Atlan - Die Abenteuer der Sol Nr. 517 Die Mausefalle
Der Tod eines Magniden von Hans Kneifel
Die Demonteuer...
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Atlan - Die Abenteuer der Sol Nr. 517 Die Mausefalle
Der Tod eines Magniden von Hans Kneifel
Die Demonteuere an Board der SOL
Alles begann eigentlich im Dezember des Jahres 3586, als Perry Rhodan mit seinen Gefährten die SOL verließ und zur BASIS übersiedelte, nachdem er den Solgeborenen das Generationenschiff offiziell übergeben hatte. Seit dieser Zeit, da die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationen schiffs gehört. Im Jahr 3791 ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Und das ist auch dringend notwendig. Doch bevor er das an Bord herrschende Chaos beseitigen kann, gilt es erst, die SOL, die in einem Traktorstrahl gefangen ist, zu befreien. Während Atlan sich mit ein paar Gefährten aus diesem Grund auf Mausefalle VII aufhält, dem Planeten, von dem das Unheil ausgeht, wird die SOL von Robotern geentert, die das Schiff in seine Bestandteile zerlegen wollen. Bei diesen Aktionen kommt es zum TOD EINES MAGNIDEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Chart Deccon ‐ Der Kommandant der SOL ist hilflos. Homer Gerligk ‐ Ein Verräter an der SOL. Billhard, Branka, Danyel und Lyss ‐ Vier Pyrriden auf Monsterjagd. Weicos ‐ Ein Monster greift in die Geschehnisse ein. Marris 3240 ‐ Ein Roboter von Mausefalle VII.
1. Pechschwarze, kantige Granitblöcke durchstießen die Ebene aus weißem Sand. Der Himmel war von wolkenlosem Blau, die Kette der Hügel dahinter war vom rötlichen Gelb der Sonne überschüttet. Das Gelände strahlte in jedem Quadratmeter uralte Geschichte aus. Zwischen den Steinen wuchsen seltsam kantige Pflanzen von ungewöhnlichem Grün. Ein Windstoß wehte eine Staubwolke über die Blöcke und die Pflanzen. Sie hatte die Form einer weißen Brandungswelle. Aus dem breit heranrollenden Wirbel schwebte mit weit auseinandergebreiteten Schwingen ein Flugsaurier. Seine ledrige Haut glänzte mattschwarz. In dem regungslosen Himmel tauchte ein winziges, flimmerndes Lichtpünktchen auf. Es schien sich zu nähern und wurde größer. Der erbarmungslose Glanz der Sonne riß einen gewaltigen Reflex aus dem Ding, das in einer flachen Parabel auf die Anhäufung der schwarzen Felsbrocken zuzufallen schien. Ein dumpfer, endlos nachhallender Donner tobte über das verlassene, einsame Land. Der Saurier kippte seine Flügel und ließ sich von der heißen Luft wieder aufwärts reißen. Aus dem blitzenden Punkt war, als er relativ nahe genug über den Hügeln schwebte, eine zweifache Kugel geworden. Sie taumelte hin und her, und plötzlich, als sie über der weißen Wüste stehenblieb, zeigte die Doppelkugel ihre richtige Gestalt. Sie war hantelförmig; ein gedrungenes Mittelteil verband die
beiden Kugeln miteinander. Die Konstruktion sah aus wie die SOL. Es war die SOL! Chart Deccons Nerven bebten. Er glaubte einen ständigen Strom von prickelnder Energie zu spüren, der sich in seinen Körper ergoß. Der High Sideryt lag in tiefem Schlaf. Der Schlaf, voll von furchtbaren Träumen, war so abgrundtief, daß er mehr einer Bewußtlosigkeit glich. Chart Deccon stöhnte auf. Er schwankte hilflos in einer Traumphase, in der er die Illusion für die Wirklichkeit hielt. Auf einem niedrigen Tisch aus schwarzem Holz, mit einer dunkelgrauen Platte aus Metall, stand ein Spezialakku. Von seinen Anschlüssen ringelten sich biegsame Spezialschläuche bis zu den Elektroden auf der Haut des wuchtigen Mannes. Wieder gab Chart Deccon ein würgendes, qualvolles Geräusch von sich – nur er wußte, welch schreckliches Schicksal der SOL er miterlebte. Und auch die ständig wechselnden Bilder der einsamen Landschaft erschreckten ihn und verstärkten seine inneren Ängste, die zahllos waren wie die Kammern und Korridore des großen Schiffes. Der Streik der Buhrlos schien für dieses Mal vorüber zu sein. Sie hatten den Magniden und dem High Sideryt gefüllte Akkus mit eingesammeltem E‐kick geliefert. Vorübergehend, für ganz kurze Zeit, herrschte außerhalb des Schiffes eine leidlich entspannte Lage. Zwar bewegten sich noch immer verschiedene kosmische Trümmer schneller oder langsamer an der SOL vorbei, drehten sich und taumelten, aber dem Schiff war noch nichts geschehen. Auch innerhalb des Schiffes herrschte eine gewisse Lähmung. Es gab keine offenen Kämpfe und keine wütenden Auseinandersetzung. Die Magniden, die in der Zentrale Dienst hatten, faßten ihre Eindrücke in einem einzigen Satz zusammen. »Die Ruhe vor dem nächsten Sturm.« Die Beleuchtungskörper in der Wohnzentrale waren auf den geringsten Leuchtwert heruntergeschaltet worden. Das düstere Mobiliar und die stumpf glänzenden Körper der Roboter ließen
dadurch das Innere der Klause noch finsterer und bedrohlicher wirken. Nur die Bildschirme, die Monitoren und die Interkome, nicht alle aktiviert, erzeugten die Illusion bewegter Lichtstrahlen. Vor kurzer Zeit war Chart Deccon erschöpft in seinen schwarzen Sessel gefallen. Er wollte sich nur kurz ausruhen und E‐kick tanken. Aber dann hatte ihn die Müdigkeit übermannt. Ein neuer Traum ließ ihn zitternd, nach Luft schnappend und schweißüberströmt auffahren. Er blinzelte und kam zu sich. Langsam stand er auf und blieb vor seinem Sitz stehen; der schwere Körper schaukelte in den Nachwirkungen des Traumes, noch immer in den Fesseln des Schlafes gefangen, hin und her. Mit schmatzenden Lauten lösten sich die Sensoren der E‐kick‐ Leitungen von der Haut des Riesen. Er blickte mit winzigen Augen, unter schweren Lidern und Tränensäcken verborgen, auf die Schirme. Da war nichts, was ihn beunruhigen sollte. Er fühlte sich, nachdem er in schweigender Konzentration versucht hatte, die Mattigkeit aus dem Körper und seinem Verstand zu vertreiben, seltsam leicht, als er aufächzend die Stufen der Podeste herunterging. Abermals wurde ihm bewußt, wie einsam er war, und in welch auswegloser Lage sich er und die SOLAG befanden. Er wandte sich um, seine Schritte brachten ihn in die Nähe der halbautomatischen Kombüse. Als er das schmale Schott erreicht hatte, für das seine Schultern zu breit schienen, riß es ihn herum. ALARM! Mit drei Sätzen in einer Schnelligkeit, die niemand dem golemhaften Körper zugetraut hätte, war er an dem breiten Kontrollpult. Die dicken, muskelstarrenden Finger fuhren auf die Tasten nieder. Die Monitoren der Außenbeobachtung flammten auf. Im zuckenden Rotlicht der Warnlampen, das Geräusch der Summer und Sirenen in den Ohren, die Augen starr auf das
Geschehen geheftet, stand der High Sideryt da und wußte, daß die nächste Gefahr nach dem Schiff griff. Er warf einen schnellen Blick auf die Digitalziffern der Bordzeituhr. 20.05.3791… 02.35.05 Uhr. »Zentrale«, rief er dröhnend. »Sofort Alarm für die Kommandos. Alles, was Waffen hat, soll eingreifen!« Hinter einigen großen Asteroiden und jenseits einer unerklärlichen Form aus durchlöchertem Schrott, der aus Metall und Glas bestand, waren kleine, fremdartige Raumschiffe hervorgeschossen. Sie hatten wie ein regelloser Schwarm gedrungener Insekten die Entfernung zwischen den als Ortungsschutz dienenden Verstecken und dem Schiff in so kurzer Zeit zurückgelegt, daß jeder Ansatz zur Gegenwehr sinnlos gewesen war. Die Raumschiffe beschleunigten und verzögerten mit abenteuerlichen Werten, »Verstanden!« kam es aus der Zentrale. Die Lautsprecher dröhnten. Chart stellte die Alarmsignale auf den leisestmöglichen Wert ein. Die Magniden rannten aufgeregt hin und her und schalteten die Anordnungen und Befehle auf die einzelnen Schiffsbezirke um. Gebannt beobachtete Chart Deccon, wie der Schwarm sich, dicht entlang der Bordwände fliegend, verteilte. Seine Hand krampfte sich um das Metallkästchen auf seiner Brust, als er erschüttert hervorstieß: »Sie greifen alle drei Schiffsteile an!« Ununterbrochen wechselte er von einer Linsengruppe zur anderen. Die Aufnahmegeräte befanden sich an allen denkbaren Stellen der Außenhülle, geschützt in kleinen Vertiefungen. Sie zeigten schonungslos, wie die ersten Schiffe andockten. Sie waren mit maschinenhafter Präzision gesteuert worden und saßen wie häßliche Warzen auf der Hülle der SZ‐1, der SOL und der SZ‐2. »Mitten in der Nacht«, stieß Wajsto Kölsch hervor. »Sie sind schnell und zielstrebig, als wüßten sie genau, wo sie ansetzen müssen.«
Der muskulöse Magnide mit dem kurzgeschorenen Haar rief einigen Vystiden‐Hauptleuten auf den Bildschirmen seine Befehle zu. Tatsächlich hatte der Angriff der Roboter das Schiff mitten in der ruhigeren Phase des Bordtags getroffen. Das bedeutete, daß unzählige Solaner naturgemäß schliefen. Die Korridore waren leer, die meisten Beleuchtungskörper auf weniger Leistung oder ganz ausgeschaltet. »Schnell! Schickt die Bewaffneten!« grollte die dunkle, heisere Stimme des High Sideryt auf. Vom Alarm aus dem Schlaf oder aus den Beschäftigungen in der kargen Freizeit gerissen, kamen nacheinander alle Magniden in die Zentrale der SOL gehastet. Vier von ihnen hatten sich turnusmäßig vor den Geräten aufgehalten. Sowohl Kölsch und Arjana als auch Herts und Nurmer waren von dem blitzschnellen Angriff der Maschinen völlig überrascht worden. Aus keiner der Ortungsabteilungen war auch nur der geringste Hinweis eingetroffen. Die Schiffe der Roboter, vom Licht der Mausefalle‐ Sonne hart angestrahlt, warfen satte, tiefschwarze Schatten auf die Hülle der drei Schiffskörper. Ein gewaltiger Strom von eckigen Robotern ergoß sich aus den kleinen, wendigen Schiffen, nachdem diese sich mit – offensichtlich – magnetischen Greifern oder Halterungen an der Hülle festgeklammert hatten. Unverzüglich und mit einer geradezu faszinierenden Präzision von ineinandergreifenden Aktionen fingen die Maschinen zu arbeiten an. »Unglaublich!« keuchte Chart Deccon. Zuerst stellten die Maschinen über dem Gebiet der Hülle, auf dem sie sich befanden, einen Energieschirm her. Eine annähernd halbkugelige Energieschale wölbte sich hoch. An einer anderen Stelle, stets unweit der Schiffe, entstand eine zweite. Binnen weniger Minuten waren die drei Rumpfteile der SOL von den Schutzschirmen übersät. Sie leuchteten fahl in der sonnenabgewandten Seite und zeigten einen schwach spiegelnden
Effekt auf den gegenüberliegenden Hemisphären. Durch die Korridore rasten die ersten Kommandos der Bewaffneten. Vystiden und schwer gepanzerte Haematen kauerten auf den Schwebeplattformen und den Antigravplattformen. Einige Haematen hatten bereits Raumanzüge angezogen, die Helme aber noch nicht geschlossen. Es würde Kampf geben; wieder ging es um Zerstörungen und großen Schaden für das Schiff. Unter den Schutzschirmen gingen die Roboter an die Arbeit. Meist waren sie kastenförmig und tappten auf vier kurzen, mehrgelenkigen Beinen über das Metall des Schiffes. Ihre Arme enthielten als Endglieder messerscharfe Werkzeuge und Sägen. Die Roboter, von denen die meisten durch unterschiedliche Farbbänder und ‐striche im unteren Drittel ihrer Körper gekennzeichnet waren, besaßen ihre Linsen und Sinnesorgane oberhalb der Ansatzpunkte ihrer starken Gelenke. Die Roboter gingen, wie die Magniden erkennen konnten, geradezu »behutsam« vor. Sie rissen nicht etwa einfach Platten aus der Verbund‐Zellen‐Schichtung heraus, sondern trennten sie entlang von Nähten ab. Sie arbeiteten in rasendem Tempo und lösten Nieten ebenso wie Schrauben, Montagegriffe und ähnliche Unregelmäßigkeiten der sonst glatten Schale. Also verhinderten sie, daß durch ihre Tätigkeit die Luft aus dem Schiff entwich. »Die Roboter von Mausefalle Sieben!« dröhnte der High Sideryt. »Sie fangen an, die SOL zu demontieren!« »Es war zu vermuten«, gab Gallatan Herts zurück. »Seit den Ereignissen um den Quader hätten wir damit rechnen müssen.« »Ich kann mich nicht darüber freuen, wie schnell und technisch sauber die Maschinen arbeiten!« gab Deccon zurück. »Wir haben nicht genug Abwehrkräfte für die vielen Roboter!« schrie Palo Bow. Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr nur mürrisch, er wirkte, als ob er mit dem Schicksal der SOL abgeschlossen hätte. »Das wird sich bald zeigen!« knurrte Brooklyn starrsinnig.
Sie waren leicht in der Lage, das technische Problem dieser neuen und möglicherweise letzten Attacke zu verstehen. Der Planet besaß wahrscheinlich weitaus mehr als nur hunderttausend Roboter, mehr als eine Maschine pro SOL‐Insasse. Zudem waren die Maschinen in der Lage, die Angriffe von Ferraten und Buhrlos, die über keinerlei schwere Waffen verfügten, mühelos abzuschlagen. Gewiß, die SOL war riesengroß, und es würde sehr lange dauern, bis die Maschinen sie auch nur teilweise demontiert hatten. Es sei denn, es würden vom Planeten noch mehr Roboter in ihren seltsam flinken Schiffen heraufgeschickt. Begann jetzt der letzte Akt in der Geschichte der SOL? »Atlan hat uns bisher nicht geholfen!« stellte Deccon fest. »Er ist ein Gefangener des Planeten. Oder tot. Oder er hat uns hinters Licht geführt!« Inzwischen hatten sich mehrere Kommandos in besonnener Eile formiert. Von der Zentrale wurden den SOLAG‐Angehörigen die wichtigsten Ziele angewiesen. Die Mannschaften waren bis an die Zähne bewaffnet und scheuchten jeden aus den Korridoren zurück in die Quartiere, der sich auf ihrem Weg sehen ließ. Unaufhörlich brüllten ihre Stimmen auf und schilderten, was draußen geschah. Lyta Kundurans Kopf zuckte in die Höhe, als der High Sideryt schrie: »Hat einer von euch versucht, mit den Maschinen in Funkkontakt zu kommen?« »Natürlich«, gab die Jüngste der Magniden aufgeregt zurück. »Ich versuche es ununterbrochen, seit ich hier bin.« Die scheinbare Ruhe der Nachtphase war endgültig vorbei. Gruppen von Ahlnaten und Ferraten hasteten in die angegebenen Richtungen. Alle drei Teile der SOL waren betroffen; die Maschinen machten keinen Unterschied zwischen der SZ‐1, der SOL oder der SZ‐ 2. »Was ist mit dem verdammten Funkverkehr?« schrie Deccon. Die Bilder wechselten auf den riesigen Schirmen. Inzwischen
steuerte eine Automatik die Auswahl der Bildwinkel und der Richtungen, in die Kameras und Linsen starrten. Hinter den Raumschiffen, den Energieblasen und den umherwieselnden Robotern sahen die Magniden die kosmischen Trümmer und den Hintergrund der Sterne. Erbarmungslos und still strahlte das Zentralgestirn auf die Hälfte des Infernos. »Ich versuche sämtliche Frequenzen!« gab Lyta zurück. »Die Sender konzentrieren ihre Energie direkt auf die Schiffe und die Maschinen! Nichts!« Ein Bild aus der Feuerleitzentrale der SOL blendete sich ein. Ein Doppelstrahlengeschütz, das sich auf dem Ringwulst der SOL befand, richtete seine Zieloptik ein. Es war offensichtlich der einzige Projektor, der mit einem Strahlschuß haarscharf an der Wölbung der SOL‐Zelle‐Zwei vorbei eines der feindlichen Raumschiffe und die Maschinen anvisieren konnte, ohne die Hülle des eigenen Schiffes zu verletzen. Langsam wanderte das Ziel in die Gitter der Visierlinien ein. Ebenso langsam hob sich die Vergrößerung des Zielbildes den Betrachtern entgegen. Das Ziel klebte genau auf dem Terminator der SZ‐2, halbiert durch die Linien von Licht und Schatten. »Feuer!« schrie Chart Deccon! »Zeigt es ihnen!« Niemand achtete auf sein Brüllen. Der unbekannte Vystide, der in der Leitzentrale saß, löste die Energie aus. Nacheinander verließen lange Feuerstrahlen die Mündungen der beiden Projektoren, schlugen in den Schutzschirm der Roboter ein und in die Hülle des kleinen Schiffes. Glutwolken und explodierende Gasansammlungen breiteten sich aus, die Trümmer und Fetzen wirbelten umher. Einige Roboter wurden von den Energiestrahlen getroffen, die anderen lösten ihre Füße von der Unterlage und rannten in allen Richtungen auseinander. Aber schon näherte sich von der abgewandten Seite ein Schiff, dockte unmittelbar neben dem Geschütz an und öffnete seine Luken. Roboter quollen heraus. Ein Schutzschirm warf sich über die Doppelwaffe.
Noch während der Vystide versuchte, durch Drehen und einen neuen Feuerstoß die Chancen einer Gegenwehr zu vergrößern, fingen die Maschinen an, das Geschütz zu demontieren. »Wahnsinn! Völliger Mißerfolg!« knirschte Chart Deccon. Er widerstand der sinnlosen Versuchung, selbst hinauszustürmen und in den Kampf, der keiner mehr war, einzugreifen. Er erkannte, daß sich die Abwehr der Maschinen auf die schalennahen Innenräume der SOL konzentrieren würde. Und SENECA griff nicht ein. Inzwischen schien sich diese neue, furchtbare Nachricht innerhalb des Schiffes herumgesprochen zu haben. Derselbe ohnmächtige Zorn, der die Magniden und den High Sideryt erfüllte, erfaßte auch einen Großteil der rund hunderttausend Schiffsinsassen. Das Chaos, dachte Deccon, würde schnell oder langsam, aber auf alle Fälle, weiter steigen und irgendwann, in ganz naher Zukunft, den höchsten Wert erreicht haben. Dann war das Ende der SOL nur noch Minuten weit entfernt. Keiner der zahllosen Roboter und nicht ein einziges Mausefalle‐ Sieben‐Schiff antworteten auf die intensiven Versuche, sie mit Funk zu erreichen. Vielleicht fingen die Maschinen etwas auf. Aber sie antworteten nicht. Ein neues Geräusch entstand in der SOL. Wie in hölzernen Konstruktionen, in denen Holzwürmer knirschend und knisternd ihrer zerstörerischen Arbeit nachgingen, breitete sich von Hunderten verschiedener Stellen der Außenhaut das drohende Geräusch der Vibrationen nach innen aus. Die Vibrationen kamen von den maschinell betriebenen Werkzeugen der Roboter. Es gab unter ihnen kleine Exemplare, die rund einen Meter groß waren, bis hinauf zu wahren Maschinenriesen von etwa drei Metern oder mehr. Ein Hangar der Sechzig‐Meter‐Korvetten in der SZ‐1 war der erste Raum, in den die Roboter zuerst eindrangen. Sie wurden von fünf Vystiden und etwa dreißig Haematen
erwartet. Als das erste, rund acht Quadratmeter große Stück der Innenverkleidung von den Robotern weggeschleppt wurde, sahen die Solaner dahinter das grelle Sonnenlicht, das eine Bahn quer durch den Hangar warf und auf die Rundung einer Korvette auftraf. Blendende Helligkeit erfüllte den großen Raum, als die Vystiden das Feuer auf die Maschinen eröffneten. 2. Die Zeit: 04.45.15 Uhr Homer Gerigk lehnte sich schweißgebadet und mit zitternden Gliedern gegen die Wand der ehemaligen Messe. Der Alarm und das Angreifen der Demontagekommandos hatten ihn gerettet. Diese Nacht war die furchtbarste von allen gewesen, seit er sich mit Atlan durch das Schiff bewegt hatte. Sie hetzten ihn: alle Mitglieder der SOLAG schienen wenig andere Ziele zu kennen, als ihn zur Strecke zu bringen. »Ich glaube, ich habe zum letztenmal Glück gehabt!« murmelte er. Seine acht Roboter waren rund um ihn gruppiert und schwiegen. Nur noch acht Exemplare seiner Robot‐Leibwache waren noch übrig; den Rest hatte er während der Hetzjagd durch die SZ‐1 verloren. »Chart Deccon vergißt nichts!« keuchte Gerigk. Der Magnide hungerte, seine Gesichtszüge waren eingefallen. Seine Haut hatte vor Müdigkeit eine ungesunde Farbe angenommen. Das schwarze, lockige Haar – es schien zu einer weit vergangenen Zeit zu gehören. Es war an den Schläfen weiß geworden und so verschmutzt, daß es als dicke Wolle am Schädel anlag. Unaufhörlich juckte die Kopfhaut. Zwar trug Homer längst nicht mehr die auffallenden weißen Kleidungsstücke, sondern eine normale, unauffällige Kombination.
Die dunkelbraunen Flecken in seinem Gesicht hoben sich scharf ab. Die äußerlichen Folgen der E‐kick‐Bestrahlungen interessierten ihn jetzt nicht im mindesten; er hungerte auch nach E‐kick. Aber der erste Versuch, sich einen Akku voll E‐kick zu besorgen oder gar einem Buhrlo etwas zu befehlen, würde auch sein letzter sein. »Sind sie weg?« fragte er. Einer der Roboter erwiderte knarrend: »Es sind keine Anzeichen einer Verfolgung mehr zu orten.« Trotzdem gab es viele Lebewesen in diesem Teil des Schiffes. Es herrschte Halbdunkel. Durch eine zerbrochene, schmutzige Glasfläche leuchtete ein Schimmer der Korridoranlage hierher herein. Homer Gerigks Macht war gebrochen. Jeder Einfluß auf andere oder auf die Geschicke des Schiffes war unmöglich geworden. Seit dem Attentat auf Chart Deccon war Gerigk zum gehetzten Flüchtling geworden. »Sein Befehl gilt noch immer«, sagte er, nur um seine eigene Stimme zu hören. Gerigk wußte, daß der High Sideryt einen Kopfpreis auf ihn ausgesetzt hatte. Jeder, der ihn tötete, würde straflos ausgehen und darüber hinaus noch belohnt werden. Während der zwei letzten Stunden war Gerigk durch ein System von verlassenen Kleinmagazinen, Rohren der Klimaanlage, eine verwahrloste Kombüse und eine erstaunlicherweise leere Wohnkabine geflüchtet, immer wieder aufgestöbert und weitergejagt von einigen Haematen und einem Pyrriden. Mit seiner leise fistelnden Stimme sagte er: »Durchsucht die Kabine, durch die wir eben geflohen sind. Ich brauche Nahrungsmittel und ein Bad.« Zwei Roboter schwebten leise summend davon. Homer Gerigks Knie gaben nach. Erschöpft rutschte er an der schmutzigen Wand herunter und blieb im Dunkel sitzen. Als er noch seinen Platz in der Zentrale der SOL innegehabt hatte, war sein Plan gewesen, die SOL auch weiterhin als Raumschiff zu benutzen,
immer weiter zu fliegen, bis zu einem Ziel, das allerdings außerhalb seiner Vorstellungskraft lag. Die traditionelle Lösung der Frage, landen oder weiterfliegen, eine Kolonie mit hunderttausend Insassen gründen oder mit dem Koloß – oder einem der drei Teile! – die endlose Reise weiterführen. Jetzt schienen weder die Traditionalisten noch die Fortschrittlichen ihre Vorstellungen verwirklichen zu können. Wie hatte es in den Alarmdurchsagen geheißen? Roboter greifen an und beginnen, das Schiff zu demontieren!. Die Roboter kamen zurück. Der kleinere erklärte: »Die Kabine ist frei. Offensichtlich lebte ein Haemate darin. Er ist in die Auseinandersetzungen verwickelt.« »Ihr begleitet mich!« entschied Gerigk, rappelte sich in die Höhe und ging, so schnell er es noch vermochte, im Schutz seiner Maschinen einen Teil des Fluchtwegs zurück. Er öffnete die Schottür, schaltete die Beleuchtung ein und machte sich gierig über die Essensvorräte her. Zwischendurch schaltete er den Interkom ein, desaktivierte die Linsen und verfolgte die Sendungen aus der Zentrale mit. Er war müde und erschöpft, aber er rechnete sich aus, daß die Jagd auf ihn nach kurzer Unterbrechung weitergehen würde. Hier, an dieser Stelle des Schiffes, war er zum letztenmal gesehen worden. Hier würde der neue Abschnitt der Hetzjagd wieder anfangen. Er nahm keine Rücksicht auf verräterische Spuren und bediente sich der Ausstattung des winzigen, unordentlichen Apartments. Er riß die Kleidung herunter, duschte ausgiebig und ließ sich von den Vibratoren massieren. Der Schmutz löste sich von seiner Haut und aus den Haaren. Das heiße Wasser ließ ihn schläfrig werden, die Schauer des kalten Wassers weckten ihn wieder auf. Aus den kargen Vorräten des Haematen, der ebenfalls wie er nicht größer als knapp hundertachtzig Zentimeter war, ergänzte er fehlende Teile seiner Kleidung. Er fand sogar ein Ersatzmagazin für seinen eigenen Strahler und
steckte es ein. Er fühlte sich plötzlich, als sei ihm das Leben neu wiedergeschenkt worden. »Noch habe ich nicht verloren!« fistelte er. »Du hast mich nicht erwischt, Deccon.« Die Robotleibwache brachte immer wieder Verfolger auf seine Spur, gleichgültig, wo er Zuflucht suchte. Es war eine ununterbrochene, permanente Flucht, ein wahrer Teufelskreis. Die Maschinen, die ihn im entscheidenden Fall schützten und sein Leben retteten, kennzeichneten ihn deutlicher, als es alle anderen Merkmale getan hätten. Die Mitglieder der SOLAG kannten ihn und seine Maschinen, in vielen Fällen sogar persönlich. Andere hatten sein holografisches Bild gesehen. Die Kommandos, die ihn verfolgten, drangen rücksichtslos in die Gebiete anderer Gruppierungen ein, störten die Ruhe, verwüsteten die Anlagen und stöberten Solaner auf, die ihrerseits etwas zu verbergen hatten. Auch diese Schiffsinsassen, obwohl ihnen Homer Gerigks Leben oder Tod vollkommen gleichgültig war, machten Jagd auf ihn. Sein Tod bedeutete für sie nichts anderes als die eigene Ruhe. Deswegen konnte er nicht sicher sein, daß gerade der Ort, an dem er sich zu verstecken anschickte, nicht gleichzeitig eine tödliche Falle für ihn war. Und deswegen hatte ihn der Angriff der Roboter gerettet. Der Inhaber oder Bewohner dieser winzigen Kabine kämpfte gegen die Roboter von Mausefalle Sieben. »Undankbare Bande von Ignoranten«, stieß er hervor und betrachtete weiter die aufsehenerregenden Bilder des Interkoms. Der Lautsprecher, von ihm auf halbe Leistung gedrosselt, gab Anordnungen und Befehle, Kommandos und Informationen in rasend schneller Reihenfolge wieder. Sie waren undankbar! Alle! Trotz seiner harmlosen und unaufwendigen Vorliebe für Hologrammkunst – in seiner Kabine hatte er in den wenigen ruhigen Stunden seiner Freizeit versucht,
diese Informationsform zu vervollkommnen und hatte mit seinen Ergebnissen zahllose Versuche und Variationen durchgeführt – hatte er seinen Teil der Aufgabe ernster genommen als alles andere. Er war Teil der geistigen Elite der SOLAG … gewesen. Sonst gab es nichts an Bord und niemanden, der den fortschreitenden Zerfall der Technik und der Gemeinschaft verhindern konnte. Viele wollten ihn auch gar nicht verhindern. Nur die Machtstrukturen mit Deccon an der Spitze sicherten das Fortleben von hunderttausend undankbaren, eigennützigen und ahnungslosen Solanern. Gerigk deutete auf einen Robot und sagte: »Wenn jemand kommt, lähmt ihn und bringt ihn ins Innere der Kabine. Weckt mich in zwei Stunden, wenn nicht jemand hier angreift.« »Verstanden!« sagten drei Roboter gleichzeitig und schwebten in Position. Gerigk warf sich angezogen und mit der Waffe im Gürtel auf das zerwühlte Lager und war sofort eingeschlafen. Er mußte warten, bis die Situation für ihn reif geworden war. Um seinen vagen Plan ausführen zu können, mußte er ein bißchen schlafen, denn mit diesen rasenden Kopfschmerzen und erschöpft, wie er war, würde er nichts erreichen. Er träumte von Robotern und von einem wilden Planeten, der sich hinter einer undurchdringbaren Wolkendecke verbarg. 3. Die Zeit: 05.10.30 Uhr Die Roboter ließen sich von der Decke des Hangars an einem Antigravstrahl herunter. Der Bruder der zweiten Wertigkeit Dankvord hob als Signal seine Waffe, zielte auf die erste Maschine und krümmte den Zeigefinger. Der Vystidenoffizier, hinter dem sich drei der wenigen erhaltenen
Kampfroboter heranschoben, verbarg sich im Dunkel des Hangars. Sämtliche Sicherungen waren abgeschaltet worden. Sie erwarteten den Feind in der Finsternis, die jetzt gespalten wurde durch einen Hagel von Blitzen, die aus sämtlichen Verstecken und Deckungen den ersten Roboter, eine drei Meter große Maschine mit wippenden Antennenbügel auf der oberen Körperplatte, in einer Reihe von Explosionen vernichteten. Schlagartig hüllten sich alle folgenden Maschinen in kugelförmige Schutzfelder. Die Hochenergiestrahlen, die aus den Waffenarmen der Kampfroboter heulten und röhrten, brachen sich in einem grellen Funkenregen und in langen Blitzschlägen, von denen die Halle mit zuckender Helligkeit erfüllt wurde. »Weiter! Sie sind zu zerstören!« schrie Dankvord. Ununterbrochen pumpten die Maschinen ihre Strahlenergie in die Schutzschirme der Eindringlinge. Die kleinen Roboter landeten auf dem Boden, bildeten weitere Schutzschirme aus und fingen sofort an, Trägerelemente zu bearbeiten. Zehn Haematen, verteilt über die Hälfte des Raumes, konzentrierten ihr Feuer auf die näherkommenden Robots. Ein Rudel von drei kleinen Maschinen schwebte auf den nächsten Haematen zu. Der Mann war angesichts dieser Übermacht erstaunlich tapfer. Während Dankvord die glühendheißen Kampfstrahlen der SOL‐Roboter über sich hinwegheulen sah und fühlte, warf er immer wieder einen kurzen Blick zu den Männern hin, die er befehligte. Die drei Maschinen kesselten den Mann, der wütend um sich feuerte, ein. Schließlich waren ihre Schutzschirme so nahe, daß er den Finger vom Auslöser nehmen mußte, um sich nicht selbst zu gefährden. Durch die Öffnung in der Decke kamen noch mehr Roboter in ihrer merkwürdigen Kastenform. »Nein!« gellte die Stimme des Haematen, während sich der Hangar in ein Irrenhaus verwandelte.
Ein Robot griff durch seinen Schirm hindurch und wand dem Soldaten die Waffe aus der Hand. Die anderen packten ihn an den Oberarmen, hoben ihn vom Boden auf und schwebten, jedes Hindernis lautlos umgehend oder ihm ausweichend, auf die Hangardecke zu. Dort fehlten bereits mindestens zehn Rasterplatten und ließen dahinter, im glühenden, blitzezuckenden Licht der Waffenstrahlen, die Montagegitter erkennen. Auch auf die ineinander verschmolzenen Schirme der Mausefalle‐ Roboter prallten die Glutbahnen. Sie wurden abgeleitet. Die Roboter waren gegen die Waffen der SOL immun; es war sinnlos, sie weiterhin bekämpfen zu wollen. Trotzdem schossen die SOL‐ Roboter und die Männer weiter auf die Eindringlinge. Unter den Detonationen schien der leere Hangar zu vibrieren. Männer schrien voller Furcht und Entsetzen. Die Roboter näherten sich mit gleichmäßigen Bewegungen, entwaffneten einen zweiten Soldaten und transportierten ihn aus dem Raum hinaus, vermutlich im Schutz der Schirme in ihr Raumschiff. Dankvord ließ seine schwere Energiewaffe sinken und zog sich Schritt um Schritt zurück. Verwirrt sah er, daß die Roboter geradezu fürsorglich mit den Solanern umgingen. Dabei waren sie ebenso wie die »Demontagearbeiter« von einer beharrlichen Zielstrebigkeit. Es gab keine überflüssige oder unnütze Bewegung. Der Vystiden‐ Leutnant rannte durch die Personenschleuse, in den Verbindungskorridor hinein und zum nächsten Interkom. Es war eingeschaltet. Eine Gruppe verwirrter Buhrlos umstand das Gerät. »Auseinander. Ich habe eine Mitteilung für den High Sideryt!« schrie der Mann im hochglänzenden Silberfolienanzug. Er wählte eine geheime Nummernkombination. Sofort wechselte das Bild, Deccon starrte den Vystiden an. Stotternd, mit sich überschlagender Stimme, noch immer unter dem Eindruck der letzten Minuten stehend, gab der aufgeregte Mann seinen Bericht ab. »Ihr habt mit ihnen keine Verständigung erreichen können?«
fragte Deccon. »Nein. Sie reagieren überhaupt nicht … High Sideryt! Sie tun so, als wären wir unachtsame Kinder oder gar nicht vorhanden!« »Die Männer werden von ihnen abtransportiert?« »Ja«, schrie Dankvord. »Vermutlich in das Schiff. Die Roboter haben auch den Eingang mit dem Schutzschirm verschlossen. Kein Druckverlust!« »Das passiert an allen Stellen, an denen sie eingedrungen sind!« erklärte Deccon. »Das heißt – auch andere Soldaten werden entwaffnet und weggeschleppt?« »Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß eine große Anzahl unserer Streitkräfte ausgeschaltet wird.« »Andere Bereiche des Schiffes … auch dort?« »So ist es. Wir versuchen alles, um den Zustand zu ändern. Die Lage wird immer kritischer«, gab Deccon wütend zu. »Begeht keine selbstmörderischen Aktionen. Es scheint, als ob die Fremden unsere Leben schonen wollen. So scheint es, es ist nicht sicher!« »Ich … verstehe«, keuchte der Vystide. Er war ein harter, unbarmherziger Kämpfer, aber dieser Vorgang hatte ihm die Nerven geraubt. Er schüttelte wild den Kopf, als er die Geräusche des Kampfes hinter sich schwächer werden hörte. »Was sollen wir tun?« »Teilweise werdet ihr nichts anderes tun können, als euch hinter die zweite Verteidigungslinie zurückzuziehen.« »Das bedeutet, daß unser Widerstand in einigen Stunden zusammengebrochen sein wird, High Sideryt!« Chart Deccon zog seine wuchtigen Schultern hoch. Seine schuppige Kleidung glänzte wie die Rüstung eines antiken Kriegers. Auch er war absolut ratlos. Er wurde abgelenkt und verlor das Interesse an Dankvord. Der Vystide schaltete den Interkom wieder auf den anderen Nachrichtenkanal um und ging mit hängenden Schultern davon.
* In der Zentrale liefen die Schreckensmeldungen zusammen: Sieben Buhrlos in den Hangarteilen der SZ‐1 von den Robotern entwaffnet und gekidnappt! Brand nach Kampfhandlungen in Hangars SZ‐1, Deck IV! Zwei Vystiden und dreizehn ihrer Haematen‐Soldaten von den Robotern umzingelt, entwaffnet, in kleinen kugelförmigen Schutzschirmen in das Roboterschiff nahe dem aufgebrochenen Hangartor gebracht. Brand in Hangar SZ‐1 wird von Ferraten zu löschen versucht! Starke Vibrationen im Mittelteil der SZ‐2! Unbekannte Ursache! Starke Konzentration von Kämpfen und Robotern im Kopfstück des Sammelkorridors auf Deck Eins in der SZ‐1! Drei Geschütze total demontiert! Einzelteile in die fremden Raumschiffe geschleppt! Brand in Hangar SZ‐1 mit konventionellen Mitteln unter Kontrolle gebracht! Noch immer versuchte Lyta Kunduran mit störrischem Ehrgeiz und dem gesamten Instrumentarium der Zentrale, eine Verständigung mit den fremden Robotern zu erreichen. Sie arbeitete mit sämtlichen Frequenzen, die sich in dem kleinen Datenspeicher befanden. Alle Sender der SOL für den Nahbereich arbeiteten mit höchster Leistungsstärke. Aber von den Maschinen erfolgte keine Antwort. Sie waren so still und schweigsam wie der Planet, der unbeweglich auf den Ortungsschirmen zu sehen war und sich hinter den rätselhaft dichten Wolken verbarg. »Antworten die Roboter?« kam die Stimme des High Sideryt aus den Lautsprechern. Für einen Moment drehte Lyta, die in diesen Stunden fast körperlich mit Chart Deccon litt und ihn noch stärker bewunderte als je zuvor, ihr wächsernes Gesicht. Aus großen, grauen Augen starrte sie Deccon an.
»Nein. Sie reagieren nicht! Seit zwei Stunden und länger versuche ich alles, was die Technik hergibt.« »Funken die Maschinen untereinander, Bit?« »Wenn sie untereinander in Verbindung stehen, was ich für sicher halte, dann auf Frequenzen, die wir nicht auffangen können.« »Es wird immer schlimmer!« grollte der High Sideryt verzweifelt. Neue Meldungen trafen ein: Das erste Schiff löst die Magnetklauen und scheint starten zu wollen. Anfrage aus der Feuerleitzentrale: sollen wir das Schiff abschießen, wenn es sich im Bereich der Geschütze befindet? Es bleibt uns nur eine kurze Zeitspanne, ehe es sich wieder in die Deckung der Brocken dort draußen … »Nein! Wagt es nicht«, schrie Deccon erschrocken. »Das Schiff ist voll von unseren eigenen Leuten. Buhrlos, Vystiden, Haematen! Nicht schießen!« »Verstanden, Zentrale!« Die Stimme des Vystiden klang enttäuscht, aber er sah ein, daß sein Versuch planmäßiger Mord sein würde. Er kippte resigniert den Hauptschalter der Energieversorgung. Eine halbe Minute lang breitete sich lähmendes Schweigen in der Zentrale aus. Die neun Magniden und Chart Deccon mußten zusehen, wie eine Schar geistloser Maschinen das riesige Schiff in einen paralysierten Mechanismus verwandelte. Das kleine Robotraumschiff löste sich von der gigantischen Wandung der SOL, beschleunigte mit unglaublichen Werten und schlug einen spiraligen Zickzackkurs ein, der das Schiff schnell in die Nähe eines Asteroiden brachte. Es verschwand hinter dem unregelmäßigen Felsbrocken, der sich fast auf gleicher Höhe mit der SOL dem verhangenen Planeten zudrehte. »Sie sind weg!« keuchte Chart Deccon. »Roboter!« Inzwischen schien jedes lebende Wesen an Bord die Gefahr zu kennen. Nicht nur die Mitglieder der SOLAG, sondern auch alle die unzähligen Splittergruppen, die sich im Schiff versteckten. Viele mochten nicht zu begreifen – noch nicht – was der Angriff der
Roboter bedeutete, aber die zunehmende Unruhe breitete sich selbst in Bereiche aus, die bisher offiziell nicht bekannt gewesen waren. Eine Schreckensvision, die von der SOLAG immer wieder diskutiert und laut ausgesprochen worden war – jetzt stand diese Realität unmittelbar bevor: Die Zerstörung der SOL war mit den erprobten Mitteln und Methoden nicht mehr aufzuhalten! Chart Deccon spürte, wie ein eisiges Gefühl von ihm Gefühl ergriff. Er wußte nicht sofort, daß es nichts anderes bedeutete als kalte, nackte Angst. * Billhard, Bruder der vierten Wertigkeit, hob die Neuropeitsche. »Dort vorn«, sagte er knurrend, »dort haben sie sich versteckt. Sie suchen Schutz bei den Buhrlos!« »Wir kriegen sie! Heute schnappen wir sie uns!« bekräftigte Branka. Die Pyrriden hatten ihre Gruppe geteilt. Sie nahmen die drei Monstren von zwei Seiten in die Zange. Hier, in der SZ‐1, zwischen dem ehemaligen Erholungspark und dem Außenbereich, jagten die Männer in den hellgrauen Kombinationen und den Atomsymbolen darauf die Monstren. Es gab keinen Ahlnaten, der ihnen dieses Vergnügen verboten hätte. Der ehemalige Ferrate stieß seinen Partner an. »Warte einen Moment!« sagte Branka leise. »Ich habe da eine Idee. Das Durcheinander an Bord nutzt uns. Es lenkt die Monstren ab.« »Von uns!« bestätigte Billhard kalt. Durch eine Anlage der SOL‐Farmer hatten sie die drei flüchtigen Mißgeburten getrieben. Billhard und Branka waren, als die Monstren im Abwasser des Kanals verschwunden waren, in den nächsttieferen Korridor gerannt. Sie kannten die Stelle, an der die
Abwässer gesammelt und der Wiederverwendung zugeführt wurden. Dort würden sie die Ungeheuer fangen, falls sie nicht in entgegengesetzter Richtung flüchteten. »Wohin jetzt?« fragte Billhard, als sie in einer Kammer des abwärts führenden Versorgungsschachts zwischen Dutzenden verschieden dicker Rohre standen, von denen jedes unter einer dicken Schicht von Staub und feuchtem Schmutz eine andere Farbe erkennen ließ. »Abwärts!« Branka zeigte nach unten. Ihre Scheinwerfer flammten auf. Sie kletterten schnell an den schmierigen und glitschigen Stahlbügeln abwärts. Ein zischendes Geräusch wurde immer lauter, je tiefer sie kamen. Es waren die verschiedenen Systeme der Wasserversorgung. Dicke Kabel für elektrische Energie, Breitbandkabel für die Nachrichtenübermittlung, wuchtige Abzweigblöcke und andere Leitungssysteme liefen hier zusammen und wieder planvoll auseinander. Den beiden Pyrriden war nicht im mindesten bewußt, wie wichtig diese Leitungssysteme waren; sie hatten nicht einmal eine Ahnung, wie die Versorgung der SOL hinter den Kulissen aussah oder gar, wie sie funktionierte. »Bist du sicher?« »Worüber?« »Daß wir die Monstren erwischen?« »Ziemlich sicher. Sie sind aber ganz gerissen, weißt du!« »Weiß ich.« Sie kletterten weiter und verließen den Versorgungsschacht an einer Stelle, an der ebenso das knisternde Arbeitsgeräusch der fremden Roboter deutlich zu hören war wie auch das Brodeln der Abwasseranlagen. Sie sprangen in den Korridor hinaus und ließen ihre Neuropeitschen durch die Luft sausen. Billhard zeigte nach links. »Dorthin!« Sie rannten einen schmalen, ausgestorben daliegenden Korridor mit flackernder Notbeleuchtung entlang. Hier befanden sich die
breiten Schotte, hinter denen die selbständig arbeitenden Maschinen der Wiederaufbereitungsanlage arbeiteten. Nach dem zweiten Versuch glitt die Metalltür auf. Dumpfes Summen und Plätschern schlug den beiden Pyrriden entgegen. Vom anderen Ende der Halle, wo ein ebenso großes Schott offenstand, blitzte dreimal der Strahl eines Handscheinwerfers auf. »Drüben sind Danyel und Lyss.« »Klar«, antwortete Branka. Sie schlossen das Schott hinter sich. Wieder flammten die Scheinwerfer auf. Vier breitgefächerte Strahlenbündel tasteten, sich kreuzend und riesige Kreise stechender Helligkeit zeigend, über die Blöcke der metallenen Verkleidungen, der Becken und der Maschinen. Es gab mehrere Öffnungen, hinter denen das Wasser gurgelte. Eine Gestalt bewegte sich im Zentrum der Anlage. Sie duckte sich am Ende einer Reihe von Stufen hinter eine kaum zu erkennende Verkleidung. Danyels Stimme, durch Echos stark verzerrt, erscholl vom anderen Ende der Maschinenhalle. »Seid ihr es?« »Wir sind es«, rief Billhard. »Die Ungeheuer befinden sich dort unten!« Drei Scheinwerfer zielten schräg nach unten. Die Plattform war plötzlich in helles Licht getaucht. Mehrere Gestalten schienen sich pechschwarze Schatten hinterlassend, dort zu bewegen. Branka bedauerte, keinen Strahler bei sich zu haben. Er schwenkte seinen Scheinwerfer herum und leuchtete die nächste Umgebung ab. Er suchte einen Weg, der dort hinunter führte. Er entdeckte rund zwanzig Meter rechts von ihnen einen schmalen Steg für Montagearbeiten. Er wandte sich an Billhard, der mit seinem Scheinwerfer versuchte, das Dunkel am Boden der summenden und plätschernden, knisternden und zischenden Maschinerie zu erforschen. »Ich gehe hinunter. Du erwartest sie hier. Klar?«
»Einverstanden«, knurrte der Pyrride. »Beeile dich. Die SOLAG wird uns in Kürze zusammenrufen!« »Ist zu befürchten!« Danyel und Branka turnten von zwei verschiedenen Punkten im Zickzack die stählerne Wand der Anlage abwärts. Sie konnten nicht gleichzeitig klettern und ihre Scheinwerfer ausrichten, und deshalb entging ihnen, was die Monstren tief unter ihnen taten, wie sie reagierten, in welche Richtung sie zu fliehen versuchten. Daß sie flohen und nicht glaubten, sich erfolgreich wehren zu können, war für die Verfolger sicher. Sie kannten keine Monstren, die sich zu wehren wagten, und erst recht keine, deren Gegenwehr je von Erfolg gekrönt gewesen war. Zehn oder zwölf Kontakte mit der furchtbaren Neuropeitsche; dies war das Ende eines jeden lebenden Organismus dieser Größenordnung. Und ein wesentlicher Faktor der Jagden war der reine Nervenkitzel. »Nach rechts!« Von unten kam es zurück: »Verstanden!« Drei Männer und eine Frau hatten sich nach langen Vorbereitungen entschlossen, vierundzwanzig Stunden lang Monstren zu jagen. Jetzt standen sie fast unmittelbar vor ihrem Ziel. Es gab keine Möglichkeit, diese Maschinenhalle in helles Licht zu tauchen; längst waren die Tiefstrahler und alle anderen Leuchtbänder ausgefallen, obwohl die Anlage noch immer reibungslos funktionierte. Je weiter die beiden Jäger nach unten kletterten, desto tiefer tauchten sie in eine seltsame, ungewohnte Atmosphäre ein. Es roch faulig und nach einer Reihe unbekannter Chemikalien. Alles, was die Finger und Hände der Pyrriden berührten, war von einer feuchten, rutschigen und stinkenden Schicht überzogen. Seit Äonen schien hier niemand eine Säuberungsaktion durchgeführt zu haben. Trotzdem arbeiteten alle Maschinen mit verblüffender
Zuverlässigkeit weiter und führten die geklärten Abwässer dem Bordkreislauf wieder zu, bliesen die ausgefilterten Bestandteile in verschiedene Richtungen und trugen ihren Teil dazu bei, daß die SOL zu einem hohen Prozentsatz autark blieb, von der Landung auf einem Planeten und den dort stattfindenden Maßnahmen unabhängig. Als die beiden Jäger den untersten Teil der Treppen erreicht hatten, blieben sie schweigend stehen und versuchten, sich neu zu orientieren. Sie waren, in dieser Zusammensetzung, ein eingespieltes Team. Ein Scheinwerfer blitzte auf. Der Lichtkegel stach fast waagrecht durch die Schwärze. Im grellen Licht sah Branka drei Körper, die sich nach links bewegten. Er machte einige lautlose Schritte und rief dann nach oben: »Ich habe sie!« Er richtete den Scheinwerfer auf die Flüchtenden. Es waren drei haarige, mittelgroße Geschöpfe, die sich behend bewegten und nach links flohen. Sie schlängelten sich entlang einer Reihe von Konvertern und duckten sich, wenn einer der vier Lichtstrahlen auf ihren schmutzigen Pelz traf. Während der Flucht stießen sie fauchende Atemgeräusche aus. Ihre Pfoten trommelten in schnellem Rhythmus auf die metallenen Stege und Laufflächen. »Ich sehe sie auch!« »Schneller, Branka!« schrie Billhard von oben. »Sie kennen vielleicht einen Ausgang auf der untersten Ebene!« »Sehr wahrscheinlich!« kam es zurück. Drei Scheinwerfer konzentrierten ihr Licht auf die Monstren. Seit neunzehn Stunden ging die Jagd auf die mittelgroßen Wesen, deren Körper mit verfilztem Fell bedeckt waren. Ihre Augen glänzten im harten Lichtschein auf. Branka hetzte quer über den Boden der Halle und wich den dunklen, verschmutzten Hindernissen aus. Die Monstren verständigten sich mit hellen, zwitschernden Lauten. Dann rutschten sie nacheinander an einem dicken Rohr abwärts und
verschwanden, noch ehe die Jäger reagieren konnten, wieder in der Dunkelheit. Branka fluchte laut und blieb stehen. Sein Scheinwerfer richtete sich auf die Stelle, an der die Monstren verschwunden waren. Von rechts kam das Licht aus Danyels Lampe. Sie erreichten die Öffnung im Boden und das Rohr, an dem breite Schleifspuren bewiesen, daß es als letzter Fluchtweg gedient hatte. »Sie sind weg!« »Hinterher. Ich weiß, wo sie wieder ans Licht kommen. Schnell!« Danyel hob den Kopf und rief nach oben: »Geht aufs nächstuntere Deck! Dort kommen sie aus der Roboterkabine!« »Verstanden. Schon unterwegs!« Die beiden Pyrriden rutschten am glitschigen Rohr abwärts und landeten nacheinander auf einer Plattform aus perforiertem Metall. Vor ihnen führten viele Spuren eine Wendeltreppe abwärts. Nur noch eine einzige Wand befand sich zwischen diesen Versorgungsanlagen und dem jedermann zugänglichen Bereich der Korridore und Gänge. Die Stiefel der Pyrriden polterten in rasender Schnelligkeit die Stufen hinunter. Vor ihnen schimmerte ein schwacher Lichtschein. Ein Schott stand offen; sie sprangen hindurch und rammten es mit den Schultern weiter auf. Die Köpfe der Jäger drehten sich nach links und rechts, und rechts sahen sie Bewegungen. Die dunklen Gestalten der Gejagten rannten vor dem Hintergrund einer kleineren Menge anderer Solaner. »Los! Wir kriegen sie!« – Branka und Danyel spurteten los. Im Rennen schoben sie die Scheinwerfer in die Gürtel und rissen die Neuropeitschen hervor. Am Ende des breiten Korridors, der in die Richtung der Hangarzone führte, dröhnten Blasterschüsse auf. Gleich würden Billhard und Lyss von rechts und links auftauchen und die Monstren in die Zange nehmen. Die Gejagten bemerkten ihre Verfolger und rannten schneller. Sie schrien klagend. Der Lärm nahm zu, alle Beteiligten an dieser Hetzjagd wurden schneller,
kümmerten sich aber nicht um das, was vor ihnen ablief … Schüsse, eine Rauchfahne, die auf den Absaugschacht eines Exhaustors zutrieb, wilde Schreie und eine hysterische Lautsprecherstimme. Noch zehn Meter trennten die Monstren von den weit geöffneten Schotten der Hangars, und die beiden Jäger hatten aufgeholt. Billhard raste von rechts heran, die Peitsche ausgestreckt wie einen Degen. Auf der anderen Seite umrundete Lyss eine Schwebeplattform voller Haematen, die mit feuerbereiten Waffen in den Armen heranschwebten. Und dann änderte sich die Szenerie mit überraschender Geschwindigkeit. Aus dem Hangar, aus sämtlichen Schotten, schwebten und tappten kantige Roboter hervor. Binnen weniger Sekunden waren es mindestens dreißig jener Fremdkörper mit funkelnden Linsen, dicken Stummelbeinen und einer Vielzahl farbiger Linien, die gerade oder geknickt um das untere Drittel des Körpers verliefen. Die Maschinen, weitaus größer und wuchtiger als die Solaner, bewegten sich nach einem schwer zu erkennenden, aber unzweifelhaft vorhandenen Muster. Sie schoben sich zwischen den auseinanderspringenden Solanern hindurch und ließen blitzschnell Schutzschirme entstehen. Energiebahnen, die aus dem Hangar herausdonnerten, schlugen in die Schirme und ließen Funken nach allen Seiten sprühen. Branka warf sich gegen eine Wand, um einer Maschine auszuweichen, die auf ihn zukam. Er fühlte sich plötzlich von zwei harten Armen zur Seite geschoben. Metallene Fingergreifer packten seine Arme und entwanden ihm die Neuropeitsche. Durch mehrere transparente Schutzschirme hindurch sah er, entsetzt und unfähig, ein Wort hervorzubringen, wie die Roboter mit den drei Monstren im Hangar verschwanden. Das Schießen hörte auf. Weitere Roboter kamen aus dem Hangar und kesselten die Plattform mit den Haematen ein. Auch diese Soldaten wurden
entwaffnet, einzeln aus dem Gefährt herausgehoben und blitzschnell hinweggetragen. Panisches Entsetzen packte den Bruder der vierten Wertigkeit. Branka wurde herumgewirbelt und durch das sperrangelweit geöffnete Schott in den Hangar getragen. Im riesigen, hell erleuchteten Hangar herrschte eine heillose Unordnung. Nur Roboter, aber kein Solaner waren zu sehen. Maschinen hatten sich auch der Einrichtung bemächtigt und arbeiteten schweigend, aber mit summenden und knackenden Werkzeugen daran, die Unordnung zu beseitigen und Teile der Ausrüstung zu demontieren. »Helft mir!« kreischte Branka. Niemand antwortete ihm. Er schwebte, hilflos mit den Beinen rudernd, durch die Trümmer und über die Brandspuren des Hangars. Eines der mächtigen Tore zum Weltraum stand weit offen, von einem schillernden Schutzschirm überspannt. Neben der Öffnung erkannte der Pyrride die Außenwandung eines fremden Schiffes. Eine ununterbrochene Kette von kleineren Robotern schwebte und lief zwischen dem Schiff und dem Innern der SOL hin und her. Sie transportierten Solaner und alle nur denkbaren Formen und Trümmer von ausgebautem Material aus dem Hangar. Vor Entsetzen versagte dem Pyrriden die Stimme. Er drehte sich in den Griffen der Maschinen um und sah, wie hinter ihm Danyel ebenso hilflos zwischen zwei der mächtigen Roboter hing. Dahinter kamen in der Kette der Demontierer die drei Monstren. Sie waren ebenso halb wahnsinnig vor Entsetzen wie er selbst. Als er nach wenigen Sekunden am weit klaffenden Rand des Hangartores vorbei, an den emsig arbeitenden Maschinen vorbei, auf den offenen Weltraum zugeschleppt wurde, verlor er das Bewußtsein. Alle Solaner, die sich in diesem Kopfstück des Korridors befunden hatten, waren von den Mausefalle‐Robotern festgehalten, entwaffnet, von kugelförmigen Schutzfeldern umgeben und ins
Roboterschiff geschleppt worden. Insgesamt vierundzwanzig Solaner, so wurde es in die Zentrale gemeldet, befanden sich in der Gewalt der Roboter, Zusätzlich zu den anderen, die schon gewaltsam aus der SOL herausgeschafft worden waren. Dazu kam, daß selbst schwere Waffen und die Gleiter mitgenommen worden waren, ebenso wie einige Tonnen von demontiertem Material. Es wurde ständig mehr, denn Tausende Roboter arbeiteten ununterbrochen und ohne gestört zu werden, an der Demontage der SOL weiter. Es war unmöglich, sie zu vertreiben. 4. Zeit: 07.20.55 Uhr Chart Deccon ließ sich in den federnden Sessel vor dem Informations‐Schaltpult seiner dunklen Kabine fallen. Er schlug die Hände vors Gesicht und atmete verzweifelt mehrmals durch. Soeben hatte er registriert, daß eine bisher unbeobachtete Jagd von vier Pyrriden auf seltsame Weise beendet worden war: Opfer und Jäger waren von den Robotern wegtransportiert worden. »Ich bin zu einer tragischen Gestalt geworden«, stöhnte er auf. »Ich besitze die größte Macht an Bord der SOL. Und was ist sie wert?« Nichts! gab er sich selbst die Antwort. Das Wohl aller Insassen der SOL und die Zuverlässigkeit innerhalb und außerhalb des Schiffes war bisher sein erstes und wichtigstes Anliegen gewesen. Jedes persönliche Interesse hatte er der Sicherheit des Schiffes untergeordnet. Es gab niemanden an Bord, der besser für diese fast nicht lösbare Aufgabe geeignet war. Das wußte er mit zuverlässiger Bestimmtheit; es war nicht nur eine unverständliche Eigenschaft seiner diktatorischen Selbstüberschätzung.
Die Zentrale leitete ein Interkom‐Gespräch auf den großen Schirm des High Sideryt. In der Zentrale herrschte inzwischen dieselbe dumpfe Resignation, wie sie Chart Deccon fühlte. »Eine Information aus der SZ‐2!« rief die schwarzhaarige Curie van Herling. »Für dich! Eine schlechte Meldung!« fügte sie ernst hinzu. Ein Ahlnate, dem das Entsetzen im Gesicht geschrieben stand, tauchte auf dem Bildschirm auf und stieß stockend hervor: »Sie sind eingedrungen, High Sideryt!« »Wer eingedrungen ist«, schnarrte er zurück, »brauche ich wohl nicht zu fragen. Die Roboter von Mausefalle natürlich. Was haben sie angerichtet?« »Sie demontieren alles. Sie sind durch eine Arbeitsschleuse eingedrungen! Sie dringen in einem Nebenkorridor ein.« »Ich sehe nicht, daß eine Abwehraktion organisiert worden ist!« sagte Deccon. »Es ist sinnlos!« gab der Ahlnate zurück. »Ich weiß aus der Zentrale, daß die Verteidiger entwaffnet und von den Robotern weggeholt werden.« »Richtig. Zieht euch zurück. Beobachtet genau, was passiert!« »Ver … verstanden!« Chart Deccon nickte dem Ahlnaten zuversichtlich zu – zuversichtlich, wie er glaubte. Er spielte mit dem Gedanken, zurückzutreten und alles hinzuwerfen. Aber dies war der denkbar schlechteste Augenblick. Es gab sicher viele, die nach seiner Position gierten – der vorläufig letzte in dieser Reihe war Homer Gerigk gewesen – aber keinen, der seine Erfahrungen besaß. Trat er zurück, würden die Traditionalisten unter den Magniden die Oberhand haben. Dann drohte der SOL ein womöglich noch schlimmeres Schicksal. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, daß die Demontage der SOL durch Schicksalsschläge noch zu übertreffen war – im negativen Sinn. Der Ahlnate wartete unschlüssig und machte Gesten der
Verzweiflung und Unsicherheit. Er befand sich vor einem Interkom, von dem aus man einen langen, niedrigen Zentralkorridor bequem überblicken konnte. »Was willst du noch?« fragte Deccon grollend. »Ich … ich will nur noch sagen, daß … es ist zu ruhig hier. Keine Kämpfe. Keine Auseinandersetzungen. Sie haben alle Angst vor den Robotern.« »Wenigstens etwas!« brummte der High Sideryt und sagte sich, daß diese Entwicklung weder ihm noch dem Schiff sonderlich viel half. Sie war nur vorübergehend von schwachem Interesse. »Melde dich wieder«, sagte er, »wenn es etwas Dramatisches gibt.« Der Bruder der dritten Wertigkeit verneigte sich schwach und glitt aus dem Erfassungsbereich der Linsen. »Verdammt! Und Atlan hat ebenso versagt!« knurrte Deccon. Atlan und die ehemaligen Schläfer der SOL waren verschwunden, und er persönlich glaubte nicht mehr daran, sie jemals wiederzusehen. »Arjana!« fragte Deccon scharf. Die Magnidin schaute auf und begegnete mit eiskaltem Blick seinen Augen. Sie zog fragend die feingezogenen Brauen ihres Gesichts mit den auffallenden Backenknochen hoch. »Ja?« »Was hat die Auswertung ergeben – bewegt sich die SOL schneller oder langsamer auf den verdammten Planeten zu? Müssen wir mit weiteren Vibrationen dieses Quaders oder anderer Körper rechnen?« Der Triumph, den High Sideryt hilflos zappeln zu sehen, schien aus ihren blauen Augen zu sprechen. Sie antwortete umgehend: »Das Tempo des Schiffes hat sich nicht verändert. Die Geschwindigkeit ist seit vier Tagen konstant und langsam. Es deutete nichts darauf hin, daß sich hierbei etwas verändern wird. Wir erwarten keinerlei neuen Einfluß des Quaders, der uns
inzwischen längst überholt hat. Wir haben nachgerechnet, Chart! Nach unserer Meinung wird sich in den beiden angesprochenen Problemen nichts ändern.« »Ein winziger Trost«, gab er zurück, und wieder schwenkten seine Gedanken zu Atlan um. Sollte der Arkonide wirklich etwas gefunden haben, das die SOL von dem furchtbaren Schicksal retten konnte, so würde er sich beeilen müssen. Es blieb nicht mehr viel Zeit. In rund einem Monat, so lautete die private Rechnung des High Sideryt, würde die SOL in einem solch großen Maß von den Demontagerobots zerstückelt worden sein, daß sie aufgegeben werden mußte. Er hütete sich, etwas von diesen seinen Gedanken laut werden zu lassen. »Danke!« sagte er überraschenderweise. In seinem tiefsten Innern mußte er sich eingestehen, daß ihm die Entwicklung über den Kopf zu wachsen drohte. Nein, nicht nur das. Es war schlimmer! Sie war ihm längst entglitten. Er hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, was er tun konnte. Er vermochte keine der Entwicklungen mehr mit seinen eigenen Mitteln und mit dem Machtinstrument SOLAG aufzuhalten. Noch immer gab es keine Alternative zu Chart Deccon! Vielleicht wäre der Arkonide Atlan ein besserer Kommandant gewesen, dachte er in lautloser Verzweiflung. Aber ebenso stillschweigend war er überzeugt, daß Atlan nicht mehr lebte. Von ihm war die Rettung nicht mehr zu erwarten. * Etwa zur gleichen Zeit, als die erste Meldung aus der SZ‐2 in der Zentrale einschlug wie eine Detonation, geschahen unabhängig voneinander drei schwerwiegende Veränderungen: Wieder starteten einige Roboterschiffe voller erbeuteten Materials
und gefangengenommener Solaner von der Hülle der SOL in unbekannte Richtung. Ein großer Schwarm der gleichen Schiffe tauchte blitzschnell auf und dockte an der SOL an. Augenblicklich quollen insgesamt riesige Mengen von Robotern daraus hervor und machten sich mit den ihnen eigenen schnellen Bewegungen daran, noch mehr von der Masse des Schiffes zu demontieren. Und – Weicos erwachte. Ein träges Zucken durchlief den glänzenden, langgestreckten Körper. Er war gedrungen, aber unter der glatten, braunen Haut bewegte sich nicht nur eine Fettschicht. Es waren langgefaserte Muskelbündel. Weicos war nicht groß; man würde seinen Körper als »lang« bezeichnen; er maß etwa hundertsechzig Zentimeter. Die großen und runden Augen öffneten sich und musterten mit dem erstaunten Blick eines aufgetauchten Meeresbewohners die Umgebung. Der Vergleich war keineswegs unglücklich gewählt, denn Weicos glich auf seltsam vertraut‐terranische Weise einer Robbe oder einem schlanken Seehund. Er glich einem solchen Tier. Aber er war keine braune Robbe mit silbergrauem Kopfpelz, kein Tier also, Weicos war ein SOL‐Monster. Ein Mensch. Ein Solgeborener. Ein Wesen, das wie ein Mensch dachte, handelte und mit der leisen, disziplinierten Stimme eines klugen, im Rahmen seiner Möglichkeiten »gebildeten« Menschen sprach. Die Mitglieder der SOLAG jagten und töteten Monstren, die aussahen wie Weicos. Ihn hatten sie mehrere Male gejagt, aber niemals auch nur aus der Nähe gesehen. Er herrschte, etwa ein halbes Jahrhundert alt, seit rund drei Jahrzehnten über eine Gemeinschaft der Fragwürdigen. Weicos lebte irgendwo im Zentrum der SZ‐2, und sein Einflußbereich war rund vierhundert Personen groß. Anders ließ sich diese Tatsache nicht umschreiben; acht enge Vertraute des robbenähnlichen Wesens mit dem scharfen
Verstand befehligten jeweils rund fünfzig Mitglieder einer Gruppe. Weicos stemmte seinen breiten Vorderkörper auf die übermäßig kräftig ausgeprägten Hände, schob den spindelförmigen Hinterkörper mit den Flossen hoch und ergriff den breiten Napf. Indem er sich mit der Brustmuskulatur abstützte und die kurzen Arme hob, kippte er den Napf und trank leise schlürfend den Inhalt. Es war eine Art kalte Suppe, die man ihm gestern aus dem Ferraten‐ Quartier gebracht hatte. Mit überraschend angenehm weicher, leiser Stimme rief Weicos: »Mauron!« Ein einarmiger Buhrlo kam in den kleinen, feuchten Raum gekrochen. Er warf Weicos ein freundliches Lächeln zu und stellte einen Korb vor dem Monster ab. Der Korb bestand aus Draht und einem Geflecht, dessen Schnüre aus gedrehten Bändern eines Datenträgers stammten. »Es gibt eine Menge Neuigkeiten«, sagte Mauron und setzte sich auf eine Leichtmetallkiste. Sie enthielt fast alle Habseligkeiten Weicos. Sie war notwendig, wenn wieder einmal blitzschnell das Versteck gewechselt werden mußte. »Schlimme Neuigkeiten, denke ich«, erklärte Weicos. »Leider.« Seit rund drei Jahrzehnten interessierte sich Weicos für buchstäblich alles, was an Bord der SOL zu erfahren war. Tausende von Gerüchten, Hunderttausende falscher und richtiger Informationen, Bilder, Personen, Gesichter, Vorfälle und Entwicklungen – Weicos suchte Informationen. Er brauchte und gebrauchte sie so wie ein anderer die Atemluft. Andere Insassen der SOL verwerteten zufällig aufgefangene Informationen; sein rastloser Verstand gierte danach. Nur deswegen konnte er heute die Stelle einnehmen, die ihn zugleich schützte und verpflichtete. »Berichte!« sagte er und rollte seinen walzenförmigen Körper blitzschnell zur Seite, die Schräge zu einer Art schmalem Lager hinauf und dort halb gegen die Wand. Der mächtige Robbenschnauzbart über der kleinen, flachen Nase zitterte
aufgeregt. Schweigend hörte er zu, was ihm der alte Buhrlo erzählte. Während Mauron sprach, verfolgte Weicos die Bilder auf dem manipulierten Interkom das speziell für seinen Blickwinkel vom ursprünglichen Platz abmontiert und fünfzig Zentimeter über dem Boden wiederangebracht worden war. Der Lautsprecher war so leise eingestellt, daß Weicos gerade noch den Text und irgendwelche Geräusche hörte. Die Linsen waren mit Klebeband und einer schwarzen, harzigen Masse verklebt und unbrauchbar gemacht worden. Es war, auf Bordzeit umgelegt, am Morgen des Tages. Unabhängig von den wenigen Kämpfen erwachten einzelne Bezirke des Schiffes wieder zu ihrem seltsamen Leben. Alle Gruppen, die nicht unmittelbar etwas mit den Robotern zu tun hatten, versuchten, ihren höchst zersplitterten Aufgaben und Arbeiten nachzugehen. Es gab für sie, trotz Angst und Unsicherheit, nichts anderes zu tun. »Diese Roboter«, sagte Weicos schließlich in einer Art von reflektierendem Selbstgespräch, »arbeiten behutsam. Ich habe gesehen, wie sie mit größter Vorsicht durch eine Anlage der SOL‐ Farmer gingen. Sie beschädigten nicht eine einzige Nutzpflanze.« »Das deckt sich mit dem, was ich von flüchtigen Haematen hörte«, bestätigte der einarmige Gläserne. »Sie schützen das Leben. Aber gegenüber der Technik sind sie von unnachgiebiger Entschlossenheit.« »Sie arbeiten schnell und geradezu verbissen«, meinte Weicos. »Sehr bemerkenswert. Seit langer Zeit sind es die ersten Fremden in der SOL, die mich nachdenklich machen.« Der Einflußbereich, der von Weicos kontrolliert wurde, hatte eine – so bezeichnete er selbst diesen Umstand – wurzelartige Struktur. Die etwa vierhundert »Getreuen« lebten und wohnten nicht an einem Ort. Es gab keine geschlossene Gemeinschaft. Sie hielten sich an verschiedenen Stellen auf, stets war einer der unmittelbare
Nachbar eines anderen, der im Verborgenen leben mußte. In winzigen Kabinen, zwischen den Decks, in den Versorgungsschächten und unzähligen anderen Verstecken hielt sich stets jeder in Rufweite des nächsten auf. So ergaben sich lange, verzweigte Linien, deren Hauptäste in Weicosʹ unmittelbarer Nähe endeten – oder anfingen. Mauron lehnte an der feuchten Wand. Wassertropfen sickerten langsam abwärts. Feuchtigkeit und Dampf erfüllten die winzige Kabine, deren Hauptschott vor weit zurückliegender Zeit zugeschweißt worden war. Die Luke, durch die der Buhrlo hereingeklettert war, stand weit offen. Mauron, einer der wenigen Vertrauten des Monsters, wußte nur, daß Weicos von seinen Eltern, es waren vermutlich Ferraten gewesen, kurz nach der Geburt ausgesetzt worden war. Andere Monstren hatten ihn aufgezogen. Schon früh hatte man seine Intelligenz festgestellt. Die Zieheltern existierten nicht mehr. Sie waren an Alterschwäche gestorben, waren in einer Monster‐Jagd getötet worden oder verschwunden – niemand wußte es. Weicos wandte sich nach einer Pause an seinen Freund. »Könntest du mich zu den Robotern in der SZ‐2 bringen?« »Was hast du vor?« »Ich weiß es noch nicht genau«, erwiderte Weicos mit seiner eindringlichen Stimme. »Ich denke noch über meine Möglichkeiten nach. In der Nacht? Zusammen mit einigen Bewaffneten, die mich schützen, bis ich bei den Maschinen bin?« Der Buhrlo zog die Schultern hoch, schürzte seine Lippen und meinte schließlich vorsichtig: »Heute Nacht, Weicos, aber nicht früher. Ich werde in der Zwischenzeit herausfinden, wie du auf dem kürzesten Weg zu den Robotern kommst. Vielleicht kommen sie auch zu dir, wenn sie nämlich tiefer in die SOL eindringen.« Mit nahezu allen SOL‐Bewohnern dieses Teils der SZ‐2 lebten Weicos und seine Schützlinge in Frieden. Es war ein brüchiger
Friede, der immer wieder in Frage gestellt wurde. Aber ebenso oft gelang es dem Monster und seinen Vertrauten, einen aufkeimenden Streit rechtzeitig zu schlichten. Selbst dem High Sideryt war die auffallende Ruhe bekannt, die nahe dem Zentrum von SZ‐2 seit langer Zeit herrschte. Aber auch er wußte nicht, daß die klugen Versuche Weicosʹ der Grund dafür waren. »Ich glaube«, sagte Weicos und begann in dem Korb zu wühlen, »daß die Roboter etwas verändern können.« »Das Aussehen der SOL. Sie wird binnen Wochen zu einem Skelett abmontiert werden«, versetzte grimmig der Buhrlo. Er und seine Genossen wagten sich seit dem ersten Alarm nicht mehr in den Weltraum hinaus. Sie ahnten, daß die Roboter sie einfangen und auf die Schiffe bringen würden. Einige Buhrlos, so hieß es aus der SZ‐1, waren bereits verschwunden. »Das meine ich nicht«, schränkte Weicos ein. Der Einarmige sah ihn begriffsstutzig an und fragte: »Was dann?« »Eine gesellschaftliche Veränderung. Aber ich muß sie noch eine Weile beobachten. Es wäre dienlich, wenn du und die anderen mir noch mehr Informationen bringen würdet. Ich beobachte inzwischen den Interkom. Einverstanden?« »Natürlich. Andere Arbeit gibt es für mich im Moment nicht.« Er stieß sich von der feuchten Wand ab. Ein Frischwasserrohr leckte. Die Tropfen wurden in der Schüssel aufgefangen. Nicht so der Dampf, der aus einer anderen Leitung durch einen winzigen Spalt fauchte und die Atemluft hier zu einer stickigen Wolke machte. Er kondensierte an den Wänden. Weicos liebte diese feuchtwarme Atmosphäre. Mauron ging zum Luk und schob sich auf Händen und Knien hindurch. Er streckte noch einmal seinen Kopf ins Innere und sagte: »Es wird wohl Abend werden, Weicos. Ich versuche, dir Elskea zu schicken. Einverstanden?«
Elskea, Schwester der dritten Wertigkeit, zählte zu den engsten Freunden des Monsters und war von großer Zuverlässigkeit. Sie würde sich, ohne aufzufallen, ungehindert bewegen können. »Selbstverständlich!« bestätigte Weicos. Die Luke klappte zu. Das fremdartige Geschöpf, ein Zwitterwesen zwischen Mensch und Mutant, war wieder allein. Man sah es dem Ausdruck seines runden Gesichts nicht an, aber tatsächlich war Weicos schon jetzt davon überzeugt, daß die Roboter zumindest sein Leben verändern konnten. * Homer Gerigk begann zu ahnen, daß der Insasse dieses winzigen, ungepflegten Raumes von den Robotern gekidnappt worden war. Nach einem Blick auf die Uhr verdichtete sich die Ahnung zur Gewißheit. Der ehemalige Magnide wandte sich an seine Maschinen. »Ihr habt die Befehle ausgeführt!« stellte er fest. Vier der weniger auffallenden Maschinen waren durch die Korridore geschwebt. Sie hatten ihr gesamtes Spektrum technischer Möglichkeiten benutzt. Dadurch, daß sie ebenso in der Lage waren, Funksprüche auf verschiedenen, nicht jedermann zugänglichen Frequenzen abzuhören, wie sie es mühelos schafften, Informationen geringeren Schwierigkeitsgrades zu sammeln, waren sie als Machtinstrument unentbehrlich. »Zusammengefaßt kann gesagt werden«, erklärte ein Roboter, »daß die Führung der SOL in Lähmung und Schrecken verharrt, während die Roboter weiterhin ungehindert vordringen und demontieren. Die Verluste an Material häufen sich. Die SOLAG läßt sich nicht mehr in Abwehrkämpfe ein.« »Warum nicht?« fragte Gerigk. »Sie fürchten, daß weitere Mitglieder der Kampfgruppen von den
Robotern entwaffnet und verschleppt werden. Es zeigte sich, daß diese Befürchtung zu Recht besteht. Es sind nachweislich in diesem Teil der SZ‐2 vierundsiebzig Solaner verschleppt worden. Es war noch nicht möglich, die anderen Verluste zu addieren.« »Ich habe verstanden«, murmelte Gerigk mit heiserer Stimme, während er den Interkom beobachtete. Das pausenlose, schnelle Arbeiten der Roboter wurde immer wieder in überblendenden Aufnahmen gezeigt. Gerigk erkannte nach langem Nachdenken mehrere Eigenheiten der fremden Maschinen: Sie verhielten sich keineswegs feindselig! Keiner von ihnen griff an, keiner besaß eine Waffe. Ihre einzige »Bewaffnung« bildeten die blitzschnell schaltbaren Energieschirme, die sie virtuos manipulierten. Chart Deccon und die neun ehemaligen Kameraden Gerigks schienen in ohnmächtiger Angst und fassungslos zu verharren. Keine einzige Abwehrmaßnahme wurde von ihnen gesteuert. Sie waren paralysiert. Die Maschinen waren darauf programmiert, die SOL zu zerlegen – daran bestand nicht mehr der geringste Zweifel. Aber sie waren geradezu pedantisch darum bemüht, kein Lebewesen zu verletzen; in dieser Hinsicht verhielten sie sich wie alle normal programmierten Maschinen. Nicht einmal die Extras oder die Monstren wurden von ihnen mehr als unvermeidlich belästigt! Eine erstaunliche Tatsache. »Warum tun sie das?« fragte sich Gerigk im Selbstgespräch. Er kaute an den letzten Resten der Nahrungsmittelzuteilung, die dieser Angehörige, der SOLAG erhalten hatte. Er würde im Raumschiff der Roboter nichts mehr damit anfangen können, dachte Gerigk. Sein Roboter schien die Frage für eine Aufforderung zu halten und reagierte entsprechend. »Die fremden Roboter schonen die Existenz von Tieren ebenso wie die von Pflanzen. Es liegen einwandfrei sichere Informationen über
diesen Tatbestand vor.« »Aha.« Homer Gerigk kam zu dem naheliegenden Schluß, daß auch diese Eindringlinge einem robotischen Kodex gehorchten, der irgendwelchen starren Regeln entsprach. Er selbst erinnerte sich schwach, irgendwann einmal etwas über die Grundregeln der Robotpositronik gehört zu haben. Er zuckte mit den Schultern. »Vermutlich haben sie Ehrfurcht vor allem organischen Leben«, sagte er sich. So mußte es sein. Sein Plan reifte mehr und mehr. Etwa zwei Stunden nach seinem Aufwachen fühlte er sich stark genug, ihn in die Tat umzusetzen. Mit einer Handbewegung versammelte er seine Schutzroboter um sich. »Ihr nehmt die normale Formation ein«, sagte er befehlend. »Ich muß in die Nähe der Demonteure gelangen.« »Verstanden.« Noch einmal rekapitulierte er den Weg, den er schnell und möglichst ungesehen zurücklegen mußte. Die Roboter befanden sich nachweislich ein Deck über seinem jetzigen Standort und waren, nachdem sie durch den leeren Hangar eingedrungen waren, in ihre Arbeit vertieft. Wie ein rasend schnell wucherndes Geschwür, das zeigten die Kommentare des Interkoms, breiteten sie sich nach oben und unten, rechts und links aus und höhlten die SOL an dieser Stelle förmlich aus. Dorthin, so nahe wie möglich heran, mußte er vordringen. »Los!« Ein Roboter öffnete das Schott und sicherte. Ein Signal leuchtete auf. Der Korridor war leer. Homer Gerigk huschte hinaus und lief im Schutz seiner Robottruppe bis zur nächsten Rampe. Sie führte abwärts und traf auf den Korridor. Gerigk drehte den Kopf nach links und rechts und sprang dann sofort in die Deckung. Sie bestand aus einem Stapel Leichtmetallkisten unbestimmten Inhalts. Sie
waren, vermutlich, von Mitgliedern der SOLAG vor den Robotern in Sicherheit gebracht worden. An einem, dem schiffsinneren Ende des Korridors, bewegten sich Gestalten. Eine Kette Haematen sperrte den Korridor ab. Die Soldaten wandten Gerigk und seinen Robots die Rücken zu. Eine Vielzahl unterschiedlicher Geräusche kam vom anderen Ende. Dort bewegten sich im Schutz ihrer Energieschirme die Fremden. Sie sägten und summten, klirrten und ratterten, trugen wie seltsame Ameisen Beutestücke in unterschiedlichsten Größen und Formen weg, und an die Stelle derer, die ihre ausgebaute Beute ins Schiff trugen, kamen andere. Es war mit größter Wahrscheinlichkeit auszurechnen, daß die Maschinen in Kürze den Versorgungsschacht des Transportbands erreichen und dort mit ihrer zerstörerischen Arbeit beginnen würden. Gerigk zog sich zurück, winkte seiner Robotergarde und drang in den waagrecht verlaufenden Gang vor. Ohne Schwierigkeiten erreichte er die würfelförmige Kammer, die fast unmittelbar neben den Innenschleusen des Hangars eingebaut war. Genauer an dem Platz, an dem sich die Schleusen noch vor einem Tag befunden hatten. Der Lärm wurde lauter, die ersten Vibrationen erreichten Homer Gerigk in seinem Versteck. Dann fiel, sorgfältig aus den Montageöffnungen gelöst, die Frontplatte mit dem Schließmechanismus. Vor Homer standen sieben Maschinen. Jede war drei Meter hoch. Als ihre Linsen ihn und seine Schutzgarde erfaßten, erstarrten die achtundzwanzig Gelenkarme mit den blitzenden Werkzeugen. Gerigk hatte für seinen Plan zumindest gedanklich seine bisherige Existenz hinter sich gelassen. Er sprang zwei Meter vorwärts, breitete die Arme in einer gebieterischen Geste aus und sagte: Die Roboter griffen ihn nicht an. Aber ihm war bewußt, daß man ihn vom anderen Ende des Korridors beobachten konnte. Noch
immer galt der Befehl Chart Deccons. Außerdem richteten sich mehrere Linsengruppen von noch nicht demontierten Interkomen auf die Szene. Der High Sideryt, sagte er sich innerlich sarkastisch kichernd, würde etwas zu sehen und zu hören bekommen. Zu spät, Deccon! Er war erstaunt, fast erschrocken, daß die Antwort der Maschine in seiner Sprache gegeben wurde. Darüber hatte er sich keinerlei Gedanken gemacht. Aber er sagte sich, daß die Roboter wohl die Sprache der Entführten analysiert hatten und sie nun mit maschinenhafter Präzision beherrschten. »Dann weißt du alles über den Zweck, die Bedeutung und den Aufbau dieses Raumschiffs?« Es klang mehr wie eine Feststellung, weniger wie eine Frage. »Ihr könnt alles oder fast alles von mir erfahren!« sagte er und dachte daran, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Robot auch nur ahnte, daß das Schiff in drei Teile »zerlegt« werden konnte. »Dann sage es uns.« Er deutete auf einige der Maschinen und befahl ihnen: »Bringt mich zu eurem Herrn! Auf dem schnellsten Weg und ohne Zeitverlust. Ich habe ihm – und nur ihm! – wichtige Informationen zu geben.« »Wir haben keinen Befehl, dies zu tun. Deine Bitte wird weitergeleitet. Wieviel Wesen leben in diesem Schiff?« »Es sind etwas weniger als hunderttausend«, sagte er und war nicht irritiert, daß er nicht zu einem schnellen Erfolg gekommen war. Die Roboter machten keinerlei Anstalten, ihm sofort zu gehorchen. »Welche Bedürfnisse haben die Insassen?« fragte die große Maschine direkt vor ihm. Die Stimme kam aus mehreren Lautsprecheröffnungen gleichzeitig. Große Linsen funkelten ihn an. Gerigk hatte nicht vor, das sorgsam gehütete Geheimnis schon jetzt preiszugeben. Er würde sein Wissen teuer verkaufen müssen. »Sie brauchen Atemluft, Nahrungsmittel und Wasser«, erklärte er.
»Wann werdet ihr mich zu eurem Herrn bringen?« »Die Zeit ist noch nicht gekommen. Unser Auftrag lautet, Leben zu schonen. Du wirst gefährdet, wenn wir dich zum Herrn in den Kuppeln bringen.« »Ihr könnt das Leben im Schiff nicht schonen, wenn ihr das Schiff bis in seine letzten Einzelteile zerlegt!« widersprach Gerigk. Der Roboter besaß genau die Stimme, die er erwartet hatte: eine wenig modulierte, mechanisch oder positronisch erzeugte Automatenstimme. Aber die Kenntnis der Sprache, die von den Insassen der SOL benutzt wurde, schien vollkommen zu sein. »Es gibt eine Reihe von Methoden, organische Wesen nicht zu verletzen oder zu töten«, sagte der Robot. »Wir bringen sie in Sicherheit. Was hat es zu bedeuten, daß wir in einigen Räumen lebende Pflanzen fanden?« Homer sagte es ihm. »Auf welcher Art sorgt ihr für die Nahrungsmittel und all die Stoffe, die eine so große Menge Wesenheiten zum Leben brauchen?« Gerigk erläuterte auch diese Probleme. Dann fragte er: »Euer Ziel ist, das Schiff zu demontieren und die Teile wegzuschleppen?« »Wir haben den Auftrag, genau dieses Ziel in geringstmöglicher Zeit zu erreichen. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Dir und deinen Freunden wird nichts geschehen. Wie kommt es, daß ihr verschiedene Kleidung tragt? Warum gibt es deutlich zu unterscheidende Gruppierungen in dem Fernraumschiff? Wie nennt ihr jene, die keine Ähnlichkeit mit dir und deinesgleichen haben? Warum sind sie an Bord?« Der ehemalige Bruder der ersten Wertigkeit versuchte, seine Auskünfte so allgemein wie möglich zu halten. Auf seine Frage, wo sich der Herr der Roboter befände, und warum er noch nicht auf dem Weg dorthin sei, erwiderte der Robot: »Als Quelle für Informationen bist du an Bord deines Schiffes wichtiger. Wir haben noch keinen Befehl erhalten, dich in die Stadt
zu bringen oder zu unserem Herrn. Es macht keinen Unterschied, ob du mit mir sprichst oder mit dem Herrn in den Kuppeln.« Eine logische Erklärung, sagte sich Gerigk, denn zwischen dem Herrn dieser unzähligen Maschinen und den Demontagetrupps bestand zweifellos eine ständige Verbindung. Ein Strom von Daten wechselte zwischen der unbekannten Zentrale und den Ausführungseinheiten. Er sagte langsam und scharf betont: »Die wichtigste Information über dieses riesige Fernraumschiff könnt ihr nur von mir erhalten.« »Wie lautet diese Information?« »Ich werde sie nur dann preisgeben, wenn mir gewisse Rechte zugesichert worden sind«, antwortete Gerigk. »Welche Rechte beanspruchst du?« Er stieß hervor: »Ihr wißt, daß ich einer der wichtigsten Männer an Bord bin. Ich habe in dieser Stellung große Macht in meiner Hand.« »Diese Auskunft haben wir von dir. Welche Machtposition hast du dir unter unserem Schutz vorgestellt?« »Zumindest eine vergleichbar große Menge an Einfluß und Befehlsgewalt.« »Das wird unser Herr entscheiden.« »Dann bringt mich zu ihm!« »Wir haben noch keine Erlaubnis dazu. Wie lautet diese wichtige Information?« Homer Gerigk sagte sich, daß es nicht schadete, wenn er einen Teil seines Wissens preisgab. Aber nicht mehr als einen Teil. Die großen, kantigen Maschinen hatten sich vor ihm halbkreisförmig aufgebaut und bildeten einen Wall vor den unablässig weiterarbeitenden Robotern. Große und kleine Maschinen arbeiteten nebeneinander. Ihr Arbeitstempo war unglaublich schnell. Aber mit leichtem Erstaunen sah Gerigk, daß Schleuse und Hangar weitaus weniger demontiert waren, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. Es würde sehr lange dauern, auch nur große Teile der SOL zu
demontieren, so daß das Schiff funktionsunfähig wurde. Aber ebenso wenig konnte er ausschließen, daß noch mehr Roboter vom Mausefalle‐Planeten heraufgeschickt wurden. Dann vergrößerte sich die Geschwindigkeit, mit der die SOL zerstört wurde. Gerigk selbst rechnete sich zu der Gruppe der Traditionalisten, die an einem ununterbrochenen Weiterflug des Fernraumschiffes interessiert waren. Er sah ein, daß es nur in der Macht des Herrn dieser Roboter lag, ob die SOL jemals die Nähe des wolkenverhangenen Planeten verlassen würde. Aus diesen Gründen sagte er wohlüberlegt: »Das Raumschiff, in dem wir uns befinden, ist teilbar. Es besteht aus drei Komponenten.« Der Roboter oder sein Herr, falls er mit ihm in ununterbrochener Verbindung stand, reagierte sofort. »Das bedeutet für uns, daß die Abbaukommandos eine größere Angriffsfläche besitzen und mit ihrer Arbeit schneller fertig werden können.« »So muß man es sehen«, bestätigte Gerigk. »Ich habe euch wichtige Hinweise gegeben. Nun seid ihr an der Reihe, ein Angebot zu machen.« Einige Sekunden lang zögerte die Maschine. Dann erklang ihre Stimme. »Um in der hierarchischen Struktur unserer Zivilisation eine einflußreiche Befehlsstelle einnehmen zu können, bedarf es einer Qualifizierung.« »Prüft mich«, schlug Gerigk vor, »und ich werde bestehen.« Mit seinem Wissen als Magnide, Angehöriger der herrschenden Klasse in der SOL, würde er gegenüber den Maschinen nicht die geringsten Schwierigkeiten haben. Die Roboter hatten ihn in gewisser Weise enttäuscht; ihr Angebot auf seine Enthüllung war zu ungenau und zu unsicher. Erst einmal in einer einflußreichen Stellung, würde er jede seiner Chancen ausnützen, um sich unentbehrlich zu machen.
»Die Prüfung wird auf unserer Heimatwelt durchgeführt«, erklärte der Robotsprecher. »Dann bringt mich dorthin. Mich und meine Robotschutzgarde«, sagte Gerigk und wies auf seine acht Roboter. Er war sicher, daß die Roboter des Planeten nur auf ein intelligentes Wesen warteten. Natürlich boten sie nicht jedem eine solche Stellung an. Deswegen hatten sie wohl eine Anzahl anderer Solaner entführt. Er würde keine Schwierigkeiten haben, gegenüber den Vystiden oder Haematen besser abzuschneiden. »Du kannst mit dem nächsten Raumflug‐Roboter, der dein Schiff verläßt, zum Planeten gebracht werden«, sagte der Robot vor ihm. Die anderen großen Maschinen wandten sich auf ein unhörbares Kommando hin von ihm ab und widmeten sich wieder ihrer Arbeit, als sei keine Unterbrechung eingetreten. Homer Gerigk wartete schweigend und sah einige Minuten lang den Maschinen bei ihrer Arbeit zu. Überall gab es ihre Schutzschirme, die den leeren Raum ausfüllten wie durchsichtige Kugeln. Soeben entfernten die Maschinen einen massiven Träger aus dem ausgeräumten Hangar; drei der kleineren Maschinen trugen ihn senkrecht eine Wand hinauf und durch die geschützte Öffnung in den Weltraum hinaus. Während Gerigk die Roboter beobachtete, wurde er selbst ebenso beobachtet. Nicht nur von Chart Deccon, sondern von einem unausgeschlafenen, mürrischen Haematen, der sich zu erinnern versuchte, wer dieser mittelgroße Mann mit der Knollennase und dem erstaunt wirkenden Gesichtsausdruck wirklich war … 5. Zeit: 13.10.45 Uhr Obwohl ihre Stimme schneidend und kalt klang, schien »Bit« Kunduran unsicher zu sein. »Es ist dir inzwischen wohl klar, Chart«, sagte sie, »daß Homer
Gerigk nichts anderes vorhat, als uns und das Schiff zu verraten?« Der High Sideryt und die Besatzung der Zentrale hatte beobachtet, wie Homer Gerigk sich den Robotern stellte. Jetzt sahen sie zu und warteten darauf, daß etwas geschah. Auch Gerigk stand da und wartete darauf, daß die Roboter ihr Versprechen einlösten. Neunzig Prozent seiner Unterhaltung mit den Maschinen waren in der Zentrale gut zu verstehen gewesen. »Es ist mir klar«, sagte Chart Deccon. »Er glaubt, daß man ihn zum Herrn der Falle machen wird, zum König des Robotplaneten oder so ähnlich.« »Was willst du tun?« fragte das jüngste Mitglied der Magniden. »Ich weiß es noch nicht«, antwortete Deccon. »Er hat nicht mehr gesagt, als daß sich die SOL teilen läßt.« »Willst du warten, bis er auch noch die einzelnen Schaltvorgänge ausplaudert?« »Ich weiß nicht recht, was ich tun soll«, gab der High Sideryt zu. »Möglicherweise wird Gerigk sogar die SOL retten. Er ist schließlich daran interessiert, daß das Schiff weiterfliegt.« »Er wird uns alle bedenkenlos opfern«, widersprach Lyta. »Er will nur überleben und seine Macht neu aufbauen.« »Das wollen wir alle«, murmelte Deccon und schaltete seinen Bildschirm auf die Erfassungsgeräte eines anderen Interkoms um. Er blickte jetzt aus dem letzten Stück des Korridors auf den leeren Platz vor dem ehemaligen Schleusenhangar. Vor der Kulisse der sich bewegenden Roboter stand Homer Gerigk, rechts und links neben ihm je vier seiner eigenen Roboter. Die junge Magnidin wiederholte in abfälligem Ton: »Homer Gerigk wird alles andere tun, als die SOL zu retten. Wir kennen ihn ja ziemlich gut – er ist machtgierig, und wenn ihm die Roboter dabei helfen, wird er an einer anderen Stelle Karriere machen und uns so schnell vergessen haben wie den vorletzten Atemzug.« Der High Sideryt hatte etwa elf Stunden hinter sich, in denen er
glaubte, um Jahre gealtert zu sein. Die absolute Hilflosigkeit war kennzeichnend für die SOLAG. Das Gefühl, der Roboterinvasion nichts mehr entgegensetzen zu können, hatte zumindest die Intelligenteren dieser Machtgruppierung ergriffen und gelähmt. Es gab keine Möglichkeit, mit den Robotern zu diskutieren. Der Umstand, daß sie sich ausgerechnet mit dem Ex‐Magniden Homer Gerigk »unterhielten«, war deprimierend. Vystiden und Haematen, die sich zu weit an die Stellen vorgewagt haben, wurden wortlos entwaffnet und wegtransportiert, ebenso jeder andere. Warum ausgerechnet Gerigk, fragte man sich in der SOL. Es gab keine Möglichkeit, die Roboter zurückzuschlagen! Immer wieder blockierten sie jeden Angriff mit Hilfe ihrer Schutzfelder ab. Stück um Stück verschwand die SOL in den Laderäumen der kleinen Schiffe. Feuerte ein Geschütz auf die anfliegenden oder startenden Schiffe, konnte man fast sicher sein, die eigenen Leute zu treffen. »Möglicherweise hast du recht«, antwortete schließlich Chart Deccon. »Gerigk hat nur sich selbst im Sinn. Aber immerhin hat er uns gezeigt, daß die Roboter diskutieren.« »Mit ihm, nicht mit jedermann!« »Wenn sie mit ihm diskutieren, dann werden sie auch mit mir sprechen«, sagte der Chef der SOLAG. »Höchstwahrscheinlich – aber … willst du etwa zu ihnen gehen?« »Wenn es sein muß«, bestätigte der High Sideryt. »Noch nicht.« In das Blickfeld der Bilderfassung schob sich ein breiter Rücken. Eine blauschwarze Kampfuniform mit der silbernen SOL‐ Darstellung. Ein einfacher Haemate, der langsam durch den Korridor ging. Eine Sekunde lang zögerte der High Sideryt; er wollte dem Mann eine Warnung zurufen. Aber als sich der Soldat kurz umdrehte, sah er, daß es ein unbekannter Mann war, ein älterer Soldat mit mürrischem Gesichtsausdruck, der sich für die Roboter vor ihm nicht zu interessieren schien. Vielleicht wollte er in einen
der Räume, bis zu denen die Demonteure noch nicht vorgedrungen waren. Chart Deccon nahm den Blick vom Bildschirm und sagte in die Zentrale hinein: »Ruft Aksel von Dhrau in die Zentrale. Er ist der richtige Mann, um eine neue Strategie der Abwehr zu organisieren.« Der ehrgeizige, junge Chef der Vystiden würde schon deshalb, weil er sich qualifizieren wollte, mit aller Härte vorgehen. Auch dieser Versuch bedeutete Zerstörungen innerhalb der SOL. »In Ordnung«, sagte Curie van Herling. »Ich besorge das.« Eine plötzliche Bewegung und ein Schrei bewogen Chart Deccon, wieder auf den großen Bildschirm zu blicken. Der unbekannte Haemate fing plötzlich zu rennen an. Er schrie voll Wut laut einen Namen hervor. »Gerigk! Homer Gerigk!« Gerigk schien, umgeben von Robotern, die ihn in die Richtung des Hangars führen wollten, den Schrei nicht zu hören. Jetzt kam die Gestalt des Haematen voll ins Bild. Der Mann hob einen schweren Strahler hoch, rannte auf Gerigk zu und schrie, kurz bevor er ihn erreichte: »Du verrätst die SOL! Der High Sideryt hat befohlen, dich zu töten!« Er riß den Arm hoch und feuerte. Der Ex‐Magnide wirbelte herum. Er hob abwehrend beide Arme, aber mitten in der Bewegung erstarrte er. Der Schuß aus der Strahlenwaffe traf ihn in die Brust, schmetterte ihn gegen einen der fremden Roboter und ließ ihn auf den Boden rutschen. Der Haemate hob die Waffe über den Kopf, starrte in die Richtung der Bilderfassung und schrie: »Vielleicht sieht es der High Sideryt. Der Verräter ist tot!« Hinter ihm entstanden in rasend schneller Folge wieder eine Wand aus Schutzschirmen. Es war zu spät. Dennoch hoben die fremden Roboter den Toten hoch und transportierten ihn in dieselbe Richtung, in der auch ständig die Teile der SOL verschwanden.
Der Haemate stürmte auf die Linsen zu und am Interkom vorbei. Chart Deccon lehnte sich wie betäubt zurück und vergrub sein Gesicht in seinen fleischigen Händen. »Dein Befehl wurde ausgeführt!« sagte jemand aus der Zentrale. »Ich hab ʹs gesehen«, murmelte er. Einen Befehl dieser Art zu geben, war eines. Zuzusehen, wie ein Mann aufgrund eines solchen Auftrags getötet wurde, war etwas anderes. Deccon sagte sich, verwirrt und erschüttert, daß die Situation immer unhaltbarer wurde. Ihm war, als habe der Schuß ein neues Signal für das Schicksal des Schiffes gesetzt. Ein Signal des kommenden Untergangs. * Mauron, der einarmige Buhrlo, zwängte sich durch die Luke und keuchte: »Alles in Ordnung, Weicos. In der Nacht geht es los. Alles ist organisiert. Wir müssen an den Gärten und den Reparaturwerkstätten vorbei und an den ehemaligen Wohnquartieren.« »Die Roboter sind also in den Hangars. Sicher?« »Sicher. Wir haben sie arbeiten gesehen.« Weicos nahm dankend die Verpflegung entgegen, die der Einarmige vor ihn hinstellte. Bis zu einem gewissen Grad war das sogenannte Monster hilflos; er bewegte sich vorwärts, indem seine verkümmerten flossenartigen Beinstummel ihn in schnellen Rucken schoben. Mit den kurzen Armen und den muskulösen Händen, die dicke Schwielen und Hornhäute trugen, stützte sich Weicos ab. In seinem Versteck war er sicher, aber der Versuch, mit den Robotern zu sprechen, würde ihn und seine Helfer auf das Äußerste gefährden. »Außerdem«, sagte Weicos und verzog sein rundes Gesicht zu
einem kurzen Grinsen, »hat Bruder Odger einen Großeinsatz der Ferraten angeordnet. Ein Versuch, nicht mehr, aber immerhin ein Stück positive Entwicklung. Leider werden sie alle Kolonien der Extras und die Monstren finden.« »Nicht alle«, schränkte der Gläserne ein. »Sie sind gewarnt worden.« »Von dir?« »Indirekt«, bestätigte Mauron. »Du hast gesehen, was mit Gerigk passiert ist?« »Er hat mich – auf leider betrübliche Weise – davon überzeugt, daß es möglich ist, mit den Robotern zu sprechen. Es sind arme Geschöpfe, diese Maschinen.« Mauron zuckte zusammen und starrte Weicos fast entsetzt an. »Arme Geschöpfe? Die Maschinen? Obwohl sie das Schiff auseinandernehmen und die Trümmer davonschleppen? Weißt du – manchmal sagst du Sachen, die sind so erstaunlich, daß …« Weicos wedelte mit seinen breiten Händen. »Du wirst verstehen, warum das so ist – später!« »Naja. Wenn du es sagst«, zweifelte Mauron. »Wir helfen natürlich den Ferraten. Aber sie begreifen es nicht.« »Das liegt daran, daß diejenigen ihre Klugheit nicht weitergeben, die die Macht dazu haben. Was weiß denn ein Brüder der dritten Wertigkeit davon, welche Art von Ordnung einmal in der SOL geherrscht hat?« Mauron sagte: »Nicht viel, denke ich.« Weicosʹ Schnurrbart sträubte sich, als das Monster korrigierte: »Nichts wissen sie. Das weiß ich!« In der feuchten Kammer warteten Weicos und sein engster Helfer bis zum festgelegten Zeitpunkt. Immer wieder suchte der eine oder andere Vertraute Weicos auf und berichtete neue Einzelheiten. Der Weg von dem Versteck bis zur äußersten Schale der SZ‐2 war etwa achthundert Meter lang. Diese Strecke mußte abgesichert werden.
Schließlich erschienen Kopf und Oberkörper eines Ferraten in der Luke. »Es herrscht Ruhe in unserem Ge biet«, sagte der Rostjäger aufgeregt. »Die Aktion ist in vollem Gang. Rund um das Reparaturgebiet hat sich die allgemeine Lage bis fast zur Lähmung entspannt.« Es gab also mitten im Chaos noch einzelne Zonen, in denen so etwas wie die alte Ordnung funktionierte. »Hoffentlich kann ich etwas bewirken«, schloß Weicos und lehnte sich gegen die nasse Stahlwand. * Vierhundertfünfzig Ferraten bildeten mit ihrer Ausrüstung einen Konvoi, der sich auf einer Verteilerzone in drei Spuren gabelte. Auf kantigen Schwebeplattformen lagen Werkzeuge, Ersatzteile – die Vorräte des Fernraumschiffs. Überall gab es kleinere oder größere Depots in sämtlichen Zuständen der Unordnung. Listen oder Verzeichnisse gab es seit dem Versagen SENECAS nur in der Erinnerung der Solaner. Zufälle bestimmten die Versorgung mit solch scheinbar unwichtigen Ersatzteilen wie Schaltbrettern oder Impulsschaltern, Ersatzteile für die verschiedenen Beleuchtungseinrichtungen oder allen anderen, dem Verschleiß unterworfenen Materialien. Aber diese Aktion war gründlich vorbereitet worden. Odger und seine Vorgesetzten hatten die gefundenen Ersatzteillager unter strengste Bewachung gestellt. Hinter den Ferraten sah man vereinzelt Haematen und einige Vystiden‐Anführer. Sie würden gnadenlos durchgreifen, wenn jemand die Aktion zu stören wagte. Sie führten einen Befehl des High Sideryt durch. Odger hob das Sprechgerät an die Lippen und sagte scharf: »Fangt an. Punkt eins in unserer Planung.«
Die Ferraten‐Gruppen schwärmten aus. Sie hoben vorbereitete Metallgitter von ihren Plattformen und setzten sie, nachdem die Endglieder in Öffnungen verschwunden waren, rasch zusammen. Eine annähernd würfelförmige Zone wurde restlos eingekesselt und von innen abgesperrt. An die Gitter schloß man Schockgeneratoren an, so daß niemand ohne heftige Abwehrschläge die Gitter berühren und sich so einen Weg ins Innere des Absperrgebiets erzwingen konnte. Dann wurden entlang der ausgesuchten Korridore sämtliche Schotte geöffnet. Hier gab es den ersten Widerstand. Viele Angeln ließen sich nicht bewegen. Die Ferraten gingen dem Rost mit Spezialmitteln zu Leibe. Bald hörte man nur noch das Jaulen von Maschinen und ächzende Kommandos. Eine Gruppe von Spezialisten wechselte die unbrauchbaren Teile der Beleuchtung aus und setzte neue Luminiszenzelemente ein. Im hellen Licht der reparierten Tiefstrahler und der gitterartigen Leuchtdecken der Korridore begann die Säuberung. Putzkolonnen reinigten den Bodenbelag. Andere wuschen mit ätzenden Mitteln die Wände ab. Ein nachrückender Trupp baute die Verkleidungen der Lüftungsanlagen aus und säuberte sie. Hier gab es die ersten Zwischenfälle. In einem dunklen Knick des Rohrsystems entdeckte man eine Kolonie von über fünfzig Extras. Es waren Eika‐Beyns; spinnenähnliche Wesen, die sich schnell vermehrt hatten. Irgendwann waren sie von Pyrriden an Bord gebracht worden. Man fing die handtellergroßen Tiere ein und warf sie in eine Tonne mit glatten Innenflächen. Sie vermochten nicht mehr hinauszuklettern und gaben fiepende, zischende Laute des Protests von sich. Minutenlang stießen die Lüftungsgitter dicke Staubwolken aus, als die Schächte gereinigt und die Trenngitter zwischen ihnen entrostet, erneuert oder geschweißt wurden. Als der Ahlnate wieder, die Folie mit den Zeichnungen und den einzelnen Punkten dieses Vorhabens im Gürtel, an dieser Stelle
vorbeikam, fragte ihn ein ölverschmierter Ferrate grinsend: »Was sollen wir damit«, sein Gesicht überzog sich mit einer Grimasse des Abscheus, »anfangen? In den Konverter? Oder kippen wir sie in einen Garten der SOL‐Farmer?« Odger, ein Mann mit schmalem Gesicht und tiefen Falten um Nase und Mund, bemerkte säuerlich: »Wartet noch damit. Schiebt die Tonne an die Seite. Ich frage bei der Zentrale nach. Ich darf es nicht allein entscheiden.« Mit einem Blick in das Gewimmel der Tiere mit den schwarzen Beinen und den weißen Körpern fügte er hinzu: »Obwohl ich auch für den Konverter wäre.« Dichtungen von Schottrahmen wurden erneuert. Riegel wurden repariert und frisch geölt. Kabinen, in denen seltsame Pflanzen wuchsen, wurden nach langer Zeit geöffnet und rücksichtslos von jeder Art Abfall befreit. Immer wieder schwebte ein leerer Kunststoffcontainer heran, der bald darauf mit übelriechendem Abfall und Gegenständen gefüllt war, deren Zweck man bestenfalls erraten konnte. Andere Kommandos überprüften die hydraulischen Anlagen. Man wechselte Hähne und die simplen Positroniken in den Sanitärzellen aus. Aus tragbaren Hochdruckgeräten wurde ätzende Reinigungsflüssigkeit gesprüht, die Schichten jahrzehntealten Schmutzes auflöste. Die ekelerregende Brühe wurde mit Dampfstrahlern in die Abflüsse gespült, die dadurch ebenfalls einen Reinigungseffekt erlebten. Hinter den Putzkolonnen kamen die Ferraten, die einzelne Stellen mit schnelltrocknendem Lack beschichteten. Ein aufdringlicher Geruch breitete sich langsam aus; es war der nach Reinigungsmitteln und Frische. Besonders geschulte Kommandos drangen, nachdem die Techniker die Zugänge zu Hohlräumen freigelegt hatten, mit Scheinwerfern und Lähmstrahlern dort ein. Binnen weniger Stunden trieben sie ein kleines Heer von Wesen vor sich den
aufgestellten Fallen entgegen, Wesen, die sich jahrelang im Verborgenen aufgehalten hatten. Es würde Tage dauern, bis die SOLAG die Säuberung beendet haben würde. Ab und zu wurde eine Absperrung beseitigt. Dann schwebten Kolonnen von gefüllten Abfallcontainern hinaus auf den breiten Hauptkorridor. Die Anzahl der gelben Kunststoffkästen wuchs schnell an. Eine Familie fuchsähnlicher Extras verteidigte sich, indem sie mit Schrauben und Muttern nach den Ferraten warf. Lähmstrahler dröhnten auf. Die Gefangenen wurden in einen leeren Magazin‐Raum gesperrt. Allein der Umstand, daß die Kommandos hinter sich die Helligkeit der erneuerten Beleuchtung hinterließen, versetzte alle jene, die sich hier versteckt hielten, in Angst und Schrecken. Sie kannten die Jagden, die man auf sie angesetzt hatte. Aber es jagten immer nur kleine Jägergruppen. Nicht eine Masse von Hunderten Ferraten. Nach einem halben Tag Arbeit hatte sich der Charakter eines großen Gebietes völlig verändert. Frische Farbe, Helligkeit, die unübersehbaren Spuren einer äußerst gründlichen Reinigung, funktionsfähige Kleinanlagen und reparierte Anlagen der unterschiedlichsten Servomechanismen, Berge von unbrauchbarem Material, eine riesige Menge von fast neuen Einrichtungsgegenständen aus den Bordeigenen Werkstätten – die ersten renovierten Kabinen wurden von Haematen, Vystiden und Ahlnaten bezogen und auf ihre Funktionsfähigkeit getestet. Aber noch immer befand man sich erst in der Randzone des ausgesuchten Gebiets. Es würde Tage dauern, bis sich die einzelnen Kommandos im Zentrum der Gärten und der Reparaturdecks trafen. Die schwierigste Arbeit lag noch vor ihnen. Ohne daß die Arbeiter es merkten, bahnte sich ein Trupp der fremden Roboter einen Weg und erschien am fernen Ende des
Hauptkorridors. Dort setzten sie ihre Demontagearbeit ungehindert fort. Ein neues Loch war von den Robotern in die Außenhülle der SOL gefräst, gebohrt und geschraubt worden. Nicht einmal Chart Deccon wusste genau, ob es die neunte oder elfte Stelle war, an der nur ein Mausefalle‐Sieben‐Schutzschirm das Innere der SOL gegen das Vakuum des Weltraums schützte. Die Gruppe, die sich jetzt, kurz nach Mitternacht, durch die weniger breiten Korridore der SZ‐2 bewegte, war nicht seltsamer als viele andere Gruppierungen innerhalb des Schiffs. Vorn ging ungewöhnlich schnell eine Ahlnatin. Es war Elskea. Ihr Schicksal war deshalb mit Weicos verbunden, weil er dafür sorgte, daß sie weder mit den Händlern noch mit den Ferraten und Buhrlos jemals Ärger gehabt hatten. In »ihrem« Gebiet herrschte Ruhe. Deshalb half sie dem Monster. Deswegen riskierte sie diese nächtliche Wanderung! Dahinter schwebte die Energieeinheit einer Antigravplattform. Vor vielen Jahren hatten Monstren sie gefunden und zu Weicos gebracht. Damals hatte er noch sein Versteck verlassen und sich an anderen Stellen informieren können. Um die Kernzelle war aus Holz, Kunststoffbändern und zerschlissenen Decken eine Art Bahre gebaut worden. Darauf lag Weicos; eine weitere Decke und einige Pfanzenteile mit grünen Früchten daran tarnten ihn notdürftig. Rechts und links von der leise summenden Bahre gingen Ferraten und Buhrlos. Sie trugen Werkzeuge in den Händen und gaben sich den Anschein, zu einem wichtigen Auftrag unterwegs zu sein. Jedenfalls versuchten sie so auszusehen. Niemand sprach. Sie mußten damit rechnen, von der Zentrale auf dem Umweg über Interkom oder von jemanden aus der SOLAG entdeckt und aufgehalten zu werden. Unter der Decke und den Pflanzen wisperte es hervor: »Wie weit noch? Wo sind wir?«
»Halbe Distanz«, flüsterte Mauron zurück, der die Plattform dirigierte. In einem dreidimensionalen Zickzack bewegte sich die Gruppe von einem Signalpunkt zum anderen. Fast an jeder Ecke stand einer aus der Schar der vierhundert Schützlinge. Entweder winkte er kurz, oder er machte eine abwehrende Bewegung. Entlang des Weges waren viele Interkome mit Lumpen oder Schichten aus farbiger Folie flüchtig abgedeckt worden. Es ließ sich nicht verhindern, daß Elskea schließlich von der Rampe in den Hauptkorridor einbiegen mußte. Der Arbeitslärm hatte vor ihnen ständig zugenommen. Immer wieder gaben die Gitter vor den Lüftungsschächten zugleich mit drohenden Geräuschen schwarze Schmutzwolken von sich. Jetzt mischte sich in den Gestank ein neuer, durchdringender Geruch. Er war so selten an Bord, daß selbst das kluge Monster fragte: »Was riecht so stark? Gas?« Mit einem Kichern gab der Einarmige zurück: »Der Geruch der Sauberkeit, Weicos!« Sie kamen ungehindert an einer langen Reihe überfüllter Container vorbei. Schon während des schnellen Vorbeimarsches sahen sie, welch eine überraschende Menge von Abfall in den Verstecken dieser Zone gefunden und weggeschafft worden war. Wieder verließen die Vertrauten Weicosʹ den Hauptkorridor, tauchten eine Ebene tiefer hinab und hundert Meter weiter wieder hinauf auf die Hauptebene. Diesmal war der Lärm, den Weicos und seine Freunde hörten, nichts anderes als das Arbeitsgeräusch der fremden Maschinen. »Wieweit?« »Noch zweihundert Meter. Aber dort vorn ist eine Absperrung«, sagte Elskea. Eine Kette bewaffneter Haematen sperrte den Korridor quer ab. Zwischen den Soldaten gingen mindestens zwei Vystiden in ihren silbernen Anzügen hin und her. Plötzlich sprang ein Buhrlo aus einem der Quergänge, zischte kurz und winkte.
»Nach rechts«, ordnete Elskea leise an. Die Gruppe schwenkte herum, kurz bevor man auf sie aufmerksam wurde. Sie verschwand in einem schmalen Gang. Am Ende des etwa zehn Meter langen Verbindungsteils stand ein Schott weit offen. Der Gläserne, der sie hierher gewinkt hatte, sagte drängend: »Schnell. Hier in den Zwischenraum. Sie suchen nach allem, das sich bewegt. Dieser Teil soll geräumt werden.« »Verstanden!« sagte Weicos und warf die Decken und Pflanzen von seinem Körper. Langsam sank die Bahre neben einem rechteckigen Loch im Boden herunter. Ein schmutziges Stück Metall, mit isolierendem und dämpfendem Rastergewebe beschichtet, war hochgeklappt. Darunter befand sich ein Geheimgang, der in der Schicht zwischen zwei Decks verlief, entlang dicker Bündel von Versorgungsleitungen. »Hier! Eine Lampe!« murmelte der Buhrlo und gab der Ahlnatin einen zerschrammten, kleinen Handscheinwerfer, dessen Abdeckung von einem Netz kleiner Sprünge überzogen war. Die Lampe gab nur noch einen schwachen Lichtschein von sich, als Elskea nach unten kletterte und sich umdrehte, weil sie den anderen helfen wollte. Vorsichtig wuchteten sie den rund eineinhalb Meter langen Walzenkörper abwärts. Weicos glitt neben Elskea auf den Boden des Decks. Sekunden später klappte die Platte herunter und wurde mit einigen Tritten festgerammt. »Geradeaus!« sagte Elskea und kroch voran. Vor ihnen lagen noch rund einhundert Meter. Über ihnen befand sich das Deck, in dem die Andruckneutralisatoren und die Schwerkrafterzeuger arbeiteten. Gigantische Maschinenblöcke mit einem Wirrwarr von Leitungen, an die sich niemand an Bord herantraute. Weicos zwang sich dazu, nicht an die Massen aus Metall zu denken, die sich über seinem Kopf türmten. Er schob sich dem schwachen Lichtschein nach. Elskea warnte ihn vor engen Stellen, wich einigen kreuzenden Röhren aus, vermied es, an
Kabelstränge anzustoßen und robbte Meter um Meter weiter. Der schwache Lichtschein erhellte nur zwei Quadratmeter direkt vor ihr. Ein gelbes, zuckendes Licht, nicht stärker als eine Kerze, war alles, was sie hatten. Trotzdem gelang es ihnen, ohne Schrammen durch den Staub zu kriechen. Eine dünne Bahn kennzeichnete diesen Weg und ließ erkennen, daß das Zwischendeck häufig als Fluchtweg oder als Versteck benutzt wurde. Elskea hob die Lampe. Vor ihr, in den Staub geritzt, sah sie undeutlich einige Worte und Zeichnungen. Sie lag eine Weile still da und versuchte, den Hinweis zu entschlüsseln. Dann nickte sie und sagte leise: »Wir sind an der richtigen Stelle. Hier verläuft eine senkrechte Abschottung. Warte …« Vorsichtig richtete sie sich auf, nachdem sie den Hohlraum über sich abgeleuchtet hatte. Eine kurze Leiter führte zu einem Bodenschott. Elskea turnte hinauf, folgte einem weiteren Pfeil und öffnete das Schott um einen Spaltbreit. Licht drang herein. Der Lärm arbeitender Roboter schlug ihr entgegen. Sie sah die grauen Körper der Maschinen. Die Ahlnatin nickte und glitt wieder abwärts. Sie fragte Weicos: »Kommst du dort hinauf?« »Wenn du mir hilfst und mich stützt, ist es kein Problem«, sagte er. »Einverstanden.« Weicos fing an, sich hochzustemmen. Als er mit den Flossenfüßen die unterste Stufe erreicht hatte, schob Elskea an dem walzenförmigen Körper und verhinderte mit ihrem Körpergewicht, daß Weico nach hinten kippte. Schließlich, nachdem er das Schott hochgeklappt hatte, schob sie ihn mit den Schultern aus dem Schacht. Sie tauchten mitten in der Schar der fremden Maschinen auf. Als Elskea wieder auf dem Boden des normalen Decks stand und sich umsah, entdeckte sie zu ihrer großen Erleichterung, daß zwischen
ihr und den Haematen ein schillernder Schutzschirm projiziert wurde. Niemand konnte sie hier erreichen. Drei mittelgroße Maschinen, etwa zwei Meter groß, glitten heran und umringten die Ahlnatin und das robbenähnliche Wesen. Sie selbst schwieg; Furcht und das Gefühl, diesen Maschinen ausgeliefert zu sein und von ihnen gefangengenommen zu werden, beherrschten sie. Aber Weicos schien keinerlei Furcht zu kennen. Er richtete seine großen, runden Augen auf jenen Robot, der im Unterschied zu den meisten anderen bügelförmige, ringförmige und halbkreisförmige Antennen auf der obersten Ebene seines Körpers aufwies. »Ich bin Weicos«, sagte das Monster. »Man nennt mich ein Monster. Aber ich empfinde mich nicht als Monster. Ich will mit euch sprechen, weil ich ahne, daß ihr mein Leben verändern könnt.« Zu seiner Verblüffung erwiderte der Antennen Roboter: »Ich bin Marris Dreitausendzweihundertvierzig. Dies bedeuten die Linien und Ziffern auf meinem Körper. Ich gehöre zu der Gattung der Phanos.« * »Es ist erstaunlich, daß du mit mir sprichst«, bemerkte Weicos. Schweigend und starr verfolgte die Ahlnatin den beginnenden Dialog zwischen Monster und Maschine. »Wir sprechen mit euch, weil wir glauben, daß es sich in bestimmten Fällen lohnt«, sagte der Robot. »Spreche ich mit dir, oder bist du nur ein externes Element eines großen Robotgehirns?« wollte Weicos wissen. »Sowohl als auch. Ab einer bestimmten Größenordnung der Entscheidung verliere ich meine Eigenständigkeit.« »Ich verstehe, Marris. Wie du siehst, bin ich körperlich hilflos. Deswegen bin ich nicht allein hergekommen.« »Verständlich. Es gibt keinen Grund, dich ebenso zu behandeln wie jene, die wir im Schiff vorfanden, und die uns zu bekämpfen versuchten.« »Beruhigend, dies zu wissen«, antwortete Weicos. Mit starrem Blick und offenem Mund erlebte Elskea die Szene mit. Sie war nicht
mit so großer Phantasie geschlagen, um sich vorher auch nur teilweise vorstellen zu können, was sie am Ende dieses Vorstoßes erwartete. Aber jetzt, inmitten der arbeitenden Maschinen, die sich nicht um Marris 3240 und Weicos kümmerten, im Schutz der schillernden Abwehrschirme, gegenüber der technischen Einrichtung, die während des Zusehens kleiner wurde, deren Teile von den Winzlingen unter den Robotern weggeschleppt wurden, ergriff eine Mischung aus Ehrfurcht und panischer Angst die Schwester der dritten Wertigkeit. Weicos fragte den Roboter mit unverändert selbstbewußter Sprache: »Die wichtigen Entscheidungen triffst nicht du selbst, wenn ich dich richtig verstanden habe, Marris? Ich meine jene, die dich selbst betreffen?« »Nein. Mein Herr sitzt auf dem Planeten, den ihr Mausefalle Sieben nennt.« »Du hast kein Lebensziel, Marris?« »Nein. Ich bin ein technischer Organismus, der Befehle ausführt.« »Nun«, kleidete Weicos seine Gedanken in Worte, »ich habe ein Ziel. Selbst ich, ein Abkömmling von Menschen, die so aussehen wie Elskea hier, ein hilfloses Monster, habe ein Lebensziel. Die Zielvorstellung beherrscht meine Existenz.« Tatsächlich schien der Roboter in der Lage, weiter zu diskutieren. Oder sprach jetzt das Robotgehirn auf dem Planeten aus seinen Lautsprechern? Elskea ahnte es nicht einmal. »Wie definierst du dein Ziel?« »Mein Ziel«, führte Weicos ohne das geringste Zögern aus, »ist es, zu leben. Weiterzuleben und zu überleben. Ich bin an Bord einer von vielen Ausgestoßenen.« »Dies sind Gedanken, die mir fremd sind«, bekannte der Roboter. Also sprach er für sich selbst! Für das 3240. Exemplar der Prototyp‐ Baureihe Marris. »Ich mache mir über mein weiteres Leben keine Gedanken. Dafür bin ich nicht programmiert.«
Weicos richtete sich halb auf seinen kurzen Armen auf und sagte: »Ihr seid zu klug, um nur metallene Diener zu sein. Aber ihr seid andererseits auch nicht frei in Entschlüssen und Entscheidungen. Auf gewisse Weise seid ihr ärmer dran als beispielsweise ich.« »Ich muß dieses Problem durchdenken«, wich der Robot aus. Nach zehn Sekunden sprach Marris 3240 wieder. »Richtig. Wir sind weder Diener noch Herren.« »Ihr befindet euch in einer Zwischenschicht der Existenz«, erläuterte Weicos. »Auf keinen Fall sind wir miteinander zu vergleichen. Ihr seid nicht frei. Um ein Beispiel zu geben: ich könnte mich hier selbst umbringen, ohne daß mich jemand dran hindert. Wenn ihr dies versuchen würdet …« »… dann würde ein Selbstzerstörungsmechanismus in Tätigkeit treten. Es wäre in diesem Fall bewiesen, daß irgend etwas in unserem Innern mechanisch defekt ist.« »So sehe ich es auch. Ich möchte eine Bitte äußern.« »Ich höre!« »Bringt mich hinunter zu eurem Herrscher.« »Nach sämtlichen Informationen, die uns inzwischen vorliegen«, sagte Marris 3240, ohne seine Stellung zu verändern oder die Modulation seiner Maschinenstimme zu verändern, »und wir haben sehr viel Informationen sammeln und verarbeiten können, wird dein Leben auf der Oberfläche unseres Planeten schwierig werden.« »Das habe ich mir nicht anders vorgestellt«, antwortete Weicos mutig. »Ich nehme es in Kauf. Ich bin in diesem Schiff geboren und will versuchen, etwas in seiner Rettung zu unternehmen.« »Du willst uns freiwillig begleiten?« fragte der Robot. »Genau dies habe ich gemeint.« »Du bist entschlossen, dein Leben und deine ausdrucksvolle Beredsamkeit zur Rettung des Fernraumschiffs zu benutzen?« »So habe ich es beschlossen«, bestätigte Weicos, »Freiheit für das Schiff. Das möchte ich erreichen.« »Möglicherweise wirst du deine Heimat verlieren, denn das Schiff
ist bisher deine Heimat gewesen?« »Dieses Risiko gehe ich offenen Auges ein«, entschied sich Weicos. »Bringt mich hinunter zu eurem Herrn.« »Jetzt oder später?« Weicos gestattete sich, obwohl er ahnte, daß die Lebensumstände auf dem Planeten noch schlimmer sein konnten als in der SOL, ein leichtes Lächeln. »Ich bin mit den Abflugzeiten eurer Schiffe nicht vertraut.« »Das Schiff startet, wenn die Ladung das vorgeschriebene Gewicht erreicht hat.« »Darauf werde ich warten.« Weicos kannte nichts anderes als die SOL und sein kümmerliches Leben im Versteck. Was ihn erwartete, konnte er sich aus naheliegenden Gründen nur schwer vorstellen. Auf jeden Fall würde er als erster die unbarmherzige Weite einer Planetenoberfläche kennenlernen, ohne trennende Wände, ohne künstliche Lichtquellen und möglicherweise mit Bedingungen, die ihn noch mehr zu einem hilflos riechenden und robbenden Bündel machen würden. Trotzdem blieb er bei seinem Entschluß. Er unterhielt sich kurz mit der Ahlnatin. Sie versprach, daß die vierhundert Freunde lange an ihn denken und so weiterleben würden, als ob er noch ihre Geschicke mitverantwortete. Dann verschwand die Ahlnatin wieder hinter der zuklappenden Luke. Zehn Minuten später packten zwei mittelgroße Roboter das Monster und schleppten es in das Schiff. Wenig später startete das Roboterschiff. Weicos erwartete schweigend und in sich gekehrt den ersten Kontakt mit der neuen Welt. Vielleicht, dachte er, wurde er in dasselbe Gefängnis gebracht, in dem schon die anderen Solaner schmachten … und in der auch möglicherweise Atlan saß, jene eigentümliche, zum Leben erwachte Legende der SOL. 6.
Und wieder einmal sah Chart Deccon ein, daß es zu spät zum Handeln war. Als dieses unbekannte Wesen, robbenähnlich, mit annähernd menschlichem Gesicht und von bemitleidenswert ungeschickter Fortbewegung, die Roboter informiert hatte, zitterte Deccon geradezu vor Wut. Es war sinnlos! Er brauchte nicht einmal einen Befehl zu geben! Die bewaffneten Haematen konnten nichts ausrichten gegen diese hervorragenden Schirme. Alles, was sie anfingen, war schon jetzt zum totalen Mißerfolg verurteilt. Wieder machte Chart Deccon einen Versuch mit SENECA. Es war der vierte seit dem ersten Auftauchen der Roboter von Mausefalle Sieben. Diesmal meldete sich die Positronik des Schiffes. »Du bist ratlos, wie ich erkenne«, stellte SENECA fest. Die Stimme der Positronik strahlte warme Sympathie aus, die im krassen Gegensatz zu den Worten stand. Der High Sideryt antwortete zögernd. »Wir alle sind ratlos. Wir wissen nicht mehr, was zu tun ist. Warum hilfst du uns nicht?« Der riesige Bordcomputer erwiderte: »Ich verfüge noch nicht über genügend Material, um eine wirkungsvolle Taktik errechnen zu können.« »Weißt du, an wieviel Stellen Roboter eingedrungen sind?« Deccon fragte sich, warum er nicht mit einer Eisenstange die Installationen des Pultes zertrümmerte oder in die Monitoren feuerte. SENECA verhielt sich geradezu abartig. »Ich habe elf Punkte registriert. Sie sind ungleichmäßig über die drei Schiffsteile verteilt«, antwortete SENECA sofort. »Warum interessiert dich das?« »Das ist die dümmste Frage, die du seit Jahrzehnten gestellt hast«, knurrte Deccon. »Schließlich bin ich der High Sideryt und Herrscher
des Schiffes. Ich muß alles wissen. Nur so kann ich überhaupt daran denken, der SOL ein Ziel zu geben und der Mannschaft eine übergreifende Aufgabe.« »So ist es«, stimmte SENECA lakonisch zu. Einige Sekunden vergingen in sinnentleertem Schweigen. Dann erkundigte sich die Positronik: »Sind die Pläne, die sich mit meiner Wiederherstellung beschäftigen, bereits fertig geworden?« Chart Deccon hatte diese Frage erwartet, und wieder gab er eine ausweichende Antwort. »Wir arbeiten unablässig daran. Aber du tust nichts, um uns die Fehlerquellen zu zeigen. Der Schaden, denken wir, liegt in dir selbst begründet.« »Das wüßte ich aber«, stellte die Positronik sarkastisch fest. Kopfschüttelnd stand der High Sideryt vor dem Terminal. Er hob die Schultern und drückte auf den Kodegeber. Es war ebenfalls sinnlos, sich von SENECA Hilfe erwarten zu wollen. Die Verbindung mit dem Bordgehirn riß ab. Chart Deccon ging an seiner Robotleibwache vorbei und warf sich auf die Liege. Er vergrub den Kopf in den Armen und zermarterte seinen Kopf, um eine Lösung zu finden. Aber von welcher Seite er auch die Probleme anging, alles endete in Auflösung, Chaos und Zerstörung. * Zeit: 21.05.3791…11.24.05 Uhr Odger verzog sein langes Gesicht zu einem unsicheren Lächeln. Er wedelte mit seinem Arbeitsplan vor dem Vystiden herum und zog die Brauen in die Höhe. Auf seiner Stirn erschienen steile Falten. »Wir haben die Peripherie unter Kontrolle. Aber jetzt stehen wir vor ernsten Problemen, Paale Kata.« »Ernste Probleme? Ich verstehe nicht.«
»In den Räumen befinden sich Maschinen und Geräte, deren Sinn wir nicht verstehen. Wir können zwar Einzelteile nach Form und Farbe sortieren, aber wir haben Angst, daß wir mehr zerstören als reparieren. Ein Techniker wird gebraucht.« »Und deine Rostäger?« fragte der Bruder der zweiten Wertigkeit. Der Ahlnate machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich sehe mir an, was dort los ist«, versprach Paale Kata und polierte das goldene SOL‐Zeichen seiner enganliegenden Uniform. Er ließ sich von Odger führen. Sie kamen vorbei an den überfüllten Containern. Buhrlos und anderes lichtscheues Gesindel durchsuchten die Abfalltonnen nach Brauchbarem. Der Vystide sah ihnen nachdenklich zu, dann entschloß er sich kalt, sie einfach zu ignorieren. Im Augenblick sahen die Verantwortlichen in der SOLAG keinen Sinn darin, harte Strafen auszusprechen. Ein Gitter öffnete sich, die beiden Männer gingen durch einen tadellos renovierten Korridor, dessen frische Farben den Eindruck aufkommen ließen, daß das Schiff eben erst aus der Werft gekommen sei. »Saubere Arbeit!« lobte Paale Kata beeindruckt. »Einfache Reparaturen können von uns schnell ausgeführt werden«, erwiderte der Ahlnate nicht ohne Stolz. »Wir lehren die Ferraten, wie sie es richtig machen können. Aber es gibt wenige, die sich mit der Technik beschäftigen können.« Je mehr sie sich den großen Hallen, Werkstätten und Magazinen im Zentrum des Sanierungsgebiets näherten, desto mehr Ferraten tauchten auf. Jeder, der arbeitete, war mit Feuereifer bei der Sache. Überall wurde geschraubt und gehämmert. Hier zischte Dampf aus Reinigungsdüsen, dort wurde ein zugeschweißtes Schott aufgesägt, an anderer Stelle schleppten die Ferraten Abfall aus den Räumen. Säcke voller Schmutz stapelten sich an einer Wand. Die Werkzeuge der Männer und Frauen, von denen elektrische Anlagen instandgesetzt wurden; erzeugten knisternde Geräusche. »Hier ist es!« sagte Odger und hielt auf eine Rampe zu.
Ein halbrobotisches Gerät, dessen Bürsten und rotierende Scheiben den Bodenbelag mit Hilfe eines weißen Schaumes reinigten, kam ihnen entgegen. Sie wichen den Walzen aus und blieben im Materialschott einer großen Halle mit hoher Decke stehen. »Was ist das?« fragte Paale und deutete auf die Blöcke der Geräte, die an einer Wand standen und mit dicken Kabeln untereinander verbunden waren. »Genau das wissen wir nicht!« antwortete der Ahlnate. Arbeitsplattformen waren ausgefahren worden. Die Beleuchtungskörper in der Decke wurden ausgewechselt, nachdem die Elemente sorgfältig gereinigt worden waren. Aus großen Haufen, in denen Kistenelemente und kleine und große Teile in durchsichtigen Plastikverpackungen zu sehen waren, sortierten Ferraten gleich aussehende Teile aus. »Und dieser Ausgang dort?« Der Vystide deutete auf ein rechteckiges Tor, dessen Oberfläche und Fugen ebenso wie die umgebende Wand gereinigt wurde. Hinter der Serie der Geräteblöcke tauchte unter den Dampfwolken und der Reinigungsflüssigkeit ein langgezogenes Band auf. Es bestand aus Metall, in das verschiedenfarbige Linien, Abzweigungen, Zeichen und Skalen aus Plastik oder Glas eingelassen waren. »Wir wissen nur, daß sich hinter dem Schott eine ziemlich große Halle befindet. Wir werden eindringen, wenn das Schott zu öffnen ist.« Paale Kata ging um die Maschinen herum und entdeckte Schalter, Verbindungsrohre und die Vorderseiten von farbigen Skalen. Er las nichtssagende Bezeichnungen wie Stufe 1, Verdichter oder Hitzestufe. Ferraten reinigten auch diese Maschinen vom äußerlichen Schmutz. Es schien sich bei der Batterie der Geräte um eine Anordnung zu handeln, die etwas erzeugte, denn an einem Ende verschwand ein Bündel dicker Rohre gekrümmt im Boden. Genau im Knick der grell farbigen Röhren befand sich ein transparentes
Fenster. Ratlos kam der Vystide hinter der letzten Maschine hervor und sagte schulterzuckend: »Ich habe keine Ahnung, wozu diese Geräte dienen. Wißt ihr, was unter dieser Halle ist? Dort, wohin die Rohre verschwinden?« »Wir können nachsehen. Ich weiß nicht, ob wir dort schon vorgedrungen sind.« »Ich habe eine Idee!« meinte Paale Kata. Während rund um die beiden Anführer die Ferraten, unterstützt von Maschinen und wenigen Arbeitsrobotern, versuchten, den alten Zustand dieses winzigen Ausschnittes der SOL wiederherzustellen, ging der Vystide zu einer Schaltung, die ihm einfach genug erschien. Er kippte einen Schalter, und schlagartig geschahen eine Reihe verschiedener Dinge. Im Innern der Maschinenblöcke begann es intensiv zu summen. Das Band an der Wand leuchtete in grellen Farben auf. Breite Linien leuchteten, erloschen und leuchteten wieder auf. Aus dem tiefen Summen wurde ein ratterndes, gurgelndes Krachen. Dann leuchtete auf der Tafel ein Schriftzug in hellem Rot auf. STÖRUNG! Gleichzeitig gab es irgendwo ein Krachen. Eine Stichflamme zuckte hinter einem durchsichtigen Kasten auf. Das Geräusch in den verkleideten Maschinenblöcken hörte sofort auf. Paale hob entgeistert die Hände, lachte nervös und rief durch den nachlassenden Lärm: »Wir hatten kein Glück. Vielleicht kommen wir später darauf, wie die Maschinen funktionieren – und was sie wirklich tun.« Die Ferraten rissen an den blockierten Hebeln und Zuhaltungen. Ein Roboter setzte ein hydraulisches Gerät ein und preßte die Metallplatte des Schottes auseinander. Mit einem klirrenden Krach sprang ein Riegel ab. Das Schott schlug hart gegen die Wand, und die Männer rutschten aus und überschlugen sich auf dem feuchten Boden.
Dann brach die Hölle los. Die Arbeiter in der Halle sahen nur rotes und gelbes Licht und eine undurchdringliche Masse von grünen Blättern. Aus der Mitte der großen Öffnung sprangen hintereinander etwa zehn Gestalten. Sie stießen kreischende Schreie und ein bösartiges Schnattern aus. »Extras!« schrie jemand. Es war ein Rudel metergroßer Wesen. Sie waren pechschwarz, mit großen, leuchtenden Augen und scharfen Reißzähnen. Mit rasend schnellen Zickzacksprüngen hetzten sie durch die Halle, rannten Ferraten um und kletterten an den Gerüsten hoch. Zwei von ihnen jagten hinaus auf den Korridor und sprangen den Hauptkorridor entlang. »Verdammt! Sie haben sich dort versteckt. Wieder diese unfähigen SOL‐Farmer!« schrie Paale Kata und riß seine Waffe heraus. »Nicht schießen! Du gefährdest die anderen!« rief der Ahlnate und duckte sich hinter einen Maschinenblock. Das Kreischen der Extras und die Flüche der Ferraten hallten durch den Raum. Der Vystide schoß den ersten Extra von der Kante einer Arbeitsbühne herunter. Die Tiere waren halb rasend vor Furcht und veränderten ununterbrochen ihren Standort. Nach und nach erkannten sie das weit offene Schott der Halle und versuchten, auf den Korridor hinauszuspringen. Einige Ferraten wurden gebissen und schlugen mit Werkzeugen auf die affenähnlichen Geschöpfe ein. Ein anderer trieb ein Pärchen der Extras mit dem Dampfstrahl seines Reinigungsgeräts vor sich her. Eine Lähmwaffe dröhnte auf. Wieder überschlug sich einer der zuckenden Körper und blieb regungslos liegen. Drei Extras entwichen auf den Korridor, ein vierter starb, als der Vystide ihn mit dem Glutstrahl der Waffe traf, ehe er eine Reihe von Lampen und Gitterelementen zerstören konnte. Schwer schlug der Körper auf dem Hallenboden auf. Odger rannte hinter dem letzten Extra her. Er sah im Korridor draußen einen seltsamen Vorgang.
Die Extras rannten und sprangen alle in eine Richtung. Einige von ihnen hinkten stark. Sie warfen sich durch die Trenngitter; ihre Körper zwängten sich blitzschnell durch die Lücken der Absperrungen. Dann rasten sie auf die Schutzschirme zu, die in der Ferne den Hauptkorridor zu sehen waren. Der Lärm hatte aufgehört. Nur im Korridor hallten die Schreie der Extras wider. Odger ging zurück und blieb in der Gruppe stehen, die sich vor dem Schott gebildet hatte. Einige Ferraten benutzten ihre Motorsägen, um eine Bresche in das Gewirr aus Ästen, Zweigen, Blätter und abgestorbenen Pflanzenteilen zu schneiden. »Es kann ein Treibhaus gewesen sein, eine Hydrokultur«, meinte der Ahlnate. Er kannte solche Einrichtungen, aber nur in funktionsfähigem Zustand. »Ein vergessener Raum«, staunte der Vystide. »Deswegen ist die Versorgung so schlecht. Niemand hat hier nachgesehen, seit Jahren oder Jahrzehnten …« Offensichtlich funktionierten die Speziallampen im ultravioletten, roten und blauen Strahlungsbereich und die Wasserversorgung noch. Als eine kleine Gruppe Ferraten schließlich einige Meter tief in den Raum eindringen konnte, sah man, daß es sich um eine automatische Anlage handelte, in der eine endlose Kettenmechanik die tiefen Tröge an einer Arbeitsplattform vorbeizogen. Der Raum war turmhoch, man sah nur undeutlich die Decke mit den Speziallampen und die Unterseite der Arbeitsanlage. »Was tun? Sollen wir diese Anlage ebenfalls reparieren?« fragte Odger aufgeregt. Er verstand einiges von der Wachstumstechnik der Hydroponikgärten. Es wäre für ihn eine schnelle Möglichkeit, aus der Anonymität herauszukommen und sich mehr Einfluß zusichern. »Natürlich. Je eher dort drin wieder etwas wächst, desto besser. Ich werde es nach oben weitergeben!« »Außerordentlich freundlich.« Er hob den Arm und rief:
»Mach weiter. Zuerst diese Halle instand setzen, und dann räumen wir hier den Dschungel auf.« »Verstanden, Odger.« Eine Kolonne aus Buhrlos und Ferraten schob eine Antigravplattform in den Raum und stellte sie ab. Es war die Nahrungsmittelversorgung für die inzwischen auf knapp fünfhundert Arbeiter angewachsene Schar der Arbeiter. Sie berichteten, daß die fremden Roboter die Extras eingefangen und ebenfalls in ihr Schiff geschleppt hat Odger hockte sich auf eine der rätselhaften Maschinen, trank eine dünne Suppe aus undefinierbaren Zutaten, drei kleine, verschrumpelte Früchte und ein Stück pastetenartiges Gebäck, das aus verschiedenen Schichten Grundmasse und Füllungen bestand. Klares Wasser bildete den Abschluß des SOLAG‐Essens. Dann machte er sich wieder daran, die einzelnen Stufen der Aktion zu kontrollieren und möglichst jeden Raum zu betreten, der von seinen Kommandos repariert und renoviert worden war. * Brooklyn strich geziert ihr graues Haar aus der Schläfe, schlug die Beine übereinander und sagte provozierend: »Seit zwei Tagen wird die SOL demontiert. Stunde um Stunde verschwinden Tonnen von unersetzlichen Einzelteilen. Homer Gerigk ist tot, und wir sind inzwischen noch neun Mächtige ohne Macht.« Aksel von Dhrau saß schweigend in einem Sessel der Zentrale und hörte zu. Er war sich sowohl der Ehre bewußt als auch des Problems, das vermutlich hier erörtert werden sollte. Im Augenblick hatte sich Chart Deccon aus der Zentrale geschaltet. Er hockte in seiner Klause und versuchte wohl wieder einmal mit der Bordpositronik zu verhandeln. Ursula Grown
machte eine schwungvolle Geste und warf in der ihr eigenen Theatralik ein: »Wenn ich alle Bilder, Informationen, Gerüchte und meine eigene Meinung zusammenzähle, bin ich sicher, daß die Roboter zu beeinflussen sind. Sie haben mit Homer diskutiert und auch mit dem Monster.« »Mit Weicos. Das war sein Name«, sagte der Vystide. Die Magniden beherrschten die innere Logistik des Schiffes ziemlich gut. Unaufhörlich liefen Informationen in der Zentrale zusammen. Auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung waren deutlich die Sonne des Systems zu sehen, eine augenblicklich ungefährliche Konzentration von driftenden Gegenständen rund um die mächtige Konstruktion der SOL und die kleinen Schiffe der Roboter, die ungehindert abflogen. »Was soll das bedeuten? Die Roboter sind beeinflußbar«, fragte Lyta Kunduran. »Wer soll sie beeinflussen? Auf welche Weise? Ich verstehe nicht wenig von Maschinen dieser Art. Habt ihr … hast du ein Mittel gefunden?« Sie hatte sich an Ursula Grown gewandt. »Ich habe keine Methode gefunden, die Roboter irgendwie fernzusteuern«, sagte Ursula. »Ich meine, daß wenigstens aus den Aufzeichnungen des Gesprächs zwischen dem Roboter und Weicos ergeben hat, daß der Robot auf Weicos einging.« »Richtig!« stimmte Palo Bow zu. Trotzdem weiß ich nicht, wohin dein Vorhaben zielt – falls du einen Plan haben solltest?« murmelte Arjana Joester. »Ich habe keinen Plan!« »Niemand hat einen Plan«, sagte Kölsch hart. »Niemand kann etwas gegen diese verdammten Maschinen mit ihren teuflischen Schutzschirmen unternehmen. Im Augenblick ist es völlig gleichgültig, ob eine Hälfte von uns das Schiff weiter geradeaus durch das All jagen will und die andere krampfhaft nach einer Berufung sucht. Wir können nichts tun. Jedenfalls bin ich davon
überzeugt, daß wir mit unseren wenigen Möglichkeiten restlos am Ende sind.« »Und auch dem High Sideryt fällt nichts mehr ein!« sagte Gallatan Herts abschätzig. In der Zentrale herrschte dieselbe Art von Niedergeschlagenheit und Ratlosigkeit wie in vielen Teilen des Schiffes, nämlich überall dort, wo informierte Mitglieder der SOLAG zusammensaßen. Während sich jeder das Hirn zermarterte, wie man sich der Roboterplage entledigen könne, arbeiteten die Roboter weiter, und es war kein Ende abzusehen. Falls die Geschwindigkeit, mit der die SOL auf Mausefalle VII zutrieb, in der nächsten Zeit nicht von den Herren des Planeten oder der Raumfalle oder welcher Macht auch immer gesteigert wurde, würde die SOL als Fragment in den Orbit um Planet Nummer Sieben gehen. »Hast du einen Vorschlag?« wandte sich Nurmer an den Vystidenanführer. Der grauhaarige Mann mit dem kantigen Gesicht rührte sich nicht, als er antwortete: »Natürlich können wir mit den Bordgeschützen fast jedes Raumschiff der Roboter abschießen. Die anfliegenden Schiffe, nicht die abfliegenden. In den zurückstartenden Schiffen sind Leute aus der SOL. Jetzt handelt es sich allerdings kaum mehr um Mitglieder der SOLAG, denn wir haben versucht, uns aus den gefährdeten Gebieten zurückzuziehen. Wir sperren die Gänge, wie ihr wißt, auch gegen Buhrlos und alle anderen ab. Aber das Hauptproblem bleibt die Unmöglichkeit, die SOL zu bewegen, sich aus der Fessel der Falle zu lösen. Es ist ein sinnloser Kreislauf: wir hängen unbeweglich im Raum und würden einen ununterbrochenen Kampf gegen die Robotschiffe führen müssen. Was sollen wir tun?« Ein Bildschirm flammte auf, die Gestalt des High Sideryt zeichnete sich ab. Er stand drohend und unbeweglich da, stemmte die Arme in die Seiten und sagte:
»Ich werde euch sagen, was zu tun ist.« »Es wird uns überraschen, denke ich«, bemerkte Brooklyn ironisch. »Möglicherweise. Ich habe den letzten Teil eurer Unterhaltung mit angehört. Ihr wißt sicher, daß wir nichts mehr zu verlieren haben. Alles, was geschieht, wird von außen, von dieser fremden Macht, gesteuert. Ich werde etwas tun, was keiner erwartet.« Der High Sideryt schaltete die Verbindung zwischen der Zentrale und seinen privaten Räumen ab. Das letzte, das die Magniden sahen, waren seine kleinen Augen. Sie waren dunkel und schienen seine harte Entschlossenheit auszudrücken. Ratlos wandte sich Brooklyn an die anderen Magniden. »Was mag er gemeint haben?« fragte sie halblaut. »Keine Ahnung«, erwiderte »Bit« Kunduran. * Chart Deccon hatte sich entschlossen. Sein Entschluß war das Ergebnis eines langen, verzweifelten Versuchs, Klarheit zu erhalten. Er riß die Tür eines eingebauten Schrankes auf, nahm einen langen, dunklen Mantel heraus und warf ihn sich über die Schultern. Die Kontakte der Magnetsäume klickten, als er den Mantel schloß und die Kapuze nach vorn zog. Er bewaffnete sich mit zwei Dolchen und drei Strahlern; den kleinsten schob er in den Schaft des rechten Stiefels. Seine Entscheidung stand fest. Er brauchte nichts mehr zu überlegen. Seiner Robotwache erteilte er einige kurze Befehle. Eine Maschine folgte ihm, als er den Schalter drückte, der das Schott zu seinem geheimen Gang öffnete. Lautlos schwang die schwere Platte auf. Ein schmaler Gang, der geradeaus führte, scharf abknickte und nach unten zog, dann wieder geradeaus ging, erhellte sich. Er war sauber, und alle technischen Einrichtungen waren intakt. Hinter ihm schloß
sich das Schott. Es würde vom Robot nur nach Nennung des Kodeworts geöffnet werden, ebenso wie das nächste Schott, das der High Sideryt noch nicht öffnete. Er schaltete einen kleinen Interkom ein, der ihm zeigte, daß dieses Stück Korridor nahe der Zentrale zufällig leer war. Das Schott, außen getarnt als Teil der Wand, öffnete sich. Chart Deccon schlüpfte hinaus und ging schnell geradeaus. Er hielt die rechte Hand unter dem Umhang und hatte den Zeigefinger am Auslöseknopf der Lähmwaffe. Mit gesenktem Kopf eilte der High Sideryt entlang des Hauptkorridors in der SOL auf die nächste Stelle zu, an der er die Roboter wußte. Verdammter Roboter, dachte er wütend, sie zwingen mich zu Dingen, die ich eigentlich gar nicht verantworten kann. Natürlich kannte er den Weg. Er verfolgte ihn zielbewußt und selbstsicher. Zwar wollte er nicht erkannt werden, aber im entscheidenden Moment würde ihn seine Stellung schützen. Trotzdem: Sicherheit ging vor alles, und gerade er als einziger, der die SOL vielleicht noch auf schwer zu beschreibende Weise retten konnte, sollte sich nicht bewußt irgendwelchen Gefahren aussetzen. Siebenhundert Meter ging Deccon fast immer geradeaus, bis er in der SOL die flimmernden Schutzschirme der unverändert arbeitenden Demontageroboter vor sich sah. Niemand, dem er begegnet war, hatte ihn erkannt. Deccon blieb vor dem Schirm stehen, hob einen Arm hoch und rief knurrend: »He! Ich muß mit euch sprechen.« Ein Roboter, der eine ähnliche Anzahl farbiger Kennlinien auf seinem kantigen Körper aufwies wie jener, der mit Weicos gesprochen hatte. Eine etwa zweieinhalb Meter große Maschine, die Deccon überragte, kam heran und blieb auf der anderen Seite des Schirms stehen. »Wer bist du?« fragte er. Der High Sideryt öffnete seinen Mantel und erklärte grollend: »Ich bin Chart Deccon, der High Sideryt, also der Kommandant
dieses Schiffes. Ich will mit eurem Herrn sprechen.« »An Bord dieses Schiffes wurde dieses Ansinnen mehrmals an uns gestellt«, erklärte der Robot. Der Schutzschirm löste sich auf. Deccon und der Robot standen sich in einer Distanz von zwei Metern gegenüber. Der Robot fügte hinzu: »Mein Name ist Cunzo 1936. Ich bin in der Lage, mit dir zu sprechen.« »Ausgezeichnet«, sagte Deccon und betrachtete mit starrem Gesichtausdruck, was um ihn herum vor sich ging. Bisher hatte er die Roboter nur auf den Bildschirmen gesehen. Hier befand er sich mitten zwischen den Maschinen, die einen riesigen Lärm vollführten. Fassungslos sah er zu, wie Teil um Teil der abmontierten Platten, Träger oder Elemente durch den Schutzschirm ins All hinaus verschwand. »Warum willst du mit unserem Herrn sprechen?« fragte Cunzo mit ausdrucksloser Stimme. »Weil ich mein Schiff retten will. Ich muß es retten! Ihr bringt hunderttausend lebende Wesen um.« »Wir sorgen für das Leben aller organischen Wesen, auf die wir stoßen. Wir sind in der Lage, ihr Leben zu garantieren. Aber wir haben einen klar umrissenen Auftrag.« »Euer Auftrag hat das Ziel, das Schiff zu zerstören. Ich will und muß es verhindern. Deswegen muß ich mit dem sprechen, der den Auftrag erteilt hat.« »Wir haben andere Befehle«, sagte Cunzo 1936. »Wir bringen dich dorthin, wo nach unseren Informationen die Zentrale des Schiffes ist.« Zwei Arme des Roboters schossen blitzschnell nach vorn und legten sich um die Unterarme des High Sideryt. »He! Was soll das?« schnappte Deccon. »Wir handeln nach unseren Befehlen«, erklärte die Maschine ungerührt. »Auf deine freiwillige Mitarbeit kann verzichtet werden.«
Ein Rudel der anderen Maschinen stellte ihre Arbeit ein und formierte sich fast lautlos und in verblüffender Schnelligkeit. Chart Deccon protestierte wütend: »Ihr sollt mich zu eurem Chef bringen!« schrie er. »Nicht mich in meine Zentrale! Ihr geht zu weit.« Er bekam keine Antwort. Voller Panik stellte er fest, daß er sich kaum rühren konnte. Er konnte nicht einmal seine Waffen ergreifen. Gerade noch berührten seine Sohlen den Boden. Die Roboter zogen ihn im Lauftempo den Hauptkorridor der SOL entlang. Ihn umgaben etwa dreißig Maschinen von unterschiedlicher Größe. Sie schwebten und trampelten mit ihren kurzen Metallbeinen vor und hinter ihm. Sie schalteten, als sie auf die erste größere Ansammlung von SOLAG‐ Mitgliedern trafen, die Schutzschirme ein. Außerdem formierten sie sich zu einem Keil mit Cunzo 1936 an der Spitze. Der Mantel Deccons klaffte weit auf. Die Vystiden und Haematen sahen ihn und die Roboter wie einen Spuk an ihrer Sperre vorbeirasen. Einige Schüsse, die mehr aus Überraschung und Verlegenheit abgegeben wurden, brachen sich in den kugelförmigen Schirmen. Der Weg zur Zentrale der SOL war binnen Minuten zurückgelegt »Ich bin der Kommandant! Ihr könnt mich nicht behandeln wie … wie einen Buhrlo oder einen Extra.« Der High Sideryt bekam keine Antwort. Die Roboter hatten weder auf seinen Befehl noch auf seinen Protest reagiert. Die Diskussion mit Cunzo 1936 war ebenfalls ergebnislos verlaufen und verdiente ihre Bezeichnung nicht. Die Roboter umrundeten die mächtige Säule eines Antigrav Schachtes und drangen schweigend in die Zentrale ein. Einer von ihnen sonderte sich ab und studierte den Mechanismus des Zentrale‐ Schotts. Das Schott schloß sich. Die Magniden waren aufgesprungen und starrten Deccon und die Maschinen entsetzt an.
»Was hat das zu bedeuten?« rief Brooklyn entsetzt und verlor schlagartig ihre damenhafte Würde. Chart Deccon erwiderte mit gebrochener Stimme: »Ich weiß es auch nicht genau. Ich bin ihr Gefangener. Mein Vorstoß war die schlechteste Idee seit Jahrzehnten.« Die Roboter setzten ihn in der Mitte der Zentrale ab. Die Zentrale der Mittelzelle war schon jetzt in ihrer Hand. Die Maschinen summten und schwebten entlang der Schaltpulte, wichen geschickt den Sesseln und den Magniden aus, die mehr und mehr offenes Entsetzen zeigten. Mit zitternden Antennen und blinkenden Linsen betrachteten und analysierten sie die Anlagen. »Hier befindet sich der Hauptschalter für die Bildschirme?« fragte ein Robot. Ein anderer hielt vor dem Pult der Funkausstattung im Normalbereich an und erkundigte sich leidenschaftslos: »Es ist interessant, die Feinabstimmung der Frequenzen vorzunehmen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist das Gerät besser zu justieren. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen. Sie ist interessanter als die Demontage größerer Objekte.« Die Roboter standen untereinander oder auf dem Umweg über ihren Herrn in ständiger Verbindung. Das mußten die Magniden, die ihre Sprachlosigkeit und Erstarrung noch immer nicht überwinden konnten, jetzt in brutaler Deutlichkeit erkennen. Diesem Feind waren sie nicht gewachsen. »Wo befinden sich die Schaltungen für die Trennmechanismen der drei Schiffsteile?« »Ist es dieses Schaltpult?« erkundigte sich einer der kleinsten Roboter, dessen Greifer besonders fein ausgebildet waren. Einige der Maschinen hüllten sich in ihre kugelförmige Schutzschirme. Die Magniden sahen ein, daß nicht einmal ihre Robot‐Leibgarde einzugreifen in der Lage war. Jetzt hatten die Maschinen auch die Zentrale erobert. Aber keine von ihnen machte Anstalten, den Raum zu demontieren. Die Stimme des High Sideryt dröhnte befehlend auf. Sein Gesicht
hatte sich tief gerötet. Er schrie befehlend: »Sagt kein einziges Wort! Antwortet diesen verbrecherischen Robotern nicht! Ich befehle es euch. Ich halte mich auch daran.« Der Vystide hob den Arm und gab ihm ein Zeichen. Chart Deccon schüttelte wild den Kopf. »Nein! Ihr greift nicht ein. Das bedeutet Kampf und Zerstörung – kannst du dir vorstellen, was das in der Zentrale bedeutet?« »Ich habe verstanden«, antwortete der Vystiden‐Anführer und senkte den Kopf. Die Magniden lösten sich jetzt aus ihrer Erstarrung. Sie kamen von allen Seiten auf den High Sideryt zu und umringten ihn. Für einen langen Augenblick waren persönliche Differenzen und alle gegensätzlichen Ansichten und Rivalitäten vergessen. Sie waren nichts anderes als eine Gruppe Solaner, die bei ihrem Chef so etwas wie Schutz und Geborgenheit suchten. Ohne wirklich daran zu denken, empfand Chart Deccon zum erstenmal nach den rund zweieinhalb Jahren, in denen er Herr der SOL war, dieses Gefühl. »Also: noch einmal! Wir geben den Robots keinerlei Auskünfte«, ordnete Deccon an. Ein neuer Wirbel der Verzweiflung packte ihn. Er ahnte, daß die Maschinen auch ohne die Hilfe der Magniden alle Schaltungen und Instrumente der SOL binnen kurzer Zeit würden entschlüsseln können. »Ich werde nichts sagen!« bemerkte Brooklyn und sah entgeistert zu, wie die kleineren Roboter überall in der Zentrale herumschwebten und umhertappten und ihre Linsen auf die Instrumente richteten. »Unsere Roboter?« fragte Lyta Kunduran und zeigte auf einige Maschinen ihrer eigenen Leibwache. »Wenn sie angreifen«, prophezeite der High Sideryt niedergeschlagen, »schalten unsere neuen Freunde ihre Schutzschirme an. Dann schlagen die Waffenstrahlen in die Geräte und die Bildschirme.« Er kannte das Ziel der Roboter!
Er kannte es spätestens seit dem Verrat des ehemaligen Magniden Homer Gerigk. Er hatte dem Riesengehirn auf dem Planeten und seinen Instrumenten, den Demontagerobots, eines der letzten Geheimnisse verraten, über das die Führung der SOL noch verfügen konnte: Das Schiff ließ sich in drei Einzelkörper teilen! Chart Deccon preßte die Lippen aufeinander und war entschlossen, den Robotern nicht einen Millimeter weit mehr entgegenzukommen. Gallatan Herts murmelte: »Ich weiß, was die Maschinen vorhaben!« »Sprich es nicht aus!« drohte ihm der High Sideryt. »Es kann sein, daß wir noch eine Chance haben.« »Ich habe begriffen. Welche Chance? Ich kann keine erkennen.« Sie blickten immer wieder zu den fremden Maschinen hin. Einige von ihnen schienen sich in Trance zu befinden. Sie standen vor einem der vielen Pulte, richteten ihre Linsen darauf – und übermittelten die Informationen zur Analyse und somit zur Grundlage neuer Befehle des Herrschers auf dem verfluchten Planeten. Ein Monitor erhellte sich. Eine aufgeregte Stimme lenkte Deccon und die Magniden vorübergehend ab. Sie rief durch die Zentrale: »Es droht ein neuer Aufstand der Buhrlos. In der SZ‐Eins gibt es Ärger.« Chart Deccon erkannte auf dem Bildschirm einen Haematen. Hinter ihm ballte sich eine Menge Solaner zusammen, die aus einer bunten Gruppierung vieler einzelner Individuen zusammensetzte. »Aksel!« dröhnte er. »Du kümmerst dich darum. Falls dich die Roboter aus der Zentrale herauslassen!« Cunzo 1936 drehte sich um neunzig Grand und bemerkte mit metallener Stimme: »Es steht selbstverständlich jedem frei, sich mit den Problemen des
Fernraumschiffs zu beschäftigen.« Gleichzeitig glitt das Schott auf, von einem der Minirobots gesteuert. »Sehr großzügig!« rief Arjana Joester sarkastisch. Die Roboter zeigten sich von ihrer Ironie völlig unbeeindruckt. »Schnell!« drängte Deccon. »Ich bleibe hier. Ich kann mir denken, was die Buhrlos schon wieder wollen.« »Denke daran, daß sie ein Druckmittel besitzen«, sagte Ursula Grown. »E‐Kick!« nickte der High Sideryt. Aksel van Dhrau verließ schnell die Zentrale. Selbstverständlich kannte auch er die Entscheidung der Magniden, daß die Buhrlos sich in die äußersten Bezirke nahe den Schleusen und der Außenhülle der SOL zurückziehen durften. Sie hatten diese Großzügigkeit durch die Weigerung, die Abhängigen mit E‐kick zu versorgen, erpreßt. 7. Um Zoncer Lach kondensierte sich die Unruhe. Er schien in diesem Teil der SZ‐1 der einzige Buhrlo zu sein, der die Dinge realistisch sah. Das Stöhnen der vier Kameraden riß ihn aus seinen Überlegungen. Er war sicher, daß sie starben. »Könnt ihr nichts für sie tun?« schrie er wütend. Dann beherrschte sich der Gläserne schnell wieder. Es gab eine gewaltige Menge von Problemen, die er zu lösen hatte. Er war nur stellvertretend für eine Gruppe von knapp achtzig Buhrlos. »Wir haben keine Medikamente und keine Heiler!« »Dann sucht welche!« rief er. Die Buhrlos waren auf der Wanderung. Genauer gesagt, befanden sie sich weitestgehend am Ende ihrer kurzen Irrfahrt. Man hatte ihnen schließlich erlaubt, sich Quartiere in der Nähe der Außenschale zu suchen. Aber überall dort, wo es Aktivitäten der
fremden Roboter gab, versperrten ihnen Kommandos aus Haematen, Robotern und Vystiden den Weg. Sie handelten auf Befehl des High Sideryt. Also mußten sie die Sperren umgehen oder durchbrechen. Beim Versuch eines gewaltsamen Durchbruchs war ein Buhrlo getötet und mehrere von ihnen verletzt worden. Einige Gruppen verließen das offene System der Gänge und Korridors und versuchten, auf geheimen Schlupfwegen ihr Ziel zu erreichen. Vielleicht hätte die SOLAG sogar den Buhrlos geholfen, aber das Eindringen der Roboter hatte jede Planung zunichte gemacht. »Was sagen die anderen Kommandos?« fragte Zoncer drängend. »Es gibt einige leere Quartiere. Aber die meisten sind besetzt. Die Solaner weigern sich, uns Platz zu machen.« »Begreiflich!« Als die Erlaubnis der SOLAG kam, daß die Buhrlos sich in die Nähe des Weltraums begeben durften, waren einzelne Gruppen ausgeschwärmt, um neue Unterkünfte zu suchen. Natürlich waren sie daran interessiert, Quartiere in unmittelbarere Nähe der Hangars und hauptsächlich der Schleusen zu finden. Es war ein Vorstoß in teilweise unbekanntes Gebiet. Eine Gruppe wurde von SOL‐Händlern vertrieben. Eine andere geriet in eine Zone, in der sich Extras, Monstren und Ausgestoßene befanden. Schon der erste Versuch, in die winzigen Zellen und die Räume zwischen den einzelnen Schichten der Verbundbauweise einzudringen, rief heftige Gegenwehr hervor. Die Händler drohten, keinem einzigen Buhrlo nur auch ein Gramm Ware zu überlassen, gleichgültig, worum es sich handle. Die Monstren schlugen die Buhrlos mit ihrer improvisierten Bewaffnung zurück. Ein anderer Vorstoß endete mit Tod und Verwundung. Zoncer, ein lang aufgeschossener, schlanker Mann von etwa dreißig Jahren, wandte sich an die beiden bewaffneten Buhrlos. »Habt ihr die Verbotene Zone markiert?«
»Ja. Mit unseren Mitteln. Aber es ist wahrscheinlich, daß die Monstren unsere Zeichen wegwischen.« Die Buhrlo‐Kommandoeinheit hatte alle Zugänge zu der Verbotenen Zone, so gut es ging, versiegelt. Eine Seite des Systems verschieden großer Räume befand sich an der Außenschale der SOL. Irgendwann war in einem Raum Strahlung freigeworden und hatte Behälter mit hochgiftigen chemischen Substanzen explodieren lassen. Die Flüssigkeiten, überdies strahlenverseucht, hatten sich ausgebreitet. Als ein Buhrlo ein Schott öffnete, hatte ihn nichts anderes gewarnt als ein stechender Geruch und schwach leuchtende Ablagerungen auf Boden, Decke und Wänden. Die Buhrlos waren eingedrungen und hatten Räume voller gut erhaltener Einrichtungsgegenstände gefunden. Sogar die Energieversorgung funktionierte noch. Aber nach einigen Minuten hatte sich ihre rötlich schimmernde Glashaut verfärbt. Eine unerklärliche Schwäche befiel die drei Frauen und die zwei Männer. So schnell sie konnten, zogen sie sich zurück. Ein Mann brach zusammen und blieb mitten in einer Schicht phosphorn leuchtender Materie liegen. Die unbekannte Chemikalie zerfraß seine Haut, die sich erschreckend verändert hatte. Sie wurde fahlgelb und zerfiel in winzige Vielecke, die sich wie Hornschuppen lösten. Die anderen vier hasteten weiter und erreichten gerade noch das letzte Schott. Sie stemmten sich dagegen und drückten es zu. Dann taumelten sie einige Meter weiter und liefen der nächsten Gruppe in die Arme. »Eine Verbotene Zone! Gift und Strahlung!« An den Gelenken wurde die Glashaut der Weltraum‐Solaner bräunlich und stellenweise gelb. Man schleppte sie in einen winzigen Hangar hinein, der vorübergehend als Operationsbasis galt. Sofort darauf hatte Zoncer Lach einige Männer losgeschickt. Sie malten auf jedes Schott und jede leere Wandfläche rund um die
tödlichen Kammern das Zeichen für Gefahr, zwei ausgestreckte Finger der rechten Hand. Dazu schrieb der eine Buhrlo, der des Schreibens mächtig war: Verbotene Zone! Strahlen! Chemikalien! Wieder erklang hinter Zoncer ein markerschütterndes Stöhnen. Eine Frau, die neben den Todkranken gekauert hatte, hob den Oberkörper und starrte den Anführer in die Augen. Stumm schüttelte sie den Kopf. »Niemand kann helfen. Sie sterben.« »Verdammt!« knurrte Zoncer. »Es gibt niemanden an Bord, der das Schiff wirklich kennt. Ausgerechnet …« Rund dreitausend Buhrlos und Halbbuhrlos befanden sich in der SZ‐1. Sie hatten dasselbe Problem wie Zoncers Gruppe. Natürlich hielten sie sich auch von den Stellen fern, an denen die Roboter eingedrungen waren. Keiner von ihnen wollte das Schicksal der wenigen Buhrlos teilen, die von den Robotern verschleppt wurden und nicht mehr zurückgekehrt waren. Zoncer sah ein, daß es noch lange dauern würde, bis der erste Weltraum‐Geborene seiner Gruppe das Schiff für einige Stunden verlassen konnte. Die drei Buhrlos, die auf dem glatten Boden lagen, wanden sich und stöhnten vor Schmerzen. Ihr Atem ging pfeifend. Der vierte, eine junge Frau, lag still da. Nur das Heben und Senken ihres Brustkorbs bewies, daß noch Leben in ihr war. Feuchte Tücher waren um die Gelenke und die verletzte Haut gewickelt. »Ich werde es riskieren!« sagte Zoncer Lach, warf sich herum und stürmte aus dem Raum. Er rannte auf den nächsten Interkom zu und drückte einige Tasten. Irgendwann hatte er die Kombination erfahren. Jetzt benutzte er sein Wissen. Tatsächlich schaltete das Gerät sich in die Zentrale. Zoncer sah, daß eine Gruppe der fremden Roboter den High Sideryt umgab! Die Magniden wurden von anderen Robotern aus ihren Kontursesseln vertrieben. Sämtliche Geräte und Skalen schienen in wildem Aufruhr. Zuerst begriff der Buhrlo nicht, was er
sah. Dann, als sich die Gestalt eines Magniden ins Bild schob, schluckte er und erkannte, daß die Roboter auch die Zentrale erobert hatten. Aber es gab keine Spuren von Kämpfen – alles wirkte ruhig. »Was willst du?« fragte die Magnidin unwillig. Zoncer nahm seinen ganzen Mut zusammen und erwiderte: »Wir Buhrlos weigern uns, weiterhin für euch E‐kick zu holen, wenn nicht eindeutige Befehle ausgesprochen werden.« »Ich verstehe nicht. Was wollt ihr schon wieder?« »Wir wollen das Schiff verlassen. Die Schleusen werden entweder von fremden Robotern kontrolliert oder von der SOLAG. Die Roboter schaffen uns fort. Davor haben wir Angst. Und die Haematen lassen uns nicht durch. Wir können uns nicht wehren. Außerdem haben wir eine Verbotene Zone von höchster Gefahr entdeckt.« Die Magnidin machte abwehrende Bewegungen und rief: »Aksel von Dhrau wird sich um euer Problem kümmern. Wir haben keine Zeit. Du siehst, daß wir andere Probleme haben.« »Ich spreche nicht nur für mich. Ich bin der Sprecher von rund hundert E‐kick‐Lieferanten!« sagte er und hoffte, daß sie ihn nicht kannte. Es war mehr als riskant, mit einer Schwester der ersten Wertigkeit in diesem Tonfall zu verkehren. »Gleichgültig. Der Bruder der zweiten Wertigkeit wird sich eurer Sorgen annehmen. Ich habe zu tun!« Die Magnidin schaltete die Verbindung ab. Roboter in der Zentrale! Der Buhrlo merkte plötzlich, wie seine Knie zu zittern begannen. Er verstand nicht alle Aspekte dieser Bedrohung, denn dazu waren die Lebensbereiche in der SOL zu abgegrenzt und spezialisiert. Aber auch der Dümmste an Bord mußte jetzt begreifen, daß die Tage der SOL gezählt waren. Trotzdem konnte kein Buhrlo seinen Drang, sich im freien Weltraum aufzuhalten, länger beherrschen. Als er in den Hangar zurückkam, war die junge Frau gestorben.
»Ein Vystide kommt«, sagte Zoncer Lach laut. »Er soll dafür sorgen, daß wir zu unserem Recht kommen.« »Er wird verdammt viel zu tun haben, wenn er für uns alle Quartiere besorgen wollte!« Eine halbe Stunde nach dem Interkom‐Kontakt näherte sich eine Gruppe der zweiten Wertigkeit. Drei Vystiden und etwa ein Dutzend Haematen schwebten mit zwei Gleitern heran. Zoncer wandte sich an seine Freunde. »Kann sein, daß sie hart durchgreifen wollen. In diesem Fall wißt ihr, was zu tun ist!« »Wie immer, Zoncer.« Blitzschnelle Flucht und sofortige Verständigung mit den anderen Buhrlos in der SZ‐1 waren die einzige Rettung in diesem Fall. Die Gleiter hielten an, die Soldaten sprangen nach beiden Seiten heraus und kamen schweigend näher. Zoncer versuchte, den Gesichtsausdruck des größten der drei Vystiden richtig zu deuten. »Bist du der Anführer der Gläsernen?« fragte der Offizier scharf. Zoncer nickte. »Ein Deck tiefer werden wir Platz schaffen. Hundert Leute?« »Etwas weniger«, gab der Buhrlo zu. »Und alle unsere Habe. Unsere Quartiere im Zentrum sind leer.« »Los! Kommt mit uns. Wir führen den Befehl des High Sideryt durch. Ihr müßt uns Informationen über die Roboter bringen.« »Damit kannst du sicher rechnen!« versprach Zoncer. Die Soldaten benutzten den nächsten Antigravschacht und zogen sich zu einer langen Kette auseinander. Schnell und mit langer Übung gingen sie auf einen Schleusentrakt zu, der eine größere Anzahl kleiner Kabinen und anderer Räume enthielt. Kommandos erschollen, die Haematen zogen die Schockwaffen. Hinter den Soldaten kamen die Buhrlos. Sie trugen alles, was sie besaßen, in formlosen Bündeln mit sich. Die Schotte der Kabinen flogen auf. Solander drängten sich hervor und sahen sich mit den Soldaten konfrontiert. Lärm und Schreie erhoben sich.
»Beschwert euch in der Zentrale!« schrie Aksel von Dhrau und hob seine schwere Waffe. »Die Buhrlos übernehmen die leeren Quartiere.« »Die Quartiere sind von uns besetzt!« schrien die Bewohner. Da sie nicht zur SOLAG gehörten, mußten sie ihre Rechte selbst verteidigen. Gegenüber einer solchen Truppe war es so gut wie unmöglich. »Nicht mehr lange – ich sehe eine Menge verwertbaren Raum!« rief von Dhrau. Neben den Hangars, in denen die verschlossenen und abgesicherten Kugelraumschiffe standen, gab es zahlreiche Nebenräume. Einige waren bewohnt, in einigen ehemaligen Magazinen befanden sich die Anlagen der SOL‐Farmer. Die Haematen trieben rücksichtslos einzelne Bewohner aus den notdürftig eingerichteten Quartieren hinaus und wiesen die Buhrlos ein. »Ihr benutzt gefälligst die Montageluke!« rief ein Vystide. »Einige Ausrüstung ist dort drüben.« »Wir halten uns daran.« Mit Flüchen und Hieben wurden die ehemaligen Bewohner vertrieben. In weniger als einer Stunde waren die Schützlinge Zoncers eingewiesen. Noch während der ersten Versuche, sich einzurichten, starb der nächste Buhrlo. Der Junge hatte sich schrecklich verändert; seine Knochen schienen geschrumpft zu sein. Als die Nachricht Zoncer erreichte, bahnte er sich einen Weg bis zum Vystiden‐Anführer. »Ihr wißt, daß wir eine neue Verbotene Zone gefunden haben?« »Ich habe etwas gehört. Weißt du Näheres?« »Ich kenne das Gebiet und kann es dir zeigen.« »Gehen wir. Ist es groß? Vielleicht liegt es in der Nähe eines Loches, an dem die Roboter arbeiten. Dann gibt es für uns ein paar Probleme weniger. Ich habe angeordnet, ein paar E‐kick‐Akkus mitzubringen. Als Erinnerung für eure Pflichten, klar?«
»Klar!« versicherte Zoncer. Die Buhrlos beharrten nicht auf ihren neuen Rechten. Als sich die Soldaten zurückzogen zeigte sich, daß es noch Platz gab. Zögernd kamen einige der Hinausgeworfenen zurück. Sie diskutierten mit den Gläsernen. Die kleinen Magazine wurden eingerichtet, die Gruppen, die stets zusammen gehaust hatten, versuchten sich mit anderen zu verständigen, um einen passablen Raum zu bekommen. Mitten zwischen den Buhrlos »wohnten« unmittelbar nach dem Einsatz wieder einige Solaner, die diesen Teil der SOL genau kannten; es war ein Vorteil für beide Gruppen. Die Buhrlos schlossen die Schotte zum Innern des Schiffes. Die ersten Gläsernen sicherten einen Teil der Anlage. Sie konnten nur einen kleinen Ausschnitt der Schleusenanlage zum Weltraum hin öffnen; der Luftvorrat der SOL war unersetzlich. Zoncer Lach blieb bis zum Abzug der Soldaten dicht bei dem Vystiden‐Anführer. Er mußte sicher sein, daß es nicht wieder eine Finte der SOLAG war. »Du kannst in zehn Stunden deine Akkus abholen lassen«, sagte er. »Ich melde mich, wenn wir etwas über die Roboter wissen.« »Alles klar. Warum habt ihr die anderen wieder hereingelassen?« »Weil wir in Frieden mit ihnen zusammenleben wollen«, erklärte der Gläserne. »Und wie geht es mit der SOL weiter?« Der Vystide, der einen kalten und entschlossenen Eindruck machte, warf seine schwere Waffe auf den Rücken und schloß: »Niemand weiß es. Wenn es einen Ausweg gibt, dann sollte es bald geschehen. Über kurz oder lang ist die SOL verloren.« Dhrau drehte sich um und stapfte davon. Die Gleiter drehten auf der Stelle und verließen den freien Platz vor den wuchtigen Hangartoren. Vorübergehend kehrte wieder Ruhe ein; wenigstens in diesem winzigen Teil der SOL. Es gab zu wenig Tornistertriebwerke; die Buhrlos hatten sich mit Seilen gesichert und trieben nahe der Außenhülle im Raum. Sie hatten sich vorher abgesprochen: nicht zu weit von der Hülle
entfernen. Die Roboter waren überall, und sie waren schnell. Es hatte sich auch außerhalb des Schiffes nicht viel geändert. Die Roboterschiffe flogen ungehindert zwischen dem Planeten und den kleinen Monden, den unbekannten Fragmenten und den Riesenfelsen hin und her. Einige der kleineren Beutestücke die man noch vor Tagen auf gleicher Höhe mit der SOL hatte schweben sehen, waren verschwunden. Demontiert, aufgelöst, abtransportiert. An der riesigen Schale der SZ‐1, am Ringwulst der SOL und ebenso unregelmäßig verteilt auf der Hülle der SZ‐2 saßen wie Geschwüre die kleinen Schiffe. In der Dunkelheit der sonnenabgewandten Schiffshälfte schimmerten die Schutzschirme der Roboter. Ab und zu blitzten Funkengarben auf. An einigen Stellen konnten die Buhrlos tief in die Löcher hineinsehen, die in der Schale klafften. Die Roboter waren überall. Niemand versuchte, sie abzuwehren. Die Verantwortlichen der SOL waren erschreckt und paralysiert. Die Roboter hatten die Zentrale besetzt, und auch dort herrschte das Entsetzen. Das Verhängnis war nicht mehr aufzuhalten. Da gab es weder eine Person noch eine technische Möglichkeit, an die man sich als einzige, letzte Hoffnung klammern konnte. Von Stunde zu Stunde verschwand Teil nach Teil im unbekannten Schlund der Falle. Mit jeder Tonne Gewicht schwand etwas mehr von der Sicherheit der Magniden und des High Sideryt, den drohenden Zerfall zu überleben. Die SOL hatte keine Aufgabe und kein Ziel mehr. Ihre Bestimmung hieß: Zerfall und Untergang. ENDE Schauplatz des nächsten Atlan‐Romans ist wieder Mausefalle VII oder Osath, wie die Welt von den verschollenen Erbauern der Roboter genannt wurde.
Atlan hat sein Ziel endlich vor Augen. Er und seine Gefährten sollen demjenigen vorgeführt werden, der als einziger die SOL vor der Vernichtung bewahren kann. Dieser eine ist DER HERR IN DEN KUPPELN … DER HERR IN DEN KUPPELN – so lautet auch der Titel des Atlan‐Bandes 518, der von Kurt Mahr geschrieben wurde.