BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga Band 15
DIE DSCHUNGELWELT von Horst Hoffmann
Die irdischen Astronauten John...
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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga Band 15
DIE DSCHUNGELWELT von Horst Hoffmann
Die irdischen Astronauten John Cloud, Scobee, Resnick und Jarvis verschlägt es in eine düstere Zukunft, in der die Menschen Erinjij genannt werden. Die Gestrandeten geraten zwischen alle Fronten und schließen sich mit dem Außerirdischen Darnok zusammen. Als sie von ErinjijRaumschiffen gejagt werden, können sie mit knapper Not in den Aqua-Kubus flüchten. Dort finden sie ein Artefakt, das auf die ominösen Sieben Hirten zurückzugehen scheint: ein gewaltiges, rochenförmiges Raumschiff. Ihnen gelingt die Inbesitznahme, und sie taufen es RUBIKON II. Mit diesem Schiff gelingt ihnen die Flucht aus dem Kubus. Die beiden GenTecs Jarvis und Resnick leiden seit geraumer Zeit unter mysteriösen Schwächeanfällen. Darnok untersucht sie und findet heraus, dass das Klonprogramm, dem sie entstammen, gewaltige Schwächen aufweist. Ein genetischer Defekt sorgt dafür, dass der irreparable Zellverfall von Resnick und Jarvis mit dramatischer Geschwindigkeit voranschreitet. Bevor Darnok die beiden mit seiner Diagnose konfrontieren kann, verschwinden sie von der RUBIKON. Denn bei ihrer Erforschung des Schiffes öffnet sich eine Raumkapsel vor ihnen - und verschlingt die beiden GenTecs regelrecht. Sie haben keine Mittel, ihrem Kerker aus eigener Kraft zu entrinnen. Doch es kommt der Moment, da sich dieser von alleine wieder öffnet. Jedoch in völlig fremder Umgebung...
1. Die Station »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee war, in diese Kapsel einzusteigen, Jarvis?«, fragte Resnick, der sich im Gegensatz zu seinem Gefährten noch keinen Vornamen ausgesucht hatte. »Sie hat sich hinter uns geschlossen, und dann dieser Schmerz, als ob alles aus uns herausgerissen würde...« Jarvis fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er schwitzte. »Sie wird sich auch wieder öffnen. Normalerweise bin ich hier der Skeptiker, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns einfach... gefangen genommen hat. Wozu?« »Dazu müsste sie intelligent sein.« »Oder entspreche nd programmiert. Verdammt, das Ding hat keine Fenster, nur diese künstliche, blaue Innenbeleuchtung.« »Vielleicht handelt es sich um eine Art Rettungskapsel«, überlegte Resnick laut. »Die vielen Ausrüstungsgegenstände würden dafür sprechen. Zum großen Teil dürfte es sich um Waffen und Vorräte handeln.« »Und wer hat ihr befohlen, sich hinter uns zu schließen, nachdem sie sich für uns geöffnet hatte und wir eingestiegen waren?« Er fluchte. »Wir hätten Scobee und John informieren sollen, bevor wir sie betraten!« »Hätten, hätten!«, sagte Resnick heftig. »Es ist nun einmal geschehen, Jarvis! Statt zu jammern, sollten wir lieber versuchen, einen Mechanismus zu finden, der uns hier wieder rausbringt.« »Haben wir doch alles schon!« Jarvis strich sich über das streichholzkurze Haar. »Mit dieser Kiste lässt sich nicht kommunizieren, und auf weitere Knöpfe wage ich nicht zu drücken. Uns fliegt hier alles um die Ohren, bevor wir nur einen Atemzug nehmen können.«
»Wir sind GenTecs«, erinnerte Resnick ihn, »und wurden darauf gezüchtet, Extremsituationen zu bewältigen. Im Übrigen bin ich weiterhin der Meinung, dass wir uns noch an Bord der RUBIKON II befinden.« »Dein Wort in Gottes Ohr. Tatsache ist, wir sind gefangen und haben keinen Kontakt nach draußen, auch falls wir uns noch an Bord befinden sollten. Und ich glaube nicht, dass wir uns mit diesen Dingern«, er hielt etwas hoch, was sie für Handgranaten hielten, »den Weg freisprengen sollten und die Strahler...« In diesem Moment ging eine leichte Erschütterung durch die Kapsel. »Was ist das?«, fuhr der glatzköpfige Resnick auf. Die Kapsel öffnete sich. Eine zwei Meter lange Rampe führte in eine matt erhellte Umgebung, die überall sein konnte entweder in der RUBIKON II, oder an einem völlig anderen Ort... * »Warte!«, sagte Jarvis. »Bevor wir aussteigen, sollten wir uns mit den hier deponierten Waffen ausreichend versorgen. Ich schlage vor, wir nehmen davon mit, so viel wir können.« Resnick, der nicht so schnell mit der Waffe zur Hand war wie sein Gefährte, zog eine haarlose Braue in die Höhe, sagte jedoch nichts. Wahrscheinlich hatte Jarvis Recht, und es war schließlich besser, zu gut bewaffnet zu sein als zu schlecht. Sie rüsteten sich aus. Jarvis nahm sich gleich drei der überraschend leichten Strahler. So viele konnte er ohne Behinderung bei sich tragen. Dabei behielten sie immer den Blick auf die Kapselöffnung. Wer hatte dafür gesorgt, dass sie sich auftat? Wer oder was lauerte draußen? Befanden sie sich tatsächlich noch auf der RUBIKON II? Oder waren sie in einer gänzlich anderen Umgebung?
Außer vermeintlichen Waffen steckten sie sich Nahrungsvorräte ein - oder das, was sie dafür hielten - und machten sich daran, die Kapsel zu verlassen. Resnick schritt voraus die Rampe hinab. Seine Schritte klangen metallisch auf ihr. »Eine Art Kontrollstation, würde ich sagen«, meinte Resnick, als er sich einmal um sich selbst gedreht hatte. »Auf den ersten Blick könnten die Wandinstrumente durchaus zur RUBIKON II gehören.« Er zeigte auf verschiedene Bildschirme und Arbeitsplätze. Die Kontursitze waren verlassen. Niemand hielt sich in diesem Raum auf, der schätzungsweise zwanzigmal zwanzig Meter groß und zehn Meter hoch war, domartig. Es herrschte gedämpftes weißes Licht, das direkt aus den Wänden zu kommen schien. »Nach einer Kontrollstation sieht mir das nicht aus«, widersprach Jarvis. »Ich schlage vor, wir suchen nach einem Ausgang.« »Dort!« Resnick setzte sich in Bewegung. Er schritt geradewegs auf ein offen stehendes Schott zu, hinter dem ein ebenfalls beleuchteter Gang lag. Jarvis folgte ihm schweigend. Die Temperatur glich jener in der RUBIKON II, ein weiteres mögliches Indiz dafür, dass sie sich noch auf dem Schiff befanden. Was allerdings dagegen sprach, war die veränderte Schwerkraft. Ein Normalmensch hätte es gar nicht wahrgenommen, wohl aber die GenTecs mit ihren empfindlicheren Sinnen. Die Abweichung war minimal, aber sie war vorhanden. Rechts und links des Korridors standen Türen offen. Die GenTecs sahen in hoch technisierte, allesamt verlassene Räume hinein. Einige betraten sie. Sie fanden nichts, das darauf hindeutete, dass hier in letzter Zeit gearbeitet worden war. »Glaubst du immer noch, dass wir uns auf dem Schiff befinden?«, fragte Jarvis. Schwang da Spott in seiner Stimme
mit? »Wir sollten versuchen, über die Bordkommunikationsanlage Kontakt mit Scobee und Cloud aufzunehmen«, wich der andere aus. »Glaubst du, daran hätte ich nicht selbst schon gedacht? Ich habe nach entsprechenden Vorrichtungen gesucht, aber bisher noch nichts gefunden.« »Dann gehen wir weiter.« Der Korridor schien sich endlos zu dehnen. Bald gab es keine Türen mehr. Der Hall ihrer Schritte war das einzige Geräusch, das die GenTecs hörten. Kein Summen von Aggregaten, keine fernen Stimmen, es war gespenstisch. »Keine Menschenseele«, sagte Jarvis. »Nicht einmal zur Abwechslung ein Außerirdischer.« Nach zwei Minuten erreichten sie das Ende des Ganges. Ein Schott fuhr vor ihnen in die Wand, und sie blickten in eine Axt Zentrale. Das war der Moment, in dem sie endgültig wussten, dass sie mit der Kapsel die RUBIKON II verlassen hatten! * »Schau dir das an!«, stöhnte Resnick. Die Wände des kuppelförmigen Raumes bestanden fast zur Gänze aus großen Monitoren, von denen einige ein Panoramabild lieferten. Andere zeigten verschiedene Ausschnitte des fremden Schiffes oder vielmehr - der Station. Dass es sich um eine solche handelte, daran konnten kaum noch Zweifel bestehen. Auf mehreren Schirmen war die Oberfläche eines Planeten zu sehen, aus verschiedenen Blickwinkeln und Höhen. Jarvis und Resnick sahen große Dschunge lgebiete und einen fast exakt kreisförmigen See mitten in den Landmassen. Seine Größe war schwer zu schätzen, sein Durchmesser musste aber
mindestens zehn Kilometer betragen. Das Wasser war tief schwarz, was auf eine enorme Tiefe schließen ließ. Und mitten in diesem See erhob sich die Kuppel. Sie war auf der Panoramagalerie wie auch auf verschiedenen anderen Schirmen von verschiedenen Seiten zu sehen. Ihre Oberfläche war von einem rostigen Rot, auf dem sich schwarze, große Schriftzeichen befanden. »Die gleichen fremden Hieroglyphen, die auch auf den Instrumentenpulten und auf einigen der Bildschirme zu finden sind«, sagte Resnick. »Jarvis, wo sind wir?« »Ich bin genauso schlau wie du.« Jarvis wies auf einen der Bildschirme. »Höchstwahrscheinlich im Innern dieser Kuppel da, auf einem fremden Planeten. Die Bilder auf den Schirmen dürften von Satelliten stammen. « Unbehagen ergriff Resnick, Angst. Der GenTec regulierte sie herunter, bis sie sein logisches Denken nicht mehr beeinflusste. Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief: »Hallo! Ist da wer? Kann jemand uns hören? Dann zeigt euch!« »Das hat doch keinen Sinn«, knurrte Jarvis. »Wenn hier jemand wäre, dann hätte er unser Eindringen lä ngst registriert und entsprechende Maßnahmen ergriffen.« »Na, vielleicht will er uns auch erst mal nur beobachten. Es wird ja wohl auch Außerirdische geben, die uns nicht umbringen oder gefangen nehmen wollen.« Resnick trat näher an die Schirme. Er wanderte an ihnen entlang - vorbei an Sesseln, die beinahe fü r Menschen gemacht worden sein konnten; nur die Sitzfläche war zu kurz - und blieb vor einer bestimmten Ansicht stehen. »Dieser hier«, sagte er, »zeigt den Planeten als Ganzes. Er besitzt keine Kontinente, sondern nur eine einzige Landmasse mit unzähligen Seen. Allerdings...« Resnick brach ab, berührte blinzelnd mit der Rechten die
Schläfe und stützte sich mit der Rechten schwer auf einen der Sessel. »Was ist?« Besorgt trat Jarvis näher. Sein Gefährte schüttelte den Kopf, wie um einen Gedanken zu verdrängen. »Schon gut.« Jarvis nickte verstehend. Der Keelon Darnok hatte sie untersucht, als diese Schwindelanfälle zum ersten Mal aufgetreten waren. Doch bevor er zu einem Ergebnis gekommen war, hatten die beiden GenTecs die Kapsel betreten, und es hatte sie hierher verschlagen. Einen Moment später richtete sich Resnick auf und straffte die Schultern. »Lass uns zusehen, dass wir einen Ausgang finden. Vielleicht gibt es intelligente Dschungelbewohner, mit denen wir uns verständigen können. Und vielleicht begegnen wir ja, während wir versuchen hier rauszukommen, wider Erwarten doch den Bewohnern der Station...« * Krell wurde von schrecklichem Hunger gequält. Seit Tagen hatte er nichts mehr gefressen. Sein Verstand litt bereits unter den Entzugserscheinungen. Wesen wie er lebten vom Fressen, vom Jagen und vom Töten. Das war sein ganzer Lebensinhalt. Krells Jagdrevier war der See mit der großen Kuppel darin. Sie war lange schon verlassen, obwohl immer noch Licht durch die wenigen Luken nach draußen drang. Früher hatten die Ausflüge unvorsichtiger Besatzungsmitglieder für reichliche Beute gesorgt. Seit geraumer Zeit aber musste sich Krell nur von den Fischen des Sees und von Landbewohnern ernähren, die leichtsinnig in das Wasser stiegen, um sich zu erfrischen. Noch vor wenigen Tagen hatte es ein entsetzliches Blutgericht unter ihnen gegeben. Nicht weniger als fünf Landbewohner hatte Krell zwischen den fürchterlichen Zähnen seines riesigen Mauls zermahlen. Und trotzdem quälte ihn
schon wieder der Hunger. Mit seinen hoch entwickelten Sinnen registrierte er, dass neues Fleisch in der Station mitten im See angekommen war. Es war nicht das erste Mal, und wie immer zuvor würde das Fleisch über kurz oder lang versuchen, nach draußen zu gelangen. Krell richtete sich darauf ein. Der Hunger wütete in seinem Gedärm und machte ihn fast wahnsinnig.
2. Gefährliches Wasser Seit etwas mehr als einer Stunde durchstreiften sie nun die Station. Doch was sie der Blick auf die Monitore bereits hatte vermuten lassen, hatte sich bestätigt - sie waren allein. Nun standen sie in einer Art Hangar. Resnicks Hand näherte sich einer Leiste mit Leuchtsensoren, die sich neben einem Schott befand. Alles war zwischen den beiden GenTecs abgesprochen. Sie mussten diese fremde Station verlassen, oder sie würden wahrscheinlich verhungern und verdursten. »Jetzt!«, sagte Jarvis. Er hielt wie immer, wenn sie eine Tür öffneten, eine Waffe auf alles gerichtet, was dahinter auftauchen mochte. Er hatte sie in einer großen Halle ausprobiert und festgestellt, dass es sich um eine Art Laser handeln musste. Resnick nickte und drückte gegen eines der Felder. Im Laufe der Stunde, die sie nun schon die Station erkundeten, hatten sie rasch herausgefunden, welche Schaltflächen sie benutzen mussten. Das Schott öffnete sich und gab den Weg in eine geräumige Schleuse frei. Jarvis und Resnick betraten sie. Hinter ihnen schloss sich das Schott wieder, wie von Geisterhand gesteuert.
Dafür öffnete sich das Außenschott. Frisches, etwas öliges Wasser strömte herein. Hastig schlossen die GenTecs ihre Schutzanzüge, die sie noch von Darnok erhalten hatten. Wer hatte schon davon ausgehen können, dass das Ausstiegsschott unterhalb der Wasseroberfläche lag. Sie schwammen an die Oberfläche und überprüften erst einmal die Umwelt. Sie stellten fest, dass die Luft für Menschen atembar war. Zumindest behaupteten das die Instrumente ihrer Anzüge. Trotzdem brachten sie die Energieblase, die als Helm diente, nicht zum verlöschen. Solange sie sich noch im Wasser befanden, hatten sie nicht vor, etwas davon zu schlucken. »Ich würde sagen, es ist etwa Mittag«, sagte Resnick. »Sehen wir zu, dass wir an Land kommen. Dann können wir uns noch vor Sonnenuntergang einen Unterschlupf suchen.« Ihrer Schätzung nach waren es noch rund zwei Kilometer bis zur Küste. Sie schwammen Kräfte sparend und in einem Tempo, das sie beide stundenlang durchhalten konnten - wenn keiner von ihnen einen erneuten Schwächeanfall erlitt. Sie bemerkten nichts von dem Schatten, der ihnen unter der Oberfläche folgte... * Sie hatten etwa dreiviertel der Strecke zum Ufer hinter sich gebracht, als Resnick endlich auffiel, was ihn an ihrer Umgebung irritierte. »Die Sonne geht schon unter«, rief Resnick. Tatsächlich berührte sie bereits den Horizont. Wenn sie zur Mittagszeit aufgebrochen waren, dann dauerte ein voller Tag hier höchstens zwölf Stunden. »Legen wir einen Zahn zu!«, schlug Jarvis vor. Sie schwammen schneller, machten kräftigere Züge, doch sie hatten keine Chance gegen den Lauf der roten Sonne -
beziehungsweise die rasche Rotation des Plane ten. Die Sonne ging hinter ihnen unter. Doch finster wurde es nicht. Polarlichter geisterten über den Himmel, begleitet von geisterhaftem Geheul. Jarvis benötigte nur einen Moment, um zu erkennen, dass sich in ihnen regelrechte Muster abbildeten. »Was ist das?«, rief Jarvis. »Ich war auch noch nie hier«, entgegnete Resnick trocken. »Irgendein Himmelsphänomen. Und das Heulen kommt wahrscheinlich von nachtaktiven Tieren. Versuch, es zu ignorieren! Wir haben es gleich geschafft!« Er konnte nicht wissen, wie sehr er sich irrte. Wie aufs Stichwort begann das Wasser vor ihnen zu brodeln. Im nächsten Moment schoss etwas Riesiges daraus hervor und mehrere Meter in die Höhe. »Was...?«, entfuhr es Jarvis, der plötzlich seine Waffe in der Faust hielt. Das Ungeheuer zuckte in der Luft mit Flossen und Tentakeln, bevor der Fischkopf mit einem großen Maul voller spitzer Zähne wieder eintauchte und mit der langen, scharfen Schwanzflosse das Wasser aufwühlte. »Achtung, Jarvis!«, schrie Resnick, der jetzt ebenfalls den Laser gezogen hatte. »Es hat es auf uns abgesehen!« »Das sehe ich selbst!« Wieder durchbrach das Ungetüm die Wasseroberfläche. Es dirigierte seinen Sturz so, dass es direkt neben Jarvis wieder in den See eintauchen musste. Beide GenTec feuerten, blaue Lichtblitze jagten auf das Monstrum zu - und verpufften wirkungslos an den irisierenden Schuppen. Langen Tentakel schossen auf Jarvis zu. Zwei davon erreichten ihn und schlangen sich um sein rechtes Bein. Ein dritter verfehlte ihn zwar, prellte ihm jedoch die Waffe aus der Faust. Der GenTec schrie und trat aus, versuchte, sich zu
befreien - vergeblich. Das Ungeheuer zog ihn mit sich in die Tiefe. Weitere Tentakel schlangen sich um ihn. Er konnte seine Beine nicht mehr bewegen, nur noch die Arme waren frei. Allein der Umstand, dass sein Anzug noch geschlossen war, bewahrte ihn vor dem Ertrinken. Das Wasser wirbelte. Luftblasen stiegen nach oben und nahmen die Sicht. Plötzlich aber sah Jarvis das Maul des Monstrums direkt vor sich. Angst durchflutete ihn, doch sie beherrschte ihn nicht. Und das Adrenalin machte ihn nur noch schneller. Seine rechte Hand tastete nach einer Waffe, bekam das Messer zu fassen, das er sich in der Kapsel angeeignet hatte. Er riss es aus der Scheide und begann, auf einen Tentakel einzustechen, bis dieser nachgab. Gleich darauf widmete er sich dem nächsten. Ein grässliches Kreischen erfüllte das Wasser. Dunkelrotes Blut nebelte aus den Wunden, die Jarvis dem Ungetüm beibrachte. Noch verfügte der GenTec über Kraftreserven - und den unbedingten Willen, hier nicht zu sterben. Genauso groß jedoch schien die Gier seines Gegners zu sein. Das Fisch-Kraken-Monstrum wirbelte um die eigene Achse und zog Jarvis mit sich. Der GenTec hätte fast das Messer verloren. Doch bereits einen Augenblick später stach er wieder zu. Das Wasser um ihn war rot gefärbt. Der nächste Tentakel gab nach. Jarvis triumphierte, aber zu früh. Wieder sah er durch die roten Schleier das riesige Maul des Tieres auf sich zukommen. Verzweifelt versuchte er sich loszureißen, als er den weit aufgerissenen Rachen mit den mörderischen Zahnreihen vor sich sah. Sein Leben war zu Ende, noch bevor er von dieser unbekannten Welt auch nur einen Zipfel gesehen hatte...
* Resnick blickte sich ruhig und nüchtern um. Es machte keinen Sinn, ohne irgendeinen Anhaltspunkt zu tauchen. Da durchbrachen kaum fü nf Meter von ihm entfernt einige Luftblasen die Wasseroberfläche. Es war nicht viel, aber einen besseren Hinweis über den Verbleib seines Gefährten würde er wohl nicht erhalten. Er tauchte. Er wusste nicht, wie tief Jarvis und das Monstrum waren. Wenn es mit ihm zum Grund des Sees getaucht war, bestand kaum noch Hoffnung, ihn überhaupt zu finden. Doch die Hoffnung war das Einzige, das Resnick noch hatte. Nach einer Minute sah er zwei rote Schemen wie zwei eng umschlungene Tänzer. Längst hatte er seine Augen auf Infrarotsicht umgestellt, eine weitere Gabe der GenTecs. Ich komme gerade zurecht!, dachte Resnick. Das Seeungeheuer hatte Jarvis fest im Griff seiner Tentakel. Jarvis hatte aufgehört, sich zu wehren, er war wie paralysiert. Und das schreckliche Maul des Monstrums näherte sich unaufhaltsam seinem Kopf. Resnick machte einige kräftige Schwimmstöße nach unten und zog die erbeutete Handwaffe. Die Wirkung hier unter Wasser dürfte ziemlich spektakulär sein, dachte er nüchtern. Oder sie funktioniert gar nicht... Resnick befand sich nur noch wenige Meter über dem Kopf des Ungeheuers, als er den Auslöser betätigte. Es gab einen blendenden Blitz. Als Resnick wieder sehen konnte, erblickte er mit seiner Infrarotsicht eine rot leuchtende Stelle am Kopf des wild um sich peitschenden Ungeheuers. Es hatte seine Beute freigegeben und entfernte sich mit heftigen Flossenschlägen. Seine Schreie erfüllten den See. »Jarvis!« Resnicks Infrarot-Sinne konnten das dunkle Wasser nur bis
zu einer bestimmten Weite durchdringen. Er fand keine Spur seines Gefährten. Endlich entschloss er sich aufzutauchen. Wenn Jarvis noch lebte, musste er den Weg nach oben gesucht haben. Resnick schoss regelrecht aus dem dunklen Wasser hervor - Darnoks Anzug schützte ihn vor einer zu schnellen Druckveränderung -, und keine zehn Meter von ihm entfernt trieb der offenbar bewusstlose Jarvis mit dem Gesicht nach unten. Zum Glück war die Energieblase, die den Helm ersetzte, noch aktiv. Resnick schwamm auf ihn zu, packte ihn unter den Achseln und drehte seinen Gefährten um. Jarvis regte sich. Er öl ste sich von seinem Gefährten und versuchte die ersten, vorsichtigen Schwimmstöße. Drei inzwischen aufgegangene Monde spiegelten ihr Licht auf der Oberfläche des Sees. »Ist... es tot?«, fragte Jarvis mit schwacher Stimme. In Resnicks Ohren klang sie erschreckend schwach. »Ich weiß es nicht«, gab Resnick zu. »Besser, wir kommen so schnell wie möglich an Land.« Die Leuchterscheinungen am Himmel waren immer noch vorhanden, dazu die unheimlichen Geräusche, in die sich die Laute des Dschungels mischten. Und noch immer wussten die beiden GenTecs nicht, ob sie das Ungeheuer erledigt hatten, oder ob es sie in der Tiefe weiterverfolgte. Fischschwärme umschwirrten sie, kurz bevor sie das Land erreichten. Einige von ihnen waren aggressiv und mussten in die Flucht geschlagen werden, als sie sich in den Monturen der GenTecs festbissen, wenn auch ohne diese zerstören zu können. Dann, endlich, krochen Jarvis und Resnick erschöpft an den Strand, der aus feinem schwarzen Kies bestand. Zwanzig Meter entfernt im See schäumte das Wasser. Doch keiner der beiden wandte sich um, sodass sie es nicht bemerkten...
3. Erkundung Jarvis benötigte beinahe zehn Minuten, bevor er sich aus eigener Kraft auf die Beine stemmen konnte. Der Kampf mit der Bestie hatte ihn offenbar mehr erschöpft, als er angenommen hatte. Ein Stück bis zum Ufer hatte Resnick ihn sogar ziehen müssen. Doch nun erholte sich der GenTec schnell, der Schwächeanfall war vorüber. Sie beschlossen, den See zu umrunden und erst anschließend, sollte es nötig sein, das Suchgebiet auszuweiten. Aber meistens war es ja so, dass es die Lebewesen zum Wasser zog. Sie suchten sich einen Weg zwischen den mangrovenähnlichen Bäumen hindurch, die allerdings nicht im Wasser standen. Wo sich keine Bäume befanden, schien das Licht der fremden Sterne und von mittlerweile fü nf Monden auf sie herab, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht waren. Dazu kamen die merkwürdigen Leuchterscheinungen, deren Muster jetzt noch klarer erkennbar waren. Sie erinnerten die beiden Männer an irgendetwas, aber sie konnten nicht den Daumen darauf legen. »Wenn nur dieses unheimliche Geheul endlich aufhören würde«, sagte Jarvis. »Es geht mir auf die Nerven.« »Glaubst du mir nicht?« Hier, etwa hundert Meter vom Ufer entfernt, wuchsen mannshohe Sträucher. Ihre Äste bogen sich den GenTecs zu. An den Zweigen hingen daumengroße Früchte neben dunkelroten Blüten, die sich vielleicht nur in der Nacht öffneten. Täuschten sie sich, oder war da ein helles Flüstern zu hören? Resnick zeigte in den Himmel. »Es tauchen immer mehr Monde auf. Inzwischen zähle ich zehn. Und sie befinden sich
alle auf einer Linie.« »Vielleicht sind sie künstlich«, mutmaßte Jarvis. Resnick zuckte mit den Schultern. Möglich war es immerhin. In der Ferne brüllte ein großes Tier. In den Kronen der Bäume schnatterten kleine, affenähnliche Tiere. Schwarze Vögel kreisten Beute suchend am Himmel. Der Dschungel lebte. »Wie mag es erst am Tag sein?«, fragte Resnick. »Keine Ahnung. Vielleicht totenstill.« »Habe ich dir schon mal gesagt, dass dein Humor ziemlich gewöhnungsbedürftig ist, Jarvis?« »Jetzt ja.« Trotz des dichter werdenden Dickichts kamen sie schnell voran. Nur die Affenwesen machten ihnen zu schaffen. Sie saßen im niedrigen Geäst und peitschten mit ihren meterlangen Schwänzen nach den Köpfen der Männer. Jarvis ließ sich das nicht lange gefallen. Als es ihm zu bunt wurde, packte er blitzschnell nach einem der Schwänze und zog mit einem heftigen Ruck daran. Ein ohrenbetäubendes Kreischen war die Antwort. Der betreffende Affe fiel aus dem Baum und direkt vor Jarvis' Füße. Das Wesen hatte ein hellgraues Fell und war - vom langen Schwanz abgesehen - etwa einen Meter groß. Auf der Brust hatte es einen weißen Flecken. Als Jarvis ihm einen Klaps auf den Schädel gegeben und es dann losgelassen hatte, kletterte es mit unglaublicher Geschicklichkeit den mächtigen Stamm hoch und verschwand im Laubwerk. Die ganze Affenherde floh laut schnatternd hinauf in den Wipfel. »Ich hoffe, das war euch eine Lehre!«, rief der GenTec. »War das nötig, Jarvis?«, fragte Resnick. »Ich habe ihn ja nicht umgebracht, aber wir haben jetzt unsere Ruhe. Die kleine Lektion hat nicht geschadet.« Mit der Ruhe täuschte er sich. Die Affenherde folgte ihnen
in sicherer Höhe von Baum zu Baum und kreischte, was das Zeug hielt. Sie wurden sogar mit großen Früchten beworfen, die auf ihrer Montur zerplatzten. Jarvis fluchte in einem fort und musste sich zu allem Überfluss auch noch Resnicks spöttische Bemerkungen anhören. Endlich erreichten sie eine Lichtung. Das Affengeschrei blieb hinter ihnen zurück. Als Resnick zum Himmel aufblickte, drang ein beeindrucktes Pfeifen über seine Lippen. »Die Monde, Jarvis«, sagte er. »Es sind inzwischen... einundzwanzig, und sie bilden ein gleißendes Band, das den Himmel in zwei Hälften teilt.« »Beeindruckend«, entgegnete Jarvis ohne wirklich beeindruckt zu wirken. »Ich möchte hier nicht die Gezeiten berechnen mü...« Er taumelte. Resnick sprang hinzu und half ihm, sich langsam zu setzten. »Es ist sowieso Zeit für eine Rast«, erklärte Jarvis nuschelnd. »Da könnten wir doch gleich hier...« Sein Gefährte schaute sich um. Die Lichtung maß ungefähr 35 Meter im Durchmesser. Fast genau im Zentrum befand sich etwas, das wie ein Termitenhügel aussah, doch es schien ihnen keine Gefahr zu drohen - zumindest nicht mehr, als überall sonst auf dem Planeten auch. »Gut«, sagte Resnick, »bleiben wir hier...« * Noch immer gesellten sich mehr Monde zu den bereits vorhandenen und teilten das nächtliche Firmament. Die ersten waren bereits wieder untergegangen, ein weiterer Beweis für die schnelle Eigenrotation des Planeten. Es war schwülwarm, obwohl der Boden knochentrocken war. Jarvis und Resnick hatten etwa auf halbem Weg zwischen dem Termitenhügel und dem Rand der Lichtung aus Reisig ein kleines Feuer entfacht. Nicht weil ihnen kalt war, aber die
Geräusche im Dschungel häuften sich. Sie kamen von Tieren, die die Lichtung umschlichen. Ihren Lauten nach - Fauchen, Zischen, Kreischen - konnte es sich um Raubtiere handeln, und die GenTecs hatten keine Lust, im Schlaf angegriffen zu werden. »Schlaf, Jarvis!«, sagte Resnick. »Wenn die Sonne und die Monde so schnell untergehen, sind Tag und Nacht auf dieser Welt extrem kurz. Bis es wieder Tag wird, sollten wir ausgeruht sein. Ich übernehme die erste Wache.« Jarvis murmelte noch eine Antwort, dann war er bereits erschöpft eingeschlafen. Resnick blickte auf ihn hinab. Die GenTecs waren dafür erschaffen worden, extremen Anstrengungen zu widerstehen. Für Jarvis' große Müdigkeit gab es eigentlich keinen Grund, und auch er selbst fühlte sich matter, als er sollte. »Was ist bloß mit uns los?«, murmelte er... * Resnick bemerkte die Schatten am Himmel, gleichzeitig war das Schlagen von schweren Flügeln zu hören. »Jarvis?« »Was ist denn?« Jarvis war sofort wach und richtete sich auf die Ellbogen auf. Er hatte vielleicht dreißig Minuten geschlafen, doch er wirkte bereits fast wieder fit. Resnick zeigte zum Himmel, wo die Schatten vor dem Hintergrund der Sterne und des Leuchtens allmählich größer wurden. »Da. Siehst du es?« »Ja, verdammt. Was ist das?« »Ich weiß es nicht, aber sie kommen tiefer herunter, auf die Lichtung zu.« Es waren insgesamt drei Schemen, die vor dem dunklen Sternenhintergrund weiterhin nur vage erkennbar waren. Der Schlag ihrer Schwingen klang dumpf. Resnick schätzte ihre
Spannweite auf über acht Meter. Jarvis zog seine Strahlwaffe und hob die Hand, doch sein Gefährte drückte sie wieder hinunter. »Warte noch!«, bat Resnick. »Vielleicht sind es nächtliche Jäger, vielleicht aber auch nicht.« »Du glaubst doch nicht, dass sie in freundlicher Absicht kommen?« »Warten wir ab. Auf dieser Welt können wir jeden Verbündeten gebrauchen.« Jarvis zuckte mit den Schultern, behielt den Strahler aber in der Hand. Die drei Schatten senkten sich auf die Lichtung herab. Einer von ihnen stieß einen urwelthaften Schrei aus. Im nächsten Moment landeten sie in respektvoller Entfernung von den beiden Männern. Im Schein des Feuers waren sie endlich genauer zu erkennen. »Flugsaurier«, sagte Jarvis. »Mindestens zehn Meter Spannweite und drei Meter hoch. Halt ganz still, Partner.« Beinahe instinktiv hob er die Hand mit dem Strahler. Die drei Saurier hatten ihre Flü gel ausgebreitet. Ihre Körper waren schlank. Der Kopf lief in einem langen, scharfen Schnabel aus. Zwei funkelnde Augen saßen an seinen Seiten. Ein langer, dünner Schweif peitschte über den Boden. »Sie hocken da und starren uns an«, sagte Jarvis, dessen Misstrauen immer noch deutlich zu spüren war. »Das Feuer scheint sie nicht abzuschrecken.« »Nein, eher anzuziehen«, meinte Resnick. Er legte nachdenklich den Kopf auf die Seite und machte einige Schritte auf die Wesen zu. »He, was machst du? Bist du verrückt geworden?« Resnick winkte ab. Die Tiere - wenn es denn welche waren rührten sich nicht. Sie hockten da wie versteinert und gaben keinen Laut von sich. Nur ihre Augen zeigten, dass sie lebten.
GT-Resnick ging langsam weiter. Er hoffte, dass er noch die Waffe ziehen konnte, falls die Tiere angriffen. Aber irgendetwas sagte ihm, dass es dazu nicht kommen würde. Auf eine besondere Art und Weise waren sie fast... majestätisch. Genau diesen Eindruck hatte der GenTec. Waren sie am Ende die Beherrscher dieser Welt? »Resnick, bleib jetzt endlich stehen!«, rief Jarvis. »Oder geh wenigstens aus der Schusslinie!« Instinktiv wich Resnick tatsächlich leicht nach links aus, sodass sein Gefährte freies Schussfeld hatte. Zu lange war er taktisch gedrillt worden, um sich diesem vernünftigen Ersuchen zu widersetzen. Doch er ging weiter auf die Wesen zu. Erst zwei Meter vor den Flugsauriern machte er Halt. Der Erste von ihnen starrte ihn an. Resnick hatte das Gefühl, von ihm durchleuchtet zu werden. »Du kannst mich nicht verstehen, nicht wahr?«, fragte er laut. »Wie auch. Wir sind buchstäblich durch Welten voneinander getrennt.« Der erste Saurier öffnete den Schnabel und stieß das gleiche urweltliche Gekreische aus wie kurz zuvor. Seine beiden Artgenossen wiederholten es. »Wenn ich nur wüsste, was du mir sagen willst«, seufzte Resnick. Die Saurier senkten die Köpfe wie auf ein geheimes Kommando. Resnick folgte einem Impuls. Er hörte nicht auf die unausgesetzten Warnungen seines Partners, sondern machte die letzten beiden Schritte auf den ersten Flugsaurier zu. Jetzt, wo der den Schädel gesenkt hatte, konnte er ihn mit der Hand erreichen. Er streckte sie aus und fuhr dem Tier damit über die weiche, ledrige Haut. »Es lässt es sich gefallen, siehst du, Jarvis!«, triumphierte Resnick. »Wir schließen Freundschaft!« »Pass auf, es hebt die rechte Pranke!« Das tat der Saurier in der Tat, aber nur, um sie langsam auf
Resnicks Schulter zu legen. Das tat er vorsichtig und behutsam. Dies könnte das Pendant eines menschlichen Händedrucks sein, überlegte er. Meine Hand auf dem Schnabel des Wesens und seine Klaue auf meiner Schulter. »Ist alles in Ordnung?«, riss ihn Jarvis Stimme aus den Gedanken. »Ja, siehst du es nicht? Die Drachen wollen die Verständigung genauso wie wir. Das Feuer hat sie angelockt,und sie wollten sehen, wer so etwas auf ihrer Welt macht. Sie mögen Nachtjäger sein, aber sie betrachten uns nicht als ihre Beute. Wenn das kein großer Fortschritt ist, Jarvis!« »Und wie können wir uns ihnen verständlich machen?«, fragte Jarvis. »Ich fürchte, überhaupt nicht. Wir haben nicht einmal Fleisch, das wir ihnen als Begrüßungsimbiss überreichen könnten.« »Na, vielleicht bedienen sie sich ja selbst.« Jarvis hatte die Waffe nicht gesenkt. Die Saurier hatten inzwischen ihre Flü gel auf dem Rücken gefaltet und wirkten dadurch noch schlanker. Resnick strich weiter über den Schnabel seines Gegenübers. Fast eine halbe Stunde lang standen sich die beiden so unterschiedlichen Parteien gegenüber. Plötzlich wurde das fremde Wesen unruhig. Es zog seine Klaue zurück, und alle drei richteten die Köpfe hoch auf. Resnick trat zurück, da breiteten die Saurier bereits ihre Schwingen aus und schwangen sich in die Luft. Sie kreisten noch einige Male über der Lichtung. Dann verschwanden sie so geheimnisvoll, wie sie gekommen waren. »Es sind Freunde«, sagte Resnick überzeugt, nachdem das Feuer wieder brannte. »Vielleicht nur potenzielle Freunde, aber von ihnen haben wir nichts zu befürchten.« »Bist du sicher?«
»Du hast es doch gesehen.« »Na, wenn du es sagst.« Erst jetzt steckte Jarvis seine Waffe weg... * Jarvis brauchte eine Viertelstunde, um seine Ruhe zu finden. Resnick kaute an einem der mitgenommenen Nahrungskonzentrate. Es schmeckte scheußlich, und er nahm sich vor, gleich am Tag nach essbaren Früchten zu suchen. Das schlimmere Problem war der Durst. Laut dem Analysator des Anzugs konnten sie das Wasser aus dem See durchaus trinken, ohne zu sterben. Aber ratsam war es trotzdem nicht - besonders bei ihrer geschwächten Konstitution. Anderes Wasser hatten sie nicht gefunden. Die Erde war verdorrt, trotz der Nähe zum See. Ein Wunder, dass die Bäume und Sträucher noch so vital wuchsen. Die Tiere des Dschungels schienen ebenfalls Wasser zu finden. Aber wahrscheinlich waren ihre Körper einfach in der Lage, das Seewasser zu vertragen. Er sah die Kette der Monde über das Firmament ziehen, roch die Gerüche des Dschungels, und er sah die funkelnden Augen ringsum. Kein Zweifel, es waren Raubtiere, die Beute witterten. Nur das Feuer hielt sie noch von einem Angriff ab. Er legte Holz und Reisig nach. Er saß in der Hocke und beobachtete den Rand der Lichtung. Jetzt, da das Feuer wieder hoch loderte, schienen die Räuber aufzugeben und sich zurückzuziehen. Resnick atmete im Stillen auf. Er hörte nicht die leisen Schritte hinter seinem Rücken...
4.
Entführt! Als Jarvis aufwachte, war es heller Morgen. Das Tageslicht blendete ihn für einige Momente, dann sah er seine Umgebung klar und deutlich. »Resnick?« Keine Spur von dem anderen GenTec. Jarvis sagte sich, dass er sich in der Morgendämmerung aufgemacht hatte, um Nahrung für sie zu suchen. Do ch befriedigen konnte ihn der Gedanke nicht. Sein Gefährte war zu gut ausgebildet, um seine Wache zu vernachlässigen. »Resnick!«, rief er noch einmal, diesmal über Funk. Keine Reaktion. Jarvis stand auf und suchte die Stelle ab, an der Resnick gesessen hatte. Was er fand, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen - seltsame Fußspuren und Anzeichen fü r einen Körper, der davongeschleppt worden war in Richtung auf... Wo, zum Teufel, ist der Termitenhügel? »Verschwunden!« Vor Verblüffung sprach Jarvis das Wort laut aus. Er ging auf den ehemaligen Standort des Hügels zu und fand nur noch wie festgestampft wirkenden Boden. Nichts wies darauf hin, dass es einmal anders gewesen war. Und die Schleifspuren endeten hier! Das gibt's doch nicht!, schoss es ihm durch den Sinn. Jarvis ließ sich auf die Knie nieder und versuchte zu graben. Doch die Erde war hart wie Zement. Er konnte nur mit den behandschuhten Fingerspitzen daran entlangkratzen. Jarvis ging zu der noch glimmenden Feuerstelle zurück. Von den umherstreifenden Raubtieren war nichts mehr zu hören. Es gab auch keine Lichterscheinungen mehr am Himmel und keine Monde mehr. Was er eigentlich im Scherz gesagt hatte, schien sich zu bewahrheiten: Dieser Planet lebte nachts. Dann waren die Tiere aktiv, dann blühten die Pflanzen - dann
spukte es am Himmel. Vielleicht schieben sich auch nur nachts die Hügel aus dem Boden. Also musste er wohl oder übel die nächste Nacht abwarten, wenn er etwas für Resnick tun wollte. Wie aber verbrachte er den Tag möglichst nutzbringend? Sein Magen knurrte, und er zwang sich etwas von seinen Konzentraten herunter. Es schmeckte widerlich, sodass er beschloss, essbare Früchte zu suchen - am besten solche, die auch viel Wasser enthielten. Er wollte sich gerade auf den Weg machen, als er etwas bemerkte. Am Rand der Lichtung stand einer der kleinen Affen, die sie verfolgt und beworfen hatten. Auf der Brust hatte er einen weißen Flecken. »Du?«, fragte Jarvis. »Den ich aus dem Baum geholt habe?« Seine Hand fuhr unbewusst zur Waffe, ohne diese jedoch zu ziehen. Zwar wollte er sich nicht mit der ganzen Horde anlegen, aber Vorsicht war besser als Totsein. Beim Klang seiner Stimme schien das Affenwesen zu erschrecken, und als Jarvis einige Schritte auf es zumachte, kletterte es schnell in den nächstbesten Baum. »Du bist immer noch hier?«, rief der GenTec. »Was willst du denn von uns? Komm herunter, ich tue dir nichts mehr!« Die Antwort bestand aus einer großen, roten Frucht, die Jarvis an der Brust traf. Sie platzte auf, und zähflüssiger Saft rann am Anzug hinunter. Jarvis blickte an sich hinab, dann zuckte er mit den Schultern und leitete eine Analyse durch den Anzug ein. Kaum hatte er die Bäume mit seinen Blicken vergeblich nach den Freunden des Affenwesens abgesucht, war die Untersuchung bereits beendet. Das Ergebnis war erfreulich. Zwar waren etwas mehr Schwermetalle enthalten, als empfohlen wurden, aber die
Konzentration war noch weit davon entfernt, schädlich zu sein. Vorsichtig probierte der GenTec einige Tropfen. Sie schmeckten süßsauer, nicht unangenehm. Ebenso das Fruchtfleisch. Besser als die Nahrungskonzentrate aus der Kapsel war es allemal. Er ging zurück zur Feuerstelle und setzte sich. Wie er gehofft hatte, kam der kleine Affe aus dem Baum zurück. Er hatte einige der roten Früchte in den Händen. »Bring sie mir, mein kleiner Freund«, sagte Jarvis. »Das wolltest du doch, oder?« Zögernd näherte sich das Tier. Verstand es, was er sagte? Plötzlich blieb es stehen und begann, laut zu schnattern. Dann warf es eine weitere Frucht. Jarvis reagierte blitzschnell und fing sie auf. Der Affe stutzte. Jarvis hob die Frucht in die Höhe und biss herzhaft hinein. Der Saft rann ihm an den behandschuhten Fingern herab. Er leckte ihn ab und aß weiter. Der kleine Affe ging in die Hocke, auf den langen Schwanz gestützt, und legte den Kopf schief, beobachtete Jarvis mit unverhohlenem Interesse. »Du bist mir gefolgt wie ein Schatten«, sagte der Mann von der Erde. »Ich werde dich Shadow nennen, einverstanden?« Der Affe reagierte nicht. Jarvis stand vorsichtig auf und streckte beide Arme zum Zeichen der Friedfertigkeit von sich. Shadow schnellte ebenfalls in die Höhe. Doch er wirbelte herum, um wieder fortzulaufen. Dann aber blieb er stehen und vollführte abermals eine Drehung. Sekundenlang trafen sich die Blicke der beiden unterschiedlichen Wesen. »Komm, Shadow! Komm zu mir!«, sagte Jarvis langsam. Er legte beide Hände aneinander, so als ob er etwas auffangen wollte. Und was er kaum zu hoffen gewagt hatte, geschah. Der Affe warf ihm eine weitere Frucht zu. Jarvis fing sie auf und biss herzhaft hinein, trank ihren Saft. Shadow kam zögernd näher. »So ist es richtig, kleiner Freund«, lobte der
GenTec. Einem Impuls folgend, streckte er die rechte Hand weit aus. Das Affenwesen legte wieder den Kopf schief, so als müsse es angestrengt nachdenken. Der Bursche besitzt eine gewisse Intelligenz!, dachte Jarvis, obwohl er nicht verstand, warum er ihnen gefolgt war ausgerechnet er, den er nicht gerade mit Samthandschuhen angepackt hatte. Und ich benehme mich schon so zutraulich wie Resnick. Jetzt machte Shadow die letzten Schritte auf ihn zu. Jarvis kniete sich hin, um den Kopf etwa in gleicher Höhe zu haben wie das Tier. Er hielt weiter die Hand ausgestreckt, und das Wunder geschah. Shadow legte die letzte Frucht in Jarvis' Hand. Er blieb vor ihm stehen und sah ihm beim Essen zu. Dabei strich er mit kreisenden Bewegungen über seinen Bauch. War er gekommen, um den Menschen die Früchte zu bringen? Etwas zu Essen? War das möglich? Und warum dann nur er? Warum nicht der ganze Stamm? War er vielleicht der Anführer? Oder hatten die anderen ihn geschickt, weil er sich von Jarvis hatte überrumpeln und aus dem Geäst ziehen lassen? Sollte er Kontakte knüpfen? Die Freundschaft der Menschen gewinnen, von denen er jetzt nur noch einen vorfand? Jarvis glaubte, dass die Fantasie mit ihm durchging. Aber was war auf einer fremden Welt schon unmöglich? Was war möglich? Shadow schien seine Scheu überwunden zu haben. Als Jarvis ihm über das Fell strich, ließ er es sich gefallen. Sein langer Schwanz zuckte. »Ich danke dir«, sagte Jarvis. »Du hast mir sehr geholfen, Shadow.« »Chäddo!«, brachte das Tier hervor. Jarvis glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Ja, Shadow. Du verstehst mich?« Er unterstrich seine Worte durch entsprechende Gesten. »Mein
Name ist Jarvis.« »Jarrvi«, wiederholte das Wesen. »Wunderbar. Hat dein Stamm dich geschickt? Dann hole die anderen. Ihr könnt mir helfen, meinen Freund zu suchen.« Shadow drehte den Kopf um fast 180 Grad und blickte zum Rand der Lichtung. »Ja, genau!«, sagte Jarvis begeistert. Doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuß. Das Affenwesen machte einen Schritt zurück und winkte heftig mit den Ärmchen. Jarvis begriff, dass es ein Abwinken war. Shadow legte den Kopf schief. Jarvis stand vorsichtig auf und nickte. Das Affenwesen wiederholte die Geste. Konnte es wissen, was sie bedeutete? »Willst du mir helfen, nach meinem Freund zu suchen?«, fragte er. Dabei machte er eine Bewegung, als stelle er jemanden neben sich, zeigte dann auf seine Brust und auf die des »Unsichtbaren«. Und sein neuer Freund nickte! »Das darf ja nicht wahr sein«, entfuhr es dem GenTec. »Komm! Ich zeige dir, wohin er entführt worden ist.« Er drehte sich um und ging dorthin, wo Resnick gesessen hatte. Die Spuren des Kampfes waren noch frisch. Auch die Spuren, die dorthin führten, wo der »Termitenbau« verschwunden war. Shadow folgte Jarvis nur ein Stück. Als er erkannte, wohin sein neuer Freund ihn fü hrte, kreischte er auf und ergriff die Flucht. Mit unglaublicher Schnelligkeit war er von der Lichtung verschwunden und tauchte im Blätterdach der Bäume unter. »Shadow!«, schrie Jarvis ihm hinterher. »Komm zurück!« Aber die Rufe verhallten ungehört. Es war wieder totenstill. Keine Affen kreischten.
Nur eines stand jetzt fest: Shadow hatte eine panische Angst vor diesem Ort - und damit höchstwahrscheinlich vor dem, was bei Anbruch der Dunkelheit daraus emporsteigen mochte. * Jarvis blieb nichts anderes übrig als auf die Nacht zu warten. Er machte nur wenige Streifzüge aus der Lichtung hinaus und erlegte dabei ein hasengroßes Tier, das er über der Feuerstelle braten und verzehren wollte. Doch diesmal war die Analyse des Anzugs eindeutig. Wenn er dieses Tier verspeiste, konnte er gleich Arsen schlucken. Also musste er sich wieder von den Konzentrat-Riegeln ernähren. Gegen den Durst half das freilich wenig. Wieder war es Shadow, der ihm diese Sorge abnahm. Die Sonne stand bereits niedrig am Firmament, als das Affenwesen wieder am Rand der Lichtung stand, eine kannenähnliche, riesige Pflanzenblüte in den Händen. Jarvis winkte ihn herbei, und auch das Zeichen verstand Shadow. Er kam zögernd näher und reichte dem Menschen die Blüte. Sie war bis zum Rand mit Wasser gefüllt. »Danke, mein kleiner Freund«, sagte Jarvis. »Was sollte ich nur ohne dich machen?« Er ließ die Analyse laufen und war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden. Jarvis trank, bis die Blüte leer war. Shadow stand direkt vor ihm. Der GenTec streichelte sein Fell und versicherte ihm nochmals seine Dankbarkeit. Da entdeckte er ein halbes Dutzend anderer Affen am Rand der Lichtung. Sie beobachteten neugierig, was zwischen Jarvis und Shadow geschah. Schließlich näherten sich einige zaghaft. Hinter den Bäumen ging die Sonne unter. Jarvis sah auf seinen Chrono und stellte fest, dass es zwischen Sonnenaufund Sonnenuntergang fast genau sechs Stunden gewesen waren.
Die anderen Affen hatten sich hinter Shadow gestellt. Jarvis lächelte und streichelte sie einen nach dem anderen. Sie ließen es sich gefallen. Vielleicht hatte er auf dieser fremden Welt tatsächlich eine Truppe vo n Freunden gefunden. Einige legten Früchte vor ihm ab. Andere strichen mit ihren rauen Händen durch sein kurzes Haar und betasteten seinen Anzug. Nur eines störte ihn: dass sie alle auf ihre Brust klopften und »Chäddo!« riefen. Anscheinend fü hlten sie sich alle mit diesem Namen angesprochen. »Wenn ihr mir nur helfen könntet, meinen Freund wiederzufinden«, seufzte Jarvis. Die ersten Monde erschienen am Himmel, der wieder nicht richtig finster geworden war. Erneut geisterten die Polarlichter davor hinweg, und auch das seltsame Heulen hatte eingesetzt. Plötzlich erklang in Jarvis' Rücken ein seltsames Geräusch. Er hörte die Affen kreischen und drehte sich herum. Die Tiere flohen in heller Panik, und er sah den Grund dafür. Der »Termitenhügel« schob sich langsam, fast majestätisch, aus dem Boden hervor und wuchs in die Höhe. Jarvis sprang auf und umrundete das Gebilde, noch während es sich hochschob. Er sah jede einzelne Kleinigkeit an der Oberfläche des Gebildes - nur keinen Eingang oder etwas, das dem nahe gekommen wäre. Nach zwei Minuten kam der Hügel zum Stillstand. Jarvis schaute sich auf der Lichtung um. Kein Affenwesen war mehr zu sehen, nicht einmal Shadow mit dem weißen Fleck auf der Brust. Jarvis zog seine Handfeuerwaffe. Er war allein, das wurde ihm bewusst. Es war vermessen gewesen, auf die Hilfe der Affen zu hoffen. Aus irgendeinem Grund hatten sie grässliche Angst vor dem Hügel und dem, was ihn bewohnte. Jarvis ging langsam auf ihn zu, den Schleifspuren hinterher. Am Himmel tanzten wieder die Irrlichter, funkelten fremde Sterne, zogen die Monde ihre Bahn und wurden immer
zahlreicher. Er hatte das Gebilde kaum erreicht, als plötzlich grelle Blitze aus ihm zu ihm herüberschossen. Instinktiv ließ er sich fallen. Einem plötzlichen Impuls folgend, sprang Jarvis wieder auf und schoss auf den Monolithen. Immer wieder zog er den Stecher durch - doch die zerstörerische Energie schien einfach absorbiert zu werden. Resnick befand sich irgendwo darin! Da trafen ihn die Blitze aus dem Inneren des Gebildes. Er wurde zurückgeschleudert und blieb regungslos liegen. Als er sich wieder rühren konnte, verharrte er dennoch auf der Stelle. Er musste warten, bis die Entführer kamen, um auch ihn zu holen. Er wartete. Im Dschungel erklang wieder das schon bekannte Fauchen und Kreischen der Raubtiere, die auch jetzt wieder die Lichtung umschlichen. Der GenTec war sich sicher, dass sie sich genauso wenig in die Nähe des Termitenhügels wagen würden, wie Shadow. Er bemerkte beinahe zu spät, dass er sich irrte! * Jarvis sprang auf, als er das Knacken von trockenem Reisig unter schweren Füßen hörte. Sein erster Gedanke war, dass Resnick irgendwie die Flucht gelungen war. Aber dann sah er es. Es sah ebenfalls einem Affen ähnlich, aber was für ein Ungetüm! Mindestens zwei Meter groß, dabei aber nicht schwerfällig wie ein irdischer Gorilla, sondern grazil wie ein Panther - mit ebensolchen Zähnen! Die Kreatur begann zu laufen, als Jarvis sich zu ihr umgedreht hatte.
»Der reinste Planet der Affen«, knurrte Jarvis ironisch. »Es sollte mich nicht wundern, wenn Resnicks Entführer ebenfalls Affen wären.« Das Untier griff an. Jarvis schoss in dem Moment, in dem das Biest sprang - und verfehlte es. Verdammt, ist der schnell! Bevor der GenTec sich versah, steckte er im Klammergriff des Affen. Ein normaler Mensch hätte der Umklammerung keine zehn Sekunden standgehalten. Anders Jarvis. Die Rechte des Menschen, in der er die Waffe hielt, war zwischen den beiden Gegnern eingeklemmt. Jarvis war sich nicht sicher, wen er treffen würde, wenn er jetzt abdrückte. Daher ließ er die Waffe lieber los, um sich nicht versehentlich selbst in den Bauch zu schießen. Mit aller Kraft wehrte er sich, presste die Linke gegen das Kinn des Gegners und drückte die gebleckten Zähne von sich. Als sich der Griff des anderen kurz lockerte, schaffte es der GenTec, seine Rechte zu befreien. Dann spannte er alle Muskeln an und wälzte sich mit dem Affen herum. Er kam auf ihm zu liegen und verpasste ihm mehrere kräftige Faustschläge an die Schläfen und ans Kinn. Die mächtigen, schwarz behaarten Arme klappten regelrecht zur Seite und gaben den GenTec frei. Jarvis zögerte keine Sekunde. Er sprang auf und brachte einige Schritte zwischen sich und das am Boden liegende Tier. Hektisch schaute er sich nach seiner Waffe um, aber offenbar la g die Kreatur direkt darauf. Kurz glaubte er, sie sei tot. Das Gebrüll war erstorben. Der Affe regte sich nicht mehr. Doch dann ging ein Ruck durch den monströsen Körper. Der Affe wuchtete sich hoch und stand auf. Es war offensichtlich, dass er Mühe damit hatte. Für einige Augenblicke standen sich er und Jarvis gegenüber und maßen
sich mit Blicken. Der GenTec hatte seine letzte Strahlwaffe gezogen, wartete nur darauf, dass sich der Angreifer näherte. Doch das riesige Tier drehte sich um und trottete mit hängenden Schultern davon. Wieder brüllte es, aber jetzt klang es gedemütigt, klagend. »Das hättest du dir ersparen können«, murmelte Jarvis. Er entzündete das Feuer erneut, da Resnicks Entführer ja inzwischen wussten, dass er nicht mehr bewusstlos war. Er verstaute die beiden Strahler an seinem Gürtel und setzte sich so, dass er den Hügel im Blick hatte. Die Irrlichter am Himmel formten wieder Muster, die Jarvis seltsam bekannt vorkamen. Aber auch jetzt fiel ihm nicht ein, woran sie ihn erinnerten. Eine unerklärliche Müdigkeit ergriff von ihm Besitz. Jarvis erschrak. Das Letzte, was er nun gebrauchen konnte, war ein weiterer Schwächeanfall! Alles durfte er jetzt, nur nicht einschlafen. Er stand auf und ging einige Male um das Feuer herum. Zu der Müdigkeit kame n Kopfschmerzen. Jarvis setzte sich wieder. Für einen Moment glaubte er, am Rand der Lichtung, unter den Bäumen, eine kleine Gestalt zu erkennen. Shadow? Doch dann war sie auch schon wieder verschwunden. Die Angst vor dem Hügel schien zu groß zu sein. Oder hatte er sich das nur eingebildet? GT-Jarvis stocherte mit einem langen Scheit im Feuer herum, ehe es verlöschen konnte, und warf Reisig nach. Die Kopfschmerzen ließen nicht nach. Jarvis bedauerte, keine Medikamente zur Verfügung zu haben. Zu allem Überfluss spürte er ein leichtes Schwindelgefühl. Aber wenigstens das ging nach wenigen Minuten vorbei. Jeder Schmerz hat eine Ursache, dachte er. Was ist es? Ob Darnok das inzwischen weiß? Er hätte sich mit seiner
Untersuchung etwas beeilen sollen. Er spürte wieder die Müdigkeit, stärker als zuvor. Dafür ließen endlich die Kopfschmerzen nach. Als er fast eingenickt war, hörte er ein Geräusch. Er schrak auf und sah mehrere schattenhafte Gestalten auf sich zukommen - und zwar vom Termitenhügel! Der GenTec sprang auf und zog eine Strahlenpistole. Als ob dies das Zeichen für die Fremden war, die er noch immer nicht genau erkennen konnte, stürmten sie unter lautem Gebrüll los und wollten sich auf ihn werfen. Es waren über zehn. Hinter sich hörte er aufgeregtes Geschna tter. Shadow und seine Affenhorde! Aber sie konnten ihm nicht helfen, selbst wenn ihre Angst nicht so groß gewesen wäre. Er erkannte, dass auch die »Schatten« bewaffnet waren: mit Keulen und langen Messern. Er schoss. Eins der Wesen jaulte auf und brach zusammen. Doch die anderen stürmten unbeirrt weiter auf ihn zu. »Verschwindet!«, brüllte er dennoch. Vielleicht schaffte er es, sie einzuschüchtern. »Verschwindet und gebt meinen Freund frei! Ich schwöre euch, sonst hole ich ihn mir!« Er zielte auf den nächsten Schemen und drückte ab. Der erste der Schattenhaften hatte den GenTec erreicht. Er stieß einen gellenden Schrei aus und warf sich auf ihn. * Als Resnick zu sich kam, schmerzte sein Schädel höllisch. Er betastete den Hinterkopf und fühlte eine große, blutverkrustete Beule. »Ich bin... niedergeschlagen worden«, murmelte er. Aber von wem? Und wo bin ich hier? Er war nicht mehr draußen im Freien, das war klar. Die phosphoreszierenden Wände - offenbar aus Fels - sonderten ein leicht bläuliches Licht ab. Es war nicht besonders hell, doch für
seine verbesserten Augen reichte es aus, um seine Umgebung gut erkennen zu können. »Das ist ein... Nest!« Genau danach sah es aus. Es lag auf einer Unterlage aus fein gehäkseltem Reisig, die etwa vier Meter durchmaß. Ringsherum wuchs der Fels in die Höhe. Die Decke war etwa sechs Meter hoch. Er war allein. Kein Laut war zu hören, von Jarvis nichts zu sehen. Der Hügel!, dachte Resnick. Nur so konnte es sein. Er hatte am Feuer Wache gehalten. Das war das Letzte, woran er sich erinnern konnte. Resnick zwang sich, zuerst an das eigene Schicksal zu denken. Der Schlag auf den Hinterkopf hatte ihn betäubt. Laut dem Anzug-Chronometer waren fast neun Stunden vergangen. Erstaunlich, dass ich nach einem solchen Schlag keine Gehirnerschütterung habe. Allerdings war sein Mund völlig ausgedörrt, und seine Zunge fühlte sich an, als wüchse Fell auf ihr. Seltsamerweise hatte man ihm seine Ausrüstung nicht abgenommen - nicht einmal die Waffen. Es stand für ihn fest, dass er sich innerhalb des »Termitenbaus« befand - und dass er hier wieder heraus musste. Er hatte Hunger und Durst und wollte in diesem Gefängnis nicht elend krepieren. Zwar konnte er von den widerlich schmeckenden Konzentraten leben, aber gegen den Durst halfen sie nicht. Er stand auf. Der Boden war weich und machte das Gehen schwer. Aber er hatte ja nur zwei Schritte bis zur jeweils nächsten Wand. Resnick ignorierte das Pochen im Hinterkopf und begann, mit den Fäusten die Wände abzuklopfen. Es musste schließlich irgendwo einen Eingang geben. Eine halbe Stunde lang suchte er die Wände ab, bis er
endlich eine Stelle fand, an der seine Schläge dumpfer klangen. Der GenTec lächelte zuversichtlich. Resnicks Finger fanden einen feinen Spalt zwischen den »Felsen«. Dass es sich um solche handelte, glaubte er inzwischen allerdings nicht mehr. Die Substanz schien künstlich zu sein. Möglicherweise hatte, wer auch immer diesen Hügel erbaut hatte, das mit schnell härtenden Körpersekreten getan wie die Termiten auf der Erde. Aber wenn es sich tatsächlich um Termitenähnliche oder andere Insektoide handelte, dann mussten sie riesig sein - vielleicht so groß wie ein Mensch. Der Gedanke daran ließ den GenTec erschaudern. Resnick wollte kein Risiko eingehen. Er zog den aus der Kapsel mitgenommenen Handstrahler aus der Tasche. Wenn er damit das Seeungeheuer hatte in die Flucht schlagen können, dann musste er sich hier auch damit durchsetzen können. Er zielte auf den nadelfeinen Spalt und betätigte den Auslöser. Ein ultraheller Strahl fraß sich in die Wand und verbreiterte den Spalt. Er fuhr ihm nach, bis ein Teil der Wand nach außen zu kippen begann. Resnick stellte sofort das Feuer ein und steckte die Waffe wieder weg. Ein Fehler...
5. Luuren? GT-Jarvis sah das lange Messer auf sich zukommen. Bei aller Schnelligkeit konnte er nicht mehr rasch genug ausweichen. Der GenTec schloss binnen Sekundenbruchteilen mit seinem Leben ab. Doch da geschah das Unglaubliche. Aus den am Himmel geisternden »Polarlichtern« löste sich ein schlangenartiges Gebilde und zuckte wie ein Blitz in die
Klinge des Schattenhaften. Jarvis wurde geblendet. Im nächsten Moment war das Wesen völlig in eine Aura aus Licht gehüllt und schrie wie am Spieß. Der Blitz sprang auf die anderen Schatten über. Einer nach dem anderen warf sich herum und rannte laut schreiend zurück dorthin, von wo er gekommen war - in den großen Hügel. Erst jetzt registrierte Jarvis die beleuchtete Öffnung im Hügel. Er nahm sich vor, sich ihre Position zu merken. Aber dann ging alles ganz schnell. Die Lichtschlange stand und wand sich in der Luft. Als die Schatten ihre Behausung erreichten, erlosch das Licht um sie herum, und der Eingang schloss sich hinter ihnen. Jarvis aber sah die Leuchtschlange auf sich zukommen. Ihr Kopf bohrte sich in seinen Schädel, bevor er ausweichen konnte. Wahrscheinlich wäre ihm das auch gar nicht möglich gewesen. Er stürzte und fiel wie ein Stein. Den Aufschlag auf dem Boden der Lichtung spürte er nicht mehr. Er verlor aber auch nicht das Bewusstsein. Bunte Sterne tanzten vor seinen geschlossenen Augen. Er hörte eine überirdisch anmutende Musik. Er konnte kein Glied rühren, war den Visionen hilflos ausgeliefert, die ihn plötzlich heimsuchten. Bilder ohne Zusammenhang blitzten vor seinem inneren Auge auf. Gewaltige Kuppeldome unter Wasser. Mit Ungeheuern kämpfende Gestalten. Wie Kraken aussehende Unterwasserfahrzeuge und Raumschiffe, die diesen sehr ähnlich sahen. Und dann sah er etwas, das er wiedererkannte: den AquaKubus, die Vaaren und ihr Hilfsvolk, die echsenhaften Luuren. Luuren! Wieso brannten sie sich jetzt so stark in seine Visionen? Wer immer ihm die Bilder schickte - was wollte er damit
erreichen? Jarvis kämpfte gegen die Visionen an. Doch sie wurden nur umso eindringlicher. Der Körper des GenTecs bäumte sich auf, als jeder einzelne Muskel zu verkrampfen schien. Jarvis schrie, aber er hörte die eigenen Schreie nicht mehr. Die Kopfschmerzen waren wieder da, brachten seinen Schädel schier zum Zerplatzen. Er fürchtete, den Verstand zu verlieren. Immer neue Visionen suchten ihn heim - bis er endlich von einer gnädigen Ohnmacht erlöst wurde... * Als er erwachte, war es heller Tag. Der Chrono verriet ihm, dass wiederum erst sechs Stunden verstrichen waren. Damit stand fest, dass die Nacht auf diesem Planeten tatsächlich genauso lang - oder kurz - war wie der Tag. Was war geschehen? Jarvis richtete sich auf. Die Kopfschmerzen waren verflogen, aber jeder Muskel tat ihm weh, so als hätte er einen schweren Kampf hinter sich. Doch daran konnte er sich nicht erinnern - dafür umso mehr an die Visionen vor seiner Ohnmacht. Wer hatte ihm die Visionen geschickt? Die Lichtschlange, die die Angreifer in die Flucht geschlagen hatte? Das »Polarlicht«? Handelte es sich vielleicht um eine fantastische Form von intelligentem Leben? War die Stellung der Leuchterscheinungen zueinander eine Form der Kontaktaufnahme? Der Versuch? Jarvis griff sich an die Stirn. Es waren zu viele Fragen auf einmal. Der Hügel war wieder im Boden verschwunden. Jarvis schloss nicht aus, dass sein Auftauchen des Nachts mit den Gezeitenkräften der Monde zu tun hatte, so verrückt die Idee
im ersten Moment sein mochte. Er glaubte nicht daran, dass seine Bewohner ihn mechanisch bewegten. Dazu hatten sie einen zu primitiven Eindruck gemacht. Wer mit Messern und Keulen angriff, baute keine komplizierten Aufzüge. Aber ihre Gefallenen hatten die Wesen mitgenommen. Noch immer wusste er nicht, wie sie eigentlich genau aussahen. Sie waren kleiner als er, liefen mal auf zwei, dann wieder auf vier Beinen, und sie hatten Schwänze. »Jarrvi!« Der GenTec drehte sich um. Shadow und zwei weitere Affen standen vor ihm. Shadow hielt eine Kelchblüte in den Händen, die anderen trugen Früchte. »Shadow, mein Freund«, sagte Jarvis lächelnd. Der Kleine war eine treue Seele, und wie es schien, hatte er zwei Freunde mitgebracht. Jarvis entgingen allerdings die furchtsamen Blicke nicht, die sie dorthin warfen, wo sich der Hügel befunden hatte. »Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte Jarvis. »Die bösen Geister kommen nur nachts zum Vorschein.« Was redete er da? Böse Geister! Er sprach wie zu Kindern. Aber in ihrer Art waren sie das auch. »Chäddo keinnangst«, schnatterte das Affenwesen. Wenn er wusste, was er da sagte, war das eine glatte Lüge. Shadow reichte Jarvis die große Blüte, und der GenTec trank sie in einem Zug leer. Danach wurden ihm die Früchte gereicht, und er aß. Die Affen sahen ihm dabei zu. Als er fertig war, sprangen sie auf und klatschten begeistert in die Hände. Nur Shadow blieb auf dem Boden. Er streckte die Hand weit aus und betastete Jarvis' Anzug dort, wo die Blutflecken vom Kampf klebten. »Es hat nichts zu bedeuten, Kleiner«, sagte der GenTec. »Ich hatte nur eine Begegnung mit King Kong. Der kommt so schnell nicht wieder.« Shadow legte den Kopf schief. Jarvis hatte das Gefühl, als
suche er angestrengt nach der Bedeutung der ihm fremden Worte. Er deutete auf seine Brust und sagte noch einmal: »Ich Jarvis. Das«, er beschrieb mit beiden Händen neben sich eine riesige Gestalt in der Luft, »King Kong. Verstehst du mich?« »Chäddo keinnangst!«, antwortete der Affe. »Kikong keinnangst!« »Erstaunlich«, lobte Jarvis. »Wenn wir mehr Zeit hätten, könnte ich dir glatt das Sprechen beibringen. Aber ich fürchte, wir haben diese Zeit nicht.« Es klang wie bittere Ironie. Natürlich hatte er Zeit, Zeit bis zum Abend, wenn die Monde aufgingen und sich der Hügel aus dem Boden schob. Wie sollte er den Tag totschlagen, und was war mit Resnick? Lebte er überhaupt noch? Jarvis durfte nicht daran denken. Er legte sich lieber eine Strategie für die Nacht zurecht. Die Affen ließen ihn in Ruhe nachdenken. Auch das war erstaunlich. Schließlich glaubte der GenTec, einen brauchbaren Plan zu haben. Er lä chelte den Affen zu. Der Schluck Wasser aus der Kelchblüte war nicht genug gewesen, er brauchte mehr, um fit zu sein. Deshalb nahm er die Blüte, zeigte zuerst hinein und dann auf seinen offenen Mund. »Ich brauche noch mehr Wasser«, sagte er. »Könnt ihr mir zeigen, wo ihr es findet?« »Wasser«, wiederholte Shadow und nahm die Blüte. Dann drehten er und seine beiden Begleiter sich um und wollten die Lichtung verlassen. »Nicht so schnell, Freunde!«, rief Jarvis. »Ihr sollt mir die Quelle zeigen! Ich begleite euch!« Shadow blieb stehen. Wieder legte er den Kopf schief. Dann nickte er. Er hat mich verstanden!, dachte Jarvis. *
Resnick stieg vorsichtig über die am Boden liegende Platte, die er mit seinem Beschuss aus der Wand gelöst hatte. Dahinter erstreckte sich ein weiter Korridor, der ebenfalls von dem bläulichen Licht erfüllt war. Der Mann von der Erde machte die ersten Schritte hinein. Es sah verhältnismäßig gut aus... Urplötzlich hob ein Gezische an. Scheinbar aus den Wänden lösten sich mehrere Gestalten und rannten auf ihn zu. Luuren? Wieso traf er hier auf ein Hilfsvolk der Vaaren? Durch seine Verblüffung zögerte der GenTec einen Moment zu lange, um seine Waffe zu ziehen. Die Fremden - sie wirkten auf Resnick viel tierischer als die Luuren des Aqua-Kubus - waren heran und knüppelten mit ihren Keulen auf ihn ein. Gleich einer der ersten Hiebe riss ihm den Boden unter den Füßen weg. Ehe er sich versah, lag er auf der Erde und versuchte nur noch, seinen Kopf mit den Armen zu schützen. »Hört auf!«, schrie er. »Ich bin nicht euer Feind! Das ist alles ein großes Missverständnis!« Aber sie hörten nicht. Sie brüllten Worte in einer Sprache, die er nicht verstand, trotz des Chips in seinem Nacken, der ihn die wichtigsten galaktischen Sprachen verstehen lassen sollte. Auch wenn diese Wesen hier wie Luuren aussahen - sie waren von ungestümer Wildheit und Aggressivität und weitaus primitiver als ihre Artgenossen, die er kennen gelernt hatte. »Hört auf! Ihr bringt mich ja um!« Vielleicht wollten sie das. Resnick versuchte unbeholfen, seine Waffe zu ziehen. Doch kaum hielt er sie in der Faust, trafen zwei Schläge seinen Arm dermaßen hart, dass er nicht anders konnte, als loszulassen. Plötzlich, ohne einen ersichtlich Grund, ließen die Hügelbewohner von ihm ab. Resnick fühlte sich gemartert. Sein ganzer Körper war eine einzige Pein. Er kämpfte um sein Bewusstsein.
Die Echsenartigen sprachen mit zische nden Lauten miteinander. Dann beugten sich zwei von ihnen zu ihm herab und packten ihn an den Beinen. Der GenTec war zu erschöpft, um sich noch dagegen zu wehren. Sie schleiften ihn, begleitet von ihren Artgenossen, durch den Gang, der kürzer war als er vermutet hatte. An seinem Ende befand sich eine offene Tür aus dem gleichen Material wie die Wände. Dahinter lag ein Raum, der etwas größer war als das Nest, in dem er zu sich gekommen war. Sie warfen ihn hinein. Alle bis auf zwei verschwanden, doch nicht bevor sie ihm die Hände auf den Rücken und die Beine gefesselt hatten - und diesmal nahmen sie ihm seine Ausrüstung ab, wenn sie ihm auch den Anzug ließen. Die beiden Übriggebliebenen schienen den Auftrag zu haben, ihn zu bewachen, denn die Tür blieb offen. Auffallend war, dass sie keine Keulen trugen, sondern lange Messer, fast schon Schwerter. »Hallo Freunde!«, rief Resnick nach ungefähr einer Stunde. Selbst das Sprechen tat weh. »Ich will nicht unhöflich sein, aber hättet ihr vielleicht etwas zu essen für mich? Und zu trinken?« Wie er befürchtet hatte, kam einer von ihnen und versetzte ihm einen Faustschlag gegen die Stirn. Resnick schwanden die Sinne, doch ohnmächtig wurde er noch nicht. Nicht wieder! Die Wache kehrte zur Tür zurück. Resnick drehte sich auf den Rücken. Und dann geschah das Wunder doch noch, auf das er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Ein Luure erschien mit einem großen Teller und einer Kanne. Das Echsenwesen stellte den Teller und die Kanne vor Resnick auf dem Boden ab und beugte sich über sein Gesicht. Der Luure hielt zuerst die Kanne an Resnicks Mund. Resnick öffnete die Lippen und ließ das kühle Wasser in seine Kehle strömen, trank in kleinen Zügen. Als der Luure die Kanne
zurückzog, war der schlimmste Durst gelöscht. Dann gab der namenlose Wohlt äter ihm mit einem primitiven Holzlöffel von dem Brei, der sich auf dem Teller befand. Resnick staunte, es schmeckte nicht schlecht. Obwohl das Zeug widerlich grün aussah, konnte man es gut essen, und das brauchte er jetzt. Er hätte sogar gegrillte Ratten gegessen. Als er gesättigt war, dankte er seinem Wohltäter. Der Luure verstand, was der GenTec sagen wollte, und erhob sich. Resnick fü hlte sich besser. Anscheinend wollten sie ihn hier nicht verhungern lassen. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Als der Luure die Wachen passierte, redeten sie etwas in ihrer unbekannten Sprache. Dabei zeigte einer der Posten auf Resnick und rieb sich dann über den Bauch. Großer Gott!, dachte der GenTec. Sie wollen mich nicht aus Reue oder plötzlicher Freundlichkeit aufpäppeln. Sie wollen mich mästen! * In Krell wüteten der Hunger und der Schmerz. Er lebte, obwohl die Wunden, die das Futter ihm beigebracht hatte, furchtbar waren. Weniger die in seinen Tentakelarmen, als vielmehr die in seinem Kopf. Zu dem Jagdinstinkt kam nun der der Rache. Er wusste, dass das Fleisch vom Land in den See zurückkehren würde, auf der Flucht zu der großen Kugel. So war es bisher immer gewesen. Er musste nur warten. Wie aber schaffte er das, mit leerem Magen und dem Schmerz, der ihn quälte und jeden vernünftigen Gedanken unterband? Krell hatte ganze Schwärme von Fischen vertilgt, außerdem einige tierische Landbewohner, die so unvorsichtig gewesen waren, den See als Tränke zu benutzen. Als sich Krells
Tentakel nach ihnen streckten, war alles zu spät. Ja, er hatte gefressen, aber es war nicht genug! Die Rache... Der Gedanke daran wühlte wie der Hunger in ihm. Noch nie waren ihm so schlimme Wunden zugefügt worden, und noch einmal würde das auch nicht geschehen. Jetzt war er vorbereitet. Jetzt konnte das Fleisch wiederkommen! Das Warten würde zur Qual werden. Schon viel zu lange befand sich das Fleisch an Land. Der Gedanke, dass es tot wäre, quälte Krell zusätzlich. Das durfte nicht sein! Niemand durfte ihm seine Rache nehmen, auch die Beherrscher des Landes nicht!
6. Resnicks Befreiung Die neue Nacht war angebrochen, und damit hatten sich Shadow und seine beiden Kumpane von der Lichtung zurückgezogen - Jarvis allerdings auch. Der GenTec lag auf dem Bauch, dort wo das Unterholz aufhörte und die Lichtung begann. Er konnte von hier aus alles übersehen. Noch standen nur die Sterne und drei Monde am Himmel. Vor ihrem Hintergrund spielten die seltsamen »Polarlichter« - was sie ja offensichtlich nicht waren. Insgeheim fürchtete sich Jarvis davor, dass sie wieder eine Lichtschlange ausbildeten, die auf ihn herabzuckte. Die nächtlichen Geräusche des Dschungels versuchte er zu ignorieren. Er hatte diesmal kein Feuer gemacht, das Raubtiere abschrecken konnte. Jarvis hatte alles auf eine Karte gesetzt. Wenn es ihm in dieser Nacht nicht gelang, in den Hügel einzudringen, dann wohl niemals mehr. Noch steckte der »Termitenbau« in der Erde.
Plötzlich, fast alle Sinne auf die Lichtung gerichtet, hörte er ein Keckern neben sich. Er drehte den Kopf und sah Shadow. »Nanu?«, fragte er. »Was machst du hier? Du hast doch eine Heidenangst vor der nächtlichen Lichtung.« »Keinnangst«, sagte das Affenwesen tapfer. »Keinnangst.« Jarvis strich ihm liebevoll über das Fell. Shadow zitterte, doch er schien es zu genießen. Ganz plötzlich warf er sich Jarvis an die Brust und klammerte sich an ihm fest. »Nanana«, sagte der GenTec. »Nur nicht so stürmisch, kleiner Freund. Warum bist du überhaupt zurückgekommen?« »Keinnangst«, wiederholte das Wesen nur. Jarvis kraulte es fünf Minuten lang. Dann schob er es sanft zurück. »Du musst jetzt ganz ruhig sein, Kleiner. Jeden Augenblick kann...« Und da geschah es auch schon. Zwölf Monde standen am Himmel, als der Termitenhügel begann, sich aus dem Boden zu schieben. Er wuchs bis sechs Meter in die Höhe und hielt dann aber in seiner Aufwärtsbewegung inne. Shadow begann leise zu schnattern. Jarvis legte ihm den linken Arm um die Schulter und sprach beruhigend auf ihn ein. »Bleib ganz ruhig oder verschwinde, Shadow«, sagte er. »Du darfst alles, nur nicht uns jetzt verraten!« »Keinnangst«, sagte das Äffchen abermals. Dann wurde es ruhig. Jarvis fragte sich, woher es seinen plötzlichen Mut nahm. Spürte es, was für ihn auf dem Spiel stand? Auf jeden Fall musste es große Selbstüberwindung kosten. Der GenTec bewunderte es dafür. Dann aber wandte er wieder seine ganze Aufmerksamkeit dem »Termitenbau« zu, während die Monde am Himmel immer mehr wurden und die Leuchterscheinungen die mittlerweile vertrauten Muster bildeten.
Zwei Stunden lang musste er warten, dann bildete sich in dem Hügel eine rechteckige, helle Öffnung. »Jetzt ganz still, Shadow!«, flüsterte er. »Die Show beginnt.« Natürlich hatte der Affe keine Ahnung, was eine Show war, aber er verstand instinktiv. Aus der Öffnung kamen etwa ein Dutze nd der fremden Wesen, allesamt mit Keulen, langen Messern und sogar Pfeil und Bogen bewaffnet. Jetzt, im Licht, das aus dem Eingang schien, konnte er die Wesen auch genau erkennen. Luuren? Jarvis verdrängte den Gedanken. Die Meister der Materie des Aqua-Kubus waren zivilisierte, intelligente Wesen. Diese Biester hingegen... Andererseits sahen sie genauso aus. Vielleicht waren sie etwas kräftiger, aber die Ähnlichkeit war verblüffend. Vielleicht eine verwandte Spezies... Als Erstes wandten sich die Luuren der erloschenen Feuerstelle zu und stocherten mit ihren Messern in der Asche herum. Sie sprachen miteinander. »Jetzt wundern sie sich«, flüsterte Jarvis. Die Luuren schienen kurz Kriegsrat zu halten. Dann gab einer, ihr Anführer, ein Zeichen, und sie wanderten weiter, weg von der Lichtung und hinein in den Dschungel. Die Öffnung in ihrem Hügel blieb offen, mäßig beleuchtet. Alles in Jarvis drängte darauf, sofort loszusprinten, auf die Öffnung zu, bevor sie sich wieder schloss. Doch ausgerechnet Shadow hielt ihn zurück. »Was willst du mir sagen?«, fragte Jarvis Das Affenwesen bewegte die Hände auf und ab, so als wolle es Jarvis zur Geduld mahnen. Dann zeigte es in die Richtung, in der die Luuren verschwunden waren. »Du meinst, wir sollten ihnen folgen?«, wunderte sich der
GenTec. Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Shadow legte den Kopf schief und sah Jarvis aus großen Augen an. Wieder machte er die Bewegung mit den Händen. »Wir sollen warten, ja?«, vermutete Jarvis. »Worauf?« Der Affe nickte heftig, und im nächsten Augenblick wusste Jarvis, warum. Aus dem Dschungel kam ein furchtbares Gekreische, gefolgt von Triumphschreien. Das wiederholte sich einige Male. »Ich verstehe«, sagte Jarvis. »Die Luuren oder Luurenähnlichen befinden sich auf Be utezug. Natürlich, sie brauchen genauso etwas zu Essen wie wir. Ihre größte Beute aber, nämlich mich, haben sie noch nicht gefunden. Wir wissen nicht, wie lange sie fortbleiben, Shadow. Aber wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Er sprach wie selbstverständlich von ihnen beiden. Und tatsächlich, als er sich aufrichtete, die Waffe zog und gebückt auf den Hügel zuging, folgte ihm Shadow mit zitternden Gliedmaßen und klappernden Zähnen. »Du musst nicht mitkommen«, sagte Jarvis. »Chäddo keinnangst.« Jarvis bewunderte den Mut des Wesens. Er schlich über die Lichtung. Die Zischlaute und das Gebrüll verrieten ihm, dass die Echsenartigen weiterhin mit der Jagd beschäftigt waren. Der Dschungel war in Aufruhr. Noch immer existierte die Öffnung im Hügel. Gerade noch rechtzeitig aber sah Jarvis die beiden Wachen, die zu beiden Seiten des Eingangs postiert waren. Er gab Shadow ein Zeichen, dass er weitergehen sollte - auf sie zu. Auch wenn der GenTec Übermenschliches von dem Äffchen verlangte: Es musste sie ablenken, damit er sie überrumpeln konnte. Noch hatten sie ihn nicht entdeckt. Er gab Shadow einen Klaps auf den Rücken und ließ sich selbst zu Boden gleiten. Dann robbte er zur Seite weg, um hinter den Hügel zu
kommen. Shadow blieb für einen Augenblick stehen, dann ging er tatsächlich weiter. Jarvis war nicht wohl bei dem Gedanken, dass der kleine Affe womöglich bewusst sein Leben aufs Spiel setzte, um ihm zu helfen. Er schlich weiter, bis er hinter dem Hügel war. Dort erst richtete er sich wieder auf und drückte sich fest an die Wand des Hügels. So schlich er weiter, die linke Hand zur Faust geballt, in der Rechten das Messer. Den Strahler hatte er weggesteckt, denn der grelle Lichtblitz würde viel zu viel Aufmerksamkeit erregen. Als er den Ruf einer der Wachen hörte, beschleunigte er seine Schritte. Und dann sah er es. Shadow war noch etwa zehn Meter vom Hügel entfernt und lag auf den Knien, den Kopf auf dem Boden, eine ebenfalls fast menschliche Geste der Unterwürfigkeit. Der Posten auf dieser Seite des Eingangs wandte Jarvis den Rücken zu. Er hatte ein langes Messer in der Hand und fuchtelte damit in der Luft herum, um Shadow zu vertreiben. Der GenTec atmete auf. Wäre der Luure mit Pfeil und Bogen bewaffnet gewesen, wäre Shadow jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Jarvis zögerte nicht mehr länger. Er nahm einen kurzen Anlauf und sprang den Posten von hinten an. Blitzschnell legte er ihm den linken Arm um den Hals und schmetterte den Messergriff gegen den Echsenschädel. Der Luure konnte nur einen erstickten Laut vo n sich geben. Er sackte in Jarvis' Griff zusammen und glitt zu Boden, als Jarvis ihn losließ. Der GenTec packte das lange Messer, das der Echse aus der Hand gefallen war mit der Linken - und das keinen Augenblick zu früh! Die zweite Wache kam herangestürmt. Verdammt! Wenn der anfängt zu schreien, wird's ungemütlich.
Doch der Luure kämpfte schweigend. Jarvis parierte seine wütenden Schläge mit dem Messer wie im Schwertkampf. Der Luure war ein guter Kämpfer, aber Jarvis hoffnungslos unterlegen. Trotzdem trieb allein der Schwung seines Angriffs den Menschen zurück. Kaum jedoch hatte Jarvis sich gefangen, lenkte er die gegnerische Klinge mit dem erbeuteten Kurzschwert zur Seite und stieß dem Luuren sein eigenes Messer in die Brust. Jarvis überzeugte sich davon, dass auch der andere selig schlief. Er sah Shadow in zwanzig Metern Entfernung und winkte ihm zu, dass er in den Dschungel zurückkehren solle. Seine Aufgabe war erledigt. Jarvis hoffte, dass er ihm noch dafür danken konnte. Dann betrat er den Hügel. Jeden Augenblick konnten die Jäger zurückkommen. * Jarvis betrat eine Art Vorkammer, die durch brennende Kerzen beleuchtet war. Kein Luure war hier anwesend. Sie verließen sich offenbar voll und ganz auf ihre beiden Posten. Na, dann seid ihr verlassen!, dachte der GenTec. Er schob sein Messer in eine Tasche seines Anzugs und zog stattdessen mit der Rechten den Strahler. Etwas wehmütig dachte Jarvis daran, wie es wohl wäre, wenn Scobee und Cloud jetzt bei ihm wären. Sie wären zweifellos eine große Hilfe gewesen - dreifache Feuerkraft. GT-Jarvis durchquerte den Vorraum und gelangte auf einen Gang, der nur spärlich beleuchtet war durch sein phosphoreszierendes Gestein. Für Jarvis reichte es allemal aus. Nach nur etwa drei Metern war der Gang zu Ende. Im Boden befand sich ein anderthalb Meter durchmessendes Loch mit Steigsprossen. Jarvis wusste nicht, wie weit der Schacht in die Tiefe führte, aber er hatte keine Wahl. Er musste sich ihm
anvertrauen. Da er keine vernünftige Möglichkeit sah, das Kurzschwert des Luuren an seinem Anzug zu befestigen, und er nun die Hände frei brauchte, ließ er es zurück. Er hatte schließlich immer noch zwei Strahler und sein Messer. Nach etwa zehn Metern zweigten links und rechts je ein Gang von dem Schacht ab, und die Leiter fü hrte auch noch weiter nach unten. Der GenTec entschied sich für den linken Gang. Es war vermutlich am besten, wenn er systematisch vorging und sich langsam nach unten vorarbeitete. Er konnte nur hoffen, dass dieses Höhlensystem nicht zu verzweigt war. Er trat in den Gang und zog eine der beiden Strahlenpistolen, bevor er zügig und doch vorsichtig voranschritt. Auch dieser Tunnel hatte phosphoreszierende Wände. Es war ein so seltsames Licht, dass es Jarvis in den Augen schmerzte. Dabei war es nicht einmal besonders grell. Doch das konnte ihn selbstverständlich nicht aufhalten. Er gelangte an eine T-Kreuzung und wählte wieder den linken Gang. Wenn er sich immer links hielt, konnte er sich wenigstens nicht verlaufen, wenn er wieder hinauswollte. Er musste dann einfach immer nur rechts abbiegen. Nach kaum fünf Metern wurde ihm klar, dass der Stollen in eine Sackgasse führte. Trotzdem folgte er ihm weiter, um sicher zu gehen. Er konnte nicht riskieren, die Tür zu übersehen, hinter der Resnick gefangen gehalten wurde. Doch da war nichts. Also drehte er um und schritt in den gegenüberliegenden Gang. Dieser beschrieb einige Kurven, die für den GenTec keinen Sinn ergaben. Doch wahrscheinlich war dieses ganze Höhlensystem natürlichen Ursprungs und nachträglich erweitert worden.
Er bog um eine Ecke - und stand einem Luuren gegenüber. Der Echsenähnliche starrte Jarvis verblüfft an. Sein Maul klappte auf... Und der GenTec schlug zu. Mit einem verlöschenden Seufzen sackte der Luure in sich zusammen. Seine toten Augen starrten den GenTec vorwurfsvoll an. Das war wohl etwas zu fest, dachte Jarvis. Einem Menschen hätte dieser Schlag nur das Bewusstsein geraubt. Es war nicht so, dass Jarvis Mitleid verspürte. Diese Kreaturen hatten sie immerhin angegriffen und seinen Freund verschleppt. Doch er hatte auch nicht vor, den ganzen Bau auszurotten wenn es sich vermeiden ließ. Jarvis schritt über den toten Luuren hinweg und ging weiter. Nach nur einer kurzen Strecke zweigten mehrere kleine Kavernen ab, die den Echsen offenbar als Wohnquartiere dienten. Hier stank es bestialisch. Es schien so, als schliefen diese Wesen unter ungegerbten Fellen. Doch in keiner der Höhlen hielt sich ein Luure auf, und der Gang endete hier. Der GenTec konnte nicht anders, als umzukehren. Er eilte durch den Gang zurück bis zur Leiter, überwand den Stollen, der in die Tiefe führte, und begann, den anderen Gang zu erkunden. Kaum hatte er den Tunnel betreten, als er es schon für einen Fehler hielt. Offenbar befanden sich hier die Vorratskammern des Luuren-Baus. Der Gestank in den Wohnquartieren war ein duftender Frühlingshauch dagegen. Nachdem er in den ersten beiden Kammern nur totes, vor sich hin rottendes Fleisch vorgefunden hatte, kehrte er zur Leiter zurück. Hier würde er Resnick nicht finden. Und wenn er doch hier sein sollte, überlegte er, dann möchte ich ihn gar nicht finden.
Wieder ging es abwärts, bis nach etwa zwanzig Metern wieder ein Gang abzweigte. Jarvis seufzte. Möglicherweise war dieses Labyrinth größer, als er gedacht hatte. Aber ihm blieb keine Wahl. Dieser Gang war breiter als die beiden oberen. Dennoch schlängelte er sich durch den Fels wie eine natürliche, vom Wasser ausgespülte Rinne. Der GenTec bemerkte, wie er leichte Kopfschmerzen bekam. Bestimmt von diesem widerlichen Licht. Plötzlich hörte er eilige Schritte, die sich ihm näherten. Er hatte keine Möglichkeit, sich zu verstecken oder auch nur Deckung zu finden. Also hob er den Strahler und richtete ihn auf den Gang vor sich. Die Schritte wurden lauter. Im nächsten Moment kamen zwei Luuren um eine Kurve gerannt. Der eine prallte förmlich zurück, als er den Menschen sah. Er erstarrte und blieb stehen. Der andere jedoch hatte die Situation blitzschnell erfasst und reagierte. Aus vollem Lauf warf er sich auf den GenTec. Jarvis schoss, traf auch. Doch der tote Körper prallte gegen ihn und ließ ihn zurücktaumeln. Der GenTec fluchte, wollte das nächste Ziel anvisieren. Der zweite Luure aber hatte sich längst gefangen. Er sprang vor und krallte nach seinem Gegner. Ein hässliches Zischen drang aus seinem Maul. Jarvis warf sich zurück, registrierte im letzten Moment, dass sich knapp hinter ihm die Wand befand, und machte einen Buckel, um sich nicht den Kopf am Fels anzuschlagen. Das Echsenwesen setzte sofort nach, um dem Menschen die Zähne in den Hals zu schlagen, doch der GenTec stieß den Luuren von sich. Körperlich war er ihm weit überlegen. Das erkannte auch sein Gegner. Kaum hatte die Echse das Gleichgewicht wiedererlangt, wirbelte sie herum und rannte
laut schreiend den Gang entlang, weg von der Leiter. Jarvis stieß einen Fluch aus, als das Wesen um die Ecke verschwand, bevor er es aufhalten konnte. Er musste hinterher, wenn er nicht bald dem ganzen Stamm gegenüberstehen wollte. Er sprintete los, bog um die Ecke und sah gerade noch, wie der Luure bereits um die nächste verschwand. Der GenTec hetzte hinterher. Der Tunnel endete in einer großen Höhle, aus der es keinen zweiten Ausgang zu geben schien. Jedenfalls versuchte der Luure nicht mehr zu entkommen, sondern sich zu verstecken. Doch er war zu langsam, denn Jarvis sah seine Schwanzspitze hinter einem Geröllhaufen verschwinden. Sich wachsam umschauend, betrat der GenTec die Höhle. Niemand sonst war zu sehen. Wo sind die eigentlich alle?, überlegte er. Die große Kaverne, in der er sich befand, schien eine Art ja, was? - zu sein. Jarvis konnte keinen besonderen Zweck der Höhle erkennen. Der Boden war von Schotter bedeckt, sodass er bei jedem Schritt aufpassen musste, wohin er trat. Aber möglicherweise steckte ja auch gar kein Sinn dahinter, und es war einfach nur eine Höhle. »Komm raus!«, rief der GenTec. Er erwartete nicht, dass das Wesen ihn verstand oder ihm gar gehorchte. Doch er wollte es wenigstens versuchen. Er sollte Recht behalten. Der Luure zeigte sich nicht. Vorsichtig näherte sich Jarvis dem Geröllhaufen, hinter dem sich die Echse verkrochen hatte. Die Steine knirschten unter seinen Schritten. Es war unmöglich, sich unbemerkt anzuschleichen. Schließlich bog er um den Hügel. Den Energiestrahler in der Faust wartete er nur auf einen Hinterhalt, auf eine Verzweiflungstat des Luuren. Fast hatte er den Schotterhaufen halb umrundet - da hörte er auf der anderen Seite hastige Schritte.
»Verdammt!«, stieß der GenTec hervor und wirbelte herum. Das heißt, er wollte es. Doch auf dem Geröll rutschten seine Füße weg, und er verlor einen kostbaren Moment, während er um sein Gleichgewicht kämpfte. Dann erst eilte er, so schnell der unsichere Untergrund es zuließ, zurück um den Hügel herum. Einen Moment später sah er den Eingang zum Tunnel - und den Luuren, der ihn beinahe erreicht hatte! Wenn er erst im Stollen ist, habe ich keine Chance mehr, ihn einzuholen. Und dann ist wirklich der ganze Stamm hinter mir her. Jarvis überlegte nicht länger. Er schoss. Der grelle Lichtstrahl fuhr dem fliehenden Luuren in den Rücken. Mit einem Quieken warf das Wesen die Arme in die Höhe, stolperte noch zwei Schritte weiter und brach dann zusammen. Der GenTec schluckte. Diese Wesen waren mehr als Tiere, und es gefiel ihm gar nicht, einem von ihnen in den Rücken geschossen zu haben. Er stiefelte zurück zur Leiter und fragte sich einmal mehr, wo all die anderen Luuren waren. War dieses Höhlensystem etwa so ausgedehnt, dass man den Bewohnern so selten begegnete? Wie sollte er dann jemals Resnick finden? Jarvis schob die unangenehmen Gedanken zur Seite und schwang sich auf die Leiter. Es war mehr Zufall, dass er einen Blick nach oben warf. Dabei entdeckte er den Luuren, der sich auf den Sprossen schnell nach unten bewegte. Das Wesen hatte ihn noch nicht entdeckt. In einem ersten Impuls richtete der GenTec den Strahler auf die Echse, überlegte es sich dann jedoch anders und schwang sich von der Leiter wieder zurück in den Tunnel. Er steckte den Strahler weg und wartete. Als der Luure ihn passierte, schnellten die Hände des GenTec vor, packten ihn an den Oberarmen und zerrten ihn in
den Tunnel. Die Echse schrie zuerst überrascht und dann wütend. Sie wehrte sich, trat aus, schnappte nach Jarvis. Der presste sie so gegen die Wand, dass ihre Füße den Boden nicht berührten, und wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Doch das tat sie nicht. Im Gegenteil wurde sie immer rasender. Jarvis blieb keine andere Wahl, als ihr das Maul zuzuhalten. Der Luure bäumte sich auf, wand sich wie ein Aal, hatte aber keine Chance zu entkommen. »Jetzt sei still!«, stieß der GenTec hervor und schüttelte die anderthalb Meter große Echse. »Beruhige dich!« Er hoffte, dass die Sprechmelodie dem Wesen klar machte, was er wollte. Tatsächlich erschlaffte der Luure und stellte seine Gegenwehr ein. Er blickte Jarvis an. Der GenTec wünschte sich, er könnte in diesem Gesicht lesen. Doch es war zu verschieden von dem eines Menschen. Vorsichtig lockerte er seinen Griff und setzte den Luuren ab. Kaum berührten dessen Füße den Boden, schien er zu explodieren. Er ließ sich fallen, wirbelte dabei herum und schmetterte Jarvis den Schwanz seitlich gegen das rechte Knie. Der Hieb war gar nicht besonders kräftig, doch er traf so präzise, dass der GenTec einknickte. Jarvis stöhnte auf, fluchte. Da warf sich der Luure bereits auf ihn und riss ihn um. Der GenTec kam unter der Echse zu liegen und war einen Moment damit beschäftigt, sich die zusammenschnappenden Zähne vom Hals zu halten. Im nächsten Augenblick hatte Jarvis die Überraschung überwunden und ging zum Gegenangriff über. Er bäumte sich auf, brachte das linke Bein zwischen sich und seinen Gegner und schleuderte diesen kopfüber nach hinten. Der Luure kreischte auf - doch seltsam: Die Schreie des Echsenähnlichen wurden leiser und brachen abrupt ab. Jarvis sprang auf die Beine, trat einen Schritt vor und blickte in den
Schacht, der senkrecht nach unten fü hrte. Gut dreißig Meter unter ihm lag der Luure mit verdrehten Gliedern auf dem Fels. Diesen Sturz konnte er unmöglich überlebt haben. Hoffentlich findet ihn keiner, bevor ich unten bin, dachte Jarvis. Er beeilte sich, die Sprossen hinabzusteigen. Nachdem er einige Meter geklettert war, hörte er eine Art Gesang von unten. Es klang schaurig. Jarvis assoziierte ihn mit Wilden, die dabei waren, irgendetwas einem Götzen zu opfern. Resnick! Die Sorge um seinen Freund brachte Jarvis, dazu, sich noch schneller zu bewegen. Er hatte eine Ahnung, was der Gesang zu bedeuten hatte. Offenbar hatten sich die Bewohner des Hügels - außer den Wachen und den Jägern - nach unten zurückgezogen, um irgendeinem Ritual beizuwohnen. Er durfte nicht daran denken, worin es bestehen könnte... Jarvis kletterte weiter. Jetzt drang auch von unten flackernder Lichtschein herauf. Der Gesang nahm langsam an Intensität zu. Der GenTec schwang sich am unteren Ende des Schachts in den dort verlaufenden Gang und duckte sich in eine Wandnische. Er nahm in jede Hand einen Strahler. Noch war von den Luuren nichts zu sehen, aber Jarvis konnte die Richtung bestimmen, aus der der Gesang kam. Langsam und vorsichtig, auf jede Bodenunebenheit achtend, schlich er dorthin weiter. Der Kerzenschein wurde heller. Und dann traf ihn fast der Schlag. In einer Höhle am Ende des Ganges, zwischen einem halben Dutzend Echsen, lag Resnick am Boden. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, und auch seine Beine waren verschürt. Neben ihm brannte ein rauchloses Feuer, über dem ein Spieß aufgehängt war - groß genug, um einen Menschen zu durchbohren. Links neben dem GenTec stand eine Echse mit einem metallisch blitzenden, breiten Beil. Jarvis konnte sich gut
vorstellen, dass ein einziger Hieb mit dieser Waffe Resnicks Kopf vom Körper trennen würde. Er musste handeln, und das schnell! In dem Augenblick, als die Luuren Resnick packten und aufrichteten, griff er an. Grell blitzten die Energiestrahler in seinen Fäusten auf. Die erste der Echsen, die er erwischte, war das Wesen mit dem Beil. Doch ohne zu zögern feuerte er weiter in die überraschten Luuren. »Resnick!«, schrie Jarvis. »Kannst du dich bewegen?« »Sobald du mich losschneidest, wird's schon gehen!« »Ich komme!« Mit wenigen Schritten war Jarvis bei seinem Gefährten. »Halt still!«, verlangte er. Mit dem Strahler in der Linken zwang er die Luuren in Deckung, während er mit dem rechten auf Resnicks Fesseln zielte. Ein kurzes Aufblitzen, und die Stricke waren zerteilt. Der befreite GenTec raffte sich auf die Beine. Die ersten Schritte machten Resnick spürbar zu schaffen, aber mit jedem weiteren wurde er sicherer. »Den Tunnel entlang und dann die Sprossen rauf bis ganz nach oben!«, erklärte Jarvis und drückte Resnick mit der Rechten den Energiestrahler in die Hand. »Vorwärts!« Resnick folgte den Anweisungen und zog sich zurück. Er hatte bereits die ersten Sprossen erklommen, als Jarvis, der ihm Deckung gab, ihm folgen wollte. Da versagte der Energiestrahler Jarvis den Dienst. Energie zu Ende!, durchfuhr es ihn. »Scheiße!« Die übrigen Luuren merkten schnell, dass die schreckliche Waffe offenbar keine Gefahr mehr darstellte, und kamen aus ihren Verstecken hervor. Zwar waren sie noch zögerlich und vorsichtig, doch sie näherten sich dem GenTec. Jarvis zog sich in den Gang zurück. Mit der Rechten fischte er sein Messer aus der Tasche, während er mit der Linken eine Handgranate hervorzog - wenn es denn eine Granate war.
Aber auch so wollte er sie nur ungern benutzen. Nicht aus Mitleid mit den Luuren, sondern weil er keine Ahnung hatte, was für eine Sprengkraft sie hatte. Möglicherweise war es ja eine Mini- Atombombe. »Ich bin oben«, erklang da Resnicks Stimme. »Komm, ich geb dir Feuerschutz!« Jarvis wirbelte herum und hetzte zur Leiter, rannte förmlich die Sprossen hinauf. Hinter ihm heulten die Luuren auf, folgten ihm. Der GenTec hatte bereits einige Meter hinter sich gebracht, da erreichten die Echsenähnlichen die Sprossen. Über ihm blitzte der Strahler seines Partners auf und trieb sie zurück. Bald ist es geschafft!, dachte Jarvis. Wenn nur die Jäger nicht zu früh zurück sind! Aber genau das waren sie! * Shadow saß schnatternd am Rand des Dschungels, von mindestens zwanzig Artgenossen umringt. Er musste ihnen genau erzählen, was er getan und was er beobachtet hatte, jede Einzelheit. Er schmückte dabei seinen Bericht aus, sparte nicht mit Übertreibungen, was seine eigene Rolle betraf. Vor allem aber schilderte er den glorreichen Kampf von »Jarrvi«, seinem großen und starken, unerschrockenen Freund. Seine Artgenossen stellten Fragen, die er so gut beantwortete, wie es ging. Dann folgte ein flammender Appell an die Affen. Berauscht von seinem Erfolgserlebnis und unglaublich erleichtert darüber, dass er die Annäherung an den großen Hügel lebend überstanden hatte, forderte er sie auf, Jarrvi ebenfalls zu unterstützen. Falls dieser den Hügel wieder verlassen konnte, möglichst zusammen mit seinem Freund, dessen Namen er nicht kannte, mussten sie ihm helfen. Angst und Abwehr schlugen ihm entgegen, aber Shadow
war viel zu sehr in Hochstimmung, um sich irritieren zu lassen. Er packte einen der anderen und schüttelte ihn. Dabei zeigte er sein scharfes Gebiss. Er wollte ja nicht, dass sie mit ihm zum Hügel gingen. Sein Plan war ein anderer. Mit ihm konnten sie sich wenigstens ein bisschen dafür rächen, dass die Hügelbewohner Dutzende von ihnen auf ihren Jagdausflügen getötet hatten. Er hatte die anderen fast überzeugt, da kehrten die Jäger mit großer Beute zurück. Und Jarrvi befand sich immer noch in dem Hügel... * Jarvis sah sie kommen. Sie hatten den Hügel schon fast erreicht und sahen die bewusstlosen oder toten Wachen am Boden. Sie schienen auf Anhieb zu verstehen, was geschehen war, ließen ihre Beutetiere fallen und stürmten mit gezogenen Waffen und die Pfeile im Anschlag auf den Eingang zu. Jarvis und Resnick befanden sich bereits in der kerzenbeleuchteten »Vorhalle«. Hinter sich hörten sie Laufschritte und Klettergeräusche. Jetzt folgten ihnen die Luuren doch, welche die Zeremonie hatten abhalten wollen. Denn auch Resnicks Strahler war inzwischen nutzlos geworden. Stattdessen hielt er das Kurzschwert umklammert, das Jarvis hier zurückgelassen hatte. »Was jetzt, Jarvis?«, fragte Resnick. »Sie kommen von vorne und von hinten!« »Die von unten halte ich auf.« Jarvis warf einen skeptischen Blick auf die Granate in seiner Hand. »Glaub ich.« Er drückte den einzigen Knopf an dem kinderfaustgroßen, eiförmigen Gegenstand. Sofort flammten fünf kleine Lämpchen auf. Dann brannten noch vier. Noch drei...
Hastig warf der GenTec das Ei in den Schacht. »Und jetzt nichts wie weg!« Jarvis rannte los. Vor ihnen erreichten die Jäger den Eingang, und genau dort prallten sie aufeinander. Jarvis warf sich mitten unter sie, verließ sich darauf, dass Resnick ihm den Rücken frei hielt. Sie kämpften mit Messern und mit den Fäusten, streckten einen Gegner nach dem anderen nieder. Pfeile verfehlten sie nur um Zentimeter, wenn auch einer Jarvis am Bein streifte. Da blitzte es in dem Schacht auf, in den Jarvis die Granate geworfen hatte. Das war's. Kein Explosionsdonner, kein Geschrei, nur dieses grelle Licht. Und die Wände des Baus begannen zu brennen, wo sie das Licht traf. Erschreckt kreischten die Luuren, die die GenTecs umzingelten, und wichen zurück. »Weg, Jarvis!«, schrie Resnick. »Oder wir werden doch noch gegrillt!« Er machte einen Satz nach vorne, auf zwei Echsen zu. Doch er erreichte sie nicht mehr. Die Luuren rannten, was das Zeug hielt. Sie flohen in heller Panik vor ihrem brennenden Bau. Resnick und Jarvis he tzten in die entgegengesetzte Richtung. Stichflammen schossen aus dem Material des Baus. Erst als die Luuren den Rand der Lichtung erreicht hatten, blieben sie stehen. Die GenTecs machten ebenfalls am Dschungelrand Halt. Fasziniert beobachteten sie, wie der brennende Hügel im Erdboden verschwand, als würde er schmelzen, was ja vielleicht auch zutraf. Aus dem Loch schoss das Feuer empor wie aus einem kleinen Vulkan. Es dauerte Minuten, bis es völlig erloschen war. »Lieber Himmel«, stöhnte Resnick. »Von den Luuren, die noch in ihrem Bau waren, kann das keiner überlebt haben. Das
habe ich nicht gewollt.« »Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Jarvis. »Sie haben selbst Schuld. Denk immer daran, was sie mit dir vorhatten.« »Du hast ja Recht. Aber es muss mir ja nicht gefallen. Und nun? Unsere Hoffnung, auf eine Zivilisation zu treffen, die uns helfen kann, hat sich wohl zerschlagen.« »Ja«, sagte Jarvis. »Leider. Wenn diese Echsen mit den Luuren verwandt sind, die wir kennen gelernt haben, dann sind sie ganz schön degeneriert. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Unser Problem sind die da!« Jarvis zeigte auf die Jäger, die mit ihnen geflohen waren. Jetzt zischten sie laut und zeigten auf die beiden Menschen. Die ersten Pfeile kamen angeflogen, bohrten sich aber Meter vor den GenTecs in den Boden. Doch sie stürmten bereits näher. »Was tun wir?«, fragte Resnick. »Weiter fliehen oder kämpfen?« »Ich würde ungern noch eine Granate zünden, hier, wo uns diese Strahlen auch erwischen könnten. Wir nehmen den Baum da als Deckung und erwarten sie. Okay?« Resnick nickte. Sie sahen die Luuren heranstürmen - wilde, primitive Kreaturen, die nur noch von ihrem Hass erfüllt waren. Ihr eigenes Leben war ihnen nichts mehr wert. Sie wollten nur noch töten, töten und nochmals töten. Erste Pfeile bohrten sich in die Baumrinde. Andere verfehlten das Ziel. Blind vor Zorn, sahen die Echsen die Sinnlosigkeit ihres Bemühens nicht. Aber jetzt waren sie die Hälfte der Strecke heran, und im Kampf Mann gegen Mann konnten auch die beiden geschulten GenTecs ihre Chancen nicht einschätzen. Diese Gegner waren nicht mehr die von vorhin, die sie hatten überrumpeln können. Plötzlich hob in den Wipfeln der Bäume ein tierisches Gekreische an. Früchte flogen herab auf die Echsen und sogar
Steine. Die Luuren kamen zum Stehen, schauten sich nach dem neuen Gegner um. Und der nutzte die Gelegenheit. Immer mehr Steine trafen, immer mehr Früchte zerplatzten auf den Köpfen der Echsenwesen. »Das ist Shadow!«, rief Jarvis triumphierend. »Shadow und seine Bande!« »Wer, bitte, ist Shadow?«, fragte Resnick. »Ein halb intelligenter Affe, ich erkläre es dir später. Hauptsache ist, dass sie ihre Angst verloren haben und uns zu Hilfe kommen! Das ist unsere Chance! Wir greifen an!« Jarvis jagte auf die Gegner zu. Resnick zögerte nur einen Sekundenbruchteil, bevor er ihm folgte. Tatsächlich schossen die Bogenschützen ihre Pfeile gerade in das Geäst der Baumkronen ab, und waren so kaum eine Gefahr für die beiden GenTecs. Wie ein Blitz fuhren sie in die Jäger und brachte einen nach dem anderen zu Fall, bevor die Luuren sich auf die veränderte Situation einstellen konnten. Sie schalteten gemeinsam zuerst die Bogenschützen aus, dann die Messerkämpfer. Das Steinbombardement von oben hörte abrupt auf. Etwa zwei Drittel der Echsen lagen bewusstlos oder tot am Boden, als einer der anderen einen heiseren Schrei ausstieß und sich zur Flucht wandte. Die übrigen Luuren folgten ihm, ohne sich um ihre am Boden liegenden Artgenossen zu kümmern. Sie sahen sich nicht mehr um und taten etwas, womit die GenTecs niemals gerechnet hätten. Sie stürzten sich in das Loch in der Mitte der Lichtung, in der ihr Hügelbau verschwunden und verbrannt war. Sie stürzten sich in den Tod... *
Es rauschte im Blätterdach. Dann sprangen die Affen herunter, als erster Shadow, eindeutig an dem weißen Fleck auf der Brust zu erkennen. Er kam zögernd zu Jarvis. Dann übermannte es ihn, und er drückte sich gegen das Bein des GenTecs. »Chäddo keinnangst«, kiekste er. »Du gesehen? Keiner von uns mehr Angst.« »Das war ja schon ein ganzer Satz«, staunte Jarvis, »Hier, darf ich dir meinen Freund vorstellen. Das ist Resnick.« »Resnck.« »Genau. Du verstehst immer schneller. Shadow, die Gefahr für euch ist vorüber. Was immer die Wesen aus dem Hügel euch angetan haben, es ist vorbei. Die Wenigen, die überlebt haben, werden sich eine neue Heimat suchen. Lasst sie in Frieden gehen. Hörst du? In Frieden!« »Frieden«, wiederholte Shadow. Jarvis ging vor ihm in die Hocke. »Mein Freund und ich, wir müssen euch leider verlassen. Unsere Hoffnung, hier an Land intelligentes Leben in unserem Sinne zu finden, hat sich leider nicht erfüllt. Diese Welt ist nichts für uns, das müssen wir einsehen. Wir danken dir und deinen Freunden sehr fü r eure Unterstützung. Ohne eure Hilfe wäre es uns wahrscheinlich schlecht ergangen.« Ein fast trauriger Blick aus Shadows Augen traf ihn. »Wir müssen Abschied nehmen«, sagte er. »Aschied?« »Ja, Abschied, kleiner Shadow. Ich wünsche euch viel Glück, und dir danke ich nochmals. Du hast deine große Angst überwunden. Es ist schön, solche Freunde zu haben.« »Aschied«, wiederholte das Äffchen. Und dann tat es etwas, womit Jarvis und Resnick nie gerechnet hätten. Es reichte ihnen die Hand! Die GenTecs drückten sie vorsichtig. Als sie sich voneinander trennten, drehte Shadow sich um und verschwand
im Blätterwerk des Baumes. Seine Artgenossen folgten ihm...
7. Flucht zurück Die GenTecs wollten sich noch ausruhen, bevor sie zum See und zur Station zurückkehrten. Der Tag war vorbei, die bewusstlos gewesenen Luuren aufgewacht. Sie hatten die Lichtung überquert und waren auf der anderen Seite, jenseits des Bodenlochs, im Dschungel verschwunden. Kein Einziger hatte noch versucht, gegen die Menschen zu kämpfen, obwohl sie sie entdeckt haben mussten. Diesmal übernahm Jarvis die Wache. Zu seinem Bedauern wartete er vergeblich darauf, dass Shadow sich noch einmal zeigte. Der Affe hatte verstanden, was das Wort »Abschied« bedeutete. Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Jarvis sah das Meer der Sterne und die vielen Monde, und er sah die Irrlichter am Himmel. Mehr denn je war er davon überzeugt, dass es sich dabei um eine unbegreifliche, vollkommen fremdartige Lebensform handelte. Resnick schlief die ganze Nacht durch. Jarvis fü hlte sich nicht einmal müde, vielleicht gelangte er zu seiner alten Form zurück. Jetzt erst berichtete er seinem Gefährten, wie er Shadow kennen gelernt hatte und was der kleine Affe für sie getan hatte. »Dann war er wirklich ein treuer Freund«, sagte Resnick und stand auf. »Brechen wir auf.« »Sofort. Ich will nur noch...« Jarvis verstummte. Am anderen Ende der Lichtung erschienen bewaffnete Luuren, mindestens dreißig von ihnen. Und sie wussten genau, wo ihre Feinde lagerten. »Jetzt aber nichts wie weg!«, rief Jarvis. »Ein anderer
Stamm. Ganz bestimmt haben die Entkommenen sie geholt!« Sie rafften ihre wenige Ausrüstung zusammen und rannten in den Dschungel. Der See war nicht weit, doch die Luuren folgten ihnen und holten sogar auf. Noch einmal griffen Shadow und seine Affen mit neu gewonnenem Mut ein und hielten die Verfolger durch gezielte Steinwürfe auf. Aber das reichte nicht aus, um die Echsen zu stoppen. Als Jarvis und Resnick endlich das Ufer des Sees vor sich sahen, stürzten sie sich ins tiefe Wasser. Beide dachten in diesem Augenblick an das Monstrum im See, das Jarvis fast umgebracht hatte. Vielleicht lebte es noch, sie wussten und hofften es nicht. Aber die Meute in ihrem Rücken ließ ihnen keine Wahl. Die ersten Luuren warfen sich in die Fluten und schwammen ihrer Beute nach - jenen, die den Lebensraum ihrer Artgenossen vernichtet hatten. Und sie waren schneller als die Menschen! * »Wir schaffen es nicht!«, stieß Resnick zwischen zwei Schwimmstößen hervor. »Sie holen schnell auf!« Jarvis warf einen Blick zurück. »Sie sind verschieden schnell. Wir schwimmen so lange weiter, bis der Erste uns erreicht. Gegen Einzelne sollten wir uns wehren können.« Sie waren gut einen Kilometer geschwommen, als Jarvis sich von hinten gepackt fühlte. Er wirbelte im Wasser herum und starrte in ein Echsengesicht. Der Luure hatte ihn an den Schultern gepackt und versuchte, ihn unter Wasser zu drücken. Schlaf ich denn, dass ich nicht gemerkt habe, wie nah der schon ist?, schoss es dem GenTec durch den Sinn. Jarvis riss sein Messer hervor und rammte es in den Leib des Luuren. Der Gegner ließ mit einem röchelnden Laut von ihm ab.
Schwarzes Blut färbte das Wasser noch dunkler, als es ohnehin schon war. Dann erstarb jede Bewegung des Gegners. Dicht hinter dem jetzt toten Luuren näherten sich bereits die nächsten zwei. »Resnick!« Sofort hatte sein Gefährte die Situation erfasst. Er schwamm zurück zu Jarvis, und gemeinsam erwarteten sie wassertretend ihre Gegner. Die Luuren schwammen näher, und - der Erste von ihnen wurde nach unten gezogen. Er streckte Hilfe suchend die Arme in die Höhe, aber das nützte ihm nichts mehr. Er versank mit einem gurgelnden Laut in der Tiefe. Jarvis wusste nicht, was er davon halten sollte. Resnick hingegen schaltete schneller. »Das Krakenmonster!« In dem Moment geschah mit den beiden nächsten Luuren das Gleiche wie mit ihrem unglücklichen Artgenossen, der es auf Jarvis abgesehen gehabt hatte. Sie wurden, einer nach dem anderen, von etwas Unsichtbaren gepackt und in die Tiefe gezogen. Das Wasser schäumte. Für einen Moment glaubte Jarvis, einen langen Tentakelarm zu erkennen. »Weg!«, brüllte er, mobilisierte noch verborgene Kraftreserven und schwamm wieder zügig auf die Station zu. Resnick folgte ihm. Sie konnten nur hoffen, das die Bestie mit den Luuren genug hatte. Die letzten Echsen drehten um und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Sie hatten kein Glück. Keine Einzige überlebte das Toben des Monstrums. Plötzlich war es still. Der See lag ruhig, die Wasseroberfläche war spiegelglatt. Da begann Jarvis, nach Luft zu schnappen. Nicht jetzt!, dachte er, aber er konnte das bisherige Tempo nicht halten. Vor Anstrengung wurde ihm kurz schwarz vor
Augen. Jarvis legte sich auf den Rücken und versuchte, einfach nur an der Wasseroberfläche zu treiben. Resnick bemerkte schnell, was geschehen war, und war mit wenigen Schwimmzügen bei seinem Gefährten. »Bist du verrückt«, empfing Jarvis ihn. »Sieh zu, dass du verschwindest!« »Mach dich nicht lächerlich«, entgegnete Resnick. Er packte Jarvis und zog ihn hinter sich her. »Vielleicht hat es sich überfressen.« Stille, Grabesstille. Die Station war nur noch einen halben Kilometer entfernt. Kein Windhauch ging. Es war, als wartete die Natur auf etwas, als hielten die Elemente den Atem an. Mit einem Mal schoss es aus dem Wasser heraus - über zehn Meter lang, ein lebendig gewordener Albtraum. Bruchteile von Sekunden stand das Ungeheuer mit peitschenden Tentakeln in der Luft. Dann verschwand es wieder in den Fluten. Die GenTecs warteten - doch nichts geschah. Als sich auch nach fü nf Minuten noch nichts getan hatte, schwammen sie weiter. Jarvis erholte sich rasch und konnte die letzten 400 Meter alleine schwimmen, wenn sie es diesmal auch trotz der Bedrohung durch das Ungeheuer langsamer angehen ließen. Die Sonne neigte sich schon wieder dem Horizont zu, als sie die Station erreichten. Sie hatten sich anhand der Schriftzeichen auf der Kugelhülle die Stelle gemerkt, an der die Schleuse lag. Nun mussten sie nur noch zum Schott tauchen. Sie ahnten nicht, wie nahe das Verhängnis war... * Krell war dem Tod geweiht. Er wusste es bereits eine ganze
Weile. Nun trieb er durch das tiefe Wasser und war fast verrückt vor Schmerzen. Das Fleisch hatte ihn tödlich verbrannt. Er wusste, dass er nur noch kurze Zeit zum Leben hatte. Er hatte gehofft, dass das Fressen der Landbewohner ihn wieder stark machen würde stark genug für einen Angriff auf das Fleisch aus der Station. Doch diese Hoffnung hatte getrogen, das spürte er. Nun blieb ihm nur noch Rache. Krell sammelte seine letzten Kräfte. Er wusste, wohin das Fleisch wollte: zurück zu der großen Kugel, aus dem es gekommen war. Genau dort würde er es stellen, zum letzten Kampf. Er hatte nichts zu verlieren. Wenn das Fleisch wieder seine entsetzliche Waffe einsetzte, starb er. Aber das musste er sowieso. Wenn er aber Glück hatte und schnell genug war... Krell zwang sich dazu aufzutauchen. Das Fleisch durfte ihm nicht entwischen, das war sein schlimmster Gedanke. Es musste mit ihm sterben. Mit einem einzigen Sprung konnte er es mit in den Tod reißen. Er hatte lange gelebt, sehr, sehr lange. Er hatte Kinder in die Welt gesetzt und sie alle überlebt. Er hatte sie gefressen, als die Nahrung knapp wurde. Er war der Letzte seiner Art... * Jarvis und Resnick nickten sich zu. Sie waren bereit zum Tauchen. Noch hielten sie sich an den Sprossen fest. »Alles soweit klar, Jarvis?«, fragte Resnick. »Im Moment schon, und es ist ja nicht tief.« Jarvis winkte ab. »Wenn wir erst in der Station sind, werde ich... Achtung!« Vor ihnen schäumte das Wasser. Ein riesiger Leib schoss daraus hervor und stieg langsam in die Höhe. Der schwere Körper des Monstrums klatschte fünf Meter von ihnen entfernt ins Wasser. Seine Tentakel peitschten und versuchten, die
GenTecs zu erreichen, verfehlten sie jedoch knapp. »Solange das Biest lebt, haben wir keine Chance, zum Schott zu gelangen!«, rief Jarvis und zog eine der kinderfaustgroßen Handgranaten aus der Tasche. »Bist du verrückt! Du hast doch gesehen, was die Dinger anrichten!« »Hast du eine bessere Idee?« Da ragte mit einem Mal das Ungeheuer direkt vor ihnen auf. Es riss das Maul auf, brüllte, dass sie meinten, ihnen würden die Trommelfelle platzen. Die Tentakel tasteten nach den GenTecs. »Runter!« Jarvis stieß Resnick zur Seite, schleuderte gleichzeitig die aktivierte Granate in den Rachen der Bestie. Dann stieß er sich ab, um seinem Freund zu folgen. Ein Greifarm schlang sich um seinen Fuß, als er gerade hinabtauchen wollte. Jarvis riss die Beine an den Körper, bevor der Tentakel ihn richtig packen konnte, und entkam dem Zugriff. Allerdings verlor er dadurch einen Moment die Orientierung, verschenkte wertvolle Augenblicke. Er sah gerade noch, wie sich das Außenschott öffnete und Resnick hineinschwamm. Jarvis beeilte sich, ihm zu folgen, hatte das Schott beinahe erreicht... Ein dunkler Schatten schoss auf ihn zu. Um ihn herum wirbelten Tentakel. Er blickte in ein weit aufgerissenes Maul. Da wurde er von hinten gepackt und zurückgezerrt. Direkt vor seiner Nase klappte das Schott zu. Zwei Tentakel wurden dazwischen eingeklemmt und abgequetscht. Ein gleißender Lichtblitz erfüllte den See. Das Ungeheuer verschwand, aber das Licht breitete sich weiter aus. »Los!«, rief Resnick. Das innere Schott hatte sich geöffnet. Die GenTecs warfen sich hindurch, und mit einem saugenden Geräusch schloss es sich hinter ihnen wieder...
* Eine halbe Stunde später befanden sie sich wieder in dem zentraleähnlichen, großen runden Raum der Station, der mit Bildschirmen gespickt war. Die meisten davon zeigten nichts, was ihnen nicht schon bekannt gewesen wäre. Andere aber... »Resnick? Was ist das?« »Unser See«, stellte Resnick nüchtern fest, »aber trocken. Es befindet sich kein Tropfen Wasser mehr in ihm.« »Das war ich nicht! So stark war meine Granate nun auch nicht!« »Vielleicht eine Kettenreaktion mit dem Wasser. Sie muss den ganzen See verdunstet haben.« Jarvis sah ihn ein wenig skeptisch an. »Und die Station hat keinen Kratzer abbekommen?« »Wie es aussieht, nicht. Ich weiß, woran du denkst, Jarvis« »So? Woran denn?« »Falls die Station auf dem See schwamm, muss sie in die Tiefe gestürzt sein, als das Wasser verdunstete. Sie ist es aber allem Anschein nach nicht. Und sieh mal hier!« Resnick deutete auf einen Bildschirm, der hinter Jarvis lag. Die Kugel der Station war zu sehen... ... wie sie auf den Überresten des höchsten Bauwerks einer fremden Stadt thronte!
8. Das Geheimnis der Luuren »Luuren!«, sagte Resnick, nachdem sie ihren ersten Schock überwunden hatten. »Diese Stadt ähnelt den Luuren-Städten im Aqua-Kubus! Wir hatten recht, Jarvis! Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Luuren im Kubus und jenen Echsenwesen hier!«
»Ja, aber diese Luuren hier sind nicht besonders zivilisiert«, wandte Jarvis ein. »Das ist dir doch bestimmt nicht entgangen. Sie wirken auf mich nicht gerade wie die zukünftigen ›Meister der Materie ‹.« Die Stadt bot einen berauschenden, wenn auch schockierenden Anblick. Auf einigen Bildschirmen, auf denen vorher nur Wasser zu sehen war, war die Stadt problemlos zu erkennen. Alles war tot. Aber die größtenteils verfallenen und von Algen bewachsenen Gebäude der Stadt erinnerten frappant an jene der Luuren aus dem Wasserkubus. »Na«, begann Jarvis, »wenigstens haben nicht wir die Gebäude zerstört. Diese Stadt muss schon vor der Bombe eine einzige große Ruine gewesen sein - uralt, verlassen und aufgegeben. Sie muss ihre Blüte erlebt haben, als der Krater noch nicht mit Wasser gefüllt war. Als es hier noch keinen See gab. Sieh dir das Bauwerk an, auf dem die Kugel ruht. Es wirkt wie eine Pyramide, deren Spitze abgetrennt worden ist, um die Station zu stützen.« »Aber die Gebäude der Stadt, die Pyramide und unsere Kugel - sie passen doch überhaupt nicht zueinander, Jarvis! Die Kugel muss nachträglich hierher geschafft und verankert worden sein, viel später.« »Das denke ich auch. Wahrscheinlich werden wir die Wahrheit nie erfahren.« Draußen wurde es Nacht. Die Sonne ging unter, und die ersten Monde erschienen am Himmel. Es dauerte nicht lange, dann waren auch die »Polarlichter« wieder da. »Wir sollten jetzt bald zu unserer Kapsel zurückkehren«, schlug Resnick vor. »Ich glaube nicht, dass wir auf dieser Welt noch etwas erreichen werden.« Jarvis zögerte. »Oder?«, fragte Resnick. »Lass uns einfach noch mal zur Schleuse gehen. Vielleicht
finden wir ja einen Weg.« Resnick zuckte mit den Schultern. »Schaden kann es ja nicht.« Wenig später öffnete Jarvis das Außenschott. Es fuhr in die Wandung der Kugel, und die beiden GenTecs schauten hinaus in die Nacht. Der Blick in die Tiefe auf die Stadt war ihnen durch die Rundung der Station verwehrt. In der Nähe des Schotts gab es weder Sprossen noch eine andere Möglichkeit, an der Außenhülle entlangzuklettern. »Und nun?«, fragte Resnick - und stutzte. »Spürst du es auch?« Resnick schüttelte den Kopf, zögerte - und nickte schließlich etwas unsicher. »Etwas ist da«, sagte er. »Etwas will uns kontaktieren. Es ist, als wenn jemand ganz leise ruft, und das in einer fremden Sprache. Aber er meint uns.« »Ich glaube, es sind die Lichter.« Jarvis wies zum Himmel. »Sie leben.« »Und wie können sie zu uns reden?« Resnick erhielt noch keine Antwort darauf. Stattdessen erschienen die Drachen. * Diesmal waren es Dutzende von Schatten, die vor dem Hintergrund der Sterne, der Monde und der Polarlichter anwuchsen. Sie näherten sich schnell und blieben mit schwerem Flügelschlag vor dem offenen Schott in der Luft stehen. »Sie wollen etwas von uns«, sagte Resnick. »Aber was? Wenn wir uns doch nur verständigen könnten!« »Der hier vorne, der uns ganz nahe ist«, sagte Jarvis. »Er neigt den Kopf, als ob er nicken wollte.«
»Du hast Recht. Jetzt kommt er noch näher. Ich wette, es ist derjenige, dessen Schnabel ich auf der Lichtung gestreichelt habe.« »Du meinst, er erinnert sich daran?« Der Flugsaurier gab selbst die Antwort. Mit seinem mächtigen Schnabel berührte er Resnick und strich ihm über die Brust. Das tat er ganz vorsichtig und mehrere Male. Als er den Schädel zurückzog, hatte Resnick das Gefühl, in zwei Augen voll tiefer Weisheit zu blicken. »Du scheinst auch einen Freund gefunden zu haben. Ich habe Shadow und du - einen Drachen...«, meinte Jarvis. »Aber was will er?« Die Flugechse antwortete wieder auf ihre Weise. Sie brachte sich mit ein paar Schlägen ihrer ledernen Schwingen ein Stück von der Kugel weg und ließ sich dann langsam in die Tiefe gleiten. Ihre Artgenossen folgten ihr. Als sie dann wieder aufgestiegen waren, wiederholte ihr Anführer seine »Liebkosungen« an Resnick - und diesmal auch an Jarvis. »Ich ahne etwas«, sagte Resnick. »Er will mit uns in die Tiefe fliegen, in die Ruinenstadt.« »Das kann nicht dein Ernst sein!« Jarvis war ehrlich verblüfft - und entsetzt. Er traute diesen Wesen einfach nicht. Der Saurier drehte sich um 180 Grad, sodass sein Rücken eine einzige Einladung bildete. »Siehst du, Partner?«, frohlockte Resnick. »Wir sollen auf ihm reiten. Nein, vielmehr nur ich. Dich wird ein anderer Drache abholen.« »Du spinnst!« »Ich probiere es aus. Ich vertraue diesen Burschen. Und wenn sie uns nicht nach unten in die Stadt bringen, dann wird's sicher ein schöner Rundflug. Was ist? Seit wann bist du nicht mehr schwindelfrei?« »Ach, Unsinn. Ich komme mit. Einer muss ja aufpassen, dass du keinen Unsinn machst.«
Resnick hob nur eine seiner haarlosen Brauen. Dann packte er den schlanken Hals des Sauriers und schwang sich auf den Rücken des Tieres. Am Hals hielt er sich fest, als sich der Flugdrache von der Station löste und in die Lüfte erhob. Jarvis sah, wie sich ein anderer Drache dem offenen Schott näherte und sprang mit einem waghalsigen Satz auf dessen Rücken. Die beiden Reittiere näherten sich einander und begannen damit, die Kugelstation zu umkreisen. Das taten sie einige Male. Ihre Artgenossen folgten ihnen in geschlossener Formation. »Glaubst du noch immer, dass sie uns zur Stadt hinunter bringen wollen?«, schrie Jarvis durch die Nacht. »Abwarten!«, antwortete Resnick. Noch einmal umrundeten die Flugsaurier die Kugel. Dann ließen sie sich sinken. Die Kugel verschwand über ihnen, und sie glitten an den Wänden der Pyramide hinab. Der Flugwind war so heftig, dass die beiden GenTecs sich an den Hälsen ihrer Reittiere festklammern mussten. Resnick triumphierte innerlich. Er hatte es nicht nur geahnt, sondern fast schon gewusst. Immer tiefer ging es. Wenn er sich leicht zur Seite beugte, konnte er vage die Ruinen der Stadt sehen. Sie lag genau im Mittelpunkt des Kraters, mit der Pyramide als Zentrum. Mit jedem Meter, den sie weitersanken, konnte er mehr erkennen. Es gab keinen Nebel, der die Sicht trübte. Die Stadt schälte sich aus der Dunkelheit heraus - und dann setzten sie auf dem Boden auf. Noch bevor Resnick absteigen konnte, landete auch Jarvis Reittier neben ihm. Sie kletterten von den Drachen und schauten sich um. Sie befanden sich am Rand der Stadt. Überall lagen Trümmer herum. Der Schutt eingestürzter Bauwerke türmte sich teilweise meterhoch. »Und nun?«, fragte Resnick. »Suchen wir uns einen Weg in die Stadt?«
Jarvis nickte. »Es muss doch Straßen geben, die noch frei sind.« Gemeinsam marschierten sie an den Trümmerhaufen entlang. Die Drachen blieben zurück. Sie pickten sich abgestorbene Algen von den Ruinen und vom Boden auf. Aber sie schienen hier warten zu wollen, bis die beiden Menschen sie wieder brauchten. Was werden wir in der Ruinenstadt finden?, überlegte Jarvis. Wahrscheinlich nichts. Sie war tot. Nichts konnte in ihr überlebt haben - oder doch? Da fiel ihm etwas ein. »Verdammt!« »Was?« Resnick blickte ihn alarmiert an. »Wir haben vergessen, uns neu zu bewaffnen.« Resnick ging nicht darauf ein, denn er hatte etwas entdeckt. »Hier. Das könnte ein Durchgang sein.« Jarvis nickte. An dieser Stelle gab es eine trümmerfreie, relativ breite Zone, einen Weg, der in die Stadt hineinführte. Die beiden GenTecs nickten sich zu. Dann rückten sie vor. Bald stellte sich heraus, dass die Zone der Trümmer nur die Außenbezirke der Stadt erfasste. Nach etlichen Dutzend Metern hörte sie weitgehend auf, und die beiden Männer von der Erde blickten nur noch in dunkle Fenster in halb zerfallenen Mauern. Die Dächer fehlten fast überall, von Fensterscheiben war nichts zu sehen. Kunstvolle Mosaike waren noch zu erkennen. »Lass uns da reingehen«, schlug Jarvis vor, als sie vor einem fast unzerstörten Bauwerk angelangt waren. »Es wird ja nicht gleich über uns einstürzen.« »Okay.« Sie traten gebückt durch den Eingang, der für Menschen zu niedrig war. Im Innern des Gebäudes konnten sie sich wieder aufrichten. Sie befanden sich in einem Vorraum, von dem mehrere Türen abzweigten. »Welche wir nehmen, dürfte ziemlich egal sein«, sagte
Resnick. »Diese hier.« Er schritt wahllos auf eine zu. Sie mussten sich auch diesmal bücken. In dem dunklen Raum hinter der Tür fanden sie zu ihrer Überraschung mehrere unversehrte Vitrinen aus einem glasähnlichen Material mit Kunstgegenständen darin. Die GenTecs sahen sich gründlich um. Dann machten sie kehrt und untersuchten die anderen Räume. Überall fanden sie ein ähnliches Bild vor. »Ein Museum«, sagte Resnick. »Mit Sicherheit war dies ein Museum, Jarvis« »Ja«, sagte Jarvis. »Höchstwahrscheinlich. Lass uns wieder hinausgehen und weitersuchen.« Sie traten ins Freie. »Wenn wir etwas Bedeutsames finden, dann dort«, sagte Jarvis und wies ins Zentrum der Stadt - auf die Pyramide... * Die vier Wände der Pyramide waren glatt. Es gab auf den ersten Blick keinen Eingang. Jarvis und Resnick umrundeten sie einmal komplett und versuchten sogar, die Wände hinaufzuklettern - vergeblich. Sie rutschten immer wieder ab. »Wir brauchen wohl einen Sesam-öffne-dich-Zauber«, meinte Resnick. »Oder etwas in der Art.« »Ja, es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die Umgebung nach einer Kontrollstation abzusuchen.« »Trennen wir uns?« »Ich hab noch nichts Bedrohliches entdeckt«, entgegnete Jarvis. »Also ja.« »Wir bleiben über Helmfunk in Verbindung.« Resnick wandte sich nach rechts und verschwand um eine Mauer. Jarvis hielt sich zwar nach links, blieb aber näher an der Pyramide. Nach einigen Minuten entdeckte er ein weiteres Mosaik, das
vom Wasser des Sees nic ht zerstört worden war. Er fuhr mit seinen Fingern daran entlang, bis er plötzlich ein leises Kribbeln fühlte, so wie von elektrischem Strom. Er fuhr mit den Fingern der Ader nach, in welcher der Strom zirkulierte, und gelangte an ein herzförmiges Teil des Mosaiks. Ohne lange nachzudenken, presste er die Handfläche darauf, und plötzlich entstand links von ihm eine Öffnung, groß genug für einen Menschen. »Resnick?«, fragte er über Funk. »Wo bist du?« »Etwa fünfhundert Meter von der Stelle entfernt, wo wir uns getrennt haben.« »Ich glaube, ich habe den Tresor geknackt. Komm her!« »Ich habe auch eine Entdeckung gemacht, und...« Stille. »Hey?«, rief Jarvis. »Warum sprichst du nicht weiter?« Aber Resnick gab keine Antwort mehr. Jarvis fluchte. Auf keinen Fall wollte er sich davon abbringen lassen, in die Pyramide einzudringen. Sie war das einzige unbeschadete Bauwerk der Stadt, und sie hatte ihre Geheimnisse, da war er ganz sicher. Die wollte er ihr entreißen. Aber was war mit Resnick? »Verdammt!«, murmelte Jarvis. »Ich weiß ja nicht einmal genauer, wo er war, als der Kontakt abbrach.« Er zögerte noch einen Moment, dann rannte er los. Irgendwo in dieser Richtung musste sein Gefährte sein. Sein Funk blieb natürlich aktiviert, aber er hörte auch weiterhin nichts von Resnick... * Resnick war zum zweiten Mal gefangen, seit sie auf diesem Planeten waren. Diesmal nicht durch die primitiven Luuren, sondern durch eine stärkere, mächtigere Kraft. Er hatte ein fast unzerstörtes Haus betreten, mit aller
Vorsicht, aber das war nicht genug gewesen. Kaum hatte er einen Raum entdeckt, der weiß beleuchtet war und in dem Dutzende von gläsernen Särgen standen, da fielen auch schon Energievorhänge vor, hinter und seitlich von ihm von der Decke herab. Es gab kein Entrinnen. Beim ersten und letzten Versuch, die Energiegitter mit den Händen zu durchdringen, hatte er sich schmerzliche Verbrennungen zugezogen. Immer wieder rief er nach Jarvis, aber sein Partner hörte ihn nicht. Oder wollte er ihn nicht hören? Das war unvorstellbar. Resnick versuchte es immer wieder. Am Ende blieb die Erkenntnis, dass das Energiegitter wie zuvor schon das Material des Termitenbaus jeden Funkkontakt unmöglich machte. Es half alles nichts, er war wehrlos und hatte ohne fremde Hilfe keine Chance, aus dieser Falle jemals wieder zu entkommen. Da half auch alles Hadern mit dem Schicksal nichts. Er musste abwarten und auf Jarvis vertrauen. Aber wie sollte er ihn hier finden, ohne Funkkontakt...? * Jarvis entdeckte ein Haus, bei dem zwar der Eingang zerfallen war, doch der Rest des Gebäudes war in intaktem Zustand. Hier hätte zumindest ich mein Glück versucht, dachte der GenTec und hoffte, dass Resnick ebenso dachte. Nach dem Vorraum stieg er eine Treppe hinab und betrat einen langen Korridor. Zu seiner Überraschung leuchteten die Wände schneeweiß wie frisch getüncht. Wie war das nun wieder möglich? Nach vielleicht vielen hundert Jahren unter Wasser? Er nahm es, wie es kam, und drang weiter in das Haus ein. Irgendwann teilte sich vor ihm der Gang. Er nahm die rechte Abzweigung, rein gefühlsmäßig. Und sein Gefühl trog ihn
nicht. Plötzlich stand er vor einer großen, breiten Tür und zog sie auf. Im weißen Licht erkannte er dahinter mehrere gläserne Behälter, die durch Kabel mit einer Wand verbunden waren. Sie war mit intakten Bildschirmen und Konsolen bedeckt. Wie hypnotisiert, ging Jarvis in den Raum hinein. Er fühlte, dass er am Ziel war, was immer er in der Pyramide zu finden erwartet hatte. Er machte auch noch nicht kehrt, als sich hinter ihm der Eingang schloss. Die gläsernen Schreine übten auf ihn eine unbeschreibliche Anziehung aus. Sie schimmerten in allen Farben des Spektrums. Langsam ging Jarvis auf sie zu. Als er bei dem ersten stehen blieb, erkannte er, dass sie vollgestopft waren mit einer technischen Apparatur. Es könnte beinahe ein Computer sein. Aber das System war tot - dachte der GenTec jedenfalls. Im nächsten Augenblick wurde er eines Besseren belehrt. Plötzlich erfüllte ein die Sinne betäubendes Geheul die Gruft. Die gläsernen Särge öffneten sich, unzählige Dioden fingen an zu blinken. Und er sah ein seltsames energetisches Wabern wie Schatten daraus aufsteigen und sich ihm nähern. Jarvis hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen, dass diese Schemen ihn berührten. Er rannte zur Tür. Ich habe die doch gar nicht geschlossen, überlegte er, warf sich dagegen - und prallte zurück. Sie hatte nicht nachgegeben. Die Tür ließ sich nicht mehr öffnen. Jarvis suchte hektisch nach einem Mosaik und dem Sensor, den er berühren musste, aber er fand nichts. Die Wand mit den Bildschirmen! Jarvis lag auf den Knien, die Schatten über sich. Er kroch eilig auf die Wand mit den Instrumenten zu, unaufhörlich bedrängt von den Energie - ja was? - Wesen. Ihre Berührung war eiskalt. Sie schien ihm das Blut in den
Adern gefrieren zu la ssen. GT-Jarvis gelangte an die Schaltpulte und drückte alle Knöpfe, legte alle Schalter um und drehte jeden Regler. Die Schatten hatten ihn erreicht, umschwärmten ihn. Der GenTec merkte, wie seine Knie nachgeben wollten. Da ließen sie mit einem Mal von ihm ab. Sie verflüchtigten sich. Hatte er endlich den richtigen Schalter erwischt? Er konnte nicht einmal sagen, welches der Letzte war, den er umgelegt hatte. Jarvis richtete sich vorsichtig auf. Er stand schwankend. Sein Blick wanderte über die gläsernen Särge, und er sah nichts mehr in ihnen als den Computer. Die blinkenden Dioden erloschen. Jarvis schauderte. Was auch immer das gewesen war, auf eine Wiederholung konnte er gut verzichten. Er sah, dass die Tür offen stand. Ich muss sie irgendwann zwischendurch geöffnet haben, ohne es zu merken. Jarvis stürmte mit müden Knochen hinaus aus diesem unheimlichen Raum, zurück in den Korridor, und zurück in die Freiheit... * GT-Jarvis ging zügig durch die Ruinen. Immer wieder legte er die Hände an den Mund und rief laut den Namen seines Partners. Nichts. Keine Antwort. »Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben«, murmelte der GenTec. Weder rief er Resnicks Namen, und abermals wartete er vergeblich auf Antwort. Dafür geschah etwas anderes. Ein riesiger Schatten erschien über den Ruinen und landete direkt neben Jarvis. Es war einer der Drachen. Der GenTec wich zurück. »Ich bin nicht Resnick.«
Die Flugechse folgte ihm langsam. Sie machte keinen bedrohlichen Eindruck. Ständig drehte sie den Kopf in eine bestimmte Richtung. »Willst du mir etwas zeigen?«, fragte er. »Oder warum bist du gekommen?« Der Drache stieß ein leises Gekreische aus. Es klang traurig, falls man diesem urweltlichen Geräusch überhaupt eine Bedeutung zumessen konnte. Die Flugechse rieb ihm mit dem Schnabel über die Brust, und Jarvis begriff, dass dies eine Aufforderung darstellte, keine Liebkosung. So hatte er ihn aufgefordert, auf seinen Rücken zu steigen, oben bei der Station. Der Drache setzte sich in Bewegung, und Jarvis folgte ihm. Vor einem noch relativ gut erhaltenen Haus blieb der Flugsaurier stehen. Er steckte den Schnabel in den offenen Eingang und zog ihn wieder zurück. Jarvis holte tief Luft und schritt hinein. Er brauchte sich nicht zu bücken. Er betrat einen breiten Korridor, von dessen Ende ein heller Schein kam. Er rief nach Resnick - und diesmal erhielt er Antwort. Jarvis beschleunigte seine Schritte. Das Licht wurde heller. Es war steril weiß. Kurz darauf betrat er den Raum. Zuerst sah er das Energiegitter, das Resnick gefangen hie lt, dann die Behälter, die frappant den gläsernen Särgen glichen, aus denen diese seltsamen Energiewesen ihn angegriffen hatten. Auch hier war eine der Wände als Schaltwand eingerichtet. »Resnick!«, rief Jarvis. »Bleib zurück! Sonst sind wir gleich beide gefangen.« Jarvis hielt inne. Er legte keinen Wert darauf, sich wieder mit den Schatten anzulegen. Doch wie sollte er seinen Gefährten sonst befreien? »Okay, irgendwelche Vorschläge?«, fragte er daher Resnick. »Als ich hier eingesperrt worden bin, haben an der Konsole
dort vorne einige Lichter angefangen zu blinken.« Jarvis sah sofort, welche er meinte. An dem fraglichen Schaltpult war höchstens ein halbes Dutzend Knöpfe. »Was meinst du? Schaffe ich es, den richtigen Knopf zu drücken, bevor dieses Energiegeflecht auch mich umhüllt?« »Mach keinen Blödsinn! Das...« Resnick hielt inne. Er erinnerte sich daran, wie er gefangen genommen wurde. Das Energiegitter hatte sich erst über ihn gesenkt, als er stehen geblieben war. »Es ist vielleicht einen Versuch wert«, sagte er daher. »Aber wenn es schief geht, sitzen wir hier beide fest.« »Glaubst du, ich will auf einem fremden Planeten alleine festsitzen? Mach dich bereit abzuhauen.« Kurz berichtete Jarvis, was er in einem ganz ähnlichen Raum erlebt hatte. »Ich fürchte, wenn ich da reingehe, passiert das Gleiche, wie beim letzten Mal. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, welchen Knopf ich gedrückt habe, um den Spuk abzustellen.« »Möglicherweise war es gar kein Angriff, sondern ein Kommunikationsversuch.« »Auf solche Kommunikation kann ich verzichten! - Bist du bereit?« Resnick nickte. »Dann los!« Jarvis sprang an dem Energiegefängnis vorbei und sprintete durch den Raum. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Särge öffneten, die Dioden begannen zu blinken. Aber er hatte die Schalttafel bereits erreicht, drückte hektisch auf den Knöpfen herum. »Okay!«, erklang hinter ihm Resnicks Stimme. Jarvis blickte sich um, und sah, dass sein Freund frei war und dass sich die Schatten auf ihn stürzten. »Hau ab!« Resnick wirbelte ohne ein Wort herum und verschwand in dem Gang, der nach draußen führte. Die energetischen Schemen folgten ihm.
Jarvis wandte sich den anderen Konsolen zu. Sie waren scheinbar genauso aufgebaut, wie jene in dem anderen Raum. Irgendwo hier habe ich den Knopf gedrückt, der diese Viecher hat verschwinden lassen. Hektisch begann der GenTec erneut, Schalter umzulegen. Und plötzlich waren die Schatten zurück. Es war, als wüssten sie, was Jarvis im Begriff stand zu tun. Ein seltsamer Druck baute sich in seinem Kopf auf und wurde rasch schlimmer. Vor seinen Augen tanzten Sterne. Jarvis zwang sich, sich nur darauf zu konzentrieren. Er versuchte, alle anderen Gedanken und Empfindungen auszuschalten. Alles drehte sich um ihn. Er hatte das Gefühl, sein Kopf müsse zerplatzen. Sein Körper war ein einziger Schmerz. Der verdammte Knopf muss hier doch irgendwo sein! Seine Hände fuhren beinahe ohne sein Zutun über das Metall, über die Tasten und Hebel. Er bekam keine Luft mehr. Die Schatten holten zu ihrem letzten, fürchterlichen Angriff aus. Jarvis hustete. Vor seinen Augen schien sich die Wand zu wölben. Seine Hände griffen nach allem, was sie packen konnten. Er hängte sich an die Hebel und zog sie herab. Ein unglaubliches Geheul erfüllte den Raum. Jarvis zwang sich dazu, es zu ignorieren. Er schwitzte. Alle Glieder taten ihm weh. Plötzlich war Resnick an seiner Seite, hämmerte genauso wie Jarvis auf Knöpfe und Schalter, riss an Hebeln. Und endlich - endlich! - hatten sie Erfolg. Diese fast schwarzen Energiewesen ließen von ihnen ab. Es wurde ruhig im Raum. Jarvis taumelte nach vorne und warf einen Blick in einen der Särge. Die Blinklichter waren erloschen Es war vorbei...
* »Das war knapp«, sagte Jarvis, nachdem sie das Gebäude verlassen hatten. »Ich habe die Schnauze von dieser Stadt voll. Lass uns nach oben zurückkehren, zur Station.« »Ich bin ganz deiner Meinung. Jetzt müssten nur noch...« Wie auf Kommando landeten die Flugechsen. Resnick blickte Jarvis an und hob die Braue. »Können die Gedanken lesen?« Die beiden Echsen, auf denen die GenTecs auch schon hinabgeritten waren, wandten ihnen den Rücken zu. Eine unmissverständliche Aufforderung aufzusteigen. Resnick und Jarvis nahmen die Einladung an, die Flugdrachen schwangen sich in die Luft, und wenige Minuten später standen Jarvis und Resnick wieder in der Schleuse. Kaum waren die GenTecs abgestiegen, entfernten sich die Saurier und flogen rasch auf den Dschungel zu. »Da fliegen sie hin«, sagte Resnick. »Sie haben uns in die Stadt gebracht, aber warum? Damit wir diese Computer - oder was auch immer es war - abschalten?« Jarvis zuckte mit den Schultern. »Ich...« Aus den geheimnisvollen Polarlichtern stieß eine gleißende Energieschlange auf die beiden Menschen herab. Kurz bevor sie sie erreichte, teilte sie sich in zwei Stränge. Diese bohrten sich in die Köpfe von Resnick und Jarvis. Der Letztere wollte schreien, doch es tat nicht weh. Vernehmt unsere Geschichte - denn wir waren die Herren von Luur... * Es war eine halbe Ewigkeit her, als hier die Luuren noch glücklich und zufrieden wohnten. Die Städte, die sie und ihre Vorfahren am Grund der großen Krater mitten im umgebenden
Dschungel erbaut hatten, erstreckten sich über den ganzen Planeten. Sie lebten für die Wissenschaften und die Künste. Sie studierten die Sterne und die Gezeitenkräfte der Monde ihrer Welt, die sie Luur nannten. Gatay war zu dieser Zeit der Älteste unter ihnen. Er hatte 18 Kinder gezeugt, die meisten davon Söhne. Luuren wurden in jener Zeit mit zunehmendem Alter zeugungsfähiger, und Gatay hatte noch Plä ne für weiteren Nachwuchs. Zwanzig Kinder und mehr waren nicht viel für jemanden, der jahrhundertelang lebte. Auch war er der größte ihrer Künstler. Nur wenige waren wie er dazu in der Lage, allein mittels der Kraft seiner Gedanken, dem Lehm, den sie am Grund des Kraters fanden, eine Form zu geben. Er schuf die schönsten Skulpturen, vermochte es sogar, auf diese Weise ganze Häuser zu schaffen. Ja, Gatay war ein glücklicher Luure, so wie die Luuren ein glückliches Volk waren. Dann kamen sie! In mächtigen Raumschiffen, die nichts ähnelten, was ein Luure je gesehen hatte, brachen sie aus dem Weltall hervor. Ihre Forderungen waren einfach. Sie verlangten die Auslieferung der größten Künstler, der fähigsten Gestalter. Nun war es jedoch so, dass gerade diese Schöpfer die höchste Achtung auf Luur genossen. Daher bildeten sie auch den regierenden Rat. Sollte ihr Volk den Invasoren wirklich nachgeben, so hätte es keine Führung mehr. Es wäre kopflos. Und, so wandte Gatay ein, niemand konnte sicher sein, dass die Fremden anschließend wirklich friedlich abziehen würden. Sie diskutierten viele Tage, hatten ihnen die Invasoren doch einen vollen Mondzyklus Bedenkzeit gegeben. Doch eine Einigung war nicht abzusehen. Gatay war bereit, sich zu opfern, wenn er nur sicher sein könnte, dass sein Volk dann frei weiterleben konnte. Doch er traute den Fremden nicht. Andere hatten Angst. Schließlich mussten sie sich selbst für
ihr Volk opfern. Sie wollten sich verstecken, sich verbergen, sodass die Invasoren eines Tages abziehen würden, ohne ihr Ziel zu erreichen. Und eine dritte, kleinere Partei drängte darauf, sich den Fremden anzuschließen. Sie wollten wie sie zu den Sternen reisen, neue Welten kennen lernen. Man sollte bedenken, was man von den Fremden alles lernen konnte. Schließlich einigte man sich darauf, dass jeder das tun sollte, was er für richtig hielt. Es war eine Lösung, mit der eigentlich niemand zufrieden war. Doch Gatay sah ein, dass er weder die einen zwingen konnte, sich zu opfern, noch die anderen, auf Luur zu bleiben. So schufen sie mit vereinten Kräften einen Unterschlupf für diejenigen, die sich entschlossen hatten, sich zu verstecken. Sie wählten ein tiefes Höhlensystem und kleideten es mit dem Lehm des Kraters aus. Gatay selbst und seine zwei begabtesten Schüler veränderten die Struktur des Lehm derart, dass weder Röntgenstrahlung noch Radar sie durchdringen konnten. Sie hofften, dass sie so auch für die Invasoren nicht auffindbar war. Anschließend ging jede Gruppe in ihr selbst gewähltes Exil, und Gatay, der oberste der Gestalter, sollte Luur niemals wieder betreten... Die zurückgebliebenen Luuren wussten nicht, warum es geschah. Vielleicht wollten die Invasoren nicht, dass irgendjemand die Fähigkeiten ihrer neuen Sklaven besaß. Möglicherweise war es aber auch nur reine Bösartigkeit. Jedenfalls wurden ihre Städte aus dem All heraus bombardiert, ihr Volk, ihre ganze Rasse wurde ausgelöscht. Nur die wenigen Gestalter in ihrem Unterschlupf überlebten die Vernichtung ihrer Rasse. Doch auch sie blieben nicht verschont. Zwar konnten die Fremden sie offenbar nicht finden. Aber das war für sie auch nicht nötig, um die letzten Überlebenden zu vernichten. Die Luuren hatten die Invasoren schrecklich unterschätzt.
Es verging eine Weile. Doch schließlich war es so weit, und die Invasoren hatten ihre mächtige Apparatur fertig gestellt. Als sie sie aktivierten, wurden die Geister der letzten der Luuren aus ihren Körpern gerissen und in den Himmel geschleudert. Hier existierten sie nun, und gefangen im Magnetfeld ihres Planeten, vegetierten sie dahin. Sie beobachteten, wie neue Spezies entstanden, wie sich das Klima änderte und wie ihre eigenen Nachkommen in der Primitivität verharrten... * Ergriffen hatten Jarvis und Resnick die Bilder verfolgt, die sie zu sehen bekommen hatten. Wie ein Film waren sie vor ihrem geistigen Auge abgelaufen. Sie waren beide tief erschüttert. Und noch war der Kontakt nicht beendet. Die beiden Menschen warteten gespannt auf eine Fortsetzung des Berichts der vergeistigten Luuren, doch es war so, als warteten die Unbekannten ebenso gebannt auf eine Antwort. »Das ist unglaublich«, flüsterte Jarvis. »Was immer dort oben im Magnetfeld lebt - wie kann es so einfach Kontakt mit uns aufnehmen? Was erwartet es von uns?« »Vielleicht nichts«, orakelte Resnick. »Vielleicht aber auch alles.« »Veralbern kann ich mich selbst.« Resnick grinste seinen Freund schief an. »Ich versuche es.« »Was?« »Kontakt herzustellen.« Jarvis stellte keine Fragen mehr. Er sah, wie sein Kamerad sich konzentrierte. Einige Sekunden später begann dessen Körper, in dem weißen Licht zu pulsieren. »Luuren!«, sagte Resnick. »Könnt ihr mich hören?«
Es dauerte einige Sekunden, bis er Antwort erhielt. Er hatte das Gefühl, von einer Welle der Überraschung überspült zu werden. Ja, wir empfangen dich!, hörte er. Jarvis schnappte nach Luft. Offenbar konnte auch er sie hören. Ein unglaubliches Glücksgefühl überschwemmte sie, das aber nicht von ihnen selbst kam. Die körperlosen Luuren projizierten ihre Zufriedenheit auf sie. »Wir haben jetzt eure Geschichte erfahren«, sagte Resnick. »Was erwartet ihr von uns? Können wir euch helfen?« Leider nicht, lautete die Antwort. Ihr könnt nichts für uns tun. Wir haben es gehofft, doch ihr könnt nichts tun. »Wir könnten es doch wenigstens versuchen!« Das habt ihr bereits, erklärten die Geister von Luur. Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, geringen Einfluss auf einige der Wesen unseres Planeten zu nehmen. So haben wir die räuberischen Jel'daks dazu gebracht, euch in die Stadt hinabzutragen. »Die Flugsaurier gehorchen euch?«, warf Resnick ein. Ja. »Und da sie räuberisch sind, hätten sie uns normalerweise wohl gefressen?«, fügte Jarvis hinzu. Das ist richtig, bestätigten die körperlosen Luuren, bevor sie fortfuhren. In der Stadt habt ihr auch das vollbracht, was wir uns erhofft hatten. Ihr habt Teile der Vorrichtung abgeschaltet, die uns zu diesem Schicksal verdammt. »Sollen wir damit nicht weitermachen?«, fragte Jarvis. Er erschauderte, wenn er an die seltsamen schwarzen Schatten dachte, die die Anlage offenbar bewachten. Nein! Die körperlose Stimme war nun sehr eindringlich. Wir mussten feststellen, dass die Wächter uns Energie entziehen, um sich zu verteidigen. Jetzt drang Trauer auf die beiden GenTecs ein.
Zwei von uns sind für immer vergangen. Zwar ist dieses Leben erbärmlich, so wie wir es zu führen gezwungen sind. Doch es ist das Einzige was wir noch haben. Wir wollen es nicht verlieren. »Dann können wir gar nichts tun?«, erkundigte sich Resnick. Doch. Verlasst unseren Planeten. Ihr bringt uns möglicherweise in Gefahr. Und vielleicht könnt ihr andere Sternenvölker vor dem Schicksal bewahren, das uns getroffen hat. »Ihr denkt an die fremde Macht, die eure Seelen vom Körper getrennt hat?«, fragte Jarvis. Ja, lautete die Antwort. »Das müssen die Vaaren gewesen sein«, erklärte der GenTec. »Ihr seid bei weitem nicht ihre einzigen Opfer. Wir selbst sind ihnen nur knapp entkommen.« Seid ihr das wirklich? Warum seid ihr dann hier? Das war eine gute Frage, auf die auch Jarvis keine Antwort hatte. »Vielleicht können wir euch trotzdem helfen«, schlug Resnick vor. »Vielleicht können wir die Anlage von dieser Station zentral abschalten.« Nein, das Risiko ist uns zu groß. Wie gesagt: Diese Existenz ist erbärmlich, doch sie ist alles, was wir haben. Ihr könnt nichts für uns tun. Wir, die Bewusstseine der Luuren, sind in das Magnetfeld unserer Welt eingekerkert. »Könnt ihr uns helfen, von dieser Welt fortzukommen?«, wollte Jarvis wissen. Nein, lautete die enttäuschende Antwort. Das liegt allein in eurer Hand. Jarvis schwieg betroffen. Resnick hatte die Unterhaltung mitverfolgt. Er blickte seinen Freund nachdenklich an. »Die Bewusstseine der Luuren sagten, es lä ge in unserer Hand. Das heißt doch wohl, dass es
einen Weg gibt.« In Jarvis Augen blitzte es auf. »Ich glaube«, sagte Resnick, »diese Station dient der Überwachung Luurs - der Primitiven und der Seelen. Falls sich einmal etwas ändern sollte, wird sie es an jene funken, die sie hier deponiert haben.« »Das ist gut möglich«, stimmte Jarvis zu. »Aber dann müssen wir auch davon ausgehen, dass sie unser Auftauchen hier gemeldet hat.« »Äh... dann wollen wir nicht warten, bis der Aqua-Kubus kommt, und uns abholt. Lass uns zur Kapsel zurückkehren. Ich wette, sie ist die Chance, von der die Bewusstseine gesprochen haben. Wenn wir sie aktivieren können, bringt sie uns sicherlich in die RUBIKON II zurück.« »Oder an einen ganz anderen Ort.« Jarvis wandte sich zum letzten Mal an die Bewusstseine im Magnetfeld des Planeten. »Wir müssen jetzt Abschied nehmen. Ihr dürft nicht aufhören zu hoffen, dass eines Tages doch noch ein Wunder geschieht und ihr befreit werdet. Ihr seid unsterblich, und die Ewigkeit ist eine lange Zeit.« Wir danken euch, vernahm er. Eines Tages... vielleicht. Unsere jetzige Existenz ist nicht nur schlecht. Wir gewinnen Einblicke in die Natur des Universums, die wir als Sterbliche nie gehabt hätten. Wir sehen Wunder, die allen anderen verschlossen bleiben. »Das freut mich für euch. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit füreinander.« Ihr müsst euren Weg gehen, so wie wir den unseren, sendeten die Seelen. Es war das Letzte, was die beiden GenTecs von ihnen empfingen. Die Leuchterscheinungen lösten sich aus ihnen und kehrten zum Himmel zurück. Jarvis und Resnick waren wieder allein.
Zwischen den Baumwipfeln an Land stachen die ersten Sonnenstrahlen hindurch. * Shadow hatte die Nacht vor dem Bodenloch verbracht, aus dem zuletzt das Feuer in die Höhe geschossen war. Im Laufe der Stunden waren zögernd andere Affen hinzugekommen. Die Glut war erloschen. Und es gab keine Echsenwesen mehr. In seiner Hand hielt Shadow ein Messer, das er auf der Lichtung gefunden hatte. Er dachte an seine zweibeinigen Freunde, Jarrvi und Resnck. Wo mochten sie jetzt sein? Lebten sie noch? Als seine Unruhe unerträglich wurde, erhob er sich und winkte seinen Artgenossen. Sita, seine Gefährtin, folgte ihm als Erste. Dann kamen die anderen. »Wir suchen Jarrvi und Resnck«, verkündete er in der Sprache seines Stammes. »Vielleicht warten sie auf uns und brauchen unsere Hilfe.« »Du hast gut reden«, sagte Hanio, einer der Jüngeren. »Du bist klug und stark und hast eine Waffe.« »Ich bin nicht klüger und stärker als jeder von euch«, widersprach Shadow. »Ich wusste nur nicht, wozu ich fä hig bin. Jarrvi hat es mir gezeigt. Und Waffen werdet auch ihr besitzen. Der Dschungel liefert uns alles, was wir dazu brauchen.« Ein Raunen ging durch die Reihen der Affen, als Shadow Äste und Zweige von einem Strauch schnitt. Er spitzte sie an, und schon waren daraus Speere und Pfeile geworden. Dann machte er Bogen aus besonders elastischen Ästen und stabilen Pflanzenfasern. Er wusste selbst nicht, woher er das Wissen und das Geschick dazu hatte. Es war einfach da. Er hatte die Waffen der Jäger studiert und gelernt. Shadow verteilte die Waffen an seine Artgenossen. Sie
hielten sie fast and ächtig in ihren Händen. Dann machten sie unter Shadows Anleitung die ersten Wurfübungen. Das Ergebnis war zunächst kläglich, dann wurde es immer besser. »Du bist etwas ganz Besonderes«, sagte Hanio. »Du sollst unser Anführer sein!« Spontaner Jubel folgte seinen Worten. Auch das war neu: Bisher hatten die Affen noch nie einen Anführer besessen. Wenn es etwas zu entscheiden gab, dann hatten sie sich zusammengehockt, und die Mehrheit entschied. Ab jetzt sollte das anders sein. Shadow nahm die Ehre an. An diesem Tag machten sie sich noch nicht auf die Suche nach Jarrvi und Resnck, sondern feierten ein großes Fest auf der Lichtung. Das Geheimnis des Feuers kannten sie noch nicht, aber die wenigen Raubtiere, die sich herantrauten, wurden todesmutig mit den neuen Waffen vertrieben, zwei sogar erlegt. »Die wagen sich so schnell nicht mehr heran«, sagte Shadow, nachdem er das Fleisch der beiden Räuber zerlegt und verteilt hatte. »Von nun an herrschen andere Verhältnisse. Unsere Generation vielleicht noch nicht, aber uns ere Nachkommen werden den Urwald beherrschen.« Noch ahnte er nicht, wie schnell seine Vision sich erfüllen würde. Sie schliefen den Rest der Nacht. Einer hielt Wache. Am anderen Morgen machten sie sich auf den Weg. Sie waren gute Spurenleser und konnten dem Weg folgen, den ihre zweibeinigen Freunde genommen hatten. Er führte sie geradewegs zum See, in dem schon so viele von ihnen umgekommen waren. Aber es gab keinen See mehr. Es gab nur noch einen tiefen Krater, an dessen Boden sich eine Ruinenstadt befand. »Wir klettern hinab!«, befahl Shadow. »Wer Angst hat, bleibt oben.« Sie alle hatten Angst, aber sie alle folgten ihm in die Tiefe.
Hier und da stießen sie auf Skelette, ansonsten deutete nichts darauf hin, dass hier einmal etwas gelebt hatte - natürlich bis auf die Ruinen und die große Pyramide mit der gigantischen roten Kugel darauf. Sie durchquerten die verlassenen Straßen der uralten Stadt und betraten einige der noch am besten erhaltenen Ruinen. Was sie fanden, war überwältigend. Messer mit langen Klingen, Speere mit eisernen Spitzen und Waffen, unter denen sie sich nichts vorstellen konnten. Der junge Hallah entdeckte ein Gerät, mit dem sich Feuer machen ließ. Das alles war natürlich in keinem guten Zustand mehr, aber die Affen nahmen mit, was sie konnten. Später würden sie den Rost von den Messerklingen entfernen und lernen, wie man mit dem Feuermacher-Gerät umging, ohne sich selbst zu verbrennen. Mit großer Beute kehrten sie heim. Jarrvi und Resnck hatten sie zwar nicht gefunden, aber Shadow konnte nicht daran glauben, dass sie tot sein sollten. Vielleicht befanden sie sich in der roten Kugel. An diesem Tag begannen die Affen damit, unter seiner Anleitung eine erste Hütte auf der Lichtung zu bauen. Er hatte sie den Ruinen der alten Stadt abgeschaut, nur errichteten sie sie natürlich aus Holz. Sie sollte erst der Anfang sein. Shadow sah in Gedanken ein regelrechtes kleines Dorf vor sich, von einem Palisadenzaun umgeben, der sie auch gegen die größten und stärksten Bestien des Dschungels schützte. Immer wieder dachte er an seinen großen Freund Jarrvi, und dann flüsterte er: »Du wärst stolz auf mich, Jarrvi! Du hast mir gezeigt, dass man sich nicht verstecken darf!« * Es war nicht so leicht, den Raum mit der Kapsel wiederzufinden, wie sie geglaubt hatten. Das Innere der Station erwies sich mehr und mehr als ein Labyrinth. Trotz ihres
ausgezeichneten Orientierungssinnes standen sie dreimal in einer Sackgasse und einmal erreichten sie sogar nochmals den Kontrollraum. Sie betraten fast jedes Zimmer und jede Halle entlang der Gänge und studierten die Bildschirme, die das Innere der Station zeigte. Dabei hatten sie das Gefühl, dass sich die Schotte diesmal vor ihnen schlossen, nicht öffneten. »Sollte es wirklich so sein«, fragte Resnick, »dass die Station unser Eindringen an eine unbekannte Stelle gemeldet hat, und dass diese Stelle ihr befohlen hat, uns hier festzuhalten?« »Möglich«, knurrte Jarvis. »Aber ich glaube nicht daran. Wir reden uns selbst etwas ein.« »Wer hat die Kapsel erbaut und hierher geschickt? Wirklich die Vaaren?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Es spricht vieles dafür. Doch es gibt wahrscheinlich Tausende intelligenter Völker allein in unserer Galaxis! Vielleicht waren es ja auch diese ›Sieben Hirten‹, von denen John geredet hat.« Sie suchten weiter, und nach mehr als vier Stunden fanden sie endlich, wonach sie suchten. Auf einem Bildschirm war der Raum mit der Kapsel zu sehen. Der Weg dorthin war markiert. Sie schritten zügig aus, durch schier unzählige Schotts. Und dann lag es vor ihnen, das heiß ersehnte Instrument ihrer Rückkehr - hoffentlich. * Die Kapsel war unversehrt. Sie stand offen, so wie sie sie verlassen hatten. »Na, immerhin ist sie nicht ohne uns abgefahren«, versuchte Jarvis einen Witz. Resnick reagierte nicht einmal darauf.
Jetzt, da sie sie erreicht hatten, näherten sie sich der Kapsel nur vorsichtig. Das letzte Mal waren sie von irgendeiner Technik quasi hineingezogen worden. Im Grunde hatte man sie entführt. Doch diesmal wollten sie freiwillig einsteigen. Vielleicht blieb daher der Zwang aus. Langsam gingen sie weiter. Obwohl sie eigentlich nur darauf gewartet hatten, traf sie der plötzlich einsetzende Sog überraschend. Grelles Licht blendete sie. Resnick verlor beinahe den Boden unter den Füßen, stolperte dann aber auf die Kapsel zu. Jarvis stemmte sich im ersten Moment instinktiv dagegen. Doch gleich darauf vergegenwärtigte er sich, dass er schließlich in die Kapsel wollte. Daher gab er nach. Ließ sich vorsichtig zum Schott hinzerren. Als er dort anlangte, saß Resnick bereits auf seinem Platz. Jarvis setzte sich ebenfalls. Hinter ihm schloss sich das Schott. ENDE
BAD EARTH Den Gefährten der GenTecs - John Cloud und Scobee, von denen Jarvis und Resnick getrennt wurden - ist inzwischen mit der RUBIKON der Durchbruch zum Pluto gelungen. Doch wo steckt der Außerirdische Darnok, den sie hier treffen wollten? Ist ihm etwas zugestoßen? Oder gibt er sich nur wieder einmal nicht sofort zu erkennen? Fast in »Sichtweite der Erde «, können Cloud und Scobee es kaum erwarten, dorthin vorzustoßen. Doch der Planet ist immer noch in ein rätselhaftes Feld gehüllt und entzieht sich jeder optischen Wahrnehmung. Was geschieht hinter dem sonderbaren Schattenschirm? Wozu dient er? Und... wer regiert die Erde?
Hinter dem Schattenschirm ist der Titel des nächsten spannenden Bad Earth Romans, der von Manfred Weinland verfasst wurde. Jetzt werden die ersten Geheimnisse der Menschen der Zukunft gelüftet - der Erinjij. Ab dem 25.11.2003 in jedem Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel._