Liebe SF-Freunde! Nach zwei Wochen Unterbrechung setzen wir heute Richard Kochs Artikelserie Rätsel der Vergangenheit (...
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Liebe SF-Freunde! Nach zwei Wochen Unterbrechung setzen wir heute Richard Kochs Artikelserie Rätsel der Vergangenheit (VII) fort. Der Autor widmet sich heute dem Phänomen „Osterinsel“ und schreibt: Ostern 1722 entdeckte ein holländischer Seefahrer in den un endlichen Weiten des südlichen Pazifiks ein vulkanisches Ei land mit einem Zentralgebirge, 118 qkm groß, baumlos, ohne Wasserläufe und Quellen. Die polynesische Bevölkerung er nährte sich kärglich von Feldanbau und Fischfang. Das Un glaubliche, bis heute völlig Rätselhafte waren Hunderte von Kolossalfiguren rings am Ufer, teilweise über 20 m hoch, mit menschlichen Gesichtszügen und Schriftzeichen. Die Eingebo renen bezeichneten sie als Ahnenbilder. Nach der ersten Auffindung versank die Insel wieder in ihre Weltabgeschiedenheit. Die Besucher, die in großen Zeitab ständen die Osterinsel anliefen, waren meist recht bösartige Gesellen. Noch 1862 raubten Peruaner auf der chilenischen Osterinsel Arbeitssklaven. Ein Teil davon wurde später zu rückgebracht, sie schleppten Seuchen ein, die die Bevölke rung bis auf 300 Mischlinge dezimierten. Seit wenigen Jahren wird die Insel regelmäßig angeflogen, alle halbe Jahre kommt
einmal ein Schiff. Für Touristenverkehr fehlen alle Vorausset zungen, es gibt kein Hotel, keinen Sandstrand, nichts von dem, was man sich unter einem Südseeparadies vorstellt. 1955 blieb der Norweger Thor Heyerdahl, bekannt durch seine Kontiki-Fahrt, längere Zeit auf der Osterinsel, stellte drei Kul turperioden fest, datierte die älteste auf etwa 400 nach Chri stus. Er fand viele Faustkeile und schloß daraus, daß die Insu laner damit die Statuen aus dem Gestein eines zentral gele genen Kraters herausgemeißelt hätten, um sie dann mit Hilfe von Holzrollen und Seilen an die Küste zu transportieren. Er selbst machte den gelungenen Versuch, ein mittelgroßes Standbild auf diese Weise aufzurichten. Noch einige Jahre später war E. v. Däniken zehn Tage lang auf der Osterinsel. Gegen die bisherigen Vorstellungen, auch die von Heyerdahl, machte er schwerwiegende Einwände. Die Kolossalfiguren sollen den weiten Weg von der Kraterwand im Gebirge zu ih ren jetzigen Plätzen am Meeresufer auf hölzernen Rollen zu rückgelegt haben. Woher aber soll das Holz auf der baumlo sen Insel gekommen sein? Über endlose Meeresstrecken auf primitiven Booten? Däniken hat mit Einheimischen den Ver such gemacht, mit Faustkeilen und größeren Steinen etwas aus der Lavawand herauszuschlagen. Nach tausend Schlägen auf das stahlharte Gestein waren die „Werkzeuge“ entzwei, die Felswand zeigte kaum einen Kratzer. Er kam zu dem Ergeb nis: „Auf diese Weise geht es nicht!“ Die Insulaner, deren Zahl 2000 bestimmt nie überstieg, und die reichlich damit beschäf tigt waren, aus dem Meer und dem kargen Boden Nahrung zu gewinnen, hätten Generationen lang Tag und Nacht arbeiten müssen, um das zu bewerkstelligen. Um Götter oder Ahnen, die so stiefmütterlich für sie sorgten, günstig zu stimmen? Da für hätten doch einige Statuen in der Nähe der Steinbrüche genügt! Zudem hätten sie die Figuren sich selbst ähnlich ge
staltet, nicht mit den Merkmalen eines Volkes, das es in ganz Polynesien nicht gibt, mit langen geraden Nasen, langen Oh ren, schmalen zusammengekniffenen Lippen, tiefliegenden Augen, niederen Stirnen. Däniken bietet selbst eine denkbare Erklärung an: daß eine Gruppe intelligenter Geschöpfe – vermutlich Raumfahrer – durch einen technischen Unfall auf die Osterinsel verschlagen wurde, dort Monate oder Jahre verbrachte, und sich aus Lan geweile in den Kolossalfiguren verewigte. Bis dann plötzlich die Rettung kam, sie abgeholt wurden und alles stehen und liegen ließen. Die Insulaner hätten dann nachträglich mit ihren primitiven Faustkeilen diese Arbeit fortzusetzen versucht, es aber bald aufgegeben. Ein recht origineller Gedanke! Nehmen wir einmal an, men schenähnliche Geschöpfe aus einem fernen Sonnensystem hätten die unvorstellbaren Entfernungen überwunden und zwangsweise einige Zeit auf der Osterinsel verbracht. Das wä re immerhin vorstellbar – aber daß sie mit Bordmitteln in kur zer Zeit Hunderte von Riesenfiguren aus dem Lavagestein herausmeißelten und sie kilometerweit an ihren jetzigen Standort beförderten …? Ganz so unglaubhaft wäre es nicht! Unsere Lasertechnik ist schon heute so weit, daß man mit dieser Strahlenart in kurzer Zeit große Blöcke aus hartem Fels schneiden kann. In einigen Jahrhunderten wird sie so vervollkommnet sein, daß man dies mit kleinen Apparaten bewerkstelligt. Das Transportproblem ließe sich mit großen Kränen und Traktoren lösen. Schiffbrü chige Raumfahrer dürften so etwas schwerlich mit sich geführt haben. Es gibt aber noch die Möglichkeit, daß sie technische oder paraphysikalische Mittel besaßen, um schwere Lasten durch Ausschaltung oder Verminderung der Schwerkraft zu bewegen. In der parapsychischen Literatur gibt es solche Be
richte aus Tibet. Die seltsame und sehr seltene Erscheinung der „Levitation“ läßt vermuten, daß diese Gabe im Bereich menschlicher Möglichkeiten liegt. Wenn auch diese „Erklä rung“ der Steinfiguren originell und amüsant ist, darf man doch nicht übersehen, daß sie eine recht geringe Wahrscheinlichkeit für sich hat. Das Rätsel der Osterinsel ist noch weit von der Lösung entfernt! Soweit für heute, liebe Freunde! Bis zur nächsten Woche, in der wir Ihnen wahrscheinlich einen weiteren Beitrag von Richard Koch brin gen werden, sind wir mit den besten Grüßen
Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
Lesen Sie nächste Woche:
Der Computer Utopia von Bernt Kling u. Leo Günther Das große Rechenzentrum wählt ihn aus – er soll in die Vergangenheit, um die Zukunft zu retten. Ein neuer Roman der Verfasser von GA LAXIS IM AUFRUHR (TERRA-NOVA-Band 112). Terra Nova Nr. 174 überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis 1,- DM.
Die Erfindung des Mr. B und andere Stories von Randall Garrett
Inhalt: Die Erfindung des Mister B. (DAMNED, IF YOU DON’T) Verhängnisvolle Erinnerungen (VIEWPOINT) Die Waffe des Verderbens (NEEDLER) Die Erfindung des Mister B. Das Laboratorium war ein einziges Chaos. Schweigend betrachtete Sam Bending die Bescherung; seine Kiefermuskeln waren gespannt, und in seinen Augen glimmte Wut. Trotzdem hätte man das, was Sam Bending jetzt dachte, ruhig in einem Familienmagazin abdrucken können, denn Sam war kein Freund von vulgären Ausdrücken. Er war ein 6
religiöser Mensch – auf seine eigene, laxe Art – und so wä re es ungerecht, zu wiederholen, was ihm an diesem grauen Montagmorgen im Februar 1981 durch den Kopf ging. Es wäre unfair dem Gedenken an Samson Francis Bending gegenüber. Sam faltete die Hände vor der Brust; nicht etwa, um zu beten, sondern vielmehr, um seine Gorilla-Pranken davor zu bewahren, irgend etwas zu zerschlagen. Es sah aus, als ob er sich die Finger brechen wollte. Schweigend stand er eine Minute in der Tür und starrte in das Laboratorium. Er wünschte, man hätte eine Granate in den Raum geworfen, dann wäre die Zerstörung wenig stens vollkommen gewesen. Aber in diesem Raum hatte ein Fachmann gearbeitet, das war nicht die Arbeit eines Amateurs. Der Verbrecher hatte sich ausgekannt. Drähte waren sorgfältig durchgeschnitten, Geräte zur Seite ge schoben worden, so daß dem Täter nichts passieren konnte. Der Eindringling hatte genau gewußt, was er suchte. Er hatte auch gewußt, wie er es bekommen konnte. Und er – wer immer es auch gewesen sein mochte – hat te bekommen, was er wollte. Der Konverter war verschwunden. * Schließlich holte er tief Luft, schloß die Augen für ein paar Sekunden und entspannte Muskeln und Nerven. Als er die Augen wieder öffnete, war alles noch wie vorher, aber es 7
irritierte ihn nicht mehr. Er ging jetzt mit kühlem Verstand an den Sachverhalt heran. Ich hätte damit rechnen müssen, dachte er trocken. Sie mußten ganz einfach etwas unternehmen, das war klar. Das Komische daran war nur, daß er es nicht erwartet hatte – nicht im modernen, die Gesetze achtenden Amerika von 1981. Er langte nach dem Lichtschalter, hielt aber im letzten Augenblick inne; er mußte unwillkürlich grinsen. Es hatte keinen Sinn, das Licht einschalten zu wollen, denn es war ja auch kein Strom mehr da. Dennoch … Er legte den Schalter trotzdem um, und es geschah nichts. Er zuckte die Schultern und ging zum Telefon. Noch einmal wanderte sein Blick über die Verwüstung, als er mit dem Zeigefinger die Wählscheibe berührte. Ei gentlich war es gar nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Der Einbrecher hatte genau ge wußt, was er wollte, nämlich den Konverter, und er war den stromführenden Drähten gefolgt, die zu dem Versteck des Gerätes geführt hatten. „Polizeistation“, meldete sich eine lakonische Stimme aus dem Lautsprecher. Zugleich erschien das Bild eines Polizisten auf dem Bildschirm. Bending besah sich kurz die Schulterstücke und sagte: „Sergeant, mein Name ist Samson Bending, Bending, Tech nische Berater, 3991, Marden – Sie finden mich im Tele fonbuch. Bei mir ist am Wochenende eingebrochen worden, und ich hätte gern, daß Sie jemanden vorbeischicken.“ 8
„Was ist Ihnen gestohlen worden, Sir?“ fragte der Beam te. „Ich bin mir noch nicht sicher“, erklärte Sam vorsichtig. „Ich muß erst alles überprüfen. Ich habe noch nichts ange rührt, weil das Ihre Arbeit erschweren würde.“ Er trat einen Schritt zurück, damit die Kamera einen größeren Ausschnitt des Raumes übertragen konnte. „Tja, sieht so aus, als ob Sie Besuch gehabt hätten“, sag te der Polizist. „Was haben Sie da überhaupt, ein Laborato rium?“ „Genau“, sagte Bending. „Sie können im Register nach sehen.“ „Wird gemacht, Mr. Bending“, stimmte der Sergeant zu. „Auf jeden Fall schicken wir Ihnen Leute von der Techni schen Abteilung vorbei.“ Er verhielt kurz; wohl um einen Alarmknopf zu drücken. Sein ganzes Verhalten zeigte jetzt mehr Interesse. „Könnten es nicht Kinder gewesen sein?“ Sam zuckte die Schultern. „Schwer zu sagen; vielleicht ja, vielleicht nein.“ Er wußte nur zu gut, daß das kein Dummejungenstreich war. „Ich glaube, Ihre Leute können das besser erkennen.“ Der Sergeant nickte. „Ja, es geht alles klar, Mr. Bending. Bleiben Sie bitte, wo Sie sind. Berühren Sie nichts. Wir schicken, so schnell es geht, einen Hubschrauber, o. k.?“ Sam nickte und schaltete ab. Er konnte es sich jetzt nicht leisten, der Anordnung der Polizei zu gehorchen, sondern berührte fast alle Gegenstände – die zerstörten Oszillogra phen, den umgestürzten Komputer, die herausgerissenen 9
Meßgeräte. Sam tat das, weil er genau zu wissen glaubte, wer der Einbrecher gewesen war. Nein, nicht der Mann, der tatsächlich hier eingestiegen war, sondern die Leute, die ihn bezahlt hatten. Sam war sicher, zu wissen, wer hin ter dem Einbruch stand. Er verließ das Labor und ging durch die drei Vorzimmer, von denen eines sein Büro, ein zweites der Warteraum sei ner Kunden und das dritte das Zimmer seiner Sekretärin Nita Walder war, die sich um die Buchführung und die Korrespondenz kümmerte. Ein kurzer Blick sagte ihm, daß hier nichts zerstört oder gestohlen worden war. Mit einem Schulterzucken setzte er sich auf die Couch in seinem Wartezimmer. Viel Vergnügen werden die Diebe mit dem Konverter nicht haben, dachte er. Er ist keinen Pfifferling mehr wert, wenn sie versuchen, ihn zu öffnen. Er sah zur Wanduhr und runzelte die Stirn. Die Uhr ging fünf Stunden nach. Dann grinste er und blickte auf seine Armbanduhr. Die Wanduhr war stehengeblieben, als der Strom ausfiel! Alles im Labor war zum Stillstand gekom men, als die Verbindung zum Konverter unterbrochen worden war. Es war acht Uhr siebzehn. Sam Bending lehnte sich zu rück und steckte sich eine Zigarette an; er konnte jetzt nur noch auf die Polizei warten. Die US-Energie-Werke, Monopolgesellschaft, hatten sich diesmal selbst übertroffen.
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*
Bending, Technische Berater, war eine etwas irreführende Firmenbezeichnung, denn es gab nur einen Berater, und das war Samson Francis Bending. Er war Spezialist für atomgetriebene Energiespender, sowohl für die alten, mit Schwermetall arbeitenden, als auch für die neuen, elegante ren Stellaratoren, die Energie durch die Verschmelzung von Wasserstoff und Helium erzeugten. Bending verdiente ganz gut damit. Er war zwar kein Millionär, aber er hatte genug Geld für ein schönes Leben und auch noch etwas übrig für seine privaten Experimente. Überhaupt bestand seine Hauptarbeit im Experimentieren. Die Technische Beratung hatte bisher nur zur Finanzierung seiner Experimente und Versuche gedient. Seine Angestell ten arbeiteten in dem zweistöckigen Gebäude nebenan – meist junge Ingenieure und Technische Zeichner. Ihre Aufgabe war es, Geld für die Firma unter Bendings Lei tung zu verdienen, während Bending selbst die meiste Zeit damit verbrachte, ihn interessierende Experimente durch zuführen. Das Wort „Genie“ hat mehrere Interpretationen. Lassen wir einmal die griechische, romanische und arabische De finition außer acht, dann kommen wir zu zwei noch ver bliebenen Arten des Genies: Einmal das einseitige Genie, zum anderen das Universalgenie. Eigentlich tut die folgende Definition beiden Arten un recht, aber ein menschliches Wesen zu definieren ist ein 11
ziemlich hoffnungsloses Unterfangen. Wir müssen mit dem Werkzeug arbeiten, das wir besitzen. Auf ein Spezialgenie paßt die klassische Definition: Ein Genie ist ein Mensch mit einem eingleisigen Verstand; ein Idiot hat ein Gleis weniger. Dieses Genie ist eine Kanone auf einem bestimmten Gebiet, hat aber überhaupt keine Ahnung von irgendeinem anderen. Ein Universalgenie da gegen ist nicht spezialisiert. Es ist eigener Ideen auf fast allen Gebieten, auf denen es arbeitet, fähig. Leider findet das einseitige Genie immer wieder mehr Anerkennung als das Universalgenie; letzterem ist manch mal gar kein Erfolg beschieden. Zum Beispiel zeigen die mathematischen und optischen Arbeiten eines Isaac New ton das Genie dieses Mannes; seine politischen und theolo gischen Ideen dagegen waren nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben wurden. Das gleiche könnte man von Al bert Einstein und vielen anderen sagen. Das Universalgenie ist deshalb weniger bekannt, weil es seine Fähigkeiten über ein breites Spektrum verteilt. Aus nahmen davon gibt es nur wenige – Leonardo da Vinci, zum Beispiel. Aber der Rest bleibt immer im dunkeln. Ein Spezialist wurde einmal wie folgt definiert: Ein Spe zialist ist ein Mensch, der immer mehr und mehr über im mer weniger lernt, bis er schließlich alles über nichts weiß. Das kann man natürlich für das Universalgenie umdrehen: Es ist ein Mensch, der immer weniger und weniger über immer mehr und mehr lernt, bis er schließlich nichts über alles weiß. 12
Zwischen beiden Definitionen liegt natürlich ein weites Feld. Da Vinci zum Beispiel wurde berühmt wegen seiner Bilder, die er malte, weil er genau wußte, daß die Verwirk lichung seiner Zeichnungen von Flugzeugen damals völlig unmöglich war, wohingegen die Kirche für Kunst bezahlte. Samson Bending war ein Genie, zugegeben, aber er lag mehr in Richtung des Spezialisten. Sein Können auf dem Gebiet der Nuklearphysik war weit größer als das der mei sten anderen Wissenschaftler seiner Zeit; seine Fähigkei ten, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge zu er kennen, waren dagegen nur schwach ausgebildet. Als er jetzt so im Wartezimmer saß, an diesem kühlen Februarmorgen des Jahres 1981, beschäftigten sich seine Gedanken mit Atomphysik, nicht mit Wirtschaftsfragen. Er war auch keineswegs dem Gotte Mammon verschrieben, obgleich er nichts gegen Geld und die Dinge, die man da mit erreichen konnte, einzuwenden hatte. Er hielt nur die Allmacht des Geldes für etwas Schlechtes. Im Augenblick brütete er finster über die Tatsache der Existenz der USEnergie-Werke und versuchte, sich eine passende Reaktion auf ihren coup de démon auszurechnen. Dann hörte er die Rotoren eines Hubschraubers auf dem Dach. Die Polizei war da. Er öffnete die Tür und ließ die zwei Männer von der Technischen Abteilung und die vier uniformierten Polizi sten herein. * 13
Der eine der Technischen Abteilung, ein hagerer Typ mit glattem schwarzem Haar und einem kleinen Oberlippen bart, sagte: „Mr. Bending? Ich bin Sergeant Ketzel. Dürfen sich unsere Leute mal hier umsehen? Ich würde Ihnen au ßerdem gern ein paar Fragen stellen.“ „Bitte“, sagte Sam Bending. „Kommen Sie herein.“ Er zeigte den Beamten das Laboratorium und überließ sie schweigend ihrer Arbeit. Er ging zurück in sein Büro, und Sergeant Ketzel folgte ihm. Der Detektiv ließ sich alles berichten und ging dann mit Bending wieder ins Labor. Der zweite Mann der Technischen Abteilung wandte sich um, als Ketzel und Bending eintraten. „Es ist alles ganz klar“, sagte er. „Sehen Sie selbst.“ Er führte die beiden Männer zu der Wand, in der der Konverter versteckt gewe sen war. „Sehen Sie“, sagte er. „Hier verläuft das Hauptstromka bel. Es ist völlig verschmort. Die Diebe kappten das Kabel, um die Alarmanlage für den Safe da drüben auszuschal ten.“ Ketzel schüttelte langsam den Kopf, sagte aber vorerst nichts. Dann fragte er Bending: „Ist der Safe ausgeraubt?“ „Ich weiß es nicht“, gab Bending zu. Ketzel schickte zwei Polizisten zum Safe, um Spuren zu sichern. Während sie auf das Ergebnis warteten, besah sich Bending wieder das Loch in der Wand, wo der Konverter versteckt gewesen war. Und plötzlich fiel ihm ein, daß selbst, wenn er den Diebstahl des Konverters angeben 14
würde, dies sehr schwer zu beweisen wäre. Der Dieb hatte sorgfältig die Enden des Stromkabels angeschmort, das von draußen den Strom ins Haus leitete. Bending selbst hatte es vor einer Woche kaputtgeschnitten, um den Konverter in die Wand einbauen zu können. Hätte man die Enden unbe rührt gelassen, so hätte er leicht an Hand der Oxydation nachweisen können, daß das Kabel viel früher als das auf dieser Seite des Konverters zerschnitten worden war. Aber beide Enden waren sorgfältig mit einem Schweißbrenner verschmort worden. „Am Safe ist nichts zu entdecken“, erklärte einer der Be amten. „Keine noch so schwachen Fingerabdrücke. Unter dem Mikroskop würden wir vielleicht Spuren von Hand schuhen finden, aber …“ Er zuckte die Schultern. „Macht es Ihnen etwas aus, den Safe zu öffnen, Mr. Bending?“ fragte Ketzel. „Keineswegs“, sagte Bending, nun selbst neugierig, ob der Safe tatsächlich ausgeraubt wurde. Er war so sicher gewesen, daß der oder die Diebe nur den Konverter hatten stehlen wollen, weshalb er an diese zweite Möglichkeit gar nicht gedacht hatte. Bending berührte den Knauf an der Tür des Geldschran kes, zog daran, und schon stand er offen. „Er war über haupt nicht verschlossen“, murmelte er vor sich hin. Er sah hinein und stellte fest, daß man den Safe sorgfäl tig durchsucht hatte, aber auf den ersten Blick fehlte nichts. „Bitte, berühren Sie nichts, Mr. Bending“, sagte Ketzel. „Sagen Sie mir nur, was Sie so erkennen können.“ 15
„Man hat die Papiere durchsucht“, sagte Bending vor sichtig, „aber ich glaube nicht, daß etwas davon fehlt. Aber meine Bargeldkassette ist weg.“ „Aha“, grunzte Ketzel bedeutungsvoll. „Die Geldkasset te; wieviel war denn drin, Mr. Bending?“ „Drei- oder viertausend, glaube ich. Um mehr zu erfah ren, müssen Sie Jim Luckmann, meinen Geschäftsführer, befragen. Er kümmert sich um diese Sachen.“ „Drei- oder viertausend?“ fragte Ketzel in einem Ton, als ob er lieber gehört hätte, „drei- oder vierhundert“. „Ja, so ungefähr. Manchmal müssen wir Geräte kaufen, und wir können die Lieferzeit verkürzen, wenn wir Barzah lung zusichern. Sie wissen ja, wie das ist.“ Sergeant Ketzel nickte säuerlich. Er wußte nur zu gut Bescheid. Selbst die respektabelsten Geschäftsleute tätigten gelegentlich Geschäfte auf dem Schwarzmarkt für techni sche Geräte. Aber er ging nicht weiter darauf ein. „Wie sah die Kassette aus?“ wollte er wissen. Bending hielt seine Hände ein Stück auseinander. „Un gefähr so lang – dreißig Zentimeter; vielleicht achtzehn breit und zwölf tief. Sie bestand aus dünnem Stahl mit ei nem grauen, rauhen Belag. Es war auch ein Schloß daran, allerdings kein gutes. Seit wir den Safe haben, war das ja nicht mehr nötig.“ Sergeant Ketzel nickte. „Also eine ganz gewöhnliche Kassette. Nichts, woran man sie erkennen kann?“ „Es stand nur Bending – Technische Berater und darun ter Lab darauf, beides mit schwarzer Farbe. Lab deswegen, 16
um die Kassette nicht mit der des Büros zu verwechseln.“ „Verstehe. Kennen Sie die Nummern der Scheine, oder waren sie irgendwie gekennzeichnet?“ Bending runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht; Sie müssen darüber auch Luckmann befragen.“ „Wo ist er jetzt?“ „Zu Hause, vermute ich. Er kommt nicht vor zehn ins Büro.“ „Gut. Würden Sie ihm mitteilen, daß ich ihn sprechen möchte, wenn er auftaucht? Eine Weile brauchen wir aber noch, um hier alles gründlich zu untersuchen.“ Er sah zu dem Loch in der Wand. Warum diese Arbeit, nur um die Alarmanlage auszuschalten? Er schüttelte den Kopf und ging hinüber zu den anderen. Es dauerte noch über eine Stunde, bis die Polizei ver schwand, und Sam Bending wünschte sich schon, sie nie gerufen zu haben. Er hätte besser den Mund halten und sich mit der US-Energie auf der Ebene auseinandersetzen sollen, die sie selbst gewählt hatte. Sie hatten erst vor zwei Wochen von dem Konverter erfahren, und schon hatten sie zugeschlagen. Er versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was der Mann der Energie-Werke gesagt hatte, aber dies gelang ihm nicht. Nun, es war leicht herauszufinden. Er ging ins Archiv, suchte die entsprechende Tonbandaufnahme heraus und fädelte sie in das Tonbandgerät ein. Er drückte auf die Ta ste, und schon der erste Satz versetzte ihn wieder zu jenem 30. Januar 1981 zurück. 17
*
„Vielen Dank, daß Sie Zeit für mich haben, Mr. Bending“, sagte der Mann, dessen Visitenkarte ihn als Richard Olcott ausgewiesen hatte. Er war ein mittelgroßer Mann in den Fünfzigern. Das graue Haar lichtete sich langsam, und er trug den Gesichtsausdruck eines Pokerspielers: freundlich, aber nichtssagend und unergründlich. „Ich habe immer Zeit für einen Vertreter der EnergieWerke, Mr. Olcott“, antwortete Bending. „Ich muß aber zugeben, daß ich bisher mehr mit den Ingenieuren Ihrer Tochtergesellschaften zu tun hatte.“ „Nicht Tochtergesellschaften“, berichtigte Olcott in nachsichtigem Ton. „Wie die Bell-Telefon-GmbH, so sind auch die Energie-Werke nur eine Gruppe unabhängiger, aber dennoch miteinander zusammenarbeitender Gesell schaften, die in einer Mutter-Organisation zusammengefaßt sind.“ Bending grinste. „Gut, einverstanden. Womit kann ich Ihnen dienen?“ Olcott zögerte kaum merklich. „Mr. Bending“, begann er dann. „Soviel ich weiß, haben Sie … hm … an einer neuen und … äh … völlig neuen Methode der Energieerzeugung gearbeitet. Ist … äh … ist das im Prinzip richtig?“ Bending sah den Mann ausdruckslos an. „Ich habe auf diesem Gebiet experimentiert, ja“, entgegnete er nach kur zem Zögern. „Das ist mein Beruf.“ 18
„Oh, verstehe, verstehe“, sagte Olcott schnell. „Ich … äh … machte mir die Mühe, mich über Sie zu informieren, bevor ich herkam. Ich bin mir der wertvollen Arbeit Ihrer seits auf diesem Gebiet völlig bewußt.“ „Danke“, sagte Bending versöhnlich. Jetzt war der ande re wieder an der Reihe. „Das“, sagte Olcott, „meine ich aber jetzt nicht.“ Er lehnte sich nach vorn, seine grauen Augen leuchteten; er schien sich plötzlich zu verändern. „Lassen Sie mich meine … unsere Karten auf den Tisch legen, Mr. Bending. Wir haben erfahren, daß Sie eine un heimlich kompakte Energiequelle entwickelt und damit experimentiert haben. Wir wissen auch, daß nicht viel fehlt, um das Modell in die Massenproduktion zu geben. Natürlich interessieren wir uns dafür. Unser Job ist es, die Nation mit Energie zu versorgen. Alles, angefangen von einer neuen Sonnenbatterie, ist interessant für uns.“ Er schwieg, wartete darauf, daß Bending etwas sagte. Bending tat ihm den Gefallen. „Ich sehe, daß Petterneck die Katze zu früh aus dem Sack gelassen hat“, meinte er lächelnd. „Ich wollte damit warten, bis das Testmodell ein Kunstwerk der Ingenieurtechnik war. Bisher betrachtete ich die Sache mehr als ein Hobby, Sie verstehen?“ Olcott lächelte entwaffnend. „Ich kenne diesen Mr. Pet terneck nicht; um genau zu sein: Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wo unsere Ingenieure die Information herha ben.“ „Petterneck ist ebenfalls Ingenieur und mein Freund; 19
vielleicht hat er einem Ihrer Leute gegenüber zu enthusia stisch von dem Gerät berichtet. Mein Konverter hat ihn stark beeindruckt.“ „Eine Möglichkeit“, sagte Olcott. „Konverter, sagten Sie? So nennen Sie das Gerät?“ „Ja. Mir fiel kein passenderer Name dafür ein. Oh, es gibt ihn vielleicht, aber dieser ist allgemeiner gehalten und bezeichnet die Arbeitsweise nicht zu genau.“ „Das Wort ‚Konverter’ beschreibt also Ihr Gerät nicht exakt, was die Tätigkeit betrifft?“ „Kaum“, sagte Bending und lachte kurz. „Jeder Energie spender ist irgendwie ein Konverter. Eine NickelCadmium-Batterie verwandelt chemische Energie in elek trische. Eine Sonnenbatterie verwandelt Lichtstrahlen in elektrischen Strom. Die altmodischen, mit Kohle- oder Ölverbrennung arbeitenden Energiewerke verwandelten che mische Energie in Hitzeenergie, diese wurde in kinetische Energie und weiter in elektrische verwandelt. Die Schwer metall-Atom-Kraftwerke machen es fast genauso, nur daß sie nukleare Reaktionen statt chemischer nahmen, um die Hitze zu erzeugen. Mein Stellarator ist auch ein Konverter. Die einzige Ausnahme bildet wohl der ElektrostatikKondensator, denn man könnte sagen, daß er statische elektrische Energie in fließende Energie verwandelt. Auf der anderen Seite wird aber ein solcher Kondensator kaum als Energiespender betrachtet.“ Olcott hüstelte. „Ich verstehe schon. Können Sie mir ganz grob das Prinzip Ihres Konverters beschreiben?“ 20
Bending erlaubte sich ein nachdenkliches Stirnrunzeln. „Eigentlich wollte ich das jetzt noch nicht, Mr. Olcott. Das Gerät sollte wie eine Bombe einschlagen.“ Er lachte. Olcott sah Bending abwesend an. Er befeuchtete seine Lippen, bevor er sprach. „Mr. Bending.“ Pause. „Mr. Ben ding, wir – und mit wir meine ich natürlich die EnergieWerke – haben viel über diesen Konverter gehört.“ Sein Blick konzentrierte sich jetzt auf Bending. „Offen gesagt, Mr. Bending, sind wir gezwungen, allen Informationen mit größter Skepsis zu begegnen. Die meisten sind nur irgend welche verrückten Einfälle und Ideen, aber trotzdem über prüfen wir sie alle gleichmäßig. Wenn jemand tatsächlich eine neue Art der Energieerzeugung gefunden hat, können wir uns nicht einfach taub stellen, weil diese Informationen aus einer, sagen wir, unorthodoxen Quelle kommen. Sie, Mr. Bending, sind ein ungewöhnlicher Fall. Jedes Gerücht, das man über Ihre Arbeit hört, ganz gleich, wie phantastisch es auch klingen mag, ist es wert, untersucht zu werden.“ „Ich habe nichts Derartiges gesagt“, warf Bending ein. Olcott hob eine Hand. „Ich verstehe, Mr. Bending. An dere vielleicht, die gleichzeitig nicht soviel davon verste hen, haben das für Sie getan.“ Olcott lehnte sich zurück und faltete die Hände über dem Bauch. „Sie haben schon früher mit uns zusammengearbeitet, Mr. Bending. Sie wis sen also, daß wir gut bezahlen können – und es auch tun –, wenn bei der Energieerzeugung wirkliche Fortschritte er zielt werden, selbst wenn diese Neuentwicklungen von un 21
seren eigenen Ingenieuren stammen. Wie Sie wissen, ha ben wir Standardverträge, wonach jede Erfindung oder Entdeckung, die einer unserer Leute macht, automatisch uns gehört. Nichtsdestoweniger geben wir diesen Männern eine ganz hübsche Abfindung.“ Er verhielt, öffnete die Brieftasche und holte ein Notizbuch heraus. Nach einem kurzen Blick in das Buch fuhr er fort. „Sie haben selbst schon davon profitiert. Wie aus unse ren Aufzeichnungen hervorgeht, beziehen Sie Tantiemen aus drei patentierten Verbesserungen am Stellarator. Sie erfanden diese Verbesserungen zu einer Zeit, als Sie bei uns bzw. bei einer unserer Teilfirmen angestellt waren. Diese Verbesserungen waren vertraglich unser Eigentum. Nach dem Gesetz waren wir nicht verpflichtet, Ihnen mehr als das vereinbarte Gehalt zu zahlen. Zur Politik unseres Hauses gehören aber nun einmal die Sonderzuwendungen an Ingenieure und Wissenschaftler, weil wir es für vorteil hafter halten, auf dieser Basis zusammenzuarbeiten.“ „Wollen Sie damit sagen, daß mein Konverter erfunden wurde, während ich bei Ihnen angestellt war, Mr. Olcott?“ Olcott räusperte sich und schüttelte dann den Kopf. „Nein, nicht unbedingt. Zwar überprüfen wir diese Mög lichkeit zur Zeit, halten aber ein Übereinkommen auf die ser Basis für ungünstig.“ Was bedeutet, dachte Bending, daß es in dieser Richtung überhaupt keine Möglichkeit gibt. „Worauf wollen Sie dann hinaus?“ fragte er laut. „Ich werde meine Karten auf den Tisch legen, Mr. Ben 22
ding“, sagte Olcott. Das hast du schon einmal gesagt, dachte Bending, und bisher ist nichts dergleichen geschehen. „Nur zu“, sagte er. „Danke.“ Olcott räusperte sich erneut. „Wenn Ihre Er findung … äh … wertvoll ist, so sind wir darauf vorberei tet, mit Ihnen über eine Teilhaberschaft und/oder einen Kauf zu verhandeln.“ Bending konnte schon immer Leute, die „und/oder“ sag ten oder schrieben, nicht leiden. Er ließ sich seinen Unmut aber nicht anmerken, sondern sagte: „Ich verstehe also richtig, daß die Energie-Werke die Rechte für die Nutzung des Konverters erwerben wollen?“ Olcott räusperte sich ein drittes Mal. „Mit einem Wort: Ja. Vorausgesetzt allerdings, daß er wirklich nutzbar ist. Bedenken Sie, daß wir nur sehr wenig über den Konverter wissen. Die Behauptungen von unserem … äh … anony men Informanten sind … nun … ziemlich phantastisch. Aber Ihr Ruf als Wissenschaftler…“ Er ließ den Satz in der Luft hängen. Bending konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das bedeutet also, daß Sie zu mir kommen, um eine Erfindung zu kaufen, von der Sie nicht einmal wissen, ob sie existiert – nur weil mein Ruf so gut sein soll?“ „Offen gesagt, ja“, entgegnete Olcott. „Ihr Ruf ist in In genieurskreisen sehr gut.“ „Sind Sie Ingenieur?“ fragte Bending plötzlich. Olcott blinzelte. „Warum? Nein. Ich bin Rechtsanwalt und dachte, das wüßten Sie.“ 23
„Tut mir leid“, sagte Bending, „ich wußte es nicht. Die rechtliche Seite meines Geschäftes wird ebenfalls von Mr. Luckmann wahrgenommen. Ich kenne mich auf diesem Gebiet nicht aus.“ Olcott lächelte. „Schon gut. Ganz offensichtlich bin ich Ihnen nicht so bekannt wie Sie mir. Das ist aber unwichtig; warum fragen Sie?“ Bending stand auf. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Mr. Olcott“, sagte er. „Würden Sie mich ins Labor begleiten?“ Olcott sprang auf. „Mit Vergnügen, Mr. Bending.“ Ganz hinten in Bendings Labor stand auf einem Tisch ein ziemlich unauffälliger, rechteckiger schwarzer Kasten, etwa vierzig mal dreißig Zentimeter groß. Um ihn herum war ein Gewirr von Kabeln, Röhren und Meßgeräten. Der Kasten bestand aus schwarzem Plastik und sah ziemlich unansehnlich aus, denn außer zwei Drehknöpfen oben und zwei Kabeln, die von hinten aus dem Kasten .kamen, war nichts Besonderes daran zu entdecken. Olcott schien keineswegs erstaunt, nicht einmal über rascht. Sein Informant mußte ziemlich viel gewußt haben, oder aber Olcott war ein besserer Pokerspieler, als Bending gedacht hatte. „Das ist Ihr Testmodell?“ fragte Olcott. „Ja. Sie wollen mehr darüber wissen?“ „Sehr gern.“ „O. K. Wie stark sind Sie technisch vorbelastet? Ich muß wissen, inwieweit ich vereinfachen kann.“ Sam Bending wäre nie ein guter Diplomat geworden. 24
Olcott schien keineswegs beleidigt. „Nun, sagen wir, Sie haben einen Physik-Studenten vor sich, der gerade vom College gekommen ist. Einverstanden?“ „Ja. Ich habe sowieso nicht vor, Ihnen alles genauestens zu erzählen. Ich werde Ihnen erklären, was der Konverter macht, nicht wie er es macht.“ „Das reicht im Augenblick. Legen Sie los.“ „Gut“, sagte Sam und legte einen Schalter auf dem Ka sten um. „Er braucht ungefähr eine Minute, um warmzu laufen.“ Nachdem „ungefähr eine Minute“ vergangen war, sagte Bending, der die ganze Zeit ein Meßgerät neben dem Ka sten beobachtet hatte: „Sehen Sie?“ Und dabei deutete er auf eine Skala. „Das ist die Spannung, sie wird mit diesem Gerät reguliert.“ Er drehte an einem Knopf, und die Nadel des Voltmeters stieg gehorsam nach oben. „Jede Spannung von zehn bis zehntausend Volt, ganz nach Geschmack.“ „.Ich glaube nicht, daß mir zehntausend Volt schmecken würden“, sagte Olcott langsam. „Könnte der Zunge scha den.“ Noch schien er nicht sonderlich beeindruckt. Warum auch? Jeder konnte ein Gerät bauen, mit dem sich hohe Voltzahlen erzeugen ließen. „Ist es Wechsel- oder Gleichstrom?“ fragte er. „Gleichstrom“, erwiderte Bending. „Er kann aber leicht in Wechselstrom umgewandelt werden, ganz nach Bedarf.“ Olcott nickte. „Wieviel Energie kann dieser Apparat lie fern?“ Bending hatte diese Frage erwartet und seine Antwort 25
vorbereitet, so daß er jetzt mit der Nonchalance eines Man nes, der ein abgebranntes Streichholz in einen Aschenbe cher wirft, sagen konnte: „Fünfhundert Pferdestärken.“ Olcott .geriet ein wenig aus der Fassung; er blinzelte er regt. „Fünfhundert was?“ „Ich sagte es doch: Fünfhundert Pferdestärken. Ungefähr dreihundertundfünfundsiebzig Kilowatt, Maximum.“ Olcott war sprachlos. Er starrte den unscheinbaren Kon verter an. Bending konnte nicht erkennen, ob Olcott vor Ehrfurcht erstarrt war oder nur betäubt von dem, was wie eine dicke Lüge klingen mußte. Olcott leckte sich über die Lippen. „Fünfhundert PS … hm.“ Er holte tief Luft. „Kein Wunder, daß die Kupferstek ker an den Kabeln so dick sind.“ „Ja“, sagte Bending. „Wenn ich sie bei niedriger Volt zahl kurzschließe, werden sie heiß.“ „Kurzschließe?“ Olcotts Stimme klang rauh. Bending genoß seinen Erfolg, und man sah es ihm auch an. „Sicher. Die Amperezahl begrenzt sich selbst. Man kann nur vierhundert Ampere aus dem Gerät holen, ganz gleich, wie niedrig die Voltzahl ist. Als ich fünfhundert PS sagte, meinte ich, bei tausend Volt. Die verfügbare Menge Energie, gemessen in PS, ist also ungefähr gleich der Hälf te der Spannung. Das trifft aber nur auf dieses Modell zu; ein größeres könnte leicht mehr Energie liefern.“ „Wieviel wiegt es?“ fragte Olcott. „Etwas über einhundert Pfund.“ 26
Olcott riß seinen Blick von dem phantastischen Gerät los und sah Bending an. „Darf ich fragen, wo Sie diese Energie herbekommen?“ „Natürlich. Wasserstoff-Fusion, genau wie beim Stell arator.“ „Wasserstoff und Deuterium?“ Jetzt kam Bendings größter Knüller. „Nein, Wasser. Ganz ordinäres H2O. Sehen Sie die kleinen Löcher an der Seite? Sie saugen Luft an. Zur vollen Leistung braucht der Konverter ungefähr einhundert Milligramm Wasser pro Stunde.“ Entweder hatte Olcott seine Fassung wiedergewonnen, oder er hatte sich gut in der Gewalt. „Wo lassen Sie das Wasser ein?“ „Warum einlassen?“ fragte Sam. „Das leise Surren, das Sie hören, ist nicht der Verschmelzungsprozeß, sondern ein Ventilator, der Luft ansaugt. Selbst in der Sahara ist genug Luftfeuchtigkeit, um das Gerät zu betreiben.“ „Und der Ventilator wird angetrieben durch …“ „Durch den Konverter, natürlich“, sagte Bending. „Das Ganze ist ein sich selbst versorgender Organismus.“ „Darf ich mich setzen?“ fragte Olcott, und ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich auf dem nächsten Stuhl nieder. „Und was kostet ein Konverter in der Herstellung?“ „Nun, dieses Modell hat mich etliche zehntausend Dollar gekostet, aber bei Massenproduktion würde der Preis auf ungefähr fünfzehnhundert Dollar sinken. Vielleicht auch weniger.“ 27
Olcott verdaute das und blinzelte. „Ist der Konverter ge fährlich? Ich meine, kann er explodieren, oder gibt er Strahlung ab?“ „Man muß ihn natürlich vorsichtig behandeln.“ Bending, rieb sich unbewußt in einem Anflug von Triumph die Hän de. „Wie jede Energiequelle. Aber er explodiert nicht, das garantiere ich. Er gibt auch keine gefährliche Strahlung ab. Sämtliche Energie kommt als elektrischer Strom heraus.“ * Sam Bending schwieg, während Olcott die kleine schwarze Kiste anstarrte. Er rieb sich die Augen, als wäre er gerade aufgestanden. Dann sah er Bending an. „Es ist ja klar, daß wir keinen Vertrag mit Ihnen ab schließen können, bevor unsere Ingenieure nicht alles ge nauestens überprüft haben.“ „Verständlich“, meinte Bending, „aber …“ „Haben Sie schon ein Patent darauf?“ „Es ist beantragt“, sagte Bending. „Mein Anwalt hofft, daß es schnell gehen wird.“ Olcott stand abrupt auf. „Mr. Bending; wenn Ihr Kon verter hält, was Sie versprechen – und wir das auch nach geprüft haben –, so sind wir bereit, Ihnen ein sehr gutes Angebot zu machen.“ „Wieviel?“ fragte Bending tonlos. „Für alle Rechte an dem Konverter“, sagte Olcott ohne zu zögern, „Millionen. Das wäre aber nur eine Vorauszah 28
lung auf die dann folgenden Tantiemen.“ „Sie handeln erst gar nicht mit mir?“ fragte Bending, nun doch leicht fassungslos. * Olcott schüttelte den Kopf. „Mr. Bending, Sie wissen um den Wert des Konverters, genau wie ich. Sie sind ein intel ligenter Mann, und ich halte mich, mit Verlaub, auch dafür. Verhandlungen sind in diesem Fall nur Zeitverschwen dung. Wir wollen diese Maschine haben – müssen sie ha ben. Sie wissen es, und wir wissen, daß Sie es wissen. Warum dann noch verhandeln? Ich kann nun nicht einfach sagen: Nennen Sie mir Ihren Preis, denn das Gerät ist zweifelsohne mehr wert, als die Energie-Werke auf einmal bezahlen können. Selbst eine Gesellschaft wie die unsrige kann nicht einfach Millionen ausgeben, ohne bankrott zu gehen. Wir werden Ihnen über Jahre hinaus kleinere Beträge zahlen, aber wir …“ „Moment, Mr. Olcott“, unterbrach Bending ihn. „Was wollen Sie eigentlich mit dem Konverter machen, wenn Sie ihn besitzen?“ Olcott zögerte. „Ich kann es noch nicht genau sagen“, meinte er schließlich. „Eine Entscheidung darüber trifft unser Direktorium.“ „Wie lange wird es dauern, bis die Massenproduktion anläuft?“ „Ich … äh … kann es wirklich nicht sagen“, erwiderte 29
Olcott vorsichtig. „Mehrere Jahre, vermute ich.“ „Ich würde sagen, noch länger“, erklärte Bending sarka stisch. „Offen gesagt: Sie müssen den Konverter unter drücken, nicht wahr?“ Olcott sah Bending ausdruckslos an. „Natürlich, zumin dest eine ganze Zeit. Sie wissen genau, daß uns der Kon verter ruinieren würde.“ „Ja“, sagte Bending. „Die Erfindung des Automobils machte viele Kutschwagenhersteller und Wagenschmiede arbeitslos. Das war unvermeidlich. Jede neue Erfindung hat einen solchen Effekt, wenn sie etwas Hergebrachtes er setzt. Was, glauben Sie, hätte die Atomenergie für die Koh lenbergwerke bedeutet, wenn man nicht Kohle zur Stahler zeugung brauchte. Derartige Betrachtungen dürfen einem technischen Fortschritt nicht im Wege stehen, Mr. Olcott.“ „Ist es eine Frage des Geldes?“ fragte Olcott leise. Bending schüttelte den Kopf. „Nicht nur. Sie sagen ja selbst, daß ich genug verdienen kann, wenn ich den Kon verter an Sie verkaufte. Nein; es ist nur, daß ich manchmal ein Idealist bin. Ich beabsichtige, den Konverter selbst her zustellen, um sicherzugehen, daß er auch in die Hände der Menschen kommt.“ „Ich versichere Ihnen, Mr. Olcott, daß die Energie-Werte genau das vorhaben, sobald es für uns wirtschaftlich ver tretbar wird.“ „Das bezweifle ich“, sagte Bending. „Wenn irgendeine Gruppe Macht über etwas erhält, was ihre Existenz bedroht, unterdrückt sie es. Diktatoren, zum 30
Beispiel, haben in der Geschichte immer wieder Freiheit versprochen, solange es für sie tunlich war. Cincinnatus hätte es vielleicht auch durchgeführt, aber niemand hat es in den letzten fünfundzwanzig Jahrhunderten getan. Was wäre zum Beispiel geschehen, wenn in den vierzi ger Jahren die Filmbosse von Hollywood die Patente für das Fernsehen in ihre Gewalt bekommen hätten? Wieviele andere Erfindungen sind wohl schon unterdrückt worden, nur weil die daran interessierten Gruppen ihre Hand als erste darauf gelegt haben? Nein, Mr. Olcott, ich glaube nicht, daß, wenn die Ener gie-Werke meinen Konverter bekämen, die Öffentlichkeit jemals etwas davon erfahren, geschweige denn haben wür de.“ Olcott erhob sich langsam von seinem Stuhl. „Nun, Mr. Bending, immerhin haben Sie offen Ihre Meinung gesagt. Ich werde darüber wohl noch einmal mit dem Direktorium sprechen. Es muß einen Weg geben, eine Katastrophe ab zuwenden. Wenn wir diesen Weg gefunden haben, setzen wir uns wieder mit Ihnen in Verbindung.“ * Dieser Satz war Bending nun seit zwei Wochen durch den Kopf gegangen. Wie es jetzt schien, hatte man einen Weg gefunden. In den letzten vierzehn Tagen hatten die Leute von den Energie-Werken immer wieder bei Bending ange rufen und versucht, ihn mit horrenden Summen zu überre 31
den. Bending war nicht darauf eingegangen, und so hatte man schließlich den Konverter einfach gestohlen, obwohl Bending ihn in der Wand versteckt hatte. Er hatte ihn als Energiequelle für sein Laboratorium benutzt, das war ihm als beste Lösung erschienen. Aber offensichtlich hatte je mand bei den Energie-Werken Poe’s „Der gestohlene Brief“ gelesen. Er lächelte grimmig. Selbst wenn die Polizei keinen Hin weis auf die Diebe finden würde – die Leute bei den Ener gie-Werken würden sich erheblichen Schwierigkeiten ge genübersehen. Wenn derjenige, der ihn öffnete, schnell ge nug außer Reichweite kam, würde ihm allerdings nichts geschehen in dem Moment, wo der Konverter zu einer un förmigen Masse zusammenschmolz. Sam Bending nahm das Band aus dem Gerät und stellte es zurück zu seinen Akten. Er fragte sich, wie die Leute von den Energie-Werken den Standort des Konverters he rausgefunden hatten. Ob sie die Energieleitungen für die Bending, Technische Berater, untersucht hatten? Immerhin möglich. Das würde aber bedeuten, daß sie den Energie verbrauch in den letzten zwei Wochen abgelesen hatten. Dies bewies ihr großes Mißtrauen, andererseits … Das Visiphon schlug an. Bending meldete sich. „Ja?“ Er nannte niemals seinen Namen. Jeder, der die Nummer kannte, wußte, daß nur er am Apparat sein konnte. Der blonde, etwas primitiv ausse hende Mann am anderen Ende der Leitung fragte freund lich: „Wie geht’s, Mr. Bending?“ 32
„Gut, Mr. Trask“, antwortete Bending automatisch. „Und Ihnen?“ „Nun, es geht. Ich hörte, daß die Polizei bei Ihnen war? Gab es Ärger?“ Trask hatte Berechtigung zu dieser Frage. Er war einer der wichtigsten Vermittler auf dem schwarzen Markt. Ben ding arbeitete nicht gern mit ihm zusammen, aber man hat te ja heutzutage keine andere Wahl. „Nicht weiter schlimm. Bei mir wurde eingebrochen, und jemand hat mir ein paar tausend Dollar gestohlen.“ „Verstehe.“ Trask fragte sich jetzt bestimmt, ob die Ein brecher in den nächsten Tagen einen Schwarzmarkthändler besuchen würden, denn viele Leute glaubten immer noch, daß auf dem Schwarzmarkt gestohlene Ware verkauft wur de. „Ein paar meiner Geräte wurden zerstört“, sagte Ben ding, „aber sonst fehlt nichts.“ „Freut mich zu hören“, sagte Trask. Bending wußte, was das bedeutete. Die Händler auf dem Schwarzmarkt hatten es nicht gern, wenn ihre Kunden bestohlen wurden; es konnte auf sie zurückfallen. „Ich wollte mich nur entschul digen, daß ich unsere Verabredung von heute morgen nicht einhalten konnte“, fuhr Trask fort. „Es ging leider nicht, denn es kam etwas Unvorhergesehenes dazwischen.“ Trask war selbst am Telefon vorsichtig wie immer, auch wenn er annehmen konnte, nicht abgehört zu werden. Ben ding hatte Verständnis dafür. Er hatte eine Lieferung von Ausrüstungsgegenständen erwartet, aber als Trasks Leute 33
den Polizeihubschrauber gesehen hatten, waren sie natür lich weitergefahren. „Ist schon in Ordnung, Mr. Trask“, sagte Bending daher. „Durch den ganzen Ärger von heute morgen hatte ich es ebenfalls ganz verschwitzt. Es klappt bestimmt ein ander mal.“ Trask nickte. „Ganz bestimmt. Bis später, und vielen Dank, Mr. Bending. Auf Wiedersehen.“ Bending verabschiedete sich ebenfalls und unterbrach die Verbindung. Sam Bending haßte es, vom schwarzen Markt kaufen zu müssen, aber es blieb nichts anderes übrig, wollte man ge wisse Ausrüstungsgegenstände kaufen. Während des „Kalten Krieges“ in den späten sechziger Jahren standen die Regierungen der US-Staaten und die Bundesregierung am Rande einer Panik. Der Krieg, der im Nahen Osten begon nen hatte, breitete sich nach Norden aus und drohte das ewige Pulverfaß Europa in Brand zu stecken. Es gab keine Verbündeten, keine Generäle, die das Ganze steuerten, sondern nur einzelne bewaffnete Vorstöße. Jeder von ihnen drohte, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Fast jedes Land war gezwungen, mit einem seiner Nachbarn einen Waffen stillstand zu schließen, um sich mit einem zweiten gegen einen dritten zu verbünden und einen Angriff abzuwehren. Bis jetzt hatte man es noch nicht gewagt, die Ultimaten Waffen einzusetzen. Es gab wohl Angriffe aus der Luft, aber niemand wagte es, die massiven Vergeltungsschläge des Zweiten Welt 34
krieges zu wiederholen. Man hörte wohl das Feuer von MGs, das Rasseln von Panzern und das Donnern von Ka nonen, aber niemals den Knall eines alles vernichtenden Atomschlags. Zur Zeit war es so, daß die USA und die Sowjetunion jeweils versuchten, sich aus den Kämpfen herauszuhalten, da sie sich fürchteten, gegeneinander antreten zu müssen. Die Bürokratie in den Vereinigten Staaten hatte, wie leicht abzusehen war, reagiert: Die Bewachung von Wis senschaftlern und deren Labors, die in den letzten Jahren aufgehört hatte, wurde plötzlich wieder eingeführt – und sogar noch rigoroser und absoluter als bisher. Das stand auch in Verbindung mit einer anderen Ent wicklung: Jugendliche Banden mit selbstgebastelten Waf fen waren in den fünfziger Jahren nichts Außergewöhnli ches gewesen; fügte man jetzt aber noch ferngesteuerte und selbstlenkende Raketen dazu, so ergab das eine unhaltbare Situation. Es mußte etwas geschehen, und so erließen die einzelnen Staaten unzählige Gesetze, die den Handel mit wissenschaftlichem Gerät regelten. Und wie bei den Alko hol- und Scheidungsgesetzen, hatten keine zwei Staaten gleichartige Bestimmungen, und keine waren ohne klaf fende Lücken. Während der immer wieder aufflackernde Krieg in Eu ropa durch den Druck der Vereinten Nationen endlich be endet worden war – eine Aufgabe, bei der die USA und die UdSSR so zusammengearbeitet hatten wie seit zwanzig Jahren nicht mehr –, war es durch die Kontrollgesetze für 35
die wissenschaftliche Forschung jedem Privatmann fast unmöglich gemacht, Forschungen zu betreiben. Selbst den staatlichen Forschern wurde die Arbeit durch einen endlo sen Weg über Anträge, Eingaben, Lizenzen, Genehmigun gen, Verzögerungen und Verwirrungen in den Ämtern sehr erschwert. Die Reaktion darauf war natürlich der Schwarzmarkt. Was der Alkoholschmuggel in den zwanziger Jahren für den Durchschnittsbürger bedeutet hatte, war der Schwarz markt für den Wissenschaftler fünfzig Jahre später. Das Schlimme war, im Gegensatz zum Alkoholverbot, daß die Beschränkung wissenschaftlicher Arbeit den Mann auf der Straße nicht aufregte, im Gegenteil, er begrüßte sie sogar. Er brauchte und wollte die Ergebnisse wissenschaft licher Forschung, aber er hatte eine unterschwellige Angst vor dem „Egghead“, dem sogenannten „Eierkopf“. Nach seiner Meinung waren die Gesetze gut, denn sie hielten die Wissenschaftler davon ab, Experimente durchzuführen, die allen gefährlich werden konnten. Der Erfolg war, daß die lateinamerikanischen Staaten ganz groß ins Geschäft kamen, stellten sie doch alles her. was der amerikanische Wissenschaftler in seinem Land nicht bekommen konnte. Das ging hinunter bis zu den ver botenen wissenschaftlichen Journalen und Magazinen. Jetzt, in den achtziger Jahren, waren die Schwarzmarkt händler ganz groß im Geschäft, und auch Sam Bending war gezwungen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, waren sie doch die einzige Quelle der auf den Index gesetzten Geräte 36
und Zeitschriften. Von letzteren war Sam abhängiger als zum Beispiel ein Forscher an einer Universität, ganz ein fach, weil er für die Industrie arbeitete, wo ganz andere Prioritäten galten als in der Lehrwissenschaft. Sam jedenfalls hatte die ganze Farce satt und hätte eini ges gegeben, sie zu beenden. * Sam gab es auf, an diesem Tag noch irgend etwas zu arbei ten. Um fünfzehn Uhr sagte er zu seiner Sekretärin, daß er nach Hause ginge, stülpte seinen Hut auf den Kopf und machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Er stieg ein, drückte auf einen Knopf und lauschte auf das tiefe Summen des Elektromotors. Es wirkte beruhigend auf ihn, und er grinste flüchtig. Selbst die Energie-Werke waren nicht auf dieses Ver steck gekommen. Der Konverter im Rückteil seines Wa gens gab dem Auto mehr Energie, als es jemals brauchen würde. Mühelos hielt der Konverter das Automobil stun denlang auf Spitzengeschwindigkeit, und solange die Rei fen greifen konnten, fuhr der Wagen jede Steigung hinauf. Theoretisch konnte Sam Wände hinauffahren. Nicht, daß Sam Bending das etwa vorhatte. Der Konverter lieferte auch noch genug für den Ge räuschimitator, der dem Motor den Klang eines normalen turboelektrischen Motors verlieh. Aus einem toten Auspuff wurde außerdem noch heiße Luft herausgeblasen. Alles sah 37
ganz echt aus, und Sam lächelte erneut, als er in die Haupt straße einbog. Das Lächeln verging ihm, nachdem er sechs Häuserblocks umrundet hatte: Er wurde verfolgt. Zuerst war es ihm gar nicht aufgefallen, denn der Wagen war ein ganz üblicher stahlblauer Ford. Sam hatte dem Wagen bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet, jetzt aber blickte er aufmerksam in den Rückspiegel. Er fuhr weiter in Richtung auf den Nord-SüdSchnellweg, und der blaue Ford blieb hartnäckig hinter ihm. Zufall? Möglich. An der Humber-Avenue bog er nach links in Richtung Süden ab. Der Ford folgte ihm immer noch. Zufall? Kaum wahrscheinlich. Am Ende der Humber-Avenue bog er nach rechts in den Nord-Süd-Schnellweg ein. den Ford immer noch hinter sich. Das war kein Zufall mehr. Wenn die Leute im Ford tat sächlich nach Norden gewollt hätten, wären sie nicht den Umweg‘ gefahren, den er soeben gemacht hatte. Bending lächelte grimmig. Er hatte es noch nie leiden können, verfolgt zu werden, und jetzt, nachdem der Kon verter gestohlen worden war, war er noch empfindlicher in dieser Beziehung. Das Schlimme war, daß ihm sein Super auto nicht viel nutzte, denn er konnte dem Ford zwar auf freier Strecke davonfahren, aber nicht bei dem Verkehr auf dem Schnellweg. Sam suchte nach einer Möglichkeit, die Verfolger loszuwerden. 38
Er blieb bis Marysville auf dem Schnellweg; das war ungefähr dreißig Kilometer nach seiner eigentlichen Ab fahrt, wenn er nach Hause fuhr. Der Fahrer des Ford verstand sein Geschäft: Vor jeder Abfahrt holte er auf. um dann wieder zurückzufallen. Hinter der Abfahrt Marysville bog Bending in Richtung Marysville ab. Es war ein kleiner Ort mit etwa fünf- oder sechstausend Einwohnern. Die Straßen, die von der Hauptstraße des Ortes abzweig ten, waren nicht sehr befahren. Bending bog in eine dieser Nebenstraßen ein. Der Ford fiel jetzt etwas zurück; man wollte nicht auffallen. Bending bog nach links in eine Straße ein, die parallel zur Hauptstraße verlief. Sobald seine Verfolger außer Sicht waren, trat er das Gaspedal durch. Der Wagen sprang nach vorn, und der Andruck preßte Sam in den Sitz. An der nächsten Ecke fuhr er wieder nach links und er sah gerade noch, wie der Ford die erste Linkskurve nahm. Er raste jetzt mit voller Geschwindigkeit auf die Haupt straße zu, bei der nächsten Abzweigung fuhr er nach rechts und sah, daß der Ford noch nicht die vorherige Kurve ge nommen hatte. Bending schlug noch mehrere Haken nach links und rechts, bis er schließlich auf der Hauptstraße da vonraste. Er hielt wieder auf den Schnellweg zu, und von dem stahlblauen Ford war nichts mehr zu sehen. Bending seufzte und fuhr nach Hause.
39
*
Bending hatte das untrügliche Gefühl, daß etwas nicht stimmte, als er vor seiner Garage stand und den Knopf drückte, der normalerweise die Garagentür geöffnet hätte. Die Tür reagierte nicht. Ohne lange zu überlegen, rannte er zur Eingangstür, schloß sie auf und betätigte die Flurbeleuchtung. Es blieb dunkel, und er wußte, was geschehen war. Fluchend eilte er zum Hintereingang und von dort in den Keller. Es war so, wie er befürchtet hatte. Man hatte ihm seinen Hauskonverter ebenfalls gestohlen. Und man hatte dabei noch nicht einmal die Freundlich keit besessen, ihn an das Stadtstromnetz anzuschließen. Bending hatte in seinem Privatlabor einen Schalter einge baut, um auf das allgemeine Stromnetz umschalten zu kön nen. Er ging jetzt zum Schaltkasten an der Wand und stell te sein Haus auf Versorgung mit Stadtstrom um. Sofort funktionierte die Garagentür. und auch das Licht im Haus ging an. Nachdenklich betrat Bending sein Arbeitszimmer und rief als erstes seinen Patentanwalt an. Wenn die EnergieWerke schon im Besitz von zwei Konvertern waren, konn te es Schwierigkeiten geben, das Patent durchzudrücken. Der Anwalt war nicht zu Hause und die Sekretärin konn te nicht sagen, ob ihr Chef heute noch einmal ins Büro kommen würde. Bending bedankte sich und hängte ein. Er versuchte, den Mann unter seiner Privatanschrift zu 40
erreichen; ebenfalls erfolglos. Sam Bending zündete sich eine Zigarette an, ging zu seinem Schaukelstuhl und ließ sich darin nieder. Der erste Konverter war also am Wochenende, am Frei tagabend, gestohlen worden, und den zweiten hatte man heute morgen, als er, Bending, im Labor war, entwendet. Er konnte sich das sogar erklären: Der erste Konverter war beim Öffnen zerstört worden, und man hatte sich einfach einen zweiten beschafft. Aber, so fragte sich Sam, wer wußte davon, daß er drei bzw. zwei Konverter gebaut hat te? Was sollte er jetzt tun? Die Polizei benachrichtigen, oder … Ein Auto hielt vor der Tür. Sani sprang auf und sah aus dem Fenster. Es war der Ford. O Gott, wollte man den dritten Konverter genau vor sei nen Augen stehlen, bevor es auch nur halbwegs dunkel geworden war? Sam packte die Wut. Er rannte zu seinem Schreibtisch und holte eine 38er Spezial aus einem Fach. Es war eine Arbeit von Sekunden, das Magazin zu füllen und einzufüh ren. Die Türglocke schellte. Sam ging in den Flur, den Revolver in der Jackentasche, den Finger am Abzug. „Wer ist da?“ rief er mit fester Stimme. „Wir sind Spezialagenten vom FBI“, wurde ihm geant 41
wortet. „Können wir Sie kurz sprechen, Mr. Bending?“ „Sicher. Kommen Sie herein, die Tür ist offen.“ Nur herein, ihr Banditen, dachte Sam. „Wir …“, begann der eine, verstummte aber sofort, als er erkannte, daß er in ein rundes, schwarzes Loch sah. „Hände hoch, und langsam umdrehen“, sagte Bending. „Zwei Schritte von der Wand wegtreten und mit erhobenen Händen dagegenfallen lassen.“ Sie taten, was er ihnen befahl. Bending durchsuchte die beiden Männer rasch und stellte befriedigt fest, daß seine zwei Jahre in der Armee nicht ganz umsonst gewesen wa ren, denn er war sicher, daß sie keine Waffen trugen. Bending trat zurück und steckte seinen Revolver ein. „O. K. Sie können sich wieder umdrehen. Sollten Sie auf dumme Gedanken kommen – nur zu, ich habe Sie ge warnt.“ Die Männer drehten sich um. Sie waren nicht gerade schmächtig, aber sie hatten zusammen nicht viel mehr Ge wicht als Sam. „Was soll das Schießeisen, Mr. Bending?“ fragte der schlankere der beiden. „Ich stelle hier die Fragen“, sagte Bending. „Im voraus möchte ich Sie aber gleich warnen, daß Sie Schwierigkei ten wegen Amtsanmaßung bekommen werden, und außer dem mag ich nicht, wenn man mich verfolgt. Sehen Sie also zu, daß Sie zurück zu den Energie-Werken kommen, und sagen Sie Ihren Leuten, daß ich mich gern auf eine harte Auseinandersetzung einlassen will, wenn man es 42
wünscht. Wenn man mich weiterhin belästigt, werde ich einige unangenehme Dinge tun, verstanden?“ „Wir schon“, sagte der Sprecher ungerührt. „Aber ich glaube, Sie nicht. Darf ich Ihnen meinen Ausweis zeigen?“ „Ausweis?“ Sam Bending war etwas aus der Fassung gebracht. Hatte er einen Fehler gemacht? „Genau. Darf ich?“ Bending zog seinen Revolver aus der Tasche. „Los, aber langsam.“ Der Mann hielt ihm ein Papier und eine Plakette entge gen, die einwandfrei bewiesen, daß er ein Spezialagent des FBI war. „Ich … Es tut mir leid“, sagte Bending stockend. „Ich hielt Sie für jemand anderen. Man hat mich heute nachmit tag verfolgt, und …“ „Das waren wir, Mr. Bending. Tut uns leid, wenn wir Ihnen einen Schrecken eingejagt haben.“ „Darf ich Ihre Angaben überprüfen?“ „Aber bitte, rufen Sie nur an.“ Bending setzte sich mit dem örtlichen FBI-Büro in Ver bindung und erfuhr, daß die Angaben des Mannes stimm ten. Als er auflegte, war er einigermaßen verwirrt. „Was wollen Sie denn dann von mir?“ „Sie sollen uns in die Stadt begleiten. Ein paar Leute möchten Sie kennenlernen.“ „Heißt das, daß ich verhaftet bin?“ „Nein.“ Der Agent lächelte. „Wir könnten Sie höchstens wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit belan 43
gen, aber das ist nicht unsere Aufgabe.“ Bending lächelte schwach. „Worum geht es also?“ „Ich habe keine Ahnung, Mr. Bending. Wir hatten nur die Aufgabe, Sie so lange zu beschatten, bis man uns den Befehl gab, Sie zu den Leuten zu bringen. Der Befehl kam, als Sie uns … nun, davonfuhren. Glücklicherweise trafen wir Sie zu Hause an, denn sonst hätte es bestimmt Ärger gegeben …“ „Darf ich meinen Wagen nehmen?“ fragte Bending. „Ich möchte ihn nicht unbewacht stehenlassen.“ „Aber selbstverständlich. Ich fahre mit Ihnen, und Steve folgt uns in unserem Wagen.“ Er schwieg ein paar Sekun den. „Ich fürchte, daß Sie Ihre Kanone hierlassen müssen.“ „Natürlich“, sagte Bending. „Natürlich.“ * Während der Fahrt zur Stadt schien Sam Bendings Verstand zeitweilig einfach auszusetzen. Er konnte sich auf die letzten Ereignisse keinen Reim machen. Der FBI-Agent saß schweigend neben ihm, während Sam steuerte. Einmal fragte Sam: „Wen soll ich kennenlernen?“ Der FBI-Mann antwortete: „Tut mir leid, Mr. Bending, ich kann Ihnen keine Fragen beantworten. Mein Job ist es, Sie abzuliefern.“ Kurz darauf versuchte Sam einen zweiten Vorstoß: „Wohin fahren wir eigentlich?“ „Oh …“ Der Agent lachte. „Ich dachte, ich hätte es Ih 44
nen schon gesagt. In das Hauptpostgebäude am Kenmore Drive.“ Von da an schwieg Sam Bending. Die ganze Sache hatte etwas mit dem Konverter zu tun, das war ihm klar. Er sah nur keinerlei Zusammenhang, und seine wilden Spekula tionen führten zu keinem Ergebnis. Bending hielt als erster vor dem Hauptpostgebäude, hin ter ihm bremste der Ford. Zu dritt gingen sie hinein in das Gebäude. Es war schon fast dunkel, und die Straßenlater nen kämpften gegen den feinen Nebel an, der sich langsam über die Stadt senkte. Bending fröstelte trotz seines Man tels. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie in den dritten Stock. Kei ner der Männer sprach ein Wort. Am Ende eines langen Korridors erreichten sie eine Tür, durch deren Milchglas scheibe ein Lichtschimmer fiel. Ein Türschild wies darauf hin, daß es sich um den Konferenzraum A-6 handelte. Der FBI-Mann aus Sams Auto klopfte leise an. „Ja?“ rief eine Stimme hinter der Tür. „Hier ist Hodsen, Sir. Ich bringe Mr. Bending.“ Die Tür ging auf, und Sam erlitt einen kleinen Schock, als er sah, wem er gegenüberstand. Es war Sir Bertram Condley, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium der USA. Bending kannte den Mann aus Zeitungen und dem Fernsehen. „Kommen Sie, Mr. Bending“, sagte der Staatssekretär freundlich. Überflüssigerweise stellte er sich vor: „Ich bin Bertram Condley.“ 45
Er streckte Bending seine Rechte entgegen, und dieser schüttelte sie. „Es ist mir eine Ehre, Sir.“ Condley lächelte ihn entschuldigend an. „Ich bedaure, daß ich Sie auf eine solche Art hierherbringen ließ, Mr. Bending, aber wir hatten keine andere Möglichkeit. Kom men Sie, ich möchte Sie den anderen vorstellen.“ Er wand te sich an die FBI-Leute. „Das ist vorläufig alles.“ Die beiden Männer nickten und verschwanden in dem dämmerigen Korridor. „Aber bitte, kommen Sie“, wiederholte der Staatssekre tär und öffnete die Tür noch weiter. Sam zögerte einen Augenblick, dann trat er vor und folg te dem Staatssekretär. * Sie durchquerten einen Vorraum. Bending wollte gerade die an den Raum angrenzende Tür öffnen, als ihn Sir Condley zurückhielt. „Einen Augenblick“, sagte er leise. „Ich glaube, Sie sollten wissen, was man mit Ihnen vorhat, Mr. Bending.“ Bending stand stocksteif. „Ja, Sir?“ fragte er. „Ich nehme an, Sie wissen, worum es geht?“ fragte der Staatssekretär. „Ja, um den Konverter, vermute ich.“ Condley nickte. „Genau. Ich bedaure erneut, unter wel chen Umständen wir Sie hierhergeholt haben, Mr. Ben ding.“ Er atmete tief. 46
„Wir wollen Sie von etwas überzeugen, Mr. Bending, und, wie wir meinen, mit gewichtigen Argumenten.“ Er machte eine erneute Pause. „Sind Sie ein objektiv denken der Mensch, Mr. Bending?“ Sam Bending sprach unbewußt ebenfalls leise. „Ich glaube, Herr Staatssekretär“, sagte er. Er merkte, daß Condley ihn auf etwas vorbereitete und ihn beruhigen woll te. Aber – worum ging es denn nun wirklich? „Sie sind Ingenieur, Mr. Bending“, fuhr Condley fort. „Sie sind daran gewöhnt, Fakten zu verarbeiten. Diese Ihre Fähigkeit bitte ich Sie nun anzuwenden. Und jetzt gehen wir wohl besser hinein, bevor Towarisch Artomonow denkt, daß wir ihn hinhalten wollen.“ Condley drückte die Türklinke, und Bending folgte ihm in das Konferenzzimmer. Seine Gedanken überschlugen sich. Artomonow? Wer war das? Condley hatte es durch die Betonung von Towarisch schon angedeutet – der Mann war ein Russe oder zumindest ein Bewohner der russischen Satellitenstaaten. Sam Bending war auf alles gefaßt. Vier Männer saßen um den Konferenztisch, und Ben ding war überrascht, daß er nur einen davon kannte. Von dem ganzen Getue bisher hatte er fast erwartet, dem Präsi denten der USA vorgestellt zu werden. „Meine Herren, Mr. Samson Bending“, sagte Sir Cond ley zu der Gruppe. Sie alle standen kurz auf und versuchten mehr oder weniger glücklich ein Lächeln. Sam hatte den Eindruck, daß man ihn für jemanden hielt, der eine Bombe in der Tasche hatte, die jeden Augenblick hochgehen konnte. 47
„Mr. Bending, ich glaube, Sie kennen Mr. Richard Ol cott“, sagte der Staatssekretär. Bending lächelte den Energie-Mann sardonisch an und erhielt dafür ein feierliches Kopfnicken. Klar kenne ich den Gauner, dachte er. „Am Tisch sehen Sie Dr. Edward Larchmont, Chef der Forschungsabteilung der US-Energie-Werke, Dr. Stefan Vanderlin vom US-Normenbüro und Dr. Andreij Andrei jewitsch Artomonow von der UNO-Vertretung der Sowjet union.“ Bending hatte Mühe, sich seine Überraschung nicht an merken zu lassen. Er erinnerte sich: A. A. Artomonow, Vorsitzender des sowjetischen Handelsbüros der UNO. Was machte der hier? „Wenn Sie sich bitte setzen würden“, sagte Condley, „könnten wir zur Sache kommen.“ Die Runde setzte sich. „Darf ich etwas vorausschicken, bevor wir beginnen?“ sagte Sam Bending. „Ich finde die Situation sehr eigenartig und sollte wohl erst meinen An walt konsultieren, bevor ich eine Aussage mache.“ Condley zog die Brauen ein wenig zusammen. „Vorerst hielten wir es nicht für notwendig, Ihren Anwalt zu ver ständigen, Mr. Bending. Wir wollen Ihnen nur etwas erklä ren – Sie bekommen Fakten vorgesetzt. Wenn Sie danach Ihren Anwalt hinzuziehen möchten, so steht dem nichts im Wege. Wir wollen jetzt nur, daß Sie aufmerksam zuhören.“ Bending dachte kurz nach. „Gut, fangen Sie an.“
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„Zuerst möchte ich darauf hinweisen, daß wir das Ganze schnell improvisieren mußten, denn unsere Zeit war knapp.“ Er warf Olcott einen nicht sehr freundlichen Blick zu. „Die Regierung wurde in diesem Fall beinahe zu spät benachrichtigt, und wir mußten sehr schnell handeln.“ „Ich informierte die Regierung, sobald ich meiner Sache sicher war“, warf Olcott ungerührt ein. „Das mag stimmen“, fuhr Condley fort. „Wichtig ist, daß wir nun eine Lösung des Problems finden müssen.“ Er nahm einen goldenen Federhalter aus der Jackentasche und begann nervös damit herumzuspielen. Er sah Bending an. „Die Tatsache, daß Sie ein Patentierungsverfahren laufen haben, erfordert es, daß wir die Situation schnell in die Hand bekommen müssen.“ Bevor Sam antworten konnte, hörte man von draußen ein lautes Klopfen. Condley stand auf und ging hinaus. Dr. Larchmont wandte sich an Bending, die Unterbre chung für eine kurze Unterhaltung nutzend. „Eine wunder bare kleine Maschine haben Sie da gebaut, Mr. Bending. Wirklich bemerkenswert.“ Er war ein dürrer, hellhäutiger Mann mit einem Haarkranz um den sonst kahlen Kopf. Sam war leicht erschrocken. „Soll das heißen, daß man den Konverter geöffnet hat?“ Larchmont nickte. „Ich nehme an, Sie meinen Ihren Fu sionsgenerator. Wir durchleuchteten das Gerät gründlich, bevor wir es öffneten. Wir rechneten selbstverständlich 49
damit, daß Sie einen Zerstörungsmechanismus eingebaut hatten für den Fall der unbefugten Öffnung des Konverters. Aber wenn man darauf vorbereitet ist, ist das Problem schon halb gelöst. Ihr Konverter ist die beste Erfindung, die ich seit langem gesehen habe. Kompliment.“ „Danke“, sagte Bending mit einem bitteren Unterton. „Ich …“ Die Tür ging auf, und Condley kam herein, gefolgt von einem großen, stabilen Mann mit welligem, schwarzem Haar und hellbraunen Augen. „Jim!“ rief Bending überrascht. Es war James Luckmann, Sam Bendings Geschäftsfüh rer. „Hallo, Sam. Was soll das Ganze? Der FBI-Mann sagte zwar, es wäre keine Verhaftung, aber es sah mir verdammt danach aus.“ Sam nickte. „Ich hatte den gleichen Eindruck.“ Er wand te sich an Condley. „Was soll das, Sir Condley? Jim weiß gar nicht, worum es geht.“ Man sah dem Staatssekretär nicht an, ob er dieses Vor wurfs wegen verärgert war. „Vielleicht nicht, aber wir müssen sichergehen – ich bin aber bereit, Ihr Wort in die sem Fall zu akzeptieren.“ Er machte eine Pause. „Aber – Sie sind kein Geschäftsmann, Mr. Bending?“ Der Satz klang nur halb wie eine Frage. „Stimmt; diesen Teil des Geschäftes überlasse ich Jim. Mich interessiert die wirtschaftliche Seite nicht sonderlich. Warum auch? Ich kenne Jim seit Jahren und traue ihm. Er kennt seinen Job, ich kenne meinen. Ich weiß genug, um 50
die Scheckbücher zu überprüfen, und er weiß genug, um eine technische Beschreibung zu verstehen. Richtig, Jim?“ Luckmann sah sich verstört um. „Sicher, Sam. Aber was soll das Ganze? Ich komme nicht ganz mit.“ Plötzlich run zelte er die Stirn. „Beschuldigt man mich, dich verraten zu haben?“ „Nein, nein“, warf Condley schnell ein. „Natürlich nicht.“ Er sah Jim Luckmann scharf an. „Was wissen Sie über den Konverter?“ Jim blickte Sam an, bevor er antwortete. Bendings Ge sicht blieb ausdruckslos. „Nur zu, Jim, sage es ihm.“ Luckmann breitete die Arme aus. „Ich weiß, daß Sam an einem Gerät arbeitete, das er Konverter nannte. Mehr weiß ich nicht. Sam behielt seine Erfindungen solange für sich, bis sie zum Verkauf reif waren, was mir nur recht war. Ich habe genug mit den bereits verkauften Erfindungen zu tun, als daß ich mich noch mit unverkäuflichen Dingen beschäf tigen könnte.“ Condley nickte und deutete auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich, Mr. Luckmann. Sie kennen die anderen Herren?“ Es war mehr eine rhetorische Frage. Er stellte sie Jim vor, und Bending registrierte befriedigt, daß Jim auch überrascht war, als der Name des Russen fiel. Condley setzte sich wieder und sagte: „Nun, dann sind wir ja alle versammelt. Wir wollen das Ganze nicht zu formell machen, aber ich bitte Sie auch, nicht zu hitzig zu werden. Reißen wir uns alle zusammen.“ „Kommen wir zum Konverter. Wir alle wissen, wohl mit 51
Ausnahme von Mr. Luckmann, was dieser Konverter kann. Ich will es schnell erklären. Der Konverter produziert, wie es Dr. Larchmont beschreibt, ‚auf höchst elegante Weise’, elektrischen Strom direkt aus einer Sauerstoff-WasserstoffFusion. Das Testmodell, das eine Raumverdrängung von zirka einem Drittel Kubikmeter hat, kann ungefähr fünfhundert PS erzeugen, je nach Wunsch in Wechsel- oder Gleich strom. Die Voltzahl kann durch Drehung eines Knopfes von Null auf Zehntausend erhöht werden. Angetrieben wird der Konverter mit ganz gewöhnlichem Wasser. Für die volle Leistung benötigt der Konverter un gefähr vierhundert Milligramm Wasser pro Stunde, die man einfach aus der Luft herauszieht. Das Gerät ist also ein Selbstversorger. Die bei der Fusion auftretende Strahlung wird zu fast hundert Prozent in elektrischen Strom verwandelt, und es besteht daher keine Strahlungsgefahr. Da der Prozeß der Umwandlung sich selbst begrenzt, besteht auch keine Ex plosionsgefahr. Soweit ich verstehe, ist das der Fall, wenn man nicht extra eine Einrichtung dafür vorsieht“, fügte er mit einem Seitenblick auf Sam Bending hinzu. „Schließlich ist der Konverter in der Herstellung so bil lig, daß man ihn gut für ein Viertel der Kosten eines nor malen Autos verkaufen könnte.“ Condley räusperte sich an dieser Stelle und sah zu Larchmont und Vanderlin. „Ist das im Prinzip richtig, meine Herren?“ Larchmont nickte. Vanderlin tat dergleichen. 52
Jim Luckmann sah Sam Bending mit offener Bewunde rung an. „Donnerwetter“, sagte er. „Du bist ein Genie, Sam.“ „Schön und gut, meine Herren“, fuhr Condley fort. „Wir kennen jetzt die technische Seite der Erfindung; kommen wir nun zur wirtschaftlichen. Haben Sie jemals überlegt, was geschieht, wenn Sie die Erfindung auf den Markt brin gen, Mr. Bending?“ „Ja“, sagte Bending mit einem Blick auf Olcott. „Die Energie-Werke würden pleite machen. Na und? Ich wün sche das jeder Institution, die Erfindungen stiehlt und un terdrückt.“ Staatssekretär Condley sah zu Olcott, und er mußte sich ein Lächeln verkneifen. Dann wandte er sich wieder an Bending. „Wir wollen nicht über die ethische Seite des Problems sprechen, Mr. Bending. Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß die Energie-Werke bankrott wären. Sie könnten den Kampf gegen die fast kostenlose Energie nicht aufnehmen, viel weniger gewinnen. Was aber würde ge schehen, wenn plötzlich sämtliche Energiewerke der USA aus dem Geschäft geworfen würden?“ Sam warf Condley einen fragenden Blick zu. „Ich weiß nur, daß man seinen Strom dann aus einer anderen Quelle beziehen würde.“ Richard Olcott beugte sich vor. „Darf ich hier etwas da zu sagen? Ich weiß, daß Sie nicht gut auf mich zu sprechen sind, Mr. Bending, vielleicht sogar zu Recht. Aber ich möchte Sie auf folgendes hinweisen: Die Energie-Werke 53
und ihre anderen Gesellschaften werden nicht von ein paar Leuten geführt. Ein großer Teil des Vermögens .wird von Aktionären verwaltet, die oft nur wenige Aktien besitzen. Das Vermögen der Gesellschaft beläuft sich auf mehrere Milliarden Dollar, weit verstreut über das ganze Land. Zu sätzlich sind eine Reihe Banken und Versicherungen mit uns liiert. Es würden buchstäblich Millionen Menschen ihr Geld verlieren, genauso, als hätte man es ihnen gestohlen. Das geschieht, kommt Ihre Erfindung auf den Markt.“ Bending runzelte die Stirn. So hatte er die Sache noch nicht betrachtet. „Trotzdem“, sagte er. „Haben nicht auch die Kutschenhersteller und die Pferdezüchter nach dem Er sten Weltkrieg ihre Existenz verloren?“ „Das erreichte alles nicht dieses Ausmaß“, sagte Olcott kopfschüttelnd. „Wir haben nicht 1918, Mr. Bending. Vor sechzig Jahren basierte unsere Währung auf Gold und nicht wie heute auf der Arbeit und der Produktion des einzelnen, zusammengefaßt in dem große Netz der amerikanischen Industrie.“ Condley fügte hinzu: „Mr. Olcott sagte, daß man Millio nen von Menschen praktisch ihres Geldes beraubt. Ich würde sogar noch weiter gehen. Das Geld wird nicht nur gestohlen, sondern buchstäblich vernichtet. Ein Dieb bringt gestohlenes Geld wieder in Umlauf, aber wenn plötzlich riesige Summen ersatzlos aus dem Verkehr gezogen wer den, gerät das wirtschaftliche Gleichgewicht ins Wanken.“ *
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Sam Bending dachte angestrengt nach. Sein Großvater war damals, 1929, ein kleiner Geschäftsmann gewesen; nicht sehr reich, aber es ging ihm nach den damaligen sozialen Verhältnissen gut. Zwei Jahre später, 1931, war er bank rott, völlig pleite und froh über jeden Gelegenheitsjob, den er bekommen konnte, um seine Familie zu ernähren. Sams Vater hatte die Schule in den dreißiger Jahren frühzeitig verlassen müssen, um die Familie mitzuernäh ren. Großvater Bending, durch jahrelange schwere Arbeit am Ende seiner Kräfte, konnte nicht mehr arbeiten, und so mußte Sams Vater für die Familie sorgen. Er erinnerte sich noch gut daran, wenn sein Vater von den Schlangen vor den Brotgeschäften und den Küchen erzählte, in denen man umsonst einen Teller Suppe be kommen konnte. Er erinnerte sich an seine Großmutter, deren Hände durch Arthritis verkrüppelt waren, nachdem sie jahrelang in einer Näherei ein paar Pfennige dazuver dient hatte, um für die Familie mitzusorgen. Konnte seine Erfindung all das wieder heraufbeschwö ren? Konnte sein so harmlos aussehender Konverter Un glück über so viele Millionen Menschen bringen? Es schien undenkbar, aber Sam konnte die Auswirkungen der großen Depression nicht vergessen. „Inwieweit würde die Wirtschaft ruiniert?“ fragte er Condley. Condley spielte wieder mit seinem goldenen Federhalter. „Die Antwort auf diese Frage ist sehr umfangreich, Mr. 55
Bending. Fangen wir von vorn an. Die Banken sind gut versichert, nicht wahr? Die Bun desversicherungsanstalt versichert alle Bankkunden für Einlagen bis zu zwanzigtausend Dollar. Eine Bank ist rechtlich so abgesichert, daß sich auf keinen Fall das wie derholen kann, was wir in den frühen dreißiger Jahren er lebten. Selbst wenn eine Bank zahlungsunfähig sein sollte, kann der Kunde beruhigt sein; er ist abgesichert. Daher ha ben wir auch seit dreißig Jahren keinen katastrophalen Run auf die Banken erlebt. Aber die Banken legen ihr Geld nicht einfach in den Tresor; sie legen einen ordentlichen Prozentsatz in Investi tionen, zum Beispiel bei den Energie-Werken, an. Um sich über Wasser halten zu können, müßten die Banken große Verluste hinnehmen, würden die Energie-Werke bankrott gehen. Sie müßten Außenstände in bar hereinholen, und das wiederum würde die Rücklagen beim Staat angreifen und fast aufbrauchen. Trotz all dem würden viele Banken nicht liquid bleiben, weil der Wert ihrer Investitionen rapide sinken würde. Wie Mr. Olcott schon sagte, ist unsere Währung nicht mehr auf Gold, sondern auf die Produktion und den Wert dieser Pro duktion gegründet. Wenn die Energie-Werke und ihre Tochterfirmen zusammenbrechen, hat Ihre Maschine Gerät und Ausrüstungsgegenstände im Wert von vielen Milliar den Dollar zerstört – wertlos gemacht. Hunderttausende von Menschen werden arbeitslos. Sie haben eine wichtige Stütze des amerikanischen Dollars abgesägt. 56
Damit aber noch nicht genug. Was geschieht mit den Zu lieferfirmen, die die Dynamos und Hitzekessel und Atom kraftwerke für die Energie-Werke gebaut haben? Was ge schieht mit der Kupferindustrie, wenn plötzlich Millionen Kilometer Draht nicht mehr gebraucht werden? Die Firmen müssen ihre Leute entlassen, und ihr Kapital ist plötzlich fast wertlos. Die Investitionen der Banken sind nur noch einen Bruchteil ihres vorherigen Wertes wert. Um die Kunden auszahlen zu können, muß alles zu Schleuderpreisen ver kauft werden. Sie können sich ausrechnen, was das für die Bundesversicherungsanstalt bedeutet.“ Sam Bending nickte langsam. Er hatte verstanden. Die Versicherungen arbeiteten nach der Voraussetzung, daß ein gewisser Prozentsatz an Todes-, Unglücks- und Konkurs fällen bei einem gewissen Prozentsatz der Bevölkerung vorkommt, und danach richtet sich die Höhe ihrer Beiträge und Prämien. Stieg dieser Prozentsatz von angenommen fünf Prozent auf fünfzig, so mußte jede Versicherung Kon kurs machen. Die Arbeitslosenquote würde sprunghaft steigen, nie mand würde mehr Steuern zahlen. Bending überlegte, was die einzelnen Regierungen bei dem plötzlichen Geldman gel tun würden. Niemand leistete sich mehr einen Luxus, den man versteuern konnte. Wie konnte man Einkommens teuer einbehalten, wenn es keine Einkommen mehr gab? Gewisse Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Nah rungsmittel, Kleidung und Mieten konnte man nicht ver 57
steuern. Die Leute würden nur das Billigste kaufen, und dadurch würden die Preise sinken. Darauf folgte … * „Wohin würde es führen?“ fragte Sam Condley mit zitternder Stimme. Condley sah zu dem Russen. „Ich glaube, Dr. Artomo now kann Ihnen diese Frage beantworten.“ Artomonow war ein Mann mit einem roten Gesicht, nur noch wenigen Haaren auf dem Kopf und einem grauen Bart. Seine Augen leuchteten in einem erstaunlichen Blau. „Mr. Bending“, begann er in vorzüglichem Englisch, „Sie erinnern sich bestimmt an die Depression in den dreißiger Jahren, die nicht nur auf Amerika beschränkt blieb. Ganz Europa war davon betroffen. Gleiches, wenn nicht in noch schrecklicherem Ausmaß, wird geschehen, wenn Ihre Er findung auf den Markt kommt.“ Er strich sich über seinen Bart. „Sie werden sich fragen, was ich hier zu suchen habe, Mr. Bending. Sie denken wahrscheinlich, daß die schon traditionelle Rivalität zwischen unseren Staaten es mir nicht möglich machen würde, an einer so geheimen Zu sammenkunft teilzunehmen. Ich habe auch einmal so ge dacht, vor fünfzehn Jahren. Aber wenn eine Gefahr für un sere beiden Länder aufkommt, ändert sich diese Einstel lung. Wir kämpften zusammen im Vaterländischen Krieg – Sie nennen ihn den Zweiten Weltkrieg –, weil der deutsche 58
Nazi-Terror uns beide bedrohte. Wir arbeiteten zusammen, um die immer wieder aufflackernden Buschfeuer in Europa und im Nahen Osten zu ersticken. In diesen globalen Ange legenheiten müssen wir einfach zusammenstehen. Jetzt se hen wir uns erneut einer gemeinsamen Gefahr gegenüber – und müssen entsprechend handeln.“ Sam Bending fröstelte plötzlich. Der Gedanke, daß man jetzt seine Erfindung meinte, ließ ihn erschrecken. „Ich bin kein Energie-Wissenschaftler, Mr. Bending“, fuhr der Russe fort. „Meine Doktortitel erwarb ich mir auf den Gebieten Wirtschafts- und Politwissenschaften. Sofort, als mir Ihre Erfindung vorgeführt wurde, erkannte ich die große Gefahr – physisch und auch wirtschaftlich. Ich setzte mich sofort mit meinen Vorgesetzten in Moskau in Ver bindung, um das Problem zu diskutieren. Natürlich würden wir gern das Prinzip Ihrer … äh, ‚ele ganten’ Erfindung kennenlernen. Aber genauso natürlich“ – jetzt lächelte er Condley an – „werden Sie es uns nicht verraten. Das ist jedoch unsere geringste Sorge, denn wie mir meine Vorgesetzten mitteilten, wurde eine ähnliche Maschine von einem unserer Wissenschaftler vor ungefähr vier Jahren entwickelt. Als Patriot war er natürlich damit einverstanden, die Erfindung einfrieren zu lassen, und so wurde nichts über sie bekannt.“ Bending mußte mühsam ein Grinsen unterdrücken. Klar, dachte er. Und ein Mann Namens Popow hat das Radio, und ein gewisser Yablochkow das elektrische Licht erfun den. 59
„Sie sehen also, Mr. Bending“, fuhr der Russe fort, „daß diese Maschine, obgleich wir kein kapitalistisches System bei uns haben, auch uns bedroht. Wir sind nicht von sol chen instabilen Fakten wie der Fluktuation an der Börse und ähnlichem abhängig. Der Kommunismus basiert auf der Arbeit der Menschen; unsere Macht gründet sich auf den Arbeiter. Die Wirtschaft ist daher stabil, weil jeder ar beitet. Aber auch wir haben ein riesiges Energienetz, dessen Zerstörung Arbeitslosigkeit für Millionen bedeuten würde. Allein diese Arbeitslosigkeit hätte Rückwirkungen in der ganzen Sowjetunion. Wir würden uns schließlich durch die geschichtliche Überlegenheit unseres Systems wieder erho len, aber der Schock wäre auch für uns nicht gut. Das gleiche würde aber auch jeder anderen Industriena tion der Erde widerfahren. Durch meine Arbeit bei den Vereinten Nationen hatte ich Gelegenheit, diese Probleme zu studieren. Die meisten Regierungen Europas würden über Nacht stürzen. In Deutschland war es in den zwanzi ger Jahren billiger, mit Einmarkscheinen Feuer anzuma chen, als Feuerholz damit zu kaufen. Das Ganze wird sich in Europa wiederholen. Manche Nationen werden natürlich nicht so drastisch be troffen. China und andere Teile Asiens haben kein so um fangreiches Industrienetz aufgebaut, genau wie viele süd amerikanische Staaten, die meist noch Agrarstaaten sind. Aber alle großen Industrienationen würden zusammenbre chen.“ 60
In einem Atemzug behauptete der Russe, das alles würde sein Land nicht so stark betreffen, und zugleich bewies er durch seine Ausführungen, daß dies doch der Fall wäre. Sam Bending mußte über die gewundene Logik des Russen lächeln. „Das ist alles, was ich im Augenblick zu sagen habe“, erklärte Dr. Artomonow. „Ich möchte aber noch eines be tonen: Die große Depression vor fünfzig Jahren war schrecklich für alle Betroffenen, aber sie war ein Nichts – eine leichte Brise – verglichen mit dem Sturm, den Ihr Konverter entfachen wird, wenn er auf den Markt gebracht wird.“ * Einige Minuten herrschte Schweigen. Sam Bending dachte angestrengt nach, und niemand störte ihn dabei. „Eine Sekunde“, sagte er dann. „Es gibt da etwas, das ich nicht ganz einsehe. Ich kann mir sehr wohl die von Ih nen geschilderten Folgen ausmalen, wenn man jedes Ener giewerk in Amerika – und auch in Rußland und Europa – über Nacht stillegt. Ich kann mir sehr wohl das Chaos vor stellen.“ Er machte eine kurze Pause, um seine Gedanken zu ordnen, und fuhr dann leicht verärgert fort. „Aber so darf man es natürlich nicht machen. Die Mas senproduktion des Konverters braucht Zeit – die Fabriken müssen umgestellt werden und alles, was damit zusam menhängt. Außerdem braucht der Vertrieb Zeit. Mir 61
scheint, das wäre lange genug, um sich anzupassen und den Zusammenbruch zu vermeiden.“ Condley wollte etwas sagen, aber Artomonow kam ihm zuvor. „Verstehen Sie denn nicht, Mr. Bending? Die Bedro hung durch Ihren Konverter allein reicht! Selbst in Ihrem Land würde allein das Bekanntwerden Ihres Konverters eine Katastrophe auslösen. Wer würde noch in die EnergieWerke investieren? Niemand würde mehr Aktien kaufen, und wer welche hätte, würde sie schnellstens verkaufen. Der Effekt wäre der gleiche, als ob die Maschine auf den Markt gekommen wäre. Ihr Mr. Roosevelt sagte einmal, daß schon die Angst vor einem Problem dasselbe aufwer fen würde.“ Bending zog verwirrt die Brauen zusammen. „Ich ver stehe nicht …“ Er wurde von Dr. Larchmont unterbrochen. „Ich will versuchen, Ihnen eine Analogie zu geben, Mr. Bending. Was wissen Sie über die sogenannten Nervengase?“ „Nur wenig“, gab Sam zu. „Die meisten sind keine Gase, sondern feinst verteilte Aerosole.“ Dr. Larchmont nickte. „Wissen Sie, wieviel man davon braucht, um einen Menschen zu töten?“ „Ein Tropfen auf die Haut dürfte genügen, glaube ich.“ „Stimmt. Wie aber kann eine solch kleine Menge Gift auf der Haut einen Menschen zerstören?“ Bending begann zu ahnen, worauf der Mann hinauswoll te. „Nun, ich weiß, daß einige Sorten die Arbeit der Enzy 62
me mit Azetylcholin durcheinanderbringen, was bedeutet, daß die Nerven einfach nicht mehr richtig zusammenarbei ten, wie sie es gewohnt sind. Es bedarf nur der Zerstörung eines kleinen Teiles des Nervensystems, um das ganze Nervensystem in Unordnung zu bringen. Die Körperfunk tionen fallen aus, das Opfer stirbt.“ Larchmont nickte. „Nun, wie ich es verstehe, ist unser Bankwesen der Lebensnerv unserer Wirtschaft. Und dieses Banksystem beruht auf Kredit – auf Vertrauen, könnte man sagen. Zerstören Sie dieses Vertrauen, zerstören Sie das System. Wenn Ihre Maschine auf den Markt kommt, gibt es kein Vertrauen mehr in die gegenwärtigen Institutionen. Aktien würden wertlos werden, lange bevor Ihr Konverter sie ent wertete. Das aber würde unser Banksystem genauso treffen wie das Nervengift das Nervensystem. Das Opfer – die amerikanische Wirtschaft – würde sterben, und mit ihr die Nation.“ „Ich verstehe“, sagte Bending langsam. Ihm gefiel dieser Ausblick nicht, ja, er erschreckte ihn mehr, als er zugeben wollte. Er sah zu seinem Geschäftsführer. „Wie denkst du darüber, Jim?“ Er wußte, daß er sich auf Luckmann verlassen konnte. Jim Luckmann machte ein besorgtes Gesicht. „Die Leute haben recht, Sam. Ich kenne das Investitionsgeschäft in diesem Land, und ich kann mir vorstellen, wie es draußen funktioniert. Unser Land wäre am schlimmsten von der Depression betroffen.“ 63
Sam Bending schloß die Augen. „Ich habe jahrelang an diesem Konverter gearbeitet“, sagte er. „Er war … er be deutete mir viel. Ich erfand ihn, machte ihn perfekt.“ Seine Stimme zitterte leicht. „Aber wenn das die Auswirkungen sind … alles das …“ Er holte tief Luft. „Gut, ich werde meinen Konverter zerstören, die Pläne vernichten und alles darüber vergessen.“ Jim Luckmann sah zu Condley. „Ich glaube, das wäre nicht fair. Sam hat schwer daran gearbeitet und verdient Anerkennung. Und die Menschen der Erde haben ebenfalls ein Anrecht auf den Konverter. Kann man denn gar nichts machen?“ „Doch, bestimmt“, sagte Condley. „In vielen Ländern wurden gefährliche Erfindungen gemacht, und man unter drückte sie oft einfach dadurch, daß man den Erfinder ver schwinden ließ. Zusammen mit ihm jeden, der von dem Geheimnis wußte. Die Erfindung wurde vernichtet. Die USA gehören nicht zu diesen Ländern.“ Er sah ein paar Sekunden auf seine Hände, die mit dem goldenen Feder halter spielten, dann fuhr er fort. „Bitte, mißverstehen Sie uns nicht, Mr. Bending; wir wollen den Konverter nicht für immer zurückhalten. Schon allein deshalb, weil das, wie ich glaube, unmöglich ist. Was sagen Sie dazu, Dr. Vanderlin?“ „Der Meinung bin ich auch. Zugegeben, der Konverter ist nicht etwas, auf das man zufällig kommt oder worüber man versehentlich stolpert. Ich gebe zu, daß ich wohl nie auf die Idee gekommen wäre. Aber das ist kein Grund, an 64
zunehmen, daß er nicht doch eines Tages erneut erfunden werden könnte.“ „Daher“, sagte Condley, „haben wir kein Interesse dar an, ihn für immer zurückzuhalten. Außerdem ist eine sol che Erfindung zu wertvoll, um für immer verloren zu sein. Wir machen daher folgenden Vorschlag, Mr. Bending: Sie verkaufen Ihre Rechte an die Energie-Werke. Sie dür fen nicht zum Patent angemeldet werden, denn es darf nicht sein, daß sich jeder für ein paar Dollar die Patente kaufen und den Konverter nachbauen kann. Daher haben wir das Patentierungsverfahren auch einstellen lassen. Unter der Kontrolle der Regierung werden die EnergieWerke nach und nach ihre Aktien abstoßen – sehr langsam, damit es keine wirtschaftlichen Rückschläge gibt. Die Ge fahr liegt ja auch weniger darin, daß der Konverter alle bisher bekannten Verfahren zur Energieerzeugung ersetzen kann, sondern in der Geschwindigkeit, mit der er es tun würde. Die Anpassung muß sehr langsam erfolgen. Das würde ungefähr zehn Jahre dauern, in denen Sie bereits eine monatliche Abfindung auf die dann anfallenden Li zenzgebühren erhalten werden.“ „Ich verstehe“, sagte Sam Bending langsam. „Das klingt ganz vernünftig. Was meinst du, Jim?“ Jim Luckmann lächelte. „Ich glaube, wir müssen zu stimmen, Sam. Über die Vertragsbedingungen wird noch zu verhandeln sein, aber Mr. Olcott und ich werden uns darüber schon einig werden.“ Olcott blinzelte überrascht. Er hatte eine hohe Hürde ge 65
nommen. „Und mich wird man wohl zur Geheimhaltung vereidi gen?“ fragte Bending. Er erholte sich langsam. Condley nickte. „Ja.“ Er machte seine übliche Pause und starrte auf den Federhalter, bevor er fortfuhr: „Mr. Ben ding, Sie dürfen nicht glauben, daß das zum erstenmal ge schieht. Ihre Erfindung ist nicht die erste gefährliche, sie ist aber von fast allen die bisher gefährlichste. Wir hätten uns gern mit Ihnen auf anderer Basis geeinigt, aber es geht nicht anders.“ Sam Bending lehnte sich zurück. „Einverstanden. Aber um ehrlich zu sein: Ich verstehe noch viele Einzelheiten nicht, weil ich kein Wirtschaftsfachmann bin. In groben Zügen ist mir natürlich alles klar.“ Dr. Artomonow lächelte breit. „Ich verstehe die Details Ihrer Maschine auch nicht, Mr. Bending, aber immerhin erkenne ich soviel, um die furchtbaren Folgen errechnen zu können. Ich freue mich, daß Amerika, genau wie Mütter chen Rußland, Patrioten ersten Grades hervorgebracht hat.“ Sam lächelte ein wenig unsicher zurück. „Danke.“ Er wußte nicht recht, was er sagen sollte. „Jim Luckmann wird die Fakten für mich nachrechnen, damit ich auch die Einzelheiten verstehe.“ „Oje“, stöhnte Luckmann leise. „Ich will es immerhin versuchen.“ „Ich werde Ihnen die Berechnungen des Komputers zu senden lassen“, bot Condley an. „Sie zeigen die ganze Ka tastrophe minuziös auf.“ 66
Artomonow warf Condley einen abschätzenden Blick zu, sagte aber nichts. „Da wäre noch etwas“, sagte Sam beiläufig. „Der Kon verter ist meine Erfindung, und ich möchte weiterhin privat mit ihm arbeiten. Außerdem hätte ich gern eine beratende Stellung bei den Energie-Werken, um am Gewinn der Werke beteiligt zu sein. Dadurch werden die späteren Li zenzgebühren durch die Vorauszahlungen nicht zu sehr geschmälert.“ Jim Luckmann grinste, und Olcott sagte: „Ich denke, Sie sind kein Geschäftsmann, Mr. Bending?“ „Ich bin vielleicht ein Ignorant“, sagte Sam, „aber nicht dumm; was ist also?“ Olcott sah zu Dr. Larchmont. Der kleine Wissenschaftler strahlte. „Einverstanden“, sagte er. „Ich möchte von Mr. Bending sowieso noch Einzelheiten darüber wissen, die zur Entwicklung des Konverters geführt haben. Um ehrlich zu sein, ist mir noch einiges daran rätselhaft.“ „Das ist verständlich“, meinte Dr. Vanderlin. „Wir hat ten ja auch nur ein paar Stunden, um uns das Gerät anzuse hen.“ „Das meinte ich“, sagte Dr. Larchmont. „Wir kommen ohne Erklärungen von Mr. Bending nicht aus. Ich gebe zu, daß …“ „Einen Augenblick“, unterbrach Bending ihn. „Sie sag ten ‚nur ein paar Stunden’, Mr. Vanderlin. Sie meinen da mit also heute morgen?“ Bending grinste innerlich. „Sollte die Sicherung im Konverter, der am Freitag gestohlen wor 67
den war, funktioniert haben?“ Vanderlin blickte fragend zu Larchmont. Der sagte: „Freitag? Soll das heißen, daß Sie zwei Testmodelle hat ten?“ Olcott fiel ein: „Gab es ein zweites? Wir untersuchten nur den Stromanschluß Ihres Privathauses und stellten fest, daß Sie darin kaum Strom verbrauchten, und daher schlossen wir …“ „Ich habe, beziehungsweise hatte, drei Modelle“, sagte Bending. „Eines davon ist noch in meinem Wagen, das zweite arbeitete in meinem Haus, und das dritte ver schwand Freitag nacht aus meinem Laboratorium. Jemand hat …“ Condley fiel ihm ins Wort. „Wissen Sie etwas davon, Dr. Artomonow?“ Der Russe schüttelte den Kopf. „Nein, nichts.“ Er sah erschrocken in die Runde. „Ich versichere, daß meine Re gierung nichts davon weiß.“ Condley sprang auf. „Wo sind diese beiden FBI-Leute?“ Er rannte hinaus. „Der Schwarzmarkt“, sagte Bending leise. „Man hat dort Wind davon bekommen.“ „Und man hatte drei Tage Zeit, den Konverter außer Landes zu schaffen und zu studieren“, sagte Larchmont. „Jetzt ist alles zu spät. Der Konverter ist wahrscheinlich schon irgendwo in Südamerika.“ Artomonow stand auf. Er war kreidebleich. „Entschuldi gen Sie mich, meine Herren. Ich muß mich sofort mit 68
Moskau in Verbindung setzen.“ Er stürmte ebenfalls da von. Die vier zurückgebliebenen Männer starrten sich lange und schweigend an. Viel mehr konnten sie auch nicht tun.
Verhängnisvolle Erinnerungen Aus einem Wirbel tiefster Dunkelheit schossen, zuerst noch völlig ungeordnet, Gedanken und Erinnerungen wie bunte Fünkchen hervor. Sie tauchten auf, verschwanden wieder, jagten von einer Ungewißheit in die andere. Erin nerungen versanken in einem Mahlstrom der Unendlich keit, um kurz darauf wieder daraus aufzutauchen. Dann kam die Dunkelheit zum Stillstand, und die Bewußtseins fetzen ordneten sich wieder in vorbestimmte Muster, wäh rend die Dunkelheit sich langsam verzog. Wie ein fünfdi mensionales Puzzlespiel fügten sich die Funken in ihre vorgeschriebene Stellung. Der Prozeß war noch längst nicht abgeschlossen, als Broom wieder zu sich kam. * Abrupt richtete er sich auf und sah sich um. Seine Umge bung war ihm völlig unbekannt. Im ersten Augenblick schien ihm das völlig verständlich. Warum sollte der Raum sich nicht verändert haben, nachdem er durch … 69
Was? Er rieb sich die Schläfen und blickte sich erneut um. Nicht nur der Raum, seine Umgebung, hatte sich verändert. Der Effekt ging noch viel weiter. Broom war fest davon überzeugt, denn es war nicht das erstemal in seinem Leben, daß er in fremder Umgebung erwachte. Diesmal war es anders. Er saß auf dem Boden und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er war groß – ungefähr ein Meter achtzig – und entspre chend war sein Gewicht. Seine Muskeln waren genau an den richtigen Stellen entwickelt. Haare und Bart waren dunkelblond und ziemlich wirr, was daran lag, daß er im Gefängnis gesessen hatte. Gefängnis! Ja, er hatte im Gefängnis gesessen. Die billige Kleidung, die er trug, war bestimmt nicht die, die er sonst zu tragen pflegte. Er versuchte sich zu erinnern, aber es klappte nicht ganz. Ein Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Ein Name: Contarini. Er meinte, sich an das überraschte Ge sicht des Italieners zu erinnern, wußte aber nicht, wann und warum er dieses Gesicht gesehen hätte. Es würde ihm schon noch einfallen, dessen war er sicher. In der Zwischenzeit: Wo, zum Teufel, war er? Von seinem Platz aus konnte er den Raum, der zwar groß, aber nicht riesig war, gut überblicken. Eine Tür in einer Wand führte in einen zweiten, gleichartigen Raum. 70
Broom sah auf den Boden. Er war weich, fast so wie ein Bett, bedeckt mit einem widerstandsfähigen Belag aus ei nem unbekannten Material. Es war eine Art Teppich, aber noch nie hatte ein Teppich sich so angefühlt. Er stand vorsichtig auf. Immerhin war er nicht verletzt. Er fühlte sich bis auf die Gedächtnislücke völlig wohl. Der Raum war gut beleuchtet. Das Licht kam von der Decke und verteilte sich so, daß nirgends ein Schatten fiel. An der Wand gegenüber der Tür stand ein Tisch, der ganz normal aussah, nur die Gegenstände darauf ließen ihren Zweck nicht erkennen. Broom schwindelte, und er mußte seinen Blick von dem Tisch losreißen. Immerhin kamen ihm die Wände vertraut vor. Sie schie nen mit einem wertvollen Holz verkleidet zu sein. Er ging zu einer Wand und berührte sie. Im gleichen Augenblick merkte er, daß es kein Holz, sondern ein harter, glasähnlicher Stoff war. Blitzschnell riß er seine Hand wieder zurück. Plötzlich konnte er die Emotion definieren, die ihn so eben veranlaßt hatte, die Hand von der Wand zurückzuzie hen: Furcht – Furcht? Unsinn. Er berührte erneut die Wand und zwang sich, sie mit der ganzen Hand anzufassen. Es gab nichts, wovor er Angst haben müßte. Er lachte leise über sich selbst. Er hatte dem Tod schon über einhundertmal ins Gesicht gesehen, ohne sich zu fürchten; warum sollte er jetzt Angst haben? Was würden seine Leute sagen, wenn sie erfuhren, daß er sich vor der 71
Berührung einer holzähnlichen Wand gefürchtet hatte? Die Erinnerungen kehrten zurück. Er versuchte nicht, diesen Prozeß zu beschleunigen, er ließ sie einfach kom men. Er wandte sich wieder zu dem Tisch. Von ihm ging ein schwaches Summen aus, das ihm bisher entgangen War. Er ging hinüber, um sich die seltsam geformten Gegenstände näher zu betrachten. Die Oberfläche des Tisches schimmer te hell, und Broom war überzeugt, daß sie genausowenig aus Holz bestand wie die Wand. Eine vorsichtige Berüh rung bestätigte seine Vermutung. Das einzig Vertraute auf dem Tisch war ein Stoß be schriebener Blätter. Er nahm ihn auf und besah sich die Seite mit den fremden, ihm völlig unbekannten Zeichen1. Er grinste und legte den Stapel wieder zurück. Das Summen schien von einem Gegenstand auf der an deren Seite des Tisches zu kommen. Er hatte Knöpfe und Schalter, aber Broom erriet deren Bedeutung nicht. Mehre re Knöpfe waren mit unerklärlichen Symbolen beschriftet. Das wäre etwas, wofür man sich in London interessieren würde, sollte er jemals dorthin zurückkehren. Vorsichtig berührte er einen der beschrifteten Knöpfe. Es machte laut klick in der Stille des Raumes, und er sprang erschrocken zurück. Erwartungsvoll starrte er auf den Knopf, aber nichts geschah. Trotzdem entschied er, den Kasten nicht mehr zu berühren. Es hatte keinen Zweck, mit Kräften zu spielen, die er nicht verstand. Immerhin, eine so lange Zeit … 72
Er hielt inne. Zeit? Zeit? Was hatte Contarini über die Zeit gesagt? Irgend etwas über einen Fluß, der sehr schnell floß – er erinnerte sich wieder. O ja – und daß es so gut wie unmöglich war, in die entgegengesetzte Richtung zu schwimmen oder … Da war noch etwas gewesen. Aber was? Er schüttelte den Kopf. Je intensiver er an das, was sein Mitgefangener gesagt hatte, dachte, um so unverständlicher wurde es. Er war durch die Zeit gereist, das war klar. Aber wie weit und in welche Richtung? Offensichtlich in die Zu kunft; Contarini hatte darauf hingewiesen, daß Reisen in die Vergangenheit unmöglich seien. Dann konnte er, Broom, also nicht mehr in seine eigene Zeit zurückkehren – er mußte hierbleiben, wo und wann immer es war. Auch schien eine Zeitreise einen verwirrenden Effekt auf das Gehirn auszuüben. War das nicht natürlich? Selbst die normale Bewegung durch die Zeit, nämlich das Leben von Tag zu Tag, ließ Erinnerungen verblassen. Manche gingen ganz verloren, andere blieben immer klar gegen wärtig. Wie also würde sich ein Sprung über Jahrhunderte auswirken? Allerdings besserte sich sein Erinnerungsvermögen zu sehends. Wenn er es in Ruhe ließ, würden die Erinnerun gen wiederkehren, und er konnte sich besser orientieren. In der Zwischenzeit mußte er seine nähere Umgebung unter suchen. Er beschloß, dabei seine Hände von allen Dingen zu lassen, die er nicht genau verstand. 73
*
An dem massiven Tisch stand ein seltsam geformter Stuhl, und hinter diesem Stuhl befand sich ein breiter Vorhang an der Wand, der wohl eine Öffnung verdeckte. Ein schwa cher Lichtschein fiel durch die Mitte des Vorhangs herein. Broom beschloß, ruhig einmal einen Blick hinauszuwer fen, um zu sehen, was sich dort befand. Er schob den Vor hang auseinander, und … Er schnappte nach Luft. Draußen war es fast dunkel. Der Himmel war nicht be wölkt, und Broom erkannte die bekannten Konstellationen. Sie wurden allerdings teilweise überstrahlt von dem Licht der Stadt, die sich unter ihm bis zum Horizont erstreckte. Was für eine Stadt! Es fiel ihm schwer, alle seine Ein drücke zu ordnen, so fremd war ihm alles. Durch die Stadt zogen sich breite, hellerleuchtete Bah nen, soweit das Auge sehen konnte. An verschiedenen Stel len schwangen sich Brücken über Abgründe. Das Ganze wurde nur von dem Gebäude überragt, von dem aus er hi nuntersah. Ihm wurde schwindlig, als er an dem Gebäude hinunterblickte; es mußte mit seiner Spitze bis in die Wol ken reichen, hätte es in dieser Nacht Wolken gegeben. Broom trat zurück und ließ den Vorhang zurückgleiten. Mehr konnte er fürs erste nicht verkraften. Sein Zimmer wirkte im Vergleich zu der unendlichen Stadt direkt an heimelnd. 74
Er umrundete den Tisch und ging zur Tür, die in einen ähnlichen Nebenraum führte. An der Wand nahe der Tür hing ein Bild, das einen Mann in einer eigenartigen frem den Kleidung zeigte. Broom hatte auf seinen Reisen aber schon viele Fremde gesehen und dachte daher nicht weiter darüber nach. Was ihn aber zum Verweilen veranlaßte, war die unheimliche Vitalität, die von dem Bild ausging. Man hatte den Eindruck, in einen Spiegel zu sehen. Das konnte natürlich nicht sein; es war nur ein gemaltes Bild. Aber als wenn es lebte, folgten ihm die Augen überall hin. Broom wurde unheimlich zumute, und er ging schnell hinüber in den anderen Raum. Hier fand er mehrere Tische mit je einem Stuhl verteilt über den Raum. Brooms Schritte waren plötzlich laut zu hören. Er blieb stehen und sah auf den Boden. Dieser Raum war nicht mit dem weichen, widerstandsfähigen Teppich bedeckt, sondern blank poliert und hatte dachzie gelähnliche Mosaike eingearbeitet. Der Raum war größer als der, den Broom soeben verlas sen hatte, und er war schlechter beleuchtet. Zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß er hier nicht allein sein mußte, und er tastete nach einer Waffe. Selbst ein Messer in der Hand hätte ihn jetzt beruhigt. Aber natürlich hatte er keins, denn Kriegsgefangenen nahm man normalerweise ihre Waffen ab. Er fragte sich, was das für Menschen waren, die in dieser phantastischen Stadt lebten. Tief unter sich hatte er viele sich bewegende Lichter erkennen können, aber mehr war 75
nicht auszumachen. Was hatte Contarini noch gesagt? Es wäre wie … „ein hundertjähriger Schlaf, aus dem man in einer fremden Um gebung erwacht“. Das schien zuzutreffen. Wußte aber überhaupt jemand, daß er hier war? Er hatte das unangenehme Gefühl, daß er heimlich beobachtet wur de, konnte aber keine Beweise dafür entdecken. Er hörte auch nichts als das leise Summen aus dem Nebenraum und ein dunkles, fernes Brummen, das aus großer Tiefe zu kommen schien. Wieder wünschte er sich eine Waffe, und die Tatsache, daß niemand zu sehen war, zerrte stärker an seinen Nerven als ein sichtbarer Feind aus Fleisch und Blut. Er hatte plötzlich alles Interesse an seiner Umgebung verloren. Er fühlte sich hier gefangen in einer fremden, drohenden Umwelt. Da sah er einen Lichtschimmer unter einer Tür am anderen Ende dieses zweiten Raumes – viel leicht ein Ausgang. Er ging darauf zu und versuchte, so leise wie möglich aufzutreten. In die Tür war ein Stück durchscheinendes Glas eingear beitet, und wieder konnte er die fremden Buchstaben dar auf nicht entziffern. Vielleicht hätten sie ihm sagen kön nen, wo er sich befand. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter. Völlig uner wartet schwang die Tür mühelos nach innen auf. Sie war viel leichter, als er angenommen hatte. Er untersuchte sie, um einen Mechanismus zu finden, 76
mit dem man sie verschließen konnte, fand aber außer ei nem kleinen Schlitz nichts. Er hielt das vorerst für unwich tig, da er immer noch das Glas zertrümmern konnte, um wieder hineinzugelangen. Er trat auf einen hohen Gang hinaus. * Der Gang verlief nach links und rechts. Das Ende war in dem Dämmerlicht nicht auszumachen. Zu beiden Seilten der Wand befanden sich unzählige Türen wie die, die er eben durchschritten hatte. Wie sollte er jemals hier heraus finden? Die Tür hinter ihm drückte immer noch gegen ihn, so, als ob sie sich von selbst schließen wollte. Er wollte dem Druck schon nachgeben, als er sich anders besann. Was man kennt, kann einen nicht mehr überraschen, dachte er. Er ging zurück in seinen Raum und suchte etwas, womit er die Tür offenhalten konnte. Er fand einen kleinen, fein gearbeiteten Steingutteller, den er von einem der Tische nahm und zwischen Tür und Angel klemmte. Das erfüllte den Zweck vollauf. Wenn jemand in der Zwischenzeit den Raum verschließen sollte, würde das zumindest beweisen, daß Broom nicht allein an diesem mysteriösen Ort war. Er ging den Gang nach rechts hinunter und betrachtete die Türen, an denen er vorbeikam. Sie waren alle ver schlossen. Nirgends sah er Licht. Nur in den Räumen, in denen er 77
erwacht war, hatte Licht gebrannt. Warum nur dort? Er blieb stehen, als ihm plötzlich wieder etwas einfiel. Er erinnerte sich an einen mittelalterlichen Kerker, an stin kendes Stroh, an ein schwaches Licht, das durch Gitterstä be hereinfiel. Contarini, der kleine, drahtige Italiener, hatte aus der Nebenzelle zu ihm herübergesehen und gesagt: „Ich bin überzeugt, daß es zu schaffen ist, mein Freund. Es ist der Geist, der Geist allein, der den Fluß der Zeit beeinflussen kann. Der Körper macht die Reise mit, erkennt sie aber nicht als solche. Nur die Seele kann die Ewigkeit erahnen.“ Broom war stärker und mutiger als der Italiener, aber im Gefängnis waren sie alle gleich. „Du glaubst also, daß man einfach von hier verschwinden kann, wenn man nur daran denkt?“ Contarini nickte. „Warum nicht? Haben es die Heiligen nicht schon getan? Was war das denn anderes? Ein Be trachten des Ewigen, ja, ein Schauen der Unendlichkeit.“ Broom mußte ein Grinsen unterdrücken. „Warum hast du dann nicht schon lange dieses Gefängnis verlassen, mein venezianischer Freund?“ „Ich versuchte es“, sagte Contarini, „aber es gelingt mir nicht. Du willst wissen, warum? Ich habe Angst davor.“ „Angst?“ Broom zog die Augenbrauen zusammen. Er hatte Contarini auf dem Schlachtfeld gesehen, und der Ita liener hatte nicht gerade den Eindruck eines Feiglings ge macht. 78
„Ja“, sagte der Venezianer. „Angst. Keine Angst vor den Menschen. Ich kämpfe, und eines Tages werde ich sterben – ja, sogar bestimmt von Menschenhand sterben. Der Tod jagt mir keine Angst ein, denn ich habe keine Angst vor dem, was Menschen Menschen antun.“ Er schwieg und überlegte kurz. „Aber vor der Zeitreise habe ich Angst. Nur ein Heiliger kann es wagen, und ich bin keiner.“ „Ich hoffe, mein lieber Contarini“, sagte Broom trocken, „daß du mich nicht für einen Heiligen hältst.“ „Nein, vielleicht nicht“, entgegnete Contarini. „Das nicht, aber du bist mutiger als ich. Ich habe keine Angst vor den Lebenden, aber du fürchtest auch die Toten nicht – und das ist mehr, als ich von mir behaupten kann. Außer dem fließt königliches Blut in deinen Adern. Und genießt nicht jeder König einen Schutz, den selbst ein Mann edler Herkunft wie ich nicht hat? Ich glaube bestimmt, daß du es könntest, wenn du nur richtig wolltest. Nur dann könnte ich hoffen, befreit zu werden. Meine Furcht kettet mich hier an, dich hält nichts.“ Broom hatte einen Augenblick nachgedacht, dann lä chelte er. „Gut, mein Freund, ich werde es versuchen. Be ginnen wir mit der ersten Unterrichtsstunde.“ Die Erinnerung verblaßte. War er wirklich durch ein Stück Ewigkeit gereist, um diesen … diesen Ort zu errei chen? Hatte er … Ihn fröstelte plötzlich. Was tat er hier? Wie hatte er alles nur so ruhig aufnehmen können? Angst vor Menschen und Teufeln kannte er nicht – aber das war weder das eine noch 79
das andere. Er mußte wieder zurück. Die völlige Fremde dieses hellen, leblosen Wunderlandes war zuviel für ihn. Instinktiv drehte er sich um und rannte zurück. Wenn er wieder dort war, wo er ankam – vielleicht, irgendwie – würde ihn die gleiche Macht wieder in seine Welt zurück bringen. * Die Tür war noch so, wie er sie verlassen hatte. Er nahm den Teller an sich und lief zurück in den Raum, in dem er erwacht war. Keuchend blieb er stehen. Was jetzt? Er versuchte sich an die Instruktionen des Italieners zu erinnern, aber die Er innerung versagte. Er hatte immer noch große Gedächtnis lücken – Lücken, von denen er nicht wußte, wo sie waren, weil er noch nicht nach ihnen gesucht hatte. Er schloß die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Er hatte nicht gehört, daß jemand gekommen war, bis ihn dessen Stimme aufschrecken ließ. Broom öffnete die Augen, und sofort spannten sich alle Muskeln seines trainierten Körpers aufs äußerste. Ein Mann stand in der Tür. Auf den ersten Blick machte der Fremde keinen sonder lichen Eindruck auf ihn, sah man von seiner eigenartigen Kleidung ab. Er war nicht so groß wie Broom und sah ver weichlicht aus. Er hatte einen ziemlichen Bauch, und sei nem Gesicht sah man einen üppigen Lebenswandel an. 80
Außerdem blickte er noch ängstlicher drein als Broom vor wenigen Minuten. Er sprach eine Sprache, die Broom nicht verstand, aber man merkte, daß er Angst hatte. Broom beruhigte sich; er hatte von diesem Mann nichts zu fürchten. „Ich will Ihnen nichts tun“, sagte Broom. „Ich wollte auch hier nicht eindringen, sondern suche nur Hilfe.“ Der kleine Mann blinzelte und ging langsam zurück, so, als wollte er jeden Augenblick davonstürzen. Broom lachte. „Sie brauchen keine Angst zu haben, kleiner Mann. Darf ich mich vorstellen: Ich bin Richard Broom, genannt …“ Er hielt inne und riß die Augen auf. Jetzt stürzte die ganze Erinnerung über ihm zusammen, als ihm klar wurde, wer er war und wohin er gehörte. Wieder überflutete ihn eine grenzenlose Angst, und sein Bewußtsein wurde hinweggeschwemmt. Wieder wurde es dunkel. Contarini nickte traurig. „Ich habe schon davon gehört. Man muß zurück, sobald sich der Verstand normalisiert hat. Es tut mir leid, mein Freund; ich hatte gehofft, wir könnten auf diese Weise fliehen. Aber es scheint, daß wir warten müssen, bis das Lösegeld bezahlt ist. Ich fürchte nur, daß man für mich nichts bezahlen wird.“ „Für mich ebenfalls nicht“, sagte der große Mann nie dergeschlagen. „Mein treuer Blondin fand mich, aber es kann sein, daß er nicht nach London zurückkehrt. Und selbst dann wird mein Bruder John zögern, das Geld zu bezahlen.“ 81
„Was? Sollte die englische Krone zögern, ihren tapfer sten Krieger aus den heiligen Kreuzzügen freizukaufen? Niemals! Du wirst wieder frei sein.“ Aber Richard Plantagenet starrte nur auf den kleinen Teller, den er immer noch in der Hand hielt, die Furcht immer noch tief im Herzen. Die Leute würden ihn weiter hin „Löwenherz“ nennen, aber er würde keine Gelegenheit mehr bekommen, sich diesen Titel zu verdienen. * Diesmal ließ die Bewußtlosigkeit schneller nach. Er sah ein Gesicht, ein besorgtes Gesicht, das ihn durch ein Loch in der Wand ansah. Seine Umgebung kam ihm sofort bekannt vor, und die Erinnerung, durch die Zeitreise durcheinan dergewirbelt, ordnete sich schneller. Das Gesicht gehörte dem Italiener, Contarini. Er sah gleichzeitig besorgt und enttäuscht aus. „Du warst nicht lange fort, mein König“, sagte er. „Aber du warst verschwunden, ohne Zweifel. Was geschah?“ Broom richtete sich auf seiner Strohpritsche auf. Die Er innerung an das seltsame Gebäude schien ihm bereits wie ein Traum, aber die Angst steckte immer noch in ihm. „Ich konnte mich nicht daran erinnern, wer ich war, noch war um ich dorthin gegangen war“, sagte er leise. „Als die Er innerung wiederkehrte, wurde ich zurückgeschleudert.“ *
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Ungefähr achthundert Jahre weiter, Tausende von Kilome tern räumlich entfernt, sprach Mr. Edward Jasperson aufge regt in den Telefonhörer. „Ja, Herr Wachtmeister, Suite 8601, Empire State Build ing. Ich hatte noch lange zu arbeiten und ließ das Licht in meinem Büro brennen, während ich mir eine Tasse Kaffee holte. Als ich zurückkam, war da – ein großer, bärtiger Mann, der so etwas Ähnliches wie eine Mönchskutte trug. Was? Nein, ich hatte die Tür verschlossen, als ich ging. Bitte? Nun, soweit ich es übersehe, fehlt nur ein Keramik aschenbecher von einem Tisch. Der Fremde hielt ihn in der Hand. Wie? Oh, wohin er ging?“ Mr. Jasperson unterbrach seinen Wortschwall. „Nun, ich muß ziemlich verwirrt ge wesen sein – es war ein Schock für mich, müssen Sie wis sen. Um ehrlich zu sein, ich sah nicht, wohin er ging. Ich muß ohnmächtig geworden sein. Aber Sie erwischen ihn bestimmt noch, denn in diesem Aufzug dürfte er nicht weit kommen. Gut, vielen Dank, Herr Wachtmeister.“ Er legte den Hörer zurück, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich über die nasse Stirn. Er war ein ängstlicher Mensch, aber er wußte, daß es bis morgen vorbei sein würde.
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„Ich an deiner Stelle würde die Positionsbestimmung mit dem Navigationscomputer vornehmen …“
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Die Waffe des Verderbens Als man die Überlebenden aus der Schlacht von Leymons Stern zurückbrachte, wollte niemand einen alten Hut wet ten, daß sie jemals wieder ein normales Leben führen wür den. Das gleiche war mit der Besatzung des GSS Beduin nach dem Scharmützel im Großen Abgrund. Man fand die Bedu in zwischen den Sternen treibend, nachdem sie das Feind schiff mit einem Schuß aus den neuen aJ-Projektoren ver nichtet hatte. Es war ein Fall von der Art „Operation gelungen, Doktor tot“, jedenfalls so ähnlich. Die Besatzungsmitglieder be fanden sich in einem Zustand völliger Teilnahmslosigkeit. Jedesmal wurden alle Feindschiffe, mit Ausnahme derer, die sich rechtzeitig aus dem Staub machten, vernichtet. Man nahm die Überlebenden aus den Erdschiffen auf und brachte sie nach Kandoris VI, dem galaktischen Haupt stützpunkt der Interstellaren Flotte. Flottenkommandant Allerdyce behandelte die Männer kurz und übergab sie dann an das Zivile Forschungskorps. Generaldirektor Eckisster wußte sich auch nicht recht zu helfen, gab ein paar Befehle und überließ die Verantwor tung dem Chef der Abteilung Waffentechnik, Roysland Dwyn. Bilford, der Chef-Psychometrist, brachte einen Mann der Besatzung der Beduin in das Büro Dwyns, vier Tage, nachdem man die Leute aufgegriffen hatte. 85
Roysland Dwyn sah von seiner Arbeitauf, als Bilford eintrat. Hinter seinem massiven Kunststofftisch sah er wie ein Normalbürger aus. Wenn er aber aufstand, stellte man fest, daß er den Durchschnittsbürger um einiges in Höhe und Breite überragte. Bilford kam an den Tisch. „Du willst den Kapitän Glis ser sehen, Roysland?“ Roysland nickte. „Herein mit ihm; ich will mir selbst ein Bild von der Sache machen.“ Bilford nickte ebenfalls und wandte sich zur Tür. Er fuhr sich mit der schlanken Hand nervös durchs Haar und rief: „Kapitän Glisser, kommen Sie herein!“ * Glisser betrat das Zimmer, wobei Roysland ihn sorgfältig beobachtete. Glisser war groß, schlank und ein typischer Vertreter je ner Männer, die durch hartes physisches Training auf ihre Höchstform gebracht worden waren. Er bewegte sich mit militärischer Präzision, ohne daß es steif wirkte. Er machte einen Schritt durch die Tür und blieb stehen. Roysland kniff die Augen zusammen und sah dem Kapi tän ins Gesicht. Man konnte nicht behaupten, daß er wie jemand aussah, den man hypnotisiert hatte. Nach kurzer Überlegung kam Roysland zu dem Schluß, daß man es als eine Art apathisches In-sich-gekehrt-Sein bezeichnen konnte. 86
„Wie lange bleibt er so stehen?“ fragte er Bilford. Bilford machte eine hilflose Geste. „Bis ihm jemand sagt, er soll sich bewegen, oder bis er an Nahrungsmangel oder Übermüdung zusammenbricht.“ „Er soll sich da drüben hinsetzen“, sagte Roysland. „Der arme Kerl braucht ja nicht zu stehen.“ „Gehen Sie hinüber und setzen Sie sich“, sagte Bilford zu dem Kapitän, und Glisser tat, wie ihm geheißen. Bilford zog sich einen zweiten Stuhl heran und setzte sich. „Warum willst du ihn sehen?“ fragte er. „Ich meine, hast du etwas Bestimmtes dabei im Sinn?“ „Nichts Spezifisches“, erwiderte Roysland und schüttel te den Kopf. „Ich versuche nur, die Sache von allen Seiten zu beleuchten. Die Enlissa haben eine neue Waffe, und wir müssen ein Gegenmittel finden. Bisher wissen wir nur, daß diese Waffe sich auf das Gehirn auswirkt – und das nützt uns nicht viel.“ Er deutete auf den schweigenden Kapitän. „Sind sie alle so?“ fragte er. „Im Grunde, ja“, sagte Bilford. „Kann er hören, was ich sage, ich meine, versteht er mich?“ „Schwer zu sagen. Ich glaube, daß er uns auf einer sehr niedrigen Ebene versteht. Ich will dir zeigen, was ich damit meine.“ Er wandte sich an Glisser und sah ihm in die Au gen. „Kapitän Glisser, wie alt sind Sie?“ Keine Antwort. „Glisser, wann wurden Sie geboren?“ 87
Schweigen. „Glisser, sagen Sie uns, wann Sie geboren wurden!“ „Zwölften achten neunzehnhundertundvierundsechzig.“ Bilford wandte sich wieder an Roysland. „Er tut nichts aus eigenem Antrieb, er verspürt keinerlei bewußtes Han deln. Man muß ihm genau sagen, was man will. Einfaches Fragen reicht nicht, man muß auf einer Ant wort bestehen, sie ihm praktisch befehlen. Das meine ich, wenn ich sage, daß er ein primitives Verständnis hat. Er kann nicht einmal einen indirekt ausgesprochenen Befehl erkennen.“ Roysland runzelte die Stirn und – wollte etwas sagen, aber er wurde von einem Flackern auf seinem Schreib tischkommunikator unterbrochen. Er sah zu Bilford. „Der Boß“, sagte er trocken, dann drückte er einen Knopf. Ein Flimmern in der Luft nahm Gestalt an, formte sich zu einer in einem Sessel sitzenden Gestalt, die breit lächel te. Anfangs war die Projektion etwas unscharf, aber dann erkannte man einen Mann mittleren Alters. Generaldirektor Eckisster lächelte und sagte: „Kommen wir gut voran, meine Herren?“ „Wir haben mit unserer Arbeit gerade begonnen“, erklär te Roysland. Eckisster nickte. „Ich verstehe.“ Er sah zu dem Kapitän, der immer noch reglos in seinem Sessel saß, wie man ihm befohlen hatte. „Ist das einer der Männer der Beduin?“ Bilford beantwortete die Frage. „Ja, Sir, Kapitän Glisser.“ 88
„Und Sie haben noch nichts weiter herausgefunden? Sie wissen nicht, was diese Leute zu Schwachsinnigen ge macht hat?“ Eckissters Stimme klang freundlich, aber da hinter verbarg sich ätzende Schärfe. „Wir wissen, was ihm und den anderen fehlt“, sagte Bil ford steif. „Wir wissen nur nicht, was es verursacht hat. Nach den Enzephalogrammen zu urteilen, werden die elektrischen Ströme im Gehirn fehlgeleitet und erreichen nicht ihren Bestimmungsort, was die Nervenimpulse auch betrifft.“ „Verstehe“, sagte Eckisster und sah zu dem Kapitän. „Stehen Sie auf.“ Der Mann gehorchte. „Setzen Sie sich.“ Er setzte sich. Eckisster rieb sich das Kinn. „Es stimmt al so, was mir gemeldet wurde. Würde er sich selbst töten, wenn man es ihm befehlen würde?“ „Ja, vielleicht“, sagte Bilford. „Soll ich es versuchen?“ fragte er kalt. „Seien Sie nicht albern“, wetterte der Generaldirektor. Er blickte jetzt zu Roysland, der bisher geschwiegen hatte. „Roysland, haben Sie irgendeine Vermutung über die Na tur der Waffe?“ „Keine Sir. Weder ich noch die Psychologen haben eine Ahnung, was diesen Effekt im Gehirn verursacht.“ „So, haben Sie also nicht.“ Eckisster grinste hämisch. „Ich glaube, etwas von Mikrowellen hoher Intensität gehört zu haben?“ Roysland nickte. „Ich weiß, was Sie meinen. Ich sagte aber, daß diese Wellen über eine Entfernung von sieben 89
hundert Millionen Meilen wirken müßten. Wir wissen, daß das technisch möglich ist, aber wir wis sen nicht, wie der Feind es macht. Sehen Sie: Wenn wir die Männer mit zerschlagenem Schädel auffinden würden, würde ich sagen, daß eine Keule auf ihren Kopf eingewirkt hat. Aber das erklärt nicht, wie das über eine Entfernung von mehr als einer Lichtstunde möglich war.“ „Außerdem“, warf Bilford ein, „ist bekannt, daß Mikro wellen hoher Intensität das Gehirn beeinflussen, aber nicht auf diese Weise, Sir.“ Eckisster nickte und faltete die Hände vor dem Bauch. „Ich verstehe. Nun, meine Herren, ich …“ Er wurde von außerhalb des Bildbereichs unterbrochen. Eine Stimme sagte: „Ist soeben mit Ultra-Welle eingetroffen, Sir.“ Eine Hand erschien aus dem Nichts und hielt ihm ein Blatt Papier hin. Eckisster las, und seine Augen weiteten sich ein wenig. Er sah wieder zu Roysland. „Roysland, die Enlissa haben die Waffe wieder einge setzt. Die Gulliver wurde im Dunkelnebel aufgefunden, in der Nähe von Poulder. Sie sandte den automatischen Not ruf aus. Jeder Mann an Bord war in dem gleichen Zustand wie dieser Kapitän hier. Man bringt das Schiff hierher nach Kandoris.“ Er sah die beiden Männer nacheinander an. „Wenn das so weitergeht, sind wir bald am Ende. Es ist Ihre Aufgabe, das zu verhindern. Sie haben jetzt mehrere Anhaltspunkte, denen Sie nachgehen können. Sehen Sie zu, daß Sie bald eine Antwort auf unsere Fragen finden. Das ist alles.“ 90
Er drückte auf einen Knopf auf seiner Sessellehne, und die Projektion verschwand. Bilford wandte sich an Roysland. „Ich mag seine Nörge leien nicht, sie gehen mir auf die Nerven“, sagte er. Roysland erhob sich. „Er hält das für die beste Methode, Erfolge zu erzielen. Vielleicht hat er sogar recht, ich weiß es nicht. In einem Punkt aber sind wir uns wohl einig: Wir müssen etwas ge gen diese neue Waffe finden – was, das weiß ich nicht, aber es muß sehr schnell geschehen. Seit achtzehn Jahren stehen wir im Krieg mit den Enlis sa. Im letzten Jahr entwickelten wir die neuen aJProjektoren; bis dahin war kein Sieg unsererseits abzuse hen; der Feind hatte zu viele Schiffe. Dann setzten wir die neue Waffe ein und stellten fest, daß der Feind eine noch wirksamere entwickelt hatte. Der Krieg wurde zum Alptraum.“ Roysland verstummte und sah zu dem Kapitän. „Nun, machen wir weiter. Ich möchte ihn noch einiges fragen.“ * Die achtzehn Jahre Krieg hatten keiner der beiden Seiten ernstliche Verluste gebracht, was den Verlust an Men schenleben betraf. Männer waren in ihren Schiffen gestor ben, aber noch kein Zivilist war durch den Krieg Menschen gegen Enlissa ums Leben gekommen. Die Enlissa waren bisher noch nicht bis zu den von Menschen bewohnten 91
Planeten vorgedrungen – noch nicht. Aber seit einem Jahr schien das unausbleiblich. Der Schirm aus Kampfschiffen, den man um die bewohnten Planeten gelegt hatte, wurde immer durchlässiger. Die En lissa griffen nie mit großer Macht an, sondern schickten nur ab und an kleine Stoßtrupps vor, die den Abwehr schirm langsam, aber sicher schwächten. Doch die Enlissa hatten den menschlichen Erfindungs geist unterschätzt. Beide Seiten hatten sich bisher mit ultra lichtschnellen Torpedos das Leben schwergemacht, was aber zu keinem Ergebnis führte. Die Menschen hatten ge merkt, daß sie etwas Besseres erfinden mußten, und das hatte zur Entwicklung der aJ-Projektoren geführt. Wenn man Materie durch das Nichts der Ultra-Lichtge schwindigkeit transportieren konnte, warum dann nicht auch Energie? Das Ergebnis war ein schrecklicher Hitzestrahler von bisher nicht gekannter Intensität. Selbst die Schutzschirme eines Raumschiffes widerstanden nicht der gebündelten Energie, die bei einer nuklearen Reaktion frei wurde. Es sah so aus, als ob der Krieg schon gewonnen war, je denfalls solange, bis die ersten Schiffe mit völlig teil nahmslosen Männern zurückkehrten. Die Gulliver stand auf dem Landeplatz des riesigen Raumhafens von Kandoris. Roysland fuhr nicht mit der UBahn hin, sondern saß in einem offenen Jeep, der über die Betonfläche jagte. Bilford hatte sich schon der Mannschaft des Schiffes angenommen, Roysland interessierte vorerst 92
nur das Schiff selbst. Als der Jeep am Raumschiff hielt, sprang Roysland her aus und ging auf den Ring von Wachen zu, der das Schiff umgab. Überall liefen hohe Regierungsbeamte herum und untersuchten jeden Zentimeter des Schiffes. Eine der Wachen hielt Roysland zurück. „Darf ich Ihren Paß sehen, Sir?“ Roysland reichte ihn dem Soldaten. Der sah ihn flüchtig an und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Sir, das ist ein allgemeiner Paß, hier benötigen Sie einen Sonderausweis. Die Untersuchungsabteilung hat…“ „Wo, zum Teufel, bekomme ich diesen Ausweis?“ „Sie müssen persönlich im Büro vorsprechen“, sagte der Mann. Roysland schüttelte den Kopf. „Ich fahre doch nicht die zehn Meilen zurück zur Verwaltung. Wer ist hier der Ver antwortliche?“ „Inspektor Gowlan, Sir.“ „Holen Sie den Mann, und sagen Sie, daß Roysland Dwyn ihn sehen möchte.“ Der Wächter zögerte einen Moment, sprach dann aber leise in seinen Armbandkommunikator. Die Membrane in seinem Ohr summte eine Antwort. „Er kommt gleich“, sag te der Mann dann laut. Kurz darauf erschien ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters in einer Inspektorenuniform in der Schleuse des Schiffes und ließ sich im Transportstrahl nach unten glei ten. Er kam an den Absperring zu Roysland. „Sie sind von 93
der Abteilung Waffentechnik, nicht wahr? Ich bin Inspek tor Gowlan.“ Roysland nickte und ergriff die ausgestreckte Hand, die fast in seiner Pranke verschwand. „Sehr erfreut, Sie ken nenzulernen. Ich möchte in das Schiff hinein.“ Der Inspektor schüttelte den Kopf. „Tut mir leid … aber nicht ohne Sonderausweis. Wir sind gerade dabei, eventu elle Spuren zu sichern.“ „Dieses Schiff ist mit dem aJ-Projektor ausgerüstet, und der wurde in meiner Abteilung entwickelt und gebaut. Ich weiß also mehr darüber als Sie. Ich möchte ihn sehen – und das ganze übrige Schiff dazu. Ich habe keine Zeit, über das gesamte Feld zurückzufahren, um einen Ausweis zu besor gen.“ Der Inspektor wollte etwas sagen, aber Roysland ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Sie können bei Eckisster nachfra gen, wenn Sie wollen, aber schnell, bitte.“ Gowlan starrte Roysland einen Augenblick an, zögerte, sprach dann aber in seinen Armbandkommunikator. Zwei Minuten später war Roysland im Schiff. * Die Gulliver war so gut wie unbeschädigt, und auch die Projektoren schienen völlig in Ordnung zu sein. Die Meß geräte zeigten an, daß aus dreien von ihnen geschossen worden war. Roysland überprüfte die Aufzeichnungen und wandte 94
sich dann an Gowlan, der ihm gefolgt war. „Hat man eine Aufzeichnung darüber, wo das Schiff, auf das geschossen wurde, geblieben ist?“ Gowlan zuckte die Schultern. „Die Leute von der Raum flotte fanden nichts. Wenn die Gulliver etwas getroffen hat, so kann es Lichtjahre entfernt von der Stelle sein, an der man das Schiff fand.“ „Was hat sie veranlaßt, so davonzurasen?“ Gowlan sah ihn fragend an. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“ Roysland machte eine umfassende Bewegung. In den Korridoren und Gängen des Schiffes wimmelte es von In spektoren, die jeden Quadratzentimeter untersuchten und fotografierten. „Was geschah? Warum haben wir dieses Schiff gefun den?“ Gowlan dachte einen Moment nach und nickte dann. „Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Nun, folgendes … Die Gulliver fliegt mit Ultradrive. Man empfängt ein Biep auf einem Detektor, der das Feindschiff meldet. Es ist vielleicht zu weit entfernt für die Torpedos, aber in Reich weite der Projektoren. Im gleichen Augenblick wird ge schossen.“ Er verstummte und runzelte die Stirn. „Moment, das ergibt keinen Sinn.“ Roysland hob die Brauen. „Was gibt keinen Sinn?“ „Nun, sehen Sie: Die Kanoniere hätten bei Bewußtsein sein müssen, als sie die aJ-Projektoren betätigten. Das be deutet, daß sie das Enlissa-Schiff geortet hatten, die Auto 95
matik einschalteten, die die Projektoren betätigt. Sie müs sen danebengeschossen haben, denn die Enlissa benutzten ihren Gehirnzerstörer, nachdem die aJ-Projektoren betätigt wurden. Aber wenn dem so ist, warum haben die Enlissa die Gul liver nicht geentert?“ Eine gute Frage. Roysland überdachte das Problem von allen Seiten. Ein Raumschiff ist teuer, verdammt teuer so gar. Die Kosten für eine Flotte Seekriegsschiffe sind gar nichts dagegen. Also verschwendete man kein Schiff, auch kein feindliches. Das Wichtigste bei einer Raumschlacht ist, die Besatzung, nicht aber das Schiff zu vernichten. Selbst ein schwerbeschädigtes Schiff ist noch wertvoll. Die Gulliver war in ausgezeichnetem Zustand; wenn al so das Schiff der Enlissa nach dem Kampf noch intakt war, warum hatte man dann die Gulliver nicht einkassiert? „Ich kann mir nur denken“, sagte Gowlan. „daß die En lissa ihren Gehirnzerstörer sofort nach dem Einsatz der aJProjektoren eingesetzt haben, vielleicht sogar im gleichen Augenblick.“ Er grinste. „Klar, so muß es gewesen sein.“ Roysland nickte. „Ja, das scheint die einzige Erklärung zu sein“, stimmte er zu. „Es gibt allerdings noch einen Einwand.“ „Welchen?“ wollte Gowlan wissen. „Warum ist das Ganze gleich dreimal, an drei weit von einander entfernten Orten, geschehen?“ Gowlans Gesicht verlor den selbstzufriedenen Ausdruck. „Ja“, sagte er leise. „Ja, warum?“ 96
„Denken Sie eine Weile darüber nach“, riet Roysland grinsend. „Wenn Sie etwas herausgefunden haben, lassen Sie es mich wissen.“ * Roysland Dwyn verbrachte die nächsten zwei Tage damit, die Beine auf seinen Schreibtisch zu legen, sich in seinen Sessel zurückzulehnen und nachzudenken. Er unterbrach sein Nachdenken nur, um etwas zu essen oder zu schlafen, außerdem kam hin und wieder einer seiner Männer mit Neuigkeiten. Einmal rief Bilford an. Die Mikrowellenbehandlung zeigte erste Erfolge bei den aufgefundenen Besatzungsmitgliedern. Manche erholten sich sehr rasch, andere nicht so schnell. Immerhin sprachen alle positiv auf die Behandlung an. Am Nachmittag des zweiten Tages meldete Eckisster sich bei ihm. Er sah nicht gerade freundlich drein. Seine Projektion hatte sich kaum verfestigt, als er schon einen finsteren Blick aufgesetzt hatte. „Was ist mit der Mikro wellenbehandlung?“ schnappte er. Roysland nahm seine Füße vom Tisch und lehnte sich langsam vor. „Nichts“, sagte er. „Es wäre besser, wenn Sie sich etwas beeilen würden“, sagte der Generaldirektor. „Der Feind greift mittlerweile unsere Handelsschiffe an unserer äußersten Peripherie an.“ Roysland richtete sich erschrocken auf. „Was? Was ist geschehen?“ 97
Eckisster verzog die Lippen. „Sprechen Sie gefälligst nicht in diesem Ton mit mir, Dwyn, ich mag das nicht. Ich will, daß Sie Ergebnisse erzielen. Was los ist? Welche Waffe haben die Enlissa? Gibt es eine Verteidigung dage gen? Können wir sie überhaupt bauen? Können wir …“ Er sprach endlos weiter. Roysland stand auf und ging um seinen Tisch herum, bis er ungefähr nur noch dreißig Zentimeter von dem Bild Eckissters entfernt war. Er wußte, daß sein Abbild in Eckissters Büro das gleiche tun würde, und obwohl Eckisster wußte, daß ihm von einem künstli chen Bild nichts Physisches drohen konnte, schwieg er doch unter dem Eindruck von Royslands Nähe. Roysland sprach sehr leise, als er sich jetzt an Eckisster wandte. „Jetzt hören Sie mir mal zu, Eckisster. Ich soll die ses Problem lösen, O. K. Ich habe das gleiche Ziel wie Sie, aber ohne Fakten kann auch ich nichts erreichen. Ich muß wissen, was geschah, wie es geschah und wann. Kommen Sie mir also nicht mit irgendwelchen vagen Andeutungen, während ich angestrengt nachdenke. Geben Sie mir hiebund stichfeste Informationen, oder erzählen Sie Ihr Ge schwätz anderen Leuten. Ich kann damit nichts anfangen. Ich werde meine Schlüsse auch ohne Sie ziehen.“ Eckisster sah zu dem Berg aus Knochen und Muskeln vor ihm auf. „Regen Sie sich nicht auf, Roysland“, sagte er. „Ich verzeihe Ihnen Ihre Ungeduld; es ist nur, daß ich mir auch Sorgen mache.“ „O. K. das spricht für Sie. Was ist nun mit den Handels schiffen, die angegriffen werden?“ 98
Eckisster ergriff etwas, das außerhalb des Aufnahmebe reichs der Kamera lag. Seine Hand kehrte mit einem Stapel Papierblätter wieder. „Man schickt Ihnen umgehend eine Kopie dieser Aufzeichnungen, aber ich kann Ihnen ja schon das Wichtigste mitteilen. Zwei unbewaffnete Trans portschiffe verließen Belixa II vor einer Woche in Rich tung Niadel. Sie wurden von einem leichten Kreuzer der Sidneg-Klasse begleitet. Man fand die Schiffe, als sie die Niadelsonne passierten; niemand an Bord hatte seit vier Tagen etwas gegessen. Man hätte die Schiffe vielleicht nie aufgefunden, wenn die Regierung von Niadel nicht nach ihnen gesucht hätte. Auf Niadel hatte es eine Epidemie gegeben, und man war tete dort dringend auf irgendwelche Antibiotika.“ Roysland ging zurück zu seinem Schreibtisch und setzte sich auf die Tischkante. „Alle drei Schiffe hat es er wischt?“ „Alle drei“, bestätigte Eckisster wütend. „Ich werde Ih nen jetzt den Report zuschicken lassen. Wir müssen etwas unternehmen. Wenn die Enlissa schon so nahe herankom men, können sie auch bald Kandoris angreifen. Ihr Job ist es, eine Waffe gegen sie zu finden. Irgendeinen Schutz schirm, der uns gegen diesen … was immer es ist, schützt.“ „Nennen wir es Gehirnzerstörer“, sagte Roysland. „Einer der Inspektoren benutzte diesen Ausdruck, und er gefällt mir.“ „Ihnen mag er gefallen“, sagte Eckisster scharf. „Ich mag nichts, das diesen Effekt im menschlichen Gehirn her 99
vorruft. Machen Sie sich an die Arbeit, und finden Sie ein Gegenmittel.“ Roysland wollte gerade erklären, daß ihm das Wort – nicht der Gegenstand selbst gefiel –, aber das Bild des Ge neraldirektors verschwamm bereits. Roysland trat hinter seinen Tisch und wählte eine Nummer auf dem Kommuni kator. Ein paar Sekunden später verfestigte sich Bilfords Projektion. Der quirlige kleine Mann sah nervöser aus denn je. * „Was gibt’s, Roysland. Noch mehr Ärger? Ich hoffe nicht. Eckisster ist mir schon den ganzen Morgen auf die Nerven gefallen.“ „Ich bin ihn auch gerade losgeworden. Ich wollte dich etwas fragen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Frequenz, die den Männern hilft, und der Frequenz der Ge hirnströme in ihrem Vorhirn?“ Bilford dachte kurz nach. „Ich weiß es nicht, habe das Problem noch nicht von dieser Seite betrachtet. Es gibt keinen deutlichen Zusammenhang, das kann ich aber sa gen. Ich werde es überprüfen lassen und durch den Diffe rential-Analysator jagen.“ Roysland nickte. „Tue das, und laß mich das Ergebnis wissen.“ Er unterbrach die Verbindung zu Bilford und wählte eine weitere Nummer. Diesmal materialisierte ein Mann in der 100
Uniform eines Flottenkommandeurs. „Commander Allerdyce, darf ich Sie etwas fragen?“ „Schießen Sie los, Roysland. Worum geht’s? Hoffent lich fallen Sie mir nicht auch so auf die Nerven wie Ihr Boß. Ich hätte ihn am liebsten aus dem Büro geworfen, aber leider kann man kein Solidophon-Bild greifen. Das Beste war, einfach abzuschalten; eine unbefriedigende Lö sung.“ Der Commander grinste. „Ich weiß, was Sie denken, Commander. Ich habe nur zwei Fragen“, erklärte Roysland. „Sie wissen von dem Angriff der Enlissa auf die beiden Transportschiffe?“ Der Flottenkommandant nickte. „Dann“, fuhr Roysland fort, „wissen Sie auch, was Sie tun würden, wenn Sie der Kommandant des Begleitkreu zers gewesen wären und Sie die Ortung des EnlissaSchiffes empfangen hätten?“ „Dafür gibt es genaue Befehle“, sagte der Commander. „Der Kreuzer muß mit den aJ-Projektoren schießen, bevor er in die Reichweite der Enlissa-Torpedos gerät.“ „Und das klappt immer?“ Der Commander zuckte die Achseln. „Bisher hat es das immer. Die aJ-Projektoren setzten das fremde Schiff im mer außer Gefecht, bevor dieses einen der schutzschirm zerstörenden Torpedos abschießen konnte. Aber die neue Waffe der Enlissa muß eine genauso große Reichweite wie unser Projekt haben.“ „Oder größer“, ergänzte Roysland. 101
„Ja“, sagte Allerdyce leise. „Oder größer.“ „Gibt es noch andere Möglichkeiten?“ Der Commander nickte. „Eine – wenn die Enlissa aus dem Ortungsschatten einer Sonne herkommen würden, könnten sie einem Schiff schon sehr nahe sein, bevor man sie ausmachen könnte. Aber dazu müßten sie genau den Kurs des Schiffes ken nen und ihm auflauern. Wenn sie tatsächlich einen Stern als Versteck ausgesucht hatten, dann war es purer Zufall, daß sie zur rechten Zeit am rechten Ort waren.“ Roysland nickte langsam und dachte nach. „Ich möchte wissen …“, sagte er schließlich mehr zu sich selbst. „Wür den Sie mir einen Gefallen tun, Commander? Würden Sie nachprüfen lassen, ob der Kreuzer tatsächlich in Richtung auf die Sonne geschossen hat? Das könnte wertvoll für uns sein.“ „Ja, das will ich gern tun. Es muß ja aufgezeichnet sein. Ich werde Ihnen das Ergebnis mitteilen.“ „Gut“, sagte Roysland. „Bis später.“ Er schaltete ab. Roysland starrte lange auf die glänzende Politur seines Schreibtisches, in der sein Gesicht verzerrt wiedergegeben wurde. „O. K., alter Junge“, sagte er zu der Fratze auf dem Tisch. „Allein kommst du wohl diesmal nicht weiter.“ Er drückte auf einen Knopf seines Tischkommunikators und sagte: „Rufen Sie eine Zusammenkunft der Abteilung Waffentechnik in meine Wohnung ein. Wir treffen uns um neunundzwanzig Uhr.“ Er drückte einen weiteren Knopf und sagte: „Sobald der Bericht vom Generaldirektor ein 102
trifft, bitte in meine Wohnung durchstellen. Außerdem alle Informationen über die neue Waffe der Enlissa unter dem Stichwort Gehirnzerstörer ebenfalls zu mir.“ Er erhob sich, verschloß den Schreibtisch und ging. Er konnte jetzt eine gute Mahlzeit gebrauchen. Blackpool’s Restaurant war wie immer um diese Zeit gut besucht, aber nicht überfüllt. Roysland fand einen Tisch in einer abgelegenen Ecke des Lokals. Er setzte sich und bestellte ein Glas Orangensaft. Er mochte Blackpool’s: Es war altmodisch, fast primitiv ausgestattet, ohne kitschig zu wirken. Die Kellner – ferngesteuerte Roboter – waren in Trachten vergangener Jahrhunderte gekleidet. Roysland studierte die Speisekarte, gab seine Bestellung auf und widmete sich wieder seinem Fruchtsaft. „Roysland Dwyn? Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Roysland blickte auf und sah in ein kleines, rundes Ge sicht. Der Mann lächelte. „Aber bitte, Osteban.“ Roysland war nicht gerade scharf darauf, sich jetzt mit dem Mann zu unterhalten, aber das Galactic-News-Büro hatte doch eini gen Einfluß auf die Politik. Roysland machte eine einla dende Handbewegung und fragte, ob der Reporter etwas zu trinken wolle. Osteban betrachtete das Getränk seines Tischnachbarn. „Was trinken Sie denn? Orangensaft? Etwas dagegen, wenn ich etwas Stärkeres bestelle?“ Roysland verneinte, und Osteban bestellte seinen Scotch. Als der Kellner wieder gegangen war, nahm er einen lan gen Schluck und sagte: „Darf ich Sie etwas fragen?“ 103
„Wenn Ihnen etwas daran liegt, bitte“, erwiderte Roys land. „Ich kann aber keine Antworten garantieren.“ „Haben Sie das schon jemals getan?“ fragte Osteban sarkastisch. „Stimmt das Gerücht, daß die Enlissa eine Waffe haben, die den Menschen zum Wahnsinn treibt?“ „Davon habe ich nichts gehört“, sagte Roysland wahr heitsgemäß. „Fragte ich denn, ob Sie etwas davon gehört haben?“ konterte Osteban. „Aber bitte, Osteban“, sagte Roysland ernst. „Haben Sie jemals in Ihrem Leben einen Satz gesagt, auf den man Sie hätte festnageln können?“ „Was meinen Sie damit? Machen wir uns doch nichts vor! Wollen Sie mich für dumm verkaufen?“ Osteban grin ste versöhnlich. Roysland warf in Gedanken eine Münze, sie landete auf der falschen Seite; Osteban hatte verloren. „Ich kann Ihnen natürlich nichts Offizielles mitteilen“, sagte er. „Ich muß leider eine sogenannte ,verläßliche anonyme Quelle’ blei ben. Aber ich kann Ihnen sagen, was die Enlissa haben oder nicht. Auch ist noch keiner unserer Männer bei einem Einsatz wahnsinnig geworden, wenn Sie es genau wissen wollen.“ Sie nippten jeder schweigend an ihrem Glas, dann sagte Osteban: „Gut, sagen Sie mir etwas anderes, bitte: Die neuen aJ-Projektoren sind nun seit knapp einem Jahr im Einsatz, und sie sollten doch das Nonplusultra der Waffen technik sein. Warum hört man dann nichts von ihrer An 104
wendung, ihren Erfolgen? Warum steht in jedem Kommu nique immer wieder: ,Das Enlissa-Schiff wurde durch ei nen Ultra-Licht-Torpedo vernichtet’?“ Roysland furchte die Stirn. „Ich wußte nicht, daß es sich so verhält. Ich kann allerdings eines vermuten: Ein aJProjektor bedarf der Installation eines ÜberraumGenerators, genau wie der Antrieb. Letzterer ist aber sehr teuer, und nur ein paar der größeren Schiffe sind damit ausgerüstet. Was könnte dann der Grund dafür sein, daß kein Feind schiff durch den aJ-Projektor vernichtet wurde? Ganz ein fach: Bisher ist noch kein Schiff der Enlissa mit einem der Projektoren in Berührung gekommen.“ „Glauben Sie das denn selbst?“ Der Reporter grinste und leerte sein Glas. „Nun, es scheint, daß ich von Ihnen nicht viel erfahren kann. Darf ich Sie zu einem späteren Zeit punkt noch einmal aufsuchen?“ „Sicher“, sagte Roysland und fügte hinzu: „Nehmen Sie’s leicht.“ Immerhin hatte der Reporter erreicht, ihm seinen Appetit zu verderben. Was waren das für Meldungen? Gab es noch mehr ihm unbekannte Informationen? Er würde das unter suchen müssen. * Der Exekutiv-Stab der Abteilung Waffentechnik war um 29.00 Uhr in Roysland Dwyns Arbeitszimmer via Soli 105
dophon versammelt. Es waren fünf Leute: Kiffer, Mardis, Vanisson, Taddibol und Dwyn selbst. Die Männer waren in Wirklichkeit Tausende von Parsek entfernt auf vier ver schiedenen Flottenbasen. „Ich will es kurz machen“, begann Roysland. „Bitte, äu ßert euch nur, wenn ihr alle Informationen überdacht habt.“ Er erzählte ihnen fünfzehn Minuten lang, was bisher be kannt war. Als er schloß, fragte Vanisson: „Du hast es durch den Komputer geschickt?“ Roysland schüttelte den Kopf. „Das ist noch nicht mög lich. Nur ein menschliches Gehirn kann mit den unvoll kommenen Daten etwas anfangen, kann Zusammenhänge suchen. Wir müssen mit dem, was wir wissen, eine Ant wort finden. Ein Komputer kann es noch nicht.“ „Eine Frage“, sagte Mardis. „Warum sucht sich der Feind nur die aJ-Schiffe heraus?“ Roysland nickte. „Und warum schießen sie immer sofort nach dem aJ-Projektor?“ Kiffer sagte: „Könnte es sich um eine SubätherVibration handeln, die den Effekt hervorruft?“ „Du bist der Subelektronikfachmann“, sagte Roysland. „Was glaubst du?“ Kiffer zuckte die Schultern. „Subätherwellen können ge fährlich sein. In der Nähe des Projektors können sie elektri sche Ströme durcheinanderbringen, vorausgesetzt, letztere sind nicht zu stark. Ein Mensch könnte getötet oder be wußtlos werden, aber ich habe noch nie von einem solchen Fall gehört.“ 106
„Wie könnten wir den Effekt auf das Gehirn hervorru fen?“ fragte Roysland. „Betrachten wir das Problem von dieser Seite.“ Taddibol war erregt. „Ihr meint also, der Feind könnte gar keine neue Waffe besitzen?“ Sie starrten ihn alle an. Roysland grinste. „Du scheinst das gleiche zu vermuten wie ich. Sprich weiter.“ „Wir wissen: Es passiert nur mit den aJ-Schiffen, dazu kommt, daß der Effekt im Augenblick des Abschusses ein tritt. Könnte es also eine Art Rückkopplungseffekt des Pro jektors geben?“ Kiffer schüttelte den Kopf. „Das bezweifle ich. Es gibt einen Nebeneffekt, das ist bei allen Überraum-Generatoren der Fall. Aber er ist kaum meßbar, selbst mit den subelek tronischen Instrumenten nicht. Der Effekt ist keinesfalls stark genug, um einen Menschen zu verletzen. Er könnte für Sekundenbruchteile die Neuralströme des Hirns ver langsamen, aber nicht mehr.“ Während Kiffer gesprochen hatte, hatte Mardis zustim mend genickt. Als Kiffer geendet hatte, sagte er: „Und au ßerdem haben wir den Projektor unter allen nur möglichen Bedingungen getestet, und niemals trat eine derartige Leu kotomie auf.“ Taddibol nickte. „Stimmt. Wir haben den Projektor auf der X-69 installiert und sechs Monate lang nur Asteroiden zerschmolzen, bevor wir ihn für die Flotte freigaben.“ „Hat noch jemand Fragen?“ sagte Roysland. Es meldete sich niemand. 107
„Gut, dann habe ich etwas, worüber ihr nachdenken sollt. Erstens: Haben wir es wirklich mit einer neuen Waffe der Feinde zu tun? Zweitens: Wenn ja, wie wird der Effekt erzeugt und auf die aJ-Schiffe gerichtet? Drittens: Gibt es keine feindliche Waffe, was dann? Viertens: Gleichgültig, was es ist, wo wird der Effekt erzeugt? Fünftens: Wenn wir …“ Roysland konnte nicht zu Ende sprechen, denn das Soli dophon meldete sich. Er aktivierte den Apparat, und Eckis sters Abbild entstand im Raum. Sein Gesicht war schweiß bedeckt. „Ah!“ sagte er. „Freut mich, Sie zu Hause zu finden. Ebenfalls finde ich es gut, daß Sie an unserem Problem ar beiten. Warum haben Sie Ihre Leute nicht schon vor zwei Tagen zusammengerufen? Vielleicht finden sie etwas her aus, wenn Sie es nicht können. Unser Problem wächst uns langsam über den Kopf.“ Roysland hob zu einer scharfen Erwiderung an, aber der Generaldirektor winkte beschwichtigend ab. „Ich habe hier etwas für Sie, Roysland, regen Sie sich also nicht auf. Al so: Es gab den bisher schwersten Raumkampf an der Peri pherie. Der Feind verlor fünf Schiffe durch aJ-Beschuß, Wir verloren zwei Schiffe durch Torpedos und sechs durch den … Wie nennen Sie ihn doch … Gehirnzerstörer. Glücklicherweise konnten wir die Besatzungen retten, aber es sieht nicht gut aus. Wenn der Feind damit beginnt, die Waffe gegen Planeten einzusetzen, sind wir verloren. Sie können sich vorstellen, wie es dann auf einem Planeten 108
Wahnsinniger aussieht.“ Eckisster schwieg ein paar Sekunden und sah zu Roys land. „Ich meine“, fuhr er dann fort, „daß wir einen Schutzschirm erfinden müssen, der die feindlichen Strahlen abfängt. Sie waren doch bisher recht gut auf diesem Ge biet, und die Abteilung Waffentechnik hatte eine hervorra gende Stellung bei der Entwicklung von Defensivwaffen.“ Vanisson sagte: „Natürlich, Sir. Es ist immer leichter, sich vor etwas zu schützen, als etwas zu erfinden, um den Gegner zu treffen. Die Waffentheorie zeigt, daß …“ „Pah, Theorie!“ wetterte Eckisster. „Ich will eine Ver teidigung gegen den Gehirnzerstörer, und am besten schon gestern. An die Arbeit, meine Herren!“ Roysland hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt und die Arme über der Brust verschränkt. Als Eckisster schwieg, sagte er: „Sind Sie fertig, Sir?“ „Das bin ich“, erklärte der Generaldirektor. „Ich bezwei fle aber, daß ihr Hohlköpfe etwas finden werdet, bevor man uns alle zu stammelnden Idioten gemacht hat. Aber Gott weiß, daß ich mein möglichstes getan habe!“ „Sind Sie jetzt fertig, Sir?“ fragte Roysland, immer noch ruhig. Dann wurde er plötzlich wütend. „Dann lassen Sie uns gefälligst in Ruhe, wir müssen nachdenken. Auf Wie dersehen!“ Er schaltete seinen Empfänger ab, und Eckisster verschwand, ohne daß er ein weiteres Wort sagen konnte. Roysland lächelte wieder. „Und nun, meine Herren, an die Arbeit.“
109
*
Zwei Tage später landete die X-69, das schnelle Testschiff der Abteilung Waffentechnik, auf dem Haupthafen von Kandoris. Eine Reihe schwerer Lastwagen wartete an der Ladeschleuse auf deren Öffnen, und schon wurde ein Ge rüst zur Überholung des Schiffes herangerollt. Der Mann, der von der Äquatorschleuse im Transport strahl herabsank, war Kiffer Samm. Ein Bodentaxi erwarte te ihn, und es raste los, bevor er die Tür richtig geschlossen hatte. Innerhalb weniger Minuten saß er Roysland Dwyn in dessen Büro gegenüber. „Hallo, da bin ich.“ „Scharf beobachtet“, sagte Roysland. „Wer weiß, welche Tiefen menschlichen Denkens du noch erreichen wirst, wenn du schon jetzt derartige das Universum erschütternde Feststellungen triffst.“ „Oh, das war noch gar nichts“, spielte Kiffer mit. „Ich möchte noch hinzufügen, daß die X-69 auch da ist. Wie lange wird es dauern, bis alles installiert ist?“ „Ungefähr zwei Stunden. Ich habe dafür gesorgt, daß Al lerdyce alles Nötige bereithält, wenn du landen würdest. Sobald alles an Bord ist, starten wir.“ Kiffer sah Roysland fragend an. „Du brauchst nicht mit zufliegen.“ „Und warum nicht?“ Kiffer starrte verlegen auf seine Fingerspitzen. „Sieh mal, Roysland, angenommen es stimmt, was du vermutest. 110
Angenommen, es gibt keine feindliche Waffe, sondern eine Rückkopplung des Projektors. Sollte das der Fall sein, werden wir alle davon betroffen, wenn wir es ausprobieren. Wir können es uns aber nicht leisten, daß du ausgeschaltet wirst.“ „Ich weiß“, sagte Roysland, „aber es gibt keine andere Möglichkeit, die notwendigen Informationen zu bekom men. Außerdem hat Bilford Erfolg mit seiner Mikrowel lenbehandlung. Der Zustand der Betroffenen scheint nur vorübergehend zu sein.“ Kiffer zuckte die Schultern und breitete die Arme aus. „O. K., wenn das dein letztes Wort ist …“ Er verstummte für ein paar Sekunden und sagte dann: „Aber trotzdem ge fällt mir das nicht. Versuche bitte, auch mich zu verstehen. Sollte ich ausgeschaltet werden, bist du da, um meine Ar beit fortzuführen, aber nicht umgekehrt.“ Roysland lachte. „Eine ausgezeichnete Begründung, danke. Aber trotzdem komme ich mit.“ * Es dauerte etwas mehr als zwei Stunden, bis zwei aJProjektoren ausgetauscht waren. Roysland hatte eine ganz simple Theorie: Wenn die aJ-Projektoren tatsächlich für die Gehirnbeeinflussung verantwortlich waren, so trat der Effekt doch nicht bei jedem Einsatz auf. Es bestand die Möglichkeit, daß die Projektoren verschiedene Wirkungen hatten – eben dadurch hervorgerufen, daß sie verschieden 111
waren. Je zwei Projektoren wurden von der Beduin und der Gulliver in die Geschützkuppeln der X-69 installiert, und wenn seine Theorie zutraf, riefen zumindest diese beiden Projektoren den bekannten Effekt hervor. Die X-69 verließ Kandoris um 05.00 Uhr, nahm Ziel auf das einsame Lesser-Riff und schaltete den ÜberraumGenerator ein. Der Antrieb beschleunigte das Schiff sofort auf vielfache Lichtgeschwindigkeit. Roysland hatte eine Kabine genau unter der Komman dobrücke bezogen. Mit Hilfe Kiffers installierte er seine Meßgeräte überall im Schiff, setzte sie in Gang und vergaß sie sofort wieder. Er mußte sich anderen Problemen wid men; die Maschinen machten ihre Aufzeichnungen auto matisch. Er ging hinauf in den Kontrollraum. Hier oben, fast in der Spitze des Schiffes, wölbte sich der Raum kegelförmig. Roysland blieb eine Weile stehen und beobachtete die vor beihuschenden Sterne. Dann ging er zu Kiffer hinüber, der mit einigen Offizieren am Hauptkontrollpult stand. „Kapitän Dobrin“, sagte er, „wir haben unsere Geräte aufgestellt und suchen jetzt ein paar unbewohnte Ziele, auf die wir schießen können.“ Er schwieg einen Augenblick und fragte dann: „Sie wissen, worum es geht, nicht wahr?“ Kapitän Dobrin war ein schlanker Mann mit bereits grauem Haar und einem verkniffenen Gesicht. „Ich weiß, wie unsere Chancen stehen; ein wenig besser als bei den Kampfschiffen, die sich mit dem Feind herumschlagen, vermutlich. Aber wenn Sie Ihren Hals, oder besser, Ihren 112
Verstand riskieren, so sollte mir das zumindest dieses Schiff wert sein.“ Er deutete zum Bildschirm hinüber und zeigte auf einen hellen Fleck. „Wir fliegen zu diesem DreiSonnen-System. In einem System mit derartigen Schwer kraftbedingungen gibt es immer viele kosmische Trüm mer.“ Als sie sich ihrem Ziel näherten, zerfiel der helle Fleck auf dem Ortungsschirm in einen hellen und einen kleinen, dunkleren Fleck. Als sie noch näher kamen, teilte sich der helle Fleck noch einmal in zwei Sonnen auf. Die Sonnen standen ungefähr an den Spitzen eines gleichschenkligen Dreiecks. Der Kapitän ließ den Überraum-Generator abstellen, und das Schiff fiel aus dem Hyperdrive. Statt einer Geschwin digkeit, die man nach Lichtjahren pro Sekunde maß, rech nete man jetzt mit Kilometern pro Sekunde. „Elektromagnetische Detektoren eingeschaltet“, meldete der Feuerleitoffizier. Ein Schiff im Hyperdrive konnte keine materiellen Kör per ausmachen, es sei denn, diese sandten subätherische Strahlen aus. Ein Stern war im Hyperflug immer zu orten, denn seine Substrahlung erschien dann auf den Schirmen wie das normale Licht des Sternes. Aber es gab keine Mög lichkeit, aus dem Überraum nichtstrahlende Körper auszu machen. Also mußte zu diesem Zweck die Geschwindig keit auf Unterlicht zurückgenommen werden. „Entfernung zum Ziel: sechzig Millionen Kilometer“, sagte ein Mann an den Kontrollen. 113
„Zielen und feuern“, befahl der Feuerleitoffizier. Die robotkontrollierten Projektoren drehten sich auf ih ren Sockeln, fanden den Nickel-Eisenklumpen und summ ten leise auf. Dann klickten sie. Das war alles. Roysland sah und fühlte nichts Unge wöhnliches. Dreieinhalb Minuten später kam die Meldung, daß der Asteroid in einer bläulichen Flamme zu Gas geworden war. „Volltreffer“, sagte der Feuerleitoffizier. Kapitän Dobrin sah Roysland fragend an. Roysland nickte. „Machen wir weiter. Suchen wir ein paar neue Ziele. Verbrennen wir für eine Weile mal Aste roiden.“ * Innerhalb der nächsten drei Stunden ließen sie achtzehn Asteroiden verglühen. Roysland Dwyn und Kiffer Samm untersuchten ihre Instrumente nach jedem Schuß und ga ben die Ergebnisse in einen Komputer. „Ja, es gibt Nebenstrahlungen“, sagte Kiffer. Er deutete auf eine Linie am unteren Rand des Schirmes des Oszillo graphen. „Es sind die Wellen und Geräusche des Weltalls und der nächsten Sterne. Bei jedem Schuß mit einem Pro jektor verändert sich diese Linie; der Projektor wirkt sich also auf diese Strahlungen aus, aber man könnte nicht sa gen, daß sie gefährlich wären.“ Roysland runzelte nachdenklich die Stirn. „Zumindest 114
bemerken wir nichts davon.“ Kiffer zuckte die Schultern. „Die Strahlung ist jedenfalls für Menschen nicht gefährlich. Hier habe ich eine Tabelle von den Projektoren, die von anderen Schiffen hier instal liert wurden. Sie unterscheiden sich in ihrer Arbeitsweise keineswegs von den stationär eingebauten. Soweit ich es beurteilen kann, liegt es nicht an den aJ-Projektoren, wenn die Besatzungen von Kampfschiffen ausgeschaltet wer den.“ Roysland rieb sich das Kinn und starrte zur Decke. Kif fer wußte: Diese Geste bedeutete, daß sein Chef nachdach te; er wartete also ab. Schließlich schnipste Roysland mit den Fingern. „Hör mal“, sagte er. „Warum werden die Projektoren eigentlich nicht unter den Bedingungen getestet, unter denen sie spä ter eingesetzt werden?“ Kiffer war einigermaßen verwirrt. „So, wie sie einge setzt werden?“ Er dachte kurz nach. „Oh, ich verstehe. Warum wir sie nicht testen, während das Schiff sich im Hyperdrive befindet. Das ist doch ganz klar: Man kann nicht auf nicht zu ortende Objekte schießen. Meteore und Asteroiden sind im Hyperdrive nicht aus zumachen, und natürlich könnten wir ein paar Torpedos abschießen und dann versuchen, sie zu treffen, aber das wäre Verschwendung.“ „Also sind die Projektoren nicht im Überraum getestet worden“, sagte Roysland grinsend. „Die Berichte sind also unvollständig.“ 115
Kiffer grinste zurück. „Natürlich sind sie im Hyperraum getestet worden, nur ohne Zuhilfenahme der RobotZielgeräte. Man hat einfach ins Blaue geschossen. Ich weiß nicht, welchen Unterschied das machen soll.“ „Keine voreiligen Schlüsse“, warnte Roysland. „Die Projektoren feuern nacheinander, und ist der Abstand zwi schen ihnen auch noch so minimal, könnte doch die Rei henfolge ihres Einsatzes etwas damit zu tun haben. Schie ßen wir also im Hyperraum, unter Kampfbedingungen.“ „Aber worauf?“ wollte Kiffer wissen. „Das RobotZielgerät kann nicht arbeiten, wenn es kein Ziel hat.“ „Wir haben Millionen Ziele“, sagte Roysland. „Die Torpedos, aber … moment, Millionen?“ Kiffer schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Warum bin ich nur nicht darauf gekommen: Die Sonnen natürlich!“ „Richtig“, sagte Roysland. „Sie senden Subätherstrah lung aus, aber niemand ist bisher auf die Idee gekommen, auf sie zu schießen, weil man nicht feststellen kann, ob man getroffen hat. Eine Sonne saugt die Feuerkraft einer ganzen Flotte auf, ohne daß man ihr etwas anmerkt. Aber uns interessiert ja nicht, ob wir treffen, sondern nur der Schuß selbst.“ „leb stelle unsere Instrumente wieder ein“, sagte Kiffer. „Mal sehen, was geschieht.“ „Ich gehe auf die Brücke“, sagte Roysland. „Stelle die Apparate sorgfältig ein, denn wir wollen alles aufzeichnen, selbst wenn es aus uns Idioten macht.“
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*
Im Kommandostand erklärte Roysland dem Kapitän, was er vorhatte. „Ich tue ja niemandem dabei weh“, sagte Dobrin. „Wir werden auf den schwächsten der drei Sterne vor uns schie ßen.“ Das Schiff sprang in den Hyperraum, als der ÜberraumGenerator eingeschaltet wurde, und es bewegte sich auf sein Ziel zu. „Entfernung zum Ziel: Vierhundert Millionen Kilome ter.“ „Zielen und feuern“, sagte der Feuerleitoffizier. Roysland hielt die Luft an, als die Projektoren sich dreh ten, summten und Klickten. Nichts geschah. „War es so richtig?“ fragte einer der Offiziere. „Wir können leider nicht feststellen, ob wir getroffen haben.“ „Ich bezweifle, daß wir einen Stern auf diese Entfernung verfehlen würden“, sagte Roysland. „Allerdings können wir nie hundertprozentig sicher sein.“ Er wandte sich an den Kapitän. „Machen wir vorerst weiter. Schießen Sie mal aus der Nähe, dann wieder aus größerer Entfernung auf den Stern. Ich möchte gern sehen, was unsere Instrumente auf zeichnen.“ Viel bekam er nicht zu sehen. „Hier sind wieder Grundstrahlen“, sagte Kiffer und deu tete auf das Blatt in seiner Hand. „Diesmal ist es eine fast perfekte Sinuswelle: die Nebenwelle des Antriebgenera 117
tors. Hier ist die Welle, die wir empfangen, wenn die aJ’s eingeschaltet sind. Und hier“, er riß einen Streifen Papier aus dem Differential-Analysator, „ist eine vergleichende Zusammenstellung, wobei noch die Trägerwelle des Pro jektors mitaufgezeichnet ist.“ Roysland schüttelte langsam den Kopf. „Sieht alles sehr harmlos aus.“ „Es ist harmlos, glaube mir, Roysland!“ rief Kiffer. „Es ist mit Sicherheit nicht die Rückkopplung des Projektors, die das Gehirn beeinflußt. Wir müssen die Lösung woan ders suchen.“ „Ich glaube, du hast recht“, gab Roysland zögernd zu. „Wenn es also nicht unser Projektor ist …“ Er schwieg. Er war wieder am Anfang seiner Untersuchungen angelangt und wußte jetzt nicht, wo er weitermachen sollte. Schließ lich griff er zum Interkom und ließ sich mit der Zentrale verbinden. „O. K., Kapitän, fliegen wir zurück.“ * Zwei Wochen nach der Landung der X-69 war Roysland Dwyn noch immer damit beschäftigt, seine mageren Er gebnisse auszuwerten. Bericht von Bilford, Chef-Psychometrist: „Die Patienten sprechen weiterhin positiv auf die Behandlung an. Die Mi krowellenbehandlung arbeitet ungefähr wie die früher be kannte Elektroschock-Methode. Die Gehirnströme ordnen sich wieder, und die meisten Betroffenen werden bald ent 118
lassen werden können. Noch ist die Behandlung aber nicht abgeschlossen, da die Zerebral-Frequenzen variabel und nicht vorherzube stimmen sind und die Ströme des Vorhirns sich nicht in nur einer Frequenz bewegen.“ Gut, dachte Roysland. Immerhin eine Hoffnung. Wir wissen, wie wir den Leuten helfen können, aber was ruft den Effekt hervor? Bericht von Flottenkommandant Allerdyce: „Ich weiß nicht, ob Sie etwas damit anfangen können, aber vielleicht hilft es Bilford weiter. Wenn Sie mich fragen, sind die En lissa verrückt geworden. Könnte es möglich sein, daß ihr Gehirnzerstörer Rückwirkungen auf sie selbst hat? Folgendes geschah: Während eines Routinefluges in der Nähe des AlavardHaufens kamen zwei Enlissa-Schiffe in Kontakt mit dem Vermessungsschiff GSS Virgil. Die Virgil ist nicht mit den aJ-Projektoren ausgestattet und mußte sich auf ihre kon ventionellen Torpedos verlassen. Da das Verhältnis zwei zu eins war, hatte man nur wenig Hoffnung aufs Überle ben, aber man wollte den Feinden soviel wie möglich Schaden zufügen. Also wartete das Schiff, bis die Enlissa in Reichweite der Torpedos waren. Die Enlissa-Schiffe reagierten gar nicht, sondern wurden beide zerstört. Die Virgil brauchte nicht einmal zu fliehen, da die Feinde keinen einzigen Torpedo abgeschossen hatten! Es gibt noch mehrere solche Berichte. In anderen Gefechten haben die aJ-Projektoren ihre 119
Wirksamkeit bewiesen; man vernichtete Enlissa-Schiffe, bevor sie in Reichweite der Torpedos kamen. Daher ist niemals ein aJ-Schiff von einem Torpedo getroffen wor den.“ Roysland las einen Satz des Berichtes noch einmal: „Könnte es möglich sein, daß ihr Gehirnzerstörer Rückwir kungen auf sie selbst hat?“ Möglich, dachte er. Bevor wir nicht wissen, was der Ge hirnzerstörer ist, müssen wir alles für möglich halten. Bericht von Kiffer Samm: „Ich habe die gewünschten Untersuchungen durchgeführt. Es gibt eine Beeinflussung des Gehirns, aber sie ist nicht von Dauer und kaum meß bar. Die Rückkopplung des aJ-Projektors ruft eine Ver langsamung der Nervenimpulse hervor, aber nicht so, daß dadurch Schaden entsteht. Der Effekt ist nicht lang und nicht intensiv genug. Ich weiß nicht, wie ein Mensch rea gieren würde, den man längere Zeit dem Rückkopplungsef fekt aussetzte, aber der frühere Zustand stellt sich so schnell wieder ein, daß keinerlei Gefahr besteht. Außerdem sind ein paar der betroffenen Männer nur einmal dem Effekt ausgesetzt gewesen, während andere es schon mehrmals mitgemacht haben, wobei nichts geschah. Es kann also nicht sein, daß ein mehrmaliges Ausgesetzt sein diesen Effekt hervorruft. Eine Parallele habe ich entdeckt: Die Nebenwirkungen des Projektors gleichen denen der Überraumgeneratoren. Es müßten also die Männer, die auf mit diesen Generatoren ausgerüsteten Schiffen arbeiteten, stärker betroffen sein. 120
Das ist nicht der Fall, im Gegenteil. Die meisten Männer mit langer Raumerfahrung werden aufgeschlossener und interessierter an ihrer Umweit als vorher. Das mag aber mehr auf den militärischen Drill und die immer wiederkeh renden psychologischen Tests als auf den Antrieb zurück zuführen sein. Hast du andere Vermutungen?“ Roysland sah säuerlich auf den Bericht. Klar, Vermutungen schon, aber ich brauche Antworten. * „Roysland, Sie müssen langsam mal in Gang kommen!“ Der massige Generaldirektor rekelte sich in seinem Sessel. „Soweit ich es übersehe, haben Sie noch nichts unternom men! Von allen bedeutungslosen Berichten, die ich jemals gelesen habe, sind diese das absolut Bedeutungsloseste!“ Er deutete auf einen Stapel Papier in seinem Schoß. „Wenn ich richtig informiert bin, suchen Sie nach Nebeneffekten unseres Projektors statt nach der Natur der Feindwaffe zu forschen!“ Roysland verschränkte die Finger gemütlich auf seinem Schreibtisch und wartete, bis Eckisster fertig war. Dann sagte er: „Ich gebe zu, daß nichts bewiesen ist, aber ich bin überzeugt davon, daß …“ Er wurde vom Meldegeräusch des Solidophons unter brochen. Er betätigte einen Knopf, und Commander Aller dyce materialisierte neben Eckisster. „Guten Tag, Eckisster.“ Dann wandte er sich an Roys 121
land. „Ich habe große Neuigkeiten für Sie. Vor vierzig Stunden traf die Schwadron 8477 in der Nähe des St. Jai rus-Haufens auf den Feind. Wir haben die Schlacht ge wonnen, aber das ist unwichtig. Ich habe noch nicht alle Informationen, aber soweit ich es beurteilen kann, ist etwas Eigenartiges geschehen. Eines unserer Schiffe wurde von einem Enlissa-Schiff überrascht, das nur wenige hundert Kilometer neben ihm auftauchte. Blitzschnelle Reaktion setzte den Antrieb des Feindschiffes außer Betrieb, und es blieb fast augenblicklich im Raum stehen. Man setzte wohl noch den Gehirnzerstörer auf unsere Leute an, aber die Be satzung des fremden Schiffes wurde von dem gleichen Ef fekt betroffen!“ Roysland und Eckisster wollten beide gleichzeitig etwas sagen, aber der Commander hob eine Hand. „Eine Sekun de! Was ich damit sagen will: Das Enlissa-Schiff ist noch intakt, ebenso lebt die Besatzung, und die Gehirnzerstörer müssen noch an Bord sein. Wir haben soweit wie möglich nichts angerührt, damit Sie Ihre Untersuchungen durchfüh ren können.“ Er verstummte und bedachte Eckisster mit einem frosti gen Blick. „Ich hoffe, das findet Ihre Zustimmung, Sir?“ Der Generaldirektor lächelte. „Das tut es, Commander. Vielen Dank!“ Allerdyce blinzelte. „Ich bin in zwei Stunden da. Jetzt habe ich noch viel Arbeit.“ Er unterbrach die Verbindung. Eckisster wandte sich jetzt mit einem strahlenden Lä cheln an Roysland. 122
„Darf ich vorschlagen, daß Sie versuchen, ein paar der Fakten, die die Flotte jetzt liefert, zu untersuchen? Wer weiß – vielleicht finden Sie etwas. Oder sind Sie zu sehr mit dem Problem der aJ-Projektoren beschäftigt, um sich nicht mit dem Gehirnzerstörer der Enlissa beschäftigen zu können? Wie dem auch sei, ich überlasse Sie jetzt Ihrer Arbeit, al ter Freund.“ Roysland sprang auf. „Gott sei Dank! Vielleicht kann ich sogar arbeiten, wenn Sie endlich aufhören, herumzu nörgeln!“ Er langte nach dem Knopf, der die Verbindung unterbrach, aber Eckisster verblaßte bereits. Trotzdem hatte Roysland noch lange das Gefühl, daß sein Lächeln noch immer im Raum hing. * Die Besatzung des Enlissa-Schiffes waren die ersten Frem den, die man lebend zu Gesicht bekam. Die Leichen hatte man tausendmal seziert, aber noch nie konnte man einen lebenden Organismus untersuchen. „Das bringt uns einen Vorteil“, sagte einer der Biologen. „Soweit wir wissen, ist noch kein lebender Mensch in die Hände der Enlissa gefallen.“ Roysland, der dabeistand, wie man die Fremden aus dem Schiff trieb, wandte sich an den Biologen: „Sie wissen noch nicht einmal, daß wir dieses Schiff gekapert haben.“ Der Mann runzelte die Stirn, nickte dann. „Ja, ich ver 123
stehe, was Sie meinen.“ Sie standen auf dem Stahlbetonbelag des Landefeldes im Schatten des riesigen feindlichen Schiffes. Mehrere Solda ten trieben die Enlissa aus dem Schiff. An der Schleuse wurden die Fremden einfach in den Transportstrahl gesto ßen, und am Boden marschierten sie zu einem Lastwagen. Ein Enlissa war nicht ganz so groß wie ein Mensch. Die Skelettstruktur war ein wenig schwerer, und was beim Menschen unter den Rippen geschützt lag, wurde bei den Fremden durch eine starke Hornplatte verdeckt. Das blasse Blauviolett der Haut kam von dem Kobalt-Protein-Stoff, der den Sauerstoff durch ihr Blut transportierte. Er hatte die gleiche Funktion wie das Hämoglobin beim Menschen. Sie hatten keine Nase, und die Lippen konnten nicht ge schlossen werden. Die Zähne standen weit auseinander, was ihnen erlaubte, zu atmen, wenn sie bewußtlos waren. Die Augen waren tiefschwarz, wo die stark pigmentierte Oberfläche des Augapfels endete und das tiefe Schwarz der Sehlinsen begann. Die Augen waren größer als beim Men schen und saßen weiter außerhalb des Schädels, was eine Stereoskope Sicht ermöglichte. Das „Haar“ bestand aus einem chitinähnlichen Material, viel stärker als Menschenhaar und ungefähr zwanzig Zen timeter lang. Es waren alle Farben von glänzendem Schwarz bis zu Karminrot vertreten. Die Füße waren gespreizt, fast radial, und die Hände be standen aus vier Fingern, zwei Daumen und zwei Zeigefin gern. 124
Ihre Kleidung, obgleich völlig anders geschnitten, wirkte noch am wenigsten fremd. Roysland wartete, bis man alle Enlissa aus dem Schiff geholt hatte. Man mußte sie wie Tiere vor sich hertreiben, da sie völlig teilnahmslos waren, außerdem verstand nie mand ihre Sprache. Wie ihre betroffenen menschlichen Gegenspieler, gehorchten die Enlissa jedem Befehl. „Was?“ Roysland war so in Gedanken versunken, daß er gar nicht bemerkt hatte, wie Kiffer Samm ihn ansprach. „Ich sagte, daß wir sie auch untersuchen müssen, nach dem wir das Schiff und die Waffen auseinandergenommen haben.“ Roysland faltete die Hände. „Vielleicht schon vorher.“ „Wie?“ „Schon gut“, sagte er. „Hier kommt der letzte. Wir wer den jeden nur möglichen Gegenstand ihres Schiffes unter suchen, und es wurde uns schon versprochen, daß wir als erste einen Blick auf die Projektoren der Enlissa werfen dürfen. Komm, tun wir das!“ Das Schiff der Enlissa war ähnlich wie das von Men schen entwickelte Raumschiff konstruiert. Die beiden Männer der Abteilung Waffentechnik wur den von zwei Leuten des Inspektionskorps begleitet. Sie fotografierten, verfolgten Energieleitungen, analysierten, stellten Unterschiede und Ähnlichkeiten in der Konstrukti on fest. Roysland und Kiffer verbrachten ihre meiste Zeit damit, die Projektoren der Enlissa zu untersuchen, die in Waffen 125
türmen montiert waren. Als Kiffer sie zum erstenmal sah, bemühte er sich, nicht erregt dreinzuschauen. „Es sind subelektronische Projekto ren irgendeiner Art, aber welcher?“ „Das wollen wir herausfinden“, sagte Roysland. „Wir müssen ihre Wirkungsweise zuerst auf physikalischer, dann auf physiologischer Ebene feststellen, und dann kön nen wir vielleicht auch die psychologische Seite betrach ten.“ Kiffer Samm sah zu seinem Vorgesetzten auf und grinste sardonisch. „O. K., jetzt haben wir den Effekt und seine Waffe, aber können wir beides in Verbindung bringen?“ Roysland zuckte die Schultern. „Sicher können wir das, nur – wie lange wird es dauern?“ * Die Gesetze des Kosmos mögen im Ganzen gesehen nicht verschieden sein, aber ihre Anwendung ist es hier und da bestimmt. Man kann sehr wohl aus gleichen Fakten ver schiedene Schlüsse ziehen. Keine zwei Menschen denken gleich, zwei Intelligenzen, die sich aus völlig verschiede nen Anfängen entwickelt haben, entwickeln nicht zwangs weise die gleiche Logik. Das Erregende an den Enlissa war nicht das, was sie von den Menschen trennte, sondern wor in sie sich glichen. Es war also kein Wunder, daß die Leute der Waffen technik nicht herausbekamen, was die Projektoren der En 126
lissa nun genau taten und warum sie es taten. Wären es Männer gewesen, die sich über jede Kleinigkeit gestritten hätten, wäre die Gruppe schon nach drei Tagen auseinan dergegangen. Nach und nach rief Roysland alle bekannten Analytiker der Galaxis zusammen, und langsam ergaben die Informationen ein Bild. Die erste Funktionsprobe der fremden Projektoren ließ Roysland auf Syndor, dem zweiten, weiter entfernten Sa telliten von Kandoris vornehmen. Die Waffentechnik hatte den Projektor samt Generator auf die X-69 gebracht und war losgeflogen. Auf Syndor beobachtete Roysland das Ausladen. Er stand auf dem weiten Landefeld. Syndor hatte keine Atmo sphäre. Die Kräne des Schiffes hievten den massigen Pro jektor langsam auf die Oberfläche hinunter. Das blauweiße Glitzern der Sonne brach sich tausendfach in dem polierten Schiffsrumpf und zwang Roysland, die Augen zusammen zukneifen. Das polarisierte Sichtglas seines Raumhelms schirmte die blendende Helligkeit nicht genügend ab. Kurz bevor der Projektor mit seinem Generator die Oberfläche erreichte, fuhr ein sechsrädiger Lkw darunter, und man setzte die wertvolle Ladung vorsichtig ab. „O. K.!“ rief der Lademeister. „Ab damit!“ Der Wagen setzte sich in Richtung auf die LlandorsBerge in Bewegung. Roysland hörte plötzlich Kiffer Samms Stimme in sei nem Kopfhörer. „Einsteigen, Roysland; ich bin genau hin ter dir.“ 127
Roysland drehte sich um und sah Kiffer Samm am Steu er eines kleinen Jeeps sitzen. Als er einstieg, sagte er: „Ziemlich schäbig von dir, mich so zu erschrecken.“ Kiffers Hüsteln ging in der Vibration unter, die der Jeep verursachte, als er anfuhr und dem Sechsrad-Lkw folgte. * Das Testgelände lag ein paar Meilen von dem stationären Labor auf Syndor entfernt. Roysland hatte vor, die Waffe mit Schüssen auf Kandoris zu testen. Die blauweiße Sonne konnte jede Energiemenge vertragen, ohne eine Reaktion zu zeigen. Es dauerte fast drei ganze Tage, um die Testanordnung aufzubauen, und die meiste Zeit davon war Roysland in seinem Raumanzug unterwegs. Die Ingenieure hatten ein Plastikzelt für die Schlafräume und andere notwendige Einrichtungen errichtet. Als die Arbeit schließlich beendet war, war Roysland ziemlich erschöpft. Am „Nachmittag“ des dritten Tages schälte er sich aus seinem Raumanzug und legte sich auf sein Bett. Daß es zu kurz war und seine Füße am Ende heraushingen, störte ihn nicht; er hatte zu viele andere Sorgen. Kiffer saß auf seiner Bettkante und massierte sich das Genick, das steif geworden war. „Was mich stört, ist das grelle Sonnenlicht. Die verdammte Sonne geht für siebzig weitere Tage nicht unter.“ 128
Roysland nickte, aber seine Gedanken waren woanders. „Angenommen, die Waffe hat Nebenwirkungen“, sagte Roysland schließlich. „Das würde eine Menge erklären. Wir haben uns ge wundert, warum die Enlissa unsere Schiffe nicht plünder ten, nachdem sie den Gehirnzerstörer benutzt hatten.“ „Ist doch klar“, sagte Kiffer. „Ihre eigene Waffe setzte sie außer Gefecht. Das war schon lange meine Vermu tung.“ „So, wirklich?“ fragte Roysland. „Weißt du dann auch, warum die Enlissa ihren Projektor nicht getestet haben, be vor sie ihn einsetzten?“ „Woher soll ich das wissen? Ich bin kein EnlissaPsychologe.“ „Dazu braucht man nichts von Psychologie zu verstehen; man muß nur das Gesetz des Überlebens kennen. Jede Rasse, die mit einer nicht sorgfältig erprobten Waffe in den Krieg zieht, wird nicht lange bestehen können.“ Kiffer befeuchtete sich die Unterlippe. „Stimmt, aber vielleicht haben wir es mit Selbstmordkommandos zu tun – oder vielleicht folgt ihnen ein Ärzteschiff, das sie aufsam melt und heilt. Immerhin funktioniert Bilfords Heilmetho de, und die Enlissa könnten, da sie die Wirkung ihrer Waf fe kennen, schon vorgesorgt haben. Außerdem glaubst du doch wohl nicht, daß wir die aJProjektoren gründlich getestet haben, bevor wir sie einsetz ten. Und wir leben noch.“ Roysland wandte sich an Kiffer und konnte ein Grinsen 129
nicht unterdrücken. „Manchmal sind deine Gedankengänge so klar wie Milchglas! Es besteht ein Unterschied zwischen dem Mangel an Tests der aJ-Projektoren und der Tatsache, daß die Enlissa ihren Gehirnzerstörer nicht richtig erprobt haben. Es ist ein Unterschied zwischen dem Suchen von etwas, das ich logi scherweise erwarten kann, und dem Nichtfinden von Tat sachen, die ich nicht einmal vermuten kann.“ Kiffer nickte. „Sicher, ich verstehe, was du meinst. Aber das bedeutet doch, daß sie keine Möglichkeit haben, sich gegen Nebenwirkungen abzuschirmen – und daher folgt ihnen ein Hospitalschiff überall hin.“ Roysland lehnte sich zurück und schloß die Augen. „Milchglas“, murmelte er. Dann nach einer Weile: „Er stens: Warum sollten sie ihre Leute quälen, wenn auch nur für kurze Zeit? Zweitens: Warum setzen sie eine so wirk same Waffe nicht gegen alle unsere Schiffe ein? Drittens: Warum wehren sie sich teilweise nicht einmal? Solange nur eine Vermutung die Antwort auf alle diese Fragen ist, ist sie nichts wert.“ Kiffer kaute auf der Unterlippe und sah auf die Uhr. „Wenn du den Projektor in einer Stunde testen willst, wäre es wohl besser, Eckisster anzurufen.“ Roysland seufzte. „O. K. ich werde den alten Gauner an rufen. Laß mich noch eine Minute in Ruhe.“ Er ließ aber keine Minute mehr verstreichen, sondern ging zum Solidophon und wählte ein paar Nummern. Drei Sekunden später saß Eckisster mitten im Raum. 130
„Alles fertig, wie? Prima, dann los“, sagte er. „Finden Sie heraus, was Sie können. Ich habe keine weiteren An weisungen – nur vermeiden Sie, sich selbst umzubringen.“ Der schwere Raumstiefel, von Roysland geschleudert, sauste genau durch das Bild hindurch, als es bereits ver blaßte. Eckisster hatte ohne ein weiteres Wort abgeschaltet. „Eines Tages“, sagte Kiffer, „bist du in seinem Büro und vergißt, daß er wirklich vor dir sitzt, wenn du ihm einen Stiefel oder irgend etwas anderes an den Kopf wirfst.“ Roysland schüttelte den Kopf, als er sich nach dem Stie fel bückte. „O nein, wenn er tatsächlich vor mir sitzt, wer de ich ihn mit einer vergifteten Nadel stechen. Er wird se hen, was er von seinen ständigen Sticheleien hat!“ * Die Enlissa-Waffe wurde um 30.00 Uhr in Richtung Kan doris abgeschossen. Raumschiffe waren überall den Pro jektorstrahl entlang bis hin zur Sonne postiert, und unzäh lige Instrumente würden zahllose Aufzeichnungen machen. Die Zeit, die die Sübätherwelle bis zur Sonne brauchte, war gleich Null. Der Projektor selbst wurde durch Fernsteuerung bedient. Das gesamte Personal war außerhalb eines Kreises von vier Kilometern hinausbeordert worden. Die Aufzeichnungen der Meßgeräte wurden durch den Differentialanalysator geschickt und die Ergebnisse sofort Kiffer Samm zugeleitet. 131
Nach vierstündigem Dateneingang berichtete Samm Roysland. „Eine sehr seltsame Wellenlänge“, sagte er. „Genauer gesagt ist es ein Zusammenwirken von drei verschiedenen Grundfrequenzen. Sieh hier: Der Strahl ist mit Sicherheit ein modulierter Impuls, aber trotzdem ziemlich primitiv.“ Er fuhr mit einem Finger über die Aufzeichnungen. „Man hätte das Ganze gar nicht durch den Komputer zu jagen brauchen, mit einem Rechenschieber hätten wir alles ermit teln können. Der einzige Unterschied zu bekannten Wellen ist die un gewöhnliche Kürze der Welle. Die längste hat eine Länge von achtzigtausend Kilometern, die kürzeste etwas mehr als vierzigtausend. Im Subätherbereich ist dies das Äquiva lent harter Röntgenstrahlung – eine verdammt hohe Fre quenz.“ Roysland sah sich die Aufzeichnungen sorgfältig an. „Gibt es Anhaltspunkte, warum gerade diese Wellen eine Auswirkung auf das menschliche Gehirn haben?“ Kiffer betrachtete nachdenklich seine Aufzeichnungen. Dann sah er auf. „Ich weiß es nicht genau; kann ich mal Bilford anrufen?“ . Roysland nickte. „Nur zu.“ Als Bilfords Bild sich verfestigt hatte, schwieg Roys land, während Kiffer dem Psychometristen seine Auf zeichnungen erläuterte. Bilford hörte aufmerksam zu und runzelte die Stirn. „Ich bin Psychometrist, kein Subelektroniker, und daher sagen 132
mir die Aufzeichnungen nicht viel. Wenn ihr das Ganze aus dem Subelektronischen in elektromagnetische Äquiva lente umschreiben würdet, könnte ich eventuell etwas he rausfinden.“ Diese Arbeit war schnell getan: Alles, was Kiffer zu tun hatte, war, das Ganze durch einen Komputer zu schicken und einen Korrekturfaktor mit hineinzugeben. Bilford beschäftigte sich erneut mit den Meßergebnis sen. „Ich sehe keine deutlichen Zusammenhänge“, sagte er schließlich. „Für ausführlichere Vergleiche brauche ich allerdings noch etwas mehr Zeit; es könnte sich da noch etwas ergeben. Aber, offen gesagt, glaube ich nicht an ei nen Zusammenhang.“ Jetzt mischte sich Roysland zum erstenmal ein. „Versu che es mit einer Kombinations-Permutations-Synthese, und zeige uns dann, was du dabei erkennen kannst – O. K.?“ Bilford nickte. „Ich will es versuchen. Wenn ich etwas finde, lasse ich es euch wissen.“ „Gut“, sagte Roysland. * Mitten im Raum hing das Solidophonbild von Generaldi rektor Eckisster. Er sah sich kurz um und konzentrierte sich dann auf Roysland. „Hören Sie, Roysland“, sagte er an griffslustig. „Warum haben Sie bisher nichts unternom men? Wie ist die Situation zur Zeit?“ 133
Roysland setzte sein häßlichstes Grinsen auf. „Sie haben den Bericht bekommen; wir haben nichts weiter unter nommen. Der Prbjektor wurde sechsmal abgeschossen, und wir konnten nur ganz harmlose Nebenstrahlung feststellen. Sie können den Projektor ruhig in Ihrem Wohnzimmer be tätigen. Mittlerweile sind wir dabei, den Effekt des eigent lichen Strahles zu erforschen.“ „Und warum, wenn ich fragen darf“, sagte Eckisster, „können Sie das nicht einfach errechnen? Ihr Vorschlag hier ist völliger Unsinn.“ Er schlug gegen ein paar Blätter beschriebenes Papier, die er in der Hand hielt. „Ich wußte, daß Sie so reagieren würden“, sagte Roys land. „Vielleicht könnten Sie einen anderen Vorschlag ma chen. Ich habe keinen besseren.“ „Wenn ich richtig gelesen habe“, sagte Eckisster scharf, „wollen Sie einen Freiwilligen, an dem man die Wirkung des Strahles ausprobieren kann.“ „Stimmt“, sagte Roysland. „Alles, was wir bisher fest stellen konnten, ist, daß die Nebenwirkungen den Effekt im menschlichen Gehirn nicht hervorrufen. Wir möchten gern wissen, was geschieht, wenn ein Mensch voll von dem Strahl getroffen wird.“ „So? Wissen wir das nicht schon? Ich habe immer ge dacht, unsere Krankenhäuser sind voll von Leuten, die von dem Strahl getroffen wurden.“ „Falsch gedacht“, schnappte Roysland zurück. „Zumin dest ist das bisher nicht bewiesen. Also: Bekomme ich Ihre Erlaubnis für das Experiment oder nicht?“ 134
„Warum testen Sie nicht zuerst an Tieren?“ fragte Eckis ster. „Wenn Sie die Berichte gelesen hätten, die ich Ihnen zu kommen ließ, wüßten Sie es. Wir haben schon Tiere be nutzt, und der Strahl hatte keinerlei Wirkung auf sie. Wir bestrahlten zum Teil über einen Zeitraum von einer halben Stunde, und soweit wir feststellen konnten, hätten wir die Tiere genausogut die ganze Zeit dem Licht einer Zimmer leuchte aussetzen können.“ „Natürlich“, sagte Eckisster. „Der Gehirnzerstörer ruft durch seine Strahlung ein Durcheinander der elektrischen Ströme im Vorhirn hervor, und wie soll er bei Tieren wir ken, die kein solches besitzen?“ „Genau das meine ich“, sagte Roysland. Er wußte genau, daß Eckisster den Bericht sorgfältig gelesen hatte. Seine vorgetäuschte Unwissenheit und seine schneidenden Be merkungen waren nur Mittel zum Zweck. „Die Frage bleibt“, sagte Roysland, „ob ich Ihre Erlaub nis für das Experiment habe.“ „Ich habe mit Bilford gesprochen“, sagte der Generaldi rektor. „Er kommt mit der Mikrowellenbehandlung gut voran. Er sagt, daß ein Mann nach ungefähr fünfundzwan zig Tagen wieder gesund ist.“ Er verstummte und sah Roysland in die Augen. „Suchen Sie sich einen Freiwilli gen.“ „Danke“, sagte Roysland. Eckisster nickte, während sein Bild sich auflöste. Roysland drückte einen Knopf seines Kommunikators 135
und fragte: „Wo ist Kiffer?“ „Beim Essen in der Messe“, bekam er zur Antwort’. „Dachte ich mir. Bestellen Sie ihn bitte in einer halben Stunde hierher.“ „Wird gemacht.“ „Danke“, sagte Roysland und setzte sich an seine Schreibmaschine. Nach kurzem Überlegen glitten seine Finger über die Tasten, und nach zwei Minuten hatte er alles geschrieben, was er wollte. Er nahm das Blatt aus der Maschine und legte es gut sichtbar auf seinen Schreibtisch. Oben drauf schrieb er „An Kiffer Samm“, und am Schluß des Textes unterschrieb er. Dann zog er seinen Raumanzug an und ging zur Luft schleuse. * Eine halbe Stunde später las Kiffer Samm die Mitteilung, nachdem er das Büro leer vorgefunden hatte. Schon nach den ersten Sätzen war ihm klar, was Roys land vorhatte. „… So könnte es also sein, daß Du die nächsten fünf undzwanzig bis dreißig Tage meinen Posten übernehmen müßtest. Natürlich konnte ich niemandem sonst das Risiko dieses Experimentes zumuten. Ich glaube, Bilford wird mit seiner Mikrowellenbehand lung bald noch schneller vorwärtskommen, so daß also keinerlei Gefahr für mich besteht. 136
Wenn Du dies liest, und bis Du Deinen Raumanzug an gelegt hast, wird der Versuch schon vorüber sein. Laß mich nicht an Hunger draußen sterben, alter Freund.“ Kiffers Hand krachte auf den Kommunikator nieder. Er brüllte ein paar Befehle, ergriff einen Raumanzug, und als er aus der Schleuse stürzte, stand schon ein Jeep fahrbereit. Kurz darauf erschien noch ein zweites Fahrzeug. Kiffer sagte: „Ihr beide fahrt zum Projektor und schaltet ihn ge gebenenfalls ab. Wir fahren zum Zielturm und kümmern uns um Roysland.“ Die Männer nickten, und die beiden Wagen rollten da von. Nach Kandoris-VI-Zeit war es jetzt Abend, aber die blauweiße Scheibe von Kandoris hing immer noch blen dend im ewig schwarzen Firmament. Kiffer fuhr an dem Projektor vorbei und sah, daß er auf den Stahlturm gerich tet war, in dem man die Versuchstiere der Strahlung ausge setzt hatte. „Da ist er!“ rief der Fahrer des Wagens und deutete nach vorn. Auch Kiffer erkannte jetzt den Raumanzug in dem Ziel gerüst. Er griff zum Funkgerät und rief die Besatzung des zweiten Wagens. „Projektor auf jeden Fall abschalten!“ Der Jeep hielt genau unter dem Stahlgerüst des Turmes. Kiffer sprang aus dem Wagen, ergriff die Sprossen der Lei ter und kletterte zur Plattform hinauf, die in ungefähr sechs Meter Höhe angebracht war. Er erreichte den Rand und sah Roysland. Der Mann saß 137
auf einem kleinen Hocker mit dem Rücken zur Leiter. Kif fer sprang auf die Plattform und schaltete sein Helmmikro phon ein. Er legte Roysland eine Hand auf die Schulter und sagte: „Stehe auf, Roysland.“ Roysland fuhr herum. „Was? Oh, hallo, Kiffer; ich sah dich mit dem Jeep kommen.“ Er schwieg, und Kiffer, der Royslands Gesicht nicht genau erkennen konnte, hätte schwören mögen, daß es zu einem Grinsen verzogen war. „Oh, ich verstehe“, sagte Roysland. „Ihr hattet erwartet, mich hier oben mit einer Gehirnlähmung vorzufinden. Ehr lich gesagt, eine halbe Stunde hatte ich fast das Gefühl, aber es ist schon fast vergessen.“ Kiffer holte tief Luft und sagte Roysland ein paar pas sende Worte, die damit endeten: „… Wie konntest du dich nur dieser Gefahr aussetzen und uns einen solchen Schrek ken einjagen.“ „Tut mir leid“, sagte Roysland und grinste immer noch. „Aber sieh dir diese Aufzeichnungen an. Ich glaube, daß du …“ „Moment“, unterbrach Kiffer ihn. „Mich interessieren nicht die Messungen! Was geschah beziehungsweise was geschah nicht mit dir?“ „Alles in Ordnung?“ „Was ist los da oben?“ „Braucht ihr Hilfe?“ Die Stimmen überschlugen sich auf einmal in Kiffers Helmempfänger. Er sah noch einen dritten Jeep von der Station her anfahren. 138
„Er ist O. K.!“ rief er in sein Mikrophon. „Falscher Alarm! Ich glaube, Roysland wird uns alles erklären.“ Das Antwortgeschrei ließ Roysland zusammenzucken. „Schon gut, Freunde! Bitte, nehmt untertänigst meine Ent schuldigung an.“ „Erkläre“, herrschte Kiffer ihn an. „Wir wußten schließ lich, daß du hier draußen bist. Immerhin hast du ja eine herzzerreißende Nachricht hinterlassen. Ich nehme dir nicht übel, wenn du im letzten Augenblick von dem Ver such abgesehen hast. Du hättest uns aber vorher verständi gen sollen.“ „Ich habe keine kalten Füße bekommen“, sagte Roys land. „Sieh dir doch nur die Aufzeichnungen hier und am Projektor an.“ Kiffer tat, wie ihm geheißen, und sagte: „Du hast es also wirklich getan! Aber nach den Messungen haben die Strah len ja nicht einmal ein kleines Unwohlsein hervorgerufen. Du hast wahrscheinlich gar nichts bemerkt.“ „Nein, habe ich nicht“, sagte Roysland. „Ich weiß nicht, wofür die Enlissa den Projektor haben, aber keinesfalls be einflußt er das menschliche Gehirn.“ Kiffer sah wieder zu den Messungen. „Vielleicht warst du nicht weit genug entfernt vom Projektor“, sagte er we nig überzeugt. „Vielleicht spielt die Entfernung doch …“ „Unmöglich“, unterbrach ihn Roysland. „Der Strahl geht auf die Entfernung eines halben Lichtjahrs kaum in die Breite, das weißt du. Die Wellenform ist überall gleich. Nein, ich befürchte, wir sind in einer Sackgasse gelandet.“ 139
Kiffer schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann es nicht glauben“, sagte er. „Die Enlissa rüsten ihre Schiffe doch nicht umsonst mit diesem Ding aus. Wir müssen irgend etwas beim Versuchsaufbau falsch gemacht haben.“ „Vielleicht“, gab Roysland zu. „Aber er arbeitet nicht, wie wir es erwartet haben. Nimm die Aufzeichnungen mit, ich will sie noch einmal in Ruhe überprüfen.“ Sie entnahmen den Instrumenten die graphischen Dar stellungen und warfen sie den drei wartenden Männern am Gerüst hinunter. Ein paar Sekunden später fuhren sie alle zurück zur Kuppel. * Vier Tage später war Roysland wieder nach Kandoris VI zurückgekehrt. Kiffer Samm war auf Syndor geblieben, um noch mit dem Enlissa-Projektor zu arbeiten. Als erster berief Roysland eine weitere Zusammenkunft seiner Leute ein. Außer ihnen nahmen noch Bilford und Commander Allerdyce daran teil. Roysland legte die Informationen über den Projektor ausführlich dar und bat um Stellungnahmen. Bilford meldete sich zuerst. „Ich habe die Vergleiche, die du haben wolltest, gemacht. Ich habe auch etwas he rausgefunden, aber das wird uns nicht viel helfen. Was die Nebenwirkungen der aJ-Projektoren betrifft, so glaube ich, daß wir sie vergessen können. Nachdem ich die 140
Messungen in die äquivalenten elektromagnetischen Werte umgerechnet hatte, fand ich heraus, daß die Frequenz der Rückkopplung viel zu niedrig ist, um überhaupt einen Ef fekt hervorzurufen. Vorausgesetzt immer, daß die subäthe rischen Wellen überhaupt einen Effekt hervorrufen, und vorausgesetzt, daß es eine Analogie zwischen subätheri schen Schwingungen und elektromagnetischen Schwin gungen gibt. Außerdem hat die vergleichende Beweisfüh rung genau wie die logische ihre Grenzen. Der erbeutete Enlissa-Projektor ist ein anderes Problem. Im Gegensatz zu unseren aJ-Projektoren ist die Art der Nebenstrahlung verschieden. Sie ist nicht eine einzelne Welle, sondern ein Zusammenspiel drei verschiedener Fre quenzen. Man könnte den Vergleich zwischen einer Stimmgabel, die vielleicht ein mittleres C erzeugt, und sa gen wir, einer Violine anstellen, die den gleichen Ton spielt. Wir können mit Sicherheit aber sagen, daß der erbeutete Projektor nicht der Gehirnzerstörer ist; seine Frequenz ist viel zu hoch. Sie kommt fast an die von Röntgenstrahlen heran. Wenn meine Berechnungen stimmen, so könnten die auftretenden Subätherwellen sehr wohl einen Effekt auf Moleküle des Gehirns haben, aber keinesfalls den beobach teten.“ Er setzte sich und rieb sich nervös die Hände. Commander Allerdyce stand auf. Normalerweise brauchte der Flottenkommandant vor niemandem hier Re spekt zu zeigen, aber er empfand ihn wohl für den Mann 141
am Schreibtisch auf Kandoris. „Roysland, auf Grund Ihrer Hinweise habe ich Statisti ken anfertigen lassen, und wir konnten eine neue Strategie entwickeln, die unsere Verluste um vierzig Prozent senk te.“ Er griff nach einem Stapel Papiere. „Und zwar folgendes: Dreißig von hundert Schiffen der Enlissa haben die Angewohnheit, ohne jeglichen Kampf an uns heranzufliegen. Diese Schiffe werden daher immer so gut wie alle ausgeschaltet. Ein Schiff mit einem aJ-Projektor hat eine Gewinnchan ce von über siebzig Prozent. Die restlichen dreißig Prozent werden von dem gehirnbeeinflussenden Effekt betroffen. Die Chance für ein konventionell bewaffnetes Schiff liegt bei zweiundsechzig Prozent. Jetzt kommt der sprin gende Punkt: Bedenkt man die Stärke der EnlissaAktivitäten, so könnten wir die Verlustrate noch stärker senken. Ungefähr zweiunddreißig Prozent werden ohne Gegenfeuer erwischt. Bedenkt man das, könnten wir unsere Überlebenschancen erheblich steigern.“ Roysland nickte. „Gut, kann ich die Statistiken bekom men? Am besten einen zusammenfassenden Bericht.“ „Selbstverständlich“, sagte der Commander. Taddibol stand auf. „Ich glaube, ich kann für Vanisson, Mardis und mich sprechen. Nach unseren Berechnungen sind die Enlissa in der Lage, ein Schiff mit einem aJProjektor auszumachen, bevor damit geschossen wird. Wir glauben, daß es eine Art Betriebsstrahlung des aJ gibt, die vom Feind geortet wird. Keine andere Hypothese wird den 142
bekannten Tatsachen gerecht.“ Vanisson stand auf, bevor Taddibol geendet hatte. „Ich möchte aber noch darauf hinweisen, daß, obwohl ich mit Taddibol Vlys übereinstimme, uns immer noch die Bewei se für die Hypothese fehlen. Wir haben …“ Das Solidophon meldete sich, und jeder sah in Roys lands Richtung, als er den Empfänger aktivierte. Generaldi rektor Eckisster war noch nicht genau zu erkennen, als Roysland schon sagte: „Lassen Sie mich denn nie in Ruhe? Müssen Sie mir ewig über die Schulter sehen?“ „Nein“, sagte Eckisster ruhig. „Was Ihre zweite Frage betrifft, ja. Darf ich nun etwas sagen? Sie baten mich doch, ich sollte zwei der Fremden den Strahlen ihres eigenen Projektors aussetzen?“ „Stimmt“, sagte Roysland. „Wie Bilford berichtete, sind zwei der Fremden durch seine Behandlung völlig genesen. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie aus humanitären Gründen dem Test nicht zustimmen würden.“ „Der Test wurde auch durchgeführt, weil auch Ihr Mann, Kiffer Samm, behauptete, daß man wertvolle Informatio nen erhalten könnte, wenn man die Gehirne von zwei Fremden den Strahlen ihres eigenen Projektors aussetzte. Da wir ja auch eine Heilmethode für die Betroffenen ent wickelt haben, hatte ich nichts dagegen. Unglücklicherwei se starben die beiden Fremden.“ „Sie taten was?“ schrie Bilford. „Starben, Bilford, starben!“ sagte Eckisster. „Sie sind beide so tot wie die Oberfläche von Syndor.“ 143
„Guter Gott“, sagte Bilford. „Vielleicht ist ein zweites Ausgesetztsein …“ Er drückte einen Knopf und ver schwand. „Was soll das?“ fragte Eckisster. „Er hat gerade die ersten betroffenen Soldaten aus der Raumklinik entlassen“, sagte Allerdyce. „Wenn der Projek tor tatsächlich der Gehirnbeeinflusser ist und diese Leute ihm ein zweites Mal ausgesetzt werden … Entschuldigen Sie mich.“ Er drückte den Unterbrecher und verschwand. Eckisster sah zu Roysland. „Nun, Sir?“ „Das habe ich nun wirklich nicht erwartet.“ Roysland schüttelte den Kopf. „Das dachte ich mir“, sagte Eckisster leise. „Aber be trachten Sie die Sache so: Wir brauchen Daten, und das sind welche.“ „Ich weiß“, sagte Roysland. „Entschuldigen Sie mich, ich muß nachdenken.“ Er drückte einen Knopf, und die ganze Gruppe löste sich in Nichts auf. * „Was?“ fragte Commander Allerdyce. „Ich sagte“, wiederholte Roysland, „daß ich die Antwort auf unser Problem gefunden habe. Ich bitte Sie daher um die Erlaubnis, mit der X-69 in Feindgebiet fliegen zu dür fen.“ „Unter der Bedingung“, sagte Allerdyce, „daß Sie mir eine gute Begründung dafür geben können.“ 144
„Ich benötige ein Exemplar fremden, tierischen Lebens. Ich glaube die Zusammenhänge zu kennen, brauche aber Beweise.“ Allerdyce schüttelte den Kopf. „Wir können das nicht riskieren. Wir wissen nicht, genau wie die Enlissa, wo die Basen der Feinde liegen. Unsere Triebwerke auf den Schif fen sind ja bekanntlich abgeschirmt, und ebenso ist es bei den Enlissa. Wenn beide Seiten wüßten, wo die Basen lie gen, wäre das Ganze schon kein Raumkrieg mehr, Sie ver stehen.“ „Ja“, sägte Roysland. „Aber wir haben Gefangene, Mit glieder der feindlichen Streitkräfte. Wir könnten diese In formationen von ihnen bekommen.“ Allerdyee schüttelte erneut den Kopf, „Wie? Sie sind gegen Psychoverhöre immun. Sie würden uns nicht erzäh len, wo ihre Heimatwelt liegt, genausowenig wie unsere Leute es tun würden, tun könnten.“ Jetzt schüttelte Roysland den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich bin kein Militärmensch, ich bin Wissenschaftler – zumindest glaube ich das. Ich suche keine Flottenbasen, sondern einen Planeten, auf dem die Enlissa ihre Flora und Fauna angesiedelt haben. Genauso machen wir es doch mit neuentdeckten Planeten, oder? Sie werden bebaut, lange bevor sie kolonisiert werden. Wenn sich die Enlissa ebenso wie wir ausgebreitet haben, muß es zwangsläufig viele Pla neten geben, die von den Enlissa zwar noch nicht bewohnt, von der Tier- und Pflanzenwelt aber schon überzogen sind, um den Planeten auf die Besiedlung vorzubereiten. 145
Es wird doch einer der Gefangenen wissen, wo so ein Planet liegt. Ich möchte wetten, daß wir diese Information bekommen könnten.“ „Warum?“ fragte Allerdyee. „Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie nicht daran ge dacht haben“, sagte Roysland grinsend. „Das Kolonisati ons-Büro und das Flottenkommando sind zwei verschiedene Institutionen. Wenn die Fremden nur so ähnlich denken wie wir, ist ihre Organisation der unsrigen gleich. Und je der bisher gefundene Beweis zeigt, daß sie ähnlich wie Menschen denken. Außerdem gibt es keinen Grund, einen unbewohnten Planeten zu verstecken. Das Militär kümmert sich auch kaum um die Akten der Kolonisationsämter. Warum auch. Was würde es ausmachen, wenn der Feind einen unbe wohnten Planeten erobert? Immerhin haben wir die gleiche Chance wie sie, einmal einen solchen zu finden.“ Allerdyee dachte nach und sagte dann: „Ich werde das noch mit Bilford besprechen. Wenn er glaubt, daß wir die se Informationen aus einem Fremden herausholen können, werde ich der Reise zustimmen. Ich muß allerdings darauf bestehen, daß die X-69 voll bewaffnet und unter Militär kommando fliegt.“ „Natürlich“, stimmte Roysland zu. „Ich bin nur ein Pas sagier.“ „Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Allerdyee. „Zuerst aber werde ich das Kolonisationsbüro anrufen.“ Roysland lächelte still, als er die Verbindung unterbrach. 146
*
Drei Tage später jagte die X-69 ins All. An Bord, schwer bewacht, war der Erste Offizier des erbeuteten EnlissaSchiffes. Niemand hatte bisher die Enlissa-Sprache entziffert, aber Bilford hatte ein System ausgearbeitet, womit er immerhin Ja- und Nein-Antworten erhielt. Auf diese Art und Weise hatte er schließlich auch die Koordinaten eines Sonnensy stems erhalten, in dem ein Planet, den die Enlissa auf die Besiedlung vorbereiteten, um die Sonne kreiste. Alles, was Roysland wollte, war ein Exemplar tierischen EnlissaLebens. Ein altes Sprichwort sagt: „Manche Leute haben nur Glück.“ Man findet diesen Satz überall in der Menschheits geschichte, ganz gleich, in welcher Epoche. Man hält diesen Satz im allgemeinen für das Klagen der weniger Erfolgrei chen gegenüber den Erfolgreichen – aber es ist noch nicht geklärt, ob das Glück immer gut für den Betroffenen war. Mit diesen Vorbehalten könnte man Roysland Dwyn für einen Glückspilz halten. Am vierten Tag dröhnten die Warnsirenen durch das ganze Schiff. Während die Mannschaften sich auf die Gefechtsstatio nen verteilten, kämpfte Roysland sich zur Brücke durch. Kapitän Dobrin und der Feuerleitoffizier standen gebeugt über dem Ortungsschirm und unterhielten sich leise. Roys land ging schweigend zu ihnen hinüber. In dieser Situation 147
hatte das Militär das Wort; er war nur ein Passagier. Er be trachtete die Instrumente. Ganz weit draußen, am Rand des Detektorfeldes, hatte man die Spur eines sich bewegenden Schiffes aufgefangen. Der Identikator klassifizierte es als ein Enlissa-Schiff. „Es muß uns auch geortet haben“, sagte der Kapitän. „Wir werden es in wenigen Minuten wissen.“ Er stand ruhig und entspannt vor dem Schirm und warte te darauf, daß das Enlissa-Schiff seinen Kurs änderte. Soll te dies nicht der Fall sein, so würde sein Kriegsschiff den Kurs in Richtung Feind ändern. Sie brauchten nicht lange zu warten. Wenige Minuten später schwenkte das fremde Schiff auf einen Kollisions kurs mit der X-69 ein. „Alarmstufe eins“, sagte der Kapitän. Jetzt erst schien er die Gegenwart Royslands zu bemer ken. Sein Gesicht blieb reglos. „Wir werden eine neue Taktik anwenden“, sagte er. „Wir schicken zuerst die Torpedos und setzen dann den Projektor ein.“ Roysland nickte. „Sie sind der Kommandant, Kapitän. Ich weiß nichts über Raumstrategie.“ Der Erste Offizier wandte sich an den Feuerleitoffizier. „Alle Zielgeräte auf den Feind einstellen. Das ermöglicht uns schnelleren Einsatz. Wir müssen sichergehen.“ „Jawohl Sir“, sagte der Mann. Roysland beobachtete die Instrumente, während der FLO seine Befehle erteilte. Als erstes wurden der Kurs und 148
die Geschwindigkeit in die Kalkulatoren eingespeist. Dann wartete man. bis die Rechner ihre Ergebnisse ausspuckten, die in einen Komputer gegeben wurden. Roysland runzelte die Stirn, während er sich das Ganze ansah. Die aJ-Projektoren benötigten keine so lange Vor bereitung. Und wenn die aJ’s jetzt schießen würden, be käme der Feind gar keine Gelegenheit zur Gegenwehr. Und doch zeigte die Statistik, daß … Warum? Auf der Stirn des Feuerleitoffiziers bildeten sich Schweißperlen, während er die Schirme beobachtete und methodisch Daten in den Komputer gab. Es war eine Ar beit, die kein Roboter übernehmen konnte. Man benötigte Intuition und Voraussicht, was allein eine Gabe des menschlichen Verstandes war. Ohne Warnung drückte der FLO plötzlich einen weißen Knopf am Rande seines Kontrollbords. Er nahm die Finger wieder zurück, und seine Hand schien für einen Moment zu Eis erstarrt. Er hatte das Unwiderrufliche getan; er hatte alle Torpedos auf einmal abgeschossen. Die X-69 besaß jetzt nur noch ihre aJ-Kanonen. * Die erste Salve der schutzschirmzerstörenden Torpedos verließ das Schiff und ging fast augenblicklich in Ultrage schwindigkeit über, was nur ein unbemannter Torpedo konnte. 149
Die Torpedos hatten keine besonders großen Ausmaße, aber sie genügten, um die Schutzschirme eines feindlichen Schiffes zu zerfetzen. Sie waren nicht dazu gedacht, auch Leben oder Materie zu vernichten. Die erste Salve brachte nur Risse in den Schutzschirm, durch die dann die sogenannten „Fliegen“, Torpedos der zweiten und dritten Salve, eindrangen und alles Leben zerstörten. Das Problem beim Abschuß von nur einem Torpedo war, daß der Feind ihn orten und ihm verhältnismäßig leicht ausweichen konnte. Der Beschuß mit mehreren Ge schossen aber war in den meisten Fällen zuviel für den Bordkomputer der Enlissa. Die drei Geschoßwellen verließen die X-69 so schnell hintereinander, daß man den Zeitunterschied nicht feststel len konnte. Die ganze Aktion war beendet, bevor man ein mal blinzeln konnte. Roysland sah auf die Uhr. Von der Ortung an hatte die Aktion nur etwa neunzig Sekunden gedauert. Das schweigende Warten der Männer wurde plötzlich unterbrochen. „Torpedo aus zwölf-siebenunddreißig!“ Die Daten wurden in den Komputer gegeben, und die X 69 änderte leicht ihren Kurs. Roysland fühlte ein kurzes Unwohlsein, als sich die Richtung des Schiffes änderte. Man konnte jetzt nichts anderes tun als abwarten. Es blieb den Robotern und den Schutzschirmen überlassen, ob ein feindlicher Torpedo traf oder nicht. Das Schiff beschleunigte erneut. Der Boden drehte sich 150
unter Royslands Füßen, als ein Torpedo durch den Raum zischte, den vorher die X-69 eingenommen hatte. „Explosion in fünfzehn-sechzig!“ riefen zwei Männer gleichzeitig. Das Gesicht des Feuerleitoffiziers verzog sich zu einem Grinsen. „Wir haben es geschafft“, sagte er. Der Interkom flackerte auf. Ein erregter Raumsoldat meldete sich. „Kapitän! Hier unten ist etwas Seltsames ge schehen. Der Enlissa-Offizier ist tot umgefallen.“ In diesem Moment erkannte Roysland die Wahrheit. Die Stücke des Puzzlespiels setzten sich zu einem Bild zusam men. Ihm wurde bewußt, daß die Enlissa ebenfalls ihre Taktik geändert hatten. In diesem Augenblick kam die Explosion. Vier Torpedos waren zugleich auf die X-69 zugerast, und der Komputer hatte einen Sekundenbruchteil zu spät reagiert, indem er die Flugbahnen der Geschosse nicht schnell genug berechnet hatte. Die Explosion der Schutzschirme erschütterte das ganze Schiff. Dann gab es zwei dumpfe Schläge, als ein paar Flie gen in das Schiff eindrangen und das Innere vernichteten. Roysland bekam alles gar nicht mehr richtig mit. Der Kontrollraum stand plötzlich kopf. Als Roysland sich wie der aufrappelte, war die ehemalige „Wand“ zum Fußboden geworden, und sein rechter Arm hing reglos herunter. Roysland schüttelte benommen den Kopf und sah sich um. Der Kapitän war ebenfalls an die Wand geschleudert worden, und der Feuerleitoffizier hing leblos über seinen 151
Kontrollen. Die übrigen Männer waren im Raum verteilt. Nach und nach kehrte die Schwerkraft zurück, und Roysland landete auf den Füßen. Er taumelte zu den Kon trollen. Er hatte nur noch wenig Zeit! Glücklicherweise waren die meisten Männer im Kontrollraum noch bei Be wußtsein. Diejenigen, die sich noch bewegen konnten, wa ren wieder an ihren Instrumenten, als Roysland den Feuer leitstand erreichte. Eine zweite Salve Torpedos erreichte das Schiff. Dies mal waren sie aber darauf vorbereitet. Roysland klammerte sich an einem Sessel fest, als die Schwerkraft wieder ver rückt spielte. Die X-69 würde keinen weiteren Treffer mehr überste hen. Die Enlissa waren doch schneller gewesen. „Alle aJ-Projektoren feuerbereit!“ rief einer der Männer. „Einstellen und schießen“, sagte Roysland. Er drückte einen Knopf. Die aJ-Projektoren bewegten sich in ihren Stellungen. Jeder suchte sich ein anderes Ziel unter den anfliegenden Torpedos. Dann feuerten die ersten, und im gleichen Moment wur de Royslands Verstand, auch der aller anderen, einfach ausgelöscht. * Roysland beobachtete ein Spiel. Er war ein desinteressier ter Zuschauer, der nicht das geringste Interesse für die 152
Vorgänge hatte. Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Ge danken beschäftigt. Wichtig war: Er hatte das Problem gelöst. Und welch ein faszinierendes Problem! Er antwortete den anderen freund lich, kümmerte sich aber überhaupt nicht darum, was sie sagten. Denn was könnte wohl wichtiger sein als meine eigenen Probleme? Wer könnte wichtiger sein als ich? Die Leute sagten ihm, er solle dieses oder jenes machen, und er tat es. Aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wohin er ging, noch warum oder wie er das eine oder ande re tat. Sie legten ihn in ein Bett und fütterten ihn mit Suppe und stachen ihm mit Nadeln in den Arm und taten noch einige andere sinnlose Dinge, die ihn nicht interessierten. Introspektion. Erkenne dich selbst. Und dann folge der sich immer weiter senkenden Spiral-Helix, bis du schließ lich zu dir selbst findest. Selbstanalyse. Welches sind meine Motive? Warum will ich wissen, welche Motive mich be wegen? Warum analysiere ich mich selbst? Warum will ich wissen, warum ich mich selbst analysiere? Was weiß ich über die Motive des Wunsches, mehr über die Gründe der Selbstanalyse zu erfahren? Warum fühle ich, daß die Motive … Plötzlich zuckte ein Schreck durch Royslands Hirn. Mit der entsetzlichen Klarheit eines Mannes, der in einen dunk len Raum gestarrt hat, in dem man plötzlich die Lichter anmacht, wurde Roysland wieder in die Wirklichkeit ge schleudert. 153
Für eine Sekunde wurde ihm klar, was. geschehen war, dann fiel er wieder in die Schwärze der Ohnmacht zurück. Als er wieder zu sich kam, stand eine Krankenschwester neben seinem Bett. Sie lächelte, als er die Augen öffnete und fragte: „Wie geht es Ihnen, Sir?“ Er dachte einen Moment nach, dann lächelte er eben falls. „Ich fühle mich wohl, danke. Was ist geschehen?“ Das Mädchen drückte einen Knopf. „Der Psychometrist wird gleich hier sein. Er wird Ihnen alles erklären.“ Dann verließ sie das Zimmer. Nach nicht ganz einer Minute kam der Psychometrist Bilford herein. „Oha“, sagte Roysland. „Ich bekomme eine Sonderbe handlung. Der oberste Boß kümmert sich um mich.“ Bilford grinste, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und nickte. „Stimmt, du bist sehr wichtig. Ich dachte mir, daß du jemanden sehen willst, wenn du zu dir kommst.“ Roysland richtete sich halb auf. „Ganz recht. Die Jun gens haben das Geheimnis der mysteriösen Waffe gelüf tet.“ Bilford hob die Brauen. „Wie kommst du darauf, daß sie unser Problem gelöst haben könnten?“ Roysland grinste. „Ganz einfach: Ich weile wieder unter den Lebenden. Wenn ich wieder in Ordnung bin – und da von bin ich überzeugt – hast du die Auswirkungen des Rückkopplungseffekts wieder aufgehoben. Du weißt also, was ihn hervorgerufen hat.“ Bilford nickte. „Sehr gut, und es stimmt. Ich glaube, 154
dein Gehirn ist doch nicht so ausgebrannt, wie es hätte sein können. Ich glaube, du kannst jetzt ein paar Besucher ver tragen.“ „Wen?“ fragte Roysland. Bilford ging zur Tür. „Vier Mann von der Waffentech nik und ein Flottenkommandant. Sie haben drei Tage lang gewartet, um dich sprechen zu können, und ich sagte ihnen, daß du heute wieder fit sein würdest.“ Er blieb stehen. „Wenn du sie aber nicht sehen willst …“ „Herein mit ihnen!“ bellte Roysland. * Bilford öffnete die Tür, und schon kamen die fünf Männer hereingestürmt. Nach minutenlangem Beglückwünschen zu Royslands Erfolg kamen sie zum Thema. „Ich glaube, Sie haben mich ganz schön ‘reingelegt mit dieser Tierfanggeschichte“, sagte Allerdyce schmunzelnd. Bilford grinste. „Außerdem war es sehr gerissen, die In strumente, in der Kabine des Enlissa aufzubauen. Die übri gen Männer der Besatzung sind ebenfalls durchgekommen.“ Roysland schüttelte den Kopf. „Ihr mißversteht mich. Ich wollte tatsächlich Tiere fangen. Ich wußte, daß die Antwort irgendwie bei den Enlissa selbst zu suchen war, aber das war noch keine Lösung. Jetzt weiß ich, daß es das Zusammenwirken von der Ne benstrahlung des aJ-Projektors und dem Strahl des Feindes ist, was das Gehirn beeinflußt. Die Waffe der Feinde war 155
als Todesstrahl gedacht, hatte aber auf den Menschen eine andere Wirkung.“ „Das ist richtig“, sagte Taddibol. „Der Projektor der Fremden war dazu bestimmt, das Molekül eines Enzyms zu zerstören, das wichtig für das Leben eines Enlissa ist. Die Waffe erfüllt ihre Aufgabe auch wundervoll. Wenn der Strahl einen Enlissa trifft, muß der arme Kerl sterben, weil sein Nervensystem nicht mehr funktioniert. Unser Körper aber unterscheidet sich von dem der Fremden, so daß der Projektor bei uns nicht in der gewünschten Art und Weise wirkt.“ „Die Antwort lag schon greifbar vor uns“, fuhr Kiffer fort. „Die Nebenstrahlung des aJ-Projektors hat eine zu lange Wellenlänge, um zu wirken, und der Todesstrahl der Enlissa ist zu kurz. Dafür wirkt dann das Zusammenspiel der beiden und erzeugt ein Strahlungsfeld, das die ja all seits bekannten Folgen zeitigt.“ „Außerdem“, warf Allerdyce ein, „ist das auch eine Er klärung für das Benehmen der Feindschiffe. Wir müssen davon ausgehen, daß ungefähr fünfundzwanzig Prozent ihrer Schiffe mit dem Strahler ausgerüstet sind. Das erklärt, warum sich diese Schiffe immer ohne erkennbare Gegen wehr näherten. Sie nahmen an, daß wir schon durch den Projektor ausgeschaltet seien und waren wohl höchst ver wundert, in einen Torpedohagel hineinzufliegen. Manch mal setzten wir auch den aJ ein, was dann den bekannten Effekt verursachte. Der Feind hat also fast alle seine To desstrahlschiffe verloren.“ 156
Roysland nickte. „Wir sind nicht darauf gekommen, weil wir nicht danach gesucht haben. Zuerst suchte ich die Schuld allein beim aJ-Projektor, die Meldungen schienen das zu bestätigen. Als dann aber jeder Test das Gegenteil bewies, und als die Enlissa ihren Projektor einsetzten, machte ich den Fehler, von dem eingeschlagenen Weg ab zuweichen. Merkt euch, Jungens: Man kann eine alte Theo rie vergessen, aber niemals altbekannte Fakten! Übrigens, Commander: Wissen Sie, wie wir zu dem En lissa-Schiff kamen?“ „Ja“, sagte Allerdyce. „Als sie nahe genug heran waren, wurden die Feinde in das vom Projektor erzeugte Strah lungsfeld gezogen. Das Feld erstreckt sich über einen Raum mit dem Durchmesser von rund neunhundert Kilo metern um das Schiff. Wir kennen nicht den Effekt am äu ßersten Rand des Feldes, erforschen ihn aber.“ * „Ihr wißt“, sagte Roysland, „daß die Menschen schon seit Jahrhunderten die Formel ,Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile’ kennt, aber wir vergessen manchmal die praktische Anwendung dieser Formel. Wir hängen im mer noch zu oft an Ursache und Wirkung, und umgekehrt gehen wir von der Wirkung auf die Ursache zurück. Aber in diesem Fall gab es zwei Ursachen für das ge hirnbeeinflussende Feld und drei Wirkungen dieser zwei Ursachen. Das ist natürlich grob vereinfacht. Wir haben 157
noch lange nicht alles gefunden, was durch das Phänomen des subätherischen Zusammenwirkens alles erzeugt werden kann.“ Roysland sah zu Bilford. „Wie kamst du auf diese Schnellheilmethode?“ Bilford zuckte die Schultern. „Ganz einfach. Ich experi mentierte herum, bis ich ein Zusammenwirken subätheri scher Strahlung hatte, das mit den Frequenzen meiner Mi krowellenbehandlung übereinstimmte. Funktionierte prima.“ Kiffer meldete sich zu Wort. „Mit den Informationen, die wir jetzt haben, sollten wir imstande sein, die von uns so lange gefürchtete Waffe zu bauen.“ „Könnten die Enlissa sie nicht auch entwickeln?“ fragte Bilford. „Immerhin haben wir es geschafft.“ „Das ist nicht das gleiche“, sagte Kiffer. „Sie haben kei nen aJ-Projektor und können daher auch nicht zufällig auf das Strahlungsfeld stoßen.“ „Außerdem“, sagte Allerdyce grimmig, „werden wir ih nen keine Beweise dafür liefern. Wenn die Waffe arbeitet, werden wir sie der Reihe nach von den Sternen putzen, en tern, und die Gefangenen und das komplette Schiff mit bringen. Die Enlissa werden nie erfahren, was mit ihren Leuten geschah.“ Roysland wollte gerade etwas sagen, als die Tür aufflog und Generaldirektor Eckisster hereingestürzt kam. Er schien vor Wut zu kochen und starrte wild um sich. Sein Blick blieb an Bilford hängen. „Darf ich fragen, Sir“, donnerte er, „warum ich Roys 158
land Dwyn für zwei Wochen nicht sehen durfte und warum jetzt diese Leute ihn zuerst sehen können?“ Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern wandte sich an Roys land. „Was Sie betrifft, Sir, so muß ich Ihnen einen Ver weis erteilen – ganz offiziell. Sie hatten nichts im Gebiet des Feindes zu suchen, schon gar nicht mit der X-69. Sie hätten getötet werden können, und wir brauchen Sie hier nötiger.“ Roysland wollte gerade antworten, aber Commander Al lerdyce kam ihm zuvor. Er lächelte Eckisster entwaffnend an. „Mein lieber Direktor, glauben Sie nicht, daß das sehr seltsam klingt? Kapitän Dobrin schlug Roysland schon für das Verdienstkreuz Erster Klasse in Gold vor, weil er über seine Pflicht hinaus Großes geleistet hat. Ich schloß mich dieser Empfehlung an und schickte sie ebenfalls an die Re gierung. Der Regierungschef hat seine Zustimmung gege ben; wie stehen Sie da wohl mit Ihrer Rüge da?“ Eckisster glühte. „Mein lieber Commander“, sagte er. „Es ist nun mal so, daß Dwyn mir untersteht, und ich habe auch das Recht, ihm alles nur mögliche anzudrohen. Es hält ihn bei der Stange, und er arbeitet, um Ergebnisse zu erzielen. Ich drohte, tobte, schrie und stellte ihm dumme Fragen, und es hat funktioniert. Wenn Sie sich aus meinen Angelegenheiten heraushalten, so will ich das auch bei Ih nen tun, klar?“ Wieder ließ er niemanden zu Wort kommen, sondern wandte sich an Roysland. „Und Sie, Sie sehen zu, daß Sie aus diesem Bett kommen. Sie müssen einen Projektor bau 159
en, einen Gehirnbeeinflusser. Ich erwarte Sie später in meinem Büro. Auf Wiedersehen.“ Allerdyce starrte einen Moment auf die geschlossene Tür, dann wandte er sich um und grinste. „Der hat’s mir ganz schön gegeben, nicht wahr?“ „Ja“, sagte Bilford, „und er wird es wieder tun, bei uns allen. Und jetzt hinaus, der Patient hat genug Aufregung für heute.“ * Es dauerte ganze fünf Minuten, bis die Männer das Feld geräumt hatten, aber schließlich waren Bilford und Roys land allein. „Wußtest du schon“, sagte Bilford, „daß Eckisster an al len seinen Leuten so herumnörgelt und daß er auf diese Weise die besten Ergebnisse erzielt?“ „Aber ja“, sagte Roysland, „schon seit Jahren. Ich glau be nicht, daß er damit den Erfolg hat, den er sich einbildet, aber es macht die Arbeit bei ihm aufregend. Ich glaube, jeder braucht ein wenig Sticheleien von Zeit zu Zeit.“ Bilford nickte. „Ich dachte mir, daß du da mit ihm über einstimmst. Du bist ein noch größerer Nörgler als er.“ „Was, ich?“ Roysland war überrascht. „Ja, du. Eckissters Sticheleien haben eine begrenzte Wir kung, aber deine sind nicht nur wirkungsvoll, sondern wichtig. Du stellst Fragen, die die Leute zum Denken anre gen und sie nicht verrückt und nervös werden lassen. Wäh 160
rend Eckisster seine ätzenden Bemerkungen wahllos nach allen Seiten verstreut, benutzt du deine Nadel, um ganz ge zielt und wirkungsvoll zu stechen. Eckisster weiß selbst nicht, was er will und wie er es bekommen kann, und er möchte, daß andere das für ihn herausfinden. Auf der ande ren Seite weißt du ganz genau, was du willst und wie du es erreichen kannst, ohne daß jeder dich haßt. Und du stehst notfalls selbst deinen Mann. Du erkennst die Leistungen deiner Leute, Allerdyce und mich eingeschlossen, an, aber in Wirklichkeit waren es deine Leistungen. Wäre nicht dein ständiges Sticheln ge wesen, deine Fähigkeit, uns immer wieder auf scheinbar unwichtige Tatsachen zu stoßen, deine manchmal radikalen Theorien und deine bohrenden Fragen, so hätten wir wohl selbst heute noch keine Antwort. Das Wichtige bei diesem Problem war, das menschliche Gehirn voll einzusetzen, um dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. Eckissters Nörgeleien lassen einen Mann unter Umstän den schwerer arbeiten, und vielleicht denkt er auch inten siver nach, aber er wird niemals dazu geführt, die Fakten in einem anderen Licht zu sehen. Du bist imstande, eine Theorie fallenzulassen und eine völlig neue Hypothese aufzustellen. Du stiftest andere an, sie zu zerstören. Gelingt ihnen das nicht, haben sie gleichzeitig den Beweis für ihre Richtigkeit erbracht.“ Er stand auf und strich sich über das Haar. „Und jetzt entschuldige mich bitte“, sagte er. „Ich habe 161
noch viel zu tun. Ich vermute, daß diese subelektronischen Harmonien noch viel mehr können, als nur das Gehirn des Menschen durcheinanderzubringen. Wenn es dir besser geht, unterhalten wir uns mal darüber.“ Er drehte sich um und ging. Roysland legte sich zurück in sein Bett und starrte zur Decke. Ich, ein Nörgler, dachte er. Ich? ENDE
Der Moewig-Verlag in München ist Mitglied der Selbstkontrolle deutscher Romanheft-Verlage TERRA-NOVA – Science Fiction – erscheint wöchentlich im Moewig- Verlag, 8 München 2, Türkenstr. 24, Telefon 281056 – 58, Postscheckkonto München 13968. Erhältlich bei allen Zeitschriftenhandlungen. Copyright © 1969 by Arthur Moewig Verlag München. Printed in Germany. Gesamtherstellung Buchdruckerei Hier. Mühlberger, Augsburg. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Christine Neumann. Zur Zeit ist Anzeigenpreisliste Nr. 16 gültig. Alleinver trieb in Österreich. Firma A. Bruckner, Linz/Donau, Herrenstraße 48. Scan by Brrazo 05/2006 Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer Dieses Heft darf nicht in Leihbüchereien und Lesezirkeln geführt und nicht zum ge werbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
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