Perry Rhodan
Der Todessatellit Zum Inhalt dieses Buches: Durch Perry Rhodans genialen Schachzug ist die Menschheit eine...
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Perry Rhodan
Der Todessatellit Zum Inhalt dieses Buches: Durch Perry Rhodans genialen Schachzug ist die Menschheit einem verheerenden Bruderkrieg entgangen. Das Solsystem befindet sich weiterhin um fünf Minuten in der Zukunft, doch die Terraner sind von ihrem Versteck aus weiterhin in der Galaxis aktiv. Dabei stoßen sie wieder auf die gefährlichen Energieblasen der Accalauries, die aus einem Antimaterie-Universum kommen und die Milchstraße in Angst und Schrecken versetzen. Als es endlich zur Verständigung mit den Fremden kommt, macht einer von ihnen im Solsystem eine furchtbare Entdeckung. Die Sonne steht kurz davor, sich in eine alles Leben verschlingende Nova zu verwandeln. Schuld daran ist ein unangreifbarer Todessatellit, den Unbekannte vor 200.000 Jahren installierten. Die Tage der solaren Menschheit scheinen gezählt zu sein. . .
Vorwort Zum zweitenmal in der PERRY-RHODAN-Serie (nach den Druuf) wird in diesem Buch die Begegnung von Wesen aus zwei verschiedenen Universen geschildert. Es ist allerdings das erstemal, daß der Bearbeiter sich dabei zu vergegenwärtigen hat, unter welchen immensen Schwierigkeiten der Transit von einem Universum zum anderen in der aktuelleren Handlung der Heft-Erstauflage vonstatten gegangen ist (gemeint sind die Reisen vom und ins Universum Tarkan, Stichwort Strangeness). Insofern ist es gut, daß das Geheimnis der Accalauries, wie sie »zu uns« gekommen sind, auch ein solches bleibt. Andere Universen sind, genau wie die Zeit, ein ebenso faszinierendes wie gefährliches Thema. Die Gefahr, sich in Widersprüche zu verzetteln, ist gewaltig. Entsprechende Passagen wurden daher »entschärft«. Und andere Universen, wozu brauchen wir die, solange es in unserem eigenen noch so viele Rätsel und Geheimnisse gibt, wie etwa das um die Konstrukteure des Todessatelliten und ihre Herkunft? Als die Romane geschrieben wurden, die diesem Buch (und Zyklus) zugrunde liegen, fühlten sich die Autoren unter dem Zwang, »immer weiter« hinaus zu müssen, um der Handlung des vorigen Zyklus immer wieder noch eins draufzusetzen. Daß dies überhaupt nicht nötig gewesen wäre, wird sich in den nächsten Büchern eindrucksvoll zeigen. Es kommt nicht auf Lichtjahre und technische Rekorde an, sondern darauf, was im bekannten Rahmen verborgen auf uns wartet - und darauf, entdeckt und geweckt zu werden . . . Die Autoren des 46. PERRY RHODAN-Buches sind schnell genannt. H. G. Ewers verfaßte die Originalromane (in Klammern die Heftnummern): Das neue Element (407), Gefahr von Sol (412), Die Sonnenforscher (413), Der Supermutant (416) und Report eines Neandertalers (421). Von Clark Darlton stammen die Romane Freunde aus einem anderen Universum (415) und Die Rätsel der Vergangenheit (420). Mein besonderer Dank gilt diesmal den Machern des »PERRY RHODAN-Zeitraffers« vom PR-Club UNIVERSUM um Hans-Dieter Schabacker. Der dritte Band dieses vorbildlichen, mit viel Engagement und Mühe erstellten Werks über die einzelnen Zyklen und Romane (!) der Serie war mir eine wertvolle Hilfe bei der Erstellung dieses und der nächsten Bücher, von denen der Leser verlangen darf, daß sie nicht unter den oft noch konfusen Handlu ngssprüngen des 400er Zyklus an gewohnter Qualität verlieren. Lückenfüller und Romane mit unhaltbaren Aussagen werden konsequenter ausgelas sen als gewohnt - dafür kommt die Handlung an sich schneller voran, ohne daß die »Highlights« wegfallen. Eine Hauptaufgabe des Bearbeiters ist und war immer, die zu verschiedenen Zeiten in der PR-Serie getroffenen Aussagen bis zum aktuellen Stand der Hefterstauflage stimmig zu machen. Das ist nicht leicht, aber eine immer wieder stimulierende Aufgabe. Bergheim, im Sommer 1993 Horst Hoffmann
1
Zeittafel
1971 Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. 1972 Mit Hilfe der arkonidischen Technik Aufbau der Dritten Macht und Einigung der Menschheit. 1976 Das Geistwesen ES gewährt Perry Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. 1984 Galaktische Großmächte (Springer, Aras, Arkon, Ako-nen) versuchen, die aufstrebende Menschheit zu unterwerfen. 2040 Das Solare Imperium ist entstanden und stellt einen galak-tischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. 2326-2328 Gefahr durch die Hornschrecken und die Schreckwürmer. Kampf gegen die Blues. 2400-2406 Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Andromeda-Völker vom Terror-Regime der Meister der Insel. 2435-2437 Der Riesenroboter OLD MAN bedroht die Galaxis, und die Zweitkonditionierten erscheinen mit ihren Dolans, um die Menschheit für angebliche Zeitverbrechen zu bestrafen. Perry Rhodan wird in die ferne Galaxis M 87 verschlagen. Nach seiner Rückkehr Kampf um das Solsystem. Rhodans Sohn Roi Danton wird im entscheidenden Kampf gegen die Erste Schwingungsmacht getötet. 3430-3432 In den vergangenen rund 1000 Jahren hat sich die Menschheit zersplittert. Um einen Bruderkrieg zu verhindern, läßt Perry Rhodan das Solsystem um fünf Minuten in die Zukunft versetzen. Für die übrige Galaxis existiert es dadurch nicht mehr, Rhodan gilt als tot. Neue Bedrohungen tauchen auf, vor allem die Accalauries und Ribald Corello.
2
Prolog
Seit den dramatischen Ereignissen, die in der Vernichtung der Uleb durch die Okefenokees aus M 87 gipfelten und die Bedrohung der Menschheit durch die Erste Schwingungsmacht und deren Helfer endgültig beendeten, sind 993 Jahre vergangen. Auf Terra und den Welten des Solaren Imperiums schreibt man den Monat Oktober des Jahres 3430. Die Menschheit existiert inzwischen nicht mehr als geschlossene Einheit. Die meisten Kolonialwelten haben sich vom Solaren Imperium gelöst, drei große Machtblöcke sind in der Milchstraße entstanden. Daneben gibt es eine Reihe von Interessenbünden und Gruppierungen wie die kosmischen Prospektoren, die Piraten Tipa Riordans oder die geheimnisvollen Wissenschaftler. Terra, die Mutterwelt, hat keine Möglichkeit mehr, die gegenwärtig 5813 von Menschen besiedelten Sonnensysteme zu kontrollieren oder politisch zum Besten der galaktischen Menschheit zu lenken. Die Gefahr, daß sich die neuen Imperien eines Tages gegen die Stammwelt wenden würden, sah Perry Rhodan schon vor langer Zeit voraus und entwickelte mit seinen besten Spezialisten einen sogenannten Fünfhun-dertjahresplan, um im Ernstfall unvorstellbares Blutvergießen in einem galaktischen Bruderkrieg zu verhindern. Dieser Ernstfall kommt, als die drei großen Sternenreiche sich verbünden, um dem Solaren Imperium den Todesstoß zu versetzen. Perry Rhodan ordnet den »Fall Laurin« an, und das gesamte Solsystem wird um fünf Minuten in die Zukunft versetzt und damit unangreifbar. Es ist dennoch nicht isoliert, denn über die sogenannte Temporalschleuse hält man mit Vertrauten überall in der Realzeit Verbindung. Anson Argyris, ein Vario-500-Roboter in der Maske des »Kaisers« des Freihandelsplaneten Olymp, präsentiert sich der Galaxis als legitimer Nachfolger Perry Rhodans und organisiert die geheime Versorgung des Solsystems mit Gütern aller Art. Perry Rhodan nimmt also weiterhin rege, wenn auch unerkannt, am galaktischen Geschehen teil. Und dies ist auch nötig, denn die Bewohner der Milchstraße sehen sich mit zwei Gefahren konfrontiert, die fast zeitgleich auftauchten: die Energieblasen der aus einem Antimaterieuniversum stammenden Accalauries und der Terror des Supermutan-ten Ribald Corello, der ganze Planeten geistig versklavt. Corello, so weiß man inzwischen, ist der Sohn des beim Amoklauf der Mutanten im Jahr 2909 umgekommenen Kitai Ishibashi und des Anti-Mädchens Gevoreny Tatstun. Er glaubt nicht an Rhodans Tod und verfolgt mit unstillbarem Haß sein Ziel, das Solsystem und Rhodan zu finden und zu vernichten. Im März des Jahres 3432 treten allerdings die Accalauries wieder in den Vordergrund. Rhodan weiß, daß er nach einer Möglichkeit suchen muß, sich mit den Antimateriellen zu verständigen, um weitere schreckliche Katastrophen zu verhindern. Und da ahnt er noch nichts von dem, was in Sol, dem Muttergestirn der Menschheit, zu mörderischem Leben erwacht ist. . .
3
1.
März 3432 Der Planet Obsunthys schimmerte auf dem Frontsektor der Panoramagalerie wie ein blauweiß leuchtender Edelstein.
Derbolav de Grazia nickte seinem Vetter zu, der die ROSSA OBERA flog.
»Bei einer Distanz von hunderttausend Kilometern steuerst du das Schiff in einen Orbit. Ich werde unterdessen die
Raumhafenkontrolle von Obsunthys City anrufen.« Juan Mellone-Grazia nickte. Sein feistes Gesicht glänzte vor
Schweiß.
Auch Derbolav de Grazia schwitzte. Er murmelte eine Verwünschung und wischte sich die Feuchtigkeit von der Stirn.
Die verdammte Klimaanlage funktionierte wieder einmal nicht einwandfrei. Aber was war das schon. Die ROSSA
OBERA war schließlich kein Luxusschiff. Da konnte schon mal etwas ausfallen.
Derbolav stapfte auf das Schott zu, das die Kommandozentrale mit der Funkkabine verband. Unwillkürlich zog er den
Kopf ein, als er durch die Öffnung trat. Zu oft in seinem Leben hatte er sich schon den Schädel an zu niedrigen Türen
angestoßen, so daß er bereits instinktiv reagierte. Mit 2,01 Meter Größe überragte er eben das Normalmaß.
»Soll ich die Kontrolle anrufen, Chef?« fragte der Funker.
»Nein«, entgegnete Derbolav, »laß es mich lieber selbst tun. Seit seiner Blamage mit Olymp ist Imperator Dabrifa
ziemlich gereizt, und etwas davon hat bestimmt auf seine Leute auf den anderen Planeten abgefärbt.«
Der Funker machte ihm wortlos Platz.
Derbolav de Grazia schaltete den Kanal ein, der auf Dabrifa-Welten von den Raumfahrtkontrollen verwendet wurde.
»Hier Prospektorenschiff ROSSA OBERA, Grazia-Sippe!« sagte er mit seiner volltönenden Stimme. »Ich rufe
Hafenkontrolle Obsunthys City. Bitte kommen!«
Ungeduldig runzelte er die Stirn, als sich die Bodenstation nicht gleich meldete. Er wechselte einen Blick mit dem
Funker.
Da flammte der Schirm auf. Aber er zeigte nicht das Gesicht des Kontrollbeamten, sondern nur das Symbol von
Obsunthys City. Das war ungewöhnlich und schien Derbolavs Bedenken zu bestätigen.
»Hier Kontrolle Raumhafen Obsunthys City«, meldete sich eine befehlsgewohnt klingende Stimme. »An ROSSA
OBERA: Drehen Sie ab und verlassen Sie unverzüglich dieses System. Ende!«
Die Adern an Derbolavs Schläfen schwollen an. Dennoch klang die Stimme des Sippen-Patriarchen gelassen, als er
erwiderte:
»Ich bin gekommen, um der Staatlichen Minengesellschaft Proben von Prälumonium zu übergeben und wegen der
Überlassung einer fündigen Mine zu verhandeln. Mein Name ist Derbolav de Grazia. Erkundigen Sie sich bei
Nebenstellendirektor Gladwich. Wir haben schon mehrmals Abschlüsse getätigt. Ende!«
Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, dann ertönte die Stimme des unsichtbaren Gesprächspartners erneut. Sie
klang bestimmt, aber etwas irritiert.
»Ich bestreite nicht, daß Sie mit den angegebenen Absichten kamen, Patriarch Grazia. Aber es liegt ein
Imperatorbefehl vor, und dagegen kann auch Direktor Gladwich nichts machen. - Soeben sehe ich, daß Ihr Schiff den
Anflugkurs beibehält. Ich warne Sie. Kehren Sie sofort um, oder ich lasse das Feuer auf Sie eröffnen!«
»Das ist doch . . .!« schimpfte de Grazia. »Sie behindern den freien interstellaren Handel, Mann!«
Er schwieg erbittert, als das Symbol der Hafenkontrolle erlosch. Alle möglichen Gedanken schössen ihm durch den
Kopf, aber alle denkbaren Gründe erschienen ihm nicht stichhaltig.
Gewiß, die Spannungen zwischen den drei alliierten Imperien hatten in den letzten Wochen zugenommen. Gleichzeitig
waren die Energieblasen der sogenannten Accalauries immer öfter in der Galaxis aufgetaucht. Diese unbekannten
Wesen aus einem vermuteten Antimaterie -Universum schienen etwas in der Galaxis zu suchen. Dabei kam es immer
wieder zu Katastrophen, wenn ihre Raumschiffe landeten. Doch die verheerenden Explosionen waren offensichtlich
Unglücksfälle und keine Aggressionsakte. Sie konnten nicht der Grund dafür sein, weshalb plötzlich kein friedliches
Prospektorenschiff mehr auf Obsunthys landen durfte.
Derbolav de Grazia erhob sich und kehrte schweigend in die Kommandozentrale zurück.
Juan Mellone-Grazia wandte ihm den Kopf zu.
»Schlechte Laune, Chef? Was hat . . .«
Er erbleichte, als das Licht einer mächtigen Explosion die Zentrale ausleuchtete. Vor der ROSSA OBERA stand ein
blauweiß strahlender Glutball im Raum.
»Abdrehen!« befahl Derbolav. »Das war eine Transformbombe und wahrscheinlich die letzte Warnung.«
Sein Vetter re agierte bereits. Die starken Antriebsmaschinen im achtzig Meter durchmessenden Kugelleib der ROSSA
OBERA brüllten auf. Der verwehende Glutball der Explosion wanderte im Frontschirm nach Steuerbord. Die ROSSA
OBERA verzögerte mit Maximalwerten und wich gleichzeitig nach Backbord aus.
Derbolav atmete auf, als keine weitere Explosion mehr erfolgte. Von Obsunthys hatte man offenbar das Manöver der
ROSSA OBERA registriert und daraus geschlossen, daß der Patriarch der Grazia-Sippe die Warnung verstanden hatte.
»Was nun?« fragte Juan nach einiger Zeit. »Von dem Prälumo -nium-Geschäft wollten wir die Generalüberholung des
Schiffes finanzieren. Wir brauchen dringend das Geld, Chef.«
Derbolav de Grazia stand breitbeinig neben seinem Vetter, die muskulösen bloßen Arme über der Brust gekreuzt. Sein
sommersprossiges Gesicht war gerötet, die Augen zusammengekniffen.
4
»Man behandelt uns Prospektoren wie Hunde, denen man einen Fußtritt geben darf, wenn sie stören«, grollte er. »Aber
dieser Dabrifa wird noch die Quittung dafü r bekommen. Schade, daß wir so dringend Geld brauchen, sonst würde ich
nie mehr mit Dabrifa-Gesellschaften handeln.«
Er sah den Kosmonautiker an.
»Nimm Kurs auf den Planeten Labrone, Demicheit-System. Wir versuchen es dort.«
Ärgerlich ließ er sich in einen Sessel fallen.
Die Geschäfte waren in letzter Zeit schlecht gegangen. Wie alle Prospektoren, so lebte auch die Grazia-Sippe davon,
daß sie Erzlagerstätten auf besitzerlosen Planeten fand, eine Ausbeute-Analyse erstellte und Proben mitnahm.
Das durchdringende Summen des Ortungsalarms riß den Patriarchen aus seinen Grübeleien. Er stülpte seinen
Funkhelm über und fragte:
»An Ortung! Was gibt es?«
»Treibendes Kugelraumschiff geortet!« Die Daten folgten. »Durchmesser achtzig Meter, keine Energie -Emissionen.
Wahrscheinlich ein Wrack, Chef.«
Derbolav spürte, wie jeder Muskel seines Körpers sich anspannte.
»Danke! Weitere Daten ermitteln. - Juan, du wirst das Schiff vorsichtig in die Nähe des Wracks manövrieren. Am
besten so, daß das Wrack genau zwischen der ROSSA OBERA und Obsunthys steht. Ich möchte wissen, was das zu
bedeuten hat.«
Er klappte das Innenfach seiner Rückenlehne auf und zog die schwarze Raumkombination hervor. Während er sie
anzog, beorderte er drei seiner Leute in den Schleusenhangar der kleinen Pi-nasse.
»Willst du rüber, Chef?« fragte Juan.
Derbolav grinste.
»Die hervorstechendste Charaktereigenschaft eines Prospektors ist seine Neugier, Vetter. Ohne diese Eigenschaft kann
er seinen Beruf gar nicht ausüben.«
»Hier Ortung!« tönte es aus den Lautsprechern des Funkraums. »Das andere Schiff wurde durch Transformbeschuß
zerstört. Es dürfte nur noch ein ausgeglühtes Wrack sein. Ein Wunder, daß seine Deuteriumvorräte nicht
explodierten.«
»Wahrscheinlich änderte es unmittelbar vor dem Beschüß den Kurs und wurde nicht direkt getroffen«, meinte
Derbolav de Grazia nachdenklich. »Möglich, daß es ebenfalls auf Obsunthys landen wollte.«
Er nahm den Funkhelm ab, klappte den Druckhelm des Raumanzugs nach vorn und aktivierte den Helmtelekom.
Anschließend überprüfte er den Schirmprojektor. Das Gerät konnte ein HÜ-Feld um seinen Träger erzeugen und war
in der fünfundzwanzig Zentimeter durchmessenden Gürtelschnalle installiert. Es handelte sich bei dem Projektor um
eine sehr leistungsfähige siganesische Konstruktion.
Derbolav gab seinem Vetter Juan einige Anweisungen, dann begab er sich in den kleinen Schleusenhangar, wo die
angeforderten drei Männer ihn bereits vor der Pinasse erwarteten. Sie waren wie ihr Patriarch mit Kombistrahlern
bewaffnet. Vielleicht war es eine Art abergläubische Furcht vor dem Unbekannten, die sie auf Antigravag-gregate
verzichten ließ, die geortet werden konnten.
Einer meldete die Pinasse startklar. Derbolav wies ihnen ihre Aufgaben zu, dann stiegen die vier Männer in das kleine
Verbindungsboot. Sekunden später wurde es vom Feldkatapult in den Raum geschleudert.
Der Patriarch steuerte die Pinasse selbst. Aus zusammengekniffe nen Augen starrte er hinüber zu dem schwarzen Fleck,
der den größten Teil des Lichts von Obsunthys verdeckte. Die bla ue Sonne des Systems stand schräg über dem Wrack.
Gleißende Lichtreflexe zuckten auf, wenn das Wrack taumelte und gezackte Metallteile der Sonne zuwandte.
Derbolav schluckte.
In einer Entfernung von fünfhundert Metern schaltete er die starken Bugscheinwerfer ein. Die runden Lichtflecken
tasteten sich gespenstisch über erstarrte Metallschmelze, geborstene Hangartore und die Fäden kondensierten
Metalldampfes an der Polkuppel.
»Da lebt niemand mehr«, sagte einer seiner Begleiter mit tonloser Stimme.
»Wir nehmen trotzdem den Medokasten mit«, bestimmte der Patriarch.
Er visierte drei Stellen rings um die aufgewölbten Ränder einer Schleuse an und verankerte die Pinasse mit drei
Magnetfeldern an dem Wrack. Danach schloß er das Helmvisier. Seine Begleiter taten es ihm nach.
»Nehmt euch vor scharfen Kanten in acht!« meinte Derbolav. »Mir nach! Wir versuchen, in die Zentrale zu gelangen.«
Sie zwängten sich in die Schleusenkammer. Als das Außenschott lautlos auffuhr, warf Derbolav de Grazia sich hinaus.
Seine Hände zeigten auf die zerstörte Schleuse des Kugelschiffes. Sekunden später landete er mit den Füßen am Rand.
Es machte ihm nichts aus, daß Millimeter hinter seinen Absätzen der unendliche Abgrund des Weltraums begann. Wer
im Raum geboren worden war - wie die meis ten Prospektoren -, wer vertrauter mit dem All war als mit jedem belie
bigen Planeten, der fürchtete sich nicht davor.
Er schaltete den Scheinwerfer auf dem Brustteil seiner Raumkombination an und musterte das ebenfalls aufgeplatzte
Innenschott der Schleusenkammer. Neben ihm landeten unterdessen seine Begleiter.
»Die Schiffszelle muß so schnell und so stark erhitzt worden sein, daß die Bordatmosphäre sich explosionsartig
ausdehnte.«
Derbolav sah sich nach dem Mann um, der das gesagt hatte.
»Sieht so aus«, meinte er kurz angebunden. Er korrigierte dabei seinen Stand, der durch die Kopfbewegung gefährdet
worden war. In dem Wrack herrschte keine meßbare Schwerkraft mehr.
Der Patriarch leuchtete in den Gang hinter dem Innenschott. Dann wechselte er seinen Scheinwerfer in die
Helmhalterung. Mit beiden Füßen stieß er sich leicht ab, gleichzeitig warf er die Arme nach hinten, so daß sie sich
beinahe über den Schulterblättern berührten. Die Summe der Bewegungsimpulse ließ ihn waagrecht, mit dem
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Kopf voran, in das Wrack schweben.
Langsam und scheinbar mühelos schwebte er durch den Gang. Der Lichtfleck des Helmscheinwerfers geisterte
über geborstene Wände und die kümmerlichen Überreste eines Transportbandes. Derbolav »schwamm« in den
Achsliftschacht und bremste, indem er mit den Händen und Füßen zugleich die gegenüberliegende Wandung
leicht berührte. Erneut stieß er sich mit den Füßen ab und schwebte nunmehr nach »oben«. Der Liftschacht
endete genau in der Zentrale. Derbolav schlug einen Salto im Zeitlupentempo und schwebte danach in etwa zwei
Metern Höhe.
Nacheinander erschienen seine Begleiter, vollführten die gleiche Bewegung und hingen dann neben ihrem
Patriarchen.
Niemand sagte ein Wort.
Das, was von der Zentralebesatzung übriggeblieben war, verriet nur zu gut, welchen Tod die Männer gestorben
waren. Wenigstens mußte es ein rascher gewesen sein.
Hier war nichts mehr zu tun.
Derbolav de Grazia glaubte nicht daran, daß in irgendeinem anderen Teil des Wracks noch jemand lebte.
Dennoch befahl er die Durchsuchung. Wenigstens sollte sich feststellen lassen, wie der Name des Schiffes
lautete.
Die vier Männer schwebten nach vier verschiedenen Richtungen davon. Derbolav merkte bereits im ersten
Raum, daß er sich vermutlich im Wrack eines Prospektorenschiffs aufhielt. Der Raum war ein Laboratorium
gewesen, und in der Schmelzlache des Plastiktisches schimmerten mehrere Lachen weißlichen Metalls:
Erzproben, die von einem Planeten stammten, dessen Position nun sicher unbekannt bleiben dürfte.
Plötzlich stutzte Derbolav. An der linken Wand mußte ein Regal aus wenig widerstandsfähigem Material
gestanden haben. Jedenfalls war nur grauer Staub davon übriggeblieben.
Aber in dem Staub lagen drei rechteckige Metallplatten, die in keiner Weise verformt waren. Ja, die Hitze hatte
sie nicht einmal verfärbt!
Der Patriarch überschlug im Kopf die Temperaturen, die hier während der Katastrophe geherrscht haben mußten.
Er kam auf einen Wert zwischen acht- und zehntausend Grad Celsius. Selbst Terkonit hätte sich dabei verformt.
Derbolav schwebte hinüber und nahm die oberste Platte in die Hände. Sie maß ungefähr zwanzig mal dreißig
Zentimeter und hatte eine irisierende Färbung.
Derbolav strich mit der behandschuhten Rechten über die Platte. Er war nicht nur Kosmonaut - das waren alle
Prospektoren -, sondern hatte auf den besten Universitäten im Solaren Imperium auch Geologie, Mineralogie
und Metallurgie studiert. Anschließend hatte er fast zwei Jahrzehnte lang praktische Erfahrungen auf diesen
Gebieten gesammelt. Deshalb ahnte er nicht nur, er wußte, daß dieses Metall bisher noch nirgends verwendet
worden war.
Wer die Lagerstätten des betreffenden Erzes kannte, würde die interstellare Industrie in der Hand haben.
Derbolav lachte lautlos.
Aber nicht, wenn man nur ein Prospektor war, führte er seinen Gedankengang weiter. Dann hätte man ein Heer
von Spitzeln und Mördern auf dem Hals.
»Chef . . .!«
»Ja?« fragte Derbolav mit rauher Stimme.
»Ich habe einen gefunden, einen Lebenden. Im Tresor.«
»Ich komme sofort!« rief Derbolav zurück.
Mit Tresor war die Panzerkammer gemeint, in der alle Erz- und Mineralienproben lagerten, die die Sippe jemals
eingebracht hatte. Dieser Raum war gut dazu geeignet, einen Menschen zu schützen.
In wenigen Minuten stand Derbolav de Grazia in der Schleusenkammer des Tresors. (Hier mußten, einem
ungeschriebenen Gesetz zufolge, alle Proben zuerst einer Vakuum-Gasbehandlung unterzogen werden, bevor sie
eingelagert wurden.)
Das Außenschott schloß sogar noch. Doch dauerte es noch sechs Minuten, bevor auch das Innenschott sich
öffnete.
»Ich mußte die Atmosphäre per Hand abpumpen, Chef«, entschuldigte sich der Mann, der Derbolav
entgegensah.
»Schon gut«, meinte der Patriarch. Er schwebte an ihm vorbei auf das Bündel zu, das vom Kombigürtel an einer
Regalverankerung gehalten wurde. Ein verbranntes Gesicht stach gegen die mit der Körperhaut verschmolzene
Kombination ab. Die Augen darin waren vor Schmerz getrübt. Dennoch erkannten sie de Grazia.
»Derbolav . . .!« hauchte der Sterbende kaum vernehmbar.
Derbolav de Grazia runzelte die Stirn und lauschte dem Klang der Stimme nach.
»Ich . . . bin's«, flüsterte der Sterbende »Pray But . . .« Die Stimme erlosch. Der Sterbende hatte das Bewußtsein
verloren.
Derbolav öffnete die Hände und krampfte sie wieder zusammen.
»Pray Butseh«, murmelte er betroffen.
Pray Butseh, der gute »Opa Pray«, lag vor ihm. Und er würde sich niemals mehr aus eigener Kraft erheben können.
Derbolav schloß die Augen. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem seine Eltern beim Kampf gegen
unorganisierte Piraten umgekommen waren. In ihrem zerschossenen Schiff waren sie vor Derbolavs Augen
6
niedergemacht worden. Die Banditen hätten auch Derbolav de Gra -zia getötet, wenn Pray Butseh mit seiner Sippe
nicht aufgetaucht wäre. Ein Jahr lang blieb Derbolav bei Butseh, bis die Überlebenden seiner Sippe den Kauf eines
neuen Schiffes finanzieren konnten. Anschließend wurde Derbolav der Obhut seines Großvaters übergeben, doch der
Kontakt zu Pray Butseh war erhalten geblieben, und im Scherz nannte der heutige Patriarch seinen Lebensretter von
damals oft »Opa Pray«.
»Du hast mich damals gerettet«, flüsterte er, »und ich komme heute zu spät.«
Er zuckte zusammen, als Butseh sich bewegte. Der alte Patriarch der Butseh-Sippe stöhnte, dann öffnete er die Augen
und sah Derbolav an.
»Einmal ist jeder dran, mein Sohn«, sagte er mit völliger Klarheit.
Er winkte ab, als Derbolavs Begleiter nach dem Medokasten griff.
»Keine Betäubungsmittel! Laßt mich wenigstens bei vollem Bewußtsein hinübergehen. - Komm näher zu mir,
Derbolav!«
Derbolav de Grazia beugte sich über den Alten. Die Tränen rannen ihm über die Wangen; er machte sich nichts daraus.
Pray lächelte plötzlich und scheinbar unmotiviert.
»Ich freue mich, daß du es bist, der mich in meiner letzten Stunde besucht, mein Sohn.« Seine Lippen verzerrten sich
unter einem Schmerzanfall. Aber er kämpfte den Schmerz nieder. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Deshalb werde ich
mich kurz fassen. Hinter mir, in einer Kapsel aus Atronital-Compositum, findest du positronische Aufzeichnungen
über einen Planeten namens Maverick und ein Mineral namens Ynkelonium-Erz, das sich als Veredlungskomponente
zur Legierung mit Terkonitstahl eignet.«
Pray Butseh schloß die Augen. Seine Kiefer mahlten knirschend aufeinander. Er litt unsagbare Schmerzen, aber er
kämpfte sich noch einmal zur Oberfläche des Bewußtseins empor.
»In der Zentrale liegen Proben einer Ynkelonium-Terkonit-Legie-rung, Derbolav. Diese Legierung besitzt die
dreißigfache Festigkeit reinen Terkonitstahls; ihr Schmelzpunkt liegt bei etwa hunderttausend Grad Celsius.«
Der Blick des Sterbenden trübte sich.
»Ich schenke es dir, Derbolav. Mach's gut, mein Junge!«
Die Gesichtszüge verzogen sich zu einem Lächeln, dann fiel der Kopf ruckartig zur Seite.
Pray Butseh war tot.
Derbolav de Grazia glaubte noch nichts von dem, was der alte Prospektor ihm berichtet hatte. Aber er hatte die
Stahlplatten gesehen. Falls sich herausstellte, daß sie nicht aus dem seltenen Atronital-Compositum bestanden, dann . .
.
Derbolav kniete neben dem Toten nieder. Nach einer Weile erhob er sich, steckte die erwähnte Kapsel ein und erteilte
über Helmfunk seine Befehle. Während seine Begleiter alles für die traditionelle Zerstörung des Wracks vorbereiteten,
schwebte er noch einmal zur Kommandozentrale hinauf und nahm eine der Platten mit.
2. Mai 3432 Derbolav de Grazia wachte mit einem Schrei auf.
Sofort stellte der Schlaftank seine Bemühungen ein, die eingegebenen Befehle auszuführen.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Sir?« fragte der Servocomputer höflich.
Der Patriarch starrte in die beruhigend wirkenden Lichtmuster der Tankwände. Er erinnerte sich, daß er dem Computer
vor dem Einschlafen befohlen hatte, ihn pünktlich um neun Uhr mit einer Eisluftdusche und anschließendem
Infrarotlichtbad zu wecken.
Deshalb also war der Traum anders verlaufen als die Wirklichkeit, dachte er. Denn es war Wirklichkeit, daß er vor
etwa acht Wochen von der Raumhafenkontrolle des Dabrifa-Planeten Obsunthys abgewiesen worden war, daß man die
ROSSA OBERA beschossen hatte und daß er später das Wrack eines Prospektorenschiffes und darin seinen
väterlichen Freund Pray Butseh sterbend vorgefunden hatte.
Dennoch blieb in Derbolavs verwirrtem Geist eine Spur von Zweifel. Deshalb bat er den Servocomputer um eine
Datumsdurchsage.
»Nach Standardzeitrechnung haben wir heute den ersten Mai des Jahres dreitausendvierhundertzweiunddreißig«,
schnarrte die Computerstimme diensteifrig.
Nun erst atmete Derbolav endgültig auf.
»Danke!« entfuhr es ihm. »Programm normal zu Ende führen!«
Er seufzte wohlig, als der Massageroboter ihn mit Zitrusöl besprühte und anschließend mit seinen Druck- und
Zugfedern den ganzen Körper systematisch durchknetete. Ein anderes Roboterelement wusch ihm die Haare,
massierte den Haarboden mit Warmluftfeldern und flocht anschließend den handlangen Zopf im Nacken des
Prospektors neu.
Als der Schlaftank ihn freigab, reckte sich Derbolav de Grazia. Wohlgefällig betrachtete er dabei das Spiel seiner
Muskeln im Feldspiegel.
Ärgerlich verzog er das Gesicht, als der Interkommelder summte.
»Bitte!« rief er laut.
Der Interkom nahm es als Befehl zur Aktivierung.
7
Auf dem 3-D-Bildschirm entstand das Abbild von Jüans Gesicht. Es verzog sich zu einem flüchtigen Grinsen, als Juan seinen Vetter und Patriarchen nackt sah. Dann sagte er: »In zehn Minuten verlassen wir den Linearraum. Wir befinden uns dann vierzehn Lichtstunden von der Sonne Syl Pato entfernt. Ich dachte mir, daß du das Kommando dann selbst übernehmen solltest.« Er verzog das Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. »Meine Meinung kennst du ja.« Der Patriarch nickte. Was den Planeten Angerook anging, waren er und sein Vetter Juan gegenteiliger Meinung. Juan hielt das Risiko für zu groß. »Ich bin in zehn Minuten oben«, sagte er. Mit »oben« meinte er die Kommandozentrale der ROSSA OBERA, obwohl sie auf dem gleichen Deck wie die Kabine des Patriarchen lag. Aber die Raumfahrt als Nachfolgerin der Seefahrt hatte zahlreiche der alten Begriffe übernommen und pflegte sie. Eilig kleidete Derbolav de Grazia sich an. Er begnügte sich, wie meist, mit einem enganliegenden Unterdreß und einer schwarzen Raumkombination darüber. Auf den Schultern befand sich das Wappen der Grazia-Sippe, die 3D-Darstellung einer blau leuchtenden Phantasieblume in einem schwarzen Kraterloch. Die runde, fünfundzwanzig Zentimeter durchmessende Gürtelschnalle enthielt einen HÜ-Schirmprojektor siganesischer Konstruktion; im zur Montur gehörenden Halfter lag ein moderner Strahler. Der zusammengefaltete Helm verbarg sich unter dem steifen Zierkragen der Kombination. Eine halbe Minute vor dem Linearraumaustritt nahm Derbolav seinen Platz in der Zentrale ein. Er bemerkte zwar die gespannte Atmosphäre an Bord, kümmerte sich jedoch nicht darum. Als das Dröhnen des Linearkonverters verstummte und die Sterne des Normalraums sichtbar wurden, schaltete Derbolav das Elektronenteleskop ein. Das stark vergrößerte Abbild des Planeten Angerook wurde auf eine Schirmwand projiziert. »Sieht unbewohnt aus«, bemerkte Juan Mellone-Grazia. »Man merkt, daß du jahrelang nicht bei der Sippe gewesen bist«, erwiderte Derbolav ironisch. »Angerook, der zweite Planet des Syl-Pato-Systems, ist tatsächlich unbewohnt. Es handelt sich um eine erdgroße heiße Wüstenwelt mit mittleren Temperaturen von 48 Grad Celsius am Äquator. Wasser gibt es nur in einem relativ kleinen Ozean und in zwei subplanetarischen Kavernen, die allerdings einige Billionen Hektoliter fassen. Die Gebirge bestehen größtenteils aus aktiven Vulkanen. Vegetation . . .« Derbolav zuckte die Schultern. » . . .Vegetation in unserem Sinne gibt es nur in unmittelbarer Wassernähe. Sonst in Form von hartem Pseudoginster, der seine Nährstoffe aus der Luft bezieht und mit Hilfe der Sonnenenergie umwandelt. Niemand würde in den nächsten hunderttausend Jahren auf die Idee kommen, Angerook zu besiedeln.« Er lachte. »Deshalb werden die Terraner ihn auch als Flottenmagazin ausgebaut haben.« »Ich glaube noch immer nicht, daß wir einfach in ein terranisches Flottenmagazin eindringen und uns selbst >bedienen< können«, murmelte Juan skeptisch. Der Patriarch grinste breit. Die übrigen Prospektoren in der Zentrale grinsten mit, denn sie kannten das Geheimnis von Angerook, im Unterschied zu Juan Mellone-Grazia, der sich damals gerade zu einer Spezialausbildung an der Universität von Terrania befunden hatte. Damals . . . Derbolav de Grazia blickte lächelnd auf den Projektschirm, ohne das Bild darauf bewußt wahrzunehmen. Er merkte auch nicht, daß er erzählte, während die Bilder der Erinnerung entstiegen und sich vor deinem geistigen Auge formten. »Wir hatten drei Wochen zuvor eine der subplanetarischen Kavernen angebohrt. Dabei waren wir auf Lagerstätten seltener Migmatite gestoßen, also auf Mischgesteine, die durch Ultrametamorphose entstehen. Nachdem ich die ersten Analysen durchgeführt hatte, beschloß ich, einen Transportschacht zur Ozeankaverne anzulegen und einige Sammelroboter einzusetzen, um ausreichend Proben zu erhalten. Wir flogen mit der ROSSA OBERA zum Mars und erwarben das benötigte Material und die Sammelroboter zu einem günstigen Preis. Wieder auf Angerook gelandet, vergrößerten und verkleideten wir den Schacht und tarnten ihn gegen Ortung aus dem Raum. Anschließend richteten wir in einer Nebenkaverne des Ozeans eine labormäßige Trennungsanlage ein. Eines Tages arbeitete ich mit Porka und Loody im Labor, da hörten wir plötzlich Bohrgeräusche. Es waren die charakteristischen Geräusche von Desintegrationswirbelfeldern und den dazugehörigen Absaugfeldern. Selbstverständlich gingen wir der Sache nach. Zwar war Angerook als Planet des Solaren Imperiums im Galaktischen Register eingetragen, aber noch niemals hatten wir Anzeichen dafür entdeckt, daß die Terraner sich auf Angerook niederlassen wollten. Es konnte also möglich sein, daß die Bohrgeräusche von anderen Prospektoren stammten. In dem Fall hätten wir selbstverständlich unsere älteren Rechte geltend gemacht. Wir brachten überall an den Felswänden Schallsonden an und werteten ihre Messungen aus. Wer beschreibt unsere Verblüffung, als wir feststellten, daß jemand dabei war, in nächster Nähe der Kaverne einen riesigen Hohlraum anzulegen und von dort aus drei Tunnel in die Karverne selbst vorzutreiben. Es konnte sich also kaum um Prospektoren handeln. Wir verhielten uns still und legten uns auf die Lauer. Nach wenigen Stunden brachen drei Spezialfahrzeuge durch die Felswand, ganz in der Nähe des Meeres. Sie zogen sich wieder zurück und hinterließen Tunnel von 8
kreisförmigem Querschnitt und etwa zweieinhalb Meter Durchmesser. Kurze Zeit später krochen die
Schlepperköpfe von drei Versorgungsschläuchen aus den Tunnelmündungen. Sie zogen die mächtigen
Schläuche hinter sich her und schleppten sie ins Meer, wo sie in sechshundert Metern Tiefe verankert wurden.
Porka, der früher beim Raumpionierkommando der Solaren Flotte gedient hatte, schloß aus diesen Tatsachen
darauf, daß jemand ein großes subplanetares Magazin anlegte; die Versorgungsschläuche dienten teilweise der
Gewinnung von Feuchtigkeit für die Klimaanlage, hauptsächlich aber der Förderung von Wasser zur Erzeugung
hochkatalysierten Deuteriums, das für die Kraftwerke der Kältestationen, Luftumwälzungsanlagen und
Überwachungscomputer benötigt wurde.«
Derbolav erwachte aus seinem tranceähnlichen Zustand und lächelte verlegen.
»Habe ich fantasiert?«
»Keineswegs, Chef«, antwortete der Astrogator. »Was du erzählt hast, stimmt aufs Haar.«
Juan Mellone-Grazia schüttelte grinsend den Kopf.
»Du bist wirklich ein genialer Gauner, Chef! Wie ich dich kenne, habt ihr damals eine Verbindung zu dem
geheimen Flottenmagazin hergestellt, bevor die Überwachungscomputer aktiviert waren.«
Derbolav de Grazia hob vielsagend die Hände und ließ sie auf die Seitenlehnen seines Kontursessels fallen.
»Bei allen Berggeistern, Juan, was hätte ich anders tun sollen! Die terranischen Baukommandos haben mich
faktisch dazu gezwungen, mich mit ihrer Anlage zu befassen. Ich wäre ein schlechter Patriarch, wenn ich nicht
dafür gesorgt hätte, daß wir bei Bedarf jederzeit auf die Vorräte des Flottenmagazins zurückgreifen können.«
Er zuckte die Schultern.
»Nun ist es soweit. Wir haben weder die Ausrüstung, um den Planeten Maverick zu erkunden, noch die Mittel,
uns diese Ausrü stung zu kaufen. Unter der Oberfläche von Angerook aber liegt das Zeug ungenutzt herum.«
Derbolav winkte geringschätzig ab.
»Wem gehört es denn? Das Solare Imperium besteht nicht mehr.« Seine Miene verdüsterte sich. »Die Sonne Sol,
die Erde, die irdische Menschheit, alles ist ausgelöscht. Verdammt! Wer, wenn nicht wir, hat ein Anrecht darauf,
vom Erbe unserer reichen Verwandten zu profitieren.«
Juan seufzte.
»Ich weiß, daß ich dich nicht umstimmen kann. Aber ich halte es einfach für meine Pflicht und Schuldigkeit,
meine Bedenken zu äußern. Es gibt keinen Zweifel daran, daß Perry Rhodan sein Erbe und das Erbe der
Menschheit diesem Kaiser Anson Argyris auf Olymp übertragen hat. Und meiner Meinung nach liegt es bei
Argy-ris in guten Händen. Unterschätzt ihn nicht. Kaiser Argyris verfugt über einige zehntausend Kampfschiffe
der ehemaligen Imperiums flotte. Also wird er auch die Koordinaten aller Magazinplaneten kennen. Meinst du, er
ließe diese gigantischen Schatzkammern unbewacht, Chef?«
Derbolav wiegte mit dem Kopf.
»Gewiß, Vetter Juan, dieser Kaiser Argyris hat bewiesen, daß er genau weiß, was er will - und daß er das auch
durchzusetzen versteht. Aber im Augenblick dürfte er andere Sorgen haben als irgendwelche Flottenmagazine zu
bewachen. Vergiß bitte nicht, die Überwachungscomputer lassen keinen Unbefugten in die Magazine. Sie
würden sofort Alarm geben und die Kampfroboter in Marsch setzen. Nur in unserem Falle nicht. Sei unbesorgt.«
Er warf noch einen Blick auf die inzwischen größer gewordene Sichel des Planeten Angerook, dann gähnte er.
»Sagt bitte dem Schiffsjungen Bescheid, er soll mir eine Kanne Kaffee aufbrühen und zusammen mit dem
üblichen Frühstück servieren. Ich habe einen Mordshunger.«
Zwei Tage später hatten sie ihre Ausrüstung beisammen. Von Angerook holten sie sich drei der neuen,
sogenannten HUS-Gleiter, Hochdruck-Ultraschwerkraft-Gleiter für den Einsatz auf Planeten mit Über-Jupiter-
Schwerkraft und Hochdruckatmosphären. Die elliptisch geformten Rümpfe, einundzwanzig Meter lang und zehn
Meter breit, wurden jeweils von vier Landestützen getragen.
Dazu kam anderes Material im geschätzten Wert von rund einer Milliarde Solar . . .
3.
Die Projektion erlosch nach kurzem, heftigem Aufflackern. Das ohrenbetäubende Donnern verebbte.
Derbolav de Grazia nahm die Hand von der Bild-Ton-Schaltung und wandte sich zu seinen Leuten um. Alle
Besatzungsmitglieder der ROSSA OBERA waren in der großen Messe versammelt, um letzte Informationen
über den geplanten Einsatz zu bekommen.
Der Patriarch verschränkte die Arme und gab sich unbeeindruckt.
»Ihr habt die Positronik-Aufzeichnung von Maverick gesehen, Männer der Grazia-Sippe«, rief er
herausfordernd. »Wie gefällt euch diese Welt, he?«
»Ich finde«, rief ein breitschultriger, kahlköpfiger Prospektor zurück, »wir sollten endlich mal wieder zu unseren
Frauen fliegen. Seit drei Monaten waren wir nicht mehr auf Carona. Unsere Kinder werden ebenfalls Sehnsucht
nach uns haben. Nun, wie denkst du darüber, Chef?«
»Ich denke«, antwortete Derbolav gedehnt, »daß du ein schwerhöriger Narr bist, Eluzar. Ich habe nicht gefragt,
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wer zum Basisplaneten möchte, sondern was ihr von Maverick haltet. Also . . .!«
»Die Aufzeichnung wirkte nicht gerade aufmunternd«, sagte Juan Mellone-Grazia, um den Anstoß zur
Diskussion zu geben. »Dieser Planet Maverick scheint eine wahre Hochdruckhölle zu sein. Wie hoch, Chef, sind
dort die Durchschnittstemperaturen?«
»Die mittlere Temperatur am Grund des Luft- bzw. Gasozeans beträgt hundertachtundzwanzig Grad Celsius.«
»Also ganz schön warm«, warf Tormello, der Schiffskoch ein. »Und das bei einer Wasserstoff-Ammoniak-
Atmosphäre unter einem ... äh ... welchem Druck? «
Derbolav de Grazia blickte unmutig auf seine Notizen.
»Leider liegen darüber keine einheitlichen Werte vor. Der Luftdruck auf Maverick wird einmal mit achthundert,
dann mit vierzehn-hundert und schließlich mit zweieinhalbtausend Atmosphären angegeben. Offenbar gibt es
dort Konvektionsströme wie an der Sonnenoberfläche, und der Druck ändert sich laufend.«
»Wie verläßlich sind die Daten überhaupt, Onkel Derbolav?« rief ein junger Neffe des Patriarchen.
Die Prospektoren lachten. Aber der Patriarch runzelte drohend die Stirn.
»Entschuldige die Anrede, Boß«, rief der junge Mann. »Aber zur Sache: Leider bin ich nicht offiziell informiert
worden. Ich kenne also nur das, was sich die Informierten erzählen. Demnach soll es auf Maverick Bergwerke
geben, in denen einmal Blues gearbeitet haben.«
»Das ist nicht ganz richtig«, widersprach Derbolav. »Die Bergwerke sollen zwar den Blues gehört haben, selber
darin gearbeitet haben sie nicht. Dafür setzten sie Kriegsgefangene ein. Sowohl Blues als auch Gefangene sollen
jedoch umgekommen sein.«
»Woran sind sie gestorben?« fragte ein anderer Prospektor.
Der Patriarch zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Die Aufzeichnungen sind unvollständig. Bedenkt, daß Pray Butseh sie in einem fast völlig
zerstörten und ausgebrannten Raumschiff der Blues fand, das steuerlos im All trieb. Alles ist etwas
geheimnisvoll.«
Er lächelte.
»Aber wozu sind Geheimnisse da?«
»Um entschlüsselt zu werden!« rief Juan Mellone-Grazia.
Die meisten Prospektoren spendeten Beifall. Es gab jedoch auch warnende Stimmen und solche, die das
Unternehmen für Zeitvergeudung hielten.
»Schön, Chef«, sagte ein älterer Mann ruhig, »wir haben die Ynke-lonium-Legierung geprüft. Sie besitzt
tatsächlich die angegebenen Eigenschaften. Als Hochdruckchemiker weiß ich ebenfalls, daß dieses rätselhafte
Ynkelonium zu den Elementen der Hochdruckreihe gehört, die nur auf heißen Welten mit reaktionsfreudiger
Atmo sphäre, hohen Druckverhältnissen und guter atmosphärischer Durchmischung entstehen. Es lohnt sich also
auf jeden Fall, eine solche Welt zu untersuchen. Aber woher wollen wir wissen, daß das Ynkelonium tatsächlich
auf Maverick vorkommt? Pray Butseh war nicht selbst dort.«
Derbolav de Grazia nickte.
»Das alles ist richtig. Aber ich bin entschlossen, dem Geheimnis des Ynkeloniums auf den Grund zu gehen.
Niemand muß mich begleiten. Wer es wünscht, den setzen wir vorher auf einer bewohnten Welt ab. Ich würde es
niemandem übelnehmen; die Gefahren sind tatsächlich groß.«
Die Prospektoren protestierten lautstark. Derbolav mußte sich ausdrücklich dafür entschuldigen, daß er derart
beleidigende Gedanken überhaupt geäußert hatte. Er tat es gern, brauchte er doch bei der Expedition nach
Maverick jeden einzelnen Mann.
»Jeder begibt sich wieder an seinen Platz«, sagte der Patriarch abschließend. »Ich werde jetzt den Autopiloten
mit den Koordinaten von Maverick füttern. In ungefähr einer halben Stunde gehen wir in den Linearflug.«
Derbolav de Grazia blickte auf, als der Autopilot mit gelben Lichtern und intervallartigem Summen Signal gab.
Auf der schrägen Pultplatte, unter der die Einheit installiert war, befand sich unter Panzerglas eine
Projektionsfläche, auf die der Autopilot sich schriftlich mitteilen konnte. Derbolav sah, wie die roten Buchstaben
sich aneinander reihten.
»Bedenken gegen eingegebene Kursdaten«, las er ab. »Vorschlage Konferenz mit Hauptcomputer.«
»Was will er?« fragte Juan Mellone-Grazia vom Pilotensitz herüber.
Derbolav zuckte die Schultern.
»Er hat Bedenken gegen die Kursdaten geäußert. Ich werde wohl oder übel den Hauptcomputer zuschalten
müssen.«
Er drückte die betreffende Schaltplatte.
Sofort meldete sich eine gutmodulierte Stimme aus der Lautsprecheranlage des Autopilotpults.
»Verbundschaltung hergestellt, Autopilot kreiste folgende Bedenken ein: a) Das Sonnensystem Pash mit dem
Planeten Maverick befindet sich im respektierten Hoheitsgebiet der Blues; b) Auf Maverick wurde von den
Blues ein Bergwerk betrieben; c) Der Kurs der ROSSA OBERA ist mit drei Orientierungsmanövern geplant,
davon zwei innerhalb des Blues-Gebietes; Logikberechnung: Die Orientierungsmanöver innerhalb des Blues-
Gebietes vergrößern die Gefahr, daß der Einflug der ROSSA OBERA entdeckt wird, und geben eventuellen
Patrouillenschiffen der Bluesvölker Hinweise auf das Ziel. Schluß: Hauptpositronik schlägt vor, die gesamte
Strecke mit einem Linearmanöver zurückzulegen und als Wiedereintrittskoordinaten einen Punkt innerhalb des
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Pash-Systems zu bestimmen.«
»Hier spricht der Patriarch«, antwortete Derbolav. »Habe verstanden. Deine Argumente sind stichhaltig - bis auf
eine Ausnahme. Warum sollen wir nicht nur die beiden Orientierungsmanöver im Blues-Gebiet fallenlassen,
sondern auch das außerhalb dem Blues-Gebietes?«
»Auf Grund der täglichen Informationen steht fest, daß im neutralisierten Gebiet zwischen menschlicher
Einflußsphäre und des Blues-Gebietes starke Raumstreitkräfte patrouillieren. Ich beziehe mich vor allem auf
Meldung vom 29. April 3432, ausgestrahlt vom Hypervideo Jaroslawl, dem geheimen Warnfunk der Nomaden,
in der berichtet wurde, das Nomadenschiff ATTILA sei bei einem Vorstoß ins Interessengebiet der Blues sowohl
von Raumschiffen der Zentralgalakti-schen Union als auch von den Terranerschiffen des Freihändlerkaisers
Agyris verfolgt worden. Die ATTILA entkam ihren Verfolgern nur, weil ein Flottenverband der Blues sich auf
die Verfolger stürzte und sie lange genug aufhielt. - Es ist also damit zu rechnen, daß auch die ROSSA OBERA
von Patrouillenschiffen geortet und verfolgt wird. Zumindest würde uns das zwingen, den Einflug ins Pash-
System auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.«
Derbolav de Grazia überlegte.
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir mit einem einzigen Linearmanöver unentdeckt das Pash-System
erreichen können?«
Wiederum kam die Antwort sofort. Für menschliche Sinne war die winzige Zeitspanne, in der der große
Schiffscomputer die Wahrscheinlichkeitsberechnung aufgestellt hatte, zu kurz, um bemerkt zu werden.
»Die Wahrscheinlichkeit beträgt neunundneunzig Komma neun-neunsieben Prozent.«
Juan de Mellone-Grazia lachte über die pedantische Genauigkeit des Computers, aber der Patriarch winkte
ärgerlich ab. Er wußte zwar, daß ein Computer von sich aus keinen Fehler machte, aber nicht immer besaß ein
Positronengehirn alle Fakten, um den menschlichen Gesprächspartner auf dessen eigene Fehler aufmerksam
machen zu können.
»Wir könnten also unentdeckt ins Pash-System einfliegen, wenn wir auf Orientierungsaustritte verzichten«,
memorierte er. »Aber wie ist es mit den Gefahren, die uns von der Raumstruktur aus drohen?«
»Das kommt auf den Einflugwinkel an«, antwortete der Computer. »Achtung! Ich werfe eine
Ultradiagrammkarte aus, auf der jene Punkte verzeichnet sind, von denen aus zu bestimmten Zeiten ein
risikofreier Nonstopflug ins Pash-System möglich ist.«
Das Ausgabegerät summte, dann fiel die drahtlos übermittelte Ultradiagrammkarte heraus.
Der Patriarch nahm sie auf und vertiefte sich in die Daten. Dann nickte er.
»Wir nehmen ZR-Eintauchpunkt drei, Chamal-Sektor, achtzehnter Mai, vier Uhr dreizehn-vierzig Standardzeit.
Danke, Ende.«
Er hob die Konferenzschaltung auf.
18. Mai 3432 Standardzeit . . . Derbolav de Grazia warf einen Blick auf die Leuchttafeln des Bordchronographen und sah, wie die Zeitanzeige auf 4.10.00 glitt. Die ROSSA OBERA fiel antriebslos auf einen unsichtbaren Koordinatenpunkt zu, den sie um genau 4.13.40 Uhr erreichen sollte. Zur Linken ballte sich in den Schirmen der Panoramagalerie ein selbstleuchtender Gasnebel. Die bizarren vielfarbigen Strukturen schienen erstarrt zu sein. In Wirklichkeit, wußte Derbolav, jagten sie mit größerer Geschwindigkeit als die ROSSA OBERA durchs All. Nur die große Entfernung täuschte das begrenzte Wahrnehmungsvermö gen des Menschen. Der Patriarch blickte zu den Steuerbordschirmen. Die karmesinrote Sonne war nur vier Millionen Kilometer entfernt. Deutlich waren auf der Oberfläche Gasausbrüche und Wirbelströme zu sehen. Über diesem Bildschirmsektor sah Derbolav eine weiße Sternenkugel, deren Licht in den Augen schmerzte; es war der kleinere Begleiter der karmesinroten Sonne. Für jeden Beobachter sah es so aus, als kreiste der weiße Zwergstern um den roten Riesen. Das war allerdings eine optische Täuschung; infolge seiner ungeheuren Dichte besaß der Zwergstern eine bedeutend größere Masse als der rote Riese. Beide Sterne kreisten um einen gemeinsamen Schwerpunkt, aber dieser Schwerpunkt befand sich im Innern des Zwergsterns. Die Auswertung der Massetaster war eindeutig. »Achtung!« erscholl die Stimme des Computers. »Linearraumeintritt in sechzig Sekunden!« Der Patriarch schreckte aus seinem Brüten auf. Innerhalb weniger Sekunden warf er die philosophischen Überlegungen ab wie eine schmutzige Hülle. Auf ihn und seine Männer warteten Taten, und Taten waren besser als Grübeleien. »Es geht los!« rief er über Interkom. »Drückt den Daumen, daß wir nicht in der Sonne Pash landen!« »Du hast vielleicht Humo r, Chef«, sagte Juan Mellone-Grazia sarkastisch. »Glaubst du etwa, deine Worte würden eine beruhigende Wirkung ausüben?« »Beruhigende . . . was?« Derbolav schüttelte den Kopf, während er sich anschnallte. »Warum sollte ich meine Männer beruhigen? Prospekt oren lieben die Gefahr.« Die Computerstimme war im ganzen Schiff zu hören und zählte mit monotoner Exaktheit die Sekunden ab. Aus dem Schiffsinnern drang bereits das dumpfe Tosen der Linearkonverter- Kraftwerke. Bei »null« schwoll das Tosen zu einem infernalischen Heulen an. Die selbstleuchtende Gaswolke, die Doppelsonne und alle Sterne des Normalraums verschwanden schlagartig, als die ROSSA OBERA vom vierdimensionalen Raum 11
Zeit-Kontinuum in die Zwischenzone »unterhalb« des fünfdimensionalen Hyperraums überwechselte. Danach sank
das grauenhafte Heulen zu einem satten gleichmäßigen Summen herab, das gleich wieder vom Raunen des
Linearantriebskonverters überlagert wurde.
Derbolav de Grazia schnallte sich los. Er ging hinüber zum Getränkeautomaten und füllte sich einen Becher mit
heißem starkem Kaffee. Er trank ihn aus. Dann legte er sich auf den Kontursessel, klappte ihn zurück und drückte den
Aktivierungsknopf der Schlafmaschine.
Die silbrig schimmernde Haube senkte sich von der Decke herab, legte sich um Derbolavs Schädel und vibrierte dabei
schwach. Derbolav warf noch einen Blick auf die Anzeigen des Autopiloten. Alles war in bester Ordnung. Er fühlte,
wie etwas prickelnd durch seine Kopfhaut drang, die Schädeldecke zu leichter Schwingung anregte und danach
plötzlich in seinem Bewußtsein war. Im nächsten Moment war er eingeschlafen.
Er erwachte, als die Haube der Schlafmaschine sich zurückzog und das Schrillen des Autopiloten ihn aus dem Schlaf
riß.
Derbolav fühlte sich herrlich ausgeruht und frisch.
»Achtung!« wiederholte der Autopilot. »Wiedereintritt in den Normalraum erfolgt in zehn Minuten.«
Derbolav reckte sich.
»Dann haben wir noch Zeit zu einem kleinen Imbiß.«
Neben ihm kam Juan Mellone-Grazia wieder zu sich. Auch er hatte sich in einen Schlaf versetzen lassen, dessen Tiefe
für den menschlichen Organismus am günstigsten war.
»Habe ich einen Traum gehabt!« sagte Juan gähnend und reckte sich. »Toll, sage ich dir, Chef! Ich habe eine
Fundstätte reinen Howalgoniums entdeckt.«
Derbolav de Grazia zuckte die Achseln, ging zum Thermoschrank und drückte die Wähltaste. Ein Spalt öffnete sich,
und ein flaches Tablett schob sich heraus. Der Patriarch kehrte zu seinem Platz zurück und widmete sich für kurze Zeit
ganz dem Essen: Schnitzel, grüne Bohnen, Kartoffelbrei und als Nachtisch Quarkspeise mit einer roten Vitaminsoße.
Alles sah recht natürlich aus, obwohl es ausnahmslos aus tiefgefrorenen und pulverisierten Nahrungsmitteln in der
Automatenküche zubereitet worden war. Auch im Geschmack unterschied es sich kaum von frisch Zubereitetem,
obwohl alle Raumfahrer es sich seit Jahrhunderten angewöhnt hatten, über ihre »aufbereiteten Konzentrate« zu
schimpfen und die frischen planetarischen Speisen in den Himmel zu heben.
Derbolav dachte augenblicklich nicht an solche Nebensächlichkeiten. Er aß schnell und ohne auf den Geschmack zu
achten. Die anderen Prospektoren folgten seinem Beispiel, sofern sie nicht bereits gegessen hatten.
Kaum hatte der Patriarch sein leeres Tablett in die dafür vorgesehene Öffnung im Sockel des Thermoschrankes
geschoben, da ertönte das nächste Warnsignal des Autopiloten.
Sechzig Sekunden bis zum Wiedereintritt in den Normalraum!
Als die Stimme die letzten zehn Sekunden herunterzählte, saßen alle Prospektoren wieder angeschnallt auf ihren
Plätzen und beobachteten die Anzeigen von Ortung, Maschinenkontrolle und Außenbeobachtung.
Der Übergang hatte viel Ähnlichkeit mit dem Flackern einer antiquierten Neonröhre: Auf den Panoramaschirmen
blendete das Bild des Linearraums ab - und praktisch im gleichen Augenblick erschien die Wiedergabe des
Normalraums.
Derbolav de Grazia sog hörbar die Luft ein.
Am oberen Rand des Frontschirmes stand die münzengroße Scheibe einer orangefarbenen Sonne. Darunter aber
breitete sich die schwach gekrümmte Horizontlinie eines sehr nahen Planeten aus, über dessen Oberfläche geisterhafte
Lichterscheinungen und farbig angestrahlte Wolken jagten.
Juan Mellone-Grazia beugte sich vor und griff nach dem Fahrthebel. Derbolavs Handbewegung hielt ihn davon ab, in
einer Panikreaktion von dem Planeten zu fliehen.
»Wir haben Zeit«, sagte der Patriarch beruhigend. »Maverick kann uns aus dieser Entfernung nichts anhaben.«
Juan blickte auf die Distanzanzeige.
»Fünfhundertachtzigtausend Kilometer . . .?« fragte er ungläubig. »Und ich fürchtete, wir stürzten bereits in die
Atmosphäre.«
Derbolav de Grazia schüttelte lächelnd den Kopf.
»Bring uns bitte bis auf hundertfünfzigtausend Kilometer heran und steuere die ROSSA OBERA in einen Orbit, Juan.«
Er schaltete den Interkom ein.
»Ich rufe die Fernmeßabteilung. Beginnt sofort mit der Untersuchung des Planeten. Verlaßt euch nicht auf die
Angaben in den alten Unterlagen. Mich interessiert vor allem die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre,
die darin ablaufenden Reaktionen und die Folgeerscheinungen der Konvektionsströme. Glaubt ihr, daß ihr einige
Sonden hinunterbringen könnt?«
Das Gesicht eines Mannes in Derbolavs Alter erschien auf dem Interkomschirm.
»Hier spricht Cerf Sindor, Chef. Keine unserer Sonden käme bis zur festen Kruste des Planeten. Der Luftdruck
würde sie in schätzungsweise zwanzig Kilometer Höhe zerquetschen, wenn sie nicht schon vorher infolge zu
großen Reibungswiderstandes verglühen. Dennoch empfehle ich den Abschuß vom mindestens zwölf Sonden.
Vielleicht bringt er uns wenigstens einige optische Eindrücke der festen Kruste. Vom Raum aus können wir
nämlich weder mit Infrarot noch mit den Tastern durchdringen.«
»Nicht einmal eine Elektronen-Reliefkarte könnt ihr bekommen, Cerf?«
»Das wird schwierig sein, Chef. Da unten toben Aschen- und Sandstürme. Riesige Wolken glühenden Gases und
sogar dünnflüssigen Magmas treiben hoch in der Atmosphäre.« Auf seinem schmalen Gesicht erschien ein
wissendes Lächeln. »Wie ich dich kenne, wird dich das nicht abhalten, dort hinunter zu gehen, Chef, was?«
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Derbolav grinste.
»Auf keinen Fall. Also gut, schickt zwölf Sonden hinunter. Legt die Bildübertragung in die Zentrale!«
Er schaltete den Interkom aus.
Als er sich wieder dem Frontschirm zuwandte, suchte er instinktiv Halt an den Seitenlehnen seines
Kontursessels. Juan Mellone-Grazia hatte die ROSSA OBERA inzwischen bis auf zweihunderttausend
Kilometer an den Riesenplaneten herangebracht und steuerte sie vorsichtig in den 150 000-Kilometer-Orbit.
Maverick füllte jetzt nicht nur den Frontschirm aus, sondern auch einen Teil der Top- und Subschirme. Gleich
einer unheimlichen Mauer ragte er vor dem kleinen Schiff auf.
Derbolav de Grazia lächelte über sein Erschrecken. Er aktivierte eine Sektorvergrößerung und brachte einen
rotgelben Fleck in der Planetenatmosphäre optisch auf eine Distanz von hundert Kilometern.
Unwillkürlich hielt er den Atem an, als er erkannte, woraus der Fleck bestand. Es handelte sich um eine Wolke
aus staubförmiger glühender Materie, die mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern
durch die Atmosphäre jagte. Minuten später geriet die Wolke in einen abwärts gerichteten Konvektions-strom,
formte sich zu einem trichterförmigen Gebilde und sank kreiselnd auf die Oberfläche zurück.
Der Patriarch schaltete die Vergrößerung aus. Nachdenklich starrte er vor sich hin. Ihm war bereits klar, daß er
mit der überholungsbedürftigen ROSSA OBERA niemals auf Maverick landen konnte. Das Schiff durfte sich
nicht einmal in die oberen Schichten der Atmosphäre wagen. Also blieben nur die HUS-Gleiter.
Offenbar hatte Juan die gleichen Gedanken gehabt wie Derbolav, denn er sagte unvermittelt:
»Hinunter kommen wir mit den HUS-Gleitern. Aber wieder herauf . . .?«
»Wenn wir heil unten ankommen, werden wir uns auch wieder von Maverick lösen können«, erwiderte Derbolav
de Grazia. »Notfalls müssen wir in den dünneren Luftschichten mit den Panzerrüstungen aussteigen und uns von
einem Traktorstrahl in die ROSSA OBERA holen lassen.«
Er stand auf.
»Aber darüber brauchen wir uns jetzt noch nicht die Köpfe zu zerbrechen. Das können wir tun, wenn wir unten
sind und unsere Mission beendet ist.«
Der Interkommelder summte, und Derbolav schaltete das Gerät ein.
»Sonden sind unterwegs, Chef«, meldete Cerf Sidor. »In wenigen Minuten erfolgt die Übertragung - wenn
überhaupt.« Er lächelte flüchtig. »Die ersten Meßergebnisse liegen vor. Ich verlese: Äquatordurchmesser: 198
327 Kilometer, Durchmesser von Pol zu Pol beträgt 184 256 Kilometer, siderische Rotation 20.10 Stunden,
Dichte 3,64, Masse l 891,35, Schwerkraft durchschnittlich 5,03 Gra-vos. Die Atmosphäre ist eine typische
Hochdruck-Gas-Atmosphäre; sie setzt sich vornehmlich aus Wasserstoff, Ammoniak und Methan zusammen.
Die Temperaturen über dem Boden ließen sich leider nicht ermitteln, Chef. Ich . . .«
Derbolav unterbrach ihn mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Wäre es möglich, daß der in den Unterlagen angegebene Wert von plus hundertachtundzwanzig Grad Celsius
für Bodennähe gilt?«
Cerf zuckte nur die Schultern.
»Wohl nur für wenige Gebiete des Planeten, Chef. Die Atmo sphäre ist ein brodelnder Hexenkessel. Wir haben
teilweise dreihun-dertvierzig, in größeren Höhen dann wieder minus neunzig Grad Celsius. Dort kommt es zur Bildung
von Ammoniakwolken, allerdings in etwas ungewöhnlicher Form. Diese >Wolken< sind in Wirklichkeit
Ammoniakseen, die in der Atmosphäre schwimmen, langsam absinken und dabei verdampfen.«
Cerf blickte zur Seite. Sein Gesicht leuchtete auf. Als er sich wieder dem Interkom zuwandte, lachte er lautlos.
»Chef, soeben haben wir Satans Nose angemessen! Genau auf der Äquatorlinie, wie Butsehs Unterlagen besagen.«
Derbolav de Grazia sprang unwillkürlich auf. Er hatte nicht damit gerechnet, den nadeiförmigen Gipfel der
Teufelsberge fast auf Anhieb zu finden. Nach den Unterlagen, die Pray Butseh ihm vor seinem Tode geschenkt hatte,
verlief der Nullmeridian des Planeten Maverick genau über dem 5 021 Meter hohen Gipfel des Satans Nose. Nun war
es nicht mehr schwer, das Ynkelonium-Bergwerk zu finden, denn seine Lage war mit elf Grad südlicher Breite und
vierundsechzig Grad westlicher Länge angegeben.
»Fein«, erwiderte er. »Versuche auch noch, den Magmasee anzumessen. Er müßte als l 800 Kilometer durchmessender
Infrarotfleck doch zu erkennen sein.«
»Wir sind dabei, Chef«, sagte Cerf Sidor. »Aber stell dir das nicht so einfach vor. Die Teufelsberge bestehen aus eine
Gruppe von neunundzwanzig aktiven Vulkanen. Auf den Infrarotortungsschirmen haben wir ein richtiges Feuerwerk
an Wärmestrahlung. -Moment, jetzt müßten die ersten Sonden in die Atmosphäre Mave-ricks eintauchen.«
Derbolav lehnte sich zurück, um die zwölf Monitore über seinem Kontrollpult sehen zu können. Bisher zeigten sie alle
nichts als ein verwaschenes flimmerndes Grau.
Plötzlich aber bildeten sich auf einem der Bildschirme die Umrisse einer Wolke ab. Das Gebilde war von
schwefelgelber Farbe und besaß eine Spiralstruktur, die es der eigenen Milchstraße, von »oben« besehen, ähnlich
machte. Nur rotierte diese Spirale bedeutend schneller. Von den Spiralarmen zuckten in kurzen Intervallen Blitze in
die Atmosphäre, wühlten die Gasmassen auf. Dann riß die Spiralwolke auseinander. Eine kilometerbreite Fontäne roter
Glut schoß empor, wurde größer und größer. Über den Monitor zuckte ein greller Blitz, die Bildscheibe wurde dunkel.
Nacheinander brachten die übrigen Sonden ähnliche Bilder herein. Doch keine erreichte die Oberfläche. Alle gaben
bereits in großer Höhe den Geist auf. Die Sonde, die am längsten arbeitete, zeigte einmal für Sekunden so etwas wie
eine graue Ebene mit unregelmäßigen schwarzen Flecken und kupferfarbenen Adern darin. Dann fiel auch sie aus.
»Wir haben eine Infrarotortung vorgenommen«, meldete sich Sidor nach einer Weile wieder. »In der Nähe der
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Teufelsberge gibt es nur einen großen Magmasee; er durchmißt jedoch nicht achtzehn-hundert, sondern
zweitausenddreihundert Kilometer.«
»Das muß der Höllensee sein!« rief der Patriarch. »Wahrscheinlich ist er gewachsen. Positionsdaten festhalten. Bei der
nächsten Umkreisung gehen wir hinunter.«
»Ich komme mir vor wie ein Eichhörnchen, das in zehntausend Metern Höhe aus einem Überschalljet springen soll«,
schimpfte Cerf Sidor, während er den HUS-Gleiter musterte.
Derbolav verzog das Gesicht zu einem freundlichen Grinsen.
»Du bist der Wahrheit näher als du ahnst, Cerv. Die HUS-Gleiter sind ausgesprochene Bodenfahrzeuge. Der Abstieg
zur Oberfläche Mavericks wird kein Vergnügen sein. Praktisch riskieren wir einen gebremsten Absturz, indem wir die
Antigravprojektoren hochschalten. Wie sich die Fahrzeuge dann in der dichten Atmosphäre manövrieren lassen
werden, ist mir vorerst noch ein Rätsel.«
Er seufzte.
Zwei der auf Angerook »organisierten« HUS-Gleiter wollte er ausschleusen und der Hochdruckatmosphäre
anvertrauen. Der dritte Gleiter sollte startbereit auf der ROSSA OBERA warten, um notfalls eine Rettungsaktion zu
unternehmen.
Insgesamt nahmen zwanzig Mann an dem Unternehmen teil; die übrigen zweiundvierzig blieben im Schiff zurück.
Derbolav schaltete seinen Armbandtelekom ein.
»Patriarch ruft Juan Mellone-Grazia. Wie lange noch?« Sein Ve tter Juan als Pilot und Erster Offizier der ROSSA
OBERA würde ihn vertreten, während er die Expedition führte.
»Eine halbe Stunde, Chef. Kommt ihr zurecht?«
»Keine Sorge, Juan.«
Der Patriarch unterbrach sich, als er sah, daß sein Raumpanzer mit einem Magnetkran gebracht wurde.
»Ich melde mich nachher wieder. Ende.«
Er hob die Hand, und der Magnetkran verhielt vor ihm. Die HU-Panzerrüstung hatte wenig Ähnlichkeit mit einem
Raumanzug. Sie glich eher einem ungefügen Arbeitsroboter - und dieser Vergleich kam der Wahrheit ziemlich nahe.
Hochdruck-Ultraschwerkraft -Pan-zerrüstungen waren mobile Arbeitseinheiten, die zur Ausführung von
Bewegungsabläufen lediglich der Impulsgebung durch den darin steckenden Menschen bedurften. Die
Muskelspannung von Armen und Beinen aktivierte elektronische Verstärker und Impulsleiter, die eine komplizierte
Servoautomatik steuerten.
Zwei stämmige Prospektoren halfen ihrem Patriarchen in das Gefängnis. Derbolav schwitzte, als er in seinem Gehäuse
hockte.
»Und dieses Folterwerkzeug kostet eine Million Solar!« schimpfte er, ohne zu bedenken, daß er die Million schließlich
nicht aufgebracht hatte.
Er wandte den Kopf und prüfte die Bild- und Tonübertragung von der Außenwelt. Sie war einwandfrei. Aber würde
sie das unter einem Druck von hunderten oder tausenden Atmosphären noch sein?
»Besatzungen beider HUS-Gleiter in den Rüstungen, Chef«, meldete Sidor über Hyperkom. Eine Telekomanlage wäre
auf Hochdruckplaneten nutzlos gewesen.
»Einsteigen und an die Plätze!« befahl Derbolav.
Er marschierte seinerseits auf die Einstiegsluke des HUS-Gleiters zu. Die Fortbewegung strengte ihn nicht mehr und
nicht weniger an als das Laufen in einer einfachen Bordkombination bei einem Gravo Schwerkraft; die Konstrukteure
der HU-Panzerrüstungen hatten dafür g esorgt, daß jeder menschliche Benutzer sich sofort zurechtfand und sich nicht
erst umstellen mußte.
Nacheinander nahmen die Prospektoren in ihren unförmigen Rüstungen in den beiden HUS-Gleitern Platz. Derbolav
de Grazia setzte sich in den Pilotensessel, d er Meßtechniker Sidor übernahm das Ortungspult.
Die schweren Katalyse-Fusionsmeiler arbeiteten bereits seit einer Stunde, wenn auch nur mit minimaler Leistung. Nun
schaltete Derbolav sie behutsam höher. Die Antigravprojektoren machten das Fahrzeug gewichtslos, obwohl seine
Masse natürlich erhalten blieb. Konvektionsfeldkissen hoben den Gleiter einen Meter vom Boden ab. Die
Pulsationstriebwerke und Impulsaggregate schwiegen vorläufig noch.
Derbolav de Grazia atmete auf, als er die Klarmeldung des zweiten
Gleiterpiloten erhielt. In etwa drei Minuten kam der Zeitpunkt des Ausschleusens.
Da meldete sich auch schon Juan Mellone-Grazia über Hyperkom.
»Chef, noch drei Minuten! Die ROSSA OBERA nähert sich den oberen Schichten der Atmosphäre. Am besten bremst
ihr s ofort mit maximalen Werten ab, damit ihr vom Schiff wegkommt. Ich werde stark beschleunigen müssen, um
nicht in die Atmosphäre zu stürzen.«
»Einverstanden, Juan. - Erlenmar, hast du alles mitbekommen?«
»Alles klar, Chef«, antwortete der Pilot des zweiten Gleiters.
»Schön! Also mit voller Kraft verzögern, dann Fall mit Triebwerken abbremsen und Antigravaggregate auf fünf
Gravos hochschalten. Ständiger Erfahrungsaustausch. Juan . . .!«
»Ja, Chef!«
»Mach's gut, alte Eule! Und drück uns die Daumen. Wenn alles klappt, sind wir bald die reichsten Prospektoren der
Galaxis. Wenn nicht, führe unsere Sippe gut!«
»Kommt gar nicht in Frage, Chef!« protestierte Juan Mellone-Grazia. »Du kommst gefälligst lebend zurück. Deine
Frau verprügelt mich, wenn ich sagen muß, ich hätte dich hier zurückgelassen.«
Derbolav lachte schallend. Die anderen Prospektoren fielen ein, soweit sie das Gespräch mitverfolgt hatten.
Schlagartig stieg das Stimmungsbarometer.
14
Die heitere Gelöstheit wich jedoch sofort wieder konzentrierter Aufmerksamkeit, als das Signal zum Ausschleusen
ertönte. Vor dem Gleiter öffnete sich das äußere Hangarschott und gab den Blick auf ein Chaos frei.
Derbolav de Grazia aktivierte das Hecktriebwerk. Zuerst langsam, dann immer schneller, schoß der Gleiter über den
Hangarboden in den Raum hinaus und vor dem Schiff her.
»Ausgezeichnet!« erscholl Jüans Stimme. »Und jetzt verzögern!«
Derbolav stellte das Hecktriebwerk ab und schaltete das Bugtriebwerk hoch. Die HHe-Meiler im Innern des Gleiters
gaben ein rasch anschwellendes Tosen von sich. Das Bugtriebwerk arbeitete mit voller Kapazität; es hatte schließlich
nicht nur die Beschleunigungswerte des Hecktriebwerks zu neutralisieren, sondern auch die Beschleunigung, die das
Fahrzeug vom Schiff mitbekommen hatte.
Der Patriarch beobachtete unablässig die Bildschirme der Außenbordbeobachtung und die Kontrollen. Soeben glitt die
Kugelzelle der ROSSA OBERA schemenhaft und nur noch handflächengroß über den Gleiter hinweg und verschwand.
Plötzlich war ein schwaches Winseln in der Kabine zu hören: Die Außenmikrophone übertrugen die Geräusche, die
durch die Reibung der oberen Luftschichten entstanden. Das Geräusch war nicht gleichmäßig, sondern schwoll einmal
an und sank dann wieder fast auf die Schwelle des Unhörbaren zurück, ein Zeichen dafür, daß die Turbulenz der
tieferen Schichten sich auch auf die Grenze zum freien Raum auswirkte.
Eine halbe Ewigkeit schien zu verstreichen, bis die Geschwindigkeit nur noch einen halben Kilometer pro Sekunde
betrug, die vom Schiffscomputer ausgerechnete Geschwindigkeit mit dem momentan geringsten Sicherheitsrisiko.
Derbolav schaltete die Antigravaggregate hoch. Der elektronische Anzeigebalken kroch langsam auf die Fünfermarke
zu; als er sie erreichte, fixierte der Patriarch die Einstellung.
Der HUS-Gleiter reagierte nicht sehr erfreulich auf die hohe Schwerkraftkompensation. Er schaukelte und drehte sich,
so daß die Gyrotrone und Korrekturdüsen fast unablässig arbeiteten. Unwillkürlich dachte de Grazia an seine letzte
Mahlzeit.
»Hallo, Erlenmar!« rief er, um sich abzulenken. »Was macht dein Schaukelpferd?«
Der Pilot des zweiten Gleiters murmelte etwas Unverständliches und schaltete seine Bilderfassung ein, so daß
Derbolav ihn auf seinem Hyperkomschirm sehen konnte.
»Entschuldigung, Chef«, meinte Erlenmar. »Ich führte gerade Selbstgespräche mit meinem Mittagessen. Schaukelt
dein Kahn auch so fürchterlich?«
Derbolav verzog das Gesicht.
»Nein, überhaupt nicht. Reden wir nicht mehr davon. Stärker beschleunigen dürfen wir jedenfalls nicht, sonst
verpassen wir das vorgesehene Landegebiet. Sobald wir tiefer sinken, wird es hoffentlich ruhiger werden.«
Er hatte es kaum ausgesprochen, als der Gleiter von einem unsichtbaren Heißluftgeiser getroffen wurde und zu
kreiseln begann. Als das Fahrzeug sich halbwegs beruhigte, stürzte es mit dem »Rük-ken« zuerst in die Atmosphäre
Mavericks. Derbolav geriet ins Schwitzen, während er den Gleiter um seine Längsachse drehte und gleichzeitig
versuchte, die Richtungsabweichung zu korrigieren. Der Sturz wurde stark verlangsamt.
Unterdessen übertrugen die Außenmikrophone kein an- und abschwellendes Winseln mehr, sondern ein ständig lauter
werdendes Jaulen, Pfeifen und Heulen. Sidor dämpfte die Lautstärke der Übertragung.
»Sechzig Kilometer Höhe«, murmelte der Patriarch zurück. »Hoffentlich stimmen die Berechnungen des Computers.
Wenn wir das Ziel um einige tausend Kilometer verfehlen, können wir uns totsuchen.«
»Sollten wir nicht die Sehutzschirme aktivieren, Chef?« fragte Cerf Sidor.
»Wozu?« fragte der Patriarch zurück. »Wenn die HUS-Gleiter nicht ohne Energieschirme halten, hätten wir das
Unternehmen gar nicht erst zu beginnen brauchen.«
»Hier Juan an Bord der ROSSA OBERA«, meldete sich Derbo-lavs Stellvertreter. »Wir haben euch aus der Ortung
verloren. Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Alles in bester Ordnung«, antwortete de Grazia. »Abstieg verläuft planmäßig und ohne nennenswerte Ereignisse.
Geschwindigkeit weiterhin abnehmend. Mit zeitweiligem Ausfall der Ortung ist zu rechnen. Wie geht es euch?«
»Gut, Chef. Ich bringe die ROSSA OBERA befehlsgemäß in einen stationären Orbit über der Satansnase.« Juan
räusperte sich. »Nach dieser Aktion sollten wir unbedingt unsere Schwerkraftneutralisatoren überholen lassen. Ihre
Leistung fiel vorhin ohne Ankündigung um fünfzig Prozent ab, so daß ich sofort mit der Beschleunigung
heruntergehen mußte. Die Selbstreparaturanlage funktioniert ohnehin nicht mehr.«
Derbolav de Grazia unterdrückte eine Verwünschung.
»Nach dieser Aktion werden wir Geld haben, und dann wird die ROSSA OBERA generalüberholt«, versprach er.
»Wenn wir damals nicht von diesem Dabrifa-Planeten verjagt worden wären, hätten wir die ROSSA OBERA
überholen lassen. Aber so . . .!«
Er schloß für einen Moment die Augen, als der Gleiter durch eine Glutwolke hindurchstieß. Aber es ging alles gut.
»Bis später, Juan!« rief er. »Wir kommen jetzt in etwas dickere Suppe hinein. Ende.«
Er preßte die Lippen zusammen, als die Terkonithülle des HUS-Gleiters in den Verbänden knisterte und knackte. Die
Giftatmo sphäre draußen hatte die Farbe oxydierten Bleis angenommen. Zwei Erschütterungen gingen durch den
Gleiter. Derbolav drosselte die Leistung des Pulsationstriebwerks.
»Hallo, Erlenmar!« rief er in die Aufnahmewand des Hyperkoms.
»Sei vorsichtig mit dem Pulsator. Wir hatten eben zwei Verpuffungen innerhalb der Felddüsen.«
»Wir schon drei, Chef«, gab Erlenmar zurück. In seinem Gesicht zuckte es, dann rief er: »Eben waren es vier. Ich
drossele die Leistung. Hoffentlich werden wir dadurch nicht zu stark abgetrieben. Was ist das eigentlich für eine
schwarze Wand vor uns?«
Der Patriarch blickte auf den Frontschirm. Seine Haare sträubten sich, als er das sah, was Erlenmar »schwarze Wand«
genannt hatte. Er überprüfte den künstlichen Horizont und merkte, daß das Gerät in Ideallage verklemmt war.
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»Bugtriebwerke an!« schrie er Erlenmar zu, während er bereits den Leistungshebel nach vorn schob. »Überprüfe deinen Horizont, mein Junge. Die >schwarze Wand< ist nichts anderes als die Oberfläche von Maverick, und eben sind wir noch mit dem Bug voran darauf zugerast.« Er geriet in Schweiß, als er mit allen Tricks darum kämpfte, den Gleiter wieder in Horizontallage zu bringen und einen zu harten Aufprall zu vermeiden. Doch anscheinend war die Katastrophe von der Natur des Planeten selbst verhindert worden; aufsteigende Kon-vektionsströme hatten den Fall des Gleiters verzögert. Endlich war es geschafft. Der Boden des Fahrzeugs stieß krachend gegen stahlharten Fels; die Landestützen knirschten verdächtig, als der Rumpf einige Male hin und her schaukelte. Dann lag der Gleiter fest. »Ihr seid fast an Ort und Stelle gelandet, Chef«, meldete Juan Mel-lone-Grazia von der ROSSA OBERA. »Ich empfange eure Peilzeichen klar und deutlich. Knapp fünfhundert Kilometerchen hat es euch abgetrieben.« »So!« machte Derbolav de Grazia trocken. »Fünfhundert Kilometerchen . . .« Er lachte kurz. »Du hast keine Ahnung, wie es hier aussieht, lieber Vetter. Die Atmosphäre hier unten ist unbeschreiblich. Von einem Gas im normalen Sinn kann man nicht mehr sprechen. Ich wette, wenn ich eine Motorsäge hätte, könnte ich die >Luft< in exakt quadratische Blöcke schneiden.« Er schabte nachdenklich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln an seinem Kinn. »Ich fürchte, ohne eure Hilfe werden wir nicht auskommen, Juan. Gib mir bitte die genaue Richtung zum Bergwerk an und kontrolliere laufend unsere Fortbewegung. Bei der geringsten Abweichung schreist du, klar?« »Klar, Chef. Achtung, hier sind die Angaben, die ihr braucht.« Derbolav hörte aufmerksam zu. Falls die Peilimpulse nicht verzerrt wurden, waren die beiden HUS-Gleiter ungefähr fünfhundert Kilometer nördlich der Position des Bergwerks gelandet. Zwischen ihnen und dem Ziel lagen drei flache Bergrücken, einige Glutseen, eine Schlucht von unbestimmbarer Tiefe und eine Ausbuchtung des großen Glutozeans, der ihnen als Geländemarke gedient hatte. Alles in allem keine unüberwindlichen Hindernisse. Es würde nur Zeit kosten - und vielleicht einige Umwege. »Hast du mitgehört, Erlenmar?« fragte er. Der Pilot des zweiten Gleiters bestätigte. »Gut!« sagte Derbolav. »Wir werden uns jetzt in Richtung Süden in Marsch setzen. Du hältst dich dicht hinter mir. Flughöhe nicht über ein Meter. Alles andere wird sich von Fall zu Fall ergeben.« Er schaltete die Energiekissen ein. Die Fusionsmeiler fuhren automatisch hoch, da sie sich nach der erforderlichen Leistung orientierten. Quälend langsam stieg der Gleiter, kämpfte sich zentimeterweise gegen einen ungeheuren Druck empor. »Hinunter ging es besser«, kommentierte Cerf Sidor ironisch. »Das kann man wohl sagen«, gab der Patriarch zurück. »Mit der Schwerkraft von Maverick wird dieser Gleiter spielend fertig; ich wollte, es gäbe auch ein wirksames Mittel gegen den Luftdruck.« Wenige Sekunden später tauchte vor dem Gleiter eine dunkelgraue Wand auf. Sie sah aus wie eine massive Mauer aus porösem Bauplastik. Derbolav überprüfte die Kontrollen. Die Mauer näherte sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als vierhundert Stundenkilometern, und das bei dieser unglaublich dichten Atmosphäre! »Sofort landen, Erlenmar!« schrie er. »Ein Staub- oder Sandsturm vor uns. Fest verankern und Schwerkraftneutralisatoren desaktivie-ren!« Er verringert die Leistung der Energieprallkissen. Augenblicklich sank der Gleiter zu Boden. Die Landestützen verankerten ihn und sicherten ihn gegen ein Umkippen. Unterdessen war die dunkelgraue Mauer näher gekommen. Derbolav de Grazia erkannte nun hellgraue Schleier, die ihr voraus wehten. Der Fuß der Sand- oder Staubmassen wanderte schneller. Offenbar holte die Schwerkraft des Planeten den Sand rasch wieder zurück, und die nachdrängenden Massen von oben zwangen die Basis dazu, nach vorn auszuweichen. Dadurch kam es zu dem Sturm. »Achtung, Männer!« rief er. »Ich schalte jetzt die Schwerkraftneutralisatoren langsam bis auf Null herunter. Bereitet euch auf die Tortur vor.« Er betätigte den Schwerkraftregler. Im gleichen Moment fühlte er, wie sich eine imaginäre Last auf ihn herabsenkte wie die Hand eines Riesen, die mehr und mehr zudrückte . . . Derbolav atmete keuchend. Vor seinen Augen kreisten farbige Ringe. Auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung sah er undeutlich, wie die Sohle des Sturms sich nach dem Gleiter ausstreckte. Dann wurde es dunkel. Das Fahrzeug schwankte, wurde emporgehoben, kreiselte und bewegte sich wie ein hilfloses Boot auf den Wogenkämmen eines aufgewühlten Ozeans. Plötzlich legten sich Tausende von Tonnen Sand und Staub von oben auf den Gleiter, warfen ihn zurück und auf die Oberfläche Mavericks. Die Erschütterung kam Derbolav so vor, als würden ihm sämtliche Knochen gebrochen. In diesem Augenblick war er heilfroh, daß er sich den Luxus größerer Beweglichkeit versagt und die ungefüge HUPanzerrüstung im Fahrzeug anbehalten hatte. Ohne deren Servoautomatik wäre es ihm nicht möglich gewesen, den Arm zu heben und die Schwerkraftneutralisatoren wieder hochzuschalten. Langsam wich der lastende Druck. Die Lungen konnten wieder normal atmen und bedurften nicht mehr der Unterstützung durch den Kompressor. Auch die Augen erholten sich wieder. Der Patriarch blickte in die Richtung, in die der Sandsturm gezogen war. Aber es war nur mehr eine wenige Meter hohe, schwach bewegte Masse zu sehen, die sich zusehends verdichtete, während Schwerkraft und Luftdruck sie endgültig besiegten. Möglicherweise verdichtete sich diese Masse zu stahlhartem Fels. Auf Jupiter-Riesen mit Hochdruckatmosphäre geschahen Dinge, die sich der menschliche Geist nur schwer vorzustellen vermochte. 16
Derbolav wandte den Blick von der zuckenden Masse ab. Er wölbte verwundert die Brauen, als er den zweiten Gleiter
wenige Meter neben sich sah.
»Hallo, Erlenmar!« rief er in den Hyperkom.
Erlenmars Gesicht tauchte auf dem Bildschirm auf. Die Strapazen hatten es bereits gezeichnet.
»Hallo, Chef!«
»Alles klar bei euch?« fragte Derbolav besorgt.
»Es geht. Zwei Mann sind bewußtlos. Offenbar sind wir noch einmal davongekommen.«
»Nun ja«, gab Derbolav de Grazia zu, »es war ein wenig hart, wie zu erwarten. Nur nicht aufgeben, Erlenmar. Wir
schaffen es schon. Ich rufe jetzt die ROSSA OBERA.«
Er stellte den Hypersender auf den Empfänger im Schiff ein. Die Signale rasten durch den Hyperraum, ohne von den
atmosphärischen Störungen behindert zu werden.
Aber die ROSSA OBERA meldete sich nicht.
Derbolav runzelte die Stirn.
Sollte etwas mit dem Schiff geschehen sein?
Doch das war praktisch unmöglich. Selbst wenn die meisten Reaktoren und Triebwerke ausgefallen waren - das Schiff
befand sich in einem stabilen Orbit; es brauchte keine Triebwerke, denn die Wirkung der Naturgesetze selbst hielt es
dort oben fest.
Unverhofft erhellte sich der Bildschirm. Juan Mellone-Grazia hatte noch kein Wort gesagt, da wußte Derbolav bereits,
daß etwas geschehen war, mit dem niemand gerechnet hatte.
»Accalauries . . .!« rief Juan schließlich.
4.
Derbolav de Grazia fühlte, wie auch die anderen zehn Männer in seinem Gleiter vor Schreck erstarrten. Accalauries . . .! Intelligente Lebewesen aus organischer Antimaterie! Die Gedanken vollführten einen ungeordneten Wirbel in Derbo-lavs Gehirn. Seit einiger Zeit schon beunruhigten seltsame Erscheinungen die galaktischen Zivilisationen: vier- bis fünftausend Meter durchmessende, blauweiß strahlende Kugeln, die einzeln oder in ganzen Verbänden überall auftauchten. Manchmal stießen sie in planetare Atmosphären vor; dabei kam es immer wieder zu grauenhaften Explosionen. Die Oberflächen ganzer Kontinente verbrannten, Ozeane kochten, Planetenkrusten barsten. Es hatte längere Zeit gedauert, bis man herausgefunden hatte, daß diese strahlenden Kugeln Raumschiffe vernunftbegabter Lebewesen waren und daß diese Lebewesen mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Antimaterie bestanden. Der Patriarch suchte in seinem Wissensschatz. Trafen Materie und Antimaterie zusammen, vernichteten sie sich gegenseitig, d.h., ihre Gesamtmasse verwandelte sich in Energie, wenn auch nicht hundertprozentig, wie früher oft angenommen wurde. Immerhin mag der Vergleich zwischen der Wirkung einer Transformbombe und einer Antimateriebombe der gleichen Masse Deuterium aufschlußreich genug sein: Gegen die Wirkung der Antimateriebombe war die der Transformbombe nur das Verpuffen eines halben Kilos feuchten Schwarzpulvers. Allerdings bestand kein Anlaß, den Accalauries - wer ihnen den Namen gegeben hatte, wußte Derbolav nicht Bösartigkeit zu unterstellen. Die Explosionen waren keine Aggressionsakte, sondern Unfälle, wenn auch mit katastrophalen Wirkungen. Hervorgerufen wurden die Unfälle, wenn die blauweiß strahlenden Schutzschirme aus neutralisierender Energie versagten. Noch niemand aber hatte bisher einen Accalaurie zu Gesicht bekommen. Niemand wußte, woher die Antimateriewesen kamen. Derbolav de Grazia entsann sich, in einem Buch gelesen zu haben, daß die einstige irdische Menschheit sich bis ins letzte Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Frage der Nutzung von Antimaterie befaßt hatte: zur Energieerzeugung, zum Antrieb von Raumschiffen und nicht zuletzt zur Herstellung von Vernichtungswaffen. Es sollte einige brauchbare Ansatzpunkte gegeben haben, bevor Perry Rhodan auf dem Erdmond mit arkonidischen Raumfahrern zusammengetroffen war. Die Arkoniden besaßen etwas, was die terranischen Wissenschaftler sich nicht einmal von der Verwertung der Antimaterie erhofft hatten: Raumschiffe mit Überlichtantrieb. Innerhalb weniger Jahre lernte die Menschheit um. Man vergaß die Forschungen über Antimaterie, denn die Technik der Arkoniden vermochte alles zu erzeugen, was der Mensch brauchte. Er benötigte die Antimaterie nicht mehr. Diese Gedanken wirbelten nur wenige Sekunden lang durch Der-bolavs Gehirn, während er verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, seine ROSSA OBERA zu retten. »Greifen sie euch an?« fragte er. Juan Mellone-Grazia wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Noch nicht, aber sie haben das Schiff praktisch umzingelt. Wir können nicht fliehen, wenn sie es nicht gestatten. Es sind dreißig Energieblasen.« Er sah einen Moment lang weg, dann stieß er in panischer Angst hervor: »Sie schließen dichter auf, Chef! Ich versuche, sie in der Atmo sphäre Mavericks abzuhängen!« 17
»Nein!« schrie Derbolav de Grazia. »Das wirst du nicht tun. Die ROSSA OBERA hält das nicht aus; ihr alle wärt
verloren. Hör zu, Juan . . .«
Er merkte, daß sein Stellvertreter abgeschaltet hatte. Derbolav schickte Alarmsignale zur ROSSA OBERA. Doch sein
Vetter meldete sich nicht mehr.
»Dieser Narr!« entfuhr es Derbolav. »Was er wagt, ist glatter Selbstmord. Die Accalauries greifen bestimmt nicht an,
wenn man sich passiv verhält.«
Er blickte wild auf die Topschirme, die die Außenwelt oberhalb des Gleiters zeigten.
Die Atmosphäre war undurchdringlich für die normalen Aufnahmegeräte. Temperatur und Druckunterschiede,
Gasreaktionen und Staub verzerrten das Sonnenlicht. Augenblicklich sah es so aus, als stünden drei flachgedrückte
Sonnen über dem Planeten; vorhin hatte Derbolav sogar fünf Sonnen gesehen.
Cerf stieß einen Fluch aus, als in der Atmosphäre ein kometengleiches Aufleuchten erschien. Einige Prospektoren
begannen zu beten. Derbolav de Grazia vermochte nur nach oben zu starren. Er hatte das Empfinden, als verwandle
sich sein Kopf in einen Eisblock.
Aus der kometenhaften Erscheinung lösten sich kleine Glutbälle und zerstoben. Der größte Teil des Raumschiffs
schien zusammenzuhalten, umgeben von ionisierten Gasmolekülen.
Derbolav schaltete die Energiekissen an und startete den Gleiter. Eine vage Hoffnung gaukelte ihm vor, er könne
einige seiner Leute aus den Trümmern retten. Mit erträglicher Beschleunigung steuerte er das Fahrzeug auf die
vermutliche Absturzstelle zu.
Der Pilot des zweiten Gleiters stellte keine überflüssigen Fragen. Er folgte dem Patriarchen unaufgefordert.
Nach zwanzig Minuten Fahrt gingen vor den beiden HUS-Gleitern schwarzverbrannte, ausgeglühte und seltsam
verdrehte kleinere Trümmerteile herunter. Sie segelten in der dichten bodennahen Atmosphäre sanft wie welke Blätter
auf einer terrestrischen Welt.
Die Gleiter hielten an.
Etwa zehn Minuten später kam etwas Großes, Dunkles aus dem Himmel geschwebt. Es drehte sich fortwährend und
sah deshalb einmal so aus wie ein verunglückter Pfannkuchen, ein andermal wie die unvollendete Plastik irgendeines
Idioten, der sich für einen Künstler hielt.
Hundert Meter vor Derbolavs Gleiter senkte es sich auf die stahlharte Oberfläche Marvericks herab - und zerbröckelte,
zerknitterte und platzte im Zeitlupentempo. Die Außenmikrophone übertrugen grauenhafte Geräusche.
Dann lag der schaurige Überrest eines Schiffswracks still.
Derbolav de Grazia setzte dreimal zum Sprechen an. Dreimal mußte er aufgeben. Beim viertenmal endlich gelang es.
»Wer mitkommen will«, sagte er rauh, »der soll sich mir anschließen. Ich sehe nach, ob dort noch jemand lebt.«
»Dort lebt keine Bakterie mehr, Chef«, bemerkte Cerf Sidor tonlos.
Derbolav sah ihn an, als wollte er ihn umbringen, dann zuckte er mit den Schultern.
»Es muß getan werden, Cerf.«
»Nein, Chef!« meldete sich der Pilot des zweiten Gleiters. »Wir müssen fliehen. Die Accalauries greifen an!«
»Was . . .?« schrie Derbolav.
Er legte den Kopf in den Nacken, als er jetzt ebenfalls die flak-kernde Helligkeit bemerkte. In den mittleren Schichten
der Atmo sphäre waren acht blauweiß strahlende Sonnen aufgegangen. Glutschweife hinter sich schleppend, stießen sie
tiefer. Soeben erschien ein neuntes Licht, ein zehntes und elftes . . .
Der Patriarch preßte die Lippen zusammen.
Hatten nicht alle Beobachter von Accalauries immer berichtet, die Schiffe der Antimateriewesen würden nur äußerst
vorsichtig in Planetenatmosphären eindringen? Das war auch leicht einzusehen, denn je schneller sie flogen, mit um so
mehr Normalmaterieteilchen stießen sie zusammen.
Diese hier aber stürzten sich mit selbstmörderischer Kühnheit in die Extrematmosphäre eines Hochdruckplaneten.
Derbolav dachte an die Wirkung einer Antimaterie-Materie-Explosion.
»Umkehren!« befahl er entschlossen. »Wir müssen versuchen, uns im Ynkelonium-Bergwerk zu verstecken. Nur die
Pulsationstrieb-werke benutzen; Impulsemissionen lassen sich zu leicht anmessen!«
Er wendete den Gleiter auf der Stelle, schaltete das Pulsations-triebwerk hoch. Das Fahrzeug schwankte auf seinen
Energiekissen, dann kämpfte es sich durch die Atmosphäre.
Alarmiert blickte Derbolav de Grazia auf seine Kontrollen, als der Gleiter einen Satz nach vorn machte und der Bug
sich neigte. Doch die starken Antigravprojektoren arbeiteten einwandfrei.
»Der Boden bricht auf, Chef«, sagte Cerf Sidor gelassen und deutete auf den Subbeobachtungsschirm.
Derbolav beschleunigte stärker, bevor er einen Blick darauf warf. Unwillkürlich richteten sich seine Nackenhaare auf,
obwohl beide Gleiter die Gefahrenzone bereits wieder verließen.
Hinter ihnen wölbte sich der bisher starre Boden ruckweise um einige Meter, bildete eine Beule von einem Kilometer
Durchmesser. Risse überzogen das Gebilde; aus ihnen quoll gelbrotes Magma in kleinen Schüben. Es sah aus, als
wälzten sich Hunderte von glühenden Schlangen aus einer heißen Herdplatte.
»Ein Vulkanausbruch a la Maverick!« rief Erlenmar über die Hy-perkom Verbindung.
Der Patriarch nickte.
Fasziniert beobachtete er das Naturschauspiel. Die glühenden Magmawülste mußten unter kaum vorstellbarem
Innendruck stehen, sonst hätten sie sich niemals gegen den Außendruck durchsetzen können. Allmählich flössen sie zu
einem blasenwerfenden Glutsee zusammen, während der aufgebrochene Boden zurücksank und eine Mulde bildete.
»Was machen die Accalauries?« fragte Derbolav Sidor.
»Sie scheinen etwas zu suchen«, antwortete der Meßtechniker. »Zwei stehen unbeweglich über der Absturzstelle des
Schiffes, drei haben uns auf Parallelkurs mit großem Abstand überholt, eine Energieblase kommt hinter uns auf einer
18
Spiralbahn herab. Von den übrigen Accalauries ist nichts mehr zu sehen.«
»Sie haben uns offenbar nicht bemerkt«, sinnierte Derbolav. »Das ist gut.«
»Du vergißt etwas, Chef«, wandte Sidor ein. Es klang ziemlich kläglich. »Selbst wenn wir den Accalauries
entkommen, mit den Gleitern können wir Maverick nicht mehr verlassen.«
»Nur nicht nervös werden«, gab der Patriarch zurück. »Es gibt immer einen Ausweg - und wenn nicht . . .«Er zuckte
die Schultern.
»Ein Prospektor balanciert stets auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod.«
Vor den Gleitern tauchte ein Glutozean auf. Seine Oberfläche bewegte sich kaum merklich.
»Ich denke, wir können es riskieren«, murmelte Derbolav de Gra-zia und steuerte den Gleiter direkt über den Ozean.
Cerf Sidor sog scharf die Luft ein, doch alles ging gut. Die Energiekissen glitten sanft und doch kraftvoll über die Glut
hinweg. Einige hundert Meter weiter rechts gab es einige grelle Explosionen. Sie fanden wenige Meter über dem
Glutmeer statt; ihre Ursache war nicht zu erkennen.
»Was explodiert dort?« fragte de Grazia den Meßtechniker ungehalten. »Na los schon! Du wirst doch deine
Instrumente ablesen können.«
Sidor zuckte zusammen, las aber gehorsam die Instrumente ab.
»Knallgas, Chef«, berichtete er. »Ab und zu steigen offenbar Sauerstoffblasen aus dem Magma, vermischen sich mit
dem Wasserstoff der Atmosphäre zu Knallgas, das von der Hitzestrahlung der Glut zur Explosion gebracht wird.«
»Verrückt!« entfuhr es Derbolav.
Er atmete auf, als der Glutozean hinter ihnen zurückblieb. Dafür tauchte nach wenigen Kilometern eine tiefe Schlucht
auf. Die andere Seite war ungefähr dreihundert Meter entfernt.
Die Gleiter hielten an.
»Was nun?« fragte Erlenmar. »Wir kommen nicht hinüber. Zwar können wir bei diesem Luftdruck nicht abstürzen,
aber wir würden an Höhe verlieren.«
»Reden wir nicht lange darum herum«, meinte Derbolav de Grazia. »Es gibt eine Möglichkeit. Wir müssen die
Impulstriebwerke einsetzen und nach genügendem Anlauf hinüber fliegen.«
»Und wenn die Accalauries die Energieemissionen anmessen?« fragte Erlenmar zurück.
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Nein.«
»Also . . .!« sagte Derbolav. »Tausend Meter zurück. Maximalbeschleunigung mit Impulstriebwerken, ganz leicht
hochziehen und hinüber!«
Er steuerte seinen Gleiter zurück. Der zweite Gleiter folgte. Erlenmar schwieg. Gegen einen Befehl des Sippenchefs
gab es keine Auflehnung, vor allem dann nicht, wenn er so sinnvoll war wie dieser.
Einen Kilometer vor der Schlucht hielten die Fahrzeuge an. Sie standen mit hundert Metern Abstand nebeneinander.
Ihre Impuls triebwerke im Heck dröhnten auf. Die Reaktion zwischen den sonnenheißen Impulswellenbündeln und der
Hochdruckatmosphäre hätte auf die meisten Menschen beängstigend gewirkt. Die Prospektoren waren einiges
gewöhnt. Sie lauschten nur aufmerksamer als sonst den Geräuschen, um verdächtige Töne sofort zu erkennen.
»Fertig - los!« befahl de Grazia.
Die HUS-Gleiter verwandelten sich in zwei kometenähnliche Gebilde, die allerdings nicht an die Geschwindigkeit von
Kometen herankamen. Auf dem Grunde dieses extrem dichten Luftozeans waren fünfzehn Stundenkilometer schon
eine halsbrecherische Ge schwindigkeit. Die Fahrzeuge rüttelten und vibrierten; vor ihnen staute sich die Luft, bildete
Kriechwirbel und seltsame Wellen. Hundert Meter vor dem Rand der Schlucht aktivierten die Piloten die unter dem
Vorderteil der Fahrzeuge angebrachten Steuerdüsen. Mit wenig mehr als einem Winkelgrad Steigung ging es über die
Schlucht. Der Rand kam immer näher - und dann waren die Gleiter drüben.
»Nun, Erlenmar, was sagst du jetzt?« fragte de Grazia.
Erlenmar schwieg. Dafür sprach Sidor.
»Jetzt haben sie uns bemerkt«, stellte der Meßtechniker lakonisch fest. »Ich sehe zwölf Leuchterscheinungen hinter
uns; sie verfolgen uns ziemlich zielstrebig.« Er blickte Derbolav an. »Irrtum ausgeschlossen, Chef. Was nun?«
Die Impulstriebwerke waren wieder abgeschaltet worden. Dennoch wußte der Patriarch, daß die Gleiter, einmal von
der Ortung erfaßt, im freien Gelände auch so nicht mehr zu verfehlen waren.
Der Pilot des zweiten Gleiters kam anscheinend auf die gleichen Gedanken, denn er schlug vor, in die Schlucht
einzutauchen und ein Versteck zu suchen.
Derbolav de Grazia schüttelte den Kopf.
»Nein, wenn wir jetzt von ihren Ortungsgeräten verschwinden, dann wissen sie, daß wir nur in der Schlucht sein
können. Jetzt gibt es nur eines: Wir fliehen geradeaus weiter. Das Bergwerk kann schließlich nicht mehr als zehn oder
fünfzehn Kilometer entfernt sein. Dort finden wir Verstecke genug.«
Er aktivierte das Pulsationstriebwerk.
Nach anderthalb Stunden hatten die Accalauries bis auf drei Kilometer aufgeschlossen. Als gigantische Feuerbälle
schwebten sie hinter den beiden Gleitern her. Sie kamen vorerst nicht näher, doch auch so wirkten sie furchteinflößend
genug.
Endlich tauchte vor den Gleitern der große Glutozean auf, in dessen Nähe sich das Bergwerk befinden sollte.
Derbolav zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, als er das brodelnde, kochende Magma sah. Das hier
war nicht nur ein Magmasee, sondern ein richtiger Ozean, gefüllt mit Millionen und aber Millionen Tonnen
dünnflüssiger überschwerer Materie. Trotz der darüber lastenden Luftsäule sprangen hin und wieder Glutpfropfen
Hunderte von Metern empor.
Sekundenlang überlegte de Grazia, ob er nicht lieber anhalten und auf die Friedfertigkeit der Accalauries vertrauen
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sollte. Er entschied sich dagegen, nachdem er noch einen Blick zurückgeworfen hatte.
Vorsichtig steuerte er den Gleiter auf den Glutozean hinaus . . .
An einem anderen Ort, in einer anderen Zeit... Im Hauptquartier der Solaren Flotte herrschte Hochbetrieb. Zahlreiche
videoplastische Projektionen der Galaxis schimmerten in zahlreichen Sälen des unterirdischen Bunkersystems. Die
größte Projektion schwebte im Innern des Informations-Koordinators, eines gigantischen Positro nengehirns, dessen
Zellplasma-Partner mehrere Tonnen Masse besaß. Dieses Doppelgehirn befand sich in einer Wabenzelle von
Kugelschalenform. Die Kugel durchmaß knapp vier Kilometer; allerdings enthielt sie einen Hohlraum von drei
Kilometern Durchmesser, und in ihm schwebte die videoplastische Großprojektion der Galaxis.
Die beiden Männer, die sich die Großprojektion der Galaxis ausschnittweise ansahen, befanden sich nicht im
Hohlraum des Koordi-nators. Dort hatte außer der Projektion nichts mehr Platz.
Perry Rhodan, Großadministrator des Solaren Imperiums, und Solarmarschall Julian Tifflor, Stellvertretender
Oberbefehlshaber der Heimatflotte, saßen in bequemen Schalensesseln und sahen sich die Ausschnittübertragungen in
einem 3-D-Würfel an.
Soeben wechselte die Übertragung. Der Ausschnitt eines anderen galaktischen Sektors erschien.
»Sektor Blau-Gamma-drei-fünf-sieben-eins Eastside«, meldete der Koordinator mit angenehm klingender Stimme.
»Hier wurden heute die bisher stärksten Konzentrationen von Raumschiffen der Accalauries beobachtet. Der Leichte
Kreuzer ALTHIOPIA, Kommandant Major Hrudin, ortete einen Verband von dreißig Accalaurieschiffen im Anflug
auf die Sonne Pash. Er konnte unbemerkt näher herangehen und stellte fest, daß sämtliche dreißig Schiffe in die
Atmosphäre des Hochdruckplaneten Maverick eintauchten.« Rhodan wechselte einen kurzen Blick mit Tifflor, dann
fragte er:
»Das Pash-System liegt im Interessengebiet der Blues . . .?«
»Ja«, antwortete der Koordinator. »Sie wollten eigentlich fragen, warum zumindest der Hochdruckplanet einen
eindeutig anglo -terra -nischen Namen hat?«
»Stimmt.« Perry Rhodan schmunzelte.
»Das Pash-System wurde von dem Privatforscher Urdamar Simmerich Pash entdeckt und benannt, als dieser Sektor
noch nicht von den Blues beansprucht wurde. Urdamar S. Pash war ein typischer Einzelgänger, deshalb fühlte er sich
dem Riesenplaneten besonders verbunden, da dieser ganz allein seine Sonne umkreist. Aus diesem Grunde nannte er
ihn >Maverickherrenloses, als Einzelgänger lebendes Wild pferdLeute< ausschleusen, unser Vorsprung ist zu groß für sie.«
»Das denke ich auch«, warf Derbolav ein.
Der Gleiter erreichte das Ende des Hanges. Vor seinem Bug lag eine Mulde, zwar nur ungefähr zwanzig Meter
tief, aber auf Maverick war ein solcher Höhenunterschied schon bedeutend. Die Mulde durchmaß nach Pray
Butsehs Angaben vierundfünfzig Kilometer. So weit reichte natürlich die Sicht in dieser Atmosphäre nicht. Doch
sie reichte immerhin weit genug, um die zahlreichen Stollen- und Schachtmündungen am Rand und auf dem
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Boden der Mulde erkennen zu lassen.
Nachdem das ohrenbetäubende Gebrüll der Projektoren verhallt war, sagte Derbolav de Grazia:
»Es kommt für uns darauf an, so viel Planetenkruste wie möglich zwischen uns und die Accalauries zu legen.
Auch die Antimateriewesen werden keine Ortungstaster besit zen, mit denen sie die Hochdruckkruste von
Maverick durchdringen könnten. Wir nehmen also die senkrecht verlaufenden Schächte am Boden der Mulde.
Erlenmar, ich fahre voraus. Du wartest, bis mein Gleiter in einem Schacht verschwunden ist, dann wählst du
einen beliebigen anderen Schacht. Irgendwo auf der untersten Sohle des Bergwerks werden wir uns wieder
treffen. Ich glaube nicht, daß wir während des Abstiegs Verbindung halten können.«
»In Ordnung, Chef«, erwiderte der Pilot des zweiten Gleiters.
Der Patriarch war unterdessen zu einem der Schachteingänge gekommen. Früher einmal, als das Bergwerk noch
in Betrieb gewesen war, mußte der Schacht durch eine Energieglocke gegen die Außenwelt abgeschirmt
gewesen sein. Anders ließ sich nicht erklä ren, warum das Verkleidungsmaterial von der zersetzenden Hoch
druckatmosphäre inzwischen zum größten Teil zerstört worden war.
Derbolav de Grazia balancierte den HUS-Gleiter absolut genau aus. Erst dann steuerte er ihn über den Schacht.
»Vierhundert Meter, Chef«, meldete Sidor. »Durchmesser acht-unddreißig Meter.«
Derbolav antwortete nicht. Seine Sinne waren bis aufs äußerste angespannt. Er konzentrierte sich ausschließlich
darauf, den Gleiter in Horizontallage zu halten. Sobald das Fahrzeug auch nur um wenige Winkelgrade davon
abwich, würde es mit großer Wahrscheinlichkeit abstürzen. In dem Schacht war kein Platz für stabilisierende
Flugmanöver.
An den Schachtwänden ballten sich Gaskonzentrationen: Hochdruckammoniakgas hatte die Schachtverkleidung
aufgelöst und war eine chemische Verbindung mit ihr eingegangen. Woraus die Endsubstanz bestand, würde
wahrscheinlich nur ein Stab von Spezialisten herausfinden. Cerf Sidor arbeitete dennoch am Analysator.
Endlich setzte das Fahrzeug auf dem Boden auf. Der Patriarch nahm die Hände von der Steuerung und wischte
sich den Schweiß aus den Augen.
»Soll ich dich für einige Zeit ablösen, Chef?« fragte Sidor.
Derbolav schüttelte den Kopf.
»Nein, nein! Du würdest uns alle umbringen. Nichts für ungut, Cerf, aber hier kommt es auf Millimeterarbeit an
- und ich habe mich inzwischen mit der Steuerung recht gut vertraut gemacht.«
Er startete den Gleiter erneut und steuerte ihn aus dem Bereich des Schachtes hinaus. Wenige Minuten später
leuchteten zur Linken starke Scheinwerfer auf, kamen näher und hielten kurz darauf an.
Erlenmars Gesicht erschien auf dem Hyperkomschirm.
»Alles klar, Chef?«
Derbolav atmete auf.
»Bis jetzt schon, Erlenmar. In meiner Richtung habe ich einen Seitenstollen gesehen. Wir werden ihn benutzen,
damit die Accalauries uns nicht durch die Vertikalschächte orten können.«
Er beschleunigte.
Der Seitenstollen war schnell erreicht. Er führte etwa hundert Meter geradeaus, bog dann leicht nach rechts ab
und neigte sich um ungefähr fünf Grad.
Nach anderthalb Stunden zügiger Fahrt fuhren die Gleiter in eine rechteckige, quer zum Stollen gestreckte Halle
ein. Von ihr führten breite Stollen nach rechts und links. Doch die Prospektoren beachteten sie vorläufig nicht.
Wie gebannt starrten sie durch ein riesiges Tor in eine große Halle mit Förderschächten, Fördermaschinen und
der Plattform eines stillgelegten Transmitters.
»Die Schächte sind groß genug . . .«, flüsterte Erlenmar.
Derbolav de Grazia nickte. Er wußte, was Erlenmar ausgesprochen hatte. Wenn sie einen der Förderschächte mit
den Gleitern benutzten, mußten sie zu den Abbaustellen des Ynkelonium-Erzes kommen.
»Wir probieren es!« rief er.
Vorsichtig steuerte er den Gleiter über einen Schacht und verringerte allmählich die Leistungsabgabe der
Antischwerkrafterzeuger. Der zweite Gleiter folgte in großem Abstand.
Nach hundert Metern erreichten sie die erste Sohle. Derbolav steuerte sein Fahrzeug in das horizontal
verlaufende Flöz. Es war so breit, daß selbst zwei HUS-Gleiter nebeneinander Platz gehabt hätten. Der Quer
schnitt des Stollens war rechteckig. Zwei von Ammoniakgasen halb zersetzte Energieschienen lagen am Boden
des Flözes verankert. Die Scheinwerfer des Gleiters huschten über die schwarzbraunen Wände.
Mit einem Mal deutete Cerf Sidor aufgeregt nach vorn.
»Dort! Seht doch! Chef, Ynkelonium-Erz!«
Derbolavs Blicke folgten der ausgestreckten Hand. Die Augen des Patriarchen glitzerten, als er das rubinrote
Schimmern und Funkeln der Wände bemerkte. Je weiter sie in das Flöz fuhren, desto stärker waren die Wände
mit dem kostbaren Mineral besetzt. Die Mannschaften beider Gleiter machten sich gegenseitig durch Zurufe auf
die optischen Eigenschaften des Ynkelonium-Erzes aufmerksam.
Nur Sidor beschäftigte sich mit anderen Dingen. Er arbeitete verbissen an seinem Multi-Analysator, verglich
verschiedene Werte und murmelte vor sich hin.
Als Derbolav de Grazia es bemerkte, stieß er dem Meßtechniker freundschaftlich in die Seite.
»Vor lauter Zahlen übersiehst du die wahren Wunder der Natur, Cerf!« rief er.
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Sidor blickte ihn an, verständnislos, geistesabwesend. Derbolav wurde nachdenklich. »Was gibt es, Cerf? Hast du etwas gefunden?« »Ja«, sagte Cerf. Plötzlich lachte er. »Keine Sorge, Chef. Es ist nichts Unangenehmes. Im Gegenteil. Das rubinrot schimmernde Material ist überhaupt kein mineralisches Erz, sondern das Metall Ynkelonium in der reinsten Form!« »Was!« entfuhr es dem Patriarchen. »Aber Butseh sprach von dem Mineral Ynkelonium-Erz!« Cerf Sidor nickte schmunzelnd. »Allerdings. Nur kommt das Ynkelonium-Erz praktisch auf dem ganzen Planeten Maverick vor, sogar an der Oberfläche. Ich habe die jetzigen Aufzeichnungen mit denen verglichen, die der Molekül-schwingungsResonator seit unserer Landung angefertigt hat: Fast lückenlos sind Molekülschwingungen von Ynkelonium-Erz aufgenommen worden.« Erlenmar, der über Hyperkom mitgehört hatte, atmete geräuschvoll ein. »Dann besteht ja ein großer Teil der Planetenkruste aus Ynkelonium-Erz, Chef!« »Allerdings«, erwiderte Derbolav sinnend. »Nun ahne ich auch, was die Accalauries hier suchen und weshalb sie sich ausgerechnet auf dieser Hochdruckwelt mit ungewöhnlicher Sorglosigkeit bewegen: Sie sind ebenfalls hinter dem Ynkelonium her!« Eine Weile blieb alles still. Dann fragte Erlenmar zögernd: »Das klingt einleuchtend, Chef. Aber was, bei allen Berggeistern, könnten Wesen aus Antimaterie mit Ynkelonium anfangen?« Derbolav de Grazia lächelte. »Du weißt sicher ebenfalls, daß ein aus Antimaterie aufgebautes Element nur mit dem genau entsprechenden Element aus Normalmaterie explosiv reagieren kann, nicht wahr?« »Selbstverständlich, Chef. Ein Prospektor, der davon nie gehört hat, den . . .« »Schon gut, Erlenmar. Nun gehört Ynkelonium zweifellos zu den Elementen der Hochdruckreihe, auch periodisch überwertige Hochdruckthermoelemente von großer Stabilität genannt. Derartige Elemente entstehen nur im unzugänglichen Magmakern von Jupiter-Überriesen, deren Bedingungen in keinem Labor nachgeahmt werden können. Ich vermute, daß es dort, wo die Accalauries herkommen, kein Antielement gibt, das genau dem Maverick-Ynkelonium entspricht.« »Ich verstehe«, sagte Erlenmar tonlos. »Phantastisch!« rief Sidor. »Die Wahrscheinlichkeit spricht für deine Hypothese, Chef. Ich möchte übrigens eine weitere Hypothese hinzufügen. Wir alle wundern uns darüber, daß die Schiffe der Accalauries sich so sorglos innerhalb der Maverick-Atmosphäre bewegen. Dabei kann es dort bestenfalls Spuren von Ynkelonium geben. Da dennoch bisher kein Unfall passiert ist, muß Ynkelonium also selbst in geringster Menge als Neutralisator gegen die Vernichtungsreaktion von Materie und Antimaterie wirken . . .« Bevor die Prospektoren in den Gleitern erneut in Jubel ausbrechen konnten, sagte Derbolav warnend: »Freut euch bitte nicht zu früh. Wir haben zwar einen Schatz von unvorstellbarem Wert gefunden, aber die Accalauries werden ihn uns streitig machen. Es kommt also darauf an . . .« Er verstummte und lauschte. Von irgendwoher drang dumpfes Poltern durch die Außenmikrophone der Gleiter. Eine schwache Explosion folgte. Dann war es wieder still. »Die Accalauries kommen«, flüsterte jemand. »Herhören!« rief de Grazia. »Es besteht kein Grund zur Panik. Die Accalauries haben uns bisher nicht angegriffen, sondern höchstens belästigt. Wir werden uns auf die tiefste Sohle des Bergwerks zurückziehen und in einem Stollen verkriechen. Von dort aus können wir dann mit HU-Panzerrüstungen beobachten, was die Accalauries unternehmen.« Niemand widersprach. Die Gleiter fuhren zu dem Förderschacht zurück, durch den sie hereingekommen waren. Vorsichtig glitten sie anschließend tiefer. Derbolav fragte sich, ob die Energieerzeuger und Projektoren der Antigravschächte noch einsatzbereit waren. Das würde ihnen in der Zukunft eine Menge Investitionen ersparen. Eine weitere wichtige Frage war die, wie sie mit den beiden weitreichenden Hypersendern Hilfe herbeiholen konnten, ohne dabei ihr Geheimnis zu verraten. Soviel er wußte, trieben sich ständig Raumschiffe der Wroxlaw-Sippe und der Pfitzner-Sippe in diesem verlassenen Grenzsektor der Blues herum. Da die Grazia-Sippe ohnehin finanzkräftige Partner benötigte, um das Ynkelonium auszubeuten, durfte man es also darauf ankommen lassen, daß der Hyperkomspruch von Wroxlaw oder Pfitzner-Schiffen gehört wurde. Die Patriarchen beider Sippen waren zwar Gauner, aber als Partner von unschätzbarem Wert. Er lächelte vor sich hin. Im nächsten Moment konzentrierte er sich wieder ganz auf die Steuerung des Gleiters. Die unterste Sohle des Bergwerks war erreicht. Hier weitete sich der Schacht zu einer scheibenförmigen Halle von etwa drei Kilometern Durchmesser und fünfzig Metern Höhe. Durch den Hallenboden zogen sich V-förmige breite Kanäle, künstliche Schluchten von zehn bis dreißig Metern Tiefe, in denen breite Ströme dünnflüssigen Magmas 23
flössen. Sie verstrahlten eine fürchterliche Hitze. Die Außendetektoren maßen 1800 Grad Celsius.
Der Patriarch beschleunigte leicht, um die Stabilität seines Gleiters zu erhöhen. Beinahe zu spät merkte er, daß
ein ständiger starker Luftsog zu den Glutkanälen herrschte, wo die Luft aufgeheizt und nach oben gerissen
wurde.
Im letzten Moment gelang es ihm, aus dem Sog zu entkommen.
Als er dem Piloten des zweiten Gleiters eine Warnung zuschreien wollte, war es bereits zu spät.
Erlenmar hatte vielleicht nur eine Sekunde später reagiert als sein Patriarch. Diese Sekunde entschied über sein
Schicksal und das seiner neun Begleiter.
Fassungslos vor Entsetzen mußten Derbolav de Grazia und die Besatzung seines Gleiters mit ansehen, wie der
zweite Gleiter vom Sog erfaßt und über einen tiefen Magmakanal gerissen wurde. Auch Erlenmar beschleunigte,
um der Gefahr zu entkommen. Doch als sein Fahrzeug über der Glut aus dem Gleichgewicht geriet und nach vorn
kippte, drückte der Schub der Hecktriebwerke es naturgemäß nach unten. Aus dem Hyperkomempfänger scholl ein
heiserer Schrei, als der Gleiter in der Glut versank.
Ein, zwei Sekunden lang vermochte Derbolav sich nicht zu bewegen. Dann handelte er rein mechanisch, unter
Ausschaltung bewußten Denkens. Er aktivierte die Impulstriebwerke im Heck seines Gleiters und schaltete sie hoch.
Das Fahrzeug schoß vorwärts, in einen breiten Stollen mit irisierenden Wänden hinein.
Weiter! Nur weiter!
Niemand sprach ein Wort. Alle Prospektoren hatten begriffen, warum ihr Patriarch den Unfallort fluchtartig verlassen
hatte.
Etwa fünfzehn Sekunden mochten vergangen sein, als die Mündung des Stollens hinter ihnen sich in eine blauweiße
Sonnenscheibe verwandelte.
Kurz darauf raste ein Glutorkan heran, schob den Gleiter vorwärts und erhitzte die Oberfläche der Terkonitpanzerung
zu Rotglut.
Derbolav wartete, bis der Sturm vorbeigetobt war, dann landete er das Fahrzeug. Die Stützen verankerten sich fest.
Erst jetzt bemerkten die Prospektoren, daß der Boden nicht stillstand, sondern sich wellenförmig bewegte.
»Nicht den Kopf verlieren!« mahnte der Patriarch. »Die Trauer um unsere Toten darf uns nicht so deprimieren, daß
wir nicht mehr klar denken können. Ich weiß, es ist ein schlechter Trost, aber wenigstens haben sie nicht gelitten.
Bevor die Glut sie verbrennen konnte, wurden sie von den explodierenden Triebwerken getötet.«
»Wir sollten umkehren, Chef«, warf Cerf Sidor ein. »Maverick ist ein Moloch. Er hat unser Schiff vernichtet und
zweiundfünfzig Männer der Grazia-Sippe auf dem Gewissen. Wenn wir hierbleiben, wird er uns auch noch
umbringen.«
»Bleib bitte sachlich, Cerf!« sagte Derbolav verweisend. »Ein Planet ist schließlich kein vorsätzlich handelndes
Wesen, sondern weder gut noch böse.«
»Das sind die Schlimmsten, Chef«, warf jemand ein.
Es entlockte dem Patriarchen sogar ein flüchtiges Lächeln, doch er wurde schnell wieder ernst.
»Dieser Stollen scheint irgendwo blind zu enden. Ich denke, wir kehren um und postieren uns am Eingang zur großen
Halle.«
»Das erübrigt sich, denke ich«, sagte Sidor, der seine Fassung wiedergewonnen hatte. »Wir bekommen Bes uch.«
Derbolav blickte auf die Heckschirme. Unwillkürlich preßte er die Lippen zusammen.
Nicht mehr als 300 Meter hinter dem Gleiter standen vier Gestalten im Stollen: Ihre kugelförmigen Schutzschirme
verbargen ihre wirklichen Formen oder verzerrten sie zu grotesken Schemen.
Kein Zweifel, das waren Accalauries, auch wenn ihre Schutzschirme nicht, wie bisher bekannt, vierzig bis fünfzig
Meter durchmaßen. Wenn das Ynkelonium neutralisierend wirkte, konnten die Schirme gefahrlos verkleinert werden.
»Allmählich werden die Burschen aufdringlich«, murmelte Jean Molar-Grazia, ein Großonkel von Derbolav und
ehemaliger Freibeuterkapitän, der in den Schutz seiner Sippe zurückgekehrt war, als die USO die Freibeuterei zu
einem großen Wagnis gemacht hatte. »Wir sollt en ihnen klarmachen, daß sie zu verschwinden haben. Maverick gehört
schließlich uns.«
»Vielleicht wissen sie das noch nicht, Onkel«, erwiderte de Grazia sarkastisch.
Jean Molar-Grazia fluchte und schwieg.
Derbolav de Grazia startete den Gleiter. Sofort bewegten sich auch die vier Accalauries weiter. Sie schwebten hinter
dem Gleiter her.
Der Patriarch erhöhte die Beschleunigung nicht. Er war sich darüber klar, daß ihre Flucht sinnlos geworden war.
Ebensogut hätten sie die Accalauries auch herankommen lassen können. Andererseits befürchtete der Prospektor
Mißverständnisse, die jede Begegnung zwischen Vertretern verschiedener Zivilisationen oder intelligenten Arten zu
einem Experiment mit Ungewissem Ausgang machten.
Aber nach wenigen Kilometern mußte er doch anhalten. Der Stollen verengte sich, und die Ortungstaster zeigten an,
daß er sich auch nicht mehr verbreiterte. Es wäre also sinnlos gewesen, sich mit dem Bugdesintegrator freischießen zu
wollen.
»Endstation!« rief Derbolav so gelassen wie möglich. »Rüstungen fest verschließen. Wir steigen aus.«
»Das kann nicht dein Ernst sein, mein Junge!« empörte sich Molar-Grazia. »Vom Gleiter aus können wir uns doch viel
besser verteidigen als einzeln.«
»Ich hoffe nicht, daß wir uns verteidigen müssen!« entgegnete Derbolav scharf. »Ihr laßt die Waffen stecken,
verstanden! Ohne meinen Befehl wird überhaupt nicht geschossen.«
»Fein!« antwortete Molar-Grazia spöttisch. »Warum schickst du uns nicht gleich nackt hinaus?«
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»Du kannst ruhig nackt rausgehen«, erwiderte der Patria rch eisig. »Das wäre deiner Gesundheit sogar zuträglicher, als wenn du mir noch ein einziges Mal widersprichst.« Diesmal schwieg Jean Molar-Grazia. Derbolav schaltete die Stromzufuhr zum Notsender ein, legte die Kodespule mit dem programmierten »Freien Notruf« in den Abnehmer und drückte die Platte mit der Beschriftung »Fernaktivierung« nieder. Der entsprechende Impulsgeber verschwand in einem Panzerfach seiner HU-Rüstung. Seine Leute hatten unterdessen den Gleiter durch die Schleuse verlassen. Derbolav de Grazia warf noch einen Blick auf die Heckschirme. Er sah die vier Accalauries in etwa fünfzig Meter Entfernung stehen. Sie kamen nicht näher, als warteten sie auf die Aktivität der anderen Seite. Plötzlich zuckte der Patriarch zusammen. Von dort, wo seine Leute stehen mußten, fuhren drei gleißende Energiebahnen heran. Sie schlugen in die Schutzschirme der Accalauries ein, richteten jedoch offenbar keinen Schaden an. »Ihr Satansbrut!« schimpfte Derbolav. »Aufhören!« Er eilte zur Schleuse und wartete ungeduldig, bis die Automatik das Innenschott öffnete. Als er nach draußen kam, zogen seine Leute sich feuernd zurück. Drei reglose Gestalten in HU-Panzerrüstungen lagen verkrümmt am Boden. Soeben fauchte ein weiterer blauweißer Strahlschuß der Accalauries heran. Er traf einen Prospektor. Die Rüstung wurde im Bruchteil einer Sekunde weißglühend. Der Mann darin kam nicht einmal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Der Patriarch preßte die Lippen zusammen und zog seinen Strahler. Wer den Kampf eröffnet hatte, war nun egal. Nun konnte er nicht mehr neutral bleiben. Er hob die Waffe und blickte durch das Reflexvisier. Als ein Accalaurie ins elektronische Fadenkreuz geriet, drückte Derbolav ab. Eine Serie furchtbarer Energiestöße packte den Accalaurie und schüttelte ihn durcheinander. In dem Schutzschirm kam es zu heftigen Entladungen. Der Accalaurie rettete sich durch die Flucht. Auch seine Artgenossen zogen sich zurück. Derbolav de Grazia ging zu seinen Leuten. Er erhob keine Vorwürfe, denn dafür war es zu spät. Wieder einmal hatten nur die Waffen gesprochen, als zwei Arten zusammentrafen . . . »Jean Molar-Grazia ist tot, gefallen«, sagte Cerfs Stimme resignierend. »Aber nicht er hat angefangen zu schießen, sondern Puslo Latner. Puslo fiel ebenfalls.« »Das ist doch jetzt alles nebensächlich«, sagte Derbolav de Grazia. »Entscheidend ist, daß wir den Kampf um Maverick in dem Moment verloren haben, als wir ihn begannen. Vielleicht hätte ich das vorhin erklären sollen. Die Accalauries werden zurückkommen, und wir haben gegen sie keine Chance. Nicht einmal zehn oder hundert oder tausend Männer könnten eine Raumflotte von dreißig Schiffen besiegen.« Er hob den Impulsgeber hoch und drückte den roten Knopf ein. »Damit habe ich den starken Hypernotsender im Gleiter aktiviert«, sagte er tonlos. »Er strahlt jetzt einen >freien Notruf< ab, das heißt, jeder, der den Notruf empfängt, weiß zugleich, woher er kommt, wer ihn abgesetzt hat und warum.« »Aber . . .«, stammelte Sidor. »Dann können ja auch Schiffe von Kaiser Argyris . . .« »Oder Raumschiffe der USO«, beendete Derbolav den Satz. »Seht endlich ein, daß unsere Lage völlig verfahren ist. Wir brauchen Hilfe - und zwar rasche und wirksame Hilfe. Macht euch keine Illusion: Rasch und wirksam helfen können uns jetzt nur die ehemals solaren Kampfschiffe oder die der USO.« Er deutete in den enger werdenden Stollen hinein. »Bis Hilfe - wenn überhaupt - kommt, werden wir uns verkriechen. Es sind mehr als genug Männer gestorben.« Er bewegte sich in seiner HU-Panzerrüstung automatenhaft in den Stollen hinein. Natürlich hätte der Gleiter ihnen besseren Schutz geboten/aber er wäre gleichzeitig zur Todesfalle geworden, falls die Accalauries mit stärkeren Kräften angegriffen hätten. Nach ungefähr zweihundert Metern fand Derbolav de Grazia einen Seitenstollen. Er entschloß sich, ihn zu benutzen. Im Laufschritt eilte er weiter. Die Spezialhydraulik arbeitete einwandfrei und gab ihm das Gefühl, nur mit einer leichten Raumkombination bekleidet zu sein. Dennoch hemmte die unerhörte Dichte der Atmosphäre die Bewegungen. Allmählich geriet der Patriarch außer Atem. Im Helmempfänger hörte er das Keuchen seiner Gefährten. Unerwartet weitete sich der Stollen vor ihm. Derbolav blickte in einen weiten Tunnel von etwa zehn Metern Höhe und fünfzehn Metern Breite. Es schien sich um einen natürlich entstandenen Hohlraum zu handeln, denn die Wände waren unregelmäßig geformte dicke, rubinrot schimmernde Wülste aus reinem Ynkelonium reflektierten das Licht der Scheinwerfer. Hier und da bedeckten konzentris ch geformte Erhebungen den Boden. Es sah aus, als wäre hier vor langer Zeit glutflüssiges Ynkelonium durch schmale Eruptionskanäle aus dem Magmakern des Planeten emporgestiegen. Die Decke des Tunnels dagegen bestand aus einem anderen irisierenden Material. Es war geborsten, und zwar offenbar erst vor kurzer Zeit, denn die herabgestürzten Bruchstücke waren noch nicht von den Ammoniakgasen angegriffen. Die Prospektoren hasteten weiter. De Grazia fragte sich, wohin der Stollen führen mochte. Vorerst ließ sich kein Ende absehen. Sie waren vielleicht einen Kilometer marschiert, da tauchten hinter ihnen erneut Accalauries auf. Derbolav zählte achtzehn schemenhafte Gestalten in ihren leuchtenden Schutzschirmen. Er blickte sich um. Dieser Teil des Tunnels bot Verteidigern genügend Deckungsmöglichkeiten. Weiter vorn sah es damit schlechter aus. »Ausschwärmen!« entschied er. »In Deckung gehen, die Accalauries herankommen lassen und dann gezielt feuern!« 25
Die Prospektoren schwärmten aus. Der Patriarch legte sich hinter eine Bodenaufwölbung, was ihm einige Mühe
bereitete, da die HU-Panzerrüstungen bis auf die Arm- und Beingelenke starr waren. Es würde noch mühsamer
werden, wieder aufzustehen.
Die Accalauries schwebten langsam näher. Als sie bis auf hundert Meter heran waren, erteilte de Grazia den
Feuerbefehl.
Sechs Waffen schickten ihre sonnenheißen gebündelten Impuls strahlen gegen die Verfolger. Zwei Accalauries
wichen zurück, als ihre Schutzschirme zu flackern begannen. Die anderen aber erwiderten das Feuer.
Derbolav hörte einen Mann schreien. Neben ihm erhitzte sich der Boden, aber er schmolz nicht. Selbst die
energiereichen Waffen der Accalauries vermochten also dem Ynkelonium nichts anzuhaben.
Nach wenigen Minuten zogen die Accalauries sich zurück. Der Preis für diesen Erfolg aber war hoch. Von sechs
Prospektoren lebten nur noch drei.
Derbolav de Grazia befahl, daß auch sie sich zurückzogen. Er, Sidor und ein weiterer Prospektor stemmten sich
mühsam hoch und eilten tiefer in den Tunnel hinein. Plötzlich blieben sie stehen, als seien sie gegen eine
unsichtbare Mauer gerannt.
Vor ihnen standen acht Accalauries.
Derbolav drehte sich um und erbleichte.
Auch hinter ihm näherten sich wieder diese seltsamen Wesen. Einer der Prospektoren schoß - und starb eine
Sekunde später. Derbolav holte tief Luft.
»Schluß damit!« stieß er zornbebend hervor.
Er schleuderte seine Waffe den Accalauries entgegen, hob die Hände und ging langsam auf den nächsten
Fremden zu.
»Dir rate ich das gleiche, mein Freund!« sagte er zu dem zweiten Überlebenden.
»Hoffentlich ist es richtig, Chef«, antwortete Sidors Stimme. Ein zweiter Strahler polterte auf den Boden.
Wenige Schritte vor dem Accalaurie blieb Derbolav de Grazia stehen. Er ließ die Arme wieder fallen. Die
Accalauries schössen nicht mehr. Da wußte de Grazia, daß die Toten Opfer eines grausamen Irrtums waren.
Aber vom Waffenstillstand bis zur Verständigung war oft noch ein weiter Weg. Wie sollte er sich mit einem
Lebewesen verständigen, das den unmittelbaren Kontakt mit diesem Universum meiden mußte?
Als hätte der Fremde die Gedanken des Patriarchen erraten, erlosch plötzlich sein Schutzschirm.
Derbolav hielt den Atem an.
Wenige Schritte vor ihm stand ein Wesen mit kugelförmigem Rumpf, in eine silbrig schimmernde Kombination
gehüllt. Es stand auf drei Beinen, wobei zwei Beine offenbar der Fortbewegung dienten, während das dritte,
hintere, verkümmert und rudimentär wirkte. Die Arme waren lang, die Hände besaßen fünf Finger.
Das Seltsamste jedoch war der Kopf des Accalauries. Er besaß Halbkugelform - ähnlich den Köpfen der Haluter
-, aber im Gegensatz dazu befand sich die glatte Grundfläche oben, während der gerundete Teil zu einem Drittel
in einer Rumpföffnung verborgen war.
Jetzt fuhr der Accalaurie seinen Kopf etwas weiter aus. Die glatte Fläche neigte sich Derbolav zu. Der Patriarch
sah vier hervorquellende Sehorgane in quadratischer Anordnung, dazwischen eine pulsierende Membran oder
verdeckte Mundöffnung. Die an beiden Seiten herabhängenden Haut- und Knorpellappen mit den kleinen
Öffnungen schienen der akustischen Wahrnehmung zu dienen.
Das alles faszinierte de Grazia selbstverständlich, denn er und Sidor waren die ersten Menschen, die einen
Accalaurie direkt zu sehen bekamen.
Doch weit mehr beschäftigte ihn die Frage, wie der Fremde ohne Raumanzug und Schutzschirm die ungeheure
Schwerkraft Mave-ricks, den fürchterlichen Luftdruck und die Giftgasatmosphäre auszuhalten vermochte. Ein
Mensch an seiner Stelle wäre im Bruchteil einer Sekunde gestorben.
Derbolav zuckte zusammen, als hinter ihm ein Stöhnen, dann ein lautes Poltern ertönte. Er hob den Blick, um in
den kleinen Schirm der Rückwärtsbeobachtung sehen zu können. Cerf Sidor lag ausgestreckt auf dem Felsboden.
Wahrscheinlich war er ohnmächtig geworden. Derbolav wollte sich umdrehen, da stöhnte der Meßtechniker.
»Cerf!« rief de Grazia. »Was ist?«
»Nichts weiter«, flüsterte Sidor. »Es geht schon besser.«
Der Patriarch atmete auf. Er konzentrierte sich wieder auf den Accalaurie, dann aktivierte er den in der Rüstung
fest installierten Translator.
»Wird Zeit, daß wir uns unterhalten, mein Junge«, meinte er in einem Anflug makabren Humors. »Los, plappere
ein wenig mit Papi, damit die Translatorpositronik Material bekommt.«
Der Accalaurie antwortete nicht. Dafür schob er seine eigenartig geformte Waffe in eine Art metallenes Halfter
zurück und zeigte dem Menschen danach die leeren Handflächen. Das war eine Geste, deren Bedeutung überall
im Universum verstanden wurde, wo intelligente Wesen die Begriffe »Kampf« und »Frieden« kannten.
Cerf Sidor richtete sich auf.
Der Accalaurie streckte einen Arm aus, deutete ringsum auf die Wände und das Ynkelonium, dann hob er einen
herabgefallenen Brocken des Elements auf, nahm ihn in beide Hände und drückte ihn an seinen Oberkörper.
Derbolav de Grazia wollte einen warnenden Schrei ausstoßen. Doch der Laut blieb ihm in der Kehle stecken.
Es erfolgte keine Reaktion.
Das war der Beweis.
26
Die Accalauries brauchten das Ynkelonium, weil es in ihrem Universum kein entsprechendes Anti-Element gab.
Der Patriarch übersah plötzlich die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben. Wenn man Ynkelonium zu
Schutzpanzern verarbeitete oder es vielleicht als hauchdünnen Film über eine normale Kombination zog, dann
verhinderte das jegliche explosive Reaktionen zwischen Materie und Antimaterie.
Unerhörte Perspektiven eröffneten sich.
»Hm!« machte de Grazia. »Wie bringe ich dir bloß bei, daß ich dich zwar gut verstehe, daß aber das Ynkelonium
nicht euch gehört . . .?«
Während er noch grübelte, kam Bewegung in die Accalauries. Etwas schien sie in Aufregung zu versetzen. Der
Fremde vor Derbolav warf den Brocken fort, schaltete seinen Schutzschirm ein und schwebte hinter seinen
überstürzt fliehenden Artgenossen her.
Von einer Sekunde zur anderen waren die beiden Prospektoren allein.
5.
Die INTERSOLAR und die IMPERATOR flogen einträchtig nebeneinander vor dem Kampfverband her.
Insgesamt fünfhundert Raumschiffe der USO und der Solaren Flotte - offiziell »Kaiserliche Flotte seiner
Majestät Anson Argyris« genannt - waren vor dreißig Minuten aus dem Linearraum gekommen. Hinter ihnen
leuchtete die orangenfarbene Sonne Pash, vor ihnen wölbte sich der Planetengigant Maverick in den
Bildübertragungsschirmen.
»Sind Sie sicher«, fragte Perry Rhodan den Chef der Funkzentrale der INTERSOLAR, Major Donald Freyer,
»daß die Notsignale der Prospektoren von Maverick kommen?«
»Absolut sicher, Sir«, erwiderte Freyer scharf akzentuiert. »Die Störgeräusche deuten außerdem darauf hin, daß
der Hypersender sich mindestens tausend Meter unter der Oberfläche befindet.«
Der Großadministrator nickte und unterbrach die Verbindung zur Funkzentrale. Er wandte sich dem aktivierten
Hyperkom zu, auf dessen Schirm das Gesicht und der Oberkörper Atlans zu sehen waren.
»Kaum zu glauben«, Freund« murmelte er. »Dieser Patriarch Derbolav scheint ein tollkühner Bursche zu sein
oder er verfügt über hervorragende Ausrüstungen.«
»Von seiner Sorte hat die Menschheit noch mehr hervorgebracht«, erwiderte der Arkonide ironisch. »Hast du
schon einen Entschluß gefaßt?«
Rhodan lächelte.
»Selbstverständlich. Wir werden de Grazia aus seiner prekären Lage befreien müssen. Ich mache jetzt Maske und
komme per Trans-mitter zu dir hinüber. Du hast doch nichts dagegen, daß wir mit deiner IMPERATOR auf Maverick
landen?«
Atlan lachte trocken.
»Wer könnte dir eine Bitte abschlagen, Perry?«
»Bis gleich!« murmelte Rhodan nachdenklich.
Eine Viertelstunde später betrat er die Zentrale der IMPERATOR. Er trug einen Kampfanzug der Solaren Flotte, aber
mit dem Wappen von Kaiser Argyris auf der linken Brustseite. Sein Gesicht war durch eine Bioplastmaske verändert,
so daß ihn kein Uneingeweihter erkennen konnte.
Unterdessen hatten die Kampfraumschiffe den Planeten Maverick eingekreist. Sechs Schiffe schwebten dicht über der
Atmosphäre; es waren Spezialschiffe. Sie errichteten innerhalb weniger Minuten einen Paratrontunnel von dreitausend
Metern Durchmesser, der bis auf die Oberfläche des Planeten reichte und gegen alle Einflüsse der
Hochdruckatmosphäre abschirmte.
Die IMPERATOR schwebte vorsichtig in die Tunnelmündung hinein.
Plötzlich gab die INTERSOLAR Alarm. Die IMPERATOR kehrte noch einmal in den Raum zurück. Rhodan und
Atlan verfolgten die Ortungsergebnisse, die aus der INTERSOLAR übertragen wurden.
Major Ataro meldete, daß drei von Energiesphären geschützte Raumschiffe der Accalauries mit hohen
Beschleunigungswerten aus der Atmosphäre Mavericks gestoßen seien und offenbar fliehen wollten. Er fragte an, ob
man sie aufhalten sollte.
Rhodan befahl, die Accalauries unbehelligt zu lassen. Gleich darauf erschienen mehr und mehr der riesigen
Leuchtblasen aus dem Luftozean des Höllenplaneten. Insgesamt wurden dreißig gezählt. Danach blieb es ruhig. Die
Accalauries beschleunigten und verschwanden.
Lordadmiral Atlan wölbte die Brauen. Er wirkte nachdenklich und besorgt.
»Ich möchte wissen«, sagte er, »was die Prospektoren und die Accalauries veranlaßte, ausgerechnet auf dieser
Höllenwelt zusammenzutreffen.«
Rhodans Gesicht blieb verschlossen.
»Ich schlage vor, wir landen endlich und fragen de Grazia selber.«
Die IMPERATOR stieß erneut in den Paratrontunnel vor. Ohne Zwischenfall landete sie auf der Oberfläche
Mavericks. Danach wurde der Paratrontunnel desaktiviert. Die Hochdruckatmosphäre stürzte sich brüllend und tosend
gegen die Terkonitwandung des Ultraschlachtschiffes, vermochte ihm aber nichts anzuhaben.
Robotkommandos und Einsatzgruppen in HUS-Gleitern wurden ausgeschleust. Sie schwebten über den mächtigen
Glutozean hinweg, auf die Stelle zu, von die Notsignale gekommen waren. Zwei Stunden später kehrten s ie zurück.
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Atlan musterte die Bildübertragung, auf der zu erkennen war, daß die Bergungstrupps einen einzelnen HUS-Gleiter
eskortierten. Er sagte jedoch nichts dazu. Aber Rhodan und er wechselten einen vieldeutigen Blick.
HUS-Gleiter waren ausschließlich an die Solare Flotte und die Flotte der USO ausgeliefert worden. Wie also kamen
galaktische Prospektoren an ein Fahrzeug dieses Typs . . .?
»Führen Sie die Prospektoren in den kleinen Konferenzraum!« befahl der Arkonide dem Führer des
Einsatzkommandos.
Als er mit Perry Rhodan dort eintraf, wurden soeben Derbolav de Grazia und Cerf Sidor hereingeführt. Die
Prospektoren trugen schwarze Raumkombinationen. Sie wirkten körperlich und geistig zermürbt und sanken in die
angebotenen Sessel. Dankbar nahmen sie je ein stimulierendes Getränk entgegen.
»Sie tragen HU-Panzerrüstungen, Lordadmiral«, flüsterte der Führer des Einsatztrupps. »Außerdem terranische
Intervallstrahler. Auch im HUS-Gleiter fanden wir vorwiegend Ausrüstungsgegenstände der terranischen Flotte.«
Atlans Gesicht verfinsterte sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und trat näher an die Prospektoren heran.
»Bleiben Sie sitzen!« befahl er grimmig. »Sie kennen mich?«
»Sie sind Lordadmiral Atlan, Sir«, antwortete Derbolav. »Ich bin Patriarch de Grazia . . .«, er deutete auf seinen
Begleiter, » . . . und das ist Meßtechniker Sidor. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie kam wirklich im letzten Augenblick,
obwohl . . .«Er unterbrach sich und preßte die Lippen zusammen, als hätte er Angst, zuviel zu verraten.
»Dieser Herr ist Fürst Panotrel, Kommandant eines Schiffes Seiner Kaiserlichen Hoheit Anson Argyris«, sagte Atlan
und deutete auf Rhodan. »Aber das nur zur Information. Nun berichten Sie! Was suchten Sie auf Maverick? Was
wollten die Accalauries dort, und wie kommen Sie zu Ausrüstungsgegenständen der Kaiserlichen Flotte?«
Derbolav de Grazia senkte den Kopf. Nach einer Weile blickte er den Lordadmiral offen an.
»Das Schicksal hat mich schwer bestraft, Sir«, murmelte er zerknirscht. »Schlimmer kann es nicht werden. Ich will
ganz offen zu Ihnen sein.«
»Dazu kann ich Sie nur beglückwünschen«, erwiderte der Arkonide. »Sprechen Sie!«
Und Derbolav de Grazia sprach ...
Als er zur Schilderung des Diebstahls auf Angerook kam, begann Perry Rhodan zu grinsen. Der Patriarch wurde ihm
in seiner rührenden Aufrichtigkeit allmählich sympathisch.
Atlan dagegen spielte weiterhin den Ergrimmten. Er schimpfte und tobte einige Minuten lang, dann ließ er sich die
Geschichte zu Ende erzählen.
Anschließend brach er das Verhör erst einmal ab. Die Geretteten waren sichtlich am Ende ihrer Kraft. Widerspruchslos
händigten sie Atlan die Pläne des toten Prospektors Pray Butseh aus und ließen sich in die Bordklinik bringen, wo
Mediziner der USO sich um sie kümmerten.
Rhodan und Atlan sahen sich an, nachdem die Prospektoren den Konferenzraum verlassen hatten.
Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Ein Metall, das keine Entsprechung im Antimaterie-Universum hat und zudem
neutralisierend auf seine Umgebung wirkt . . . Das ist phantastisch, Perry!«
»Es ist genau das, was wir brauchen«, erwiderte der Großadministrator.
Der Arkonide lachte.
»Seit wir uns kennen«, meinte er trocken, »habe ich diesen Ausspruch öfter gehört. Dieser Prospektor und du, ihr
gleicht euch verblüffend.«
»Wir sind beide Menschen«, erwiderte Rhodan lakonisch.
»Major Elron Daghete, Sir!« meldete ein hochgewachsener USO-Offizier, als Rhodan und Atlan den HUS-Gleiter
betraten.
Perry Rhodan musterte das Gesicht des Mannes. Es war absolut humanoid, nur die Augäpfel schimmerten schwach
bläulich.
»Sind Sie Imraner, Major?« fragte der Großadministrator lächelnd.
Daghete erwiderte das Lächeln.
»Ja, Sir, meine Vorfahren wanderten vor elfhundert Jahren von Terra aus. Seit acht Generationen schickt unsere
Familie ihre ältesten Söhne zur USO-Akademie.«
Rhodan nickte ihm freundlich zu, dann nahm er in dem zugewiesenen Sessel Platz. Atlan saß neben ihm, Major Elron
Daghete auf der anderen Seite.
Während der Hockdruck-Ultraschwerkraft-Gleiter aus dem Schleusenhangar in die Atmosphäre Mavericks schwebte,
berichtete der Major.
»Die Untersuchungen durch unsere Spezialkommandos ergaben, daß die Prospektoren nur einen seit langem
unbenutzten Sektor des Bergwerks gefunden haben. In einem anderen Sektor fanden wir, wie gemeldet,
eintausenddreißig tote Blues und rund viertausend tote Tefroder.«
Atlan nickte.
»Konnte festgestellt werden, ob es sich bei den toten Tefrodern um Kriegsgefangene aus den Auseinandersetzungen
zwischen Blues und in die Eastside eingedrungenen Andromeda-Tefrodern handelte?«
»Nein, Sir. Jedenfalls nicht hundertprozentig. Verschiedene Anzeichen, wie die übereinstimmende Zugehörigkeit zu
ein- und derselben Altersgruppe und einige Ausrüstungsstücke lassen allerdings darauf schließen. Die Tefroder waren
offensichtlich von den Blues als Arbeitssklaven eingesetzt worden, vielleicht auch als Spezialisten mit überragendem
Wissen. Jedenfalls revoltierten sie. Es kam zu Kämpfen. Die Hauptenergiezentrale explodierte. Schlagartig erloschen
die Schutzschirme. Die Klimaanlagen stellten ihre Arbeit ein. Die Antigravschächte fielen aus. Über dem
Explosionsherd barst die Oberfläche. Alle Tefroder und Blues kamen um, die meisten beim Eindringen der
Hochdruckatmosphäre, andere durch Ersticken oder die Explosion selbst.«
Er unterbrach sich, als vor dem Gleiter ein Strukturriß in der gewaltigen Energiekuppel entstand, die sich über den
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Schachtmündungen des Bergwerks spannte. Nachdem drei Energieschleusen passiert worden waren, befand sich der
Gleiter in einer künstlichen Stickstoffatmosphäre mit einem Druck von zwei Atmosphären Ter-ranorm. Vorerst hatte
man es nicht gewagt, eine Sauerstoffatmo sphäre zu schaffen. Bei technischen Pannen wäre die Gefahr einer
Knallgasbildung zu groß gewesen.
Die Schwerkraft Mavericks wirkte jedoch noch immer. Deshalb blieben die Männer im Gleiter.
Das Fahrzeug steuerte eine Schachtmündung an und senkte sich in die mächtige vertikale Röhre hinab. Bei der dritten
Sohle blinkte ein Markierungslicht. Der Gleiter bog nach rechts ab und glitt durch einen Stollen mit halbkreisförmigem
Querschnitt. Zum erstenmal sahen der Großadministrator und der Lordadmiral eine gut erhaltene Anlage auf
Maverick. Der Stollen war etwa zweihundert Meter breit. Starke gewölbte Träger stützten ihn gegen den Druck der
darüber liegenden Felsmassen ab. Überall standen Robotfahrzeuge, Notscheinwerfer erhellten die Unterwelt.
»Was ist das?« fragte Atlan und deutete auf die irisierenden Fels wände.
»Ynkelonium-Erz, Sir«, antwortete der Major. »Ein Mineral mit durchschnittlich zehn Prozent reinem Ynkelonium.
Dieses Material schimmert in allen Regenbogenfarben, während das reine Metall Ynkelonium von rubinroter Färbung
ist.«
Nach zwanzig Minuten Fahrt bog der Gleiter in einen Nebenstollen ein. Kurz darauf sahen die Männer schwere
Abraummaschinen. Sie standen still.
Was Rhodan und Atlan aber viel stärker interessierte, war das rubinrote Leuchten der Abbaufront.
»Hier förderten die Blues reines Ynkelonium, Sir«, erklärte Elron Daghete.
Rhodan nickte.
Es ging wieder zurück zum Vertikalschacht, zwei Sohlen tiefer in eine durch Schotte geschützte Anlage hinein.
Freilich, die Schotte waren zerfetzt, aber es war noch deutlich genug zu erkennen, daß hier unten einmal
Laborversuche mit Ynkelonium durchgeführt worden waren.
Ein Mann in Ultraschwerkraft-Panzerrüstung blinkte mit seinem Helmscheinwerfer. Major Daghete bremste und ließ
den Gleiter zu Boden sinken.
»Spezialist-Oberleutnant Mergenbach hier!« erscholl es aus dem Hyperkomempfänger. »Befindet sich dort der
Lordadmiral?«
»Hier Atlan«, meldete sich der Arkonide. »Was gibt es, Oberleutnant?«
»Ich habe einen Mikro-Datenträger bei mir, Sir. Er gehörte einem tefrodischen Wissenschaftler namens Hergon Etran.
Etran ist tot, aber auf dem Speicherkristall befindet sich ein wahrer Schatz von Daten über Ynkelonium.«
»Kommen Sie an Bord!« entschied Atlan nach kurzem Überlegen.
Wenige Minuten später betrat Mergenbach die Steuerzentrale des Gleiters. Er hatte die unförmige HU-Panzerrüstung
in der Schleusenkammer gelassen und trug nur noch eine einfache Raumkombination.
Atlan nahm die Hochdruckkapsel mit dem Mikro-Datenträger entgegen und öffnete sie. Er wog den Kristall in der
Hand.
»Haben Sie ihn abgespielt, Oberleutnant?«
Mergenbach verneinte.
»Ich habe es von einem Robot-Analysator prüfen lassen. Von der Maschine stammen die Angaben. Sie ordneten ja
selber an, daß niemand auf eigene Faust wichtige Unterlagen sichten dürfe, Sir.«
Der Lordadmiral lächelte anerkennend.
»Gut, daß Sie es nicht vergessen haben, Oberleutnant. Bleiben Sie gleich bei uns.«
Er wandte sich an seinen Freund.
»Wie ist es, fahren wir zur IMPERATOR zurück?«
Rhodan nickte. Er konnte sich vorstellen, daß Atlan begierig war, die Daten des tefrodischen Wissenschaftlers zu
sichten. Ihm ging es nicht anders.
Einen Tag später, am 24. Mai 3432, lag die Auswertung des Speicherkristalls sowie der übrigen Unterlagen vor.
Allen unmittelbar Beteiligten war klargeworden, daß der Ynkelo-nium-Fund nicht nur wissenschaftliche Bedeutung
besaß, sondern ein Politikum von übergalaktischer Bedeutung war.
Ynkelonium stellte als überwertiges Element jenseits der künstlichen Transurane etwas Einmaliges dar. Es erschien
durchaus glaubhaft, daß im Universum der Accalauries kein entsprechendes Anti-element existierte.
Nachdem Perry Rhodan zusammen mit Atlan und den Wissenschaftlern der beiden Flaggschiffe IMPERATOR und
INTERSOLAR beraten hatte, bestellte er noch einmal die beiden überlebenden Prospektoren zum Verhör.
Derbolav de Grazia und Cerf Sidor hatten sich gut erholt. Sie schienen auch ihr seelisches Gleichgewicht
wiedergefunden zu haben, denn der Patriarch protestierte sogleich gegen die Inhaftie rung und verlangte, zu seinem
Basisplaneten gebracht zu werden.
Lordadmiral Atlan hörte sich den Protest mit undurchdringlichem Gesicht an, dann erwiderte er kühl:
»Niemand hält Sie an Bord dieses Schiffes fest, Grazia. Wenn Sie gehen wollen, bitte . . .!«
Derbolav grinste verlegen.
»Lassen wir das, Lordadmiral. Ich wollte Ihnen nur klarmachen, daß der Planet Maverick weder der USO noch den
Freifahrern des Kaisers Argyris gehört.«
Perry Rhodan, noch immer in der Maske eines Fürsten Panotrel, räusperte sich.
»Werden Sie nicht anmaßend, Prospektor! Das Pash-System und der Planet Maverick waren Hoheitsgebiete des
Solaren Imperiums. Nur durch einen Irrtum bezeichneten die Kataloge es als Blues-Gebiet. Wir haben uns gestattet,
den Fehler zu bereinigen. Als Alleinerbe Perry Rhodans fällt Kaiser Anson Argyris das Pash-System zu.«
Derbolav schnappte nach Luft.
»Das ist Diebstahl!« schrie er wütend.
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Rhodan lächelte fein.
»Sagten Sie Diebstahl, Patriarch . . .? Muß ich Sie unbedingt an das Magazin der Kaiserlichen Flotte auf Angerook
erinnern?«
»Man sagt«, fiel Atlan mit finsterer Miene ein, »auf Olymp würden Diebe gevierteilt . . .«
»Das auf Angerook war doch kein Diebstahl«, wehrte Derbolav de Grazia lässig ab. »Bei allen Berggeistern! Ein paar
Gleiterchen und nutzlose Panzerrüstungen. Das ist schlimmstenfalls eine besondere Art von Mundraub gewesen.«
Perry Rhodan umklammerte die Sessellehnen und kämpfte gegen einen Heiterkeitsausbruch an. Dieser Patriarch gefiel
ihm immer besser. Natürlich war sein Verhalten gesetzwidrig gewesen, aber wer konnte in diesen turbulenten Zeiten
voller Ungerechtigkeiten und Unterdrückung einen Menschen verurteilen, nur weil er sich für eine bestimmte
Expedition etwas von jenem Überfluß »ausgeliehen« hatte, der in den Magazinen der Solaren Flotte lagerte.
Atlan lief rot an, holte tief Luft und sagte drohend:
»Dieser >Mundraub< bezieht sich auf Ausrüstungen im Wert von einer knappen Milliarde Solar, Patriarch de Grazia!«
Er warf eine Liste auf den Tisch.
»Prüfen Sie selbst nach und erklären Sie mir, wann und wie Sie Ihre Schuld zurückzuzahlen gedenken!«
Derbolav kratzte sich hinter dem Ohr und griff nach der Liste.
Er brauchte sie nicht anzusehen, denn er wußte genau, welches Material und in welchem Wert er aus dem
Flottenmagazin Angerook hatte mitgehen lassen. Dennoch tat er so, als studiere er die einzelnen Posten. Das gab ihm
Zeit, sich seine weitere Taktik zurechtzulegen.
»Hm!« sagte er nach einiger Zeit und hob den Blick. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, Lordadmiral.«
»Darauf warte ich die ganze Zeit.«
De Grazia grinste breit. Langsam und deutlich sagte er:
»Ich habe etwas genommen, was Ihnen gehört, jedenfalls scheinen Sie die Interessen des Kais ers Argyris zu vertreten.
Dagegen besitze ich etwas, was Sie benötigen, nämlich den Planeten Maverick. Das mit den Besitzverhältnissen
sparen Sie sich für die Blues auf, mein lieber Lordadmiral.
Nun, als Mensch opfere ich sehr viel, wenn es zum Vorteil der ganzen Menschheit ist. Deshalb wäre ich bereit, den
Ynkelonium-Planeten gegen eine symbolische Abfindungssumme und eine zusätzliche kleine Beteilung an der
Ausbeute zu verkaufen . . .«
»Beträgt die symbolische Abfindungssumme< eine Milliarde Solar?« warf Rhodan ein.
»Stimmt!« rief Derbolav mit gut gespielter Verwunderung. »Woher wußten Sie das, Fürst?«
Der Arkonide schluckte und zog ein Gesicht, als hätte er pure Essigsäure getrunken. Rhodan blinzelte ihm heimlich zu,
und Atlan seufzte resignierend.
»Also schön, Patriarch Derbolav«, sagte er. »Die Abfindungssumme betrachten wir als mit dem Wert der - hm
bargeldlos >eingekauften< Ausrüstungsgegenstände verrechnet. Außerdem biete ich Ihnen eine Beteiligung von einem
Prozent an der Ynkelonium-Ausbeute des Planeten Maverick. Versuchen Sie nicht zu handeln; ein Prozent ist eine
Menge für Sie. Sie brauchen nie wieder . . .«Er räusperte sich. »Ach, lassen wir das! Schlagen Sie ein?«
Er streckte dem Patriarchen die Hand entgegen und Derbolav de Grazia schlug ein. Der Patriarch schüttelte auch dem
Großadministrator die Hand und trug ihm dabei scherzhaft einen schönen Gruß an Kaiser Anson Argyris auf.
Atlan räusperte sich erneut. »Meine Herren!« sagte er zu de Gra zia und Sidor. »Gestatten Sie, daß ich Sie nun zu dem
Schiff bringe, das Sie zum Basisplaneten der Graziasippe fliegen wird.«
Eine halbe Stunde später trafen Atlan und Rhodan in der Kommandozentrale der IMPERATOR wieder zusammen.
»Ich hoffe nur«, sagte Atlan besorgt, »daß Grazia und Sidor niemandem etwas über den Ynkelonium-Planeten
verraten.«
»Sie werden sich hüten, Freund. Schließlich macht die Beteiligung an der Ynkelonium-Ausbeute sie zu
Multimilliardären. Einige Milliarden Solar sind ein gutes Schweigegeld.«
»Da hast du recht, Perry«, erwiderte Atlan grimmig. »Wir hätten ihnen keinen Soli zu zahlen brauchen. Schließlich
haben sie zu ihrer Expedition Eigentum des Solaren Imperiums benutzt - und zweitens ist Maverick kein
Niemandsland. Wozu also Schweigegeld?«
Rhodan lächelte und blickte versonnen auf die Bildschirme der Panoramagalerie, auf der noch die turbulente
Atmosphäre des Höllenplaneten zu sehen war.
Sie sahen auf, als ein Spezialist für Hochdruckmetalle zu ihnen trat. Professor Dr. Erik Murech hielt den beiden
Mächtigen der Galaxis die offene Handfläche hin. Auf ihr lag eine kleine Platte reinen Ynkeloniums.
»Wir haben herausgefunden, wie man es bearbeitet«, berichtete er. »Wenn es gelingt, Raumanzüge mit Ynkelonium zu
überziehen, können Menschen relativ gefahrlos auf einem Antimaterieplaneten landen.«
»Oder in ein Raumschiff aus Antimaterie gehen«, ergänzte Atlan bedeutungsvoll.
»Auf jeden Fall lasse ich einen Verband von fünfhundert Schiffen hier«, sagte Rhodan leise. »Die Accalauries
kommen wieder, da bin ich sicher. Sie wollen ganz offensichtlich keinen kosmischen Krieg. Aber sie müssen sich in
einer Notlage befinden, wenn sie so verzweifelt hinter dem Ynkelonium her sind.«
Er holte tief Luft.
»Wesen aus Antimaterie . . .«, sagte er zu sich selbst. »Vielleicht eine Galaxis oder ein Universum aus Antimaterie . . !
Wir stehen möglicherweise vor der Enthüllung eines der großen Geheimnisse des Universums.«
6.
30
September 3432 Oberst Tepper Sockmann war ein vorbildlicher Offizier der Kaiserlichen Raumflotte von Olymp. Dennoch vernachlässigte er seit einiger Zeit sein Äußeres. Er fühlte sich in die Wüste abgeschoben, nicht etwa, weil die Oberfläche des Planeten Krover, zweiter im Squirepan-kin-System, größtenteils wüstenhaften Charakter hatte, sondern weil er sich wie ein Hund vorkam, dem man befohlen hatte, einen tief vergrabenen Knochen in einer absolut leeren Gegend zu bewachen. Der Knochen war in diesem Fall das vor hundertachtzig Jahren eingerichtete unterirdische Flottenmagazin auf Krover; die leere Gegend war das Squirepankin-System. »In dieser verlassenen Gegend«, hatte Oberst Sockmann vor zwei Tagen geäußert, »hat sich nie etwas Nennenswertes ereignet, ereignet sich gegenwärtig nichts und wird sich in den nächsten tausend Jahren auch nichts ereignen!« Tepper Sockmann war ein Mensch - und irren ist menschlich . . . Der Oberst blieb stehen. Hinter ihm schloß sich mit saugendem Schmatzen das Hermetikschott der getarnten Pfortenkuppel. Am Horizont schwebte der rote Glutball von Squirepankin, infolge der dünnen Atmosphäre des Planeten kaum verzerrt. Eine schwache Morgenbrise hauchte laue Atemzüge über die Wüstenlandschaft und erzeugte kleine Sandwirbel. Oberst Tepper Sockmann warf einen Blick auf den komplizierten Armbandchronographen, dann winkelte der die Arme an und begann mit seinem morgendlichen Dauerlauf. Er trug nur knappe hellbraune Shorts, ein lose darüber fallendes kragenloses Hemd und Turnschuhe mit besonders breitflächigen Sohlen. Dennoch wurde es ihm rasch warm. Lunge und Herz mußten mit erhöhtem Tempo arbeiten, um der dünnen Atmosphäre Krovers ausreichend Sauerstoff für den Körper zu entnehmen. Nach einer halben Stunde erreichte der Oberst einen Hügel. Fels klippen, von Hitze, Kälte, Sand und Wind erodiert, ragten bis zu zehn Metern aus dem ungewöhnlich hellen, beinahe glasigen Sand. Drei CusquennePalmen reckten ihre seltsam verdrehten Stämme empor. Eigentlich waren es gar keine Palmen, aber die auf Krover stationierten Männer störten sich nicht daran, daß es sich bei »ihren« Palmen um Kakteengewächse handelte. Tepper Sockmann erkletterte die höchste Klippe. Zufrieden bemerkte er, daß sein Atem sich schnell beruhigte und die Pulsfrequenz sich wieder normalisierte. Das tägliche Training hatte den Körper auf den niedrigen Sauerstoffgehalt umgestellt. Nicht alle seine Leute fanden sich mit den besonderen Bedingungen Krovers so gut ab; es gab sogar einige Männer, die höchstens für einige Minuten ohne Atemmaske ins Freie gehen konnten. Im subplanetaren Stützpunkt herrschten selbstver ständlich Terranorm-Bedingungen. Sockmann seufzte. Der Offizier blickte einer Wüstenkrabbe nach, die ungeheuer flink hinter einem Wollwurm herrannte, ihn mit einem Biß lahmte und dann in ihre Höhle schleppte. Der graubraune, von einem wolligen Pelz bedeckte Wurm zuckte noch einige Male, dann erschlaffte er. Gleich einem alten Seil wurde er durch den Sand geschleift. Sockmann seufzte zum zweitenmal. Fressen und Gefressenwerden - das war sowohl auf einer unberührten Welt wie auch sonstwo im Universum ewiges Gesetz. Aber niemals hätte Tepper Sockmann geglaubt, auch die solare Menschheit und die Erde, von der alles seinen Anfang genommen hatte, könnten diesem Naturgesetz unterliegen, Opfer sein statt Gewinner. Er erinnerte sich noch so deutlich an die Ereignisse vor zwei Jahren, als wären sie gestern erst abgelaufen. Damals hatte er mit seinem Verband von zehn Leichten Kreuzern auf Callisto gestanden, dem fünften Mond des solaren Jupiters. Die Bohrungen im Tonga-Graben auf der Erde hatten ihn anfänglich nicht interessiert - bis die Nachricht vom Auffinden eines zweihunderttausend Jahre alten lebenden Neandertalers durchgesickert war. Zuerst belustigt, dann ungläubig und schließlich nachdenklich hatte er auf diese Nachricht reagiert. Die Informationen waren lückenhaft gewesen, aber als Chef eines Aufklärer- und Abhorchverbandes war der Oberst im Ergänzen lückenhafter Botschaften speziell ausgebildet worden. Er hatte sich sogleich gesagt, daß ein Neandertaler nur mit einer komplizierten biophysikalischen Einrichtung über zwei Jahrhunderttausende hinweg konserviert worden sein konnte, einer Einrichtung, die ebenso sicher der Versorgung durch starke Kraftwerke unbekannter Lebensdauer und ähnlicher Aggregate bedurfte. Jemand mußte demnach vor zweihundert Jahrtausenden mit unwahrscheinlichen technischen Mitteln im Solsystem und besonders auf der Erde operiert haben. Jemand, der entweder noch mächtigere Gegenspieler gehabt hatte oder - im Widerspruch zur ersten Hypothese - eine mysteriöse Langzeitwaffe auf der Erde stationierte, die das gesamte Solsystem zweihunderttausend Jahre später vernichtete und in den Hyperraum schleuderte. Er ahnte nicht, daß dies genau die Version war, die Perry Rhodan dem Rest der Galaxis »verkauft« hatte. Oberst Tepper Sockmann legte die Hand über die Augen, als sich in einigen Kilometern Entfernung Bewegung auf einem flachen Fels plateau zeigte. Er sah auf die Uhr und schloß aus der Zeitanzeige, daß die Bewegung den Start der KÖNIGSBERG ankündigte. Der Leichte Kreuzer der Städteklasse sollte einen täglichen Patrouillenflug absolvieren, eine langweilige Sache, die seiner Besatzung und denen der anderen Kreuzer seit langem zum Hals heraushing. Eine Sand- und Staubwolke wirbelte auf und fegte das Plateau sauber. Gleich darauf glitt summend ein Teil der mächtigen Fels platte weg; ein hundertfünfzig Meter durchmessendes, kreisrundes Loch wurde erkennbar; der Transportschacht der KÖNIGSBERG, die aus ihrem subplanetaren Hangar ins Freie gehoben wurde. 31
Ungefähr eine halbe Minute später tauchte die obere Polkuppel des Aufklärungskreuzers über dem Rand des Schachts auf. Majestätisch langsam schob sich der blankpolierte Kugelkörper hervor, bis schließlich die Landestützen zu sehen waren. Die KÖNIGSBERG stand auf einer Antigravplattform, die ihrerseits von einem Druckfeld transportiert wurde. In fünfzig Metern Höhe über dem Schachtrand begann die Plattform wieder abzusinken; das Schiff verharrte bewegungslos in der Luft. Erst nachdem sich der Transportschacht wieder geschlossen hatte, blitzte es im Ringwulst der KÖNIGSBERG grell auf. Die Impulstriebwerke überwanden die natürliche Massenträgheit des Kreuzers innerhalb von fünfzehn Sekunden. Anschließend beschleunigte das Schiff so schnell, daß Oberst Sockmann ihm nicht mit den Augen zu folgen vermochte. Lediglich das Donnern der aufgewühlten Luftmassen und eine rasch absinkende Sandwolke verrieten, daß auf dieser Einödwelt soeben ein hochmo dernes Raumschiff gestartet war. Ein Raumschiff der Flotte des Solaren Imperiums. Doch das wußte der Oberst nicht. Für ihn, wie für Milliarden terranischer und anderer Raumoffiziere, existierten das Solsystem und das Solare Imperium nicht mehr. Allerdings glaubte Tepper Sockmann nicht daran, daß die gesamte solare Menschheit bei der Katastrophe umgekommen sein sollte. Noch weniger glaubte er daran, Perry Rhodan wäre ebenfalls tot. Natürlich hatte Glaube nichts mit wissenschaftlich beweisbarer Wahrheit zu tun. Aber so wahr er, Tepper Sockmann, den Großadministrator bei mehreren Manövern im Imperiumsrat beobachtet hatte, so fest vertraute er darauf, daß dieser genial begabte, außerordentlich entschlußfreudige und der Menschheit zutiefst ergebene Mann sowohl das Verhängnis vor seinem Wirken erkannt als auch dafür gesorgt hatte, daß der größte Teil der solaren Menschheit in Sicherheit gebracht wurde. Einige Gerüchte schienen das in letzter Zeit zu bestätigen. Und im Grunde genommen war die Existenz eines gigantischen Flottenmagazins unter der Oberfläche von Krover auch eine Art Bestätigung, denn ein Ausrüstungsmagazin, das seit hundertachtzig Jahren unberührt blieb - bis auf wenige Ausnahmen -obwohl eine Katastrophe über die Menschheit hereingebrochen war, das zeugte zumindest von der Vorsorge für noch schlimmere Fälle. Und diese Vorsorge hätte keine Berechtigung gehabt, wenn die erste Katastrophe vernichtend gewesen wäre. Der im Dienst ergraute Flottenoffizier fragte sich sekundenlang, ob die Anlegung der Flottenmagazine wie auf Krover etwas mit dem Auftauchen der Accalauries zu tun haben könnte. Plötzlich waren die Langeweile und das Schicksal des Solsystems vergessen. Fassungslos starrte Oberst Tepper Sockmann auf die seltsame Sonne, die im Westen Krovers aufging. Es war eine bleiche, stark abgeflachte Sonne mit Protuberanzen, die weit in den Weltraum hinausreichten, und einer sich ausbreitenden unregelmäßigen Korona. »Oberstleutnant Akkadany hier, Sir«, meldete sich sein Kombi-Armband-Gerät. »Haben Sie die seltsame Erscheinung beobachtet?« »Natürlich«,, erwiderte Sockmann. »Eine Supernova in einem Nachbarsystem, nicht wahr?« »Irrtum«, widersprach Akkadany. »Die >Supernova< ist nur neun Milliarden Kilometer von uns entfernt.« »Was . . .?« schrie der Oberst. »Aber das ist doch im Staubring unseres Sonnensystems!« »Ja . . .!« dehnte sein Stellvertreter. »Natürlich, Sir. Und damit kann es keine Nova oder Supernova sein. Kommen Sie in die HALIFAX, Sir. Ich habe Alarm für den Stützpunkt gegeben.« Tepper Sockmann spurtete bereits los. Aus der getarnten Pfortenkuppel kam ihm ein flacher Gleiter entgegen. Der Offizier warf sich hinein. »Endlich mal Abwechslung, Sir!« sagte ein junger Leutnant freudestrahlend. Sockmann nickte. Dennoch war er plötzlich nicht mehr so versessen auf eine Unterbrechung seines langweiligen Routinedienstes . . . Accutron Mspoerns Geist balancierte an der Grenze zwischen äußerster Verzweiflung und Wahnsinn. Das Grauen schüttelte seinen kugelförmigen Körper. Seine vier hervorquellenden Augen waren auf die Instrumente des Raumbootes gerichtet, aber sie registrierten keine einzige Anzeige. Accutron sah vor seinem geistigen Auge wieder und wieder das große Mutterschiff, wie es hilflos auf die Gas-und Staubwolke zutrieb - ohne Neutralisierungsschirm, der es vor der Antimaterie dieses Universums schützte . . . Accutron Mspoern verdankte sein Leben einer Kette glücklicher Zufälle, die ihren Ursprung allerdings in einer weniger glücklichen Quelle hatten. Durch Überlastung verschiedener Aggregate war es im Mutterschiff zum Ausfall wichtiger Maschinen und Projektoren gekommen. Der Neutralisierungsschirm war zusammengebrochen, und bevor seine Versorgungsaggregate gedrosselt worden waren, hatte die überschüssige Energie einige kleinere Explosionen innerhalb des Schiffes hervorgerufen. Dadurch war es auch noch weitgehend manövrierunfähig geworden. Accutron und dreißig andere »Blätter« waren mit diskusförmigen Beibooten ausgeschleust worden, um die Schäden an den Projektoren zu beseitigen. Nachdem sie schon einige Zeiteinheiten gearbeitet hatten, war Accutrons Blick zufällig auf die Anzeigetafeln der Massetaster gefallen. Er hatte gesehen, daß das Mutterschiff zusammen mit den Reparaturbooten dicht vor einem mächtigen Ring aus interstellarer Mikromaterie schwebte und unaufhaltsam weiter darauf zutrieb. Bevor er die Folgen bewußt erkennen und nach Gegenmaßnahmen suchen konnte, handelte sein Unterbewußtsein und ließ ihn sein Raumboot mit höchsten Werten beschleunigen und aus der unmittelbaren Gefahrenzone bringen. Der grelle Explosionsblitz hinter seinem Boot hatte den Wissenschaftler kaum noch geistig berührt, denn im gleichen Augenblick war sein Gehirn erfüllt gewesen von den Todesimpulsen seiner dreihundert Gefährten, die in der Explosion verdampften, wobei ihre Gehirne unbewußt den fünfdimensionalen Notschrei der Blätter ausstießen. Accutron Mspoern schrie, als die Erinnerung an die vereinten Todesimpulse ihn wieder und wieder mit täuschender Scheinrealität überfiel. 32
Er zitterte und schrie und weinte so lange, bis seine physischen Kräfte aufgezehrt waren und sein Bewußtsein allmählich wieder aufnahmefähig für äußere Reize wurde. Langsam sickerte der melodische Gesang des Lobbyhuvos in Accutrons Geist, schläferte die Furcht ein und weckte die Erinnerung an den Baum . . . Accutron stieß einen langen Seufzer aus. Lobbyhuvos wedelte mit allen sechs Armen gleichzeitig. »Endlich, endlich!« rief er ekstatisch. »Die Finsternis ist aus ihm entwichen! Ah, Accutron, Blatt aller Blätter! Du hast die Furcht und den Schrecken besiegt!« Lobbyhuvos rückte näher. Seine vier kleinen Tellerfüße saugten sich an dem Pilotensessel fest. Dachte man sich die Gliedmaßen und die Kopfantennen weg, dann sah der Lobbyhuvos aus wie eine bauchige Flasche mit langem dünnem Hals und einem kugelförmigen Verschluß. Zusammen mit den vier extrem kurzen und dünnen Beinen und dem kugelförmigen Kopf maß der Lobbyhuvos siebzig Zentimeter; sein größter Durchmesser betrug 25 Zentimeter. Der Kugelkopf durchmaß acht Zentimeter. »Soll ich dich kraulen, Herr und Gebieter?« fragte Lobbyhuvos und kicherte. Gleichzeitig streckte er seine beiden Kraul- und Massagearme aus; die zartgliedrigen Finger kitzelten und kraulten Accutron Mspoern an dem halbkugelförmigen Kopf, unterhalb der glatten Fläche mit den vier hervorquellenden Augen. Unwillkürlich begann Accutron zu lachen, doch dann schob er die Hände des Lobbyhuvos unwillig zur Seite. »Hör auf! Du weißt genau, daß wir in eine verzweifelte Lage geraten sind. Meine Gefährten sind zu schnell gestorben, als daß ihre Todesimpulse den normalen Weg durch das Parakontinuum nehmen konnten. Wenn überhaupt, dann trifft ihr Ruf viel zu spät bei den anderen Blättern ein. Bevor Hilfe kommt, wird mein Sauerstoffvorrat verbraucht sein. Ich werde sterben. Das schlimmste aber ist, daß ich einsam sterben werde.« Lobbyhuvos drehte seinen Kugelkopf um neunzig Grad nach links, dann um neunzig Grad nach rechts, als suche er etwas. Dabei bewegten sich die zarten Fühler vibrierend, während die vorquellenden roten Augen vorn und hinten wie Gallerte zitterten. »Du beleidigst mich, deinen besten Freund, Accutron!« stieß er entrüstet hervor. »Wie kannst du einsam sterben, wenn ich bei dir bin! Ha! Das ist die Undankbarkeit der Welt. Vierzig Krwaus diene ich dir nun schon. Ich habe dich massiert und gekrault, wenn es nötig war, ich habe dich in den Schlaf gesungen, dich an meiner unendlichen Weisheit teilnehmen lassen . . .« Er brach ab, als Accutron schallend lachte. Seine Logikschaltkreise summten stärker, als der Auswertungssektor erkannte, daß die eingeschlagene Taktik erfolgreich gewesen war. Der Herr war aus seinen düsteren Grübeleien gerissen worden. Accutron Mspoern preßte die Hände gegen den Kugelleib, während das Gelächter allmählich abklang. Als er sich gänzlich beruhigt hatte, fuhr er den Halbkugelkopf ein Stück aus der Rumpföffnung und musterte den Lobbyhuvos nachdenklich. »Vielleicht bist du weiser, als die Blätter des Großen Baumes bisher annahmen«, murmelte er. »Wahrhaftig, du hast mich schon oft ergötzt, aber du hast mir auch schon zahllose Lebenswahrheiten beigebracht . . .« »Nicht Lebenswahrheiten, sondern Lebensweisheiten«, korrigierte der Lobbyhuvos. »Eine Wahrheit im absoluten Sinne gibt es nicht.« Er stieß sich vom Pilotensitz ab und schwebte zur Decke der Steuerzentrale, wo er seine Saugfüße verankerte und mit dem Kugelkopf nach unten hing. Die sechs Arme gestikulierten heftig und zeigten auf die Ortungsinstrumente des diskusförmigen Raumbootes. Accutron Mspoern drehte die glatte Fläche des Kopfes seinen Anzeigen zu. Der Ring dichter kosmischer Mikromaterie war inzwischen überflogen worden. Nun lag das fremde Sonnensystem offen vor ihm. Die rote Sonne wirkte rein optisch trüb und kühl; die Meßgeräte zeigten jedoch eine starke Wärmestrahlung an, die von ihr ausging. »Drei Planeten . . .«, murmelte Accutron sinnend, » . . . davon zwei kleine und ein Gigant, der eigentlich nur eine mangels Masse verhinderte Doppelsternkomponente darstellt. Nummer drei besitzt allerdings keine halbplanetaren Satelliten wie die meisten seiner Art. Wahrscheinlich ist die dafür geeignete Atmosphäre durch Begleiterscheinungen der Planetengeburt weit über die Bahn von Nummer drei geschleudert worden. Das erklärt den ungewöhnlichen und massereichen Gas- und Staubring um das System.« »Reinlichkeitswahn«, ließ Lobbyhuvos sich wieder vernehmen. »Wie . . .?« fragte Accutron Mspoern verwundert. »Reinlichkeitswahn; deshalb >kehrte< sie allen überflüssigen Abfall aus dem System. Unfreundlicher Akt den Nachbarn gegenüber, würde ich sagen.« »Spinner!« gab Mspoern zurück. Dennoch konnte er ein Lachen kaum unterdrücken. Er stellte mit Hilfe des kleinen Bord-Quantengehirns einige Berechnungen an. Danach erhöhte er die Triebwerksleistung und richtete den Kurs auf den zweiten Planeten. Accutrons Unterbewußtsein zog ihn dorthin, obwohl er auf jedem beliebigen anderen Planeten aus Antimaterie ebenso in seinem Raumboot gefangen sein würde wie im freien Raum. Er besaß nur einen leichten Raumschutzanzug ohne Energieaggregate zur Errichtung eines Neutralisierungs-schirms. Aber der zweite Planet der roten Sonne zog ihn instinktiv an, weil die Meßergebnisse vertraute Verhältnisse angezeigt hatten. »Was suchst du auf dem zweiten Planeten, mein Gebieter?« fragte Lobbyhuvos nach einiger Zeit, die er mit Musiksendungen überbrückt hatte. »Ja, was suche ich eigentlich dort!« sagte er mehr zu sich selbst als zu seinem Gefährten. »Vielleicht . . .« Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Die Ortungsautomatik signalisierte optisch und akkustisch die auftreffenden Tasterstrahlen eines fremden Raumschiffes . . . 33
Die Sirene des Gleiters heulte ununterbrochen, während der Pilot den Oberst durch das Gangsystem des
Flottenstützpunktes Krover steuerte. Andere Gleiter wichen aus. Raumsoldaten sprangen zurück. Der
Stützpunktkommandeur hatte die unbeschränkte Vorfahrt.
Endlich hielt das schalenförmige Gefährt schlingernd unter der Mannschleuse des Leichten Kreuzers HALIFAX.
Oberst Tepper Sockmann schwang sich über den Rand und warf sich in das freie Kraftfeld der Schleuse.
Augenblicklich wurde er gewichtslos; ein sanfter Zug hob ihn empor und zog ihn in die Schleuse hinein. Hinter ihm
schloß sich das Schott. Er war der letzte Mann, der das Befehls schiff des 49. Aufklärungsgeschwaders betreten hatte.
Als Sockmann die Hauptzentrale betrat, befand sich die HALI FAX bereits im freien Weltraum. Ihre starken
Triebwerke entfesselten unvorstellbare Kräfte. Auf den Heckbilderfassungsschirmen schrumpfte die Kugel von Krover
mehr und mehr zusammen.
Oberstleutnant Akkadany erhob sich halb, blickte seinem Vorge-etzten fragend entgegen.
»Sir, möchten Sie mich ablösen?«
Oberst Sockmann winkte ihm zu.
»Führen Sie das Kommando weiter. Ich gehe in die Funkzentrale.«
Im Laufschritt eilte er weiter. Die Funker saßen in einem Halbeis in ihrer Zentrale, die Rücken zum Schott gewandt,
die Blicke
auf ihre Geräte gerichtet.
»Hyperkomverbindung zur Einsatzzentrale!« befahl der Oberst.
Der Cheffunker nickte schweigend und stellte die Verbindung
innerhalb weniger Sekunden her.
Tepper Sockmann erkundigte sich, welche Einheiten sich außer der KÖNIGSBERG und HALIFAX noch im
Kontrollsektor des Systems befänden. Er bekam die Antwort, daß nur noch ein einziges Schiff vor dem Materiering
patrouillierte, die WARSAW. Er ließ sich mit dem Kommandanten der WARSAW verbinden.
Auf dem Hyperkomschirm tauchte das Gesicht von Major Enrice Carbali auf, ein schmales bronzefarbenes Gesicht,
über dem sich eigenwillig gekämmte schwarze Haare türmten.
Carbali lächelte so höflich wie immer, doch im Hintergrund seiner Augen entdeckte Sockmann die Widerspiegelung
nackter Angst.
»Berichten Sie, Major!« befahl er. Seine Stimme klang härter als sonst, aber Major Enrice Carbali schien es gar nicht
zu bemerken, ein weiteres Zeichen dafür, daß die Angst seine Empfindungen gelähmt hatte.
»Wir befanden uns im Kontrollsektor Beta-dreizehn-Nord, als es geschah, Sir«, berichtete er mit kaum modulierter
Stimme. »Zu dieser Zeit befanden sich vier Astronomen in der transparenten oberen Polkuppel. Sie wurden von dem
Photonenausbruch geblendet, Sir.«
Sockmann holte erschrocken Luft. »Geblendet . . .? Wollen Sie damit sagen, sie wären - erblindet . . .?«
»Ihre Netzhäute verbrannten regelrecht, Sir«, bestätigte Major Carbali mit der Monotonie des von Entsetzen
geschockten Mannes. »Die beobachtete Kernexplosion war sehr ungewöhnlich. Derartige Mengen von Photonen
sind bei Kernexplosionen noch nie beobachtet worden. Seltsamerweise zeigte die automatisch vorgenommene
Spektralanalyse die typischen Linienspektren von Nickel als dominierend an. Aber noch bevor die Atomsonne
erlosch, lange zuvor sogar, war überhaupt kein Linienspektrum mehr zu identifizieren. Dafür dieser fürchterliche
Photonenausbruch . . .«
Carbalis Stimme brach ab.
»Einen Moment mal . . .«, rief Oberst Sockmann gedehnt. »Nun reißen Sie sich zusammen, Major - bitte! Sie
sprachen davon, daß die Linienspektren von Nickel dominierten. Das heißt, es wurden auch Linienspektren
anderer Elemente registriert, oder?«
Enrice Carbali tupfte sich die schweißfeuchte Stirn mit einem Taschentuch ab. Seine Stimme klang spröde, als er
antwortete:
»Der Spektrograph registrierte außer Nickel auch alle Elemente, die wir bisher in dem Ring aus Mikromaterie
gefunden haben, Sir. Den ersten positronischen Berechnungen zufolge sieht es so aus, als hätte sich ein Teil des
stellaren Staubrings in reine Energie verwandelt.«
Sockmann preßte die Lippen zusammen, so daß sie schmale, blutleere Striche bildeten. In seinem Gehirn
formt en sich die Gedanken zum Ansatz einer Hypothese, vor der er innerlich zurückschreckte. Dennoch zwang
er sich dazu, die Gedanken weiter zu ordnen.
»Danke, Major Carbali«, sagte er geistesabwesend. »Suchen Sie Sektor Gamma-dreizehn-Süd ab. Ich begebe
mich mit der HALIFAX persönlich in den Sektor Beta-dreizehn-Nord.«
Er eilte in die Kommandozentrale zurück und befahl seinem Stellvertreter, weiterhin das Kommando über die
HALFIFAX zu behalten. Er selber begab sich an den Kartentisch, ließ sich in einen Schalensessel sinken und
starrte grübelnd vor sich hin.
Schließlich rief er die Ortungszentrale an und befahl, nach einem oder mehreren Raumbooten Ausschau zu
halten. Den gleichen Befehl erteilte er anschließend den Kommandanten der WARSAW, KÖNIGSBERG und
aller übrigen inzwischen gestarteten Aufklärungskreuzer.
Ein wenig unsicher blickte er auf, als Oberstleutnant Akkadany zu ihm trat.
»Eine Kernexplosion hat im Staubring des Squirepankin-Systems stattgefunden«, sagte er bedächtig, »eine
gewaltige Explosion, die unmöglich von den durchgehenden Atomreaktoren eines großen Raumschiffes allein
verursacht worden sein kann.«
34
Er blickte seinen Stellvertreter an. Akkadany nickte lächelnd. Der Oberst runzelte die Stirn.
»Die Explosion erzeugte keine radioaktive Strahlung, dagegen einen bisher nie dagewesenen oder uns nie
bekanntgewordenen Ausbruch von Photonen, eine so grelle Lichtflut, daß sie die Filter der Polkuppel eines
Raumschiffes durchdrang und mehreren Menschen die Netzhäute verbrannte.
Von den automatisch anlaufenden Spektrographen wurden kurzzeitig die Spektrallinien aller im Staubgürtel
vorkommenden Elemente registriert, wobei das Element Nickel dominierte. Aber . . .«, er hob seine Stimme an,
» ... aber bevor die Explosion zu Ende war, also noch während eines gewaltigen Energieausbruchs, erloschen die
Linienspektren, als wären die Elementarteilchen restlos in Energie umgewandelt worden.«
Erneut richtete er seinen Blick auf Oberstleutnant Akkadany.
»Keine uns bekannte Kernreaktion bringt so etwas fertig, nic ht wahr! Außer einer, die wir erst vor einiger Zeit
kennenlernten: die explosive Reaktion von Koinomaterie mit Antimaterie . . .!«
»Die Accalauries«, murmelte der Oberstleutnant.
»Ja«, sagte Tepper Sockmann mit fester Stimme, »die Accalauries. Ich weiß zwar nicht, was diese Wesen aus
Antimaterie bei uns gesucht haben, aber sie sind halt gekommen.«
»Und umgekommen«, fügte Akkadany hinzu.
Der Interkom sprach an. Der Kreuzer KÖNIGSBERG meldete, er habe ein diskusförmiges Raumboot oberhalb
des Staubringes geort et. Das Boot näherte sich mit 0,333 LG dem Planeten Krover.
»Also doch nicht alle umgekommen«, meinte der Oberst lakonisch. Er wandte sich wieder seinem Cheffunker
zu. »Beordern Sie die KÖNIGSBERG in unseren Sektor. Es sieht so aus, als würde der Accalaurie mitten
hindurchfliegen. Die KÖNIGSBERG soll sich aber in sicherer Entfernung halten!«
Sockmann schaltete ab und sah seinen Stellvertreter an.
»Ich werde wieder das Kommando übernehmen, Oberstleutnant. Sie begeben sich in die
Kommunikationszentrale des Bordcomputers und versuchen, gemeinsam mit der Inpotronischen Sektion, Aus
wahlmöglichkeiten zur Verständigung mit intelligenten Lebewesen aus Antimaterie zu erarbeiten.«
»Wir müssen uns verteidigen!« stieß Accutron Mspoern hervor. »Oder fliehen!«
»Bis jetzt greift uns niemand an, Gebieter«, antwortete der Lobby-huvos. »Der Weise sieht den Dingen mit
Gelassenheit entgegen. Na also . . .!«
»Was heißt >na also