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G.F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste Western-Schriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine neuesten Romane. Die Chancenlosen Auf Biegen und Brechen will George Armstrong Custer seinen Generalstitel, den er bei der Umbildung der Armee nach dem Krieg verloren hat, zurückhaben. Von Ehrgeiz zerfressen und blind in seinem Hass auf den Roten Mann, bereitet er in Fort Lincoln die totale Vernichtung der Indianer vor. Aber Ehrgeiz und Hass sind schlechte Ratgeber eines Feldherrn, und so gibt ihm niemand eine Chance. Auch Ben Yates weiß, dass er sich mit einem Todeskandidaten verbündet, als er bei Custer den Posten eines Scouts antritt. Doch er jagt die Mörder seiner Familie, und die haben sich in der D-Kompanie von Custers Siebtem Regiment verkrochen. Sind Bens Chancen genauso aussichtslos wie die des fanatischen Offiziers, als dieser zur Schlacht am Little Big Horn aufbricht?
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH � Band 45 242 � 1. Auflage: Oktober 2002 Vollständige Taschenbuchausgabe � Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der � Verlagsgruppe Lübbe � Originalausgabe � All rights reserved � © 2002 by � Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, � Bergisch Gladbach � Lektorat: Will Platten � Titelillustration: Manuel Prieto / Norma Agency, Barcelona � Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg � Satz: Heinrich Fanslau, Communication/EDV, Düsseldorf � Druck und Verarbeitung: � AIT, Trondheim AS, Norwegen � Printed in Norway � ISBN 3-404-45242-9 � Sie finden uns im Internet unter � http://www.bastei.de � oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Frage an einen der vielen G. F. Unger-Leser: � Was gefällt Ihnen an den Romanen von G. F. Unger besonders gut? So gut, dass Sie diesen Autor immer wieder lesen und seine Romane sogar noch sammeln? Antwort: In den Romanen von G. F. Unger findet immer wieder der Kampf des Einzelnen gegen das Schicksal statt. Menschen stehen zwischen Gut und Böse, müssen sich entscheiden und bewähren sich letztlich. Die Romane G.F. Ungers geben Mut. Das ist es wohl!
1 � Es beginnt in Saint Louis, als Ben Yates nach jahrelanger Suche einem Spieler gegenübersitzt, auf dessen linkem Handrücken ein Skorpion eintätowiert ist. Der Spieler hat wie tot und leblos wirkende Fischaugen, ein hartes Gesicht und eine fahle Hautfarbe, so wie fast all diese Kartenhaie, die ihre Nächte an den Pokertischen verbringen und die Tage im Bett, sich also selten Licht und Sonne aussetzen. Seine Hände sind geschmeidig; sind das einzige Ausdrucksvolle an ihm. Denn diese Hände können gewiss zaubern. Der Mann gewinnt immer wieder, obwohl die vier anderen Spieler – darunter auch Ben Yates – erfahrene und mit allen Wassern gewaschene Männer sind, die sich bisher in jeder Pokerrunde behaupten konnten. Aber gegen diesen Mann verlieren sie stetig. Und so löst sich die Pokerrunde kurz nach Mitternacht auf. Nur Ben Yates bleibt bei dem bleichen Spieler am Tisch sitzen, lehnt sich weit zurück und dreht sich eine Zigarette. Der bleiche Spieler betrachtet ihn mit stumpf wirkenden Augen, in deren Hintergrund jedoch ein Glitzern stärker zu werden beginnt. Ja, sein Fischblick, der bisher während des Spiels keine Empfindungen verriet, wird immer funkelnder. Nach einer Weile fragt er Ben Yates: »Sie haben an mich am wenigsten verloren, nicht wahr? Aber Sie gehören – nicht zu meiner Gilde?« »Nein«, erwidert Ben Yates. Mehr sagt er nicht. Er betrachtet den Spieler noch einmal ernst und lässt dabei nichts erkennen, weder Abneigung noch die Bereitschaft zu Freundlichkeit.
Dennoch verspürt der Spieler etwas. Er vermag es noch nicht zu bestimmen, aber seine Nasenflügel vibrieren, so als würde er Witterung zu nehmen versuchen. Sein Instinkt beginnt ihn zu warnen, obwohl er noch keine Anhaltspunkte für eine Gefahr erkennen kann. Ben Yates erhebt sich plötzlich und verharrt mit der Zigarette zwischen seinen harten Lippen. Seine Hände hat er mit den Daumen hinter den Hosengürtel gehakt. Er ist ein großer Mann von mehr als sechs Fuß und zwei Zoll. Bei aller Hagerkeit wiegt er an die neunzig Kilo, denn er besteht aus starken Knochen und sehnigen Muskeln. Sein braunes Gesicht wirkt indianerhaft, ebenso sein schwarzes Haar. Vielleicht ist ein Viertel Indianerblut in ihm. Nur seine Augen sind hellgrau. Er nickt dem Spieler noch einmal zu und verlässt den Pokertisch. Der Spieler aber bleibt sitzen, streicht die Karten zusammen und beginnt eine Patience auszulegen, so als hoffte er auf eine Antwort der Karten auf seine Fragen, die nun aus seinem Kern aufsteigen. Aber die Patience will nicht aufgehen. Sie will keine Fragen beantworten, und so steigt in ihm die Unsicherheit an. Der Mann heißt Jack Donovan. Er blickt wieder auf seine Hände, die jetzt abermals die Karten zusammenstreichen. Dabei sieht er natürlich auch die Tätowierung auf seinem linken Handrücken, aber er bringt sie nicht in Zusammenhang mit den leisen Warnsignalen seines Instinktes. Da keine weiteren Spieler an seinen Tisch treten und sich deshalb keine neue Pokerrunde bilden kann, erhebt er sich mit einem Ruck, geht zum Schanktisch hinüber und lässt sich noch einen Drink geben.
Dabei überlegt er, durch welche Tür er die Spielhalle des Saloons verlassen soll. Es gibt da drei Möglichkeiten für ihn. Er wählt nun den unscheinbaren Seitenausgang in die schmale Gasse. Bevor er diese Tür öffnet und in die dunkle Nacht hinaustritt, verharrt er drei Atemzüge lang mit geschlossenen Augen, sodass sich die Augen schneller an die Dunkelheit gewöhnen können. Doch es nützt ihm nichts. Als er die Tür hinter sich schließt, da bekommt er es erbarmungslos auf den Hut. Und dann weiß er eine Weile nicht, was mit ihm geschieht. Jack Donovan erwacht etwa eine halbe Stunde später und bleibt erst einmal bewegungslos liegen, so als wäre er immer noch ohne Besinnung. Doch er lauscht mit immer wacher werdenden Sinnen, hört also nicht nur den Strom rauschen, sondern riecht ihn auch. Ja, er riecht den Missouri, nicht den Mississippi. Wer ihn auch in der Gasse niedergeschlagen hat, er schaffte ihn weiter stromauf. Und der Missouri riecht anders als der Mississippi. Jack Donovan weiß es längst. Er hört nun den Mann neben sich sagen: »Du hast die Wahl, mein Freund.« Das letzte Wort klingt nicht freundlich, denn der Klang der Stimme verrät eine böse Gnadenlosigkeit. Und so kann sich allein durch den Klang der Stimme die Bedeutung des Wortes »Freund« ins Gegenteil verkehren. Jetzt ist es so. Jack Donovan hat die Stimme sofort wiedererkannt. Er versucht herauszufinden, ob er noch bewaffnet ist. Doch er spürt die Waffe im Schulterholster und auch den kleinen Derringer im Ärmel nicht mehr. Und so weiß er, dass auch das Messer im Stiefelschaft unter der Hose nicht mehr vorhanden ist.
Erst nach einer Weile fragt er: »Welche Wahl habe ich?« »Ob ich dich schnell und schmerzlos oder langsam und schmerzvoll umbringen werde. Oder ob ich dir die Gnade eines fairen Duells zubillige.« Als Jack Donovan dies hört, beginnen seine Gedanken zu jagen. Denn eines weiß er nun: Etwas aus seiner Vergangenheit muss ihn eingeholt haben. Der Mann neben ihm hätte ihn schon in der Gasse ausrauben können. Was also hat ihn jetzt eingeholt? Und da wäre eine Menge möglich. Und so fragt er: »Was hätte ich zu tauschen?« Der Mann neben ihm lacht grimmig. Dann sagt er: »Es geschah vor fünf Jahren im letzten Kriegsjahr. Ich bin sicher, dass du dich nun erinnern kannst.« Als Jack Donovan das hört, da atmet er schneller. Dann fragt er: »Und so lange hast du nach einem von uns gesucht? Oder bin ich der letzte Mann von uns?« »Nein, der erste. Und ich will die anderen. Verrate mir, wo ich sie finden kann. Dann gebe ich dir eine Chance.« Jack Donovan schweigt einige lange Atemzüge. Dann setzt er sich stöhnend auf und hält sich den Kopf, wo seine tastenden Fingerspitzen eine dicke Beule berühren, welche überdies auch noch blutet. »Wie hast du mich gefunden?« »Zufällig, mein Freund, zufällig. Ich hatte die Suche schon vor zwei Jahren aufgegeben. Doch dann saß ich an deinem Spieltisch und sah die Tätowierung auf deinem linken Handrücken. Ich weiß, dass es nur noch fünf von euch gibt. Wo finde ich die anderen?« Wieder denkt Jack Donovan nach, und er weiß, dass er es mit einem harten Mann zu tun hat. Er saß ihm ja einige Stunden beim Poker gegenüber und konnte ihn studieren und abschätzen. Also gibt er sich keinen Illusionen hin. Überdies
brummt ihm der Schädel. Aber nach einer Weile fragt er: »Und du gibst mir die Chance zu einem Duell?« »Wenn du mir verrätst, wo ich die anderen finde.« »Und du würdest mir glauben? Ich könnte dir sonst was erzählen.« Wieder schweigen sie eine Weile, hören nur den Fluss neben sich und riechen das schlammige Wasser, welches aus den Bergen von Montana kommt, fast dreitausend Meilen weit stromauf. Aber man nennt den Oberen Missouri ja auch Big Muddy, also Großer Schlammfluss. Und diesen Geruch hat er auch hier an der Mündung in den Mississippi noch, wenn auch viel schwächer. Im Strom plätschern Fische, und der Geruch des schlammigen Wassers mischt sich mit dem der Erde, des Grases und der Büsche. Auch Holz vom letzten Hochwasser liegt da und dort. Jack Donovan wird sich in diesen Minuten all dieser Düfte und Gerüche bewusst. Denn sie lassen ihn begreifen, wie prächtig doch das Leben ist, wenn man davonkommen konnte. Er möchte dieses Leben nicht verlieren. Und vor allen Dingen will er noch oft mit Frauen im Bett liegen, ganz gleich, ob er sie sich kaufen muss oder sie es freiwillig tun, weil sie einen Mann wollen. Er fand immer welche, die sich mit ihm einließen. Denn er war stets ein erfolgreicher Spieler, der den Frauen etwas bieten konnte. Jetzt wird er sich in der sterbenden Nacht bewusst, wie sehr er dieses Leben liebte. Ben Yates murmelt nun neben ihm: »Wenn du mich im Duell schlagen kannst, kann es dir gleich sein, dass du deine Kumpane verraten hast. Und wenn du von mir getötet wirst, dann kannst du ziemlich sicher sein, dass sie dir in die Hölle folgen. Also?«
Abermals schweigt Jack Donovan lange. Nun sieht er die Bilder von damals vor seinen Augen. Er hatte das schreckliche Geschehen schon fast vergessen und hätte niemals gedacht, dass es ihn nach fünf Jahren wieder einholen würde. Endlich fragt er: »Und woher weißt du, dass du uns an den Tätowierungen erkennen kannst? Es gab doch keine Überlebenden damals, als wir in das prächtige Herrenhaus der Plantage eindrangen, in dem deine Familie lebte. Wir ließen damals keine Lebenden zurück. Wie konntest du alles erfahren? Ich will und muss das wissen.« »Es gab einen kleinen Küchenjungen, der unserer Köchin half. Der war so klein, dass er sich verstecken konnte, wo niemand einen Menschen vermutete, nämlich hinter der Holzkiste neben dem Ofen. Er sah und hörte alles. Ihr wart ja so stolz darauf, dass ihr die letzten fünf überlebenden Skorpione wart. Und der Krieg war beendet. Ihr wolltet alle nach Norden, wo man euch nicht kannte. Also, wo sind die anderen?« Jack Donovan stößt nun einen seltsamen Laut aus. Dann murmelt er: »Es ging uns eine lange Zeit dreckig. Wir konnten lange keine Beute mehr machen. Als wir von den Goldfunden in Montana hörten, wollten wir hin. Aber ich blieb hier bei einer Frau hängen und habe nie wieder etwas von den vier anderen gehört. Du musst sie weiter im Norden suchen, vielleicht im Goldland oder als Büffeljäger irgendwo auf der Prärie – oder gar bei der Armee. Wir waren damals völlig abgebrannt und wurden gesucht im Süden. Damals gingen viele von unserer Sorte zur Armee. Die nahm jeden Mann, der gegen die Indianer kämpfen konnte und fragte nicht nach seiner Vergangenheit. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ich wurde in den fünf Jahren ein erfolgreicher Spieler.« »Und die Frau, bei der du geblieben bist?« »Die gebar mir einen toten Sohn und starb selbst dabei.« Jack Donovan verstummt kalt, fast mit einem verächtlichen
Klang in der Stimme. Dann fügt er hinzu: »Aber sie vererbte mir mehr als tausend Dollar, die sie sich als Hure verdiente, bevor sie mich traf und ich sie unterhielt von meinen Einkünften als Spieler. Ich trage jetzt fast fünftausend Dollar mit mir herum, teils in meinem Geldgürtel, aber auch in meinen Taschen verteilt. Du kannst alles haben, wenn du mich vergisst.« »Das kann ich auch so«, murmelt Ben Yates. »Ihr habt meine Familie getötet und zuvor meine Frau und meine Schwester vergewaltigt. Und der kleine Junge hinter der Holzkiste neben dem Ofen hat alles gehört und gesehen.« Er erhebt sich nach diesen Worten und wirft den kurzläufigen Revolver, den er aus Jack Donovans Schulterholster nahm, zu Boden. Dann tritt er einige Schritte zurück und lässt seine Revolverhand neben seiner Waffe hängen. Sein Daumen berührt leicht den Revolverkolben. So wartet er. Jack Donovan aber zögert noch. Der Himmel wurde grauer. Die vielen Sterne verblassen mehr und mehr. Im Osten, weit, weit jenseits des Big Muddy wird bald der neue Morgen die Nacht nach Westen treiben. Alle Lebewesen der Nacht werden sich zur Ruhe legen. Und in der grauen Stunde wird sich anderes Leben regen. Man hört nun immer mehr die Stimmen der Vögel rufen. Jack Donovan beginnt zu begreifen, dass es keinen Ausweg mehr gibt für ihn. Er wird kämpfen müssen. Und so fragt er sich, ob er eine Chance hat oder chancenlos ist gegen diesen Mann aus Alabama, der damals noch nicht daheim war, als sie die Plantage mit dem schönen Herrenhaus überfielen, deren Sklaven weggelaufen waren, weil sie ja die Freiheit besaßen.
Jack Donovan möchte nicht sterben. Aber dann muss er das Duell gewinnen. Und so erhebt er sich und hebt dabei den Revolver vom Boden auf. Unter der Stirn hinweg starrt er auf Ben Yates und sieht, dass dieser seine Hand immer noch neben dem Revolverkolben hängen hat. Jack Donovan richtet sich auf, hält den Revolver neben seinem Bein mit dem Lauf nach unten, sodass die Mündung zu Boden zeigt. Er muss den Revolverlauf nun nur noch heben und die Mündung auf Yates richten. Aber Yates muss ziehen und ist scheinbar im Nachteil. Und da wagt es Jack Donovan. Als er abdrückt, stößt ihn die Kugel des Gegners schon. Er stirbt stehend und drückt dabei noch ab, schießt aber daneben. Die Schüsse hallen nicht, denn aus dem Strom steigen Nebel. Zugleich mit den Schüssen tutet das Dampfhorn eines Steamers, der beim ersten Tageslicht losmachen und in den Strom gehen will, deshalb die erste Aufforderung an die Passagiere hören lässt, die an Land gegangen sind. Die Schüsse gehen also im Lärm des Dampfhorns unter. Ben Yates blickt stromauf zur Stadt hin. Dort werden die Lichter wieder zahlreicher. Bis zu den ersten Hütten und Häusern ist es eine Viertelmeile. In Ben Yates ist kein Gefühl des Triumphes, eher ein Gefühl der Bitterkeit. Er hat getan, was ein Mann tun muss, wenn er keine Chance auf die Hilfe des Gesetzes hat. Durch Zufall – oder war es der Wille des Schicksals? – stieß er auf einen der Mörder seiner Familie. Was konnte er anderes tun? Auch ihn hat die Vergangenheit eingeholt und in die Pflicht genommen.
Ja, er spürt immer stärker die Pflicht, auch die vier anderen Mörder nicht davonkommen zu lassen. Das darf nicht sein. Er holt sich nun das viele Geld aus den Taschen des Toten, und er verspürt keine Gewissensbisse dabei, fühlt sich nicht als Leichenfledderer. Denn diese Mordbande ist ihm mehr schuldig. Schon allein der wertvolle Familienschmuck, den sie mitnahmen, war sehr viel mehr wert. Er wirft den Toten über das Ufer in den Strom, wo ihn die Strömung mitnimmt. Dann tritt er an das Pferd, auf welchem er den Toten aus der Gasse und ein Stück weit weg aus der Stadt schaffte. Es ist nicht sein Pferd. Das Tier stand in der Gasse neben einem betrunken schlafenden Mann, der es nicht mehr in den Sattel schaffte. Yates sitzt auf und reitet zurück. Der Schnarcher in der Gasse schnarcht immer noch und wird bei seinem Erwachen gar nicht merken, dass sich jemand sein Tier für etwas mehr als eine Stunde ausgeliehen hatte. Das Dampfhorn des Steamers prustet abermals den gewaltigen Ton in die sterbende Nacht hinaus. Nach dem dritten, gewaltigen Dröhnen wird er ablegen. Ben Yates macht sich auf den Weg und verzichtet darauf, sein weniges Gepäck aus der kleinen Kammer des billigen Hotels zu holen. Er kann an den Landebrücken leicht jenen Steamer erkennen, der sogleich losmachen und ablegen wird. Denn aus den beiden Schornsteinen des Dampfbootes fliegen Funken. Die beiden Heizer stochern wild in den Feuerbuchsen unter den Kesseln, um zwei Höllenfeuer zu entfachen. Denn die starke Strömung wird dem losmachenden Steamer eine Menge Dampfkraft abverlangen. Von der Stadt kommen einige eilige Passagiere angelaufen. Und eine junge Frau am Ende der Schlange schleppt einen
Koffer und eine Reisetasche. Sie bleibt immer mehr zurück, doch Ben Yates holt sie ein und nimmt ihr wortlos das Gepäck ab, sieht sie jedoch nur flüchtig von der Seite an und eilt ihr mit langen und geschmeidigen Schritten voraus. Das mächtig brüllende Dampfhorn erfüllt zum dritten Mal den nebligen Morgen. Doch weit im Osten, jenseits der Prärie, da gibt es schon die ersten Lichtexplosionen der Sonne am Himmel. Sie sind über dem Nebel zu erkennen, so als würden von der Erde Blitze hinauf zum Himmel schießen und nicht umgekehrt. Die junge Frau, welche hinter Yates her hastet und mit ihren eleganten Schuhen immer wieder stolpert, hält plötzlich inne, lässt einen deftigen Fluch hören und entledigt sich der unbequemen Fußbekleidungen, nimmt sie in die Hände. Dann aber kann sie wie ein Reh laufen und springen. Sie holt Yates schnell ein und stößt etwas keuchend hervor: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mister.« Sie erreichen die Landebrücke und sind die letzten Passagiere, die an Bord gelassen werden. Zwei Decksmänner ziehen die Gangway hoch. Und das Dampfboot lässt das Schaufelrad am Heck patschend drehen und geht schräg in den Strom. Die junge Frau und Yates warten geduldig, bis der Zahlmeister sich ihrer annehmen kann und höflich fragt: »Haben Sie Ihre Passage schon bezahlt im Office der Reederei oder …?« »Für mich wurde von der Armee eine Kabine gebucht«, unterbricht ihn die junge Frau. »Mein Name ist Judy Logan.« Der Zahlmeister legt seine Hand an den Mützenschirm und gibt einem der Decksmänner einen Wink. Dieser nimmt das Gepäck der jungen Frau auf. »Folgen Sie dem Mann, Lady«, spricht der Zahlmeister höflich. »Willkommen an Bord der General Grant.« Sie nickt dankend, aber bevor sie dem Mann und ihrem
Gepäck folgt, sieht sie Ben Yates kurz an. Und auch dieser blickt nun endlich voll in ihr Gesicht und bekommt ein Lächeln geschenkt, welches ihn für Sekunden all das Bittere dieser Nacht vergessen lässt. Denn es ist ein Gesicht, welches den grauen Morgen schöner macht. Selbst nach diesen wenigen Sekunden, in denen sie ihm ihr Lächeln schenkt, wird er dieses Gesicht nicht mehr vergessen, selbst wenn er es nie wieder sehen sollte. Sie wendet sich ab. Der Zahlmeister tritt zu ihm. »Und Sie?« So fragt er. »Wenn Sie keinen Kabinenplatz haben, bin ich auch mit einem Decksplatz zufrieden«, spricht Yates ruhig. »Sie hatten es wohl sehr eilig, denn Sie sind ohne Gepäck.« Die Stimme des Zahlmeisters verrät eine Spur von Argwohn und Misstrauen. Ben Yates erwidert ruhig: »Es gibt immer wieder einen Mitspieler, der beim Poker nicht verlieren kann.« »Aha«, macht der Zahlmeister. »Wohin wollen Sie?« »Bis nach Fort Lincoln.« »Da habe ich noch einen Kabinenplatz frei. Den müssen Sie sich mit einem anderen Spieler teilen.« »Wenn er nicht schnarcht«, sagt Yates und grinst, »ist mir das recht.«
2 � Er sieht Judy Logan etwa eine Stunde später beim Frühstück im Saloon wieder. Inzwischen hat er sich im Bord-Store mit einigen notwendigen Dingen versehen, wozu auch Rasierzeug und ein frisches Hemd gehören. Auch den anderen Kabinenpassagier lernte er kennen. Es ist ein ziemlich kleiner, rothaariger und irgendwie fuchsgesichtiger Mann unbestimmbaren Alters, der sich als Jim Spears vorstellte und Ben Yates dabei forschend anblickte, so als erwartete er etwas von ihm, irgendeine Reaktion – zum Beispiel ein Staunen oder eine Frage. Aber Ben Yates hat den Namen Jim Spears noch nie gehört. Und überdies wirkt der Mann auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar. Ben Yates vergisst Jim Spears jedoch vorerst. Denn am langen Tisch der Kabinenpassagiere sitzt ihm die junge Frau, die dem Zahlmeister der General Grant ihren Namen nannte, genau gegenüber. Judy Logan heißt sie also, denkt Ben Yates. Er kann sie nun so richtig in Ruhe betrachten, ihr voll ins Gesicht sehen und dabei nach all den Zeichen suchen, die ihm mehr über sie verraten können. Denn fast jede Frau lässt für einen erfahrenen Mann Zeichen erkennen. Und sein Instinkt sagt ihm, zu welcher Sorte sie gehört. Sie erwidert seinen Blick mit blaugrün leuchtenden Augen. Es ist ein gerader und fester Blick, der ihm ihr Selbstbewusstsein verrät. Also ist sie eine Frau, die sich unter Männern behaupten lernte. Er spürt ihre kraftvolle Vitalität und traut ihr eine Menge nüchterne, praktische Klugheit zu. Dabei ist sie mehr als nur hübsch, sie ist eine Schönheit. Aber nicht nur das. Denn sie besitzt eine Ausstrahlung, welche
ahnen lässt, dass tief in ihr die Fähigkeit zu starken Gefühlen vorhanden ist. Ja, das alles spürt er irgendwie mit seinem Instinkt, indes er sie ansieht. Sie löffelt die Suppe wie eine Lady, und manchmal fährt ihre Zungenspitze über ihre vollen Lippen. Ihr Mund ist irgendwie lebendig und ausdrucksvoll. Doch gewiss kann er auch hart und beherrscht sein, sodass die Lippen schmal werden. Ihr Haar ist von einem besonderen Rotgoldschimmer. Ben Yates fragt sich nun, welchem Mann sie wohl gehört. Oder sollte sie frei sein? Wenn letzteres der Fall sein sollte, dann nur, weil sie sich getrennt hat. Denn eine Frau wie sie gehört zumeist einem besonderen Burschen, der so ist wie sonst keiner unter zehntausend anderen Männern. Außer ihnen sitzen noch ein Dutzend Kabinenpassagiere am langen Tisch. Doch sie wirken alle irgendwie missmutig und verdrossen, verschlafen noch in der grauen Morgenstunde. Es ist eine zusammengewürfelte Gesellschaft, zu der auch zwei junge Frauen gehören, denen man ihr Gewerbe ansehen kann, die aber dennoch nicht zu der primitiven Sorte gehören, sondern zu der »gehobenen«, die man Edelhuren nennt. Judy Logan lässt nun den Löffel in den leeren Teller sinken und lächelt Ben Yates an. Es ist ein wissendes und zugleich nachsichtiges Lächeln. Dann spricht sie mit diesem Lächeln auf ihren Lippen: »Nun haben Sie mich lange genug angesehen und zu erforschen versucht. Gewiss kennen Sie meinen Namen, haben sich ihn gut gemerkt, als ich ihn dem Zahlmeister nannte. Vielleicht nennen Sie mir nun endlich Ihren. Sie sind ja mein Retter. Ohne Ihre Hilfe hätte ich es nicht rechtzeitig an Bord geschafft. Mein Koffer war zu schwer.« »Ich bin Ben Yates«, sagt er und lächelt zurück. »Und ich
freue mich, dass ich Ihnen ein wenig helfen konnte. Kleine Freuden machen das Leben schöner.« Sie schenkt ihm wieder jenes Lächeln. Doch ihre Augen werden dabei schmaler. Auch ihre Farbe wird dunkler, ist nun grün. Er spürt, dass er ihr keine weiteren Komplimente machen sollte. Das würde ihn in ihren Augen abwerten, ihn zu einem Süßholzraspler machen. Und so fragt er: »Wohin reisen Sie? Oder sollte ich das nicht fragen? Ihre Kabine wurde von der Armee gebucht. Aber ich halte Sie nicht für die Frau eines Offiziers.« »Warum nicht?« Ihre Frage kommt fast hart und herausfordernd. Er legt nun ebenfalls den Löffel in den Teller zurück und hebt die breiten Schultern, lässt sie wieder sinken. »Sie wirken nicht wie eine Offiziersfrau«, spricht er dann nachdenklich. »Sie wirken frei und sehr selbstständig. Die Frauen der Armee gehören zu einer Kaste.« »Was für eine Kaste?« Sie fragt es noch schärfer. Wieder hebt er die Schultern und lässt sie sinken. »Es ist die Kaste der Treuen, Geduldigen, stets an die Karriere ihrer Männer denkenden, welche bereit sind, in den einsamen Grenzforts hier im Westen zu verdorren wie eine Blume in der Wüste. Und sie leben ständig mit der Sorge, dass sie von einem Tag zum anderen Witwen werden könnten. Ja, es ist eine Kaste, vor der ich Respekt habe. Aber …« Er bricht ab. Und ihre Augen werden nun wieder groß und weit. »Aber was?« So fragt sie immer noch hart. Er überlegt einige Atemzüge lang. Denn er will nichts sagen, was sie beleidigen oder zornig machen könnte. Und so spricht er endlich ruhig: »Vielleicht fanden Sie noch keinen Mann, bei dem Sie auch in der Hölle bleiben würden. Vielleicht liebten Sie noch keinen Mann stark genug.«
Nun hat er alles gesagt. Und ihre grünen Katzenaugen werden wieder schmal. »Mister Yates«, spricht sie mit trügerischer Sanftheit, »Sie kennen sich wohl gut aus.« Nach diesen Worten erhebt sie sich und verlässt den Speiseraum der General Grant. Der Steamer ist zugleich auch Postdampfer der Regierung, und vielleicht trägt er deshalb diesen stolzen Namen. Jener Jim Spears, der neben Judy Logan saß, sieht Ben Yates über den Tisch hinweg scharf an. Und als dieser den Blick erwidert, da bekommt er eine andere Meinung von dem bisher so unscheinbar wirkenden Mann. Denn er sieht in zwei Falkenaugen, scharf und kieselhart. Nein, das sind keine Fuchsaugen, mögen Fuchsaugen auch schlau und listig blicken. Dieser kleine Mann, der beim ersten Blick an einen Fuchs denken lässt, ist anders – eher ein Jagdfalke. Yates hört Spears ruhig sagen: »Sie war eine Offiziersfrau. Lieutenant Jones Logan wurde vor einem halben Jahr von den Oglalas umgebracht. Nur wenige Männer seiner Patrouille entkamen damals nach Fort Lincoln. Sie hatten ihn unterwegs beerdigen müssen mit anderen Soldaten. Und die Armee hat lange gebraucht, um seine Frau irgendwo im Osten ausfindig zu machen. Vielleicht ist sie jetzt unterwegs zu seinem Grab. Das wäre sie ihm wohl schuldig. Immerhin bekommt sie nun die Witwenpension einer Premierlieutenantsfrau.« Ben Yates staunt den kleinen, falkenäugigen Mann an. Er fragt: »He, wer sind Sie? Wie kommt es, dass Sie so gut informiert sind?« Jim Spears grinst ihn an und zeigt dabei gesunde Zähne, die ihn jünger erscheinen lassen. »Das ist eine lange Geschichte«, spricht er. »Wenn Sie lange genug an Bord der General Grant bleiben, dann erzähle ich sie Ihnen vielleicht mal.«
Er erhebt sich und geht ebenfalls hinaus auf das Kabinendeck. Andere Passagiere folgen ihm. Neben Ben Yates sitzt ein Mann, der wie ein Geschäftsmann wirkt, ein Händler oder Büffelhautaufkäufer. Dieser Mann wendet sich an Yates. »Das war Jim Spears, Mister. Und den kennen Sie nicht?« »Nein«, erwidert Yates. »Kennen Sie ihn?« »Der ist fast so berühmt wie Jim Bridger, und Jim Bridger ist Ihnen wohl ein Begriff, oder?« »Ja, Mister. Der ist ein berühmter Scout und Indianerkämpfer, Wagenzugführer und was weiß ich noch was.« »Jim Spears ist Chefscout bei General Custer. Und Custer kommandiert in Fort Lincoln das siebente Kavallerieregiment. Freund, Sie saßen hier einem berühmten Mann gegenüber, der einmal in die Geschichte der Indianerkriege eingehen wird. Und vielleicht wird er eines Tages an Custers Seite sterben.« Der Mann verstummt grimmig. »Und woher wissen Sie das alles?« Ben Yates fragt es misstrauisch. Der Mann grinst ihn an. »Ich bin Louis Bullock«, spricht er. »Ich habe einen Vertrag mit der Regierung und beliefere die Indianerreservate mit all den Dingen, die den Roten vertraglich zugesichert wurden, damit sie in den Reservaten bleiben. Doch das tun nur wenige Dörfer unter friedlichen Häuptlingen. Die meisten Stämme wollen frei bleiben. Wir werden einen großen Krieg bekommen, vielleicht schon im nächsten Jahr. Dann wird es ein gewaltiges Abschlachten geben – und darin ist General Custer, der jetzt nach dem Krieg in der verkleinerten Armee nur noch den Rang eines Lieutenant-Colonels hat, der große Meister. Den wird man auf die Roten loslassen, um das weite Land freizumachen für die Flut der Weißen. – Wohin wollen Sie denn, Mister? Vielleicht zu den Goldfundgebieten in
Montana in die Last Chance Gulch?« »Ich weiß es noch nicht«, erwidert Yates und geht ebenfalls hinaus. Als er an der Reling steht, riecht er wieder den schlammigen Strom, dessen Geruch vom Morgenwind gemildert wird. Er befindet sich auf Steuerbordseite, hat also den Blick nach Osten. Und er sieht die Weite des gewaltigen Landes, über dem nun die Morgensonne steht und den Tag wunderschön macht. Er wandert nach vorn und blickt stromauf. Und er fragt sich, was dort im Norden auf ihn wartet. Dann denkt er wieder an jenen Jack Donovan, den Spieler mit der Tätowierung auf dem linken Handrücken, auf den er durch Zufall stieß – oder weil das Schicksal es so wollte. Wird er auch die vier anderen Mörder finden können nach so langer Zeit? Er will es versuchen. Denn er ist ja jetzt nach langer Zeit völlig unabhängig, muss seinen Lebensunterhalt nicht verdienen, kann viele Monate suchen. Das Geld des Spielers verhilft ihm zur Rache. Er geht in die Kabine zurück und legt sich angekleidet auf das schmale, kojenähnliche Bett. Denn es ist Zeit für einen Schlaf. Als er erwacht, ist es Nachmittag. Jim Spears sitzt am kleinen Tisch dicht beim Fenster und reinigt seinen schweren Revolver. Er hat die Trommel herausgenommen und hält den Lauf mit der Mündung zum Fenster, blickt prüfend hindurch. Yates setzt sich langsam auf und bleibt auf dem Bettrand sitzen. Spears sieht zu ihm her. »Ausgeschlafen?« »O ja, jetzt geht es wieder«, erwidert Yates und setzt hinzu: »Ich weiß jetzt, wer Sie sind. Ein gewisser Bullock klärte mich auf. Aber wenn Sie Custers Chefscout sind, was machten Sie in
Saint Louis? Dort gibt es keine wilden Indianer.« Er fragt es lächelnd und nimmt so seinen Worten den Spott. »Ach«, erwidert der Scout, »ich hatte eine Pfeilspitze im Rücken, dicht neben der Wirbelsäule. Die Armeeärzte wagten keine Operation. Irgendwelche Nervenstränge hätten beschädigt werden und mich zu einem Gelähmten machen können. Doch der General hat Verbindungen überall. – Und so machte er den berühmten Chirurgen ausfindig, der mich in Saint Louis von diesem Miststück befreite. Nun bin ich wieder unterwegs zum General. Denn der wird mich im Frühjahr verdammt nötig haben.« Sie schweigen eine Weile, hören nur das patschende Rattern des Schaufelrades und spüren das Vibrieren und ständige Klopfen der General Grant. Denn der Steamer kämpft mächtig gegen die starke Strömung des Big Muddys an. »Ich hörte es schon«, spricht Yates. »Es soll im nächsten Frühjahr den großen Indianerkrieg geben. Ja, haben die Roten denn überhaupt eine Chance?« »Letztlich nicht«, erwidert Spears. »Aber sie werden diesen letzten Kampf austragen, um bessere Friedensverträge zu bekommen. Die Sioux, Cheyenne und Arapaho haben in den letzten Monaten viele Waffen bekommen, eine Menge Munition und dazu große Pferdeherden. Sitting Bull ist ständig unterwegs zu allen Stämmen und deren Dörfern. Er bespricht sich mit den maßgebenden Häuptlingen, mit Gall, Zwei Monde, Crazy Horse und anderen. Dass sie nun alle gemeinsam Pläne machen, ist ungewöhnlich. Sonst geht jeder Stamm seine eigenen Wege – aber jetzt …« Spears macht eine Pause und setzt erst wieder die Trommel ein. Dann spricht er hart: »Wenn sie im Frühsommer oder Sommer loslegen, werden sie mehr als fünftausend Krieger auf ihre bunten Pferde bringen. Und dann hat das siebente Regiment keine Chance. Denn das Siebente wird zuerst mit
ihnen zu tun bekommen. Vielleicht kann ich Custer gut genug beraten – und vielleicht wird er auf meinen Rat hören. Doch er will wieder General werden. Und das macht alles so gefährlich.« Er hat nun alles gesagt, erhebt sich und geht hinaus. Ben Yates bleibt gedankenvoll sitzen. Doch dann murmelt er: »Was geht mich das an, verdammt!«
3 � Die General Grant arbeitet sich Meile um Meile den mächtigen Strom hinauf, einen bösen und mächtigen Strom. Sie schafft sechs bis sieben Meilen in der Stunde, und von Saint Louis bis Fort Lincoln, wo das siebente Regiment stationiert ist, sind es mehr als eintausendsechshundert Meilen. Es wird also eine lange Reise, denn nur bei sehr hellen Nächten und ungefährlichen Strecken bleibt die General Grant im Strom. Doch weil der Steamer ja auch ein Postboot ist, welches Regierungspost befördert, legt sie immer wieder an. Als sie am nächsten Tag nach einhundertundfünfzig Meilen den kleinen Ort am Osage River erreichen, machen sie für eine Stunde fest, denn es ist erst Nachmittag. Der Steamer kann bis Nachtanbruch noch mehr als zwanzig Meilen weiter stromauf schaffen. Einige Passagiere gehen an Land, um sich eine Stunde lang nicht mehr so sehr in der Enge zu fühlen. Auch Ben Yates verlässt den Steamer. Der kleine Ort ist ein primitives Kaff mit einer Landebrücke und einem halben Dutzend Häusern. Es gibt einen Holzplatz und eine Sägemühle. Und natürlich gibt es auch einen Saloon. Jim Spears, der ebenfalls an Land geht, warnt die anderen Passagiere mit den trockenen Worten: »Gentlemen, dies da ist der Blood Bucket Saloon. Man sagt, dass es da drinnen die schärfste Pumaspucke gibt. Wer sie trinkt, bekommt Ohrensausen oder spuckt Blut in den Eimer am Schanktisch. Nur die ganz harten Trinker mit kupfernen Mägen werden nicht krank. Aber fast allen springen die Knöpfe von den Hemden. Seht euch also vor, Gentlemen.« Die Männergruppe, in deren Mitte Jim Spears über die
Landebrücke an Land geht, lacht vielstimmig. Eine tiefe Stimme ruft voller Vorfreude: »Ja, diese Art von Pumaspucke ist gerade richtig für mich, ohooo!« Sie drängen sich bald darauf in den Saloon, auch Ben Yates gehört dazu. Doch er geht zum Ende des Schanktisches und wartet dort geduldig, bis der vollbärtige Wirt zu ihm geschlürft kommt und ihm wortlos ein Glas füllt und dafür einen halben Dollar verlangt mit den Worten: »Bei mir wird sofort bezahlt. Denn wenn der Steamer tutet, rennen sie alle hinaus und zur Landebrücke.« Ben Yates nickt und zahlt. Dabei fragt er: »Sind Sie hier schon lange?« »Ewig«, erwidert der bullige Mann, dessen Vollbart nicht vollständig die Narben eines harten Lebens als Preiskämpfer verbergen kann. »Ich bin schon tausend Jahre hier«, knurrt er, »und warte immer noch darauf, dass dieses Drecknest endlich eine richtige Stadt wird. Aber es wird nicht größer. Ein einziger Büffelbulle könnte es vollscheißen, verdammt.« Er will sich grollend abwenden mit der Flasche in der Hand, und er ist ganz offensichtlich ein frustrierter Mann, der all seine Chips auf eine Niete setzte. Ben Yates sagt jedoch: »Einen Moment, Champ.« Der Wirt hält inne und fragt misstrauisch: »Woher wissen Sie, dass ich mal als Preiskämpfer Champion des Mississippi war zwischen New Orleans und Saint Louis?« »Ich dachte es mir, Champ. Sie tragen die Zeichen unter dem Bart und haben plattgeklopfte Ohren. Und Sie konnten sich von Ihren Ersparnissen diesen Saloon kaufen oder aufbauen. Sie müssen also ein erfolgreicher Preiskämpfer gewesen sein.« »War ich wirklich.« Der Wirt grinst. Dann zeigt er Ben Yates seine Handrücken. »Bis mir die Mittelhandknochen brachen«, grollt er. »Sie
heilten zwar noch zweimal zusammen. Doch jetzt halten sie nicht mehr. Ich kann nicht mehr hart genug schlagen, keinen schwergewichtigen Mann mehr von den Beinen hauen. Das Leben bestraft einen manchmal. Was wollen Sie?« Er fragt es zuletzt mit einem misstrauischen Ausdruck in den schrägen Augen. Ben Yates holt ein Blatt Papier aus der Jacke und faltet es auseinander. Eine Zeichnung wird sichtbar, die er an Bord mit einiger Mühe hergestellt hat. Diese Zeichnung zeigt einen Skorpion. Der Wirt starrt darauf und fragt: »Und? Was soll das?« »Es kann schon sehr lange her sein«, spricht Yates, »vielleicht schon Jahre. Aber es könnte sein, dass irgendwann mal einige Kerle hier Ihren guten Whisky getrunken haben, auf deren Handrücken diese Tätowierung war.« Der Wirt starrt ihn misstrauisch an. »Sind Sie ein Kopfgeldjäger oder ein Lawman, ein Marschal?« Ben Yates erwidert den Blick ernst. Dann schüttelt er den Kopf. »Nein, ich suche die Mörder meiner Familie, und ich weiß, Champ, Sie würden es an meiner Stelle ebenfalls tun.« Die Augen des Expreisboxers werden einen Moment schmal. Dann aber nickt er: »Ja, dieses Zeichen sah ich vor fast vier Jahren schon mal auf einigen Handrücken. Die gehörten bösen Pilgern, die auf mich wie Wölfe auf der Flucht wirkten. Sie bekamen hier auch Streit mit einer Flößermannschaft. Weil sie zu den Waffen griffen, gab es einen Toten und mehrere Verwundete. Zum Glück mussten sie schnell an Bord, weil der Steamer, von dem sie kamen, wieder losmachte.« Der Wirt verstummt hart. Dann muss er weg, denn die anderen Gäste wollen ihre Gläser noch mal gefüllt haben.
Eine Stimme ruft heiser: »Das ist wirklich Pumaspucke!« Aber eine andere Stimme bellt wie ein Hund und ruft dann: »Hundepisse! Das ist Hundepisse mit Pfeffer und geriebenem Kautabak!« Nun rufen auch noch andere Stimmen alle möglichen Vermutungen. Dann aber grollt die Stimme des Wirtes: »Gentlemen, wenn Sie meinen Whisky beleidigen, dann sage ich Ihnen nur, dass Sie ihn nicht zu saufen brauchen.« Ben Yates hört nicht länger zu. Er geht hinaus, lehnt sich draußen neben der Tür an die Hauswand und beginnt sich eine Zigarette zu drehen. Seine Gedanken eilen nun. Was in Saint Louis Zufall oder Schicksal war, dies ist nun zu einer Pflicht geworden, zu seiner vorläufigen Lebensaufgabe. Er hat plötzlich ein Ziel bekommen. Die Zeit des ziellosen Umherstreifens, die ihn immer mehr zu einem Spieler machte, weil er sich auf diese Weise am leichtesten den Lebensunterhalt verdienen konnte, ist vorbei. Er hat nun eine Fährte aufgenommen, die ganz plötzlich vorhanden ist. Er stößt sich mit der Schulter von der Hauswand ab und geht wieder zum Ufer hinunter. Es gibt hier einen Uferweg zur Sägemühle. In der kleinen Bucht ist ein großes Floß festgemacht. Die Sägemühle ist in Betrieb. Offenbar werden die Stämme des mächtigen Floßes zu Bahnschwellen verarbeitet. Auf diesem Uferweg sieht er Judy Logan dahergeschritten kommen. Offenbar ist sie bis zur Sägemühle gegangen und kommt nun wieder zurück. Er geht ihr entgegen und bewundert dabei ihren leichten Gang, ihre Bewegungen und Kopfhaltung. Sie ist wunderschön, denkt er. Ihre Ausstrahlung umgibt
ihre Schönheit wie ein goldener Rahmen ein schönes Bild. Verdammt, was für eine Frau! Und sie ist eine Witwe, die ihrem Mann weglief. Warum tat sie das? Er würde die Antwort auf seine Frage gerne bekommen. Doch er wird Judy Logan diese Frage niemals stellen dürfen. Sie halten nun voreinander. Weil sie einen ganzen Kopf kleiner ist als er, obwohl für eine Frau etwas mehr als mittelgroß, muss sie zu ihm aufsehen. Er nimmt den Hut ab. Sein schwarzes Haar bewegt sich im leichten Wind. Und sie sieht in seine hellen, rauchgrauen Augen und spürt dabei, wie sehr sie ihm gefällt. Aber das spürt sie bei allen Männern, denen sie begegnet. Sie kennt längst die verschiedenen Sorten. Einige Sorten verachtet sie, andere behandelt sie mit Vorsicht, und vor einigen fürchtet sie sich und lässt es sich dennoch nicht anmerken. Denn längst hat sie begriffen: Wenn sie an den falschen Mann gerät und diesem zu sehr vertraut, dann geht sie unter. Und so versteht sie es längst, ihre Schönheit zu nutzen wie eine Spielerin ein gutes Kartenblatt. Ihre Lippen lächeln ein wenig, und in ihren grünen Katzenaugen erkennt er ein Abwarten. Und so sagt ihm sein Instinkt, dass er sich bei dieser Frau Zeit nehmen muss. Aber wahrscheinlich hat er keine Zeit. Denn er befindet sich auf einer Fährte. Er sagt: »Es tut jetzt schon gut, wieder an Land einen kleinen Spaziergang zu machen, nicht wahr? Und bis Fort Lincoln sind es noch an die fünfzehnhundert Meilen. Es ist schön, Sie anzusehen.« Sie lacht leise, und in ihren Augen funkelt es. »Bei der Armee nennt man das leichtes Geplänkel«, spricht sie nachsichtig. »Doch irgendwann kommt es dann zum Angriff. Ist das Ihre Taktik, Mister Yates?« »Ich habe von Ihnen geträumt«, erwidert er. »Und in
meinem Traum nannten Sie mich schon Ben, nicht Mister Yates. Das hat mir im Traum gut gefallen, denn in diesem Land hier und auf dem Strom gelten nicht mehr so sehr die steifen Regeln der vornehmen Gesellschaft.« Er wendet sich, tritt an ihre Seite und bietet ihr den Arm. Sie zögert eine Sekunde lang, dann nimmt sie ihn. Dabei fragt sie etwas kühl: »Mister Yates, machen Sie mir den Hof?« Er lacht leise, und indes sie sich in Bewegung setzen, spricht er: »Frauen sind das Beste und Schönste auf dieser Erde. Deshalb ist in allen Männern ein Verlangen, was weder Himmel, noch Erde, Musik oder irgendein Glück erfüllen können, auch kein schöner Sonnenuntergang zum Beispiel. Oder die Erfüllung anderer Wünsche. Denn einen schönen Sonnenuntergang kann man nicht in die Arme nehmen, nur eine Frau. Wissen Sie, Judy, eine Frau ist ein Gottesgeschenk, manchmal süß, dann wieder wild. Eine Frau ist …« »Hören Sie auf«, unterbricht sie ihn und nimmt ihren Arm wieder aus seiner Armbeuge. »Sie wollen mir wie ein Künstler und Poet den Hof machen, sozusagen auf höherem Niveau. Verdammt, alle Männer wollen von einer Frau nur eines.« Sie haben nun die Landebrücke erreicht und gehen an Bord. Sie eilt leichtfüßig vor ihm her, und als sie den Niedergang vom Kabinendeck hinaufsteigen, eilt sie abermals voraus, sodass er ihre zierlichen Füße bewundern kann. Sie trägt ein elegantes, flaschengrünes Reisekostüm. Oben verschwindet sie in ihrer Kabine und wirft keinen einzigen Blick zurück auf ihn. Yates tritt an die Reling und blickt zur kleinen Stadt hinüber, wo aus dem Saloon nun die ersten Landgänger kommen. Auch der Armeescout Jim Spears ist dabei. Aber Yates ist mit seinen Gedanken noch bei Judy Logan. Und so denkt er: Ich habe wohl nicht das Recht, mich enttäuscht zu fühlen. Ich war ein Narr, sie so schnell erobern zu
wollen. Dabei wusste ich doch, dass ich mir bei ihr Zeit nehmen muss. Jim Spears kommt nun herauf und stellt sich neben ihn an die Reling. Eine Weile schweigen sie. Dann murmelt Spears: »Sie haben Glück, Yates.« »Wobei, Spears?« »Dass ich Armeescout bin, mit Ihnen auf der General Grant fahre und vom Wirt erfahren habe, warum Sie ihm die Zeichnung auf dem Papier gezeigt haben. Ich bin nun mal ein neugieriger Bursche, ein echter Scout, der ständig alles erkunden und erfahren möchte.« »Ein Spion.« Yates grinst ein wenig ärgerlich wirkend. Dann aber fragt er noch mal: »Was für ein Glück könnten Sie mir bringen?« Jim Spears lässt ihn noch einige Atemzüge lang warten. Dann erwidert er: »Ich weiß, wo Sie die Skorpione finden können.« »Waaas?« Yates dehnt das Wort, wendet sich dem Scout zu und starrt ihn fest an. Denn der kleine Mann sieht zu ihm hoch, sodass sie sich in die Augen sehen können. »Wo?« Yates fragt es hart. »In der D-Kompanie des Siebenten Regiments«, spricht Spears trocken. »Ich war mit diesen Männern oft auf Patrouille. Und die D-Kompanie wurde bis vor einem halben Jahr noch von Premierlieutenant Logan geführt. He, Yates, was Sie auch vorhaben und aus welchem Grunde Sie auch auf dieser Fährte sein mögen, Sie haben keine Chance. Denn die vier Skorpione gehören der Armee. Und was sie auch als Zivilisten getan haben mögen, bei der Armee zählt das nicht. Verstehen Sie?« Er verstummt ernst. Und Ben Yates hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Was ihm Spears soeben sagte, vermag er nicht so einfach zu
glauben. Aber er träumt ja keinen verrückten Traum. Alles ist wirklich. Und so gibt es eigentlich nur eine einzige Erklärung: Es ist Schicksal. Ja, ein Spiel des Schicksals will es so. Natürlich gibt es oft die unmöglichsten Ereignisse auf der Welt, geschehen manchmal Dinge, die es gar nicht geben dürfte. Er sieht Jim Spears lange an. Aber dieser weicht seinem Blick nicht aus. Und so beginnt Yates zu glauben, dass er die Mörder seiner Familie gefunden hat – die Mörder seiner Eltern und Schwestern. Er legt seine Hand auf den Arm des Scouts. »Erzählen Sie mir mehr über die Kerle. Wie sind deren Namen? Und warum wurden sie Soldaten und dienen nun in der D-Kompanie des Siebenten Regiments?«
4 � Jim Spears schüttelt leicht den Kopf. � »Erst will ich Ihre Geschichte hören, Yates. Erst will ich wissen, warum Sie auf dem Pfad der Rache sind. Ich arbeite für die Armee, für General Custer. Und auch die vier Skorpione gehören der Armee an. Vielleicht sollte ich sie vor Ihnen warnen.« Als er verstummt, erwidert Yates: »Die Kerle bezeichneten sich während des Krieges als Guerillas, aber sie waren eine Mordbande, die nichts anderes im Sinn hatte als Rauben, Brandschatzen und Töten. Sie haben meine Familie umgebracht und unser Haus angezündet. Ein kleiner Junge, der sich in der Küche hinter der Holzkiste versteckte, hat als einziger überlebt und war Zeuge. Ich kam zwei Tage später aus Kriegsgefangenschaft zurück und fand ihn. Er war noch völlig verstört, hatte sich in letzter Minute aus dem brennenden Herrenhaus gerettet. Ich brauchte lange, bis ich ihn soweit hatte, dass er mir alles erzählen konnte. Dann machte ich mich auf den Weg, verlor jedoch nach Monaten ihre Fährte. Schließlich gab ich auf, denn ich war ein Satteltramp geworden.« Als Ben Yates verstummt, schweigen sie lange. Dann fordert Jim Spears: »Weiter, weiter. Die Geschichte ist doch noch nicht zu Ende – oder?« »Nein, ich traf nach vielen Jahren in Saint Louis auf einen der Kerle, der bei einer Frau hängengeblieben war und ein Spieler wurde. Jetzt ist er tot. Doch er verriet mir, dass seine Kumpane nach Norden wollten.« Als Ben Yates verstummt, nickt Spears. »Und da haben Sie die verlorene Fährte wieder aufgenommen und haben überall nach Männern gefragt, die jene Tätowierungen auf dem linken Handrücken tragen. Es
muss damals eine dumme Bande gewesen sein, die auf diese Art ihre Zusammengehörigkeit gewissermaßen dokumentierte. Aber das Zeichen zwang sie auch zum Zusammenhalten, machte sie zu einer Art Mördersekte. Viele Menschen sind einfach dumm, selbstherrlich oder glauben an ein ständiges Glück.« Er macht nun eine Pause und sieht Ben Yates ernst an. »Sie waren also Soldat der Rebellenarmee des Südens und dienten unter General Lee, nicht wahr? Welchen Rang hatten Sie?« »Captain.« Ben Yates sagt es knapp. Der Scout nickt. »Das dachte ich mir. Und nun wollen Sie die vier Kerle umbringen. Denn vor einem Gericht hätten Sie keine Beweise. Die Kerle würden alles abstreiten. Und jenen Jungen von damals, den würden Sie gewiss nicht mehr finden. War es ein schwarzer Junge von einer Sklavin geboren? Ich habe gehört, dass man im Süden die männlichen Sklaven ›Böcke‹ nannte, welche Nachwuchs produzieren mussten. Es war wohl so ähnlich wie Schaf- oder Rinderzucht – nur mit Menschen. Denn jeder Säugling wurde größer und hatte dann seinen Wert. Wie viele Sklaven hatte Ihre Familie?« Die Frage kommt hart und mit einem deutlich erkennbaren Klang von Verachtung. Dann starren sie sich beide in die Augen. Nach einer Weile erwidert Ben Yates: »Etwa dreihundert. Und der Klang in Ihrer Frage, diese Verachtung in Ihrer Stimme … Oho, auf was sind Sie so stolz? Sie sind Scout in einer Armee, welche an den Indianern Völkermord begeht. Und jener General Custer, dem Sie offenbar wie ein treuer Hund dienen, ist einer der größten und gnadenlosesten Indianermörder. Verdammt, unsere Sklaven hatten es bei uns besser als jetzt in ihrer Freiheit. Kommen Sie von Ihrem hohen Ross herunter, Spears.« Jim Spears will hart erwidern. Man erkennt es in seinen nun
kieselhart wirkenden Augen. Doch er presst den Mund zusammen, lässt nichts heraus. Erst nach einer Weile murmelt er: »Was wissen Sie schon von meinem Verhältnis zum General und von dem, was ich kommen sehe, weil es unumstößlich sein wird.« »Dann sagen Sie es mir, erklären Sie es mir.« Der kleine und so falkenhaft wirkende Scout hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Dann starrt er Yates irgendwie bitter und traurig wirkend an und spricht langsam Wort für Wort: »Das Siebente Regiment ist eine Truppe von Chancenlosen. Man wird Custer auf die Indianer hetzen. Und er will wieder seinen alten Bürgerkriegsrang erwerben und deshalb abermals siegen, so wie damals, als er der jüngste General der ganzen Unionsarmee war. Und er wird mit dem Regiment in die Hölle reiten, wenn ich ihn nicht davon abhalten kann. Deshalb kehre ich jetzt nach meiner Operation zu ihm zurück. Denn mit ihm werden all die armen Teufel sterben, welche unter seinem Befehl stehen und ihm folgen müssen in diese Hölle – auch jene vier Skorpione. Denn auch sie gehören zu den Chancenlosen. Yates, ich mache Ihnen einen Vorschlag.« »Welchen?« »Warten Sie ab, was geschehen wird. Sollten meine bösen Vorahnungen nicht eintreffen und die Kerle am Leben bleiben, dann helfe ich Ihnen, sie umzubringen. Denn das wird nicht so leicht sein. Sie gehörten damals zur D-Kompanie von Lieutenant Logan und waren auch mit ihm auf Patrouille. Es war eine starke Doppelpatrouille, und sie waren die einzigen Überlebenden außer einem Sergeanten. Aber der war verschollen und kam von einem Ausgang hinüber nach Bismarck nicht mehr zurück. Man fand ihn später ertrunken einige Meilen weiter unterhalb der Stadt. Mrs Logan, die Ihnen offensichtlich so gut gefällt, wird nur von diesen Kerlen die Grabstätte ihres Mannes erfahren können. Denn sie beerdigten
ihn, bevor sie in einem Blizzard entkamen und zum Glück auf eine andere Patrouille, die nach ihnen suchte, stießen. Sie wurden halbtot ins Fort gebracht.« Er verstummt, merkwürdig sanft, was den Klang seiner Stimme betrifft. Ben Yates lehnt sich über die Reling und spuckt ins Wasser. Dann aber fragt er: »Mrs Logan musste von der Armee erst gesucht werden, nicht wahr? Warum hatte sie sich von ihrem Mann getrennt und ging ihrer eigenen Wege? Wissen Sie das auch? Sie wissen überhaupt eine Menge, Spears.« »Richtig.« Dieser grinst. »Ein Scout muss stets alles wissen oder in Erfahrung bringen. Und der Klatsch in der Armee ist riesengroß, besonders in den Grenzforts, die ja abgeschnitten sind und alles mit wochenlanger Verspätung erfahren. Der Premier-Lieutenant Jones Logan wurde strafversetzt. Er hatte die Frau eines Vorgesetzten verführt, also mit der Frau eines höherrangigen Kameraden ein Verhältnis gehabt. Deshalb hat man ihn ins Indianerland verbannt. Man sagt, dass er eine ganz andere Laufbahn vor sich hatte, nicht dort, wo Blut und Schweiß vergossen wird, sondern wo sich die Offiziere auf dem Parkett der Diplomaten als Attachés bewegen. Ich habe ihn mal mit seiner Truppe durchs Land geführt. Er war ein auch hier an der Grenze noch sehr elegant wirkender Bursche, dem die Frauen nur so zuflogen. Der brauchte nur mit dem Finger zu schnippen. Ich kann verstehen, dass seine Frau mit ihm fertig war.« Er hat nun alles gesagt und sieht Ben Yates noch einmal an. »Jetzt haben Sie eine Menge nachzudenken«, sagt er, grinst und wirkt in diesem Moment etwas schadenfroh. Bevor er sich abwendet, betrachtet er Ben Yates noch einmal abschätzend. »Ein Captain der Konföderierten waren Sie also, ein Mann, der kämpfen musste und gewiss dabei eine Menge Erfahrung gewann. Custer würde Sie gewiss sofort als Sergeant in sein
Regiment einstellen. Offiziere darf er ja nicht ernennen, jedoch Sergeanten. Die befördert er und degradiert er nach seinem Belieben. Es gibt Sergeanten in seinem Regiment, die wurden schon mehrmals degradiert und wieder befördert.« »Offenbar ist er ein arrogantes Arschloch, Ihr Exgeneral und Indianerfresser.« Yates spricht es grimmig. Dann geht er nach vorn, um voraus über den Strom blicken zu können und auch den frischen Fahrtwind zu genießen. In seinem Kopf jagen sich die Gedanken. Und er fragt sich, was das Schicksal wohl mit ihm vorhat. Denn das alles kann doch kein Zufall sein, schon gar nicht, dass er mit Custers Chefscout eine Kabine teilt und sie sich irgendwie menschlich näher kamen. Er weiß noch nicht, ob Spears und er Feinde oder Freunde sein werden. Nur eines weiß er: Spears und er wurden vom Schicksal zusammengeführt. Und diese Judy Logan … Eine Ahnung sagt ihm, dass Judy auch vom Schicksal in dieses Spiel einbezogen wurde wie eine wichtige Figur auf einem Schachbrett, vielleicht die Dame. Kann es sein, dass das Schicksal eine Art Schachspiel mit ihnen allen betreibt? Er wendet den Kopf, als sie neben ihn tritt und sieht sie an, so wie sie es bei ihm tut. Dann lächeln sie sich zu. In ihren Augen funkelt es. »Ich weiß immer noch nicht so richtig, wohin Sie wollen, Ben Yates«, spricht sie, und ihre goldblonden Haare fliegen im Wind. Er entdeckt nun einige winzige Sommersprossen auf ihrer Nase und den Wangen. Und das gefällt ihm. Es macht ihre Schönheit natürlicher. »Ich will zumindest bis Bismarck«, erwidert er. »Dann bin
ich gar nicht weit von Ihnen entfernt. Denn Fort Lincoln liegt ja nur fünf Meilen entfernt auf der anderen Seite. Sie wollen doch nach Fort Lincoln zu Custer?« »Nicht zu Custer«, erwidert sie. »Die Armee hat mich eingeladen. Wenn ich will, bettet die Armee meinen Mann um, holt das, was von ihm übrig blieb, von der Prärie zum Fort und gibt ihm die ehrenvolle Bestattung eines Offiziers. Und überdies soll ich die Nachlassenschaft von ihm übernehmen, mitsamt der Flagge, die jede Offizierswitwe bekommt. Oh, verdammt!« Es ist ein plötzlicher Ausbruch, wobei sie mit dem Fuß aufstampft. »Es geht auch um meine Witwenrente«, fügt sie hinzu. Dann wendet sie sich ab und geht an der Reling entlang an den Kabinen vorbei nach achtern, wo das mächtige Schaufelrad sich patschend dreht und die General Grant gegen die Strömung vorwärts treibt. Indes sie den Strom abwärts blickt über das rauschende Schaufelrad hinweg, da ist es ihr, als blickte sie über ihr bisher vergangenes Leben zurück. Doch dann wird ihr schnell klar, dass sie besser voraus und in die Zukunft blicken sollte. Und diese Zukunft soll in Fort Lincoln beginnen. Doch sie wird es geschickt anfangen müssen. Denn dort bei der Truppe gibt es einige Männer, die das Geheimnis kennen. Ja, es gibt ein Geheimnis. Der FirstSergeant ihres Mannes, der mit wenigen Männern der Doppelpatrouille überlebte, schrieb es ihr. Dieser Brief wurde ihr immer wieder zu neuen Anschriften nachgesandt, ebenso die traurige Nachricht der Armee, dass sie sich melden sollte. Denn sie war ja ständig unterwegs von einer Stadt zur anderen. Sie war damals mittellos, als sie sich von ihrem Mann trennte, ihn einfach verließ, weil sie sich betrogen und gedemütigt fühlte.
Sie musste für sich sorgen. Und das Leben war hart. Sie wendet sich wieder nach vorn. Denn sie will nicht zurückblicken. Die letzten Monate waren schlimm. Als sie wieder auf dem Kabinendeck nach vorn geht, kommt ihr Ben Yates entgegen. Und abermals fragt sie sich, was für ein Mann er wohl ist und wohin sein Weg ihn führt. Sie weiß, dass er ein gebildeter Südstaatler ist, der gewiss während des Krieges Offizier war. Doch dann stand er wieder an einem Anfang. Was wurde aus ihm? Das ist ihre Frage. Ist er jetzt nur ein Glücksjäger, ein Spieler und Abenteurer? Lohnt es sich für sie, sich mit ihm einzulassen? Ja, er gefällt ihr, und sie ist eine noch junge Frau, welche längst weiß, dass die Jahre schnell vorbei sind. Sie verlangt noch eine Menge von ihrem Leben. Sie verhalten nun voreinander. Es sind noch andere Passagiere im Freien. Sie lehnen über der Reling oder spazieren in der Runde um die Kabinenaufbauten. Doch Yates und Judy vergessen diese Menschen. Sie halten voreinander und sehen sich an. Es ist, als würden sie schweigend etwas austauschen, ihre Gedanken und Gefühle erraten oder spüren können. Plötzlich sagt sie ziemlich biestig: »Verdammt, Ben Yates, ich kenne Sie nicht gut genug. Und ich vertraue keinem Mann mehr. Hören Sie auf!« »Womit?« Er fragt es mit einem nachsichtigen Lächeln. »Das wissen Sie genau«, erwidert sie. »Sie kommen mir wie ein Wolf vor, der um eine Beute schleicht und sicher ist, dass sie ihm nicht mehr entkommen kann. Gehen Sie zum Teufel!« Sie geht an ihm vorbei, erreicht nach wenigen Schritten ihre Kabine und verschwindet in ihr. Er wendet sich und sieht ihr nach. Und er spürt eine gewisse Verwirrung.
5 � Stunde um Stunde, Meile um Meile und Tag für Tag – manchmal auch in den hellen Nächten – arbeitet sich die General Grant den mächtigen Strom hinauf. Und neben dem ratternden und patschenden Schaufelrad ist ständig das fauchende Geräusch des Abdampfes zu hören. Das Leben an Bord wird immer eintöniger. Die Passagiere – und vor allen Dingen die Fahrgäste des Hauptdecks – fühlen sich wie eingesperrt und unerträglich beengt. Und so begrüßen sie jede Abwechslung, selbst wenn es unerfreuliche sind. Um diese Jahreszeit – es ist später Herbst oder das Ende des Indianersommers – hat der Strom Niedrigwasser. Die General Grant sitzt fast jeden Tag auf einer Sandbank fest. Denn der Strom verändert sich ständig. Es ist dann immer wieder für die Passagiere interessant, wie sich die General Grant jedes Mal wieder freimacht. Wie alle Missouri-Steamer ist sie mit zwei sehr langen Pfählen oder Spieren ausgerüstet. Diese Spieren werden im Winkel von 45 Grad auf den Grund gestellt und so zu riesigen Krücken für das festsitzende Dampfboot. Denn ihre oberen Enden sind mit Trossen verbunden, welche von einem mit Dampf betriebenen Gangspill rückwärts gezogen werden. So hebt sich das Vorderschiff mit einem Ruck und rutscht weiter. Man muss das dann immer wieder machen, bis die Sandbank überwunden ist. Diese Spieren sind also zwei gewaltige Hebel. Die Deckspassagiere johlen stets wild, wenn die General Grant wieder frei ist, das Schaufelrad sich erneut dreht und die Abluft wieder faucht. Bis jetzt konnte die General Grant alle Sandbänke
überwinden … Denn sonst hätte man die Ladung leichtern müssen, also an Land bringen und später wieder an Bord nehmen. Auch stieß das Boot bis jetzt noch nicht auf treibende Hindernisse. Jedoch zeigen sich an Land jetzt manchmal indianische Reiter, die ihnen mit ihren Waffen drohen und wildes Geschrei ausstoßen. Aber es sind genügend Gewehre an Bord, sodass ein Angriff abgeschlagen werden könnte. Es bleibt also nur bei den Drohgebärden. Die General Grant arbeitet sich in diesen Tagen bis nach Kansas City vor, dessen Flusshafen »Westport« genannt wird. Kansas City ist in diesem Jahr eine besonders wilde Stadt, das Ausfalltor nach Norden und Westen, voller Landsucher, Büffeljäger, Abenteurer und all den vielen Sorten der Menschheit, den Guten und Bösen, den Hoffnungsvollen und Gestrandeten, die nach einem neuen Anfang suchen. Es gibt auch eine große Badeanstalt für Ladies und Gentlemen. Auch Ben Yates und Judy Logan gehen mit anderen Passagieren hin. Und als Ben Yates in einem der Bottiche sitzt, da weiß er, dass drüben – nur durch eine dünne Bretterwand getrennt, auch Judy in einer Wanne sitzt und sich mit Fliederseife wäscht. Ja, er stellt sich Judy Logan nackt vor und wird sich wieder einmal mehr darüber klar, dass er sie immer noch besitzen will und dies bisher noch nicht aufgegeben hat. Die Reise den Strom hinauf geht in den nächsten Tagen weiter. Das Wetter wird schlechter. Der Winter lauert schon im Norden und schickt die kalten Winde voraus, auch den prasselnden Regen, der sich bald in Schnee verwandeln wird. Der Indianersommer währte dieses Jahr lange.
Doch der Wandel wird vielleicht bald mit einem Blizzard kommen. Sie passieren Leavenworth, Saint Joseph, Omaha, Sioux City, Vermillion, Yankton, Fort Randall und Brule City. Es sind armselige Nester, aus denen eines Tages Städte werden sollen. Die General Grant hat inzwischen schon zwölfhundert Meilen geschafft und nur noch etwa vierhundert vor sich bis Fort Lincoln oder Bismarck. Doch die Tage werden kürzer. Sie müssen fast jeden Abend irgendwo anhalten und festmachen. Dieser gewaltige Strom ist die Lebensader eines endlos wirkenden weiten Raumes, und er macht mit seiner Stärke den Menschen bewusst, wie klein sie doch sind. Und dennoch wird er von ihnen erobert. Judy Logan tritt nach dem Abendessen noch einmal hinaus an die Reling. Die General Grant hat in einer Bucht festgemacht, in der eine leichte Strömung dreht und wo an Land die Lichter einiger Hütten gegen die schwarze Nacht und deren Geheimnisse anzukämpfen versuchen. Die Hütten gehören zu einem Holzplatz, von dem das Dampfboot mit Hilfe seiner Lademasten genug Holz für den Rest der Reise übernommen hat. Doch Judy dreht der Landseite den Rücken und versucht auf den Strom zu sehen. Doch dort steigen Nebel auf. Der Big Muddy ist wärmer als die Luft. Und auch der Wasserstand ist angestiegen, denn weiter im Norden, oben in Montana, muss es starke Regenfälle gegeben haben. Und nun kommt das Wasser mit sechs Meilen in der Stunde abwärts. Die General Grant wird es in den nächsten Tagen gegen die anwachsende Strömung immer schwerer haben. Judy Logan fröstelt und zieht sich das Umhängetuch fester um Schultern und Rücken. Sie denkt an Ben Yates.
Und dann steht er plötzlich neben ihr an der Reling. Sie schweigen eine Weile. Ihre Arme berühren sich leicht, und so spüren sie ihre Nähe. Aber eigentlich waren sie sich all die Tage und Nächte bewusst, dass sie gewissermaßen auf engem Raum eingesperrt sind. Sie begegnen sich immer wieder, können sich nicht ausweichen, sitzen sich bei den Mahlzeiten im Saloon gegenüber. Der Saloon befindet sich zwischen den Kabinen der Steuerbord- und der Backbordseite. Die Kabinen haben zwei Türen. Durch die innere kann man den Saloon betreten, durch die äußere hinaus an die Reling und auf den Gang an dieser entlang. Nach dem Abendessen wird der Saloon zum Spielraum. Man kann Faro, Black-Jack, Poker und Roulette spielen. Judy Logan spricht plötzlich: »Ben Yates, was wollen Sie?« Er erwidert: »Judy, wir schleichen jetzt schon viele Tage umeinander. Warum ergibst du dich nicht endlich? Vergiss dein Misstrauen. Wir leben in einer Welt und in einer Zeit, wo alles sehr schnell vorbei sein kann. Versuch es mit mir. Wir könnten uns gegenseitig beschenken und die Welt für uns verändern – nur für uns allein.« Als er verstummt, da schweigt sie lange. Dann aber spricht sie heiser: »Dann komm, Ben Yates, komm!« Sie stößt das letzte Wort fast wild hervor. Dann zieht sie ihn in ihre Kabine hinein, die sie allein belegt. Und er denkt in diesen Sekunden: Ja, sie ist auch nur eine Frau mit Wünschen, so wie wir sie alle haben in dieser Welt. Sie ist einsam und möchte Wärme. Die werde ich ihr geben, Wärme und Zärtlichkeit. Die Tage vergehen. Und weil sie immer kürzer werden, die Nächte immer schwärzer, können sie auf dem gefährlichen
Strom manchmal nur an die sechzig Meilen schaffen. Und immer wieder haben sie Glück und werden nicht von treibenden Bäumen gerammt. Ein ganzes Floß muss weiter oberhalb auseinander gebrochen sein. Und diese Stämme sind besonders gefährlich. Ben Yates verbringt nun jede Nacht bei Judy. Und am zweiten Tag, als er in seine Kabine kommt, die er mit Jim Spears belegt hat, steht der kleine Scout halbnackt vor dem blassen Spiegel und versucht seinen Rücken zu betrachten, was ihm aber nicht gelingt, so sehr er den Oberkörper auch zu drehen versucht. »Ay, gut dass Sie kommen«, sagt er. »Ich kann die Narbe nicht richtig begutachten, die der Schnitt des Chirurgen hinterließ. Es war eine böse Pfeilspitze, die mich gewiss bald erledigt hätte. Ich musste diese verdammt weite Reise nach Saint Louis machen, um sie loszuwerden. Kein Armeearzt traute sich das zu. Und der große Künstler in Saint Louis sagte mir, dass nur ein einziger Millimeter gefehlt habe, und das Metall hätte einen der Nervenstränge geritzt. Die Armeeärzte verstehen sich nur auf Schusswunden, Säbelhiebe und Knochenbrüche. Custer wird schon auf mich warten.« Er verstummt so richtig stolz. Dann aber fragt er: »Wie sieht die Narbe aus?« Yates tritt näher an ihn heran, und im Licht des Fensters betrachtet er das Ding. »Es ist eine gut verheilte, halbmondförmige Narbe«, stellt er fest. »Juckt sie?« »Manchmal«, kichert Jim Spears. »Aber der schönen Judy Logan juckt es gewiss auch irgendwo, hahaha! Sonst würden Sie nicht bei ihr die Nächte verbringen dürfen. Aber ich gönne es Ihnen, mein Junge, obwohl ich etwas neidisch bin. Denn für mich gab es meistens nur eine Squaw.« Er steht halbnackt vor Yates. Dieser sieht jetzt, wie gut dieser noch nicht mal mittelgroße
Mann proportioniert ist, etwa so wie ein Artist, ein Tänzer oder Akrobat. Dieser Scout kann es gewiss mit jedem anderen Mann aufnehmen. Er kleidet sich wieder an und sagt dabei: »Bald sind wir in Fort Lincoln oder Bismarck. Wo werden Sie aussteigen? Die bösen Jungs, deren Skalpe Sie haben wollen, sind in Fort Lincoln, dienen in der D-Kompanie. Vielleicht sollten Sie Soldat werden. Dann sind Sie ihnen nahe. Ich wette, Custer stellt Sie als Sergeant ein, wenn er erfährt, dass Sie ein Rebellencaptain waren. Der hat Respekt vor den Konföderierten, weil er durch seine Kämpfe gegen sie berühmt wurde. Hahaha, das wäre was – Sie und die vier Skorpione in einer Kompanie. Und sie wüssten nicht, was sie eingeholt hat. Hahaha, das wäre was!« Er verstummt mit wilder Freude. Dann aber fragt er: »Ist sie gut im Bett? Oder ist ihr Äußeres nur …« »Halten Sie den Mund«, unterbricht ihn Ben Yates. »Sie müsste mich verachten, wenn ich über intime Dinge mit anderen redete. Sie ist keine Squaw.« »Was wissen Sie schon über Squaws?« So fragt der Scout zurück. »Sie wissen gar nichts über diese wunderbaren Frauen. Besonders die Nez Percé-Squaws sind ein Geschenk des Himmels.« Er geht hinaus. Ben Yates aber setzt sich auf den Rand seiner schmalen Schlafgelegenheit und wird sich bewusst, dass er nun schon zweimal nicht hier schlief. Und er fragt sich, was aus ihm und Judy werden wird. Auch die längste Reise unter widrigen Umständen den Big Muddy hinauf geht einmal zu Ende. Und so erreicht die General Grant schließlich am siebenten
November 1875 Fort Rice, dessen Kommandant Captain Benteen ist. Der Steamer legt aber nur kurz an, um Post und einige Pakete auszuladen. Das Fort ist ein ziemlich unwichtiger Stützpunkt und ein Handelsplatz, etwa sechs Meilen von Fort Lincoln entfernt, wo die Hauptmacht des Siebenten Regimentes stationiert ist. Ben Yates lehnt an der Reling und sieht zu, was auf der Landebrücke und an Land passiert. Er blickt auch zum Fort hinüber und sieht dort kleine Soldatenabteilungen beim Drill. Das erinnert ihn wieder an seine Zeit in der Konföderiertenarmee. Dort fand der gleiche Drill statt. Denn die Offiziere waren ja alle auf gleiche Art ausgebildet worden. General Lee, der Oberkommandierende der Konföderiertenarmee, war ja zuvor der Chef der Akademie West Point gewesen, also für die Ausbildung aller Offiziere verantwortlich. Und dieses Offiziers-Corps teilte sich dann auf in der Unionsarmee des Nordens und der Konföderiertenarmee im Süden. Ben Yates weiß, dass er sofort den Dienst in der jetzigen Armee aufnehmen könnte ohne Anpassungsprobleme. Der Scout Jim Spears tritt neben ihn. Sie schweigen eine Weile und beobachten stumm das Leben und Treiben an Land. Dann aber fragt Jim Spears: »Wo wirst du aussteigen, mein Junge – in Fort Lincoln oder erst fünf Meilen weiter stromauf in Bismarck?« Weil Ben Yates ihm noch keine Antwort gibt, fügt der Scout hinzu: »Bismarck liegt auf der anderen Seite. Aber es gibt eine Fähre. Die Soldaten des Forts – wenn sie Ausgang haben – vergnügen sich oft in Bismarck. Dort gibt es Saloons, Spielhallen und Hurenhäuser. Es ist eine böse Stadt – auch voller Büffeljäger, Flößer und Frachtfahrer. An den Landebrücken stinken Zehntausende von Büffelhäuten gen Himmel. Und bald wird man sie nicht mehr verladen können.
Der Winter kann jeden Tag hereinbrechen. Wo also wirst du aussteigen?« Ja, sie sind sich nähergekommen. Altersmäßig könnte Jim Spears fast Ben Yates' Vater sein, und deshalb nimmt Yates es hin, wenn Spears ihn manchmal Junge nennt. Er spürt, dass ihn der Scout mag. Doch er gibt ihm immer noch keine Antwort, sondern »lauscht« tief in sich hinein, so als müsste er seinen Instinkt befragen. Jim Spears lacht leise: »O ja, du könntest in Bismarck auf die vier Skorpione warten, wenn diese mal wieder Ausgang haben und sich in der wilden Stadt amüsieren wollen. Du könntest dich an sie heranmachen und sie einzeln umbringen und in den Strom werfen. Dann erginge es ihnen wie jenem Sergeanten Ken Ballard, der damals mit ihnen im Schneesturm entkam, der dafür sorgte, dass der Premier-Lieutenant Jones Logan irgendwo da draußen im Indianerland beerdigt wurde und der seiner Witwe einen persönlichen Brief schrieb, der die letzten Worte ihres Mannes enthielt. Sergeant Ballard hat mir von diesem Brief erzählt, als wir uns vor seinem Verschwinden in der Sergeantenkantine betranken. Und dann war er plötzlich verschwunden, bis man ihn weiter stromabwärts ertrunken am Ufer fand, weil der Strom ihn gewissermaßen ausspuckte. Ja, du könntest sie tatsächlich nach und nach umbringen. Doch du müsstest dabei eine Menge Glück haben. Denn sie trennen sich nie. Du wirst keinen von ihnen einzeln erwischen können. Aber ich könnte dir helfen.« »Wie denn?« Ben Yates fragt es skeptisch und misstrauisch zugleich. Dabei starrt er in die funkelnden Falkenaugen des Scouts. Dieser hebt achtungsheischend den rechten Zeigefinger und erwidert: »Custer wartet schon lange auf meine Rückkehr. Ich bin immer noch sein Chefscout. Und ich kann meine Gehilfen selbst einstellen. Verstehst du? Ich kann Custer auch
vorschlagen, dich als Sergeanten einzustellen und dich der DKompanie zuzuteilen. Custer hört auf mich. Und es würde ihm sehr gefallen, einen einstigen Rebellencaptain als Sergeanten unter sich zu haben. Der mag solche verrückte Sachen, weil er ja selbst sehr exzentrisch ist. Das ist die Würze in seinem Leben.« Er verstummt mit einem Klang von grimmigen Lachen in der Kehle. Yates sieht den Chefscout an. »Ich spüre irgendwie, dass du ihn nicht magst, aber ihm dennoch dienst wie ein getreuer Hund. Was ist zwischen euch?« Der kleine Scout hebt die Schultern und lässt sie wieder sinken. Dann murmelt er: »Ich kenne eine alte Indianerin, die hat Custer aus der Hand gelesen und auch sonst einigen Zauber gemacht. Und dann hat sie mir verraten, was sie ihm nicht gesagt hatte. Custer gehört zu den Chancenlosen. Sein Weg geht zu Ende. Und ich will das miterleben. Ich will wissen, ob sich die Weissagung erfüllt. Custer hat als Kommandeur schon so viele Menschen umbringen lassen und auch selbst getötet, dass ich sein Ende miterleben will, ohne mit ihm zu sterben. Also, mein Junge, was wirst du tun?« »Ich steige in Bismarck aus«, erwidert Ben Yates. »Und ich werde dich bald im Fort besuchen.« »Gut.« Spears grinst. »Gut. Das alles wird ein interessantes Spiel, denke ich. Und das Schicksal mischt die Karten. Ich mag solche Spiele. Die Welt wäre sonst zu eintönig. Doch noch etwas: Was weißt du über Custer?« »Nur, dass er während des Krieges mal General war, der jüngste in der Geschichte. Und jetzt ist er der Kommandeur des Siebenten Regimentes im Range eines Lieutenant-Colonels.« »Das stimmt nicht so ganz«, klärt ihn Spears auf. »Custer wurde nach dem Krieg in der reformierten und
verkleinerten Armee zum Captain zurückgestuft und diente zuerst im Fünften Kavallerieregiment. Später wurde er dem Siebenten Regiment, damals in Fort Riley, zugeteilt. Dessen Kommandeur war Colonel Andrew J. Smith und ist es eigentlich immer noch. Custer ist nur stellvertretend der Kommandeur von Fort Lincoln, weil der Colonel vorübergehend mit anderen Aufgaben betraut wurde. Vielleicht wurde der Colonel auch abgezogen, um für Custer die Möglichkeit zu schaffen, wieder einmal unter den Indianern ein Blutbad anrichten zu können. Denn das kann kein anderer Offizier so gut wie er. Er ist der Bluthund, den gewisse Kreise – mächtige Drahtzieher im Osten – immer wieder wüten lassen, um durch Völkermord an den Indianern das Land frei zu machen. – Denn wenn das Land erst frei ist für den Ansturm der Weißen, dann lässt sich eine Menge Geld verdienen. Das Töten der Büffel gehört auch dazu. Erst die Büffel und dann die roten Völker. Und Custer, der für seinen Ruhm und seinen Ehrgeiz, wieder General zu werden, alles zu tun bereit ist, wird ein zuverlässiges Werkzeug sein.« Der Scout verstummt hart. Ben Yates aber staunt ihn an. »Und dennoch dienst du ihm als Chefscout?« Jim Spears nickt und erwidert: »Ich will seinen Untergang erleben, so wie es die Weissagung vorausgesagt hat.« Nach diesen Worten geht er davon. Und es kommt Ben Yates so vor, als hätte der Scout plötzlich befürchtet, ein Geheimnis auszuplaudern. Und so fragt er sich, ob es zwischen Custer und Spears tatsächlich ein Geheimnis gibt.
6 � Die General Grant braucht für die sechs Meilen von Fort Rice nach Fort Lincoln eine knappe Stunde. Dann gehen einige Passagiere von Bord – und auch Judy Logan ist unter ihnen mit ihrem wenigen Gepäck. Ein Sergeant empfängt sie und übernimmt das Gepäck. Sie blickt noch einmal zurück und sieht zwischen anderen Passagieren auch Ben Yates an der Reling stehen. Über die Entfernung sehen sie sich noch einmal an, und das ist ihr vorläufiger Abschied, so als hätte es nicht einige Nächte in ihrer Kabine gegeben, in denen sie sich liebten und all ihre Probleme vergaßen, keine Einsamkeit mehr spürten, sich Wärme und Zärtlichkeit schenkten. Doch jetzt … Er verspürt ein Gefühl der Enttäuschung und Leere, so als hätte er etwas verloren. Aber er ist den mächtigen Strom heraufgekommen, um Rache zu nehmen und weiß nicht, ob er überleben wird. Judy Logan wendet sich mit einer schnellen Bewegung ab und folgt dem Sergeanten. Ihr Blick ist nun nach vorn gerichtet. In ihrer Handtasche befinden sich zwei Briefe; einer ist von der Armee, unterzeichnet von Custer, der andere Brief wurde vom Sergeanten Ken Ballard abgeschickt und enthält ein beschriebenes Blatt Papier, welches aus dem Patrouillenbuch des Premierlieutenant Jones Logan herausgerissen wurde. Als sie das Fort erreichen, führt der Sergeant sie zu einem der Offiziershäuser. Es sind eigentlich nur zweiräumige Hütten mit Veranda. Er hält inne und spricht: »Lady, dies war das Quartier Ihres Mannes. Es blieb bis heute unbenutzt, weil für Lieutenant Logan noch kein Ersatz kam. Es steht Ihnen alles zur
Verfügung. So will es der Kommandeur. Wann kann ich Sie bei ihm anmelden?« »In einer Stunde werde ich zur Kommandantur kommen«, erwidert sie. Dann tritt sie ein. Der Sergeant bringt nur noch ihr Gepäck herein und verschwindet. Sie ist allein in der karg eingerichteten, fast armselig wirkenden Hütte. Kerzengerade sich haltend sieht sie sich um. Und wieder einmal mehr wird ihr klar, dass ihre Entscheidung richtig war, Jones Logan nicht hierher zu folgen, nachdem er sie betrogen hatte und strafversetzt wurde. Sie wäre hier mit ihm bestraft worden, obwohl sie ja von ihm betrogen wurde. Dann aber denkt sie an den Brief in ihrer Handtasche, tritt an den Tisch und setzt sich. Mit ein wenig zitternden Fingern öffnet sie die Tasche und holt den Brief hervor, den ihr Sergeant Ken Ballard schrieb, öffnet ihn und liest ihn nun abermals wie schon viele Male zuvor. Es ist der Brief eines treuen Sergeanten, der seinem sterbenden Offizier das Wort gab, diese Zeilen an seine Frau zu schreiben. Und diese Zeilen sind einfach und klar: Verehrte Mrs Logan, � ich erfülle ein Versprechen, einen Schwur, � den ich Ihrem sterbenden Mann gab. Beiliegend finden Sie � seine letzten Worte, die er nicht mehr selbst schreiben konnte, � sodass ich es tun musste. � Wenn Sie nach Fort Lincoln kommen, dann � stehe ich Ihnen für ausführliche � Auskünfte zur Verfügung. � Mit Verehrung! � Sergeant Ken Ballard. �
Nachdem sie die Zeilen gelesen hat, faltet sie ein Blatt Papier auseinander. Es ist die ausgerissene Seite des Patrouillenbuches von Premierlieutenant Jones Logan. Doch die Worte schrieb der Sergeant, so wie Jones Logan sie ihm diktierte. Liebe Judy, verzeih mir. � Denn ich tat uns Schlimmes an. � Doch jetzt habe ich dafür bezahlen müssen. � Aber mit mir wird das Gold einiger � heimkehrender Goldgräber vergraben, � die wir schon tot vorfanden. � Noch werden wir von den Sioux belagert, � doch ein Blizzard droht. Vielleicht � kann mein Sergeant mit dem Rest meiner Männer � entkommen. – Er kann dich zum Gold führen. � Und dann bist du für den Rest deines Lebens nicht auf � die karge Witwenpension angewiesen. � Vergib mir. Ich liebe dich immer noch, � obwohl ich dich betrog. � Jones � Sie liest die kaum leserlichen Worte, die mit einem Tintenstift geschrieben wurden und manchmal verwischt sind. Sie weiß noch nicht, dass jener Sergeant Ben Ballard tot aus dem Fluss gefischt wurde, wo er einige Meilen stromabwärts im flachen Wasser lag. Und so glaubt sie, dass sie ihn hier im Fort bald sprechen kann. Er war ja der Sergeant ihres Mannes. Jede Witwe würde mit solch einem Sergeanten sprechen wollen. Langsam faltet sie das Blatt zusammen und steckt es mit dem Brief wieder in den Umschlag. Dann blickt sie ins Leere,
wobei ihre Gedanken abertausend Meilen in der Minute eilen. Denn wie soll sie es anstellen, das verborgene Gold zu bergen, welches offenbar irgendwo dort draußen bei ihrem Mann im Grab liegt. Dabei denkt sie auch: Sie haben Jones wenigstens beerdigt. Aber wenn ich ihn ausgraben lasse, dann findet man auch das Gold. Und wer weiß noch von diesem Gold? Wer waren die anderen Soldaten, die außer Sergeant Ballard im Blizzard entkamen? Sie mussten gewiss zu Fuß durch den Blizzard laufen und konnten das Gold nicht mitschleppen. Doch auch sie wollen es haben, da bin ich sicher. Oh, verdammt, wie komme ich an das Gold der toten Goldgräber? Eine Stunde später empfängt George Armstrong Custer sie in der Kommandantur mit den Worten: »Mrs Logan, der Anlass unserer Begegnung ist traurig, aber Ihr Mann war Offizier an der Indianergrenze. Ich spreche Ihnen mein Beileid aus. Was kann ich als Kommandeur Ihres Mannes für Sie tun? Und natürlich bekommen Sie die Flagge der Union. Auch meine Unterschrift kann ich nun auf das Formular setzen, welches Ihnen die Witwenpension sichert.« Sie steht kerzengerade im Raum, und sie bietet einen sehr stolzen und beherrschten Anblick. Ja, sie ist schön, wunderschön. Doch er sieht sie nicht wie eine Frau an, die für ihn begehrenswert ist. Sie erinnert sich daran, dass man sich in der Armee erzählt, wie sehr er seine Lillybeth liebt, sodass er einmal sein Kommando verließ, vierhundert Meilen ritt, um mit ihr eine Nacht im Bett liegen zu können. Sie betrachtet ihn ernst, und sie sieht einen Mann, dessen langes Haar und der über die Mundwinkel hängende Schnurrbart wie gelbes Gold leuchten. Und sie weiß, dass die Indianer diesen Mann Gelbhaar
nennen und zu gern seinen Skalp hätten. Denn schon viele hat er vernichtet. Sein Bart verdeckt die großen Zähne zwischen den dicken Lippen. Aber beim Sprechen erkennt man, dass zwischen seinen Vorderzähnen eine Lücke ist. Und er spricht langsam, weil er sonst in die Gefahr des leichten Stotterns käme. Er ist mittelgroß, drahtig und wirkt eigenwillig, kühn und eitel. Denn er trägt nicht die Uniform der Armee, sondern befranstes Lederzeug wie ein Trapper, jedoch sorgfältig von einem Schneider geschnitten und maßgefertigt. Jedoch auf den Schultern trägt er die Rangabzeichen der regulären Uniform, die einen symbolisierten Adler darstellen. Deshalb nennen die Indianer alle Colonels Adlerhäuptlinge. Judy Logan wird sich in dieser Minute klar, dass sie diesen Mann nicht mag und niemals würde mögen können. Und damit geht es ihr so wie vielen anderen Menschen, die mit ihm zu tun bekommen. Sie hört sich spröde sagen: »Colonel, ich möchte die Überreste meines Mannes bergen und auf dem Friedhof des Forts bestatten. Das ist alles, um was ich Sie bitte.« Er nickt langsam. »Das wird sich zu gegebener Zeit machen lassen«, erwidert er. »Im Moment ist das leider nicht möglich. Zu viele Indianerhorden schwirren umher. Und jeden Tag kann ein Blizzard über das Land herfallen. Sie sind Gast der Armee. Gedulden Sie sich.« Er verstummt barsch und setzt sich wieder hinter den Schreibtisch. Sie aber geht mit erhobenem Kopf hinaus und denkt: Oh, du arrogantes Arschloch! Ben Yates schlendert mit seinem wenigen Gepäck – es ist nur eine Reisetasche aus dem Store der General Grant und wenigen Dingen darin – durch die kleine Stadt, die einmal die
Hauptstadt des Staates North Dakota werden wird. Doch jetzt ist es ein mehr oder weniger armseliges Nest, fünf Meilen oberhalb von Fort Lincoln am Strom gelegen und darauf hoffend, dass der Ansturm der Landsucher nach Westen beginnt und die Menschen vom Strom aus mit all den Dingen versorgt werden können, die nun einmal zur Eroberung des Westens notwendig sind. Aber noch sind zu viele Indianer und Büffel im Weg. Ben Yates sieht Büffeljäger, Flößer, Soldaten. Und die Fähre – sie ist ein altes Dampfboot mit einer Plattform – setzt soeben ein halbes Dutzend Planwagen hinüber auf die andere Seite. Es sind so genannte Conestogawagen oder Prärieschoner, wie die Siedler und Landsucher sie bevorzugen. Er sieht Saloons, Hotels, Geschäfte jeder Sorte. Und auch die Menschen gehören allen Sorten an. Auch Frauen jeder Sorte sind zu sehen. Vor einem Store stehen Klatschtanten beisammen. Und gegenüber aus dem Geschäft für Damenkleidung, da treten drei junge Frauen heraus, denen man ihr Gewerbe ansieht. Sie lachen Ben Yates an. Eine ruft ihm zu: »Neu angekommen aus dem Süden? Ist Saint Louis noch nicht abgebrannt? Besuchen Sie uns im Venus Palace, wenn Sie einsam sind. Es ist kalt geworden. Doch bei uns ist Wärme.« Sie lachen ihn abermals an. Er greift an die Hutkrempe und erwidert im Vorbeigehen: »Gewiss komme ich irgendwann, ihr Schönen.« Er geht weiter, und nach dem ersten Rundgang betritt er das Golden-Star-Hotel und bekommt ein schönes Zimmer mit Aussicht auf den Strom. Eine Weile verharrt er am Fenster und dreht sich eine Zigarette. An den Landebrücken liegen zwei Steamer, welche offenbar den Strom abwärts kamen und bald wieder losmachen werden. Denn aus ihren Schornsteinen fliegen Funken und quillt Rauch.
Die Heizer stochern also in den Feuerbuchsen. Er sieht auch einige Soldaten, und er fragt sich, wann er wohl die Skorpione zu sehen bekommen wird. Denn irgendwann werden auch sie Ausgang haben und herkommen, um die Saloons und Huren zu besuchen. Denn dies ist für die Soldaten zumeist das einzige Vergnügen in ihrem Leben hier an der Indianergrenze. Und natürlich gehören gewiss auch Raufereien mit Büffeljägern und Flößern dazu. Er wird Geduld haben müssen und abwarten können. Als es Abend wird, geht er hinunter zum Abendessen und spaziert dann durch die Stadt, versucht sich in sie hineinzudenken und in den Gassen zurechtzufinden. Es ist dann schon fast Mitternacht, als er eine Spielhalle betritt und den freiwerdenden Platz inmitten einer Pokerrunde einnimmt. Er wird überall als Spieler sein Glück versuchen und auch die vielen Schanktische in den Lokalen besuchen, an ihnen lehnen, mit anderen Gästen würfeln oder Billard spielen – überall da, wo es auch Soldaten tun unter den Zivilisten. Und er wird diesen Soldaten auf die Hände sehen – auf die linken Handrücken. Und dann? Ja, was wird er tun, wenn er die Tätowierung eines Skorpions zu sehen bekommt, was wird dann sein? Er weiß es noch nicht. Aber eines weiß er: Seine Geduld wird die eines lauernden Wolfes sein, der genau weiß, dass die Beute zum Vorschein kommen wird und ihm nicht entkommen kann. Und in den nächsten Tagen wird er Jim Spears, Custers Chefscout, im Fort besuchen. Manchmal denkt er auch an Judy Logan und verspürt dann stets ein bitteres Bedauern. Sie nahmen nicht einmal richtigen Abschied voneinander. Es war so, als wäre zwischen ihnen nie etwas geschehen und als wären sie nur miteinander gewesen
auf der langen Reise stromauf wie mit anderen Passagieren auch. Aber es ist ja so viel zwischen ihnen geschehen, was man eigentlich nicht vergessen kann. Ja, er gesteht sich ein, dass er sie Wiedersehen möchte. Aber warum nahm sie keinen Abschied von ihm? Sollte er sich ihr nicht verpflichtet fühlen? Oder wollte sie völlig frei sein? War alles nur eine Episode, weil sie das Bedürfnis nach einen Mann hatte? Er weiß es nicht. In dieser Nacht gewinnt er beim Poker siebenundfünfzig Dollar und schläft dann in seinem Zimmer bis zum Mittagessen, schlendert abermals durch die Stadt und beobachtet die wenigen Soldaten. Da und dort hocken auch bettelnde Indianersquaws mit ihren Kindern. Sie bieten einen trostlosen Anblick, und man kann sich nicht vorstellen, dass es weiter im Nordwesten noch Tausende stolzer Sioux, Cheyenne und Arapahoe gibt, große und stolze Dörfer der Stämme. In dieser zweiten Nacht muss Ben Yates einen Mann töten. Der Mann ist ein Spieler, mit dem er zusammen in einer Pokerrunde sitzt. Als er ihn bei einem Kartentrick erwischt, zaubert der Kartenhai einen kleinen Colt-Derringer heraus. Doch als er die Doppelmündung der kleinen Waffe auf Yates richtet, schießt dieser schon. Der Kartenhai hatte sich schon halb von seinem Stuhl erhoben. Nun fällt er wieder zurück und kippt mit dem Stuhl nach hinten. Es wurde still im Spielsaloon. Ben Yates wartet mit dem noch rauchenden Colt in der Faust. Denn er muss damit rechnen, dass der Kartenhai einen Partner hat, einen Freund und Beschützer, der nicht eingreifen
konnte, weil alles so schnell vonstatten ging. Doch es gibt keinen weiteren Ärger. Einer der Mitspieler am Tisch ruft in die Stille: »Es ist vorbei, Leute! Das war ein Kartenhai, der zuerst zur Waffe griff, nachdem sein Kartentrick entdeckt wurde. Es ist vorbei!« Die fast wie atemlos wirkende Stille wird nun wieder zum Summen, welches von vielen Geräuschen erzeugt wird. Dieses Summen füllt wieder die Spielhalle. Zwei Hauspolizisten kommen herbei und betrachten den Toten. Einer stößt ihn mit der Stiefelspitze ziemlich hart an. Aber der Kartenhai rührt sich nicht. »Er ist tot«, sagt der Mann und richtet seinen harten Blick auf Ben Yates. »Glück gehabt«, grinst er und deutet auf den Colt-Derringer am Boden. »Sie müssen verdammt schnell sein, Mister. Denn der Bursche hier war als Lucky John bekannt. Der hat schon zwei Mann umgelegt, die an seinem ehrlichen Spiel zweifelten. Er wird genug Geld in den Taschen haben, damit seine Beerdigung bezahlt werden kann. Mister, Sie haben sich jetzt in dieser Stadt berühmt gemacht. Das wird einige wilde Jungs gewaltig jucken.« Yates nickt nur. Er nimmt sein Geld vom Tisch, steckt es weg und verlässt die Spielhalle. Kaum jemand achtet auf ihn. Denn an den Spieltischen wird wieder weitergespielt. Was kümmert diese Spieler ein toter Kartenhai? Als er draußen in der sterbenden Nacht ist, hält er inne und lehnt sich außerhalb der Lichtbahnen an die Hauswand, dreht sich eine Zigarette und saugt dann tief den Rauch ein. Er hat getötet. Und er wird nun hier in Bismarck als schneller Revolvermann einen bitteren Ruhm besitzen. Und solch ein Ruhm ist in einer wilden Stadt gefährlich. Denn jeder Revolverschwinger wird sich herausgefordert fühlen von der Frage in sich, ob er denn schneller sein würde.
Dass er töten musste, damit wird Yates fertig werden. Er hat während des Krieges töten müssen. Und hätte er nicht schneller geschossen, so wäre er nun tot. Denn auf kurze Entfernung wirken auch die Kugeln eines Derringers wie die eines ausgewachsenen Colts. Yates geht zu seinem Hotel, und als er in seinem Zimmer auf dem Bett liegt, da beginnt draußen der Morgen zu grauen. Er wird am nächsten Morgen zum Fort hinübergehen und Ben Spears einen Besuch machen. Er wird sich bewusst, dass es ja schon Morgen ist. Also wird er nach Sonnenaufgang das Fort besuchen. Ob er Colonel Custer zu sehen bekommen wird?
7 � Weil er nicht schlafen kann nach diesem Revolverkampf und er im Geiste immer wieder das Geschehen durchlebt, macht er sich in aller Frühe auf den Weg und erreicht die Fähre, welche mit einigen Wagen an Bord ablegt. Drüben angekommen, nimmt ihn ein Fahrer mit seinem Frachtwagen die fünf Meilen stromabwärts vom Point zum Fort mit. Es ist ein richtiges Armeefort mit Kasernen, Baracken, Lagerhäusern, Ställen, Offiziersquartieren, der Kommandantur und anderen Gebäuden, auch einem Store und mehreren Kantinen. Der Posten lässt ihn herein, als er sagt, dass er zum Chefscout Spears will. Und so erlebt er die morgendliche Flaggenparade. Von den Ställen her kommen nacheinander die fünf Kompanien des Forts auf das Exerzierfeld geritten. Er hört die scharfen Kommandos der Offiziere in der klaren und winterkalten Luft. »Kolonne rechts! In Linie links marschiert auf! Kompanie – halt!« So klingt es fünfmal. Staub wirbelt. Dann steht die Front des Siebenten. Die Pferde schnauben, stampfen und scharren. Sattelzeug knarrt, Metallteile klimpern und klirren. Dann wird es still. Yates sieht nun, nachdem der Staub sich senkte, dass jede Kompanie mit Pferden der gleichen Farbe beritten ist. Die Wimpel wehen an den Lanzen, die in den Steigbügeln der Standartenkorporale stecken. Die Reiter des Siebenten sitzen ungezwungen in den McClellan-Sätteln. Und von der ganzen Truppe geht etwas aus, was nicht so
einfach zu beschreiben ist. Sie wirkt wie ein riesiger Körper, welcher auf Befehl wunderbar funktioniert. Und jeder einzelne Reiter, der für sich allein ein Taugenichts und Versager sein kann, gehört plötzlich zu etwas Großem, Unbesiegbarem. Gewiss fühlen sie sich nun alle so und sind stolz. Allein sind viele nichts, gar nichts. Doch jetzt … Und so hat die tägliche Flaggenparade mit all der wunderlichen Zeremonie ihren Sinn. Sie festigt täglich am frühen Morgen den Zusammenhalt und den Stolz der Truppe. Da halten sie nun, wirken ruhig und von gediegener Energie, welche auf Befehl zu einem beherrschten Ausbruch von Vernichtungswillen werden kann. Ihre Waffen sind ihr Werkzeug. Die Säbel hängen links, die Karabiner rechts. Sie tragen ihre Paradehelme auf den Köpfen, bis zu den Brauen heruntergedrückt. Dann machen die Kompaniechefs dem Adjutanten nacheinander Meldung. Ihre Stimmen sind laut und klar in der kalten Winterluft zu hören. Und dann warten sie alle auf den Mann, unter dessen Befehl sie stehen und der sie alle in den Tod schicken oder gar selbst führen kann. Und sie können an diesem Morgen nicht einmal ahnen, dass sie bald ohne Chance sein werden. Denn noch fühlen sie sich unbesiegbar und stolz. Ben Yates sieht nun George Armstrong Custer zum ersten Mal in seinem Leben. Er sieht den noch lebenden Held einer Legende. O ja, er macht etwas her im Sattel, dieser Exgeneral, dessen ganzer Ehrgeiz es ist, den alten Bürgerkriegsrang wieder zu erlangen. Sehnig, muskulös und mit beherrschter Straffheit, also gebändigter Ungeduld, so sitzt er im Sattel und nimmt die Meldung des Adjutanten entgegen.
Man sieht ihm nicht an, dass er 1861 der schlechteste Schüler auf West Point war, der das Offizierspatent niemals erhalten hätte, wenn nicht der Krieg ausgebrochen wäre und man in der vergrößerten Armee nicht viele Lieutenants gebraucht hätte. Und dann hat er es ihnen allen gezeigt und war mit fünfundzwanzig Jahren General. Und das sieht man ihm auch jetzt an. Er ist zwar nur Lieutenant-Colonel, doch wirkt er wie ein General. Ben Yates verspürt ein seltsames Gefühl. Irgendwie ist er beeindruckt, und er weiß, dass es allen Soldaten des Regimentes so ergeht. Custer dankt dem Adjutanten für die Meldung und spricht ein einziges Wort, welches Yates nicht verstehen kann. Die berittene Regimentskapelle beginnt einen schnellen Marsch zu spielen. Die Offiziere reiten nach vorn, halten vor Custer und erweisen ihm ihre Ehrenbezeugung, reiten dann hinter Custer und halten hinter ihm an. Doch die ganze Zeremonie ist immer noch im Gange. Denn die Kapelle reitet spielend an der langen Front entlang und macht dann kehrt. Dann wird es eine Minute lang still. Alles verharrt wie erstarrt. Nun aber heben die Trompeter ihre Instrumente und schmettern das Signal zum Flaggenhissen. Und dann steigt die Flagge der Union am Mast empor. Zuvor kracht der donnernde Schuss einer kleinen Kanone. Als die Flagge der Union im kalten Vorwinterwind flattert, klingt die Stimme des Kommandeurs scharf und schneidend, hart und stolz: »Zur Parade – in Kompaniekolonne – marsch!« Die Sergeanten, welche jetzt die Kompanien befehlen, da die Offiziere immer noch hinter Custer halten, bellen ihre
Befehle. Und dann ziehen die Reiter an ihrem Kommandeur vorbei unter den Klängen der Kapelle, welche abermals einen schnellen Marsch spielt. Es ist auch für Ben Yates ein beeindruckendes Schauspiel. Besonders Custer beeindruckt ihn mit der Art, wie er sich gibt, und der Autorität, die er ausströmt. Ben Yates kann plötzlich Jim Spears verstehen, den Chefscout der Truppe. Spears muss Custer irgendwie verfallen sein. Er merkt plötzlich, dass Spears neben ihm steht, so als wäre er wie ein Geist gekommen, wie ein Schatten. Er hört Jim Spears leise neben sich sagen: »Nicht wahr, der macht was her. Napoleon hätte seine Sache nicht besser gemacht.« Die Kompanien verschwinden nun am Ende des Exerzierfeldes hinter den Ställen. Die Offiziere übergeben ihre Pferde den Ordonnanzen. Custer aber reißt seinen roten Hengst auf der Hinterhand herum und jagt auf ihm um das Exerzierfeld herum. Er muss sich jetzt offenbar abreagieren, nachdem er vorher regelrecht erstarrt zu sein schien. Auch sein Hengst, welcher unter ihm völlig reglos, jedoch innerlich voller Unruhe vibrierte, ganz und gar gebändigt wirkend – dieser herrliche Hengst explodiert nun und gibt sich voll aus. So jagen sie um das Exerzierfeld. Und was der Mann nicht darf – nämlich einen wilden Schrei ausstoßen –, der Hengst trompetet heraus, was er vorher zurückhalten musste. Nun wird seine ganze Wildheit frei. Und so drückt er eigentlich auch aus, was sein Reiter spürt und in sich hat. Ben Yates und Jim Spears gingen inzwischen zur Sergeantenkantine hinüber, denn Spears lud ihn zum Frühstück ein. Auch die Truppe wird nun in den Speisebaracken ihr
Frühstück bekommen und dann den Tagesdienst beginnen. Doch Yates und Spears verharren noch vor der Sergeantenkantine und sehen dem wilden Galopp des Kommandeurs zu. Dies tun da und dort auch manche Soldaten der verschiedensten Ränge und Dienstgrade. Aber sie tun es möglichst unauffällig. Spears sagt trocken zu seinem Nebenmann: »So ist er nun mal, mein Junge, ja, so ist er, nämlich voller Energie und Ungeduld. Er gleicht einem Dampfkessel und würde wie dieser platzen, wenn er seine Energie nicht freilassen kann.« »Ja, der ist wie eine Sprengladung«, murmelt Yates. »Und das kann auf die Dauer nicht gut sein für seine Truppe. Der muss sich ständig abreagieren.« Sie sehen nun, wie Custer den Hengst vor der Kommandantur sich auf der Hinterhand aufbäumen lässt und hören nochmals das trompetenhafte Wiehern des prächtigen Tieres. Custer wirft sich aus dem Sattel, landet federnd am Boden und übergibt den Hengst der Ordonnanz, verschwindet in der Kommandantur. Ben Yates aber spricht zu Spears: »Die D-Kompanie … Sie kam bei der Flaggenparade an der vierten Stelle und ritt in Viererreihe. Ich sah mir die Reiter genau an. Welche waren die vier Skorpione?« Jim Spears wendet sich ihm zu und muss nun zu ihm aufsehen. Sein Blick forscht ernst und versucht etwas in den grauen Augen von Yates zu erkennen, vielleicht Ungeduld und das Flackern von Hass. Doch Yates' Blick ist ruhig und beherrscht. Was er auch fühlen mag, er hält es tief in sich verborgen. Und so erwidert der Chefscout nach einer Weile: »Ben, sie ritten nicht in einer Reihe nebeneinander. Denn sie haben längst verschiedene Dienstgrade. Du musst bedenken, dass sie ja nun schon länger als vier Jahre Soldat sind. Bud McLowry
war der Sergeant, der das Kommando hatte. Im zweiten Glied links ritt der Korporal Cole Botley. Ike Johnstone und Mike Ewitt ritten im dritten Glied. Sie waren beide auch schon mal Korporale, wurden jedoch wieder wegen Disziplinlosigkeit degradiert.« Ben Yates hört nun zum ersten Mal die vier Namen. Und er schließt seine Augen und wiederholt diese Namen in seinen Gedanken. So denkt er also mehrmals hintereinander: Bud McLowry � Cole Botley � Ike Johnstone � Mike Ewitt � Jim Spears blickt wieder zu ihm empor und murmelt: »Vergiss nur nicht, mein Junge, sie gehören der Armee, nicht dir – ich meine ihr Leben. Und weil sie zum Siebenten Regiment gehören, macht sie dies zu Chancenlosen. Du musst sie nicht umzubringen versuchen. Das werden die Sioux unter Crazy Horse, Gall und den anderen Häuptlingen tun. Aber wenn du zusehen möchtest, dann mache ich dir einen Vorschlag.« Jim Spears grinst bei seinen letzten Worten, und in seinen Augen funkelt es listig. »Welchen Vorschlag?« Ben Yates fragt es ruhig. Doch er erkennt das listige Lauern in den Augen des erfahrenen Indianerkämpfers. Spears betrachtet ihn nochmals prüfend. Dann erwidert er: »Ich bin Custers Chefscout und kann meine Gehilfen selbst einstellen. Du kannst also Scout des Siebenten Regimentes werden. Ich kann dich der D-Kompanie zuteilen. Dann lernst du die vier Skorpione sozusagen hautnah kennen. Und sie wissen nicht, wer du bist. Dennoch werden sie misstrauisch sein, weil du ein Mann aus dem Süden bist, wo sie ihre Vergangenheit zurückgelassen zu haben glauben. Na, wie
ist es mit diesem Job? Du bekommst den Sold eines MasterSergeanten und ein Quartier in der Scout-Baracke. Das Regiment hat ein Dutzend Scouts. Jetzt hast du die Wahl. Gehen wir frühstücken.« Er geht nun voraus. Ben Yates folgt ihm langsamer. Drinnen sitzen ein gutes Dutzend Sergeanten. Manche kauen mit wackelnden Ohren. Einer jedoch fragt: »He, Spears, was will der Zivilist hier?« Spears grinst und erwidert: »McLowry, vielleicht wird dieser Zivilist eines Tages deinen Skalp retten als Scout der DKompanie. Jedenfalls habe ich ihm diesen Job angeboten.« Ben Yates hörte den Namen McLowry und sieht den Sergeanten fest an. Er sieht nun zum ersten Mal einen der vier anderen Skorpione, die seine Familie auslöschten und das prächtige Herrenhaus niederbrannten und mit reicher Beute entkamen. In ihm will Hass hochkommen, und er würde diesen Mann zu gerne töten. Das würde ihm eine Befriedigung verschaffen. Doch er kann sich beherrschen und glaubt alles verborgen zu halten – alles, was in ihm an Gefühlen und Gedanken ist. Sergeant McLowry starrt ihn wie witternd an. Man sieht es an den vibrierenden Nasenflügeln. Vielleicht warnt ihn jetzt sein Instinkt. Doch dann senkt er den Kopf und verschlingt weiter sein Frühstück. Auch die anderen Sergeanten essen weiter. Jedoch einer – er ist ein rotköpfiger Riese – fragt kauend: »He, wie ist dein Name? Woher kommst du? Hast du Erfahrung mit den Roten?« »Mein Name ist Yates«, erwidert Ben. »Ich komme von New Mexiko herauf. Und ich kämpfte dort gegen Comanchen und Apachen. Sonst noch Fragen?«
Der rotköpfige Sergeant schüttelt den Kopf. Doch ein anderer spricht gedehnt: »Wir werden ja sehen, was du taugst. Hier sind die Roten anders als im Süden, ganz gewiss keine schleichenden Apachen. Die Roten hier sind stolze Reitervölker. Die fressen keine Pferdeäpfel. Ich habe gehört, dass die Apachen das tun in der Not. Stimmt es?« Yates hat neben Spears am langen Tisch Platz genommen. Nun erwidert er: »Wölfe fressen Klapperschlangen in der Not. Und Apachen essen Pferdeäpfel und überleben in der Wüste. Weiße würden lieber umkommen.« Er beginnt zu essen. Es gibt Bisquits, gebratenen Speck und Kaffee. Spears und er sind dann die letzten Männer am langen Tisch. Draußen ertönen jetzt Kommandos. Die Truppe tritt vor ihren Baracken zum Dienst an. Und die Sergeanten teilen die Arbeit ein oder beginnen Drilldienst mit ihren Gruppen. Spears sieht Ben Yates an. »Nun, willst du oder willst du nicht?« »Ich will«, erwidert Yates, »wenn ich der D-Kompanie zugeteilt werde. Nur dann.« Spears grinst. »Das wird ein feines Spiel«, spricht er. »Nun, dann komm mit zu Custer. Dem muss ich dich vorstellen. Aber er wird einverstanden sein.« Sie gehen wenig später schräg über den Exerzierplatz zur Kommandantur hinüber und melden sich beim Adjutanten. Dann stehen sie auch schon vor George Armstrong Custer, der hinter dem Schreibtisch sitzt und offenbar dabei war, einen langen Brief zu schreiben, wahrscheinlich an seine Frau, die zur Zeit nicht im Fort lebt, sondern irgendwo im Osten weilt bei einflussreichen Menschen, die der Karriere ihres Mannes förderlich sein können. Überdies schreibt sie auch für die Presse im Osten zahlreiche Kolumnen aus der Sicht einer Kommandeursfrau, mit denen sie Politik zu machen versucht.
Denn sie ist ja die Gattin eines berühmten Mannes, auf den die ganze Nation stolz ist und von dem man hofft, dass er die Indianergefahr, welche die Besiedlung des weiten Westens verhindert, endlich beendet. Jim Spears spricht ruhig: »General, ich möchte einen weiteren Scout verpflichten. Er hat Erfahrung mit den Comanchen und Apachen im Süden. Ich verbürge mich für ihn.« Ben Yates spürt Custers Blick fast wie eine körperliche Berührung. Dann hört er ihn sagen: »Ein Rebell aus dem Süden also? Waren Sie Soldat bei den Konföderierten?« »Yes, Sir«, erwidert Yates und nennt seinen Namen. Dann kommt auch schon die erwartete Frage. »Welchen Rang?« »Captain, Sir.« »Ein Rebellenarmee-Captain.« Custer grinst und zeigt unter seinem Bart wieder die dicken Lippen und die Lücke zwischen den oberen Vorderzähnen. »Warum wollen Sie hier Scout sein?« »Um das Land besser kennen zu lernen. Wenn es hier keine wilden Roten mehr gibt, will ich mir das beste Stück aussuchen, Sir.« Custer starrt ihn nochmals an, und Yates spürt die starke Kraft dieses Mannes, seine Ausstrahlung, seine ganze, kaum beherrschte Wildheit. Custer fragt nun: »Waren Sie bis zuletzt dabei, Yates?« Dieser nickt. »Ich war dabei, als Sie zu General Lee geritten kamen, Sir. Und ich führte ein Regiment an, welches nur noch aus siebzehn Mann bestand. Die Unionstruppen salutierten vor uns.« Custer nickt langsam. »Ja, so war es«, murmelt er. »Doch der Krieg ist vorbei. Jetzt müssen wir die Roten vernichten oder in Reservate
einsperren. Der Adjutant wird Sie vereidigen.« Damit sind Spears und Yates entlassen. Als sie später nach der Vereidigung über den Exerzierplatz gehen, wirbeln dort die Soldatengruppen zu Fuß oder beritten Staub auf. »Ich bringe dich zum Quartier«, sagt Spears. Dann aber lacht er leise und spricht: »Das wird ein spannendes Spiel, so wie ich es liebe!« Ben Yates aber hört kaum zu. Denn bei den kleinen Offiziershäusern, die ja eigentlich nur Hütten sind, kommt Judy Logan ins Freie. Sie sieht zu ihm her, und er weiß, dass sie ihn sofort erkannt hat. Plötzlich gefällt es ihm auch noch aus einem anderen Grund, dass er nun bei der Armee und dem Siebenten Regiment gelandet ist. Denn nun wird er Judy Logan öfter sehen, wenn auch nur aus der Entfernung. Oder wird sie von sich aus wieder Verbindung zu ihm aufnehmen?
8 � Es ist dann später Mittag, als er von Bismarck mit seinen wenigen Sachen zurück ins Fort geritten kommt. Ja, er hat sich ein gutes Pferd gekauft, einen zähen Wallach mit einigen Kriegsnarben im Fell. Und er hat fast sein ganzes Geld – es sind genau viertausendsiebenhundert Dollar – in der Bank eingezahlt. Denn was soll er mit seinem Geld im Indianerland und auf Patrouille mit der D-Kompanie? Er wird bald mit den vier Skorpionen reiten und sie besser kennen lernen. Vielleicht kann er sie töten. Es ist ein kalter Vorwintertag. Ein böser Wind pfeift. Nur die exerzierenden Soldaten schwitzen. Er reitet hinter den Stallungen entlang bis zum hinteren Tor des Stalles der D-Kompanie und hält dort an. Ein Sergeant kommt heraus, dessen Stimme schon vorher im Stall zu hören war. Es ist Sergeant Bud McLowry. Offensichtlich hat er die Stallaufsicht, und seine Gruppe muss den Stall ausmisten. Hinter ihm kommen zwei Soldaten mit Schubkarren heraus, in denen sich noch dampfender Pferdemist befindet. McLowry grinst den neuen Scout an. »Und das fressen die Apachen bei euch im Süden«, spricht er höhnend. »Was fressen die Weißen?« Ben Yates betrachtet den Mann ernst. McLowrys Augen funkeln böse und angriffslustig. Offensichtlich hat er etwas gegen Südstaatler und hasst sie aus irgendwelchen Gründen. Und vielleicht sagt ihm sein Instinkt, dass er mit diesem Mann aus dem Süden früher oder später Verdruss bekommen wird. Und so geht es ihm wie einem Toro – einem wilden Kampfstier beim Anblick eines roten Tuches.
Und gewiss ist er ein Mann, der auf alles, was ihm nicht passt, geradewegs losgeht. Ben Yates aber nimmt die Herausforderung sofort an. Wer kann ihm das verdenken? Er würde diesen Kerl zu gern totschlagen und eine wilde und böse Befriedigung dabei empfinden. Letztlich ist er ja hier, um Rache zu nehmen und die Mörder seiner Familie zu töten. Und so erwidert Yates auf McLowrys höhnende Frage: »Vielleicht fressen sie manchmal auch großmäulige Sergeanten der Unionsarmee. Zumindest haben sie das damals im Krieg oft genug getan.« Als er verstummt, stößt Bud McLowry einen zufriedenen Laut aus und spricht: »Ich wusste von Anfang an, dass ich dich nicht ausstehen kann, Rebell. Von deiner Sorte habe ich eine Menge in die Hölle geschickt – damals! Und jetzt werden wir ein für allemal klären, dass die D-Kompanie keinen Platz für einen Südstaatenrebell hat. Komm mit, klären wir das unter uns drüben in der Futterscheune!« Er stößt die Worte heiser hervor. Dann setzt er sich in Bewegung und geht voraus. Die beiden Soldaten, die ihre Schubkarren beim Misthaufen auskippten, verharren dort und sehen ihnen nach. Und aus dem Stall kommen weitere Soldaten, die den Stalldienst unterbrachen. Yates folgt dem Sergeanten in die Scheune hinein. Dort entledigen sie sich wortlos ihrer Gürtel mitsamt der Waffen und machen auch ihre Oberkörper frei. Yates kann nun den nackten Oberkörper des Mannes betrachten, und was er da sieht, bereitet ihm nun doch einige Sorge. Er sieht den Körper eines richtigen Ironman, eines Eisenmannes. McLowrys Muskeln sind nicht prall, sondern sehnig. Und an ihm ist kein Gramm überflüssiges Fleisch und schon gar kein
Fett. Dieser Mann ist so gut proportioniert wie ein Büffelwolf – und gewiss auch so schnell. Yates denkt einen Moment daran, dass dieser Mann wahrscheinlich seine Frau vergewaltigt hat mit seinen anderen Kumpanen, auch seine Schwestern. Der kleine schwarze Junge, der sich damals hinter der Holzkiste neben dem Ofen versteckte, hat ihm alles erzählt. In Yates wird der Wunsch nahezu unerträglich, diesen Mann zu töten, ihn einfach mit den Fäusten zu erschlagen. Dann aber muss er sich voll auf den Gegner konzentrieren. McLowry kommt auf ihn zugesprungen. Ben kann dem Angreifer nur knapp ausweichen und wird von dessen Fäusten schmerzhaft gestreift. Aber als McLowry an ihm vorbeitaumelt, da hämmert er ihm die Linke auf die Leber. Es ist ein erbarmungsloser Schlag, den keine Säuferleber vertragen kann. Und so weiß McLowry endlich Bescheid. Sein rechtes Bein will ein wenig unter ihm wegknicken, aber er wirbelt dennoch blitzschnell herum und stellt sich dem Angriff des Scouts. Und so stehen sie Fuß bei Fuß und hämmern sich gegenseitig die Fäuste in den Körper, spüren die Schläge wie Maultierhuftritte. Ja, sie prüfen ihre Härte und Standfestigkeit. Wer von ihnen ist der härteste Ironman? Wer hält länger durch? Es ist kein Kampf unter Gentlemen, sondern ein Kampf, wie er an der Grenze ausgetragen wird. Und bei solchen Grenzkämpfen wird alles gemacht, was den Gegner vernichten kann. Es gibt dann auch keine Gnade, wenn der Gegner am Boden liegt. Da wird nicht abgewartet, bis er sich wieder erhebt und sich nochmals stellt. Es ist Ben Yates, der zuerst zu Boden geht, angeschlagen
von einem Schwinger an die Schläfe. Und dann tritt ihn McLowry mit aller Kraft in die Rippen. Als er es noch mal versucht, bekommt Yates den Fuß zu fassen und wirft sich herum. Er hört McLowrys wilden Schrei und weiß, dass er ihn nun schon fast erledigt hat. Denn als sie beide fast gleichzeitig auf die Füße kommen, da hinkt der Sergeant. Mit seinem verdrehten Fuß ist er stark geschwächt. Irgendwelche Sehnen sind gerissen oder zumindest so gedehnt, dass er nicht mehr auftreten kann. Und so kann er sich nur stehend auf einem Fleck bewegen und versuchen, die Fäuste des Scouts abzublocken oder ihnen durch Ducken auszuweichen. Doch Yates trifft ihn immer wieder. Und zum Schluss hämmert er beidhändig auf ihn ein und spürt keine Gegenwehr mehr. Er hört erst auf, als McLowry auf die Knie fällt. Einen Moment wartet er, ob McLowry sich noch einmal erheben kann. Aber dann tritt er zu ihm und stößt ihm das Knie ins Gesicht. Und so fällt der Sergeant auf den Rücken und streckt seine Glieder von sich. Ja, er ist geschlagen. Es ist vorbei, und Yates erwacht wie aus einem wilden Rausch. Er war gewiss wie von Sinnen und nur darauf aus, den Mann totzuschlagen. Doch zum Glück holte ihn seine sonst stets kühle Beherrschung wieder ein. Vielleicht auch deshalb, weil er selbst sehr erschöpft ist und überall Schmerzen spürt, nach Luft keucht und in seinem Kopf die Schwindelgefühle immer stärker werden. Ja, er hat sich total verausgabt. Immer wieder wird ihm schwarz vor Augen. Und fraglos war dies der schlimmste Kampf seines Lebens. Nach einer Weile sieht er sich um. Und da sieht er sie alle stehen – alle Soldaten, die Stalldienst hatten, also Sergeant McLowrys ganze Gruppe. Sie starren ihn an, und vielleicht ist es jetzt sein Glück, dass
die drei anderen Skorpione nicht in dieser Gruppe sind. Denn sonst … Eine Weile verharren sie alle starr. Dann spricht die Stimme eines Korporals heiser: »Kommt, Jungs, hauen wir ab von hier. Denn wenn er aufwacht und uns sieht …« Der Korporal spricht nicht weiter. Und das muss er auch nicht. Denn selbst die dümmsten von ihnen können sich denken, welche Scham McLowry spüren würde, wenn er sie als Zeugen seiner Niederlage sehen sollte. Er würde sie alle hassen. Und so entfernen sie sich eilig und kehren zu ihrem Stalldienst zurück. Ben Yates verharrt noch. Sein keuchender Atem beruhigt sich nur langsam. Jemand tritt hinter ihm in die Scheune. Er blickt über die Schulter und erkennt Jim Spears. Der betrachtet ihn einige Atemzüge lang schweigend und nickt ihm dann zu. Dann spricht er leise: »Der hat irgendwie gewittert, dass du etwas gegen ihn hast. Der hat das gespürt wie ein Wolf. Zu deinem Glück hast du ihn nicht totgeschlagen. Denn dann hätte Custer ein Exempel statuiert. Komm, gehen wir! Kümmere dich um dein Pferd. Ich habe es mir vorhin angesehen. Dieser Wallach ist ein Kriegspferd. Du verstehst etwas von Pferden.« Sie gehen hinaus. Yates verspürt die Schmerzen überall. Auch seine Lippen sind zerschlagen. Und vielleicht sind zwei seiner Rippen angebrochen. Aber er darf sich nichts anmerken lassen, denn sie werden ihn genau beobachten. Und so tritt er draußen nur an den Wassertrog, wäscht und kühlt sein Gesicht und den ganzen Oberkörper und bringt seine Kleidung wieder in Ordnung. Spears reicht ihm den Waffengurt.
Dann führt er den Wallach in den Stall und findet eine freie Box. Soldaten arbeiten da und dort. Es ist hier Platz für achtzig Pferde. Jede Kompanie ist zumindest sechzig Reiter stark. Das Regiment besteht aus zehn Kompanien, zählt also sechshundert Mann. Doch nicht alle Kompanien sind in Fort Lincoln stationiert. Einige liegen in Fort Rice. Ben Yates bringt also seinen Wallach unter und beschäftigt sich eine Weile mit dem Tier, welches ja von nun an sein Partner und Freund sein soll. Er spricht mit ihm, striegelt ihm das Fell, reibt ihm seine Spucke auf die Nüstern. Und der Wallach schnauft freundlich und zufrieden. »Ich werde dich Pete nennen«, flüstert ihm Yates ins Ohr, »einfach nur Pete. Und ich denke, wir werden uns gut vertragen Wenn ich nur wüsste, zu wem du vor mir gehört hast. Deine Narben verraten mir, dass du durch Schlachten geritten bist. Nun gut!« Er tritt endlich auf den Stallgang hinaus. Und dann sehen sie alle Sergeant McLowry im offenen Stalltor auftauchen. Er kommt hinkend herein und hat gewiss in seinem Fuß oder dem Knöchelgelenk böse Schmerzen. Auch er hat sich draußen am Wassertrog gewaschen und erfrischt, dann angekleidet und sich in Ordnung gebracht. Seine Stimme klingt heiser und scharf. »Stallmusterung! Und wehe euch, ich finde etwas, was mir nicht gefällt!« Er kommt nun hinkend den Stallgang entlang und verhält an dessen Ende vor Yates, der hier die noch freie Box fand. Im Halbdunkel sehen sie sich an. »Gut«, grollt McLowry, »gut, du hast mich geschlagen. Und bald weiß es jeder im ganzen Fort. Ich mag dich jetzt noch weniger als zuvor. Für mich bist und bleibst du ein verdammter
Südstaatenrebell. Und von denen habe ich viele umgebracht.« Ben Yates erwidert nichts. Er wartet nur ab. Doch der Sergeant lässt ihn stehen und beginnt mit der Stallmusterung. Yates verlässt den Stall durch das vordere Tor und gelangt auf den Exerzierplatz. Dort üben einige Gruppen Säbelangriffe auf galoppierenden Pferden. Sie schlagen im Vorbeireiten die Säbel gegen ausgestopfte Säcke, welche an Seilen von Galgen hängen. Und dabei stoßen sie scharfe Schreie aus. Als Yates über den Platz zu seinem Quartier geht, sieht er Judy wieder vor dem kleinen Offiziershaus. Sie sitzt auf der kleinen Veranda in einem Schaukelstuhl und ist mit einer Näharbeit beschäftigt. Aber sie blickt unter ihrem gesenkten Kopf zu ihm her. Als Yates dann auf seinem Offiziersklappbett liegt und sich endlich entspannen kann, da spürt er die Schmerzen noch stärker. Und so denkt er: Ich sollte zum Fluss hinunter gehen und dort ein Bad nehmen. Ja, ein kaltes Bad würde mir helfen. Es ist inzwischen später Nachmittag geworden. Und es ist winterkalt. Kein vernünftiger Mensch würde zu dieser Jahreszeit im Big Muddy baden. Doch all seinen Schwellungen, Beulen und Brauschen würde das kalte Wasser helfen. Und so macht er sich wenig später mit einem Handtuch auf den Weg. Es ist etwa zwei Stunden später, als er in die Sergeantenkantine geht. Er hat das Abendessen ziemlich mühsam heruntergewürgt. Denn McLowrys harte Faust hat mehrmals seine Magenpartie getroffen.
Doch er durfte sich nichts anmerken lassen. Sie alle beobachteten ihn. Denn im ganzen Fort hat es sich herumgesprochen, dass er mit dem harten McLowry kämpfte und diesen besiegte. Die ganze Truppe weiß es also. Eigentlich hätte er keinen besseren Einstand haben können. Denn zumindest wird er nun respektiert. Keiner vom Siebenten Regiment wird ihn für ein Weichei halten. Nun, er geht also in die Kantine und wird auch hier noch einmal von den anwesenden Sergeanten und Scouts begutachtet. Ja, es ist ein Begutachten. Schließlich spricht einer der Sergeanten – es ist der Sergeanten-Major, also der höchste Sergeant des Regimentes – ruhig: »Nun, Rebell, du solltest jetzt ein paar Flaschen aufmachen lassen und deinen Einstand geben. Ich denke, das wäre auch drunten im Süden so üblich.« »Und wie.« Yates grinst mit seinen zerschlagenen Lippen. Dann aber fragt er: »Warum macht ihr denn solche Unterschiede zwischen Nord und Süd? Der Krieg ist fast schon zehn Jahre vorbei. Und wir ziehen gewiss bald gemeinsam in einen anderen Krieg. Der Frieden wurde längst geschlossen.« Als er verstummt, da nicken sie alle. Aber einer spricht: »Nur mit den Roten gibt es keinen Frieden. Denn jeden Vertrag mit ihnen brechen wir Weißen. Und wir armen Hunde müssen dann wieder kämpfen, weil die Roten sich diese Vertragsbrüche nicht gefallen lassen. He, Yates – das ist doch dein Name? – du hast dich in ein böses Spiel eingekauft.« Als der Sergeant verstummt, da trinken sie alle. Und wahrscheinlich wissen einige von ihnen – oder ahnen es wenigstens –, dass es bald ans Sterben gehen wird, weil sie im Siebenten Regiment unter General Custers Kommando zu den Chancenlosen gehören.
Sergeant McLowry aber fehlt in der Kantine, als Ben Yates seinen Einstand gibt.
9 � Als Ben Yates die Sergeantenkantine verlässt, ist es fast schon Mitternacht. Er hört wenig später, wie der Posten über dem Südtor ruft: »Posten Südseite! Alles in Ordnung! Ich bin wach!« Sein Ruf wird aufgenommen von all den anderen Posten rings um das Fort, welches ja innerhalb der Palisaden eine Fläche von dreihundert mal dreihundert Yards bedeckt. Und das ist ein Platz von neunzigtausend Quadratyards. Doch den größten Raum beansprucht das Exerzierfeld. Ben Yates hat mit den Sergeanten getrunken, und er hat ihren Respekt gespürt, weil er Sergeant Bud McLowry klein machte, der offenbar unter den Sergeanten keine Freunde hat. Er verhält vor der Kantine und holt mehrmals tief die kalte Luft in seine Lungen, bekommt einen klareren Kopf. Er spürt immer noch überall die Schmerzen, wo McLowrys Fäuste ihn trafen. Doch er weiß nun, dass er McLowry besser und härter traf, als dieser sozusagen »einbeinig« wurde und nicht mehr ausweichen und wegtanzen konnte. Ja, er verspürt abermals eine grimmige Befriedigung. Doch er weiß, dass dies nur der Anfang ist. Er kann sie gewiss nicht alle vier hier im Fort umbringen und dafür bestrafen, was sie einst seiner Familie antaten. Doch unterwegs … Er setzt sich langsam in Bewegung und will noch nicht in sein Quartier. Er würde still auf dem Offiziersfeldbett liegend die Schmerzen noch stärker spüren. Um seine Blutergüsse nicht zu schlimm werden zu lassen, muss er sich bewegen. Das kalte Bad im Fluss am späten Nachmittag hat ihm nur etwas geholfen. Also macht er sich auf den Weg, will rings um der
Exerzierplatz wandern. Immer wieder hält er inne und macht einige Freiübungen, wobei die Schmerzen noch schlimmer werden. Doch er weiß, er muss da hindurch. Sonst wird er in den nächsten Tagen steif sein wie ein gichtkranker Greis. Schon bei seiner ersten Runde kommt er an den kleinen Offiziershäusern vorbei. Dort drinnen brennt nirgendwo mehr Licht. Alles schläft. Nur in den Kommandantur ist noch Licht. Custer muss noch auf sein. Und natürlich ist auch die Hauptwache des Forts erleuchtet. Dort liegen vierundzwanzig Mann angekleidet auf den Pritschen. Und weitere vierundzwanzig sind auf ihren Posten rings um das Fort. Alle zwei Stunden wird abgelöst. Er erreicht auch das kleine Haus, auf dessen schmaler Veranda er Judy Logan sitzen sah. Auch hier ist alles dunkel. Er hält inne und sieht sich um. Doch rings um den Exerzierplatz bewegt sich nichts. Die Lichtbahnen der Hauptwache und der Kommandantur reichen nicht weit. Es ist still. Nur die Posten auf den Wachtürmen und auf den Laufstegen der Palisaden sind dann und wann zu hören. Er denkt darüber nach, was sein würde, wenn er an Judy Logans Tür klopft. Sie ging einfach von Bord, ohne noch ein einziges Wort mit ihm zu reden. Und er fuhr weiter nach Bismarck. Doch jetzt ist auch er hier im Fort, und sie hat ihn gesehen. Gewiss weiß auch sie schon, dass er hier Scout geworden ist. Der Offiziersbursche, der dazu abgestellt ist, auch sie zu betreuen, wird es ihr auf Befragen gewiss gesagt haben. Er will weitergehen. Aber da hört er ihre Stimme sagen: »Komm herein, Ben – aber nicht hier, sondern durch die Hintertür.« Dann hört er, wie sie die Vordertür schließt, in deren
Rechteck er sie nur undeutlich erkennen konnte. Er setzt seinen Weg fort, erreicht das Ende der kleinen Häuser und biegt ein, um an deren Hinterseite entlang zurückzugehen. Es gibt hier einige winzige Gärten, keiner größer an Grundfläche als drei mal vier Yards. In jedem Garten steht an der Hausecke ein Regenfass. Und wenn es lange nicht regnet, dann holen die Offiziersburschen Wasser aus dem Big Muddy herauf und füllen die Fässer. Die Offiziersfrauen ziehen hier Blumen und Küchenkräuter. Als Ben Yates das dritte Haus erreicht, erwartet ihn Judy Logan und zieht ihn aus der kalten und windigen Winternacht herein in die Wärme, drängt ihren warmen Körper an ihn, wobei sie flüstert: »Als ich dich sah, da wurde mir klar, wie sehr ich dich brauche hier in dieser verdammten Welt.« Sie tritt zurück und hilft ihm, sich seiner Wintersachen zu entledigen. Und als sie dann nebeneinander im Bett liegen, da flüstert sie kehlig: »Im Winter sind die Nächte lang. Wir haben einige Stunden für uns. Doch wenn du gehst, dann darf das niemand sehen. – Und wir müssen leise sein, wenn wir uns lieben. – Diese Hütten haben dünne Wände.« Er erwidert nichts, doch er vergisst alle Schmerzen. Denn sie ist eine Frau, die einen Mann, den sie haben will, alles andere vergessen lassen kann. Und sie ist die Witwe eines Mannes, der sie betrog und den sie verließ. Ja, sie ist frei. Doch als Offizierswitwe muss sie sich an die Regeln halten und kann im Fort öffentlich kein Verhältnis mit einem Scout unterhalten. Sie wäre innerhalb ihrer Kaste erledigt, würde geschnitten werden. Und sie muss ja froh sein, dass sie im Fort wohnen darf und solange verpflegt wird, bis ihre Witwenpension bewilligt ist und regelmäßig gezahlt wird. Überdies will sie ja auch den Leichnam ihres Mannes
bergen und zum Fort holen lassen, damit er hier mit allen Ehren beerdigt wird und Custer ihr die dreieckig zusammengefaltete Flagge der Union übergeben kann. Ben Yates denkt nach, als sie später in seinem Arm liegt und er die Wärme ihres nackten Körpers spürt. Er fragt schließlich: »Judy, warum willst du den Leichnam deines Mannes noch einmal ausgraben und zum Fort holen lassen? Er hat dich betrogen, wurde strafversetzt – und du hast ihn verlassen. Kannst du mir deine Bewegungsgründe erklären? Er liegt dort draußen mit seinen Männern ebenso gut wie hier. Und es ist auch schon eine Weile her, fast ein halbes Jahr. Lass ihn doch ruhen!« »Nein«, erwidert sie und rollt sich aus seinem Arm. »Du solltest jetzt gehen, Ben. Draußen wird bald das erste Grau hochkommen. Dann kannst du dich nicht mehr ungesehen wegschleichen. Und was meine Bewegungsgründe sind … Ich werde sie dir vielleicht bald erklären. Warte nur ab.« Er erhebt sich langsam, verharrt neben dem Bett und dehnt seinen sehnigen Körper, spürt dabei wieder die Schmerzen seines Kampfes mit McLowry. Judy ließ ihn diese Schmerzen für eine Weile vergessen. Doch jetzt sind sie wieder vorhanden, wenn auch nicht mehr so stark wie am Anfang. Er verspürt eine Unbehaglichkeit, ist unzufrieden mit der ganzen Situation. Judy hat ihn zu sich hereingeholt – und nun schickt sie ihn wieder weg. Verdammt, das gefällt ihm nicht. Und überdies ließen ihn ihre Worte ein Geheimnis ahnen. Denn dass sie den Leichnam ihres Mannes bergen will, kann nicht der wirkliche Grund ihres Hierseins sein. Was ist dieser Grund? Hat sie deshalb ihr Verhältnis mit ihm wieder neu aufleben lassen? Liegt es daran, dass er jetzt Armeescout wurde?
Diese Fragen sind in ihm, indes er sich ankleidet. Aber er kann noch keine Antworten finden. Und als sie ihn wenig später durch die Hintertür in die sterbende Nacht entlässt, sich nochmals an ihn drängt und ihn ihren Kuss spüren lässt, wie sehr sie ihn haben will und wie sehr sie ihn braucht in dieser Welt, da vergisst er all diese Fragen, welche in ihm waren. In seinem Quartier in der Scoutbaracke legt er sich nochmals auf das Feldbett. In einer Stunde etwa wird es in der Morgendämmerung die Flaggenparade geben. Doch die Scouts müssen dieser Zeremonie nicht beiwohnen. Er kann also bis zum Frühstück noch fast zwei Stunden schlafen. Bevor er einschläft, fragt er sich, wann er wohl mit einer Patrouille der D-Kompanie ausreifen wird. Drei Tage und drei Nächte vergehen, und in der dritten Nacht endlich zündet Judy die Lampe an und lässt ihn den Brief des Sergeanten Ken Ballard lesen, der ihrem Mann so treu ergeben war und den man dann später ertrunken im seichten Wasser des Big Muddys fand. Nachdem er den Brief gelesen hat, spricht sie herb: »Ich konnte keine Verbindung mehr mit diesem Sergeanten aufnehmen. Ich weiß nur, dass er damals mit vier weiteren Soldaten den Indianern entkommen konnte, weil ein Blizzard dies möglich machte und sie in diesem Blizzard auf eine Suchpatrouille stießen.« Er sieht sie lange schweigend an und weiß nun, wozu sie ihn braucht und warum sie ihn in den Nächten zu sich holte. Tat sie es aus purer Berechnung? Oder sollte sie ihn wirklich lieben? Indes er sie ansieht und seine Gefühle und Gedanken zu ordnen versucht, sagt sie nur zwei Worte, nämlich: »Hilf mir!« Er faltet den Brief wieder zusammen und schiebt ihn über
den Tisch zu ihr hinüber. »Ich weiß von Jim Spears, wer die vier anderen Soldaten sind, die mit diesem Sergeanten im Blizzard entkommen konnten. Ja, ich weiß, wer sie sind. Gewiss haben sie den Sergeanten umgebracht und in den Fluss geworfen, denn sie haben auf all ihren Wegen schon viele Menschen umgebracht.« »Dann hilf mir«, verlangt sie nochmals. »Denn du und ich, wir gehören zusammen. Oder etwa nicht?« Er blickt im Lampenschein in ihre funkelnden Augen. Und er wird sich darüber klar, dass er für diese Frau eine Menge tun würde, um sie weiterhin besitzen zu können. Doch das ist es ja nicht allein. Er hat ja selbst mit den Skorpionen abzurechnen. Langsam spricht er: »Judy, ich will alles für dich tun.« »Für uns«, verbessert sie ihn, »für uns. Es muss viel Gold bei meinem Mann vergraben worden sein, so viel, dass es zu schwer war, um es durch einen brüllenden Blizzard mitnehmen zu können. Ben, du tust alles für uns. Denn wir gehören zusammen.« Er möchte ihr zu gerne glauben, ja, er wünscht es sich von ganzen Herzen, dass sie zusammenbleiben können. Aber er weiß, dass er sich in einem Spiel befindet, bei dem geblufft wird und die Einsätze das nackte Leben sind. Als er später – etwa eine Stunde nach der Flaggenparade – zum Frühstück geht, muss er schräg über den Exerzierplatz zur Speisebaracke der Sergeanten und Scouts. Auch Jim Spears ist von seinem Quartier dorthin unterwegs, und so treffen sie sich mitten auf dem Platz und setzen den Weg gemeinsam fort. Spears sagt trocken: »Nach dem Frühstück geht's los. In der vergangenen Nacht ist die Patrouille der C-Kompanie zurückgekehrt. Jetzt ist die D-Kompanie an der Reihe. Du wirst mitreiten. Doch auch ich reite mit. Der Lieutenant und wir
Scouts sollen uns bei Custer melden.« Ben Yates nickt nur. Er hat mit dem jungen Lieutenant – er ist der Nachfolger von Judys Mann und erst wenige Wochen hier – noch kein einziges Wort gewechselt, weiß nur, dass der Junge Joseph Bell heißt, frisch von West Point gekommen ist und keinerlei Erfahrung hat. Und so ist es eigentlich logisch, dass in diesem Falle der Chefscout Jim Spears mitreitet. Bevor sie die Speisebaracke erreichen, sagt Spears trocken: »Jetzt muss sie ohne dich die Nächte verbringen. Aber ich werde gut auf dich aufpassen unterwegs, damit du wieder heil zu ihr zurückkommen kannst.« In seiner Stimme ist zwar ein Klang von Spott, aber zugleich auch ein Klang von Verständnis wie von einem väterlichen Freund. »Dir entgeht wohl nichts, gar nichts«, erwidert Yates ein wenig ärgerlich. »Deshalb bin ich Chefscout, mein Junge.« Der kleine Mann grinst schräg von der Seite zu ihm hoch. Dann treten sie ein in den Speiseraum und sehen Sergeant Bud McLowry am Ende des langen Tisches sitzen und mit vollen Backen kauen. In McLowrys Gesicht sind immer noch die Zeichen des Kampfes mit Yates. Diese Narben wird er bis ans Ende seiner Tage behalten, selbst wenn er uralt werden sollte. Doch das wird er gewiss nicht, wenn es nach Ben Yates geht. McLowry deutet mit der Gabel auf die Eintretenden und schluckt erst den Bissen herunter, bevor er heiser sagt: »Hey, wir werden uns die Ärsche abfrieren! Und auf euch freue ich mich schon unterwegs. Wir sollen in einer Stunde abmarschbereit sein. Das wurde mir schon gesagt. Und der West Point Boy hat das Kommando. Oh, verdammt, das wird was!«
Nach diesen Worten senkt er den Kopf und schaufelt weiter das Essen in sich hinein. Doch als Spears und Yates sich gesetzt haben, starrt er sie wieder an. »Ich wette, wir sollen Lieutenant Jones Logan wieder ausgraben und zu seiner Witwe bringen. Deshalb muss ich mit den anderen mit, die ihn begraben haben und dann im Schneesturm als einzige entkamen. Aber ob wir die Stelle überhaupt noch finden können, dies ist fraglich.« Als er verstummt, da fragt Yates: »Wann war das? Es muss doch schon April gewesen sein. Und dennoch gab es einen Schneesturm?« »Und was für einen …« McLowry grinst. »Das kommt vor in North Dakota. Und vielleicht bekommen wir unterwegs jetzt im November auch einen. Man kann ihn schon wittern, frag mal Spears. Der West Point Boy wird sich die grünen Ohren und sonst noch was abfrieren.« Er verstummt grimmig, und mit West Point Boy meint er den jungen Lieutenant Joseph Bell. Es kommen weitere Sergeanten herein. Einer, der zu einer anderen Kompanie gehört, spricht so richtig voller Schadenfreude. »Passt nur gut auf, dass euch nicht was erfriert, was euch zu Männern macht. Denn dann habt ihr keinen Spaß mehr im Hurenhaus in Bismarck.« Sie lachen grimmig, denn sie alle sind jetzt am frühen Morgen in keiner guten Stimmung und empfanden die Flaggenparade als unnötige Plage. Spears und Yates erheben sich wortlos und gehen hinüber zur Kommandantur. Im Vorzimmer beim Adjutanten wartet schon Lieutenant Joseph Bell, und er ist wahrhaftig noch ein blutjunger Bursche, den es in die raue Männerwelt an der Indianergrenze verschlagen hat, weil jemand im Personal-Office der Armee es
so wollte und seine Karteikarte zog auf der Suche nach Ersatz für den durch Tod ausgefallenen Lieutenant Jones Logan. Der junge West Point Boy empfängt die beiden Scouts mit den unwillig und barsch klingenden Worten: »Auch schon da? Verdammt, ich hasse es, wenn ich auf meine Scouts warten muss!« Sie erwidern nichts. Der Adjutant aber geht nun zu Custer hinein. Er kommt schnell wieder heraus und nickt ihnen zu. Und so gehen sie hinein. Die noch so jugendlich klingende Stimme des Lieutenants klingt: »Sir, Lieutenant Bell meldet sich wie befohlen mit den beiden Scouts Spears und Yates zur Stelle.« Custer steht an einer Wandkarte von North Dakota und klatscht seine flache Hand auf ein Gebiet, welches als »Bad Lands« auf der Karte bezeichnet wird und vom Little Missouri in einem Halbkreis von Süden her eingeschlossen wird. »Das ist Ihr Patrouillengebiet, Lieutenant. Ihre Scouts werden Sie führen. Und Sie werden keine Entscheidungen ohne den Rat Ihrer Scouts treffen. Sie reiten als Doppelpatrouille und nehmen für zehn Tage Verpflegung mit. Zu ihrer Patrouille gehören auch die Überlebenden, welche dem Massaker vor fünf Monaten entkamen. Sergeant McLowry gehört zu diesen Überlebenden. Er wird Sie zum Grab von Lieutenant Logan führen. Sie lassen ihn ausgraben, in Zeltplanen einhüllen und auf einer Bahre zwischen zwei Maultieren transportieren. Doch dies ist nur eine Nebenaufgabe. Hauptsächlich spüren sie verborgene Dörfer der Roten auf. Es sind kleine Dörfer mit wenigen Menschen, die sich in den Badlands verbergen, um sich im Frühjahr wieder zu einer gewaltigen Kriegsmacht zu vereinigen. Wenn Sie erkennen, dass die Übermacht nicht zu groß ist, dann greifen Sie an und vernichten, was Sie können. Haben Sie alles verstanden?«
»Yes, Sir! General, ich bedanke mich für diese Aufgabe.« Custer, der ja Lieutenant Colonel und kein General mehr ist, grinst zufrieden. Es gefällt ihm offensichtlich, dass der junge Offizier ihn mit seinem Bürgerkriegsrang anredet. Und so sagt er seltsam ernst und fast bedächtig: »Lieutenant, damals war ich so jung wie Sie und stand am Anfang meines Aufstiegs. Man muss seine Chance erkennen und darf keine Fehler machen. Denken Sie stets daran.« Nach diesen Worten richtet er seinen Blick auf die Scouts. »Es hängt viel von Ihnen ab«, spricht er. »Vielleicht hat diese Patrouille mehr Erfolg als die der C-Kompanie. Wegtreten, Gentlemen.« Sie gehen hinaus. Vor der Baracke der D-Kompanie stehen die sechzig Reiter. Und Sergeant Bud McLowry ist offensichtlich dabei, vierundzwanzig Mann auszuwählen. Lieutenant Joseph Bell wendet sich an die Scouts. »In einer Stunde reiten wir«, sagt er, und im Klang seiner recht hellen Stimme ist eine Spannung zu erkennen, so als wäre diese Stimme aus Glas und stünde kurz vor dem Zerspringen. Die Scouts gehen zu ihren Quartieren. Jim Spears murmelt: »Oha, dieser Junge wird unterwegs entweder ein Mann – oder er zerbricht. Die verdammte Armee kann gnadenlos sein.« Zu seinem Quartier muss Ben Yates an den Offiziershäusern vorbei. Judy Logan tritt heraus und verharrt auf der Veranda, eingehüllt in ein Umhängetuch. Es weht ein kalter Wind, der den trockenen Staub des Exerzierplatzes aufwirbelt. Einige Gruppen zu Fuß und auch zu Pferde werden gedrillt. Yates greift beim Vorübergehen vor Judy an seinen Hut. Sie nickt nur leicht.
10 � Sie reiten durch das Westtor aus dem Fort. Der kalte Wind kommt von Norden und trifft sie von rechts. Die Stimme des Lieutenants klingt immer noch angespannt und schrill: »Anreiten zum Trab! Trab!« Die Doppelreihe fällt vom Schritt in Trab und folgt dem jungen Offizier ins Ungewisse. Ja, es wartet viel Ungewisses auf sie. Hinter Bell reitet der Korporal mit dem Lanzenwimpel im Steigbügel. Der Wimpel flattert im Wind. Neben dem Wimpelreiter reitet der Hornist. Dann folgt Sergeant Bud McLowry, der ein Mörder und Frauenschänder ist. Hinter dem Sergeanten in der Doppelreihe reiten seine einstigen Kumpane Cole Botley, Ike Johnstone und Mike Ewitt – und sie unterscheiden sich nicht von den anderen armen Teufeln, welche Custer in die Bad Lands schickt. Die beiden Scouts aber reiten eine Viertelmeile weit voraus und im weiten Abstand voneinander. Das Land ist trocken, der Boden längst schon hartgefroren. Der Hufschlag klingt deshalb härter als sonst. Es ist aber dennoch ein klirrender Trab, denn alle Metallteile der Ausrüstung – von den Gebissketten angefangen bis zu den Säbelgehängen und Ausrüstungsschnallen, erzeugen jenes typische Geräusch, welches jeder Kavallarieabteilung vorauseilt. Ja, es ist ein klirrender Trab. Und in dem stillen Land kündigt er weiße Kavallerie meilenweit an. Die Doppelreihe reitet die ersten Meilen schweigend. Die Reiter sitzen locker und leicht in den Sätteln. McLowry hat die erfahrensten Männer ausgesucht, und sie alle sind auf zehn Tage und zehn Nächte eingestellt in diesem harten
Novemberwetter in North Dakota. Es ist dann der Reiter Latigo, der den ersten Fluch ausstößt und heiser ruft: »Diese Nacht hätte ich Ausgang nach Bismarck gehabt und wollte die dicke Rosy im Honey House stemmen, verdammt! Sie hat mir mal gesagt, dass sie es mit mir am liebsten täte und dass sie bei mir die Engel im Himmel singen hören würde.« Als Latigo verstummt, da lachen sie vor ihm und hinter ihm. Auch sein Nebenmann Ringo Lumate lacht. Und der ist es auch, welcher sagt: »Das flötet die dicke Rosy jedem von uns ins Ohr. Das gehört zu ihrem Job. Bist du so blöd, dass du das glaubst?« Und wieder lachen sie durch den klirrenden Trab. Aber das ist an diesem Tag die einzige Freude, die sie haben. Vorn an der Spitze, dabei stets die beiden vorausreitenden Scouts im Auge behaltend, reitet der junge Lieutenant Joseph Bell. Bell, dies heißt ja auch Glocke, und es ist ihm an diesem Tage, als würde in ihm der Stolz wie eine Glocke klingen. Ja, er spürt einen Stolz wie zuvor noch nie in seinem Leben. Denn er führt eine Patrouille an, ist der befehlshabende Offizier. Und dabei ist er erst zwanzig Jahre alt. Auch Custer war damals so jung und wurde schnell General und der große Kriegsheld der Union. Was für eine Chance wird sich ihm – Joseph Bell – bieten? Er verspürt einen Hunger, eine Gier nach solch einer Chance. Mit fünfzehn Jahren wurde er Kadett, mit zwanzig Lieutenant. Wann wird er Captain werden können? Als er sich das fragt, da verspürt er plötzlich ein anderes Gefühl.
Es ist ein Gefühl von Einsamkeit, und er begreift in dieser Minute, dass ein Mann an der Spitze stets einsam ist, weil von seinen Entscheidungen so sehr viel abhängt, in diesem Falle Leben oder Tod der Männer hinter ihm. Sein Gefühl von Einsamkeit passt sehr gut zum kalten Wind und zum Anblick des so trostlos wirkenden Landes vor ihm. Er spürt immer stärker das Ungewisse und beginnt in seinem Kern dagegen anzukämpfen. Als Judy Logan die Doppelpatrouille hinausreiten sieht, da verspürt sie in sich ebenfalls ein Gefühl von Einsamkeit. Denn Ben Yates wird eine Weile weg sein. Sie kann die Nächte nicht mehr in seinen Armen liegen. Für sie bleiben nur noch die wenigen Offiziersfrauen, von denen sie dann und wann eingeladen wird oder die sie zu sich einlädt. Custers Frau weilt immer noch im Osten und tut dort für ihren Mann, was sie kann bei einflussreichen Leuten. Und so hat im Moment die Frau von Major Marcus Reno das Sagen unter den Offiziersfrauen. Judy wird von den anderen irgendwie mit Nachsicht behandelt. Sie alle wissen ja, dass ihr Mann nach hier strafversetzt wurde und kennen auch den Grund. Sie wissen auch, dass sie ihrem Mann nicht nach Fort Lincoln folgte und jetzt mehr oder weniger notgedrungen hier weilt. Sie kennen ja nicht ihr Geheimnis. Und so bemitleiden sie Judy Logan vielleicht sogar, weil deren Witwenpension sehr kärglich ausfallen wird. Judy Logan fühlt sich also wie ein Fremdkörper in Fort Lincoln. Und wenn die Offiziersfrauen wüssten, mit wem sie die letzten Nächte verbracht hat, dann würde sie hier eine Ausgestoßene sein. Keinen Tag wollte sie hier ausharren und der Gnade der Armee ausgeliefert sein, wenn nicht das Gold wäre dort
draußen beim Grab ihres Mannes. Und wenn sie nicht hoffen würde, dass Ben Yates dieses Gold irgendwie für sie bergen könnte. Sie hat sich ihm geschenkt, und sie weiß, dass er sie jetzt sozusagen im Blut hat und niemals wird vergessen können. Und so ist die Hoffnung in ihr, dass er alles für sie tun wird. Ja, es ist ein Spiel mit vielen unbekannten Karten. Denn es sind ja auch noch andere Männer hinter dem Gold her, Männer, die damals knapp entkamen und das Gold nicht mitnehmen konnten. Es ist kalt. Sie geht in die kleine Hütte zurück und legt einige Scheite Holz in den Kanonenofen. Die Ordonnanz wird bald die Holzkiste füllen müssen. Sie setzt sich ans Fenster und holt ihr Strickzeug hervor. Eine der Offiziersfrauen wird bald ein Baby bekommen. Und so stricken und häkeln sie alle für dieses Baby. Sie alle – bis auf den jungen Lieutenant – sind wetterharte Männer. Und dennoch setzt ihnen das kalte Wetter zu, vor allen Dingen der schneidende Wind, der sie ständig von rechts trifft und sie manchmal fast aus den Sätteln zu stoßen droht. Das Land ist rau und trostlos. Kahle Flächen wechseln mit roten Felsformationen, und der Wind weht alle Fährten zu. Deshalb stößt die starke Patrouille wie blind in das böse Land hinein. Wenn sie am Abend das Camp aufschlagen, kochen die Soldaten stets zu viert an einem Feuer ihre Mahlzeiten. Sie braten eigentlich nur Speck und essen die harten Bisquits, dazu eine Hand voll Trockenobst. Die beiden Scouts gesellen sich zum Lieutenant, hocken bei diesem am Feuer und können dem Jungen aus West Point jeden Tag deutlicher ansehen, wie sehr er leidet und es nicht zeigen darf. Am dritten Tag stößt Jim Spears in einer Senke auf eine
Wagenfährte. Als er zur Patrouille zurück ist, lässt er anhalten und reitet neben den Lieutenant. Yates gesellt sich hinzu. Jim Spears' Gesichtsausdruck ist ernst und ergrimmt. Und auch seine Stimme klingt so, als er zu Bell und Yates spricht: »Eine Wagenfährte ist dort unten. Sie führt weiter in die Bad Lands hinein. Ein einziger Wagen, schwer beladen mit vier Maultieren. Lieutenant, können Sie sich vorstellen, was das zu bedeuten hat?« Bell schüttelt den Kopf. Sein Gesicht ist vom scharfen Wind gerötet. Es müsste eingefettet werden. Es ist ja eigentlich noch ein Jungengesicht, noch längst nicht lederhäutig. »Sagen Sie es mir, Mister Spears«, spricht er heiser und hustet dann. Spears tauscht mit Yates einen Blick und wendet sich wieder an den Lieutenant. Ganz ruhig spricht er: »Wir wissen schon seit dem Sommer, dass die Roten sich mit modernen Gewehren versorgen, mit Winchester- und Spencer-Karabinern, dazu reichlich Munition. Sie zahlen mit Gold. Das holen sie sich von Goldgräbern, die mit ihren Ausbeuten von den Fundgebieten zum Missouri wollen, um heimkehren zu können. Dieser Wagen wird wahrscheinlich voller Waffen und Munition sein. Es gibt sonst für einen Wagen keinen Grund, in dieses Land zu fahren. Es gibt hier keinen Wagenweg. Und Siedler, die nach Land suchen, die finden hier nichts. Die wagen sich erst gar nicht in die Bad Lands hinein. Ich wette um meinen Skalp, dass dieser Wagen voller Waffen und Munition ist.« Als Spears verstummt, da schluckt der Lieutenant. Dann aber spricht er rau: » Nun gut, wenn das so sein sollte, dann müssen wir den Wagen einholen. Wie alt ist die Fährte?« »Ziemlich frisch, Lieutenant. – Wir können den Wagen in zwei Stunden eingeholt haben. Wollen Sie?« Spears' Stimme hat nun einen Beiklang von Mitgefühl. Oder
ist es gar Mitleid? »Ich muss«, erwidert Joseph Bell. »Denn es gibt einen klaren Befehl des Oberkommandos. Wer Waffen oder Alkohol an die Indianer verkauft in einem Gebiet, welches unter Kriegsrecht steht, der muss gehenkt werden.« Er verstummt heiser, fast stöhnend, so als verspürte er einen innerlichen Schmerz. Auch Ben Yates verspürt nun Mitleid mit dem Jungen. Deshalb sagt er rau: »Und mit jeder Waffe und jeder Patrone werden die Roten stärker, zumal diese Waffen gewiss moderner sein werden als die der Armee.« »So ist es, Lieutenant«, spricht Spears und blickt den Lieutenant fest an. »Sie werden den Befehl zum Hängen geben müssen, Sir. Bereiten Sie sich darauf vor. Sie müssen dies im Patrouillenbuch eintragen und begründen. Doch noch können Sie zwei Stunden überlegen und abwägen. Dann haben wir den Wagen eingeholt.« Joseph Bell schluckt wieder hart. Dann aber klingt seine Stimme schrill: »Anreiten! Marsch!« Sie reiten wieder vorwärts. Und nach zwei Dutzend Yards klingt Beils Stimme wieder: »Anreiten zum Trab! Traab!« Das Jooohooo der Reiter hinter ihm klingt misstönig, böse, drohend. Denn sie wissen, dass die Gewehre im nächsten Jahr, wenn der große Krieg stattfinden wird – und daran glauben sie alle – viele von ihnen töten könnten. Es ist keine zweieinhalb Stunden später, da sichten sie den Wagen. Er steht zwischen einigen roten, von der Erosion zernagten Felsen und kahlen Bäumen. Und der Wagen ist mit seinen Fahrern und Begleitreitern nicht allein. Es sind auch Indianer dort, mehr als zwei Dutzend. Sie alle sind abgesessen und haben sich um Kisten versammelt, welche
typische Gewehrkisten sind. Die Stimme des jungen Lieutenant ruft deutlich und klar: »Hornist! Blasen Sie zum Angriff!« Und so tönt auch schon das Angriffsignal der USKavallerie. Die Doppelreihe schwenkt von hinten rechts und links nach vorn und wird zu einer Front. Und dann klingt das zweite Hornsignal. Es bedeutet Säbelangriff. Sie werden nun endlich bemerkt, denn sie kommen aus der Deckung einiger Felsen herausgeritten. Doch die Roten stellen sich nicht zum Kampf. Sie werfen sich auf ihre bunten Mustangs und ergreifen die Flucht, bringen die roten Felsen zwischen sich und die angreifende Doppelpatrouille. Die Männer des Wagens aber, zu denen auch zwei Begleitreiter gehören, versuchen gar nicht zu flüchten. Denn das hätte keinen Sinn für sie gehabt. Sie warten mit erhobenen Händen. Es sind vier, und drei von ihnen sind Halbbluts, nur einer ein Weißer. Und dieser Mann empfängt den Lieutenant und dessen Reiter frech mit den Worten: »Sir, Sie kommen zur rechten Zeit. Denn die Roten haben uns überfallen, als wir hier im Windschutz der Felsen unser Camp aufschlagen wollten.« Dabei grinst er. Auch die drei anderen Männer grinsen. Bell gibt noch keine Antwort. Er blickt auf die offenen Gewehrkisten und erkennt darin nagelneue WinchesterKarabiner. Einige dieser Gewehre nahmen die flüchtenden Indianer mit. Er reitet an den Wagen heran, dessen Plane zurückgeschlagen ist. Im Wagen liegen noch weitere Gewehrkisten, aber auch andere, die man unschwer als Munitionskisten erkennen kann.
Yates und Spears beobachten stumm den Jungen aus West Point. Sie sehen, wie dieser sich mehrmals mit seiner behandschuhten Hand über das rote Gesicht wischt, sein Pferd mit einem Ruck herumzieht und vor die vier Waffenhändler reitet. »Ich habe keine Wahl«, spricht er zu ihnen. »Ich muss euch hängen. Oder habt ihr eine Erlaubnis zum Waffenhandel in einem Kriegsgebiet?« »Fahr zur Hölle, du verdammter Blaubauch!« Der Weiße brüllt es und greift nach dem Revolver an seiner Seite. Und dann ist er auch schon tot. Denn Ben Yates schoss blitzschnell. Auch die drei anderen Männer griffen zu den Waffen, wenn auch um Sekundenbruchteile später. Denn sie wollen nicht hängen, lieber von Kugeln getötet werden, wenn es schon so sein mag und sie keine Chance mehr haben. Spears schießt fast so schnell wie Yates. Und auch Sergeant Bud McLowry schießt. Dann ist es vorbei, und Spears spricht trocken: »Glück gehabt, Lieutenant. Sie müssen keine Hängepartie veranstalten. Die Kerle haben Ihnen die Entscheidung abgenommen. Glück gehabt. Sie werden nicht von Gehenkten träumen müssen.« Er verstummt hart.
11 � In der Ferne verhallen die Schüsse. Es kommt kein Hall zurück. Sie alle beobachten den jungen Lieutenant, und sie sehen, wie er mühsam schluckt und sich dann mit dem Reithandschuh, der so gelb ist wie die Streifen an seiner Hose, über das Gesicht wischt. Ja, der Junge aus West Point musste nicht den Befehl zum Hängen geben und das dann auf sein Gewissen nehmen. Sie betrachten ihn mit gnadenloser Neugierde, ohne jedes Mitgefühl. Denn sie gehören zu den Härtesten der D-Kompanie. Der Sergeant hat sie unter sechzig anderen ausgewählt. Jeder von ihnen hat schon im Kampf getötet. Einige sind Kriegsveteranen, die damals noch jünger waren als der Lieutenant und töten mussten, weil es ein erbarmungsloser Krieg war. Jetzt ist es wieder so, weil die Menschen auf der ganzen Welt immer wieder Gründe finden, einen Krieg anzufangen. Sie beobachten also den Lieutenant und verspüren dabei ein grimmiges Gefühl von böser Schadenfreude. Denn warum soll es diesen West Point Boys besser ergehen als ihnen? Nun sehen sie, dass er sich fasst und bewusst wird, nun Befehle geben zu müssen. Seine Stimme klingt nun selbstsicher: »Also los, wir bringen sie unter die Erde. Sicher sind Schaufeln im Wagen. Vorwärts, Männer!« Er hat kaum ausgesprochen, als sich Jim Spears mit den ruhigen Worten meldet: »Wir müssen sofort weiter, Lieutenant. Keine einzige Minute dürfen wir uns hier länger aufhalten als absolut nötig.
He, was glauben Sie, warum die Indianer – es waren Oglalas – wohl abgehauen sind und nicht den Waffenhändlern beistanden? Ich will es Ihnen gleich sagen, damit Sie nicht lange überlegen müssen. Es muss hier in der Nähe ein verborgenes Dorf geben. Sie holen von dort alle Krieger – zusammen vielleicht mehr als hundert. Können Sie sich vorstellen, was mit uns sein wird, wenn uns mehr als hundert Krieger jagen, um …« »Schon gut, Mister Spears, schon gut!« Mit diesen Worten und schriller Stimme unterbricht der Lieutenant den erfahrenen Scout. Dann erteilt er knappe Befehle. Und so ist die Patrouille wenige Minuten später fluchtartig unterwegs. Einer der Soldaten fährt den Wagen, hat sein Pferd hinten angebunden. Auch die Kisten, welche schon abgeladen und aufgemacht wurden, sind wieder im Wagen. Ja, es ist eine Flucht. Sie alle vertrauen dem erfahrenen Scout. Es ist später Nachmittag. Die Tage zu dieser Jahreszeit sind kurz. Und so können sie auf die Nacht hoffen. Der Weg nach Fort Lincoln ist weit. Selbst wenn sie Tag und Nacht reiten und ihre Pferde das aushalten würden, brauchen sie zwei Tage und zwei Nächte. Sie stießen weit in die Bad Lands nach Westen hinein. Nun bekommen sie den scharfen, kalten Wind, der ihnen fast die Gesichtshaut zerspringen lässt, von links. Aber deshalb ist er nicht erträglicher. Sie legen Meile um Meile zurück. Ihre Pferde beginnen zu schwitzen. Und der Wagen rumpelt und springt auf dem unebenen Gelände. Sie hören auch die Stimme des Fahrers immer wieder heulen und fluchen. Es sind unanständige Flüche, und würde der West Point Boy sie hören, dann würde er gewiss rote Ohren bekommen.
Sie reiten der Nacht entgegen und lassen den sterbenden Tag hinter sich. Und sie fragen sich, wie viele von ihnen Fort Lincoln nicht erreichen werden, wenn die Befürchtungen des Scouts sich bewahrheiten sollten. Denn für die Oglalas geht es um viel – nämlich um mehr als hundert erstklassige Gewehre und einige Kisten Munition. Und diese Gewehre sind moderner als die der Armee. Denn diese ist zum größten Teil noch mit einschüssigen Gewehren aus dem Krieg ausgerüstet und erhält nur zögernd die modernen Winchester. Es wird eine schwarze Nacht. Doch Jim Spears führt sie unbeirrbar, bis ihre Pferde nicht mehr können. Sie halten an in einer Senke zwischen roten Felsen, sodass sie den Wind nicht mehr so erbarmungslos spüren. Die Stimme des erfahrenen Scouts klingt heiser, als er durch das Schnauben der Tiere und all die anderen Geräusche ruft: »Jungs, kümmert euch zuerst um eure Pferde! Wenn sie ausfallen, dann seid ihr erledigt! Denn das wird ein hartes Rennen!« Ben Yates reibt neben Spears seinen Wallach ab und massiert die Beine des Tieres. Als er einmal innehält, da hält auch Spears inne. Und so fragt ihn Yates: »Bist du sicher, dass sie uns auf die Pelle rücken?« »Da kannst du einen drauf lassen«, knurrt der Scout. »Die lassen sich die Gewehre nicht so einfach wegnehmen. Es muss ein Dorf in der Nähe gewesen sein, von dem die kleine Horde zum Handel kam – Gold gegen Gewehre. Sonst hätten die Burschen sofort mit uns um die Gewehre gekämpft. Denn sie waren fast ebenso zahlreich wie wir. Und wir sind noch verdammt weit weg vom Fort.« Sie arbeiten weiter an den Pferden, und als sie wieder einmal innehalten, um zu verschnaufen, da sagt Ben Yates:
»Und wir werden auch den toten Lieutenant Jones Logan nicht aus dem Grab holen und nach Fort Lincoln mitnehmen können?« Spears stößt ein kurzes, grimmiges Lachen aus. Dann spricht er: »Sergeant McLowry hat dem Lieutenant schon gestern gesagt, dass er die Stelle wahrscheinlich gar nicht finden würde, denn er hätte sich damals keine Landmarken eingeprägt. Auch die drei anderen Überlebenden, die mit Sergeant Ken Ballard entkamen, weil ein Schneesturm ihnen zu Hilfe kam, haben mir gesagt, dass sie keine Ahnung hätten, wo die Stelle ist. Mrs Logan wird ihren Mann nicht auf dem Friedhof des Forts in Ehren bestatten lassen können. Und eigentlich liegt er dort, wo sie ihn verscharrt haben, auch nicht schlechter in der Grube.« Spears verstummt hart. Yates erwidert nichts. Was sollte er auch erwidern? Doch als er sich wieder mit seinem erschöpften Pferd beschäftigt, da eilen seine Gedanken. Eines nämlich ist ziemlich sicher. Bei dem toten Lieutenant und den anderen Toten, da liegt eine Menge Gold. Und die vier Skorpione wollen es haben. Er ist sicher, dass sie ganz genau wissen, wo jener Platz liegt. Doch um hinkommen zu können, um das Gold zu bergen, werden sie desertieren müssen. Und das können sie jetzt nicht. Sie brauchen Ausrüstung für einen langen Ritt, Packpferde für das Gold. Und ohne Hacken und Schaufeln haben sie bei dem gefrorenen Boden keine Chance. Vor allem aber sind da noch die Indianer, welche in diesem Gebiet sicher auf ihre Fährten stoßen würden. Also müssen sie warten aus mehr als einem Grund. Es muss zumindest Frühling werden. Die Indianer müssen besiegt sein.
Und sie müssen eine gute Chance zum Desertieren haben. Das alles kann noch Monate dauern. Also darf Yates die vier Skorpione – so nennt er sie ja stets in seinen Gedanken – nicht aus den Augen lassen. Er denkt wieder an Judy Logan. Wird er für sie und sich das Gold bergen können? Doch letzteres wird eigentlich unausbleiblich sein, weil er sie ja töten will und er immer noch auf dem Weg der Rache ist. Sie verbringen den Rest der Nacht in der Senke zwischen den Felsen und hören den kalten, erbarmungslosen Wind heulen. Ein Feuer machen sie nicht, denn es könnte sein, dass die Oglalas ihnen schon ganz nahe sind. Überdies haben sie auch nicht genug Brennmaterial zur Verfügung. Die Nacht ist zu schwarz, um zumindest Büffeldung in der Umgebung suchen zu können. Denn Büffeldung brennt wie Torf. Damit könnten sie zumindest Kaffee kochen und Speck braten. Die Soldaten frieren. Latigo ist es dann, der einmal seine heisere Stimme böse erklingen lässt mit den Worten: »Oooh, ich würde am liebsten in einen Pferdearsch kriechen. Doch dann müsste ich viel kleiner sein. He, wie klein muss man sein, um in einen Pferdearsch kriechen zu können?« Einige Stimmen fluchen. Dann spricht eine andere Stimme zwar heiser, doch feierlich Wort für Wort: »Latigo, jedes Pferd würde dich in den Himmel furzen.« Nun lachen alle böse. Dann wird es wieder still. Sie liegen zwischen ihren Pferden, die sich ebenfalls niedergetan haben. Und irgendwann sehen sie von Osten her das erste Grau am Himmel hochkommen. Die vor Kälte zitternde Stimme des jungen Lieutenants ruft in das eisige Morgengrau: »Fertigmachen zum Aufsitzen!«
Sie gehorchen, denn sie alle wollen weiter und sehnen sich nach Fort Lincoln. Die heisere Stimme von Reiter Ringo Lumate ruft: »Oh, du heiliger Vater im Himmel, was haben wir verbrochen? Wenn ich nicht erfrieren sollte, werde ich in Bismarck meinen Urlaub im warmen Bett der dicken Molly verbringen – und wenn mich das drei Monatssolde kostet!« Nun lachen sie grimmig. Aber sie kommen hoch. Wenige Minuten später ist die Patrouille in den Sätteln. Und als sie aus der Senke reiten und auch die Felsengruppe hinter sich lassen, da sehen sie hinter sich im ersten Morgenlicht die große Horde der Oglala aus der weichenden Nacht kommen. Es ist tatsächlich eine große Horde. Spears und Yates bleiben ein Stück zurück und beobachten die Verfolger. Nach einigen Atemzügen stellt Spears fest: »Die sind die ganze Nacht geritten. Und sie mussten zumindest ein Dutzend Meilen weiter reiten, bis sie unsere Fährte aufnehmen konnten. Ihre Mustangs pfeifen aus dem letzten Loch. Unsere Pferde aber wurden abgerieben und massiert. Wenn wir den Wagen nicht hätten, könnten wir ihnen davonreiten. Doch wir können den Wagen nicht aufgeben – nicht die Ladung. Das wird noch hart, mein Junge.« Sie ziehen ihre Pferde herum und folgen der Patrouille. Als sie rechts und links neben dem Wagen sind, ruft der Fahrer herunter: »He, ich habe wohl keine Chance -oder?« »Wir alle haben keine, wenn kein Wunder geschieht!« Dies ruft Spears zurück. Dann reitet Spears nach vorn zum Lieutenant, denn dieser braucht den erfahrenen Scout jetzt nötiger als alle Tage und Nächte zuvor. Yates bleibt neben dem Wagen, dessen Fahrer – es ist ein Korporal – ihn immer wieder angrinst und einmal ruft: »Was
bin ich doch für ein armes Schwein!« »Ja, das bist du«, erwidert Yates. »Doch ich bleibe bei dir wie ein guter Onkel. Und wenn wir es schaffen sollten bis Fort Lincoln, dann wirst du einen Drink ausgeben müssen.« »Dann werde ich mich mit dir besaufen«, heult der Korporal. Ben Yates erwidert dieses bittere und wilde Geheul nicht, aber er fällt hinter den rumpelnden und springenden Wagen zurück und bildet sozusagen die Nachhut der flüchtenden Patrouille. Doch wenn die starke Horde der Oglala aufholen sollte, dann wird er sie nicht aufhalten können mit seinem SpencerKarabiner, den er sich mit dem Wallach in Bismarck kaufte. Die Horde ist noch fast eine Meile zurück, doch selbst gegen die erschöpften Mustangs der Roten kann der Wagen nicht gewinnen. Was kann er tun? Er sieht vorerst keine Möglichkeit. Bald wird der Fahrer sich vom Wagen auf sein Pferd werfen müssen, welches Yates hinten losbinden und nach vorn neben den Fahrersitz bringen muss. Das Gelände ist flach und ermöglicht meilenweite Sicht. Überall ist braunes Büffelgras. Sie flüchten dem im Osten aufsteigenden Tag entgegen und werden bald gegen die kalte Wintersonne anreiten. Der scharfe und kalte Wind, der bisher von Norden her heulte, dreht sich ganz plötzlich. Sie bekommen ihn nun immer mehr von vorn, müssen also gegen ihn anreiten. Doch das müssen die Indianer auch, und so bleiben die Chancen gleich. Es gibt keine Vorteile, nicht für die Patrouille und auch nicht für deren Verfolger. Nur die Ausdauer der Pferde wird entscheiden. Doch den Wagen mit der für die Roten so wertvollen Ladung werden sie aufgeben müssen. Es wäre sinnlos, den
Fahrer sterben zu lassen. Er kann mit dem Wagen das Wettrennen nicht gewinnen. Das hohe, braune, trockene Büffelgras macht es dem Wagen überdies auch noch schwer. Sie flüchten ja nicht auf einem Wagenweg. Ben Yates wird sich endlich bewusst, dass der Wind sich nicht für kurze Zeit drehte, so wie es ja oft der Fall ist. Nein, dieser scharfe Wind kommt ihnen nun beständig entgegen. Und so erkennt Yates plötzlich die Chance. Er sieht sich noch einmal nach der Horde um. Diese hat immer noch nicht viel aufgeholt und ist etwa eine Dreiviertelmeile zurück. Er reitet wieder nach vorn neben den Wagen. Der Korporal grinst ihn an und brüllt: »Hey, Lederstrumpf, wann bringst du mir meinen Gaul nach vorn?« »Überhaupt nicht, Pferdesoldat!« So ruft Yates zurück. Dann aber ruft er: »Die Pulverfässchen … Hey, wirf eines davon heraus! Schmeiß ein Pulverfass über Bord!« Der Korporal starrt ihn einige Sekunden lang böse an, vergisst jedoch dabei nicht auf das jagenden Vierergespann einzuprügeln. Doch dann begreift er es ganz plötzlich. Er wickelt die Zügelenden um die Bremsstange und klettert nach hinten. Das Gespann läuft dennoch weiter und wird vorerst nicht langsamer. Eines der Pulverfässchen fliegt wenig später aus dem Wagen, und Yates hält an. Er blickt dem Wagen nach und richtet dann seinen Blick in die andere Richtung. Die Horde hat immer noch nicht viel aufgeholt. Es ist kaum zu erkennen. Yates blickt auf das kleine Pulverfass. Da liegt es ganz unschuldig wirkend.
Und der Wind kommt immer noch heulend von Osten her, so als wollte er sie alle aufhalten wie eine Wand, gegen die es kein Anrennen gibt. Er reitet etwa dreißig Yards dem Wagen nach, hält dann an und zieht den Wallach herum, holt das Gewehr aus dem Scabbard, lädt durch und schießt. Schon mit der ersten Kugel trifft er. Und so explodiert das Pulver und sorgt binnen weniger Sekunden – vom scharfen Wind unterstützt – für einen Präriebrand. Das braune und pulvertrockene Büffelgras brennt lichterloh. Das Feuer breitet sich rasend schnell aus, doch wäre der heulende Sturmwind nicht, ginge es gewiss nicht schnell genug. Die Roten könnten die sich ausbreitende Feuerfront leicht nach beiden Seiten umreiten. So aber wird der heulende Wind, gegen den sie flüchten müssen und der sie aufhalten will, für die Patrouille nun zum Verbündeten. Als Yates den Wagen wieder eingeholt hat, da ist hinter ihnen nichts mehr zu erkennen außer der Feuerwalze und dem Rauch. Als Yates wieder neben dem Wagen auf gleicher Höhe ist, da heult der Fahrer: »Oooh, du verdammter Lederstrumpf, ich möchte dich küssen! Selbst auf deinen Lederarsch würde ich dich küssen, du verdammt schlauer Rebell aus dem Süden! Die ganze Patrouille wird dich küssen wollen, als wärest du die schönste Edelhure dieser Welt, ohooo!« Er kreischt zuletzt wie von Sinnen. Und Ben Yates kann ihn gut verstehen. Er nimmt ihm die Worte nicht übel, denn sie sind ja nur der Ausdruck dankbarer Begeisterung. Und der Korporal ist ja nun mal kein gebildeter Schöngeist. Dann wäre er gewiss auch als Fahrer nicht zu gebrauchen gewesen.
Als Ben Yates wieder vorn bei der Patrouille auftaucht, da nickt Jim Spears ihm zu. Und auch der Lieutenant hebt wie grüßend die Hand. Sie reiten nun langsamer, schonen die Pferde. Und sie wissen, dass die Oglala-Horde nun einen meilenweiten Umweg reiten muss, der ihre bereits erschöpften Mustangs noch mehr erschöpfen wird. Die Doppelreihe der Soldaten grinst zu Yates herüber. Sogar Sergeant McLowry nickt anerkennend. Doch auf dessen Anerkennung legt Ben Yates keinen Wert. Sie bleiben den ganzen Tag in Bewegung. Spears und Yates lassen sich immer wieder weit zurückfallen. Doch sie sehen keine Indianer, nur das Feuer und den Rauch des nun meilenbreiten Präriebrands. Aber sie wissen, dass sie noch längst nicht entkommen sind. Der Weg nach Fort Lincoln ist noch weit. Sie brauchen noch den ganzen Tag, die ganze Nacht und den nächsten Tag. Jim Spears sagt trocken: »Das alles muss der Junge in sein Patrouillenbuch eintragen. Jetzt hast du auch bei Custer einen Stein im Brett.« Yates nickt nur, aber er ist sich darüber klar, dass er sich auf der ersten Patrouille gut eingeführt hat und ihm dies auch gegenüber Custer sehr nützlich werden könnte. Sie reiten bis zur Erschöpfung ihrer Pferde, halten dann an, versorgen die Tiere und können dann endlich abkochen. Ihre Mägen sind ja schon viele Stunden leer. Und selbst die Härtesten von ihnen spüren ihre Schwäche. Dem jungen Lieutenant geht es besonders schlecht. Er wäre gewiss bald vom Pferd gefallen. Für ihn war es am Schluss einfach zu viel. Und so verbringen sie die Nacht im Schutz von Felsen in einem Camp an wärmenden Feuern und haben keine knurrenden Mägen mehr.
Jim Spears aber sagt zu Ben Yates: »Wir müssen sie ausruhen lassen, aber wir sind noch längst nicht davongekommen. Ich wette, dass einige Krieger auf besonders guten Pferden wieder aufgeholt haben und uns nahe sind. Es werden nur wenige sein, die uns nicht angreifen können. Doch sie können sich was einfallen lassen. Zum Glück ist der Wind eingeschlafen. Wahrscheinlich wird er bald wieder von Norden her kommen. Sonst müssten wir befürchten, dass die Oglala vor uns die Prärie anzünden und das Feuer uns ihrer Horde entgegentreibt.« Ben Yates nickt nur. Dann legt auch er sich zur Ruhe unter seiner Decke. Es ist dann im Morgengrauen, als die Patrouille auf die Beine kommt. Einige Soldaten müssen aus der Felsengruppe hinaus, um Büffeldung für die Kochfeuer einzusammeln. Und da passiert es. Aus der weichenden Nacht kommen Pfeile geflogen. Und so kommen von den vier Soldaten, die aus der sicheren Deckung hinausgingen, um mit einer Zeltplane Büffeldung einzusammeln, nur zwei zurück. Und einer der Toten, die sie später zwischen die Felsen holen, ist Mike Ewitt, einer der vier Skorpione. Später spricht Jim Spears zu Yates, als sie wieder unterwegs sind und sie nebeneinander ein Stück reiten: »Siehst du, einer ist schon in der Hölle, in die du sie schicken willst. Die Roten nahmen dir die Rache ab.« Ben Yates erwidert nichts. Doch er fragt sich, ob das wieder ein Spiel des Schicksals war.
12 � Als sie am Abend ins Fort kommen, haben sie den Wagen mit den Waffen immer noch bei sich wie eine besonders wertvolle Beute. Die erschöpfte Patrouille hält vor der Kommandantur, und der junge Lieutenant Joseph Bell reißt sich noch einmal zusammen, gibt die Befehle mit einer Stimme, die nicht mehr so jungenhaft klingt. Dann macht er Meldung vor Custer, der aus der Kommandantur trat und die erschöpfte Patrouille mit unbewegtem Gesichtsausdruck betrachtete. »Sir, Lieutenant Bell meldet sich mit der D-Patrouille zurück. Als besondere Vorkommnisse melde ich überdies …« Weiter kommt er nicht. Denn Custer unterbricht ihn: »Sie erstatten in einer Stunde mit den beiden Scouts genauen Bericht, Lieutenant, und haben sich dann gesäubert, wie es sich gehört.« Nach diesen Worten kehrt Custer mit seinem Adjutanten wieder in die Kommandantur zurück, denn dort saß er mit seiner Frau beim Abendessen. Ja, Lillibeth ist wieder beim Kommandeur, also nach langer Reise aus dem Osten wieder bei ihrem Mann. Der Lieutenant überlässt Sergeant McLowry das Kommando, sitzt ab und übergibt einem herbeieilenden Soldaten sein Pferd. Mit schleppenden Schritten geht er zum Quartier der unverheirateten Offiziere hinüber und schafft es in seiner Kammer noch bis zu seinem Feldbett. Dort lässt er sich mit einem Stöhnen bäuchlings darauf fallen. Doch sein Bursche, der nicht mitgeritten ist, tritt ein und sagt mit einem bedauernden Klang in der Stimme: »Sir, Sie dürfen nicht einschlafen. Sie müssen in die Regentonne, um zu baden. Und ich lege Ihnen die saubere Uniform und all das andere Zeug
bereit. Stehen Sie auf, Sir.« Der Lieutenant kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. Aber dann knirscht er: »Zur Hölle …« Er hält erschrocken inne. Denn fast hätte er gesagt: »… mit der verdammten Armee und General Custer.« Doch er sagt es nicht, sondern kommt wieder auf die Beine. Jim Spears und Ben Yates versorgen im Stall nebeneinander ihre Pferde in benachbarten Boxen. Als sie einmal schnaufend innehalten, da grinst Spears im Halbdunkel zu ihm herüber: »Diese Nacht wirst du wohl zu schlapp sein für die schöne Judy Logan – oder?« »Mach dir nur keine Sorgen um mich«, erwidert Yates trocken. Sie säubern sich anschließend einigermaßen bei den Wassertrögen. Und dann müssen sie hinüber zur Kommandantur. Dort im Vorzimmer wartet der junge Lieutenant schon ungeduldig. Sein nun vom Wetter gegerbtes Gesicht wirkt jetzt anders als vor wenigen Tagen. Und auch der Blick seiner blauen Augen veränderte sich. Er grinst seine beiden Scouts an. »Gentlemen«, spricht er, »ich weiß, was ich Ihnen zu verdanken habe. Und ich hoffe, ich kann noch mehr von Ihnen lernen. Wenn ich Sie morgen zu einem Drink einladen könnte …« »Das können Sie, mein Junge«, erwidert Spears. »Denn wir sind der Meinung, dass Sie sich für einen West Point Boy gut gehalten haben.« Der Adjutant kommt aus Custers Zimmer und nickt ihnen zu. »Er wartet auf euch«, sagt er und grinst. Sie treten ein, und sie sehen nun auch Custers Frau. Denn diese sitzt mit Custer am Tisch, wo das Geschirr des Abendessens schon weggeräumt wurde. Ben Yates sieht eine
recht hübsche, fast schöne Frau, eine dieser Frauen, in denen eine Energie brennt wie ein ständiges Feuer. Und so verbeugt er sich vor ihr ganz nach Südstaatenart. Sie nickt leicht, aber er erkennt in ihrem Blick, dass er ihr Interesse erregt hat, weil er sich so ganz und gar von den üblichen Scouts unterscheidet, die irgendwie doch alle etwas indianerhaft Wirkendes an sich haben. Lieutenant Joseph Bell erstattet Bericht. Und er muss dabei stehen, darf nicht mal eine lockere und bequeme Haltung einnehmen. Als er geendet hat, nickt Custer. Dann spricht er: »Über verborgene Indianerdörfer konnten Sie mir nichts berichten, Lieutenant. Und das war doch wohl Ihr Auftrag – oder? Und dass Sie einer Horde entkommen konnten, dies verdanken Sie Captain Yates, der die Prärie anzündete.« Er sieht Yates an, den er mit Captain titulierte. »Ihr Rebellen aus dem Süden hattet schon während des Krieges stets gute Einfälle. Meinen Respekt, Captain.« »Ich bin keiner mehr«, erwidert Yates. »Doch ich bedanke mich für die Anerkennung.« Custer grinst und zeigt wieder die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. »Ich werde das Patrouillenbuch genau studieren«, spricht er und entlässt sie mit einer gnädig wirkenden Handbewegung. Als sie draußen sind, knurrt Ben Yates: »Für mich ist er ein Kotzbrocken. Warum nur dienst du ihm wie ein treuer Hund?« »Weil er ein Verlorener ist, ein Chancenloser, der sein Schicksal nicht wahrhaben will, vom Ehrgeiz zerfressen. Er gleicht einem Spieler, der alle Chips auf eine Karte setzt, ohne das Blatt seines Gegners zu kennen. Und er hat mehrere Gegner, nämlich Sitting Bull, Crazy Horse, Gall, Zwei Monde und andere. Er will sie besiegen, um wieder General zu
werden. Seine Frau Libbi, die er Lillibeth nennt, hat im Osten alle Freunde und Gönner – auch die ganze Presse – darauf vorbereitet. Ein großer Sieg von Custer, und ein Rummel wird losbrechen. Der Präsident kann dann gar nicht anders. Er muss dem Helden unserer Nation den Generalsrang wieder zurückgeben – mit zwei Sternen auf den Schulterstücken. Doch er wird verlieren. Ich will es erleben.« Jim Spears verstummt hart, und Ben Yates beginnt endlich zu ahnen, dass in diesem erfahrenen Scout eine Art Hassliebe sein könnte. Er spürt immer noch, indes sie langsam über den Paradeplatz zu ihren Quartieren gehen, die Ausstrahlung von Mrs Custer, welche schweigend neben Custer saß. Und so bleibt er mitten auf dem Platz beim Flaggenmast stehen, an dem jetzt keine Flagge hängt, weil sie längst schon eingezogen wurde beim Trompetenklang. Auch Spears hält inne. »Was ist?« So fragt er. »Was weißt du über Mrs Custer?« So fragt Yates als Antwort. Spears lacht leise. Es ist ein seltsames Lachen. Dann erwidert er: »O ja, ich weiß eine Menge über Mrs Custer. Die ganze Armee weiß fast alles über die Frau ihres jüngsten Generals. Ihr Mädchenname ist Elizabeth Bacon, und sie soll das hübscheste Mädchen von Monroe gewesen sein – damals. Jetzt ist sie eine schöne Frau. Und für sie tut Custer alles. Sie haben achtzehnhundertvierundsechzig geheiratet. Und man sagt, dass sie ihm auch dann treu blieb, als sie nicht bei ihm war – zum Beispiel im Osten. Er aber …« Spears bricht ab, so als wollte er nicht mehr weiter reden. Doch als er dann wieder spricht, da klingt eine Art Trotz in seiner Stimme. Er spricht hart: »Er aber soll ihr nicht immer treu gewesen sein. Nach dem Kampf am Washita damals, der ja ein
Massaker war, machte er eines der gefangenen Indianermädchen zu seiner Geliebten unter dem Vorwand, sie wäre seine Dolmetscherin. Oooh, ich denke, er ist, was seine Treue zu Libbi betrifft, ein verdammter Hundesohn.« Nach diesen Worten geht Spears weiter mit schnellen Schritten, so als befürchtete er, sonst noch andere Dinge über Custer zu sagen. Ben Yates verharrt und denkt über Custer nach, diesen vom Ehrgeiz zerfressenen Offizier, der schon mal General war und der sich in der Armee schon mächtig viele Eigenwilligkeiten und Undiszipliniertheiten erlaubt hat, für die andere Offiziere längst geschasst worden wären. Ja, er wurde sogar schon einmal von einem Kriegsgericht verurteilt und für ein ganzes Jahr außer Dienst gestellt. Doch sein großer Gönner und Beschützer, General Sheridan, holte ihn wieder zurück und gab ihm das Kommando über das Siebente Regiment. Sheridan wusste warum. Denn wenn es um Völkermord an den Indianern geht, gibt es keinen gnadenloseren Bluthund als Custer. In dieser Minute begreift Ben Yates Jim Spears erst richtig. Dieser Mann ist begierig darauf, den Untergang eines Kriegshelden zu erleben. Er setzt sich nun ebenfalls in Bewegung. Es ist eine schwarze, kalte Winternacht mit einem eisigen Wind. Er hat sich vorhin nur notdürftig mit kaltem Wasser gewaschen und sich den Staub aus den Kleidern geklopft. O ja, er stinkt nach Pferd und Feuerqualm, ist schmutzig und verdreckt. Im kalten Big Muddy zu baden ist selbst für einen harten Mann unmöglich. Doch der junge Lieutenant Joseph Bell wirkte frisch gebadet und trug eine saubere Uniform. Wahrscheinlich hatte ihm sein Bursche einige Eimer heißes Wasser in die Regentonne gegossen, sodass er wenigstens lauwarm baden konnte. Yates hält inne und blickt zurück auf die Kommandantur,
die in den hinteren Räumen zugleich auch Custers Wohnung beherbergt. Das Haus hat fünf Schornsteine. Aus allen fliegen dann und wann Funken. Custer muss gewiss einen seiner Soldaten ausschließlich damit beschäftigen, für Holz zu sorgen und die fünf Öfen zu heizen. Aber Custer – dies weiß Yates inzwischen – übernahm in den Forts nie die raue Lebensart der Soldaten, sondern lebte so feudal wie möglich. Yates geht weiter. Es beginnt etwas zu schneien, und der Schnee wird den sonst so staubigen und schmutzig wirkenden Paradeplatz in eine saubere, weiße Fläche verwandeln, die erst wieder durch den Exerzierdienst ihr hässliches Aussehen bekommen wird. Es brennen nicht mehr viele Lichter im Fort, und die dichten Schneewolken machen die Nacht noch schwärzer. Der Strom rauscht leise zum Fort herauf. Yates muss nun an den Offiziershäusern vorbei. Als er bei Judy Logans Haus ist, da erkennt er die bewegungslose Gestalt. Es kann nur Judy sein, die sich in eine Decke gehüllt und auf ihn gewartet hat. Und so hält er inne, hört ihre Stimme etwas heiser sagen: »Komm, Ben, ich warte schon recht lange auf dich und bin fast erfroren.« Er zögert, denn er weiß zu gut, wie sehr er nach Pferd und Rauch und all den anderen Gerüchen stinkt, die ein Zehntageritt und all der Mangel an körperlicher Pflege bewirken. Doch er hört ihre Stimme noch energischer: »Komm herein, verdammt! Willst du, dass ich mir den Tod hole?« Er gehorcht, und er kann sicher sein, dass er unbemerkt diesmal von vorn eintritt. Denn bei diesem Wetter und dem dichter werdenden Schneefall sind nur die Posten rings um das Fort im Freien.
Als er eintritt und hinter sich die Tür mit dem Absatz zutritt, da drängt Judy sich an ihn, umklammert ihn und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihm den Mund darbieten zu können. »Ich habe auf dich gewartet!«, flüstert sie kehlig. »Ben, ich habe nur dich hier in diesem verdammten Fort und eigentlich auf der ganzen Welt. Wir haben mehr als zehn Stunden Zeit. Und ich werde die große Wanne mit warmen Wasser füllen dicht neben dem Ofen. Wenn du dich hineinstellst, werde ich dich mit Fliederseife waschen. Du brauchst nur still und gerade zu stehen. Im alten Rom wurden die heimkehrenden Helden wahrscheinlich auch von ihren …« »Nein, die badeten mit ihnen in wunderschönen Bädern«, unterbricht er sie lachend. »Die lebten nicht so primitiv wie wir hier in Fort Lincoln.« Sie lacht nun ebenfalls ein wenig und hilft ihm dann beim Auskleiden, hantiert an ihm ziemlich hastig. Es ist warm in dem kleinen, nur zweiräumigen Haus. Der Kanonenofen glüht. Auf ihm steht ein großer Kessel mit fast schon siedendem Wasser. Und so weiß Ben Yates, dass er verwöhnt werden wird von einer schönen Frau, die sich nach ihm sehnte. Und seine Müdigkeit verfliegt schon jetzt mehr und mehr. Es ist schon erstaunlich, was eine Frau in einem müden Mann alles verändern kann. Es ist dann irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen – draußen heult ein böser Schneesturm –, als Judy ihm endlich all die Fragen stellt, auf die er von Anfang an gewartet hat. Sie liegt in seinem Arm, und beide sind sie erschöpft von der Liebe. Ihre Stimme flüstert kehlig-heiser: »Ben, du hast mich dem Himmel sehr nahe gebracht, das kannst du mir glauben. Ich war durstig nach dir. Und du hast mich spüren lassen, dass du durstig nach mir warst. Doch jetzt erzählt mir von eurem Ritt!
Habt ihr die Stelle gesucht und gefunden, wo Jones Logan beerdigt wurde und auch das Gold vergraben ist?« »Nein«, erwidert er. »Sergeant Bud McLowry und die anderen sagten dem Lieutenant unterwegs, dass sie die Stelle nicht finden können. Einer von ihnen – jener Mike Ewitt – wurde von einem Indianerpfeil getötet. Es sind nur noch drei von ihnen übrig, nachdem schon jener Sergeant Ken Ballard, der dir den Brief schrieb, nicht mehr lebt. Ich glaube ihnen nicht und denke, dass sie irgendwann desertieren und das Gold ausgraben werden – nicht die Überreste deines Mannes, nur das Gold für sich allein. Sie werden eine Möglichkeit finden – und wenn es erst im Sommer ist. Sie können sich Zeit lassen, werden vielleicht warten, bis die Indianergefahr nicht mehr besteht und die große Schlacht geschlagen ist, welche Custer gewinnen will, um wieder seinen alten Generals-Rang zu bekommen. – Judy, du musst Geduld haben. Diese Kerle entkommen mir nicht.« Als er verstummt, da schmiegt sie ihren nackten Körper noch enger an ihn und flüstert kehlig: »O ja, Ben, ich vertraue dir, wie ich noch keinem anderen Mann vertraute, nicht mal Jones Logan, den ich zu lieben glaubte, bis er mich betrog.« Er erwidert nichts, sondern schläft ein. Er kann sicher sein, dass sie ihn rechtzeitig weckt, damit er unbemerkt aus dem kleinen Haus kommen kann.
13 � Es wird ein böser Winter, und dennoch sind ständig Patrouillen unterwegs. Custer will endlich zuverlässig wissen, wo überall im Land die Indianerdörfer verteilt sind und von wo aus sich die Krieger im Frühsommer vereinigen werden, sobald sie genügend Jagdglück hatten, also Fleisch machen konnten und ihre winterdürren Pferde sich erholt haben. Und so reitet auch Ben Yates in den Wochen und Monaten immer wieder mit der Doppelpatrouille der D-Kompanie hinaus, in die Bad Lands hinein bis zum Little Missouri und sucht nach Fährten, die ja im Schnee besonders klar und deutlich zu finden sein müssten. Doch sie finden keine Indianerfährten. Es ist, als gäbe es im weiten Land keine Dörfer mit Rothäuten, so als wären diese von einer geheimnisvollen Macht verschluckt worden, zu Unsichtbarkeit verzaubert. Es wird dann allmählich Frühjahr mit einsetzender Schneeschmelze, welche selbst die sonst unscheinbarsten Bäche zu Flüssen verwandelt. Das ganze Land verwandelt sich. Eine Schönwetterperiode bricht an. Nur die Nächte sind noch bitterkalt. Im Fort findet ein Offiziersball statt. Man will offenbar noch mal etwas feiern, bevor der Feldzug stattfindet. Die Offiziersfrauen – es sind fast drei Dutzend – sollen sich noch einmal schön und begehrenswert darstellen können, sich umworben fühlen in ihrem sonst so ereignislosen Dasein fern von der Zivilisation. Der Chefscout Jim Spears und auch Ben Yates werden eingeladen, letzterer wahrscheinlich deshalb, weil er mal ein Captain der Konföderierten war und als gebildeter Gentleman gilt, einer der Pflanzer und Sklavenhalter des Südens, welche ja eine Art Aristokratie darstellten, denn das Wort bedeutet ja
etwa so viel wie »Herrschaft der Besten«, und dafür hielten sich die Sklavenhalter und reichen Baumwollpflanzer des Südens nun mal. Die Damen des Forts sind neugierig auf ihn. Es ist dann später im Verlaufe des Balles, als ihm klar wird, warum auch er eingeladen wurde. Denn er kommt mit Mrs Custer irgendwann ins Gespräch. Sie nimmt sogar seinen Arm und lässt sich hinaus in die Mondnacht führen, um Luft zu schnappen, wie sie sagt. Sie sagt ihm dann, dass sie mit ihrem Mann schon in Texas war und fragt ihn auch nach der Anzahl der Sklaven, die er mal besaß. Aber es ist eine Weile lang nur ein höflicher Wortwechsel. Dann aber spricht sie präziser: »Mister Yates, ich weiß ja, mit welchem entschlossenen Trick Sie damals die Patrouille und den mit Waffen beladenen Wagen vor den Sioux gerettet haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass mein Mann, der General, Sie neben Mister Spears als Scout bei sich haben wird. Sie sollen ein Kriegsheld der Konföderierten gewesen sein. Ich werde meinen Mann darum bitten, auch auf Ihren Rat zu hören, sollte er zu der Ansicht gelangen, andere Meinungen hören zu sollen. Ich verlasse mich auf Sie. Und nun wollen wir wieder hinein gehen. Ich möchte mit Ihnen tanzen, so als wäre ich eine Südstaaten-Lady.« Er führt sie also wieder hinein, und dann tanzen sie einige Runden, bis er sie wieder bei Custer abliefert. Als er später neben Spears an der Bar steht und einen Drink nimmt, da sagt Spears: »Sie hat auch mich darum gebeten, ihrem General treu zu sein. Aber ob dieser immer noch wilde und ehrgeizige Draufgänger auf uns hören wird? Auf seine Offiziere tut er das gewiss nicht. Die hält er alle für Nieten. Und wenn er in seinem Ehrgeiz zu dumm ist, dann hört er auch nicht auf uns. Ich gehe jetzt in die Sergeantenkantine und besaufe mich dort. Kommst du mit?«
Yates nickt nur stumm. Und als er mit Spears geht, da sieht er Judy Logan mit einem jungen Lieutenant tanzen. Aber das macht ihm nichts aus. Dieser Lieutenant wird nicht bekommen, was sie ihm immer wieder schenkt, ihm, Ben Yates, der ihr das Gold von der Prärie holen soll. In diesen Wochen bereitet sich die Armee immer intensiver auf den großen Feldzug gegen die letzten großen und stolzen freien Stämme der Sioux, Cheyenne und Arapaho vor. Die Truppen werden gnadenlos gedrillt, abgehärtet und zäh gemacht. Nur die Scouts haben es besser. Sie nehmen am Drill nicht teil. General Sheridan hat mit seinem Stab inzwischen den großen Feldzugplan ausgearbeitet. Und dieser ist eigentlich ganz einfach, wenn – ja, wenn sich alle Kommandeure danach halten. In St. Paul wartet General Terry auf den Befehl zum Aufbruch. General Crook wird von Fort Fetterman aus vorstoßen. Und General Gibbon wird mit allen Truppen aus den abgelegenen Stützpunkten von Montana aus nach Osten kommen und General Custer am Yellowstone River entlang entgegenziehen, um sich mit ihm zu vereinen. Dann wird das alles einen riesengroßen Kessel ergeben, welcher die Stämme der Sioux, Cheyenne und Arapaho einschließt. Und das werden dann – mit Frauen und Kindern zusammen – mehr als achttausend Indianer sein, vielleicht sogar zwölftausend. Werden die geschlagen, ist der große Indianerkrieg für immer vorbei. Dann gibt es nur noch die erbarmungslosen Apachen im Süden. Aber hier wird ein gewaltiges Gebiet frei
werden für all die Landsucher und Goldgräber. So ist der Plan. Und eine besondere Aufgabe wird das Siebente Regiment unter ihrem Kommandeur Lieutenant Colonel Armstrong Custer, den sie immer noch mit General anreden, zu erfüllen haben. Das Siebente Regiment besteht aus zwölf Kompanien, doch nur fünf sind mit einer Infanterieabteilung in Fort Lincoln stationiert. Und so wird Custer bald mit mehr als dreihundert Reitern und einem Tross ausrücken, um General Gibbon am Yellowstone zu treffen. Doch was wird er tun, wenn er vorher auf die Kriegsmacht der Indianer trifft? Das ist die Frage, welche seine Scouts, die Offiziere und auch die Mannschaft beschäftigt. Denn sie alle kennen den »General« und wissen, dass er zu einem Bluthund wird, wenn er eine rote Beute wittert. Und so beginnen sich nicht wenige der Soldaten zu fürchten – besonders dann, wenn sie in den Nächten wach liegen und an das Ungewisse denken, in welches sie hinter Custer hineinreiten müssen – ja, müssen. Denn sie alle stehen unter Befehl. Wahrscheinlich wird es auch einige Deserteure geben, obwohl sie alle wissen, wie Custer mit Deserteuren umgeht. Das hat er schon bewiesen. In all diesen Wochen und Monaten bis zum Frühsommer im Juni lässt Ben Yates die drei noch lebenden Skorpione – also Sergeant Bud McLowry, Korporal Cole Botley und Ike Johnstone, nicht aus den Augen, überzeugt sich jeden Tag aufs neue davon, dass sie noch bei der Truppe sind, also noch nicht desertierten, um sich irgendwo dort draußen auf der Prärie beim Grab von Lieutenant Jones Logan das Gold zu holen und damit hinauf nach Oregon zu verschwinden.
Denn das ferne Oregon ist oft das Ziel von Deserteuren. Er reitet in diesen Wochen immer wieder mit den drei Mördern seiner Familie auf Patrouille, und manchmal hätte er den einen oder anderen Kerl ohne Gefahr umbringen können. Doch er will das Gold für sich und Judy. Und überdies hat auch Jim Spears von ihm eine Art stillschweigendes Versprechen, weiterhin abzuwarten, weil auch die drei Skorpione zu den Chancenlosen gehören, die – angeführt von Custer – ihrem Schicksal nicht mehr entkommen können. Es geht Ben Yates so ähnlich wie dem Chefscout Jim Spears. Sie fühlen sich irgendwie als Beobachter eines Schauspiels, welches als Drama enden wird. Und gewiss sind sie beide nicht bereit, aus irgendeiner schwülstigen Art von Treue mit Custer in den Tod zu reiten, wenn dieser ihre Ratschläge nicht befolgt. Das wird keiner der mehr als drei Dutzend Zivilscouts des Regimentes tun. (Anmerkung: Doch, es gab einen Scout, der mit Custer am 25.6. und 26.6.1876 in den Tod ritt. Sein Name war Mitch Bouyer. Er war der einzige Scout, welcher Custer nicht verließ.) Immer dann, wenn sie auf Patrouille reiten und nach Indianern suchen, sind sie alle untereinander eng verbunden, eben eine verschworene Gemeinschaft unter dem Befehl von Lieutenant Joseph Bell, der sehr schnell erwachsen wurde und noch schneller lernte. Der West Point Boy ist längst kein Junge mehr. Yates unterhält sich also manchmal auch mit den drei Mördern seiner Familie und versteht es, sich nichts anmerken zu lassen. Er darf seinen Hass nicht ausströmen lassen, denn er spürt ihr Misstrauen, weil er ein Mann aus dem Süden ist. Vielleicht merkten sie sich auch den Namen jener Familie, die sie mordeten und deren Haus sie niederbrannten. Aber es gibt im Süden viele Yates.
Ihr wachsames Verhalten ihm gegenüber hat mit der Namensgleichheit wohl nichts zu tun. Der junge Lieutenant Joseph Bell ist nicht mehr Kompanieführer. Das war er nur kurze Zeit. Ein gewisser Captain Thomas Weir führt seit kurzem die D-Kompanie, und er ist ein ruhiger und besonnener Offizier, aber auch hart und erfahren. Er reitet einige Male mit, führt also die Patrouille, um das Land besser kennen zu lernen. Und so wissen sie bald, dass er zäh, hart und erfahren ist. Sie haben dann und wann einen Kampf mit kleinen Kriegshorden, von denen sie in eine Falle gelockt werden sollen. Doch die Scouts der Patrouille riechen stets den »Braten«, und der Captain, wie auch der junge Lieutenant, hören auf sie und befolgen ihre Ratschläge. So kehrt die Patrouille der D-Kompanie stets ohne Verluste ins Fort zurück. Es ist dann schon Anfang Juni, als sie wieder ins Fort geritten kommt. Diesmal haben sie eine alte Squaw mitgebracht, die sie allein in einem erbärmlichen Tipi fanden, zurückgelassen zum Sterben. Denn das ist so üblich bei den Stämmen, wenn die Alten nicht mehr stehen können, geschweige denn laufen. Die Alte hat zwar einen zahnlosen Mund, doch glühende Augen. Und sie spricht mit ihrem zahnlosen Mund ein verständliches Englisch, weil sie lange die Squaw eines weißen Pelzjägers war und einst als Mädchen auf die Missionsschule bei Pater de Smet ging. Man muss die Alte in die Kommandantur zu Custer tragen und setzt sie dort in einen Sessel. Da hockt sie nun, klein, verhutzelt, lederhäutig. Aber ihre glühenden Augen sind auf Custer gerichtet. Ihr Mund öffnet sich wie eine aufplatzende Narbe. Dann
aber nuschelt sie: »Ich sehe dich, Gelbhaar. Sie haben mich zurückgelassen, damit ich dir etwas sage.« »Dann sag es«, spricht Custer ruhig. Sie nickt schwach und erwidert: »Ich habe dich sterben gesehen, Gelbhaar. Ja, ich sah es. Du und all deine Mila Hanska werden sterben. Tashunka Witko, Tatanka Yotanko wartet auf euch. Und Yunkeka und alle anderen Tapferen warten auf euch. Yunke Lo, das ist der Schatten des Todes.« Als sie verstummt, senkt sich ihr Kopf nach vorn. Sie ist plötzlich ohne Leben. Und Lieutenant Joseph Bell sieht zu Custer hin und spricht seltsam ruhig: »Sie wollte zu Ihnen gebracht werden, Sir.« Custer nickt und hebt die Hand, streicht sich über Stirn und Augen, so als wollte er irgendwelche Bilder wegwischen. Dann knirscht er: »Begrabt sie irgendwo draußen vor dem Fort. Das soll wohl ein besonders starker Psychotrick von Sitting Bull oder Crazy Horse sein. Schafft sie raus hier!« Als Ben Yates wenig später über den Paradeplatz zu seinem Quartier geht, da hält er Ausschau nach Judy Logan. Eine Ordonnanz nähert sich ihm und überreicht ihm einen Brief. »Der ist von Mrs Logan an Sie«, spricht der Soldat, der sie betreute, also auch mit Feuerholz und Wasser versorgte. »Sie ist nicht mehr im Fort, sondern hält sich in Bismarck auf. Im River Hotel.« Der Soldat geht wieder. Yates aber verharrt noch und öffnet mitten auf dem Paradeplatz den Brief. Dann liest er die Worte: »Lieber Ben, sie haben mich hier rausgeekelt, weil sie um mein Verhältnis zu dir erfuhren. Irgendwie fanden sie es heraus. Ich war ihnen als Offizierswitwe nicht mehr edel genug.
Ich warte auf dich in Bismarck. � In Liebe, deine Judy.« � Er faltet den Brief sorgfältig zusammen. Eigentlich hatten sie es so kommen sehen. Sie konnten ihr Verhältnis nicht ewig verborgen halten. Er war ja zu viele Nächte bei ihr und schlich erst kurz vor Morgengrauen davon. Irgendwie fühlt er sich erleichtert. Alles endet eines Tages und beginnt neu, denkt er. Dann aber sieht er wieder die alte Squaw vor sich, die dem General den Untergang voraussagte und vielleicht wirklich dazu beauftragt worden war. Konnte sie wirklich hellsehen? Es ist schon Abend, als er die Fähre hinüber nach Bismarck erreicht. Er bleibt im Sattel und wartet ungeduldig, bis er drüben an Land und in die Stadt reiten kann. Als er später seinen Wallach Pete vor dem Hotel anbindet und nach Mrs Logan fragt, da erwidert der Portier ruhig: »Wenn Sie Mister Yates sind, dann finden Sie die Lady im Speisesaal beim Abendessen. Soll ich für Sie das Pferd versorgen lassen? Das Hotel verfügt über einen eigenen Stall.« »Ja, sorgen Sie für mein Tier«, erwidert Yates und drückt dem Mann fünf Dollar in die Hand. Und wenig später tritt er im Speisesaal an den Tisch, an dem Judy sitzt, schön und stolz wirkend – aber irgendwie einsam. Sie sieht zu ihm auf und lächelt. »Ich habe mich nach dir gesehnt«, spricht sie. »Und ich bin froh, nicht mehr unter diesen Schnepfen leben zu müssen. Jetzt brauchst du dich nicht mehr zu mir zu schleichen und später wieder fort.« Er setzt sich und lässt seinen Hut neben sich zu Boden fallen. Und er blickt tief in Judys Augen hinein, die im
Lampenschein grün leuchten. »Wir werden lange im Bett bleiben«, sagt er. »Denn nach jeder Patrouille habe ich drei Tage frei.« »Ich weiß.« Sie lächelt. »Wir werden uns wieder dem Himmel nahe bringen.« Es ist drei Tage später, als er wieder ins Fort reitet. Man zählt den 12. Juni 1876. Ben Yates sieht das Regiment zum ersten Mal vollzählig in Aufstellung, zwölf Kompanien, denn auch die anderen Kompanien sind von ihren Stützpunkten eingetroffen. Sie sind nun mehr als sechshundert Mann. Eigentlich müssten sie mehr sein, doch fast alle Kompanien sind nicht vollzählig. Aber sie bieten dennoch einen imponierenden und beachtlichen Anblick. Yates hält zu Pferde neben Jim Spears, der ihn kurz ansieht und dann sagt: »Hast du nach deinen Liebesnächten auch noch genug Mark in den Knochen? Es geht nämlich in den Krieg. Und was du da siehst, ist eine Kriegsmaschine, gut geölt und bereit zum Töten. Du reitest wie immer mit der D-Kompanie. Die drei Skorpione sind auch noch da. Custer bekam seine Befehle. Wir sollen die Indianer vor uns herjagen und uns mit General Terry am Yellowstone vereinen.« Yates nickt nur. Und er fragt sich, ob das Regiment wirklich zum Sterben reiten wird. Er vermag sich nicht vorzustellen, dass diese geballte militärische Kraft besiegt werden kann – selbst von zweitausend und noch mehr Kriegern nicht. Dieses Regiment wurde wochenlang auf das große Unternehmen vorbereitet und gnadenlos gedrillt. Selbst gegen eine Übermacht von Wilden wird und muss es hervorragend funktionieren.
Und so ziehen sie nach Westen zum Yellowstone, werden diesen nach etwa einhundertachtzig Meilen an der Mündung des Powder River in den Yellowstone erreichen und später am Rosebud Creek nach Süden ziehen, um den Ort ihrer Vernichtung zu erreichen. Doch das wissen sie noch nicht. Vielleicht ahnen es einige. Aber der Mensch glaubt ja bis zuletzt an sein Glück, an ein Davonkommen oder irgendeine Wendung zum Guten. Ben Yates sucht in seinem Quartier noch zusammen, was er nötig zu haben glaubt und füllt seine Satteltaschen, rollt andere Sachen in die Sattelrolle, die er hinter dem Zwiesel festschnallt. Dann folgt er dem Regiment und meldet sich bei Captain Weir, der an der Spitze der D-Kompanie reitet. Der Captain nickt ihm zu, sagt jedoch nichts. Außer Yates gehören noch zwei Halbblutscouts zur DKompanie. Yates lässt sich neben der Doppelreihe zurückfallen, tauscht mit vielen Reitern Blicke aus. Und er sieht in keinem Augenpaar einen Ausdruck von Kampfeslust. Er sieht auch die Skorpione Botley und Johnstone, die seine Blicke hart erwidern. Sergeant McLowry reitet am Schluss, denn er hat die Aufgabe, von hinten alles zu überwachen und für Ordnung zu sorgen. Er zieht sein Pferd neben den Sergeanten, der ihn böse angrinst und dann sagt: »Du bist ja immer noch bei uns, Rebell. Warum bist du noch nicht verschwunden? Denn jetzt reiten wir zum Sterben. He, hat die alte Indianerhexe, die in Custers Kommandantur starb, wirklich uns allen den Tod vorausgesagt?« »Hat sie«, erwidert Yates. Dann lässt er sich noch weiter zurückfallen und betrachtet die zehn Maultiere, die zu jeder Kompanie gehören und schwer beladen sind mit Ausrüstung, Proviant, Munition und all den
vielen anderen Dingen, die eine schwerfällige Truppe mit sich führt, zum Beispiel Zelte und Feldbetten für die Offiziere. Er sieht, dass die Maultiere schlecht beladen sind und einige bei Galopp bald ihre Lasten verlieren werden. Und er fragt sich, was die Kompanien während der Vorbereitungen zu diesem Feldzug wirklich gelernt haben. Packtiere beladen gewiss nicht. Das Siebente Regiment legt an diesem Tag etwa dreißig Meilen zurück und bezieht dann für die erste Nacht ein Camp an einem kleinen Creek. Sie ziehen Tag für Tag Richtung Quellgebiet des Rosebud Creek, denn so lautet der Marschbefehl. Manchmal legen sie fünfzig Meilen zurück, dann wieder – je nach Gelände – nur dreißig, doch ständig angetrieben von ihrem Kommandeur, der vom Jagdfieber jeden Tag stärker erfasst wird. Custer gleicht jetzt wahrscheinlich einem Bluthund – was das Jagdfieber betrifft –, der ständig an der Leine zerrt und losgelassen werden will, um sich auf das Wild stürzen zu können. Und am Abend, wenn sie das Camp aufgeschlagen und für ihn das Kommandeurszelt aufgestellt haben, da brennt darinnen noch bis spät in die Nacht das Licht. Von seinem Burschen, der ihn bedient, hören sie, dass er jede Nacht an seine Frau Libbi schreibt, die er zärtlich Lillibeth nennt. Was alles von seinen Gedanken und Gefühlen mag er wohl ihr berichten? Aber die Welt wird es nie erfahren. Sie erreichen am 18. Juni die Montana-Grenze, und sie alle wissen nicht, dass sie alle bald sterben werden, weil sie völlig chancenlos sind. Sie können es sich einfach nicht vorstellen. In diesen Tagen wird General Crook, der von Fort
Fetterman im Süden zum Rosebud Creek zieht, von einer Übermacht der Stämme unter der Führung von Crazy Horse angegriffen und muss den Rückzug antreten. Und so wird Custer mit seiner Truppe sich nicht mit Crook vereinigen können. Denn das ist ja der Plan. Custer wird allein zu schwach sein und in seiner Ungeduld und Selbstüberschätzung nicht warten können – und wollen. Denn er glaubt, ganz allein mit dem Siebenten den großen Sieg erringen zu können. Ja, so wird es kommen. Doch sie wissen es noch nicht vom Regiment der Chancenlosen. Auch General Gibbon von Westen und General Terry von Norden werden zu spät kommen. Der große Kessel um die gesammelte Streitmacht der Stämme kann nicht gebildet werden. Und Custers größter Fehler wird sein, dass er seine Truppe in drei Bataillone teilt, weil er meint, die Kriegsmacht der Roten allein einschließen zu können. Es sollte sich als folgenschwerste Selbstüberschätzung erweisen.
14 � Den größten Ärger machen ständig die Maultiere, von denen jede Kompanie zehn mitführt und unter denen sich einige tückische Biester befinden. Die Soldaten, denen die Packtiere anvertraut sind, haben wenig Erfahrung mit Maultieren. Es ist schon schwierig genug, sie zu beladen und die Packlasten richtig zu verzurren. Dies machen erfahrene Maultiertreiber mit so genannten »Diamantschlingen«, doch das ist eine Kunst für sich. Und es wurde bei der Vorbereitung auf diesen Feldzug nicht geübt. Es stellt sich bei der D-Kompanie schon am dritten Tag heraus, dass Sergeant Bud McLowry, Korporal Botley und der Soldat Johnstone am besten mit dieser Aufgabe fertig werden. Und so werden sie von Captain Weir zu ständigen Maultiertreibern bestimmt und bilden innerhalb der DKompanie eine eigene gesonderte Gruppe. Ihre einzige Aufgabe ist nur noch, der Kompanie mit allem Gepäck zu folgen. Das Regiment durchfurtet den Powder River, erreicht am nächsten Tag den Tongue River und am 24. Juni 1876 den Rosebud Creek, folgt diesem nach Süden. Denn von Süden her muss General Crook kommen, mit dessen Truppe sich das Regiment vereinen soll. Die Scouts des Regimentes schwärmen nach allen Seiten aus. Auch Jim Spears und Ben Yates tun ihre Arbeit. Alle Scouts stoßen auf viele Indianerfährten und finden auch die verlassenen Plätze, wo die Zelte standen. Sie können diese Plätze zählen, weil auf den kreisrunden Stellen kein Gras mehr wächst. Jim Spears sagt einmal knapp zu Ben Yates: »Ich habe aufgehört zu zählen. Es sind zu viele verlassene Zeltplätze; mehr als tausend sah ich schon. – Und wenn man
weiß, dass auf jedes Tipi fünf Seelen kommen, dann haben wir hier auf unserer Seite mehr als fünftausend Krieger, Frauen und Kinder vor uns, dazu einige Tausend Pferde. Ben, ich mache mir Sorgen. Denn wenn wir die Roten zu sehen bekommen, dann wird Custer sie angreifen. Das Siebente greift dann eine mehr als zehnfache Übermacht an. Oh, verdammt!« Ben Yates schüttelt den Kopf. »So dumm kann Custer nicht sein«, spricht er dann »Jeder Bluthund ist im Jagdfieber dumm und gehorcht nur noch seinem Jagdinstinkt, denn er kann nicht anders«, knurrt Jim Spears. Es ist die Nacht zum 25. Juni, und es ist eine schwarze Nacht. Diesmal wird das Regiment nicht mit dem üblichen Trompetensignal geweckt. Doch das Wecken ist dennoch laut und im Morgengrauen für gute Indianerohren gewiss meilenweit zu hören. Die Kompanieführer finden sich noch vor dem Frühstück vor Custers Zelt ein. Captain Weir kommt sehr hastig herbei und meldet: »General, ich habe drei Deserteure zu melden. Sie verschwanden in der schwarzen Nacht und nahmen drei Maultiere mit. Es sind Sergeant McLowry, Korporal Botley und Soldat Johnstone. Ihnen war die Packtierkolonne der DKompanie anvertraut, und alle Maultiere wurden etwas abseits gehalten. Sie konnten sich unbemerkt davonstehlen. Soll ich einen Verfolgertrupp …« »Nein, Weir«, unterbricht ihn Custer und wirkt besonders böse, ganz und gar so, als könnte er im nächsten Moment Blitze schleudern. Es ist still im Halbkreis der Offiziere. Captain Benteen murmelt dann: »Das war zu erwarten. Desertationen waren zu erwarten, wie immer vor einer Schlacht.« Custer starrt ihn böse an.
»Im Siebenten darf es Deserteure nicht geben«, knurrt er. »Denn das Siebente ist der Stolz der Armee. Aber ich brauche hier jeden Mann. Ich kann meine Truppe nicht noch mehr schwächen. Kein Verfolgertrupp also, Weir.« Er spricht Captain Weir nicht mit seinem Rang an, nur verächtlich mit dessen Namen, und so wissen alle, dass Captain Weir bei ihm »verschissen« hat, wie man im Soldatenjargon sagt. Weir schluckt wütend. Dann aber tritt Ben Yates, der mit Spears am Rand der Offiziersversammlung wartet, einen Schritt vor und sagt: »Sir, darf ich einen Vorschlag machen? Er wird in Ihrem Sinne sein.« »Sprechen Sie, Captain!« Custer fordert es ungeduldig und scharf, doch er sprach Yates abermals mit dessen ehemaligem Rang in der Konföderiertenarmee an. »Sir, ich möchte den Deserteuren folgen. Und ich werde Ihnen – sollten sie sich meiner Aufforderung zur Rückkehr wiedersetzen – zumindest ihre Erkennungsmarken bringen.« »Bringen Sie mir ihre Skalps, Captain, nur ihre Skalps. Reiten Sie! Ja, ich weiß, dass Sie mit ihnen fertig werden können.« Yates legt seine Hand an die Hutkrempe, salutiert also, als wäre er einer von Custers Offizieren. Dann macht er kehrt und geht dorthin, wo er mit Spears seinen Schlafplatz hatte, wo noch seine Siebensachen liegen und sein Pferd angepflockt ist. Denn die Scouts des Regimentes haben alle stets ihre Pferde dicht bei sich, um aus den Decken in die Sättel springen zu können. Sie sind ja die Ohren und Augen der Truppe. Yates hat sein Pferd mit all dem Gepäck fertig zum Abritt, als Jim Spears von der Morgenbesprechung kommt und bei ihm verhält. Yates hatte schon einen Fuß im Steigbügel und nimmt ihn noch einmal heraus.
Im grauen Morgenlicht sehen sie sich an. Dann nickt Spears: »Jetzt gehören sie dir. Sie sind desertiert und nicht mehr Eigentum der Armee. Sie werden nicht mit Custer sterben. Wir Scouts gewiss auch nicht. Viel Glück, mein Junge. Jetzt kannst du sie töten.« Er wendet sich ab. Offenbar fällt ihm der Abschied so leichter. Yates verharrt noch einige Atemzüge lang. Im großen Camp herrscht Bewegung. Aber er hat nun nichts mehr mit dem Siebenten Regiment zu tun. Er denkt an die drei noch lebenden Skorpione, an das Gold beim Grab von Lieutenant Jones Logan und an Judy, die in Bismarck auf ihn wartet – und auf das Gold. Er schwingt sich auf seinen Wallach und verlässt an diesem Morgen des 25.6.1876 das Siebente Regiment, welches zwischen dem Rosebud Creek und dem Little Big Horn River die letzte Nacht vor dem Sterben verbrachte. Ben Yates weiß genau, in welche Richtung er reiten muss. Denn Lieutenant Jones Logans Grab und das Gold liegen in den Bad Lands, also östlich des Little Missouri in North Dakota. Nur dorthin werden die drei Deserteure reiten. Aber es ist noch ein langer Weg. Als die Sonne hochkommt, wird es ein schöner Tag. Er findet bald die Fährte der Deserteure. Drei Reiter mit drei Maultieren an den Leinen neben sich. Diese Fährte ist leicht zu verfolgen, und selbst wenn er sie einmal verliert, kennt er doch die Richtung und wird immer wieder auf diese Fährte stoßen. Der Vorsprung der drei Skorpione beträgt etwa sechs Stunden. Er könnte diesen Vorsprung gewiss in weniger als drei Tagen aufholen. Doch er weiß, dass er sich Zeit nehmen kann.
Die drei Deserteure fühlen sich jetzt schon als Gewinner eines Spiels um alles oder nichts. Sie reiten die ganze Nacht und den halben Tag. Und als sie dann auf ihrer Fährte an einem Wasserloch rasten, da blicken sie von einer kleinen Anhöhe zurück. Aber es folgt ihnen niemand, so glauben sie. Bud McLowry grinst und spricht zufrieden: »Das dachte ich mir. Custer braucht jeden Mann und er weiß, er müsste uns zumindest sechs Mann nachsenden, von denen einige sterben würden. Nein, der will erst Sitting Bull, Crazy Horse, Gall und Zwei Monde schlagen und ein großer Kriegsheld werden. Wir sind entkommen und können in aller Ruhe nach dem Gold sehen. Und wir haben immer gewusst, wo es neben dem Lieutenant verscharrt wurde von uns noch vor dem Blizzard.« Sie alle grinsen nun. Botley spricht dann: »Wir werden reiche Männer sein und uns alle Freuden der Welt gönnen können. Und eines weiß ich jetzt schon.« »Was?« McLowry und Johnstone fragen es zweistimmig. Er grinst sie an: »Nie mehr billige Huren, versteht ihr? Wenn du reich bist, kannst du dir die richtigen Ladies kaufen.« »Aber dann sind das auch keine Ladies«, sagt McLowry und lacht hämisch. Indes wartet man nicht nur in Fort Lincoln, Fort Rica und in Bismarck auf die ersten Nachrichten vom großen Feldzug. Doch man wird alles, was in Montana zwischen dem Rosebud Creek und dem Little Big Horn River geschieht, erst einige Tage später wissen. Aber dann wird man erfahren, dass der einstige Kriegsheld General Custer den größten Fehler machte, den ein Kommandeur nur machen kann. Er überschätzte sich und seine Truppe, unterschätzte die
Kampfkraft und zahlenmäßige Überlegenheit der vereinigten Stämme und teilte sein Regiment in drei Bataillone, ließ Captain Benteen und Major Reno mit je einem Bataillon zurück, wollte ihnen die Indianer zutreiben. Und so wurde Custer mit seinem Bataillon vollständig vernichtet, während Benteen und Reno mit großen Verlusten ums nackte Überleben kämpften. Es ist in den letzten Junitagen, als die ersten Nachrichten nach Fort Lincoln und nach Bismarck kommen. Von da aus eilen sie in die ganze Nation, die in Trauer fällt, nachdem sie das Unfassbare zuerst nicht glauben wollte. Auch Judy Logan hört diese Nachrichten. Dann erscheinen in Bismarck ausführliche Berichte in der Zeitung. Und so beginnt sie die Hoffnung zu verlieren, dass sie Ben Yates jemals Wiedersehen wird. Je mehr Tage verstreichen, umso mutloser wird sie. Was soll sie tun? Weiter auf ein Wunder warten und auf Ben Yates hoffen? Doch von diesem gibt es kein Lebenszeichen. Wenn er noch am Leben wäre, würde er längst mit den Resten des Regimentes zurück nach Fort Lincoln gekommen sein. Denn selbst die Verwundeten wurden vom Dampfer Far West vom Yellowstone in den Missouri und auf diesem nach Fort Lincoln gebracht. Judy Logan hat in den vergangenen Wochen einen Dampfbooteigner und Kapitän kennen gelernt. Und sie hat in den vergangenen Tagen und Nächten immer wieder an ihre kleine Witwenpension denken müssen. Und als der Eigner und Kapitän der Missouri Queen ihr vor der Abfahrt nach Saint Louis einen Antrag macht, da willigt sie ein. Vielleicht wird sie noch oft an Ben Yates denken, wenn sie in den Armen ihres Mannes liegt – aber sie ist eine praktisch denkende Frau, die für sich sorgen muss und ein gutes Leben
führen will. Und so denkt sie manchmal, dass man eben für alles einen Preis zahlen muss. Und so schlecht ist Kapitän Elliot Morgan ja auch nicht. Sie weiß, dass er sie stets respektvoll behandeln wird. Man kann nicht alles bekommen, sagt sie sich, wenn sie an das Gold und an Ben Yates denkt. Indes reitet Ben Yates immer noch auf der Fährte der drei Skorpione. Wahrscheinlich ahnen sie immer noch nicht, dass sie jemanden auf der Fährte haben. Manchmal sieht Ben sie in weiter Ferne, dann wieder ihre Campfeuer in der Nacht. Er stellt auch fest, dass sie offensichtlich selbst einige Mühe haben, den Platz zu finden, wo Jones Logan und das Gold verscharrt wurden. Denn die roten Felsformationen, zwischen denen die Patrouille damals Deckung suchte und sich verteidigte, die ähneln sich alle irgendwie. Ja, die drei Banditen und Deserteure suchen einige Tage, und er muss stets auf Abstand achten, kann sich ihnen nicht zu sehr nähern. Sein Proviant geht zu Ende. Er kann auch nicht schießen, um Wild zu erlegen. Zuletzt ernährt er sich nur noch von einigen Fischen, die er aus dem fast ausgetrockneten Wasserloch eines kleinen Creeks greift. Doch dann endlich stellt er fest, dass die Verfolgten offenbar ihr Ziel gefunden haben. Denn sie schlagen ein Camp auf, obwohl es erst Vormittag ist. Offenbar ist dort die Stelle, wo sie graben müssen. Also schlägt auch Ben hinter einer Bodenwelle sein Camp auf. Oben auf der leichten Erhöhung steht ein Baum, in dessen Schatten er gewiss nicht entdeckt werden kann. Denn nun darf er die Kerle nicht mehr aus den Augen
lassen. Was werden sie tun? Werden sie graben? Wenn ja, dann muss sich dort das Gold befinden. Und dann ruhen dort auch die Reste von Lieutenant Logans Leichnam in der Erde. Yates denkt darüber nach, wie er die Mörder seiner Familie umbringen wird. Denn er ist nun kurz vor dem Ziel angekommen. Die drei Skorpione sind an diesem Vormittag in besonders guter Stimmung. Denn sie haben endlich den Platz gefunden. Und es fehlt ihnen auch nicht an Proviant. Sie haben ja drei beladene Maultiere mitgenommen. Und weil sie ja schon vorher wussten, welche Maultiere sie mitnehmen würden, haben sie in die Packlasten dieser Tiere hineingegeben, was für sie von Nutzen ist. Und natürlich haben sie auch so genanntes »Schanzgerät« dabei, also eine Hacke, eine Schaufel und einen Spaten. Doch noch beginnen sie nicht die Ruhe des toten Lieutenant Jones Logan zu stören und den Boden aufzureißen, um nach den kleinen Säckchen zu suchen, in denen sich das Gold der Goldgräber in Form von Goldstaub und Nuggets befindet. Diese Goldgräber hatten sich zusammengetan, um sich auf dem Weg zum Missouri gegenseitig Schutz zu geben. Gewiss waren sie alle voller Vorfreude gewesen, hatten sich als Lucky Cuss' gefühlt, als glückliche Kerle, die es geschafft hatten, als Gewinner heimzukommen zu ihren Familien oder in ihre Heimatorte. Dann wurden sie von einer Indianerhorde überfallen und getötet. Doch diese Horde musste selbst die Flucht ergreifen, weil die Armeepatrouille kam. Später aber bekam sie wohl Verstärkung und griff die Patrouille an, als diese die Toten zwischen den roten Felsen beerdigte.
Ja, so etwa musste es sich abgespielt haben. Und dann starb der Lieutenant mit den meisten seiner Reiter. Nur fünf konnten damals entkommen, weil in der Nacht der erste Blizzard losbrach. Ben Yates kann beobachten, dass die Deserteure in der Umgebung Büffeldung zu sammeln beginnen, das einzige Brennmaterial auf der Prärie. Also werden sie erst abkochen und ihren Hunger stillen. Es ist später Vormittag. Der Tag ist noch lang. Auch er kann es sich bequem machen und sich auch um sein Pferd kümmern. Nur zu essen hat er nichts mehr.
15 � Indes er unter dem alten Baum auf der Bodenwelle liegt und die Felsengruppe beobachtet, aus deren Mitte der Rauch des Kochfeuers steigt, denkt er darüber nach, wie er die Kerle töten wird. Er kann ihnen nicht die Chance eines fairen Duells geben. Sie hätten diese Chance nicht verdient – und überdies sind sie zu dritt gegen ihn. Ja, er will sie töten. Er kann sie nicht länger davonkommen lassen. Und würde die Armee ihrer habhaft werden, würden sie als Deserteure erschossen oder an ihren Hälsen hochgezogen werden. Sie dürfen nicht davonkommen, nicht nach ihrer schrecklichen Untat an Ben Yates' Familie. Er denkt auch darüber nach, ob er selbst am Leben bleiben wird. Und dann richten sich seine Gedanken wieder auf Judy Logan. Ja, er will zurück zu ihr nach Bismarck, ihr das Gold bringen. Er hätte nie etwas von diesem Gold erfahren, hätte sie ihm das Geheimnis nicht verraten. Und so ist es für ihn gewissermaßen ihr Gold, welches sie mit ihm teilen will, weil sie ja ein Paar wurden. Ja, er will den Kampf überleben, mit dem Gold zu ihr, und er sehnt sich in dieser Stunde besonders stark nach ihrer Zärtlichkeit und ihrer flüsternden Stimme, wenn sie ihm sagt, wie glücklich er sie macht. Es wird dann Nachmittag, als er erkennen kann, dass die drei Kerle zwischen den roten Felsen zu graben beginnen. Und irgendwann kurz vor Sonnenuntergang, da hört er ihr wildes Triumphgeheul. Es schallt aus der Felsengruppe heraus weit über die Prärie bis zu ihm herüber.
Dann sieht er sie durch die Lücken zwischen den Felsen umhertanzen. Und so weiß er, dass sie das Gold gefunden haben. Er beschließt bis zum Anbruch der Nacht zu warten. Dann wird er sie besuchen, um endlich abzurechnen. Und nun denkt er nicht mehr darüber nach, was sein wird, wenn sie auch ihn töten oder schwer verwunden. Der gnadenlose Wille zur Vergeltung ihrer schrecklichen Tat lässt für nichts anderes mehr Raum. Und so wartet er mit seltsamer Geduld, obwohl es doch in seinem Kern gewissermaßen wie ein Feuer brennt. Doch ein Wolf, der vor dem Bau eines Kaninchens lauert, der beherrscht ja auch seine Jagdlust. Als es dann endlich dunkel wird und der Dunst am Himmel Mond und Sterne noch versteckt, macht er sich auf den Weg. Zuerst reitet er im Schritt, dann hält er an und sitzt ab. Er trägt keine Sporen, muss deshalb auch keine abschnallen, bewegt sich also leise durch das Büffelgras, welches ihm schon fast bis zu den Knien reicht. Dann gelangt er an eine Felsenlücke und sieht die drei am Feuer sitzen. Sie kratzen die letzten Reste ihres Abendessens aus den Blechtellern. Dann sehen sie ihn im Feuerschein und springen fluchend auf. Sie haben ihn sofort erkannt. Bud McLowry fragt wild: »Hat Custer dich uns mit einer Patrouille nachgeschickt?« »Nein, ich kam allein«, erwidert er. »Und du wusstest von dem Gold?« »Das auch. Aber ich kam aus einem anderen Grund. Erinnert ihr euch noch an die Yates-Familie, an das schöne Herrenhaus der großen Baumwollplantage in Alabama? Erinnert ihr euch noch daran, was ihr dort den Frauen angetan
habt?« Sie schweigen und denken nach. Und sie sehen auf den Revolver in seiner Faust, dessen Lauf im Feuerschein glänzt. Dann murmelt Bud McLowry: »Ja, ich erinnere mich.« »Das waren wunderschöne Frauen.« Botley grinst. »Und die eine kratzte mir fast die Augen aus«, spricht Johnstone heiser und fügt hinzu: »Es war Krieg, und seit Urzeiten gehören die Frauen den Siegern. Das wird immer so sein, weil die Menschen nun mal nichts anderes als Raubtiere sind. He, wir hatten immer an eine zufällige Namensgleichheit geglaubt. Es gab gewiss viele Yates' im Süden, und wir fühlten uns längst schon in Sicherheit. Du wirst uns nicht alle schaffen können. Einer von uns überlebt dich bestimmt.« Sie schweigen eine Weile, und jeder von ihnen bereitet sich innerlich auf die böse und schwarze Sekunde vor, die nun unausweichlich ist. Dann fragt McLowry: »Wie hast du uns nach so vielen Jahren finden können?« »Ich stieß zufällig auf Jack Donovan«, erwidert Ben Yates langsam. »Und ihr hattet damals einen kleinen Negerboy nicht bemerkt, der sich hinter einer Holzkiste in der Küche versteckte. Dieser Junge erzählte mir alles, sah auch die Tätowierungen auf euren Händen. Als Donovan mir an einem Spieltisch die Karten gab, da sah ich den Skorpion auf seinem Handrücken. Bevor er starb, sagte er mir noch, wo ich euch suchen sollte. Dass ich euch fand, war wohl der Wille des Schicksals.« Er hat kaum ausgesprochen, da stößt McLowry den scharfen Ruf aus. »Jetzt!« So klingt es zwischen den roten Felsen. Und dann krachen die Revolver. Ja, sie ziehen schnell. Sie sind ja nichts anderes als schnelle Revolverschwinger in Uniform.
Ben Yates sieht sie alle fallen, bevor er begreift, dass auch er getroffen wurde. Er fällt stöhnend auf die Knie und dann auf sein Gesicht. Irgendwann wecken ihn die Schmerzen, und so beginnt er zu begreifen, dass er nicht tot sein kann. Denn Tote spüren keine Schmerzen mehr. Als er die Augen öffnet, hat die Nacht sich verändert. Der Dunst am Himmel löste sich auf. Er sieht die strahlenden Sterne. Fast taghell ist diese Nacht mit einem vollen Silbermond. Schweigende Gestalten umgeben ihn. Es sind Indianer, und so spricht er stöhnend mit heiserer Stimme zu ihnen empor: »Oha, Jungs, ihr habt mir noch gefehlt. Diese drei Hurensöhne werden sich in der Hölle mächtig freuen, dass nun auch ich bei ihnen landen werde.« Er glaubt nicht, dass sie ihn verstehen, denn er beherrscht ja nicht die Sprache der Dakota. Aber einer von ihnen erwidert: »Du hast drei Soldaten getötet. Aber du bist keiner. Du gehörst nicht zu den Mila Hanskas. Warum hast du wie ein Krieger gegen eine Übermacht gekämpft? Wolltest du das Gold? Dann warst du dumm im Kopf.« »Ich nahm Rache«, erwidert Yates mühsam. »Sie tragen Tätowierungen auf den Handrücken. Ich suchte sie schon einige Jahre. Sie mordeten meine Familie im Süden, meine Frau, meine Schwestern, meine Eltern. Ich war auf dem Pfad der Rache. Du verstehst mich wirklich?« »Ja, ich spreche deine Sprache«, erwidert der Rote. »Und ich sage dir, dass wir einen großen Sieg über Gelbhaar errungen haben. Euer General Custer ist tot. Auch alle Soldaten bei ihm sind getötet worden. Wir sind unterwegs, um dies allen Stämmen zu verkünden, die noch in den Reservaten blieben, weil sie zu feige waren für den großen Krieg gegen die Mila Hanskas. Du bist nicht feige. Wir respektieren dich. Du hast
drei Mila Hanskas getötet. Deshalb lassen wir dich leben. Doch das Gold nehmen wir mit. Und deine Wunden haben wir versorgt. – Zwei Kugeln holten wir aus dir heraus. Wenn du wieder gesund bist, reite heim nach Süden.« Der Rote hat nun alles gesagt, und die anderen – es sind mehr als ein halbes Dutzend Krieger – murmeln beifällig. Dann ist Yates allein. Das Feuer brennt längst nicht mehr, aber die Nacht ist hell. Er sieht die drei toten Deserteure auf der anderen Seite des erloschenen Feuers liegen. Mühsam erhebt er sich und verharrt schwankend. Ein Pferd nähert sich schnaubend. Es ist sein treuer Wallach, den er ja stehen ließ, um zu Fuß weiter zu gehen. Ben Yates murmelt: »Oh, mein guter Freund …« Dann schafft er es beim dritten Versuch in den Sattel. Denn er kann die Toten nicht vergraben. Und die Aasfresser werden bald kommen. Er muss sich einen anderen Platz suchen, am besten wäre eine Wasserstelle oder ein Creek irgendwo im Osten. Und so reitet er im Schritt davon, hält sich am Sattelhorn fest und erträgt seine Schmerzen. Die Roten haben seine Wunden gut versorgt. Er wird nicht verbluten. Doch kann er sich lange genug im Sattel halten? Es ist etwa zwei Wochen später, als Ben Yates halb verhungert und immer noch krank nach Bismarck kommt und sofort vor dem Hotel seinen Wallach anhält, in dem er Judy zu finden glaubt. Denn wohin sollte sie sonst gegangen sein? Ja, er glaubt, dass sie dort auf ihn wartet, wo sie sich zum letzten Malt liebten, in dem schönen Messingbett mit den großen Kugeln an den Pfosten. Der Portier erkennt ihn nicht sogleich, doch dann erinnert er sich und blickt ihn fast mitleidig an.
»Aha, Sie waren doch Scout bei Custer«, spricht er. »Die meisten Scouts sind davongekommen, weil sie Custer rechtzeitig verließen. Vielleicht hätte auch ich so gehandelt. Na gut, der große Held der Nation ist umgekommen mit mehr als zweihundert Mann. Sie leben, Mister. Aber Ihre Frau ist fort. Die wartete nicht mehr länger. Sie ging mit einem Kapitän und Schiffseigner an Bord der Missouri Queen, und sie benahmen sich wie ein Liebespaar. Gewiss wurden Sie von der Lady für tot gehalten. Und so schaffte sie sich einen anderen Mann an. Das kommt oft vor im Leben, nicht wahr?« Ben Yates hört es, und es trifft ihn zuerst wie ein Schlag in die Magengegend. Doch als er dann tief in sich hinein lauscht, da ist der Schmerz gar nicht so schlimm, sondern zu ertragen wie eine Enttäuschung, die man als Mensch im Verlauf des Lebens dann und wann erlebt, weil sie nun mal zum Leben gehört. »Wollen Sie ein Zimmer?« Der Portier fragt es ernst. »Ja, wenn Sie mein Pferd versorgen lassen. Und eine Badewanne möchte ich aufs Zimmer bekommen, dazu ein gutes Essen. Und der Store soll mir eine Auswahl an Kleidung herüberschaffen. Ich stinke und muss mich neu einkleiden. Ich habe ein Konto bei der Bank hier.« Der Portier nickt und fragt: »Wollen Sie auch eine Flasche Whiskey?« »Nein.« Ben Yates grinst. »Ich habe keinen Anlass, mich zu betrinken.« Es ist drei Tage später, als Ben Yates Besuch bekommt. Der Mann setzt sich im Restaurant zu ihm an den Mittagstisch und grinst ihn an. Es ist Jim Spears. Sie sehen sich eine Weile schweigend in die Augen. Dann murmelt Spears: »Ja, sie alle waren völlig chancenlos, weil er ein vor Ehrgeiz verrückter Narr war. Wir Scouts
machten das nicht mit. Nur einer blieb bei ihm. Die Armee wird die Roten nun furchtbar bestrafen für ihren Sieg. Drei starke Truppenteile unter Crook, Terry und Gibbon geben den Roten keine Chance mehr. Nun sind sie die Chancenlosen. Es war ihr letzter Sieg. Jetzt ist ihr Untergang besiegelt. Was wirst du tun, Ben, mein Junge?« »Ich nehme bald ein Dampfboot hinunter nach Saint Louis«, erwidert Ben Yates. »Und dann werde ich wieder mein Leben als Spieler aufnehmen. Ich habe genug Spielkapital, um mich in jeder Pokerrunde behaupten zu können. Und was wirst du tun, Jim?« »Ich werde für General Terry als Scout arbeiten«, erwidert Spears und erhebt sich. Noch einmal betrachten sie sich, dann geht der kleine Scout davon. Yates verspürt ein Gefühl des Bedauerns, aber dann denkt er: Es ist nun mal so im Leben. Wenn etwas endet, gibt es stets einen neuen Anfang. Es ist um viele Wochen später, als Ben Yates in Saint Louis im Imperial Hotel einem Paar begegnet, welches hinein will, er aber heraus auf die Straße tritt. Die Frau ist keine andere als Judy Logan. Sie hat sich in den Arm eines stattlichen Mannes eingehängt, der die Mütze eines Kapitäns trägt. Als sie Ben Yates ansieht, da weiten sich einen Moment ihre blaugrünen Augen. Doch dies ist die einzige Reaktion, die an ihr zu erkennen ist. Auch Ben Yates lässt sich nichts anmerken. Und so gehen sie aneinander vorbei, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen. Aber einige Stunden später – es ist schon in der Nacht –, da klopft Judy an seine Tür, und als er öffnet, da tritt sie schnell
ein. Sie sehen sich eine Weile schweigend an. Dann murmelt sie: »Ich konnte nicht länger warten. Ja, ich hatte dich aufgegeben und fand einen anderen Mann. Mir geht es gut. Hast du das Gold bergen können?« »Nein«, erwidert er. Sie nickt langsam. »Aber wir sind keine Verlierer«, flüstert sie schließlich. »Du bist davongekommen, und ich fand einen guten Mann.« »Wo ist er jetzt?« Yates fragt es ruhig. »Er ist in der Spielhalle.« »Ich könnte hinunter gehen und ihm sein Dampfboot abgewinnen.« »Das wirst du nicht tun – mir zuliebe.« Nach diesen Worten wendet sie sich und geht hinaus. Er aber murmelt: »Nein, das werde ich nicht tun.« Ende