in den Müllsack steckte. Renata springt auf und läuft in den Keller. Auf allen Vieren kriecht sie am Boden und schaut in den letzten Winkel, hebt jedes Instrument hoch, schüttelt leere Kartons auf, aber nichts, sie kann ihn nicht finden. Ob Hannes ihn wohl eingesteckt hatte? Sie muss ihn gleich fragen, egal, ob da jetzt seine Mutter am Apparat ist, oder nicht. Die heilige Mutterkuh sollte sowieso längst geschlachtet werden! Renata erschrickt über ihre Gedanken. So schnell kann es gehen, dass man einem Menschen -1 3 6 -
dabei behilflich war, ein Verbrechen zu vertuschen, und schwups, befindet man sich auf der Schiene des kriminellen Terminus: Abschlachten! Wie konnte Renata nur derartig krasse Gedanken entwickeln. War sicher nur metaphorisch von ihr gedacht. Ganz bestimmt! Sie, die doch alles kryptisch und zweideutig sagte und meinte. Freilich. Also, was soll diese Panik und dieses Entsetzen über die eigenen Gedanken. Schließlich war sie es ja nicht, die einen Mord in die Tat umgesetzt hatte, sondern Hannes. Wo bleibt er bloß? Renata ertappt sich dabei, dass sie ganz gerne auch mal ein bisschen Tapferkeit und Gelassenheit schnuppern wollte. Wo hatte Hannes nur dieses Zeug versteckt? Gestern konnte sie ihn doch beobachten, wie er es mit einem alten, vergammelten Strohhalm konsumiert hatte, kurz bevor sie die Leiche ins Auto schleppten. Ah, ja, da in der halboffenen Schublade, unter dem Mischpult, da lugen so kleine durchsichtige Plastiksäckchen heraus. Renata nimmt eines und ritzt es auf. Das weiße Pulver ist so unscheinbar. Und das soll eine derart magische Wirkung auf Menschen ausüben können, dass sie alle ihre Ängste über Bord werfen und zu Übermenschlichem fähig werden!? Schmerzmittel, ja, die sind Renata vertraut: da tut es grässlich in Körper oder Seele weh, man schluckt Tabletten, und die Schmerzen lassen nach. Selige Wonne, spendiert von Gott Pharmakon, der dafür deine Nieren einstreift. Im Moment hat sie das Gefühl, von einer Riesenkrake mit deren klebrigen Fängen von hinten erdrückt zu werden. Aber sie verspürte keine Schmerzen. Ihre Adrenalin und Morphinausschüttung war derart hoch, als hätte sie eben die Insel Zypern in einer halben Stunde im Laufschr itt umrundet. Gerade in dem Augenblick, als sie zu dem Strohhalm greifen will, spürt sie Hannes Arm auf ihrer Schulter: "Nun , was ist? Willst du mit mir Muttertag zelebrieren?" fragt er ärgerlich. -1 3 7 -
Er zieht sie zu sich hoch und nimmt sie fest in die Arme. Renata erzählt ihm über ihre Sorge, was den Ring mit dem Bergkristall anbelangte, aber Hannes macht nur eine abwehrende Geste mit der Hand: "Ach, was, nach dem Ring wird kein Mensch suchen, weil auch niemand die Leichen finden wird. Verstehst du?" Renata erschrickt: "Wieso hast du da eben Leichen gesagt? Sag, warum hast du eben die Mehrzahl verwendet? Was willst du damit sagen?" "Ach Tschapperl, das war doch nur ein Versprecher; das hat keine Bedeutung. Meine Mutter lässt dich übrigens nicht grüßen! lacht er Renata herausfordernd an, "Sie hat in Wien etwas über mich in der Zeitung gelesen. Von wegen Drogenmissbrauch und so einem Mist. Dann hat sie gemeint, dass sie lieber tot sein wollte, als derartige Dinge über mich zu hören. Ich habe sie nicht beruhigen können... Renata, du kannst dir nicht vorstellen, wie hysterisch sie getobt hat. Ich bin froh, dass du keinen Sohn hast, den du derart quälen könntest!" Renata fasst sich sehr schnell wieder: "Niemand zwingt dich, diese Quälerei zu ertragen. Sag ihr endlich, dass sie sich aus deinem Leben heraushalten soll! Aber du verstellst dich immer wieder, willst um jeden Preis den liebenden, braven Sohn spielen. Auf Kosten deiner Gesundheit! Das machst du so verdammt gut, dass sie deine kurzfristigen Ausrutscher, in denen du sie beschimpfst, gar nicht mehr ernst nimmt, oder dem Umstand zuschreibt, dass du gerade unter dem Einfluss einer bösen, unchristlichen Frau stehst. Meine Güte, durchschaust du dieses Weib nicht? Erkennst du nicht, dass sie dich schon ein Leben lang manipuliert? Sie bestimmt, ob du dich gut oder schlecht fühlen darfst; und auch hier, ziemlich weit weg von Wien zieht sie die Fäden und manövriert dich in derart krasse seelische Ausnahmezustände, dass du sogar fähig warst, ein Mädchen umzubringen!" -1 3 8 -
"Sie war kein Mädchen, sie war eine Hure!" schreit Hannes auf. "Ja, genau das ist es, was du in Wirklichkeit über deine Mutter denkst, das ist es, was dich an ihr zur Verzweiflung getrieben hat. Sie ist eine Hure des Patriarchats! Um in diesem christlichen Männersystem ein warmes Plätzchen zu ergattern, hat sie dich verraten! Sie hat mit deinen Gefühlen gespielt, sie hat dich missbraucht, sie hat ihr kaputtes Ego aufgewertet, indem sie dich zu einem folgsamen Wunderkind dressiert hat. Zu einem willenlosen Herzeigobjekt, und das bis zum heutigen Tag! Was glaubst du, in welch falschen Tönen sie von dir spricht? Sie erzählt ihrem Kirchenverein von dem großartigen Sohn, den sie gemacht hat. Völlig verständlich, dass Sankta Mama ausrastet, wenn sie in einer Zeitung, die auch darüber berichtet, dass der Papst sich auf den kommenden ÖsterreichBesuch gnädig freut, lesen muss, dass du ein von materiellem Luxus umgebener Junkey bist!" Renatas Stimme überschlägt sich. Sie bemerkt nicht, wie Hannes Tränen in die Augen steig en; wie er seine Fäuste ballt und sich sein Brustkorb immer mehr aufbläht. Er schaut Renata an, grade so, wie man sein Spiegelbild ansieht, das man einerseits fanatisch liebt, aber andrerseits am liebsten töten möchte. "Hannes, du musst dich stellen. Ich habe mir das gut überlegt. Du kannst mit Totschlag davonkommen. Ganz bestimmt! Tötung im Affekt nennt man das. Ich stehe dir bei. Aber ich sehe keine Möglichkeit, dass du anders aus dieser Sache herauskommst! Deine Mutter wird weiterhin triumphieren, auch über deinen Tod hinaus. Ich sag das nur, falls du deine Märtyreranwandlungen weiter forcieren solltest und den endgültigen, körperlichen Selbstmord inszenierst! Das seelische Totentuch hast du ja schon auf ihrem mütterlichen Altar ausgebreitet." Renata greift nach Hannes Händen, die er noch immer zu -1 3 9 -
Fäusten geballt hält, und redet weiter: "Du bist ein wundervoller Musiker, du hast ein begnadetes Talent. Und das mit den Drogen kriegst du wieder in den Griff, ich weiß es, ich spüre es!" "Und was ist mit Maja? stammelt Hannes. "Ich kann es nicht ungeschehen machen... und dich habe ich auch in dieses Verbrechen hineingezogen. Das kann ich mir nie verzeihen, auch wenn du bereit sein solltest, mir zu vergeben." Renata horcht auf. Von einiger Distanz kann sie Stimmen wahrnehmen und das Geläute von Glocken. "Hörst du das auch Hannes?" fragt sie ängstlich. Er hebt leicht den Kopf in die Richtung, in die Renata deutet und verneint wütend: "Möglicherweise drehst du jetzt durch und hörst Geisterstimmen. Renata bleib ganz ruhig. Es ist wirklich nichts!" Er geht die Treppe hoch und lauscht doch noch einmal, bis auch er etwas hören kann. Renata folgt ihm. Vorsichtig lugen sie aus dem Wohnzimmerfenster und können hinter den Gartenhecken wild herumfuchtelnde Gestalten erkennen. Dann läutet die Türglocke. Hannes zögert erst, aber dann geht er doch hinaus. Sophia ruft ihm vom Gartentor aufgeregt zu, dass Maja von Fischern geborgen wurde... ihr regloser Körper war im Meer getrieben... auf dem Rücken eines Delphins... man stelle sic h das vor... sie ist bewusstlos, aber sie lebt noch... Renata gefriert das Blut in den Adern. Das kann doch nicht sein! Aber andrerseits, warum sollte Sophia Lügen erzählen? Hannes reagiert auf diese Hiobsbotschaft angemessen überrascht, dreht sich kurz zu Renata um und deutet ihr, im Haus zu bleiben. Am ganzen Körper zitternd und zu keiner Bewegung fähig steht sie nun da und starrt zum Fenster hinaus. Dann fällt ihr plötzlich Moritz ein, den sie nach Sophias Schreckensbotschaft vorsichtshalber in die Abstellkammer gesperrt hatten. Sie öffnet -1 4 0 -
ihm die Tür, und der kleine Schutzengel auf vier Pfoten springt ihr auf die Schultern. Er maunzt und schnurrt in einer derart intensiven Tonart, dass es auf Renata wie beruhigender, meditativer Gesang wirkt. Sie streicht ihm liebevoll über das Fell und drückt ihn dann ganz fest an sich. Renata atmet tief ein und nimmt mit seliger Miene seinen vertrauten Geruch wahr. Der Geruch der Unschuld steigt ihr in die Nase; sie inhaliert den Dampf eines Zauberelixiers, gebraut von Hekates Händen, dargereicht von der unbestechlichen Kali, Göttin des Werdens und Vergehens. Renata schließt die Augen, lässt ihren Körper sanft zu Boden und ihre Seele in einen strahlend weißblauen Tunnel gleiten... der vierbeinige Bote der unschuldigen Zärtlichkeit hält sie dabei umfangen. Hannes stürzt zur Tür herein, und bevor er noch dazu kommt, Renata das Rätsel der wundersamen Bergung von Maja zu erklären, entdeckt er ihren leblosen Körper. Er kniet nieder, und mit seinen Händen versucht er, sie sanft an der Schulter zu packen und wach zu schütteln. Tränen rinnen über seine Wangen; vorsichtig berührt er ihre Halsschlagader, um feststellen zu müssen, dass kein Puls mehr zu fühlen ist. Vorsichtig löst er Moritz aus dessen verkrampfter Umarmung mit der Toten; das Tier stößt einen grellen Schrei aus und läuft in den Garten hinaus; hinaus auf die Straße, wo Maja auf einer Holzpritsche aufgebahrt ist, umringt von laut weinenden Dorfbewohnern, die ihr die Hände massieren und den Kopf tätscheln. Sie ist noch bewusstlos. Doch plötzlich öffnet sie die Augen, scheint in den ersten Sekunden noch etwas konfus zu sein, aber dann streckt sie sehnsüchtig ihre Hände nach dem treuen Kater, der sich zu ihren Füßen platziert hatte und lächelt ihn liebevoll an. Sophia kommt kreischend ins Haus gelaufen: "Maja just has opened her eyes,, you must come... look, come, a miracle happened!" Hannes bleibt bei dem toten Körper von Renata knien und -1 4 1 -
flüstert heiser: "Sophia, please, call the doctor... " Sophia schlägt die Hände entsetzt vor das Gesicht, zischt ein paar griechische Flüche und zerrt an Hannes Oberarm: "Come, you son of a devil, you have to do it on your own, go to the doctor, he is outside, in front of your house... you have to explain to him, what has happened to this woman... I have nothing to do with your strange lifestyle, no, no, I dont want to know it, no, no... !" Sie bekreuzigt sich mehrmals. Hannes wendet sich an den Arzt, flüstert ihm mit demütiger Miene ein paar Worte ins Ohr, worauf Dottore sofort mit seinem Ers te- Hilfe- Koffer ins Haus eilt. Vorher mahnt er den verstörten Unglücksraben, der sich anschickt, ihn begleiten zu wollen, an Ort und Stelle zu verweilen: "You should better care for Maja. She screamed out your name very often meanwhile she hit her arms through the air... in a very certain way, you understand? So, if youre asking me for advice, I would tell you, to behave as diplomatic as possible. Very, very diplomatic... " Sein rauher, zypriotischer Akzent lässt die Beschwörung eines Verbündeten erkennen. Der Sklave des Medikus nickt zerknirscht und drängt die versammelten Einheimischen beiseite, die Maja in Sirtakitänzelnder Manier umringen. Maja hat sich bereits aufgesetzt und stützt sich mit der rechten Hand am Gartenzaun ab. An ihrem Finger blitzt der Bergkristall! Der lichtbringende Stein; der Hüter und Träger aller Geheimnisse... Hannes wagt nicht, in ihre kraftvoll strahlende Aura zu schauen, aber er verspürt keine Angst. Soll sie doch losschreien, dass er ein Mörder ist! Jetzt und hier. Und die Meute kann ihn gleich an den nächsten Olivenbaum hängen! Das war ihm jetzt wirklich schon egal. Renatas Tod hat ihm unendliche Stärke verliehen. Und geile Lust auf spektakuläres Martyrium hat ihn schon immer gereizt. -1 4 2 -
Aber Maja schweigt. Sie tastet nach seiner Hand. Hannes spürt, wie unbeschreibliche Energie in seinen Körper hineinschießt. Moritz stößt sein Köpfchen gegen die umklammerten Hände der beiden und setzt zu einem zauberhaften Schnurren an. Mit der ganzen Kraft seines Katzenkörpers erzeugt er eine melo dische Schwingung, die ewiges Sein vermittelt. Hannes lächelt beschämt und stammelt, mit unbewusster Selbstverständlichkeit, in deutscher Sprache: "Maja, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll,... jedes Wort wäre jetzt verkehrt. Aber es liegt an dir, mich auszuliefern. Es ist dein Recht. Das Recht der Unschuld. Ich habe jede erdenkliche Strafe verdient. Ich möchte Dir nur sagen, dass es mir unendlich leid tut... bitte, verzeih mir! Verzeiht mir!!!" Maja hebt leicht den Kopf an. Ihr ungebrochener Blick lässt erahnen, dass das Lebenslicht den Körper dieser jungen Frau nur für kurze Zeit verlassen hatte. Zu dem heiligen Zweck, weibliche Kraft in der Ewigkeit zu inhalieren und sich mit einer verbündeten Seele zu vereinen. Blaugelbe Flecken am Hals zeugen von dem stattgefundenen Kampf mit männlicher Ohnmacht. Die sonst so gebräunte Haut wirkt blass und durchscheinend, aber sehr verführerisch. Die nassen, langen Haare umschlingen wie Algen die Stirn und den Hinterkopf und bilden eine rätselhafte Krone. Maja flüstert leise: "Ich verzeihe dir. Wer deine Mutter kennt, der vergibt dir alles!" Ende Wien, 2001-2002 © Monika Lukl
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STICHWORTVERZEICHNIS Apokalypse, griechisch: Enthüllung; prophetische Schrift über den schrecklichen Weltuntergang; insbesondere die biblische Offenbarung des Johannes as frozen as cocaine: englisch, in der Bedeutung von: so gefroren wie Schnee Benzodiazepine: Wirkstoffe in Beruhigungsmitteln Bergkristall: aus der Gruppe der Quarze, (crystallos, griechisch: Eis), gilt als göttlicher Edelstein, der durch die dunkle Nacht ins Licht führt, die Aura reinigt und Energie, Erkenntnis, kosmisches Bewusstsein, Entspannung, Freude und Weisheit bringt Colitis Ulcerosa: geschwürige Dickdarmentzündung Déja vécu, französisch: schon erlebt; psychologischer Fachbegriff für Bewusstseinsstörung, in welcher der Patient das Gefühl hat, die Situation hier und jetzt bereits früher einmal erlebt zu haben Fig Whisky, englisch: Schnaps aus Feigen gebrannt; Geheimrezepturen auf Zypern, die der Wirkung von Opioiden sehr nahe kommen Golden Card: Kreditkarte ohne Limit Hekate, griechische Mythologie: Zauberin und Göttin, hat ihren Ursprung in der ägyptischen Göttin der Geburtshilfe, die Hegit oder Hekat hieß und auf die Stammmutter Heg zurückführt. Wurde Jahrtausende später von den Christen zur Königin der Hexen (Hegsen) erklärt Kali, die älteste aller Göttinnen, auch Kali Ma, die dunkle Mutter genannt; sie spendet Leben und vernichtet es; symbolisiert die unbegreifliche Realität des natürlichen Todes; die weibliche Macht schle chthin Maja, griechisch: Magie -1 4 4 -
Matriarchat, lateinisch und griechisch: Mutterrecht; aufgepasst: laut Lexikon wird dieser urweibliche Begriff als Mutter h e r r schafft definiert Abgesehen davon, dass die Herren Geschichtsschreiber abstreiten, dass es je ein Matriarchat gegeben haben soll... Mausoleum, nach dem Grabmal des König Mausolos in Halikarnass (Kleinasien); bedeutet : monumentales Grabmal Morphinderivat: Abkömmling des Morphiums Nasenoperationen stehen hier als Metapher für Kastration Patriarch, griechisch: Stammvater, Erzvater; auch: Vorsteher mehrerer Kirchenprovinzen; der Begriff patriarchalisch bedeutet in den Köpfen dieser Altväter eigentlich nur: zu dem Patriarchat gehörig; bei den Vertretern des aufgeklärten Durchblicks: herrisch bevormundend, absolute Ehrfurcht und nicht zu hinterfragenden Gehorsam fordernd.
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