M. F. Thomas
DER STAHLPLANET Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH • Ba...
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M. F. Thomas
DER STAHLPLANET Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH • Band 25012 MONDSTATION 1999 © Copyright by ITC Incorporated Television Company Ltd
Deutsche Lizenzausgabe 1978 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelbild: ATV Umschlaggestaltung: Roland Winkler Satz: Neo-Satz, Hürth Druck und Verarbeitung: Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh ISBN 3-404-01054-X
Als eine unbekannte Macht die Psyschonierin Maya aus der Mondbasis entführt, nimmt Commander Koenig mit einem Eagle die Verfolgung auf. Sein Raumschiff gerät in den Einfluß unheimlicher Kraftfelder. Aber bevor die Funkverbindung abreißt, kann er eine alarmierende Meldung an die Zentrale durchgeben: „… habe den Schutzschirm durchstoßen. Ich kann es jetzt sehen… Es ist riesig, ungeheuerlich. Eine fliegende Festung, ein Stahlplanet…“ Damit beginnt für die Alphaner ihr schwerster Kampf.
Mondbasis Alpha – Log – 25. Dezember 2006 ETA Es ist dies nun schon das achte Weihnachtsfest, das wir fern von unserem Heimatplaneten Erde begehen, für viele von uns eigentlich eine Gelegenheit, neuen Mut zu fassen und zuversichtlich in die Zukunft unserer lebenserhaltenden Station zu schauen, die zwangsweise unsere Heimat geworden ist. Für viele ist dieses Fest aber auch ein Anlaß, zu verzweifeln und sich fatalistisch dem Heimweh hinzugeben – einem Heimweh, das wir alle empfinden, wenn wir die alten Filme sehen, die uns aus einer glücklicheren Epoche noch erhalten geblieben sind. Diese Filmvorführungen finden seit kurzem regelmäßig statt, um die Mannschaften moralisch aufzurüsten und sie in dem Glauben zu bestärken, daß wir eines Tages wieder auf unserer alten Mutter Erde stehen und ihre natürliche Luft atmen werden. Wir vom Führungsstab haben diesen Glauben schon lange nicht mehr. Zuviel ist uns in den vergangenen Jahren an Unerklärlichem und Schrecklichem begegnet, als daß wir Hoffnungen hegen, die uns nach Lage der Dinge mehr als nur phantastisch anmuten. Das All mit seinen ungezählten Gefahren ist im höchsten Maße feindlich, lebensbedrohend, und jeder kleine Fehler führt mit Sicherheit ins Chaos. Auch die menschliche Belastungsfähigkeit ermüdet einmal und läßt Unsicherheiten zu. In der letzten Woche hatten wir wieder einen Selbstmord zu verzeichnen. Ein Techniker der Energiezentrale erlitt einen Nervenzusammenbruch. Bevor ich mich mit ihm befassen konnte, hatte er sich an einem der Notausgänge verschanzt und das Schott aufgebrochen. Tatenlos mußten wir zusehen, wie er
in die atmosphärelose Hölle unserer kahlen Welt hinauslief und in der unermeßlichen Kälte des Alls regelrecht explodierte. Der Rettungstrupp, der den Toten dann schließlich wieder hereinholte, damit wir ihm ein würdiges Begräbnis bereiten konnten, hatte wahrlich eine schwere Aufgabe zu bewältigen. In den Gesichtern der Männer war deutlich zu lesen, daß sie den Toten im Grunde ihrer Herzen beneideten. Ihrer Meinung nach hatte er den Mut gefunden, sich zu befreien und seinem mühsalbeladenen Dasein ein Ende zu bereiten. Ich bin sicher, daß nicht wenige schon jetzt mit dem Gedanken spielen, es dem Toten nachzumachen. Da ich als Chefärztin der Station den Gesundheitszustand unserer Leute genau kenne, weiß ich, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Raumkoller sich bei uns einschleicht wie ein geheimes Gift, von dessen Existenz man erst etwas ahnt, wenn es bereits zu spät ist. Mir kommt unser Dasein vor wie ein Tanz auf dem Vulkan – nur mit dem Unterschied, daß wir selbst der Vulkan sind, der uns alle verschlingen wird… Uns trennen im Vergleich zur Ewigkeit nur noch Sekunden vom Nichts… Dr. H. Russell, Chefärztin, Mondbasis Alpha.
I
In völlig entspannter Haltung ruhte Alan Carter im Pilotensitz von Eagle eins. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, und er strahlte eine unerschütterliche Ruhe aus, die sich aber nicht auf seinen Nachbarn Manuel Perez, den Chef des EagleWartungsdienstes, übertrug. Dieser rutschte nervös auf dem Sitz des Copiloten hin und her und starrte wie gebannt auf den Außenmonitor des Eagle, der in wechselnder Folge eine Rundumsicht von der näheren Umgebung des Raumbootes lieferte. Wie immer hatte Manuel Perez Angst um seine »Spielzeuge«, wie er sie manchmal scherzhaft nannte. Er hatte es sich zum Lebensinhalt gemacht, die Eagle-Flotte der Mondbasis in ständiger Einsatzbereitschaft zu halten, was bedeutete, daß er und seine Leute nie müde wurden, bei den Booten nach eventuellen technischen Fehlem zu suchen und darauf zu achten, daß sich kein Unbefugter dem lebenswichtigen Raumbootpark näherte. Und im Augenblick war seine Sorge seiner Meinung nach nur zu begründet, da mit einem der Eagle-Schiffe etwas geschah, das er nicht beeinflussen konnte, das ihm andererseits aber eine Menge Arbeit bringen könnte. Man war gerade dabei, ein neues Manöver auszuprobieren, mit dem man gegebenenfalls völlig manövrierunfähige Eagles aus dem Raum zurückholen könnte. Insgesamt sechs Eagles waren an dem Manöver beteiligt. Fünf davon flogen in Pyramidenformation. Vier Eagles bildeten ein Quadrat, während Alan Carter seinen Eagle Eins so in Position gebracht hatte, daß er die Spitze der Pyramide
bildete. Das sechste Boot stellte den Havaristen dar und trieb einige Kilometer vor dem aufgespannten Quadrat, das sich ihm langsam, aber stetig näherte. Auf jedem der Boote, die das Quadrat bildeten, war einige Tage vorher je ein Energie-Projekt installiert worden, ähnlich den Energieprojektor in der Station, mit deren Hilfe der schützende Energieschirm errichtet werden konnte. Auf diese Weise wurde es möglich gemacht, daß die vier Eagles im Quadrat eine Art Energienetz aufspannen konnten, das allerdings nicht so reagierte wie der Schild der Station. Dieser nämlich wirkte bei jedem Aufprall eines Fremdkörpers wie eine harte Betonwand. Das Netz jedoch gab bei Kontakt mit größeren Körpern, wie zum Beispiel einem Eagle, elastisch und federnd nach. Alan Carter in seinem Eagle Eins an der Spitze der Pyramide diente praktisch als Visier für die Eagles des Quadrates. Er hatte den Havaristen anzupeilen und die vier anderen Raumboote so zu dirigieren, damit der Havarist genau im Zentrum des Netzes gefangen wurde, weil hier die Energiekonzentration am dichtesten war. So dürfte es eigentlich nicht geschehen, daß der Havarist dem Netz entging und man die Formation der Rettungsboote neu anordnen und in Position bringen mußte. Und genau das machte Alan Carter auch im Moment. Konzentriert schaute er auf die Anzeige eines speziellen Peilgerätes ähnlich dem Radar, das er aus seiner Zeit auf der Erde kannte. »Paß auf!« schimpfte Manuel Perez neben ihm. Sein mexikanisches Temperament drohte wieder einmal, mit ihm durchzugehen. »Wenn einem meiner kleinen Spielzeuge etwas zustößt, bist du dran – und die Heinis von der Technik ebenso! Verdammt, hätte ich eher gewußt, was ihr vorhabt, dann hätte ich die Hangars zugeschweißt und mich höchstpersönlich mit
einem Stunner davorgestellt und jeden zur Strecke gebracht, der sich auf weniger als fünfzehn Meter herangewagt hätte!« Unwillig wandte Alan Carter den Kopf. »Jetzt stell dich nicht so an. Eigentlich solltest du froh sein, daß wir weder Mühen noch Kosten scheuen, um dir deine Spielzeuge zu erhalten. Außerdem weiß ich gar nicht, was du hast. Ein kleiner Ausflug in den Raum hat den Eagles bis jetzt noch nicht geschadet. Und mehr ist das ja im Moment auch nicht. Entspann dich lieber und halt den Mund. Nicht umsonst hingen in den Autobussen unserer guten alten Erde immer Warnschilder, die besagten, daß es verboten ist, während der Fahrt mit dem Fahrer zu sprechen. Wenn du so weitermachst, werde ich John bitten, solche Schilder auch in den Eagles anzumontieren.« Beleidigt wandte Manuel Perez sich ab und starrte weiter auf den Monitor. Eagle neun, der Havarist, hing scheinbar bewegungslos im Raum. Deutlich war auch auf dem Monitor das flirrende Netz der Energielinien zu erkennen, die ihren Ursprung in den Eagles an den Ecken des Quadrates hatten. »Eagle eins ruft Eagle neun. Bitte kommen!« sagte Alan Carter gerade. »Hier ist Eagle neun«, klang die Stimme des jungen Piloten Carl Bellamy aus dem Lautsprecher des Kommunikators. »Komme mir vor, wie ein Fisch kurz bevor er in der Sardinendose landet. Hoffentlich stimmen eure Berechnungen, und meine Kiste wird nicht in ihre Bestandteile zerlegt, wenn ich von euch eingefangen werde.« »Keine Gefahr«, beruhigte Alan Carter den Piloten von Eagle neun. Er hatte das Beben in der Stimme von Carl Bellamy deutlich gehört. Er konnte sich gut vorstellen, wie dem jungen Mann zumute sein mußte. Er gehörte zum Nachwuchs der Station, und dies hier war sein erster großer Einsatz, abgesehen
von einigen Erkundungsflügen, die er kurz nach seiner Ausbildung schon unter Anleitung seines Fluglehrers unternommen hatte. Alan Carter überprüfte jetzt genau die Positionen der Eagles, die das Quadrat aufspannten. Alles stimmte perfekt. »Energienetz verstärken«, befahl er jetzt. Sofort nahm das Leuchten der Netzlinien zu. Sie bildeten ein bizarres Muster vor der samtenen Schwärze des Alls. Alan Carter korrigierte durch Betätigung der Manövrierdüsen die Position des eigenen Schiffes und schaute auf die CountdownUhr über der Bedienungskonsole. »Achtung – Manöver läuft an. Falls etwas schiefgehen sollte, Energie-Projektoren sofort desaktivieren. Dreißig Sekunden bis Kontakt. Countdown – läuft!« Die seelenlose Stimme des Hauptcomputers in der Station Alpha auf dem Mond begann zu zählen. »Neunundzwanzig – achtundzwanzig – siebenundzwanzig – sechsundzwanzig – …« Manuel Perez krampfte seine Hände um die Lehnen seines Sessels. Weiß traten die Knöchel hervor, und auf seiner Stirn bildete sich ein feiner Schweißfilm. Er traute dem ganzen Unternehmen immer noch nicht. Seine Lippen bewegten sich. Er schien ein Stoßgebet zu murmeln. Alan Carter war die Ruhe selbst. Er hatte das Manöver am Hauptcomputer so oft durchsimuliert, daß für ihn das gesamte Unternehmen als reine Routine erschien. Seine Handgriffe saßen sicher, und er zögerte keinen Sekundenbruchteil bei seinen weiteren Befehlen. »Eagle zwei – Position zum Mittelpunkt ausrichten. Du driftest ab, Bill.« »Schon gemerkt, Alan«, bestätigte Bill Fraser Alan Carters Beobachtung.
Ein Lichtblitz an einer der Manövrierdüsen signalisierte, daß er Carters Befehl sofort ausführte. Der Strahl seines Energieprojektors schnitt jetzt wieder genau durch den Mittelpunkt des Netzes. »Achtzehn – siebzehn – sechzehn – …« Die metallene Stimme des Hauptcomputers durchschnitt die Stille in der Führerkanzel von Eagle eins. Alan Carter drückte auf die Ruftaste des Kommunikators, mit der er den Kontakt zur Station Alpha aufnahm. »Alles okay, John. Sei so nett und zeichne das Manöver auf. Sollte etwas schiefgehen, dann will ich wissen warum. Ansonsten ist hier oben alles okay.« »Daran habe ich auch nicht gezweifelt«, antwortete John Koenigs Stimme. »Hals- und Beinbruch, Alan!« »Zwölf – elf – zehn – …« Trotz der zur Schau getragenen Ruhe verspürte Alan Carter nun doch ein Rumoren in der Magengegend. Hatte er bei seinen Berechnungen wirklich keinen Fehler gemacht? Bisher hatte ja das Manöver immer geklappt – am Computer. Doch nun wären bei einer eventuellen Panne Menschenleben in Gefahr. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern. »Eagle neun! Achtung! Kontakt in fünf Sekunden!« »Vier – drei – zwei – « Die Eins ging in einem verzweifelten Aufschrei unter. Es war Carl Bellamys Stimme, die aus dem Lautsprecher des Kommunikators drang. »Aaaagghhh! Hilfe! Hilfe! Ich verbrenne…« Wie gebannt starrte Alan Carter auf den Monitor. Das war nicht möglich! Wie aus dem Nichts zuckte ein grellweißer Blitz auf. Ein Lichtfinger von gleißender Helligkeit tastete sich auf den Mittelpunkt des Energienetzes zu.
In dem Augenblick, in dem die Spitze des Lichtfingers mit dem Mittelpunkt des Netzes verschmolz, brach das Netz zusammen. Das Monitorbild flackerte kurz, drohte wegzukippen, dann stabilisierte es sich wieder, als wolle eine übergeordnete Macht dafür sorgen, daß den Männern in den Eagle-Booten und in der Station nichts von der Katastrophe entging, die sich jetzt im Vakuum des Raumes anbahnte. Eagle neun prallte auf den Lichtfinger auf wie auf eine Betonwand. Eine riesige Faust schien das kleine Schiff zusammenzupressen wie eine Zitrone. Die stählerne Hülle des Schiffes zerknüllte wie Stanniolpapier. Noch einmal klang ein verzweifelter Schrei Carl Bellamys auf, dann drang aus dem Lautsprecher in Eagle eins nur noch statisches Rauschen.
»Eagle neun – melden! Eagle eins ruft Eagle neun! Carl, was ist los!« Alan Carter hämmerte verzweifelt auf den Rufknopf des Kommunikators. »Was ist bei euch los«, kam John Koenigs Anfrage von der Station. »Alan – ist etwas schiefgegangen? Ich empfange nichts mehr! Melden!« Manuel Perez war aufgesprungen und kroch fast in den Monitor hinein, auf dem sich jetzt ein grauenvolles Schauspiel vollzog. Der Eagle wurde wie ein alter Handschuh umgekrempelt. Die Spitze riß ab, die Antriebsdüsen schob sich nach innen und traten mit ihrer gesamten Elektronik nach vorne aus. Maschinenteile lösten sich und wirbelten wie vom Sturmwind bewegt in den Raum.
Mit ihnen löste sich auch die Gestalt des Piloten von seinem Schiff. Er hatte zur Sicherheit seine Raumkombination mit dem Schutzhelm angelegt. Alan Carter hatte darauf bestanden, um jedes Risiko für das Leben des Piloten so klein wie möglich zu halten. Bellamy trug auch den Überlebenspack auf dem Rücken. Doch er rührte sich nicht, die Kombination hing an ihm wie ein leerer Sack. Alan Carter stellte auf dem Monitor die größtmögliche Vergrößerung ein. Das Gesicht des Piloten hinter der Sichtscheibe des Helms füllte den Monitorschirm vollständig aus. Der Mund war immer noch in einem stummen Schrei halbgeöffnet, auch die Augen waren offen. Noch immer stand in ihnen das Grauen, ein Grauen, für das die Männer im Raum keine Erklärung hatten. Die Nasenflügel des jungen Piloten waren aufgebläht, ein Blutfaden sickerte aus einem Mundwinkel. »Carl! Carl! Hörst du mich! Kommen!« Manuel Perez umkrampfte die Bedienungskonsole von Eagle eins und schluchzte erstickt auf. Alan Carter saß wie zu Eis erstarrt auf seinem Sitz. Mit brutaler Gewißheit wurde ihm klar, daß Carl Bellamy nie mehr antworten würde. Er war tot – ums Leben gekommen bei einer Übung, die Alan Carter organisiert hatte. Er hatte die Berechnungen geliefert und den jungen Piloten eingeteilt. Er rief die Station. »John – hier ist etwas Grauenhaftes passiert! Carl Bellamy ist tot! Tot, John! Und ich weiß verdammt noch mal nicht, wie das geschehen konnte! Hast du etwas aufgefangen?« John Koenigs Stimme klang ruhig und gefaßt, doch man konnte ihr das Entsetzen anmerken, daß auch der Commander immer noch empfand.
»Wir haben alles auf den Monitoren verfolgen können. Drei Videobänder sind mitgelaufen. Mach dir keine Vorwürfe, Alan, es war auf keinen Fall deine Schuld. Irgend etwas Fremdes ist dafür verantwortlich, aber frag mich nicht, was. Ihr solltet nicht mehr draußen bleiben. Kommt so schnell wie möglich zurück. Vielleicht schlägt dieses Unbekannte noch einmal zu! Verstanden?« »Okay, John. Aber ich werde erst den Toten bergen. Die anderen vier Eagles schicke ich zurück. Außerdem werden Manuel und ich versuchen, noch einige von den Schiffstrümmern aufzufangen und zur Station mitzubringen. Vielleicht können wir den Schrott einer Analyse unterziehen und so herausbekommen, was passiert ist.« Helena Russells Stimme meldete sich über den Kommunikator. »Falls ihr den Toten bergen könnt, dann öffnet auf keinen Fall seinen Raumanzug. Laßt ihn am besten in der Luftschleuse im Vakuum liegen, ich meine die Schleuse am Notausgang. Ich brauche den Toten völlig unberührt, sonst kann ich keine genauen Messungen anstellen, und die Ergebnisse werden unter Umständen fehlerhaft!« Alan nickte unwillkürlich. »Okay, Helena. Halte mich an deine Anweisungen.« Carter wandte sich zu Manuel Perez um. Der Mexikaner starrte ihn fast haßerfüllt an. »Du hast ihn auf dem Gewissen! Er war einer der besten von meinen Ingenieuren! Aber du mußtest ihn ja unbedingt zum Piloten machen! Der Bursche war doch noch viel zu jung! Du Mörder!« Bei diesen Worten ging sein südländisches Temperament mit ihm durch, und er stürzte sich mit geballten Fäusten auf den Chefpiloten der Eagle-Flotte.
Alan Carter konnte gerade noch den Kopf zurückreißen, sonst hätte er einen Kinnhaken abbekommen. Er versuchte, den kleinen Mexikaner festzuhalten, und wollte sich nicht mit ihm prügeln. Er verstand Manuel Perez ja nur zu gut. Im Grunde hatte der Mann genau das ausgesprochen, was Alan Carter schon die ganze Zeit dachte – nämlich daß er ein Mörder war und er den jungen Piloten auf dem Gewissen hatte. Manuel Perez ließ sich nicht beruhigen, immer wieder versuchte er, dem Chefpiloten an die Kehle zu fahren. Alan Carter sah keine andere Möglichkeit, als seinen Stunner zu ziehen und auf den Mexikaner anzulegen. Ein Strahl aus der Waffe traf ihn, und er sackte schlaff in sich zusammen. Alan Carter hatte nur auf geringste Stärke gestellt. Innerhalb einer halben Stunde müßte Manuel Perez eigentlich aufwachen. Mehr als ein kräftiges Schädelbrummen würde ihn dann nicht mehr an seinen Amoklauf erinnern. Dann gab Alan Carter den vier anderen Eagles, deren Piloten dem schrecklichen Schauspiel ebenso fassungslos gefolgt waren wie er selbst, den Befehl zur Rückkehr zur Basis. »Bill, paß auf die anderen ein bißchen auf. Ich möchte nicht, daß einer von ihnen mit einem Nervenzusammenbruch in Helenas Station landet. Wer weiß, was uns angegriffen hat – wir brauchen jetzt wahrscheinlich jeden Mann, und jeder Ausfall schwächt die Station und macht sie noch verwundbarer, als sie es ohnehin schon ist.« »Okay, Alan«, antwortete Bill Fraser. Dann konnte Alan Carter mit ansehen, wie die Eagles sich in Viererformation in Richtung Mond entfernten. Er hatte nur noch die traurige Pflicht vor sich, den Toten zu bergen und einige von den Trümmern einzusammeln…
Als die Start- und Landerampe mit Eagle eins nach unten ins Innere der Station glitt, stand schon alles bereit. Erst einmal wurde Manuel Perez auf eine der Pneumobahren gelegt und ins Krankenrevier gebracht. Dann überwachte Helena Russell den Transport der Leiche von Carl Bellamy. Zwei Männer der Rettungsmannschaft betraten mit Raumanzügen bekleidet die Luftschleuse am Notausstieg und holten den Toten ins Innere der Station. Der ehemals glänzende Raumanzug hatte sich verfärbt. Er war von einem stumpfen Grau, die ehemals glatte Außenhaut wirkte wie die rauhe Haut eines Elefanten. Bei der geringsten Berührung zerbröselte sie zu Staub. Da der Tote in einer Druckkammer befördert werden sollte, hatte Helena Russell eine Idee. »Legt die Leiche in die Kammer und erzeugt ein Vakuum. Wer weiß, in welchem Zustand sich die Leiche befindet. Vielleicht hat der plötzliche Druckunterschied zur Folge, daß ein uns noch unbekannter Virus oder sonst etwas für die Zersetzung des Raumanzuges und vielleicht auch des Toten sorgt.« Die Männer der Rettungsmannschaft taten, wie ihnen geheißen wurde. Toni Verdeschi stand kopfschüttelnd daneben. »Also, wenn du mich fragst, Helena, dann ist er verbrannt und mit ihm das Raumschiff.« Er hielt ein Stück der Außenhaut des zerstörten Eagle in der Hand. Das Metall war schwarz geworden und zerbrach bei der geringsten Belastung. Dabei entwickelten sich Wolken feinsten Staubes, die im Hangar herumwirbelten. Auf ein Zeichen von Toni hin wurde die Absauganlage in Betrieb gesetzt, die normalerweise dazu diente, die Luft reinzuhalten, wenn die Wartungsmannschaften hier arbeiteten.
Im Luftstrom aus den Saugöffnungen verflüchtigte sich der Staub sehr schnell und wurde in der Müllaufbereitungsanlage aufgefangen und im Atomfeuer in seine molekularen Bestandteile zerlegt. Helena Russell winkte ab und wollte etwas erwidern. »Jetzt keine vorschnellen Schlüsse Helena, warte lieber, bis der Tote bei dir auf dem Untersuchungstisch liegt und du Genaueres sagen kannst«, mischte Commander John Koenig sich in die Diskussion. Schulterzuckend entfernte Toni Verdeschi sich und sorgte für die Weiterbeförderung der sterblichen Überreste des Eaglepiloten. In rasender Fahrt ging es durch das Transport-Röhrensystem der Station ins Lebenszentrum und von dort aus ins Krankenrevier. Hier wurde die Unterdruckkammer an eine mobile Luftschleuse angedockt, und Helena Russell und Commander John Koenig machten sich bereit, die Kammer zu betreten. Alan Carter, der den beiden folgen wollte, konnte nur mit Mühe davon abgehalten werden. Der Schrecken über das Erlebte stand immer noch in seinem Gesicht geschrieben, und Helena ließ ihm von Doc Vincent eine Beruhigungsspritze geben, damit er die nächsten vier Stunden schlief und sich entspannte und erholte. Gemeinsam traten John Koenig und Dr. Helena Russell dann in die Luftschleuse und warteten geduldig, bis die Luft abgesaugt war und sie das Schott zur Unterdruckkammer ohne Schwierigkeiten öffnen konnten. Durch die in die Raumhelme eingebauten Sender standen sie mit der Außenwelt in Verbindung, so daß der gesamte Führungsstab der Station, der sich im Krankenrevier versammelt hatte, mithören konnte, was in der Unterdruckkammer gesprochen wurde. Deutlich war Helena Russells Stimme zu verstehen.
»Tonys erster Eindruck, daß der Körper verbrannt ist, ist wohl gleichzeitig richtig wie auch falsch. Wenn man davon ausgeht, daß eine Verbrennung, wie wir sie kennen, die Verbindung mit Sauerstoff ist, wobei Energie in Form von Hitze frei wird, dann würde ich in diesem Fall sagen, daß diesem Körper und seinen chemischen Verbindungen sämtliche Energie entzogen wurde. Dazu paßt auch der Zusammenbruch des Energienetzes. Was wir draußen haben sehen können, war kein Lichtstrahl, sondern ein reiner Energiestrahl, der seinerseits wieder Energie schluckte.« John Koenig dachte einen Moment nach. Er hatte sich noch während des Rückfluges von Alan Carter zur Station nach Bergung der Leiche die Videobänder angeschaut, die das gesamte Manöver von der ersten bis zur schrecklichen letzten Sekunde zeigten. Helena Russell hatte sich diese Vorführung auch nicht entgehen lassen. Diskutiert hatten sie über das Phänomen allerdings noch nicht. Jetzt meinte John: »Wäre irgendein fremdes Flugobjekt in der Nähe, dann würde ich dir in deiner Theorie vom Energieentzug zustimmen. Aber da wir hier weder in der näheren noch in der ferneren Umgebung des Mondes ein solches Flugobjekt haben aufspüren können, erscheint mir deine Theorie nicht ganz einleuchtend. Eher tendiere ich zu der Meinung, daß wir die Ursache für den Unfall einzig und allein in einem Defekt bei der Durchführung des Manövers sehen müssen. Vielleicht war die Energie, die das Netz bildete, viel zu stark und hat Eagle neun und seinen Insassen wirklich verbrannt.« Helena schüttelte den Kopf. »Wenn das der Fall gewesen wäre, dann sähe der Tote anders aus. Und wie, wissen wir ja. Bellamy wäre nicht der erste, der auf diese Weise im Raum ums Leben gekommen ist. Nein, John, ich bin sicher, daß dem Körper des armen Kerls auf eine mir noch nicht einleuchtende Art und Weise Energie entzogen
wurde, so daß die Molekularstruktur des Gewebes aufgebrochen und instabil wurde.« John dachte nach. »Dann müßte uns eigentlich Maya helfen können. Immerhin ist sie doch in der Lage, die molekulare Struktur ihres Körpers so zu verändern, daß sie eine andere Form annehmen kann. Und das setzt doch eine hervorragende Kenntnis der Körperchemie voraus.« Helena nickte. Sie betrachtete noch einmal das graue Gesicht des Toten, dann wandte sie sich schaudernd ab. Man konnte ihr deutlich ansehen, daß sie noch nicht überzeugt war. Sie glaubte immer noch daran, daß eine fremde Macht sich ihnen genähert hatte, eine Macht, die so beherrschend war, daß sie selbst unsichtbar blieb und doch auf so tödliche Art wirken konnte. John Koenig und Helena Russell deckten eine Schutzfolie über den Toten, dann betraten sie wieder die Luftschleuse der Unterdruckkammer. Zischend strömte die Luft von draußen herein, bis der Druckausgleich wiederhergestellt war. Dann kletterten sie aus der Schleuse heraus und nahmen die Helme ab. John Koenigs Stimme war heiser, als er Tony Verdeschi ein Zeichen gab und meinte: »Kümmere dich um den Toten, Tony. Ich glaube, er hat eine würdige Totenwache verdient. Und ihr anderen – «, dabei schaute er in die Runde und fixierte einen nach dem anderen, »ihr haltet zu den Mannschaften über diesen Vorfall den Mund. Da das Unglück auf der anderen Seite des Mondes stattfand, dürfte außer uns in der Zentrale niemand sonst etwas davon mitbekommen haben. Ich möchte nicht, daß hier auf Alpha unbegründet eine Panik ausbricht. Noch wissen wir nicht, was genau passiert ist. Bis dahin herrscht strengstes Stillschweigen! Verstanden?« Die Umstehenden nickten.
Damit wandte John Koenig sich um und verließ das Krankenrevier. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Welche Gefahr aus dem All drohte der kleinen und so empfindlichen Station. Seine Leute glaubten an ihn. Doch würde er auch mit diesem unsichtbaren Grauen fertig werden, und eine mögliche Gefahr von Alpha abwenden können?
II
Commander John Koenig hatte sich in seine Wohnzelle im Wohnkomplex A zurückgezogen. Er brauchte Ruhe zum Nachdenken, denn er machte sich die heftigsten Vorwürfe. Für den Tod des jungen Eagle-Piloten fühlte allein er sich verantwortlich. Immerhin hatte er ja zugestimmt, das Manöver mit dem neu entwickelten Energienetz durchzuführen. Aber wie hatte er auch ahnen können, daß dieses Manöver zu einer solchen Katastrophe führen würde? Trotzdem stand er innerlich zu seiner Entscheidung, denn er hatte stets das Wohl der ihm anvertrauten Station im Auge, und alles, was ihrem Überleben diente und es garantierte, mußte versucht werden. Der Mond mit seiner Station war wie eine feindliche Welt, die es zu kolonisieren galt. John Koenig empfand sich und seine Leute wie Pioniere, denen es in die Hand gelegt war, ein neues Menschengeschlecht zu gründen. Aber die Zukunft sah mehr als trübe aus. Er hatte einige Berechnungen angestellt und war zu einem niederschmetternden Ergebnis gelangt. Die Tage der Station waren im wahrsten Sinne des Wortes gezählt. Zwar verfügte man über genügend Tiranium, um das lebenserhaltende System in Gang zu halten, doch man durfte die Menschen dabei nicht vergessen. Denn sie brachen unter der Belastung allmählich zusammen. Der Selbstmord vor kurzem war ein unübersehbares Anzeichen für diesen Zusammenbruch. Mit Wehmut dachte John Koenig an seinen Freund und Mentor Professor Bergmann, der sein Leben hingegeben hatte,
um die Station zu retten. Ja, wenn er noch da wäre, sähe alles vielleicht etwas anders aus. Er hatte in allen Situationen einen Rat gewußt, und sein klarer Geist hatte in allen Situationen und Problemen stets das Wesentliche erkannt und sich nie verwirren lassen. Das Summen seines Commlocks riß John Koenig aus seinem Brüten. Er nahm das Gerät vom Tisch und aktivierte es. Auf dem kleinen Bildschirm tauchte das Gesicht Helena Russells auf. »John, kannst du in die Medizinische Abteilung kommen? Maya ist hier, und wir wollen jetzt mit der genauen Untersuchung des Toten beginnen.« John Koenig nickte. »Okay, Helena, ich bin gleich drüben. Wartet aber auf mich, bevor ihr anfangt.« Er erhob sich schwerfällig, als läge er eine Zentnerlast auf seinen Schultern. Seine Hand zitterte leicht, als er die Tür seiner Wohnzelle öffnete und auf den Gang hinaustrat. Auf seinem Weg zur Medizinischen Abteilung begegneten ihm einige Techniker und Technikerinnen der Station. Sie grüßten ihn freundlich, und er mußte sich bemühen, diese Grüße ebenso unbeschwert und weihnachtlich fröhlich zu erwidern. Die armen Kerle, sie wußten nicht, was sich wahrscheinlich gerade im Augenblick über ihren Köpfen zusammenbraute. Als er das Labor der Medizinischen Abteilung betrat, hatten Helena Russell und die Psychonierin Maya bereits alles vorbereitet. Der tote Eagle-Pilot war von seinem Raumanzug befreit worden und lag unter einer hauchdünnen Schutzfolie auf dem Labortisch. Glücklicherweise hatte man ihm die Augen geschlossen und das Gesicht völlig abgedeckt.
Die Haut hatte sich grau gefärbt und schien im Licht der Strahler über dem Tisch zu schimmern. Helena Russell trat an den Labortisch und machte einige einleitende Bemerkungen. »Ich habe den armen Kerl geröntgt. Zwar waren die Kontraste sehr schwach, aber soviel kann ich immerhin sagen Verletzungen gleich welcher Art hat er bei der Katastrophe nicht davongetragen. Das heißt, es sind zum Beispiel keine Knochenbrüche festzustellen. Auch zeigen die inneren Organe auf dem Röntgenschirm keinerlei Verformungen, was eigentlich wie ein Wunder erscheint, denn sein Schiff ist ja regelrecht zerquetscht und auseinandergerissen worden.« John Koenig nickte geistesabwesend. Er mußte daran denken, daß er dabei gewesen war, als Carl Bellamy seinen ersten Soloflug mit einem Eagle gemacht hatte. Wie ein kleines Kind hatte er sich gefreut, und er schien das Ziel seiner Träume erreicht zu haben – nämlich Mitglied der Eagle-Mannschaften zu werden. John wußte, daß gerade diese Posten bei seinen Leuten äußerst gefragt waren, hatten die Piloten doch immer wieder Gelegenheit, sich von der Station zu entfernen und einmal etwas anderes zu sehen als die stählernen Wände ihrer Wohnzellen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er wandte den Kopf und blickte in Mayas strahlende Augen, in denen jetzt ein Ausdruck tiefen Mitgefühls lag. »John, mach dir keine Vorwürfe. Es hat wirklich keinen Sinn, wenn du dir Gedanken über die Vergangenheit machst. Viel wichtiger sollte auch für dich sein, was uns die Zukunft bringt. Und um dieser Zukunft begegnen zu können, deshalb sind wir ja hier. Sei überzeugt, wir werden erfahren, wer oder was für den Tod des armen Kerls verantwortlich zu machen ist. Und dann werden wir auch die entsprechenden Schritte einleiten können.«
John Koenig rang sich ein Lächeln ab, griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Ist schon gut, Maya, auch ein Commander ist nur ein Mensch und hat wohl das Recht, einmal nicht der strahlende Held zu sein. Aber wir sollten jetzt keine unnützen Worte mehr verlieren und endlich anfangen.« Er gab Helena ein Zeichen. Sie entfernte die Schutzfolie über der Leiche und begann mit ihrer Arbeit. Dabei erklärte sie jeden ihrer Schritte. »Zuerst einmal werde ich ein Stück der völlig deformierten Haut entfernen und sie analysieren. Ich vermute, daß sie dem Aussehen nach eine völlig andere molekulare Struktur aufweist als normale lebende Haut. Etwas ähnliches wurde ja auch schon angedeutet. Sobald ich die Struktur kenne, wird Maya mit ihren Fähigkeiten versuchen, genauere Aussagen über die Charakteristik des molekularen Aufbaus zu machen.« Mit einem Laser-Skalpell schnitt Helena nun ein kleines Quadrat Haut aus der Oberschenkelregion des toten Piloten. Zumindest versuchte sie es. Aber so sehr sie sich auch bemühte, ein Eindringen in die grau schimmernde Masse war unmöglich. Wirkungslos prallte der Laserstrahl davon ab. Helena war völlig verwirrt. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Erneut versuchte sie ihr Glück an einer anderen Stelle, doch auch hier hatte sie den gleichen Erfolg, nämlich keinen. Das brachte sie auf eine Idee. Sie fixierte das Laser-Skalpell auf das Knie des Toten und schaltete den Lichtstrahl ein. Dann wartete sie eine Minute, schaltete den Strahl wieder ab und legte ein Oberflächenthermometer auf das gerade bestrahlte Knie. »Einundzwanzig Grad!« Sie starrte John Koenig verblüfft an. »Dabei müßte die Stelle glühend heiß sein! Das begreife ich nicht. So etwas ist mir noch nie vorgekommen!«
»Und was könnte das zu bedeuten haben, Helena? Ich erwarte keine erschöpfenden Erklärungen von dir, Helena. Eine annehmbare Theorie würde mir schon genügen.« Ehe Helena antworten konnte, mischte Maya sich ein. »Ich denke mir das so. Wärme ist ja auch gleichzeitig durch die Bewegung der Moleküle gegeneinander definiert. Je mehr die Moleküle erregt werden, desto wärmer wird der Körper, den sie bilden. Der Körper hat seine niedrigste Temperatur, wenn die Moleküle in völliger Ruhe sind. Das macht sich ja die Elektronik zunutze, indem sie durch Unterkühlung die Leitfähigkeit von bestimmten Leitungen erhöht, damit kein Energieverlust bei der Beförderung des elektrischen Stromes auftritt. Vielleicht ist das hier ein ähnliches Phänomen.« John hatte begriffen und redete jetzt weiter. »Das würde also heißen, daß der molekulare Aufbau regelrecht stillgelegt wurde, daß die Moleküle sich nicht mehr bewegen, also auch keine Erwärmung spürbar ist.« Helena nickte. »Genau so, John. Aber du darfst mich jetzt nicht fragen, wodurch das bewirkt worden ist. Denn da stehe ich wirklich vor einem unlösbaren Rätsel. Vielleicht kann Maya uns helfen.« Maya hatte sich bereits dem Labortisch genähert und betrachtete den Toten von allen Seiten. Kopfschüttelnd ging sie um ihn herum. Dann zuckte sie die Schultern. »Es ist unmöglich. So sehr ich mich auch anstrenge, etwas über die Eigenart dieser ruhenden Moleküle zu erfahren, es gelingt mir nicht. Fast kommt es mir so vor, als lebte er noch, und nur die Hülle ist so undurchdringlich. Was haben denn die Untersuchungen der Raumschifftrümmer ergeben, John?« »So gut wie nichts. Was wir auch angefaßt haben, es ist sofort zu Staub zerfallen, ganz gleich, aus welchem Material es früher einmal gestanden hat. Und was noch verrückter ist, das
Zeug sah auch völlig gleich aus, egal um welche Teile des Eagle es sich handelte.« Maya schaute Helena und John ernst an. »Für mich bedeutet das nur eins – irgendwas hat dem Körper und dem Raumschiff sämtliche Energie entzogen, und zwar nicht nur die rein meßbare Energie, sondern auch die in den chemischen Verbindungen enthaltende Energie. Man kann das Ganze durchaus auch als einen molekularen Kollaps bezeichnen.« John brauchte nichts mehr zu sagen. Auch den beiden Frauen war klar, was das zu bedeuten hatte. Dieser Energieentzug konnte nur von einer fremdartigen Wesenheit verursacht worden sein, einer Wesenheit, die mächtiger war als alles, was ihnen bisher begegnet war. Und dieser Wesenheit wäre es sicher auch ein leichtes, die gesamte Station auszuradieren. Einen kleinen Vorgeschmack hatten sie ja bereits bekommen. Der Tote auf dem Tisch war unübersehbar, und die Parkbox von Eagle neun war leer…
Der gesamte Führungsstab der Station Alpha hatte sich in der Zentrale versammelt. Commander John Koenig hatte sie zusammengerufen, um mit ihnen gemeinsam noch einmal die Videobänder von der Katastrophe anzusehen und das Ereignis zu analysieren. Nach seinem Gespräch mit Helena Russell und Maya war ihm klar, daß wieder einmal eine unbekannte Gefahr aus dem Raum der Station drohte. Denn daß die Ursache des Unglücks nicht im Manöver selbst zu suchen war, mußte ihm nach Helenas Erklärungen längst klargeworden sein. Bei seinen eigenen Überlegungen tippte John Koenig auf ein fremdartiges Wesen, das in der Lage war, anderen Körpern
und chemischen Verbindungen auf eine unheimliche Art und Weise Energie zu entziehen und sie dadurch zu vernichten. Was das für die Station bedeutete, konnte er sich nur zu gut ausmalen. Er konnte sich erinnern, daß auf der Erde einmal eine neuartige Waffe eingeführt werden sollte – die sogenannte Neutronenbombe. Deren Wirkung sollte ähnlich verheerend gewesen sein, und Politiker der mächtigen Staaten hatten lange darüber diskutiert, ob diese Bombe wirklich den Waffenarsenalen der Staaten der Welt hinzugefügt werden sollte. Schon damals hatte sich bei allem Machthunger immer noch so etwas wie Menschlichkeit in den Gewissen der Politiker geregt. Um wieviel grausamer mußte dieses unbekannte Wesen sein, wenn es seine Fähigkeiten schonungslos einsetzte und alles Leben auf seinem Weg vernichtete. Das Fatale war nur, daß John Koenig und mit ihm die Zeugen des schrecklichen Unglücks überhaupt keine Vorstellung hatten, wie dieses Wesen aussah und woher es kam. Als John Koenig die Zentrale betrat, standen die Leute seines Stabes in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Bei seinem Eintreten verstummten die Gespräche, und alle Köpfe wandten sich ihm zu. Lediglich Sandra Benes an den Kontrollen der Station schien an dem, was um sie herum vorging, keinen Anteil zu nehmen. Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe – die Lebensfunktionen der Station Alpha zu überwachen und bei eventuellen Unregelmäßigkeiten sofort Alarm zu geben. John Koenig trat hinter sein Pult und schaute die Männer und Frauen, die sich versammelt hatten, ernst an. Sein Blick blieb an Alan Carter hängen, der bleich aber gefaßt neben Tony Verdeschi stand. Er konnte sich gut vorstellen, was im Chefpiloten der Eagle-Flotte vor sich gehen mußte, er schien sich von dem Stunnerschuß leidlich erholt zu haben. Immerhin
war er wieder fit genug, Alan Carter mit bösen Blicken zu mustern. Der Chef des Eagle-Wartungsdienstes machte ihn wohl immer noch für das Unglück persönlich verantwortlich. Um einem ernsteren Streit zwischen den beiden Männern von vornherein die Spitze abzubrechen, begann John Koenig mit dem Wichtigsten. »Also, Leute, falls ihr es von Helena noch nicht gehört habt – der Unglücksfall ist mit Sicherheit nicht auf menschliches Versagen beim Manöver oder auf fehlerhafte Berechnungen zurückzuführen. Um sagen zu können, was genau mit Carl Bellamy und Eagle neun geschehen ist, dazu fehlen uns noch wichtige Daten. Eines ist aber klar: Bellamy kam durch einen totalen Energieentzug ums Leben. Dieser Energieentzug fand im molekularen Bereich statt, daher auch die völlige Zerstörung des Eagle-Schiffes. Die Ursache dieses Energieentzuges sehe ich in einer uns bisher noch unbekannten Wesenheit. Das läßt immerhin der rätselhafte Licht- oder Energiestrahl vermuten, der unser Energienetz zum Zusammenbrechen gebracht hat. Untersuchungen an den am Manöver beteiligten EagleSchiffen ergaben, daß auch die Energieprojektoren völlig leer und zu nichts mehr zu gebrauchen waren, kaum das der Strahl auf das Zentrum des Netzes traf. Alan?« Der Chefpilot schaute sich verlegen um. Sein Blick war unsicher, und als er zum Reden ansetzte, bebte seine Stimme. »Eine Überprüfung der Flugschreiber ergab, daß die Funktionen der Eagle-Boote, die das Quadrat des Netzes bildeten, voll erhalten geblieben sind. Hier ließ sich kein Fehler feststellen. Aber die Energieprojektoren sind völlig ruiniert und nicht mehr zu reparieren. Es ließ sich dort das gleiche Phänomen beobachten wie beim Material des zerstörten Eagle. Sämtliche Teile zerfielen bei der geringsten Berührung oder Erschütterung zu Staub. In diesem
Zusammenhang erscheint die Erklärung des Commanders mit dem Energieentzug durchaus plausibel.« »Aber hättet ihr diesen Unsinn nicht in die Schiffe eingebaut und euer blödsinniges Manöver durchgeführt, dann wäre Carl Bellamy noch am Leben!« schäumte Manuel Perez. Wütend schaute er sich um. In seinen Augen brannte die nackte Wut. »Ich habe euch immer gewarnt, mit den Eagles keine Mätzchen zu machen, und gerade durch ein solches Mätzchen haben wir wieder ein Schiff verloren. Gerade in unserer Situation ist so etwas unverantwortlich. Eigentlich hätten gerade Sie, Commander, das Risiko einschätzen und ein solches Manöver verbieten müssen!« Alan Carter wollte etwas erwidern, doch John Koenig schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Manuel, ich kann Sie sehr gut verstehen, aber vergessen Sie nicht, daß auch Sie stets daran interessiert sind, einen eventuellen Havaristen möglichst heil in den Hangar zu bekommen. Es ist nicht erst einmal vorgekommen, daß bei unseren orthodoxen Rettungs- und Bergungsmanövern eines Ihrer Spielzeuge zu Schaden gekommen ist. Falls es Ihnen entfallen sein sollte – ich habe noch nicht vergessen, wie oft Sie zu mir gekommen sind und sich über die Raumpiraten, wie Sie die Bergungspiloten nicht selten genannt haben, beklagt haben.« Manuel Perez erwiderte nichts darauf. Er zuckte nur die Schultern und trat zurück. Doch seinem Gesichtsausdruck war anzusehen, daß damit die Sache für ihn noch nicht erledigt war. John Koenig schaute in die Runde. »Hat noch jemand irgendwelche Einwände, oder kann ich jetzt endlich zum Kern der Sache kommen?« Niemand meldete sich, und John Koenig gab der Japanerin Yasko, die am Computer saß, ein Zeichen.
»Halte dich bitte bereit. Ich lasse jetzt das Videoband noch einmal abfahren. Versuche doch mit Hilfe des Computers festzustellen, von woher ungefähr dieser rätselhafte Strahl gekommen ist. Stellen Sie die mögliche Position fest. Außerdem brauche ich eine Analyse des Strahls.« Yasko nickte. »Okay, Commander. Von mir aus kann es losgehen.« Der Zentralschirm der Monitorwand erwachte zu flackerndem Leben. Deutlich war das flirrende Energienetz zu erkennen, das die Eagles, die das Quadrat bildeten, durch ihre Energieprojektoren erzeugten. Eagle neun, der Havarist, hing scheinbar bewegungslos nicht weit vom Zentrum des Netzes entfernt im Raum. Da das Videogerät auch Tonaufnahmen lieferte, hörte man jetzt den beginnenden Countdown. »Neunundzwanzig… achtundzwanzig… siebenundzwanzig…« John Koenig ließ das Band etwas schneller ablaufen, bis der Countdown bei fünf gelandet war. Dann hielt er das Band an. Noch war auf dem Schirm nichts zu sehen außer dem Energienetz und dessen leuchtenden Netzlinien. Die Entfernung zwischen dem Manöverhavaristen und dem Netzzentrum hatte sich merklich verringert. »Wichtig ist«, meldete John sich wieder zu Wort, »daß wir genau die Stelle erwischen und auch den Augenblick, in dem der fremde Lichtstrahl, so will ich ihn vorerst einmal nennen, in den Manöverbereich eintrat. Vielleicht können wir den Punkt genau lokalisieren und von daher Rückschlüsse auf den Ursprung des Strahls ziehen.« In Zeitlupe lief das Band jetzt weiter. John Koenig hatte den Ton des Bandes ausgeschaltet, damit niemand von der Computerstimme abgelenkt wurde.
Am linken Bildrand blitzte es plötzlich auf. Ein winziger Strahl tastete sich geradezu in dem Manöverbereich hinein. Langsam näherte er sich dem Zentrum des Netzes. Gleichzeitig trafen er und der Havarist auf den Kreuzungspunkt der vier Hauptenergielinien des Netzes auf. Das Netz brach sofort zusammen, ohne vorher vielleicht noch einmal aufzuflackern oder sonstwie zu reagieren. Gleichzeitig ging auch mit Eagle neun eine schreckliche Verwandlung vor sich. Die schimmernde Schiffshülle wurde innerhalb eines Sekundenbruchteiles grau, als wäre sie mit Farbe Übergossen worden. Und dann setzte sich die Katastrophe fort, doch bevor noch einmal gezeigt wurde, wie sich das Raumschiff regelrecht umstülpte, hielt John Koenig das Videoband an. »Ich glaube, alles weitere können wir uns vorerst sparen. Ich will nur wissen, ob sich die Herkunft des Strahles wenigstens annähernd festlegen läßt. Yasko?« »Moment, Commander, die Berechnungen sind noch nicht abgeschlossen.« Deutlich war in der Zentrale zu vernehmen, wie sich das Druckwerk des Computers rasendschnell in Bewegung setzte. Es dauerte noch einige Sekunden, dann riß Yasko den Papierstreifen ab und reichte ihn dem Commander. Dieser las ihn, dann schaute er auf. »Unsere Theorie scheint sich zu bestätigen. Die Herkunft des Strahles läßt sich eindeutig festlegen. Zumindest ist das die Auffassung des Computers. Er nimmt einen Punkt an, der etwa zweitausend Kilometer vom Manöverquadranten entfernt ist. Weiter kann er allerdings keine Angaben machen. Was die Analyse des Strahles angeht, so lautet das Ergebnis auf ein leuchtendes Feld von abgewandelter Energie. In welcher Weise abgewandelt, ist nicht feststellbar. Angaben über den Erzeuger dieses Strahles sind ebenfalls nicht zu bekommen.«
Er wandte sich an Dr. Helena Russell. »Vielleicht referierst du einmal über die Ergebnisse deiner Untersuchungen, soweit du dir in deinen Aussagen sicher sein kannst. Wenigstens erhalten wir damit ein Bild von der Gefahr, die uns möglicherweise droht.« Helena wollte gerade mit ihren Erklärungen ansetzen, als die rote Warnlampe über dem Hauptmonitor aufgeregt zu blinken begann. Ein durchdringender Heulton schnitt durch die Station und gellte den Leuten der Versammlung in der Zentrale in den Ohren. »Rot-Alarm! Rot-Alarm! Rot-Alarm!« Commander John Koenig zuckte herum und hämmerte auf den Knopf der Stations-Sprechanlage. »Was ist los?« »Unerklärliches Phänomen in Wohnkomplex D! Die Wände scheinen hier zu glühen. Ein grelles Licht dringt ein! Wir evakuieren!« John Koenig gab Tony Verdeschi ein Zeichen. »Setz deine Leute in Marsch! Aber seid vorsichtig! Wahrscheinlich hat dieses unheimliche Ding wieder zugeschlagen! Kommt nach Möglichkeit nicht damit in Berührung!« Tony Verdeschi nickte und eilte aus der Zentrale. John Koenig nahm wieder das Mikrofon der Sprechanlage. »Ich erwarte Schadensmeldungen!« Auf dem Schirm tauchte das Gesicht von Jaques Estelle, dem Linguisten, auf, der seine Wohnzelle im Komplex D hatte. »Schäden gibt es keine, Commander. Zumindest keine feststellbaren. Plötzlich wurde es hell. Mir kam es so vor wie ein Lichtstrahl, der durch die Wände drang! Er schien alles abzutasten, dann wanderte er weiter. Passiert ist bisher nichts. Irgendwelche Verluste haben wir auch nicht zu beklagen.«
»Ist gut, Jaques«, antwortete der Commander. »Fahrt zur Sicherheit mit der Evakuierung fort. Ich habe Tony Verdeschi schon in Marsch gesetzt. Er müßte mit seinen Leuten gleich bei euch sein. Leistet seinen Anordnungen Folge. Wenn sich die Lage bei euch normalisiert hat, erbitte ich Meldung. Ende.« Das Gesicht des Linguisten verschwand vom Bildschirm. John Koenig schaute ratlos in die Runde. »Was haltet ihr davon?« Helena Russell meldete sich als erste zu Wort. »Mir kommt es so vor, als würde dieses unbekannte Wesen etwas suchen. Ich bin sogar überzeugt, daß die Katastrophe im Raum irgendwie nicht geplant war. Wenn es sich also wirklich um ein lebendes Wesen handeln sollte, dann würde ich fast annehmen, daß es nicht unbedingt feindlich gesonnen ist. Wohnkomplex D ist ja der Beweis dafür.« John Koenig nickte nachdenklich. »Ist schon möglich. Aber…« Das Wort blieb ihm im Halse stecken. Plötzlich erstrahlten die Wände der Zentrale in einem geheimnisvollen Licht. Es schien, als würden sie von innen heraus leuchten. Dann konzentrierte sich das Leuchten auf einen Punkt – den Datenspeicher des Computers. Hier verweilte der Lichtstrahl einige Sekunden, wurde heller und wanderte dann schließlich weiter. Er tastete sich über den Boden der Zentrale, ein irisierendes Flirren reiner Energie. Doch der Strahl hinterließ auf dem Boden keinerlei Spuren. Auch wurde der Boden nicht heiß, und die Temperatur in der Zentrale blieb konstant. Der Strahl glitt über die Konsolen, verharrte auf dem Monitorschirm des Terminals. Schreiend wich Yasko zurück. Sie kippte vom Stuhl und brachte sich kriechend in Sicherheit. Helena half ihr beim Aufstehen und drückte sich mit ihr in einen Winkel.
Manuel Perez hatte seine Laserpistole gezogen und brachte sie in Anschlag. Ehe John Koenig eine Warnung rufen konnte, hatte der Mexikaner abgedrückt. Ein gleißender Lichtpfeil schoß aus der Mündung der Pistole und verschmolz mit dem Energiestrahl. Dieser verharrte wiederum, blitzte auf, und der Laserstrahl verlosch. Manuel Perez betätigte wieder und wieder den Auslöser seiner Waffe, doch nichts rührte sich. Wütend schleuderte er die Waffe in den Energiestrahl. Das blitzende Metall des Lasers verwandelte sich in Sekundenbruchteilen. Es wurde grau, und als die Waffe auf den Boden aufschlug, zerbröselte sie zu feinstem Staub. Wie gebannt starrten die Männer auf diesen unerklärlichen Vorgang. Der Strahl schien sich jetzt orientieren zu wollen. Er tanzte hin und her, näherte sich Alan Carter. Dieser wich ebenfalls zurück. Aber ihm schien keine Gefahr zu drohen. Ehe der Strahl ihn berührte, wanderte er weiter, um seine Füße herum. Dann suchte er sich seinen Weg zum Hauptmonitorschirm der Zentrale. Der Schirm, auf dem immer noch das Bild des zerstörten Eagle fixiert war, flackerte noch einmal auf, dann erlosch er. Weiter geschah nichts. »John!!« Helenas Schrei ließ den Commander herumfahren. Entsetzt beobachtete er, wie Maya, die Psychonierin sich in Bewegung setzte und auf den hellen Fleck zuging, den der Energiestrahl auf dem Boden bildete. Koenig schüttelte seine Erstarrung ab und sprang auf die Psychonierin zu. Er umarmte sie, wollte sie festhalten, doch sie stieß ihn von sich wie einen lästigen Fremdkörper. Zielsicher steuerte sie wieder den Lichtfleck an und trat entschlossen darauf zu.
Noch ein Schritt, und sie stand mitten auf dem Fleck. Eine Lichtaura bildete sich um sie und hüllte sie vollkommen ein. Nichts war in der gleißenden Helle von ihrem Körper zu erkennen. Nur ihr Gesicht blieb frei. In ihren Augen stand kein Entsetzen, nein, eher so etwas wie Freude und Erleichterung. Sie lächelte die Umstehenden an. »Ängstigt euch nicht«, sagte sie mit einer völlig fremdartigen Stimme. »Ich will euch keinen Schaden zufügen. Ich suche den Frieden und das Leben. Ich bin zwar keiner von euch, doch ich will mit euch verhandeln. Wann, das werde ich entscheiden!« John Koenig war vorgesprungen. »Wer bist du? Hast du unseren Piloten auf dem Gewissen? Gib dich zu erkennen!« Doch Maya lächelte den Commander nur an und schüttelte sanft den Kopf. »Nein, noch ist die Zeit nicht reif. Es muß noch viel geschehen. Zuviel ist in den letzten tausend Jahren versäumt worden. Habt Geduld, Erdlinge!« Noch einmal blitzte die Lichtaura auf, dann verblaßte sie. Als die Augen der Umstehenden sich von dem Blitz erholt und wieder an das normale Licht in der Zentrale gewöhnt hatten, stellten sie zu ihrem Schrecken fest, daß der Platz, wo Maya gestanden hatte, leer war. Die Psychonierin war spurlos verschwunden!
III
Das nackte Entsetzen flackerte in den Augen der in der Zentrale versammelten Männer und Frauen. Sie konnten einfach nicht fassen, was sich eben vor ihren Augen abgespielt hatte. Eine der ihren war von einer unheimlichen Macht, deren Ursprung sie nicht kannten, einfach aus ihrer Mitte gerissen worden, und sie hatten nicht das Geringste dagegen unternehmen können! Es war zugleich grauenvoll, aber auch phantastisch. Zu dem Entsetzen gesellte sich automatisch bei fast allen der menschliche Forschergeist, der alles ergründen will, was noch unbekannt ist und sich der menschlichen Erkenntnis entzieht. John Koenig fand als erster seinen klaren Kopf wieder. Er schüttelte jedes Gefühl ab, das seinen Geist in seiner Entscheidungskraft beeinflussen und hemmen könnte. Seine Stimme klang betont ruhig und gelassen. Er wandte sich an die hübsche Japanerin, die noch immer schreckensbleich hinter ihren Konsolen saß und die Monitore und sonstigen Systeme der Station überwachte. »Yasko, liefere mir bitte eine Computeranalyse des Vorfalls, soweit der Computer überhaupt über Daten verfügt, mit denen er arbeiten kann. Ich brauche Herkunft des Strahls und mögliche Nähe des fremden Einflusses.« Die Japanerin nickte und begann, den Computer auf Analyse zu programmieren. Ein leises Summen verkündete anschließend, daß das Rechenwerk des Computers seine Arbeit aufgenommen hatte. John Koenig drehte sich um und betrachtete gedankenverloren seine Gefährten, für deren Sicherheit er sich
verantwortlich fühlte, seitdem der Mond im Jahre 1999 durch eine schreckliche Atomexplosion aus seiner Bahn gerissen worden war. Helena Russell war sichtlich bemüht, nicht in Tränen auszubrechen. Gerade sie verband eine innige Freundschaft mit der Psychonierin. Oft war Maya die letzte Instanz gewesen, an die Helena sich in besonderen aussichtslosen Krankheitsfällen hatte wenden können. Manuel Perez, der Mexikaner, schaute betreten zu Boden. John konnte sich vorstellen, was in ihm vorgehen mußte. Immerhin hatte er Alan Carter einen Mörder genannt, der angeblich durch ein unsinniges Manöver einen jungen Piloten in den Tod geschickt haben sollte. Jetzt hatte der Mexikaner ja den traurigen Beweis, daß der Tod Carl Bellamys nicht auf eine Unachtsamkeit des Chefpiloten der Eagle-Flotte zurückzuführen war. Alan Carters Gesicht blieb ausdruckslos. Es war dem Australier auch nicht zuzutrauen, daß er sich über diese Form seiner Rehabilitierung freuen konnte. Eines konnte man ihm allerdings ansehen: Hinter seiner Stirn arbeitete es, und bestimmt sann er schon auf eine Möglichkeit, mit dieser fremden Macht Kontakt aufzunehmen. Doch die einleitenden Schritte dazu durften nicht nach menschlicher Willkür gewählt werden. Gerade in solchen Situationen mußte der Mensch auf die Maschine vertrauen, auf den Computer, der sich in seiner automatenhaften Logik durch nichts beeinflussen und aus der Ruhe bringen ließ, soweit man einem Computer eine Empfindung wie Ruhe überhaupt zutrauen konnte. Ein grelles Flackern in seinem Rücken ließ den Commander zusammenzucken und herumfahren. Meldete dieses unbekannte Wesen sich etwa zum drittenmal?
Nein, es war nur der Zentralschirm der Monitorwand, der durch was auch immer wieder eingeschaltet wurde. Es erschien wieder das Bild, welches zeigte, wie Carl Bellamys Eagle neun mit dem Zentrum des Energienetzes zusammentraf und sich auf so schreckliche Art verwandelte. Völlig unnötigerweise meldete Sandra Benes: »Notstromversorgung des Monitor-Systems hat übernommen. Alle Geräte arbeiten einwandfrei.« Sie wurde rot, als sie John Koenigs Blick auf sich spürte. Wahrscheinlich wurde ihr selbst klar, wie überflüssig ihre Meldung gewesen war. John Koenig nickte ihr mit einem verkrampften Lächeln zu. Jetzt durfte auf keinen Fall eine Panik einsetzen, wie es im Wohnkomplex D vielleicht schon der Fall war. Bisher hatte Tony Verdeschi sich noch nicht gemeldet. Das konnte sowohl ein gutes wie auch ein schlechtes Zeichen sein. Doch als hätte er die Gedanken des Commanders lesen können, summte Johns Commlock, und Tonys Stimme erklang in der Zentrale der Station. »Ich habe hier alles im Griff, John. Passiert ist, soweit ich das überblicken kann, nichts Ernstes. Helena wird Arbeit bekommen – geringere Blessuren, als vier Leute zugleich versuchten, durch eine Tür zu stürmen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich habe von meinen Männern die Wände untersuchen lassen, habe aber keine Veränderungen feststellen können. Ich helfe hier noch beim Aufräumen, dann melde ich mich wieder in der Zentrale.« John Koenig nickte. »Okay, Tony. Laß dir ruhig Zeit. Sollte irgendjemand Fragen stellen, dann hast du keine Ahnung. Versuch, eine Ausrede zu finden. Die Leute müssen ruhig bleiben und sollen am besten auf ihre Wohneinheiten gehen. Ansonsten herrscht für alle anderen, wie Sicherheitsdienst und sonstige gesonderten
Abteilungen Alarmzustand. Wer weiß, wann dieses Ding wieder zuschlägt. Am besten postierst du unauffällig ein paar Leute in den Wohnkomplexen.« »Ist klar, John.« Tony Verdeschi wollte schon wieder abschalten, unterließ es jedoch, weil er noch eine Frage auf dem Herzen hatte. »Wie sieht es eigentlich bei euch aus? Habt ihr keine Daten hereinbekommen, was für dieses unheimliche Leuchten verantwortlich ist?« John Koenig schüttelte den Kopf. Es fiel ihm schwer, sich nichts anmerken zu lassen. Er wollte Tony nicht so prosaisch per Commlock mitteilen, daß seine Freundin Maya nicht mehr in der Station weilte. Er setzte zu einer Erklärung an, da meldete sich die hydroponische Abteilung. Tom Stills, einer der Techniker des Künstlichen Gartens der Station, erschien auf dem zugehörigen Monitor. Sein Gesicht war bleich, seine Lippen bebten. »Commander, hier ist die Hölle los. Ich verstehe das nicht. Sämtliche Pflanzen sind eingegangen! Innerhalb von Sekundenbruchteilen ließen sie die Köpfe hängen und zerbröselten zu einem feinen, grauen Staub! Dabei arbeiten alle Systeme einwandfrei!« Helena Russell konnte einen Aufschrei nur mühsam unterdrücken. Sie als Ärztin der Station wußte genau, was das zu bedeuten hatte. Man hatte lange Zeit darauf verwendet, Methoden zu finden, um organisches Leben auf pflanzlicher Basis künstlich zu züchten. Die Versorgung der Alphaner mit natürlich gewonnenen Vitaminen war eminent wichtig, wenn es nicht zu Mangelkrankheiten kommen sollte. Und Helena überwachte genau, daß jedes Mitglied der Station seine tägliche Ration an Gemüse und Salat zu sich nahm. Wenn also die hydroponischen Gärten der Station
ausfallen sollten, waren die Wochen der Station wirklich gezählt. »Habt ihr sonst nichts bemerkt?« fragte John Koenig mit bebender Stimme. Tom Stills zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Es ist weder kälter noch wärmer geworden. Ich hatte allerdings den Eindruck, als hätten kurzfristig die Lampen heller gebrannt als sonst. Aber darin kann ich mich täuschen. Meine Beobachtungsgabe war nie besonders ausgeprägt.« John Koenig wandte sich an die Chefärztin. »Helena, sag Doc Vincent Bescheid, daß er sich die Sache einmal anschaut. Er ist ja auch Botaniker. Er soll sich mit Doktor Margarethe Seymour aus der Forschungsabteilung in Verbindung setzen. Vielleicht kann sie ihm bei seinen Untersuchungen helfen. Ansonsten bitte ich mir strengstes Stillschweigen aus. Not brauchen wir noch nicht zu leiden. Wir haben schließlich stets darauf geachtet, daß die Tiefkühlkammern der Stationsküche immer wohlgefüllt sind. Zwei Wochen müßten wir eigentlich ohne frisch geerntetes Gemüse über die Runden kommen.« Helena Russell nickte und verließ die Zentrale. Dann wandte John Koenig sich wieder seinem Commlock zu, auf dem immer noch Tony Verdeschis Gesicht zu sehen war. John Koenig hatte dessen Frage nicht vergessen und fragte sich jetzt, wie er seinem Sicherheitschef die schreckliche Nachricht möglichst schonend beibringen sollte. »Ich glaube, Tony, es ist besser, du kommst sofort in die Zentrale. Wir müssen schließlich Kriegsrat halten, und da darf ein Sicherheitschef nicht fehlen.« John versuchte seiner Stimme einen zuversichtlichen und entschlossenen Klang zu geben. So ganz schien ihm das aber nicht zu gelingen. Tony Verdeschi runzelte die Stirn.
»Was ist los, John? Du bist doch sonst nicht so geheimnisvoll. Ich wollte nur wissen, ob bei euch in der Zentrale alles in Ordnung ist, und du bittest mich geradezu wie ein Tango-Jüngling seine Flamme zum Tanz, in die Zentrale zu kommen. Ich will jetzt wissen, was vorgefallen ist.« John Koenig wand sich innerlich. Er wollte gerade in dieser prekären Lage dem Sicherheitschef keinen Schlag versetzen. Er brauchte ihn jetzt vielleicht noch nötiger als die anderen Mitglieder seines Stabes. »Komm rüber, und du erfährst alles«, sagte er kurz und schaltete sein Commlock ab. Das »Okay« von Tony wurde bereits verschluckt. Leicht gebeugt ging John Koenig zu seinem Platz und ließ sich schwer in den Sessel des Kommandanten fallen. Was hätte er dafür gegeben, jetzt an einer anderen Stelle zu sitzen und nicht diese Verantwortung auf seinen Schultern tragen zu müssen.
»Commander – die Analyse!« Yaskos Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. John Koenig zuckte hoch und ging hinüber zum Computer-Terminal mit seinem Monitorschirm. Manuel Perez und Alan Carter sprangen ebenfalls auf und gesellten sich zu ihm. Ziemlich ratlos starrten sie auf den Bildschirm, auf dem nun die Auswertung der Analyse des unerklärlichen Vorganges abgefahren wurde. Als der Monitorschirm wieder grau wurde, schauten sich die Männer kopfschüttelnd an. »Das begreife ich nicht«, ergriff Alan Carter als erster das Wort. »Laut dieser Analyse müßte sich die Quelle des Strahls in einem ungeheuer großen Flugkörper befinden, der über Aggregate verfügt, verschiedene Energieformen zu erzeugen. Und ein solcher Flugkörper ist doch auf keinen Fall zu
übersehen. Wir hätten ihn auf jeden Fall bemerkt. Denn während des Netzmanövers habe ich sämtliche Scanner und Monitore eingeschaltet gehabt, die auch den gesamten Raumsektor im Umkreis von mehreren tausend Kilometern überwacht haben. Die Dinger sind so empfindlich, daß ihnen auf keinen Fall etwas entgangen wäre.« Manuel Perez nickte dazu. »Alles war intakt. Erst vor wenigen Tagen habe ich mit meinen Leuten sämtliche Funktionen der Eagles einem intensiven und genauen Test unterzogen und keinerlei Fehler festgestellt. Mir ist das alles ein Rätsel.« »Dem Computer offensichtlich auch«, meinte Commander John Koenig. »Denn viel hat er uns nicht liefern können. Den Strahl hat er als ein gerichtetes Feld reiner – kalter – Energie definiert, wobei ihm allerdings Vergleiche zu fehlen scheinen. Denn mehr hat er über den Strahl nicht ausgesagt. Und daß der Strahl einen Ursprung hat, haben wir auch ohne den Computer gewußt. Daß es sich um einen immensen Flugkörper handeln muß, schließt der Computer aus der Stärke des Feldes, daß der Strahl um sich herum aufgebaut hat. Sicher ist das aber auf keinen Fall. Denkt nur an die schwarzen Löcher. Klein in den Ausmaßen, aber groß in der Wirkung.« John Koenig kratzte sich ratlos am Kopf. Er kam sich vor wie ein kleiner Junge von vier Jahren, der das Geheimnis des Weihnachtsmannes erklären soll. »Hat der Computer vergleichbare Erscheinungen eingespeichert?« fragte er Yasko. Die Japanerin schüttelte den Kopf. »Nein, Commander, dann hätte er bei der Analyse darauf verwiesen.« »Damit wären wir wieder da, wo wir schon am Anfang waren. Wir stehen einem Phänomen gegenüber, von dem wir so gut wie nichts kennen – außer seiner Wirkung«, murmelte
der Commander. Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde jedoch abrupt unterbrochen. Tony Verdeschi stürzte in die Zentrale. »Wo ist Maya? Ich habe Helena getroffen, als sie zum Wohnkomplex D kam, um die Verletzten zu behandeln. Dann hatte sie es sehr eilig, mit Doc Vincent zur hydroponischen Abteilung zu verschwinden. Auf meine Fragen, wie es bei euch aussieht, hat sie mir nur ausweichende Antworten gegeben. Maya war nicht bei ihr. Als ich Helena nach ihr fragte, standen ihr plötzlich die Tränen in den Augen. Also, was ist los?« John Koenig ging auf den Italiener zu und legte ihm einen Arm um die Schultern, zumindest versuchte er es, doch Tony stieß ihn ziemlich heftig zurück. »Seid ihr denn alle wahnsinnig? Ich will endlich wissen, wo Maya ist. Ist sie etwa…« Er wagte es gar nicht auszusprechen. Sein Gesicht wurde fahl, und er mußte sich an der Wand abstützen. Er atmete auf, als John Koenig den Kopf schüttelte. »Nein, Tony – sie ist nicht tot, aber sie ist nicht mehr hier!« »Warum hat mir das denn niemand schon früher gesagt?« wollte der Sicherheitschef wissen. »Vielleicht hätten wir etwas unternehmen können, um sie zu retten. Wie zum Teufel, ist es denn passiert?« John Koenig versuchte, ihm mit möglichst schonenden Worten beizubringen, was sich noch kurz vorher in der Zentrale abgespielt hatte. Atemlos hörte Tony Verdeschi zu, dann schnitt er John mit einer Handbewegung das Wort ab. »Blablabla… Ihr habt also keine Ahnung, wohin sie verschwunden ist. Ein sonderbarer Lichtstrahl dringt in die Zentrale ein und entführt einen von uns. Kurz vorher kommt ein junger Pilot bei einem an sich harmlosen Manöver ums Leben! Und ihr steht hier rum und treibt lustige
Sandkastenspiele mit dem Computer! Schon längst hättet ihr die Eagle-Flotte in Marsch setzen müssen. Von irgendwoher muß der sonderbare Lichtstrahl doch gekommen sein – von mir aus auch Energiestrahl«, verbesserte er sich, als John zum Reden ansetzte. John Koenig zuckte die Achseln. »Ich kann deine Reaktion verstehen, Tony, aber mehr wissen wir nicht. Wir haben den Computer über den Vorfall nachdenken lassen, und der ist so gut wie zu keinem Ergebnis gekommen, das wir nicht auch selbst hätten finden können.« Kurz erklärte er dem Italiener, was der Computer errechnet hatte. »Und was wollt ihr jetzt unternehmen?« fragte Tony Verdeschi ungehalten. Man spürte förmlich, wie er sich innerlich zusammenriß, um sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer ihn das Schicksal seiner Freundin traf. Trotz allem vergaß er nicht das Schicksal der Station, für deren Sicherheit er verantwortlich war. John Koenig ging in der Zentrale auf und ab. Er dachte angestrengt nach. Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Wenn selbst der Computer versagt hatte, wie sollte dann ein normales menschliches Gehirn eine Erklärung für das Unerklärliche finden? Und doch – hatte der Mensch nicht die Möglichkeit, auch einmal ganz unlogisch vorzugehen, unberechenbar, und dabei neue Wege zu suchen, durchaus einmal das Phantastische als gegeben hinzunehmen und sich von da aus zur Lösung des Problems vorarbeiten? » Nehmen wir einmal an«, murmelte John, »der Computer hat recht, und es handelt sich wirklich um einen Flugkörper von riesigen Ausmaßen. Wir haben diesen Flugkörper nirgendwo sehen können. Also gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es gibt ihn gar nicht – diese Möglichkeit scheiden
wir von vornherein aus, weil wir seine Existenz ja als gegeben hinnehmen – oder er ist ganz einfach unsichtbar. Und unsichtbar kann er sich nur durch einen Schirm machen, der die Suchstrahlen unserer Scanner einfach schluckt und nicht reflektiert. Wenn das der Fall ist, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, daß der Computer nur ein so mageres Ergebnis liefert. Er hat keine Vergleichsmöglichkeiten und muß versuchen, dem Problem mit Hilfe seines wahrscheinlich für Phänomene dieser Art unvollständigen Speichers auf die Spur zu kommen. Es gäbe eine Möglichkeit – wir rüsten einen Eagle mit hypersensiblen Suchgeräten und Massetastern aus und lassen ihn in einem Orbit um den Mond kreisen. Auf diese Art werden wir vielleicht – aber nur vielleicht – rechtzeitig gewarnt, falls sich wieder eines dieser kalten Energiefelder der Station nähert und den nächsten von uns entführen will. Zu welchem Zweck, ist mir übrigens ein völliges Rätsel…« Er wischte sich über die Stirn und wollte weiterreden. Doch dazu kam er nicht mehr. Ein durchdringender Heulton schnitt ihm das Wort ab und erstickte jede Unterhaltung. Yasko preßte sich die Hände auf die Ohren, und Sandra Benes an den Kontrollen wurde bleich. »Commander!« schrie sie mit verzweifelter Stimme. »Das ist das Warnsignal von der Atommülldeponie auf der anderen Seite des Mondes. Irgendwer oder irgendwas macht sich dort zu schaffen!« Und im gleichen Moment spürten die Versammelten schon, wie der Boden zu vibrieren und zu schwanken begann. Die Männer wurden zur Seite geschleudert, als der gesamte Mond einen Sprung zu vollführen schien. Alan Carter stürzte hin und rutschte haltlos auf die Monitorwand zu. Manuel Perez hechtete hinter ihm her und versuchte ihn festzuhalten. Wenn Alan Carter einen der Schirme zum Implodieren brachte,
würde das gesamte System zusammenbrechen, und die Station wäre praktisch blind. Es gelang ihm, den Eagle-Piloten wenige Zentimeter vor der unteren Monitorkonsole festzuhalten, als ein heftiger Stoß die Station und den Mond in ihren Grundfesten erschütterte. Die Beleuchtung in der Zentrale fiel vollständig aus. Es war stockfinster, und in der Stille hörte man nur das schmerzerfüllte Wimmern von Yasko, der Japanerin, die ein Gebet zu sprechen schien.
IV
Die Stille dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, dann ertönte aus den Lautsprechern des Kommunikationssystems der Station verzweifeltes Geschrei und Gejohle. In den verschiedenen Wohnkomplexen mußte eine Panik ausgebrochen sein, was kein Wunder war, denn ein solches Mondbeben hatte die Station in ihrer wechselvollen Geschichte noch nicht erlebt. John Koenig, der sich instinktiv nach seinem Sturz zwischen der Wand der Zentrale und einem der Datenspeicher verkeilt hatte, rappelte sich langsam auf. Er war mit einer solchen Wucht gegen die Wand geknallt, daß er glaubte, sich das Rückgrat gebrochen zu haben. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam er auf die Füße. Er mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzustöhnen. Er wankte zur Hauptkonsole und ließ sich in seinen Sessel fallen. Über der Monitorwand flackerte nun in leuchtendem Grün die Schrift »Strahlenalarm!« in nervösem Rhythmus auf. Immer noch war ein unterirdisches Dröhnen zu vernehmen, das den gesamten Mond zum Schwingen zu bringen schien. Der Boden vibrierte, und verschiedene Kontrollämpchen auf den Bedienungskonsolen flammten protestierend auf und gingen wieder aus. Mit Sicherheit waren einige Stromkreise zusammengebrochen, und es gab Wackelkontakte, weil auch die beste Verbindung bei übermäßiger Belastung einmal brechen mußte. John Koenig rief Tony Verdeschi zu sich.
»Tony, schnapp dir ein paar deiner Leute, und versuch, in den Wohnkomplexen Ordnung zu schaffen. Jetzt geht es um Sein oder Nichtsein. Wenn die unheimliche Kraft den ganzen Mond auseinanderreißen kann, dann ist unser Leben keinen Pfifferling mehr wert. Wir müssen jetzt retten, was zu retten ist. Ich werde mit Alan Carter Eagle eins klarmachen und mal nachschauen, was sich an der Atommülldeponie tut. Wenn sich da nämlich jemand unsachgemäß zu schaffen macht und die strahlenden Massen kritisch werden, dann droht uns eine weitere Atomexplosion, der der Mond mit Sicherheit nicht mehr gewachsen ist. Beim erstenmal hatten wir Glück im Unglück. Immerhin blieb die Station erhalten, und der Mond bot uns eine hinreichend weiträumige Bleibe. Noch so ein Hammer, und wir verwandeln uns in kosmisches Geröll!« Tony nickte und verschwand aus der Zentrale. Jetzt rief ihn die Pflicht, und die verlangte, daß er all seine Kräfte für die Station und die Alphaner einsetzte. John Koenig schaltete jetzt die Lautsprecher der Kommunikationsanlage aus und half Yasko und Sandra Benes beim Aufstehen. Im schwachen Licht der batteriegespeisten Notlampen versuchten sie dann gemeinsam, in der Zentrale notdürftig Ordnung zu schaffen. Einer der Datenspeicher hatte sich aus seiner Verankerung gerissen und war wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen. John konnte nur froh sein, daß er vor nicht allzu langer Zeit darauf bestanden hatte, Zweitspeicher anzulegen, in denen die Daten des Computers neu eingespeichert wurden, um einem solchen Vorfall vorzubeugen, denn das Elektronengehirn war wirklich das Herz der Station. Ohne den Rechner konnten sie »den Laden dicht machen«, wie Anette Fraser, eine der Computertechnikerinnen, einmal gesagt hatte. John mußte unwillkürlich grinsen, als er an diese Formulierung dachte. Doch sein Gesicht wurde gleich wieder
ernst. Im Augenblick schien es so, als würde jemand anderer den »Laden dicht machen«. Alan Carter, der Chefpilot, hatte bereits sein Commlock gezückt und gab seine Anweisungen an den Hangar, Eagle eins für einen Erkundungsflug klarzumachen. Vor allem sollten die Techniker sich davon überzeugen, daß die Strahlenschutzschirme einwandfrei funktionierten. Er rechnete nämlich damit, daß einer der Müllbehälter leckgeschlagen war und nun ungehindert Strahlung austrat und alles, was ihr im Weg stand, gnadenlos verbrannte, wenn nicht sogar schon Schlimmeres geschehen war. »Sandra«, ließ der Commander sich vernehmen, »check die ganze Station durch, und sag Tony Bescheid. Er vertritt mich während unserer Abwesenheit. Er soll alles Notwendige in die Wege leiten, damit alles soweit repariert wird, daß man es wieder gebrauchen kann. Laß mir bitte einen Terminal frei, falls ich den Zentralcomputer brauchen sollte, um Berechnungen anstellen zu lassen. Los, Alan, es wird Zeit. Wir müssen uns beeilen!« Er gab dem Chefpiloten ein Zeichen, und sie verließen die Zentrale. Sie hasteten durch die Gänge und trafen auf ihrem Weg auf Männer und Frauen, die ihnen schreckensbleich entgegengetaumelt kamen. Sie wurden mit aufgeregten Fragen bestürmt, schenkten sich aber erschöpfende Antworten. Was hätten sie auch sagen sollen? Daß sich etwas Unheimliches an der Atommülldeponie herumtrieb? Die Folgen einer solchen Meldung wären unausdenkbar. Dagegen wäre die im Moment herrschende Panik unter den Besatzungsmitgliedern eine lustige Silvesterparty. Alan Carter stand bereits vor einer der Kammern, über die man das Transportröhrensystem betreten konnte. Verzweifelt versuchte er, eine der Kapseln zu aktivieren, doch er hatte
wenig Erfolg. Im Schrittempo kam eine Kapsel herangeglitten, die Türen blieben allerdings verschlossen. John Koenig winkte ab. »Das hat keinen Zweck, Alan, wir müssen wohl zu Fuß zum Hangar. Mit dem Ding, wenn wir überhaupt hineinkommen, brauchen wir zu lange. Und jetzt ist jede Sekunde kostbar!« Sie hasteten weiter und drangen immer tiefer in die Station ein, bis sie die große Halle erreichten, wo die Eagles auf ihren Start- und Landerampen vertäut waren. Manuel Perez, der unaufgefordert dem Commander und dem Chefpiloten gefolgt war, scheuchte sofort seine Leute hoch, um mit den Reparaturarbeiten zu beginnen. Zwei Eagles, die im Reparaturdock gestanden hatten, hatten sich bei dem Beben losgerissen und selbständig gemacht. Zum Glück hatten sie keine anderen Boote in Mitleidenschaft gezogen, so daß der entstandene Schaden noch übersehbar war. Allerdings mußte sich offensichtlich einer der Männer von der Wartungsmannschaft verletzt haben, denn John Koenig sah, wie jemand mit einem Erste-Hilfe-Kasten durch den Hangar eilte und sich zu einem Mann niederbeugte, der regungslos am Boden lag. »Es ist nichts Schlimmes«, rief einer der Monteure. »Ihm ist nur ein Schweißlaser auf den Kopf gefallen. Mehr als ein Schädelbrummen wird er nicht zurückbehalten.« John Koenig nickte und kletterte mit Alan Carter in den Eagle. In der Schleuse legten sie sofort ihre Raumanzüge an und wollten gleich das Schiff betreten, als ein weiterer Erdstoß den Mond erschütterte. Diesmal aber waren die Männer schon fast darauf vorbereitet, denn beiden war klar, daß die unheimliche Macht sich immer noch in der Nähe des Mondes aufhalten mußte. John Koenig und Alan Carter klammerten sich an den Haltegriffen in der Schleuse fest und warteten ab, daß der
Mond sich wieder beruhigte. Dabei entging ihnen nicht, daß die Rampe, auf der der Eagle stand, bedenklich schwankte und jedem Erdstoß nachfederte und ihn auspendelte. Als Manuel Perez zwei seiner Männer ein Zeichen gab, die Bolzen zu lösen, mit denen der Eagle auf der Rampe befestigt war, gab John ihm ein Zeichen, sein Commlock zu nehmen. Der Mexikaner folgte der Aufforderung und schaltete sein Gerät ein. Grimmig schaute er dem Commander vom Schirm seines eigenen Commlocks entgegen. »Laß das, Manuel. Nachher tritt auch noch dieser Eagle eine unfreiwillige Reise durch den Hangar an, und dann können wir uns unseren Ausflug schenken. Wir starten im Scramble, im Alarmstart. Fahr die Rampe hoch. Wenn wir oben sind, lassen wir die Aggregate anlaufen und sprengen die Bolzen kurz vor dem Start weg. Verstanden?« Manuel Perez nickte verstehend. Er sagte auch noch etwas, doch bei dem Lärm, der im Hangar herrschte, war kein Wort zu verstehen. John Koenig und Alan Carter eilten nun in die Pilotenkanzel des Eagle und ließen sich in die Kontursitze fallen. Ein Rucken verkündete ihnen, daß der Rampenlift sie an die Mondoberfläche hob. Während dieses Vorganges trafen sie schon hastig alle Vorbereitungen zum Start. Sie ließen die Antriebsaggregate anlaufen, als sich die oberste Kante des Eagle erst über die Mondoberfläche hob. Als die Rampe schließlich stand und fixiert wurde, war der Eagle schon zum sofortigen Start bereit. Ein weiterer Stoß traf den Mond und brachte ihn fast zum Hüpfen. Wäre der Eagle nicht mit den Bolzen befestigt gewesen, hätte es ihn in die Erdwälle rund um das Flugfeld geschleudert. John Koenig wartete eine Pause ab und gab dann das Zeichen zum Start.
Alan Carter betätigte den Notschalter, der die Bolzen wegsprengte. Weiße Wölkchen stiegen vor den Monitoren auf und verrieten, daß der Eagle jetzt durch nichts weiter als sein eigenes Gewicht auf der Rampe gehalten wurde. Dann schob John Koenig den Antriebshebel nach vorn. Die Antriebsaggregate heulten durchdringend auf. Der Eagle ruckte einmal, dann stieg er senkrecht in die Höhe. Gleich hörte das Vibrieren auf, und er hing ruhig wie ein Brett über dem Flugfeld. »Eagle eins an Zentrale! Eagle eins an Zentrale!« rief Alan Carter in sein Mikrofon. Auf dem Monitor über der Bedienungskonsole des Eagle tauchte Sandra Benes’ Gesicht auf. »Zentrale an Eagle eins! Wir hören euch klar und deutlich. Hier hat sich die Aufregung etwas gelegt. Hoffentlich sieht es bei euch genauso aus!« Alan Carter nickte. Dann meinte er: »Versuch, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Solltest du etwas Ungewöhnliches bemerken, dann mach’ uns sofort Meldung. In diesem Sinne – auf Wiedersehen.« John Koenig schob jetzt die Antriebshebel ganz nach vorn, und wie auf einem Feuerstrahl reitend hob sich der Eagle über die Erdwälle hinweg und entfernte sich auf den Mondhorizont zu. Da die Atommülldeponie auf der anderen Seite des Mondes lag, würde man mit der Station keinen Sichtkontakt haben. Fast wehmütig blickten die beiden Männer noch einmal durch die Sichtluken ihres Eagle, dann rissen sie sich von dem Anblick los. Gefühlsseligkeit war jetzt nicht am Platze. Sie flogen einem ungewissen Schicksal entgegen. Sie konnten nicht ahnen, was sie erwartete, aber sie rechneten mit dem Schlimmsten.
Die eintönige, kahle Mondlandschaft schob sich wie ein endloser Film unter ihnen hinweg. Weitflächige Krater, schroffe Felsformationen und Staubwüsten bildeten immer wieder neue bizarre Muster und signalisierten Lebensfeindlichkeit. John Koenig erschien es in diesem Moment wie ein Wunder, daß die Station und die Alphaner schon so lange auf dem Mond lebten. Es war ihnen tatsächlich gelungen, es sich in einer Hölle einzurichten, und wenn die Eagle-Piloten von einer Mission wieder zu dem versprengten Erdtrabanten zurückkehrten, dann regte sich in vielen das Gefühl, eine liebgewonnene Heimat wiederzusehen. Und diese Heimat war wieder einmal bedroht. Eine neue, bislang noch unsichtbare Gefahr war aus dem All aufgetaucht, und wieder einmal erforderte es jeden Krafteinsatz, dieser Gefahr zu begegnen und die Welt der Alphaner zu retten. »Schon irgendwelche Anzeichen für eine fremde Wesenheit in unserem Bereich?« wollte John Koenig von Alan Carter wissen. Der Chefpilot der Eagle-Flotte schüttelte den Kopf. »Ich habe sämtliche Scanner eingeschaltet – aber nichts.« Er betätigte jetzt einen Schalter auf seiner Bedienungskonsole. Die Suchkameras, die für diesen Erkundungsflug am Eagle eins befestigt worden waren, schwangen herum und lieferten auf dem Monitor einen Rundumblick. »Du siehst ja selbst, John, hier hat sich nichts verändert. Und der Weltraum um den Mond ist zumindest für die Elektronik völlig leer. Kein Anzeichen, daß sich in unserer Nähe etwas aufhält, das dort nicht hingehört.« John Koenig steuerte den Eagle in geringer Höhe und in einem bestimmten Muster über die Mondoberfläche, um sich ja nichts entgehen zu lassen. Doch nichts Ungewöhnliches störte die Eintönigkeit der kahlen Landschaft.
Er rief die Basis. »Sandra, gibt es etwas Besonderes? Ist dieses Mondbeben noch einmal aufgetreten?« Sandras bleiches Gesicht flimmerte auf dem Monitorschirm. Sie zuckte ratlos die Schultern. »Ein Mondbeben kann man das nicht nennen. Wir alle haben nur das Gefühl, als würde der ganze Mond vibrieren. Und was das für unsere Elektronik bedeutet, brauche ich Innen gar nicht erst zu erklären, Commander. Einer der Computer-Terminals ist schon ausgefallen. Wahrscheinlich sind einige Lötstellen gebrochen. Ansonsten versuchen wir, hier wieder einigermaßen Ordnung zu schaffen.« John Koenig nickte und wollte schon abschalten, um Energie zu sparen, als sich Helena Russell ins Blickfeld schob. Sie war fahlweiß im Gesicht, und ihre Lippen bebten sichtlich. »John – es ist schrecklich. Wir waren gerade in der hydroponischen Abteilung. Doc Vincent ist immer noch da und versucht zu retten, was zu retten ist. Unsere gesamte Plantage ist zerstört, tot, unbrauchbar! Auch hier konnten wir das gleiche Phänomen beobachten wie bei Carl Bellamy. Die meisten der Pflanzen sind schwarzgrau und reagieren auf Berührung, als wären sie zu Gestein erstarrt. Ich konnte nicht einmal eine Probe für eine Laboruntersuchung abbrechen. Auch mit einer Laserpistole ließ sich nichts ausrichten!« Sie schaute John fragend, fast flehend an, als könne er ihr eine hinreichende Erklärung für diese Erscheinung liefern. »Und was sagt der Computer?« wollte der Commander wissen. »Bisher noch nichts. Wir haben einfach zu wenige Daten, als daß wir ihm ein Analyse-Programm eingeben können. Und noch etwas, John, ich habe die Leute in der Plantage zu strengstem Stillschweigen angehalten. Noch weiß außer einigen wenigen niemand etwas von dem wahren Ausmaß der
Katastrophe. Aber wenn etwas durchsickert…« Sie wagte gar nicht, sich auszumalen, was dann geschah. John Koenig konnte es sich sowieso vorstellen. Immer noch sah er die schreckensbleichen Gesichter der Alphaner vor sich, die ihm auf seinem Weg zum Hangar der Eagles entgegengekommen waren. »Wir sollten in jedem Fall auf Nummer Sicher gehen«, riet er Helena Russell. »Tony soll ein paar von seinen Leuten in der Nähe des Hangars postieren. Falls etwas durchsickert, werden alle versuchen, sich mit den Eagles in Sicherheit zu bringen. Und das wäre das Schlimmste, was uns jetzt passieren könnte.« Helena zuckte die Achseln. »Kann man es ihnen verdenken, John?« fragte sie. »Wer würde in einer solchen Situation nicht genauso handeln?« »Natürlich, Helena, ich würde auch niemandem einen Vorwurf machen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir vielleicht die Station wirklich aufgeben müssen. Nicht umsonst haben wir das Evakuierungsprogramm Exodus entwickelt. Gerade nach den Erfahrungen der letzten Zeit – ich erinnere nur an Torso – sollten alle einsehen, daß man auch in einer aussichtslosen Lage einen kühlen Kopf behalten sollte. Aber wir müssen jetzt Schluß machen. Ich glaube, Alan hat etwas entdeckt.« »Viel Glück, John«, sagte Helena noch leise, dann schaltete John Koenig den Monitorschirm aus und wandte sich dem Chefpiloten zu. Alan Carter starrte angestrengt auf seinen Monitor und justierte eine der Suchkameras. Dann stelle er sie scharf und auf Vergrößerung. »Hier, Commander, sieh dir das doch einmal an.«
John Koenig warf einen Blick auf den Monitor – und erstarrte. Der gesamte Mondhorizont schien in Flammen zu stehen! Und sie flogen genau auf diese Hölle zu! Ein dichtes Gewirr von scharf abgegrenzten Lichtstrahlen zuckte hin und her, flackerte auf und erlosch wieder. Dies alles geschah in gespenstischer Lautlosigkeit. »Bekommen wir das nicht noch größer herein?« fragte John Koenig den Piloten. »Mal versuchen, was die Linse bietet.« Alan Carter betätigte wieder einige Schalter auf seiner Konsole und schloß dann geblendet die Augen. Auch John Koenig mußte den Kopf vor dem grellen Licht abwenden, das der Monitorschirm ausstrahlte. Dort schien sich ein elementares Gewitter zu entladen. Immer wieder blitzte es auf. Eine Unzahl von Lichtlanzen zuckte auf den Mondboden nieder. Riesige Staubwolken wurden hochgewirbelt, Felsbrocken flogen wie Streichholzschachteln durch den atmosphärelosen Raum. Und dazwischen mischte sich das Signalrot der Behälter, in denen sich der Atommüll befand! »Kannst du feststellen, woher diese Strahlen kommen?« fragte John Koenig den Piloten. Alan Carter ließ das Objekt der Kamera weiterwandern und atmete zischend aus. »Die Strahlen kommen aus dem Nichts! Es ist keine eindeutige Quelle auszumachen! Sie zucken auf und verschwinden wieder!« John Koenig nickte. »Das habe ich mir auch so gedacht. Das gleiche Phänomen wie bei dem Bergungsmanöver mit dem Energienetz. Also scheint es sich auch um die gleiche Quelle zu handeln – von der wir noch überhaupt nichts wissen. Steuere weiter darauf
zu. Sobald unsere Sensoren Gefahr für den Eagle melden, drehst du sofort ab. Auf keinen Fall möchte ich noch ein Raumboot verlieren.« Alan Carter nickte und widmete sich konzentriert seiner Aufgabe als Pilot des Schiffes. Nach etwa drei Minuten hatten sie sich dem Lichtinferno soweit genähert, daß sie nun auch die Atommülldeponie fast vollständig im Blickfeld hatten. Die Sensoren hatten sich noch nicht gemeldet. Erstaunlicherweise spürten sie auch keinerlei Strahlung auf, die in dieser geringen Entfernung vom Lager des verstrahlten Abfalls normal gewesen wäre. Verblüfft schaute John Koenig auf die Anzeige des Geigerzählers. »Also entweder ist das Ding kaputt, oder dort vorne geschieht ein Wunder«, sagte er grimmig. »Geh noch näher ran, Alan, jetzt will ich es genau wissen.« Mit sicheren Handgriffen steuerte Alan Carter den Eagle scheinbar mitten in das Inferno hinein. Dabei las er die Anzeigeinstrumente laut ab. »Außendruck bleibt konstant! Außentemperatur ebenso. Strahlungsbefall negativ!« Kopfschüttelnd verfolgte John Koenig das unheimliche Spiel auf dem Monitorschirm. Er konnte es nicht fassen. Normalerweise hätte er sich längst in einer Atomhölle befinden müssen, doch der Geigerzähler blieb nach wie vor stumm. Und dann traute er seinen Augen nicht. Das schrecklich schöne Feuerwerk hörte ganz abrupt auf. Von einem Sekundenbruchteil auf den anderen erloschen die Strahlen, und nur noch die Staubwolken hingen über der Mondoberfläche und gehorchten der Schwerkraft, indem sie sich langsam wieder zur Oberfläche des Erdtrabanten hinabsenkten. »Anzeigen nach wie vor unverändert, Commander«, meldete Alan Carter. »Was sollen wir tun?«
»Landen!« lautete Koenigs knappe Antwort. »Das muß ich mir aus der Nähe betrachten. Geh in Entfernung einhundert von der Deponie runter, Alan. Falls wir fliehen müssen, habe ich keine Lust, weit zu laufen. Ich glaube auch kaum, daß es Zweck hätte. Dieses unheimliche Ding ist uns sowieso überlegen. Vorerst können wir nur beten, daß es uns seine Überlegenheit nicht an unserem eigenen Leib beweist.« Alan Carter schaltete die Steuerautomatik aus und übernahm selbst die Lenkung des kleinen Raumschiffes. Seine nervigen Hände umklammerten die Antriebshebel und zogen sie sacht zurück. Unmerklich verlangsamte der Eagle sein Tempo und sackte nach unten durch. Alan Carter fing das Absacken wenige Meter über dem Boden auf und ließ dann den Eagle scheinbar millimeterweise auf die Mondoberfläche herabschweben und aufsetzen. Ein leises Rucken ging durch das Schiff, dann stand es still. John Koenig meldete sich noch einmal bei der Station. »Haben aufgesetzt. Keinerlei Vibrationen des Mondbodens mehr feststellbar. Und bei euch?« Helen Russell lächelte ihn beruhigend an. »Auch hier hat das Vibrieren aufgehört, John. Vor knapp einer Minute, schätze ich. Sag mal, warum bist du eigentlich gelandet, John? Willst du etwa aussteigen?« Die Angst stand in den Augen der Chefärztin. »Was soll ich sonst tun?« antwortete John Koenig mit einer Gegenfrage. »Vom Eagle aus kann ich so gut wie nichts machen. Ich muß einfach näher ran. Im Moment ist hier alles ruhig. Drück uns die Daumen, daß es so bleibt.« John Koenig erhob sich von seinem Kontursitz. Alan Carter folgte ihm. Sie betraten die Schleuse, in der nun eine Pumpe das zum Aussteigen nötige Vakuum erzeugte. Schließlich verkündete ein Anzeigegerät, daß der Druckausgleich hergestellt war.
John Koenig und Alan Carter schauten sich durch die Sichtscheiben ihrer Helme noch einmal an, dann legte John Koenig die Hand auf die Türverriegelung. Selbst wenn jetzt von draußen ein Angriff erfolgen sollte, hätten sie keine Zeit mehr, auf ihre Plätze zurückzukehren und mit dem Eagle zu starten. Ganz gleich, was im All auf sie lauerte – sie saßen hier wie auf dem Präsentierteller.
V
Als die Tür des Eagle zur Seite glitt, bot sich den beiden Männern ein chaotisches Bild. Die Atommülldeponie sah aus, als hätte hier ein Riese gewütet. Die Masten, auf denen die Strahlungssensoren saßen, mit deren Hilfe die Strahlungsintensität des Abfalls gemessen wurde, waren umgeknickt wie Streichhölzer. Das gesamte Feld wirkte, als hätte jemand mit einem riesigen Spaten darin herumgegraben. Vereinzelt konnte man die roten Tonnen erkennen, in die man den Abfall eingeschweißt hatte. Wild verstreut lagen sie herum, zum Teil noch halb im Mondboden vergraben, zum Teil aber auch an der Oberfläche und ungeschützt den Gefahren und Einflüssen aus dem All ausgesetzt. »Das ist grauenvoll«, erklang Alan Carters Stimme über Helmfunk. Er biß sich nervös auf die Lippen. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er konnte sich einer gewissen Nervosität nicht erwehren. Er wußte genau, daß die Raumanzüge, die er und John Koenig trugen, der harten Strahlung wenig entgegenzusetzen hatten, und er hatte keine Lust, sich unnötig einer Gefahr auszusetzen, wenn er ihr aus dem Weg gehen konnte. »Laß uns umkehren«, sagte er daher zu John Koenig. »Hier herumzulaufen, ist viel zu gefährlich. Wenn eine der Tonnen leck ist, dann bekommen wir mit Sicherheit eine tödliche Strahlendosis verpaßt.« John Koenig antwortete nicht. Er ging geradenwegs auf eine der Tonnen zu. Der Raumanzug erlaubte keine schnellen Bewegungen, und schwerfällig hüpfte John Koenig unter
Ausnutzung der niedrigen Mondschwerkraft immer näher an die Tonne heran. Sie lag völlig frei und war offensichtlich geborsten. Deutlich war ein schwarzer Riß in der leuchtend roten Wandung auszumachen. »Bleib zurück!« schrie Alan Carter hinter dem Commander her. Doch dieser reagierte noch immer nicht. Er hatte mittlerweile die Tonne erreicht und löste den kleinen Geigerzähler von der Halterung an seiner Kombination. Dann bückte er sich und überstrich mit dem Sensor die Tonne und dann den Riß. Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Komm mal her, Alan«, rief er seinen Gefährten herbei. »Wenn du das siehst, dann glaubst du an Wunder.« Innerlich widerstrebend machte Alan Carter sich auf den Weg. Eigentlich trieben ihn nur der Stolz und der Ehrgeiz, es John Koenig nachzumachen und sich unbefangen der vermeintlichen Strahlenhölle zu nähern. Neben dem Commander ging er in die Knie und betrachtete den Riß in der Tonne. John Koenig hielt ihm die Anzeige des Geigerzählers vor die Sichtscheibe – und nun stieß auch der Chefpilot der Eagle-Flotte einen leisen Pfiff aus. Die Anzeige verkündete nämlich – Strahlung negativ! Wo normalerweise das Ding hätte verrückt spielen müssen, regte es sich nun überhaupt nicht. Wohin John Koenig den Sensor auch führte, die Anzeige blieb stur auf Null stehen. Die beiden Männer schauten sich an. Sie wußten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. »Damit wäre ja eines unserer größten Probleme gelöst«, meinte John Koenig mit einem bitteren Grinsen. »Um diese Zeitbombe hier brauchen wir uns also keine Sorgen mehr zu machen.« Alan Carter schüttelte nur ratlos den Kopf.
»Ich verstehe das nicht, John. Dann scheint dieses Ding aus dem All nur hinter unserem strahlenden Material herzusein, was?« John Koenig zuckte die Achseln. »Das, was wir für Lichtstrahlen gehalten haben, bestand aus einer anderen, uns bisher noch unbekannten Energieform. Vielleicht wird diese Energieform mit Hilfe konventioneller Energie erzeugt? Aber dann müßten wir voraussetzen, daß dieses unbekannte Etwas über Maschinen verfügt, Umformer, irgendwelche Aggregate. Und die geben doch mit Sicherheit bei ihrer Tätigkeit ebenfalls Energie frei, in Form von Wärme. Und nicht einmal unsere Infrarot-Scanner haben irgendwo in der Nähe des Mondes etwas aufspüren können. Mit anderen Worten: Diese unheimlichen Etwas im All, dessen Wirkung wir sehr nachhaltig zu spüren bekommen haben, existiert für unsere Maschinen nicht. Es ist unsichtbar!« Unwillkürlich hob Alan Carter den Kopf und schaute nach oben hinaus ins All, das sich wie ein schwarzes Samttuch vor seinen Augen erstreckte. »Unsichtbar«, wiederholte er gedankenverloren Johns letztes Wort. »Unsichtbar. Das gibt es nicht«, meinte er dann endgültig. »Selbst wenn das Ding über einen Schirm verfügt, hinter dem es sich vor Sicht verbergen könnte, müßten wir wenigstens diesen Schirm aufspüren können. Und nicht einmal das ist möglich. Für mich existiert das Ding nicht. Ich glaube erst an seine Existenz, wenn ich davor stehe und es mit eigenen Augen sehen kann.« Wie als Entgegnung auf seine letzte Feststellung zuckte plötzlich ein greller Lichtblitz auf. John Koenig und Alan Carter wirbelten herum. Ein armdicker Energiestrahl schlug dicht neben einer Mülltonne ein, die noch halb im Mondboden vergraben war.
Staub wirbelte hoch, Felsbrocken wurden zur Seite geschleudert. Wieder zuckte der Strahl auf und schlug an einer anderen Stelle neben der Tonne ein. Es sah so aus, als würde der Lenker des Strahls die Mülltonne freilegen wollen. Der Strahl wanderte um die Tonne herum, dann verlöschte er. Für einige Sekunden herrschte Ruhe, dann senkte sich ein breites Lichtband auf die Tonne, verharrte dort, blitzte einmal grell auf und erlosch sofort. John Koenig und Alan Carter trauten ihren Augen nicht. Die Neugier riß sie nach vorn und ließ sie all ihre Vorsicht vergessen. Die Tonne hatte sich auf unheimliche Art und Weise verwandelt. Sie war nicht mehr rot, sondern sie war zu grauem Staub zerfallen, wie sie ihn bereits von den Trümmerteilen von Eagle neun her kannten. »Energieentzug im molekularen Bereich«, murmelte John Koenig. »Dieses unheimliche Wesen muß einen unermeßlichen Energiebedarf haben.« Alan Carter wollte noch einen Kommentar dazu abgeben, als plötzlich der Lichtstrahl zwischen ihnen beiden auf die Tonne niederzuckte, vor der sie knieten. Rein reflexartig brachten die Männer sich in Sicherheit, so gut es ging. Sie fanden sich beide hinter einem Erdwall wieder und starrten sich entsetzt an. »Das war knapp«, keuchte Alan Carter. »Komm, John, wir kehren zur Station zurück und überlegen dort, was wir unternehmen sollen. Hier herrscht mir zuviel Betrieb.« Er bemühte sich krampfhaft, der ganzen Angelegenheit noch eine halbwegs lustige Seite abzugewinnen. John Koenig merkte sofort, daß sein Gefährte kurz vor einer Panik stand. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn.
»Alan, in der Station sind wir auch nicht sicherer. Und überleg doch mal – wenn dieses unheimliche Wesen es wirklich darauf anlegen würde, uns zu töten, dann wäre das längst geschehen. Aber wir leben, also hat man uns doch offensichtlich noch eine Gnadenfrist gewährt. Du mußt doch einsehen…« Er wurde ziemlich abrupt unterbrochen, denn wieder war ein Blitz aufgezuckt. Doch diesmal blieb das Leuchten, und eine Lichtwand rollte auf die beiden Männer zu. Alan Carter sprang auf und riß John Koenig mit sich. Mit langen Sprüngen hielten die Männer auf ihr Raumschiff zu. In ihnen brannte die wahnwitzige Hoffnung, dort vor dem Unerklärlichen Schutz zu finden. Daß schon einmal ein Eagle in Sekundenschnelle vernichtet worden war, verdrängten sie in diesen Augenblicken. John Koenig erreichte die Schleuse als erster. Er half Alan Carter beim Hinaufklettern und schob das Schott hinter sich zu. Ungeduldig warteten die Männer, daß der Druckausgleich hergestellt wurde, dann öffneten sie die Schleusentür, durch die sie ins Innere des Eagle gelangten, und stürmten in die Pilotenkanzel. Bereits im Laufen öffneten sie die Helme und schoben die Visiere nach oben. Sie ließen sich in ihre Kontursitze fallen und vollführten völlig automatisch die oft geübten Handgriffe für einen hastigen Alarmstart. John Koenig erweckte die Antriebsaggregate zu brüllendem Leben. Alan Carter nahm Verbindung mit der Basis auf. Er hämmerte auf den Rufknopf der Funkanlage. Sofort flackerte der Monitor auf und zeigte ein Bild der Kommandozentrale. Helena Russells Gesicht erschien auf dem Schirm.
»Hier ist die Zentrale! Wie sieht es bei euch aus, Eagle eins? Seid ihr okay?« Alan Carter sprudelte einen stichwortartigen Bericht über die eben gemachten Beobachtungen hervor. Doch er wurde gleich wieder unterbrochen. »Zentrale ruft Eagle eins! Wir haben euern Ruf aufgenommen, können euch aber weder sehen noch hören! Meldet euch bitte!« »John, das verdammte Ding sendet nicht mehr«, schrie Alan Carter auf. »Wir kommen nicht mehr damit durch!« Wie besessen hämmerte er immer wieder auf die Ruftaste und jagte seine Meldung in den Äther. Doch keine Regung in Helena Russells Gesicht bewies, daß sie diesen Ruf auch empfing. »Laß gut sein, Alan«, riet John Koenig seinem Gefährten. »Das hat im Moment keinen Zweck. Drück uns lieber die Daumen, daß wir von hier starten können.« Er schob die Antriebshebel sacht nach vorn und spürte zu seiner Erleichterung, wie der Eagle sich vom Mondboden löste und langsam hochstieg. Er tastete die Positionsdaten der Station Alpha in den Bordcomputer und ließ die Automatik übernehmen. Der Eagle schwang auch herum und richtete seine Nase auf das Ziel aus, das er ansteuern sollte. Doch dann erfüllte ein ohrenbetäubendes Dröhnen die Führerkanzel. Eine Riesenfaust schien den Eagle zu schütteln wie ein Spielzeug. Hätten die beiden Männer sich nicht angeschnallt, wären sie wie Puppen durch die Pilotenkanzel geschleudert worden und hätten sich lebensgefährliche Verletzungen zugezogen. John Koenig schaffte es gerade noch, die Automatik wieder auszuschalten und selbst die manuelle Kontrolle über das Raumschiff zu übernehmen.
Er betätigte die Manövrierdüsen – doch über dem dazugehörigen Anzeigeinstrument flackerte weiterhin das rote Kontrollämpchen auf und verkündete, daß die Manövrierdüsen nicht arbeiteten. John Koenig versuchte sein Glück über den Ersatzstromkreis, konnte aber auch hier den gleichen – negativen – Erfolg verbuchen. Der Eagle ließ sich offensichtlich nicht mehr steuern. »Kommandozentrale ruft Eagle eins – Kommandozentrale ruft Eagle eins!« hallte Helena Russels aufgeregte Stimme durch die Pilotenkanzel. Verzweifelt wandte Alan Carter sich zu John Koenig um. »John, was hat das zu bedeuten? Dieser verfluchte Mistkästen gibt keinen Muckser mehr von sich! Wir kommen nicht mehr zur Basis durch! Was soll ich machen?« »Nichts«, lautete die lakonische Antwort des Commanders. Daß er längst keine Kontrolle mehr über den Eagle hatte, wagte er gar nicht zu erwähnen, sonst wäre Alan Carter wahrscheinlich vollends durchgedreht. Erstaunlicherweise verspürte John Koenig keine Angst, eher Neugierde. Er glaubte nicht – oder wollte einfach nicht glauben – daß ihr Leben bedroht war. Die Katastrophe bei dem Übungsmanöver mit dem Energienetz wertete er als eine Art unbeabsichtigten Zwischenfall. Daß diese unheimliche Macht aus dem All über ungeahnte Kräfte verfügte, hatten die Alphaner ja bereits recht nachhaltig zu spüren bekommen. Und wenn die unbekannte Macht, aus welchen Gründen auch immer, darauf aus war, die Station, wenn nicht sogar den ganzen Mond, zu zerstören, dann wäre das sicherlich schon längst geschehen. Dem Commander wollte Mayas Gesichtsausdruck bei ihrer »Entführung« aus der Kommandozentrale der Station nicht aus dem Kopf gehen. Sie schien keinerlei Schmerzen zu spüren, ja,
sie hatte sogar gelächelt. Es wäre durchaus denkbar, daß diese grellen Energiestrahlen auch eine nachhaltige Wirkung auf die Gehirnzellen dessen ausübten, auf den sie sich herabsenkten. Fast war John Koenig geneigt anzunehmen, daß es sich dabei um Such- oder Leitstrahlen eines Mentalprojektors handelte. Aber wer konnte ein Interesse an den Bewußtseinsinhalten der Psychonierin haben? Immerhin war es bis jetzt noch nicht gelungen, die Quelle der unheimlichen Strahlen zu orten. Ein neuerlicher Ruck, der die Schweißnähte des Eagle protestierend ächzen ließ, riß John Koenig aus seinen Überlegungen. Noch einmal versuchte John Koenig, dem Eagle eine andere Flugrichtung zu geben, war aber überhaupt nicht erstaunt, daß seinem Versuch kein Erfolg beschieden war. Alan Carter hockte apathisch auf dem Co-Pilotensitz und starrte dumpf vor sich hin. Seine Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet. Er schien mit seinem Leben schon abgeschlossen zu haben und sich in das Unvermeidliche zu begeben. Sämtliche Energie war aus diesem tapferen Mann gewichen, und er schien sich kampflos dem Schicksal ergeben zu wollen. Er zuckte nicht einmal zusammen, als die Wände des Eagle plötzlich zu leuchten begannen. Die Kontrollämpchen der Geräte verblaßten vor diesem grellen Schein. Die Anzeigen spielten verrückt. John Koenig war sich darüber klar, daß im Augenblick von seinem Chefpiloten kaum Hilfe zu erwarten war. Ein besonders heller Lichtstrahl schälte sich aus dem grellen Leuchten heraus und wanderte durch die Pilotenkanzel des Eagle. Am Bordcomputer verharrte der Lichtstrahl, wanderte aber dann weiter auf John Koenig zu. Der Commander wollte davor zurückweichen, wollte sich in Sicherheit bringen, blieb aber dann doch sitzen. Seine
wissenschaftliche Neugier war zu groß, außerdem sagte er sich, daß es besser wäre, einer Gefahr entgegenzutreten und sie zu begreifen versuchen, als den Schwanz einzuziehen und den Kopf in den Sand zu stecken. Gegenmaßnahmen konnten nur ergriffen werden, wenn man wußte, wogegen man kämpfte. Der Lichtstrahl hüllte ihn nun vollständig ein. John konnte einen Aufschrei nur mühsam unterdrücken. Er glaubte, ihm schnitte ein Messer durch das Gehirn. Sein Bewußtsein wurde zusammengequetscht und wieder auseinandergerissen. Der Commander schien innerlich zu brennen. Er wand sich in seinem Sitz und stemmte sich gegen den Halt der Sitzgurte. Immer wieder bäumte er sich auf, als würden Stromstöße durch seinen Körper jagen. Seine Hände ruderten durch die Luft, als suchten sie nach einem Halt. Alan Carter beobachtete mit kalkweißem Gesicht die Leiden seines Commanders. Er wollte ihm zu Hilfe eilen, wollte ihn aus dem Sitz lösen, um ihn aus dem Lichtstrahl zu zerren, doch als er seine Hände ausstreckte und sich dem Commander auf wenige Zentimeter genähert hatte, wurde er mit elementarer Wucht zurückgeschleudert. Er krachte gegen seine Bedienungskonsole und seufzte erstickt auf. Leise wimmernd sank er an der Konsole zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Sein Mund war halbgeöffnet, und pfeifend strömte die Luft zwischen den Lippen ein und aus. Der Lichtstrahl, der den Commander in seiner Gewalt hatte, begann auf einmal zu verblassen. Auch das Leuchten der Wände des Eagle nahm ab, und nach wenigen Sekunden sah es in der Pilotenkanzel des Eagle aus wie immer. Nichts wies auf ein Eindringen einer fremden Macht hin. Die Wände schimmerten in stählernem Glanz, und die Anzeigen hatten sich wieder beruhigt.
Es dauerte einige Sekunden, bis der Commander sich wieder zurechtfand und sich umschauen konnte. Immer noch stand er unter dem Eindruck des eben Erlebten und konnte kaum fassen, daß die schrecklichen Leiden schon vorüber waren. Sein Schädel brummte, und vor seinen Augen wogten rote Schleier. Er schüttelte den Kopf, um seine Sicht zu klären, löste seinen Sitzgurt und eilte zu Alan Carter hinüber. Der Chefpilot der Eagle-Flotte war bewußtlos. Aus einer Platzwunde an der Schläfe sickerte Blut, das in seinem Gesicht zu einem dünnen Faden geronnen war. John Koenig wollte den Australier anheben, um ihn auf den Kontursitz zu hieven, da wurde er auf den Boden gepreßt, weil der Eagle abrupt beschleunigte. Erst jetzt wurde dem Commander wieder bewußt, daß der Eagle ja schon die ganze Zeit flog, längst vom Mondboden abgehoben hatte. Die fremde Macht mußte ihn gebremst haben. Doch nun schwang der Eagle herum und schlug einen Kurs ein, der vom Mond wegführte. Der enorme Andruck trieb dem Commander die Luft aus den Lungen. Er konnte kaum noch atmen und war nur froh, daß Alan Carter das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt hatte. So blieb ihm die Qual der Beschleunigung wenigstens erspart. Der Eagle beschleunigte immer mehr. Zentimeterweise kroch John Koenig über den glatten Boden auf seinen Kontursitz zu. Er umklammerte die Armlehne des Sitzes und versuchte sich hochzuziehen. Kaum wollte es ihm gelingen, doch unter Aufbietung aller Kräfte schaffte er es, auf die Ruf taste des Funkgerätes zu drücken, mit dem er die Basis zu erreichen hoffte. Helena Russells Gesicht war immer noch auf dem Monitor zu sehen. Und immer noch versuchte sie verzweifelt, Verbindung mit dem Erkundungsschiff aufzunehmen. »So meldet euch
doch! Wir empfangen nichts von euch! Zentrale an Eagle eins – bitte kommen!« John Koenig griff nach dem Mikrofon. Seine Stimme war nur mehr ein Röcheln. »Eagle eins… an Zentrale… habe die Gewalt über das Schiff verloren… kann es nicht mehr steuern… Bordcomputer ist ausgefallen… Betet für uns…« Er wußte gleichzeitig, daß von seiner Nachricht auf der Basis bestimmt nichts angekommen war. Niemand würde für ihn beten, und er war überzeugt, die Zentrale der Mondstation Alpha nie mehr wiederzusehen. Er wandte den Kopf und erblickte den immer noch eingeschalteten Monitor, der ein Bild von der Umgebung des Eagle lieferte. Ein rätselhaftes Flirren tanzte über den Schirm. Es wogte auf und ab und schien immer näher zu kommen. John kannte dieses Bild, hatte es schon oft gesehen. Es mußte sich um einen Schirm von immenser Stärke handeln. Stellenweise blitzte es auf der grauleuchtenden Fläche auf, wenn vielleicht Meteoriten auf den fremden Schirm aufprallten und verglühten. Ein wahres Feuerwerk fand dort draußen statt, doch der Commander hatte keine Gelegenheit, dieses Phänomen noch länger zu beobachten. Denn der Schirm teilte sich plötzlich wie ein Theatervorhang. Er riß von unten nach oben regelrecht auf und klaffte auseinander. Und dann erstarrte John Koenig innerlich zu Eis. Instinktiv griff er wieder zum Mikrofon, das er nach seinen erfolglosen Versuchen der Kontaktaufnahme mit der Basis einfach fallengelassen hatte. Er mußte sich Luft machen, mußte loswerden, was sich seinen Augen in diesem Moment darbot.
»Vor uns ein Schirm«, keuchte er. »Wir kommen immer näher… der Schirm reißt auf… haben den Schutzschirm durchstoßen. Ich kann es jetzt sehen… Es ist riesig… ungeheuerlich… eine fliegende Festung… ein Stahlplanet!« Deutlich konnte er das bläuliche Schimmern riesiger Stahlplatten erkennen. Deutlich sah er auch die waffenstarrenden Batterien und Geschütztürme. Das unheimliche Ding füllte den gesamten Monitorschirm aus. Nichts fand mehr Platz als nur dieser ungeheuerliche Flugkörper. John Koenig konnte am Monitor mitverfolgen, mit welcher Geschwindigkeit sein Eagle auf dieses Ungetüm zugerissen wurde. Rasendschnell wurden die Platten auf dem Bildschirm größer. Bald war da nur noch das bläuliche Schimmern der Stahlwand, auf die das kleine Raumschiff zuraste. Unwillkürlich schloß John Koenig die Augen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Jeden Moment mußte der Zusammenstoß kommen. Jeden Moment würde der Eagle in seine Bestandteile zerlegt, auseinanderfliegen, sich auflösen. Ein heiserer Schrei drang aus seiner Kehle, als das Raumschiff auf die Wand aufprallte. Metall rieb sich an Metall, erzeugte ein Knirschen, das dem Commander durch Mark und Bein ging. Er fühlte sich gepackt, hochgehoben und wieder auf den Boden der Pilotenkanzel geschleudert. Und dann versank um ihn herum die Gegenwart in einem finsteren Schacht. »Helena…«, war das letzte, was er noch flüstern konnte.
VI
Eine unüberwindliche schwarze Mauer ragte vor ihm auf. Er versuchte sich dagegenzustemmen, versuchte, diese Mauer zu überklettern, doch er schaffte es nur bis zum Rand, dann sank er wieder zurück. Ein regelmäßiges Geräusch drang in sein Bewußtsein. Es klang wie ein Keuchen, ein schwerfälliges Atmen. Dann spürte er, wie der Untergrund, auf dem er lag, pulsierte, sich regelmäßig bewegte, sich hob, sich senkte, sich hob, sich senkte… Er fühlte die aufsteigende Panik in sich. Eigentlich müßte er doch längst tot sein! Der Eagle war abgestürzt und sicherlich leckgeschlagen. Also mußte längst die Atmosphäre aus dem Schiff entwichen sein… Und im Vakuum konnte ungeschützt niemand überlegen, zumindest kein Mensch. John Koenig zwang sich, die Augen aufzuschlagen. Es dauerte eine Weile, ehe er etwas in seiner Umgebung erkennen konnte. Die Beleuchtung im Eagle mußte durch den Aufprall ausgefallen sein, und es herrschte tiefe Finsternis. Nur vereinzelte Kontrollämpchen auf den Bedienungskonsolen spendeten ein spärliches Licht, in dem sich kaum etwas ausmachen ließ. Soviel erkannte John Koenig aber doch – er war bei dem Aufprall auf den unheimlichen Stahlplaneten auf Alan Carter, seinen Chefpiloten, gefallen. Daher auch das regelmäßige Geräusch, das anfangs an seine Ohren gedrungen war. Da er mit dem Kopf auf der Brust des Piloten gelandet war, hatte er dessen Atem überlaut hören können.
Schwerfällig richtete John Koenig sich auf. Der Rücken schmerzte immer noch von dem Sturz beim Mondbeben in der Basis. Andere Schmerzen hatte er nicht. Der Sturz auf den Stahlplaneten schien zum Glück glimpflich verlaufen zu sein. Doch er mußte sich jetzt um seinen Chefpiloten kümmern, dem es wahrscheinlich viel schlechter ging als ihm. Dabei nahm er auch befriedigt zur Kenntnis, daß seine Furcht vor einem Leck im Eagle unbegründet war. Die Luft war immer noch atembar, und soweit er es beurteilen konnte, hatte sich auch die Innentemperatur im Raumschiff nicht wesentlich geändert. Das Frösteln, das ihn überkam, konnte durchaus seine Ursache in der Ungewißheit haben, in der er sich befand. Er fischte eine Lampe aus dem Notpack in seinem Kontursitz und leuchtete in der Pilotenkanzel herum. Alles befand sich noch an seinem Platz, kein Aggregat oder Gerät hatte sich losgerissen, allerdings hatte er das Gefühl, daß der Eagle reichlich schief auf der Seite lag. John Koenig tippte auf ein oder zwei angebrochene Landestützen, die beim Sturz auf den fremdartigen Flugkörper recht nachhaltig den Geist aufgegeben haben mußten. John Koenig wandte sich jetzt seinem Chefpiloten zu. Alan Carter atmete kräftig und regelmäßig. John konnte sich kaum erinnern, wann der Australier umgekippt war oder sich sogar verletzt hatte. Als er sich unter dem Einfluß des wandernden Lichtstrahls auf seinem Sitz hin- und hergeworfen hatte, hatte er gleichzeitig von seiner Umgebung so gut wie nichts wahrgenommen. Er schlug mit der flachen Hand dem Australier leicht ins Gesicht. Lange brauchte er diese reichlich brutale Methode nicht anzuwenden, denn Alan Carter richtete sich mit einem Fluch auf. »Verdammt – du brauchst mich ja nicht gleich totzuschlagen…« John Koenig lachte erleichtert auf.
»Anders warst du aus dem Land der Träume ja nicht zurückzuholen.« »Ja, ja, ist schon gut.« Ächzend setzte Alan Carter sich auf, nur um gleich wieder zurückzusinken. »Ich glaube, so ganz fit bin ich noch nicht.« »Dann bleib liegen«, riet John Koenig ihm. »Ich schaue mich derweil einmal im Schiff um. Einen Start werden wir mit diesem Wrack wohl nicht mehr hinlegen.« »Wo sind wir überhaupt? Was heißt Start? Sind wir etwa irgendwo gelandet?« Alan Carter schüttelte verwirrt den Kopf. Er begriff überhaupt nichts mehr. John erzählte ihm in kurzen Worten, was geschehen war. Eine Prognose konnte er sich sparen, denn Alan Carter wußte auch so, was eine gebrochene Landestütze zu bedeuten hatte. Ohne eine Reparatur würden sie das Schiff wohl nicht mehr in die Höhe bringen. Schweigend schaute er zu, wie John sich im Schein seiner Notlampe durch das Schiff tastete und alles überprüfte. Dabei versorgte er seinen Piloten mit Informationen über den Zustand des Schiffes. »Der Computer scheint soweit in Ordnung zu sein. Auch sind unsere Energievorräte noch vollständig erhalten. Die Anziehungskraft dieses fliegenden Ungetüms entspricht etwa der der Erde. Weitere Daten habe ich nicht – ach ja, alle Werte, die den Zustand innerhalb des Eagle betreffen, sind normal.« Alan Carter atmete hörbar auf. »Wenn dann nichts Unvorhergesehens passiert, können wir es hier immerhin an die zwei Wochen aushalten. Wir brauchen also nur die Basis um Hilfe zu bitten.« Das brachte John auf die Idee, sein Glück noch einmal mit dem Funkgerät zu versuchen. Er betätigte die Ruftaste, der Monitor schaltete sich auch ein, doch wiederum wurden sie
von der Basis nicht gehört. Diesmal saß Sandra Benes an den Kontrollen und sorgte für die Außenkommunikation der Station. Drängend, fast flehend, hallte die Stimme der Computertechnikerin durch die Pilotenkanzel. »Mondbasis Alpha ruft Eagle eins… Mondbasis Alpha ruft Eagle eins… Commander John Koenig und Alan Carter, bitte kommen… haben euch verloren… Ortung unmöglich…« John Koenig versuchte gar nicht erst sein Glück. Diese Situation kannte er schon. »Genauso habe ich mir das vorgestellt. Wahrscheinlich hat sich dieser immense Schirm schon wieder geschlossen und riegelt uns hermetisch vor der Außenwelt ab. Er läßt nichts mehr aus seinem Bereich heraus, während er aber von außen nach innen immer noch durchlässig ist. Kein Wunder, daß wir diesen Flugkörper nicht haben aufspüren oder sogar orten können. Der Schirm absorbiert einfach alles, was auf ihn auftrifft – ganz gleich ob Suchstrahlen, Funksprüche oder sonstige Ortungsversuche. Nichts dringt aus ihm heraus. Deshalb haben wir auch keine Infrarotbilder von diesem Ding auffangen können.« Alan Carter hatte sich mittlerweile so weit erholt, daß er John Koenig bei der Überprüfung des Schiffes helfen konnte. Gemeinsam kletterten die Männer durch die verschiedenen Abteilungen des Raumbootes und kontrollierten die Außenwände auf mögliche Schwachstellen oder Risse. Ein Leck fanden sie zum Glück nicht. Der Schiffskörper schien den Aufprall weitgehend heil überstanden zu haben. Mit dieser Erkenntnis stieg die Hoffnung, dieses Abenteuer vielleicht doch unbeschadet zu überstehen, beträchtlich an. Sie berieten kurz und entschlossen sich, sich nicht auf die Monitorbilder zu verlassen, die nur das bläuliche Schimmern gigantischer Stahlplatten lieferten, sondern sich mit eigenen
Augen einen Eindruck von dem Ungetüm zu verschaffen, auf dem sie unfreiwillig niedergegangen waren. Weder John Koenig noch Alan Carter lag es, zu warten, bis die Gegenseite sich eventuell rührte. Sie wollten den Stier bei den Hörnern packen, vergaßen aber nicht, sich entsprechend zu wappnen. Aus dem Waffenarsenal des Eagle holten sie sich schwere Lasergewehre, dann setzten sie den Dauernotruf des Eagle in Betrieb. Sollte der Schirm sich wider Erwarten doch öffnen, könnte die Basis sie sofort orten und gegebenenfalls Hilfe schicken. Eine große Sorge erfüllte sie. Was war mit Maya geschehen? Wo genau mochte sie sich aufhalten, denn daß sie ganz in der Nähe sein mußte, war den beiden Männern klar. Daran, daß sie vielleicht gar nicht mehr lebte, wagten die Männer nicht zu denken. John Koenig und Alan Carter schauten sich noch einmal ernst an, dann klappten sie die Helmvisiere herunter und betraten nacheinander die Ausstiegsschleuse. Der Australier setzte die Vakuumpumpe in Gang, die die Luft aus der Schleuse absaugte. Fiebernd vor Aufregung warteten die beiden Männer auf den Druckausgleich. Endlich blinkte die grüne Anzeigelampe der Türfreigabe auf, und John legte fast andächtig die Hand auf den Verriegelungsmechanismus. Er drehte an dem großen Rad – dann schwang das Ausstiegsschott auf.
Das erste, was die Männer wahrnahmen, war der bläuliche Schimmer der Stahlplatten, aus denen der Flugkörper zusammengesetzt war. Es handelte sich um riesige, sechseckige Platten, mit etwa mannbreiten Spalten dazwischen. Wie tief diese Spalten waren, konnten John
Koenig und Alan Carter von ihrem Standort in der Schleuse des Eagle aus nicht genau feststellen. Sie ließen einen Blick in die Runde schweifen und sahen blauschimmernd gegen die schwarze Leere des Alls riesige Geschützbatterien. »Offensichtlich handelte es sich um Laserkanonen, zumindest schloß John Koenig das aus der Anordnung der Rohre und den eigenartig geformten Aufbauten, aus denen die Rohre herausragten, üblich«, murmelte Alan Carter. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Er wandte sich zu John Koenig um, der neben ihm in der Schleusenöffnung stand und das unheimliche Panorama auf sich wirken ließ. »Was meinst du – woher kommt dieses Ungetüm?« Der Commander zuckte nur ratlos die Schultern. »Frag mich was Leichteres. Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir eine Möglichkeit finden, in dieses Ding einzudringen.« Er bückte sich und klappte die Leiter nach unten. Dann setzte er sich in Bewegung und stieg die Sprossen hinab. Dabei kam er sich vor wie der Astronaut, der vor vielen Jahren zum erstenmal den Mond betrat, mit dem sie nun schon seit langer Zeit ziellos durch das All rasten. Als er seinen Fuß auf die Stahlplatte unter der Leiter setzte, gab es einen hohlen Klang, zumindest hatte John Koenig diesen Eindruck. Er glaubte, durch die Haftsohlen seiner Raumkombination ein schwaches Vibrieren zu spüren, das seinen Ursprung im Innern dieses Stahlplaneten hatte. Er wurde sich bewußt, daß er bei seinem letzten Funkspruch an die Basis genau die richtige Bezeichnung gefunden hatte – Stahlplanet, denn das war er wirklich. Deutlich konnte John Koenig die Krümmung der Oberfläche am Horizont dieses Ungeheuers erkennen. Er schätzte den Durchmesser des Planeten auf rund zwanzig Kilometer.
Welche ungeheuren Kräfte mußte in dieser Kugel wohnen, daß sie sogar ein Mondbeben hatten hervorrufen können, als die Kugel sich der der Basis gegenüberliegenden Seite zugewendet hatte? Kaum vorstellbar, was geschehen würde, wenn diese Kräfte einmal ungehindert und unkontrolliert eingesetzt wurden… Da John Koenig sich verhältnismäßig leicht auf der Oberfläche dieses rätselhaften Flugkörpers bewegen konnte, glaubte er, eine Erklärung für das Vibrieren unter seinen Fußsohlen gefunden zu haben. Er tippte auf Gravitationsprojektoren, die im Innern der gigantischen Stahlkugel verborgen sein mußten. Auch Alan Carter war mittlerweile nach unten geklettert und stand nun auf der Oberfläche des Stahlplaneten. Er hatte sich von seinem Sturz gut erholt und zeigte auffallendes Interesse für die Spalten zwischen den sechseckigen Stahlplatten. Er bückte sich und kletterte dann in eine hinab. Dabei machte er eine überraschende Feststellung. An allen Kreuzungspunkten dieser Kanäle befanden sich auf dem Grund rätselhafte Symbole sowie chromblitzende Erhebungen, die ihn unwillkürlich an elektrische Kontakte erinnerten. Er machte John Koenig darauf aufmerksam. Dieser kletterte ebenfalls in einen der Kanäle hinab und untersuchte seinerseits die blitzende Unebenheit. Mit einem Nicken richtete er sich wieder auf. »Das mit den Kontakten könnte stimmen. Aber frag mich jetzt nicht, worauf diese Kontakte wirken oder was für eine Funktion sie haben. Da muß ich nämlich passen. Vergiß nicht, daß ich über dieses Ding nicht mehr und nicht weniger weiß als du, Alan.« Die beiden Männer stiegen wieder aus den Kanälen heraus und schritten langsam und nach allen Seiten sichernd auf die Laserbatterie zu, die sie von ihrem Schiff aus gesehen hatten.
Sie war etwa vierhundert Meter vom Aufschlagpunkt des Eagle entfernt, und nichts deutete darauf hin, daß sie in Betrieb war oder daß man irgendwie auf die Ankunft der beiden Alphaner zu reagieren gedachte. In Abständen von rund fünfhundert Metern konnten die beiden Gestrandeten buckelförmige Erhebungen ausmachen, über denen pilzähnliche Lichtspindeln flirrten. »Die Energieprojektoren«, sagte Alan Carter und zeigte in die Runde. »Hier wird der riesige Schirm erzeugt, der dieses Ding vor unseren Blicken verborgen hält. Ich frage mich nur, warum der Schirm plötzlich aufgerissen ist und uns eingelassen hat. Offensichtlich wollte ja der Lenker dieses Körpers, wenn es überhaupt einen solchen gibt, unentdeckt bleiben. Sonst hätte er sich uns ja wohl nicht unsichtbar genähert, sondern sich direkt zu erkennen gegeben.« John Koenig wollte etwas darauf erwidern, kam jedoch nicht mehr dazu. Eine Bewegung am Rande seines Gesichtsfeldes ließ ihn zusammenzucken und herumfahren. Ein antennenartiges Gebilde schob sich aus der Laserbatterie und entfaltete sich zu einem Fächer. Dieser Fächer begann langsam zu rotieren wie ein Fähnchen im Wind. Unwillkürlich hatte John Koenig eine Hand auf Alan Carters Schulter gelegt und drückte ihn nun nach unten. Tief gebeugt standen die Männer da und beobachteten die unheimlichen Vorgänge. Der Fächer hatte nun aufgehört sich zu drehen und schwenkte auf seiner Drehlafette in einem Winkel von fünfundvierzig Grad hin und her, so als suche er etwas. Dann verharrte er. Er war genau auf die beiden Gestrandeten ausgerichtet. Kaum war er fixiert, als auch die Laserkanone herumschwang und sich aus ihrer Ruhestellung senkte. Immer tiefer kippte sie herab, bis auch sie stillstand.
Und dann entlud sich ohne vorherige Warnung ein grellweißer Blitz aus der Kanone und zuckte auf die beiden Männer zu. Mit einem entsetzten Schrei wie aus einem Mund ließen die Männer sich auf den stählernen Untergrund fallen und suchten Schutz vor dem Angriff. Ein rotes Leuchten in ihrem Rücken ließ sie die Köpfe drehen, und sie konnten gerade noch sehen, wie die Nase des Eagle, die in den schwarzen Himmel hineingeragt hatte, in Form von flüssigem Metall auf den Stahlplaneten tropfte und dort in der mörderischen Kälte des Alls sofort zu bizarren Gebilden erstarrte. Wieder zuckte ein grellweißer Blitz aus der Kanone auf, jagte jedoch diesmal ins Leere. Die Kanone hatte die Nase des Raumschiffes sauber abgeschnitten, sich jedoch nicht tiefer nach unten gefressen. Wieder begann die Antenne sich zu drehen – denn als das hatte John Koenig den Fächer längst identifiziert. Es mußte sich um eine Art Zielgerät handeln, wie es sich früher bei den Geschützen der konventionellen Kriege der Erde bei fast allen Armeen der Welt im Einsatz befunden hatte. Deutlich konnte er sich an Darstellungen solcher Schlachtszenen erinnern, und er selbst hatte während seiner Ausbildung einmal in einem Museum vor so einem Ding gestanden. »Wenn mich nicht alles täuscht«, rief er über Helmfunk seinem Chefpiloten zu, »reagiert das Teufelsding auf Wärmestrahlung! Wahrscheinlich war die Infrarotanzeige bei unserem Eagle besonders stark, deshalb wurde wohl auch zuerst unser Schiff zusammengeschossen. Zurückkehren können wir mit dem Trümmerhaufen wohl nicht mehr. Also nichts wie rein in die gute Stube.« Dabei wies er mit dem Daumen nach unten auf den Boden. Alan Carter begriff sofort. Er ließ sich in einen Kanal rollen
und huschte halbgebückt weiter. John Koenig folgte ihm, wählte aber einen anderen Weg. So mußte das Zielgerät mit zwei Zielen fertig werden, und den Männern gelang es vielleicht, auf diese Weise die Elektronik der Kanone etwas durcheinanderzubringen. Krampfhaft suchten der Commander und sein Chefpilot dabei nach einem möglichen Einlaß, mußten ihre Suche jedoch erfolglos abbrechen. Die Kanäle wirkten wie aus einem immensen Stahlblock herausgefräst, und es gab keine Unebenheiten oder vorstehende Kanten, die auf eine Luke oder sonstige Öffnung hätten schließen lassen können. Bis auf die Chromkugeln an den Kreuzungspunkten waren die Gänge kahl. Erneut zuckte über den Köpfen der Männer ein Lichtblitz auf, der wieder in Richtung des havarierten Eagle jagte, dort aber keinen weiteren Schaden anrichtete. Diese Beobachtung machte John Koenig nachdenklich. Er richtete sich furchtlos auf und beobachtete den Geschützturm genauer, dann gab er Alan Carter ein Zeichen. »Ich glaube, wir brauchen keine Angst zu haben.« »Wieso?« Alan Carter traute dem Frieden nicht und kam fast auf dem Bauch herangerutscht und schaute John Koenig mißtrauisch an. »Bist du verrückt, John? Komm in Deckung! Gleich geht der Feuerzauber wieder los! Dann sind wir dran!« John Koenig schüttelte den Kopf. »Sind wir nicht, Alan. Und zwar deshalb nicht, weil wir hier praktisch im toten Winkel sitzen. Mir kommt dieser Stahlplanet vor wie eine fliegende Festung, von irgendwem auf die Reise geschickt, um alles zu vernichten, was ihm zu nahe kommt. Jetzt stell dir doch nur einmal vor, die Kanone ließe sich noch stärker neigen, dann kannst du dir doch schon im Kopf ausrechnen, wann sie soweit gekippt ist, daß der Planet sich selbst eins auf den Pelz brennt. Und wenn es sich um
einen Roboter handelt, dann würde er damit gegen eines der Robotergesetze verstoßen, nämlich seine eigene Existenz zu schützen und durch nichts zu gefährden. Oder?« Alan Carter nickte zögernd, dann richtete auch er sich auf. »So betrachtet, hat du recht, John. Dann verfügt das Ding aber wahrscheinlich über andere Waffen, mit denen es seine Oberfläche von Feinden freihalten kann, nicht wahr? Und überdies, wenn deine Theorie stimmt, müßte diese Superkanone ja bald zur Ruhe kommen, weil der Eagle mittlerweile soweit abgekühlt sein müßte, daß er auf einem Infrarot-Scanner kein Signal mehr abgibt. Vergiß nicht, daß die Nase weggeschossen wurde und sämtliche Luft entwichen ist. Wahrscheinlich sind auch alle anderen Aggregate zusammengebrochen. Der Eagle ist jetzt sozusagen tot.« John war bereits weitergegangen und hielt, sich zwangsläufig an den Verlauf der Kanäle haltend, auf den Geschützturm mit der Laserbatterie zu. Das Rohr fuhr wieder in Ruhestellung, und die Antenne drehte sich noch einmal suchend im Kreis. Dann konnte man deutlich erkennen, wie sie begann, sich wieder zusammenzufalten. Ohne ein weiteres Wort entsicherte John Koenig sein Gewehr und legte sorgfältig zielend auf die Antenne an. Alan Carter bekam einen heillosen Schreck, doch bevor er dem Commander in den Arm fallen konnte, hatte dieser bereits abgedrückt und jagte eine Lichtsalve auf die Antenne zu. Er hatte besser gezielt als die Elektronik des Geschützturms. Sein Schuß saß genau an der Stelle des Antennenstabes, an der sich die weiteren Antennenfedern zu einem Fächer aufspannten. Es glühte hellrot auf, dann knickte der Antennenfächer weg, blieb aber am Stab hängen. John Koenig hatte den Laserstrahl so dosiert, daß er den Stab nicht völlig durchschmelzen konnte.
Alan Carter schaute ihn fragend an. »Bist du wahnsinnig? Willst du unbedingt, daß es uns doch noch ans Leder geht?« John Koenig grinste siegessicher. »Wohl kaum. Aber überleg doch mal. Irgendwie müssen die Dinger ja auch gewartet oder repariert werden. Wenn also der Turm nicht mehr funktioniert und ein Defekt auftritt, müßte hier bald etwas geschehen. Entweder erscheint ein ReparaturTrupp, oder es tut sich nichts. Bei erster Möglichkeit erhalten wir eine Chance, ebenfalls in den Planeten einzudringen, denn von irgendwoher müssen die Monteure ja kommen, wenn nicht gerade von draußen aus dem All. Sollte sich jedoch nichts rühren, dann sind wir hier geliefert. Für mehr als vier Stunden haben wir nicht mehr Luft in unseren Anzügen. Und wie der Erstickungstod aussieht, kannst du dir selbst ausmalen.« Alan Carter nickte geistesabwesend und starrte zu dem Geschützturm hinüber. Die Antenne hob sich wieder, und ein neuer Versuch fand statt, sie einzuziehen. Dann begann sie wieder sich zu drehen, bis sie schließlich stehenblieb. Endlose Minuten verstrichen. John Koenig und Alan Carter arbeiteten sich Meter für Meter näher an den Waffenturm heran. Dabei hielten sie sich vorsichtshalber in den Kanälen und nutzten die Deckung weidlich aus. So ganz geheuer war dem Commander doch nicht zumute, und fast bereute er schon seine impulsive Handlung. Was geschähe, wenn er sich bei seinen Überlegungen doch getäuscht hatte? Oder wenn der Stahlplanet über Waffen verfügte, von denen er sich keine Vorstellung machte? In etwa zwanzig Metern vom Fuß des Turms entfernt, verharrten die Männer und hielten angestrengt Ausschau. Deutlich waren die unteren Aufbauten der Laserkanone zu erkennen. Wie die Erbauer es bewerkstelligt hatten, derart
glatte Oberflächen zu schaffen, war John Koenig ein Rätsel. Nirgendwo sah er eine Niete oder auch nur eine Schweißnaht. Wie die Gänge zwischen den Bodenplatten des Stahlplaneten wirkte auch der ganze Geschützturm, als wäre er aus einem Stück Stahl herausgefräst worden. Welche Technologie mochte hier gewirkt haben, und welcher Rasse konnte ein derartiges Wunderwerk zugeschrieben werden? Wenn allerdings auch die Benutzung von Stahl bei dieser Technologie fast wie ein Anachronismus wirkte. Es sei denn, dieser Stahl war eine ganz besondere Legierung, die alle Zeiten und andere Einflüsse wie Witterung und Strahlung überdauern konnte. Und dann atmete John Koenig auf. Offensichtlich hatte seine unorthodoxe Methode, auf diesem Planeten Leben zu wecken, doch Erfolg gehabt. Denn am Fuß des Turmes glitt ein Schott auf, das sich fugenlos in die Wand einzupassen schien, in die es eingebaut worden war. Aufgleiten war vielleicht der falsche Ausdruck – als hinge es an Scharnieren, so klappte es einfach nach oben hoch und gab den Blick auf eine schwarze, quadratisch geformte Höhlung frei, in der nun ein angenehm warmes Licht aufglimmte. Es wurde immer heller, bis John Koenig vor der Grelle fast die Augen verschließen mußte. Bevor es jedoch dazu kam, konnte er beobachten, wie sich ein schwarzer Schatten vor die Lichtquelle schob und die Konturen sich scharf gegen das leuchtende Quadrat abzeichneten. Nur eine Frage brannte jetzt in John Koenig. War das eine neue Waffe, um sie endgültig zur Strecke zu bringen, oder verfolgte dieser Schatten und somit die dazugehörige Einrichtung oder Kreatur ein friedliches Ziel, soweit man auf dieser fliegenden Festung einen Begriff wie Frieden überhaupt in den Mund nehmen konnte?
War das vielleicht der Reparaturtrupp, auf den John Koenig bei seinem gezielten Treffer auf die Antenne gehofft hatte?
VII
Die Öffnung wurde nun fast völlig durch den Schatten verdunkelt, der sich vor die Lichtquelle geschoben hatte. Soweit John Koenig es erkennen konnte, handelte es sich um einen ebenfalls quadratischen Gegenstand, der sich als ein kastenähnliches Gebilde entpuppte, als er sich vollends nach draußen schob. Kaum hatte er die Öffnung hinter sich gelassen, mußte John Koenig die Augen wieder vor dem grellen Licht abwenden, das aus der Öffnung drang. Staunend verfolgten die beiden Männer, wie der Kasten sich in Bewegung setzte. Er lief in dem Graben zwischen den Stahlplatten entlang und mußte sich dementsprechend an die Kreuzungspunkte halten, wenn er eine andere Richtung einschlug. Das brachte Alan Carter auch auf die Idee, welchen Zweck die Kontakte in den Kanälen haben mochten. »Die Dinger sind wirklich Kontakte«, sagte er zu John. »Wahrscheinlich ist die Versorgung dieses stählernen Ungetüms voll maschiniert und automatisiert. Mit Hilfe dieser Kontakte auf dem Kanalboden können sich die Maschinen, nennen wir sie ruhig Roboter, orientieren. Vielleicht können diese Dinger sogar die Symbole lesen, die wir neben den Kontakten gefunden haben.« »Klingt einleuchtend«, meinte John Koenig und beobachtete weiter, was sich am Geschützturm abspielte. Der schwarze Kasten hatte jetzt offensichtlich seinen Zielpunkt erreicht. Er verharrte, dann wurden drei Teleskoparme ausgefahren, die tatsächlich hinaufreichten bis
zur defekten Antenne. Greifwerkzeuge machten sich an dem lädierten Teil zu schaffen und schraubten oder rissen es ab. Sorgfältig packte einer der Arme das nutzlos gewordene Instrument in den Kasten, in dem eine Klappe geöffnet und die abgeknickte Antenne hineingeschoben wurde. Schließlich öffnete der Arm ein anderes Fach und holte eine andere, diesmal offensichtlich intakte Antenne hervor und begann sie anzumontieren. John Koenig machte sich bei Alan Carter bemerkbar. »Du, Alan, ich glaube, wir sollten uns überlegen, was wir tun. Sollen wir dem Ding folgen? Oder sollen wir uns erst noch einen Gesamteindruck von der Oberfläche dieses Stahlplaneten verschaffen? Ich für meinen Teil schlage vor, wir folgen dem Ding, sobald es wieder im Innern des Planeten verschwindet. Ganz schutzlos sind wir nicht, denn wir haben ja gesehen, daß man ein Lasergewehr hier durchaus als wirkungsvolle Waffe einsetzen kann.« Alan Carter dachte nicht lange nach, sondern handelte sofort. Er erhob sich und huschte auf die Öffnung zu, aus der der Montageroboter aufgetaucht war. Er hoffte nur, daß das Ding nicht ebenfalls über Sensoren verfügte, die ihm seine Annäherung verrieten. Auch John Koenig kam dieser Gedanke, den er jedoch gleich wieder verdrängte. Es durfte einfach nicht sein. Denn anderenfalls wären sie endgültig zum Tode verurteilt. Ein Blick auf die Sauerstoffanzeige seines Raumanzuges sagte ihm, daß nur noch für knapp drei Stunden Luft vorhanden war. Drei Stunden bis zur Ewigkeit. John Koenig verzog das Gesicht zu einem bitteren Lachen. Eigentlich müßte er ja zuversichtlich in die Zukunft schauen. Wenn er nämlich daran dachte, was er schon alles erlebt hatte und wie oft er zum Teil nur wenige Sekunden von der Ewigkeit entfernt war und trotzdem immer noch hier stand, dann empfang er sich wie
eine Katze, der man ja neun Leben nachsagt. Ein Leben müßte doch auch für diese Situation noch frei sein, oder etwa nicht? Er folgte dem Australier und konzentrierte sich nun auf die Vorgänge am Geschützturm. Der Montageroboter vollführte wohl gerade die letzten Handgriffe. Er befestigte die Antenne und fuhr seine Teleskoparme wieder ein. Mit ruckartigen Bewegungen setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte durch die Kanäle auf die Öffnung zu, die ins Innere des Stahlplaneten führte. Jeweils an den Kreuzungspunkten der Kanäle verharrte er kurz, dann glitt er weiter. Es sah wirklich so aus, als würde er erst sorgfältig die Symbole neben den Kontakten lesen, ehe er seinen weiteren Weg wählte. Dicht vor einer solchen Kreuzung verharrte Alan Carter und gab John ein Zeichen, es ihm nachzumachen. Geduckt hockten die Männer da und warteten auf den Montageroboter, der an ihnen vorbeigleiten mußte. Nach einigen Sekunden war es soweit. Nur knappe zwei Meter entfernt verharrte der schwarze Kasten genau auf einem der Kontakte. Er bewegte sich völlig geräuschlos. Der InfrarotScanner des Commanders, der zur Notausrüstung der Raumkombinationen gehörte, zeigte erstaunlicherweise nichts an. Der Kasten war kalt und mußte von einer Energieform angetrieben werden, die sich offensichtlich nicht in Wärmeenergie umwandelte. Fast ehrfürchtig betrachtete der Commander die Maschine, und fast empfand er so etwas wie Zuneigung zu ihr, nährte sie doch seine Hoffnung, in den Stahlplaneten vorzudringen und vielleicht sogar die Psychonierin Maya zu finden und unter Umständen sogar in Sicherheit zurück auf die Basis zu bringen. Der Roboter hatte seinen Lesevorgang anscheinend beendet und glitt weiter, diesmal direkt auf die Öffnung zu.
Alan Carter und John Koenig folgten ihm dichtauf. Sie hielten sich so nahe wie möglich an der Maschine, da sie nicht wußten, wie schnell sich die Klappe, durch die der automatisierte Monteur aufgetaucht war, sich wieder hinter ihm schloß. Kurz vor der Öffnung bremste der Monteur ab. Der grellweiße Lichtschein wurde schwächer und schwächer, und die Männer brauchten nicht mehr zu blinzeln. Zentimeterweise schob sich der schwarze Kasten in die Öffnung. John Koenig wagte es als erster. Er preßte sich mit dem Rücken gegen den Kasten und folgte ihm im gleichen Tempo. Mit quälender Langsamkeit verschwand der Kasten in der quadratischen Öffnung und John Koenig mit ihm. Alan Carter schien der ganzen Angelegenheit noch nicht mehr so richtig zu trauen, denn er stand unschlüssig im Kanal und schien sich noch zu fragen, ob ihr Plan wirklich sinnvoll war. Wer wußte schon, welche Gefahren im Innern des Stahlplaneten auf die Männer lauerten? »Jetzt komm schon«, riß ihn Johns Stimme aus seinen Gedanken. »Gleich ist die Klappe zu, und wenn wir voneinander getrennt werden, sind unsere Überlebenschancen gleich Null.« Alan Carter raffte sich auf und lief mit schwerfälligen Schritten hinter dem Commander und dem Montageroboter her. Er hatte die beiden fast erreicht, als der Kasten mit John Koenig zusammen vollkommen in der Öffnung verschwand. Gleichzeitig jedoch löste sich auch die Klappe der Öffnung aus ihrer Ruhelage und kippte nach unten. Alan Carter schrie auf. Er würde es nicht mehr schaffen – das war sicher. So schnell konnte er nicht einmal ohne Kombination laufen. Überdies ahnte er, daß die Klappe
sicherlich mit elementarer Wucht nach unten schlug, und er wollte ihr dabei nicht gerade im Weg stehen, wenn sich das irgendwie vermeiden ließ. John Koenig hatte den Schrei richtig gedeutet. Er riß das Lasergewehr hoch und rammte es gerade noch im letzten Augenblick zwischen Klappe und Rahmen. Mit einem häßlichen Knirschen schlug die Klappe auf das Gewehr und verbog es zu nutzlosem Schrott. Aber die Klappe durchschnitt es nicht, sondern blieb halb offen stehen. Der verbleibende Raum zwischen Boden und Klappe war allerdings breit genug, um den Australier hindurchkriechen zu lassen. Er ließ sich sofort auf die Knie nieder und begann über den Boden zu robben wie ein Dschungelkämpfer. »Mach schnell«, trieb John ihn zur Eile an. Denn er hatte gemerkt, daß die Klappe sich immer weiter in den Rahmen schob und dabei das Lasergewehr mehr und mehr verformte. Irgendwann mußte es zerbrechen oder sogar zerreißen. Alan Carter wand sich hin und her und zwängte sich und sein Überlebenspack auf dem Rücken durch den Spalt. Dann spannt er noch einmal alle Kräfte an und rollte sich verzweifelt herum. Keinen Sekundenbruchteil zu früh, denn mit einem hellen Singen zerriß das Lasergewehr, und die Klappe fiel mit einem wuchtigen Donnern in den Rahmen. Keuchend lag Alan Carter am Boden. »Das war knapp«, sagte er atemlos. »Beinahe hätte es mich erwischt.« »Das nächste Mal zögerst du nicht so lange«, meinte John nur knapp. Er wollte sich nicht anmerken lassen, welche Angst er um seinen Chefpiloten ausgestanden hatte, sondern gab sich aktiv und entschlossen. »Keine Müdigkeit vorschützen. Wir müssen weiter.« Alan Carter erhob sich schwerfällig, und die beiden Männer hatten Gelegenheit, sich umzuschauen.
Vor ihnen erstreckte sich ein Gang mit stählernen Wänden. Die Wände schienen zu leuchten und spendeten das Licht, in dem die Männer ihre Umgebung in Augenschein nehmen konnten. Sie selbst befanden sich in einer Kammer, die offensichtlich eine Art Schleuse darstellte. Doch die Schleusentüren konnten sie nirgendwo entdecken. John Koenig schaute sich um und gewahrte in der stählernen Decke der Kammer einen breiten Schlitz. Er wollte Alan Carter darauf aufmerksam machen, als der Schlitz sich plötzlich erhellte. Eine grelle Lichtflut brach aus ihm hervor und ergoß sich geradezu in den Raum darunter. Sie füllte jeden Winkel aus und schien die Männer zu umspülen. John Koenig schlug die Hände vor die Sichtscheibe seines Helms. Doch es nutzte nichts. Das Licht schien durch seine Hände hindurchzuscheinen, und nicht nur durch seine Hände. Sein ganzer Körper schien Teil dieses Lichtes zu sein, schien ebenfalls zu leuchten wie die Stahlwände des Ganges, durch den der Montageroboter sich entfernte. Und dann wurde für beide Männer dieses Licht ausgeknipst. Schlagartig wurde es vor ihren Augen dunkel, und sie sanken wie Luftballons, aus denen man die Luft herausgelassen hat, zu Boden. In seltsam verkrümmter Haltung blieben sie liegen, und ihre Gesichter spiegelten noch die grauenvollen Qualen wider, die sie erfahren hatten, bevor eine gnädige Ohnmacht sie unter ihre Fittiche nahm…
Mit gesenktem Kopf betrat Tony Verdeschi, der Sicherheitschef der Mondbasis Alpha, die Zentrale. Seine Schritte wirkten müde, und seiner ganzen Körperhaltung
konnte man die Last der Verantwortung ansehen, die auf seinen Schultern ruhte. Er war jetzt allein für die Station verantwortlich, und in seiner Hand lag es nun, welche weiteren Schritte die Alphaner unternehmen sollten, um Maya, den Commander und seinen Chefpiloten zu retten. Bislang hatte man noch keine Spur von ihnen, keine sichere Spur zumindest. Doktor Helena Russell wartete bereits auf den Italiener, denn gemeinsam wollten sie überlegen, was zu tun sei. Überdies wollten sie noch einmal rekapitulieren, was bisher überhaupt über den fremden Einfluß bekannt war. Auch hatte man von Eagle eins einen verstümmelten Funkspruch auffangen können, der aber noch soviel Informationen enthielt, daß die Alphaner Grund hatten, mit Sorge in die Zukunft der Station zu schauen. »Nimm’s nicht so schwer, Tony«, versuchte Helena Russell den Italiener zu trösten. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie es in ihm aussehen mußte. Schließlich war Maya die Frau, die er über alles liebte und um deren Schicksal er sich begreiflicherweise die meisten Sorgen machte. »Noch haben wir keinen Beweis, daß den drei Verschollenen etwas passiert ist«, fuhr die Chefärztin fort. »Und solange wir diesen Beweis nicht haben, sollten wir davon ausgehen, daß die drei noch am Leben sind und eine eventuelle Rettungsaktion von Erfolg gekrönt sein wird. Nur dürfen wir jetzt keine voreiligen Entscheidungen treffen. Immerhin haben wir noch an die drei Stunden Zeit.« Tony Verdeschi, der sich in den Sitz des Kommandanten der Station hatte fallen lassen, schaute verwirrt auf. »Drei Stunden? Wie kommst du denn darauf?« Wieder einmal erwies sich, daß auch Frauen in Streßsituation nicht selten einen kühleren Kopf behalten als die Herren der Schöpfung.
»Ich habe nachgedacht, Tony. Bestimmt haben John und Alan bei ihrem Erkundungsflug auch ihre Raumanzüge übergestreift. Gesetzt den Fall, der Eagle ist zerstört und nicht mehr zu brauchen, und gesetzt den Fall, sie hatten Zeit genug auszusteigen, dann verfügen sie über Atemluft für eine Dauer von vier Stunden. Etwa eine Stunde ist seit dem letzten Funkkontakt mit den beiden verstrichen, bleibt also noch für drei Stunden Luft und damit Leben für die beiden. Und in drei Stunden kann viel geschehen, kann man eine ganze Menge unternehmen und vielleicht sogar Erfolg haben, wenn man klaren Kopf behält und logisch vorgeht.« Der bohrende Blick, mit dem der Italiener sie musterte, verriet ihr, daß sie den Mann in seinem Stolz getroffen hatte. Entweder explodierte er jetzt und war überhaupt nicht mehr ansprechbar, oder er riß sich zusammen und zwang sich ebenfalls dazu, ruhig zu bleiben und geduldig nach einem Weg zur Lösung des vorliegenden Problems zu suchen. Tony Verdeschi schien sich für das Letztere entschieden zu haben, denn er nickte zustimmen. »Ist schon gut, Helena. War schon richtig, daß du mich auf den Teppich zurückgeholt hast. Aber ich muß immer an Maya denken…« Seine Stimme brach ab, und der athletische Mann schluchzte erstickt auf. Helena Russell erhob sich, ging zu ihm hin und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Noch ist nichts verloren, Toni. Maya ist völlig heil von hier verschwunden, was zwar schlimm ist, aber auch irgendwie ein gutes Zeichen in sich birgt. Sie hat ganz bestimmt nicht gelitten. Ihr Gesicht war völlig entspannt, und sie schien geradezu freudig erregt zu sein.« »Freudig erregt, pah. Möchte nur wissen, wie man sich freuen kann, wenn man gegen seinen Willen entführt wird.« Der Italiener schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Maya wollte
bestimmt nicht von hier fort, und jede anderslautende Behauptung ist eine böswillige Unterstellung. Das hieße ja, daß sie mit diesem Unbekannten vielleicht sogar noch unter einer Decke steckt.« Er war aufgesprungen und starrte die Ärztin böse an. Helena Russell drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder auf seinen Platz zurück. »So habe ich das nicht gemeint, Tony, das weißt du ganz genau. Ich wollte damit nur sagen, daß sie nicht gelitten hat. Wahrscheinlich haben auch mentale Kräfte auf sie eingewirkt und bei ihr diesen euphorischen Zustand hervorgerufen. Leider haben wir den rätselhaften Strahl nicht anmessen und auch nicht analysieren können. Bestimmt hätten uns die Werte Aufschluß über seinen Charakter, vielleicht sogar über seine Herkunft geben können.« »Wir haben doch noch den Funkspruch von John«, meldete Sandra Benes sich zu Wort. Sie saß an den Kontrollen und überwachte weiterhin aufmerksam die Funktionen der Station sowie die Funkanlage. In ihr brannte die Hoffnung, doch noch etwas von Eagle eins aufzufangen, und wenn es nur das automatische Notsignal war. Wenigstens hätte man damit die beiden Männer und ihren derzeitigen Aufenthaltsort aufspüren können. »Dann spiel das Band noch einmal ab«, forderte Tony die junge Frau auf. Sie machte sich sofort an die Arbeit, legte das Band in die Maschine ein und startete. Deutlich klang wieder John Koenigs Stimme durch die Zentrale, wie sie aufschrie, sich fast überschlug, und dann berichtete, was sich seinen Augen darbot. »… Schirm durchstoßen… unfaßbar… Stahlplanet…« Das waren die Worte, die man hatte deutlich verstehen können. Tony Verdeschi war bereits dabei, sich eine Theorie
zurechtzulegen. Er ließ Sandra Benes und Doktor Helena Russell daran teilhaben. »Offensichtlich handelt es sich um einen Flugkörper immenser Größe, der in der Lage ist, um sich einen Schutzschirm aufzubauen, der ihn davor schützt, gesehen oder sonstwie aufgespürt zu werden. Das hieße, daß die Erbauer dieses Körpers oder auch der oder die Lenker über eine ungeheuer weit entwickelte Technologie verfügen müssen. Sonderbar erscheint mir nur, daß dieser Flugkörper aus Stahl gefertigt sein soll, wissen wir doch alle, daß Stahl gerade beim Raumflug seine Grenzen hat. Nicht umsonst hat man andere Materialien entwickelt, die dem Stahl in jeder Hinsicht überlegen sind. Wenn wir also…« »John könnte sich ja auch geirrt haben«, unterbrach Helena Russell ihn. »Bestimmt stand er unter Schock und hat bestimmt das ausgesprochen, was ihm beim ersten Eindruck von diesem Flugkörper in den Sinn gekommen ist. Ich vermute, daß der Körper bläulich geschimmert hat und John dadurch an Stahl erinnert wurde.« »Na gut«, stimmte Tony Verdeschi ihr unwillig zu. Er ließ sich ungern unterbrechen, wenn er sich mit einem Problem beschäftigte, vor allem dann nicht, wenn er überzeugt war, dem Problem auf die Spur zu kommen. »Aber bleiben wir trotzdem mal bei meinem Gedankengang. Wenn es sich also um Stahl handelt, verfügt diese fremde Entität vielleicht nicht über das Wissen oder die Grundlagen, Stahl herzustellen. Entweder handelt es sich um eine alte Rasse, deren Philosophie technischen Belangen weniger Beachtung schenkt, oder sie haben eine Legierung entwickelt, die unseren gebräuchlichen Stahlarten wirklich überlegen ist – oder sie stammen von einem Planeten, auf dem gewisse Bodenschätze eben nicht vorkommen.«
»Richtig«, sagte Helena. »Trotzdem verfügt das Ding über eine unglaubliche Macht. Maya ist entführt worden – mitten aus der Zentrale heraus, und dann ist da immer noch der Schutzschirm, hinter dem der Flugkörper, nennen wir ihn der Einfachheit halber wie John ebenfalls Stahlplanet, sich unsichtbar verbergen kann. Ich schlage daher vor, daß wir rekonstruieren, an welcher Stelle Eagle eins sich befunden hat, als John seinen Funkspruch absetzte, den wir nur teilweise aufgefangen haben. Dann würde ich vorschlagen, daß wir diesen Punkt permanent überwachen lassen. Vielleicht ergibt sich aus irgendwelchen Werten ein Hinweis, mit dem wir weiterarbeiten können.« »Versuchen kostet ja nichts«, meinte Tony Verdeschi nur lakonisch und gab Sandra Benes an den Kontrollen und Yasko am Computer ein Zeichen. »Los, ihr Intelligenzbestien, und zeigt, was eure Spielzeuge können.« Yasko öffnete sofort einen Terminal ihres Rechners für Sandras Konsole. Auf diese Weise wurden die Werte, die Sandra vom Monitorband abrief, direkt in den Computer eingespeichert und weiter verarbeitet. Das Rechenwerk begann zu summen, und der Computer nahm seine Tätigkeit auf. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann schob sich ein schmales Band aus dem Ausgabeschlitz. Yasko riß ihn ab und reichte ihn dem stellvertretenden Chef der Station Alpha. Tony schaute kurz darauf, dann meinte er: »Wenn das stimmt, und das Ding hält sich immer noch dort auf, dann ist das fast zu schön, um wahr zu sein. Unser Computer hat einen Punkt errechnet, der hundertfünfzig Kilometer über der Atommülldeponie im freien Raum liegt. Das ist für meine Begriffe verdammt nahe an unserem Mond. Und wenn das Mondbeben durch dieses von John Stahlplanet genannte Ungetüm hervorgerufen wurde, dann Gnade uns Gott, wenn es
noch einmal auf die Idee kommen sollte, seine Energiearme nach unserer Welt auszustrecken. Ich würde unter diesen Umständen fast dazu raten, die gesamte Station in Alarmbereitschaft zu versetzen und unser Evakuierungsprogramm bis auf Widerruf anlaufen zu lassen. Schaden kann das bestimmt nicht. Außerdem haben dann die Leute etwas zu tun und kommen nicht auf dumme Gedanken.« Helena Russell zuckte die Achseln. »Wenn du das für richtig hältst, Tony – immerhin bist du ja hier im Augenblick der Chef…« »Und du bist die Freundin des Chefs«, zischte Tony wütend. »Ich berate mich hier mit euch, um von euch den ein oder anderen Ratschlag zu hören. Aber letztendlich wascht ihr alle nur eure Hände in Unschuld und überlaßt mir die gesamte Verantwortung.« »So ist es doch nicht, Tony«, wandte Helena ein. »Hier wäscht sich niemand die Hände in Unschuld. Nur bist du derjenige, der die Befehle zu geben hat.« »Okay – dann befehle ich ab jetzt den Alarmzustand auf Alpha und befehle gleichzeitig, unser Evakuierungsprogramm in Marsch zu setzen. Du, Helena, bist so nett und kümmerst dich um deine Abteilung. Laß zusammenpacken, was du unbedingt mitnehmen mußt. Ich teile dir ein paar von meinen Männern zu, die dir zur Hand gehen.« Dann wandte er sich an die junge Frau an den Kontrollen. »Und du, Sandra, versuchst weiterhin, John und Alan zu erreichen. Vielleicht warten sie ebenso verzweifelt auf ein Lebenszeichen von uns wie wir von ihnen. Yasko hält einen Computer-Terminal offen, falls wir neue Werte erhalten sollten. Die nötigen Berechnungen müssen sofort angestellt werden. Wir dürfen jetzt keine Sekunde mehr verlieren. Wie Helena gerade schon sagte – wir haben noch drei Stunden Zeit, die beiden aus dem Sumpf zu ziehen…«
Und Maya, setzte er in Gedanken hinzu. Doch das sprach er nicht laut aus, denn er spürte Helenas prüfenden Blick auf sich. Sie als erfahrene Ärztin kannte die Anzeichen, wenn jemand dabei war, Fehlreaktionen zu zeigen, hervorgerufen durch übermäßige psychische Belastung. Tony Verdeschi zwang sich, mit betont energischen Schritten die Zentrale zu verlassen. Er entschuldigte sich damit, daß er sich um seine Leute kümmern und sie einteilen müsse. Als er den Raum verließ, hörte er, wie Sandra über die Sprechanlage der Station den Ausnahmezustand ausrief und das Zeichen zum Beginn des Evakuierungsprogramms gab. Tony Verdeschi allerdings hatte seine eigenen Vorstellungen, wie er dem Problem seiner verschwundenen Freundin auf den Leib rücken wollte. Noch hatte er den Papierstreifen in der Tasche, auf dem John Koenigs genaue Position bei seinem letzten Funkspruch festgehalten war. Den Wert würde er nicht vergessen. Wie mit einem glühenden Eisen hatte er sich in sein Gehirn gebrannt und trieb ihn zum Handeln. Er hatte keine Lust, untätig dazusitzen und zu warten, bis der Prophet zum Berge kam. Wenn es nicht anders ging, mußte sich eben der Berg auf den Weg machen oder seinen Abgesandten losschicken. Unwillkürlich mußte Tony bei dem Vergleich lachen. Aber im Hinblick auf die Größenverhältnisse war der Mond wirklich als Berg und der unheimliche Flugkörper als Prophet zu bezeichnen. Auch wenn Tony Verdeschi sich keine Vorstellungen von den Dimensionen des Stahlplaneten machte – bestimmt war er kleiner als der Mond. Nun, bald würde er mehr wissen, würde den Stahlplaneten vielleicht sogar mit eigenen Augen sehen können.
Vorerst wollte er noch sein Quartier aufsuchen, um noch einige persönliche Dinge zu regeln. Er kam sich vor wie ein Kamikazeflieger vor seinem letzten großen Einsatz…
VIII
Etwas schien mit elementarer Gewalt von innen gegen seinen Schädel zu hämmern. Schwerfällig wälzte Commander John Koenig sich herum. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen, und fast hatte er Angst, die Augen aufzumachen. War es die Furcht vor dem Ungewissen, die ihn zögern ließ. Als John Koenig schließlich doch die Augen aufschlug, wußte er sofort, wo er sich befand. Offenbar hatte man weder ihm noch Alan Carter besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn sie lagen immer noch dort, wo sie unter dem Druck der Lichtfülle zusammengebrochen waren. Auch Alan Carter rappelte sich stöhnend hoch und schaute sich um. Immer noch brannte in dem kahlen Gang dieses rätselhafte Licht, das aus den Wänden zu kommen schien. Anders konnten die Männer sich die Beleuchtung nicht erklären. In ihrer Lage hatten sie auch weder Lust noch Zeit, dieses Rätsel vollends aufzuklären. Sie befanden sich im Einflußbereich einer fremden Macht, und ihnen war in ihrer Lage nun jede Freiheit, gezielt zu handeln, aus den Händen genommen worden. Wohl oder übel mußten sie sich damit abfinden, daß nicht etwa sie über ihr eigenes Schicksal bestimmten, sondern jemand, den sie sicherlich irgendwann kennenlernen würden. Zumindest hofften sie das. Zuerst einmal überprüften die erfahrenen Astronauten ihre nächste Umgebung. John Koenig holte das Gerät für die Schnellanalyse der Lebensverhältnisse auf fremden Planeten
aus seinem Überlebenspack und nahm die entsprechenden Messungen vor. Er schaute anschließend seinen Chefpiloten verblüfft an. »Wir haben zwar nirgendwo eine Schleuse sehen können, und offensichtlich steht dieser Gang durch die stählerne Tür mit dem Raumvakuum in direkter Verbindung – trotzdem kann ich nur konstatieren, daß die Luft hier drin für uns atembar ist. Das gleiche gilt für die Temperatur – sie beträgt zweiundzwanzig Grad und wäre für uns durchaus angenehm. Also…« Alan Carter wartete nicht lange. »Jetzt oder nie, John. Wir müssen es versuchen. Wie lange wir hier gelegen haben, wissen wir nicht, können also auch nicht voraussagen, wie lange möglicherweise die Atemluft in unseren Anzügen noch reicht. Auf jeden Fall müssen wir sparen. Ich für meinen Teil hänge am Leben und bin für jede Garantie zum Überleben dankbar. Womit ich mich dann als Versuchskaninchen betätige und eine Lunge voll Stahlplanetenluft nehme…« Mit diesen Worten löste er den Verschluß an seinem Helmvisier und klappte es auf, bevor John irgendwelche Einwände vorbringen konnte. Gespannt beobachtete der Commander seinen Chefpiloten und wurde Zeuge, wie das Gesicht des Australiers sich genußvoll verzog. »Ich sag dir eins, John. Das ist einfach große Klasse.« Tief pumpte er die Luft in seine Lungen und atmete wieder aus. John Koenig ließ sich das nicht zweimal sagen und machte es Alan Carter nach. Der Australier hatte recht. Die Luft schmeckte geradezu rein und erfrischend. Auch die Temperatur war angenehm, und fast war John Koenig sogar versucht, die Kombination auszuziehen
und seinem Chefpiloten das gleiche zu gestatten. Doch dann ließ er von dieser Absicht ab. Vielleicht ergab sich irgendwann in den Höhlen des stählernen Planeten doch eine Gelegenheit, wo sie vielleicht froh waren, als letzten Schutz die Außenhaut ihrer Raumanzüge zu haben. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm noch etwas ein. Er schaute sich suchend um und schüttelte dann unbewußt den Kopf. Weder waren die Trümmer seines Lasergewehres irgendwo zu entdecken, noch lag in ihrer Nähe das Lasergewehr Alan Carters, das dieser bei seinem Zusammenbruch sicherlich aus der Hand hatte fallen lassen. »Hier scheint schon jemand recht gründlich aufgeräumt zu haben«, meinte John Koenig enttäuscht. »So wären wir dann den Gewalten schutzlos ausgeliefert«, fügte er betont theatralisch hinzu. Alan Carter zuckte die Achseln. »Wenn dieses Ding über Robotmonteure verfügt, dann wird es sicher auch irgendwo eine Kompanie Kampfroboter stehen haben. Dieses ganze Ungetüm ist meines Erachtens ja ausschließlich für kriegerische Zwecke gebaut worden. Und ich habe weiß Gott keine Lust, mich gegen Blechheinis zur Wehr zu setzen und schließlich doch den Kürzeren zu ziehen.« John Koenig fügte sich in das Unvermeidliche und stand auf. Er näherte sich der Wand und ließ eine Hand darüber gleiten. Auch hier verspürte er das Vibrieren, daß ihm schon beim ersten Betreten des Stahlplaneten aufgefallen war. »Und der Boden auch«, informierte Alan Carter ihn überflüssigerweise, der begriff, was den Commander so irritierte. »Vielleicht befindet sich dieses Ding schon auf dem Weg ins Paradies«, fügte er mit einem Anflug von Galgenhumor hinzu.
»Paradies ist gut«, sagte John. Er wischte sich über das Gesicht und dachte nach. »Bislang hat man noch keinen Kontakt mit uns aufgenommen, wenn wir davon absehen, daß Maya uns kurz vor ihrem Verschwinden aus der Zentrale etwas in der Stimme des fremden Wesens zugerufen hat. Angreifer kann ich auch nirgendwo sehen – also sind wir noch einmal davongekommen. Was liegt also näher, als wenn wir uns hier einmal umsehen und herausbekommen, was dieses Wunderwerk der Technik uns sonst noch zu bieten hat.« Alan Carter nickte beifällig und schlug seinem Commander väterlich auf die Schulter. »Du sprichst ein großes Wort gelassen aus, großer Meister. Was meinst du, worauf ich warte? Setz dich endlich in Bewegung, und auf geht’s in die Höhle des Löwen.« Er zeigte in den Gang, in dem die Montageroboter verschwunden waren. Das ließ sich John Koenig nicht zweimal sagen. Mit entschlossenen Schritten entfernten die Männer sich von dem Tor, durch das sie Eingang gefunden hatten in eine kleine, an sich überschaubare Welt, von der sie nicht wußten, ob sie ihnen feindlich gesonnen war oder nicht.
Wände, Decke und Boden waren fugenlos miteinander verbunden. Wieder drängte sich John Koenig der Vergleich mit einem aus einem riesigen Stahlblock herausgefrästen Modell auf. Nichts wies daraufhin, daß hier irgendwo vielleicht eine Schweißnaht gesetzt worden war oder auch nur eine Niete Teile zusammenhielt. Hier im Gang wie auch in den Kanälen auf der Oberfläche des Stahlplaneten fanden die Männer die chromblitzenden Erhebungen mit den rätselhaften Symbolen daneben. Da die Männer bereits Zeuge geworden waren, daß diese Punkte nur an Wegkreuzungen auftauchten, vermuteten sie
logischerweise hier die gleiche Funktion. Daher suchten sie im Bereich dieser Orientierungskontakte die Seitenwände nach irgendwelchen Hinweisen ab, ob sich hier oder dort eine Tür finden ließ. Doch sie hatten bei ihrer Suche nicht den geringsten Erfolg. Die Wände waren völlig glatt, und nirgendwo konnte man so etwas wie einen Schließmechanismus entdecken oder auch nur eine Fuge oder Ritze, wo die Tür in den Rahmen paßte. Hier gab es also kein Durchkommen, und sie mußten den Gang weiterverfolgen. Dabei fiel ihnen auf, daß er offensichtlich parallel zur Oberfläche des Planeten verlief, sich also nicht in die Tiefe senkte, wo die Männer das Herz des Stahlplaneten vermuteten. »Vielleicht ist dieses Ding nur ein programmierter Roboter«, vermutete Alan Carter laut. »Es wäre ja nicht das erste Mal, daß wir den Weg einer solchen maschinellen Tötungseinheit kreuzen.« »Und woher kam dann die Stimme?« wollte John Koenig wissen. »Ich tippe eher auf eine fliegende Festung mit einem oder mehreren Lenkern, die den Flug des Ungetüms beeinflussen und es nach ihrem Gutdünken steuern können.« Achselzuckend ging Alan Carter weiter. Singend hallten die Schritte der Gestrandeten von den Stahlwänden wieder. Aber es war ein Klang, der sich nicht veränderte. Auch unter dem Boden schien sich kompakter Stahl zu befinden, und nirgendwo führte ein Weg in die Tiefe. »He, John, komm mal her!« rief Alan Carter den Commander zu sich. Er stand vor einer Wand und betrachtete fasziniert einen bestimmten Punkt. John folgte dem Ruf seines Gefährten und trat neben ihn. Vor ihm, fugenlos in die Wand eingelassen, befand sich wieder einer dieser Chromkontakte, die sie ja schon mehrfach
in regelmäßigen Abständen auf dem Gangboden vorgefunden hatten. Aber was hatte das Ding hier an der Wand zu suchen? Waren die Roboter dieser unheimlichen Station vielleicht auch in der Lage, im wahrsten Sinne des Wortes die Wände hochzugehen? Das nun folgende Ereignis enthob John weiteren Vermutungen. Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde der Boden unter ihm nachgeben. Gleichzeitig versuchten die Männer sich durch einen verzweifelten Sprung in Sicherheit zu bringen, aber ihre Bemühungen waren vergeblich. Als wäre ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen worden, so sackten sie in rasender Fahrt nach unten. John Koenig streckte die Arme aus, spreizte sie und versuchte noch im letzten Moment, nach der oberen Kante des Schachtes zu greifen, in dem sie versanken wie in einem bodenlosen Nichts, doch haltlos glitten die Hände an den wie poliert wirkenden Stahlwänden ab. Sie sahen das helle Lichtquadrat über sich immer kleiner werden und tauchten hinab in eine schwarze Finsternis. So mußte man sich vorkommen, wenn man die Fahrt in die Hölle antritt, dachte John bei sich. Und ähnlich mußte sich auch ein Bergwerkarbeiter vorkommen, wenn er mit dem Förderkorb ins Innere der Erde sank. Die Öffnung wurde immer kleiner und verblaßte schließlich ganz. Erstaunlicherweise waren die Seitenwände des Schachtes, durch den sie stürzten, nicht erleuchtet. Sie hatten also keine Gelegenheit, ihre Sinkgeschwindigkeit abzuschätzen und sich danach zu orientieren, in welche Tiefe des Stahlplaneten sie nun vordrangen. Die Männer drängten sich gegeneinander und versuchten sich festzuhalten, so gut es ging. Innerlich bis zum Äußersten gespannt, warteten sie auf den wuchtigen Aufprall, mit dem sie
den Grund des Schachtes irgendwann einmal erreichen mußten. Doch der Aufprall blieb aus. Statt dessen spürten sie deutlich durch die Empfindung des erhöhten Körpergewichtes, wie die Plattform, auf der sie standen, die Fahrt verlangsamte und schließlich vollkommen zur Ruhe kam. Es dauerte einige Sekunden, dann begannen auch hier die Wände in einem warmen, aber intensiven Licht zu leuchten, und die Männer hatten Gelegenheit, sich umzuschauen und ihre neue Umgebung in Augenschein zu nehmen. Wieder befanden sie sich in einem Gang, der dem, durch den sie ganz zu Anfang gekommen waren, aufs Haar glich. In dem Licht mußte John Koenig auch erkennen, daß sie überhaupt nicht auf einer Plattform gestanden hatten. Unter ihren Füßen befand sich der gleiche fugenlose Gangboden wie oben. Aber auch hier entdeckten sie den Chromkontakt an der Wand. Offensichtlich handelte es sich also hier um eine Art Lift, der wahrscheinlich nur mit Gravitationsfeldern arbeitete und dadurch dem Beförderten den Eindruck von einem festen Boden unter den Füßen vermittelte. Langsam entfernten Alan Carter und der Commander sich von ihrem Landepunkt und drangen weiter in den Gang vor. Warum sie diese Richtung wählten, war ihnen überhaupt nicht bewußt, und sie fragten sich auch nicht, was in der anderen Richtung liegen mochte. Sie gingen einfach weiter und bemühten sich, soviel wie möglich von den Eindrücken zu verarbeiten, die auf sie einstürmten. Plötzlich öffnete sich der Gang zu einem weiten Saal. John Koenig fühlte sich an die unterirdischen Felsendome in den prähistorischen Höhlen seines Heimatplaneten Terra erinnert, als er gemeinsam mit Alan Carter diese Halle betrat. Nur herrschten hier gerade Linien und rechte Winkel vor. Auch diese Halle schien aus dem Stahlblock herausgefräst
worden zu sein, und auch hier gab es keine Vorsprünge oder sonstige Unebenheiten. Auch konnten die Gestrandeten nirgendwo mehr die Chromkontakte entdecken, an denen sich offensichtlich die Roboter orientierten. Ein Leuchten an der gegenüberliegenden Wand ließ die Männer zusammenzucken. Die Wand schien plötzlich von Leben erfüllt zu sein. Sie pulsierte in einem regelmäßigen Rhythmus, und bei jedem Pulsschlag wurde sie heller und heller. Wie gebannt starrten die Männer auf dieses Schauspiel. Das Licht war das gleiche, das sie auch schon aus der Zentrale ihrer heimatlichen Raumstation kannten. Es war sehr hell, aber nicht unangenehm. Ganz anders als die Lichtfülle am Eingang neben dem Turm der Laserkanone. Und dann wurde die Wand transparent. Konturen zeichneten sich dahinter ab, Konturen einer humanoiden Gestalt. Nach den Umrissen schloß John Koenig auf ein männliches Wesen, wenn bei dieser Rasse die Proportionen genauso verteilt waren wie bei den Terranern. Und daß dieses Wesen von einer anderen Welt abstammte, war John Koenig klar, ohne daß er lange darüber nachzudenken hatte. In Höhe des Kopfes der Gestalt wurde die Wand jetzt vollkommen durchscheinend. Gesichtszüge schälten sich aus den wallenden und pulsierenden Lichtvorhängen heraus, und ein Paar dunkler, aber irgendwie weise wirkender Augen musterte die Männer. Sie waren anfangs von diesem Anblick derart fasziniert, daß sie kein Wort über die Lippen brachten. Unverwandt wurden sie von den Augen fixiert. Und dann trat auch das Gesicht des Betrachters deutlicher hervor. Es war eine faszinierende Mischung von weiblichen und männlichen
Elementen, eine androgyne Kreatur, deren energisches Kinn jedoch einen stahlharten Willen verriet. John Koenig glaubte, Verwandtes in dem Gesicht erkennen zu können, glaubte Merkmale zu entdecken, die er von irgendwoher kannte, doch er konnte sie nicht genau einordnen. Er mußte sich selbst gegenüber zugeben, daß ihm dieses Gesicht doch vollkommen fremd war. Vielleicht lag sein Eindruck auch nur an den Lichtschleiern, die vor dem Gesicht auf und nieder wogten. John Koenig faßte sich als erster. »Wer bist du?« wollte er wissen. »Warum greifst du unseren Planeten an? Du hast uns in höchste Gefahr gebracht!« Die Wand verblaßte wieder. Das Gesicht verschwamm, drohte zu verschwinden. »So warte doch!« brüllte jetzt Alan Carter. »Man wird sich doch mit dir wohl anständig unterhalten können!« In dem nun kaum noch erkennbaren Gesicht verzog sich keine Miene. Schließlich ragte die Wand vor den beiden Alphanern wieder genau so unberührt und einförmig auf wie vorher. Dafür setzte sie sich aber nun in Bewegung. Ein schmaler Spalt tat sich auf, der sich rasch verbreiterte. Es war offensichtlich eine Tür mit zwei Hälften, die geräuschlos auseinanderwichen. Und in dieser Türöffnung tauchte nun die Gestalt auf, die sie durch die transparente Wand hatten erkennen können. Es war wirklich ein Mann mit weißen Haaren, die ihm bis auf die Schultern fielen. Er trug ein bodenlanges Gewand aus einem Stoff, der wie gewirktes Silber aussah. Der Mann hielt sich aufrecht und schritt gravitätisch auf die beiden Alphaner zu. Seine Miene verzog sich zu einem Lächeln, zumindest erschien es John Koenig und Alan Carter so.
Vielleicht war diese Miene auch in der Auffassung dieser fremden Rasse ein Ausdruck des Hasses. John Koenig verließ sich auf seinen Instinkt und gab sich Mühe, trotz der ziemlich ungünstigen Umstände für ihn und seinen Gefährten dieses Lächeln zu erwidern. Bei näherem Hinsehen erkannte John Koenig, daß auch das Gesicht des Fremden silbern schimmerte. Die Augen wirkten dagegen fast schwarz und tief wie Schächte, in denen ein fanatisches Feuer zu lodern schien. Der Fremde war ihnen nun bis auf wenige Schritte nahegekommen. Wie zum Gruß breitete er beide Arme aus und nickte beifällig. Dabei schwangen seine Silberhaare hin und her. »Es tut gut, euch zu sehen und zu erkennen, daß ihr meinem Ruf gefolgt seid. Ich, der Herrscher von Nummer Neun, begrüße herzlich meine Gäste Commander John Koenig sowie dessen Chefpiloten Alan Carter. Macht es euch bequem, Freunde, wir haben viel miteinander zu reden.« Verblüfft schauten sich die Alphaner an. Woher wußte dieser sonderbare Herrscher von Nummer Neun ihre Namen? Hatte er sie von Maya gehört? Befand sie sich dann etwa in der Nähe?
IX
Mit betont gemächlichen Schritten schlenderte Tony Verdeschi durch die Korridore der Mondbasis Alpha zum Wohnkomplex A, wo er seine Wohneinheit hatte. Er ließ sich nicht anmerken, welchen Plan er mit sich herumtrug, und nichts verriet die innere Anspannung, unter der er stand. Ja, er hatte sich entschlossen, seine Freundin auf eigene Faust zu suchen. Soweit er es beurteilen konnte, drohte der Station keine Gefahr aus dem All, denn er ging davon aus, daß John Koenig und Alan Carter sich in der Gewalt der fremden Macht befanden, der Macht, die sich in dem Ungetüm verbergen mußte, das John Koenig in seinem verzweifelten Funkruf als Stahlplanet bezeichnet hatte. Diese »Beute« mußte dem Fremdwesen vorerst genügen. Und genau dort hielt sich wahrscheinlich auch Maya auf, seine Maya, um die er seit ihrem Verschwinden mit jeder Faser seines Bewußtseins bangte. Er wagte gar nicht sich vorzustellen, daß sie vielleicht nicht mehr lebte. Zu schrecklich wäre der Gedanke, sie nicht mehr in seine Arme schließen zu können. Er bog nun in den Korridor ein, an dem seine Wohneinheit lag, und grüßte im Vorbeigehen zwei Techniker der Stationsleitung. Sie warfen ihm einige Scherzworte zu, die er entsprechend beantwortete. Die Leute ahnten nicht, welche Gefahr der Station drohte, und wenn Helena von einem Alarmzustand gesprochen hatte, dann betraf das wirklich nur den engsten Kreis der Abteilungschefs. Sie waren in jedem Falle gehalten, alles wie ein normales Routinemanöver wirken zu lassen und den Leuten nicht zu verraten, daß die
Vorbereitungen zur Evakuierung der Station im Grunde bitterer Ernst waren. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Panik unter den Alphanern eine Katastrophe. Man hatte die Zentrale hermetisch abgeriegelt, jedoch so, daß auch der Mißtrauischste nichts davon gewahr wurde, daß man um das Leben von drei Mitgliedern der Station bangte. Auch das anfängliche Manöver mit dem Energienetz war so durchgeführt worden, daß niemand Ahnung davon hatte, was sich im Raum abspielte. Tony Verdeschi nickte unbewußt. Ja, seine Entscheidung war schon richtig, zumindest redete er sich das ein. Daß er bei seinem Vorhaben unter Umständen die gesamte Mondbasis gefährden könnte, kam ihm dabei nicht in den Sinn. Ansonsten ein hervorragender Sicherheitschef, ging in Streßsituationen nicht selten sein italienisches Temperament mit ihm durch und verleitete ihn zu Handlungen, deren Tragweite er zuerst nicht ganz überblicken konnte. Vor seiner Wohneinheit angelangt, hakte er das Commlock von seinem Gürtel los und öffnete die Tür seiner Wohnzelle. Ein schillerndes Kleid hing über einer Stuhllehne. Es gehörte Maya und erweckte den Eindruck, als wäre sie gerade erst ebenfalls in die Wohneinheit gekommen und als nähme sie im Augenblick ein Bad. Unwillkürlich hielt Tony Verdeschi den Atem an, um zu lauschen, ob er in der Naßzelle nicht das Wasser rauschen hörte, doch er sah sich in seinen wahnwitzigen Hoffnungen bitter getäuscht. Vor der Besprechung mit Helena und Sandra Benes in der Zentrale vorhin, war er mehrere Stunden lang durch die Station geirrt und hatte nach seiner Freundin gesucht. Dabei hatte er sich eingeredet, sie wäre gar nicht aus der Station verschwunden, sondern würde sich irgendwo aufhalten, wo
niemand sie vermutete. Doch auch diese mühselige Suche hatte sich als überflüssig und vergeblich herausgestellt. Tony Verdeschi nahm das Kleid und legte es säuberlich zusammen. Dieser Vorgang hatte etwas Endgültiges für ihn. Es war wie ein Abschied von einer Zeit, in der er wunschlos glücklich gewesen war. Eine innere Stimme schien ihm zuzuraunen, daß diese Zeit für immer vorbei war. Denn eines war dem Sicherheitschef klar – kam er nicht mit seiner Maya zurück, dann würde er nie mehr in die Station zurückkehren. Nur der Erfolg seiner Suche nach der Psychonierin würde im Nachhinein sein eigenmächtiges Handeln wenigstens zum Teil rechtfertigen. Er ließ sich an seiner Schreibkonsole nieder und schraubte den archaischen Füllfederhalter auf, von dem er sich trotz der perfekten Technik, die in der Station alltäglich war, nie hatte trennen können. Der Sicherheitschef war kein großer Schriftsteller, auch empfand er das Schreiben von Briefen als eine Qual, doch nun glaubte er, seinen Gefährten eine Information über sein Handeln und Motive schuldig zu sein. Er holte ein Blatt Papier aus der Konsole und begann mit steilen und gestochen scharfen Buchstaben zu schreiben. Er erklärte, daß er nicht anders handeln könne, und daß er alle um Verzeihung bäte, die ihr Vertrauen in ihn gesetzt hatten. Dann faltete er das Blatt zusammen und legte es offen auf den Tisch, den er vorher leergeräumt hatte. Dann ordnete er seine Habseligkeiten, nahm seinen Stunner und seine leichte Laserpistole und zog sich seinen Dienstanzug an. Dann verließ er seine Wohneinheit. Er trat hinaus auf den Gang, wandte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick in seine Bleibe, seit der Mond aus der Umlaufbahn der Erde herausgesprengt worden war. Sein wehmütiger Blick wanderte durch den Raum, dann riß Tony Verdeschi sich mit Gewalt von seiner Vergangenheit los und machte sich auf den
Weg zu den Hangars. Die Tür seiner Wohnzelle ließ er dabei offen. Sicherlich würde man sein Verschwinden sofort bemerken, und er wollte den Alphanern keine unnötigen Rätsel aufgeben. Bestimmt würde man sofort in seiner Wohnzelle nachschauen und dann seinen Brief finden, der alles erklärte. Tony Verdeschi entschloß sich, den Weg zu den Hangars zu Fuß zurückzulegen. Auf diese Weise erweckte er am ehesten den Eindruck, als würde er einen routinemäßigen Rundgang durch die Station machen. Die Technikerinnen und Techniker, die ihm auf seinem Weg begegneten, schöpften so auch keinen Verdacht, wenn er sich angelegentlich von der einwandfreien Funktion der Monitorkameras überzeugte, die in regelmäßigen Abständen in den Korridoren angebracht waren. Dabei kam der Sicherheitschef den Hangars mit der Eagle-Flotte immer näher. Schließlich trat er in die Halle, von der aus die riesigen Schiebetüren sich zu den Montagehallen und den Wartungsdocks der Raumschiffe öffneten. Der Italiener betätigte sein Commlock, und eine der Türen glitt geräuschlos auf. In der Halle herrschte Ruhe. Nur in der Kabine, in der der wachhabende Techniker seinen Dienst tat, brannte Licht. Tony Verdeschi schritt leise durch die Halle und näherte sich der Wachkabine. Er mußte erst diesen Wachmann ausschalten, sonst wäre eine Flucht mit dem Eagle überhaupt nicht möglich. Er brauchte etwa zehn Minuten, um einen Eagle startklar zu machen, sich die Kombination anzuziehen und den Hangarlift zu betätigen, der den Eagle auf das Start- und Landefeld hob. Tony Verdeschi ging ganz offen auf die Kabine zu und nahm es ruhig in Kauf, daß der Wachtposten ihn entdeckte. Da die Halle völlig abgedunkelt war, erkannte der Wachmann ihn nicht sofort und stellte die vorschriftsmäßigen Fragen.
»Halt! Wer da? Geben Sie sich zu erkennen!« Der Wachtposten hatte die Kabine verlassen und seine große Taschenlampe mitgenommen. Mit dieser leuchtete er Tony Verdeschi ins Gesicht und ließ gleich darauf den Lichtkegel sinken. »Entschuldigen Sie, Mr. Verdeschi, ich habe Sie bei dem schlechten Licht nicht erkennen können.« Tony Verdeschi winkte freundlich ab. »Ist ja gut, Mann. Freut mich, daß Sie so gut auf dem Posten sind. Gibt es irgendwelche besonderen Vorkommnisse zu melden?« fragte er dann. Der Wachtposten schüttelte den Kopf. Er entspannte sich sichtlich und drehte sich um, um wieder in seine Kabine zurückzukehren. Diese Gelegenheit benutzte Tony Verdeschi zum Handeln. Eigentlich widerstrebte es ihm, einen Mann von hinten anzugreifen, und er hatte auch ein schlechtes Gewissen, als er diesen harmlosen Posten so schnöde hinterging, doch er sah keine andere Möglichkeit. Zwar war er der Chef des Sicherheitsdienstes der Mondbasis Alpha, doch hörte sein Kompetenzbereich an den Toren zu den Eagle-Hangars auf. Hier hatte er nichts zu sagen und mußte sich gegebenenfalls den Anweisungen von Alan Carter, dem Chefpiloten, oder Manuel Perez, dem Chef des Eagle-Wartungsdienstes beugen. Doch die Zustimmung des Letzteren einzuholen, dazu hatte er keine Zeit. Darüber hinaus hatte er seine Zweifel, ob man ihm problemlos ein Raumschiff für eine Mission zur Verfügung stellen würde, die man durchaus als wahnwitzig bezeichnen konnte. Tony Verdeschi holte den Stunner aus seiner Kombination. Er hatte ihn schon vorher auf schwächste Strahlstärke eingestellt. Mit ruhiger Hand legte er auf den Wachtposten an und drückte auf den Auslöser. Mit einem ächzenden Laut
kippte der Wachmann nach vorn und sackte auf den Boden. Er rollte auf den Rücken, und in seinem Gesicht zeichnete sich eine grenzenlose Verwunderung ab. Daß der Sicherheitschef ein Saboteur sein sollte, war für ihn eine schockierende Erkenntnis. Sobald er wieder wach war, würde er darüber sicherlich seine Meldung machen, und Tony Verdeschi konnte sich ausmalen, was daraufhin in der Station los wäre. Er bückte sich und packte den Wachtposten unter den Armen. Er schleifte ihn vollends in seine Wachkabine und bettete als letzten Liebesdienst ein Sitzpolster unter dessen Kopf. Wenn er den Mann schon ins Reich der Träume hatte schicken müssen, dann sollte er wenigstens bequem liegen. Anschließend huschte Toni Verdeschi wieder in die Montagehalle zurück und orientierte sich. Die Eagles in den Wartungsdocks konnte er außer acht lassen. Sie nützten ihm nichts. Er brauchte ein voll funktionsfähiges Schiff, um seinen Plan, die Suche nach Maya eigenhändig aufzunehmen, effektvoll in die Tat umzusetzen. Er durchquerte den weiten Hangar und blieb vor einem Eagle stehen, den man bereits auf den Transportlift gefahren hatte. Also wurden auch hier schon die ersten Vorbereitungen für die möglicherweise bevorstehende Evakuierung der Station getroffen. Es war Eagle dreizehn. Tony Verdeschi mußte unwillkürlich lachen. Zum Glück war er nicht abergläubisch und schrieb der Zahl Dreizehn keine unheilvolle Bedeutung zu. Mit etwas Glück und Spucke würde er das Ding schon irgendwie an die Mondoberfläche bringen können, dachte er. Er kletterte in das Schiff und begab sich sofort in den Raum, in dem die Schutzanzüge hingen. Dort streifte er sich einen über und verließ das Schiff wieder. Nun mußte er den
Rampenlift betätigen. Da ihm niemand dabei half, mußte er sich beeilen. Er hatte mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Den Lift einschalten und sofort auf die sich hebende Rampe zurennen, sich daraufschwingen und, während sie zur Mondoberfläche durchstieß, in den Eagle klettern. Mit den Augen maß Tony Verdeschi die Entfernung zwischen der Bedienungskanzel des Lifts und der Rampe ab. Er war sportlich durchtrainiert und müßte den notwendigen Sprint eigentlich in der vorgegebenen Zeit schaffen können. Schwerfällig ging er zu der Bedienungskanzel hinüber und suchte nach dem Einschalthebel der Rampe, auf der Eagle dreizehn stand. Gleichzeitig mit dem Umlegen des Hebels wurden die Hangartüren hermetisch versiegelt, da die Rampe nicht durch eine eigens installierte Druckschleuse lief. Der Druckausgleich zwischen Hangar und Außenraum fand während der Liftfahrt automatisch statt. Normalerweise mußten nämlich auch die für den Start der Raumschiffe verantwortlichen Mannschaften während des Start- und Landebetriebes spezielle Raumkombinationen tragen, weil die Hangars durch die Liftschächte direkt mit dem Vakuum des Weltraumes verbunden waren. Tony Verdeschi klappte das Visier seines Raumhelmes herab und schaltete auf die Innenversorgung des Anzuges um. Zwei tiefe Atemzüge noch, dann legte er entschlossen eine Hand auf den Lifthebel. Er zählte leise mit. »Fünf… vier… drei… zwei… eins…« Bei Null legte er den Hebel um und sprintete los. Die Rampe hatte sich bereits geräuschlos in Bewegung gesetzt. Sie hob sich schon vom Boden ab, und Tony Verdeschi gelang es gerade noch, ihre Kante mit den Händen zu erreichen. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung schwang er sich vollends hinauf und eilte gleich zur
Einstiegsleiter des Eagle. Mit wenigen Schritten hatte er sie überwunden, holte die Leiter herein und knallte das Außenschott zu. Keine Sekunde zu früh, denn er konnte draußen hören, wie die Luft aus dem Hangar mit einem schrillen Pfeifen durch den entstehenden Spalt der Abdeckplatte des Lifts ins Vakuum des Raumes entwich. Er verließ die Schleuse und ließ sich in der Pilotenkanzel auf den Sitz des Piloten fallen. Mit geübten Griffen schaltete er die Antriebsaggregate ein und sprengte gleichzeitig die Haltebolzen weg, die den Eagle für den Fall eines Mondbebens auf der Rampe fixierten. Kaum spürte er den Ruck, der ihm verkündete, daß die Startund Landerampe ihre Ausgangsposition erreicht hatte, da schob er den Antriebshebel nach vorn. Wie eine Hexe auf ihrem Besen, so hob sich der Eagle auf einer Feuersäule reitend in die Leere des Raumes. »Verdammt – was soll das? Was ist da los?« drang eine aufgeregte Stimme aus dem Lautsprecher der Bordfunkanlage. Die Stimme gehörte unverkennbar Bill Fraser, dem Stellvertretenden Chefpiloten der Mondbasis Alpha. »Basis ruft Eagle… Basis ruft Eagle… Melden Sie sich! Sofort!« Tony Verdeschi grinste vor sich hin. Den Gefallen würde er ihnen nicht tun. Noch brauchte niemand zu wissen, wer sich das Raumschiff unter den Nagel gerissen hatte. Zu leicht hätte man ihn einholen und zur Rückkehr zwingen können. Und einer Verfolgermannschaft wollte er auf jeden Fall entgehen. Er hatte keine Lust, mit seinen eigenen Leuten Katze und Maus zu spielen. Also schwieg er und achtete nicht weiter auf die drängende Stimme Bill Frasers, der immer noch sein Glück versuchte, mit dem Geisterschiff Verbindung aufzunehmen.
Der Eagle hatte jetzt eine Höhe von etwa zweieinhalb Kilometern über Grund erreicht. Tony Verdeschi warf noch einen letzten Blick auf den Monitor, der ihm eine Totalansicht der Mondstation Alpha lieferte, dann schob er den Hebel für den Vorwärtsantrieb auf volle Kraft. Mit einem mächtigen Satz schoß Eagle dreizehn nach vorne und setzte elegant wie ein hochgezüchtetes Rassepferd über die Erdwälle hinweg, die die Station wie eine natürliche Mauer umgaben. Die Frage, ob er diesen Weg noch einmal in anderer Richtung nehmen würde, verdrängte der Italiener. Er konzentrierte sich nur auf das Kommende. Trotzdem mußte er schlucken, als ihm bewußt wurde, daß er nun ganz auf sich allein gestellt war. Egal was ihm passierte – Hilfe hatte er von keiner Seite zu erwarten. Er war ein Saboteur und Deserteur… Wütend hieb Bill Fraser auf die Funktaste. »Verfluchter Mist«, schimpfte er. »Welcher Idiot sitzt denn in dem Blecheimer? Gerade jetzt, wo wir jeden Mann brauchen und vor allem keinen Eagle entbehren können! Hast du identifizieren können, Sandra, welcher Eagle da unterwegs ist?« »Eagle dreizehn«, meldete Sandra Benes von den Konsolen. Ihre Stimme klang ruhig, und sie ließ sich durch die Nervosität des Piloten nicht anstecken. »Und der Pilot?« wollte Bill Fraser wissen. »Nicht identifiziert«, antwortete die Frau. »Er hat seine Monitoranlage gesperrt, und ich kann sie von hier aus nicht aktivieren. Wenn er sich nicht selbst meldet, dann erfahren wir nie, wer sich das Schiff aus dem Hangar geholt hat.« Bill Fraser dachte nach. Dann stand er von seinem Kontursitz auf und meinte: »Benachrichtige Doktor Russell. Vielleicht ist das ein Fall für sie. Für Lebensmüde ist sie doch wohl auch
zuständig, oder nicht? Und dann hol schnellstens Tony her. Immerhin ist er ja Sicherheitschef der Station. Wir müssen sofort eine Überprüfung des Personals durchführen, um herauszubekommen, wer da Amok läuft.« Sandra Benes nickte und griff nach dem Mikrofon, mit dem man sich von der Zentrale aus in der gesamten Basis Gehör verschaffen konnte. »Mister Verdeschi und Doktor Russell bitte sofort in die Zentrale… Mister Verdeschi und Doktor Russell sofort in die Zentrale!« Vielstimmig hallte diese Aufforderung durch die Gänge. Helena Russell war noch wach gewesen, und sie erhob sich sofort von ihrem Lager und machte sich auf den Weg zum Schaltzentrum der Mondbasis. Hatte man vielleicht eine Nachricht von John Koenig und Alan Carter aufgeschnappt? Immer wieder hatte sie sich in ihrer Wohneinheit das Monitorband des letzten Funkspruchs angehört. Deutlich war in der Stimme des Commander das Entsetzen zu spüren gewesen, das er beim Anblick dieses Stahlplaneten empfunden haben mußte. Helena Russell betete inständig darum, daß ihm und seinem Gefährten nichts zugestoßen war und er bald wieder auf der Basis auftauchen würde. Sie rannte durch die Gänge und ließ sich in einer Kapsel durch das Transportröhrensystem der Station zur Zentrale tragen. Als sie den Raum betrat, waren dort nur Bill Fraser und Sandra Benes anwesend. »Wo ist Tony?« wollte die Chefärztin wissen. »Der hat sich noch nicht gemeldet. Er muß aber jeden Augenblick eintreffen«, meinte Bill Fraser, und dann erklärte er Helena Russell, warum er sie gerufen hatte. »Irgendein Verrückter hat sich mit Eagle dreizehn aus dem Staub gemacht. Auf unsere Aufforderung hin wollte er sich
nicht zu erkennen geben. Ich dachte, daß Sie, Doktor Russell, vielleicht eine Ahnung haben, wer von ihren Patienten zu einer solchen Kurzschlußhandlung fähig ist.« Helena runzelte die Stirn. »Ich weiß zwar, daß die lange Zeit des Eingepferchtseins in diesen Komplex bei vielen zu Fehlreaktionen und sonstigen Absonderlichkeiten des Verhaltens führt, doch wüßte ich im Moment niemanden, der zu einer solchen Wahnsinnstat fähig ist. Aber wo bleibt Tony denn nur?« Und als sie diese Frage stellte, kam ihr ein schrecklicher Verdacht. Vielleicht brauchte sie bei ihrer Suche nach einem seelisch Zusammengebrochenen gar nicht so weit zu gehen. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie zu Bill Fraser und eilte wieder hinaus. Sie rannte durch die leeren Korridore der Station und gelangte in Wohnkomplex A. Tony Verdeschis Wohneinheit fand sie sofort. Die offene Tür war ja nicht zu übersehen. Und beim Eintreten wurde ihr Blick gleich von dem gefalteten Bogen Papier auf dem kleinen Tisch in der Wohnkabine angezogen. Ihr war klar, daß dieses Blatt Papier mit Absicht so deponiert worden war, daß es sofort gefunden wurde. Mit bebenden Fingern griff sie danach und faltete es auseinander. Sie brauchte nur die ersten Sätze zu lesen, dann wußte sie, wer sich in dem entführten Raumschiff befand – Tony Verdeschi, Sicherheitschef der Mondbasis Alpha. Doktor Russell konnte es kaum fassen. Sie mußte sich erst einmal hinsetzen. Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht damit. Nie hätte sie dem Italiener zugetraut, daß er seinen verantwortungsvollen Posten im Stich ließ, um sich auf eine Mission mit ungewissem Ausgang zu begeben, ohne seine Gefährten davon zu informieren.
Aber sie durfte hier nicht sitzenbleiben. Vielleicht gab es noch etwas zu retten. Unter Umständen hatte er seine Funkanlage im Eagle auf Empfang geschaltet, und es gelang ihr, ihm ins Gewissen zu reden und ihn zur Umkehr zu bewegen. Daß er Maya abgöttisch liebte, wußte sie ebenso wie alle anderen der Station. Und sicher würde man für sein Verhalten auch Verständnis finden. Daß er die Station jedoch im Augenblick höchster Gefahr derart im Stich ließ, war nicht zu verzeihen. Sie betrat wenig später die Zentrale. Ihr Gesicht sagte alles. Zumindest zog Bill Fraser direkt die richtigen Schlüsse. »Sie haben ihn nicht gefunden, Doktor, nicht wahr? Wollen Sie damit andeuten, daß er… in dem Eagle… Nein, das kann ich nicht glauben!« »Lesen Sie selbst, Bill.« Helena Russell reichte dem Piloten den Brief. Er überflog die Zeilen und schüttelte dann fassungslos den Kopf. »Tony, was hast du uns angetan! Wegen einer Frau setzt du das Überleben der gesamten Station aufs Spiel…« Schwer ließ sich der Pilot in den Kontursitz vor den Kontrollmonitoren fallen. Helena hatte sich währenddessen hinter die Funkanlage gehockt und versuchte verzweifelt, den Sicherheitschef in seinem Raumschiff zu erreichen. »Tony, wir wissen, daß du mit Eagle dreizehn unterwegs bist. Melde dich bitte! Mach keine Dummheiten! Vergiß nicht das Schicksal der Station. Du bist hier der Stellvertretende Kommandant! Laß deine Leute nicht im Stich! Tony, bitte kommen!« Aus den Lautsprechern erklang nur ein leises Rauschen, aber nicht die Stimme des Italieners. Er meldete sich nicht. Helena Russell versuchte ihr Glück noch ein zweites Mal, doch wieder ohne Erfolg.
Dann wandte sie sich um. »Was sollen wir jetzt tun?« fragte sie ratlos in die Runde. Bill Fraser zuckte die Achseln. »Was schon… So weitermachen wie bisher. Wir tun so, als wäre Tony nur zu einem Routineflug unterwegs. Niemand darf den wahren Grund seines Aufbruchs erfahren. Die Wahrheit können wir unseren Leuten ja immer noch dann unterbreiten, wenn sie sicher in den noch vorhandenen Eagles sitzen und wir ihnen Farbe bekennen müssen, nämlich daß sie der Basis für immer Lebewohl sagen müssen. Das halte ich für die beste Lösung.« Helena Russell und Sandra Benes nickten. Etwas anderes fiel auch ihnen nicht ein. Helena Russell erhob sich wieder und ging mit müden Schritten zum Ausgang. So gut sie Tony und seine Handlungsweise begreifen konnte, so sehr traf sie aber auch die Enttäuschung. Sie hatte das untrügliche Gefühl, daß die gesamte Station allmählich auseinanderbrach. Für sie war es wirklich nur noch eine Frage von Tagen, bis hier das Chaos ausbrach und jeder jedem an die Gurgel sprang…
X
John Koenig und Alan Carter standen wie erstarrt. Sie trauten ihren Ohren kaum. Hatte der Fremde da gerade wirklich ihre Namen genannt? Und was mindestens ebenso erstaunlich war – er beherrschte ihre Sprache offensichtlich so, als wäre er mit ihr großgeworden. Noch nicht einmal ein fremdartiger Akzent schwang in den Sätzen mit, die der Fremde, der sich Herrscher von Nummer Neun nannte, von sich gegeben hatte. Mit Nummer Neun konnte dieses rätselhafte Wesen wahrscheinlich nur den Stahlplaneten meinen. Aber warum Nummer Neun? Wo befanden sich dann die Nummern Eins bis Acht? Und vielleicht gab es auch noch mehr als neun von diesen Ungetümen? Zögernd setzten John Koenig und der Australier sich wieder in Bewegung und kamen auf den Fremden zu. »Mein Name ist für euch wahrscheinlich unaussprechlich«, sagte der Fremde jetzt mit seiner wohltönenden Stimme. Sie klang wie eine faszinierende Mischung von Tenor und Alt. »Deshalb nennt mich einfach nach meinem Wächter – Nummer Neun.« John Koenig wurde das Gefühl nicht los, in dem Fremden bekannte Züge wiederzuentdecken. Auch die Stimme klang ihm irgendwie vertraut. Fast erschien es ihm, als wären hier zwei völlig verschiedene Personen zu einer verschmolzen. »Wie wir heißen, weißt du schon, Nummer Neun«, sagte er nun. Er hatte beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Zuerst einmal – wo ist unsere Gefährtin? Denn uns ist klar, daß nur du sie aus unsere Zentrale entführt haben
kannst. Außer dir hält sich sonst niemand in der Nähe unserer Welt auf.« »Sie ist doch gar nicht eure Welt«, widersprach Nummer Neun und machte keine Anstalten, auf John Koenigs Frage einzugehen. »Soweit ich weiß, seit ihr gegen euren Willen auf diese Welt gefesselt, die ihr Mond nennt. Sie muß früher mal ein Trabant eures eigentlichen Heimatplaneten gewesen sein.« Alan Carter war verblüfft, um nicht zu sagen, völlig erschlagen. »Woher weißt du das alles, Nummer Neun?« fragte er entgeistert. »Kannst du etwa Gedanken lesen?« »So könnte man es nennen.« Der Fremde lächelte überheblich. Doch in seinen Augen lag so etwas wie Leid, Trauer, Niedergeschlagenheit. Seine Gesichtshaut, die bei seinen ersten Worten der Begrüßung noch hell geschimmert hatte, wurde zusehends stumpfer und glanzlos. Und als er sich jetzt umwandte, wirkte seine Gestalt gebeugt, so als trüge er eine schwere Last auf seinen Schultern. Mit müden Schritten ging er voraus und bedeutete den Männern, ihm zu folgen. Er steuerte auf einen thronähnlichen Sitz an der Stirnseite der Halle zu. Bei ihrem Weg durch den Saal hatten John Koenig und Alan Carter Zeit und Gelegenheit, sich umzusehen. Beherrscht wurde die Halle von einem podestähnlichen Aufbau, auf dem der Stuhl stand, den der Fremde ansteuerte. Rechts und links befanden sich Wände, die scheinbar aus Glas gefertigt waren. Doch dieses Glas war blind. Man konnte dahinter nichts erkennen außer dunklen Schatten, die eine längliche Form hatten und an Statuen erinnerten, wie man sie in ägyptischen Pharaonengräbern finden konnte. Neben dem Thron oder Sitz des Fremden standen noch andere, ähnlich konstruierte Sitzmöbel. Sie alle schimmerten
bläulich und waren offenbar aus demselben Material hergestellt wie der ganze Planet – nämlich aus Stahl. Vor dem Podest ragten etwa in Hüfthöhe bizarr geformte Gebilde auf, die sich bei näherem Hinsehen als Monitorbänke entpuppten. Die Stirnseite der Halle hinter den thronähnlichen Sitzen wurde von einem riesigen Computer eingenommen. Fächerförmige Gebilde ragten aus der Computerwand heraus und waren so angeordnet, daß jeweils eines der Gebilde wie ein sonderbar geformter Baldachin über je einem der Sitze schwebte. John Koenig und Alan Carter wurden aus der Anordnung dieser Geräte nicht schlau und wollten dem Fremden eine diesbezügliche Frage stellen, als dieser seinen Platz erreicht hatte und sich schwerfällig auf die Sitzfläche fallen ließ. Der Commander und sein Chefpilot staunten nicht schlecht, als plötzlich die Haut des Fremden wieder in ihrem alten Glanz erstrahlte. Auch brannte in den dunklen Augen wieder dieses fanatische Feuer, das ihnen bei ihrer ersten Begegnung mit dem Humanoiden aufgefallen war. »Erfrischungen kann ich euch nicht anbieten«, setzte der Fremde wieder an. »Ich glaube, bei euch auf der Erde ist das so üblich, wenn man Gäste empfängt. Aber ihr könnt es euch bequem machen.« Wie aus dem Nichts hingezaubert standen plötzlich zwei Kontursessel vor den beiden Männern, die denen in ihren Eagles aufs Haar glichen. Verblüfft nahmen John Koenig und Alan Carter Platz und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Einige Sekunden schwiegen sie, dann wollte John Koenig erneut nach dem Schicksal der Psychonierin fragen, doch eine herrische Geste des Fremden hieß ihn zu schweigen. »Jetzt rede ich erst einmal. Mein Freund hier – «, er wies mit einer Hand auf die Wand hinter sich –, »hat euch schon lange
beobachtet. Wir kennen genau euren Weg, und wissen, daß ihr gefährlich seid. Gemeinsam ist euch Menschen ein überaus stark entwickelter Aggressionstrieb, den ihr immer und immer wieder befriedigen müßt. Ihr stellt dadurch für die friedlichen Rassen der Galaxis eine stete Gefahr dar, deshalb muß man euch ausrotten.« John Koenig hatte kaum Zeit, das Gehörte zu verdauen. Er hatte das Gefühl, in einen Alptraum geraten zu sein. »Beweis für euren unseligen Trieb ist dies hier.« Der Fremde hielt das Lasergewehr hoch, das Alan Carter am Eingang in den Stahlplaneten verloren hatte. »Diese Waffe«, fuhr der Fremde fort, »hättet ihr ohne Bedenken zur Vernichtung eingesetzt, wenn euch das nötig erschienen wäre. Ich kenne die Geschicke eures Planeten zu genau, als daß ihr mir etwas vorlügen könnt. Immer wieder haben Kriege eure Welt erschüttert, und noch nicht einmal jetzt ist der Friede bei euch eingekehrt.« Alan Carter sprang erregt auf. »Was weißt du von unserer Welt? Hast du Kontakt mit der Erde? Kannst du Signale von ihr empfangen?« Der Fremde nickte mit einem süffisanten Lächeln. »Aber sicher doch. Nichts fällt mir leichter als das.« Er drückte auf einen Knopf in der Lehne seines Stuhls, und mitten im Saal begann die Luft zu flimmern. Gestalten schälten sich heraus, Konturen, Formen, die den Männern aus der Mondbasis Alpha bekannt erschienen. Und dann verfestigte sich das Hologramm, es wurde immer plastischer und lebensechter. Soldaten in grauen Uniformen marschierten plötzlich durch den Saal. Geschützlärm donnerte, Detonationen zuckten auf. Wie gebannt starrten der Commander und Alan Carter auf dieses Schauspiel, das aussah wie eine Schlacht unter Spielzeugsoldaten.
»Woher hast du diese Bilder«, wollte John Koenig wissen. »Sie stammen nicht aus unserer Zeit.« »Nicht aus eurer Zeit?« Der Fremde lachte spöttisch auf. »Ich habe diese Bilder von eurer Erde, und sie zeigen genau die Verhältnisse, wie sie jetzt bei euch herrschen.« John Koenig schüttelte den Kopf. »Nein. An den Uniformen der Soldaten kann ich erkennen, daß diese Schlacht, die du uns vorführst, lange vor unserer Zeit stattgefunden hat. Du mußt uns glauben. Aber kannst du uns keine anderen Bilder liefern, Bilder aus einer neueren Epoche, vielleicht sogar aus unserer Gegenwart? Bilder, die die jetzigen Verhältnisse zeigen?« Der Fremde schien verwirrt zu sein, doch er faßte sich gleich wieder. »Gut, gut, kann sein, daß mein Freund sich geirrt hat. Tausend Jahre sind schließlich eine lange Zeit. Auf jeden Fall tritt der Grundtrieb eurer Rasse jederzeit deutlich zutage, ob jetzt oder auch in früheren Epochen. Deshalb ist euer Schicksal so gut wie besiegelt. Erklärungen brauche ich euch keine abzugeben.« John Koenig war wie vom Donner gerührt. Hatte er da einen Wahnsinnigen vor sich? Vielleicht wenn man sich Mühe gab, ruhig zu bleiben, könnte es ihm gelingen, noch weitere Informationen zu bekommen, woher der Stahlplanet stammte und wie er gerade in der Nähe des Mondes hatte auftauchen können. Auch interessierte ihn, etwas über die offensichtlich hochentwickelte Technologie dieser fliegenden Festung zu erfahren. »Können wir nicht friedlich miteinander verhandeln? Wenn unser Schicksal besiegelt ist, dann frage ich mich, warum du uns nicht gleich bei der ersten Annäherung vernichtet hast. Und ich frage mich darüber hinaus, warum du nicht auch
gleich unsere gesamte Welt mitsamt unserer Station zu Staub zerblasen hast.« Diese Frage schien dem Fremden Unbehagen zu bereiten. Er wand sich, als sträubte er sich dagegen, die Frage zu beantworten. »Du scheinst über einen klaren, unbestechlichen Geist zu verfügen, John Koenig. Deine Frage ist durchaus berechtigt. Was eure Gefährtin angeht, so kann ich euch über ihr Schicksal keine Informationen geben. Wenn sie aus eurer Mitte verschwunden ist, dann habt ihr wahrscheinlich nicht gut genug auf sie aufgepaßt. Und was die Zerstörung eures Planeten angeht – so schenke ich euch noch eine Gnadenfrist. Ihr verfügt nämlich über etwas, das ich ganz dringend für das Überleben meiner Station brauche.« John Koenig schaute Alan Carter verblüfft an. Der Chefpilot zuckte die Achseln. »Hören wir uns an, was er zu sagen hat. Viel können wir in unserer Lage ja sowieso nicht unternehmen. Im Augenblick sind wir diesem Wahnsinnigen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.« »Auch ihr werdet noch begreifen, daß ich kein Wahnsinniger bin! Doch erst will ich euch noch einen Beweis für das unselige Treiben der Menschen liefern. Einer der euren ist nämlich hierher unterwegs. Ich kann deutlich seine aggressiven Gedanken spüren. Er wird euch vorführen, zu welchen Leistungen der Mensch in der Lage ist, wenn er haßt und ein Ventil für seine aufgestaute Wut sucht.« Die Monitorbänke flackerten auf und zeigten die Schwärze des Alls mit dem Mond, der wie eine Scheibe davorhing. Gestochen scharf konnten die beiden Gefangenen die Unebenheiten des Mondbodens ausmachen und die Strukturen, die durch die Krater und Gebirgsketten auf dem entfesselten Erdtrabanten gebildet wurden.
Und deutlich erkennbar vor diesem bizarr schönen Bild schwebte ein Raumschiff, ein Eagle. Er flog in einer Zickzacklinie über die Mondoberfläche, als würde der Pilot dieses Schiffes etwas suchen. Dann wendete der Eagle seine Nase und richtete sie auf den Raum aus. Die Antriebsdüsen flammten auf, und der Eagle näherte sich dem Stahlplaneten, der für ihn genauso unsichtbar sein mußte wie für John Koenig und Alan Carter vorher, bevor der Schutzschirm aufriß und der Stahlplanet sich ihren entsetzten Blicken darbot.
Befriedigt rieb Tony Verdeschi sich die Hände. Er hatte es tatsächlich geschafft, ohne daß ihm jemand gefolgt war oder Anstalten machte, ihn aufzuhalten. Er programmierte die vom Computer der Basis errechnete Position von Eagle eins kurz vor dem Verschwinden in die Automatik seines Eagle ein und ließ ihn gleichzeitig ein Suchmuster über den Mond fliegen. Auf diese Weise näherte er sich der Atommülldeponie. Das Suchmuster erschien ihm deshalb als sinnvoll, weil Eagle eins durchaus auch abgestürzt sein konnte. Auch wenn John Koenig von einem Stahlplaneten gesprochen hatte, auf den er offensichtlich zugerast war, hieß das noch lange nicht, daß der Commander und sein Chefpilot sich auch dort befanden. Tony Verdeschi wollte nichts unversucht lassen, etwas über das Schicksal seiner Gefährten und vor allem seiner Freundin Maya in Erfahrung zu bringen. Seine Suche auf der Mondoberfläche blieb erfolglos. Deutlich konnte er bei der Atommülldeponie die Spuren eines gigantischen Preßlufthammers erkennen. Dieser Vergleich drängte sich ihm auf, als er betrachten konnte, mit welch elementarer Gewalt hier gewütet worden war.
Tony Verdeschi schluckte unwillkürlich, als er sich bewußt wurde, daß er im Begriff war, dem Urheber dieser Verwüstung allein und ohne Unterstützung entgegenzutreten. Aber sein einmal gefaßter Entschluß konnte nicht mehr umgeworfen werden. In der Hinsicht glich Tony Verdeschi einem Panzer, der auf ein Ziel programmiert ist und durch nichts aufgehalten werden kann. Er brach seinen Suchflug jetzt ab und richtete die Nase seines Eagle auf den freien Raum aus. Die Sensoren seines kleinen Schiffes arbeiteten mit voller Leistung, doch sie zeichneten nichts auf. Auch lieferten die Monitore ein ziemlich fades Rundumbild. Auf der einen Seite bot sich der Mond seinen Blicken dar, auf der anderen Seite herrschte die Schwärze des grenzenlosen Weltraums vor. Von einem fremden Flugkörper war nichts zu entdecken, noch weniger von dem von John Koenig entdeckten Stahlplaneten. Tony Verdeschi wollte sich von seinem Sitz erheben und in die Waffenkammer des Eagle gehen, um sich dort ein entsprechendes Spielzeug für eine mögliche Konfrontation mit dem Feind herauszusuchen, als der Eagle von einer Riesenfaust gepackt zu werden schien. Er wurde wie ein Ball herumgewirbelt, und Tony konnte sich gerade noch an seinen Sitz klammern, sonst wäre er wie eine kraftlose Gliederpuppe durch die Pilotenkanzel des Eagle geflogen. Die Wandungen des Raumschiffes schrien gequält auf, Schweißnähte ächzten, und die Aggregate im Innern der Kanzel zerrten an ihren Halterungen. Tony Verdeschi starrte angestrengt auf den Monitorschirm, ob dieser ihm nicht die Quelle dieser Kräfte zeigte. Die Anzeige des Kraftliniensensors spielte verrückt und schlug mehrmals in den roten Bereich aus. Eisige Finger schienen
Tony über den Kopf zu streichen, und er hatte das Gefühl, als würde sein Gehirn nach außen gestülpt. Die Wände im Innern der Pilotenkanzel begannen plötzlich in einem irisierenden Licht zu leuchten, und Tony Verdeschi schloß geblendet die Augen. Der Stahlplanet! Trotz seiner prekären Situation konnte er immer noch erleichtert aufatmen. Dann war seine Flucht aus der Station wenigstens nicht umsonst gewesen, und er würde schlimmstenfalls den Heldentod sterben. Fast war er versucht, die Funkanlage zu aktivieren und sich bei der Basis zu melden, doch sein Stolz ließ das nicht zu. Er hatte seinen Weg auf eigene Faust gewählt und eingeschlagen und durfte bei seinem tollkühnen Manöver niemanden sonst in Gefahr bringen. Er klammerte sich weiter an seinem Kontursitz fest und hoffte, daß der Tornado, in den der Eagle anscheinend geraten war, bald vorüberging und die Lage des Eagle sich wieder stabilisierte. Doch davon konnte keine Rede sein. Mit elementarer Gewalt wurde das kleine Raumschiff auf ein für Tony Verdeschi bislang noch imaginäres Ziel zugerissen. Noch hatte er keine Ahnung, wo seine Reise enden würde. Doch als er den Kopf wandte, stockte ihm das Blut in den Adern. Ein bläulicher Schimmer zuckte über sämtliche Monitore und erfüllte die Pilotenkanzel mit einem kalten Lichtschein. Stahlplatten boten sich den entsetzten Blicken des Sicherheitschefs der Mondbasis dar, der im Augenblick auch seine eigene Sicherheit im Angesicht des Riesen, auf den er zuraste, vergaß. Der Stahlplanet!
Jetzt konnte er auch Johns Entsetzen bei seinem letzten Funkspruch verstehen. Das war wirklich grauenvoll und unheimlich. Der Vergleich mit einer fliegenden Festung paßte genau, denn die Geschütztürme und Laserbatterien redeten eine deutliche Sprache. Diesem Ungeheuer war wirklich nichts gewachsen, und Tony Verdeschi schloß mit seinem Schicksal ab. Trotzdem versuchte er verzweifelt, den Flug seines Eagle zu steuern, damit er nicht einfach stillos auf den Stahlplatten des Planeten zerschellte. Mit Hilfe der Manövrierdüsen gelang es ihm, den Eagle soweit auszurichten, daß er wenigstens mit den Landestützen voran auf den Planeten zuflog. Er schaltete die Triebwerke des Raumschiffs auf Gegenschub und forderte den Aggregaten die volle Leistung ab. Er atmete auf, als er feststellen konnte, daß sein Sturz merklich abgebremst wurde. Das ließ ihn Hoffnung schöpfen. Waren vielleicht John Koenig und Alan Carter dafür verantwortlich, daß man ihm eine Chance zu einer ordnungsgemäßen Landung gab? Wenn sie noch am Leben waren, würden sie ihre ganze Kraft einsetzen, ihn zu beschützen und vor schlimmerem Unheil zu bewahren. In dieser Hinsicht vertraute Tony Verdeschi dem Commander. Was sein eigenmächtiges Handeln anging, so würde man ihn natürlich zur Verantwortung ziehen, doch das stand vorerst auf einem anderen Blatt. Der Eagle hatte sich mittlerweile dem Stahlplaneten soweit genähert, daß die Flammenbahnen aus den Triebwerken schon über die Platten leckten und sie oberflächlich zum Glühen brachten.
Dann spürte Tony Verdeschi den Aufprall. Die Landestützen federten nach. Weit schoben sich die Teleskopbeine zusammen, dann entspannten sich die Hydraulikpolster wieder. Der Eagle kam zur Ruhe, stand fest und sicher – und Tony Verdeschi dankte seinem Schöpfer, daß alles so glimpflich abgegangen war. Doch das Schwerste stand ihm noch bevor. Wie sollte er einen Weg in das Innere dieses Planeten finden können? Wenn er sich dieses Ding da auf dem Monitor betrachtete, kam er sich mit dem Lasergewehr und seinem Stunner ziemlich armselig und hilflos vor. Doch mehr als den Heldentod zu sterben, konnte ihm auch nicht passieren. Entschlossen klappte er das Helmvisier herunter und ging zur Ausstiegschleuse…
XI
In diesen Sekunden wurde John Koenig und Alan Carter ihre Hilflosigkeit schrecklich bewußt. Hier saßen sie in den Gewölben eines stählernen Ungeheuers in Gesellschaft eines offensichtlich Wahnsinnigen und mußten zusehen, wie er mit einem der ihren ein grausames Spiel trieb. Denn daß sie Zeuge einer Hinrichtung werden sollten, war den beiden Männern unmißverständlich klargemacht worden. Nummer Neun, wie der Fremde sich nannte, wollte ihnen den Urtrieb ihrer eigenen Rasse vor Augen führen und wollte ihnen beweisen, daß er mit seinem Glauben an den Zerstörungswillen der Menschen vollkommen im Recht war. Dabei schien er allerdings zu vergessen, daß die Alphaner sich nur ihrer Haut zu wehren versuchten. Was wußte Nummer Neun schon von dem Grauen, das die Bewohner der kleinen Mondbasis in ihrer Geschichte schon erlebt hatten, und wieviele Rückschläge sie hatten hinnehmen müssen. Der Eagle auf dem Monitor wurde immer größer. Ein Lichtblitz zuckte auf dem Stahlplaneten auf, verfestigte sich und verdichtete sich zu einem Strahl, der wie der Riesenarm eines Kraken nach dem Eagle tastete. Der Eagle wurde hin- und hergeworfen wie ein Spielball der Götter. John Koenig hatte das ja selbst miterlebt und konnte sich lebhaft vorstellen, wie dem Piloten des kleinen Raumschiffs zumute sein mußte. Wenn er nur wüßte, wer sich da auf die Suche nach ihnen gemacht hatte! Offensichtlich war auf der Station das nackte Chaos ausgebrochen, denn sonst hätte sich wohl niemand so einfach
einen Eagle kapern und mit ihm in den Raum starten können. John Koenig kannte die Anweisungen für das Verhalten während der Abwesenheit des Commanders. Tony Verdeschi würde das Kommando über die Station übernehmen und darauf achten, daß alles seinen gewohnten Gang ging. Erst einmal war die Sicherheit der Station und ihrer Bewohner von vorrangiger Bedeutung, erst dann wurden Rettungsmaßnahmen zur Auffindung oder Bergung der Verschollenen unternommen. Schließlich hatte John Koenig diese Anweisungen mit seinen Leuten ja selbst erarbeitet. Es war ein unverantwortlicher Leichtsinn des Eaglepiloten, eines der Raumschiffe derart tollkühn aufs Spiel zu setzen. Der Licht- oder Energiestrahl, der den Eagle gepackt hatte, schien als eine Art Traktorstrahl zu funktionieren. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde das kleine Raumschiff auf den Stahlplaneten zugerissen. Der Eagle drehte sich plötzlich. Also hatte der Pilot die Gewalt über sein Raumschiff noch nicht völlig verloren. Die Antriebsdüsen schalteten auf Gegenschub. John erkannte das aus der veränderten Farbe der Feuerlanzen, die aus den Manövrier- und Antriebsdüsen schlugen. Langsamer, aber immer noch fast zu schnell, sackte der Eagle durch und prallte zum Glück mit allen vier Landestützen gleichzeitig auf den Stahlplaneten auf. Alan Carter hielt unwillkürlich die Luft an. Dann atmete er zischend aus. Die Landestützen hielten und brachen nicht weg. Ein Hoffnungsschimmer flackerte am Horizont auf. Immerhin würde man diesen Eagle noch zur Heimreise benutzen können, wenn es ihnen gelang, diesen Verrückten zu überwältigen oder sonstwie unschädlich zu machen. Für Mayas Leben hoffte er nicht mehr. Bisher hatten sie die Psychonierin nirgendwo entdecken können, und auch Nummer Neun hatte kein Wort
über sie verlauten lassen, eigentlich ungewöhnlich, denn der Humanoide wirkte eitel wie ein Pfau. Bestimmt hätte er in dieser Eitelkeit über seine neueste Errungenschaft gesprochen – wenn er sie überhaupt in seiner Gewalt hatte. Aber Alan Carter kannte die legendären Fähigkeiten der Psychonierin, sich willentlich in ein ganz anderes Wesen zu verwandeln, zumindest äußerlich. Und dann… Seine Gedankenkette riß ab, denn nun fesselte das Spiel auf dem Monitorschirm seine Aufmerksamkeit. Unwillkürlich legte er eine Hand auf die Schulter des Commanders. Vorgebeugt saßen die beiden Männer da und verfolgten in atemloser Spannung die Ereignisse auf dem Bildschirm. Noch rührte sich nichts bei dem Eagle, doch nach einigen Sekunden schob sich das Ausstiegsschott auf. Eine Gestalt im Raumanzug tauchte in der Öffnung auf und bückte sich. Die Ausstiegsleiter wurde herabgeschoben, und schwerfällig setzte sich die Gestalt in Bewegung. Wer es war, konnten die beiden auf dem Stahlplanet Gestrandeten nicht genau erkennen, denn in den Raumkombinationen, die in den Gerätekammern der Eagle hingen, sahen alle gleich aus. Die Gestalt blieb zwei Sprossen unterhalb der Ausstiegsluke noch einmal stehen, reichte in die Öffnung und holte ein schweres Lasergewehr heraus. Dann hängte sie sich das Gewehr über die Schulter und stieg nun ganz die Leiter herab. Fast glaubte John Koenig, das Dröhnen zu hören, als der Mann von der Mondbasis seinen Fuß auf eine der sechseckigen Stahlplatten setzte, die die Oberfläche des Planeten bildeten. Jetzt wandte der Mann sich um und orientierte sich. Das Lasergewehr nahm er von der Schulter und entsicherte es. Es schußbereit haltend, untersuchte die Gestalt ihre nächste Umgebung. Probeweise stieg sie in einen der Gräben zwischen
den Platten, dann kletterte sie wieder heraus und kam auf die beiden Betrachter zu. John Koenig vermutete, da er im Hintergrund die Trümmer von Eagle eins ausmachen konnte, daß der Geschützturm das Interesse der Gestalt erregte. Mit schwerfälligen Sprüngen setzte die Gestalt über die Gräben hinweg und kam immer näher. Ein greller Lichtblitz zuckte auf und ließ für einen Sekundenbruchteil das Monitorbild verschwinden. Als es wieder aufflackerte, sahen John Koenig und der Australier, daß die Gestalt gerade noch rechtzeitig in einem der Gräben in Deckung gegangen war. Offensichtlich hatte Nummer Neun einen Schuß mit der Laserbatterie abgefeuert. Doch wahrscheinlich war dieser Schuß nicht gezielt gewesen und über den Kopf der Gestalt hinweggegangen. John Koenig hatte noch genau in Erinnerung, daß die große Laserbatterie einen toten Winkel besaß, der dem, der sich ihr näherte, hinreichend Schutz gewährte. Doch nun schob sich von links ein kantiger Gegenstand ins Blickfeld des Monitors. Ein Monteur? Oder war das etwa einer der Kampfroboter, von deren Existenz sowohl John als auch Alan überzeugt waren? Ihnen war es selbstverständlich, daß der Stahlplanet über solche maschinellen Schutztruppen verfügte. John Koenig sah sich nicht getäuscht. Nur handelte es sich um keinen ausgesprochenen Kampfroboter, sondern einen umfunktionierten Monteur. Mit ausgefahrenen und ausgestreckten Teleskoparmen glitt er durch die Kanäle und hielt Ausschau nach dem menschlichen Feind. In jedem seiner Greifwerkzeuge trug das Ding eine Waffe unbekannter Machart. Es waren ofenrohrähnliche Gebilde, mit denen der Roboter nun die Gegend absuchte.
Der Pilot des Eagle hatte die Position gewechselt. Ein ganzes Stück von der Stelle entfernt, wo ihn der Laserschuß überrascht hatte, tauchte er rechts wieder auf. Der Montageroboter schien über ein ausgezeichnetes Ortungssystem zu verfügen, denn die Bewegung in einem der Gräben entging ihm nicht. Eines der Rohre zuckte in die Richtung, und ein Strahl von gleißender Helligkeit strich über die Oberfläche des Planeten und wischte über die Stelle hinweg, wo der Pilot aus dem Graben herausgeschaut hatte. »Bis jetzt ist das noch ein Spiel«, sagte Nummer Neun im Rücken der beiden menschlichen Beobachter vor dem Monitor. »Gleich werdet ihr sehen, wie der Vertreter eurer Rasse reagiert.« Und er hatte sich nicht getäuscht. Von links blitzte eine Lichtlanze auf und schnitt den einen Arm des Montageroboters sauber ab. Die Maschine schien auf Selbsterhaltung und Reinlichkeit programmiert zu sein, denn ein viertes Greifwerkzeug schob sich aus dem Kasten heraus und sammelte den abgetrennten Teleskoparm ein und legte ihn in ein eigens dafür vorgesehenes Fach. Der Eaglepilot hatte die kurze Gefechtspause genutzt und wieder die Position gewechselt. Diesmal jedoch schien der Lenker der Kampfmaschine mitgedacht zu haben, denn eines der dunklen Rohre in dem Greifwerkzeug des mittleren Teleskoparmes war ebenfalls herumgeschwenkt und richtete sich auf die Gestalt, die nun aus dem Graben auftauchte. Alan Carter schrie auf. »Mensch! Geh in Deckung!« Natürlich hörte der so Angerufene nichts von der Warnung. Wie erstarrt stand er da und schien ergeben den tödlichen Treffer zu erwarten.
Die Monitorkamera schaltete auf Vergrößerung. Mit rasender Geschwindigkeit wurde das Gesicht des Mannes hinter dem Helmvisier seines Raumhelmes herangezoomt. John Koenig stöhnte gequält auf. Er kannte das Gesicht, hatte es schon unzählige Male gesehen. Er machte den Mund auf, wollte etwas sagen. Eine gellende weibliche Stimme riß ihm das Wort von den Lippen… »Tony!«
Tony Verdeschi hatte den schwarzen Kasten sofort bemerkt, wie er sich aus der Öffnung neben dem Geschützturm der Laserkanone herausschob. Auch die drei Teleskoparme waren ihm nicht entgangen. Die dunklen Rohre in den Greifwerkzeugen hatte er auch sofort richtig gedeutet. Darauf, daß man ihm keinen freundlichen Empfang bereitete, hatte er sich schon eingestellt, als er auf der Mondbasis in den Eagle gestiegen war. Und er sah sich in seiner Ahnung nicht getäuscht, als dieses sonderbare Etwas auf ihn schoß. Die Zielsuche der Laserkanone vorher war ihm nicht entgangen. Und er hatte auch aus dem Neigungswinkel des Rohres genau berechnen können, daß ihm von dort wahrscheinlich keine Gefahr drohte. Trotzdem war er vorsichtshalber in Deckung gegangen, da er sich von einer möglichen Streuwirkung der Licht- oder Energielanze keine Vorstellung machen konnte. Und er wollte seinen Schutzengel nicht gerade zu Superleistungen anspornen. Dem ersten Schuß aus einem der schwarzen Rohre des mobilen Roboters hatte er noch so gerade entgehen können. In seinem Graben versteckt, hatte er schnell die Stellung gewechselt. Er kannte die Schwerfälligkeit von Robotern und
wußte, daß sie erst ein Ziel aufspüren mußten, um Angriffsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Er überlegte sich, daß er gegen das Ding eine gute Chance hatte, wenn er in Bewegung blieb und stetig seinen Standort wechselte. Er zählte leise bis drei, dann zuckte er aus seiner Deckung hoch, legte mit dem Lasergewehr an und trennte sauber den ersten Teleskoparm ab. Fast kam er sich dabei vor wie auf einem Schießstand. Er atmete befriedigt auf, als er sich wieder in Deckung sinken ließ und einen neuen Standort suchte. Er summte eine Melodie vor sich hin, Zeichen für die große nervliche Anspannung, unter der er sich befand. Dann hatte er einen Punkt gefunden, von wo aus er eine gute Schußposition zu haben glaubte. Und wieder zuckte er aus seiner Deckung hoch – und erstarrte. Völlig gegen alle Erwartungen hatte der Roboter seinen Stellungswechsel mitgemacht. Tony Verdeschi starrte genau in eines der schwarzen Rohre. Jeden Moment mußte der Schuß kommen, mußte sich durch die Haut seines Schutzanzuges in seinen Körper brennen. Jetzt erfuhr er am eigenen Leib, daß im Augenblick des Todes noch einmal das ganze Leben wie ein Film vor seinem geistigen Auge ablief. Nun war er also doch dazu verdammt, auf diesem stählernen Ungeheuer den Heldentod zu sterben. Er schloß unwillkürlich die Augen, erwartete den sengenden Hitzestrahl… Doch nichts geschah. Zögernd machte er die Augen wieder auf. Der Roboter stand immer noch so da, wie er ihn erwartet hatte, das schwarze Schußrohr im Anschlag. Jetzt ließ er es mit einer ruckartigen Bewegung sinken. Ebenso abrupt wurden die beiden noch verbliebenen Teleskoparme eingefahren, und die
schwarze Kiste drehte sich um und suchte sich ihren Weg durch die Kanäle zurück zum Geschützturm, um dort auf die helleuchtende Öffnung zuzusteuern. Tony Verdeschi dachte nicht lange über das sonderbare Verhalten des Roboters nach, sondern er setzte sich sofort in Bewegung. Mit langen Sprüngen hetzte er über die glatte Oberfläche des Stahlplaneten hinter dem Roboter her, um gemeinsam mit ihm möglicherweise ins Innere des Planeten zu gelangen. Schon sah er, wie die Klappe sich über der Öffnung senkte und nach unten zu fallen drohte. Ein letzter verzweifelter Sprung schleuderte ihn gegen den schwarzen Kasten, der sich jedoch nicht aus der Bahn bringen ließ. Auf allen Vieren rutschend, erreichte Tony Verdeschi die imaginäre Schwelle des Durchlasses, dann schlug die Klappe hinter ihm zu. Völlig ausgepumpt blieb er auf dem Boden liegen. Die aus dem Schlitz in der Decke hervorbrechende Lichtflut nahm er nur mit seinem Unterbewußtsein wahr, ehe er endgültig in einem schwarzen Schacht versank…
John Koenig und Alan Carter fuhren wie elektrisiert herum. Ein grauenvolles Schauspiel bot sich ihnen dar. Nummer Neun warf sich auf seinen Sitz hin und her. Seine Gestalt schien sich aufzulösen. Eine fremdartige Form bildete sich heraus, verschwand aber wieder, um der alten Gestalt des Humanoiden Platz zu machen. Das gleiche wiederholte sich. Dann veränderte sich das Gesicht des Fremden. Deutlich traten weibliche Züge hervor – das Gesicht einer Frau, die sowohl der Commander als auch sein Chefpilot bestens kannten. Es gab für sie keinen Zweifel.
Vor ihnen saß Maya, die Psychonierin. In ihrem Augen stand das nackte Entsetzen. Und wieder schrie sie auf. »Tony! Tony!« Verzweifelt versuchte sie, sich von ihrem Sitz zu lösen, versuchte aufzustehen. Aber unheimliche Kräfte schienen sie auf ihren Platz zu bannen, Kräfte, denen sie nichts entgegenzusetzen hatte. Und wieder setzte eine unheimliche Verwandlung ein. Das silbern schimmernde Gesicht des fremdartigen Humanoiden trat wieder hervor. In seinen Augen glühte der blanke Haß. John Koenig und Alan Carter begriffen nicht, was sich vor ihren Augen abspielte. Der Fremde schrie auf, dann kehrte wieder Mayas Gestalt zurück. Doch diesmal blieb sie als Gestalt bestehen. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie auf den Monitor schaute. John Koenig wandte sich um und stöhnte auf. Der Monitorschirm war leer.
XII
Tony Verdeschi war also der Pilot des Eagle gewesen. Er mußte sich auf eigene Faust aufgemacht haben, die drei Verschollenen zu suchen. Und bei dieser Suche war auch er auf den Stahlplaneten gestoßen. John Koenig wollte noch nicht glauben, daß der Sicherheitschef ein Opfer des Kampfroboters geworden war. Er hatte eine vage Hoffnung, die er jedoch nicht laut auszusprechen wagte. Erst wollte er von Maya erfahren, wie sie auf den Platz des Fremden gelangen konnte, obwohl sie sich vorher nicht in der Halle aufgehalten hatte, zumindest nicht sichtbar. Alan Carter war bereits zu dem Thronsitz hinauf geeilt und half Maya beim Aufstehen. Die unsichtbaren Fesseln schienen von ihr abgefallen zu sein, und ungehindert erhob sie sich. Dabei glaubten die drei Alphaner einen Seufzer zu vernehmen, den der gesamte Planet von sich gab. Es war ein Grollen, das aus den Tiefen des Stahlplaneten zu ihnen drang und dann verhallte. Mit schwerfälligen Schritten wankte Maya auf den Commander zu und fiel ihm schluchzend um den Hals. »Es war schrecklich, John«, sagte sie unter Tränen. »Viel länger hätte ich das nicht mehr aushalten können.« »Was ist denn passiert, Maya?« fragte Alan Carter die Psychonierin. »Was hat dich eigentlich dazu getrieben, in den Bereich des unheimlichen Lichtstrahls zu treten? Wußtest du, daß man dich aus der Station entführen würde?« Maya nickte heftig.
»Ja, ich wußte es genau, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich handelte unter einem Zwang, dem ich mich nicht widersetzen konnte. Nummer Neun hatte mein Bewußtsein völlig in Besitz genommen und alle meiner Handlungen gesteuert.« John Koenig strich sich nachdenklich über das Kinn. »Dann verfügt dieser Wahnsinnige über einen ungeheuer starken Mentalprojektor. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß er aus eigener Kraft derart starke psychokinetische Energiefelder aufbauen kann. Das kann niemand!« Maya setzte zu einer Erklärung an, verstummte jedoch und starrte wie gebannt zur Tür. Dann machte sie zwei schnelle Schritte zu den Bedienungskonsolen hin und legte eine Hand auf eine silbern schimmernde Platte. Sofort glitten die Türhälften auseinander, und mit einem jungenhaften Grinsen auf dem noch recht blassen Gesicht betrat Tony Verdeschi die weite Halle. Mit einem Aufschrei der Freude stürzte Maya ihm entgegen und warf sich an seine Brust. »Immer mit der Ruhe, Kleines«, murmelte der Italiener bewegt und strich der Psychonierin über den Kopf. Dann schaute er hoch und fixierte John Koenig und Alan Carter, die den Sicherheitschef der Mondbasis wie ein Weltwunder betrachteten. »Meine Rettung in letzter Sekunde habe ich wohl euch zu verdanken«, meinte er. »Irgendwie müßt ihr doch diesen Blechkasten gestoppt haben. Ich glaubte schon, daß mir jeden Moment das Gehirn aus dem Schädel gebrannt werden soll. Aber nichts geschah. Die Kiste hatte offensichtlich keine Lust mehr.« John Koenig zuckte die Achseln. »Ob du uns deine Rettung zu verdanken hast, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, du solltest lieber Maya fragen. Sie ist
von uns wohl die einzige, die das Rätsel dieses stählernen Ungeheuers aufklären kann.« Tony Verdeschi legte Maya eine Hand unter das Kinn und hob sanft ihren Kopf an. »Hast du den großen Meister gehört?« fragte er. »Dann erzähl mal deine Story – und mach sie recht spannend.« Maya mußte über den lockeren Ton ihres Freundes und Geliebten lachen. Sie wischte sich die Tränen ab und ließ sich dann müde auf einen der Kontursitze fallen, die Nummer Neun für Alan Carter und den Commander »hervorgezaubert« hatte. »Lacht mich aber nicht aus«, bat Maya. »Die Geschichte ist einfach zu phantastisch, als daß man sie auf Anhieb glauben kann. Meine freiwillige Entführung aus der Zentrale habt ihr ja miterleben können. Ich hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein. Etwas hatte von meinem Geist Besitz ergriffen und zwang mich, nach seinen Befehlen zu handeln. Sicher, irgendwie fiel es mir schwer, mich von euch zu trennen, doch ich glaubte, meinen Vater wiederzusehen. Zumindest waren das die Eindrücke und Visionen, die durch mein Bewußtsein zuckten. Jetzt weiß ich, wie es dazu kommen konnte. Nummer Neun, der Humanoide mit der silbernen Haut und den silbernen Haaren, verfügt über die Fähigkeit der Telepathie – jedoch nur in Verbindung mit seinem Freund, dem Computer dieses Planeten. Solange er sich in dieser Halle aufhält, verstärkt der Computer seine psychokinetischen Kraftfelder und setzt sie gezielt ein.« »Dann haben wir also hier den einmaligen Fall einer Symbiose zwischen einem lebenden Wesen und einer elektronischen Maschine«, warf der Commander nachdenklich ein. »Es handelte sich also auch bei der Lichterscheinung, die wir für einen Energiestrahl hielten, um ein Feld mentaler
Kräfte, die in unsere Station eindrangen und dort soviel Unheil anrichteten.« Maya nickte. »Zum Teil stimmt das, John. Nummer Neun ist einer von vielen anderen, die mit ihren Supercomputern, eben den Stahlplaneten, durch den Raum wandern und bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben. Sie steuern die Stahlplaneten von diesen Sitzen aus, die ihr dort an der Wand auf dem Podest aufgereiht sehen könnt. Die Fächer über den Sitzen sind die Mentalsensoren des Computers, der einerseits ein reiner Elektronenrechner ist, jedoch auch von einem organischen Gehirn gesteuert werden kann.« »Und woher weißt du das alles?« mischte Alan Carter sich in die Unterhaltung ein. »Bis ihr kamt, war ich eine ganz andere Persönlichkeit«, antwortete Maya und berichtete gleich weiter. »Die Stahlplaneten haben eine Wächterfunktion, allerdings in einem ganz anderen Universum, einer Art Parallelkosmos. Irgendwann einmal trat zwischen unserem Universum und dem Paralleluniversum ein Zeitriß auf. Und diesen Zeitriß sollten die Stahlplaneten bewachen. Niemand durfte aus unserem Kosmos in dieses fremde Universum eindringen. Die Stahlplaneten, in der Tat fliegende Festungen, hätten ihn sofort vernichtet. Man kann diese Stahlplaneten auch durchaus als kosmische Wächter ansehen, die auf Vernichtung programmiert sind.« »Aber warum halten sich in diesen Ungetümen lebende Wesen auf?« wollte John Koenig nun wissen. »Ein Roboter wäre doch wahrscheinlich viel weniger anfällig.« »Das stimmt schon«, meinte Maya. »Aber ein Roboter kann auch nur im Rahmen seiner einprogrammierten Logik denken und handeln. Insofern ist er einem freidenkenden Wesen
immer unterlegen. Denn auch bei den Fremden aus dem anderen Kosmos gelten die Robotergesetze, nach denen die Maschine in jedem Fall dem organischen Leben zu dienen hat und es auch in jedem Fall, auch bis zur Selbstzerstörung, erhalten muß. Nun verfügen die Fremden aber über Möglichkeiten, den Computer direkt mit dem Bewußtsein seines Herrn zu koppeln. Der Computer und mit ihm der Roboter wird auf diese Weise zum verlängerten Arm des lebenden Wesens, das ihn steuert. Und genau das ist auch mit mir passiert. Nummer Neun ist schon seit mehreren tausend Jahren auf einer Irrfahrt durch die Galaxien. Durch einen Fehler in der Elektronik seines Roboters stürzte er durch den Zeitriß und landete in unserem Universum. Den Fehler konnte der Roboter selbst lokalisieren und beseitigen. Doch bei dem Sturz durch den Zeitriß und den folgenden Versuchen von Nummer Neun, wieder in seinen heimatlichen Kosmos zurückzukehren, ging soviel Energie verloren, daß der Stahlplanet praktisch in unserer Dimension strandete. Der Tod Carl Bellamys war mehr oder weniger nur ein Unglücksfall. Nummer Neun, vielmehr das Bewußtsein, suchte nach Energie, die er tanken konnte. Sein Roboter lief praktisch auf Sparflamme. Dabei verlor der Fremde, der Meister des Roboters, seine Körperlichkeit. Sein Leib wurde in eine Stasis versetzt, und nur sein Bewußtsein blieb erhalten. Um den Körper wieder zum Leben zu erwecken, wären ungeheure Mengen von Energie notwendig gewesen, die der Stahlplanet jedoch zur Rückkehr in sein Universum dringend braucht. Der Fremde, der sich schon mindestens tausend Jahre in dieser leiblichen Stasis befinden muß, wollte endlich wieder einmal das Gefühl haben, sich wie ein normal Lebender bewegen zu können. Mit dem Suchstrahl spürte er unsere Station auf und suchte nach einem geeigneten Medium.
Carl Bellamy war das falsche Medium. Als Nummer Neun in sein Bewußtsein eindrang und versuchte, die organische Struktur seines Körpers zu ergründen, kam es zum Kollaps, und Carl Bellamy starb. Diese Erfahrung, dieser Bruch des Robotergesetzes, muß den Geist von Nummer Neun nachhaltig geschädigt und verwirrt haben. Deshalb auch die schreckliche Demonstration mit Tony und dem Kampfroboter.« »Und wie konntest du dich plötzlich wieder aus dem Bewußtsein des Fremden lösen und wieder du selbst sein?« fragte Tony Verdeschi. Maya errötete wie ein Schulmädchen. »Gefühle sind diesen Fremden etwas Unbekanntes. Sie handeln nur nach kühler Logik und nach den Erfordernissen der jeweiligen Situation. Der Fremde, Nummer Neun, hatte nicht bedacht, daß auch Psychonier Gefühle haben, die jeder Logik widersprechen können und sich darüber hinwegsetzen. Und über meine weiteren Motive brauchen wir ja vor Zeugen wohl kaum zu reden, nicht wahr?« Sie schaute Tony Verdeschi verliebt an, ließ aber sofort ihren Blick sinken, als sie John Koenigs Augen auf sich spürte. Der Commander grinste leise vor sich hin. Ihn ritt der Teufel. »Aber warum hat Nummer Neun denn gerade dich ausgesucht, ihm den Körper zu leihen. Ein schwaches Weib wie du ist nicht gerade der Traum eines…« »Schwaches Weib!« unterbrach Maya ihn mit zornblitzenden Augen. »Rein intellektmäßig bin ich euch allen doch überlegen. Das habe ich ja schon mehr als einmal unter Beweis gestellt. Dadurch bin ich natürlich auch für mentale Strömungen besonders empfänglich. Dazu kam dann noch meine Fähigkeit, die Molekularstruktur meines Körpers zu verändern und eine andere Gestalt anzunehmen.« John Koenig nickte grinsend.
»Jetzt wundert mich auch gar nicht mehr, warum Nummer Neun so überirdisch schön war. Ich glaube, ich hätte mich fast in ihn verlieben können. Unter anderen Bedingungen hätte ich vielleicht…« Maya schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Wir sollten jetzt hier keinen Unsinn reden. Viel wichtiger ist, was mit dem Stahlplaneten geschehen soll. Im Augenblick ist der Computer desaktiviert. Aber lange wird das nicht so sein, und Nummer Neun macht sich wieder auf die Suche nach neuen Energiequellen. Und zwar nimmt er Energie in jeder Form auf. Unsere Station zum Beispiel wäre für ihn ein willkommenes Fressen. Aber noch interessanter sind für ihn unsere atomaren Abfälle. Ihnen kann er sämtliche Strahlungsenergie entziehen und sie für seine Zwecke verarbeiten. Vielleicht sollten wir ihm einen Handel vorschlagen. Er läßt uns von hier verschwinden und läßt auch unsere Station angetastet, dafür liefern wir ihm den Atommüll, mit dem wir sowieso nichts mehr anfangen können.« John Koenig und Alan Carter schauten sich an. Eigentlich konnten sie an diesem Vorschlag nichts Schlimmes entdecken. Ihnen sollte es nur recht sein, wenn sie diese unberechenbare Zeitbombe auf ihrer Welt loswurden. Erfüllten sie damit sogar noch einen guten Zweck, dann um so besser. Denn solange der Stahlplanet immer noch durch ihren Kosmos kreiste, war keine Welt sicher vor ihm. John Koenig nickte. »Na gut, dann nimm mal Verbindung mit unserem Freund auf, und unterbreite ihm unser Angebot. Und versuch, ein gutes Wort für uns einzulegen. Mach ihm klar, daß wir so aggressiv auch wieder nicht sind, wie er uns sieht. Und sag ihm, daß uns die Sache mit der zerstörten Antenne und dem lädierten Kampfroboter wirklich leid tut!«
»Sag es ihm selbst«, meinte Maya leise und schritt auf das Podest zu, wo die aufgereihten Thronsitze standen. Sie stieg die Stufen hinauf, trat an den mittleren Thron heran und ließ sich langsam darauf sinken. Und plötzlich verging sie in einer flirrenden Lichtspindel – und wenig später als Nummer Neun wiedergeboren zu werden.
»Ich weiß genau, was ihr mir vorschlagen wollt«, klang die Stimme des Fremden durch die Halle, »und ich bin damit einverstanden. Vielleicht gelingt es mir sogar, mit Hilfe der neugewonnenen Energie in mein Universum zurückzukehren. Ich lasse euch also frei und zu eurer Station zurückkehren. Eure Gefährtin jedoch bleibt als Unterpfand bei mir. Sie gebe ich euch wieder zurück, sobald ihr euren Teil des Versprechens wahrgemacht habt. Um euren Mond nicht ganz auseinanderzureißen, müßten die Behälter mit der strahlenden Materie von euch freigelegt werden, so daß ich ihnen ungehindert die Energie abzapfen kann.« John Koenig schüttelte unwillig den Kopf. »Wie können wir die Glauben schenken, daß du unsere Gefährtin wirklich wieder zu uns zurückkehren läßt?« wollte er wissen. »Wozu brauchst du sie überhaupt noch? Daß wir deinen Forderungen nachkommen werden, versteht sich von selbst. Du hast uns deine Macht bewiesen, was hielte dich also davon ab, deine Macht noch einmal zu bewiesen und uns endgültig zu vernichten?« »Nichts«, erklärte Nummer Neun mit einem überheblichen Grinsen. Doch dann wurde seine Miene traurig. »Ich möchte nur noch einige Zeit das Gefühl haben, über einen Körper verfügen zu können. Denn noch ist meine Zeit des Wachens am Zeitriß nicht abgelaufen. Die Energie, die ich von euch bekomme, wird wahrscheinlich gerade ausreichen, um den Riß
zu überwinden. Doch einen Körper werde ich erst wieder haben, wenn ich auf meine Welt zurückgekehrt bin. Und das wird nach eurer Zeitrechnung noch mindestens tausend Jahre dauern.« John Koenig erschauerte, mit welcher Selbstverständlichkeit der Fremde hier über Zeiträume sprach, die für einen Menschen im Vergleich zu seiner Lebenserwartung nur mehr mathematische oder historische Bedeutung hatten. Irgendwie hatte er auch Mitleid mit dem Fremden. Doch eine Frage wollte er noch beantwortet haben. »Was befindet sich hinter den durchscheinenden Wänden dieser Halle?« Er wies auf die länglichen Schatten, die er schon bei seinem Betreten der Halle wahrgenommen hatte. Der Fremde nickte und legte eine Hand auf die Lehne seines Sessels. Augenblicklich klärten sich die Wände und wurden durchsichtig. Es waren wirklich humanoide Gestalten, die Nummer Neun genau identisch waren. »Das sind meine Ersatzkörper«, sagte der Fremde. »Auch eine Maschine ist einmal fehlerhaft, und sollte mein jeweiliger Körper beschädigt werden, so hat mein Bewußtsein die Möglichkeit, einen frischen Körper zu übernehmen. Denn leiblich sind wir genauso sterblich wie ihr. Doch wir wollen nicht länger diskutieren. Kehrt auf eure Welt zurück, und löst euer Versprechen ein. Dann sehen wir weiter.« Mit einer herrischen Gebärde wies er zur Tür der Halle. Gehorsam drehten John Koenig, Alan Carter und Tony Verdeschi sich um und setzten sich in Bewegung. So ganz überzeugt, daß dieses Abenteuer ein für sie günstiges Ende nehmen würde, waren sie nicht. Aber was sollten sie in ihrer Lage sonst tun, als dem Fremden zu gehorchen?
XIII
»John Koenig ruft Mondbasis Alpha… John Koenig ruft Mondbasis Alpha…« Sandra Benes, die von ihrem Kontursitz hinter den Kontrollen aufgestanden war, um sich einmal die Füße zu vertreten, zuckte zusammen und stürzte an ihren Platz zurück. Sich in den Sitz fallen lassen und auf die Funktaste drücken war eine einzige fließende Bewegung. »Hier Mondbasis Alpha… Wir hören euch… Seid ihr heil und gesund?« Helena Russell, die gerade die Zentrale betreten hatte, eilte zur Konsole und beugte sich über den Monitorschirm. Eine plötzliche Schwäche machte sich in ihrem Körper breit, als sie Johns geliebtes Gesicht auf dem Monitorschirm sah. Die Ärztin in ihr ließ sich nicht verdrängen, und sie stellte fest, daß John einer Rasur dringend bedürftig war und daß er schlecht aussah. Die Strapazen waren in den Linien seines Gesichtes deutlich zu lesen. »Hier ist Helena, John. Ist bei euch alles okay? Ist Alan bei dir? Und habt ihr auch Tony gefunden?« Die beiden Genannten drängten sich jetzt neben dem Commander ins Bild. »Wie du siehst, Helena, sind wir wohlauf. Einen Eagle können wir allerdings abschreiben. Unser Einser hat die Landung auf dem Stahlplaneten nicht überstanden.« »Wo ist Maya?« wollte Helena weiter wissen. »Habt ihr sie gefunden?« John Koenig nickte ernst.
»Gefunden haben wir sie. Aber sie ist nicht bei uns. Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen – ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Das Evakuierungsprogramm könnt ihr abblasen. Eine Evakuierung ist wohl nicht erforderlich. Überdies würden wir es auch gar nicht mehr schaffen. Weiteres, wenn wir wieder bei euch sind.« »Viel Glück«, sagte Helena noch, dann wandte sie sich vom Monitor ab. Jetzt mußte sie sich wirklich setzen. Sie schaute sich um, und gleich dachte sie wieder an ihre Pflichten als Chefärztin. »Sagt bitte Doc Vincent Bescheid, er soll im Krankenrevier alles vorbereiten. Vielleicht müssen wir unsere Heimkehrer auf mögliche Verletzungen untersuchen. Denn wenn John auch versucht, mir weiszumachen, daß alles in Ordnung ist, so traue ich ihm doch nicht so ganz über den Weg. Es wäre nicht das erste Mal, daß er still vor sich hinleidet, anstatt sich in meine Obhut zu begeben.« Bill Fraser strahlte über das ganze Gesicht. Er spürte eine ungeheure Erleichterung, daß die schwere Last der Verantwortung als Stellvertretender Chefpilot nun endlich von seinen Schultern genommen wurde. Dieser Job war wirklich nichts für ihn. Am liebsten saß er in der Pilotenkanzel seines Eagle und fühlte sich dort als sein eigener Herr. Dort konnte er in einem gewissen Rahmen tun und lassen, was er wollte, und niemand schaute vertrauensvoll zu ihm auf und erwartete von ihm Entscheidungen, die über Leben und Tod von über zweihundert Alphanern entschieden. Er verließ sofort die Zentrale und eilte zu den Hangars, um dort die Heimkehrer zu erwarten. Außerdem hatte er noch mit Tony Verdeschi ein Hühnchen zu rupfen. Ihm würde er so schnell nicht vergessen, daß er ihn leichtsinnig im Stich gelassen hatte. Manuel Perez hatte bereits alles für die Landung des heimkehrenden Eagle vorbereiten lassen. Bill Fraser schaffte
es gerade noch, in den Hangar zu gelangen und sich die Spezialkombination der Bodenmannschaften überzustreifen, als die Hangartore bereits hermetisch verschlossen wurden. Und dann hörten die versammelten Männer das Dröhnen der Antriebsaggregate des Raumschiffes über ihren Köpfen. Ein lautes Pfeifen drang zu ihnen herab, als John Koenig den Antrieb auf Gegenschub schaltete. Die ganze Halle erzitterte, als der Eagle auf der Landeplattform aufsetzte, und dann glitt der Rampenlift nach unten, und Eagle dreizehn tauchte auf. Noch während der Lift in Bewegung war, öffnete sich bereits die Ausstiegsschleuse, und Commander Koenig trat in die Öffnung. Der Lift langte in seiner Ruheposition an, und es dauerte noch eine knappe Minute, bis im Hangar wieder normale Luft und Temperaturverhältnisse herrschten. John Koenig kletterte über die Leiter nach unten und eilte auf die wartenden Männer zu. Dabei klappte er schon sein Helmvisier herab und brüllte einige Befehle. »Dave Reilly soll sich mit einigen Männern sofort bereit machen, zur Atommülldeponie zu fliegen. Wir müssen die Müllbehälter aus den unterirdischen Kammern herausschaffen und auf der Mondoberfläche deponieren. Erklärungen kann ich jetzt nicht abgeben. Tut, was ich euch sage, und fragt nicht lange.« Als auch Tony Verdeschi aus dem Eagle kletterte, löste sich aus der Gruppe der wartenden Männer im Hangar einer und lief auf ihn zu. Mit hochgereckter Faust stürzte er auf den Sicherheitschef zu und hätte ihm einen Kinnhaken verpaßt, wenn Alan Carter nicht recht energisch dazwischengegangen wäre. »Verdammt, hier gibt es keine Schlägereien.« »Laß gut sein«, meinte Tony Verdeschi kleinlaut. »Irgendwie hat er ja recht. Ich mußte ihm leider einen Stunnerschuß verpassen, sonst hätte ich euch wohl nie gefunden.«
»Dann macht Frieden«, riet Alan Carter den beiden Männern, von denen der Wachmann immer noch in Kampfhaltung vor dem Italiener stand. »Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte Tony Verdeschi ernst. »Verstehen Sie, daß ich nicht anders handeln konnte. Auch Sie würden Ihre Frau oder Freundin nicht im Stich lassen, solange Sie noch Hoffnung hegen, sie aus einer tödlichen Gefahr retten zu können.« Nur widerstrebend ließ der Wachmann die Faust sinken. Doch dann überzog ein breites Grinsen sein Gesicht. »Okay, Mr. Verdeschi. Ich glaube aber, ich brauche mindestens drei Tage Sonderurlaub, um die ganze Angelegenheit zu vergessen. Was halten Sie davon?« Tony Verdeschi nickte. »Gewährt«, sagte er großzügig. In der Stimmung, in der er sich im Augenblick befand, hätte er sein letztes Hemd verschenken können. Nichts konnte jetzt sein Glück trüben. Er war ganz sicher, seine Maya bald wieder in die Arme schließen zu können. »Doch der Sonderurlaub beginnt erst morgen. Heute gibt es noch so viel zu tun, daß wir keinen Mann entbehren können.« Der Wachmann zog sich zurück und gesellte sich jetzt zu den Männern, die sich anschickten, Eagle zwei startklar zu machen. Über Commlock war Dave Reilly bereits benachrichtigt worden, und er tauchte im Hangar auf. Der Texaner grinste, als er John Koenig entdeckte, und kam auf ihn zu. »Na, alter Junge? Hast du einen Goldschatz entdeckt? Oder soll ich für dich nach Öl schürfen?« »Nichts dergleichen«, antwortete John ihm. »Du sollst dich vielmehr als Trümmerfrau betätigen. Nimm dir ein paar von den Leuten mit, und holt die Atommüllbehälter an die Oberfläche. Dir jetzt den Grund zu erklären, würde weiß Gott
zu lange dauern. Was wirklich los ist, wirst du später erfahren.« Dave Reilly zuckte die Achseln, wandte sich ab und gab ein paar Männern ein Zeichen. Sie holten sich die schweren Schweißlaser und begannen, damit einen Eagle zu beladen. John Koenig verfolgte die Aktivitäten noch einige Sekunden, dann gab auch er seinen Gefährten ein Zeichen. »Wir müssen in die Zentrale und die Operation überwachen. Wollen nur hoffen, daß Nummer Neun sein Wort hält und keine unangenehmen Tricks versucht.« Irgendwie traute er dem Frieden nicht. Für sein Gefühl hatte der Fremde sich zu schnell mit seinem Angebot einverstanden erklärt. John Koenig konnte nur hoffen, daß er keine böse Überraschung erlebte.
In die ausgelassene Stimmung in der Zentrale hallte Dave Reillys Stimme aus dem Lautsprecher. »Haben die Deponie erreicht und beginnen mit der Arbeit.« Er hatte die Suchkamera seines Eagle auf das Operationsgebiet ausgerichtet, so daß man von der Zentrale aus den Fortgang der Arbeiten genau verfolgen konnte. Die Männer luden die Schweißlaser aus und begannen nun nach einem bestimmten Plan, die unterirdischen Kammern aufzuschneiden, in denen die Behälter mit dem Strahlungsabfall ruhten. Mit leichten Hebekränen hievten sie dann die klobigen Behälter nach oben und legten sie nebeneinander auf den Boden, so wie John Koenig es ihnen während des Fluges erklärt hatte. Es hatte sich eine Menge an strahlender Materie angesammelt, und es dauerte fast eine Stunde, bis die Kavernen freigeräumt und die signalroten Fässer auf der
Mondoberfläche aufgereiht waren und eine Fläche von etwa hundert Quadratmetern einnahmen. Dann gab Dave Reilly das Zeichen zum Aufbruch. Hastig wurden die Hebekräne auseinandergenommen und im Material-Eagle verstaut. Die Schweißlaser folgten, und die Antriebsaggregate der Raumschiffe erwachten zu brüllendem Leben. Fast synchron starteten die Boote und schlugen Kurs auf die Station ein. Jetzt hieß es nur noch warten und hoffen. John Koenig ertappte sich dabei, wie er ein Stoßgebet vor sich hinmurmelte. Sein ganzes Vertrauen setze er jetzt in Nummer Neun, den rätselhaften Fremden.
John Koenig hatte Dave Reilly noch den Auftrag gegeben, in der Nähe der Atommülldeponie eine Kamera aufzustellen. Er wollte genau mitverfolgen können, auf welche Weise sich der Stahlplanet dem Mond näherte und sich der Strahlungsenergie bemächtigte, die in den Fässern schlummerte. Lange brauchte er auf das Auftauchen des stählernen Ungetüms nicht zu warten. Es schob sich wie ein blauer Riese über den Mondhorizont und näherte sich dem Deponiebereich. Jetzt im Vergleich mit dem Mond konnte John Koenig erst ermessen, wie riesig diese fügende Festung war. Die sechseckigen Stahlplatten zeichneten sich deutlich ab, und er glaubte sogar, trotz der großen Entfernung die Geschützbatterie erkennen zu können, in deren Nähe er und Alan Carter anfangs gelandet waren. Die in der Zentrale Versammelten verfolgten fasziniert das Schauspiel, das sich ihnen jetzt bot. Alle hatten sich einen Platz gesucht und sich festgeschnallt. Darüber hinaus hatte John in der gesamten Station den Befehl ausgegeben, sich in die Wohneinheiten zurückzuziehen und
sich dort ebenfalls so zu sichern, daß niemand sich bei dem zu erwartenden Mondbeben irgendwelche Verletzungen zuzog. Was wirklich mit dem Mond geschehen sollte, hatte der Commander den Alphanern verschwiegen. Dazu war keine Zeit mehr gewesen, und er nahm sich vor, die Erklärungen für die Ereignisse der letzten Stunden in einer ruhigeren Zeit nachzuliefern. Der Stahlplanet verharrte jetzt über der Mülldeponie. Lange Lichtlanzen zuckten zwischen den Stahlplatten hervor und tasteten über die Mondoberfläche. Dann fanden sie die roten Behälter und konzentrierten sich auf die Fläche, die sie bedeckten. Eine Lichtsäule blitzte auf, und der gesamte Mond schien auseinanderzubrechen. Die Station wurde wieder in ihren Grundfesten erschüttert. Der Erdtrabant schien innerlich aufzuschreien, als sich die Lichtlanzen in die Behälter und den Mondboden darunter hineinfraßen und ihr gieriges Werk vollbrachten. Etwa zehn Minuten dauerte dieser Prozeß, dann verlöschten die Lichtfinger, und der Stahlplanet begann sich vom Mond zu entfernen. John Koenig beugte sich vor und betätigte die Funktaste. Auf welcher Frequenz er senden sollte, wußte er nicht. Er konnte nur hoffen, daß sein Ruf den fremden Humanoiden, den Herrn des Stahlplaneten, auch erreichte. »Nummer Neun… Nummer Neun… Hier ist John Koenig, Commander der Mondbasis Alpha. Ich möchte dich an die Einlösung deines Versprechens erinnern! Noch ist unsere Gefährtin in deiner Gewalt. Wir haben unseren Teil des Vertrages erfüllt, jetzt erwarten wir von dir, daß du ebenso handelst!« Das Bild des Stahlplaneten verblaßte auf dem Hauptmonitor, dafür tauchte das silbern schimmernde Gesicht des Fremden auf.
Diesmal wirkte sein Gesicht härter, männlicher. Offensichtlich hatte er bereits eine Trennung der Persönlichkeiten vollzogen. Er lächelte. »Ich glaube, Ihr Erdlinge seid immer mißtrauisch. Ihr schenkt niemandem euer Vertrauen und wittert hinter allem Verrat. Ein Meister des Stahlplaneten bricht sein Wort nie – nehmt das mit auf euren weiteren Weg. Ich danke euch für die Energie, die ihr mir geschenkt habt. Wie ihr seht, reicht sie sogar aus, daß ich wieder meinen eigenen Körper beleben konnte. Ich werde zurückkehren in mein Universum und werde meine Brüder vor euch warnen. Noch müßt ihr sehr viel lernen und begreifen, um für uns so interessant zu werden, daß sich für uns ein intensiverer Kontakt mit euch lohnt.« John Koenig wollte darauf etwas erwidern, doch der Monitorschirm verblaßte. Dafür begannen plötzlich die Wände der Zentrale zu leuchten. Ein inneres Feuer schein in ihnen zu glühen, und die Versammelten mußten geblendet die Augen schließen. Lichtfinger schoben sich durch die kompakte Materie und tasteten sich durch die Zentrale. Sie glitten über die Computerkonsolen und über die Monitore, als wollte sich Nummer Neun noch einen letzten Eindruck von der Rasse verschaffen, mit der er durch einen Zufall in Kontakt geraten war. Dann verdichtete sich der Lichtstrahl zu einem flirrenden, irisierenden Energiebündel. Dieses Bündel senkte sich mitten in der Zentrale auf den Boden und verharrte dort. Konturen formten sich in dem Lichtschein, verfestigten sich, zerflossen und fanden sich wieder zusammen. Eine menschliche Gestalt zeichnete sich ab, mit Beinen, Rumpf, Kopf und Armen. Mehr war anfangs nicht zu erkennen.
Dann verblaßte der Lichtschein, und Maya tauchte hinter dem flirrenden Energievorhang auf. Sie schaute sich verwirrt um, schien die Gesichter der Umstehenden nicht zu erkennen, doch dann blieb ihr Blick an Tony Verdeschi hängen. Ein Leuchten ging über ihr Gesicht. Ihre Augen weiteten sich, dann brach sie mit einem erstickten Seufzer zusammen. Sie sank auf den Boden, und Tony Verdeschi stürzte hinzu und konnte sie gerade noch auffangen. Verzweifelt schaute er Helena Russell an. »So hilf ihr doch, Helena, hilf ihr…!« Die Ärztin kam nicht mehr dazu, der Psychonierin zu Hilfe zu eilen. Eine Riesenfaust schien den Mond zu packen und ihn hochzuheben, um ihn gleich wieder fallenzulassen. Auf dem Monitor erschien noch einmal das Gesicht von Nummer Neun. »Habt Dank, Erdlinge. Ich werde wieder zurückkehren, denn ich habe den Zeitriß gefunden. Gebt euch keine Mühe, nach mir zu suchen, denn ihr werdet mich nie mehr wiedersehen.« Nach diesen Worten verblaßte das Gesicht des Fremden auf dem Monitorschirm endgültig, und es erschien wieder die Mondlandschaft an der Atommülldeponie. Der blaue Schatten des Stahlplaneten entfernte sich immer weiter. Bald war er kaum noch zu erkennen. Die in der Zentrale Versammelten wollten sich erheben, doch ein Befehl John Koenigs trieb sie wieder auf ihre Plätze zurück. Er selbst half Helena, die noch immer bewußtlose Psychonierin auf einen freien Kontursitz zu betten und dort festzuschnallen. Er und Helena eilten danach zu ihren Plätzen zurück und schnallten sich hastig an. Allen war klar, daß der Durchgang des Stahlplaneten durch den Zeitriß eine Erschütterung des Raum-Zeit-Gefüges zur
Folge haben mußte, die vielleicht auch ihre eigene Welt in ihren Sog ziehen und vernichten würde. Fieberhaft überdachte John Koenig noch einmal, ob er an alles gedacht, alle Eventualitäten berücksichtigt hatte. Seine Gedankenkette wurde jäh durch ein elementares Dröhnen zerrissen, das die Station, ja, den gesamten Mond zum Schwingen brachte. Ein greller Lichtblitz zuckte dort auf, wohin der Stahlplanet verschwunden war, dann wurde der Monitorschirm schwarz. Die Beleuchtung in der Zentrale flackerte, die Anzeigengeräte drehten durch. Alarmklingeln schrillten, und das ohrenbetäubende Signal »Rotalarm! Rotalarm!« hallte durch die Zentrale und durch die Gänge der Station. Dann brauch auch das ab, und es herrschte eine gespenstische Stille. Es dauerte einige Minuten, ehe die Alphaner sich wieder bewegten. John Koenig atmete als erster auf. Er wies Sandra Benes an, sämtliche Abteilungen der Station auf mögliche Schäden durchzuchecken. Dann meinte er zu Helena: »Wolltest du dich nicht um Maya kümmern? Ich glaube kaum, daß die Zentrale für eine Frau in ihrem Zustand der richtige Ort ist.«
XIV
Nachdem Doktor Helena Russell die Psychonierin in ihre Abteilung hatte bringen lassen, ergab eine eingehende Untersuchung, daß ihr nichts fehlte. Ihr Zusammenbruch war lediglich die Folge der langen Verwandlung gewesen. Die Zeit, die sie in der Gestalt von Nummer Neun verbracht hatte, hatte fast den gesamten Energievorrat ihres Körpers aufgezehrt, und sie brauchte viel Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen. Tony Verdeschi hatte es sich nicht nehmen lassen, für seine Freundin den Krankenpfleger zu spielen, und er kümmerte sich aufopferungsvoll um sie. Nach zwei Tagen war Maya schon wieder soweit, daß sie aufstehen und kleine Spaziergänge unternehmen konnte. Nach einer Woche war sie völlig wiederhergestellt und konnte ihre gewohnte Arbeit in der Station aufnehmen. Es gab viel zu tun. Reparaturen mußten ausgeführt werden, und auch Tony mußte sich vor dem Commander für sein eigenmächtiges Handeln verantworten. Seine völlige Rehabilitierung erfuhr er durch Mayas Aussage. Sie erklärte nämlich, daß sie wohl nie mehr ihre alte Gestalt hätte annehmen können, wenn nicht Tony völlig unerwartet auf dem Stahlplaneten aufgetaucht wäre. Ihre gefühlsmäßige Bindung zu John Koenig und Alan Carter wäre nie stark genug gewesen, die psychische Fessel des Fremden zu brechen und die Psychonierin daraus zu befreien. Schließlich stellte Maya sich für einige sehr interessante Versuche zur Verfügung, und es dauerte gar nicht lange, da kam sie sich auch schon fast vor wie ein lebender Datenspeicher. Da sie nämlich eine Zeitlang ein Teil der
Persönlichkeit des Fremden gewesen war, hatte sie gleichzeitig ein Teil dessen Bewußtseins mit übernommen und verfügte über bruchstückhafte Erinnerungen des Fremden. Sie hatte ja mit seinen Gedanken operiert und kannte seinen Charakter und sein Bewußtsein zum Teil fast so gut wie ihr eigenes Ich. Helena Russell machte sich Sorgen, daß die Untersuchungen die Psychonierin vielleicht überlasten und überfordern konnten, doch Maya winkte nur ab. »Wenn ich der Wissenschaft ein Opfer bringen kann, dann tue ich es«, pflegte sie immer nach den Sitzungen mit den Psychologen und den Computerspezialisten zu sagen, wenn sie sich erschöpft wieder von der Untersuchungsliege erhob und in ihre Wohneinheit zurückkehrte. Tony Verdeschi sah das überhaupt nicht gerne, doch er konnte nichts machen. Er hatte schließlich auch einiges wiedergutzumachen, denn so leicht vergaß man ihm sein Handeln nicht. Es gab eben auf der Station ungeschriebene Gesetze, die besagten, daß das Allgemeinwohl stets vor dem Wohl des einzelnen Vorrang hatte. Und auch wenn seine Aktion einen guten Ausgang gefunden hatte, so hatte er trotzdem dieses Gesetz übertreten und mußte alles daransetzen, sein Vertrauen bei den Alphanern wiederzugewinnen. John Koenig beobachtete das mit einem leisen Grinsen. Es tat dem Italiener ganz gut, sein südländisches Temperament einmal unter Kontrolle halten zu müssen. So verlief das Leben in der Station wieder in seinen normalen Bahnen, und die Alphaner konnten sich wieder ihren alltäglichen Sorgen widmen. Bis eines Tages – es war etwa zwei Wochen nach der Begegnung mit dem Stahlplaneten – Sandra Benes ratlos auf den Monitorschirm schaute.
Sie hatte eine routinemäßige Überprüfung der Funkfrequenzen vorgenommen, und wollte die Geräte gerade ausschalten, als ein Bild über den Schirm huschte, von dem sie glaubte, es so oder ähnlich schon einmal gesehen zu haben. Leider war es zu kurz aufgeflackert, als daß sie etwas genaues hätte erkennen können, jedoch war sie sicher, Vertrautes wahrgenommen zu haben. Sie versuchte ihr Glück noch auf einer anderen Frequenz – und dann geschah es. Auf dem Monitor stabilisierte sich ein Bild, das sie aufschreien ließ. Es zeigte gläserne Türme, Kuppelbauten, überdachte Fahrstraßen und wüstenhafte Ebenen. »Texas City«, flüsterte sie unwillkürlich. Und dann schrie sie auf. »Texas City! Die Erde! John, Commander, Kommen Sie! Das müssen Sie sehen!« Commander John Koenig sprang auf und trat neben sie. »Auf welcher Frequenz?« fragte er knapp. »Scheinbar auf allen«, erwiderte die junge Frau atemlos. »Ich vermute, es handelt sich um einen permanenten Sender ähnlich unseren Notrufsignalen in den Eagles.« Das Bild auf dem Monitor wechselte jetzt. Das Gesicht eines Mannes tauchte auf. Es wirkte irgendwie deformiert, aber trotzdem ansprechend und interessant. Große Augen schauten die Alphaner an, und der Mund des Mannes öffnete sich. »Hier ist Texas City! Texas City ruft Mondbasis Alpha. Sie nähern sich unserer Milchstraße! Bitte melden Sie sich, sobald Sie uns empfangen. Funken Sie auf Frequenz drei sieben x!« Das Gesicht verschwand, und die gläsernen Kuppeln traten wieder an seine Stelle. Fünf Sekunden lang blieb dieses Bild, und der männliche Kopf tauchte wieder auf. Der Mann wiederholte den gleichen Text, bis er verblaßte und den gläsernen Kuppeln Platz machte.
John Koenig wandte sich zu seinen Leuten um. Helena Russell strahlte ihn an. »Die Erde, John. Wir haben sie wiedergefunden.« John Koenig dachte nach. »Unsere Berechnungen haben ergeben, daß wir durch die Begegnung mit dem Stahlplaneten von unserem ursprünglichen Kurs abgelenkt wurden. Aber wir konnten nicht ahnen, daß wir uns auf dem neuen Kurs unserer Heimat nähern.« Kopfschüttelnd gab er Sandra ein Zeichen. »Dann leg mal los, Kleines, und ruf die alte Mutter Erde. Vielleicht haben wir diesmal mehr Glück mit dem Materietransmitter. Irgendwann haben ja auch wir einmal eine Belohnung für unseren langen Überlebenskampf verdient.« Er legte einen Arm um Helenas Schultern und betrachtete gedankenverloren die wechselnden Bilder auf dem Hauptmonitor. Ein untrügliches Gefühl sagte ihm, daß die lange Irrfahrt der Mondbasis Alpha nun bald zu Ende war. Aus Alphanern würden wieder Terraner. Es fragte sich nur, ob die Erde sich nicht soweit verändert hatte, daß man sich nicht doch am liebsten wieder auf den Mond flüchten würde…