KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
OTTO KROSCHE
GEHEIMNISSE DES ERDI...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
OTTO KROSCHE
GEHEIMNISSE DES ERDINNERN
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU . MÜNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
Die Katastrophe von Krakatau Jeden Morgen bevor der Schneidermeister Gottlieb sich nach dem Frühstück hinüberbegab in seine Werkstatt, überflog er erst rasch sein „Blättle", wie er als Schwabe sein Leib- und Magenblatt, den „Kreisboten", bezeichnete. Das gründliche Studium des Berichtes über die gestrige Beichstagssitzung in Berlin und die außenpolitischen Meldungen sparte er sich stets für die Stunde nach dem Mittagsmahl auf, aber über die neuesten kurzen Nachrichten mußte er sich schon morgens informieren, damit er einigermaßen im Bilde war, wenn einer seiner Kunden die Rede darauf brachte. So auch an diesem Mittwochmorgen vor 75 Jahren, am 29. August 1883. Da erfuhr Meister Gottlieb, daß in Wien auf einer Ausstellung das neue Wunder der Elektrizität vorgeführt werde und das Ausstellungsgelände an den Abenden im Glanz vielhunderter Glühlampen ein prachtvolles Schauspiel biete; daß in der Schweiz das Städtchen Klingnau brenne und bisher 16 Häuser verloren seien; daß Reichskanzler Bismarck sich zur Kur nach Bad Gastein begeben habe; daß den Herbstmanövern der deutschen Armee außer dem Prinzen von Wales auch die Herzöge von Edinburgh, Connaught und Cambridge beiwohnen würden; daß der Berliner Arzt Robert Koch in Alexandrien eingetroffen sei, um in dem choleraverseuchten Lande den Erreger der Seuche aufzuspüren — und manche andere Neuigkeit mehr. Auf der zweiten Zeitungsseite fand Meister Gottlieb unter „Vermischtes" auch eine Meldung aus London, vom 27. August datiert, in der aus Batavia, der Hauptstadt Javas, berichtet wurde, daß es in der vergangenen Nacht auf der Insel Krakatau furchtbare Vulkanausbrüche gegeben habe, die noch im 700 Kilometer entfernten Surakarta gehört worden seien; der Aschenregen habe selbst das entlegene Tjeribon erreicht und die Feuererscheinungen seien sogar 200 Kilometer weit in Batavia gesichtet worden. Serang sei vollständig in Dunkelheit eingehüllt, und ausgeworfene Steine hätten schwere Schäden verursacht. In Batavia herrsche vollständige Finsternis; alle Gaslampen seien gestern abend verlöscht. Man habe den Verkehr mit Anjer an der Westküste unterbrechen müssen und man hege ernsthafte Befürchtungen für diese Stadt. Die Meldung über den Vulkanausbruch erregte indes längst nicht in dem Maße das Interesse des ehrsamen Bürgers Gottlieb wie die über den Stadtbrand von Klingnau, welchen Ort er von 2
seiner Wanderzeit als junger Schneidergeselle her kannte. Er faltete die Zeitung zusammen und setzte sich an seinen Arbeitsplatz, versunken in Gedanken an jene fernen Jugendtage in Klingnau und an die lustige, unbeschwerte Wanderzeit durch die Schweiz bis nach Italien hinüber. In den folgenden Tagen jedoch wurde die zuerst nur flüchtig beachtete Meldung vom Ausbruch eines Vulkans auf der anderen Seite des Erdballs zum allgemeinen Tagesgespräch, ü b e r eine Woche lang brachten die Zeitungen neue erschreckende Einzelheiten. Manche Meldungen erwiesen sich zwar später als ungenau und in der Wirrnis des ersten Augenblicks niedergeschrieben; doch war die tatsächliche Wahrheit über die Naturkatastrophe und die — zuerst noch höher bezifferte — Zahl von 40 000 dabei ums Leben gekommenen Menschen fürchterlich genug. Der Name Krakatau, den zuvor niemals jemand vernommen hatte, wurde zum allbekannten Begriff. Eine Woche zuvor hätte außer ein paar Fachleuten niemand zu sagen gewußt, wo dieses Krakatau wohl liege, denn in keinem Atlas war die Insel vermerkt. Das war zu verstehen, denn tatsächlich handelt es sich bei Krakatau um eine kleine, unbedeutende Insel, oder genauer gesagt um eine Inselgruppe in der Sunda-Straße, der schmalen Meeresstraße zwischen den indonesischen Inseln Java' und Sumatra. So unbedeutend war diese Inselgruppe, daß sie nicht einmal auf den Seekarten der vielbefahrenen Sunda-Straße genau vermessen eingezeichnet war. Wohl hatte man die Schiffahrtswege selbst sorgfältig ausgelotet, die Inseln jedoch nur von Bord der Schiffe aus schätzungsweise gemessen und ihre Lage in den Karten ungefähr eingetragen. Die letzte Zeichnung der Inseln vor dem Vulkanausbruch stammte aus dem Jahre 1880. Aus ihr ging hervor, daß Krakatau, die Hauptinsel der Gruppe, von ungefähr rechteckiger Form, etwa neun Kilometer lang und fünf Kilometer breit war. Drei Vulkankegel erhoben sich auf ihr: im Süden der 832 m hohe Rakata, in der Mitte der 400 m hohe Danan und im Norden der 120 m hohe Perboewatan. Rechts und links neben der Nordhälfte von Kratatau lagen, nur einige hundert Meter entfernt, zwei kleinere flache Naehbarinseln im Meer: im Osten die Insel Lang und im Nordwesten die Insel Verlaten; außerdem ragten noch einige kleine Felsen hier und da aus dem Wasser. Sonst war von Krakatau nichts Bemerkenswertes bekannt. Seit die Sträflingskolonie, die einige Jahre bestanden hatte, wieder aufgelöst worden war, war keine menschliche Ansiedlung mehr
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dort verzeichnet worden, lediglich Fischer benutzten die Insel gelegentlich als Übernachtungsplatz. Außer daß sie dicht bewaldet war, wußte man im einzelnen nichts Genaueres über ihre Tierund Pflanzenwelt — eine Tatsache, die später von den Wissen-, schaftlern sehr bedauert wurde. Daß die Vulkane von Krakatau noch nicht erloschen waren, darüber beunruhigten sich die Bewohner der nahen Großinsel Java nicht weiter. Ein Vulkanausbruch dann und wann gehörte eben zu ihrer sonst so herrlichen Insel und ihrer Umgebung. Wie vulkanisch dieser Inselbereich ist, davon berichtet uns der Geograph und Weltreisende Georg Wegener in folgender Schilderung: „Wunderbare Schönheit ist über Java ausgegossen. Wie ein Gewand von schwerstem, kostbarem Samt umhüllt eine Pflanzendecke von tropischer Üppigkeit seinen Boden. Nirgends in Asien schießen die Palmen höher zum Himmel, bilden die Risenbambusse stärkere Haine mit tiefgrüner Dämmerung, durchwuchern Farne und Orchideen dichter den feuchtwarmen Urwald, nirgends schaffen die grünen Terrassen des Reisbaus, die nah und 4
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Rest des zersprengten, halbierten Krakatau-Vulkans Rakata (vgl. Zeichnung Seite 4). Deutlich ist der Schlot des Vulkans und seine Mündung zu erkennen.
fern die Gelände überziehen, reizendere Bilder des Friedens und anmutgesättigten Wohlstandes als in Java. Aber dies Gewand bekleidet die Glieder eines dämonischen W e sens mit heißen Adern und von unberechenbarer Wildheit. Java ist durch und durch vulkanisch, eines der Länder der Erde, wo noch heute die vulkanische Kraft am meisten lebendig ist. Oft von der vollendetsten Regelmäßigkeit der Bildung, klassische Schulbeispiele von Vulkangestaltung, steigen die Kegelberge aus den Gärten der Dörfer und Städte empor. Reisfelder umhüllen ihren Fuß, Kaffee-, Tee-, Chinarindenpflanzungen ihre mittleren Flanken, und darüber wuchert der Urwald empor, der sie meist bis zur höchsten Spitze umfängt. Mehr als die Hälfte all dieser Vulkane — fünfundvierzig sind es im ganzen — ist noch nicht erloschen. Gewöhnlich schlummern sie; nur eine kleine Dampfwolke über ihrer Spitze gibt den Bewohnern drunten Kunde von ihrem inneren Leben. Wenn man sich aber durch Pflanzungen und Urwald bis zum Kratergebiet hinaufgearbeitet hat, das oben im Walde verborgen liegt, sieht man die Zeugnisse von der w a h ren Natur dieser schönen, sanftschwellenden Gebilde: kochende Schlammkessel, milchweiß gefärbte Seen, in die sich dampfende Bäche ergießen, schwarze Felslöcher mit schwefelgelbem Randbeschlag, aus denen sausende Dämpfe hervorzischen wie aus dem
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Ventil einer Lokomotive, der heiße Atem des schlummernden Riesen. Von Zeit zu Zeit erwacht einer dieser Riesen und schüttet totschlaglaunig Ströme von siedendem Schlamm und ungeheure Lavablöcke auf die blühende Umgebung, Tausende von Menschenleben vernichtend. Wenige Jahre später, wenn er wieder eingeschlummert ist, hat der Urwald ihn von neuem umsponnen und der Mensch von neuem die Flanken mit seinen Häuschen und Gärten hoch hinauf besetzt; das Schicksal der Vorgänger ist vergessen. So ragen die Vulkane hierzuland empor, der Papandajan, der Guntur, Gelungung, Merapi und wie die Namen alle lauten, die mit flammenden Lettern in die Annalen der Geschichte Javas eingezeichnet sind.". So hatte es also auch niemanden sonderlich erregt, als man in Batavia und anderen Orten an der Küste von Java und Sumatra bereits am 20. Mai 1883 ein Dröhnen wie Kanonendonner vernahm, das stundenlang anhielt und die Fenster und Türen klirren und zittern ließ. Am nächsten Morgen rieselte ein leichter Aschenregen auf die Küstenstriche nieder und eine über Krakatau aufsteigende Rauchsäule wurde sichtbar. Man nahm schon bald diesen Vulkanausbruch zum Anlaß einer Lustpartie. Eine abenteuerfrohe Geesllschaft mietete einen kleinen Dampfer und fuhr eine Woche nach dem Ausbruch, am 27. Mai, hinüber nach Krakatau, um das Schauspiel aus der Nähe zu besichtigen. Wie schon Schiffer berichtet hatten, war es der kleine Vulkan Perboewatan, der ausgebrochen war. Obwohl schon wieder schwächer geworden, war er noch immer in Tätigkeit. Etwa alle zehn Minuten krachte es, flogen Bimssteine durch die Luft, und der aus dem Krater aufsteigende Rauch erglühte vom Widerschein der Lava im Innern, überall war der Boden mit Aschenstaub bedeckt, und den Bäumen waren von den herausgeschleuderten Bimssteinen Zweige und Äste abgeschlagen. Mit dem Mut unwissender Toren gingen die Vergnügungsreisenden an Land und stiegen hinauf bis an den Rand des Kraters — und es passierte auch tatsächlich keinem etwas, obwohl der Vulkan ständig spuckte, qualmte und donnerte. Als der Maimonat vorüber war, hatte die Tätigkeit des Perboewatan immer mehr nachgelassen. Der Ausbruch erneuerte sieh aber wieder am 19. Juni, und fünf Tage später stieg eine zweite Rauchsäule über Krakatau auf, und zwar vom Danan, dem mittleren Vulkan. Da diese Erscheinung mehrere Wochen lang anhielt, fuhr am 11. August der Kapitän Ferzenaar, der Leiter der
Vermessungsbehörde, nach Krakatau hinüber. Er konnte die Insel nur von Nordosten aus betrachten, da ihm auf der anderen Seite die Sicht durch Rauch und Aschewolken verwehrt wurde. Er bemerkte, daß sich am Fuße des Danan ein weiterer Krater gebildet hatte und daß es außerdem aus verschiedenen Stellen am Boden dampfte und qualmte. Die Pflanzenwelt der Insel schien völlig vernichtet, n u r kahle, tote Baumstümpfe erhoben sich aus einer meterhohen Decke von Asche und Bimsstein. In den folgenden Tagen hatte es weitere bedrohliche Erscheinungen gegeben. Seereisende berichteten von heftigen Asche- und Bimssteinregen; die von Krakatau aufsteigende Staubwolke erstreckte sich bis über die Südteile Sumatras, 80 km weiter nördlich. Am 26. August endlich schien der Höhepunkt der Tätigkeit erreicht. An diesem Sonntag erfolgten um 1 Uhr mittags mehrere heftige Explosionen, deren Krachen in dem 150 km entfernten Buitenzorg deutlich zu hören war. Gewaltige schwarze Wolkenmassen, deren Höhe man auf 27 km schätzte, stiegen über K r a katau auf. Immer stärkere und lautere Explosionen folgten in Abständen von zehn Minuten einander; um fünf Uhr nachmittags war das Donnern der Ausbrüche in ganz Java und Sumatra zu hören. Jetzt konnte man wahrhaftig sagen, die Hölle sei los.
Die zersprungene Insel Vom Tor dieser Hölle nur 15 km entfernt befindet sich in der Sunda-Straße ein Schiff, der englische Segler „Charles Bai". Kapitän Watson, ein erfahrener Schiffer, der schon manchen Taifun abgesegelt hat, glaubt, heil an dem rasenden Krakatau vorbeizukommen, und findet sich nun mitten im Toben der Elemente, wie er und seine Matrosen es nie zuvor erlebt haben. Diesmal sind nicht Wasser und Sturm ihre Widersacher; der heiße Atem der Unterwelt schlägt ihnen mit Feuer, Hitze, Asche und stickigen Gasen entgegen. Der Himmel ist verhängt mit düsteren, von Blitzen durchzuckten Wolken, aus denen unaufhörlich Asche herabregnet und bis zu kürbisgroße Bimssteinblöcke herunterfallen. Bevor irgendwo draußen in der normalen Welt die Sonne untergeht — denn auf die unter den elektrischen Entladungen herumtanzende Kompaßnadel ist kein Verlaß mehr —, läßt der Kapitän den größten Teil der Segel reffen, um sich vorsichtig durch die nun hereinbrechende Nacht voranzutasten. Nur das rotblaue Flackern
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der Blitze erhellt diese Stätte des Grauens, auf den Mastspitzen tanzen die Sankt-Elms-Feuer, und drüben, wo Krakatau liegt, springen Feuerfontänen in die Höhe und rollen Feuerfluten hinab ins Meer. An Deck sind die Matrosen unablässig dabei, die herabregnende Asche ins Meer zu schaufeln. Immer wieder läßt der Kapitän die Tiefe ausloten — es ist noch genügend Wasser unter dem Schiff, aber das heraufgezogene Bleilot fühlt sich glühendheiß an. Langsam, unendlich langsam macht das Schiff Fahrt, und allmählich bleibt Krakatau an Steuerbord zurück. Bevor aber die „Charles Bai" endgültig im Osten der SundaStraße die freie Java-See gewinnt, erleben die Männer an Bord und die bange in die Nacht lauschenden Menschen an den Küsten und auf den kleinen Inseln in den Morgenstunden des Montag den Untergang von Krakatau. Um 5.30 Uhr erfolgt die erste von vier gewaltigen Explosionen, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellen und Krakatau buchstäblich zersprengen. Die stärkste Explosion ist die dritte um zehn Uhr, der in der Frühe eine zweite vorangegangen war und kurz vor elf Uhr eine vierte folgt. Vielleicht war durch eine aufgerissene Kluft am Meeresboden das Wasser in den feurigen Rachen gestürzt, verdampft und hatte dadurch das Unheil noch vergrößert. Zwei Drittel der über dreißig Quadratkilometer großen Insel sind zerfetzt. Der Perboewatan und der Danan sind völlig verschwunden, und der Rakata auf der Südseite der Insel ist mitten entzwei gerissen. Nur die Südhälfte des Kegels ist als steil ins Meer abfallende Wand stehengeblieben. Um elf Uhr also des 27. August 1883 verhallt mit einem letzten gewaltigen Paukenwirbel eine urweltliche Musik, in der es keine lieblichen Melodien und Gesänge gegeben hat, sondern nur Krachen, Dröhnen, Zischen und Donnern. Dieser letzte Paukenakkord aber hallt weit über die Erde hin. ü b e r den ganzen Sunda-Archipel bis nach Australien im Osten und westwärts über den ganzen Indischen Ozean bis zur afrikanischen Küste. Überall fragen sich die Leute, wo dieses Dröhnen und Grummeln wohl herrühre; man hält es für Kanonendonner, für Sprengungen oder Signale von Schiffen in Seenot und sendet sogar Hilfe aus. Daß da irgendwo Tausende von Kilometern entfernt ein Vulkan eine Insel zerrissen hat, kann niemand ahnen. Hatte es während der vorangegangenen Vulkantätigkeit in der Umgebung keine Verluste an Menschenleben gegeben, so kostet dafür der letzte gewaltige Ausbruch am Montagmorgen Zehntausende Opfer. Zwar werden durch die ausgeworfenen Gesteinsmas-
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Unterseeischer Vnlkanausbruch in der Nähe des Krakatau
sen selbst nur ein paar Menschen auf Java erschlagen, aber bei diesem letzten Ausbruch hat sich noch etwas anderes ereignet. Da die Sunda-Straße ein wichtiger und vielbenutzter Schifffahrtsweg ist, werden schon in den nächsten Tagen Lotungen vorgenommen, und es stellt sich heraus, daß in einem Umkreis von etwa 16 km um die Inselgruppe sich der Meeresboden um 3 bis 18 Meter gehoben hat. Es hat also bei dem letzten gewaltigen Ausbruch auch ein unterseeisches Erdbeben stattgefunden. Solch ein unterseeisches Beben wirkt auf die über ihm liegende Wassermasse ein, besonders wenn der Meeresboden sich wie hier um mehrere Meter hebt und das Wasser darüber verdrängt. Dabei bildet sich eine Erscheinung, die man neuerdings mit dem japanischen Namen „Tsunami" bezeichnet. An den japanischen Küsten nämlich, wie überhaupt an allen Küsten der großen Ozeane kommt es immer wieder einmal vor, daß plötzlich aus buchstäblich heiterem Himmel, bei schönem Wetter und ruhiger Luft, sich dicht vor der Küste einige ungeheure Wellenberge aufbäumen und Hunderte, ja Tausende von Metern weit in das Land hineinbrausen, Häuser und Äcker zerstören, Bäume entwurzeln, Boote und Schiffe weit in das Land hineintragen und beim Zurückfluten alles Bewegliche in das Meer heruntersaugen.
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Ein Tsunami wird nicht durch Stürme hervorgerufen, sondern durch Erdbeben, die sich irgendwo in der Weite des Pazifik oder Atlantik am Meeresgrund ereignen, das Wasser am Grunde aufrühren und vom Herd des Bebens aus ringförmig nach allen Seiten in Fluß geraten. Mit einer Geschwindigkeit von 800 Stundenkilometern bewegt sich ein Tsunami durch das Weltmeer dahin: an der Oberfläche bilden sich nur schwache, höchstens 60 Zentimeter hohe, aber kilometerlange Wellen. Erst wenn der Tsunami die Küste erreicht — falls er sich nicht schon zuvor totgelaufen hat —, kommt es näher oder weiter vom Ufer entfernt zu riesigen Brandungswellen. Es kann dann geschehen, daß unweit vor der Küste liegende Fischerboote von dem Tsunami kaum mehr als ein schwaches Schaukeln verspüren, während am Ufer Tod und Vernichtung Hunderte von Metern weit ins Land getragen werden. Ein Tsunami entstand auch bei dem Beben von Krakatau, und da die nächsten Küsten von Java und Sumatra nur rund 50 km entfernt liegen, mußte die Wirkung der heranstürmenden W a s sermassen besonders furchtbar sein. Am schlimmsten betroffen wurde die Insel Sebesi auf der anderen Seite der Sunda-Straße. Sie wurde buchstäblich mit Mann und Maus ertränkt. Keiner der zweitausend auf ihr lebenden Menschen entkam, die Häuser wurden fortgeschwemmt, die Bäume abrasiert und die blankgefegte Insel zum Schluß von dem herabfallenden Asche- und Schlammregen bis zu sechs Meter hoch bedeckt. Nicht weniger arg wütete der Tsunami an den Küsten von Java und Sumatra. Hundertdreiundsechzig Dörfer rissen die ins Land rasenden Wassermassen hinweg und ertränkten 36 380 Menschen. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Gewalt der Flut bot sich im Hafen von Telokbetong im Süden Sumatras. Mehrere Schiffe an der Landungsbrücke, darunter das Kriegsschiff „Berouw", wurden ins Landinnere geschwemmt; die „Berouw" fand man drei Kilometer vom Strand entfernt, neun Meter über dem Meeresspiegel, wieder. Einen 23 Meter hohen Hügel beim Hafen hatte das Wasser bis zum Gipfel bespült. Wo die Tsunami-Welle sich frei auslaufen konnte, fuhr sie weit über die Weltmeere hin. In Südafrika war sie noch einen halben Meter hoch und selbst in Europa und an der amerikanischen Westküste war sie noch mit feinen Meßgeräten wahrnehmbar. Noch lange, nachdem der Donner der Explosionen verhallt und die Aufmerksamkeit der Menschen sich längst auf andere Geschehnisse gerichtet hatte, hingen am Himmel die Zeichen der gro10
ßen Katastrophe. Monatelang bot sich auf der ganzen Erde im Sommer und Winter, in Europa, Amerika und Asien allabendlich das Schauspiel farbenprächtiger, niegeschauter Sonnenuntergänge, hervorgerufen durch den ausgeblasenen Aschenstaub des Krakatau, der um den Erdball geweht wurde. Bis in eine Höhe von 80 km reichten die Staubwolken und leuchteten, von der längst versunkenen Sonne angestrahlt, bis in die Nacht hinein am dunkelsamtigen Himmel — eine langsam verblassende Erinnerung an das schreckliche Ereignis, sich gleichsam verklärend in überirdische Schönheit, als habe es die Verwüstung einer Landschaft und den Schreckensschrei zehntausender ertrinkender Menschen niemals gegeben. Als man lange Zeit später die Unglücksinsel betrat, waren von den dreiunddreißig Quadratkilometern nur zehn Quadratkilometer übriggeblieben. Zwei Nachbarinseln waren völlig verschwunden. Kein Grashalm, kein Tier hatte das Unheil überlebt. Der Ausbruch des Krakatau, der eine ganze Insel zersprengte, ist ein besonders sinnfälliges Beispiel für die ungeheure Gewalt der Kräfte des Erdinnern, doch keineswegs das einzige. Auch in unseren Tagen hören wir immer wieder von Vulkanausbrüchen irgendwo auf dem Erdball. In Europa macht der Ätna auf Sizilien fast in jedem Jahr von sich reden. Vor kurzem ließen vulkanische Kräfte ein kleines Eiland neben der Azoreninsel Fayal entstehen, Auswurf eines unterseeischen Kraters. Die aus dem Erdinnern gestiegene Insel ist inzwischen wieder verschwunden. Was sind das eigentlich für Kräfte, die aus dem Erdinnern aufsteigen, was treibt sie hervor, wie wirken sie, warum wirken sie so unterschiedlich kräftig? Eine Reihe von Fragen stellt sich in dieser Naturerscheinung dem forschenden Geist, Fragen, die sich jedoch nur mittelbar und auch heute nur unvollkommen beantworten lassen. Wohl unternimmt der Mensch, das erdgeborene Wesen, gerade jetzt die ersten Schritte von der Erde fort hinaus in den Weltraum, und er mag in nicht allzuferner Zeit wirklich einmal seinen Fuß auf den Mond oder einen der Planeten setzen — in die Urtiefen seiner eigenen Wohnstätte, der Erde, vorzudringen, wird ihm wohl für immer verwehrt sein. Zwar ist es ihm gelungen, im kühnsten Bergwerk der Erde in Transvaal 2800 Meter tief hinunterzusteigen, das tiefste Bohrloch konnte 6700 Meter hinabgetrieben werden. Aber diese großartigen technischen Leistungen 11
sind tatsächlich nur winzige Nadelstiche in den großen Erdball. Wenn wir die Erdkugel vergleichsweise auf die Größe eines Kürbis von einem Meter Durchmesser verkleinerten, würde das tiefste Bohrloch von 6700 Metern nur einen Nadelstich von einem halben Millimeter bedeuten. Die Wurzeln der Vulkane aber liegen vielleicht bis zu zehnmal so tief!
Leuchttürme der Götter In früheren Zeiten hatten die Menschen, in deren Lebensumkreis zahlreiche Vulkane loderten, die merkwürdigsten Vorstellungen von der Herkunft der rumorenden Gewalten unter- und innerhalb der brennenden und rauchenden Berge. In Griechenland glaubte das Volk, Hephästos, der Gott des Feuers, entzünde An Erdinnern seine Brände und entlasse Rauch und Glut durch die Essen der Kratertrichter; oder es seien die Leuchttürme der Himmlischen oder die sprühenden Funken und Rauchsäulen vom Kampfgetümmel der unterirdischen Götter und ihrer Widersacher. Aber es gab auch natürliche Erklärungen für die Herkunft der vulkanischen Erscheinungen. Blitze setzten die Felsen und die Berge in Brand, sagten die einen; andere meinten, die Aschen, die Lava und die ausgeschleuderten Wolken stammten aus einem Feuerfluß in der Tiefe oder es seien Explosionen aufsteigender Ausdünstungen an Stellen, wo die Erdscheibe dünner sei als anderswo. Nachdenkliche Römer nahmen an, daß die Vulkane des Mittelmeeres unterirdisch miteinander in Verbindung ständen, weil der Ausbruch eines der Vulkane die übrigen Vulkanberge oftmals zur Ruhe bringe. Es gab kühne Männer, die sich in die Nähe der fauchenden und speienden Berge begaben, um das Geschehen zu beobachten und darüber zu berichten. Sie stellten fest, daß sich bei manchen Vulkanausbrüchen Nebenkrater bildeten, die oft wieder verschwanden, sie erkannten auch schon, daß den Katastrophen manchmal Erd- und Seebeben vorausgingen und daß manche festlandferne Inseln durch vulkanische Kräfte aus dem Meer emporgehoben worden waren. „Mitten zwischen Thera und Therasia", so berichtet der griechische Geograph Strabo, „brachen vier Tage lang Flammen aus dem Meere empor, so daß das ganze Meer glühte und brannte, und die Flammen hoben nach und nach wie mit Hebewerkzeugen eine Insel empor, die aus glühenden Massen bestand und zwei Kilometer im Umfang hatte. Nach diesem Er12
Gas- und Aschenwolke ober dem Immer tätigen 926 m hohen Vulkan Stromb-oli nördlich von Sizilien. Aus der Wolke regnet Asche auf das Städtchen San Vincenzo und auf die Gärten an den Berghängen
eignis wagten es zuerst die Bewohner der Insel Rhodos, die damals die See beherrschten, auf der Insel zu landen und Poseidon, dem Gott des Meeres, einen Tempel zu errichten". Auch viele Berge auf dem Festland, so vermuteten manche antike Gelehrten, könnten auf diese Weise entstanden sein. So sei am Meerbusen bei Methone infolge eines vulkanischen Ausbruchs ein Berg hervorgewachsen, 1200 Meter hoch, den man am Tage vor Hitze und Schwefeldampf nicht habe besteigen können; bei Nacht aber habe er weithin geleuchtet und sei so heiß gewesen, daß das Meer vor dem Festland 900 Meter weit siedete und auf dreieinhalb Kilometer hin seine Klarheit verlor und zum Teil durch losgerissene turmhohe Stücke verschüttet wurde. Die Gedanken, die sich die alten Schriftsteller von den Vulkanen gemacht hatten, wirkten während des Mittelalters bis in die Neuzeit nach. Dann traten neue Deutungsversuche hinzu. Man hielt das Innere der Erde für feuerflüssig, man nahm an, heiße Winde drängten sich durch Spalten in die Tiefe und entzündeten die hier lagernden Schichten von Schwefel und Bergteer; andere glaubten an eingeschlossene heiße Dämpfe, die sich durch Aufsprengen der Erdrinde und unter Auswurf von Erdmassen Luft verschafften; auch die Sterne oder Erdblitze wurden für die Entzündung der brennbaren Stoffe des Untergrundes verantwortlich gemacht, man dachte an Glutstürme, die die Erdoberfläche von innen her erschütterten und die Kohlen-, Pech- und Schwefellager in Brand steckten. Jedes Jahrhundert schuf sich naue Vulkantheorien, über das Werden und die Beschaffenheit der Erde erlangte man erst nach langem Forschen zuverlässigere Auskunft.
Der „Feuerkreis" W i r haben den Globus vor uns aufgestellt und durchforschen die bunten Flächen der Festländer und Meere nach der Verteilung der Vulkane. Da zeichnet sich ein Raum auf der Erdkugel ab, den man den „Feuerkreis" nennt. Wie Leuchttürme und Rauchsignalstationen erheben sich in diesem Feuerring die lohenden, flammenden, gasenden und qualmenden Vulkane. Hier ragen auch die meisten erloschenen oder vorübergehend zur Ruhe gekommenen Kraterberge auf. Dieser „Feuerkreis" mit den Ketten der vulkanischen Schmelzöfen in seinem Innern folgt in der Hauptsache den Rändern und den Randinseln des Stillen Ozeans. Von den 430 in den 14
\ letzten 150 Jahren tätigen Vulkanen auf der Erde birgt der pazifische Feuerkreis allein 353. Rings um den Stillen Ozean, die weitaus größte Meeresfläche der Erde, markieren wir einmal nach einer Tabelle die Vulkanpunkte. Hoch oben auf der sibirischen Halbinsel Kamtschakta beginnen wir. Von hier erstreckt sich entlang dem Westrand des Ozeans der „Feuerkreis" über die Perlenkette der Kurileninseln nach Japan hinüber, einem der unruhigsten Landgebiete der Erde, wo die Feuergottheiten in Erdbeben und speienden Beigen immer wieder ihre Macht über die Menschen bekunden. Weiter südlich sind die Philippinen und das indonesische Inselreich in den Vulkankreis einbezogen. Dann wendet er sich nach Südosten in die Vulkanwelten Neu-Guineas, Neuseelands, der Salomonen und der Neuen Hebriden. Inmitten des Ozeans leuchten die Vulkanfeuer der Polynesischen Inseln. Selbst die Antarktis weist an ihrer pazifischen Küste Vulkane auf. Mit Graham-Land unter der feuerländischen Südspitze Südamerikas beginnt die vulkanische Kreiszone an der Ostküste des Stillen Ozeans. Ober die Cordilleren zieht sich die Reihe der Vulkane nordwärts bis nach Mittelamerika und weiter über Mexiko und die Westküste Nordamerikas bis hinauf nach Alaska, von wo aus sich der Ring über die Aleuten-Inseln hinweg auf der Halbinsel Kamtschatka wieder schließt. Im Innern des Vulkanrings öffnen sich Vulkanschlote auf den Marianen-Inseln, auf Hawaii, auf den Eilanden der Samoagruppe und den einsamen Galapagos-Inseln. W i r drehen den Globus nach der anderen Erdhälfte, die vom Atlantischen Ozean beherrscht ist; hier sind die Feuer- und Rauchzeichen spärlicher verteilt: auf Jan Mayen und Island zwischen Grönland und Skandinavien, auf den Azoren, Kanaren und Kapverden vor der Westküste Afrikas und an zahlreichen Punkten des Meeresuntergrundes. Vulkanisch belebt ist auch der Mittelmeerraum. Wer kennt nicht die Namen des Vesuvs, Ätnas, Strombolis, Vulcanos und der „Phlegräischen Kraterfelder" in der Bucht von Neapel! Auch hier brodelt oftmals das Meer unter den Auswürfen unterseeischer Gewalten. Im Osten des Mittelmeeres ist die Märcheninsel Santorin in ständiger Unruhe. Die Landkarte der Erde weist dann noch Ostafrika als vulkanisches Herdgebiet auf. Aus Eritrea, Kenia, Tanganjika und von der Ostküste Afrikas, von den Inseln der Komoren und Maskarenen, kommen immer wieder Nachrichten über mehr oder weniger starke Ausbrüche aus dem Erdinnern. Die Verteilung der Vulkane über die Erde und ihre Anhäufung 15
in bestimmten Zonen ist so auffällig, daß sie nicht Zufall sein kann. In den betreffenden Gebieten vulkanischer Unruhe ist die Erdkruste irgendwie gestört und zerrüttet, so daß die glutflüssigen Massen oder die Gase aus der Tiefe durch Spalten oder Schlote leichter an die Oberfläche durchbrechen können als anderswo. Die Geographen haben festgestellt, daß Vulkangebiete fast immer Gebiete jüngerer Gebirgsbildung sind, wo die heutigen Hochgebirge der Erde sich aufgetürmt haben. Noch deutlicher wird das alles, wenn man nicht nur die heute noch tätigen Vulkane betrachtet, sondern auch die bereits seit Jahrhunderten, Jahrtausenden, ja Jahrmillionen erloschenen, deren Zahl die der tätigen vielmals übertrifft. Man schätzt sie auf 10 000. Das Gebiet vulkanischer Ereignisse wächst mit einemmal über den Bereich der Gebirge hinaus. Denn auch in früheren erdgeschichtlichen Zeiten wuchsen die Hochgebirge ja nicht einfach empor wie eine Reihe aufgeworfener Maulwurf häufen; viele entstanden in der Weise, daß ein ländergroßes, ebenes Gebiet durch einen seitlichen Schub aufgefaltet wurde, wie wenn ein Tischtuch zu Falten zusammengeschoben wird. Durch diesen Schub aber wurden auch weite Gebiete diesseits und jenseits der sich aufbäumenden Gebirge in Bewegung gebracht, in Schollen zerbrochen, mit Spalten durchzogen; durch sie drangen glühende Massen aus der Tiefe nach oben. So kommt es, daß sich, wenn wir zum Beispiel Europa betrachten, weit nördlich der Alpen eine große Zahl Jahrmillionenalter, längst erloschener Vulkane findet.
Der Gesteinsbrei Aus vielem, was die Forschung im Laufe langjähriger Beobachtungen zusammengetragen hat, weiß man heute ungefähr, was dort unten in der Tiefe vor sich geht, wenn die vulkanischen Kräfte sich rühren. In Gedanken steigen wir hinab tief in die Erdrinde. Nur in Gedanken ist das möglich; denn wenn wir einen solchen Versuch tatsächlich unternehmen wollten, kämen wir nicht weit. Seit man Schächte und Stollen in die Erde gräbt oder bohrt, um an die Lagerstätten von Erz, Salz oder Erdöl heranzukommen, hat man die Erfahrung gemacht, daß die Temperatur in die Tiefe hinab ständig zunimmt. Je tiefer man vordringt, um so wärmer wird es. Die W ä r m e nimmt im allgemeinen um 1 Grad je 33 m Tiefe zu. In 2000 m Tiefe herrscht demnach eine Temperatur von 60 Grad, 16
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Wie der Krater des Vesuv sich von 1906 bis 1920 veränderte. Seit dem letzten Ausbruch 1944 zeigt der Vulkan keine Rauchfahne mehr
so daß wir hier mit unserem Abstiegsversuch bereits an der Grenze des Erträglichen angelangt sind. Doch ist die Temperaturzunahme nicht überall gleich. In Südafrika gibt es Bergwerke, die in 2800 m Tiefe hinabreichen und in denen der Mensch doch noch arbeiten kann; die Erdschichten weisen hier andere Verhältnisse auf, so daß die Temperaturen langsamer ansteigen. An anderen Stellen der Erde kann die Wärmezunahme auch größer sein als der Normalwert von 1 Grad je 33 Meter. Die unerträgliche Zone wird hier also viel früher erreicht. Bleiben wir jedoch bei diesem Normalwert, so können wir uns ausrechnen, in welcher Tiefe die Gesteine im allgemeinen zu schmelzen beginnen und die feste Materie in glutflüssigen Zu17
stand übergeht. Die meisten Gesteine schmelzen bei 1300 Grad Wärme, das entspricht einer Tiefe von etwa 50 Kilometern. Ganz stimmt diese Berechnung nicht. Der Druck des lastenden Gebirges verhindert nämlich, daß das erhitzte Gestein unter normalen Umständen flüssig wird. Nur wenn der Druck nachläßt — bei einer Verschiebung der Erdschicht, bei einem Erdbeben oder bei sonstigen gewaltsamen Veränderungen der Erdkruste — setzt die Schmelze der Tiefengesteine ein und ihr Drang, sich Luft zu verschaffen. Das glutflüssige Gestein dort unten heißt Magma. Dieses griechische Wort bedeutet gekneteter Teig, wir übersetzen es mit Gesteinsbrei; wie einen zähflüssigen Kuchenteig müssen wir uns das Magma vorstellen. Zwar bleibt es uns in seinem ursprünglichen Zustand verborgen, da es stets verwandelt zur Erdoberfläche gehoben wird; aber die Wissenschaft hat das emporgestiegen« Magma und die bunte Masse der aus ihm ausgeschiedenen Gatte, Dämpfe, Gesteine und Erze so genau untersucht, daß wir Rückschlüsse ziehen können. Sechshundert verschiedene Gesteinsarten stammen aus vulkanischen Quellen. Sie unterscheiden sich vor allem durch den Anteil an Kieselsäure, den sie enthalten. Aus Gesteinsbrei mit sehr viel Kieselsäure entsteht hauptsächlich Granit, aus dem Magma mit geringerem Kieselsäureanteil hauptsächlich Basalt. So sind also die Granitberge im Harz, Schwarzwald, Erzgebirge oder sonstwo alles ehemalige Vulkane? Gewiß, sie sind alle vulkanischer Herkunft, doch waren sie keine eigentlichen Vulkane, keine feuerspeienden Berge, vielmehr handelt es sich bei ihnen um sogenannte Plutone. Die Geologen nämlich unterteilen die Erscheinungen der Kräfte des Erdinnern: Der römische Unterwcltgott Pluto gab dem Plutonismus seinen Namen; nach dem Römergott des Feuers, Vulcanus, wurde der Vulkanismus benannt. Entsprechend dieser Namensgebung ist der Plutonismus ein in der „Unterwelt", in der Erdkruste, sich abspielendes vulkanisches Geschehen, während unter Vulkanismus im engeren Sinne die an der Erdoberfläche zutage tretenden Vorgänge verstanden werden. Ein Pluton ist ein ehemaliger Magmapropf, der aus der Tiefe aufgestiegen, in der Erdkruste steckengeblieben und dort erkaltet und erstarrt ist, ohne daß es zum Ausbruch bis zur Oberfläche gekommen ist. Wenn Plutone heute auch als Berge frei in die Luft ragen, so sind die sie einst bedeckenden Gesteinsmassen von der Verwitterung abgeräumt worden. Nun, da sie offen vor un18
seren Augen liegen, läßt sich aus der Zusammensetzung ihrer Gesteine und Begleitmaterialien manches über ihre Entstehung berichten. Beim langsamen Abkühlen des durch eine Spalte, einen Erdriß hochgetriebenen Plutons werden die einzelnen Bestandteile des Magmas entsprechend ihrem verschiedenen Schmelzpunkt zu verschiedenartigen festen Stoffen, sie „kristallisieren aus". Die ersten Festteile sind im allgemeinen Verbindungen der Schwcrmetalle Eisen, Chrom und andere. Durch ihre Schwere sinken sie in der Schmelzflüssigkeit langsam nach unten und bilden Erzlager. Mit der weiteren Abkühlung kristallisieren immer mehr Mineralien aus, Stoffe, die zu Granit und Basalt werden, während der Quarz sich erst später aus der Schmelze abscheidet; er findet nicht mehr genügend Platz zur Bildung von Kristallen und muß sich mit den Lücken zwischen den anderen Tiefengesteinen, zum Beispiel im Basalt, abfinden. Das schmelzflüssige Magma der Tiefe besteht nur zu neunzig Prozent aus Stoffen, die zu Mineralien erstarren, die restlichen zehn Prozent sind Flüssigkeiten und Gase. Je mehr der Magmaherd erstarrt und entgast, desto größer wird der Anteil der Gase an der noch nicht versteinerten Magmamasse und desto stärker wird der Druck, den die Gase ausüben. Der immer stärker werdende Gasdruck strebt nach Entlastung, die Gase breiten sich in den Gesteinsspalten im Erdinnern viele Kilometer weit aus, gehen mit den durchdrungenen Gesteinen neue chemische Verbindungen ein und bilden auf diese Weise mancherlei neue Schichtungen. Oder aber den Gasen gelingt es, sich einen Weg zur Erdoberfläche zu bahnen und dort mehr oder weniger stürmisch auszuströmen. Solches Entgasen kann in gewalttätiger Form vor sich gehen, aber auch in der sanften Gestalt einer Mineralwasserquelle, die Kohlensäuregas enthält. Ähnlich wie die Entwicklung eines Plutons ist die eines Vulkans; beide sind dadurch unterschieden, daß bei einem Pluton der Magmateig im Innern der Erdkruste sich sozusagen in einer geschlossenen Konservenbüchse zu Gesteinskuchen verfestigt, bei einem Vulkan dagegen als Lava oder Lavaasche einen Weg nach außen findet. Dieser Durchbruch durch die Gesteinsschichten geht nicht immer mit der Gewaltsamkeit eines „feuerspeienden Berges" vor sich. Oft ist es nur ein Sieden und Kochen im „Topf" oder Trichter der Vulkanöffnung. Solche offenen „Töpfe", in denen es brodelt und wallt, sind die Feueressen der Vulkane von Hawaii. Der berühmteste von 19
ihnen ist der alljährlich von Tausenden von Touristen besuchte Feuersee Halemaumau im Krater des 1235 m hohen Kilauea. „Ein Schauspiel wie dieses", schreibt Graf Hermann Keyserling in seinem Reisetagebuch, „mochte der Mond wohl bieten, bevor er erloschen war; auf Erden gibt es nichts ähnliches. Es ist ein Vulkan, jedoch kein feuerspeiender Berg, sondern ein Feuermeer, ein wildes Gewoge, Geschäume, Gespritze, Gewirbel um die schmelzenden Schollen herum. Und die Lava rauscht und singt, als ob sie die See wäre. Bei Tage ist das Schauspiel nicht allzu eindrucksvoll . . . aber seitdem die Sonne sank, wird das Bild von Stunde zu Stunde gewaltiger. Der Kraterrand ist unsichtbar geworden; die Schlacken sind undurchsichtig; es scheint, als hebe sich das Feuer vom unendlichen Weltenraum ab; man glaubt, aus nächster Nähe dem Gesiede der Sonne zuzusehen. Einen Augenblick wird mir unheimlich zumut: Solches zu sehen ist dem Menschen eigentlich versagt; ich sollte beim ersten Hinblicken verzehrt worden sein. Stattdessen liege ich ungefährdet am Rande des Feuerschlundes und sehe gemächlich wie ein Gott dem Beginn der Dinge zu." Der feurige Schmelzfluß, auf den der Dichter dort am Rande der Unterwelt hinunterblickt, ist nicht mehr das ursprüngliche Magma der Tiefe, da es durch den Austritt an die freie Luft ständig entgast wird. Wohl strömen aus der Tiefe immer wieder Gase nach und rufen das Brodeln des Feuersees, das Aufspritzen gewaltiger feuriger Fontänen hervor, aber die Gase können jetzt ungehindert entweichen. Daher stellen diese Feuerseen zwar eine wesentliche Form des Vulkanismus dar, zugleich aber auch die am wenigsten stürmische; denn durch das ständige Entweichen der Gase kommt es zu keinen explosiven Ausbrüchen, sondern nur gelegentlich zu verhältnismäßig ruhigem überlaufen der Lava in die Umgebung, wie es sich auch am Halemaumau immer wieder einmal ereignet. Dann steigt der Spiegel des 600 m breiten Feuersees, der zuzeiten 100 m tief im Krater gelegen ist, bis über den Kraterrand, oder aber die Lava bricht sich seitlich durch die Bergflanke Bahn und strömt mehr oder weniger rasch bergab. Am raschesten fließt die Lava, wenn sie einen Kieselsäuregehalt von nur etwa fünfzig Prozent aufweist. Dann ist sie leichtflüssig und bildet große Ströme, die weite Flächen bedecken können. Bei starkem Nachschub solcher leichtflüssigen Lava entstehen Schildvulkane, bei denen sich die Lava rund um den Schlot schildförmig ausbreitet und erstarrt, bis sich allmählich bei immer wiederholten Ausflüssen ein Berg aufbaut. Die Insel Hawaii, 20
Der Krater des erloschenen Vulkans Soufriere auf der westindischen Insel Sankt Vincent hat sich mit Wasser gefüllt
die einen einzigen, riesigen Schildvulkan mit mehreren, verschieden hohen Einzelkegeln bildet, beweist, wie gewaltig ein Schildvulkan anwachsen kann. Aus dem 5000 m tiefen Ozean aufsteigend, erhebt sich der höchste Kegel dieses Schildvulkans, der Mauna Loa, noch weitere 4195 m über den Meeresspiegel. Nicht minder gewaltig sind die Mengen der geförderten Lava,' die nicht aus Schloten, sondern aus kilometerlangen Erdspalten ausfließt. Auf Island, das mit 140 Vulkanen eine der interessantesten Vulkanlandschaften der Erde ist, öffnete sich im Jahre 1783 die 24 km lange Lakispalte, aus der zunächst unter donnerndem Getöse Asche ausgeworfen wurde, die sich über ganz Island verbreitete und, wie ein Bericht erzählt, die Felder mit schwarzem Schlamm überzog, das Gras vergiftete und das W a s ser stinkend und ungenießbar machte, so daß über die Hälfte des Viehbestandes zugrunde ging und ein Fünftel der Bevölkerung von Hungersnot und Seuchen dahingerafft wurde. Danach flössen aus der Spalte gewaltige Lavamengen, die ein Gebiet von 565 qkm überdeckten. Die aus dem Laki-Spalt ausgeströmte Lava 21
nimmt nur einen Bruchteil der Lavadecke Islands ein: insgesamt besitzt die Insel über 11 000 Quadratkilometer Lavafelder. In Vorderindien, auf dem Hochland von Dekkan, ist der Lavapanzer durchschnittlich 1200 m dick und erstreckt sich über ein Gebiet von der Größe der Bundesrepublik; im südamerikanischen Parana-Becken bedecken solche vulkanischen Ergießungen aus der Zeit vor 150 Millionen Jahren ein noch größeres Gebiet. Langsamer fließt die Lava, wenn sie kieselsäurereich ist. Dann fluten meist nur kurze Lavaströme hervor. Die Lava kann sogar so zäh sein, daß sich überhaupt kein Lavastrom bildet, sondern nur eine Staukuppe, eine Quellkuppe oder eine Stoßkuppe. Eine Staukuppe entstand im Jahre 1925 beim Ausbruch des Santorin im Ägäischen Meer. Die Santorin-Insel besteht aus zwei aus dem Meere ragenden Bruchstücken, die deutlich erkennen lassen, daß es sich hier um eine Vulkanruine handelt, in deren Krater durch zwei Eingänge das Meer eingedrungen ist. In diesem Krater ereignete sich im Jahre 1925 ein zunächst unterirdischer Vulkanausbruch. Das Meerwasser kochte auf, mächtige Dampfwolken wallten hoch, Steine wurden ausgeworfen, und nach einiger Zeit erhob sich eine Insel über dem Wasserspiegel, aus der bis 1926 Bauch, Gase und Lava ausgestoßen wurden. Diese Insel, Nea Kameni oder Dafni genannt, war nichts anderes als eine Lavastaukuppe, zähflüssig sich aufstauende Lava aus dem untermeerischen Vulkanschlund. Von einer Quellkuppe sprechen die Geologen, wenn in einem Vulkanschlot, der von voraufgegangenen Aschenstaubauswürfen noch mit diesem Staub gefüllt ist, zähe Lava nachquillt und im Schlot zu einem Propfen wird, ohne auszufließen. Eine solche Quellkuppe ist der Hohentwiel im Hegau; heute liegt der im Vulkanschlot steckengebliebene Lavapropf frei, weil die Eiszeitgletseher das weichere Gestein um den harten Lavapropf herum fast völlig weggehobelt haben. Eine Stoßkuppe schließlich entsteht, wenn ganz zähe Lava zwar aus dem Schlot herausgestoßen wird, aber dann verharrt; wie ein aus der Tube herausgedrücktes Zahnpastasäulchen bleibt die Lava frei stehen. Viele solcher Stoßkuppen aus der Tertiärzeit gibt es in der Auvergne (Südfrankreich) und im Siebengebirge.
Der „feuerspeieude Berg" Die eigentlichen T,feuerspeienden Berge" bilden keine Schildvulkane, sondern Schicht- und Lockervulkane, die sich aus ge22
mischten Schichtungen von ausgeflossener Lava und ausgeworfenen Aschen oder nur aus lockeren Aschemassen aufbauen. Dreiviertel aller Vulkanausbrüche fördern keine Lavaströme, sondern Asche. Vulkan-,,Asche" ist kein Verbrennungsrückstand wie die Asche in einem Ofen. Vulkanische Asche ist Lava, die durch das stürmische Ausströmen der Gase wie in einem Gießwasserzerstäuber in kleinen Tröpfchen mitgerissen wird, die dann in der Luft zu staubförmiger Asche werden. Sind die Lavatröpfchen erbsen- bis walnußgroß, nennt man sie Lapilli — Steinchen —, noch größere Brocken heißen Bomben. Ist die Lava sehr gasreich, so werden die Bomben wie Schaumgummi von feinen Poren durchsetzt, und wir haben dann den leichten, auf dem Wasser schwimmenden Bimsstein vor uns. Der Ausstoß an Asche ist oft gewaltig. Beim Ausbruch des Santa-Maria-Vulkans in Mittelamerika im Jahre 1902 fiel die Asche am Krater zwanzig bis dreißig Meter tief, sieben Kilometer entfernt lag sie noch über zwei Meter hoch, in 180 km Entfernung waren es noch zwanzig Zentimeter. Die größte Aschenmenge warf im Jahre 1815 der Vulkan Tambora auf der SundaInsel Sumbawa aus; hundertfünfzig Kubikkilometer Asche wurden über ein Gebiet von mehr als zweieinhalb Millionen Quadratkilometern gestreut. Der Staubreichtum in der Lufthülle des ganzen Erdballs setzte im folgenden Jahre 1816 die Jahrestemperatur um etwa ein Grad herab, so daß Mißernten und Hungersnöte auftraten und man dieses J a h r „Achtzehnhundertunderfroren" genannt hat.
Der Vesuv Besonders gefährlich werden Ascheausbrüche, wenn der Staub sich mit dem Wasser von Wolkenbrüchen zu erstickenden Schlammfluten verbindet. Im Jahre 79 n. Chr. wurde der am Fuß des Vesuvs gelegene Ort Herculaneum von solchen Schlammströmen überdeckt, während das benachbarte Pompeji von einer bis zu neun Meter hohen trockenen Aschedecke begraben wurde. Gefährliche Schlammströme entstehen auch, wenn ein Vulkan bei seinem Ausbruch von Schnee oder Gletschereis bedeckt ist, das durch die Hitze schmilzt. Das war 1934 auf Island der Fall, als wieder einmal der Vulkan Grimsvötn ausbrach. Mit einer tausendfach stärkeren Energie als der des Krakatau schmolzen und sprengten die Kräfte der Tiefe sich durch eine vierhundert Me23
ter mächtige Eisdecke in einer Ausdehnung von sechs mal neun Kilometern. Das Wasser aus dieser ungeheuren Eisschmelze ergab einen Strom, der sich fünfzig Kilometer südwärts des Grimsvötn in einer Breite von fünfundvierzig Kilometern ins Meer ergoß. Die Ascheausbrüche mit ihren riesigen Massen Gesteinsstaub verraten uns, unter welch gewaltigem Druck die ausblasenden Gase im Erdinnern stehen. Davon zeugen auch die ungeheuren Explosionen, von denen manche Vulkanausbrüche begleitet sind. Bei dem Ausbruch des Tambora im Jahre 1815 wurde der Kegel des Berges durch die Gasexplosion um fünfzehnhundert Meter niedriger. Auch beim Vesuvausbruch des Jahres 79 zerrissen die Gase das ganze Bergmassiv. Damals bestand der Vesuv in seiner heutigen Form noch nicht. Es erhob sich dort ein noch höherer Berg, die Somma, und man hatte ganz vergessen, daß er ein Vulkan war. Die Erinnerung an frühere Ausbrüche war geschwunden, seit vielen Jahrhunderten schlummerte der Berg, und W ä l der, Weingärten und Landhäuser besiedelten seine Hänge. Um so überraschender kam den Menschen dieser Ausbruch, der mit seinen Aschenregen und Schlammströmen Pompeji, Herculaneum und Stabiae begrub. Als die Finsternis endlich dem Sonnenlicht wich, sah man, daß die Spitze der Somma verschwunden war. Um sechshundert Meter war der Berg kleiner geworden, der Stumpf bildete einen dreieinhalb Kilometer breiten Krater. Der Vesuv ist der am besten beobachtete Vulkan der Erde. Im Museum San Martino hoch über Neapel, einem der schönsten Museumsbauten der Welt, findet der Besucher in zahlreichen farbigen Zeichnungen, Stichen und Gemälden die vollständige Bildersammlung aus dem Leben eines Vulkans in den letzten dreihundert Jahren. Die Künstler Neapels haben immer wieder und von den verschiedensten Standorten aus das grausige Drama dicht vor den Toren ihrer Stadt gemalt und gezeichnet, um mit diesen Schreckenserinnerungen spätere Geschlechter zu mahnen: „Seid auf der H u t ! " W e r das Wort Vulkan hört oder liest, der stellt sich das vulkanische Geschehen ja meist so vor, wie es hier im Museum in den lebhaftesten Bildern am Beispiel des Vesuvs dargestellt ist. Jedes Bild zeigt einen anderen Augenblick im Ablauf der Ereignisse. Da wird in einer dramatischen Szene ein Erdbeben geschildert, das oft das erste sichere Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch ist. Bauern, die ihre Gehöfte in den Hang des Vulkans hineingebaut haben, retten sich aus den einstürzenden Häusern. Auf einem anderen Gemälde sieht man, wie der
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Der Teufels-Kegel Im Felsengebirge der USA, zu 1Basalt erstarrtes Magma eines Vulkans (..Staukuppe' )
Ausbruch selber beginnt: Dber der Kegelspitze des Vesuvs steigt urplötzlich eine nachtdunkle Wolke hoch, der aufkommende Sturm weht sie seitlich, so daß sie den Anblick einer Pinie bietet. Das furchtbare Rumoren, Poltern, Beben im Innern der Erde hat der Maler selbstverständlich nicht darstellen können. Als Vorläufer der Lava sprengen nämlich heiße Gase aus der Tiefe unter gewaltigem Donnern sich den Weg nach außen frei, reißen in der Dunkelwolke Sand und zerstäubtes Gestein aus dem Kraterkessel und überdecken damit Weingärten, Fluren, Dörfer und Meer. Man erblickt die gejagten Bewohner, wie sie sich durch den heißen Schutt vorwärtskämpfen. Die Verzweifelten pressen Tücher vors Gesicht und bergen Kinder unter Decken und Kissen. Vieh rennt mit schreckgeweiteten Augen durch die Gassen. Wolkenbrüche prasseln hernieder, vermischen sich mit dem Schutt, und Schlammfluten ergießen sich zu Tal. Einer der Maler zeigt in wilden Farben, wie unter dem Druck der explodierenden Gase der Vesuvgipfel in Stücke zerfetzt wird; aber noch ist die glutflüssige Lava selber nicht nach außen getreten, denn der Aufstieg vom Magmaherd bis zur Erdoberfläche ist weit und geht unter ungeheurem Gedröhn vor sich. Doch schon auf dem nächsten Bild steigen die ausbrechenden Lavamassen im Krater kirchturmhoch empor, an Dutzend Stellen zugleich werden sie über den Kraterrand geschleudert. Von dem nachquellenden Magma getrieben, dringt die Lavaglut wie Höllenfeuer die ascheund schlackenbedeckten Flanken des Berges hinab und überwalzt Dörfer und Weingärten. Fast versagen die Farben und die künstlerische Ausdruckskraft vor diesem Ausbruch der Unterwelt. Der Berg ist in Rotglut und Rauchschwaden getaucht, Wolkenballungen, Blitze, brandrot verfärbte Sturzregen begleiten die unaufhaltsam abwärts kriechenden Lavaströme. Durch die Luft prasseln Lavabomben, verwehte Asche setzt Bauernhäuser in Brand, das Meer tobt und irgendwo, weit von der Küste entfernt, sieht man einen Segler brennen. All das sind Bilder aus vergangenen Tagen. Der Museumsbesucher verläßt die Galerie, tritt hinaus auf die hochgelegene Terrasse und blickt hinüber zum Vesuv. Wie anders ist das Bild des Berges in seiner heutigen Wirklichkeit! Seit 1944 ruht der Vesuv. Zwar kräuseln sich im steil abfallenden Krater, der nur noch 200 Meter tief ist, hier und dort schweflige Dämpfe, aber sie steigen kaum einmal über den Kraterrand auf. Der Vesuv ist heute wieder, wie so oft in der Vergangenheit, ein Berg des Friedens und des eindrucksvollen Ebenmaßes. Bis zur Mitte 26
ist der Kegel wieder mit Obstgärten, Buschwerk, Dörfern und Bauernhäusern überzogen. An seiner Nordflanke sind deutlich die am Abend beleuchteten Masten der Seilbahn zu erkennen, die den Fremden bis an den Kraterkessel hinaufträgt.
Ägyptische Finsternis Die besonders ausgedehnten kesseiförmigen Vulkanöffnungen wie beim Vesuv heißen Caldera, Kessel. Das Wort stammt aus dem Spanischen und wurde von dem Geologen Leopold von Buch übernommen, als er die Vulkanformen der Kanarischen Inseln beschrieb und am Fuß des Pic Tenerifa eine Caldera, einen Kraterkessel, von neunzehn Kilometer Durchmesser fand. Auch die griechische Insel Santorin ist Rest einer Caldera, die vor mehreren Jahrtausenden entstanden ist. Die Gelehrten vermuten, daß dieser gewaltige Ausbruch bis nach Ägypten hin sichtbar gewesen sei. Denn die geschichtliche Überlieferung weiß von einer Finsternis zu berichten, die im 16. Jahrhundert v. Chr. tagelang das Sonnenland am Nil überschattet habe. Auf der Hauptinsel Thera der Santorin-Gruppe liegt eine dreißig Meter dicke Schicht von Bimsstein, Lava und Asche, die aus einem Vulkanausbruch herrührt. Aus Resten menschlicher Gerätschaften, die man unter den vulkanischen Ablagerungen gefunden hat und die im Stil mit Geräten der benachbarten Insel Kreta übereinstimmen, schließt man, daß dieser große Santorin-Ausbruch sich im 16. Jahrhundert v. Chr. ereignet hat. Der Ausbruch, der noch weit verheerender als der des Krakatau gewesen sein muß, hat möglicherweise die rätselhafte Finsternis im Pharaonenland hervorgerufen; in der Gegend von Santorin wehen meist Winde aus dem Norden, und sie haben wahrscheinlich die Rauch- und Staubwolken nach Ägypten hinübergetrieben. Der Santorin-Ausbruch hat sicher auch einen furchtbaren Tsunami, eine Flutwelle, erzeugt, durch den sich der schwer erklärbare plötzliche Untergang der Stadt Knossos auf Kreta deuten läßt. Vielleicht geht auf diese Naturkatastrophe im östlichen Mittelmeer auch die altgriechische Sage von der großen „Deukalionischen F l u t " zurück, welche die olympischen Götter aus Zorn über die Hoffahrt und Härte der Menschen über das Land hereinbrechen ließen. Von der ungeheuren Kraft der hochgespannten Gase im Erdinnern künden auch die alten Vulkane aus vergangenen Epochen der Erdgeschichte. Ihre Schlote lassen sich bisweilen kilometer-
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tief hinab verfolgen. In der Schwäbischen Alb, von Reutlingen aus sich 50 km nach Osten erstreckend, befindet sich ein solches altes Vulkangebiet aus der Zeit vor etwa acht bis zehn Millionen Jahren mit fast zweihundert vulkanischen Aufschlüssen. Hier haben sich die Gase durch eine kilometerdicke Gesteinsdecke hindurchgearbeitet und sich schließlich durch die Oberfläche gesprengt. Bei den Gasausblasungen wurde auch vulkanische Asche gefördert, aber nur in verhältnismäßig geringer Menge; zu Lavaergüssen kam es überhaupt nicht, nur an einigen Stellen quoll die Lava etwas in den Schloten hoch. Den schwäbischen Vulkanschloten ähnlich sind die südafrikanischen „ P i p e s " von Kimberley, in deren Aschefüllungen Diamanten vorkommen, die dort bergmännisch abgebaut werden. Hier hat man 4200 m tief in die Schlote hineingeiotet, und es ergab sich, daß die Gase noch dickere Gesteinsdecken durchschossen hatten als bei den Vulkanen der Schwäbischen Alb. Die fürchterlichste Form eines vulkanischen Gasausbruchs ist die der Glutwolke, wie sie am 8. Mai 1902 dem Mont Pele auf der Antilleninsel Martinique entquoll. Die Katastrophe begann am 23. April mit leichten Erdbeben. Am nächsten Tag folgten Dampf- und Ascheausbrüche, die sich während der nächsten beiden Wochen fortsetzten. Am Morgen des 8. Mai brach dann aus dem Krater unter gewaltigem Gedonner und Getöse eine dunkle, von innen her glühende Gaswolke heraus und wälzte sich in wenigen Minuten den Berghang herunter auf die Stadt St. Pierre, verhüllte sie und ließ sie aufflammen wie einen Strohhaufen. Von den 28 000 Einwohnern soll ein einziger am Leben geblieben sein, ein Verbrecher, den die Mauern seines Gefängnisses geschützt hatten. Auch nach dem Ende eines Vulkanausbruchs kann die Förderung von Gasen andauern, oft in ziemlich weiter Entfernung vom eigentlichen Vulkan, doch mit seinem Herd in der Tiefe sicher in Verbindung stehend. So entstand nach dem Ausbruch des Katmai in Alaska im Jahre 1912 westlich des Vulkans das „Tal der 10000 Dämpfe". In diesem etwa fünfzig Kilometer langen Tal bildeten sich 10 000 spalten- und kraterförmige Öffnungen, aus denen Asche und Bimsstein sowie heiße Dämpfe ausgestoßen wurden; hier konnten sich die Trapper ihr Essen kochen. Doch wurden die Kochtöpfe bald von den Dämpfen zerfressen. Denn außer Wasserdampf, Kohlensäure, Stickstoff und Wasserstoff enthalten die Gase Schwefel-, Chlor- und Fluorverbindungen, die chemisch zersetzend wirken, die Gesteine in der Umge28
bung verändern und neue, oft herrlich bunt gefärbte Mineralien schaffen. Solche Dampfquellen nennt der Fachmann Fumarolen (lat.-. fum a r e = rauchen), und wenn sie vorwiegend Schwefelgase hervorbringen Solfataren (ital. solfo = Schwefel, fatare = verhexen). Eine besonders schöne Solfatara ist der „Kleine Bruder des Vesuv" unweit Neapels auf den Phlegräischen Feldern am Golf von Pozzuoli. Hier befinden sich 27 Krater, die alle erloschen sind, mit Ausnahme eben jenes „Kleinen Bruders", der immer dann verstärkt tätig ist, wenn der „Große Bruder", der Vesuv, selber ruht. Der „Kleine Bruder" bildet einen kleinen, kochend heißen, brodelnden Schlammsee, aus dem Wasserdampf und Schwefelgase ausströmen. Man kann ihn zu verstärkter Tätigkeit anreizen, indem man mit einem glimmenden Reisigbüschel auf den Boden schlägt; dann steigen aus dem Schlammsee und aus anderen, oft mehr als hundert Meter entfernten Stellen starke Dampfwolken auf. Gasquellen, die vor allem Kohlensäure aushauchen und mit ihrer Temperatur von unter 100 Grad auch viel kälter sind als die Fumarolen, heißen Mofetten. Sie stellen oft den letzten Nachhall eines erloschenen Vulkans dar. So fördert heutzutage in der Eifel eine Quelle noch hundertdreißig Tonnen Kohlensäure im Jahr, obgleich der letzte Vulkanausbruch der Eifel schon über zehntausend Jahre zurückliegt; dieses Datum ergab sich aus der Tatsache, daß die Asche jenes letzten Ausbruches, die ostwärts bis nach Hannover verweht wurde, steinzeitliche Siedlungen aus der sogenannten Kiefern-Birken-Zeit zugedeckt hat.
Neues Leben aus den Ruinen Eine lange Liste des Sehreckens ließe sich aufstellen bis in die Gegenwart, wenn man an jene Tage zurückerinnert, da irgendwo auf dem Erdball ein feuriger Bachen sich brüllend öffnete, seine nähere oder weitere Umgebung mit Asche, Schlamm und glühender Lava überschüttete, ganze Landstriche verwüstete, ihre Tierund Pflanzenwelt ausrottete und die Menschen um ihr nacktes Leben fliehen ließ. Wie gewaltige Dramen entfesselter Leidenschaften sind diese Naturkatastrophen, rücksichtslos jegliche Ordnung zerstörend, millionenfaches Leben vernichtend und eine wüste, tote Trümmerstätte hinterlassend. Nicht minder dramatisch jedoch, wenn auch langsamer und verborgener vor sich gehend, ist die Wiedereroberung solcher Totenstätten durch das Leben. Die Vulkaninsel Krakatau ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. 29
Acht Wochen nach dem Ausbruch am 27. August 1883 besuchte als erster Wissenschaftler der Geologe Verbeck die Insel. ,,Die Bimssteinmassen waren noch immer sehr heiß", berichtete er, „überall stieg Dampf aus kleinen Spalten, und die barfüßigen Eingeborenen sprangen von einem F u ß auf den andern, wenn sie einer solchen Spalte nahekammen." — Ein Jahr später kam eine französische Expedition nach Krakatau. Der Biologe der Forschergruppe, Professor Cotteau, fahndete eifrig nach Spuren tierischen Lebens, doch er fand nichts weiter als eine einzige Spinne, die emsig an ihrem Netz spann. Besonderes Interesse an der Wiederbelebung der Insel nahmder Leiter des botanischen Institutes in Buitenzorg, Melchior Treub. Drei Jahre nach dem Ausbruch, im Juni 1886, besuchte er Krakatau zum erstenmal zusammen mit einigen anderen Forschern, um eine Bestandsaufnahme der Pflanzenwelt zu machen. Zwar war die Besiedlung der Insel durch die Pflanzen noch dürftig, aber die Forscher fanden doch schon eine recht ansehnliche Zahl von Arten: sechs Blaualgen, zwei Moose, zwei Sauergräser, elf Farne, neun Strauch- und Baumarten und vier Korbblütler. Der Wind ist es vornehmlich, der mit wahrhaft belebendem Atem solche Stätten des Todes wieder zu neuem Leben erweckt. Da rast über den Archipel der Sunda-Inseln ein Taifun dahin, wild und zerstörerisch, wühlt das Meer auf, entwurzelt Bäume und reißt Lichtungen in den Urwald. Kleine Lebewesen, die sich nicht sicher genug verkriechen konnten, wirbeln mit hinaus auf die Weite des Meeres und fallen dort irgendwo nieder. Aber siehe, einige dieser Geschöpfe wehen zufällig auf einem öden, wüsten Eiland nieder und dürfen noch ein wenig weiterleben. Manche der Versprengten vergehen auch hier wieder, aber andere finden dauernde Lebensmöglichkeit. Pflanzensamen keimen aus, ein im Sturm hergetragenes Insektenweibchen legt seine Eier ab — und so fassen die ersten Neusiedler Fuß und schaffen wieder Lebensgrundlagen für später Kommende. Kokosnüsse und andere schwimmfähige Früchte treiben an den Strand, das Floß eines fern ins Meer gestürzten Baumstamms birgt in seiner Rinde allerlei tierische und pflanzliche Schiffbrüchige, Zugvögel pflanzen mit ihrem Kot anderswo gefressene Beerensamen auf den Boden. Elf J a h r e nach seinem ersten Besuch, im März 1897, kam Trcub mit einem kleinen Mitarbeiterstab abermals nach Krakatau. Diesmal fanden die Forscher bereits zweiundzwanzig Arten Algen, Moose und andere niedere Pflanzen, zwölf Farnarten und sechs30
undfunfzig Blutenpflanzen. Aber nicht nur die Zahl an Arten natte sich m den wenigen Jahren stark vergrößert, sondern auch üie Masse der Pflanzen überhaupt. Bei seinem ersten Besuch hatte ireub nur einzelne, einsam in der toten Aschenlandschaft stehende Gewachse vorgefunden, jetzt aber überwucherte bereits eine üppige Pflanzendecke das Land. Ähnlich war es mit dem Tierleben. Doch liegen hier über die Wiederbesiedlung von Krakatau nicht so genaue Beobachtungen vor wie bei den Pflanzen. Erst im Jahre 1908 besuchte ein Zoologe, der Holländer Jacobsohn, die Insel zu einer genauen Durchforschung. Er fand 196 Tierarten, einen ansehnlichen Bestand, der aber in seiner Zusammensetzung weit lückenhafter war als der Bestand der Pflanzen. Tiere sind zwar freibeweglich, während die Pflanze fest im Boden wurzelt — aber die Pflanze b e sitzt in ihren Samen viel günstigere Verbreitungsmöglichkeiten als viele Tiere. So nimmt es nicht wunder, daß von den 196 Arten allein 150 von den Insekten gestellt wurden, achtzehn von Spinnen und vierzehn von Vögeln, also von fliegenden oder leicht im Winde segelnden Tieren. Es gab noch keine Säugetiere, Schlangen und Lurche, an Reptilien nur zwei Eidechsenarten, von denen die eine, der Bindenwaran, ein guter Schwimmer ist, während der kleine Gecko sicher auf einem Treibholzstamm herübergekommen war. Zwei Landschnecken fanden sich, drei Krebstiere und drei Würmer. Weitere Bestandsaufnahmen in den Jahren 1921 und 1933 ergaben bei der Tierwelt eine weitere Zunahme an Arten, doch die unharmonische, lückenhafte Zusammensetzung blieb weiter bestehen. Das ist eine Tatsache, die auf Inseln immer mehr oder weniger anzutreffen ist — im Ganzen jedenfalls hat die Natur die Wunden, die der Erde auf Krakatau von den Kräften der Tiefe geschlagen worden sind, wieder völlig verheilt.
Uinschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Ullstein-Bilderdienst; M. ELffler, Verbeek. Die Zeichnungen Seite 4 und 17 sind dem ORION-Buch „Vulkane" von Ludwig Koegel entnommen, das wir zum Weiterstudium sehr empfehlen.
L u x - L e s e b o g e n 2 7 4 (Erdkunde) - H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt ~ Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind In jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
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