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Von der Serie MAGIC. Die Zusammenkunft™ erschienen in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: 1. Band: William R. Forstchen, Die Arena Ŷ 06/6601 2. Band: Clayton Emery, Flüsterwald Ŷ 06/6602 3. Band: Clayton Emery, Zerschlagene Ketten Ŷ 06/6603 (in Vorb.) 4. Band: Clayton Emery, Die letzte Opferung Ŷ 06/6604 (in Vorb.) Weitere Bände in Vorbereitung
WILLIAM R. FORSTCHEN
Die Arena ERSTER BAND
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/6601
Titel der Originalausgabe MAGIC THE GATHERING TM ARENA Übersetzung aus dem Amerikanischen von Birgit Oberg Das Umschlagbild malte Steve Crips
Redaktion: F. Stanya Copyright © 1994 by Wizards of the Coast, Inc. Erstausgabe bei HarperPaperbacks. A Division of HarperCollinsPublishers, New York Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1995 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: M. Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Presse-Druck, Augsburg ISBN 3-453-09521-9
Für Kevin Malady und John Mina weil ich sicher bin, daß es ihnen gefallen wird.
»Tretet zurück, macht Platz!« Mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen befolgte Garth Einauge die Anordnungen des zerlumpten Mannes, der sich selbst zum Ringmeister ernannt hatte. Gemächlich begab er sich in die hinteren Reihen der zusammenströmenden Menge. Der Besitzer eines Obststandes im Schatten der Häuser war eifrig damit beschäftigt, das aufregende Treiben zu beobachten, und Garth verhalf sich zu einer Varnalca-Orange. Während er sich vom Stand entfernte, zog er seinen Dolch und schlitzte die Köstlichkeit auf. Er warf den Kopf zurück, um den Saft herauszusaugen, der den Straßenstaub wegspülte. Er rückte die Augenklappe zurecht, die jene Stelle bedeckte, an welcher einmal sein linkes Auge gewesen war, und trieb sich dann noch im Hintergrund der Menge herum, nach weiteren Möglichkeiten kostenlosen Einkaufs Ausschau haltend. Weil er keine entdeckte, drängte er sich wieder nach vorn, um sich das Ereignis anzusehen. In der Straßenmitte bewegten sich die beiden Kämpfer vorsichtig, schritten vor und zurück, ließen sich nicht aus den Augen, während sie ihre Gewänder in der frischen Abendluft auszogen. Um sie herum vergrößerte sich die Menge, strömte rufend und lachend aus den Gassen, Hütten und Kaschemmen zusammen. Schließlich konnte man nicht jeden Tag kostenlos einem Kampf zusehen. Allerdings bestand ein geringes Risiko, verletzt zu werden, während die Zaubersprüche umherschwirrten. Über den Köpfen der Menge wurden Läden aufgerissen, Menschen lehnten sich aus den Fenstern, um sich den Spaß anzusehen.
Der zerlumpte Mann stolzierte mit gewölbter Brust einher und bewegte die spindeldürren schmutzigen Beine, als wäre er ein echter Großmeister der Arena. Mit einem zerbrochenen Stock an Stelle eines goldenen Stabes zog er einen Kreis in den Schlamm. »Namen und Häuser?« »Webin von Kestha«, knurrte der korpulentere der beiden Kämpfer, warf sich in die Brust und schlug sich darauf. »Okmark aus dem Hause Fentesk.« »Art des Kampfes?« »Ein Zauberspruch, der auch als Wetteinsatz gilt«, sagte Okmark. Webin nickte ärgerlich zustimmend. Die Menge rief die Namen der beiden nach hinten zu jenen, die zu weit entfernt standen, um etwas zu sehen. Alte Männer, Frauen, sogar junge Knaben zählten die Siege und Niederlagen der beiden Kämpfer auf, und sofort brachen Meinungsverschiedenheiten aus, wer wohl gewinnen werde. Der Fentesk-Kämpfer, der einen guten Kopf größer war als sein Rivale, schnaubte verächtlich, während er gelassen das Gewand ablegte und es einem Straßenjungen reichte, der sich bis zum Rand des Kreises vorgedrängt hatte. Der Junge schaute auf das fein bestickte Gewand und zog sich zurück. Der Fentesk-Kämpfer wandte sich um, blickte ihn an, und der Junge hielt inne. Okmark schaute wieder zu seinem Gegner. »Dieser Kampf ist wirklich nicht notwendig«, sagte Okmark leise. Der Pöbel stieß ein johlendes Gebrüll aus, aber Okmark achtete nicht darauf. Er sah den Kämpfer in der grauen Tunika scharf an und breitete langsam die Arme aus, wobei die Handflächen leicht nach unten gedreht waren. Die Geste der Versöhnung, jedoch mit dem feinen Unterschied, daß er sich nicht unterwarf. Webin spuckte wütend auf den Boden, und die Menge
jubelte. Okmark zuckte die Schultern, fand sich mit dem Unausweichlichen ab. Der zerlumpte Mann fuhr fort, im Kreis umherzustolzieren, wartete darauf, daß die beiden Kämpfer das Ritual beendeten, die Köpfe gebeugt, die Arme ausgestreckt, während sie ihre Kräfte sammelten. »Vier zu eins auf Grau. Ich halte eure Wetten, wenn ihr glaubt, daß Grau gewinnt«, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund, und sofort drängten sich die Leute aufgeregt zusammen, um Wetten abzuschließen. Garth stand still und sah den Vorbereitungen der beiden zu: ein abgekartetes Spiel. Er griff in den Beutel, der unter seinem rechten Arm hing, und tastete nach den wenigen Kupferstücken. Sie reichten gerade für eine Mahlzeit mit Übernachtung. Er ging hinüber zum Buchmacher, nahm die Münzen heraus und wartete ruhig ab. Endlich streckte er die Hand aus. Der Mann schaute verächtlich auf den Einsatz. »Auf Purpur«, sagte Garth und bezog sich dabei auf die Farbe der Gewänder des Hauses Fentesk. Der Buchmacher musterte Garth von oben bis unten und lachte, verstummte aber unter Garths kaltem Blick. »Ich schlage vor, daß du es annimmst«, sagte Garth. Die herumstehenden Wettlustigen kicherten, als sei Garth ein Narr, aber er ließ sich nicht beirren. »Ich nehme nur Wetten zu Gunsten des Grauen an. Laß mich in Ruhe, Einauge!« Garth überhörte die Beleidigung. »Arbeitest du für ihn? Ist dieser Kampf eine abgekartete Sache?« fragte Garth sanft, während er den Buchmacher immer noch mit seinem Blick festhielt. Der Mann schaute verstohlen auf die Menge, die still geworden war, obwohl die Leute Garth anscheinend für einen Bauerntölpel aus der Provinz hielten, weil er sein Geld angesichts von Webins sicherem Sieg verschwendete.
»Eins zu zwei«, erwiderte der Buchmacher sarkastisch. »Eins zu vier«, gab Garth sanft zurück, und seine Hand glitt nach unten zum Griff seines Dolches. Der Buchmacher schaute sich verstohlen um und merkte, daß er keine Unterstützung aus der Menge bekam. »Eins zu vier«, knurrte der Buchmacher, während er sein Zeichen auf ein glattes Holztäfelchen drückte und dieses Garth in die Hand gab. Garth wandte sich wieder den Kämpfern zu, hielt die Arme verschränkt und raffte sein Gewand fest zusammen, um die Kälte abzuhalten. Die Menge beruhigte sich, nachdem die letzten Wetten plaziert waren. Alle warteten nun auf das Ende des Vorbereitungsrituals. Der Graue war zuerst fertig. Mit erhobenem Kopf und weit ausgestreckten Armen trat er einen Schritt aus dem neutralen Viereck heraus, das außerhalb des Kreises gezeichnet war. Obwohl Purpur sein Ritual noch nicht beendet hatte, erhob Grau die Hände, und die Schaulustigen verstummten. Garth schüttelte verächtlich den Kopf. Das war ein Verstoß gegen die Regeln, aber andererseits war dies ein Straßenkampf, und jeder, der bei einer solchen Sache an Regeln glaubte, war einfach zu dumm, um am Leben zu bleiben. Nebel bildete sich in der Mitte des Kreises, schlängelnd, wirbelnd, und noch immer bewegte sich Purpur nicht, schien nicht einmal zu bemerken, daß Grau bereits mit seiner Attacke begonnen hatte. Der Nebel waberte, wurde heller, glühte, das Licht schien auf die blassen Gesichter der fiebernden Menschenmenge. Plötzlich verdunkelte sich das Licht, ein eisiger Hauch fegte über die Schaulustigen. »Ein Untoter!« keuchte jemand. In der Mitte des Kreises erschien eine verweste Gestalt und bewegte sich auf den Kämpfer in Purpur zu, der 10
sich jetzt endlich rührte und den Kopf hob. Purpur trat in den Kreis und faßte in den Beutel, der an seiner rechten Hüfte baumelte. Sofort erschien eine kleine Wolke über dem Untoten, ein Feuerball schoß mit lautem Knall heraus und blendete die Menge. Eine wirbelnde Rauchwolke drang aus dem Kreis, und Garth zog seinen Umhang schützend vors Gesicht, um dem Gestank des verwesten Fleisches zu entgehen, das gerade zu Asche verbrannt war. Ein ehrfürchtiges Raunen lief durch die Menge. Okmark, der noch immer den Blick auf seinen Gegner gerichtet hielt, erlaubte sich jetzt die Andeutung eines Lächelns. »Mein Herr, da ich gewonnen habe, kann ich jetzt wohl Euren Spruch fordern.« Der Graue Kämpfer blickte auf die Zuschauer, und Garth konnte nur noch belustigt den Kopf schütteln. Vor wenigen Sekunden noch war Grau ihr Favorit und Held gewesen, aber dieser Favorit hatte gerade die meisten von ihnen um ihr Geld gebracht. Garth sah schnell zum Buchmacher hinüber, der sich ganz offensichtlich in eine Seitengasse zurückziehen wollte. Es war eine wunderbar abgekartete Sache gewesen, ein klassischer Schwindel für einen Haufen Bauerntölpel, die zum Fest in die Stadt gekommen und gierig auf eine Wette waren. Webin schaute sich besorgt nach den Zuschauern um. »Auf Leben und Tod!« kam ein Schrei aus dem Hintergrund der Menge, wurde sofort aufgegriffen und weitergetragen. Die Leute drängten sich am Rand des Kreises, riefen im Chor, lechzten nach Blut. Webin, der kurz zuvor noch überheblich umherstolziert war, blickte hin und her und dann zu Okmark. »Wollt Ihr den Kampf?« fragte Okmark leise und trat, während er sprach, zurück in das neutrale Viereck am Rande des Kreises, um seine Bereitschaft für ein neuerliches Duell zu zeigen. Grau zögerte und griff dann mit 11
einem wütenden Fluch in seinen Beutel, zog ein Amulett heraus und warf es Purpur vor die Füße. Dann drehte er sich um und floh unter den Schlägen der Menge, die ihn mit Flüchen, Schlamm, Abfällen und Tritten überhäufte, aus dem Kreis. Okmark bückte sich mit einer verächtlichen Geste und hob das Amulett auf, das den Spruch über den Untoten enthielt. Er sah zu dem Jungen hinüber, der sein Gewand hielt, und nahm es zurück. Der Junge stand da und erwartete eine Belohnung, aber Purpur beachtete ihn nicht. Die Menge war still, und Garth schaute sich um. Der Buchmacher stand jetzt neben dem Kämpfer in Purpur, und Garth sah, wie sich ihre Blicke mit einem Schimmer des Erkennens begegneten. Garth ging auf den Rand des Kreises zu. »Bezahlt den Jungen für seinen Dienst«, verlangte Garth. Seine Stimme übertönte die ausgebrochenen Streitereien der Meute, die jetzt den gerade gesehenen Kampf hitzig diskutierte. Purpur schaute zu Garth herüber, und sofort trat Stille ein. »Bezahlt Ihr ihn doch, wenn es Euch so wichtig ist«, erwiderte Purpur. »Wenn Ihr keine Lust habt, ihn zu bezahlen«, sagte Garth lächelnd, »hat vielleicht Euer Freund dort drüben etwas von dem Geld übrig, das Ihr gewonnen habt.« Garth deutete auf den Buchmacher. Aller Augen richteten sich auf den Buchmacher, der für einen Moment ganz still stand. Endlich griff der Mann in seinen Geldbeutel, zog eine Silbermünze heraus und warf sie in den Kreis. »Dein Gewinn, Einauge«, verkündete der Buchmacher. »Nimm ihn und bezahl den Jungen damit.« Ohne zu zögern, trat Garth in den Kreis, und ein leises Raunen ging durch die Menge. Der zerlumpte Mann tanzte aufgeregt umher. 12
»Er ist in den Kreis getreten; eine Herausforderung, eine Herausforderung!« Die Menge griff den Ruf auf, und der Buchmacher lächelte. Garth bückte sich, hob die Münze auf und steckte sie ein, nachdem er den Schmutz abgewischt hatte. »Ich glaube noch immer, daß Ihr dem Jungen eine Belohnung schuldet«, sagte Garth. Okmark sah ihn mit kühler, überlegener Verachtung an. »Im Kreis ausgesprochen, ist es eine Herausforderung«, erwiderte er. »Einauge, ich glaube, es wäre besser für Euch, jetzt zu gehen, bevor Ihr verletzt werdet.« Garth zog langsam seinen Umhang aus und trat dabei zurück in das Viereck an der Seite des Kreises. Er hielt den Umhang hin und sah, daß der Junge, um den der Streit ging, zur Stelle war, um ihn zu halten. »Ich will ihn wiedersehen, wenn dies vorbei ist«, sagte Garth leise, und der Junge nickte grinsend. »Kann ich ihn behalten, wenn er Euch umbringt?« Garth lächelte. »Er gehört dir.« Okmark zuckte die Schultern, als langweile ihn die ganze Sache. Der Buchmacher trat zum Rand des Kreises und starrte Garth einen Augenblick lang an. Der zerlumpte Mann trat auf Garth zu. »Name und Haus?« »Garth und kein Haus. Ich bin mein eigenes.« Der zerlumpte Mann lachte. »Der einäugige Garth ohne Haus, ohne Haus«, rief er lachend und tanzte um den Kreis herum, wiederholte die Worte im Singsang. »Art des Kampfes?« fragte der zerlumpte Mann und blickte zu Garth, da er der Herausforderer war. »Einzelner Spruch und Spruch als Preis, genau wie beim letzten Kampf.« 13
Der zerlumpte Alte sah zu dem Kämpfer in Purpur hinüber, der zustimmend nickte. Der Buchmacher erhob lachend die Hand. »Zwei zu eins, alle Wetten zugunsten von Einauge.« Die Menge reagierte nicht. »Na gut, dann eben vier zu eins.« Noch immer nahm niemand an, »Zehn zu eins! Zehn zu eins für Garth. Ich nehme nur Wetten darauf an, daß dieser Hanin, ohne Haus, gewinnt.« Erstaunte Ausrufe ertönten, und die Menge drängte sich um den Buchmacher, plazierte wieder Wetten, setzte ein paar Kupfermünzen auf die geringe Aussicht, daß Garth gewinnen werde. Garth wartete, bis der Ansturm nachließ. Er griff in die Tasche und zog die Silbermünze heraus. »Auf mich«, verkündete er und warf dem Buchmacher die Münze zu. Die Menge grölte. »Ein echter Kämpfer«, gluckste der zerlumpte Mann und tanzte um Garth herum. »So arm, daß er auf sich selbst wettet. Ein echter Kämpfer!« Die Menge lachte, und erneut begann ein hektisches Wetten, denn wer hatte je von einem Kämpfer gehört, der so arm war, daß er sich damit bloßstellte, während eines Kampfes auf sich selbst zu setzen? Garth senkte den Kopf, breitete die Arme aus, sammelte seine Gedanken, beruhigte und konzentrierte sie, erinnerte sich und vergaß, sorgte für Klarheit. Er tastete sich prüfend vor, sah in das Herz des anderen, fühlte und erkannte, bis alle Hindernisse wegfielen und Land und Wasser in seinem Innern klar wie Schneekristalle waren. Das Mana, Quelle der Kraft aller Sprüche, war bereit. Er trat in den Kreis und sah auf. Purpur trat ebenfalls vor. Garth rührte sich nicht, wartete ab. Er mußte nicht aufschauen, um zu wissen, daß sich wieder eine Wolke über dem Kreis bildete, die Straße 14
verdunkelte, und obwohl er das Keuchen der Menge hörte, erreichte es ihn nicht. Er fühlte die Spannung, die ausströmende Kraft des purpurnen Kämpfers, die sich auf die Macht konzentrierte, welche er aus fernen Ländern und Orten bezog - das Mana, das er kontrollierte und jetzt in den Kreis brachte, um es seinem Willen zu unterwerfen. Der von Purpur erschaffene Feuerball bildete sich mit ungeheuerer Intensität und badete die Straße in ein dämonisches Licht. Garth sah auf und streckte die Hand aus. Urplötzlich bildete sich eine andere Wolke über jener, die Purpur geschaffen hatte. Die Straße wurde in nächtliche Dunkelheit gehüllt. Lichter blitzten auf, und dann setzte ein weißes Wirbeln ein. Schnee! Ein Schneesturm drehte sich wie ein kleiner Tornado und verschlang die von Purpur geschaffene Wolke. Der Wind heulte auf, und dann, ganz plötzlich, verschwand alles, und das Abendlicht überflutete wieder die enge Straße, wurde von den Eisflächen gespiegelt, die jetzt seitlich an den Gebäuden hafteten. Sie schmolzen sofort, das kalte Eis brach herunter, überschüttete die Menge, die ihre Köpfe mit den Armen bedeckte. Als das Klirren des geborstenen Eises verklang, war es still auf der Straße. Hier und dort brandeten Applaus und Jubel auf, besonders bei jenen, die Kupfermünzen eingesetzt hatten und jetzt Silber in der Tasche haben würden. Sie hatten einen neuen Helden gefunden und jubelten ihm heftig zu, während andere, die gedacht hatten, daß eine Wette ein Verlust sei, sich leise für ihre Kurzsichtigkeit verfluchten. Jene, die beim ersten Duell alles verloren hatten, waren ebenfalls begeistert, da der Urheber ihrer Verluste besiegt war. Garth richtete den Blick auf den entgeisterten Kämpfer in Purpur. »Ich denke, daß Euer Feuerballspruch jetzt mir gehört«, sagte Garth leise. Okmark starrte ihn mit offenem Mund an. 15
Garth stand still und wartete ab. Okmark sah zu dem Buchmacher hinüber, dessen Gesichtsausdruck rasende Wut ausdrückte, weil die Leute auf ihn eindrangen, um die Gewinne zu verlangen. Okmark blickte wieder zu Garth. Dann griff er nach dem Dolch in seinem Gürtel, zog ihn heraus und warf ihn so, daß er in der Mitte des Kreises auf den Boden fiel. »Auf Leben und Tod«, zischte Okmark. Garth schaute ihn an, sagte aber nichts. »Auf Leben und Tod, verdammt noch mal!« Der zerlumpte Mann sah sich unruhig um, seine Begeisterung war verflogen. »Es ist gegen das Gesetz, außer in der Arena«, zischte der zerlumpte Mann. »Wir können alle verhaftet werden, wenn der Großmeister das herausfindet.« »Gossenkehrer, wer bist du, daß du mich über das Gesetz belehren darfst? Ich fordere den Tod!« »Der Kampf ist noch nicht vorbei!« schrie der Buchmacher. »Wenn er jetzt einen Rückzieher macht, gewinnt Purpur!« »Das ist nicht wahr!« erwiderte der zerlumpte Mann winselnd. »Der Kampf war vorbei. Das sind die Regeln des Ringes.« Der Kämpfer in Purpur drehte sich um und sah den zerlumpten Mann an. Der fiel zu Boden, seine Augen rollten wild, die Hände zerrten an der Kehle, er stieß einen schrecklichen, gurgelnden Laut aus. Die Menge wurde ruhig, sah dem verzweifelten Kampf des zerlumpten Mannes zu, der durch den Schmutz rollte. Garth zog seinen Dolch und warf ihn so, daß er neben Okmarks im Boden steckenblieb. »Dann eben bis zum Tod.« Okmark erwiderte seinen Blick. Der zerlumpte Mann keuchte, hustete röchelnd und kroch aus dem Kreis. Purpur nickte grimmig und sprang, jegliches Ritual 16
mißachtend, in den Kreis. Durch einen Feuerstoß zum Taumeln gebracht, trat Garth zurück, hielt die Arme hoch, um das Gesicht zu schützen. Ein kleiner Kreis bildete sich um ihn herum im Schlamm, und das Feuer war abgewehrt. Rings umher hörte er Schreie der Menge, die zurückwich, einige wanden sich verzweifelt, ihre Kleidung brannte. Eine Seite des Gebäudes hinter Garth fing Feuer. Garth hob eine Hand, und ein Skelett erschien im Feuer und trat durch die Flammen hindurch auf Okmark zu. Dessen Augen weiteten sich vor Angst, als das Skelett trotz der Flammen näher kam. Er wich zurück, und das Feuer ließ nach. Ein ungeheures Krachen ertönte, und die Erde tat sich unter dem Skelett auf, das mit klappernden Knochen in den Spalt fiel, der den Kreis in zwei Hälften teilte. Garth nickte, und das Skelett erhob sich wieder in die Luft, verhielt einen Augenblick und drang dann unerbittlich weiter vor. Okmark hob fluchend eine Hand und deutete auf das Skelett. Eine Explosion erschütterte die Straße und warf einen Schauer aus puderartigem Staub hernieder. Garth schien ob dieses schrecklichen Gegenschlags zu erbleichen. Okmark grinste, streckte die Hand aus und deutete auf Garth. Ein wirbelnder Lichtstrahl schoß geradewegs auf ihn zu, doch kurz vor seinem Eintreffen erschien ein glänzender Spiegel vor Garth. Der Lichtstrahl wurde zurückgeworfen. Okmark blieb kaum Zeit zum Schreien. Die Flamme hüllte ihn ein. Okmark drehte sich immer wieder um die eigene Achse, wand sich in Qualen, versuchte, das verzehrende Feuer zu löschen. Garth stand reglos da und sah mit gekreuzten Armen zu. Die Schreie erstarben, als Okmark sich zu einem geschwärzten Ball aus rauchendem Fleisch zusammenrollte und starb. Das Feuer erlosch. Derjenige, der es gerufen hatte, war von seinem eigenen Spruch vernichtet worden. Ungläubiges Keuchen drang aus der Menge, die be17
troffen dastand und nicht auf die Tatsache achtete, daß hinter ihr ein Gebäude in Flammen stand. Feuer schlug an der Seite hoch, während auf der Straße hinter Garth ein halbes Dutzend Tote lag und mehr als zwanzig Verwundete ihr Leid klagten. Garth sprang über den Spalt, trat zu dem verkrümmten Körper und bückte sich, um den Beutel, der merkwürdigerweise nicht vom Feuer berührt worden war, vom Gürtel zu schneiden. »Darauf habt Ihr keinen Anspruch«, blaffte der Buchmacher und trat in den Kreis. »Ihr seid Hanin, ohne Haus, und habt ein Mitglied des Hauses Fentesk ermordet. Sein Besitz gehört jetzt dem Haus.« »Dann versucht doch, mich aufzuhalten«, sagte Garth gefährlich leise und hielt den Buchmacher mit seinem Blick fest. Der Mann erstarrte und zog sich zurück. »Ich werde es ihnen berichten, Einauge. Dann werden sie nach dir suchen«, rief der Spieler. »Bevor Ihr davonlauft: Ihr schuldet diesen Leuten Geld - und mir übrigens auch.« Die Menge hatte der Auseinandersetzung schweigend zugesehen und erwachte jetzt wieder zum Leben, drängte sich um den Buchmacher. Als die Menschen durch den Kreis eilten, fielen einige in den Spalt, ihre entsetzten Schreie verstummten jäh, als sie auf dem Boden aufschlugen. Garth bückte sich und zog den Beutel hervor. Er drehte sich um und sah den Jungen, der noch immer sein Gewand hielt. Garth sprang wieder über den Spalt zurück, nahm das Gewand und griff dann in seinen Beutel, um eine Münze zu suchen. Es war nichts zu finden. Aus dem Gedränge um den Buchmacher erschien der zerlumpte Mann und schlängelte sich an Garths Seite. »Ich habe Euer Geld mitgebracht«, sagte er und streckte eine schmutzige Hand aus, in der er neun Silberstücke hielt. »Minus deiner Kommission als Ringmeister, nicht 18
wahr?« sagte Garth, nahm die Münzen und warf eine dem Jungen zu, der sich aufgeregt verneigte und davonrannte. »Aber sicher doch. Die Rechnung wäre an Euch kleben geblieben. Grau ist verschwunden... und Purpur« der zerlumpte Mann blickte zu dem Körper hinüber -, »nun, vielleicht ist seine Kommission in Eurem Preis enthalten.« Garth griff in Okmarks Beutel und fühlte herum. Die Anzahl der Amulette überraschte ihn. Der Mann war wirklich mächtig gewesen, mächtiger, als Garth angenommen hatte. Allerdings war Okmark ein Narr gewesen, weil er nicht damit gerechnet hatte, daß ein Gegner auch Umkehrsprüche haben könnte für so gefährliche Dinge wie das Feuer, das nie erlöscht. Der Mann hatte anscheinend gedacht, daß er es nur mit Kämpfern des ersten oder zweiten Ranges zu tun hätte, die sich einen Namen machen wollten, und hatte daher nicht die Sprüche enthüllen wollen, die er später beim Fest zu benutzen gedachte. Garth berührte eine Münze und zog sie heraus. Sie war aus Gold, und die Augen des zerlumpten Mannes glitzerten gierig. Garth schnippte ihm die Münze zu. »Deine Kommission von Purpur. Jetzt kümmere dich darum, daß er in Ehren beseitigt wird.« »Dafür bin ich nicht mehr verantwortlich«, gluckste der zerlumpte Mann und griff nach Garths Arm. »Seine Freunde kommen bereits. Vielleicht sollten wir uns lieber in Sicherheit bringen.« Garth schaute in die Richtung, in die der Alte deutete. Eine Gruppe von Männern kam die Straße entlang, offensichtlich nicht in freundlicher Stimmung. Sie waren alle wie Kämpfer gekleidet, mit reich bestickten Hemden und weiten Seidenhosen, die über die Schäfte ihrer polierten wadenhohen Stiefel quollen. Ihre Lederumhänge waren mit purpurnen Fransen verziert, und goldene 19
Beutel, die ihre Sprüche enthielten, baumelten an ihren Hüften. Mit zielstrebigen Schritten kamen sie näher. Hinter ihnen folgten die Krieger der Wache, Männer des Großmeisters, die zwar keine Sprüche benutzen konnten, aber trotzdem sehr wirksam mordeten. Garth zog sich in eine Gasse zurück, vermied vorsichtig, auf die Verletzten zu treten, und folgte dem zerlumpten Mann. Im Hintergrund hörte er Geräusche, als bräche Aufruhr aus, und dann das Läuten einer Glocke, als die Feuerwehr endlich eintraf. Der zerlumpte Mann schaute über die Schulter zurück, bevor sie sich in eine Seitengasse drückten. »Ah, wie ich das Fest liebe«, verkündete er, während hinten am Ende der Straße die Vorderseite des brennenden Gebäudes auf die gaffende Menge stürzte. Ein Funkenhagel stob in den Nachthimmel, und als die Menge vor dem zusammenbrechenden Gebäude zurückwich, fielen erneut Menschen in den Spalt und verschwanden. Sie durcheilten eine verdreckte Gasse, und Garth mußte gegen einen Brechreiz ankämpfen, der vom Geruch modernden Abfalls, menschlicher Ausscheidungen, verendeter Tiere und in einem Fall sogar von etwas herrührte, das aussah, als stecke ein Mensch in einem Abfallhaufen. Der zerlumpte Mann hielt beim Anblick der Leiche inne und musterte sie einen Moment lang nachdenklich. »Ich hatte mich schon gefragt, was aus ihr geworden sei«, flüsterte er. Dann ging er mit einem Schulterzucken weiter und führte Garth zur Rückseite eines zusammengebrochenen Hauses, das aus durchhängenden altersgrauen Balken bestand, die wohl bald zu Staub zerfallen würden. Als der alte Mann die Tür öffnete, spähte Garth vorsichtig hinein. Der Alte zeigte ihm ein zahnloses Grinsen. »Vertraust mir nicht, obwohl ich dir dein Geld besorgt und dich aus dem Schlamassel geführt habe?« 20
»Ich vertraue niemandem«, sagte Garth leise und kniff das Auge zusammen, um die Düsternis zu durchdringen. »He Brüder, wir haben Besuch«, verkündete der zerlumpte Mann und trat ein. Garth sah eine Bewegung in der Dunkelheit und rümpfte die Nase beim Geruch ungewaschener Körper. Von drinnen hörte er heiseres Gelächter. »Einäugiger Garth-ohne-Haus, ich schlage vor, daß du entweder hereinkommst oder verschwindest«, bemerkte der zerlumpte Mann. »Die Purpurnen suchen auf jeden Fall nach dir und sind in noch schlechterer als unfreundlicher Stimmung. Außerdem ist die Wache des Großmeisters ebenfalls auf Streife.« Während er auf die Tür zutrat, gewöhnte sich sein Auge an die Düsternis. Ein kleines Feuer brannte seitlich in einer offenen Feuerstelle, ein zusammengekauertes Wesen rührte in einem darüberhängenden Topf. Garth neigte den Kopf ein wenig und lauschte angespannt. Da er auf der linken Seite nichts sah, hatte er gelernt, sich auf andere Dinge zu verlassen. Schließlich trat er durch die Tür und sprang dann genauso schnell zurück und auf die andere Seite. Der Hieb verfehlte ihn, der Holzprügel zerteilte nur die Luft. Mit katzenartiger Bewegung packte Garth den Mann am Handgelenk und riß ihn hinter der Tür hervor, während er mit der anderen Hand seinen Dolch zog und ihn dem Mann unter das Kinn hielt, so daß er beinahe dessen Hals ritzte. »Du atmest zu laut«, flüsterte Garth, »außerdem stinkst du so sehr, daß selbst eine Made ersticken würde.« Der zerlumpte Mann sah den beiden belustigt zu und nickte anerkennend mit dem Kopf. »Du bist auf Zack, schwer auf Zack«, lachte der Alte. »Nun laß bitte meinen Bruder los.« Garth schaute seinem Angreifer in die Augen, sah 21
dessen Furcht, roch den stinkenden Atem. Er bewegte den Dolch, verabreichte dem Mann einen kleinen Schnitt unter dem Kinn, ließ ihn dann los. Der Alte heulte vor Schmerz, die anderen brüllten vor Lachen. »Du bist schon in Ordnung«, sagte der zerlumpte Mann und bedeutete Garth, herüberzukommen und am Feuer Platz zu nehmen. »Keine Tricks mehr, das schwöre ich bei der Ehre meiner Bruderschaft.« Die anderen alten Männer im Raum lachten, und Garth schaute sie sich an. Die meisten sahen aus wie Vogelscheuchen, einigen fehlten Finger, einigen fehlte die rechte Hand. Einer, der nahe am Feuer saß, hatte gar keine Hände. »Taschendiebe und Beutelschneider?« fragte Garth. »Ich soll dem Wort der Bruderschaft der Taschendiebe Glauben schenken?« Der zerlumpte Mann lachte. »Glaub mir, Ohne-Haus, es gilt genauso wie das Wort jedes kämpfenden Hauses.« Zustimmendes Gemurmel ertönte im Chor, als habe Garth gerade seinem Gastgeber mit diesem Zweifel die schlimmste Beleidigung zugefügt. Der alte Mann bedeutete Garth, Platz zu nehmen, und einen Augenblick später wurde ein kostbarer Becher vor ihn hingestellt, und der Zerlumpte zog einen schweren Krug unter dem Tisch hervor, füllte zuerst den Becher seines Gastes und dann seinen eigenen mit Wein. Garth nahm ihn und kostete. »Borleian«, sagte Garth, anscheinend überrascht. »Ah, du kennst dich mit Wein aus.« »Wie seid ihr an einen solch guten Jahrgang gekommen?« »Woher kennt ein Ohne-Haus, ein Hanin, solch einen Jahrgang?« »Ich bin ein wenig herumgekommen.« 22
Der zerlumpte Mann setzte seinen Becher ab und blickte Garth abschätzend an. »Wie alt bist du?« Garth lächelte und antwortete nicht. »Schwer zu sagen bei einem, der Mana kontrolliert; du könntest deinem Aussehen nach fünfundzwanzig sein, aber auch fast hundert. Ich bin bereit, auf fünfundzwanzig zu wetten.« »Erwartest du darauf eine Antwort?« Der zerlumpte Mann schüttelte den Kopf. »Als Hanin weißt du, daß es Selbstmord ist, beim Fest in dieser Stadt zu sein. Du hast keine Farben, und der Großmeister verbietet allen Manakundigen ohne Farben bei Todesstrafe, sich in der Stadt aufzuhalten.« »Der Großmeister«, sagte Garth leise, und der zerlumpte Mann spürte dahinter eine plötzliche Härte. »Zuerst muß mich dieser Bastard finden.« »Er hat die Möglichkeiten«, erwiderte der zerlumpte Mann und schaute seine Freunde an, die zustimmend nickten. Der Mann ohne Hände erhob die Arme und kicherte, seine Stimme war vom Wahnsinn verzerrt. Während Garth am Wein nippte, ergötzte der zerlumpte Mann seine Kameraden mit einer Beschreibung des Kampfes und Garths Sieg. Am Ende der Geschichte griff er in seine Tunika, zog ein halbes Dutzend Geldbörsen heraus und warf sie auf den Tisch. »Du scheinst von den Zuschauern ebenfalls profitiert zu haben, während du den Ringmeister gespielt hast«, bemerkte Garth ruhig. »Nur eine geschäftliche Angelegenheit.« »Das Fest muß eine gute Zeit für geschäftliche Angelegenheiten sein.« Gelächter brandete durch den Raum. »Wir sind den meisten Einwohnern dieser Stadt zu gut bekannt«, sagte der zerlumpte Mann. »Und was alle die Narren betrifft, die in die Stadt kommen, sind wir nur zu gern bereit, sie um überschüssiges Gepäck zu er23
leichtern. Ist so etwas wie eine Armensteuer. Man kann in den nächsten sieben Tagen genug ergattern, um sich über den Winter zu bringen.« Der zerlumpte Mann füllte erst seinen Becher, dann den von Garth. »Also bist du hier wegen des Festes?« Garth antwortete nicht, seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Becher, als studiere er die komplizierten goldenen Intarsien. Der zerlumpte Mann lehnte sich weit vor und schaute Garth ins Gesicht. »Wie hast du das Auge verloren?« »Aus einem Kinderstreich wurde plötzlich Ernst«, sagte Garth leise. Der Zerlumpte nickte langsam und starrte ihn an. »Sieht aus wie ein Schnitt, die Narbe auf deiner Wange.« »So etwas in der Art.« Der zerlumpte Mann setzte sich, sah Garth schweigend an. Garth lehnte sich zurück, leerte seinen Becher und setzte ihn ab. Der alte Mann füllte ihn rasch wieder. »Weißt du, wir könnten eine Klappe auf das andere Auge machen, ein grober Stoff, durch den du sehen könntest, und die andere Klappe vom schlechten Auge abnehmen. Du wärst ein höllischer Taschendieb.« Er lachte über seinen Scherz leise in sich hinein und beobachtete Garth aufmerksam. Garth schnaubte verächtlich und nahm noch einen Schluck Wein. »Aber du bist ein Kämpfer, kein Taschendieb. Die Art, wie du Okmark von Fentesk umgebracht hast, war eine meisterhafte Umkehrung, ein seltener Spruch. Nur ein wahrer Adept verfügt über solche Kraft. Er hatte vierzehn Siege in der Arena errungen und war mindestens vom dritten Rang. Wie kommt ein Ohne-Haus wie du an einen solchen Spruch?« Und während er sprach, schaute 24
der zerlumpte Mann mit unverhohlener Neugier auf Garths Spruchbeutel, als ränge er mit sich, ihn nicht abzureißen und hineinzusehen. Garth schaute von seinem Becher auf und musterte den Zerlumpten. Der Alte streckte die Arme in gespieltem Entsetzen aus und schrak zurück. »Frag niemals einen Kämpfer, wo er seine Siege und Kräfte errungen hat! Ich weiß - ich kenne die Bräuche.« Einer der alten Männer kam zum Tisch herüber und stellte einen Silberteller vor Garth hin, während ein anderer eine gebratene Ente vom Feuer brachte. Garth schnitt ein Bein ab und kaute nachdenklich darauf herum. »Offensichtlich bist du hungrig«, meinte der zerlumpte Mann und sah zu, wie Garth Fleischscheiben absäbelte und die heißen Stücke eilig in den Mund stopfte, um sie dann mit einem weiteren Becher Wein hinunterzuspülen. »Bist du der Meister dieser Bruderschaft?« fragte Garth zwischen zwei Bissen. Der zerlumpte Mann lachte und breitete die Arme weit aus, als wolle er Garth einladen, sein Domizil zu besichtigen. »Meine Brüder hier und die in den anderen Hütten wir sind ehrenwerte Orden der Taschendiebe, mit einem Stammbaum, so erhaben wie der jedes kämpfenden Hauses und ebenso uralt. Und, das möchte ich hinzufügen, bedeutend ehrlicher.« »Wieso denn das?« »Die Häuser des Kampfes - Fentesk, Kestha, Bolk und Ingkara - behaupten, die Bewahrer der Ehre zu sein. Sie sind nichts als Huren.« Die anderen im Raum grunzten zustimmend. »Seit jener Nacht, da Zarel Großmeister aller Farben wurde, denken sie nur an eine Sache: den Profit, den sie mit ihren Kräften machen können, das Mana, das sie aus der Erde ziehen, um ihre Sprüche zu 25
unterstützen, und die einfachen Leute zahlen den Preis dafür. Wenigstens sind wir ehrlich bei der ganzen Sache. Wir stehlen und geben es zu; dadurch sind wir vergleichsweise ehrbare Männer. Wenigstens verstecken wir uns nicht hinter plattem Gerede, das jede Bedeutung verloren hat.« Die anderen im Raum verfielen in allgemeines Fluchen, der verrückte Mann ohne Hände kreischte ein obszönes Lied über den Großmeister, während er einen Becher an sich drückte, der so gearbeitet war, daß er ihn mit den Armstumpf halten konnte. Garth aß den Rest seiner Mahlzeit schweigend und hörte zu, wie die alten Männer ihrem Haß und Ärger Luft machten. Als er die Ente gegessen hatte, stocherte er mit einem Knochenstück nachdenklich in den Zähnen herum, schob seinen Hocker zurück und stand auf. »Danke für die Mahlzeit, alter Mann. Ich glaube, es ist Zeit für mich zu gehen.« »Du hast hier einen Platz für die Nacht.« »Warum?« »Ich finde dich unterhaltsam und ein wenig geheimnisvoll.« »Wie das?« »Unterhaltsam, weil du Okmark so einfach beseitigt und seinen Buchmacher so geschröpft hast. Zuerst dachte ich, du seist ein Tölpel vom Lande, ein aufgeblasener Junge mit ein paar Sprüchen im Beutel, der glaubt, etwas beweisen zu müssen und normalerweise sein Leben verliert, bevor das Fest zu Ende ist.« »Es ist lange her, daß man mich einen Jungen genannt hat«, sagte Garth kalt. »Sohn, für mich bist du immer noch ein Junge. Okmarks Tod mag dir seine Kräfte gegeben haben, aber nun hast du fast hundert eingeschworene Feinde aus seinem Haus, die dich suchen. Darüber hinaus wird der Großmeister inzwischen wissen, daß ein einäugiger 26
Hanin der Mörder war. Jeder Krieger und Kämpfer unter seinem Kommando wird nach dir suchen.« »Ich komme schon durch.« »Ah, und das ist das Geheimnisvolle. Was suchst du hier eigentlich? Wenn du meinen Rat hören möchtest, empfehle ich dir, dich vor Sonnenaufgang nach Süden zu wenden und einige Entfernung zwischen dich und diese verdammte Stadt und das Fest zu legen.« Der zerlumpte Mann lächelte und hob die Hand, bevor Garth etwas erwidern konnte. »Ich weiß. Du willst meinen Rat nicht. Du willst bleiben und verflucht sein, wenn du mir erzählst, weshalb du hier bist.« »So ungefähr.« »Dann bleib diese Nacht hier. Es ist kostenlos, und ich habe dir das Versprechen der Bruderschaft gegeben. Du wirst nicht belästigt werden.« »Die Wache!« Garth fuhr herum und sah einen Bettler ohne Beine durch die Tür kommen, er hüpfte auf den Stümpfen voran. Der Mann, den Garth unter dem Kinn geschnitten hatte, sprang zur Tür und legte einen Balken vor, und es wurde still im Raum. Alle hörten schwere Fußtritte in der Gasse näher kommen. Nach einer kleinen Pause entfernten sie sich. »Wir zahlen den Bastarden genug, damit sie uns in Ruhe lassen«, lachte der zerlumpte Mann, »aber man weiß nie, wer ihnen vielleicht noch mehr gezahlt hat.« Er schaute wieder zu Garth. »Ich wage zu behaupten, daß du der Gegenstand ihrer Besorgnis bist. Du bist ein Krimineller, Ohne-Haus. Purpur könnte sogar etwas Geld locker gemacht haben, damit sie dir die Kehle ohne große Umstände durchschneiden und die verlorenen Sprüche zurückbekommen. Wenn du ein solcher Dorftrottel bist, der herkam und an Ehre und Regeln glaubte - vergiß es.« Garth schüttelte verächtlich den Kopf. 27
»Das sieht dir ähnlich.« Er sah sich erneut im Raum um. »In welcher Ecke gibt es die wenigsten Flöhe und Läuse?« Varnel Buckara, Meister des Hauses Fentesk, setzte seinen goldverzierten Becher ab und schenkte seinem Gastgeber einen kalten Blick. »Mir gefällt die Bedeutung dessen, was Ihr gerade gesagt habt, überhaupt nicht.« »Euer Mann hat angefangen, indem er sich illegal duellierte. Zuerst mit Webin von Kestha. Geschmacklos, mein Lieber, geschmacklos für zwei Kämpfer, sich in der Gosse zum Vergnügen des Pöbels zu streiten.« »Meine Kämpfer sind sehr hitzig, sonst wären sie keine Kämpfer. Aber das stört Euch ja gar nicht. Es ist die Tatsache, daß sie eine öffentliche Schau boten und Eure Agenten die Wetten nicht kontrollieren konnten. Das stört Euch.« Großmeister Zarel Ewine lachte, und sein gewölbter Bauch schwabbelte wie Gelee. Er setzte seinen Becher wieder ab und bedeutete dem Diener, ihn wieder aufzufüllen, den seines Gastes ebenfalls, und dann zu gehen. »Als hätte ich es nötig, mich um ein wenig Silber zu sorgen«, erwiderte Zarel endlich, beugte sich vor und starrte Varnel an. »Über solche Sorgen bin ich schon lange hinaus.« Varnel antwortete nicht, sah sich im Zimmer um, bemerkte die importierten Wandteppiche aus Kish, die wundervollen Holzschnitzereien der legendären La, die fleischigen, juwelengeschmückten Finger Zareis. »Ich diene dem Wanderer mit der Verwaltung der westlichen Länder und damit auch den Spielen«, fuhr Zarel fort. »Das ist Ehre genug.« Varnel hatte Lust, laut über diese scheinheilige Bemerkung zu lachen. Aber Furcht hielt ihn zurück, nicht die Furcht vor Zarel, sondern vor dem, was vielleicht schon 28
hinter ihm stand, unsichtbar im Schatten, lauernd, wartend. Er sah sich besorgt um und merkte dann, daß Zarel ohne Zweifel den Augenblick der Angst bemerkt hatte. »Nein, er ist nicht hier. Erst am letzten Tag des Festes wird er wegen des Gewinners und des jährlichen Berichtes kommen.« »Und wird dieser Zwischenfall in dem Bericht vorkommen?« fragte Varnel, endlich zum Kern der Sache kommend. »Ah, alter Freund, Ihr wart in der Vergangenheit sehr großzügig. Wir brauchen das geschmacklose Ritual einer Bestechung heute abend nicht, um die Sache zu vergessen. Betrachtet es als ein Geschenk. Wenn ich jeden Kampf außerhalb der Arena aufhalten wollte, wäre ich schon verrückt geworden. Was Ihr und die Meister der anderen Häuser in Euren eigenen Territorien während des restlichen Jahres treibt, ist Eure Sache, nicht die meine. Während des restlichen Jahres könnt Ihr Euch in euren Ländereien gegenseitig umbringen und Euch verdingen, bei wem Ihr wollt. Aber jetzt seid Ihr und die anderen drei Häuser in meiner Stadt zusammengekommen, um Eure Fähigkeiten zu messen, und das ist ganz sicher meine Angelegenheit. Ich kann einen gelegentlichen Wettkampf ertragen, aber bis zum Tod vor den Augen der Menge - das ist nur für die Arena gedacht. Ansonsten bräche Chaos aus, und das werde ich nicht dulden. Ich erwarte natürlich, daß Ihr und die anderen Häuser streitend umherzieht, aber macht das bitte innerhalb Eurer eigenen Lager ab. Es ist Tradition. Aber öffentliche Vorführungen sind tabu - die gehören in die Arena -, und wenn die Bauern und Bürger zusehen wollen, dann sollen sie dafür zahlen. Das ist ebenfalls Tradition.« Außerdem zahlt der Pöbel dafür, daß er Kämpfe in der Arena sehen kann, aber das wird er nicht tun, wenn alles , was er sehen will, auf der Straße kostenlos geboten wird; hätte Varnel gern erwidert. 29
»Verstehen wir uns?« fragte Zarel endlich. »Wir verstehen uns«, erwiderte Varnel ruhig. »Nun, kommen wir jetzt zu der anderen Sache. Dieser Kämpfer ohne Haus, dieser Hanin, habt Ihr eine Beschreibung?« »Keiner meiner Leute war dort.« »Kommt schon, was ist mit dem Buchmacher Eures Kämpfers?« Varnel rutschte unbehaglich hin und her. Zarel lachte und nahm noch einen Schluck Wein. »Entweder war Euer Mann ein Narr, der nur aus dem Grund kämpfte, einen neuen Spruch zu erlangen, oder et hatte einen Buchmacher dort, der die Menge schröpfen sollte. Ein scheußlicher Gedanke, daß alle Eure Kämpfer Narren sind!« »Der Buchmacher wurde von der Meute in den Erdspalt geworfen, als ihm beim Auszahlen das Geld ausging, nachdem mein Mann verloren hatte.« »Das war zu erwarten. Und da wir gerade davon sprechen: Jetzt habe ich einen Riß in der Mitte einer meiner Hauptstraßen, der fast zwanzig Faden tief ist. Wißt Ihr, was es kosten wird, das wieder zu richten? Außerdem ist ein beträchtlicher Teil des Armenviertels abgebrannt, und fast fünfzig Leute sind tot.« »Na und? Es sind doch nur Bauern.« »Meine Bauern; das sind fünfzig Steuerzahler weniger. Das sind auch fünfzig Bauern weniger, die durch ihr bloßes Vorhandensein zum Quell des Mana beitragen. Nein, nein, Varnel, die Rechnung wird immer höher. Ich rede hier nicht über Bestechung; ich rede über Schadensersatz. Ich weiß nicht, wie viele Karrenladungen Erde benötigt werden, um das Loch aufzufüllen, das Euer Mann geschaffen hat. Die Beerdigungskosten, der Aufbau der Hütten, das wird eine hübsche Summe.« »Als ob Ihr die selbst bezahlen müßtet«, schoß Varnel zurück. »Verdammt, nein! Ihr bezahlt sie!« brüllte Zarel. »Und 30
das ist keine Bestechung. Das kommt aus dem Fonds, den Ihr und die anderen Häuser eingerichtet habt, um für Schäden an meiner Stadt aufzukommen, die während des Festes entstehen.« »Was ist mit dem Haus Kestha? Das hat mit dem Kampf begonnen«, knurrte Varnel. »Oh, Tulan und sein Haus werden auch zahlen«, erwiderte Zarel glatt. Ich wette, daß sie zahlen werden, dachte Varnel wütend, während er nach dem Weinkrug griff und sich einschenkte, denn wenigstens gingen die Erfrischungen auf Zarels Rechnung, und er wollte sich zumindest hier schadlos halten. »Ihr solltet diesem Kämpfer ohne Haus das Fell über die Ohren ziehen.« »Das werde ich tun. Er wird mithelfen, für den angerichteten Schaden zu zahlen, bevor ich ihn vierteilen lasse, weil er in meiner Stadt ohne die Erlaubnis eines Hauses gekämpft hat. Nur weiß niemand, wer er ist oder wohin er gegangen ist.« Varnel lächelte. »Sicherlich sind Eure treuen Untertanen bestrebt, dem Gesetz zu helfen.« »Abschaum. Sie fanden die ganze Sache eher erheiternd. Er ist jetzt ihr Held, weil er ihnen zu Gewinnen verholfen hat. Lausiger Abschaum. Sie sind da draußen in den Straßen und lachen darüber, und Euer Haus hat sie dabei unterstützt. Oh, ich habe die üblichen Beschreibungen bekommen. Er war schwarz, er war weiß, er war gelb. Er war groß, klein, fett, dünn, pockennarbig, glatthäutig, hatte zwei Augen, ein Auge. Das einzige, worin alle übereinstimmen, war die Tatsache, daß er keinem Haus angehörte.« Varnel lehnte sich zurück und blickte zur Seite. »Was ist los?« Erschreckt sah Varnel ihn an. »Nichts. Nein, es ist gar nichts.« Zarel sah seinen Gast aufmerksam an. 31
»Meine Worte beunruhigen Euch?« »Nein, ich wunderte mich soeben nur.« »Worüber?« »Wer ist dieser Mann? Er tötete einen Kämpfer des dritten Ranges. Das ist etwas ungewöhnlich für einen Hanin. Normalerweise schaffen sie es, Mitglied eines Hauses zu werden, oder aber sind tot, wenn sie diese Stufe des Könnens erreicht haben. Das bedeutet, daß er gut ist, so gut wie ein Meister des dritten Ranges. Und doch hat er keine Farbe, kein Haus. Das ist seltsam.« Zarel sah kurz zu Boden. Varnel hatte recht, es war ungewöhnlich. Nicht nur das, sondern auch die Tatsache, daß der Mann spurlos verschwunden war. Da war noch irgend etwas. Ein ungutes Gefühl, daß etwas nicht stimmte, daß dies nicht einfach nur irgendein Zwischenfall war, ein dummer Streit, der morgen vergessen sein würde. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber sein Unbehagen enthielt eine Warnung, die beachtet werden mußte. »Wir finden ihn«, sagte Zarel abschließend und kühl. Varnel sah ihn über den Rand seines Bechers an und lächelte als Antwort.
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»Nun, wie sehen deine Pläne für den heutigen Tag aus?« Garth kratzte sich die Flohbisse, die er während der Nacht abbekommen hatte, und schaute sich in dem Raum voller alter Männer um, die sich jetzt regten, als das erste Licht des Tages durch die Ritzen in den Läden und im Dach drang. »Zuerst verschwinde ich von hier.« Der zerlumpte Mann grunzte. »Um zu tun, weshalb du hergekommen bist. Ah, deine geheimnisvolle große Aufgabe.« »So etwas in der Art«, erwiderte Garth trocken. »Ich komme mit.« Garth sah auf den zahnlosen alten Mann hinab. »Das hatte ich schon im Gefühl«, sagte Garth ruhig, und der zerlumpte Mann schaute ihn überrascht an. »Wieso?« »Weil du Geheimnisse nicht ausstehen kannst. Du willst herausfinden, was als nächstes geschieht.« Der Alte schaukelte mit seinem Hocker, der nahe beim Feuer stand, und lachte vor Freude. »Ich will mir den Spaß ansehen. Ich glaube, irgend jemand wird hier dran glauben müssen, und ich will dabei sein. Bei solchen Unternehmungen ergeben sich auch immer geschäftliche Möglichkeiten.« Er beugte sich über das Feuer und schnitt zwei Scheiben Fleisch von einem Braten ab, der langsam vor sich hinbrutzelte. Eine davon warf er Garth zu, der sie schnappte und vorsichtig in den Händen hin und her warf, bis das Fleisch genügend abgekühlt war. Der alte 33
Mann hatte sein Frühstück beendet und entriegelte die Tür, schaute vorsichtig hinaus. Der Bettler ohne Beine saß auf der anderen Straßenseite und bewegte die Hand, als wolle er eine Fliege verscheuchen. »Die Luft ist rein«, verkündete der zerlumpte Mann. »Laß uns gehen.« Er packte einen neben der Tür lehnenden Stab, trat hinaus auf die Straße, drehte sich um und erleichterte sich dann an der Wand eines Gebäudes. Garth sah ihn verächtlich an, begriff dann, daß er es ihm gleichtun mußte, und stellte sich neben den Alten. »Weißt du, dieser Moment ist genausogut geeignet für eine Vorstellung wie jeder andere. Ich bin Hammen von Jor.« Der alte Mann war fertig, knöpfte seine schmutzige Hose zu und streckte die Hand aus. Garth war ebenfalls fertig, schloß seine Knöpfe und sah auf Hammen hinab, der ihn mit gelben Zähnen angrinste, die wie zackige, verrottete Pfosten in einer dunklen Höhle aussahen. Garth ergriff zögernd Hammens Hand und verbarg anschließend keineswegs, daß er die Handfläche an der Hose abwischte. Hammen lachte. »Der Händedruck war sauberer als der jedes Meisters eines Hauses.« Garth konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Wo finde ich das Graue Haus?« »Warum willst du dorthin?« »Ich bin nur neugierig, das ist alles.« Hammen schwenkte seinen Stab, deutete die abfallübersäte Straße entlang, und sie gingen los. Garth folgte seinem selbsternannten Führer und sah vorsichtig in die Seitenstraßen, die sie passierten. Es war bereits lange nach Sonnenaufgang, aber noch regte sich kaum etwas in der Stadt. Die Ausschweifungen und 34
Vorbereitungen des nahenden Festes hatten anscheinend die Kräfte der Einwohner verbraucht. Hammen hielt kurz inne, um einige leblose Körper, die neben einer umgedrehten Regentonne lagen, mit seinem Stab anzustoßen. Einer davon bewegte sich leicht, die anderen lagen still. Garth schaute auf sie hinab. Er sah, daß sie alle noch lebten, aber sie würden diesen Zustand bedauern, wenn sie aufwachten. »Die haben sie sich bereits vorgenommen«, verkündete Hammen und ging weiter auf eine Hauptstraße zu, die fast ein Dutzend Faden breit war. Garth drehte sich um und sah die Straße hinauf, wo sich noch immer leichte Rauchwolken kräuselten, Überreste des gestrigen Spaßes. Um ihn herum öffneten die Ladenbesitzer gerade ihre Buden. Sie legten ihre Waren auf den Tischen vor ihren Türen aus. Ein paar Frühaufsteher waren bereits unterwegs, um einzukaufen, und Garth schlenderte langsam einher, unfähig, sein Erstaunen über die große Auswahl der Waren zu verbergen. Hammen beobachtete ihn. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß du viel Erfahrung mit Städten hast.« Garth nickte. »Das habe ich gemerkt. Nur ein Narr wäre mir so wie du diese Seitengasse entlang gefolgt. Solches Vertrauen findet man nur bei den Bauerntölpeln vom Lande. Kein Einwohner dieser Stadt wäre so dumm.« »Entweder ein Narr oder jemand, der auf sich selbst aufpassen kann«, erwiderte Garth kühl. Hammen sah zu Garth auf und nickte zustimmend. »Ich glaube dir gern, daß du auf dich aufpassen kannst. Aber um hier zu überleben? Da bin ich gespannt.« Er wurde langsamer und wies auf einen Obststand. »Ah, meine bevorzugten Granatäpfel aus Esturin.« Hammen trat auf die Obsthändlerin zu, die haufenweise 35
Granatäpfel, Apfelsinen, exotische Fillagrits aus Übersee, delikate Lollins und andere glänzend rote, grüne, orangene und tiefblaue Köstlichkeiten, die Garth nie zuvor gesehen hatte, auf dem Tisch ausbreitete. Die Händlerin sah Hammen an, schüttelte mit einem verzweifelten Lächeln den Kopf und warf ihm einen Granatapfel zu. Hammen bedeutete ihr, Garth ebenso zu beschenken. Garth nahm die Frucht und biß hinein. Während ihm der Saft am Kinn entlanglief, lächelte er. »Das ist gut.« »Hast noch nie einen gegessen, was?« Garth antwortete nicht, während er die Köstlichkeit verzehrte und mit halbem Ohr Hammen und der Händlerin zuhörte, die offenbar alte Bekannte waren und über die neuesten Ereignisse in der Stadt redeten. »Die Wächter des Großmeisters sind hier letzte Nacht umhergeschwärmt wie Fliegen hinter Abfallgeruch«, verkündete die Händlerin, die Garth die ganze Zeit anstarrte. »Auf der Suche nach dem Kämpfer.« »Haben sie ihn gefunden?« »Nein, aber sie haben die üblichen Verdächtigen verhaftet.« Hammen lachte und wandte sich ab. Die Händlerin lächelte noch immer, warf Garth drei weitere Granatäpfel zu und zwinkerte mit dem Auge. Garth steckte sie in seine offene Tunika. »Du hast diesen Leuten gestern zu großen Geldgewinnen verholfen, außerdem hast du einen der Purpurnen erledigt«, sagte Hammen erklärend. »Jetzt kannst du dich eine Weile kostenlos verpflegen.« Hammen nickte den schmutzigbraunen Wimpeln zu, die über vielen Ständen entlang der Straße flatterten. »Daran siehst du, daß die meisten Leute hier Anhänger der Braunen sind.« »Warum? Die kämpfenden Häuser bedeuten ihnen doch nichts, und ich glaube, daß es den Häusern ver36
dammt gleichgültig ist, was die einfachen Leute denken.« »Woher weißt du das?« »Man kann vermutlich davon ausgehen«, antwortete Garth. »Von der menschlichen Seele verstehst du wohl nicht viel, Einauge«, erwiderte Hammen. »Für die meisten dieser Leute ist das Fest die einzige Sache in ihrem Leben, auf die sie sich freuen können, das und die Hoffnung, einmal in der Lotterie zu gewinnen. Die Spiele bedeuten ihnen alles. »Du kannst zu fast allen Ständen oder Kaschemmen gehen« - er zeigte zu einer bereits vollen Taverne hinüber -, »und der geizigste Bettler kann dir die Quoten und die Sprüche seines Favoriten aufzählen, besonders wenn ihm dieser Mann oder diese Frau bereits ein paar Gewinne beschert hat. Gewinn dem Mob Geld, und du bist ein Held.« »Schöner Held«, schnaubte Garth. »Ein Kämpfer würde jetzt ohne weiteres einen Bauern bei lebendigem Leibe verbrennen, nur um einen neuen Spruch auszuprobieren, und es täte ihm weniger leid, als wenn er eine Wanze zerquetscht.« »Was meinst du denn mit jetzt?« fragte Hammen ruhig. »Oh, ich habe Geschichten aus den alten Zeiten gehört, als alles noch anders war, als Kämpfer noch auf Pilgerfahrt gehen mußten und denen dienten, die ihrer bedurften.« Hammen spuckte auf den Boden. »Die alten Zeiten sind vorbei, Hanin. Wenn du anders denkst, verlasse ich dich besser sofort. Ich mag dich ein wenig, und es täte mir leid, dich noch vor Tagesende tot zu sehen. Nur ein Narr glaubt, daß die Kämpfer sich etwas aus uns anderen machen.« »Und warum sollten dann die Leute sich Gedanken machen?« »Das ist es doch, was ich meine«, erwiderte Hammen. 37
»Du verstehst die menschliche Seele nicht. Sie kennen die Wahrheit, aber sie feuern ihren Helden trotzdem an und meinen, daß sie dadurch teilhaben an seinem Ruhm und seiner Macht. Wenn das Fest beginnt, sind sie für drei Tage im Himmel. Sie können den Schmutz und die Krankheiten und das grausame kurze Leben vergessen, das sie verschlingt. Sie sind dort draußen in der Arena, lauschen den gebrüllten Sprechchören, sehen die Duelle um Macht, Ansehen, das Leben und die Zustimmung des Wanderers, der den endgültigen Gewinner mitnimmt, damit dieser ihm in anderen Welten dienen kann. Drei Tage im Jahr kann das Volk seinen Traum leben.« Garth sah Hammen fragend an, dessen Stimme weich und dessen Tonfall ernst geworden war, und überraschenderweise hatte sich der Anflug eines kultivierten Akzents in seine Worte geschlichen. »Du redest, als wärst du selbst dort gewesen«, sagte Garth und starrte Hammen an. Hammen starrte zurück, und für einen Augenblick erschien es Garth, als ginge ein anderer als der zerlumpte Taschendieb und Gossenbewohner dort neben ihm. Er fühlte eine ferne Kraft, als könne der Mann Mana kontrollieren, die Quelle der Kraft aller Kämpfer, die aus der Erde kam und aus allen Kreaturen, die auf ihr lebten. Hammen verlangsamte seinen Schritt, und Garth fühlte eine unendliche Trauer. Dann, wie Frost, der in der Morgensonne schmilzt, wurde Hammen wieder zum zerlumpten Mann, gackernd und schwatzend, der auf den Boden spuckte und dem Auswärtigen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigte. Sie gingen weiter die Straße hinauf, die nun belebter wurde. Garth zog die zwei Granatäpfel aus der Tunika und warf einen davon Hammen zu. Garth biß in die Frucht und aß sie langsam, während sie die Straße hinaufschlenderten. Sie kamen an der Straße des Stahls vorbei, und er blieb einen Augenblick stehen, um den 38
Händlern zuzusehen, wie sie ihre billigen Klingen draußen vor den Geschäften aufhingen. Vor einem hielt er an, schaute in den dunklen Innenraum, sah die besten Waffen darin hängen und die Wächter des Händlers im Schatten sitzen. Krummschwerter, Breitschwerter und leichte Rapiere fingen und reflektierten das pulsierende Licht der Essen aus den Tiefen des Ladens. Die Schmiede hämmerten im Funkenhagel auf ihre Werke ein. »Gute Klingen da hinten, Klingen mit langen Geschichten und Namen für Liebhaber von edlen Waffen, die sogar Zaubersprüche durchschneiden können, um das Blut eines Kämpfers fließen zu lassen«, flüsterte Hammen, als wäre er von einer fernen Sehnsucht erfüllt. Danach kam die Straße der Messingverarbeiter, dann die der Gold- und Silberschmiede. Jeder Stand dort wurde von bewaffneten Männern bewacht und manchmal sogar von einem Magier des ersten Ranges, der eine Kreatur aus dem Jenseits erschaffen konnte, um Diebe abzuwehren. Garth sah die Kämpfer des ersten Ranges an und schüttelte den Kopf. Die meisten waren alte Männer, die nie über den ersten Rang hinausgekommen waren, da ihre Fähigkeiten und die angeborene Kraft, Mana zu kontrollieren, nur für die allereinfachsten Sprüche ausreichten. In einem echten Duell mit einem anderen Kämpfer würden sie ihren einzigen Spruch und wahrscheinlich auch ihr Leben innerhalb von Sekunden verlieren, und daher waren sie dazu verdammt, in den Nebenstraßen die Schätze der Geizhälse und der fetten Händler zu bewachen. Die meisten von ihnen, das fühlte er, waren voller Angst, daß eines Tages jemand anderes als die üblichen Bauern mit einem Dolch sie herausfordern würde, und selbst diese Bauern waren eine Quelle der Angst. Nachdem sie die Straßen der Metalle passiert hatten, kamen sie näher zum Herzen der Stadt. Hammen sah sich vorsichtig um, beobachtete aufmerksam einen 39
Trupp Kämpfer des Großmeisters, der vorbeipatrouillierte. Ihre vielfarbigen Jacken, Umhänge und Hosen schimmerten im Morgenlicht. Nicht einer schaute Garth an, und sein Gefährte lachte in sich hinein. »Aufgetakelte Gecken. Auf der Suche nach dir, ganz sicher, und zu dumm, um etwas zu merken.« Garth fiel auf, daß die Wimpel entlang der Straße sich verändert hatten. Über mehrere Blocks hinweg gab es eine Mischung aus braunen, grauen und sogar hin und wieder purpurnen oder lilafarbenen Wimpeln. »Wir kommen näher zur Stadtmitte, wo die fünf Stadtteile aufeinandertreffen. Genau vor uns, in der Mitte des Platzes, befinden sich der Palast des Großmeisters und die Unterkünfte seiner Kämpfer und Krieger. Die Häuser der vier Farben flankieren den Platz.« Garth schaute die Straße hinauf auf den Platz, der fast dreihundert Faden breit war, und erblickte endlich die hohe fünfseitige Pyramide, das Heim des Großmeisters. Eine Seite des Gebäudes war mindestens dreißig Faden lang und ragte fast ebenso hoch auf, eingehüllt in polierten Kalkstein, der im Sonnenlicht wie Feuer glühte. Der eigentliche Palast dagegen wurde auf allen fünf Seiten von den dunklen, flachen Behausungen der Kämpfer und Krieger flankiert. Der gesamte Komplex war von Springbrunnen umgeben, die Fontänen tanzten und plätscherten im morgendlichen Licht, die Wassersäulen schössen fast so hoch auf wie der große Palast. Das Wasser in den Springbrunnen war in allen Regenbogenfarben gefärbt. Als Garth den Rand des großen Platzes erreichte, wurde er langsamer. Jetzt sah er vier weitere Paläste in den Ecken. Jeder war anders. Jeder zeigte die Flagge eines der großen Häuser. Fentesk, auf der gegenüberliegenden Seite, war von schwerer, flacher Struktur mit einer massiven Säulenfront. Purpurne Banner befanden sich an jeder Ecke des - wie Garth entschied - häßlichen Gebäudes. 40
Dann kam das Haus Ingkara, ähnlich dem Haus Purpur, außer daß die langweiligen Säulen wenigstens durch einen großen Torbogen unterbrochen wurden, an dem ein violettes Banner hing. Auf der anderen Seite des Hauses Fentesk befand sich das Haus Bolk, das aussah wie eine Festung, die Türme mit Zinnen versehen. Zum Schluß, neben dem braunen Haus, folgte das Haus Kestha, dessen Front mit massiven, gedrungenen Figuren dekoriert war, die Kämpfer darstellten, deren Hände ausgestreckt waren, als wären sie dabei, Sprüche gegen die anderen Häuser zu schleudern. »Wer auch immer diese Paläste entworfen hat, hätte zum Wohle der Menschheit schon bei seiner Geburt ertränkt werden sollen«, schniefte Hammen. »Das sind Häuser für Kämpfer, nicht für Geldsäcke«, antwortete Garth. »Die alten Häuser waren anders, aber die Dinge haben sich in letzter Zeit verändert, und diese neuen Gebäude wurden errichtet.« »Immerhin gibt es aber noch so etwas wie Geschmack.« Garth ging auf das Haus Kestha zu, und Hammen beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. »Weißt du, das ist wirklich dumm von dir«, meinte Hammen. »Du bist ein gesuchter Mann in dieser Stadt.« »Um so besser.« Während sie auf das Haus Kestha zugingen, verlangsamte Garth seine Schritte, drehte sich um und blickte zur fünften Seite des großen Platzes hinüber. Er wurde von verschiedenen Geschäften, Speisehäusern und einigen kleineren Palästen gesäumt, die wahrscheinlich im Besitz wohlhabender Händler waren. Garth wandte sich zurück und ging auf die Gebäude zu, hielt am Rande des Platzes inne und sah sich um. »Hier hat einmal das fünfte Haus gestanden«, sagte Hammen ruhig. Garth wandte sich ihm zu und blickte ihn an. »Das fünfte Haus?« 41
»Türkis. Vor zwanzig Jahren gab es fünf Häuser.« »Das weiß ich.« »Dann weißt du auch, daß die anderen Häuser, angeführt vom alten Großmeister und seinem Assistenten Zarel, das Haus Oor-tael am Abend des letzten Festtages massakrierten. Sie kamen bei Nacht, brannten das Haus nieder und ermordeten fast alle Kämpfer.« »Fast alle, sagst du.« »Einige sind angeblich entkommen«, erwiderte Hammen. Der zerlumpte Mann stockte und sah zu Garth auf. »Du warst wahrscheinlich noch zu jung, um überhaupt davon betroffen zu sein«, stieß Hammen mit einem ärgerlichen Unterton in der Stimme hervor. Garth schwieg und schaute auf die Ecke des Platzes, die unpassend im Vergleich zu den protzigen Gebäuden der anderen vier Seiten wirkte. »Und der letzte Großmeister«, sagte Garth, wobei Tonfall eher wie eine Feststellung als eine Frage klang. »Kuthuman? Der Bastard«, flüsterte er. »Was, zum Teufel, denkst du, wer der Wanderer ist? Was glaubst du, wo er das Mana gestohlen hat, das das Tor zu anderen Welten geöffnet hat? Türkis war das mächtigste der fünf Häuser und weigerte sich, ihm bei seinem Streben zu helfen.« Hammen nickte in die Richtung, wo das Haus einst gestanden hatte. »Also haben sie den Meister der Oor-taels getötet, fast seine ganze Familie ausgerottet und ihr Mana genommen.« »Was ist mit Zarel?« »Warum willst du das wissen?« »Er interessiert sich schließlich für mich, nicht wahr?« Hammen schüttelte den Kopf. »Einige behaupten, Zarels Haß auf den Meister von Oor-tael habe alles ausgelöst, und auch Zarels Vorschlag, dem der Wanderer dann zustimmte, obwohl Cullinarn, 42
der Meister von Oor-tael, ein alter Freund war, der einmal Kuthumans Leben gerettet hatte.« »Also, warum hat er es dann getan?« »Ich habe schon einmal gesagt, daß du entweder verdammt gut oder ein Narr bist«, erwiderte Hammen. «Manchmal neige ich zu letzterem. Wenn es um Macht geht, hält die Freundschaft meist nicht lange. Kuthuman wollte die Macht eines Wanderers. Zarel wußte, wenn er ihm hülfe, wäre er danach der neue Großmeister. Darum plante und führte Zarel den Überfall. Das Mana der Türkisen wurde benutzt, um den Schleier zwischen den Welten zu durchbrechen, Kuthuman ging davon, und Zarel kam an die Macht. Die Meister der anderen Häuser hatten entweder mitgeholfen oder tatenlos zugesehen, während die Türkisen ermordet wurden, und hinterher floössen die Bestechungen wie der Kot aus einer gestopften Gans. Die verlorenen Schätze der Türkisen bezahlten für diese Monstrosität eines Palastes.« Hammen nickte der Pyramide und den neuen Häusern zu. »Alle hatten ihren Vorteil von dem Geschäft.« Garth stand eine Weile schweigend da, dann drehte er sich weg. Er drängte sich durch die Menge, die den Platz jetzt bevölkerte. Er ging auf das Haus Kestha zu und verlangsamte seine Schritte erst, als die Pflastersteine unter seinen Füßen die Farbe wechselten, vom Kalkstein, mit dem der größte Teil des Platzes bedeckt war, zu dunkelgrauem Schiefer. Garth hielt inne und sah zu den sechs hohen Statuen der Kämpfer hinauf, welche den Vordereingang des Hauses beherrschten. Er schüttelte verächtlich den Kopf und schritt weiter. Eine Hand schoß vor und packte ihn. »Was genau willst du eigentlich hier?« drängte Hammen. »Wenn du dies nicht ertragen kannst, geh nach Hause, alter Mann, geh nach Hause«, zischte Garth und schüttelte Hammens Griff ab. 43
Die Menge umgab ihn nicht länger. Es war, als existiere eine unsichtbare Grenze vor dem Haus der Kämpfer, die die Leute nicht überschritten. Garth trat auf den Halbkreis aus grauen Steinen, der die Grenzen des grauen Hauses symbolisierte. Er bewegte sich mit lässiger Leichtigkeit. Er hörte eilige Schritte hinter sich, schaute über die Schulter und sah Hammen, der sich bemühte, ihn einzuholen. Sein Stab klapperte auf den Steinen. Aus dem Scharten der großen Statuen trat ein halbes Dutzend Kämpfer. Sie waren mit grauen Tuniken und Hosen bekleidet, ihre Umhänge waren aus feinstem Leder und mit geheimnisvollen Zeichen und Runen bedeckt. Von den reichbestickten Schärpen, die über die linke Schulter bis zur rechten Hüfte reichten, baumelten goldene Beutel für ihre Amulette, Sprüche und winzige seidene Päckchen mit Erde, die Mana aus fernen Ländern enthielt, die sie beherrschten. Diese Erdbündel unterstützten den Kämpfer, wenn er die geistige Verbindung mit dem Land herstellen wollte, aus welchem seine Magie erwuchs. Sie bewegten sich mit vornehmer Leichtigkeit auf Garth zu und stellten sich vor ihn, um ihn aufzuhalten. »Geh fort, Bettler. Du betrittst hier unseren Besitz«, zischte einer von ihnen und versetzte ihm einen Stoß mit der Hand. Garth trat einen Schritt zurück, aber er ging nicht fort. »Ich sagte: Geh fort!« »Ich bin gekommen, um diesem Hause beizutreten«, sagte Garth ruhig. Die sechs sahen sich mit übertriebener Überraschung an. »Eine einäugige Vogelscheuche, gefolgt von einem Bettler«, brüllte der Mann, der ihn gestoßen hatte. »Du beleidigst unser Haus, indem du deinen Dreck auf unserem Weg hinterläßt. Für deine Anmaßung wirst du ihn mit der Zunge säubern. Aber zuerst werde ich deine Zähne auf den Boden befördern.« 44
Der Mann trat vor, um Garth zu schlagen. Noch während er sich bewegte, trat Garth schnell zur Seite, packte den Mann am Handgelenk und schleuderte ihn zu Boden, so daß ihm die Luft ausging. Garth warf sich auf den Boden, als spüre er einen weiteren Schlag von hinten, trat um sich und traf den zweiten Angreifer an der Seite des Knies. Man hörte das Geräusch eines brechenden Knochens, und der Mann fiel schreiend vor Schmerzen nieder. Garth vernahm ein Scheppern und sah aus dem Augenwinkel einen Dolch über das Pflaster rutschen, einen dritten Kämpfer davontaumeln, der sein gebrochenes Handgelenk umklammerte, während Hammen ihm mit weit ausholender Geste den Stab über die Kehrseite zog, so daß er hinfiel. Die anderen drei zogen sich zurück. Der mittlere nestelte an seinem Beutel, zog etwas heraus und breitete die Arme weit aus. Wie aus großer Entfernung hörte Garth das Gebrüll der Menge, Schreie, daß ein Kampf bevorstehe. Garth schritt auf den Kämpfer zu, der sich vorbereitete und auf ihn deutete. »Nicht! Versuch es nicht. Wir müssen jetzt jemand anderen bekämpfen.« Der Mann sah ihn mit aufgerissenen Augen an, seine Konzentration war offensichtlich durch die Kraft von Garths Worten gebrochen. Er schrie plötzlich auf vor Schmerz, weil er den Fehler begangen hatte, von seinem Mana zu zehren, ohne diese sofort auf einen Spruch zu richten. Nun erlitt er eine Mana-Verbrennung, taumelte umher, beide Hände an die Schläfen gepreßt, während Garth ihm mit einem Ausdruck des Bedauerns für solches Stümpertum zusah. »Der Mann gehört uns!« Garth sah wieder den grauen Kämpfer an. »Tu es nicht. Ich denke, wir haben Wichtigeres vor.« Und er wandte sich von ihm ab, als ginge er ihn nichts mehr an. 45
Ein Trupp Kämpfer näherte sich mit zielstrebigen Schritten vom Haus Purpur her über den Platz. Einer von ihnen trug einen reich mit Gold und Silber verzierten Umhang, war offenbar von hohem Rang und der Anführer. Garth erhob die Arme zur Vorbereitung auf einen Kampf, und der Mann ging langsamer. »Ein Zeuge aus der Menge sagt, daß Ihr derjenige seid, der Okmark gestern ermordet hat. Ihr gehört uns.« »Dann holt mich«, sagte Garth ruhig. Der Kämpfer ging weiter, als habe er beschlossen, nicht einmal einen Spruch zu benutzen. Garth lächelte und deutete auf den Mann. Der hielt inne, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Fluchend taumelte er zurück. Danach erhob Garth die Hände und deutete zum Himmel. Eine wirbelnde dunkle Wolke bildete sich, brummte, summte und tauchte hinab. Hornissen, so groß wie der Daumen eines Mannes, schwärmten über die purpurnen Kämpfer, stachen mit solcher Bösartigkeit zu, daß Garths Gegnern das Blut in Strömen über die Gesichter lief. Eine brüllende Menge umringte jetzt die Grenze des Kestha-Gehweges. Die Leute freuten sich, und sie lachten noch lauter, als einige der Hornissen von dem halben Dutzend abließen und in die Menge stachen. Ihre Opfer schrien und fuchtelten mit den Armen, um die Stiche abzuwehren. Die Zappeleien der Bauern und einfachen Leute brachten die Menge dazu, vor Vergnügen noch lauter zu brüllen. Der Anführer der Fentesk-Kämpfer kam mühsam wieder auf die Beine. Er brüllte wütend und breitete die Arme aus, wobei er zum Himmel deutete. Die Hornissen stürzten zu Boden, ihre Flügel rauchten und brannten. Als sie sich schon auf dem Boden wanden, schafften sie es noch, sich an die Knöchel ihrer Opfer zu heften. Ei46
nige stachen sogar durch die Stiefel, so daß die Gefährten des Anführers wie wild umherhüpften. Garth wedelte wieder mit der Hand, und die Hornissen begannen zu brennen, das Feuer breitete sich über die Stiefel der Kämpfer und der gequälten Bauern in der Menge aus. Die Bauern rannten schreiend auf die Brunnen zu, um ihre brennenden Schuhe dort zu löschen. Die purpurnen Kämpfer folgten ihnen, nur der Anführer blieb stehen. Er schlang die Arme dicht um den Körper, sein Umhang flatterte, und Nebel bildete sich um ihn herum. Garth griff in seinen Beutel und deutete auf ihn, als der tödliche Nebel sich bereits auf ihn zu bewegte. Der Fentesk-Anführer stolperte, und einen Augenblick lang schien es, als bildete sich ein Strudel um ihn herum, der seine Kräfte ins Leere saugen wollte. Garth bewegte die Hände vor und zurück, als wollte er den Strudel aufrühren, während der Kämpfer sich innerhalb dieses Kraftfilters, der seine Kräfte verschlang, wand und drehte. Er brach auf dem Gehweg zusammen. Hammen eilte zu dem reglosen Kämpfer und griff nach dessen Beutel. »Nur einen«, befahl Garth. »Das ist die Regel, dies war kein Todeskampf.« Hammen faßte gierig in den Beutel des Mannes und zog ein rundes Amulett heraus. »Sein Schutz vor fliegenden Kreaturen, der, den er gegen deine Hornissen benutzt hat.« Garth nickte und sah dann zu den grauen Kämpfern hinüber, die mit offenen Mäulern gaffend dastanden. Ein lauter Trompetenstoß ertönte über dem großen Platz, und Sekunden später schien er aus dem Hause Kestha erwidert zu werden. Schon jetzt stand eine Traube von Grauen im Toreingang, und wenige Augenblicke später quollen immer mehr heraus. Die Menge, die bisher zugesehen hatte, drängte und 47
schob, als hätte sie etwas von hinten geschlagen. Endlich teilte sie sich, und viele Kämpfer in Purpur strömten in den Halbkreis vor dem Haus der Grauen. Innerhalb von Sekunden kämpfte ein halbes Dutzend von ihnen bereits mit der gleichen Anzahl von Grauen, einige schleuderten Sprüche, andere zogen einfach ihre Dolche und gingen aufeinander los. »Meister, ist jetzt nicht der beste Zeitpunkt, um zu verschwinden?« Garth blickte auf Hammen hinab, der damit beschäftigt war, einige abgeschnittene Geldbeutel in seine Tunika zu stopfen. Die Menge brüllte vor Freude, gestikulierte, rief, schrie in unbändiger Aufregung, als endlich Blut vergossen wurde und ein grauer Kämpfer zu Boden sank, mit beiden Händen die Kehle umklammernd, die von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt worden war. Ein Feuerball traf seinen Angreifer, als dieser sich nach dem Beutel seines Opfers bückte, warf ihn um, und er wand sich in den Flammen, bis einer seiner Gefährten einen Schutzspruch aussprach, der die Flammen erstickte. Zwei graue Kämpfer eilten herbei, um ihrem verblutenden Logenbruder mit Händen und Sprüchen zu helfen und um das Blut zu stillen. Garth bückte sich tief, als vom Dach des Kestha-Palastes Blitze herabschlugen, auf den Platz trafen und Fentesk-Kämpfer wie Halme umwarfen. Er kroch nahe an das Gebäude heran und setzte sich im Schatten eines der großen steinernen Kämpfer nieder. Er griff in seine Tunika, zog einen Granatapfel hervor und begann in Ruhe zu essen. »Meister, bitte!« winselte Hammen und schlich an Garths Seite, kauerte sich neben ihn. »Laß uns von hier verschwinden.« »Noch nicht. Warum gehst du nicht und schließt ein paar Wetten für mich auf Grau ab?« Wieder ertönten Trompetenstöße, und Hammen sah sich verstohlen um. 48
»Der Großmeister der Arena kommt. Es ist höchste Zeit, von hier zu verschwinden.« »In einer Minute.« Am Rande der Menge, die lachend und tanzend alles beobachtete, erschien nun ein großer Trupp. In der Mitte befanden sich mindestens zwanzig Magier, flankiert von einigen hundert Armbrustschützen. An der Spitze der Truppe ritt der Großmeister der Arena persönlich, sein vielfarbiger Umhang zeigte alle Farben des Regenbogens. Die Armbrustschützen hielten ihre Waffen schußbereit und verteilten sich am Rande des Halbkreises, einige dem Mob zugewandt, der zögernd zurückwich, die anderen schauten nach innen und zielten auf die Kämpfer. Weitere Trompeten erschollen, und Trommelwirbel ertönten. Der Kampf neigte sich dem Ende zu. »Tulan von Kestha, komm heraus!« brüllte ein Herold, der neben dem Steigbügel des Großmeisters stand, seine Stimme war anscheinend durch magische Kraft derart verstärkt, daß sie sogar den Tumult der schreienden Menge übertönte, denn einige waren inzwischen von Armbrustschüssen getroffen worden. »Ich bin hier!« Garth wandte sich langsam um und schaute nach oben. Auf dem Kopf eines der großen Steinkämpfers stand ein Mann, den er für den Großmeister des Hauses Kestha hielt. Garth aß seinen Granatapfel auf und warf die Reste zur Seite. »Der Kampf muß aufhören, oder ihr werdet unter Arrest gestellt!« rief der Herold. »Dann sagt diesen purpurnen Bastarden, sie sollen aufhören, unser Gelände mit ihrer Gegenwart zu beschmutzen.« Der Großmeister wendete sein Pferd und schaute auf den Knäuel der Fentesk-Kämpfer, die einen Kreis um ihre Verwundeten gebildet hatten. »Ihr habt dieses Gelände unbefugt betreten; ihr müßt 49
für diesen Gesetzesbruch Strafe bezahlen und den Platz sofort verlassen.« Der Anführer, der zuerst mit Garth gekämpft hatte, hatte seine Sinne wieder beieinander, und man half ihm auf die Beine. »Wir waren hier, um einen Mann festzunehmen, der einen unserer Brüder ermordet hat.« »Wen?« Der Anführer blickte über den Platz. »Meister, bitte, jeeeetzt!« winselte Hammen. Garth stand auf und schlenderte lässig auf den Großmeister zu. »Ich glaube, er meint mich«, verkündete Garth laut. »Das ist er!« schrie der Purpurne. »Er ist derjenige, der gestern einen unserer Männer getötet hat.« Der Großmeister riß sein Pferd herum, und der Herold bedeutete mehreren Armbrustschützen, ihre Waffen auf Garth zu richten. Garth beachtete sie nicht, drehte dem Großmeister den Rücken zu und schaute zur Statue hinauf, auf der Tulan stand. »Ich bin gekommen, um ein Mitglied des Hauses Kestha zu werden. Ich stehe auf dem Boden, der nicht dem Großmeister dieser Stadt gehört, sondern dem Hause Kestha. Wollt Ihr es zulassen, daß einer, der für Euch gekämpft hat, so von Eurer Schwelle gerissen wird?« Tulan sah über den Rand der Statue nach unten und wandte sich dann nervös an die hochrangigen Kämpfer, die im Kreis um ihn herumstanden. »Sicherlich wollt Ihr eine solche Beleidigung nicht auf Eurem Ansehen und Eurer Ehre lasten lassen!« rief Garth, mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme. »Er gehört zu uns und befindet sich auf unserem Boden!« rief Tulan endlich, obwohl die Unsicherheit in seiner Stimme offensichtlich war. Der Großmeister zügelte sein Pferd unmittelbar hinter Garth. 50
»Dies ist meine Stadt, und ich bin der Großmeister der Arena.« »Wenn die vier Häuser nicht mehr in Eurer Arena kämpfen«, sagte Garth und blickte dem Großmeister direkt in die Augen, »werdet Ihr arm werden.« Garth wandte sich wieder an Tulan. »Ist das nicht so, mein Herr und Meister von Kestha?« »Genau so ist es!« rief Tulan. »Berührt ihn, und wir verweigern den ersten Tag des Festes - und die anderen Häuser ebenfalls. Ihr habt kein Recht, einen der Unseren auf unserem Boden zu verhaften.« Bei der bloßen Erwähnung eines Streiks heulte die Menge protestierend auf. Garth drehte sich der Menge zu und verbeugte sich mit dramatischer Geste tief vor ihr, und wilder Applaus ertönte. Er blickte hinüber zu den Fentesk-Kämpfern und sah, daß sie von ihrem Vorhaben, ihn zu ergreifen, Abstand nahmen. Diese Solidarität beruhte allerdings lediglich darauf, daß sie ihre kostbaren Rechte schützen wollten. »Der Mann ist ein Kestha-Kämpfer!« brüllte Tulan. »Er befindet sich auf Kestha-Boden und unter meinem Schutz. Es gibt nichts mehr zu sagen.« Garth wandte sich wieder zum Großmeister, der kalt auf ihn herabstarrte. »Es tut mir leid, Euch Ungelegenheiten bereitet zu haben, Sire.« Der Großmeister schaute mit seltsamem Gesichtsausdruck auf ihn herab, als würde er seine Kraft benutzen, um etwas herauszufinden. Garth fühlte, wie die Kraft wie ein kalter Hauch um ihn herumwirbelte. Schließlich ließ die Kraft von ihm ab. »Du wirst das Fest nicht überleben«, zischte der Großmeister kaum hörbar und riß an den Zügeln seines Pferdes, wendete und trieb das Tier zum Galopp, während die Menge sich vor ihm teilte. Garth verneigte sich tief hinter dem entschwindenden Großmeister, wandte sich dann wieder um und schritt 51
auf den Torbogen des Hauses Kestha zu. Als er zwischen den Schatten der großen Statuen hindurchging, sah er sich suchend um und erblickte Hammen, der zwischen den riesigen Füßen der Figur neben der Tür kauerte. »Steh auf wie ein Mann, Hammen«, sagte Garth ruhig. »Der Diener eines Kestha-Kämpfers sollte mehr Würde zeigen.« »So, der Diener?« fragte Hammen. »Die Dämonen sollen dich holen. Du bist eine Heimsuchung. Jeder, der dir zu nahe kommt, wird sterben.« Garth lachte leise. »Ich brauche jetzt einen Diener. Die Stellung ist dein für einen Silbertaler die Woche.« »Das kann ich an einem Vormittag in meinem eigentlichen Beruf verdienen.« »Du wirst die Veränderung lustig finden. Ich brauche dich nur für das Fest.« »Die geschäftigste Zeit in meinem Beruf.« »Wenn du es nicht tust, wirst du dich wahrscheinlich immer fragen, was du verpaßt hast.« Hammen senkte den Kopf und murmelte in sich hinein. »Oh, zum Teufel mit dir, verdammt seist du. In Ordnung. Aber ich kriege die gesamten Wettrechte außerhalb der Arena von dir.« »Kämpfe außerhalb der Arena sind ungesetzlich.« Hammen warf den Kopf zurück und lachte. »Wie gestern und jetzt gerade.« »Alle Wettrechte dann.« Grinsend verließ Hammen sein Versteck und folgte Garth. Die grauen Kämpfer kehrten in ihr Haus zurück und halfen ihren Verwundeten. Sie sahen mit unverhohlener Neugier zu Garth herüber, aber niemand näherte sich ihm. Die Türen des Palastes waren weit geöffnet, und Garth folgte den anderen hinein, als aus den Schatten eine rundliche schwere Erscheinung trat. Der Mann 52
stand ihm an Größe in nichts nach, maß gerade über einen Faden, aber Garth schätzte, daß er mindestens doppelt so viel wog wie er selbst. Von Großmeistern erwartete man nicht mehr, daß sie in der Arena kämpften, und es war ersichtlich, daß dieser jene Sicherheit von Herzen und mit dem Magen genoß. Seine schweren Wangen wabbelten beim Näherkommen, die fetten Wurstfinger glitzerten vor Juwelen an jedem Finger. Garth fühlte, daß er Macht besaß. Auch wenn diese in Ausschweifungen vergeudet wurde, war er doch noch immer jemand, der fast jeden besiegen konnte, der sich gegen ihn stellte. »Gut gemacht, Junge, gut gemacht!« brüllte Tulan, während er auf Garth zuging, der sich der Zeremonie folgend tief verneigte. Tulan packte ihn an den Schultern und richtete ihn auf. »Du hast dich gegen den verdammten Zarel behauptet, diesen pockennarbigen Arenameister. Gute Vorstellung, Junge, gute Vorstellung.« »Zu Euren Diensten, mein Herr.« Garth überhörte den leichten Hustenanfall, der Hammen ergriff. »Mein Diener, Herr. Seine Kleider wurden ihm heute morgen gestohlen, daher die Lumpen, und er war auch krank.« Tulan sah zu Hammen hinüber, der ihn angrinste und dabei seine gelben Zähne entblößte. Tulan rümpfte verächtlich die Nase. »Jemand möge diesem Mann Kleidung zum Wechseln und ein Bad geben.« »Ein Bad. Aber...« »Hammen, du hast unseren Herrn gehört. Nun gehorche.« Hammen wurde fortgeführt und sah zu Garth zurück, machte dabei ein Zeichen, als wolle er den bösen Blick abwehren. 53
Tulan, mit seiner Hand noch immer auf Garths Schulter, führte ihn den Hauptkorridor des Hauses hinunter. Die Wände waren aus schwerer Eiche, auf spiegelnden Hochglanz poliert, Ständer mit Waffen lehnten daran: Armbrüste, Lanzen, Morgensterne, Kriegsäxte und Schwerter. Garth sah nach oben und bemerkte in regelmäßigen Abständen Löcher in der Decke, ohne Zweifel für schwere Bolzen, die mit einem Hebeldruck ausgelöst werden konnten, um jeden zu zermalmen, der es wagen sollte, den Palast durch den Haupteingang zu stürmen. Ein fünfzig Pfund schwerer rasiermesserscharfer Bolzen, der aus solcher Höhe herabfiel, war ein kraftvolles Argument, sogar gegen einen Kämpfer des zehnten Ranges, wenn dieser unvorbereitet getroffen wurde. Als er nach unten blickte, sah er, daß der Parkettfußboden keineswegs massiv war. Teile davon konnten mit Leichtigkeit wegklappen, wenn unerwünschte Gäste darauf standen. Wahrscheinlich gibt es da unten Schlangengruben, dachte Garth, oder vielleicht sogar ein grobmaschiges Spinnennetz. »Ich habe gehört, daß du Okmark getötet hast. Spruchreflexion, eine mächtige Waffe.« Tulan sah auf Garths Beutel, während er sprach. »Er war dumm.« »Er war vom dritten Rang, mein Mann Webin. Einer des zweiten Ranges wäre klüger gewesen, als sich in einen solchen Straßenkampf verwickeln zu lassen.« »Wie geht es Webin?« »Er wurde im Rang zurückgestuft, weil er eine solche Erniedrigung herbeigeführt hat«, blaffte Tulan. »Sein letzter Spruch ist verwirkt.« Garth schwieg überrascht. Seit wann ließ es ein Kämpfer zu, daß man ihm ohne ehrenvollen Kampf einen Spruch abnahm? »Oh, ich habe mit ihm darum gekämpft«, kicherte Tulan. »Vielleicht regeneriere ich seine linke Hand, wenn ich Zeit habe.« 54
Die Kämpfer, die hinter Garth und Tulan her gingen, lachten kalt. Tulan führte Garth in einen Raum, wo ihn die angenehmsten Düfte umwehten. »Du kommst gerade recht für ein zweites Frühstück.« Tulan bedeutete ihm, sich an die lange Festtafel zu setzen, die bis auf ein Gedeck leer war. Tulan klatschte in die Hände und wies auf Garth. Diener eilten aus einem Nebenraum herbei und stellten rasch einen Teller zur Rechten Tulans auf den Tisch. Tulan bedeutete seinen Ratgebern, davonzugehen, und setzte sich mit einem schweren Seufzer auf einen hochlehnigen Stuhl am Kopfende des Tisches. Weitere Diener kamen herbei, sie trugen Platten mit gefüllten Fasanen, großen Wurstringen, ein kleines Spanferkel, in Honig gebraten und mit Nelken gefüllt, sowie geräucherten Fisch, gebacken mit Zitrone und Ingwer. Schwere Kristallgläser wurden gebracht und mit dunklem tarmulischen Wein gefüllt, andere mit blassem Honigmet und weitere mit einem klaren Wein, in dem funkelnde und tanzende Luftbläschen sprudelten. Tulan nahm einen Laib Brot, riß fünf Teile ab, warf sie den großen Kräften hin, welche die fünf Ecken der Welt aufrecht hielten, und vervollständigte das Ritual mit fünf Prisen Salz, während Garth es ihm gleichtat. Ohne ein Wort zu verschwenden, griff Tulan über den Tisch und nahm sich einen Fasan. Er biß seufzend hinein und hatte ihn schnell verschlungen. Danach nahm er sich das Spanferkel, hielt es hoch, um Garth ein Stück anzubieten. Garth schüttelte den Kopf und widmete sich statt dessen einem der verbliebenen Fasane. Tulan packte das Ferkel an den Vorder- und Hinterbeinen und verschlang den Mittelteil, er benutzte nur ein Messer, um die Füllung herauszukratzen, die immer noch dampfendheiß war. Damit fertig, warf er die Reste zurück auf eine Platte und stürzte sich dann auf die dicken Blutwürste, aß ein halbes Dutzend, bevor er sich dem Fisch 55
widmete, dessen Gräten er auf ein Silbertablett neben seinem linken Ellenbogen spuckte. Dann lehnte er sich zurück und rülpste mit einem so lauten und tiefen Knurren, daß Garth befürchtete, die hohen bunten Glasfenster könnten zersplittern. Als ginge er eine Reihe ab, leerte Tulan sodann die drei schweren Gläser, eines nach dem anderen, nahm sich kaum Zeit zum Schlucken. Seufzend rülpste er noch einmal und ergriff dann eine Fischgräte, um sich die Zähne zu säubern. Garth war mit seinem Fasan fertig, nahm das Glas mit tarmulischem Wein und nippte zufrieden daran. »Da du Okmark mit Leichtigkeit geschlagen hast, mußt du mindestens so weit sein wie ein Kämpfer des vierten Ranges, vielleicht sogar des fünften.« Er hielt inne, sah Garth an, als erwarte er eine Antwort. Garth erwiderte nichts, und Tulan lachte, aber es war offensichtlich, daß er über Garths Geheimnistuerei verärgert war. »Der Inhalt eines Beutels ist - laut Tradition - nur dem Besitzer bekannt«, sagte Garth endlich. »Ich brauche Männer wie dich«, meinte Tulan und sprach, als wären sie alte Freunde. »Wenn dieses Fest erst vorbei ist, sind Verträge zu erfüllen, Städte und Händler zu bewachen, Kriege zu kämpfen, und, glaub mir, Leute des Hauses Kestha bekommen erstklassige Bezahlung für ihre Dienste.« »Abzüglich Eurer Kommission und den Hausgebühren natürlich«, erwiderte Garth. Tulan zögerte einen Moment lang und sah Garth scharf an. »Warum wir, warum nicht ein anderes Haus?« fragte Tulan kühl. »Warum nicht? Wollt Ihr von mir hören, daß der Ruhm des Hauses Kestha größer ist als der aller anderen, daß nur die besten zu Euch kommen? Soll ich Euch das erzählen, als wäre ich ein Gefolgsmann des ersten 56
Ranges, der eines Tages entdeckt hat, daß er mit dem Talent geboren wurde, das Mana zu beherrschen, das Sprüche erschafft?« Tulan schwieg, und Garth lachte spöttisch. »Ich brauche weder das Training dieses noch eines anderen Hauses. Ich habe alles selbst gelernt.« »Wo? Ich habe dich nie zuvor gesehen. Ich habe nie von einem einäugigen Hanin gehört, einem Kämpfer ohne Farben. Woher kommst du?« Garth lächelte. »Das ist meine Sache, Sire. Ihr kennt meine Fähigkeiten; Ihr habt sie draußen auf dem Platz gesehen.« »Es liegt mir daran, etwas zu erfahren. Deine Abstammung zu überprüfen, deine Familienlinien, zu sehen, ob du von einer Linie abstammst, die Kraft besitzt, um das Mana zu beherrschen.« »Das geht Euch nichts an. Eure Sache ist es, meine Sache zu fördern, um uns beiden zu Geld zu verhelfen.« »Wie kannst du es wagen?« brüllte Tulan, stand auf und warf seinen Stuhl um. Garth stand auf und verneigte sich tief. »Es ist offensichtlich, daß wir zu keiner Übereinstimmung kommen, darum biete ich meine Dienste anderswo an. Ich denke, die Purpurnen werden mich nehmen.« »Du wirst hier nicht lebend herauskommen«, knurrte Tulan und breitete die Hände aus. Garth warf den Kopf zurück und lachte. »Ihr werdet mich vielleicht töten, Sire, aber ich kann Euch versprechen, daß ein höllisches Feuer hier drinnen brennen wird, wenn wir den Kampf beenden, und es täte mir leid, Eure Gobelins zu ruinieren; sie sehen aus, als stammten sie von Naki-Webern aus Kish und sind so viel wert wie die Gebühren von fünfzig Kämpfern.« Tulan hielt inne und sah zu den großen, mit Gold- und Silberfäden gewebten Wandteppichen hinüber, welche die Wand gegenüber den bunten Glasfenstern schmück57
ten, so daß sie das Licht auffangen und reflektieren konnten. Ein leichtes Lächeln huschte über Tulans Züge. »Du hast einen Blick für Kunst. Das ist gut, sehr gut. Nur ein Auge und kann besser damit sehen als die meisten Kerle mit zwei Augen, die für mich arbeiten.« Und Tulan lachte, als hätte er einen guten Witz gemacht. »Setz dich hin, Garth Einauge, setz dich hin. Ich glaube, ich werde dich sogar ins Herz schließen.« Und demonstrativ goß er Garth Wein nach. Garth lächelte und nickte dankend. »Eure Kommission?« fragte Garth. »Die üblichen zwanzig Prozent für deine Dienste werden von auswärtigen Verträgen einbehalten, plus zehn Prozent von jedem Beutel, den du in der Arena während des Festes gewinnst. Als Gegenleistung bekommst du ein Zimmer, Verpflegung und den vollen rechtlichen Schutz des Hauses. Und glaub mir, die auswärtigen Verträge werden zu deinen Gunsten abgeschlossen. Graue Kämpfer können mit höherer Bezahlung rechnen als die der anderen Häuser«, brüstete sich Tulan, während er sich den Bauch klopfte. »Unser Ruf sichert das, und du wirst bei Edelleuten und Händlern untergebracht, die deinen Wert zu schätzen wissen und dich mit Respekt behandeln. Du weißt natürlich, daß es ein Kestha-Kämpfer war, der während der letzten zwanzig Feste neunmal den Siegertitel errungen hat und daher auserwählt wurde, der neue Eingeweihte zur höchsten Kraft des Wanderers zu sein.« Tulan schwieg für einen Augenblick, als fürchte er, daß der mächtigste aller Magiekundigen beim Nennen seines Namens plötzlich erscheinen könnte. »Dieser Rekord bewirkt, daß wir in höchstem Ansehen bei denen stehen, die mit uns Verträge abschließen, und gibt uns das Recht, bestimmte Vorteile zu erwarten. Es sichert dir das beste Essen, das beste Quartier, wenn du auswärts weilst, und die besten Gefährtinnen, die du 58
auswählen kannst, werden kostenlos zur Verfügung gestellt.« Garth lächelte und schwieg. »Wir setzen dich entsprechend deiner Fähigkeiten ein, und du beugst dich keinem anderen Gesetz als dem meinen« - er schwieg eine Weile -, »und Zarel kann da sitzen und wegen dir brodeln und dich nicht anrühren, was gerade jetzt sehr wichtig ist.« »Nicht wirklich.« Tulan sah Garth an, unsicher, ob dieser Kommentar einfach gespielte Tapferkeit war oder ehrlich. Endlich lachte er kühl. »Ich mag Kämpfer mit Nerven, wie du sie hast. Aber zweifle nicht an Zarels Kraft. Verlaß dieses Haus ohne Farben, und seine besten Kämpfer werden über dich herfallen. Du brauchst ein Haus, Einauge, sonst bist du tot.« Garth nickte endlich als Antwort. »Als Gegenleistung mußt du alle Regeln des Hauses befolgen, was bedeutet: meine Befehle.« »Einverstanden.« Tulan lächelte, als hielte er bereits die Kommissionen für Garth in seinen Händen. »Du kämpfst nur nach den Regeln, es gibt keine persönlichen Streitkämpfe oder Kämpfe für eigenen Profit. Ich kann es nicht brauchen, daß du da draußen deine Fähigkeiten verschwendest und deine Sprüche aufs Spiel setzt, ohne daß dieses Haus davon profitiert.« »Das wird schwer zu befolgen sein.« »Warum?« »Deswegen bin ich deinem Haus beigetreten. Die Hälfte der Purpur-Kämpfer will mich töten.« »Oh, wegen des Zwischenfalls mit Okmark?« »Nein, wegen anderer Dinge.« »Welcher Dinge?« »Ich bin durch Eid gebunden, nichts zu verraten«, erklärte Garth leise. »Sagen wir nur, es hat etwas hiermit 59
zu tun«, fügte er hinzu und deutete auf seine Augenklappe. »Eine persönliche Angelegenheit also?« Garth beugte sich vor. »Da Ihr mein Gildenmeister seid, kann ich es Euch mitteilen«, raunte er in vertraulichem Flüsterton. Tulan beugte sich eifrig vor, um das Geheimnis zu hören. »Es geschah vor einigen Jahren. Es war fast wert, das Auge zu verlieren, aber nun, da sie wissen, daß ich hier bin, werden sie mich holen. Das ist zum Teil der Grund, warum ich mich entschieden habe, nicht länger Hanin zu sein und einem Haus beizutreten. Ich hörte von den weniger als freundlichen Gefühlen zwischen Fentesk und Kestha und dachte mir, daß ich hier wenigstens ein wenig Schutz finden könne.« »Was ist geschehen?« »Ich verführte die erste Gemahlin des Fentesk-Meisters und ihre Zwillingstöchter zur gleichen Zeit.« Tulan, der gerade dabei war, einen Schluck Met zu trinken, prustete das meiste davon über den Tisch und starrte Garth mit weitaufgerissenen Augen an. Er lief rot an und schlug lachend mit der Faust auf den Tisch. »Kein Wunder, daß er ihr irn letzten Jahr die Kehle durchgeschnitten hat! Wie herrlich, wie unbeschreiblich herrlich! Sag mir, wie gut waren sie?« Garth lächelte. »Die Ehre von Damen, Sire.« »Damen, zur Hölle, alle Frauen der Purpurnen sind Huren, besonders die der Kämpfer. Also haben sie dich erwischt und drückten dir ein Auge aus, bevor du fliehen konntest.« »So ähnlich«, sagte Garth ruhig, und während er sprach, wandte er sich von Tulan ab, als habe ihn plötzlich eine finstere Erinnerung gestreift. »Wunderbar, wirklich wunderbar. Es wird mir eine 60
Freude sein, Varnel Buckara diese Geschichte unter die Nase zu reiben.« »Bitte nicht, mein Herr, um der Töchter willen. Immerhin leben sie noch, und wenn man ihn daran erinnert, könnte es einen neuen Wutausbruch gegen sie zur Folge haben.« »Na gut, na gut. Aber immerhin...« Tulan sah Garth mit Stolz an. »Du kannst den Schwur in der Zeremonie ablegen, am selben Morgen, da das Fest beginnt. Bis dahin kannst du den grauen Umhang eines Neulings tragen.« Garth nickte und schaute ihn über den Rand seines Glases hinweg lächelnd an. »Ich weiß diese Ehre wirklich zu schätzen«, sagte er leise.
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»Der Ewigkeit sei Dank, daß wir hier heraus sind.« Garth sah zu Hammen hinunter und unterdrückte das Bedürfnis zu lachen. Der Taschendieb wirkte nicht mehr wie der Mann, der er noch vor Stunden war. Seine Lumpen waren verschwunden, ersetzt durch eine saubere weiße Tunika mit einem grauen Kreis auf der linken Brustseite. Das schmutzige wirre Haar war ebenfalls der Reinigung zum Opfer gefallen, ein wie es sich für den Diener eines Kämpfers gehörte kurzgeschorener Hammen sah wütend auf das Haus zurück. »Das kannst du behalten, Garth Einauge. Ich habe keine Lust, dieses Spiel noch länger zu spielen. Geh und such dir einen anderen Diener. Ich kehre heim«, verkündete er und riß sich den engen Kragen auf. »Dann verpaßt du den ganzen Spaß.« »Spaß. Spaß nennst du das? Wie ein verdammter Diener kriechen - ja, Meister, nein, Meister, laßt mich Euren Hintern mit meiner rechten Hand abwischen, Meister.« Seine Stimme ahmte einen sarkastisch winselnden Singsang nach. »Das kannst du dir sonstwohin stecken. Ich bin mein eigener Herr.« »Gut, dann geh.« Hammen wurde langsamer und sah zu Garth auf, der in der Dunkelheit kaum zu sehen war. »In Ordnung, ich gehe.« Garth griff in seinen Beutel und zog eine Münze heraus, reichte sie Hammen. »Dein Lohn für eine Woche.« Hammen nahm die Münze kommentarlos und steckte 62
sie in einen kleinen Geldbeutel, der an seinem Gürtel hing. »Mach's gut dann.« Garth wandte sich ab und ging langsam weiter. »Einauge!« Garth drehte sich um und sah zurück. »Wie hast du das Auge verloren?« »Das wirst du nicht herausfinden, wenn du gehst.« Hammen stand eine Weile still. »Und auch sonst nichts.« Hammen schaute ihn aufmerksam an, überlegte, spürte einem Gedanken nach, der vor langer Zeit absichtlich vergraben worden war. Für einen Augenblick fühlte er, daß etwas um ihn herumschwirrte, ein magischer Lichtblitz, der weit in Erinnerungen hineinreichte, die besser vergessen werden sollten. Kurz fühlte er, wie seine Kehle sich verengte, als kehre ein längst vergessener Schmerz zurück. Und dann war es vorbei, und es gab nur die Geräusche der Nacht; die Menge, die auf dem großen Platz herumspazierte, das Singen der Trinker, das Flüstern der Liebenden. Alles enthielt ein tiefes Geheimnis für Hammen, eine bleibende Erinnerung an Lachen, an eine andere Welt und eine andere Zeit, und es schien von dem Fremden herüberzuströmen, der vor ihm im Schatten stand. »Wer bist du?« flüsterte Hammen. »Bleib bei mir und finde es heraus, Hammen von Jor, wenn das dein wirklicher Name ist.« Hammen erstarrte, ein kalter Angstschauer überlief ihn, der plötzlich vorbei war und durch eine leichte Wärme ersetzt wurde, die für eine Sekunde anhielt und dann ebenfalls verschwand. Hammen bewegte sich endlich, sehr langsam, und trat an Garths Seite. »Verdammt, gib mir einen aus.« Hammen ging schweigend dahin, beobachtete, wie sich Garth bewegte. Er ging wie die meisten Kämpfer, 63
mit einer katzengleichen, gewollten Lässigkeit, sein Kopf bewegte sich dauernd, beobachtete. Das Gefühl des Mana umgab ihn, das andere vielleicht als Charisma bezeichnet hätten, was aber in Wirklichkeit rohe Kraft war, für das geübte Auge beinahe sichtbar, wie Blitze am fernen Horizont, die da sind, aber nur halb gesehen und gehört werden. Das Mana konnte verborgen werden, wenn notwendig, aber es war im Überfluß vorhanden, und Hammen wußte es. Nach dem Verlassen des Platzes wanderte Garth eine Seitenstraße entlang, angezogen von lautem Gelächter und einer Menge, die vor der offenen Tür einer Kaschemme stand, einige hielten Fackeln in den erhobenen Händen. Vom Rande der Menge aus beobachtete Hammen, daß sich zwei Kämpfer auf der Straße prügelten, einer davon Braun, der andere eine Frau, wahrscheinlich nur eine Kriegerin, die mit Waffen umgehen konnte. Der braune Kämpfer benutzte nicht seine magischen Kräfte, sondern die körperlichen. Ein Kreis war um die beiden herum in den Schlamm gezeichnet: Sie fochten Oquorak, den rituellen Kampf, bei dem die rechten Hände durch einen kurzen Strick miteinander verbunden waren, während jeweils die linke Hand den Dolch hielt. Der braune Kämpfer blutete aus einem langen Schnitt, der seine Tunika über der Brust zerfetzt hatte, und einem weiteren auf der Stirn; das Blut lief ihm in die Augen. Und doch war der Braune der weitaus kräftigere der beiden. Er riß den rechten Arm nach unten und zog die Frau zu sich heran. Sie fuhr herum, duckte sich unter seinem vernichtenden Schlag und kam wieder hoch, ein kühles, belustigtes Lächeln im Gesicht. »Benalierin«, flüsterte Garth, denn er hatte den tätowierten siebenzackigen Stern auf ihrem linken Unterarm gesehen, das Zeichen ihres Clans innerhalb des benalischen Kastensystems. Garth drängte sich weiter durch die Menge, um den Kampf besser sehen zu können. 64
Die Benalierin stand auf den Fußballen, wartete gelassen, ihr kurzgeschnittenes Haar paßte zur Farbe ihres Lederwamses und der enganliegenden Hose. Der braune Kämpfer versuchte das gleiche Manöver noch einmal, und sie verlor fast das Gleichgewicht. Diesmal schoß sie vorwärts und nach unten, fast bis zum Boden, und vollführte einen Salto. Während sie das tat, zog sie mit dem rechten Arm, nutzte den Schwung, um dem Zug Gewicht zu verleihen. Der braune Kämpfer wurde herumgerissen und umgeworfen. Die Menge brüllte ihre Zustimmung zu diesem Manöver. Braun trat zu und versuchte, ihre Beine zu treffen, als sie sich erhob. Sie sprang mit Leichtigkeit über ihn hinweg. Braun rappelte sich auf und griff erneut an, diesmal mit einem Stich, entgegen den Oquorak-Regeln, die nur Schnitte mit dem Dolch erlaubten. Die Menge verstummte. Dies war nicht länger ein kleiner sportlicher Kampf, dies war ein Blutkampf. Innerhalb von Sekunden begann das Wetten, und Hammen schlüpfte unter die aufgeregte Menge. Garth beachtete den Wetteifer nicht und ging näher auf den Kreis zu. Er beobachtete Braun aufmerksam, während sich die beiden Gegner vorsichtig umkreisten. Der Mann hielt seinen Dolch noch immer zum Stechen bereit, die benalische Frau sah ihn zwar verächtlich an, hielt aber ihren Dolch mit der Rückhand, bereit zum Hieb. Ihre linke Hand schoß vor, und Brauns rechte Schulter wurde aufgeschlitzt. »Wieder Blut«, verkündete sie. »Zum dritten Mal. Es ist vorbei.« Ihre Klinge blitzte erneut und durchtrennte das Oquorak-Seil von einem Faden Länge, das ihre rechten Hände miteinander verbunden hatte. Braun stand keuchend vor ihr, die Züge wutverzerrt. Sie sah ihn verächtlich an, ihre schlanke, jungenhafte Gestalt war im Fackellicht als Silhouette zu erkennen. 65
»Die Wette ging um drei Goldstücke. Du zahlst«, sagte sie leise. »Du hast betrogen.« Sie lachte kalt. »Wie zum Teufel kann ich bei einem Oquorak betrügen? Du zahlst.« Mit lautem Brüllen griff Braun sie an, seine Klinge glitzerte im Fackellicht. Die Benalierin sprang zur Seite, ihre Klinge zuckte. Der braune Kämpfer heulte auf vor Schmerz, taumelte zurück. Sein linkes Ohr lag auf dem schlammigen Boden. Er preßte eine Hand an den Kopf und drehte sich schreiend um, und Garth beobachtete, wie er kurz zu einem Mann schaute, der rechts neben Garth stand und einen schweren Umhang trug. Braun brach eine neue Attacke ab und umkreiste die Frau, so daß sie jetzt Garth und dem Mann neben ihm den Rücken zuwandte. Braun bewegte sich langsam vorwärts, den Dolch erhoben, und die Benalierin nahm den Dolch jetzt in die linke Hand, ebenfalls bereit zum Zustechen. »Du hast betrogen!« brüllte Braun. »Du kämpfst Oquorak, bist aber sowieso Linkshänderin.« »Du hast nicht gefragt. Laut Ritual hättest du das tun können, aber du warst ja trunken vor Hochmut«, sagte die Benalierin ruhig. »Nun bezahl, bevor noch einer verletzt wird.« »Ich schneide dir die Leber heraus und stopfe sie dir in den Hals«, knurrte Braun und kam einen Schritt näher. Die Benalierin trat etwas zurück, wechselte ihre Stellung, bereit für seinen Angriff. Der verhüllte Mann neben Garth trat über die Linie in den Kreis, und Stahl blitzte in seiner Hand auf. Garth traf den Mann mit einem Handkantenschlag im Nacken, direkt hinter dem Ohr, und schlug ihn bewußtlos. Die Benalierin warf einen schnellen Blick nach hinten, und in dem Moment griff Braun an. 66
Garth wollte eine Warnung schreien, aber das war unnötig. Sie wich behende aus und trat Braun die Füße unter dem Körper weg. Mit einer schlangenähnlichen Bewegung war sie über ihm, schlug ihm den Dolch aus der Hand, kniete sich rasch auf seine Brust und setzte ihm die Dolchspitze an die Kehle. »Du bezahlst«, sagte sie leise. Braun sah sie mit mörderischer Wut in den Augen an. Sie drückte ganz sanft mit dem Dolch zu und ritzte die Haut über dem zuckenden Kehlkopf. »Ich hole es mir von dir, ob du lebendig oder tot bist.« »Töte mich, und mein Haus wird mich rächen.« »Soll mir das Angst einjagen?« Garth trat an ihre Seite und riß, ohne auf ihre Zustimmung zu warten, Brauns Beutel auf. Er beachtete die armseligen Amulette in einem Seitenfach nicht und fühlte nach Münzen. »Er hat nur ein paar Silberstücke«, verkündete Garth und zog sie heraus. Die Menge, die schweigend zugesehen hatte, schrie höhnisch ihre Verachtung für einen Kämpfer hinaus, der eine einfache Wette annahm, ohne sie bezahlen zu können. Die Benalierin drückte ein wenig fester mit dem Dolch zu, Blut rieselte über Brauns Hals. »Ich komme wegen der Bezahlung morgen beim zweiten Läuten zu deinem Haus. Sei dort.« Sie drehte ihren Dolch um, schmetterte den Griff gegen Brauns Schläfe und schlug ihn bewußtlos. Sie stand auf, die Menge brüllte ihre Zustimmung. Lächelnd reichte ihr Garth die Münzen. »Danke, Einauge«, sagte sie und neigte anerkennend den Kopf. »Garth.« Garth drehte sich um, als Hammen auf ihn zukam. Hammen zögerte. »Ich meine: Meister.« 67
»Verdammt, Hammen, nur Garth, und laß dieses >Einauge< weg.« Und während er sprach, schaute er die Benalierin an. »Entschuldige, Garth, und vielen Dank.« »Wir haben nicht viel gewonnen. Die Wetten lauteten zugunsten dieser Frau, ein Silbertaler für vier.« Hammen blickte auf die reglosen Kämpfer. »Ah, die alten Tage der Ehre sind vergangen«, sagte er mit einem traurigen Kopfschütteln. »Es gibt nichts als Korruption auf der Welt.« Garth sah ihn überrascht an, und der alte Mann zuckte die gebeugten Schultern, als sei es ihm peinlich, bei einem solchen Ausspruch ertappt zu werden. Die Benalierin wandte sich zum Gehen. »Trinken wir etwas auf unsere Gewinne?« fragte Garth. Sie drehte sich um, sah ihn an und lächelte. »Auf mich. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, obwohl ich sie nicht benötigt hätte. Ich wußte, daß er hinter mir war.« »Natürlich.« »Vielleicht irgendwo anders«, unterbrach Hammen, der auf den besiegten Kämpfer und seinen Gefährten blickte, die sich beide regten. Die drei gingen los, Hammen verpaßte dem Braunen noch einen wohlgezielten Tritt. Dann fiel die Menge über die beiden her, die, wenn sie schließlich erwachten, von Glück sagen konnten, wenn man ihnen nur die Kleider ausgezogen hatte, und deren kostbare Sprüche man auf dem schwarzen Markt verkaufen würde. Hammen führte sie eine enge Straße entlang, die Läden, welche den Weg säumten, waren für die Nacht fest verschlossen. Aus den darüberliegenden Fenstern hörte man Gelächter, Zank, Liebesgeräusche und alle die anderen Klänge, die eine Stadt erfüllten, während von unten Gerüche heraufdrangen, die zumeist unangenehm waren. Hammen trampelte durch den Dreck und 68
kicherte, als die Frau einen Brechreiz unterdrücken mußte. »Schöner Ort für ein Fest«, schniefte die benalische Frau. »Alle Städte sind Kloaken, die das Übelste auffangen«, sagte Hammen, als sei auch er angewidert. Garth sah zu ihm hinunter und schwieg. Der alte Mann schaute zu ihm auf, als schwelge er in düsteren und beunruhigenden Gedanken. »Was ist los?« fragte Garth. »Nichts, Einauge, gar nichts«, sagte Hammen ruhig. Garth sah zu der Frau hinüber und merkte, daß er sie trotz allem mochte. Sicherlich, sie war eine zähe Kämpferin, aber dennoch haftete ihr ein Hauch kindlicher Unschuld an. Er fühlte, daß sie den Oquorak nur aus wirklichem Geldmangel gekämpft und von dem braunen Kämpfer ehrenhaftes Verhalten erwartet hatte. Obwohl sie es zu verbergen versuchte, bewegte sie sich unter ihrer Lederrüstung mit irgendwie unpassender weiblicher Anmut. Hammen führte sie durch ein Gewirr von Straßen, hielt endlich vor einer kleinen Taverne inne und trat ein. Er duckte sich in der niedrigen Türöffnung. Der Schankwirt sah die drei mißtrauisch an. »Ich schließe jetzt.« »Du meinst wohl, du bedienst keine Fremden hier«, erwiderte Hammen und blickte im überfüllten Raum umher, in dem es still geworden war. Einige der Gäste waren um einen Tisch versammelt und beobachteten zwei Leute bei einem Kartenspiel, das die Kämpfe der Magier repräsentierte. Die Zuschauer achteten nicht auf die Neuankömmlinge, so intensiv waren sie mit dem Duell beschäftigt, das mit den Karten ausgetragen wurde. Der Schankwirt drängte sich durch die Menge der Zuschauer und trat zu Hammen. Er sah ihn scharf an und warf dann lachend den Kopf zurück. 69
»Hammen, bist du verrückt geworden? Ich könnte mir eher vorstellen, dich als Hure verkleidet zu sehen denn als Diener eines Kämpfers, und verdammt noch mal, wenn ich es recht bedenke: Ist das denn nicht dasselbe?« »Dann gäbe deine Mutter einen hervorragenden Diener ab und deine Frau und Töchter ebenfalls«, keifte Hammen zurück, und der Wirt lachte noch lauter und deutete auf einen leeren Tisch in der Ecke des Raumes. Hammen führte sie an den Tisch, und die drei setzten sich. Der Wirt näherte sich mit einem schweren Tonkrug und drei Bechern in der einen und einem glühenden Eisen in der anderen Hand. Er knallte die Becher auf den Tisch und steckte das Eisen in den Krug, woraufhin der Duft von aromatischem heißen Rum die Luft erfüllte. »Heißer gebutterter Rum, der beste in der ganzen Stadt«, verkündete Hammen mit einem Seufzer, als die Frau in ihren Beutel griff, drei Kupfermünzen herausnahm und sie auf den Tisch legte. Der Schankwirt sah enttäuscht drein, blickte die Frau an. »Drei Kupferstücke für einen Krug zahlt man dort, wo ich herkomme«, sagte sie ruhig. »Nun, hier aber nicht.« »Doch, hier auch«, erwiderte Hammen und scheuchte den Wirt fort. »Ich hasse Städte«, sagte sie leise, schenkte sich einen vollen Becher ein und trank ihn halb leer. »Warum bist du dann hier?« fragte Garth. Sie schaute ihn an. »Ich sehe, du gehörst zu einem Haus.« »Im Moment schon.« Sie schnaubte verächtlich. »Hanin sind nicht willkommen in der Stadt des Großmeisters«, erwiderte Hammen, »und ganz sicher nicht während des Festes. Dafür sorgen schon die vier Häuser.« »Nun, ihr werdet keinen Benalier sehen, der einer Farbe dient; wir sind unsere eigenen Herren.« 70
»Also, warum bist du denn dann hier?« fragte Garth erneut, hielt dann inne und sah sie an. »Norreen - das reicht fürs erste.« »Also, Norreen, warum bist du hier?« »Ich war die Schildträgerin meines Grafen« - sie zögerte -, »aber er ist tot.« »Also hast du es nicht geschafft, deinen Herrn zu schützen, und bist jetzt arbeitslos«, unterbrach sie Hammen. »Ungefähr so war es«, sagte sie ruhig. »Dann geh nach Hause«, meinte Garth. »Das ist nicht möglich«, sagte Hammen. »Das ist eine Frage der Ehre. Das benalische Kastensystem ist seltsamer, als man denkt. Zu Beginn eines jeden Mondjahres wird die höchste Kaste des vergangenen Jahres zur niedrigsten, die nächsthöhere rückt auf und so weiter. Der einzige, der diesen Rhythmus brechen kann, ist ein Held; ein Rang, der Kriegern verliehen wird, die Schildträger eines Grafen sind oder große Ehren und Ruhm erringen. Ich wette darauf, daß ihre Kaste an unterster Stelle rangiert und sie nichts damit zu tun haben will. Da sie kein Held ist, wäre sie eine Dienerin, und das mag sie nicht.« Hammen blickte sie an, aber sie schwieg. »Laßt mich meine Mutmaßungen beenden. Es gibt da noch einen Mann irgendwo, es gibt immer einen, wahrscheinlich eine widerliche fette Kröte. Frauen der untersten Kaste dürfen einem Mann der obersten Kaste das Verlangen nach einer Vereinigung nicht abschlagen; diese Kröte will dich haben, und ich vermute halbwegs, daß du noch Jungfrau bist und deine Ehre retten willst, außerdem magst du keine Warzen.« Sie sah ihn kühl an, errötete aber leicht, und Hammen feixte. »Verrückt«, sagte Hammen. »Ich habe euch Benalier noch nie verstanden.« Die Benalierin versteifte sich. 71
»Wir sind nicht schlimmer als dieses verdammte Fest.« »Ah, aber da ist alles ganz logisch. Die Häuser prüfen sich gegenseitig, um zu sehen, wer die besten Kämpfer hat, und bekommen dadurch Ansehen und Verträge für das kommende Jahr. Händler und Fürsten können Kämpfer einschätzen, die sie mieten wollen, das Volk wird unterhalten, und der Gewinner geht mit dem Wanderer und bringt seinem Haus großen Ruhm. Es ist alles so lustig.« Er schüttelte den Kopf. »Und der Großmeister macht das ganze Geld«, erwiderte sie kühl. »Warum regst du dich auf?« fragte Garth. »Ich rege mich nicht auf.« »Aber du suchst hier nach Arbeit, weil alle bedeutenden Fürsten zum Fest anreisen werden.« »Könntest du deinem Diener sagen, er soll den Mund halten?« schnappte sie wütend. »Hammen, halt den Mund.« »Oh, bitte, schlagt mich nicht, Meister«, winselte Hammen sarkastisch, bevor er laut rülpste. Er schaute die Frau an und grinste lüstern. »Ich glaube, du hast es meinem Herrn hier angetan. Wenn es dir recht ist, werden wir uns um das Problem mit der Jungfräulichkeit kümmern. Ich habe einen Vetter, der besitzt einen netten Platz, an dem man die Nacht verbringen kann. Ich habe gehört, daß benalische Frauen recht aufregend sind. Ich verlange nur, daß ich durch eins der Gucklöcher zusehen darf. Mein Vetter vermietet die an alte Männer wie mich.« Sie zog ihren Dolch und rammte ihn in die Tischplatte, eine klare Herausforderung. Hammen hielt die Hände in gespielter Angst hoch. »Ich bin kein Kämpfer der Magie und auch kein Krieger, also beschmutz deine Klinge nicht, gute Frau.« Und er lachte erneut. Garth schaute zu Hammen hinüber und zog seine eigene Klinge ebenfalls aus der Scheide. 72
Norreen trank aus und knallte den Becher so heftig auf den Tisch, daß er zerbrach. »Ich könnte sowieso mit keinem Einauge schlafen, und erst nicht mit einem, dessen Diener einen derart stinkenden Atem hat, daß ich mich übergeben könnte.« Sie stand auf und stürmte aus der Taverne. Garth sah Hammen kalt an. »Danke für deine Hilfe.« »Oh, keine Ursache, Meister. Ich habe dir nur eine Menge Ärger erspart. Die Kriegerinnen unter den benaUschen Frauen sind berüchtigt dafür, daß sie Männerherzen brechen. Sie machen sich einen Spaß daraus, besonders wenn die Männer aus einer anderen Kaste stammen. Das ist eine ihrer Methoden, um Prestige zu gewinnen. Außerdem ist sie eine Jungfrau, und die sind sowieso eine ewige Plage, da sie sich immer in den Mann verlieben, der sie von dieser Last befreit. Sie folgen ihm dauernd und quengeln von Liebe. Ich fand es besser, dich davor zu schützen.« »Ich brauche deinen verdammten Schutz nicht.« »In dieser Gegend brauchst du ihn, Garth«, sagte Hammen leise. »Benalier bereiten normalerweise mehr Ärger, als sie wert sind, provozieren dauernd Kämpfe, versuchen immer wieder, aus diesem Kastenkreislauf auszubrechen, besonders wenn es Frauen sind, die zu Füßen des Haufens geworfen wurden. Solche wie die werden dadurch halb verrückt, und diese Halbverrückten sind noch normal, verglichen mit den anderen. Aber wenn du Gelüste hast - mein Vetter hat eine gute Auswahl an exotischen Frauen bei sich daheim, und gegen eine kleine Gebühr kann ich für etwas Unterhaltsames sorgen. Mit deinem Geld könnte ich sogar zwei auf einmal bekommen«, grinste Hammen anzüglich und voller Hoffnung. »Bestimmt macht es dir nichts aus, wenn ich ein Guckloch miete, während wir dort sind.« »Laß uns zurückkehren zum Haus«, sagte Garth kalt, und Hammen sah ihn zerknirscht an. 73
Als sie auf die Straße traten, blickte sich Garth um, als erwarte er, jemanden zu sehen, schaute dann wieder zu Hammen. »Vielen Dank«, knurrte er verärgert. »Immer zu Euren Diensten, Meister«, erwiderte Hammen kichernd und lenkte Garth fort vom Schatten einer Frau, die auf der anderen Straßenseite herumlungerte. »Ich will eine lückenlose Überwachung des Mannes«, grollte Zarel Ewine, Großmeister der Arena. Uriah Aswark, Hauptmann der Kämpfer des Großmeisters, verbeugte sich tief, unter anderem auch aus Furcht, denn der Großmeister war dafür bekannt, daß er nach jedem schlug, der sich in der Nähe befand, wenn er wütend war, und im Augenblick war er ganz sicher wütend, nachdem seine erhabene Person in der Öffentlichkeit bloßgestellt worden war. »Wie Ihr es wünscht, Sire«, flüsterte Uriah. »Wende dich an die üblichen Kontakte in der Stadt und in den Häusern, bezahl die üblichen Summen, aber ich verlange eine genaue Abrechnung über jeden gezahlten Silbertaler« - er hielt inne -, »und du weißt, was diesbezüglich mit deinem Vorgänger geschehen ist.« »Ich würde Euch niemals betrügen, Sire.« Zarel sah seinen Hauptmann voller Geringschätzung an. »Natürlich wirst du das nicht tun. Denn wenn du es tätest, insbesondere jetzt, würde ich dich wahrscheinlich mit den anderen zusammenwerfen, zum Vergnügen des Wanderers. Nun mach, daß du von hier verschwindest.« Uriah zog sich aus dem Raum zurück, den Kopf noch immer in Bezeugung seiner Unterwürfigkeit geneigt, die Augen vom Gesicht des Großmeisters abgewandt. »Uriah.« Er erstarrte. »Ja, Sire.« »Ich ziehe dich in dieser Angelegenheit persönlich zur 74
Verantwortung. Ich will ihn. Ich will wissen, wer er ist und welches Spiel er spielt. Irgend etwas ist mit ihm, aber ich weiß nicht, was es ist; ich habe versucht, es herauszufinden, aber er hatte genug Kraft, um mir zu widerstehen. Mitnehmen konnte ich ihn nicht, weil er Mitglied eines Hauses ist, und solange er Farben trägt, ist er geschützt.« Uriah sah den Großmeister vorsichtig an, überrascht über das Eingeständnis, daß ein einfacher Hanin genug Kraft besaß, ihm zu widerstehen. Seine Gesichtszüge sahen irgendwie verschwommen aus, als verlöre er sich in einer Erinnerung, die irgendwie nebelhaft war und nicht klar durchdrungen werden konnte. »Wer ist er?« Uriah bemerkte erschrocken, daß der Großmeister ihn direkt ansah, die Züge von Zweifeln erfüllt. »Ich werde es herausfinden, Meister.« »Tu das. Sorge für einen Verweis des Hauses, damit er nicht länger geschützt ist und mir gehört. Es ist mir gleichgültig, wie das geschieht, ich will nur, daß es geschieht. Und mach keine Fehler, Uriah, denn ich glaube nicht, daß es dir gefiele, dem Wanderer als Unterhaltung zu dienen, wenn er ankommt. Ich muß das Übliche für ihn bereithalten, und da ist immer noch Platz für einen mehr. Entweder wird es Einauge sein oder du.« Uriah verließ den Raum und schämte sich nicht, daß die Wachen vor der Tür sehen konnten, wie ihm die Knie zitterten. Der Wanderer war immer hungrig nach der Macht, die aus den Seelen gezogen werden konnte, und seine Feinde waren üblicherweise die Opfer... zusammen mit denen, die versagt hatten. Zarel beobachtete, wie der Zwerg, der die Kämpfer kommandierte, den Raum verließ. Warum beunruhigt mich dieser Kämpfer so? wunderte Zarel sich. Irgend etwas war durch seine bloße Gegenwart aufgeschreckt worden, und Zarel wußte, daß solch ein Gefühl meist einen Funken Wahrheit barg. 75
War er ihm schon einmal begegnet? Zarel erforschte sein Gedächtnis. Da der Mann ein Kämpfer war, der Mana kontrollierte, konnte man von seiner äußeren Erscheinung nicht auf das Alter schließen. Er mochte ungefähr fünfundzwanzig sein, so, wie er wirkte, konnte aber ebenso hundert Jahre oder noch mehr zählen. Sich an alle zu erinnern, die im Laufe von hundert Jahren zu seinen Feinden geworden waren, war unmöglich. War es etwas von früher, als Kuthuman noch Großmeister war? Es gab viele Feinde aus der Zeit, als sein Aufstieg zur Macht als Assistent des Großmeisters dafür verantwortlich war, daß mehr als nur ein Körper im Hafenbecken treibend gefunden wurde. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, er suchte. Ein Einauge. Aber seit wann? Er konnte es im letzten Jahr verloren haben oder vor Ewigkeiten. Ein Einauge. Er hatte mitgeholfen, die Augen vieler Männer und Frauen herauszudrücken, denn als Assistent des Großmeisters war es seine Aufgabe, der Administrator des Gesetzes zu sein. Augen, Hände, Füße und Köpfe, das war sein Handwerk. Oder war es später gewesen? Nach dem Fall von Oortael stieg Kuthuman zum Halbgott auf, wurde zum Wanderer und überließ Zarel die Verwaltung seines Reiches als Belohnung dafür, daß er mitgeholfen hatte, dies zu ermöglichen. Tausende hatten in jenen ersten Tagen ihr Leben lassen müssen, alte Rechnungen waren beglichen worden, Rechnungen, die erst beglichen werden konnten, als Kuthuman nicht mehr auf der Erde wandelte. Todesfälle, die ihm Macht sicherten und Untreue ausmerzten. Konnte der Einäuige aus jener Zeit stammen? Zarel saß schweigend da, verstört, daß er keine Antwort fand. Es war ihm klar, daß sie gefunden werden mußte, bevor das Fest begann. 76
»Man hat nach dir gefragt.« Garth nickte. »Ich vermute, der Großmeister der Arena.« Tulan, Meister des Hauses Kestha, sah ihn überrascht an. »Mein Herr, das liegt doch auf der Hand. Ich habe ihn in der Öffentlichkeit bloßgestellt, und Ihr hattet den Mut, mir den Rücken zu stärken. Ich weiß, daß der Großmeister und die Meister der Häuser sich nicht mögen, und er sucht nach einer Möglichkeit, seine Ehre wiederherzustellen. Ich vermute, man bot Euch ein Bestechungsgeld an, um mich zu entlassen.« Tulan versteifte sich ein wenig. »Meister der Häuser nehmen keine Bestechungen an.« »Natürlich nicht, Sire«, sagte Garth ruhig. »Dies auch nur anzudeuten ist schon eine Beleidigung für mich und mein Haus.« »Ich wollte niemanden beleidigen«, erwiderte Garth glatt. »Ich weiß, daß Ihr dies selbstverständlich zurückgewiesen hättet, denn kein Meister eines Hause möchte, daß man von ihm denkt, Zarel habe ihn in der Tasche.« Tulan hielt für einen Augenblick inne, um seinen Becher mit Met zu leeren, und wischte dann die fettigen Finger an seiner Tunika ab. Der Stapel halbgeleerter Teller vor ihm war mit den Überresten seines Frühstücks bedeckt. »Die Fragen, die der Hauptmann seiner Wache stellte, waren allerdings recht ungewöhnlich.« »Zum Beispiel: wer ich bin?« »Genau«, grollte Tulan und hielt kurz inne, um einen knurrenden, gurgelnden Rülpser auszustoßen. »Du bist als Unbekannter zu mir gekommen, als Hanin. Ich nahm dich auf, weil du deine besonderen Fähigkeiten bewiesen hast, und das nicht nur auf unserer Türschwelle, sondern auch indem du den Purpurbastard besiegt hast, der meinen Mann übertroffen hat. Darüber hinaus erzählst du dem Großmeister, er solle 77
sich zu den Dämonen scheren. Ich hätte meine Ehre und mein Ansehen verloren, wenn ich dich als Gegenleistung nicht aufgenommen hätte, als du dort auf dem Pflaster vor unserem Hause standest.« Tulan schwieg kurz und sah ihn aufmerksam an. »Auf der einen Seite könnte ich es harmlos nennen: die Tatsache, daß du Fentesk wegen einer kleinen Ehrensache so bekämpft hast, harmlos auch, daß du als Hanin in mein Haus gekommen bist, auf der Suche nach Arbeit, und daß jener Streit ganz ungewollt heftiger wurde.« »Aber auf der anderen Seite könntet Ihr es anders nennen«, erwiderte Garth ruhig. »Ja, verdammt noch mal«, keifte Tulan. »Ich habe gestern da draußen alles gewonnen. Ich gab dem Großmeister und Fentesk eins auf die Nase; ich gewann einen Teil des Spiels. Aber ich habe auch eine größere Feindschaft des Großmeisters gewonnen, weil ich dich aufnahm. Also, war dies alles harmlos?« »Aber natürlich, mein Herr.« Tulan goß sich Wein nach und sah Garth kalt an, während er den Becher mit einem einzigen Schluck leerte. »Wer bist du?« »Ich war ein Hanin, mein Herr, aus dem Hinterland, aus Gish nahe der Endlosen See und dem Grünen Land.« »Wer war dein Yolin, dein Lehrmeister? Welchem Haus gehörte er an und woher kam sein Mana, welche Verträge hielt er?« »Ich hatte niemanden, mein Herr. Ich lernte allein, daß ich die Kraft hatte, das Mana zu gebrauchen. Ich übte meine Fähigkeiten allein, errang meine Amulette und Sprüche, indem ich andere Hanin herausforderte. Als ich mich bereit fühlte, kam ich hierher, um einem Haus beizutreten. Der Kampf mit Purpur war nur eine Zurschaustellung meiner Fähigkeiten und ebenfalls eine kleine 78
Rache für die vergangene Bloßstellung bei der Angelegenheit mit der Frau und den Töchtern des PurpurMeisters.« »Erwartest du von mir, daß ich das glaube?« brüllte Tulan. Garth verneigte sich tief. »Die Strafe für eine Lüge gegenüber dem Meister ist der Verweis«, erwiderte Garth glatt. »Und, beim derzeitigen Stand der Dinge, wäre ich ein Narr, würde ich lügen, denn ich denke, daß die Agenten des Großmeisters bereits auf mich warten. Und ich wage zu behaupten, daß sie über mich herfielen, wenn ich dieses Haus ohne Farben verließe, und Ihr erhieltet eine ansehnliche Summe als Bezahlung.« »Wie kannst du es wagen, mir auch nur zu unterstellen, daß ich solches Geld annehmen könnte?« knurrte Tulan. »Bitte, mein Herr. Ihr könnt den Schein gegenüber Neulingen des ersten Ranges wahren, die beeindruckt sind von solch einfältigem Idealismus. Jeder, der in dieser Welt ein Idealist ist, muß entweder verrückt oder ein Narr sein. Ihr habt Eure Bedürfnisse, und ich habe meine. Zufällig stimmen sie überein, und am Ende seid Ihr der Gewinner. Ihr habt jemanden gedemütigt, den Ihr haßt, Euer Haus errang gestern großes Ansehen, und ich denke, ich werde für Euch beim Fest gewinnen.« Tulan schwieg, sah Garth an, und für einen Moment kam ein Schimmer von Kraft zutage - ein Bohren. »Was hast du in deinem Beutel?« fragte Tulan leise. »Welche Artefakte, Amulette und Sprüche kontrollierst du?« Garth lachte leise. »Dem Gesetz nach darf kein Meister eines Hauses, nicht einmal ein Großmeister, einen Kämpfer danach fragen.« Er machte eine Pause. »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, sagte 79
Garth endlich, »aber ich möchte hinzufügen, daß es in diesem Fall gegen jeden Brauch und jede Tradition ist, wenn der Meister oder ein Mitglied eines Hauses ein anderes der gleichen Farbe herausfordert.« Tulan füllte seinen Becher und starrte trotzig hinein. »Und solltet Ihr dies tun und mich töten, werden die anderen Meister denken, Ihr hättet den Forderungen des Großmeisters nachgegeben.« »Dann hast du mich also in der Hand«, grollte Tulan. »Besser so als andersherum«, meinte Garth lässig. »Erinnert Euch, ich gehöre jetzt zu Eurem Haus. Ich bin eine unbekannte Größe für das Fest. Ihr solltet gute Gewinne beim Wetten und durch die Anteile an meinen Siegen erzielen. Ich denke, mein Herr, daß die möglichen Gewinne die Bestechungen, die der geizige Großmeister zu zahlen bereit ist, weit übertreffen.« Tulan setzte den Becher ab und rülpste wieder, diesmal etwas leiser. »Du bereitest mir Kopfschmerzen, Einauge. Entweder bist du ein meisterhafter Lügner oder ein unschuldiger Narr.« »Was auch immer Ihr vorzieht, Sire, Ihr werdet so oder so gewinnen, wie Ihr es verdient.« Tulan nickte endlich. »Verschwinde.« Garth verneigte sich tief und ging zur Tür. »Falls du nach draußen gehen willst, rate ich dir, deinen Rücken im Auge zu behalten.« »Das tue ich immer, Sire.«
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Als die zweite Morgenglocke ertönte, sah sich Garth erwartungsvoll um. Der Platz war noch immer ein Durcheinander nach den Festlichkeiten der letzten Nacht. Überall lagen zerbrochene Gläser, zerschmetterte Weinamphoren, zerrissene Kleidung und Körper herum, die man zusammenkehren und zur Bestattung auf Kosten der Stadt zum Armenfeld bringen würde. Die ersten morgendlichen Besucher wanderten bereits umher, die meisten davon waren Bettler, die nach Münzen suchten, die während der Nacht heruntergefallen waren, einige betasteten auch die Leichen, die längst gefleddert worden waren, bevor noch die Sonne am Osthimmel aufgegangen war. Hammen gähnte erschöpft. »Dies ist närrisch, Garth. Ich habe dir doch gesagt, daß benalische Frauen nichts als eine Plage sind.« »Ich bin neugierig, das ist alles.« Er zögerte. »Und außerdem paßt es vielleicht in meine Pläne.« »Welche Pläne sind das?« fragte Hammen ruhig. »Das wirst du schon sehen. Und da kommt sie auch schon.« Garth nickte zu einer einsamen Gestalt hinüber, die über den großen Platz schritt, den Umhang fest um sich gewickelt, um die morgendliche Kühle abzuwehren. Sie ging mit zielstrebigen Schritten, die wachsende Menge machte ihr bereitwillig Platz. Eine kleine Gruppe folgte ihr bereits, denn wo auch immer eine Benalierin auftauchte, entwickelte sich meistens etwas Sehenswertes. Sie ging geradewegs auf das Haus Bolk zu, und ihre 81
zerlumpten Anhänger hielten vor den dunklen Pflastersteinen inne, die das Territorium des Hauses markierten. »Komm schon!« sagte Garth ruhig und trat aus dem Schatten einer Gasse. »Dieses ganze Theater nur wegen einer Frau«, schniefte Hammen. »Zuerst verläßt du dein warmes Bett vor Morgengrauen, dann schleppst du mich durch einen Geheimeingang hinaus, um die Agenten des Großmeisters abzuschütteln, und nun gehst du in die Öffentlichkeit, wenn sich anscheinend ein Kampf zusammenbraut.« Als Norreen auf das Haus Bolk zutrat, erschienen Wachen in der Tür und bedeuteten ihr, stehenzubleiben. Sie blieb stehen und stemmte die Fäuste angriffslustig in die Hüften. »Ich möchte eine Audienz beim Meister des Hauses Bolk«, verkündete sie mit klarer Stimme, die über den Platz schallte. »Du bist keine Magierin, nur eine Kriegerin«, stieß einer der Wächter hervor. »Verschwinde.« »Ich habe gegen einen eurer Männer beim Oquorak gekämpft, und er stand nicht zu seiner Wette. Ich bin gekommen, um Genugtuung zu fordern, entweder durch Geld oder durch Blut.« »Das muß Gilrash gewesen sein«, sagte einer der Wächter, schaute seine Gefährten an und schüttelte den Kopf. »Er sah letzte Nacht ziemlich zerfetzt aus.« »Dann holt Gilrash her.« Der Wächter, der zuerst gesprochen hatte, blickte wieder zu Norreen hinüber und merkte, daß er mehr als nur ein wenig dumm gewesen war. »Geh weg. Komm wieder nach dem Fest. Wir haben andere Sorgen als deine sogenannte Genugtuung.« »Ich war Zeuge des Kampfes«, verkündete Garth und trat vor auf die braunen Pflastersteine. »Verdammt noch mal, Meister«, seufzte Hammen und stellte sich hinter Garth, als dieser auf die Dreiergruppe zuging. 82
»Ich habe den Kampf gesehen und euren Mann nach dem Sieg dieser Frau durchsucht. Es ist so, wie sie sagt er hatte kein Geld. Er verletzte die Ehre eines Oquorak in drei Punkten. Erstens: Kämpfen, ohne den Wetteinsatz erbringen zu können. Zweitens versuchte er zu stechen, als der Kampf sich gegen ihn wandte, und drittens versuchte einer seiner Komplizen, in den Kreis zu treten und diese Frau von hinten zu erdolchen.« Während Garth sprach, erhob er seine Stimme, so daß die versammelte Menge zuhören konnte. Sofort ertönte ein Chor von mißmutigen Kommentaren, denn das Ritual des Oquorak wurde in hohen Ehren gehalten. Es nicht nur in einem, sondern gleich in drei Punkten zu verletzen, erschien dem Volk verabscheuungswürdiger als der Versuch, sich in einen der öffentlichen Springbrunnen zu erleichtern. Oquorak sollte nichts als ein freundliches kleines Spiel sein, bei dem schlimmstenfalls ein Auge verloren werden konnte. Die beiden Wächter sahen sich beunruhigt um, und Norreen warf Garth einen kurzen Blick zu. »Ich brauche deine Hilfe nicht«, zischte sie böse. »Da, hörst du es? Laß uns abhauen«, drängte Hammen. »Gilrash ist weniger wert als ein Gossenkriecher ohne Ehre«, beharrte Garth. »Holt euren Meister herbei, damit er Schadenersatz leistet und den Hundsfott bestraft, wie er es verdient hat.« Eine der Wächter spuckte auf den Boden. »Du stehst unbefugt auf unserem Gelände, graues Einauge. Hau ab, bevor ich dir eine Lektion erteile.« Bei der Erwähnung seines Spitznamens ging ein Raunen durch die Menge. Jetzt erkannte man erst, wer an dieser Auseinandersetzung beteiligt war, denn Garths Rücken war der Menge zugewandt. Rufe der Buchmacher, die Quoten umherschrien, waren nun zu hören. Garth blickte rasch über seine Schulter und sah, daß Hammen sich bereits zurückzog und in den Geldbeutel 83
griff. Garth nickte zustimmend. Er sah den braunen Wächter erneut an. »Jederzeit, wenn du bereit bist«, sagte er lässig und streckte die Hände aus. »Halt dich hier heraus«, knurrte Norreen. Garth bedeutete ihr mit einer schnellen Handbewegung, zurückzutreten und aus dem Weg zu gehen. Der Wächter sah Garth nervös an und vollzog eine schnelle Handbewegung zu seinem Gefährten, der sich umdrehte und ins Haus lief. Garth wartete, konzentrierte sein Mana sorgfältig und wählte seinen Spruch. Währenddessen zog der Wächter sich langsam zurück. Lautes Gebrüll erscholl aus der Menge, das sich zu donnerndem Tumult steigerte, als der braune Wächter die Hände senkte und aufgab, ohne daß sich die Sprüche gekreuzt hatten. Garth wandte ihm verächtlich den Rücken zu, drehte sich zur Menge hin und verbeugte sich vor ihr, als wäre er der Großmeister und hätte gerade ein Duell beendet. Die Gewinner der Wetten brachen in lauten Applaus aus. Und dann verstummte die Meute. »Naru«, zischte jemand. Garth sah sich um. Und noch während er sich umwandte, begann erneut ein fieberhaftes Wetten. Er machte eine kaum wahrnehmbare Handbewegung zu Hammen und war dann bereit für seinen nächsten Gegner. Der Name seines neuen Gegners ertönte immer wieder hinter ihm, und er hörte, wie andere Gaffer von allen Seiten des Platzes herbeigeströmt kamen, angezogen von der Aussicht auf einen aufsehenerregenden Kampf. Er fühlte die Kraft des Mana des Kämpfers, noch bevor der Mann zu sehen war. Es war ein Riese, fast eineinhalb Faden groß, kräftig gebaut, mit so breiten Schultern, daß er nur im Seitwärtsgang durch eine Tür zu passen schien. Er war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, und sein Beutel hing an einem goldverzierten Gürtel. Sein dampfender Körper war von der morgendlichen 84
Trainingsarbeit schweißbedeckt, als er barfuß auf den Platz trat. Sein kahlgeschorener kugelförmiger Kopf bewegte sich vor und zurück, der prüfende Blick glitt über die Leute, von denen einige beim Anblick ihres Favoriten in Beifall ausbrachen. Ihm folgten mehrere Bolk-Kämpfer, die sich nun fächerförmig hinter ihm aufstellten. Naru trat mit kalter Entschlossenheit auf Garth zu, als wäre dieser nichts weiter als ein Insekt, das man zertreten mußte. »Verschwinde von hier, Einauge.« Seine Stimme war tief und schnarrend. »Einer eurer Feiglinge hat versucht, diese Frau um ihren Gewinn aus einem Oquorak zu betrügen. Bezahlt sie, und wir gehen.« Naru sah zu Norreen hinüber und schnaubte, wobei sein Atmen sich fast wie Gebell anhörte. Seine Hand schoß vor wie ein gefällter Baum, um Garth auf der blinden Seite zu treffen, der Kämpfer verschwendete nicht einmal Zeit auf einen Spruch. Und doch ahnte Garth den Schlag voraus und duckte sich tief. Gleichzeitig holte er aus und trat Naru in den Unterleib. Der Riese brüllte auf wie ein Stier, die Augen quollen ihm fast aus dem Kopf, so daß er einem sterbenden Dorsch ähnelte. Er sank auf die Knie. Garth traf ihn erneut, diesmal unter dem Kinn, und Naru fiel hintenüber. Dabei spuckte er Blut und Zähne aus, schlug aufs Pflaster und blieb reglos liegen. Ein heiseres Raunen ging durch die Menge, und die wenigen, die auf Garth gewettet hatten, jubelten vor Freude. Zwar war dies kein magischer Kampf gewesen, aber Naru lag besiegt auf dem Boden, und der Kampf war damit offiziell gewonnen. Mit einem wütenden Schrei sprang einer der braunen Kämpfer vor und deutete mit der Hand auf Garth. Ein donnerndes Krachen schien von der Hand auszu85
gehen, so ungeheuer laut, daß Garth zurücktaumelte, noch während er einen Schutzschild für sich schuf. Der Lärm durchdrang diesen Schild nicht, aber Garth hörte wie von ferne noch das Kreischen der Menge, als der dämonische Donner über sie hinwegfegte. Mit einer Handbewegung erweiterte Garth den Schutz, damit auch die Zuschauer eingehüllt wurden, von denen viele bereits mit geplatztem Trommelfell qualvoll schrien oder sich in ihrem Blut wälzten, denn der dämonische Schrei besaß eine grauenhafte Wirkung. Garth nickte mit dem Kopf, und der braune Kämpfer bewegte die Hände verzweifelt hin und her, während sein Mana aufgesogen wurde. Der dämonische Lärm verstummte, und Braun schüttelte wie rasend die Hand, die jetzt glühte. Ein weiterer brauner Kämpfer streckte die Arme aus, dann noch einer, und die Menschen hinter Garth rannten auf die Seite. »Auf Grau!« Garth riskierte einen schnellen Blick über die Schulter und sah Hammen, der aus vollem Hals brüllte, während er auf das Haus Kestha zuhumpelte, aus dem bereits einige Kämpfer herauseilten, die zuerst durch die aufgeregte Menschenmenge und dann durch Hammens Schrei aufmerksam geworden waren. Garth schlug die Hände zusammen, breitete sie dann aus und hielt sie vor sich, als wären es Klauen. Sekunden später, als schon die ersten von Braun beschworenen Skelette um ihn herum erschienen, manifestierte sich sein eigener Spruch. Lichter umwirbelten ihn, die sich plötzlich in riesige Bären verwandelten. Garth stieß ein Kommando aus, und die vier Bären rasten knurrend auf die braune Linie zu und trampelten die Skelette einfach über den Haufen. Ein paar Braune gaben auf und ergriffen die Flucht, während ein Kämpfer seinen Spruch, den er auf Garth gerichtet hatte, nun auf einen Bären lenkte, der augenblicklich explodierte und verschwand. Ein 86
zweiter Bär starb durch einen Blitzstrahl, aber die beiden anderen durchbrachen die Todeszone und stürzten sich auf den Kämpfer, der zuerst gegen Garth angetreten und noch immer durch seine brennende Hand abgelenkt war. Die Braunen versuchten, ihrem Gefährten mit Sprüchen zu Hilfe zu eilen, aber es war bereits zu spät. Ein Bär schnappte nach dem Bein des Mannes, der andere schloß seine Kiefer über dem Kopf des Braunen und erstickte dessen Schreie. Die beiden zerrten und zogen und rannten dann mit den noch immer zuckenden Körperhälften des Kämpfers in verschiedene Richtungen, wobei sein Blut auf dem Platz verteilt wurden. Die Braunen gerieten jetzt in wahre Raserei und richteten sich gemeinsam gegen Garth. Sein Schutzschild wurde von ihren Angriffen derart erschüttert, daß er gezwungen war, sich schrittweise zurückzuziehen. Durch den Schleier der Explosionen erkannte er Norreen, die sich in das Getümmel geworfen hatte und gerade einem der Braunen mit ihrem Schwert die Kehle durchtrennte. Der Mann taumelte und griff sich mit beiden Händen an den Hals, wobei das Blut unter seinen Fingern hervorspritzte. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang sie an ihm vorbei und rannte auf den nächsten Kämpfer zu, dem sie das Schwert von unten in den Bauch rammte, so daß er aufheulend hintenüber fiel. Es gelang ihm noch, ein Amulett herauszuziehen, aber wieder holte sie aus und trennte ihm die Hand ab, wodurch das glänzende Artefakt auf das Pflaster geschleudert wurde. Doch dann hatten sich andere ihr zugewandt, und eine schwarze Wolke wirbelte um sie herum. Ihre Augen weiteten sich vor Angst, und sie wich zurück, wobei sie mit dem Schwert um sich hieb, um den unsichtbaren Gegner zu treffen. Garth versuchte, den Spruch gegen sie abzuwehren, aber die Attacken von einem Dutzend Kämpfer - einige davon Männer des fünften Ranges oder besser - waren einfach zu stark. Schließlich unterbrach er seinen eige87
nen Schutz für einen Augenblick, um den Schrecken, der sie umgab, zu zerstören, und sie kroch auf Händen und Füßen davon. Aber nun traf ihn ein kraftvoller Spruch, der ihn blendete und sein Herz für einen Moment mit Todesangst erfüllte. Die braunen Kämpfer spürten, daß sie jetzt im Vorteil waren, und drangen auf ihn ein. Sie wollten sein Blut, und einige machten sich bereit, Dämonen auf ihn loszulassen, die Garth in Stücke reißen sollten. Ein Blitzstrahl schnellte über den Platz, Sekunden später gefolgt von weiteren, und dann sah es aus, als ginge ein eisiger Hagelsturm nieder, der die Kraft der Dämonen auslöschte, die sich Garth näherten. Garth errichtete wieder seinen Schutzschild und bedachte sich selbst mit einem heilenden Spruch, um die Angst zu verjagen. Zu seiner Linken befand sich jetzt ein Schwarm grauer Kämpfer, welche die Bolk-Kämpfer angriffen, die sich nun den neuen Feinden zuwandten. Aus der Tür des Hauses Bolk stürmten weitere Männer und Frauen. Aus dem Hintergrund ertönten die Fanfaren des Großmeisters, dessen eigene Kämpfer über den Platz stürmten, um den Tumult aufzulösen. Blut floß in Strömen, während die Kämpfer und Kämpferinnen sich gegenseitig aus nächster Nähe angriffen. Viele gingen zu Boden und wurden von den Siegern mit Todessprüchen bedacht, dann rissen jene als Preise die Beutel der Besiegten an sich; alle Kampfregeln wurden in der Verwirrung außer acht gelassen. Garth schloß die Augen und erhob die Hände, fühlte seine Kraft schwinden, als er den Spruch wirkte. Er öffnete die Augen wieder und lächelte, als er die riesige Spinne auf dem Dach des Bolk-Hauses bemerkte, deren aufgeblähter Leib mindestens vier Faden breit war. Die Spinne starrte auf das Menschengewühl unter sich und witterte ein Festmahl. Sie lehnte sich über den Rand des Daches nach unten, und ihre haarigen Vorderbeine berührten dabei den Boden. Noch während sie an
der Seite des Gebäudes hinabkroch, spuckte sie ätzendes Gift aus. Sowohl Braune als auch Graue wurden unvorbereitet getroffen und wanden sich mit qualvollen Schreien auf dem Pflaster, besonders wenn das Gift ihre Augen traf. Garth sah sich um und bemerkte Norreen, die versuchte, sich zu entfernen. Er rannte zu ihr. »Laß uns verschwinden!« Er faßte sie unter den Achseln, um ihr aufzuhelfen. Dann schnippte er mit den Fingern, und eine Wolke aus grünem Rauch hüllte die beiden ein. Er rannte los, und sie bemühte sich, Schritt zu halten, denn auch die Menge rannte jetzt angstvoll kreischend in alle Richtungen davon, da Dutzende von unkontrollierten Sprüchen über den Platz fegten, denn der Kampf war nun endgültig aus den Fugen geraten. Die Kämpfer schleuderten ihre Sprüche wahllos umher, es war ihnen gleichgültig, wer getroffen wurde. Untote bewegten sich mit staksigen Schritten, einige hielten schreiende Menschen wie Trophäen in ihren graugrünen Händen. Riesenschlangen, die ein halbes Dutzend Faden lang waren und deren Leiber den Umfang einer menschlichen Taille hatten, wanden sich über den Platz, hielten Ausschau nach Beute oder rangen bereits mit einem Opfer. Eine verschlang soeben einen noch wild um sich tretenden Körper. Die üblichen Skelette wanderten klappernd umher, hielten Ausschau nach menschlichem Fleisch, in das sie ihre knochigen Finger krallen konnten. Die Bären hatten inzwischen ihr Mahl beendet und rannten quer über den Platz, um neue Beute zu jagen. Garth winkte ihnen zu und befahl sie an seine Seite. Fluchend und drängend waren jetzt die Kämpfer des Großmeisters herangekommen, und einige wandten sich den verschiedenen Kreaturen zu, um sie auszulöschen. Ein Kämpfer wendete sich gegen Garth, der sofort die Bären auf ihn hetzte und weitereilte. Sekunden später ertönten die Schreie des Mannes, der versucht hatte, ihn aufzuhalten. »Meister!« 89
Garth sah über die Schulter und hielt inne, als er Mammen erblickte, der auf ihn zuhumpelte. Der große Platz war ein einziges Chaos, mehr als vierzig Kämpfer der verschiedenen Häuser befanden sich vor dem Haus der Braunen, die Spinne, die inzwischen einige Beine eingebüßt hatte, krabbelte unsicher umher, während sie einen Kestha-Kämpfer in den spitzen Fängen hielt, und ein in einen Kokon eingesponnener Körper zappelte auf ihrem Rücken. Eine gewaltige Explosion riß einen Teil der Fassade des Bolk-Hauses herunter und sandte einen Steinhagel in eine Seitenstraße, in der bereits mehrere Gebäude in Flammen standen. Der große Platz war ein Meer von Tumulten, denn Tausende versuchten zu fliehen, und wieder Tausende versuchten, näher zu kommen und sich das Spektakel anzusehen. Hammen erreichte Garth und zog einen Beutel aus seiner Tunika. »Woher hast du den?« fragte Garth. »Oh, der gehörte dem großen Kerl, dem du beigebracht hast, im Sopran zu singen.« Garth warf einen schnellen Blick auf die Amulette. Es war eine phantastische Beute, wenn auch nicht ganz legal. »Ich denke, wir sollten jetzt von hier verschwinden«, meinte Garth und schaute zu dem Trupp Krieger hinüber, die sich ihnen mit gespannten Armbrüsten näherten. Die ersten schossen auf die Spinne, die dadurch nur noch gereizter wirkte und auf die Krieger losging, während sie den grauen Kämpfer zur Seite schleuderte. Die Krieger des Großmeisters, die bereits Schüsse abgegeben hatten, stellten ihre Waffen kopfüber auf den Boden, stemmten ihre Füße in die Bügel der Armbrüste und bemühten sich mit beiden Händen, die Waffen erneut zu spannen. Der Rest der Truppe schoß inzwischen seine Pfeile ab, doch die Spinne bewegte sich weiter auf die Männer zu. Wie ein einziger Mann unterbrachen die 90
Krieger ihre Bemühungen und flohen. Der Trupp verteilte sich in alle Himmelsrichtungen, und Garth, Hammen und Norreen beeilten sich, aus der Reichweite der wütenden Spinne zu kommen. Die Spinne hieb mit ihren klauenbewehrten Vorderbeinen um sich, schlug Menschen nieder, zermalmte sie unter den Füßen und spuckte immer wieder ihr Gift aus, das gurgelnd und schäumend auf dem Pflaster landete und Metall, Leder und Fleisch zersetzte. Mehrere Reiter galoppierten durch die Menge, warfen fliehende Bürger und Bogenschützen um. Hinter ihnen raste ein Wagen heran, dessen Kutscher die Pferde unbarmherzig peitschte. Dann zog der Kutscher hart an den Leinen, so daß der Wagen schleudernd zum Stehen kam und sich querstellte. Auf dem Wagen befand sich eine bereits gespannte schwere Schleuder, die mit einer Zwergengruppe bemannt war. Der kommandierende Zwerg beäugte die Helfer und brüllte seinen beiden Assistenten Befehle zu. Beim Anblick des Wagens steuerte die Spinne sofort darauf zu. Das Pferdegespann wieherte in Panik, und der Kutscher bemühte sich durch verzweifeltes Zerren an den Fahrleinen, die Pferde am Durchgehen zu hindern. Die Schleuder schien fast in die Höhe zu springen, als die Männer das Tau lösten und das schwere Geschoß dröhnend über den Platz flog, genau auf die Spinne zu. Die getroffene Kreatur bäumte sich auf und stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, grünliches Blut schoß aus der Wunde, während sie mit zuckenden Beinen zu Boden fiel. Der eingesponnene Kämpfer lag neben der Spinne und wand sich verzweifelt hin und her; er sah aus wie eine riesige Made. »Ich glaube, der Spaß ist jetzt vorbei«, sagte Garth lächelnd. »Laßt uns gehen.« Er tauchte in die Menschenmenge ein, hatte immer noch Norreen in seinem Griff. Sie versuchte, sich zu befreien, und endlich ließ er sie los. 91
»Was im Namen aller Heiligen soll dies alles eigentlich bedeuten?« rief sie wütend. »Hilfestellung«, sagte Garth ruhig und schob sie vor sich her. Hinter ihnen erscholl vielstimmiges Geschrei, als eine neue Explosion den Platz erschütterte, gefolgt vom Geräusch der zerspringenden Scheiben vieler Gebäude. »Du warst nicht dort, um mir zu helfen«, grollte sie. »Du wolltest etwas anderes und hast es bekommen.« Garth verlangsamte seine Schritte und sah sie an. »Ich war dort, um dir zu helfen«, betonte er mit fester Stimme, »und die ganze Sache geriet ein wenig aus den Fugen.« »Spiel bloß kein Spiel mit mir; du wolltest diesen Kampf.« Garth antwortete nicht und ging weiter. »Meine Ehre ist noch nicht wiederhergestellt«, zischte sie. Garth sah zu Hammen hinüber. »Wieviel haben wir gewonnen?« »Dreizehn Goldstücke«, antwortete Hammen triumphierend. »Es stand fünfzehn zu eins für Naru.« »Laß sehen.« Hammen bemühte sich, mit Garth Schritt zu halten. Er zog die Münzen nur zögernd hervor und reichte sie ihm. Garth hielt Norreen die Goldstücke hin. Sie schlug nach seiner Hand, und die Münzen rollten über das Pflaster. Mit einem lauten Entsetzensschrei hastete Hammen hin und her, um sie aufzuheben, und zog brüllend seinen Dolch, als ein Straßenkind eine der rollenden Münzen ergriff und blitzschnell in der Menge verschwand. »Geld bedeutet mir nichts, mich verlangt es nach Ehre.« »Trotzdem mußt du essen«, blaffte Garth verärgert, riß Hammen eine Münze aus der Hand und drückte sie auf ihre Handfläche. 92
»Das reicht bis nach dem Fest. Du bist jetzt in der ganzen Stadt bekannt, weil du den Mut hattest, Bolk herauszufordern. Die Leute werden sich daran erinnern, daß die ganze Sache durch eine benalische Heldin ins Rollen kam. Meide nur die Leute des Großmeisters, die werden hinter dir her sein.« Sie warf ihm einen kalten Blick zu und erhob die Faust, als wolle sie die Münze zurückwerfen. »Du mußt essen«, sagte er ruhig und ging dann weiter. »Er ist verrückt«, meinte Hammen und schüttelte den Kopf, während er Norreen anblickte. »Er ist ein Bastard«, erwiderte sie leise, mit verwirrtem Gesichtsausdruck, drehte sich um und verschwand in der Menge. Hammen hastete weiter, um Garth einzuholen, und duckte sich tief, als eine neue Explosion erfolgte und Trümmerteile mehr als hundert Fuß hoch in die Luft geschleudert wurden. Der große Platz hallte vom Lärm der Explosionen und der Fanfarenklänge wider. Aus dem Haupteingang des Palastes stürmte ein weiterer Trupp Krieger, Armbrüste und Schwerter in Bereitschaft. Hinter ihnen kam ein Dutzend Kämpfer, die durch die Kraft ihres Mana zu glühen schienen und fortwährend Schutzsprüche auf sich und die Krieger wirkten. In der Mitte des Trupps ritt der Großmeister. Sein Gesicht war eine Maske aus Wut, und für einen Moment richtete er seine Aufmerksamkeit auf Garth, der erstarrte. Hammen beobachtete ihn und hatte plötzlich das Gefühl, daß Garth nicht anwesend war, denn er wirkte schemenhaft und durchsichtig wie eine Zeichnung auf einer beschlagenen Glasscheibe. Der Großmeister sah ihm ein paar Sekunden lang fest in die Augen. Wieder wurde der Platz von einer Explosion erschüttert, und es schien, als erwache der Großmeister aus einem Traum. Er wandte sich ab, schüttelte den Kopf, als sei er etwas verwirrt, und ritt dann weiter auf das sich ausbreitende 93
Getümmel zu. Garth war wieder er selbst und schritt zielstrebig weiter. »Ein feiner Spruch«, keuchte Hammen und bemühte sich, mit Garth Schritt zu halten. »Es hilft manchmal, besonders wenn der Suchende sich nicht richtig konzentriert«, erklärte Garth sachlich. »Was nun, Meister?« Garth blickte ihn an. »Oh, heißt es jetzt Meister?« »Ja - nach allem, was du dort gezeigt hast. Es war unglaublich.« »Was meinst du?« »Die Herausforderung des Kampfes.« »Ich habe gar nichts herausgefordert«, erwiderte Garth. Hammen kicherte und spuckte auf den Boden. Beim Überqueren des Platzes richtete Garth seine Schritte geradewegs auf das Ingkara-Haus. Eine große Zahl von Kämpfern stand dort, sah dem Chaos am anderen Ende des Platzes zu, jubelte und brüllte. Garth hielt genau auf sie zu, und anfangs nahmen sie gar nicht wahr, daß er die Grenzlinie überschritten hatte und nun auf dem Halbkreis violetter Steine unmittelbar vor dem Haus stand. »He, ein einäugiger Grauer! Bist du davongelaufen?« Garth sah den Sprecher an, der lachend vor ihm stand. »Ich möchte Mitglied des Hauses Ingkara werden«, sagte Garth mit kühler und sicherer Stimme. Mehrere Kämpfer begannen nun zu lachen und zu spotten. »Ein bißchen zu heiß dort drüben, nicht wahr?« »Könntest ja verletzt werden!« »Und jetzt kannst du nicht mehr zurück, weil du davongelaufen bist!« Noch während er die Hände ausbreitete, eilte ein junger violetter Kämpfer herbei, dessen Tunika verschmutzt 94
und angebrannt war. Er verlangsamte seine Schritte und deutete auf Garth. »Das ist er! Das ist derjenige, der angefangen hat!« rief der Neuankömmling. Der Kämpfer, der sich Garth stellen wollte, sah den aufgeregten Boten überrascht an. »Er hat mit der ganzen Sache begonnen. Zuerst besiegte er Naru, und dann bekämpfte er gleich ein ganzes Dutzend von denen«, keuchte der junge Mann. Garths Herausforderer sah sich verwirrt um, und Garth senkte mit selbstbewußter und herausfordernder Geste die Hände. »Naru?« fragte der Kämpfer. »Der braucht neue Zähne«, verkündete der Bote so aufgeregt, als hätte er selbst die Tat vollbracht, »und er muß irgendwo unterhalb der Rippen nach den Resten seiner Männlichkeit suchen, so wie Einauge ihn getreten hat.« Die violetten Kämpfer schauten zuerst den Boten an, dann Garth, und einige grinsten allmählich vor Schadenfreude. Plötzlich teilte sich die Menge. Die Kämpfer neigten voller Respekt die Köpfe, als eine schlanke Gestalt in einem violetten Gewand, das aus feinstem Samt gearbeitet und mit dicken goldenen Kordeln verziert war, auf Garth zuging. Garth verbeugte sich respektvoll. »Jimak, Meister des Hauses Ingkara«, sagte Garth. Jimak musterte Garth langsam von oben bis unten, als hätte er ein zweitklassiges Kunstwerk vor sich, das er vielleicht kaufen würde, wenn der Preis stimmte. »Du hast Naru besiegt, wie uns Balzark hier erzählt?« »Es ist, wie er sagt«, antwortete Garth. »Und kämpftest gegen ein Dutzend Braune, bis Hilfe eintraf?« »Eine Benalierin hat mir ein wenig geholfen, aber im großen und ganzen war es so.« Jimak nickte gedankenverloren. 95
»Warum kommst du zu uns? Ich sollte dich zu Tulan zurückschicken, damit er dich bestraft, weil du den Frieden des Festes gebrochen hast.« »Da ich Naru besiegt habe, kann ich auch andere besiegen, und Euer Haus wird davon profitieren. Außerdem bin ich noch nicht völlig an die Grauen gebunden und kann daher grundsätzlich gehen, wann immer ich will. So lauten die Regeln, wie Ihr wißt, und ehrlich gesagt, möchte ich die Bestrafung für den kleinen Zwischenfall dort drüben überspringen.« Er nickte in die Richtung des Platzes, wo jetzt dichte Rauchwolken alles einhüllten und noch vereinzelte Blitze zuckten. »Ich wage zu behaupten, daß Ingkara jetzt - dank meiner Bemühungen - gegen ein paar Dutzend gegnerische Kämpfer weniger beim Fest antreten muß, und davon möchte ich profitieren. Darüber hinaus könnt auch Ihr davon profitieren, also hätten wir beide unseren Vorteil.« Jimak schaute Garth überheblich an, dann stahl sich ein dünnes Lächeln auf seine Züge.
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»Haltet den Mund, alle beide!« Tulan und Kirlen, Meisterin des Hauses Bolk, starrten den Großmeister wütend an. »Auch wenn Ihr der Großmeister seid«, meinte Tulan kühl, »habt Ihr kein Recht, mit uns zu sprechen, als wären wir Eure Diener.« »Ich habe das Recht, so mit euch zu sprechen, wie ich es wünsche«, erwiderte Zarel herablassend. »Ihr befindet euch in meiner Stadt, und ihr beide, oder besser gesagt, ihr vier, solltet nicht vergessen, daß ich gewisse Dinge über euch weiß, die andere lieber nicht erfahren sollten.« Tulan rutschte unsicher hin und her. Zarel lächelte innerlich. Tulan war ein Feigling, der jederzeit eingeschüchtert werden konnte. »Wenn Ihr von dem Massaker an den Türkisen redet, nun, Ihr wart der Anstifter«, erwiderte Kirlen schnell, und die Ringe an ihren Händen funkelten im Licht der Lampen. Sie warf ihm einen leicht verächtlichen, kühlen Blick zu und lehnte sich schwer auf ihren Stab. Ihr Gesicht beunruhigte Zarel immer wieder, denn es war das Gesicht des Todes, das Gesicht einer Kämpferin, die ihr Leben durch Magie bis zum Äußersten verlängert hatte, bis Fleisch und Knochen nur noch von feinsten Fäden zusammengehalten wurden. Ihre Haut war gelblich, wie vergilbtes Pergament, und hing in losen zerknitterten Falten von ihrem Schädel herab, als wäre sie heruntergeschält worden. Ein leichter Geruch umgab sie immer, der Geruch nach muffigen Gräbern, Verwesung und Dunkelheit. 97
Zarel sah die braune Meisterin kalt an. »Aber ich bin der Großmeister und tat es auf Kuthumans Geheiß. Was euch vier angeht, so weiß niemand, welche Rolle ihr gespielt habt.« »Nur gut, dann geht doch und teilt es dem Volk mit, das ist mir völlig gleichgültig«, höhnte Kirlen. »Außerdem ist das eine uralte Geschichte, und diese Narren auf der Straße geben nicht einen Pfennig dafür. Alles, was die wollen, ist das nächste Fest, also droht uns nicht mit diesen alten Sachen.« »Hat Euer Mann die Regeln des Oquorak gebrochen?« fragte Zarel, der es für besser hielt, das Thema zu wechseln. »Ist das wichtig? Sie war nicht einmal eine Kämpferin, nur eine einfache Kriegerin, noch dazu eine Benalierin.« »Magische Duelle sind offiziell verboten«, grollte der Großmeister böse, »aber Oquorak ist legal, und das Volk erwartet, daß die Regeln eingehalten werden.« »Laßt Ihr Euch vom Pöbel Vorschriften machen?« schniefte Tulan. »Nein, verdammt. Aber in dieser Stadt lebt eine halbe Million Menschen, und mindestens eine Million strömt zum Fest herein. Wenn sie Amok laufen, wird mein Besitz beschädigt, und meine Steuerzahler werden getötet. Wenigstens hält Oquorak sie bis zum Fest bei Laune, aber wenn es außer Kontrolle gerät, werden als nächstes Kämpfer auf offener Straße magische Sprüche benutzen, und dann wird es ungemütlich.« »Ich werde eine Untersuchung der Sache anordnen, wenn es Euch glücklich macht«, antwortete Kirlen gelangweilt. »Zeugen müssen gefunden und befragt werden. Die Benalierin und Euer Einauge sind verschwunden.« Die braune Meisterin bedachte Tulan mit einem Grinsen. »Eure Leute haben ihn ermordet, und ich erwarte eine Entschädigung«, fauchte Tulan zurück. »Er war einer meiner Besten, mindestens vom achten Rang, und ein 98
Haufen Eurer Kämpfer fiel über ihn her. Wir konnten nicht einmal Teile seines Körpers finden.« Tulan blickte Zarel scharf an. »Ihr sorgt Euch um Eure Oquorak-Regeln und überseht dabei die Tatsache, daß einer meiner besten Kämpfer grausam angegriffen und ermordet wurde.« »Er befand sich auf unserem Territorium. Er betrog einen meiner Kämpfer des neunten Ranges, und - was noch schlimmer ist - der Beutel des Mannes wurde gestohlen.« »Wenn er noch ein Mann ist«, lachte Tulan. »Verflucht sollt Ihr sein, ich will Schadensersatz!« brüllte Kirlen. »Mein Haus ist beschädigt, vier männliche und ein weiblicher Kämpfer sind tot, verstümmelt oder wurden verschlungen, so daß kein Spruch der Welt sie wieder erwecken kann, und fast hundert sind verwundet. Fast ein Dutzend Beutel fehlt, einschließlich dessen von Naru, einem meiner besten Kämpfer.« »Ihr habt damit angefangen!« schrie Tulan wütend und schlug mit der fleischigen Faust auf den Tisch. »Ich habe acht Tote, dreißig Verwundete und ebenfalls verlorene Beutel zu beklagen. Ersetzt mir das, oder ich werde Euer Haus niederbrennen lassen, das schwöre ich euch.« »Ich setze euch beide unter Hausarrest!« rief Zarel. Die beiden Meister warfen ihm böse Blicke zu. »Niemand setzt einen Fuß auf die Straße, bis das Fest beginnt. Jeder, der eure Häuser verläßt, wird festgenommen, seiner Sprüche entledigt und vom Fest ausgeschlossen.« »Versucht nur, einem meiner Leute die Sprüche zu nehmen, und Ihr habt einen Krieg«, fauchte Kirlen, und Tulan nickte, als wäre die braune Meisterin seine engste Freundin, die gerade angegriffen wurde. »Wir werden nicht am Fest teilnehmen«, verkündete Kirlen und sah zu Tulan hinüber, der zustimmend nickte. »Wenn wir fernbleiben, fällt das Fest aus, und Ihr wer99
det nicht einen Pfennig mit Wetten verdienen.« Bei diesen Worten schnippte Tulan mit den Fingern und lachte den Großmeister an. Zarel schaute von einem zum anderen, rang nach Luft und war für einen Moment sprachlos, wie sehr die beiden plötzlich zusammengerückt waren, als wären alle Streitigkeiten der Vergangenheit plötzlich vergessen. »Hinaus, alle beide, Hinaus, und seid Gewarnt! Wenn es noch einen einzigen Zwischenfall gibt: Meine Kämpfer haben Befehl, sofort zu töten! Jetzt verschwindet!« Die beiden verließen gemeinsam den Raum, aber sobald sie die Türschwelle übertreten hatten, fielen sie wieder mit wüsten Beschuldigungen übereinander her. Zarel sah ihnen nach, sein Gesicht war vor Wut dunkelrot angelaufen. Er stürmte an seinen Schreibtisch und läutete mit einer kleinen Glocke. Sekunden später erschien eine kleine Gestalt in der immer noch offenen Tür. »Verdammt, komm herein!« Uriah betrat langsam und mit geneigtem Kopf den Raum. »Du hast Tulan gestern abend ein Angebot gemacht, nicht wahr?« »Wie Ihr es befohlen habt, Meister.« »Und?« »Ich bot ihm hundert Goldstücke für den Kopf von Einauge. Er hätte ihn nicht einmal auszuliefern, sondern nur nach Einbruch der Dunkelheit durch die Vordertür herauszuschicken brauchen, den Rest hätten wir erledigt.« »Und was antwortete er?« »Er lachte und befahl mir zu gehen.« »Aber er schien nicht abgeneigt?« Uriah nickte. »Ich denke, er hat es ernsthaft erwogen.« »Und was geschah heute morgen?« 100
»Meister, er muß durch eine Geheimtür geschlüpft sein. Ihr wißt doch, daß sie, sobald wir eine finden, sofort eine neue machen. Unter den Häusern befinden sich so viele Tunnel, daß wir nicht einmal die uns bekannten alle bewachen können, geschweige denn die uns unbekannten.« »Was hast du noch erfahren?« »Ich habe Erkundigungen eingeholt. Der Baron von Gish kommt in der Nacht vor dem Fest hier an, und er wird gefragt, ob er einen Kämpfer kennt, der behauptet, aus seinem Land zu kommen. Wir wissen über Einauge lediglich, daß er vor zwei Tagen in der Stadt ankam, gegen Purpur kämpfte und ihn tötete, dann mit einem Taschendieb verschwand und am folgenden Morgen vor der Tür des Hauses Kestha stand.« Zarel saß einen Augenblick lang schweigend da. »Dieser Taschendieb - wissen wir, wer er ist?« »Sein Straßenname ist Hammen. Er ist einer der Köpfe der Bruderschaften, die Laster und Verbrechen in der Stadt unter sich haben. Er ist angesehen und hat Verbindungen.« »Wohl nicht so angesehen, als daß du keinen Verräter gefunden hättest.« »Geld bedeutet diesen Leuten alles.« »Wie kamen dieser Hammen und Einauge zusammen?« »Der Taschendieb regelte den Kampf.« Zarel fluchte leise, verärgert über die Anmaßung seiner ureigensten Rechte, auch wenn es nur elendes Gesindel war, das sich ein paar Pfennige verdienen wollte. Das Regeln der Kämpfe stand nur dem Großmeister zu. Sogar in den alten Zeiten von Kuthuman und davor war die Rolle des Ringmeisters eine ehrenvolle Position. Und nun maßten sich Taschendiebe dieses Recht an. »Wo sind sie jetzt?« »Zuletzt wurden sie während der Kämpfe heute morgen gesehen, verschwanden aber dann, ebenso wie die 101
Benalierin. Man vermutet, daß die drei getötet und ihre Überreste verschlungen oder zerfetzt wurden.« »Ein zu großer Zufall, wenn alle drei gleichzeitig zu Tode gekommen wären«, sagte Zarel sachlich. »Ich will Genaueres wissen. Fang mit diesem Taschendieb an. Schick Krieger und Kämpfer aus, um sein Versteck zu finden. Er muß Komplizen haben. Benutzt die üblichen Methoden.« »Ja, Meister«, flüsterte Uriah. »Denk daran, Uriah, entweder du oder der Graue wird an der Unterhaltung für den Wanderer teilnehmen, also geh an die Arbeit. Schließ und verriegle die Tür, wenn du hinausgehst.« Zitternd verließ Uriah den Raum. Zarel saß schweigend da und betrachtete die fleischigen Hände, die er über der umfangreichen Mitte gefaltet hatte. Was war zu tun? Heute morgen war wieder dieses Gefühl dagewesen. Es hatte ihn mit schrecklicher Dringlichkeit getroffen, als er Einauge zum ersten Mal gesehen hatte. Heute morgen war es erneut geschehen, als er auf den Platz geritten war, um den Kampf zu beenden. Etwas Furchtbares schien zu lauern, und einen Augenblick lang vermeinte er, es zu erkennen. Aber dann verflog der Gedanke wieder. So kurz vor dem Fest mißlang einfach zu vieles. Die Spannung hatte sich über Jahre hinweg aufgebaut, fand er. Unter Kuthuman hatten alle in Angst vor ihm und seiner Macht gelebt, besonders in den letzten Jahren, während er versuchte, den Schleier zwischen den Welten zu durchstoßen. Nachdem er ein Wanderer geworden war, fürchteten sie ihn noch viel mehr. Und doch war er nur an einem Tag im Jahr anwesend. Das alte Gleichgewicht zwischen den kämpfenden Häusern und dem Großmeister war aufs beste ausgewogen geworden. Der Großmeister war nicht so mächtig wie alle Häuser zu102
sammen, aber die Häuser waren Konkurrenten und hätten sich daher nie gegen ihn verbündet. Dafür mußte er den Anschein von Ordnung in den Ländern wahren, um Chaos zu verhindern, damit das Mana wachsen konnte. Nun verschob sich alles. Die Häuser wetteiferten immer stärker miteinander und benahmen sich dem Großmeister gegenüber immer herausfordernder. Zarel spürte, daß das System, das er geschaffen hatte, sowie das vermehrte Blutvergießen beim Fest (das die Leute zufriedenstellen und die Wetten anspornen sollte) zu dieser Situation beigetragen hatten. Allerdings wurde durch die steigende Anzahl der tödlichen Kämpfe in der Arena die Macht der Häuser gedrückt, da sie von Jahr zu Jahr immer mehr Kämpfer verloren und so ihre Kräfte verströmten. Und dann war da noch der andere, der dunkle Traum. Er würde ganz allmählich sein eigenes Mana horten und es eines Tages Kuthuman gleichtun und selbst ein Wanderer werden. Das war sein dunkles Geheimnis, denn er wußte mit grimmiger Zuversicht, daß Kuthuman, sollte er je diesen Plan erahnen, ihn sofort töten und durch einen neuen Großmeister ersetzen würde. Es war ein lähmendes Spiel von Plänen innerhalb anderer Pläne, dem Halten der Balance, der Ahnungslosigkeit der Meister der Häuser, dem Zusammenraffen des Mana-Tributes für den Wanderer - und vor allem von einem: dem Überleben. Irgendwie spürte er, daß Einauge eine unberechenbare Karte in diesem Spiel war. Sie mußte aufgedeckt werden. Obwohl er allein den Gedanken daran fürchtete, erkannte Zarel nun, daß er Kuthuman rufen und ihm Bericht erstatten mußte, auch wenn es nur zur Vorbeugung geschah, aber es bestand Hoffnung, daß er vielleicht die Antwort wußte. Schließlich erhob er sich seufzend, ging durch den Raum und blieb vor einer getäfelten Wand stehen. Er erhob die Hand, die Wand glitt zur Seite und gab einen 103
kleinen Raum dahinter frei. Zarel ging bis zur Mitte des Raumes und trat in einen goldenen Kreis, der hell auf dem tiefschwarzen Felsboden aufleuchtete, obwohl weder eine Fackel noch eine Lampe im Raum zu sehen waren. Die Geheimtür schloß sich hinter Zarel. Er beugte den Kopf, die Hand glitt in den Beutel und umklammerte die Mana-Bündel in allen Farben des Regenbogens. Lichtstrahlen wirbelten umher, drehten und wanden sich, bildeten einen Kegel um ihn herum. Minutenlang wartete er schweigend und hielt die Augen vor dem gleißenden Licht verschlossen, in das er gebadet war. Schließlich spürte er die Präsenz herannahen, fast als wäre sie eine Lawine, die einen Berg hinabstürzte. Zarel Ewine, Großmeister der Arena und höchster Fürst der Stadt Kush, fiel auf die Knie. Der Wanderer stand vor ihm. »Warum hast du mich gerufen?« flüsterte die Stimme verärgert und böse. »Das Fest beginnt erst in drei Tagen, und ich muß mich zur Zeit mit anderen Dingen befassen.« »Es war notwendig, Herr«, raunte Zarel. »Dies ist nur eine von hundert Domänen, nur eine von hundert Ebenen. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um deine Belanglosigkeiten zu kümmern. Hoffentlich handelt es sich um keine Nichtigkeit.« »Das glaube ich nicht.« »Sprich und mach es kurz.« Zarel berichtete rasch von Garth Einauge und den Kämpfen, die er überall verursachte. Der Wanderet schwieg, nur das Knistern seiner Energie war zu vernehmen. Zarel hätte gern die Augen abgewandt, wagte es aber nicht. »Die Berichte gehen davon aus, daß er tot ist, aber ich glaube es nicht. Ich befürchte, daß er noch immer lebt.« »Dann spür ihn auf. Warum belästigst du mich? Du erwartest doch nicht etwa von mir, daß ich dieses Insekt suche.« 104
»Nein, mein Gebieter. Aber da ist noch etwas.« »Verdammt, dann sprich.« »Irgend etwas steht hinter diesem Mann. Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist da. Einen Augenblick lang glaubte ich, ihn während des Aufruhrs zu sehen, aber dann war er fort, und ich ritt weiter. Wenn das so war, dann hat er Macht. Ich habe lange darüber nachgedacht, und dann erkannte ich eine Verbindung. Ein anderer hatte vor vielen Jahren die Herrschaft über einen solchen Spruch, und Ihr wißt, von wem ich spreche.« Zarel spürte, wie der Wanderer kurz zögerte. »Wenn das so ist, dann finde ihn!« »Mein Gebieter, ich dachte...« »Finde und töte ihn sofort. Ich habe keine Zeit mehr. Mich beschäftigen Dinge außerhalb dieser lausigen Ebene. Ich werde zum Fest hier sein und erwarte, daß diese Angelegenheit dann erledigt ist.« »Mein Herrscher...« Aber der Wanderer war bereits verschwunden, und irgendwie fühlte Zarel, daß hinter seinem Aufbruch eine große Dringlichkeit stand, so als ob sich ein intensiver Kampf noch während des Gespräches abgespielt hätte und der Wanderer nicht eine Sekunde länger bleiben konnte, um sich um eine unbedeutende Angelegenheit zu kümmern. Erschöpft setzte sich Zarel in die Mitte des Kreises und öffnete die Augen. Der Raum wurde jetzt nur noch von dem Licht erhellt, das der goldene Rand des Kreises spendete. Er hatte hin und wieder kurze Einblicke in das Königreich seines Herrn und Gebieters, des Wanderers, erhalten und wußte, daß dort Kriege und Revolten gegen die Macht und Herrschaft anderer Wesen stattfanden. Diese Einblicke waren einerseits erschreckend und beängstigend, dann wieder verführerisch und beeindruckend, denn ein Kämpfer, der lange genug überlebte, konnte ebenfalls eines Tages zum Wanderer werden. In jenen Königreichen konnte er unvorstellbar viel Mana 105
ansammeln, Quelle der Macht aller Sprüche und Artefakte. Er konnte dort sogar Unsterblichkeit erlangen und für unzählige Äonen existieren, bis es einem neuen Wanderer gelang, ihn zu besiegen und sein Mana zu stehlen. Es gab nur eine bestimmte Menge Mana in diesen Königreichen, obwohl Gerüchte behaupteten, sie sei unbeschreiblich groß. Deshalb war ein Wanderer nicht besonders erpicht auf irgendwelche Rivalen. Zarel seufzte. Der Traum der Unsterblichkeit war besonders verführerisch. Als ein Magier hatte er die Möglichkeit, seine eigene Lebensspanne auf ein Jahrtausend oder mehr zu verlängern. Aber jede Verlängerung forderte ihren Preis, und man alterte langsam. Dann wurde diese Kraft irgendwann zu nichts anderem als dem verrückten Versuch einiger alter Narren, die nur noch dazu taugten, im Schatten zu sitzen und sinnlosen Träumen nachzuhängen. Seine unerbittlichste Feindin, Kirlen von Bolk, war bereits auf dem Weg, zu einer solchen Gestalt zu werden, voller Angst vor dem Tod und voller Angst vor dem endgültigen Verweilen. Er wußte, daß sie davon träumte, ihn zu beseitigen, um selbst Großmeisterin zu werden und genug Kraft für die Unsterblichkeit zu sammeln. Der bloße Gedanke an sie und ihre dauernden Komplotte erweckte das Bedürfnis in ihm, endlich eine Möglichkeit zu finden, sie unauffällig zu töten. Was würde sie mit diesem Einauge tun, und was war dessen Plan? Denn daß er etwas plante, war offensichtlich. Einauge lebte und mußte gefunden werden. Es lag auf der Hand, daß sein Spiel der allgemeinen Ordnung gegenüber sehr gefährlich war. Und wenn diese Ordnung gestört wurde, wurde auch der Wanderer gestört. Sollte jedoch der Wanderer zu sehr gestört werden, würde man einen neuen Großmeister ernennen. Zarel war sich bewußt, daß er Einauge finden mußte, bevor Kirlen ihn fand. 106
»Herein.« Garth Einauge betrat das Arbeitszimmer des Meisters von Ingkara, Jimak Ravelth. Der Meister sah auf, sein insektenähnliches kantiges Gesicht wurde von einer einzigen Lampe erhellt, die auf einem Tisch hinter ihm stand. Auf dem Tisch waren schimmernde Gegenstände verteilt, und beim Näherkommen sah Garth, daß es sich um aufgestapelte Goldmünzen, Smaragde, blutrote Rubine, katzenaugengroße Opale, geschliffenene Diamanten und kunstvolle Artefakte aus Metallen handelte, die nicht von dieser Welt stammten. Jimak lächelte und verzog dabei die blutleeren Lippen, so daß sein Gesicht wie ein Totenschädel aussah. »Meine Spielzeuge«, sagte er sanft und bedeutete Garth, näher zu kommen, um sie zu bewundern. Die Geste war freundlich, doch als Garth sich näherte, fühlte er, wie eine Barriere errichtet wurde. Jimak beugte sich leicht nach vorn, so als wolle er seinen Körper über seine Besitztümer werfen, um sie vor unbefugten Blicken zu schützen. Garth schenkte ihnen einen kurzen Blick, verweilte für einen Moment bei den Artefakten und zuckte dann die Schultern, als blicke er auf wertlose Glücksbringer, die ein Bettler verkaufen wollte, um ein paar Pfennige zu verdienen. »Sie bedeuten mir nichts«, sagte Garth ruhig. »Das behaupten auch andere, selbst wenn sie bereits versuchten, mich zu berauben«, erwiderte Jimak scharf. »Mich interessieren andere Dinge.« »Zum Beispiel?« »Macht und Rache.« »Beides kann dir zu Reichtum verhelfen.« »Nein«, antwortete Garth kühl, »die Bezahlung liegt hier drinnen.« Und er schlug mit der geballten Faust auf sein Herz. »Hat es etwas mit deinem Auge zu tun?« fragte Jimak und leckte sich mit blasser Zunge die fahlen Lippen. 107
Garth hob die schwarze Augenklappe an, und Jimak, der von perverser Neugier ergriffen wurde, leuchtete mit der Lampe, um besser zu sehen. Er atmete keuchend aus. »Das sieht aus, als wäre es herausgerissen worden, nicht wie eine Verletzung durch einen Kampf. Unangenehm, sehr unangenehm.« Er leckte sich wieder die Lippen. Garth schob die Augenklappe zurück. »Kommt bei den Frauen gut an; sie fallen fast um vor Entsetzen bei dem Anblick«, sagte Garth ironisch. »Frauen. Wer braucht Frauen, wenn er dieses alles hat?« fragte Jimak, nahm einen Rubin auf und streichelte ihn liebevoll mit seinen klauenartigen Händen. »Die Wunde schmerzt seit fünf Jahren, seit fünf Jahren trage ich die Erinnerung an den Schmerz mit mir herum. Seit fünf Jahren erwache ich mit Schmerz und Verzweiflung.« »Wer hat es getan?« Garth zögerte. »Rede weiter.« »Der Großmeister und Leonovit, Vetter von Kirlen, der Meisterin des Hauses Bolk.« Jimak kicherte. »Liebe Güte, deine Rache richtet sich auf hohe Ziele.« »Es geschah einige Monde nach dem Fest vor fünf Jahren. Leonovit und ich kämpften. Er hatte meine Schwester gegen ihren Willen genommen. Als sich mein Sieg abzeichnete, griffen mich mehrere seiner Kämpfer von hinten an. Man schleppte mich vor den Großmeister und beschuldigte mich, ein Unruhestifter zu sein, riß mir zur Strafe das Auge heraus, nahm mir meinen Beutel und verwies mich der Stadt.« »Und nun bist du zurückgekommen, um dich zu rächen.« »So ungefähr ist es.« »Warum hat sich niemand an dich erinnert? Naru dient dem Haus Bolk seit einigen Dekaden.« 108
»Erinnert Ihr Euch an alle Hanin-Kämpfer des ersten Ranges, die Ihr getötet oder verstümmelt habt?« Jimak grinste. »Sie sind wie lästige Fliegen.« »Man hat mich vergessen, aber ich habe nichts vergessen.« »Und warum gerade ich?« »Warum nicht? Ich weiß, daß Ihr diese Dinge liebt.« Garth deutete auf die auf dem Tisch verstreuten Schätze. »Ich kann Euch zu weiteren verhelfen. Ich werde in der Arena für Euren Gewinn sorgen und ebenso für Euren Gewinn durch Aufträge nach dem Fest. Und ich kann die anderen Häuser schädigen. Das habe ich bereits heute für Euch getan.« »Du hast Tulan und das Haus Kestha verraten.« »Das fette Schwein?« schnaubte Garth verächtlich. Jimak blickte ihn an. »Er ist Meister eines Hauses. Ich sollte dir dafür die Zunge herausschneiden.« »Tätet Ihr das und bötet sie ihm an, verschlänge er sie ungekocht. Er ist ein Schwein, ein Mann ohne Manieren, widerlich.« Jimak lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und stieß ein dünnes krächzendes Lachen aus. Garth griff in seine Tunika, zog einen kleinen Lederbeutel heraus und warf ihn auf den Tisch. Jimak starrte für einen Augenblick darauf, dann riß er ihn eifrig auf. Er nahm einen einzelnen Rubin heraus, hielt ihn ins Licht der Lampe und betrachtete ihn eingehend. »Solange ich unter dem Schutz dieses Hauses stehe und seine Farben tragen kann, brauche ich dies nicht. Seht es als Ausdruck meines Respekts an, eine Zahlung zugunsten des Pensionsfonds alternder Kämpfer, die sich nicht töten oder beseitigen lassen. Ich muß gestehen, daß ich noch mehr davon besitze, jedoch befinden sie sich in einem nur mir bekannten Versteck. Sollte alles 109
gutgehen, kann man sie bei passender Gelegenheit dem Fonds hinzufügen.« Jimak schenkte Garth keinen Blick, sondern nickte nur und konzentrierte sich völlig auf den Rubin. »Außergewöhnlich, fehlerlos.« »Sind wir uns damit einig?« »Ja, ja«, sagte Jimak abwesend. »Für den Pensionsfonds. Du wirst am Morgen des Festes aufgenommen.« Er warf Garth einen raschen Blick zu. »Du sagtest, du hast noch mehr?« Garth nickte, und Jimak fuhr lächelnd fort, den Rubin zu betrachten. Garth wartete noch einen Moment ab, aber Jimak sagte nichts mehr. Sich tief verbeugend zog sich Garth zurück und schloß die Tür hinter sich. Ein letzter Blick hatte ihm den Meister gezeigt, der noch immer im Licht der Lampe saß und den Rubin studierte, als wäre dieser ein magisches Buch mit Sprüchen, die bis dahin unbekannt waren. »Meister.« Garth wandte sich um und sah Hammen, der im Schatten stand und ihn herbeiwinkte. Hammen zog Garth in die Nische, in der er gewartet hatte. »Als du dich vorhin ausgeruht hast, habe ich einen Spaziergang gemacht.« »Um Fleischtöpfe zu leeren, obwohl wir jetzt Geld haben?« »Nein, verdammt. Ich ging nach Hause. Ich wollte ein paar Informationen einholen; schließlich habe ich eine Bruderschaft zu organisieren, auch wenn ich mit dir unterwegs bin, um Ärger zu stiften. Außerdem hatte ich plötzlich das Gefühl, als sei etwas Furchtbares geschehen.« »Und?« Hammen blickte zur Seite, seine Fäuste öffneten und schlössen sich, dann sah er Garth an, mit Tränen in den trüben Augen. »Sie sind alle tot. Alle sind tot.« 110
»Was ist geschehen?« Dieses Mal klang seine Stimme kalt, flach und unpersönlich. »Der Großmeister. Ich hätte es wissen müssen. Irgendwie spürte ich, daß etwas anders war, als ich die Gasse betrat. Es war zu still, als hätten sich sogar die Ratten versteckt. Die Tür war nur angelehnt, und ich trat ein.« Er hielt inne, atmete schwer. »Sie waren alle tot. Rico, Matu, Evanual, der beinlose alte Nahatkim, alle tot. Meine anderen Brüder verschwunden. Ich hoffe, sie sind entkommen, aber irgendwie fühle ich, daß sie gefangengenommen wurden. Diejenigen, die dort lagen, sind gefoltert worden, ihre Köpfe waren abgetrennt und...« Seine Stimme versagte. »Hat man dich gejagt?« Hammen nickte. »Jemand kam hinter mir durch die Tür. Ich rannte zum Ende der Hütte und kroch durch unser Abflußrohr.« »Das riecht man.« »Ich habe mich hierhergeschlichen, aber ich glaube, man ist mir gefolgt. Ich versuchte, sie in den Kanälen abzuschütteln. Aber irgendwann mußte ich hierher, zum Einstieg in dieses Haus. Leider waren sie mir dicht auf den Fersen.« Garth nickte langsam. »Verdammt, warum bist du zurückgekommen?« knurrte Hammen wütend. Garth sah sich um und zog Hammen tiefer in den Schatten. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, wisperte er. »Du weißt verdammt gut, was ich meine. Alle meine Freunde sind tot, nur wegen dir.« »Du irrst dich. Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte Garth leise. »Aber ich habe eine Frage: Du hast schon früher Freunde verloren, nicht wahr?« Hammen schaute ihn an, Tränen rannen ihm über die 111
schmutzigen Wangen und hinterließen weiße Spuren auf seiner Haut. »Ja, vor langer Zeit, in einem anderen Leben. Ich habe es fast vergessen, denn sie gingen ins Land der Toten, und ich habe gehofft, sie würden dort bleiben.« Er sah Garth böse an. »Niemand von uns kann vergessen.« »Und nun sind sie tot.« Garth legte sanft eine Hand auf Hammens Schulter. »Glaub mir, Hammen, wenn ich geahnt hätte, daß deine Freunde in Gefahr waren, hätte ich etwas getan. Ich habe nicht geglaubt, daß der Arm des Großmeisters so lang ist. Irgend etwas treibt ihn an, und er handelt. Das habe ich erwartet, aber nicht, daß es sich gegen dich richten würde.« »Durch mich kommt er aber an dich heran.« »Ich denke, es muß etwas geschehen«, sagte Garth bestimmt, ergriff Hammens Hand und zog ihn den Korridor entlang. »Die Suppe muß noch ein wenig mehr umgerührt werden.« »Was meinst du damit - er lebt?« Tulan spuckte das halb zerkaute Stück eines gekochten Tintenfische aus und ergriff einen Kelch mit Wein. »Nichts weiter«, antwortete Uriah ruhig. »Er ist noch am Leben.« »Unmöglich. Die Braunen behaupten, sie hätten ihn getötet, und mehrere meiner Leute sahen, wie er in einer Wolke aus grünem Rauch explodierte.« »Könnte der Rauch nicht einer seiner eigenen Zauber gewesen sein?« Tulan leerte den Kelch hastig und donnerte ihn so hart auf den Tisch, daß der feine Kristallfuß zersprang. »Wir haben seinen Diener entdeckt, der auch als tot galt. Wenn der noch lebt, können wir wohl annehmen, daß auch Einauge lebt, es sei denn, wir finden seine Leiche.« 112
Tulan warf den Kelch fluchend auf den Boden und saugte an einem Schnitt in einem seiner fettigen Finger. »Wenn er also noch lebt, wo ist er dann?« »Vermutlich bei Jimak.« »Violett! Dieser primitive Abschaum!« Tulan lachte brüllend und schlug sich auf die Knie. »Ich durchschnitte mir eher selbst die Kehle oder, noch schlimmer, würde lieber verhungern, bevor ich mich zu diesem madenzerfressenen Abschaum begäbe.« »Trotzdem glauben wir, daß er dort ist.« Tulan wurde plötzlich ernst. »Warum?« fragte er leise, fast schien es, als hielte er ein Selbstgespräch. »Das ist es eben. Ich denke doch, Ihr hättet ihn nicht bestraft für das heutige Geschehen. Eher hättet Ihr ihn belohnt.« »Verdammt richtig. Eins zu zwölf, und dann auch noch das Zurechtrücken von Narus Juwelen. Verdammt, er wäre eine Sensation in der Arena.« »Aber er hat Euch verlassen. Ihr gabt ihm Schutz, nahmt den Makel des Hanin von ihm, und dies ist jetzt der Dank.« Tulan nickte nachdenklich. »Welch ein Spiel spielt er?« fragte Uriah. Tulan sah zu dem kleinen Diener des Großmeisters hinüber. »Finde das gefälligst heraus!« blaffte Tulan. »Verschwinde jetzt.« »Ich glaube, Ihr wißt, daß der Preis für seinen Kopf, sofern dieser nicht mehr am Körper befestigt ist, fünfhundert Goldstücke beträgt. Bringt Ihr ihn uns lebend und ohne seine Zauberkräfte, verdoppelt sich der Preis. Das ist bedeutend mehr als der Gewinn einer offenen Wette in der Arena.« »Soll das eine Bestechung sein?« »Nein, nur ein ganz einfaches Geschäft. Er gehört 113
nicht mehr zu Eurem Haus, also ist er Freiwild. Solltet Ihr ihn töten, gehört das Geld Euch.« »Ich dachte, es gebe eine Verfügung in dieser Stadt, die das gegenseitige Töten der Mitglieder der Häuser nur in der Arena gestattet.« Uriah nickte, als stecke er in ernsten Schwierigkeiten. »Gesetze können hin und wieder etwas gedehnt werden.« »Ich befürchte, der Wanderer würde das nicht gern hören.« »Er ist nicht hier«, sagte Uriah mit nervöser Stimme, »aber wir sind hier. Und Dinge, die ihm gegenüber nicht erwähnt werden, sind unwichtig.« Uriah dachte kurz nach. »Denkt daran, daß dieses Einauge Euch bloßgestellt hat. Er trug Eure Farben und warf sie ab, um neue zu tragen. Wollt Ihr Euch nachsagen lassen, daß einer Eurer Kämpfer einfach so davongehen kann, ohne daß es Konsequenzen nach sich zieht?« Uriahs Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, und Tulan schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß die Schüssel mit den gekochten Tintenfischstücken im hohen Bogen heruntersprang und der Inhalt sich über Tisch und Fußboden verteilte. »Halt das Geld bereit - Ich werde es mir holen. Aber wenn ich ihn Euch bringe, werdet Ihr mir dann Fragen bezüglich meiner Methoden stellen?« »Keine.« »Dann halt das Geld am Morgen des Festes bereit.«
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»Was tust du, Meister?« zischte Hammen mit angstbebender Stimme. »Halt einfach den Mund und tu, was ich dir sage.« »Willst du dahin zurück?« Er deutete nervös in die Gasse hinunter. »Genau, und jetzt beweg dich.« »Das ist verrückt.« »Möglicherweise wartet dort jemand darauf, daß du so dumm bist, noch einmal zurückzukommen.« »Beleidige mich nicht, so etwas tut nur ein Narr.« »Du könntest dort etwas Wertvolles versteckt haben. Beim ersten Mal hattest du keine Zeit, es zu holen, das wissen sie. Also könnte es sein, daß du es noch einmal versuchst.« »Dort ist etwas Wertvolles versteckt«, sagte Hammen leise. »Gut. Dann holen wir es. Jetzt beweg dich endlich.« Hammen schrie leise auf, als Garth ihm einen Stoß in den Rücken versetzte und er in die Mitte der Gasse fiel. Er drehte sich um und machte Anstalten, zurückzugehen, aber Garths wütender Blick ließ ihn innehalten. »Dann hilf mir!« flüsterte Hammen und rieb sich seinen Rücken. »Ich gebe auf.« »Ist das dein Ernst?« zischte Garth. »Denk daran, sie haben dich schon gesehen. Entweder du gehst jetzt, oder ich verlasse dich.« Hammen schlich die Gasse entlang und murmelte Flüche vor sich hin. Er hielt sich verstohlen im Schatten der Gebäude, trat behende über den Unrat und hoffte inbrünstig, daß die Leute des Großmeisters nicht mehr 115
dort wären. Aber die Straße war noch immer viel zu still, und sein Instinkt warnte ihn. Am liebsten wäre er einfach an seinem ehemaligen Versteck vorbeigerannt, in der Hoffnung, daß sie ihn nicht erkennen und er entkommen würde. Aber das war Wahnsinn. Sie wußten es. Sie hatten ihn schon einmal gesehen und wußten es nun. Er erreichte die Tür und öffnete sie schnell, wie Garth ihm befohlen hatte. Fluchend trat er ein und sprang sofort zur Seite. Der Hieb verfehlte ihn nur knapp, die Keule sauste nur wenige Zoll an seinem Gesicht vorbei. Hammen warf sich schreiend nach hinten unter einen Tisch. Dabei stieß er an etwas Kaltes, Starres. Es war sein alter Freund Nahatkim; die Beine fehlten. Seine Hand glitt an die Stelle, wo der Kopf hätte sein sollen, und blieb an geronnenem Blut kleben. Wenigstens hatte die absolute Dunkelheit ihren Vorteil. Eine Hand griff nach ihm, und er hielt sie mit schnellem Griff fest und biß zu, so daß er beinahe den Finger des Mannes durchtrennt hätte. Die Hand wurde zurückgerissen, und lautes Geheul erfüllte den Raum. Hammen hastete unter dem Tisch hervor und rannte auf das Abflußloch im Hintergrund des Raumes zu. Die Dämonen sollen Garth holen, dachte er. Ich haue ab. Er hatte das Loch erreicht und sprang kopfüber hinein ... geradewegs in einen hammerartigen Schlag, der ihm fast die Sinne raubte. Durch einen Schleier aus Schmerzen und Übelkeit fühlte er, wie ihn jemand von hinten packte und herauszog, während der Mann, der ihn im Abflußloch erwartet hatte, ihm noch einmal mit einem grausamen Lachen ins Gesicht schlug. Nachdem man ihn aus dem Loch gezogen hatte, wurde er auf den Boden geworfen, und ein Licht wurde angezündet. 116
Mit verschwommenem Blick starrte Hammen in die beiden höhnischen Gesichter. Obwohl sie in schmutziges Leder gehüllt waren, wußte er, daß dies keine einfachen Diebe waren... Dies waren Krieger des Großmeisters, und ihre lachenden, wohlgenährten Gesichter waren ihm zugewandt. Einer der beiden hielt ihm seine blutende Hand vor die Augen und schlug ihn erneut ins Gesicht. »Bring ihn noch nicht um«, zischte der andere. »Der gehört mir, wenn wir fertig sind.« »Wenn wir fertig sind«, sagte eine andere Stimme. Hammen sah unter langsam anschwellenden Lidern drei weitere Männer hereinkommen, anscheinend drei kämpfende Magier, die alle die vielfarbige Tunika des Großmeisters trugen. Die drei gingen durch den Raum und schauten sich verächtlich um, einer von ihnen hielt sich ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase. »Ist er das?« »Ich denke schon«, erwiderte der mittlere. »Bringt ihn zum Reden. Findet heraus, wo sich Einauge aufhält.« Der Krieger mit der blutenden Hand zog einen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn dicht vor Hammens Gesicht. »Kann ich mit den Augen anfangen?« zischte er. »Das ist mir gleich. Schneide ihm nur die Zunge nicht heraus und töte ihn nicht.« Einen Augenblick lang war sich Hammen nicht sicher, ob der Blitzstrahl bereits die ihn treffende Blindheit bedeutete. Dann hörte er ein hohes schrilles Kreischen und verspürte eine Hitzewelle. Weitere Schreie ertönten, und die Hitze nahm zu, bis er plötzlich von eisiger Luft umgeben war. Hammen sah sich im Raum um und begriff, daß er sich in einem schützenden Kreis befand, während der übrige Raum in lodernden Flammen stand. Seine fünf Folterknechte wälzten sich schreiend am Boden 117
und versuchten die Flammen zu ersticken, die sie einhüllten. Obwohl er vor der Hitze geschützt war, nahm er den Geruch brennenden Fleisches wahr und mußte einen Brechreiz unterdrücken. Die fünf waren inzwischen zu leblosen, verkohlten, zusammengerollten Gestalten geworden und sahen wie geschwärzte Puppen aus. Das Feuer erlosch, als wäre ein Regenguß niedergegangen. Garth kam durch den Qualm auf ihn zu, noch immer mit kalter Wut im Blick. Der Schutzkreis verschwand. »Bist du in Ordnung?« »Nicht gänzlich, verdammt. Ich glaube, ich habe einen Zahn verloren.« »Ich mußte sichergehen, daß sie alle hereinkamen. Ich wußte, daß sie dich bis dahin nicht allzusehr verletzen würden. Es tut mir leid.« Garth legte die Hände auf Hammens Schläfen, und der Schmerz wurde weggespült. Einen Moment lang glaubte er zu schweben. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Sein Blick war klar. »Waren es dieselben Kerle, die dir schon einmal aufgelauert haben?« »Ich glaube schon.« Garth nickte und sah sich um. »Es tut mir leid, daß die Körper deiner Freunde so verbrannt sind.« »Ich bin sicher, daß ihnen das gleich ist«, sagte Hammen kühl. »Außerdem habe ich den fünf Bastarden einen Fluch mitgegeben. Im Reich der Toten müssen sie deinen Freunden dienen.« »Ich danke dir.« »Es war mir ein Vergnügen.« »Ich denke, es war mehr als das«, murmelte Hammen, und Garth stand leise fluchend auf. »Willst du jetzt deinen Schatz holen? Ich schlage vor, wir machen uns jetzt besser davon. Der Feuerball hat sie 118
überrascht, wird aber Aufsehen erregen. Andere werden in Kürze herkommen, vielleicht zu viele, als daß ich mit ihnen fertigwerden könnte.« Hammen trat über einen verkohlten Körper hinweg und ging zum Kamin. Er griff nach oben, entfernte einen Stein und zog einen schweren Beutel aus der Höhlung, den er in seine Tunika steckte. Er schritt durch den Raum und hielt plötzlich inne. Dann zog er den Beutel wieder hervor und fischte vier Goldmünzen heraus, die er auf die Leichen seiner Freunde legte. »Für den Fährmann«, sagte er fast entschuldigend zu Garth. »Laß uns gehen. Da kommt jemand«, erwiderte Garth, entfernte sich von der Tür und trat in den Hintergrund des Raumes. Hammen folgte ihm, spuckte im Vorbeigehen auf die Leiche eines Kämpfers und sprang hinter Garth in das Abflußloch hinein. »Führ uns zum Fentesk-Haus.« »Warum dorthin?« »Weil sie ganz sicher die Eingänge zu Ingkara bewachen werden«, sagte Garth, und Hammen grunzte zustimmend. Der Gestank erstickte ihn beinahe, und Garth folgte Hammen leise fluchend durch die stygische Dunkelheit, während das Abwasser über seine Stiefelschäfte schwappte und sich über seine Zehen ergoß. »Ich kann dich nicht sehen«, flüsterte Garth. »Dann mach Licht.« Garth zog seinen Dolch aus der Scheide und hielt ihn vor sich. Kurz darauf begann dieser sanft zu glühen. Er sah sich um und fröstelte. Die Wände des Kanals waren schleimbedeckt. Sie passierten einen schmalen Seitengang und hörten vom Licht aufgescheuchte Ratten weghuschen. Kaltfunkelnde Augen blickten Garth aus einem engen Rohr heraus an. Hammen bewegte sich mit rascher Lässigkeit, drehte sich hier- und dorthin, und Garth stolperte ihm nach. Während der ganzen Zeit 119
merkte er, wie sich die Kälte in ihn hineinfraß. Die Wände schienen auf ihn zuzukommen, sie waren wie alptraumhafte Erinnerungen, denen er nicht entkommen konnte. Hammen sah sich nach ihm um. »Garth?« Garth blickte erschreckt auf. »Was hast du, Junge?« Überrascht starrte Garth ihn schweigend an und versuchte mühsam, das Zittern zu unterdrücken, das seinen Körper überlief. Er fühlte den verständnisvollen Blick des Alten. Der Alptraum kam näher, so als wolle er seine Seele verschlingen. Garth sackte an der Wand des Kanals zusammen, während das Licht des Dolches immer schwächer wurde. »Garth, was ist los?« »Ich weiß nicht, ich weiß es nicht.« Hammen packte ihn am Arm, um ihm aufzuhelfen. »Nein, laß mich. Ich will zurück!« schrie Garth und versuchte, sich loszureißen, aber seine Bewegungen waren nur schwach und zittrig, alle Kraft schien ihn verlassen zu haben. »Garth!« Garth starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. »Ich will zurück!« Sein Körper erstarrte, dann bückte er sich keuchend nach vorn, als müsse er sich übergeben. Schließlich richtete er sich wieder auf. Jeder Muskel seines Gesichtes war angespannt, und er wirkte wie aus einem Fiebertraum erwacht. »Was hast du gesagt?« Hammen schwieg. Garth stieß ihn von sich, und der Dolch glühte wieder hell. »Laß uns gehen«, sagte Garth mit heiserer Stimme und wischte sich Tränen aus den Augen, als müsse er die Bilder seines Alptraumes wegwischen. 120
»Galin?« flüsterte Hammen mit kaum wahrnehmbarer Stimme. Garth sah ihn an. »Was hast du gesagt?« Seine Stimme war ruhig. Hammen schwieg erneut und schüttelte dann traurig den Kopf. »Nichts, Meister, gar nichts. Übrigens, genau vor uns befindet sich die Abdeckung eines Abwasserrohrs, das unmittelbar hinter dem Fentesk-Haus mündet.« Hammen duckte sich und verschwand in einem Tunnel, der so niedrig war, daß sich Garth auf alle viere niederlassen mußte, um hindurchzukriechen. Sein Atem ging stoßweise und keuchend, und Schweiß rann ihm über die Stirn, obwohl es hier unten feucht und kalt war wie in einem Grab. Endlich hielt Hammen an und deutete nach oben. Garth kroch an seine Seite und erblickte ein Gitter über ihren Köpfen. Er stand auf, schob es langsam zur Seite und spähte vorsichtig nach draußen. Dann schwang er sich hindurch, bückte sich und half Hammen aus der Dunkelheit hinaus. »Wohin jetzt?« »Es wäre bestimmt nicht sehr klug, jetzt zu den Violetten zurückzukehren«, sagte Garth bedächtig, während er Hammen in den Schatten gegenüber des Fentesk-Hauses zog. An einem kleinen Brunnen machte er halt, zog sich die Stiefel von den Füßen und wusch sie aus. Nachdem er sie wieder angezogen hatte, spritzte er Wasser über seine Hose und Tunika und versuchte, beides zu säubern. Hammen beobachtete ihn schweigend. »Sie sind dir schon einmal bis dorthin gefolgt«, fuhr Garth nach einer Weile fort. »Bestimmt haben sie das Haus unter Beobachtung und werden nun, nach unserem kleinen Racheakt, dort suchen.« »Ich danke dir, Meister«, wisperte Hammen. »Wofür?« fragte Garth traurig. »Wenn ich nicht gewesen wäre, würden deine Freunde noch leben.« 121
»Du konntest nicht wissen, daß dies geschehen würde.« »Ich hätte es wissen müssen.« »Dennoch danke ich dir im Gedenken an meine Freunde.« »Halt den Mund.« »Was ist da drinnen passiert?« fragte Hammen und wies auf den Kanaleinstieg, durch den sie gekommen waren. »Ein Zauber, denke ich«, antwortete Garth schnell. »Jetzt laß uns gehen.« »Wohin?« »Zum Haus Fentesk, wohin sonst?« »Oh, verdammt, Meister, nicht schon wieder!« Garth beachtete ihn nicht, trat aus dem Schatten und schritt auf die Vorderseite des Gebäudes zu. »Ich verlange, daß Ihr die Tür öffnet und eine Durchsuchung zulaßt!« Jimak spähte durch die kleine Klappe in der Mitte des schweren verriegelten Eingangstors des Ingkara-Hauses hinaus. »Dazu hast du keine Befugnis.« Uriah sah zu ihm hinauf. Der Zwergenkämpfer stand herausfordernd da, und ein Lichtstrahl formte sich wirbelnd um ihn herum. »Ich habe neunundachtzig Kämpfer hier drinnen«, sagte Jimak kalt. »Wenn du irgend etwas versuchst, garantiere ich dir, daß deine Körperteile noch tagelang über diese Stadt regnen werden.« Uriah zögerte kurz und blickte über die Schulter. »Öffnet die Tür, Jimak!« Der Meister des Hauses Ingkara konnte seine Überraschung nicht verbergen, den Großmeister persönlich vor dem Tor zu sehen. Er hatte den mitternächtlichen Befehl, in den Palast zu kommen, mißachtet, aber die Tatsache, daß der Großmeister selbst sich herabließ, noch vor dem 122
ersten Morgenläuten zum Hause Ingkara zu kommen, war einfach unglaublich. »Ich öffne weder für Euch noch für sonst jemanden«, erwiderte Jimak. »Ihr brecht alle Abkommen der Häuser, indem Ihr hier erscheint und eine Durchsuchung fordert.« »Jimak, Ihr wißt, daß ich genügend eigene Kämpfer habe, um Euer Haus zu stürmen. Sie warten bereits dort drüben auf meinen Befehl, hier gewaltsam einzudringen.« Jimak drehte den Kopf zur Seite, spuckte aus und sah den Großmeister an. »Die anderen drei Häuser würden Euren Palast noch vor Tagesanbruch stürmen. Auch wenn wir uns hassen, halten wir zusammen, wenn Ihr versuchen solltet, einen von uns zu vernichten.« »So wie damals, bei dem Haus der Türkisen?« flüsterte der Großmeister. Jimak warf einen Blick über die Schulter und wandte sich dann wieder dem Großmeister zu. »Das war etwas anderes. Sie würden sich niemals mit Euch gegen mich verbünden.« »Dies ist auch etwas anderes. Jetzt öffnet; ich werde allein hineinkommen. Ich verliere mein Gesicht, wenn ich hier draußen herumstehe, und das lasse ich mir so oder so nicht bieten. Also öffnet.« Jimak zögerte noch kurz, trat dann zurück und wies zwei seiner Kämpfer an, den schweren Balken, der das Tor verschloß, zur Seite zu schieben. Der Großmeister schlüpfte hinein, und das Tor wurde sofort hinter ihm zugeschlagen. »Sollte ich bis zum ersten Läuten nicht wieder draußen sein, wird dieses Haus in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt«, erklärte der Großmeister herablassend. »Habt Ihr solche Angst um Euer Wohlergehen?« »Ihr sollt lediglich wissen, daß Ihr wißt, woran Ihr 123
seid. Was die Angst betrifft, so glaube ich, daß wir alle Grund genug haben, uns zu fürchten.« Jimak forderte den Großmeister auf, ihm zu folgen. Sie betraten das Arbeitszimmer und schlössen die Tür hinter sich. »Also, was gibt es?« »Wie könnt Ihr es wagen, meinen Befehl zu mißachten, mich aufzusuchen?« blaffte der Großmeister verärgert. »Um Mitternacht? Sogar wenn der Wanderer es selbst befohlen hätte, wäre es mir gleich gewesen. Ich bin der Meister dieses Hauses und nehme solche Befehle von niemandem entgegen.« »Nun, Ihr müßt mir verzeihen, daß ich keine Sänfte, umgeben von einer Gruppe spärlich bekleideter Frauen geschickt habe, die Blumen auf Euren Weg streuen, aber es war dringend.« »Diese Anreize lassen mich kalt«, gab Jimak kühl zurück. »Versucht es bei Varnel - bei ihm wirkt es.« Der Großmeister ließ sich auf einem Stuhl nieder, ohne darauf zu warten, daß Jimak ihm seine Gastfreundschaft anbot. »Hört mir zu. Wir balancieren einander aus. Ich regiere diese Stadt und dieses Land, aber meine Macht wird nicht nur durch die Fürsten der benachbarten Königreiche ausbalanciert, sondern auch durch die vier Häuser der Magier-Kämpfer. Keiner von uns ist mächtiger als der andere. Ich bin stärker als zwei von euch zusammen, und ihr, wenn ihr euch vereint, seid stärker als ich. Wir alle kennen und spielen dieses Spiel. Ihr seid wegen eurer fortwährenden Rivalitäten uneins, und ich sorge dafür, daß diese Rivalitäten bestehen bleiben. So wurde es vom Ewigen geschaffen, als die Erde noch jung und die Kraft des Mana noch frisch war. Aber wir verbringen unser ganzes Leben hier, und der Wanderer kommt nur einmal im Jahr, zum Fest.« 124
»Warum langweilt Ihr mich mit diesem Vortrag?« unterbrach ihn Jimak. »Weil ich auf etwas hinaus will. Ich befürchte, daß ein neuer Faktor ins Spiel gekommen ist, ähnlich dem, der zwanzig Jahre zurückliegt.« »Oor-tael?« fragte Jimak leise. Der Großmeister nickte. »Wir haben sie vernichtet, weil sie sich den Wünschen des Wanderers widersetzten.« »Damals war er nur der Großmeister«, stieß Jimak hervor, »also hört auf, in so ehrfürchtigem Ton von ihm zu reden. Er wollte den Schleier zwischen den Welten durchdringen, und ehrlich gesagt war es mir völlig gleich, ob er das schaffte oder nicht. Meinen Mana-Tribut gab ich, um ihn loszuwerden, und ich bin froh, daß er weg ist. Leider hat er ausgerechnet Euch als neuen Großmeister ausgewählt.« »Euch hätte er wählen sollen, nicht wahr?« Jimak lächelte kalt. »Keiner von euch vieren hätte einem Rivalen diesen Aufstieg gegönnt. Und was meine Stellung angeht, so ist Tulan ein Feigling, Varnel zusehr mit fleischlichen Genüssen beschäftigt und Kirlen einfach zu machtgierig.« »Und ich werde von ihnen zusehr gehaßt, nicht wahr?« keifte Jimak. »So ähnlich ist es«, erwiderte Zarel glatt. »Also wurde Euch diese Ehre zuteil. Der Handlanger wurde belohnt.« Zarel richtete sich zornig auf. »Ich habe nur meine Aufgaben in seinem Sinn erfüllt, und er belohnte mich dafür.« »Und Ihr behauptet, daß die Dinge, so wie Ihr sie heute handhabt, besser sind. Wenigstens war Kuthuman so sehr mit seinem Streben beschäftigt, daß er uns nicht übermäßig maßregelte, solange wir zusammenarbeiteten. Aber Ihr habt das Fest um des Mobs willen, der 125
nach mehr und mehr Blut schreit, moralisch verdorben. Im letzten Jahr habe ich vier gute Kämpfer in der Arena verloren, und zwei weitere wurden unheilbar verstümmelt, so daß sie nur noch dazu taugen, neben der Tür eines Händlers Wache zu halten. Wie viele tödliche Kämpfe werdet Ihr in diesem Jahr veranstalten, um die Wetteinsätze zu steigern?« »Ich brauche Geld. So einfach ist das, und die Leute wetten mehr, wenn Blut fließt. Außerdem wollen auch Eure Kämpfer solche Kämpfe, um ihren Rachedurst zu stillen und gleich einen ganzen Beutel anstelle eines einzigen Spruchs zu bekommen. Mit einem einzigen solchen Kampf gewinnen sie innerhalb von Minuten etwas, wofür sie sonst jahrelange Mühen und Studien auf sich nehmen müssen.« »Und wofür benötigt Ihr dieses Geld? Um Mana auf dem schwarzen Markt zu kaufen? Um Fürsten zu bestechen, damit sie meinen Kämpfern Mana stehlen, wenn diese unter mysteriösen Umständen zu Tode kommen und ihre Beutel verschwinden, während sie unter Vertrag bei den Fürsten stehen? Ihr wollt selbst ein Wanderer werden, nicht wahr?« Zarel lächelte. »Sollte das jemals geschehen, wer wäre dann mein Nachfolger? Uriah, der bucklige Zwerg? Niemand würde ihm folgen. Wer käme nach mir?« »Ihr wollt also andeuten, daß ich es sein könnte?« »Warum nicht?« »Und genau das habt Ihr ebenfalls allen anderen angeboten.« »Ein solcher Narr bin ich nun doch nicht, daß ich sie ermuntern würde, auch nur daran zu denken.« Jimak schnaubte verächtlich. »Natürlich habt Ihr es ihnen angeboten. Haltet mich bitte für keinen Narren. Ihr wollt uns gegeneinander ausspielen.« Zarel lachte höhnisch. 126
»Vielleicht hätte ich es ihnen angeboten, aber denkt Ihr, daß es ernst gemeint wäre? Ich habe Euch doch bereits erklärt, warum alle außer Euch unfähig sind.« Er schwieg für einen Moment. »Wenn Ihr mit mir zusammenarbeitet.« Jimak lachte und schüttelte den Kopf, aber Zarel merkte, daß seine letzten Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Jimak sah auf die anderen Meister hinab, und es wäre ihm unerträglich gewesen, einen von ihnen über sich zu wissen, falls Zarel je den Schleier durchbräche. Sofern er dies schaffen konnte, ohne daß der Wanderer zuerst davon erfuhr. Jimak nickte, als habe er Informationen bekommen, denen er Glauben schenken konnte. Was wäre, dachte er, wenn ich diesen Mann an den Wanderer verriete, bevor er Zeit hat, seinen Plan auszuführen? Dann wäre ich der neue Großmeister, denn natürlich stimmt es, daß Uriah nicht einmal in die engere Wahl kommt. Dann wäre es an mir, endgültig zuzuschlagen. Zarel beobachtete Jimak lächelnd, und er konnte förmlich dessen Gedanken lesen. »Ihr seid noch aus anderen Gründen hierhergekommen«, mutmaßte Jimak schließlich. »Hier stimmt etwas nicht. Es ist dieser Einauge.« Jimak nickte lächelnd. »Er hat Euch einige Schwierigkeiten bereitet, nicht wahr?« »Es ist mehr als nur das.« »Ich habe ein Gerücht gehört, daß drei Eurer Kämpfer wie angebranntes Brot aussehen«, kicherte Jimak. »Seid Ihr deshalb hier?« Der Großmeister warf ihm einen wütenden Blick zu. »Ihr kennt das Gesetz. Es ist schon ein Verbrechen, daß sich Eure Kämpfer gegenseitig auf meinen Straßen außerhalb der Arena umbringen. Die Ermordung meiner Kämpfer ist ein Kapitalverbrechen.« »Und geschieht trotzdem jedes Jahr. Unsere Kämpfer 127
sind sehr temperamentvoll. Ihr könnt schließlich nicht von uns erwarten, über dreihundert Kämpfer bis zum Fest einzusperren. Todesfälle kommen eben vor. Alte Rivalitäten und alte Streitigkeiten lassen sich nicht unterdrücken.« »Dies ist aber etwas anderes. Denkt darüber nach. Wo auch immer dieser Mann auftaucht, hinterläßt er Chaos.« Jimak grinste. »Und Braun und Grau verbluten deshalb.« »Die nächsten wäret Ihr gewesen.« Jimak sah ihn schweigend an. »Seine Spur führte genau hierher. Zuerst wollte ich einfach Euer Haus stürmen lassen, um ihn herauszuholen, besonders als Ihr mich angelogen und behauptet habt, er sei nicht hier.« »Das war keine Lüge«, antwortete Jimak kühl. »Nachdem ich Euren Befehl erhielt, ließ ich ihn suchen, allerdings, das muß ich zugeben, um ihn zu belohnen. Aber er ist fort.« Der Großmeister nickte. »Das habe ich inzwischen gemerkt. Das ist auch der Grund, weshalb dieses Haus noch nicht in Flammen aufgegangen ist. Merkt Ihr denn nicht, daß er uns gegeneinander ausspielen will und sich dabei unseren Haß zunutze macht? Er hat eine Situation geschaffen, durch die wir uns fast an die Kehle gegangen wären. Ich dachte, Ihr belügt mich, was seinen Aufenthaltsort angeht, weil Ihr Eure Ehre verteidigen wolltet.« Jimak schwieg. »Er ist wirklich nicht hier?« fragte der Großmeister mit einem heiseren Flüstern. Jimak nickte abwesend, als sei er in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt. »Nun gut.« Der Großmeister erhob sich, und Jimak blickte ihn an. »Warum?« 128
»Warum? Ich weiß es nicht genau. Ich habe einen Verdacht, bin aber nicht sicher und möchte deshalb vorläufig nicht darüber sprechen. Dem Gesetz nach darf ich ihn nicht festnehmen, solange er die Farben eines Gildenhauses trägt. Obwohl ich weiß, daß er letzte Nacht drei meiner Kämpfer ermordet hat, habe ich dafür keine Zeugen und daher auch keine Beweise. Jeder von euch Meistern kann sich mir widersetzen, wenn ich ihn festnehme. Aber ich will ihn haben, und - das solltet Ihr vielleicht wissen - der Wanderer will ihn auch haben.« Jimak bewegte sich voller Unbehagen. »Was bietet Ihr?« »Fünftausend Goldstücke, und niemand erfährt, daß Ihr ihn ausgeliefert habt.« »Habt Ihr solche Angst vor ihm?« fragte Jimak mit höhnischer Stimme. Der Großmeister zögerte und nickte. Jimak senkte den Kopf und dachte an den Rubin, der in seiner Truhe lag. Er wog beides gegeneinander ab. »Zehntausend«, flüsterte er schließlich. Der Großmeister lächelte. »Ich darf wohl annehmen, daß ich der Gegenstand ihrer Unterredung bin«, sagte Garth ruhig. Varnel Buckara, Meister des Hauses Fentesk, reckte sich genüßlich und nickte zustimmend, während er den Boten entließ, der vom nächtlichen Besuch des Großmeisters bei Jimak berichtet hatte. »Ich vermute, daß ein anderer Bote mit einem Angebot hierher kommen wird«, bemerkte Varnel. »Und?« »Das kommt auf das Angebot an.« »Für den Augenblick mag es gut genug sein - aber für die Zukunft?« erwiderte Garth. »Erklär es mir, Einauge.« »Es ist sehr einfach, Jimak ein Angebot zu machen, deshalb habe ich auch sein Haus verlassen. Seine Gold129
gier verzehrt ihn. Einen solchen Mann kann man leicht bestechen. Vielleicht läßt sich sogar Tulan von Kestha mit einem endlosen Vorrat an ausgefallenen Delikatessen oder Weinen bestechen. Euch sagt man eine Schwäche für schöne Frauen nach.« Varnel lachte in sich hinein. »Wenn man den Gerüchten glauben darf, habt Ihr fünfzig hier im Haus.« »Mehr, viel mehr.« Garth mußte lächeln. »Also, was kann er Euch bieten? Noch eine Frau.« »Zum Beispiel eine exotische. Jede ist anders.« »Und alle sind gleich. Außerdem können Gold und Delikatessen nicht reden. Aber eine Frau, insonderheit eine Frau, die aus den Klauen des Großmeisters kommt...« »Rede im Plural. Es müßten bedeutend mehr sein.« »Nun gut. Wie könntet Ihr ihnen vertrauen?« »Vertrauen ist für mich unwichtig«, erwiderte Varnel mit einem Auflachen. »Ich war noch nie so dumm, und jeder Mann, der es ist, sollte den Gnadentod durch Ertränken erleiden.« »Vertrauen oder nicht, Ihr hättet Frauen, die der Großmeister vor Euch gehabt hätte, und es wäre Euch doch sicher zuwider, seine abgelegten Mätressen zu übernehmen, oder nicht?« »Nur Jungfrauen, mein Lieber, Jungfrauen.« »Selbst die können bereits angefaßt worden sein«, meinte Garth trocken. »Außerdem wüßtest Ihr niemals, ob man sie nicht mit einem Zauber belegt hat. Eine Haarnadel - im Augenblick der Ekstase durch die Basis Eures Schädels gestoßen; eine Spionin in Eurem Hause, die Informationen an den Großmeister weiterleitet; vielleicht ein Gerücht, das unter den anderen Frauen Eures Hauses verbreitet wird und bewirkt, daß diese sich gegen Euch wenden. Selbst in den ruhigsten Zeiten ist es schwer, mehr als fünfzig Frauen zu beherrschen.« 130
Varnel grunzte unwillig. Er sah besorgt aus, und Garth lächelte. »Also hast du ein besseres Angebot?« »Ich handele nicht mit Frauen«, erwiderte Garth kühl und mit einem leicht empörten Unterton in der Stimme. »Aber ich handle mit Gewinnen.« »Das erinnert mich an etwas«, grollte Varnel. »Du hast einen meiner Männer getötet.« »Wenn er so dumm war, sich in einem Straßenkampf töten zu lassen, war er wertlos für Euch. Eure Ehre wäre mehr als nur wiederhergestellt, wenn ich Eure Farben trüge. Obwohl Euch Geld nichts bedeutet, würden meine Siege in der Arena Euch zum Kauf vieler Vergnügungen verhelfen, Vergnügungen - das möchte ich hinzufügen -, die unberührt von den Händen des Großmeisters wären.« Varnel nickte langsam und zustimmend, während er Garth ansah. »Aber du hast sowohl Tulan als auch Jimak betrogen. Bin ich der nächste?« »Tulan ist ein Schuft und Jimak krank vor Geldgier. So wie die Dinge zwischen dem Großmeister und mir zur Zeit stehen, wäre ich hier wenigstens von einer Farbe geschützt, die mich nicht verkaufen wird.« »Du kannst Purpur tragen.« »Ich danke Euch, mein Herr.« »Solltest du mich betrügen, verspreche ich dir, daß der Tod eine Erlösung sein wird, wenn ich mit dir abgerechnet habe.« »Selbstverständlich, mein Herr.« Garth verneigte sich tief und bemerkte im Hinausgehen, wie ein paar nackte Gestalten den Raum durch einen versteckt liegenden Durchgang betraten und wie Varnel erwartungsvoll grunzte, bevor er die Tür zwischen sich und Varnels privaten Vergnügungen schloß. 131
»Meister, ich halte diese Sache für unsinnig.« Garth antwortete nicht, als Hammen auf ihn zu trat. Dann bemerkte er: »Du hast deine Kleidung gewechselt, dich aber anscheinend nicht gewaschen.« »Ein Bad im Jahr, ob notwendig oder nicht, ist genug für einen Mann.« Während sie den Korridor zu den Unterkünften entlangschritten, sah sich Garth aufmerksam um. Die zweite Glocke hatte gerade geläutet, und die Kämpfer waren erwacht. Sie flüsterten hinter seinem Rücken, wenn er an ihnen vorbeiging. Die beiden fragten einen Wächter nach dem Weg, stiegen dann eine endlos scheinende Treppe hinunter und ließen sich von ihrer Nase zum Speisesaal führen. Männliche und weibliche Kämpfer saßen bereits an den Tischen. Garth steuerte auf einen Ecktisch zu und winkte Hammen, ihm zu folgen. »Meister, ich sehe keine Diener hier drinnen.« »Du wirst hier essen, nun geh und bring mir etwas Fleisch.« Er setzte sich auf einen Hocker und lehnte sich nach hinten, so daß sein Rücken die kühle Steinwand berührte. Kurz darauf kam Hammen mit zwei vollen Tellern zurück, auf denen Scheiben gebratenen Schweinefleisches lagen. Außerdem trug er zwei Becher mit Wein. Garth zog seinen Dolch, schnitt ein Stück Fleisch ab und kaute langsam, während er sich weiter umsah. Immer mehr Kämpfer betraten den Raum, und alle starrten ihn an. Leises Stimmengewirr erfüllte den Speisesaal. »Ich glaube, es gibt Ärger«, bemerkte Hammen gelassen. »Sorgst du dich deswegen?« »Nach allem, was du mir zugemutet hast - ja, ich mache mir Sorgen. Das gesamte Haus ist hier versammelt.« 132
»Iß dein Fleisch und sei still.« Garth säbelte sich noch ein Stück ab und kaute langsam. Das Essen war nicht so gut wie drüben bei Kestha. Tulans kulinarische Besessenheit spiegelte sich auch beim Essen seiner Kämpfer wider, aber auch dies hier war besser als das, was er in den letzten Jahren bekommen hatte. Er aß schweigend und beobachtete die Männer und Frauen, die jetzt seine Gefährten sein sollten. Plötzlich erhob sich ein Kämpfer so ruckartig, daß sein Hocker krachend zu Boden fiel, und sofort trat Stille ein. Der Mann rückte seinen Spruchbeutel mit übertriebener Lässigkeit zurecht und ging auf Garth zu. »Meister.« »Halt den Mund.« Der Kämpfer stand nun vor ihnen, während andere sich erhoben und ihm folgten. »Hier dürfen nur Kämpfer essen«, knurrte der Mann. »Diener und Abschaum essen im Keller.« Hammen stand auf, als wolle er gehen. »Setz dich, Hammen.« Der Alte sah ihn beschwörend an. »Nicht schon wieder«, flüsterte er. »Ich mag seine Gesellschaft«, sagte Garth, schnitt sich noch ein Stück Fleisch ab und kaute in aller Ruhe, als sei das Gespräch für ihn beendet. »Verschwinde von hier, Hundsfott!« rief der Mann und packte Hammen beim Kragen, um ihn wegzuziehen. Garth warf ihm einen Blick zu, und der Kämpfer ließ Hammen mit einem Schmerzensschrei los. »Keine Magie!« rief jemand aus dem Hintergrund, und die Zuschauer machten Platz, als eine schlanke knochige Frau mit langem roten Haar auf die beiden zutrat. Garth warf ihr einen abschätzenden Blick zu und fühlte, daß er eine Kämpferin des neunten oder zehnten Ranges vor sich hatte, die von den anderen als Autorität anerkannt wurde. 133
»In diesem Hause wird keine Magie gegen einen Kämpfer der eigenen Farbe angewandt«, stieß sie wütend hervor. Garth erwiderte ihren Blick. »Dann sag ihm, er soll die Finger von meinem Diener lassen.« Die Frau stand dicht vor ihm, hatte die Hände in die Hüften gestützt. »Du hältst dich wohl für einen besonderen Kämpfer, wie, Einauge?« »Ich kann mich behaupten.« »Wenn du dich in diesem Hause behaupten willst, dann richte dich nach den Regeln. Es wird gegen niemanden der eigenen Farbe mit Magie gekämpft, außer während der Übungen.« »Und die Unantastbarkeit meines Beutels und meines Besitzes wird respektiert. Dieser Mann gehört zu meinem Besitz.« Hammen schnaubte wütend und warf Garth einen bösen Blick zu. »Das ist jener, der Okmark getötet hat!« rief jemand durch den Raum. »Er war ein Narr, denn er nahm die Herausforderung eines Hanin an, von dem er nichts wußte. Der Kampf auf Leben und Tod war außerdem nicht mein Vorschlag, sondern seiner«, antwortete Garth mit scharfer Stimme. »Somit hat er sich als Schandfleck für euer Haus erwiesen.« Ärgerliches Raunen ging durch die Gruppe der Kämpfer. »Ich glaube, ich werde einen Spaziergang machen«, flüsterte Hammen und stand auf. »Bleib, wo du bist«, blaffte ihn Garth an, und Hammen erstarrte. »Ich hörte, daß du Naru besiegt hast«, sagte die Frau.
»Ja.« »Glaubst du, du kannst auch mich besiegen?« 134
Er grinste sie an. »Sollen wir es versuchen?« Mit gespielter Ernsthaftigkeit verbeugte sie sich und hielt beide Handflächen nach außen, die rituelle Geste des Kämpfers, der eine Herausforderung annimmt. Mit übertriebenen Gesten säbelte Garth sich noch ein Stück Fleisch ab, kaute und stand dann betont langsam auf, um sich ebenfalls zu verneigen und seine Bereitschaft zu zeigen. Die Frau verließ den Speisesaal, und Garth folgte ihr. Er hörte, wie die anderen ihre Hocker fortschoben und sich ihnen mit aufgeregten Rufen anschlossen. Nachdem sie die Treppen wieder hinaufgestiegen waren, wandte sich die Frau nach links in einen Gang, dessen Wände mit dunklem Holz getäfelt waren und der durch bunte Glasfenster in der Decke erhellt wurde. Am Ende des Korridors riß sie eine große Tür auf, durch die man einen kreisrunden Raum von ungefähr einem Dutzend Faden Durchmesser betrat. An den Wänden entlang waren Bänke aufgestellt, auf denen sich die anderen Kämpfer eilig niederließen. Es befand sich etwa ein halbes Dutzend Kämpfer innerhalb des Kreises, die ihre morgendlichen Waffenübungen mit Lanzen, Dolchen und Wurfspeeren durchführten. Auf einer Seite des Raumes maßen sich andere mit Sprüchen, und einer von ihnen versuchte gerade, eine Gruppe Goblins gegen die Zwergenkrieger seines Kontrahenten einzusetzen. »Räumt die Arena!« rief die Frau. Die Kämpfer schauten zu ihr herüber, ließen ihre Kreaturen in Rauch aufgehen und zogen sich zurück. Die Frau trat in die Mitte des Kreises. »Die Regeln des Hauses lauten: kein Feuer, keine verseuchte Kreatur und kein Spruch, der außer Kontrolle geraten oder das Haus beschädigen kann.« »Ist dies ein Probekampf, geht es um einen Einsatz oder gar um Leben und Tod?« fragte Garth in gleichgül135
tigern Ton, als wäre ihm die Antwort eigentlich völlig unwichtig. »Die Antwort darauf kennst du«, erwiderte sie scharf. »Ohne Genehmigung des Meisters können nur Probekämpfe abgehalten werden.« »Hast du seine Genehmigung?« Sie lächelte ein wenig. »Noch nicht.« »Nun gut, dann nur ein Probekampf.« Garth betrat das neutrale Viereck an einem Ende der Arena, seine Gegnerin folgte dem Beispiel. Ein anderer Kämpfer trat in die Mitte des Kreises, um die Rolle des Ringmeisters zu übernehmen, und erhob die Hände. Die beiden verneigten sich vor ihm, dann voreinander, dann wieder vor dem Ringmeister. Er klatschte dreimal in die Hände und sprang beim dritten Klatschen zur Seite. Mit der Geschmeidigkeit eines Panthers sprang die Frau in die Arena. Noch während sie sprang, geriet Garth ins Taumeln, als er von einem psionischen Schlag getroffen wurde, der seine Kräfte lähmte. Er stolperte vorwärts. Ihr Zauber war so mächtig, daß sie ebenfalls Schaden erleiden würde, wenn auch nicht so stark wie er. Die Zuschauer bedachten die Kühnheit ihres Angriffs mit anerkennenden Rufen. Endlich gelang es Garth, die Hände abwehrend zu bewegen. Er errichtete eine schützende Barriere, um den Angriff aufzuhalten, und überließ es damit ihr, in die Offensive zu gehen. Innerhalb von wenigen Sekunden griff sie auf neues Mana zurück, Wölfe erschienen rechts und links von ihr, und eine Schar Goblins materialisierte in der Mitte der Arena. Alle stürzten auf ihn zu. Ein eiskalter Luftzug fegte durch das Rund, und lautes Gebrüll ertönte. Ein riesiges Mammut erschien plötzlich und zerstampfte die Goblins. Die Wölfe hielten inne und wichen 136
dann angstvoll zur Seite, während das Urtier mit donnernden Hufen auch den letzten Goblin zertrat. Aus einer herumwirbelnden Wolke strömten nun Hunderte von Ratten. Ihre feuerroten Augen glühten vor Hunger, sie schwärmten auf das Mammut zu, sprangen an seinen Beinen hoch und vergruben die rasiermesserscharfen gelben Zähne in seinem Fleisch. Immer mehr Ratten kletterten an dem Tier hoch, klammerten sich an sein dichtes Fell und gruben sich hinein. Die Kreatur brüllte vor Schmerz, und Garth erlöste sie, indem er die Hand hob und sie verschwinden ließ. Die Ratten fielen benommen zu Boden. Aber dann hielten sie nach einem neuen Opfer Ausschau. Wie auf einen plötzlichen Befehl hin rannten sie auf Garth zu, hielten jedoch genauso plötzlich inne. Dann wandten sie sich um und jagten auf die Frau zu, hielten wieder inne und drehten sich zu Garth. Die beiden rangen miteinander, versuchten sich mit Sprüchen zu übertreffen, die die Ratten beeinflußten. Diese rannten vor und zurück, immer wieder wechselten sie die Richtung. Die Wölfe kauerten währenddessen reglos am Boden und griffen nicht in den Kampf ein. Mehrere Ratten brachen zusammen, wanden sich strampelnd und zuckend am Boden, waren dem Verschleiß der herumwirbelnden Kräfte nicht gewachsen. Der Kampf währte minutenlang, die Arena pulsierte und erglühte, und keiner der beiden griff auf andere Sprüche zurück, denn sie wollten - jeder für sich - beweisen, daß sie die bessere Kontrolle über die Ratten hatten und somit über mehr Macht verfügten als der Gegner. Ein schwaches Glühen bildete sich um die beiden herum, Blitze zuckten so hell, daß die in der Nähe sitzenden Zuschauer die Köpfe abwenden mußten. Plötzlich war ein Knall zu hören, nicht so laut wie eine Explosion, aber doch unüberhorbar. Die Ratten wandten sich um und stürmten mit neuer Kraft auf Garth zu. Er senkte den Kopf und trat zurück in das neutrale 137
Viereck. Noch immer bewegten sich die Tiere auf ihn zu, und er stand völlig still, die Arme gesenkt. Erst als ihm bereits einige Ratten an die Kehle sprangen, erhob die Frau die Hand, und sie verschwanden. Die Zuschauer jubelten. Garth kehrte zurück in die Arena und verneigte sich tief vor der Frau. Der Ringmeister kam zurück und verkündete: »Ein Sieg für Varena von Fentesk.« Erneut brach Jubel aus, und sie ging auf Garth zu. »Ein guter Kampf, Einauge«, sagte sie leise. »Ein guter Kampf.« Garth trat zur Tür und achtete nicht auf die Kämpfer, die sich jetzt lachend und schwatzend um Varena drängten. Hammen erwartete ihn. »Nun, wieviel haben wir verloren?« Hammen lächelte. »Nichts?« »Hättest du sie geschlagen, wären wir sicher nicht lebend hier herausgekommen. Sie war die klare Favoritin, und hätte sie nicht vorhin eingegriffen, hättest du sie alle wegen des Mannes bekämpfen müssen, den du neulich getötet hast.« Garth hörte ihm schweigend zu, und sie verließen den Raum. Plötzlich fühlte er eine Hand auf der Schulter und drehte sich um. »Ein guter Kampf, Einauge.« »Du bist eine großartige Gegnerin.« »Wir sollten uns abkühlen; komm mit mir!« sagte sie einladend und deutete eine schmale Treppe hinab. Er folgte ihr nach unten, und die Luft wurde zunehmend feucht und warm. Sie betraten einen schwach erleuchteten kleinen Raum, der von Dampf erfüllt war. Kleine Nischen säumten die Wände, und in jeder befand sich ein Becken mit heißem sprudelnden Wasser. Varena wandte sich an Hammen und starrte ihn herausfordernd an. 138
»Hammen, entweder steigst du in das Becken, oder du machst einen Spaziergang«, sagte Garth auffordernd. »Ich gehe spazieren«, antwortete Hammen und verließ den Raum mit einem lüsternen Grinsen. »Er stinkt ganz abscheulich.« »Das ist so seine Art.« »Und du riechst auch nicht gerade gut.« »Letzte Nacht hatte ich ein kleines Abenteuer zu bestehen und bisher noch keine Zeit, mich gründlich zu säubern.« Varena löste mit lässiger Gebärde ihren Gürtel und streifte die Tunika von den Schultern. Garth hatte Schwierigkeiten, die Augen abzuwenden. Er hatte vermutet, daß sie eine jungenhafte Figur besaß, aber nun erkannte er, daß die Tunika ihn getäuscht hatte. Dann entledigte sie sich der Beinkleider und des Lendenschurzes und legte alles ordentlich gefaltet auf eine der Steinbänke. Ihren Beutel nahm sie allerdings mit, als sie eine der Nischen betrat, und legte ihn am Rand des Wasserbeckens ab. Sie ließ sich in das runde Becken gleiten, streckte sich aus und seufzte vor Behagen. Garth zögerte kurz, entkleidete sich dann ebenfalls und nahm, ihrem Beispiel folgend, seinen Beutel mit. Dann ging er durch die Dunstschwaden und betrat die Nische. »Bin ich eingeladen?« Sie richtete sich auf und nickte. »Zieh aber die Vorhänge zu.« Er folgte ihrem Wunsch, kletterte in das Becken und streckte sich im heißen Wasser aus, das ein wenig nach Schwefel roch. Er fühlte, wie das Wasser ihn sprudelnd einhüllte und seine Muskeln sich entspannten. »Der Kampf war nur geheuchelt«, sagte sie nach einer Weile. Jetzt sah er sie zum ersten Mal richtig an. Sie hatte sich auf eine unter Wasser liegende Bank gesetzt, so daß ihr nackter Oberkörper aus dem Wasser ragte. 139
Er setzte sich ihr gegenüber. »Wie kommst du darauf?« »Jeder Gegenspruch, den du auf die Ratten gerichtet hast, war kaum stärker als der meine. Du hast nichts getan, um sie abzulenken. Ich habe dein Mona schon in dem Moment gespürt, als ich dich mit dem psionischen Schlag getroffen habe. Du warst ebenso stark wie ich, das weiß ich.« Garth schwieg. »Wir müßten eigentlich noch immer da oben kämpfen, und ich vermute, daß ich verloren hätte.« »Du hast gewonnen.« »Das ist mir nicht gut genug. Warum hast du aufgegeben?« »Ich habe nicht aufgegeben.« Sie lächelte zum ersten Mal, und er mußte dieses Lächeln erwidern. Ihre hellblauen Augen blickten amüsiert und neugierig. »Du hast gewonnen«, sagte er freundlich, »und alle wissen es.« »Hast du angenommen, ich hätte dich in Varnels Auftrag auf die Probe gestellt?« »Natürlich hast du das getan! Das ist doch deine Aufgabe, neue Kämpfer auszuprobieren. Außerdem solltest du mich töten, aber auf unauffällige Art; zum Beispiel nach einem langen Kampf, wenn wir beide erschöpft gewesen wären und man hätte denken können, es wäre ein Unfall gewesen. Ich denke, es war zu auffällig, meine Kehle von Ratten zerreißen zu lassen, während ich mich im neutralen Feld befand.« Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. »Deine Ehre ist intakt, die anderen werden mich respektieren, und die Angelegenheit ruht für den Augenblick. Später kannst du es noch einmal versuchen.« »Ich glaube, du würdest mich besiegen«, bemerkte sie ruhig. Garth lächelte erneut. 140
»Wir befinden uns jetzt in einem Kreis und haben unsere Beutel zur Hand. Sollen wir es jetzt versuchen oder erst einmal verschieben?« Sie schaute ihn schweigend an. Schließlich bewegte sie sich, glitt durch das Becken zu ihm hin, legte ihre Arme um seine Schultern und preßte ihren Körper eng gegen den seinen.
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Garth drückte sich in eine Seitenstraße und verharrte reglos, als ein Trupp der Stadtwache vorbeimarschierte und das Licht ihrer Fackeln schwankende Schattenbilder in den Durchgang warf. »Was ist es denn nun wieder?« wisperte Hammen. »Es war mir einfach ein wenig zu stickig da drinnen, das ist alles.« »Wie war sie?« »Wie war wer?« »Du weißt schon, wer.« »Darüber rede ich nicht.« »Darüber rede ich nicht«, murmelte Hammen ironisch. »Ich bin wohl zu alt dafür. Er läßt mich nicht zusehen, und reden will er auch nicht darüber.« Garth trat wieder auf die Straße und zog die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht. Er ließ sich in der Menge treiben, die auf einer der fünf Hauptstraßen der Stadt ziellos umherwanderte. Es waren nur noch zwei Tage bis zum Fest, und die Luft war spannungsgeladen, denn inzwischen war die Stadt bis zum Bersten mit auswärtigen Besuchern angefüllt, die sogar aus fünfhundert Wegstunden entfernten Städten wie Yulin und Equitar gekommen waren. Zur gleichen Zeit wie der Wettkampf der Magier fand auch der jährliche Markt statt. Kaufleute trafen mit einer Fülle von Waren ein und hielten ihre Bestellbücher bereit. Es handelte sich nicht nur um kleine Händler mit einem vollbeladenen Pferd oder Muli, sondern um die Besitzer der großen Handelsimperien, die riesige Karawanen, Lagerhäuser, Karavellen und Galeeren ihr eigen nannten. Sie waren nicht nur ge142
kommen, um Bestellungen aufzugeben und anzunehmen, sondern auch um Kämpfer zu verpflichten, die ihre Unternehmungen schützen und die ihrer Konkurrenten stören sollten. Gaukler belebten die Straßen, und man sah überall Jongleure, Sänger, Musikanten und Schauspieler. Hunderte von Hanin schlüpften trotz des Verbotes des Großmeisters ebenfalls in die Stadt und hofften, das kostbare Recht auf eine Farbe zu erlangen, bevor sie getötet wurden. Die wichtigsten Besucher waren jedoch die Fürsten, Barone, Grafen und Edelleute, die den Kämpfen zusehen und Angebote für die Verträge des kommenden Jahres machen würden. Der Landfrieden hatte am ersten Tag des Mondes begonnen und würde bis zum letzten Tag des Monats anhalten, so daß man sich auf die Kriegssaison vorbereiten konnte, die jeweils in die Zeit zwischen dem Fest und dem Winteranfang fiel. Garth schlenderte die Straße entlang, blieb stehen und beobachtete eine Gruppe von Jongleuren, von denen der eine ein Hanin sein mußte, der einen einzigen Spruch beherrschte. Die Bälle, mit denen jongliert wurde, verwandelten sich plötzlich in zischende und klappernde Schlangen, und beim Hinabfallen wurden sie wieder zu Bällen. Die Menschenmenge sah anerkennend zu und blieb in sicherer Entfernung. Ein paar versuchten, den Jongleur, den sie für den Hanin hielten, mit Neckereien abzulenken und seine Konzentration zu stören. Sie wollten sehen, was geschähe, wenn er plötzlich eine Giftschlange auffinge. Garth ging weiter und hörte, daß sich alle Gespräche rings umher um das Fest drehten. Wettlisten wurden gedruckt und zu Zehntausenden - für ein paar Pfennige das Stück - verkauft. Jede Liste zählte die Kämpfer der einzelnen Häuser auf, ihre Abstammung, Lehrmeister, wahrscheinlich beherrschte Sprüche und die wichtigsten Fakten: eine Übersicht über die Gewinne und Verluste 143
während der vergangenen Feste. Es gab sogar Listen für Analphabeten, die noch reißenderen Absatz als die anderen fanden. Bestimmte Symbole und eingeritzte Zeichen ersetzten die Schrift, und eine Wettübersicht zeigte die Quoten der hochrangigen Kämpfer für wahrscheinliche Duelle an. Die Straßen hallten wider von den verschiedensten Diskussionen über die jeweiligen Favoriten. Einige Debatten steigerten sich und wurden schließlich mit Fäusten und Dolchen ausgetragen. »Ich kann mich immer wieder darüber wundern, wie sich die Leute über das Fest ereifern«, bemerkte Hammen, als sie einen Bogen um zwei alte Frauen machen mußten, die auf dem Boden miteinander rauften. »Sie haben kaum genug zu essen. Die Steuern des Großmeisters oder die der Landesfürsten sind ungeheuerlich, da sie die Kämpfer bezahlen müssen. Aber sehen sie das ein?« Garth blickte auf ihn hinab. »Du schienst dich doch auch zu amüsieren, als ich dich zum ersten Mal traf.« »Ich hatte genug zum Überleben, und jetzt unterbrich mich nicht. Wie ich schon sagte, sie denken nur bis zur nächsten Mahlzeit oder darüber nach, mit welcher Hand sie sich abwischen sollen. Alles andere ist ihnen gleichgültig, und was noch schlimmer ist: sie wollen gar nicht darüber nachdenken. Und dann gehen sie zur Arena und können dir die Abstammung, den Lehrmeister, den Rang, die Gewinne und die Sprüche von fast allen verdammten Kämpfern der vier Häuser aufsagen. Es erstaunt mich. Da ihr Kämpfer sowieso länger lebt wie wir, reden wir hier von Dingen, die manchmal mehrere hundert Jahre zurückliegen. Diese alten Weiber dahinten hatten wahrscheinlich bereits ihre Favoriten, als sie noch in den Windeln steckten, und verehren sie ihr Leben lang. Aber kümmert das euch Kämpfer?« »Sollte es uns kümmern?« 144
»Wie schon gesagt, halt den Mund, mein Sohn, und hör mir zu. Ich bin gerade in der Stimmung für einen Vortrag. Die meisten Kämpfer, die ich kenne, zerträten einen Mann aus dem Volke wie einen Käfer. Besonders jene, die schwarzes oder rotes Mana in ihren Beuteln tragen. Weil sie dieses Mana benutzen, um ihre geistigen Kräfte zu konzentrieren, verfügen sie über dunkle und göttergleiche Macht, verglichen mit einem stinkenden Bauern, der nur mit den Händen kämpfen kann.« »Das kann ich auch.« »Ich weiß, und das beunruhigt mich. Aber, wie bereits gesagt, die meisten Kämpfer sind nichts als Blutsauger. Sie leben wie Könige in ihren Häusern, verdingen sich bei hohen Edelleuten oder reichen Händlern. Sie kämpfen, und wenn sie gegen jemanden antreten, der keine Kräfte hat, bringen sie ihn kurzerhand um. Ist der Gegner ebenfalls ein Kämpfer, geben sie einfach einen ihrer Sprüche her, kehren zu ihrem Auftraggeber zurück und behaupten, daß ihr Mana an dem Tag nicht stark genug war. Ihr veranstaltet diese umständlichen Kämpfe, und in einem Jahr wird höchstens ein halbes Dutzend von euch getötet. Nur während des Festes wird alles etwas blutiger - aber selbst da gibt es zu viele Täuschungen. Die meisten von euch kümmern sich um niemanden außer um sich selbst und tun so überlegen, nur weil sie aus Versehen mit der Fähigkeit geboren wurden, Magie zu wirken. Wir anderen leben im Dreck und im Unglück, um zu eurem Unterhalt beizutragen.« »Zählst du mich zu denen?« »Ehrlich gesagt bin ich mir manchmal nicht sicher, Meister.« Hammen fuhr fort: »Am schlimmsten sind die Kämpfer des Großmeisters. Sie begeben sich in seinen Dienst und bleiben dort ihr Leben lang. Sie verfolgen nur ein Ziel: die Bevölkerung, die rivalisierenden Fürsten und die anderen Häuser zu beunruhigen. Sie sind schlimmer 145
als die Blutsauger der anderen Häuser. Sie sind Parasiten, die uns bei lebendigem Leib von innen auffressen. Die Kämpfer der Häuser sind wenigstens erst seit kurzer Zeit korrupt; es gab Zeiten, da sie der Bevölkerung dienten. Aber die Leute des Großmeisters sind weniger wert als Schlangendreck in einer Wagenfurche.« Garth lachte angesichts von Hammens Wut leise in sich hinein, hielt kurz an einem Obststand und kam mit zwei Granatäpfeln zurück. Er warf Hammen einen zu und ging weiter. Während er genüßlich die Köstlichkeit verzehrte, gab er acht, daß seine Kapuze das Gesicht völlig verdeckte, so daß er fast wie ein heiliger Derwisch des Ordens der Muronier aussah. Die Muronier hatten es sich zum Lebensinhalt gemacht, Traktate herauszubringen, die verhießen, daß das gesamte Universum zum Untergang verurteilt sei. Damit verärgerten sie den Rest der Menschheit so sehr, daß einige Leute den Weltuntergang fast herbeisehnten, damit es endlich ein Ende mit den Muroniern hätte. Mehrere Stadtwachen kamen näher und verlangsamten ihre Schritte, als hätten sie Garth erkannt. Er griff in seine Tasche, als wolle er ein Traktat herausholen, und sie eilten weiter. »Ich mag diese Verkleidung«, stellte Garth fest. »Ich finde, du bist verrückt, hier herumzulaufen. Wärst besser im Haus geblieben. Ich wette alles, was wir bis jetzt gewonnen haben, daß Varena heute nacht nur zu gern dein Bett geteilt hätte.« »Ich möchte mir einiges anschauen«, murmelte Garth geistesabwesend und warf den Rest des Granatapfels zur Seite. Am Ende der Straße ertönte eine Fanfare, und die Menge machte einigen Reitern Platz, die durch die entstandene Gasse ritten und mit ihren Reitgerten nach rechts und links schlugen, um sich noch mehr Platz zu schaffen. Hinter ihnen kam ein hübscher Fürst, der hochmütig durch das Fenster seiner Karosse blickte. Als 146
er an ihnen vorbeifuhr, warf Hammen den Rest seines Granatapfels und traf den Schönling an der Nase. Ein Protestgeheul erscholl, und die Reiter wandten ihre Pferde herum. Hammen drängte sich lachend an den Straßenrand. Der Edelmann steckte den Kopf durch das Fenster und brüllte mit hoher schriller Stimme einige Unflätigkeiten. Innerhalb von Sekunden wurde die Karosse mit Abfall und anderen handlichen Dingen beworfen. Die Wächter peitschten auf die Kutschpferde ein, und das Gefährt rumpelte eilig die Straße entlang. Der Zwischenfall versetzte die Leute in gute Laune, und sie verspotteten lauthals den gesamten Adel. »Wir wollten doch kein Aufsehen erregen«, zischte Garth. »Hast du es gesehen?« fragte Hammen lachend. »Sie hassen die Bastarde, begreifen aber nicht, daß sie sie durch die Verehrung der Kämpfer ebenfalls unterstützen.« »Es gab aber einmal eine Zeit, als die Häuser noch nicht so schlecht waren«, sagte Garth herausfordernd. »Ah, die legendäre goldene Zeit, silberne Zeit oder wie auch immer die Leute es nennen. Historische Erinnerungen sind meistens Unfug - es war nie besser, und morgen wird es auch nicht besser.« »Ein Optimist.« »Nun gut. Ja, vielleicht war es einmal besser. Vor der Zeit des letzten Großmeisters. Als es noch das fünfte Haus gab, Oor-tael. Die nutzten hauptsächlich das Mana der Inseln und der Wälder. Kämpfer jenes Hauses waren verpflichtet, einen Teil ihrer Dienste bei jenen zu leisten, die weder zum Adel noch zur Händlerschaft gehörten. Sie mußten auf Pilgerfahrt gehen und den Armen mit ihren Fähigkeiten helfen, das war Bestandteil ihrer Ausbildung zum Gesellen oder Meister. Sogar wenn sie den höchsten Rang erreicht hatten, erwartete man das in 147
jedem dritten Jahr von ihnen. Und dafür haßten die anderen Häuser sie irgendwann.« »War das der einzige Grund?« »Ich weiß nicht, ich war nur ein...« Hammen stockte. »Du weißt doch, die alte Verfügung gilt noch immer.« »Und die lautet?« »Das Todesurteil für jeden, der Türkis getragen hat, gleichgültig, ob Kämpfer, Krieger, Mätresse oder« - er zögerte - »auch der niedrigste Diener. Es gilt auch für jeden, der darüber redet oder einen anderen verdächtigt und dies nicht meldet.« »Und was wolltest du sagen?« Hammen sah zu ihm auf. »Gestern nacht habe ich dich Galin genannt. Erinnerst du dich?« flüsterte er. »Eigentlich nicht«, erwiderte Garth leise. »Weißt du denn, warum?« »Du mußt mich mit jemandem verwechselt haben.« »Meister! Alle, die Türkis getragen haben, sind tot. Vielleicht gab es damals ein paar, die dem Massaker entkommen sind, aber auch sie sind jetzt tot. Lassen wir es dabei bewenden. Die Toten können nicht zurückkehren, und Türkis ist für immer verloren.« Er warf Garth einen verstohlenen Blick zu. »Jede Hand in der Stadt und in den Königreichen erhob sich gegen sie, und der Großmeister bezahlte es.« Hammens Stimme wurde immer leiser. »Er bezahlte, er bezahlte mit Zehntausenden von Goldstücken, damit man die wenigen, die beim Stürmen ihres Hauses entkommen waren, am letzten Tag des Festes in die Stadt brachte. Die Kämpfer unter ihnen wurden in der Arena aufgespießt, nachdem man ihnen ihre Beutel entrissen hatte. Und weißt du, was das Volk tat?« »Nein«, flüsterte Garth kaum hörbar. »Vielleicht gab es einige, denen es leid tat, aber die meisten dort sahen lachend und jubelnd zu, wetteten 148
darauf, wie lange die Aufgespießten noch leben würden. Das ist der Mob. Man hat ihn derart mit Blutgier, mit dem Fest und dem Kriechen vor dem Wanderer gefüttert, daß ihm alles gleich ist, er weiß von nichts mehr. Es gab eine Zeit, da war das Fest ein privates Ritual, die Kämpfer trafen sich allein, um ihre Fähigkeiten zu prüfen.« Er schwieg für eine Augenblick. »Der vorherige Großmeister hat die Arena gebaut, das Fest geändert, und das Volk war begeistert. Dann machte dieser Großmeister ein blutiges Spektakel daraus.« »Warum haben die Häuser sich nicht widersetzt?« »Ich weiß noch immer nicht, ob du nun ein Narr bist oder nicht. Geld, mein Junge, Geld und andere Bestechungen. Der Großmeister gab es den Meistern der Häuser - mehr Geld, als die toten Kämpfer mit Verträgen in einem Dutzend Jahren verdient hätten. Bei den tödlichen Kämpfen spielten die Wetter völlig verrückt. An Stelle einiger Pfennige wurden lebenslange Ersparnisse auf einen einzigen Kampf gesetzt. Er hat den Mob damit arm gemacht, und ebenso ein paar Fürsten. Schau dich in dieser Stadt um, sie verkommt und zerfällt langsam. Warum?« Garth wollte antworten, aber Hammen unterbrach ihn. »Weil er das Geld braucht, um Mana und Macht für sich selbst zu kaufen und Mana-Reserven für den Wanderer herbeizuschaffen. Dafür ist der natürlich verantwortlich, aber glaub mir, der Großmeister schafft genug für sich selbst auf die Seite. Die alte Rolle der Kämpfer ist längst vergessen; heute sind sie nichts weiter als Schausteller.« »Du hast aber nichts vergessen. Wie kommt das?« »Ich bin ein alter Mann«, sagte Hammen leise und schlug die Augen nieder. »Nur ein angeekelter alter Mann.« »Aber du stiehlst doch auch.« »Und warum nicht? Das hat der Großmeister doch zu 149
einem ehrenwerten Zeitvertreib gemacht. Außerdem konnte ich nichts anderes tun, um zu überleben.« »Gar nichts?« Hammen schüttelte den Kopf. »Also was geschah mit den Überlebenden?« »Mit wem?« »Türkis.« »Frag mich nicht!« grollte Hammen. »Niemals. Wenn dich jemand hört, sind wir tot.« »Ich bin sowieso tot, wenn der Großmeister mich fängt.« »Als Garth Einauge zu sterben, ist eine Sache, aber als angeblicher Türkiser oder Anhänger des Hauses, ist eine andere. Und der Mob, dessen Favorit du bist, würde dich sofort für das versprochene Geld ausliefern. Draußen auf dem Land war es nicht so schlimm, habe ich gehört, denn dort waren die Türkisen stark, und ich vermute, es könnte noch immer so sein. Man sagt, daß ein paar Männer und Frauen aus den entlegenen Provinzhäusern entkommen sind.« Hammen seufzte. »Was können Bauern schon gegen Krieger ausrichten? Selbst damals gab es genug, die sie verrieten und jagten. Hundert für einen Diener, eine Mätresse oder einen Gespielen, fünfhundert für einen Krieger, tausend für einen Kämpfer. Das kann sogar die besten Männer verführen.« »Nicht alle«, meinte Garth. Hammen schnaubte und spuckte aus. »Weißt du, was sie taten, wenn sie einen Gefangenen hatten? Das allererste, wenn sie sicher waren, daß sie alle Informationen erhalten hatten? Sie schnitten ihm die Zunge heraus, so daß er nichts verraten und vielleicht die Wahrheit erzählen konnte. Sie schnitten auch allen die Zunge heraus, die den Flüchtlingen Unterschlupf gewährten oder mit ihnen sprachen. Und nun sind sie nicht mehr da, alle sind tot, oder wenigstens denkt man vorsichtshalber, daß sie alle tot sind«, flüsterte der Alte. »Es gibt noch immer Gerüchte, daß sie am Leben sind.« 150
Hammen sah Garth plötzlich mißtrauisch an. »Man könnte uns beide aufgrund der Worte töten, die ich gerade gesagt habe«, zischte er. »Allein die Aussage, daß vielleicht noch welche leben, wird schon mit dem Tod bestraft. Das gleiche gilt für jeden, der darüber etwas weiß oder, noch schlimmer, jemanden kennt.« Er hielt kurz inne. »Wer bist du eigentlich?« »Ich bin Garth Einauge.« »Kehr zurück nach Hause, wo auch immer das sein mag«, stieß Hammen beschwörend hervor. »Du fragst zuviel. Du wirst das Fest nicht überleben, wenn du hierbleibst.« »Ich habe noch einiges zu erledigen.« »Das ist es nicht wert. Was du suchst, ist vergangen und vorbei.« »Du kannst mich jederzeit verlassen.« Hammen fluchte laut und ausgiebig. »Danke. Du weißt, daß ich das nicht täte. Jetzt nicht mehr. Du hast mich nun an deiner Seite. Fast scheint es, als hättest du das alles geplant, von Anfang an. Als wäre unser Treffen, als ich den Kreis in den Schlamm malte, vorausgeplant gewesen.« Garth lachte und schüttelte den Kopf. Ein paar Minuten lang wanderten sie schweigend weiter, inmitten der ausgelassenen, lachenden, streitenden Menschenmenge. Überall wurden die allgegenwärtigen Wettlisten in der Luft geschwenkt, schmutzige Hände reckten sich, und man diskutierte über Favoriten und Quoten. »Gibt es einen Grund dafür, daß wir hierher gehen?« erkundigte sich Hammen und wies auf eine Taverne, vor der sich viele Menschen um einen braunen und einen grauen Krieger drängten, die gerade einen Oquorak ausfochten. »Reiner Zufall.« »Hier hast du die Benalierin getroffen.« Garth nickte und ging langsamer, um sich den Kampf 151
anzusehen, der schon Sekunden später beendet war, als dem Grauen unmittelbar hintereinander drei schnelle Schnitte gelangen und er die Schulter des Braunen aufschlitzte. Der Braune taumelte zurück und bezahlte widerwillig seine Wettschulden, während die Schnur, mit der die beiden aneinandergebunden waren, durchtrennt wurde. Kupfer und Silber wechselten ringsum den Besitzer. »Kannst du mir einen Gefallen tun?« »Was denn nun wieder?« »Finde sie für mich. Ich vermute, daß du überall in der Stadt Freunde hast. Es dürfte nicht schwer sein, sie zu finden.« »Ich sage dir, sie wird dir nur Ärger machen; alle Benalierinnen sind komisch.« Garth lächelte. »Ich kann schon auf mich aufpassen. Nimm ein paar Goldmünzen und verteil sie, wenn es notwendig ist.« Hammen warf ihm einen eisigen Blick zu. »Keine Angst, deine Kommission wird nicht angerührt. Und wenn du schon dabei bist, such auch gleich einen Unterschlupf irgendwo in der Nähe des Platzes. Er muß aber sicher sein.« »Ein Versteck - oder für ein Rendezvous?« »Ersteres, aber wer weiß, vielleicht auch für letzteres.« Hammen grinste hämisch. »Schlechte Aussichten. Wie ich schon sagte, das ist eine Benalische.« »Gleichgültig, tu es einfach. Es kann nützlich sein für den Fall, daß wir einen Unterschlupf brauchen und für eine Weile verschwinden müssen.« »Was heißt hier wir? Ich kann jederzeit abhauen und verschwinden.« Garth sah ihn belustigt an. »Dann eben nur für mich.« Fluchend spuckte der Alte auf den Boden. »Na gut, ich werde sehen, was ich tun kann.« 152
Garth wandte sich wieder um. Der Mob hänselte den braunen Krieger, der den Oquorak verloren hatte. Ein plötzlicher Windstoß fegte die Straße entlang und riß Garth die Kapuze vom Kopf. Schnell zog er sie wieder herauf, um sein Gesicht zu verbergen. »Heda, Euch kenne ich doch!« Ein schwankender betrunkener Bettler taumelte auf ihn zu und deutete mit seinem kurzen Finger auf die beiden. Garth wandte sich ab und wollte davongehen. »Ich weiß!« schrie der Bettler triumphierend und eilte an seine Seite. »Ich vergesse nie einen Mann, durch den ich ein bißchen Geld gewonnen habe. Du bist Einauge!« Augenblicklich griff die Menge den Namen auf, rief ihn im Chor und drängte sich um Garth. »Einauge, Einauge!« Die Menschen hatten ihn eingekesselt, griffen nach ihm, klopften ihm auf die Schulter. Man bot ihm Getränke, Frauen und andere Vergnügungen an. »Welche Farbe wirst du tragen? Wirst du beim Fest kämpfen? Wie lautet dein bester Spruch? Mein Vetter sah dich gegen Naru kämpfen; er hat fünf Silbermünzen gewonnen!« Streitigkeiten brachen aus, als ein paar Anhänger anderer Kämpfer etwas gegen den geheimnisvollen Einauge sagten. »Du bist ganz schön beliebt!« brüllte Hammen und versuchte, den Tumult zu übertönen. »Aber ich würde sagen, wir machen, daß wir hier wegkommen. Der braune Krieger rennt gerade in die entgegengesetzte Richtung und holt wahrscheinlich seine Freunde.« Garth blieb stehen, und die Menschen drängten sich wieder um ihn, jubelten, rissen an seiner Tunika und versuchten, ihn zu berühren. »Freunde, ihr wißt, daß der Großmeister mich sucht. Wenn ihr jetzt nicht aufhört, ist seine Wache gleich hier!« »Ein Kampf! Gib uns einen Kampf!« brüllten die 153
Leute, und die ganze Straße nahm den Ruf auf, der unaufhaltsam weitergetragen wurde. Diejenigen, die weiter hinten standen, wußten nicht einmal, was los war, und dachten, daß ein Kampf begonnen hatte. Schon hagelte es Wetteinsätze für Einauge, obwohl niemand wußte, gegen wen er eigentlich angetreten war. Garth streckte die Arme aus, und sogleich hüllte ihn eine grüne Rauchwolke ein. Er griff nach Hammens Hand und drängte sich durch die Menge, die hustend und keuchend zur Seite wich. Während sie jedoch eine Seitengasse hinunterrannten, folgte man ihnen bereits wieder. »Da ist er, folgt dem Rauch, folgt dem Rauch!« Sie rannten ihm nach, rufend und lachend, als handle es sich um einen riesigen Spaß, den er eigens für sie inszeniert hatte. »Sie werden uns noch in den Tod treiben. Wirk doch schnell diesen Spruch, mit dem man verschwinden kann.« »Dafür muß man innerhalb eines Schutzringes stillstehen«, erwiderte Garth. »Es gelänge jetzt nicht.« Sie blieben stehen, als sie den großen Platz erreichten, und sofort waren die Leute wieder um sie herum. Garth faßte in seine Tunika und riß einen Beutel, der ihm um den Hals hing, von der Schnur und drückte ihn Hammen in die Hand. »Mach, daß du wegkommst«, zischte er. »Verschwinde!« »Meister?« »Los doch, lauf! Los!« Hammen sah ihn verwirrt an, während sich der Rauch verflüchtigte. Auf dem Platz hatten sich Krieger versammelt, die Armbrüste erhoben. Noch immer drängte sich die Menge dicht um die beiden, und Hammen erblickte in der Ferne Kämpfer des Großmeisters, die aus einer Seitenstraße stürmten. »Renn doch, verdammt, mach schon!« Bei diesen Wor154
ten versetzte er Hammen einen solchen Stoß, daß er hintenüber fiel. Dann rannte Garth weiter, verschwand aus Hammens Blickfeld. Der Alte versuchte verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen, während Menschen über ihn hinwegstürmten, fluchend nach ihm traten. Schließlich griff er nach einem Knöchel und biß hinein. Sein Opfer stürzte schreiend zu Boden, und er kroch darüber hinweg und richtete sich auf. Garth war nirgendwo zu sehen. Garth rannte weiter durch eine Seitenstraße, seine Bewunderer waren ihm dicht auf den Fersen. Sie schrien und lachten, so daß die Wachen seine Spur nicht verloren. Wieder bog er in eine Seitenstraße ein, sprang über Abfallhaufen, rannte zwischen Gebäuden hindurch, aber der Pöbel folgte unbeirrt. Er duckte sich in einen Torbogen, und endlich stürmten sie an ihm vorbei. Allerdings hielt einer von ihnen kurz inne und rang hustend und keuchend nach Luft. Dann schaute er auf und erblickte Garth. »Hier ist er! Einauge!« Der Mob johlte, machte kehrt, und Garth rannte weiter, blieb jedoch plötzlich stehen und errichtete eine unsichtbare Wand hinter sich, so daß man ihm nicht mehr folgen konnte. Aber bereits an der nächsten Einmündung wurde er wieder erkannt, und das Rufen und Johlen ging weiter, während die Leute ihn umringten. Er drängte weiter, bis er sich an einer Seite des FenteskHauses befand. Er hatte keine Hoffnung, ohne Hammens Hilfe einen geheimen Eingang zu finden, und deshalb bewegte er sich auf die Vorderseite zu. Auf dem Platz hatte sich bereits eine grölende Menschenmasse versammelt, und er hörte, wie man Wetten abschloß, ob er die Zuflucht noch erreichen werde. Er erreichte den Platz, mußte aber wegen der ihn umringenden Leute langsam gehen. 155
Ein Blitzschlag krachte unmittelbar vor ihm nieder, mehrere Menschen wurden zur Seite geschleudert, und Garth rannte auf das Eingangstor zu und riß am Türknauf. Die Tür war verschlossen. Er fuhr herum und sah, daß sich ein Kreis von Kämpfern um ihn herum bildete, Kämpfer des Großmeisters. Die Blitze zuckten unaufhörlich und zwangen ihn immer wieder zum Ausweichen, so daß er keinen Schutzkreis ziehen konnte. Hinter den Kämpfern hatten sich Armbrustschützen formiert, gefolgt von mehreren Wagen mit Geschützen, auf denen die Krieger ihre Geschosse bereits in Stellung brachten. Er ließ einen Spruch nach dem anderen los. Ein Mammut erschien genau vor ihm und fing das Feuer ab. Es bäumte sich auf den Hinterbeinen auf, trompetete wild und sprang nach vorn. Ein halbes Dutzend Kämpfer wandte sich ihm zu, die anderen konzentrierten sich weiterhin auf Garth. Innerhalb weniger Sekunden füllte sich die freie Fläche zwischen ihnen mit Goblins, Zwergen, Schlangen und Skeletten, die alle gegeneinander kämpften, durch Magie angetrieben, anzugreifen oder zu verteidigen. Weit draußen auf dem großen Platz brüllte die Menge begeistert und feuerte Garth bei seinem aussichtslosen Kampf an. Es gelang dem Mammut, einen Kämpfer zu packen und zu zerreißen, bevor die anderen eine Erdspalte unter ihm öffneten, in die es hineinfiel, wobei es noch einen Kämpfer mit sich ziehen konnte. Armbrustschützen rannten herbei und schossen ihre Bolzen ab. Garth jagte ihnen eine Feuerwand entgegen, und die Geschosse verschwanden darin, hinterließen nichts als kleine Rauchfahnen. Drei Berserker, die in einer unverständlichen Sprache herumschrien, erschienen jetzt und stürmten auf Garth zu. Er hielt sie mit einer Gruppe von Llanowar-Elfen auf, 156
die sie mit Eichenstäben angriffen und Helme, Schilde und Knochen zerschmetterten. Ein paar Kämpfer hatten sich zusammengetan und erschufen einen Hügelriesen, der fast halb so hoch war wie das Fentesk-Haus. Er bewegte sich mit langsamen, bedächtigen Schritten, und die Menge brach in Jubelrufe aus beim Anblick dieses Wunders, obwohl es ersonnen war, um ihren Helden zu zertreten. Die Kämpfer, die Garth gegenüberstanden, beendeten ihre Angriffe, um sich den Spaß anzusehen. Garth hatte keine Offensive, da seine Elfen sich beim Kampf mit den Berserkern verbraucht hatten und tot am Boden lagen. Der Riese lachte tief und dröhnend, hob den Fuß und stampfte wuchtig auf den Boden, versuchte, Garth zu zertreten. Der sprang zur Seite, hinter eine der Säulen, und ein Tritt des Riesen verfehlte ihn, traf die steinerne Säule, und die Kreatur fluchte laut vor Schmerz. Darüber brach der Mob erneut in Jubel aus. Garth kam hinter der Säule hervor, der Riese hob wieder das Bein und trat nach ihm. Garth hatte sich weggerollt, riß das Schwert eines toten Berserkers an sich und stellte es mit der Klinge nach oben auf den Boden. Der Fuß des Riesen wurde aufgespießt. Sein Schmerzensschrei war von dämonischer Lautstärke, und er hüpfte herum, das Schwert noch immer im Fuß. Garth breitete die Arme aus, der Riese taumelte und stürzte zu Boden. Er zerquetschte dabei ein paar Kämpfer, und der ganze Platz erzitterte von seinem Fall. Dann versuchte er, sich schwankend zu erheben, während die Kämpfer, die ihn geschaffen hatten, unzufrieden auf die ungeschickte Kreatur starren. Dann stolperte der Gigant und fiel in die Erdspalte, in der bereits das Mammut verschwunden war, und man hörte seine Schreie, bis er unten aufprallte. In diesen Sekunden der Verwirrung versuchte Garth erneut, die Tür zu öffnen. Aber sie war noch immer verschlossen. Er hob die Hand, um sie aufzubrechen, fühlte jedoch 157
einen noch mächtigeren Spruch, der sie verschlossen hielt. Fluchend wandte er sich wieder seinen Gegnern zu, die ihre Anzahl mittlerweile fast verdoppelt hatten. Die Schützen hatten ihre Waffen erneut geladen und versuchten, das Feuer zu umgehen. Ein allgemeiner Tumult entstand, Spruch um Spruch wurde gewirkt. Oftmals taumelte er unter der Wucht der psionischen Schläge, die ihn trafen, während die Kämpfer, die sie austeilten, vor Erschöpfung zusammenbrachen. Aber da es hier nicht nur einen Gegner gab, war es gleichgültig, wenn der eine oder andere ausfiel. Die Hauptsache war, daß der einsame Mann, der ihnen gegenüberstand, verwundet wurde. Ein neuer Schlag traf ihn, und Garth fiel auf die Knie. Die Menge grölte noch lauter bei diesem spektakulären Anblick. Er versuchte, einen Schutzkreis um sich herum zu errichten, als ihn ein Bolzen in die Schulter traf und er zu Boden fiel. Keuchend richtete er sich wieder auf, aber die Kämpfer waren jetzt näher gekommen, hatten triumphierend die Arme erhoben. Er schleuderte ihnen noch einen Spruch entgegen, der einen der Männer in eine Flamme hüllte, so daß er sich schreiend um die eigene Achse drehte. Der Mob begrüßte diesen letzten Akt der Verteidigung mit Freudengeschrei. Die Tür des Hauses Fentesk stand jetzt offen. Unzählige der purpurnen Kämpfer drängten sich neugierig in der Öffnung. Als Garth erneut getroffen wurde, riß er seinen Spruchbeutel vom Gürtel, warf ihn zur Tür und schrie: »Varena! Zuflucht!« Der Beutel landete vor den Füßen der ersten Kämpfer, die dort abwartend standen. Ohne sein Mana war Garth nackt, und der nächste Schlag raubte ihm die Besinnung. 158
»Hammen.« Die Stimme war nur ein Flüstern, als würde sie vom Wind herbeigeweht. Ängstlich drehte er sich um und erwartete, die Kämpfer des Großmeisters zu sehen. Die Gasse war menschenleer. Aus der Ferne waren die Geräusche des Mobs vom großen Platz her zu hören. Tumulte waren ausgebrochen, als Garth gefallen war. Einige wurden durch verlorene Wetten ausgelöst, denn viele Leute hatten ihn inzwischen für fast unbesiegbar gehalten. Andere wiederum waren wütend, weil ihnen ihr Favorit genommen worden war, und auf ihre primitive Weise fanden sie es ungerecht. Ihr Ehrgefühl war sowohl vom Großmeister als auch von den Purpurnen verletzt worden, die ihr Tor vor dem Helden verschlossen hatten. Das Abenteuer des fast legendären Einauge, der in den Erzählungen beinahe mystische Ausmaße angenommen hatte, war nun vorbei, und man war enttäuscht. Fenster, die während des Aufruhrs am Vortag nicht zerbrochen worden waren, wurden eingeschlagen, und Sprechchöre waren zu vernehmen, die mit dem Wind auf- und abschwollen und »Einauge, Einauge« riefen. Angewidert hörte Hammen zu, wohl wissend, daß dies nur ein Vorwand für ein wenig Selbstbedienung in den Läden war und das eigentliche Recht oder Unrecht nur zweitrangig war. Später konnten sie behaupten, sie hätten gegen die Ungerechtigkeit protestiert, während sie die guten Speisen und den Wein genossen und mit den feinen Seidenstoffen protzten, die sie den unglücklichen Händlern genommen hatten. So war es immer mit 159
dem Pöbel der Städte, die aus einer Laune heraus, mit dem bloßen Hauch einer Entschuldigung, Aufstände begannen und doch stumm blieben, wenn wirkliches Unrecht geschah. »Hammen.« Er duckte sich in den Schatten und griff nach seinem Dolch, als er eine Gestalt auf sich zukommen sah. Sie ging mit zielstrebigen Schritten, verursachte aber kein einziges Geräusch. Nur das Quietschen einiger Ratten drang durch die Nacht. Die Gestalt blieb stehen. »Ich bin es, Norreen, keine Angst.« Es war die Benalierin; erleichtert atmete er auf. Sie trat an seine Seite. »Ich habe dich auf dem großen Platz gesehen und bin dir gefolgt«, flüsterte sie. »Eine schöne Heldin bist du«, zischte Hammen. »Da draußen hättest du dir einen Namen machen können.« »Warst du denn an seiner Seite?« knurrte sie zurück. »Nein.« »Warum nicht?« »Der Held bin nicht ich, sondern du. Außerdem war es nutzlos; er war am Ende.« »Deshalb habe ich mich auch zurückgehalten. Fordere niemals einen selbstmörderischen Kampf heraus.« Hammen nickte voller Trauer. »Nun ist es vorbei. Laß mich allein.« »Es ist nicht vorbei. Er lebt noch.« »Na und? Sie haben ihn. Entweder foltern sie ihn heute nacht zu Tode oder benutzen ihn, um den Wanderer zu unterhalten. Gleichgültig, was sie tun, es wäre besser gewesen, er hätte sich mit seinem letzten Spruch selbst getötet.« »Er warf seinen Beutel fort, bevor sie ihn hatten.« »Was?« »Wer ist Varena?« fragte sie mit leiser Stimme. Hammen grinste und schüttelte den Kopf. 160
»Ein letztes Vergnügen.« »Oh.« Sie verstummte für eine Weile. »Du sagtest, er warf seinen Beutel weg?« erkundigte sich Hammen neugierig. »Er rief ihren Namen und verlangte Schutz für seine Sprüche. Eine Frau hob den Beutel auf und ging ins Haus.« Wieder grinste Hammen. »Das sieht ihm ähnlich. Was taten die Männer des Großmeisters?« »Sie fesselten ihn, und einige verlangten den Beutel als rechtmäßigen Preis, aber die Purpurnen verschlossen die Tür vor ihnen. Dem Mob gefiel das sehr gut. Dann luden sie Garth auf einen Karren, und daraufhin brachen die Tumulte aus.« Hammen sah erwartungsvoll in die Richtung des großen Platzes, aus der die Geräusche des Aufruhrs über die Stadt schallten. Dann trat er aus dem Schatten heraus. »Wir können jetzt nichts tun«, seufzte Norreen. »Hunderte von Kriegern und beinahe alle Kämpfer des Großmeisters sind dort. Außerdem suchen sie überall nach uns beiden. Wenn man uns sieht, finden wir uns sofort in einer Zelle neben ihm wieder.« »Was meinst du eigentlich mit wir, Benalierin?« »Nichts weiter als wir.« Zum ersten Mal besann sich Hammen auf den Lederbeutel, den er von Garth bekommen hatte. Er öffnete ihn und spähte hinein. Ein kaum wahrnehmbares Glühen war auszumachen. Wenn er noch lebte, gab es vielleicht doch einen Ausweg. »Los, komm, wir haben zu tun.« Während er sprach, versuchte er, ihr einen Klaps auf den Hintern zu geben, zog seine Hand aber sofort mit einem Schmerzensschrei zurück. 161
»Ich verlange den Beutel!« Varena warf Varnel, dem Meister des Hauses Fentesk, einen eisigen Blick zu und schüttelte abwehrend den Kopf. »Er hat mich zu seiner Erbin erklärt, indem er meinen Namen rief und Schutz für seinen Besitz verlangte. Der Kampf gegen ihn war kein echter Kampf, und selbst wenn er es gewesen wäre: Diese Hunde verdienen es nicht, seine Sprüche unter sich aufzuteilen.« »Welches Recht hast du auf seinen Besitz?« »Wir haben uns heute morgen geliebt. Das ist mein Anspruch.« Varnel blickte sie gierig an und leckte sich die Lippen. Sie erwiderte den Blick, ungerührt, kalt und abweisend, und ein Hauch von Verachtung lag auf ihren Zügen. »Wenn wir auch eine solche Vereinbarung träfen, könnte ich den Zwischenfall vielleicht vergessen«, meinte Varnel nach einer Weile. »Ihr seid der Meister meines Hauses, und das ist den Regeln gemäß alles. Das habe ich Euch bereits deutlich am Tag meines Eintrittes gesagt.« »Verflucht sollst du sein.« Er stand auf, als wolle er sie herausfordern. »Bekämpft mich, und Ihr könnt gewinnen«, sagte sie ruhig. »Aber ich werde tot sein und dieses Haus eine Ruine. Außerdem löst Ihr damit eine Revolution aus. Ein Mitglied Eures Hauses habt Ihr heute schon betrogen. Tut es noch einmal, und Euch wird für das Fest nichts mehr bleiben.« »Glaubst du etwa, die da draußen sorgen sich wirklich um Einauge? Die meisten freuen sich über seinen Tod. Die Ehre ist ihnen völlig gleich, es geht ihnen nur um Geld.« »Stimmt. Und die meisten fragen sich jetzt, auch wenn sie es nur unbewußt tun, ob Ihr sie nicht auch verraten werdet, wenn der Großmeister genug bietet. Tötet mich, und dieser Verdacht bestätigt sich.« 162
Varnel stand schweigend da und erwog die Möglichkeiten, den Beutel und weiteres mit Gewalt zu nehmen. »Haltet Euch an schwächere Körper und Hirne«, sagte sie herablassend und deutete auf einen Diwan im Hintergrund des Raumes, auf dem sich ein paar nackte Frauen räkelten, die der Auseinandersetzung gelangweilt zugesehen hatten. »Das ist sicherer.« Mit einem kalten Lachen schlug sie die Tür hinter sich zu, und fast bemitleidete sie die Konkubinen, die heute nacht bestimmt die dunklere Seite von Varnels Leidenschaften spüren würden. Es war lange nach Mitternacht, sie war erschöpft und machte sich auf den Weg zum Bad, um ihre Anspannung zu lösen. Sie betrat den dunstigen leeren Raum und fühlte kurz Gewissensbisse. Eigentlich war es doch nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen, sogar eine kleine Macht- und Kraftprobe, aber immerhin sehr angenehm. Sie entkleidete sich, legte ihren und seinen Beutel am Rand des Beckens nieder, schlüpfte in das heiße Wasser und streckte sich aus. Es war an der Zeit, dieses Haus zu verlassen. Varnel würde vorläufig nichts unternehmen, zumindest nicht am Vorabend des Festes. Darüber hinaus mußte er viel Aufhebens um seinen Widerstand gegen den Großmeister machen und sich weigern, den Beutel herauszugeben. Täte er es nach diesem hinterhältigen Befehl, die Tür zu verriegeln, nicht, würde er völlige Unterwürfigkeit unter beweis stellen. Aber wenn das Fest vorüber war und die meisten Kämpfer ihren jährlichen Dienst angetreten hatten oder in den Provinzhäusern weilten, würde er sich für die Erniedrigung vor den anderen Kämpfern und den Augen seines Harems rächen. Er war sich nicht zu schade, ebenso wie die anderen Meister, einen >Unfall< zu planen. Zum Beispiel einen Vertrag, durch den ein Fürst sich mit der versteckten Klausel einverstanden erklärte, daß er sein gesamtes Geld zurückerhielt, wenn der aufsässige Kämpfer zu 163
Tode kam. Während sie sich in dem Becken treiben ließ, bedauerte sie beinahe, daß sie Garth' Ruf nach Zuflucht beantwortet hatte. Warum habe ich das getan? Sind es die Sprüche, die der Beutel enthält, oder ist es etwas anderes? Verdammt! Sie griff nach dem Beutel und hätte gern hineingeschaut und herausgefunden, welche Macht er enthielt. Aber er war noch am Leben, das fühlte sie, daher wäre dies ein Verstoß gegen die Gesetze gewesen. Die Gesetze. Wer kümmerte sich überhaupt noch um Gesetze? Sie hatte genug erlebt, um die einfachen Regeln des Überlebens zu verstehen, aber irgend etwas hatte sie immer gestört. Die Mächtigen hatten alles verzerrt, hatten diesen ehrenwerten Beruf zu einem Verkauf an den Meistbietenden degradiert und belustigten damit den Mob. Das Gefühl für Sessan, das komplizierte Gefüge der Regeln und Vorschriften, das einst alle gebunden hatte, die Mana kontrollierten, existierte nicht mehr. Der Kampf um Sessan, um Macht, Ehre und Ansehen, war vorbei. Im Laufe der Zeit ging es mehr und mehr um Geld und die Lust am Töten. Varnel konnte damit seine immer perverseren Vergnügungen befriedigen. Und von den Kämpfern ihres Hauses kümmerten sich nur noch wenige um die Disziplin, die zum Kontrollieren des Mana notwendig war. Für sie zählten nur noch die Vorteile, die sie durch ihre Stellung in dieser Welt erhalten konnten. Dieser Gedanke störte sie ebenfalls sehr. Was dachte eigentlich der Wanderer über diese Dinge? Er war immerhin der Mächtigste der Mächtigen dieser Erde und nannte soviel Mana sein eigen, daß er sich zwischen den Welten hin und her bewegen konnte. Wahrscheinlich erschienen ihm die Probleme dieses Lebenskreises ebenso unwichtig wie einem Knaben der Kampf von Ameisen, die er ohne weiteres unter seinem Fuß zerquetschen konnte. 164
Und doch, sollte er es nicht wissen und darüber nachdenken? Denn wenn diese Welt kein Ehrgefühl mehr besaß, wie verhielt es sich dann mit dem Sessan des Wanderers? In weniger als zwei Tagen würde das Fest beginnen, und der Gewinner würde, wenn es vorüber war, den Wanderer begleiten, ihm als Gehilfe dienen und die tiefsten Mysterien kennenlernen. Wenn ich gewinne, was werde ich dann lernen? überlegte sie. Plötzlich fühlte sie sich bei diesem Gedanken unbehaglich - zum ersten Mal. Ein wenig angenehmer Geruch stieg ihr in die Nase. Überrascht öffnete sie die Augen und richtete sich auf. »Ah, genau das wollte ich gern sehen.« Hammen hockte am Rand des Beckens wie ein Frosch auf einem Seerosenblatt, die Augen quollen ihm über vor unverhohlener Gier. »Im Namen aller Teufel, was tust du hier?« zischte sie ihn an, nicht nur überrascht von seiner stinkenden Gegenwart, sondern auch von dem Schamgefühl, das sie ob ihrer Nacktheit überfiel. Sie griff nach einem Handtuch, um ihre Blöße zu bedecken. »Du brauchst kein Handtuch«, lechzte der Alte. »Hammen!« rief eine fremde Stimme, eine Hand schoß vor und schlug ihn kräftig in den Nacken, so daß er leise aufheulte. Varena verließ das Becken und ergriff beim Anblick der Fremden, die hinter Garth' Diener stand, ihren Beutel. »Eine Benalierin?« Die Frau nickte. »Ihr beide stinkt wie ein Abwasserkanal!« »Genau daher kommen wir auch«, bestätigte Hammen, »und ich muß sagen, es war ziemlich aufregend, sich vorzustellen, daß wir durch Wasser gewatet sind, in dem du gebadet hast.« Norreen schlug wieder nach ihm. »Wenn man euch hier findet, seid ihr des Todes«, flü165
sterte Varena. »Verschwindet jetzt, oder ich muß entsprechende Schritte ergreifen.« Norreens Hand glitt zum Griff ihres Dolches, und Varena hängte sich ihren Beutel über die Schulter, um sich für einen Kampf bereitzuhalten. Hammen starrte sie mit großen Augen an, grinste lüstern und warf ihr den kleinen Beutel zu, den Garth ihm gegeben hatte. Sie fing ihn geschickt auf, behielt Norreen jedoch mißtrauisch im Auge. »Wir haben uns gedacht, du fändest vielleicht Gefallen an dem kleinen Spiel, das wir dir vorschlagen möchten«, sagte er grinsend. Grauenvolle Schmerzen durchzuckten seinen Körper, und Garth bemühte sich verzweifelt, Schmerzensschreie zu unterdrücken. Beinahe schien es ihm, als habe sich ein Teil seiner selbst von diesen Qualen entfernt, als schwebe er über seinem Körper, der sich auf der Folterbank wand und bäumte. Er stieß einen lauten, wilden Schrei aus, jedoch war es weniger ein Schmerzensschrei als ein Wutschrei, denn bei seiner Ausbildung hatte man ihm beigebracht, daß man den Schmerz in Regionen verbannen konnte, aus denen er Geist und Körper nicht erreichte. Aber der Mann, der ihn quälte, kannte diese Regionen, und seine unsichtbaren Finger wühlten sich in Garth' Seele hinein, zerrten an seinen Gedanken, folterten ihn, rissen an seinem Geist und versuchten dann, die Bruchstücke wieder zusammenzufügen. Es gab keine heilenden Sprüche mehr, keine Barrieren, keine Möglichkeit zurückzuschlagen, nur den unbarmherzigen Angriff auf den Kern seiner Existenz. Schließlich blieben ihm nur noch zwei Wege offen: Er konnte nachgeben und alles enthüllen oder aber dem Pfad in die Dunkelheit folgen, der letztendlich zum Licht führte. Garth entschied sich für den zweiten Weg. 166
Er trauerte um alle seine Träume und Pläne; alles, was ihn angetrieben und in den letzten Jahren am Leben erhalten hatte, war umsonst gewesen. Die Jahre des Verstecktlebens, des Lernens, der geheimen Pläne, alles, was getan werden sollte und mußte - nun war es verschwendet und vorbei, für immer verloren. Er würde den Schatten mit leeren Händen gegenüberstehen, den Schatten, denen er soviel versprochen hatte. Hoffentlich würden sie es verstehen und ihm verzeihen. »Nein, jetzt noch nicht!« Die Seelenqualen hatten ein Ende, und eine beruhigende Wärme breitete sich aus, riß ihn zurück von der Tür, die sich ihm fast schon geöffnet hatte. Er wollte hindurchgehen, aber er schaffte es nicht. Das Mana, das sie alle in sich trugen, ließ es nicht zu, weigerte sich, aufzugeben, solange die Verbindung noch intakt war. Garth öffnete die Augen. Zarel Ewine, Großmeister der Arena, stand über ihm. Seine Augen blickten ihn mitleidig an, wirkten so überzeugend, daß er mit sich kämpfen mußte, um ihm zu widerstehen und nicht auf diese Heuchelei hereinzufallen. Zarel legte ihm sanft die Hand auf die Stirn, und auch der letzte Rest des Schmerzes verschwand. »Wäre es nicht besser, wenn du mit mir reden würdest?« Seine Stimme war sanft und warm, fast wie die einer liebenden Mutter, die auf ihr Kind einredete, das von einem seltsamen und schrecklichen Fieber ergriffen worden war. Zarel nickte, und sogleich lösten unsichtbare Hände die Ketten, die Garth auf der Folterbank niedergehalten hatten. Man half ihm, sich hinzusetzen, und führte ihm ein kühles Getränk an die Lippen. Er zögerte kurz, überlegte, welche verführerischen Kräuter und Zauber es wohl enthalten mochte, und trank es dann doch. Wenn sie das versuchen wollten, hätten sie ihn auch zwingen 167
können, es zu schlucken, während er halb bewußtlos vor Schmerz dagelegen hatte. Das Getränk besänftigte seine rauhe Kehle, und er beugte sich hustend vor, mußte einen Brechreiz unterdrücken. Wieder drückte man ihm den Becher an die Lippen, und er leerte ihn. Kühle Leichtigkeit durchflutete ihn, er vermeinte fast zu schweben, und alles erschien nun friedvoll. Er wandte seine Gedanken nach innen, um die ihm verbliebene geringe Kraft zu konzentrieren und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. »Du kannst jetzt gehen«, sagte Zarel befehlend. Eine Tür wurde geöffnet und dann wieder geschlossen. »Dies ist wirklich recht unangenehm, weißt du«, fuhr Zarel fort, und Garth hörte, wie ein Stuhl an den Tisch herangezogen wurde. Er öffnete die Augen und sah den kalten Blick seines Folterers. Er fühlte, wie sehr dieser Mann alles genoß. Er war nicht einmal mehr wütend, nur noch kühl und gelassen. Diese Folterung und Befragung bereiteten ihm großes Vergnügen, sie waren eine willkommene Herausforderung. Garth sah ihn mißtrauisch an. »Du wirst sterben. Es hätte keinen Sinn, jemanden mit deinen Fähigkeiten anzulügen. Du hast es darauf angelegt, dich zu meinem Erzfeind zu machen. Du hast mich bloßgestellt, meinem Besitz Schaden zugefügt und mein Ansehen gefährdet. Das kann ich nicht dulden.« Er seufzte, als belaste ihn das alles zutiefst. »Dieser Abschaum, dieser stinkende Mob da draußen, darf Helden haben, aber nur Helden, die mir unterstehen.« Er erhob seine Stimme ein wenig. »Und du, Einauge, hast versucht, dich außerhalb meines Einflusses zu bewegen. Ich muß dir zugestehen, daß du den Kampf zwischen Kestha und Bolk wahrhaft meisterlich herausgefordert hast, genau wie du meine Gesetze mißachtet hast. Es ist fast eine Verschwendung.« 168
Er schüttelte in trauriger Verzweiflung den Kopf. »Wärest du doch zuerst zu mir gekommen, als du Arbeit suchtest. Ich hätte sie dir freudig gewährt.« Garth antwortete nicht, denn er fühlte, daß Zarel eigentlich mit sich selbst redete. »Eine Stellung mit Macht, Gold, Frauen, allem, was dein Herz begehrt. Ich vermute, daß du fähig genug bist, mein Stellvertreter zu werden, denn der, den ich jetzt habe, ist nichts als ein Schoßhund.« Zarel warf ihm einen fragenden Blick zu. »Aber nein, das möchtest du alles gar nicht, nicht wahr, Einauge?« Zarel sprach jetzt mit kalter, verächtlicher Stimme. »Du bist einer der alten Schule, und deshalb haßt du mich. So ein Narr, so ein Narr...« Und seine Stimme wurde immer leiser, als sehe er etwas in großer Entfernung. »Wer bist du?« Seine Stimme war wie ein Peitschenschlag und überraschte Garth, der vor der bloßen Wucht zurückschreckte. Wieder gab es ein kurzes erbittertes Ringen, in der Hoffnung, daß er nicht auf der Hut war, und fast hätte Zarel die Barriere überwunden. Er lächelte zufrieden. »Du wirst schon schwächer. Ich werde dich bald so weit haben.« »Das könnt Ihr versuchen«, murmelte Garth. »Und was hilft es Euch? Ihr werdet es wissen, aber ich bin dann tot. Euch quält das Geheimnis, nicht wahr? Das Geheimnis und Eure Furcht.« Der Großmeister erhob sich und ging im Raum umher, sein vielfarbiger Umhang schimmerte im Licht der Fackeln. Nach einer Weile ließ er sich seufzend auf den Stuhl sinken. »Ich will es dir ganz kurz erklären. Der Wanderer weiß von dir. Die Qualen, die ich dir bereite, sind nur für 169
den Augenblick. Erzähl mir alles, und ich lasse dich in den großen Schlaf sinken. Erzählst du mir nichts, wirst du lange und unsäglich leiden müssen. Und du kannst mir glauben, er wird dafür sorgen, daß es sehr lange dauert.« »Also so ist er wirklich?« fragte Garth. »Habt Ihr das Gesicht hinter seiner Maske aus Macht und der Faszination entdeckt, die er auf den Mob ausübt?« Zarel schlug die Augen nieder, als habe man ihn bei einer Gotteslästerung ertappt. »Du kannst Mana kontrollieren«, flüsterte er. »Du kennst die Kraft der Schwarzen und der Roten, und er hat diese Kraft im Überfluß. Nur ein Narr würde das bezweifeln. Er ist schrecklich in seiner Macht, wie sonst könnte er solche Kräfte kontrollieren? Er verantwortet sich vor niemandem außer dem Ewigen, und selbst der wird zurückgehalten bis Ragalka, dem Tag der Zerstörung und des Wehklagens.« Zarel sprach zu Garth wie zu einem Gleichgestellten, über eine Tatsache, die zwar unangenehm war, der man aber ruhig und sachlich ins Auge sehen mußte. »Er wird dich nicht ins Reich der Toten entkommen lassen, sondern dich als Spielzeug behalten, um sich zu unterhalten. Es kann Äonen dauern, bevor du ihm langweilig wirst und er dich befreit. Das biete ich dir an, wenn du nicht zur Zusammenarbeit bereit bist.« »Und das hat er auch mit all jenen gemacht, die sich seinen Zorn zugezogen haben!« schrie Garth mit wütender Stimme. Zarel blickte aufmerksam auf. »Das bewegt dich also, hm?« Und wieder versuchte er, in Garth hineinzusehen. Garth schwieg augenblicklich. »Das bewegt dich also wirklich, nicht wahr? Du hast nicht nur etwas gegen mich, sondern auch gegen den Wanderer?« Seine Worte trafen Garth wie Peitschenhiebe. 170
Garth warf Zarel einen herausfordernden Blick zu. Dieser nickte bedächtig. »Warum bist du hergekommen, Einauge? Wer hat dich geschickt und weshalb?« »Das werdet Ihr nie erfahren.« »Verdammt sollst du sein!« Und er schlug Garth so brutal ins Gesicht, daß diesem für einen Augenblick schwindlig wurde. Garth' Mund füllte sich mit Blut, und er spuckte es dem Großmeister ins Gesicht. »Ihr habt Angst vor mir, stimmt's?« flüsterte er. »Sogar jetzt, da ich hier in Eurer Gewalt bin und in Ketten liege, habt Ihr Angst vor mir und vor dem, was ich sein könnte.« »Ich sollte dich auf der Stelle töten!« schrie Zarel und erhob die Hand, als wolle er ihn erneut schlagen. »Tut es doch. Dann werdet Ihr nie Genaueres erfahren. Ihr werdet niemals wissen, ob es vielleicht noch mehr von meiner Art gibt, die sich verschwören und abwarten.« »Du bist aus dem Haus Oor-tael, das ist es.« Garth lächelte nur. »Das werdet Ihr nie erfahren.« »Ich habe euch alle vernichtet. Euch alle. Geblieben sind armselige Hunde, die ich zum Zeitvertreib jage.« »Wenn das stimmt, warum habt Ihr dann noch Angst vor mir - da ich doch gefangen in Eurem Verlies bin?« »Ich habe vor keinem Mann und keiner Frau Angst.« »Versucht nur, Euch das einzureden. Ich kann das nicht glauben, denn ich sehe die Wahrheit in Euch.« Ein Hauch von Furcht lag in Zarels Blick, als er zu Garth hinübersah. »Ihr bewegt Euch auf ein dunkles Ziel zu, genau wie Euer Meister vor Euch. Und Ihr startet in einem Rennen. In jedem Jahr müßt Ihr dem Wanderer Euren Mana-Tribut zahlen, und gleichzeitig haltet Ihr immer mehr für 171
Euch selbst zurück, um genug Kraft aufzubauen, damit Ihr es ihm eines Tages gleichtun könnt.« »Woher weißt du das?« »Die ganze Welt weiß das«, lachte Garth höhnisch. »Denkt Ihr denn, wir anderen sind solche Narren, daß wir es nicht bemerken?« Zarel bewegte sich voller Unbehagen. »Ihr wißt doch, daß sie Euch deshalb fürchten. Sie erinnern sich daran, was Ihr dem Haus Oor-tael angetan habt, um Eurem Meister zu dienen. Nun sehen sie, daß Ihr es mit ihnen auch so macht, daß Ihr die Häuser beim Fest langsam ausbluten laßt. Ihr bestecht die Meister der Häuser jährlich aufs neue, und sie verschließen ihre Augen - aber nur für den Augenblick. Es wird alles ausbrechen: die Wut der Meister, die Wut des Mobs, und bald wird auch der Wanderer alles erfahren.« »Hast du etwa das Verlangen, dem Wanderer alles zu erzählen?« fragte Zarel ungläubig. Garth lachte hohl. »Vielleicht.« »Weißt du eigentlich, wie viele bereits versucht haben, mich zu bezwingen? Jeder von ihnen, jeder einzelne, ist hier gelandet.« Er deutete auf die an der Wand hängenden Ketten, in denen zum Teil Skelette und verwesende Leichen hingen. Garth grinste wieder. »Ich sagte ja bereits, daß sie Euch fürchten. Aber Ihr seht nicht, welche Früchte diese Furcht tragen kann. Ihr glaubt, Eure Feinde unter Kontrolle halten zu können. Aber das kann sie auch zu Verzweiflungstaten treiben. Bald wird es in der ganzen Welt nicht genügend Ketten geben, um sie zu halten. Zum Schluß werdet Ihr entweder vom Mob oder von den Häusern mit bloßen Händen zerrissen.« Er lachte wieder, ein heiseres, rauhes Lachen. »Wer bist du?« Garth spuckte ihm ins Gesicht. Mit einem Wutschrei sprang Zarel auf ihn zu, schlug 172
ihn wieder und immer wieder, und Garth lachte die ganze Zeit weiter. Tief im Herzen betete er darum, daß sich der Großmeister dazu hinreißen lasse, jetzt ein Ende zu machen, ihm nun den Todesstoß zu versetzen, damit er ins Schattenreich eintreten und Zarel mit der Ungewißheit zurücklassen könne. Die Schläge hörten auf, und er blickte hoch. Der Großmeister stand nach Atem ringend vor ihm, sein Gewand war mit Blut bespritzt. »Nein, du entkommst mir nicht - du nicht.« Zarel ging zur Tür und öffnete sie. Dann wandte er sich um. »Weißt du, was die tausend Schnitte sind?« Ein kalter Schauer überlief Garth. »Denk darüber nach, denn in ungefähr einer Stunde wirst du es erleben. Mein Mann kann das sehr gut, und wenn man dich vor den Wanderer schleppt, wirst du nur noch ein armseliger Rest sein, blind, ohne Finger oder Zehen und ohne deine Männlichkeit. Es wird mir eine Freude sein, euch zuzuschauen. Betäubt ihn!« Und er stürmte fluchend von dannen. Sekunden später waren die beiden grinsenden Folterknechte an seiner Seite. Einer zwang ihn, den Mund zu öffnen, und der andere schüttete ihm einen Trank in die Kehle, so daß er kurz darauf in einen Fiebertraum versank, der es ihm unmöglich machte, seine Gedanken zu kontrollieren und sein Herz zum Stillstand zu bringen. Stöhnend sank er nach hinten, während ihm die beiden Männer lachend Ketten anlegten, um ihn erneut an den Tisch der Schmerzen zu binden. Gefangen in seiner Furcht, eilte der Großmeister den feuchten Gang entlang und achtete nicht auf die Schreie und das Stöhnen der anderen Insassen des KellergewÖlbes. Überall herrschte ein unbeschreiblicher Gestank, der vor allem aus dem offenen Abwasserloch in der Mitte 173
des Gewölbes drang, das als nützliche Abfallgrube für Körper und Körperteile genutzt wurde. »Uriah!« Der Zwerg wandte sich erschreckt um, erblaßte vor Angst. »Was tust du hier?« »Ihr habt nach mir geschickt, Meister.« Er betrachtete den deformierten Kämpfer eingehend und überlegte, ob der Zwerg das Gespräch vielleicht belauscht haben könnte. Zarel hielt kurz inne und versuchte, seine aufgewühlten Gedanken zu ordnen. Einauge mußte ein Türkiser sein. Aber wie? Wie konnte er überlebt haben? Er war zu jung, konnte nur ein Knabe gewesen sein. Der Großmeister durchforschte sein Gedächtnis, denn dort gab es eine verschwommene Erinnerung, die er jedoch nicht zu greifen vermochte, und das beunruhigte ihn noch mehr. Uriah hüstelte nervös und riß ihn damit aus seinen Gedanken. »Hat man seinen Diener gefunden?« »Noch nicht, Meister.« »Hat Varnel den Beutel übergeben?« »Er behauptet, es sei ihm nicht möglich.« »Verdammt!« Zarel schlug mit solcher Wucht nach Uriah, daß der Zwerg gegen die Wand geschleudert wurde und ihn entsetzt und verängstigt anstarrte. »Sag Varnel, daß ich den Beutel um jeden Preis haben muß. Er hat dreitausend bekommen, um die Tür verschlossen zu halten; erzähl ihm, daß sein Verrat bekannt werden wird, wenn er den Beutel nicht herausgibt. Biete ihm zehntausend, wenn es sein muß. Außerdem will ich den Diener haben. Er weiß irgend etwas und verfügt nicht über die Kräfte eines Kämpfers. Er kann mir nicht widerstehen, so wie Einauge.« Der Großmeister blickte auf Uriah hinab, der sich seine anschwellende rote Wange hielt. 174
»Gibt es noch etwas?« fragte er, wobei seine Stimme einen eisigen Tonfall annahm. Uriah schüttelte mit Tränen in den verängstigten Augen den Kopf. »Verdammt, verschwinde endlich aus meinem Blickfeld!« Der Zwerg hastete davon, und Zarel ging weiter, krampfhaft einen Brechreiz unterdrückend, als der süßliche Gestank des Verlieses ihn einhüllte. Einen Augenblick lang fühlte er, daß irgend etwas nicht stimmte, und blieb stehen, die Sinne geschärft, und wartete. Er hörte Uriah schnüffeln und schluchzen, und das lenkte ihn ab. Wütend verließ er das Gewölbe.
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»Verdammt!« Das Geräusch des Schlages erschreckte ihn, und Hammen drückte sich an die Wand des Kanals, atmete vor Angst kaum noch. Er sah zu Norreen hinüber, die ruhig stehenblieb, ihre Klinge aus der Scheide zog und nach vorn auf den Lichtschein blickte, der die Dunkelheit durchdrang. Er hörte Uriahs Wimmern. »Sag Varnel, daß ich den Beutel um jeden Preis haben muß.« Hammen warf Varena einen Blick zu, die lautlos über Zarels Wutausbruch lachte. »Er hat dreitausend bekommen, um die Tür verschlossen zu halten; erzähl ihm, daß sein Verrat bekannt werden wird, wenn er den Beutel nicht herausgibt.« Varena bewegte sich verärgert, ihre Gesichtszüge waren vor Wut entstellt. »Biete ihm zehntausend, wenn es sein muß. Außerdem will ich den Diener haben. Er weiß irgend etwas und verfügt nicht über die Kräfte eines Kämpfers. Er kann mir nicht widerstehen, so wie Einauge.« Hammen hätte gern geflucht. Der Gedanke daran, daß eine unterirdische Stimme aus dem Abwasserkanal Zarel mitteilen würde, er möge unter Höllenqualen verbrennen, belustigte ihn. »Gibt es noch etwas?« hörten sie Zarel fragen. Eine Pause entstand. »Verdammt, verschwinde endlich aus meinem Blickfeld!« Hammen wartete ab und wollte dann weiterschlei176
chen. Varenas Hand schoß vor und hielt ihn zurück, während sie warnend den Kopf schüttelte. Sie schien den Atem anzuhalten, und Hammen fühlte die Wellen der Kraft von ihr ausgehen, als versuche sie, irgend etwas abzuwehren. Minuten vergingen, dann senkte sie aufseufzend den Kopf. Varena wirkte erschöpft. Sie sah Norreen an und nickte auffordernd. Die Benalierin schlich vorwärts, ohne das leiseste Geräusch zu verursachen, obwohl sie sich durch schenkelhohen Dreck und Unrat bewegte. Hammen und Varena folgten ihr, bis sie unter dem Gitterrost standen. Sie griff nach oben, tastete an der Seite des Gitters entlang und nickte Hammen zu. Er trat vor, und sie hob ihn hoch, zischte aber warnend, als er versuchte, die Hände über ihren Körper gleiten zu lassen. Er zog einen Dietrich aus dem Ärmel und wollte ihn ansetzen. »Das wird den Abschaum festhalten«, ertönte eine Stimme über ihren Köpfen, gefolgt von heiserem Gelächter. Hammen und Norreen erstarrten. Ein Fuß wurde auf das Gitter gestellt, und Hammen schloß abwartend die Augen. »Was glaubst du, wo der Schlitzer anfangen wird?« »Na, wo denn wohl?« kam die Antwort aus einer anderen rauhen Kehle, und beide lachten hämisch. »Nee. Das spart er für später auf. Fünf Kupferstücke, daß er zuerst die Hände nimmt.« »Welche?« Eine kurze Pause entstand. »Die rechte.« »Na gut, fünf Kupferstücke.« Und wieder dieses rauhe Lachen. Sekunden später fühlte Hammen, wie sich eine warme Flüssigkeit über sein Gesicht ergoß, und er mußte mit der Versuchung kämpfen, seinen Dolch augenblicklich durch das Gitter zu stoßen. »Ah, jetzt geht's mir besser. Zuviel Bier.« 177
Die beiden Männer entfernten sich. Hammen faßte nach oben und steckte den Dietrich in das Schloß des Gitterrostes. Es war verrostet. Er versuchte es mit aller Kraft, aber es gab nicht nach. Er sah zu Varena hinüber. »Es klemmt«, flüsterte er. »Benutz einen Spruch!« »Zu auffällig. Öl es.« Er nestelte an einem Fläschchen, das ihm um den Hals hing, entkorkte es mit den Zähnen und ölte zuerst die Scharniere des Gitters, dann das Schloß. Öl troff ihm auf das Gesicht, brannte ihm in den Augen. Er versuchte es erneut mit dem Dietrich, aber nichts geschah. Schweiß lief ihm trotz der kühlen, feuchten Luft über das Gesicht. »Was ist los?« flüsterte Norreen. »Es tut sich nichts. Ich schaffe es nicht.« »Verdammt, mach weiter!« »Heb mich etwas höher.« Norreen schob ihn ächzend weiter nach oben, und er hielt sich mit einer Hand am Gitter fest und steckte die andere durch die Stäbe, um das Schloß erneut zu bearbeiten. Heiseres Gelächter erklang aus einiger Ferne, und ganz in der Nähe hörte man einen jämmerlichen Schrei. »Halt's Maul, oder wir schneiden dir die andere Hand ab!« rief eine Stimme. Jetzt näherten sich Schritte. Hammen erstarrte und zog die Hand zurück. Jemand ging von Zelle zu Zelle und öffnete Gucklöcher, um die Gefangenen zu überprüfen. Minuten verstrichen, der Wächter kam immer näher und schritt über das Gitter. Er öffnete ein weiteres Guckloch. »Verdammt. He, Grimash, der Bastard hier hat sich aufgehängt.« »Na und, was hat das mit mir zu tun?« kam die Antwort aus einiger Entfernung. 178
»Mach die Tür auf, damit wir ihn wegschaffen können.« Hammen sah Norreen aufgeregt an. »Laß ihn da hängen bis morgen früh.« »Los, komm schon, bringen wir's hinter uns.« »Ja doch.« Wieder sah Hammen mit weitaufgerissenen Augen zu Norreen hinab. Sie ließ ihn vorsichtig hinunter und zog sich dann von der Öffnung zurück. Wieder ertönten Fußschritte, und man hörte, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde. »Verdammt, der stinkt ja schon. Wann hast du zuletzt nach ihm gesehen?« »Ich weiß nicht. Der ist, glaube ich, gestern oder vorgestern gebracht worden.« »Verdammt! Los, trag ihn. Was für ein Gestank!« Die Wächter fluchten leise, und etwas wurde über den Boden geschleift. Ein Schatten fiel über den Rost, und ein Schlüssel wurde in das Schloß gesteckt. Mit einem metallischen Klicken schnappte es zurück, und das Gitter wurde hochgehoben. »Hier stimmt was nicht.« »Was meinst du denn?« »Der Schlüssel. Sieh mal, der ist voller Öl.« »Dann hat eben jemand das Schloß geölt.« »Und wer? Ich war es nicht.« »Halt endlich den Mund und schmeiß ihn rein. Selbst eine Made würde bei seinem Anblick kotzen.« Der Körper fiel geradewegs nach unten, klatschte in den Schlamm und bespritzte die drei im Kanal. Er war steif wie ein Brett und fiel nicht vornüber, sondern blieb aufrecht direkt unter der Öffnung stehen, der Kopf schlug gegen die Steinwand. Hammen fühlte, wie er von einem Brechreiz erfaßt wurde. Das Gesicht der Leiche war halb im Schatten verborgen, man sah nur die schwarze Zunge, die aus dem Mund hing, der Kopf er179
schien wie ein aufgeblasener Ballon. Das Seil war aus zerrissenen Lumpen gedreht und schnitt tief in den graugrünen Nacken. Die oben stehenden Wächter blickten hinab, und einer begann zu lachen. »Es gefällt ihm hier. Er mag uns nicht verlassen.« »Na los, gib ihm einen Stoß.« »Nee, laß ihn doch. Das sieht doch ganz witzig aus, wie er da so steht.« »Verdammt, stoß ihn weg. Der wird hier alles vollstinken.« »Unsere Kunden werden sich schon nicht beschweren.« »Beweg ihn endlich!« Eine Hand ergriff die Leiche am Hinterkopf und zog sie ein wenig nach hinten. Die Strömung des Abwassers trieb die Beine nach vorn, und in diesem Augenblick schrie Hammen gellend auf. Er starrte in das Gesicht von Petros, einem Mann seiner Bruderschaft, einem Freund, mit dem er noch vor drei Tagen die Läuse und Flöhe seiner Hütte geteilt hatte. Hammens Schrei wurde von den beiden Wächtern erwidert, die voller Entsetzen zurücksprangen. »Weg hier! Lauf!« Varena stieß Hammen zur Seite, so daß er ins Wasser fiel und weggetrieben wurde, der tote Freund trieb an seiner Seite. Sie blickte nach oben, erhob die Hand, und ein Feuerstrahl traf einen der Wächter und warf ihn zu Boden. Der andere rannte verängstigt davon. Varena griff mit beiden Händen an den Rand der Öffnung und zog sich geschickt hindurch. Norreen machte Anstalten, ihr zu folgen. »Ich ertrinke!« Sie drehte sich um und sah zu Hammen hinüber, zögerte und watete dann fluchend hinter ihm her, bis sie 180
ihn am Schopf packen konnte. Sie zerrte ihn zur Öffnung und schob den hustenden und würgenden Alten nach oben. Hammen fiel auf den Boden des Gewölbes und rollte sich von dem schreienden Wächter fort, der sich mit brennenden Kleidern am Boden wälzte. Norreen kletterte durch das Loch, zog ihr Schwert und beendete seine Schreie. »Wo ist seine Zelle?« schrie sie. Varena kam den Gang entlanggerannt »Er ist entkommen. Wir haben nicht viel Zeit!« »Wo ist seine Zelle?« Sie sahen sich verwirrt um. Ihren ursprünglichen Plan, sich hineinzuschleichen und leise die Zelle zu suchen, konnten sie vergessen. »Es muß an diesem Ende des Ganges sein!« Varena eilte von Tür zu Tür, hob vor jeder die Hand und fegte die Schlösser fort. Norreen folgte ihr und riß die Türen auf. Hammen lag noch immer zitternd am Boden und versuchte die Erinnerung an die Überreste seines Freundes zu verarbeiten. »Hammen, behalt den Gang im Auge!« Fluchend kam er wieder auf die Beine und wankte den Gang entlang. Um ihn herum regierte das Chaos, die Gefangenen in den Zellen schrien und flehten nach Befreiung. Er kehrte zurück zu den verkohlten Überresten des Wächters und ergriff dessen Schlüsselbund. Dann begann er, die Türen auf der anderen Seite des Ganges zu öffnen. Einige der Opfer in den Zellen waren bereits verloren. Angekettet an Wände oder Folterbänke, flehten sie um Befreiung, Essen, Wasser oder einfach nur um Erlösung von ihren Qualen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Hinter einigen Türen befanden sich nichtangekettete Menschen, die ihm entgegenwankten. »Springt in den Abwasserkanal und folgt der Strö181
mung!« schrie Hammen. Die Männer und Frauen krochen in die gewiesene Richtung. Einer der Gefangenen humpelte auf Hammen zu. »Hammen«, wisperte er mit krächzender Stimme. Jetzt erkannte er ihn, seinen alten Freund aus der Bruderschaft, der keine Hände mehr hatte. »Mach, daß du rauskommst, und erzähl es allen«, flüsterte Hammen. »Erzähl ihnen, daß Einauge euch befreit hat. Versteck dich bei Lothors Bruderschaft, ich sehe dich später.« Das blutige Gesicht des Mannes verzog sich zu einem Grinsen, und er hastete davon. Aus einiger Entfernung waren jetzt eilige Schritte und Stimmen zu vernehmen. »Sie kommen!« »Wir haben ihn!« Hammen sah Norreen aus einer Zelle kommen, Garth in ihren Armen haltend. Varena drängte an ihr vorbei und rannte auf ihn zu. Ein Armbrustbolzen flog vorbei, prallte an der Wand ab, Funken sprühten. Fackellicht näherte sich ihnen. »Lauf schon!« Hammen wartete nicht auf eine neue Aufforderung und rannte zur Kanalöffnung. Varena erhob die Hände, und innerhalb von Sekunden erschien eine riesige Rattenhorde, die kreischend und quietschend den Gang hinunter raste. Unmittelbar hinter ihnen flammte eine Feuerwand auf, die die Tiere vor sich her trieb. Norreen hatte jetzt mit Garth die Öffnung erreicht. »Hammen zuerst!« Er sah zögernd nach unten, und schon bekam er einen Tritt in den Hintern. Mit einem Fluch fiel er hinein, rappelte sich auf und versuchte, auf dem glitschigen Boden stehenzubleiben. »Fang ihn auf!« Norreen ließ Garth mit den Füßen zuerst hinab, dann ließ sie ihn los. Er fiel in die Strömung, und Hammen 182
bemühte sich, seinen Kopf über Wasser zu halten. Sekunden später war Norreen an seiner Seite. »Varena, laß uns verschwinden!« Die Purpur-Kämpferin sprang nach unten, und das Feuer erlosch. Aber man hörte die Ratten noch immer kreischen, ihre Schreie klangen fast begeistert, als sie um ihre Mahlzeit kämpften, während die Wachen entsetzt schrien und brüllten. Die beiden Frauen rissen Garth mit sich und bewegten sich halb schwimmend, halb gehend vorwärts. Als sie unter einem anderen Gitter durchkamen, wurde Hammen beinahe von einem Speer an der Schulter getroffen. »Der Schlüssel, wo ist der verdammte Schlüssel?« brüllte eine wütende Stimme von oben, aber sie waren bereits vorbei. Der Kanal führte leicht bergab, die Strömung wurde stärker, und sie folgten dem leichten Gefälle vom Palast weg, der auf dem höchsten Punkt des großen Platzes stand. Sie erreichten das Netz aus Stahlstäben, das die Grenze des Palastes markierte. Ächzend und stöhnend zwängten sie sich durch die schmale Öffnung, die Hammen und Norreen in stundenlanger Arbeit herausgeschnitten hatten, und schlängelten sich dann an den Fallen und Schlingen vorbei, die geschickt in die Wände eingelassen waren. Dabei versuchten sie, die Skelette, die von früheren fehlgeschlagenen Rettungsaktionen zeugten und nun aufgespießt an den Wänden hingen, nicht zu beachten. Sie passierten einen Seitengang zur Rechten, und völlige Dunkelheit umgab sie. Aus der Ferne hörten sie die Stimmen der Gefangenen, die Hammen befreit hatte. »Warum hast du sie laufen lassen?« fragte Varena mit scharfer Stimme. »Das wird sie von uns ablenken«, log er. »Der dritte von rechts«, verkündete er kurz darauf. »Hier ist es.« Fast zog ihn die Strömung weiter, und Norreen mußte 183
ihn am Kragen zurückreißen. Weit vorn sahen sie einen schwachen Lichtschein, und von oben erschollen durch eine kleinere Öffnung laute Fanfarenklänge. Im Hintergrund hörten sie das Geschrei des Mobs: »Einauge! Einauge!« Anscheinend hatte sich die Neuigkeit bereits verbreitet. Nun mußten sie gegen die Strömung kämpfen und passierten zwei weitere Öffnungen, bis der Stand des Abwassers und des Schlammes auf Knöchelhöhe gesunken war. Varena hob plötzlich die Hand. In zehn Faden Entfernung vor ihnen hörte man das Schaben von Metall auf Stein, und eine Laterne wurde in den Schacht gehalten. Varena bedeutete ihnen, sich hinzulegen. Hammen folgte ihrem Beispiel, drückte den Kopf in den Schlamm und sah, wie ein Gesicht erschien. Der Mann hing kopfüber, blickte zuerst in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und wandte sich dann um. Von oben hörte man Geräusche eines Kampfes. Der Wächter deutete mit dem Arm in ihre Richtung, anscheinend hatte er sie erblickt. Plötzlich jedoch fiel er mit einem lauten Schrei kopfüber in den Kanal und auf die Laterne, die in dem schmutzigen Wasser verschwand. »Los, weiter!« Varena stand auf und eilte vorwärts, auf den bewußtlosen Wächter zu. Über ihren Köpfen schien ein wildes Kampfgetümmel stattzufinden, die brüllende und schreiende Menge kämpfte mit den Kriegern des Großmeisters. Während Hammen unterhalb der Öffnung durchschlüpfte, warf er einen kurzen Blick nach oben, sah Beine, rennende und kämpfende Menschen. Ein zweiter Wächter fiel durch das Loch und landete auf seinen Füßen. Fluchend richtete er sich auf, und Norreen erstickte seinen Warnschrei mit ihrer Klinge. Sie eilten weiter durch den immer enger werdenden 184
Gang, folgten Hammen, der nach links abbog, dann nach rechts, dann wieder nach links. Endlich blieb er stehen. »Da sind wir«, flüsterte er. Sie standen an einer Kreuzung, in die vier Gänge mündeten. Durch ein winziges Gitter in der Decke fiel ein wenig Licht. Einer der Gänge war trocken, und dort lagen vier in Ölzeug gewickelte Bündel sowie ein halbes Dutzend schwere Wasserschläuche. Norreen und Varena legten Garth vorsichtig auf den Boden. Hammen kroch an seine Seite und sah ihm ins Gesicht. Garth wälzte sich von einer Seite auf die andere, als läge er in einem Fiebertraum, und murmelte vor sich hin. »Vater, nein, Vater... Vater.« Varena griff in ihren Beutel und zog ein Amulett heraus, das sie auf Garth' Schläfe legte. Ein schwacher Lichtschein überzog sein Gesicht, und ganz allmählich glätteten sich die Schmerzensfalten. Hammen sah mit Erstaunen, wie die Schwellungen aus Garth' Gesicht wichen, die Schnitte von den Ringen an Zarels Hand verschwanden, und zum Schluß schloß sich auch die Schulterwunde. Garth seufzte und schien plötzlich in sich zusammenzufallen. Für einen Augenblick fürchtete Hammen, er sei tot, und seine Seele habe ihn verlassen. »Laß ihn jetzt ausruhen«, flüsterte Varena. »Paß aber auf ihn auf.« Sie kroch wieder zur Gangkreuzung zurück und zog sich aus. Norreen folgte ihrem Beispiel. Sie blickte über die Schulter und sah im Halbdunkel zwei neugierige Augen aufblitzen. »O Hammen, hör auf damit!« fauchte sie. »Das gefällt mir als einziges an dieser Sache nicht.« Sie riß ihren Umhang hoch und breitete ihn über die Öffnung, an der er neben Garth saß. 185
Er rutschte leise ein wenig nach vorn, um einen Blick zu wagen. »Hammen, wenn ich dein häßliches Gesicht erblicke, bist du ein blinder Mann«, sagte Varena gelassen. »Wie wäre es mit nur einem Auge?« »Kümmere dich um Garth! Wasch ihn.« Leise vor sich hin schimpfend, bemühte er sich, Garth die nassen stinkenden Kleider vom Leib zu ziehen. Nachdem er die Hose entfernt hatte, versuchte er es mit der blutigen Tunika, mußte aber schließlich einen Dolch zur Hilfe nehmen, um sie zu zerschneiden. Auf der anderen Seite des Vorhanges hörte er, wie sich die Frauen mit Wasser übergossen, um den Schmutz abzuwaschen. »Verdammt! Man sollte doch meinen, daß es noch ein wenig Dankbarkeit auf dieser Welt geben müßte«, zischte er vor sich hin, als er endlich die Reste der Tunika entfernt hatte. Und dann erstarrte er. Die dünne Spur einer Narbe verlief über die gesamte Länge von Garth' rechtem Arm, und bei diesem Anblick schossen Hammen die Tränen in die Augen und liefen ihm über die schmutzigen Wangen. Der Vorhang wurde weggezogen, und erschrocken starrte er auf Varena, die ihr Haar trockenrieb und ihn ansah. »Komm, ich helfe dir«, sagte sie leise, und er wischte sich schnell die Tränen fort. Sie entkorkte einen Wasserschlauch, schüttete den Inhalt über Garth und wischte dann mit dem Handtuch den Schmutz und das Blut ab. Norreen kam ihr zur Hilfe, und bald hatten sie ihn gesäubert. Hammen saß schweigend und in Gedanken versunken daneben. »Du stinkst übrigens auch. Wasch dich!« wies ihn Varena an. »Wir ziehen ihn an.« Hammen deutete sich überrascht auf die Brust. 186
»Ich?« »Denkst du etwa, daß du da draußen mit dem Gestank herumlaufen kannst? Das ist viel zu verräterisch! Wasch dich!« »Fahr zu den Dämonen!« Varena streckte die Hand aus, und ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. »Verdammt, das tat weh!« »Beim nächsten Mal tut es doppelt so weh. Jetzt mach schon!« Vor sich hin fluchend, setzte er sich in Bewegung und ergriff einen neuen Wasserschlauch. »Zieh dich vorher aus.« Er starrte sie mit offenem Mund an. »Du machst wohl Scherze.« Der Schmerz traf ihn erneut, und sie hielt Wort - er war doppelt so stark. Er murmelte eine Verwünschung nach der anderen, während er sich seiner Hose und Tunika entledigte. »Alles«, sagte Norreen bestimmt. Er wollte protestieren, aber wieder hob Varena die Hand. »Dann verlange ich aber etwas Abgeschiedenheit!« forderte er und bemühte sich, den Vorhang wieder zu befestigen. Anschließend zog er sich ganz aus und begann sich zu waschen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als er das kalte Wasser über sich goß - und in dem Moment fiel der Vorhang herunter. Norreen und Varena sahen zu ihm herüber und kicherten leise. Hammen lief vor Empörung und Verlegenheit rot an, drehte sich um, doch sie kicherten noch ein wenig lauter. »Schöne Damen seid ihr!« keifte er, als er fertig war und Varena ihm ein Handtuch reichte. Dann griff er eilig nach seinem Kleiderbündel und zog sich um. Die sauberen Gewänder verursachten ihm 187
ein unbehagliches Gefühl auf der frisch geschrubbten Haut. Die beiden Frauen hatten sich wieder Garth zugewandt, trockneten ihn ab und zogen ihm ebenfalls saubere Kleidung an. »Du interessierst dich also für ihn?« fragte Varena und warf Norreen einen Blick zu. »Er ist ein guter Kämpfer. Obwohl ich es neulich nicht zugeben wollte, hat er mich davor bewahrt, einen Dolch in den Rücken zu bekommen. Ich schulde ihm etwas.« »Das meine ich aber nicht.« Norreen sah auf Garth hinunter. »Er gehört nicht zu meinen Leuten.« »Das ist auch nicht die Frage.« »Du interessierst dich ganz sicher für ihn«, unterbrach sie Hammen. »Das hatte nichts zu bedeuten«, antwortete Varena ruhig, und Hammen grinste. »Welch ein Leben. Zwei Frauen ziehen ihn an, eine davon hat schon mit ihm geschlafen, die andere möchte es noch. Welch ein Leben.« Norreen bedachte ihn mit einem eisigen Blick. »Was er mit ihr gemacht hat, ist mir völlig gleich.« »Natürlich. Ganz, wie du meinst«, erwiderte er spöttisch. Varena ließ Norreen nicht aus den Augen bis diese errötete. »Wenn wir ihn erst einmal hier hinausgeschafft haben, sind meine Verpflichtungen erledigt«, zischte sie. »Wenn er dir soviel bedeutet, kannst du ihn haben.« »Ich sagte bereits, daß ich nicht interessiert bin.« »Warum veranstaltet ihr keine Versteigerung?« schlug Hammen vor. »Sei still!« knurrten beide gleichzeitig. Von oben drang aus der Ferne Gebrüll an ihre Ohren und kam langsam näher. Man hörte Schritte, Rufe und 188
Schreie und dann ganz deutlich, wie eine Armbrust gespannt wurde. Plötzlich vernahmen sie ein Schnüffeln und Schnobern, schwere Atemzüge wurden laut, und ein dumpfes Knurren hallte von den Tunnelwänden wider. »Mastiffs«, flüsterte Norreen. »Da unten ist etwas!« rief eine Stimme. »Hebt das Gitter hoch!« Norreen griff nach ihrem Schwert. »Es ist fest in den Steinboden eingelassen und zu schmal für uns!« »Verdammt, dann findet einen Weg, da hinunterzukommen; sie sind da unten!« Varena beugte sich über Garth, preßte beide Hände an seine Schläfen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er regte sich stöhnend. Sie flüsterte noch einmal. Mit einem Aufschrei versuchte er, sich aufzusetzen, und sie hielt ihm die Hand vor den Mund. »Da unten sind sie! Da sind sie!« Garth sah sich mit wilden Blicken um, und Varena preßte ihm weiter die Hand fest auf den Mund. Dann ließ sie ihn plötzlich los und küßte ihn sanft auf die Lippen. Hammen mußte sich trotz seiner Angst beherrschen, beim Anblick von Norreens wütendem Gesicht nicht zu kichern. Das Entsetzen wich aus Garth' Augen, und Varena lehnte sich wieder zurück. Sie griff nach einem der eingewickelten Bündel, öffnete es, zog seinen Spruchbeutel heraus und hängte ihn ihm über die Schulter. »Wo bin ich?« Er zuckte zusammen, als von oben wieder Schreie zu hören waren. »Wir haben dich aus dem Kerker geholt«, flüsterte Norreen und kniete neben ihm nieder. »Wie das?« »Es war Hammens Plan.« Garth sah Hammen an, der hinter Norreen kauerte. 189
Der Alte schwieg, sah ihn aber aus besorgten Augen an. Garth beugte sich vor und berührte ihn sanft an der Schulter, worauf Hammen den Kopf senkte. Wortlos dankend nickte er Varena und Norreen zu. »So, jetzt sind wir alle wieder vereint, und ich schlage vor, wir verschwinden endlich von hier«, flüsterte Hammen und versuchte, ein Schniefen zu unterdrücken. Er eilte an Garth vorbei und ging den Gang entlang. Norreen half Garth, auf die Beine zu kommen, und hielt sich bereit, ihn notfalls aufzufangen. »Ich bin wieder in Ordnung«, flüsterte er, als ihre Hand vorschoß, um ihm zu helfen, und er mußte sich bücken, um Hammen folgen zu können. Sie waren bereits eine Weile gegangen, als aus einem Seitengang Stimmen und das Knurren eines Hundes zu hören waren. Eilig passierten sie die Einmündung. Nach einigen Minuten bog Hammen ab, dann noch einmal und hielt schließlich an. »Dies ist die Abzweigung«, flüsterte er. Varena sah in die Richtung, in die er deutete. »Du kommst hinter der Straße der Geldwechsler auf einem leeren Hinterhof heraus. Nach dem letzten großen Feuer haben sie die Straße geändert, und jetzt ist dort nichts mehr. Klettre über die Mauer, halt dich in östlicher Richtung, und du kommst zur Rückseite eures Hauses. Bei dem Chaos da draußen müßtest du ohne Schwierigkeiten durchkommen.« Wortlos wandte sich die Kämpferin um und betrat den Tunnel. Dann hielt sie inne und sah noch einmal zurück. »Garth.« »Ja.« »Verschwinde aus der Stadt. Gib auf. Ich weiß nicht, was du vorhast; ich will es auch nicht wissen. Geh einfach fort. Wenn du bleibst und wir einmal gegeneinander kämpfen müssen, hielte ich mich nicht zurück, das weißt du. Mein Sessan ließe das nicht zu.« Garth schwieg und lächelte. 190
»Benalierin, jetzt gehört er dir. Bring ihn fort.« »Ich nehme keine Geschenke von Purpur-Hanins an«, erwiderte Norreen hochmütig. Varena lachte und verschwand in dem Gang. Aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, erklang Hundegebell. »Laßt uns gehen«, sagte Hammen und führte sie in den Gang, der demjenigen gegenüberlag, den Varena betreten hatte. Der Tunnel war so niedrig, daß sie auf allen vieren hindurchkriechen mußten. Schließlich hielt Hammen inne und wies nach oben. Am Ende eines schmalen Schachtes befand sich ein Gitterrost. Hammen stützte sich an einem hervorstehenden Stein ab, zog sich hinauf und schob den Rost zur Seite. Er kletterte vorsichtig nach draußen und schaute sich um. Der Hof war übersät mit rußgeschwärzten Steinen und verfilztem Unkraut. Jenseits der halbzerfallenen Mauer hörte man wilden Tumult und überschwengliche Rufe. »Einauge, Einauge!« Hammen winkte den anderen, ihm zu folgen. Zuerst kam Garth, dann Norreen. Gerade als sie draußen stand, ertönte von unten lautes Gebell. »Sie sind draußen, sie sind draußen!« Garth warf das Gitter über die Öffnung, und Norreen wälzte einen schweren Felsbrocken darauf. »Verdammt, macht das Gitter frei!« Hammen wies auf eine schmale Öffnung in der Mauer, die auf die Straße führte. Garth und Norreen gingen darauf zu, wandten sich aber überrascht um, als sie den Alten lachen hörten. Er stand breitbeinig über dem Gitter und erleichterte sich, während von unten wilde Flüche heraufdrangen. »Das wollte ich euch zurückzahlen«, verkündete er energisch und folgte dann fröhlich seinen Begleitern zur Straße. Garth zog den Umhang dicht um den Kopf, damit niemand sein Gesicht und das fehlende Auge bemerkte. 191
»Der Weg aus der Stadt hinaus liegt dort!« brüllte Hammen, wies die Straße hinab und versuchte sich Gehör in dem Lärm der Menschenmenge zu verschaffen. »Ich bleibe!« schrie Garth zurück. »Verdammt!« knurrte Norreen. Er warf ihr einen Blick zu, und ihr Protest verstummte. »Ja, das haben wir uns schon gedacht«, meinte Hammen. »Das Haus Bolk liegt gleich um die Ecke.« »Woher wußtest du...?« fragte Garth. »Sagen wir mal, ich habe es geahnt.« Sie drängten sich durch die Menschenmassen, die sich gegenseitig hin und her schoben, da einige auf den großen Platz wollten und andere von dort kamen. Sie erreichten endlich eine Seite des Hauses Bolk und schoben sich an der Wand entlang, bis sie den großen Platz erreichten. Ein ungeheueres Durcheinander herrschte dort. Zehntausende lachten, schrien und verhöhnten vorbeiziehende Krieger. Wo auch immer sich eine Kanalöffnung im Boden zeigte, drängten sich Trauben von Menschen und brüllten anfeuernd hinein, als befände sich Einauge unmittelbar unter ihren Füßen. Überall riefen sie: »Er ist hier, nein, er ist hier drüben, nein, hier ist er!« Krieger und Kämpfer versuchten, sich einen Weg zu bahnen, und die Leute bewarfen sie mit allem, was greifbar war. An einigen Stellen waren offene Kämpfe ausgebrochen, während vor dem Palast des Großmeisters eine dichte Wand aus Kriegern sich langsam auf den Mob zubewegte, um ihn zurückzudrängen. Garth schlängelte sich bis zu den braunen Pflastersteinen, welche die Grenze zum Territorium des Hauses Bolk bildeten. Ein Kreis von Kämpfern umgab den steinernen Halbkreis, um die Menschen am Betreten des heiligen Bodens zu hindern. Aber die Stimmung war beinahe fröhlich, die Menge tauschte harmlose Spötte192
leien mit den Kämpfern aus, die anscheinend die Demütigung des Großmeisters genossen. Garth ging noch näher und blickte sich suchend um. Als er gefunden hatte, was er suchte, drängte er sich nach vorn und baute sich direkt vor einer riesigen Gestalt auf. »Naru«, sagte er gelassen. Hammen stöhnte verzweifelt auf und wich zurück. »Habe ich dich dafür gerettet?« jammerte er. »Naru!« Dieses Mal klang seine Stimme befehlend. Der Riese sah auf ihn herab, und langsam schien er zu begreifen. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Überraschung zu völligem Unglauben. Er sah kurz an Garth vorbei, als wundere er sich, woher dieser so plötzlich gekommen war. Dann überzog ein Ausdruck mörderischer Wut sein Gesicht. Garth griff in seinen Beutel, zog ein Bündel heraus und hielt es hoch. »Kämpfer, hier ist dein Beutel. Ein Bettler hat ihn dir unrechtmäßig abgenommen. Ich habe ihn zurückgeholt und versucht, ihn dir wieder zu geben. Sogar mit dem Großmeister mußte ich darum kämpfen.« Naru schaute ihn völlig verwirrt an. Vorsichtig griff er nach dem Bündel, nahm es und öffnete es. Hammen starrte ihn an und sah überraschenderweise einen Ausdruck kindlicher Freude in Narus Augen. Der Riese befestigte den Beutel wieder an seinem Gürtel, und Hammen erwartete, daß der Kampf begänne. Aber Naru tanzte wie ein Besessener herum. »Meine Sprüche, meine Sprüche!« Garth sah ihm schweigend zu. Die Menge um sie herum hatte die Übergabe beobachtet und erkannte plötzlich, wer vor ihnen stand. »Einauge! Er ist hier, er ist hier!« Ein Trupp Krieger war keine zehn Faden von ihnen entfernt, schob sich durch die Menschenmassen. Einige wollten sich den Rufenden zuwenden, aber ihr Kom193
mandeur deutete wütend in die entgegengesetzte Richtung und bedachte den Mob mit Flüchen. Naru sah Garth mit echter Verwirrung in den Augen an. Garth lächelte und senkte in der Geste des Friedens die Hände mit nach außen zeigenden Handflächen. »Darf ich diesem Haus beitreten und an deiner Seite kämpfen, Naru?« Der Riese verharrte eine Weile reglos und schien mit einer solch schwierigen Entscheidung überfordert zu sein. Seine Blicke wanderten zwischen dem Palast und Garth hin und her. »Du machst guten Scherz, ja.« Damit zog er Garth auf die braunen Steine. Hammen traute seinen Augen nicht, als er sah, wie Naru Garth heftig auf die Schultern klopfte und ihn voller Stolz betrachtete, als hätte er ihn gerade gerettet. Der Mob beobachtete die beiden, fühlte die Bedeutung des Augenblicks und jubelte vor Begeisterung. Hammen schaute Norreen an. »Ich glaube, ich werde diesen verdammten Narren begleiten müssen.« »Paß gut auf ihn auf, Hammen.« »Komm doch mit uns. Verdammt noch mal, Frau! Sie brauchen immer Krieger. Da draußen ist es jetzt viel zu gefährlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Gib auf ihn acht.« Dann wandte sie sich zum Gehen. »Norreen. Er will dich, das weißt du doch.« »Erzähl das Varena. Die ist leichter zu haben«, antwortete Norreen mit einem traurigen Lächeln und verschwand in der Menge.
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Zitternd vor Angst lag Uriah auf dem Boden des Audienzzimmers und verfluchte das Schicksal, das ihn zu einer solch kriecherischen Kreatur gemacht hatte. Er wußte um die Rolle, die zu spielen er verdammt war. Obwohl er mit der Kraft geboren worden war, das Mana zu kontrollieren, war er doch auch verwachsen. Er hatte angenommen, daß er Respekt erringen werde, nachdem er gelernt hatte, das Mana zu beherrschen, aber das war nie geschehen. Es hatte eine Zeit gegeben, eine viel zu kurze Zeit, da alles anders gewesen war. Aber dann hatte er Zarels verführerischem Angebot nicht widerstehen können. Befehlshaber der Kämpfer zu sein, war reizvoller, als ein unscheinbarer Kämpfer zu bleiben, der von den anderen nie als ihresgleichen angesehen worden wäre. Andere bezeichneten ihn als schlauen, gerissenen Stiefellecker des Großmeisters. Für ihn bedeutete es einfach zu überleben. Sicher, er war Hauptmann der Kämpfer, und es gab unter ihnen einige, die über stärkere Kräfte verfügten als er. Zarel hatte ihn nur aus einem einzigen Grund zu sich emporgehoben: er war manipulierbar, und dafür verfluchte er sich ebenso wie für den schlimmsten Fehler - er ließ sich auch dann noch erniedrigen, wenn andere längst rebelliert hätten. Das lag ganz einfach daran, daß sein Leben von Anfang an nur aus Beschimpfungen bestanden hatte. Im Raum herrschte Totenstille, die Wachen, Sekretäre und Höflinge schienen auf ihren Plätzen festgefroren zu sein, als Zarel Uriah erneut schlug. »Du hättest damit rechnen müssen, du Narr! Konnte 195
nicht einer von euch sich denken, daß sie versuchen würden, ihn durch die Kanäle zu retten?« »Mein Herr und Gebieter, der Eingang zu den Kanälen ist bereits vor Jahren verschlossen und mit Fallen gesichert worden. Wir dachten, es sei unmöglich.« »Verflucht, es war aber nicht unmöglich!« Der Zwerg stöhnte vor unterdrücktem Schmerz, als Zarel ihm noch einen Tritt versetzte, bevor er sich der Kriegerin zuwandte, die er mit einer Botschaft zum Haus Bolk geschickt hatte. »Hat Kirlen eine Antwort gesandt?« Die Kriegerin senkte den Kopf und zögerte. »Verdammt, was ist los?« Fast schien es, als werde Zarel die Hand gegen sie erheben, aber sie warf ihm nur einen eisigen Blick zu. Er stand einen Augenblick lang unschlüssig da und versetzte Uriah schließlich wieder einen brutalen Tritt. »Hat sie überhaupt etwas gesagt?« »Mein Gebieter, sie läßt Euch sagen, Ihr mögt an Euch selber etwas vollziehen, was Euch jedoch aus rein körperlichen Gründen nicht möglich ist«, antwortete die Kriegerin langsam. Zarel starrte sie an und fühlte eine unterschwellige Herausforderung in ihrem Tonfall. »Rede weiter.« »Sie verkündete, daß Einauge nun offiziell zum Haus Bolk gehört und dadurch das Recht der Bruderschaft in Anspruch nehmen kann, das ihm Immunität gewährt für Verbrechen, die er vor seiner Mitgliedschaft begangen hat.« »Verschwinde.« Die Kriegerin richtete sich auf, verneigte sich tief und verließ den Raum. Zarel blickte ihr nach und merkte, daß er einen gewaltigen Gesichtsverlust erlitten hatte. Erstens war das Volk jetzt unwiderruflich auf Einauges Seite, es hatte einen Helden, den es als einen der Ihren betrachtete. Zweitens, und das war noch schlimmer, 196
standen seine eigenen Leute unter Verdacht. Das Schloß war geölt gewesen, und es bestand die Möglichkeit, daß einer von ihnen es getan hatte. Er hatte die Gefangenenwärter spontan töten lassen wegen ihres Versagens, und nun waren seine Krieger über diesen Temperamentsausbruch sehr verärgert. Seine Magier waren ebenfalls unruhig und wütend über die Demütigungen, die sie durch den Mob erlitten hatten. Mehrere hundert Menschen waren getötet worden, um die Massen abzuschrecken, aber Zarel fühlte, daß seine Kämpfer, insbesondere die der unteren Ränge, ebenfalls beunruhigt waren, denn auch aus ihren Reihen waren viele gefallen. Morgen begann das Fest, und eine halbe Million Menschen würde sich an einem Ort versammeln. Wenn irgend etwas passierte, würde das zu einer Katastrophe führen. Er mußte dem Volk etwas bieten, das es beruhigte und wieder auf seine Seite brachte. Obwohl ihm solche Überlegungen zuwider waren, erkannte er, daß er einen Teil seiner Schätze opfern mußte, um sich das Wohlwollen des Volkes zu erkaufen. »Schick mir den Hauptmann der Katapultschützen, wenn wir hier fertig sind. Ich habe mir etwas Lustiges für das Fest ausgedacht.« »Den Hauptmann der Katapultschützen?« »Tu, was ich dir befehle.« Zarel drehte sich zur Seite, und Uriah glaubte, er sei entlassen. »Uriah, besteht Aussicht, daß wir Einauge noch vor dem Fest kriegen?« Der Zwerg erhob sich auf die Knie. »Ich glaube kaum, mein Herr und Gebieter.« »Warum nicht?« »Jimak, Varnel und Tulan sind bestechlich, Kirlen nicht. Es gibt nur eines, was sie begehrt, und das ist Eure Macht und die Möglichkeit, ein Wanderer zu werden. Nichts, was Ihr Kirlen anbieten könntet, außer Eurer Macht, nähme sie an - Einauge ist für sie ein Mittel, 197
Euch bloßzustellen und vielleicht den Mob gegen Euch aufzuwiegeln.« Zarel blickte auf ihn hinab. »Uriah, manchmal denke ich, du bist zu klug.« »Nur wenn ich Euch damit dienen kann, mein Gebieter.« »Weshalb?« Uriah verneigte sich tief. »Weil die anderen mich niemals respektieren würden.« Zarel lachte verächtlich. »Der Verräter der Türkisen, einer, der mir alle Informationen überbrachte, während er ihre Farben trug, und in der Nacht des Feuers die Tore öffnete.« Er sah lächelnd auf den sich unruhig windenden Uriah hinab. »Wer ist dieser Einauge?« fragte Zarel, als spräche er mit sich selbst. Uriah schwieg. »Du hast jahrelang ihre Farbe getragen, erinnerst du dich nicht an ihn?« »Nein, Herr.« »Verschwinde.« Der Zwerg eilte hinaus und wich nur knapp dem Tritt aus, der für ihn bestimmt war. Er warf Zarel noch einen Blick zu, bevor er die Tür schloß. Wer er sei, hatte der Großmeister gefragt. Uriah grinste und humpelte davon, um die wunden Stellen seines Körpers und seines Herzens zu pflegen. »Du machst guten Scherz.« Garth lächelte und zwang sich, die Augen offenzuhalten, während Naru eine neue Runde Wein einschenkte. Der Riese deutete lachend auf Hammen, der reglos auf dem Boden des Speisesaals lag. »Alter Mann ist schwach und stinkt jetzt übel.« 198
Garth bemühte sich, nur an seinem Getränk zu nippen. Sein Kopf dröhnte, und er wünschte sich, einen dieser seltenen Sprüche zu besitzen, mit denen man Trunkenheit heilen konnte. »Oh, das war böser Trick, was du gemacht hast mit Naru.« Der Gigant sah traurig in seinen Becher und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber wir haben ja zu der Zeit gegeneinander gekämpft.« Narus Augen verengten sich für einen Moment, und er schien zu überlegen, ob Einauge nun ein Freund war oder nicht. Schließlich entspannte sich sein Gesichtsausdruck. »Du schlägst Großmeister und bringst meine Sprüche zurück. Du immer noch mein Freund.« Garth nickte resignierend, denn diese Diskussion wiederholte sich zum hundertsten Mal innerhalb der letzten Stunden. Naru schenkte sich wieder Wein ein und bemerkte voller Trauer, daß sein neuer Freund nicht mithalten konnte. »Zu schade, ich dich besiegen werde beim Fest.« »Natürlich.« »Naru hört Leute sagen, daß Großmeister alle Endkämpfe auf Leben und Tod machen will.« Garth sah ihn überrascht an. »Wo hast du denn das gehört?« »Naru hat Freunde. Großmeister macht das immer öfter, um Volk zu erfreuen.« »Warum wehren sich du und die anderen nicht dagegen?« »Nicht möglich. Großmeister ist Großmeister von Arena. Wenn du in Arena bist, kannst nicht sagen nein.« »Was ist mit den Meistern der Häuser?« »Oh, machen gutes Geld damit, Rückzahlung von Verträgen, alle fröhlich.« Naru lachte vor sich hin. »Außerdem liebt Naru Knochenbrechen. Kriegt viele 199
Sprüche und Mana von Gefallene, auch wenn Großmeister etwas behält.« Der Riese sah Garth an und seufzte schwer. »Zu schade, deine Knochen zu brechen. Ich glaube, ich mag dich.« Er hob seinen Becher, um ihn zu leeren, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel mit Donnergetöse hintenüber. Er landete krachend auf dem Boden, rülpste einmal laut und vernehmlich und verlor das Bewußtsein. »Einauge.« Erschreckt drehte sich Garth um und sah Kirlen, die Meisterin des Hauses Bolk, in der Tür stehen. Sie war gebeugt vom Alter, ihr Haar war längst nicht mehr weiß, sondern kränklich gelb, die runzlige Haut hing ihr lose am Gesicht, als habe sie bereits den Halt auf den Knochen verloren. Ihr schwarzes Gewand klebte an ihrem schmalen Körper, und sie wirkte wie ein Skelett, das nur noch durch den Stab, auf den sie sich mit verkrümmten Händen stützte, aufrecht gehalten wurde. Garth erhob sich langsam, und sie bedeutete ihm, ihr zu folgen. Er warf einen Blick auf Hammen, der schlafend neben Naru lag, und sah ein, daß er seinen Freund nicht wachrütteln konnte. Langsam ging er ihr nach und sie bemühte sich krampfhaft, auf den Beinen zu bleiben. Kirlen schlurfte durch die große Halle in ihre Gemächer. Der Raum war durch ein großes Feuer überhitzt, an dem sie die ausgestreckten Hände wärmte. Garth sah sich in dem spärlich eingerichteten Gemach um, das ihn an die Zelle eines Mönches erinnerte, denn es enthielt nichts außer einem Bett und einem Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Schriftrollen stapelten. Entlang der vier Wände reihten sich Regale, die schier zusammenbrachen unter den vielen Büchern. Es roch muffig, uralt und irgendwie gefährlich. »Naru kann lästig sein, besonders wenn er betrunken ist«, sagte sie beiläufig. »Er ist dennoch bemerkenswert.« 200
»Er ist ein Narr. Einer dieser Barbaren, der im wahrsten Sinne des Wortes dumm wie ein Stuhl ist, aber aus irgendeinem Grund das Mana mit großer Leichtigkeit kontrolliert. Sicher wird er bald getötet werden.« Sie verkündete diese Voraussage mit gleichgültiger Lässigkeit. Dann wandte sie sich ihm zu und lächelte, wobei sie ein paar schwärzliche Zahnstümpfe entblößte. »Ich widere dich an, nicht wahr?« »Nein, Herrin.« »Und was wäre, wenn ich dich auffordern würde, das Bett mit mir zu teilen?« erkundigte sie sich kichernd und deutete auf ihr schmales Lager. Garth schwieg. »Nun, die Benalierin oder Varena von Fentesk mit ihren rot-goldenen Haaren, das wäre wohl etwas anderes, nicht wahr?« Sie wandte sich ab, und für einen Augenblick tat sie Garth beinahe leid, als er die Trauer in ihren Augen bemerkte. »Wenn Ihr über solche Kräfte verfügt, wie ich vermute, warum verjüngt Ihr Euch dann nicht?« fragte Garth. »Ah, und dann könnte ich dich haben, wie?« »Das ist keine Antwort auf meine Frage«, erwiderte er. »Weißt du, wie alt ich bin?« »Ich hörte Gerüchte, Herrin.« »Vor Jahrhunderten habe ich bereits aufgehört, meine Verjüngungen zu zählen. Ich habe den Überblick über die Sprüche, die Tränke und die Amulette verloren, die ich auf dunklen Altären opferte. Jedes Mal wurde ich wieder jung, aber im Innern, im Innern kann man nur einmal jung sein. Jugend bedeutet Unschuld, sowohl von außen wie auch von innen. Gleichgültig, welche Sprüche ich benutze, diese Unschuld gibt es für uns alle nur einmal im Leben. Wann immer du das Stundenglas umdrehst, be201
kommst du nie genau das zurück, was du hattest. Du verlierst einen Tag, eine Woche, einen Monat. Es gibt Grenzen für die Macht dieser Welt, und ich habe sie vor langer Zeit erreicht. Natürlich kann ich noch mehrere Jahrhunderte lang leben, aber nur der Wanderer kann mir meine Schönheit und meine Leidenschaft zurückgeben.« Lange Zeit starrte sie schweigend ins Feuer. »Oder aber ich muß selbst zum Wanderer werden.« »Und das wird er nicht zulassen und Euch ganz sicher daran hindern.« Wieder sah sie ihn an, dieses Mal jedoch mit kalter Wut in den Augen. »Weißt du, es gab einmal eine Zeit - die liegt so lange zurück, daß ich mich kaum erinnern kann -, da waren Kuthuman der Wanderer und ich ein Liebespaar. Wie hat er damals meine Schönheit gepriesen, wie hat er mir ewige Treue geschworen!« Sie lachte krächzend und spuckte ins Feuer. »Aber er wandte sich von mir ab, als ich älter wurde und meine Reize nicht erneuern konnte. Er vergaß alles und wurde von einer neuen Leidenschaft verzehrt. Nichts anderes begehrte er mehr, als den Schleier zu durchstoßen.« »Er versprach, Euch mitzunehmen, nicht wahr?« »Woher weißt du das?« »Ich hörte Gerüchte.« »Wo? Wer behauptet das?« fragte sie ärgerlich. »Die Agenten des Großmeisters flüstern es ihm zu«, antwortete er sanft. »Er möge für immer verdammt sein.« Sie stocherte mit ihrem Stab in den Flammen herum, und ein Funkenwirbel stieg auf. »Er hat Euch im Moment des Triumphes vergessen, stimmt's?« Die alte Frau sah ihn an, als habe er zuviel gesagt und ihre Demütigung in Worte gefaßt. 202
»Ich habe ihm geholfen, weißt du, vor vielen Jahren habe ich ihm geholfen.« Sie deutete auf die Bücherwände und staubigen Schriftrollen. »Ich bin es gewesen, die die Wege und Sprüche fand und die Zauberformeln, mit denen man die Welten überbrückt.« »Warum seid Ihr dann nicht selbst gegangen?« »Das Mana. Nur Mana gibt dir die Kraft, in dieser Welt Magie zu beherrschen. Und das Mana ist es auch, das dir das Tor zu den anderen Welten öffnet, wenn du den geheimen Pfad kennst. Ich kannte den Pfad, aber er besaß die Kontrolle über das Mana. Er hat mich betrogen. In der Nacht des Feuers betrog er auch mich.« »In der Nacht des Feuers?« »Als Zarel das Haus der Türkisen stürmte, den Meister ermordete und ihren Mana-Vorrat stahl. Auch ich wurde betrogen.« Garth erwiderte nichts, und seine Gesichtszüge blieben ruhig. »Das sagt dir etwas, nicht wahr?« »Ich habe die Geschichten gehört.« Kirlen lächelte. »Ja, ich habe ihm geholfen. Ich habe zugestimmt, den Türkisen nicht zu helfen, als Gegenleistung dafür, daß mir das Tor geöffnet werden würde. Am nächsten Morgen war er fort, und Zarel war der neue Großmeister.« »Warum hat er Euch betrogen?« Sie lachte verächtlich. »Warum nicht? Das Tor zu grenzenlosen Welten stand doch offen. Und dadurch besaß er die Macht, sich alles zu nehmen, was er wollte. Sogar heute reist er noch stehlend und erobernd durch das Universum. Was sollte er mit einer alten Vettel anfangen, die er einmal geliebt hat, als beide noch jung waren? Jetzt kann er jede haben, und Liebe ist nur eine Belastung.« Sie starrte wieder ins Feuer. »Das habe ich vor langer Zeit gelernt, Einauge.« Sie 203
erhob sich und humpelte auf ihn zu, bis ihr übelriechender Atem sein Gesicht streifte. »Dies ist das endgültige Gesicht der Liebe«, zischte sie. »Dies ist das endgültige Gesicht der Treue, der Ehre, des Ruhms, der Vergeltung, das Gesicht von allem, das lebt. Dies ist es.« Lachend zeigte sie auf ihre faltige Haut, das gelbliche Haar und die Zahnlücken. »Und woher kommt das plötzliche Entgegenkommen mir gegenüber?« flüsterte Garth fragend. Sie wich zurück und lachte. »Du hast ihn gedemütigt. Zarel zittert jetzt noch. Wahrscheinlich hat er Angst um seine Macht und um sein Leben. Dafür danke ich dir.« Garth verneigte sich tief und mußte sich bemühen, sein Gleichgewicht zu halten und seine Gedanken zu ordnen. Irgend etwas kam noch, das fühlte er. »Du bist aus dem Haus Oor-tael, nicht wahr?« Er warf ihr einen prüfenden Blick zu und fühlte, wie die Kraft um sie herumwirbelte, wie tastende Finger auf ihn zukamen. Er bemühte sich, innerlich zur Ruhe zu kommen. Dann fühlte er ihre forschenden Gedanken in sich und war überrascht von ihrer Kraft, denn sie war beinahe genauso stark wie der Großmeister. Ein wütender Schlag traf ihn, als sie langsamer wurde und dann endlich aufgab, da sie nicht weiter vordringen konnte. Garth stand schweigend da und wagte nicht, sich zu entspannen. »Ich glaube, daß du stark genug bist, mich zu verletzen, sollte ich dich zum Kampf fordern.« Wieder schwieg er abwartend. Dann zog sie ihre Kraft zurück, und er mußte sich bemühen, nicht vor lauter Erschöpfung und Trunkenheit zu Boden zu sinken. Allmählich wurde ihm klar, daß Naru ihn auf ihren Befehl hin die ganze Nacht wach gehalten und mit übermäßigem Alkoholgenuß geschwächt hatte. Er blickte sie lächelnd an. 204
»Ich kann Euch von Nutzen sein«, meinte er mit sanfter Stimme. »Ich sollte dich auf der Stelle töten.« »Ihr wißt, daß das Volk hinter mir steht. Auch wenn der Großmeister mächtig ist und die Herrschaft über das Mana hat, so kann er doch keine halbe Million Menschen beherrschen, die morgen in der Arena sein werden. Ich gehöre jetzt zu den Braunen, und diese Macht wird auch auf Euch zurückfallen. Das kann nützlich für Euch sein.« Sie lächelte mit zitternden Lippen. »Und wenn du ein Türkiser bist? Das wäre Grund genug, dich an mir zu rächen, nach allem, was ich dir gerade erzählt habe.« »Wenn ich das tun wollte, täte ich es jetzt.« Er schnippte die Finger gegen ihre Bücherregale. Sie stieß einen entsetzten Schrei aus und erhob die Hand. »Ich wäre ein Narr, wenn ich sie verbrennen würde, denn dann würden wir hier und jetzt kämpfen.« Er senkte die Hand und sah ihr ins Gesicht. Unruhig blickte sie auf ihre Bücher und dann wieder auf Garth. »Euer Wissen ist in diesen Büchern versteckt. Aber Euer Pfad führt nun über den Großmeister, denn er hat das Mana gehortet, und ich vermute, daß er bald soviel davon besitzt, daß er selbst versuchen wird, ein Wanderer zu werden. Tötet ihn und werdet seine Nachfolgerin, und alles, was er besitzt, gehört Euch. Das sollte Euer nächster Schritt sein. Dem Wanderer ist es gleichgültig, wer hier herrscht, solange man treu ergeben ist und seinen Wünschen nachkommt.« »Er wußte, was ich begehre.« »Glaubt Ihr denn, er weiß nicht, was Zarel begehrt oder wir anderen alle?« Sie schwieg nachdenklich. »Macht, Unsterblichkeit und ewige Jugend kann man nur als Wanderer erhalten. Tötet Zarel nach dem Fest, 205
und Ihr habt ein ganzes Jahr zur Verfügung, bevor der Wanderer zurückkommt. Ich wage zu behaupten, daß Ihr innerhalb dieses Jahres genug Mana sammeln könnt, um zu tun, was Ihr wollt.« »Wie?« »Zarel hat es für seinen Meister getan.« Kirlen lachte düster. »Du willst mich dazu bringen, nicht nur Zarel zu töten, sondern auch die Meister der anderen Häuser.« Garth lächelte sie schweigend an. »Warum willst du mir helfen?« »Vielleicht könntet Ihr einem Einauge auch Unsterblichkeit schenken, wenn die Zeit gekommen ist.« »Vielleicht würde ich auch kein Narbengesicht brauchen, wenn die Zeit gekommen ist.« »Ich nehme das Risiko auf mich. Zumindest wäre dann Platz für eine Beförderung, vielleicht zum Meister des Hauses oder Großmeister.« Kirlen kicherte in sich hinein. »Rache und Macht. Ich glaube, ich mag dich doch, Einauge.« Wieder starrte sie ins Feuer. »Du hast mir eigentlich nichts Neues erzählt. Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Wenn das alles ist, was du mir anbieten kannst, hat sich deine Nützlichkeit bereits erledigt.« »Ich kann Euch helfen. Ich könnte den Pöbel dazu bringen, den Tod des Großmeisters herbeizuführen.« Die Alte lächelte skeptisch. »Nehmen wir einmal an, du gewinnst das Fest. Dann würdest du als Diener des Wanderers in anderen Reichen leben. Was dann?« »Will ich denn gewinnen?« »Alle Kämpfer wollen das.« »Warum habt Ihr es dann nicht getan und den Pfad auf diese Art betreten?« 206
»Ich ziehe es vor, es selbst zu schaffen und nicht als Dienerin«, sagte sie leise. »Wenn ich gewinne, gewinne ich eben und ernte den Ruhm. Aber sogar dann kann ich den Mob zu Euren Gunsten beeinflussen und wahrscheinlich die Ergebnisse erzielen, die Ihr begehrt. Denn das ist der letzte Teil der Aufgabe. Die Kraft des Mann ist groß, aber wenn eine halbe Million Menschen sich gegen ihn wendet, kann auch ein Großmeister besiegt werden. Den Mob auf Eurer Seite zu haben, ist so viel wert wie die Kraft von hundert Kämpfern. Und wenn ich nicht gewinne, werde ich hier sein, um Euch zu dienen.« »Natürlich wirst du das«, antwortete Kirlen lächelnd. »Meister.« Garth öffnete die Augen nur äußerst widerwillig. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sicher war, daß sich der Raum nicht um ihn drehte. Hammens Anblick gab ihm dann den Rest, besonders als er den Atem des Alten auf dem Gesicht spürte. Er kroch aus dem Bett und taumelte zum Abtritt, ohne auf Hammens Gelächter zu achten, kniete sich vor das Loch und brachte seine letzte Mahlzeit dem Gott des übermäßigen Trinkens dar. Fluchend und spuckend kehrte er in den Raum zurück. »Ich habe Euch Kleider zum Wechseln herausgelegt, o erhabener Meister«, verkündete Hammen. »Ich schlage vor, Eure jetzigen Gewänder zu verbrennen.« »Halt den Mund.« »Welche Dankbarkeit!« Garth starrte ihn mit trüben Augen an. »Wie kommt es, daß du keinen Kater hast?« »Das ist die Erfahrung vieler Jahre, und außerdem war ich so vernünftig, früh genug umzukippen. Ich muß schon sagen, der alte Naru ist noch beeindruckter von dir als vorher.« »Wie geht es ihm?« 207
»Er schwitzt alles unten im Dampfbad aus, wohin auch du jetzt gehen solltest. Die Festzeremonien beginnen mittags, und du solltest dann bereit sein.« Garth entkleidete sich und folgte Hammen nach unten in das Dampfbad, stapfte durch den dichten Nebel und ließ sich auf einer Holzbank nieder. Er sah sich um und entdeckte Naru, der ausgestreckt und laut schnarchend auf einer Bank lag. Kurz darauf erschien Hammen mit einer Birkenrute. »Hau bloß ab mit dem Ding!« grollte Garth. »Halt's Maul und ertrag es wie ein Mann«, erwiderte Hammen und machte sich - nach Garth' Meinung mit etwas zuviel Begeisterung - an die Arbeit. »Naru ist gar kein schlechter Kerl«, meinte der Alte und nickte zu dem Riesen hinüber, der sich bewegte, grunzte und dann auf die andere Seite drehte. »Wir haben uns heute morgen lange unterhalten. Wenn man das unterhalten nennen kann.« »Und?« »Kirlen will deinen Tod.« »Hat er das gesagt?« »Nein, aber wie sagt man doch? - Man konnte es zwischen den Zeilen lesen. Sie hat ihm befohlen, dich unter den Tisch zu trinken.« »Das habe ich mir schon gedacht.« »Dann hätte er dich herausfordern sollen.« »Und warum hat er das nicht getan?« »Weil er vor dir umgefallen ist. Ich glaube, du stürzt Naru in einen moralischen Zwiespalt. Den Tritt hat er vergessen; er kann nicht mehr als einen Gedanken fassen. Er erinnert sich nur noch an die Rückgabe des Beutels.« »Wenn er es nicht tut, muß es jemand anders tun.« »Naru ist seit Jahren ihr bester Kämpfer. Ich denke, es ist ihr klar, daß du es mit allen anderen aufnehmen kannst, außerdem möchte sie, daß es unauffällig ge208
schieht, wie ein regulärer Streitkampf. Aber es soll erst am letzten Tag des Festes geschehen.« Garth ächzte vor Schmerzen, als Hammen ihm den Birkenzweig etwas zu fest über den verlängerten Rücken zog. »Noch einmal ein solcher Streich, und ich gebe dir die verdammte Rute zu spüren.« »Ich muß das Gift aus dir herausschlagen«, erwiderte der Alte fröhlich. »Was hat sie denn davon, mich umbringen zu lassen?« »Wann, am Ende des Festes? Ein Aufstand wird ausgelöst, der Großmeister verliert sein Gesicht vor den Augen des Wanderers, und sie kann ihn auslöschen.« »Das hast du alles von Naru?« Hammen grinste. »Das ist doch wohl nicht schwer. Übrigens, Meister, ich finde, du solltest dich jetzt davon machen. Du hast deinen Spaß gehabt und den Großmeister an der Nase herumgeführt; jetzt nimm deinen Gewinn und scher dich fort.« Garth sah ihn an und lächelte. »Noch nicht.« »Verdammt noch mal, Garth, es ist aussichtslos. Alle vier Häuser und der Großmeister sind hinter dir her. Gib auf.« Er lächelte schweigend vor sich hin. »Ich weiß, wo sich Norreen versteckt.« Garth regte sich und blickte ihn fragend an. »Ah, das weckt deine Neugier, wie?« »Wo ist sie?« »Ich bin heute morgen hinausgeschlüpft und habe mit einigen meiner Kollegen geredet. Wenn du irgend etwas in dieser Stadt wissen willst, freunde dich mit den Dieben an. Sie sind außer sich vor Wut, seitdem der Großmeister gegen die Vereinbarung verstoßen hat, indem er meine Brüder ermorden ließ. Diejenigen, die gestern mit uns geflohen sind, sorgen für Aufruhr. Auf jeden Fall 209
haben sie Norreens Versteck am Rand der Stadt gefunden und behalten sie im Auge. Ich könnte dich zu ihr bringen, und wir könnten uns davonmachen.« Garth schüttelte den Kopf, stand auf und ergriff Hammens Hand, bevor dieser seine Brust mit dem Birkenzweig martern konnte. »Genug. Gehen wir uns anziehen.« »Na gut, wenn du schon so dumm bist, hierzubleiben, dann habe ich auch ein Versteck für dich gefunden. Es ist unmittelbar hier auf dem großen Platz.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wo das Haus der Türkisen gestanden hat. Es ist das Gebäude links von der Taverne Trunkener Zwerg. Es ist ein Bumsladen.« »Ein was?« »Ein Bordell. Einer meiner unzähligen Vettern leitet es. Er kennt dich vom Sehen. Du brauchst nur hineinzugehen, und er führt dich ins obere Stockwerk, das wir benutzen können.« »Hoffentlich allein.« »Wenn du das gern möchtest«, seufzte Hammen. »Danke. Und versichere dich, daß deine Freunde auf Norreen achten.« »Du bist ganz schön eingenommen von ihr, was?« Garth grinste verlegen. »Ein wenig.« Der alte Mann gackerte laut und wies dann auf die Hintertür des Dampfbades. Garth ging los und sah dabei lächelnd auf Naru hinab, der noch immer schnarchte. »Die Hitze könnte ihn umbringen«, meinte er und bückte sich, um den Riesen wachzurütteln, aber Hammen schob ihn weiter. Als sie durch die Tür traten, blieb Garth beim Anblick des Schwimmbeckens jäh stehen. »Das ist nicht der Weg nach draußen.« Schon wollte er zurück. Hammen stieß ihn derb, Garth verlor das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. 210
»Du mußt doch noch dein Eiswasserbad nehmen«, verkündete er gelassen, während der Raum von Garth' Brüllen und Fluchen widerhallte. Garth Einauge fluchte vor sich hin, während er seinen Platz in der Formation der anderen Kämpfer seines neuen Hauses einnahm. Rang neben Rang, so standen sie, die siebenundachtzig Kämpfer des Hauses Bolk, bereit für das neunhundertundachtundneunzigste Fest der westlichen Reiche. Die Spannung im Zuschauerraum schien bereits am Zerreißen zu sein, als die Kämpfer, prächtig anzusehen in ihren braunen Tuniken, Hosen und Umhängen aus Rehleder, Aufstellung genommen hatten. Viele trugen an ihren Gewändern die Auszeichnungen für Siege, die sie während der vergangenen Feste errungen hatten. Garth war leise eingetreten und ging zum Ende der Viererreihen. »Einauge.« Er drehte sich um und sah Naru, der an der Spitze stand und ihm winkte, an seine Seite zu kommen. »Du guter Kämpfer, geh als Narus Eskorte.« Garth beobachtete die anderen und bemerkte, daß ihm die Geste des ranghöchsten Kämpfers mehr als einen zusätzlichen Feind eingebracht hatte. Naru grinste die anderen an. »Er Narus Freund, was?« Einige lachten kalt, als Garth nach vorn ging und sich links von Naru aufstellte, direkt hinter dem braun und gold gestreiften Wimpel des Hauses Bolk. Fanfaren erklangen aus dem Zuschauerraum, und alle verneigten sich tief, als zum Klang der Trommeln, Becken und Flöten die Türen zu den Privatgemächern der Meisterin aufgerissen wurden. Garth blickte auf und konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Fünfzig Krieger, angetan mit braunen Lederrüstungen 211
und Helmen, trugen ein massives Podium von fast zwei Faden Breite. Die Plattform war von Schädeln aus feinstem Kristall umgeben; die Augen bestanden aus Rubinen, und sie trugen Kronen aus gesponnenem Gold. Auf diesem Podium standen sechs weitere Krieger, auf deren Schultern eine zweite kleinere Plattform aus Gold mit einem silbernen Thron ruhte. Kirlen saß jedoch nicht etwa auf dem Thron, sondern schien darüber zu schweben, als säße sie auf einem unsichtbaren Kissen. Ihre Beine waren gekreuzt, die spindeldürren Arme über dem braungoldenen Gewand gefaltet, und über ihrem Kopf schwebte ein kurdasischer Teppich als Sonnenschutz. Am Fuß des Throns stand eine goldene Schatulle, die eine eigene Kraft auszustrahlen schien. Sie enthielt den jährlichen Mana-Tribut des Hauses Bolk für den Wanderer. Die Träger wandten sich dem Haupttor zu, und unter Fanfarenstößen wurde es aufgerissen. Wie ein gewaltiger Sturm, der einen Ozean peitscht, klang das Brüllen der Menge, als Kirlen auf den großen Platz getragen wurde. Hinter ihr marschierte ein Trupp schwerbewaffneter Krieger mit schußbereiten Armbrüsten. Dann folgten die Diener des Hauses, die Blumen, Töpfe mit Weihrauch und mit Kupfermünzen gefüllte Urnen trugen, deren Inhalt an das Volk verteilt werden würde. Garth beobachtete Hammen, der in der Mitte der Prozession dahinschritt, und mit angewidertem Gesicht eine geldgefüllte Urne trug. Naru bellte einen Befehl, und der Wimpelträger trat aus dem Zuschauerraum hinaus in den Hauptkorridor. Die Kämpfer des Hauses Bolk setzten sich in Bewegung und marschierten mit stolzen, hochmütigen Schritten voran. Garth marschierte hinter Naru und mußte sich bemühen, seine Verachtung für dieses Getue zu verbergen. Sie bogen in den Hauptkorridor ein, der jetzt nach süßlichem Weihrauch roch, und traten dann in das grelle 212
Licht der Mittagssonne. Als sie aus dem Haus kamen, brach ein donnernder Applaus aus, und Garth fühlte sein Herz schneller schlagen. Der große Platz war von einem Ende zum anderen mit einer Flut von Menschen angefüllt. Die ganze Stadt und Hunderttausende von Besuchern, die aus den entlegensten Winkeln der westlichen Reiche und sogar über das Große Meer gekommen waren, drängten sich hier zusammen, um die Kämpfe zu sehen. Während der Nacht, nachdem der Aufruhr des Vortages beendet war, hatten mehrere tausend Arbeiter Tribünen entlang den Prozessionspfaden der Häuser und auf die Mitte des großen Platzes zu errichtet, von wo aus sie dann den Palast des Großmeisters einrahmten. Die besten Plätze waren an Edelleute und wohlhabende Händler vermietet worden, damit diese über dem drängelnden, stinkenden Volk saßen. Noch während sich Garth erstaunt umsah, brach eine dieser Tribünen zusammen, und die Menge schrie beifällig, erfreut über den Fall derjenigen, die sich besser dünkten als die einfachen Leute. Von allen Seiten drängten sich schreiende Anhänger der Braunen heran, während sich die Prozession langsam über den Platz bewegte. Um sie herum schwenkte man braune Wimpel oder Streifen schmutziger brauner Tücher, es wurde gebrüllt, gesungen, geflucht, und alle vergaßen sich in einem verrückten Freudentaumel. Als die vorausschreitenden Diener die Krieger des Großmeisters passierten, die einen schmalen Pfad freigeräumt hatten, kämpften die Leute um die Kupfermünzen und Freikarten, die in die Menge geworfen wurden. Garth sah, wie eine ganze Urne durch die Luft flog, und lachte über Hammen, der so seine Bürde losgeworden war, wahrscheinlich nachdem er zuerst die eigenen Taschen vollgestopft hatte. »Einauge!« Es war nur ein einzelner Ausruf, aber innerhalb von 213
Sekunden wurde er von der Menge aufgegriffen und weitergegeben und erhob sich als Sprechchor über den Lärm, den die Anhänger der anderen Häuser entlang den Prozessionspfaden veranstalteten. »Einauge, Einauge, Einauge!« Garth sah zu Naru hinüber, der sich umgedreht hatte und ihn anstarrte, und er fühlte die Verwirrung des Kämpfers. Der Mob hatte einen neuen Helden. Der Riese war wütend und verstimmt über die Unbeständigkeit der Massen. Garth stellte sich unmittelbar hinter Naru und hob mit beiden Händen den Umhang des Kämpfers vom Boden auf, um die Unterwürfigkeit des Dieners zu demonstrieren. Naru sah es, grinste zufrieden und marschierte weiter. Diejenigen, die in der Nähe der Prozession standen, schwiegen verwirrt, aber ein halbes Dutzend Reihen weiter hinten sah man sein Gebaren nicht, und die Leute brüllten weiter nach Garth. Die Prozession bewegte sich langsam weiter auf den Palast zu, und hinter ihr schloß sich das Volk an, wedelte mit den Wimpeln und jubelte lauthals. Anhänger des Hauses Fentesk kamen von links, Anhänger des Hauses Kestha von rechts, und als sich die Wege kurz berührten, brach sofort ein wildes Handgemenge aus, welches das allgemeine Gefühl der Aufregung und Spannung noch steigerte. Schließlich erreichten die vier Prozessionen die Mitte des großen Platzes, und die Meister der Häuser begannen mit ihren Vorführungen. Funkelnde Lichtstrahlen erschienen, Wolken formten sich in fünfzig Faden Höhe, und Blitze zuckten über den Platz. Lichtdrachen flogen durch die Luft, und für einen Moment rang ein IngkaraDrachen mit einem aus dem Hause Fentesk, und die Menge johlte vor Vergnügen, als der Fentesk-Drache explodierte. Beinahe hätte das einen erneuten Kampf der Anhänger der beiden Häuser ausgelöst, bis Ingkara, gemäß der Regel, daß die Prozession keine Konflikte auslösen solle, den eigenen Drachen selbst beseitig214
te. Dieser verschwand in einer Rauchwolke, und der Machtkampf war beendet. Genau vor dem pyramidenförmigen Palast des Großmeisters trafen die vier Prozessionen aufeinander und marschierten gemeinsam weiter. Tulan von Kestha schwebte auf einer grauen Wolke; Blitze zuckten um ihn herum und umgaben ihn mit überirdischem Licht. Varnel von Fentesk schien auf einer Feuersäule zu reiten, während die Flammen rings um ihn hoch aufloderten. Jimak von Ingkara saß rittlings auf einer Windbö, die sich aufheulend drehte und die Wimpel seiner Anhänger zum Flattern brachte. Der Miniaturtornado ergriff ein paar Hüte, wirbelte sie hoch in die Luft, um sie dann wieder sanft herabschweben zu lassen. Garth erhaschte einen Blick auf Varena, die an der Spitze der Kämpfer in Purpur ging. Sie bewegte sich mit kühler, fast träger Eleganz und warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder abwandte. Der Tumult der unzähligen Menschen, die sich auf dem Platz drängten, war kurz vor dem Siedepunkt angelangt, und Garth erkannte, daß jegliche Art von Kontrolle kurz vor dem Zusammenbruch stand und einem ungezügelten Aufstand weichen würde. Doch da ertönte wie aus den Wolken der schmetternde Klang einer Fanfare und durchschnitt das wahnsinnige Toben. Beim letzten Ton fiel ein ganzer Fanfarenchor ein, der an- und abschwoll und schließlich in einen wilden, doch harmonischen Rhythmus fiel. Große Trommeln wurden tief dröhnend und eindringlich geschlagen, eine Orgel fiel donnernd ein, und der Klang aller Instrumente breitete sich über dem Platz aus, schien stärker zu werden und hallte als Echo wider. Eine verborgene Tür auf halber Höhe der Pyramide öffnete sich, und ein goldener Lichtstrahl strömte heraus. Die Springbrunnen rings um den Palast, die bis jetzt nicht in Betrieb gewesen waren, erwachten plötzlich zum Leben, Wassersäulen stiegen fünfzehn Faden oder mehr in die 215
Höhe. Die Fontänen unmittelbar vor dem Palast fingen das Licht aus der Pyramide auf, welches sich in allen Farben des Regenbogens im Wasser brach. Rauchwolken entstiegen der Spitze der Pyramide, dröhnende Explosionen waren zu hören, hervorgerufen durch eine furchtbare Alchimie, weitere Rauchwolken stiegen gen Himmel, lösten sich in vielfarbige Schemen auf, neue Explosionen folgten, und das Volk brüllte abwechselnd vor Angst oder Ekstase. Eine Folge von Detonationen mit starker Rauchentwicklung hüllte jetzt die Spitze der Pyramide ein, den Rauchwolken entstieg eine große Flagge, entfaltete sich und enthüllte das schimmernde regenbogenfarbige Zeichen von Zarel Ewine, dem Großmeister des Festes und der Arena, dem Höchsten und Erhabensten Herrscher der westlichen Reiche, dem sterblichen Erbe von Kuthuman >Der-in-unbekannten-Welten-wandertDerüber-alles-herrscht
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Zarel Ewine, Großmeister der Arena, blickte auf den heulenden Mob, der die Reihen des Stadions füllte. »Manchmal wünschte ich, ihr alle hättet nur einen einzigen Hals«, grollte er vor sich hin, wobei er die Kraft der weittragenden Stimme verminderte, damit seine wahren Gedanken nicht zu hören waren. Der Kreis der Mönche hob das Kohlebecken auf und trug es wieder den Gang hinunter, während ein Dutzend von ihnen zurückblieb; die Kapuzen bedeckten die Gesichter, und sie stellten sich respektvoll zur Linken von Zarels Plattform auf. Von den verschiedenen Abteilungen eilten jetzt die Meister der Häuser herbei, dieses Mal zu Fuß, denn die einzige Magie, die in der Arena gestattet wurde, war die der am Kampf beteiligten Männer und Frauen und die des Großmeisters. Hinter jedem von ihnen gingen vier Krieger, die eine schwere goldene Urne zwischen sich trugen, die die Goldplättchen enthielt, auf denen die Namen der Kämpfer des betreffenden Hauses eingraviert waren. Er wartete, angeekelt vom wilden Heulen des Mobs und von Kirlens absichtlich - wie er annahm - langsamen Schritten. Sie stützte sich schwer auf ihren Stab, während sie auf ihn zu humpelte. Die Meister hielten am Fuß der großen Plattform an, und Zarel stieg unter Fanfarenklängen und Trommelwirbeln von seinem Thron herab. Am Fuß des Throns befand sich der zeremonielle >AuswahlkreisGrausamer< helfen«, meinte er und bot ihm das Fläschchen an. Garth griff danach, achtete nicht auf die mißbilligenden Blicke von Naru, der neben ihm saß, und nahm einen tiefen Schluck. Die brennende Flüssigkeit lief durch seinen Körper, und er fühlte, wie der Schmerz allmählich verschwand. Wieder ertönten Fanfarenstöße, als Zeichen, daß die Wettschalter bald schließen würden. Hammen sah sich aufgeregt um. »Die Quoten des Bastards werden von Jahr zu Jahr schlechter. Es ist fast unmöglich, bei diesem Spiel noch eine gute Wette abzuschließen. Er treibt es zu weit in seiner Gier, und man weiß, daß er auf die sicheren Siege 227
setzt, die seine Leute auswählen. Zählt man dann noch die zehn Prozent Gebühr für jede Wette dazu, dann gewinnt er einfach jedes Mal.« Garth lächelte schweigend, als die nächsten Fanfarenstöße erklangen. Ein letzter wilder Wettansturm brach aus, und die letzten in den Schlangen vor den Wettschaltern schoben und drängten. Die Buchmacher gaben in rasender Eile mit Kerben versehene Holzplättchen im Tausch für die unzähligen Münzen heraus. Jedes Plättchen war numeriert - um anzuzeigen, für welchen Kampfring die Wette galt - und eingekerbt, damit man erkannte, ob für oder gegen den Favoriten gewettet wurde. Um Fälschungen zu vermeiden, wurde die Form, Größe und Farbe der Plättchen streng geheimgehalten. Nach der ersten Runde wurden sie beiseite gelegt und manchmal erst nach Jahren wieder benutzt. Zum dritten Mal ertönten die Fanfaren, und die Kämpfer der ersten Runde standen auf. Naru erhob sich und streckte sich lässig. »Sie ist ein Nichts. Ich bin gleich wieder da.« Als er mit den anderen braunen Kämpfern die Arena betrat, erschollen begeisterte Jubelrufe. Hammen konnte nicht länger an sich halten und stellte sich auf seinen Sitz, um besser sehen zu können. »Verflucht, auf den Rängen hat es mir besser gefallen. Man sieht viel mehr«, beschwerte er sich und sah Garth an, als solle der sich um Sitzplätze innerhalb der Menschenmenge bemühen. Naru schritt auf den ihm zugewiesenen Ring zu, der fünfzig Faden entfernt lag. Das Gebrüll erreichte jetzt den Höhepunkt. Die Kämpfer aller Häuser befanden sich nun in der Arena, auf dem Weg zu ihren Ringen, und die Menschen tobten und sangen. Sie betraten die neutralen Vierecke; ihre Diener nahmen ihnen die Umhänge ab. Ein paar Kämpfer betrieben Lockerungsübungen, streckten und beugten sich, andere standen ruhig da, 228
wieder andere knieten nieder und konzentrierten sich mit geneigten Köpfen auf ihre Gedanken. An jeden Ring trat nun ein Kämpfer des Großmeisters als Schiedsrichter heran. Durchdringende Fanfarenklänge gemahnten die Magier und Zuschauer, daß die Kämpfe jetzt beginnen würden, und Stille trat ein. Zarel erhob sich von seinem Thron und streckte die Arme aus. Seine Stimme ertönte hell und klar. »Zur Ehre des Wanderers!« Die Kämpfer verneigten sich und erhoben beide Hände zum Gruß. »Sprüche müssen innerhalb der Ringgrenzen bleiben. Alle Kämpfe des ersten Tages gehen um einen Spruch, es sei denn, beide Kämpfer erklären, daß ein Groll vorliegt und sie auf Leben und Tod kämpfen wollen.« Es blieb still, während die Schiedsrichter der einzelnen Ringe die jeweiligen Kämpfer befragten. »Ring sieben, Farnin von Bolk und Petrakov von Fentesk - auf Leben und Tod«, sagte Hammen voraus. »Im letzten Jahr hat Petrakov den Geliebten von Farnin getötet. Das Volk hat auf diesen Kampf gehofft.« Neben jedem Ring stand ein Pfahl, und an dreien dieser Pfähle wurde jetzt eine rote Fahne gehißt, eine davon am siebten Ring. Wilder Beifall brach aus. »Petrakov ist ein toter Mann«, verkündete Hammen fröhlich. Zarel hob die Arme gen Himmel. »Bereitet euch vor!« Die Kämpfer traten aus den neutralen Ecken in die Ringe. Eine Pfeife ertönte, und die Zuschauer brüllten verärgert. Garth sah Hammen fragend an. »Ring elf. Der violette Kämpfer hat zu früh mit dem Spruch begonnen. Er scheidet aus.« Garth schaute zum elften Ring hinüber und wunderte 229
sich, daß Hammen etwas erkennen konnte und sofort wußte, was geschehen war. Dem Ingkara-Kämpfer wurde bereits ein Spruch weggenommen, den man dem Gewinner überreichte. Als er zurück zur violetten Seite der Arena ging, drang ihm wütendes Geschrei entgegen, während die Grauen begeistert jubelten, denn der Violette hatte als Favorit gegolten. Jimak erhob sich von seinem Thron, fluchte wütend und deutete auf den Kämpfer. Ein Blitz fuhr hernieder, und Sekunden später lag nur noch ein Häufchen verkohlter Knochen dort, wo der Kämpfer gestanden hatte. Die Zuschauer applaudierten, und Jimak verneigte sich vor ihnen. Seine Anhänger hatten jetzt das Gefühl, daß ihre Ehre wiederhergestellt war. »Zur Hölle, er war sowieso nur aus dem zweiten Rang«, schniefte Hammen zustimmend. »Sein Vertrag für dieses Jahr wäre nach dieser Schande sowieso nichts mehr wert gewesen.« Schließlich beruhigte sich die Menge wieder, und alle blickten auf Zarel. Er hielt die Arme hoch erhoben, bis völlige Stille eintrat, dann ließ er sie plötzlich fallen, und seine Stimme dröhnte durch die Arena. »Kämpft!« Sekunden später verwandelte sich die Arena in einen Mahlstrom aus Licht, Explosionen, brüllenden Tieren, kreischenden Dämonen, Zwergen, Ogern und anderen herbeigerufenen Kreaturen, und über allem schwebte noch das Geschrei einer halben Million Menschen. Hammen war außer sich vor Freude, sprang auf seinem Sitz auf und ab und jubelte lauthals. »Ring Fünf ist fertig!« Garth sah in die angegebene Richtung. Der FenteskKämpfer lag bewußtlos am Boden, die Skelette, die er gerufen hatte, waren von den Berserkern und einem Feuerball des Gegners zu Staub zermalmt worden. Der 230
Schiedsrichter beugte sich über ihn, um einen Spruch aus seinem Beutel an den Gewinner zu überreichen. »Naru ist auch fertig«, verkündete Garth und deutete auf den Riesen, der die gegnerischen Zwerge mit eigenen Händen zerschmettert und dann seine Kontrahentin mit einem Dämonenschrei aus dem Ring geworfen hatte. Hinter Garth brach lautes Geschrei für den Favoriten aus. Nachdem Naru seinen Preis bekommen hatte, watschelte er zu den anderen zurück, die ihn freudig umringten. Ein lautes Stöhnen ging durch die Menge, als entgegen aller Voraussagen Farnin, der gefühlsmäßige Favorit der Zuschauer, von Petrakov zu Fall gebracht wurde. Petrakov griff ihn mit geistigen Schlägen an, so daß sich der Mann hilflos am Boden wand. Hammen schrie Flüche und Verwünschungen, und Garth schüttelte verächtlich den Kopf. Petrakov quälte seinen Gegner nur noch. Er teilte weiter seine geistigen Schläge aus, obwohl er sich damit auch selbst verletzte. Endlich ging er durch den Ring, nahm seinen Dolch und zog ihn Farnin mehrmals durchs Gesicht, was von der Menge mit Buhrufen quittiert wurde. Nur Petrakovs treue Anhänger aus der purpurnen Sektion schwiegen. Dann ergriff er seinen Gegner bei den Haaren, hob ihn hoch und schlitzte ihm die Kehle von einem Ohr zum anderen auf. Ein Strom dunklen Blutes ergoß sich auf den Boden. Die braunen Kämpfer schrien auf, einige von ihnen rannten auf den Ring zu, um Farnin mit einem heilenden Spruch zu belegen. Eine Wand aus Licht erschien vor ihnen, errichtet durch ein Dutzend Kämpfer des Großmeisters, die an den Seitenlinien der vier Häuser postiert waren und die damit Farnins Gefährten daran hinderten, den Ring zu betreten. Petrakov schleuderte Farnin mit verächtlicher Geste zur Seite. Der Kopf des Mannes rollte geradezu schamlos nach hinten. Farnin trat schwach um sich, die Hände griffen nach der Kehle, Blut quoll unter seinen Fingern 231
hervor, dann lag er reglos am Boden. Ohne auf den Schiedsrichter zu warten, bückte sich Petrakov, schnitt Farnins Beutel ab und hielt ihn triumphierend in die Höhe. Dann spuckte er verächtlich auf die Leiche und ging davon. »In den alten Tagen wäre das niemals erlaubt gewesen, es sei denn bei den Kämpfen im Finale«, grollte Hammen. »Der Großmeister unterstützt das jetzt, weil der Mob den Anblick von Blut liebt. Beim nächsten Kampf von Petrakov wird zehnmal mehr gewettet, besonders wenn er wieder gegen einen Bolk antritt.« Die letzten Kämpfe gingen zu Ende, die Sieger erhielten ihre Gewinne: einen einzelnen Spruch für einen gewöhnlichen Kampf oder den ganzen Beutel für einen Kampf auf Leben und Tod, natürlich minus der ManaGebühr, die der Großmeister erhielt, wenn Blut vergossen wurde. Einer der drei tödlichen Kämpfe endete jedoch ohne Gewinner. Beide Kämpfer hatten gleichzeitig Sprüche geworfen, die den Gegner getötet hatten. Diejenigen, die nicht gewettet hatten, lachten voller Schadenfreude, denn in diesen Fällen behielt der Großmeister sowohl alle Einsätze als auch die Beutel der Getöteten. Leute, die entweder auf den einen oder anderen der beiden Gegner gewettet hatten, heulten vor Enttäuschung auf. Die Bolk-Kämpfer kamen wieder zurück, die Sieger strahlten vor Stolz, die Verlierer warfen scheue Blicke auf Kirlen, die sie jedoch mit überheblicher Verachtung übersah. Ihre Verträge für das kommende Jahr waren jetzt wertlos, und das würden sie zu spüren bekommen. Der letzte Kampf war vorüber, Träger eilten herbei, um die Bewußtlosen und die Toten wegzutragen, während aus den Gängen Gaukler hervorkamen. Zwerge, Jongleure, Feuerschlucker und unbedeutende Magier waren darunter. Von galoppierenden Zebras, Tigern, Bären und sogar Mammuts gezogene Wagen rasten durch die Arena. Auf jedem Gefährt stand ein kleines 232
Katapult, und die Zuschauer standen voller Unruhe auf, da sie sich wunderten, warum der Großmeister schwere Geschütze auffahren ließ. Die Zwerge auf den Wagen zogen die Katapulte zurück, luden sie mit Tontöpfen und richteten sie auf die Menge. Ärgerliches Schreien ertönte, und die Leute versuchten, aus der Schußrichtung zu kommen. Die Zwerge lachten, halb verrückt vor Freude, und feuerten. Ohrenbetäubendes Gebrüll kam auf und Hammen sprang neugierig auf seinen Sitz, um besser sehen zu können. Die Töpfe landeten in den Sitzreihen und zerbarsten. Die Menge keuchte vor Überraschung auf und drängte dann los, denn die Töpfe enthielten Preise - Leckereien, Lotterielose und erstaunlicherweise sogar Kupfer-, Silberund Goldmünzen. Unter wilden Jubelrufen bewegten sich die Katapultwagen am Rande der Arena entlang, luden erneut durch und schossen weitere Töpfe in die Menge, die sich jetzt darum riß, die Preise zu ergattern. Hammen schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. »Da wärst du auch gern, was?« fragte Garth. »Da hast du verdammt recht, das täte ich lieber als hier herumzusitzen und gar nichts zu kriegen.« Ein von Mammuts gezogenes Katapult raste vorbei und feuerte einen beinahe mannshohen Topf in die Menge. Freudenschreie und Beifall für Zarel ertönten rings umher. »Meisterhaft«, meinte Garth kopfschüttelnd. »Es braucht nicht viel, um den Pöbel für sich zu gewinnen, besonders wenn dieser Gewinn dann in Gold zurückgezahlt wird.« »Kennst du einen der Katapultschützen?« »Nein. Wieso?« »Ich dachte nur.« Hammen starrte ihn an und grinste boshaft. 233
»Willst du sie ausrauben? Ist es das?« »Nein, ich habe nur nachgedacht.« »Ich habe einen Freund, der könnte etwas herausfinden. Er betreibt ein illegales Geschäft.« »Welche Art von Geschäft?« »Tränke und so. Schaff dir eine lästige Ehefrau vom Hals, verführ ein Mädchen, das nicht ja sagen will, oder besorg dir Mut, wenn es nötig ist - solche Dinge eben.« »Und seine Kunden?« Wieder grinste Hammen boshaft. »Zählen zu den Wichtigsten. Edelleute, reiche Händler« - er senkte die Stimme - »und Uriah, der Hauptmann von Zarels Kämpfern. Es dürfte leicht sein, durch ihn etwas zu erfahren. Mein Vetter berichtet, daß er dauernd herumerzählt, wie wichtig er sei und daß alle Leute bei Hofe ihm verpflichtet seien.« Garth zuckte zusammen, als der Name des Zwerges fiel. »Stimmt was nicht, Meister?« Er lächelte traurig und schüttelte den Kopf. »Nein, alles in Ordnung. Ich möchte mit deinem Freund reden, wenn das hier zu Ende ist. Kannst du das ermöglichen?« »Einen Trank für ein bestimmtes benalisches Mädchen?« »Nein, verdammt noch mal. Bereite einfach ein Treffen vor, klar?« Hammen nickte und lachte leise vor sich hin. Am Fuß von Zarels Thron hatten die Mönche damit begonnen, die Namen für die nächste Runde zu ziehen. Beifall brach aus, als zwei Favoriten des neunten Ranges - eine davon war Varena - gegeneinander antreten mußten. Dann folgten weitere Namen, und die aufgeregte Menge beeilte sich, die nächsten Wetten abzuschließen. Hammen sah sich erwartungsvoll nach den Zuschauern hinter ihm um. 234
»Ich bin gleich wieder da«, verkündete er plötzlich und ging auf die Barriere zu, an der abwartend ein gebeugter Mann stand, der Garth irgendwie bekannt vorkam. Schnell wurden ein paar verstohlene Worte gewechselt, sie schüttelten sich die Hände, und Hammen kam zurück. »Ich habe alles, was wir besitzen, auf Varena gewettet«, teilte er Garth leise mit. Der nickte und schaute zu dem gebeugten Alten hinüber. »Er kommt mir bekannt vor.« »Das sollte er auch. Er war ein paar Zellen neben dir im Kerker. Ich konnte ihn in der Hölle befreien.« »Gehe ich recht in der Annahme, daß er den Großmeister nicht besonders liebt?« Hammen kicherte, als habe Garth gerade eine außergewöhnlich dumme Bemerkung gemacht. »Kennt er hier genauso viele Leute wie du?« »Ganz sicher. Er ist der Anführer einer Bruderschaft.« »Sag ihm, er soll sich mit uns heute abend treffen.« »Meister, nicht schon wieder!« »Sag's ihm, wenn du unseren Gewinn kassierst.« Die Fanfaren schmetterten eine Warnung, und die Gaukler räumten die Arena, gefolgt von den Wagen, die noch ein paar Töpfe in die Menge feuerten. Einer flog direkt über die Köpfe der Bolk-Kämpfer und zersprang krachend an der Barriere zu den Sitzreihen. Dutzende von Menschen versuchten, über die Wand zu klettern, um die Preise zu erreichen, wurden aber von den Kriegern des Großmeisters zurückgetrieben, die mit Keulen und der flachen Seite ihrer Schwerter zuschlugen. Die Getroffenen schrien und fluchten, die Gaffer weiter oben brüllten vor Schadenfreude. Wieder erschollen die Fanfaren, und die Kämpfer marschierten ein. Garth erhaschte einen Blick auf Varena, die sich zu einem Ring auf der anderen Seite der Arena begab. Wieder markierten mehrere rote Fahnen die töd235
liehen Kämpfe, von denen der eine die Menge in Erstaunen versetzte, denn ein Kämpfer des sechsten Ranges trat gegen einen des zweiten Ranges an - der Kampf bedeutete also glatten Selbstmord für den schwächeren Teilnehmer. »Einige tun das, weil sie verrückt sind, andere wiederum versuchen, auf diese Weise an einen Spruchbeutel zu kommen, den sie sich früher in Jahrzehnten durch Studieren hätten verdienen müssen«, erklärte Hammen verächtlich. Zarel erhob sich und sprach mit erhobenen Händen die rituellen Worte. Dann senkte er die Arme. »Kämpft!« Wieder hörte man die wild explodierenden Sprüche, Blitze zuckten, Kreaturen erschienen zum Gefecht, Staubwolken wirbelten auf, und Feuerbälle flogen umher. In einem der Ringe erschien eine Riesenspinne, die über die Markierung kroch, als sie von einem Rudel Wölfe angegriffen wurde. Der betreffende Kämpfer hatte die Kontrolle über sie verloren und wurde daher disqualifiziert. Die Spinne bewegte sich auf den Rand der Kampffläche zu, und die Zuschauer dort brachen in Panik aus, verließen ihre Sitze und rannten davon. Kämpfer des Großmeisters hasteten hinter der Spinne her, schleuderten Feuerbälle nach ihr und konnten sie unmittelbar vor der Barriere aufhalten. Ein paar der Schaulustigen wurden jedoch noch von ihrem ätzenden Gift getroffen und lösten sich in blubbernden Brei auf, bevor die Spinne endgültig getötet wurde. Der Kämpfer, der die Kontrolle über die Kreatur verloren hatte, schlich betroffen davon, man hatte ihm zur Strafe den Spinnenspruch abgenommen. Die Zuschauer applaudierten ihm jedoch heftig für die aufregende Vorführung, die für endlosen Gesprächsstoff in den kommenden Tagen sorgen würde. Ein Kampf nach dem anderen wurde beendet. Der tödliche Kampf sechster Rang gegen zweiten Rang dau236
erte bedeutend länger, als man angenommen hatte, und kam erst zum Ende, als der Kämpfer des zweiten Ranges zu fliehen versuchte. Sein spöttelnder Gegner jagte ihn noch hundert Faden durch die Arena, bis der angewiderte Großmeister sich erhob, die Hände ausstreckte und ihn ins Jenseits beförderte, bevor er durch den Ring rennen konnte, in dem Varena sich mit ihrem Gegner einen klassischen Zweikampf mit Spruch und Gegenspruch lieferte, der die Menge begeisterte. Garth beobachtete den Kampf genau und notierte sich im Geist alle Sprüche, die sie gezwungenermaßen enthüllen mußte. »Wenn sie sich nicht zurückhält, hat sie kein Geheimnis mehr für die späteren Kämpfe«, bemerkte Hammen befriedigt. »Schlecht für sie. Aber andersherum ist es gut für dich, Meister, denn früher oder später mußt du gegen sie antreten.« Alle anderen Kämpfe waren jetzt beendet, nur die beiden kämpften noch. Die Menge schwieg während der kleinen Pausen, jubelte oder stöhnte, wenn einer der beiden die Oberhand zu bekommen schien. Zweimal wurde Varena zu Boden geworfen, einmal durch einen Berserker, der ihre Feuerkreaturen umrannte, dann wieder durch eine Attacke schwarzer Ritter. Schließlich drehte sie den Spieß um, als ihr Gegner einen Spruch auf sie warf, der die Lebenskraft raubte - für den sie aber den Gegenspruch hatte. Dadurch wurde sie nicht geschwächt, sondern leicht gestärkt und erhielt die während der vergangenen Angriffe verlorene Kraft zurück. Sie stieß vor und verließ sich auf Feuersprüche, die sie mit Eisstürmen vermischte, bis ihr Rivale schließlich bewußtlos vor Schwäche zu Boden sank. Varena stand schwankend vor Erschöpfung in der Mitte des Ringes, und der Schiedsrichter gab ihr den Spruch, den er dem Beutel des Verlierers entnommen hatte. Zur allgemeinen Überraschung legte sie daraufhin ihrem Rivalen die Hände auf, um ihn zu beleben. Diese 237
Geste rührte die Zuschauer, die ihr begeistert zujubelten. Als sie an Zarels Thron vorüberschritt, fühlte Garth, daß der Großmeister irgendwie von Varenas Anteil an seiner Befreiung wußte, denn er lehnte sich vor und beobachtete sie genau. »Unser Geld ist verdoppelt«, flüsterte Hammen erfreut, als er sich wieder neben Garth niederließ. »Hast du deinem Freund Bescheid gesagt?« »Habe ich, obwohl ich nicht weiß, warum ich es getan habe«, erwiderte der Alte schmollend. Garth machte es sich gemütlich und kümmerte sich nicht um die Gaukler, die wieder in die Arena kamen. Die Sitzreihen leerten sich beinahe völlig, denn die Zuschauer strömten nach draußen, um die Futterbuden und Abtritte zu belagern. Die Zurückbleibenden versuchten derweil herauszufinden, an welcher Stelle die Tontöpfe herabregnen würden. »Jetzt kommt dein Kampf«, verkündete Hammen aufgeregt. Garth beobachtete schweigend die Anzeigetafel, auf der die ersten Kämpfe sichtbar wurden. »Ich wette, das sind wir«, meinte Hammen und deutete auf einen Jungen, der über den Laufsteg hastete, um ein Symbol anzubringen, noch bevor der erste Buchstabe des Namens zu lesen war. Das Symbol zeigte die stilisierte Darstellung einer Augenklappe. Beim Anblick von Garth' Symbol brach die Menge in Jubel aus. Garth beobachtete, wie sein Name auf der Tafel erschien - schlicht und einfach >EinaugeSchallenden Stimme< beherrschte. »Ich werde ihn nicht zum Vergnügen eines Großmeisters ermorden, der sich an den Gesetzen der Arena vergangen hat.« »Töte ihn. Dies ist ein Blutkampf.« Garth wandte sich zu Zarel um. »Ich habe den Kampf gewonnen, das könnt Ihr nicht leugnen. Aber ich werde nicht für Euch morden.« Zarel brüllte wütend und deutete auf Garth. »Wollt Ihr dieses Gesetz auch noch brechen?« höhnte Garth. »Laßt sie am Leben!« 283
Eine einsame Frauenstimme hatte den Schrei ausgestoßen, und Garth sah jemanden am Rand der Arena stehen, angetan mit der schwarzen Lederrüstung der benalischen Kämpfer. Ihr Schrei wurde augenblicklich von der Menge aufgegriffen. »Laßt sie leben, laßt sie leben!« Garth errichte eilig einen Schutzkreis und ließ Zarel nicht aus den Augen. Der Großmeister schäumte vor Wut und blickte auf die Menge, die auf den Beinen war, zum Teil schon die Barrieren erkletterte, um die Arena zu stürmen. Zarel setzte sich wieder auf seinen Thron, sein Gesicht war schneeweiß vor Wut. Garth drehte ihm den Rücken zu und berührte Narus Stirn. Der Riese bewegte sich und öffnete die Augen. »Seltsam. Ist dies andere Welt?« Garth lächelte und streckte die Hand aus. Fast wäre er vornübergefallen, als Naru schwankend aufstand. »Du meinst, ich verliere, und du lebst.« »So ähnlich.« »Ich bin Schandfleck, Einauge.« »Ich habe einen Spruchkampf erklärt, verdammt, also gib mir einen Spruch, und wir sind quitt.« Naru nestelte schwach an seinem Beutel herum. Er zögerte kurz und zog dann ein Amulett heraus. »Jagganath, stärkster Spruch ich habe«, sagte er leise. Garth nahm das Amulett und schüttelte Narus Hand. Das Volk brach bei dieser Geste erneut in Jubel aus. Die beiden kehrten zurück zu ihren Sitzen, Naru stützte sich mit der Hand auf Garth' Schulter. Kirlen stand schwer auf ihren Stab gestützt und beachtete Naru nicht, der zu dem gedeckten Tisch hinüberwankte, einen schweren Krug ergriff und den Inhalt über den geöffneten Mund goß. Der Wein strömte wie ein Fluß über sein blasses, angespanntes Gesicht. »Deine Gefühlsduselei hat dir hier keine Freunde gewonnen«, sagte sie. 284
»Ich habe Euch Euren besten Kämpfer lebend zurückgebracht.« »Und dich selbst auch.« Garth lächelte schweigend. Lauter Beifall erscholl. Garth blickte über die Schulter und fühlte einen kurzen Schmerz in der Brust. Varena lag auf dem Boden. Aber ihr Gegner war ebenfalls gefallen, und Varena erhob sich langsam wieder und riß triumphierend die Faust nach oben. Garth sah Kirlen wieder an. Sie lächelte kühl und wandte sich ab. Er kehrte zu seinem Sitz zurück. Die Arena feierte mit Donnergetöse das Ende der fünften Auswahlrunde. »Es ist Zeit, daß sich die Gewinner ihre Lorbeerkränze abholen«, verkündete Hammen, der an Garth' Seite getreten war. »Dann wird es wohl Zeit für mich, auch hinzugehen.« »Ich denke, er plant etwas gegen dich.« Garth lächelte. »Wir werden sehen, wie der Zeitplan läuft.« »Vielleicht solltest du jetzt noch schnell verschwinden und alles vergessen.« Garth lachte und schritt über das Feld. Von brausendem Jubel begleitet, näherte er sich Zarels Thron. Aus dem Gang rasten jetzt die Katapultwagen der Zwerge, und das allgemeine Geschrei steigerte sich. Die Siegerehrung zu beobachten, war eine Sache, die Aussicht auf Gold indessen eine weitaus wichtigere Angelegenheit »Er will die Leute mit Gold ablenken, während er dich gefangennimmt«, vermutete Hammen. »Das wird eine nette Überraschung werden. Hoffen wir nur, daß es schnell losgeht«, erwiderte Garth. Als er auf den Thron zuging, gesellten sich die anderen überlebenden Kämpfer zu ihm. Er sah zu Varena hinüber, deren Gesicht blaß und erschöpft wirkte, und nickte grüßend. Ein kurzes Lächeln flog über ihre Züge, dann wandte sie sich ab. Die anderen Kämpfer be285
trachteten ihn mit eisigen Blicken. Die neuen Gesetze besagten, daß sich nun alle Männer und Frauen hier trafen, die morgen entweder ihre Opfer oder ihre Mörder sein würden. Zarel erhob sich und schwebte von seinem Thron herab auf den Boden der Arena. Vier seiner Kämpfer traten heran; sie trugen ein goldenes Tablett zwischen sich, auf dem die Lorbeeren für die Teilnehmer lagen, welche die letzte Auswahlrunde erreicht hatten. Garth fiel auf, daß ein dichter Trupp Krieger aus den Seitengängen kam; ihnen folgten nahezu alle Kämpfer des Großmeisters. Sie schritten durch die Arena, um sich rings um die goldene Plattform aufzustellen. »Ihr alle werdet heute abend im Palast meine Gäste sein«, verkündete Zarel hoheitsvoll. »Ich war schon einmal dort. Ich denke, ich muß ablehnen«, erwiderte Garth ruhig. Zarel sah ihn an. Im Hintergrund ertönte ein vielfaches Klappern, als Dutzende von Armbrüsten erhoben wurden. Um sie herum tobte jubelnd der Mob, aber nicht wegen dieser für ihn langweiligen Zeremonie, die den aufregenden Tag beenden sollte, sondern wegen der beinahe vierzig Katapultwagen, die durch die Arena fuhren und deren Geschütze von den Zwergen bereits mit den Tontöpfen geladen wurden. Dann flogen die ersten Geschosse im hohen Bogen über die Sitzreihen. »Wenn du kämpfst, wird es kaum jemand bemerken«, sagte Zarel, »denn sie werden alle mit Gold vollgestopft. Ich wage zu behaupten, daß auch einige deiner Gegner mehr als glücklich wären, wenn du aus dem Weg geschafft würdest. Tatsächlich könnten wir, wenn du weg bist, das morgige Blutbad vergessen und zur traditionellen Kampfweise zurückkehren.« Garth warf seinen möglichen Rivalen einen Seitenblick zu. Nur Varena nickte ihm aufmunternd zu. Garth reckte sich und lächelte nur. 286
Die ersten Tontöpfe krachten zu Boden, und die Menschen rannten auf die vermeintlichen Goldladungen zu. Die Zwerge luden eifrig nach und feuerten immer wieder. Aber die Schreie der Leute hatten sich geändert. Der wilde Jubel war innerhalb weniger Sekunden in Panik und Schmerzgeheul umgeschlagen. Zarel zögerte und wandte den Blick von Garth ab. Die Töpfe flogen fortwährend weiter in die Sitzreihen... und wenn sie zerbrachen, quollen stechende Skorpione, wütende Hornissen und zischende Giftschlangen heraus. Sekundenlang schien alles zu erstarren, Zarel blickte auf die Menge, begriff nicht, was geschah, die Wachen umringten Garth mit geladenen Waffen, und das Geschrei der Leute wurde lauter und immer lauter. Immer mehr Töpfe fielen zwischen die Menschen, zerschellten, die entsetzten Zuschauer wanden sich, kreischten vor Panik und Wut. Die Vipern schlängelten sich um jeden, den sie erreichen konnten, die Hornissenschwärme stachen wahllos zu. Aus der Abteilung, die am nächsten bei Zarels Thron lag, sprang eine Benalierin auf die Trennwand der Arena. »Zarel! Zarel tötet uns! Bringt ihn um!« Mit gezücktem Schwert sprang sie von der Mauer herunter. Als wäre ein Damm gebrochen, stürzten die Menschen aus den Sitzreihen heraus, erklommen die Mauer und überfluteten die gesamte Länge der Arena. Die Zwerge hatten noch immer nicht begriffen, was sie getan hatten, und feuerten munter weiter. Als die Menge sie umringte, warfen sie die restlichen Töpfe aus dem Wagen, in der Annahme, daß die Leute hinter dem Gold her waren. Dies versetzte die Leute in noch größere Wut, und die Wagen wurden gestürmt. Die Krieger, die Garth umzingelten, drehten sich um und stellten sich dem wüsten Ansturm entgegen. Voller Panik senkten sie die Waffen und feuerten. Zarel wandte sich wieder Garth zu, denn endlich hatte er begriffen, 287
was geschah, und wußte, daß Einauge irgendwie dahintersteckte. Er wurde von einer grünen Rauchwolke begrüßt. Garth rannte, gefolgt von Hammen, tief gebückt um den Thron herum und verlor sich fast augenblicklich inmitten der Krieger, die sich bemühten, die Formation zu halten und dem Mob Einhalt zu gebieten, denn Hunderttausende stürmten inzwischen durch die Arena. »Hinter dir!« Garth wirbelte herum und sah, wie Varena einen Krieger zu Fall brachte, der gerade sein Schwert in Garth' Rücken stoßen wollte. Er sprang zur Seite, als der verbrannte Körper vornüberfiel. Die drei bahnten sich einen Weg durch die Krieger, die zurückweichen mußten, als die heranstürmenden Leute auf sie prallten. Garth erhob die Hände, und zu beiden Seiten wichen die Krieger mit Entsetzen vor ihm zurück. Er drängte sich durch die Reihen, bahnte sich mit einem Schreckenszauber einen Weg, Varena an seiner Seite. Sie brachen durch die Menschenmenge, die bei ihrem Anblick in Jubelrufe ausbrach und Platz machte, nur um sich hinter ihnen wieder mit wütendem Gebrüll nach vorn zu werfen. Garth erreichte den Rand des Feldes und kletterte über die Barriere. Noch waren die Reihen halbvoll, abgesehen von großen leeren Flächen, auf denen die Kreaturen aus den Töpfen ihr Unwesen trieben. Garth kletterte die Stufen hinauf, bis zur Spitze der Arena. Die Wettstände waren nur noch Trümmerhaufen, die vom Mob durchsucht wurden. Neben jedem Stand befand sich eine Art Rutschbahn, über die die Wetteinnahmen nach unten gelangten, wo sie direkt auf Karren fielen, die dann durch geheime Gänge zum Palast fuhren. Ein paar Leute zerrten mit bloßen Händen an den Rutschen und brüllten Flüche nach unten. Andere ließen 288
ihre Wut an den Ständen aus und rissen sie Stück für Stück auseinander. In der Arena herrschte Chaos. Ein dickes Knäuel von Kriegern befand sich in der Mitte. Die Kämpfer des Großmeisters waren ebenfalls in den Kampf verwickelt und errichteten Wände aus Feuer, um den Mob zurückzuhalten. »Ich kehre zu meinem Haus zurück«, sagte Varena. Garth ergriff ihren Arm. »Vielleicht solltest du gehen.« Sie riß sich los. »Ich habe mein Leben lang studiert, um die Gelegenheit zu erhalten, Dienerin des Wanderers zu werden. Ich gebe jetzt nicht auf.« Hammen schniefte und schwieg. »Das bedeutet, daß wir morgen kämpfen müssen.« »Ich weiß.« »Und wenn es ums Töten geht, was dann? Du weißt, daß der Bastard es morgen darauf anlegt.« Sie blickte ihn schweigend an. »Geh, Varena, im Namen des Ewigen, geh.« »Ich sehe dich morgen«, sagte sie ruhig, wandte sich ab und verschwand in der wogenden Menge. »Den gleichen Rat habe ich dir auch gegeben«, sagte Hammen. »Und ich bin genauso dickköpfig. Komm jetzt, wir haben noch etwas zu erledigen.«
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Die Tür zum Dachboden wurde geöffnet, und Garth wandte sich erwartungsvoll um. »Hast du sie gefunden?« Hammen schüttelte den Kopf. »Verdammt.« »Ein paar Leute behaupten, daß sie gleich zu Beginn des Aufruhrs getötet wurde, andere meinen, die Krieger des Großmeisters nahmen sie gefangen. Es gibt momentan keine Spur von der Benalierin.« Garth antwortete nicht und blickte wieder durch das schmale Fenster. Draußen auf dem großen Platz war endlich Stille eingekehrt. Karren bewegten sich in den Schatten hin und her, verhüllte Mönche sammelten die vielen hundert Toten ein, die rings um den Palast lagen. Feuer erhellte Teile der Stadt, und von ferne hörte man das Geschrei der Menge. Aus der Hauptstraße, die zum Hafen hinunter führte, marschierte ein großer Trupp Krieger, Schilde und Speere blinkten im Lichterschein. Selbst die üblichen Tätigkeiten waren dort unten eingestellt worden, und Garth war dankbar dafür. »Zarel hat Truppen aus Tantium rufen lassen. Die Schiffe legen gerade an. Er räumt das ganze Land kahl«, verkündete Hammen. »Man sagt, daß mindestens tausend oder mehr Leute und einige hundert Krieger in der Arena getötet wurden. Der Pöbel hielt noch immer die Stellung, als ich ging, aber ich denke, daß die Truppen ihn mittlerweile vertrieben haben.« Garth nickte. »Und das Bündel, das ich außerhalb der Stadttore versteckt habe?« 290
Hammen hielt das in Öltuch gewickelte Päckchen hoch und warf es dann auf den Boden. Garth nickte dankend und bückte sich danach, als wäre es ein wertvolles und zerbrechliches Objekt. »Meister?« Er sah Hammen an. »Ich glaube, ich kündige den Dienst.« »Warum?« Hammen schüttelte den Kopf. »Na los, sag's schon!« »Zu Anfang war alles anders. Ich dachte, du wolltest einen Scherz machen, etwas Spaß haben, Zarel eine lange Nase machen und Profit herausschlagen. Obwohl du nie etwas gesagt hast, habe ich immer geahnt, wer du bist.« »Und das hat sich geändert, nicht wahr?« Hammen nickte traurig. »Heute kam ich am Hafen vorbei. Sie fahren die Karren dorthin und werfen die Toten hinein, damit die Flut sie hinausträgt. Die Haie und Beutefische halten ein Festmahl; das Wasser ist aufgewühlt.« Er schwieg eine Weile. »Tut es dir nicht leid, fühlst du denn nichts?« Garth blickte wieder durch das Fenster, sah eine Kompanie Krieger vorbeirennen und in der Nacht verschwinden. »Doch.« »Warum dann? Tausende sind gestorben.« »Du hältst zum Mob, nicht wahr?« »Ich war der Mob«, erwiderte Hammen. »Und was warst du? Wenn du nicht bei mir wärest, hättest du in den Reihen gestanden, nach Blut geschrien, vor Ekstase gezittert, wenn ein Kämpfer dem anderen die Eingeweide herausgerissen hätte. Das war dein Leben, nicht wahr? Wie sind die Aussichten für die morgigen Wetten? Kriege ich die richtige Kombination und kann ich tausend mit dem Blut eines anderen gewinnen?« 291
Der Alte senkte den Kopf. »Ich mußte überleben.« »Du nennst das Überleben. Der Bastard im Palast hat alles mißbraucht, wofür das Mana steht. Er hat es in einen Sport verwandelt und für Verträge verkauft, und der Wanderer hat es erlaubt. Nur dafür lebt der Mob.« »Und Garth der Freiheitskämpfer ist gekommen, um das alles zu ändern? Du hast in vier Tagen mehr umgebracht als Zarel in einem ganzen Jahr. Bist du jetzt besser als er? Oder ist das nur deine persönliche Rache?« Garth schüttelte den Kopf und sah weg. »Verdammt noch mal, sieh mich an!« fauchte Hammen. Verblüfft sah ihn Garth an. »Fühlst du denn gar nichts?« »Es macht mich krank«, sagte Garth leise. »Aber es gibt keinen anderen Weg. Ich habe nachgedacht, aber keine andere Möglichkeit gefunden. Ja, ich will den Bastard stürzen, und mit ihm das ganze Netz der Korruption, das er geschaffen hat. Er hat den Menschen in diesem Reich ein Rauschgift gegeben, die Spiele, das Fest, und er hat die Kämpfergilden und alle jene verdorben, die mit ihnen in Berührung kommen. Sie wurden alle verführt, und dies ist für mich der einzige Weg, um alles zu beenden, die Pestbeule der Korruption zu durchstoßen und den Eiter herauslaufen zu lassen, bis die Wunde geheilt ist. Das ist besser, als sich so wie du in der Gosse zu verstecken.« Hammen stand auf und stieß zornig seinen Stuhl zur Seite. »Du hast keine Ahnung, wie ich überlebt habe. Was es mich gekostet hat. Und wer bist du, daß du richtest? Wer bist du, daß du einfach hier hereinmarschierst und entscheidest, daß alles zerstört wird? Deinetwegen habe ich vier meiner besten Freunde verloren und zugesehen, wie meine Stadt ins Chaos stürzte. Wenigstens herrschte hier 292
Ordnung, bevor du auftauchtest, und das Volk war zufrieden.« Garth griff in seinen Beutel, zog ein kleines seidenes Bündel heraus und warf es Hammen zu. Der Alte fing es geschickt auf und hielt es fest. Garth sah ihn aufmerksam an und lächelte. »Du kannst das Mana kontrollieren, nicht wahr? Ich fühle es.« Hammen senkte den Kopf und ließ das Bündel fallen. »Du warst einmal Hadin gar Kan, Meisterkämpfer des Hauses Oor-tael, stimmt's?« Seufzend stellte Hammen den Stuhl wieder auf und setzte sich. »Und das ist aus dir geworden. Ein Taschendieb, ein Straßenräuber, eine Witzfigur. Ein Nichts.« »Wer bist du, daß du mich richtest?« keuchte Hammen. »Ich entkam der Nacht des Feuers. Wochenlang habe ich mich in den Kanälen versteckt, und als ich herauskam, war alles vorbei. Niemals mehr konnte ich das Mana berühren. Ich hatte meinen Meister verraten, weil ich geflohen war. Man hätte mich zu Tode gefoltert, wenn ich entdeckt worden wäre, und hätte ich meinen Beutel angerührt, wäre ich mit Sicherheit aufgefallen. Darum habe ich ihn ins Meer geworfen.« Hammen wurde von einem Schluchzen geschüttelt. »Laß mich einfach in Ruhe. Nach all diesen Jahren hatte ich fast alles vergessen. Warum mußtest du zurückkommen und die vermoderten Leichen der Vergangenheit wieder ausgraben? Es ist vorbei. Willst du mir etwa erzählen, daß ich den Palast allein hätte stürmen und den Bastard töten sollen?« Er lachte traurig, unter Tränen. »Wofür? Es war vorbei, und er hatte gewonnen.« Hammen sah zu Garth hinüber, Tränen strömten ihm über die grauen Wangen. »Und wer bist du, Garth Einauge? Ich vermute etwas, aber wer bist du?« 293
»Eine Erinnerung, sonst nichts. Nur eine Erinnerung«, sagte Garth leise. »Eine, die sich zu sterben weigert.« »Dann geh. Ich brauche keine Erinnerungen oder Alpträume, die mich wachhalten. Morgen kommt der Wanderer, und niemand kann sich ihm entgegenstellen. Zarel ist nur eine Marionette, eine hauchdünne Maske, hinter der das wahrhaft Böse lauert. Er wird dich wegwischen, als wärst du Staub im Wind. Die Posse ist vorbei. Geh jetzt.« »Ich glaube, ich bleibe und warte ab, was geschieht«, sagte Garth ruhig. Hammen stand erschöpft auf. »Ich gehe. Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Morgen wirst du tot sein, Garth, und das ganze Morden der letzten Tage wird dann vergebens gewesen sein. Ich will nicht mehr. Nichts mehr.« Er ging zur Tür und öffnete sie. »Hadin.« Der alte Mann sah zurück. »Hadin ist vor zwanzig Jahren gestorben.« »Hammen.« Hammen drehte sich so schnell um, daß Garth völlig überrascht wurde. Der Hieb mit dem Stab traf ihn an der Schläfe und schlug ihn bewußtlos. Hammen beugte sich mit trauriger Miene über ihn. Dann griff er in die Tasche, zog ein Stück Seil heraus und fesselte Garth die Hände fest auf dem Rücken. Anschließend wühlte er in Garth' Beutel, fühlte die Kraft des Mana. Die bloße Berührung jagte ihm einen Schauer über den Rücken, beschwor Erinnerungen herauf, wie der Duft einer Blume den längst vergessenen Traum einer verlorenen Liebe erwecken mag. Er nahm den Beutel und richtete sich auf. Die Erinnerungen überfluteten ihn, erfüllten ihn mit tiefer Freude, vermischt mit unendlicher Traurigkeit ob der Dinge, die geschehen und für immer vergangen waren. 294
Wieder war er jung, voller Kraft und der erste Kämpfer des Hauses Oor-tael. Noch lag sein Leben vor ihm, und die Macht dieser Erinnerungen trieb ihm Tränen in die Augen. Er sah hinab auf den ausgestreckten Körper vor ihm auf dem Boden und fühlte einen scharfen Stich im Herzen. Durch die Kraft des Mana erkannte er alles klar. So vieles hatte er geahnt, sich aber geweigert, es zu glauben. Er zwang sich, den Blick abzuwenden, und konzentrierte sich auf das Mana, bis er den gesuchten Spruch fand. Er warf ihn auf Garth, den diese Kraft auch noch Stunden, nachdem er wieder zu sich gekommen wäre, am Boden festhalten würde, bis die Wirkung des Spruches irgendwann nachließe. Er wandte sich zur Tür, drehte aber wieder um und kniete neben Garth nieder. »Galin.« Seine Stimme war nur ein Flüstern. Der alte Mann streckte die Hand aus und strich Garth liebevoll das Haar aus der Stirn, so wie er es vor vielen Jahren getan hatte, als Garth noch ein Kind war, der Sohn des Meisters von Oor-tael, der immer auf den Knien des besten Kämpfers seines Vaters saß, um eine abenteuerliche Geschichte zu hören. »Möge dich der Ewige beschützen, Junge«, murmelte Hammen. Er stand auf, hängte sich den Beutel über die Schulter und verließ den Raum. Die Tür schloß sich leise hinter ihm. »Es ist beinahe Tag.« Zarel sah erschöpft auf und nickte. »Und?« Uriah sah sich nervös um. »Rede weiter.« »Er hat Bolk während des Aufruhrs verlassen. Er hat sich auch nicht in einem anderen Haus sehen lassen.« 295
»Würdest du dein Leben für diesen Bericht verpfänden?« Uriah blieb still. »Verdammt, würdest du dein Leben dafür verpfänden?« »Ja, Herr.« »Ich will, daß den Meistern der Häuser etwas klargemacht wird. Wenn Einauge heute unter ihren Farben kämpft, werde ich meine Kämpfer auf sie hetzen, und zwar direkt in der Arena. Heute habe ich den Mob geschlagen. Er wird nicht wagen einzugreifen. Ist das klar?« »Ja, Herr.« »Uriah.« »Ja, Herr?« »Die Töpfe, die Tontöpfe. Wie?« Uriah fühlte sein Blut zu Eis werden. »Jemand hat sie der Ladung hinzugefügt. Die Kreaturen wurden beschworen und ihre Kraft durch kleine Mana-Bündel erhalten, die in den Töpfen lagen.« »Und wie kamen sie hinein?« »Ich weiß es nicht, Meister.« Zarel fesselte Uriah mit seinem Blick und tastete sich vor. Der Zwerg stand still und versuchte, seine Gedanken zu beherrschen. »Du hast Angst, Uriah.« »Ich habe immer Angst vor Euch, Herr.« »Ich glaube, daß du etwas vor mir verbirgst, ein Wissen, etwas, das nur du weißt und ich nicht.« »Das würde ich nicht wagen«, flüsterte Uriah. Schließlich nickte Zarel und wandte den Blick ab, zufrieden damit, daß der Zwerg ihm gegenüber aufgrund seiner Furcht treu ergeben blieb. »Du weißt, was zu tun ist. Sobald der Wanderer bei Sonnenuntergang geht, greifen wir das Haus Bolk an und töten Kirlen. Ich will, daß Kirlens Kopf in meinen Schoß gelegt wird, bevor die Nacht vorbei ist. Bolk muß für seine Widerspenstigkeit zerstört werden.« 296
»Der Wanderer?« »Er wird fort sein und erst nach einem Jahr zurückkehren. Was soll er dann tun?« Uriah erwiderte nichts. Ich werde außerdem die Bücher und das Mana der alten Hexe haben, dachte Zarel. Vielleicht reicht das schon aus. Wenn nicht, werden die anderen Häuser auch zerstört und ihr Mana der Kraft hinzugefügt, die notwendig ist, um den Schleier zu durchstoßen. Es muß jetzt geschehen. Mein Einfluß schwindet dank dieses verdammten Einauge. Es muß jetzt sein. »Und der Mob? Dann habt Ihr ein Stadtviertel geschaffen - nämlich das der Anhänger von Braun -, in dem gemordet wird.« »Sollen sie es doch versuchen«, knurrte Zarel. »Fentesk-Anhänger haben Bolk schon immer mehr gehaßt als die anderen. Versichere dich, daß die Reihen der Fentesk-Leute heute mit Geschenken überhäuft werden. Heute nacht sollen sie mit Blut und Wein befriedigt werden. Sie werden hinter mir stehen.« »Und ich?« »Wie ich versprochen habe. Du wirst der neue Meister des Hauses Bolk.« Uriah lächelte. »Der Wanderer wird nichts davon erfahren, was in dieser Woche hier geschehen ist. Wenn Kirlen versucht, an ihn heranzukommen, muß sie getötet werden. Wir schieben ihr die Schuld für die Unruhen zu.« »Und was ist, wenn Einauge erscheint?« Zarel zögerte. Vielleicht vermutete er mit Recht, daß dieser Einauge auf größere Beute aus war, daß er etwas gegen den Wanderer plante. Vielleicht, ja, vielleicht kann sich das zu meinen Gunsten auswirken. Aber es könnte sein, daß er doch hinter mir her ist. »Ich denke, er ist weg«, sagte Zarel gelassen. »Er muß weg sein; hier ist kein Platz mehr für ihn.« Uriah fühlte, daß die Worte seines Herrn dazu dienen 297
sollten, ihn selbst zu beruhigen und jemand anderen zu überzeugen. Der Zwerg zog sich zurück und entspannte seine Gedanken. Die Erinnerung an das Geschehen in der Arena verfolgte ihn noch immer. Während der Kämpfe war Einauge nur eine weit entfernte Figur gewesen. Aber in dem Moment, als er vor dem Thron gestanden hatte, war ihm alles klargeworden. Es war Galin, der Junge, der vor langer Zeit auf seinem buckligen Rücken geritten war, mit kindlicher Freude gelacht und ihn dann umarmt und geküßt hatte. Aber jetzt ist er ein Mann, dachte Uriah, ein Mann, der verraten werden muß, wenn ich überleben will. Stöhnend bewegte sich Garth Einauge. Er versuchte, sich zu strecken, konnte sich aber nicht rühren. Seine Arme waren gefesselt, und er bemühte sich, die Handgelenke zu drehen. Er fühlte das Seil, mit dem er gefesselt war, aber noch etwas anderes hielt ihn fest. »Er sei verflucht!« Garth versuchte, sich umzudrehen, irgendwie aus dem Zauberkreis herauszukommen, aber es gelang ihm nicht, und er lag hilflos wie ein Säugling am Boden. Die zweite Morgenglocke ertönte, als die Sonne am Horizont aufging. Sie stieg dunkel und rot durch die Rauchschwaden, die über der Stadt hingen, ihr Licht drang schräg durch die Läden des Dachfensters. »Helft mir an diesem Tag«, flüsterte er. »Helft mir endlich, euch Ruhe zu bringen, sowohl in meiner Seele als auch im Land, in dem ihr jetzt wandelt. So helft mir doch!« Minutenlang lag er still, konzentrierte sich, versuchte den Spruch durch Willenskraft zu brechen. Aber er schaffte es nicht. Schweißperlen rollten ihm über das Gesicht, in das Auge, und er betete, wandte seine Gedanken nach außen und fühlte plötzlich die Gegenwart eines anderen. 298
Die Tür öffnete sich, und eine dunkle Gestalt stand vor ihm. Er atmete beunruhigt aus. »Letzte Nacht habe ich gefühlt, daß du nach mir gesucht hast«, sagte die Gestalt mit sanfter Stimme. »Ich wußte, wo du dich versteckst; ich folgte dir von der Arena. Ich mußte kommen.« Er vernahm ihre Schritte, und sie kniete an seiner Seite. »Hammens Tat?« »Ja.« Seine Stimme war nur ein heiseres Flüstern, die Kraft des Spruchs hielt ihn noch immer fest. Sie zog ihren Dolch, und er bekam kaum mit, wie sie ihn auf rituelle Art bewegte. Sie ging um ihn herum, schwenkte den Dolch, zerschnitt die Luft über ihm, schwenkte ihn erneut. Er hatte das Gefühl, als sei eine große Last von ihm genommen worden, als der Spruch zerbarst. Keuchend setzte er sich auf, und sie zerschnitt ihm die Fesseln. »Du hast nach mir gerufen, nicht wahr?« flüsterte sie. Erschöpft von seinen Bemühungen und mit dröhnendem Kopf nickte er wortlos. »Ich habe Hammen mit deinem Beutel weggehen sehen.« »Warum bist du dann nicht schneller gekommen? Er ist seit Stunden fort.« »Ich war halbwegs seiner Meinung. Aber dann empfing ich deinen Ruf und« - sie schwieg einen Augenblick lang -, »verdammt, Garth, ich konnte nicht nein sagen.« Sie beugte sich vor und küßte ihn sanft auf die Lippen. »Genug jetzt davon«, murmelte er. »Wo zum Teufel ist der Bastard hingegangen?« »Zur Arena.« »Bitte bring mir das Bündel da in der Ecke.« Sie schritt durch den Raum und holte es. Er wischte den Schmutz ab, der daran haften geblieben war, als er es in dem Loch versteckt hatte, bevor er 299
in die Stadt gekommen war. Dann entfernte er das Hanfseil, mit dem das Bündel zusammengeschnürt war, öffnete es vorsichtig und breitete den Inhalt aus. Er verneigte sich tief und mußte sich bemühen, die Tränen zurückzuhalten, die ihm in das Auge traten. Endlich gewann er seine Fassung wieder, erhob sich und entkleidete sich. Er zögerte und sah zu ihr hinüber. »Vielleicht erinnerst du dich nicht, aber ich habe dich schon einmal angekleidet« - sie hielt kurz inne -, »zusammen mit Varena.« »Könntest du mir noch einmal helfen?« fragte Garth leise. Die Prozession schob sich die Hauptstraße entlang, die von der Stadtmitte durch das Tor bis zur Arena führte. Die Menschen, die die Straßen säumten, wirkten verstockt und applaudierten nur halbherzig, wenn einer der verbliebenen Favoriten vorbeikam. Zarel betrachtete die Menge. Sie würden es nicht wagen, irgend etwas zu tun, nicht heute, wenn der Wanderer käme. Die Menge starrte ihn schweigend an, bewegte sich kaum, wenn die Mädchen, die neben seiner Sänfte gingen, mit Münzen warfen. Die Prozession erreichte das Stadttor, und einen Moment lang sah er den Hafen unter sich. Das Wasser war von den vielen Leichen dunkel geworden, und wie rosige Schatten zeichneten sich die Haie und riesigen Aasfische ab, die dort ihre Mahlzeit einnahmen. Es gab zuviel Nahrung, und der Hafen wäre bis zur Ankunft des Wanderers nicht gesäubert. Er müßte es erklären. Der angebliche Ausbruch der Pest würde als Ausrede reichen. Die Prozession zog weiter auf die Arena zu, die bereits überfüllt war, auch die Hügel waren schwarz von Menschen, die den letzten Tag des Festes und die Ankunft des großen Gebieters sehen wollten. Die Parade bog in den Zugang ein und trat Sekunden 300
später in das gleißende Sonnenlicht, das den Arenaboden überflutete. Der weiße Sand reflektierte die Morgensonne mit strahlender Intensität. Dünner Beifall kam auf - in Erwartung der kommenden Vorführungen und nicht für den Großmeister. »Ich wünschte, dieses Lumpengesindel hätte nur einen einzigen Hals«, grollte Zarel, seinen Lieblingsspruch zitierend, wenn er vom Volk sprach. Die Prozession umrundete die Arena dieses Mal mit genügend Abstand zur Barriere, so daß niemand Zarel bewerfen konnte. Einzelne Buhrufe erklangen, und ein paar Wein- und Bierkrüge wurden geworfen. Die Agenten des Großmeisters bemühten sich, die Schuldigen zu fangen, und die Menge murrte verärgert. Als die Runde beendet war, wurden die Mammuts von Zarels Thron abgeschirrt und durch den Gang hinausgetrieben. Erwartungsvolle Stille senkte sich über die Menge. Zarel wartete ab, während die Meister der Häuser ihre Plätze am Rand des goldenen Kreises einnahmen und die sieben verbliebenen Kämpfer sich in einer Reihe unmittelbar hinter Zarel aufstellten. Er trat an den Rand des Kreises, der in den Arenaboden eingelassen war, und die vier Meister traten an seine Seite. Er sah sie der Reihe nach an, Kirlen von Bolk, Jimak von Ingkara, Tulan von Kestha und Varnel von Fentesk. »Es ist unerhört, welches Geschehen ihr zugelassen habt!« schrie Zarel voller Wut. Kirlen kicherte schamlos. »Erzählt das doch dem Wanderer. Erzählt ihm, daß Euch die Herrschaft entglitten ist. Erzählt ihm, welch unfähiger Narr Ihr seid, daß sogar ein einziger Hanin Euer Reich ins Verderben stürzen kann.« »Und wo ist er?« Zarel starrte sie nacheinander an und fühlte, daß keiner von ihnen den Mann mitgebracht hatte. »Euer Mana-Opfer?« Die vier bewegten sich widerwillig, wandten sich 301
schließlich um und sahen zu ihren Kämpfern hinüber. Zwei Kämpfer jeder Farbe kamen näher, zwischen sich trugen sie jeweils eine Kiste. Die vier Kisten wurden abgesetzt, die Luft um sie herum flimmerte durch die Kraft des konzentrierten Mana. Dann wurden die Kisten geöffnet und der Inhalt auf die goldene Scheibe geschüttet. Zarel betrachtete es und nickte. »Und Euer Mana-Opfer?« fragte Kirlen spöttisch. Zarel lachte kalt und bedeutete einem seiner Kämpfer, eine Urne herbeizutragen, die über dem bereits vorhandenen Haufen ausgeleert wurde. »Noch einmal hundert Mana«, stellte Zarel fest. »Nur ein Bruchteil dessen, was Ihr zurückhaltet. Ich glaube, Ihr tut das, um ebenfalls zum Wanderer zu werden«, zischte Kirlen. »Wie könnt Ihr es wagen?« »Ich wage es, weil es die Wahrheit ist«, sagte Kirlen. »Und wo habt Ihr diese Lüge gehört?« Sie lächelte. »Einauge.« Bei diesen Worten sah sie zu den anderen Meistern hinüber, die allesamt bestätigend nickten. »Das ist der Grund, warum Ihr stärker werdet und wir schwächer. Wir zahlen die Steuern, aber Ihr stehlt um so mehr und gebt nur einen Bruchteil ab«, knurrte Jimak. »Und Ihr glaubt den Worten eines Hanin?« fragte Zarel kühl. »Vielleicht mehr als den Euren«, mischte sich Tulan ein. »Als Ihr Großmeister wurdet und Oor-tael zerstört wurde, welches Abkommen habt Ihr da mit dem Wanderer getroffen? Daß Ihr das Mana unserer Ländereien ausbluten laßt als Gegenleistung für Eure Macht? Alle die Jahre über habt Ihr Mana gehortet!« »Seht ihr denn nicht, wer Einauge ist?« fauchte Zarel. »Er ist nicht hinter mir her - er ist hinter uns allen her.« »Die Maske ist fort«, meinte Varnel gelassen. »Das ist nun offensichtlich.« Zarel bedachte die vier Meister mit eisigen Blicken, 302
»Später, wir werden später darüber sprechen.« Er bedeutete ihnen, vom Kreis zurückzutreten. Widerwillig zogen sie sich zurück, während er in die Mitte des goldenen Kreises trat. Er schwenkte die Hände über dem geopferten Mana und sammelte seine Kraft in sich selbst. Für einen kurzen Augenblick fühlte es sich an, als könne er selbst den Schleier durchstoßen, so stark war die konzentrierte Kraft. Aber noch kannte er die Sprüche, die geheimen Formeln nicht, und die Tür blieb verschlossen. Durch den Lichtschimmer fühlte er Kirlens hungrigen Blick auf sich ruhen. Altes Weib, nach dem morgigen Tag werde ich es wissen, dachte er kalt lächelnd. Der Mob hatte in erwartungsvoller Stille ausgeharrt und erhob sich jetzt von den Sitzen. Zarel schien größer zu werden, richtete sich auf, und ein schimmerndes Licht wirbelte um ihn herum. Der Großmeister hob die Hände gen Himmel und murmelte leise die Worte, die durch die Welten schweben und den großen Herrscher, den Wanderer, rufen würden, damit er seine Wahl träfe und das Opfer der Macht annähme. Minuten vergingen, bis sich endlich etwas rührte, es war wie der sanfte Hauch des Morgenwindes, der von den Bergen herunterweht. Die Wimpel, die das Stadion umgaben, bewegten sich, zuerst träge, hoben sich, drehten sich, fielen wieder herab. Tödliche Stille senkte sich über die Arena, die Luft wurde plötzlich schwer, als braue sich ein Sturm am Horizont zusammen. Die Sonne schien am Morgenhimmel zu erblassen, ihr Licht wurde kalt und schwächer, der Himmel verdunkelte sich, obwohl nicht eine einzige Wolke zu sehen war. Die Dunkelheit vertiefte sich. Dann bildete sich oben am Himmel eine Form, ein schwarzer Punkt am Zenit des Himmels, der sich wie ein schwarzer Fleck in kristallklarem Wasser ausbreitete. Die Dunkelheit verteilte 303
sich über dem Himmel. Ein eisiger Wind donnerte heran, heulte und kreischte mit unirdischem Getöse. Die Dunkelheit wirbelte herum, drehte sich zu einem tintenschwarzen Mahlstrom zusammen, grelle Blitze zuckten und warfen ein geisterhaftes grünliches Licht auf die Erde. Die dunkle Wolke raste vom Himmel herab, übertönte die Angstschreie. Aufregung und Furcht ertönten aus einer halben Million Kehlen. Die brodelnde schwarze Wolke verharrte über der Arena, wurde von den zuckenden grellen Blitzen in feuriges Licht getaucht. Wieder drehte sie sich in sich selbst und schien Gestalt anzunehmen: Ein dunkler Kopf spähte nach unten, die Augen schienen aus Feuer, der Bart aus Blitzen zu bestehen, geisterhafte Flammen bildeten die Brauen. Der Mob hatte sich in eine wahnsinnige Ekstase gesteigert, man schrie, deutete mit aufgerissenen Mündern und zitternden Fingern auf die dunkle Form. Besessenheit hatte das Volk ergriffen, so daß es vor Furcht und finsterer Hingabe aufbrüllte. Die Dunkelheit wirbelte herab und berührte den goldenen Kreis. Zarel wich mit geneigtem Kopf zurück. Eine schwarze Säule stand jetzt dort, ragte fast hundert Faden hoch, umgeben von tanzenden Feuerkreisen, die donnerten und blitzten. Der Kopf wurde zurückgeworfen, der Mund war geöffnet. Ein böses kaltes Lachen prallte wie Donnergetöse gegen die Hügel. Feurige Augen starrten hungrig auf diejenigen, die es anbeteten, die es fürchteten, und jene, die es mit abgewandten Augen verabscheuten. Die Säule verkleinerte sich, fast als sinke sie in sich zusammen. Ein ungeheures Krachen erklang, ein greller Blitz zuckte nieder, so daß sich alle geblendet abwenden mußten, die Augen bedeckten und vor Schmerz aufschrieen. In der Mitte des goldenen Kreises stand der Wanderer der Welten in seiner menschlichen Form, eine hohe 304
schlanke Gestalt, die irgendwie unwirklich erschien, groß und schwankend, angetan mit schwarzen Gewändern. Der Wanderer schien da zu sein, gleichzeitig jedoch auch wieder nicht, beinahe so, als wäre er nur ein Nebelhauch, der sich auflösen würde. Er blickte sich langsam um, ein Lächeln lag auf den blutleeren Lippen. In der einen Sekunde wirkte es wie ein freundliches Lächeln, warm und heiter, und dann wieder schien es ein gerissenes, machthungriges Grinsen zu sein, voller Verachtung für alle jene, die niemals ganz erfassen würden, wie er wirklich in seiner Dunkelheit und Majestät war. Er sah auf die Mana-Bündel zu seinen Füßen hinab und nickte beifällig. Die Bündel gewährten ihm Zugang zur geistigen Kraft, die das Land beherrschte. »Das Opfer ist gut.« Seine Stimme war nur ein Flüstern, aber sie wurde selbst in den hintersten Ecken der Arena vernommen. Beim Klang seiner tiefen und kraftvollen Stimme brach der Mob in wilden, kreischenden lubel aus, als sei der Schrecken fortgespült worden. Der Wanderer lehnte sich zurück und stieß ein freudiges Lachen aus. Wieder einmal hatte er menschliche Gestalt angenommen, und ihn erfüllte Freude darüber. Das schattenhafte Aussehen fiel von ihm ab, und er bestand wieder aus Fleisch und Blut. Sein Anblick - er sah aus wie ein junger goldener Gott voller Macht und geballter Lebenskraft - brachte das Volk beinahe um den Verstand. Der Wanderer trat aus dem Kreis heraus, und aus den Reihen der Krieger traten Männer, die schwere Urnen trugen und sie über seinen Schultern ausleerten, so daß der goldene Inhalt über ihn herabströmte. Er lachte vor Freude, als er die Goldmünzen aufhob und sie mit leuchtenden Augen befühlte. Jimak sah schweigend zu, er atmete heftig beim Anblick der Reichtümer. Der Wanderer warf die Hände nach oben, und die Münzen wurden wie von einem Windstoß fortgetragen, wirbelten 305
wie goldener Regen in das Stadion und auf die Köpfe der Menge. Andere Träger kredenzten ihm die besten Weine, und er trank gierig, schüttete den Inhalt der Becher nur so in sich hinein, und Tulan leckte sich die Lippen beim Duft des Weines. Hinter den Reihen der Krieger kamen jetzt Frauen in durchsichtigen Gewändern hervor, die so zart wie die Netze einer Spinne gewebt waren. Einige waren groß, mit blasser Haut und goldenen Haaren; andere dunkelhäutig mit schwarzen Locken; und wieder andere sehr exotisch, aus fernen Ländern, die nur aus Fabeln bekannt waren. Varnel stand schweigend da, er zitterte bei ihrem Anblick. Sie waren von unterschiedlicher Statur, schlank und knabenhaft, üppig und sinnlich, groß und dunkel, und der Wanderer faßte begierig nach ihnen, streichelte, griff zu, lachte, und das Volk jubelte aus vollem Hals. Während er dies tat, sah er Kirlen an, und die alte Frau blickte schweigend und haßerfüllt zurück. Lachend wandte er sich ab. »Es ist Zeit für die Spiele!« verkündete der Wanderer mit grausamer Stimme, und der Mob brüllte vor Begeisterung. Der Wanderer breitete grüßend die Arme aus, die schweren Muskelstränge spielten unter der Haut, er dehnte sich genüßlich, zog die Frau seiner Wahl mit einer Hand an sich, streichelte sie lüstern und griff mit der anderen Hand nach einem Pokal mit Wein. Er zwang sie, davon zu trinken, dann hielt er den Becher hoch, grüßte die grölende Menge. Er stieg zum Thron hinauf, den Zarel für ihn geräumt hatte. Dann lehnte er sich zurück, schaute in den blauen Himmel, der sich über seinem Kopf erstreckte, und blieb schweigend, und seine Gesichtszüge wurden fremd und abweisend. Plötzlich kam wieder Bewegung in ihn, und sein dunkles Lachen übertönte den Lärm der Menge, so daß das Stadion von seinem schallenden Gelächter widerhallte. 306
Nun nahm er den Thron in Besitz, küßte die Frau mit wilder, leidenschaftlicher Lust wie ein brünstiges Tier und riß ihr das Gewand vom Leib. Genauso schnell ließ er sie los, stieß sie zur Seite und winkte nach Wein und Speisen. Er verschlang die Köstlichkeiten wie jemand, der aus einem Fiebertraum erwacht und nun dringend Nahrung brauchte. Schließlich warf er den Becher zur Seite, kippte das Tablett mit den Speisen um und blickte über die Arena. »Wählt den ersten Kampf aus!« Am Fuß des Thrones bedeutete Zarel dem blinden Mönch, das erste Paar zu wählen. »Azema von Kestha gegen Jolina von Ingkara.« Der Mob jubelte blutgierig und schwärmte auf die Wettstände zu, um Wetten abzuschließen. Der gesamte Arenaboden stand den Kämpfenden jetzt zur Verfügung, und ein paar Minuten später trat Jolina vor, während am nördlichen Ende der Arena Azema von Kestha in die neutrale Ecke ging, um sich vorzubereiten. Der Wanderer stand auf, grinste, überblickte das Stadion und wartete darauf, daß der Mob die Wetten beendete. »Wie verlaufen die heutigen Kämpfe?« fragte er und sah zu Zarel hinab. »Zu Eurer Ehre, mein Gebieter, finden heute nur tödliche Kämpfe statt.« Der Wanderer starrte ihn an, tastete sich prüfend vor. »Warum?« flüsterte er, so daß nur Zarel ihn hören konnte. »Ich kann das später erklären, mein Gebieter.« »Es wird böses Blut zwischen den einzelnen Häusern geben.« »Es gibt bereits böses Blut. Die Zeit ist gekommen, es zu reinigen.« »Und jener, von dem du mir berichtet hast?« »Sieger oder Verlierer, mein Gebieter, er gehört Euch. Die Häuser wurden erneut zu stark; man mußte ihnen 307
einen Teil ihrer Kraft abzapfen. Auf diese Weise können sie nicht gegen Eure oder meine Macht angehen.« »Ich hoffe, du hast recht, Zarel, oder dies ist dein letzter Tag als Großmeister.« »Ich habe recht, mein Gebieter, und ich tue dies Euch zu Diensten.« Der Wanderer nickte und blickte wieder in die Runde. »Dann auf Leben und Tod!« Hammen, der einst als Hadin gar Kan bekannt war, schlüpfte durch die Reihen der Arena und erhaschte hin und wieder Blicke auf den Kampf. Seine Sicht wurde durch die dichtgedrängten Menschen versperrt, die auf den Bänken standen und wie verrückt auf und ab sprangen. Detonationen erschütterten das Stadion, die beiden Gegner waren in einen grausamen Kampf verstrickt. Die dreihundert Faden lange Arena wurde beherrscht von Feuer, kämpfenden Kreaturen, Dämonen, Rauchschwaden, fliegenden Geschöpfen und geheimnisvollen dunklen Wolken. Auf dem großen Gelände konnten sich jetzt alle Kräfte entfalten, niemand wurde mehr durch die Enge der Auswahlringe der vergangenen Tage zurückgehalten. Während die Zuschauer drängten und schoben und hin und her schwankten, fand Hammen immer wieder kleine Lücken, durch die er schlüpfen konnte, um sich der Arena zu nähern. Er bewegte sich zielstrebig, wich dem Blick der Krieger aus, die überall im Publikum verteilt waren, und hielt Ausschau nach Zareis Agenten, die ihre Stellungen eingenommen hatten, um jeden zu verhaften, der Unruhe stiften wollte. Er bewegte sich wie ein Schatten, eine Übung, die er in den zwanzig langen Jahren nicht verlernt hatte, seitdem er zuletzt Mana berührt und benutzt hatte. Und die ganze Zeit über verfolgte ihn die Erinnerung daran, wer er einmal gewesen war. Warum war Garth in sein Leben getreten? Warum mußte er alles wieder heraufbeschwören, alles, was ein308
mal gewesen war, als es das Haus Oor-tael noch gab, das für alles stand, was die Welt der Kämpfer einmal bedeutet hatte? Ihm war, als bewege er sich in einem Traum und wandere durch eine dunkle Welt der Verlassenheit, in einem Traum, der zerstört war und bald für immer sterben würde. Er war gestorben. Das sagte er sich seit zwanzig Jahren immer wieder. Er war gestorben in jener Nacht, als der Wanderer die Kraft gesammelt hatte, um nicht länger ein Sterblicher dieser Welt, nicht länger nur einfach Großmeister zu sein, sondern die Macht eines Halbgottes zu erlangen und zwischen den Welten zu wandern und in unbekannten Reichen zu kämpfen. Als einziges standen ihm das Haus Oor-tael und die Weigerung des Meisters, Garth' Vater, im Weg, einen Teil des von ihm kontrollierten Mana abzutreten, um den Kreis der Kraft zu schließen. Denn ohne die Farben, die das Haus Oor-tael beherrschte, konnte der Kreis nicht geschlossen werden. Darum war das Haus Oor-tael in der letzten Nacht des Festes vor zwanzig Jahren gestürmt worden, und die anderen Häuser hatten sich verschworen, den Rivalen niederzuwerfen und dem Wunsch des Wanderers Folge zu leisten. Und so gelangte dieser in die Lage, sich zwischen den Welten zu bewegen. Er hatte seinen Assistenten zurückgelassen, der an seiner Stelle regieren und alles verdrehen und verderben sollte, was noch übrig war. Der Alptraum der Feuernacht überflutete Hammen, der einmal der beste Kämpfer des Hauses Oor-tael gewesen war, denn er war geflohen, als man das Haus stürmte. Geflohen, weil er glaubte, daß es nichts mehr gebe, wofür man kämpfen könne. Ich hätte damals sterben sollen, dachte er. Ich hätte meinem Meister und seiner Familie zur Seite stehen und mit ihnen sterben sollen. Aber ich floh in die Tiefe der Erde, um mich zu verstecken, und als Hammen der Dieb, der Bettler, 309
der Meister einer niederen Bruderschaft, kam ich wieder heraus. Ich hätte sterben sollen. Ich hätte sterben sollen. Er bahnte sich einen Weg zur Trennwand, gerade als der Kampf seinen Höhepunkt erreichte. Varena von Fentesk riß die letzte schützende Barriere ihres Kestha-Gegners nieder. Der Mann brach zusammen. Sie zögerte, sah kurz zum Thron hinauf. »Erledige ihn!« Die Menge vernahm die dröhnenden Worte des Wanderers. »Erledige ihn! Erledige ihn!« Varena erhob die Hand, und der graue Kämpfer verschwand in einer blutroten Wolke. Sie ging zu dem Platz, an dem der Körper gelegen hatte, und hob den Beutel ihres Rivalen auf. Mit gesenktem Kopf ging sie davon und beachtete den Beifall des Volkes nicht. »So endet die sechste Runde«, verkündete Zarel, »Igun von Ingkara gewann die sechste Runde durch Nichtantritt des Gegners. Nun beginnt die siebente Runde.« Hammen drängte sich weiter vor, kletterte auf die Mauer und sprang in den Sand. Mehrere Kämpfer kamen auf ihn zu, und er hob den Arm, brachte sie zu Fall. »Ich stehe hier als Zeuge für Einauge, der sich das Recht verdient hat, heute zu kämpfen!« rief Hammen und sammelte das Mana, das in dem Beutel enthalten war, der nun an seiner Hüfte baumelte. Seine Stimme schallte durch die Arena, und der Mob, erschrocken über den Zwischenfall, wurde still. »Er ist ein Hanin, ohne Farbe!« schrie Zarel. »Er darf nicht kämpfen.« Der Wanderer stand auf und blickte auf Hammen hinunter. »Ich bin Hadin gar Kan, erster Kampfmeister des 310
Hauses Oor-tael, Leibdiener von Garth Einauge, und ich bin sein Zeuge.« »Hadin.« Die Stimme des Wanderers war ein rauhes Flüstern, als ob er sich halbwegs erinnern würde. Hammen schritt in die Mitte der Arena. »Er hat das Recht zu kämpfen gewonnen.« »Und wo ist er?« fragte der Wanderer, und seine Stimme hallte durch die Arena. »Fort.« Der Wanderer lachte. »Und was willst du, Bettler?« »Als sein Diener habe ich das Recht, an seiner Statt zu kämpfen. So lauten die uralten Gesetze, die es schon gab, als Ihr diese Welt noch nicht verdunkelt hattet.« Der Wanderer lehnte sich lachend zurück. »Fein. Es wird ein Spaß sein, dir beim Sterben zuzusehen.« Aber noch während er sprach, brach Jubel auf der Südseite der Arena aus, direkt an der Spitze der Sitzreihen. Einen Moment lang glaubte der Wanderer, daß man ihm zujubelte, und blickte über die Schulter zurück. Der Jubel breitete sich aus, ein Weg öffnete sich an der Seite des Stadions, und die Menge wich zurück. Garth Einauge näherte sich der Mauer und sprang darüber, gefolgt von der Frau aus Benalien. »Einauge!« Der Ruf wurde aufgenommen und auf einer Woge der Begeisterung weitergetragen. Garth schritt über den Sand und blieb vor Hammen stehen. »Was zum Teufel tust du hier?« flüsterte er. »Ich habe versucht, dein verdammtes, blödes Leben zu retten«, erwiderte Hammen matt. »Auf diese Art?« »Wenn ich getötet worden wäre, hätte man deinen Beutel genommen, du wärst machtlos gewesen. Du hättest gehen müssen.« Er zögerte. 311
»Einmal habe ich versagt, dich zu retten; ich dachte, ich könnte es jetzt schaffen«, sagte der alte Mann und senkte den Kopf. »Du hast nicht versagt«, flüsterte Garth, »und du hast auch meinen Vater nicht im Stich gelassen. Du bist geflohen, als du um nichts mehr kämpfen konntest. Als mein Vater bereits tot war.« Hammen sah ihn an und lächelte traurig. »Du sagst es, und auch diesmal kann ich nichts mehr tun.« »Du kannst damit anfangen und mir meinen Beutel zurückzugeben.« Hammen nahm den Beutel von der Hüfte und reichte ihn Garth. Der trat einen Schritt zurück, riß sich den Umhang von den Schultern und enthüllte die Kämpfertunika des Hauses Oor-tael. Beim Anblick der verbotenen Farben ging ein verblüfftes Raunen um. Garth warf sich den Beutel über die Schulter. »Ich beanspruche das Recht auf einen Kampf. Man kennt mich als Garth Einauge. Ich bin der Sohn Cullinarns, des Meisters des Hauses Oor-tael.« Zarel trat vor und bedeutete seinen Kämpfern, ihn zu umzingeln, aber er wurde wie von einer unsichtbaren Hand aufgehalten. Das höhnische Lachen des Wanderers flog durch die Arena. »Sehr lustig. Ich mag solche Scherze. Du darfst kämpfen.« Garth drehte sich um, ohne den Wanderer zu beachten, und ging zum anderen Ende der Arena. »Verdammt, Garth, entweder tragen sie dich mit den Füßen zuerst hinaus, oder der Bastard nimmt dich mit.« »Ich weiß.« »Und was soll das?« Garth sah ihn an und lächelte. 312
»Habe ich dir nicht gleich zu Anfang gesagt, daß du es schon erleben wirst, wenn du bei mir bleibst?« Hammen sah Norreen wütend an. »Vielen Dank.« »Du hättest mir sagen sollen, daß ich mich da heraushalten soll.« »Hätte das etwas geändert?« »Nein.« »Ihr seid beide verrückt«, fauchte Hammen, während er sich bemühte, mit Garth Schritt zu halten. Der schüttelte lachend den Kopf. »Hast du unser Geld noch?« »Ja.« »Dann geh und setz es auf Sieg. Du wirst das Geld brauchen, wenn das hier vorbei ist.« »Zum Teufel. Ich bleibe hier unten bei dir.« Garth sah Norreen an. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe.« »Nur gut, aber wenn es vorbei ist und ich nicht mehr da bin, werden sie euch töten.« »Nett von dir, dich jetzt um uns zu sorgen«, knurrte Hammen. Als sie auf die neutrale Ecke am Ende der Arena zugingen, kamen sie an den Reihen der Bolk-Kämpfer vorbei. Davor stand Naru, der Garth mit geballter Faust grüßte, und ihn mit besorgtem Blick musterte. »Zu schade, du stirbst, oder er nimmt dich mit«, sagte Naru. »Dann bist du im nächsten Jahr der Champion«, antwortete Garth, und der Riese grinste. Garth betrat die neutrale Ecke, die Leute drängten zu den Wettständen, um Wetten abzuschließen, aber der Wanderer ließ ihnen keine Zeit. »Kämpft!« Die Schlacht war nach zehn Minuten vorbei. Das Volk beobachtete in respektvollem Schweigen, wie Garth augenblicklich angriff, die finsteren Sprüche seines Geg313
ners mit Leichtigkeit unschädlich machte, die Kraft seines Mana zerschmetterte und den tödlichen Streich durch den Kriechwurm ausführen ließ. Er zögerte vor dem letzten Schlag, aber sein Rivale nutzte dieses Zögern, um wutentbrannt eine Dämonenattacke zu beginnen, und Garth hielt den Kopf gesenkt, als der Wurm sich nach vorn warf und den Kämpfer verschlang. Er stand inmitten der Arena, achtete nicht auf den Jubel des Publikums, als er den Beutel seines Gegners aufhob, und ging dann zu einem Platz, der sich zwischen den Reihen von Ingkara und Kestha befand, einem Platz, an dem vor langer Zeit die Kämpfer des Hauses Oor-tael gesessen hatten. Zarel sah zum Wanderer hinauf. »Er ist gefährlich.« »Natürlich ist er gefährlich; hätte er sonst zwanzig Jahre lang versteckt leben können? Du hast mir versichert, er sei tot.« Zarel blickte weg und die Stimme peitschte durch seine Gedanken. »Du hast mir versichert, er sei tot.« »Ja.« »Aber du hast die Leiche nicht gesehen.« Zarel zögerte. »Nun?« »Er war nur ein fünfjähriger Junge. Er konnte das Feuer nicht überlebt haben.« Zarel bemühte sich, die Gedanken zu ordnen, die Erinnerungen an jene Nacht. An den Jungen, der vor ihn geschleppt worden war, dem er das Auge herausgedrückt hatte, um den Vater zu quälen, und daran, wie ihn der Junge, trotz der Qualen, die er ausstehen mußte, eisig mit dem einen Auge anstarrte. Sein Vater kämpfte verzweifelt im Haus, das bereits von Flammen eingeschlossen war. Und er erinnerte sich an den Schmerzensschrei, den 314
der Vater ausgestoßen hatte, als er den Jungen sah, und wie er darum bat, sein Leben für das des Kindes geben zu dürfen. In dem Augenblick hatte sich der Junge von dem Wächter losgerissen und war in das brennende Haus gelaufen. Er war tot, er mußte tot sein. Wieso habe ich nicht erkannt, daß er es ist? wunderte sich Zarel. Aber es war nur ein unbedeutender Junge gewesen, ein Nichts, ein Pfand für einen kurzen Handel. »Narr! Er ist jetzt da draußen.« »Und er wird die Arena tot oder mit Euch verlassen«, erwiderte Zarel hastig. »Das weiß er«, gab der Wanderer zurück, und Zarel fühlte seine Verunsicherung. Er hat Angst, erkannte Zarel. »Er weiß das. Er weiß, daß er nicht entkommen kann. Deshalb hat er irgend etwas geplant. Nach all diesen Jahren kommt er nicht hierher, um Selbstmord zu begehen.« »Habt Ihr Angst, mein Gebieter?« fragte Zarel ruhig, sah zum Thron hinauf und verspürte sofort einen wütenden Schlag. »Ich töte ihn, wie ich alle töte, die das Fest gewinnen«, antwortete der Wanderer zornbebend. »Und ich denke, ich werde dich auch töten, weil du diese Welt nicht besser beherrschst.« Zarel bemühte sich, den Angstschauer zu unterdrücken, und fühlte das kalte Lachen seines Gebieters. Dann drehte er sich zu Uriah um, und eine Erkenntnis dämmerte ihm. Irgendwie hatte der Zwerg von Anfang an alles gewußt. Narr. Er hatte sein Wissen aus perverser Treue und Gefühlsduselei für sich behalten. Uriah erwiderte den Blick, und Zarel lächelte, als wäre alles in bester Ordnung. Später würde noch Zeit genug bleiben für eine ganz besondere Folter. »Bereite den nächsten Kampf zu meiner Unterhaltung vor«, grollte der Wanderer ärgerlich. 315
Garth beobachtete die Anzeigentafel und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als er sah, daß er Varena noch nicht gegenübertreten mußte. Sie würde gegen einen Kämpfer ihres eigenen Hauses antreten. Als er geräuschvoll ausatmete, merkte er, daß Norreen ihn anstarrte. »Sie ist eine Freundin. Es gefällt mir nicht, was ich tun muß.« »Daran hättest du früher denken sollen«, sagte Hammen. »Gleichgültig, wie es endet - jeder, der heute die Arena betritt, wird sterben; ich möchte es nur nicht selbst tun.« Wieder blickte er Norreen an, deren Blick noch immer auf ihn gerichtet war. »Bist du eifersüchtig? Ist es das?« wurde sie von Hammen geneckt. »Eine Benalierin braucht niemanden außerhalb ihres Clans.« Hammen lachte grob und spuckte auf den Boden. »Bald seid ihr beide tot, dann hat sich die Frage erledigt.« Garth lächelte und schwieg. In der Arena hatte der nächste Kampf begonnen, und Varena wurde sofort in die Defensive gedrängt, als ihr Gegner sie mit flüssigem Feuer angriff. Sie errichtete eine Wand, um ihn aufzuhalten, und er antwortete mit einem Erdbeben, das die gesamte Arena zum Erzittern und die Wand zu Fall brachte. Varena setzte Luftangriffe stechender Insekten dagegen und sogar einen absonderlichen Ballon, der mit Goblinkriegern gefüllt war. Der Ballon wurde von elfischen Bogenschützen vernichtet, deren Pfeile sich in Flammen verwandelten und den Ballon in Brand setzten. Zweimal wurde Varena zu Boden geworfen, und der Mob kam grölend auf die Beine, da er glaubte, der Kampf sei vorbei. Und zweimal erholte sie sich wieder. Beim zweiten Mal sammelte sie genügend Mana, um 316
nach vorn zu springen und brutale Gegenschläge auszuteilen, die ihr Gegner immer kraftloser parierte. Sie kam näher und brach seine Verteidigung nieder. Dann, mit einem letzten Angriff, vernichtete sie ihn durch eine Kombination aus Himmelsfeuer und einem geistigen Schlag, der ihre eigene Kraft verbrauchte, ihn aber endgültig zerstörte. Langsam verließ sie das Feld, und ihre Dienerin rannte zur Leiche des Gefallenen, um den Beutel zu holen. »Das heißt, ich werde ihr gegenüberstehen«, sagte Garth leise. »Wenn du den nächsten Kampf überlebst.« »Gilganorin von Ingkara gegen Garth von Oor-tael.« Die Stimme des Wanderers klang belustigt und höhnisch zugleich. Garth stand auf und ging zur neutralen Ecke hinüber. Die Menge jubelte lauthals, und Blumen regneten auf ihn herab. Er betrat die neutrale Ecke und bereitete sich konzentriert vor. »Kämpft!« Überrascht blickte er auf. Der Wanderer lachte über den Spaß, daß er den Kampf ohne Ankündigung freigegeben hatte. Garth bückte sich tief und rannte auf die Seite der Arena, als eine schwarze Wolke heransegelte und über seinem Kopf anhielt. Säure regnete auf den Platz, an dem er gestanden hatte. Dann öffnete sich ein Spalt im Boden, und er sprang zurück, als Steinriesen herauskletterten, mit ihren schweren Kriegskeulen zuschlugen und den Boden rechts und links von ihm zerschmetterten. Er bemühte sich, eine Wand zu errichten, aber sie barsten hindurch, und ihre Stimmen hörten sich an wie das Echo aus einer geisterhaften Höhle. Er sammelte seine Gedanken und griff das Mana seines Gegners an, dessen Kraft durch den Ansturm ausgesaugt wurde. Die Steinriesen fielen zu Steinhaufen zusammen. 317
Mit großem Anlauf sprang Garth über den Erdspalt und baute eine Barriere aus lebendem Gestrüpp und Bäumen auf. Wieder rief er den Kriechwurm, während Gilganorin Feuerattacken aussandte, die den Wald in Flammen setzten. Der Kriechwurm wurde von einem dunklen Elementar vernichtet, den Garth wiederum durch einen von ihm erschaffenen Elementar vernichtete. Gilganorin bewegte sich ebenfalls langsam vorwärts, lenkte Garth mit kleineren Angriffen von Insekten, Ratten, Wölfen und Untoten ab. Garth erwiderte sie alle und ging in die gleiche Offensive, benutzte Kreaturen, für deren Erschaffung nur wenig Mana notwendig war, und sammelte seine Kraft für den tödlichen Schlag. Er fühlte, daß er sich im Vorteil befand, da Gilganorin kein Mana sammeln konnte, weil er plötzlich in die Defensive gedrängt worden war und Attacken abwehren mußte. Schließlich mußte er sogar Schutzkreise errichten, um sich vor Angriffen zu schützen, die ihm Schaden zufügen konnten. Doch dann plötzlich, zu Garth' Verblüffung, hörte Gilganorin auf zu kämpfen und streckte die Hände in der Geste der Unterwerfung und des Aufgebens mit den Innenflächen nach unten aus. Garth nickte zustimmend, hielt seine nächste Attacke zurück und schickte die Berserker wieder ins Nichts zurück, woher er sie gerufen hatte. Er streckte die linke Hand mit der Innenfläche nach unten aus, als Zeichen, daß er die Unterwerfung annahm, während er die rechte hochstreckte, zum Zeichen seines Sieges. Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge. Normalerweise bedeutete dies das Ende eines Kampfes, wenn ein Gegner wußte, daß er besiegt und weiterzukämpfen aussichtslos war. Aber dies sollte doch ein tödlicher Kampf sein! »Ich habe nicht um einen tödlichen Kampf gebeten!« rief Garth. »Ich nehme deine Aufgabe an. Du kannst deine Sprüche behalten.« 318
Gilganorin verneigte sich tief und drehte sich um, um zu seinem Platz zurückzukehren... und dann hörte er einfach auf zu existieren. Ein Zylinder aus Dunkelheit schien sich um ihn zu wickeln, Blut spritzte heraus, und schon war der Zylinder verschwunden. Übrig blieb nur eine Blutlache, die im Sand versickerte. »Wenn ich sage, es ist ein tödlicher Kampf, dann ist es auch ein tödlicher Kampf!« schrie der Wanderer wutentbrannt und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, mit der er sich während des Kampfes vergnügt hatte. Die Zuschauer stöhnten auf, und Garth merkte, daß viele von ihnen erbost waren, denn Gilganorin war ein alter Favorit gewesen, der seit einigen Jahrzehnten immer wieder in die Endrunden gekommen und dafür bekannt war, daß er sein Preisgeld noch Wochen nach dem Fest freigiebig für Lokalrunden an seine Anhänger ausgab. Verärgert über den Protest beim Tod des Favoriten, ließ der Wanderer von seinem Zeitvertreib ab und winkte mit der Hand. Eine Wolke bildete sich über der Arena, und die Menschen schwiegen, waren unsicher, was er wohl tun würde. Immerhin war er der Wanderer, und auch wenn er vielleicht nicht die Macht hatte, mit einer halben Million Menschen gleichzeitig fertig zu werden, konnte er doch mehrere Zehntausend vernichten, bevor er fliehen mußte. Die Wolke verdunkelte sich, und silberne Geldstücke fielen heraus. Man drängte sich danach, sie aufzuheben, aber man spürte keine Dankbarkeit - es war nur Geld, weiter nichts. Der Wanderer lehnte sich auf seinem Thron zurück und beobachtete die Menge. »Was ist los mit diesem Pöbel?« fragte er Zarel leise. »Ihr habt einen seiner Favoriten getötet.« »Na und, er hat mir nicht gehorcht.« »Das sehen sie vielleicht anders.« »Angenommen, ich würde als Antwort die Stadt verbrennen?« 319
»Das würde Euch wiederum schaden, mein Gebieter. Ohne die Bauern und den Pöbel bildet sich das Mana, die Kraft der Erde, viel langsamer. Der Tribut des nächsten Jahres wäre dann geringer.« »Verflucht sollen sie sein«, zischte der Wanderer. Er blickte wieder auf die Frau, die ihn erwartete, und deutete mit einem wütenden Fluch auf sie. Sofort verzerrte sich ihr üppiger jugendlicher Körper und verwandelte sich in zerfressenes, schlaffes, faltiges Fleisch, ihr Gesicht wurde zu einer schamlosen Fratze mit offenen Wunden. Sie sah an ihrem Körper hinab und schrie entsetzt auf. Lachend warf er sie vom Thron, so daß sie die Stufen bis zum Arenaboden hinabfiel. Sie hörte nicht auf zu schreien, bis er schließlich, verärgert über das Geheul, wieder auf sie deutete. Nur eine Masse kochenden Fleisches blieb von ihr übrig. Der Mob hatte schweigend zugesehen, und der Wanderer sah ihn an - wütend, daß man seinen Sinn für Humor nicht würdigte. Er wies auf ein anderes Mädchen und bedeutete ihm, zu ihm zu kommen. Zitternd stieg es die Stufen hinauf. »Laßt uns zum letzten Kampf kommen. Der wird alle erfreuen«, kündigte der Wanderer an. »Es ist Zeit für das Mittagsmahl.« »Zuerst kämpfen, dann speisen.« Garth hatte im Schatten der Arenamauer gelegen und schaute jetzt auf. Er setzte sich hin und blinzelte in die helle Mittagssonne. Eine seltsame Stille lag über dem Stadion, als auf der Anzeigetafel der Kampf zwischen Garth und Varena angekündigt wurde. Er hörte, wie die Zuschauer in den Reihen das Gerücht diskutierten, daß die beiden ein Liebespaar seien. Er blickte zu Norreen hinüber, die an die Mauer gelehnt saß und gelassen ihre Klinge mit einem Wetzstein schärfte. »Hör zu, wie ich schon gesagt habe«, seufzte Garth, »es hat wirklich nichts bedeutet.« 320
»Da, wo ich herkomme, vereinigen wir uns, bis die Kasten wechseln und der Auserwählte über oder unter uns steht. Wenn man von diesem Gesetz abweicht, lädt man die Rache des anderen und seiner Familie auf sich.« »Wir haben uns aber gar nicht dauerhaft vereinigt, wie du so schön sagst, also wurde auch kein Gesetz gebrochen.« »Du wolltest es aber mit mir tun, nicht wahr?« »Begehren und Bekommen sind zwei verschiedene Dinge.« »Eins führt zum anderen.« »Und, hast du mich begehrt?« Sie zog ihre Klinge heftig über den Stein und sah ihn an. »Jetzt ist es zu spät, Einauge.« »Hättest du ihn da hinten in seinen Fesseln gelassen«, mischte sich Hammen ein, »dann hättest du ihn dir nehmen können.« »Und du wärst jetzt tot«, meinte Garth. »Vielleicht auch nicht. Ich war der beste Kämpfer von Oor-tael.« »Vor zwanzig Jahren. Hammen, ich glaube, du bist ein wenig eingerostet.« »Vielen Dank für diese Worte des Vertrauens.« Eine Fanfare ertönte, und die Menge, die bis jetzt schweigend den Wanderer betrachtet hatte, bewegte sich. Hammen drehte sich um und sah auf die Tafel. »Sie bringen die Quoten an.« »Der letzte Kampf.« Die Stimme des Wanderers schwebte über der Arena. »Garth von Oor-tael, Varena von Fentesk. Kommt nach vorn zum Thron.« Garth stand auf und rückte den Beutel zurecht, der prall gefüllt war mit gewonnenen Preisen. Er sah auf Norreen hinunter. »Ich glaube, am besten bleibst du hier hinten. Das Ri321
tual läßt nur den Kämpfer und seinen Diener zu. Wenn du seine Aufmerksamkeit auf dich lenkst, könnte das unangenehme Folgen für dich haben.« Norreen nickte. »Irgendwie hoffe ich, daß du einen Plan hast und daß wir uns eines Tages wiedersehen.« Garth lachte sanft. »Endlich ein Eingeständnis von Zuneigung!« Sie stand auf, ließ ihr Schwert fallen, streckte die Hände aus, riß ihn heftig an sich und küßte ihn mit wilder Leidenschaft. Die Zuschauer, die sich über die Mauer gebeugt hatten, um zuzusehen und zu lauschen, jubelten laut. Norreen trat zurück. »Verdammt. Sieh nur, wozu du mich gebracht hast. Ich habe die Regeln der Kasten gebrochen.« Die Stimme drohte ihr zu brechen. »Bleib dicht bei Hammen, wenn es vorbei ist, und sorg dafür, daß der alte Kerl lebend entkommt. Ich bitte dich, seine Schildträgerin zu werden.« »Verdammt! Das ist etwas für Fürsten!« murmelte Hammen. Garth lächelte und wandte sich ab, trat hinaus in die Arena. Als er mit Hammen an der Seite über den sandigen Boden schritt, kam das Volk auf die Beine und applaudierte. Er winkte lässig und ging um den Spalt im Boden herum, der beim vorherigen Kampf entstanden war und zu dem zwanzig Mammutgespanne Wagenladungen voller Erde bringen mußten, um ihn wieder zu schließen. Von der anderen Seite des Feldes sah er Varena näher kommen, und er wandte sich vom Thron ab und ging ihr entgegen. Sie blickte ihn lächelnd an. »Du weißt, daß ich kämpfe, um zu gewinnen. Ich muß das tun.« »Weißt du eigentlich noch, wofür du in Wirklichkeit 322
kämpfst?« fragte er, während sie nebeneinanderhergingen. »Dafür habe ich gelernt, für diesen Moment.« »Und danach?« »Werde ich die Dienerin des Wanderers in anderen Welten sein, Mysterien werden offenbar, an seiner Seite kann man wie ein Gott zwischen den Welten wandern.« Garth schüttelte traurig den Kopf. »Und dafür würdest du mich töten?« Sie sah lächelnd zu ihm hinüber. »Ist das nicht auch deine Absicht? Du hast gesehen, was Gilganorin widerfahren ist. Es gibt kein Zurück mehr, Garth. Nur einer von uns wird gehen. Es tut mir nur leid, daß ich es mit dir auskämpfen muß.« »Kämpfer, freunde dich nicht mit einem anderen Kämpfer an«, sagte Garth gelassen. Varena lächelte traurig und nickte. Vor dem hohen Thron schwiegen sie, ihre Diener blieben am äußeren Rande des goldenen Kreises stehen. Der Wanderer kaute an einem gebratenen Stück Schweinefleisch und blickte lächelnd auf sie herab. »Wer von euch wird es sein?« fragte er. Niemand antwortete. »Weißt du, Garth, dies ist alles recht amüsant. Ich glaube, du fühlst etwas für diese Frau - und sie für dich. Und doch würdet ihr das opfern, um mir zu dienen und die letzten Mysterien zu ergründen.« »Würdet Ihr uns nicht lieber jetzt in die Mysterien einweihen und den Aufwand eines Kampfes ersparen?« fragte Garth. Der Wanderer lachte leise vor sich hin. »Auf Leben und Tod«, flüsterte er schließlich, »und der Sieger erhält die Antwort auf alles.« Er entließ sie mit einer Handbewegung, und Garth bemerkte einen kalten Ausdruck der Befriedigung in Zarels Augen. 323
»Du verlierst auf jeden Fall«, murmelte der Großmeister. »Vielleicht ist es genau umgekehrt«, zischte Garth zurück. Dann sah er Varena an und lächelte. »Es tut mir leid.« Damit schritt er über das Feld auf die neutrale Ecke zu. Der Mob war auf den Beinen, stand schweigend da, als der Höhepunkt des Festes nahte. Garth sah zu Hammen hinüber, als er die neutrale Ecke erreicht hatte. »Hinterher wird nicht viel Zeit bleiben. Ich glaube, er wird sofort gehen. Ich habe etwas gespürt; er steht unter irgendeinem Zwang.« Hammen nickte. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihm«, sagte er. »Normalerweise benimmt er sich wie ein plumper Hanswurst, ißt, hurt herum, spielt. Da stimmt heute etwas nicht.« »Ich nehme an, du weißt, was du tun sollst.« Er griff in seinen Beutel, zog ein kleines Mana-Bündel heraus und warf es Hammen zu. Der Alte trat zu ihm und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Galin. Die ganzen Jahre über glaubte ich, du seist tot.« Die Stimme versagte ihm. »Ich erinnere mich an den Tag, als dein Vater dich stolz aus dem Geburtszimmer trug. Ich erinnere mich an den Tag, als er uns zu sich rief, damit wir zusehen konnten, wie du deine ersten Schritte tatest. Und wie wir lachten an dem Tag, als du zum ersten Mal Mana benutztest, dir die Finger verbranntest, weintest und es dann wieder versuchtest.« »Hör auf, mich mit diesen Erinnerungen zu belasten«, sagte Garth. »Hätte ich gewußt, daß du lebend in diesem Feuer gefangen warst, wäre ich zurückgekommen.« »Du hättest mich nicht gefunden«, meinte Garth leise. 324
»Noch als mein Vater starb, benutzte er den Rest seiner Macht, um meine Mutter und mich weit fort zu schicken. Du hättest mich nicht gefunden, bis ich es selbst gewollt hätte, und das geschah, als sie gestorben war und ich tun konnte, was sie verboten hatte.« Er hielt inne. »Mich rächen.« Seine Gesichtszüge wirkten wie aus Eis gemeißelt. Er nahm Hammens Hände von den Schultern. »Paß auf dich auf, Hadin gar Kan.« »Der Ewige sei mit dir, Galin.« Die Fanfare ertönte, und Garth wandte sich um, beruhigte sein Innerstes, so daß er das Gefühl hatte, in eine andere Welt zu gleiten. »Kämpft!« Die Worte waren wie ein Flüstern im Wind, die Schreie des Mobs wie ein gespenstisches Flüstern, das über einen vereisten See heranschwebte. Er trat aus der neutralen Ecke heraus, griff auf seine Magie zurück und fühlte die Kraft des Mana in sich aufsteigen - die Kraft ferner Länder, die in den seidenen Bündeln eingeschlossen war, die Kraft der Berge, der Inseln jenseits der Fließenden Meere, der Ebenen, Wälder, Sümpfe und Wüsten. Er wartete, ließ nicht zuviel Kraft auf einmal zu sich kommen, wartete auf Varenas ersten Schritt. Er spürte, daß sie ebenfalls ihre Kraft aufbaute, ihr Mana benutzte, und dann schleuderte er mit einer Handbewegung den Spruch der Zerstörung: Armageddon, der das Mana vernichtete, das beide bisher gesammelt hatten. Er fühlte ihr Erstaunen, den kurzen Moment der Verwirrung. Schnell erneuerte er seine eigene Kraft, ließ sie heranströmen und ging zum Angriff über. Er schlug mit einem Störzepter zu, wodurch Varena wieder etwas von ihrer Kraft einbüßte. Dann bediente er sich eines seltenen Artefakts, das es ihm ermöglichte, mehr Kraft anzuwenden, als normalerweise üblich war. Diese Kraft richtete er auf sie 325
und konnte für einen Moment ihre Gedanken lesen, wußte, was sie vorhatte. Daher war er bereits vor ihrem ersten Angriff - ein Hagel aus blitzenden Schwertern flog über das Feld darauf vorbereitet, diesen abzuwehren; die Schwerter fielen zu Boden und lösten sich auf. Sie antwortete mit einem Feuerregen, den er mit einer Meereswoge auslöschte, die sich wie eine Wand über den Boden der Arena bewegte. Auf den Wellen ritten große Kreaturen aus der Tiefe, ihre geöffneten Mäuler drohten, die rasiermesserscharfen Zähne glänzten im Sonnenlicht. Der Ozean brauste in einen Erdspalt, den Varena auf dem Boden der Arena geöffnet hatte. Garth sandte daraufhin fliegende Kreaturen aus. Aus den Tiefen des Spaltes kamen seltsame Wesen, eine vielköpfige Hydra, die nach Garth' Kreaturen schnappte und sie so schnell verschlang, wie er sie erschaffen hatte. Er schickte sofort eine Wand aus Schwertern, um die Köpfe der Hydra abzuschlagen. Die Klingen folgten seinem Befehl, und Sekunden später wuchsen dem Ungeheuer doppelt so viele Köpfe. Es kroch aus der Erde und bewegte sich schwankend auf Garth zu. Der Mob jubelte über diesen seltenen Anblick. Garth beobachtete, wie es näher kam, senkte den Kopf und bedeckte die Augen. Vor ihm erschien die gebeugte Gestalt einer Frau, die von Kopf bis Fuß in einen langen Umhang gehüllt war. Der Mob brach in Gelächter aus ob dieser seltsamen Verteidigung. Mit abgewandtem Blick ergriff Garth den Umhang der Alten und zog ihn weg. Die Medusa stand mit Triumphgeschrei auf, die Vipern, die ihr Haar bildeten, zischten und wanden sich. Die gewundenen langen Köpfe der Hydra erhoben sich und stießen bellende Laute aus, als sich die Kreatur zu Stein verwandelte. Die Medusa lachte eisig und drehte sich zu Garth um, der ihr mit abgewandtem Blick den Umhang über den 326
Kopf warf. Er griff in seine Tasche und zog einen kleinen Spiegel hervor, den er der Frau entgegenhielt, als sie sich den Umhang abriß und ihn angreifen wollte. Aber bei ihrem eigenen Anblick schrie sie auf und wurde selbst zu Stein. Das Volk hatte diesen ungewöhnlichen Gegenangriff auf die schrecklichen Kräfte der Medusa gespannt beobachtet und bedachte die geschickte Verteidigung und die Art, wie Garth einen Spruch handhabte (der sowohl dem Aussprechenden als auch dem Opfer gefährlich werden konnte), mit begeistertem Beifall. Der Einsatz der Hydra hatte Varenas Kräfte geschwächt, und Garth sprang vor, über den Erdspalt hinweg, und stand nun auf ihrer Seite des Feldes. Er benutzte Abwehrsprüche, um ihre schwachen Angriffe zu vereiteln, während er seine eigene Kraft sammelte. Dann traf ihn zu seiner Verblüffung der Spruch der Zerstörung und vernichtete beider Mana gleichzeitig. Sie versetzte ihm einen geistigen Schlag, der ihr zwar auch schadete, ihn aber um so mehr verletzte. Er taumelte nach hinten und fiel beinahe in den Erdspalt. Schnell errichtete er einen Schutzkreis, um ihre Schläge aufzuhalten, und beeilte sich, den angerichteten Schaden zu heilen. Wieder hieb sie auf ihn ein, aber nun war er vorbereitet und drehte den Spruch um, so daß sie selbst getroffen wurde und auf die Knie fiel. Garth kam näher und umzingelte sie mit einer Wand aus verfilztem Gestrüpp. Sie brannte es nieder, aber dahinter hatten Baumkreaturen gelauert, die mit mächtigen Schritten auf sie zukamen. Sie bewegte sich hin und her, um ihren Schlägen zu entkommen, bis eine der Kreaturen sie plötzlich am Bein ergriff und in die Höhe riß. Ein Riese erschien neben ihr und erschlug die Baumkreatur mit seiner Axt. Dann wandte er sich zu den anderen Kreaturen um, die Zweige und Wurzeln aussandten, welche sich um die Arme und Beine des Riesen 327
wickelten. Dieser heulte mit unbändiger Wut auf, schlug wie ein Berserker um sich und fällte die Bäume mit seiner mannshohen Axt. Garth ersetzte seine Kreaturen sofort wieder. Der Mob jubelte vor Freude über dieses abwechslungsreiche Schauspiel, applaudierte dem Riesen und den Bäumen, als sie inmitten eines immer größer werdenden Haufens von gebrochenen Gliedern, Holzspänen und Splittern miteinander kämpften. Varena erholte sich langsam und zog sich etwas vom Kampfgeschehen zurück. Sie rief Blitzstrahlen herbei, mit denen sie die Bäume anzündete, die in wilde Schmerzensschreie ausbrachen, als ihre Äste zu brennen begannen und die Arena sich mit dem Rauch der Feuersbrunst füllte. Garth schickte einen Wirbelsturm aus Eis und Regen, um das Feuer zu löschen, und erschuf dann ebenfalls einen Riesen, der mit dem anderen kämpfte, und inmitten des Rauchs und Qualms schlugen die beiden aufeinander ein. Plötzlich fühlte er einen stechenden Schmerz im Nacken, wandte sich um und sah einen riesigen Schwärm Wespen, jede so groß wie ein Daumen, der ihn umschwirrte. Die Insekten flogen auf sein Auge zu, stachen ihn dabei in die Wangen, die Nase und die Stirn; sein Gesicht schwoll augenblicklich an, und er fluchte wild vor sich hin. Einen Moment lang verlor er die Konzentration, das Gift strömte in seine Adern, und er fühlte sich schwach und benommen. Er fiel auf die Knie, bedeckte das Gesicht als Schutz vor den Stichen, die so schrecklich waren, daß seine Hände zu bluten begannen. Endlich gelang es ihm, seine schwindenden Kräfte zu sammeln, und er erschuf winzige Kobolde, die mit Lanzen auf die Wespen losgingen. Dann rollte er sich unter dem Schwarm weg, kam wieder auf die Knie und nahm die Hände vom Gesicht. 328
Er war blind - sein Augenlid war so geschwollen, daß er nichts mehr sah. Sein Gefühl sagte ihm, daß Varena mit gezücktem Dolch auf ihn zustürmte, um ihn zu töten. Mit der verbliebenen Kraft errichtete er eine Steinmauer, die sie für eine Weile aufhalten würde. Taumelnd kam er wieder auf die Beine und konzentrierte sich auf den einen Spruch, den er in Reserve gehalten hatte. Augenblicklich fielen ihm alle Kräfte, die sie kontrolliert hatte, in die Hände, und ihr blieb nichts mehr. Der Schreck über diesen Schlag war so groß, daß sie einen Schrei des Entsetzens ausstieß. Es war an der Zeit, die Sache zu beenden, und er sammelte die Kraft, die er am Vortage von Naru bekommen hatte. Eine dunkle Wolke wirbelte vor ihm herum, aus der eine riesige Form Gestalt annahm. Sie befand sich auf großen Rädern, die doppelt so hoch waren wie ein ausgewachsener Mann, und die Räder waren eingefaßt mit armdicken Eisenreifen. Der Jagganath rollte langsam vorwärts, brach krachend durch die Mauer, die Garth errichtet hatte, dann durch die nächste Mauer, die Varena mühsam mit der wenigen Kraft erschuf, die ihr geblieben war. Sie konzentrierte sich auf den Wagen und benutzte auch den letzten Rest ihrer Kraft, um ihn aufzuhalten. Die gewaltige Form schwankte und explodierte dann mit Donnergetöse in rotem Rauch und Feuer. Und in diesem Moment hieb er mit aller Kraft, die er besaß, auf sie ein, traf sie mit psionischen Schlägen, die, obwohl sie ihn schwächten, ihr gewaltigen Schaden zufügten. Der dritte Hieb riß sie von den Beinen und schmetterte sie zu Boden, wo sie reglos liegenblieb. Garth ging langsam zu ihr hinüber, sprang zur Seite, als die Überbleibsel des Jagganaths dröhnend zu Boden krachten und den Lärm des Volks erstickten. Er sah auf sie hinab, auf ihr verzerrtes blasses Gesicht und ihren Körper, in dem nur noch eine winzige Lebensflamme flackerte. »Mach ein Ende mit ihr!« 329
Er blickte den Wanderer an. »Mach ein Ende oder stirb!« Garth erhob die Hand und deutete auf Varena. Ein psionischer Schlag fuhr durch ihren Körper, ein krampfartiger Schauer erfaßte sie und vertrieb ihre Seele aus der sterblichen Hülle. Garth senkte den Kopf, drehte sich um und sah den Wanderer mit kalter Herausforderung an. »Ich bin Euer auserwählter Diener, mein Gebieter.«
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Der Wanderer blickte auf Garth herunter, grinste und schenkte seine Aufmerksamkeit dann wieder Zarel. »Ich gehe jetzt«, flüsterte er. Überrascht und kaum in der Lage, seine Erleichterung zu verbergen, sah Zarel den Wanderer an, der vor dem Thron stand. »Mein Gebieter, werdet Ihr nicht auf den Thron zurückkehren und Eure Vergnügungen fortsetzen?« »Vielleicht komme ich später zurück, wenn ich mit ihm fertig bin«, sagte er und nickte zu Garth hinüber. »Ich werde auch zurückkommen, um mich zu vergewissern, daß du hier alles wieder unter Kontrolle hast. Und wenn ich komme, erwarte ich Ordnung.« Der Wanderer blickte die Frau an, die nackt auf dem seidenen Diwan lag. Angst stand in ihren Augen. Er hob die Hand, und sie erbleichte, obwohl sie versuchte, ihn verführerisch anzusehen. Er schnippte mit den Fingern und hielt plötzlich einen geschliffenen Diamanten von der Größe einer Walnuß zwischen Daumen und Zeigefinger. Lachend warf er ihn zwischen ihre Brüste und wandte sich ab. Er nahm einen Becher Wein und schritt die Treppen der Plattform hinunter, auf Garth zu. Gierig leerte er den Becher und warf ihn zur Seite. »So, Einauge, du hast also gewonnen.« Garth starrte ihn nur schweigend an. »Nun bist du mein auserwählter Diener dieses Jahres. Komm mit, und ich zeige dir alles, was du sehen willst und was du zu wissen verdienst.« Der Wanderer ließ den Blick über die Arena schweifen. 331
»Ich ernenne Garth, den ihr Einauge nennt, zum Gewinner des Festes.« Beifall kam auf, aber die meisten Zuschauer standen still, und der Wanderer runzelte die Stirn und warf Garth einen Blick zu. »Ich glaube, sie sind nicht zufrieden mit dem Sieg.« »Das könnte andere Gründe haben, mein Gebieter«, sagte Garth ruhig. Der Wanderer sah zu Varena hinüber, die langsam von ihrem Diener und Mammen weggeschleift wurde. »Du solltest ihren Beutel fordern, es wäre dein Recht.« »Ich vermute, daß ich dort, wohin ich gehe, keine Verwendung dafür haben werde.« Der Wanderer lachte leise und nickte. Er blickte auf die beiden Mönche hinab, die am Rand des Kreises knieten und einen großen Beutel aus Seide hielten, der den Mana-Tribut enthielt und der in einem hellen Licht pulsierte. Kuthuman griff gierig danach und sah Zarel an. »Ich habe den Verdacht, daß der Beutel nicht so viel enthält, wie ich erwartet habe. Wenn das zutrifft, werde ich eher früher als später zurückkommen.« »Warum prüft Ihr es nicht jetzt?« meinte Garth lässig. Kuthuman sah ihn besorgt an. »Später.« Er sprach mit kalter Stimme, und Zarel schenkte Garth einen haßerfüllten Blick. »Es ist Zeit zu gehen«, verkündete der Wanderer und sah Garth mit eisigem Blick an. »Es wird sicher sehr unterhaltsam.« Er erhob die Hände. Garth hatte das Gefühl, als stünde er hinter einer undurchsichtigen Scheibe, die Welt dahinter verschwand in einem diesigen, nebligen Schatten. Geräusche verzerrten sich, als kämen die Schreie der Menge vom anderen Ende eines langen unterirdischen Ganges. Die Welt verdunkelte sich. Er sah zur Sonne hinauf, die heiß und in332
tensiv gestrahlt hatte und sich nun dunkelrot färbte und verdunkelte. Und dann fiel er. Sein Magen zog sich zusammen, er mußte einen Angstschrei unterdrücken und fragte sich einen Augenblick lang, ob er schon tot war. Er fühlte keinen Boden unter den Füßen, verspürte aber auch keinen Windhauch, hatte nicht das Gefühl zu fliegen. Der undurchsichtige Schatten engte ihn ein, wurde immer dunkler. Wieder sah er zur Sonne hinauf. Sie war verschwunden. Über ihm befand sich ein schmaler Lichtkegel aus leuchtendem Violett, aus dem Lichtstrahlen herausschössen. Doch irgendwie schien es, als könne er sie nicht sehen, sondern nur erahnen. Er wollte die Hand ausstrecken und das Licht berühren, wußte aber, daß es unendlich weit entfernt war. Als er auf seine Füße blickte, bemerkte er eine kleine dunkelrote Scheibe, die sich drehte, schließlich auf die Größe eines Stecknadelkopfes zusammenschrumpfte und verschwand. Die vorbeiflitzenden Lichtstrahlen wechselten augenblicklich von Violett zu Rot und waren dann verschwunden. Garth fühlte einen Kraftstrom, ein Glücksgefühl durchlief ihn, als wäre das unendliche Universum zu einem Spielzeug geworden, das in seiner Handfläche ruhte. Er genoß die Macht und erlaubte ihr, seine Seele zu ergreifen. Zeit verlor jeden Begriff und jeden Sinn, und er war nicht sicher, ob Sekunden oder Äonen vergangen waren. »Nun kennst du die Macht der Unendlichkeit«, flüsterte ihm eine Stimme zu. Zum ersten Mal wurde es Garth bewußt, daß er nicht allein war. Eine dunkle Vorahnung ergriff ihn, obwohl er in diesem Moment eine milde Belustigung verspürte, als wäre der Wanderer ein geduldiger alter Mann, der einem Kind neue Wunderdinge zeigt. »Die Kraft, die du besitzt ist nichts, verglichen mit dem, was ich bin.« Das Licht bewegte sich, wurde von Violett zu Blau, zu 333
Grün - eine unendliche Vielfalt von einer Million Farben. Er hatte das Gefühl, ins Zentrum der Sonne geschleudert zu werden, das zu feurigen Regenbogen explodierte. Garth schien es, als brauche er nur die Hand auszustrecken und könne mit einem Fingerschnippen Sonnensysteme bewegen, mit seinen Händen Welten halten und formen, und mit seinem Atem das Firmament herumwirbeln lassen. Er hatte das Gefühl, als sei er ein Gott geworden, und die Macht des Gefühls verschlang ihn und griff verführerisch nach seiner Seele. Er lachte, und seine Stimme hallte durch die Nacht. Das Gefühl des Fallens verging, und er fühlte einen Widerstand unter seinen Füßen. Alles war dunkel, dann formte sich ein Licht, unscharf, als blicke er aus den Tiefen des Meeres hinauf zur Sonne. Das Licht bewegte sich, funkelte und nahm Gestalt an. Er stand in einem schattigen Hain, die Bäume um ihn reichten bis in den kristallklaren blauen Himmel, an dem vereinzelte Wolken vorüberzogen. Die Luft war schwer vom Duft der Frühlingsblumem. Rote, grüne, gelbe und blendendweiße tropische Vögel flogen vorbei, und ihre Lieder klangen wie himmlische Chöre. Garth schaute ihnen nach und lächelte. »Es ist wie im Paradies«, flüsterte er und war verblüfft, daß seine Stimme versagte und eine Träne ihn blendete. Und dann überkam ihn die Erinnerung. Sie war warm, sanft und gefüllt mit dem sanften Licht der Kindheit. Dies war der Garten des Winterpalastes seines Vaters, weit weg im Reich des Südens. Er sah sich aufmerksam um. Dort auf dem grünen Gras stand sein Lieblingsspielzeug, ein hölzernes Schaukelpferd, auf dem er ritt und von glorreichen Schlachten träumte. Daneben stand ein ausgestopftes Mammut, der rechte Stoßzahn war verschwunden, das lange Fell verfilzt, weil seine winzigen Finger immerzu daran drehten und herumspielten. 334
Es ist ein Traum. Und es war kein Traum. Er kniete im Gras nieder und berührte das Pferd, das langsam vor und zurück schaukelte. Er vernahm ein sanftes Lachen, tief und warm, voller Liebe. »Vater.« Er stand erwartungsvoll auf. Hinter den hohen Büschen, die schwer vor orangegelben Blüten waren, bewegte sich ein Schatten. Für einen Moment schien es, als wären alle die Jahre wie weggespült. Ich kann sehen. Ich kann mit beiden Augen sehen! Er bewegte sich wie im Traum, rannte auf kurzen Beinen, lachte und jubelte mit heller Stimme und stieß Freudenschreie aus. Wieder erklang das Lachen. »Komm, Galin, deine Mutter wartet.« Der Schatten trat aus dem Hain heraus. Er war groß, rothaarig, Bart und Schnurrbart waren kurz gestutzt, ein Reif aus türkisfarbenen Steinen lag ihm um den Kopf, die langen wallenden Gewänder waren einfach geschnitten und mit tiefblauen Borten verziert. »Vater!« Er ging um einen der Brunnen herum, dessen Fontäne tanzte und plätscherte. Eine sanfte Brise erfaßte das Wasser, besprühte ihn mit feinen Tröpfchen, und er lachte über die angenehme Kühle und den Regenbogen aus Licht. Er hob die Hand, um sich das Wasser vom Gesicht zu wischen. Seine Hand berührte die Klappe über dem linken Auge. Erstaunt zog er die Hand weg, und in dem Augenblick verblaßte alles. Der Garten schmolz dahin, bewegte sich, verschwand. Für einen winzigen Moment glaubte er wirklich, seinen Vater zu sehen, der mit traurigen, 335
sanften Augen vor ihm stand und die Hände nach ihm ausstreckte. Das Bild entfernte sich, als fiele es in einen langen dunklen Tunnel, und er wollte danach greifen. »Vater?« Das Bild hielt kurz inne, die traurigen Augen sahen ihn an, eine Hand streckte sich ihm entgegen, winkte, und er ging einen Schritt darauf zu. Nein! Er ist tot. Ermordet. Das Bild erlosch, und Garth drehte sich um, Tränen strömten ihm über das Gesicht. Dann blickte er auf. Er stand auf einem dunklen Feld, das sich unendlich weit erstreckte. Keine Sonne erhellte den Himmel, die Welt war wie durch ein unsichtbares und unheiliges Licht erleuchtet. Dunkelgrüne Wolken bewegten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit über seinem Kopf, rasten vorbei. Der Wind war feucht, kalt und erfüllt mit durchdringendem, beißendem Rauch, der den Gestank der Verderbtheit herantrug. Vor ihm befand sich ein dunkler Schatten, nicht klar zu erkennen, verschwommen, als wäre es nichts als Nebel. Der Schatten bewegte sich, seine schwarzen Gewänder flatterten im Wind, und für einen Augenblick erhaschte er einen Blick auf eine totenkopfähnliche Fratze. Er fühlte sein Blut erstarren. Die schattenhafte Gestalt kam näher. »Ich wollte es dir leichtmachen«, flüsterte eine Stimme. »Du hättest sterben sollen in dem Glauben, daß dein Vater dich umarmt.« »Das ist also der Preis für den Gewinner«, stellte Garth fest. »Das wußtest du doch von Anfang an, stimmt's?« Garth nickte. Der Wanderer lachte leise. »Du erregst meine Neugier, Garth, oder bist du Galin?« »Garth. Der andere starb vor langer Zeit.« »Das war wirklich schlimm. Ich erinnere mich gut an 336
dich. Du warst eifrig, klug, fähig, das Mana fast von Geburt an zu benutzen. Du hast gutes Blut in dir.« »Mein Vater und Ihr wart einmal Freunde. Er hat Euch einmal das Leben gerettet.« Der Schatten nickte. »Damals, als alles noch anders war«, murmelte Kuthuman. »Deshalb wollte ich dir auch einen sanften Tod bescheren, wenigstens ein Zugeständnis an eine Freundschaft vergangener Zeiten.« Kuthuman seufzte, und in seiner Stimme lag unendliche Müdigkeit. »Aber leider warst du zu stark - du hast die Illusion durchschaut.« Garth antwortete nicht, denn er war noch immer so betroffen über die Macht der Illusion, daß er Schwierigkeiten hatte, die Tränen zurückzuhalten. Auch wollte er nicht zugeben, daß er einen Moment lang alles geglaubt hatte. »Ihr bringt alle um, die das Fest gewinnen?« »Hoffst du auf eine Ausnahme?« »Nein. Das weiß ich besser. Außerdem steht zuviel zwischen uns.« Der Schatten seufzte wieder und setzte sich zu Garths Erstaunen nieder. »Laß es uns jetzt noch nicht beenden. Setz dich, du mußt müde sein.« Garth zögerte. »Keine Fallen dieses Mal. Das schulde ich dir, dem Sohn eines Freundes. Nun weißt du es also. Außerdem bereitet es mir Vergnügen, einmal wieder ohne Verstellung so zu reden, wie ich es früher tat, und ohne die kriecherische Furcht anderer zu spüren. Wenn dein Ende kommt, werde ich dich gehen lassen wie einen Mann, mit einer Waffe in der Hand, wie es dein gutes Recht ist.« Garth setzte sich auf den eisigen Boden. Der Schatten seufzte. 337
»Ich töte alle Gewinner des Festes.« »Ihr duldet keine zukünftigen Rivalen.« »Natürlich nicht. Man sollte meinen, die armen Narren, die so eifrig miteinander kämpfen, hätten das inzwischen erkannt. In deiner Welt, die einmal die meine war, ist das Mana rar. Es wird nur aus der Erde gewonnen, geschaffen von jedem Lebewesen dort, dann wird es gezähmt und von den wenigen angewandt, die mit der Fähigkeit geboren wurden, diese Kraft zu sammeln und zu beherrschen. Ich habe sehr viel Mana gebraucht, um die Barrieren zwischen den Welten niederzureißen und als Halbgott zu wandeln. Ich brauche den Tribut vieler solcher Welten, um meine Kraft zu erhalten und zu vergrößern. Glaubst du etwa, ich würde solche Macht mit anderen teilen? Die Macht, zwischen den Welten zu wandern, ein Wanderer zu sein, hangt davon ab. Würde ich anderen gestatten, diese Macht zu erlangen, wären sie im Lauf der Zeit eine Bedrohung.« »Ihr erwürgt sie sozusagen in der Wiege. Wir entscheiden, wer die nächste Bedrohung sein könnte, und Ihr nehmt sie und beseitigt sie.« Der Schatten nickte. »Bedauerlich, nicht wahr?« fragte er, als würden ihm die dunklen Seiten der Realität Sorgen bereiten. »Wenn ich das nicht täte, könnte der Tag kommen, da jemand genug Mana gesammelt hätte, um ebenfalls den Schleier zu durchstoßen und gleich mir zu wandern. Und wenn das geschähe, was wäre dann? Lediglich ein weiterer Kampf in einem Universum der Kämpfe.« »Ihr wißt, daß Zarel sogar jetzt Mana anhäuft, Euer Mana, damit auch er den Schleier durchstoßen kann.« »Erzählst du mir jetzt Klatschgeschichten?« Garth grinste. »Es dient einem Zweck.« »Um mich gegen meinen Diener einzunehmen?« »Vielleicht.« 338
Der Schatten lachte. »Er ist ehrgeizig; das habe ich schon immer gewußt. So ehrgeizig, daß er mir geholfen hat, deinen Vater umzubringen, nicht aus Treue zu mir, sondern weil er mich einfach aus dem Weg haben wollte, um sich selbst für den letzten Schritt vorzubereiten. Du erzählst mir nichts, was ich nicht schon selbst vermutet hätte.« »Und?« Der Schatten hielt inne und schien weniger zu werden. Garth beobachtete ihn aufmerksam, fühlte, wie die Kraft Kuthumans verrann, bis er beinahe verschwunden war. Minuten vergingen, keiner von beiden bewegte sich, und dann kehrte die Kraft zurück. »Unruhen anderswo?« Der Schatten nickte. »Also ist es hier genauso?« fragte Garth ruhig, und seine Stimme klang beinahe mitfühlend. »Genauso. Irgendwie hoffte ich, frei zu sein, wenn ich die Barriere überschritten hätte.« Garth spürte fast das wehmütige Lächeln auf dem Gesicht des Schattens. »Ah, diese ersten Augenblicke! Sie waren von unvorstellbarer Glückseligkeit. Es war eine kindliche Freude, denn alles war neu, frisch, unschuldig in meinen Augen, als wäre der erste Tag der Schöpfung angebrochen. Ich flog wie ein Adler, stieß durch den Schleier der Tränen, der Zeit, der Ewigkeit. Ich glaubte, daß mich der Tod niemals berühren könne. Ewige Jugend besäße ich, würde den Gang der Zeit entlangwandeln und alles beherrschen, was ich sähe.« Er machte eine Pause. »Und dann traf ich die anderen.« »Die ebenfalls Wanderer waren.« Der Schatten nickte. »Ihr hättet das vermuten können«, bemerkte Garth. »Unsere Legenden erzählen von den alten Zeiten, da Halbgötter um die Herrschaft über unsere Welt kämpf339
ten und wie sie plötzlich verschwanden und wir allein waren. Ihr hättet wissen müssen, daß Ihr solche treffen würdet« »Ich war trunken vor Macht. Ich glaubte, daß die Legenden nur bloße Märchen seien. Oder daß sich die anderen gegenseitig umgebracht hätten und das Universum jetzt bis auf die Macht des Ewigen frei sei.« »Und Ihr habt anderes vorgefunden.« »Es ist ein Universum der Zwietracht. Sogar jetzt, da ich hier mit dir sitze und rede, kämpfe ich darum, das wenige, das ich habe, zu behalten. Sogar jetzt wandere ich in anderen Welten, kämpfe, benutze Mana, erobere Mana und verliere es auch. Dies ist ein unendlicher Kampf um die Macht, und ich bin nur einer von vielen. Es gibt stärkere Kräfte als die meinen, die schrecklich anzusehen sind und mir die Kraft nehmen können, als würden sie mir das Blut aus den Adern saugen. Und wenn sie über mich triumphieren, werde ich eine vertrocknete Schale sein, von den Winden der Ewigkeit verweht, dazu verdammt, niemals zu leben und niemals zu sterben.« »Auch Ihr habt solches schon getan.« Der Schatten lachte, seine Stimme war kalt wie die Nacht. »Ah, ich habe meine Feinde vor mir hergetrieben und über ihr Klagen gelacht. Ich bin in ihre Welten eingedrungen, habe mir genommen, was mir rechtmäßig zusteht. Was ich nicht gebrauchen konnte, habe ich brachgelegt, so daß es ihnen nichts mehr nützt. Das Mana ist aus ihren Ländern abgezogen worden und befindet sich in meinen Händen. Ich kontrolliere jetzt sehr viel, Mengen jenseits aller Vorstellungskraft.« »Aber es wird nie genug sein. Ihr werdet nie ausruhen können, nicht wahr?« Der Schatten regte sich. »Du bist eigentlich zu klug, Garth. Wenn man einmal hier ist, hat man keine Wahl. Entweder wächst man, 340
oder man fällt in die Leere, ohne jede Kraft und für alle Ewigkeit, oder aber bis der Ewige handelt und den Kreis schließt. Also gibt es keine Wahl, keine Auswahl. Der Kampf geht ohne Unterbrechung weiter.« »Ihr seid jetzt so in die Enge getrieben, daß es beinahe über Eure Fähigkeiten hinausgeht, das Eure zu erhalten.« »Woher weißt du das?« »Wenn es nicht so wäre, hättet Ihr nach dem Fest länger verweilt. Ihr hättet mit Frauen zusammengelegen, viel Wein getrunken und Euch an der Verehrung der Menge geweidet. So kamt Ihr nur, um den Tribut abzuholen, verweiltet nur kurz, bevor Ihr wieder hierher eiltet« - Garth schwenkte die Hand zu den zeitlosen dunklen Ebenen -, »in diese tote Welt der Dunkelheit.« Der Schatten nickte. »Warum hier? Dies ist die reine Hölle. Ich habe angenommen, Ihr springt durch die Unendlichkeit und verweilt in den goldenen Palästen unübertrefflich wundervoller Welten. Warum diese Alptraumwelt?« »Dies ist das Herz meines Reiches. Von hier aus kann ich alle anderen Orte erreichen und Wände errichten, die Eindringlinge abwehren. Wenn ich mich innerhalb eines Reiches bewege und in einen sterblichen Körper schlüpfe, bin ich blind und weiß nicht, was meine Feinde planen. Sogar in dem kurzen Augenblick, als ich fort war, wieder in der Welt, in der ich geboren wurde, um mir den Tribut zu holen, wurde mir eine Ebene verschlossen, und ich muß sogar jetzt, da wir hier sitzen und reden, Krieg führen, um sie zurückzugewinnen.« Die Stimme des Schattens klang dunkel und müde, so daß Garth einen Augenblick lang Mitleid empfand, wenn man mit jemandem Mitleid haben konnte, der alles vernichtet hatte, was man einst geliebt hatte. Garth lachte, und es hörte sich seltsam an in dieser trostlosen und dunklen Ebene. Er stand auf und blickte umher. 341
»Ich habe Euch mein ganzes Leben lang gehaßt«, sagte er. »Ihr wart der Großmeister, und das wohl ein ganzes Jahrtausend lang. Und dann bekamt Ihr Angst vor dem Tod und begehrtet die Macht der Unendlichkeit. Ihr habt alles pervertiert, wofür die Häuser und der Gebrauch des Mana einst standen. Die Kraft habt Ihr benutzt, um den Vorhang zwischen den Welten zu durchstechen, damit Ihr als unsterblicher Halbgott wandeln könnt. Und nun ist das hier Euer Reich!« Lachend deutete er auf die trübe Dunkelheit. Der Schatten erhob sich. »Es hat gefallen, dich zu verschonen. Dein Vater war einmal mein Freund, und ich habe dir deshalb eine Gnade gewährt. Jetzt gefällst du mir nicht mehr.« »Denkt doch einmal nach. Es gab einmal eine Zeit, da mein Vater, ein einfacher Sterblicher, so viel von Euch hielt, daß er beinahe starb, um Euch vor einem Attentäter zu retten. Er behielt die Narben des vergifteten Dolches bis zum Tage seines Todes zurück. Es gab einmal eine Zeit, als Menschen wie mein Vater Euch liebten und ihren Freund nannten, als eine Frau Euch mit solch schmerzlicher Inbrunst liebte, daß ihr Herz brach und sie jetzt nur noch aus Bitterkeit und Haß besteht. Das habt Ihr aufgegeben, alles. Für dies.« Wieder deutete er über die dunkle Ebene. Seine Stimme wurde ganz dünn vor Erregung. »Mein Vater vertraute Euch und glaubte an Euch, bis er verbrannte und seine letzte Kraft von Eurem kriechenden Diener Zarel für Euer unheiliges Streben gestohlen wurde. Ihr habt ihn verraten, und dies ist Euer Lohn. Ihr seid so verängstigt, das zu verlieren, was Ihr jetzt besitzt, daß Ihr Euch in diese dunkle Welt verkriecht, unfähig, selbst die Vergnügungen eines Bettlers zu genießen - Sonne auf Eurem Gesicht, Kinderlachen, der Geschmack von Wein oder einfachem Brot.« »Du weißt gar nichts«, zischte der Schatten. »Dein Un342
terhaltungswert ist erloschen. Ich hatte schon fast erwogen, dich zu verschonen. Eine sentimentale Geste in einem gnadenlosen Universum. Ich glaube nicht, daß ich es tun werde.« »Dann fangt an«, sagte Garth gelassen. Der Schatten erhob sich und breitete die Arme aus. Garth lächelte und erhob ebenfalls die Arme. Der Schatten zögerte und lachte. »Du hast nicht auf meine erste Frage geantwortet. Du wußtest zweifellos, daß ich alle Gewinner des Festes töte, damit sie nicht eines Tages zu einer Bedrohung werden. Warum also bist du gekommen und hast gewonnen?« »Weil ich dachte«, sagte Garth gleichmütig, »daß ich auch Euch schlagen könnte.« Der Schatten lachte. »Dann wirst du wie ich. Du hattest eine gute Ausbildung. Du hast deinen Diener dem Tod überlassen und eine Frau ermordet, die dich geliebt hat.« »Sonst hättet Ihr sie getötet«, meinte Garth kühl. »Ich nehme an, ich habe sie gerettet.« »Du hörst dich wie ein Philosoph an mit deiner Logik. Du hast sie trotzdem umgebracht.« Mit einem wütenden Schrei hob Garth die Hand zum Schlag. Der Schatten lachte herzhaft und wich dem Feuerball aus. »Wenn das alles ist, was du zu bieten hast, wird es aber langweilig. Überbringe deinem Vater meine Grüße.« Garth fühlte einen Windstoß, und die Luft umwirbelte ihn. Er versuchte zu atmen, beugte sich vor, keuchte und rang, eingehüllt in eine grüne Schwefelwolke, nach Luft. Hammen hatte den Arm um Varenas Schultern gelegt und bemühte sich, ihren Körper aus der Arena zu ziehen, während Zarel und die anderen durch den Wande343
rer abgelenkt wurden. Varenas Leibdienerin bewegte sich unsicher, weinte und zitterte. »Hör auf, Mädchen, und hilf mir!« schimpfte Hammen. »Nimm deine schmutzigen Hände von ihr«, erwiderte das Mädchen. »Laß sie ruhen.« »Verdammt noch mal, ich versuche sie zu retten, bevor der Faden durchtrennt ist, der ihren Geist noch hält. Jetzt hilf mir.« Sie sah ihn mit großen Augen an, schien aber unfähig, sich zu bewegen. »Verflucht seien alle Frauen«, murmelte Hammen vor sich hin und geriet in Versuchung, den Körper einfach fallen zu lassen und sich schleunigst davonzumachen, bevor es zu spät war. Aber dann fuhr er doch fort, den Körper langsam weiterzuschleifen. Obwohl er es eigentlich nicht wollte, sah er doch auf und bemerkte, wie der Wanderer sich vor Garth stellte. Verdammt, nein. Er legte Varena auf den Boden und richtete sich auf. Der Wanderer erhob die Hände. Mit seiner Loyalität im Zwiespalt, traf er schließlich eine Entscheidung. Er nahm das Amulett und das Mana, das er von Garth bekommen hatte. Das Amulett legte er auf Varenas Stirn. Dann sammelte er das Mana und rief ihren Geist, fühlte, daß dieser nur noch durch den dünnsten aller Fäden mit dem Körper verbunden war. Zu seiner Verblüffung wehrte sich der Geist gegen ihn, kämpfte darum, den Faden zu zerreißen und die sterbliche Hülle zu verlassen. Mit aller Kraft hielt Hammen dagegen und mußte sich aufs äußerste anstrengen, um den Geist zurück in den Körper zu zwingen. Varenas Dienerin schnappte vor Erstaunen nach Luft, als ihre Herrin aufstöhnte. Plötzlich schob sich eine dunkle Wolke vor die Sonne, und Hammen sah den Wir344
belsturm, der sich am Himmel bewegte. Er warf dem Mädchen einen grimmigen Blick zu. »Laß das Amulett auf ihrer Stirn!« Er nahm seinen Dolch, schnitt Varenas Beutel ab und fühlte die darin enthaltenen Kräfte. Über die Schulter blickend sah er, daß ein Trupp Fentesk-Kämpfer sich näherte, und bedeutete ihnen, sie mitzunehmen. Dann stand er auf und wies auf Zarel. »Zarel, du Schuft!« Seine Stimme schallte durch die Arena, und die Menge, die dem Entschwinden des Wanderers zugesehen hatte, wurde still, als Hammens herausfordernder Ruf ertönte. Zarel blickte zu Hammen hinüber und hob die Hände. »Du Schuft! Die Spiele sind ein Betrug! Du weißt es, und die Meister der Häuser wissen, daß der Gewinner nicht zum Diener des Wanderers wird. Der Gewinner wird von ihm ermordet. Und du bist sein Komplize!« Schreiend vor Wut deutete Zarel auf Hammen, der mit höhnischem Gesicht Varenas Mana benutzte und dem Feuerball mit Leichtigkeit auswich. Dann hob er seinerseits die Hand und schickte Zarel mit einem eigenen Feuerball zu Boden. In der Arena brach Chaos aus. Aus der Ecke, in der Garth vor dem letzten Kampf gestanden hatte, kam Norreen mit erhobenem Schwert gerannt, drehte sich um und feuerte den heranstürmenden Mob an. Wie eine dunkle Woge ergossen sich die Menschen aus den Sitzreihen. Hammen hüllte sich in eine Wolke aus grünem Rauch und trat wieder zu Varena, als Zarels Krieger und Kämpfer ausschwärmten, um ihren Herrn zu beschützen. Er stieß einen wütenden Schrei aus, als die FenteskKämpfer, die Varena zur Hilfe eilen wollten, beim Anblick von Zarels Leuten langsamer wurden, sich umdrehten und davonliefen. Aber der Mob stürmte vor345
wärts, und innerhalb von Sekunden sah sich Hammen im Mittelpunkt eines wirbelnden Getümmels. Er bemühte sich, Varena festzuhalten, damit sie nicht zertrampelt wurde. Jemand schob ihn zur Seite und packte sie mit schweren fleischigen Händen. Er blickte in Narus grinsendes Gesicht. »Ich bringe Frau, wo du willst.« Norreen hatte sie inzwischen ebenfalls erreicht. Zusammen drängten sie sich durch einen der Zugänge. Als sie es geschafft hatten, verlangsamte Hammen seine Schritte und blickte zurück. »Jemand sollte diese armen Kerle anführen«, meinte er nachdenklich. »Ich glaube, alter Mann, du solltest lieber daran denken, deine eigene Haut zu retten«, meinte Norreen. Hammen schüttelte den Kopf. »Das habe ich schon einmal getan; damit mußte ich bis jetzt leben. Ich habe keine Lust mehr zu leben.« Er sah zum Himmel hinauf. »Besonders jetzt nicht.« »Du Verrückter«, sagte Naru. »Ich dachte, du bist guter Diener jetzt, wo Einauge weg. Aber du bist verrückter Mann.« Und der Riese lachte herzhaft. »Norreen, zeig diesem Klotz, wohin er sie bringen soll. Ich glaube nicht, daß sie in ihrem Haus sicher wäre.« »Zur Hölle damit. Ich kämpfe, und außerdem kann ich sie nicht ausstehen.« »Verdammt, Benalierin! Tu es. Garth hätte es so gewollt.« Sie senkte den Kopf. »Vielen Dank.« Hammen lächelte. »Jetzt verschwindet von hier!« Der alte Mann drehte sich um und drängte sich durch die Menge, seine Stimme übertönte den Lärm, und er 346
rief die Mitglieder seiner alten Bruderschaft an seine Seite. »Los jetzt!« verkündete Naru und sah Norreen grinsend an. »Naru viel Glück. Er hat zwei Frauen jetzt.« Norreens Schwert zuckte vor, traf ihn sacht am Bein, und er heulte auf und trat einen Schritt zurück. »Komm schon, du Ochse, laß uns einen Platz für diese Frau finden und dann wieder ins Kampfgetümmel ziehen.«
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Garth taumelte durch die dunkle Wolke, beinahe blind, und erstickte fast an der giftigen Luft. Er errichtete einen Schutzkreis, der das Gift herausfilterte und frische Luft hineinließ, die in seine schmerzenden Lungen drang. Ein neuer Schlag traf ihn, und der Kreis fiel in sich zusammen. Fluchend schwenkte er die Hände über dem Kopf und baute einen neuen Kreis auf. Er wartete, aber es kam keine Attacke. Er tastete sich prüfend vor, fühlte mit seinen Sinnen. Der Wanderer war da und doch wieder nicht da. Er kämpfte, aber gegen jemand anderen, jemand Dunklen und Mächtigen. Jetzt hatte er Zeit, und Garth nutzte das aus, während sein Gegner mit etwas Gefährlichem und Hermtückischem kämpfte. Garth sammelte seine Kraft und benutzte dann Sprüche, die seine Kraft verdoppelten, immer wieder verdoppelten. Er hob die Hand und bildete mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis vor dem Auge. Dadurch verschaffte er sich Einblick in die Sprüche seines Gegners. Er war verblüfft über den Anblick Hunderter von Sprüchen, einige hätte er sich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Wahrscheinlich stammten sie aus Reichen und Welten, deren Vorhandensein Sterblichen nicht bekannt war. Und doch gab es eine schwache Stelle. Das Mana, das kostbare Mana, durch dessen Kraft die Sprüche angetrieben wurden, war schwach, ausgebreitet 348
und verteilt durch eine Myriade von Kämpfen. Also wurde sein Verdacht bestätigt. Alles, was er in den Jahren des Aufwachsens und Planens gelernt hatte, stimmte demnach. Die verblichenen Bücher, die an dem Ort verborgen waren, an den ihn sein Vater geschickt hatte, dem Ort, an dem er gelernt und studiert hatte, hatten davon gesprochen. Was sein Vater vermutet und niedergeschrieben hatte, stimmte: daß der Zugriff der Wanderer auf ihre Kräfte einen Schwachpunkt hatte. Garth lächelte innerlich und fuhr fort, seine Kräfte zu sammeln. Der Kampf des Wanderers und seines Rivalen war zu Ende, und seine Kraft kehrte zurück. Er wandte sich wieder Garth zu. »Entschuldige die Unterbrechung«, sagte der Wanderer der Welten, seine Stimme zu einem gespenstischen Flüstern gesenkt. »Einer meiner Gegner dachte, dies sei der passende Zeitpunkt für den Versuch, mir das zu entreißen, was ich ihm einst nahm. Sicherlich verstehst du, daß diese Angelegenheit wichtiger war als mein Spiel mit dir.« »Selbstverständlich.« »Ah, ich sehe, du hast die Zeit gut genutzt. Deine Kraft ist jetzt stärker. Gut, gut, die Herausforderung wird immer reizvoller. Wenn ich sonst einen Gewinner mitbringe, neigt er gewöhnlich dazu, über sein Schicksal zu jammern und zu winseln. In dir fließt das Blut deines Vaters. Ich mag das. Sollen wir anfangen?« Garth breitete die Hände aus. Der Wanderer tat es ihm gleich, und plötzlich wurde die dunkle Ebene, auf der sie standen, von schimmerndem Licht erhellt, die grünen Wolken wichen zurück und enthüllten eine dunkelrote Sonne, die nahezu den halben Himmel bedeckte. Ein goldener Kreis umgab ein flaches, ebenes Feld, das sich bis zum Horizont erstreckte, der unglaublich weit entfernt lag. 349
»Eine Arena für unseren Spaß«, verkündete der Wanderer. Ein roter Schimmer leuchtete auf dem Feld, und Sekunden später erschien eine dämonische Horde mit hocherhobenen Krummschwertern, Dreizacken und Schädelstandarten. Mit gellenden Schreien stürmten sie vorwärts. Garth streckte die Arme aus und errichtete eine lebende Wand vor sich, die den Angriff abwehrte. Schlag folgte auf Gegenschlag. Ein Herr der Unterwelt wurde vom Wanderer beschworen und stieg aus der Tiefe. Garth warf ihn zurück auf die dämonische Horde, zerstörte sie, und das Monster brüllte vor Freude auf, als es die Kreaturen packte und verschlang. Als nächstes zaubertete er eine dunkle Naturgewalt hervor, die den Dämon zerriß. Drachen kämpften oben am Himmel gegeneinander, Doppelgänger verfolgten sich gegenseitig, Hydren lieferten sich auf der Mauer ein Gefecht, die daraufhin krachend einstürzte, und auf dem Boden wand sich ein Dschinn zwischen den beiden Kämpfern. »Du bist unterhaltsamer als die meisten anderen«, stellte der Wanderer fest. »Wenn ich nicht anderswohin müßte, würde ich dieses Spiel wahrscheinlich noch länger spielen.« »Dann beendet es doch«, spöttelte Garth. »Oder habt Ihr nicht die Kraft? Tut es und seid verflucht.« Der Wanderer erhob die Hände mit einem ärgerlichen Fluch und trat vor. Garth taumelte zurück, gestoßen von einer unsichtbaren Kraft, die seine Seele peitschte. Er beschwor ein paar Leibwächter, die seine Schmerzen auffangen sollten, aber sie brachen schon nach wenigen Minuten zusammen, wanden sich unter Qualen auf dem Boden und starben. Weitere Schläge trafen ihn, nahmen ihm Kraft, und er sackte in sich zusammen, fiel auf die Knie. Der Wanderer kam näher und blickte auf Garth herab, der vornüber gebeugt nach Luft schnappte. 350
»Zu schade, Einauge, dein Besuch hat mir Spaß gemacht. Ich sehe, daß deine Lebenskraft fast verbraucht ist.« Garth erwiderte den Blick, sein Gesicht war blaß und verzerrt. »Fahr zur Hölle, du Unhold.« Der Wanderer seufzte. »Ich glaube, das habe ich schon getan.« Er hob die Hand zum letzten Schlag und deutete auf Garth. Der streckte die Hand aus und griff auf einen Spruch zurück, den er bis jetzt versteckt gehalten hatte. Der Schlag seines Gegners traf ihn, und für einen kurzen Augenblick glaubte er, seine Beschwörung habe versagt, und er werde ins Reich der Toten fallen. Aber dann griff er zu. Der gesamte Schaden, der ihm zugefügt worden war, fiel von ihm ab, und er war wieder bei Kräften. Im gleichen Moment wurde seine ganze Qual auf den Gegner geschleudert. Mit einem lauten Schrei taumelte der Wanderer zurück, seine schattenhafte Gestalt drehte sich um die eigene Achse, wand sich zischend am Boden. Die qualvollen Schreie brachten Garth dazu, das Auge zu bedecken, denn er befürchtete, es könnte zerspringen. Garth sprang auf die Beine und rannte auf den Wanderer zu. Der Schatten verwandelte sich, nahm eine fast menschliche Gestalt an. Wieder benutzte Garth seine Kraft, um nach innen zu schauen und alles zu erfühlen, was der Gegner besaß. Er fand es, griff danach und riß die Kraft an sich, die er brauchte, und mit ihr das Mana seiner Welt, das jene Kraft beherrschte und speiste. Der Wanderer heulte auf in hilfloser Wut und versuchte, sich zu heilen, während er immer schwächer wurde. Mit unsichtbarer Hand ergriff Garth den Spruch, der das Portal zu den Welten öffnete, die Realität veränderte, 351
die Zeit verdrehte und alles ermöglichte. Er kämpfte gegen den Wanderer, um auch das Mana zu bekommen, das diesen Spruch kontrollierte. Der Wanderer erholte sich allmählich und brüllte wie von Sinnen, als ihm das Mittel, das ihm den Zugang zur Welt seiner Herkunft öffnete, entrissen wurde. Garth kämpfte und schwankte, achtete nicht auf die rasenden Schmerzen in den Händen, bemühte sich, nichts zu fühlen, nicht zu bemerken, wie das Feuer die Finger schwärzte. Er fühlte, wie sein Zugriff auf den Spruch des Wanderers in dem Maße schwächer wurde, wie sich dieser erholte. Garth griff in sein Innerstes, sammelte das wenige, das er noch besaß, und verdoppelte damit seine Kraft und sein Mana. Er entriß seinem Gegner die Herrschaft über das Tor der Welten und wich zurück. Der Wanderer stand wieder auf, stieß ein dämonisches, wildes Wutgeheul aus und deutete auf ihn. Verdammt, jetzt, da ich ihn habe, wie benutze ich ihn? wunderte sich Garth, als er getroffen wurde. Feuer überlief ihn, und er wurde eingehüllt von einer ungeheuren Hitze. Garth Einauge sammelte seine Kräfte und konzentrierte sich auf das Tor der Welten. Der Wanderer schrie auf, griff ihn erneut an, und Garth fühlte, wie er ins Bodenlose fiel. »Metzle sie alle nieder!«, knurrte Zarel und warf Uriah einen bösen Blick zu. »Jeder, der nicht auf meiner Seite ist, ist gegen mich.« »Alle Häuser?« »Alle. Wenn wir ihnen Zeit lassen, sich zu organisieren, verbünden sie sich mit dem Mob gegen mich. Dies muß ein Ende haben. Du hast auch gehört, was der Wanderer gesagt hat. Er wird wiederkommen.« »Und was wird er zu diesem Massaker sagen?« Zarel sah ihn kalt an. Ich werde nicht hier sein und es mir anhören müssen, 352
dachte er mit zufriedenem Grinsen. Mit dem gesammelten Mana und Kirlens Büchern wird der Weg frei sein. »Bereite unsere Kämpfer und Krieger darauf vor, beim Läuten der Mitternachtsglocke anzugreifen.« »Gegen alle vier Häuser, Herr? Sie haben noch immer mehr als zweihundertfünfzig Kämpfer, trotz der Desertationen und Todesfälle in der Arena, und wir verfügen nur über zweihundert.« Zarel fluchte und starrte auf die goldenen Intarsien des Fußbodens. Kirlen konnte nur mit Macht bestochen werden, außerdem war sie seine ärgste und gefährlichste Feindin. Tulan und Varnel - ihr Haß war offensichtlich wankten ebenfalls nicht. Aber Jimak, Jimak konnte immer umgestimmt und dann später beseitigt werden. »Leere die Schatztruhen und nimm das Gold zur Bestechung. Schick es sofort zu Jimak und biete es ihm als Gegenleistung für seinen Beistand.« »Und was werdet Ihr dem Wanderer erzählen, wenn Ihr sie vernichtet habt?« »Sag ihm, ich werde das Mana der Toten vor seinen Füßen aufhäufen, um ihn ruhigzustellen. Wenn dies alles vorbei ist, kannst du dein eigenes Haus aufbauen.« Uriah nickte und zog sich langsam zurück. Zarel beobachtete ihn. »Und deine Zeit wird auch kommen«, raunte er. Dann wandte er sich mit klopfendem Herzen ab. Wieviel Zeit habe ich? fragte er sich. Und was hat Einauge mit der ganzen Sache zu tun? Kann es sein, daß er die ganze Zeit hinter Kuthuman her war und jetzt mit ihm kämpfi, um ihn niederzuwerfen? Wenn das zutrifft - um so besser. Dann wird Kuthuman später zurückkommen, und ich bin schon fort. Wenn das Gegenteil der Fall ist und Kuthuman besiegt wurde, wird Einauge geschwächt und leicht zu überwinden sein. Auf jeden Fall wird der erste Schritt der gegen Kirlen sein, und ihre kostbaren Bücher und Schriftrollen müssen sichergestellt werden. 353
Sie fluchte wütend und spuckte auf den Boden des Thronsaals. »Schick Boten zu den anderen drei Häusern. Zarel hat die tobende Menge im Augenblick niedergezwungen. Offensichtlich plant er, gegen uns vorzugehen. Entweder halten wir zusammen, oder wir sterben alle. Ich plane beim Läuten der Mitternachtsglocke einen Angriff. Richte den anderen aus, sie sollen das gleiche tun, und wir werden ihn besiegen. Bring mir ihre Zusicherungen und überbring ihnen meinen Rat, geradewegs gegen den Palast vorzudringen. Geh jetzt!« Der Bote eilte aus dem Raum. Kirlen lächelte zufrieden. Einauge hatte seine Rolle gut gespielt. Die Menge hatte Zarel angegriffen, und er hatte sie gnadenlos niedermetzeln lassen. Die Überlebenden waren geflohen, aber er hatte sie nicht verfolgt. Er konnte es nicht, denn er mußte die letzte Kraft für die Häuser aufsparen. Nur ein Narr hätte angenommen, daß die Häuser nicht zurückschlagen würden, um ihn niederzuwerfen und ihm sein Mana abzunehmen. Kirlen kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er jetzt Angst hatte, sich die Häuser zu Feinden gemacht zu haben, oder aber - noch schlimmer - davor, daß sich die Häuser mit dem Mob zusammentun könnten, um ihn zu stürzen. Das Gleichgewicht war gestört und konnte nicht mehr wieder hergestellt werden - zuviel Haß brodelte auf allen Seiten. Jetzt war die Zeit reif, Zarel zu schlagen, und in ihrer Rolle als Anführerin würde sie die nächste Großmeisterin werden und den Wanderer bei seiner Rückkehr vor vollendete Tatsachen stellen. Noch besser wäre es, so dachte sie, wenn ich ihn hinter dem Schleier herausfordere und die Vergeltung erlange, die mir zusteht. Sie dachte an Garth, der, ohne es zu wissen, diese Möglichkeit für sie geschaffen hatte. Er hatte seinen Zweck gut erfüllt. Der ganze Haß aller Seiten, der so 354
lange unterdrückt worden war, war endlich übergekocht - dank seiner Hilfe. Soll doch das ganze verderbte System auseinanderbrechen, dachte sie mit kaltem Hohn. Aber warum war er so willig mit dem Wanderer gegangen? wunderte sie sich plötzlich. Das konnte er nur getan haben, weil er etwas plante. Sie erkannte, was eigentlich ganz offensichtlich war. Von Anfang an hatte er vorgehabt, den Wanderer herauszufordern, ihn irgendwie zu besiegen und selbst zum Wanderer zu werden. Wenn das der Fall war, wäre er schwach nach dem Kampf, und ihre Aussichten, ihren Plan jetzt in die Tat umzusetzen, waren um so größer. Nun gab es eine Möglichkeit! Sie erhob sich und rief ihre Kämpfer dazu auf, sich vorzubereiten. Tulan von Kestha und Varnel von Fentesk standen im Schatten und blickten besorgt über den großen Platz. »Die alte Hexe hat recht«, sagte Tulan eifrig. »Er will uns in die Knie zwingen. Dieses Spiel des Gleichgewichts der Macht dauert schon viel zu lange. Entweder töten wir ihn, oder er tötet uns.« »Vermutlich werden wir in jedem Fall gewinnen«, meinte Varnel ruhig. »Sie wird angreifen. Dies ist keine Finte, damit wir uns vorwagen, während sie sich zurückhält. Ihre leidenschaftliche Machtgier hat sie mitgerissen. Außerdem hat sie wahrhaftig recht, so meine ich. Unsere besten Kämpfer starben in den letzten drei Tagen in der Arena. Wenn es einen Zeitpunkt gibt, uns alle zu besiegen, dann ist er jetzt gekommen.« »Und trotzdem...«, sagte Tulan mit seidenweicher Stimme. »Und trotzdem! Nehmen wir an, ihre Kräfte halten sich während des Kampfes die Waage. Dann müssen wir nur abwarten, bis sie sich gegenseitig müde gemacht haben. Vielleicht würde sie voranstürmen, wenn wir angreifen und wenigstens unsere Absichten unter Beweis 355
stellen. Aber wir halten uns zurück und warten, bis sie sich gegenseitig geschwächt haben. Dann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, schlachten wir sie alle ab.« »Und was ist mit Jimak?« »Was ist mit ihm? Wir wissen doch, daß er das Gold aus Zareis Schatztruhen begehrt. Er wird mit Leidenschaft angreifen und sich dabei selbst ans Messer liefern. Lassen wir ihn.« Varnel lächelte. »Und was unsere Wünsche betrifft«, seufzte Tulan, »so werden Euch Zarels Frauen gehören, alle zusammen, in ihrer Vielzahl von Farben, Formen, Düften und Liebespraktiken.« Varnel leckte sich gierig die Lippen. »Und wenn das geschehen ist, können wir diejenigen unserer Kämpfer jagen, die uns verraten haben und zum Mob übergelaufen sind«, sagte Varnel mit kalter Stimme. Jimak von Ingkara saß allein in seiner Schatzkammer und blickte auf den Berg aus Gold, der vor seinem Thron lag. Vor wenigen Minuten waren die Kisten zu ihm gebracht worden, die Bezahlung für seine Zusicherung, Zarel im Kampf beizustehen. Er lachte bei dem Gedanken. Natürlich würde er kämpfen, und wenn die anderen drei Häuser besiegt waren, würde er sich um Zarel kümmern. Hammen spähte durch den zerbrochenen Fensterladen. Die Mitternachtsglocke läutete mit tiefem, melancholischem Klang. Der große Platz lag still da, erhellt von den flackernden Feuern, die während der Kämpfe am Nachmittag und frühen Abend ausgebrochen waren, als der Mob durch die Stadt getobt war. Er sah zu einem Kestha-Deserteur hinüber, der vorhin mit der Nachricht gekommen war, daß die Häuser für Mitternacht einen Angriff auf den Palast planten. 356
»Nichts.« Noch während er sprach, zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Flackernd und zischend explodierte er über dem Platz und erhellte ihn mit kaltem weißen Licht. Fanfaren erschollen vom pyramidenförmigen Palast, und aus den fünf großen Toren schwärmte ein bewaffnetes Heer, vorneweg Krieger mit Armbrüsten im Anschlag, dahinter Katapultwagen und schließlich die Kämpfer. Sie stürmten über den Platz, und aus den Toren der vier Häuser strömten die Kämpfer der verschiedenen Farben. Hammen gluckste vor Vergnügen, riß den Fensterladen weit auf und lehnte sich hinaus. Naru, Norreen und die Leutnants seiner Bruderschaft, die versucht hatten, dem Mob eine Kampfordnung beizubringen, gesellten sich zu ihm. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich der große Platz in eine wogende See aus Kämpfen, als beinahe jeder Spruch, der in den westlichen Ländern bekannt war, von den mehr als vierhundert Kämpfern ins Spiel gebracht wurde. Die Mana-Konzentration war so intensiv, daß der Platz in überirdischem Licht pulsierte, das glühte und flimmerte wie Sommergewitter am Horizont. Die Bolk-Kämpfer arbeiteten sich mit rücksichtslosen Angriffen bis zu den Palasttoren vor, während die Fentesk- und Kestha-Kämpfer sich in der Mitte des Platzes hielten. Naru sah seinen alten Kameraden zu, grölte lauthals und schlug mit solcher Kraft auf die Fensterbank, daß die Bretter splitterten. »Violett wechselt die Seiten«, keuchte Hammen und wies auf die andere Seite des Platzes, wo die Reihen von Ingkara gegen die Fentesk-Flanke stürmten und sie eindrückten. Braune Kämpfer brachen ihren Angriff auf den Palast ab und eilten, wütend über den Verrat, auf die Violetten zu. Einen kurzen Augenblick lang sah Hammen Kirlen 357
auf ihrer Sänfte, das weiße Haar flatterte im Wind, und sie deutete auf das Haus Ingkara. Flüssiges Feuer tränkte die Wände des Hauses, und Flammen rasten an den Seiten hinauf. Hammen schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Wahnsinn«, seufzte er. »Nichts als Wahnsinn.« Zarel brüllte vor Freude und wandte seine Aufmerksamkeit von den Bolk-Kämpfern ab, die jetzt durch ihren noch tieferen Haß abgelenkt wurden, der durch Ingkaras Verrat neue Nahrung erhielt. Kirlen schrie und tobte, versuchte, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Palast zu richten, obwohl sie es gewesen war, die die Beherrschung verloren und ihre Kraft auf einen anderen Punkt gerichtet hatte, als ihr Angriff gerade den Höhepunkt erreichte. Es war offensichtlich, daß sich Fentesk und Kestha zurückhielten und das zerstören würden, was übrigblieb. Zarel wandte sich an seine Kämpfer- und Krieger-Reserven und wies sie an, Kestha und Fentesk anzugreifen, während Bolk und Ingkara miteinander kämpften. Mit erhobenen Armbrüsten rannten die Krieger los. Feuerbälle regneten auf sie herab, und die nachfolgenden Kämpfer errichteten Schutzvorhänge. Ein Erdspalt öffnete sich mit Donnergetöse quer über den großen Platz. Die umstehenden Gebäude schwankten. Die Krieger waren darauf vorbereitet gewesen, und einige eilten herbei und legten leichte Holzbrücken über den Abgrund. Als die Angreifer hinüberstürmten, schossen dunkle Kreaturen aus der Tiefe, zogen Krieger hinab und kämpften auch gegeneinander um die Leckerbissen, die schrien und strampelten, als sie zerrissen wurden. Zarel richtete seinen Angriff auf Varnel und sandte eine Attacke nach der anderen von oben herab: Drachen und andere geflügelte Kreaturen, Blitzschläge, Feuer358
balle und Steinregen. Die Fentesk-Kämpfer antworteten mit Feuersprüchen. Zarel sprang über den Spalt und tötete einen Dämon, der aus der Tiefe kam, um ihn zu zerreißen. Seine Raserei bewirkte, daß die Kämpfer, die gegen ihn angetreten waren, sich umdrehten und flohen. Die Krieger, denen es gelungen war, den Spalt zu überwinden, sahen ihre Stunde gekommen, feuerten auf die Rücken der Kämpfer und streckten sie so zu Boden. Viele der Gefallenen versuchten sich mit Sprüchen zu heilen, aber Zarels Krieger fielen ohne Gnade über sie her. Sie zogen ihre Schwerter, köpften die Verwundeten, hielten triumphierend die Köpfe hoch und warfen sie dann in den Erdspalt. Ausgewählte Krieger rannten von einem Körper zum anderen und schnitten die Beutel ab, damit die Sprüche und das Mana in Zarels persönliche Trophäensammlung übergingen. Und ihre Ernte war gut, denn die Fenteskund Kestha-Kämpfer fielen immer weiter zurück. Ein ganz persönliches Duell fand vor den Toren des Hauses Fentesk zwischen Zarel und Varnel statt. Zarel war so übersättigt von den Kräften, die er erbeutet hatte, daß er Varnel bald in die Knie zwang. Der Meister des Hauses sah Zarel mit ungläubigem Staunen an, als dieser zum endgültigen Angriff ausholte und einen Spruch benutzte, der Varnel innerhalb von wenigen Sekunden um hundert Jahre altern ließ. Der Mann, der den Sinnenfreuden so überaus viel Bedeutung beigemessen hatte, weinte bitterlich, als er sich langsam in ein winselndes Bündel aus gelblicher Haut und spärlichen weißen Haaren verwandelte. Die Türen des Fentesk-Hauses wurden niedergerissen, und als Zarels Krieger und Kämpfer hineinstürmten, versuchten diejenigen, die sich drinnen versteckt hielten, nach draußen zu fliehen. Zarel deutete auf eine junge Frau, die erstarrte und dann wie eine Schlafwandlerin auf ihn zukam. 359
Mit einem grausamen Lächeln packte er sie und riß sie aus ihrer Trance. Er zwang sie, auf Varnel hinabzusehen. »Da ist dein Herr«, lachte Zarel. »Hast du Lust, ihn ein wenig zu liebkosen?« Varnel streckte die zitternden Hände nach ihr aus. »Malina.« Seine Stimme war nur noch ein zischendes Krächzen, sein Atem stank nach Fäulnis. Das Mädchen wich entsetzt zurück, stieß ein angewidertes Lachen aus und legte die Arme um Zarel. »Verfluche dein Schicksal und stirb«, sagte Zarel lachend, deutete auf Varnel und warf den Spruch noch einmal über ihn. Varnel stöhnte vor Gram und alterte weiter. Sein Fleisch wurde zu Staub, bis nur noch ein in seidene Gewänder gehülltes Skelett und ein Schädel übrig war, dessen Mund sich zu einem letzten Schmerzensschrei öffnete. Zarel stieß das Mädchen zur Seite und wandte sich wieder dem Kampf zu. Ein donnerndes Krachen erscholl über dem großen Platz, und Zarel sah sich um. Das Haus Ingkara war in Flammen gehüllt, und auf den Zinnen sprangen Kämpfer hin und her, deren Kleidung Feuer gefangen hatte. Einige von ihnen warfen sich in die Tiefe und zogen eine Spur von Rauch und Feuer hinter sich her. »Uriah!« Zarel blickte sich suchend um und sah seinen Hauptmann durch das Gedränge eilen. »Fahre fort damit, Tulan in die Enge zu treiben. Wenn du sein Haus einnimmst, gehört dir sein persönlicher Beutel. Ich kehre zurück, um Kirlen niederzuwerfen.« Der Zwerg lächelte spöttisch, machte kehrt, stieß einen wilden Kriegsruf aus und stürzte sich wieder ins Getümmel. Zarel blickte ihm nach und grinste höhnisch. Er hatte ihm den Beutel versprochen, aber nicht gesagt, wie lange er ihn behalten konnte. 360
Er bedeutete seinem Leibwächter, ihm zu folgen, rannte über den Platz zurück und sah voller Entsetzen das durch die Bolk-Attacken in Flammen gehüllte Nordende seines Palastes. Zarel erblickte seine Feindin und warf brüllend vor Wut den Kopf zurück. »Kirlen!« Hammen war wie gebannt angesichts des Wahnsinns, der sich unter ihm auf dem Platz abspielte. »Wir sollten ihn jetzt angreifen.« Er sah über die Schulter. Varena stand hinter ihm, ihr Gesicht war blaß und angespannt. »Ich habe dir einen Schlaftrunk gegeben, Weib, jetzt nutz das aus. Du bist noch immer schwach.« »Gib mir meinen Beutel zurück.« Sie hielt die Hand auf. »Wozu? Damit du dort hinausgehen und Selbstmord begehen kannst, nach allem, was ich getan habe, um dich zu retten? Du bist so schwach wie ein neugeborenes Kätzchen. Geh und leg dich hin.« »Zarel ist vor Blutdurst verrückt geworden. Er wird nach der Vernichtung der vier Häuser nicht aufhören; als nächstes richtet er seine Aufmerksamkeit auf den Mob. Du hast Zehntausende, die bereit sind, zu kämpfen. Laß sie los, bevor er gewonnen hat.« »Junge Dame, während du so bequem geschlafen hast, haben wir genau das versucht. Die Straßen von der Arena zum großen Platz sind mit Toten vollgestopft. Wir wurden zurückgeschlagen, weil wir nicht mit Keulen und Messern gegen Sprüche und Armbrüste ankämpfen konnten. Laß sie weitermachen. Vielleicht werden sie sich gegenseitig so schwächen, daß wir Zarel zum Schluß zur Strecke bringen können.« Varena seufzte und stützte sich auf die Fensterbank. Als sie hinausschaute, sah sie die Vorderseite ihres Hauses zusammenbrechen und in den Flammen versinken. 361
Mit tränenverschleierten Augen wandte sie sich ab. »Hättest du meinen Geist doch in Frieden gehen lassen, statt mir dieses Ende zu zeigen!« Sie taumelte vom Fenster weg und fiel zu Boden. Wieder schaute Hammen aus dem Fenster. Das Haus Kestha wurde jetzt belagert und von vielen Stein- und Hügelriesen angegriffen, die mit dicken Keulen gegen die Wände schlugen, während ein Jagannath langsam und kraftvoll dahinrollte und durch die Tore des Gebäudes brach. Krieger kämpften inmitten des Chaos, Kämpfer lieferten sich Gefechte aus nächster Nähe. Auf den Zinnen erschien Tulan, und aus seinen Händen strömte ein Regen aus Feuer, Wind, Sturm und Blitzen, der die meisten der Riesen zerstörte. Doch dann erschien eine dunkle Wolke, die geradewegs auf den Meister des Hauses Kestha zuflog. Tulan kämpfte schreiend vor Wut gegen die Dunkelheit, die seine Lebenskraft aufsaugte, bis sein massiger Körper schrumpfte und seine seidenen Gewänder wie an einem Skelett an ihm hingen. Tulan schwankte auf den Zinnen hin und her, während unter ihm auf dem Platz Zarels Kämpfer seine Pein mit höhnischem, hartem Gelächter begrüßten. Mit einem wilden Fluch riß sich Tulan den Beutel vom Gürtel und warf ihn in die Luft. Er hob die Hände und deutete darauf. Der Beutel verschwand in einer Rauchwolke. Uriah deutete mit Wutgebrüll auf Tulan, der an den Rand der Zinnen taumelte und sich mit einem letzten Fluch in die Tiefe stürzte. Sein Körper wurde durch Uriahs Spruch von Flammen eingehüllt und prallte auf die Pflastersteine, wo er zerschmettert liegenblieb. Hammen fühlte Übelkeit in sich aufsteigen und wandte sich ab. »Von den vieren war er wahrscheinlich noch der harmloseste«, sagte der Alte. Eine Unzahl Krieger strömte jetzt in das Haus Kestha, um das Morden fortzusetzen. Draußen auf dem Platz 362
rannte Uriah hin und her, schrie wütende Befehle und wies seine Kämpfer schließlich an, sich gegen das Haus Bolk zu wenden. »Die Häuser sind tot«, sagte Norreen, die an Hammens Seite stand und das Morden beobachtete. »Zarel wird gewinnen, und dann gibt es kein ausgleichendes Gegengewicht mehr. Wenn wir überhaupt noch eine Hoffnung haben, dann müssen wir jetzt handeln.« »Wir? Ich dachte, du wolltest weg aus diesem Tollhaus.« »Irgendwie bin ich da hineingerutscht, und sei es nur zum Andenken an Garth.« Hammen wandte sich an seine Gruppe von Vagabunden-Leutnants. »Juka, sammle die Leute auf der Straße der Schwertschmiede! Valmar übernimmt die Straße der Gerber, Pultark die Straße der Seidenhändler und Seduna die Straße der Metzger. Es ist unmöglich, die einzelnen Angriffe ordentlich miteinander abzustimmen. Laßt sie einfach losstürmen. Vielleicht können wir die Gegner überrennen, solange sie noch auf dem Platz sind. Wenn der Schurke die anderen besiegt hat und wieder in seinem Palast sitzt, ist es zu spät. Los jetzt!« Die vier Männer nickten grimmig und verließen den Raum. Er sah zu Naru hinüber, der mit gekrümmtem Rücken auf dem Boden saß. »Keine Angst, du übergroßer Tölpel, wir werden noch einen Kampf ausfechten.« Naru grinste vor Vergnügen. »Kirlen!« Trunken vor Mordlust und Triumph, bewegte sich Zarel auf seine meistgehaßte Rivalin zu. Die alte Frau beobachtete, wie er näher kam, ihre Silhouette zeichnete sich im Schein der Feuersbrunst deutlich ab, und sie wußte, daß ihr Traum, ihn zu stürzen, vorbei war. Auf 363
den rußgeschwärzten Zinnen des Hauses Ingkara stand Jimak, der zu ihr heruntersah, und sie fühlte seine Schadenfreude über ihren Fall. Sie wandte sich Zarel zu, ohne zu bemerken, daß die meisten ihrer Kämpfer flohen und sich die Gewänder vom Leib rissen. Sie stand auf ihrem Thron und spürte jetzt in der Stunde ihrer Niederlage, daß alles verloren war. Die Qual fuhr ihr bis in die Seele. Sie kehrte um und floh in ihr Haus. Als sie durch die Türen humpelte, folgte ihr das Lachen ihrer Feinde. Sie schlug die Tür hinter sich zu und blickte die beiden zitternden Wächter an. »Haltet aus, solange ihr könnt!« schrie sie und hastete den dunklen Gang entlang, ohne zu bemerken, daß die beiden jungen Kämpfer einen anderen Korridor hinabliefen, in dem verzweifelten Versuch, der endgültigen Zerstörung zu entfliehen. Sie erreichte ihre Gemächer und hielt inne. Ihre Bücher, ihre kostbaren Bücher und Manuskripte, kurz, ihr gesamtes magisches Wissen umgab sie. Sie hörte, wie draußen gegen die Türen geschlagen wurde, hörte das Krachen der Scharniere und die spöttischen Rufe der Feinde. Kirlen streckte die Hände aus, drehte sie in engen Kreisen und zog sie dicht um den verdorrten Körper. Zarel stand vor dem Haus Bolk und beobachtete, wie das Gebäude in sich zusammensank. Ein Kämpfer kam aus der Tür, rannte an seine Seite und neigte den Kopf. »Nun?« »Sie ist fort. Der Raum war mit Eis bedeckt.« »Was?« Zarel drängte sich durch die Tür und rannte den Korridor entlang. Er fühlte, daß das Gebäude bald zusammenstürzen würde. Dann hatte er das Ende des Ganges erreicht und betrat ihre Privatgemächer. Er spürte noch ihr Lachen, den letzten Spott in dem 364
Licht, das in der Mitte des Raumes flackerte. Irgendwie war sie geflohen. Sie war noch in dieser Welt gefangen, aber sie war entkommen. Einige Blätter wirbelten im Raum umher, flatterten auf das Licht zu und verschwanden. Der Raum war dunkel und kalt wie ein Grab. Ein Teil der Decke brach ein, und Zarel sprang mit einem wilden Fluch zurück. Dann floh er den Gang entlang zum großen Platz zurück. Hinter ihm brachen die Mauern des Hauses Bolk zusammen. Er wurde von rasender Wut verschlungen. Sie war geflohen. Aber sie mußte irgendwo auf dieser Ebene sein und konnte daher gefunden werden. Mit genug Mana zur Hand sollte es ihm doch möglich sein, die Sprüche zu wirken, die sie fänden, bevor es zu spät war. Der einzige noch Verbliebene war Jimak von Ingkara. Als er auf das Haus zuging, sah er Jimak herauskommen. Der alte Mann ging langsam und wandte sich unruhig nach den Spuren des Blutbades auf dem Platz um. Ein gespenstisches Licht erhellte den Platz, nicht allein von der ungeheuren Menge von konzentriertem Mana herrührend, sondern auch von den Scheiterhaufen der drei anderen Häuser. Noch immer wurde gekämpft, die letzten Überlebenden wurden gefangengenommen und umgebracht. »Hast du bekommen, was du wolltest?« Zarel sah zu Jimak hinüber, und ein höhnisches Grinsen flog über seine Züge. »Du hast deine eigenen Leute für eine Handvoll Gold verraten.« »Ich dachte mir, daß du gewinnen würdest.« Zarel antwortete nicht; er genoß diesen Augenblick, und Jimak fuhr fort: »Wir hätten alle gemeinsam gegen dich vorgehen sollen, von dem Moment an, da du angekündigt hast, daß alle Kämpfe auf Leben und Tod gehen sollten. Aber wir waren alle so auf Einauge fixiert. Wir alle wollten ihn, und doch haßten wir ihn, weil wir 365
ihn nicht kontrollieren konnten. Wären unsere Besten nicht in der Arena getötet worden, hätten wir dich besiegt. Das hätten wir deutlicher erkennen sollen.« Der alte Mann schwankte hin und her, und Zarel bemerkte plötzlich, daß sein Beutel offen war und nicht mit Sprüchen, Amuletten und Mana gefüllt war, sondern mit Gold. Jimak lächelte. »Ich habe mein Mana in alle vier Winde geworfen. Du wirst sie nicht bekommen, dein Sieg ist vertan. Ich freue mich, daß Kirlen, mit ihrem ganzen Haß auf dich, entkommen konnte.« Er fiel keuchend zu Boden. Dann blickte er Zarel an. »Ich dachte, das Gift sei schmerzlos, ich habe mich geirrt. Aber es wird schnell vorbei sein. Ich sehe dich in der Hölle wieder.« Zarel starrte auf Jimak hinab, der sich am Boden wand und rasselnd atmete. Schreiend vor Zorn trat er Jimak in die Seite und wandte sich dann ab. »Zerstört Ingkaras Haus!« brüllte er. »Laßt nicht einen Stein auf dem anderen. Das gilt auch für die anderen Häuser. Jetzt bringt mir das Mana, das ihr den Gefallenen abgenommen habt. Jeden, der etwas zurückbehält, töte ich mit eigenen Händen.« Uriah, der dem Wortwechsel zwischen Jimak und Zarel gelauscht hatte, trat verärgert vor. »Ihr habt mir ein Haus versprochen und alles, was in Tulans Beutel war. Er hat ihn vor seinem Tode zerstört. Was den anderen Kestha-Kämpfern abgenommen wurde, beanspruche ich für mich.« Zarel drehte sich um und schlug ihn mit einem einzigen Hieb nieder. Uriah bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen, aber Zarel versetzte ihm einen psionischen Schlag, durch den der Zwerg das Bewußtsein verlor. 366
Dann starrte er die anderen Kämpfer an. »Tut es!« Noch während er sprach, brach erneut Kampfeslärm auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes aus. »Verdammt, was ist jetzt?« fauchte er wütend. Ein Krieger drängte sich durch die Reihen der Kämpfer, die den Fall ihres Hauptmanns beobachtet hatten. »Der Mob, Sire!« rief der Krieger. »Er greift wieder an.« Zarel richtete den Blick wieder auf die Kämpfer. »Laßt keinen von ihnen am Leben. Wenn diese Stadt in einen Scheiterhaufen verwandelt werden kann, dann tut es.« Die Kämpfer schwiegen und rührten sich nicht. »Ihr habt die Wahl«, zischte Zarel. »Entweder dient ihr mir jetzt, oder ihr sterbt. Ihr könnt gemeinsam versuchen, mich zu überwältigen, aber aufgrund der Macht, die ich besitze, werden nur wenige überleben. Und diejenigen, die überleben, werden vom Mob in Stücke gerissen. Jetzt geht und haltet sie auf.« Mehrere Kämpfer drehten sich um und näherten sich müde dem Kampfeslärm. Die anderen sahen sie gehen und folgten ihnen schließlich. Zarel stürmte ihnen nach und sammelte das Mana, das ihm seine treuen Krieger aus Dutzenden von Beuteln gefallener Kämpfer beider Seiten brachten. Als er das Mana sammelte, fühlte er einen Energieschub, so daß ihn nicht einmal mehr sein eigenes Körpergewicht belastete. Er nutzte die erneuerte Kraft und sandte mit einem Jubelruf einen Feuerball über den Platz - Feuer, das den Mob mit solcher Gewalt traf, daß hundert oder mehr Menschen von den Flammen erfaßt wurden und ihre weißglühenden Körper qualvoll am Boden zuckten. Der Mob, der wutentbrannt aus dem Durchgang zur Straße der Seidenhändler gestürmt war, machte voller Panik kehrt, um zu fliehen. Aus den anderen Straßen, die zum großen Platz führten, drangen immer mehr 367
Menschen, und der höhnisch lachende Zarel überschüttete sie mit weiteren Quälereien, schlachtete Hunderte ab, mit einer Kraft, die der eines Halbgottes gleichkam. Und während er seine Kräfte durch das Morden verbrauchte, sang er mit grimmiger Freude vor sich hin. Die Menschen wandten sich um und flohen bei seinem düsteren Anblick. »Wir haben verloren, alles ist verloren!« Hammen, verblüfft durch die ungeheuere Kraft Zarels, konnte sich nur noch gegen die Wand eines eingestürzten Gebäudes lehnen, während er benommen dem Morden auf dem Platz zusah. Er hatte gewußt, daß der Angriff eine vergebliche Hoffnung gewesen und nun zum Untergang verurteilt war. Das Volk hatte während der letzten beiden Tage zu viele Schläge in der Arena und während der Aufstände einstecken müssen, jetzt hatte es sich verausgabt und floh in alle Himmelsrichtungen. Aber der Gegenschlag war noch nicht beendet. Zarel war fast verrückt vor Schadenfreude, taumelte über den Platz und verbrannte alles, was ihm in die Quere kam. Seine Krieger und inzwischen auch viele seiner Kämpfer waren zu Amokläufern geworden und rannten wie Wahnsinnige umher, töteten die Verwundeten, brannten sämtliche Gebäude nieder, verteilten sich in den Seitenstraßen und zerstörten alles, was sie entdeckten. »Wahnsinn, es ist völliger Wahnsinn«, murmelte Hammen. Er fühlte Hände auf seinen Schultern, die ihn herumdrehten und sah sich Naru und Norreen gegenüberstehen. »Die Welt gehört jetzt ihm«, stöhnte Hammen. »Wenigstens gab es früher, bevor Garth kam, ein Gegengewicht. Das ist jetzt nicht mehr vorhanden. Verdammt, alles ist vorbei, und wir befinden uns in den Händen eines Wahnsinnigen.« »Alter Mann muß gehen«, sagte Naru, dessen Stimme 368
traurig klang. »Zarel dich tötet, tötet Purpur-Frau und andere Frau, wenn findet. Geht.« Zitternd vor Müdigkeit ließ Hammen es zu, daß sie ihn vom Platz führten. Ein Feuerball krachte in das Gebäude, an dem er gerade noch gelehnt hatte. Naru brüllte vor Schmerz auf und taumelte in die Mitte der Straße, sein langer Bart und die Haarmähne standen in Flammen. Er fuhr herum und versuchte das Feuer zu ersticken. Heiseres Lachen ertönte aus dem Schatten, und der verblüffte Hammen sah Zarel, der mit unglaublicher Schnelligkeit auf sie zukam. Er versetzte Naru einen weiteren Schlag, und der Riese brach zusammen. Hammen wandte sich an Norreen. »Fliehe! Finde Varena und bring sie fort!« »Wir sind alle erledigt«, knurrte Norreen. »Laß mich so sterben, wie ich es will.« Sie zog ihr Schwert aus der Scheide, sprang nach vorn und stellte sich über Narus schwach zuckenden Körper. Hammen trat seufzend an ihre Seite. Zarel hatte jetzt erkannt, wem er gegenüberstand, und ein kaltes, zufriedenes Grinsen trat auf seine Züge. Mit erhobenen Händen näherte er sich ihnen, bereit zu töten. Lange Zeit fiel er und war nicht sicher, ob er bereits in die Ewigkeit geglitten war oder ob die Zeit aufgehört hatte zu existieren. Er spürte, daß er verfolgt wurde, wenn auch aus großer Ferne. Er hatte die Tür zu der Welt zugeschlagen, aus der er gekommen war, aber er fühlte, daß er sie nicht mit ausreichend viel Mana verschlossen hatte, um sie für immer zu blockieren. Langsam kehrte seine Kraft zurück, und er empfand plötzlich ein Glücksgefühl, die Erkenntnis, daß er tatsächlich die letzte Barriere überwunden hatte und ein Wanderer der Welten geworden war. Das Universum mit seinen unzähligen Realitäten erwartete ihn, wenn er es 369
wagte. Aber er fühlte auch die Schranken, die ihn von allen Seiten umgaben, die Reiche, die von anderen so eifersüchtig gehütet wurden, und davon gab es viele. Er spürte sie, einige hatten sich in ihren Welten eingeschlossen, wie verrückte Geizhälse, deren Türen verschlossen blieben, weil sie das Eindringen anderer in ihre elenden Reiche fürchteten. Andere kämpften mit wahnsinniger, verrückter Freude, kämpften einfach nur um des Kampfes willen. Es gab Triumphe und Verluste, Überschwang und Verzweiflung. Und nur ganz selten spürte man Frieden hinter den Mauern, die so hoch und stark waren, daß niemand in die darunterliegenden Gärten gelangte. Er spürte auch, auf welche Weise das erreicht worden war. Die Versuchung ergriff ihn, bot ihm die ganze Macht eines Halbgottes an, denn das war er in diesem Augenblick geworden, ein Wanderer, der durch das Universum zu ziehen vermochte und gegen dunkle und helle Mächte kämpfen konnte, wenn er es wollte. Er verhielt eine Weile unschlüssig, hin- und hergerissen zwischen seinen Wünschen, und wandte sich um, fühlte etwas anderes. Dann wußte er es. Er sah dorthin, von wo er gekommen war, und merkte, daß die Barriere nachgeben und sein Rivale erscheinen würde. Da sie jedoch durch das gesamte Universum gleiten konnten, war es ihm gleich. Aber da war noch etwas. Er fühlte eine bleibende Traurigkeit aufsteigen, wie ein Kind, das vom Spiel auf einem gefährlichen Gelände zurückgerufen wird, um sich wieder einer Aufgabe zuzuwenden, die es gern zum Verschwinden brächte - die aber bestehen bleibt. Er wußte, was er tun mußte, und etwas drängte ihn so heftig, daß er sich hinunterbegab. Hammen machte sich nicht einmal die Mühe, die Hände zu heben, denn er wußte, daß es vergebens wäre. Norreen würde als Benalierin sterben, kämpfend, mit dem 370
Schwert in der Hand, und ihrer Kaste Ehre machen. Aber er selbst fühlte seine Erschöpfung, sein Alter, und außerdem war er der Ungerechtigkeit dieser Welt überdrüssig geworden und wollte für immer Frieden finden. »Tu es, du Schurke, und gib Ruhe!« schrie er. Als Zarel die Hände mit dämonischem Lachen erhob, erschien ein Schatten über ihnen. Zarel hielt inne und starrte nach oben. Der Schatten wirbelte herum, kam herab, und Zarel wich zurück. Er nahm Gestalt an, und Hammen setzte sich vor Schreck neben Naru auf die Straße. Garth Einauge stand in der Straßenmitte. Zarel stand still, sein Mund war vor Staunen weit aufgerissen. »Ich glaube, wir haben noch etwas zu klären«, sagte Garth mit eisigem Gesichtsausdruck. Zarel schwieg und sah sich nervös um. »Erinnerst du dich an die Nacht, als mein Vater starb?« fragte Garth mit scharfer Stimme. »Erinnerst du dich an mich, wie ich vor dir stand, ein Kind, halb erblindet, durch deine Hand? Du wolltest mich als Geisel benutzen, aber wir beide wußten, daß du nicht zu deinem Wort gestanden hättest. Du hättest zuerst ihn und dann mich getötet. Erinnerst du dich daran, wie ich mich losriß und zurück in die Flammen rannte? Du hast gelacht, als du meine kindlichen Schreie hörtest.« Er schwieg für einen Augenblick. »Erinnerst du dich?« Seine Stimme war wie ein Peitschenhieb. Zarel erhob die Hand, und ein Feuerelementar sprang auf, dessen Flammen über Garth zusammenschlugen. Er verschwand in dem Mahlstrom des Feuers, und Zarel lachte höhnisch und trat vor. Ein eisiger Wind fegte über den großen Platz, verwehte den Elementar, und Garth stand noch immer dort. Die Kämpfe auf den Straßen erstarben. Zarels Krieger 371
und Kämpfer zügelten die Schritte und sahen sich furchtsam um. Beim Anblick dessen, der ihrem Meister gegenüberstand, wurden sie von Schrecken befallen. Auch das aufgebrachte Volk hielt inne. Die Zurückgebliebenen näherten sich langsam den beiden Gegnern. Zarel wich zum Platz hin aus, Garth folgte ihm. Schlag folgte auf Gegenschlag, und die beiden verstrickten sich in einen Kampf aus Haß und Rache. Sämtliche von ihnen kontrollierten Kräfte wurden eingesetzt, so daß ihr Kampf sogar das Gefecht der verschiedenen Häuser zu übertreffen schien. Flammen schossen in den rauchbedeckten Himmel, Drachen und Flugkreaturen schwebten darüber, Riesen rangen miteinander, und dunkle Gestalten erschienen aus der Unterwelt. Allmählich mußte Zarel nachgeben. Und während das geschah, sahen alle die wachsende Angst in seinen Augen. Seine Furcht saugte die Entschlossenheit seiner Krieger und Kämpfer auf und stärkte das Volk, das langsam näher kam. Zarels Krieger gaben auf, erst einer, dann ein weiterer und immer mehr, bis schließlich eine wahre Stampede auf die vermeintliche Sicherheit des Palastes zuraste. Die Kämpfer machten gleichfalls auf dem Absatz kehrt und flohen in wilder Panik. Ein mächtiges Gebrüll erscholl, und der Mob setzte ihnen nach, zog sie hinab und tötete jene, die das Volk so lange gequält hatten, mit Stichen und Schlägen. Hier und da vermochten Hammens Leutnants die Raserei ein wenig einzudämmen und erlaubten Kämpfern, sich ihrer Beutel, und Kriegern, sich ihrer Waffen zu entledigen, und schickten sie in die Nacht hinaus, bar jeder Kraft. Zarel taumelte unter den Treffern seines Gegners und wich zum Palast zurück, der inzwischen rauchte und qualmte, während der Mob das Gebäude stürmte, es plünderte und durchwühlte. Schließlich warf Zarel einen letzten Feuerball auf 372
Garth, der zwar davon aufgehalten wurde, ihn aber durch einen Schutzkreis ablenken konnte. Zarel stand nach Atem ringend da, sein Mana war bis auf einen winzigen Rest verbraucht, als wäre er ein Kämpfer des ersten Ranges. Garth trat auf ihn zu und zog seinen Dolch aus der Scheide. Zarel starrte ihn mit großen Augen an und zog ebenfalls seinen Dolch. Mit einem wilden Schrei sprang er vor, aber Garth parierte den Angriff. Ihre Klingen trafen sich immer wieder, und Garth wich zurück. Blut rann über seine Wange, die bis auf den Knochen aufgeschlitzt war. »Ich schneide dir jetzt das andere Auge heraus!« brüllte Zarel. Garth vollführte eine Parade, und Zarel streckte die Hand aus. Mit weißglühender Energie blitzte ein Licht vor seinem Gesicht auf und blendete ihn. Lachend sprang Zarel vor, um seinen Dolch in Garths Kehle zu stoßen. Doch dann erstarrte seine Hand, und er taumelte mit einem Schmerzensschrei zur Seite. Er tastete vorsichtig und zog dann einen kleinen Dolch aus seinem Rücken, warf ihn zur Seite und verschwendete kostbare Sekunden auf einen Heilspruch. Garth hatte das Feuer vor seinem Auge beseitigt, sah zu Boden und bemerkte Uriah, der neben Zarel am Boden lag. Uriah blickte ihn an und lächelte, und für einen Augenblick schien es Garth, als wären die Jahre von ihm abgefallen, und wieder war dieser Zwerg sein Freund. »Es tut mir leid«, flüsterte Uriah, als Zarel sich mit einem Wutschrei auf ihn stürzte und ihm seinen Dolch ins Herz stieß. Mit einem wilden Schrei, in dem der Schmerz der vergangenen Jahre lag, warf sich Garth nach vorn. 373
Zarel riß seinen Dolch aus Uriahs Herz und versuchte dem Angriff auszuweichen. Brüllend stieß Garth zu. Entsetzt taumelte Zarel zurück und starrte auf das Heft des Dolches, der in seiner Brust steckte. Er griff danach, und ein verblüfftes Schluchzen kam über seine Lippen. Schwach bewegte er die Hand, um einen heilenden Spruch zu wirken. Garth beobachtete ihn kalt, zögerte und hob dann die Hand, um ihn aufzuhalten. »In jener Nacht hätte ich dir besser die Kehle durchschneiden sollen, als dir nur das Auge herauszudrücken«, zischte Zarel. »Dein Fehler«, sagte Garth leise. Zarel brach zusammen und fiel zu Boden. »Was hast du denn jetzt?« röchelte Zarel. »Für diesen Moment hast du gelebt. Was hast du jetzt, da alle deine Feinde tot sind?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Garth traurig, als Zarel die Augen schloß und in die Dunkelheit fiel. Hammen stand still und beobachtete, wie der letzte Akt des Dramas endete. Garth wandte sich ihm zu. Er schien wieder zu einem Jungen zu werden, verwirrt und verloren. Noch einmal blickte er auf Zarel hinab, schüttelte den Kopf und ging dann mit einem traurigen, abwesenden Lächeln auf Hammen zu. Norreen drängte sich durch die umherstehende Menge und warf sich in Garths Arme. Und dann schien es, als wären die beiden nichts weiter als eine Illusion, sie verschwanden, Dunkelheit senkte sich über sie. Zuerst wirkte Garth verblüfft, dann begriff er jedoch. Ein weiterer Gegner aus einer anderen Welt verlangte nach ihm. Während er und Norreen von diesem Rivalen fortgerufen wurden, flüsterte er lächelnd ein paar Worte. »Du bist frei.« Er war fort. 374
Stille lag über dem großen Platz, man hörte nur noch die Schreie der Verwundeten und Sterbenden und das Krachen der Feuersbrunst. Hammen blickte auf das Volk, das aus einem dunklen Traum zu erwachen schien. »Was jetzt?« fragte jemand leise. »Ich weiß nicht«, seufzte Hammen. »Ich glaube nicht, daß er einen Plan für danach hatte.« Er sah auf die brennende Stadt. »Ich weiß es nicht, und im Moment ist es mir auch gleich.« Dann setzte er sich in die Asche und weinte leise vor sich hin.
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Die Straße vor ihm wirkte wie ein leuchtendes Band aus Mondlicht, das sich über die dunklen Hügel wand. Auf der Spitze eines Hügels sah er die Taverne, einen seiner alten Lieblingsplätze, und er reckte sich im Sattel, war zufrieden, daß der Tagesritt fast zu Ende war. Über die Schulter blickte er zurück auf die jungen Magier, die hinter ihm ritten. Obwohl sie müde waren, redeten sie eifrig miteinander, denn morgen würden sie die Stadt erreichen. Er lauschte ihrem Geschwätz mit halbem Ohr, hörte ihr Geprahle, was sie beim Fest alles erreichen und welche Sprüche sie erobern würden und daß sie auf dem Rückweg, nach dem Ende der Feierlichkeiten, die Lorbeerkränze der Sieger auf dem Kopf tragen würden. Der alte Mann lauschte und lächelte vor sich hin, aber das sahen sie nicht. Immerhin war er der Meister, und sie hatten ihn noch nie lächeln sehen und würden ihn auch nicht lächeln sehen, jedenfalls so lange nicht, bis sie gesiegt hätten. Sie ritten auf den Hof der Taverne, und der Alte stieg vom Pferd. Seine Gelenke knackten, und er stieß einen milden Fluch über einen der jungen Männer aus, der nicht schnell genug zur Stelle war. Er betrat die Taverne und sah sich vorsichtig um. Es war später Abend, aber noch waren ein paar Reisende wach und saßen plaudernd am Feuer. Sie sahen zu ihm her und grinsten freudig. Einer von ihnen stand auf und kam mit einem Becher in der Hand zu ihm herüber. Er kannte diesen Mann und wartete. 376
»Wie stehen die Aussichten in diesem Jahr?« Der alte Mann blickte ihn von oben bis unten an. »Wir gewinnen«, schnaubte er, und sein Ton verriet deutlich, daß er nicht in der Stimmung war, über Quoten und Wettaussichten oder den endgültigen Sieger zu reden. Der Mann kehrte schmollend zu seinen Freunden zurück. Der alte Mann sah zu dem Wirt hinüber. »Sieh zu, daß meine jungen Leute Essen und ein Nachtlager bekommen.« Er griff in seine Börse, die am Riemen seines Beutels befestigt war, zog ein Goldstück heraus und warf es dem Wirt zu. Dann drehte er sich um und ging zurück zur Tür. »Meister?« Er blickte zurück, und eine junge Frau kam vorsichtig auf ihn zu. »Was ist?« »Wo geht Ihr hin?« »Spazieren, brauche frische Luft.« »Ihr solltet nicht allein gehen.« Der alte Mann lachte. »Ich denke, ich kann auf mich aufpassen. Jetzt iß und geh dann zu Bett - morgen haben wir einen langen Ritt bis zur Stadt vor uns.« Sie zögerte. »Wir haben das Gefühl, daß da draußen heute irgend etwas ist«, flüsterte sie. »Geh schon, Kind, es ist alles in Ordnung.« Widerstrebend wandte sie sich um und gesellte sich wieder zu ihren Freunden. Er öffnete die Tür, trat hinaus ins Mondlicht und ging die Straße entlang. Das Mädchen hatte recht. Jemand war ihnen gefolgt, das spürte er. Er hatte die Anwesenheit den ganzen Abend über gefühlt, und sie kam immer näher. Sie 377
schien vertraut, aber er war nicht sicher. Wenn es etwas Schlechtes zu bedeuten hatte, wollte er die jungen Leute aus dem Weg haben. Sie waren nur Kämpfer des ersten und zweiten Ranges und würden während eines Kampfes getötet werden. Aber heutzutage gab es kaum Kämpfer, die einen höheren Rang innehatten. Die anderen waren fast alle während der >Zeit der Unruhen< getötet worden. Langsam ging er den Weg zurück, den er geritten war, bis er die Spitze des Hügels erreichte. Und dann sah er sie. Zwei Reiter, die sich gemächlichen Schrittes näherten, als hätten sie alle Zeit der Welt und nichts zu befürchten. Der alte Mann zog sich in den Schatten der Bäume zurück und beobachtete ihr Kommen. Einer der Reiter zügelte sein Pferd, und der Alte hörte, wie ein Schwert gezogen wurde. Dann erklang ein kühles, abweisendes Lachen. »Alter Mann, wenn du kämpfen willst, dann komm wenigstens aus dem Schatten heraus und hör auf, dort herumzuschleichen.« Er trat auf die Straße und sah zu ihnen auf, aber der Mond hinter ihm verschwand in einer Wolke, so daß das Land in Dunkelheit gehüllt wurde. »Wer bist du?« fragte einer der beiden mit kühler, überheblicher Stimme. »Ich sollte doch wohl fragen, wer ihr seid? Mehrere Stunden lang folgt ihr uns schon.« »Dies ist eine freie Straße. Also, wer bist du?« Der alte Mann streckte langsam die Arme aus, bereit zu kämpfen. »Hadin gar Khan, Meister des Hauses Oor-tael.« Die Frau lachte leise und steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. »Gehst du zum Fest?« fragte sie. »Das habe ich vor.« »Werdet ihr gewinnen?« 378
Ihre Stimme hörte sich einfach nur neugierig an, und Hammen entspannte sich etwas. »Das haben wir geplant. Die Spiele werden spannend sein, wir haben fast ausschließlich junge Kämpfer. Das ist so seit den >Zeiten der Unruhe