Der unsichtbare Mond Zukunftsroman von Roy Sheldon Der Mensch – Bewohner des dritten Planeten im Sonnensystem – ist ein...
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Der unsichtbare Mond Zukunftsroman von Roy Sheldon Der Mensch – Bewohner des dritten Planeten im Sonnensystem – ist ein reichlich eingebildetes Wesen. Er glaubt noch immer, er sei das einzige vernunftbegabte Geschöpft seines Systems. Roy Sheldon, der beliebte Autor spannender SF-Romane, zeigt uns, daß auch Insekten intelligent und – gefährlich sein können. Ganz zu schweigen von den Saturniern, die nicht essen, nicht schlafen, nicht atmen! Aber das lesen Sie am besten selbst. Personen: Shiny Spear
– frischgebackener Kommandant des Raumkreuzers Saturnide III. Dirk Manners – sein Navigationsoffizier. Gwen Fletcher – Tochter des Kommandeurs der Raumflotte.
Er spürte harten Felsen unter den Füßen, und in der Nähe sah er Eis. Das Felsgestein war blau, das Eis und der Himmel ebenfalls. Etwas stimmte nicht. Eigentlich müßte der Himmel schwarz sein, sagte ihm etwas in seinem Unterbewußtsein. Und doch sah er mit eigenen Augen, daß alles anders war. Blauer Himmel bedeutete Luft, aber wieso gab es hier Luft? Shiny Spear überlegte. Und was bedeutete die durchsichtige Kugel zu seinen Füßen? Das war doch sein Raumhelm. Auf Phoebe gab es aber doch keine Luft, das war Unsinn. Und doch … 3
Moment mal! Die Erinnerung kehrte wieder. Sie bahnte sich mühsam ihren Weg in Spears dumpf dröhnenden Kopf, mit dem er gerade unsanft gegen die blauen Felsen gestoßen war. Shiny Spear rappelte sich hoch. Taumelnd stand er auf seinen Füßen und klammerte sich an die Felswand. Die sagte ihm deutlicher als alles andere, daß er keinen Raumhelm mehr aufhatte. Und der blaue Himmel bewies ihm, daß er nicht auf Phoebe sein konnte. Aber wo sollte er sonst sein? Er schüttelte sein Gedächtnis wie einen alten Wecker, wenn man feststellen will, ob er noch geht. Phoebe war der äußerste von Saturns neun Trabanten und nach den letzten astronomischen Berechnungen über zwölf Millionen Kilometer vom Saturn und zur Zeit 1300 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Doch darum ging es nicht. Auf Phoebe konnte es keinen blauen Himmel geben. Wo war er nur? Er sah sich um. Der Nebel in seinem Gehirn lichtete sich endlich. Er wallte nach oben, und darunter lag die gesuchte Erklärung. Endlich durchblutete das Herz wieder die grauen Gehirnzellen, die er so dringend brauchte. In wenigen Sekunden war er wieder völlig klar. Er starrte noch immer seine Umgebung an. Vor ihm erstreckte sich eine große Eisfläche, ungefähr hundert Kilometer im Durchmesser. Rechts ragten spitze Felsnadeln in die Höhe und schüttelten oben dem Himmel die Hände. Links lag ein zur Unkenntlichkeit zusammengequetschtes Etwas aus verbogenem zersplittertem Metall und Plastikteilen. Ein Stück davon ragte hoch in die Luft empor. Nach seiner langen Reise spiegelte sich das Sonnenlicht mit einem letzten Versuch von Munterkeit in dem glänzenden Metallstück, auf dem mit sauberen schwarzen Buchstaben SATURNITE III PHOEBE zu lesen war. 4
Shiny Spear ging hinüber, vielmehr rutschte er mehr als er ging. Er zog ein Metallstück beiseite und starrte das Wrack an. „He, Dirk“, brüllte er, „komm raus!“ Er bahnte sich einen Weg in den verbogenen Metallhaufen. Dirk Manners wälzte sich zur Seite und blinzelte. Das mußte ganz schön weh tun, weil das Blut seine Lider verklebt hatte. Seine blonden Haare waren von Schmutz und Blut verkrustet. Manners stöhnte. Shiny Spear glitt an seine Seite. Er zog eine Flasche aus seinem ramponierten Raumanzug und träufelte dem Stöhnenden etwas von dem Inhalt zwischen die Lippen. „Dirk! Um Himmels willen, wach auf! Jetzt ist keine Zeit zum Schlafen.“ Dirk Manners wälzte sich auf den Rücken und blieb liegen. Shiny Spear schüttelte ihn behutsam. Manners rührte sich nicht. Spear ließ ihn unwillig los und machte sich auf die Suche nach dem Mädchen. Nachdem er zehn Minuten lang Metall zurechtgebogen hatte, um die Passagierkabine zu finden, hörte er von draußen eine Stimme. Die Kabine war nicht mehr wichtig. Fluggäste würde dieser Trümmerhaufen sowieso nicht mehr sehen. Die vierundzwanzig Kratzer, die Spear sich bei der Suche zugezogen hatte, waren in seinem Gehalt mit inbegriffen. „Captain Spear? Wo sind Sie, Captain Spear? Oh, wo stecken Sie bloß?“ Shiny Spear, Captain der Raumstreitkräfte, Veteran zweier interplanetarischer Kriege, abgerissen, rauh und häßlich, verließ den Blechhaufen. Ohne sich um sein ins Gesicht fallendes schwarzes Haar zu kümmern, legte er grüßend die Hand an die Schläfe, nicht sehr zackig, aber immerhin, er grüßte. „Ich bin da, Miß Fletcher. Gut, daß Sie nicht verletzt sind.“ Er schaute sie so grimmig an, wie man es von einem Captain der Tochter seines Kommandanten gegenüber nur verlangen konnte. „Ich dachte, Sie wären noch im Raumkreuzer.“ 5
Gwen Fletcher schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sie hatte es schon früher bei ihm angewendet, brachte ihn damit jedoch nicht aus der Fassung, sondern stimmte ihn ernst und nachdenklich. „Nein“, sagte sie. „Ich wurde hinausgeschleudert. Drüben auf der anderen Seite. Ich kam herüber und sah nach Ihnen, Sie lebten noch, und ich hatte Zeit, mich etwas herzurichten.“ Sie schaute an sich herunter. Shiny Spear folgte ihrem Blick. Die Außenhaut des Raumkreuzers mußte ihre Kombination erwischt haben, als sie hinausgeschleudert wurde. Jetzt trug sie nur noch das dünne Trikot. Ihre Beine verliefen in schöner Symmetrie von den Knien zu den schlanken Fesseln. Ein breiter Gürtel betonte ihre Taille. Über all dem schwebten zwei nicht zu rote Lippen, die eine Garnitur schöner Zähne würdig einrahmten. Sie waren nicht perlenweiß, sondern elfenbeinfarben, daß man wenigstens genau wußte, es waren ihre eigenen. Dann gab es noch die schwarzen Haare und die großen, klugen Augen zu sehen. Alles in allem ein rassiges Mädchen. Schwarz traf auf schwarz. Gwen lächelte zwar noch, aber ihre Wangen waren leicht rosig überhaucht, und daran war nicht die Kälte schuld. „Ich verstehe“, sagte Spear. „Wenn das noch mal passiert, würden Sie dann eine Nachricht hinterlassen? Ich hätte Manners helfen können, anstatt nach Ihnen zu suchen.“ Das war zu ärgerlich. Zum Saturn mit dem Mädchen! Warum mußte sie ausgerechnet mit diesem Schiff reisen, um ihren zukünftigen Mann zu besuchen? Sie hätte zehn andere wählen können. Owens Lächeln erstarb. Aber auch jetzt sah sie noch gut aus. „Ist Manners noch da drin?“ fragte sie. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. „Bestimmt ist er verletzt. Warum holen Sie ihn nicht sofort heraus, anstatt hier zu stehen und Reden zu halten?“ 6
Das war Commander Fletchers Erbteil in ihr. Aufrecht und gerade – natürlich, soweit ihre Figur das zuließ – schritt sie auf das Wrack zu. Spear rührte sich nicht vom Fleck. „Er ist in Ordnung“, rief er. „Er braucht bloß jemanden, der seinen Kopf hält und ihm über das Haar streicht.“ „Das werde ich übernehmen!“ Er rief ihr nach: „Aber er blutet, Miß Fletcher!“ Etwas später saßen sie zu dritt um den Haufen Vorräte, den sie aus dem Kreuzer gerettet hatten. Manners trug einen großen Verband auf der Stirn, der eine Schnittwunde bedeckte, die immerhin nahezu zwei Zentimeter lang und einen zehntel Millimeter tief war. „Was macht der Kopf?“ fragte Gwen. Sie saß mit dem Rücken zu Spear und mit dem Gesicht zu Manners gewandt. Er befühlte mit schlaffer Hand vorsichtig den Kopfverband. „Es geht, Miß Fletcher.“ Spear grunzte. Er war mit Manners im Kriege zusammen gewesen und wußte, wie er sich gab, wenn keine Frauen in der Nähe waren. Er kannte einen kaltschnäuzigen, tapferen Manners, den nichts aus der Ruhe brachte, der selbst noch beim Angriff der rasenden Kugelraumschiffe vom Saturn die elektronische Rechenmaschine mit kalter Präzision bediente. Gwen fuhr herum. „Was ist mit Ihnen los, Captain?“ „Stich in die Wange“, entgegnete er. Sie rümpfte die Nase. „Das ist bloß ein Kratzer. Hoffentlich hindert er Sie nicht daran, sich einen Ausweg auszudenken.“ Sie wandte ihm wieder den Rücken zu. Es war ein schöner Rücken. Nicht zu breit. Shiny ließ seine Augen zu der schmalen Hüfte wandern. Nicht zu schmal. „Einen Ausweg?“ fragte er schließlich. „Das hängt davon ab, ob Manners den Modulator wieder hinkriegt. Dann könnten wir 7
ein Lichttelegramm nach Phoebe senden. Sie werden einen anderen Kreuzer schicken, vielleicht sogar zwei oder drei.“ Manners sah Gwen an, aber sie schaute in die Ferne. Er blinzelte Spears zu und sagte dann ernsthaft: „Ich glaube, Miß Fletcher weiß das, Shiny. Sie meint, wie sollen sie uns finden? Wohin sollen sie kommen? Kurz und gut, wo sind wir überhaupt?“ Spear schaute Manners kopfschüttelnd an, aber der Navigator grinste nur und sagte: „Als ich auf der Hochschule Astronavigation lernte, war so ein Ereignis nicht im Lehrplan vorgesehen.“ Spear winkte ab. „Weiß ich! Weiß ich alles! – Wir sind verloren, und ich bin schuld daran. Du brauchst nicht höflich drumherumzureden. Aber ich kann es auch nicht ändern. Ich steuerte genau den Kurs Richtung Phoebe, den du mir angabst. Dann wurde der Steuerknüppel störrisch, wie ich schon sagte. Das Schiff entwand sich richtiggehend meinen Händen, als ob es woanders hin wollte – und den Weg dahin wüßte.“ „Vielleicht hatte der liebe alte Saturnite III keine Lust, auf Phoebe zu landen, heh?“ sagte Gwen. „Aber vielleicht gibt es noch andere Gründe?“ Spear unterdrückte den aufsteigenden Zorn. „Ich weiß, was Sie damit sagen wollen. Ich sage es jetzt zum letzten Male! Ich bin nicht schuld. Ich weiß, wie man mit Raumkreuzern umgeht.“ Manners grinste still in sich hinein, wobei er ab und zu Spear Grimassen schnitt. Gwen hielt ihre Augen auf den Horizont gerichtet. „Wie lange sind Sie schon Captain?“ wollte sie wissen. Spear schwieg. Natürlich, das mußte ja kommen. Er hatte den dritten Stern auf seiner Schulterspange erst vor zwei Wochen verliehen bekommen, aber das besagte nicht, daß er einen Kreuzer nicht einwandfrei steuern konnte. Jahrelang hatte er 8
seine Raumer sicher durch alle Gefahren geschleust. Er biß sich auf die Lippen. Er konnte einfach nicht erklären, warum das Schiff sich seiner Führung entwunden hatte. Etwas Verrücktes … Überhaupt stand die Fahrt unter einem schlechten Stern, noch dazu mit dieser Formel an Bord. Gut, daß die anderen nichts davon wußten. Das Mädchen würde sich die Lunge aus dem Hais schreien, wenn sie erführe … Und gerade in diesem Augenblick tat sie es, wie auf ein Stichwort. Das kleine Persönchen hatte nicht viel Kraft, deshalb waren es erträgliche Schreie. Hohe, spitze Seufzer mit einigen Glasscherben vermischt. Als sie aufschrie, war sie gleichzeitig aufgesprungen und nestelte an ihrem Gürtel, um den Strahler zu ziehen. Die Männer rappelten sich ebenfalls auf und schauten in die Richtung, nach der Gwen zeigte. Über das Eis kam eine Prozession anmarschiert. Da sie seitlich standen, schienen sie im rechten Winkel auf sie zuzukommen wie die Zugleine bei einem Fischernetz. Wenn man näher hinsah, machte man eine erschreckende Feststellung. Die Wesen waren nicht zu groß, aber dafür sehr lang, hatten an jeder Seite zehn Beine und auf dem Rücken eine Panzerschale, die in der Sonne glänzte. Vorn hatten sie hin und her schwingende Fühler, die über kleinen knopfartigen Augen saßen. Unter den Augen bewegte sich ein zweites Fühlerpaar hin und her. Damit hielten sie etwas fest. „Krustentiere!“ rief Spear aus. „Riesenkellerasseln, was?“ sagte Manners sanft. Gwen schaute von einem zum andern. Die Männer starrten die Erscheinung gebannt an. Sie fühlte, wie ihre Lippen zu zittern begannen. Das Erbteil des Commanders brach durch. „Wacht auf!“ schrie sie. „Tut etwas! Nehmt die Strahlpistolen und das Energiestrahlrohr! Steht nicht einfach herum!“ 9
Als erste schoß sie. Der Strahl weckte die Männer aus ihrer Starre. Das erste Krustentier hatte Gwen erlegt. Bei dem zweiten half ihr Manners. Spear deckte ihnen weiter hinten den Rücken. Aber umsonst. Schon war die Verstärkung heran. Gwen sah einen Widerschein in den Augen der Männer aufleuchten. Sie drehte sich um und erhaschte noch einen Schimmer der Lichtwellen, die von den unteren Fühlern der Angreifer ausstrahlten. Dann sah, hörte und fühlte sie nichts mehr. Aus! Der letzte Gedanke, bevor pechschwarze Nacht ihr Gehirn einhüllte.
Gwen verschwindet Shiny Spear glaubte, seine Augen zu öffnen, aber in Wirklichkeit waren sie die ganze Zeit weit geöffnet gewesen. Das Sehvermögen kehrte nur wieder. Alles andere gleichfalls, sogar die Erinnerung. Er sah sich um. Die anderen beiden waren ebenfalls erwacht. Alle drei lagen auf einer Metallplatte, die den Fußboden eines großen Raumes bedeckte. Keine Fesseln hielten sie und doch konnte sich Shiny Spear nicht rühren. Nur Kopf und Hals ließen sich bewegen. Gwen Fletcher und Dirk Manners ging es ebenso. Spear konnte durch Kopfrollen das Metall unter sich sehen und weiter unten die Stelle, wo es in den Steinen verankert war. Die Wände erhoben sich zu beiden Seiten in fünf Meter Entfernung, und das schimmernde Metall verband sich oben mit der erleuchteten Decke. Die anderen beiden Wände konnte er nicht sehen. So weit er schauen konnte, eine Tür war nicht zu entdecken. „Sie sind erwacht“, sagte eine Stimme. Und im selben Augenblick wußte Shiny Spear, daß er sich aufsetzen konnte. Er tat es, und die beiden anderen folgten seinem Beispiel. Sie konnten aber immer noch nicht die Beine 10
bewegen. Er tastete vorsichtig in der Tasche nach seinem Feuerzeug. Es war noch da. Also mußten die Formeln auch noch da sein. Vor ihnen stand ein Krustentier und wedelte mit den oberen Antennenfühlern. Shiny Spear suchte den Menschen, der gesprochen hatte. Niemand war da. „Erschrecken Sie nicht.“ Die Stimme kam von dem Krustentier – in Universal, der Sprache, die man auf sämtlichen Planeten verstand. „Sie werden freigelassen, sobald wir wissen, daß Sie friedliche Absichten hegen.“ Spear versuchte, dem Tier in die Augen zu sehen. Er bekämpfte den aufsteigenden Brechreiz. Fragen rappelten durch seinen Kopf wie getrocknete Erbsen in einer Blechbüchse. Was tun? Angreifen? Kämpfen? Nein, das war nicht der richtige Weg. Das Ding fragen? Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. „Natürlich sind wir friedfertig“, sagte Gwen. Ungehalten strich sie ihr zerrissenes Trikot glatt. „Lassen Sie uns bitte sofort frei. Mein Vater ist Basil Fletcher, Kommandeur der irdischen Raumstreitkräfte und im Augenblick auf Saturn stationiert. Genügt Ihnen diese Auskunft?“ Das Schuppenwesen wandte Gwen mit einem Ruck seine Knopfaugen zu, die noch leicht vibrierten, als die Bewegung vorbei war. Gwen war es gleichgültig, wie das Ding aussah. Wenn es gepanzert daherkommen wollte, bitte sehr. Aber keine Faxen mit Gwen Fletcher! Das Ding wedelte mit der Antenne. „Das ist eine gute Referenz. Aber Ihr Wort allein genügt mir nicht. Ich muß auf die einlaufenden Auskünfte warten.“ Shiny Spear öffnete seinen Mund zum zweiten Male. Jetzt brachte er sogar einen Satz heraus. „Auskünfte? Was meinen Sie damit?“ Manners sagte kein Wort, und das wunderte niemanden, der ihn kannte. 11
Aber er war nicht dumm. Er beachtete die Stachelspinne überhaupt nicht. Seine blauen Augen musterten den Haufen Ausrüstungsgegenstände. Sie weiteten sich unmerklich, als er die Strahlpistolen und noch tödlichere Waffen entdeckte. Die Stachelspinne sprach wieder. „Wir haben Sie nicht erwartet. Ihr Kreuzer geriet in unseren Energieschirm und stürzte ab. Unsere Ortungsgeräte waren auf den Saturn gerichtet. Anderenfalls hätten wir von Ihrer – hm – Landung vorher gewußt.“ „Bißchen stürmisch, die Landung, nicht wahr?“ meinte Spear spitz. Die Stachelspinne bewegte einen ihrer unteren Fühler. „Das konnten wir nicht ändern. Der Schirm ist nicht für friedfertige Besucher gedacht. Und da kein Erg-Schiff unterwegs war, hatten wir keine Veranlassung, den Schirm abzuschalten.“ „Ein Erg-Schiff?“ staunte Spear. „Erg“, bestätigte der Stachlige. „Wir nennen uns Erg. Übersetzt in Universal bedeutet es Mensch, denn so nennt ihr euch. Aber da wir keine Menschen sind, kann man dieses Wort nicht übersetzen.“ Einige Signallampen leuchteten auf einem Schaltbrett in der Nähe auf. Der Erg betrachtete sie einen Augenblick still, und dann berührte er mit einem Fuß einen Schaltknopf, der in den Boden eingelassen war. „Sie sind jetzt frei“, sagte er. „Die Berichte sprechen zu Ihren Gunsten. Augenscheinlich hatten Sie Auftrag, auf Phoebe und nicht hier zu landen.“ Gwen stand zuerst auf. Sie ordnete ihre Haare und hielt das zerfetzte Trikot zusammen. „Das ist nett“, sagte sie mit einem Anflug von Spott. „Wie kommen wir aber nach Phoebe?“ „Na, eben“, mischte sich Spear ein. „Kann unser Schiff hier repariert werden?“ 12
Manners war zu den Ausrüstungsstücken geschlendert, die aus dem Raumkreuzer stammten. Der Erg schaute zu Boden. „Das könnten wir zwar machen“, sagte er, „aber ich fürchte, das kommt nicht in Frage. Wer einmal unser Land betreten hat, kann es nicht mehr verlassen.“ Gwen trat einen Schritt vor. „Sie meinen den Energieschirm?“ fragte sie. „Können Sie ihn nicht abstellen?“ Sie trat wieder zurück, als die Augen des Ergs sich ihr zuwandten und seine Blicke ihren Körper abtasteten. Manners ergriff eine Strahlpistole. „Das ist nicht so einfach, Miß Fletcher“, schnurrte der Erg. „Wir sind eine alte Rasse. Unsere Zivilisation ist zwar nicht vollkommen, aber wir leben zufrieden. Wir haben erlebt, was sich in anderen Teilen unseres Sonnensystems abspielte. Wir besitzen ein Gerät, das die Gedankenimpulse lesbar macht, die uns erreichen. – Sie wissen sicherlich, daß das Gehirn beim Denken elektromagnetische Wellen aussendet, deren Stärke aber mit der Entfernung abnimmt.“ Sie kamen sich alle drei verulkt vor. Spear und Gwen nickten. Manners schaute auf die Schaltknöpfe im Fußboden. Der Erg fuhr fort: „Natürlich sind die Gedankenimpulse sehr schwach, wenn sie hier ankommen, aber vor einiger Zeit – etwa vor einigen Milliarden Jahren – gelang es unseren Wissenschaftlern, sie durch Verstärkung auf einen brauchbaren Empfangspegel zu bringen. Sie haben die Injektion einer Droge bekommen, die alle Sprachen ineinander überführt. Deshalb können Sie mich verstehen. Wir erlebten, wie Ihr Planet die Meinungsverschiedenheiten seiner beiden Hemisphären kittete. Dann beobachteten wir, wie die Vereinten Nationen den Mond besetzten. Der kleine Merkur war der nächste – und was Sie jenen Lebewesen antaten, war nicht sehr schon.“ 13
Die Stimme des Ergs klang weich und beherrscht. Keine Erregung war ihr anzumerken. „Dann“, fuhr er fort, ohne zu beachten, daß sich die Erdmenschen unbehaglich anblickten, „dann erlag Venus Ihrem Angriff. Weil die Lebewesen dort nichts Menschenähnliches an sich hatten, mußten sie sterben. Die Raumstreitkräfte der Erde drangen vor. Sie besetzten den Mars.“ Der Erg kicherte. „Und da steckten Sie Ihre erste Niederlage ein. Ihre unfähigen Astronomen debattierten jahrelang über jene Kanäle! Dann standen sie ihnen tatsächlich gegenüber – und entdeckten, daß es die Atemöffnungen des gigantischsten Lebewesens im Universum waren. Mars war ein einziger großer Organismus. Und Sie wollten immer noch dessen Parasiten vernichten. Aber Mars war verläßlich. Grüner Schlamm schwemmte Ihre Vorposten hinweg und jedermann kam um. Die Parasiten blieben am Leben, während Sie …“ Die Stimme erzählte weiter. Spear sah im Geiste die Seiten des Geschichtsbuches umblättern – die Bilder waren dieselben, nur der Text war anders und hatte eine neuartige Bedeutung. So wurde nicht von Ruhm und Opfer gesprochen. Etwas anderes war an ihre Stelle getreten. Im Unterbewußtsein dämmerte es ihm, daß diese Auslegung richtig sein konnte. Sein gebräuntes Gesicht rötete sich. „Und dann“, fuhr der Erg fort, „nachdem Sie Jupiters Monde besetzt hatten, ging es zum Saturn. Der zweite interplanetarische Krieg begann. Aber die Bewohner Saturns waren stärker als die des Jupiters. Es gelang Ihnen nicht, sie zu besiegen. Die mächtige Erde mußte um Frieden nachsuchen. Jetzt erst erholen Sie sich von den Auswirkungen des Krieges. Aber wir wissen, daß Ihre Handelsniederlassung auf dem Saturn nur ein Vorwand ist. Sie bereiten einen neuen Krieg vor!“ Spear fuhr auf. Himmel, das war ein Staatsgeheimnis. Wie, um alles auf der Erde, hatten die das erfahren? 14
„Als der Krieg zwischen Erde und Saturn tobte, verließen viele Saturnier ihren Planeten. Unglücklicherweise landeten sie hier. Sie liegen seitdem mit uns im Kampf. Sie brachten es fertig, mit ihrer Heimat in Verbindung zu treten und unseren Standort zu verraten. Deshalb sind wir gezwungen, den Saturn zu erobern – und auch die Erde – bevor wir selbst überrannt werden. Unsere Vorbereitungen sind nahezu abgeschlossen. Vorläufig müssen Sie also hier bleiben. Was später mit Ihnen geschehen wird …“ Der Erg spreizte seine untere Antenne. Stille hing über dem Raum. Dann sagte Gwen lässig: „Das war eine wundervolle Unterrichtsstunde, Mr. Erg. Sehr unterhaltsam. Aber wir werden zurückkehren. Sind wir nicht Menschen?“ „Klar sind wir das“, ließ sich Manners zum ersten Male vernehmen. „Klar, daß wir zurückkehren.“ Er riß die Strahlpistole hoch und drückte ab. Der Strahl hochgeladener elektrischer Partikel traf den Erg. Seine Moleküle lösten sich auf und verdampften. Niemand, der sich in diesem Augenblick den Schlaf aus den Augen gerieben hätte, wäre auf die Idee gekommen, kurz vorher sei eine Riesenkellerassel da gewesen. Spear drehte sich Manners zu. „Warum hast du das getan?“ fragte er wütend. Manners warf die Pistole wieder auf den Haufen. „Das Vieh störte mich“, sagte er. Gwen starrte immer noch auf den Fleck, wo das Krustentier gestanden hatte. Nun drehte sie ihren Kopf zu Manners. Es war das erste Mal, daß sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Spear packte den Navigationsoffizier an der Schulter und schüttelte ihn aufgebracht. „So. Bloß weil Klein Dirky sich belästigt fühlt, müssen wir die Wache auslöschen und alle Hoffnungen begraben, uns mit diesen Wesen gut zu stellen – alle Hoffnungen, je zurückzukehren!“ 15
„Sie hätten uns sowieso umgebracht“, entgegnete Manners. „Genauso gut konnte ich damit anfangen.“ Spear dachte: Du hast aber keine Formeln in der Tasche, die unsere Kameraden auf Phoebe dringend brauchen. „Immerhin haben wir eine Chance“, fuhr Manners fort. „In ein paar Minuten wird der Modulator wieder betriebsklar sein. Dann brauchen wir nur noch brav auf unseren Stühlchen zu sitzen, bis die Jungens aufkreuzen.“ Hinter Gwens Stirn arbeitete es: „Aber ich dachte –“ „Lassen Sie ihn reden, Miß Fletcher“, winkte Spear ab. „Er wird schon wieder normal.“ Er drehte dem Navigator seinen Rücken zu. Dann sagte er geziert: „Wo willst du die Herrschaften empfangen, Kleiner – im Salon oder im Billardzimmer?“ Manners ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Er kannte Spear seit Jahren. „Weder noch“, sagte er. Er beschäftigte sich gerade mit einigen Gleichrichterröhren. „Ich habe mir das gerade überlegt, als du dem Gequassel der Blattlaus so andächtig gelauscht hast. Wir waren ganz in der Nähe des Saturns, als das Schiff sich selbständig machte. Wir stürzten ein oder zwei Minuten und dann fiel der Vorhang. Also müssen wir in der Nähe des Saturns sein.“ Er zog ein Stück flexibles Kabel aus einer Reservepackung und isolierte sorgfältig das Ende ab. Shiny Spear sah zu ihm nieder. „Na, komm schon, Freundchen, raus mit der Sprache.“ „Nicht drängeln“, murrte Manners. „Siehst du nicht, daß das schwierig ist.“ Er schaute auf und grinste. „Erinnerst du dich noch an Pickering 1905?“ Er wandte sich wieder seinem Zauberkasten zu. „Oh, was meint er nur?“ seufzte Gwen. „Ist er wirklich – ich meine, die Schnittwunde an seinem Kopf?“ „Nein, nein“, brummte Spear. „Er sorgt nur für Spaß und 16
Unterhaltung. Pickering war ein Astronom des neunzehnten Jahrhunderts. Er entdeckte Phoebe und – zum Teufel! Das kann doch nicht sein!“ „Was kann nicht sein?“ drängte Gwen. „Sind Sie alle beide übergeschnappt?“ Spear ergriff vor lauter Begeisterung ihren Arm. Er war glatt und weich. Ein Blick von ihr, und er ließ schleunigst wieder los. „Nein, Miß Fletcher, Erinnern Sie sich nicht? Pickering entdeckte Phoebe im Jahre 1898. Im Jahre 1905 verkündete er die Entdeckung eines weiteren Satelliten. Er taufte ihn Themis. Dann verschwand dieser Mond. Das muß er sein – Saturns verschwundener Mond!“ „Köpfchen, Köpfchen!“ ertönte Manners ruhige Stimme vom Fußboden. „Das müßte nun eigentlich funktionieren.“ Er stand auf und schaute durch den mit Metall ausgekleideten Raum. „Aber erst müssen wir dem Lichtstrahl einen Weg ins Freie verschaffen.“ „Warum fressen wir uns nicht mit dem Energiestrahler durch die Wand?“ schlug Gwen vor. Manners Gesicht verzog sich zu einem breiten überlegenen Grinsen. Spear wandte sich mißbilligend ab. „Das ist die Rettung, Miß Fletcher“, sagte Manners galant. „Ich bin richtig froh, daß Sie da sind.“ Er schaute sie einige Augenblicke an und weidete sich daran, wie sich ihr Gesicht mit einer feinen Röte überzog. Dann beugte er sich über die Ausrüstungsgegenstände. Spear prüfte die Wände, als Manners wieder mit dem Strahlrohr auftauchte. „Wie mache ich mich?“ fragte er aus dem Mundwinkel heraus. Spear schaute ihn kurz an. „Die Wände sehen alle völlig gleich aus“, sagte Manners, diesmal aber so laut, daß es Gwen auch hören konnte. „Schweißen wir uns halt irgendwo durch, was?“ 17
Er hob das Rohr und drückte auf den Auslöser. Der Atombrenner heizte sich auf und übertrug seine Energie auf die Schwingspulen. Sie glühten rot, dann weiß. Schließlich traf der unsichtbare Energiestrahl die Metallwand. Die Erdmenschen waren weder auf den Blitz noch auf die Druckwelle gefaßt gewesen. Sie wurden umgerissen und als hilflose Bündel an die gegenüberliegende Wand geworfen. Gwen sprang wieder auf. „Was ist passiert?“ fragte sie. Manners starrte die Stelle an. auf die er den Strahl gerichtet hatte. Das Metall war im Umkreis von zwei Metern verschwunden. Außerhalb des Loches erzitterte die Luft in bläulichem Licht. „Vermutlich ein weiterer Energieschirm“, meinte Manners. „Unser Strahl muß ihn getroffen haben, und dabei gerieten sie in Streit.“ Spear war auch wieder aufgestanden. „Ruf dir mal das Prinzip der Undurchdringbarkeit verschiedener Energiearten ins Gedächtnis, Dirk. Wir werden nicht …“ Es hatte keinen Zweck, fortzufahren. Niemand hält eine Vorlesung, wenn riesige Stachelspinnen zur Tür hereinspaziert kommen. Statt dessen bückt man sich nach der Strahlpistole. Es ist nur bedauerlich, wenn man auf halbem Wege plötzlich gelähmt stehenbleiben muß. In einer wenig vorteilhaften Pose festgenagelt, stand Spear da und sah die Ergs hereinkommen. Der erste leuchtete die drei Menschen mit einem roten Lichtstrahl an und trat dann zur Seite, um seinen Genossen Platz zu machen. Manners war erstarrt, als er gerade das Energiestrahlrohr hochreißen wollte. Eine der reichlich groß geratenen Kellerasseln trat an ihn heran und entwand die Waffe seinen gefühllosen Händen. Der andere Erg stapfte zu Gwen hinüber und hob sie auf. Spear atmete scharf ein und versuchte mit aller Energie seine Muskeln unter seinen Willen zu zwingen, aber der rote Strahl fesselte ihn besser als ein erstklassiger Reißer. 18
Gwen wehrte sich verzweifelt. Das hinderte sie aber nicht, durch das Loch in der Mauer zu verschwinden. Die anderen Ergs folgten mit dem Strahlrohr und den Strahlpistolen. Der Erg mit dem roten Licht trat zurück. „Sie sind nicht so friedlich, wie wir dachten“, sagte er. „Aber jetzt … wenn Sie Wert auf ein Wiedersehen mit dem Mädchen legen –“ „Wenn ihr etwas zustößt, werden die Raumstreitkräfte Vergeltung üben“, unterbrach Spear den Erg. Der Mundschlitz des gehörnten Igels verzog sich zu etwas, was wie ein Grinsen aussah. „Oh, wir werden sie nicht umbringen“, kicherte er. „Zumindest vorläufig nicht.“ Sobald er gegangen war, flammte das blaue Licht wieder auf. Spear strebte darauf zu. Manners packte ihn. „Schau mal“, sagte der Navigator. Er warf eine Fleischbüchse durch das Loch. Als sie auf das blaue Lichtband traf, nahmen ihre Moleküle so viel kinetische Energie auf, daß sie einfach auseinanderflog. Nichts blieb zurück. „Willst du immer noch da durch?“ fragte Manners.
Der Anführer Die Flüche Spears hatten sich gewaschen. Er starrte wütend in das blaue Licht. „Verdammte Räuberbrut!“ tobte er. Er drehte sich nach Manners um. „Das lassen wir ihnen nicht durchgehen!“ Der Navigator ließ den Arm seines Vorgesetzten los. „Natürlich nicht. Aber wir wollen auch nicht, daß unsere Gefühle mit uns durchgehen. Immer auf die sanfte Tour.“ „Sanft!“ wütete Spear. „Sanft! Wenn diese Blutläuse, diese ausgesprochen –“ 19
Manners hielt seine Hand hoch. „Hör doch auf, Shiny. Das hat überhaupt keinen Zweck. Nun setz dich erst mal und beruhige dich wie ein guter Captain.“ Aber Spear durchmaß immer noch mit Riesenschritten den Raum. Sein Vorstellungsvermögen gaukelte ihm allerlei höchst unangenehme Bilder vor. Er hatte einige Scheußlichkeiten auf dem Saturn erlebt, und wer weiß, was diese blutdürstigen Bestien alles anrichten konnten. „Erwartest du, daß ich mich hinsetze und knobele, während sie – Bist du so ahnungslos, daß du nicht weißt, was sie mit ihr anstellen werden?“ Manners wartete, bis Spear auf das Blech trat. Dann schnellte er zu den Knöpfen im Fußboden und drückte einen davon. Spear erstarrte. Seine Füße gehorchten ihm nicht. Die Strahlung unterhalb des Metalls hielt ihn mit unwiderstehlicher Gewalt fest. „Jetzt wirst du dich endlich ruhig verhalten“, lachte Manners, als er die vergeblichen Befreiungsversuche seines Chefs amüsiert beobachtete. „Fliege auf dem Leim, he?“ Er berechnete den richtigen Augenblick – als Spears Gedanken sich von dem Mädchen seinen Füßen zugewandt hatten – und trat auf einen anderen Knopf. Spear löste sich von dem Blech. „Nun hör mal zu“, sagte Manners und hob die Hand, um Spears Ausbruch abzudämpfen. „Bevor wir weitere Schritte unternehmen, verarbeite erst mal in deinem Kopf, daß das Mädchen verhältnismäßig gut aufgehoben ist – so lange wir hier bleiben. Sie benutzen sie lediglich als Geisel.“ Spear runzelte die Stirne. „Meinst du?“ „Klar“, erklärte Manners. „Die Angriffsvorbereitungen auf den Saturn werden ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchen. Keine Zeit, mit Frauen zu schäkern – selbst wenn sie das wollten.“ 20
Spears Ärger war durch seine Füße in die Metallplatte gefahren. Er war jetzt ganz ruhig. „Ich hoffe, du hast recht“, sagte er. Er ging zu dem Loch in der Wand und sah hinaus. Das blaue Licht bildete eine durchsichtige Abschirmung quer durch den Korridor draußen. Ein leichtes Summen ging von dem Licht aus, es rührte von der darin gebändigten Energie her. Spear dachte nach. Sie saßen ganz schon in der Klemme. Die Ergs hatten das Mädchen – und deswegen würde es einen Mordskrach mit Commander Fletcher geben. Ein Kommandeur der Raumstreitkräfte billigte niemandem mildernde Umstände zu. Und die scheußlichen Kreaturen rüsteten sich zu einem Angriff auf den Saturn. Später wollten sie die Erde erobern. Und das Schlimmste: er war gefangen. Das hieß, daß er die Formeln nicht rechtzeitig abliefern konnte. Gott allein wußte, wie das enden würde. Da Shiny Spear kein Physiker war, konnte er mit den Formeln nichts anfangen, aber er wußte, daß er die einzige Kopie besaß. Das Original war aus Geheimhaltungsgründen vernichtet worden. Er wußte auch, daß die Formeln der Erde eine gewaltige Überlegenheit bei jeder zukünftigen Kriegsdrohung verleihen würden. Alles in allem eine überaus wichtige Erfindung, die er da mit sich herumschleppte. Und dabei ruhten sie sanft in seiner Hosentasche, anstatt im Kommandozentrum von Phoebe ausgewertet zu werden. Er wandte sich wieder Manners zu, aber der Navigator saß auf dem Fußboden und betrachtete den Modulator. Er benutzte ihn als Blickpunkt, während sein Geist bei anderen Problemen weilte. Spear sah sich im Raum um. Die glatten Wände und der Fußboden waren kahl bis auf die Schalttafel mit den Schaltknöpfen und natürlich Manners mit seinen geretteten Ausrüstungsgegenständen. Keine Stelle, um sich zu verstecken und die Wache zu überraschen. Keine Waffen. Ein paar Nahrungsmit21
tel, einige Ersatzteile für die Station auf Phoebe und ein Modulator, der hilflos wie ein Säugling war. Und – nicht zu vergessen – ein Navigator, der – pfiff! Spears Blick wanderte die Wände empor zur Decke. Irgendwas dort? Nein. Eine einzige glatte Fläche aus Metallplastik. Weißes Licht strahlte gleichmäßig hindurch. „Schön“, sagte er zu Manners. „Alles in allem: blendend! – Und wie kommen wir hier raus? Schon über die Antwort nachgedacht?“ Manners reckte seine schlaksigen Glieder und sah auf. Er hörte auf, zu pfeifen und griente. „Na klar“, antwortete er. „Ich würde vorschlagen, wir bitten, zu dem großen weißen Häuptling der Stachelwanzen gebracht zu werden. Wir sagen ihm ehrlich, daß wir die Erde mit samt ihren ganzen aufgeblasenen Raumstreitkräften satt haben. Wir fragen, ob wir nicht mit ihnen gemeinsame Sache machen können.“ Spear starrte den Navigator an. Manners blinzelte heftig mit einem Auge.. „Du weißt, wir wollten uns schon lange mal verziehen, Shiny“, fuhr Manners fort. „Wir wußten aber nicht wohin. Schön, warum nicht Themis? Die Masche! Findest du nicht?“ Sein Augenlid zuckte immer noch auf und nieder, aber in unregelmäßigen Abständen. Lange und kurze Pausen folgten in bunter Folge. Plötzlich kapierte Spear. Manners morste. „Das ist eine gute Idee!“ rief er aus, und er log nicht einmal. „Das machen wir.“ Das Augenlid wurde müde. Manners schaltete auf das andere um. Spear morste zurück. Sie fuhren fort, die Streitkräfte zu beschimpfen und die Erde schlechtzumachen. Verborgene Mikrophone in den Wänden konnten nur die harmlose Unterhaltung belauschen, aber die Zwiesprache mit den Augendeckeln entging ihnen. 22
Nicht, daß es sonderlich wichtige Dinge waren, die sie sich zu sagen hatten. Sie besprachen nur, wie sie sich den Ergs gegenüber verhalten wollten. Solange sie nicht einen tieferen Einblick in die Verhältnisse auf Themis gewannen, würden weitere Pläne nutzlos sein. Gerade zur rechten Zeit erlosch draußen das blaue Licht. Ein Erg trat ein. Er hielt eine flache Scheibe in seinem unteren Fühler, jedoch ließ er das entströmende rote Licht vor sich auf den Fußboden strahlen. „Wenn Sie bereitwillig meine Anweisungen befolgen“, sagte der Erg mit wedelnder oberer Antenne, „brauche ich den Erstarrungsstrahler nicht anzuwenden. Andernfalls aber … Nun, Sie wissen ja Bescheid. Folgen Sie mir!“ Er wies mit einer Antenne auf die Öffnung. „Hier den Korridor entlang.“ Die Männer sahen sich an, zuckten die Schultern und traten durch das Loch. Spear hatte immer noch das Feuerzeug einstecken. Der Erg schloß sich ihnen an. Die Decke des Korridors schien eine Fortsetzung der Zimmerdecke zu sein. Licht gab es genügend, aber keine Fenster. Die Wände waren aus dem gleichen glänzenden, glatten Metall. Der Korridor endete an einer Metallwand, ohne daß man eine Tür sehen konnte. In der Wandmitte hing eine Schalttafel mit verschiedenen Anzeigeinstrumenten und eine merkwürdige Vorrichtung, die, wie sie später erfuhren, ein Transportgerät darstellte. Der Erg drückte mit einem Fuß auf einen Schaltknopf im Fußboden. Die Zeiger bewegten sich. Spear mußte blinzeln und staunen. Er stand jetzt auf der anderen Seite der Mauer, neben ihm Manners. Er schaute an sich hinunter. Er war komplett vorhanden. Die Wache war verschwunden, aber jetzt lehnte ihnen ein anderes Krustentier lässig gegenüber. Es unterschied sich von 23
den übrigen durch eine tief herabgezogene Rückenschale, die nahezu bis zum Boden reichte. Es hatte seine Beine unter sich gezogen, und sein Kopf mit den Fühlern ruhte auf einem gepolsterten Block. Die Scheibe eines Lähmungsstrahlers lag in Reichweite. Dieser Erg erinnerte an eine Schildkröte, die ihres Lebens müde geworden war und gerade ihren Winterschlaf hielt. Der Raum war groß und mit verschiedenen technischen Geräten ausgerüstet. Ein riesiger Fernsehschirm nahm fast eine ganze Wand ein. Die anderen Wände waren mit Anzeigeinstrumenten, Hebeln und Schaltern auf verschiedenen Schalttafeln bedeckt. Ein Streifen des Fußbodens an jeder Wand war mit Schaltknöpfen besetzt. „Es tut mir leid, daß ich Ihnen keine Sitzgelegenheit anbieten kann, meine Herren“, begann der Erg. „Wir haben nichts Passendes. Bitte, machen Sie es sich wenigstens auf dem Fußboden bequem.“ Die beiden Männer kamen der Aufforderung nach, wobei sie den Gepanzerten vorsichtig musterten. „Zuerst eine kleine Unterhaltung“, sagte er. Mit einem seiner Füße drückte er auf einen Knopf im Fußboden. Es kratzte und krachte in einem Wandlautsprecher, und dann ertönte Spears Stimme klar und laut. Wort für Wort wurde ihr Gespräch wiedergegeben. Die Stimme der Wache mischte sich ein, und der Erg schaltete ab. „Sehen Sie“, sagte er. „Ich brauche dazu nichts weiter zu sagen, denke ich. Höchstens, daß in jedem Raum der Niederlassung solche Bandaufnahmen festgehalten werden.“ Der Erg legte sich wieder bequem zurecht. Das Licht der Decke spiegelte sich in seinem Rückenpanzer und strahlte in seinen Knopfaugen wider. Er starrte die Menschen traurig an. Spear und Manners zuckten nicht mit der Wimper. 24
„Ich heiße Krog“, schnurrte der Erg, „und ich bin der Herrscher von Ligidia. Sie haben schon von unserer Sprachdroge gehört. Deshalb verstehen Sie mich, als spräche ich tatsächlich universal. Wir unterhalten uns durch Wellen, die wir von unseren oberen Antennen aussenden und auch mit diesen empfangen. Die Droge verwandelt für Sie die Wellen in verständliche Worte.“ Der Schlitz seines Mundes weitete sich zu einem gespenstischen Grinsen, und die Knopf äugen schwangen hin und her. Das häßliche Ding amüsierte sich offenbar. „Natürlich sind wir keine Tiere, obwohl wir Ihnen äußerlich so vorkommen“, fuhr Krog fort. „Wir entwickelten unseren Verstand weit über die ursprünglichen Anlagen hinaus und sind nun hier die Herren. Bald werden wir das ganze Sonnensystem beherrschen. Anschließend werden wir uns neuen Gebieten zuwenden. Cygnus nähert sich unserem Sonnensystem, wer weiß …“ Spear rief sich seine Rolle wieder ins Gedächtnis. Er schluckte eine kräftige Entgegnung hinunter. Dann kam er zu einem Entschluß. Schön, Krog, warte nur, bis der Vorhang gefallen ist und ich von der Bühne herunter bin! Dann wirst du dein blaues Wunder erleben, Mister Spinnenkrebs. Artig sagte er seinen Vers auf. Sein Auftritt wäre von einem kritischen Betrachter zweifellos nicht als überzeugend bezeichnet worden, aber man konnte sich vor einem Paar Knopfaugen einfach nicht natürlich geben. Das Krustentier schluckte aber Spears Köder mitsamt Angelhaken und Angelrute. Dem Angler war das nur lieb. „Es tut mir leid, meine Herren“, antwortete Krog darauf. „Ihre Wut auf die Raumstreitkräfte ist ganz verständlich – das sind doch Pfuscher. Ich fürchte aber, daß Ihre mangelnde Übung und die fehlenden Fähigkeiten Ihre Mitarbeit in unseren Streitkräften unmöglich machen.“ 25
Spear bemühte sich krampfhaft, seinen Ärger zu verbergen. Immer sachte, Junge, dachte er, deine Zeit kommt schon noch. „Würde das Training denn so lange dauern?“ fragte er scheinheilig. „Wir begreifen schnell.“ Krog spreizte seine unteren Antennen. Er sprach rasch. „Unsere Ausbildung ist bedeutend moderner, als Sie denken. In unseren Augen rennen Sie noch nackt herum, während wir schon eine hohe Zivilisation besitzen. Wir waren technisch schon im Jahre 1905 so modern ausgerüstet, daß wir sofort nach der Entdeckung unseres Planeten Themis durch Ihren Astronomen Pickering einen Energieschirm rund um unseren Planeten errichten konnten, der keine Lichtstrahlung reflektiert. Damit verschwand der neuentdeckte Saturnmond. Sogar jetzt könnte uns niemand auf der Erde entdecken.“ Er wechselte das Thema. „Nein, der Grund meiner Ablehnung ist ein anderer. – Ich ließ Sie hierher bringen, um Ihnen etwas zu zeigen. Das wird Sie vielleicht davon abhalten, noch mehr von meinen Männern umzubringen.“ Männer, dachte Spear, er nennt diese Scheusale Männer! „Es kommt mir nicht darauf an, ein paar im Krieg zu verlieren, aber für nutzloses Töten habe ich gar nichts übrig. Schauen Sie!“ Krog drückte mit einem Fuß auf einen Knopf. Der Bildschirm wurde lebendig. Er zeigte das Innere eines Raumes, der dem Gefängnis der drei sehr ähnlich sah. Die beiden Männer erkannten Gwen. Man sah ihnen an, daß sie mit keinem Gedanken darauf kam, drei Augenpaare könnten sie beobachten. Sie tastete die glatten Wände ab, und man sah, daß sie blind war. „Es tut mir leid, daß ich ihr für einige Zeit das Sehvermögen nehmen mußte“, sagte Krog mit ausdrucksloser Stimme. „Das ist ganz leicht. Man braucht nur einen Oszillator mit der richtigen Frequenz zum Schwingen zu bringen und den Sen26
destrahl auf die optischen Nerven zu richten. Wir können mit anderen Frequenzen auch noch andere Nerven stören. Passen Sie auf.“ Krog drückte andere Knöpfe. Anzeigeninstrumente wurden lebendig. Und Gwen fiel zu Boden und wand sich wie unter starken Schmerzen. Spear sprang auf. Manners hielt ihn zurück. Krog schaltete ab, und Gwen blieb bewegungslos liegen. Sie konnten ihr schweißnasses Gesicht sehen. Krog schaltete den Bildschirm aus. Er kicherte böse. „Zum Teufel –“, begann Spear. „Ich weiß, wie Ihnen zumute ist“, unterbrach ihn Krog. „Diese Stimmung wollte ich in Ihnen wecken. Nun werden Sie wohl kaum den starken Mann markieren wollen. Sie werden sicherlich jetzt nichts riskieren, denn Sie möchten doch nicht, daß diese Oszillatoren zwei Stunden in Betrieb bleiben. Verstehen Sie, was ich meine?“ „Kapiert“, entgegnete Spear. „Wir können nicht viel unternehmen, das meinten Sie doch?“ „Absolut nichts“, sagte Krog. „Höchstens könnt ihr brave Jungs sein, Sie und Ihr stummer Begleiter.“ Krog schielte zu Manners. Der blauäugige Bursche starrte mit leerem Gesichtsausdruck den ebenso leeren Bildschirm an. Spear sah Manners an und sein Skalp juckte. Manners war innerlich bis zum Zerreißen gespannt, aber er zuckte mit keiner Wimper. Spear kannte das. „Und nun werden Sie wieder in einen anderen Raum gebracht“, sagte Krog, „aber ohne Loch in der Mauer. Sie stehen immer noch unter strengem Arrest. Später werden wir Ihren Vorschlag noch einmal erörtern. Aufstehen!“ Er legte einen Hebel um. Ein sausendes Geräusch ertönte, und Spear fand sich vor einer glatten Wand wieder. Manners erschien an seiner Seite, und da war auch schon die Wache mit 27
dem rot strahlenden Stab in der Fühlerantenne, der auf den Boden zeigte. „Da wären wir wieder“, begann Spear. „Wir haben …“ Seine Rede wurde durch einen lauten Heulton abgeschnitten, der ihnen durch Mark und Bein ging. Verschiedene Signallampen auf der Schalttafel begannen wie verrückt aufzublitzen. Der Wachtposten trat sofort vor das Transportgerät, das sie hierher befördert hatte. Als er den Auslöseknopf niederdrücken wollte, fragte Spear: „He, was gibt es?“ „Ein Angriff“, sagte der Erg hastig. „Die Saturnier. Rühren Sie sich nicht von der Stelle!“ Sein Fuß fuhr auf den Auslöser nieder, und er verschwand. „Da können wir nicht viel machen“, meinte Spear. „Ach, ich weiß nicht“, entgegnete Manners gedehnt. „Wir könnten uns was ausdenken.“ Spear schaute ihn verdutzt an. Offenbar hatte er die Sache nur halb mitgekriegt. Sein Gehirn begann vielleicht gerade, auf vollen Touren zu laufen, und da hatte er das Wort Angriff gar nicht mitbekommen. Jetzt hätte man schon eine Strahlenpistole gebraucht, um Manners den Kopf zurechtzurücken. Spear wandte sich ab. Er legte sein Ohr an die Wand. Es schien was los zu sein, viel Getrampel, viel Geschrei. Dann gab es ein riesiges Getöse, und in der Wand klaffte ein großer Riß. Manners sah auf. „Da geht es raus“, sagte er lakonisch.
Dämonen des Saturn Wenn ein Mann zwischen stählernen Wänden eingesperrt ist, hat er nur einen Gedanken: Flucht. Wenn einer noch dazu zwei interplanetarische Kriege mitgemacht hat, stört ihn eine kleine 28
Explosion nicht weiter. Und wenn er noch dazu lebenswichtige Formeln bei sich trägt, die für das Schicksal seines Mutterplaneten entscheidend sein können, springt er eben durch die Wand, sobald sich ein Loch in ihr zeigt. So als ob die Sprengwirkung alle anderen Gedanken aus seinem Hirn geblasen hätte. Genauso handelte Spear. Glücklicherweise war der Energieschirm durch die Explosion auch zerstört worden, so daß sich Spear nicht in Atome auflöste. Er torkelte gegen die Außenwand und versuchte klar zu denken. Manners folgte ihm taumelnd. Jetzt kam ihnen die Erfahrung zu Hilfe, und sie schüttelten ihre Benommenheit ab. Sie sahen sich um. Sie standen wieder im Freien, hatten blauen Himmel über sich und blaues Eis zu ihren Füßen. In der Ferne konnten sie durch rötlichen Dunst die Felsen erkennen, bei denen sie mit dem Raumschiff gestrandet waren. Überall lagen im Gelände verstreut genau solche Metallgebäude wie das, aus dem sie gerade entflohen waren. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich, alle besaßen an einer Wand das Transportgerät, und alle waren durch enge Röhren miteinander verbunden. Das Gebrüll durchschnitt noch immer die Luft; die Ergs kreischten in höchster Todesnot. Die lautlosen Strahlenquanten aus den Gammatrons der Saturnbewohner rasten ihren Zielen zu und rissen alles in Fetzen. Nichts hielt der frei werdenden Energie stand; da gab es keinen Schutz. Die Ergs der Ansiedlung waren bereits alarmiert, und das heulende Sirenensignal war wieder verstummt. Die Krustentiere mühten sich zwischen den Gebäuden fieberhaft mit ihren Verteidigungsvorbereitungen ab und brachten ihre Waffen in Bereitstellung. Offenbar hatte sie der Angriff unvorbereitet getroffen, denn sie kümmerten sich gar nicht mehr um ihre Gefangenen. Mit ihren großartigen Erfindungen zur Verteidigung schien es auch nicht allzuweit her zu sein, sonst hätten sie nicht derartige Verluste ein29
stecken müssen. Spear erfüllte diese Feststellung mit großer Genugtuung. Er lauschte den Schreien und Rufen. Das waren vertraute Klänge. Zwei Kriege hatten ihm die Furcht abgewöhnt. Nur ein grenzenloser Widerwille war übrig geblieben und ein Gefühl für die Unvermeidlichkeit des ganzen Geschehens. Falsch angewandte Wissenschaft. Irregeleitete Anstrengungen. Das war der Krieg – Verschwendung von Energien und Lebewesen. Aber noch war er Captain der Raumstreitkräfte. Spear wandte sich Manners zu. „Wollen wir abwarten, bis sie sich gegenseitig ausrotten?“ fragte er. „Die Ergs sind von Grund auf böse und prahlerisch. Ihr Verschwinden wäre eine Wohltat für unser gesamtes Sonnensystem.“ Der Navigator überblickte das Schlachtfeld mit mäßigem Interesse. „Na klar. Wir machen inzwischen einen Verdauungsspaziergang in Richtung Gwen.“ „Das ist der erste Punkt unseres umfangreiches Programms“, meinte Spear. „Dann versuchen wir, uns eins ihrer Raumschiffe unter den Nagel zu reißen und nach Phoebe zurückzukehren. Wie sollen wir Gwen aber finden?“ Er schaute sich unsicher um. „Diese Blechkanister kann man ja nicht voneinander unterscheiden. Warum, zum Teufel, konnten sie uns nicht mit Erkennungssendern ausrüsten? Wir haben zwar welche, die nach unserem Tode den Standort ausstrahlen, aber jetzt wäre ein Signal von Gwen angebrachter.“ „Immerhin können wir für den Anfang zufrieden sein“, sagte Manners. „Ich nehme an, daß Krog uns einzig aus dem Grunde nicht ins Jenseits befördert hat, um zu vermeiden, daß ein Schwarm Raumkreuzer nach uns sucht.“ Das oberste Hauptquartier der Raumstreitkräfte rüstete alle Angehörigen und Soldaten mit kleinen Kristallsendern aus, die auf die Herzströme reagierten. Setzten die Herztöne mit dem 30
Tod eines Soldaten aus, so wurde über eine Halbleiterschaltanordnung mit zwei winzigen Transistoren das Notsignal gesendet. Suchkommandos waren kostspielig und zeitraubend, deshalb hatte man dafür gesorgt, daß die Sender nur im Todesfall in Aktion traten. Immerhin waren die Offiziere und Mannschaften der Raumstreitkräfte ja schließlich dazu da, Gefahren auf sich zu nehmen. Die zwei Männer lagen auf dem Bauch und versuchten, unauffällig nach der Metallwand hinter sich zu blicken. Die kalte Eisfläche weckte in ihnen wehmütige Gedanken an die voreilig abgelegten Raumanzüge, die wahrscheinlich noch friedlich bei dem Wrack des Raumkreuzers lagen. Die Kälte drang durch die dünne Kleidung und ließ das Fleisch darunter erstarren. Manners zitterte. „Wir sollten lieber woanders hingehen, was?“ meinte er. „Wie war’s, wenn wir das am schwersten bewachte Gebäude suchten? Der alte Krog ist bestimmt darin und ebenfalls der Bildschirm, der uns vielleicht Gwens Aufenthaltsort verrät.“ „Das am schwersten bewachte Gebäude?“ sagte Spear. „Bist du etwa ein Rammbock? Na, meinetwegen. Der eine muß Schmiere stehen, während der andere versucht, sich hineinzuschleichen. Und ich wette, daß ich das sein werde.“ Manners lachte. „Schön“, meinte er. „Ich verstehe aber mehr von Bildschirmen als du.“ „Wie du meinst. Schieben wir los!“ Sie schlitterten über das Eis. Die meisten Metallgebäude standen unbewacht, weil die Ergs alle auf der anderen Seite der Niederlassung in den Kampf mit den Angreifern verwickelt waren. Aber einige Gebäude wurden von einem Kordon der schalengepanzerten Stachelspinnen umgeben. Die Männer schlängelten sich langsam vorwärts. Das Eis war glatt wie Glas, und sie kamen leicht vorwärts. Sie blieben immer an der Gebäudeseite, wo sie von den Ergs nicht gesehen 31
werden konnten, und verschafften sich so schnell einen Überblick über die Ansiedlung. Bald hatten sie ein Gebäude entdeckt, das von zehn Posten bewacht wurde, während vor den anderen höchstens drei postiert waren. „Das muß es sein“, sagte Spear. „Du schleichst dich zum Transporter. – Glaubst du, daß du ihn in Gang setzen kannst? Gut! Sobald du dort angekommen bist, werde ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken und die weiße Flagge hissen. Dann gehst du hinein und versuchst, deine Aufgabe zu lösen. Es kann sein, daß du allein fertigwerden mußt! – Hier, nimm das Feuerzeug an dich und übergib es Professor Adams mit meinen besten Grüßen. Er wollte das verdammtes Ding schon immer haben.“ Manners nahm das Feuerzeug an sich und grinste. Er kannte seine eigentliche Bedeutung nicht. „In Ordnung, Shiny. Ich schätze aber, daß du es ihm doch noch selbst übergeben wirst. Wir haben schon ungemütlichere Situationen als diese hier überlebt. Also, bis nachher, trotz allem.“ Spear beobachtete gespannt, wie sein Navigationsoffizier sich bis zu dem Transporter vorarbeitete. Ein tüchtiger Bursche, dieser Dirk. Genau der Kamerad, den ein Kapitän auf seinem Schiff brauchte. Er würde selbst bald Kapitän auf einem eigenen Schiff sein. Natürlich nur, wenn es ihnen gelang, Themis zu verlassen! Spear sah Manners an dem verabredeten Ort ankommen. Der Captain warf noch einen Blick auf die Ergs, holte tief Luft und rannte los. Er war schon ein gutes Stück fort, ehe die Wachen ihn sahen. Sofort lösten sich fünf Ergs vom Gebäude und rannten hinter ihm her. Aus irgendwelchen Gründen benutzten sie nicht den Erstarrungsstrahler. Vielleicht trugen sie seit dem Angriff nur tödliche Waffen, wollten ihn aber wegen des eingebauten Notsignals nicht umbringen. Das glatte Eis war keine ideale Rennbahn. Noch schlechter war es für den Zickzacklauf 32
Captain Spears geeignet. Als er dreihundert Meter gerannt war, rutschte er mit einem Bein aus und schlug hart auf. Der Aufprall tat seinem halbgefrorenen Fleisch nicht gut. Er verlor für einen Augenblick seinen Orientierungssinn. Dann setzte er sich auf und wartete, daß die Ergs über ihn herfallen würden. Die paar Sekunden mußten doch genügt haben, um ihn einzuholen. Er drehte sich um, weil er feststellen wollte, warum sie nicht kamen. Was er sah, ließ ihn erstarren, obwohl er es schon früher erlebt hatte. Die Ergs waren alle tot. Zumindest lagen sie bewegungslos auf dem Eis, mit leblosen Fühlern, und das konnte nur Tod bedeuten. Eine Gruppe von Saturniern stand um sie herum. Und einer hatte Spear entdeckt. Da fiel ihm alles wieder ein. Die Jupiteraner waren schon kein reines Vergnügen gewesen, aber die Saturnier übertrafen alles andere an Grausamkeit. Der eine von ihnen, der gerade auf ihn zukam, war ein typischer Vertreter seiner Rasse. Er sah aus wie eine riesige Orange im Zustand beginnender Fäulnis. Der Körper war kugelförmig, und gewissermaßen um den Äquator zog sich ein ringförmiger Wulst. Jeder Quadratzentimeter seiner Oberfläche war mit grünlich und bläulich schimmerndem Schleim bedeckt, der aus winzigen Poren austrat. Das Wesen war so groß wie ein kleines Auto – ein dicker, häßlicher, aufgeblasener Ball. Der Saturnier konnte sich bemerkenswert schnell durch schlängelnde Bewegungen seines Unterteils fortbewegen. Der untere Teil der schleimigen Kugel machte dabei so scheußliche Bewegungen, daß es einem nur vom Zusehen übel wurde. Ganz oben thronte eine kleinere bläulich schimmernde Kugel, etwa so groß wie ein Fußball, der Kopf des Saturniers. Die Farbe des Kopfes wechselte von blau zu rot, wie fluoreszierende Tinte. Und als Krönung des Ganzen starrte Spear aus der Mitte dieses Kopfes ein einziges, lidloses gelbes Auge an. 33
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Spear stand auf, als der Saturnier auf ihn zukam. Er wußte, daß Flucht zwecklos war. Die teuflischen Waffen dieser Wesen wurden von ihren körperlichen Eigenschaften fast noch übertroffen. Wenn sie wollten, konnten sie mit fünfzig Stundenkilometer durch die Gegend sausen. Das hatte er schon erlebt. Als sich ihm die häßliche Kugel näherte, warf Spear einen schnellen Blick auf das Gebäude. Die anderen Ergs waren tot. Saturnier standen in der Nähe der Metallwände und hielten ihre Gammatrons im Anschlag. Von Manners war nichts zu sehen. Der Saturnier näherte sich Spear ohne ein feindseliges Zeichen. Sie konnten sich das leisten, das wußte Spear. Ihm war aber auch bekannt, daß der Saturnier ihn auf den leisesten Verdacht hin mit dem Strahl einer dunklen Flüssigkeit aus seinen Eingeweiden töten konnte. Die Wirkung dieser chemischen Verbindung auf menschliches Fleisch war größer als konzentrierte Schwefelsäure; im Nu hätte sie sich zu seinem Gehirn durchgefressen. Aber der Saturnier spie ihn nicht an. Statt dessen sprach er. „Welche Freude, Erdenmensch“, sagte er. „Wir erwarteten nicht, Angehörige unserer – hm – Alliierten hier vorzufinden.“ Spear war platt. Nie zuvor war er von einem Saturnier angesprochen worden; und er hatte schon viele gesehen und bekämpft. Früher hatte man die Verständigung telepathisch von Gehirn zu Gehirn durchgeführt. Dann fiel ihm plötzlich ein, daß dies zweifellos eine Auswirkung der Sprachdroge war. Was für eine Sprache die Saturnier auch benutzen mochten, sie wurde automatisch in Universal übersetzt. Wenn sich das so verhielt, mußte er auch antworten können. Er versuchte es. „Wir – hm – sind nur zufällig hier“, sagte er. „Mein Raumkreuzer stieß hier mit dem Energieschirm zusammen und stürzte ab.“ Der Saturnier wackelte verstehend mit dem Kopf. 35
„So ist es uns früher auch einmal ergangen“, sagte er. „Das war damals, als wir unseren Heimatplaneten fluchtartig verlassen mußten, weil wir – hm –“ er betrachtete Spears Rangabzeichen, „nun, wir brauchen nicht näher darauf einzugehen. Das ist alles vorbei, nicht wahr? Wir sind jetzt mit der Erde und ihren Bewohnern befreundet.“ Spear kämpfte mit sich, um offen und freundlich zu erscheinen. Es wäre nicht gut, wenn der Saturnier seine Gedanken telepathisch überprüfen würde. Wichtige Staatsgeheimnisse würde er vorfinden, wenn das passierte. Aber zum Glück konnte er nicht die Einzelheiten der wichtigen Formeln aus ihm herausholen, denn die wußte Spear selbst nicht! Der Saturnier hatte sich wieder umgedreht und bewegte sich auf seine Kameraden zu. Offenbar erwartete er, daß Spear ihm folgte. „Und Ihre Besatzung, Captain?“ fragte er. „Ist sie auch hier?“ Spear dachte fieberhaft nach. Es war nicht gut. den Dummkopf zu spielen, gerade jetzt nicht. Er erinnerte sich der papageienhaft nachgeplapperten Instruktionen aus früheren Unterrichtsstunden über dieses Thema. Freundliche Beziehungen müssen stets bis zum letztmöglichen Augenblick aufrecht erhalten werden, auch wenn das eine große persönliche Gefahr bedeuten kann! Er sah den Saturnbewohner ins gelbe Auge. „Ja“, antwortete er, „sie ist auch hier. Wir sind – vielmehr waren – Gefangene der Ergs. Ich hatte einen Navigationsoffizier und einen weiblichen Passagier mit an Bord.“ Der Saturnier blieb stehen und schaute erstaunt zu Spear hinab. „Eine Dame?“ fragte er verblüfft. Spear fluchte innerlich. Er erinnerte sich, daß die Saturnbewohner während des letzten Krieges ein auffälliges Interesse für Frauen von der Erde gezeigt hatten. Es schadete sicher nichts, wenn man ihm vorsorglich etwas Respekt einflößte. Das konnte nur Gwens Vorteil sein. 36
„Ja, sie ist die Tochter von Commander Fletcher“, erklärte Spear. „Er befehligt den Stützpunkt auf Phöbe.“ „Ich kenne ihn ganz gut“, sagte der Saturnbewohner. „Seine Kompanie nahm mich am Anfang des Krieges gefangen. Ich trage ihm aber nichts nach.“ Jedoch ein unterdrückter Anflug von Befriedigung schwang in seiner Stimme. Jetzt wurde sein Ton ausgesprochen ölig. „Es ist besser, wir holen Ihre Freunde heraus und bringen sie alle in Sicherheit. Wo ist die junge Dame?“ Spear freute sich, diesmal die Wahrheit sagen zu können. „Das versuchte ich gerade herauszufinden, als der Angriff stattfand“, erklärte er. „Ich habe keine Ahnung, wo sie und der Navigator sind.“ „Dann werden wir alles systematisch durchsuchen“, sagte der Saturnbewohner. „Der Angriff hatte den Zweck, eine genügende Menge der Sprachdroge zu erbeuten. Sie ist für verschiedene Vorhaben sehr brauchbar. Sobald wir diesen Auftrag abgeschlossen haben, werden wir uns der Suche nach Ihren Freunden zuwenden. Im Augenblick jedoch …“ Er beendete den Satz nicht. Sie waren inzwischen bei den anderen Saturniern angekommen. Auf den lauten Ruf eines Saturnbewohners schauten alle hoch. Er stand in der Nähe des Metallgebäudes, das nur wenige hundert Meter entfernt war. Plötzlich zogen sie sich alle fluchtartig zurück. Aus den aufgeregten Wortfetzen konnte Spear entnehmen, daß die Krustentiere wieder mit Verstärkungen zurückgekehrt waren und die Front der Saturnbewohner überrollt hatten. Die Abteilung, bei der Spear jetzt stand, hatte die Flanke zu halten und zog sich nun eilig zu den Düsenwagen zurück, die hinter den Felsen standen. Spear hoffte einen Augenblick, daß ihn der Saturnier vergessen würde, aber eine Sekunde später wußte er, daß sein frommer Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte. Der eine streckte 37
plötzlich einen schwammigen Scheinfuß nach ihm aus und preßte ihn an seinen schleimigen Körper, dessen Absonderung sogleich Spears Kleider durchtränkte. Er war wehrlos. Der Griff des Scheinfußes war bemerkenswert hart, wenn man an die gallertartige Beschaffenheit des ganzen Wesens dachte. Und darüber hinaus raste die Kugel mit ihm im Vierzig-Kilometer-Tempo über die Eisfläche. Spear schaute nach dem Gebäude zurück, in dem Manners verschwunden war. Er sah einen Trupp Ergs ankommen, die sich hastig verteilten. Manners war nicht zu sehen. Dann dachte er plötzlich an das Feuerzeug, und ihm brach der kalte Schweiß aus. Andererseits sagte ihm die Vernunft, daß es im Hinblick auf den Charakter der Saturnier ganz gut war, wenn sie das Feuerzeug nicht in seiner Hosentasche fanden. Innerhalb weniger Minuten hatten die Saturnier die Ergs weit hinter sich gelassen und mäßigten ihr Tempo etwas. Zwanzig Sachen reichten aber immer noch. Spear wurde von dem Saturnier eisern festgehalten. Von allen Seiten strömten die Kugeln zu ihren Wagen. Jeder nahm sofort von selbst seinen richtigen Platz ein und bereitete sich, seiner Dienststellung entsprechend, für den weiteren Verlauf der Kampfhandlung vor – und das alles ohne jeden mündlichen Befehl. Spear wurde in einen der Wagen geworfen. Nicht besonders höflich, sogar ziemlich brutal. Er wandte sein Gesicht dem Saturnier zu, der ihn so unsanft auf den Boden des Wagens geworfen hatte. Er hätte schwören können, daß er in dem gelben Auge teuflisches Vergnügen aufblitzen sah. „Nun, mein Herr“, sagte der Saturnier, „Sie sind jetzt kein Gefangener der Ergs mehr, dafür aber einer der bedeutend intelligenteren Bewohner des Saturn. Ich bin sicher, das wird Ihre Stimmung gewaltig aufpulvern. Sicher sind Sie ein vernünftiger Mann. Wir haben eine Menge Fragen, auf deren Antworten wir brennen. Und, ja, unser neues Gerät zur Zerstäubung von Orga38
nismen – besonders irdischen – möchte ich Ihnen auch zeigen. Das dürfte Sie sicher ungemein interessieren.“
Die goldene Stadt Es fällt immer schwer, den Vorgesetzten im Stich zu lassen, ganz besonders, wenn er ein netter Kerl ist, und es leicht passieren kann, daß man ihn nie wieder sieht. Dazu hat man in so vielen Kämpfen immer zusammengehalten, und der gesunde Menschenverstand sagt einem, daß es einmal schiefgehen wird. Das hieße dann, man bekäme einen neuen Chef, oder der Chef bekäme einen neuen Navigationsoffizier. Manners zerbrach sich den Kopf, wie sein Chef wohl mit einem anderen Navigator auskommen würde. Jetzt war aber keine Zeit, müßigen Gedanken nachzuhängen. Diese Ergs besaßen verschiedene tödliche Waffen, und ihre Wirkung hatte er an den Saturniern schon studieren können. Im Gegensatz zu Krog wußten die Wächter möglicherweise nichts von dem eingebauten Notsender, der im Falle seines Todes in Aktion trat. Und dann hatten sie vielleicht keine Hemmungen, ihn umzubringen. Er glitt über das Eis und näherte sich vorsichtig dem Transporter. Sobald er von den Wachen nicht mehr gesehen werden konnte, blieb er stehen und sah nach Spear. Als er ihn brüllend und mit rudernden Armen über das Eis laufen sah, dachte er: Junge, Junge, Jetzt ist der Augenblick zum Handeln gekommen. Aber erst mal abwarten, was die Wachen machen. Zwei Sekunden später sah er, wie die Wachen Spear verfolgten. Plötzlich zögerten sie, ließen ihre Waffen fallen und nahmen dann wieder die Verfolgung auf. Aber die restlichen fünf Posten blieben eisern in der Nähe des Gebäudes. Das war eine verflixte Geschichte. Fast sah es so aus, als seien Spears An39
strengungen vergeblich gewesen. Manners lag noch an derselben Stelle und dachte angestrengt nach. Die Ergs hatten ihn noch nicht gesehen, und die Luft war von dem brüllenden Lärm der Gammatrons erfüllt. Wenn er sich nur etwas ausdenken könnte, um die verbliebenen Posten los zu werden. Als er zu ihnen hinüber sah, bemerkte er, wie sie die Lücken ausfüllten, die jene fünf hinterlassen hatten. Nur noch einer stand jetzt neben dem Transporter. Manners fühlte seine Taschen ab, aber nicht etwa, weil er hoffte, viel Brauchbares darin zu finden. Seine Finger ergriffen einen Taschenspiegel. Er kicherte. Das war eine seiner Eigenheiten, die jeden an der Bar zum Lachen brachte, seine Eitelkeit. Vermutlich war er der einzige Offizier innerhalb der Raumstreitkräfte, der einen Spiegel bei sich trug, um seine blonden Locken ordentlich zu legen. Plötzlich durchfuhr ihn ein Gedanke. Dann wurde sein Kichern lauter, als er den Spiegel herauszog. Sie würden vielleicht in Zukunft nicht mehr so laut über ihn lachen, wenn sie davon hörten – vorausgesetzt, es klappte und er kam zurück! Vorsichtig schlich er hinter den Erg, der den Transporter bewachte. Die Aufmerksamkeit des Postens wurde durch die Kampfhandlungen am Horizont vollauf in Anspruch genommen, wo die Truppen der Saturnbewohner durchzubrechen versuchten. Der Lähmungsstrahler hing in dem unteren Fühler, und der rote Strahl traf nur das Eis. Plötzlich sprang Manners vorwärts und streckte dem Posten den Spiegel entgegen. Er spiegelte den roten Lichtstrahl unter die Rückenschale des Ergs und war erstaunt über die Wirkung. Der Effekt auf Menschen war lähmend, aber auf das Krustentier schienen die Strahlen sogar tödlich zu wirken. Warum schrumpfte die Kreatur sonst so eigentümlich zusammen und streckte sich bewegungslos auf dem Eis aus? Manners beschloß, später darüber nachzugrübeln. Jetzt 40
sprang er erst einmal hoch und stellte sich vor das Transportgerät. Ein Druck auf den Knopf, während er hinter sich die rauhen Schreie der Saturnier und die Rufe der Wachen hörte, und schon war er im Innern und sah sich Krogs Riesenbildschirm gegenüber. Die Entsetzensschreie außerhalb der Mauer verrieten ihm, daß die Wachen von den Saturniern überwältigt worden waren. Aber die Wände standen noch, und Fenster gab es nicht. Vielleicht würden die Saturnier überhaupt nicht hereinkommen. Er entschloß sich, auf diese Möglichkeit zu bauen und nach dem ursprünglichen Plan zu verfahren. Er betrachtete einen Augenblick gedankenvoll die verschiedenen Knöpfe und Anzeigeinstrumente vor dem Bildschirm und grübelte über ihre Bedeutung nach. Schließlich unterschied sich diese Einrichtung grundlegend von der Fernsehtechnik der Erde, und überdies gab es keinerlei Beschriftung, die ihm verriet, was die einzelnen Tasten bewirkten. Er probierte auf gut Glück einen Knopf aus, aber auf der Schalttafel leuchtete nur eine Signallampe auf, sonst geschah nichts. Vielleicht hieß das, daß der Bildschirm betriebsklar war. Na schön, dann vielleicht dieser Schalthebel. Manners legte ihn bis zum ersten Markierungspunkt um und wartete gespannt, was passieren würde. Der Schirm leuchtete auf, zeigte aber nur einen leeren Raum. Manners versuchte die anderen Schaltstellungen. In der sechsten Schaltstellung wurde er für seine Ausdauer belohnt, denn Gwens Gestalt erschien auf dem Bildschirm. Sie hielt ihr Ohr lauschend an die Mauer gepreßt und versuchte offensichtlich, sich ein Bild über die Ereignisse draußen zu machen. Manners begriff, daß es nicht gelingen würde, auf diese Weise mit ihr in Verbindung zu treten. Dieser Bildschirm war nur für Empfang gedacht, und außerdem sah Gwen nichts. Manners wandte seine Aufmerksamkeit statt dessen einem kleinen beleuchteten Lageplan unterhalb der Schalttafel zu. Er bestand aus lauter quadra41
tischen Feldern, von denen eines leuchtete. Er folgte einem plötzlichen Impuls, drehte den Schalthebel in eine andere Stellung und grunzte zufrieden. Ein anderes Feld leuchtete jetzt auf. Dasselbe passierte mit allen übrigen Schaltstellungen. Die Stellungen und die Felder waren miteinander verbunden, wobei offenbar jedes Feld eins der Gebäude darstellte. Wenn man es begriffen hatte, war es ganz einfach. In der siebten Schaltstellung sah er beispielsweise die zurückgelassenen Ausrüstungsgegenstände. Er markierte die zwei Felder, die Gwens Gebäude und ihr erstes Gefängnis darstellten, mit zwei eingekratzten Linien und riß dann den ganzen Lageplan aus seinen Halterungen. Er steckte ihn in seine Tasche und durchsuchte nun den Raum. Vielleicht fand er etwas, was er später gebrauchen konnte. Die meisten Gegenstände waren zu groß oder zu schwer zum Mitnehmen, aber vier Gegenstände konnte er gut in seiner Hosentasche verstauen, was er auch tat. Dann ließ er sich wieder durch den Transporter nach der Außenseite des Gebäudes bringen. Manners war nun für alle Eventualitäten gerüstet. Vor ihm lag ein toter Erg, daneben ein Taschenspiegel. In der Luft rauhe Rufe. Weiter hinten die unförmigen Saturnier, die immer näher kamen. Er wunderte sich. Das war ja genau dieselbe Situation wie vorhin, als er in das Gebäude eingedrungen war. Das konnte ja nicht möglich sein, er hatte doch eine Unmenge Zeit da drin vertrödelt. Die durchsichtige Lagekarte und die paar kleinen Ausrüstungsgegenstände in seiner Hosentasche gaben ihm die Gewißheit, daß er noch alle fünf Sinne beisammen hatte. Er war tatsächlich in dem Gebäude gewesen. Wie sollte er sich das nur erklären? Plötzlich schoß ihm die Lösung in all ihrer Unglaublichkeit durch den Kopf. Eine Zeitmaschine! Die Wissenschaftler auf 42
der Erde hatten darüber schon jahrelang theoretische Betrachtungen angestellt und standen jetzt kurz vor der praktischen Auswertung. Manners konnte sich noch gut an die Stimme des Vorlesenden erinnern, wie er über die vermutliche Struktur der Zeit sprach. „Wir dürfen nicht glauben, daß es nur eine bestimmte Zeit gibt … es existieren nebeneinander verschiedene gleichwertige Zeiten … sie sind alle miteinander verknüpft … Wenn wir Molekularfrequenzen beeinflussen könnten, müßte es möglich sein, von einer Zeitkoordinate auf die andere überzuwechseln …“ Die theoretische Beweisführung erschien ihm aber zu weit hergeholt, und Manners wandte sich damals lieber dem praktischen Thema der Astrophysik zu. Hier wurde die Theorie aber jetzt praktisch demonstriert – und noch dazu von gepanzerten Stachelwanzen! Aber warum eigentlich nicht? Schließlich besaßen die Menschen auch beachtliche Errungenschaften, die auf Themis unbekannt waren. Er hatte offenbar auf den falschen Knopf getreten und war dadurch auf der Zeitachse rückwärts in die Vergangenheit versetzt worden. Das konnte sich als vorteilhaft oder auch nachteilig erweisen. Der wichtigste Punkt waren aber jetzt die Saturnier. Manners konnte Spear nicht sehen, weil er sich auf der anderen Seite des Gebäudes befand. Am besten wäre es, ihn einzuholen und gemeinsam die Flucht zu versuchen. Manners dachte in Bildern, und nicht in Worten, deshalb brauchte er nur kurze Zeit zu seinen Überlegungen, so daß die Saturnier immer noch einige hundert Meter von ihm entfernt waren. Er hatte noch genügend Zeit zu fliehen. Er rannte in Spears Richtung los, als sich ein Erg auf ihn zuwälzte. Ein Schuß der Saturnier streckte ihn zu Boden, wobei ihm sein Erstarrungsstrahler aus dem Fühlorgan entglitt. Und der rote Strahl traf Manners mitten im Lauf und nagelte ihn auf der Stelle fest. 43
So sehr er sich auch abmühte, er konnte den Bann nicht durchbrechen und sich nicht bewegen. Jetzt waren die Saturnier herangekommen. Einige von ihnen fielen über die toten Wachtposten her. Der Erstarrungsstrahler rollte beiseite und gab Manners frei. Er wandte sich um und sah überall Saturnier auftauchen. Er schaute den nächsten davon mit unbehaglichem Gefühl an. Theoretisch waren das seine Verbündeten, aber ob sie das auch auf Themis beachten würden? Oder waren das irgendwelche Freibeuter, die sich den Teufel um Verträge scherten? Das würde er gleich herausfinden. Ein einziger Spritzer aus der Öffnung in der Mitte der stinkenden Kugel, und KleinDirky würde sich zu seinen Ahnen versammeln. Aber der Spritzer kam nicht. Das gelbe Auge musterte ihn nur einschließlich seiner Uniform und dem Blitzabzeichen des Navigationsoffiziers. Dann sah Manners den Saturnier zusammensinken. Die blaugrüne Kugel schrumpfte und floß am Boden auseinander. Es war ein Werk von Sekunden, und von dem Wesen blieb nur noch eine stinkende Lache übrig. Einer nach dem anderen schmolz tödlich getroffen am Boden dahin. Manners’ erstaunte Ohren vernahmen die Schreie der Saturnier, als sie fluchtartig das Feld räumten. Er hatte immer geglaubt, daß er ohne seinen telepathischen Sender nichts verstehen könnte, aber nun hörte er, wie sie sich zuriefen, daß die Ergs ihre Front durchbrochen hätten und alles mit ihren Deltawellen zerstörten. Einer der Saturnier umfing ihn mit einer Tentakel und schloß sich dem Rest der fliehenden Kugelwesen an. Die ganze Kampfgruppe zog sich hinter die Felsen zurück – ein großer, unregelmäßiger Haufen gigantischer schleimiger Orangen, die den Reihen der Deltawaffen am Ortsrand auswichen. Die Geschwindigkeit des Rückzugs war enorm, doch die Bewegung selbst war nahezu erschütterungsfrei, wie Manners 44
feststellte, als er von seinem Träger fortgeschleppt wurde. Der eindringende Schleim war das einzige, was ihn störte. Seine schöne Uniform! Sie kamen außer Reichweite der Deltawaffen, nur die trüben Lachen der toten Saturnbewohner blieben hinter ihnen zurück. Die Felsen wurden erreicht, und hinter ihnen standen mehrere Düsentriebwagen. Ohne große Umstände sprangen die Saturnier hinein und rasten mit großer Geschwindigkeit über die Eisfläche davon. Manners fand sich am Boden eines der ersten Fahrzeuge wieder und freute sich, daß er noch wohl und munter war. Er konnte sich noch immer nicht klar werden, ob nun Ergs oder Saturnier unangenehmer seien. Dann erinnerte er sich, daß Gwen Fletcher immer noch in der Hand der Riesenwanzen mit den Stachelpanzern war. Da stellte er die Vergleiche ein. In weniger als achtzig Minuten und mit einer Stundengeschwindigkeit von fünfhundert Kilometern legten die Düsentriebwagen die Entfernung zwischen der Niederlassung der Ergs und ihrem eigenen Stützpunkt zurück. Niemand richtete während der Fahrt eine Frage an Manners. Er wurde in der Passagierkabine tatsächlich völlig sich selbst überlassen. Sie wußten, daß diese Geschwindigkeit jeden Fluchtversuch unmöglich machte. Als er merkte, wie die Bremsen anzogen, schaute Manners zum Fenster hinaus. Er starrte bewundernd die Stadt an, der sie sich mit Windeseile näherten. Die Saturnbewohner hatten in der kurzen Zeit ein beachtliches und erstaunliches Stück Arbeit geleistet. Die Gebäude stiegen als riesiges Wunderwerk vom glatten Eis steil in den Himmel. Die gelbglänzenden Wände spiegelten sich in den Strahlen der schwach-leuchtenden Sonne. Diese Städte waren auf dem Saturn ein alltäglicher Anblick, aber hier in der Einsamkeit der riesigen Eisfläche boten die Bauwerke eine imponierende Abwechslung. Sie waren in schonungslosem Machtrausch einer dekadenten Rasse aus dem Boden gestampft worden. 45
Als der Düsentriebwagen näher herankam, konnte er den üblichen Aufbau der Stadt erkennen, der ganz den anderen Städten glich, die er im Krieg bombardiert hatte. Der große Zentralturm reichte hundertsechzig Meter in die Höhe, und um ihn gruppierten sich die anderen niedrigeren Türme. Je weiter sie sich von dem Zentralturm entfernten, um so niedriger, aber auch um so breiter wurden sie, so daß das Ganze von weitem den Eindruck einer riesigen zerklüfteten Pyramide machte. Alle Türme gingen ineinander über und wurden durch Türen und Fahrstühle miteinander verbunden. In Saturnstädten gab es keine Straßen. Manners bewunderte immer wieder die wissenschaftlichen Fähigkeiten, die die Grundlage für diese Gebäude bildeten, die aus komprimiertem Methan und Ammoniak bestanden. Die Saturnbewohner stellten ihre Gebäude einfach aus der Luft des Saturns her, einem Gemisch von Ammoniak und Methan. Wenn die Gase durch den Kompressor gejagt worden waren – wo ihre Valenzbänder im Energieniveau gehoben wurden – kamen sie als feste Barren von strahlend gelber Farbe wieder heraus. Ein unglaublich zähes Material, strahlenundurchlässig und doch federleicht. Die Fahrt des Düsentriebwagens und Manners’ Überlegungen wurden jäh durch die Ankunft in der Stadt beendet, als sie eins der riesigen Tore passierten. Wieder konnte Manners die Unterhaltung der Saturnbewohner verstehen, und jetzt fiel ihm auch ein, warum. Natürlich, die Sprachdroge. Auch die Saturnier mußten das wissen, weil sie ihm mündliche Anweisungen gaben. „Bitte, folgen Sie mir. – Hier in den Aufzug. – Rechts herum. – Warten Sie hier.“ Manners ahnte, was kommen würde. Der Stadtkommandant würde ihn sehen wollen. Wie alle anderen Stadtkommandanten würde er Sat heißen mit einer Kennziffer hinter diesem Aller46
weltsnamen, hier vielleicht noch: Sat auf Themis, um ihn von den anderen zu unterscheiden. Manners’ Schicksal würde völlig in seiner Hand liegen, oder vielmehr in seinen Scheinfüßen. Der Raum, in dem er warten mußte, hatte keine Fenster. Trotzdem war er warm und erleuchtet, weil ihn verschiedene farbige Röhren mit den entsprechenden Strahlen versorgten. Im Boden befanden sich einige halbkugelige Vertiefungen, Stühle für die Saturnbewohner. Die Tür war groß genug, um die massigen Kugelwesen durchzulassen, und wurde durch telepathische Befehle betätigt. Manners wußte das aus seiner Erfahrung auf dem Saturn. Er kannte sogar den Befehlscode, aber das nützte ihm nichts. Türen kann man nicht beeinflussen, auch wenn man eine Sprachdroge im Blut hat. Das einzige Gerät in dem Raum war ein Fernsehschirm, wie Manners ihn von der Erde her kannte. Die Saturnier bezogen ihre Fernsehausrüstung im Austausch gegen das wertvolle Nucleonium von der Erde. Manners hatte keine Ahnung, wozu die Erde überhaupt Nucleonium brauchte. Er grübelte, was mit Spear geschehen sein mochte. War er noch am Leben? Die fünf Ergs konnten ihn noch erledigt haben, bevor die Saturnier ihn erreicht hatten. Vielleicht war er trotz der Befreiung durch die Saturnier in weniger menschenfreundliche Hände gefallen als er selbst. Dann dachte er wieder an die Zeitmaschine, den einzigen Gegenstand, der ihn von seinen Sorgen um Spear ablenken konnte. Das war eine interessante Apparatur. Wenn er nur die Wirkungsweise herauskriegen könnte … Er dachte einige Minuten nach. Plötzlich wurde die Tür beiseite geschoben, und etwas fiel stolpernd in den Raum. Es war Spear. Seine Uniform hing in Fetzen herunter, und große Striemen durchzogen sein Gesicht. Ein Ohr war geschwollen. Er lächelte Manners an, als sich die Tür hinter ihm schloß. 47
„Dirk, du hättest nicht hierher kommen sollen“, sagte er. „Der Empfang durch die Ergs war ja einfach fürstlich, wenn man die Manieren dieser Strolche damit vergleicht.“ Dann wurde er ohnmächtig. Im selben Augenblick verloschen alle Lichter.
Sat sorgt für Unterhaltung Ihre Augen konnten sich nicht an das Dunkel gewöhnen, weil nicht mal die Spur eines Photons in dieser völligen Schwärze existierte. Spear lehnte sich an die Wand und entspannte seine Muskeln. Die Saturnier hatten ihn bei ihrer rasenden Flucht schmerzhaft durchgeschüttelt. Die rohe Behandlung konnte aber nicht allzu schlimm gewesen sein, weil sie ihn zweifellos lebend haben wollten. Aber bald würden ihm die Knochen so steif werden, als ob er in Stärke gebadet hätte. Die Augen würden ihm auch zu schaffen machen, aber er war am Leben und hatte keinen tödlichen ätzenden Spritzer abgekriegt. Als er aus der kurzen Ohnmacht erwachte, glaubte Spear, er sei blind geworden. Nur Manners’ Versicherung, daß das Licht ausgegangen war, hielt ihn davon ab, vor Schreck den Verstand zu verlieren. „Ich hätte nicht gedacht, daß ich dich hier finden würde, Dirk“, sagte er. „Ich hoffte, du wärst immer noch bei den Ergs.“ Manners berichtete ihm seine Erlebnisse und erwähnte auch die Zeitmaschine. Spear spitzte die schmerzenden Ohren, als er das hörte. „Zeitmaschine, das ist eine gefährliche Apparatur. Ich habe stets den Daumen gedrückt, daß unsere Wissenschaftler sich nicht weiter damit befassen, und wenn jetzt ausgerechnet die Ergs mit einer Zeitmaschine herumspielen –“ 48
Er sah zu Manners hinüber, konnte ihn aber nur durch sein Atmen wahrnehmen. Er dachte, was seine Vorgesetzten wohl mit ihm anstellen mochten, wenn er Manners in das Geheimnis seines Auftrages einweihte. Für Raumsoldaten gab es keine mildernden Umstände, aber die Gefahr, in der sie beide schwebten, mußte einfach als außergewöhnlicher Umstand gewertet werden. Der Navigationsoffizier wartete sicherlich schon auf eine plausible Erklärung, warum die Saturnbewohner ihn so zugerichtet hatten. Nein, er konnte es nicht verantworten. Angenommen … Angenommen gar nichts. Ach, sieh mal an! Der Bildschirm war zum Leben erwacht. Die strahlende Helligkeit tat den Augen weh. Das Bild war noch nicht synchronisiert, und auch die Bildschärfe stimmte nicht. Es war immer derselbe Ärger mit den Saturniern. Manche Geräte beherrschten sie hervorragend, aber dafür konnten sie kein Fernsehbild vernünftig einstellen. Spear entdeckte schließlich auf dem Bildschirm den Kommandanten Sat mit seinen roten Rangabzeichen. Das Bild war auch zu schlecht eingestellt! Jetzt dröhnte Sats Stimme durch den Raum und wurde von den Wänden zurückgeworfen. „Was wir mit Ihnen gemacht haben, ist eine Kleinigkeit, verglichen mit dem, was Sie erwartet, wenn Sie die Formeln nicht verraten. Da wir sie nicht bei der Durchsuchung gefunden haben, nehme ich an, daß Sie die Einzelheiten im Kopf tragen.“ Spear sah, wie der schattenhafte Umriß von Manners Kopf sich zu ihm drehte. Er reagierte nicht. Der Bildschirm wurde wieder dunkel, aber Spear und Manners konnten das Bild des grausamen Kommandanten nicht aus ihrem Gedächtnis verbannen. Ich werde sprechen müssen, dachte Spear, sonst machen sie mich fertig. Oder nein, einfach nicht daran denken, vielleicht gibt es einen Ausweg. Nur jetzt die Nerven nicht verlieren. 49
„Ich nehme an, du wunderst dich, worum das Ganze eigentlich geht, Dirk“, sagte Spear. Seine Stimme quälte sich mühsam durch seine geschwollenen Lippen. „Ich vermute“, sagte Manners, „daß sie die verrückte Idee haben, du trügst irgendwelche Formeln für die Ergs bei dir. Natürlich ging es etwas rauh zu, als sie keine aus dir herausquetschen konnten.“ „Ich habe aber eine auf Lager, Dirk.“ „Sieh mal einer an. Warum dann die Geheimniskrämerei?“ „Laß mich erst ausreden. Ich führe lediglich Befehle aus, wie du sie auch ausführen solltest, aber manchmal leider nicht befolgst. In diesem Fall hat mir der große weiße Häuptling den Befehl persönlich erteilt, wenn ich ihn mißachte, ist das ein ganz beachtliches Vergehen, Dirk.“ „Dann erzähl mir lieber nichts.“ „Nun sei nicht gleich beleidigt. Das Hauptquartier sah eine solche Entwicklung nicht voraus. Das müßtest du doch eigentlich wissen. Vielleicht kommst du zurück, während sie an mir ihre ganze Wut auslassen. Deshalb solltest du alles erfahren.“ „Ich muß schon sagen, den Absturz hast du prima vorgetäuscht“, sagte Manners. „Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, daß es kein Unfall war.“ „Der Absturz war nicht vorgetäuscht, mein Junge. Der war echt und unbeabsichtigt. Das hast du falsch verstanden. Ich sollte keinesfalls hier landen.“ „Dann waren die Formeln nicht für die gepanzerten Wanzen bestimmt?“ „Du lieber Gott, nein! Aber die Wichtigtuer auf Phöbe lecken sich alle zehn Finger danach. Ich kenne die Bedeutung dieser verdammten Formel nicht, und das ist ganz gut so, weil diese aufgeblasenen Saturnier mein Gehirn untersuchten. Aber ich nehme an, es ist ziemlich wichtiges Material, das der Erde in Zukunft maßgebenden Einfluß verschaffen wird.“ 50
Manners rückte näher heran. Spear wußte jetzt, daß der Navigator sich von seinem Erstaunen erholt hatte. „Warum sollte die Erde nach diesem Einfluß streben?“ fragte er. „Sind Schwierigkeiten im Anzüge?“ „Also, Dirk, das ist wieder ganz geheimes Material, vergiß das alles so schnell wie möglich, wenn wir wieder zurückkehren.“ „Gut, ich weiß nichts von Schwierigkeiten“, sagte Manners. „Der Geheimdienst hat gemeldet, daß die Saturnier nicht mit allen Punkten des Friedensvertrages zufrieden sind. Es scheint ihnen nicht zu passen, daß wir Menschen ihren Planeten erschließen und ihre Monde besetzen. Wenn die Berichte stimmen, haben sie den Vertrag nur unterzeichnet, um Zeit für weitere Kriegsvorbereitungen zu gewinnen, denn für eine friedliche Lösung sind sie einfach nicht zu haben.“ „Und wenn sie zum Schlag ausholen, hält die Erde diese Formeln als Schutz bereit?“ „So ungefähr verhält es sich“, antwortete Spear. „Wo stecken denn nun diese Unterlagen?“ Spear kicherte. „Hoffentlich noch in deiner Tasche.“ Spear hörte, daß Manners aufsprang. Er grunzte befriedigt. Endlich hatte er den Navigator mal aus der Ruhe gebracht. „Was!“ rief Manners aus. „Wieso habe ich sie? Hast du sie mir untergeschoben?“ „Keinesfalls“, sagte Spear grinsend, „du hast die Formeln freiwillig an dich genommen.“ „Ich bin doch nicht verrückt“, knurrte Manners. „Ich weiß nichts davon.“ Spear weidete sich am Zorn des Navigators. „Daß du aber ein Feuerzeug von mir hast, wirst du doch hoffentlich wissen“, sagte er. Manners faßte in seine Hosentasche. „Natürlich habe ich das verdammte Ding noch. Jetzt ist mir klar, warum ich es Professor Adams geben sollte. Meine Güte, 51
und ich saß im Düsenwagen Seite an Seite mit zwei Saturniern! Ich wunderte mich schon immer, warum du so ein altmodisches Ding mit dir herumschlepptest. Die Formeln stecken wahrscheinlich im Baumwolldocht, was?“ „Richtig geraten, alter Knabe“, sagte Spear, und beide lachten. Manners wurde ernst. „Wenn das Zeug wirklich so wichtig ist, müssen wir höllisch scharf aufpassen, daß es nicht in die Hände der Saturnier fällt. Wie wär’s, wenn wir etwas Gehirnmasse darauf verwendeten, hier rauszukommen?“ „Wer von uns beiden verschwendet hier dauernd seinen Grips? Ich doch nicht! – Natürlich hast du recht, fragt sich aber nur, wie wir deine glorreiche Idee verwirklichen sollen.“ „Paß mal auf“, antwortete Manners. „ich habe beim alten Spinnenigel Krog verschiedene Sachen mitgehen heißen, die wir vielleicht ganz gut verwenden können.“ Spear hörte es wieder rascheln, als der Navigator mit seinen schlanken, gewandten Fingern die Gegenstände in seiner Tasche abtastete. Es machte sich immer bezahlt, wenn man einen pfiffigen Wissenschaftler mitnahm. Spear hätte den Apparaten und Instrumenten der Ergs hoffnungslos gegenübergestanden. Manners wußte auf Grund seiner Vorbildung ungefähr, was man mit ihnen anfangen konnte. Vielleicht konnte man wirklich mit den erbeuteten Gegenständen einen Weg aus der Gefangenschaft finden, oder wenigstens der Vernichtung entgehen. Spear überfiel Übelkeit, als er an die Wirkung einer Maschine dachte, die Sat ihm gezeigt hatte. Schnell an etwas anderes denken! Lassen wir die Gedanken lieber zurück zu Gwen schweifen, die sich immer noch in den Händen der Ergs befindet. Wie mochte ihr so allein und verlassen zumute sein? Für sie war der Schlag am härtesten, bei ihm gehörte es mit zu seiner Pflicht und zur Ausübung seines 52
Berufes. Aber Gwen war nur als Passagier mitgekommen. Sie war mit Spear gestartet, um möglichst bald den Mann ihrer Wahl zu treffen. Das war ein durchaus privater, unschuldiger Wunsch, wie er zu einem weiblichen Wesen paßte. Und hier steckte sie nun irgendwo, von riesigen Stachelspinnen bewacht und nur mit einer geringen Chance, heil aus der ganzen Affäre herauszukommen. Diese Sorgen habe ich nicht, dachte Spear. „Die arme Gwen tut mir leid. Ein tapferes Mädchen, was, Dirk?“ fragte er. „Wir müssen sie dort herausholen!“ „Ach, das erinnert mich an was, Shiny. In Krogs Behausung riß ich einen Plan von der Wand, der die einzelnen Gebäude und ihre Lage zeigt. Unser erstes Gefängnis und auch das Gebäude, in dem sie Gwen festhalten, habe ich mit einigen Kratzern markiert.“ Der Navigator wandte sich wieder seinen anderen „Fundsachen“ zu. Das sieht ihm ähnlich, von einem Erfolg erst dann zu berichten, wenn zufällig die Sprache darauf kommt, dachte Spear. Dirk war eben kein Angeber! „Das erinnert mich an noch etwas“, fuhr Manners fort. „Ich weiß es zwar noch nicht bestimmt, Shiny, aber vielleicht habe ich etwas, das uns hilft.“ Spear stellte seine Grübelei ein. Mit ein bißchen Glück konnten sie vielleicht Gwen befreien und Themis verlassen. Aber nur mit einer Portion Glück. „Ja?“ sagte er. „Was hast du für einen Plan?“ „Paß mal auf, das hier scheint ein tragbarer Oszillator zu sein. Vielleicht haben die Ergs damit ihren Untergebenen Disziplin und Gehorsam eingeflößt, wer weiß es? Das ist jetzt Nebensache, aber vielleicht könnten wir mit ihm die Resonanzfrequenz des Ammoniak-Methan-Polymerisates erzeugen, aus dem hier die Mauern bestehen. Natürlich ist das gefährlich, aber –“ „Wie gefährlich?“ fragte Spear. „Könnte das zu einer Explosion führen?“ 53
„Nein, das nicht. Aber der gleichzeitig entstehende Ultraschall könnte bei uns eine Schraube lockern.“ „Schön, dieses Risiko müssen wir auf uns nehmen, Dirk. Wir können unsere Ohren mit Stoffetzen zustopfen; alles Übrige müssen wir eben dem Schicksal überlassen.“ „Also dann, alles in Ordnung?“ fragte Manners. „Mal sehen, was ich tun kann. Steck mal das hier in deine Horchlöffel.“ Spear nahm den Streifen aus Mariners’ Hemd und stopfte so viel wie möglich in seine Ohren. Dann nahm er Mahners die anderen Geräte aus der Hand, weil der Navigator den Oszillator bediente. Sie schlossen die Augen und waren jetzt blind und taub. Stumm hätten sie genausogut noch sein können. Sie schüttelten sich noch einmal die Hände, und dann begann Manners sein Experiment. Spear hielt sich nahe an Manners. Er wußte nicht, was der Kamerad im einzelnen machte, aber er wartete geduldig. Es dauerte nicht lange. Ein Riß oder vielmehr eine schwärende Wunde erschien in der Mauer, die sich zusehends verbreiterte und das Tageslicht hereinließ. Spear starrte wie ein Betrunkener darauf, denn der schrille Summton lähmte seine Denktätigkeit Völlig. Der Ton schien von seinen Haarwurzeln zu kommen und bis zu seinen Kieferknochen zu dringen. Dann hörte er plötzlich auf. Manners zog die Stoffetzen aus seiften Ohren und sagte: „Na komm schon, Shiny, werde wieder normal. Das nächste Mal läßt du mich besser deine Ohrstöpsel machen.“ Spear schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Deine verdammte Blechpfeife, Dirk. Das ist ja zehnmal schlimmer als Zahnschmerzen.“ „Möglich! Aber schau mal, wie es erst die Mauer mitgenommen hat“, erwiderte Manners Und schlug Spear auf die Schulter. „War das die Sache nicht wert, alter Brummbär?“ Spear tastete sich vorwärts. „Das ist aber keine Art, zu einem 54
Vorgesetzten zu sprechen, Dirk Manners. Ich könnte Sie deswegen maßregeln lassen. Jedoch im Hinblick auf Ihre Verdienste werde ich das Vergehen übersehen. In Zukunft bitte etwas mehr Respekt!“ „Draußen scheinen keine Wachtposten zu sein“, sagte Manners sachlich, ohne auf den scherzhaften Ton des Captains einzugehen. „Verkleistern wir uns noch mal die Ohren, während ich mit meiner musikalischen Säge ein weiteres Stück aus der Mauer schneide.“ Spear ließ sich diesmal von Manners die Ohren sachkundig zustopfen und wartete dann gespannt auf die weitere Entwicklung der Dinge. Es war nichts Aufregendes dabei, aber der Ozillator fraß sich stetig und gleichmäßig durch die Mauer, während die Minuten verstrichen. Gleichzeitig verlor sich aber der erste Freudentaumel, denn diese Wand war nur eine von vielen. Wenn sie auch hoch mehrere in dieser Art durchschnitten, so wußten sie noch lange nicht, in welcher Richtung sie vorgehen mußten. Wie leicht konnten sie auch entdeckt werden, vielleicht sehen Sie jetzt gerade einen Saturnier von hinten an. Es bestand jedenfalls kein Grund zu allzu großem Optimismus. Schließlich war das Loch so groß, daß ein Mensch durchkriechen konnte. Sie entfernten ihre Ohrpfropfen und quetschten sich hindurch. Auf der anderen Seite lag ein Korridor, der aus demselben gelben Material bestand. Hier war eine Reihe von Türen, die genauso wie die ihres Gefängnisses konstruiert waren. Spear dankte Gott für die Gewohnheit der Saturnbewohner, alles nach einem Schema auszuführen, denn dadurch konnte er gewiß sein, daß hier die Türen nach demselben Prinzip arbeiteten wie auf dem Saturn selbst. Und jene Tür würde zweifellos zu einem Aufzug führen, vielleicht war es sogar derselbe, mit dem sie hierher gekommen waren. Und der Aufzug würde sie schnurstracks zum Erdge55
schoß befördern. Und draußen an der frischen Luft – vorsichtig, sachte, sachte, nicht zu früh jubilieren! Auf einmal ist man übergeschnappt und merkt es nicht. Zuviel Eindrücke, die auf das arme, geplagte Hirn einströmen. Zuerst rein in den Aufzug. Als sie auf die Tür zutraten, kam ein Saturnier um die Ecke des Korridors. Er stutzte, als er sie erblickte, und rannte ihnen nach.
Ein kleines Vorgefecht Der Saturnier glaubte bestimmt, nur sagen zu müssen: „Folgen Sie mir“, und schon würde man seiner Anordnung nachkommen. Als er es tatsächlich sagte, war man darüber gar nicht sonderlich erstaunt. Auch der unschuldig dreinblickende Navigator an Spears Seite nicht. Beide fielen folgsam in Trab und trotteten hinter der schleimigen Riesenorange einher. An den Schleim dachte man aber bloß, wenn man sich mit einem gewaltigen Schwung auf das Ungeheuer warf, wie jetzt die beiden. Die Hände faßten tief in das glitschige Fleisch, und die beiden Menschen wurden schier von der Last der Kugel erdrückt. Spear war froh, daß er den Navigator an seiner Seite hatte, dessen wilder, verzweifelter Angriff gar nicht zu seinem sonst so unschuldig dreinblickenden Gesicht paßte. Sie brauchten einige Zeit, bis sie an die lebenswichtigen Teile herankamen. Ein seltsames Gefühl, wenn man in den weichen, nachgebenden Kopf faßte und dabei gleichzeitig von vorschnellenden Greifarmen festgehalten wurde, die einem nahezu die Seele aus dem Leib quetschten. „Reiß den Ballon in Stücke!“ brüllte Manners. „Ich werde ihn festhalten.“ Das klang sehr einfach. Eine lobenswerte und gute Idee. Aber wie sollte man etwas festhalten, wenn nichts da war, woran 56
man sich klammern konnte. Wenn die glitschige Masse sich immer wieder den zupackenden Händen entzog. „Ich tu mein Bestes“, keuchte Spear. „Die Greifer zermalmen mich. Kannst du sie mir nicht vom Halse schaffen?“ „Moment! Das werden wir gleich haben.“ Spear konnte nur noch mühsam Atem holen. Zwischen jedem Atemzug schien eine Ewigkeit zu liegen. Endlich ließ der Druck nach. Spear atmete in gierigen Zügen die frische Luft ein, wenn sie auch mit dem üblen Geruch des Saturniers geschwängert war. Mit frischen Kräften schlug er auf den Gegner ein, bis schließlich die Gegenwehr der Kugel erlahmte. Jetzt war es geschafft. Plötzlich fiel der Saturnier zusammen und lag als leblose Masse am Boden. Der Körpersaft eines toten Saturnbewohners kann nicht mehr ätzen. Das wußte Spear. Er atmete auf. Als sie sich erholt hatten, standen sie auf. Manners machte sich am Aufzugseingang zu schaffen. Ihn hatte das Handgemenge nicht so sehr mitgenommen wie Spear. „Weißt du, Shiny“, sagte er, „du wirst nicht sehr erfreut sein, wenn du hörst, was ich dir jetzt sagen will.“ „Solange du nichts an meinem Aussehen auszusetzen hast, ist es mir egal. Schieß nur los“, erklärte Spear und versuchte vergeblich, sich zu säubern. „Schön! Hast du nicht bemerkt, daß ich gerade den Oszillator benutze, um die Tür hier aufzuknacken?“ Spear nickte. „Klar, hab ich. Sollst du sie vielleicht mit den Zähnen aufknabbern?“ Manners kicherte. „Kluger Knabe! Weiß auf alles eine scharfsinnige Antwort. Aber –“, er drehte sich zu Spear um und schaute ihn belustigt an, „warum hast du dir diesmal nicht die Ohren verstopft? Das letzte Mal hast du trotz der Ohrpfropfen noch über den unerträglichen Heulton geklagt.“ 57
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Spear blinzelte verdutzt. Das stimmte. Der Oszillator fraß sich langsam durch die Tür, und trotzdem konnte er mit bloßem Ohr absolut nichts davon hören. „Wie kommt das?“ fragte er. „Der Ton kam gar nicht vom Oszillator. Während du mir da drin beim Wanddurchbrechen zuschautest, gab ich dir ein Gerät in die Hand, das ich aus Krogs Raum mitgenommen hatte. Wahrscheinlich hast du ungeschickt angefaßt und den Auslöser gedrückt, und das war die Ursache des Heultones. Beim Kampf mit dem Saturnbewohner hast du es fallen lassen, und siehe da, mein Oszillator funktioniert auch ohne Heulton.“ Plötzlich wurde Spear klar, daß das Ganze von Manners absichtlich in Szene gesetzt worden war. Spears Hände und Unterarme waren mit dem klebrigen Körpersaft des Saturniers überzogen und sahen nicht gerade salonfähig aus. Leicht hätte es ihm schlecht werden können, dafür war aber jetzt keine Zeit. Und durch Manners kleinen Trick war er abgelenkt worden. Manners war doch ein kluger Bursche! „Paß auf!“ rief Manners. Ein Streifen des gelben Materials fiel von der Tür herunter. Auf der anderen Seite konnte man den Schacht sehen, in dem der Lift auf und nieder fuhr. Der Fahrstuhlkorb war offensichtlich gerade woanders. Als sie durch das Loch spähten, entdeckten sie ihn bald hoch oben über ihren Köpfen. „Da haben wir mal wieder Schwein gehabt“, rief Manners aus. „Jetzt können wir mit den Hilfsfahrstühlen hinabfahren.“ An jeder Seite des Schachtes hing eine schmale, bewegliche Plattform, die die Saturnier zur Inspektion und bei Reparaturen des Fahrstuhlschachts und des Antriebs benutzten. Die Plattformen konnten sinken oder steigen, wenn man ihre Schwerkraftkompensatoren entsprechend einstellte. „In Ordnung. Ich werde zuerst losfahren“, sagte Spear. „Gib mir den Oszillator rüber, da kann ich unten schon am Ausgang 59
zu arbeiten anfangen, während du auf die Plattform wartest. Schade, daß sie nicht zwei auf einmal tragen kann.“ Manners reichte ihm den Oszillator, und Spear stopfte ihn in seine Tasche. Dann schwang er sich in den Schacht und sprang zur Plattform. Er verlor beinahe das Gleichgewicht, konnte sich aber im letzten Augenblick fangen. Er stellte den Schwerkraftkompensator auf „Sinken“, und bald verschwand er in der Tiefe. Die Plattform glitt zwischen den Führungsschienen des gelben Materials dahin. Als Spear nach oben schaute, konnte er Manners sehen, wie er nach ihm in die Tiefe lugte. Er winkte, und Manners winkte zurück. Und dann wurde Manners’ Kopf plötzlich zurückgerissen und ein hohler Schrei hallte den Schacht herunter. Im gleichen Augenblick erschien der Kopf eines Saturniers an der Stelle, wo vorher Manners herabgeschaut hatte. Spear wußte, daß er gesehen werden konnte, weil der Schacht hell erleuchtet war. Auch der Fahrstuhl selbst bestand aus durchscheinendem Material und brauchte deshalb keine eigene Beleuchtung. Spear faßte blitzschnell einen Entschluß. Er stellte den Schwerkraftregler auf volle Kraft und sauste in die Tiefe. Er konnte Manners jetzt keinesfalls helfen, indem er zurückkehrte. Wenn er jedoch entwischte, gelang es ihm vielleicht, den Modulator in Gang zu bringen. Darauf mußte er sich konzentrieren. Er mußte erst einmal versuchen, aus der Stadt herauszukommen. Die Plattform prallte mit einem Schlag auf den Boden, daß Spears Knochen durchgerüttelt wurden. Spear sprang hinunter und schnellte sich zur Eingangstür. Er hatte gerade ein Loch von ungefähr dreißig Zentimetern im Durchmesser geschnitten, als plötzlich die Tür aufging und ihm vier Saturnier in voller Größe gegenüberstanden. Sie verharrten ein oder zwei Sekunden und schauten ihn schweigend an. Dann sagte einer: „Es war töricht von Ihnen, eine Flucht zu versuchen. Sie ha60
ben Sats Zorn erweckt, ohne auch nur das geringste als Ausgleich für die Qualen erreicht zu haben, die Sie erwarten. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit aus unserer Stadt. Es gibt kein Entrinnen vor Sats Zorn.“ Niederschmetternde Hoffnungslosigkeit überfiel Spear, als er aus dem Fahrstuhlschacht ins Freie trat. Sie wurde noch verstärkt, als er wenige Meter vor sich die riesigen Torflügel der Stadt erblickte. Noch fünfzehn Minuten, und er hätte es geschafft. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Hinrichtung an ihm vollstreckt wurde. Dann schrillte plötzlich ein ohrenbetäubender Heulton den Schacht herunter. Spears Haare sträubten sich, und der Ton schnitt schmerzend durch Mark und Knochen. Die Saturnier schien es auch arg mitzunehmen. Schmerzgepeinigt schauten sie den Schacht empor und ließen ihn dabei ganz aus den Augen. Spear erkannte blitzartig, daß das ein Ablenkungsmanöver von Manners war. Der Navigator hatte sich wahrscheinlich gedacht, daß der Heulton, den er mit dem Gerät der Ergs erzeugte, die Aufmerksamkeit der Wachen ablenken würde. Spear schnitt eine Grimasse. Das würde ihm zwar einen Vorsprung von ein oder zwei Sekunden einräumen, aber niemals genug, um durch das Tor zu kommen. Er rannte los. Die Torflügel öffneten sich. Ohne lange Überlegungen anzustellen, drückte er sich an den Wachen vorbei, die immer noch schmerzgepeinigt nach oben sahen. Am Tor ließ er sich zu Boden fallen. Es öffnete sich gerade, um einen Düsenwagen einzulassen. Der Fahrer hatte seinen Sitz hoch oben, und Spear stand auf der anderen Seite des Fahrzeugs, so daß er nicht zu sehen war. Geduckt rannte Spear neben dem Wagen auf das Tor zu. Endlich erreichte er die andere Seite des Tores, gerade als sich die Flügel auf das telepathische Kom61
mando hin wieder schlossen. Mit ihnen verklang das irrsinnige Heulen, das seine Trommelfelle zu sprengen drohte. Er war draußen! Weit und breit kein Saturnier zu sehen. Und da stand ein Düsentriebwagen. Sein Glück schien heute kein Ende zu nehmen. Hoffentlich blieb das so, bis er seinen Auftrag ausgeführt hatte. Er rannte zum Wagen, riß die Tür auf und kletterte in rasender Eile in die Führerkabine, wobei er sofort den Gashebel und den Startknopf mit einem raschen Griff betätigte. Aufheulend schoß das Fahrzeug über die glatte Eisfläche.
Kampf um die Formel Wenn man etwas Einbildungskraft besaß, konnte man den Wachtposten als ein riesiges Ei in einem Eierbecher ansehen. Natürlich ein verfaultes Ei, dessen Schale geplatzt war und dessen Inhalt seinen schwefelwasserstoffhaltigen Gestank überall verbreitete. Sonst aber stimmte der Vergleich ganz gut, denn der Wachtposten hatte eiförmige Gestalt und saß in einer der Vertiefungen des Fußbodens, die eigens zu diesem Zweck dienten. Ein Drittel steckte in diesem Eierbecher, der andere Teil ragte heraus. Oben thronte der Kopf, dessen gelbes, starres Auge unablässig und ohne zu zwinkern auf Manners gerichtet war. Manners wußte, daß der Saturnwachtposten ohne Rücksicht auf die Zeit immer wachsam bleiben würde, nicht eine Sekunde würde seine Aufmerksamkeit nachlassen. Der Saturnier aß nicht, trank nicht, schlief nicht, ja, er würde sich nicht einmal bewegen – falls nicht Manners eine hastige Bewegung machte. Dann allerdings würden plötzlich behende Fangarme nach ihm greifen und ihn zermalmen. Manners saß in der bequemsten Stellung, die ihm die seltsame Innenausstattung bot. Mit dem Rücken lehnte er an der Wand, 62
und die Füße ließ er in eine der Sitzmulden für die Saturnier hängen. Manners wußte, daß er den kürzeren ziehen würde, wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Kugelwesen kam. Während des Krieges hatten die Erdbewohner eine Vorstellung von den biologischen Möglichkeiten der Saturnbewohner erhalten, und das konnte Manners nicht vergessen. Die Saturnier amüsierten sich über den Versuch der Menschen, sie mit Gas oder Aushungerung zu bekämpfen. Da sie weder Luft noch Nahrung für ihren Stoffwechsel benötigten, konnten ihnen die Kampfmethoden der Erdstreitkräfte wenig anhaben, Die Saturnier „atmeten“ durch elektrolytische Entladungsvorgänge innerhalb des Körpers, und deshalb brauchten sie keine Luft. Nahrung benötigten sie auch nicht. Unter gewöhnlichen Lebensumständen waren sie unsterblich, denn sie vermochten sich immer wieder zu regenerieren. Aber die Natur hatte für einen natürlichen Ausgleich gesorgt, der die unbegrenzte Vermehrung verhinderte. Jede kleine Verletzung führte nämlich zu einem raschen Tod und sofortigem Zerfall. Wenn Manners das Kugelwesen überraschend anspringen konnte – nein! Ehe er sein Ziel erreicht hätte, würde sein Gesicht schon von einem Strahl ätzender Flüssigkeit getroffen und in Sekundenschnelle zerfressen sein. Damit wäre dann sein Tod besiegelt. Eigentlich staunte er, daß sie ihn nicht schon längst getötet hatten. Am Fahrstuhlschacht waren sie ganz schön wütend gewesen. Sie hatten ihn mit seinen noch vom Saft des getöteten Saturniers geschwärzten Händen gefangen. Ihre Greifer hatten ihn vom Fahrstuhlschacht weggerissen, worauf sie selbst zu Spear hinunterblickten. Diesen Augenblick hatte er, ohne Rücksicht auf sein Leben, benutzt, um den Ultraschallstrahler hervorzuziehen und einzuschalten. Die markerschütternden Heultöne trafen die Saturnier völlig unvorbereitet. Sie wanden sich vor Schmerzen, aber dann war63
fen sie sich in einem einzigen, gewaltigen Schwung auf ihn, trieben ihn zur Wand zurück und schlugen ihm das teuflische Gerät aus der Hand. Der Lärm verstummte, und die Saturnier fielen über ihn her, bis Sats Stimme ihnen Einhalt gebot. „Genug. Wir haben mit dem Menschen von der Erde andere Dinge vor. Bringt den Musikanten nach Raum fünfzehn. Außerdem muß unbedingt ein Wachtposten aufgestellt werden!“ Und da saß er nun. Und dort hockte die Wache. Glücklicherweise konnten die Saturnbewohner im Dunkeln nicht sehen. Deshalb war der Raum hell erleuchtet. Dadurch ließ sich alles leichter ertragen. Seltsamerweise besaß der Raum zwei Türen. Manners konnte sich nicht erinnern, je in einem Raum der Saturnier Ähnliches gesehen zu haben. Am besten, man fragte mal die Wache. „Warum gibt es hier zwei Türen?“ fragte Manners. Der Wachtposten bewegte sich um keinen Zentimeter, und doch war die Antwort klar und deutlich zu hören. „Eine Tür führt zum Korridor, und die andere zum Raum, in dem die Hinrichtungsmaschine steht.“ Manners beschlich ein Gefühl entsetzlicher Übelkeit, und ihm drohten die Sinne zu schwinden. Seine Haare stellten sich auf, als ob sie elektrisch geladen wären. Die Todeszelle nach Sitte der Saturnier. Und das hier war das Wartezimmer. Prost Mahlzeit! „Darf ich rauchen?“ fragte er. Die Wache zögerte einen Augenblick und antwortete dann: „Ich sehe keinen Grund, es zu verbieten. Aber ich werde Sie aufmerksam beobachten.“ „Ja, ich weiß“, murmelte Manners. Er zog den vakuumdichten Plastikbehälter aus der Hosentasche, öffnete den Verschluß und nahm eine Zigarette heraus. Dann ließ er den Deckel zuschnappen und pumpte die Dose auf ein Torr leer. Als er nach seinem Ionenfeuerzeug tastete, erin64
nerte er sich des alten Feuerzeugs, das ihm Spear ausgehändigt hatte. Das war eine günstige Gelegenheit, einmal einen Blick auf die Formeln zu werfen. Ganz zwanglos fuhr er mit der Hand in eine andere Tasche und zog den alten Feuersteinzünder hervor. Ohne zu zögern, führte er ihn zum Zigarettenende und rieb das Rädchen, wobei er sich Mühe gab, daß es nicht zündete. Er kalkulierte sorgfältig den Argwohn der Wache ein und versuchte noch zweimal vergeblich, den Anzünder in Betrieb zu setzen. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, legte sie neben sich auf den Fußboden und schaute gemächlich den Wachtposten an. „Sieht fast so aus, als ob ich nicht in den Genuß meiner allerletzten Zigarette käme.“ Keine Antwort. „Vielleicht schaffe ich es aber doch, wenn ich bei dieser Gelegenheit meine letzte Reparatur ausführe. Wahrscheinlich werde ich gerade damit fertig sein, wenn mich Sat zum letzten – hm – Experiment abholen läßt.“ Keine Antwort. Manners nahm das Feuerzeug auseinander. Sicher hatte die Wache so ein altmodisches Gerät noch nie gesehen, aber man konnte nie wissen. Vorsicht war in jedem Falle geboten. Er schraubte die Druckschraube zum Feuerstein los, worauf die Spannfeder und der Stein selbst herausfielen. Er musterte sie sorgfältig und genau, und bereitete so das folgende vor. Dann legte er die Einzelteile auf sein Knie und angelte mit der Schraube in der Watte, die das Innere des Feuerzeugs ausfüllte. Er holte die Watte heraus, völlig ausgetrocknet und ohne eine Spur von Benzin. Das war auch zu erwarten gewesen, dachte Manners. Heutzutage mußte man weit reisen, ehe man im Planetensystem auf Benzin stieß, weil es niemand mehr brauchte. Er betastete die lockere Masse mit den Fingern und beugte sich 65
gespannt darüber. Endlich entdeckte er zwischen der Watte einen sorgfältig verborgenen Mikrofilm, der eng zu einer Rolle zusammengewickelt war. Er tat so, als ob das Stück ein Teil des Feuerzeugs wäre und beachtete es nicht weiter. Dann aber entrollte er es und hielt es gegen das Licht. Erst konnte er nichts Besonderes daraus entnehmen, offenbar zeigten die Negative nur das Innere eines Raumkreuzers. Als er aber den Film drehte, hielt er den Atem an. In das Instrumentenbrett des Kreuzers waren eine Anzahl chemische und atomare Formeln mit verschiedenen experimentellen Hinweisen einkopiert. Manners kramte in seinen lang vergessenen physikalischen Kenntnissen, bis ihm allmählich dämmerte, worum es bei diesen Aufzeichnungen ging. Das Ziel vieler Versuche: Subatomare Spaltung. Nicht den Kern nur spalten, sondern die Einzelteile des Atoms selbst zertrümmern und die gesamte Masse in Energie verwandeln. Nicht wie bei der Atombombe nur einen Bruchteil der Energie freimachen. Und diese Reaktion dauernd in Gang halten zu können, wem das gelänge! Hier war die Lösung: mit Hilfe des bekannten Nucleonismus konnte man es nach diesen Angaben schaffen. Dann erinnerte er sich, daß ihn die Wache nach wie vor beäugte, und er beeilte sich, den bestürzten Ausdruck aus seinem Gesicht wieder zu verbannen. Mit harmloser Miene bemerkte er beiläufig: „Vermutlich kann mich das Feuerzeug nicht leiden. Nun gibt es doch keine Henkerszigarette für mich.“ Er rollte den Film zusammen und stopfte ihn wieder zwischen die Watte. Dann schraubte er die einzelnen Teile des Anzünders sorgfältig zusammen. Jetzt blieb ihm nur eine Möglichkeit. Er mußte unbedingt versuchen, auszubrechen. Diese inhaltsschweren Formeln durften keinesfalls in die Hände der Saturnier fallen. Damit wäre das Schicksal der menschlichen Rasse besiegelt gewesen, obwohl der winzige Hoffnungsschimmer noch bestand, daß sich 66
die Saturnier bei ihren Versuchen selbst in die Luft sprengten. Der Mikrofilm mußte nach dem Satelliten Phoebe gebracht werden. War das wirklich notwendig? Manners war kein Pazifist, aber hier ging es um mehr als bloß um eine neue Vernichtungswaffe. Die Lithiumbomben waren schon schrecklich genug. Dann die Virusbomben, die hochgradig ansteckende Krankheiten verbreiteten. Aber wenn man nun diese physikalische Entdeckung auf einen Planeten losließe, würde er einfach ausgelöscht, oder vielmehr in eine Nova verwandelt werden. Der ganze Himmelskörper würde sich in ein rasendes weißglühendes Inferno verwandeln, und jedes Leben darauf würde in Sekunden vernichtet sein. Ihm brach der Schweiß aus allen Poren, als er sich die Konsequenzen vor Augen hielt. Heilige Nebelhaufen, niemand durfte diese Aufzeichnungen erhalten. Aber was konnte er machen? Wenn er frei wäre … Das war er aber nicht. Und als sich die Tür öffnete und Sat eintrat, überwältigte ihn die schreckliche Erkenntnis, daß all seine Gedanken nutzlos waren, denn er hatte nur noch wenige Minuten zu leben. „Na, mein Lieber“, schnurrte Sat, „Sie werden nicht so schnell sterben wie ich eigentlich gehofft hatte. Ich möchte sehr gern die Vernichtungsmaschine einmal am Menschen ausprobieren, aber an mehreren Personen gleichzeitig. Unglücklicherweise ist ihr Gefährte geflohen. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis er wieder gefangengenommen wird. Bis dahin müssen wir jedoch warten.“ Manners’ Mut kehrte zurück, als er diese indirekte Nachricht von Spears Flucht vernahm. Wenn er an den Modulator herankönnte … „Aber auch Sie können uns in der Zwischenzeit von Nutzen sein. Ich bezweifle zwar, daß Sie wichtige Geheimnisse in Ihrem 67
Gedächtnis bewahren, aber Sie werden uns als willkommenes Versuchsobjekt für unsere neuesten telepathischen Untersuchungen dienen. Wir glauben, jetzt so weit zu sein, daß selbst der entschlossenste Mann nicht mehr imstande ist, uns den Inhalt seines Gedächtnisses vorzuenthalten.“ Manners’ Herz setzte zwar nicht aus. aber etwas schneller ging sein Puls schon. Er wurde auch nicht kalkweiß, aber ein bißchen blasser sah er aus. Er verfluchte sich im stillen, den Mikrofilm betrachtet zu haben. Wenn Sats Angaben stimmten, würden sie ihm bald sein Geheimnis entrissen haben. Dann besaßen sie die Macht, das Sonnensystem in Atome zu zersprengen, so daß nichts mehr davon übrig blieb. „Bringt ihn in den anderen Raum“, ordnete Sat an. Wieder umfingen ihn die schleimigen Greifer, und er wurde in den Versuchsraum getragen. Es bereitete ihm nur wenig Erleichterung, zu wissen, daß das Haupttor nur knapp zweihundert Meter von ihm entfernt war. Es hätte genausogut zweihundert Millionen Lichtjahre entfernt sein können. Die Chancen, lebend hindurch zu kommen, sanken zusehends auf Null. Sat folgte ihnen in den Versuchsraum und schickte die Wache wieder weg. „Laßt die Tür geöffnet und bringt Spear sofort herein, wenn sie ihn gefangen haben“, sagte er noch. Das Laboratorium war mit Apparaten und Instrumenten der verschiedensten Art vollgestopft. Manners betrachtete alles und wunderte sich über das blaue Metall, aus dem viele Geräte bestanden. Offenbar wurde es auf Themis geschürft. Verschiedene Bildschirme und andere Übertragungsgeräte mit den dazugehörigen Bedienungspulten standen außerdem im Raum. „Gefällt Ihnen unser Laboratorium?“ fragte Sat. „Ziemlich gut ausgerüstet, finden Sie nicht?“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ fragte Manners. „Warum haben 68
Sie hier eine Versuchsstation eingerichtet, anstatt Ihre Untersuchungen auf Ihrem Heimatplaneten auszuführen?“ Sat setzte sich behäbig in eine der halbkugeligen Vertiefungen. Sein gelbes Auge ruhte forschend auf Manners. „Sie werden ja ohnehin bald sterben, da können Sie es ruhig erfahren. Schauen Sie, als wir unseren Heimatplaneten während des Krieges verlassen mußten, hielten wir Ausschau nach einem Satelliten, auf dem wir unsere Kräfte sammeln wollten, um eines Tages wieder siegreich zurückzukehren. Wir halten natürlich keine Ahnung, daß der Mond Themis existierte. Der Energieschirm der Ergs verhinderte, daß Licht reflektiert wurde. Dadurch konnten wir den Mond nicht sehen. Das gleiche galt für Radarimpulse, die ja auch wie das Licht aus elektromagnetischen Wellen, nur mit längerer Wellenlänge bestehen.“ „Wie entdeckten Sie nun diesen unsichtbaren Mond?“ Sat streckte zwei Greifer aus und schob sich mit ihrer Hilfe in eine andere Stellung. „Wir fanden den Satelliten nicht, er lief uns vielmehr über den Weg. Als wir in Gefechtsformation mit unseren zehn Raumschiffen dahinflogen, gerieten wir in den Energieschirm, und was in solchen Fällen passiert, wissen Sie ja. Jetzt sind wir dagegen gewappnet.“ „Womit denn?“ wollte Manners wissen. „Wir fanden eine Methode, den Energieschirm an manchen Stellen aufzuspreizen. Dadurch sind wir in der Lage, uns mit Nachschub zu versorgen.“ „Sie lassen Nachschubschiffe hin- und herfahren? Das würde also bedeuten …“ „Ja, mein Lieber. Wir haben hier auf unfreiwillige Art einen neuen Stützpunkt gegründet. Natürlich hätten wir leicht wieder auf den Saturn zurückkehren können, aber der große Sato entschied, daß wir hier bleiben und uns vorbereiten sollten.“ 69
„Wirklich“, fragte Manners gespannt. „Worauf sollten Sie sich denn vorbereiten?“ „Ich glaube, es kann nichts mehr schaden, wenn Sie auch das noch erfahren. Wir bereiten uns auf einen Großangriff vor. Diese stumpfsinnigen Ergs trifft unser Vernichtungsschlag, wenn wir das Signal dazu geben und unsere Raumkreuzer vom Saturn uns auf das vereinbarte Signal hin in unserem Kampf unterstützen.“ „Das würde aber die Verletzung Ihres Vertrages bedeuten“, sagte Manners. „Sie dürfen doch ohne Einverständnis der Erdregierung keine militärische Aktion ausführen.“ Sat machte eine Kopfbewegung, die offenbar seine Belustigung ausdrücken sollte. „Sie sprechen von Verträgen und deren Verletzungen, mein Lieber! Glauben Sie vielleicht, wir wüßten nicht, daß auch die Erde beabsichtigt, den Waffenstillstand wieder zu brechen? Glauben Sie wirklich, daß uns lächerliche Menschen durch Drohungen mit der Novabombe unterjochen könnten?“ Seine Stimme hatte sich gehoben. Er schlug mit zehn Greifern gleichseitig auf den Fußböden. „Woher wissen Sie das?“ staunte Manners. Das hatte er selbst gar nicht gewußt. „Woher wir das wissen?“ höhnte Sat, und sein Zorn schien plötzlich zu Verrauchen. „Woher? Das ist doch ganz klar und einfach. Spione natürlich. Es gibt eine ganze Anzahl Menschen, die sich dazu herablassen, mit uns gemeinsame Sache zu machen.“ Manners schnappte nach Luft. Daß Menschen sich an diese Schleimkugeln verkauften! Unvorstellbar! Dagegen waren alle Spionageaffären, die man aus der Erdgeschichte kannte, Heldentaten. Die Kugelwesen aber würden jeden Spion liquidieren, wenn sie seine Dienste nicht mehr benötigten. Und Manners 70
mußte sich eingestehen, daß er den Verrätern die Hinrichtung gönnte. Seine Überlegenheit den Saturniern gegenüber verließ ihn und machte einem Gefühl der Niedergeschlagenheit und des Abscheus Platz. „Ich erwarte einen Mitarbeiter in wenigen Minuten. Er wird mir einen Abschlußbericht über den Stand der Vorbereitungen beim Feind überbringen. Vielleicht kennen Sie ihn. Er heißt Roderick Martin. Auch er ist ein Offizier der Raumstreitkräfte aus der Spionageabwehrabteilung. Dadurch ist er imstande, die strengsten Geheimnisse an uns weiterzugeben. Alle Einzelheiten der Pläne der Erdregierung sind uns bekannt, allerdings mit Ausnahme der Unterlagen zur Herstellung der Novabombe. Wenn wir diese auch noch in unseren Besitz gebracht haben, werde ich das Signal zum Angriff geben. Nichts kann uns dann mehr aufhalten.“ Seine Stimme schwoll vor Stolz und teuflischer Freude. „Jedes Raumschiff auf dem Saturn wird eingesetzt. Jede kampffähige Person wird dabei sein. Dies wird die größte Schlacht in der Geschichte des Universums werden. Dann stürmen wir weiter, erobern unsere Monde zurück, vernichten euch Erdbewohner und regieren das ganze Sonnensystem.“ Schleim troff von seinem aufgedunsenen Kugelkörper. Er schwang sich erregt in seiner Sitzvertiefung hin und her. Kurze Greifer schossen als Folge seiner Erregung hervor und wurden sofort wieder eingezogen. Das ganze Wesen tobte vor Erregung und Machtgier. Manners starrte den wabbelnden Ballon gebannt an. Er hatte nie zuvor einen Saturnier so aufgebracht gesehen. Allerdings hatte er auch noch nie einen so teuflischen Plan vernommen. Es schien tatsächlich nichts zu geben, was diese Scheusale aufhalten konnte. Und wenn sie außerdem noch einen Spion in der Abwehr besaßen … „Doch genug davon“, sagte Sat, als er sich wieder etwas be71
ruhigt hatte. „Wir vergeuden nur Zeit. Ich muß noch viel erledigen. Jetzt haben wir genügende Vorräte der Sprachdroge, um uns mit allen Wesen innerhalb des Sonnensystems leicht verständigen zu können. Dann besitzen wir noch die Vernichtungsmaschine als wirksames Abschreckungsmittel. Bald werden wir das Geheimnis der Novabombe kennen und können damit der Gefahr eines weltweiten interplanetarischen Krieges vorbeugen. Jetzt benötigen wir nur noch eine sichere Methode, Gedanken zu lesen, dann sind wir nicht mehr länger auf die Mitarbeit von Verrätern angewiesen.“ Manners sah schon im Geiste die Hinrichtung Roderick Martins. Auch ihn würde bald sein Schicksal ereilen. Das störte Manners aber nicht weiter. Er hatte leider so viel physikalisches Verständnis, daß nun das Geheimnis der Novabombe in seinem Gehirn verankert war, und Sat würde bald mit seiner Untersuchung auf diesen Winkel seines Geistes stoßen. Dann war das Unglück geschehen. Sat erhob sich schwerfällig aus seiner Sitzmulde und schob sich zu einer glänzenden Apparatur an der gegenüberliegenden Wand. Er nahm einen langen flexiblen Plastikschlauch mit einem Saugnapf am Ende von einem Haken und befestigte ihn an Manners’ Stirn. Der Navigator überlegte schnell, ob Widerstand irgendwelchen Zweck hätte, kam aber zu einem negativen Ergebnis. Es gab keine Möglichkeit, sich aus der Hölle herauszukämpfen. Sobald der Saugnapf fest an der Stirn des Mannes saß, kehrte Sat wieder an die Apparatur zurück und drehte einen Regelknopf. Dann befestigte er einen ähnlichen Schlauch an seinem eigenen Kopf. Er drückte verschiedene Schaltknöpfe, die die Stromkreise öffneten. Manners erwartete, jetzt auch in die Gedankengänge des Saturniers Einblick nehmen zu können, aber das war nicht der Fall. Vielmehr schien sein Gehirn öde und leer zu werden, alle 72
Gedanken, Empfindungen und Regungen schwanden und machten einem Gefühl der absoluten Losgelöstheit von allem Platz. Seine Umgebung beeindruckte ihn nicht mehr, er kam sich unabhängig und frei schwebend vor, und nichts hatte mehr irgendeine Beziehung zu ihm. Nach und nach kehrten die normalen Empfindungen in seinen abgestumpften Geist zurück. Als er seine volle Denkfähigkeit wieder besaß, bemerkte er, daß Sat die Saugnäpfe entfernt hatte und ihn gedankenvoll ansah. Manners fühlte sich nicht wohl. Sein Schädel schien erst von seinem Inhalt befreit worden zu sein, und jetzt kam es ihm so vor, als ob man zuviel Gehirnmasse in einen zu kleinen Raum gequetscht hätte. Er litt unter bohrenden Kopfschmerzen. „So“, sagte Sat, „Sie besaßen die ganze Zeit die Berechnungen!“ Es war keine Frage, vielmehr eine Feststellung. Sat wußte jetzt Bescheid. „Ich bin erstaunt, daß Sie Ihren Kameraden all die Qualen erleiden ließen, während Sie ihn leicht davor bewahren konnten. Außerdem staune ich, daß er entkam und nicht Sie. Die Menschen handeln oft unbegreiflich unlogisch. Aber das gehört nicht zum Thema. Wir haben jetzt das Geheimnis der Novabombe und wissen auch, daß die telepathische Untersuchung tadellos klappt. Sie waren uns von großem Nutzen, mein Lieber. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie nicht dafür belohnen kann. Die Handlungen eines Saturniers sind immer klar und verstandesbetont. Sobald Captain Spear eintrifft –“ Ein anderer Saturnier erschien in der geöffneten Tür. „Der Erdagent, Sat.“ „Ach, Ihr patriotischer Kamerad“, rief Sat aus. Er wandte sich der Tür zu. „Schicken Sie ihn rein.“ Manners wußte, daß Martin kein Verbrechertyp sein konnte, andernfalls wäre er gar nicht in die Raumstreitkräfte aufgenommen worden, von der 73
Spionageabwehr ganz zu schweigen. Aber trotzdem war er überrascht, als der Verräter jetzt eintrat. Manners selbst hockte in einer Ecke des Raumes, wo er nicht sofort zu sehen war. Der Verräter trat kühn in den Raum und stellte sich vor Sat auf. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit klar geschnittenen Gesichtszügen, der bestimmt das Herz mancher Frau höher schlagen ließ. Manners knirschte mit den Zähnen, als er beobachtete, wie dieser äußerlich so vollkommene Mann sich vor dem Kugelwesen hinkniete. „Hoher Meister“, begann Martin, „ich melde hiermit, daß alles bereit ist. Die Raumschiffe sind aufgetankt und voll bemannt. Sie müssen nur noch das Signal zum Angriff geben, dann wird die geballte Macht des Saturns auf die Barbaren herniedersausen.“ Sat tätschelte mit einem schleimigen Greifer den gesenkten Kopf Martins. Eigentlich war es mehr ein Stoß, denn der Verräter verlor das Gleichgewicht und fiel nicht besonders formvollendet auf den Fußboden. „Genug von dieser melodramatischen Aufführung“, knurrte Sat. „Deine geschichtlichen Forschungen haben deinen Sprachstil ziemlich verdorben.“ „Ich bitte vielmals um Verzeihung, hoher Meister.“ „Ach, steh auf und halt den Mund“, rief Sat. „Hier, schau dir den an! Ein Kamerad von dir.“ Martin warf einen schnellen Blick zu Manners hinüber und wurde rot. „Oh – hm – hallo!“ sagte er. Manners übersah ihn. Er fürchtete, daß er seine Selbstbeherrschung verlieren und dem Verräter seine wahre Meinung unverblümt ins Gesicht schleudern würde. Sat schaukelte auf die Türe zu. „Ich werde euch zwei ein bißchen allein lassen“, sagte er. Er ging hinaus, und die Tür schloß sich hinter ihm. 74
Bei den Ergs Wenn man auch alles genau kennt, so ist ein Düsentriebwagen doch bedeutend schwieriger zu bedienen als einer der alten Wagen mit Kolbenmotoren. Warum hätte man sonst wohl jeden Fahrer auf der Erde zwölf Monate lang geschult, ehe man ihn allein auf die Straße ließ? Strahltriebwagen aus der Fabrikation der Erde waren schon schlimm genug, aber einen Saturnwagen zu bedienen erforderte schon akrobatische Geschicklichkeit. Die Bedienungshebel waren für ganz andere Größenverhältnisse und für die Scheinfüße der Kugelwesen zugeschnitten. Da gehörte eine ganze Portion Geschick dazu, den Wagen auf geradem Kurs zu halten. Spear klangen noch die Töne des Ultraschallsenders in den Ohren, als er im Fahrzeug saß und im Zickzack über das Eis schoß. Wie leicht konnte ihn der Strahl eines Gammatrons erreichen, und dann war es mit seiner Laufbahn aus. Ein Glück, daß ihm eine so schöne und glatte Eisbahn von über hundert Kilometern im Durchmesser zur Verfügung stand. Hier konnte er ganz schön Gas geben, ohne fürchten zu müssen, an der nächsten Straßenecke am Gemäuer einer baufälligen Hütte kleben zu bleiben. Vorwärts, den blauen Bergen entgegen! Vielleicht treffen die Gammatrons doch nicht so genau. Spear hoffte es, denn sonst würde von ihm nur noch hauchfein verteilter Staub übrig bleiben, das wußte er. Nach einer Weile merkte er, daß ihn kein Schuß der Gammatrons getroffen hatte, und sein Gehirn begann sich wieder zu beruhigen und normal zu arbeiten. War auf ihn überhaupt geschossen worden? Er wußte es nicht. Aber er hatte keine Fontänen aus kleinen Eissplittern gesehen. Also hatte man ihn auch nicht beschossen. Spear begann sich wieder stark zu fühlen. Er redete sich 75
krampfhaft Mut zu. Die Flucht hatte tadellos geklappt. Seine Ausbilder auf der Militärakademie wären stolz auf ihn gewesen, so ein Bravourstück war das. War er aber wirklich allem entronnen? Spear riskierte einen Blick auf den Bildschirm des Rundsichtperiskops. Da kamen sie schon! Fünf! Fünf schnelle Turbotriebwagen, wie der Teufel rasten sie hinter ihm her. Was nun? Spears Gehirn arbeitete fieberhaft. Die Fahrzeuge waren nicht für Kampfhandlungen, sondern nur zum Transport eingerichtet, das wußte Spear. Aus diesem Grund konnte er sich auch nicht verteidigen, denn der Wagen enthielt keine eingebauten Waffen. Vorsprung konnte er auch nicht gewinnen, denn die Wagentype war dieselbe, wie die seiner Verfolger. Mit der Jagd würde es sowieso bald aus sein, denn die Kraftstoffvorräte hielten nicht ewig. Es mußte etwas geschehen, und zwar bald, sonst war er verloren. Hätte er nur schon eher den Hebel ganz auf Vollgas heruntergerissen, das würde ihm jetzt zugute kommen. Nun fehlten ihm die zwei Sekunden. Immerhin konnten sie ihn jetzt auch nicht mehr einholen, da sie mit gleicher Geschwindigkeit dahinrasten. Was aber, wenn der Kraftstoff zu Ende ging? Plötzlich hatte Spear eine Eingebung. Die Saturnbewohner hatten keine allzu scharfen Augen. Er steuerte, so gut er konnte, auf die nächste Bergkette zu, zog die Bremsen an, machte eine Kehrtwendung, ließ die Bremsen wieder los und warf sich gleichzeitig seitlich aus dem Fahrzeug. Die Abgase des Rückstoßtriebwerks schossen sengend über ihn hin, aber er überstand es. Hoffentlich hatten sie seine Kriegslist nicht bemerkt. Nein! Er sah, wie die Verfolger sich an den unbemannt dahinschießenden Düsentriebwagen anhängten und lachte sich ins Fäustchen. Jetzt galt es, erst einmal still liegenzubleiben, damit sie nicht an der Bewegung merkten, daß da etwas nicht stimmte. Sie schienen aber nichts zu merken, denn ihre Wagen verfolg76
ten immer noch das von ihm verlassene Fahrzeug. Spear atmete erlöst auf. Er überlegte seine weiteren Schritte. Zuerst mußte er hier fort. Dann konnte er sich um das Mädchen kümmern. Oder nein, zuerst mußte er den Modulator in Betrieb setzen und das Notsignal aussenden, hinaufblinken oder funken oder wie das verdammte Dings eben funktionierte. Er würde sofort Hilfe anfordern, damit der ganze Mond mit seinen unheimlichen Bewohnern, Ergs und Saturniern, entsprechend aufgeräumt würde. Nur keine Feinfühligkeit. Hier war größte Eile und rücksichtslose Härte geboten, denn es ging um den Bestand der Menschheit. Aber zuerst mußte er sich zu der Ansiedlung der Ergs vorarbeiten, denn dort war sowohl Gwen als auch der Modulator, von dem der Erfolg seiner Bemühungen abhing. Hoffentlich war Manners nicht schon ausgelöscht und hoffentlich lebte auch Gwen noch. Vielleicht hatten die Ergs das Mädchen aus lauter Übermut schon getötet. Das konnte man nie wissen. Da konnte Spear noch von Glück sagen. Allerdings, wenn er an die schwierige Aufgabe dachte, fühlte er sich in seiner Haut gar nicht mehr so wohl. Shiny Spear verringerte seine Gangart, als er auf dem höchsten Punkt der niedrigen Hügelkette angekommen war. Das waren eigentümlich geformte Berge, so etwas kannte man auf der Erde nicht. Allerdings waren auf den beiden anderen äußeren Monden des Saturn auch ähnliche Gebirgsformen zu finden. Sie stiegen zwar steil in den Himmel empor und schienen aus der Ferne unüberwindlich, wenn man aber in ihre Nähe kam, stellte man erleichtert fest, daß die einzelnen Felsen zerklüftet waren. Die Täler reichten fast bis auf den Grund der übrigen Ebene. Verglichen mit den anderen Schwierigkeiten war also die Überwindung des Gebirges ein Kinderspiel. Nun war er auf der anderen Seite. Vor ihm lag, ganz in der 77
Nähe, die Ansiedlung der Krustentiere. Sie sah im Vergleich zu der strahlenden Stadt der Saturnbewohner grau und ärmlich aus. Man konnte sich vorstellen, daß ein Riese seiner metallenen Bauklötzchen überdrüssig geworden war und sie anschließend achtlos über die Gegend verstreut hatte. Seit Spears Entführung schien sich hier nichts verändert zu haben, außer, daß keine Ergs zu sehen waren. Sogar die Toten waren weggeräumt worden. Vielleicht hatten die Ergs wie die Kellerasseln auf der Erde, denen sie ähnlich sahen, die verendeten Artgenossen in einer Art Grabbankett aufgefressen; das wäre eine äußerst praktische Totenfeier. Das erklärte auch die Abwesenheit der Ergs. Sie wußten vermutlich aus Erfahrung, daß die Saturnier vorläufig nicht zurückkommen würden. Die Überfälle fanden sicher nur gelegentlich statt, wenn es galt, bestimmte Aufgaben zu lösen, wie beispielsweise die Sprachendroge zu erbeuten. Allzuviel hatten die Krustentiere aber sonst nicht an Beute zu bieten.
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Spear zog den durchsichtigen Lageplan aus seiner Tasche und hielt ihn gegen das Licht. Die Kratzermarkierungen von Manners waren deutlich darauf zu sehen. Schnell verglich er den Plan mit der vor ihm liegenden Ansiedlung. Er kümmerte sich nicht um Gwens Gefängnis, sondern schlug die Richtung auf das Gebäude mit den zwei Kratzern ein, in dem ihr erstes Gefängnis liegen mußte. Wenn dieses Haus nur für Gefangene und ihre Ausrüstungsstücke benutzt wurde, bestand die Wahrscheinlichkeit, daß dort jetzt gar keine Krustentiere in der Nähe waren. Wenn das stimmte, lag der Weg zum Modulator frei vor ihm. Er schob sich, auf dem Bauch kriechend, flach über das Eis auf die Häuser zu. Es hatte keinen Zweck, sich Gedanken zu machen, ob man gesehen wurde. Der schnellste und kürzeste Weg war der richtige. Nur keine Zeitverschwendung. Innerhalb weniger Sekunden lag er vor dem Loch, das Manners mit seinem Energiestrahlrohr geschweißt hatte. Der Energieschirm war nicht mehr vorhanden. Offenbar hatten die Ergs nicht geglaubt, daß ein Mensch den Saturniern entkommen könnte. Deshalb waren sie auch nicht auf Spears Rückkehr gefaßt gewesen. Trotzdem schlüpfte er mit aller gebotenen Vorsicht in den Raum. Es hatte alles bisher so gut geklappt, daß man den bisherigen Erfolg nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen durfte. Es war aber niemand zu sehen. Die Ausrüstung lag noch immer in der Ecke, und der Modulator stand daneben. Spear trat erfreut darauf zu – und verhielt dann mitten im, Schritt. Dann ließ er trotz aller Vorsicht eine Serie von Flüchen vom Stapel. Der Modulator war zwar vorhanden, aber in welchem Zustand! Allerdings konnte das nur der Fachmann auf den ersten Blick erkennen. Die Bedienungsknöpfe waren abgerissen und die Skalen verbogen und zerkratzt. Dazu lagen die wichtigs80
ten Bestandteile, die Photonröhren, zersplittert auf dem Fußboden. Einen Augenblick sah Spear das Ganze lediglich als einen Akt mutwilliger Zerstörungswut von Wilden an, dann durchfuhr ihn aber die ganze Schwere der Entdeckung. Sie waren nun nicht mehr länger imstande, Verbindung mit dem benachbarten Mond Phoebe aufzunehmen. Der Kasten ließ sich nicht mehr reparieren. Manners wäre vielleicht, auf Grund seiner Fähigkeiten, imstande gewesen, die Bedienungsseite des Gerätes wieder funktionsfähig zu machen, aber Photonröhren konnte er auch nicht herstellen. Jetzt schien wirklich jede Hoffnung geschwunden, diesen teuflischen Gespenstermond jemals wieder verlassen zu können. Spear setzte sich auf den Fußboden und lehnte sich an die Wand, so daß er das Loch in der Mauer sehen konnte. Was machte es ihm noch aus, wenn die Ergs ihn wieder entdecken würden? Was konnte er unternehmen, wenn sie ihn ungeschoren ließen? Ausreißen? Wohin? Und wenn er flüchtete und tatsächlich ein gutes Versteck ausfindig machte, was nützte ihm das auf lange Sicht? Auf Themis gab es keinen Pflanzenwuchs, und er konnte unmöglich nur von gefangenen Ergs und Saturniern leben. Sauerstoff gab es genügend, was nützte einem aber die Atemluft, wenn man nichts zu essen hatte? Wenn Manners tot war, konnte das auch nichts mehr ausmachen. Ob durch die Vernichtungsmaschine umgebracht oder verhungert, im Grunde war es doch dasselbe. Aber Gwen? Wie stand es mit ihr? Und dann überfiel ihn ein entsetzlicher Gedanke. Er versuchte, ihn aus seinem Kopf zu vertreiben, aber er kam immer wieder. Schließlich kam er zu dem Ergebnis, daß es jetzt seine vordringliche Aufgabe war, schleunigst Gwen zu suchen, bevor die Ergs Schlimmeres mit ihr anstellten, als das Mädchen bisher schon durchgemacht hatte. 81
Spear stellte sich Commander Fletcher vor, wie er sehnsüchtig auf das Eintreffen der Saturnide III wartete. Wie er immer unruhiger wurde, wenn die ausgesandten Suchschiffe ohne eine Nachricht zurückkehrten. Dazu wußte Fletcher, daß die Formeln an Bord waren. Sie durften keinesfalls feindlichen Kräften in die Hände fallen. Trotzdem mußte der Commander seine Sorgen den größeren Aufgaben unterordnen. Er stand langsam auf und ging auf das Loch zu. Draußen strahlte ein blauer, wolkenloser Himmel. Der schwache Sonnenschein badete alles in sanfte Farben. Der lange Themistag dauerte noch mindestens ein Jahr nach irdischem Zeitmaß. Aber Spear fühlte stärker als je zuvor, daß sein Leben vorher zu Ende gehen würde. Immer war noch nichts zu sehen, was auf die Anwesenheit der Ergs hindeutete. Ein gequältes Lächeln umspielte Spears Lippen. Saßen sie noch bei ihrer kannibalischen Totenfeier? Er zog den transparenten Lageplan wieder zu Rate und vergewisserte sich, wo das Gefängnis Gwens lag. Er ließ sich wieder auf den Bauch gleiten und kroch zu dem Gebäude hinüber. Als er den Metallwürfel erreichte, schlich er um die Ecke, um den Transporter zu finden. Dort richtete er sich auf. Er wollte gerade einen der Knöpfe niederdrücken, als er an die eingebaute Zeitmaschine dachte. Das fehlte gerade noch, daß er in die Vergangenheit oder Zukunft geschickt wurde, wenn er den falschen Knopf betätigte. Er starrte die verschiedenen Knöpfe an. Er wußte nicht, welcher davon tatsächlich nur den Transporter in Gang setzte. Neun Knöpfe waren vorhanden. Wer die Wahl hat, hat die Qual, dachte Spear in einem Anfall von Galgenhumor. Fünf Ergs waren hier verschwunden, also wählte Spear den fünften Knopf. Er holte tief Luft und drückte ihn mit einem Fuß nieder. – Gwen saß auf dem Fußboden. Das bleiche Licht an der De82
cke ließ ihr Haar nicht erglänzen, aber trotzdem konnte man das leuchtende Rot erkennen. Ihre Augen waren gerötet, und ihr Gesicht sah bleich aus, aber sie wirkte immer noch genauso anziehend wie ehedem. Sie sprang elektrisiert hoch, als sie Spear plötzlich erblickte. Sie war nicht mehr blind wie vorher, als Krog ihnen beiden das Bild Gwens auf dem Fernsehschirm gezeigt hatte. „Oh, Captain, ich bin so froh, daß Sie wieder da sind“, rief sie. „Ich dachte schon, Sie seien beide umgekommen.“ „Noch nicht ganz, Miß Fletcher. Aber es kann noch passieren. Wir haben aber jetzt nicht viel Zeit für lange Gespräche. Wir müssen hier schleunigst raus“, sagte er. „Aber wie?“ fragte sie. „Wie wollen Sie das schaffen?“ „Ganz einfach. Wir treten vor den Transporter“, begann Spear. Dann erinnerte er sich, daß er in der umgekehrten Richtung nur funktionierte, wenn man in seinen Mechanismus eingeweiht war. Und den kannte er nicht. Sonst hätte Gwen ja mit eigener Kraft ausbrechen können. Das hatten die Ergs bis jetzt erfolgreich verhindert. Wenn er nicht so froh über die Leichtigkeit gewesen wäre, mit der er seinen Plan bisher verwirklichen konnte, hätte er zweifellos an diese gefährliche Falle gedacht. Spear drehte sich um und sah Gwen an. „Haben Sie schon jemals diese Drucktasten ausprobiert?“ fragte er sie aufgeregt. Sie errötete verärgert, aber er schnitt ihre Entgegnung kurz ab: „Jetzt haben wir keine Zeit, Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, Miß Fletcher. Sie können von mir aus mit mir machen, was sie wollen, wenn wir nach Phoebe zurückgekehrt sind, aber jetzt befolgen Sie bitte meine Anordnungen. Beantworten Sie ohne Umschweife meine Frage!“ „Nein“, antwortete sie verschüchtert. „Ich dachte, das könnte mir höchstens schaden. Übrigens habe ich mein Sehvermögen erst vor einigen Minuten wiedererlangt.“ 83
Spear hörte schon gar nicht mehr hin. Er starrte die Schaltknöpfe auf dem Fußboden an. Vielleicht hatten die Ergs den Zeitverschiebungsmechanismus noch nicht blockiert. In dem Fall … Er dachte scharf nach. Manners hatte den Trick aus purem Zufall entdeckt. Das hieß, der Zeitknopf mußte gleich links oder rechts vom eigentlichen Transportauslöseknopf sitzen. Vielleicht saß an beiden Seiten einer. Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit; den mittleren hatte er benutzt, um hereinzukommen. Also mußte es der vierte oder sechste Knopf sein. Er rief Gwen zu: „Kommen Sie her und stellen Sie sich neben mich. Hören Sie jetzt gut zu. Ich glaube, einen Fluchtweg zu wissen. Wir werden entweder auf der Zeitachse vorwärts oder rückwärts marschieren, oder es passiert überhaupt nichts. Seien Sie jedenfalls auf alles gefaßt, es können uns merkwürdige Dinge blühen.“ Als sie zu ihm herüberkam, legte er einen Arm um ihre Hüfte. Dann trat er mit einem Fuß auf den sechsten Knopf.
Das Ende eines Verräters Die zwei Männer schauten sich einige Augenblicke schweigend an. Manners war aufgesprungen, als Sat den Raum verlassen hatte, und der Verräter Martin war einen Schritt zurückgewichen, als glaubte er an einen sofortigen tätlichen Angriff. Dann mußte er sich daran erinnert haben, daß die Saturnier ihn sicher schützen würden, und das gab ihm sein Selbstvertrauen wieder. Arrogant starrte er Manners an. Aber Manners musterte ihn nur grimmig von unten bis oben. Er hätte den Verräter gerne angespuckt, aber er beherrschte sich. Hier standen zwei Angehörige der Raumstreitkräfte, der eine zum Tode verurteilt, der andere frei und ungebunden, weil er mit den Feinden der Erde gemeinsame Sache machte. Warum 84
mochte dieser starke, kluge und intelligente Offizier sich nur mit den Saturniern verbündet haben? Martins Blick wich dem seinen nicht aus. Er musterte Manners jetzt verächtlich. Klar, er konnte sich das leisten, draußen paßten die Saturnwachen auf. „Na, und?“ fragte Martin mit einem leicht hysterischen Unterton in der Stimme. Manners grunzte. „Sie glauben, Sie handeln richtig?“ fragte er. Martin lachte unnatürlich. „Selbstverständlich glaube ich das. Ich werde bald das Oberkommando über die Angriffsarmee führen. Wenn wir die Erde besetzt haben, werde ich Vorsitzender des Obersten Weltrats werden.“ Sein Gesicht hatte sich gerötet, und seine Augen glänzten. Die Pupillen verengten sich bis auf Stecknadelkopfgröße. „Das haben sie Ihnen versprochen?“ wollte Manners wissen. „Jawohl, und noch einiges mehr. Ich erhalte ein Fünftel des Anlagevermögens der Weltbank. Das ist eine ganze Menge Zaster.“ Manners lachte. „Also für Geld machen Sie das alles, was?“ Martins Augen zogen sich zusammen, und er ballte die Hände. „Das ist es nicht allein. Ich war ein guter Kommandeur und habe die Befähigung dazu auch oft genug unter Beweis gestellt. Einmal aber wurde ich wegen einer Weibergeschichte zum Sergeanten degradiert. Und das passierte ausgerechnet mir! Aber die Geschichte ist Gott sei Dank ausgestanden. Bald werde ich dem Oberkommando angehören!“ Er fuhr in demselben Tonfall noch eine Weile fort. Typischer Fall von Größenwahn. Manners kannte diese Sorte, hatte aber noch nie ein so ausgewachsenes Exemplar davon gesehen. Bald würde der Verräter zusammenbrechen und einen Weinkrampf erleiden. Manners legte keinen Wert auf dieses Schauspiel. Hochmut war schon schlimm genug, aber dann die weinerliche 85
Selbstbemitleidung, das war zuviel. Er würde ihm dann vielleicht eine Tracht Prügel verabreichen müssen, damit er wieder zu sich kam. Eine Tracht Prügel? Warum nicht? Martin war zwar ein baumlanger Kerl, aber damit wurde die Sache so oder so zu Ende gebracht. Allerdings war der Verräter noch mit Strahlpistolen bewaffnet. Wenn Manners ihm eine davon entreißen konnte … Warum sollte er ihn dann nicht reizen, zur Waffe zu greifen, um ihn in Notwehr zu erschießen? Das Todesurteil erwartete den Verräter sowieso, wenn er wieder in die Hände der Raumstreitkräfte fiel. Und Manners gehörte den Raumstreitkräften an; er repräsentierte sie auf Themis. Er war sich keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß er schneller ziehen konnte als der andere. Gut, Martin sollte seine Chance haben, sein erbärmliches Leben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Wie Dirk vorausgesehen hatte, begann Martin mit den Tränen zu kämpfen. Große Tropfen fielen auf seine Uniform und wurden vom Stoff aufgesogen. Er stand mit dem Rücken zur Wand und hielt den Kopf in den Händen vergraben. Manners schritt auf ihn zu. Martin blickte auf und wich vor ihm zurück, wobei er eine Strahlpistole zu ziehen versuchte. „Bleiben Sie mir vom Leibe!“ schrie er hysterisch. „Ich erschieße Sie, obwohl Sie unbewaffnet sind. Verstehen Sie?“ Manners legte die restliche Entfernung mit einem Sprung zurück und hielt Martins Arm fest. Dann umfaßte er die Kehle des Verräters mit dem Unterarm und angelte mit der anderen Hand nach der Strahlpistole. Martins Knie schnellte hoch und traf ihn im Magen. Manners überkam ein Gefühl entsetzlicher Übelkeit, und schwarze Nebel griffen nach seinem Gehirn. Nur das nicht, ausgerechnet jetzt! Er schnellte seinen Leib zur Seite und legte seine ganze Kraft in seinen Unterarm. 86
Martin war kräftig und hatte seinen Kopf aus der eisernen Umklammerung befreit, doch Manners gelang es in diesem Augenblick, die linke Pistole des Gegners an sich zu reißen. Aber auch Martin zog, das Gesicht von Angst und Haß verzerrt. Um den Bruchteil einer Sekunde war Manners schneller. Der tödliche Strahl seiner Pistole traf Martin ins Gesicht, bevor dieser abdrücken konnte. Die faire Chance hatte dem Verräter nichts genützt. Die Gerechtigkeit hatte ihn ereilt. Manners atmete auf. Er nahm die zweite Strahlpistole ebenfalls an sich und richtete sich auf. Dann blieb er einen Augenblick zögernd stehen, legte die Waffe auf den Fußboden und entkleidete seinen Gegner, dessen Uniform von den Strahlen nicht getroffen war. Darauf zog er sich ebenfalls rasch aus und wechselte die Kleidungsstücke. Die Uniform des anderen schlotterte ziemlich um seine Glieder, aber er ging schließlich nicht zur Parade. Hier war nicht der Ort für überspannte Ansprüche. Schwieriger war es, die leblosen Gliedmaßen des toten Verräters in seine eigene Uniform zu zwängen. Dann schleifte er ihn in eine dunkle Ecke, daß sein vom Strahl entstelltes Gesicht nicht zu erkennen war, und setzte ihn so zurecht, als brüte er lediglich trübsinnig und entmutigt vor sich hin. Zum Schluß schnallte er die Pistolentasche um. Er vertraute auf eine alte Redensart der Erde. Für einen Europäer sahen alle Chinesen gleich aus und umgekehrt. Martins Haar war ebenfalls blond und die Statur stimmte auch im großen und ganzen. Solange er nicht zu sprechen brauchte, konnte er hoffen, daß die Saturnier den Betrug nicht sofort entdeckten. Und einige Sekunden würden ausreichen, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Er schlich zur Tür und wandte ihr gerade den Rücken zu, als sie von außen geöffnet wurde. Sat trat ein und ging zu dem Toten hinüber. Er drehte Manners den Rücken zu. 87
„Ich hörte, Sie hatten eine kleine Auseinandersetzung, aber ich nehme an, daß Sie sich beherrschen konnten, Martin. Nun, Manners, haben Sie –“ Er sprach diesen Satz nie mehr zu Ende, denn der Elektronenblitz von Manners’ Strahlenpistole verwandelte Sat sofort in Staub. Er hatte nicht einmal Zeit zu erschrecken. Manners steckte die Pistole wieder in die Halfter und drehte sich um. Sat war zu sehr mit dem vermeintlich niedergeschlagen in der Ecke sitzenden Manners beschäftigt gewesen, dem er das Geheimnis der Novabombe entrissen hatte. Deshalb hatte der als Martin verkleidete Manners mit ihm leichtes Spiel gehabt. Jetzt kam aber erst die eigentliche Entscheidung, ob sein tollkühner Plan glückte. Manners trat dreist durch die Tür in das Vorzimmer. Dann wanderte er weiter bis zum großen Eingangstor und hielt dabei den Kopf gesenkt, wobei er sich den Anschein gab, als ob er auf ein Stück Papier mit Aufzeichnungen in seinen Händen blickte. Die unteren Dienstgrade der Saturnier hatten offenbar Befehl, den Verräter mit Achtung zu behandeln, zumindest vorläufig noch. Einer von ihnen trat vor und gab das telepathische. Kommando, das die Torflügel öffnete. Sie glitten zur Seite, und Manners trat hindurch, ohne aufzusehen. Das Tor schloß sich wieder hinter ihm. Er schaute sich unbeteiligt um und entdeckte einige Saturnier, die bei den Düsentriebwagen standen. Sie zeigten kein sonderliches Interesse für ihn, sondern musterten ihn nur mit einem kurzen Seitenblick. Er überflog hastig die Reihen der geparkten Wagen, wobei er nach dem tropfenförmigen Flugwagen von Martin Ausschau hielt. Den mußte er unbedingt finden. Wenn er darin war, konnte er erst mal verschnaufen und nachdenken. Aber jetzt war keine Zeit dazu. 88
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Da stand er! Rechts von ihm, etwas hinter den anderen Wagen. Sein Verwandlungskunststück konnte jeden Augenblick entdeckt werden. Er raste auf den Flugwagen zu, war sich aber darüber im klaren, daß seine Sprinterauszeichnung auf der Universität ihn nicht davor bewahren würde, von den Saturniern in Nullkommanichts eingeholt zu werden, wenn sie erst einmal den ganzen Schwindel durchschaut hatten. Als er sich durch die Reihen der abgestellten Fahrzeuge zwängte, fiel eines davon zu einem rauchenden Trümmerhaufen zusammen. Eine Sekunde später hörte er das Peitschen des Abschusses. Er riskierte einen hastigen Blick über die Schulter und sah, daß das Tor wieder geöffnet worden war und zwei Saturnier ihre Gammatrons auf ihn angelegt hatten. Im selben Augenblick rannten die Saturnier, die bei den Düsentriebwagen standen, alle auf ihn los. Er wußte, daß sie jetzt kein großes Verhör mehr mit ihm anstellen würden, weil Sat nun tot war. Er hatte ihn und ihren Agenten umgebracht. Da gab es keine Gnade. Zwei weitere Wagen sanken zu rauchenden Häufchen zusammen. Schauer von Eissplittern umhagelten ihn, als die Schüsse mehr in seine Richtung gingen. Vorwärts ihr langweiligen Füße! Das ist kein gemütlicher Hochschulwettkampf. Hier kann man nicht mit stolzgeschwellter Brust das Zielband zerreißen. Hier geht es um Leben und Tod. Entweder es gelingt, den Flugwagen rechtzeitig zu starten, oder es ist alles aus. Und diesmal endgültig. Er erreichte den Flugwagen und riß die Tür auf. Glücklicherweise war es ein niedriges Modell mit nur einem Düsenantriebaggregat. Weiteres Glück, daß Martin den Flugwagen startbereit geparkt hatte. Jetzt zählte jede Millisekunde. Der Düsenantrieb heulte auf. Der Einstieg schloß sich. Schon schoß er über das Eis dahin. Jetzt löste er sich vom Boden. Es ging aufwärts, zweihundert Meter, fünfhundert. Bald mußte er außer Schußweite sein. 90
Er stellte den Autopiloten an und wandte sich dem Kartentisch zu. Nächster Haltepunkt Phoebe. Dann auf schnellstem Wege mit den Jungen hierher zurück. Er wollte gerade die Beschleunigung reduzieren, als er gegen die gepolsterte Vorderfront geschleudert wurde. Uff, so sollte der Karren eigentlich nicht bocken. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sah er, was passiert war. Guter Gott, ein Schuß hatte getroffen! Er sprang zum Instrumentenbrett und schaltete den Autopiloten wieder aus. Dann drückte er den Steuerknüppel nach vorn, um den Flugwagen waagerecht zu legen. Das Düsentriebwerk heulte immer noch. Aber die Zelle war am Heck beschädigt. Ein großes Loch klaffte in der Außenhaut. Glücklicherweise hatte der Schuß den Wagen nur gestreift. Aber die Reise nach Phöbe mußte sich Manners aus dem Kopf schlagen. Durch das Loch entwich die Atemluft, und ohne Raumanzug war das seiner Gesundheit in keiner Weise bekömmlich. Immerhin gehorchte das Fahrzeug noch dem Steuerknüppel, und das war besser als eine Bruchlandung. Und außerdem saß er nicht länger als unfreiwilliger Gast in der goldenen Saturnstadt. Manners genoß trotz der düsteren Zukunftsaussichten doch vorerst einmal voll die Freude, seinen Feinden entronnen zu sein. Es gab keine Wolken. Die durch das Loch hereinströmende Luft schmeckte frisch und kühl. Welch ein Unterschied gegenüber den üblen Gerüchen, die die Saturnier verbreiteten. Die Stadt verlor sich hinter ihm in der Ferne. Er flog weiter, drehte zwei Loopings und hätte dabei beinahe vor lauter Übermut gesungen. Bald kehrte aber der Gedanke an seine hoffnungslose Lage zurück. Die Novabombenformeln! Sicherlich hatte Sat die beiden Menschen aus dem Grunde allein gelassen, weil er schleunigst die Manners abgelauschten Geheimnisse aufzeichnen wollte. Auch wenn das nicht der Fall war, würde das ihre Angriffsabsichten auf die Ergs nicht mindern. Sats Nachfolger 91
würde wütend die Schmach zu tilgen versuchen. Mit allen verfügbaren Machtmitteln würde er den Krieg bis zur Erde tragen. Und wenn Sats Nachfolger dazu noch das Geheimnis der Novabombe kannte … Plötzlich stotterte der Düsenantrieb und setzte aus. Martin hatte wahrscheinlich auf Themis nachtanken wollen. Manners stellte den Bedienungshebel auf Gleitflug. Zwei Tragflächenstummel fuhren zu beiden Seiten aus, und der Flugwagen schwebte langsam nach unten. Durch die Sichtluken konnte Manners die vor ihm liegende Bergkette erkennen. Er ließ den Flugwagen darauf zutreiben. Zwar war ihm klar, daß er den Gebirgszug nicht mehr überqueren konnte, aber er wollte wenigstens versuchen, sich zu Fuß zur Ansiedlung der Ergs durchzuschlagen und Gwen zu finden. Wenn das geschafft war – aber Gleitflug ist kein Kinderspiel und erfordert die ganze Aufmerksamkeit. Keine Zeit für Zukunftspläne! Später konnte er sich immer noch damit beschäftigen. Er war nur noch wenige hundert Meter über der riesigen Eisfläche, als er sich an den Auftrieb vor jedem Gebirge erinnerte. Aber jetzt war es zu spät. Er besaß nicht genügend Gleitflugerfahrungen, um das folgende Ereignis zu verhindern. Der Flugwagen stellte sich wie ein wilder Hengst aufs Hinterteil, verlor dadurch an Fahrt und krachte auf einen der niedrigen Felsen auf. Die Gleitflächen brachen ab, und der Bug platzte auf, aber Manners war bis auf eine riesige Beule am Kopf nichts passiert. Er bahnte sich mühsam seinen Weg aus dem Wrack und besah sich den Schaden. Es sah böse aus, aber ohne Treibstoff und mit beschädigter Außenhaut war das Vehikel sowieso nichts mehr wert. Wenigstens ein Energiestrahlrohr war in der Kabine, das konnte er gut gebrauchen. Als er das Rohr aus dem zerbeulten Blechgewirr hervorzog, 92
fing das eingebaute Strahlmeßgerät plötzlich an zu ticken. Erstaunt schaute Manners auf. Der Zeiger zeigte eine Strahlung von sechshundert Milliröntgen an. Das war zwar harmlos. Was aber war der Grund für diese Strahlung? Er brachte das Rohr ins Freie, setzte es nieder und untersuchte die Felsen. Auf der Realschule hatte er in Geologie des öfteren geglänzt, weil ihn die verschiedenartigen Gesteine und Mineralien interessierten. Er hatte sogar damals einen Preis in einem Wettbewerb für die richtige Bezeichnung radioaktiver Mineralien erhalten, und zwar von Arten, die es auf der Erde nicht gab. Als er jetzt auf den Felsen zu seinen Füßen starrte, sah er die dünnen grünen Bänder, die sich durch das Gestein zogen. Die grauen und blauen Schichten bestanden aus inaktivem Cupsulit. Die grünen Bänder waren reines Nucleonium. Blitzartig ernannte er die Zusammenhänge. Jetzt wußte er, warum die Erde riesige Mengen von Nucleonium importierte. Er wußte auch, was sie damit vorhatten. Auch was die Saturnier damit anstellen konnten, war ihm jetzt klar, wenn sie erst einmal herausfanden, daß auf Themis das Mineral in großen Mengen vorkam. Jetzt mußte er handeln. Er kroch wieder in den Flugwagen, kramte einen Kasten aus dem Bakelit hervor und warf den Inhalt hinaus. Dann wühlte er weiter im Wrack herum, bis er schließlich ein Strahlentladungsrohr fand. Das brauchte er auch. Er zielte auf den Felsen und drückte den Abzug durch. Die ultrakurzen Wellen prallten auf das Gestein und erhitzten es innerhalb weniger Sekunden um mehrere tausend Grad. Infolge der Wärmeausdehnung platzte der Fels überall auf, Manners stellte das Entladungsrohr wieder ab. Jetzt schaltete er es auf magnetische Strahlung um. Das starke Magnetfeld brachte die Molekularenergie des erhitzten Felsgesteins auf Null, und dadurch kühlte es sich wieder ab. 93
Manners räumte das bröcklig gewordene Cupsulit beiseite und sammelte einige Hände voll Nucleonium. Dann stellte er den Bakelitkasten auf den Boden und schüttete das Nucleonium hinein. Als nächstes mußte man einen Zeitzünder konstruieren, erinnerte sich Manners aus den Novabombenberechnungen. Er war aber schließlich kein Märtyrer und wollte sich nicht die Möglichkeit verderben, vielleicht doch noch den Gespenstermond zu verlassen. Deshalb konnte er keine feste Zeitzündung gebrauchen. Und dann galt es außerdem nach Gwen und Spear zu finden. Er kroch nochmals in das Wrack zurück und holte aus den Trümmern eine Radioröhre aus dem Sprechfunkgerät. Nachdem er das Glas vorsichtig zerbrochen hatte, riß er das ganze Empfangsgerät aus seinen Halterungen und legte es oben auf das Nucleonium, wobei er darauf achtete, daß die wieder an ihren Platz gesteckte Rohre mit den nackten Heizdrähten das Nucleonium berührte. Dann stellte er das Einschaltrelais für den Empfänger auf eine selten benutzte Empfangsfrequenz ein. Jetzt wurde es bei ankommender Trägerfrequenz automatisch mitsamt dem Zwischenfrequenzverstärker und den Endröhren eingeschaltet. Mit grimmiger Genugtuung betrachtete Manners sein Werk. Dann wandte er sich ab und begann die Felsen hinabzuklettern.
Der Plan Als Gwen an seine Seite trat, legte Spear den Arm um ihre Hüfte. Dann hob er den Fuß und trat auf den sechsten Schaltknopf. Es schien nichts zu passieren. Immer noch starrten sie die Wand an. Sein Arm lag noch immer um Gwens Hüfte. Sie löste sich sanft. Die Zeitverschiebung hatte also leider nicht funktioniert. 94
Dann sah er einen Kratzer in der Metallwand, der vorher nicht dagewesen war. Er drehte sich um. Es war ein anderer Raum. Gwen hatte sich ebenfalls umgedreht und staunte. Das war gar nicht das Gebäude, in dem sie gefangengehalten worden war. In einer Wand klaffte ein gezacktes Loch, und auf dem Fußboden in einer Ecke lag ein Haufen Ausrüstungsstücke. Die geborgene Ausrüstung aus dem Raumkreuzer. Sie drehte sich zu Spear um und zerrte an seinen Jackenaufschlägen. „Sehen Sie“, rief sie aus. „Merken Sie, was das bedeutet? Wir sind wieder in unserem ersten Aufenthaltsraum. Dort ist das Loch, durch das wir hinaus können, hinaus in die Freiheit!“ Spear schaute auf das Mädchen nieder. Ihre Augen glänzten, und die Zähne waren in strahlendem Lächeln entblößt. Sie freute sich. Das einzige Wesen auf dem ganzen verdammten Mond, das glücklich war – und er mußte es ihr versalzen! Sie wußte ja nicht, daß es keine Rettung mehr gab. Freiheit, dachte sie, und doch würden sie nicht weit kommen! Ohne Raumschiff, ohne Nachrichtenverbindung, es war hoffnungslos. Er unterbrach sie behutsam und berichtete ihr mit leiser Stimme, was sich alles in der Stadt der Saturnier ereignet hatte. Wie er schließlich durch Manners’ Selbstaufopferung doch noch entkommen war, den Modulator, aber zerstört vorgefunden hatte. Damit mußten sie nun auch die Hoffnung begraben, ein Notsignal zum Phoebe senden zu können, und das war ihre letzte Chance gewesen. „Sehen Sie es ein?“ fragte er. „Alle weiteren Anstrengungen sind einfach bare Kraftvergeudung.“ Gwens Lächeln war erstorben, und ihre Haut hatte sich wieder geglättet. Sie starrte auf den zerbrochenen Modulator und begriff langsam die Größe des Unheils. Ihre Lippen zuckten, aber bald hatte sie sich wieder in der Gewalt. Spear beobachtete sie, als sie zu dem Modulator trat. Tapfe95
res Mädchen. Völlig außer Fassung gebracht und trotzdem beherrscht bis zum äußersten. Nicht einmal die Gefangenschaft und der zeitweilige Verlust des Sehvermögens hatten ihre Widerstandskraft zu brechen vermocht. Vielleicht lag es an den Erbanlagen, immerhin war es beachtlich. Schade, daß der Kerl auf Phoebe seine Verlobte nie mehr sehen würde. Dieser beneidenswerte Mann, der auf sie wartete. Sie war wirklich ein prachtvoller Mensch. „Wir werden den Kampf aufnehmen!“ Spear schaute verdutzt auf, als sie sich plötzlich zu ihm herumdrehte und ihm diese Worte ins Gesicht schleuderte. „Mit wem?“ fragte er. „Gegen alle werden wir kämpfen“, rief sie entschlossen. „Ergs, Saturnier – mir ist alles egal. Wir werden es ihnen schon zeigen, wie man kämpft.“ Ein braves Kind. Sie sah so fraulich aus, und doch wußte Spear, daß sie mit einer Strahlenpistole wie ein Mann umgehen konnte. Nur hatten sie keine Waffen mehr. Das schien sie ganz zu vergessen. „Ich bewundere Ihren Mut, Miß Fletcher!“ „Ach, sagen Sie doch einfach Gwen zu mir“, unterbrach sie ihn. „Einverstanden, Gwen. Sie können aber diese riesigen Wanzen nicht mit nackten Händen bekämpfen. Das würde ich auch nicht zulassen. Dafür sind Ihre Hände viel zu zart.“ „Davon rede ich nicht. Ich meine Strahlenpistolen und Energiestrahlrohre. Man muß sich eben welche beschaffen!“ „Und woher, wenn ich fragen darf?“ entfuhr es Spear, den ihr Unverstand allmählich in Wut brachte. „Vielleicht können wir inzwischen auch mit spitzen Eisstücken auf die Wanzen losgehen! Oder wie wäre es, wenn wir mit der Zeitmaschine immer hin- und herhüpfen, bis unseren Feinden vom Zusehen schwindlig wird?“ 96
Sie war aber so in Fahrt, daß sie trotz aller Vernunftgründe nicht einhalten konnte. Tränen des Zorns traten ihr in die Augen. „Captain Spear, wenn wir nach Phoebe zurückkommen sollten, werde ich eine gerichtliche Untersuchung der ganzen Vorfälle beantragen. Sie haben mich beleidigt und lächerlich gemacht, Sie …“ Sie drehte sich rasch um und wandte ihm ihren Rücken zu. Es war trotz allem ein schöner Rücken, wie Spear schon früher zu bemerken Gelegenheit gehabt hatte. Nicht zu breit. Er ging zu ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie schüttelte sie trotzig ab. „Gwen“. sagte er, „ich bereue jetzt, daß ich so zynisch wurde. Ich nehme an, daß es Ihnen auch leid tut. daß wir uns gegenseitig so angefahren haben.“ „Mir nicht“, sagte sie bissig. „Von mir aus, ich jedenfalls bedauere es, daß ich mich so gehen ließ. Es ist auch zu blöd, daß ich den Absturz verursachte. Wenn ich ein besserer Pilot gewesen wäre, könnten wir jetzt …“ „Es war nicht Ihre Schuld“, sagte sie, kehrte ihm aber noch immer den Rücken zu. „Sie haben ja den Energieschirm nicht konstruiert. Seien Sie jetzt bloß nicht heroisch.“ „Heiliger Nikolaus!“ schimpfte Spear und hob die Augen zur Zimmerdecke. „Macht weit die Tür, sie schwebt empor!“ Er wandte sich ihr wieder zu. „Hören Sie gut zu. Wir werden bald eine unangenehme Zeit durchmachen, und ich glaube, das wird unsere Nerven mehr strapazieren, als ihnen guttut. Wenn Sie etwas unternehmen wollen, bin ich immer mit von der Partie, nur lassen Sie uns mit dem sinnlosen Geschwätz aufhören. Wir streiten wie zwei frischgebackene Eheleute in der Brautnacht, die krampfhaft ein Hotel suchen und keins finden.“ Gwen lachte lautlos in sich hinein. „Ich streite nicht“, sagte sie. 97
„Aber Sie sind ganz aus dem Häuschen. Ich habe es nicht böse gemeint. Was wollen wir jetzt unternehmen?“ Spear gab sich damit zufrieden. Die kleine Auseinandersetzung hatte ihn eigentlich wieder aufgemuntert – obwohl er sich auch sagte, daß es nicht viel zu hoffen gab. Schön, nehmen wir also den Kampf auf. Schließlich war ein Schuß mit der Deltawaffe eine schnelle Angelegenheit; diese Medizin wirkte für ewig schmerzstillend. „Also“, sagte er, „draußen gibt es drei größere Gebäude. Als die Saturnier angriffen, konnte ich beobachten, daß die Ergs aus einem Deltawaffen holten. Vielleicht haben sie auch unsere Schießprügel dorthin gebracht. Wenn sie immer noch beim Leichenschmaus sind, können wir uns vielleicht hinschleichen und etwas Brauchbares finden, vorausgesetzt natürlich, daß sie den Transporter nicht abgestellt haben, was ich aber nicht glaube. Dann könnten wir da drin noch einen Polterabend veranstalten, an den sie lange denken werden. Wenn wir dann schon hin sind, hat es sich wenigstens gelohnt.“ „Okay, Captain – hm – Shiny“, sagte Gwen. „Das werden wir machen. Vielleicht kommt noch etwas Gutes dabei heraus. Vielleicht sehe ich Vater und Roderick doch wieder.“ „Wer ist Roderick?“ fragte Spear und hätte sich für diese Frage ohrfeigen mögen. „Mein Verlobter, den ich heiraten werde – das heißt natürlich, wenn wir entkommen. Wußten Sie nicht, daß ich mit Roderick Martin verlobt bin? Er ähnelt Manners etwas.“ Na schon, dachte Spear, da ist zweifellos mein Typ nicht gefragt. „Ich kenne keinen Roderick Martin, und im übrigen kümmere ich mich nie um das Liebesleben von Kommandeurstöchtern“, sagte Spear bissig. „Eingeschnappt?“ fragte Gwen. Spear trat zu dem Loch in der Mauer und schaute hinaus. Der 98
Unterschied gegenüber dem letzten Mal war gewaltig. Leer und verlassen lag die Eisfläche mit den verstreuten Gebäuden vor ihnen, keine Saturnier im Angriff und keine Ergs als Verteidiger. „Kommen Sie“, sagte er. „Wir werden diese Gebäude jetzt systematisch untersuchen.“ Wenn man die Ansiedlung nach einem geometrischen System angelegt hatte, so jedenfalls nicht nach dem von Euklid oder Riemann. Einem normalen Menschen kam sie lediglich wie eine Anhäufung verstreuter Kästen vor, von denen drei etwas größer und einer besonders groß waren. Spear nahm an, daß das größte Gebäude als Lagerhaus für die Lebensmittel dienen mochte, während die drei anderen zu Verwaltungszwecken bestimmt waren. Vielleicht stellte eins davon das Waffenlager dar. Er wollte Gwen nicht zumuten, in ihrer dünnen Kleidung auf allen vieren zu den Gebäuden zu kriechen, deshalb rannten sie von Haus zu Haus und verhielten immer einen kurzen Augenblick, an die Mauer gepreßt. Der Gebirgszug lag zu ihrer Linken, sie konnten ihn aber wegen der dazwischenliegenden Gebäude nicht sehen. Als sie das erste der drei größeren Häuser erreichten, führte Spear das Mädchen zum Transporter. Gwen schien nervös und machte Einwände. „Ich möchte nicht noch mal in so ein Haus“, sagte sie ängstlich. „Aha, jetzt kneifen Sie, was?“ fragte Shiny. „Sie sind ja auch nervös! Na und? Das ist doch klar, daß mir nicht gerade wie bei einem Frühlingsspaziergang zumute ist.“ „Glaube ich! Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir was unternehmen müssen“, sagte Spear. „Wir können nicht auf halbem Wege stehenbleiben.“ Er unterbrach sich plötzlich und zog Gwen rasch zu sich an die Mauer. Er hatte einen Schatten an der anderen Seite des Hauses erkannt, und dieser bewegte sich. Zu klein, um einem 99
Saturnier oder einem Erg zu gehören, konnte er nur von einem menschenähnlichen Wesen stammen, oder vielleicht gar von einem Menschen selbst. Da gab es außer ihnen eigentlich nur – Manners. Spear schlich sich rasch an die Ecke und riskierte einen Blick. Wenige Meter vor ihm schob sich Manners auf dem Bauche über das Eis. „Dirk!“ rief Spear. Dann erinnerte er sich der lauernden Gefahren. „Dirk“, rief er nochmals, aber diesmal leiser. „Steh auf, du verdammt willkommenes Kriechtier! Wie bist du entkommen?“ Manners stand verschmitzt grinsend auf. Er bemerkte jetzt Gwen und lachte ihr mit vollendeter Ritterlichkeit zu. „Da sind wir also alle miteinander frei?“ fragte er. „In diesem Falle ziehen wir uns zweckmäßig sofort in das Gebirge zurück und halten einen Kriegsrat ab, was? Ich muß euch eine Menge berichten.“ Sie rannten los. Die Felsen begannen nach wenigen hundert Metern, und nach zwei Minuten hatten sie die schützende Gebirgskette erreicht. Manners führte sie zu einem Platz, der aus Sicherheitsgründen nicht in der Nähe des Wracks lag. Sie ließen einen flachen Hügelrücken zwischen sich und der Ansiedlung und hockten sich dann nieder. Spear packte seine Zigaretten aus. „Rauchen wir noch eine, Dirk, vielleicht ist es unsere letzte.“ „Ich habe meine allerletzte bereits geraucht“, grinste Manners. Dann erinnerte er sich, daß das gar nicht stimmen konnte. Die Henkerszigarette hatte ihm ja zur Kenntnis der Novabombenformeln verholfen. Da verging ihm das Grinsen. „Macht nichts“, sagte Spear. „Noch eine kann nicht schaden.“ Er erbrach die versiegelte Umhüllung und hielt Manners die Schachtel hin. Manners zeigte mit den Augen auf Gwen. Spear hielt ihr hastig die Schachtel vor die Nase. „Gwen, wollen Sie eine rauchen?“ Sie bediente sich lächelnd. 100
„Gwen?“ fragte Manners in einem humoristisch-erschreckten Tonfall. „Seit wann spricht man denn hier auf diesem Mond Kommandantentöchter mit dem Vornamen an? Das ist ja was ganz Neues, Shiny. Da scheine ich ja eine Menge verpaßt zu haben.“ „Das halten wir seit etwa fünfzehn Minuten so“, sagte Spear. „Das ist der moderne Ersatz für den Ritterschlag.“ Gwen streifte die Asche von ihrer Zigarette ab. „Na schön, wenn Sie sich unbedingt zanken müssen …“, sagte sie. Dann wandte sie sich zu Manners. „Wenn Sie mir versprechen, nicht noch mal so ein dämliches Lächeln aufzusetzen, dürfen Sie mich ebenfalls Gwen nennen.“ Manners machte ein Gesicht wie ein begossener Pudel. Spear lachte. Gut, daß man noch lachen konnte, wenn der Tod schon hinter den Felsen lauerte. Diese beiden waren ein großartiges Paar. „Mir recht“, sagte Spear. „Jetzt sind wir beide in den Ritterstand erhoben. Ritter Dirk, pack also jetzt aus und berichte.“ Manners zündete zuerst Spears und dann seine eigene Zigarette mit der glühenden Spirale an. „Am besten erzähle ich euch den erstaunlichsten Teil meiner Geschichte zuerst. Ich wurde von Sat selbst verhört. Dann fragte ich ihn aus. Er erzählte mir alle geheimen Einzelheiten über die Pläne der Erde, den Krieg wieder zu eröffnen.“ Er warf einen Seitenblick auf Gwen, die einen erschrockenen Ausruf ausstieß. „Davon wußten Sie natürlich nichts, Miß – Gwen. Machen Sie uns keine Vorwürfe. Wir können Ihnen keine weiteren Einzelheiten sagen.“ Er sandte Spear einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ich wußte davon bis vor kurzem auch nichts. Freund Shiny ist der eigentliche Heimlichtuer. Ich glaube, daß er stark mit der Spionageabwehr zu tun hat. Und wissen Sie, was ich über das Spionagewesen von Sat erfuhr?“ Er holte tief Atem und schaute von einem zum andern. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er rasch fort. „Sat erzählte mir, daß sie ihr ganzes Material über die Pläne 101
der Erde von einem Kerl in der Spionageabwehrabteilung unserer Raumstreitkräfte erhielten!“ Spear richtete sich auf. „Von unseren Leuten? Das ist doch nicht möglich.“ Manners nickte nachdrücklich. „Doch. Dieser Dreckskerl hat alles an die Saturnier verraten, weil sie ihm versprochen hatten, ihn zum Vorsitzenden des Obersten Weltrats zu machen. Außerdem wollten sie ihm ein Fünftel des Anlagevermögens der Weltbank zusprechen. Da hat dieser Bursche den Saturniern alles erzählt. Nur die Formeln für die Novabombe konnte er nicht verraten, denn die wußte er selber nicht.“ „Bist du sicher, daß dich Sat nicht bloß ärgern wollte, Dirk?“ fragte Spear. „Ich finde es kaum glaublich, daß einer unserer Leute das getan haben sollte.“ „Verlaß dich drauf, es stimmt“, entgegnete Manners. „Ich hab den Kerl selbst gesehen. Er kam herein, kurz bevor ich mich auf französisch empfahl. Ich hätte meine Flucht nicht geschafft, wenn er nicht gekommen wäre. Das war ein überspannter Knabe. Ist früher Commander gewesen, war irgendwie in eine Weibergeschichte verwickelt und wurde zum Sergeanten degradiert. Roderick Martin hieß der Kerl. Ich …“ „Wie hieß er?“ fragte Gwen. Spear verhielt den Atem und wartete gespannt. Manners schaute Gwen an und wiederholte den Namen. Dann bemerkte er ihren geistesabwesenden Gesichtsausdruck, der ihr Gesicht zur Maske werden ließ. „War das jemand, den Sie kannten?“ fragte Manners. Gwen war aber schon aufgestanden und wenige Schritte abseits gegangen. Manners schaute Spear fragend an. „Jugendfreund“, sagte Spear, „mit dem sie sich auf dem Saturn treffen wollte.“ „Heiliger Jupiter!“ rief Manners leise aus. „Was wird sie jetzt unternehmen? Kriegt sie einen Tobsuchtsanfall?“ 102
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie ist ein ungewöhnliches Mädchen.“ Nach wenigen Augenblicken kehrte Gwen wieder zu ihnen zurück. Sie setzte sich wieder hin und bat Spear um eine zweite Zigarette. Dann wandte sie sich Manners zu. Ihre Augen waren nicht gerötet, aber ihre Stimme klang unnatürlich beherrscht. „Was wurde aus ihm?“ fragte sie. Manners schaute Spear an. Spear zuckte die Schultern und schaute weg. Manners hob den Kopf und sah Gwen fest in die Augen. „Ich – er ist tot“, sagte er. „Ich glaube, das mußte so sein“, nickte sie gefaßt. „Jetzt kann er keinen Schaden mehr anrichten. Was er getan hat, ist nicht mehr gutzumachen – sprechen wir nicht mehr davon, ja?“ „Aber nur zu gern“, atmete Manners auf und schaute Gwen erleichtert an. „Natürlich muß ich auf alle Fälle einen schriftlichen Bericht abfassen, wenn wir auf Phoebe ankommen.“ Spear wandte sich Manners zu. „Ich glaube, es hat keinen Zweck, sich allzu große Hoffnungen zu machen, Dirk. Gwen weiß, daß der Modulator kaputt ist, ach – das habe ich dir wohl noch gar nicht erzählt! Er ist von den Ergs restlos demoliert worden. Du siehst also, wir brauchen uns wegen der Rückkehr nichts vorzumachen.“ „Das war schlimm für den Modulator“, sagte Manners. „Ich habe mir aber was anderes überlegt. Sat erzählte mir, daß die gesamte Raumflotte der Saturnier auf dem Saturn zum Angriff auf Themis bereitsteht. Wahrscheinlich ist die Flotte schon jetzt unterwegs. Die Saturnier wissen, daß die Ergs ebenfalls einen Angriff vorbereiten, und deshalb wollen sie diesem Angriff zuvorkommen und anschließend das ganze Sonnensystem erobern. Sie haben einige geährliche Waffen, Shiny, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.“ 103
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„Die Formeln auch?“ fragte Spear. „Ja, blödsinnigerweise durch mich. Ich schaute sie mir an, als ich auf Sat warten mußte. Dann probierten sie später ihre neue telepathische Untersuchung an mir aus, und da zogen sie die Weisheit aus mir heraus. Es war unmöglich, damit zurückzuhalten.“ „Und nun weiß Sat alles darüber?“ „Sat nicht mehr, weil ich auch ihn erschoß. Aber vielleicht hat er die Einzelheiten schon irgendwo festgehalten. Mein Plan ist jedoch folgender. Wir treiben ein paar Ergs auf und verlangen, Krog zu sprechen. Dann erzählen wir ihm von dem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Saturnier und bieten uns an, den Mond mit zu verteidigen, indem wir eins ihrer Raumschiffe benutzen. Allerdings zeigen wir ihm eine falsche Richtung, aus der der Angriff angeblich kommen soll. Dann können wir mit Hilfe des Raumschiffes nach Phoebe zurückkehren und anschließend die gesamten Raumstreitkräfte alarmieren.“ „Warum sollen wir Krog die falsche Richtung angeben?“ fragte Gwen. „Ganz einfach“, erwiderte Manners. „Auf diese Weise starten wir von der andern Seite des Mondes und vermeiden einen Zusammenprall mit den Raumschiffen der Saturnier.“ Und außerdem gibt es noch einen anderen Grund, dachte er für sich. Er schwieg, denn Spear war immer noch sein Vorgesetzter und mußte seine Zustimmung zu dem Plan geben. Wenn er dagegen war … Spear schaute zu Manners auf. „Ich sehe keine günstigere Lösung“, sagte er. „Jedenfalls ist es eine Chance für uns, also werden wir es riskieren.“
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Die letzte Botschaft Er spürte harten Felsen unter den Füßen, und in der Nähe sah er Eis. Das Felsgestein war blau, das Eis und der Himmel ebenfalls. Genauso wie kurz nach dem Absturz. Wie lange war das schon her? Drei Tage, drei Jahre. Was hatte das alles für Sinn? Als Shiny Spear aufstand und die anderen nach der Ansiedlung führte, dachte er darüber nach. Die Wissenschaft war heutzutage unvorstellbar vervollkommnet. All das mühsame Experimentieren und Probieren gehörte längst der Vergangenheit an. Diese Erinnerungen muteten heute wie finsterstes Mittelalter an. Alles war heute zweckmäßig. Sobald die alten Vorstellungen des gekrümmten Weltraums durch die neue Erkenntnis der pulsierenden, sich gegenseitig durchdringenden Ebenen abgelöst worden war, lösten sich die meisten begrifflichen Schwierigkeiten mit einem Schlage von selbst. Die Naturgesetze ließen sich aus einem übersichtlichen, übergeordneten, mathematischen Gebäude einheitlich herleiten. Gab es aber eine wissenschaftliche Erklärung dafür, daß sie auf Themis abstürzen mußten? Natürlich, der Energieschirm. Aber das war nur ein Bruchteil der vollständigen Erklärung. Warum war der Energieschirm gerade an dieser Stelle im Raum gewesen und warum war ausgerechnet er hineingerast und nicht eins der vielen anderen Raumschiffe, die zwischen Erde und Saturn verkehrten? Warum mußte all das andere geschehen? Sicher konnte die Wissenschaft nur das „Wie“ beantworten, aber nicht das „Warum“. Ein kleiner Fehler in den Berechnungen, ein falscher: Knopfdruck am elektronischen Rechengerät, und schon verlief die Flugparabel ein wenig gestreckter. Das hätte nichts ausgemacht, wenn nicht der Energieschirm am Punkt der schärfsten Krümmung auf sie gelauert hätte. Das Energieband brachte die Wurfkurve restlos durcheinander, und 106
das Ergebnis war die unangenehme Bekanntschaft mit Themis. Und so konnte man auch alles folgende einigermaßen begründen und erklären. Sicher, die Einzelheiten ließen sich ganz plausibel klarmachen. Wie stand es aber mit den großen Zusammenhängen? Warum gab es die Ergs auf Themis? Und warum handelten sie so, wie Spear es erlebt hatte? Weil sie es so gewohnt waren? Eins führte zum andern. Als der erste Affe vom Baum fiel, fing die Entwicklung des Menschengeschlechtes an. Und das Ende der langen Kette war, daß die Saturnier zu guter Letzt noch das gesamte Sonnensystem erobern wollten. Oder ein anderes Beispiel. Alles, was sich innerhalb der letzten Tage ereignete, hatte eine Ursache, die man als gerichtete Energie irgendeiner Form betrachten konnte. Diese Energiestrudel wichen eben mal eine Kleinigkeit vom üblichen Verlauf ab. und schon nahm alles einen anderen Gang. Warum kam es aber so? Das war der springende Punkt. Und mit der Frage erkannte Spear gleichzeitig die Antwort. Nicht der Raum war nach Riemann und Einstein gekrümmt, sondern die Kausalkette von Ursache und Wirkung. Die Energieströmungen im Raum-ZeitKontinuum schlangen sich scheinbar unverständlich dahin, weil früher andere Strömungen die nicht mehr erkennbare Ursache für eben gerade diesen Verlauf bildeten. Und ebenso würde der leichte Hauch von heute, der Schuß aus dem Gammatron, der gestern danebenging, eine Ursachen-Wirkungskette aufbauen, die eines schönen Tages zu einem neuen Krieg oder anderen Ereignissen in ferner Zukunft führen konnte. Eigentlich war es nicht die Zukunft, die er, meinte, vielmehr eine Ereigniskette in einem nebengeordneten Raum. Zukunft war nicht das richtige Wort. Die vielen komplizierten Theorien über die Zeit waren alle nicht stichhaltig. Sie dienten lediglich dazu, die Sinneseindrücke einigermaßen plausibel einzuordnen. Es gab in Wirklichkeit 107
keine echte oder absolute Zeit. Der Zeitbegriff vernebelte nur die wahre Erkenntnis. Dadurch verlor man sich auf der Suche nach einem Begriffsschema, das es nicht geben konnte, und bei dessen Suche man sich in unlösbare Widersprüche verwickelte. Man mußte sich das alles nur einmal von einem neuen Gesichtspunkt betrachten. Die alten weisen Knaben waren jahrhundertelang nicht darauf gekommen. Dabei waren sie täglich Zeugen des offensichtlich vor ihren Augen liegenden Tatbestandes. Die letzte endgültige Struktur des Universums, ein rollendes Feuerrad wirbelnder Ereignisse, die sich spiralförmig nach außen auffächerten. Und das Leben eines Menschen bildete nur einen kleinen Strudel in diesem riesigen Ereignisablauf. „Du bist recht schweigsam“, sagte Manners. „Ich dachte, du kochst nur so vor neuen Ideen über!“ Spear fuhr auf und grinste. „Ich dachte gerade darüber nach, wie wichtig wir doch unsere kleinen persönlichen Erlebnisse nehmen.“ „Kleine Erlebnisse! Wenn man auf einem Gespenstermond zwischen riesigen Panzerwanzen und blutdürstigen Saturniern abstürzt, nennst du das ein kleines Erlebnis?“ „Nein“, sagte Spear. „Aber wenn man es von einer höheren Warte aus betrachtet, kommt es einem unbedeutend und nichtig vor!“ „Die hohe Warte kann mir gestohlen bleiben!“ gab Manners an. „Und ich finde das gar nicht so unbedeutend, wenn ich versuche, noch einige Jahre weiterzuleben. Verdammt noch mal, wenn das wirklich deine Lebensweisheit ist, warum bist du dann nicht bei deiner Mutter hinterm Schürzenzipfel geblieben?“ Spear lachte. „Von der Seite habe ich es noch nicht betrachtet. Vielleicht ergibt sich da noch eine Möglichkeit.“ „Unsinn!“ sagte Gwen. 108
Die zwei Männer sahen sie fragend an. „Natürlich denken Sie so, wie Sie eben erzählt haben. Shiny. Dirk und ich denken genauso. Wir wissen alle, daß wir nur winzige Rädchen im großen Weltgetriebe sind, aber wir fühlen uns als Rädchen auch ganz wohl und kommen uns keineswegs unbedeutend dabei vor. Das ist doch ganz einfach, nur Männer haben manchmal das Bedürfnis, einfache Dinge kompliziert auszudrücken, damit sie recht wichtig klingen.“ Alle drei lachten. Und ihr Gelächter gesellte sich Sats nie beantworteter Frage zu, weil es durch den Anblick dreier Ergs jäh abgeschnitten wurde, die sie in einer Entfernung von zweihundert Metern beobachteten. Jetzt betrachtete Spear sie nicht mehr als Strudel in der Kette der Ereignisse, sondern sah nur noch Wesen vor sich, von denen er wußte, daß sie ihn mit Erstarrungsstrahlern jederzeit lähmen konnten, so daß er auf ihre Gnade angewiesen war. Wenn ihnen das passierte, konnte die Besprechung mit Krog so verzögert werden, daß der ganze Plan ins Wasser fiel. Im Nu würden die Saturnier da sein, und dann war alles zu spät. „Nehmt die Hände hoch!“ sagte deshalb Spear zu seinen Begleitern: „Wenn wir uns gleich schwächlich geben, können wir es vielleicht vermeiden, daß wir wieder in einen der blödsinnigen Kassenschränke eingesperrt werden.“ „Das stimmt“, sagte Manners. „Versuchen wir, die Verhandlung mit Krog im Freien zu führen.“ Die drei Ergs verteilten sich, als die Menschengruppe sich ihnen näherte. Sie benutzten die roten Strahler nicht, bewegten sie aber ungeduldig hin und her. Eine Stachelspinne blieb vor den dreien, während die beiden anderen sie links und rechts flankierten. Sobald sie auf Rufweite herangekommen waren, rief Spear: „Lähmt uns nicht. Wir haben wichtige Neuigkeiten für Krog und müssen unverzüglich mit ihm sprechen.“ 109
„Folgen Sie uns“, entgegnete der eine Erg und wedelte mit den oberen Antennenfühlern. „Behalten Sie aber die Arme oben.“ Als die Menschen bis auf fünf Meter herangekommen waren, begann der Erg rückwärts zu gehen. Die beiden anderen bewegten sich in derselben Richtung. Spear dachte, daß es nichts schaden könnte, wenn er sich über die Situation ausführlich ausließ: „Unsere Nachrichten sind von lebenswichtiger Bedeutung für Ihr Volk“, sagte er. „Wir werden sie aber nicht ausplaudern, wenn wir wieder in so ein Gebäude müssen. Krog muß mit uns hier draußen sprechen.“ Der führende Erg grunzte nur. Er geleitete sie zum größten Gebäude der Ansiedlung und hielt dort vor dem Transporter. Eine Sekunde später war er verschwunden. Es dauerte nicht lange, dann kam er mit Krog wieder zurück. Der oberste Führer der Erg ließ sein scheußliches Lächeln sehen. Dann aber schickte er die anderen Panzerspinnen fort. „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß Sie von Wachen mit Deltawaffen beobachtet werden. Das haben Sie sicherlich schon vermutet“, sagte er. „Was sind das nun für lebenswichtige Neuigkeiten, von denen Sie gesprochen haben? Hängen sie mit der Stadt der Saturnier zusammen? Geht es um ein Ultimatum?“ Sein Grinsen ließ darauf schließen, daß ihm das nichts ausmachen würde. „In gewissem Sinne, ja“, entgegnete Spear. Er legte eine Kunstpause vor seiner nun folgenden Mitteilung ein, weil er wußte, daß die Nachricht wie eine Bombe einschlagen würde. „Wir wissen ganz bestimmt, daß die gesamte Kriegsflotte der Saturnbewohner in diesem Augenblick auf dem Wege zur Themis ist.“ Das Grinsen auf Krogs Fratze erlosch. „Kurz bevor wir aus der Stadt der Saturnier entwischen konnten, entdeckten wir den Plan dieser blutdürstigen Wesen, die gesamte Ansiedlung der 110
Ergs hier auf Themis restlos zu vernichten. Wir verabscheuen die Saturnbewohner, und deshalb …“ „Einen Augenblick!“ unterbrach ihn Krog. Er wandte sich zu den anderen Ergs, die in einiger Entfernung hinter ihm warteten und jetzt deutlich zitterten. „Alarmstufe fünf!“ rief er ihnen zu. „Schnell!“ Er wandte sich wieder Spear zu. „Wenn das ein Bluff ist …“ „Sie werden bestimmt bald merken, daß unsere Nachricht stimmt“, sagte Spear. „Als Zeichen unserer Redlichkeit möchten wir eins Ihrer Raumschiffe mitbesteigen, um die Feinde zu bekämpfen. Ich hoffe, daß Sie Schiffe haben?“ „Wir besitzen dreitausend“, antwortete Krog. „Ihre Bewaffnung wird die angreifenden Saturnier einfach auslöschen. Wenn Sie eines unserer Raumschiffe bemannen wollen – ich sehe keinen Grund, warum ich dagegen sein sollte, vorausgesetzt, das Mädchen bleibt als Geisel hier.“ „Ich will aber nicht!“ rief Gwen stürmisch. „Glauben Sie, ich will hier tatenlos herumsitzen, während Dirk und Shiny in Gefahr sind? Was würde mit mir geschehen, wenn sie nicht zurückkämen? Lieber nehme ich die Aussicht auf mich, mit ihnen gemeinsam zu sterben.“ „Dann werden Sie alle drei hier bleiben müssen, fürchte ich“, sagte Krog. „Ich kann nicht das Risiko auf mich nehmen, daß Sie vielleicht meine Piloten überwältigen und mit dem Schiff das Weite suchen – um dann die Gegenseite vor unserem Angriff zu warnen.“ Jetzt heißt es Zeit gewinnen, dachte Spear krampfhaft. Auch wenn es sinnlos ist. „Begreifen Sie nicht, daß Sie jeden Mann brauchen werden, der Ihre Kampfkraft verstärkt?“ fragte er eindringlich. „Es handelt sich nicht um ein Geplänkel. Das ist ein Massenangriff.“ Eine Wand des Metallgebäudes wurde wie eine Zugbrücke an glänzenden Metallseilen nach vorn gekippt. 111
„Schauen Sie mal“, sagte Krog. Lautloser Zeitgewinn ist auch nicht schlecht, dachte Spear und schaute in die Richtung, die ihnen Krog wies. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. Ein großes Raumschiff nach dem anderen wurde aus dem riesigen metallenen Gebäude auf automatischen Startrampen herausgefahren. Jedes Raumschiff war mit den verschiedenartigsten todbringenden Waffen ausgerüstet. Die Größe der Raumschiffe reichte an die der ehemaligen Raumzerstörer heran. Die automatischen motorisierten Startrampen bewegten sich, jede mit einem Raumschiff bemannt, auf das Eis zu und stellten sich draußen in einer zweckmäßigen Startformation auf. Die Startpisten brachten die Raumschiffe langsam in senkrechte Lage, so daß sie bald ihre Nasen drohend in den blauen Himmel streckten. Die drei Menschen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es war einfach unglaublich. Spear hatte bis siebenhundert solcher Fahrzeuge gezählt, und alle waren aus einem Gebäude gekommen, daß eigentlich höchstens zwölf beherbergen konnte, wenn man die Größe als Vergleichsmaßstab wählte. Krog mußte die Verblüffung auf Spears Gesicht richtig gedeutet haben. „Unsere – hm – Lagerräume reichen weit in die Tiefe“, sagte er. „In Wirklichkeit liegt fast die gesamte eigentliche Ansiedlung unter dem Boden. Jene Gebäude, die Sie auf der Erdoberfläche sehen, sind nur Aufenthaltsräume für Wachen und ab und zu für Gefangene. Unter dem Eis haben wir eine riesige Stadt. Sie ist so tief verborgen, daß nicht einmal die Saturnier sie zerstören könnten. Wenn sie oben auch alles dem Boden gleichmachen sollten, da unten sind wir immer noch gerüstet, den Krieg, wenn es not tut, bis zur Erde zu tragen!“ Er wandte sich stolz der Raumflotte zu, die so eindrucksvoll seine Größe und Macht zeigte. Und immer kamen noch neue Raumschiffe aus den unterirdischen Lagerräumen an die Ober112
fläche und vergrößerten die Armada schlanker, glänzender Projektile. „Nun haben wir genug geredet!“ meinte schließlich Krog. „Wenn die Saturnier tatsächlich mit ihrer Hauptmacht zu uns unterwegs sind, muß die erste Verteidigungswelle sofort starten.“ Er wandte sich an Gwen. „Sie sind bestimmt davon überzeugt, Miß Fletcher …“ „Ganz bestimmt“, entgegnete sie. „Sehr schön. Ich muß leider ohne die Hilfe Ihrer Raumstreitkräfte den Angriff abwehren. Sie sind sich sicherlich darüber klar, daß wir auch in Ihrem Interesse Erfolg haben sollten. Sagen Sie mir deshalb nochmals klar die Richtung, aus der die feindliche Raumflotte angreifen wird. Beantworten Sie diese Frage schnell, es ist wichtig.“ Spear zögerte, erkannte dann aber, daß der Tod auch im Fall einer siegreichen Abwehr des Angriffs unvermeidlich war. Er zeigte Krog die falsche Richtung. „Vielen Dank“, sagte Krog. „Sie haben nun Ihre Aufgabe erfüllt. – Führt sie ab.“ Der letzte Satz galt den beiden Wachen, die hinter Krog aufmerksam die Erdmenschen beobachtet hatten. Eine von ihnen zeigte mit einem Antennenfühler auf eines der nächsten Gebäude. Krog selbst drehte sich um und ging auf das große Gebäude zu. Die letzten Raumschiffe waren heraufgefahren worden und standen an ihrem Platz. Die ganze Ansiedlung fieberte vor emsiger Tätigkeit, die dem Start der Raumschiffe galt. Die Bemannung eilte zu den Schiffen, die Tankkommandos verrichteten letzte Handgriffe an den Treibstofftanks der Flugkörper. Eine Unzahl von Ergs strömte aus den unterirdischen Quartieren hervor, und sie rannten Spear und seine Begleiter vor lauter Geschäftigkeit beinahe über den Haufen. Manche trugen Spezialwaffen in ihren Fühlern, und alle waren mit einer Uniform 113
bekleidet, die nur aus einigen Metallringen bestand, die sie quer um den Leib trugen, vermutlich ein Strahlschutz für unerwünschte Reflexionen der eigenen Strahlwaffen. Manners drängte sich an Spear. „Wir müssen einfach versuchen, ein Raumschiff im Handstreich zu entern. Shiny“, flüsterte er hastig. „Das ist unsere letzte Chance. Wir müssen an Bord eines dieser Schiffe kommen!“ „Deine Ideen sind grandios!“ flüsterte Spear zurück. „Aber wie?“ Sie näherten sich dem kleinen Gebäude. Ein Pilot der Ergs rannte gegen sie, prallte von Manners ab und sauste zu seinem Raumschiff. Manners hielt die Hand jetzt in seiner Uniform verborgen. Die Deltawaffe des Ergpiloten – die er mit einem geschickten Griff bei dem Anprall aus dessen Schulterhalfter gezogen hatte – hielt er eisern fest. Plötzlich stolpert er. und dann fiel er hin. Er schlug schwer auf das Eis auf. Doch seine Hand erschien plötzlich und gab einen wohlgezielten Schuß der Deltawaffe auf den nächsten Wachtposten ab. Der Erg fiel zusammen. Manners drehte sich um, als gerade der zweite den Erstarrungsstrahler auf ihn richten wollte. Dieser Erg schrumpfte auch zusammen und war tot. „Schnell!“ rief Manners. „Im Galopp zum nächsten Raumschiff!“ Die anderen beiden waren von Manners schneller Aktion völlig überrascht, aber sie handelten sofort instinktiv. Ihre Bewegungen fielen bei dem Getümmel, das der Großalarm verursacht hatte, gar nicht auf. Erst als sie das nächste Raumschiff erreicht hatten, wurde ihre Flucht bemerkt. Sofort wandten sich ihnen verschiedene Ergs zu, aber plötzlich hörten die Menschen Krogs Stimme, der laut rief: „Laßt sie nur. Marsch in eure Schiffe! Schießt sie in der Luft ab!“ Das Schott der Luftschleuse öffnete sich, und Spear schob 114
Gwen ohne große Umstände hinein. Die zwei Männer folgten hastig, und Manners schloß das Schott. Spear war bereits in den Kontrollraum gestürzt und bereitete den Start vor. Die AntigravBeschleunigungsdämpfer konnten nicht erst eingeschaltet werden, dazu war keine Zeit. Jede Millisekunde zählte. Spear legte den Hebel für schnellen Notstart um, wobei er sich darüber im klaren war, daß die Düsenabgase einige Ergs in der Nähe der Startstelle vernichten würden. Die Ergs selbst würden keinen Notstart riskieren, und der Zeitunterschied im Start gab den Menschen etliche wertvolle Kilometer Vorsprung. Allen dreien wurde schwarz vor Augen, als das Schiff mit einem riesigen brüllenden Satz nach oben sprang. Das Trägheitsmoment warf sie gegen die Rückwand, als der Raumer immer mehr Fahrt aufnahm. Spear hielt den Beschleunigungshebel fest umklammert, obgleich er nichts sah, weil schwarze Schatten vor seinen Augen tanzten und ihm der Andruck fast den Arm abrisst. Dann kehrte langsam das Sehvermögen wieder. Manners schaltete den Bildschirm ein und konnte den Start der anderen Raumschiffe beobachten. Ein glitzernder Schwarm erhob sich in die Luft, aber der Großteil der Schiffe blieb noch in Wartestellung auf dem Boden. Die erste Verteidigungswelle war nun gestartet, während die Hauptmacht auf das Erscheinen der feindlichen Raumflotte wartete. „Kurs ändern, Shiny!“ rief Manners. „Wird gemacht“, antwortete Spear. Er ließ die Superbeschleunigung an, wobei er die eine Seite etwas drosselte, und unter dem mächtigen Stoß wuchs die Geschwindigkeit des Schiffes auf 30 000 Kilometer in der Stunde, wobei sich gleichzeitig der Kurs änderte. Auch diesen Andruck überstanden die drei mit Anspannung aller Kräfte. Als die Beschleunigung gedrosselt wurde, atmeten sie auf. Auf dem Bildschirm konnten sie beobachten, daß die Flotte 115
der Ergs ihre Schwenkung nicht mitgemacht hatte. Sie blieben auf ihrem ursprünglichen Kurs, wahrscheinlich auf Befehl von Krog. Er mußte klar erkannt haben, daß die angreifenden Saturnier ein weit kritischeres Gefahrenmoment darstellten als die drei entwichenen Erdenmenschen. Manners drehte die Optik des Aufnahmegeräts um 180 Grad. Da kamen sie schon. Jetzt noch eine Wolke rötlich glitzernder Splitter, aber bald würden die Kugelschiffe der Saturnier über die Oberfläche von Themis ausschwärmen und Tod und Verderben ausspeien. Er schwenkte die Kamera wieder zurück, und schon sahen sie Themis als immer kleiner werdendes Scheibchen allmählich auf dem Bildschirm zusammenschrumpfen. Jetzt war der Augenblick gekommen. Manners wandte sich dem Kurzwellensender zu. Spear schaute vom Kontrollpunkt auf. „Willst du eine Nachricht an Phoebe durchgeben?“ fragte er. „Sag ihnen, daß sie sich auf den größten Angriff gefaßt machen können, den sie je erlebten.“ „Ich glaube, das brauchen wir gar nicht“, antwortete Manners und machte sich an den Abstimmungsknöpfen zu schaffen. „Was wollen Sie damit sagen?“ rief Gwen. „Die geballte Streitmacht der Saturnier landet jetzt auf Themis. Wenn sie Themis erledigt haben, werden sie sich Phöbe vornehmen.“ „Das stimmt“, sagte Spear. „Was ist mit dir los, Dirk? Ist dir nicht gut?“ Manners schaute auf und grinste. „Ich habe mich nie so wohl gefühlt“, grinste er. „Und ich glaube auch nicht, daß mir je wieder so behaglich zumute sein wird, denn das, was ich jetzt anstellen werde, ist eine furchtbare Sache.“ „Wovon zum Teufel redest du eigentlich?“ Spear warf einen schnellen Blick zum Sauerstoffmesser. Hatte Manners ein zu reichliches Gemisch geatmet? Die leicht größenwahnsinnigen Symptome waren charakteristisch dafür. 116
Manners hatte eine selten benutzte Verkehrsfrequenz eingestellt. „Schaut euch Themis noch mal an“, sagte er dann. Er drückte die Sendetaste nieder. „Jetzt sende ich die letzte Botschaft.“ Sie starrten durch die Beobachtungsluken nach draußen, aber im selben Augenblick, als Manners auf die Sendetaste drückte, taumelten alle, von einem blendenden Lichtschein getroffen, zurück. Auf der einen Seite des Mondes brach eine weißglühende Feuergarbe hervor, die dann rot, grün und gelb wurde. Es war nicht ein gewöhnliches feuriges Leuchten, dies war eine gigantische Energieentladung, die sich zusehends immer weiterfraß. Das Ende. Spear riß sich von dem fürchterlichen Anblick los und drehte sich zu Manners um. Der Navigator stand wieder vor dem Telebildschirm. Spear sah den weißglühenden Lichtball, der einst Themis gewesen war. In ihn hinein stürzten kleine Punkte, die rötlich in dem irrsinnigen Glutschein aufleuchteten. Manners drehte sich um und schaute Spear gerade in die Augen. Gwen starrte immer noch durch das Beobachtungsluk. Manners’ Gesichtszüge waren gespannt und starr. Er leckte die Lippen mit der Zunge. „Hübsch, nicht wahr?“ sagte er. „Ein nettes Spielzeug für den Chef-Commander.“ „Die Formeln?“ fragte Spear. „Du hast sie für deine Zwecke benutzt?“ Manners nickte. „Es schien mir die beste Lösung. Es tut mir leid, Shiny. Ich stehe jetzt wohl unter Arrest, was?“ Spear betrachtete ihn einige Augenblicke gedankenverloren. Eine Nova. Ein Druck auf einen Knopf, und eine neue Sonne wurde geboren. Und damit wurde eine ganze Rasse ausgelöscht, hier sogar zwei Rassen, die zwar eine tödliche Gefahr waren, und denen nur mit Gewalt beizukommen war, aber dieses Ende? Spear schüttelte sich. 117
Eine Welt wurde in Strahlung verwandelt, in heiße, unbändige Energie. Das war ungeheuerlich, zu ungeheuerlich. Kein Planet konnte die Last dieser Verantwortung auf sich nehmen. Und doch waren sie immer noch Offiziere der Raumflotte und hatten den Schwur unbedingten Gehorsams geleistet. Spear schaute auf die Rangabzeichen eines Captains auf seiner Schulter. Langsam faßte er danach und riß sie ab. Dann ließ er sie zu Boden fallen. Müde lächelnd hob er seine Augen zu Manners. „Vermutlich stehen wir beide unter Arrest, Dirk, aber das ist nur Formsache. Wer sollte denn sonst das Schiff führen?“ „Das Kommando könnte ich übernehmen.“ Gwen hatte sich vom Beobachtungsluk losgelöst. Sie lehnte sich jetzt mit dem Rücken dagegen und schaute die beiden Männer an. Ihr Augen glänzten mehr denn je. „Ich könnte die Leitung übernehmen und als Tochter eures Kommandanten vertretungsweise Ihren Rücktritt annehmen. Dann würde ich Sie wieder chartern, damit Sie mich sicher nach Phoebe bringen. Könnten wir das nicht so machen?“ Spear schaute sie lange und streng an. „Ich glaubte bisher immer, der Dienst bei den Raumstreitkräften wäre nichts für einen verheirateten Mann“, sagte er. „Das stimmt“, gab Manners zu, ließ aber Gwen nicht aus den Augen. „Wo ist übrigens das Feuerzeug?“ fragte Spear. Manners fuhr mit der Hand zum Mund. „Guter Gott!“ rief er aus. „Das habe ich doch wahrhaftig auf Themis zurückgelassen! Zu dumm!“ Er grinste, als er seine Hand wieder senkte. „Weil du ein ganz ausgekochter Halunke bist, mußt du nun zur Strafe dafür in den Maschinenraum, bis ich dich zurückrufe.“ Manners zog ein schmollendes Gesicht und ging scheinbar beleidigt hinaus. Spear trat zu Gwen. Sie drehte sich um. „Wer führt jetzt das Schiff?“ fragte sie. „Das wirst du gleich sehen“, sagte Spear. 118
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Gehorsam und gefühllos ging der Autopilot an seine Arbeit. Sicher führte er das Schiff auf dem befohlenen Kurs heimwärts, weg vom Mond Themis, der letzt als feuriges Mahnmal am Himmel stand. Und wieder entstand ein kleiner Energiestrudel an einer Speiche des Riesenfeuerrades, das die Menschen Universum nannten. Ein Strudel, der wieder die Zukunft mannigfach, jetzt noch nicht übersehbar, beeinflussen würde. „Aber das tut man doch nicht“, sagte Gwen errötend, als Spear ihr nach einem langen Kuß Zeit ließ, Atem zu holen.
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Weltraumpiraten Diese Utopia-Ausgabe ist wirklich „ein Zukunftsroman für starke Nerven“. UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Mitglied des Remagener Kreises e. V. Einzelpreis 0,60 UM Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 7. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und Inhalt in Osterreich: Eduard Verbik. Alleinvertrieb und -auslieferung in Österreich! Zeitschriftengroßvertrieb Verbik & Pabel KG – alle in Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Scan by Brrazo 01/2012 Orig.: Phantom Moon / ü.: Dr. Le. / L: Ge/Atk. / B.: Ge./Fis.
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