Nr. 1377
Der rote Hauri Versteckspiel in der Technozone die Imago-Sucher bringen Rettung von Robert Feldhoff
Im Augus...
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Nr. 1377
Der rote Hauri Versteckspiel in der Technozone die Imago-Sucher bringen Rettung von Robert Feldhoff
Im August 447 Neuer Galaktischer Zeitrechnung hat Perry Rhodan bereits einige wichtige Eindrücke von Tarkan, dem sterbenden Universum, gewonnen. Er weiß um die Machenschaften des Hexameron, und er kennt die Gegenseite sowie deren Aktivitäten schon einigermaßen. Um größere Bedrohungen für die heimatliche Milchstraße abwenden zu können, muß der Terraner jetzt aktiver werden. Zusammen mit der Kartanin Nai-Leng absolviert der Terraner eine Reihe von Prüfungen, die sie zu Hütern der Sechs-Tage-Lehre machen. Seinen kleinwüchsigen Begleiter, den Attavenno Beodu, der ebenfalls die Prüfung besteht, wenngleich weniger erfolgreich, erklären die Werber des Hexameron zu seinem Diener. Was der Terraner aber nicht wissen kann: Es ist bereits ein sogenannter Wasserträger ihn angesetzt, einer jener rotgekleideten Priester, die besondere religiöse Achtung genießen. Shaa pak Jhiakk soll den Terraner ermorden. Perry Rhodan ging also ein großes Risiko ein, als er sich entschied, unter falscher Flagge in die Reihen des Gegners einzutreten. Die Gefahr einer Enttarnung durch den Wasserträger ist groß – denn dieser ist DER ROTE HAURI …
Der rote Hauri
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Die Hautpersonen des Romans: Perry Rhodan - Der Terraner wagt ein gefährliches Spiel. Shallun - Rhodans Helfer auf Talluur. Shaa - Der Wasserträger gibt nicht auf. Beodu und Nai-Leng - Der Attavenno und der Kartanin als ungleiches Team. Narmon ald Tiil - Ein Hauri gibt religiöse Unterweisung.
Prolog »Sechs kurze Tage, war das nicht der kartanische Name deiner Organisation?« »Das war er, Prior.« Narmon ald Tiil hielt sich gerade, doch innerlich wäre er am liebsten schlaff zusammengesackt und in tiefen Schlummer gefallen. »Sechs kurze Tage, in kartanischer Phonetik Han-Shui-Kwon.« »Ich bin sicher, daß zumindest die klugen Kartanin uns fürchten. Dies ist das Zeitalter des Sechsten Tages, Narmon, und je besser wir Hauri den Willen des Hexameron erfüllen, desto kürzer wird dieser Tag sein. Der Herr Heptamer spricht: Girratu, die Göttin des Feuers, wird ihr Haupt erheben und Hitze verbreiten. Und am Himmel über den Sternen wird als Zeichen ihrer Macht zu erkennen sein ein Leuchten wie das der Blume Omfar. Die Sterne werden aneinanderrücken, und die Stätten werden einander näher sein. Das sagt Heptamer, der Herr Siebentag. Ich bin weiterhin sicher, Narmon, du kennst das Buch Hexameron und all seine Lieder. Um jedoch den göttlichen Willen durchzusetzen, um die Todesprophezeiung an alle Ungläubigen und jene, die vom Herrn Siebentag unrein genannt werden, zu erfüllen, brauchen wir Erfolge. Du hingegen hast versagt.« Der Prior wanderte ruhig in der engen Kammer hin und her, als wolle er Narmon ald Tiil nur auf die Folter spannen. Vielleicht war das tatsächlich der Fall, dachte der Hauri. Er, Narmon, war ein Abkömmling dieses Priesterbergs, er stand unter besonderem Erfolgsdruck. Andererseits hatte er einen hohen religiösen Rang inne; man konnte ihn nicht bestrafen wie einen durch-
schnittlichen Versager. »In der letzten Woche hast du in der Technozone Dienst getan, nicht wahr?« Narmon bestätigte. »Es handelte sich um eine sehr niedrig angesehene Tätigkeit im Versorgungsbereich. Ich empfehle meine Versetzung, Prior.« »Ja … Ich habe keine Wahl. Deine Anwesenheit dort schadet dem Ansehen des Berges Tiil – auch wenn du selbst es nicht besser verdienst. Deshalb wird dir eine neue Aufgabe zugeteilt, und zwar abermals in der Technozone. Die Ausbildungslager brauchen Lehrer. In letzter Zeit werden die Kräfte der Sechs Tage zunehmend durch Fremdrassige verstärkt, und diese wiederum benötigen dringend religiöse Unterweisung. Das ist in Zukunft deine Aufgabe, Narmon. Du kannst gehen.« »Ja, Prior.« In ihm kochte es. Er war kaltgestellt, hineinmanövriert in eine eintönige und ausgesprochen kompetenzarme Stellung. Aber mehr hatte er nicht erwarten dürfen, dachte Narmon ald Tiil. Er konnte schon froh sein, daß man ihn nicht zum Selbstmord aufgefordert hatte. Er verspürte keinerlei Sehnsucht nach dem Land Shamuu. Seine Glieder waren noch stark, sein Geist trotz der Niederlage im Charif-System leistungsfähig. Hatte er nicht die Pflicht, sich mit aller Macht für den beschleunigten Ablauf des Sechsten Tages einzusetzen? »Noch etwas, Lehrer!« rief der Prior, als er gerade hinter sich die Tür hatte schließen wollen. »Es ist dir von nun an untersagt, Tiil zu betreten. Wir wollen dich hier nicht mehr sehen.« »Ja, Prior.« Narmon ald Tiil schlich wie betäubt durch die Gänge des Priesterbergs. An diesem Ort war er aufgewachsen. Hierhin gehörte er, doch was galt den Gehilfen des Herrn Hept-
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amer ein einzelnes Leben? Es wird Not herrschen unter den Völkern der Zwanzigstätten und der anderen Stätten bis hin an die Grenzen des Alls. Aber die Not ist ein Vorbote der Vollkommenheit, und die Gläubigen werden sie geduldig ertragen, wissend, daß die Neugeburt sie erwartet. Ja, dachte er, und was galt dieses einzelne Leben ihm selbst? Bescheidenheit hieß das Gebot der Stunde. Er, Narmon ald Tiil, war ein Teil des Ganzen. Ein verschwindend kleiner Teil.
1. Rhodan brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er wieder klar denken konnte. Der Transmitterbogen hatte ihn ausgespien, und nun stand er mit leichtem Schwindelgefühl in der Mitte eines niedrigen, von Gerätschaften aller Art ausgefüllten Raumes. Was war geschehen? Natürlich, er erinnerte sich genau … Gemeinsam mit Beodu, dem Attavenno, hatte er Eperst aufgesucht, um in den Dienst des Hexameron zu treten. Dann aber hatte ein rotgekleideter Hauri ihn mit ungeheurer Energie angegriffen und zu töten versucht. Der Hauri namens Shallun, der zwei Meter weiter gerade zu sich kam, war als sein Retter aufgetreten, und gerade darauf konnte sich Rhodan keinen Reim machen. Was steckte hinter dieser Aktion? Persönliche Motive womöglich? Er hoffte, daß Beodu und Nai-Leng, sein kartanischer Helfer, auf Eperum in Sicherheit waren. Die Aktion des roten Hauri hatte nur ihm gegolten. Soviel wußte Rhodan, ohne daß er sich die Tatsache erklären konnte. Er würde die Freunde wiedersehen – doch nun zählten vor allem die Ungewißheiten seiner eigenen Lage. »Wo sind wir gelandet?« wollte der Terraner wissen. Dabei faßte er den Hauri neben ihm scharf ins Auge. Shallun trug eine graue Kutte mit dem Symbol des Hexameron, einer halben aufgehenden Sonne, deren sechs Strahlen von links nach rechts an Län-
ge zunahmen. »Und vor allem wüßte ich gern, wie es überhaupt möglich ist, daß du als Hauri mir das Leben rettest.« Der andere sprach nun zum ersten Mal, seit sie den Trarjsmitter verlassen hatten. »Die meisten Erklärungen müssen warten, Perry Rhodan. Wir befinden uns auf meiner Heimatwelt Talluur. Wenn meine Artgenossen uns auf die Schliche kommen, töten sie uns beide.« »Ist das ernstlich zu befürchten?« »Nein, eigentlich nicht; jedenfalls sind wir vorerst sicher in diesem Raum. Er ist nur mir und anderen Angehörigen Jhiakks zugänglich. Frage jetzt nicht danach. Ich erkläre es dir später. Du hast ja mit dem rotgekleideten Hauri in Eperst Bekanntschaft gemacht, der dich töten sollte. Er ist mein Bruder Shaa, ein Wasserträger. Die Sendestation des Transmitters ist explodiert – vielleicht glaubt er, daß wir tot sind, aber trotzdem muß er hier in der Empfangsstation nachsehen, ob er dessen sicher sein kann. Also stellt sich die Frage, wie wir ungesehen das Gebäude verlassen. Du bist zu auffällig, Perry Rhodan, verstehst du? Shaa wird die Bewohner des Viertels ausfragen.« »Verstehen wäre übertrieben. Ich sehe nur einen kleinen Ausschnitt der Sachlage.« Rhodan musterte nachdenklich den hochgewachsenen, dürren Fremden in seiner Kutte. »Was unternimmt dein Bruder Shaa jetzt?« »Eigentlich hat er nur eine Wahl«, erklärte Shallun mit angenehm tiefer Stimme. Rhodans Translator übersetzte die HauriWorte automatisch ins Interkosmo. »Er wird eine Interplanetarfähre nehmen und sehr bald hier auftauchen. In vier Stunden schätzungsweise.« »Das gibt uns Zeit genug. Welcher Art sind die Geräte in diesem Raum?« »Es handelt sich um Ausrüstungsmaterial. Wenn ein Angehöriger Jhiakks einen der zweiundsechzig Planeten des Ushallu-Systems besuchen will, findet er hler für jede Art Einsatz das Richtige. Natürlich existieren nicht überall Empfängerstationen.« »Natürlich nicht«, gab Rhodan ironisch
Der rote Hauri zurück. Das wäre auch zuviel Glück auf einmal gewesen. Er hätte so vielleicht Cheobad, den fünften Planeten, besuchen können. Irgend etwas bereiteten die Hauri dort vor, und er wollte wissen, was es war. Später konnte er Shallun darauf ansprechen. Zunächst aber mußten sie unauffällig diesen Raum verlassen. »Gibt es unter den Gerätschaften auch Deflektoraggregate?« fragte er. »Etwas, das uns unsichtbar macht?« »Sicher … Aber das nützt wenig, weil außerhalb der Technozone ein dichtes Ortungsnetz aufgebaut ist.« »Technozone? Erkläre zumindest mit ein paar Worten, was das ist!« Der Hauri wurde immer nervöser. Rhodan hätte ihm mehr Nervenstärke zugetraut, gerade in Anbetracht seines Verhaltens auf Eperum. Immerhin hatte sich Shallun gegen den rotgewandeten Artgenossen gestellt, und Rhodan wußte ja, welch ein Kämpfer der Rote war. »Du mußt dir zumindest so viel Zeit nehmen«, drängte Rhodan. »Nun gut. Die Technozone ist eine Enklave des Planeten Talluur. Sie durchmißt mehr als hundert Kilometer und ist dicht besiedelt. Es gibt viele Ausbildungszentren, Forschungsanlagen, Energieerzeuger. Ringsum ist Wüste ohne nennenswerte Besiedlung.« »Das reicht aus.« Die Grundsituation schien dem Terraner vertraut, als habe er sie schon mehrfach erlebt. Und noch im selben Atemzug nahm seine Idee Gestalt an: »Wir können eine Übergangslösung praktizieren. Wenn ich dich recht verstehe, darf man dich nicht in der Nähe dieses Gebäudes sehen, genausowenig wie mich. Außerhalb der Technozone würde man mit etwas Pech die Deflektoren orten, richtig?« Er wartete Shalluns Bestätigung nicht ab, sondern fuhr in aller Seelenruhe fort: »In der Technozone selbst wird die Ortung nicht eben präzise arbeiten, denke ich. Deshalb nehmen wir zunächst die Deflektoren und Ausrüstungsmaterial und tauchen in der Technozone unter. Mit deiner Ortskenntnis dürfte das nicht
5 schwierig sein …« »Ich verfüge nur über wenig Ortskenntnis«, unterbrach Shallun, setzte jedoch hinzu: »Trotzdem geht dein Plan soweit in Ordnung. Weiter bitte, Perry Rhodan.« »Der Rest ist einfach. Wo wir unbeobachtet sind, kommen wir zum Vorschein. Dann können wir uns frei bewegen und die Technozone auf normalem Weg verlassen.« »Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme verberge ich dich in einem Container, zusammen mit Nahrung und anderem, und wir gehen ein paar Tage in die Wüste … Du würdest sonst zu sehr auffallen. Die meisten Bezirke der Technozone sind Hauri vorbehalten. Jemand wie du kann nur in den Ausbildungslagern frei herumlaufen.« Rhodan entsann sich, daß man ihm auf Eperum ohnehin eine Passage in eines dieser Ausbildungslager bewilligt hatte. Wenn alles glattging, würden in drei Tagen auch Nai-Leng und Beodu dort eintreffen. Bei näherer Betrachtung bot die Lage doch erstaunliche Perspektiven, fand er. »Wir können uns zusätzlich schützen, Shallun. Enthält das Ausrüstungslager auch Thermitladungen? Wir brauchen geringe Sprengwirkung mit viel Hitzeentwicklung.« »Auch das ist vorhanden. Worauf willst du hinaus, Perry Rhodan?« »Ganz einfach«, erklärte er dem verdutzten Hauri. »Wir bringen im Transmitter eine solche Thermitladung an. Sie wird am Gebäude von außen keinerlei Schäden hinterlassen und deshalb mit etwas Glück nicht bemerkt. Innen sieht es anders aus. Der Transmitter muß samt Aufzeichnungen über seine Tätigkeit zerschmelzen. Ist der Sender auf Eperum nicht explodiert? Wenn auch hier nur Trümmer sind, wird unser Tod wahrscheinlicher.« Hatte der Hauri zuvor einen verdutzten Eindruck gemacht, so wirkte er jetzt regelrecht fassungslos. »Wo bin ich mit meinen Gedanken?« rief er. »Du hast natürlich recht. Ich schäme mich, daß ich bei all der Ausbildung nicht selbst darauf gekommen bin.«
6 Shallun suchte aus den wohlgefüllten Regalen und Behältnissen ein paar Gegenstände zusammen und schichtete sie vor sich auf. Rhodan erkannte zwei Komponenten, die sich zu einer Thermitladung zusammenfügen ließen, und weiterhin zwei etwas klobige Kistchen. Dies mußten die Deflektoren sein. »Eine weiterführende Frage noch«, meinte der Terraner. Sein Translator wandelte die Worte in perfektes Haurisch um, das er aus eigener Kraft leider nur mangelhaft sprach und verstand. »Wie beurteilst du die Psychologie deines Bruders? Wir wissen ja, daß man aus der Thermitwirkung und der Explosion im Sender auf unseren Tod schließen könnte. Aber wird Shaa das auch tun?« Shallun überlegte eine Weile. Rhodan sah die ledrige, dunkelbraune Haut seines Gesichts zucken. Der andere quälte sich; soviel verstand Rhodan, obgleich die haurische Mentalität ihm nach wie vor ein Rätsel war. »Vielleicht glaubt Shaa tatsächlich an unseren Tod. Aber es besteht nicht die geringste Chance, daß er sich darauf verläßt. Er wird uns suchen.« »Dann ist es besser, wir modifizieren den Plan. Du hast gesagt, auf den übrigen Planeten des Ushallu-Systems bestünden weitere Empfangsstationen. Welcher Planet mit Sauerstoffatmosphäre besitzt die am wenigsten übersichtliche Oberflächenstruktur?« Shallun überlegte eine Weile. »Nummer elf, denke ich. Eine zerklüftete Eiswelt, viele Gebirge, aber auch Vulkanismus. Es gibt kaum Besiedlung dort.« »Das ist ideal«, stellte der Terraner zufrieden fest. »Bevor wir also dieses Gebäude hier von innen zerstören, schicken wir eine weitere Thermitladung mit Zeitzünder nach Nummer elf. Als Verzögerung schlage ich zwanzig Minuten vor. Shaa wird in Erwägung ziehen, daß wir uns auf Nummer elf versteckt haben. Der Zeitzünder soll ihn bestärken. Wenn er herausfindet, welche Bombe zuletzt explodiert ist, wird er uns dort suchen.« In Shalluns Gesicht machte sich ein skep-
Robert Feldhoff tischer Zug breit. »Die Sache scheint mir zu simpel. Wenn er nicht darauf hereinfällt …« »Es ist unsere beste Chance. Du hast gesagt, daß Shaa uns aus eigener Kraft finden muß. Nummer elf läßt ihm kaum eine Chance dazu. Vulkanismus und Gebirge – schlechter kann er es nicht treffen. Und bedenke noch etwas: Ihr Hauri seid mit hochtechnisierter Umgebung vertraut, gerade dann bieten simple Tricks hohe Aussicht auf Erfolg.« »Nun gut«, gab sich Shallun geschlagen. »So machen wir es.« Er stellte eine zweite Thermitladung zusammen, koppelte sie mit der nötigen Zünderschaltung und justierte den Transmitter. Ein Knopfdruck ließ das kleine Paket verschwinden. Hoffentlich befand sich während der Explosion niemand im Gefahrenbereich, dachte Rhodan. Shallun überreichte ihm eines der Kistchen. »Das ist dein Deflektor. Hier ist der einzige Knopf; arretiert ist das Feld in Betrieb, läßt du den Knopf herausspringen, wirst du sichtbar.« Sorgfältig verankerte Rhodan das Gerät am Gürtel seiner Netzkombination. Er sah zu, wie Shallun die zweite Thermitladung fertigstellte und im Schaltteil des Transmitters unterbrachte. Den Zeitzünder stellte er auf fünf Minuten ein. »Besitzt du selbst Vorräte, Perry Rhodan?« Der Terraner klopfte kurz seine Taschen ab und sagte: »Für ein paar Tage reichen die Konzentrate. Aber ich brauche Wasser.« »Wasser, sicher … Wir Hauri vertragen kein reines Wasser, es wirkt wie ein Suchtgift bei uns. Deshalb muß ich zusehen, daß wir später ein Reservoir ausfindig machen.« Rhodan schaute überrascht auf. Diese Information bezüglich haurischer Physiologie war ihm neu. Doch er erinnerte sich an Varro pak Duur, an seine erste Mahlzeit in Gesellschaft mehrerer Hauri. Dort hatte es nur Urkhiitu und Ponaa gegeben. Es ging durchaus an, daß Ponaa, die flüssige Komponente haurischer Ernährung, Wasser lediglich in
Der rote Hauri gebundener Form enthielt. Shallun schwang sich einen gefüllten Vorratsbehälter auf den Rücken und bedeutete Rhodan Aufbruchbereitschaft. »Wir müssen uns bei den Händen fassen, sonst verlieren wir Kontakt.« Der Mann begriff, daß die Hauri nicht über Antiflex-Brillen verfügten. Jene Geräte, die einander trotz Deflektorfeldern Sichtkontakt verschafften, waren auf Terra schon seit vielen Jahrhunderten bekarmt. Vorsichtig nahm er Shalluns kühle, extrem trockene Hand und aktivierte gleichzeitig mit seinem Retter das Kistchen am Gürtel. Er sah den Hauri verschwinden, hielt aber fest des anderen Hand im Griff. »Rasch jetzt!« sagte Shallun. »Wir haben noch drei Minuten.« Rhodan folgte bereitwillig dem Zug in Richtung Ausgang. »Wir müssen das Schott passieren, so schnell es geht. Sonst beobachtet jemand den Öffnungsvorgang und meldet eine Fehlfunktion.« »Ich weiß, worauf es ankommt.« Shallun ließ die Schotthälften beiseite gleiten. Rhodan zögerte keine Sekunde – er sprang und passierte so unmittelbar hinter dem Hauri die Öffnung. Dabei trug der eigene Schwung ihn drei Meter weit, und sein Handkontakt zu Shallun ging verloren. Noch im Fallen sah er, wie das Schott sich schloß. In der folgenden Sekunde deutete nichts mehr auf den Vorgang hin. Shallun war ungeheuer geschickt gewesen, das begriff Rhödan; er selbst hätte den Verschlußkontakt von außen nicht annähernd so schnell erreicht. Vielleicht mußte er seine Einschätzung des anderen von Grund auf revidieren. »Perry Rhodan!« Shalluns Stimme war nur ein Wispern. Instinktsicher orientierte sich der Mann daran und kroch in die entsprechende Richtung vor. Mit ausgestreckten Fingerspitzen ertastete er den Körper seines haurischen Retters. Ihre Hände fanden sich, und Rhodan kam lautlos auf die Beine.
7 Nun erst fand er Zeit, die Umgebung genauer zu betrachten. Doch was er sah, wirkte nicht besonders ungewöhnlich. Er hatte schon zu viele fremde Welten besucht, als daß ein paar fremdartige Bauten ihn hätten schrecken können. Architektur unterlag dem Wandel der Zeit – und ebendies kam hier in einer Vielfalt zum Ausdruck, die, an haurischen Verhältnissen gemessen, auf ein hohes Alter der Stadt hinwies. Denn um eine Stadt handelte es sich. Shallun hatte sie Technozone genannt, und das keineswegs ohne Grund. Rhodan sah in der Entfemung schlanke, turmartige Stahlgebilde, unterbrochen von abgeflachten Kuppeln, die Lagerhallen ähnelten, aber genauso hoch waren. Viele Gebäude waren symmetrisch, manche allerdings wirkten in der Formgebung fast verspielt. Rhodan hütete sich, diesem ersten Eindruck irgendeinen Wahrheitsgehalt beizumessen. Verspieltheit war im höchsten Grad unhaurisch. Was er außerdem zu Gesicht bekam, untermauerte Rhodans Wissen. Die Gebäude ringsum waren gedrungen und erinnerten in ihrer Farblosigkeit an Kasernen. Es handelte sich um Wohnhäuser. Jedenfalls schloß der Terraner das aus der hohen Anzahl kleiner Sichtluken, die man in den Wänden ausgespart hatte. »Laß uns hier verschwinden, Perry Rhodan. Ich glaube nicht, daß uns jemand gesehen hat. Dies ist ein Wohnbezirk, und bei Tageslicht sind alle einsatzfähigen Hauri der Technozone an der Arbeit.« »Du hast recht.« Hinter Shallun bewegte sich Rhodan durch enge, vollkommen unbepflanzte Straßen. War das Wüstenklima schuid daran? Zwar lag die Temperatur nicht übermäßig hoch, bei etwa fünfzehn Grad vielleicht, doch die Luft war extrem feuchtigkeitsarm. Rhodan litt schon jetzt darunter. Zudem wies der Himmel einen dumpfen rötlichen Farbton auf, der Pflanzenwuchs nicht eben begünstigte. Daran änderte auch die Nähe des Doppelgestirns Usha und Allu wenig. Die oberen Schichten der talluurischen At-
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mosphäre würden einen Großteil ihrer Strahlen ausfiltern. Sie ließen das Wohnviertel hinter sich und erreichten eine Zone, wo Lagerhallen und Produktionsstätten einander abwechselten. Inzwischen hatten sie fast zehn Kilometer zurückgelegt, schätzte Rhodan. »Das reicht«, sagte Shallun. »Wir suchen einen unbeobachteten Hinterhof. Da kannst du abwarten, und ich besorge einen kleinen Ladegleiter und Wasservorräte.« Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte der Hauri das Gewünschte ausgemacht. Von drei Seiten her begrenzten hohe Mauern eine Fläche von fünfhundert Quadratmetern. Überall sah Rhodan schmutzige, viereckige Abdrücke in Kistengröße. Er schloß daraus, daß der Hof im Bedarfsfall als Lagerstätte genutzt wurde und daß dieser Bedarf derzeit nicht vorhanden war. Auf der Straße bewegte sich nichts. Rhodan hörte in einiger Entf emung die Fahrgeräusche schwerer Transporter, doch er konnte sich denken, daß keiner davon den engen Weg hierher passieren mußte. Shallun wurde unvermittelt sichtbar. »Es geht jetzt los, Perry Rhodan. Verliere nicht die Geduld, bis ich zurück bin.« »Das werde ich ganz bestimmt nicht«, versicherte der Terraner. Er starrte mit gemischten Gefühlen dem Hauri nach, der seine Kapuze tief in die Stirn gezogen hatte und um die nächste Ecke verschwand. Was, wenn Shallun etwas zustieß? Ohne ihn war er verloren in dieser Stadt voller Hauri.
2. Shaa würde jetzt schon in der Stadt sein. Er stellte sich vor, wie der Bruder am Sendeteil der »Pforte nach Talluur« anlangte und nur mehr einen zerschmolzenen Schlackehaufen vorfand. Früher wäre es ihm ein leichtes gewesen, sich in Shaas Gedankengänge hineinzuversetzen. Heute war das anders; man haftte seinen Bruder zu einem Wasserträger gemacht, zu einem Süchtigen im Dienst der haurischen Gesellschaft.
Womöglich lag es daran, daß sich Shallun in einer dramatischen Aktion vom Hexameron abgewandt hatte. Man würde ihn einen Verräter schimpfen, dachte er in einem Anfall innerer Qual, und es wäre nicht einmal gelogen. Die Philosophie des Hexameron hatte ihm den Bruder genommen. Dieser Hauri ganz in Rot, der ohne sein Suchtgift Wasser nicht mehr leben konnte, war nicht mehr sein Bruder. Aber lag es allein daran? Nein, gewiß nicht … Alles in Shallun hatte sich dagegen gesträubt, den Tötungsbefehl auszuführen. Er mußte unbewußt seine Zuneigung vom veränderten Bruder abgewandt und auf den Fremden namens Perry Rhodan projiziert haben. Es gab nur einen Grund dafür. Rhodan war öffentlich gegen das Hexameron eingetreten, und dasselbe hätte auch Shallun am liebsten getan. Daher diese spontane Zuneigung, dachte er. Irgendwann hatte er sich selbst nicht mehr verraten können, er hatte tätig werden und den letzten Verrat am eigenen Glauben verhindern müssen. Er war, so weit haurische Geschichtsschreibung zurückreichte, der erste seiner Art. Eine besondere Ironie lag in der Tatsache, daß Shaa vor Perry Rhodans Tod den Sachverhalt nicht einmal melden konnte. Gemeinsam mit Shallun hatte er den Auftrag entgegengenommen – und sein Ehrenkodex als Roter schrieb absolute Pflichterfüllung bis in den Tod vor. Nein, Shaa würde niemals Hilfe anfordern und damit sein eigenes Versagen eingestehen. Noch hat er nicht versagt! dachte Shallun. Noch kann er uns erwischen. Aber vielleicht war die Taktik dieses Fremden von Erfolg gekrönt. Shaa mußte die Spur zum elften Planeten zumindest verfolgen, wenn er gründlich war. Indessen konnten sie hier auf Talluur ihre Spur verwischen. Dazu gehörte auch die bevorstehende Aktion: Er benötigte Wasser für den Fremden und einen Lastengleiter. Beides sollte kein Problem sein. Seine Kleidung wies ihn als Bewohner ei-
Der rote Hauri nes Priesterbergs aus. Solchen Hauri wurde in der Technozone kaum jemals etwas verwehrt, denn ihre Integrität stand vollkommen außer Frage. Niemand würde wissen wollen, welchem Zweck die benötigten Gerätschaften dienten. Shallun wandte sich dem nächstbesten Gleiterdepot zu. Der Verwalter war ein seniler, ziemlich hinfälliger Hauri, der keine Fragen stellte. Shallun erhielt seinen Gleiter anstandslos. Als Vermerk für die Unterlagen reichte ein Hinweis auf die Herkunft des Nutzers aus, ein alltäglicher Vorgang. Mit dem Wasser hatte Shallun schon mehr Schwierigkeiten. Er mußte zunächst eines der größten Industriedepots aufsuchen, dort ein Fünfzigliterbehältnis finden und unauffällig aus einem der Tanks füllen. Aber schließlich hatte er auch diese Hürde genommen. Niemand sprach ihn an, niemand schenkte seiner Anwesenheit mehr Aufmerksamkeit als eben nötig. Darin spiegelte sich eine gehörige Portion Respekt, da Abkömmlinge des Priesterbergs Jhiakk den meisten Hauri als grundsätzlich überlegen galten. Durch die öffentlichen Verkehrsadern steuerte er den Gleiter zurück an seinen Ausgangspunkt. Er landete vorsichtig in der Mitte des kleinen Lagerhofs und schaute sich um. Rhodan war nicht zu sehen; natürlich nicht. Wenn der Fremde einigermaßen klug war, beließ er das Deflektorfeld in aktiviertem Zustand. Shallun öffnete die hintere Ladeklappe des Gleiters, tat, als würde er den Wasserkanister überprüfen, und spürte dabei ganz nahe einen sachten Luftzug. »Ich bin drin«, wisperte die Stimme, die ihm schon fast vertraut geworden war. Erleichtert schloß er die Ladeklappe. Er stieg zurück in den Fond und fädelte sich von neuem in die Verkehrsströme über der Technozone ein. »Jetzt können wir sprechen«, sagte er. »Du hattest doch keine Schwierigkeiten?« Perry Rhodan lachte ironisch. »Die Frage
9 gehört wohl besser umgekehrt gestellt, ich war ja untätig. Vielmehr hoffe ich, daß für dich alles glattging.« »Natürlich.« Shallun versteifte sich unwillkürlich, als er den Worten die Skepsis anhörte. Aber für diesen Fremden war er nicht der Priester aus Jhiakk, sondern ein Lebensretter, der sich nervös und verschlossen gleicherma-ßen gab. »Der weiße Kanister enthält genug Wasser für ein paar Tage. Du mußt damit auskommen.« »Das werde ich auch«, antwortete Rhodan. »Ich habe ein paar Überlegungen angestellt. Wenn du mir auch weiterhin hilfst, läßt sich der Aufenthalt in der Wüste womöglich auf zwei oder drei Tage begrenzen. Alles kommt darauf an, wie ungehindert du dich in der Technozone bewegen kannst.« »Wir reden später darüber.« »Wie du willst, Shallun. Jetzt kommt es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an, und wir werden einander noch einiges zu erzählen haben. Vorher läßt sich eine verbindliche Planung nicht aufstellen.« Perry Rhodan sprach ungemein souverän. Shallun fühlte in sich Bewunderung für den fremden Humanoiden aufsteigen, der in einer wenig übersichtlichen Lage derart die Nerven behielt. »Wir verlassen die Technozone«, kündigte Shallun an. »Du mußt das Deflektorfeld desaktivieren.« Er setzte mit Rücksicht auf die Luftüberwachung Kurs zu einem der Priesterberge. Dem Info-Speicher entnahm er, daß es Nemees war, wo er den Großteil seiner frühen Jugend zugebracht hatte. Man hatte ihn die Worte des Herrn Heptamer gelehrt, die Bedeutung der Göttin Girratu, die Feuer brachte, und des Landes Shamuu, wo die Götter und die Toten lebten … Und heute war alles ohne tiefere Bedeutung für ihn. Lehrstoff solcher Art fußte auf Mythologie, nicht auf Tatsachen. Gewiß, die Begriffe bezogen sich auf den bevorstehenden Wärmetod dieses Universums, auf den möglichst raschen Ablauf der Sechs Tage, für den das Volk der Hauri allein lebte. Aber dahinter standen
10 nicht erkennbare Sachverhalte. Shallun hoffte, daß Perry Rhodan besser informiert war. Der Fremde würde ihm sagen, wie es außerhalb des haurischen Einflußbereichs tatsächlich aussah. Hätte er ohne diese Informationen Vorhaben des Hexameron erfolgreich sabotieren können? Und er würde Shallun sagen, was er tun sollte, um die Sinnlosigkeit seines Daseins zu überwinden. Hoffentlich mutete er Perry Rhodan nicht zuviel zu; aber durfte er als Gegenleistung für dessen Rettung nicht zumindest Hilfe erhoffen? Ein paar Sekunden lang sah Shallun von den Kontrollen auf. Er schaute den Fremden an, der ausgestreckt im rückwärtigen Ladeteil des Gleiters lag. Perry Rhodan war etwas kleiner als er, ungefähr hundertneunzig Zentimeter groß, und mußte auf einer wasserreichen Welt geboren sein. Solche Organismen vertrugen Wasser nicht nur, sie brauchten es sogar, um ihre biologischen Vorgänge aufrechtzuerhalten. Den Hauri diente Wasser nur als gebundenes Gleitmittel. Ungebunden wirkte es giftig; ein Wasserträger war zwar zu ungeheuren Leistungen fähig, doch er brannte innerlich aus und verlor jegliches Gefühl für körpereigene Reserven. Als sie sich von der Technozone dreißig Kilometer entfernt hatten, änderte Shallun den Kurs. Er bog scharf nach rechts ab und ging schließlich am Rand einer langgezogenen Hügelkette nieder. »Da sind wir, Perry Rhodan. Nun haben wir Zeit genug.« Sie verbargen den Gleiter im Schatten eines Felsvorsprungs. Unmittelbar daneben schlugen sie ein provisorisches Lager auf, das im wesentlichen aus zwei vom Geröll befreiten Stellen im Sand bestand. »Erzähle mir deine Geschichte, Shallun«, bat der Terraner. »Wie ist es zu deiner Rettungsaktion für mich gekommen?« »Dazu muß ich weiter ausholen, Perry Rhodan …« »Nur zu!«
Robert Feldhoff »Die Hauri von Talluur leben in zwei Bereichen. Der erste ist die Technozone, dort konzentrieren sich die Massen, zusammen mit Fertigungs- und Schulungszentren. Der zweite Bereich sind die Priesterberge.« »Den Ausdruck habe ich schon mehrfach gehört. Du mußt ihn näher erklären.« »Wie du willst. Die Berge sind die Herkunft des haurischen Volkes. Sie sehen vergrößerten, langgestreckten Hügeln ähnlich, die sich wie auf Prallfeldern durch die Wüste bewegen. Aber der wahre Vorgang läuft anders, Perry Rhodan. Es gibt nur noch zehn Berge auf Talluur, sie sind organischen Ursprungs. Sie halten sich mittels einer Gebläsevorrichtung in der Luft, wirbeln gleichzeitig den Untergrund auf und extrahieren daraus ihre Nahrungssubstanzen. Natürlich wiegt Bergsubstanz extrem wenig – bei gleichzeitiger Stabilität.« »Und die Hauri leben auf dem Rücken dieser Wesen?« Shallun empfand Rhodans Gesichtsausdruck als ungläubig. »Nicht nur auf dem Rücken«, antwortete er, »sondern auch im Innern. Jeder Priesterberg ist da, wo sich abgestorbene Bergsubstanz befand, ausgehöhlt. Das verringert sein Gewicht und bietet uns Lebensraum. Außerdem kappen wir Hauri die Urkhiitu-Triebe; eine Symbiose also, weil ohne den anderen weder Hauri noch Berge mehr am Leben wären. Nebenher zapfen wir dem organischen Steuersystem der Berge unser Ponaa ab.« Shallun behielt den anderen genau im Auge. Er hatte staunende Ungläubigkeit erwartet, sah statt dessen aber nur Wißbegierde. Sekundenlang überlegte er, ob er darauf bestehen sollte, zunächst Rhodan auszufragen. Dann aber fühlte er, wie gut ihm das Reden über eigene Probleme tat. In Jbiakk und überall sonst unter Hauri hatte er seine wahren Gedanken verbergen müssen. Dies war nun erstmals anders – und er genoß die Tatsache. »Fahre fort, Shallun. Wie paßt deine eigene Rolle zu diesen Bergen?« »Ich bin in einem Priesterberg aufge-
Der rote Hauri wachsen. Als ich ein Neugeborenes war, fiel ich kartanischen Prospektoren in die Hände, und es waren Priester des Berges Nemees, die mich freikauften. Anschließend wurde ich nach Jhiakk gebracht, das ist der Name eines weiteren Berges. Dort erhielten wir Novizen Ausbildung in technischen Disziplinen, außerdem im Überleben und im Nahkampf. Shaa und ich waren unzertrennlich bis zu diesem Zeitpunkt …« Mit einem seufzenden Geräusch sank Shallun in sich zusammen und richtete den Blick nach Westen, wo Allu, der weiße Bruder der großen Usha, gerade unterging. Gleichzeitig kühlte es merklich ab. »Und dann kam der Augenblick: Unsere letzte Prüfung stand an. Wir waren gezwungen, Wasser zu uns zu nehmen, obwohl Wasser uns schadet und Sucht erzeugen kann. Meinem Bruder Shaa ist es so ergangen. Jetzt ist er ein Wasserträger.« »Was bezeichnet das Wort? Ich habe schon oft Hauri getroffen, aber nie von Wasserträgern gehört.« »Hauri wie Shaa sind ganz in Rot gekleidet und speziell ausgebildet. Sie tragen einen Wasserkanister auf dem Rücken, und wenn eine unlösbare Konfliktlage entsteht, greifen sie ein. Das Wasser ist wie eine Droge; sie sind ungeheuer schnell, ungeheuer kräftig, ungemein ausdauernd, solange das Wasser wirkt. Aber es brennt die Wässerträger von innen aus. Shaa hat kein langes Leben vor sich.« »Auf Eperum habe ich gesehen, mit welch einem Maß an Respekt ein roter Hauri behandelt wurde«, sagte Rhodan. »Ja, das ist wahr, Wasserträgern kommt ein hoher religiöser Rang zu. Manchmal werden Sonderaufträge an sie erteilt, dann handeln sie völlig selbständig und haben immer Erfolg.« »Diesmal war es anders.« »Aber nur, weil ich dir geholfen habe«, erwiderte Shallun. »Shaa hat nicht damit gerechnet, daß ich mich je gegen ihn wende. Ich habe mein eigenes Volk verraten.« Perry Rhodan schaute aufmerksam. Shallun hatte einen Augenblick läng das Gefühl,
11 in seinen gänzlich anderen, unhaurischen Augen zu versinken. »Du hattest gute Gründe«, unterstellte er endlich. »Wenn du möchtest, erzähle mir davon.« »In der Tat, ich hatte Gründe. Von Kindheit an war ich ein bißchen anders als meine Altersgenossen. Und später wurde daraus eine Abneigung gegen alles, was mit der hexamerischen Todesreligion zu tun hat.« Nun, da sich Shallun der eigenen Motive bewußt geworden war, fiel es ihm leicht, darüber zu sprechen. »Doch ich mußte meine wahren Gedanken verborgen halten, weil niemand sie verstanden hätte. Wir sind Hauri; es gibt keine zwei Standpunkte unter uns. Ich hörte von dir, Perry Rhodan, daß du auf Bentang Varro pak Duur gestört und im Charif-System Narmon ald Tiils Organisation ausgehoben hast. Du hast getan, was ich insgeheim immer tun wollte. Das war vor ein paar Tagen.« »Ich habe mir echte Chancen ausgerechnet, unerkannt zu bleiben. Wie kommt es, daß ihr mich identifiziert habt? Hangay ist groß, ihr könnt nicht jedes Vorkommnis auswerten …« »Vergiß nicht, welche Wirkung du auf die Benguel und die Juatafu-Roboter ausübst«, antwortete Shallun frö-stelnd. »Sie sind dir fast hörig, und das fällt auf, zumal niemand den Grund dafür weiß.« Inzwischen war es dunkler geworden, und auch Usha schickte sich nun an, unterzugehen. Ihr Anblick erinnerte an jenes Sonnenzeichen, das als Symbol des Hexameron diente. Es war keine aufgehende Sonne, sondem eine untergehende – und seine Botschaft kein anbrechender Tag, sondern ewige Nacht. »Die Hauri in den Priesterbergen sind die letzten, deren Lebenswandel noch aussieht wie vor vielen tausend Jahren«, fuhr Shallun fort. »Ihre Computer sind anders geschaltet. Jedenfalls wurde in Jhiakk eine Querverbindung zwischen Bentang, dem Charif-System und deinem Aufenthalt in Eperst gezogen. Was lag näher, als auch die Liquidation von Jhiakk aus zu organisieren? Der Auftrag erging an mich und Shaa, meinen Bruder. So
12 ist alles gekommen.« »Ich nehme an, du hast mein Leben nicht umsonst gerettet. Du willst doch etwas, Shallun!« Perry Rhodan schaute womöglich noch aufmerksamer als vorher, wenn der Eindruck nicht gänzlich täuschte. »Natürlich, aber du wirst dich wundern, wie wenig das ist. Wir können morgen darüber sprechen, wenn der neue Tag anbricht. Schlaf dich aus, solange du dazu noch Gelegenheit hast.« Shallun wühlte in der Ladefläche des Gleiters, brachte zwei Thermodecken zum Vorschein und reichte eine davon dem Fremden. Er lag still und schlief ein, sobald er die Augen geschlossen hatte. Beim ersten Tageslicht würde sein Instinkt ihn wecken. Bis dahin jedoch träumte er: Eine nicht überschaubare Anzahl Hauri trat mit vorwurfsvollem Blick vor ihn hin. Sie alle ließen ihn eisige Ablehnung fühlen. Ein haurischer Verräter, sagten sie, er wird sterben müssen. Als Rhodan erwachte, stand das Sonnenpaar Usha und Allu schon am Himmel. Er schob die Thermodecke beiseite, die ihn trotz bitterer Nachtkälte warm gehalten hatte, und erhob sich ausgeruht. Shallun war nirgendwo zu sehen. Doch Rhodan machte sich keine Sorgen darum, denn der Hauri war in diesem Terrain zu Hause – ihm würde nichts geschehen sein. Er nahm ein paar Konzentratwürfel zu sich. Zum Glück hatte er ja gewußt, daß Schwierigkeiten bevorstanden, und sich deshalb die Taschen mit konzentrierter Nahrung vollgestopft. Anschließend ließ er das Ventil des Fünfzigliterkanisters aufschnappen und trank langsam, aber ausgiebig. »Shallun!« rief der Terraner gedämpft. In der Luft lag ein entferntes Summen, das er nicht zu deuten wußte. »Ich bin wach, Shallun! Wo bist du?« »Hier drüben, Perry Rhodan.« Er folgte der tiefen, sonoren Stimme auf die Spitze des nächstgelegenen Hügelkamms. Dort saß der Hauri verborgen zwischen zwei Steinbrocken und schaute ange-
Robert Feldhoff strengt nach Osten. Rhodan entdeckte herzlich wenig, abgesehen von einer langgestreckten Bergkuppe, die inmitten der flachen Hügellandschaft deplaziert wirkte und offenbar Shalluns Beobachtungsobjekt war. Gleichzeitig gewann das Summen allmählich an Lautstärke. »Das ist Nemees, Fremder.« Rhodan erinnerte sich. Er hätte vorher darauf kommen müssen, dachte er verdrossen, weil die Indizien keine zweite Deutung zugelassen hatten. Die Bergkuppe war ein Priesterberg. Das Gebilde bewegte sich ungemein langsam vorwärts, mit weniger als einem Meter pro Sekunde. »Ich bin in diesem Berg aufgewachsen«, sagte der Hauri. In seiner Stimme lag ein merkliches Zittern. »Seltsam, was der Anblick in mir verursacht … Ich fühle mich schuldig, Perry Rhodan, kannst du das verstehen?« »Ein wenig«, gab der Mann mit rauher Stimme zurück. Wenn er sprechen wollte, brauchte er mehr Feuchtigkeit. »Ich stelle mir vor, daß meine alten Lehrer jetzt in Nemees vor eine Klasse von Novizen oder Kindem treten und ihnen klarmachen, was ich getan habe. Das ist ein Hirngespinst, natürlich, ich weiß es genau. Trotzdem kann ich nichts dagegen tun, weil ich der Lage seelisch so schlecht gewachsen bin. Und nie im Leben hätte ich gedacht, dies je einem Fremden zu erzählen.« »Wir sind uns ähnlicher, als du denkst, Shallun.« Der Hauri wandte erstmals den Kopf und sah Rhodan voll an. Seine trokkene, lederartig braune Haut umspannte einen Totenschädel, dessen Augen tief in den Höhlen lagen. Auch er selbst war in einem steten Lernprozeß begriffen, dachte der Mann; er paßte Erkenntnisse und Wünsche der Realität an und gewann dabei ebenso, wie er verlor. Der Hauri jedoch hatte zuviel verloren. Von seinem Weltbild war nichts mehr übrig. »Ahnst du, was ich von dir will, Perry Rhodan?« »Du willst genau wie ich Informationen,
Der rote Hauri richtig?« »So ist es. Mein Leben lang haben mir Hauri gesagt, was richtig und falsch, was gut und was böse ist. Und nun sollst du mir berichten, wie du den Kosmos erlebt hast. Wie sieht es aus in Hangay? Was denken andere Völker von einem wie mir? Und welche Bedeutung kommt dem Willen des Hexameron tatsächlich zu frage ich.« »Meine Antworten enthalten einen persönlichen Standpunkt«, gab Rhodan zu bedenken. Er fürchtete, daß sich Shallun zu Unrecht eine allgemein gültige Wahrheit erhoffte – die konnte niemand liefern, selbst er mit all der Weisheit aus mehr als zweitausend Lebensjahren nicht. »Du bekommst nur eine andere Sichtweise der Dinge zu hören.« »Ich wäre dumm, wollte ich mehr.« In drei oder vier Kilometern Entfernung zog gemächlich Nemees vorbei. Vom äußeren Erscheinungsbild her fühlte sich Rhodan an die Marschiere-Viel von Last Hope erinnert, doch weitergehende Ähnlichkeit existierte nicht. Wie hatten Geschöpfe wie die Priesterberge überhaupt entstehen können? Der Schöpfungsmechanismus der Natur arbeitete niemals ohne Grund. Shallun wandte sich ab und stieg hinunter zum Lager. Rhodan folgte unmittelbar; er hätte den Berg zwar noch stundenlang so anstarren können, jedoch lag sein augenblickliches Problem anders. Er wollte dem Hauri nicht nur Auskunft geben, sondern ihn nebenher veranlassen, auch weiterhin Hilfe zu leisten. »Laß uns systematisch beginnen«, schlug Rhodan vor, als sie einander gegenüber auf dem Boden saßen. Er hatte ein paar Schlucke Wasser genommen und fühlte sich trotz aufkommender Hitze imstande, mehr als ein paar Worte ohne kratzenden Hals zu sprechen. »Bist du vertraut mit der Theorie paralleler Universen? Diese Theorie ist mehr, sie ist Wahrheit …« Und Rhodan berichtete detailreich von seiner Begegnung mit den Druuf, der Odyssee durch jenes Paralleluniversum, wo er den negativen Rhodan getroffen hatte, und endete schließlich mit
13 der Beziehung zwischen Tarkan und seinem Standarduniversum. »Vielleicht ist es am dienlichsten, die kartanische Terminologie zu übernehmen. Die Kartanin nennen mein Universum Meekorah, das Große, Auswärtsstrebende, und deines Tarkan, die Schrumpfende.« »Das Wort Tarkan gilt allen Hauri als Schimpfwort«, lehnte Shallun ab. »Aber es trifft. Tarkan hat eine Lebensdauer von höchstens noch einer Milliarde Jahren vor sich. Wenn der Plan des Hexameron gelingt, ist es wesentlich weniger. Die kosmische Hintergrundstrahlung hat einen Wert erreicht, der mehr als dreihundertmal höher ist als in meinem Universum.« Rhodan nannte einen Wert, der bei ungefähr tausend Grad Kelvin lag und teilweise schon ins sichtbare Spektrum fiel. »Daraus folgt eine schlimme Erkenntnis: In vier- bis fünfhundert Jahren ist es aus mit den Zivilisationen Hangays.« »Woher hast du diesen Wert?« wollte Shallun betroffen wissen. »Er läßt sich leicht errechnen, allerdings aus Datenmaterial der Kartanin. Im Durchschnitt der letzten hundert Jahre sind die Temperaturen auf den Planeten Hangays um fünf Grad gestiegen.« Rhodan vertraute auf seinen Translator, der die genannten Werte automatisch in haurische Skalen umsetzte. »Viele Polkappen sind schon abgeschmolzen, atmosphärische Vorgänge yerändern sich, das Gros planetarer Ökosysteme ist geschädigt oder steht vor dem Kollaps. War dir das bewußt?« »Nicht in dem Ausmaß«, gab Shallun zu. »Ich bin ein Hauri mit haurischer Erziehung. Du mußt mir Zeit geben.« »Nimm dir Zeit, soviel du brauchst. Die Tatsache allein, daß du mir geholfen und dich gegen dein Volk gestellt hast, ehrt dich. Du hast selbständig nachgedacht.« Shallun schaute plötzlich niedergeschlagen. »Manchmal frage ich mich, ob nicht auch dieses ›selbständige Denken‹ nur Folge einer fremden Planung ist …« »Wie kommst du darauf?«
14 »Ich habe dir erzählt, Perry Rhodan, wie ich in den Berg Nemees gekommen bin. Ein kartanischer Prospektorentrupp hat mich verkauft. Das heißt, ich war für die Dauer einer unbekannten Zeitspanne in der Gewalt der ärgsten Feinde meines Volkes. Und jetzt, heutzutage, mache ich als einziger Hauri eine sehr dramatische Veränderung durch.« »Du denkst, die Kartanin hätten dich konditioniert!« erriet Rhodan. »So ist es. Konditioniert und als schlafenden Agenten an meinesgleichen zurückgegeben.« Rhodan überlegte angestrengt. »Auszuschließen ist es nicht«, gab er dann vorsichtig zu, »aber doch höchst unwahrscheinlich. Zum ersten wußte niemand, daß du diese Position erreichen würdest. Zweitens lohnt es nicht, für einen einzigen Abweichler solchen Aufwand zu betreiben. Du mußt dich lösen von diesen Gedanken, Shallun. Wenn du weiterhin denkst, dein Leben sei ausschließlich fremdbestimmt, wird es dich seelisch zerrütten. Laß dir berichten, was in Hangay während der letzten Jahrtausende, Jahre und Wochen geschehen ist.« Rhodan legte ihm die Zusammenhänge zwischen ESTARTU und dem Hexameron dar, soweit er selbst sie durchschaute, und kam schließlich auf seine eigene Rolle inmitten des Geschehens zu sprechen. Am Ende entschied er, Shallun auch den letzten Trumpf preiszugeben: »Kurz bevor ich auf Eperum an der Prüfung für den Dienst des Hexameron teilnahm, flog meine Raumkapsel LEDA in Richtung Anklam-System ab. Die Benguel und Juatafu nennen mich Imago, ich erwarte eine bedeutende Anzahl ihrer Raumfahrzeuge im Ushallu-System. Bald können wir mit den Leuten deines Volkes verhandeln – und wer weiß, vielleicht verlasse ich Talluur. Dann kannst du bei mir bleiben.« Ein Hintergedanke war natürlich dabei: Rhodan rechnete sich aus, so rasch wie möglich Beodu und Nai-Leng wiederzutreffen. Auf die Art hätte er als Begleitmannschaft einen Attavenno, einen Hauri und einen
Robert Feldhoff Kartanin, was für jeden Eventualfall die angemessene, womöglich rettende Reaktion erlaubte. »Ich weiß nicht, ob ich mit dir kommen will«, sagte Shallun. »Ich weiß nicht einmal, was ich bei deiner Rettung genau im Sinn hatte.« Rhodan verdaute die Auskunft ohne weiteres. Er würde auch bei knapper Zeitplanung ein paar Tage lang Gelegenheit finden, Shallun zu bearbeiten. Jetzt allerdings kam es auf etwas anders an – er wollte die Initiative behalten, denn tatenloses Äbwarten an diesem Platz in der talluurischen Wüste brachte nicht weiter. Weder er noch Shallun hatten einen Vorteil davon. »Ich habe dir erzählt«, sprach er deshalb, »daß ich mir einen Plan ausgedacht habe. Dazu brauche ich deine Hilfe, mußt du wissen …« »Nur keine Hemmungen. Wenn dein Plan meinen Interessen zuwiderläuft, lehne ich ab.« Rhodan glaubte, aus Shalluns Worten Mißtrauen herauszuhören; doch er konnte sich täuschen. Auch die Übersetzungen seines hochentwickelten Translators fielen nicht immer perfekt aus, und er entschied, den eingeschlagenen Kurs rückhaltloser Offenheit fortzusetzen. »Wieviel Bewegungsfreiheit genießt du auf Talluur?« wollte er wissen. »Meine Bewegungsfreiheit ist vollständig. Immerhin bin ich ein Abkömmling von Jhiakk und hoch angesehen. Ich muß nur aufpassen, daß ich nicht einem meiner Auftraggeber oder Shaa in die Arme laufe.« »Das ist ideal«, antwortete Rhodan. »Und bist du außerdem vertraut mit informationstechnischen Anlagen und ihrer Manipulation?« »Sicher.« Shallun machte aus seiner Überraschung kein Hehl. »Dann fehlt nur noch eines: nämlich deine Entscheidung, mir behilflich zu sein.« »Wenn du endlich sagst, worum es geht, Perry Rhodan!« »Nur ruhig, das will ich ja nun.«
Der rote Hauri
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3. Eine Zeitlang dachte Shallun, daß Perry Rhodan beim Transmitterdurchgang den Verstand verloren hätte. Dann aber erkannte er, wie sehr Rhodan die haurische Mentalität durchschaut und berechnend einbezogen hatte. Dieser Fremde war genau der Richtige, den Vorhaben des Hexameron Steine in den Weg zu legen. Denn genau darauf kam es Shallun inzwischen an – auch wenn er es Rhodan gegenüber noch verheimlichte. Unten wurde der Terraner langsam kleiner. Shallun stieg in seinem Lastengleiter immer höher auf, bis die Hügelkuppe nur mehr ein schmaler Strich war und in einiger Entfernung sogar Nemees sichtbar wurde. Die Distanz zur Technozone brachte er in rasendem Flug hinter sich, als gelte es, auf diese Weise auch die eigenen Schuldkomplexe hinter sich zu lassen. Dabei stand er irn Begriff, schon wieder gegen die Interessen seines Volkes zu handeln. Aber konnte er überhaupt noch ausbrechen aus diesem Teufelskreis? Shallun wußte es nicht. Der Hauri näherte sich der Technozone mit etwas gemäßigtem Tempo und stark verringerter Flughöhe an. Diesbezüglich galten eindeutige Bestimmungen, und er wollte alles, nur nicht durch Regelverletzungen auffallen. Einem Hauri aus Jhiakk hätte man auch dies verziehen, sicher, man hätte ihm gute Gründe unterstellt. Aber es bestand keinerlei Notwendigkeit dazu. Über den Lastengleiter stellte er eine Verbindung zum zentralen Servicecomputer der Technozone her. Shallun erfuhr, wo innerhalb des riesigen Areals die Schulungszentren für Fremdrassige gelegen waren, und nahm den Ausdruck als Fahrtzielangabe für das automatische Leitsystem. Es handelte sich um etwa neunzig Quadratkilometer am Rand der Technozone. Shallun wählte als Landeplatz eine Betonplattform am Rand des Geländes. Bevor er ausstieg, ließ er eine Orientierungskarte aus-
drucken und markierte darin den Standort seines Gleiters. Die Tür blieb unverschlossen. Durch einen Treppenschacht erreichte er das erste unterirdische Stockwerk, das einem umfangreichen Intern-Transportsystem vorbehalten war. An Sammelpunkten standen öffentliche Gleitkapseln für eine oder mehrere Personen; er wählte eines jener Gefährte, die dem humanoiden Körpertypus dienten. »Das Fahrtziel?« fragte eine Automatenstimme. »Zentrale Datenverarbeitung.« »Bist du legitimiert?« »Meine Herkunft ist Jhiakk.« Für den Bruchteil einer Sekunde meinte Shallun, Fotozellen aufblitzen zu sehen, doch er wußte, daß eine optische Täuschung dahintersteckte. Der eigentliche Prüfvorgang war nicht wahrnehmbar. »Legitimation akzeptiert.« Die Kapsel nahm ruckfrei Fahrt auf. Shallun sah in geringer Entfernung andere Kapseln vorbeiziehen, deren Sichtfenster allerdings sämtlich einseitig verspiegelt waren. Die Fahrt dauerte mehr als zehn Minuten. Am Ende stoppte seine Kapsel vor einer Wandbegrenzung. Shallun stieg aus und ließ die Kapsel ohne Benutzervermerk zurück. Sobald er getan hatte, was in Rhodans Planung notwendig war, würde er sich eine neue Kapsel bestellen. Shallun gab als Legitimation erneut seine Herkunft an und wurde an einer unterirdischen Pforte von der Automatik eingelassen. Der folgende Gang maehte einen verlassenen Eindruck, als habe ihn seit Jahren niemand mehr begangen. Aber der Eindruck täuschte – Shallun wußte, daß dieser Bereich der Technozone, der vor allem der Schulung Fremdrassiger diente, erst vor kurzer Zeit erbaut worden war. Das letztendliche Ziel dahinter kannte allerdings auch er nicht. Er wußte nur von einem Großprojekt des Hexameron, worin die Mitwirkung nichthaurischer Soldaten und Techniker eingeschlossen war. Perry Rhodan hatte ihn bei seiner Neu-
16 gierde gepackt. Der andere hatte Shallun so lange bearbeitet, bis auch er das Geheimnis enträtseln wollte, und eben diesem Zweck diente sein Besuch in der Zentralen Datenverarbeitung. Ein Aufzug beförderte ihn weiter. Shallun fand sich urplötzlich inmitten einer belebten Halle wieder. Es handelte sich um ein Foyer, von hier aus konnte er das weitere Vorgehen festlegen. Er suchte eine Wandkarte auf und stellte fest, daß er sich fast im Mittelpunkt des ZD-Turms befand. Den Operatorenbereich hatten die Planer ganz unten angelegt. Also wandte sich der Hauri ab, suchte einen neuen Lift und tastete als Ziel das unterste Stockwerk ein. Seine Legitimation stand erst unten wieder zur Prüfung an. Die Kabine sank langsam abwärts. Weshalb man einen Lift und keinen Antigravschacht gewählt hatte? Shallun wußte es nicht, doch er vermutete, daß Sicherheitsgründe dafür verantwortlich waren. Tief im Innern seines Denkens spürte er gleichzeitig einen wühlenden Einfluß; das gesamte Schulgelände lag unter Psikyber-Feldern. Hauri allerdings waren wenig empfänglich für die psionische Botschaft einer solchen Einrichtung. In Jhiakk hatte man ihm und Shaa zudem gewisse Blocktechniken beigebracht. Perry Rhodan würde schon eher Schwierigkeiten haben, obwohl der Terraner nach eigenen Angaben auf Bentang mit Psikyber-Feldern fertig geworden war. Mit einem kaum spürbaren Ruck kam die Kabine zum Stillstand. Vor Shallun lag ein riesiger, hell erleuchteter Raum, dessen Innenleben zum einen aus grauen Computerflächen und zum anderen aus geschäftig arbeitenden Hauri bestand. Deren Geschäftigkeit jedoch äußerte sich nicht in planlosem Umhergewimmel, im Gegenteil, das Bedienungspersonal legte sparsame Effizienz an den Tag. Niemand drehte den Kopf und schaute zu ihm herüber. Wie sollte dann die Legitimationsprüfung aussehen? Daß er ganz ohne Prüfung davon-
Robert Feldhoff kam, konnte sich Shallun nicht denken – zumindest nicht hier, im Turm der Zentralen Datenverarbeitung. Nun erst erfaßte er den kopfgroßen, kugelförmigen Schweberobot, der reglos ein paar Meter unter der Hallendecke hing. Auf seiner spiegelglatten Metalloberfläche war ein grüner Signalpunkt sichtbar. Wächter dieser Art traf man überall im Ushallu-System, und man wußte nie, wie ihre Programmierung beschaffen war. Unter Umständen weilte ein Spiegel des Feuers in der Nähe, ein hoher Beobachter des Herrn Heptamer … Aber Hauri dieser Art hatten keine Zeit, sich mit Nichtigkeiten abzugeben, dachte Shallun. Der Kugelschweber sank gemächlich herab und kam zwei Meter über dem Bodenbelag zum Stillstand. Aus seinem künstlichen Leib drang ein feines Summen, von dem Shallun nicht wußte, ob es eingebildet oder real war. Sekundenlang glaubte der Hauri, daß sein Kopf wie ein übervolles Gefäß zerspringen müsse. Doch er brachte mühevoll die nutzlose Aufregung unter Kontrolle. Maschinen waren nie grundsätzlich feindselig, wie es ihm scheinen wollte. Maschinen waren funktional. Sie folgten einem festgelegten Programm, und in seinem Fall enthielt das Programm gewiß den Hinweis, Abkömmlinge Jhiakks seien vertrauenswürdig. Er wird mir die Kutte vom Leib reißen, phantasierte Shallun trotzdem. Er wird mich zu Boden werfen und anklagen; er könnte alles wissen über meinen Verrat und den Mitgliedern meines Volkes sagen, daß unter ihnen ein Verräter ist. Seht her, hier ist einer, den wir den verhaßten Kartanin entrissen und den wir aufgenommen haben, als sei er bei uns geboren. Und wie dankt es dieses Wesen, das den Namen Hauri nicht verdient? Der kleine Schweber beendete seine Musterung und kehrte zurück an seinen Platz hoch über den Köpfen des Bedienungspersonals. Indessen gewann Shallun vollends seine Beherrschung zurück. Er hielt Ausschau
Der rote Hauri nach einer unbelegten Operatorenkonsole und wurde am hinteren Ende der Halle fündig. Ein nischenartiger Anbau beherbergte verschiedene Gerätschaften, darunter zwei Wartungsroboter und ein Terminal, wie er es suchte. Shallun nahm Platz und aktivierte den Sichtschirm. Er besaß mehrere Anhaltspunkte: Einerseits wußte er, daß sich Perry Rhodan in Eperst einer Prüfung unterzogen hatte, deren Ergebnis für den Terraner denkbar günstig ausgefallen war. Rhodan hatte überzeugenden Sechs-Tage-Glauben und profunde technische Kenntnisse vortäuschen können, die den haurischen Standard sogar überstiegen. Zweitens hatte der Prüfer eine Andeutung gemacht, Rhodan und sein kartanischer Freund Nai-Leng sollten zu Schaltmeistern ausgebildet werden. Zwar wußte Shallun nicht, welchem Zweck dieses Schulungszentrum letztendlich diente – aber er konnte sich vorstellen, daß man Rhodan einem auserlesenen Kreis hatte zuteilen wollen. Mit etwas Glück ergab sich daraus jenes Wohnlager, wo Nai-Leng und Rhodans zweiter Freund, ein Attavenno, bald eintreffen mußten. Shallun ließ das Terminal einen Übersichtsplan erstellen. Darin war das gesamte Schulungsgelände für Fremdrassige eingezeichnet. Es gab verschiedene Wohngebiete, getrennt nach dem Kenntnisstand der Schüler, Funktionseinheiten wie Kraftwerke oder Nahrungsverteiler und natürlich die eigentlichen Schulungsräume. Auf einem zweiten Monitor sichtete Shallun sämtliche avisierten Transporte von Eperum. Wer den Test bestanden hatte und als fest im Glauben sowie technisch fähig galt, wurde per Robotfrachter in die Technozone verschifft. Allerdings gab es für die nächsten Tage nur einen Frachter, der absolute Spitzenkräfte brachte. Dies mußte es sein! Shallun hielt Ankunftsdatum sowie Kennummer des Robotschiffs fest. Am Ende hatte er einen Weg gefunden, Rhodans Planung optimal vorzubereiten. Er
17 ließ die Unterkünfte und alles übrige außer acht und konzentrierte sich auf den Frachter selbst. Auf Eperurn hatte man alle Daten der beförderten Fremdrasgigen in den Syntron des Schiffes gegeben. Daher konnte das Schiff lediglich feststellen, daß einer der Passagiere, Perry Rhodan, die Reise nicht angetreten hatte. Soweit paßte alles ins nötige Bild. Während des Zielanflugs auf Talluur würde der Syntron per Richtstrahl alle Informationen bezüglich seiner lebendigen »Fracht« in die zentrale Datenverarbeitung überspielen. Weshalb dies nicht schon von Eperst aus geschah, wußte Shallun nicht, doch er war froh darum. Er mußte nur noch ein Zusatzprogramm anlegen, das den Datensatz des Frachters um ein paar Einzelheiten erweiterte. Die entsprechenden Bereiche der Datenvernetzung waren keineswegs frei zugänglich. Shallun jedoch verfügte aus seiner Zeit in Jhiakk über eine umfangreiche Ausbüdung auch in diesem Bereich; er wußte sich durchaus zu helfen, wenngleich er hier einen weiteren Schritt in die Illegalität hinein unternahm. Er installierte den Zusatz in Form eines Abfangprogramms. Sobald vom Robottransporter die Datenmeldung über seine Passagiere eintraf, würden die Impulse umgeleitet und in einer Speicherbank abgelegt, die Shallun beliebig wählte. Hier erhöhte ein programmierter Vorgang die Anzahl der Passagiere um 1; die Merkmale des fiktiven Passagiers stimmten mit Perry Rhodans Person und seiner Beziehung zu Beodu und Nai-Leng überein. Lediglich den Namen änderte Shallun. Von nun an hieß der Terraner Annacinnt, ein Wort, das in leicht abgewandelter Form auf einem Planeten der galaktischen Nordseite geläufig war. Anschließend informierte sich Shallun genauestens über den Ausschleusungsvorgang. Die Passagiere würden auf dem größten Landefeld des Ausbildungszentrums warten müssen, und zwar gemeinsam mit den Frem-
18 drassigen zweier anderer Transporte. Routinemäßig sollte dann ein Hauri die Namen aufrufen und verschiedenen Zielen zuweisen. Shallun nahm die Sachlage mit ein wenig Unglauben zur Kenntnis. Wer wie Rhodan über derart profnnde Kenntnisse verfügte und außerdem noch Glück hatte, durfte sich in der Tat an ein Unternehmen wagen, wie sie es vorhatten. Nun versuchte auch er sein Glück: Shallun schaltete das Terminal auf Ausgangsstellung zurück und begann, Daten über das Großvorhaben des Hexameron abzurufen. Aber weder die Stichworte »Cheobad« und »Fremdrassenverwendung« noch direkte Abgriffversuche auf geheime Speicher brachten Antwort. Am Ende konnte er froh sein, daß er keinen Alarm ausgelöst hatte. Alle weitere Informationssuche mußte er Perry Rhodan überlassen. Shallun erhob sich und trat aus der Nische. Sein Blick wanderte langsam aufwärts – er stand starr vor Schreck und fühlte, daß sein Kreislauf kaum mehr sauerstoffhaltige Flüssigkeit in den Schädel pumpte. Direkt vor ihm hing der Kugelrobot in der Luft. Etwas im metallenen Leib der Maschine schien vernehmlich zu klicken, doch Shallun wußte nicht mehr, welche seiner Wahrnehmungen eingebildet, welche dagegen real waren. Er zwang sich, ruhig einen kleinen Bogen um den Robot zu schlagen und auszuschreiten, als sei nichts gewesen. Das Ding konnte nichts gesehen haben. Er hatte mit seinem Rücken Tastatur und Monitoren verdeckt, dessen war Shallun sicher – zumal die Nische selbst im toten Sichtwinkel lag. Nur ein präziser Verdacht hätte den Kugelschweber außerdem in die Lage versetzt, sämtliche vorhergegangenen Manipulationen nachzuvollziehen. Mit jedem Schritt wurde Shallun zuversichtlicher. Er wäre beinahe einem Routinevorgang zum Opfer gefallen, erkannte er jetzt, und sein innerer Spannungszustand hätte ihn um
Robert Feldhoff ein Haar zusammenbrechen lassen. Der Lift beförderte ihn aufwärts, zum Foyer in der Mitte des Turmes. Nach kurzer Orientierung wählte Shallun jenen Gang, den er auf dem Herweg beschritten hatte. Die unterirdische Transportebene war um diese Zeit kaum befahren, ohne daß sich der Hauri dafür einen Grund vorstellen konnte, doch er überlegte nicht lange und bestieg die nächstbeste Transportkapsel. Er zog seine markierte Übersichtskarte aus der Tasche. Die bedruckte Seite gab er als Fahrtziel in den Computer. Minuten später trat er durch einen Treppenschacht ans Tageslicht; er wäre vor Erleichterung fast zusammengebrochen. Sein eigener Gleiter stand noch immer geparkt nahebei, und Shallun machte, daß er in den Fond kam und das Fahrzeug aufsteigen ließ. Allmählich führte der Verkehrsstrom ihn an den Rand der Technozone. Er setzte Kurs auf Nemees, flog ungefähr dreißig Kilometer und knickte anschließend scharf ab. Rhodan war noch an Ort und Stelle. Der Terraner hatte sich die beiden Thermodecken übereinandergelegt und benutzte sie als bequeme Unterlage. Aus seinem weichen, hellhäutigen Gesicht las Shallun Spannung und freudige Erwartung gleichermaßen, aber er konnte sich irren, gewiß. Die Physiognomie eines artfremden Wesens täuschte oft gewaltig. »Wie sieht es aus? Was hast du erreichen können?« fragte der Terraner, ohne sich von seinem Lager zu erheben. »Alles in Ordnung.« Shalluns Stimme klang selbst für die eigenen Ohren trocken und ausdruckslos. Er fühlte in sich eine Mischung aus nicht abgebauter Spannung und ungeheurem Schuldbewußtsein. Schließlich nahm sie sein gesamtes Denken ein und führte einen Kurzschluß herbei – Shallun verlor die Nerven. Er rannte blindlings in die Wüste hinaus. Dabei funktionierte wenig mehr als ein Instinkt, der zu ihm sprach. Du bist ein Hauri, tönte es, und du bist ein Verräter. Du kannst nicht beides sein.
Der rote Hauri »Jetzt sitzen wir also da und wissen nicht, wie es weitergeht.« Beodu stand am einzigen Fenster der Unterkunft und sah auf die unbelebte Gasse hinaus. Er gehörte zum Volk der Attavennok, dem Stammvolk der an Gestalt größeren, Vennok genannten Spezies. Meist kleidete er sich in lange, locker fallende Umhänge, doch am heutigen Tag hatte er noch keine Zeit gefunden, überhaupt Kleidung anzulegen. Seine Körpergröße betrug hundertundfünf Zentimeter, seine Haut war von lederartiger Beschaffenheit und hing locker über Rumpf und Gliedern. Das Sonderbarste an Beodus Aussehen war jedoch der Kopf: Eine rüsselförmige Mundpartie diente als Sprechwerkzeug und zur Nahrungsaufnahme, während die Augen an zwei rudimentär ausgebildeten Schädelschwingen saßen. Rhodan war vor einer Stunde verschwunden. Beodu wußte nicht einmal, welchen Ausgang das Duell mit dem haurischen Wasserträger genommen hatte. Ihm blieb nur die Hoffnung, daß sich der Terraner nicht hatte unterkriegen lassen. Inzwischen waren sie gute Freunde geworden, dachte der kleine Attavenno, und den möglichen Verlust eines Freundes nahm man nicht auf die leichte Schulter. Schon gar nicht, wenn die eigene Lage so verfahren aussah wie im Augenblick … »Sei nicht so pessimistisch«, sagte die zweite Person im Raum. Nai-Leng war gerade gekommen. Er gehörte dem Volk der Kartanin an und sah schlechter aus, als es ihm tatsächlich ging. Sein Alter mochte über achtzig Standardjahre betragen. Doch hinter einer Fassade aus halber Trunkenheit und gichtigen Bewegungen steckte recht geschmeidige Muskulatur, was ihn zusammen mit einer guten Portion Schlitzohrigkeit zu einem brauchbaren Partner machte. »Und wie geht es jetzt weiter?« wollte Beodu in fast provozierendem Tonfall wissen. »Ich weiß ja nicht einmal genau, ob Perry Rhodan überlebt hat.« »Ganz klar.« Nai-Lengs Stimme klang
19 völlig nüchtern, und Beodu begriff, daß der andere in diesen Sekunden wesentlich klarer dachte als er selbst. »Man hat ihn zur ›Pforte nach Talluur‹ bestellt. Nehmen wir den Ausdruck einfach wörtlich! Nehmen wir an, er ist tatsächlich auf Talluur! Wir werden ihm folgen, Beodu, und wir flnden deinen Freund, wenn er noch am Leben ist. In zwei Tagen geht unser Transport in die Technozone.« Gerneinsam mit Rhodan und Nai-Leng hatte er in einem haurischen Prüfungszentrum Erlaubnis erhalten, in den Dienst des Hexameron zu treten. Denn dies war ja der einzige Zweck des Planeten Eperum; hier wurden all die Intelligenzen, die nichthaurischen Ursprungs waren und helfen wollten, die Lehre der Sechs Tage zu verbreiten, auf ihre Tauglichkeit geprüft. Dabei war es nur Perry Rhodan zu verdanken, daß auch er, Beodu, sie in die Technozone zur Ausbildung begleiten durfte. Der Terraner hatte ihn aufgrund seines hervorragenden Ergebnisses als Diener deklariert und so eine Passage auch für den Attavenno herausgeschunden. »Ich habe eine Idee«, sagte Nai-Leng. »Wie bitte?« Beodu mußte sich erst zusammennehmen. Er hatte hoffnungsvoll an Perry Rhodan gedacht, sich ausgemalt, sie würden einander wiederfinden und herausbekommen, welches Geheimnis auf Cheobad gehütet wurde. Darin lag der letztendliche Zweck ihres Unternehmens. Cheobad war der fünfte Planet des Sonnenpaars Ushallu, und die Hauri hielten ihn hermetisch abgekapselt. Bislang waren die drei Freunde auf Vermutungen angewiesen: Rhodan glaubte, daß von Cheobad aus jene Materiewippe geschaltet wurde, die bei jedem Massetransfer von Tarkan nach Meekorah auf dem Umkehrweg Masse zurückholte. Zweimal hatte dieser Vorgang bereits stattgefunden. Zweimal hatten die Kartanin gemeinsam mit den anderen Kansahariyya-Völkern ein Viertel Hangays transferiert. Und zweimal war gleichzeitig ein Sternhaufen aus Rhodans Heimatuniversum in Tarkan aufgetaucht. Das vordringlichste Ziel des
20 Terraners bestand jetzt darin, die Schaltstation auf Cheobad irgendwie aus dem Verkehr zu ziehen. Zu diesem Zweck hatte er seine Raumkapsel LEDA ins Anklam-System geschickt. LEDA würde Hilfe bringen – zumindest hoffte Beodu das. Mit etwas Glück dauerte es nur noch kurze Zeit, dann mußten die ersten Schiffe der Benguel und Juatafu im Ushallu-System auftauchen. »Beodu!« Nai-Lengs Stimme klang jetzt ernstlich ungehalten, und der Attavenno nahm schuldbewußt seine kleinste Haltung ein. »Ich sagte, ich habe eine Idee …« »Das habe ich verstanden, Nai-Leng. Wenn du deine Idee bitte erläutern würdest?« »Sicher«, gab der Kartanin versöhnlich zurück. »Wir haben eine Möglichkeit, Rhodans Schicksal zumindest teilweise aufzuklären. Schließlich gab es zwischen ihm und dem roten Hauri einen Kampf, wir müßten mühelos den Spuren folgen können. Und wenn die Spuren bis zur ›Pforte nach Talluur‹ führen, ist alles klar. Dann hat er sein Ziel erreicht, richtig?« »O ja!« Beodu strahlte, doch er sah, wie wenig der Kartanin mit seiner Mimik anfangen konnte. Es störte ihn kaum. Eilig legte der kleine Attavenno seinen Schutzanzug mit Gravo-Pak an, drapierte darüber einen losen Umhang und umschloß das Ganze mit dem einzigen Gürtel, den er derzeit bei sich führte. »Wir können los.« Der Hausmeister ließ sie wortlos ziehen. Beodu schenkte ihm seinerseits keinen Blick, denn die Einladung nach Talluur, zur Ausbildung in die Technozone, versetzte ihn dem alten Hauri gegenüber in eine Position der Stärke. Vakk mußte ja nicht wissen, daß er, Beodu, nur als Rhodans Diener dabei war. Direkt vor der Haustür fanden sie die ersten Spuren des Kampfes. Es handelte sich um eine pfützenartige Vertiefung aus glasiertem Straßenmaterial. Beodu wußte, daß Rhodan erst später geschossen hatte; folglich sah er hier eine charakteristische Schußmarke des Wasserträgers, wie sie hoffentlich
Robert Feldhoff noch mehr finden würden. »Zumindest ist es kein Krater«, stellte Nai-Leng fest. »Na und?« wollte Beodu irritiert wissen. »Daraus schließen wir, daß die Waffe des roten Hauri nicht besonders durchschlagskräftig war. Mit etwas Glück hat Rhodans Schutzschirm lange Zeit standgehalten.« »Ja … Seine Ausrüstung ist extrem leistungsfähig. Aber wir wissen nicht, wie oft der Wasserträger getroffen hat. Unter Dauerfeuer bricht selbst der stärkste Schirm.« Sie brauchten den ganzen Tag, der undeutlichen, oft unterbrochenen Spur zu folgen. Manchmal gab es ein oder zwei Kilometer lang keinen einzigen Hinweis in Form von Schußspuren oder ähnlichem, doch endlich fanden sie einen Trakt von Holzgebäuden, der vollkommen ausgebrannt war. »Hier müssen sie gekämpft haben«, sagte Nai-Leng. »Ein kluger Schachzug unseres gemeinsamen Freundes – das Holz hat angefangen zu brennen, und er konnte den Hauri bei den schlechten Sichtverhältnissen vielleicht abhängen.« »Hoffentlich ist niemand zu Schaden gekommen.« »Das glaube ich nicht.« Nai-Leng schaute hinüber in die noch schwelenden Trümmer. »Ich kenne mich hier aus. Sie haben kein Wohnhaus zerlegt, sondern Lagerschuppen, und der Kampf fand frümorgens statt.« Von da an gab es keine Spuren mehr. Beodu und der Kartanin beschlossen, direkt das Gebäude aufzusuchen, das »Pforte nach Talluur« genannt wurde. Es lag kaum weiter als fünf Kilometer entfernt. Hundert Meter vorher wurden sie aufgehalten, zwei Vennok und ein Hauri hatten eine Straßensperre errichtet und ließen niemanden passieren. »Versuchen wir es von der anderen Seite aus.« Beodu folgte bereitwillig Nai-Lengs Vorschlag. Doch auch die nächste Seitenstraße endete in einer Straßensperre – ebenso wie die anderen Wege, die sie der Reihe nach versuchten. Der kleine Attavenno fand sich damit ab, daß er nicht bis zur ominösen
Der rote Hauri »Pforte« durchdringen konnte. »Warte hier«, bat Nai-Leng da. »Ich bin zwar alt, aber ich bin ein Kartanin. Ich komme durch und berichte dir dann.« Bevor er ein Wort sagen konnte, war NaiLeng verschwunden. Der andere entstammte einem Volk, das sich auf Lautlosigkeit und Schleichen verstand, das wußte der Attavenno. Er mußte nur fünf Minuten warten. NaiLeng tauchte aus einem Schatten nahebei auf, gesellte sich unauffällig zu Beodu und sagte: »Ich habe es gesehen! Die ›Pforte nach Talluur‹ ist in Trümmer gelegt. Mir scheint, daß im Innern des Bauwerks eine Explosion stattgefunden hat …« »Das war Rhodan!« »Ja, bestimmt hat er damit zu tun. Hoffentlich hat er die Sache auch lebend überstanden.« »Ich bin ganz sicher«, gab Beodu zurück. »Jetzt fühle ich, daß er lebt. Irgendwie paßt das zu ihm. Niemand weiß, was geschehen ist, und alle denken, er sei tot oder verschollen.« Nai-Leng gab einen verdrossenen Zischlaut von sich. »Merkst du eigentlich, wie sehr du ihn als unverwundbares Wesen hinstellst?« »Aber das tue ich nicht!« empörte sich Beodu. »Ich habe nur Schlüsse gezogen. Du selbst hast gesagt: Gehen wir doch einfach davon aus, daß sich Rhodan auf Talluur befindet. Wenn das wahr ist, stand in der ›Pforte nach Talluur‹ ein Transmitter. Logisch, nicht wahr? Und ebenso logisch ist es dann, den Transmitter zu sprengen. Schließlich gab es doch einen hartnäckigen Verfolger.« Nai-Leng schwieg eine Weile. »Du hast recht«, gab er dann zu. »Eigentlich bin ich deiner Meinung. Ich wollte nur deinen Übermut bremsen. Wenn wir Perry Rhodan wiederfinden und ihn in einer gefährlichen Lage überschätzen, kann es uns das Leben kosten.« »Das weiß ich doch.« Beodu versuchte, seiner Stimme einen besänftigenden Klang zu geben. »Am besten, wir gehen jetzt zurück und warten ab. Übermorgen startet un-
21 ser Transporter.« Zwei Stunden vor Sonnenuntergang ließ der alte Kartanin ihn allein. Beodu fragte nicht, was er vorhatte; es ging ihn wenig an. Schließlich hatte Nai-Leng viel Zeit in dieser Stadt zugebracht. Er würde Freunde haben, von denen er sich verabschieden mußte. Ihm selbst ging es da wesentlich schlechter, dachte der Attavenno wehmütig: Seit den Vorgängen im Charif-System hatte er zu selten nahen Kontakt zu weiblichen Attavennok und guten Freunden gehabt. Mit Ausnahme von Perry Rhodan … Und der Terraner war seit heute früh verschwunden. Beodu sah ein Wesen in ihm, das die Dinge in Bewegung brachte. Er konnte nur hoffen, daß die augenblicklichen Geschehnisse nicht in einer Katastrophe mündeten.
* Der Transporter war eines jener dreigeteilten, in der Hauptsache schwarzen Schiffe, die den Grundstock der haurischen Flotte bildeten. Vor ein paar Tagen hatte Rhodan noch in Erfahrung gebracht, daß sich in diesem Fall keine haurische Besatzung an Bord befand – das Schiff arbeitete ja als simple Planetarfähre und kam mit robotischer Steuerung aus. Vorn Startfeld des Transporters aus bot sich dem Attavenno ein weiter Blick über den Raumhafen Epersts. Er sah kartanische und vennische Schiffe, eine halb zerstörte, bauchige Kugel, die eine Mannschaft der Mamositu hierhergebracht hatte, und mindestens zwanzig Formen, die er keinem bestimmten Volk zuordnen kormte. Im näheren Umkreis waren ungefähr fünfzig frischgebackene Diener des Hexameron zusammengekommen. Sie alle erwarteten ihren Transport in die Technozone von Talluur, vom fünfzehnten Planeten auf den achten des Ushallu-Systems. Kartanin und Vennok machten an ihrer Zahl knapp die Hälfte aus, während Beodu die übrigen Humanoiden nie zuvor gesehen hatte. Daran erkannte er, wie wenig er herumgekommen war.
22 »Gleich ist es soweit.« Beodu schaute sich zu Nai-Leng um und fragte: »Woran siehst du das?« »Kartanin haben scharfe Augen. Eines der Schleusensignale hat gerade geblinkt.« Der Attavenno musterte sorgfältig den haurischen Trimer. Und tatsächlich, ein paar Sekunden später fuhr das unterste Schleusenschott beiseite und gab den Zugang in einen dunklen Raum frei. Derjenige Venno, der der Öffnung am nächsten stand, geriet unvermittelt in den Wirkungsbereich eines Antigravstrahls. Eine Sekunde lang zappelte er desorientiert, dann begriff er und ließ sich aufwärts treiben. Oben verschwand er lautlos in der Öffnung. Der Reihe nach verloren nun auch die übrigen Mitglieder der Transportgruppe den Boden unter den Füßen. »Los! Wir müssen etwas näher heran.« Gemeinsam mit Nai-Leng begab sich Beodu nach vorn. Sie gehörten zu den letzten, die aufgenommen wurden. In der Schleusenkammer erwartete sie ein kegelförmiger, mehr als zwei Meter großer Robot, der ihre Ausweismarken kontrollierte und sie in den angrenzenden Korridor schickte. Dort warteten bereits die anderen. »Was machen wir jetzt?« Beodu begriff, daß Nai-Lengs Frage mehr rhetorischer Natur war. Off enbar sollten sie hier im Korridor abwarten, bis der Transporter die kurze Distanz zum achten Planeten zurückgelegt hatte. Gemächlich ließ sich der kleine Attavenno in die Hocke sinken und lehnte bequem an der Wand. »Das ist wohl das Beste, was wir tun können«, sagte er. »Wir ruhen aus, solange wir dazu noch Gelegenheit finden.« Mehr als drei Stunden dauerte der Flug. Sie spürten nichts davon, denn Andruckabsorber gehörten an Bord eines derart hochentwickelten Schiffes zur Selbstverständlichkeit. Gegen Anfang der vierten Stunde warnte irgend etwas den Attavenno – es war wie ein sachtes Geräusch, das seinen Ursprung nicht innerhaib des Korridors hatte, sondern im eigenen Hirn … Urplötzlich saß er stocksteif. Eine Stimme hatte sich in sei-
Robert Feldhoff nem Denken eingenistet, das wurde ihm rasch bewußt. Es war ein entferntes, unverständliches Wispern. »Aussteigen.« Nahebei im Korridor stand der haurische Robot. Beodu schrak zusammen und kam mühevoll auf die Beine. Im Interesse seines Kreislaufs hätte er wenigstens ein paarmal aufstehen und die Gliedmaßen lockern sollen. »Komm schon, gehen wir«, sagte NaiLeng. Hinter dem alten Kartanin betrat Beodu die dunkle Schleusenkammer. Das erste, was ihm auffiel, war der Himmel, der auf Talluur eine rötlichgraue Farbe hatte. Vor ihm lag ein ausgedehntes Landefeld, in ungefähr einem Kilometer Entfernung von einer niedrigen Häuserzeile aus grauem Beton begrenzt. Dahinter ragten Gebäude verschiedener Form in die Höhe, und zu seinem Erstaunen erkannte der Attavenno sogar ein paar spindelförmige Türme, deren Architektur regelrecht verspielt wirkte. Aber das mußte ein Irrtum sein; Hauri bauten nicht für ihr Vergnügen, sie hatten nur die Lehren des Hexameron im Sinn … Das Hexameron ist Wahrheit. So spricht Heptamer, der Herr Siebentag. Ein Aufstöhnen wird durch das All gehen, denn schmerzhaft ist der Weg der Vervollkommnung. Die Stimme! Kurze Zeit war sie aus dem Hintergrund hervorgetreten und hatte eine verständliche Botschaft formuliert. Beodu fühlte sich verwirrt. Die Worte des Herrn Heptamer waren Unfug, die Lehren des Hexameron mystischer Schwachsinn. Tatsächlich? Schuldbewusstsein erwachte in ihm. Ein paar Sekunden lang wurde ihm das Bedrohliche der Stimme bewußt, und eine eiskalte Schlinge schien seine Schädelschwingen umfassen und vom Kopf reißen zu wollen. Aber der Augenblick verging. Es ist ein Psikyber, dachte er, die Hauri verlassen sich nicht aufdie Eignungsprüfung. Sie wollen sichergehen und wirklich jeden Auszubildenden aufihre Seite ziehen. Der Gedanke lief
Der rote Hauri vom einen Ende seines Hirns zum anderen und verschwand irgendwo. Nai-Leng zog ihn mit sanfter Gewalt vorwärts. Kurz hinter dem Kartanin geriet er in den Antigravstrahl und wurde am Boden des Landefelds abgesetzt. Ein zweiter Roboter wies sie an, ihren künftigen Mitschülern zu folgen. Alle hielten sich in Richtung eines niedrigen Gebäudes, das scheinbar nutzlos mitten zwischen den Landefeldern stand. Vor der Tür hatten sich mindestens zweihundert größtenteils humanoide Wesen versammelt. Gemeinsam mit seinem Begleiter mischte sich der Attavenno unter sie und wartete ab. Man würde ihnen mitteilen, wie es weiterging. »Was war eben los mit dir?« wollte NaiLeng wissen. »Nun …« Beodu druckste eine Weile. »Ich weiß auch nicht recht. Ich glaube, ich habe über die Lehren des Hexameron nachgedacht.« Nai-Leng sah ihn mit entrücktem Blick an. Er senkte die Stimme zu einem Flüstern, das außer ihnen niemand hören konnte. »Weißt du, ich glaube, diese Lehren sind gar nicht so schlecht.« Er tat, als habe er gerade die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht. Und wirklich: Beodu erinnerte sich noch einigermaßen gut, daß der andere gute Gründe gehabt hatte, die Sechs-Tage-Philosophie zu bekämpfen. Gute Gründe … Und der erste Tag wird zu Ende gehen mit dem Zittern der Urkraft, die in dem winzigen Raum steckt. Auf den Ersten Tag wird folgen der Neue Anfang, den die Urkraft bestimmt, indem sie gegen die Grenzen des winzigen Alls drückt und sie ausweitet. Ein neues All wird entstehen, und über den leuchtenden Wolken der Protomaterie wird der Geist des Herrn Heptamer schweben, zu Ehren der Götter im Land Shamuu … »Nein! Nicht!« brachte er mit erstickter Stimme hervor. … die das gewaltige Werk des Alls geschaffen haben und für dessen stete Erneue-
23 rung sorgen. »Was ist schon wieder, Beodu?« »Gar nichts. Mach dir keine Sorgen darum, Nai-Leng.« Beodu hatte keine Ahnung, was im Augenblick jenes desorientierende Gefühl verursachte. Aber er war tatsächlich sicher, bald wieder in Ordnung zu kommen. Der Stimme im Hintergrund seines Denkens schenkte er keine Aufmerksamkeit mehr, obwohl er ahnte, daß sie noch vor einer Stunde nicht dort gewesen war. »Sieh nur, da über uns!« Dankbar nahm der Attavenno Nai-Lengs Ablenkung auf und schaute nach oben. Aus dem düsteren Himmelsleuchten schälte sich ein Umriß, ein haurischer Trimer offenbar. Das Schiff wurde allmählich größer und landete neben dem Robottransporter, der sie nach Talluur gebracht hatte. Auch aus seinen Ladeluken strömten Passagiere, diesmal waren es hauptsächlich nichthumanoide Spezies. Nicht weit entfernt zog ein Lastengleiterkonvoi vorüber. Beodu schenkte ihm keine Beachtung. Im Augenblick war er mehr an den jüngst eingetroffenen Jüngern des Hexameron interessiert, die endlich begriffen hatten, wo sie sich versammeln sollten, und deshalb näher kamen. Ein paar Sekunden lang entstand unüberschaubarer Wirrwarr. Dann trat aus dem niedrigen Gebäude ein Hauri mit grauer Kutte, wie sie offenbar nur die Einwohner von Talluur trugen. Jedenfalls hatte Beodu vorher nie einen Hauri gesehen, der anders als in Khaki-Beige oder – in einem Fall – Rot gekleidet war. Es handelte sich nm einen Einweiser, dachte der Attavenno. Ein Mikrophon nahm seine Stimme auf und ließ jedes Wort über den Lautsprecher des Gebäudes verbreiten. »Hört mir gut zu. In wenigen Sekunden landen hier drei Schwebebusse. Ich nenne sie Eins, Zwei und Drei. Ihr werdet der Reihe nach mit Namen aufgerufen und einem Bus zugeteilt. Keine Verzögerungen dabei, habt ihr verstanden? Die Ausweise, die euch auf
24 Eperum ausgestellt wurden, werden dort kontrolliert und mit den Angaben des Robottransporters verglichen. Auch dabei wünsche ich keinerlei Verzögerungen. Das ist alles. Laßt nicht nach im Glauben an die rechte Sache, dann seid ihr nützliche Diener des Hexameron.« Das werde ich, dachte Beodu. Er selbst? Dachte er selbst diese Gedanken? Gleichzeitig gingen neben dem Gebäude die Schwebebusse nieder. Sie waren nicht in Hangoll, sondern haurisch beschriftet. »Woher wissen wir, welche Nummern die Busse tragen?« »Kein Problem«, antwortete Nai-Leng da, »ich hatte schließlich lange genug mit Hauri zu tun. Zumindest soweit erkenne ich ihre Schriftzeichen.« Der Einweiser ging der Reihe nach eine umfangreiche Namensliste durch. Allmählich lichtete sich der Haufen von Neuankömmlingen, und als sich etwa die Hälfte von ihnen zugeordnet hatte, kamen auch Beodu und der alte Kartanin an die Reihe. »Nummer drei. Das ist unserer.« NaiLeng setzte sich zielstrebig in Richtung des äußerst links gelandeten Busses in Bewegung. Plötzlich aber stockte der andere. Beodu prallte gegen seinen Rücken und kam ins Stolpern. Und noch in der Bewegung hielt er fassungslos inne, als wolle er seinen Augen nicht trauen. Ein Instinkt trieb ihn, sich aufzurichten, möglichst kein Aufsehen zu erregen und weiterzugehen. »Du bist es, Perry …« »Annacinnt!« rief der haurische Einweiser soeben. »Annacinnt, Nummer drei.« Zu dritt bestiegen sie den Schwebebus und suchten sich einen abgeschiedenen Platz ganz hinten. Beodu hatte seine Fassung noch immer nicht wiedergefunden. Mit geöffnetem Rüsselmund starrte er den Freund an und wollte es kaum glauben, ihn hier wiederzufinden. Zufall oder Planung? Er würde es erfahren. Und es wird Geschrei sein unter den Ungläubigen, die den Pfad der Weisheit verachten. Völker werden sterben und Sterne
Robert Feldhoff vergehen. Es wird eine Reinigung geben; denn den Sechsten Tag werden nur die überleben, in deren Herzen der Glaube an die Wahrheit des Buches Hexameron wohnt. … hütet euch vor der Saat der Ungläubigen; denn sie wird sprießen und der Feind der neuen Weisheit sein … Beodu schüttelte benommen den Kopf. Mißtrauen keimte im Innersten seines Derikens auf, und er sagte: »Das mußt du mir genau erklären, Waqian.«
4. »Halt doch an, verdammt!« schrie Rhodan. Es nutzte nichts. Er folgte Shallun mit ausgetrockneter, brennender Kehle, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, auf seinem eigenen Territorium einen Hauri zu verfolgen. Der andere wählte einen schwer begehbaren Weg über erodiertes Geröll. Jahrhundertelange starke Temperaturschwankungen hatten Steinbrocken zu faustgroßen Splittern und pulvrigem Untergrund zermahlen. Rhodan fürchtete, zu stolpern und sich eine Verletzung zuzuziehen, doch er kam von Schritt zu Schritt besser klar und holte schließlich sogar auf. Eigentlich hätte dies nicht sein dürfen – es lag sicher an Shalluns geistiger Verfassung. Ein durchgedrehter Hauri war in seinem Leistungsvermögen offenbar stark eingeschränkt. »Warte endlich, Shallun!« Rhodan kam jetzt ganz nahe heran. Er hörte Shalluns Atem und das Geräusch seiner Schritte. Ein Stück sandigen Abhangs, das der Hauri gerade passieren wollte, bot Gelegenheit zum Eingreifen. Von hinten sprang Rhodan dem anderen in die Beine, brachte ihn zu Fall und hielt trotz heftiger Gegenwehr fest. Plötzlich war Shallun über ihm; Rhodan hatte die Bewegung nicht einmal im Ansatz erkennen können. »Hör endlich auf! Ich will dir helfen!« »Du?« Ungläubig und zittrig klang die Stimme des Hauri, als verblüffe ihn das Angeßot des
Der rote Hauri Terraners zutiefst. Dann aber erschien Verständnis in seinen Zügen, er ließ Rhodans Hals los und rappelte sich auf. »Es tut mir leid«, sagte er beschämt. »Ich wußte nicht mehr, was ich tue. Es liegt daran … Ach, ich weiß es selbst nicht. Laß uns zurückgehen. Alles ist nach Plan gelaufen, aber ein paar Details gibt es trotzdem, die du wissen mußt.« Rhodan hatte eine Erklärung erwartet. Als sich Shallun jedoch ohne ein weiteres Wort an den Rückweg machte, stand er ebenfalls auf und folgte. Kurz hinter dem Hauri erreichte er mit trokkener Kehle den Lagerplatz. Er setzte sich, nahm ein paar Schlucke aus dem Kanister und sah schließlich seinen derzeitigen Gefährten an. Shallun machte einen noch verzweifelteren Eindruck als vor seinem Ausflug in die Technozone. Was war dort geschehen? Der Terraner wußte es nicht, aber er konnte sich denken, daß womöglich allein der Kontakt zu Artgenossen daran schuld war. »Vielleicht ist es am besten«, sagte Rhodan, »wenn du mir erzählst, was geschehen ist. Berichte der Reihe nach.« »Das könnte sein, Perry Rhodan.« Shallun sah dankbar auf, als böte Rhodans Vorschlag eine echte Hilfe. Er berichtete von seinen Erfahrungen in jenem Schulungsgeläbde Talluurs, das allein Fremdrassigen vorbehalten war, kam auf die glücklich vermiedene Entdeckung durch den Schweberobot zu sprechen und legte endlich den entscheidenden Teil dar; wie nämlich Rhodan ganz nach Plan an der Schulung teilnehmen konnte. »Und noch etwas«, fügte der Hauri hinzu. »Wenn ich es nicht besser wüßte, hätte ich dein Vorhaben für gescheitert erklärt. Aber du bist auf Bentang schon einmal mit einem Psikyber fertig geworden, nicht wahr?« »Das stimmt. Gibt es auf dem Schulungsgelände Zonen, wo Psikyber-Felder geschaltet werden können?« »Viel schlimmer. Das ganze Gelände liegt unter permanentem Einfluß. Wer also gegen psionische Einflüsse nicht gefeit ist, läuft
25 ganz sicher binnen weniger Tage zur Lehre des Hexameron über.« Auf Bentang hatte sich Rhodan nur deshalb wehren können, weil dem Pikosyn seiner Netzkombination selbständige Handlungen ermöglicht waren. Die psionischen Felder des Psikyber-Systems waren zudem nicht geschaffen für Feinarbeit; er hatte in seinem Gedächtnis Lücken und Widersprüche entdeckt und daraus auf Manipulation von außen geschlossen. Der Psikyber des Schulungszentrums würde zweckdienlicher eingesetzt sein. Es galt ja »nur«, wankelmütige Schüler vom Sechs-Tage-Glauben zu überzeugen. Diesmal allerdings war Rhodan besser vorbereitet. »Ich habe ein Gerät entwickelt, das nüch gegen Psikyber-Einfluß schützen soll«, gab Rhodan zu. Er glaubte, daß die Information bei Shallun trotz seiner seelischen Verfassung in guten Händen war. »Es heißt Pedas – eine Abkürzung aus meiner Muttersprache. Mit etwas Glück bin ich also geschützt.« »Was macht dir dann Sorgen?« wollte Shallun wissen. »Zwei Dinge. Erstens bin ich ja nicht allein. Meine Freunde Beodu undf Nai-Leng kommen ebenfalls nach Talluur, wenn alles gutgeht. Was ist mit ihnen? Ich verfüge nur über ein einziges Pedas-Gerät.« »Dann werden sie dem Einfluß des Psikyber erliegen. Ich weiß mit Sicherheit, daß sich weder Kartanin noch Attavenno dagegen wehren können.« »Du als Hauri kennst also kein Gegenmittel?« Rhodan sah enttäuscht zu Boden. »Nein, ich kenne keines. Wozu auch? Wir Hauri sind gegen psionische Einflüsse von Natur aus nahezu immun, und vielen von uns wird zusätzlich Resistenz antrainiert. Der Psikyber ist nur eine Gefahr für unsere Feinde.« »Wie konntet ihr dann ein derartiges Gerät überhaupt bis zur Perfektion entwickeln?« erkundigte sich Rhodan mißtrauisch. »Normalerweise baut ein Volk nur die
26 Geräte, deren Wirkung es irgendwie am eigenen Leib erfahren kann …« »Ich sage ja nicht, daß wir Hauri den Psikyber konstruiert haben.« »Wie bitte? Wer dann?« Rhodan hatte plötzlich das Gefühl, einem wichtigen Sachverhalt auf der Spur zu sein. »Ich weiß es nicht«, erklärte Shallun. »Vielleicht waren es Hauri, vielleicht andere. Das weiß bei uns niemand. Allerdings käme auch niemand auf die Idee, darüber nachzudenken.« »Fazit: Ich und meine Freunde müssen mit den Psikyber-Feldern alleih fertig werden, richtig?« »So kann man es sagen, Perry Rhodan«, antwortete Shallun vorsichtig. »Aber du hattest noch ein zweites Problem?« »Ah ja.« Rhodan hatte Schwierigkeiten, die angerissene Problematik zurückzustellen. Vielleicht sollte er in Zukunft nicht so sehr den Vorhaben der Hauri nachspüren, sondern vor allem ihren Motiven. Hatte es mit Begriffen wie Hexameron und Herr Heptamer doch mehr auf sich, als derzeit zu vermuten stand? »Mein zweites Problem ist gewiß leichter zu lösen«, sagte der Mann. »Es geht um das Ausweisproblem. Du hast gesagt, mein neuer Name ist Annacinnt. Das bedeutet, ich brauche einen gefälschten Ausweis, der auf diesen Namen ausgestellt ist.« Zum erstenmal erkannte Rhodan eine Veränderung in Shalluns Mimik, die er als Lächeln interpretierte. »Schon erledigt.« Der Hauri öffnete im Hüftteil seiner grauen Kutte eine Tasche und zog daraus etwas Kleines, Viereckiges hervor, das er Rhodan überreichte. »Eine ID-Marke«, staunte der Terraner. »Du hast an alles gedacht.« »Es ist das gleiche Material, das sie auf Eperum verwenden. Sie wird keinen Verdacht erregen.« »Dann kann es also losgehen.« Er stand auf und erkletterte die nächste Anhöhe, die einen weiten Blick in die Umgebung erlaubte. Innerlich machte er sich mit dem Gedan-
Robert Feldhoff ken vertraut, schon morgen ganz allein allen Problemen begegnen zu müssen. Da würden Beodu und Nai-Leng sein, gewiß; aber mit etwas Pech konnte sich die Gesellschaft der beiden als tödliches Handikap erweisen. Alles hing von der Intensität des Psikyber ab. Innerlicher Zwiespalt würde den Freunden zu schaffen machen – und ebendiese Tatsache gedachte Rhodan auszunutzen. Die Dinge hatten sich anders entwikkelt als erwartet, komplizierter und weit gefährlicher. Es galt nicht mehr, nur die Schaltstation auf Cheobad zu erreichen und zu sabotieren. Vielmehr wurde es immer schwieriger, überhaupt so weit zu kommen. Aber sie konnten es schaffen, dachte Rhodan. Beodu, der kleine, von Träumen geplagte Attavenno, ein alter Kartafün namens Nai-Leng, der einen zerzausten Eindruck machte, Shallun, sein identitätskriselnder haurischer Helfer, und er selbst, Perry Rhodan, ein Fremder in diesem Universum.
* Rhodan und Shallun brachen früh am nächsten Morgen auf. Zunächst saß der Terraner noch neben dem Hauri in der Führerkanzel ihres Lastengleiters, doch ein paar Kilometer vor Erreichen der Technozone versteckte Shallun ihn wieder im Stauraum. Sein Auftritt war erst später an der Reihe. Eine halbe Stunde lang sah und hörte er kaum etwas, dann setzte der Gleiter mit einem spürbaren Ruck auf. Shallun öffnete vom rückwärtigen Teil des Gefährts aus die Ladeklappe. »Du kannst jetzt herauskommen. Hier beobachtet uns niemand.« Vorsichtig stieg Rhodan vorri Heck hinunter auf den Boden. Sie befanden sich in einem halbdunklen, schuppenartigen Gebäude. Das wenige Licht drang durch eine Sichtluke am verschlossenen Toreingang, den Shallun offenbar gerade zugeschlagen hatte. »Von hier aus können wir alles sehen,
Der rote Hauri Perry Rhodan. Wir passen den richtigen Augenblick ab.« Rhodan warf durch das Fenster einen Blick nach draußen. Der Schuppen stand am Rand eines Raumhafenareals direkt neben weiteren Gebäuden dieser Art, die augenblicklich leer schienen. Zweihundert Meter weiter war ein haurischer Trimer gelandet – das dreigeteilte, in der Hauptsache schwarz gestrichene Schiff entließ aus einer Ladeluke einen Strom von Passagieren. Sein Heck bestand aus einem konisch verjüngten Zylinder, dessen Länge hundertfünfzig Meter und dessen größter Durchmesser mittschiffs vierzig Meter betrug. Der Mittelteil ragte daraus hervor, seine Maße waren allerdings um einen Faktor fünf verkleinert. Wie der Mittelteil war auch der Bug fünfundsiebzig Meter lang. Er wirkte mit vierzig Metern Querschnitt und nach vorn verjüngter Schnauze wesentlich wuchtiger als der Rest des Trimers. Einen Kilometer weiter begrenzten graue, niedrige Häuserzüge das Landefeld. Dahinter erkannte Rhodan einen Ausschnitt haurischer Architektur, wie er ihn schon zur Zeit seiner Ankunft kurz gesehen hatte. »Siehst du die Passagiere, die da ausgeschifft werden?« fragte Shallun. »Natürlich.« Rhodan zog fragend die Augenbrauen hoch und sah den anderen an. »Wenn alle Details stimmen, ist es der erste Teil deiner Gruppe. Zwei weitere Transporte landen jetzt noch, und wenn alle da sind, teilt man euch in drei anders strukturierte Teams auf. Dann werdet ihr zu euren Schulungszentren gebracht.« »Zu welchem Transport gehören meine Freunde?« »Wenn sie kommen, zu Nummer zwei.« »Sie kommen bestimmt«, hoffte Rhodan, und er dachte daran, daß sowohl Beodu als auch Nai-Leng über eine gehörige Portion Verschlagenheit verfügten. Sie würden wissen, was zu tun war. »Was geschieht, wenn der zweite Transport gelandet ist?« wollte Rhodan wissen. »Wir warten noch das dritte Schiff ab.
27 Dann ist die Verwirrung am größten, weil zu diesem Zeitpunkt knapp dreihundert zukünftige Diener des Hexameron da vorn versammelt sind. Du mischst dich einfach unter sie.« Rhodan dachte kurz über den Plan des Hauri nach und fand, daß alles so das beste war. Trotz seiner seelischen Verfassung hatte Shallun folgerichtig eine gangbare Lösung gefunden. Eine Stunde später war die Anzahl der Schüler mit dem zweiten Transport auf zweihundert angewachsen. Rhodan hatte Beodu und den alten Kartanin nicht entdecken können, aber dies mußte nicht viel heißen. Sein Sichtfeld war eingeschränkt. Bevor der dritte Trimer allerdings eintraf, gab der Pikosyn seiner Netzkombination ein Signal. Rhodan zog sich in den rückwärtigen Teil des Schuppens zurück und murmelte: »Was ist los?« »Du kannst es dir denken, oder nicht?« fragte der Pikosyn mit fast menschlicher Ironie zurück. »Hast du etwas vom Einfluß der Psikyber-Felder gemerkt?« »Nichts.« »Und darum geht es. Das Pedas-Gerät arbeitet zufrledenstellend, aber es hat bis jetzt gedauert, Klarheit zu gewinnen. Zunächst mußten die vorliegenden Daten von Bentang mit den Verhältnissen hier in Einklang gebracht werden.« »Das Ergebnis?« fragte Rhodan knapp. »Wir können Psikyber-Tätigkeit tatsächlich anmessen. Und solange die Felder nicht stärker werden, bist du geschützt.« »Wie ist es mit Beodu und Nai-Leng?« »Sie haben keine Chance. Die geschützte Zone umgibt bei maximaler Ausdehnung gerade deinen Kopf, Perry.« Am Fenster wurde Shallun jetzt nervös. »Es ist soweit. Das dritte Schiff landet.« »Ich komme schon.« Der Pikosyn hatte weiter nichts zu sagen, und so begab sich Rhodan zurück an seinen Beobachtungsposten. Ein paar Minuten wartete der Terraner noch ab, bis das Gewimmel am größten war, dann trat er hinter Shallun durch das Tor.
28 Niemand schenkte ihnen Beachtung. Ein Fremdling in haurischer Begleitung galt offenbar als sichergestellt. Ungefähr dreihundert meist hurnanoide Wesen waren es, die vor einem niedrigen Gebäude warteten und einem anderen Hauri entgegenstarrten, der das Gebäude soeben verlassen hatte. Rhodan drehte sich um. Er wollte ein letztes Mal nach Shallun sehen und ihm ein paar aufmunternde Worte sagen, doch der andere war bereits verschwunden. Über eine Lautsprecheranlage wurden der Reihe nach Schüler aufgerufen. Und dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Er hörte seinen neuen Namen, Annacinnt, Nummer drei. Sein Translator übersetzte die haurischen Worte automatisch ins Interkosmo. Aber Rhodan hörte kaum hin, er schob sich nahe an die Gefährten heran. »Du bist es, Perry …«, staunte Beodu. Es tat unendlich gut, die Stimme des kleinen Freundes wieder zu hören. Wirkte der Psikyber schon? War der Attavenno noch er selbst oder schon ein fanatischer Anhänger der Lehren des Hexameron? »Bitte nennt mich Annacinnt. Weitere Erklärungen später.« Rhodan wußte, daß er das Thema Hexameron möglichst nicht anschneiden durfte. Sie wurden in einem Schwebebus abtransportiert, und von ihrem abgelegenen Platz ganz blnten sah er aus dem Fenster. Die haurischen Trimer starteten gemeinsam und wurden rasch kleiner. »Piko!« murmelte er fast unhörbar. Der miniaturisierte Syntron seiner Netzkombination antwortete ebenso leise: »Das Psikyber-Feld wirkt. Beodu und Nai-Leng sind zumindest stark verunsichert.« Rhodan fand erst jetzt Zeit, die Freunde genau in Augenschein zu nehmen. Und schon Beodus nächste Worte bestätigten seine schlimmsten Befürchtungen: In der Stimme des Attavenno schwang Mißtrauen mit. »Das mußt du mir genau erklären, Waqian«, sagte der kleine Gefährte. Die Unterkunft bestand aus drei eng bei-
Robert Feldhoff einanderliegenden Räumen. Sie waren zusammengeblieben und hatten die Zimmer besetzt, bevor andere es taten. Im ganzen Wohntrakt gab es außer je einem VariformBett keinerlei Einrichtungen. Man würde ihnen wenig Freizeit zugestehen, das begriff Rhodan. Sie waren aus einem anderen Grund hier. »Wie sieht es mit Abhöranlagen aus?« fragte Rhodan wispernd seinen Pikosyn. »Es gibt ein aktiviertes Mikrophon über dem Bett.« Rhodan warf einen raschen Blick dorthin, konnte aber nichts entdecken. Zum Glück befand sich hinter seinem Ohr ein Akustiksensor, so daß die Kommunikation zwischen ihm und dem Pikosyn fast lautlos ablief. »Und an der Decke ist eine kleine Kamera, allerdings desaktiviert. Wenn sie in Betrieb geht, warne ich automatisch.« Damit gab sich Rhodan zufrieden. Er ging hinüber zu Beodu und traf kurz hinter NaiLeng ein. Zum Glück blieb für längere Gespräche keine Zeit, denn schon am Eingang des unterirdischen Wohnbunkers hatte ein Hauri ihnen eingeschärft, sich unverzüglich im größten Schulungsraum einzufinden. Gemeinsam mit einem Pulk anderer, meist humanoider Mitschüler strebten sie ans Ende eines Ringkorridors, der die Unterkünfte miteinander verband. Die Wände waren schmucklos, und als einzige Unregelmäßigkeit fand sich in dieser Zone eine Nische mit kleinen schwarzen Reinigungsrobotern. Immerhin stellte der Pikosyn im Korridor keinerlei Überwachungseinrichtungen fest. Rhodan hatte sich schon in seinem Zimmer gewundert; weshalb der Aufwand mit Kameras und Mikrophonen, wo doch die Psikyber-Felder selbst Feinde zum Glauben des Hexameron konvertieren ließen? Auf ihrem Heimatplaneten nahm das Mißtrauen der Hauri Fremden gegenüber fast neurotische Züge an. Und trotzdem war es berechtigt. Das bewies seine eigene Person, dachte der Mann. »Wir bleiben wieder zusammen«, raunte er Beodu und Nai-Leng zu. Zwar mußte er vorsichtig mit den beiden umgehen, in erster
Der rote Hauri Linie auf seine Außerungen achten, aber er wollte sie auch im Auge behalten. Sowohl der Kartanin als auch der kleine Attavenno signalisierten fahrig Zustimmung. Rhodan konnte sich förmlich ausmalen, wie es in ihren Köpfen arbeitete. Der Psikyber pfropfte fremdes Gedankengut zwischen echte, gewachsene Überzeugungen, und nun würde beides gegeneinander im Streit liegen. Vor dem Eingang zum größten Schulungsraum war ein kleiner Stau entstanden. Als Rhodan mit Beodu und Nai-Leng, der ein wenig zurückgeblieben war, die Tür erreicht hatte, sah er den Grund dafür. Vor dem Schulungsraüm befand sich ein enges Foyer, das den Andrang nicht aufnehmen konnte. Es diente als Verteilerknoten- denn an zwei gegenüberliegenden Wänden zweigten weitere Gänge ab. Der Schulungsraum war eigentlich ein Saal. Es gab mehr als dreihundert Sitzplätze, auf humanoide Bedürfnisse zugeschnitten, und an den Rändern der Sitzbänke ungefähr dreißig Variform-Sessel. Er und die beiden Freunde entschieden sich für Sitzgelegenheiten weit hinten. Als Ruhe eingekehrt war, trat durch eine bislang verborgene Tür am Dozentenpodium ein Hauri. Er war bekleidet mit einer grauen Kutte und festen Stiefeln, seine Größe betrug knapp zwei Meter und lag somit im haurischen Durchschnitt. »Mein Name ist Yerman nal Urkhii«, sagte er mit lauter, sonorer Stimme, die den Saal bis in den hintersten Winkel erfüllte. »Ich bin euer Koordinator. Aufgrund der Informationen, die mir von Eperum aus überspielt wurden, werde ich euch anschließend den Fähigkeiten nach bestimmten Zielgruppen zuordnen. Einige werden zu Schaltmeistern ausgebildet, die meisten zu technischen Assistenten. Das bedingt Kolloquien in Kleingruppen und teilweise Hypnoschulung. Die einzigen Veranstaltungen, die in diesem Raum stattfinden, sind solche religiöser Unterweisung. Anwesenheit ist Pflicht und
29 wird festgestellt. Das ist zunächst alles, was ihr wissen müßt. Ihr werdet in eure Unterkünfte zurückkehren und abwarten, bis ihr per Interkomleitung aufgerufen werdet. Bei Verlassen des Raumes erhaltet ihr einen Lageplan der allgemein nutzbaren Einrichtungen.« Rhodan hatte nicht gewußt, daß sich in ihrer Unterkunft ein Interkomanschluß befand. Vielleicht war er in den winzigen Tisch integriert, dachte er. Sie würden es rasch herausfinden. Hinter Beodu und seinem kartanischen Helf er Nai-Leng ließ er sich auf den Korridor hinausschieben, und ein Hauri in khakibeiger Kombination drückte ihnen zwei engbedruckte Plastikfolien in die Hand. Wortlos brachten sie den Ringkorridor hinter sich. Dabei studierte Rhodan gründlich den Lageplan des unterirdischen Schulungsgeländes; er fand den Wohnbereich ganz außen eingezeichnet, den Schulungssaal daneben und außerdem eine Fläche von mindestens zwei Quadratkilometern, die von kleinsten Unterrlchtsräumen bis hin zum mittelgroßen Experimentalzentrum alles bot. Der einzige Ausgang, den die Karte auswies, lag von ihren Unterkünften nicht einmal fünfzig Meter entfernt. Ob dies ein Vorteil war, würde sich erst später erweisen. Zunächst galt es ja, ein paar Tage abzuwarten und die Möglichkeiten ihrer Lage in Ruhe abzuschätzen. Dann wollte Rhodan sein Vorgehen festlegen und vor allem entscheiden, was er für Nai-Leng und Beodu tun konnte. Denn eines stand fest: Zu lange durfte er die beiden dem Einfluß des Psikyber nicht aussetzen. Die Felder würden sonst ihr Denken auf Dauer umiormen und dem Hexameron zwei weitere hörige Diener liefern. Und noch eine zweite Determinante bestimmte sein zukünftiges Handeln. Bevor nicht die Flotten der Benguel und Juatafu im Ushallu-System eintrafen, konnte er gar nichts tun. Bis dahin konnte er nur hoffen, daß die Tarnung hielt.
*
30 »Deine Vermutung ist richtig«, sagte der Pikosyn. »Sie haben den Interkom in den Tisch eingebaut. Die gesamte Platte funktioniert als Membran. Eine durchaus ökonomische Lösung, möchte ich meinen.« Schon auf dem Gang hatte er eine unbeobachtete Sekunde genutzt, Beodu und NaiLeng auf die Mikrophone und Kameras hinzuweisen. Beide hatten ihn überrascht angesehen und gefragt, ob sie denn etwas zu befürchten hätten. Aber in ihrer Stimme war Unsicherheit gewesen, dessen wurde Rhodan bei genauerem Nachdenken immer deutlicher gewahr. Die beiden Freunde hatten ihre ursprüngliche Mission zumindest noch im Hinterkopf. »Annacinnt«, unterbrach nun eine schnarrende Stimme seinen Gedankengang. »Melden in Raum 78, Abschnitt D.« Natürlich waren es haurische Worte, mit denen er noch immer seine Probleme hatte, aber der Translator seiner Netzkombination übersetzte automatisch. Rhodan erhob sich, trat auf den Korridor hinaus und suchte auf der Karte nach dem bewußten Abschnitt. Zum ersten Mal gewährte man ihm Zutritt zu jenen Sektionen der Anlage, die auf der anderen Seite des größten Schulungssaals lagen. Er sah allerdings keinen Vertrauensbeweis darin – Kameras würden seinen Weg verfolgen, und unter Umständen existierte ein automatisches Auswertungsprogramm. Raum 78 D war nicht weit entfernt. Es gab keinerlei sichtbaren Öffnungsmechanismus, doch als der Terraner ein paar Sekunden untätig im Gang abgewartet hatte, stand plötzlich die Tür offen. »Komm herein!« rief von drinnen eine tiefe, angenehme Stimme. Rhodan erkannte sofort das Organ des Hauri Yerman nal Urkhii. »Du bist richtig hier, Annacinnt.« Er folgte Yermans Anweisung unverzüglich. Der Raum war klein, höchstens zehn Quadratmeter groß, und enthielt nichts als ein kompliziertes Multifunktionsgerät und den Schreibtisch, hinter dem sich der Hauri niedergelassen hatte.
Robert Feldhoff »Du bist also Annacinnt.« Etwas in Yermans Stimme warnte den Mann. »Das ist richtig.« »Jemanden wie dich haben wir hier noch nie gesehen …« »Ich stamme von einem Planeten im nördlichen Randbereich. Mein Volk ist klein, und kaum jemand hat die Mittel, die Heimat zu verlassen.« »So genau wollte ich es nicht wissen, Annacinnt.« Trotz der relativ freundlichen Worte brachte es Yerman fertig, in seiner Stimme Eiseskälte mitschwingen zu lassen. Er forderte Rhodans Ausweis und schob ihn in einen Schlitz des Multifunktionsgeräts. »Ich entnehme den Aufzeichnungen des Prüfers in Eperum, daß du ein ganz besonders begabter Schüler bist. Wie kommt das?« »Meine Eltern waren für die Verhältnisse unserer Heimat reiche Leute. Ich habe die beste Erziehung genossen, die es gab, und auf anderen Welten noch dazugelernt.« Er täuschte Stolz und ein wenig Selbstgefälligkeit vor und hoffte, Yerman möge darauf hereinfallen. Der Hauri mußte diese Eigenschaften, seiner Mentalität entsprechend, negativ einschätzen. So hatte der andere einen Ansatzpunkt, sich selbst überlegen zu wähnen. »Ich verstehe.« Der Hauri starrte konzentriert auf einen Monitor, den Rhodan erst jetzt wahrnahm. »Genau wie dein Freund Nai-Leng teilen wir dich also der Gruppe mit der höchstqualifizierten Ausbildung zu. Natürlich ist es auch die Gruppe, an die die höchsten Anforderungen gestellt werden. Aber jetzt arbeitet ihr für die Ziele des Hexameron, und der Herr Heptamer sagt: Ein Leben ist nichts. Nur sein Nutzen zählt. In diesen Worten, Annacinnt, erkennst du auch die Bedeutung deines eigenen Lebens.« Unvermittelt wurde Yerman aggressiv. »Wie soll ich es also verstehen, daß du einen Diener mitbringst?« Rhodan hatte geahnt, daß er deshalb Schwierigkeiten bekommen würde. Auf Eperum hatte Beodu die Prüfungen nicht mit
Der rote Hauri dem gewünschten Ergebnis bestanden, und somit war nur eine einzige Möglichkeit verblieben, ihn trotzdem hierher mitzunehmen. Rhodan hatte den kleinen Attavenno einfach als seinen Diener deklariert. »Es liegt an meiner Konzentrationsfähigkeit«, verteidigte sich Rhodan. »Als Diener nimmt Beodu Routinearbeiten ab und ist außerdem ein enger Freund. Er verschafft mir zeitliche und seelische Entlastung.« »Du kommst in Zukunft ohne ihn aus. Man hätte dir auf Eperum nicht nachgeben dürfen.« Rhodan spürte, daß Widerspruch jetzt gefährlich war. Yerman hatte seine Entscheidung mit den Worten Heptamers, des Herrn Siebentag, begründet, und dem durfte er nicht widersprechen. »Was geschieht jetzt mit Beodu?« fragte er nur. »Da er schon einmal hier ist, wird er sich nützlich machen. Er nimmt wie jeder andere an der religiösen Unterweisung und am Unterricht in haurischer Sprache teil. Die übrige Zeit erledigt er Botengänge und ähnliches. Und jetzt, Annacinnt, stellen wir deinen Stundenplan zusammen. Deine physiologischen Ruhebedürfnisse werden dabei berücksichtigt.« Eine halbe Stunde lang fragte Yerman nal Urkhii ihn über spezielle Wissensgebiete und Ausbildungslücken aus. Am Ende hielt Rhodan eine engbeschriebene Folie in Händen. Er würde täglich sechzehn Stunden lang Unterricht in allen Bereichen der Hochfrequenz-Hyperphysik, entsprechender Regeltechnik und artverwandten Gebieten erhalten. Dazu kamen, wie Yerman bereits angedeutet hatte, religiöse Unterweisungen und Haurisch-Unterricht. »Und welchem Ziel dient das Ganze?« wollte Rhodan anschließend wissen. Vielleicht ergab sich hier die einzige Möglichkeit, ganz offen entscheidende Fragen zu stellen. »Ich weiß zwar, daß ein Großvorhaben des Hexameron ansteht, aber mehr auch nicht.« Yermans Augen begannen in grünlichem Feuer zu glimmen – ein untrügliches Zei-
31 chen religiöser Erregung. »Weshalb willst du das wissen, Annacinnt?« »Es würde mir helfen, das Schulungsziel zu erkennen. Meine Aufmerksamkeit wäre auf das eigentlich Wichtige fixiert.« »Dann nirnm bitte zur Kenntnis, daß die Schulungsziele allein Sache deiner Ausbilder sind. Du bist ein Anhänger des Hexameron, gewiß, daran zweifle ich jetzt nicht mehr. Aber du bist kein Hauri. Darauf kommt es an.« Yerman hatte sich regelrecht in Zorn geredet, und Rhodan bereute schon, das Thema angesprochen zu haben. Aber zumindest den Versuch hatte er riskieren müssen. »Verzeih, wenn ich meine Lage falsch eingeschätzt habe.« So rasch, wie er in Erregung geraten war, beruhigte sich der Hauri wieder. »Nun gut«, sagte er. »Wir sehen uns noch. Hier ist dein neuer Ausweis. Führe ihn immer bei dir.« Er entnahm dem Multifunktionsgerät eine Plastikmarke und händigte sie Rhodan aus.
5. Vergangenheit In der brennenden Baracke hatte Shaa den Fremden verloren. Perry Rhodan hätte schon seit ein paar Minuten tot sein sollen – und er begriff nicht, weshalb es dem anderen gelungen war, seinem ersten Überfall zu widerstehen. Hatte man ihn gewarnt? Undenkbar … In seinen Gliedern und in sämtlichen Denkzentren des Hirns fühlte Shaa das Wasser. Er hatte vor Beginn der Aktion einen halben Liter zu sich genommen und brannte jetzt von innen heraus. Ein unbändiger Bewegungsdrang peitschte ihn geradezu vorwärts, und es war pures Glück, daß er Sekunden später über den Miniaturorter am Handgelenk Perry Rhodans Spur wiederaufnehmen konnte. Sein Opfer hielt geradewegs auf die »Pforte nach Talluur« zu. Dort wartete Shallun, der Bruder des haurischen Wasserträgers, untätig den Ausgang der Aktion ab. Shaa überlegte, ihn zu Hilfe
32 zu rufen, aber die Zeit reichte nicht aus für lange Erklärungen. Tatsächlich – der Fremde zielte auf das kathedralenartige Bauwerk, das den Transmitter nach Talluur enthielt. Zufall? Gewiß ein sehr unwahrscheinlicher Zufall allerdings. Shaa zielte kurz und traf den Fremden trotz der Entfernung im Flug. Alle Energie verpuffte wirkungslos in Perry Rhodans Schutzschirm. Es war das erste Mal in seiner Karriere als Wasserträger, daß er so offensichtlich eine vorläufige Niederlage erlitt. In der Regel putschte das ungewohnte, für den haurischen Organismus giftige Wasser ihn so sehr auf, daß niemand ihm widerstehen konnte. Für begrenzte Zeit wurde er sogar resistent gegen Paralysetreffer. Aber das Wasser hatte ihn süchtig werden lassen, das wußte Shaa. Der Kanister auf seinem Rücken war stets gefüllt. Lag darin der Mißerfolg vor ein paar Minuten begründet? Hatte die Sucht seine Koordinationsfähigkeit durcheinandergebracht? Darm blieb nur noch eines: Er mußte um baldigen Einsatz in einem Selbstmordkommando bitten. Noch war es nicht soweit, sagte sich der Hauri. Er konnte den Fremden noch erwischen. Perry Rhodan tauchte nach unten weg. Shaa war zu weit entfernt, um diesen Augenblick zu weiteren Treffern zu nutzen. Doch er begriff, daß sein Opfer genau auf die »Pforte nach Talluur« getroffen war. Die Wahrscheinlichkeit eines Zufalls schrumpfte. Sekunden später hatte Shaa ebenfalls das Pfortengebäude im Blickfeld. Es sah aus, als habe man auf seine Mauern abgeschliff enes Wüstengestein verwandt, und vielleicht stimmte das sogar. Etwas anderes jedoch erregte Shaas Aufmerksamkeit viel mehr. Er hatte einen Augenblick Peny Rhodan gesehen – und der andere war ohne Waffengewalt durch die einzige Tür ins Innere der Pforte gelangt. Unmöglich … Aber Shaa hatte ja gesehen, daß es möglich war. Er stieß wie ein Vogel aus großer
Robert Feldhoff Höhe hinab und bremste erst ein paar Meter über dem Boden mit Höchstwerten ab. Die Tür reagierte nicht auf sein Kodesignal. Für diesen Sachverhalt blieb nur eine Erklärung übrig: Shallun, der Bruder, mit dem er seine halbe Kindheit gemeinsam verbracht hatte, mußte schuld sein. Shaa nahm die Türhälften unter Beschuß. Das Außenmaterial schmolz rasch, doch die inneren Verstrebungen hielten stand. Als der Hauri den Erfolg greifbar nahe vor sich sah, geschah das Unerwartete doch noch. Ein greller Lichtblitz erfüllte sein Gesichtsfeld. Die Kathedrale explodiert, dachte er, damit habe ich nicht gerechnet. Nur das Wasser ließ ihn rasch genug reagieren. Noch im Fallen bekam Shaa den Schutzschirmprojektor in die Hand, und er schaltete halb instinktiv sämtliche Energie hinein, die sein Anzug hergab. Ein mörderischer Ruck blies ihn förmlich zur Straßenseite hin. Er verlor das Bewußtsein, ohne clie tatsächliche Explosion noch wahrzunehmen. Mühevoll schlug Shaa die Augen auf. Ringsum hatte man klobige Gerätschaften abgestellt, die ihm den Blick versperrten. Dazwischen standen ein paar Hauri. Shaa versuchte, mit müden Gesten ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Was war geschehen? Er hatte Mühe, sich zu erinnern. Die Pforte, sie war explodiert … Und plötzlich war er wieder voll da. Die Gerätschaften standen nur deshalb dort, weil sich irgendwer Sorgen um seine Gesundheit machte. Seine Schutzschirmblase funktionierte noch, und niemand hatte sie von außen abschalten und ihn untersuchen können. Es handelte sich also um Energiezapfer – die einzige Möglichkeit, ein aktiviertes Schirrnfeld ohne Gefahr für das Wesen im Innenraum aufzubrechen. Shaa kam auf die Beine und winkte ab. Er ließ das Feld erlöschen und rief: »Das könnt ihr euch sparen! Meldet euch bei eurem Befehlshaber.« Er hatte nicht die Absicht, die Behörden von Eperum über die wahre Sachlage aufzu-
Der rote Hauri klären. Überall auf den Welten der Hauri galten jene Artgenossen von Talluur als überlegen. Der Mythos entsprach der Wahrheit, dachte Shaa. Er würde den Beweis antreten, aber ohne Hilfe von außen. Soviel war er außerdem seinem Status als Wasserträger schuldig, denn ein Wasserträger konnte nicht verlieren. Er starb höchstens. Wortlos bestieg Shaa eines der nahebei abgestellten Fahrzeuge. Niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Er sah, daß die Behörden eine ringförmige Zone weit um die ehemalige »Pforte nach Talluur« abgesperrt hatten. Einmal schaute er noch zurück auf den Trümmerberg, dann setzte er Kurs auf den nächstgelegenen Raumhafen. Dort hatte er bis zur etatmäßigen Interplanetarfähre nach Talluur eine halbe Stunde Aufenthalt. Es gab zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Entweder waren Shallun und der Fremde bei der Explosion ums Leben gekommen, oder sie hatten den Transmitter im Pfortengebäude benutzt und hinter sich gesprengt. Im ersten Fall durfte Shaa seine Mission als beendet betrachten. Er hätte einen neuerlichen Beitrag zum raschen Ablauf des Sechsten Tages geleistet. Im anderen Fall waren sowohl Shallun als auch Perry Rhodan noch am Leben. Er mußte diesen Fall als gegeben voraussetzen und in der Technozone von Talluur die Suche beginnen. Etwas in ihm sträubte sich dagegen, aber Shaa kämpfte das Gefühl nieder. Nicht das, was in seinem Hirn war, zählte, sondern allein der Wille des Herrn Heptamer. Ein Trimer hob mit Shaa an Bord ab und erreichte Talluur innerhalb von vier Stunden. Kühle Wüstenluft umfing ihn schon in der Schleuse; er hatte das unbestimmte Gefühl, von einer langen Reise heimzukehren. Shaa nahm einen Schluck Wasser aus dem Rückenkanister und rief einen Gleiter herbei. Auf dem schnellsten Weg fädelte er sich in die höchstgelegene Verkehrslinie der Technozone ein und erreichte so das Ziel, einen wenig auffälligen Wohnbezirk an der Peripherie des Siedlungsgebiets.
33 Von außen wirkte die Empfangsstation völlig unversehrt. Shaa aktivierte erneut sein Schirmfeld, zog den Handstrahler und versuchte, sich Einlaß zu verschaffen. Doch die Türautomatik reagierte nicht. Er rief eine Staffel lokaler Polizeibehörden zu Hilfe und ließ das Schott mit schweren Thermostrahlem aufschweißen. Er würde Shallun und den Fremden nicht mehr vorfinden, dessen war der Hauri gewiß. Und tatsächlich: Das Gebäudeinnere war praktisch nicht mehr vorhanden – Trennwände und Aggregate bedeckten als Schmelzmasse den Boden. Wiederum gab es zwei Möglichkeiten. Einerseits mochte die gesamte Transmitterstrecke explodiert sein, also Sender und Empfänger zugleich. Dergleichen kam praktisch nie vor, aber es konnte theoretisch geschehen. Zweitens zog Shaa ein Täuschungsmanöver in Erwägung. Was, wenn Shallun und der Fremde die Station auf Eperum und Talluur nur gesprengt hatten, um ihre Spur zu verwischen? Zumindest der Bruder würde wissen, daß Shaa die Verfolgung aufgenommen hatte. Er mußte nach Indizien suchen, dachte er. Dem Opfer und seinern haurischen Helfer hatten im Überlebensfall zwei Möglichkeiten offengestanden. Sie waren entweder hinausgegangen in die Technozone, oder sie hatten sich vom Transmitter zu einer anderen Station im Ushallu-Systerh abstrahlen lassen. Zunächst ließ Shaa von der Polizeistaffel sämtliche Anwohner der umliegenden Gebäude auf verdächtige Beobachtungen befragen. Und in der Tat hatte ein Kranker vom Sichtluk seiner Klause aus etwas beobachtet: Die Tür war kurz aufgeglitten, hatte sich aber wieder geschlossen, ohne daß irgendwer das Gebäude verlassen hätte. Der Beobachtung mußte nicht unbedingt Bedeutung zukommen. Vielleicht war ein Schaltfehler schuld daran. Vielleicht hatten Shallun und der Fremde sich aber auch im Schutz von Deflektorfeldern nach draußen
34 gewagt. Die Erklärung klang plausibel. Sie setzte voraus, daß die Explosionen als Ergebnis eines Täuschungsmanövers stattgefunden hatten. Doch wo begann die Täuschung, und wo hörte sie auf? Shaa erlag dem Gefühl, sich in einem Irrgarten zu fangen. Schon jetzt benötigte er Hilfe, wenn er ehrlich war, doch sein Status als Wasserträger verbot diese Maßnahme. Vom Ortungsverbund der Technozone forderte er eine Liste sämtlicher registrierter Transmittertransporte an. Die Aufzeichnungen zum fraglichen Explosionszeitpunkt waren verfälscht und unkenntlich. Aber die Liste bot einen zweiten Anhaltspunkt! Man hatte wenige Minuten später einen Transport von Talluur zum elften Planeten registriert. Shaa hatte die Wahl. Im riesigen Areal der Technozone besaß er nur einen Vorteil; Perry Rhodan mußte auffallen, weil er einem Hauri zuwenig ähnelte. Das allerdings wußte auch Shallun. Er würde Vorsorge getroffen haben, falls er überhaupt noch am Leben war. Der elfte Planet bot auf seine Weise noch weniger Aussichten auf Erfolg. Es handelte sich um eine gebirgige, von Vulkanismus geprägte Welt, auf der sich ein geschicktes Team wochenlang verstecken konnte. Der Wasserträger setzte sich ein paar Sekunden auf den Boden und dachte nach. Zwischendurch trank er etwas Wasser, die Substanz drängte in seinen Stoffwechsel und ließ ihn klarer nachdenken als je zuvor. Es gab etwas, das er bislang vernachlässigt hatte. Nochmals konsultierte Shaa die Aufzeichnungen des Ortungsverbunds. Er stellte fest, daß die Explosionen auf Eperum und Talluur um ein paar Minuten auseinanderlagen. Shallun und Perry Rhodan waren noch am Leben, soviel stand damit fest. Per Hyperkomverbindung sprach er anschließend mit der Ortungsstation auf Ushallu-11. Dort hatte man gleichfalls eine Explosion registriert. Sie lag ungefähr zehn Minuten später als die Explosion auf Talluur, und Shaa entschied folgerichtig, die zeitlich letz-
Robert Feldhoff te Spur zu verfolgen. Alles andere war Täuschung. Mit dem nächsten Trimer flog er ab in Richtung des elften Planeten. Er wußte nur nicht, was er tun sollte, wenn er Shallun in Begleitung des Fremden antraf. Er würde ihn töten müssen. Seinen eigenen Bruder … Auf dem elften Planeten gab es nichts als ein paar Ortungsstationen, einen kleinen Raumhafen und viel Wildnis. Den Transmitterstützpunkt hatte er ebenso zerstört vorgefunden wie das Gegenstück auf Talluur. Deshalb blieb ihm keine Wahl übrig, er mußte per bewaffneten Gleiter den Planeten abfliegen und dabei auf ein zufälliges Ortungssignal hoffen. Aber er behielt auch die Ereignisse in der Technozone im Auge. Mehrmals pro Tag ließ er sich Nachrichten über ungewöhnliche Ereignisse und Kuriositäten überspielen. In letzter Zeit glich das Ushallu-System eher einem aufgescheuchten Insektenhaufen als dem geordneten Zentrum haurischer Macht, das es vorher gewesen war. Doch große Ereignisse standen an: In wenigen Tagen würden die verhaßten Kartanin das dritte Hangay-Viertel ins andere Universum hinübertransferieren. Auf Cheobad wartete man schon gespannt. Shaa untersuchte mehrere Vulkane und sogar einen Tiefseegraben. Fündig wurde er nicht. Allmählich gelangte er zu der Überzeugung, daß sich Rhodan und Shallun doch in der Technozone verborgen hielten; das Gewirr aus falschen Spuren trug nicht Shalluns Handschrift. Perry Rhodan mußte schuld daran sein. Aber noch durfte er nicht aufgeben, denn alles, was er auf Talluur tun konnte, erledigte er von hier aus ebenso gut. Mit etwas Glück würde eine ungewöhnliche Nachricht die gesuchte Spur liefern. Die erste Nachricht dieser Art betraf allerdings etwas anderes. Der Transfertermin für das dritte Hangay-Viertel war verstrichen! Aus irgendeinem Grund hatten die Kartanin oder die Gemeinschaft der zweiundzwanzig Kansahariyya-Völker ihre Pläne ge-
Der rote Hauri ändert. Natürlich wußte Shaa nicht, ob in dieser Entwicklung eine echte Katastrophe lag – das konnten nur die Beauftragten des Herrn Heptamer auf Cheobad wissen. Aber Shaa ärgerte sich über jede Verzögerung. Ihre Aufgabe lag darin, den Sechsten Tag so rasch wie möglich seinem Ende zuzuführen. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Was war nur los im Ushallu-System? Alles hatte mit dem Auftauchen dieses Fremden, Perry Rhodan, angefangen. In Höhe der Bahn des siebzehnten Plaheten tauchten unvermittelt ganze Pulks fremder Raumschiffe aus dem Linearraum. Shaa beobachtete den Vorgang an der hochempflndlichen Ortung seines Gleiters. Zunächst waren es hundert Schiffe, dann zweihundert, fünfhundert … Am Ende setzten sich 4355 Einheiten in Richtung Eperum in Bewegung. Kurz vor Erreichen ihres vorläufigen Zieles tauchte die Hälfte der Einheiten nochmals in den Linearraum; und kam verstreut wieder zum Vorschein, einige irn Orbit um Cheobad und Talluur. Eine halbe Stunde später hatte sich folgendes herausgestellt: Die Flotte bestand aus Schiffen der Juatafu-Roboter und Benguel. Dies Detail war den Planern in Jhiakk entgangen, als sie ihn losgeschickt hatten, um Perry Rhodan zu töten. Der Fremde galt den Benguel und den Juatafu, die früher die »Verlorenen von Maghruu Maghaa« genannt worden waren, als Imago, als eine ominöse Leitfigur. Vielleicht konnte er jetzt auf deren Hilfe rechnen – man durfte die fremde Flotte nicht einfach abschießen, denn dies würde in ganz Hangay Aufruhr verursachen. Unter Umständen würden die Kartanin versuchen, den Fall aufzuklären. Und eine Schlacht um das Ushallu-System war das letzte, was die Hauri derzeit gebrauchen konnten. Um so wichtiger war Perry Rhodan. Er mußte den anderen endlich finden und töten, dachte Shaa. Zwei Tage lang suchte er noch vergeblich den elften Planeten ab, dann traf von Talluur die Nachricht ein, auf die er gewartet hatte. An sich sah das Ereignis denk-
35 bar harmlos aus: Während einer Stunde religiöser Unterweisung war ein Lehrer in der Technozone bewußtlos zusammengebrochen. Dinge solcher Art kamen vor, doch der Name des Lehrers schreckte Shaa auf wie eine laute Glocke. Es war Narmon ald Tiil, jener Hauri, dessen Organisation auf Nansar Perry Rhodan zerschlagen hatte und der den Fremden als einziger im Ushallu-System vielleicht wiedererkennen konnte. Shaa begab sich auf dem schnellstmöglichen Weg zum Raumhafen. Er rief einen Trimer und war zwei Stunden später auf der Rückreise nach Talluur. Vielleicht hatten Shallun und Perry Rhodan einfach Pech gehabt, ganz gleich – nun würde er ihre Spur nicht mehr verlieren. Und die Zeit drängte, das wußte der Hauri. Zum ersten Mal bereute Shaa, daß er nicht einfach per Funk die Lage darstellen und andere um Hilfe bitten konnte. Aber er war ein Wasserträger. Ein Diener des Hexameron und ein Gefangener seines Status. In der wenigen Zeit, die sie miteinander verbrachten, merkte Rhodan sowohl Beodu als auch Nai-Leng den Psikyber-Einfluß an. Sie waren nicht recht bei der Sache, immer ein wenig geistesabwesend. In Beodus Fall wirkte es sich allerdings weniger störend aus. Der kleine Attavenno leistete hauptsächlich Botendienste in Yermans Auftrag, behauptete aber, dabei keinerlei Informationen über das Großvorhaben des Hexameron zu erhalten. Nai-Leng hatte hin und wieder gemeinsam mit Rhodan Unterricht. Der Terraner merkte ihm Lernschwächen bis zur Begriffsstutzigkeit an. Noch lagen die unterschiedlichen Einflüsse im Denken der beiden im Widerstreit. Das jedoch würde sich bald ändem. Zumindest Beodu wußte über Rhodans Abwehrgerät Pedas Bescheid, obwohl er es seit ihrem gemeinsamen Aufenthalt in der Technozone nicht erwähnt hatte. An diesem Morgen stand die erste Lektion in hexamerischer Religion auf dem Stundenplan. Und noch in anderer Hinsicht handelte es sich um ein bedeutendes Datum:
36 Heute war der 4. August 447; heute sollte das dritte Viertel der Galaxis Hangay in Rhodans Heimatuniversum überführt werden. Seit den Ereignissen auf Eperum wußte er jedoch, daß gleichzeitig mit dem Transfer die haurische Materiewippe in Aktion trat. Er war fast sicher, daß sie vom fünften Ushallu-Planeten Cheobad aus geschaltet wurde. Im Austausch gegen fünfzig Millionen hangaysche Sonnenmassen, ein Viertel dieser Galaxis, sollte aus Rhodans Universum ein noch unbekannter Teil der Pinwheel-Galaxis herübergeholt werden. Die entsprechende Technologie konnte noch nicht ausgereift sein. Schon ein kleiner Fehler mochte bewirken, daß statt Pinwheel Parakku, M 13 oder gar Terra nach Tarkan entführt wurden. Das Risiko war zu groß. Rhodan hatte deshalb seine DORIFER-Kapsel LEDA ins Anklam-System geschickt, um den »Schaukelvorgang« auf der kartanischen Seite zu stoppen. Ein gewichtiges Argument stand ihm dabei zur Seite. In Pinwheel nämlich lebten die Verwandten der Kartanin, die ihnen schon vor 50.000 Jahren den Boden hatten bereiten sollen. Man konnte sie als Opfer der Materiewippe nicht einem schlimmen Schicksal in Tarkan überlassen, so hatte LEDA im Anklam-System argumentiert. Rhodan war gleichzeitig die Verpflichtung eingegangen, die Station auf Cheobad unschädlich zu machen – ein Ziel, das in weiter Ferne lag. »Träumst du, Perry?« fragte Beodu mißtrauisch. Schon seit einigen Tagen nannte der kleine Attavenno ihn nicht mehr Waqian, ein Zeichen, daß zwischen ihnen die Distanz wuchs. »Ich habe nur etwas nachgedacht.« So langsam es möglich war, brachten sie den Ringkorridor zum großen Schulungssaal hinter sich, der nicht überwacht war. Hier hatten sie Gelegenheit, miteinander zu sprechen. »Hoffentlich über die Lehren des Hexameron. Sie sind nicht so schlecht, wie du denkst.« »Bis vor kurzem hast auch du noch anders
Robert Feldhoff gedacht, Beodu.« Rhodan musterte den Attavenno vorsichtig von der Seite, machte aber keinerlei sichtbare Regung aus. »Das hat sich geändert.« »Und zwar unter Einfluß eines PsikyberFeldes.« »Das weiß ich ja …«, stöhnte Beodu. »Aber wenn du nur wüßtest, Perry … Du mußt den Pedas ablegen, und zwar bald. Ich habe mit Nai-Leng darüber gesprochen. Sonst sorgen wir dafür, daß man ihn dir abnirnmt. Dann kommst auch du in den Genuß der wahren Lehre.« Jetzt war es heraus. Rhodan begriff, daß der Zustand seiner beiden Freunde ihm weit weniger Zeit ließ, als er gedacht hatte. Er sah, wie sich neben ihm Beodu wie unter Schmerzen krümmte. Doch sie hatten keine Zeit mehr, und er belegte einen Platz in der hintersten Sitzreihe direkt neben dem Ausgang. Auf dem Dozentenpodium erschien Yerman nal Urkhii. »Ich stelle euch jetzt euren Lehrer in allen Fragen der Religion des Hexameron vor. Es handelt sich um einen Abkömmling des Berges Tiil. Sein Name ist Narmon ald Tiil, er stellt eure oberste Instanz in Glaubensfragen dar.« Rhodan saß vor Schreck erstarrt auf seinem Platz. Narmon ald Tiil. Wie war es möglich, daß er den anderen ausgerechnet hier wiedertraf? Hatte man seine Rolle längst enttarnt? Spielten die Hauri nur ein grausames Spiel mit ihm? Aber nein, dachte der Mann, es mußte sich um einen Zufall handeln, und er hatte gute Chancen, den Schulungssaal unerkannt wieder zü verlassen. Dreihundert Personen befanden sich im Raum, wobei er selbst – zum Glück – einen Platz ganz hinten eingenommen hatte. »Mein Name ist Narmon ald Tiil«, sagte der Hauri, der aus einer Tür im Hintergrund hervorgetreten war. Rhodan wurde ganz klein in seinem Sitz. »Am Anfang der religiösen Unterweisung für heute steht DAS BUCH HEXAMERON mit dem Lied des Sechsten Tages. Hört gut zu: Also spricht Heptamer, Sohn der Götter
Der rote Hauri und Herrscher der Eshraa Maghaasu, und belehrt solcherart die Unwissenden: ›Der Sechste Tag ist das Ende des Anfangs. Es werden Zeichen sein, die die Klugen zu deuten wissen, um den Beginn des Sechsten Tages zu erkennen. Girratu, die Göttin des Feuers, wird ihr Haupt erheben und Hitze verbreiten. Und am Himmel über den Sternen wird als Zeichen ihrer Macht …‹« Welch ein Unsinn, dachte Rhodan bei sich. Er hatte das Lied des Sechsten Tages schon während seines erzwungenen Aufenthalts auf Bentang analysiert. Es enthielt mythologisch verbrämte Hinweise auf das bevorstehende Ende dieses Universums, darüber hinaus aber nichts, was er hätte verwerten können. Der Sprecher zählte – und das war in diesem Fall niemand anders als der einzige Hauri neben Shaa und Shallun, der auf Talluur seinen wahren Namen kannte. »… zu erkennen sein ein Leuchten wie das der Blume Omfar. Die Sterne werden aneinanderrücken, und die Stätten werden einander näher sein. Ein Aufstöhnen wird durch das All gehen; denn schmerzhaft ist der Weg der Vervollkommnung. Und es wird Geschrei sein unter den Ungläubigen, die den Pfad der Weisheit verachten.« Bei den letzten Worten hatte Rhodan das Gefühl, Narmon schaue ihm direkt ins Gesicht. Aber es war Täuschung. Der Vortrag ging weiter, als sei nichts geschehen. Aber jeden Augenblick mochte die Katastrophe doch noch eintreten. Rhodan holte aus einer seiner Taschen die flache Kombiwaffe hervor und versteckte sie unter dem Tisch. Nur aus dem Fingerspitzengefühl heraus trennte er den Lauf vom Griffaggregat, entnahm ebenso unauffällig dem Reparaturset ein dünnes Multicore-Kabel und verband das Energie-Pak mit den Abstrahlfeldern. Den Lauf führte er unter seinem Arm hindurch bis in die rechte Hand. Im Notfall konnte er Narmon ald Tiil unauffällig paralysieren. Dann allerdings galt es zu handeln – der Hauri würde nicht ewig bewußtlos bleiben. Rhodan ließ angespannt die Minuten an
37 sich vorüberziehen. Am Ende der vorgesehenen Stundenplanzeit war nichts geschehen, und er verließ gemeinsam mit den anderen den großen Schulungssaal. Narmon ald Tiil verschwand schon vorher in einer Tür hinter dem Dozentenpult. In einer fließenden, im Gedränge kaum auffälligen Bewegung ließ der Terraner sein Waffenprovisorium in einer Tasche der Netzkombination verschwinden, denn er wußte, daß speziell Beodu und Nai-Leng ihn im Auge behielten. »Nun, Perry«, fragte der kleine Attavenno, als er neben seinem terranischen Freund in den Ringkorridor trat, »haben dich die Worte des Lehrers überzeugt?« »Ich schwanke noch«, entgegnete Rhodan vorsichtig. »Vielleicht ein wenig …« Er mußte auf jeden Fall verhindern, daß Narmon und Nai-Leng ihn an die Hauri verrieten – und diese Gefahr bestand, das wurde ihm mehr und mehr klar. »Aber ist dir aufgefallen, wer der Lehrer war? Es ist der Hauri, der mich im Charif-System bereits umbringen wollte.« Beodu wand sich. Seine Kopfschwingen zuckten, als erhielten sie widersprüchliche Nervenreize. »Eines ist sicher, mein Lieber: Wenn Narmon etwas über meine Identität erfährt, müßt auch ihr mit scharfen Konsequenzen rechnen. Das bedeutet, ihr erhaltet keine Gelegenheit mehr, dem Hexameron zu dienen.« »Würde dich das stören?« fragte Beodu, plötzlich mißtrauisch geworden. »Ich weise nur darauf hin.« Zu weiteren Gesprächen fehlte ihnen Zeit. Der Unterricht lief weiter, und Rhodan erfuhr interessante Details über Interuniversalphysik oder besser: das Verhältnis verschiedener Strangenessträger zueinander. Demnach bedingte ein Transfer von einem Universum ins andere keineswegs energetische Brachialgewalt. Vielmehr drängte sich die Analogie zu Arbeitsstromkreis und Steuerstromkreis auf: Wer den richtigen Ansatzpunkt fand, erreichte mit wenig Aufwand viel. In seinem eigenen Universum war dieser Ansatzpunkt DORIFER, kein Zweifel.
38
Robert Feldhoff
Und in Tarkan? Rhodan nahm sich vor, es herauszufinden.
* Der Tag war noch nicht zu Ende. Mehr als eine Stunde lang erhielt er Gelegenheit, seine Haurisch-Kenntnisse zu verbessern. Bislang mußte ja noch immer der Translator der Netzkombination die meiste Übersetzungsarbeit tun. Weshalb man ihn und die anderen Schüler nicht einfach unter Hypnohauben steckte und rasch und gründlich Kenntnisse vermittelte, wußte Rhodan nicht zu sagen. Als bis zum Ende des Tages nur mehr drei Unterrichtsstunden geblieben waren, bemerkte Rhodan unter seinen Lehrern eine merkwürdige Unruhe. Der 4. August … Er durfte das Datum nicht vergessen. Hatte man im Anklam-System LEDAS Argumenten Glauben geschenkt? War der Transfer verschoben worden oder planmäßig vonstatten gegangen? Es dauerte eine weitere Stunde, bis er unauffällig zwei Hauri belauschen konnte. Ihre Stimmen klangen höchst unzufrieden. Genaues schienen sie ebensowenig zu wissen wie der Terraner selbst. Doch in der letzten Unterrichtsstunde fand Rhodan Gewißheit. Wiederum belauschte er zwei haurische Lehrer und bekam so mit, daß irgend etwas entscheidend schiefgelaufen war. Es hatte geklappt! dachte er triumphierend, der Transfer war verschoben worden. Nun mußte er die Hypothek einlösen, die damit zusammenhing. Die Schaltstation auf Cheobad sollte in naher Zukunft entweder zerstört oder sonstwie in ihrer Funktion behindert werden. Sonst würde die Projektorganisation den nächsten Ausweichtermin doch noch zum Transfer nutzen und dabei ihren Teil der Materiewippe aktivieren. Die Hauri brauchten nur mitzuhalten; und Rhodan wurde allein beim Gedanken daran mulmig. So früh wie möglich ging er schlafen. Irgendwann gegen Morgen weckte ihn ei-
ne Stimme, die direkt aus dem winzigen Tisch seiner Unterkunft zu dringen schien. Er erinnerte sich, daß dort eine Lautsprechermembrane eingebaut war. »Annacinnt! Hörst du mich? Hier spricht Yerman nal Urkhii.« »Ich höre dich«, gab Perry zurück. »Melde dich umgehend in meinem Koordinationszimmer.« Rhodan streifte eilig die Netzkombination über und schlug vom Ringkorridor aus die Richtung ein, die ihm vom ersten Tag noch in Erinnerung war. Er verschwendete nicht einen Gedanken an Flucht, denn dazu hätte es zumindest minimaler Vorbereitungen bedurft. Yerman konnte über die Wahrheit nichts wissen. Ausgenommen … Aber nein. Narmon ald Tiil hatte ihn nicht bemerkt. Ein paar Sekunden lang wartete Rhodan vor der Tür ab. Dann hatte ein Sensor seine Anwesenheit registriert, und der Hauri rief ihn hinein. Yerman saß hinter seinem Schreibtisch und musterte ihn mit einer Mischung aus Neugierde und Verärgerung. Und noch ein zweiter Hauri war anwesend. Es handelte sich um Shallun. Der Schock hätte im ersten Augenblick nicht tiefer sitzen können, doch Rhodan war sicher, daß selbst ein scharfer Beobachter seinem Gesicht keine Regung angesehen hätte. »Worum geht es?« »Dies ist Shallun«, stellte der Schulungsleiter vor. »Er ist ein Angehöriger des Berges Jhiakk und will sich über den Fortgang der Schulungen informieren. Per Zufall wurdest du aus dem Speicher gegriffen, Annacinnt. Du wirst Shallun Rede und Antwort stehen, so gut du kannst, verstehst du?« Rhodan hatte in Yermans letzten Worten die Drohung wohl gehört. Deshalb nickte er und sagte: »Mir ist völlig klar, worauf es ankornmt.« »Das bezweifle ich«, mischte sich Shallun mehrdeutig ein. »Begleite mich. Wir werden uns in meinem Fahrzeug unterhalten. Später teste ich dich umfangreicher.« Rhodan fing noch einen letzten drohenden Blick des Schulungsleiters auf. Endlich
Der rote Hauri schlug hinter ihm die Tür zu, und er war mit Shallun im Korridor allein. Trotzdem sprach keiner von beiden ein Wort, da die Überwachungsmechanismen mit Sicherheit aktiv waren. Shallun führte ihn durch einen Liftschacht und einen angrenzenden Korridor in die unterirdische Transportebene des Schulungszentrums. Dort stand ein Taxigleiter bereit. Als sie eingestiegen waren, wollte der Hauri zu reden beginnen, doch Rhodan gab ihm ein Zeichen, zu schweigen. Der Pikosyn suchte selbständig nach verborgenen Abhöreinrichtungen. »Der Gleiter ist sauber«, sagte Rhodan nach einer Weile. »Wir können also sprechen. Wie kommst du hierher? Und vor allem: Warst du vorsichtig, Shallun?« »Natürlich, Perry Rhodan.« Die Souveränität fiel von ihm ab wie eine Maske. Nervöse Spannung und Unschlüssigkeit kamen zum Vorschein, und Rhodan wurde bewußt, daß er sich nicht allein um Beodu und NaiLeng sorgen mußte, sondern auch um Shalluns geistige Gesundheit. »Ich habe mich als Abgesandten Jhiakks ausgegeben, der hier nach dem Rechten sehen soll. Yerman bot an, einen beliebigen. Absolventen seiner Schaltmeisterausbildung zu testen. Aus dem Namensverzeichnis habe ich dich herausgegriffen.« »Im Grunde paßt mir das sogar«, gab Rhodan zögernd zurück. »Ich brauche dich nämlich … Es gibt zwei Probleme: Zum ersten sprechen meine beiden Freunde stärker auf den Psikyber an, als mir recht ist. Ein paar Tage noch, und sie verraten mich womöglich.« »Was willst du dagegen tun?« »Das ist es ja! Ich kann eigentlich nichts tun! Nichts, außer sie aus diesem Gebiet herauszubringen, zumindest für kurze Zeit. Dafür brauche ich einen guten Vorwand und, wenn es soweit ist, deine Hilfe.« »Wir werden sehen«, meinte Shallun. Seine Stimme hatte sich etwas beruhigt, sie hatte wieder jenen angenehm sonoren Klang erhalten, der für Hauri typisch war. »Und wo
39 liegt dein zweites Problem?« »Das ist noch schlimmer. Wir erhalten neben dem technischen Programm Ausbildung in hexamerischer Religion. Der Ausbilder ist niemand anders als Narmon ald Tiil …« »Der dich aus dem Charif-System kennt!« rief Shallun überrascht. »So genau kennt er mich wieder nicht. Aber wenn er mich durch Zufall einmal konzentriert wahrnimmt, fliege ich auf. Dann muß ich schleunigst fliehen und nach Möglichkeit Beodu und den Kartanin mitnehmen.« »Was genau willst du jetzt von mir, Perry Rhodan?« »Ganz einfach: Ich nenne dir die Stunden des Tages, die der religiösen Unterweisung vorbehalten sind. Wann immer das der Fall ist, sollst du mit einem fluchtbereiten Gleiter genau hier abwarten. Mehr nicht.« »Das läßt sich einrichten«, gab Shallun zu. »Ich tue es, ja. Wenn wir jetzt mit deinen Problemen fertig sind, Perry Rhodan, kümmern wir uns um meine.« Zwei Stunden lang versuchte der Terraner, Shallun neuen Mut einzureden, seine psychische Krise zu bewältigen und dem Gedanken an Shaa den Schrecken zu nehmen. Am Ende wußte er nicht, ob er Erfolg gehabt hatte. Er nannte Shallun noch die entsprechenden Termine und dazu ein paar Stichworte über ihre Ausbildung. Mit ein wenig Unbehagen registrierte er, daß er das ursprüngliche Ziel, über den Umweg Talluur nach Cheobad »einzusikkern«, aufgegeben hatte. Noch war keine bedrohliche Lage entstanden; aber es würde schon bald um ihr Leben gehen. Alle Ereignisse ringsum strebten auf dieses Ende hin. Shallun begleitete ihn zurück ins Schulungszentrum. Rhodan erreichte sein Quartier noch vor dem Wecksignal, doch es lohnte sich nicht mehr, für die paar Minuten einzuschlafen. Innerlich wie ausgeleert hockte Rhodan auf seinem Bett und starrte gegen die kahle Wand. Nun überstürzten sich die Ereignisse.
40 Rhodan ließ soeben eine wenig interessante Schulung zum Thema Hochfrequenzschaltkreise über sich ergehen, ein Thema, worüber er bestens Bescheid wußte. Plötzlich meldete sich sein Pikosyn über den Mikrolautsprecher an Rhodans Ohr: »Ich habe eine interessante Ortung, Perry.« Der Mann schaute sich um und stellte fest, daß niemand ihn beobachtete. »Einzelheiten«, verlangte er mit kaum hörbarer Stimme. »Natürlich ist die Ortung weder präzise noch besonders weitreichend, meine technischen Einrichtungen sind nun mal beschränkt. Aber mir scheint, daß die Benguel und Juatafu jetzt eintreffen.« »Woraus schließt du das?« »Ungefähr in der siebzehnten Planetenbahn tauchen Objekte aus dem Linearraum. Ich habe keine verläßlichen Werte; trotzdem meine ich, daß es Einheiten der Juatafu und Benguel sind, derzeit insgesamt zweitausend, Tendenz steigend. Ah, warte … Es gibt eine Bestätigung. Ein sehr großes Objekt ist in viele Einzelobjekte zerfallen.« »Das waren Benguel«, mutmaßte Rhodan. »Auf dem Weg vom Anklam-System hierher haben sie vielleicht eines ihrer Raumschiff-Konglomerate gebildet.« »Genau das. Wir haben jetzt fast dreitausend Einheiten.« Rhodan entschied, ein paar Minuten weiter dem Unterricht zu folgen. Er beantwortete eine Frage, die der haurische Dozent an ihn richtete, zufriedenstellend und fragte den Pikosyn: »Wie sieht es aus? Ein endgültiges Ergebnis?« »4355 Einheiten, plus minus drei Prozent Ortungsfehler, zur Hälfte Juatafu, zur Hälfte Benguel. Sie bewegen sich auf Eperum zu … Moment! Etwas mehr als zweitausend sind jetzt wieder in den Linearraum gegangen und tauchen überall im Ushallu-System verstreut auf.« Wesentlich zufriedener ließ Rhodan nun den weiteren Unterricht über sich ergehen. Von nun an hatte er Spielraum zum Manö-
Robert Feldhoff vrieren. Sollte er in akute Lebensgefahr geraten, konnte er die Imagosucher gewiß bewegen, zu Hilfe zu kommen. Denn er war ja Imago, was immer der Ausdruck den Benguel und Juatafu tatsächlich bedeuten mochte. Hatte er seinen »Rattenschwanz«, der ihm überallhin zu folgen suchte, bislang ausschließlich verdamrnt, so war er nun um dessen Existenz regelrecht froh. Ein paar Tage würde der Terraner noch abwarten. Vielleicht ergab der Unterricht neue Erkenntnisse. Dann aber, so spürte er, galt es zu handeln.
6. Rhodan versuchte alles, doch es gelang nicht, aus dem bewußt fragmentarisch angelegten Unterricht ein vollständiges Bild zu erstellen. Er konnte nicht einmal sicher sein, daß man ihn und die übrigen Schüler nach abgeschlossener Ausbildung auf Cheobad hatte zum Einsatz bringen wollen. Im Gegenteil, einiges sprach sogar dagegen. Aber es mußte sich um eine ähnliche Anlage handeln, die irgendwo erbaut wurde oder schon in Betrieb gegangen war, eine Großanlage. Welchen Sinn machte eine zweite Materiewippe? Oder irrte er? Sollte es doch nach Cheobad gehen? Am Ende des zweiten Tages nach Ankunft der Imagosucher war sich der Terraner noch immer nicht im klaren. Ihm fehlte die Konversation mit Beodu und Nai-Leng, weil er beiden gegen-über auf jedes Wort achten mußte. Hätte er nur Gesil oder wenigstens LEDA in greifbarer Nähe gewußt … Aber Gesil war im Standarduniversum zurückgeblieben, während er LEDAS Aufenthalt nicht einmal erahnte. Die letzte Veranstaltung hatte religiöse Unterweisung zum Thema. Und nun geschah doch noch, wovor sich Rhodan bereits sicher gewähnt hatte. Er saß wie gewöhnlich in der letzten Reihe, direkt neben ihm Nai-Leng und der kleine Attavenno. Die provisorische Paralysewaffe in Form eines Abstrahlrohrs in der Handfläche und
Der rote Hauri seines Energie-Paks, das per Multicore-Kabel damit verbunden war, lag bereit. Von der Seite schickten die beiden Freunde immer wieder mißtrauische, gleichzeitig mahnende Blicke herüber. Rhodan kümmerte sich nicht darum. Narmon ald Tiil betrat den großen Schulungsraum etwas unpünktlich. »Unser Thema«, sprach er mit lauter Stimme, »soll heute das Lied des Zweiten Tages sein. Am Zweiten Tag wird es keine Sterne und keine Stätten mehr geben, und alles Gestalthafte wird vereinigt sein zu einem Nebel von ungeheurer Dichte, voll glühenden Feuers; denn die Göttin Girratu wird sich all ihrer Kraft entblößen, um den Prozeß der Vollendung zu beschleunigen. Die Grenzen des Alls werden einander näher rücken, und innerhalb der Grenzen wird ein unerträglich heißes Licht sein von der Farbe des Minerals Ar-Thymon …« Mit diesen Worten unterbrach sich Narmon. Rhodan hatte das Gefühl, als sollten die Augen des anderen schon in der nächsten Sekunde aus ihren tief en, schattigen Höhlen quellen, und ihr Blick schien genau auf sein Gesicht fixiert. Nur das nicht, dachte er. Auf seinem Rücken brach Schweiß aus, er faßte unwillkürlich den Abstrahllauf des Paralysatorprovisoriums fester. Narmon ald Tiil stand langsam auf. Er setzte sich in Bewegung und sprach dabei weiter: »Girratus Feuer wird die Seelen der Ungläubigen jagen, und die Annutu werden keinen Hort noch Schutz finden vor dem flammenden Zorn der Göttin, und zum Schluß werden sie vergehen und zu Gestaltlosem werden, das sich leblos mit dem grünen Allnebel vermischt.« Narmon kam immer näher, mit verdächtiger Zielstrebigkeit, wie Rhodan fand. Indessen wechselte er ansatzlos innerhalb seines Monologs vom Lied des Zweiten Tages in das des Vierten. »Und so wird der Vierte Tag enden: als eine Zeit der Ungewißheit, und selbst einige Etequ werden zweifeln, ob der große Plan des Hexameron sich jemals verwirklichen lassen wird. Die Zweifler werden in den
41 Gluten sterben; denn es sprechen die Götter: Wer kein Vertrauen in unser Wort hat, der sei des Todes!« Beim letzten Wort war Narmon ald Tiil direkt vor Rhodan stehengeblieben. Mit unnatürlicher Genauigkeit sah er das Bild des Hauri, gehüllt in eine graue Kutte, mit einem Hexameron-Symbol bestickt, die braune, lederartige Haut, den Schädel, der ausgetrocknet wirkte und einem menschlichen Totenschädel ähnlich sah … Ihre Blicke begegneten sich, und beide spürten, daß hierin ein deplazierter Augenblick des Friedens lag. Rhodan löste den Paralysator aus. Er konnte nur hoffen, daß Narmon ald Tiil kein Wasserträger war – dann nämlich hätte er der lähmenden Energie vielleicht widerstanden. Aber seine Befürchtung erwies sich als grundlos. Stocksteif stürzte der Hauri zu Boden. Niemand hörte oder sah den Strahl, dessen war Rhodan sicher. Verdammt! dachte er. Was jetzt?
* Ringsum waren die Schüler aufgesprungen, unter ihnen auch Nai-Leng und Beodu, Rhodans ältester Frennd in diesem Universum. Erste laute, überraschte Stimmen erklangen, ohne in irgendeiner Weise den Vorfall aufklären zu wollen. Dahinter steckte pure Sensationslust, die offenbar selbst unter frischgebackenen Jüngern des Hexameron noch verbreitet war. »Ein Anschlag der Kartanin!« schrie Rhodan. »Bringt euch in Sicherheit! Benachrichtigt die Lehrer!« Seine Worte waren kompletter Unfug, das wußte er. Zum ersten waren gewiß keine Kartanin beteiligt – selbst wenn Agenten der Kansahariyya die Prüfung auf Eperum überstanden hätten, dem Psikyber von Talluur wären sie dennoch zum Opfer gefallen. Darüber hinaus bestand keinerlei Gefahr für die Schüler, und die Lehrer brauchten nicht benachrichtigt zu werden. Schließlich gab es ein umfassendes Kontrollsystem, das sicher
42 schon Alarm geschlagen hatte. Trotzdem war der Trick wirksam. Von einem Augenblick zum anderen stürmten die meisten Schüler dem Ausgang eritgegen. Rhodan hielt Beodu und NaiLeng geistesgegenwärtig bei den Händen gefaßt. Als sich der Strom durch das enge Foyer gepreßt hatte, waren sie noch beisammen. »Kornmt mit!« rief Rhodan im allgemeinen Lärm. »Wir müssen in den Ringkorridor!« »Einen Augenblick«, widersetzte sich Beodu. Seine Augen rollten am Ende der Schädelschwingen wilde Kreise. »Was hast du damit zu tun, Perry?« Und, als ginge ihm die Bedeutung der eigenen Worte erst jetzt auf: »Du hast doch zu tun damit?« »Natürlich! Es war Narmon ald Tiil, das wißt ihr. Er hätte mich erkannt und so auch euch gehindert, in den Dienst des Hexameron zu treten …« Seine Stimme wurde eindringlich. »Vertraut mir jetzt, Freunde! Ihr müßt! Ich habe einen uniehlbaren Plan entwickelt. Ich ziehe meinen Kopf aus der Schlinge, und ihr tretet in den Dienst dieser Sechs-Tage-Religion. Nun folgt mir: Kommt!« Das letzte Wort war fast ein Befehl. Beodu und der alte Kartanin setzten sich endlich in Bewegung. Er war bei ihnen durchgedrungen, das bewies ein Blick in ihre Augen. Beide hatten mit Verwirrung arg zu kämpf en, und in diesem Zustand kam einer, der die nötigen Befehle erteilen konnte, offenbar gerade recht. Nebeneinandefher stürmten sie durch den Ringkorridor. Rhodan ließ ihre Unterkünfte an der Seite liegen und bewegte sich auf den Ausgang zu. Spätestens jetzt mußten sie auffallen; sie waren allein an dieser Stelle der Anlage. »Dahinten, der Lift!« Rhodan ließ die Schotthälften beiseite gleiten und tastete als Ziel die unterirdische Transportebene ein. Der Lift bewegte sich nicht. »Was ist jetzt, Waqian?« Beodus Stimme klang ängstlich, und aus
Robert Feldhoff dem Gebrauch der Anrede »Waqian« schloß Rhodan, daß er für den Augenblick seine Autoritätsstellung wiedererlangt hatte. Kurz entschlossen riß er mit einem Allzweckwerkzeug die Schalttafel aus der Verkleidung. Er schloß einen fernsteuertechnisch blockierten Kontakt kurz und ließ den Lift so aufwärts gleiten. Kurz unter der Oberfläche kamen sie zum Stillstand. Die Transportebene! »Nichts wie raus hier.« Er riß Beodu und Nai-Leng unsanft mit sich. In kurzer Entfernung machte Rhodan einen Gleiter mit verspiegelten Scheiben aus. Das Gefährt ruckte an, drehte sich und kam auf sie zugeschossen. »Keine Angst!« rief der Terraner. »Das ist ein Verbündeter!« Der Gleiter verzögerte und stand einen Meter neben ihnen plötzlich still. Hinten öffnete sich die Ladeklappe. Perry Rhodan packte seine beiden Freunde, drängte sie durch die Öffnung und warf die Ladeklappe zu. Er selbst stieg in den Fond. Auf dem Führersitz saß Shallun. »War es Narmon ald Tiil?« fragte der Hauri. »Oder …« Sein bedeutungsvoller Blick galt dem Kartanin und dem Attavenno, die im Ladeverschlag allmählich wieder Herr ihres Denkens wurden. »Es lag an Narmon«, antwortete Rhodan knapp. »Und jetzt müssen wir zusehen, daß wir hier herauskommen. Nichts wie los, Shallun. Es könnte sein, daß man unsere Spur bald verfolgt.« Rhodan drehte sich um. Er musterte zweifelnd die Gesichter seiner beiden Freunde, sah, wie der Psikyber seinen Einfluß wiedererlangte, und erinnerte sich der Paralysewaffe, die er noch immer fest gepackt hielt. Der Entschluß fiel nicht einmal schwer. Er drückte zweimal kurz ab und sah die Gefährten reglos in sich zusammensinken. Sein nächster Blick galt dem riesenhaften Schott, das ins Freie führte und sich langsam schloß. Ein paar Sekunden lang hatte er das Gefühl, der Gleiter müsse zwischen den Schott-
Der rote Hauri hälften in einem engen Spalt steckenbleiben und die Insassen zerreißen. Doch Shallun hielt mit beachtlicher Nervenstärke auf die Öffnung zu. Es gelang. Man hatte sie nicht im übersichtlichen Gelände der Transportebene festsetzen können. Vielleicht wußten die Hauri des Schulungszentrums nicht einmal genau, wer ihnen den Streich mit Narmon ald Tiil gespielt hatte – und vor allem nicht, weshalb. Deshalb mochte die Verfolgung noch halbherzig betrieben werden. Urplötzlich fanden sich Rhodan und Shallun über der Weite eines wenig frequentierten Landefelds wieder. Ein paar haurische Trimer standen herum, einige mitten im Entladevorgang begriffen, und zwei weitere Schiffe befanden sich gerade im Landeanflug. Sie schenkten ihnen keinerlei Aufmerksamkeit. Wichtig wurden die Schiffe nur, falls sie in den Verfolgungsvorgang eingriffen. In dieser Hinsicht aber rechnete Rhodan mit einem Gefühl der Verhältnismäßigkeit seitens der Verfolger. Ein altterranisches Sprichwort umschrieb den Sachverhalt treffend: Yerman nal Urkhii oder wer immer verantwortlich war, würde nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. »Ich halte mich in Richtung der Industriezentren«, sagte Shallun. »Bist du damit einverstanden, Perry Rhodan?« »Eine gute Idee, sicher.« Shallun würde bald zusammenbrechen, das spürte der Terraner förmlich. Noch allerdings brauchte er nicht einzugreifen, noch wirkte die direkte Aktion auf das angegriffene Nervenkostüm des Hauri wie Balsam. Rhodan sah jene Entwicklung der Lage, die er anzusteuern hatte, klar vor sich; es mußte schon sehr bald schwerer werden für seinen Retter. »Ich habe mir unser weiteres Vorgehen überlegt«, erklärte er. »Wir benötigen ein anderes Fahrzeug. Dieser Gleiter verfügt nicht über Videokom, und ich muß unter allen Umständen mit den Benguel und Juatafu Bildkontakt aufnehmen. Sie wissen, daß ich hier bin. Aber ich will ihnen meine Lage bildlich vor Augen führen, damit sie erkennen, wie ernst sie ist.«
43 »Das läßt sich machen.« Shalluns Stimme klang tief und angenehm wie meist, aber auch irgendwie flach … Rhodan erkannte, daß er schon die ganze Zeit wie in Trance handelte. Und hiermit war auch der Zeitpunkt des Zusammenbruchs vorgegeben. Er mußte erfolgen, sobald der Trancezustand nachließ und die Realität in ganzer Härte über Shallun zusammenbrach. Etwas langsamer überflogen sie die ersten Industrieanlagen. Es handelte sich um chemo-technische Komplexe, riesige, bauchige Behältnisse und verzweigte Rohrleitungen, teils abgesichert durch Energiefelder und gekennzeichnete Sperrzäune. Kurz über dem Boden krochen Schwertransporte gemächlich dahin. Shallun fädelte sich in den dichten Verkehrsstrom über den Anlagen ein. Jedoch bestand wenig Hoffnung, auf diese Weise der Ortung zu entkommen – man würde sie auf den Schirmen verfolgen und kaum so rasch verschwinden lassen. Dazu gehörte mehr, ein Gleiterwechsel zum Beispiel. »Ich lande da unten, beim Gleiterdepot«, sagte Shallun. Rhodan sah eine enge Fläche, deren Zweck offenbar darin bestand, für die verschiedensten Zwecke öffentlich Gleitfahrzeuge bereitzustellen. Es gab klobige Frachtmodelle, wenig schnelle Einpersonenmodelle und einen breiten Mittelklassebereich. Ihr Fahrzeug ging am Rand der Flä-che nieder, und aus einer Baracke direkt nebenan trat der Verwalter des Depots, ein alter Hauri in abgetragener Monteurkleidung. Rhodan und Shallun stiegen aus. Die Augen des Verwalters trugen einen irritierten Ausdruck. »Was wünscht ihr?« fragte er. »Und vor allem: Was hat dieser da außerhalb des Schulungszentrums zu suchen?« Der Terraner begriff, daß mit dem abfälligen Ausdruck er gemeint war. Es war nicht eben günstig, in dieser Form aufzufallen. Also mußte hinterher irgend etwas mit dem alten Hauri geschehen, um ihn am Reden zu hindern. Aber zunächst ließ er Shallun tun,
44 was notwendig war. »Mein Begleiter geht dich wenig an«, versetzte der andere mit drohendem Unterton, der für Rhodans Gefühl nicht eben echt klang. »Wir benötigen einen Lastengleiter mit Videokom-Ausrüstung. Und zwar schnell, die Zeit drängt!« Der Verwalter versuchte keine weiteren Einwände. Er führte Rhodan und Shallun zu einem der klobigen Gefähxte, die der Mann schon aus der Luft bemerkt hatte. »Ist das hier recht? Beachtliche Ladekapazität, hohe Geschwindigkeit und Videokom-Ausrüstung. Es ist reiner Zufall, daß ich einen solchen Laster hier stehen habe. Normalerweise wird Videokom-Ausrüstung nicht gewünscht …« Shallun sah Rhodan fragend an. »Wir kommen damit klar«, bestätigte der Terraner. Er zog kurzerhand nochmals die Paralysewaffe und drückte ab. Der Verwalter sank zu Boden. »Und jetzt laden wir meine beiden Freunde um.« Rhodan öffnete die Heckklappe ihres Kleingleiters, hob vorsichtig Beodu an und trug ihn zum Laster hinüber. Hinterher kam Shallun, der mit Nai-Lengs Gewicht schon mehr Schwierigkeiten hatte. Sie luden die beiden im Stauraum ab und begaben sich in den Fond. Der Videokom war von jener Sorte, deren Bedienung Rhodan auf Anhieb erfaßte. Zunächst ließ er Shallun den Laster in die Luft bringen, dann aktivierte er den Bildschirm und schaltete auf höchste Sendeleistung. Innerhalb von Sekunden hatte der Verkehrsstrom über der Technozone sie aufgesogen. Shallun hielt einen Kurs Richtung Stadtrand. Hoffentlich hatte man sie nicht in der Ortung behalten; denn allmählich war es Zeit, daß Narmon ald Tiil zu sich kam und auf Rhodans Bedeutung hinwies. In spätestens zehn Minuten würde die tatsächliche Auseinandersetzung beginnen, schätzte der Terraner. Er wählte eine Frequenz, um deren Gebräuchlichkeit bei Benguel und Juatafu er genau wußte. Rhodan hatte ja mehrfach mit
Robert Feldhoff den Imagosuchern zu tun gehabt und karinte sich deshalb ein wenig aus. »Ich bin Imago!« sprach er mit deutlicher Betonung Richtung Kamera. »Ich bin Imago.« Immer wieder der gleiche Satz – und er hoffte, daß man seine Stimme auf den Schiffen der Benguel und Juatafu vernahm. Zwei Minuten später zeigte eine Nebenstelle des Videokoms, daß es auf der Sendefrequenz von Rufsignalen nur so wimmelte. Rhodan unterbrach sich und spielte eine davon ein. »Bist du die Imago?« fragte ein vielflächiger Robot, der an sieben Spinnenbeinen von einer nicht erkennbaren Decke hing. »Wir spüren dich.« Rhodan dachte sich nichts bei der ungewohnten Form. Es gab mehr Arten von Juatafu, als er bislang hatte entdecken können. »Ich bin Imago«, bestätigte er dem Robot, der stellvertretend für alle Imagosucher stand. »Mein Aufenthaltsort ist der achte Planet Talluur. Versammelt euch im Orbit und wartet weitere Anweisungen ab.« Dabei stand keineswegs fest, daß den Benguel und Juatafu sein Befehl etwas galt. Es sollte lediglich den Anschein erwecken – denn Rhodan rechnete damit, abgehört zu werden, was sich auf einem hochtechnisierten Planeten wie Talluur kaum vermeiden ließ. »Gibt es Bewegung unter den bewußten Schiffen?« fragte er seinen Pikosyn. »Ich kann nichts sicher feststellen … Warte, doch. Ungefähr zweitausend Einheiten haben sich in Bewegung gesetzt. Sie sind jetzt von Hauri-Schiffen umringt, lassen sich aber nicht beirren.« »Feuergefecht?« »Nein, noch geht alles friedlich zu.« Letztere Auskunft gab Rhodan zu denken. Die Benguel und Juatafu mußten den Hauri ein gewaltiger Dorn im Auge sein; schon deshalb, weil sie nicht ihrer Befehlsgewalt unterlagen und ein völlig undurchsichtiges Ziel verfolgten. Und noch etwas hatte in diesem Fall Bedeutung: Sein Äußeres war den Juatafu zwar nicht bekannt, wohl aber seine
Der rote Hauri Rolle als sonderbarer »Götze«. Zusammen mit den Aussagen von Narmon ald Tiil, Yerman nal Urkhii und später dem Verwalter des Gleiterdepots blieb den Hauri nur ein Schluß. Perry Rhodan, Annacinnt und die Imago waren ein und dieselbe Person. Diese Person befand sich auf Tallur. Sie war auch bekannt als Feind der Lehren des Hexameron. Es gab zwei Möglichkeiten für die Hauri dem Spuk ein Ende zu bereiten: Entweder sie brachten Rhodan schleunigst um, oder sie vernichteten die Flotte der Imagosucher. Er, Rhodan, wäre dann erst später an der Reihe. Doch der Terraner konnte sich vorstellen, daß ein solches Massaker den haurischen Interessen vorerst entgegenlief. Sie konnten sich keinen Gesichtsverlust dieser Art leisten. Ein Aufschrei moralischer Entrüstung würde durch ganz Hangay laufen und ihre sonstigen Aktivitäten womöglich behindern. »Wie sieht es aus?« wollte Shallun wissen. »Kommen die Benguel und Juatafu?« »Ich bin nicht sicher«, gab Rhodan zurück. »Aber ich denke schon. Sie spüren meine Anwesenheit bis da oben hin, wo ihre Schiffe sind.« Endlich hatten sie den Stadtrand erreicht. Rhodan überlegte, ob es in der Technozone nicht sicherer wäre, doch er befürchtete für die nächsten Minuten eine Auseinandersetzung mit Waffengewalt. Die Hauri würden auf ihre Zivilbevölkerung keine Rücksicht nehmen. Als sie außer Sichtweite der letzten Gebäude angelangt waren, bog Shallun in die offene Wüste ab. Ein Blick rückwärts ließ Rhodan zusammenzucken. Mindestens zwei Dützend Gleiter hatten die Verfolgung aufgenommen. »Da sind sie schon, Shallun!« erklärte er mit erzwungener Ruhe. »Wir müssen uns eine Deckung suchen, am besten ein paar hohe Felsen in offenem Gelände.« Die tranceartige Gelassenheit des Hauri schien zerbröckeln zu wollen. »Du hast überhaupt keine Angst …«, stieß er hervor.
45 »Weshalb nicht?« »Beruhige dich, mein Lieber. Wir brauchen die Deckung nur, weil wir von dort aus verhandeln wollen.« »Verhandeln? Mit welchen Argumenten?« »Unser Argument sind die Juatafu nnd Benguel. Es kommt nur darauf an, daß man mir Autorität unterstellt. Deine Artgenossen sollen folgendes denken: Wenn die Imagosucher mir folgen, gehorchen sie mir auch. Und mit 4355 Schiffen in der Hinterhand läßt sich durchaus verhandeln, das versichere ich dir. Also nutze unseren kleinen Vorsprung und suche die Deckung.« Shallun warf in einer fast menschlichen Geste den Kopf nach hinten und folgte Rhodans Anweisung. Sonderbar, dachte der Mann, daß sich im Stadium der Verwirrung alles an ihm zu orientieren bereit war. Sie erreichten mit heulenden Aggregaten eine Felseninsel, die weithin von flacher Wüste umgeben war und alle Anforderungen an eine provisorische Deckung erfüllte. Am Rand eines winzigen Plateaus gingen sie nieder. Beodu und Nai-Leng regten sich wieder – mit ihrem Erwachen würden sie auch den Einfluß der Psikyber-Felder los sein. Nennenswerte Hilfe erhoffte sich Rhodan allerdings nicht von ihnen. Bis dahin mußten noch zwei oder drei Stunden vergehen. Die Gleiter der Verfolger griffen nicht an. Sie gingen am Rand der Felseninsel, jedoch in respektvollem Abstand nieder. Rhodan lächelte unwillkürlich, als an seinem geistigen Auge der kommende Ablauf der Dinge vorbeizog, und er war wieder einmal froh um die immense Erfahrung seiner vielen hundert Lebensjahre. Nur eine Überraschung konnte seine Strategie noch verderben. Er trat an den Rand der Felseninsel und sah hinab auf die siebenundzwanzig Fahrzeuge. »Ein Videokom-Ruf, Perry Rhodan!« Shallun winkte ihn heran. »Hier, im Laster.« Rhodan begab sich in den Fond und aktivierte die Biklerfassung. Sein haurischer
46 Freund hielt sich auf einen Wink hin außerhalb. »Was gibt es?« fragte er lakonisch. Der Monitor zeigte das ausgemergelte, totenschädelähnliche Gesicht eines Hauri, der ihm nicht bekannt war. »Das weißt du sehr genau, Annacinnt. Oder soll ich Perry Rhodan sagen? Oder Imago?« »Also weißt du, daß ich die Imago bin.« »Das weiß ich. Ich fordere dich auf, gemeinsam mit deinen Begleitern allen Widerstand aufzugeben.« »Das wäre dumm. Ihr würdet uns töten, nicht wahr? Was soll dann aus meinen Benguel und Juatafu werden?« »Sie würden abziehen«, erklärte der Hauri unbewegt. »Aber du irrst dich: Wir wollen dich nicht töten.« »Ich glaube kein Wort. Und was geschieht, wenh ich tot bin, will ich dir sagen: Meine Untertanen im Orbit um Talluur würden die Nerven verlieren und sich auf diesen Planeten stürzen. Das allerdings gilt nur für einen Teil. Der Rest hat Anweisung, Cheobad zu vernichten.« Rhodan sah, daß der Hauri zusammenzuckte. »Wir müssen verhandeln«, gab der andere zu. »Nun, da du uns genau bekannt bist, kannst du uns nicht mehr in die Quere kommen. Unter Umständen gewähren wir dir und deinen Gefährten freien Abzug.« »Welche Bedingungen?« »Du besteigst einen der Benguel-Raumer und verläßt mitsamt deiner ganzen Flotte das Ushallu-System. Wir stellen eine Orbitalfähre.« »Akzeptiert.« »Aber ich verlange Garantien für dieses Entgegenkommen.« Rhodan tat die Worte des Hauri mit einer kraftlosen Geste ab. »Du weißt, daß es keine Garantien geben kann. Verlasse dich darauf: Ich bin froh, wenn ich lebend hier herauskomme.« »Nun gut. Ich habe wirklich keine Wahl. Aber eines sage ich dir, Perry Rhodan: Sei auf der Hut! Nimm dich in acht vor den Pro-
Robert Feldhoff pheten des Hexameron, denn man wird dich in Zukunft jagen, wo immer du gesehen wirst!« »Das ist einkalkuliert. Ich rufe mein Schiff.« Rhodan unterbrach die Verbindung und nahm Kontakt zu einem Benguel-Raumer namens PAALINNEN auf. Der Kommandant war mit Freuden bereit, ihn, Beodu, Nai-Leng und eventuell Shallun aufzunehmen. Was allerdings mit dem Hauri war, wußte Rhodan nicht definitiv zu sagen, doch er hoffte, ihn mitnehmen zu können. »Perry Rhodan!« rief Shallun vom Rand des Plateaus aus. Etwas in der Stimme des Hauri warnte den Mann, und er fuhr plötzlich alarmiert herum. Ein paar Schritte brachten ihn neben den neuen Freund. »Sieh! Dort unten.« Er schaute hinab auf den Kordon der siebenundzwanzig, nein inzwischen achtundzwanzig Gleiter. Ein letztes Fahrzeug mußte während des Gesprächs hinzugestoßen sein. Und noch vor der Gleiterkette stand ein einzelner Hauri, der ganz in Rot gekleidet war und auf dem Rücken einen Wasserkanister trug. »Erkennst du ihn, Perry Rhodan?« »Ja.« Sein Blick gewann unmotiviert an Schärfe. »Es ist ein Wasserträger, dein Bruder.« Shalluns Stimme klang entrückt und zittrig. »Shaa hat uns gefunden. Ich wußte, daß er uns finden würde. Wasserträger können nicht verlieren …« Trotz der Hitze fröstelte Rhodan. Er sah das ausgemergelte, halbtote Gesicht des Wasserträgers. Shaa nahm den Kanister vom Rücken und ließ sekundenlang Wasser durch seine Kehle laufen – die Geste vermittelte Entschlossenheit und feierliche Andacht zugleich. Dann sah der Wasserträger auf. Rhodan fühlte sich von seinem Blick getroffen wie von einem Schlag.
7. Diesmal hatte er kein Linienschiff abgewartet, sondern seine Vollrnacht als Roter
Der rote Hauri ausgenutzt. Ein Trimer brachte ihn auf dem schnellstmöglichen Weg vom elften Planeten nach Talluur. Er verlor nicht einmal dreißig Minuten, bis das Landefeld des Schulungszentrums in Sicht kam. Noch vorher nahm er Kontakt zum dortigen Leiter auf, einem Bergabkömmling namens Yerman nal Urkhii, der offenbar noch immer nicht vollständig durchblickte. Shaa ließ sich sämtliche feststehenden Fakten unterbreiten. Ein Gleiter brachte ihn auf die Oberfläche. Von dort aus übernahm er die Koordination sämtlicher Aktivitäten. Als feststand, daß der Vorfall mit Narmon ald Tiil auf Perry Rhodan zurückging, setzte Shaa den gesamten Polizeiapparat Talluurs in Bewegung. Bald war die Spur gefunden, der letzte Teil seiner langen Jagd war angebrochen. Er kümmerte sich nicht um die Absprachen, die ein untergeordneter Einsatzleiter mit Perry Rhodan bereits getroffen hatte. Er konnte es einfach nicht, auch wenn seine Haltung den Interessen des ganzen Volkes zuwiderlief. Er war ein Wasserträger. Alles in ihm verlangte nach Kampf und Rache, und der giftige Wirkstoff Wasser blockierte in seinem Innern auch die kleinste moderate Regung. Nur um Shallun tat es ihm leid … Shallun, sein Bruder … der erste Verräter am haurischen Volk, den ihre Geschichte kannte. Shaa achtete nicht auf den Einsatzleiter, der ihn mit Fragen und nichtigen Erklärungen aufzuhalten suchte. Er schaute nach oben; dorthin, wo er Shallun und den Fremden namens Perry Rhodan wußte. Mit einer instinktiven Geste nahm er den Wasserkanister vom Rückengeschirr und setzte die Öffnung an den Mund. Er hatte nie zuvor so viel Wasser getmnken … Und noch während er trank, spürte Shaa in seinem Organismus die Wirkung. Es war eine Überdosis. Er würde sterben – aber zuvor würde er kämpf en und der tödlichen Bestimmung eines haurischen Wasserträgers gerecht werden. Mit einem heiseren Schrei stürmte er schneller hangaufwärts, als es je-
47 der andere Hauri vermocht hätte. Weit über ihnen hingen drei haurische Trimer in der Luft. Shallun starrte sekundenlang hinauf, und er erinnerte sich, daß er selbst lange in Schiff en dieser Art durch die Weiten Hangays geflogen war. Doch die unbeschwerten Zeiten waren vorüber, er befand sich mitten im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Er war ein Hauri – aber er war auch ein Gegner der Todesreligion des Hexameron. Wo gab es eine Lösung? Er mußte sich weiterhin treiben lassen. Ein heiserer Schrei ließ ihn aufschrecken. Shaa! Jetzt war es soweit. Shallun wußte, daß sie im Grunde gegen den anderen kaum Chancen hatten, sollte er sich zum Angriff entschließen. Und eben dieser Entschluß schien nun gefallen. Weder er noch Perry Rhodan führten genug tödliche Waffen mit sich, jedenfalls nicht, um einen haurischen Wasserträger zu töten. Er sah, daß Perry Rhodan seine Waffe schußbereit machte: In Shalluns Geist verdrängte Teilnahmslosigkeit den letzten Rest Widerstandswillen. Shaa kam jetzt hangaufwärts gestürmt; er feuerte aus seiner Handwaffe ein paar Energiestöße ab, die ringsum Gestein verflüssigten und zu Boden tropfen ließen. Fast gleichzeitig schoß Rhodan zurück. Der Körper des Fremden war von einem matten Schimmer umgeben, und Shallun begriff, daß er seinen leistungsfähigen Schutzschirm auf volle Leistung gefahren hatte. Ohne Ausweichmöglichkeit bot auch das nur unzureichend Schutz. Er selbst verzichtete auf einen Schutzschirm. »Hilf mir, Shallun!« rief Perry Rhodan. »Er hat jetzt die Felsen erreicht und umgeht uns. Auf die andere Seite mit dir!« Verständnislos sah er den anderen an. Was wollte Rhodan? Gab er denn niemals auf? Ein Blitz fuhr zwischen ihnen hindurch. Shallun konnte nicht begreifen, weshalb Shaa gefehlt hatte, und paradoxerweise kamen gerade deshalb seine Gedanken wieder in Schwung. Etwas mußte geschehen sein.
48 Ein Wasserträger hätte auf diese Entfernung sonst niemals neben das Ziel geschossen, soviel war sicher. Wie ein roter Schemen stürmte Shaa entlang dem Plateaurand auf Rhodan zu. Ihre Schutzschirme prallten heftig aufeinander, und der Fremde aus einem anderen Universum, der Shallun innerhalb weniger Tage ein Freund geworden war, hatte nicht einmal Zeit zu reagieren. Beide Schutzschirme begannen zu flackern, beide brachen gleichzeitig zusammen. Die nächsten Ereignisse bekam Shallun nicht mit, so rasch ging alles. Was er sah, ließ ihn an seiner Auffassungsgabe zweifeln, denn Rhodan leistete Shaa ein paar Sekunden lang im Nahkampf Widerstand. Aber nur ein paar Sekunden lang. Dann war alles vorbei. Rhodans Körper flog in einer unkontrollierten Bewegung rückwärts und blieb zuckend liegen. Nein, dachte Shallun, das hatte er nicht gewollt. Er hatte Rhodan nicht gerettet, um ihn so verenden zu sehen. »Shaa!« schrie er. Der Bruder wandte seine Aufmerksamkeit von Rhodan ab. Erst jetzt schien er Shallun richtig wahrzunehmen. In den Augen des Wasserträgers lag ein unkontrolliertes Zittern, seine Hände öffneten und schlossen sich wie Klauen. »Shallun …« Shaa kam langsam auf ihn zu, als habe er alle Zeit der Welt, doch Shallun erkannte, daß es in Wahrheit anders war. Sein Bruder war am Ende mit den Kräften, nicht einmal das Wasser im Organismus des anderen setzte noch verborgene Kräfte frei. Er wird sterben, dieser Gedanke stand plötzlich in seinem Hirn. Er ist am Ende, wir sind beide am Ende. Shaa schien sich seiner Handwaffe nicht mehr zu erinnern. Er berührte Shallun ganz sacht, dann wurde sein Griff härter, und am Ende hatten sich Shaas Hände um den Hals des Bruders gekrallt. Obgleich Shallun auch die eigenen Kräfte schwinden spürte, war er außerstan-
Robert Feldhoff de, sich zu widersetzen. Etwas in ihm rebellierte, sobald er nur die Arme heben und den mörderischen, verkrampften Griff abstreifen wollte. Aber es gab auch einen zweiten Einfluß, der in ihm rief: »Wehre dich! Du stirbst! Du kannst nicht mehr lange aushalten.« Er vergaß, was ringsum vorgegangen war, und reduzierte unwillkürlich das Universum auf sich selbst und den Griff, der seine Kehle umfangen hielt. Shaa … Jhiakk, der Priesterberg, worin man ihn aufgezogen hatte. Hangay. DAS BUCH HEXAMERON. Alles verblaßte. Und in einer endgültigen Anstrengung hob Shallun die Arme, er konnte es noch! Mit letzter Kraft bog er die Hände des anderen auseinander. Irgend etwas riß – Shallun wußte nicht mehr, ob es in seinem Körper war oder in dem des Bruders, ob da noch ein Unterschied bestand oder nicht. Es hatte sie beide zerrissen. Rhodan brauchte mindestens zwei Minuten, sich vom Angriff des Wasserträgers zu erholen. Selten in seinem Leben hatte man ihn derart mühelos besiegt, wenn überhaupt. Er begann, Wesen und Konzept der haurischen Wasserträger zu verstehen, denn wer derart kompromißlos und erfolgreich zu kämpfen verstand, mußte seinem Volk entfremdet und ungeheuer verbunden gleichzeitig sein. Ein Paradoxon? Nicht unbedingt, das hatte er ja soeben erfahren. Weshalb lebte er noch? Mühsam rappelte sich der Terraner auf und sah die beiden reglosen Körper, die in der Mitte des Plateaus zu Boden gesunken waren. Es waren Shaa und Shallun, die beiden Brüder. Aus dieser Richtung hätte er Hilfe am allerwenigsten erwartet. Einer der beiden Körper regte sich jetzt; Rhodan erkannte, daß es Shallun war. Mit einem Satz war er bei ihm. Der andere allerdings war unwidermflich tot, das zeigte ein einziger Blick. »Wie geht es dir?« Shallun antwortete nicht, richtete sich aber ächzend auf.
Der rote Hauri Rhodan konnte sich weiter nicht um ihn kümmern. Zunächst mußte er mit dem haurischen Einsatzleiter sprechen und ihm zu verstehen geben, daß ihre Abmachung unverändert fortbestand. »Du kannst jetzt die Orbitalfähre schicken«, sagte er, noch etwas außer Atem, aber mit fester Stimme über den Kom-Kanal. »Die Leiche eures Wasserträgers lassen wir hier.« Ein paar Augenblicke lang war der Hauri sprachlos erstarrt. Rhodan hatte nicht die Absicht, ihn zu Wort kommen zu lassen. Er schaltete ab und wandte sich Beodu und Nai-Leng zu, die im Stauraum des Lasters allmählich ihre Gedanken ordneten. »Was ist mit euch?« wollte er mißtrauisch wissen. »Seid ihr wieder die alten?« »In meinem Kopf ist alles verwirrt, Waqian«, piepste Beodu kläglich. »Aber ich denke schon, daß es in Ordnung kommt. Gib mir noch ein paar Minuten Zeit.« »Was ist mit dir, Nai-Leng?« »Dasselbe«, quetschte der alte, zerzaust wirkende Kartanin zwischen den Zähnen hervor. »Dann karm ich euch erst einmal euch selbst überlassen?« »Geh nur, Waqian. Vergiß uns bloß nicht ganz.« »Keine Sorge.« Er kroch aus dem Fond ins Freie und trat zu Shallun, der neben dem Leichnam seines Bruders am Boden kniete. Jetzt war es soweit, das sah er auch ohne genaue Kenntnis der haurischen Physiognomie. Der befürchtete Zusammenbruch hatte stattgefunden. »Wie geht es dir?« fragte Rhodan nochmals, so sanft er konnte. »Shallun, antworte bitte.« Der Hauri sah mit leerem Blick auf. »Alles war falsch«, flüsterte er. »Und ich kann nichts davon ändern.« »Du hast getan, was du tun mußtest«, widersprach Rhodan. Es klang wie eine hohle Phrase. »In wenigen Minuten landet unsere Fähre. Du wirst mich begleiten und dich erholen. Bestimmt ändert sich dann das, was dich im Moment so sehr niederdrückt …«
49 »Nein, Perry Rhodan, du irrst. Ich begleite dich nicht. Mein Platz ist hier auf Talluur. Bei meinem Volk.« »Wenn ich fort bin, wollen sie kommen und Shaas Leiche abholen. Dann finden sie dich und werden dich töten.« Zum ersten Mal zeigte sich in Shalluns Blick ein Anzeichen innerer Anteilnahme. »Ich verberge mich zwischen den Felsen. Sie haben keinen Anlaß, dort zu suchen, oder?« »Vielleicht nicht«, gab Rhodan zu. »Und was willst du dann tun?« »Erinnerst du dich, was ich dir einmal erzählt habe, Terraner? Es gibt nur noch zehn Priesterberge in den Wüsten Tallurs. Die letzten von vielen hundert, so hat man mir berichtet, und niemand weiß, wohin die anderen gegangen sind. Ich will es herausfinden. Vielleicht liegt darin der Schlüssel, warum die Hauri so geworden sind wie heute. Diese Todesreligion des Hexameron ist nichts Natürliches. Irgendwoher muß sie gekommen sein.« Über dem Horizont traf sich das Sonnenpaar Usha und Allu zu einer einzigen, schmelzenden Scheibe, deren Korona rote und weiße Strahlen ausschickte. Rhodan blinzelte und legte eine Hand über die Stirn. Zwanzig Meter weiter oben hing die Orbitalfähre, ohne daß er ihre Ankunft bemerkt hätte. Sie sank allmählich tiefer und stoppte in Kopfhöhe. »Nai-Leng! Beodu!« Die beiden Freunde kamen auf etwas wackligen Beinen ins Freie, liefen ein paar Schritte und benutzten schließlich ihre Antigravgürtel, um ins Innere der Fähre zu gelangen. Rhodan sah noch einmal Shallun an. »Lebe wohl!« sagte er. Eine Antwort erhielt er nicht. Der Hauri blieb allein zurück, und Rhodan überlegte, ob er den Verstand verloren hatte oder nur grenzenlos verzweifelt war. Er wußte es nicht. Das Leben ging weiter, für die Hauri auf Talluur und an anderen Orten ebenso wie für ihn. Der Kommandant der PAALINNEN hatte sich als ein gewisser Rodaul identiflziert; in seinem Schutz und dem der übrigen Raum-
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schiffe, die den Imagosuchern hier zugehörten, wollte er einen Vorstoß nach Cheobad wagen. Rhodan hatte Zeit gehabt, noch einmal über die Ergebnisse ihres Einsatzes nachzudenken. Alles war eine Frage der Bewertung. Mit etwas Abstand war er zu folgendem, von den Schulungen auf Talluur inspiriertem Schluß gelangt: Cheobad war ein zwar bedeutender, aber kleiner Fisch. Das Hexameron plante weit umfangreichere Vorhaben. Man wollte in großem
Maßstab Materie aus dem Standarduniversum nach Tarkan transferieren. Nicht mehr einzelne Sterne oder Sternhaufen wie Vilamesch, sondern mehr. Galaxien vielleicht, heute Pinwheel, morgen Siom Som und am Ende die Milchstraße. Oder ganz zu Anfang? Wer wußte das schon?
ENDE
Das Versteckspiel der Verfolgten hat lange genug gedauert, so daß die Imago-Sucher Rettung bringen konnten und der rote Hauri das Nachsehen hatte. Perry Rhodan, Nai-Leng und Beodu gehen nun an Bord eines Schiffes der Imago-Sucher. Währenddessen hat Atlans Galaktisches Expeditionskorps auch das sterbende Universum erreicht. Wie es in Tarkan weitergeht, das ist das Thema für den PERRY RHODAN-Doppelband der übernächsten Woche. Er wurde von Peter Griese und Arndt Ellmer geschrieben und erscheint unter folgenden Titeln: GEHEIMNISWELT CHEOBAD ZIELSTERN ANKLAM