Die Bestie aus der Todesschlucht
Ein packender Geister-Western von Gordon Spirit
Das Wasser des Creeks sprudelte he...
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Die Bestie aus der Todesschlucht
Ein packender Geister-Western von Gordon Spirit
Das Wasser des Creeks sprudelte hell um die weißen, glattge waschenen Steine. Ein mächtiger Cottonwood Baum spendete Schatten, auf der anderen Seite des Bachlaufs leuchtete sattgrü nes Gras. Das Mädchen blieb einen Augenblick stehen und folgte der Bergflanke mit den Augen, deren bewaldete Kuppe sich dun kel von dem strahlend hellen Himmel abhob. Die schlimmste Mit tagshitze hatte nachgelassen. Das Madchen kauerte sich nieder, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und trank. Sie trug einfache Reitkleidung – Levishosen, ein karierten Männerhemds, eine wei che Elchlederweste, die sich über den straffen Brüsten spannte. Unter dem breitrandigen Hut quoll eine Flut goldblonder Haare hervor und leuchtete in der Sonne. Das Mädchen schob sich den Hut ins Genick, schöpfte erneut Wasser und rieb sich mit einem Zipfel ihres Halstuchs die von Staub und Schweiß aus dem Ge sicht Sie seufzte leicht. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihre Kleider abstreifen und endlich wieder ein Bad nehmen sollte, auch wenn das Wasser des Creeks nicht allzu tief war – doch sie kam nicht mehr dazu, einen Entschluß zu fassen. Ein Geräusch störte sie. Zweige knackten, schwere Schritte schlurften durch den Staub. Das Mädchen richtete sich auf, und ihr hübsches Gesicht verzog sich ärgerlich. Während sie sich umdrehte, dachte sie, daß sie ernstlich böse werden würde, wenn das wieder dieser aufdringli che Ritchie O’Nell war. Es war nicht Ritchie O’Nell. Auf den ersten Blick konnte das Mädchen nur eine große Gestalt erkennen, die sich zwischen den Bäumen bewegte. Eine sehr gro ße Gestalt! Claudia Masterson kniff die Lider zusammen, zog den Hut in die Stirn, so daß er ihre Augen beschattete, und spähte hinüber. Die Blätter des Buschwerks raschelten. Claudia begriff, daß die Gestalt da drüben bestimmt nicht zu dem Wagentreck gehörte, den ihr Vater durch die Black Hills führte. Angst packte das Mäd chen. Sie kannte die Wildnis: Indianer, Banditen, wilde Tiere, – das alles waren Dinge, mit denen man ständig rechnen mußte. Geschmeidig bückte sie sich und hob das Winchester-Gewehr auf, 2
ohne das sich in dieser Gegend niemand von den Wagen entfernt hätte. Die Büsche teilten sich. Ein mächtiger Körper reckte sich empor – und im ersten Mo ment glaubte Claudia, einem zum Angriff aufgerichteten Grizzly gegenüberzustehen. Aber das war kein Bär. Das war überhaupt kein Tier, und ein Mensch erst recht nicht. Ein Monster brach durch die Büsche. Wie ein riesenhafter Schat ten wuchs der zottige Leib empor, erreichte die halbe Höhe der mächtigen Douglas-Fichten. Gräßliche, krallenbewehrte Klauen baumelten an langen Armen, in dem dichtbehaarten Affengesicht funkelten tückische röte Augen, und ein urwelthaftes Brüllen brach aus dem weit auseinanderklaffenden Kiefer mit den schrecklichen Fangzähnen. Claudia stand erstarrt. Ihre Augen waren weit aufgerissen – aber ihr Bewußtsein konn te den Anblick nicht erfassen, ihr Gehirn weigerte sich, zu glau ben, was sie sah. Immer noch umklammerte sie die Winchester, doch angesichts der Bedrohung erschien die Waffe wie ein lächer liches Spielzeug. Claudia rührte sich nicht, starrte die riesige Ges talt an, und für ein paar Sekunden hatte sie das Gefühl, einen unwirklichen, phantastischen Alptraum zu erleben, aus dem sie jeden Moment erwachen mußte. Aber sie erwachte nicht. Das Monster war immer noch da. Erneut brach das unheimliche Brüllen aus seiner Kehle. Die kleinen, runden Augen funkelten, die Klauen hoben sich, und mit einem schwerfälligen, trottenden Schritt setzte das Ungetüm sich in Bewegung. Claudia wich zurück. Tief in ihr schien etwas zu zerreißen wie die überspannte Saite eines Banjos. Panik schoß in ihr hoch, überflutete gleich einer Woge ihr Bewußtsein. Mit einem sich überschlagenden Schrei ließ sie das Gewehr fallen. Sie warf sich herum, versuchte zu fliehen. Ihr Fuß verhakte sich, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte seitlich in das kalte, aufspritzende Wasser. Ein Schatten fiel über sie. Verzweifelt warf sie sich herum, kam wieder hoch – und sah die Riesengestalt des Monsters von der anderen Seite des Creeks heranstampfen. Die Panik war wie ein roter, alles verschlingender Nebel, der 3
Claudia einhüllte. Sie rannte weiter. Wasser lief aus ihren Kleidern, den Hut hatte sie verloren, das blonde Haar klebte ihr naß in der Stirn. Keu chend und taumelnd jagte sie dahin, durch das hohe Gras, das ihre Füße förmlich festzuhalten schien, und hinter sich hörte sie das schreckliche Hecheln des Monsters. Wie Donnerrollen brach sich das Gebrüll des Untiers zwischen den Bergflanken – und gleichzeitig stolperte Claudia Masterson über einen Stein. Erneut stürzte sie, rollte durch das Gras, blieb benommen auf dem Rücken liegen. Blutrote Schleier tanzten vor ihren Augen. Für einen Moment wurde es dunkel um sie, verzweifelt kämpfte sie gegen die schwarzen Wogen der Bewußtlosigkeit, und als sie auf die Knie kam, spürte sie bereits den heißen Atem des Mons ters. Die Todesangst verlieh ihr noch einmal neue Kräfte. Wild schrie sie auf, schnellte hoch, wollte weiterfliehen. Zwei, drei Schritte schaffte sie noch, gepeitscht von Entsetzen – und dann zuckte die gräßliche Klaue des Monsters auf sie zu. Claudia spürte die riesigen Krallen im Rücken. Nadelscharfe, gekrümmte Dolche schienen sich in ihre Schulter zu bohren, ihr Kleid und die Haut gingen in Fetzen. Wie eine Stoffpuppe wurde sie herumgeschleudert, schrill aufschreiend vor Schmerz und Angst schlug sie auf den Boden. Ihr Kopf prallte gegen eine Baumwurzel. Ganz kurz nur hörte sie das gierige Brül len, sah den zottigen, gigantischen Körper über sich – dann erlös te sie eine gnädige Ohnmacht. Claudia Masterson spürte nicht mehr, wie sich die Bestie über sie warf und in blindem, mörderischem Blutrausch ihren wehrlo sen Körper zerfetzte… * Jack Hillary warf die leergeschossene Winchester zur Seite. Sein Gesicht verhärtete sich – ein kantiges, noch junges Gesicht unter fast weißem Haar, abgemagert und mit Staub bedeckt. Ei nen Moment lang blickte er aufmerksam zur anderen Seite der Senke hinüber. Bourke steckte dort drüben zwischen den Felsen. Er ließ sich nicht sehen. Aber selbst wenn er sich, zu seiner vollen 4
Größe aufgerichtet hätte – es wäre unmöglich gewesen, ihn auf diese Entfernung mit dem Colt zu erwischen. Hillary fluchte leise. Er hatte die Wahl weiterreiten oder irgendwie näher herankom men und das Duell mit dem Revolver suchen. Der Gedanke wi derstrebte ihm, denn er wollte den Mann mit dem Stern nicht töten. Es gab noch die dritte Möglichkeit, gab den Weg, sich zu stellen, mit zurück nach Laramie zu reiten und auf eine faire Ge richtsverhandlung zu hoffen, doch auch davor schreckte er zu rück. Kein Mensch würde ihm glauben. Er wußte, wie schnell die Leute dort unten mit dem Hängen waren. Seine Kiefermuskeln spielten, und ein leichter Krampf zog durch seinen Magen. Vorsichtig robbte er zurück, bis er seinen Braunen erreichte, und richtete sich auf. Das Tier scharrte mit den Hufen. Hillary zog es am Zügel hinter sich her, tauchte in den Schatten eines Arroy os, der tief genug war, um einen Reiter aufzunehmen, und lauschte dabei angespannt auf die Geräusche der Umgebung. Wind raschelte im Gebüsch, das war alles. Hillary saß auf. Er ahnte, daß es sinnlos war, daß er die Entscheidung nur aufschob. Noch gestern hatte er gehofft, den Verfolger in der unwegsamen Wildnis der Black Hills abschütteln zu können. Aber Morgan Bour ke war wie ein Bluthund – er würde ihm auch in die Badlands fol gen und notfalls bis in die Hölle. Hillary zog sich den Hut in die Stirn. Vor ihm verbreiterte sich der Arroyo, mündete in den Ta lausgang, und der hagere Mann zog den Braunen nach rechts auf eine Gruppe ausladender Cottonwoods zu. Sekunden später begriff er, daß er seinen Gegner unterschätzt hatte. Ein Gewehr peitschte. Hautnah jagte die Kugel über Hillary hinweg und riß ihm fast den Hut vom Schädel. Sein Kopf flog herum. Aus zusammenge kniffenen Augen suchte er die Felsen ab. Hoch aufgerichtet sah er Bourkes massige Gestalt zwischen den weißen Steinen, immer noch außer Reichweite des Colts, und das dunkle Metall der Win chester glänzte in der Sonne. Der zweite Schuß fiel, als sich Hillary nach vorn warf und das Pferd herumzog. Hart schlug er dem Tier die Hacken in die Wei chen. Der muskulöse Körper streckte sich, die Hufe wirbelten. Hillary wußte, daß er nur dann eine Chance hatte, wenn er aus dem verdammten Tal herauskam – aber er wußte auch, daß er ein ausgezeichnetes Ziel abgab und daß Marshal Bourke ein guter 5
Schütze war. Die Cottonwoods kamen näher. Fast hatte er sie erreicht – da schien der Hieb einer unsichtba ren Peitsche den Pferdeleib zu treffen. Der Braune bäumte sich auf. Schrill wiehernd brach er in der Hinterhand ein, kippte zur Seite, und Jack Hillary wurde im Bogen aus dem Sattel geschleu dert. Sein Stiefel verfing sich im Bügel. Verzweifelt riß er sich los, landete auf der Seite und rollte sich weiter, um nicht unter dem toten Pferd begraben zu werden. Dicht neben ihm wühlte eine Kugel aus der Winchester den Boden auf. Er zog die Beine an, schnellte hoch und warf sich mit einem Panthersatz in die spärli che Deckung einer Bodensenke. Staub brannte ihm in den Augen. Einen Moment lang blieb er reglos liegen und blickte zu der massigen Gestalt hinauf, die sich wie ein Schattenriß vom Himmel abhob. Hillary war sich bewußt, daß das Spiel entschieden war. Er hatte keine Chance, ohne Pferd die Badlands zu durchqueren oder auch nur aus der Wildnis der Black Hills hinauszufinden. Genauso gut hätte er jetzt die Arme hochnehmen können – aber er brachte es nicht fertig. Bourke würde ihn nach Laramie bringen. Und in Laramie warte te der Galgen. Er wußte, daß er bis zur letzten Patrone kämpfen würde. Vorsichtig hob er den Kopf und spähte in die Runde. Die nächste Deckung war ein flacher, runder Felsbrocken, drei Yards rechts von ihm. Dahinter stieg das Gelände an, und der Hang, der den Talausgang zur Linken begrenzte, war zu steil für ein Pferd. Wenn er versuchte, so weit wie möglich nach oben zu gelangen… Er schnellte hoch. Zwei Schritte, ein flacher Hechtsprung – auf Händen und Knien landete er hinter dem Felsen. Die Winchester peitschte, doch der Schuß kam zu spät, und die Kugel schlug nur ein paar Funken aus dem Stein. Hillary biß die Zähne zusammen, spähte vorsichtig über den Rand seiner Deckung und stellte fest, daß Morgan Bour ke von seinem Platz verschwunden war. Hufschlag klang auf. Hillary lauschte und spähte unruhig in die Runde. Er hatte keine Wahl, er mußte den Weg den Steilhang hinauf nehmen. Aber wenn sein Gegner einen Bogen schlug und auf den Hügel jenseits des Talausgangs ritt, konnte er ihn mit der Winchester wie einen 6
Hasen abschießen. Schon sah der hagere Mann die aufwirbelnde Staubwolke auf dem Grund der Senke. Bourke hatte begriffen. Sekunden später tauchte seine Gestalt auf der dunklen Hügelkuppe auf, und Hillary wußte, daß ihm der Weg nach Norden endgültig abgeschnitten war. Nicht nur der Weg nach Norden… Bourke konnte den Steilhang kontrollieren, den Talausgang und die breite Mündung des Arroyos. Der Rest war freie Fläche, Gras land, nur ab und zu unterbrochen von Gebüsch und Felsentrüm mern. Jack Hillary richtete den Oberkörper auf, nahm den Revol ver aus der Halfter und gab einen sinnlosen Schuß auf seinen Gegner ab, um ihm zu zeigen, daß er kämpfen wollte. Bourkes Stimme trug herüber. »Komm raus!« brüllte er. »Du hast nicht den Schimmer einer Chance. Ich schieße dich in dem Loch wie einen tollen Hund zu sammen.« Hillary antwortete nicht. Sein Gesicht war eine Maske. Er wußte, was geschehen würde, lehnte sich mit der Schulter gegen den Felsen und wartete. Bourke rief ihn noch einmal an, dann kam er den Hügel herun ter. Schuß auf Schuß jagte er aus der Winchester, ließ einen wahren Bleihagel los, um den Gegner unten zu halten. Hillary dachte oh nehin nicht daran, Munition zu verschwenden, ehe er den Gegner im Blickfeld hatte. Er grub die Zähne in die Unterlippe, verharrte in Lauerstellung – und dann sah er den heranpreschenden Reiter in einer Staubwolke vor sich. Die Winchester krachte. Mündungsfeuer blitzte, und Pulverdampf wölkte auf. Hillary ziel te eiskalt. Er mußte Bourke erwischen, ohne das Pferd zu treffen, denn das Pferd war seine einzige Chance. Zweimal zog er durch, die erste Kugel streifte die Schulter des Marshals, die zweite wir belte ihm den Hut vom Kopf – und dann spürte Hillary den jähen, harten Schlag an seiner Rechten. Der Revolver flog im Bogen durch die Luft und verschwand im hohen Gras. Hillary sprang auf, um wieder an die Waffe zu kom men, doch das heranjagende Pferd drohte ihm den Weg abzu schneiden. Mit einem verzweifelten Satz schnellte er sich vor die wirbelnden Hufe, der Graue brach wiehernd zur Seite aus, und der hagere Mann schlug die Linke um den Kolben des Revolvers. 7
Als er sich herumwälzte, sah er Bourkes massige Gestalt auf dem Rücken des steigenden Pferdes. Der Marshal hatte durchpa riert und schwang die Winchester am Lauf. Hillary wollte schie ßen, doch er schaffte es nicht mehr. Ein genau gezielter Kolbenhieb prellte ihm erneut die Waffe aus den Fingern, und der zweite Schlag streifte hart seine Schläfe und ließ ihn zurückfallen. Feuerräder kreisten vor seinen Augen. Für einen Moment würde es dunkel um ihn, versank er in wohl tuender Schwärze – und als er wieder halbwegs zu sich kam, hat te ihm Morgan Bourke bereits die Handgelenke zusammengebun den. Das kantige Gesicht des Marshals lag’ im Schatten des Stetsons. Finster blickte er auf seinen Gefangenen herab. »Ich hätte dich auch niederknallen können, du Bastard«, knurr te er. Hillary wälzte sich auf die Seite und richtete den Oberkörper auf. Er fühlte sich leer und ausgebrannt, erschöpft von der langen Jagd. »Ich habe eure verdammte Bank nicht ausgeraubt«, sagte er heiser. »Ach ja. Und warum bist du geflohen?« »Sollte ich mich hängen lassen?« Bourke grinste hart. Seine grünlichen Augen funkelten. »Das kann dir immer noch passieren, mein Junge. Du hättest besser auf die Verhandlung gewartet. Und du hättest mich besser nicht gezwungen, dir den Gaul unter dem Hintern wegzuschießen. Dei ne eigene Schuld, wenn du jetzt laufen mußt.« Jack Hillary antwortete nicht. Er kannte Bourkes Ruf. Er wußte, daß nichts diesen Mann davon abhalten würde, ihn zurück nach Laramie zu bringen. Aber dazwi schen lagen noch endlose Meilen Wildnis, und es gab viele Dinge, die geschehen konnten… * Fünf Wagen waren es, die sich in einer Bergfalte am Rande des Creeks drängten. Die Pferde waren ausgeschirrt und grasten in einem primitiven Seilcorral, Feuer brannten, ein junger rotköpfiger Ire lehnte an 8
einer Deichsel und klimperte auf dem Banjo. Chad Masterson hör te es aber der Treckboß hatte andere Sorgen und nahm die Musik kaum wahr. Er sah zu Day Hollister hinüber, dem bezahlten Begleiter des Wagenzugs. Auch der breitschultrige Revolvermann schien den eigentümlichen Vorgeschmack von Gefahr zu spüren, der in der Luft lag. Er stand geduckt da, sein scharfes Profil hob sich von der ausgebleichten Wagenplane ab, und in seiner Haltung lag etwas von einem Raubtier, das Witterung aufnimmt. Unsinn, dachte Chad Masterson. Er redete sich etwas ein. Nur weil das Gerücht ging, Tiger-Kid Jansens Bande hätte sich in die Black Hills zurückgezogen… Seine Gedanken stockten. Ruckartig hob er den Kopf, als er den jagenden Huf schlag hör te. Wasser spritzte auf, ein Pferd wurde durch den Creek getrie ben, und Sekunden später konnte Chad Masterson die Gestalt seines Sohnes Jerry erkennen. Der Junge ritt wie der Teufel. Mitten auf dem Platz zwischen den Feuern parierte er durch, das Pferd blieb schweißbedeckt und mit zitternden Flanken stehen. Jerry Masterson fiel fast aus dem Sat tel, seine Augen flackerten, er flog an allen Gliedern. Mit zwei Schritten stand sein Vater bei ihm und packte ihn an der Schulter. »Junge, was ist…« »Claudia!« Jerrys Stimme klang dünn und hoch, nichts erinnerte mehr an den wilden, unbezähmbaren Feuerkopf, als den man ihn kannte. »Claudia, Claudia…« Immer wieder flüsterte er den Na men seiner Schwester, und über seine breiten Schultern lief es wie ein Fieberschauer. Masterson schüttelte ihn. »Komm zu dir, Junge! Was ist…« »Sie ist tot, Dad! Claudia ist tot! Sie liegt drüben am Creek! Ich hab’ sie gefunden…« Seine Stimme brach. Chad Masterson war von einer Sekunde zur anderen fahlweiß geworden. Mechanisch sah er zu Day Hol lister hinüber, begegnete für Sekunden dem hellen, eigentümlich flirrenden Blick des Revolvermanns, dann warf er sich auf dem Absatz herum und lief zu dem Corral. Drei, vier andere Männer folgten ihm – sie hatten Jerrys Worte gehört, und in ihren Gesichtern stand das Entsetzen. Der junge Masterson blieb einen Augenblick lang starr auf seinem Platz ste hen, dann schien er sich zu fangen, zog sich ebenfalls in den Sat 9
tel und nahm das Pferd wieder herum. Day Hollister ritt mit und Jonny Magoon. Ritchie O’Nell und der alte Bück Long blieben zurück, weil sie die drei Frauen nicht allein lassen konnten. Im Vorbeijagen sah Chad Masterson seine jüngs te Tochter Livia aus dem Wagen springen, sah Ritchies rothaarige Schwester Ireen und die große, knochige Sarah Minelli mit dem Gewehr im Hüftanschlag. Er schlug dem Pferd die Hacken in die Weichen, holte zu Jerry auf. Das Gesicht des Jungen war eine bleiche Maske, und nach ein paar Sekunden griff er in die Zügel und parierte hart durch. »Dort«, flüsterte er. »Hinter den Büschen…« Er schien außerstande, den Anblick noch einmal zu ertragen. Chad Masterson trieb sein Pferd weiter, hörte Hollister und Ma goon hinter sich. Zweige knackten, als er die Buschkette durch brach, der Creek gurgelte, und Masterson mußte mit eiserner Hand den Rapphengst bändigen, der instinktiv zurückscheute vor dem Geruch des Todes. Der Treckboß kniff die Augen zusammen, sah sich um – und er blickte die breite Blutspur auf der anderen Seite des Creeks. Er saß ab. Steifbeinig watete er durch das flache Wasser, ging weiter – und dann sah er das, was einmal ein hübsches, lebenslustiges junges Mädchen gewesen war. Chad Mastersons Hünengestalt schien von innen heraus zu er starren. Er rührte sich nicht. Wie Stränge traten seine Kiefernmuskeln hervor. Das breite, starke Gesicht erinnerte an grauen Stein, die Augen wirkten erlo schen und leer, und er spürte nicht, wie die anderen neben ihn traten. »Aber das ist… das ist…« Es war Jonny Magoon, der das Unbegreifliche in Worte zu fassen versuchte. Es gelang ihm nicht – zu groß war das Grauen, zu schrecklich der Anblick dieses blutigen, zerschundenen, zerfetzten Mädchenkörpers. Chad Masterson wandte langsam und schwerfäl lig den Kopf und blickte in das Gesicht des jungen Iren. »Ein Tier«, flüsterte er. »Ein Tier… Ein – Grizzly…« Magoon nickte. »Ja, ein Tier…« Seine Stimme klang erstickt. Er wußte es besser, er hatte schon Menschen gesehen, die von Bä ren oder Pumas zerrissen worden waren, aber er klammerte sich 10
an die Lüge. Sein Blick irrte zu Day Hollister hinüber. Die schma len Lippen des Revolvermannes waren weiß geworden. »Ein verdammt großes Vieh«, krächzte er. »Oder…« »Was?« fragte Masterson tonlos. Hollister spürte die Blicke der anderen und rollte unbehaglich die Schultern. Er hatte an die Gerüchte und Schauermärchen ge dacht, an die Legenden der Indianer. »Nichts«, sagte er. »Es war ein Grizzly. Das arme Girl…« Chad Masterson schauerte. Immer noch starrte er den zerfetzten Leichnam an, diesen menschlichen Überrest, immer noch wirkten seine Augen wie tot aber tief in ihm war auch noch eine verborgene, unbezwingliche Kraft, die es ihm sein Leben lang ermöglicht hatte, jeder Bedro hung ins Gesicht zu sehen. Der Schmerz in ihm war wie ein bo denloser Brunnen. Ein Teil seines Selbst war in diesen Sekunden gestorben – so wie etwas von ihm damals mit seiner Frau gestor ben war, die betrunkene Rothäute gefoltert, geschändet und ge tötet hatten. Aber er hatte nicht nur diese eine Tochter, und Livia und Jerry brauchten ihn. »Wir müssen die Spuren suchen«, flüsterte er. »Wir müssen…« Er verstummte jäh. Wie ein Peitschenhieb zerriß der trockene Knall des Schusses die Stille. Ein einzelnes Gewehr antwortete, ferner Hufschlag klang herüber – und in der nächsten Sekunde schien die Hölle loszubrechen. Jonny Magoon riß den Kopf hoch. Seine Stimme krächzte. »Die Wagen! Verdammt, wir…« Er sprach nicht weiter, schwang sich schon auf das Pferd. Chad Masterson und der Revolvermann saßen ebenfalls auf. Sie nah men die Pferde herum, preschten zurück, stießen nach wenigen Yards auf Jerry – und auch das Gesicht des Jungen wirkte wieder hellwach und hart. Eben noch hatte sie der Hauch eines unnennbaren Grauens ge streift – jetzt, war der Bann gebrochen. Bei den Wagen fielen Schüsse, wurde gekämpft. Eine neue, rea le Bedrohung lag vor ihnen. Sie alle waren aufgewachsen in die sem rauhen Land, hatten das harte Gesetz von Töten oder Ster ben im Blut, und als sie jetzt in voller Karriere dem Lauf des Creeks folgten, existierte nichts anderes mehr für sie als das, was ihnen in den nächsten Minuten begegnen würde. 11
Noch ehe sie das Camp erreichten, sahen sie den Rauch. Ein Wagen brannte – der wabernde Schein sprang ihnen in die Au gen, als sie die Buschkette durchbrachen. Dicht vor dem flam menden Wrack 1 bewegten sich Gestalten, Pferde tänzelten, die fremden Reiter warfen Bündel über die Sättel. Unablässig wurde geschossen, zwischen den restlichen Wagen erwiderten Ritchie O’Nell, Bück Long und die Frauen verbissen das Feuer – und Chad Masterson begriff wie mit einem Schlag, was sich abspielte. Banditen… Sie hatten das Geld – die Dollars, die der Lohn waren für einen langen, anstrengenden Trau, der Erlös der Waren und Gewehre, die sie nach Camp Sporrin gebracht hatten. Sie hatten Jonny Ma goons Gold, sie hatten den Schmuck, mit dem Sarah Minelli drü ben in Wyoming ein neues Leben anfangen wollte. Banditen, die immer wieder die Wagenzüge durch die Schwarzen Berge und die Badland abfingen… Das alles schoß ihm durch den Kopf, während er die Winchester aus dem Scabbard riß und feuerte, und seine Zähne preßten sich in ohnmächtigem Zorn zusammen. Die Kerle bei dem brennenden Wagen saßen auf und rissen die Pferde herum. Eine Wolke von Staub und Rauch hüllte sie ein. Masterson schoß, repetierte, schoß wieder und. sah einen Mann aus dem Sattel stürzen. Er nahm den nächsten aufs Korn, fehlte, hörte neben sich Magoons Winchester krachen. Der brennende Wagen brach zusammen. Für Sekunden nahm ihnen die dichte Rauch wolke die Sicht, und dann waren die fremden Reiter hinter einer hochragenden Felsennadel verschwunden. Chad Masterson parierte seinen Rapphengst. Sein Atem ging keuchend. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, die Banditen zu verfolgen – vermutlich warteten die Kerle nur darauf, daß sie die restlichen Wagen ungeschützt zurückließen. Sekundenlang verharrte der Treckboß starr und hoch aufgerich tet, dann glitt er schwerfällig aus dem Sattel und fing seine Toch ter Livia auf, die ihm entgegenlief und sich an ihn preßte. Das Mädchen zitterte. »Dad!« flüsterte sie. »Was ist geschehen? Was bedeutet das al les, was…« Chad Masterson sah über ihren Kopf hinweg ins Leere. Er antwortete nicht. Er konnte nicht antworten, denn er begriff selbst nicht, was so plötzlich über sie hereingebrochen war. 12
Aber er wußte, daß in diesen Minuten ein Kampf begonnen hatte und daß der Weg nach Wyoming noch weit war… * Morgan Bourke zügelte das große graue Pferd, als er die Schüs se hörte. Er verharrte reglos, der Stern an seiner Weste funkelte wie flüs siges Silber in der tiefstehenden Sonne. Jack Hillary blieb tau melnd stehen. Ein kurzer Strick verband die Fesseln an seinen Händen mit dem Sattelhorn. Der Marshal war langsam geritten, in einem Tempo, das sein Gefangener durchhalten konnte – aber Hillary schwankte dennoch vor Erschöpfung. Seine hellen Augen verengten sich. Er unterschied Gewehrfeuer und das Peitschen von Revolvern, zu weit entfernt, um unmittel bare Bedeutung für sie zu haben. Irgendwo in den Black Hills war ein verbissener Kampf im Gange, und Hillary fragte sich, was er an der Stelle des Marshals tun würde. Morgan Bourke änderte die Richtung. Er verschärfte das Tempo etwas, und Hillary fluchte innerlich, weil er immer öfter stolperte. Sie folgten einem weiten, langge streckten Tal, überquerten einen flachen Hügel in südwestlicher Richtung – und nach einer knappen Stunde lag die Senke mit den Planwagen vor ihnen, die in der Abendsonne lange Schatten war fen. Morgan Bourke griff in die Zügel. Hillarys Blick flog rasch über die vier Wagen, die wie eine Bar riere vor dem natürlichen Einschnitt in den Felsen standen, und den fünften, der nur noch ein verkohltes Wrack war. Die Hähne von Waffen knackten, Gewehrläufe schoben sich über die Deich seln. Aber sie senkten sich rasch wieder, denn der Stern an Bour kes Weste leuchtete unübersehbar und warf die letzten Strahlen der Sonne zurück. Eine kräftige Gestalt erhob sich zwischen den Wagen und kam näher. Ein struppiger grauer Bart umgab das wettergegerbte Ge sicht, die Augen wirkten wie zwei helle Flecke. Der Oldtimer hielt den Lauf der Winchester gesenkt – doch seine Haltung ließ keinen Zweifel daran, daß er die Waffe notfalls blitzschnell hochreißen und abfeuern konnte. 13
»Mein Name ist Chad Masterson«, sagte er abwartend. »Morgan Bourke. Staaten-Marshal. Ihr hattet einen Kampf?« Mastersons Schultern senkten sich. »Wir haben Ware nach Camp Sporrin gebracht und sind unterwegs zum Bighorn River. Banditen überfielen uns, setzten einen Wagen in Brand und raub ten ihn aus.« »Tiger-Kid Jansons Bande?« »Sie haben sich nicht vorgestellt.« In Mastersons Stimme klang der ganze Grimm mit, den er empfand. »Sind Sie wegen der Jan son-Bande hier, Marshal? Ist der da einer von den Kerlen?« Er wies mit einer widerwilligen Geste auf Hillary – als habe er einen Gegenstand vor sich, aber jedenfalls keinen Menschen. Bourke schüttelte den Kopf. »Er wird steckbrieflich gesucht. Ich bringe ihn nach Laramie.« »Ein Mörder?« »Das wird das Gericht entscheiden. Hören Sie, Masterson – wenn Janson sich hier in der Gegend herumtreibt, werde ich ver suchen, ihm das Handwerk zu legen. Sie sollten Ihre Pläne än dern und mit zur nächsten Stadt kommen – dort werde ich dafür sorgen, daß eine Posse aufgestellt wird.« »Kendale?« »Ja, Kendale. Drei Tagesritte, schätze ich.« »Gut, Marshal. Steigen -Sie ab. Sie sind herzlich willkommen.« Die Debatte hatte nur wenige Minuten gedauert. Bourke dehnte seine kräftigen Glieder, als er aus dem Sattel glitt. Am Zügel führte er das große graue Pferd zwischen die Wagen, und Hillary, der immer noch ans Sattelhorn gefesselt war, mußte ihm folgen. Ein Feuer brannte auf dem freien Platz und warf seinen zucken den Schein über die Felswand. Hillary erkannte ein schlankes blondes Mädchen, eine Irin mit flammend roter Haarmähne und eine ältere Frau, groß und starkknochig. Die Männer kamen aus ihren Deckungen zwischen den Wagen hervor. Zwei junge Bur schen, deren rotes Haar ebenfalls die irische Abstammung verriet, ein Junge in ihrem Alter, der Chad Masterson ähnlich sah ein stämmiger, weißhaariger Oldtimer und… Hillary fuhr zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Sein Blick war den kalten blauen Augen Day Hollisters begeg net. Sie starrten sich an, eine halbe Minute lang – und in dieser halben Minute versank die Umgebung, und Jack Hillary glaubte sich wieder im heißen Grenzland von New Mexico, wo er Hollister 14
zuletzt gesehen hatte. Drei Jahre lag das zurück. Eine Ewigkeit – und doch schien es ihm, als sei es erst gestern gewesen. Sie waren zusammen geritten damals. Bis zu jener Nacht, in der Hollister verschwand und eine Posse Jack Hillary im Schlaf überraschte. Hollister hatte eine Bank überfallen – und er hatte Hillarys Pferd dazu benutzt. Zwei Jahre schickten sie ihn nach Yuma. Zwei Jahre Hölle. Danach hatte er vergeblich ver sucht, den Mann zu finden, den er einmal für seinen Freund gehalten hatte. Und jetzt… Hillarys Augen flammten auf. Tief in ihm schien eine Barriere zu brechen, und der verborgene Haß wurde zum Feuersturm, der die Reste der Beherrschung hin wegfegte. Mit einer blitzartigen, heftigen Bewegung riß er den Strick vom Sattelhorn, und in der nächsten Sekunde flog er auf Hollister zu wie ein angreifender Puma. Der Revolvermann reagierte, seine Rechte stieß auf den Kolben des Colts hinab – aber Hillarys Angriff war zu überraschend ge kommen. Seine aneinandergefesselten Fäuste krachten schräg von unten in Hollisters Gesicht. Der Revolvermann taumelte. Ins tinktiv wollte er ausweichen, zurücktänzeln, doch er schaffte es nicht, weil sein Gegner ihm im gleichen Moment den Fuß um den Stiefelabsatz hakte. Day Hollister ging mit einem Schrei zu Boden. Hillary warf sich über ihn. Erneut schlugen die aneinandergefes selten Hände zu, wieder und wieder. Zorn würgte ihn, machte ihn blind, ließ ihn nichts außer dem wilden, rasenden Triumph fühlen – und er merkte nicht, daß sich drei, vier Männer gleichzeitig auf ihn stürzten. Marshal Bourke riß ihn an der Schulter zurück und zerrte ihn hoch. Blindlings wirbelte Hillary herum und wollte zuschlagen, aber Bourkes Faust grub sich in seinen Magen und stoppte ihn. Er krümmte sich, konnte nicht anders, rang pfeifend nach Atem, und Morgan Bourke brauchte nur noch Maß zu nehmen und seinen Gefangenen mit einem genau dosierten Aufwärtshaken endgültig zu fällen. Hillary stürzte. Noch während die Bewußtlosigkeit nach ihm griff, verfluchte er den Umstand, daß er gefesselt war und sich nicht wehren konnte. Für Sekunden wurde es dunkel um ihn – und als sich der schwar 15
ze Nebel lichtete, sah er vor sich Day Hollisters hoch aufgerichte te Gestalt mit dem Colt in der Rechten. Es war still geworden. Unheimlich still. »Stecken Sie das Eisen weg«, klirrte Morgan Bourkes Stimme. Hollisters Lippen preßten sich zu einem blutleeren Strich zu sammen. Sein Atem ging schnell und kurz. »Er wollte mich umbringen! Der verdammte Bastard wollte…« »Das Eisen weg! Sie mögen schnell sein, aber Sie würden dem Gesetz nicht entkommen.« »Haben Sie den Verstand verloren, Hollister?« grollte Master sons rauhe Stimme dazwischen. »Sie können doch nicht auf einen unbewaffneten, gefesselten Mann schießen, verdammt!« Day Hollister ließ die Waffe sinken. Die blinde, besinnungslose Wut in seinen Augen erlosch. Er warf dem Mann mit dem Stern einen dunklen Blick zu. »Passen Sie auf den Kerl auf, Marshal. Wenn er mich noch ein mal anfaßt, kann ich für nichts garantieren.« Morgan Bourke antwortete nicht. Er packte Hillarys Arm und zerrte ihn hoch. »Was soll der Quatsch?« fragte er zornig. »Eine alte Rechnung, Marshal. Irgendwann wird sie beglichen. Daran kann mich nicht einmal der Teufel selber hindern.« Bourke wollte auffahren – aber dann sah er Hillarys weißes, maskenhaftes starres Gesicht und atmete aus. Einen Moment lang blickte er seinem Gefangenen prüfend in die Augen. »Ihre Sache mit diesem Hollister interessiert mich nicht«, sagte er hart. »Aber ich werde Sie nach Laramie bringen. Und wenn Sie auch nur die geringsten Schwierigkeiten machen, werde ich Sie so verschnüren, daß Sie nicht einmal mehr einen Finger rühren können, darauf können Sie sich verlassen…« * Der Abend kam rasch, die Dunkelheit senkte sich wie ein schwarzes Tuch über das wilde Land. Das Feuer knisterte und warf Schatten gegen die Wagenplanen. Jack Hillarys linker Arm war an die Speichen eines Rades gefesselt, die Rechte hatte er frei, um zu essen. Livia Masterson hatte ihm Bohnen und Speck gebracht und blieb neben ihm am Boden kauern, da er nicht gleichzeitig den Löffel handhaben und den Teller halten konnte. 16
Das schmale, hübsche Gesicht des Mädchens wirkte blaß und verstört. Hillary wußte inzwischen, was das einfache Holzkreuz in der Nähe des Camps bedeutete, daß Livias Schwester von einem wilden Tier zerrissen worden war – einem Tier, von dem niemand genau wußte, was es eigentlich war. Aber er hatte zu viele eigene Probleme, um sich darum zu kümmern. Er wollte nicht nach La ramie – das war die eine Sache. Und jetzt kam noch Day Hollister hinzu, mit dem er abrechnen würde, bevor er den Versuch unter nahm, durch die Badlands nach Montana zu entkommen und von dort vielleicht über die kanadische Grenze. Falls er überhaupt die Chance bekam, das zu versuchen! Er kannte Marshal Bourke, er wußte seine eigene Lage einzuschätzen, und er machte sich keine Illusionen. »Möchten Sie Kaffee?« unterbrach Livias Stimme seine Gedan ken. Er nickte. Das Mädchen ging zum Feuer, kam mit einem Becher von dem schwarzen, bitteren Gebräu zurück, und er bedankte sich. Während er in vorsichtigen Schlucken trank, tastete Livias Blick aufmerksam sein hartes, hageres Gesicht ab. »Wissen Sie wirklich nicht, wo sich dieser – dieser Kid Janson aufhält?« fragte sie zögernd. Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne ihn nicht einmal.« »Aber Sie sind doch auch ein…« »Ein Bandit?« Er lachte leise. »Urteilen Sie nicht vorschnell, nur weil Sie einen Mann gefesselt hinter einem Marshal herlaufen se hen. Es haben schon die falschen Männer den Stern getragen und die falschen Männer am Galgen gebaumelt. Das geht nicht gegen Morgan Bourke«, fügte er hinzu. »Er ist in Ordnung.« »Und das sagen Sie?« Livias Augen hatten sich verdunkelt. Immer noch forschte sie in seinen Zügen. Er lächelte, und das ausgebleichte, fast weiße Haar fiel ihm in die Augen. »Warum nicht?« fragte er. »Bourke ist kein Richter. Er jagt sei nen Mann, dafür wird er bezahlt.« »Er will Sie an den Galgen bringen, nicht wahr?« Hillarys Gesicht verschloß sich. Seine Augen waren grau wie Kieselsteine. »Er will mich nach Laramie zurückbringen, das ist alles. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, Miss.« Sie zog die Schultern, hoch, als friere sie. Längst war der Kaf feebecher in Hillarys Hand leer, aber Livia Masterson kauerte im 17
mer noch neben ihm auf den Fersen. Er spürte, daß sie etwas wissen wollte – etwas, das ihr die anderen vielleicht verschwie gen, um sie zu schonen. Sie hatte das Feuer im Rücken, der zu ckende Flammenschein umspielte ihre schlanke Gestalt und schien ihr langes blondes Haar in gesponnenes Gold zu verwan deln. »Ist es wahr, daß es hier Bären gibt?« fragte sie unvermittelt. »Natürlich ist es wahr. Das wissen Sie doch.« »Aber glauben Sie – glauben Sie tatsächlich, daß ein Grizzly so nahe an das Camp herankommen würde?« Er wußte, wovon sie sprach. Bisher war er einfach nicht dazu gekommen, über die Probleme von Chad Masterson und seinen Begleitern nachzudenken – jetzt wurde ihm zum erstenmal be wußt, daß an der Geschichte von dem Mädchen und dem Grizzly etwas nicht stimmte. Ein Bär fiel keine Menschen an, solange er genug Nahrung fand, und in den Black Hills und um diese Jahres zeit fand er genug Nahrung. Grizzlys mieden die Menschen und wehrten sich nur, wenn sie sich angegriffen fühlten. Und er konn te sich nicht vorstellen, daß das Girl sich weit genug vom Camp entfernt hatte, um in das Revier eines dieser grauen Riesen zu geraten. »Haben die Männer Spuren gefunden?« fragte er. Sie nickte. »Sehr große Spuren. Ritchie sagt, eigentlich zu groß für einen Bären.« »Ritchie irrt sich. Der Grizzly ist die größte Tierart, die hier exis tiert.« »Dann muß es…« Sie verstummte abrupt. Bourkes massiger Schatten war über sie gefallen. Das Mädchen warf ihm einen scheuen Blick zu, griff rasch nach dem leeren Kaffeebecher und ging zum Feuer zurück. Der Marshal drehte einen zähen Lederriemen zwischen den Fin gern. Aus schmalen Augen musterte er seinen Gefangenen und wies auf den Strick. »Wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie bis Kendale keinen Fluchtversuch unternehmen, können Sie sich das ersparen«, sag te er. Hillary schüttelte den Kopf. Wenn er sein Wort gab, würde er es halten. Aber er war entschlossen, die nächste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, die sich ihm bot. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Marshal«, sagte er mü 18
de. Bourke fesselte ihm auch die freie Rechte an das Wagenrad. Jack Hillary biß die Zähne zusammen – er spürte sofort, daß er die Stricke nicht aus eigener Kraft würde sprengen können. Schweigend sah er zu, wie der. Marshal im Schlagschatten eines Wagens seine Decke ausrollte. Die Frauen und Mädchen hatten sich in die Wagen zurückgezogen, die Männer richteten sich drau ßen zum Schlafen ein. Ritchie O’Nell übernahm die erste Wache, der Bruder des hübschen rothaarigen Girls mit den Sommerspros sen auf der Stupsnase. Für Hillarys Begriffe sah der Junge reich lich grün und unerfahren aus. Das richtige Format für ein Unter nehmen wie das, einen Wagentreck sicher durch die Black Hills zu bringen, hatte eigentlich nur der alte Masterson. Und natürlich Day Hollister, der undurchsichtige Revolvermann von der heißen Grenze – aber gerade dem war nach Hillarys Meinung am aller wenigsten über den Weg zu trauen. Hollister warf noch einen kalten, mißtrauischen Blick zu dem ge fesselten Mann hinüber, bevor er sich in seine Decke rollte. Hillary grinste wie ein Wolf. Er konnte nicht an Hollister heran, nicht jetzt – aber er spürte mit einer gewissen Befriedigung, daß seine bloße Gegenwart genügte, um den Partner von einst zu beunruhigen. Stille senkte sich herab. Nur noch das Rauschen der Baumkronen war zu hören, das leise Plätschern des Creeks, das Scharren der Pferde im Seilcorral. Ir gendwo rief ein Nachtvogel. Ein zweites Tier nahm den Ruf auf, flatterte hoch, und für Sekunden flog das leise Schwirren von Schwingen über das Camp hinweg und verstummte. Hillary versuchte zu schlafen, obwohl die Nacht empfindlich kalt war. Für kurze Zeit nickte er ein, dann zuckte sein Kopf hoch. Hellwach starrte er in die Nacht hinaus. Er kannte die Wildnis, und er wußte, daß ihn etwas Ungewöhnliches geweckt hatte. Ritchie O’Nell kauerte auf einer Deichsel, das Gesicht zwischen den Knien. Er schlief nicht – aber auch ständige angespannte Wachsamkeit kann abstumpfen. Jedenfalls schien der Junge nichts Verdächtiges zu hören, und Hillarys graue Augen glitten langsam weiter. Er stellte sich schlafend, als er die vorsichtige Bewegung be merkte. Nur noch durch einen schmalen Spalt zwischen seinen Lidern spähte er zu den Wagen hinüber. Es war Day Hollister, der sich in seinen Decken aufrichtete. 19
Der Revolvermann schien darauf gewartet zu haben, daß alles schlief. Seine stahlblauen Augen hingen an Ritchie O’Nells Rü cken, während er die Sporen abschnallte und in die Stiefel fuhr. Der Junge merkte nichts, seine Aufmerksamkeit richtete sich nur auf eine eventuelle Gefahr von draußen – und Hillary sah, wie ein dünnes, triumphierendes Lächeln über die Lippen seines Todfein des huschte. Hollister stand vollends auf und war mit einem langen, lautlosen Schritt hinter dem Wagen verschwunden. Er bewegte sich ge schmeidig wie ein anschleichendes Raubtier durch die Nacht. Die Pferde scharrten, leises, unruhiges Schnauben mischte sich mit dem Singen des Windes – aber Ritchie O’Nell besaß, nicht genug Erfahrung, um die Zeichen richtig zu deuten. Hollister konnte mit den Tieren umgehen. Er bewegte sich laut los und geschickt im Corral, die Pferde wichen ihm ohne Hast aus. Einen Moment lang verschmolz seine gebückte Gestalt mit dem Schatten des Fuchswallachs, und Hillary nahm an, daß der Bur sche ein paar Lappen um die Hufe wickelte, um jedes Geräusch zu dämpfen. Langsam und bedächtig zog Hollister den Fuchs am Zügel hinter sich her. Die anderen Pferde beruhigten sich. Ritchie O’Nell kau erte immer noch auf der Deichsel, spähte gespannt nach drau ßen, und seine Haltung zeigte, daß er den fast unmerklichen Wechsel im Verhalten der Tiere überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Jack Hillary lehnte den Kopf gegen das Wagenrad zurück. Seine Gedanken arbeiteten. Banditen! Silver-Kid Jansons-Bande in den schwarzen Bergen, Day Hollister als Begleiter eines Wa genzugs, der überfallen worden war. Und jetzt machte sich Hol lister heimlich bei Nacht davon. Wozu? Hillary hätte etwas darum gegeben, das Ziel seines Gegners zu kennen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Alarm zu schlagen, doch er verwarf die Idee sofort wieder. Chad Masterson hatte Hollister angeworben. Er vertraute ihm – zumindest mehr, als er dem Gefangenen eines US Marshals ver trauen würde. Wenn Hillary jetzt etwas zu unternehmen versuch te, konnte er nichts erreichen – oder allenfalls Hollister in dem Entschluß bestärken, ihn umzubringen, solange er wehrlos war. Er mußte warten. Geduld haben. 20
Und er wußte, daß seine Stunde kommen würde… * Der Hahn einer Winchester knackte. »Stopp«, trug eine leise, gutturale Stimme herüber. Day Hollister brachte den Fuchswallach mit den Schenkeln zum Stehen. Die Hände legte er gut sichtbar auf das Sattelhorn, weil er keine Lust hatte, sich eine Kugel einzufangen. »Hollister«, sagte er ruhig. »Okay, Compadre! Laß dein Gesicht sehen!« Der Revolvermann schob sich mit dem Zeigefinger den Hut ins Genick und hob den Kopf. Er selbst konnte zwischen den aufra genden Felsen nur wattige Schwärze erkennen – aber er wußte, daß der andere ihn deutlich im fahlen Mondlicht sah. Ein paar Sekunden vergingen, dann klang leises Lachen auf. »Schöner bist du nicht geworden, mein Junge. Du kannst wei terreiten.« »Sehr freundlich. Ich hoffe, wir begegnen uns irgendwann mal allein, damit ich dir dein Schandmaul stopfen kann, Pablito.« Der Wächter kicherte. Hollister verzog ärgerlich sein Gesicht und trieb den Fuchs an. Ein schmaler, tiefer Einschnitt nahm ihn auf, verbreiterte sich nach einer Weile, und vor ihm öffnete sich. ein kleiner Talkessel, in dem es Wasser, Schatten für die Männer und saftiges Gras für die Pferde gab. Auf einem etwas erhöht liegenden Felsplateau flackerte ein Feu er und beleuchtete den schwärz gähnenden Eingang einer Höhle. Männer kauerten ringsum auf den Steinen, ein Banjo klimperte, die. Whiskyflasche kreiste. Als Hollister heranritt, erhob sich eine dunkle, geschmeidige Gestalt und kam ihm entgegen. Silver-Kid Janson erinnerte an ein Raubtier: Groß, breitschultrig, schmalhüftig, mit den weichen, verhaltenen Bewegungen eines satten Pumas. Lavaschwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, seine Augen funkelten blau wie Saphire, und im Gegensatz zu dem eis kalten, berechnenden Revolvermann strömte er eine ungebändig te Wildheit aus, die jeden Menschen dazu brachte, ihn mit ausge suchter Vorsicht zu behandeln. Day Hollister fühlte sich unbehaglich – wie immer, wenn er die sem Mann gegenüberstand. Zwar hatte er schon manches Mal mit 21
den rauhen, aus allen finsteren Ecken des Landes zusammenge würfelten Outlaws zusammengearbeitet, zwar glaubte er, daß sie ihn brauchten und auch weiterhin brauchen würden – aber bei Silver-Kid Janson konnte man nie wissen, wie eine Begegnung ausging. Lediglich die Gewißheit, daß er mit den beiden tiefhän genden Revolvern an seinen Hüften Jansons ganzer Mannschaft überlegen war, gab Hollister Sicherheit. »Die Sache hat geklappt«, stellte er fest. »Ihr müßt an die zwanzigtausend Dollar erbeutet haben, dreitausend in Gold und sogar etwas Schmuck. Mir gehören fünftausend.« Kid Janson lächelte und entblößte zwei Reihen starker, blendend weißer Zähne. »Du wirst immer teurer, Freund«, sagte er in einem Ton, der jedem anderen kalte Schauer über den Rücken gejagt hätte. »Und meine Tips werden immer besser.« Hollister starrte dem Banditenboß in die Augen. Für Sekunden kreuzten sich ihre Bli cke, fraßen sich ineinander. Dann breitete Silver-Kid die Arme aus und kehrte die Handflächen nach oben. »Wir machen beide ein Geschäft«, sagte er mit ausdruckslosem Lächeln. »Solange du den Bogen nicht überspannst, wird das auch so bleiben.« »Mein Risiko wächst«, sagte Hollister kalt. »Und dein Reichtum auch.« Janson lächelte schmal. »Viel ist hier ohnehin nicht mehr zu holen. Irgendwann gehen wir durch die Badlands nach Norden. Im kanadischen Grenzland werden eine Menge schneller Dollars gemacht, höre ich, und dort kennt uns niemand.« Hollister zuckte die Achseln. Er würde mit Sicherheit nicht nach Kanada gehen, sondern wieder nach Süden, nach Mexiko, doch das sagte er nicht. Schweigend beobachtete er, wie Silver-Kid Janson einem seiner Leute einen Wink gab. Der Bursche ver schwand in der Höhle, kam mit einer Satteltasche zurück, und der Banditenboß öffnete sie und zählte ein Bündel Scheine ab. Wenig später ritt Day Hollister wieder durch die Dunkelheit – um fünftausend Dollar reicher. Für ihn stand fest, daß Silver-Kid Janson ihn nicht wiedersehen würde. Ihr Zusammenspiel hatte schon zu oft geklappt – jeder weitere Versuch würde heißen, das Schicksal herauszufordern. Außerdem liebte Hollister den Norden nicht. Seine Welt waren das endlose Grasmeer von Texas, die Sonne Mexikos, das heiße 22
Grenzland. Die Wildnis der Black Hills verursachten ihm ein Unbe hagen, das ihn keine Sekunde losließ, das sich allenfalls für ge wisse Zeiten abschwächte und das er auch jetzt wie eine unbe stimmte Drohung spürte. Und dann, gestand er sich ein, war da noch Jack Hillary, dessen Auftauchen ihn stärker beunruhigte, als er sich selbst gegenüber zugab. Der Revolvermann preßte die Lippen zusammen – er wünschte sich nichts sehnlicher, als daß sein ehemaliger Partner möglichst schnell unter den nächsten Galgen geschleift würde. Einen Moment lang überlegte er, ob er dem Sensenmann ein we nig nachhelfen sollte, aber er verwarf die Idee. Er hatte Marshal Bourkes Augen gesehen, und er vermutete, daß ihm ein hinter rücks erschossener Jack Hillary mehr Schwierigkeiten einbringen würde als ein lebender. Hollister verzog die Lippen und fluchte in sich hinein. Die ganze Situation gefiel ihm nicht. Am allerwenigsten das Auftauchen die ses Marshals! Kendale lag drei Tagesritte entfernt, und bis dahin konnte eine Menge geschehen, das sich nicht vorausberechnen und überblicken ließ. Seine Gedanken arbeiteten – aber das leise Rascheln im Ge büsch hörte er dennoch sofort. Das Pferd wurde unruhig. Das Schlagen des rassigen Kopfes und das nervöse Spiel der Ohren signalisierte Gefahr. Hollister lauschte und nahm ein eigentümliches, schwerfälliges Tappen wahr. Irgend etwas Großes, Schweres bewegte sich durch die Büsche. Der Revolvermann dachte an den riesigen Grizzly, der Chad Mastersons Tochter zerrissen hatte, und zum wiederholten Male verwünschte er diese Wildnis. Mechanisch zog er die Winchester aus dem Scabbard. Seine Finger umspannten den kühlen Schaft, mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, die Dunkelheit zu durchdringen. Wie weit war es noch bis zum Camp? Ein paar Minuten, dachte er, mehr nicht. Aber wenn er schießen mußte, wenn es Lärm gab, würden die anderen eine verdammte Menge Fragen an ihn haben. Eine Minute später war ihm das vollkommen gleichgültig. Wieder hörte er das Rascheln. Ein dumpfes, erschreckend tiefes Knurren folgte. Hollister fuhr herum – und da sah er die riesige Gestalt, die sich zwischen den Bäumen aufgerichtet hatte. Zwei Herzschläge lang glaubte er, einem Trugbild zu erliegen. 23
Das da gab es nicht, konnte es nicht geben. Es war ein verrück tes Schattenspiel. Irgendein verkrüppelter Baum, ein seltsam geformter Felsen oder… Es bewegte sich. Mächtige Pranken hoben sich, trommelten dumpf auf die breite, behaarte Brust, und aus dem schrecklichen Rachen des Monsters brach ein urwelthaftes Fauchen. Hollisters Blut schien in den Adern zu gefrieren. Wie eine Lawine traf ihn das Entsetzen. Irgendeine innere Me chanik ließ ihn dennoch reagieren, ließ ihn das Gewehr hochrei ßen, doch in der gleichen Sekunde brach das Pferd aus. Wie ein Stoffbündel wurde Day Hollister aus dem Sattel geschleudert, sein Fuß verfing sich im Bügel, fünf, sechs Yard wurde er mitge schleift – und im Chaos aus wirbelnden Hufen und Staub verlor er die Winchester aus den Fäusten. Sein Schädel prallte gegen einen Stein. Mit einem Ruck kam er von dem davonrasenden Pferd los, über schlug sich am Boden und blieb benommen liegen. Für die Dauer eines Herzschlags nahm er nichts wahr außer dem Rauschen sei nes eigenen Blutes – und dann drang wieder das drohende Fau chen des Monsters in sein Bewußtsein. Der Revolvermann taumelte hoch. Wie ein Gebirge schien die Gestalt des Untiers vor ihm empor zuwachsen. Zweige prasselten, wurden niedergewalzt von einem schweren Tritt. Day Hollister war ein harter Mann, er hätte es mit der Hölle und allen Teufeln aufgenommen – aber dem unvermuteten Anblick dieses Monsters aus einer anderen Welt war er einfach nicht ge wachsen. Er hätte in das dichteste Dickicht fliehen sollen, zwischen die Felsblöcke am Hang, am besten in eine Höhle, doch er war ein fach nicht in der Lage, vernünftig zu denken. Er zog und schoß. Wieder und wieder feuerte er, jagte Schuß auf Schuß hinein in diesen mächtigen, zottigen Leib – und, es war, als hätte er ledig lich mit Kieselsteinen geworfen. Das Untier schien die Einschläge nicht zu spüren. Einmal schüttelte es irritiert den schrecklichen Affenschädel, dumpfes Wutgebrüll kam tief aus der Kehle – und in diesem Augenblick hatte Day Hollister die Trommeln seiner beiden Revolver leergeschossen. 24
Jetzt war es zu spät für die Flucht. Vielleicht wäre es von Anfang an zu spät gewesen. Hollister keuchte. Er begriff nicht mehr, daß seine Waffen nur wie ein lächerliches Spielzeug wirkten. Solange er zurückdenken konnte, hatte er dank seiner schnellen Eisen gelebt und überlebt, ein tiefverwurzelter Instinkt trieb ihn, und mit fliegenden Fingern versuchte er, mit Patronen aus dem Gurt nachzuladen. Das Monster machte eine schlenkernde, fast spielerische Bewe gung mit der mächtigen Pranke. Hollister sah nur einen Schatten, der auf ihn zuflog. Krallen tra fen seine Brust und zerrissen die Haut. Wie ein lästiges Insekt wurde er von dem Felsen gefegt, auf dem er gestanden hatte, sein Körper wirbelte durch die Luft und prallte mit furchtbarer Gewalt gegen einen Baumstamm. Verkrümmt blieb er liegen. Sein Kopf bildete einen scharfen Winkel zur Schulter, die gebro chenen Augen schienen in die Baumkrone hinaufzustarren. Day Hollister hatte sich das Genick gebrochen und wußte nicht mehr, was mit seinem leblosen Körper geschah… * Sie hörten die Schüsse. Coltfeuer… Sechsmal hintereinander der trockene, peitschende Doppelknall. Jack Hillary hatte auf Hollisters Rückkehr gewartet – und jetzt wußte er, daß der Revolvermann in eine Situation geraten sein mußte, in der seine Nerven versagten. Auch die anderen wurden aufmerksam, warfen ihre Decken bei seite und sprangen auf. Marshal Bourke kam mit langen Schritten auf seinen Gefangenen zu, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Hillary grinste ihn an. »Day Hollister«, sagte er. »Er hat vor zwei Stunden das Camp verlassen.« »Aber er kann doch nicht…«, protestierte der junge Ire, der Wa che gehabt hatte. »Er kann. Oder siehst du irgendwo sein Pferd, Junge?« Hollisters Fuchswallach fehlte tatsächlich. Ritchie O’Nell schluck te schwer. »Warum, zum Teufel, haben Sie mich nicht gewarnt, Mann?« 25
fauchte er. »Bin ich Hollisters Kindermädchen? Oder bist du es?« O’Nell wurde glutrot. Chad Masterson stand mit ziemlich ratlo sem Gesicht da. Keiner von ihnen hätte Hollister verbieten kön nen, das Camp zu verlassen – aber es war auch keiner unter ih nen, dem das Verhalten des Revolvermannes nicht merkwürdig vorkam. Jack Hillary hatte sich bereits seine eigenen Gedanken gemacht – aber die behielt er für sich, weil er wußte, daß ihm ohnehin niemand glauben würde. Masterson stellte in fliegender Eile einen kleinen Trupp zusam men. Morgan Bourke ritt mit, Jonny Magoon und Jerry. Der Huf schlag entfernte sich. Im Schatten eines Wagens drängten sich die Frauen zusammen, Ritchie O’Nell stand irgendwie hilflos da und starrte in die Dunkelheit. Nur der alte Buck Long kam mit seinem schleppenden Schritt über den freien Platz und kauerte sich in Hillarys Nähe auf die Deichsel. »Du kennst den Kerl, eh?« fragte sein rauher, kratzender Baß. Hillary wußte, wovon die Rede war. Er hob vage die Achseln. Der Oldtimer blinzelte ihn an. Die schwarzen Augen funkelten. »Eine Ratte, eh? Ein quergestreifter Bastard! Ich habe es gleich gewußt.« »Er macht gemeinsame Sache mit Silver-Kid Janson«, sagte Hil lary so ruhig, als gebe es an dieser Tatsache nicht den geringsten Zweifel. Bück Long stieß einen dünnen Pfiff aus. Sein zerfurchtes Gesicht legte sich in hundert winzige Fältchen, und in den Augen tanzten helle Lichter. »Bist du sicher, Sohn?« »Ich kenne Hollister. Es ist seine Art. Hat er schon viele Wagen züge durch die Black Hills geführt?« »Nicht so sehr viele. Und einige sind durchgekommen. Gerade genug, daß niemand gegen ihn Verdacht schöpfen konnte…« Hillary preßte die Lippen zusammen. Seiner Meinung nach hatte Hollister das Camp verlassen, um sich bei Silver-Kid Janson sei nen Anteil zu holen. Das war leichtsinnig, sicher. Er mußte damit rechnen, daß er beobachtet wurde und daß man Fragen stellte. Aber andererseits – in ein paar Tagen würden die Wagen die schwarzen Berge bereits verlassen haben, es würde vielleicht Wo chen oder Monate dauern, bis Hollister hierher zurückkehren konnte – und Silver-Kid Janson war ein Mann, dem man besser 26
nicht über den Weg traute. Hillary hob den Kopf, als er die Reiter zurückkommen hörte. Die Männer stoben in voller Karriere heran, selbst im Ungewis sen Mondlicht war zu erkennen, daß ihre Gesichter blaß aussa hen. Marshal Bourke parierte das große graue Pferd so dicht vor seinem Gefangenen durch, daß Hillary Staub schlucken mußte, und glitt aus dem Sattel. Das Gesicht des schweren Mannes hatte sich verkantet. Sein Kiefer mahlte. »Hollister ist tot«, sagte er. »Banditen?« »Nein. Wollen Sie sich die Sache ansehen?« »Warum, Marshal?« Morgan Bourke war nicht der Mann, der lange um den heißen Brei herumredete. »Weil ich nicht daraus schlau werde, ver dammt noch mal! Sie – waren doch mal Scout bei der Army, o der?« »Yeah«, nickte Hillary. »Und ich bin bei den Cheyenne aufge wachsen. Das war es doch, was Sie eigentlich sagen wollten.« »Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie…« »Den Teufel, Marshal! Day Hollister kann meinetwegen in der Hölle schmoren. Es ist nicht mein Bier.« Bourkes grünliche Augen verengten sich zu Schlitzen. Schweigend riß er sein Messer aus dem Stiefelschaft, zersäbelte die Stricke, die Hillary an das Wagenrad fesselten, und zerrte ihn hoch. Die Hände band er ihm auf dem Rücken zusammen, dann packte er eins der Pferde am Zügel und zog es zu sich heran. »Steigen Sie in den Sattel, Mann!« fauchte er. »Sehen Sie sich an, was von Ihrem Freund Hollister übriggeblieben ist, und dann reden wir weiter! Los, Tempo, ehe ich…« Er schwieg abrupt, weil er genug Menschenkenntnis besaß, um zu wissen, daß er einen Mann wie Jack Hillary nicht mit Drohun gen einschüchtern konnte. Der hagere Outlaw lächelte leicht. Mit einer raschen Bewegung warf er das ausgebleichte Haar in den Nacken, schob den Fuß in den Steigbügel und schwang sich ge schmeidig in den Sattel, ehe jemand Anstalten machen konnte, ihm zu helfen. Er spürte die Blicke der blonden Livia und der rothaarigen Ireen, als er aus dem Camp ritt. Bourke blieb neben ihm, hinter ihnen kamen Chad Masterson und sein Sohn Jerry. Schweigend lenkten sie die Pferde durch die Dunkelheit, bis sie die Stelle erreichten, 27
wo Day Hollister gestorben war. Masterson hatte eine Fackel mitgebracht, die er jetzt entzünde te. Flackernder Lichtschein fiel auf die Blutspuren im Gras, auf Hautfetzen, bleiche Knochen, zerrissene Glieder. Der junge Masterson stöhnte unterdrückt, obwohl er den Anblick schon ein mal hatte ertragen müssen, und selbst Jack Hillary spürte, daß sich sein Magen umzudrehen drohte. Er riß sich zusammen und wandte den Kopf. Morgan Bourkes harte grünliche Augen begegneten den seinen. »Kann das ein dreckiger Trick von Kid Jansons Bande sein?« fragte er rauh. »Ein geschickt eingefädeltes Theater, um Furcht und Schrecken zu verbreiten?« Hillarys Blick glitt zu Masterson hinüber. »Ihre Tochter, wurde auf die gleiche Weise umgebracht, nicht wahr?« »Ja«, sagte der Treckboß erstickt. »Warum?« »Weil es dann nicht Janson gewesen sein kann. Nicht einmal Silver-Kid oder irgendeiner seiner Bande ist ein solcher Hunde sohn, daß er ein unschuldiges Mädchen umbringt.« Die Männer schwiegen. Sie wußten, daß Hillary recht hatte. In diesem rauhen Land gab es Gesetze, die selbst von der Mehrzahl der Banditen und Desperados beachtet wurden. Du sollst einem Mann eine Chance geben, bevor du ihn erschießt, hieß eines da von. Und ein anderes lautete, daß man eine Frau unter keinen Umständen in einen Kampf zog. »Aber was ist es dann, zum Teufel?« Bourkes Stimme war bei nahe ein Stöhnen. »Diese Spuren gehören doch nicht einen Grizz ly! Das mag der Leibhaftige glauben! Verdammt noch mal, was…« Jack Hillary glitt bereits aus dem Sattel. Sein Gesicht hatte sich zu einer Maske verhärtet – einer aus druckslosen, fast unmenschlichen Maske. Geschmeidig huschte er über den Boden, verharrte ein paarmal, unterzog den blutigen Leichnam und die unheimlichen Spuren einer gründlichen Muste rung – und Marshal Bourke mußte daran denken, daß man von diesem Mann behauptete, in seinen Adern fließe trotz der weißen Haut und der hellen Haare das Blut der Cheyenne. Als er sich wieder aufrichtete, wirkten seine Augen grau wie Bachkiesel. Und genauso hart. »Er hat eine Menge Dollars bei sich gehabt«, sagte er ruhig. »Sein Anteil aus dem Geschäft mit Silver-Kid Janson – wenn Sie mich fragen.« 28
»A-aber…«, stammelte der Treckboß fassungslos. Hillarys Kopf flog herum. »Er war ein Mörder und Bandit, Mr. Masterson. Und außerdem eine schmutzige Ratte, die ihre besten Freunde für ein paar Dollar verriet. Und Sie waren nicht sein bes ter Freund, Masterson, oder?« »Ich habe ihn angeworben«, sagte der Treckboß mit belegter Stimme. »Er war einer der wenigen, die es noch wagten, Wagen züge durch die Black Hills zu begleiten.« Und nach einer Pause: »Jetzt weiß ich, warum…« »Das erklärt noch nicht seinen Tod«, fuhr Bourke dazwischen. »Wir müssen den Spuren folgen. Und wir müssen es tun, ehe die ses – dieses – Tier Gelegenheit hat, noch mehr Unheil anzurich ten.« »Bei Nacht? Wie wollen Sie bei Nacht die Fährte…« »Hillary?« fragte der Marshal leise. Jack Hillary schaute zur Sei te. Er wußte, daß er die Fährte finden konnte – als einziger. Er dachte an Laramie und den Galgen, aber er dachte auch an die großen, angstvollen Augen eines blonden Mädchens, an die ande ren Frauen des Trecks und an die drei halb erwachsenen Jungen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. »Sie haben mein Wort, Bourke«, sagte er rauh. Und nach einem kurzen Zögern: »Bis wir wieder zurück bei den Wagen sind. Keine Sekunde länger…« * Der Bandit, der den Taleingang bewachte, hieß Jesse Hoogan und gehörte zu den rauhen Burschen, die sich einbilden, weder Tod noch Teufel zu fürchten. Er kauerte lässig in der Dunkelheit zwischen den Felsen. Die Winchester hatte er quer über die Knie gelegt, sein Blick glitt aufmerksam über den schmalen Einschnitt in den Felsen, obwohl er wußte, daß sich niemand dort zeigen würde. Der Hohlweg war eine Todesfalle. Wenn sie überhaupt angegriffen werden sollten, dann über die Bergflanke, und dort hielten zwei andere Männer Wache. Aber sie würden nicht angegriffen werden. Die Indianer verhielten sich friedlich, keine Posse wagte sich bis 29
hinauf in die Berge, weder Chad Masterson und seine Leute noch der fremde Marshal waren erstzunehmende Gegner. Jesse Hoo gan gähnte ausgiebig, setzte sich bequemer zurecht und überleg te, ob er sich eine Zigarette drehen sollte. Er ließ es bleiben. Nicht weil er mit einer Gefahr rechnete, sondern weil Silver-Kid Janson grundsätzlich sauer reagierte, wenn einer seiner Leute sich über einen Befehl hinwegsetzte. Für Janson war Vorsicht eine Sache des Prinzips. Er machte nie ein Camp, ohne Wachen aufzu stellen, diese Maßnahmen hatten sich schon mehr als einmal be währt, und der letzte Mann, der es gewagt hatte, die Anordnun gen des Bosses anzuzweifeln, lag einen halben Yard tief in der Erde von Dakota. Hoogan gähnte noch einmal, schüttelte heftig den Kopf, um das wattige Gefühl loszuwerden – und in der gleichen Sekunde hörte er das trockene Peitschen des Schusses. Seine Müdigkeit war wie weggewischt. Er riß den Kopf hoch. Wie von einer Natter gebissen sprang er auf, packte das Gewehr fester und spähte zu der Bergflanke hin über, von wo der Schuß gekommen war. Erneut knallte es. Irgend etwas dröhnte – eine Art Brüllen, dessen Ursprung Jesse Hoogan nicht sofort begriff. Er hörte das Poltern von Steinen, das Brechen von Geäst, eine Menge undefinierbarer Geräusche – und dann einen gellenden, unmenschlichen, sich überschlagenden Todesschrei, der nach ein paar endlosen Sekunden verstummte wie abgeschnitten. Über Jesse Hoogans Rücken rann ein eiskalter Schauer. Er sah, wie es unten im Tal lebendig wurde. Decken flogen bei seite, Männer richteten sich auf, im Eingang der Höhle erschienen Silver-Kid Janson und sein mexikanischer Segundo. Sie alle blick ten zu der Bergflanke hoch, sie alle hörten jetzt das rasende Stakkato der Gewehrschüsse – aber keiner von ihnen wußte ge nau, was dort oben gespielt wurde. Ein paar knappe Befehle. hallten durch das Tal. Männer liefen zu den Pferden, saßen auf, trieben die Tiere schräg über die Bergflanke. Oben auf der Kuppe verstummte jetzt das Schießen – und erneut zitterte das seltsame, unerklärliche Brüllen durch die Luft. Etwas richtete sich auf. Etwas Großes, Massiges… 30
Von dem schwarzen Buckel des einer Bergs löste sich eine e benfalls schwarze Gestalt, die Konturen von mächtigen Schultern und einem breiten, schweren Schädel wurden gegen den helleren Himmel sichtbar – und Jesse Hoogan, der von seinem, erhöhten Platz aus besser sehen konnte, erkannte das Schreckliche eine Sekunde schneller als seine Kumpane. Er erstarrte förmlich. Seine Augen wurden weit und leer, das Gewehr lag wie ein nutzloses Stück Holz in seinen Fäusten. Er sah die Schreckensge stalt des Monsters, den aufgerissenen Rachen, die glühenden Au gen – und er sah auch seinen Komplizen in den Klauen des Un tiers. Reglos hing der Körper des unglücklichen Mannes zwischen den mächtigen Pranken. Sein Kopf baumelte, Blut sprudelte aus den schrecklichen Wunden. Das Monster fauchte, heißer Atem strömte wie Dampf aus den häßlichen, aufgeworfenen Nasenlöchern – und mit einer wilden Bewegung schleuderte die Bestie ihr Opfer von sich. Der blutüberströmte Leichnam flog im Bogen durch die Luft, prallte in den Staub und rollte sich überschlagend den Hang hin unter. Die Pferde, scheuten, stiegen wiehernd hoch, brachen ra send vor Angst zur Seite aus. Drei, vier Männer wurden aus dem Sattel geschleudert. Geschrei erfüllte den Talkessel. Silver-Kid Janson zügelte mit eiserner Faust seinen Rappen, schrie Befehle – und dann entartete seine Stimme zu einem entsetzten Aufheulen, als sich das Monster auf der Hügelkuppe zu seiner vollen Größe aufrichtete. Wie Donnerrollen flog das urwelthafte Brüllen über das Tal hin. Das Monster schwenkte die langen Arme, trommelte sich dröh nend auf die breite, behaarte Brust. Sekundenlang stand es hoch aufgerichtet da, wie die Verkörperung eines schrecklichen, über menschlichen Herrschaftsanspruchs, dann beugte sich der gewal tige Körper etwas nach vorn, und das Ungeheuer machte einen trottenden Schritt, um über die Bergflanke herunterzukommen. Die Männer flohen. Schreiend, in blinder Panik warfen sie sich herum und rannten den Hang hinunter. Einzig Kid Janson hielt sich noch auf dem Pferd. Mit einem hetzenden Schrei schlug er dem Tier die Sporen in die Weichen, jagte rücksichtslos vorwärts und kümmerte sich nicht darum, daß er seinen mexikanischen Segundo niederritt. 31
Der Mann wurde zur Seite geschleudert. Schreiend rollte er durch den Staub und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Hinter ihm walzte der massige Schatten des Monsters heran. Der Mexikaner taumelte hoch, wollte den anderen nach – und in der gleichen Sekunde war die Bestie über ihm, und ein mörderischer Prankenhieb zerschmetterte seinen Schädel. Blut färbte die Felsen. Mit wildem Fauchen stampfte das Untier weiter, Fußtritte fegten Männer von dem Hang hinunter wie Fliegen, tödliche Prankenhie be hielten die Fliehenden auf, ihr Blut mischte sich mit dem des Mexikaners. Zwei, drei Männer wurden im Bogen gegen die Fels wand geschleudert, blieben mit zerschmetterten Gliedern liegen. Die Entsetzensschreie, verstummten, ertranken im Fauchen des Monsters, und schließlich war es nur noch Silver-Kid Janson, der in einer Staubwolke durch den Talkessel jagte, und den Ausgang zu erreichen suchte. Sein Gesicht war bleich, verzerrt. Tief duckte er sich über den Pferdehals, die Flanken des vor Entsetzen rasenden Rappen bluteten. Schon hätte der Bandit es geschafft, schon nahm ihn der Schatten des Felseneinschnitts auf – da warf sich das Monster nach vorn und holte aus zu einem letzten, vernichtenden Prankenhieb. Die gräßlichen Klauen fegten den Reiter aus dem Sattel, rissen den Hals des Rappen auf, töteten das Tier in Minutenschnelle. Silver-Kid kam halb bewußtlos wieder hoch. Entsetzen schüttelte ihn. Schreiend warf er sich herum, wollte weiterfliehen, aber er schaffte es nicht einmal mehr, über den Körper des toten Pferdes hinwegzuspringen. Ein Stoß warf ihn zu Boden. Er wälzte sich herum – da schoß die Klaue auf ihn zu und drück te ihn gnadenlos auf den Boden. Krallen bohrten sich in sein Fleisch. Glutheißer Schmerz nahm ihm den Atem, raste wie ein Feuersturm durch seinen Körper, und dicht vor sich sah er die gräßliche, verzerrte Fratze mit dem auseinanderklaffenden Kiefer und den roten, tückischen Augen. Die Pranke drückte stärker zu. Janson schrie, keuchte, rang schließlich ächzend nach Atem. Ein Tonnengewicht schien auf ihm zu lasten. Die Umgebung ver schwamm vor seinen vorquellenden Augen, und in das Rauschen 32
in seinen Ohren mischte sich wildes Triumphgebrüll.’’ Jansons Knochen splitterten. In einem letzten Zucken schlugen seine Arme und Beine, dann lag er still. Das Monster richtete sich auf. Wie ein Ungetüm von Felsblock stand es da, den Kopf zum langgezogenen Siegesschrei zurück geworfen, und seine Fäuste trommelten einen dumpfen Rhythmus gegen die mächtige Brust. Erst nach ein paar Sekunden verstummte das Gebrüll. Der plumpe Schädel bewegte sich, die roten Augen glitten auf merksam umher. Kein Leben war mehr in dem Talkessel. Ein tie fes, zufriedenes Grunzen kam aus dem Rachen des Monsters, der schwere Leib wandte sich um, und mit ein paar trottenden, schwerfälligen Schritten war die Bestie jenseits der Bergflanke verschwunden. Jesse Hoogan kauerte immer noch zwischen den Felsen. Seine Lippen bewegten sich. Unablässig und lautlos formten sie Worte, und in den aufgeris senen Augen des Banditen nistete Wahnsinn… * Das erste Grau der Morgendämmerung färbte den Himmel im Osten. Jack Hillary zügelte das Pferd. Zum wiederholten Male glitt er aus dem Sattel, beugte sich vor und musterte scharf den Boden. Glatter Felsen – keiner der anderen hätte auch nur die kleinste Spur darauf entdeckt. Aber für einen Mann, der sich auf Fährten verstand, vermochte auch dieser Untergrund zu sprechen. Jerry Masterson schob das Kinn vor. Seine Stimme klang rauh. »Verdammt, das führt doch zu nichts. Nicht einmal ein Falke könnte da den Hauch einer Spur finden.« »Ein Pferd kann nicht schweben«, sagte Jack Hillary gelassen. »Yeah, aber glatter Felsen…« »Wenn Sie nichts sehen, bedeutet das nicht, daß nichts da ist, Junge«, knurrte Bourke ungeduldig. »Was meinen Sie, Hillary?« Er zuckte die Achseln. Für ihn waren die Spuren, die seine scharfen Augen entdeckt hatten, ein offenes Buch. »Hollister ist nach Osten geritten und auf seiner eigenen Fährte zurückge 33
kommen. Das – Tier, das ihn getötet hat, bewegt sich ebenfalls nach Osten. Aber gekommen ist es aus einer anderen Richtung.« »Und Sie glauben, daß wir am Ende der Fährte das Banditen camp finden?« »Man weiß nie, was am Ende einer Fährte liegt. Aber ich denke, wir sollten verdammt vorsichtig sein und mit Überraschungen rechnen.« Chad Masterson schluckte. »Dieses – Tier… Hat es einen großen Vorsprung?« »Die Fährte wird frischer. Das heißt, daß wir aufholen.« Hillary machte eine Pause und sah den Treckboß voll an. »Es wäre mög lich, daß nicht die Janson-Gang, sondern dieses Biest irgendwo auf uns lauert«, sagte er mit steinerner Ruhe. Die anderen schwiegen. Die Gesichter des Marshals und des Treckbosses wirkten verbissen. Jerry Masterson war bleich wie ein Laken, umkrampfte nervös die Zügel – aber der Junge hatte sich immerhin einigermaßen unter Kontrolle. Sie brauchten noch eine halbe Stunde, bis sie den Hohlweg er reichten, der ins Tal der Banditen führte. In einiger Entfernung verhielten sie. Noch konnten sie nichts sehen – aber die Pferde scheuten vor dem Geruch des Blutes zu rück und wurden unruhig. Hillary kniff die Augen zusammen. »Hollister ist in den Hohlweg geritten«, sagte er. »Der Grizzly oder was immer es ist hat schon vorher einen weiten Bogen ge schlagen. Möglich, daß er den Menschen ausgewichen ist, aber ich glaube es nicht…« Die anderen fragten nicht, woraus er das schloß. Sie hätten in der Dunkelheit niemals die Fährte finden können, aber sie kann ten ihre Tiere gut genug, um zu wissen, daß jenseits des schma len Felseneinschnitts irgend etwas nicht stimmte. Bourke schob sich den Hut ins Genick und ließ den Blick in die Runde wandern. »Machen wir ebenfalls einen Bogen«, schlug er vor. »Von der Seite können wir vielleicht…« Weiter kam er nicht. Das helle Peitschen eines Gewehrschusses riß ihm das Wort vom Mund. Dicht an seiner Schläfe fauchte die Kugel vorbei, hoch oben zwi schen den Felsen blitzte es zum zweitenmal auf und wie Schatten waren die vier Männer aus den Sätteln. An den Zügeln zerrten sie die Pferde in die Deckung einer Sen 34
ke. Chad Masterson schrie leise auf, als er den Gluthauch der dritten Kugel spürte, doch das heiße Blei hatte ihm nicht einmal die Haut versengt. Mit verzerrtem Gesicht riß der Oldtimer das Gewehr aus dem Scabbard und warf Marshal Bourke einen wilden Blick zu. »Da haben wir’s!« knirschte er. »Wir sind irgendeinem ver dammten Wachtposten in die Hände gelaufen und…« »Nein«, sagte Hillary ruhig. »Wenn es so wäre, hätte er Uns in den Hohlweg reiten lassen und das Gewehr auf unseren Rücken gerichtet, um uns seinen Komplizen zuzutreiben. Der Mann ist allein, und er ist ziemlich durcheinander.« »Durcheinander? Dafür zielt er aber verdammt gut, finde ich.« Es war Jerry Mastersohn, der das hervorstieß. Hillary lächelte leicht. »Er hat versucht, uns ohne Warnung abzuknallen«, sagte er. »Ein Mann mit einigermaßen klarem Verstand hätte damit, ge wartet, bis wir durch den Hohlweg geritten wären. Das ist nämlich eine Mausefalle ohne jede Deckung.« Jerry schwieg. Morgan Bourke zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Was, zum Teufel, kann da passiert sein?« knurrte er. »Haben sich die Kerle gegenseitig ausgerottet oder…« »Wir werden es wissen, wenn der weg frei ist«, sagte Hillary ru hig. »Geben Sie mir eine Waffe, Marshal. Ich gehe in die Felsen hinauf und hole den Kerl da herunter.« Bourke wandte den Kopf. Für einen winzigen Moment zuckte Mißtrauen in seinem Gesicht auf. Er prüfte Hillarys Blick, prüfte diese harten pulvergrauen Au gen bis tief hinein in die Pupillenschächte – und dann war er voll kommen sicher, daß er sich auf das Wort seines Gefangenen ver lassen konnte. Schweigend zog er den Revolver aus dem Gürtel, den er Hillary abgenommen hatte, und reichte ihm die Waffe zurück. Mecha nisch prüfte der hagere Mann die Trommel und nickte zufrieden. Einen Moment lang verharrte er noch reglos, tastete mit einem scharfen Blick die felsigen, mit Gestrüpp bewachsenen Hänge ab – dann wandte er sich nach rechts, ließ sich auf Ellenbogen und Knie nieder und robbte geschmeidig wie eine Schlange aus der Deckung der Senke. Die Felsen nahmen ihn auf. Noch ballte sich die Dunkelheit dicht 35
und undurchdringlich wie schwarze Watte in den Gesteinsfalten. Hillary glitt lautlos aufwärts, geschmeidig wie eine Schlange, und näherte sich im Bogen der Stelle, von der aus der Schuß gefallen war. Die Männer in. der Senke feuerten ein paarmal, aber sie taten es nur, um den unbekannten Schützen abzulenken. Hillary spähte mit schmalen Augen zu dem Felsenbuckel hinauf, der sich düster vom heller werdenden Himmel abhob. Der hagere Mann spürte ein eigentümlich kaltes Prickeln im Nacken. Er hatte Jahre seines Lebens bei den Indianern verbracht, er kannte die Wildnis wie kein zweiter – und er konnte den Geruch von Tod und Verderben fühlen. Nach Bourkes letztem Schuß bewegte sich zwischen den Felsen ein huschender Schatten. Die Gestalt eines Mannes tauchte auf und verschwand. Ein gro ßer breitschultriger Bursche, barhäuptig, mit schulterlangem schwarzem Haar – mehr hatte Hillary nicht sehen können. Aber er wußte jetzt, wo der Bursche steckte, und sein schmales, von Bartstoppeln umschattetes Gesicht erstarrte zur Maske. Noch vier, fünf Yards – dann erreichte er einen Platz etwas o berhalb vom Standort des Schützen. Der Bursche stand in der Deckung einer vorspringenden Felsen nase. Er stand geduckt da, das Gewehr angeschlagen. Sein Atem ging schnell und kurz, immer wieder wechselte er die Stellung, und jede seiner Bewegungen flatterte vor Nervosität. Der Bursche hatte Angst. Hillary preßte die Lippen zusammen, spannte sich zu noch grö ßerer Wachsamkeit, denn er wußte, daß ein Mann, der Angst hat te, unberechenbar und gefährlich war. Lautlos richtete Hillary sich auf, hob den Revolver und spannte den Hahn. Mit einem heiseren Schrei fuhr der Bandit herum. Sein Gesicht war eine angstverzerrte Fratze, die Augen flacker ten. Blitzschnell riß er das Gewehr in die richtige Position. Er woll te schießen und töten, unter normalen Umständen wäre Hillary ihm zuvorgekommen und hätte ihm eine Kugel in den Schädel gejagt – aber er spürte, daß der andere nicht mehr Herr seiner selbst war und zielte instinktiv auf die Schulter des Gegners. Der Schuß peitschte, noch ehe der Bandit die Winchester abfeu ern konnte. Er wurde halb herumgerissen, die Waffe entglitt sei nen Fingern, rutschte über die Felsenkante und schlug tief unten 36
auf. Der Mann stieß einen heiseren, unmenschlichen Schrei aus, hielt sich schwankend auf den Füßen – und dann stürzte er sich auf seinen Bezwinger, als habe er den Revolver in dessen Faust nicht gesehen. Hillary machte einen gleitenden Schritt rückwärts und feuerte. Aber er zielte nur auf die Halfter des Angreifers, schoß ihm den Colt von der Hüfte weg. Noch einmal schrie der Bandit auf, mit einem letzten Sprung warf er sich auf den anderen, und Jack Hil lary schleuderte mit einer blitzartigen Bewegung seine Waffe bei seite. Der Anprall brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Sein Geg ner war ebenso groß wie er selbst, aber wesentlich schwerer, und er griff mit einer blinden, wahnwitzigen Wut an, die in der Ver zweiflung wurzelte. Eine schwere Faust knallte auf Hillarys Gürtel schnalle. Die Luft blieb ihm weg, er knickte leicht zusammen – aber als die riesige Pranke erneut auf ihn zuflog, pendelte er rasch und geschickt mit dem Oberkörper zur Seite. Die Faust des Banditen zerriß nur Luft. Vom eigenen Schwung wurde der Kerl nach vorn getragen, seine Arme ruderten. Er wäre vermutlich die Felsen hinuntergestürzt – aber als er fast an Hillary vorbei war, peitschte dieser ansatzlos die Linke heraus und er wischte den Gegner am Kinn. Der Bandit wurde ein Stück in die Luft gehoben. Seine Augen verdrehten sich. Schwer schlug er auf den Rücken, rollte einen halben Yard über den abschüssigen Felsen und blieb reglos liegen. Jack Hillary wischte sich das Haar aus der Stirn und bückte sich nach seinem Revolver. Auch die Waffe des Bewußtlosen hob er auf und schob sie in den Gürtel. Langsam, mit schleppenden Schritten trat er an den Rand des Felsenrückens und blickte hinab in den Talkessel. Was er sah, ließ für Sekunden seinen Herzschlag stocken. Tote Männer, tote Pferde – ein Bild der Verwüstung. Blut färbte die grauen Felsen, war im Staub versickert und hatte die Erde getränkt. An der Bergflanke jenseits des Tals flatterten träge ein paar satte Geier auf, blinzelten zu dem hageren Mann, in den Felsen hinüber – und Jack Hillary hatte das Gefühl, als kralle sich etwas von innen in seine Magenwände. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder. Das Bild blieb – ein gräßlicher, beklemmender Alptraum. In diesem Tal hatte kein 37
Raubtier gewütet, das stand fest. Es gab in den Black Hills kein Raubtier, das stark genug war, ein Dutzend kampferprobter Män ner umzubringen, es gab nicht… Aber was war es dann? Was? Hillarys Gedanken wirbelten. Irgendwo aus dem Abgrund seines Selbst tauchten Visionen auf, Ahnungen, die ein Erbteil des india nischen Blutes waren, das durch seine Adern floß. Da gab es Le genden über Untiere, über Monster aus einer anderen Welt, die tief unter der Erde hausen sollten und manchmal hervorbrachten. Riesige Bestien, blutrünstig und ohne Gnade. Ungeheuer, die über die Menschen herfielen und… Seine Gedanken stockten. Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, als könne er auf diese Weise die quälenden Bilder ver scheuchen. Unter ihm warteten noch immer Marshal Bourke und die Mastersons in der Deckung der Senke. Er trat einen Schritt zur Seite, bis sie ihn über der Felskante sehen mußten, und gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß sie jetzt ungehindert durch den Hohlweg reiten konnten. Jack Hillary lud sich den bewußtlosen Banditen auf die Schulter und schleppte ihn mit, während er über einen einigermaßen be quemen Pfad abstieg. Ein paar Minuten später hatte er die ande ren erreicht. Sie standen vor Silver-Kid Jansons verstümmelter Leiche, starrten auf den zerschmetterten Körper des Banditen bosses hinab, und ihre Gesichter spiegelten fassungsloses Entset zen. Hillary schleppte den Bewußtlosen in eine Felsenmulde. Ein paar harmlose Schläge auf die Wangen brachten den Mann wieder zu sich – aber als er die Augen aufschlug, sah jeder auf den ersten Blick, daß der Bursche nicht mehr Herr seiner Sinne war. Zuerst schrie er auf, zog sich wimmernd zurück, als wolle er im Erdboden verschwinden. Dann erst schien er die Männer richtig zu sehen. Er begann zu lachen, ein irres Kichern schüttelte ihn, und von den steilen Felswänden kam hohl das Echo zurück. Marshal Bourke holte aus und verpaßte dem Mann eine schal lende Ohrfeige. Das Kichern verstummte. Aus aufgerissenen Au gen starrte der Bandit den hünenhaften Gesetzesmann an. »Was ist geschehen?« fragte Bourke rauh. »Wer hat die Männer getötet?« Über die Schultern des Banditen lief es wie ein Krampf. 38
»Nein«, wimmerte er. »Nein, nein, ich will nicht, ich…« »Wer war das, zum Teufel? Wer?« Der Bandit war nicht an sprechbar. Er wimmerte nur, in seinen Augen flackerte der Irrsinn. Auch der krachende Fausthieb, den ihm Bourke verpaßte, konnte daran nichts ändern. Jesse Hoogan kauerte wie ein jämmerliches Bündel Elend am Boden, und jedesmal, wenn ihm jemand zu nahe kam, wich er von Entsetzen geschüttelt zurück, als stehe der Teufel selber vor ihm. Morgan Bourke richtete sich auf. »Zwecklos«, sagte er heiser. »Der Mann hat den Verstand ver loren…« »Und jetzt?« fragte Chad Masterson mit belegter Stimme. »Fol gen wir den Spuren dieses… dieses…« Er fand kein Wort. Bourke blickte Hillary an. Ihre Blicke kreuz ten sich – und in dieser Sekunde waren sie nicht Gegner, nicht Jäger und Gejagter, sondern Partner angesichts einer neuen, un begreiflichen Drohung. »Es, wäre Wahnsinn«, sagte Hillary leise. »Schauen Sie sich um, Marshal. Nach dem, was hier passiert ist, haben wir nur noch eine einzi ge Chance.« »So schnell wie möglich den Treck aus den Schwarzen Bergen bringen«, nickte Bourke. »Und dann ebenfalls so schnell wie mög lich mit einem Zug Kavallerie und einer Gatling zurückkommen. Dann erfahren wir immer noch früh genug, wie unser Gegner aussieht.« »Wenn wir es nicht ohnehin früher erfahren, als uns lieb ist«, sagte Hillary leise. »Silver-Kids Banditen waren keine Anfänger und keine kopfscheuen Narren. Ich weiß nicht, ob wir alle zu sammen mehr Chancen haben als diese Bande von Halsabschnei dern.« »Wir sind vorbereitet«, sagte Chad Masterson zögernd. »Und wir sind immerhin sieben Männer.« Jack Hillary antwortete nicht. Sieben, dachte er. Einer davon ein alter Mann, drei junge Burschen um die Zwan zig, die noch gar nicht wußten, was ein heißer Trail war. Er biß sich auf die Lippen und verfluchte das Schicksal, das Bourke und ihn dazu bestimmt hatte, diesem dem Untergang geweihten Treck zu begegnen. 39
Auf den Gedanken, daß sie wieder davonreiten und ihr Glück al lein versuchen könnten, kam er nicht einmal eine Sekunde… * Der Tag brach an. Die aufgehende Sonne tauchte den östlichen Himmel in Purpur und übergoß die dunklen Rücken der Berge mit einem düsteren Glanz. Dann stieg sie höher, schien wie ein weißes, gefräßiges Tier zum Zenit zu klettern, und die Hitze des Tages senkte sich über das Land gleich einer gläsernen Glocke. Nur wo sich dicht an dicht die schlanken Baumriesen drängten, gab es Kühlung. Ein grünes, bewegtes Blätterdach überspannte die knorrigen Stämme. Unterholz wucherte, grüne und goldene Schatten huschten über den Waldboden, und das Sonnenlicht stach wie mit Pfeilen durch das Halbdunkel des Dickichts, traf auf grauen Fels und tanzte im Schwarz des gähnenden Höhlenein gangs. Schwere, hechelnde Atemzüge kämen aus dem Loch im Fels. Die riesige Grotte bot Platz genug für das schlafende Monster. Zusammengerollt wie eine zottige Kugel lag das Untier zwischen bleichenden Knochen, Fetzen von Kleidungsstücken und den Ü berresten seiner letzten gräßlichen Mahlzeit. Die Nüstern bebten, heiß wehte der Atem aus dem leicht geöffneten Maul. Behaarte Lider hatten sich über die tückischen roten Augen herabgezogen, die Klauen streckten und krümmten sich im Schlaf, und der mächtige Brustkasten hob und senkte sich unter tiefen Atemzü gen. Die Sonne wanderte. Ihre Strahlen tasteten tiefer in die Höhle hinein, erfaßten den zottigen Körper, schienen sich wieder zurückzuziehen wie Finger. Draußen vor dem Loch im Felsen brodelte die Mittagshitze. Dann senkte sich der weißglühende Sonnenball allmählich, neigte sich gen Westen, und auf dem grasbewachsenen Platz vor der Höhle lagerte tiefer Schatten. Das Monster regte sich. Die behaarten Lider flatterten, die Nüstern bebten unter einem tiefen, witternden Atemzug. Wie ein Pesthauch hing in der Luft der Geruch von Blut und Tod und Verderben. Der zottige Schädel 40
hob sich, als sei dieser gräßliche Gestank sein Lebenselixier, er neut nahm das Untier Witterung auf und die tückischen roten Au gen glitten wachsam in die Runde. Nichts regte sich. Das Monster grunzte zufrieden und reckte die mächtigen Glie der. Einen Moment lang blieb es am Boden kauern, bewegte wie unschlüssig den zottigen Affenschädel, dann wandte es sich nach rechts, duckte sich zusammen, und der gigantische Körper schob sich langsam und vorsichtig durch den Höhleneingang. Noch war der Himmel hell, die schrägen Strahlen der Abend sonne vergoldeten das Land. Das Monster blinzelte träge. Mit ei nem ärgerlichen Grunzen richtete es sich auf, suchte einen etwas erhöhten Standplatz und blickte aus roten, glühenden Augen über das weite, wilde Land. Die Nüstern bebten. Unruhig und unablässig witterte das Untier in den Wind. Ra scher ging der hechelnde Atem, die roten Augen wanderten – und dann war es, als fließe mit einem Schlage heiße, geballte Kraft in den träge dahockenden Körper. Das Monster richtete sich auf. Wie ein riesiger Schatten verließ es das Plateau vor der Höhle. Zweige brachen, Laub raschelte wie bei den ersten Böen eines Sturms, und unter den schweren Tritten schien förmlich der Bo den zu zittern. Langsam, stetig, mit raumgreifenden Schritten trottete das Un geheuer durch die Berglandschaft nach Westen. * Der Tag in den Schwarzen Bergen hatte Mensch und Tier das letzte abgefordert. Fast ohne Pause waren die Wagen weitergerollt, hatten die Männer die erschöpften Pferde angetrieben – nur besessen von dem Wunsch, so viele Meilen wie möglich zwischen sich und jenen Ort des Schreckens zu bringen. Der Bandit, der das Massaker überlebt hatte, lag kraftlos und apathisch in einem der Wagen – vermutlich hätte es der Fesseln gar nicht bedurft, um ihn an ir gendeiner Aktion zu hindern. Endlose Stunden lang kämpften sie mit Hitze und Staub, mit reißenden Creeks, engen Canyons und 41
steilen Abstürzen, und Morgan Bourke und Jack Hillary leisteten die gleiche harte, kräftezehrende Arbeit wie die anderen. Im Laufe dieses Tages änderte Hillary seine Meinung über Jerry Masterson und die beiden jungen Iren. Sie mochten unerfahren sein, nicht so vertraut mit den Gefahren der Wildnis. Aber sie wa ren gute Treckmänner, sie verstanden ihr Handwerk, und die Art, wie sie zäh und ohne aufhebens zupackten, nötigte dem hageren Outlaw Bewunderung ab. Ziemlich spät am Abend machten sie Rast an einer Stelle, wo sich der Little Snake Creek verbreiterte und einen kleinen, kris tallklaren See auf dem Grund einer Talsohle bildete. Sie glaubten sich in Sicherheit. Kendale war nähergerückt, die Wildnis schien sie loszulassen. Nicht einmal Jack Hillary rechnete mehr mit irgendeiner Gefahr. Er spürte dunkles Unbehagen, irgendwo tief in ihm saß der Sta chel einer unbestimmten Furcht – aber das war auch kein Wun der, da sich seine Situation trotz all der dramatischen Zwischen fälle schließlich in keiner Weise geändert hatte. Immer noch wartete der Galgen auf ihn… Und immer noch war er entschlossen, nicht mit nach Laramie zu reiten, sondern die erste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, die sich ihm bot. Livia Masterson sah durch den Spalt in einer Plane zu, wie Hilla ry dem hünenhaften Marshal den Revolver zurückgab und erneut mit beiden Armen an das Wagenrad gefesselt wurde. Sie verstand das nicht. Der Marshal und sein Gefangener waren ihr ein Rätsel. Bourke hatte diesen Mann gejagt, er hatte ihn gefaßt, er wollte ihn an den Galgen bringen. Dann jedoch hatte er ihm, den er doch für einen gemeinen Verbrecher halten mußte, auf ein bloßes Verspre chen hin eine Waffe gegeben, war Bügel an Bügel mit ihm gerit ten und hatte sich im Moment der Gefahr blindlings auf ihn ver lassen. Und jetzt fesselte er ihn wieder und schien nach wie vor entschlossen, ihn unter den Galgen zu schleppen. Livia schüttelte den Kopf, und ihre schönen blauen Augen verdunkelten sich. Nein, sie begriff die Männer nicht, würde sie nie begreifen. Und sie hatte auch keine Lust, sich weiter den Kopf über diese Dinge zu zerbrechen. Sie hatten es geschafft, nur das zählte. Ihr Vater sagte, daß keine Gefahr mehr drohe, und sie war es gewohnt, ihrem Vater aufs Wort zu glauben. 42
Sie riß ihren Blick von dem hageren blonden Mann los und sah in die andere Richtung. Das helle Plätschern des Creek hing in der Luft, der kleine See spiegelte die ersten Sterne. Livia glaubte förmlich, die erfrischende Kühle des Wassers zu spüren, und sie überlegte, ob sie es wagen konnte, in dieser Nacht ein Bad zu nehmen. Warum eigentlich nicht? Der lange, harte Tag, der hinter ihnen lag, hatte auch an ihren Kräften gezehrt. Ihre Augen brannten, der Staub war durch alle Kleider bis auf die Haut gedrungen, ihr blondes Haar wirkte stumpf und glanzlos. Livia rollte sich herum, betrachtete ihr Ge sicht in der Spiegelscherbe, die sie unter den Decken verwahrte, und stellte fest, daß sie schmutzig, erschöpft und wenig reizvoll aussah. Sie wartete, bis sich nächtliche Stille über das Camp gesenkt hatte. Die Menschen waren erschöpft und schliefen sofort ein. Livias Bruder hatte die erste Wache, aber das Mädchen wußte, daß Jer ry sie nicht bemerken würde. Und wenn er es doch tat – sie wür de ihm schon klarmachen, daß es keinen Grund gab, sie zurück zuhalten. Der Mond hing wie eine dünne gelbe Scheibe am schwarzen Himmel, als Livia Masterson wenig später die Plane zurückschlug und lautlos auf den grasbewachsenen Boden sprang. Jerry trieb sich irgendwo am anderen Ende das Camps herum, er machte ab und zu eine Runde, aber er würde ihr nicht begeg nen. Sie duckte sich in den Schatten und spähte zu Hillary hin über. Er hielt die Augen geschlossen, aber er war wach – sie sah es daran, daß er vorsichtig, fast unmerklich, aber unablässig sei nen rechten Arm bewegte. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn, ü ber das zerschundene, aufgeschürfte Gelenk lief Blut, und Livia begriff, daß er versuchte, sich von den Fesseln zu befreien. Sie zögerte. Einen Moment lang blieb sie starr stehen, aufgewühlt von wi derstreitenden Gefühlen. Sie wußte genau, daß sie eigentlich Marshal Bourke warnen oder zumindest ihren Vater alarmieren mußte. Aber alles in ihr sträubte sich dagegen. Im Gegenteil – hätte sie im ersten Impuls gehandelt, wäre sie jetzt mit einem Messer zu dem Mann hinübergehuscht, um ihm zu helfen. Doch das ging natürlich nicht. Livia biß sich auf die Lippen, drehte un 43
ruhig eine Haarsträhne um den Finger und überlegte. Schließlich entschloß sie sich, überhaupt nichts zu tun. Was ging sie Marshal Bourke an? Sollte er doch selbst auf sei nen Gefangenen aufpassen! Sie, Livia, wollte nichts weiter, als ein erfrischendes Bad nehmen, und niemand konnte ihr nachweisen, daß sie Jack Hillary überhaupt einen Blick zugeworfen hatte. Aber sie wünschte ihm von ganzem Herzen, daß er es schaffte, als sie im Schatten zwischen den Wagen untertauchte und lautlos und unbemerkt das Camp verließ… * Holz knirschte. Jack Hillary preßte die Zähne zusammen. Drei Stunden hatte er gebraucht, um die brüchige Radspeiche zu lockern – jetzt endlich gab sie nach. Erst nur ein paar Inches, dann immer stärker. Er lauschte sekundenlang, hörte Jerry Mastersons Schritte in einiger Entfernung, dann schob er vorsichtig seinen rechten Arm. hoch. Die Stricke glitten über die Speiche. Aufatmend ließ er den Arm sinken. Sein Gelenk brannte wie Feuer, die Haut war zerfetzt und aufgescheuert – aber er hatte die Hand frei. Fast zehn Minuten dauerte es, dann war es ihm auch gelungen, die Stricke zu lösen, die seine Linke mit dem Wagenrad verban den. Vorsichtig richtete er sich auf und bewegte Arme und Schultern, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. Jerry Master sons Gestalt war in einiger Entfernung unter einem Hickorybaum zu erkennen, er wandte ihm den Rücken zu. Hillary blickte sich um, musterte die schlafenden Männer und entschied sich dann, den Weg des geringsten Risikos zu wählen. Auf Händen und Knien robbte er durch den Schlagschatten der Wagen. Jonny Magoon schnarchte leise, die Winchester lag griff bereit neben ihm. Vermutlich würde er schwer daran zu schlucken haben, wenn er morgen früh aufwachte und seine Waffe nicht mehr fand – aber Hillary hatte nicht die geringste Lust, einem wachsamen, mit dem sechsten Sinn für Gefahr begabten Mann wie Chad Masterson oder dem Marshal zu nahe zu kommen. Die Pferde grasten außerhalb des Camps mit aneinandergehob 44
belten Vorderläufen. Hillary nahm Day Hollisters Fuchswallach, den sie wieder einge fangen hatten. Das Tier schnaubte leise, als er ihm den Sattel auflegte, und er murmelte beruhigende Worte. Vorsichtig zog er das Tier am Zügel hinter sich her unter die Bäume. Er war sich bewußt, daß Jerry Masterson ihn jetzt jeden Moment entdecken konnte. Aber bis der Junge reagierte, würde er, Hillary, längst im Sattel sitzen – und auf diesem prächtigen Tier hatte er eine gute Chance, seinen Verfolgern zu entkommen. Nichts geschah. Jerry Mastersons Aufmerksamkeit wurde offenbar von irgend etwas anderem gefangengenommen. Oder er war in Gedanken versunken – Hillary wußte, wie leicht man bei einer nächtlichen Wache ins Grübeln kam. Er führte den Fuchs noch ein Stück wei ter, dann saß er auf und ritt langsam in die undurchdringliche Schwärze des Waldstücks, das an das Ufer des kleinen Sees grenzte. Der Fuchs bewegte sich im Schritt, bis die Bäume sich lichteten und schwaches Mondlicht durch das Blattwerk sickerte. Jack Hilla ry atmete in tiefen Zügen die klare, kühle Nachtluft ein. Für einen Moment schien ihm das Gefühl der Freiheit wie ein Rausch zu erfassen, und erst nach ein paar Minuten begann er wieder, nüch tern zu überlegen. Bourke kannte die Pläne, die er ursprünglich gehabt hatte. Nach allem, was passiert war, würde der Marshal allerdings an nehmen, daß er sich nicht noch einmal in die Wildnis der Schwar zen Berge hineinwagen, sondern die Badlands auf einem Umweg zu erreichen versuchen oder zurück nach Dakota oder Nebraska fliegen würde. Nicht einmal im Traum würde Bourke auf den Ge danken kommen, sein Gegner könne sich in Richtung Laramie wenden. Genau das aber hatte Hillary vor. Er würde versuchen, bis zum North-Plate einen Vorsprung herauszuholen, die LaramieEbene zu umreiten und irgendwann nach Westen einzuschwen ken. In den Windriver-Bergen kannte er sich aus. Besser als in den Black Hills. Und wenn er erst einmal dort war… Die Gedankenkette zerklirrte. Im ersten Moment glaubte Hillary, das Rollen fernen Donners zu hören, dann, wurde ihm klar, daß irgendein Tier brüllte. Ein heller Entsetzensschrei gellte dazwischen – und der hagere Mann riß den Fuchswallach so heftig herum, daß das Tier in der Hinterhand 45
einbrach. Hillary zögerte keine Sekunde. Sein in der Wildnis geschärfter Instinkt, die Ereignisse der letz ten Tage – das alles wirkte zusammen und ließ ihn ahnen, was auf ihn zukam. Wie ein Tornado fegte er durch das niedrige Buschland. Aus zusammengekniffenen Augen spähte er gerade aus, sein Blick erfaßte den unförmigen Schatten, er hörte die dumpfen, hechelnden Atemzüge, und mit dem nächsten Herz schlag erreichte er das Seeufer und sah das Monster. Der Anblick traf ihn wie ein Schlag. Entsetzen packte ihn – doch es war nicht das panische, blinde’ Entsetzen, das Day Hollister und die Banditen überfallen und zu jeder vernünftigen Überlegung unfähig gemacht hatte. Hillary war auf alles gefaßt gewesen. Das Untier, dem er sich nun gegenübersah, überstieg zwar in seiner gigantischen Scheußlichkeit jedes menschliche Vorstel lungsvermögen – aber Jack Hillary schaffte es, dieses Schre ckensbild zu verkraften, ohne daß der granitharte Kern von Wil lenskraft und Selbstbeherrschung in seinem Innern brach. Sein Blick zuckte umher. Er sah Livia Masterson am Seeufer auf dem Grasboden knien, die Arme erhoben wie in einer .verzweifelten Geste des Flehens. Das Mädchen zitterte, flog an allen Gliedern. Und das Monster hatte sich zu ihr herabgebeugt, atmete erregt und tastete merk würdig vorsichtig mit seinen mörderischen Klauen, als wolle es das Opfer lediglich zu sich heranziehen, um es näher zu betrach ten. Jack Hillary brauchte nur Sekunden, um das alles aufzunehmen. Er sah, daß die messerscharfen Krallen im nächsten Moment Li vias Haut berühren würden. Der Fuchswallach stieg und wollte ausbrechen. Hillary riß das Gewehr aus dem Scabbard, sprang mit einem elastischen Satz aus dem Sattel und ließ das Pferd lau fen, weil er wußte, daß es ihm so oder so nichts nützen würde. Mit einem Sprung erreichte er das Girl und packte ihre Schulter. Livia schrie auf, als er sie hochriß und hinter sich stieß. Das Monster brüllte wütend, die Pranke hob sich zum Schlag – und im gleichen Atemzug ließ sich Hillary in die Hocke fallen und schwang das Gewehr hoch. Es kostete ihn fast übermenschliche Anstrengung, nicht dem ersten Impuls zu folgen und blindlings loszuballern. 46
Wie ein drohendes Felsmassiv wuchs der zottige Leib der Bestie vor ihm empor. Heißer Atem schlug ihm ins Gesicht, ein tiefes, dumpfes Grollen kam aus dem aufgerissenen Rachen. Hillary ziel te eiskalt auf eins der roten, tückisch funkelnden Augen, visierte eine halbe Sekunde lang über Kimme und Korn und drückte ab. Schon schoß die mörderische Klaue auf ihn zu – da zuckte das Untier wie unter dem Hieb einer gigantischen Peitsche zusam men. Das gräßliche Schmerzensgebrüll ließ die Luft zittern. Blut rann aus dem verletzten Auge, der tückische Blick zerbrach wie ein Spiegel. Blindlings tasteten die Pranken zu dem verzerrten, be haarten Gesicht hoch, das Monster, schwankte, und Hillary beg riff, daß er eine winzige Zeitspanne zum Handeln gewonnen hat te. Er sprang auf, wirbelte herum, packte Livia am Arm, die immer noch reglos und wie betäubt am Boden hockte. Benommen tau melte das Mädchen gegen ihn, wollte sich verzweifelt an ihm fest klammern. Er stieß sie vor sich her, begann zu rennen, und das Wasser des Creeks spritzte hoch, als sie in fiebernder Eile hin durchwateten. Auf der anderen Seite des Bachlaufs stieg das Gelände an. Hillary hatte es sich angesehen, er wußte, wohin er sich wenden mußte. Sein Kopf flog herum. Wie ein riesiger Schatten war das Monster hinter ihnen. Es tappte ihnen nach, und das eine, gesun de Auge schien in mörderischem Haß zu lodern. Livia stürzte mit einem Schrei zu Boden. Hillary riß sie hoch, doch sie knickte sofort wieder zusammen. »Mein Fuß…«, ächzte sie – und er begriff, daß sie sich verletzt hatte. Mit einem Ruck hob er ihren leichten Körper an und warf ihn sich über die Schulter. Das gräßliche Heulen des Untiers brach sich zwischen den Bergflanken. Schon glaubte er, wieder den heißen Atem im Nacken zu spüren. Schattenhaft sah er die Felsen vor sich in der Dunkelheit leuchten und fand die Stelle, wo er einen der tiefen, schmalen Einschnitte vermutete. Ganz kurz sah er über die Schulter. Das Monster war nähergekommen, Blut floß über die häßliche, ver zerrte Fratze – und die Pranke holte aus zum tödlichen Hieb. Mit einem brutalen Stoß warf er Livia gegen die Felsen. Sie schrie auf, als sie den Halt verlor und taumelnd in eine der 47
Spalten stürzte. Hillary stieß sich ab, schnellte ihr nach, schaffte einen wahren Panthersprung. In letzter Sekunde tauchte er eben falls in die Schwärze ’des Lochs im Gestein – und nur einen hal ben Yard hinter ihm krachte die Pranke der Bestie wie eine herab stürzende Lawine auf den Boden. Staub wirbelte auf. Hillary wollte sich tiefer in den Felsspalt zu rückziehen und stellte fest, daß das nicht ging. Der Platz reichte gerade für Livia – ihn selbst würden die Klauen des Untiers errei chen. Sekundenlang wurde ihm heiß vor Schrecken, spürte er, wie die mühsam niedergekämpfte Panik ihn zu überrollen drohte, und seine Zähne gruben sich in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. »Bleiben Sie hier!« zischte er. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck – Sie sind hier sicher!« Und mit dem nächsten Atemzug stieß er sich ab, schnellte sich mit einem Hechtsprung aus dem engen Loch heraus und um klammerte krampfhaft die Winchester, während er über den Bo den rollte. Er landete praktisch vor den Füßen des Monsters, aber das hat te er vorher gewußt. Die Bestie war plump und schwerfällig – Hillary klammerte sich an den Gedanken, daß er nur die Nerven behalten mußte, um dem Angriff zu entgehen. Sekundenlang kauerte er auf den Fersen, suchte die Richtung der zuschlagenden Pranke abzuschätzen – dann warf er sich schnell wie ein Pfeil zur Seite hinter einen Felsblock. Das Monster fauchte wütend. Erneut krachte der Hieb ins Leere, bohrten sich die messerscharfen Krallen nur in Gras und Staub. Jack Hillary kam elastisch wieder hoch, huschte geduckt weiter, weg von Livias Versteck, und tauchte mit ein paar Schritten in ein unübersichtliches Gewirr von Dornengestrüpp und Felsentrüm mern. Er verharrte, hielt den Atem an. Das Monster hatte sich aufge richtet und bewegte suchend den schweren Schädel. Ein unheim liches Grollen kam tief aus seiner Kehle. Langsam und wie un schlüssig begann es, sich in die Richtung zu bewegen, in der sein Opfer verschwunden war. Hillary zog sich lautlos durch eine ausgewaschene Rinne im Ge stein zurück. Vom Camp her hörte er durcheinanderschreiende Stimmen – sein Schuß war gehört worden, vielleicht auch das Brüllen. Later 48
nen flammten auf. Das Monster stoppte, drehte schwerfällig den Kopf – und Hillarys Magenmuskeln verkrampften sich beim Ge danken an die tödliche Gefahr, die jetzt auch den anderen drohte. Er nahm die Winchester hoch. Da das Monster sich halb abgewandt hatte, konnte er keins der tückischen Augen anvisieren. Der Schuß peitschte, die Kugel traf den breiten, plumpen Hals. Wild ruckte der Schädel herum. Der ganze mächtige Körper schien förmlich zu explodieren. Mit einem gräßlichen Röhren warf sich das Monster nach vorn, um sein Op fer unter dem Gewicht seiner Knochen und Muskeln zu begraben. Hillary konnte nicht ausweichen. Verzweifelt warf er sich nach rechts, tief zwischen die Felsen, und spürte, wie die Erde unter dem Anprall der Bestie erbebte. Die Felsen knirschten, für Sekunden erstarrte der Mann in der Erwartung, daß die zusammenstürzenden Steine ihn zerquetschen würden. Das Monster brüllte über ihm. Hitze umfing ihn, und die scharfe Ausdünstung des riesenhaften Körpers betäubte ihn fast. Er kroch weiter, jetzt wirklich von Panik gepackt. Hinter ihm kratzten Klauen über die Steine, scharrten, tasteten nach dem fliehenden Opfer. Hillary fand eine Lücke zwischen zwei Felsblö cken, kam so dicht neben dem Monster auf die Beine, daß das zottige Fell ihn streifte, und jagte in langen, verzweifelten Sätzen den Hang hinunter. Männer mit schaukelnden Laternen liefen ihm entgegen. Er er kannte Bourke, Chad Masterson, Jerry, die beiden Iren. In einiger Entfernung hinkte auch der alte Bück Long heran. Sie alle hielten Gewehre im Anschlag – und sie prallten instinktiv und gegen ih ren Willen zurück, als sich das Monster vor ihnen brüllend zu sei ner vollen Größe aufrichtete. Hillary stolperte und kam dicht neben Bourke wieder hoch. Er warf sich herum. »Die Augen!« stieß er hervor. »Wenn eine Kugel schon nicht reicht, um das Biest zu töten, können wir es vielleicht blenden und…« Er verstummte. In jähem Entsetzen sah er, wie sich die Klauen des Monsters um einen Felsblock schlossen und ihn hochrissen wie ein Spielzeug. Mit einem Brüllen, das aus der Hölle selber aufzusteigen schien, holte die Bestie aus. Der Stein torkelte durch die Luft, verzweifelt spritzten die Männer auseinander – und nur Ritchie O’Nell blieb 49
mit aufgerissenen Augen an seinem Platz stehen, wie festge bannt. Hillary sah es. Der Sekundenbruchteil, in dem er seine eigene nackte Todes angst niederrang, schien sich zur Ewigkeit zu dehnen. Mit einem mächtigen Satz warf er sich gegen den rothaarigen Jungen, er wischte ihn mit beiden Fäusten an der Hüfte, schleuderte ihn zu Boden und rollte neben ihm durch das Gras. Dicht hinter ihnen krachte der schwere Felsblock auf die Erde. Hillary hatte die Winchester verloren, und er wußte, daß es sinn los war, zum Colt zu greifen. Taumelnd sprang er auf, riß O’Nell auf die Füße und versuchte, in Dunkelheit und wirbelndem Staub etwas zu erkennen. Das Monster trottete vorwärts. Stimmen schrien, das chaotische Durcheinander war nicht mehr zu überblicken. Irgendwo zwischen den flachen Felsen richtete sich die massige Gestalt von Morgan Bourke auf. Der Marshal stand geduckt da, schwang die Winchester hoch, jagte kaltblütig Schuß auf Schuß aus dem Lauf – aber die Bestie hatte schon wie der einen der schweren Steinbrocken vor ihr Gesicht gehoben. Das Monster stampfte auf das Camp zu. Die Kugeln, die ihm Bourke in den Leib jagte, schien es nicht zu spüren. Das Gesicht des Marshals verzerrte sich, als er nachlud. Hillary warf den Kopf herum, suchte verzweifelt nach einem Aus weg, einer Möglichkeit, das Untier zu stoppen – und dann sog sich sein Blick an einer der Laternen fest, die in einiger Entfer nung ins Gras gefallen waren. Er jagte los. Wie ein riesenhafter Schatten war das Monster neben ihm. Er sah es ausholen. In weitem Bogen flog der schwere Felsblock durch die Luft, torkelte, senkte sich – und krachte mit tödlicher Wucht auf einen der Wagen. In der gleichen Sekunde hatte Jack Hillary die Petroleumlampe erreicht. Er riß sie hoch. Etwa fünfzehn Yard war das Monster von ihm entfernt. Es bück te sich schwerfällig, wollte einen neuen Stein packen – und Hillary schleuderte die Lampe. mit der Kraft der Verzweiflung. Er traf eine der plumpen Schultern. Kerosin lief aus und entzündete sich, Flammen loderten. Mit ei 50
nem schrillen, qualvollen Heulen schoß der Leib des Untiers in die Höhe. Grell leckten die Flammen über das zottige Fell, loderten um Arm und Schulter des Untiers wie ein feuriger Mantel. Die Luft zitterte unter dem entsetzlichen Brüllen. Blindlings und ziellos schleuderte die vor Schmerz rasende Bestie den Stein beiseite – und Jack Hillary begriff eine Sekunde zu spät, daß das Wurfge schoß genau auf ihn zuflog. Er versuchte auszuweichen, doch er schaffte es nicht mehr. Der Stein streifte ihn. Wie eine Stoffpuppe wurde er zur Seite geschleudert, über schlug sich am Boden, prallte mit der Stirn gegen irgend etwas Hartes. Tief in seinem Schädel schien es eine grelle Explosion zu geben, sein Bewußtsein verschwand, und das letzte, was er hör te, war der verzweifelte Schrei einer Frauenstimme, die sich in das schauerliche Brüllen des Monsters mischte. * Als er wieder aufwachte, hatte er das Gefühl, seine ganze linke Körperhälfte sei in siedendes Öl getaucht worden. Sein Kopf schmerzte. Mühsam kämpfte er sich zurück an die Oberfläche des Bewußtseins, schüttelte die schwarzen Wogen ab, die ihn immer wieder in den Strudel der Ohnmacht reißen wollten. Flatternd öffnete er die Lider und versuchte, durch den zähen Nebel vor seinen Augen etwas zu erkennen. Morgan Bourke kniete neben ihm, Chad Mastersons bleiches, verzerrtes Gesicht tauchte aus dem roten Schleier. Der Marshal hielt eine flache Whiskyflasche in der Hand, entkorkte sie mit den Zähnen und setzte sie Hillary an die Lippen. Der hagere Mann hustete, dann nahm er einen tiefen Zug. Die Flasche enthielt den scharfen, billigen Fusel, der in diesem rauhen Land an der Tagesordnung war, aber Hillary genoß die Wärme des Alkohols, der gegen seine Magenwände brandete und die Bleischwere aus seinen Gliedern trieb. Der Nebel lichtete sich, sein Gehirn wurde allmählich klarer – und wie mit einem Schlag setzte die Erinnerung ein. Er stemmte sich hoch. Hart biß er die Zähne zusammen, und sein Blick bohrte sich wie eine Sonde in Morgan Bourkes grünliche Augen. 51
»Was ist passiert?« fragte er. Seine Stimme klang kalt. Bourke zuckte die mächtigen Schultern. »Sie hatten als einziger die richtige Idee, Hillary. Sie haben die Bestie vertrieben.« Die Stimme des Marshals klang rauh, belegt – und Hillary wuß te, daß er noch nicht die ganze Wahrheit gehört hatte. »Tote?« fragte er leise. »Sarah Minelli. Sie war in dem Wagen, auf den der Felsbrocken fiel.« Hillary erinnerte sich, daß er als letztes den Schrei einer Frau enstimme gehört hatte. Aber er wußte genau, daß es nicht Sarah Minelli gewesen war, die geschrien hatte. »Und die anderen?« fragte er heiser. Bourkes Gesicht erstarrte zu einer Maske aus Stein. Über Chad Mastersons Lippen kam ein heftiger, gequälter Atemzug. »Es hat Livia und Ireen mitgeschleppt«, sagte er mühsam. Hillarys Oberkörper schnellte hoch. Schmerz zuckte vom Nacken her durch seinen Körper, die Um gebung begann zu schaukeln – aber irgendeine Kraft in ihm zwang sein Gehirn trotz Schmerzen und Schwindel, zu messer scharfer Klarheit. In seinen grauen Augen schienen Eiskristalle zu funkeln. »Mitgeschleppt?« echote er. Masterson nickte schwer. »Sie lebten noch, beide. Verstehen Sie? Es hat sie lebendig mitgeschleppt. Wie – – wie ein Spielzeug, wie…« Seine Stimme erstickte. Mit einer heftigen Bewegung schlug er die Hände vor das Ge sicht, die breiten Schultern zuckten. Hillarys Blick glitt zu Bourke hinüber, und der Marshal preßte die Lippen zusammen. »Wir konnten nichts tun«, sagte er. »Dieses – Untier hat sich gewälzt, bis die Flammen erstickt waren, hatte alle Wagen bis auf einen zertrümmert und sich Ireen O’Nell über die Schulter gewor fen. Ireen schrie, und deshalb kam Livia aus ihrem Versteck. Das Monster hat sie niedergeschlagen, aber nicht getötet.« Bourke schluckte hart, und sein Blick ging durch alles hindurch. »Es war – als wolle die Bestie sich die beiden Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes aufbewahren. Ich verstehe es nicht, ich kann nur sa gen, was ich gesehen habe. Livia Masterson und Ireen O’Nell sind bei lebendigem Leibe verschleppt worden, und das Monster floh, weil es sich offensichtlich vor den Kerosin-Lampen fürchtete.« 52
Jack Hillary kam auf die Beine. Er schwankte leicht, aber er blieb stehen. Jetzt erst fiel ihm auf, daß auch Buck Long, Jonny Magoon, Ireens Bruder Ritchie und der junge Masterson im Halbkreis um ihn standen. Sein Blick glitt zu den zerschmetterten Wagen hinüber, zu den herumliegenden Trümmern und dem einzigen Fahrzeug, das heil geblieben war, und kehrte dann wieder zu der schweigenden, erregten Gruppe zurück. »Wir müssen die Spur aufnehmen«, sagte er halblaut. »Aber nicht alle zusammen, sondern…« »Warum nicht?« fiel ihm Jonny Magoon ins Wort. »Sarah ist tot! Und ob der eine Wagen auch noch zum Teufel geht.« »Zusammen schaffen wir es nicht«, sagte Hillary ruhig. Seine Stimme klirrte, die Augen schimmerten wie Stahl. »Dieses Mons ter ist kein gewöhnlicher Gegner. Wir müssen es verwirren. Wenn es einmal siegt, muß jemand dasein, der es zum zweitenmal ver sucht. Und selbst wenn wir es schaffen, Livia und Ireen zu retten – wir dürfen keine zu eindeutige Spur hinterlassen, jemand muß den Rückzug decken und die Bestie notfalls solange aufhalten und beschäftigen, bis die anderen in Sicherheit sind.« Für einen Moment folgte dichtes Schweigen seinen Worten. Jeder begriff, was er meinte. Jeder wußte, daß es die einzige Chance war – und daß die Männer, die auf der Spur des Monsters reiten würden, einen Trail vor sich hatten, so heiß und gefährlich, als marschierten sie barfuß durch die leibhaftige Hölle. »Ich komme mit!« fauchte Ritchie O’Nell mit funkelnden Augen. »Besser nicht«, sagte Hillary. »Ich denke…« Ritchie warf ihm einen wilden Blick zu. »Warum nicht? Was mi schen Sie sich überhaupt ein? Ireen ist meine Schwester, sie…« »Eben deshalb«, fuhr Morgan Bourke dazwischen. »Dies ist ein Job, bei dem man kaltes Blut braucht, mein Junge. Hillary und ich reiten, und wir nehmen Jerry Masterson mit. Er ist zwar noch grün, aber immerhin kein dreimal verdammter irischer Hitzkopf. Und wenn du jetzt noch Fragen hast, werde ich dir die Antwort mit der Faust geben, kapiert? Wir haben nämlich keine Zeit, zu diskutieren.« Ritchie schluckte hart. Er spürte, daß der hünenhafte Marshal jedes Wort ernst meinte, und er preßte die Lippen zusammen, obwohl seine Augen immer noch rebellisch flackerten. Chad Masterson legte ihm ganz kurz 53
die schwielige Hand auf die Schulter. »Laß’ gut sein, Junge«, sagte er rauh. »Glaubst du, ich würde, nicht zehnmal lieber mitreiten, statt hier zurückzubleiben? Aber Hillary hat recht – es muß jemand dasein, der es zum zweitenmal versucht, wenn es einmal schiefgeht.« Ritchie O’Nell nickte schwer. Auch Jonny Magoon hatte sich abgefunden. Rasch wandte er sich ab, und zusammen mit dem alten Bück Long und Ritchie machte er sich daran, die Pferde einzufangen, die das Massaker überlebt hatten. Ein paar Minuten später saßen Jack Hillary, Morgan Bourke und Jerry Masterson schweigend in den Sätteln und ritten durch die Dunkelheit nach Norden… * Livias Erwachen war wie das Emportauchen aus einem schwar zen, uferlosen Meer, dessen dunkler Sog sie immer von neuem in den Abgrund zu ziehen drohte. Sie stöhnte leise. Noch hatte sie das Gefühl, zu schwimmen, noch schien ihr Ge hirn wie mit Watte gefüllt, und alle Erinnerungen waren seltsam gestaltlos und fern. Irgend etwas war geschehen. Dunkel wußte sie, daß es etwas Schreckliches gewesen war, daß es irgend et was mit einem wilden Tier zu tun hatte, mit dem Tod ihrer Schwester und mit Jack Hillary – aber sie war einfach noch nicht fähig, das alles in einen Zusammenhang zu bringen und die rich tigen Schlüsse daraus zu ziehen. Sie bewegte sich zögernd. Dabei spürte sie, daß sie auf kaltem, scharfkantigem Felsboden lag und… »Liv?« drang eine flüsternde Stimme in ihr Bewußtsein. Livia fuhr zusammen. Sie kannte die Stimme – sie gehörte ihrer Freundin Ireen O’Nell. Im ersten Moment empfand das Mädchen tiefe, taumelnde Erleichterung – aber dann wurde ihr bewußt, daß auch Ireens Stimme vor Angst gezittert hatte. Angst, ja. Angst vor… Die Erinnerung setzte jählings ein, als sei in einem dunklen Raum plötzlich Licht angeschaltet worden. Livia riß die Augen auf. 54
Sie sah eine Felswand vor sich. Aber gleichzeitig glaubte sie auch, das Monster zu sehen, erinnerte sie sich an alles, was in den letz ten Stunden geschehen war – und sie hätte laut, aufgeschrien, wenn sich die schmale Hand ihrer Freundin nicht blitzschnell über ihren Mund geschoben hätte. Die kleine, rothaarige Ireen O’Nell war aus dem Holz geschnitzt, aus dem Kämpfer gemacht werden. Ihre ganze Sippe bestand aus irischen Freiheitskämpfern, denen der Boden auf der grünen Insel zu heiß geworden war und die schon mit Waffen hatten umgehen können, längst ehe sie ihren Fuß auf den Boden der neuen Welt setzten. Die O’Nells pflegten ihren Kindern das Schießen noch vor dem Abc beizubringen. Das war in Irland so gewesen, und das blieb in der Wildnis des ameri kanischen Westen so. Nur daß die O’Nells angesichts von India nern, Banditen, wilden Tieren und einer mörderischen Natur eine Zeitlang dazu übergegangen waren, das Abc, das nach alter Sitte nach dem Schießen kam, durch einige nützliche Kunstfertigkeiten zu ersetzen. Mochte das auch eine Generation zurückliegen, mochte Ireen äußerlich noch so hübsch, zart und mädchenhaft wirken – etwas vom Erbe dieses rauhen Schlages steckte auch in ihr und befähig te sie, selbst vor der aussichtslosesten Situation nicht zu kapitu lieren. Sie drückte die Hand so fest auf Livias Mund, daß ihre Freundin kein Wort herausbrachte. Ireens Stimme war nur ein Hauch. »Bleib ganz ruhig, Liv! Vielleicht haben wir eine Chance. Wir sind in der Höhle des Monsters, aber du mußt dich zusammenrei ßen. Kein Laut, Liv!« Das letzte klang beschwörend. Livia blinzelte zum Zeichen, daß sie verstanden hatte. Die Hand löste sich von ihrem Mund, und sie sog vorsichtig die warme, dumpfe Luft ein, in der sich der Ge ruch nach Blut mit scharfer tierischer Ausdünstung mischte. Als sie sich umsah, verkrampfte sich ihr Körper, und sie biß sich auf die Lippen, bis sie Blut schmeckte, um den aufsteigenden Schrei zu ersticken. Sie befanden sich in einer Höhle, einer riesigen Grotte. Achtlos wie Lumpenbündel waren sie auf den Boden geworfen worden, auf ein Lager aus faulendem Laub dicht an der Wand. Schwaches Licht sickerte durch den Höhleneingang. Das Monster wandte ihnen den gekrümmten Rücken zu und stierte hinaus ins 55
Grau des aufdämmernden Morgens. Livia schloß die Augen, weil sie den Anblick einfach nicht ertra gen konnte. Ireen packte ihren Arm. Die schönen grünen Augen wirkten stumpf, das Gesicht blaß und staubverschmiert – aber ihre Stimme klang entschlossen, als sie die Lippen dicht an das Ohr der Freundin brachte. »Vielleicht schläft es ein. Dann können wir uns hinausschleichen und…« »Das schaffen wir nicht. Es würde uns einholen. Es würde…« »Nicht, wenn es wirklich schläft! Wir müssen es versuchen.« Livia schluckte. Sie begriff nicht, wie man in dieser Situation überhaupt noch fähig sein konnte, einen klaren Gedanken oder gar einen Entschluß zu, fassen. Ihre Nerven vibrierten, die Panik lauerte unter einem dünnen Firnis von Beherrschung. Aber Ireens Anwe senheit beruhigte sie etwas, sorgte dafür, daß sie sich zumindest nicht so entsetzlich allein fühlte. Irgendein gnädiges Schicksal mußte ihnen helfen. Ihr Vater würde nach ihnen suchen, ihr Bru der, die anderen… Sie dachte an Jack Hillary. An den Mann, der bedenkenlos seine Flucht unterbrochen und seine eigene Chance weggeworfen hatte, um ihr zu helfen. Und er hatte ihr auch geholfen! Sie wäre sicher gewesen in dem Felsspalt, wenn sie nicht die Nerven verloren hätte. Ganz deutlich glaubte sie, Hillarys hartes, hageres Gesicht vor sich zu sehen, das lange weiße Haar, die hellgrauen Augen – und irgendwo tief in ihrem Innern formte sich die Gewißheit, daß er kommen würde, um sie hier herauszuholen. Wenn er das noch konnte! Wenn er überhaupt noch lebte, wenn er nicht unter den gräßli chen Pranken des Monsters gestorben war und… »Jetzt«, unterbrach Ireen O’Nells Stimme ihre Gedanken. Livia schluckte. Aus weiten, angstflackernden Augen starrte sie den zottigen Körper des Monsters an. Es hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt. Ob es schlief, ob es in den beginnenden Morgen hinaus starrte, – sie wußten es nicht. Aber sie sahen, daß das Untier zu mindest im Moment nicht auf sie achtete, sie ahnten, daß das nicht mehr lange so bleiben würde – und Ireen war entschlossen, den Versuch zu wagen. Sie richtete sich auf, zog ihre Freundin ebenfalls hoch. Livia 56
mußte sich einen Moment lang an die Felswand lehnen, doch dann riß sie sich zusammen. Langsam, mit zusammengebissenen Zähnen und angehaltenem Atem, folgte sie Ireen, und die beiden Mädchen schlichen lautlos auf den Höhlenausgang zu. Immer noch sah es so aus, als schlafe das Monster. Reglos hockte es da, wie ein überdimensionales Monument. Livia und Ireen preßten sich dicht an die Felswand. Ihre Herzen hämmerten, ihre Augen hingen wie gebannt an dem Untier – und beide zuckten wie unter einem Schlag zusammen, als sich das Monster regte. Ganz langsam drehte sich der schwere Schädel. Das eine, unverletzte Auge starrte die beiden Mädchen böse an. Ein leises Fauchen kam aus dem halbgeöffneten Rachen, und die Pranke scharrte über den Felsen. Jetzt schrie auch Ireen entsetzt auf. die gräßliche Klaue kam auf sie zu, berührte sie. Livia hatte die Augen geschlossen, klammer te sich zitternd und verzweifelt an ihre Freundin. Sie spürte den jähen Ruck, fühlte sich emporgehoben, schrie und schrie, und die Welt um sie her versank in einem roten Fiebernebel aus Schmerz und Entsetzen. Sie verlor nicht das Bewußtsein, aber für einen Moment taumel te ihr Geist am Rande des Wahnsinns. Etwas in ihr zerbrach, riß wie die überspannte Saite eines Banjos. Das Grauen war zu groß, um noch eine Steigerung zuzulassen. Gleich einer Woge wich das Entsetzen zurück, und in Livia breitete sich eine stumpfe, gleich gültige Leere aus, die verhinderte, daß sie vor Angst den Verstand verlor. Sie spürte, wie sie fiel. Hart schlug sie auf und rollte über felsigen Boden. Dicht neben sich spürte sie Ireen, hörte ihre Freundin leise schluchzen und riß die Augen auf. Im ersten Moment konnte sie nichts erkennen, doch dann ge wöhnte sie sich an das graue Zwielicht. Der Anblick hätte ein Schock seih sollen – doch Livia war ein fach nicht mehr fähig, Schock und Schrecken zu empfinden. Stumpf starrte sie auf die Felsenwände, auf die Ränder der gut fünf Yard tiefen Grube, aus der es kein Entkommen gab – und auf die Knochenreste, die in einer Ecke moderten. Sie sah grinsende Totenschädel, bleiches Gebein, sie sah auch das rostige Messer und das Funkeln einiger Schmuckstücke, die den Verfall überdau 57
ert hatten, aber das alles fand einfach keinen Widerhall mehr in ihrem Gehirn. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Sie wußte, daß sie sterben mußte, wenn ihr niemand zur Hilfe kam – aber selbst der Tod war ihr in diesen schrecklichen Minuten gleichgültig… * Jack Hillary kniff die Augen zusammen. Eine Zeitlang, war es schwierig gewesen, der Fährte zu folgen, jetzt zeichnete sie sich wieder deutlicher ab. Tief hatten sich die Abdrücke der Pranken mit den langen, gekrümmten Zehen in den Boden gegraben. Die Spur führte aufwärts, bis zur halben Höhe des Hanges, und verschwand zwischen zwei hochaufragenden Felsensäulen, hinter denen ein Canyon begann. Die drei Männer ritten weiter. Sie führten zwei ledige Pferde mit, und sie hatten außer ihrer normalen Bewaffnung Kerosin lampen und Fackeln bei sich. Jack Hillary spornte den Fuchswal lach mit einem Schenkeldruck an, ritt ein Stück voraus und glitt im Schatten der Felsennadeln aus dem Sattel. Nach ein paar Schritten konnte er den weiten, wild zerklüfteten Canyon überblicken. Wind fing sich zwischen den Steilwänden und verursachte ein seltsames, monotones Singen. Das Rauschen eines Creeks misch te sich hinein, der irgendwo zwischen den Felsen entsprang, in sprudelnden Kaskaden abwärts fiel und sich seinen Weg zur Tal sohle suchte. Hillarys Blick glitt weiter, tastete über den staubi gen Grasboden, bohrte sich in den Schatten zwischen DouglasFichten und niedrigem Gestrüpp – und er erkannte auf Anhieb, daß es im ganzen Tal von den Spuren des Monsters nur so wim melte. Er preßte die Lippen zusammen. Instinktiv wußte er, daß das Untier nur in einer Höhle hausen konnte. Es gab mehrere davon – zwischen Felsentrümmern und Buschwerk öffneten sich immer wieder schwarze Löcher, vielleicht nur tiefe Mulden zum Teil, aber in einigen Fällen sicher auch die Eingänge zu unterirdischen Grotten. Hillary legte den Kopf in den Nacken, schirmte seine Augen mit der flachen Hand gegen die Sonne ab – und dann blieb sein Blick an dem großen dunklen Fle cken etwa auf halber Höhe des Steilhangs haften. 58
Eine optische Täuschung? Nur ein trügerisches Spiel von Licht und Schatten? Oder war das tatsächlich eine Höhle von solchen Ausmaßen, daß sie vielleicht auch das riesige Monster aufnehmen konnte? Hillary machte ein paar Schritte zur Seite, immer noch im Schutz der Felsennadel. Von dieser Position aus sah der schwarze Flecken am Hang noch eher nach einer großen Grotte aus. Hillary konzentrierte sich, starrte sekundenlang mit äußerster Anstren gung durch den flimmernden Sonnenglast auf die weißen, blen denden Felsen – dann war er seiner Sache einigermaßen sicher. Geduckt huschte er zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und ritt zu den anderen zurück. Sie hatten gewartet, sahen ihm gespannt entgegen. In kurzen Worten berichtete er, was er ge funden hatte, und die Haltung seiner Begleiter straffte sich Sie ließen die Pferde am Eingang des Canyons zurück. Zu Fuß passierten sie die beiden Felsennadeln und betraten das Tal. Bäume, Büsche und Steintrümmer gaben ihnen Deckung. Jeder von ihnen hatte eine Kerosinlampe bei sich und eine Pech fackel in den Gürtel gesteckt, denn sie mußten auf einen Kampf gefaßt sein, und in diesem Kampf würden ihnen weder die Colts noch die Winchestergewehre viel nützen. Als sie am Fuß des Steilhangs waren, blieben sie stehen. Hillary musterte die Wand mit zurückgeneigtem Kopf. Die riesi ge Höhle auf halber Höhe war jetzt deutlich zu sehen. Ein Teil der Bergflanke stieg nur flach an, eine breite, mit Steintrümmern ü bersäte Felsenterrasse zog sich parallel zum Hang hin, und in dreißig, vierzig Yard Entfernung von der Grotte gab es eine be queme Aufstiegsmöglichkeit. Hillary sah zu Morgan Bourke hinüber. Ihre Blicke trafen sich. »Versuchen wir’s«, sagte der Marshal rauh. »Sie bleiben hier unten, Jerry.« »Aber ich…« »Sie bleiben hier. Wenn wir es schaffen, Livia und Ireen heraus zuholen, müssen Sie die Mädchen zu den Pferden bringen und so schnell wie möglich zurückreiten, klar?« Jerry schluckte. »Und Sie?« »Wir kommen mit, wenn alles glattgeht«, sagte Hillary ruhig. »Falls das Monster auftaucht und uns verfolgt, werden wir es auf halten. Ansonsten bleibt alles, wie besprochen. Sie reiten mit den Girls sofort zum Camp zurück, Und der Wagen wird weiterziehen, 59
ohne auf uns zu warten. Wenn wir tot sind, kann ohnehin nie mand mehr etwas für uns tun, und wenn wir es überleben, wer den wir schon irgendwie durchkommen. Noch Fragen?« In Jerrys Blick lag eine Mischung aus Schauer und Bewunde rung. »Was soll ich mit Ihren Pferden machen?« fragte er heiser. »Losbinden und davonjagen. Das bietet noch die beste Chance dafür, daß sie nicht von dem Monster erwischt werden und daß wir sie vielleicht wiederfinden, wenn wir sie brauchen.« Jerry Masterson nickte nur. Bourke klopfte ihm auf die Schulter und grinste beruhigend, Jack Hillary hatte sich bereits abgewandt. Im Schutz der Büsche huschte er ein Stück nach rechts und er reichte die schmale, schräg nach oben führende Rinne, die durch eine vorspringende Felsennase gegen die Sicht von der Höhle abgeschirmt war. »Glück«, sagte Bourke leise, als er ebenfalls heran war. »An ders hätten wir es bestimmt nicht ungesehen schaffen können.« »Vielleicht schläft das Biest.« Hillary verzog die Lippen. »Genau genommen haben wir sowieso nur dann eine Chance, wenn es schläft, Marshal.« »Irgendwann muß es schlafen. Und wir haben Zeit.« »Wir ja. Aber nicht die beiden Mädchen. Falls sie überhaupt noch leben!« Bourke preßte die Lippen zusammen. Er wußte genau wie Hilla ry, daß ihre Chancen verdammt schlecht standen, aber er mußte dennoch die Zähne zusammenbeißen, als er es so glashart ausge sprochen hörte. Jack Hillary blieb einen Moment lang geduckt stehen, prüfte mit den Augen die Vorspränge, Zacken und Schrunde, die in der Rinne natürliche Trittkanten bildeten, dann setzte er sich in Bewegung und begann, rasch und geschickt wie ein Puma aufwärts zu klettern. Bourke folgte ihm. Der große, schwere Mann bewegte sich kraftvoll und gleichmä ßig, aber er hatte nicht Hillarys, raubtierhafte Geschmeidigkeit. Als sie den Felsenabsatz erreichten, glänzte das Gesicht des Marshals vor Schweiß, und sein Atem hatte sich beschleunigt. Hillary wartete ein paar Sekunden. Die Haftung seines schlanken, muskulösen Körpers wirkte völlig gelöst, und das hagere Gesicht unter dem breitrandigen Stetson war trocken. »Weiter!« knurrte Bourke. 60
Sie bewegten sich dicht an der Felswand, immer bemüht, in De ckung zu bleiben. Die Sonne brannte herab, wurde von den nack ten Felsen zurückgeworfen und ließ die Luft kochen. Auch Hillary schwitzte jetzt und rieb sich flüchtig mit dem Ärmel des Hemdes über die Augen. Er wollte etwas sagen – doch in der gleichen Sekunde hörte er das Geräusch. Atemzüge! Langsame, tiefe Atemzüge, rasselnd, schnorchelnd – fast so, als schnarche ein schlafender Mensch. Die beiden Männer wechselten einen Blick, und Bourke zog in einem Anflug von Triumph die Lip pen von den Zähnen. »Es schläft«, flüsterte er. »Ich wette meinen Kopf, daß das Biest schläft! Verdammt, wir müssen uns beeilen!« Hillary nickte nur. Etwas schneller legten sie die letzten paar Yard zurück. Vor dem hohen, düsteren Eingang der Höhle verharrten sie, und erneut war es Hillary, der wie selbstverständlich die Aufgabe des Kund schafters übernahm. Er ließ sich auf Ellenbogen und Knie nieder, glitt geschickt wie eine Schlange zwischen die Felsen – und Sekunden später hatte er die Höhle im Blickfeld. Eine riesige Grotte tat sich vor ihm auf, nur schwach erhellt vom Widerschein des Sonnenlichts vor dem Eingang. Felswände schimmerten grau. Berge von fauligem Laub waren zu einer Art Lager aufgeschüttet worden – und darauf erkannte Hillary wie einen dunklen, behaarten Buckel die zusammengerollte Gestalt des Monsters. Es schlief, kein Zweifel. Tief und gleichmäßig dröhnten die Atemzüge, Schultern und Brustkorb hoben und senkten sich. Hillary kroch noch ein Stück weiter. Dicht und lastend hing ein Gemisch aus Blutgeruch und tierischer Ausdünstung in der Luft und legte sich auf die Atemwe ge. Er grub die Zähne in die Unterlippe, kämpfte gegen das Re bellieren seiner Magennerven und blickte sich um. Hohe, zerklüftete Wände. Eine bedrohlich tiefhängende Decke, durch die sich ein Netz werk von Rissen zog. Und im Hintergrund der Grotte eine Steinkante, hinter der die Felsen abfielen zu einer Mulde, einer Grube oder etwas ähnli 61
chem. Hillary richtete sich auf und winkte mit der Hand. Morgan Bour kes Gestalt erschien im Höhleneingang. Lautlos kam er heran. Sein Gesicht versteinerte, als er das schlafende Monster sah, und seine Zähne preßten sich so hart aufeinander, daß die Kiefermus keln hervortraten. Er hielt eine der Lampen so, daß er sie notfalls blitzschnell an zünden konnte. Feuer war die einzige. Waffe, mit der sie im Kampf gegen das Untier wenigstens einen kleinen Erfolg gehabt hatten – und es würde ihre einzige Chance sein, wenn die Bestie aufwachte. In jeder Sekunde konnte das geschehen, ganz plötz lich. Hillary setzte vorsichtig die Füße auf, blieb so weit wie mög lich von dem Monster entfernt, und während er lautlos auf den Rand der Grube zuglitt, spürte er die kalte Angst mit jeder Faser seines Körpers. Knochen… Grinsende Totenschädel, bleichendes Gebein. Hillarys Blick erfaßte ein paar Schmuckstücke, ein verrostetes Messer – und begegnete Livia Mastersons weit geöffneten, leeren Augen. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis ihr Gehirn die Botschaft aufnahm, die ihre Augen sahen. Ein Ruck ging durch ihre Gestalt. Neben ihr zuckte Ireen O’Nell zusammen, riß den Kopf hoch, rich tete sich aus ihrer apathischen Hockstellung auf, und in ihre grü nen Augen kehrten Leben und Hoffnung zurück wie ein aufsprin gender Funke. Livias Lippen öffneten sich, doch Hillarys beschwörende Geste brachte sie zum Schweigen. Er sah sich nach Bourke um. Auch der Marshal hatte den Rand der Grube erreicht und die beiden Mädchen gesehen. Er nickte leicht, und seine Hände begannen mechanisch das Lasso zu lö sen, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Ein fauchendes Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Sekundenlang stand er starr da, auch Hillary versteinerte förm lich – doch das Monster bewegte sich nur schwach und atmete gleichmäßig weiter. Hillary stieß langsam die Luft durch die Nase. Er hatte die Lampe übernommen, verharrte gespannt und sprungbereit im Schatten und beobachtete den zottigen, nur als Umriß erkennbaren Körper der Bestie, während Bourke das Seil in die Grube hinabwarf. 62
Er zog erst Livia, dann Ireen hoch. Die beiden Mädchen gaben keinen Laut von sich, waren benommen und wie gelähmt von dem Schock, der hinter ihnen lag. Livia erbebte, als Hillary nach ihrem Arm griff. Er versuchte ein ermunterndes Lächeln, schob sie rasch vor sich her und folgte Bourke und Ireen, die bereits den Ausgang der Grotte erreicht hatten. Das Sonnenlicht blendete sie. Livia zitterte stärker – erst jetzt schien ihr ganz zu Bewußtsein gekommen, welcher schrecklichen Gefahr sie entronnen war. Oder beinahe entronnen! Denn noch lagen eine Kletterpartie und ein langer Ritt vor ihnen – und das Monster hatte schon einmal bewiesen, daß es schneller als Reiter und Wagen war. Hillary hob die Hand zu einer Geste. Unterhalb des Steilhangs richtete sich Jerry Masterson auf und winkte zurück. Sein Gesicht spiegelte maßlose Erleichterung, und auch Livia und Ireen hatten es jetzt eilig. Sie huschten über das schmale Felsenband, erreichten die Rin ne, die schräg nach unten führte – und in diesem Augenblick pas sierte es. Wie Donnerrollen hing das wütende Gebrüll in der Luft. Ireen versteifte sich, Livia stieß einen unterdrückten Schrei aus. Hillary und Bourke warfen wie auf Kommando die Köpfe herum. Erneut zitterte die Luft unter dem wilden Gebrüll, im Eingang der Höhle entstand Bewegung, und mit rollenden Augen und wittern den Nüstern schob sich der schwere, zottige Schädel des Mons ters ins Freie. Hillary sog scharf die Luft ein. »Zu Jerry! Rasch!« Seine Stimme klang scharf und beschwörend, und zumindest Ireen erfaßte, worum es ging. Sie packte Livias Hand, zog sie mit sich. Stol pernd, in zitternder Hast kletterten die beiden Mädchen durch die Rinne nach unten, und Jack Hillary entzündete mit fliegenden Fingern eine der beiden Kerosinlampen. Das Monster erstarrte. Sekundenlang blieb es reglos im Eingang der Grotte kauern. Das gesunde Auge rollte, leise und fauchend pfiff der Atem durch die mächtigen gelben Fangzähne. Dann senkte sich der Schädel, und das Untier machte Anstalten, die Höhle endgültig zu verlas sen. Hillary schleuderte die erste Lampe, während Bourke die zweite anzündete. 63
Scherben klirrten. Eine Stichflamme schoß hoch – und das Monster zuckte mit ei nem wahnwitzigen Wutgebrüll zurück. Flackernder Widerschein erhellte den leeren Höhleneingang, richtete sich für einen Moment wie eine Wand auf. Hillary blickte sich um und sah, daß die bei den Mädchen die Talsohle erreicht hatten und daß Jerry Masterson sie hastig in Richtung auf die beiden Felsennadeln zerrte. Die Flammen fielen in sich zusammen. Nur noch Rauch wölkte auf – dann war auch das vorbei. Die beiden Männer bissen die Zähne zusammen und warteten, weil sie wußten, daß jede Minute kostbar war, die sie herausholten. »Versuchen wir’s erst mal mit den Gewehren?« fragte Morgan Bourke gepreßt. Hillary nickte. Sein Blick haftete auf dem dunklen Eingang der Höhle. Ein paar Sekunden vergingen, dehnten sich zu Ewigkeiten – und dann erschien erneut der zottige Schädel des Monsters. Sie rissen die Gewehre hoch und schossen. Die Bestie wich zurück – aber nur für einen kurzen Augenblick. Fauchend und brüllend erschien sie erneut, die Augen mit den mächtigen Pranken schützend, und diesmal konnte auch der kon zentrierte Kugelhagel sie nicht aufhalten. »Los!« zischte Hillary – und Morgan Bourke schleuderte mit ver zweifelter Kraft die zweite Lampe. Diesmal prallte sie dicht vor dem Höhleneingang auf die Felsen, zerklirrte in dem Schatten, den der Körper des Monsters warf. Die aufzuckenden Flammen erfaßten die Bestie. Das Heulen war schauerlich. Felsbrocken lösten sich und polter ten zu Tal, als sich das Untier zu Boden warf und wie rasend auf die Flammen einschlug. Der schwere Körper zuckte, bäumte sich auf, wälzte und wand sich. Der Boden zitterte. Für den Bruchteil einer Sekunde blieben die beiden Männer starr stehen, gebannt von dem gräßlichen Schauspiel – dann warfen sie sich auf dem Absatz herum und rannten um ihr Leben. Am Talausgang klang Hufschlag auf – gerade noch zu hören durch den Tornado des höllischen Brüllens. Groß war der Vor sprung nicht, den Jerry und die beiden Mädchen hatten. Hillary wußte glasklar, daß sie nicht einfach fliehen konnten, daß sie sich noch etwas einfallen lassen mußten, um das Monster aufzuhalten, und er wußte auch, daß sie dabei verdammt wenig Aussichten hatten, mit heiler Haut davonzukommen. 64
Keuchend rannte er weiter, hatte fast die Rinne erreicht, die abwärts führte – da hörte er den unterdrückten Schrei hinter sich und fuhr herum. Morgan Bourke war gestolpert. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte. Sein Kopf schlug gegen ei nen Stein, vergeblich versuchte er, wieder hochzukommen – und am anderen Ende der Felsenterrasse näherte sich mit stampfen den, unaufhaltsamen Schritten das Monster. Eine Sekunde brauchte Jack Hillary, um seine Entscheidung zu treffen. Weiterlaufen, Bourke dem Untier überlassen und hoffen, daß es sich lange genug mit diesem Opfer beschäftigen würde, um ihm selbst eine Chance zu geben – das war eine Versuchung, die ihn wie ein Windhauch streifte und sofort wieder Verschwand. Er konnte es nicht, brachte es nicht fertig. Seine Zähne knirschten aufeinander. Mit drei, vier langen Sät zen jagte er zurück, glaubte schon den heißen Atem der Bestie zu spüren. Der Boden bebte unter den schweren Tritten. Hillary taumelte, fing sich wieder. Der Schatten des Monsters fiel über ihn – und noch während er sich zu Bourke bückte, erfaßte sein Blick das schmale, dunkle Loch zwischen den Felsen. Er handelte blitzartig. Hart riß er Bourke vom Boden hoch, gab ihm einen Stoß, der ihn gegen den schwarzen Spalt taumeln ließ. Die Gestalt des Marshals verschwand wie vom Erdboden verschlungen. Mit einem verzweifelten Satz hechtete Hillary hinterher, spürte den Luftzug der zuschlagenden Pranke und verlor im nächsten Moment den Boden unter den Füßen. Dunkelheit nahm ihn auf. Das letzte, was er empfand, war das schwindelerregende Gefühl des Fallens… * Chad Masterson hob mit einem Ruck den Kopf, als er den Huf schlag hörte. Ritchie O’Nell, der neben ihm auf der Deichsel gekauert hatte versteifte sich. Vom Creek her kam der alte Bück Long gehum pelt, auch Jonny Magoon tauchte auf. Schweigend, mit bleichen 65
Gesichtern starrten die drei Männer in die Richtung, in der jetzt eine Staubwolke über den Büschen aufwirbelte. Drei Pferde! Zu dritt waren sie auch losgeritten! Chad Masterson krampfte die Fäuste zusammen, und seine Fingernägel gruben sich so hart in die Handballen, daß Blut kam. Eine’ halbe Minute später konnte er jenseits des kleinen Sees die drei Reiter ausmachen. Er erkannte Jerrys Rapphengst an der Spitze. Er sah Livias wehendes Blondhaar, die rote Mähne von Ireen O’Nell – und die Erleichterung, die ihn packte, war wie ein Tau mel. Für ein paar Minuten erschien ihm alles andere gleichgültig – al les außer der Tatsache, daß er seinen Sohn und seine Tochter wohlbehalten wiederhatte. Seine Augen wurden feucht, als er Livia in die Arme schloß und über ihre zuckenden Schultern hin weg in Jerrys bleiches, kantiges Gesicht sah. Ireen flog Jonny Magoon an den Hals, die Lippen der beiden jungen Leute ver schmolzen zu einem langen Kuß. Sie klammerten sich aneinan der, als wollten sie sich nie mehr loslassen, und selbst Ireens sonst so eifersüchtiger Bruder schien diesmal nichts dabei zu fin den. Chad Masterson starrte seinen Sohn an. »Und die anderen?« fragte er rauh. Jerry biß sich auf die Lippen. Seine Augen brannten. »Sie sind zurückgeblieben, Vater. Ich hätte mit ihnen gekämpft, aber…« »Ich weiß, Junge.« Mastersons Stimme krächzte; er wußte, wie Jerry jetzt zumute war. »Es ist schwer, davonzureiten und seine Freunde allein zu lassen – manchmal schwerer, als mitzukämp fen. Du hattest keine Wahl, Jerry. Du mußtest es tun.« Und nach einer Pause: »Gab es eine Chance für sie, davonzukommen?« Jerrys Lippen zuckten. »Nein, Vater«, sagte er leise. »Ich glaube es nicht.« »Und – wenn wir noch einen Tag warten?« »Unsinn«, mischte sich die heisere Stimme von Bück Long ein. Der bärtige alte Mann sah von einem zum anderen. »Jetzt bist du es, der schwach wird, Old Chad. Was immer mit den beiden pas siert ist – sie haben für Livia und Ireen in die Hölle gespuckt. Und bestimmt nicht, damit du jetzt hierbleibst, einen Tag verlierst und riskierst, daß wir am Ende doch noch alle zum Teufel gehen.« 66
Für einen Moment blieb es still. Jerry Masterson wischte sich mit einer fahrigen Geste das schweißnasse Haar aus der’ Stirn und biß sich auf die Unterlippe. »Bück hat recht, Dad«, sagte er leise. Der alte Masterson sah zweifelnd von einem zum anderen. Livia schluchzte leise. Ireen O’Nell preßte sich mit bleichem Gesicht gegen ihren Verlobten, und Jonny Magoon nickte langsam. Ritchie O’Nell zögerte einen Moment, dann preßte er die Lippen zusam men und atmete tief durch. »Es stimmt, Mr. Masterson«, sagte er heiser. »Bück hat recht. Mr. Hillary und der Marshal haben es für Ireen und Livia getan. Und wir können es einfach nicht verantworten, auch nur eine Stunde länger hierzubleiben und Ireen und Livia doch noch dieser Gefahr auszusetzen.« Ireen O’Nell wollte etwas sagen, wollte protestieren – doch da hatte Chad Masterson seine Entscheidung bereits getroffen. Der Treckboß straffte sich. Sanft schob er Livia von sich, wandte sich um und zog sich mit einem entschlossenen Ruck den Hut in die Stirn. »Anspannen!« stieß er hervor. »Wir ziehen weiter!« * »Hillary! Hey, wach auf, Junge! Schlafen kannst du noch genug, wenn du über den großen Fluß gehst!« Die Worte drangen wie aus weiter Ferne in Jack Hillarys Be wußtsein. Sein Körper schmerzte. Übelkeit wühlte in ihm. Und in seinem Kopf ging es so rund, als schlage ein Sioux-Medizinmann die Trommel zum großen Regentanz. Er öffnete die Augen. Felswände umgaben ihn, von oben drang schwacher Lichtschein ein. Er hörte gedämpftes Fauchen – und bei diesem drohenden Geräusch fiel ihm wieder ein, wo er sich befand und was passiert war. Morgan Bourke half ihm dabei, sich aufzurichten. Für einen Mo ment mußte sich Hillary mit dem Rücken gegen die Wand lehnen, weil es schwarz vor seinen Augen wurde. Erst nach ein paar tie fen Atemzügen war er in der Lage, sich umzusehen. Der Felsspalt, durch den sie sich vor dem Zugriff des Monsters 67
gerettet hatten, lag rund fünf Yards über ihren Köpfen. Etwa in der Mitte einer steilen, vollkommen glatten Wand. Es war ein Wunder, daß sie sich bei dem Sturz nicht alle Knochen gebrochen hatten – und Hillary begriff sofort, daß sie zumindest auf diesem Wege nicht wieder aus der Höhle herauskommen würden. Ganz davon abgesehen, daß draußen das Monster lauerte. Es bewegte sich vor dem Eingang. Seine Pranken scharrten, und ab und zu Verdunkelte der schwere Schädel den hellen Spalt. Hilla rys Kiefer verkrampfte sich. Er starrte Bourke an. »Da hinten geht es weiter«, sagte, der Marshal mit einer Geste über die Schulter. »Ein ziemlich enger Gang. Genaugenommen nur eine Fuchsröhre – aber der einzige Weg.« »Fragt sich nur, wohin«, knurrte Hillary trocken. »Da kannst du recht haben, mein Junge. Der Gang führt in den Berg hinein, soviel steht fest. Aber hast du vielleicht eine bessere Idee – falls wir nicht gefressen werden oder langsam verhungern wollen?« »Vielleicht kommen wir in den Badlands wieder heraus. Dann hast du Pech gehabt und mußt den ganzen Weg nach Laramie noch einmal machen.« Der Marshal warf ihm einen Blick zu. »Zum Teufel mit Laramie. Mich interessiert im Moment nur, wie wir hier herauskommen, und wenn wir das geschafft haben, wird mich interessieren, wie wir dieser verdammten Ausgeburt der Hölle den Garaus machen können. Danach…« Er zuckte die Schultern. »Danach sind wir vermutlich so oder so reif für den Sargmacher. Und falls wir es überstehen – du hast mir das Leben gerettet. Wenn du weiterge laufen wärest, wäre ich jetzt tot und du frei. Wenn dich noch je mals jemand wegen der Sache in Laramie jagen sollte, dann wer de das auf jeden Fall nicht ich sein.« Hillary biß sich auf die Unterlippe. Sein Gesicht war hart. Für ei nen Moment hatte er das Monster und die tödliche Gefahr verges sen. »Kannst du mir eine faire Verhandlung garantieren, Bourke?« fragte er rauh. »Yeah, das kann ich. Und es wäre verdammt besser für dich, die Chance wahrzunehmen, statt weiter auf dem heißen Trail zu reiten.« Er stockte und schüttelte den Kopf. »Verdammt, wir müssen verrückt sein, daß wir jetzt darüber diskutieren…« Da hatte er zweifellos recht. 68
Jack Hillary biß die Zähne zusammen und stemmte sich müh sam hoch. Er taumelte, aber er blieb auf den Beinen. Bourke ging voran, ließ sich auf Hände und Knie nieder und zwängte sich als erster in den engen Gang, von dem der Teufel allein wußte, wohin er führte. Sie sprachen wenig in den nächsten zwei Stunden. Der Gang verengte sich noch mehr. Sie mußten kriechen, konn ten sich stellenweise nur weiterbewegen, indem sie sich wie Schlangen auf dem Bauch vorwärtsschoben. Ein paarmal sah es so aus, als sei der Weg zu Ende – aber sie schafften es jedesmal, weil sie wußten, daß sie es einfach schaffen mußten. Nach einer Stunde Quälerei verbreiterte sich der Gang und wur de schließlich so hoch, daß sie stehen konnten. Stockdunkel war er immer noch. Sie – tasteten sich mühsam an der glatten Felswand entlang. Einmal gerieten sie an eine Gabe lung. Bourke wollte die Abzweigung nehmen, die wieder aus dem Berg hinauszuführen schien – aber Hillary packte seinen Arm und schüttelte im Dunkeln den Kopf. »Den anderen Weg«, sagte er leise. »Aber der führt doch…« »Es scheint nur so, daß er tiefer in den Berg führt. Die Luft ist wärmer. Und das heißt, daß es eine Verbindung zur Oberfläche gibt.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher. Ich habe bei den Cheyenne gelebt, und in deren Gebiet gibt es eine Menge Höhlen.« Bourke antwortete nicht, sondern schlug den Weg ein, den Hil lary gewählt hatte. Dicht hintereinander tasteten sie sich weiter, – in schweigender Übereinkunft. In den letzten Stunden waren sie von erbitterten Gegnern zu Partnern geworden, waren wie selbst verständlich zum Du übergegangen – und beide wußten, daß das mehr bedeutete als nur eine Äußerlichkeit. »Hey«, flüsterte’ Bourke nach Minuten, die sich endlos gedehnt hatten. »Das ist doch…« »Licht«, sagte Hillary. Mehr nicht. Aber in diesem einen Wort schwang die ganze Erleichterung, die sie beide empfanden. Knapp zehn Minuten später, nach einer letzten anstrengenden Kletterpartie, zwängten sie sich durch einen schmalen, halbüber wucherten Felsspalt und taumelten in die Sonne. Ein kleines Tal lag vor ihnen, von grünen, bewaldeten Hängen 69
flankiert. Es gab einen Creek, es gab sattes Gras und Schatten – und es gab einen Turm von durcheinandergewirbelten Felsblöcken, den irgendwelche unbekannten Naturgewalten hier aufgeworfen hat ten und von dessen Spitze man einen weiten Ausblick über das wilde Land hatte. Hillary kletterte hinauf – nach einer kurzen Ruhepause, die er benötigte, um überhaupt wieder auf den Beinen stehen zu kön nen. Seine Bewegungen waren schleppend und erschöpft, hatten längst nicht mehr die geschmeidige Leichtigkeit, aber er schaffte es trotzdem. Das Land dehnte sich unter ihm. In endlosen Wellen stiegen die Berge der Black Hills immer schroffer an. Sonnenglast hing in der Luft und ließ die fernen, dunklen Kuppen verschwimmen. Hillary sah die beiden Felsennadeln, die den Eingang zum Tal des un heimlichen Monsters markierten – und er sah vor allem die bei den Pferde, die friedlich in einer Mulde ganz in der Nähe grasten. Morgan Bourke brauchte nur eine halbe Stunde, um die Tiere wieder einzufangen. Sie ritten nach Süden. Die Pferde hatten sich erholt, waren frisch und kamen rasch vorwärts. Gegen Mittag sahen sie die Staubwolke – und wenig später hatten sie den letzten Wagen des Trecks im Blickfeld. Chad Masterson ließ halten, als er die Reiter bemerkte. Morgan Bourke und Jack Hillary preschten heran. Masterson war vom Bock gesprungen, die anderen drängten sich neben ihn, und in allen Gesichtern standen Erleichterung und Freude geschrieben. Als Hillary absaß, löste sich Livia Masterson aus der Gruppe. Mit zwei, drei Schritten stand sie bei ihm. Wirr fiel ihr das Haar ins Gesicht, und die großen blauen Augen leuchteten. »Jack«, flüsterte sie. »Oh Jack, Jack…« Und ehe er etwas sagen konnte, preßte sie sich schon gegen ihn, und für eine lange Sekunde spürte er ihre weichen, frischen Lippen auf seinem Mund wie eine aufgebrochene Blüte. »Hey, Mädchen!« Die Stimme des alten Masterson klang ver dächtig heiser. »Bedanken kannst du dich später. Ich schätze, wir haben’s verdammt eilig, weiterzukommen…« »Das allerdings«, knurrte Bourke. »Ich möchte dem Tod nicht noch einmal so knapp von der Schippe springen. Also los – aufsit zen!« 70
So zogen weiter. Für den ganzen Rest des Tages trieben sie die Pferde an, mach ten nur Rast, wenn die Tiere unbedingt eine Pause brauchten, und gönnten sich auch keine Ruhe, als die Sonne am westlichen Horizont wie ein blutiger Ball hinter den Hügeln verschwand. Der Himmel wurde dunkel. Einmal mehr fiel die Nacht herab und überzog das Land mit ih ren schwarzen Schatten. Fackeln flammten auf, rissen helle In seln aus der Dunkelheit und beleuchteten den Weg, auf dem Wa gen und Pferde rastlos weiterzogen. Am Himmel glänzten bereits Sterne, als sie ein paar Meilen vor sich undeutliche Lichter sahen. Lichter, die sich rasch vergrößerten. Die zu tanzenden Laternen wurden, zu erleuchteten Fenstern und Straßenzügen – zu einer Stadt. Sie hatten Kendale erreicht. Sie waren in Sicherheit… Aber ohne ein Wort darüber zu verlieren, wußte jeder einzelne von ihnen, daß der mörderische Kampf damit noch nicht zu Ende war… * Zwei Tage später brachen sie wieder auf. Sie ritten nach Norden – sechs Männer, die die gemeinsame Begegnung mit dem Grauen zu einer verschworenen Gemein schaft gemacht hatte. Der alte Bück Long war trotz seines’ Pro testes schließlich bei Livia und Ireen zurückgeblieben. Jack Hilla ry, Morgan Bourke, Chad Masterson, sein Sohn und die beiden jungen Iren führten je ein Reservepferd mit – und außerdem drei Packpferde, auf denen sie neben Ausrüstung und Proviant genug Dynamit transportierten, um notfalls einen ganzen Berg in die Luft zu sprengen. Zwei Tagesritte brauchten sie – dann hatten sie das Tal er reicht, in dem das Monster hauste. Die beiden hochragenden Felsennadeln wiesen ihnen den Weg. In der Nähe fanden sie eine kleinere Höhle, in der sie die Pferde versteckten – und sie rüsteten sich so aus, daß sie sich jederzeit gegen ihren unheimlichen Gegner verteidigen konnten. »Nur gut, daß diese verdammte Bestie nicht schießt«, knurrte 71
Chad Masterson, während sie sich im Schutz der Büsche auf den Taleingang zuarbeiteten. »Wir haben eine solche Menge Dynamit in den Taschen, daß wir wie lebende Bomben herumlaufen…« Morgan Bourke grinste freudlos. »Stimmt auffallend! Aber das ist durchaus kein Witz. Wir müssen verdammt vorsichtig sein. Ein einziger Querschläger…« Er sprach nicht weiter. Aber die anderen wußten auch so, was er sagen wollte. Schwei gend schlichen sie weiter, erreichten das Tal – und diesmal ent deckten sie auf Anhieb das dunkle Loch in der Felswand. Nichts regte sich. Bourke und Hillary wechselten einen raschen Blick. Sie hatten sich schon überlegt, was sie tun wollten, bevor sie von Kendale aufgebrochen waren. »Wir gehen heran«, sagte der Marshal rauh. »Ritchie – trauen Sie sich zu, auf eine der Felsennadeln zu klettern?« O’Nell nickte. Sein Gesicht war blaß und hart. »Zwei Schüsse bei Gefahr«, wiederholte er das, was schon vorher abgesprochen worden war. »Und kein einziger Laut, falls das Vieh nicht in seiner Höhle ist, sondern von einem Raubzug zurückkommt«, setzte Bourke hinzu. »Auf das verdammte Loch im Felsen starren genug Augen. Sie müssen vor allem das Land beobachten, okay?« »Okay«, sagte O’Nell knapp – und mit dem nächsten Atemzug war er bereits zwischen den niedrigen Büschen verschwunden. Geschickt wie ein Puma kletterte er den steilen Felsen hinauf. Knapp unter der Spitze fand er offenbar eine Stelle, die es ihm gestattete, sich einigermaßen bequem zusammenzukauern. Seine Hand flog hoch, Jack Hillary winkte zur Bestätigung zurück – dann glitten er und Bourke aus dem Schatten zwischen den Felsenna deln. Der Weg durch das Tal. war ihnen vertraut. Ebenso wie der Auf stieg, wie das breite Felsenband – und die schmale schwarze, Spalte, die ihnen bei der letzten Begegnung mit dem Monster zur Rettung geworden war. Vorsichtig glitten sie dichter an die große Höhle heran, blieben immer wieder stehen und lauschten, aber nicht einmal der leiseste Atemzug zerbrach die seltsame gläserne Stille. Ein paar Minuten später wußten sie, daß sich die Bestie nicht in ihrer Behausung aufhielt. 72
Sie mußte sich auf einem ihrer Raubzüge befinden – irgendwo in den Black Hills, ein ruheloser, drohender Schatten auf der Jagd nach Beute. Vielleicht wurde wieder ein ahnungsloser Wagentreck das Opfer. Vielleicht die Hütte eines Pelztierjägers, vielleicht ein einsamer Goldgräber, irgendein Mann auf der Flucht oder sein Verfolger. Jack Hillary spürte bei der Vorstellung einen Schauer auf der Haut, biß unwillkürlich die Zähne zusammen – aber jetzt war einfach keine Zeit, um weiter darüber nachzugrübeln. Morgan Bourke deckte ihm den Rücken – und Hillary begann, rasch und geschickt die geballten Dynamitladungen anzubringen. Auf beiden Seiten der Höhle plazierte er ein paar Stangen, au ßerdem lauf einem vorspringenden Felsstück oberhalb des Ein gangs. Jede Ladung versteckte er tief zwischen den Steinen, tarn te sie sorgfältig – aber sie kannten die Stellen, und sie wußten, daß sie sie auch aus einiger Entfernung wiederfinden würden. Jetzt brauchten sie nur noch drei plazierte Schüsse abzugeben, um die Grotte und ihre Umgebung in eine Flammenhölle zu ver wandeln. Hillary atmete auf. Gemeinsam mit dem Marshal verwischte er sehr gründlich die Spuren ihrer Tätigkeit. Noch einmal sahen sie sich um und zogen sich dann über die breite Felsterrasse zurück. Ein paar Minuten später kauerten sie auf der anderen Seite der Schlucht in der Deckung aufgeworfener Steine. Jonny Magoon war zu ihnen gestoßen – der sicherste Gewehrschütze außer Hil lary und dem Marshal. Bäuchlings lag der junge Ire im Staub, hatte die Winchestermündung über eine Steinkante geschoben und spähte aus schmalen grünen Augen geduldig zu der Felsen nadel am Taleingang hinüber. Das Warten begann. Endloses, quälendes Warten… Die Sonne stieg, starrte vom weißen Himmel herab wie ein zor niges Auge. Im Tal schien die Luft zu kochen. Minuten verrannen, dehnten sich zäh zu Stunden, und endlich, als die Sonne im Zenit stand, gab es auf der Felsennadel eine jähe Bewegung. Ritchie O’Nell winkte. Er mußte noch mehr unter der Hitze leiden als die anderen. A ber er winkte rasch, heftig – und seine Bewegung verriet eine Erregung, die stärker war als Durst und Erschöpfung. Das Monster näherte sich. Nichts verriet es zunächst außer Ritchie O’Nells Zeichen – doch schon nach wenigen Minuten war das Prasseln und Brechen von 73
Zweigen zu hören. Eine Staubwolke wallte auf, wälzte sich näher heran, erreichte die beiden Felsennadeln. Tiefes, urwelthaftes Schnauben dröhnte durch die Luft. Sekundenlang schien ein gelb licher Schleier den Talausgang zu verhängen – und dann erschien die Bestie in eine Staubwolke gehüllt wie der Teufel in Schwefel und Rauch. Im Schatten der Felsennadeln verharrte das Monster einen Mo ment, bewegte witternd und suchend den zottigen Schädel. Hilla ry hielt den Atem an, preßte die Fäuste gegeneinander – aber das Untier trottete weiter, ohne seinen unsichtbaren Gegner zu be merken. Die Rinne, die schräg über den Steilhang führte. Dann die breite Steinrampe… Vorsichtig, schwerfällig bewegte das Monster sich weiter, ein massiger Schatten an der weiß leuchtenden Felswand. Gemäch lich und ohne Hast trottete es auf die Höhle zu. Hillary hob die Winchester. Auch Bourke und Magoon spannten die Hähne. Jeder von ihnen wußte genau, welche Dynamitladung er aufs Korn zu nehmen hatte, und sie starrten aus schmalen, brennenden Augen zur an deren Talseite hinüber. Das Monster machte noch einen Schritt. Die dunkle Gestalt ver schmolz mit dem schwarz gähnenden Rachen der Höhle. »Jetzt!« zischte Hillary – und gleichzeitig zog er den Stecher durch. Rechts und links von ihm peitschten ebenfalls Schüsse. Hell und seltsam dünn brachen sie sich zwischen den Wänden der Schlucht. Pulverrauch wölkte auf, der schwere Schädel des Mons ters flog herum – und in der gleichen Sekunde schien die Hölle selber aufzubrechen. Die drei Explosionen folgten so dicht aufeinander, daß sie fast wie eine einzige klangen. Grell blitzte es auf. Flammen zuckten – ein einziger gleißender, auseinanderfließen der Feuerball, in dessen Zentrum sich sekundenlang eine zucken de, zerstörte Gestalt aufbäumte. Wild hallte der Todesschrei der Bestie zwischen den Bergflanken und wurde vom Krachen der Explosion verschlungen. Steine polterten, lösten sich, taumelten zu Tal, immer mehr Felsen brachen ab – und endlich stürzte in einer riesigen, feurigen Staubwolke die ganze Grotte zusammen. 74
Minuten später war alles vorbei. Die Staubwolke senkte sich über eine Trümmerwüste – und ü ber die Reste eines zerfetzten, zerschmetterten Körpers, die nicht mehr verrieten, wem sie einmal gehört hatten. Die Männer brauchten nur einen einzigen Blick, um zu wissen, daß das Monster aus den Schwarzen Bergen nicht mehr existier te… * Zwei Wochen später ritten Jack Hillary und der US-Marshal Mor gan Bourke in Laramie ein – in der Stadt, in der vor einer endlo sen Zeit alles begonnen hatte. Mittagsglut brannte auf die Main Street herab, selbst die Step walks waren wie ausgestorben – doch die Nachricht von der An kunft der beiden Männer störte wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Siesta. Menschen liefen zusammen. In den Häusern wurde es lebendig, überall tuschelten Stimmen, debattierten erregt – und als die beiden Reiter ihre Pferde vor dem Sheriff-Office anhielten, trat Laramies hagerer grauhaariger Gesetzeshüter in die Sonne. Er blinzelte überrascht. Seine dunklen Augen tasteten erst Bourke ab, dann Hillary. Er stellte fest, daß der Gefangene des Marshals bewaffnet war und keine Fesseln trug – aber diese Tatsache schien gar nicht richtig in sein Bewußtsein zu dringen. Er schluckte. »Bourke«, murmelte er, »Sie haben ihn also tatsächlich zurück gebracht…« »Was dachten Sie denn?« fragte der Marshal trocken. »Habe ich meinen Mann nicht noch immer zurückgebracht?« Der Sheriff nickte mechanisch… »Ja. Aber diesmal ist es der Fal sche.« »Der – was?« »Der falsche Mann, Marshal. Den richtigen haben wir schon vor einer Woche gehenkt. Er hat den Überfall auf die Bank und den Mord gestanden.« Und mit einem raschen Seitenblick auf Hillary. »Pech für Sie, Mister. Den Ritt in die Black Hills hätten Sie sich sparen können.« Hillary sah ihn an. 75
Mit dem Zeigefinger schob er sich den Hut ins Genick. Zwei, drei Sekunden lang wirkte er fassungslos – dann ließ er die Schultern sinken und grinste. »Macht nichts«, sagte er trocken. »War mal eine nette Ab wechslung. Und jetzt habe ich Durst…« Ein paar Minuten später standen sie an der Theke des größten Saloons von Laramie, spülten ihre ausgedörrten Kehlen mit Bier durch, setzten einen Whisky darauf, ließen sich jeder ein riesiges Steak geben und begannen dann wieder von vorn in der Reihen folge. »Hör mal zu, mein Junge«, sagte Bourke irgendwann, als sie gerade wieder beim Whisky angelangt waren. »Wenn du jemals daran denken solltest, den Stern zu nehmen…« Jack Hillary schüttelte den Kopf. Seine Augen verengten sich. Die Hand mit dem Whiskyglas blieb in der Schwebe, und für einen Moment schienen seine Ge danken weit fort zu sein. »Nein«, sagte er leise. »Nein, ich gehe nach Wyoming.« Morgan Bourke verstand. Eine kleine Stadt in Wyoming – das war das Ziel von Chad Masterson und seiner Familie gewesen. Dort hatten sie sich nie dergelassen. Und dort lebte ein blondes Mädchen mit wunder schönen blauen Augen und wartete…
ENDE Bereits in vierzehn Tagen bekommen Sie Ihren nächsten Geis ter-Western. Er trägt den Titel:
Der Henker von Deadwood von Les Willcox. Lesen Sie hier einen kurzen Ausschnitt: Der Henker verharrte neben dem Karren. Knochige Hände zerrten den Sarg vom Wagen und ließen ihn in die Tiefe gleiten. Kansas roch die Erde um sich und spürte die Kälte des Bodens. Um ihn herum war es Nacht. Dumpf fiel der Sargdeckel zu. Erde klatschte auf die Totenkiste. 76
Und Kansas lebte. Er wurde soeben lebendig begraben… Wenn Ihnen nichts mehr schaurig genug ist, dann greifen Sie zum GEISTER-WESTERN. Sie erhalten den Geister-Western überall im Zeitschriften™ und Bahnhofsbuchhandel. Preis 1,20 DM.
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