KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U LTU R K U N D L I C H E H E F T E
E B E R H A R ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U LTU R K U N D L I C H E H E F T E
E B E R H A R p BOP^ITZ
^ie alte Orgel Von der alten und jungen Kunst der Orgelbauer
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Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.03.02 17:50:06 +01'00'
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U • M Ü N C H E N . INNSBRUCK•ÖLTEN
Präludium JL V J^ ächtig braust die Orgel auf, die Bässe rollen sanft durch den Raum, hell glitzern die Cymbeln, und still blasen die Flöten. Die große Fantasie und Fuge in g-Moll des Thomaskantors Johann Sebastian Bach hat ihre eigene Sprache: Da die Worte fehlen, spricht die Orgel. — Ja, die Orgel spricht; sie ist kein totes Instrument, sie lebt, sie hat gleichsam eine Seele und einen Geist, und wenn sie spricht, dann berührt ihre Stimme die Seele der Menschen, und die Menschen nehmen ihre Tonschwingungen auf und verstehen ihr Wort. Ist es nur eine Stimme, die da eindringlich zu uns spricht, ist es ein Chor von Stimmen, der da volltönend die Herzen bewegt? Wie ist es möglich, daß ein Gebilde des musiktechnischen Handwerks zu solchem Glanz und solcher Fülle der Wirkung auf Gehör und Gemüt des Menschen gelangt?
Von den Pfeifen f , ' i ' ^ '' Es war zu allen Zeiten etwas Geheimnisvolles um .die Königin der Instrumente, die alte Orgel. Das Orgelgehäuse hoch unter den Gewölben erschien den Menschen wie das Abbild der Kirche. Wie der Anblick des ganzen Gotteshauses, so sollte auch der Aufblick zur Orgel die Gedanken nach oben führen. Zugleich sollte die feierliche äußere Umkleidung der Erhabenheit dieses an Größe, Tonumfang und Klangreichtum machtvollsten Instrumentes sinnvollsten Ausdruck geben. Immer ist deshalb das äußere Bild der Orgel von erlesener Schönheit gewesen. Beherrscht wird die Vorderansicht des Gehäuses, der Orgelprospekt, von mehreren Pfeifenfeldern, die der Orgelbauer oft mit kunstvollen Schnitzereien umrahmt hat. Manchmal sind sie auch wie ein Hochaltar mit Flügeltüren zum Schließen versehen. Bei modernen Prospekten, bei denen die Prospektpfeifen vielfach freistehend aufgebaut sind, liegt die Schönheit vor allem in der klaren
Gliederung, die zugleich die Ordnung im Innern des Instrumentes offenbart. — Hinter dem Orgelgehäuse öffnet sich der Pfeifenwald: wo man hinsieht Pfeifen, nichts als Pfeifen. Vor dieser überraschenden Fülle stellt jeder Besucher unwillkürlich die Frage, wieviele Pfeifen wohl eine Orgel besitzt. Eine Orgel in einer Dorfkirche oder einer kleineren Pfarrkirche hat im Durchschnitt 3000 Pfeifen, während eine kleine Hausorgel rund 300 Pfeifen erklingen läßt und manche Domorgel deren 6000—7000 besitzt. Die größte Pfeife bei einer Großorgel hat die Länge von 10 m, die kleinste in der gleichen Orgel aber ist fünfhundertmal kleiner — da sie nur 2 cm hoch „aufragt". Nicht alle Orgeln können 10 m lange Pfeifen aufnehmen, weil der Raum im Gotteshaus oder in der Konzerthalle meist diese Höhe nicht zuläßt. Um auch bei beengtem Raum auf die Töne der Langpfeifen nicht verzichten zu müssen, haben sich die Orgelbauer ein Naturgesetz zunutze gemacht. Wenn man nämlich auf einer offenen Pfeife einen Deckel anbringt, dann klingt sie eine Oktave tiefer, die Pfeife braucht also nur noch halb so lang zu sein wie eine offene. So sind meist die großen Pfeifen mit einem Deckel versehen und heißen deswegen „gedeckt" oder „gedackt". \ ' i' Große Pfeifen geben tiefe Töne und kleine Pfeifen hohe Töne. ,Die ganz kleinen Pfeifen sind fast in jeder Orgel vorhanden, weil sie erst der Orgel den Glanz verleihen, der den Orgelklang so charakteristisch macht. Bei den tiefen Tönen kommt es auf die Schallempfindlichkeit, die Akustik, des Raumes an, in dem die Orgel steht. Nicht alle Kirchen- oder Konzerträume können die ganz tiefen Töne der 10-m-Pfeifen vertragen. Bei den landläufigen Orgeln verwendet man deshalb meist als tiefste Pfeife eine zugedeckte Pfeife von einer Länge von 2,50 m, die dem Klang der offenen 5-m-Pfeife entspricht; doch rechnet der Orgelbauer nicht mit Metern, sondern in der „Registersprache" mit Fuß. Die Umgangssprache hat aus der Technik des Orgelspiels manche Ausdrücke übernommen. So spricht man von „alle Register ziehen", wenn man ausdrücken will, daß etwas mit dem Einsatz aller Mittel durchgeführt werden soll. Unter Register versteht der Laie meist den Registerzug neben den Tastenreihen des Orgelspieltisches, in Wirklichkeit ist damit aber eine ganze Pfeifenreihe von wenigstens 60 Pfeifen gleicher Bauart, gleicher Stärke und Tonfarbe, aber von verschiedener Länge und Höhe gemeint. Zieht man ein Register,
dann ist die gesamte Pfeifenreihe spielbereit. Jede der Pfeifenreihen, jedes Register, klingt ganz verschieden. Deswegen wird man bei einem Blick in den „Pfeifenwald" bald gewahr, daß die einzelnen Register verschieden aussehen, denn jede Pfeife braucht für ihren charakteristischen Klang auch die entsprechende Form und das entsprechende Maß, die wichtiger sind als der Werkstoff, aus dem die Pfeife hergestellt ist. Als Werkstoff verwendet man heute hauptsächlich Zinn und Holz. Manche Register werden aus Zink verfertigt, besondere Schmuckpfeifen sind aus Kupfer hergestellt, in seltenen Fällen kommen auch Messingpfeifen vor. Zwei große Pfeifenfamilien unterscheidet der Fachmann: Lippenpfeifen und Zungenpfeifen. Lippenpfeifen kennen wir alle: Sie stehen fast immer im nach außen sichtbaren Orgelgehäuse. Weniger bekannt-sind die Zungenpfeifen, aber man hört sie deutlich heraus; es sind die „Trompeten" und „Posaunen" der Orgel. Bei der Lippenpfeife ergibt die schwingende Luftsäule innerhalb der Pfeife den Ton, während bei der Zungenpfeife eine Messingzunge, die durch den Luftstrom in Schwingungen gerät, den Ton erzeugt. Wenn man einmal eine Mundharmonika oder ein Akkordeon auseinandernimmt, findet man solche Messingzungen, wie sie in der Orgel bei den Zungenpfeifen vorkommen. Nur schwingt in der Orgel die Zunge nicht frei wie bei der Mundharmonika, dem Akkordeon oder auch dem Harmonium; oberhalb der Zunge ist noch ein Schallbecher, der der Zunge eine entsprechende Klangfarbe verleiht. Nimmt man eine Stimmgabel, zupft sie an und hält sie dann in die Luft, so wird man kaum einen Ton wahrnehmen. Setzt man aber die Stimmgabel nach dem Anzupfen auf einen Tisch, so beginnt sie zu klingen. Der Tisch schwingt auf einmal mit, bildet den „Resonator", und der Ton ist hörbar geworden. Genau dasselbe geht bei der Zungenpfeife vor sich, wenn oberhalb der Zunge der Schallbecher ins Mitschwingen kommt. Die mitschwingenden Becher haben oft ganz kuriose Formen. „Trompete" und „Posaune" haben lange Schallbecher, während „Vox humana", „Regal" und „Musette", um nur ein paar von den vielhundert Registernamen zu nennen, mit kurzen Schallbechern versehen sind. Bei „Vox humana", der „Menschenstimme", zum Beispiel, finden wir Schallbecher, die zum Fürchten aussehen, wenn man in einem düsteren Orgelgehäuse steht. Der Ton dieser Pfeife klingt etwas näselnd und rätselhaft, sie stammt aus der Zeit des Barock. Als der süddeutsche Orgelbauer Gabler vor etwa 200 Jah-
T^i t"^"\^'f Manualen l Kombinationsregisterknopfe 2 Handregister SWalzenanzeiger, t ^tmete?.' 5 y a ^ ua \ e n ^""^^"atlonsknopfe 7, 8 Motoranlasser und Motorkontrollampe, 9 Kombinationstritte 10 Manualkoppeln 11 Walze 12 Schwelltritt, 13 Pedalkoppeln (s Text S 14)
ren in seine große Orgel in Weingarten das Register „Vox humana" einbaute, packte die Leute beim Anhören das Gruseln. Als sie vollends die Pfeifen sahen, meinten sie, Gabler habe es mit dem Teufel zu tun. Er mußte das Register vor der Kirchentür vor aller Augen einschmelzen. Erst als er es unter strenger Aufsicht noch einmal baute, traute man ihm. Die Pfeifen der „Vox humana" sehen wie Totenköpfe aus, weil sich in den merkwürdig geformten Schallbechem zwei große Löcher öffnen. Trotz alledem: Zungenpfeifen verleihen dem vollen Werk einen majestätischen Glanz, mit den kurzbechrigen Zungenregistern kann man sehr schöne Solomelodien spielen. • , - , > . " Auch bei den Lippenpfeifen gibt es verschiedene Formen, die aber von einem Laien nicht leicht zu unterscheiden sind. Es gibt zylindrische und konische Lippenpfeifen, gedeckte und halbgedeckte Register. Bei den halbgedeckten Pfeifen sitzt auf dem Deckel ein kleines Röhrchen. Deswegen nennt man sie auch oft Rohrflöten. Die Franzosen nennen die Röhrchenpfeifen Schornsteinflöten, weil das Röhrlein wie ein französischer Schornstein aussieht. Konische Pfeifen sind unten dick und werden nach oben immer dünner. Gottfried Silbermann, der sächsische Orgelbauer, der mit Johann Sebastian Bach gut bekannt war, hat sie erfunden. Interessant sehen unter den Lippenpfeifen auch die „Hörner" aus. Die Nachthörner haben einen ganz dicken Bauch und geben einen dumpfen Ton. Schließlich gibt es noch Lippenpfeifen, die auf einen einzigen Tastendruck chorweise ertönen. Da erklingt nicht nur eine Pfeife, wenn man auf die Taste drückt, sondern es sprechen gleich mehrere Pfeifen auf einmal an. Die moderne Orgelbauwissenschaft nennt diese Register Klangkrone. Zur Klangkrone gehören die „Mixtur", das „Schärft", die „Cymbel" und auch die „Rauschpfeife". Es sind ganz kleine Pfeifen, die einen hellen Ton von sich geben; das ihn begleitende Rauschen der Orgel kommt durch die Klangkrone zustande. Um diese kleinen Pfeifen zu stimmen, braucht der Orgelbauer besonders viel Zeit. Gottfried Silbermann, von dem noch öfters die Rede sein wird, war ein hervorragender Meister der Klangkrone, und er war sich auch seiner Meisterschaft bewußt. Als er die große Orgel in der Dresdner Hofkirche baute, so erzählt man sich, kam einmal der König von Sachsen auf die Orgelempore, während Silbermann bei der schwierigen Arbeit des Mixturenstimmens war. Der König
rief durch den Kirchenraum, Silbermann solle hervorkommen. Auf Silbermanns Frage, wer denn da sei, antwortete der Gefragte: der König. Silbermann ließ sich nicht stören, man hörte nur seine Stimme: „Wie, der König ist da? Ich dachte, hier wäre ich König." Der Landesfürst hatte das Nachsehen, denn Meister Silbermann kam nicht, da er seine äußerst schwierige Arbeit nicht unterbrechen wollte. — Wir wissen heute, daß Silbermann sehr wohl ein König war, ein König des königlichen Instrumentes. Die Herstellung der Pfeifen ist eine sehr langwierige Sache. Vielfach wird angenommen, man könne Pfeifen wie Glocken gießen. Das trifft nicht zu. Pfeifen lassen sich nicht gießen. Die Pfeifenform wird vielmehr aus dünn gewalztem Zinnblech herausgeschnitten und dann sorgsam 7usamroengelötet. Fuß und Kern, die ins ^Innere der Pfeife kommen, werden einzeln angelötet. Das Löten ' hat aber seine Tücken. Kommt der Handwerker aus Versehen mit dem Lötkolben an die Pfeife, so schmilzt die ganze Pfeife zusammen. und ein Häuflein Unglück bleibt übrig, um ein solches Mißgeschick zu verhüten, wird die ganze Pfeife mit einem Gemisch aus Kreide und Leim eingeschmiert, so wird nur an der zu lötenden Stelle das Metall erhitzt. Später wird der Leim wieder abgewaschen, und die fertige Pfeife wandert ins „Heiligtum" des Orgelbauers, in die Intonierstube. In dieser Stube wird die Pfeife so gerichtet, daß sie anspricht, d. h. einen Ton von sich gibt, und zwar nicht irgendeinen, sondern den richtigen. So wird Pfeife um Pfeife mit viel Geduld intoniert. Kommt die Pfeife später in die Kirche oder in den Konzertsaal, wird sie nochmals für den Raum intoniert, und schließlich werden alle Pfeifen aufeinander abgestimmt. Erst dann können die Pfeifen „sprechen", wie der Orgelbauer sagt. Sie sprechen genau so wie der Mensch: Durch den Kehlkopf des Menschen strömt Luft aus der Lunge, und die Stimmlippen im Hals werden in Schwingungen versetzt. Fast genau so ist es bei der Orgel. Die Pfeifen sind die Stimmlippen. Auch die Pfeifen müssen .mit Luft versorgt werden, die aus der Lunge der Orgel kommt.
Das Atmen der Orgel Für die Buben vor fünfzig Jahren war es eine besondere Ehre, wenn sie der Organist bat, die Blasbälge der Orgel zu treten. Diese luftansaugenden Schöpfbälge waren im Grunde ähnlich ein-
Offene Schleiflade (erstes Schleifbrett ist herausgezogen) Inneres einer modernen Orgel mit Geblase
gerichtet wie Schmiedebälge, womit die Schmiedemeister das Feuer zu höchster Glut entfachen. Größere Kirchen hatten oft neben dem amtierenden Organisten einen fest angestellten Blasbalgtreter, der als „Kaikant" in den Büchern geführt wurde. Bei den alten Orgelleuten hatten sich oft ganz bestimmte Gewohnheiten zwischen Organist und Kaikant herausgebildet, und es konnte überraschende und peinliche Mißstimmigkeiten geben, wenn diese Gewohnheiten nicht eingehalten wurden. Ist es doch vorgekommen, daß in einem Ort ein neuer, junger, temperamentvoller Organist verpflichtet wurde, der so ungewohnt laut spielte, daß der Kaikant durch den großen Windverbrauch des heftigen Spieles arg in Schweiß kam, weil die Bälge immer wieder ohne Luft waren. Plötzlich beim Glaubenslied, dem Credo, spielte die Orgel nicht mehr weiter, weil ihr „der Schnaufer ausging". Hastig betätigte dann der Orgelspieler die Kaikantenglocke, damit der Balgtreter wieder treten möge. Wenn er starrköpßg war, rührte sich der Balgtreter nicht mehr, und die frommen Beter mußten das „Credo" ohne Orgel fertig singen. Und wenn der Übeltäter dann gefragt wurde, warum er seine Amtspflichten so sehr verletze, konnte es vorkommen, daß er zur Antwort gab, beim früheren Organisten habe das „Credo" genau 47 Tritte gebraucht, und wenn er jetzt mehr brauche, dann sei es auch nicht mehr das richtige „Credo". Nun, in unserer Zeit kann das einem Organisten nicht mehr passieren, denn fast jede Orgel hat heute einen elektrischen Orgelwindmotor. Der Organist braucht nur den Schalter zu betätigen, und der Wind ist in der Orgel. Der Nichtfachmann wundert sich vielleicht darüber, warum hier vom „Wind" die Rede ist, als ob die Orgelleute gar rechte Windmacher wären. Ja, sie sind es, und sie lächeln nur, wenn ein Laie bei der Orgel von Luft redet! Luft ist überall um uns her. Wenn ich aber die Luft zum Beispiel durch den Blasbalg weiterbefördere, dann ist es keine Luft mehr, sondern Wind. Doch wird der Wind in der Orgel am Ende seiner Reise wieder zu Luft; denn im oberen Teil der Pfeife entsteht eine Luftsäule, die ins Schwingen kommt. Die Schwingungen der Luftsäule innerhalb der Pfeife kann man beobachten, wenn man den Rauch einer Zigarre in die Pfeife hineinbläst. Dabei sieht man am Aufbchnitt der Pfeife einen Wirbel, der sich im Oberkörper der Pfeife in die Luftsäule fortsetzt. Aber es empßehlt sich für einen Laien nicht, einen solchen Versuch zu machen, weil eine Orgelpfeife, die man auch nur leise berührt, durch die Körpertemperatur der Hand sofort verstimmt ist.
Die moderne elektrische Windmaschine besitzt einen geräuschlos laufenden Elektromotor, an den ein besonders konstruierter Ventilator angeschlossen ist. Er treibt den- Wind in einen mächtigen Blasbalg, den man auch Magazinbalg nennt, weil hier die Luft gleichsam auf Vorrat gehalten und verdichtet, d. h. unter Druck gesetzt wird. Oftmals besorgen den Druck Ziegelsteine, die auf den Magazinbalg gelegt werden. Nimmt man sie herunter, weil man glaubt, ein Maurer habe sie versehentlich „liegengelassen", so geht die Orgel nicht mehr. Die Steine stellen nämlich den Winddruck her. Da die Pfeifen nur bei einem bestimmten Druck zum Klingen kommen, „schwimmt" der Wind, wenn der Druck nicht vorhanden ist, und die Orgel säuselt nur noch. Im modernen Orgelbau nimmt man statt der Steine auch gern Metallplatten. Der Winddruck ist eine ganz wichtige Angelegenheit für die Klangschönheit der Orgel. Ist er zu hoch oder auch zu niedrig, so entspricht der Klang des Instrumentes dem Räume nicht. — Aus dem Magazinbalg wird der Wind durch die „Luftröhre der Orgel", den Windkanal und seine Abzweigungen, zu den Pfeifenregistem geführt.
Die Orgeln in der Orgel Das Gehäuse der Orgel erzählt in den meisten Fällen dem Betrachter auch etwas von ihrem Inneren, das sich eigentlich aus mehreren Einzelorgeln zusammensetzt. Am augenfälligsten wird das dort, wo eine Orgel mit einem Rückpositiv versehen ist, das mit der Hauptorgel gar keine Verbindung mehr zu haben scheint, da es getrennt an der Brüstung der Orgelempore aufgehängt ist. Rückpositive baute man früher sehr gern; und bei modernen Orgeln findet man sie wieder. Auch im Hauptprospekt der Orgel, der verschiedene Felder und Türme, manchesmal in mehreren Etagen, aufweist, verrät sich oft schon auf den ersten Blick die Mehrteiligkeit des Gesamtwerkes; entsprechend stehen auch innen die Pfeifen in getrennten Stockwerken. Geht man zum Spieltisch, dann sieht man, daß dort nicht nur eine Klaviatur — ein Tastenwerk — zu sehen ist, sondern zwei, drei, vier oder gar fünf Klaviaturen übereinander. Ja, ganz unten befindet sich noch eine Klaviatur mit großen Holztasten, das Pedal, das mit den Füßen gespielt wird. Diese Klaviaturen bedienen die einzelnen Werke, die als kleine Orgeln in die große Orgel eingebaut sind. Es gibt Riesenorgeln, wo alle einzelnen 10
Beim Aufbau der Orgelpfeifen zu Registern
Werke im Räume getrennt aufgebaut sind. Da gibt es das Hauptwerk, das Oberwerk, das Brustwerk, das sich vor der Brust des zur Orgel gewendeten Organisten befindet, das Rückpositiv, das hinter ihm aufragt, das Pedalwerk, das mit den Füßen gespielt wird und hauptsächlich die tiefen Töne erklingen läßt oder für besondere Solomelodien benutzt wird. Schließlich ist auch noch das Schwellwerk zu nennen. Das Schwellwerk ist ein großer Holzkasten, in dessen Inneren die Pfeifen der betreffenden Klaviatur stehen. An dem Holzkasten sind Türen oder Jalousien, die der Organist vom Spieltisch aus mit einer Trittaste öffnen und schließen kann. Der Ton wird dann allmählich lauter und wieder leiser. All die Einzelwerke der Orgel kann der Organist auch zusammenkoppeln und auf einmal spielen. Da jedes eine andere Klangfarbe hat, wird der Orgelklang sehr abwechslungsreich.
Die Wmdladen Damit der Orgelspieler im Klang abwechseln kann, muß er bestimmen können, welche Pfeife erklingen soll. Er stellt eine Pfeifengruppe ab und er stellt sie an, je nach dem vorliegenden musikalischen Werk und je nach seiner künstlerischen Auffassung. Dazu hat er am Spieltisch die Registerzüge oder die Registerklappen. Wird ein Register gezogen, so öffnet der spielende Künstler dem Wind aus dem Magazinbalg den Weg bis an die Pfeifen des betreffenden Registers. Der Wind kann aber noch nicht in die Pfeifen strömen. Das erfolgt erst beim Niederdrücken der Tasten. Die ganze Anlage, auf denen die Pfeifen stehen, nennt man die Windladen; sie sind neben den Pfeifen mit das kunstvollste, was die Orgelbauer in ihrer Werkstatt herstellen. Es gibt sehr viele verschiedene Windladen. Eines der interessantesten und besonders altes, aber nicht das älteste, ist das Schleifladensystem, bei dem eine „Schleife" den Weg des Windes zur Pfeife sperrt. -Die Schleife ist ein langes Brett, das aussieht wie ein Eierbrett mit lauter Löchern und das etwa so lang wie die Orgel ist. Es ist unter den Stöcken, auf denen die Pfeifen stehen, durchgeführt und wird durch den Zug oder Druck der Registerschaltung verschoben (Bild S. 8). Stehen die Löcher auf „Lücke" mit den Löchern der Stöcke, so kann kein Wind in die Pfeife einströmen und das Register bleibt beim Spielen stumm. Steht aber Loch auf Loch, dann kann der Wind zur Pfeife, und das Register klingt. Durch 12
Die Riesenpfeifen werden montiert
den Tastendruck wird noch ein Ventil geöffnet, welches den Windstrom in eine Kanzelle läßt, das ist ein Kasten, der sich direkt unter ' den Pfeifen befindet und den Wind zwischen den einzelnen Pfeifen ' trennt. Dort bleibt er so lange, bis die Schleife zur Pfeife geöffnet ist. — Ein anderes System ist die Kegellade, bei der unter jeder Pfeife ein Ventil ist, das wie ein Kegel aussieht. Beim Spiel gehen immer alle Kegel herunter. Am Ende der Lade ist aber ein Windladenventil, das erst bei Registerbetätigung vom Spieltisch den Wind 'in die Kanzellen läßt. Dann erst können die Pfeifen sprechen.
Vom Spieltisch und den technischen Einrichtungen Ein moderner Orgelspieltisch erinnert an das Tastenfeld eines Eisenbahnstellwerkes. Mehrere Tastenreihen — Tastaturen — liegen übereinander; soweit sie mit den Händen bedient werden, heißen sie „Manuale", die fußbediente Tastatur ist das „Pedal". In der Regel besitzt jede mittlere Orgel zwei „Manuale", größere Instrumente haben drei bis fünf. Die Manuale beherrschen das Bild des Spieltisches (Bild S. 5). Seitlich von den Manualen befinden sich die Registerzüge oder Registerklappen, deren Betätigung das betreffende Register mit Wind versorgt und in Spielbereitschaft setzt. Oberhalb der Klappen kann man noch kleinere Registerzüge zum Ziehen oder auch zum Klappen sehen, die „Kombinationen". Mit Hilfe dieser Kombinationen kann sich der Organist bereits vor dem Spiel einige Registrierungen zusammenstellen. Wenn er während des Spieles dann plötzlich die Klangfarbe wechseln will und eine andere Registrierung wünscht, so braucht er nur mit dem Daumen auf eine Kombinationsschaltung zu drücken und die vorbereitete Kombinationsregistratur erklingt. Nicht immer hat der Orgelspieler eine Hand frei, um diese Schaltreihen zu bedienen; deshalb findet man dieselbe Schaltung auch als Tritte oberhalb des Pedals, so daß er sie auch mit dem Fuß einschalten kann. \
An der Pedaltastatur entdeckt man in der Mitte der Tritte noch eine Walze und einen größeren Tritt. Die Walze schaltet automatisch ein Register nach dem anderen ein; man braucht die Walze nur mit dem Fuß anzuziehen. Stößt man die Walze in der entgegengesetzten Richtung ab, so schalten sich die Register nacheinander wieder aus. Beim Vor- oder Zurückbewegen wird der Orgelklang allmählich lauter und dann wieder leiser. Der große Tritt 14
, rechts neben der Walze betätigt das Schwellwerk. Stellt man den \ Tritt waagerecht, so öffnen sich die Schwellkastentüren oder -Jalousien, stellt man ihn senkrecht, so werden die Türen oder Jalousien wieder geschlossen. Die Tonstärke schwillt entsprechend an oder ab. Die Füße des Spielenden haben also bei dem Rieseninstrument der Orgel vielerlei Arbeit zu verrichten. \ Auch die Augen des Organisten sind auf vielerlei Weise am Zustandekommen eines vollendeten Orgelspieles beteiligt; nicht nur dadurch, daß sie die Niederschrift der Noten beobachten müssen. Unter oder neben dem Notenpult oben am Spieltisch fallen allerlei ., Uhren" und Lampen auf. Eine der „Uhren" zeigt Zahlen von eins ' bis zwölf, es ist der Anzeiger für die mit den Füßen betätigte Walze. Man kann an ihr genau ablesen, wie weit man die Walze gedreht hat. Eine zweite „Uhr" dient der Kontrolle des Schwelltrittes für das Schwellwerk. Bei elektrisch gesteuerten Orgeln ist dann noch ein Voltmeter vorhanden. Der Orgelstrcan beträgt meist 12 bis 15 Volt. Ist die Spannung zu hoch, dann muß ein gewissenhafter Organist sofort den Strom neu regulieren, sonst brennen die empßndlichen Kontakte und Spulen durch, bei zu geringer Spannung aber würden die Töne ausfallen. Alle Abschaltungen an der Orgel lösen gleichzeitig am Spieltisch einen Kontakt zu einer bunten Lampe aus. Wenn also der Organist eine Registergruppe abschaltet, leuchtet zur Kontrolle eine Lampe, damit er daran erinnert wird, daß er etwas abgeschaltet hat. Die Orgelbauer bemühen sich ständig, trotz aller Kontrollinstrumente die großen Spieltische übersichtlich zu halten, damit der Orgelspieler während des Spieles ' nicht auf allzuviel technische Einzelheiten achten muß. In früheren Zeiten waren die Spieltische ganz anders eingerichtet als heute. Sie waren damals vielleicht etwas heimeliger. Der gerade k beschriebene Spieltisch ist der einer elektrisch oder pneumatisch gesteuerten Orgel. Die alten Spieltische waren alle mechanisch gesteuert, eine Bauart, die man auch heute wieder bevorzugt. Bei den mechanischen Spieltischen von einst waren die Registerreihen links und rechts von den Klaviaturen nach oben und unten angeordnet. Sie hatten die Form großer, oft kunstvoll gedrechselter Knöpfe, die herausgezogen werden konnten. Spielhilfen wie die „Kombinationen" gab es damals noch nicht. Der Organist mußte bei jedem Klangwechsel durch Ziehen vieler Knöpfe alles umregistrieren. Wenn der Organist so einen großen kunstvollen Registerknopf zog, dann bediente er sich gleichsam einer Person, einer „Persönlich15
keit", und er trat direkt mit dem Pfeifenwerk in Kontakt, ohne daß eine komplizierte elektrische Apparatur dazwischengeschaltet war. Diese Art Orgel zu spielen war lebendiger, und deshalb besitzen ganz neue Orgeln oft wieder solche Spieltische nach altem System. Allerdings ist es manchmal ratsamer, die Orgel elektrisch zu steuern und einen Stellwerks-Spieltisch zu bauen. Der Name „elektrisch gesteuerte Orgel" besagt, daß bei einer solchen Orgel der Weg von der Taste und der Mechanismus vom Register zur Pfeife oder zur Windlade von einer elektrischen Anlage und nicht von Hand betätigt wird, ähnlich wie bei einer Hausklingel. Wenn man an der Haustür schellt, so klingelt es je nach Wunsch an einer der Wohnungstüren. Der Wohnungsinhaber kann nun wieder auf einen Knopf drücken, und es öffnet sich automatisch die Haustür. Ähnlich verlaufen die Vorgänge bei einer elektrischen Orgel. Der Ausdruck elektrische Orgel gibt jedoch nicht ganz genau wieder, was sich im Innern der Orgel abspielt. Wenn nämlich alle 500 Kontakte (soviel sind es ungefähr) bis zur Pfeife rein elektrisch arbeiten würden, so käme man kaum mit 12 bis 15 Volt aus; deswegen nimmt man die Pneumatik zu Hilfe. Elektrische Orgeln arbeiten also elektro-pneumatisch: elektrisch und mit Druckluft. Vorläuferin des modernen elektro-pneumatischen Instrumentes ist die rein pneumatische Orgel gewesen. Drücke ich bei einer solchen pneumatischen Orgel auf die Taste oder betätige ein Register, so öffnet sich unter der Taste ein Ventil, und es läßt Luft (hier sagt der Orgelbauer ausnahmsweise Luft) durch ein Blei- oder Leichtmetallrohr zum Pfeifenventil gehen. Dort bewegt die Luft ein winziges Bälglein oder eine dünne Ledermembrane, und dieses Bälglein oder diese Membrane öffnet das Pfeifen- oder Registerventil. Die elektro-pneumatische Orgel mischt beide Systeme, indem die Elektrizität bis zum Ventil arbeitet, alle weiteren Vorgänge aber pneumatisch erfolgen. Solche Orgeln spielen sich natürlich sehr leicht. Sie haben auch den Vorteil, daß man den Spieltisch an eine beliebige Stelle des Raumes verrücken kann; man stellt den Spieltisch gern von der Orgel entfernt, damit der Organist sein Spiel aus der Ferne hören und so besser kontrollieren kann, als wenn er dicht unter der Orgel säße. Auch fahrbare Spieltische gibt es, die man aus klanglichen Gründen oder entsprechend den Raumverhältnissen auf der Empore hin und her schieben kann. Das Kabel muß nur lang genug sein. Wenn der Chor singt, dann läßt sich ein solch fahrbarer Spieltisch zur Seite schieben, um die Sängerschar dicht 16
beisammen zu halten. Auch in Konzertsälen oder im Theater ist der fahrbare Spieltisch, den man manchmal auch mit Hilfe eines Fahrstuhles im Boden versenken kann, von großem Vorteil. Rein pneumatische Orgeln werden kaum noch gebaut, weil bei ihnen der Ton nur mit Verzögerung kommt und der Organist den Weg, den die Luft in den Rohrleitungen zurücklegen muß, beim Spiel mit einzukalkulieren hat. Schnelle Passagen zu spielen, war dabei immer schwierig. Da die Elektrizität heute weit entwickelt ist, wird ihr im Orgelbau neben der alten Mechanik gern das Wort gesprochen.
Die Kunst des Orgelbaus Ein Orgelbauer ist ein sehr vielseitiger Mensch. Er muß ein guter Musiker sein, er sollte selber Orgel spielen können und dazu ein ganz besonders feines Gehör haben. Daneben verlangt sein Beruf von ihm vorzügliche Handwerksarbeit. Grundlage ist beim Orgelbau das Tischlerhandwerk; denn die wesentlichsten Dinge bei der Orgel sind aus Holz, und das verlangt einen tüchtigen, mit höchster ^Sorgfalt arbeitenden Schreiner, da es im Orgelbau auf Bruchteile von Millimetern ankommt. Neben den Holzpfeifen werden auch die Windladen, Spieltische, Blasbälge und alle möglichen weiteren Apparate, die zu einer Orgel gehören, in der Schreinerei angefertigt. Viele Pfeifen sind jedoch Klempnerarbeit. Der Orgelbauer muß sich also auch darin auskennen; mit Zinn, Zink, Kupfer und Messing umzugehen, ist nicht einfach, wenn es auf äußerste Genauigkeit ankommt; denn bei einer Pfeife, die in den Abmessungen nicht haargenau stimmt, kommt der Ton nicht richtig. Für den elektro-pneumatischen Orgelbau ist auch der Schwachstromelektriker unentbehrlich. Bei den vielen nebeneinanderlaufenden Kabeln kann es sehr schnell zu gegenseitiger Beeinflussung der elektrischen Ströme kommen, so daß die Wirkung der Schaltungen in die verkehrte Richtung geht. Auch in dieser Hinsicht muß der Orgelbauer mit allen Wassern gewaschen sein. Vor allem sind es die rein musikalischen Dinge, die der Orgelbauer beherrschen soll, wie das Intonieren, das Ausgleichen der Töne und ihrer Klangfarben und das Stimmen. Größtes Klangempfinden ist die grundlegende Forderung an einen guten Intonateur und Stimmer. Diese Begabung kann man nur dann richtig ausüben, wenn man viele Orgeln gehört hat. Deshalb sollte ein guter Intonateur in der Welt herumgekommen sein. 18
Elie es aber soweit ist, daß man überhaupt erst einmal mit dem langwierigen Orgelbau beginnen kann, muß man viel planen. Alle Pleifen der Orgel müssen die richtigen Maße erhalten, das ist ein großes Rechenexempel. Ein Kunststück für sich ist dann die Zusammenstellung der Register — man nennt diese Arbeit Disposition. Jede Orgel ist nämlich anders angelegt, keine gleicht der anderen. Die Größe und Höhe des Raumes, in dem die Orgel ihren Platz finden soll und die Raumakustik sind zu berücksichtigen; je nachdem ändert sich die Disposition. Eine Theaterorgel muß andere Register bekommen als eine Friedhofsorgel, und eine Konzertorgel soll andere Klangmöglichkeiten haben als eine Kirchenorgel. Auch wird eine Kirche, die sich einen Berufsorganisten leisten kann, eine andere Orgel haben wollen als ein kleines Dorf, wo vielleicht irgendjemand ehrenhalber aus Freude an der Sache die Orgel spielt. Bei der Aufstellung der Register arbeiten Orgelspieler und Orgelbauer gern zusammen, gemeinsam planen und überlegen sie, welche Register für den Zweck am geeignetsten sind. Sie stellen gleichsam an das Register die Frage: „Wie klingst du allein, und wie klingst du zusammen?" Denn Einzelklang und Zusammenklang erst ergeben ein Gesamtkunstwerk. Ist das alles geschehen, dann betätigt sich der Orgelbauer als Innenarchitekt. Zunächst zeichnet er einen Grundriß und dann einen Querschnitt für das geplante Orgelwerk. Er muß vorher genau überlegen und ausmessen, wo alle Register und die technischen Apparaturen am günstigsten Platz finden und am gefälligsten wirken. Wenn man dann mit der Montage beginnt, muß sich eines harmonisch ins andere fügen. Ein Kunstwerk, das höchste Ansprüche stellt, ist die Gestaltung des Gehäuses. Von außen ist die Orgel ein Teil des Kirchenraumes oder des Konzertund Theatersaales, ein Stück ihrer Innenarchitektur. Die Orgel muß mit ihrem Prospekt, ihrem Gesicht, sich völlig in den Raum einordnen und darf kein Fremdkörper sein. So ist der Gehäuseentwurf ein Stück darstellender Kunst. Das Orgelbaukunsthandwerk hat eine jahrhundertealte Tradition. Zur Ehre dieses Handwerkszweiges darf gesagt werden, daß an diese Überlieferung die sehr tüchtigen Orgelbaufirmen von heute anknüpfen, die den alten Meistern durchaus ebenbürtig an die Seite gestellt werden können. Nur muß heute der Orgelbauer viel mehl beherrschen, als das früher der Fall war. Dafür ist heute manches einfacher geworden, weil die Maschine viele Arbeitsvorgänge erleichtert hat. Heute braucht die Frage, ob eine Orgel, die völlig 19
mit der Hand hergestellt iht, besser sei als eine, an der vieles maschinell angefertigt ist, nicht mehr gestellt zu werden. Früher wurden zum Beispiel alle Tasten kunstvoll gedrechselt, während sie heute serienweise angefertigt werden. Gewiß sieht eine gedrechselte Taste schöner aus als eine mit Kunststoff belegte. Aber bei der viel größeren Zahl von Orgeln, die heute gebaut werden, ist es wegen des Preises und auch aus Zeitersparnis notwendig, daß Teilstücke der Orgel serienweise hergestellt werden. Selbst bei den Pfeifen und Windladen, die in mühevoller Handarbeit zusammengebaut werden, läßt sich manches Teil mit maschineller Hilfe schneller und vor allem genauer fertigstellen, als es mit der Hand möglich wäre. Man denke nur, daß man früher jedes Loch mit der Hand bohrte. Heute macht das die Bohrmaschine schneller und genauer. Soll heute eine Orgel angeschafft werden, so wird sie nach den vorbereiteten Plänen in der Orgelbauanstalt in allen Einzelteilen hergestellt und aufgebaut. Ist alles in Ordnung befunden, so wird sie aus der Werkstatt auf Lastwagen verladen und an Ort und Stelle endgültig montiert, intoniert und gestimmt. Früher war das anders. Der Orgelbauer nahm seine ganze Werkstatt immer mit sich. Wenn er eine Orgel zu bauen hatte, so errichtete er vor der Kirche eine Bauhütte, und dort wurden alle Teile mühsam angefertigt und an Ort und Stelle gleich aufgebaut. Ein solcher Orgelbau dauerte oft Jahre. An mancher großen Orgel wurde zehn Jahre gebaut, ein Tempo, das in unserer schnellebigen Zeit nicht mehr angebracht wäre. Aber so-konnten die alten Meister mit Muße jede Einzelheit ausprobieren. Der Preis für eine Orgel bestand zum Teil aus Naturalien, die dem Orgelbauer für seine Arbeit geliefert wurden. War eine Orgel fertig, so zog der Meister mit Frau, Kind und Gesellen zum nächsten Ort.
Von alten Orgeln und ihren Meistern In der Orgelbaugeschichte sind mehrere Orgelbauemamen rühmend verzeichnet. Einen besonders gutklingenden Orgelbauerruf haben die Gebrüder Andreas und Gottfried Silbermann. Johann Sebastian Bach sagte einmal zu Gottfried Silbermann, daß er seinen Namen zu Recht trage, da seine Orgeln wie Silber klängen. Andreas Silbermann — geboren 1678 — gilt als der „elsäßische" Orgelbauer und Gottfried — geboren 1683 — als der „.sächsische". Beide „Silbermänner" stammen aus Klein-Bobritzsch in Sachsen. 20
Kleine tragbare Hausorgel des Mittelalters
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Andreas ging sehr bald bei einem Tischler in die Lehre, wanderte dann nach dem Elsaß aus, wo man ihm schon früh als ehrbarein Orgelbauer wieder begegnete. Er war lange Zeit gleichsam der Senior der Orgelbauer. Gottfried dagegen sollte ursprünglich das im Erzgebirge beheimatete „Erzgebirgische Spielzeughandwerk" erlernen. Aber das Handwerk sagte ihm nicht zu, zumal er ein leichtlebiger Patron war und sich oftmals beinahe wie Till Eulenspiegel benahm. Der Dorfschutzmann hatte seine liebe Not mit ihm, und es blieb nicht aus, daß er ihn eines schönen Tages ins Gefängnis sperren mußte. Diese Zeit des Freiheitsentzuges entschied über Gottfrieds Zukunft. Die alten Gefängnisse hatten damals wie die übrigen Häuser nach oben hin offene Kamine. Gottfried gelang es, sich eines Nachts durch den Kamin zu zwängen und ins Freie zu gelangen. Der Schutzmann war nicht wenig erstaunt, als er am anderen Morgen den Lausbuben vornehmen wollte und sein Gefängnis leer fand. Gottfried Silbermann mußte das Weite suchen. Er floh zunächst nach dem nahen Böhmen und von dort nach Straßburg zu seinem Bruder. Andreas war anfangs gar nicht sehr erbaut, als er seinen nicht eben gut beleumundeten Bruder vor sich sah. Um sicher zu gehen, schloß er mit ihm einen schriftlichen Mitarbeitervertrag und hielt ihn in den ersten Wochen sehr streng. Doch bald zeigte sich, daß Gottfried sich unter dem Eindruck des Erlebten gewandelt zu haben schien; sehr fleißig und gewissenhaft erlernte er unter der Anleitung des Bruders das Orgelbauhandwerk. So bauten schließlich die beiden Silbermänner manche Orgel gemeinsam und besserten viele ehrwürdige Orgeln aus. Heute noch stehen einige Orgeln von Andreas Silbermann in den alten Kirchen; so im Munster zu Straßburg (allerdings ist hier nur noch das Gehäuse von Silbermann, während das Innenwerk erneuert ist), in Maursmünster und Ebersmünster. Gottfried Silbermann verließ nach einigen Jahren Straßburg. Bei der Reparatur einer Orgel hatte er die Organistin in sein Herz geschlossen und glaubte, ohne sie nicht mehr leben zu können. Da ihm die Heirat versagt wurde, floh er bei Nacht und Nebel und kehrte wieder in seine Heimat Sachsen zurück. Als er dort ankam, fand er verschlossene Gesichter, die Jugendstreiche waren noch nicht vergessen. Trotzdem bot sich Gottfried Silbermann an, in seiner Heimat Frauenstein eine neue Orgel zu bauen. Keiner traute ihm diese Aufgabe zu; man witterte einen neuen Streich. Da aber die alte Frauensteiner Orgel fast gänzlich zerfallen war, gab man ihm nach langem Hin und Her schließlich den Auftrag. Und siehe 22
da, der Bau schritt rüstig voran. Das Erstaunen über Silbermanns Arbeit war groß. Als die Orgel fertig war, holte man den damaligen Thomaskantor aus Leipzig, Kuhnau, der das Werk Gottfrieds prüfen sollte. Auch Kuhnau war anfänglich sehr mißtrauisch, doch je mehr er sich in das Orgelwerk vertiefte, um so überraschter war er. Schließlich schlug er Silbermann vor, er möge zu ihm nach Leipzig kommen und den Bau der neuen Universitätsorgel übernehmen. Leider zerschlug sich dieser Plan; aber Silbermann hatte nun ein vollgültiges Urteil in der Tasche, das er überall vorweisen konnte. Überdies sprach es sich herum, daß in dem Dörfchen Frauenstein der Leipziger Thomaskantor geweilt und Gottfried Silbermanns Orgel aufs höchste gelobt hatte. — Ein bißchen Glück kam für Gottfried Silbermann hinzu; die Orgelweihepredigt in Frauenstein hielt der Ephorus des Freiberger Domes, ein großer Musikfreund, der sogleich für den Dom bei Silbermann eine neue Orgel bestellte. Man denke: seine zweite Orgel konnte Silbermann für einen Dom bauen! Und auch hier gelang Silbermann ein großer Wurf, sein zweites Meisterwerk. Diese Orgel wurde so schön, daß sich auch heute noch, einige hundert Jahre später, die Musikfreunde an dem Instrument von Freiberg begeistern. Die Orgel erklingt noch immer in alter, ungetrübter, strahlender Frische! Der Siegeszug der Silbermann-Orgeln durch die sächsischen Lande begann. Ein Ort nach dem anderen bestellte bei Meister Gottfried. Angebote ins Ausland, die bei ihm einliefen, lehnte der Meister ab. Er war so sehr mit seiner Heimat verwachsen, daß er nur dort arbeiten wollte. Auch in der Residenzstadt Dresden wurde man auf Gottfried Silbermann aufmerksam und bestellte für die Sophienkirche und die Frauenkirche Orgelwerke aus seiner Werkstatt. Über der Arbeit an diesem Auftrag begegnete Gottfried auch dem Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach. Die große Orgel in der Frauenkirche wurde von ihm geprüft und auch zum Einweihungskonzert gespielt. Die Orgel brachte Johann Sebastian Bach in eine solche Begeisterung, daß er auf Grund der Erfahrungen mit diesem Wunderwerk den Stil seiner Orgelmusik zu ändern begann. Heute teilt man die Bachschen Orgelwerke ein in solche, die vor der Silbermannzeit entstanden sind, und solche, die er nach dem Bekanntwerden mit der Orgel Gottfried Silbermanns geschrieben hat. Die zweite von Silbermann in Dresden gebaute Orgel, die Orgel der Sophienkirche, die gleichzeitig evangelische Hofkirche war, brauchte einen neuen Organisten, und Johann Sebastian Bach 23
schickte seinen Sohn Friedemann dorthin, der dann zehn Jahre Organist der Sophienkirche war. Johann Sebastian Bach besuchte Friedemann Bach in dieser Zeit mehrmals in Dresden. Der große Thomaskantor, der selbst in Leipzig keine Silbermann-Orgel spielte, sondern sich mit einer sehr schlechten Orgel begnügen mußte, mag in Dresden gern manche Stunde an der schönen Sophienorgel Meister Gottfrieds gesessen haben, die leider mit ihrer Schwester, der Frauenkirchenorgel, ein Opfer des letzten Krieges geworden ist. Das letzte Werk Gottfried Silbermanns sollte ein ganz grandioses Orgelwerk werden. Der kunstliebende sächsische König August der Starke, der Gottfried schon längst zum Hoforgelbauer ernannt hatte, brauchte für die neue große Dresdener Hofkirche ein besonders schönes und großes Werk. Auch dieser Auftrag fiel an Gottfried Silbermann. Unter seiner Hand erstand ein ganz gewaltiger Orgelbau, dessen mafestätischer, etwas verklärter dunkler Glanz schon viele Herzen erfreut hat. Während des Stimmens beim Aufstellen dieser Orgel starb Meister Gottfried, nachdem er als nunmehr Tljähriger Orgelbauer aus der Fülle seiner Erfahrungen das Höchste hatte schaffen können. Die Hoforgel, das letzte Werk Silbermanns, ist zum Glück erhalten geblieben, weil man das Werk ausgebaut und während des Krieges verlagert hatte. Gottfried Silbermann und Johann Sebastian Bach, der Orgelbauer und der Orgelspieler, haben sich gegenseitig sehr viel gegeben, und es war ein Glück, daß beide sich begegnet sind. Der Thomaskantor Bach, der Großmeister der Orgel, starb ein Jahr später als Gottfried Silbermann. War die Begegnung Bachs mit der Silbermann-Orgel der Höhepunkt der Bachschen Orgelerlebnisse, so müssen wir auch noch zwei andere Orgeln nennen, die das Werk Bachs mitgeformt haben. Dis Lübecker Marienkirche barg bis zum letzten Krieg mehrere sehr schöne Orgeln. Darunter befand sich auch das Werk, auf dem Johann Sebastian Bach Orgelunterricht erhalten hatte; es war die Orgel über der Totentanzkapelle, die sogenannte Totentanzorgel. Die Gottfried-Silbermann-Orgeln gehören zum mitteldeutschen Orgelbau, während wir es bei der Lübecker Totentanzorgel mit einer ' norddeutschen Orgel zu tun haben. Rein äußerlich fallen die norddeutschen Orgeln durch das an der Brüstung hängende Rückpositiv auf. Manchmal findet man auch ein Brustwerk mit Flügeltüren; das ist bei der Lübecker Totentanzorgel der Fall gewesen. Diese Brustwerke bargen die kurzbechrigen Zungen, wie „Regal" und „Vox humana". Leider aber können wir Bachs alte Tötentanzorgel, 24
Hand- oder Armorgel gespielt von St Cacilia dei Schutzheiligen der Musik
auf der der Marienorganist Dietrich Buxtehude Bach unterrichtet hatte, nicht mehr hören, da sie in Schutt und Asche gefallen ist. Pilgern wir aber von Lübeck nach Hamburg, so können wir lieute noch eine Orgel bewundern, die in Bachs Leben eine Rolle gespielt hat und die uns erhalten geblieben ist: Es ist die Hamburger Jacobiorgel des norddeutschen Orgelbauers Arp Schnitger, die noch immer in alter Frische erklingt. Die Schnitger-Orgel war einst für Bachs Orgelkomposition fast ebenso bedeutungsvoll wie es später die Silbermann-Orgel wurde. Alle vorsilbermannschen Orgelkompositionen des großen Meisters wurden im wesentlichen von der Schnitger-Orgel beeinflußt. , ^, Im norddeutschen Raum stehen sehr viele guterhaltene Orgeln dieses Namens, vor allem in Norden und in Stade; eine sehr schöne Schnitger-Orgel stand in der Eosanderkapelle des Charlottenburger Schlosses in Berlin; sie wurde leider im Kriege vernichtet. Zum Glück gibt es von dieser Orgel noch Schallplattenaufnahmen. Unter den alten norddeutschen Orgelbauern haben auch die Namen Scherer und Compenius einen guten Klang. Scherer gilt als der direkte Vorläufer von Arp Schnitger, während Compenius in der Geschichte des Orgelbaues eine Sonderstellung einnimmt. Er schlägt eine Brücke vom mitteldeutschen zum norddeutschen Orgelbau. Immer gab es neben Großmeistern auch Kleinmeister, und viele Vorgänger waren nötig, um einem Johann Sebastian Bach das Fundament für sein orgelmusikalisches Schaffen zu errichten. So hat sich der schlesische oder der süddeutsche Orgelbau nicht so monumental entfaltet wie der mittel- und norddeutsche, aber er ist doch nicht weniger gefällig. In Görlitz steht in der Peter- und Paulskirche noch heute die „Sonnenorgel" des Orgelbauers Casparini. Die Orgel erhielt den Namen Sonnenorgel deshalb, weil ihre Pfeifen rund wie eine Sonne angeordnet sind. Das Gehäuse ist bei dieser Orgel noch alt, während innen die Orgel ganz neu ist. Der Orgelbauer Casparini hieß eigentlich Caspar. Weil ihm Caspar als ein zu gewöhnlicher Name erschien, nannte er sich einfach Casparini. Er stammte aus Sorau und arbeitete viele Jahre in Italien, so daß er viel Südliches mit nach Schlesien gebracht hat. Da auch Süddeutschland von den italienischen Orgelbauern gelernt hat, findet sich im süddeutschen und dem schlesischen Orgelbau viel Verwandtes. Bei Casparini war auch Andreas Silbermann eine Zeitlang in der Lehre. Als nämlich Andreas Silbermann nach Görlitz gekommen sei, so wird berichtet, habe Casparini gerade an der 26
Alte Orgel mit „Rückpositiv" an der Brüstung der Orgelempore 27
Sonnenorgel gearbeitet und dabei habe er auf etwas abenteuertid Weise Silbermann kennengelernt, Wohlgefallen an ihm «gefund und ihn zu sich genommen. Noch ein berühmter Orgelbauer ist zu nennen, wenn man Schlesien denkt; Es ist Michael Engler. Märchenhaft schön w seine Elisabethenorgel in Breslau und ebenso die in Brieg. Av. diese Orgeln sind vernichtet worden. Dagegen soll die Engle Orgel in der Abtei Grüssau noch stehen. Süddeutschland besitzt einen Großmeister und mehrere Kleini-| meister als Orgelkomponisten. Johann Pachelbel war Organist der.j Sebalduskirche in Nürnberg und lebte 30 Jahre vor Bach. Seine | kunstvollen Orgelkompositionen werden heute noch gern gespielt. | Aber die Orgeln, auf denen er spielte, kennen wir nicht mehr. In ^ Oberschwaben stehen jedoch noch mehrere guterhaltene alte Orgeln. ^' Man nennt sie die oberschwäbischen Baroökorgeln, und von ihren Erbauern haben sich Gabler, Holzhay und Riepp besonders hervorgetan. Joseph Gabler wurde im Jahre 1700 geboren und stammt aus Ochsenhausen. Er war aller Wahrscheinlichkeit nach Autodidakt, das heißt, er erlernte das Orgelbauhandwerk ohne Meister. Gabler ging als Zimmermann nach Mainz. Gegenüber der Zimmermannswerkstatt, in der er beschäftigt war, befand sich die Orgelbauwerkstatt Geissel. Vermutlich hat Gabler sich in seiner freien Zeit Jahr für Jahr in der Orgelbauwerkstatt des Nachbarn aufgehalten und so auch dieses Handwerk erlernt. Heute kann man sich diese Lemweise kaum noch vorstellen, aber die alte geruhsame Zeit hatte für so etwas noch Möglichkeiten. Wie viele lernten nach Feierabend noch etwas dazu! Jedenfalls bewirbt sich in Mainz plötzlich Gabler beim Domkapitel um die Stelle eines Domorgelmachers. Er hat aber kein Glück. So geht er nach Ochsenhausen zurück; der Abt der Abtei Ochsenhausen läßt Gabler großzügigerweise die große Abteiorgel bauen. Man denke, es war Gablers erste Orgel, welches Risiko für den Auftraggeber! Aber man wagte es. Und siehe da, es wurde eine ganz hervorragende Orgel, die heute noch steht und an der sich Jährlich Hunderte versammeln und voller Freude ihrem Klange lauschen. Der süddeutsche Barockmensch hatte seine eigenen Beziehungen zum Religiösen. Er tat zur Ehre Gottes manches, was wir vielleicht nicht mehr begreifen können. Über dem Rüdepositiv 'der Ochsen28
hausener Orgel baute Gabler einen kleinen Stall, und in diesen Stall stellte er einen Ochsen, schön aus Holz geschnitzt. Zog der Organist an dem Register „Cuculus", so klang ein Kuckucksruf durch die Kirche, und das öchslein kam aus dem Stall und steckte vorwitzig den Kopf zur Orgel heraus. Das war ein bildhafter Hinweis auf das Wappen von Ochsenhausen, nämlich „Ochse haussen!" Vor etwa hundert Jahren wurde man indes sehr nüchtern und fand es unpassend, daß im Gotteshaus plötzlich ein Ochse aus der Orgel kam und Kuckuck rief. Also ließ man das Register abstellen und es blieb stumm. — Jedoch nach vielen Jahren, als kein Mensch mehr an das öchslein dachte, hatte sich etwas in der Mechanik gelockert, und mitten im Gottesdienst fing das Öchslein zu schreien an und war durch nichts zu beruhigen, so, als müsse es mehrere Jahre Stummsein nachholen. Seit dieser Zeit darf das Öchslein wieder rufen; gern freut man sich daran, wenn auch das Ochsenhausener öchslein nicht „Muh", sondern „Kuckuck" ruft! Von der gut gelungenen Orgel in Ochsenhausen erhielt die benachbarte Abtei Weingarten Kunde. Auch sie bestellte bei Gabler eine Orgel. Und nun entstand im Weingartener Münster ein Meisterwerk, das zu den genialsten und bedeutendsten des abendländischen Orgelbaues gehört. Es war die zweite Orgel von Gablerl Er hatte es in Weingarten nicht leicht, dreizehn Jahre baute Meister Gabler an der Münsterorgel in Weingarten. Wenn man heute die gewaltige Orgelfassade erblickt, wird man immer aufs neue gepackt von ihrer Schönheit. Die vielen Fenster und das durch sie einstrahlende Licht wurden mit in das Äußere der Orgel einbezogen. Die Pfeifen hängen rings um die Barockfenster, und der Spieltisch steht ganz hoch oben. Zwei Freitreppen führen zu ihm hinauf. Ein Umgang geht um den Spieltisch herum. Die Registerzüge sind aus Elfenbein gedrechselt, kunstvoll ist das Notenpult verziert. Hier thront der Organist wie ein König an der königlichen Orgel. Wenn dann diese herrliche Orgel aufbraust, wird der ganze wundersame Kirchenraum zur Musik. Alle Engel und Putten, alle Ornamente und Figuren werden zum Klang. Alles singt und jubiliert mit! — Gabler baute dann noch etwa drei Orgeln. In Bregenz starb er beim Orgelbau, ähnlich wie Gottfried Silbermann. Ein nicht minder interessanter obersdhwäbischer Orgelbauer war Johann Nepomuk Holzhay, der 1741 in Rappen geboren wurde. Aus Holzhays Leben ist uns nicht viel bekannt. Um so mehr ist man beglückt, wenn man eine seiner Orgeln hören darf. Am schön29
sten ist die in Rot an der Rot. Strahlende Helle ist das Kennzeichen ' dieser Orgel. Etwas Ähnliches an Frische hat höchstens Gottfried Silbermann gebaut. Es klingen ja nicht alle Orgeln gleichmäßig. Manches Werk klingt dunkel, manches dick, manches dünn, und wieder andere Orgelwerke haben einen hellen Klang. Diese Helle ist in vielerlei Schattierungen zu hören, oft etwas dämmerig, dann wieder strahlend licht. Alle Holzhay-Orgeln haben diese klanglich vollendete Aufhellung. Auch Obennarchtal bei Ulm und Weissenau bei Ravensburg besitzen noch Orgeln von Holzhay. Die Abtei Neresheim birgt leider nur das von dem Meister geschaffene Gehäuse. ^ Dieses Gehäuse ist allerdings ein vollendetes Kunstwerk. Ähnlich wie \ der Orgelkünstler in Weingarten, sah Orgelbaumeister Holzhay dar- '^ auf, die ganze Lichtfülle des Kirchenraumes in die Architektur des j Orgelgehäuses einzukomponieren. In der Abteikirche Neresheim | hatte der Baumeister die vielen Fenster so angelegt, daß kein Raum- | schatten entstehen konnte. Zwischen die Fenster hängte nun Holzhay die Orgel, die in diesem Lichterspiel zu herrlichster Wirkung kommt. — Die großen Orgeln in Ottobeuren baute Orgelbauer Riepp, der ein großer Geschäftsmann und ein ebenso guter Orgelkünstler war. Die beiden Orgeln der Abteikirche sind rechts und links neben dem Mönchschor angeordnet. Die Orgel auf der Epistelseite, die größere, ist die Dreifaltigkeitsorgel, die auf der Evangelienseite die Heiliggeistorgel, ein kleineres, intimes Instrument. Tritt man in die mächtige Abteikirche, so wird der Blick sofort von den beiden Meisterwerken gefesselt, und wenn man sie hört, kommen dem Kirchenbesucher Erinnerungen an Gottfried Silbermann in den Sinn. Die Spieltische beider Orgeln ruhen geborgen im Innern des Gehäuses. Nur durch ein paar Spiegel kann der Organist mit der Außenwelt in Verbindung bleiben. Sonst sitzt er für sich allein, Pfeifen über und neben sich. Trotz der weiten Verzweigung der beiden Orgelteile schlagen sich die Tasten dieser Orgel sehr leicht an. Bei alten Orgeln wird sonst der Organist oft zum Schwerarbeiter, da er je Taste mehrere Pfund stemmen muß, weshalb man in älterer Zeit auch von „Orgelschlagen" statt Orgelspielen gesprochen hat. Am schwersten hatten es in dieser Hinsicht die Spieler der Holzhay-Orgeln. Holzhay hatte zwar ein geniales Klangempßnden, schien aber bei den technischen Dingen nicht ganz sicher zu sein. Riepp war ihm darin weit überlegen. Da er keine Orgeln bauen mußte, um sich seinen Unterhalt zu verdienen, nahm er nur Aufträge an, die so gut bezahlt wurden wie der Auftrag von Ottobeuren. Riepps Hauptberuf war nämlich der Weinhandel, nur aus Liebhaberei baute er Orgeln. Er legte auch den 30
größten Wert auf die Verarbeitung von nur vorzüglichein Material. Untersucht man die Ottobeurener Orgel, so ist man überrascht von den erlesenen Hölzern und Metallen, die darin verarbeitet worden sind. Riepp erlernte den Orgelbau in Dijon, obwohl er aus Schwaben stammt. Er hatte auch mit Andreas Silbermann- in Straßburg Verbindung. Durch einen Zufall stellte man fest, daß die Pläne von Ottobeuren bei Andreas Silbermann zu finden waren. Sollte Silbermann die Orgel entworfen oder an ihr mitgewirkt haben? — Aber nicht nur in Deutschland gibt es gute Orgeln. Das klassische Land des Orgelbaues ist eigentlich Frankreich, das in diesem Kunsthandwerk konservativ geblieben ist und die alte Orgelbautradition noch nie gebrochen hat. Zwei Persönlichkeiten sind hier von besonderem Rang. Dom Bedos, ein Benediktinerpater, schrieb ein großes Werk über den Orgelbau. In den Bänden dieses Werkes findet man ganz hervorragende Zeichnungen. Vor allem erfüllt es mit Stolz, daß die Titelseite eine fein ausgeführte Zeichnung der Gabler-Orgel zu Weingarten enthält, für die Dom Bedos ganz besonders geschwärmt hat. Dom Bedos gilt als der geistige Vater des französischen Orgelbaues. Der Pariser Orgelbauer Cavaille-Coll indessen ist der tätige Meister der französischen Orgel. In Paris und anderen bedeutenden französischen Orten stehen heute noch wohlerhaltene Orgeln von ihm. Auch Spanien war immer groß in seinen OrgelkünsÜem. In den von ihnen geschaffenen Werken erlebt man das ganze Feuer und das große Temperament des südländischen Menschen. Der Spanier liebte es, seine Orgel einzumauern, indem er das Gehäuse nicht aus Holz, sondern aus Stein herstellte, um es harmonischer in das Bauganze einer Kirche einzufügen. Typisch spanisch sind die „spanischen Trompeten": Zungenpfeifen, die waagerecht aus dem Gehäuse ragen. — Die italienische Orgel dagegen ist mehr still im Klang, auch hat sie nur ein Manual und wird meist nur für Begleitzwecke benutzt. Doch gibt es in italienischen Konzertsälen auch große Orgeln. — Besonders beliebt ist heute die Orgel in Amerika, dem Land der tausend Möglichkeiten. Die Freude an der Orgel erstreckt sich hier nicht nur auf den kirchlichen Bereich; man darf sich nicht wundern, in den Städten der USA in manchem Kaufhaus eine Orgel anzutreffen, die dort regelmäßig zu Konzerten gespielt wird. 31
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Finale Der letzte Akkord ist verklungen. Noch schwingt der Raum still nach. Die Orgel entrückt uns in eine feierlichere Welt. Es mag heute vielerlei Instrumente geben, die sich Orgeln nennen, es mag vielerlei Zwecke geben, zu denen die Orgel spielt. Aber nur Edles künde die Sprache der Orgel! Voll Ehrfurcht blickt man heute zur Orgel, lauscht ihrer Stimme und erbaut sich an ihr, denn sie, die Orgel, ist heute wie einst das königliche Instrument.
Eberhard Bonitz, der Verfasser dieses Lesebogens, wurde bekannt durch Veröffentlichungen über Orgelbau und als Komponist, durch Konzertreisen und in Rundfunkübertragungen als Interpret alter und zeitgenössischer Orgelmusik. Als Vertreter Günther Ramins an der Leipziger Thomasorgel spielte er in den Motetten des Thomanerchores.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
Bild auf Umschlagseite 2: Alter mechanischer Spieltisch in Ottobeuren. Fotos: Umschlagseite 2, S. 5, 8, 11, 13, 17 Roelln-Klals;^ alle übrigen: Lux-Bildarchiv.
Lux-Lesebogen
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(Musik)
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