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B ORI S A KUNIN ist das Pseudonym des Moskauer Philologen, Kritikers, Essayisten und Übersetzers aus dem Japanischen Grigori Tschchartischwili (geb. 1956). 1998 veröffentlichte er seine ersten Kriminalromane, die ihn in kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Autoren in Rußland machten. Heute genießt er in seiner Heimat geradezu legendäre Popularität. 2001 wurde er dort zum Schriftsteller des Jahres gekürt, seine Bücher wurden bereits in 17 Sprachen übersetzt, weltweit wurden etwa 6 Millionen davon verkauft. Mit seiner »Fandorin«-Serie erlangte er auch in Deutschland Kultstatus. Bei AtV erschienen: Fandorin (2001), Türkisches Gambit (2001), Mord auf der Leviathan (2002), Der Tod des Achilles (2002), Russisches Poker (2003), Die Schönheit der toten Mädchen (2003), Der Tote im Salonwagen (2004), Die Entführung des Großfürsten (2004), Der Magier von Moskau (2005) und Die Liebhaber des Todes (2005). »Ich spiele leidenschaftlich gern. Früher habe ich Karten gespielt, dann strategische Computerspiele. Schließlich stellte sich heraus, daß Krimis schreiben noch viel spannender ist als Computerspiele. Meine ersten drei Krimis habe ich zur Entspannung geschrieben ...« Akunin in einem Interview mit der Zeitschrift Ogonjok www.akunin.ru 1905: Rußland hat gerade eine entscheidende Niederlage im Krieg gegen Japan einstecken müssen, da fliegt auf der Stecke Moskau-Petersburg eine Brücke in die Luft. Fandorin, Hauptingenieur beim Verkehrsministerium und als solcher verantwortlich für die Sicherheit auf den Bahnstrecken, vermutet sofort einen Sprengstoffanschlag. Die heiße Spur führt ihn jedoch in die Irre. Wer steckt wirklich hinter diesem Sabotageakt? Und wird es ihm gelingen, auch einen Anschlag auf die Transsib zu verüben und so den Nachschub zu den russischen Truppen in der Mandschurei auf Wochen lahmzulegen? Fandorin und seine Leute sind in höchster Alarmbereitschaft und ersinnen die originellsten Methoden, um das zu verhindern. Doch auch der unsichtbare Gegner ist überaus raffiniert und konfrontiert Fandorin auf geheimnisvolle Weise mit seiner Zeit 1878 als Vizekonsul in Japan.
Boris Akunin
Die Diamantene Kutsche Fandorin ermittelt Roman
ERSTES BUCH
Der Libellenfänger Rußland 1905 KAMI-NO-KU
Erste Silbe, welche in gewisser Beziehung zum Fernen Osten steht
An jenem Tag, als die schreckliche Zerschlagung der russischen Flotte vor der Insel Tsushima zu Ende ging und die ersten dumpfen, alarmierenden Nachrichten von diesem blutigen Triumph der Japaner nach Europa drangen, an diesem Tag erhielt Stabskapitän Rybnikow, der in einer namenlosen Gasse in Peski lebte, folgendes Telegramm aus Irkutsk: »Blätter unverzüglich abschicken, Patienten beobachten, Ausgaben begleichen.« Stabskapitän Rybnikow verkündete seiner Quartierherrin umgehend, dienstliche Angelegenheiten beriefen ihn für ein, zwei Tage aus Petersburg ab, sie solle sich also wegen
seiner Abwesenheit keine Sorgen machen. Dann zog er sich an, verließ das Haus und kehrte nie wieder dorthin zurück. Der Tag verlief für Wassili Alexandrowitsch Rybnikow zunächst auf die gewohnte Weise, also furchtbar hektisch. Nachdem er mit einer Droschke bis zum Stadtzentrum gefahren war, ging er ausschließlich zu Fuß weiter und besuchte trotz seines Humpelns (der Stabskapitän zog das rechte Bein merklich nach) unglaublich viele Orte. Er begann mit der Kommandantenverwaltung, wo er einen Schreiber aus der Transportbuchhaltung aufsuchte und ihm mit feierlicher Miene einen vor drei Tagen geliehenen Rubel zurückzahlte. Dann ging er zum Simeonowskaja-Platz, in die Hauptverwaltung der Kosakentruppen, um sich nach seinem Gesuch zu 3
erkundigen, das er bereits vor zwei Monaten eingereicht hatte und das in den Instanzen versackt war. Von dort begab er sich in die Militäreisenbahnverwaltung - er bewarb sich seit langem um die Stelle eines Archivars in der dortigen Abteilung für technische Zeichnungen. Außerdem wurde seine kleine, hektische Gestalt an diesem Tag in der Verwaltung des Generalinspekteurs der Artillerie in der Sacharewskaja gesehen, in der Reparaturverwaltung in der Morskaja und sogar im Verwundeten-Komitee in der Kirotschnaja (Rybnikow bemühte sich schon lange vergeblich um die behördliche Bestätigung seiner bei Laoyang erlittenen Kopfverletzung). Überall ließ sich der flinke Stabskapitän kurz sehen. Die Angestellten nickten dem alten Bekannten flüchtig zu und vertieften sich mit betontem Eifer wieder in ihre Papiere und dienstlichen Gespräche. Sie wußten aus Erfahrung, daß der Stabskapitän jedem, den er einmal am Wickel hatte, den letzten Nerv raubte. Ausschau haltend nach einem Opfer, wendete Rybnikow den Kopf mit dem kurzgeschnittenen Haar hin und her und schniefte mit seiner pflaumenförmigen Nase. Hatte er eines ausgewählt, setzte er sich mitten auf dessen Tisch, wippte mit dem Fuß im abgetragenen Stiefel, schwenkte die Arme und schwatzte munter drauflos: über den baldigen Sieg über die japanischen Affen, über seine militärischen Heldentaten, über das teure Leben in der Hauptstadt. Zum Teufel schicken konnte man ihn nicht - er war immerhin Offizier, in der Schlacht bei Mukden verwundet. Man bewirtete Rybnikow mit Tee, bot ihm Papirossy an, antwortete auf seine unsinnigen Fragen und schickte ihn rasch weiter in die nächste Abteilung, wo sich das Ganze wiederholte. In der dritten Nachmittagsstunde blickte der Stabskapitän, der wegen einer Versorgungsangelegenheit im Kontor des Sankt Petersburger Arsenals vorbeigeschaut hatte, plötzlich auf seine Armbanduhr mit dem glänzenden, beinahe spiegelnden Glas (die Geschichte dieses Chronometers, das er von einem gefangenen 3
japanischen Marquis geschenkt bekommen haben wollte, hatte er jedem schon hundertmal erzählt) und war auf einmal furchtbar in Eile. Er zwinkerte mit seinem gelbbraunen Auge und sagte zu den beiden Expedienten, die von seinem Geschwätz vollkommen zermürbt waren: »Na, da haben wir uns ja schön verplaudert. Aber nun muß ich leider gehen. Entre nous, ein Rendezvous mit einer schönen Dame. Tobende Leidenschaft und so weiter. Wie die Japaner sagen, man muß das Eisen schieden, solange es heiß ist.« Er lachte dröhnend und verabschiedete sich. »Komischer Kauz«, sagte seufzend der erste Expedient, ein blutjunger Hilfsfähnrich. »Aber selbst der hat eine gefunden.«
»Er lügt, er will sich nur interessant machen«, beruhigte ihn der zweite, der denselben Dienstgrad besaß, jedoch wesentlich älter war. »Wer läßt sich schon mit so einem Marlbrouk;;" ein.« Der lebenserfahrene Expedient hatte recht. In der Wohnung in der Nadeshdinskaja, wohin Rybnikow sich vom Litejny-Prospekt auf langen Umwegen über Durchgangshöfe begab, erwartete ihn keine schöne Dame, sondern ein junger Mann in einem gesprenkelten Jackett. »Wieso haben Sie so lange gebraucht?« rief der junge Mann nervös, nachdem er auf das verabredete Klopfzeichen hin (zweimal, dann dreimal, dann wieder zweimal) geöffnet hatte. »Sie sind Rybnikow, ja? Ich warte seit vierzig Minuten auf Sie!« »Ich mußte ein paar Haken schlagen. Mir schien irgendwie ...«, antwortete Wassili Alexandrowitsch, wobei er durch die winzige Wohnung lief und sogar in die Toilette und hinter die Tür des Hintereingangs schaute. »Haben Sie es mitgebracht? Geben Sie her.« * Entstellter Name des Herzogs von Marlborough, eines englischen Feldherrn aus dem Spanischen Erbfolgekrieg, aus einem französischen Scherzlied. Geflügeltes Wort für einen erfolglosen Möchtegern-Krieger.
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»Hier, aus Paris. Ich hatte Anordnung, nicht gleich nach Petersburg zu fahren, sondern erst nach Moskau, um ...« »Ich weiß«, schnitt ihm der Stabskapitän das Wort ab und nahm zwei Kuverts entgegen ein dickeres und ein ganz dünnes. »An der Grenze hatte ich keinerlei Probleme, geradezu erstaunlich. Meinen Koffer haben sie sich nicht einmal angesehen, geschweige denn abgeklopft. In Moskau allerdings wurde ich merkwürdig empfangen. Dieser Drossel war ziemlich unfreundlich«, berichtete der Gesprenkelte, der sich offenbar gern mitteilen wollte. »Ich riskiere schließlich meinen Kopf und habe also Anspruch darauf ...« »Leben Sie wohl«, unterbrach ihn Wassili Alexandrowitsch erneut, nachdem er sich die beiden Kuverts nicht nur genau angesehen, sondern obendrein ihre Kanten gründlich abgetastet hatte. »Verlassen Sie die Wohnung nicht gleich nach mir. Warte Sie noch mindestens eine Stunde, bevor Sie gehen.« Der Stabskapitän trat aus dem Haus, drehte den Kopf nach links und rechts, zündete sich eine Papirossy an und lief in seinem gewohnten Gang - humpelnd, aber erstaunlich flink die Straße entlang. Eine elektrische Straßenbahn ratterte vorbei. Rybnikow wechselte unvermittelt vom Trottoir auf die Fahrbahn, fiel in Trab und sprang gewandt auf die Plattform. »Aber Euer Wohlgeboren« - der Schaffner schüttelte tadelnd den Kopf -, »Sie benehmen sich ja wie ein Lausebengel. Sie hätten stürzen können ... Mit Ihrem kranken Bein.« »Halb so schlimm«, erwiderte Rybnikow munter. »Wie sagt der russische Soldat? Kreuz an die Brust oder Kopf in den Busch. Und wenn ich sterben würde, das wäre kein Unglück. Ich bin Vollwaise, mir weint keiner nach ... Nein, nein, Bruder«, lehnte er eine Fahrkarte ab, »ich fahr nur kurz mit.« Tatsächlich sprang er schon im nächsten Augenblick wieder ab. Er wich einer Droschke aus, tauchte unter der Schnauze eines 4
Autos hindurch, das daraufhin hysterisch hupte, und humpelte flink in eine Gasse. Hier war es vollkommen menschenleer - keine Kutschen, keine Passanten. Der Stabskapitän öffnete beide Kuverts. Er warf einen raschen Blick in das dickere, registrierte eine höfliche Anrede und schnurgerade Reihen akkurat gezeichneter Hieroglyphen, las sie jedoch nicht gleich, sondern steckte das Kuvert in die Tasche. Dafür fand der zweite Brief,
der in energischer Schnellschrift geschrieben war, die ganze Aufmerksamkeit des Fußgängers. Der Brief lautete wie folgt: Mein lieber Sohn! Ich bin zufrieden mit dir, aber die Zeit ist reif für den entscheidenden Schlag - diesmal nicht gegen das russische Hinterland, auch nicht gegen die russische Armee, sondern gegen Rußland selbst. Unsere Truppen haben alles getan, was sie konnten, doch sie sind ausgeblutet, und unsere Industrie ist am Ende. Die ZEIT ist leider nicht auf unserer Seite. Du mußt dafür sorgen, daß die ZEIT nicht weiter ein Verbündeter der Russen bleibt. Der Thron des Zaren muß wanken, damit ihm der Sinn nicht mehr nach Krieg steht. Unser Freund Oberst A. hat die gesamte Vorarbeit geleistet. Deine Aufgabe ist es, die von ihm abgesandte Fracht nach Moskau weiterzuleiten, an den dir bekannten Adressaten. Treib ihn ein wenig an. Länger als drei, vier Monate können wir uns nicht halten. Und noch eins. Dringend erforderlich sind ernsthafte Unterbrechungen des Eisenbahnverkehrs, um die Versorgung der Armee von Linewitsch zu behindern. Auf diese Weise können wir die unvermeidliche Katastrophe hinauszögern. Du schreibst, du hättest schon darüber nachgedacht und einige Ideen entwickelt. Wende sie an, die Zeit ist reif. Ich weiß, daß ich von dir fast Unmögliches verlange. Aber man hat dich ja gelehrt: Das fast Unmögliche ist möglich. Mutter läßt ausrichten, daß sie für dich betet. 5
Nachdem Rybnikow den Brief gelesen hatte, zeigte sein breitknochiges Gesicht keinerlei Emotionen. Er riß ein Streichholz an, hielt es an Brief und Kuvert, warf beides zu Boden und verrieb die Asche mit dem Absatz. Dann ging er weiter. Das zweite Schreiben kam von Oberst Akashi, dem Militärattache in Europa, und bestand nahezu vollständig aus Zahlen und Daten. Der Stabskapitän überflog es nur kurz - er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Er verbrannte auch dieses Blatt und schaute auf die Uhr, die er sich dazu dicht vor die Nase hielt. Dabei erlebte Rybnikow eine unangenehme Überraschung. Im Spiegelglas seines japanischen Chronometers erblickte er einen Mann mit Melone und Spazierstock. Dieser Herr hockte auf dem Trottoir und suchte es ab - genau an der Stelle, wo der Stabskapitän soeben den Brief seines Vaters verbrannt hatte. Der Brief war kein Problem, er war restlos verbrannt, etwas anderes beunruhigte Rybnikow. Er hatte schon mehrfach in sein raffiniertes Uhrglas geschaut und dabei nie jemanden hinter sich entdeckt. Woher also kam dieser Mann plötzlich? Rybnikow lief weiter, als sei nichts geschehen, und sah nun häufiger als zuvor auf die Uhr. Doch wieder war niemand hinter ihm. Die schwarzen Brauen des Stabskapitäns legten sich besorgt in Falten. Das Verschwinden des neugierigen Herrn verunsicherte ihn noch mehr als dessen Auftauchen. Gähnend bog Rybnikow in einen Torweg ein, von wo er in einen menschenleeren gepflasterten Hof gelangte. Er warf einen Blick auf die Fenster (sie waren leblos, unbewohnt), hörte plötzlich auf zu humpeln und rannte zum Bretterzaun, der den Hof vom Nachbargrundstück trennte. Er war sehr hoch, doch Rybnikow legte eine sagenhafte Geschmeidigkeit an den Tag - er sprang fast einen Sashen* hoch, klammerte sich am Zaun fest und zog sich hoch. Er * 1 Sashen = 2,1336 m. 5
hätte mühelos auf die andere Seite springen können, beschränkte sich jedoch darauf, hinüberzuschauen. Der Nachbarhof war bewohnt - auf dem mit Kreide bemalten Asphalt hüpfte ein dürres Mädchen auf einem Bein. Ein anderes, kleineres, stand daneben und sah zu.
Rybnikow kletterte nicht hinüber. Er sprang hinunter, rannte zurück zum Torweg, knöpfte seine Hose auf und pinkelte. Bei dieser intimen Verrichtung traf ihn der Mann mit der Melone und dem Spazierstock an, der im Trab in den Torweg gerannt kam. Er blieb wie angewurzelt stehen und erstarrte. Rybnikow war verlegen. »Pardon, es war sehr dringend«, sagte er, schüttelte sich ab und gestikulierte dabei mit der anderen Hand. »Typisch russische Schweinerei, viel zu wenig öffentliche Latrinen. In Japan, heißt es, gibt es auf Schritt und Tritt Aborte. Deshalb können wir die verfluchten Affen auch nicht schlagen.« Der eilige Herr blickte mißtrauisch, doch als er sah, daß der Stabskapitän lächelte, zog er seine Lippen unter dem dichten Schnurrbart ebenfalls ein wenig auseinander. »Ein Samurai, wissen Sie, wie der kämpft?« schwadronierte Rybnikow weiter, während er sich die Hose zuknöpfte und näher kam. »Unsere Soldaten scheißen den Schützengraben bis obenhin voll, der Samurai dagegen, der schlitzäugige Affe, der frißt nichts als Reis und hat natürlich Verstopfung. So muß er eine ganze Woche nicht auf die Latrine. Aber wenn er abgelöst wird und ins Hinterland kommt, dann sitzt er zwei Tage lang auf dem Klo.« Sehr zufrieden mit seinem Witz, brach der Stabskapitän in kreischendes Gelächter aus, wobei er den anderen, als wollte er ihn einladen, seine Heiterkeit zu teilen, mit dem Finger leicht in die Seite stieß. Der Schnurrbärtige lachte nicht mit, er gluckste nur eigenartig, griff sich an die linke Brust und sackte zu Boden. 6 »Mamotschki«, sagte er mit überraschend dünner Stimme. Und noch einmal, ganz leise: »Mamotschki...« »Was ist mit Ihnen?« fragte Rybnikow erschrocken und sah sich um. »Das Herz? Ach, was für ein Unglück! Moment, ich hole einen Arzt! Augenblick!« Er rannte in die Gasse hinaus, dort aber hatte er es plötzlich nicht mehr eilig. Seine Miene war nun ganz konzentriert. Der Stabskapitän wippte auf den Absätzen, überlegte und schlug dann den Weg zurück in Richtung Nadeshdinskaja ein. Zweite Silbe, in welcher zwei irdische Jammertäler enden
Jewstrati Pawlowitsch Mylnikow, oberster Agentenchef der Geheimpolizei, zeichnete Hammer und Sichel in ein Medaillon, zu beiden Seiten zwei Bienen, oben eine Schirmmütze und unten, auf das Band, das lateinische Motto: »studia et labora«*. Er neigte den fast kahlen Kopf und bewunderte seine Schöpfung. Das Wappen der Mylnikows hatte der Hofrat selbst entworfen, und sein tiefer Sinn lautete: Ich dränge nicht in den Adel, ich schäme mich nicht, daß ich aus dem Volk stamme. Vater war ein einfacher Schmied (Hammer), Großvater Landmann (Sichel), doch durch Fleiß (Bienen) und Dienst am Staate (Schirmmütze) bin ich hoch aufgestiegen, wie es meinen Verdiensten entspricht. Den Erbadel hatte Jewstrati Pawlowitsch bereits im Vorjahr erhalten, zusammen mit dem Wladimirorden dritter Stufe, doch die Wappenkammer zögerte die Bestätigung des Wappens immer wie* Abwandlung der Benediktinerregel »ora, labora et studia« (Bete, arbeite und studiere); etwa: Fleiß und Arbeit (Dienst).
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der hinaus, hatte stets etwas auszusetzen. Hammer, Sichel und Bienen fanden Zustimmung, die Schirmmütze aber erregte Anstoß -sie habe zu große Ähnlichkeit mit der Krone, die nur Personen mit Adelstitel zustand. In letzter Zeit war es Mylnikow zur Gewohnheit geworden, beim Nachdenken das liebgewonnene Emblem zu zeichnen. Anfangs wollten ihm die Bienen nicht gelingen, doch mit der Zeit wurden sie richtig gut - eine Augenweide! Auch jetzt malte er eifrig die schwarzen Streifen auf dem Bauch der fleißigen Immen, wobei er immer wieder auf den Stapel neben seinem linken Ellbogen blickte. Das Dokument, das den Hofrat in Nachdenklichkeit gestürzt hatte, war überschrieben: »Protokoll der Beobachtung des ehrenwerten Bürgers Andron Semjonow Komarowski (Tarnname >Nervöserfür schlechte Zeiten
»Wir sind seit zwei Jahren verheiratet!« sagte sie, als wende sie sich nicht an ihren prosaischen Reisegefährten, sondern an würdigere, mitfühlend lauschende Zuhörer. »Ach, wie war ich in ihn verliebt! Jetzt weiß ich, nicht er hat mich betört, sondern seine Stimme. Was für eine Stimme! Sobald er singt, schmelze ich dahin, und er kann mich um den Finger
wickeln. Und das weiß er, der Schuft! Sie haben ja erlebt, wie er eben gesungen hat, der gemeine Manipulator! Gut, daß das Abfahrtssignal dazwischenkam, mir wurde schon ganz schwindlig!« »Ein gutaussehender Herr«, sagte der Stabskapitän gähnend. »Bestimmt kein Kostverächter. Deshalb auch das Drama, oder?« »Man hat mir schon früher davon berichtet!« Glikerija funkelte mit den Augen. »In der Theaterwelt gibt es genug wohlmeinende Menschen. Aber ich habe es nicht geglaubt. Doch nun habe ich es mit eigenen Augen gesehen! Und wo? In meinem eigenen Salon! Und mit wem? Mit der alten Kokotte Koturnowa! Ich setze keinen Fuß mehr in diese besudelte Wohnung! Und auch nicht nach Petersburg!« »Sie ziehen also nach Moskau«, resümierte der Stabskapitän. Sein Ton verriet, daß er es kaum erwarten konnte, dieses sinnlose Gespräch zu beenden und sich in seine Zeitung zu vertiefen. »Ja, wir haben auch eine Wohnung in Moskau, in der Ostoshenka. George geht manchmal für den Winter ein Engagement am Bolschoi-Theater ein.« An dieser Stelle verkroch sich Rybnikow doch hinter seine »Wetschernaja Rossija«, und die Dame verstummte notgedrungen. Sie schlug nervös die »Russkoje Wetsche« auf, überflog einen Artikel auf der ersten Seite, schleuderte die Zeitung beiseite und murmelte: »Mein Gott, wie geschmacklos! Ohne Kleider auf die Straße - entsetzlich! Wirklich ganz und gar ohne Kleider? Wer mag das sein, >Gräfin N.