Jan als Detektiv -7-
Die Bände der Reihe «JAN ALS DETEKTIV» 1 Jan wird Detektiv 2 Jan und die Juwelendiebe 3 Jan und ...
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Jan als Detektiv -7-
Die Bände der Reihe «JAN ALS DETEKTIV» 1 Jan wird Detektiv 2 Jan und die Juwelendiebe 3 Jan und die Kindsräuber 4 Das Geheimnis der «Oceanic» 5 Jan und die Falschmünzer 6 Spuren im Schnee 7 Der verschwundene Film 8 Jan auf der Spur 9 Jan ganz groß! 10 Jan stellt 20 Fragen 11 Jan gewinnt die dritte Runde 12 Jan packt zu 13 Jan ruft SOS 14 Jan hat Glück 15 Jan und die Schmuggler 16 Jan, wir kommen! 17 Jan siegt zweimal 18 Jan in der Falle 19 Jan, paß auf! 20 Jan und der Meisterspion 21 Jan schöpft Verdacht 22 Jan zieht in die Welt 23 Jan auf großer Fahrt 24 Jan und die Marokkaner 25 Jan und die Leopardenmenschen 26 Jan zeigt Mut 27 Jan und das verhängnisvolle Telegramm 28 Jan wird bedroht 29 Jan in der Schußlinie 30 Jan und das Gold 31 Jan und die Dunkelmänner 32 Jan und die Rachegeister 33 Jan und die Posträuber ALBERT MÜLLER VERLAG
KNUD M E I S T E R
•
CARLO ANDERSEN
Der verschwundene Film EINE DETEKTIVGESCHICHTE FÜR BUBEN UND MÄDCHEN
FÜNFTE AUFLAGE
ALBERT MÜLLER VERLAG RÜSCHLIKON-ZÜRICH • STUTTGART • WIEN
Aus dem Dänischen übersetzt von Ursula von Wiese. - Titel des dänischen Originals: «Den forsvundne Film», erschienen bei E. Wangels Forlag A/S, Kopenhagen. © E. Wangels Forlag. - Deutsche Ausgabe: © Albert Müller Verlag, AG, Rüschlikon-Zürich, 1973. – Nachdruck, auch einzelner Teile, verboten. Alle Nebenrechte vom Verlag vorbehalten, insbesondere die Filmrechte, das Abdrucksrecht für Zeitungen und Zeitschriften, das Recht zur Gestaltung und Verbreitung von gekürzten Ausgaben und Lizenzausgaben, Hörspielen, Funk- und Fernsehsendungen sowie das Recht zur photo- und klangmechanischen Wiedergabe durch jedes bekannte, aber auch durch heute noch unbekannte Verfahren. – ISBN 3-275-00220-1. – 14/18-81. Printed in Switzerland.
ERSTES KAPITEL
«Darf ich vorstellen: Die Herren Jan Helmer und Erling Krag, zwei neue Filmsterne!» Erling machte lachend eine kleine Verbeugung und eine flotte Bewegung mit der Hand. Kriminalkommissar Helmer blickte von seiner Zeitung auf, und Frau Helmer, die in diesem Augenblick mit Lis, ihrer Tochter, aus der Küche hereinkam, um das Abendessen aufzutragen, fragte besorgt: «Was habt ihr denn nun schon wieder ausgeheckt?» Jan versuchte zu Wort zu kommen; doch wie gewöhnlich war Erling schneller mit der Erwiderung bei der Hand: «Wir haben nichts ausgeheckt, liebe Frau Helmer, sondern es ist der dänischen Filmindustrie endlich aufgegangen, dass man sich ohne die wertvolle Hilfe, welche die Firma Jan & Co. zu bieten hat, nicht mehr behelfen kann. Der Film braucht neue Namen, neue Sterne, neues Blut. Deshalb hat man uns ein Angebot gemacht, das zwar nicht so grossartig ist, wie es eigentlich sein müsste, doch immerhin einen Anfang und eine kleine Hilfe beim Kauf von Eiscreme bedeutet. Das ist des Pudels Kern.» Frau Helmer setzte die Schüssel mit dem Hackbraten auf den Tisch. Kriminalkommissar Helmer faltete die Zeitung zu5
sammen, erhob sich und fragte: «Darf ich um eine Erklärung bitten?» «Das Ganze ist sicher nichts anderes als das übliche Geschwätz», warf Lis, Jans Schwester, ein. «Das sagst du heute», entgegnete Erling mit überlegener Miene; «aber der Tag wird kommen, mein Kind, an dem du unser Bild aus der Zeitung schneiden und eingerahmt über dein Bett hängen wirst. Dann wirst du unsere Autogramme zu schwindelerregenden Preisen an deine Freundinnen verkaufen und damit prahlen, dass du uns kennst. Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland, und alle Menschen lachten Edison aus, als er sagte, er könnte einen Phonographen schaffen. Aber warte nur…» «Vielleicht wird ein Stück Hackbraten die Dinge klären», sagte Helmer und wies zum Tisch hin. «Können wir essen, Mutter?» «Ja, essen wir», rief Erling und setzte sich, bevor ein anderer ein Wort äussern konnte. «Nun erzählst du uns vielleicht, Jan, was hinter Erlings nebelhaften Andeutungen steckt», sagte der Kommissar. «Das Ganze ist nichts Besonderes…» «Na, weisst du!» rief Erling und lud sich den Teller voll. «Nein, nichts Besonderes», fuhr Jan fort. «Es kam so: Wir segelten heute mit den Junioren von Hellerup, und als wir zurückkehrten, machte die Rex-Filmgesellschaft gerade Aufnahmen am Hafen. Der Regisseur fragte uns, ob wir nicht Lust hätten, bei dem Film mitzuwirken — als Statisten natürlich. Man braucht nämlich ein paar Bilder mit Buben in einem Segelboot, und 6
anstatt lange zu suchen, würde man eben uns nehmen. Dürfen wir?» «Statisten!» rief Lis und rümpfte die Nase. «Ist das alles?» «Die meisten Filmsterne haben als Statisten angefangen», versetzte Erling beleidigt. «Es ist nicht jedem gegeben, bei einem Film mitzumachen.» «Dürfen wir?» wiederholte Jan. «Tja», sagte Helmer und füllte sich nochmals den Teller, «ihr habt ja Ferien, und ich wüsste wirklich nicht, was dagegen einzuwenden wäre, dass ihr den Filmleuten helft, wenn sie Hafenaufnahmen brauchen. Wie lange soll die Sache denn dauern?» «Ein paar Tage», gab Jan Bescheid. «Und habt ihr schon gehört, was ihr eigentlich machen werdet?» «Es werden sechs Buben gebraucht. Wir sollen mit zwei Booten im Hafen starten, dann ein Wettrennen machen und wieder anlegen; hernach werden wahrscheinlich noch einige Nahaufnahmen im Atelier gemacht. Das ist alles.» «Glaubt bloss nicht, dass ihr nun hervorragende Schauspieler seid», lächelte Helmer. «Erling scheint das Ganze ja sehr ernst zu nehmen.» «Es ist auch ernst, Herr Helmer», rechtfertigte sich Erling. «Sie müssen wissen, die Filmleute nehmen nicht jeden x-beliebigen. Sie haben gleich gemerkt, dass wir besondere Eigenschaften haben, die es uns ermöglichen, diese grosse Aufgabe zu lösen. Um ein Filmstern zu werden…» «Ein Statist», verbesserte Lis. 7
«Klammere dich nicht an Wörter», tadelte Erling ärgerlich. «Um Filmschauspieler zu werden, wollen wir sagen, muss man Persönlichkeit, Schönheit und Talent haben. Folglich verfügen wir über alle drei Eigenschaften.» «Und wenn du weiter so viel isst wie jetzt, wirst du nicht auf den Streifen kommen», lachte Jan. «Wir dürfen also mitmachen, Vater?» «Erling muss natürlich erst seine Eltern fragen», antwortete der Kommissar; «aber ich sehe keinen Grund, es dir zu verbieten. Meines Erachtens ist es eine ganz harmlose Sache. Was meinst du, Mutter?» «Ich habe auch nichts dagegen», antwortete Frau Helmer. «Wann sollt ihr denn anfangen?» «Morgen früh, wenn das Wetter schön bleibt.» «Was für ein Film ist es eigentlich?» erkundigte sich Lis, deren Anteilnahme nun doch geweckt war. «Er heisst ‚Lied der Wellen’, und es ist ein Segelsportfilm», erläuterte Jan. «Soviel ich weiss, ist er schon fast fertig. Es fehlen nur noch ein paar Szenen.» «Das kann für die Jungen recht unterhaltsam werden», meinte Helmer. «Vom ‚Lied der Wellen’ habe ich schon gelesen», sagte Lis. «Jens Martin und Birthe Bang spielen darin die Hauptrollen. Habt ihr sie heute gesehen?» «Sie waren beide da; aber sie spielten nicht. Birthe Bang schaute bloss zu, und Jens Martin schien gesundheitlich nicht auf der Höhe zu sein; er war nur ganz kurz da und fuhr dann in einem Taxi nach Hause. Ich hörte den Regisseur sagen, dass seine Szene erst morgen gedreht werden könnte.» «Wie heisst der Regisseur?» fragte Helmer. 8
«Josef Bergvall. Er ist Schwede.» «Josef Bergvall? Den kenne ich ja!» rief Helmer. «Er ist der Sohn eines der besten Polizeibeamten von Schweden. Du meine Güte, ist Josef tatsächlich so gross geworden?» «O ja», fiel Erling ein, «er ist mindestens zwei Meter gross.» «Als ich Josef Bergvall das letztemal sah… das muss fünf bis sechs Jahre her sein… war er Hilfsregisseur beim schwedischen Film. Sein Vater war keineswegs erfreut, dass der Sohn nicht in seine Fußstapfen treten und nicht Polizeibeamter werden wollte; aber Josef wollte unbedingt zum Film und hatte zu nichts anderem Lust. Ein netter Bursche war er. Du musst ihn von mir grüssen, Jan.» «Wenn ich doch auch bei dem Film mitmachen könnte», sagte Lis träumerisch. «Das können wir dir nicht versprechen», erwiderte Erling und setzte seine überlegenste Miene auf. «Wir sind noch nicht überzeugt, dass du Talent hast, und was dein Aussehen betrifft…» «Danke, verschone mich», fiel Lis ein. «Mit Vergnügen!» «Hört auf, euch aufzuziehen», verwies Frau Helmer. «Möchtest du noch ein Stück Hackbraten, Erling?» «Vielleicht noch ein kleines. Ich habe es schon immer gesagt, Frau Helmer, kein Mensch versteht sich so wie Sie auf die Kunst, Hackbraten zu machen. Selbst meine Mutter kann es darin nicht mit Ihnen aufnehmen.» Damit ging Erling dem vierten Stück Hackbraten zu Leibe. 9
ZWEITES KAPITEL
Die Sonne schien fröhlich über dem Hafen Hellerup, und die vielen Segelsportfreunde beeilten sich, ihre Boote für die Fahrt in Ordnung zu bringen. In dem schönen Hafen rührte sich ein buntes Leben, und es erweckte grosse Aufmerksamkeit, als auf einmal die Wagen der Rex-Filmgesellschaft erschienen. Der Regisseur Josef Bergvall sprang aus seinem eleganten Sportwagen und ging, gefolgt von den Technikern der Filmgesellschaft und einigen Schauspielern, zum Kai. Zwei Boote der Junioren des Segelklubs waren schon klar zur Ausfahrt. Die Knaben hatten sich bereits in aller Frühe an die Vorbereitungen gemacht, und natürlich herrschte grosse Spannung unter ihnen. Sogar Erling, der sonst immer dazu neigte, jede Lage auf überlegenste Weise zu nehmen, war etwas benommen von all dem, was nun geschehen sollte. Er erteilte Befehle nach rechts und links; aber niemand hörte auf ihn; denn jeder hatte genug damit zu tun, auf die eigenen Angelegenheiten zu achten. Schliesslich setzte sich der dicke Erling auf den Kai, liess die Beine aufs Wasser hinunterbaumeln und zog es vor, die ändern mit mehr oder minder witzigen Bemerkungen anzuspornen. «Man sollte meinen, ihr hättet noch nie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden», sagte er. «Schaut mich an, wie ruhig ich es nehme!» Jan konnte nicht umhin, zu lächeln; denn Erling war alles andere als ruhig. Immerzu blickte er zu der Strasse hinauf, wo die Autos der Filmgesellschaft hiel10
ten; fortwährend rückte er die lange Krawatte zurecht, die er sich mit elegantem Knoten um den Hals gebunden hatte, und unablässig trommelten seine Beine an das Holzwerk des Kais, womit er deutlich verriet, wie aufgeregt er war. «Du solltest mir lieber beim Setzen der Segel helfen», mahnte Jan. «Du sitzt nur da und tust nichts, dabei müssen die Boote für die Aufnahmen in Ordnung sein.» «Na, schön, wenn du einen Fachmann brauchst», antwortete Erling und sprang in das Boot hinunter; aber er sprang keineswegs leichtfüssig, und es sah beinahe aus, als würde er über Bord fallen. In diesem Augenblick trat Josef Bergvall zu ihnen. «Guten Morgen, Jungen», grüsste er vergnügt. «Na, seid ihr bereit fürs Tagewerk?» «Mehr als das», erwiderte Erling. «Wir haben uns noch nie im Leben so angestrengt. Wir haben heute nacht kaum geschlafen aus Angst, wir könnten nicht fertig werden, bis Sie kommen.» «Grossartig. Wir fangen gleich an.» Bergvall liess sich auf dem Kai nieder, blinzelte in den Sonnenschein und verschaffte sich einen Überblick über die Lage. «Ihr müsst wissen», sagte er, «die Bilder, die wir jetzt aufnehmen werden, sollen als Hintergrund für eine der wichtigsten Szenen des Films dienen. Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass alles so natürlich und echt wie möglich vor sich geht. Wir stellen die Kamera zuerst hier oben auf dem Kai auf, und ihr habt nichts anderes zu tun, als die Boote weiter in Ordnung zu bringen und dann, wenn ich das Zeichen gebe, abzu11
stossen und in See zu stechen. Später drehen wir noch ein paar Bilder draussen auf dem Meer. Dort sollen eure beiden Boote um die Wette segeln. Wir haben zwei Motorboote, die euch folgen werden. Es ist für uns gleichgültig, welches Boot zuerst ankommt; wichtig ist, dass man den Eindruck eines wirklichen Wettkampfes zwischen den Booten hat. Auch diese Bilder werden als Hintergrund für eine Szene im Film gebraucht. Möchtet ihr gern wissen, wie man eine solche Hintergrund-Aufnahme macht?» Natürlich interessierte das die Knaben im höchsten Grade. Das Filmwesen und seine ganze seltsame Welt übten eine grosse Anziehungskraft auf sie aus. Bergvall erklärte: «In dem Film kommt eine Szene vor, wo die Hauptpersonen am Hafen stehen und miteinander reden. Hinter ihnen sieht man zwei Boote, die zur Ausfahrt klar machen. Wie wird das nun gedreht? Die Schwierigkeiten bestehen weniger im Photographischen als im Ton. Tonaufnahmen im Freien sind keine einfache Sache, und man erzielt ein besseres Ergebnis, wenn man die Nahaufnahmen im Atelier macht und auf die Naturaufnahmen kopiert. Deshalb nehmen wir die Boote und euch jetzt auf, entwickeln den Film und verwahren ihn, bis die Szene mit den Hauptpersonen aufgenommen wird. Wenn wir soweit sind, bringen wir die Aussenaufnahmen, die wir heute machen werden, ins Filmstudio und lassen dieses Teilstück des Films ablaufen. Die Bilder werden jedoch nicht auf die übliche Filmleinwand projiziert, sondern auf einen grossen Glasschirm. Die Hauptpersonen stellen sich vor diesen 12
Schirm und spielen ihre Szene, die nun mit diesem Hintergrund gefilmt wird. Wird der fertige Film später vorgeführt, so sieht man nicht, dass es zwei Aufnahmen sind, sondern man hält es für eine echte Aussenaufnahme. In der Ruhe des Ateliers, wo uns alle möglichen technischen Hilfsmittel zur Verfügung stehen, wird die Tonaufnahme viel besser, ganz abgesehen davon, dass wir ja die Hafengeräusche hier gar nicht nach Belieben abstellen können. Das gleiche gilt für die Aufnahmen, die wir draussen auf dem Meer machen wollen. Es wäre unmöglich, die gesamte Tonaufnahme-Apparatur mit hinauszunehmen. Deshalb müssen wir euer Wettrennen als Hintergrund aufnehmen und die Schauspieler hernach so vor dem Glasschirm filmen, dass es aussieht, als sässen sie in einem Boot und sähen eurer Fahrt zu. Jetzt wisst ihr also, wobei ihr mitzuwirken habt. Fangen wir nun mit der Arbeit an!» Josef Bergvall erhob sich und gab dem Kameramann ein Zeichen, der inzwischen die Kamera so aufgestellt hatte, dass sie auf die Boote und die Knaben gerichtet war. «Dazu braucht man uns also», brummte Erling. «Ich glaubte, ich sollte ein Filmstern werden, dabei diene ich nur als Hintergrund. So habe ich mir das nicht gedacht!» «Das hättest du dir aber selbst sagen können», lachte Jan. «Ich habe mich oft genug bemüht, dir begreiflich zu machen, dass du, wenn du weiterhin so viel isst, derartig aufquellen wirst, dass du dich nur noch zum Hintergrund eignest.» «Ich finde, meine künstlerische Ehre wird auf jede 13
erdenkliche Weise gekränkt», erwiderte Erling. «Na, sehen wir halt zu, dass das Boot klar zur Ausfahrt wird.» Bergvall, der mit dem Kameramann gesprochen hatte, kehrte zum Kai zurück. «Ihr könnt damit rechnen, dass es noch vier bis fünf Minuten dauern wird, bis wir zu drehen anfangen, und bis ihr das Zeichen zur Ausfahrt bekommt. Ist es möglich, dass ihr euch noch so lange mit den Booten beschäftigt?» «Natürlich», rief Jan. «Das wichtigste ist also, dass wir klar zum Start sind, sobald Sie uns das Zeichen geben?» «Ganz recht», nickte der Regisseur. Um alle Neugierigen fernzuhalten, mussten die Filmleute eine Absperrung vornehmen. Nur einige Segelsportler durften sich innerhalb der Seile bewegen; Bergvall bat sie, hin- und herzugehen, damit der Hafen im Film nicht ganz menschenleer aussähe. «Alles bereit zur Aufnahme!» rief er, und die Kamera begann zu surren. «Nur gut, dass man reden kann, wie man will», murmelte Erling. «Was sollen wir denn nun machen?» «Wir holen das Focksegel ein und hissen es noch einmal», ordnete Jan an. «Du, Erik, setz dich an die Ruderspinne.» Erik war der dritte Mann der Bootsbesatzung, ein ruhiger, bescheidener Junge, den die Filmaufnahme nicht sehr zu berühren schien. Jan und Erling begannen das Segel einzuholen. Auf dem andern Juniorenboot beschäftigte man sich auf ähnliche Weise. 14
«Ihr fahrt zuerst aus», rief Jan zu dem andern Boot hinüber. «Wir sind gleich klar», lautete die Antwort. «Fein, dass wir guten Wind haben; da gibt es einen sauberen Start. Es wäre eine schöne Blamage, wenn wir in dem Film festliegen und herumplantschen würden. So kommen wir wenigstens auf stilvolle Weise ab.» «Erling, setz das Focksegel! Erik, pass du auf die Schote auf!» Jan gab seine Befehle deutlich und korrekt. Alles war zur Ausfahrt bereit. Da hörten sie Bergvall rufen: «Anker auf! Los!» Das erste Juniorenboot stiess ab und fuhr mit vollen Segeln hinaus. «Vorwärts! Vorwärts!» brüllte Erling, dem der Schweiss übers Gesicht lief. Er war so aufgeregt, dass Jan nahe daran war, ihn auszulachen. «Auf die andere Seite hinüber, Dicker!» rief Jan. «Wir brassen!» «Dann komme ich aber nicht aufs Bild» widersprach Erling. «Das könnte dir so passen, dass ich…» Weiter kam er nicht. Der Baum des Großsegels schlug hinüber, während der Wind das Segel füllte. Erling wurde in den Bauch getroffen, und der grosse Filmstern fiel mit einem Platsch ins Wasser! Brüllendes Gelächter erhob sich am Hafen, wo alle Segelsportler standen und das Manöver der Knaben verfolgten. Erling tauchte prustend und spuckend aus den blauen Wellen auf. Wie immer, wenn es wirklich darauf ankam, nahm er die Lage mit gutmütigem Humor hin. 15
«Seid so freundlich und holt mich hier ab, wenn ihr zurückkommt», sagte er. «Ich werde inzwischen Wasser treten.» Hierauf schwamm er höchst vergnügt zum Land und liess sich von den Zuschauern hinaufhelfen, die vor lauter Lachen beinahe selbst ins Wasser gefallen wären. Jan musste wider Willen ebenfalls lachen. Er blickte seinem dicken Freund nach, indes das Boot aus dem Hafen hinausglitt. Erik, der am Steuerruder sass, schüttelte sich vor Lachen. Eine Viertelstunde später waren die beiden Boote wieder im Hafen. Bergvall erklärte sich mit der Aufnahme zufrieden. «Ihr wart gerade nicht im Bild, als dein Freund ins Wasser fiel», sagte er zu Jan. «Das hätte sich im Film nicht sehr gut gemacht; aber so war es ein köstliches Erlebnis.» «Wo ist er?» fragte Jan, dem das Lachen immer noch in der Kehle gluckste. «Hier, Herr Kapitän», antwortete Erling, der hinter dem Regisseur auftauchte. Er hatte sich mittlerweile im Klubhaus umgezogen und war mit einer grossen Portion Eiscreme versehen. «Ich bat dich, mich auf dem Rückweg abzuholen; aber da ich weiss, wie unzuverlässig du bist, zog ich es vor, an Land zu schwimmen. Das Volk huldigte mir wegen meines mutigen Einsatzes, und die Rex-Filmgesellschaft hat mich zum Admiral des Eiscrememeers ernannt. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie.» «Es gefällt mir, wie du dein Pech hingenommen 16
hast», sagte Bergvall anerkennend. «Es ist ein gutes Zeichen, wenn man den Humor nicht verliert. Wie die Chinesen sagen: Man soll sich nie über etwas ärgern, das sich doch nicht ändern lässt. Du hast gute Miene zum bösen Spiel gemacht und deine Eiscreme redlich verdient!» Erling verbeugte sich geschmeichelt. «Wie ging die Aufnahme sonst?» fragte Jan und sprang an Land. «Ausgezeichnet. Ich glaube nicht, dass wir die Szene noch einmal drehen müssen. Ich habe den Eindruck, dass alles lief, wie es sollte. Das wichtigste ist, dass die Boote zu einem bestimmten Zeitpunkt ausfahren, damit sich der Dialog richtig abwickeln kann. In dem Dialog kommt nämlich eine Bemerkung über die Boote vor, worauf sich die Hauptpersonen umdrehen und ihnen nachblicken. Deshalb musste alles genau klappen. Und geklappt hat es ja, so dass alles in Ordnung ist.» «Haben wir heute nichts mehr zu tun?» «Nein, heute brauchen wir euch nicht mehr; aber morgen möchte ich die Aufnahmen auf dem Wasser machen. Könnt ihr morgen zur selben Zeit hier sein?» «Natürlich», erklang es im Chor von den Junioren, die sich alle um den Regisseur geschart hatten. Bergvall schaute ringsum im Kreis. «Ich sollte eure Namen und Adressen haben», sagte er. «Ihr bekommt alle eine Entschädigung für eure Mitwirkung. Mein Assistent, Herr Wulf, wird die Namen aufschreiben. Wie heisst ihr?» Die Knaben nannten ihre Namen und gaben die 17
Adresse an, während der Assistent in sein Notizbuch kritzelte. Als Jan an die Reihe kam, stutzte Bergvall. «Du heisst Jan Helmer?» «Ja, Herr Bergvall.» «Was ist dein Vater?» «Kriminalkommissar. Ich soll Sie von ihm grüssen.» «Bist du der Sohn von Kriminalkommissar Helmer?» rief Josef Bergvall und drückte Jan die Hand. «Wie klein ist Skandinavien! Du weisst wohl auch, dass er einer der besten Freunde meines Vaters ist?» «Ja, das hat er mir gestern abend erzählt.» «Und wie geht es ihm?» «Danke, ausgezeichnet. Er hat immer sehr viel zu tun.» «Ich muss in den nächsten Tagen einmal mit ihm zusammenkommen. Ich hätte ihn schon längst angeläutet, wenn mich dieser Film nicht so in Anspruch nehmen würde. Aber es scheint, dass nun eine Pause eintreten wird. Jens Martin, der Träger der männlichen Hauptrolle, ist plötzlich erkrankt, und wir können deshalb vorläufig nicht weiterdrehen. So bleibt mir Zeit, deinen Vater zu treffen. Und du selbst, du bist also der berühmte Jan!» Jan schlug die Augen nieder. Es war ihm immer peinlich, wenn man die Rede auf seine Taten brachte. «Je nun», sagte er, «ich habe nichts Besonderes geleistet.» «So?» antwortete Bergvall und schlug Jan auf die Schulter. «Ich weiss aber einige Geschichten von dir, wie du deinem Vater geholfen und ein paar zünftige 18
Verbrecher entlarvt hast. Die schwedischen Zeitungen haben darüber berichtet. Ein lustiger Zufall, dass ich gerade dich hier kennengelernt habe…» Jan stand auf Kohlen, weil das Gespräch diese Wendung genommen hatte; aber im gleichen Augenblick gab es eine Unterbrechung, die ihn aus der Verlegenheit befreite. Ein Angestellter der Filmgesellschaft bahnte sich einen Weg durch die Schar der Neugierigen, die sich rings um den Regisseur und die Knaben angesammelt hatten. Er steuerte auf Bergvall zu und sagte: «Herr Bergvall, wir haben endlich Bescheid bekommen. Jens Martin ist ernstlich erkrankt, und der Arzt meint, dass er mindestens einen Monat arbeitsunfähig sein wird.» Das Lächeln verschwand von Bergvalls Gesicht. «Ernstlich erkrankt», wiederholte er. «Das ist ja furchtbar… Einen Monat kann er nicht spielen… Eine Katastrophe für uns…» Er verabschiedete sich hastig von den Jungen und lief zu seinem Wagen.
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DRITTES KAPITEL
Kriminalkommissar Mogens Helmer sass im Polizeigebäude in seinem Büro und las einige umfangreiche Rapporte. Die Sonne schien zum Fenster herein, und der Kommissar warf einen sehnsüchtigen Blick auf den blauen Himmel. Ach ja, hier sass man mitten in einem Stapel staubiger Schriftstücke, während draussen die freie Natur lockte! Helmer hatte die grösste Lust, allen Rapporten und Verhören den Rücken zu kehren, seinen Stock zu nehmen und über die seeländischen Landstrassen zu wandern, um den Sommer zu begrüssen. Sein Urlaub begann jedoch erst in einigen Wochen, und im übrigen war es noch recht zweifelhaft, ob er es sich überhaupt leisten konnte, in diesem Jahr Ferien zu machen. Die Arbeit häufte sich, das Personal war knapp, und es liess sich nicht absehen, wann einmal eine Möglichkeit bestand, einen Vertreter anzustellen. Und auch die Menschen machten einander das Leben schwer, dachte Helmer mit einem kleinen Seufzer. Was stak denn im Grunde hinter den meisten Kriminalfällen, mit denen er zu tun hatte? Kleinigkeiten, nichts anderes als Kleinigkeiten. Wenn die Menschen nur lernen würden, einander mit etwas Höflichkeit und Freundlichkeit zu behandeln, anstatt sich von morgens bis abends zu bekämpfen und sich gegenseitig das Dasein zu erschweren! Der Kriminalkommissar öffnete seine Schublade und entnahm ihr eine Zigarre. Er paffte heftig, als ob er seine düsteren Gedanken im blauen Tabakrauch verlieren könnte, und vertiefte sich dann in den nächsten 20
Rapport. Es nützte ja nichts, sich Träumereien hinzugeben. Man musste für die Aufgaben bereit sein, die das Leben dem Menschen auferlegte, und ausserdem konnte man nur dankbar sein, wenn man Arbeit hatte und in der Lage war, eine Familie zu erhalten. Der Zigarrenrauch legte sich in dicken Wolken über Helmers Kopf, während er die Rapporte weiterlas. Plötzlich wurde an die Türe geklopft, und ein Polizeibeamter trat ein. «Es ist ein Herr draussen, der mit Ihnen sprechen möchte, Herr Kommissar», meldete er. «Wie heisst er?» fragte Helmer. «Josef Bergvall. Es ist der schwedische Filmregisseur.» Helmer erhob sich. «Lassen Sie ihn eintreten, lassen Sie ihn eintreten!» Kurz darauf stand Bergvall in der Türe. Helmer ging ihm mit erfreutem Lächeln entgegen. «Josef! Das ist wirklich eine Überraschung. Komm, setz dich und lass mich Neuigkeiten aus Schweden hören.» Er bot seinem Besucher eine Zigarre an, reichte ihm Feuer und lehnte sich in seinem Sessel zurück. «Jan erzählte mir von dir und sagte, es stünde alles gut. Du bist also ein berühmter Filmmann geworden, seit wir uns das letztemal gesehen haben.» Nun war Helmer in seinem Element; die niedergedrückte Stimmung hatte er abgeschüttelt. Die lebhafte Unterhaltung drehte sich um alte Erinnerungen an Schweden und Dänemark, bis Bergvall dem heiteren Gespräch ein Ende machte und sagte: «Aber in Wirklichkeit hat mich eine ernste Angelegenheit zu dir ge21
bracht, lieber Freund. Ich bin gekommen, um deinen Beistand als Polizeimann zu erbitten.» «Als Polizeimann? Du hast doch nicht etwa ein Verbrechen begangen?» «Nein, das nicht», erwiderte Bergvall mit einem kleinen Lächeln. «Aber es ist ein Verbrechen geschehen, und ich möchte dich bitten, uns beim Aufspüren zu helfen.» «Was ist es denn» fragte der Kommissar. «Mein Film ist verschwunden!» «Dein Film?» «Ja, einfach verschwunden.» «Ich muss dich um eine etwas ausführlichere Erklärung ersuchen», sagte Helmer. «Ich verstehe kein Wort. Von was für einem Film redest du eigentlich?» Bergvall strich die Asche von seiner Zigarre und beugte sich über den Schreibtisch. «Ich will dir alles von Anfang an erzählen», sagte er. «Vor einem Monat wurde ich von der Rex-Filmgesellschaft beauftragt, eine dänische Fassung von einem Film zu machen, mit dem ich in Schweden grossen Erfolg gehabt habe. Der Film heisst ‚Lied der Wellen’ und spielt in Segelsportkreisen. Vor vierzehn Tagen begannen wir in Kopenhagen mit den Aufnahmen. Die Hauptrollen spielen Jens Martin und Birthe Bang, die Tochter von Ivar Bang, dem Direktor der Rex-Film. Das Ganze sah sehr vielversprechend aus, und wir kamen mit den Aufnahmen recht gut voran, abgesehen davon, dass Jens Martin ab und zu krank wurde, so dass wir mit ihm noch nicht viele Szenen drehen konnten. Aber du weisst ja, dass man beim Filmen selbst bestimmen kann, in welcher Reihenfolge die Szenen gedreht werden sollen, und wir 22
haben deshalb mit Rücksicht auf Martin zuerst alle die Szenen vorgenommen, in denen er nicht mitwirkt. Alles ging gut; doch dann gelangten wir zu dem Punkt, wo wir die übrigen Szenen mit Martin drehen mussten. Da erhielten wir plötzlich Bescheid von seinem Arzt, dass sein Gesundheitszustand sich verschlechtert hätte, und dass er ein paar Wochen lang nicht arbeiten könnte. Er hat ein Halsleiden und muss sich vollständig schonen. Er selbst ist natürlich unglücklich deswegen; aber Krankheit ist eine höhere Gewalt, über die man nicht Herr ist. Dagegen lässt sich nichts machen.» «Was hat denn das alles mit dem verschwundenen Film zu tun?» warf Helmer ein. «Gar nichts. Ich erzähle es dir nur, damit du einen Überblick über die ganze Lage hast.» «Und der Film?» «Ja, höre. Bis jetzt haben wir fast die Hälfte aufgenommen, und es ist noch keine Kopie hergestellt worden, so dass wir also nur die Originalaufnahmen haben. Dieser Film lag in der technischen Abteilung der RexGesellschaft in einem Schrank, und gestern nachmittag sahen wir ihn zum letztenmal. Als die Techniker heute morgen erschienen, um mit dem Kopieren anzufangen, waren die Filmrollen weg!» «Ein Einbruch?» «Es sieht so aus. Ein Fenster in der technischen Abteilung ist gewaltsam geöffnet worden, und der Schrank, in dem die Filmrollen lagen, ist beschädigt. Er scheint mit einem Brecheisen aufgebrochen worden zu sein. Die drei Metallkassetten mit dem Film sind verschwunden. Sonst fehlt nichts.» 23
«Hat man den Einbruch gemeldet?» «Bis jetzt nicht, aus guten Gründen, die ich dir auch erklären will. Als die Techniker entdeckten, dass die Filmrollen verschwunden waren, meldeten sie es sofort Direktor Ivar Bang, der mich anrief und von dem Geschehnis in Kenntnis setzte. Wir hielten dann eine Sitzung ab, um zu besprechen, was wir machen sollten, und das Ergebnis war, dass wir den Entschluss fassten, die Polizei nicht zu benachrichtigen.» «Warum denn nicht?» «Das ist eine etwas verwickelte Geschichte. Die Sache ist nämlich die: Als die Rex-Filmgesellschaft beschloss, das ‚Lied der Wellen’ in einer dänischen Fassung zu drehen, hatte ihre Konkurrenz, die Dana-Filmgesellschaft, die Absicht, einen ähnlichen Segelsportfilm zu machen. Die Rex-Gesellschaft hatte aber einen zeitlichen Vorsprung, weil alle Vorarbeiten schon geleistet waren, und darum gab die Dana ihre Pläne auf. Ein Konkurrenz-Film hätte auch keine grossen Chancen gehabt, denn die schwedische Fassung vom ‚Lied der Wellen’ war ein so grosser Erfolg geworden, dass auch die RexGesellschaft mit einem vollen Erfolg rechnen konnte. Die Dana gab es also auf, den geplanten Segelsportfilm zu drehen, und das hörten wir natürlich, da in Filmkreisen vieles durchsickert, auch wenn die leitenden Stellen den Mund halten. Wir begannen also frohgemut mit den Aufnahmen, und alles liess sich gut an, abgesehen davon, dass Martins Erkrankung die Arbeit verzögerte und nun noch mehr verzögern wird. Trotzdem haben wir auf jeden Fall einen Vorsprung, und selbst wenn wir durch Martins Arbeitsunfähigkeit längere 24
Zeit aussetzen müssten, könnten wir uns nicht davon abhalten lassen, den Film fertigzustellen. Es ist schon so viel Geld hineingesteckt worden, dass wir die Arbeit nicht abbrechen dürfen. Wenn es aber in der Öffentlichkeit bekannt wird, dass wir nicht beizeiten fertig werden, und dass alle unsere bisherigen Aufnahmen gestohlen worden sind, kann es sein, dass die DanaGesellschaft ihren Plan doch wieder aufgreift, und dann geraten wir möglicherweise zeitlich ins Hintertreffen. Deshalb wollen wir über den Diebstahl Stillschweigen bewahren und schauen, ob sich die Sache nicht aufklären und bereinigen lässt, ohne dass die Polizei benachrichtigt und die Neuigkeit überall verbreitet wird. Ich weiss nicht, ob ich mich genügend verständlich gemacht habe?» «Vollkommen», antwortete Helmer. «Ich begreife auch die Beweggründe der Filmgesellschaft, die Sache nicht an die grosse Glocke zu hängen. Aber was soll ich denn nun tun?» «Den gestohlenen Film wieder herbeischaffen!» «Vielen Dank für das Vertrauen. Das wird jedoch eine schwierige Sache werden, bei der man den PolizeiApparat braucht. Wir müssen überlegen, wie sich das Problem lösen lässt, ohne dass über das Geschehnis geredet wird. Wie viele Menschen wissen bis jetzt, dass die Filmrollen verschwunden sind?» «Vier.» «Und wer sind die vier?» «Direktor Bang, zwei Techniker und ich. Sonst weiss niemand etwas, und wir haben die Absicht, die Arbeit fortzusetzen, als ob nichts geschehen wäre.» 25
«Aber Jens Martin ist doch krank…» «Wir gehen mit dem Gedanken um, die Rolle umzubesetzen. Vorläufig haben wir ja erst ganz wenige Szenen mit Martin aufgenommen, und es wäre kein grosser Verlust, sie noch einmal zu drehen. Ursprünglich hatten wir überhaupt im Sinn, die männliche Hauptrolle dem jungen Schauspieler Kaj Winther zu geben; aber Birthe Bang, die Tochter des Direktors, die die weibliche Hauptrolle spielt, war so sehr dagegen und machte so viele Einwendungen, dass die Rolle schliesslich mit Martin besetzt wurde. Birthe Bang und Kaj Winther waren früher recht gute Freunde; es ging sogar das Gerücht, dass sie heiraten wollten. Aber Birthe brach die Beziehung plötzlich ab, und so kam es, dass Jens Martin ihr Partner wurde. So etwas kann vorkommen. Ich persönlich hätte den Film am liebsten mit Winther gedreht; doch da sich der Direktor und seine Tochter widersetzten, konnte ich meinen Wunsch nicht durchsetzen. Vielleicht fügt sich nun alles so, dass Kaj Winther die Rolle spielen wird, die Martin bekommen hatte. Die Lage ist ja ziemlich ungewöhnlich, und die Rex-Gesellschaft sitzt in einer argen Klemme. Direktor Bang hat viel Geld in den Film gesteckt, und ich nehme an, dass ich Martins Szenen noch einmal mit Winther drehen werde. Das lässt sich leicht machen. Schlimm ist nur, dass auch alle anderen brauchbaren Szenen fort sind, die wir schon gedreht haben. Durch den Diebstahl hat sich unsere Lage verzweifelt gestaltet. Du musst uns helfen, lieber Freund!» Der Kommissar antwortete nicht gleich. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, während er 26
über das Gehörte nachsann. Schliesslich zündete er sich eine neue Zigarre an, stand auf und schritt mit den Händen in den Taschen im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile blieb er vor dem Regisseur stehen und sagte: «Du wirst mich vielleicht für verrückt halten; aber ich habe einen Vorschlag und möchte dir raten, darauf einzugehen.» «Warum auch nicht? Ich bin bereit, auf jeden Vorschlag einzugehen, der uns aus dieser Klemme retten könnte. Wer soll etwas tun?» «Jan.» «Jan?» wiederholte Bergvall verwundert. «Ja. Wir müssen Jan auf die Spur setzen. Du wirst es vielleicht unsinnig finden, einem Jungen eine so ernste Aufgabe anzuvertrauen; aber ich sehe im Augenblick keinen andern Ausweg. Ich selbst kann natürlich zu euch kommen und mir die Dinge anschauen; doch da die Sache nicht offiziell in die Hände der Polizei gelegt werden soll, handelt es sich um eine Privatangelegenheit, und damit kann ich mich nicht dienstlich beschäftigen. Ich möchte deshalb Jan auf die Spur setzen und abwarten, ob er nicht dahinterkommt, wie alles zusammenhängt. Er hat schon früher schwierige Aufgaben vortrefflich gelöst. Ich glaube, du solltest auf meinen Rat hören und Jan in eurem Betrieb herumschnüffeln lassen. Das kann er wahrscheinlich machen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und das Geheimnis des Diebstahls bleibt gewahrt. Was meinst du dazu?» Josef Bergvall überlegte ein Weilchen. «Einverstanden», sagte er dann. «Das machen wir. Ich habe ja schon von Jans Detektiv-Begabung gehört, 27
und da du es vorschlägst, sehe ich keinen Grund, deinen Rat nicht zu befolgen. Kann er gleich anfangen?» «Ich fahre mit zur Rex-Gesellschaft hinaus und setze Jan auf die Spur», erwiderte Helmer. «Ich werde ihn beraten und ihm auf jede erdenkliche Weise helfen. Ich bin sicher, dass er etwas erreichen wird.» Der Kommissar ergriff den Telephonhörer und liess sich mit seiner Wohnung verbinden. «Ja, ich bin’s. Ist Jan zu Hause? — Ach, er ist am Hafen? Dann fahre ich dorthin. Ich sage dir, Mutter, ich habe eine Aufgabe für ihn, die seine Ferien zu einem besonderen Erlebnis machen wird!» Helmer hängte ein und lächelte wohlgelaunt. «Jan und Kompanie werden es schon schaffen», murmelte er. «Komm, wir wollen gehen.» Die beiden Männer gingen auf die Strasse hinaus und setzten sich in Bergvalls Sportwagen. Kurz darauf waren sie am Hellerup-Hafen, wo sie Jan und Erling in einem der Juniorenboote beschäftigt fanden. «Hallo, ihr beide!» rief Helmer. «Kommt einmal herauf. Ich muss mit euch sprechen.» Die Buben kletterten aus dem Boot, und Jan sagte: «Bereit zur nächsten Aufgabe, Herr Kommissar!» Helmer stutzte. «Was meinst du damit?» «Dass du uns etwas anzuvertrauen hast, Vater», antwortete Jan keck. «Wie kommst du darauf?» «Herr Kommissar Helmer verlässt sein Büro nicht vor sechzehn Uhr, wenn nicht etwas los ist», lächelte Jan. «Richtig. Es ist etwas los, und ich habe tatsächlich 28
eine Aufgabe für dich. Wir wollen uns hier auf die Bank setzen, damit ich euch die Sache kurz erklären kann.» «Darf Doktor Watson mitkommen?» fragte Erling. «Selbstverständlich. Du bist ja unentbehrlich», schmunzelte Helmer. Nachdem sie sich niedergelassen hatten, sagte er: «Also, aufgepasst…»
VIERTES KAPITEL
Ivar Bang, der Direktor der Rex-Filmgesellschaft, war ein grosser, dicker Mann mit einer schweren goldenen Uhrkette über dem Bauch und einer grossen Hornbrille auf der Nase. Er sass in seinem Büro am Schreibtisch und trocknete sich mit einem umfangreichen Taschentuch die Stirne. Alles an Direktor Bang und seinem Büro war gross und eindrucksvoll. Jan verschwand beinahe in dem hünenmässigen Sessel, den man ihm angewiesen hatte, und von seinem Platz aus sah Direktor Bang wie ein phantastischer Berg aus, der über den Schreibtisch emporragte. Das Taschentuch, das der Direktor zum Schluss auf seinem Scheitel ruhen liess, könnte gut den ewigen Schnee vorstellen, dachte Jan, und da war er nahe daran, in Lachen auszubrechen. Direktor Bang machte ein Gesicht, als wäre es ihm keineswegs nach Lachen zumute. Seine Miene verriet nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. Er glich der Verdriesslichkeit in Person. «Ich bin nicht sicher, Herr Kommissar, ob Sie sich 29
darüber klar sind, was für eine Katastrophe dieser infame Diebstahl für uns bedeutet», sagte er und blickte zu Helmer hinüber, der in einem andern grossen Sessel sass. Bergvall und Erling hatten auf einem Sofa Platz genommen, und Erling sah aus, als ob er in Schlaf fallen würde. «O doch, das habe ich durchaus begriffen», erwiderte Helmer; «aber wie ich schon Herrn Bergvall auseinandersetzte…» «Sie können es nicht verstehen», unterbrach ihn Bang ärgerlich. «Niemand kann es verstehen. Ich selbst kann es nicht einmal verstehen. Die Katastrophe ist so gross, dass man sie nicht gleich zu erfassen vermag. Ich kann nur sagen, dass monatelange Arbeit und viel Geld für nichts und wieder nichts vertan sind. Hier sitze ich, und dort sitzen sie, und…» «Und hier sitzen wir», murmelte Erling verschlafen. Zum Glück hörte der Direktor diesen kleinen Einwurf nicht. Jan senkte den Kopf, um das Lächeln zu verbergen, das sich in sein Gesicht stahl. Der Direktor fuhr fort: «Und niemand von uns kann begreifen, was hinter dem Ganzen steckt. Wir wissen bloss, dass uns das Original des besten Filmes abhanden gekommen ist, den die Rex jemals gedreht hat. Was lässt sich da tun? Ich frage Sie: Was lässt sich tun? Sie bringen mir Ihren Sohn. Aber wir wollen nicht Räuber und Gendarmen spielen. Wir wollen die Hilfe eines Fachmannes haben. Missverstehen Sie mich nicht. Fachmann, sage ich. Damit meine ich Sie selbst. Nicht Ihren Sohn, so tüchtig er im übrigen auch sein mag.» 30
Direktor Bang schaltete eine Pause ein, um Atem zu holen. Helmer machte sich die Gelegenheit zunutze, seine Fragen zu stellen. «Wir müssen beim Anfang beginnen», sagte der Kommissar. «Zuerst müssen Sie mir verschiedene Dinge erklären. Hernach können wir besprechen, was geschehen soll. Sagen Sie mir bitte, wer ein Interesse daran haben könnte, den Film zu stehlen. Das ist der wichtigste Punkt.» Direktor Bang fuhr von seinem Stuhl auf. «Wer ein Interesse daran hat?» fauchte er. «Alle, alle! Alle wollen mir zu Leibe. Das ist die Sache. Die Schauspieler legen sich krank zu Bett, oder sie fordern eine höhere Gage. Das Steueramt saugt mich aus. Die Konkurrenten sind neidisch auf mich, weil ich zu gute Filme mache. Alle sind auf mich und meine Firma aus.» «Jawohl», lächelte der Kommissar gutmütig. «Aber das Steueramt hat Ihren Film sicher nicht gestohlen! Erklären Sie mir bitte, wer ein Interesse daran haben könnte, diese Filmrollen zu entwenden.» Bang setzte sich wieder und griff nach seinem Taschentuch. Es war unerträglich heiss in dem geräumigen Büro. Die Sonne sandte einen breiten Streifen durchs Fenster, und ein silbernes Papiermesser auf dem Schreibtisch blinkte und spiegelte das Licht zur Decke. «Das weiss ich nicht», antwortete der Direktor ergeben. «Ich habe nicht die leiseste Ahnung.» Josef Bergvall räusperte sich. «Man soll Unschuldige nicht verdächtigen», bemerkte er; «doch selbstredend ist die Dana-Gesellschaft daran interessiert, dass aus dem ‚Lied der Wellen’ nichts wird.» 31
«Natürlich», nickte Helmer. «Aber ist es nicht ein etwas ungewöhnliches Vorgehen, einen Konkurrenten dadurch lahmzulegen, dass man ihn bestiehlt?» «Gewiss. Ich erwähnte es ja auch nur, damit wir nichts übersehen.» Es entstand wieder eine kleine Pause. Bang wischte abermals mit dem Taschentuch über seinen kahlen Scheitel. Jan sann vor sich hin, während Erling den Eindruck machte, als wäre er von einem Traum umfangen. «Es könnte ein Racheakt sein», murmelte Erling unvermittelt. Alle schauten ihn an. Bang schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. «Ein Racheakt? Natürlich! Was sonst? Du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst, mein Junge — wir gleichen einander.» Zum erstenmal sah er ein wenig freundlich und anerkennend aus. Jan lag die Bemerkung auf der Zunge, dass die beiden tatsächlich etwas Gemeinsames hatten, da Bang und Erling ja ziemlich umfangreich waren; doch selbstverständlich verbiss er sich diese Bemerkung. Statt dessen sagte er: «Wissen Sie vielleicht, Herr Direktor, wer ein Interesse daran haben könnte, sich an Ihnen zu rächen?» Bang fuchtelte mit der Hand. «Massenhaft Menschen! Massenhaft! Alle bedeutenden Männer haben viele Feinde.» Helmer lächelte flüchtig. «Die Rache könnte sich ja auch gegen einen andern richten, nicht gerade gegen Sie», meinte er. «Zum Beispiel gegen einen Schauspie32
ler. Man weiss ja nie… Aber das kommt mir, offen gestanden, etwas allzu phantastisch vor. Wollen wir uns nicht lieber erst einmal den Ort ansehen, wo der Einbruch geschehen ist?» Sie erhoben sich und folgten dem Direktor durch den Vorraum zu dem Teil des Gebäudes, der die technische Abteilung beherbergte. Kurz darauf standen sie in einem kleinen Raum, dessen Wände von Schränken bedeckt waren, und der nur ein Fenster hatte. Das Zimmer lag im Erdgeschoss, und das Fenster verriet deutlich, dass hier eingebrochen worden war; denn es stand offen, und der Rahmen war an mehreren Stellen beschädigt. Aussen befanden sich schwere Läden, die auch aufgebrochen worden waren; der Riegel hing lose herunter, und das Holz ringsum war zersplittert. Bang blickte sich um und sagte: «In diesem Zimmer hier lagen die Filmrollen.» «Und alles ist so, wie es war, als der Diebstahl entdeckt wurde?» fragte Helmer. «Ja, man hat nichts angerührt», antwortete Bergvall. «Die Arbeit wurde nicht unterbrochen; aber der Abteilungsleiter erhielt Bescheid, hier alles so zu lassen, wie es war. Sie sehen ja, das Fenster steht immer noch offen.» «Wo lag der Film?» «In einem der Schränke», gab Bergvall zurück. «Ich weiss nicht, in welchem; doch das lässt sich leicht feststellen.» Jan hatte den betreffenden Schrank inzwischen schon herausgefunden. Die Schranktür trug Kennzeichen eines Brecheisens, und das ziemlich schwache Schloss war 33
entzwei, so dass die Tür klaffte. In dem Schrank lagen einige Metallkassetten, die zur Aufbewahrung von Filmrollen dienten. «Hier lagen also auch noch andere Filme», bemerkte Kommissar Helmer und betrachtete den Inhalt des Schrankes genau. «Ist nichts anderes verschwunden ausser dem ‚Lied der Wellen’?» «Nein, nichts anderes», gab Bergvall Bescheid. Helmer untersuchte das ganze Zimmer gründlich, fand aber anscheinend keinen wichtigen Hinweis. Der Direktor hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und verfolgte stumm die Bewegungen des Kommissars, während er sich immerzu mit dem Taschentuch die Stirne trocknete. Jans Augen schweiften aufmerksam umher; Erling hingegen sah aus, als ob er sich langweilte. «Finde das Motiv, und du hast den Verbrecher», murmelte Helmer, und Jan nickte. Bang schaute erstaunt auf; das Taschentuch glitt von seinem Scheitel und fiel zu Boden. «Das Motiv?» wiederholte er. «Wie soll der Junge das finden?» «Ich sagte nicht, dass er es finden wird», erwiderte Helmer geduldig. «Ich meinte nur, er müsste trachten, es zu finden. Die Schwierigkeit in diesem Falle besteht darin, dass wir nicht ahnen, warum der Film gestohlen wurde. Sobald wir diese Frage gelöst haben, sollten wir auch den Dieb finden.» «Danke, das freut mich», sagte der Direktor und versuchte das Taschentuch aufzuheben. Aber er war zu dick und schwerfällig. Jan sprang hinzu und bückte sich nach dem Taschentuch, das neben Bang unter einem Schreibtisch lag, in 34
dessen Sitz-Öffnung man nur von vorn hineinsehen konnte. Plötzlich stiess er einen kleinen Ruf der Überraschung aus. «Hier liegen ja zwei Taschentücher», sagte er und richtete sich mit einem Taschentuch in jeder Hand auf. «Ich hatte aber nur eins», schnaufte Bang. «Es ist das mit dem blauen Rand.» Jan reichte ihm das Taschentuch und betrachtete das andere genau. «In der Ecke ist ein W eingestickt», erklärte er. «Was könnte das bedeuten?» «W… das muss mein Assistent sein, Fritz Wulf heisst er», sagte Bergvall. «Hat er hier drinnen etwas zu tun?» erkundigte sich Helmer. Bergvall sah den Kommissar verwundert an. Dann schüttelte er den Kopf: «Nein, eigentlich nicht.» «Wer ist Fritz Wulf?» «Er ist erst seit kurzer Zeit bei der Rex engagiert», erläuterte der Regisseur. «Früher war er bei der Dana tätig.» «Soso», brummte Helmer. «Vielleicht sollten wir mit Herrn Wulf einmal reden.»
FÜNFTES KAPITEL
Herr Wulf war jedoch nicht zu finden, und Helmer beschloss, die Sache ganz und gar Jan zu überlassen und ihm nur ab und zu einen Rat zu geben, je nach seinen Berichten. Direktor Bang war mit diesem Angebot keineswegs zufrieden. Er liess durchblicken, dass er 35
zu Jans Fähigkeiten kein grosses Zutrauen hatte; doch da er sich darüber klar war, dass die Angelegenheit nicht vor die Öffentlichkeit kommen durfte, so dass das Kriminalkommissariat sich offiziell nicht damit beschäftigen konnte, schien es ihm am besten, sich mit Geduld zu wappnen und im übrigen auf Helmers Rat zu bauen. «Wir setzen die Aufnahmen fort», sagte er, «und Jan kann sich ja in den nächsten Tagen bei uns als Statist betätigen. Auf diese Weise hat er Zutritt zu den Ateliers, ohne dass es irgendwie auffallt. Ich hoffe nur, dass etwas dabei herauskommt.» Damit verschwand der wohlgenährte Direktor, sich beständig die Stirne mit dem blaugeränderten Taschentuch trocknend, in seinem Büro. Helmer fuhr zum Polizeigebäude zurück, und Bergvall begab sich ins Atelier, wo eine Innenaufnahme gemacht werden sollte. Jan und Erling waren sich selbst überlassen. «Wenn wir jetzt in die Kantine gehen und eine Tasse Kaffee trinken würden, hätten wir eine gute Grundlage für die bevorstehenden Anstrengungen», schlug Erling vor. Jan hatte jedoch andere Pläne. «Du kannst ja hingehen», erwiderte er. «Ich möchte zuerst ein paar Dinge untersuchen. Hernach können wir uns in der Kantine treffen; ich komme hinüber. Vor allem will ich mir diesen Fritz Wulf näher anschauen, wenn er auftaucht.» Erling ergab sich den Freuden des Kaffeetrinkens, und Jan ging seinen dunklen Weg allein. Er hatte im Sinn, zuerst einmal einen Überblick über die Anlage 36
der Gebäude zu gewinnen, in denen die Rex-Filmgesellschaft untergebracht war, und dann dem Portier einige Fragen zu stellen, der bei der Einfahrt zu der Liegenschaft in einem kleinen Haus an einem Schalter sass. Das grösste Gebäude der Rex-Filmgesellschaft war ein riesiges Atelier, das alle andern Häuser überragte. Daneben lagen zwei kleinere Ateliers, und davor erstreckte sich das Verwaltungsgebäude, dessen Vorderfront der Strasse zugewandt war. Am Ende erhob sich das Eisentor, durch das man vom Portier eingelassen werden musste, wenn man den Boden der Filmgesellschaft betreten wollte. Rings um den ganzen Betrieb zog sich ein sehr hohes Gitter, das zudem mit Stacheldraht bewehrt war. Es war entschieden keine leichte Sache, dieses Gitter zu überklettern, dachte Jan, während er umherschlenderte und die Umgebung besichtigte. Der eine Teil des Verwaltungsgebäudes bestand ganz aus Büros, der andere war der technischen Abteilung vorbehalten, aus der man den Film entwendet hatte. Lange betrachtete Jan das Fenster, das gewaltsam geöffnet worden war. Er gelangte zu dem Schluss, dass der Diebstahl nur von einem Menschen begangen worden sein konnte, der sich hier gut auskannte. Schliesslich hatte der Dieb ohne weiteres das richtige Fenster gewählt und auch gleich den richtigen Schrank geöffnet, obwohl nicht einmal Bergvall genau wusste, welcher Schrank die Aufnahmen vom «Lied der Wellen» enthalten hatte. Nachdem Jan mit seinen Überlegungen soweit ge37
kommen war, begab er sich zum Tor, um sich mit dem alten Portier ein wenig zu unterhalten. Als er sich der Portierwohnung näherte, ertönte von drinnen ein wütendes Gebell. Der Portier kam hinter seinem Schalter zum Vorschein und nickte Jan freundlich zu. «Na, was hast du auf dem Herzen?» fragte er. «Ach, nichts Besonderes», antwortete Jan. «Ich warte nur, bis ich zur nächsten Aufnahme gerufen werde. Was ist das für ein Hund, der da bellt? Ist er so wild?» «Es ist ein Schäferhund», gab der alte Portier Bescheid. «Ein sehr schönes Tier und ungemein wachsam. Er heisst King. Hier kann nichts vorkommen, solange er auf dem Posten ist.» Jan lächelte insgeheim über den Stolz des Portiers, der ja nicht ahnte, dass trotz der Vortrefflichkeit des Wachthundes vor kurzem erst etwas ziemlich Katastrophales vorgekommen war. Er fragte: «Ist er nachts draussen?» «O ja», erwiderte der Portier. «Abends lasse ich ihn frei, und dann passt er draussen auf. Keinen einzigen Diebstahl hat es mehr gegeben, seit wir King haben.» «Auch keinen Versuch?» «Doch, vor ein paar Monaten wollten zwei Kerle bei den Büros einbrechen; aber King schaffte schnell Ordnung. Wenn die beiden sich nicht ganz still verhalten hätten, bis die Polizei kam und sie festnahm, hätte er sie schön zugerichtet. King lässt nicht mit sich spassen.» «Aber kann man denn nicht von der Strasse aus einbrechen, ohne dass der Hund etwas merkt?» «Unmöglich. Die Fenster, die auf die Strasse hinaus38
gehen, sind nachts mit schweren Läden verschlossen, die von innen verriegelt werden. Ausserdem würde King es wahrscheinlich doch hören, wenn irgend etwas los wäre, und da er immer sofort anschlägt, wäre ich im Nu wach und könnte beizeiten die Polizei benachrichtigen. Nein, solange wir King haben, brauchen wir uns keine Sorge zu machen…» «Folgt er keinem andern ausser Ihnen?» «Na ja, er kennt natürlich einige von den Leuten hier; doch das sind nicht viele. Im allgemeinen haben wir viel Wechsel. Aber an ein paar, die sich seit längerer Zeit mit ihm angefreundet haben, hat er sich gewöhnt.» «Würde er auch anschlagen, wenn einer seiner Freunde nachts herkäme?» forschte Jan weiter. «Das glaube ich nicht. Jedenfalls bellt er nie, wenn ich abends nach Hause komme. Nur Fremden gegenüber ist er bissig. So sind ja die Wachthunde.» Jan wurde aufgefordert, einzutreten und sich den schönen Hund anzusehen, der den Knaben jedoch nicht sonderlich zu schätzen schien. Er knurrte drohend, und der Portier riet Jan davon ab, King zu streicheln. «Das könnte dich leicht ein paar Finger kosten», lachte der Alte. «Ich begreife bloss nicht, warum er so unfreundlich ist. Sonst ist er immer viel netter, wenn ich dabei bin.» «Er riecht vielleicht, dass ich zu Hause selbst einen Hund habe», meinte Jan. «Wir haben nämlich auch einen Schäfer; er heisst Boy.» «Natürlich ist das der Grund», nickte der Portier. 39
«Aber King ist in letzter Zeit wirklich etwas sonderbar. Heute nacht zum Beispiel benahm er sich merkwürdig. Da bellte er plötzlich und stellte sich wie ein Verrückter an; aber es dauerte nicht lange, bis er keinen Mucks mehr von sich gab, und ich drehte mich nur im Bett um und beunruhigte mich nicht. Denn wenn er nicht mehr bellte, so deshalb, weil er nichts zu bellen hatte. Vielleicht eine Katze…» «Um wieviel Uhr war das?» erkundigte sich Jan. Hier war unter Umständen eine Spur, die er brauchen konnte. «Ich weiss nicht… ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Es wird wohl so um zwei herum gewesen sein. Na, was gibt es denn jetzt?» In der Portierloge hatte das Telephon geklingelt, und der Alte nahm den Hörer ab. Jan nickte ihm zum Abschied zu und ging zu den Ateliers hinüber. Er dachte über Kings merkwürdiges Benehmen in der vorigen Nacht nach. Hing das etwa mit dem Diebstahl zusammen? Konnte es auf das Rätsel des verschwundenen Filmes Licht werfen? Manchmal erwiesen sich ja gerade Kleinigkeiten als Schlüssel zu grossen Geheimnissen… Vor dem Hauptatelier traf Jan den Regisseur Bergvall und dessen Assistenten Wulf. «Nun, Herr Filmschauspieler, wartest du auf neue Aufgaben?» lächelte Bergvall. «Ja, ich bin natürlich gern bereit, wenn es etwas zu tun gibt», erwiderte Jan fröhlich. «Heute wird es leider nichts mehr mit neuen Aufnahmen. Durch Martins Erkrankung ist ja unser Ar40
beitsplan umgeworfen worden, und nun müssen wir schauen, wie wir am besten zurande kommen. Hast du eigentlich meinen Assistenten schon begrüsst, Jan? Das ist Herr Fritz Wulf.» Zu Wulf gewandt, fuhr er fort: «Und das ist Jan Helmer.» Jan verbeugte sich, und der Assistent lächelte liebenswürdig. «Sie müssen wissen, Wulf, Jan Helmers Vater ist ein alter Freund meines Vaters», erklärte Bergvall. «Darum freut es mich ganz besonders, dass Jan bei uns als Statist mitwirkt. Das verstehen Sie sicher.» «Dann können wir nur hoffen, dass es viel zu tun gibt», sagte Wulf. Er grüsste mit einem leichten Kopfnicken und wandte sich wieder dem Atelier zu, während Bergvall mit Jan zur Kantine schlenderte. In der Kantine sass Erling vor einer grossen Tasse Kaffee und einem Teller voller Rahmtörtchen. Er war offensichtlich in seinem Element; denn sein rundes Gesicht strahlte vor Freude. «Ich gehe zum Film und bleibe dabei», sagte er. «Das hier ist die beste Konditorei von ganz Kopenhagen!» Bergvall und Jan setzten sich, und der Regisseur begrüsste einen jungen Mann, der sich am gleichen Tisch niedergelassen hatte: «Hallo, Winther! Wie geht’s?» Der junge Mann antwortete: «Das sollte ich Sie lieber fragen. Ich warte nur auf eine Gelegenheit…» «Es kann sein, dass sich Ihnen eine bietet», fiel der Regisseur ein. «Wie Sie wissen, zieht sich Jens Martins Erkrankung hin. Ich bin nicht sicher, ob wir seine Rolle nicht umbesetzen müssen, um mit dem Film beizeiten fertig zu werden.» 41
«Ich dachte, Sie hätten schon so viel mit Martin aufgenommen, dass eine Umbesetzung sich nicht lohnen würde?» sagte Winther fragend. «Das stimmt; aber trotzdem…» Bergvall war von Winthers Bemerkung anscheinend etwas überrumpelt worden. Er beeilte sich, fortzufahren: «Es fehlen immerhin noch so viele Szenen, dass es sich eher lohnen würde, die fertigen Aufnahmen zu wiederholen, als lange zu warten. Wie Sie vielleicht gehört haben, gedenkt die Dana einen ähnlichen Film zu machen, und dieser Konkurrenz will Direktor Bang natürlich zuvorkommen.» «Na, wenn Sie mich brauchen, so stehe ich Ihnen zur Verfügung», sagte Winther und erhob sich. Er grüsste kurz und entfernte sich. Bergvall bestellte für sich und Jan Kaffee und Kuchen. Als der junge Mann ausser Hörweite war, sagte der Regisseur zu Jan: «Du kennst ihn wohl nicht? Er ist Schauspieler und heisst Kaj Winther. Ursprünglich hätte er im ‚Lied der Wellen’ die männliche Hauptrolle spielen sollen; aber Birthe Bang, die als Tochter des Direktors die weibliche Hauptrolle spielt, war damit nicht einverstanden, und so wurde Jens Martin engagiert. Nun muss sich Fräulein Bang wahrscheinlich damit abfinden, dass Winther doch die Rolle übernimmt, weil Martin krank ist. Ja, ja, beim Film hat man viel Ärger und Verdruss. Was machst du so ein versonnenes Gesicht, Jan? Worüber denkst du nach?» «Ich denke darüber nach, ob Ihr Assistent, Herr Wulf, sich wohl mit Hunden gut versteht!»
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SECHSTES KAPITEL
Der übrige Tag verging, ohne dass es Jan gelang, in Bezug auf den verschwundenen Film irgendeine Spur zu finden. Die beiden Knaben waren nicht gerade in bester Stimmung. Bergvall wollte die Zeit benützen, um mit Direktor Bang den Arbeitsplan für die nächsten Tage zu besprechen; aber der Direktor war so nervös und gereizt, dass Bergvall die Umbesetzung von Jens Martins Rolle noch nicht durchsetzen konnte. Jedenfalls wurde die Entscheidung hinausgeschoben, und der Regisseur war in schlechtester Laune, als er in die technische Abteilung kam, wo er Jan und Erling im Gespräch mit dem Photographen Carl Jensen und dem Aufnahme-Assistenten Bremming antraf. Diese beiden Filmleute, die in der technischen Abteilung herrschten, wussten Bescheid über den Diebstahl der wertvollen Filmrollen. Bergvall schloss die Türe hinter sich, liess sich auf einen Stuhl sinken und seufzte tief. «Es sieht wahrhaftig nicht sehr gut aus», sagte er. «Der Direktor ist wütend über das Geschehnis, und leider hat er kein grosses Zutrauen zu deinen Fähigkeiten, Jan. Er bezweifelt, dass es dir gelingen wird, das Rätsel zu lösen. Wenn wir doch nur einen Anhaltspunkt hätten!» «Wir sprachen gerade über die Sache», erwiderte Jan. «Ich muss zugeben, dass ich noch keine wichtige Spur gefunden habe; aber so schnell lässt sich das halt nicht machen.» «Das schlimmste ist», bemerkte der Photograph Jensen, «dass wir den Vorfall wahrscheinlich gar nicht ge43
heimhalten können. Ich habe noch nie erlebt, dass in Filmkreisen etwas geheim geblieben ist. Früher oder später wird die Dana von der Sache Wind bekommen, und was dann?» «Warum sollte die Geschichte bekannt werden?» fragte Jan. «Der Direktor wird natürlich seiner Tochter von dem Diebstahl erzählen», meinte der Photograph, «und dann werden die Aufnahmen, die wir schon gemacht haben, wiederholt. Schliesslich reimen sich die Mitwirkenden alles zusammen; denn irgend etwas wird durchsickern, man wird alles mögliche munkeln, jeder wird sich etwas denken. Da Martins Erkrankung keine genügende Erklärung für die Wiederholung sämtlicher Aufnahmen ist, wird man nach einer anderen Erklärung suchen und zum Schluss auf den wahren Zusammenhang kommen. Es ist unmöglich, den Diebstahl längere Zeit geheimzuhalten — das ist meine feste Überzeugung.» «Besteht die Gefahr, dass Birthe Bang etwas weitertragen wird?» fragte Bergvall. «Das möchte ich nicht behaupten. Aber wenn das übliche Gerede erst einmal einsetzt, lässt es sich kaum mehr bremsen.» «Ich will auf jeden Fall mit Fräulein Bang sprechen», sagte der Regisseur. «Ich möchte ihr auch klarmachen, wie wichtig es ist, dass Kaj Winther Jens Martins Rolle übernimmt, und ihre Zustimmung einholen. Als Filmregisseur hat man wirklich kein leichtes Leben!» In dem Zimmer, wo sie sassen, stand das Fenster 44
offen. Draussen schien die Sonne. Jan blickte nachdenklich hinaus; doch plötzlich machte er einen Sprung auf das Fenster zu. «Was ist los?» fragten die andern. «Ich glaubte, draussen einen Schatten zu sehen», erklärte Jan. Er kletterte auf einen Tisch, der vor dem Fenster stand, und im nächsten Augenblick war er hinausgesprungen. Er befand sich nun auf dem Filmgelände zwischen dem Verwaltungsgebäude und den Ateliers; doch obwohl er seine Augen gut gebrauchte, konnte er niemand sehen. Er lief schnell zu der Ecke des Ateliers, und da sah er eine Gestalt in der Kantine verschwinden. Hinter der Ecke wartete er ein Weilchen, ehe er weiterging. Er steuerte zur Kantine hinüber. Es war später Nachmittag, und die meisten Filmleute waren schon nach Hause gegangen. Jan betrat das kleine Gebäude, das die Kantine beherbergte; aber hier war niemand zu sehen. Vorsichtig ging er weiter. Ab und zu blieb er stehen, um zu lauschen; es war jedoch nichts zu hören. Er war nahe daran, die Suche aufzugeben; aber da er deutlich gesehen hatte, dass ein Mann in die Kantine gegangen war, wollte er nicht klein beigeben. Die Kantine hatte nur einen Eingang, und der geheimnisvolle Fremde konnte nicht herausgeschlüpft sein, ohne dass ihn Jan gesehen hätte. Auf einmal gewahrte er eine kleine Türe, die er bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. Er schlich dorthin, und als er sich näherte, hörte er, dass jemand dahinter stand. Die Türe führte in eine Telephonkabine. Vorsichtig legte er das Ohr an die Türe. Er hörte 45
ein leises Klicken, als der Hörer des Apparates abgehoben wurde, und dann sagte eine Stimme: «1655». Hierauf räusperte sich der Mann in der Kabine und sagte in ärgerlichem Tone: «So? Besetzt?» Der Hörer wurde heftig aufgelegt. Jan zog sich schleunigst zurück. Es war damit zu rechnen, dass der Telephonierende die Kabinentür öffnete, und Jan mochte nicht beim Lauschen ertappt werden. Vorsichtig schlich er zur Theke der Kantine und versteckte sich dahinter. Er hörte, wie die Türe der Kabine geöffnet wurde, und vernahm Schritte; aber er wagte nicht nachzuschauen, wen er vor sich hatte, aus Furcht, selbst entdeckt zu werden. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Bahn frei war. Kurz darauf huschte er hinaus. In der Kantinentür blieb er stehen und blickte sich nach rechts und links um. Aber der Unbekannte war verschwunden. Jan wusste von ihm nur, dass er die Nummer 1655 verlangt hatte; doch er ahnte nicht, über welches Amt.*) Voller Enttäuschung über sein spärliches Glück kehrte er in die technische Abteilung zurück, wo die andern immer noch im Gespräch beisammen sassen. «Was brachte dich denn so plötzlich in Fahrt?» erkundigte sich der Photograph Jensen. «Ach, es war nichts, bloss blinder Alarm», antwortete *) In Kopenhagen gibt es mehrere Fernsprechämter. Um einen Teilnehmer zu bekommen, muss man erst das betreffende Amt anrufen und dann die Nummer nennen. Die einzelnen Ämter verwenden für ihre Teilnehmer die gleichen Nummernfolgen. Kennt man nur die Nummer eines Teilnehmers, aber nicht das Amt, bei dem er angeschlossen ist, so kann man den Teilnehmer nicht ermitteln. Anm. der Übersetzerin
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Jan. «Es war mir, als hätte ich vor dem Fenster einen Schatten gesehen, und ich hielt es für möglich, dass wir belauscht wurden. Aber es war ein Irrtum.» Bergvall erhob sich. «Kommt morgen wieder», sagte er zu Jan und Erling. «Wir können nichts anderes tun, als uns mit Geduld wappnen und das Beste hoffen. Zum Schluss wird wohl alles gut werden.» «Bestimmt», gab Erling überzeugt zurück. «Wir lassen nicht locker, und Jan und Kompanie haben schon schwierigere Aufgaben gelöst! Verlassen Sie sich auf uns!» «Gewiss», lächelte der Regisseur. «Aber es wird euch schwerfallen, das Zutrauen des Direktors zu gewinnen. Es wird schon grosse Mühe machen, ihn nur davon zu überzeugen, dass ihr wirklich etwas ausrichten könnt.» «Herr Direktor Bang und ich haben etwas gemeinsam», lächelte Erling. «Soweit ich es beurteilen kann, liebt er gutes Essen in angemessener Menge ebenso sehr wie ich. Auf einer solchen Übereinstimmung kann man lebenslängliche Freundschaften aufbauen!» *
Jan forderte Erling auf, mit ihm zum Abendbrot nach Hause zu kommen; doch der Vorschlag fand keinen Anklang. «Meine Mutter hat mich heute mit Fleischklössen gelockt», erklärte Erling. «Ich weiss nicht, was es bei euch gibt; aber wenn bei uns Fleischklösse auf dem Speisezettel stehen, ziehe ich es auf alle Fälle vor, da47
heim zu essen. Bei Fleischklössen ist unsere Köchin nicht zu übertreffen. Wir sehen uns morgen wieder.» Jan radelte also allein heimwärts, und unterwegs dachte er über das Rätsel nach, das er lösen sollte. Keine einzige brauchbare Spur war vorhanden, und er wollte doch unbedingt herausfinden, was aus den drei Filmrollen geworden war. Nachdem er gegessen hatte, ging er, gefolgt von dem Schäferhund Boy, in sein Zimmer hinauf, um in Ruhe alles zu überlegen. Eine Weile sass er sinnend auf seinem Bett; dann stand er auf und begab sich ins Wohnzimmer, wo er vom Schreibtisch seines Vaters das Teilnehmerverzeichnis von Kopenhagen und den dazu gehörenden Telephonschlüssel nahm, der die Abonnenten nicht alphabetisch, sondern nach Ämtern und Nummern geordnet enthält. «Was willst du denn mit den Telephonbüchern?» fragte Helmer, der selbst in Arbeit begraben war. Jan erzählte ihm von seiner Beobachtung in der Kantine der Filmgesellschaft. Helmer lächelte. «Das ist eine etwas unsichere Grundlage», sagte er; «aber natürlich darf man nichts unversucht lassen. Ich muss zugeben, dass wahrhaftig nicht viele Spuren zu verfolgen sind, und darum ist es sicher richtig, wenn du erst einmal feststellst, wer in allen Kopenhagener Ämtern Nummer 1655 hat. Vielleicht stösst du dabei auf einen Namen, den du mit der Sache in Verbindung bringen kannst. Sei aber nicht allzu enttäuscht, wenn das Suchen zu nichts führt.» Jan machte sich daran, das Telephonbuch mit Hilfe des Telephonschlüssels durchzusehen. Amager 1655, 48
Eva 1655, Fasan 1655, Gentofte 1655, Ordrup 1655… sorgfältig schrieb er alle Namen und Adressen auf; aber sie schienen nicht den geringsten Anhaltspunkt zu bieten. Jetzt war er im Telephonschlüssel zu Ryvang 1655 gelangt; «Mortensen, Peter» stand hinter der Nummer. Als er mit Hilfe des Teilnehmerverzeichnisses herausfand, wer dieser Abonnent war, stutzte er und pfiff hoffnungsvoll durch die Zähne. «Peter Mortensen, Direktor der Dana-Filmgesellschaft», las er. Daneben stand die Adresse. Nun hatte er etwas, worüber sich das Nachdenken lohnte. Wie kam ein Angestellter der Rex-Filmgesellschaft dazu, den Direktor der Konkurrenzfirma anzurufen, wenn dahinter nicht irgend etwas stak? Warum hatte der Mann die Telephonkabine in der leeren Kantine aufgesucht? Hätte er nicht von einem Büro aus anrufen können, wenn die Sache harmlos war? Wollte er ungestört sein? Oder hatte das Gespräch solche Eile gehabt? Zur Sicherheit schlug Jan auch bei allen übrigen Ämtern noch nach und schrieb die Adressen in sein Notizbuch; doch ausser Direktor Mortensen fand sich keine interessante Persönlichkeit. Wieder pfiff er hoffnungsvoll, als er die Telephonbücher an ihren Platz legte. «Nun?» fragte Kommissar Helmer und sah von seiner Arbeit auf. «Hast du etwas herausgefunden?» «Vielleicht», antwortete Jan geheimnisvoll. «Ich will auf jeden Fall eine kleine Radtour machen und schauen, ob ich noch mehr entdecken kann.» 49
Helmer blickte ihm lächelnd nach, als Jan das Zimmer verliess. Er wollte den Jungen, der mit solchem Interesse seiner Aufgabe nachging, gewähren lassen. Eines Tages würde sicher ein tüchtiger Polizeimann aus ihm werden, selbst wenn er manchmal davon redete, Journalist oder etwas anderes werden zu wollen. Detektiv war er, und Detektiv würde er bleiben… Jan holte sein Fahrrad und fuhr nach Ryvang hinaus. In einer Seitenstrasse, die zum Strandweg führte, fand er Direktor Mortensens Villa. Es war ein kleines, aber ganz modernes Haus, das mitten in einem grossen Garten stand. Jan fuhr auf der Strasse ein paarmal hin und her. Er konnte ja nicht gut den Garten betreten und die Villa belauern. Es war auch nur seine Absicht, sie sich etwas näher anzusehen. Die Strasse war leer. Ein einziges Fenster der Villa war erhellt. Es ging auf neun Uhr zu. Jan stieg vom Rad ab und betrachtete das Haus. ,Das führt zu nichts’, dachte er. ‚Aber wenigstens weiss ich jetzt, wo und wie der Mann wohnt.’ Er wollte sich gerade aufs Rad schwingen, um heimzufahren, als die Eingangstür der Villa geöffnet wurde. Schnell versteckte er sich hinter ein paar Sträuchern, die eine kleine Insel in der Strassenmitte zierten, so dass er vom Garten aus nicht gesehen werden konnte. Das Rad musste er festhalten. Er wendete es vorsichtig, um im Nu davonflitzen zu können, falls jemand kam. In der Türe standen zwei Männer. Den einen, einen grossen, breitschultrigen Mann in hellem Sommeranzug, kannte er nicht. Dem anderen hingegen war er schon begegnet. 50
Es war der Regie-Assistent Fritz Wulf von der RexFilmgesellschaft. «Kommen Sie gut heim», hörte er den grossen Mann sagen, der vermutlich Direktor Mortensen war. «Und besten Dank für Ihre Mitteilung. Sie ist sehr wertvoll für mich.» Wulf gab eine Antwort, die Jan nicht zu verstehen vermochte. «Nein, nein, natürlich haben wir nicht miteinander gesprochen», erklang dann wieder die Stimme des grossen Mannes. «Kein Mensch wird etwas erfahren.» Mehr brauchte Jan nicht zu hören. Er schwang sich auf sein Rad und pedalte davon. Er war schon von der Strasse abgebogen, als Fritz Wulf durch das Gartentor schritt und sich dem Strandweg zuwandte, um mit einer Strassenbahn nach Hause zu fahren.
SIEBENTES KAPITEL
Jan stand am folgenden Tage mit Erling und Josef Bergvall zusammen in dem grossen Atelier der RexFilmgesellschaft, als der Regie-Assistent Wulf hereinkam. Jan hatte Bergvall nichts von seiner gestrigen Entdeckung erzählt. Er wollte die Sache erst von Grund auf untersuchen, bevor er irgendwelche Auskünfte gab. Es wäre allzu unangenehm und beschämend gewesen, wenn er in eine Sackgasse geriete, nachdem er ein positives Ergebnis verheissen hätte. Ausserdem musste man mit voreiligen Bezichtigungen immer vorsichtig sein. «Was soll heute geschehen?» erkundigte sich der As51
sistent, nachdem er den Regisseur und die Buben begrüsst hatte. «Setzen wir die Aufnahmen fort, oder was haben Sie sonst vor?» «Die Schauspieler sind ja für heute bestellt, nicht wahr?» «Ja, Fräulein Bang wird schon geschminkt, und zwei andere Mitwirkende sind auch hier. Wir hatten ja vorgehabt, heute einen Teil der Szenen im Klubhaus zu drehen.» «Ein paar können wir heute vormittag drehen; dann müssen wir abwarten, was für eine Entscheidung Direktor Bang in Bezug auf die männliche Hauptrolle trifft», erwiderte Bergvall. «Ich will schauen, dass dieser Beschluss möglichst bald gefasst wird. Bringen Sie alles in Ordnung. Ich komme gleich wieder.» Damit verliess er das Atelier. Wulf wollte sich an seine Arbeit machen; aber Jan zog unvermittelt das Taschentuch hervor, das er gefunden hatte, hielt es ihm hin und fragte: «Gehört das Ihnen, Herr Wulf?» Der Regie-Assistent betrachtete zuerst das Taschentuch und dann den Jungen. «Nein», entgegnete er. «Mir gehört es nicht. Wo hast du es gefunden?» «Es lag hier im Atelier», log Jan. «Ich fand es vorhin.» Fritz Wulf betrachtete wieder das Taschentuch und schüttelte den Kopf. «Mir gehört es nicht», wiederholte er und wandte den Knaben den Rücken. Kurz darauf war er im Gespräch mit zwei Beleuchtern, denen er Anordnungen gab. Jan und Erling gingen hinaus, als die Schauspieler 52
sich anzufinden begannen. Sie wollten bei den Aufnahmen nicht stören. «Ob es nicht doch sein Taschentuch ist?» fragte Erling, nachdem sie sich auf einer Bank in der Sonne niedergelassen hatten. Er zog eine Tüte Rahmkaramellen hervor und fing mit grossem Wohlbehagen zu lutschen an. «Das kann ich nicht beurteilen; aber wie dem auch sei, er ist auf jeden Fall verdächtig», erwiderte Jan. «Wir müssen ihn im Auge behalten.» «Wie wäre es, wenn wir Boy den Eigentümer des Taschentuches aufspüren liessen?» schlug Erling vor. «Dadurch bekämen wir vielleicht einen Anhaltspunkt.» «Kein schlechter Gedanke», sagte Jan zerstreut. Er hielt das Taschentuch immer noch in der Hand, als Birthe Bang mit ihrem Vater herbeikam. «Na, da sitzt ihr ja und sonnt euch gemütlich», brummte Direktor Bang. «Auf diese Weise wird sich der Diebstahl wohl kaum aufklären lassen. Könnt ihr nicht etwas Nützlicheres vornehmen?» «Wir denken nach, Herr Bang», entgegnete Erling mit der unschuldigsten Miene von der Welt. «Wir behandeln gerade zwei sehr wichtige Aufschlüsse, die wir bekommen haben.» «So? Und was für Aufschlüsse sind das?» «Das können wir noch nicht sagen.» Der Direktor sah von dem einen zum andern. Der Gedanke, dass die beiden Knaben sich mit der Aufklärung des Diebstahls befassen sollten, schien ihn noch immer nicht sehr zu begeistern. Schliesslich wandte er sich an seine Tochter: «Birthe, 53
diese beiden Grünschnäbel haben den Auftrag erhalten, herauszufinden, wer die Filmrollen gestohlen hat.» Er drehte sich wieder zu ihnen um. «Wie heisst ihr doch noch?» Die Buben stellten sich vor, und Birthe Bang drückte ihnen lächelnd die Hand. «Ich bin sicher, dass ihr eure Sache gut machen werdet», sagte sie freundlich. «Mein Vater ist immer so skeptisch; aber darum müsst ihr euch nicht kümmern. Wenn ihr das Rätsel gelöst habt, wird er gar nicht wissen, was er euch Gutes antun soll. Natürlich sind wir alle sehr gespannt, wie die Sache ausgehen wird.» In diesem Augenblick erschien Josef Bergvall und begrüsste den Direktor und dessen Tochter. «Ich suchte Sie gerade», sagte er zu Bang. «Wir sollten endlich die Frage der männlichen Hauptrolle entscheiden. Wollen wir sie nicht doch Kaj Winther geben?» «Ich weiss wirklich nicht recht…» begann Bang zögernd. Aber Birthe unterbrach ihn: «Ja, gebt Kaj die Rolle. Ich habe mir alles überlegt, und ich finde, die Hauptsache ist, dass der Film rasch fertig wird. Dahinter muss alles übrige zurücktreten.» «Hm», machte Bang. «Ist das dein Ernst?» «Ja», sagte sie fest. «Winther ist wie geschaffen für die Rolle», fiel Bergvall ein. «Er hat aber noch nie gefilmt», wandte der Direktor ein; doch man merkte an seinem Ton, dass die Worte seiner Tochter gleichwohl früher oder später den Ausschlag geben würden. 54
«Dann stellen wir ihn eben zum erstenmal heraus», sagte Bergvall begeistert. «Einmal muss ja der Anfang gemacht werden, und Winther ist ein glänzender Schauspieler. Ich versichere Ihnen, er war sehr enttäuscht, als die Rolle mit Jens Martin besetzt wurde. Ich sprach öfters mit ihm, und er war ziemlich erbittert, dass man ihn übergangen hatte. Er sagte, er wolle nur einmal eine Gelegenheit haben, um zu zeigen, dass er zum Filmschauspieler taugt.» «Gut, soll er also die Rolle spielen», entschied Bang. «Wir müssen ja doch mit allen Aufnahmen von vorn anfangen; denn die drei Filmrollen bekommen wir niemals wieder. Rufen Sie Winther an, und setzen Sie den Vertrag auf. Aber dann müssen wir mit Dampf dahinter. Ich habe eine Heidenangst, dass die Dana uns zuvorkommen wird.» «Wie kommen Sie zu dieser Annahme?» fragte Jan. Der Direktor starrte ihn an. «Weisst du denn etwas von diesen Dingen?» fragte er zurück. «Ein bisschen», antwortete Jan. «Die Dana hat nun wohl doch beschlossen, einen Segelsportfilm zu machen, nicht wahr?» Direktor Bangs Miene spiegelte fassungslose Verwunderung. «Du bist gar nicht so dumm, wie man meinen könnte», sagte er nicht ohne Anerkennung. «Vor ein paar Minuten habe ich gerade erfahren, dass Direktor Mortensen beschlossen hat, den Film doch zu drehen. Aber wie kommst denn du darauf? Woher weisst du das eigentlich?» «Ach, ich habe es mir nur zusammengereimt», versetzte Jan ausweichend. 55
«So?» sagte Bang zweifelnd. «Jedenfalls ist es Tatsache. Es sieht fast so aus, als wüsste Mortensen mehr von unseren Schwierigkeiten, als uns lieb ist. Drehen Sie also schleunigst weiter, Bergvall, damit wir die ersten sind.» «Jawohl, Herr Direktor», antwortete Bergvall mit breitem Lächeln. «Vor allem wiederhole ich zuerst Martins Szenen.» Bang und Birthe verabschiedeten sich mit einem Nicken und gingen weiter. Bergvall wandte sich an Jan: «Hast du es dir wirklich nur zusammengereimt, dass die Dana den Segelsportfilm doch drehen wird, oder wusstest du Bescheid?» fragte er verwundert. «Es stimmt, ich habe es mir zusammengereimt», erwiderte Jan. «Aber ich muss gestehen, dass ich guten Grund dazu hatte.» Bergvall wollte noch mehr Fragen stellen, wurde aber von dem Aufnahme-Assistenten Bremming unterbrochen, der in diesem Augenblick angelaufen kam. «Herr Bergvall! Herr Bergvall! Es ist etwas Schreckliches geschehen…» rief er schon von weitem. «Was denn schon wieder?» Der Regisseur war herumgefahren. «Ein neuer Einbruch. Wir haben ihn soeben entdeckt. Aus demselben Schrank, der gestern aufgebrochen wurde, sind sechs Filmrollen verschwunden. Die Diebe waren wieder am Werk!»
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ACHTES KAPITEL
Ja, die Diebe waren wieder am Werk gewesen. Jan, Erling und Bergvall standen mit dem Photographen Jensen und mit Bremming in dem Zimmer der technischen Abteilung und betrachteten den Schrank. Das Fenster war instand gesetzt worden; aber die Handwerker hatten noch keine Zeit gehabt, die Schranktür wieder in Ordnung zu bringen. Der Einbruch war auf gleiche Weise wie das erstemal bewerkstelligt worden. Der Dieb hatte das Fenster mit Gewalt geöffnet, war hereingeklettert und hatte sich sechs Filmrollen angeeignet, die in dem Schrank gelegen hatten. «Was ist das für ein Film, der gestohlen wurde?» fragte Jan. «Das ist eben das unerklärliche», gab der Photograph Jensen zurück. «Eigentlich kommt den Filmrollen gar keine Bedeutung zu. Es sind verschiedene Aufnahmen von unserem letzten Film. Er heisst ‚Katastrophe’ und ist ein Kriminalfilm. Der Film ist längst in allen Kinos gelaufen, und es gibt eine Menge Kopien davon. Welches Interesse könnte der Dieb also daran haben?» «Es sei denn, man erklärt es damit, dass der Dieb die neun Filmrollen gestohlen hat — drei vom ‚Lied der Wellen’ und sechs von ‚Katastrophe’ —, ohne sich überhaupt darum zu scheren, was ihm in die Hände fiel», meinte Jan. «Hat eine Filmrolle irgendeinen Wert?» «Ja, wenn es ein Rohfilm ist, das heisst ein Film, der noch nicht gebraucht worden ist.» «Wäre es möglich, dass der Dieb glaubte, Rohfilme vor sich zu haben?» forschte Jan weiter. 57
«Nein», entgegnete der Photograph entschieden. «Die Kassetten waren deutlich gekennzeichnet. Auf jeder Kassette steht der Titel des Films, gefolgt von den Nummern und Bezeichnungen der betreffenden Aufnahmen. Ausserdem bewahren wir die Rohfilme nicht hier auf. Sie liegen in einem andern Raum.» Jan untersuchte das Zimmer genau, fand jedoch nichts Besonderes. Bergvall ging dann, den Direktor von dem neuerlichen Diebstahl in Kenntnis zu setzen, und die Buben begaben sich auf die Strasse hinaus, um vor dem Fenster nach einer Fußspur zu suchen. «Das Ganze sieht sehr merkwürdig aus», murmelte Jan, indem er sich bückte und vorsichtig auf das Fenster zuging, um festzustellen, ob da irgendeine Spur zu entdecken war. Der Boden war fest, und es liess sich kein Abdruck finden, der zur Lösung des Problems beigetragen hätte. Jan nahm die Untersuchung sehr gründlich vor, während Erling geduldig an der Mauer lehnte und zuschaute, bis Jan sich aufrichtete und zu ihm zurückkehrte. «Ich dachte schon, es wäre mir gelungen, hinter die Zusammenhänge zu kommen», sagte Jan niedergeschlagen. «Aber dieser neuerliche Diebstahl hat alle meine Vermutungen umgeworfen. Nun müssen wir wieder von vorn anfangen.» «In Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht die leiseste Ahnung habe, worum sich das Ganze dreht, darf ich vielleicht um eine nähere Erklärung bitten», antwortete Erling würdevoll. «Nein, soweit bin ich noch nicht, du musst schon noch warten», fertigte Jan ihn ab. «Komm, wir wollen 58
in die Kantine gehen und eine Tasse Kaffee trinken. Ich besitze zwei Kronen.» «Wohl gesprochen, edler Ritter. Ich folge dir!» Auf dem Wege zur Kantine trafen sie Bergvall, der sehr verdrossen aussah. «Der zweite Diebstahl hat sich schon im ganzen Betrieb herumgesprochen», berichtete er. «Bremming hat ja laut genug geschrien. Es scheint, dass wir auch den ersten nicht länger verheimlichen können. Was meinst du, Jan, was sollen wir machen?» «Am besten geben Sie den Tatbestand selbst bekannt, bevor man merkt, dass Sie etwas vertuschen wollen», antwortete Jan. «Wie wäre es denn, wenn Sie einfach mitteilen würden, dass drei Rollen Aufnahmen zum ,Lied der Wellen’ gestohlen worden sind, aber sagen, dass glücklicherweise schon eine Kopie vorliegt?» «Ein grossartiger Gedanke», lobte Bergvall. «Das wollen wir tun. Auf Wiedersehen.» Jan und Erling gingen in die Kantine, setzten sich an einen der langen Tische und bestellten eine Tasse Kaffee. Bergvall begab sich ins Atelier, um bei den Szenen, die heute gedreht werden sollten, Regie zu führen. Als die beiden Knaben ihren Kaffee getrunken und sich an einem Käsebrot gütlich getan hatten, kam der junge Schauspieler Kaj Winther, den sie am vergangenen Tage gesehen hatten, zu ihnen herüber. «Was treibt ihr eigentlich hier?» erkundigte er sich. «Wir dürfen in einem Film als Statisten mitwirken», erklärte Jan, und sie stellten sich beide vor. Winther setzte sich zu ihnen. Er hatte ein freundliches Lächeln, und Jan fasste sogleich eine Zuneigung zu ihm. 59
«Statiert ihr in dem Segelsportfilm?» fragte Winther. «Ja. Wir treiben nämlich beide Segelsport, und deshalb forderte uns Herr Bergvall auf, bei dem Film mitzumachen. Wir haben schon eine Szene am HellerupHafen gedreht.» «Ich spiele vielleicht auch in dem Film mit», sagte Winther. «Jedenfalls hoffe ich es. Ich würde gern für Jens Martin einspringen, wenn es sich machen lässt.» «Es muss herrlich sein, in einem Film die Hauptrolle zu spielen», bemerkte Erling. «Ja, das denke ich auch», nickte Winther. «Bis jetzt habe ich noch nie gefilmt; aber nun hätte ich eine Gelegenheit, wenn man nicht schon so viele Meter mit Jens Martin gedreht hat, dass man nichts anderes tun kann als warten, bis er wieder gesund ist, weil Neuaufnahmen zuviel Kosten machen.» «Wenn es nur auf Martin ankäme, würde man sicher warten», sagte Jan. «Aber die Aufnahmen, die man schon gemacht hat, sind gestohlen worden.» Winther sah ihn erstaunt an. «Gestohlen? Die Aufnahmen vom ‚Lied der Wellen’? Ich dachte, es wären einige Filmrollen der ‚Katastrophe’ entwendet worden.» «Das stimmt; aber es ist schon vorher eingebrochen worden, und da hat der Dieb die drei Filmrollen mitgehen lassen, die man vom ‚Lied der Wellen’ aufgenommen hat.» «Das ist ja schrecklich! Davon habe ich gar nichts gehört.» «Es sollte auch geheim bleiben; aber inzwischen hat die Direktion beschlossen, es doch bekannt zu geben. 60
Daher weiss ich es», sagte Jan und machte ein ganz unschuldiges Gesicht. «Zum Glück hat man eine Kopie der gestohlenen Rollen, so dass der Verlust nicht so wichtig ist.» «Eine Kopie von den Aufnahmen zum ‚Lied der Wellen’?» «Ja», nickte Jan. «Aber man muss doch den Originalfilm haben, um noch mehr Kopien herstellen zu können», wandte Winther ein. «Dann sind wohl die Kopien gestohlen worden», erwiderte Jan. «Ich verstand auf jeden Fall, dass das Ganze nicht so ernst ist, wie man zuerst geglaubt hat. Wenn die Direktion also doch bestimmt, dass man warten soll, bis Martin wieder gesund ist, so lässt sich das technisch gut machen. Der Diebstahl hat gar keinen Einfluss darauf. Ich habe jedoch gehört, dass man Martins Hauptszenen seiner Erkrankung wegen noch gar nicht gedreht hat. Also kann es gut sein, dass man die Rolle neu besetzt, um rascher vorwärts zu kommen und bald fertig zu werden.» «Das wäre natürlich fein, denn ich hoffe, dass ich dann die Rolle bekommen werde», sagte Winther mit einem Lächeln. «Ich bin nur hier, weil ich auf Bescheid warte, ob ich einspringen soll.» Er stand auf, nickte den Knaben freundlich zu und ging hinaus. Jan wollte ebenfalls gehen; aber Erling hatte sich inzwischen mit einem zweiten Käsebrot versorgt, so dass er allen Grund hatte, noch in der Kantine zu bleiben. * 61
Die Abendzeitungen berichteten von den beiden Einbrüchen, betonten jedoch, dass die Rex-Filmgesellschaft keinerlei Verlust erlitten hätte, der die Fertigstellung des Segelsportfilms «Lied der Wellen» bedrohen könnte. Über die Diebstähle stand nicht viel da; aber es wurde angedeutet, dass demnächst eine ausführlichere Darstellung folgen würde.
NEUNTES KAPITEL
«Die künstlerische Arbeit des heutigen Tages war anstrengend», sagte Erling und rekelte sich in einem tiefen Lehnstuhl. Die Knaben sassen nach dem Nachtessen in Jans Elternhaus. Soeben hatten sie dem Kommissar ihre Erlebnisse geschildert. «Du musst nicht glauben, dass du dich nun ausruhen kannst», entgegnete Jan. «Wir haben noch Abendarbeit vor uns. Ja, vielleicht geht es bis in die Nacht hinein.» «Was habt ihr denn vor?» fragte Lis. Das war mit der Zeit eine feststehende Frage geworden; denn Jan hatte immer so viele neue Pläne im Kopf, dass man nie wusste, woran man bei ihm war. «Wir müssen noch einmal zur Rex-Film», antwortete Jan. «Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, die wir haben, um die Sache mit den gestohlenen Filmrollen aufzuklären.» Kommissar Helmer hatte ausnahmsweise einmal Gelegenheit, sich bei einem guten Buch zu entspannen. 62
Er schaute auf und bemerkte: «Ganz recht, mein Junge. Du packst die Sache richtig an.» «Ich verstehe kein Sterbenswörtchen», bekannte Erling. «Das ist auch nicht nötig, wenn du nur mitkommst und im übrigen tust, was ich sage», erwiderte Jan lächelnd und warf seinem Vater einen beredten Blick zu. Kurz darauf brachen die beiden Buben auf. Jan hatte sich mit einer Taschenlampe versehen, die in seiner Hosentasche stak. Es war ein herrlicher Mondscheinabend, fast ebenso hell wie am Tage. Das stellte Jan befriedigt fest, während sie aus der Stadt zur Rex-Filmgesellschaft radelten. Er pfiff vergnügt vor sich hin; denn er war in strahlender Laune, und seine Aufgabe machte ihm solche Freude, dass er von Selbstvertrauen und Tatkraft erfüllt war. Erling kannte den Freund gut genug, um zu wissen, dass es keinen Zweck gehabt hätte, ihm jetzt Fragen zu stellen. Wenn Jan diese Stimmung hegte, war sein Mund mit sieben Siegeln verschlossen, und keine Macht der Welt vermochte ihn dazu zu bringen, seine Pläne zu verraten. Doch in der Regel ergab sich etwas aus seinen Einfällen, und Erling freute sich deshalb auf die spannenden Erlebnisse, die ihrer vermutlich harrten. Er wusste nicht, dass diese Erlebnisse noch viel spannender und aufregender werden sollten, als er es sich mit der wildesten Phantasie hätte vorstellen können. Was die Knaben jedoch am wenigsten ahnten, das war die Tatsache, dass sie verfolgt wurden. Eine schlanke Gestalt radelte in fünfzehn bis zwanzig Meter Abstand 63
hinter ihnen drein und verlor sie keinen Moment aus den Augen. Jan und Erling fuhren nicht geradeswegs zu der Filmgesellschaft, sondern machten einen Umweg zu der Villa in Hellerup, wo Direktor Ivar Bang in vornehmer Zurückgezogenheit wohnte. Jan klingelte an der Haustür, und ein Dienstmädchen öffnete. «Wir hätten gern mit Herrn Direktor Bang gesprochen», sagte Jan, nachdem er seinen und Erlings Namen genannt hatte. «Der Herr Direktor hat Gäste», entgegnete das Mädchen. «Er gibt eine Gesellschaft, und ich bin nicht sicher, ob er euch empfangen kann.» «Es ist sehr wichtig», beharrte Jan. «Sie müssen ihm auf jeden Fall sagen, dass wir hier sind.» Widerstrebend erklärte sich das Mädchen bereit, sie anzumelden. Die Buben wurden in eine grosse Halle eingelassen, wo sie warteten, bis Direktor Bang — im Smoking — mit grimmiger Miene kam. «Was wollt ihr denn?» polterte er ärgerlich. «Kann man eigentlich nie Frieden vor euch haben? Mein Haus ist voller Gäste, und ich habe wirklich keine Zeit, mich mit überflüssigem Geschwätz abzugeben. Was gibt’s?» «Kann ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen?» fragte Jan. Bang blickte ihn erstaunt an; aber irgend etwas an der Haltung des Jungen schien ihm doch Eindruck zu machen; denn er nickte kurz. So musste Erling enttäuscht zusehen, wie Jan mit dem Direktor ins Herrenzimmer ging, wo sie geraume Zeit 64
blieben. Als Jan endlich zurückkehrte, sah er noch zufriedener aus. «Nun ist alles in Ordnung», sagte er geheimnisvoll. «Josef Bergvall war auch dabei. Er und der Direktor sind in meine Pläne eingeweiht, und wenn meine Mutmassungen über die beiden Einbrüche Stich halten, haben wir eine gute Möglichkeit, alle Rätsel bald zu lösen.» «Und ich, dein getreuer Gefolgsmann durch viele Jahre, bekomme nichts zu wissen!» rief Erling erbost. «Doch, du darfst gern alles wissen. Ich wollte dich nur nicht bei der Unterredung mit Direktor Bang dabei haben.» Jan lächelte. «Ich befürchtete nämlich, ihr beide würdet bloss über die Freuden des guten Essens reden!» Während der Weiterfahrt weihte Jan den Freund in seine Pläne ein, die übrigens ganz einfach waren. Erling hörte gespannt zu und stiess einen langen Pfiff aus, der andeutete, dass er alles begriffen hatte. Dann schwiegen beide. Als sie beim Filmgelände angelangt waren, läuteten sie beim Portier, den Direktor Bang von ihrer Ankunft telephonisch verständigt hatte. Sie wurden eingelassen. Jan schaute auf seine Uhr. Es war genau neun. Wenige Minuten später schlich die schlanke Gestalt, die die beiden Freunde verfolgt hatte, an dem Gittertor vorbei und verschwand im tiefen Schatten der Gebäude. Aber davon wussten die Buben nichts. Sie waren ganz damit beschäftigt, den alten Portier, der inzwischen natürlich auch von den Einbrüchen erfahren hatte, in ihren Plan einzuweihen und Vorberei65
tungen für die Durchführung zu treffen. Lange dauerte es nicht, bis sie sich vorsichtig in die technische Abteilung stahlen, wo sie sich im Dunkeln in dem Zimmer niederliessen, das die Schränke mit den Filmrollen enthielt. Ganz still sassen sie hier und warteten auf das Kommende. Es wurde eine lange Wartezeit, und Erling war immer wieder nahe daran, einzuschlummern. Aber Jan sorgte dafür, dass er wach blieb. Es ging nicht an, dass Erling schnarchte, und deshalb versetzte Jan ihm ab und zu einen kleinen Stoss und führte kurze Gespräche mit ihm. Sie mussten sich jedoch damit begnügen, zu flüstern, um ihre Anwesenheit nicht zu verraten, und im übrigen mussten sie sich gedulden und die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Aber aus den Minuten wurden Stunden, und es ereignete sich nichts. Erling ärgerte sich, dass er keine Rahmkaramellen mitgenommen hatte, so dass er wenigstens die langweilige Wartezeit genussreicher hätte gestalten können. «Hier können wir ja noch den ganzen Winter und Frühling warten», sagte er. «Möglich», gab Jan zu; «aber es kann auch bald etwas geschehen. Verhalt dich nur still und hab Geduld.» «Das ist das einzige, was ich habe», seufzte Erling und setzte sich auf seinem unbequemen Stuhl etwas behaglicher zurecht. «Du bist ein ziemlich beschwerlicher Kamerad; doch ich glaube, dass du recht hast, und dass etwas geschehen wird, bevor wir wacklige Greise sind!» So warteten sie weiter, indes jeder sich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigte. Erling ging, um die 66
Zeit auszunutzen, die dänischen Könige durch, und er war gerade beim Tod Christians des Vierten im Jahre 1648 angelangt, als er auf einmal draussen leise Schritte hörte. Sie sassen mäuschenstill und lauschten. Die Schritte hielten genau vor dem Fenster an, und man vernahm ein leichtes Schaben am Fensterbrett. Dann wurde alles wieder still. Kurz darauf entfernten die Schritte sich hastig, und im gleichen Augenblick ertönte in der Nähe Hundegebell und Knurren. Es dauerte nicht lange, bis auch dieses Geräusch verstummte, und es war, als vernähme man ein leises Murmeln, ohne dass sich einzelne Wörter oder Tonfall unterscheiden liessen. Jan gab Erling ein verabredetes Zeichen, worauf Erling, der vorher die nötigen Anweisungen erhalten hatte, vorsichtig die Türe zum nächsten Zimmer öffnete und sich dort hineinstahl. Er stellte sich bei der Türe auf und wartete, während Jan unter einen Tisch kroch, der unweit des Schrankes stand, aus dem die Filme entwendet worden waren. Das Ganze ging schneller vor sich, als es sich schildern lässt. Jan duckte sich unter dem Tisch und wartete mit angehaltenem Atem auf die weitere Entwicklung der Dinge, und er sollte nicht lange warten. Draussen näherten sich die Schritte aufs neue. Sie klangen jetzt rascher und sicherer, hatten aber immer noch etwas Verstohlenes. Ein Knacken und Knirschen verriet, dass der Mann draussen den Laden zu öffnen versuchte. Das gelang ihm leicht, und nun kam das Fenster an die Reihe, das einen neuen Verschluss mit Sicherung erhalten hatte, so dass es nicht nachgab. Schliess67
lich klirrte Glas. Der Mann hatte eine Scheibe eingedrückt. Jan konnte von seinem Platz unter dem Tisch den Eindringling nicht sehen, und er wagte nicht sich vorzubeugen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Er musste sich damit begnügen, stillzusitzen und zu lauschen. Er hörte, wie der Mann auf das Fenstersims kletterte, um durch die entstandene Öffnung zu greifen und das Fenster zu öffnen. Das schien ihm einige Mühe zu machen; doch schliesslich brachte er den Verschluss auf. Das Fenster öffnete sich. Von seinem Versteck aus gewahrte Jan das helle Viereck des Fensters, das der Mondschein auf den Boden zeichnete. Er sah den Schatten des Mannes über dem Fensterbrett zum Vorschein kommen. Mit einem leichten, beinahe lautlosen Sprung landete er im Zimmer. Er ging an dem Tisch vorbei, unter dem Jan hockte, und wenn Jan den Arm ausgestreckt hätte, wäre er mit dem Bein des Einbrechers in Berührung gekommen. Aber er wartete still, um zu sehen, was weiterhin geschehen würde. Der Mann öffnete den Schrank, der schon zweimal aufgebrochen worden war. Jan hörte, wie er darin herumkramte, verschiedene Kassetten hervorholte und anscheinend die Aufschriften untersuchte. Behutsam kroch Jan aus seinem Versteck, denn er hatte die Absicht, sich auf den Mann zu werfen und ihn zu Boden zu reissen. Erling sollte ihm zu Hilfe kommen, und gemeinsam wollten sie den Dieb festhalten, bis der Portier auf ihre Rufe hin herbeieilte und den Einbrecher fesselte. 68
So war es geplant. Aber Jan war gerade erst unter dem Tisch hervorgekrochen und wollte sich aufrichten, um zum Sprung anzusetzen, als plötzlich etwas Unerwartetes geschah, das alle guten Pläne über den Haufen warf. Schritte, die draussen laut wurden, liessen sowohl den Dieb als auch Jan stutzen. Der Dieb wich zur Wand zurück und presste sich dagegen. Jan konnte seine Beine sehen und musste sich leise in sein Versteck zurückgleiten lassen, um nicht entdeckt zu werden. Die Schritte hielten ganz in der Nähe an. Der Ankömmling begann am Fenster des Nebenzimmers zu hantieren. Dann wurde das Fenster eingedrückt, und man hörte einen Menschen in das Zimmer klettern, in dem Erling sich aufhielt. Das machte einen Strich durch alle Berechnungen. Jans Hirn arbeitete unter Hochdruck; aber er fand keine Lösung für dieses neue Problem, ehe er aus dem Nebenzimmer einen fürchterlichen Tumult vernahm. Offenbar lag der neue Eindringling in erbittertem Kampf mit Erling. Ein Stuhl wurde umgestossen, und man hörte einen Körper zu Boden stürzen. Erling schlug sich sicher mit Todesverachtung; aber es war schwer, sich ihn als einen guten Ringkämpfer und Raufbold vorzustellen, so gutmütig und friedlich, dick und ungewandt, wie er war. Jan war in Verwirrung. Was sollte er machen? Der Dieb in seinem eigenen Zimmer hinderte ihn, dem Freund zu Hilfe zu eilen. Er musste bleiben, wo er sich befand, wenn er es nicht darauf ankommen lassen wollte, die Spur zu verlieren, die er endlich gefunden hatte. 69
Es schien jedoch, als wäre auch der Dieb in Verwirrung. Zuerst hatte er sich an die Wand gedrückt, um nicht entdeckt zu werden. Nun trat er einen Schritt vor. Er zögerte kurz, kletterte dann aufs Fensterbrett und war mit einer Geschwindigkeit ins Freie gesprungen, die ihren Eindruck auf Jan nicht verfehlte. Jetzt konnte Jan nicht länger warten. Er kroch aus seinem Versteck und setzte dem Dieb nach; doch kaum war er zum Fenster hinausgeklettert, da hörte er ein wütendes Bellen, sah auf der einen Seite den Dieb in schnellem Lauf um die Ecke verschwinden und auf der anderen den Schäferhund King, der in grossen Sprüngen auf ihn zukam. Der Hund setzte nicht dem Dieb nach! Das erfasste Jan im Nu. Er selbst musste sich vor dem Tier retten, und so schnell er konnte, kletterte er in das Zimmer. Hierauf eilte er in den Raum, aus dem die Kampfgeräusche gekommen waren, und er kam gerade noch zu rechter Zeit, um einen Mann zum Fenster hinaus verschwinden zu sehen. Vergeblich versuchte er den Mann zu erreichen, bevor der Eindringling absprang. Eine Sekunde zu spät! Doch draussen stand ein anderer bereit, den Einbrecher entgegenzunehmen: Der wütende King. Umsonst bemühte sich der Mann, den Hund zu besänftigen; King liess nicht mit sich reden. Jedweder Versuch des Mannes, sich zu bewegen und sich davonzumachen, wurde mit einem wilden Knurren beantwortet. Der Mann sass in der Klemme; vorerst brauchte Jan sich nicht mehr um ihn zu kümmern. Er blickte sich in dem Zimmer um, das deutliche Kampfesspuren aufwies. Erling lag auf dem Boden, die 70
Arme mit einem Leibriemen zusammengeschnürt und ein Taschentuch fest um den Mund gewickelt. Jan beeilte sich, seine Fesseln zu lösen. Erling erhob sich schwankend und fasste sich an den runden Kopf. «Das war das Schlimmste, was ich jemals mitgemacht habe», sagte er. «Knockout in der vierzehnten Runde!» «Fehlt dir etwas?» erkundigte sich Jan besorgt. «Bist du verletzt?» «Nicht die Spur. Ich fühle mich nur wie gerädert.» «Gut. Warte hier.» Jan sauste zur Türe hinaus. Auf dem Gang traf er den alten Portier, der von dem Gebell Kings herbeigerufen worden war, rief ihm nur ein kurzes «Kümmern Sie sich um den Mann draussen!» zu und rannte weiter, hinaus aufs Gelände und zu dem grossen Gittertor, das — wie er wusste — nur von innen geöffnet werden konnte. Es bestand immerhin eine Möglichkeit, dem Dieb zuvorzukommen. Gross war sie nicht; aber man durfte nichts unversucht lassen.
ZEHNTES KAPITEL
Der Schäferhund stand immer noch wild knurrend vor dem Mann, der nach dem Kampf mit Erling zum Fenster hinausgesprungen war. Der alte Portier sagte zu Erling: «Ich weiss nicht, ob wir nicht die Polizei benachrichtigen sollten…» «Nein, lieber nicht, wir werden schon allein mit ihm 71
fertig werden», erwiderte Erling, den die erhaltenen unsanften Püffe höchst unliebsam schmerzten. «Wir haben ja King als Hilfe.» Zusammen begaben sie sich hinaus. Der Mann stand an die Mauer gepresst. Er wagte weder Hand noch Fuss zu rühren, aus Angst vor dem wütenden Hund, der ihn die ganze Zeit in Schach hielt. Der Portier knipste seine Taschenlampe an und leuchtete dem Mann ins Gesicht. Er stiess einen Ruf der Überraschung aus: «Sind Sie’s, Herr Wulf?» Fritz Wulf liess kein Auge von King. In zornigem Tone herrschte er den Portier an: «Entfernen Sie den Hund! Beeilen Sie sich doch, Mensch! Der Dieb liegt drinnen gefesselt…» «Der Dieb?» Bedachtsam und ruhig nahm der Portier King an die Leine und hielt ihn dicht neben sich. Wulf konnte sich nun bewegen, hielt sich aber in gutem Abstand von seinem vierbeinigen Widersacher, der an seiner Leine zerrte und immer noch knurrte. «Der Dieb, den Sie meinen, bin ich, Herr Wulf», sagte Erling. «Sie haben mir einige tüchtige Hiebe versetzt, bevor ich wie ein Schlachtschiff unterging!» «Du? Woher kenne ich dich eigentlich?» «Ich bin einer der Segelsportsterne aus dem ‚Lied der Wellen’», erklärte Erling würdevoll. «Wir lernten uns heute nachmittag durch Herrn Bergvall kennen.» «Richtig, ja. Was treibst du hier?» Erling wusste nicht, was er antworten sollte. Wulf wiederholte seine Frage; aber der Portier fiel 72
ein: «Dass der Junge hier ist, ist in Ordnung. Aber was treiben Sie denn hier?» Wulf zog sein Zigarettenetui hervor und zündete sich eine Zigarette an. Seine Hände zitterten ein wenig, und das entging Erling nicht. «Ich?» gab Wulf zurück. «Ich wollte den Dieb fangen. Ich hatte so eine Ahnung, dass er heute nacht nochmals kommen würde. Deshalb habe ich drüben in einer Garderobe gewartet, seit wir heute nachmittag mit der Arbeit Schluss machten. Und ich hatte ja auch recht.» «In einem Punkt irrten Sie sich immerhin», unterbrach ihn Erling. «Ich bin nämlich nicht der Dieb. Ich war hier aus dem gleichen Grunde wie Sie: Um den Dieb zu fangen!» Wulf schlug ein kurzes Lachen an. «Das ist allerhand! Du wärst gerade der Richtige, Diebe zu fangen. Nein, damit musst du mir nicht kommen. Erkläre lieber, was du hier spät am Abend zu suchen hast.» «Was der Junge sagt, stimmt», mischte sich der Portier ein, der immer noch damit zu schaffen hatte, King ruhig zu halten. «Er und sein Freund sollten dem Dieb auflauern. Der Direktor hat mir den Auftrag gegeben, beide einzulassen. Ich werde wohl das Ganze dem Direktor melden müssen. Ich selbst begreife nicht, was hier alles vor sich geht. Wo ist denn eigentlich dein Freund hin? Warum lief er fort? Wo ist er geblieben?» «Ein anderer Mann brach in das Zimmer ein, wo die Filme liegen», erklärte Erling. «Jan setzte ihm nach; aber ob er ihn erwischt hat, weiss ich nicht. Er befreite mich nämlich erst von den Fesseln, die Herr Wulf mir vorsichtshalber angelegt hatte. Dadurch wurde Jan auf73
gehalten. Warum flüchteten Sie übrigens, als mein Freund kam, Herr Wulf?» Mit einem kurzen Lachen antwortete der Regie-Assistent: «Ich muss zugeben, dass ich kein Glück habe. Ich dachte, der Dieb hätte Helfershelfer, und ich befürchtete, dass ich mit mehr als einem nicht fertig werden könnte. Die Nerven gingen mir durch. Und so sprang ich durch das Fenster hinaus — gerade in den Rachen dieses Raubtiers da!» «Aber wo ist Jan?» fragte der Portier. Niemand vermochte es zu sagen. Sie überquerten den Hofplatz und gingen zu den Ateliers, riefen immerzu Jans Namen, ohne eine Antwort zu erhalten. «Ich glaube, ich gehe nach Hause», sagte Wulf. «Dagegen hast du hoffentlich nichts», fügte er mit leichter Verachtung zu Erling gewandt hinzu. «Nicht das geringste. Sie haben ja mich aufgehalten, nicht ich Sie», lächelte Erling. «Ich werde die Sache morgen dem Direktor selbst erklären», warf Wulf hin, indem er seine Zigarette mit dem Fuss austrat. «Gute Nacht!» Kurz darauf war er verschwunden. Erling und der Portier blieben allein zurück. «Ein Wachthund kann also auch Unheil anrichten», bemerkte der Alte, während sie zur Portiersloge gingen. «Es war aber auch ein blödsinniger Einfall von Wulf, sich als Detektiv zu versuchen, ohne jemand Bescheid zu sagen. Herr Direktor Bang wird wütend sein. Wo mag nur dein Freund stecken? Wenn ich bloss wüsste, ob wir ihn suchen sollen, oder ob es das beste wäre, wenn wir drinnen bei mir auf ihn warten?» 74
«Gehen Sie nur hinein», schlug Erling vor. «Ich sehe mich inzwischen ein wenig um und schaue, ob Jan irgendwo auftaucht. Am vernünftigsten wäre es wohl, wenn Sie King mitnähmen, damit er nicht noch einmal einen Unschuldigen stellt und den Dieb laufen lässt. Mir scheint, der Dieb und King sind so gute Freunde, dass der Hund uns nicht viel nützen wird.» Er nickte dem Portier zu, der mit seinem Wächter abzog, und begann auf dem Filmgelände umherzuwandern, um seinen verschwundenen Freund wiederzufinden. Die Erlebnisse dieses Abends waren so vielfältig und auch so schmerzhaft gewesen, dass er überhaupt nicht mehr aus noch ein wusste und keinen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Er ging einmal um das grosse Atelier herum. Plötzlich blieb er mit angehaltenem Atem stehen. Lief da nicht jemand über das flache Dach des einen kleineren Ateliers? Er lauschte, und da vernahm er aufs neue Schritte. Über ihm schlug eine Tür zu. Erling lief auf den Platz hinaus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Als er sich über die Lage klar war, rannte er zum Eingang des grossen Ateliers. Er öffnete vorsichtig die Türe, die nicht versperrt war, und schlich hinein. Der grosse Raum lag fast im Dunkeln. Ein Tonfilmatelier hat nicht viele Fenster, und nur ein paar Scheiben ganz oben unter der Decke liessen das Mondlicht hereindringen. Erling blieb eine Weile an der Türe stehen, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Er hatte die Türe leise hinter sich ins Schloss gedrückt. Während er dort stand, dünkte es ihn, als hörte er 75
über seinem Kopf sich etwas bewegen. Regungslos lauschte er; aber nun drang kein Laut mehr an sein Ohr. Behutsam tastete er sich zwischen Kulissen, Kisten, Kabeln, Leitern und Scheinwerfern vorwärts. Einen Plan hatte er nicht; aber er hegte das ganz bestimmte Gefühl, dass die nächsten Minuten aufregend werden würden…
ELFTES KAPITEL
In den zwei Tagen, wo sich Jan Gelegenheit geboten hatte, den Betrieb der Rex-Filmgesellschaft kennenzulernen, hatte er nicht viele Spuren gefunden. Immerhin hatte er die Zeit nicht versäumt. Ein guter General kennt das Gelände, auf dem er kämpfen soll. Jan hatte seinen Aufenthalt bei der RexFilm vor allem dazu benützt, sich damit vertraut zu machen, wie die verschiedenen Gebäude zueinander lagen, und wo sich die Eingänge befanden. Er war sicher, dass er sich sogar im Stockdunkeln auf dem Gelände der Filmgesellschaft zurechtfinden könnte, und das kam ihm jetzt zugute. So wusste er, dass auf dem eingezäunten Grundstück hinter dem der Strasse zugekehrten Verwaltungsgebäude die drei Ateliers standen, in der Mitte das grosse, das von den andern nur durch einen schmalen Durchgang getrennt war. Das grosse Atelier hiess «erstes Studio». Links davon — den Büros und der technischen Abteilung am nächsten — lag das «zweite Studio», 76
rechts das «dritte Studio». Die eine Mauer des dritten Studios stiess an eine kleine Villenstrasse. Jan hatte auch festgestellt, dass innen an dem Eisengitter, welches das ganze Gebiet einschloss, eine Feuerleiter hing, und es war ihm nicht entgangen, dass diese Leiter am Nachmittag nicht an ihrem Platz gewesen war. Er vermutete nun, dass es dem Dieb gelungen war, die Leiter so aufzustellen, dass er sie von der Villenstrasse aus benutzen konnte. Dann musste es die leichteste Sache von der Welt sein, von der Leiter auf das flache Dach des dritten Studios zu klettern. Von hier führte eine kleine Brücke über den Durchgang zwischen den kleinen Ateliers und dem grossen, und die Brücke endete in einer Türe, die in die Mauer des grossen Ateliers eingelassen war. Durch diese Türe gelangte man zu einer Galerie, genauer gesagt, zu einer schmalen Eisenbrücke, die sich in grosser Höhe an der Wand des Ateliers entlangzog. Eine Eisenleiter verband sie mit dem Boden, und dort droben waren die Scheinwerfer aufgestellt, die bei den Aufnahmen von oben Licht gaben. Aus praktischen Gründen hatte man die kleine Türe angebracht, die ins Freie führte. Folglich konnte der Dieb auf diese Weise eingedrungen sein: Vom Dach des dritten Studios war er durch die Türe ins erste Studio gekommen und über die Eisenleiter hinuntergeklettert, worauf er sich in aller Gemütsruhe durch das grosse Atelier auf den Platz hinausbegeben hatte. Wenn er nun flüchtete, war anzunehmen, dass er den umgekehrten Weg für den Rückzug wählen würde. Jans Möglichkeit bestand darin, durch das Eisentor 77
(das der Dieb wohl kaum benutzen würde, aus Furcht, dann vom Portier gesehen zu werden, und das ausserdem abgeschlossen war) hinauszugelangen und die Leiter von der Villenstrasse zu entfernen, ehe der Dieb das Dach des dritten Studios erreicht hatte. Mit dem alten Portier war die Vereinbarung getroffen worden, eine kleine Pforte in dem Eisentor, die sich nur von innen öffnen liess, nicht abzusperren. Jan lief, als gälte es sein Leben, schlüpfte durch die kleine Pforte und rannte dann an dem Gitter entlang zu der stillen, verlassenen Villenstrasse. Gerade als er um die Ecke bog und die weisse Mauer des dritten Studios aus den Zweigen der Bäume hervorschimmern sah, vernahm er, wie etwas mit einem Krachen zu Boden fiel. Er liess alle Vorsicht ausser acht und stürmte vorwärts. Dort vor ihm lag die Feuerleiter auf dem Gehsteig. Gleichzeitig gewahrte er eine schlanke Gestalt, die in voller Geschwindigkeit die Strasse entlang lief. Er bedachte sich keine Sekunde, sondern setzte hinterdrein, und so kam es zu einem erbitterten Wettlauf in der monderhellten Nacht. Jan konnte die ganze Zeit den Flüchtling vor sich sehen, und das half ihm. Zudem war er ein guter Läufer. Die einzige Gefahr bestand darin, dass der Verfolgte vielleicht mehr Kräfte hatte, so dass er sich loszureissen vermochte, wenn Jan ihn einholte. Dass er ihn einholen würde, daran zweifelte Jan nicht, und im übrigen machte er sich keine Gedanken darüber, was dann geschehen würde. Er hatte eine Möglichkeit, und er wollte sie nicht ungenützt lassen. 78
Auf einmal sah er die Gestalt durch ein Gartentor verschwinden. Sowie er dort angelangt war, bog er ebenfalls ab. Der Garten war dunkel; hohe alte Bäume wehrten den Mondschein ab. Doch da tauchte der Flüchtling auf: Er rannte über einen Rasenplatz. Jan spannte alle seine Kräfte an und setzte zu einem verbissenen Endspurt an. Schliesslich hatte er den Verfolgten in einen Winkel gedrängt, aus dem sich ihm kein Ausweg bot. Sie standen einander in knapp zehn Meter Abstand gegenüber; aber eine Wolke war vor den Mond gezogen, und es liessen sich keine Einzelheiten erkennen, so dass Jan vom Aussehen des andern nichts ahnte. Eine Weile rührten sich beide nicht. Keiner von beiden wusste, was er tun sollte. Dann ging Jan näher. Im gleichen Augenblick gab die Wolke den Mond frei. Jan war nun selbst mitten im Mondschein, während der andere im Schatten eines Baumes stand. Jan setzte zum letzten Vorwärtssprung an. Er musste in dem bevorstehenden Kampf um jeden Preis siegen, koste es, was es wolle. Ausserdem sah der andere klein und schmächtig aus. Möglich, dass Jan zum vornherein allen Vorteil auf seiner Seite hatte… Doch gerade als der Mondschein ihn traf, hörte er den andern mit einer scharfen Mädchenstimme sagen: «Bist du’s, du Esel?!» «Lis?», stiess Jan hervor. «Was machst du hier?» Die Schwester war der letzte Mensch, den er unter diesen Umständen zu treffen erwartet hätte. Lis kam zu ihm. 79
«Ich habe die Leiter umgeworfen», sagte sie hastig. «Der Dieb kann auf diesem Wege jedenfalls nicht entkommen. Halte dich nicht mit dummen Fragen auf. Lass uns schnell zurücklaufen. Wir haben noch eine Aussicht, ihn zu fangen.» Jan blieb der Mund offen stehen. Er stammelte: «Ich begreife nicht…» «Es gibt vieles, was du nicht begreifst», sagte Lis. «Komm! Rasch!» Und zusammen liefen sie, so geschwind ihre Beine sie tragen konnten, aus dem Garten und zur Rex-Filmgesellschaft zurück.
ZWÖLFTES KAPITEL
,Etwas liegt auf der Hand’, dachte Erling, indem er sich so leise wie möglich durch die Dunkelheit in dem grossen Atelier stahl, ‚ich darf mich nicht weit von der Türe entfernen. Sonst könnte der Dieb auf den Platz hinausschlüpfen.’ Er stand still und spitzte die Ohren. Ein gemütliches Unternehmen war das nicht. Allein in einem dunklen Raum mit einem Manne, der sicher der Verzweiflung nahe war, und der um jeden Preis entschlüpfen wollte… unwillkürlich strich Erling über sein Kinn, das nach der Schlägerei mit Fritz Wulf noch schmerzte. Er hatte für lange Zeiten genug abbekommen! Dennoch war er bereit zu einer kleinen Rauferei mit dem Dieb, wenn er ihn nur am Entkommen verhindern konnte. Wieder hörte er, wie sich am andern Ende des Ate80
liers etwas bewegte; doch obwohl er seine Augen bis aufs äusserste anstrengte, vermochte er nicht einmal einen Schatten zu erspähen. Er stellte sich bei der Türe auf, um hier Wache zu halten und sich, falls der Dieb hinauszuschlüpfen versuchte, auf ihn zu stürzen und ihn festzuhalten. Während er dicht an die Wand gepresst stand, hörte er zaudernde, schleichende Schritte, die sich durch das grosse Atelier vorwärtstasteten. Plötzlich vernahm er ein Krachen und eine Verwünschung. Der Mann musste in der Dunkelheit über irgend etwas gestolpert sein. Erling rührte sich nicht, sondern blieb angespannt lauschend stehen. Der Mann erhob sich, und wieder näherten sich seine Schritte; aber jetzt klang es, als ob er hinkte. Offenbar hatte er sich verletzt. Auf einmal tauchte ein Schatten vor Erling auf. Der Mann war ganz nahe gekommen. Durch ein kleines Dachfenster fiel ein Mondstrahl auf ein Gesicht, das Erling noch nie gesehen hatte. Er nahm einen schwarzen Vollbart wahr, eine Hornbrille und struppiges dunkles Haar. Ungesäumt sprang er auf den Mann zu; aber sein Fuss blieb an einem Kabel hängen, das auf dem Boden lag. Er schlug hin, packte jedoch den Mann am Bein und versuchte sich daran anzuklammern. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte der Dieb den kühnen Angreifer ab, stürzte auf die Türe zu, riss sie auf und flitzte ins Freie. Die Türe fiel hinter ihm ins Schloss. Rasch sprang Erling auf. Er lief zur Türe, öffnete sie und stürmte auf den Platz hinaus. Aber der Fremde war verschwunden. 81
Während Erling sich verdutzt umblickte, hörte er draussen auf der Strasse Laufschritte. Er rannte, was das Zeug hielt, zu dem Eisentor, wo er mit Jan und Lis zusammenstiess. «Er ist mir entwischt», keuchte Erling. «Habt ihr ihn nicht gesehen?» Doch die beiden andern hatten nichts von dem Dieb gesehen. Alle drei begaben sich zu dem Portier, und nachdem er die kleine Pforte in dem Eisentor abgeschlossen hatte, nahmen sie zusammen mit dem Alten und seinem Hund eine gründliche Untersuchung des ganzen Geländes vor. Auch die drei Ateliers wurden sorgsam durchforscht. Der Portier schaltete überall das Licht ein, und sie durchstöberten jeden Winkel, ohne jedoch zu irgendeinem Ergebnis zu gelangen. Der Dieb war und blieb verschwunden. Die einzige Ausbeute ihrer Bemühungen waren zwei Filmrollen, die in dem Aufbewahrungsraum der technischen Abteilung auf dem Boden lagen. Sie schienen jedoch keinen solchen Wert zu haben, dass sie zu einem so gewagten Unternehmen wie einem Einbruch verlocken mochten. Es waren, wie der Portier sagte, Kopien eines alten, längst nicht mehr gespielten Filmes, für den sich niemand mehr interessierte. Müde und entmutigt gingen sie zur Portierswohnung zurück, wo sie sich von dem Alten verabschiedeten. Sie versprachen, am folgenden Tage wiederzukommen, um dem Direktor über die Ereignisse des Abends Bericht zu erstatten. Dann bestiegen sie ihre Räder und begannen langsam nach Hause zu radeln. «Das war der schlimmste Misserfolg, den wir jemals 82
gehabt haben», seufzte Jan. «Der Einbrecher in Reichweite, und da musste er uns entwischen! Und wir wissen nicht einmal, wie er aussieht.» «Doch, das weiss ich», erwiderte Erling und erzählte ausführlich, was er erlebt hatte. «Vollbart… Brille… struppiges Haar», murmelte Jan. «Das kann unmöglich stimmen.» «So sah er aber aus», wandte Erling ein. «Ich erblickte ihn ja mit meinen eigenen Augen… zwar nicht sehr lange, aber sein Gesicht war nicht zu verkennen.» «Wenn du es sagst, muss es ja wahr sein», meinte Jan. Doch gleich darauf fügte er hinzu: «Trotzdem kann ich nicht begreifen, wie das möglich sein soll. Erzähl mir das Ganze noch einmal.» «Du bist heute wirklich schwer von Begriff», lachte Erling. Aber er gab dem Wunsch seines Freundes doch nach und schilderte nochmals genau, was er erlebt, gesehen und gehört hatte. «Und darf ich nun um eine Erklärung für Lis’ plötzliche Anwesenheit bitten?» schloss er. Lis war schweigend neben ihnen gefahren. Nun sagte sie: «Ihr schliesst mich immer von allem aus. Deshalb bekam ich Lust, euch zu folgen und zu schauen, ob ich nicht auf irgendeine Weise dabei sein könnte. Ihr habt zum Glück nichts gemerkt. Als ihr zu dem Portier hineingingt, stellte ich mein Rad ab und wartete draussen. Ich versteckte mich hinter einem Strauch, und ich hatte noch nicht sehr lange gewartet, als ich einen Mann auf eine Art und Weise herbeischleichen sah, die deutlich verriet, dass er etwas im Schilde führte. Ich schlich ihm nach. Er löste ein Stück von dem Drahtnetz am Gitter 83
neben dem dritten Studio und zog so die Leiter heraus. Dann stellte er sie aussen auf und kletterte auf das Dach des Ateliers. Ich wartete, bis ich ihn zurückkommen hörte. Als ich seine Schritte oben vernahm, warf ich die Leiter um; aber im gleichen Augenblick kam Jan angelaufen, und da ich ihn für einen Helfershelfer des Einbrechers hielt, packte mich die Angst, und darum rannte ich weg und wurde dann von meinem eigenen Bruder gefangen. Es tut mir arg leid, dass du dadurch Zeit verloren hast, Jan; aber ich hatte nur gute Absichten.» «Ich finde, dass du ein grossartiger Kerl bist», sagte Jan, «und ich bin sehr stolz auf deine Tat. Wäre nicht der kleine Irrtum geschehen, dass ich dich für den flüchtenden Dieb hielt, während du mich für den Helfershelfer des Diebes hieltest, so hätten wir den Gauner vielleicht gefangen. So aber haben wir leider so viel Pech gehabt, wie man nur haben kann, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu Bett zu gehen und morgen früh alles Herrn Direktor Bang zu erklären.» «Darauf freue ich mich ganz und gar nicht», brummte Erling. «Es wird keine fröhliche Unterhaltung werden. Schon gar nicht, wenn er hört, dass Wulf ebenfalls Detektiv spielte und statt über den Dieb über mich herfiel. Was sagtest du, Jan?» «Ich sagte nichts. Ich versuche nachzudenken.» «So? Ich dachte, dein vorderes Schutzblech hätte so gerasselt! Hier biege ich ab. Auf Wiedersehen!» Erling kurvte in eine Seitenstrasse; aber Jan rief ihm nach: «Morgen um zehn Uhr bei der Rex. Das ist fest abgemacht. Gute Nacht, Dicker!» 84
Lis und Jan setzten ihren Heimweg fort. Lis wollte ein Gespräch in Gang bringen; doch Jan gab nur einsilbige Antworten, und Lis merkte, dass seine Gedanken in weiter Ferne weilten, und dass es am besten war, ihn nicht zu stören.
DREIZEHNTES KAPITEL
«Nur Mut, die Sache wird schon schiefgehen!» «Gleichfalls!» «Danke.» «Also los.» Und Jan und Erling klopften an die Bürotür des Direktors der Rex-Filmgesellschaft. Der grosse Mann sass hinter seinem grossen Schreibtisch. Hatte er früher einem Berg geglichen, so glich er jetzt einem Berg bei Gewitter. Kaum waren die Knaben eingetreten, da öffneten sich auch schon die Schleusen seines Redestromes, und der Sturm brach los. «So, seid ihr’s? Es wird aber auch Zeit! Bekomme ich nun endlich eine Erklärung für all den Wirrwarr? Ihr seid mir die Richtigen für eine so wichtige Aufgabe! Ich hatte also recht. Wie gewöhnlich hatte ich recht, als ich dagegen war, die Aufklärung eines so schurkischen Diebstahls zwei Schulbuben zu überlassen, die kaum lesen gelernt haben! Aber ihr wart ja so selbstsicher und von eurem Können ganz und gar überzeugt. Ja, das wart ihr! Streitet es nicht ab. Ihr glaubtet, ihr könntet Polizei spielen, so dass die Verbrecher im Netz zappeln würden. Aber was ist nun das Ergebnis? 85
Der Dieb ist auf und davon, und ihr habt ausserdem noch vereitelt, dass er von einem meiner tüchtigen Leute erwischt wurde. Wartet einen Augenblick!» Direktor Bang drückte auf einen Knopf, und als die Sekretärin sich in der Türe zeigte, bat er sie, den RegieAssistenten herzuschicken. Hierauf versank er in brütendes Schweigen, das keiner der Knaben zu brechen wagte. Das Gewitter war über ihnen. Sie mussten sich davor ducken und konnten nur hoffen, später eine Möglichkeit zur Rechtfertigung zu haben. Fritz Wulf kam herein. Er sah frisch und tatkräftig aus. Er verbeugte sich liebenswürdig vor dem Direktor und begrüsste die Buben mit einem kurzen Nicken. Ivar Bang sagte: «Setzen Sie sich, Wulf. Erklären Sie mir das Ganze noch einmal. Ich muss es von vorne und mit allen Einzelheiten hören, und dann müssen wir… Also, fangen Sie an!» Wulf knipste ein Stäubchen von seinem Rockaufschlag, lehnte sich in seinen Sessel zurück und hob an: «Als es uns aufging, dass hier Diebstähle stattgefunden hatten, beschloss ich, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, um dieses Geheimnis zu klären. Ich will nicht behaupten, dass ich grosses Zutrauen zu meinen Fähigkeiten als Detektiv hatte; aber ich hoffte doch, dass es mir gelingen würde, zu einem Ergebnis zu gelangen. Als ich in der Abendzeitung las, dass in dem Schrank, den der Dieb aufgebrochen hatte, noch eine Kopie vom ,Lied der Wellen’ lag, schien es mir, dass sich mir dadurch eine Gelegenheit bot, den Dieb zu fassen. Ich dachte mir nämlich, dass er versuchen würde, auch diese Kopie zu erwischen — wenn er wirklich nur 86
hinter den Aufnahmen vom ‚Lied der Wellen’ her war.» «Glänzend», murmelte Bang. «Der richtige Einfall. Ich hätte ihn selbst haben können, so gut ist er. Weiter!» Wulf fuhr fort: «Ich blieb deshalb im Betrieb, nachdem die andern gestern abend gegangen waren, und im geheimen schaffte ich mir Zugang zur technischen Abteilung, um auf das Erscheinen des Diebes zu warten. Als ich aber in das Zimmer neben dem Aufbewahrungsraum kam, stellte ich fest, dass sich schon ein Mensch darin befand. Wir gerieten ins Handgemenge, und es glückte mir, ihn zu fesseln. Unmittelbar darauf hörte ich, wie jemand durch das Fenster des Nebenzimmers sprang. Ich sprang auch hinaus, um die Verfolgung des Einbrechers aufzunehmen, wurde aber von dem Hund des Portiers angefallen und in Schach gehalten, bis Baggesen kam und mich befreite. Da war der Dieb natürlich längst über alle Berge. Wenn ich aber», schloss Wulf mit einem überlegenen Blick auf Jan und Erling, «nicht durch diese lächerliche Keilerei mit dem Jungen da aufgehalten worden wäre, hätte ich selbstverständlich den Dieb auf frischer Tat packen und unschädlich machen können. Dann hätten wir ihn jetzt, und der Fall wäre geklärt. Leider ging es anders, weil die beiden…» Er zuckte die Schultern und sah wieder mit Verachtung auf Jan und Erling, die vor Bangs umfangreichem Schreibtisch standen. «Ja», sagte der Direktor, «da gebe ich Ihnen recht. Sie haben getan, was Sie konnten, Wulf, und es ist nicht Ihre Schuld, dass das Ergebnis so ist, wie es ist. 87
Was habt ihr nun zu eurer Entschuldigung vorzubringen?» Jan hob den Kopf und schaute den Filmgewaltigen mit einem Blick an, der nicht das geringste Schuldbewusstsein ausdrückte. Er hatte ein gutes Gewissen und brauchte deshalb nichts zu fürchten. «Es scheint mir», sagte er fest, «dass Herrn Wulfs Erklärung bei einigen Punkten hinkt.» «Was sagst du da?» fiel der Regie-Assistent wütend ein. «Was?!» rief Bang. «Wulf ist nicht hier, um dir etwas zu erläutern, sondern um zu zeigen, dass ihr ihn gehindert habt, den Dieb zu erwischen.» «Wir waren doch mit Ihrer Zustimmung hier», erwiderte Jan. «Ja, aber zum letztenmal!» donnerte Bang und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. «Ich lasse es nicht zu, dass ihr noch mehr verderbt. Damit ist es vorbei.» «Darf ich bitte bloss…» begann Jan; aber der Direktor schnitt ihm die Rede ab: «Nein! Ich habe genug gehört!» Jan ballte unwillkürlich die Hände. Nun hatte er es mit Ungerechtigkeit zu tun, und das wollte er sich keinesfalls bieten lassen. Er trat einen Schritt vor und sagte: «Es ist ungerecht von Ihnen, mich nicht zu Wort kommen zu lassen, Herr Direktor. Gestern abend fanden Sie meinen Plan ja selbst gut, und es war reines Pech, dass wir den Dieb nicht fingen. Schuld daran trägt Herr Wulf, der plötzlich dazwischen kam, und der uns zum mindesten so stark behindert hat wie wir ihn. Das wissen Sie recht gut, und ich finde, dass ich das Recht 88
habe, die Sache von unserem Standpunkt aus zu erklären. Wir haben getan, was wir konnten.» «Aber das genügte nicht!» fiel Wulf ein. «Vielleicht doch», entgegnete Jan scharf. «Ich verstehe nicht, warum Sie Herrn Direktor Bang nicht in Ihren Plan einweihten, anstatt heimlich herumzuschleichen, als ob Sie selbst der Dieb wären. Dadurch wurde alles verdorben. Im andern Fall hätten wir Bescheid gewusst.» Fritz Wulf fuhr auf: «Wagst du etwa zu behaupten, dass ich…» «Warum brachen Sie das Fenster von aussen auf und kletterten dort hinein, anstatt das Zimmer einfach durch die Türe zu betreten, wie wir es taten, wenn Sie nur kamen, um den Dieb zu entlarven?» fragte Jan. «Das habe ich ja schon erklärt.» «Sie haben gar nichts erklärt. Sie haben nicht einmal davon gesprochen, dass Sie durch das Fenster eingestiegen sind, so dass jeder vernünftige Mensch Sie für einen Verbrecher halten musste. Wer sagt uns, ob Sie nicht auch in der Nacht vorher hier waren? Die Polizei wird sich jedenfalls diese Frage stellen.» «Solche Beleidigungen kann ich mir nicht bieten lassen», schäumte Wulf, «und wenn Sie dem Bengel nicht den Mund verbieten, Herr Direktor, werde ich es tun!» Bang erhob sich in all seiner Macht und Würde. «Herr Wulf hat sein Vorhaben meines Erachtens ausreichend erklärt», sagte er zu Jan. «Ich dulde keine Ungezogenheiten mehr von deiner Seite. Ihr beide könnt gehen, und ihr werdet euch mit den Diebstählen hier nicht mehr befassen. Adieu!» 89
Jan und Erling schauten einander an. Erling wollte etwas sagen; aber Jan warf ihm einen Blick zu, der seine Worte im Keim erstickte. Die Buben gingen zur Türe. Unvermittelt blieb Jan stehen und drehte sich um. «In einem Punkt haben Sie recht», sagte er zu Fritz Wulf. «Natürlich waren Sie in der Nacht vorher nicht hier. King kann Sie ja nicht leiden, denn er wollte Ihnen an die Kehle; aber den Dieb hat er laufen lassen. Also muss er ihn wohl kennen. Ich entschuldige mich dieses Vorwurfs wegen in aller Form.» Er verbeugte sich vor dem verblüfften Direktor und dem noch verblüffteren Regie-Assistenten und ging hinaus. Die Türe schloss sich hinter Jan und Kompanie, die nun fristlos entlassen waren. In dem Büro herrschte eine Weile Schweigen, nachdem die beiden Jungen gegangen waren. Direktor Bang nahm sich eine Zigarre, schnitt umständlich die Spitze ab und zündete die Zigarre an. Gedankenvoll betrachtete er den Tabaksqualm und sah dann den RegieAssistenten an, der vor dem Schreibtisch stehengeblieben war. «Hm», machte der Direktor. «Auf den Kopf gefallen ist der Bub entschieden nicht. Das muss ich einräumen.» Wulf hatte dieser Bemerkung anscheinend nichts hinzuzufügen, denn er schwieg. Bang klingelte wieder nach seiner Sekretärin und trug ihr auf, Josef Bergvall herzubitten. Dann wurden dem Regisseur die Begebenheiten der Nacht und dieses Morgens geschildert. Obwohl Berg90
vall fand, dass Jan und Erling ungerecht behandelt worden waren, sah er ein, dass es zu spät war, irgend etwas zu ändern, da die Entscheidung ja nun gefallen war. Er begnügte sich damit, zu sagen: «Die beiden Jungen müssen auf jeden Fall mitmachen, wenn ich die Segelsportszenen auf dem Sund aufnehme. Das habe ich ihnen versprochen, und mein Wort will ich halten.» «Einverstanden», nickte Bang. «Sollen sie mitmachen. Segeln werden sie wohl können. Wie steht es übrigens? Haben Sie schon mit Winther wegen der Umbesetzung gesprochen?» «Nein, noch nicht. Die Sache ist nämlich die, dass ich heute früh mit Martins Arzt geredet habe. Vielleicht wird Jens Martin doch früher als erwartet wieder arbeitsfähig sein, und nun weiss ich nicht, was wir beschliessen sollen.» «Das kommt ganz darauf an, wann er wieder spielen kann. Lässt sich das nicht mit Bestimmtheit sagen?» «Der Arzt wagte nichts zu versprechen. Aber er meinte, dass es wohl nicht länger als vierzehn Tage dauern würde.» «Dann wäre es vielleicht vernünftig, wenn Martin die Rolle behält. Er wäre wahrscheinlich bereit, sie an Winther abzutreten, aber… Na, wir werden ja sehen. Vorläufig müssen wir so schnell wie möglich die andern Szenen drehen. Es scheint, dass die Dana gemerkt hat, wieviel Zeit wir schon verloren haben, und es würde mich mehr ärgern, als ich ertragen kann, wenn sie uns mit ihrem Segelsportfilm zuvorkäme. Ich begreife nicht, woher die Konkurrenz weiss, was bei uns vorgeht. Können Sie das begreifen?» 91
Bergvall und Wulf schüttelten beide den Kopf. Der Direktor beantwortete seine Frage selbst: «Es muss ein Spion unter uns sein. Wenn ich den Kerl kriege… ich weiss nicht, was ich mit ihm tun würde! An die Arbeit, meine Herren! Auf Wiedersehen.» Hierauf versenkte sich der Direktor in seine Papiere und paffte seine Zigarre, dass es nur so qualmte.
VIERZEHNTES KAPITEL
Die beiden Jungen sassen in sehr niedergedrückter Stimmung auf einer Bank vor dem zweiten Studio, als Josef Bergvall nach seiner Unterredung mit Direktor Bang vorbeikam. «Hallo, ihr zwei. Wie schaut ihr denn aus?» Er blieb stehen und betrachtete sie lächelnd. «Wir sind abgesetzt», sagte Erling. «Jan und Kompanie gehen in die Brüche!» «Dummes Zeug! Kopf hoch!» «Aber womit sollen wir ihn denn heben? Wir hatten gestern abend Pech…» «Ja, das hörte ich schon.» «Und nun ist Herr Direktor Bang wütend auf uns und hat uns verboten, hierher zu kommen.» «Kaffee und Kuchen wären vielleicht ein guter Anfang für eine Seelenstärkung», lächelte Bergvall. «Kommt mit mir in die Kantine.» Als sie in der Kantine vor den dampfenden Tassen sassen, sagte er tröstend: «Übrigens sollt ihr bei den Aufnahmen auf dem Sund, für die ihr engagiert wart, 92
doch mitmachen. Das habe ich schon mit Herrn Direktor Bang besprochen; so ganz in Ungnade seid ihr also nicht gefallen. Ihr müsst wieder guten Mutes werden. Vielleicht klärt ihr den Diebstahl doch noch auf, und dann wird euer Triumph um so grosser sein.» «Wir haben ja gar keine Möglichkeit mehr, uns mit der Sache zu beschäftigen», entgegnete Jan. «Ich weiss allerlei, aber ich kann die einzelnen Teile nicht zusammenfügen.» «Wenn die Not am grössten, ist die Hilfe am nächsten!» «Dann muss die Hilfe sehr nahe sein», murmelte Erling. «Das ist sie vielleicht auch», tröstete Bergvall. «Können Sie mir sagen», fragte Jan, «ob es hier beim Personal der Rex einen Mann mit schwarzem Vollbart, Brille und struppigem dunklem Haar gibt?» Bergvall sah ihn verwundert an. «Nein, meines Wissens nicht. Das ist eine sonderbare Frage. Wie kommst du bloss darauf?» «So sah der Dieb gestern abend aus.» «Aber deshalb braucht er doch nicht zum Personal zu gehören?» «Darüber bin ich mir noch nicht recht klar; aber…» Jan beendete den Satz nicht; denn in diesem Augenblick traten Kaj Winther und der Photograph Carl Jensen zu ihnen und liessen sich an ihrem Tisch nieder. Sie lächelten die Buben freundlich an, und Winther sagte: «Ich hörte, dass sich hier vorige Nacht allerlei ereignet hat. Stimmt es wirklich, dass ihr dabei wart?» «Ja, wir waren mitten drin; ich spüre es immer noch», antwortete Erling mit einem Lächeln. 93
«So?» sagte Jan. «Zu allem ist die Geschichte also bekannt geworden! Wir werden es schwer haben. Alle werden uns auslachen.» «Ich glaube nicht, dass dazu ein Grund vorliegt», bemerkte der Photograph Jensen. «Pech kann jeder einmal haben, und ich sehe nicht ein, wieso Wulf ein grösserer Held war; denn in Wirklichkeit hat er ja gar nichts ausgerichtet. Ich finde, er hat sich ziemlich dumm benommen.» Winther wandte sich an Bergvall und fragte: «Glauben Sie, dass ich die Rolle bekomme?» Bergvall schüttelte den Kopf. Er antwortete nicht sofort. Winther ereiferte sich und legte ihm die Hand auf den Arm: «Ich muss aber die Rolle bekommen! Das bedeutet für mich alles. Und da Martin krank ist und der Film doch weg ist… ich dachte, es bestünde gar kein Zweifel, dass ich die Rolle bekommen würde.» «Der Direktor hat noch keine Entscheidung getroffen, und vielleicht kann Martin früher als erwartet wieder spielen», erwiderte Bergvall, dem es offensichtlich schwerfiel, den jungen Schauspieler zu enttäuschen. Winther war ganz blass geworden. Seine Hände zitterten. Augenscheinlich war er ausser sich. «Bang muss mir die Rolle geben!» schrie er beinahe. «Ich gehe gleich zu ihm. Er kann mich nicht so zum Narren halten! Ich will mit ihm reden.» «Warten Sie lieber», riet Bergvall. «Er ist heute nicht in Verhandlungsstimmung.» Winther liess sich jedoch nicht zurückhalten. Er stand auf. Das Haar fiel ihm in die Stirne; aber er beachtete 94
das nicht. Die beiden Knaben sahen mit Verwunderung, wie unglücklich er war. «Ich muss diese Chance haben! Helfen Sie mir, Bergvall», flehte er. «Sie wissen ja, dass ich die Rolle spielen kann…» «Ich will alles tun, was in meinen Kräften steht», fiel der Regisseur ein und fügte hinzu: «Unter der Bedingung, dass Sie nicht zum Direktor gehen und alles verderben.» Winther nickte stumm und entfernte sich. Er bewegte sich wie ein Schlafwandler. Die Enttäuschung hatte ihn völlig niedergeschlagen. «Schauspieler sind und bleiben merkwürdige Menschen», sagte Jensen. «Aber noch nie habe ich einen wegen einer Rolle so aus dem Gleichgewicht geraten sehen.» «Für ihn fällt damit die Welt zusammen», sagte Bergvall entschuldigend. «Ich kann mir gut vorstellen, wie gross die Enttäuschung für ihn ist. Aber was soll ich machen?» «Da kommt Bremming», fiel Jensen unvermittelt ein. «Er sieht sehr aufgeregt aus. Ob schon wieder etwas geschehen ist?» Der Aufnahme-Assistent kam zu ihrem Tisch. Er war ausser Atem vom Laufen und stiess nur mit Mühe hervor: «Der Film… ‚Lied der Wellen’… der Film ist wieder da… Er ist gefunden worden!» «Was sagen Sie?» rief Bergvall und sprang auf. «Wo war er denn?» «Ein Mann hat die Filmrollen… oder vielmehr zwei davon… heute früh vor seinem Gartentor gefunden. 95
Es lag ein Brief dabei, in dem stand, dass sie uns gehörten, und natürlich brachte der Mann die Rollen sogleich her… aber er ahnt nicht, wer sie dorthin gelegt haben mag…» «Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr», sagte Bergvall kopfschüttelnd. «Was meinst du dazu, Jan?» Jan antwortete nachdenklich: «Ich möchte wissen, warum der Dieb nur zwei Filmrollen zurückgegeben hat.» Bremming berichtete weiter: Der Mann, der die beiden Filmrollen gebracht hatte, hiess Iversen und war Kaufmann. Er wohnte in einer Villa unweit der RexAteliers, und die Metallkassetten mit den Filmen hatten dort gelegen, als er am Morgen aus dem Haus gegangen war. Die Kassetten waren in braunes Packpapier gewickelt, und als er sie ausgepackt hatte, war ihm ein Brief in die Hände gefallen. Bremming hatte den Brief mitgebracht. Alle beugten sich eifrig darüber. Da stand in Blockschrift: DIESE FILME SIND FÜR DIE REX-FILMGESELLSCHAFT VON GROSSEM WERT. WOLLEN SIE BITTE DAFÜR SORGEN, DASS SIE ZURÜCKERSTATTET WERDEN? Der Brief trug keine Unterschrift und schien im übrigen keinen Hinweis zu geben. «Da der Diebstahl jetzt bekannt gegeben worden ist, wird sich die Polizei wohl von sich aus der Sache annehmen», sagte Jan, «denn Diebstahl wird von Amts wegen verfolgt. Deshalb muss man den Brief der Polizei 96
übergeben. Es könnten Fingerabdrücke darauf sein. Jedenfalls wäre es möglich, dass er die Polizei auf irgendeine Spur bringt.» Bergvall faltete das Papier vorsichtig zusammen und legte es in seine Brieftasche. «Ich muss Herrn Direktor Bang melden, dass die beiden Filmrollen plötzlich zum Vorschein gekommen sind», sagte er. «Darf ich Sie um einen grossen Gefallen bitten?» fragte Jan den Regisseur. «Gern, wenn es sich machen lässt.» «Ich möchte die Filme sehen.» «Du meinst, auf der Leinwand? Sie sollen ablaufen?» «Ja, das meine ich. Und es wäre mir sehr gedient, wenn mir jemand die verschiedenen Szenen erklären würde.» Bergvall erklärte sich einverstanden und erbot sich, die Aufnahmen selbst zu erklären. Sie begaben sich in einen Vorführungsraum, wo der Regisseur die beiden Filme ablaufen liess. Er erläuterte jede Szene, und Jan machte sich sorgfältig Notizen. Als die beiden Filme abgelaufen waren, fragte Jan: «Was war denn auf der dritten Rolle?» «Eine Reihe Aufnahmen ähnlicher Art», antwortete Bergvall. «Wie soll ich es dir erklären? Am besten leihe ich dir ein Drehbuch.» «Was ist das — ein Drehbuch?» erkundigte sich Erling. «Das ist das Manuskript, nach dem ein Film gedreht wird. Darin ist nicht nur die Handlung beschrieben, sondern der Drehbuchautor gibt auch für jede Szene die Einstellung der Apparate und viele andere techni97
sche Einzelheiten an. Die Angaben sind in Ton und Bild eingeteilt. Du kannst das Drehbuch gern mit heimnehmen, Jan, wenn du meinst, dass du auf diese Weise der Lösung des Rätsels näher kommst. Bring es mir morgen wieder, wenn wir mit den Aufnahmen auf dem Sund anfangen. Passt dir das?» «Grossartig.» Jan strahlte. «Ist dir etwas Besonderes eingefallen?» «Das ist schwer zu sagen. Vielleicht kann ich Ihnen morgen näheren Bescheid geben.» «Das würde mich freuen.» «Mich auch», lachte Jan.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Erling schlug seinem Freunde vor, die ganze Geschichte beiseite zu legen und ins Kino zu gehen; aber Jan lehnte diesen Vorschlag entschieden ab. «Ich will heute abend das Drehbuch lesen», sagte er. «Ich muss mich an diese letzte Möglichkeit klammern, den sonderbaren Fall zu klären.» «Wenn du so klug wärst wie ich, würdest du dir das Ganze aus dem Kopf schlagen», entgegnete Erling. «Direktor Bang hat uns ein für allemal kaltgestellt, so dass es uns gleich sein kann, wie die Sache weitergeht; so wie er eingestellt ist, würde er doch nicht auf uns hören, selbst wenn wir den Dieb an einem Strick herbeischleiften.» «Das ist gar nicht gesagt. Wer weiss, wenn man ihm nun plötzlich die Lösung des Rätsels liefern würde…» 98
«Na, schön, dann gehe ich eben allein ins Kino. Wir sehen uns morgen früh am Hafen.» Gleich nach dem Abendessen verschwand Jan in seinem Zimmer und vertiefte sich in das fesselnde Drehbuch zum «Lied der Wellen». Zunächst verglich er die einschlägigen Stellen mit seinen Notizen, die er sich beim Ablaufen der beiden zurückerstatteten Filmrollen gemacht hatte. Diese Arbeit nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch, und dann las er das Drehbuch bis zum Schluss durch. Als er fertig war und endlich zu Bett ging, lächelte er vergnügt; denn es war ihm froher zumute als seit langer Zeit. Nun hegte er doch die stille Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, den Dieb zu überführen, der bei der Rex-Film so viel Verwirrung gestiftet hatte, ohne dass jemand zu erklären vermochte, was eigentlich dahinter stak. Frühzeitig am folgenden Morgen war Jan auf dem Wege zum Hellerup-Hafen. Die Sonne strahlte, und über den Sund wehte eine frische Brise. Alles deutete darauf hin, dass dieser Tag wie geschaffen war für eine flotte Segelfahrt und für gute Filmaufnahmen. Erling traf kurz nach Jan ein, und ihr Segelkamerad Erik hatte sich schon daran gemacht, das Boot in Ordnung zu bringen, denn die beteiligten Buben waren alle benachrichtigt worden. Auch auf dem andern Juniorenboot war die gesamte Mannschaft versammelt. Alle waren in ihrem besten Segelsportzeug; sie trugen weisse Sweater und flotte Leinenhosen. Die Stimmung war glänzend und die Erwartung gross. «Ihr habt hoffentlich nichts dagegen, wenn ich etwas Proviant mitnehme», sagte Erling und wies ein grosses 99
Lebensmittelpaket und zwei Flaschen Mineralwasser vor. «Meerluft zehrt, und wenn man so gertenschlank ist wie ich, tut Hunger nicht gut.» «Oh, es wäre natürlich eine Katastrophe, wenn du ein paar Gramm abnehmen würdest», lachte Jan. Erling betrachtete Jan eingehend. «Es scheint wahrhaftig, dass du guter Laune bist, lieber Sherlock Holmes», sagte er befriedigt. «Hast du gestern abend etwas erreicht?» «Kann sein», gab Jan ausweichend zurück. «Das klingt vielversprechend. Wollen wir uns nun an die Arbeit machen?» Die Buben waren eifrig bestrebt, ihr Boot so instand zu setzen, dass es sich sehen lassen konnte. Gerade als sie die letzte Hand ans Werk legten, kam ein grosses Motorboot in den Hafen. An Bord waren Josef Bergvall, Fritz Wulf, einige Photographen und mehrere technische Angestellte der Filmgesellschaft. Eine Kamera wurde auf dem Motorboot aufgestellt und alles zur Aufnahme vorbereitet. «Seid ihr bereit?» rief Bergvall. «Zu Befehl, Herr Kapitän!» erklang es von beiden Booten, und gleich darauf glitten die beiden Fahrzeuge aus dem Hafen, während ihnen das Motorboot bedächtig folgte. Dann begann die Wettfahrt. Jan sass in seinem Boot am Steuerruder, indes Erik und Erling die Segel bedienten. Die drei Jungen waren aufeinander eingespielt und arbeiteten gut zusammen. Sie hatten schon so oft gesegelt, dass jeder des andern Einstellung und Gewohnheiten kannte, und wenn sie 100
jetzt gewannen, so war das nicht der erste Sieg, den sie sich auf den blauen Wellen geholt hatten. Das Boot schoss in guter Fahrt dahin. Jan passte auf die vollen Segel auf, und die beiden andern sorgten dafür, dass alle Manöver so vollführt wurden, wie es sein musste. «Wenn wir so weitermachen, wie wir angefangen haben, gewinnen wir in grossem Stil», sagte Erling. «Ich weiss wohl, dass es für die Filmaufnahme gleichgültig ist, wer gewinnt; aber es würde mich doch ärgern, gegen die Küken im andern Boot zu verlieren. Gib ja gut acht, Jan. Das ist die erste und letzte Pflicht beim Steuern. Denk jetzt an nicht anderes als an dein Boot und deine Fahrt.» «Ja, wir machen gute Fahrt», antwortete Jan. «Und vielen Dank für die Belehrung.» Von dem Motorboot hörte man Stimmen. Die Arbeit war in vollem Gange. Die Kamera schnurrte, und Bergvall gab seine Anweisungen. Plötzlich wurde das Motorboot von einem kleineren eingeholt. Erling nahm einen Feldstecher und richtete ihn auf das zuletzt gekommene Boot. «Das sind Birthe Bang und Kaj Winther», berichtete er. «Sie wollen wohl mitfahren, um sich die Sache anzusehen.» Das kleine Motorboot wurde ins Schlepptau genommen, und Birthe und Winther begaben sich an Bord des grossen. Jan schielte hinüber. Winther ging über das Deck des grossen Motorboots und begrüsste Bergvall herzlich. Alle sahen froh und zufrieden aus. Anscheinend — dachte Jan — hatte Kaj Winther nun doch die Rolle bekommen, da er so vergnügt war. 101
Er sah, dass der Photograph die Kamera herumschwenkte. Gleichzeitig kam das Motorboot näher, um einige Bilder aus einem andern Gesichtswinkel aufzunehmen. «Wir liegen fein!» rief Erling. «Schaut euch die andern an!» Jans Boot lag klar an der Spitze, und wenn der Abstand auch nicht sehr gross war, so hatte die Gegenpartei doch ihre Mühe, nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten. Auf einmal aber verlor Jans Boot Fahrt. Ganz offensichtlich war der Steuermann daran schuld. Statt achtzugeben, ob seine Segel voll waren, sass er in Gedanken verloren da, mit dem Ergebnis, dass das Boot gegen den Wind lief. Schon begannen die Segel zu flattern. Jan hörte das Geräusch; er schrak auf und legte das Boot wieder in den Wind; aber sie hatten ihren Vorsprung schon eingebüsst; denn das andere Boot holte rasch auf. «Wo hast du denn deine Gedanken?» schrie Erling. «Entschuldigt bitte! Plötzlich fiel mir etwas ein; aber nun bin ich wieder bei der Sache», antwortete Jan. «Erling, ich glaube, jetzt kenne ich den Dieb.» «Was?!» «Ja. Aber jetzt müssen wir erst das Rennen zu Ende führen. Dann werde ich sprechen.» «Ich bin gespannt.» «Erwarte nicht zuviel. Ich sage nur: Ich glaube, dass ich die Lösung des Rätsels gefunden habe.» Dann sagte Jan nichts mehr, denn seine Aufgabe als Steuermann nahm ihn voll in Anspruch. Das Rennen 102
ging weiter, und schliesslich schlug Jans Boot den Konkurrenten, wie es Erling erwartet hatte. Darauf wendeten die Boote und segelten zum Hafen zurück. Das Motorboot knatterte an ihnen vorbei, und Bergvall rief: «Für heute sind wir fertig! Auf Wiedersehen!» Doch Jan rief zurück: «Ich muss mit Ihnen sprechen, wenn wir an Land sind. Können Sie nicht alle zusammen auf uns warten?» «Nicht gut», antwortete der Regisseur. «Wir müssen ins Atelier, um ein paar Innenaufnahmen zu machen.» «Ach, bitte, es ist wichtig», flehte Jan, und in seinem Ton war etwas, das Bergvall veranlasste, nachzugeben. «Na, schön», rief er, «wir warten.» Als die Juniorenboote am Kai anlegten, lag das Motorboot schon längst an der Anlegestelle. Jan sprang an Land und lief zu Bergvall, der mit den übrigen auf einer Bank sass. «Das war eine ausgezeichnete Fahrt», sagte der Regisseur anerkennend. «Du bist ja ein vortrefflicher Segelsportler, Jan.» «Wenigstens nicht so schlecht wie als Detektiv», bemerkte Wulf. Jan gab ihm keine Antwort, sondern lächelte nur verschmitzt. Er wandte sich an den Regisseur: «In Wirklichkeit hätte ich gern mit Herrn Direktor Bang gesprochen. Ich habe ihm etwas zu sagen, das ihn interessieren wird. Können wir nicht mit Ihnen zum Atelier fahren?» «Doch, das geht. Wir haben Wagen bestellt. Kommt also mit.» Während der Fahrt blieb Jan stumm. In Gedanken 103
versunken blickte er zum Fenster hinaus. Erling sass in einem anderen Auto; denn Erik hatte sich bereit erklärt, die Aufräumungsarbeiten im Boot allein zu erledigen. Die Wagen luden ihre Fracht beim grossen Atelier aus, und Bergvall ging gleich zu Direktor Bang hinüber, kehrte aber sehr bald mit dem Bescheid zurück, der Direktor habe keine Zeit, mit Jan zu sprechen. «Es lässt sich gar nichts machen», setzte Bergvall hinzu. «Ich habe mich sehr bemüht, ihn dazu zu bringen, dich zu empfangen. Aber er will einfach nicht.» «Dann versuche ich’s», rief Birthe Bang unvermittelt. «Ich werde meinen Vater wohl dazu bringen, sein Unrecht wiedergutzumachen.» Und ohne ein weiteres Wort lief sie in das Privatbüro des Filmgewaltigen. Wenige Minuten später kam sie zurück und meldete, sie seien alle zusammen herzlich willkommen. Jan fühlte sich ein wenig beklommen, als er vor dem grossen Mann an dem grossen Schreibtisch stand. Bang sah ihn misstrauisch an und fragte: «Was gibt’s denn? Was hast du mir zu sagen?» «Ich möchte Ihnen sagen, wer der Dieb ist», antwortete Jan. «Ich glaube, ich kann Ihnen auch eine Erklärung für den Diebstahl geben.» Jans freimütige Haltung machte dem Direktor offenbar Eindruck. «Das wäre ja allerhand… Na, dann lass einmal hören, was du herausgefunden hast», befahl er ungeduldig. «Einen Augenblick. Zuerst muss ich darauf aufmerksam machen, dass es sich in Wirklichkeit um zwei Rät104
sel und nicht nur um eins handelt. Es sind nämlich zwei Fälle, die sozusagen verschlungen sind; darum war die Aufklärung nicht ganz einfach. Trotzdem begreife ich nicht, dass wir die Lösung nicht schon längst gefunden haben.» «Das eine Rätsel ist der gestohlene und wieder zurückgegebene Film, das andere die Tatsache, dass die Dana-Film genau wusste, was sich innerhalb der Mauern der Rex abspielte.» «Vielleicht erinnern Sie sich, Herr Direktor, dass ich gestern Herrn Wulf um eine Erklärung ersuchte, warum er sich durchs Fenster in die technische Abteilung eingeschlichen hatte, anstatt wie wir die Türe zu benutzen. Herr Wulf antwortete darauf nicht. Er glaubte wohl, ich wollte beweisen, dass er der Dieb wäre. Das wäre mir aber gar nicht möglich gewesen; denn er hat die verschwundenen Filmrollen nicht entwendet.» «Also doch nicht», warf Fritz Wulf spöttisch ein. «Nein», sagte Jan unangefochten, ganz von dem Gegenstand in Anspruch genommen, mit dem er sich beschäftigte. «Nein, ich habe Sie ja schon darauf aufmerksam gemacht, dass King Sie nicht leiden kann. Der Hund fiel Sie an, als Sie aus dem Fenster sprangen. Hingegen hat er den Dieb immer in Ruhe gelassen. Der Portier erzählte mir, dass King in der Nacht, als der erste Einbruch geschah, zu knurren und zu bellen begann, sich aber gleich wieder beruhigte. Vermutlich erkannte er den Mann, der da einbrach, und schlug deshalb nicht mehr an. Ausserdem fand ich es merkwürdig, dass der Hund auch bei den andern beiden Einbrüchen nicht auf den Mann losging. Man kann daraus wohl mit ziem105
licher Sicherheit schliessen, dass King und der Dieb besonders gute Freunde sind.» «Das war der eine Hinweis auf den Dieb, der sich bot. Ein anderer war sein Aussehen. Mein Freund Erling hatte im ersten Studio einen Blick auf ihn erhascht, und von ihm erfuhr ich, dass er einen schwarzen Vollbart, eine Hornbrille und struppiges dunkles Haar hatte. Wenn man über dieses Signalement etwas nachdenkt, geht einem auf, dass Hornbrille und Vollbart zwar recht bezeichnende Dinge sind, dass sich aber jeder damit maskieren kann. Beides kann falsch sein. Im Grunde sind sie gar kein Hinweis und als Signalement ganz wertlos.» «Was wir nicht wussten, das war der Beweggrund des Diebes, der ihn veranlasst hatte, den Film zu entwenden. Zuerst hätte man meinen können, es handelte sich um einen Racheakt; aber als später noch mehr Filmrollen verschwanden, die keinen grossen Wert hatten, gewann man den Eindruck, dass dem Dieb die Aufnahmen vom ‚Lied der Wellen’ rein zufällig in die Hände geraten wären. Und sicher war es die Absicht des Diebes, dass man zu dieser Auffassung gelangte. Das schien mir der springende Punkt zu sein: Der zweite Diebstahl diente nur zur Verschleierung des ersten. Es kam dem Dieb einzig und allein auf das ‚Lied der Wellen’ an. Aber aus welchem Grunde?» «Er hat ja zwei Rollen zurückgegeben», warf Direktor Bang ein. «Ja, zwei Rollen, aber die dritte, die wichtigste, nicht», betonte Jan. «Was meinst du damit?» 106
«Es war unüberlegt von dem Dieb, die beiden Rollen zurückzugeben. Er hätte lieber alle drei Filmrollen behalten sollen. Zwei gab er zurück, weil sie für ihn keinen Wert hatten. Die dritte enthielt — das fand ich heraus, als ich gestern abend das Drehbuch las — fast durchwegs Szenen, bei denen Jens Martin mitgespielt hatte. Die beiden anderen Rollen hatten mit Jens Martin nichts zu tun.» «Na, und?» fragte Kaj Winther. «Meines Erachtens ergibt sich daraus, dass der Dieb es nur auf die Aufnahmen abgesehen hatte, in denen Jens Martin vorkam.» «Was erklärt denn das?» wunderte sich Bergvall. «Es erklärt, warum der Film gestohlen wurde», antwortete Jan. «Ich verstehe kein Wort», bekannte Direktor Bang. «Ich fange an zu verstehen», sagte Birthe Bang und nickte Jan zu. «Wer hatte ein Interesse daran, die Aufnahmen mit Jens Martin zu beseitigen?» fuhr Jan fort. «Martin wurde krank. Sein Arzt meinte, es würde einige Wochen dauern, bis er wieder spielen könnte. Die Dana-Film wollte auch einen Segelsportfilm herausbringen. Wenn die Rex wochenlang pausieren musste, hätte die Dana wohl vor ihr auf dem Markt sein können. Die Rex musste sich also beeilen. Zuerst war die Rede davon, die männliche Hauptrolle umzubesetzen. Wenn man ohnehin den ganzen Film neu drehen musste, konnte man die Rolle ja ebensogut einem andern Schauspieler geben; aber wenn schon viele Szenen mit Martin in der Hauptrolle vorlagen, war es schliesslich fraglich, ob es sich lohnte, mit einem andern Darsteller von vorn an107
zufangen. Damit haben wir einen Beweggrund zu dem Diebstahl.» «Das ist eine unerhörte Beschuldigung!» rief Kaj Winther zornig. «Höchst interessant», bemerkte Direktor Bang kalt. «Weiter, Jan.» «Ich möchte Sie bitten, den Portier mit King herkommen zu lassen», sagte Jan. Bang wies seine Sekretärin an, den Portier zu benachrichtigen, und Jan fuhr fort: «Der Diebstahl musste ausserdem von einem Menschen begangen worden sein, der oft hierher kam und alle Gebäude in- und auswendig kannte. Denn der Dieb brach ohne weiteres im richtigen Zimmer ein und fand auch gleich den richtigen Schrank. Er bereitete seinen Einbruch gut vor, indem er eine Feuerleiter bereit stellte, die er bei Bedarf durch ein Loch im Drahtgitter beim dritten Studio auf die Strasse zog. So konnte er jederzeit auf das Flachdach des dritten Studios gelangen, um von dort aus den Hofraum zu betreten.» «Meiner Ansicht nach kann niemand anders ein Interesse daran gehabt haben, die Filmrollen zu entwenden, als Herr Winther», schloss Jan. «Auf ihn weist auch das Taschentuch mit dem eingestickten W hin, das sich nach dem ersten Einbruch am Tatort fand.» Kaj Winther war aufgestanden. Nun ging er auf die Türe zu. «Das ist alles lächerlich und unverschämt», sagte er wütend. «Ich lasse mir derartige Beleidigungen von einem Schuljungen nicht gefallen. Adieu!» Aber Jan kam ihm zuvor. Er sprang zur Türe und stellte sich mit dem Rücken dagegen. 108
«Warum hinken Sie eigentlich, Herr Winther?» fragte er. «Erling hörte den Dieb vorgestern abend im ersten Studio über etwas stolpern und hinfallen. Er hörte ihn dann auch hinken, als der Dieb hinauslief. Als Sie heute vormittag an Bord des Motorbootes kamen, beobachtete ich Sie, und da fiel mir plötzlich auf, dass Sie hinkten… Woher kommt das?» Kaj Winther wurde weiss vor Wut. Er holte zu einer gewaltigen Ohrfeige aus; aber Jan duckte sich und ging im nächsten Augenblick auf den jungen Schauspieler los. Winther war vielleicht stärker; doch Jan war geschmeidiger. Gleichwohl lässt sich nicht sagen, wie der Kampf geendet hätte, wenn Bergvall und Wulf sich nicht ins Mittel gelegt hätten. Bergvall riss Winther zurück und drückte ihn in einen Sessel, worauf der junge Schauspieler zusammenbrach und ausserstande war, auch nur zwei vernünftige Worte im Zusammenhang hervorzubringen. «Ich sah ja selbst, wieviel Ihnen daran lag, die Rolle zu bekommen», sagte Jan. «Das gab mir auch zu denken. Sie zeigten deutlich, dass Sie zu einer Verzweiflungstat bereit waren, weil Sie die Rolle als die grosse Möglichkeit Ihrer Laufbahn betrachteten.» Es entstand eine kleine Pause. Jan sah ganz unglücklich aus, als er hinzufügte: «Es tut mir leid, Herr Winther; aber ich habe das alles wirklich nicht gesagt, um Sie anzuprangern oder um Ihnen zu schaden… wenn Sie das nur verstehen wollen…» In diesem Augenblick wurde an die Türe geklopft, und der Portier trat mit King an der Leine ein. 109
«Lassen Sie den Hund los, Baggesen», befahl Direktor Bang, der sehr nachdenklich geworden war. Der Portier löste den Karabinerhaken an Kings Halsband, worauf der Hund, ohne zu zögern, zu Kaj Winther hinüberlief, mit kleinen begeisterten Kläfflauten an ihm in die Höhe sprang und ihm das Gesicht leckte…
SECHZEHNTES KAPITEL
Kurz darauf gab Kaj Winther alles zu. Er war verzweifelt gewesen. Er wollte die Rolle unter allen Umständen haben, um endlich vorwärts zu kommen! Darum hatte er die drei Filmrollen entwendet. Hernach hatte er die andern Aufnahmen weggenommen, um den Zweck des ersten Diebstahls zu verschleiern. Das Ganze war so gewesen, wie Jan es erläutert hatte. Nachdem er seine unzusammenhängend gestammelte Erklärung beendet hatte, erhob er sich. «Was werden Sie nun tun, Herr Direktor?» fragte er kleinlaut. «Mich anzeigen?» Ivar Bang antwortete nicht sofort. Er blickte vor sich auf den Schreibtisch. Da stand Birthe Bang auf und ging zu Winther hinüber. «Wir werden gar nichts tun, nicht wahr, Vater?» sagte sie. «Es wäre weder barmherzig noch gescheit, die Polizei und die Öffentlichkeit in all dem herumwühlen zu lassen.» Der Direktor nickte. 110
Birthe nahm Winthers Arm und ging mit ihm hinaus; die Türe schloss sich hinter den beiden. «Sie können mit dem Hund gehen, Baggesen», sagte Bang zu dem Portier. Nachdem der Portier gegangen war, wandte der Direktor sich an Jan: «Hast du noch mehr zu erzählen? Du sprachst doch noch von einem zweiten Fall, der mit dem Diebstahl verknüpft wäre.» «Ganz richtig», erwiderte Jan. Fritz Wulf stand auf und sagte hastig: «Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich jetzt gehe. Ich habe dringende Arbeit, die auf mich wartet.» Ehe Bang sich dazu äussern konnte, fiel Jan eifrig ein: «Ach, bitte, bleiben Sie doch noch einen Augenblick, Herr Wulf. Gerade Sie muss ich etwas fragen.» «Ich finde, du hast mich schon zur Genüge aufgehalten. Ich habe den Ärger mit dir satt», entgegnete Wulf schroff. Jan sah den Direktor an, der nur ein kurzes «Sie bleiben!» hervordonnerte. Gehorsam setzte sich der Regie-Assistent wieder. Bang nickte dem jungen Detektiv zu: «Frag also, mein Junge.» «Ich wüsste gern, warum Sie Erling ein Taschentuch in den Mund stopften, als Sie ihn vorgestern abend in der technischen Abteilung übermannten», begann Jan. «Es ist doch an sich ganz gleich, ob ein Einbrecher seine Stimme gebraucht oder nicht. Man knebelt einen Menschen, wenn man verhindern will, dass er um Hilfe ruft.» Wulfs Blick wurde flackernd. Stammelnd stiess er 111
hervor: «Ich… ich befürchtete, dass er… dass er einen Helfershelfer hätte…» «Glaubten Sie denn, der Helfershelfer wäre so weit fort, dass er von der Schlägerei nichts hätte hören können?» «Ich… ich weiss nicht…» «Warum benutzten Sie das Fenster und nicht die Türe? Diese Frage haben Sie immer noch nicht beantwortet.» «Ich wollte mich an den Dieb heranschleichen…» «An welchen Dieb? Sie ahnten ja nicht, dass jemand im Haus war.» «Nein, aber…» «Aber was?» fiel Bang schneidend ein. «Ach, nichts», wich Wulf aus. «Ich will Ihnen sagen, was ich herausgefunden habe.» Jan hatte die Stimme erhoben. «Sie stecken mit der Dana-Filmgesellschaft unter einer Decke. Sie benützen Ihre Stellung hier bei der Rex dazu, Herrn Direktor Mortensen mitzuteilen, was hinter den Kulissen der Rex-Film vorgeht. Sie sind der Spion, nach dem Herr Direktor Bang schon längst fahndet. Sie haben Herrn Direktor Mortensen von dem Verschwinden der drei Filmrollen erzählt, und darum ist es Ihre Schuld, dass er beschloss, doch einen Segelsportfilm zu drehen, weil er glaubte, zuerst damit herauskommen zu können.» «Das ist eine Lüge!» rief Wulf. «Du erfindest das alles nur, um mir zu schaden; aber ich…» Jan unterbrach ihn ruhig: «Am Tage nach dem ersten Einbruch gingen Sie abends zu Herrn Direktor Mortensen, nachdem Sie vergeblich versucht hatten, 112
ihn von der Telephonkabine in der Kantine aus anzurufen. Ich sah Sie mit eigenen Augen Direktor Mortensens Haus verlassen. Er musste Ihnen versprechen, keinem Menschen zu verraten, was Sie ihm mitgeteilt hatten. Und ich hörte Herrn Mortensen sagen, dass Ihr Bericht sehr wertvoll für ihn sei. Sie haben früher bei der Dana gearbeitet, und Sie stehen immer noch mit ihr in Verbindung. Stimmt das nicht?» Fritz Wulf schaute vom einen zum andern. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Wie festgenagelt sass er in seinem Sessel und befeuchtete sich mit der Zunge die trockenen Lippen. Seine Augen legten beredtes Zeugnis dafür ab, dass Jan die Wahrheit gesprochen hatte. Ivar Bang stand von seinem Schreibtisch auf. «Ich möchte Sie alle bitten, hinauszugehen. Ich möchte mit Herrn Wulf allein sprechen.» «Mit Vergnügen», sagte Bergvall mit einem verächtlichen Blick auf Wulf und erhob sich. Dann ging er hinaus, gefolgt von den beiden Knaben. Was sich hernach zwischen Bang und Wulf abspielte, bekam niemand zu wissen. * «Ich muss sagen, du hast deine Sache gut gemacht», lächelte Bergvall, als sie draussen waren, und schlug Jan auf die Schulter. «Herr Direktor Bang wird euch dankbar sein, dass ihr alles aufgeklärt habt.» «Etwas haben wir aber nicht aufgeklärt», erwiderte Jan. «Und das wäre?» «Wo ist die dritte Filmrolle?» 113
Bergvall lachte. «Du bist gründlich. Aber ich glaube nicht, dass du dir deswegen Sorgen machen musst. Sie wird sich bestimmt finden. Und ich nehme sogar an, dass Winther trotz allem die ersehnte Rolle bekommen wird. Es sähe Bang ähnlich, so etwas zu tun. Ich will es euch im Vertrauen verraten: Birthe Bang und Kaj Winther haben sich ausgesöhnt und sind wieder gute Freunde.» «Ja, das konnte man merken», lachte Erling. «Der arme Kerl war ja völlig verzweifelt», fuhr Bergvall fort. «Er hat es nicht bös gemeint, und er hat ja auch niemand geschädigt. Wenn man ihn bestrafen würde, bekäme er einen Knacks, den er niemals überwinden könnte. Aber wenn man ihn versteht und ihm verzeiht, wird er nie mehr eine Unbesonnenheit begehen.» SIEBZEHNTES KAPITEL
Die Uraufführung des grossen Segelsportfilms «Lied der Wellen» mit Birthe Bang und Kaj Winther in den Hauptrollen wurde zu einem rauschenden Erfolg. In den Zeitungen hatte gestanden, dass die DanaFilmgesellschaft in einem Monat ebenfalls einen Segelsportfilm herausbringen würde; aber nach dem letzten Bild vom «Lied der Wellen» waren alle Premierengäste überzeugt, dass es unmöglich wäre, etwas Besseres zu schaffen als diesen gutgeschriebenen und gutgespielten Film, der geradezu nach Salzwasser, Teer und Tang duftete, und der so schöne Bilder von dem herrlichen Leben auf den blauen Wogen zeigte. 114
Die Kritiker lobten den Regisseur, den Schweden Josef Bergvall, wegen seiner mustergültigen Arbeit, und alle waren sich darüber einig, dass der dänische Film in Birthe Bang und Kaj Winther ein Darstellerpaar gewonnen hatte, das dem Land künftighin noch viele Filmerfolge bringen würde. Jan und Erling waren mit ihren Angehörigen zur Uraufführung eingeladen worden. Es war ein stolzes Gefühl, von einer Loge aus den Film zu sehen, an dem sie ja keinen geringen Anteil hatten; aber Erling war dennoch etwas missvergnügt. «Man sieht mich ja kaum», sagte er. «Mein charakteristisches Profil verschwindet in all den Wellen und Segeln und Wolken. Ich finde, man hat meinen künstlerischen Einsatz nicht nach Verdienst gewürdigt.» «Ich finde es sehr nett und rücksichtsvoll von Herrn Bergvall», erwiderte Jan, «dass er dich nicht allzu sehr in den Vordergrund gestellt hat. Denk nur, wenn er den historischen Augenblick gebracht hätte, als du kopfüber in den Hafen fielst!» «Das wäre doch von einer gewissen Wirkung gewesen», meinte Erling. «So fühle ich mich übergangen und in den Schatten gedrängt; aber Herr Direktor Bang hat mir versprochen, mich wieder einmal zu engagieren.» «Als Statist!» neckte Lis. Als sie das Kino verliessen, trafen sie in der Vorhalle Bergvall und Direktor Bang, die beide wie die Sonne strahlten über den herzlichen und begeisterten Beifall des Publikums. «Das wird unser grösster Erfolg werden», sagte Bang, 115
der sich zufrieden die Hände rieb. «Und Winther ist wirklich ein glänzender Schauspieler. Was meinst du dazu, Jan?» «Ich fand ihn grossartig; aber ich verstehe davon natürlich nicht so viel wie Sie. Jedenfalls danke ich Ihnen vielmals für den heutigen Abend.» Bang schlug ihm auf die Schulter. «Ich sollte dir und Erling danken, dass ihr trotz meiner Sauertöpfigkeit durchgehalten und das Rätsel des verschwundenen Filmes gelöst habt. Ich muss auch deiner Schwester noch für ihre Hilfe danken. Ich habe heftig nachgedacht, wie ich euch für eure gute Arbeit belohnen könnte; aber anfänglich fiel mir nichts Rechtes ein…» «Das ist wirklich nicht nötig», unterbrach ihn Jan. «Nicht nötig? Wieso? Ich habe allerlei gutzumachen, und ihr könnt euch darauf verlassen, dass das auch geschieht. Die Belohnung kommt ja nicht nur von mir und der Firma, sondern auch von Bergvall und meiner Tochter und von meinem Schwiegersohn, Kaj Winther, die euch alle Dank schuldig sind. Übrigens ist die Sache schon erledigt, denn vor ein paar Tagen habe ich etwas gefunden, das euch sicher Freude machen wird. Im Hellerup-Hafen liegt ein wunderschönes kleines Segelboot. Es heisst ‚Rex’ und gehört der Firma Jan und Kompanie. Wenn ihr mich morgen nachmittag um drei Uhr am Hafen treffen wollt, werde ich euch das Boot feierlich übergeben.» Die Augen der Buben glänzten, und Lis freute sich auch. Das war das schönste Geschenk, das sie jemals erhalten hatten! «Nein, so etwas, das ist wirklich übertrieben», sagte 116
Kommissar Helmer. «Das haben die Jungen gar nicht verdient.» «Natürlich haben sie es verdient», entgegnete Bang, «denn Jan und Erling habe ich es zu danken, dass wir der Dana-Film zuvorgekommen sind. Ausserdem hat es gar keinen Zweck, die Frage zu diskutieren; denn das Boot ist gestern zu diesem Zweck gekauft worden und schon auf den Namen der beiden im Bootsregister eingetragen.» * Am folgenden Nachmittag fuhr das hübsche, kleine Boot «Rex» mit zwei glückseligen Knaben an Bord aus dem Hellerup-Hafen. Jan sass am Ruder, und Erling gab sich mit der Segelführung ab. Das Boot glitt elegant und leicht in einer frischen Brise übers Wasser, während Erling laut, aber nicht sehr schön die Hauptmelodie aus dem «Lied der Wellen» sang. «So enden wir doch als Jachtbesitzer», sagte er, nachdem er den letzten falschen Ton hinausgeschmettert hatte. «Offen gestanden, ich glaubte, er würde sich mit Freikarten zur Uraufführung begnügen, und nun haben wir dieses Boot bekommen! Die Zeit der Wunder ist noch nicht vorbei…» Eine Weile segelten sie schweigend; dann begann Jan plötzlich zu lachen. Erling blickte ihn verwundert an, aber Jan sagte kein Wort; er lachte nur still vor sich hin. Schliesslich wurde es Erling zu bunt, und er fragte: «Warum lachst du eigentlich so?» «Ach, mir ist nur etwas eingefallen», antwortete Jan. «Was denn?» 117
«Du erinnerst dich doch, dass ich Wulf telephonieren hörte, nicht wahr? Ich konnte ja nicht wissen, welches Amt er auf der Scheibe eingestellt hatte; aber ich hörte durch die Türe, dass er die Nummer 1655 verlangte, und als ich hernach im Telephonschlüssel nachschaute, fand ich Direktor Mortensen von der Dana-Filmgesellschaft heraus.» «Ja, das war doch sehr gut. Was ist daran so komisch?» «Das komische daran ist, dass ich später erfuhr, dass Wulf gar nicht bei Mortensen angerufen hatte. Er war nicht mit dem Amt Ryvang verbunden, wie ich annahm, als ich feststellte, dass Mortensen die Nummer Ryvang 1655 hat. Er hatte das Amt Ordrup eingestellt und verlangte dort die Nummer 1665. Ich hatte mich mit der Nummer 1655 verhört. Weisst du, um was es sich in Wirklichkeit handelte? Er wollte seinen Milchmann anrufen und für den nächsten Morgen einen halben Liter Rahm und 100 Gramm Butter bestellen. Aber die Nummer war besetzt, so dass Wulf die Bestellung nicht aufgeben konnte. So kam ich durch ein Missverständnis seinem Schurkenstreich auf die Spur. Das Leben ist doch eine komische Einrichtung!» Erling lachte: «Warum sollen die Detektive nicht auch ab und zu Glück haben?» «Ja, wahrhaftig, Glück muss man haben», stimmte Jan zu. Dann segelten sie schweigend weiter und freuten sich an ihrem schönen neuen Boot. «Woran denkst du jetzt?» fragte Erling. «Was wohl unsere nächste Aufgabe sein wird», sagte Jan. 118
Walter Farley
Der Hengst der Blauen Insel Für die Jugend ab 12 Jahren. Mit 10 Zeichnungen im Text. Gebunden, mit Schutzumschlag. Eine unzugängliche Insel mitten im Meer, zwei ungleiche Freunde, pferdebesessen der eine, Geschichtsforscher aus Leidenschaft der andere, und ein Traumpferd - das sind die Hauptakteure dieser abenteuerlichen Erzählung des Autors der berühmten «Blitz»Bücher. Spannend und geheimnisvoll gestaltet sich die Erforschung des vergessenen Eilands, das in einem verborgenen Tal die schönste Herde von Wildpferden birgt, die sich denken läßt.
Walter Farley
Die Rache des roten Hengstes Für die Jugend ab 12 Jahren. Mit 10 Zeichnungen im Text. Gebunden, mit Schutzumschlag. Das Geheimnis der Blauen Insel ist bedroht, das Steve Duncan und sein Freund Pitch so gern noch für sich allein bewahrt hätten! Pitchs Bruder ahnt, daß die Freunde etwas Wertvolles entdeckt haben. Heimlich folgt er ihnen und sieht - Feuerstrahl, den roten Hengst, den Herrscher der Herde alter, edler Rasse. Eine Auflehnung gegen den gewalttätigen Mann ist aussichtslos. Er versteht es, Feuerstrahls wütende Kraft in Fesseln zu schlagen. Bis Feuerstrahl sich zu einem allerletzten Kampf aufrafft…
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Blitz, der schwarze Hengst Blitz kehrt heim Blitz schickt seinen Sohn Blitz und Vulkan Blitz bricht aus Blitz legt los! Blitz sucht seinen Vater Blitz und der Brandfuchs Blitz und Feuerteufel Blitz wird herausgefordert Blitz in Gefahr Zwei Urteile: «Die immer zahlreicher werdenden Blitz-Verehrer gelangen mit diesem Band zu einem weiteren Blitz-Genuß, und sie werden diese phantastische Geschichte abermals mit geröteten Wangen und blitzenden Augen verschlingen. Wer einmal von Blitz gepackt worden ist, kommt nicht so leicht wieder von ihm los…» (Neue Zürcher Zeitung) «Die packende Schilderung der Ereignisse, das hohe Maß der Liebe zu Pferden bewirken, daß es schwerfällt, das Lesen zu unterbrechen. Hervorragend und treffend sind die beigefügten Federzeichnungen. Wirklich schöne Pferdebücher, die groß und klein zum Lesen zu empfehlen sind.» Albert Müller Verlag • Rüschlikon-Zürich • Stuttgart
Liebe Mädchen und Jungen Jan Helmer und seine Freunde haben noch viele Abenteuer erlebt. Davon kannst Du in den weiteren Büchern mehr erfahren. Die Bestellkarte kannst Du herauslösen, ausfüllen und an den Verlag oder Deine Buchhandlung senden. Die gewünschten, weiteren Bücher von Jan werden Dir dann postwendend zugestellt. Vergiß nicht, die Karte vollständig auszufüllen und von Deinen Eltern unterschreiben zu lassen!
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Jan wird Detektiv (1) Jan und die Juwelendiebe (2) Jan und die Kindsräuber (3) Das Geheimnis der «Oceanic» (4) Jan und die Falschmünzer (5) Spuren im Schnee (6) Der verschwundene Film (7) Jan auf der Spur (8) Jan ganz groß (9) Jan stellt 20 Fragen (10) Jan gewinnt die dritte Runde (11) Jan packt zu (12) Jan ruft SOS (13) Jan hat Glück (14) Jan und die Schmuggler (15) Jan, wir kommen! (16) Jan siegt zweimal (17) Jan in der Falle (18)
Jan paß auf! (19) Jan und der Meisterspion (20) Jan schöpft Verdacht (21) Jan zieht in die Welt (22) Jan auf großer Fahrt (23) Jan und die Marokkaner (24) Jan und die Leopardenmenschen (25] Jan zeigt Mut (26) Jan und das verhängnisvolle Telegramm (27) Jan wird bedroht (28) Jan in der Schußlinie (29) Jan und das Gold (30) Jan und die Dunkelmänner (31) Jan und die Rachegeister (32) Jan und die Posträuber (33)
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KNUD MEISTER • CARLO ANDERSEN
DER VERSCHWUNDENE FILM Eine Detektivgeschichte für Jungen und Mädchen («Jan als Detektiv», Band 7)
Selten hat sich ein Held eines Buches so schnell einen Platz in den Herzen unserer Buben und Mädchen erobert wie Jan Helmer, der Sohn eines Kopenhagener Kriminalkommissars, dessen Werdegang Knud Meister und Carlo Andersen in der Reihe «Jan als Detektiv» geschildert haben. Man weiß es längst: Die «Jan»-Bücher sind Musterbeispiele guter Detektivgeschichten für jugendliche Leser; sie vertreten ganz unaufdringlich eine gesunde Moral und bieten gleichzeitig jene Spannung, welche die abenteuerlustige Jugend liebt. Wo Jan, dieser Prachtkerl mit seiner sauberen Gesinnung, seinem gesunden Menschenverstand und seiner glänzenden Kombinationsgabe auftaucht, ist etwas los. Da gilt es für den Leser, den eigenen Kopf zu gebrauchen, um hinter die rätselhaften Geschehnisse zu kommen, die Jan auf den Plan rufen. Diesmal gerät Jan Helmer mit seinem dicken Freund Erling in die Welt des Films, und wenn sie auch keine Filmsterne werden, sondern nur als Segelsport-Statisten mitwirken, so sind sie zum Schluß doch die Helden des Tages. Mag der Direktor der Filmgesellschaft auch zunächst Mißtrauen gegen die «Schulbuben» hegen, die sich zutrauen, einen geheimnisvollen Diebstahl aufzuklären, mit dem sich die Polizei nicht befassen soll, damit die Öffentlichkeit nichts davon erfährt — Jan und Erling bewältigen die ihnen von Jans Vater anvertraute Aufgabe, obwohl es fast so aussieht, als ob sie damit nicht fertig würden. Doch Jan erbringt schließlich den Beweis, daß es sich um zwei miteinander verschlungene Fälle handelt. Denn die Filmgesellschaft «Rex», die einen großen Segelsportfilm dreht, gerät in doppelte Bedrängnis: Zuerst verschwinden die Filmrollen der bereits gedrehten Aufnahmen, und das hört, obwohl der Diebstahl geheimgehalten wird, die Konkurrenz, eine andere Filmfirma, die nun der «Rex» mit einem ähnlichen Film zuvorzukommen droht. Wie Jan den Dieb ermittelt und zugleich feststellt, daß noch ein Werkspion im Spiele ist, wie er trotz aller Fehlschläge die Aufgabe immer wieder neu anpackt, das alles wird so fesselnd und so humorvoll erzählt, daß die vielen Freunde der «Jan»-Bücher voll auf ihre Kosten kommen und allen Grund haben, sich schon auf den nächsten Band der Reihe zu freuen. ALBERT MÜLLER VERLAG RÜSCHLIKON-ZÜRICH • STUTTGART • WIEN