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Das Buch Der Zeitreisende Alex, der sich als Krieger vor Robert Bruce beweisen konnte, bekommt den Auftrag, den schottischen König im Feldzug gegen Irland zu unterstützen. Doch bevor er aufbricht, wird seine Burg völlig unerwartet vom magischen Elfenvolk der Danaan angegriffen und seine Ehefrau Lindsey vom Elfen An Reubair entführt. Alex und sein Sohn Trefor, der wie seine Mutter magisches Blut in sich trägt, begeben sich auf die Suche in das Verborgene Land hinter den Nebeln, um den Entführer zu stellen. Dieser bedient sich jedoch einer magischen List, um Lindsey, die er zur Braut nehmen will, gefügig zu machen: Er belegt sie mit einem Liebeszauber. Als Alex seine Frau endlich findet, kann sie sich kaum noch gegen An Reubairs Magie auflehnen. Ihr ungestümer Sohn Trefor, der in eine geheime Verschwörung verwickelt ist, plant jedoch nicht nur, sich am Entführer seiner Mutter zu rächen, sondern sogar den König der Danaan umzubringen. Die Autorin Julianne Lee war Schauspielerin in Hollywood, ehe sie sich dem Schreiben zuwandte. Sie arbeitete als Journalistin und Gerichtsreporterin. Ihre Kurzgeschichten wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in Hendersonville, Tennessee. Von Julianne Lee liegt im Wilhelm Heyne Verlag bereits die große Fantasy‐Saga »Das Schwert der Zeit« (Vogelfrei Die Verbannung Die Rettung Die Erfüllung) vor. Der neue Fantasy‐Zyklus »Ritter der Zeit« umfasst derzeit die Bücher: Der Elfenkönig Das Elfenkind Die Elfenhöhle.
Julianne Lee DIE ELFENHÖHLE RITTER DER ZEIT Roman
Erscheinungstermin des Originals KNIGHT TENEBRAE 3, KNIGHT'S LADY, 2008
ERSTES KAPITEL
Eine Trompetenfanfare riss Lady Lindsay MacNeil aus dem Schlaf. Sie fuhr mit einem Ruck hoch, ihr Herz begann wild zu hämmern, dann umspielte ein leises Lächeln ihre Lippen und breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als die dünnen, blechernen Laute, die die Ankunft eines Bootes ankündigten, er‐ neut vom Seewind zu ihr hochgetragen wurden. Er war wieder da. Alasdair An Dubhar MacNeil, Earl of Cruachan und Laird von Eilean Aonarach, war zurückgekehrt, wie die Burgwache, die ihn anhand des Wappens auf seinem Segel erkannt hatte, soeben meldete. Wie hatte sie das erste Signal überhören können? Sie hätte die Trompeten schon viel früher hören müssen. Lindsay setzte sich in dem mächtigen, von einem Seidenbaldachin überspannten Bett auf und blinzelte zu dem Fenster am anderen Ende der Kammer hinüber. Die kleinen rechteckigen Glasscheiben schimmerten bläulich im Licht des sich unmerklich verfärbenden Himmels. Vielleicht hatte der Wachposten das Boot im Dunkeln nicht gleich entdeckt, oder es hatte Nebel geherrscht, oder der Mann war eingenickt und hatte vergessen, die Trompete zu blasen. Oder sie selbst hatte so fest geschlafen, dass sie die erste Fanfare nicht gehört hatte. Der Gedanke trieb ihr die Schamröte in die Wangen. Sie schlug die schwere Decke zurück, stieg aus dem Bett, schürte das Feuer und legte ein weiteres Holzscheit auf die Glut, dann zupfte sie eine kleine gelbe Frühjahrswildblume aus 2 dem in Lila, Weiß und Gelb gehaltenen Gesteck auf dem Tisch neben dem Fenster, beugte sich über das steinerne Sims, stieß die Scheibe auf und spähte hinaus. Die raue Steinkante bohrte sich kalt in ihren bloßen Bauch und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Aber ihre Augen leuchteten beim
Anblick des Außenwerks und des darunter gelegenen Kais auf, und sie erschauerte erneut, diesmal vor Freude. Die Schiffe ihres Mannes lagen bereits am Kai; die Männer hatten schon begonnen, die Pferde an Land zu bringen. Zwei große schwarze Hunde, ungebärdige Jungtiere, die der Rasse ähnelten, die eines Tages als schottischer Wolfshund bekannt sein würde, rannten mit wedelndem Schweif auf die zum Bergfried führenden Stufen zu. Sie waren Wurfgeschwister, im letzten Sommer zur Welt gekommen, und hingen sehr an Alex. Der Earl hatte sie nach seinen Brüdern Carl und Pete genannt; sie folgten ihm auf Schritt und Tritt, hatten ihn auch nach Cruachan begleitet und kündigten seine Rückkehr jetzt mit lautem Gebell und Gehechel an. Alex rief ihnen etwas zu, aber trotz ihrer Größe waren sie im Herzen noch übermütige Welpen und schenkten dem Befehl ihres Herrn keine Beachtung. Lindsays Blick fiel auf Alex, der anhand seiner Statur und seines leichtfüßigen Ganges leicht zu erkennen war. Er eilte auf den Turm zu, und sie ließ die Blume in ihrer Hand genau im richtigen Moment fallen, sodass sie sacht vor ihm zu Boden schwebte und vor seinen Füßen landete. Alex blieb stehen, um sie aufzuheben, schlug seinen Kopfschutz aus Kettengeflecht zurück, der sich wie ein metallenes Band um seinen Hals legte, grinste zu ihr hoch und hielt die kleine Blüte an seine Nase. Sein Haar war zerzaust, dunkle Bartstoppeln bedeckten das Kinn, aber seine Wangen leuchteten rosig und gesund. Er schien während seiner Abwesenheit weder krank gewesen noch verwundet worden zu sein, was Lindsay mit einem erleichterten Seufzer registrierte. Dann verschwand er mit 3
wehendem Überwurf und klirrenden Sporen im Turm. Lindsay trat einen Schritt zurück, schloss das Fenster und drehte sich um, um ihren Mann zu erwarten. Er musste jeden Moment bei ihr sein. Kurz darauf betrat Alex die Kammer. Seine Hunde folgten ihm, sausten durch den Raum, beschnupperten alles und jenes und ließen sich dann auf ihrem gewohnten Platz auf einem Schaffell am Kamin nieder. Pete hob den Kopf und hechelte, Carl rollte sich sofort zum Schlafen zusammen. Alex verriegelte die Tür hinter sich. Er war vom schnellen Laufen und der steilen Treppe außer Atem, aber seine Lippen krümmten sich zu einem breiten Grinsen, und seine Augen funkelten vor Freude, seine Frau wiederzusehen ‐ was vermutlich daran lag, dass sie nicht einen Faden am Leib trug und sie sich seit zwei Monaten, seit er zu seiner anderen Insel Cruachan aufgebrochen war, nicht mehr gesehen hatten. Einen Moment betrachtete er sie schweigend, dann sagte er in modernem Englisch, das die Dienstboten in der Vorkammer nicht beherrschten: »Soll das ein unmoralisches Angebot sein?« Lindsay fand seinen amerikanischen Akzent unwiderstehlich, geradezu exotisch, und sie wusste ihn umso mehr zu schätzen, weil sie die Einzige war, mit der er sich in dieser Sprache unterhielt, denn sie war die einzige Person in der Burg ‐ und fast die Einzige in diesem Jahrhundert ‐, die sie verstehen konnte. Sie unterdrückte ihrerseits ein Grinsen und riss mit gespielter Unschuld die Augen auf. »O kühner Ritter, Ihr tut mir unrecht. Ich bin nur ein armes Mädchen, das sich nicht in kostbare Kleider hüllen kann ...« »In überhaupt keine Kleider, wie es aussieht.« »In der Tat.« Sie senkte den Kopf, als würde ihre Blöße sie in Verlegenheit stürzen, dann blickte sie mit flatternden Wimpern zu ihm auf und fuhr fort: »Ich überlasse mich Eurer Barmherzigkeit und flehe Euch an, nicht zu grob zu mir zu sein.« Sie stützte 3 die Hände ins Kreuz und schob die Schultern zurück, sodass ihre Brüste sanft zu wogen begannen. Alex' Blick blieb daran hängen, sein Grinsen wurde breiter, und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, während er sie begehrlich musterte. Sie rückte näher an ihn heran. »Bitte geht sanft mit mir um. Ihr seid so groß und stark, und ich bin klein und schwach.« Die letzten Worte entlockten ihm ein belustigtes Schnauben, denn sie wussten beide, dass Lindsay es im Kampf mit jedem Mann aufnehmen konnte und vielleicht sogar imstande war, ihn selbst zu besiegen. Lindsay hatte Mühe, ein prustendes Lachen zurückzuhalten. Alex löste seinen Schwertgurt und lehnte die Waffe gegen die Seite des Kamins, dann schleuderte er mit theatralischer Geste seine mit Eisenplättchen besetzten ledernen Handschuhe von sich und nestelte an seinem Überwurf herum, bis das Kleidungsstück als Haufen rotschwarzer Seide zu Boden glitt. Lindsay trat zu ihm und schlang ihm die Arme um den Hals, um ihn zu küssen. Das Kettenhemd presste sich kalt gegen ihre Haut, doch in der Halsberge steckte ein warmer, lebendiger und atmender Mensch aus Fleisch und Blut ‐ ihr Mann, den sie in den vergangenen Wochen so schmerzlich vermisst hatte. Er drückte sie so eng an
sich, dass sich die Metallringe in ihren Körper gruben und sie in sein Ohr flüsterte: »Nicht so stürmisch, mein edler Ritter.« »Verzeiht mir, holde Maid, aber es fällt mir schwer, mein Verlangen zu zügeln.« Sein Atem ging schwer, und er vergrub die Lippen an ihrem Hals. »Wollt Ihr mich gegen meinen Willen nehmen?« »Wollt Ihr mich erst in Glut versetzen und dann den Brand nicht löschen lassen?« Er senkte die Lider, seine Lippen glitten über ihre Stirn, während sie ihm half, sich seines Kettenhemdes zu entledigen und es zu Boden fallen zu lassen. Er streifte Stiefel und Sporen ab, und endlich löste er den Gürtel, der seine Hose hielt, sodass sie samt seiner Leibwäsche gleichfalls raschelnd 4 zu Boden glitt und er nur mit seinem langen Hemd bekleidet vor ihr stand. Er nahm sie in die Arme, und sie schmiegte sich an ihn, kostete seine Wärme aus. Er war am Leben und unversehrt, doch jedes Mal, wenn er die Insel verließ, jedes Mal, wenn sie an seiner Seite kämpfte, stand sie Todesängste um ihn aus und betete unaufhörlich für seine Sicherheit. Heute war er gesund und unverletzt zu ihr zurückgekehrt, und das war wohl ein Grund für ein Dankgebet. Und ein Grund zum Feiern. Sie schlang ein Bein um seine Taille und stellte sich auf die Zehenspitzen, woraufhin er sie aufhob und zum Bett trug. Lindsay ließ sich in die Kissen zurücksinken. Alex legte sich neben sie und küsste sie voller Leidenschaft, bis sie es kaum noch erwarten konnte, ihn in sich zu spüren. Doch er ließ sich Zeit, stachelte ihre Begierde an, wie er es manchmal tat, damit sie ihn anflehte, sie nicht länger zu quälen. Sein Gesicht lag auf ihrer Brust, seine Bartstoppeln kratzten über ihre Haut. Lindsay rang erstickt nach Luft; ein leises Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Da sie fürchtete, ihre Stimme würde ihr nicht gehorchen, bot sie all ihre Willenskraft auf und erwiderte: »Mein kühner Held, ich habe mich Euch versprochen, und ich gehöre Euch. Aber ich erzittere unter Eurer Berührung.« Sie presste die Lippen gegen seinen Bauch. »Ich erbebe unter Eurem Blick.« Wieder sog sie scharf den Atem ein. »Ich fürchte, Ihr werdet wie ein Sturm über mich hinwegfegen.« Ihre Finger krallten sich in sein Haar. »Überwältigt mich. Ruiniert mich für jeden anderen Mann.« Ihr Mund suchte den seinen, und sie zog ihn voller Sehnsucht enger an sich. Alex hob den Kopf und sah sie an. »Ich werde Euch jetzt nehmen, o holde, sittsame Maid, und um es Euch leichter zu machen, rate ich Euch, haltet still, schließt die Augen ...« Er kicherte leise, ehe er fortfuhr: »Und denkt an England.« Dann drang er in sie ein und war wieder zu Hause. Und England war das Letzte, woran Lindsay jetzt dachte. 4 Trefor MacNeil starrte zu dem Loch in der Decke aus Erde und Wurzelgeflecht über ihm empor. Ein kleiner Lichtkreis inmitten der Schatten, die die Flammen der Feuer durch diese Höhle tanzen ließen. Daraus tropfte etwas zu Boden, wobei es sich, wie Trefor vermutete, nur um Regen aus der Oberwelt handeln konnte. Es kam ihm so vor, als befände er sich schon eine halbe Ewigkeit hier unten. Da hier keine Sonne schien, anhand derer er den Lauf der Zeit verfolgen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich nach den Zyklen von Müdigkeit und Ruhe, Hunger und Sättigung zu richten. Und seinem Verlangen nach Morag, das nie gestillt wurde. Wenn sie irgendwo in der Nähe war, hielt sie sich von ihm fern. Oder die Feen hielten sie von ihm fern. Aber sie war eine von ihnen. In gewisser Weise zu‐ mindest, aber sie schien sich ihnen zugehörig genug zu fühlen, um mit ihnen unter einer Decke zu stecken, was sich, wie ihm allmählich dämmerte, nicht unbedingt zu seinem Vorteil erweisen mochte. Nachdenklich betrachtete er das Loch in der Decke, das er, seit er vor wer weiß wie vielen Monaten ‐ oder Jahren oder Jahrhunderten ‐ in die Tiefe gestürzt war, zum ersten Mal wieder sah. Er kannte das Feenvolk gut genug, um zu wissen, dass Zeit keine Bedeutung für sie hatte und dass er, falls es ihm gelang, sich durch diese Öffnung zu zwängen, nicht ahnen konnte, ob er dort oben auf Dinosaurier oder Raumschiffe stieß. Diese Erkenntnis bremste seinen Fluchtdrang ein wenig. Trotzdem stand er auf und starrte nach oben; unfähig, den Blick von dem Lichtkreis abzuwenden. Er war erst vor einem Moment ‐ oder der Zeitspanne, die er für einen Moment hielt ‐ sichtbar geworden und schien ihn jetzt zu verhöhnen, als wäre er schon immer da gewesen und mit ihm, Trefor, müsse etwas nicht stimmen, weil er ihn nicht schon früher bemerkt hatte. Obwohl er danach Ausschau gehalten, geradezu verzweifelt danach gesucht hatte. Die ganze verdammte Feenhöhle hatte er Tag für 4
Tag nach einer Fluchtmöglichkeit abgesucht. Und da war sie, zudem rankten sich in den Wänden und der Decke genug knorrige, gewundene Baumwurzeln entlang, an denen er hochklettern konnte. Wenn er den Mut dazu aufbrachte. Brochan kam herein, sprang über Wurzeln und Erdanhäufungen hinweg und zwinkerte ihm verschmitzt zu. »Betest du, mein Freund?«, krähte er fröhlich. Mit seinem zottigen Haar und der zerlumpten Tunika glich er in keinster Weise dem, der er war ‐ dem König dieses unterirdischen Reiches. Trefor nahm an, dass dies für die meisten irischen Vasallenkönige galt, aber er wusste, dass Brochan und sein Volk ihren Ursprung fast bis in prähistorische Zeiten zurückverfolgen konnten. Er fixierte Brochan mit einem kalten Blick und fragte zum tausendsten ‐ oder millionsten ‐ Mal: »Wo ist Morag?« Obwohl er ungefähr ein Dutzend Sprachen, darunter mittelalterliches Gälisch und Mittelenglisch fließend beherrschte, bediente er sich des modernen Englisch, weil er wusste, dass dies den kleinen Feenmann ärgerte. »Sie wird kommen, wenn du bereit bist.« Diese Antwort gab Brochan immer. »Und wenn sie selbst bereit ist.« Auch das sagte er jedes Mal. Trefor kratzte an einem Insektenstich an seinem Schenkel herum und zupfte dann an der Tunika, die man ihm gegeben hatte. Sie war zu kurz, und er trug keine Hose darunter, also musste er ständig darauf achten, dass gewisse Teile seines Körpers bedeckt waren ‐ dabei kam er sich vor, als würde er in einem Krankenhaushemd stecken. Einem schmutzigen, aus rauem, schlecht gewebtem Leinen gefertigten noch dazu, das ekelhaft kratzte. »Und wann werde ich deiner Meinung nach bereit sein?« »Jetzt. Ich weiß nicht, wo deine Freundin steckt. Sie sollte eigentlich hier sein.« Er blickte sich um, tat so, als suche er 5
nach Morag. »Aber ich denke, du wirst auch ohne sie von hier fortgehen wollen.« Es dauerte einen Moment, bis die Worte in Trefors Bewusstsein einsickerten, und als er den Sinn vollständig erfasst hatte, überkam ihn ein leichtes Schwindelgefühl. Das war einfach zu schön, um wahr zu sein. »Fortgehen? Ich bin hier fertig?« »Prinz Trefor von den Brochan ist bereit, der Welt wieder entgegenzutreten. Wenn er den Wunsch dazu verspürt.« »Kein Training mehr? Kein Beschwören der maucht, keine Gespräche mit den Baumgeistern?« »Bist du jetzt enttäuscht?« Wohl kaum. All dieser Unsinn langweilte ihn zu Tode. Aber er hatte willig gelernt, weil er gehofft hatte, eines Tages wieder freigelassen zu werden. Er hegte keine sonderliche Liebe für die kleinen Leute, mit Ausnahme von Morag, in deren Adern mehr menschliches als Feenblut floss. Und ihm lag nichts an den Künsten der Magie, weil er immer einen hohen Preis zahlen musste, wenn er sie ausübte. Obwohl ihn seine spitzen Ohren als teilweisen Abkömmling der Feen auswiesen und seine Mutter entfernt von den Tuatha De Danann abstammte, floss das Blut dieses Volkes nur dünn in ihm, und er war im Tennessee des 21. Jahrhunderts aufgewachsen, weit weg von diesen durchgeknallten Bhrochan, die ihn »Prinz« titulierten. Was immer diese Anrede auch bedeuten mochte. Für ihn hieß es, dass das, was er hier gelernt hatte, ihm das Leben etwas leichter machte. Die Magie war ihm kein solches Mysterium mehr wie früher, und die psychotischen Kobolde, in deren Gewalt er sich befand, konnten ihm immer seltener unliebsame Überraschungen bereiten. Also hatte er seine Zeit hier nicht komplett verschwendet. Auch die Kopfschmerzen stellten sich nicht mehr ein, und es kostete ihn weniger Kraft und Qualen als früher, sich der magischen Mächte zu bedienen. »Ich werde mein altes Leben wieder aufnehmen, wenn du mich nicht mehr brauchst.«
5 »Ich habe dich nie gebraucht. Morag wollte, dass wir dich bei uns aufnehmen.« »Wo ist sie denn? Was geht hier eigentlich vor?« »Willst du das wirklich wissen? Interessiert es dich, was sie mit dir vorhat?« Trefor zögerte mit der Antwort. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Brochan in Rätseln sprach, wusste aber, dass mehr dahintersteckte als nur wirres Gerede. Der Feenmann versuchte ihm etwas mitzuteilen, und er täte wahrscheinlich gut daran, herauszufinden, was das war. »Es interessiert mich allerdings«, gab er zu. Morag hatte ihn hierhergelockt, hatte ihn so weit wie möglich von Tennessee und dem 21. Jahrhundert fortgelotst und ihn dann auf Gnade und Barmherzigkeit diesem verrückten Feenkönig ausgeliefert, der ein entfernter Verwandter von ihr war. Einst hatte er gedacht, er würde
sie lieben, aber in den letzten Monaten waren ihm Zweifel an seinen ‐ und ihren ‐ Gefühlen gekommen. Würde ihr wirklich etwas an ihm liegen, wäre sie jetzt hier. Brochan hakte die Daumen in seinen Gürtel und setzte sich auf eine von vielen Feenhinterteilen blank polierte bequeme Baumwurzel. »Hast du viel darüber nachgedacht, wo sie wohl sein könnte?« »Yeah«, knurrte Trefor. »Es hat dir zu denken gegeben, dass sie sich nicht hat blicken lassen, nicht wahr?« »Allerdings.« »Glaubst du, sie hat sich von dir abgewandt?« »Ich weiß es nicht.« »Meinst du, sie hat dich aus einem bestimmten Grund hierhergebracht?« »Das behauptest du doch andauernd. Seit Monaten redest du mir ein, ich sei dazu bestimmt, der Prinz eures Reiches zu werden.« Er blickte sich naserümpfend um und wusste mit
6 einem Mal mit Sicherheit, dass er mit diesem feuchten Erdloch und seinen Bewohnern nichts mehr zu schaffen haben wollte. »Ich soll anwenden, was ich hier gelernt habe, und irgendeine Mission übernehmen. Ist dieser ganze Unsinn auf Morags Mist gewachsen?« »Dieser Unsinn, wie du dich auszudrücken beliebst, ist dein Schicksal. Du bist dazu ausersehen, gewisse Dinge zu vollbringen, und wir haben dir zu den notwendigen Voraussetzungen verholfen. Was würde es uns nutzen, dich ohne das nötige Wissen als Rüstzeug in den Kampf zu schicken? Du könntest ihn niemals gewinnen.« »Kampf?« »Ja. Darauf läuft es letztendlich hinaus. Ich sehe Bedenken in deinen Augen aufblitzen. Hast du etwa Angst?« Trefor zwinkerte, dann schloss er die Augen, damit dieser unheimliche Geselle, der ohnehin immer viel zu viel zu wissen schien, nicht darin lesen konnte. »Nein. Ich fürchte mich vor gar nichts.« Zumindest seit langer Zeit nicht mehr. Schon als Kind hatte er jegliches Gefühl von Sicherheit verloren, und da er sonst nicht mehr viel zu verlieren hatte, gab es auch kaum noch etwas, wovor er wirklich Angst hatte. Morag zu verlieren war diesem Gefühl einmal sehr nahe gekommen, aber auch in diesem Punkt war er sich nicht mehr sicher. Er schlug die Augen auf und sah Brochan fest an. »Dann verrate mir doch, was mir die Zukunft bringen wird. Wie sieht mein Schicksal aus?« Der kleine Mann lachte; ein schrilles, koboldhaftes Kichern, das Trefor durch Mark und Bein ging. »Wenn ich dir das enthüllen würde, könnte es nicht mehr so eintreffen. Das Schicksal verlangt es, dass du am eigenen Leibe erfährst, was geschehen wird.« »Spielst du auf meinen freien Willen an?« »So frei ist dein Wille nicht.« 6
»Aber das ergibt doch keinen Sinn.« »Das wird es. Glaub mir, das wird es.« Trefor schnaubte abfällig, blickte sich abermals in der Höhle um und verlagerte sein Gewicht ungeduldig von einem Bein auf das andere. »Okay, wie wäre es dann mit einer kleinen Andeutung? Wenn ich aus diesem Loch herausklettere, wo finde ich mich dann wieder? Welche Richtung muss ich einschlagen? Ist mein Vater noch irgendwo dort draußen, oder ist er inzwischen an Altersschwäche gestorben? Vielleicht schon lange zu Staub zerfallen?« Brochan lachte erneut auf. »Nein, die Zeit ist für dich nicht so schnell verflogen, wie es der Fall hätte sein können, denn du gehörst nicht nur zu den Danann, sondern bist auch noch in die Geheimnisse der kleinen Leute eingeweiht. Alasdair An Dubhar ist noch dort oben.« Er hob warnend einen Finger. »Aber nicht so nah, wie du denkst.« »Er ist also nicht gealtert?« Viel wichtiger noch ‐ war seine Mutter gealtert? Als er seine Eltern, die ihn nicht selbst großgezogen hatten, zum ersten Mal gesehen hatte, waren sie noch nicht einmal fünf Jahre älter als er selbst gewesen, und seine Mutter hatte ihn deswegen strikt abgelehnt und nichts mit ihm zu schaffen haben wollen. Der Schmerz über diese Zurückweisung fraß immer noch mit glühenden Zähnen an ihm und hielt ihn manchmal nachts wach. Auch das hatte er Feen zu verdanken, denn die Bhrochan hatten ihn als Kind verschleppt und erst vor einiger Zeit in dieses Jahrhundert gebracht ‐ ungefähr drei Jahrzehnte zu früh, wie sich herausgestellt hatte. »Sie sind beide nicht mehr gealtert als du, junger Trefor.« Das war eine herbe Enttäuschung für ihn. »Und was erwartet ihr von mir, wenn ich euch verlasse? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mir all deine magischen Tricks nur so zum Spaß beigebracht hast.« »Och, weshalb denn sonst? Wenn du noch nicht gemerkt
7 hast, dass wir alles, was wir tun, nur aus Spaß tun, dann kennst du mich immer noch nicht sehr gut.« »Du verfolgst ein bestimmtes Ziel, hast deine ganz eigenen Pläne, also mach mir nicht weis, dass du nicht aus purer Berechnung handelst.« Brochan kicherte erneut in sich hinein, ehe er feststellte: »Wärst du mein Sohn, könnte ich nicht stolzer auf dich sein, mein junger Freund, auch wenn du zu den Danann gehörst. Aye, ich muss gestehen, dass ich einen Wunsch hege. Und alles, was ich zu diesem Thema zu sagen habe, ist Folgendes: Mach dich auf die Suche nach König Dagda Mor von den Tuatha De Danann.« »Und was dann?« »Das wirst du schon sehen, junger Freund.« »Kein kleiner Hinweis?« »Ich habe dir schon zu viel verraten.« »Du hast mir überhaupt nichts gesagt.« »Finde den König, dann wird sich der Nebel lichten.« »Und wenn ich beschließe, ihn gar nicht erst zu suchen?« In Brochans Augen begann ein tückischer Funke zu tanzen. »So etwas wie freien Willen gibt es nicht, Trefor MacNeil. Nicht wirklich. Du kannst dich nicht weigern, ihn zu suchen. Es ist dir vorherbestimmt.« »Wart's nur ab!« »Och, aye, das werde ich. Ich kann es kaum erwarten.« Trefor presste die Lippen zusammen. »Na schön. Was schert mich das?« Wieder blickte er zu dem Loch hoch. Höchste Zeit, von hier zu verschwinden ‐ je eher, desto besser. Seine Hand schloss sich um eine dicke Baumwurzel. »Man sieht sich.« Brochan winkte ihm zu. »Hasta la vista, Baby.« Trefor starrte den Feenmann mit gerunzelter Stirn an. Wieder einmal wunderte er sich darüber, dass diese Geschöpfe überhaupt keinen Sinn für Zeit zu haben schienen, obwohl er 7
sich mittlerweile daran gewöhnt haben sollte. Dann schickte er sich langsam an, das Feenreich zu verlassen und in die reale Welt zurückzukehren, die sich, wenn er Brochan Glauben schenken durfte, während seiner Abwesenheit kaum verändert hatte. Aber nur ein hirnloser Idiot würde sich auf das Wort dieses durchgedrehten Spinners verlassen. Alex lag neben Lindsay und sann einmal mehr darüber nach, wieso es ihm so leichtfiel, den Reizen anderer Frauen zu widerstehen. Nun ja, leicht nicht unbedingt, aber der Mühe wert. Die Antwort lag auf der Hand. Er war ganz einfach vernarrt in seine Frau und musste sich auch nach zweijähriger Ehe noch von James Douglas und Hector MacNeil spöttische Bemerkungen über Männer anhören, die dumm genug waren, einer Frau ihr ganzes Herz zu schenken. Keiner der beiden würde sich je zu so einer Narretei hinreißen lassen. Aber ihre Meinung zu diesem Thema kümmerte Alex wenig. Die beiden kannten Lindsay eben nicht und würden nie begreifen, welche Erfüllung die Verbindung mit einer starken Frau einem Mann bringen konnte. Als Angehörige dieser mittelalterlichen Kultur, in der die gesellschaftliche Stellung alles galt und Liebe als zweitrangig abgetan wurde, hatten sich vermutlich weder James noch Hector je im Leben ernsthaft verliebt. Eigentlich konnten sie ihm leidtun. Sie wussten ja nicht, was ihnen da entging. Obwohl im Kamin ein helles Feuer prasselte, begann er zu frösteln und zog die warme Daunendecke über sich und seine Frau. Die neu angefachten Flammen verbreiteten zwar eine zaghafte Wärme im Raum, aber die Burg war zugig, und die kühle Frühlingsluft strich über seine Haut. Obwohl er von seiner Reise ‐ ganz zu schweigen von der Begrüßung, die ihm soeben zuteil geworden war ‐ erschöpft war, rollte er sich nicht auf die 7 Seite, um zu schlafen, sondern blieb mit Lindsay in den Armen still liegen, um ihre Atemzüge zu spüren. Das regelmäßige Heben und Senken ihrer Brüste übte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn aus, die er während der vergangenen Wochen vermisst hatte. Normalerweise hätte sie ihn begleitet, um im Notfall an seiner Seite zu kämpfen, aber diese Reise nach Cruachan hatte nur dazu gedient, verwaltungstechnische Fragen zu klären, und sie war auf Eilean Aonarach gebraucht worden, um die Ritter zu beaufsichtigen, die er zum Schutz der Burg auf der Insel zurückgelassen hatte. Es war
das erste Mal gewesen, dass sie die Truppen ohne Sir Henry Eliot an ihrer Seite befehligt hatte, und er war gespannt, wie sie diese Aufgabe bewältigt hatte. Doch die Wärme ihres Körpers und der Rhythmus ihres Atems lullten ihn ein, und seine Lider wurden schwer. Gerade als er eindöste, schlüpfte Lindsay unter der Decke hervor, zog einen Schlafrock an und ging in die Vorkammer, um sich um ihr Frühstück zu kümmern. Wie aus weiter Ferne vernahm Alex das leise Gemurmel ihrer Zofe, die ihr mitteilte, das Fleisch sei fast gar und die Burgbewohner würden sich gleich in der über den Gemächern des Lairds gelegenen großen Halle einfinden. Der Herr könne dort speisen oder sich eine Mahlzeit in seine Kammer bringen lassen, wenn ihm das lieber sei. Lindsay hob die Stimme, um die Frage weiterzugeben. »Was meinst du, Alex? Glaubst du, deine Höflinge lechzen jetzt schon nach der Gesellschaft ihres Earls?« »Nein«, erwiderte Alex schläfrig. »Lass mir mein Frühstück hier servieren und den anderen ausrichten, ich wäre vollauf damit beschäftigt, meine Frau durch meine Schlafkammer zu jagen. Das dürfte ihnen mehr Vergnügen bereiten, als mir beim Essen zuzusehen.« Lindsay kicherte leise, dann trug sie der Zofe auf, ihnen Fleisch und Brot zu holen, kehrte in die Kammer zurück und schürte das Feuer erneut. Tätigkeiten wie diese gehörten eigent 8 lieh zu den Pflichten der Dienerschaft, aber das hätte bedeutet, auf ihre Privatsphäre zu verzichten und den Dienern Zugang zu ihren Räumen zu gewähren, also erledigten sie derlei Dinge lieber selbst. Die Einheimischen, vor allem jene, die auf diesen so fern vom Festland gelegenen Inseln lebten, sowie die Angehörigen der schottischen Oberklasse rümpften über diese Einstellung die Nase; sie lehnten alles ab, was ihnen neu und fremd war. In der Burg wurde viel darüber getuschelt, dass der Earl und seine Gräfin von ihren Dienstboten verlangten, in der Vorkammer zu schlafen, anzuklopfen, bevor sie ihr Schlafgemach betraten, und den Raum nur zu säubern, wenn sich niemand darin aufhielt. »Merkwürdige Sitten«, raunten sie einander zu. »Nun ja, sie stammen ja aus Ungarn. Ich würde um nichts in der Welt in den östlichen Bergen leben wollen, da wäre es mir viel zu einsam, und man wird schrullig und sonderbar.« Alex wusste, dass sie noch viel entsetzter wären, wenn sie die Wahrheit über seine Herkunft wüssten: dass er und Lindsay aus dem 21. Jahrhundert kamen. Als US‐Jagdbomberpilot hatte er einst über genug Feuerkraft verfügt, um jeden Bauernhof auf dieser Insel innerhalb weniger Minuten in Schutt und Asche zu legen, und in die Nähe der »östlichen Berge« war er nur im Rahmen von Patrouilleflügen über den Kosovo gekommen, wo er nach Abschussrampen für Boden‐Luft‐Lenkwaffen gesucht hatte. Er rollte sich auf die Seite und beobachtete Lindsay, die mit dem Schürhaken im Feuer herumstocherte. Sie bewegte sich so anmutig und geschmeidig wie ein Panter, und er wusste, dass sie für ihre Feinde eine ebenso tödliche Gefahr darstellte wie diese große Raubkatze. Dieses Wissen erregte ihn auf eine Weise, die er nie zuvor für möglich gehalten hatte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Lindsay einen Mann in einem fairen Kampf besiegt und ihm die Genitalien abgeschnitten, noch ehe er tot war ‐ eine einerseits in ihrer Kaltblütigkeit abstoßende Tat,
8 aber wenn Alex eingehend darüber nachdachte, kam er stets zu dem Schluss, dass eine Frau, mit der er sein Leben teilen wollte, genau so und nicht anders sein sollte, und er war stolz darauf, ihr Mann zu sein. Sogar jetzt flammte sein Verlangen nach ihr erneut auf, obwohl er zu nichts anderem mehr fähig war, als sich an ihrem Anblick zu weiden. »Warum hast du dir etwas übergezogen?« »Das weißt du ganz genau.« Er blickte vielsagend zur Vorkammer hinüber. »Ihnen ist das egal.« »Aber mir nicht. Außerdem ist es kalt.« »Dann komm her und lass dich aufwärmen.« Er hob einladend die Bettdecke, ließ sie aber wieder sinken, als Lindsay sich lediglich zu ihm auf die Kante der Matratze setzte. »Glaubst du, wir werden diesen Sommer im Grenzgebiet benötigt?«, fragte sie. »Ich denke, wir müssen mit einem Ruf zu den Waffen rechnen: Entweder werden wir zu Douglas an die Grenze befohlen, oder wir stoßen zu Robert in Irland. Wenn ich die Wahl hätte, ginge ich lieber nach Irland. Robert hat mich schon entschieden zu lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich möchte nicht, dass er vergisst, warum er mir einen Earlstitel verliehen hat.« »Er hat dich zum Earl ernannt, weil James Douglas dich mag. Der Himmel weiß, warum; du behandelst ihn, als wäre er mit einer ansteckenden Krankheit behaftet.«
Alex musterte sie aus schmalen Augen. Sie wusste genau, warum er Douglas nicht ausstehen konnte. Der Mann war ein unverbesserlicher Schürzenjäger, der entschieden zu viel Interesse an Lindsay zeigte. Schon bevor sie sich als Frau zu erkennen gegeben hatte, hatte James ihr allzu freundschaftli‐ che Gefühle entgegengebracht. Alex wollte ihn nicht in ihrer Nähe wissen. Da zog er es vor, sich Robert anzuschließen, der 9 zwar genauso lüstern war wie Douglas, aber Edelfrauen von höherem Rang und konventionellerer Schönheit als Lindsay bevorzugte. Bei Robert konnte Alex sicher sein, dass er seiner bürgerlichen ungarischen Ehefrau nicht nachstellen würde. Lindsay wartete auf eine Antwort von ihm, aber er schwieg beharrlich. Sie hatten schon häufiger über James Douglas gesprochen, folglich erübrigte sich eine weitere Diskussion. Sie wechselte das Thema. »Wie ist deine Reise verlaufen?« »Henry Eliot kommt jetzt gut zurecht. Du weißt ja, dass er hier meine rechte Hand war. Ich verliere ihn nur ungern, aber ich brauche auf Cruachan einen Verwalter, und er ist der Einzige, dem ich voll und ganz vertrauen kann.« Einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Alex wusste, dass sie beide dasselbe dachten. Trefor hätte diesen Verwalterposten übernehmen sollen. Endlich fragte Alex: »Hast du Nachricht von dem Jungen?« »Ein Junge ist er nun wirklich nicht mehr.« »Das sollte er aber sein. Ein Baby.« Alex versuchte ohne Erfolg, die Bitterkeit, die sich in seine Stimme geschlichen hatte, durch ein Hüsteln zu vertuschen. »Wenn ich richtig rechne, sollte er jetzt sechs oder sieben Monate alt sein, gestillt werden und Windeln tragen.« »In diesem Fall wäre er dir auf Cruachan keine große Hilfe.« Lindsay strich ihm eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Alex ließ sich mit einem undefinierbaren Grunzen in die Kissen zurücksinken, dann blickte er forschend zu ihr auf. Als sie die Frage in seinen Augen las, die er ihr jeden Monat wortlos stellte, schüttelte sie langsam den Kopf. »Nein. Nichts.« Kein Anzeichen für eine weitere Schwangerschaft, obwohl sie schon seit letztem Sommer versuchten, noch ein Kind zu bekommen. Er grunzte erneut und blickte an ihr vorbei zum Fenster hi 9 nüber. »Ich dachte, er wäre ganz wild darauf, es hier zu etwas zu bringen. Er wollte doch unbedingt ein Mitglied meines Gefolges werden, sich als mein Vetter ausgeben und mich dazu bewegen, ihm die Verantwortung für Cruachan zu übertragen. Wo steckt er denn nur?« »Das fragen sich seine Männer auch.« »Haben schon welche von ihnen Eilean Aonarach verlassen, um sich nach saftigeren Weiden und einem weniger unberechenbaren Herrn umzusehen?« »Er könnte tot sein, Alex. Wir haben keine Ahnung, was mit ihm passiert ist.« Aus irgendeinem Grund traf Alex dieser Gedanke wie ein glühender Pfeil ins Herz; so, als hätte er Trefors gesamte siebenundzwanzig Lebensjahre miterlebt und ihn großgezogen, wie er es getan hätte, wenn sein Sohn nicht aus seiner Wiege entführt worden wäre. »Er ist nicht tot!« Lindsay erwiderte nichts darauf, und Alex fragte sich, ob sie Trefors Schicksal wirklich völlig kalt ließ. »Wie dem auch sei, Sir Henry wird sich auf Cruachan bewähren, und du wirst einen neuen Stellvertreter finden«, sagte sie schließlich. »Wie wäre es mit mir?« »Du weißt, dass das nicht möglich ist.« »Ich weiß nichts dergleichen.« »Sieh der Wahrheit ins Auge, Lin. Die Männer dulden deine Anwesenheit auf einem Schlachtfeld nur äußerst widerwillig. Sie würden im Kampf niemals Befehle von dir entgegennehmen.« Ihre Züge verhärteten sich, was bedeutete, dass er mit Argumenten nicht mehr zu ihr durchdrang. Es war sinnlos, dieses Gespräch fortzuführen, das wusste sie, trotzdem ließ sie nicht locker. »Während des letzten Monats haben sie meine Anweisungen widerspruchslos befolgt.« »Ist die Burg angegriffen worden?« 9 »Nein, das sagte ich doch schon.«
»Dann hast du deine Feuerprobe noch nicht bestanden. Für diese Burschen zählt nichts außer Kämpfen.« »Sie wissen, dass ich Eliot während des MacLeod‐Breton‐Aufstands Befehle erteilt habe, und sie akzeptieren das.« Alex setzte sich auf und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Ja, aber nur, weil keine Fehler gemacht wurden. Außerdem gehen sie davon aus, dass nur deshalb keine Fehler gemacht wurden, weil Eliot dabei war. Und da kein Mensch hundertprozentig perfekt ist, auch du nicht, brauchst du im Umgang mit den Männern einen Mittelsmann. Ich kann dich nicht zu meinem Stellvertreter machen. Du kannst kämpfen, aber du kannst die Männer nicht anführen, weil sie dir nicht gehorchen würden. Also vergiss es.« »Es ist erniedrigend, hinter den Knappen reiten zu müssen!« Er musste kichern, denn sie klang genauso wie die anderen Ritter, die lieber gestorben wären, als in einer Schlacht ganz hinten zu kämpfen. Sie hatte mit den Männern mehr gemeinsam, als sie dachte. »So läuft das nun mal hier, das weißt du. Ich kann nichts daran ändern.« »Würdest du das denn, wenn du es könntest?« Alex zwinkerte verwirrt, während er überlegte, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte. »Bildest du dir ein, ich hätte Angst vor dir? Und würde dir keine Verantwortung übertragen, weil ich dich als Rivalen fürchte? Meinst du im Ernst, ich wolle dich deshalb ans Haus fesseln?« Ihre Antwort bestand in einem finsteren Stirnrunzeln, was er als »Ja« wertete. »Denk nach, Lindsay!« Er hob den Kopf und sah sie eindringlich an. »Denk nur einen Moment lang eingehend über unser Leben nach. In dieser Zeit, dieser Kultur hängt deine Position einzig und allein von der meinen ab. Solange ich lebe, kannst 10 du meinen Platz nicht einnehmen. Warum sollte ich dir dann absichtlich Steine in den Weg legen?« Ihre Augen verdunkelten sich vor Zorn. Sie hasste ihre untergeordnete Stellung, das wusste er, aber er wünschte, sie würde sich endlich in ihr Schicksal fügen. Keiner von ihnen konnte die Zeit ändern, in der sie lebten, und sie konnten dieser Zeit auch nicht entfliehen. Nicht mehr. »Du nimmst mich genauso wenig ernst wie deine Männer.« »Ich weiß immer noch nicht, warum du unbedingt kämpfen willst.« »Das haben wir doch oft genug diskutiert. Du weißt, warum. Ich will aus demselben Grund kämpfen, aus dem du es tust.« »Es ist mein Job, und ich bin gut darin.« »Ich auch.« »Aber Kämpfen ist nicht dein Job. Deine Aufgabe besteht darin, dich um die Burg zu kümmern.« Er schielte zu ihrem Bauch und wandte den Blick sofort wieder ab, aber es war zu spät, um zu leugnen, dass ihm beinahe entschlüpft wäre, es gehöre auch zu ihren Aufgaben, Kinder in die Welt zu setzen. Was hier zugegebenermaßen schwieriger und gefährlicher war als im 21. Jahrhundert, in dem Trefor geboren worden war. Er stellte sich oft vor, wie Lindsay im Sattel eines Schiachtrosses saß und ihr Schwert schwang, während sich unter ihrem Kettenhemd ein Babybauch vorwölbte ‐ ein Bild, das ihn abstieß. Außerdem würde sie unter diesen Umständen jedes Kind, das sie vielleicht empfing, sofort wieder verlieren, ohne überhaupt zu merken, dass sie schwanger gewesen war. Lindsays Zorn schlug ihm nun in fast greifbaren Wellen entgegen. Sie erhob sich und nahm auf dem Stuhl Platz. »Hör auf, mich so zu behandeln, wie An Reubair es getan hat.« Jetzt war es an ihm, wütend zu werden. »Ich dulde es nicht, dass sein Name in diesem Haus laut ausgesprochen wird.« Burg. Dies hier war seine Burg. 10
Sie sah ihn von der Seite an. »Er wollte auch unbedingt, dass ich ihn heirate und ihm Kinder schenke. Genau wie du.« »Ich sagte doch, ich will nichts mehr hören!« »Natürlich nicht. Du willst nie etwas hören, was dich ärgert oder ein schlechtes Licht auf dich wirft. Jeder soll nur den Ruhm des großen Kriegers Alasdair An Dubhar MacNeil verbreiten. Und wehe dem, der es wagt, auch nur ansatzweise Kritik zu äußern.« In dem Bemühen, so zu tun, als berührten ihre Worte ihn überhaupt nicht, widerstand er dem Drang, aus dem Bett zu springen, und unterdrückte seine aufflammende Wut. Die Hand auf seinem Knie ballte sich zur Faust, er grub die Nägel in seine Handfläche. »Ich will kein Wort mehr über diesen Da‐ nann‐Dreckskerl hören.« Seine Stimme verriet, was in ihm vorging, da war er sicher. Selbst er erkannte den ungebärdigen Zorn, der darin mitschwang.
Lindsay verstummte ‐ vermutlich, weil sie bezüglich des Feenritters nichts mehr zu sagen hatte. Das hoffte er zumindest. In ihren Adern floss auch Danann‐Blut, aber sie war mehr Mensch als Fee und hatte erst vor sechs Monaten von ihrer Abstammung erfahren. Er baute auf ihre Loyalität. An Reubair war ein arrogantes Schwein, ein Grenzräuber wie Douglas. Alex musste darauf vertrauen, dass Lindsay ihn durchschaute; ihn so sah, wie er wirklich war. Aber es fiel ihm zunehmend schwerer, dieses Vertrauen aufzubringen. 11
ZWEITES KAPITEL
Es war März, der Winter begann dem Frühling zu weichen, und das Wetter wurde milder. Die Arbeiten am Badehaus hatten kurz vor Alex' Abreise begonnen, und heute verbrachte er den Tag damit, die Fortschritte zu überwachen. Insgeheim hielt er die Annehmlichkeiten einer solchen Einrichtung die Kosten und den Aufwand nicht wert. Wozu gab es schließlich Dienstboten, die die kleine Eisenwanne füllten und leerten, die in seiner Kammer stand und von ihm und Lindsay benutzt wurde? Aber ihm gefiel die Vorstellung, eine Wanne sein Eigen zu nennen, die ihnen beiden zugleich Platz bot. Schon die kleine Eisenwanne hatte Unsummen von Materialkosten verschlungen, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, die es ihm bereitet hatte, dem Dorfschmied zu erklären, wie er sie anfertigen sollte. Eine größere kam nicht infrage. Die neue Holzkonstruktion war immer noch der beste Ersatz für einen Whirlpool daheim in den Staaten. Alex hatte eine Ecke der großen Halle als Platz dafür ausgewählt und ließ die Arbeiter nun eine Höhle in das natürliche Felsgestein meißeln, das diese Mauer bildete. Hier waren derartige Bauarbeiten nicht mit Maschinenlärm, Staub und Geröll verbunden. Die Meißel klickten leise, während die Männer unendlich langsam, wie es Alex vorkam, das harte Gestein aushöhlten. Ab und an trug einer der Arbeiter einen Eimer mit Steinen zum Dorf vor den Toren der Burg hinunter, wo der Schutt weiter zermahlen und als Schotter benutzt 11 wurde. Alex' Vasallen hatten für alles Verwendung. Gegen Mittag klaffte lediglich eine kleine Lücke in der Wand. Es würde ewig dauern, bis das Badehaus fertig war. Die Wanne sollte nicht übermäßig groß werden, musste aber unter den Zisternen auf dem Dach der Halle gebaut werden. Zwar wusste Alex, wie er Wasser herbeileiten und erhitzen konnte, aber es würde sich als äußerst schwierig erweisen, die notwendigen Materialien und Werkzeuge zu beschaffen. In diesen Zeiten verfügten nur Angehörige des Königshauses über fließendes Wasser, und er war nichts als ein kleiner Earl, der auf einer Insel am Ende der Welt lebte. Schon das Abwasserrohr, das er letzten Herbst durch das untere Außenwerk hatte legen lassen, war nahezu unerschwinglich gewesen. Die Ausgabe hatte sich aber gelohnt, jetzt dampfte keine mit menschlichen Exkrementen gefüllte Kloake mehr direkt unter seinem Schlafkammerfenster, aber das Rohr, das per Schiff aus Glasgow herbeigeschafft worden war, sowie der Lohn für die Arbeiter hatten ihn fast sein gesamtes Vermögen gekostet. Dieses Badehaus würde ihn ähnlich teuer zu stehen kommen und war darüber hinaus längst nicht so dringend notwendig, aber er hatte den Bau trotzdem in Auftrag gegeben, um Lindsay eine Freude zu machen. Die Arbeit weckte auch das Interesse anderer Burgbewohner und der Dienstboten, die mit ihren Tätigkeiten innehielten und den Steinmetzen neugierig über die Schulter schauten. Die meisten konnten sich nicht vorstellen, wie ein Badehaus aussehen sollte. Ertappte Alex jemanden beim Trödeln, erinnerte er den Betreffenden mit einem scharfen Blick daran, dass er Besseres zu tun hatte, als hier herumzustehen und Maulaffen feilzuhalten wie ein Gaffer bei einem Autounfall. Nur Vater Patrick lehnte sich mit vor dem Bauch gefalteten Händen müßig in dem gepolsterten Stuhl zurück, den er sich vom Kopfende der Tafel herangezogen hatte, streckte die Bei 11 ne aus und schlug die Knöchel übereinander. Seine sich ständig krümmenden und streckenden bloßen, schmutzigen Zehen zeugten von nur mühsam unterdrückter Energie. Patrick war noch sehr jung, kaum Anfang zwanzig, und Alex wunderte sich immer wieder darüber, wie sich ein so junger Mann dermaßen mit Leib und Seele der Kirche verschreiben konnte, dass er beschloss, Priester zu werden. Und er war, soweit Alex das beurteilen konnte, ein sehr guter Priester. Manche Männer übten das Priesteramt lediglich aus, weil sie nicht wussten, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen sollten, aber bei Patrick handelte es sich wohl um eine echte Berufung. Überdies war er ein hervorragender und begeisterter Kämpfer, und es war Alex ein ewiges Rätsel, wo der Priester gelernt hatte, ein
Schwert genauso geschickt zu handhaben wie er selbst ‐ wenn nicht noch besser, denn Alex hatte eine solche Waffe bis vor drei Jahren noch nie in der Hand gehabt. Wenn Patrick nicht mehr religiösen Eifer gezeigt hätte als die meisten anderen Priester nördlich des Kanals, hätte Alex ihn für einen Ritter gehalten, der sich als Geistlicher ausgab. »Habt Ihr so etwas schon ein Mal gesehen?«, wandte er sich an den jungen Mann. »Ein Loch in einer Felswand? Aye, und zwar mehr als einmal.« Der Priester grinste spitzbübisch. Alex schnaubte unwillig. »Ich meine ein Badehaus. Habt Ihr schon mal ein Badehaus gesehen?« »Nein. Aber ich habe während meines Studiums in Frankreich von einem gehört. Ich hätte es mir ja gerne angesehen, aber der Besuch dort hätte meine damaligen Mittel überstiegen.« Sein Ton ließ durchblicken, dass er Alex' Vorhaben gleichfalls als unerhörten Luxus betrachtete. Alex nahm an, dass genau dies Patricks Neugier geweckt hatte. Er wollte herausbringen, warum so viel Geld für etwas so Überflüssiges ausgegeben wurde, und es würde schwierig 12 werden, ihm das klarzumachen. Das einzige Alex bekannte mittelenglische Wort, das dem Begriff »Hygiene« nahekam, war »Reinlichkeit«. Er versuchte sich so einfach wie möglich auszudrücken. »Es ist gut für die Gesundheit, wenn man sich sauber hält.« »Das geht auch mit Waschschüssel und Wasserkrug, denke ich, und ist entschieden billiger. Außerdem gibt es Flüsse und Seen, in denen man baden kann.« »Aber in meinem Badehaus wird das Wasser erhitzt«, trumpfte Alex auf. Patricks Augen wurden groß. »Warmes Wasser, sagt Ihr? Eine noch schändlichere Verschwendung. Und ungesund dazu. Sich mit heißem Wasser zu waschen schwächt die Kräfte eines Mannes. Gott wird Euch zweifellos dafür zur Rechenschaft ziehen.« Keine Spur von Humor schwang in seiner Stimme mit. Er meinte seine Worte eindeutig ernst, und er machte aus seiner Verärgerung kein Hehl. »Und Euch werden die Mittel für andere, dringender notwendige Anschaffungen fehlen.« »Spare in der Zeit, so hast du in der Not, meint Ihr?« »So ist es.« Patrick pflegte in Alex' Gegenwart kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Zwar äußerte er sich weniger freimütig als die Lehnsleute auf der Insel ‐ einfache schottische Bauern, die sich weder untereinander noch ihrem Laird gegenüber scheuten, ihre Meinung zu sagen ‐, aber er sprach wesentlich offener als die Ritter in der Burg, bei denen es sich zum größten Teil um wortkarge, verschlossene Edelleute zumeist normannischer Abstammung handelte. Der Earl hörte sich die Ansichten des Priesters ruhig an, ging aber nicht weiter darauf ein. Patrick war der geistliche Hirte seiner Herde, nicht Alex' Finanzberater. Aber der Priester hatte sich in Fahrt geredet. »Da wir gerade beim Thema Verschwendung sind ... ist Euch klar, dass Ihr dadurch, dass Ihr Euren Unrat ungenutzt abfließen lasst, statt ihn zu sammeln, Eure Lehnsleute ermuntert, ihn zu stehlen?« 12 Alex runzelte verständnislos die Stirn. »Stehlen? Unrat?« »Ich spreche von Euren neuen Rohren, die den Inhalt der Abtritte durch das Außen werk ins Meer einleiten. Ihr nutzt ihn nicht selbst und führt so das Volk in Versuchung, ihn zu stehlen.« Alex hätte zu gern gewusst, warum jemand menschliche Exkremente stehlen sollte, bezwang sich aber und fragte stattdessen: »Vater, Ihr habt doch wohl nicht gerade ein Beichtgeheimnis verletzt?« Patricks Augen blitzten erbost und gekränkt auf. »Ganz sicher nicht! Ihr solltet Euch schämen, mir so etwas zuzutrauen! Der Diebstahl ist im ganzen Dorf bekannt, und ein paar Bauern, die von Zeit zu Zeit die Unratreste zusammenkratzen, die sich unterhalb der Rohröffnung auf dem Felsen am Kai ansammeln, sind deshalb schon in Streit geraten. Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, ob man einen größeren Eimer unter dem Rohr aufstellen soll, wenn die Abtritte gereinigt werden. Einige be‐ trachten das ‐ im Gegensatz zum Sammeln der Reste ‐ als Diebstahl, andere nicht. Eure Dorfbewohner können sich in diesem Punkt nicht einig werden. Ihr tätet gut daran, diesem Zank ein Ende zu bereiten, bevor jemand ernsthaft zu Schaden kommt.« Alex rümpfte die Nase. Natürlich, Dünger. Er wusste, dass die Bauern menschliche Exkremente nutzten, um ihre Felder damit zu düngen, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, sie könnten sich darum streiten oder das Sammeln dieses Düngers als Diebstahl ansehen. »Ich werde mit Donnchadh darüber sprechen. Er soll dafür sorgen, dass das Zeug an Putztagen gerecht unter den Leuten verteilt wird.« »Und Ihr werdet eine Gebühr dafür verlangen?«
»Nein. Keine Gebühr.« »Dafür werden sie Euch weder respektieren noch es Euch danken. Ihr solltet doch wissen, dass Eure Lehnsleute zu stolz sind, um Almosen anzunehmen.« Alex dachte einen Moment darüber nach, dann schüttelte 13 er nachdrücklich den Kopf. Ihm missfiel die Vorstellung, Menschen, die den Inhalt der Burgtoiletten entsorgten, auch noch Geld dafür abzunehmen, auch wenn ihnen dieses Düngemittel als äußert wertvoll erschien. »Nein. Der Dünger ist eine Belohnung für meine Vasallen, die dieses Jahr im Kampf gegen die MacDonalds von Cruachan und davor gegen die verräterischen Bretons so treu an meiner Seite gekämpft haben.« Patrick nickte. Er verstand, worauf Alex hinauswollte, und stimmte ihm zu. »Ihr seid wahrlich ein weiser Laird, dem das Seelenheil seiner Untertanen am Herzen liegt, denn obwohl Ihr deutlich unter Beweis gestellt habt, dass Euch an dem Unrat nichts liegt, betrachten sie ihr Vorgehen trotzdem als Diebstahl und somit als Sünde.« »Und trotzdem können sie der Versuchung, Scheiße zu sammeln, einfach nicht widerstehen?« »Würdet Ihr ein Schaf auf der Wiese vor den Burgmauern anbinden und es dort Wind und Wetter aussetzen, ohne damit zu rechnen, dass jemand kommt und es mit zu sich nach Hause nimmt? Oder Gold? Würdet Ihr einen Beutel mit Gold auf den Pfad fallen lassen, der durch das Dorf führt, und nicht erwarten, dass sich sofort jemand darauf stürzt?« »Die meisten würden einen solchen Beutel liegen lassen oder ihn in die Burg bringen, denn sie könnten sich ja denken, dass er mir gehört.« Und der Betreffende konnte sich überdies darauf verlassen, dass sich die Nachricht eines solchen Fundes wie ein Lauffeuer auf ganz Eilean Aonarach verbreiten würde. Auf einer nur von ein paar hundert Menschen bewohnten Insel ließ sich nichts geheim halten. »Es würde immer Leute geben, die versuchen würden, das Gold für sich zu behalten. Und die darum kämpfen würden.« »Ist das mein Problem?« »Aye, allerdings, denn Ihr seid der Laird dieser Menschen. Ihr Vorbild. Sie vertrauen Euch.« 13 Alex grunzte. Früher war er sich seiner Verantwortung durchaus bewusst gewesen, jetzt fragte er sich, warum er sich von dem Priester daran hatte erinnern lassen müssen. »Schon verstanden, Vater.« Die darauf folgende Stille wurde nur vom Klicken der Meißel unterbrochen. Endlich erkundigte sich Patrick: »Gibt es Neuigkeiten aus Irland?« Alex überlegte einen Moment, worauf der Priester hinauswollte, dann fiel ihm alles wieder ein. »Von Robert?« »Aye. Hat er die irischen Häuptlinge, die Edward von England die Treue halten, auf seine Seite ziehen können?« »Ich habe seit Juli nichts mehr von ihm gehört.« Er hatte dem irischen Feldzug des Königs auch kaum Beachtung geschenkt; allein Lindsay hatte damals seine Gedanken beherrscht, außerdem hatte er sich weit von Irland entfernt im Grenzgebiet aufgehalten. Erst jetzt fiel ihm auf, wie wenig er über Robert und das, was momentan in Irland geschah, eigentlich wusste. Lindsay, die über bessere Geschichtskenntnisse verfügte als er, hatte ihm erzählt, der Bruder des Königs würde dort in Kürze ums Leben kommen, und der Feldzug würde letztendlich mit einer Niederlage enden, aber sie konnte sich an keinerlei Einzelheiten erinnern. »Glaubt Ihr, dass er siegen wird?« Alex musterte den jungen Priester, der sich entspannt in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und aussah, als ob ihn das alles wenig berührte. Aber der Schein trog. Niemandem lag das Geschick seiner Mitmenschen so am Herzen wie Patrick. Zur Antwort hob er lediglich die Schultern. »Das werde ich herausfinden, wenn Seine Majestät mich zu sich befiehlt, damit ich mit meinen Rittern an seiner Seite kämpfe.« Er würde sehr viel lieber ins Grenzgebiet zurückkehren, statt nach Irland zu gehen, aber er wusste, dass er sich Robert oder seinem Bruder Edward anschließen musste, wenn er seinen Status als 13 königlicher Vasall festigen wollte. Er war verpflichtet, seinem Lehnsherrn vierzig Tage im Jahr militärische Dienste zu leisten ‐ ein gutes Geschäft, das ihm als Gegenleistung die Herrschaft über
zwei Inseln, den daraus resultierenden Wohlstand sowie das Privileg einer Mitgliedschaft im Parlament eingetragen hatte. Verglichen damit hatte ihm die US‐Navy, für die er viel häufiger sein Leben riskiert hatte, nur einen Hungerlohn gezahlt. Außerdem war es ratsam, sich dem König wieder in Erinnerung zu bringen, sonst lief er Gefahr, vergessen oder ‐ schlimmer noch ‐ von einem Rivalen ausgebootet zu werden. Er musste sehen, dass er einen Fuß in der Tür behielt. Lindsay stand auf dem Dach der großen Halle und blickte auf das Meer hinaus. Es war ein schöner, wenngleich ein wenig kühler Tag mit klarer Sicht. Obwohl die Frühlingssonne warm auf ihr Gesicht fiel, schlang sie ihren Umhang zum Schutz vor dem Wind enger um sich, während sie über ihre Zukunft nachdachte. Jeder Monat warf die Frage auf, ob sie ein weiteres Kind haben würde, und jeden Monat grübelte sie darüber nach, ob sie darauf hoffen oder sich davor fürchten sollte. Lohnte sich das Risiko? Über eine Wahl zwischen Familie und Karriere brauchte sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen; in diesem Land, in dieser Zeit gab es für sie keine Chance, wirklich Karriere zu machen, sie hatte sich lediglich das Recht erstritten, an der Seite ihres Mannes kämpfen zu dürfen, wenn dieser in die Schlacht zog. Viel weiter würde sie es nicht bringen. Aber noch ein Kind? Trefor, der Sohn, den sie bereits hatte, war ihr nur wenige Tage nach seiner Geburt von Feen geraubt worden. Er war fern von ihr in Amerika bei Pflegefamilien aufgewachsen. Noch nicht einmal einen Namen hatte sie ihm geben können, das hatten völlig Fremde an ihrer Stelle getan. Jetzt war er ein erwachsener Mann, von dem sie so gut wie gar nichts wusste. 14 Sie hatte Angst, sich auf ein weiteres Kind einzulassen, nur um es dann gleichfalls zu verlieren. Ihr Blick blieb an einem Punkt hängen, der am Horizont auftauchte. Ein Boot. Als es näher kam, sah sie auf dem Segel etwas Goldenes aufblitzen. Rot und Gold, die Farben des königlichen Wappens. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ein Boot aus der Flotte des Königs. Nur eines, also war Robert nicht selbst an Bord, sondern hatte einen Boten geschickt. Sie wandte sich ab, um dem Wachposten Bescheid zu geben, aber der Mann hatte das Segel schon erkannt und hob die Trompete an die Lippen, um die Ankunft des Boten anzukündigen. Lindsay drehte sich wieder um, um das Einlaufen des Schiffes zu verfolgen. Einen Moment später erklangen hinter ihr Schritte. Alex trat an die zinnenbewehrte Brustwehr und sah über das Wasser hinweg. Der Wind spielte mit seinen dunklen Locken und blies sie ihm in die Stirn. Er seufzte leise. »Ich hatte gehofft, das Badehaus fertigstellen zu können, bevor ich abberufen werde.« »Vor unserer Rückkehr brauchen wir es doch gar nicht.« Er drehte sich um und musterte sie argwöhnisch. »Wir?« »Du weißt genau, dass ich dich begleite.« Alex schnaubte unwillig und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Boot draußen auf dem Meer ‐ um ein Blickduell mit ihr zu vermeiden, wie sie annahm. Nicht, dass es ihm etwas nützen würde. Er konnte so viele Einwände erheben, wie er wollte, aber er würde sie nicht daran hindern, mit ihm zu gehen. »Betrachte es doch einmal von dieser Warte aus ‐ die Wahrscheinlichkeit, dass du deinen ersehnten Erben bekommst, ist viel größer, wenn wir uns nicht trennen müssen. Nimm dir Robert als Beispiel. Wir wissen beide, dass er erst kurz vor seinem Tod einen Sohn bekommen wird, weil seine Königin in England festgehalten wird.« »Ich sollte dich auch einsperren!« 14 »Das würde ich dir nicht raten.« »Wenn eine Möglichkeit bestünde, dich dazu zu bringen, hierzubleiben, wenn ich ...« »Keine Chance. Es gibt zwar einige Dinge, vor denen ich mich fürchte, aber von einem Schwert niedergestreckt zu werden, zählt nicht dazu.« Da er ihr keine Beachtung schenkte, fügte sie scharf hinzu: »Noch ein Kind zu bekommen dagegen schon.« Als er sie daraufhin fragend ansah, fuhr sie fort: »Du möchtest, dass ich dir noch mehr Kinder schenke, aber du begreifst nicht, welchen Schrecken mir dieser Gedanke einjagt. Es ist wie eine Wunde, die sich nie schließen wird. Wenn ich schon um Trefor Angst ausstehe, den ich erst als erwachsenen Mann kennengelernt habe, wie muss ich mich dann bei einem Kind fühlen, das ich selbst habe groß werden sehen?« »Genau das ist eine Erfahrung, die ich sehr gern machen würde.«
»O nein. Du möchtest einen Erben.« Er zuckte die Achseln, dann nickte er. »Das auch. Warum auch nicht? Wir haben immerhin ein stattliches Vermächtnis zu hinterlassen ...« »Du hast ein Vermächtnis zu hinterlassen. Ich habe nur einen Uterus.« »Hör auf damit.« Lindsay presste die Lippen zusammen. Endlich sagte sie: »Ich weiß, dass du das herrschende System nicht ändern kannst. Es ist nicht deine Schuld, dass ich nicht so leben kann, wie ich gerne möchte. Trotzdem habe ich recht, und das weißt du.« »Stimmt. Aber wir können nichts dagegen tun.« Er heftete den Blick wieder auf das sich rasch nähernde Boot. »Also gut, du kommst mit mir. Ausreden kann ich dir diese fixe Idee ohnehin nicht.« »Und wir werden versuchen, noch ein Kind zu bekommen. Das werde ich dir wohl nicht ausreden können.« 15 Alex seufzte nur und schüttelte den Kopf. Lindsay trat zu ihm und griff nach seiner Hand; einer großen, kräftigen, vom Führen eines Schwertes schwieligen Hand mit trockener, harter Handfläche und breiten Fingern, und schloss sie um ihre eigene, die er leicht drückte. Alex beugte sich vor und küsste Lindsay zur Versöhnung leicht auf den Mund. Sie stritten häufig, aber er liebte sie trotzdem und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie glücklich zu sehen. Sie glücklich zu machen. Ihr zu erlauben, durch das Land zu streifen und Menschen zu töten, das war nicht der richtige Weg zu diesem Ziel, das wusste er, weil auch er darin nicht den Sinn seines Lebens sah. Nachdenklich betrachtete er das Schiff auf dem Wasser und überlegte, ob sich wohl der König selbst an Bord befinden mochte. Ein erregender Gedanke. Doch die prickelnde Erregung verflog, als ihm klar wurde, dass es sich nur um ein einziges, noch dazu kleines Schiff handelte. Selbst wenn Robert geruhen würde, dieser abgelegenen Insel ohne Vorankündigung einen Besuch abzustatten, würde er sicherlich nicht mit einem so kleinen Gefolge reisen. Demnach hatte er vermutlich nur einen Boten geschickt, der Alex die Aufforderung, zu Roberts Truppen zu stoßen, überbringen sollte. Anscheinend musste er jetzt seinen vierzigtägigen Jah‐ resdienst ableisten ‐ und dem König die vereinbarten fünfzig Männer stellen. Er sog scharf den Atem ein und ließ ihn langsam wieder entweichen. Verdammt. Mit einem unterdrückten Fluch wandte er sich ab und ging in seine Kammer, um sich rasch zu waschen und umzukleiden, bevor das Schiff anlegte. Bei dem Besucher mochte es sich lediglich um einen Boten handeln, aber er war ein Bote des Königs und daher ein Mann von Stand, der vielleicht einen höheren Rang bekleidete als Alex selbst, also musste er sich von seiner 15 besten Seite zeigen. Leider konnte er am Zustand der großen Halle nichts ändern, dort herrschte Chaos, was auch auf absehbare Zeit so bleiben würde. Er beschloss, den Mann in dem kleineren, ein Stockwerk tiefer gelegenen Versammlungsraum zu empfangen. Flankiert von seinen beiden jungen Hunden stand er vor dem Kamin des Raums, der von manchen Burgbewohnern auch als »Audienzsaal« bezeichnet wurde, und begrüßte seinen Gast förmlich. John Rothbury of Morpeth war ein Earl aus den Lowlands, den Alex nur dem Namen nach kannte. Nach dem Austausch der üblichen Floskeln nahmen sie an einer Ecke der langen Tafel Platz, um mit der Besprechung zu beginnen. Zwei von Morpeth' Knappen stellten sich hinter dem Stuhl ihres Herrn auf; bereit, jedweden Befehl unverzüglich auszuführen. Alex hatte zu seiner Aufwartung nur seinen achtjährigen Ziehsohn Gregor, der neben der Treppe wartete. Lindsay rauschte in den Raum. Sie trug eines ihrer besten Gewänder, dazu das Halsband, das er ihr zu ihrer Hochzeit geschenkt hatte ‐ in Gold gefasste Rubine, die aus der Beute eines seiner ersten Raubzüge stammten und die er eigens für sie aufgehoben hatte, obwohl er sich das damals kaum hatte leisten können. Lindsay hatte den Schmuck angelegt, um Morpeth zu beeindrucken, was ihr dem Gesichtsausdruck des Earls nach zu urteilen auch gelang. Sie durchquerte mit ihrem Korb voller Näharbeiten am Arm die Halle und nahm auf einem kleinen, aber bequemen Stuhl in der Nähe des Kamins Platz. Hier konnte sie alles verstehen, was am Tisch besprochen wurde, ohne aufdringlich zu wirken. Der mit Schnitzereien verzierte Stuhl mit dem weichen, mit Daunen gefüllten Sitzkissen war eigens für sie angefertigt worden; hier saß sie immer,
wenn sie unauffällig etwas mit anhören wollte, was eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt war. »Achtet gar nicht auf mich«, flötete sie süß. »Ich muss eine Stickarbeit been
16 den, und ich lausche dabei so gerne Männerstimmen.« Dann begann sie an einem Stück Stoff herumzusticheln und tat so, als interessiere das Gespräch am Tisch sie überhaupt nicht, aber Alex durchschaute das Spiel. Er hatte sie einmal scherzen hören, Männerstimmen würden sie in den Schlaf lullen, doch er wusste, dass sie jedes Wort gierig in sich aufsog. Er warf ihr einen warnenden Blick zu. Morpeth achtete nicht mehr auf sie. Bei einer leichten, aus grünem Käse, frischem Brot und geräuchertem Fisch bestehenden Mahlzeit erhielt Alex seine offiziellen Befehle von Robert. Sie bargen keinerlei Überraschung für ihn; er wusste, mit welchen Pflichten sein Titel verbunden war. Danach lenkte der Abgesandte des Königs das Gespräch in andere Bahnen und begann dem neuesten Mitglied des schottischen Hochadels auf den Zahn zu fühlen. Alex wusste, dass er einer Prüfung unterzogen wurde. Obwohl sein Besucher sich umgänglich und freundlich gab, waren die gezielten Fragen, die dazu dienten, Licht in Bereiche von Alex' Leben zu bringen, über die er sich sonst in Schweigen hüllte, nicht misszuverstehen. Morpeth interessierte sich besonders für seine Vergangenheit; ein Thema, bei dem Alex sich auf dünnem Eis bewegte, weil er sich als Ausländer ausgab. Jedermann wusste, dass er nicht in Schottland geboren war, aber je ausführlicher er auf seine Abstammung einging, desto größer wurde die Gefahr, sich in einem Lügennetz zu verstricken. Gab er jedoch allzu ausweichende Antworten, so konnte dies Argwohn erwecken, also erzählte er lediglich, dass er in Ungarn aufgewachsen und statt von seinem angeblichen schottischen Vater, dem kürzlich verstorbenen MacNeil von Barra, von einem Vetter seiner Mutter großgezogen worden war. Alles Lügen, aber zugleich Schlussfolgerungen, die Robert selbst gezogen hatte, also blieb Alex nichts anderes übrig, als so wenig wie möglich dazuzuerfinden und sich weitgehend an das zu halten, was bereits allgemein bekannt war. 16 Morpeth schien Gefallen an dem neuen Peer zu finden, obwohl man nie wissen konnte, was im Kopf eines Höflings wirklich vorging. Verschleierte Augen und das liebenswürdige Lächeln eines Gentlemans verbargen die wahren Gefühle eines Mannes sehr gut, und Alex war sicher, heute nicht der einzige glattzüngige Lügner im Raum zu sein. Er tat sein Bestes, um das Gespräch auf seinen Ruf als Schotte zu bringen, den er nach seiner Ankunft in diesem Jahrhundert in der Schlacht von Bannockburn erworben hatte, und hob seine guten Beziehungen zu James Douglas, Earl of Douglas, und Hector MacNeil, dem Laird von Barra, hervor. Die Geschichte, wie er zum Ritter geschlagen worden und von Robert höchstpersönlich den Spitznamen »An Dubhar« erhalten hatte, schmückte er besonders blumig aus. Der gälische Name, der so viel wie »Schatten des Todes« bedeutete, verfehlte seine Wirkung auf den Besucher nicht. Er meinte, Alex könne sein schottisches Blut nicht verleugnen, was dieser als Kompliment wertete. Nachdem das Verhör zu Ende war, lud Alex seinen Gast ein, die Nacht in seinen eigenen Gemächern zu verbringen. Der Earl schien es als selbstverständlich hinzunehmen, dass Alex ihm sein Bett abtrat ‐ was es auch war, denn die Räume des Lairds stellten die einzige Unterkunft im Turm dar, in der Mor‐ peth und seine Diener halbwegs standesgemäß untergebracht werden konnten. Nach einem so üppigen Mahl, wie es die zu dieser Jahreszeit recht kargen Vorräte erlaubten, würden Alex und Lindsay die Nacht in der fensterlosen Kammer unterhalb der großen Halle verbringen, die ihnen bei solchen Anlässen als Ausweichquartier diente. Die Nachricht von seinem bevorstehenden Aufbruch nach Irland verbreitete sich in Windeseile im Dorf und auf den entlegeneren Höfen der Insel und würde von dort am nächsten Tag mit Fischerbooten nach Cruachan gelangen. Alex war sicher, dass er die vom König verlangte fünfzig Mann starke Truppe mü 16 helos würde zusammenziehen können ‐ unter den MacNeils und MacConnells, die seinem Befehl unterstanden, gab es zahlreiche junge Männer, die nicht an der Niederschlagung des Bre‐ ton‐Aufstands teilgenommen hatten und die Gelegenheit, nach Irland zu segeln und sich dort im Kampf gegen einen würdigeren Gegner zu beweisen, begierig beim Schopf packen würden. Aber der Kampf, nach dem sie lechzten, nahte schneller, als sie gedacht hatten. Und fand unter gänzlich anderen Umständen statt.
Als an diesem Abend die Dämmerung hereinbrach, die Inselelite am Tisch der großen Halle saß und die Dienstboten sich anschickten, das Essen aufzutragen, erklang auf der zur Landseite gelegenen Burgmauer eine Fanfare. Alex und Lindsay, die zusammen mit ihrem hochwohlgeborenen, wohlhabenden und einflussreichen Gast am Kopfende der Tafel residierten, blickten kurz auf, schenkten dem Signal aber keine weitere Beachtung. Niemand dachte sich etwas dabei, vermutlich wollte nur einer der Dorfbewohner um eine Audienz beim Laird ersuchen. Alle Anwesenden widmeten sich wieder ihrer Mahlzeit und warteten darauf, dass ein MacConnell oder ein MacNeil in die Halle geführt wurde, um sein Anliegen vorzubringen. Vermutlich handelte es sich bei dem Bittsteller wieder einmal um Donnchadh MacConnell, der sich über irgendetwas beschweren wollte. Alex seufzte und wappnete sich innerlich für eine Auseinandersetzung mit seinem streitbarsten Lehnsmann. Donnchadh war ein guter, loyaler Vasall, ging Alex aber häufig mit unerfüllbaren Forderungen auf die Nerven. Alle Köpfe fuhren hoch, als eine zweite Fanfare ertönte, diesmal ein Alarmsignal, gefolgt von einem Kriegsruf aus zahlreichen Kehlen; nah genug, um vom Burghof zu kommen. Alex' erster Gedanke galt einem neuerlichen Aufstand, vielleicht seitens der MacDonalds von Cruachan, aber der Ruf klang fremd in seinen Ohren, und die Stimmen gehörten nicht den MacDo 17 nalds, die er kannte. Trefor? Alex' Magen krampfte sich vor Entsetzen zusammen, als er aufsprang und Gregor anwies, ihm sein Schwert zu bringen. Der Lärm kam näher, tobte zweifellos im Burghof, und Alex spürte, wie heiße Wut in ihm aufstieg. Da ihm keine Zeit blieb, seine Rüstung anzulegen, griff er nur nach seinen Waffen und seinem Schild und stürmte aus der Halle in den Hof hinaus. Sein Gast war vergessen. Unterhalb des leicht geneigten Hofes sah er eine Horde Ritter durch das weit geöffnete Tor strömen. Sie ritten langsam, wie im Zeitlupentempo den zwischen den Nebengebäuden hindurchführenden Pfad empor und streckten dabei jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. »Wer sind diese Burschen?« Er konnte sich nicht erinnern, die Angreifer je gesehen zu haben. Die Männer trugen seltsame Rüstungen; noch fremdartiger als jene, die später in diesem Jahrhundert vom Kontinent zu ihnen gelangen würden. Ihre Kettenhemden glänzten, als wären sie nicht nur aus purem Silber gefertigt, sondern auch kurz vor dem Angriff noch poliert worden, was beides bei gewöhnlichen Rittern keinesfalls der Fall sein konnte. Auch das Fell ihrer kräftigen, gut genährten Pferde glänzte wie frisch gestriegelt, ihre seidigen Mähnen wehten im Wind. Alex' Krieger kamen mit gezückten Schwertern aus der großen Halle gestürzt. Auch Rothbury hatte sich ihnen mitsamt seinem Gefolge angeschlossen; bereit, sich gegen die unbekannten Gegner erbittert zur Wehr zu setzen. Lindsay rannte an Alex vorbei in den Burghof. In einer Hand hielt sie ihr Schwert, mit der anderen raffte sie ihre Röcke. Mordlust glitzerte in ihren Augen. Alex hörte auf, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer die Angreifer wohl sein könnten, stieß einen durchdringenden Kriegsschrei aus und stürzte sich in das Kampfgetümmel. Zu Fuß befanden er und seine Männer sich den berittenen Gegnern gegenüber im Nachteil, außer wenn sie ihnen Hinder 17 nisse in den Weg legen konnten. Da es auf diesem beengten Raum schwierig war, die Feinde direkt anzugreifen, zielten sie zunächst auf die Pferde. Alex durchtrennte zwei Schlachtrössern die Sehnen, dann drang er auf einen der Reiter ein, der sich mit seinem hell aufblitzenden Schwert verteidigte. Ein roter Wutschleier legte sich vor Alex' Augen. Er war gezwungen, in seinem eigenen Heim, auf seinem Grund und Boden einen Kampf auszutragen! Ein unvorstellbares Sakrileg! Er trieb seinen Gegner mit seinem Schild zurück, versetzte ihm einen Tritt gegen den Kopf und durchbohrte seinen Hals mit der Klinge, dann hielt er nach dem nächsten Eindringling Ausschau, während der sterbende Mann langsam an seinem eigenen Blut erstickte. Alex ging auf den nächsten Gegner los, holte mit seinem Schwert zum tödlichen Hieb aus und erhaschte dabei einen Blick auf ein spitz zulaufendes Ohr. Also doch Trefor? Alex hielt kurz inne, musterte seinen Widersacher scharf und erkannte, dass es sich tatsächlich um einen Feenkrieger handelte, aber nicht um Trefor. Verwirrt und somit verwundbar parierte er den Angriff und wurde von seinem Gegner zur Seite gedrängt. Ein flüchtiger Blick in die Runde bestätigte ihm, dass alle feindlichen Krieger Feen waren. Was ging hier vor? Danann. Es waren alles Danann.
Der Feenritter griff ihn erneut an, Alex wehrte den Hieb ab, taumelte einen Schritt zurück, stolperte über eine Stufe und fiel rücklings zu Boden. Sein Widersacher holte fast lässig zum tödlichen Stoß aus. Alex versuchte, sich zur Seite zu rollen, war aber zu langsam; das schimmernde Feenschwert traf ihn in die Magengrube, die Spitze drang mühelos durch sein Kettenhemd. Ein sengender Schmerz schoss durch seinen Körper, und ihm entfuhr ein gellender Schrei. Der feindliche Krieger zog sein Schwert zurück, betrachtete ihn einen Moment aus schmalen Augen und wandte sich dann ab. Sein zufriedener 18 Gesichtsausdruck besagte deutlich, dass Alex für ihn schon so gut wie tot war. Alex' Hand schloss sich um sein Schwert, das ihm entglitten war und neben ihm auf dem steinernen Pfad lag. Er versuchte, sich auf die Füße zu ziehen und dem Gegner nachzusetzen, aber der glühende Schmerz in seiner Magengegend machte jede Bewegung zur Qual. Stöhnend presste er eine Hand gegen seinen Bauch, weil er fürchtete, die Eingeweide könnten herausquellen. Rotes, klebriges Blut ergoss sich über seine Finger, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, und wieder schien das Kampfgewühl ringsum stark verlangsamt abzulaufen. Er sah, wie die Angreifer in jede Ecke seines Hauses vordrangen, seine Ritter niedermetzelten und seine Dienstboten abschlachteten. Er war sicher, jetzt sterben zu müssen, und fragte sich in dumpfem Staunen, wie dieses Schicksal letztendlich auch ihn hatte ereilen können. Lindsay. Wo war Lindsay? Er suchte im Getümmel nach ihr, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken. So laut es ihm möglich war, rief er ihren Namen, erhielt aber keine Antwort. Nur das Klirren der Schwerter und der harte Aufprall der Klingen auf den Holzschilden erfüllte die Luft. Dann zogen sich die Angreifer mit einem Mal so rasch zurück, wie sie gekommen waren, ließen von den MacNeil‐Rit‐tern ab, jagten aus dem Burghof heraus und hielten auf das Inselinnere zu. Einige von Alex' Männern nahmen die Verfolgung auf, aber sie waren nicht beritten und verloren rasch den Mut, als die feindlichen Ritter Anstalten machten, erneut auf sie einzudringen. Tatenlos sahen sie zu, wie die Feenkrieger im Wald verschwanden. Der Burghof begann sich vor Alex' Augen zu drehen. Er sank auf ein Knie, als in seinen Ohren ein lautes Dröhnen einsetzte. Noch einmal rief er Lindsays Namen, dann wurde die Welt dunkel um ihn.
18
DRITTES KAPITEL
Trefor zwängte sich mit einiger Mühe durch das Loch in der Höhlendecke. Er war größer als die Bhrochan; die Lücke war nicht für seine Statur gemacht. Ächzend wand und schlängelte er sich hindurch, bis er sich vorkam wie ein Klecks Zahnpasta, der aus einer Tube auf die Lichtung gequetscht wurde, auf der er vor sechs Monaten auf das Loch im Gras gestoßen war. Einen Moment lang blieb er auf dem Boden liegen, um Atem zu schöpfen. Er war nicht mehr in Form, er hatte zu lange müßig bei dem Feenvolk herumgelungert. Es wurde Zeit, dass er in das wirkliche Leben zurückkehrte. Nachdem sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte, richtete er sich auf und sah sich um. Am besten machte er sich gleich auf den Weg zur Burg. Er rappelte sich hoch, setzte sich in Bewegung und hielt mit einer Hand den Saum seiner Tunika fest, wenn der Wind ihn zu lüpfen drohte. Bei jedem Schritt spürte er, dass er nicht allein war, und auf dem Pfad, den er einschlug, entdeckte er die Hufabdrücke einer ganzen Anzahl großer Pferde ‐ Schlachtrösser, nicht die kleinen Pferdchen der hiesigen Bauern. Eine bewaffnete Truppe war hier vorbeigekommen und in Richtung der westlichen Küste geritten, genau dorthin, wo er herkam. Alex' Ritter auf einer Patrouille? Ein Manöver vielleicht? Das war die logischste Schlussfolgerung, aber seine Sinne sagten ihm etwas anderes. Er witterte Gewalt und Angst. Blut lag in der Luft, auch wenn
18 auf dem Boden keines zu sehen war. Irgendetwas Furchtbares musste vor Kurzem hier geschehen sein. Die negative Energie jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Da er die Quelle dieser Energie so schnell wie möglich weit hinter sich lassen wollte, legte er einen Teil des Weges zur Burg seines Vaters im Laufschritt zurück und erreichte nach kurzer Zeit die landwärts gelegene Mauer. Bis dorthin waren es nur ein paar Meilen. Erleichtert, wieder daheim zu
sein, trabte er über die Weide vor der Burg auf das Fallgitter zu, wo er dem Wachposten befehlen würde, ihn einzulassen. Doch statt das Böse hinter sich zurückzulassen, musste er feststellen, dass er geradewegs darauf zugerannt war. Ein Pfeilhagel ergoss sich rings um ihn auf das Gras. Trefor blieb wie angewurzelt stehen. »Hey!« Zum Zeichen, dass er unbewaffnet war, hob er beide Hände. Eine dunkle Linie Bewaffneter zog sich auf der Brustwehr entlang. Die meisten Männer luden ihre Armbrüste nach und legten Pfeile an die Sehnen ihrer Bogen, aber ein Teil von ihnen hatte ihre Waffen noch gar nicht abge‐ feuert und zielte nun auf ihn, sodass äußerste Vorsicht geboten war. Trefor wagte nicht, sich vom Fleck zu rühren. »Heda, Männer! Ich bin es! Sir Trefor Pawlowski! Was fällt euch ein, auf mich zu schießen?« Die Ritter über ihm ließen ihre Waffen sinken. Einer richtete das Wort an ihn. »Trefor Pawlowski? Für einen Ritter seid Ihr aber eigenartig gekleidet.« »Lasst mich ein. Ihr wisst genau, wer ich bin.« Wenn einer dieser Burschen zu seinen eigenen Leuten gehörte, würde er ihn grün und blau schlagen. Der Sprecher erkannte ihn, denn er zählte tatsächlich zu Trefors Männern, und das Tor wurde augenblicklich geöffnet. Aber niemand schien sich dafür zu interessieren, wo Trefor gewesen war, und niemand schenkte ihm weiter Beachtung. Als Trefor sich umsah, verrauchte sein Zorn über den 19 feindseligen Empfang sofort, denn ihm wurde klar, dass die Burg angegriffen worden war. Blut rann über das steinerne Pflaster des Burghofes und bildete kleine Pfützen, in denen Trefors bloße Füße ausglitten. Neben den Ställen lagen ein paar blutüberströmte Leichen, von denen einige spitze Ohren aufwiesen und die unnatürlich schimmernden Rüstungen der Tuatha De Danann trugen. Aus alter Gewohnheit heraus berührte Trefor sein Haar, um sich zu vergewissern, dass es seine Feenohren bedeckte. Irgendetwas Unheimliches hatte sich hier ereignet, aber ehe er herausfinden konnte, was das war, musste er sich erst einmal anständige Kleidung beschaffen. Er bemühte sich, nicht ständig an seiner Tunika herumzuzupfen, während er dem gewundenen Pfad durch den Burghof zum Turm folgte und sich fragte, ob seine Sachen überhaupt noch da waren. Die große Halle lag verlassen da, alle Burgbewohner schienen anderweitig beschäftigt zu sein. Auch in dem darunter gelegenen Empfangsraum fand er niemanden vor, also ging er zu der Kammer, die er während seines Aufenthalts hier bewohnt hatte. Sie war größer als die meisten anderen Schlafkammern im Turm, aber fensterlos und erinnerte ihn an eine Höhle; ähnlich dem Erdloch, in dem er die letzten Monate verbracht hatte. Plötzlich aufkeimende Platzangst schnürte ihm den Brustkorb zu, und er musste mehrmals tief durchatmen. Seine Habseligkeiten waren in einer Ecke des Quartiers aufgestapelt, das er vor sechs Monaten bezogen hatte. Es sah aus, als wäre der Raum einem anderen Bewohner zugewiesen worden, auf den Betten lagen frische Leinenlaken und Decken, und auf dem Tisch stand ein Krug mit sauberem Wasser. Nirgendwo war ein Stäubchen zu sehen. Trefor streifte seine schmutzige Tunika ab und goss Wasser in die Waschschüssel, um sich gründlich zu waschen. Die Kammerzofe seiner Mutter, eine stämmige Frau aus dem 19 Dorf, die ihn nicht sonderlich mochte, stürzte in den kleinen Raum, blieb stehen und sah ihn überrascht an. Ihr Gesicht war mit Blut und Tränen verschmiert. »Was tut Ihr denn hier?« Trefor achtete nicht auf sie, sondern fuhr fort, sich zu säubern. Sie wartete sichtlich ungeduldig auf eine Antwort, aber er schwieg beharrlich. Endlich konnte sie die Stille nicht länger ertragen. »Diese Kammer ist für den Herrn hergerichtet worden.« »Was ist dort draußen passiert?« »Eure Leute haben uns angegriffen, das ist passiert.« Seine Leute? »Meine Leute sind hier.« Sie funkelte ihn finster an und presste die Lippen störrisch zusammen. Trefor erkannte, dass er aus ihr nichts herausbringen würde, und das nur, weil er wie ein Angehöriger des Feenvolkes und somit wie ein Fremder aussah. Trotzdem hakte er nach: »Wieso schläft mein Vetter, der Earl, hier in meiner Kammer?« Dann griff er nach einem Leinentuch, um sich das Gesicht abzutrocknen. »Und nicht in seinen eigenen Gemächern?«
»Dort wurde ein Gast untergebracht. Ein wichtiger Gast.« Die Betonung dieses Wortes sollte ihm zu verstehen geben, dass er selbst nicht wichtig war. Auch darauf ging er nicht ein. »Und wo steckt unser furchtloser Anführer?« Mary zwinkerte, dann stammelte sie: »Der Herr ist ... er ist unpässlich.« Trefor blickte sich um. »Wo ist er?« »Er liegt in seinem eigenen Bett. Er ist verwundet, und er fragt sich sicher, wo Ihr die letzten Monate gewesen seid.« »Hier und dort. Überall.« Trefor wollte sich seine Besorgnis über seinen verletzten Vater nicht anmerken lassen, dennoch fragte er erschrocken: »Wie schlimm steht es denn um ihn? Was zur Hölle war hier los?« »Ich wüsste zwar nicht, was es Euch angeht, aber der Earl wurde bei der Verteidigung seiner Burg verletzt.« 20 Das war wohl eine glatte Abfuhr. Trotzdem bohrte Trefor weiter: »Verteidigt? Gegen wen?« »Niemand weiß, wer die Angreifer waren. Aber sie haben unsere Lady entführt. Seit dem Kampf wird sie vermisst. Niemand hat sie mehr gesehen, und auch ihre Leiche wurde nicht gefunden.« Eine eisige Faust schloss sich um Trefors Herz, und er hatte Mühe, sein Entsetzen zu verbergen. Seine Mutter hatte ihn nie als ihren Sohn akzeptiert. Sie hatte ihn genauso abgelehnt, wie Mary es tat, und während der kurzen Zeit zwischen ihrer Rückkehr aus dem Grenzgebiet im letzten Sommer und seiner Gefangenschaft im Reich der Bhrochan hatte Alex ihm sogar verboten, mit ihr zu sprechen. Trotzdem war sie allein aufgrund der wenigen Tage, die er nach seiner Geburt bei ihr verbracht hatte, mehr eine Mutter für ihn als alle Frauen der Pflegefamilien, bei denen die Waisenfürsorge Tennessees ihn abgeladen hatte. Seine Stimme nahm einen schneidenden Klang an, als er fragte: »Was genau hat sich hier abgespielt?« Marys Augen schwammen jetzt in Tränen. »Das weiß niemand genau. Die Feen sind durch das Tor gebrochen und in den Burghof eingedrungen. Der Earl hat uns mit seinem Leben beschützt, und deswegen ringt er jetzt selbst mit dem Tod.« Ohne ein weiteres Wort griff sich Trefor ein Hemd, eine Hose und einen Gürtel von dem Haufen an der Wand und zog sich hastig an. Dann eilte er zu Alex' Gemach, wo er seinen Vater von einer Schar Menschen umringt auf der Kante seines Bettes sitzend vorfand. Alex blickte auf, als Trefor in den Raum stürmte und bei seinem Anblick erschrocken stehen blieb. Das Gesicht des Earls war aschfahl, ein blutgetränkter Verband wand sich um seine Körpermitte, und auch seine Kleider starrten vor Blut. Ein paar Diener hielten sich mit sauberen Leinentüchern, Wasser und Nähutensilien bereit, um seine Wunde zu versorgen. Neben 20 dem Bett stand ein vornehm gekleideter Fremder, offenbar der »wichtige Gast«, von dem Mary gesprochen hatte. Er und Alex waren die Einzigen im Raum, die einen halbwegs gefassten Eindruck machten, alle anderen hatten verweinte Augen und schienen vor Angst zu schlottern. Alex musterte Trefor scharf. »Nett, dass du auch schon zu uns stößt.« Sarkastisch wie immer, dachte Trefor grollend. »Wo bist du die ganze Zeit gewesen?« Der Schmerz trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn, trotzdem verzog er keine Miene. Trefor presste die Lippen zusammen. Er vermied es wohlweislich, die Frage zu beantworten, denn er wusste nicht, was er hätte sagen sollen. Alex wusste zwar über die Bhrochan Bescheid, aber in der Gegenwart des gut gekleideten Unbekannten wollte Trefor nicht über sie sprechen. Sogar in diesem Jahrhundert, wo der Glaube an Feen weit verbreitet war und nicht wie in seiner eigenen Zeit als dummer Aberglaube abgetan wurde, hielt er seine Ohren nicht ohne Grund bedeckt und achtete sorgsam darauf, seine Abstammung keinem Fremden zu enthüllen. »Was ist passiert?« »Ich bin verletzt, wie du siehst.« Trefor wartete ungeduldig auf nähere Auskünfte, die ihm der Besucher an Alex' Stelle gab. »Die Burg wurde angegriffen. Wir wissen nicht, wer hinter dem Überfall steckt. Seitdem ist die Gräfin verschwunden. Die Feinde müssen es auf sie abgesehen haben, denn sie haben den Kampf ganz plötzlich abgebrochen und sich zurückgezogen, und ihre Leiche wurde nicht gefunden.«
»Habt ihr die gesamte Burg durchsucht? Jeden Winkel des Burghofes?« Trefor wusste, dass seine Mutter das Herz eines Kriegers hatte. Sie hätte sich keinem Feind kampflos ergeben, also konnte sie überall sein ‐ verwundet oder vielleicht im Sterben liegend. Oder gar schon tot. 21 Blut. Gewalt. Angst. Er hatte es auf dem Weg hierher gespürt. »Wir haben keine Spuren von ihr gefunden. Außer ihr fehlt niemand.« Vor Schmerz nach Atem ringend, unterbrach Alex: »Trefor Pawlowski, dieser Mann ist John Rothbury, Earl of Morpeth, ein Abgesandter des Königs.« Trefor und Morpeth nickten einander zum Gruß zu, wobei Trefor den Kopf so tief senkte, dass es fast einer Verneigung gleichkam. Er lebte lange genug in diesem Jahrhundert, um die Rangordnung zu kennen, und hielt sich für gewöhnlich an das Protokoll. Dann wandte er sich an Alex und schlug, um ihn zu verstimmen, einen herablassenden, verächtlichen Ton an. »Erzähl mir jetzt nicht, dass du sie schon wieder verloren hast.« Alex warf ihm einen giftigen Blick zu, dem Trefor ungerührt standhielt. Obwohl seine Wunde noch blutete, holte Alex ein paarmal tief Atem, dann begann er sich auf die Füße zu ziehen. Mary war sofort an seiner Seite; jammerte, er müsse sich wieder hinlegen, er sei nicht in der Verfassung, jetzt aufzustehen, aber Alex befahl ihr unwirsch, ihn in Ruhe zu lassen, und erhob sich mühsam. Alle im Raum Anwesenden erstarrten und machten sich bereit, ihn zu stützen, falls er das Gleichgewicht verlieren würde, aber obwohl er vor Anstrengung zitterte, gelang es ihm, sich ohne fremde Hilfe auf den Beinen zu halten. »Ich fürchte, Ihr werdet dem König jetzt von keinem großen Nutzen mehr sein«, meinte Morpeth. Seine mitfühlende Miene besagte, dass er der festen Überzeugung war, Alex werde sterben. Wieder durchzuckte Trefor ein eisiger Schreck, und er biss die Zähne zusammen. »Unsinn«, fuhr Alex auf. »Kehrt zu Robert zurück und richtet ihm aus, meine Männer und ich werden ihn wie vereinbart in 21 Irland treffen.« Schweiß rann ihm von der Stirn über die Wangen, und der letzte Rest von Farbe wich aus seinem Gesicht. »Das kann ich nicht.« Der Abgesandte des Königs sprach freundlich, aber bestimmt. Was er dachte, stand ihm auf der Stirn geschrieben. Er glaubte nicht, dass Alex lange genug leben würde, um sein Versprechen einzuhalten. Trefor hegte ähnliche Befürchtungen, sah aber die Gelegenheit, die sich ihm hier bot, und nutzte sie augenblicklich. »Ich werde an seiner Stelle gehen.« Alle im Raum drehten sich zu ihm um. Er hasste die Wellen ungläubiger Überraschung, die ihm entgegenschlugen. Sie hielten ihn nur für einen entfernten Vetter von Alex und zweifelten daher an seiner bedingungslosen Loyalität. Niemand außer Alex und Lindsay wusste, dass er in Wirklichkeit Alex' Sohn war. Niemand hier akzeptierte ihn als MacNeil, und das nagte fast ebenso sehr an ihm wie die Zurückweisung seitens seiner Eltern. »Keine Sorge, ich bin bald wieder auf den Beinen«, versicherte Alex ihm hastig. »Natürlich bist du das, Vetter. Aber es gibt andere Dinge, um die du dich kümmern musst, wichtigere Anliegen als der Krieg in Irland.« Alex warf Morpeth einen verstohlenen Blick zu. Dieser hob angesichts der Andeutung, Roberts Befehle könnten für ihn nicht oberste Priorität haben, stumm die Brauen, also bemühte er sich, Trefors Schnitzer wieder wettzumachen. »Die Verteidigung Schottlands hat vor allem anderen Vorrang, Trefor. Ich bin entsetzt, dass du anderer Ansicht zu sein scheinst.« »Was ist mit deiner Frau? Wenn du am Leben bleibst, wird sie dich brauchen.« »Die Gräfin ist für Euch verloren«, sagte Morpeth leise. »Findet Euch damit ab.« Der geschniegelte Bursche konnte den Earl of Cruachan 21 nicht gut kennen, wenn er dachte, Alex würde den Verlust seiner Frau tatenlos hinnehmen, vermutete Trefor. Wenn auch nur die kleinste Chance bestand, dass Lindsay noch am Leben war, würde er sie finden und zu sich zurückholen, daran hegte er keinen Zweifel, und er machte sich diesen Umstand sofort zunutze. »Morpeth, Ihr könnt doch nicht von Cruachan verlangen, dass er seine Frau in den Verliesen seiner Feinde schmachten lässt.«
»Robert lässt seine Frau ja auch im Kerker des englischen Königs schmachten.« Das war Trefor neu. Er runzelte verwirrt die Stirn und sah Alex an, der ihm mit einem leichten Nicken bestätigte, dass die Königin von Schottland tatsächlich derzeit in England gefangen gehalten wurde. Dennoch beharrte er: »Die Angreifer waren Danann. Du weißt, dass An Reubair hinter dem Überfall stecken muss.« Der Name traf Alex wie ein Schlag. Er zuckte zusammen und durchbohrte Trefor mit einem finsteren Blick, dem der junge Mann gleichmütig standhielt. Er hatte mit seinem Verdacht ins Schwarze getroffen, das wussten sie beide. Die toten Feenritter draußen im Hof waren der Beweis dafür. Welcher Danann außer ihm hätte sonst ein Motiv gehabt? An Reubair ‐ der Räuber. Der Anführer eines Rittertrupps, der Lindsay einst als Söldner angeheuert hatte. Alex' Augen flammten zornig auf, was Trefor voller Genugtuung registrierte. Er war schon so gut wie auf dem Weg nach Irland, wo er an Alex' Stelle die Aufmerksamkeit des Königs auf sich lenken und seine Gunst gewinnen konnte. Ein kleiner Ausgleich für das Erbteil, das er nie erhalten würde. Er wandte sich an Morpeth, um auf seine Zustimmung zu warten. Morpeth war kein Narr. Ihm konnte es egal sein, wer sich Roberts Truppen anschloss, solange nur die verlangte Anzahl 22 Männer gestellt wurde. Also nickte er Trefor zu. »Der König wird sich freuen, Euch und die Männer von Eilean Aonarach innerhalb von zwei Wochen in Irland zu sehen.« Dann wandte er sich mit einer Miene, die tiefen und aufrichtigen Kummer über den bevorstehenden Verlust eines Peers ausdrückte, an Alex. »Gott sei mit Euch, Cruachan.« Alle im Raum wussten, dass Morpeth überzeugt war, Alex würde die nächsten Tage nicht überleben, und die meisten teilten seine Befürchtung. Mit diesen Worten verließ der Abgesandte des Königs die Kammer. Seine Mission war beendet. Sowie er außer Hörweite war, ließ sich Alex wieder auf die Bettkante sinken und zischte Trefor in modernem Englisch zu: »Du kleiner Scheißer!« »Wie meinst du das, verehrter Vater?« Trefors Augen verdunkelten sich vor Ärger. Er war fast so alt wie Alex und hasste es, »klein« genannt zu werden. Von der anderen Bezeichnung ganz zu schweigen. »Du weißt genau, wie ich das meine. Wenn du bei Robert gegen mich intrigierst, lasse ich mir deinen Kopf auf dem Silbertablett servieren.« »Sollte ich das wirklich tun, stünde es nicht mehr in deiner Macht, meinen Kopf zu verlangen.« »Sei vorsichtig!« »Vertrau mir doch einfach.« Daraufhin verstummte Alex, seine Wut schien zu verrauchen, und er sah aus, als würde er angestrengt nachdenken. Die Möglichkeit zu erwägen, dass Trefor ihn tatsächlich nicht hintergehen würde. Aber er sagte nichts, sondern legte sich nur rücklings aufs Bett und presste einen Arm gegen seine Wunde. Dann schloss er die Augen und rührte sich nicht mehr, sodass Trefor einen Moment lang dachte, er sei tot. Doch dann hob und senkte sich seine Brust wieder, und gegen seinen Willen verspürte Trefor einen Anflug von Erleichterung ‐ warum, 22 wusste er selber nicht. Alles wäre für ihn selbst so viel einfacher, wenn Alex hier und jetzt sein Leben aushauchen würde. Dann würde Lindsay in den Fängen ihres Feenkumpans bleiben, und er könnte versuchen, sich bei Robert einzuschmeicheln, um am Ende Alex' Platz einzunehmen. Aber sein Vater atmete noch, und Trefor kam sich vor wie ein Monster, weil ein Teil von ihm wünschte, dem wäre nicht so. Alex schlief. Als er erwachte, war der Raum dunkel und schien leer zu sein. Er rief nach Vater Patrick. Die Anstrengung, seine Stimme zu mehr als einem bloßen Flüstern zu erheben, jagte einen glühenden Schmerz durch seinen Leib. In der Kammer erhob sich ein Murmeln, doch er konnte nicht erkennen, wer bei ihm war. Er sammelte all seine Kraft, um denen, die an seinem Bett wachten, zu versichern, dass er nicht im Sterben lag, schien aber niemanden überzeugen zu können, denn der Priester kam aus der Vorkammer, in der er offenbar gewartet hatte, trat an Alex' Bett, griff nach seinem Rosenkranz und stimmte ein Gebet an. Alex packte seine Hand, zog ihn zu sich hinunter und flüsterte so leise, dass nur Patrick ihn verstehen konnte: »Hört auf. Ich brauche keine Letzte Ölung, ich muss so schnell wie möglich hier weg.« »Weg?« Auch der Priester dämpfte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, aber vermutlich war er einfach nur starr vor Staunen.
»Setzt mich in ein Fischerboot und bringt mich dorthin, wo An Reubair ist ‐ wo immer das auch sein mag.« »Wenn Ihr auf diese Reise besteht, werdet Ihr sterben.« »Kein Gedanke. Die Eingeweide sind nicht verletzt, das würde man riechen, und wenn ich bislang noch nicht verblutet bin, dürfte auch diese Gefahr gebannt sein.« »Aber die Anstrengung ...« »Die Wunde wird heilen, ich werde wieder gesund werden.« 23 Natürlich konnte es immer noch zu einer Bauchfellentzündung kommen, aber da der Darm nicht angeritzt worden war, war er ziemlich sicher, eine Infektion durch schiere Willenskraft verhindern zu können. Er durfte jetzt nicht sterben. Lindsay brauchte ihn. Ihm blieb keine andere Wahl, als unverzüglich aufzubrechen. »Schafft mich hier fort. Die Wunde wird unterwegs schon verheilen. Ihr werdet mich begleiten. Sucht noch vier weitere Männer aus. Nur Ritter, nicht auch ihre Knappen. Unser Ziel ist das Grenzgebiet, in dem An Reubair sein Unwesen treibt. Er ist ein ...ein Mann, der...« »Er ist ein Feenritter.« Alex verstummte erstaunt. Er wusste, dass Patrick an die Existenz von Feen glaubte, hatte aber nicht geahnt, dass der Priester genauere Kenntnisse über die kleinen Leute besaß. Patrick entging seine Überraschung nicht. »Keiner der getöteten Feinde unten im Hof ist ein Mensch. Man muss nicht übermäßig scharfsinnig sein, um darauf zu kommen, dass ihr Anführer auch zum Feenvolk gehört.« Alex grunzte zustimmend, dann fuhr er fort: »Reubair ist ein Feenlord, ein Vasall des Elfenkönigs Nemed, und er befehligt eine Söldnertruppe, die im Grenzgebiet Überfälle verübt. Wir müssen ihn finden, wenn wir Lindsay zurückholen wollen. Weder Morpeth noch Trefor dürfen von unserem Vorhaben erfahren, bevor wir fort sind. Wir brechen noch heute Nacht auf.« Patrick nickte, presste die Lippen aber noch immer grimmig zusammen. »Die Reise wird Euch umbringen.« »Ich könnte auch sterben, wenn ich hier liegen bleibe.« »Das halte ich für weniger wahrscheinlich.« »Holt jetzt die Männer, Patrick. Die vier besten Schwertkämpfer. Und einen Fischer, der uns übersetzen soll«, beendete Alex den Wortwechsel entschieden. Der junge Priester dachte einen Moment nach, nickte noch einmal und verließ dann die Kammer. Alex legte sich mit 23 geschlossenen Augen zurück, um sich so lange wie möglich auszuruhen. Mary kam, um die Wunde zu säubern und neu zu verbinden. Wenig später schickte er nach seinem Knappen, und als Gregor den Raum betrat, winkte er ihn zu sich. Gregors Augen schimmerten feucht von mühsam zurückgehaltenen Tränen, von denen ihm eine über die Wange rollte, als er zwinkerte. Der achtjährige Blondschopf beugte sich über seinen Ziehva‐ ter und lauschte dessen Instruktionen. »Ich muss fort, Gregor, aber du bleibst diesmal hier. Kümmere dich um die Hunde. Wenn ich nicht zurückkomme, gehören sie dir.« Der Junge erfasste den Ernst der Situation sofort, das verriet der besorgte Ausdruck in seinen Augen. Die Kinder dieser Zeit kamen Alex übermäßig reif für ihr Alter vor, was ihn immer wieder in Erstaunen setzte. Gregor wirkte oft mehr wie ein erwachsener Mann als wie ein kleiner Junge. »Ihr wollt die Hunde hierlassen?« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Und mich auch?« »Ich kann nur ein paar Männer mitnehmen. Wir müssen schnell vorankommen, also verzichten wir auf Karren und Diener und beschränken uns auf Waffen und Bettzeug. Und ausgelassene junge Hunde kann ich auch nicht brauchen. Du bist alt genug, um das zu begreifen.« »Aye, Mylord.« »Guter Junge. Und sag niemandem, was wir heute Nacht vorhaben. Geh ins Bett, und wenn die anderen unser Fehlen bemerken, erzählst du ihnen, du wärst zu Bett geschickt worden und hättest uns nicht aufbrechen sehen. Was ja auch der Wahrheit entspricht.« »Aye, Mylord.« Mit vor Aufregung funkelnden Augen verneigte sich Gregor und verließ den Raum. Das Feuer war heruntergebrannt und die Nacht tiefschwarz hereingebrochen, als Patrick kam, um Alex aus dem Bett zu helfen. Seine Wunde brannte und schmerzte bei jeder Bewegung, 23 1
bis er kaum noch atmen konnte. Er musste sich auf den Priester stützen, weil seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. Die Stufen zur großen Halle ragten so unbezwingbar vor ihm auf wie der Mount Everest. Am Fuß der Treppe blieb er stehen, um kurz zu verschnaufen, ehe er sich an den langen Aufstieg wagte. Oben auf dem Treppenabsatz saß Trefor mit angezogenen Knien unter einer großen, flackernden Fackel in einem Wandhalter und starrte zu Alex und Patrick hinunter. »Macht ihr einen Ausflug?« Alex gab keine Antwort. Patrick sah ihn fragend an. »Du brauchst dich nicht halb umzubringen, nur um mir etwas zu beweisen«, knurrte Trefor. »Es kümmert mich einen Dreck, was du denkst.« Trefors Gesichtsausdruck besagte, dass er die Lüge mühelos durchschaute. »Tot nützt du ihr überhaupt nichts mehr.« »Wenn ich hilflos hier liege, nütze ich auch nichts.« »Wo du recht hast, hast du recht.« Trefor zuckte die Achseln, als sei es ihm völlig egal, was Alex tat ‐ gleichfalls eine leicht zu durchschauende Lüge. »Aber keine Angst, ich habe nicht vor, dir in den Rücken zu fallen«, fuhr Trefor fort. »Ich werde deine Interessen bei Robert gut vertreten und mich um deine Männer kümmern.« Alex konnte nicht umhin, seinem Misstrauen durch ein leichtes Neigen des Kopfes Ausdruck zu verleihen. Je eindringlicher Trefor beteuerte, keine Ränke spinnen zu wollen, desto weniger glaubte er ihm. Aber alles, was er sagte, war: »Gut. Wir sind uns also einig.« »Wirklich?« »Versuch irgendwelche Tricks, und du wirst es bereuen. Dann komme ich höchstpersönlich mit einer Armbrust hinter dir her.« »Alex ...« 24 »Es ist mein Ernst.« Trefor schwieg und kniff die Lippen zusammen. Endlich sagte er: »Aye, Mylord«, erhob sich und ging davon. Alex und Patrick stiegen die Stufen empor, traten in das Außenwerk hinaus und gesellten sich zu den anderen drei Männern, die sie auf das Festland begleiten würden, um Lindsay zu suchen. Lindsay setzte sich während des gesamten Ritts, wo auch immer er hinführen mochte, erbittert gegen ihre Häscher zur Wehr. Zuerst hatten die Männer sich damit begnügt, ihr lediglich die Hände zu fesseln, aber bei der ersten sich bietenden Gelegenheit war sie davongelaufen, und sie hatten sie im westlichen Wald von Eilean Aonarach wieder einfangen müssen. Zwar hatte sie lauthals um Hilfe gerufen, aber die Bauernhöfe waren zu weit weg gewesen, niemand hatte sie gehört. Dann fesselten die Ritter ihre Füße, doch sowie sie über den Rücken eines Pferdes geworfen wurde, strampelte sie sich frei. Stricke wurden um ihre Röcke gewickelt, trotzdem wand sie sich, bäumte sich auf, fluchte und schrie aus Leibeskräften um Hilfe. Endlich wurde sie mit einem Knebel zum Schweigen gebracht, und als sie den Strand erreichten, wurde sie wie ein Sack Getreide in ein Boot geworfen. Die Ritter sprangen unsanfter mit ihr um, als es nötig gewesen wäre; ihre Widerspenstigkeit verärgerte sie sichtlich. Beim Ablegen tuschelten sie in ihrer alten Feensprache miteinander, und ihr Ton besagte deutlich, dass sie Lindsays Widerstand mit allen Mitteln brechen würden. Die Reise dauerte zwei Tage, und am zweiten Tag ließen sie sie gefesselt und geknebelt auf einer Bank sitzen. Der Himmel mochte wissen, wer sie hier draußen auf dem Wasser hören konnte, aber ihr Mund blieb Tag und Nacht mit diesem schmierigen Lumpen verstopft, den die Ritter nur entfernten, wenn sie ihr zu essen gaben. Lindsay fiel auf, dass sich die Feenkrieger nicht die Mühe machten, ihre spitz zulaufenden Ohren zu 24 verbergen; im Gegenteil, sie trugen diese Danann‐Ohren und ihre schimmernden verwunschenen Rüstungen, die niemals rosteten oder anliefen, wie Ehrenabzeichen zur Schau. Sie pflegten sich ausschließlich in ihrer alten Sprache zu unterhalten, die Lindsay nicht verstand, und schenkten ihr abgesehen davon, dass sie darauf achteten, dass sie nicht über Bord sprang, keinerlei Beachtung. Auf Mittelenglisch sprachen sie sie nur an, wenn sie ihr Anweisungen erteilten. Zu essen erhielt sie reichlich, doch sie gewann rasch den Eindruck, dass die Ritter ihr ihre Rationen nur widerwillig zuteilten; so, als hätten sie Befehl erhalten, dafür zu sorgen, dass sie bei Kräften blieb und sich nichts antat. Sie aß, schlief und tat, was ihr gesagt wurde, und wartete auf eine Gelegenheit zur Flucht. Als
ihre Wächter ihr endlich den Knebel abnahmen, begriff sie, dass sie weit weg von Eilean Aonarach sein musste, und ihre Hoffnung schwand. Eine Fluchtmöglichkeit bot sich ihr nie. Als das Boot an einer felsigen Küste anlegte, brachten die Ritter Pferde herbei, und sie ritten in westlicher Richtung weiter. Das Land leuchtete sattgrün, intensiver als auf den schottischen Inseln, und war lange nicht so hügelig. Immer wieder erblickte sie in der Ferne Nebelschwaden, die rasch näher kamen, sich verdichteten und die kleine Reisegruppe umschlossen, bis Lindsay kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Die Hügel verwandelten sich in bedrohliche Schatten, Felsvorsprünge aus grauem Granit in wabernde Gespenster, die vor ihr auftauchten und wieder verschwanden, während die Pferde unbeirrt dem schmalen Pfad folgten, den sie eingeschlagen hatten. Bäume ragten vor ihnen auf und wurden hinter ihnen vom Nebel verschluckt, als seien sie nie da gewesen. Doch dann ließen sie den Nebel unversehens hinter sich und ritten in hellen Sonnenschein hinaus. Lindsay drehte sich im Sattel um. Hinter ihr lag eine graue, undurchdringliche, 25 absolut ebenmäßige Nebelbank, die sich wie eine zweite Chinesische Mauer von Horizont zu Horizont erstreckte. Lindsay spürte, wie ihr ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Dies war kein Naturphänomen, es roch so stark nach Magie ‐machtvoller Magie ‐, dass sie es mit der Angst zu tun bekam. Feen, die über eine solche Macht verfügten, war sie nicht gewachsen; es schien ratsam, sich nicht mit ihnen anzulegen. Vermutlich war noch nicht einmal Danu, die Königin der Tuatha De Da‐ nann, heute noch so mächtig. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie an die unausweichliche Begegnung mit ihrem Entführer dachte ‐ und daran, was ihr noch bevorstehen mochte. 25
VIERTES KAPITEL
Nach einem weiteren Tag im Sattel bezweifelte Lindsay, dass ihr jetzt noch die Flucht gelingen würde, selbst wenn sie sich von ihren Fesseln befreien konnte. Ihre Handgelenke waren aufgescheuert und bluteten; jeder Muskel ihres Körpers schmerzte, ihre Schultern waren verspannt. In der unnatürlichen Haltung zu reiten, zu der ihre Fesseln sie zwangen, war ein Albtraum; es kostete sie all ihre Kraft und ihr Geschick, sich im Sattel zu halten, denn wenn sie vom Pferd fiel, würden diese Feen sie vermutlich wieder wie einen Sack Mehl über den Rücken des Tieres werfen und ihren Weg fortsetzen, ohne sich groß um sie zu kümmern. Also hielt sie durch und hoffte, bald von dieser Tortur erlöst zu werden. Diese Erlösung nahte, als sie eine Burg erreichten, eine weitläufige Steinkonstruktion, die sie an Bilder der Burg Camelot denken ließ. Die grauen, mit glitzernden Splittern durchsetzten Steine schimmerten wie Metall und fingen sogar an diesem wolkenverhangenen Tag die schwachen Sonnenstrahlen auf. »Wo sind wir?« Die Feenritter gaben keine Antwort, würdigten sie keines Blickes. Seufzend betrachtete sie die Burg, auf die sie zuritten. Verglichen mit ihrem eigenen Schlösschen auf Eilean Aonarach, dessen Bergfried nur einige wenige Räume umfasste, wirkte dieser Gebäudekomplex riesig, er schien sich über das gesamte Tal zu erstrecken. Zahlreiche Türme ragten in der Mitte auf. 25 Alle Gebäude waren in hervorragendem Zustand, sie sahen aus wie neu erbaut. Lindsay fragte sich, ob sie sich vielleicht in Wales befanden, wo Edward I. in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Festungen hatte errichten lassen. Aber eine von Edward gebaute, intakte Burg würde bedeuten, dass dies hier englisches Gebiet war, denn Robert hatte die meisten Garnisonen, die er in den letzten Jahren eingenommen hatte, dem Erdboden gleichmachen lassen. Noch nicht einmal Edinburgh und Stirling waren verschont geblieben, denn Robert hatte um jeden Preis verhindern wollen, dass Edward sie vielleicht eines Tages zurückerobern und als Basis für Feldzüge gegen ihn einsetzen könnte. Aber diese Burg wirkte nicht typisch englisch. Sie war zu glatt. Zu perfekt. Zu . . . schimmernd. Sie passte zu den glänzenden Rüstungen der Ritter, die sie gefangen genommen hatten. Edward hatte sie bestimmt nicht erbaut. Kein menschliches Wesen hätte so ein Bauwerk erschaffen können. Nicht in diesem Jahrhundert.
Dann kam ihr die Erleuchtung. Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit An Reubair, in dessen Verlauf er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten, und ihr von seinen Ländereien in Irland erzählt hatte; geheimen Orten, die auf keiner von Menschen angefertigten Karte verzeichnet waren. Er hatte gesagt, Irland sei viel größer, als irgendjemand ahnte, weil es dort Gebiete gab, die von den kleinen Leuten beherrscht wurden. Wo er herrschte. Übelkeit stieg in ihr auf, als ihr zu dämmern begann, wer hinter ihrer Entführung steckte. Die Reiter passierten das Tor und gelangten in die Straßen der Stadt, in der offenbar das gemeine Volk lebte. Einige Schaulustige begrüßten die Neuankömmlinge mit einer Vertrautheit, die darauf schließen ließ, dass es sich um Freunde oder Verwandte handelte. Andere hielten sich im Hintergrund und sahen der Gruppe nachdenklich hinterher, die auf den Bergfried 26 zuhielt, der sich über den dicht gedrängten Läden, Werkstätten und Häusern erhob. Kurz darauf ritten die Krieger mit ihrer Gefangenen in den Burghof vor dem Turm ein. Lindsay wurde vom Pferd gezerrt und auf eine kleine Tür zugestoßen. Sie stolperte über den Saum ihrer Röcke, was ihr einen neuerlichen Stoß eintrug. Als sie das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte, machte keiner der Männer Anstalten, ihr aufzuhelfen; sie musste sich alleine wieder hochrappeln. Die Ritter warteten schweigend, versetzten ihr aber keinen weiteren Stoß mehr. Vermutlich waren sie es leid, auf sie warten zu müssen. Sie betraten den Turm, stiegen ein paar Stufen hinunter und kamen in eine kleine, feuchte, modrige Kammer, die man in dieser prächtigen Burg schwerlich vermutet hätte. Anscheinend erstreckte sich die Vorliebe der Danann für Glanz und Reinlichkeit nicht auf ihre Verliese. Sie durchquerten ein Labyrinth aus ähnlich muffigen Kammern und traten durch eine Tür nach der anderen, bis Lindsay jegliche Orientierung verloren hatte. Die Kammern beherbergten keine Insassen, aber in einigen standen Tische, die mit Werkzeugen übersät waren, die sich Lindsay lieber nicht genauer ansehen wollte, denn sie bezweifelte stark, dass es sich dabei um Küchenutensilien handelte. Endlich gelangten sie in einen Raum von der Größe einer öffentlichen Londoner Bedürfnisanstalt; eine fensterlose Zelle mit einem eisenvergitterten Guckloch in der Tür. Einer der Feenritter packte Lindsay und schnitt ihre Handfesseln durch. Dann rissen seine Kameraden ihr ohne jegliche Vorwarnung die Kleider vom Leib. »Hey!« Sie versuchte sich loszumachen, doch der Ritter, der sie festhielt, verstärkte seinen Griff noch, und es schien ihn wenig zu kümmern, ob die Dolchklingen seiner Kumpane Stoff oder Haut aufschlitzten. Ihre Peiniger nahmen ihr Kleid, Hemd, Unterwäsche und ihre Haube sowie ihren gesamten Schmuck
26 ab, auch ihren Ehering und das Rubinhalsband, das sie angelegt hatte, um den Abgesandten des Königs zu beeindrucken. Endlich wurde sie so nackt wie am Tag ihrer Geburt in eine Ecke des winzigen Kerkers gestoßen, und ihre Entführer ließen sie allein. Die Tür fiel zu, ein Schlüssel drehte sich von außen mit metallischem Klirren im Schloss. Lindsay presste eine Handfläche auf die Stelle, wo eben noch ihr Halsband gewesen war. Sie wusste, dass sie den Schmuck nie wiedersehen würde. Er war ein ganz besonderes Geschenk von Alex gewesen, ein Teil einer Belohnung, die er von Robert erhalten hatte, und er hatte es ihr zu einer Zeit überreicht, wo er sich ein so kostspieliges Geschenk kaum hatte leisten können. Sogar jetzt noch war es ein ungeheurer Luxus; der Verkauf der Kette hätte genug eingebracht, um die gesamten Haushalts‐ kosten für mehrere Jahre zu decken. Nun war sie fort. Wie ihr Ring. Geistesabwesend rieb sie über ihren Ringfinger, der ihr noch nackter vorkam als der Rest ihres Körpers. Sie hatte den Ring nie abgelegt, auch dann nicht, wenn sie mit Alex alleine war. Besonders dann nicht. Und jetzt... sie unterdrückte einen traurigen Seufzer. In der Zelle herrschte tiefe Finsternis. Im Raum vor den Verliesen brannte keine Fackel, und das Guckloch in der Tür war so dunkel wie die Wände ringsum. Außerdem war es kalt, denn es gab kein Stroh, noch nicht einmal faulige Binsen auf dem Boden. Sie saß in einem Steinloch, das ebenso nackt war wie sie selbst. Ohne große Hoffnung tastete sie die Wände ab, und als sie keine Lücke fand, setzte sie sich auf den Boden, um abzuwarten, was mit ihr geschehen würde. Plötzlich schoss ihr der Ge‐ danke durch den Kopf, sie könne hier zurückgelassen worden sein, um in dieser Zelle langsam zu verrotten, doch sie kämpfte die aufkeimende Panik sofort entschlossen nieder. Man hatte sie aus
einem bestimmten Grund hierhergebracht, sonst wäre sie schon auf Eilean Aonarach getötet worden. Stattdessen hat 27 ten ihre Entführer ihr regelmäßig zu essen gegeben und dafür gesorgt, dass sie in halbwegs guter körperlicher Verfassung hier ankam. Sie hatten irgendetwas mit ihr vor, und deshalb würden sie sie am Leben lassen. Also betupfte sie behutsam ihre wunden Handgelenke, fasste sich in Geduld und wartete weiter. Endlich döste sie ein. Sie wusste nicht, wie lange sie in der Zelle ausgeharrt hatte, sie konnte die Zeitspanne nur anhand ihres knurrenden Magens abschätzen. Lange genug, um entsetzlich hungrig zu werden, aber nicht so lange, dass der Hunger zur Qual wurde. Stunden vielleicht, aber keine Tage. Die Kälte fraß sich bis in ihre Knochen, und als sie endlich das Rasseln von Schlüsseln hörte, zitterte sie wie Espenlaub. Die Tür wurde aufgestoßen. Lindsay zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie, um sich zumindest notdürftig zu bedecken. Sie blinzelte in das Licht einer Fackel, legte eine Hand vor die Augen und sah eine hochgewachsene Silhouette über sich aufragen. Der Mann hielt die Fackel in die Zelle, und Lindsay erkannte endlich, wer ihr Entführer war. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt. »An Reubair.« »Lady Lindsay.« Seine Stimme klang flach. Völlig ausdruckslos. »Willkommen auf der Burg Finias.« Lindsay lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und blickte zu ihm auf, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu erheben. Eine Flut von Fragen brannte ihr auf der Zunge, aber sie stellte ihm keine einzige, denn sie ahnte, dass ihr die Antworten ganz und gar nicht gefallen würden. Lange herrschte Schweigen, das An Reubair schließlich als Erster brach. »Haben meine Männer Euch anständig behandelt?« »Wenn Ihr damit meint, dass sie mich von meiner Burg und meinem Mann weggeschleppt, mich wie ein Stück Wild gejagt und mich gefesselt haben, bis ich blutete, mir die Kleider vom 27 Leib gerissen und mich hier in diesem Loch Kälte und Hunger überlassen haben, ja, dann kann ich wirklich nicht klagen.« »Haben sie Euch zu essen gegeben?« Einen Moment erwog sie, ihm keine Antwort zu geben, doch dann wurde ihr klar, dass sie bei ihm nichts erreichen würde, wenn sie sich verstockt zeigte. »Verhungert bin ich nicht.« »Seid Ihr ernsthaft verletzt?« »Nein.« »Dann wurdet Ihr auch anständig behandelt.« Reubair stellte das mit der kühlen, überheblichen Überzeugung eines Mannes fest, der sich wenig um die Meinung anderer schert. »Na schön, Reubair. Warum bin ich hier?« »Weil ich Euch hier haben wollte.« »Das ist mir schon klar. Was wollt Ihr von mir? Abgesehen von Kindern, meine ich. Das Thema hatten wir ja schon.« »Ich will sonst nichts von Euch. Mir geht es nur darum, Kinder mit Euch zu haben.« »Also läuft es auf eine Vergewaltigung hinaus. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch daran, dass die Manneszierde des letzten Burschen, der mir Gewalt angetan hat, in einem Feuer verbrutzelt ist.« »Jenkins war ein Narr. Wir beide werden heiraten, denn meine Kinder müssen ehelich geboren werden.« Lindsay stutzte einen Moment, dann fiel ihr wieder ein, dass Reubair ein Christ war. Er trug eine schwere Goldkette um den Hals, an der ein goldenes Kreuz hing. Es stieß ihr seltsam auf, dass eine Fee demselben Glauben angehören konnte wie ein Mensch, aber das war letztendlich nicht ihre Sache. Aber Reubair wusste auch, dass sie bereits mit Alex verheiratet und somit nicht frei für ihn war, was sein Verhalten umso unbegreiflicher machte. »Darüber haben wir doch schon einmal gesprochen. Ich dachte, die Angelegenheit wäre geklärt. Ich habe bereits einen Mann.« 27 »An Dubhar ist tot.« Eine eisige Kälte ergriff plötzlich von Lindsay Besitz. Sie begann zu zittern und mühsam nach Atem zu ringen. »Nein. Er kann nicht tot sein.« Das war unmöglich. Undenkbar. »Er ist tot. Und sowie ich die Bestätigung von seinem Tod erhalten habe, werden wir getraut werden.«
Lindsays Augen wurden schmal. Er klang, als wäre er felsenfest davon überzeugt, dass sie letztendlich nachgeben und ihn heiraten würde und dass allein Alex zwischen ihnen stand. »Vergesst es. Ich werde niemals Eure Frau werden, Reubair.« »O doch, das werdet Ihr.« »Niemals, egal, was geschieht. Also lasst mir jetzt Kleider bringen und gebt mir ein Pferd, dann seid Ihr mich los. Ich werde niemals einwilligen, Euch zu heiraten.« An Reubair schnaubte. »Das ist mir durchaus bewusst. Ich erwarte gar nicht von Euch, dass Ihr einwilligt, aber das ist auch unerheblich. Mein Priester wird die Trauung vollziehen, und dann seid Ihr meine Frau, ob Ihr wollt oder nicht.« Er ging nicht weiter darauf ein. Nähere Erklärungen schien er für überflüssig zu halten. Lindsays Unbehagen wuchs. »Ohne meine Zustimmung findet keine Trauung statt.« Er runzelte sichtlich verwirrt die Stirn. »Eure Zustimmung ist nicht erforderlich.« »Eine solche Ehe wäre ungültig.« »Ganz und gar nicht. Nach der Trauung seid Ihr meine Frau, und als solche ist es dann Eure Pflicht, mir Kinder zu schenken. Einen Erben.« Lindsay hatte es die Sprache verschlagen. Ihr kam etwas in den Sinn, was Alex einmal zu ihr gesagt hatte ‐ dass er sie zur Heirat zwingen konnte. Ehe sie sich aus freien Stücken einverstanden erklärt hatte, hatte er gemeint, Hector hätte ihn gedrängt, sie zu zwingen, ihn zu heiraten. Sie hatte ihm damals nicht geglaubt ‐ hatte gedacht, er triebe einen üblen Schaber 28 nack mit ihr‐, aber jetzt hörte sie genau dasselbe aus Reubairs Mund. »Eine erzwungene Heirat?« »Aye. Sie ist vor Gott genauso >gültigden Wölfen zum Fraß vorwerfenvögeleEr‐verdient‐den‐Tod