Atlan - Die Abenteur der SOL Nr. 592 Das Zeittal
Der neue Seher von Peter Griese Entdeckung zwischen den Dimensionen I...
17 downloads
777 Views
721KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Die Abenteur der SOL Nr. 592 Das Zeittal
Der neue Seher von Peter Griese Entdeckung zwischen den Dimensionen In den mehr als 200 Jahren ihres Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangte, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, Ende des Jahres 3804 Bordzeit, geht es bei den Solanern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung. Da geht es um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X – einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat. Nach der Vernichtung seines »schlafenden Heeres« und der Bedrohung durch den Hypervakuum-Verzerrer hat der Gegner sich ein neues Versteck gesucht, nicht ohne Atlan und die SOL in eine Zeitfalle zu versetzen, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Oggar, der Pers-Oggare, ein eingeschworener Feind des Hidden-X, erfährt davon, als er sich um die Renaissance seines Volkes bemüht. Denn er ist DER NEUE SEHER …
Die Hauptpersonen des Romans: Oggar - Das umherstreifende Bewußtsein findet einen neuen Körper. Tastran - Ein fjujalischer Kommandant. Rems - Regierungsassistent der Drugger. Gyar-Ya - Waffenmeister des Flaggschiffs der Zyaner.
1. Ich glitt durch das ewige Nichts der Leere zwischen den Sternen, und ich wußte dabei nicht, was mich vorantrieb. War es mein Wille? Oder wurde ich von etwas angezogen, das sich meinen Sinnen entzog? Meinen Sinnen? Ich besaß nach logischen Gesichtspunkten gar keine Sinne, denn schließlich verfügte ich über gar keinen Körper. Ich war nur ich selbst, nur Bewußtsein, Denkvermögen. Meine Handlungen hatten dennoch etwas Körperliches an sich, denn ich vermochte mich in bestimmte Richtungen zu lenken. Auch sah ich ferne Sterne, und ich wußte, einer davon würde Auxon sein, meine Heimatsonne, um die Vasterstat, der Planet meiner Hoffnung und der Vergangenheit meines Volkes, kreiste. Meine Gedanken überschlugen sich. Wahrscheinlich war die unfaßbare Energie daran schuld, mit der mich Chybrain aufgeladen hatte. Ich fühlte mich tatendurstiger denn je, scheute vor keiner Aufgabe und keinem Problem zurück – obwohl ich nicht einmal über einen Körper verfügte. Wer war ich? Was war ich? Wysterein? Waggaldan? Cpt'Carch? Sternfeuer? Oggar? Oggar, der Pers-Oggare, wisperte ich mir selbst zu. Oggar, der seinen Körper, sein Volk, seinen HORT und seine Freunde verloren hatte. Ich wollte mich orientieren, aber ohne technische Hilfsmittel und Karten von Pers-Mohandot war ich hilflos. Wo war Vasterstat? Jede der vielen Millionen Sterne meiner Heimatgalaxis konnte Auxon
sein. Scheinbar ziellos trieb ich weiter, aber in mir brannte ein unbändiger Wille, eine Art Zwang, nach Vasterstat zu gelangen. Der Planet war der einzige wichtige Anhaltspunkt, und doch wußte ich nicht einmal, wie weit ich von ihm entfernt war. Genügte nicht der Wille für ein körperliches Etwas, um eine bestimmte Position zu finden? Ich konnte ja auch sehen, weil ich es wollte. Ich war allein, aber selbst diese Leere belastete mich nicht. Lange Zeit hatte ich nicht allein existieren können. Mein Bewußtsein wäre damals ohne meine Partner von der SOL, ohne Sternfeuer und Cpt'Carch, wahrscheinlich vergangen. Und selbst Insider war für mich unersetzlich gewesen. Doch jetzt war ich nur ich allein. Meine Zuversicht stand im krassen Widerspruch zu meiner Lage. Chybrains Energien schienen eine regelrechte Euphorie in mir ausgelöst zu haben. Ich erkannte, daß dies nicht nur schädlich, sondern sogar tödlich sein konnte. Was mir fehlte, waren klare Orientierungspunkte. Ich vermochte mit keiner Methode meines körperlosen Ichs festzustellen, ob ich mich zielgerichtet bewegte. Nicht einmal über meine Geschwindigkeit konnte ich eine Aussage machen. Es war noch viel schlimmer, kam mir in den Sinn, je mehr ich mich mit den Realitäten beschäftigte. Ich verfügte nicht einmal über eine Möglichkeit, den Zeitablauf festzustellen. Lag dies nun an der frischen Energie oder an dem Schaden, den ich bei der Zerstörung meines Androidenkörpers erlitten hatte? Ich stellte diese Frage zurück, denn sie war augenblicklich von untergeordneter Bedeutung. Was zählte, war nur die Zukunft. Meine Zukunft, die der Pers-Oggaren, aber auch die von Atlan und den Solanern, diesen prächtigen Kerlen, die sich ganz auf die Seite der positiven Mächte geschlagen hatten und einen scheinbar hoffnungslosen Kampf gegen das Wesen Hidden-X führten. Ich wußte nicht, was mit der SOL geschehen war. Auch meine Kenntnisse über das, was mit Atlan und seinen Begleitern geschehen war, lag im Dunkel.
Konnte es sein, daß mich ihr Schicksal nun weniger interessierte? Ich vermeinte in mir etwas Neues zu fühlen, das immer stärker wurde. Langsam schlich sich ein fast ungeheuerlicher Verdacht in meine Überlegungen. Ich wagte es nicht, diese Gedanken klar zu formulieren, denn sie waren zu phantastisch. So empfand ich es fast als eine Genugtuung, als sich plötzlich meine Umgebung änderte. Energiebahnen rasten an mir vorbei. Irgendwo tobte hier ein Kampf mit hochtechnischen Waffen. Ich wollte meinen Flug stoppen, um mich zu orientieren. Im selben Moment bemerkte ich mehrere Planeten und eine Sonne in meiner Nähe, und ich wußte, daß mein körperloses Ich der Willensäußerung gefolgt war. Also konnte ich mich in diesem Zustand doch gezielt bewegen. Unweit von mir schwebten zwei Körper im Raum. Sie wirkten tot auf mich, obwohl aus ihren schwarzen Rümpfen glühende Bahnen aus Energie in den Raum gezogen wurden. Ich kreiste um das Geschehen und beobachtete weiter das Bild, das meine unbegreiflichen Sinne erzeugten. Zweifellos handelte es sich um Raumstationen, die sich in einem Orbit um einen nahen Planeten befanden. Die metallenen Körper trieben sehr langsam voneinander weg, und schließlich schwiegen die Energiewaffen. Die Reichweitengrenze war wohl erreicht. Langsam trieb ich auf die eine Station zu, wobei ich versuchte, mir ein klares Bild von ihr zu machen. Einfach war das nicht, denn die ganze Masse wirkte gleichzeitig mit ihrer Anwesenheit auf mich. Der zylinderförmige Körper mochte etwa 20 Meter lang sein, aber höchstens drei oder vier Meter im Durchmesser. Er besaß zahlreiche Ausbeulungen, deren Zweck ich nicht ausmachen konnte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Waffen, Antriebssysteme oder Ortungsanlagen. Mühelos glitt ich auf die Spitze des Zylinders zu. Nun erkannte ich mehrere versengte Stellen, wo die andere Station diese getroffen
hatte. Auch befänden sich tiefe Risse in dem Metalleib. Mit der gleichen Leichtigkeit, mit der ich mich gezielt bewegen konnte, drang ich in die Station ein. Ich fühlte Wärme und eine Atmosphäre, aber kein Leben. Der Innenraum des Zylinders bestand aus kurzen Kabinen, die durch einfache mechanische Schottwände mit kleinen Durchlässen voneinander getrennt waren. Ich zählte vierzehn dieser Räume, ohne diese dabei durchqueren zu müssen. Auch vermeinte ich zu erkennen, daß es hier keine künstliche Gravitation gab. In diesem Punkt war ich aber noch unsicher, denn auf mich wirkte in meiner jetzigen Zustandsform keine Masse durch ihre Anziehungskräfte. Die ersten drei Räume bestanden nur aus technischem Instrumentarium. Mit einigen Fragezeichen identifizierte ich einen Fusionsreaktor, ein Laser-Hochenergiesystem und eine robotisierte Ortungs- und Feuerleitanlage. Zum erstenmal spürte ich, wie mir Sternfeuers Telepathie fehlte. Wäre sie noch mein Partner gewesen, körperlos oder nicht, so wäre meine Erkundung viel einfacher gewesen. Das Vorhandensein einer Atmosphäre ließ mich jedoch folgern, daß es hier auch Lebewesen geben mußte. Nach einem kurzen Zögern entschloß ich mich, alle Räume aus der Nähe zu untersuchen. Ich glitt durch die Wände. In dem etwas größeren Zentralraum genau in der Mitte des Zylinders fand ich sie. Es waren vier Wesen, und sie wirkten häßlich auf mich. Aber viel schockierender war die Tatsache, daß sie sich gegenseitig auf die wüsteste Art und Weise beschimpften, teilweise aufeinander einschlugen und sich mit ihren Handwaffen bedrohten. War es möglich, daß gesunde Angehörige ein und desselben Volkes sich so widersinnig benahmen? Oder litten diese Wesen unter einem Weltraumkoller oder einer anderen Krankheit?
*
Merkwürdig verzerrt und hohl klangen die Stimmen der vier Fremden in mir. Zweifellos lag das daran, daß ich über keinen normalen Hörsinn verfügte. Sie schrien alle fast gleichzeitig. Ich schwebte über ihnen und betrachtete den Steinernen in der Mitte. (Da ich noch nicht wußte, wie sich diese Intelligenzen nannten, gab ich ihnen diesen Namen wegen ihres Aussehens). Offenbar handelte es sich bei diesem um den Kommandanten oder etwas Ähnliches. Die Sprache klang fremd und unverständlich. Zunächst versuchte ich alle Einflüsse der Materie auszuschalten und nur dieses eine Wesen zu untersuchen. Der Chef der Steinernen dieser Station war etwa 1,40 Meter groß. Sein abstoßendes Äußeres erinnerte mich an einen Felsblock, an dem man kleinere Steine befestigt hatte. Der Hauptrumpf hatte die Form eines abgerundeten Quaders und war von schmutziggrauer Farbe. Er machte etwa zwei Drittel des gesamten Körpers aus. Darauf saß etwas, das mich entfernt an einen Kopf erinnerte und ebenfalls von grauer Farbe war. Die etwa zehn hervorstehenden Beulen mochten Sinnesorgane sein, wahrscheinlich Augen. In der unteren Kopfhälfte ertastete ich mehrere Falten. Dahinter mochten sich Öffnungen zur Nahrungsaufnahme, zur Atmung oder für den Geruchssinn verbergen. Genau konnte ich das nicht erkennen, und unklar blieb auch, womit diese Wesen die Schallschwingungen aufnahmen, die sie zwischen den lappenartigen Falten erzeugten. In der Mitte des Rumpfes ragten zu jeder Seite zwei kurze Extremitäten hervor, die keine Gelenke besaßen. Die Armpaare wirkten bizarr und kaum beweglich. Eine Bewegungsmöglichkeit schienen sie nur an der Stelle zu haben, wo sie an dem Rumpf hingen. An dem Ende erkannte ich schließlich dünne Fasern, die auch die Handfeuerwaffen umschlungen hielten. Die fädenartigen Finger standen in einem grotesken Gegensatz zu dem an Stein erinnernden Leib. Das merkwürdigste Gebilde dieser Wesen waren jedoch die
unteren Extremitäten. Ich habe wirklich schon sehr verschiedenartige Wesen gesehen, und mein ursprünglicher PersOggaren-Körper stellte in der Vielfalt der Lebensformen, die die Natur hervorgebracht hatte, schon etwas Außergewöhnliches dar, aber so etwas Häßliches war mir neu. Warum empfand ich diese Fremdartigkeit als häßlich? fragte ich mich plötzlich. Ein geistiger Ruck ging durch mich hindurch, so als ob ich ein Stück weiter in eine andere Existenzform gedrängt wurde. Nun fiel es mir etwas leichter, meine ablehnenden Gefühle etwas zu kontrollieren. Auch kamen mir diese Extremitäten nun nicht mehr so scheußlich vor. Bei diesen handelte es sich um einen kurzen, dicken Sack, der mit einem halbtransparenten Band unten an den Rumpf geklebt zu sein schien. Der Sack selbst war völlig durchsichtig. Er schimmerte in einem sanften Ton von gelber Farbe. In seinem Innern erkannte ich mehrere Kugeln, die von einer Flüssigkeit umgeben waren. Die Kugeln pulsierten leicht und bewegten sich zielgerichtet hin und her und auf und ab. Es mochten etwa zehn Stück sein. Durch ihre Bewegungen beförderten sie den ganzen Leib in bestimmte Richtungen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sich die Steinernen bei einem schnellen Lauf hüpfend und schlingernd fortbewegten, denn dieser Mechanismus erschien mir dafür denkbar ungeeignet. Das Gefühl des Bedauerns, das aus dieser Überlegung resultierte, besänftigte mich weiter, und mit einemmal empfand ich keine abstoßenden Gefühle mehr. Mit dem äußeren Bild der Steinernen war mir eigentlich nur wenig gedient. Ich mußte versuchen, mich mit einem von ihnen eng auf geistiger Ebene zu verbinden, aber so einfach war das nicht. Ich wußte, daß ich nur mit Wesen in einen Verbund treten konnte, die bestimmte charakteristische Bewußtseinsschwingungen besaßen. Ich überprüfte meine Emotionen und stellte verwundert fest, daß ich jetzt keine Ablehnung mehr für die Fremden empfand. Lag das
etwa daran, daß ich mich intensiv mit ihrem Aussehen befaßt hatte? Oder ging tatsächlich eine Veränderung mit mir vor? Ich glitt in die Tiefe und berührte den Kommandanten der Station. Erwartungsgemäß reagierte er darauf nicht. Er konnte mich weder spüren noch sehen noch überhaupt meine Anwesenheit ahnen. Der erste Kontakt mit seinem Bewußtsein löste in mir eine Welle wohltuender Emotionen aus. Schlagartig verstand ich die Sprache der Steinernen. Es war eine warme und angenehme Sprache. Ich schämte mich, weil ich anfangs so negativ über diese Wesen gedacht hatte. Tastran, so hieß dieses Wesen, gehörte zu einem Volk, das sich die Fjujaler nannte. Er war, wie ich schon vermutet hatte, der Kommandant dieser Orbitstation um den Planeten Fjujal. Das waren Erkenntnisse, die an der Oberfläche von Tastrans Bewußtsein lagen und die ich folglich leicht übernehmen konnte. Da ich auf keinen Widerstand stieß und mein Verlangen nach einem Körper plötzlich wuchs, drang ich weiter in Tastran ein. Ein sanfter Druck bildete sich gegen mich aus. Auch spürte ich eine große Unsicherheit, die den Fjujaler befiel. »Was habt ihr vor, ihr Verräter?« schrie Tastran seine drei Gefährten an. »Das werde ich dir sagen, Kommandant.« Ich verstand nun auch die Worte der anderen Steinernen. »Wir werden dich absetzen. Wenn die Drugger-Basis unseren Kurs beim nächstenmal kreuzt, werden wir sie abschießen. Ohne deine irren Befehle wäre es uns diesmal gelungen. Und ohne dich gelingt es beim nächsten Zusammentreffen.« Noch erkannte ich die Zusammenhänge nicht, aber daß es hier um eine größere Auseinandersetzung ging, war mir längst klar. Auch erkannte ich, daß Tastran seine Frage aus einer ganz anderen Überlegung heraus gestellt hatte. Die Berührung seines Bewußtseins durch mich hatte in ihm den Eindruck erweckt, daß seine Gefährten sich mit einer unbekannten Waffe gegen ihn
wenden wollten. Ich ließ Tastran noch so viel Freiheit, daß er mich nicht mehr spürte. »Ihr Narren!« Die grauen Lappen an seinem Kopf klappten heftig hin und her. »Glaubt ihr wirklich, ich hätte die Drugger verschonen wollen? Die Zentralsteuerung hat versagt! Dadurch lagen unsere Schüsse so schlecht. Macht euch endlich an die Arbeit und bringt das in Ordnung! Das gilt vor allem für dich, Kytran, denn die Zentralsteuerung fällt in deinen Aufgabenbereich.« »Pah!« höhnte der Fjujaler, der mit Kytran angesprochen worden war. »Meine Geräte arbeiten fehlerfrei. Du hast die falschen Werte eingegeben, um die Drugger zu schonen. Die Geister der Gasvulkane sollen dich verschlingen! Verräter!« Ich spürte Hilflosigkeit in meinem vorläufigen Wirtskörper, den ich noch nicht zur Gänze übernommen hatte. Noch bestanden Zweifel, ob Tastran für meine Zwecke geeignet war. Seine augenblickliche Situation war recht unglücklich. Mit einem Körper, der wenig später zur Handlungsunfähigkeit verdammt sein konnte, war mir wenig gedient. Ebenfalls konnte ich den Gedanken des Kommandanten entnehmen, daß er der festen Überzeugung war, daß ein technischer Mangel die Ursache für den nicht erreichten Erfolg darstellte. Kytran und die beiden anderen Fjujaler saßen einem Irrtum auf. »Wann taucht der Drugger wieder auf?« fragte Tastran. Er wollte seine Leute auf das eigentliche Problem lenken und damit von ihrer Aufsässigkeit abbringen. »In etwa drei Taraks«, antwortete Kytran unwirsch. »Da seine Bahn dann noch weiter von uns entfernt sein wird, haben wir kaum noch eine Chance, ihn zu treffen.« Mir kam eine Idee. Passieren konnte mir bei diesen Fjujalern kaum etwas. Wahrscheinlich konnten sie nicht einmal mein Vorhandensein feststellen. Und da drei Taraks keine lange Zeitspanne waren, mußte ich schnell handeln.
Mit einem Willensstoß drang ich ganz in Tastran ein. Sein Körper schüttelte sich kurz, dann war er ganz unter meiner Kontrolle. »Was hast du?« fragte Kytran. Er hatte das Aufbäumen des Kommandanten wohl bemerkt. Ich befahl dem Körper, nicht zu antworten oder zu reagieren, denn ich mußte erst die gesamten Informationen Tastrans verarbeiten. Da dies wohl eine ungewöhnliche Zeit in Anspruch nehmen würde, sagte ich, sobald ich einen ersten Überblick gewonnen hatte: »Mir ist eine Idee gekommen, wie wir die Bahn unserer Station so verändern können, daß der Drugger uns direkt vor die Laserprojektoren fliegen wird. Ich muß aber noch ein paar Einzelheiten durchrechnen.« Die anderen drei Fjujaler blickten sich vielsagend aus ihren Augenbändern an. Sie begannen leise zu diskutieren, doch ich kümmerte mich nicht darum, denn ich war voll damit beschäftigt, das Wissen Tastrans zu überprüfen. Was ich feststellte, war im kosmischen Sinn eine fast alltägliche Geschichte. Auf dem fünften Planeten dieses Sonnensystems, in das ich zufällig geraten war, lagen sich zwei intelligente Lebensformen seit einer halben Ewigkeit in den Haaren. Fjujaler und Drugger waren sich nicht innerlich fremd, unterschieden sich aber extrem in ihrem Aussehen. Wie die Drugger wirklich aussahen, konnte ich dem Wissen Tastrans nur vage entnehmen, denn er sah in ihnen Bestien, Mörder und Raubtiere mit scheußlichen Fratzen, langen Krallen und gierigen Mäulern. Ich erkannte, daß Tastrans Eindruck von seinen Feinden sehr stark emotionell gefärbt war. Da ich erst vor einer kurzen Zeit durch den unbewußten Vergleich zwischen meinem früheren pers-oggarischen Körper und dem der Steinernen einem gewaltigen Irrtum aufgesessen war, dachte ich nun vorsichtiger. Wie die Drugger aussahen, würde ich wohl erst erfahren, wenn ich einem von ihnen gegenüberstand. Wenn!
Meine nahe Zukunft lag im Schleier des Ungewissen, das durfte ich nie vergessen. Die Raumstation der Fjujaler war im Vergleich zur früheren persoggarischen Technik oder zu der der Solaner ein äußerst primitiver Körper. Sie verfügte nur über ein Notsteuersystem für geringfügige Kurskorrekturen, mit dem man nie und nimmer die Umlaufbahn der druggerischen Basis erreichen konnte. Kytran und die beiden anderen, deren Namen Ixten und Blesserlyp waren, mußten dies eigentlich wissen. »Es wäre schön, wenn du das könntest«, sagte Blesserlyp. »Ich kann dir aber nicht glauben.« »Ein Versuch könnte nicht schaden.« Auch aus Ixtens Worten sprach ein unbändiger Haß auf die Drugger. »Mir ist alles einen Versuch wert, womit ich diesen Unterwesen eins auswischen kann.« Kytran, der der eigentliche Sprecher der drei war, fällte eine Entscheidung. »Wir gestatten unserem Kommandanten einen Versuch. Wenn er versagt, werfe ich ihn eigenhändig in den nächsten Gasvulkan.« Für mich (bzw. Tastran) bedeutete das ein Todesurteil, wenn bei der nächsten Begegnung die Drugger-Basis nicht entscheidend getroffen werden würde. Zwar gab es hier in der Station keine Gasvulkane, aber unten auf Fjujal bestimmten sie nicht nur Teile des täglichen Lebens. Sie hatten auch eine Art Religion erzeugt, die sich ihrerseits in Bemerkungen des täglichen Sprachgebrauchs niedergeschlagen hatte. Jemand in einen Gasvulkan werfen, war eine klare Mordabsicht. Ich versuchte in dem Wissen Tastrans einen Hinweis darauf zu finden, was dieses Volk so verbittert gemacht hatte und warum man die Drugger so sehr haßte. Aber ich fand nur Emotionen und keinen wirklichen Grund.
2.
Das System der Station, von dem Kytran, Ixten und Blesserlyp am wenigsten verstanden, war neben der Lufterneuerungsanlage das Notsteuersystem. Das hatte einen einfachen Grund, denn die Benutzung dieses Kleintriebwerks war bis auf eine Ausnahme untersagt. Bei einer Rückkehr zur Oberfläche würde man die geringen Treibstoffvorräte dazu benutzen, um sich auf ein Flugzeug zu lenken, das bis in die höchsten Schichten der Atmosphäre vordringen konnte. Ein vorzeitiger Verbrauch dieses Treibstoffs gefährdete also die Heimkehr nach Fjujal. Den dreien war diese Tatsache bekannt, aber ich merkte sehr schnell, daß sie ihr nur wenig Bedeutung beimaßen. Keiner von ihnen – und auch Tastran nicht – glaubte daran, jemals wieder festen Boden berühren zu können. Ihr Auftrag war das Todeskommando. Das war für mich ein erster Hinweis auf den unstillbaren Drang, die Drugger-Basis abzuschießen. Andererseits fehlte mir jegliches Verständnis dafür, wie sich vier ausgewachsene Fjujaler freiwillig dieser Aufgabe unterworfen hatten. Der Haß mußte also tiefer sitzen und schon lange vor dem Start von Fjujal vorhanden gewesen sein. Da Tastran auch nichts Näheres darüber wußte, stellte ich diese Überlegung wieder zurück, so interessant sie auch war. »Es ist ganz einfach«, erklärte ich den dreien. »Nach dem letzten Treffer haben wir unseren Schwerpunkt verlagert. Er ist sozusagen aus seiner Mittellage gerückt. Wir merken das nicht, weil wir erstens in der Schwerelosigkeit leben und weil zweitens die Station nicht rotiert. Durch einen ganz geringen Schub könnte ich die Station so in eine Schlingerbewegung versetzen, daß sie ein Stück aus ihrer normalen Umlaufbahn torkelt. Bei einer exakten Berechnung treffen wir dann den Drugger, der in zwei Taraks in unsere Nähe kommt.« »Das ist physikalisch unmöglich«, behauptete Blesserlyp. »Es ist möglich«, antwortete ich gelassen. »Man muß nur alle Faktoren genau berücksichtigen. Ich habe früher auf Fjujal einmal
ein solches Programm auf einer Rechnereinheit entwickelt und getestet.« »Er soll es uns vormachen.« Kytrans Arm mit der Waffe zuckte hoch. »Tastran weiß, daß ich nicht spaße. Wenn wir den Drugger nicht erwischen, werfe ich ihn …« »… in den Gasvulkan«, unterbrach ich ihn. »Ich weiß. Wenn ihr noch länger dummes Zeug redet, ist die Zeit verstrichen, die ich brauche.« Als Kytran den anderen zu verstehen gab, daß sie schweigen sollten, schwebte ich schnell in den nächsten Raum. Dort öffnete ich das Schott zu der Zelle, von der aus der Korrekturtreibsatz gestartet werden konnte. Da es sich um einen kleinen Raum handelte und ich sehr schnell ans Werk ging, besaßen die drei keine Chance zu verfolgen, was ich wirklich tat. Als sie hinter mir in die enge Zelle gleiten wollten, versperrten sie sich zusätzlich noch den Weg. Blesserlyp gelangte schließlich doch an meine Seite. »Was machst du da?« herrschte er mich an. Bei den Fjujalern schien ein merkwürdiger Umgangston mit den Kommandanten zu herrschen. »Meine Berechnungen sind bereits abgeschlossen«, antwortete ich kühl. »Außerdem verstehst du zu wenig davon, und die Zeit, dir alles zu erklären, habe ich nicht.« Dann zwängte sich auch Kytran in den Raum. Inzwischen hatte ich den hiesigen Ortungsschirm aktiviert. Die Anlage arbeitete mit der Reflexion von normalen, sehr hochfrequenten elektromagnetischen Wellen. Sie war daher sehr ungenau, aber das machte nichts, denn ich fühlte bereits die nahende Station der Drugger. Wir würden ihre Bahn in einem Winkel von etwa 45 Grad kreuzen, dabei aber nicht in Reichweite der Laserprojektoren kommen. Auch flog die Drugger-Basis bei diesem Rendezvous deutlich niedriger als wir. »Ich zünde jetzt«, sagte ich nur und drückte mehrere Tasten. Ein Warnsignal erklang, aber ich ignorierte es. Der
Beschleunigungsstoß war minimal. Praktische Auswirkungen würde er kaum haben. Da ich aber gleichzeitig mein Ich mit der ganzen Station identifizierte und dieser damit meinen Willen aufzwang, setzte sich das Gebilde in eine schlingernde Bewegung. Langsam trieben wir gegen die Seitenwände. Kytran erfaßte zuerst, was geschah, denn er verfolgte die Meßwerte der Radarortung. »Das scheint tatsächlich zu funktionieren«, staunte er. Über den Rechner dieser Zelle, den ich mit Tastrans Wissen spielend bedienen konnte, zauberte ich unseren neuen Kurs und den der Druggerbasis auf einen Bildschirm. Die beiden Linien kreuzten sich in der dreidimensionalen Darstellung fast in einem Punkt. »Ein Kollisionskurs!« Blesserlyp klatschte vor Freude mit beiden Armpaaren, wobei sich sein Oberkörper seltsam einbeulte. Die gelenklosen Gliedmaßen erlaubten eine solche Bewegung nur unter Mühen. »Noch ein Hauch, und wir können diese Bestien rammen.« »Das ist nicht meine Absicht«, widersprach ich heftig. – »Du hast zuviel Giftgas aus dem Vulkan geschluckt, Tastran!« fluchte der Fjujaler. »Dein Gehirn funktioniert nicht mehr richtig. Wenn wir jemals auf Fjujal landen sollten, dann doch nur in einem Gasvulkan.« »Du kannst landen, wo du willst, Blesserlyp. Ich mache jetzt den Laser klar. Und ihr tätet gut daran, eure Waffen auch in Position zu bringen.« Kytran schien ich überzeugt zu haben, denn er schob Blesserlyp einfach nach der Nachbarzelle, ohne sich um sein Gezeter zu kümmern. Ixten konnte ich nirgends entdecken. Wahrscheinlich war er schon in Richtung Nordbug unterwegs, wo sein Waffensystem untergebracht war. »Denkt daran«, rief ich, während ich mich abstieß, um die Zentrale zu erreichen, »daß die Drugger auch Waffen an Bord haben. So nah
wie diesmal kommen wir nie mehr an sie heran.« Ich hörte noch, wie Blesserlyp maulte: »Ein Kollisionskurs wäre viel besser gewesen!« Wahnsinnsburschen! dachte ich für mich. Dann machte ich den Laser klar und wartete. Der Ortungsreflex der Drugger-Basis raste nun förmlich heran. Ich wollte die Station des Gegners, über die ich auch durch Tastran nur sehr wenig wußte, eigentlich gar nicht treffen. Mir lag nichts daran, irgendwelche Intelligenzen zu töten. Mir kam es nur darauf an, mit den Fjujalern und vielleicht auch mit den Druggern in einen vernünftigen Kontakt zu kommen, der mir auf meinem Weg helfen würde, so wie er diese Völker zu einer Einigung bringen sollte. »Feuer frei?« hörte ich Ixten über die interne Sprechverbindung. »Wann immer du willst«, antwortete Kytran an meiner Stelle. Ich zog es vor, zu schweigen. Noch bevor die Drugger-Basis auf dem Ortungsschirm den Kreis erreicht hatte, der unsere Schußweite markierte, bellten die Laser der drei Fjujaler auf. Ihre Schüsse lagen schlecht, weil sie die Eigenbewegung unserer Station nicht berücksichtigt hatten. Dennoch entging auch mir eine Kleinigkeit, vielleicht deshalb, weil Tastrans Bewußtsein mit einer solchen Möglichkeit nie und nimmer gerechnet hatte. Auf dem Ortungsschirm tauchte am Rand ein weiteres Echo auf. Als ich es sah, gab es einen heftigen Schlag, der mich aus den Gurten riß. Ich prallte gegen die Wand. Alarmsirenen heulten auf und übertönten das Geschrei der Steinernen. Unsere Station hatte ganz offensichtlich einen Volltreffer bekommen!
* Tastrans Benommenheit übertrug sich auch auf mich. Zunächst
wußte ich nicht, was ich tun sollte. Ein Oben und Unten gab es hier sowieso nicht. So trieb ich, von heftigen Stößen umhergerissen, mehrfach durch den engen Raum. Sorge kam in mir auf, ob mein Wirtskörper dies überhaupt ertragen konnte. Schließlich lockerte ich den geistigen Zwang ein wenig, so daß der Fjujaler eine gewisse Handlungsfähigkeit bekam. Das hatte den Nachteil, daß er meine Anwesenheit bemerkte. »Was willst du von mir, druggersche Bestie«, fluchte er in Gedanken. »Ich bin kein Drugger«, versuchte ich ihn zu besänftigen. »Die wären niemals zu einer solchen Tat in der Lage. Deine Station ist getroffen worden. Du solltest etwas zu deiner Rettung unternehmen.« »Verschwinde!« zischten seine Gedanken über den Verbund in mein Ich hinein. Den Gefallen wollte ich ihm nun wieder nicht tun. Ich ließ aber so weit von ihm ab, daß er die Bewegungen des Körpers vollständig bestimmen konnte, ich aber weiter seine Gedanken in mich aufnahm. Vielleicht konnte ich Tastran so glauben machen, ich sei wirklich verschwunden. Tatsächlich handelte der Steinerne. Er öffnete geschickt ein in die Seitenwand eingelassenes Fach und zerrte einen Raumanzug hervor. Die Kombination arbeitete halbautomatisch und umschloß in Sekundenschnelle seinen Körper. Danach überprüfte er die Bordsysteme. »Es ist alles im Gasvulkan«, schimpfte er nach einer Weile laut. »Sogar die interne Sprechverbindung ist ausgefallen. Daran ist nur dieses Biest schuld.« Damit war zweifellos ich gemeint. »Du irrst dich, Tastran«, ließ ich ihn vernehmen. »Ich will dir helfen, weiter nichts. Die Drugger sind mit einem zweiten Raumschiff gekommen. Dieses hat uns den Treffer versetzt, als wir gerade die andere Basis ausschalten wollten.« Ich überprüfte unauffällig, inwieweit er die jüngsten Ereignisse in
seinem Eigenbewußtsein parat hatte. Eigentlich hatte er alles mitbekommen. Das Problem bestand darin, daß er den Sachverhalt nicht verstehen konnte. »Du bist immer noch hier, Geist des Gasvulkans!« Diese Bezeichnung zeigte mir zumindest, daß Tastran von seiner irrigen Ansicht, ich sei ein Drugger, abgewichen war. Noch während ich das überlegte, glitt Blesserlyp durch das Schott herein. Auch er trug einen Raumanzug. Wieder traf die Station eine schwere Erschütterung. Ich hörte mit den Sinnesorganen des fjujalischen Kommandanten ein heulendes Pfeifen, das schnell leiser wurde. »Die Atmosphäre ist entwichen«, teilte ich ihm unhörbar für Blesserlyp mit. »Wenn du deinem Freund etwas von meiner Anwesenheit verrätst, nehme ich dich voll unter meine Kontrolle!« »Schon gut, Geist«, lenkte er gedanklich ein. »Ich bin sowieso ein Opfer des Gasvulkans. Was willst du?« »Euch sicher nach Fjujal bringen.« Tastran lachte ironisch. Er glaubte mir kein Wort, und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. »Warte hier«, bat ich ihn. »Ich verlasse dich jetzt. Versuche deine Leute davon zu überzeugen, daß es noch Rettung gibt. Ich bin gleich wieder zurück.« Da ich in seinen Gedanken echtes Einverständnis spürte, ließ ich zur Gänze von ihm ab. Ich war wieder allein und frei, aber körperlos. Rasch dirigierte ich mich durch die ganze Station. Von Kytran und Ixten fand ich nur noch Fetzen ihrer Körper. Sie hatten nicht mehr rechtzeitig ihre Schutzanzüge erreicht und waren mit dem Verschwinden des atmosphärischen Drucks regelrecht explodiert. Ich beschleunigte mich aus dem Zylinderkörper hinaus in das All, um so besser die Lage zu erkennen. Unweit des Wracks der fjujalischen Station stand ein Flugkörper im Raum, der entfernt der SCHNECKE meines vernichteten HORTS glich. Auf jeden Fall
handelte es sich um ein manövrierfähiges Raumboot. Nun erkannte ich aber auch, daß die Drugger-Basis einige schwere Treffer abbekommen hatte. Tiefe Löcher klafften in dem scheibenförmigen Gebilde, das allein von seiner Form her für eine höherstehende Technik sprach. Auch das Raumboot, das zu Hilfe gekommen war, unterstrich diesen Eindruck. Ich entschloß mich, Kurs auf letzteres zu nehmen, da ich hier am ehesten Lebewesen erwarten konnte. Aber ich wurde zutiefst enttäuscht. Ich fand keine Spur von organischer Materie, auch nachdem ich jeden Winkel abgesucht hatte. Bei näherer Sondierung der technischen Anlagen stellte sich heraus, daß es sich um eine rein robotische Einheit handelte. Die Technik war simpel, aber immerhin wirkungsvoll, wie der jüngste Erfolg bewies. Da es irgendwo Beobachtungssysteme geben mußte, die ihre Informationen zu den vermuteten Bodenstationen übertrugen, beschränkte ich meine weitere Suche auf diese. Schließlich fand ich etwas, das mich an einen altertümlichen Funksender erinnerte. Ich identifizierte mich mit einer Leiterbahn in der Endstufenschaltung und bewegte mich kurz. Der metallische Leiter bekam einen Riß. Damit konnten keine Signale mehr das Robotschiff verlassen. Mit einem ähnlichen Unternehmen erzeugte ich einen Defekt in den Empfangssystemen. Damit ließ sich das Schiff auch nicht mehr durch Funkbefehle lenken. Eine weitere Untersuchung stellte ich vorerst zurück, denn ich wollte noch in der Drugger-Basis nach Überlebenden suchen. Also verließ ich das Boot und glitt durch die Leere auf die davontreibende Scheibe zu. Unwillkürlich wählte ich als Eingang eins der Lecks, obwohl ich auch jeden anderen Weg hätte nehmen können. Was mir mein Verstand schon gesagt hatte, bestätigte sich sehr bald. Auch hier gab es kein lebendes Wesen und auch keine Spuren von Toten. Es mußte eine bittere Erkenntnis für Tastran und
Blesserlyp sein, daß sie nur gegen Maschinen gekämpft hatten und nicht gegen ihre verhaßten Feinde. Nachdenklich kehrte ich zu der Station der Fjujaler zurück. Das Robotschiff der Drugger stand noch unbeweglich in deren Nähe. Nun sah ich auch die Schäden des Fjujaler-Orbiters in ihrem vollen Umfang. Die Station war tatsächlich nur mehr ein Trümmerhaufen. Durch ein geöffnetes Schott torkelte mir ein Körper entgegen. Ich flog durch ihn hindurch, um bei diesem Kontakt eine Identifikation vorzunehmen. Es war Blesserlyp, und in seinem Leib klaffte ein häßliches Loch. Der Raumanzug hielt seinen toten Körper zusammen. Kleine flüssige Kugeln von blaß roter Farbe begleiteten den Leichnam, sein Körpersaft. Mit erhöhter Geschwindigkeit drang ich in die Station ein und suchte sofort den Zentralraum auf. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit. Tastran richtete seine Waffe gegen seinen Kopf. Ich stürzte mich in ihn hinein und blockierte sofort alle Gedanken. Die Fäden an seinem Arm, die die Waffe umschlangen, erstarrten. Dann öffneten sie sich langsam. Die Waffe schwebte davon und polterte irgendwo hinter die beschädigten Aggregate. Nun lockerte ich die geistige Fessel, so daß Tastran einen Teil seines Willens wiedererhielt. »Warum hast du Blesserlyp getötet?« fragte ich ihn. »Er wollte mich töten. Für mein angebliches Versagen.« Die Gedanken des Fjujalers klangen müde und mutlos. »Und warum hast du es nicht zugelassen, wo du dich jetzt selbst um die letzte Chance bringen wolltest?« »Was weiß ich. Laß mich in Ruhe, Geist.« »Mein Name ist Oggar«, antwortete ich sanft. »Erhole dich ein wenig und überlasse mir deinen Körper für eine Weile.« »Du kannst ihn haben, Oggar vom Gasvulkan. Ich brauche ihn sowieso nicht mehr.« »Interessiert dich nicht, was ich vorhabe?« Ich mußte seine Psyche ein wenig aufmöbeln, denn ich merkte, daß er kurz vor dem
geistigen Zusammenbruch stand. »Nein«, lehnte er ab. »Dann werde ich es dir gegen deinen Willen sagen, Tastran. Wir kehren jetzt gemeinsam nach Fjujal zurück – mit dem Schiff der Drugger, das deine Station vernichtet hat.« »Das werden diese Bestien niemals zulassen«, meinte der Steinerne abfällig. »Ich kenne diese Kerle.« »Du kennst sie nicht. Du weißt nur, was man dir seit deiner Geburt eingetrichtert hat. Wirklich gesehen hast du einen Drugger noch nie.« »Pah! Ich habe viele Filme in meiner Ausbildungszeit als Raumsoldat vorgeführt bekommen. Ich kenne diese Bestien. Wenn dort draußen ein Raumer von ihnen ist, werden sie mich sofort töten.« »Ich habe die Roboter desaktiviert«, versuchte ich ihm zu erklären. »Und die von der Drugger-Basis sind zerstört. Uns droht keine Gefahr.« »Roboter!« höhnte Tastran. »Ich spreche von lebendigen Bestien, von feuerspeienden Ungeheuern.« »Auf dem Hilfsschiff und der Basis hat es nie ein richtiges Lebewesen gegeben. Ihr habt gegen Maschinen gekämpft.« »Das ist nicht wahr!« schrie er verzweifelt, obwohl der enge Verbund unserer Gedanken ihn erkennen ließ, daß ich die Wahrheit sagte. »Du wirst es erleben, Tastran.« Der Fjujaler schwieg. Er verkroch sich förmlich vor mir und regte keinen Gedanken mehr. Es schien sich um eine Art freiwillige Besinnungslosigkeit zu handeln, und ich ließ ihn gewähren. Dann machte ich mich mit den Einrichtungen des Raumanzugs vertraut. Das erste, das ich feststellte, war, daß der Luftvorrat nur mehr kurze Zeit reichen würde. Ich mußte mich also beeilen, wenn ich Tastrans Leben erhalten wollte. Es war gut, daß er meine weiteren Aktionen nicht störte. So
brauchte ich ihm auch nicht zu sagen, daß meine Absicht darin bestand, die Drugger aufzusuchen. Die Steuerung von Tastrans Körper aus dem Wrack war kein Problem. Der Raumanzug verfügte über ein kleines Triebwerk, das sich in jede beliebige Richtung drehen ließ. Damit kam ich gut voran. Die Lenkung größerer Massen war mir durch meinen Willen zwar auch möglich, ich verzichtete jedoch gern darauf, denn ich wußte nicht, wie lange diese Fähigkeit noch Bestand haben würde. Außerdem merkte ich noch immer, daß sich eine unbegreifliche Wandlung in mir vollzog, die auch dann nicht stoppte, als ich in Tastrans steinernen Leib einen vorläufigen Zufluchtsort gefunden hatte. Der Fjujaler erwachte bald wieder aus seinem merkwürdigen Zustand. Er schwieg auch jetzt, aber es entging mir nicht, daß er jeden meiner Schritte genau verfolgte. Dabei machte er sich eigene Gedanken, die ich nicht mitlesen wollte. Ich fühlte mich als der Herr dieses Körpers und ich lenkte ihn. In dem fahlen Licht der Sonne Fjujals tauchte der Raumkörper der Drugger vor mir auf. Da ich Tastran nicht allein lassen wollte (ich konnte nicht beurteilen, ob er sich wieder etwas antun wollen würde), mußte ich nach einem normalen Einstieg suchen. Ich fand diesen an der Unterseite. Zumindest nahm ich nach der Form des Flugkörpers an, daß dies die Unterseite war. Es handelte sich dabei um eine annähernd flache Seite an dem Boot, das ansonsten einer Birne glich. Der Bug des kleinen Raumschiffs schien die stumpfe Seite der Birne zu sein, denn an dem schmalen Ende befanden sich die Triebwerke. Das Innere des Robotschiffs war schon ohne Atmosphäre gewesen, als ich es körperlos aufgesucht hatte. Besondere Vorsichtsmaßnahmen beim Öffnen des Luks brauchte ich daher nicht zu ergreifen. Eine dicke Metallwand schwang schließlich zur Seite, und ich glitt in einen schwach erleuchteten Raum. Mit den Sinnesorganen
Tastrans wirkte das Innere des Schiffes weniger primitiv. Wahrscheinlich vermischten sich seine Gedanken und Gefühle mit den meinen. Durch einen schlauchförmigen Gang gelangte ich schließlich in den Raum, in dem die robotischen Kontrollen untergebracht waren. Es gab hier nur eine direkte Sichtmöglichkeit nach draußen, eine runde Scheibe aus einem panzerartigen Glas. Dahinter waren im Innern mehrere Instrumente angebracht, die ich als optische Sensoren und Kameras identifizierte. Ich benötigte eine erhebliche Zeitspanne, um den ganzen Mechanismus zu begreifen. Mehrfach mußte ich Tastran kurzzeitig verlassen, um mir im Innern verschiedener Geräte einen genauen Informationsstand zu besorgen. Schließlich war es soweit, daß ich einen ersten Versuch starten konnte. Das eigentliche Robotsystem ließ sich auch von außen lenken. Wahrscheinlich hatten die druggerischen Erbauer persönlich die ersten Probeflüge durchgeführt und dabei diese Steuereinrichtungen benötigt. Aus der Anordnung der Instrumente und Bedienungselemente ließ sich leider kein Schluß auf das wirkliche Aussehen der Drugger ziehen. Ich folgerte nur, daß sie kaum größer sein konnten als die Fjujaler. Auffällig war, daß fast alle Einrichtungen rund, kugelig oder eiförmig waren. Das galt sowohl für den Innenraum als auch für Instrumententafeln. Die eigentliche robotische Steuerung reagierte normalerweise auf Funkbefehle. Es waren also keine Roboter im eigentlichen Sinn vorhanden. »Was tust du da, Oggar?« fragte mich Tastran unvermutet, als ich an den Schaltungen zu hantieren begann. Seine Stimme klang angsterfüllt. Wahrscheinlich nahm er noch immer an, gleich würden von irgendwoher irgendwelche Ungeheuer auftauchen und ihn auffressen. »Ich starte diese Raumschaukel«, antwortete ich. »Kennst du diese
Boote der Drugger nicht?« Er gab mir keine Antwort. Dies war auch nicht notwendig gewesen, denn ich spürte seine Unwissenheit auch so. Ein Ruck ging durch das Schiff. Für einen Moment spielten die Instrumente verrückt, dann konnte ich den Flug stabilisieren. Ich mußte mich weitgehend auf mein Gefühl und auf meine Erfahrung verlassen, denn ein Mnemodukt oder eine Positronik standen mir nicht zur Verfügung. Dann ging es in einer sanft gekrümmten Bahn abwärts. An Beobachtungsmöglichkeiten stand mir nur die dürftige Sicht zur Verfügung. Viel konnte ich nicht erkennen. Fjujal schien ein einigermaßen normaler Planet zu sein, nicht zu klein und nicht zu groß. Viele Wolken versperrten die Sicht auf die Landflächen. Größere Seen oder Meere konnte ich nicht ausmachen. So forschte ich erneut in dem Wissen nach, das ich von Tastran übernommen hatte. Dabei ergaben sich Schwierigkeiten, denn der Fjujaler kannte offensichtlich nur seinen Geburtsort und eine Ausbildungsstätte, die er »Zornesburg« nannte. Er hatte den Planeten nie bereist und auch nichts über dessen Aussehen während seiner Schulung erfahren. Sein Wissen drehte sich fast ausschließlich um den Gasvulkan und ferner um eine imaginäre Grenze, die ihn und sein Volk vor den druggerischen Bestien schützte. Was diese Grenze war und wie sie aussah, blieb mir völlig unklar, denn Tastran arbeitete hier mit emotionellen Begriffen und recht verschwommenen Vorstellungen. Am Rütteln des Raumboots spürte ich, daß ich in die oberen Schichten der Atmosphäre eindrang. Ich lenkte das kleine Schiff noch mehr in die waagrechte Lage, um ein übermäßiges Aufheizen zu vermeiden. Dann verließ ich den Fjujaler erneut für einen Moment und reparierte den Funkempfänger, unterbrach aber gleichzeitig die Durchschaltung auf die robotischen Systeme. Eine Datenflut prasselte in den Empfänger. Ich lenkte sie in eine
Einheit, die diese Signale optisch auf einem Leuchtschirm darstellen konnte. Die Zeichen, die nun erschienen, konnte ich mit dem Wissen Tastrans einwandfrei lesen. Das heißt, ich verstand die Worte, nicht jedoch den Sinn. HALLO FREUNDE JENSEITS DER GRENZE! WIR GRATULIEREN. IHR HABT ES GESCHAFFT, EINS UNSERER BOOTE ZU KAPERN. SICHER WERDET IHR ENTTÄUSCHT SEIN, DASS IHR NICHT DIE ERWARTETEN BESTIEN VORGEFUNDEN HABT. ABER VIELLEICHT SEHT IHR JETZT EIN, DASS IHR NUR GEGEN EIN PHANTOM KÄMPFT, DAS AUS EURER VERBLENDUNG ENTSTANDEN IST. WIR WÜNSCHEN EUCH EINE GESUNDE RÜCKKEHR NACH FJUJAL. VIELLEICHT IST EINER VON EUCH SO INTELLIGENT, DASS ER DIE WAHREN ZUSAMMENHÄNGE ERKENNT UND EURE FÜHRER ZUR BESINNUNG BRINGT. Ich ahnte etwas, aber zuerst wollte ich Tastran beobachten. Ich blieb in ihm, aber ich verfolgte seine Überlegungen aus großer Distanz. Der Fjujaler war sichtlich verwirrt. Und dann tauchte ein Begriff in seinen Überlegungen auf, der immer mehr in den Mittelpunkt rückte. Die Untergrundlügner … Längst vergangene Erinnerungen … Großonkel Hustan, der eines Tages verschwunden war, die wilden Gerüchte, die seine Kinder erzählt hatten, Zrant und Merterlyr, die ich auch nie wieder gesehen hatte, obwohl sie in meinem Alter waren. Während der Schulungszeit war das alles in den Hintergrund gedrängt worden. Ich hatte es vergessen müssen, bei allem, was den Geistern der Gasvulkane heilig war! Die Lehrmeister waren sehr streng gewesen. Wer eine Frage stellte, die auch nur den Anschein von Zweifeln an der Wahrheit über die Drugger enthielt, war sehr bald verschwunden.
Mir war dieses Schicksal erspart geblieben, denn ich hatte nie einen Widerspruch gewagt. Es wäre mir im tiefsten Gasvulkan nicht eingefallen, die Märchen aus der Kinderzeit oder die Geschichten von Onkel Hustan in Fragen zu formulieren. Nur der Haß auf die Bestien von der anderen Seite der imaginären Grenze zählte. Aber selbst über die Grenze durfte nicht gesprochen werden. Sie war ein gewaltiger Schutzwall, der uns vor den Ungeheuern schützte und unseren Lebensraum einengte. Mehr gab es darüber nicht zu sagen. Die Geschichten von Großonkel Hustan … Ich wagte es jetzt, mich an sie zu erinnern … Vor langer Zeit lebten Drugger und Fjujaler gemeinsam in Frieden. Sie entwickelten sich zu großer Blüte. Dann kam der Gedanke auf, daß die Drugger häßlich waren. Dabei sind sie nicht häßlicher als wir. Sie sind nur anders. Aber diese Andersartigkeit stachelte die Fjujaler immer mehr auf. Sie weckte schließlich Haß und Wut, nahm Ausmaße an, die jedes Vorstellungsvermögen überstiegen. Als dann auch noch die Heiligen behaupteten, die Geister der Gasvulkane würden den Kampf gegen die Abscheulichen unterstützen, brach der offene Krieg aus. Die Wahrheit wurde immer mehr verdrängt, der Haß regierte, und er regiert noch heute. Nur eine kleine und heimliche Gruppe bewahrte die Geschichte der Vergangenheit. Die Drugger kämpften nicht. Sie zogen sich zurück. Und das, was wir heute einen Schutzwall gegen die Ungeheuer nennen, ist in Wahrheit ein gewaltiger Energieschirm, den die Drugger zu ihrem Schutz aufgebaut haben und der ganz Fjujal in zwei Welten trennt. Die Fjujaler glauben, daß sie gegen die Drugger kämpfen, aber sie kämpfen nur gegen ein Phantom. Die die Wahrheit kennen aus unserem Volk, werden von unseren verblendeten Führern verfolgt. So hatte Hustan es bei seinem letzten Besuch gesagt. Und er hatte den Namen dieser kleinen Gruppe von Fjujalern genannt. Die Untergrundlügner!
* Die Bloßlegung von Tastrans Erinnerungen glättete etwas das verworrene Bild der Geschichte des Planeten Fjujal. Noch konnte ich freilich nicht beurteilen, wo hier das Gute und das Böse wirklich angesiedelt waren, denn auch den Druggern war zuzutrauen, daß sie ein falsches Spiel trieben. Es war für mich immerhin unverständlich, daß sie Robotschiffe gegen die Fjujaler zum Einsatz brachten, bei denen Angehörige dieses Volkes getötet worden waren. Nach meinem Geschmack war das ein zu hoher Preis für einen fragwürdigen »Bekehrungsversuch«. Mein Wunsch, mit diesen Intelligenzen in Verbindung zu treten, wurde noch stärker. Ich lenkte während dieser Überlegungen das kleine Birnenboot vorsichtig in tiefere Luftschichten. Tastrans Bewußtsein hatte sich wieder abgekapselt. Mir tat der Steinerne leid, denn was er in den letzten Stunden hatte erleben und erfahren müssen, überstieg bestimmt das normale Maß. Ein Kernpunkt kristallisierte sich bei mir heraus. Auf dieser Welt, die ich nun sehr bald zu betreten hoffte, schienen sinnlose Vorurteile einen Krieg in äußerst skurriler Form ins Leben gerufen zu haben. Es mußte einen besonderen Grund dafür geben, denn ich erinnerte mich zu gut daran, daß ich beim ersten Anblick der Fjujaler auch ein extremes Häßlichkeitsdenken entwickelt hatte, das ich erst nach und nach überwinden konnte. Bei den Fjujalern hatte sich dieses Denken zu einem ständigen Haß weiterentwickelt, der letztlich den Kriegszustand hervorgerufen hatte. Auch untereinander verhielten sich die Steinernen nicht gerade freundlich, wie meine wenigen Erfahrungen mit ihnen gezeigt hatten. Ich mußte mehr über die Zusammenhänge in Erfahrung bringen. Die Motivation der Drugger, sich selbst nicht an dem Kampf zu beteiligen, statt dessen die »Feinde« aber mit Robotstationen zu
beschäftigen, erschien mir auch völlig unlogisch. Vielleicht gab es einen gemeinsamen Grund für das Verhalten beider Völker. Der Luftvorrat in Tastrans Raumanzug neigte sich allmählich dem Ende zu. Da ich nun aber schon in dichteren Atmosphäreschichten war, konnte ich über ein Ventilsystem, das ich nach kurzer Suche entdeckte, Luft von draußen in das Boot strömen lassen. Der Druck war zwar noch sehr gering, aber er würde doch so schnell zunehmen, daß das Überleben Tastrans gesichert war. Schließlich konnte ich den Schutzanzug öffnen. »Danke«, teilte mir der Fjujaler sichtlich erstaunt mit. Daran erkannte ich, daß er alle meine Aktionen sehr genau verfolgte. »Du mußt ein starkes Wesen sein.« »Gemeinsam mit dir wäre ich noch stärker«, antwortete ich. »Wir sollten in jeder Hinsicht zusammenarbeiten.« Tastran schwieg einen Moment. Ich spürte, daß er einen inneren Kampf mit sich selbst ausfocht. Schließlich sagte er zögernd: »Für eine begrenzte Zeit ist das möglich, Oggar. Auf die Dauer ist deine Anwesenheit für mich jedoch unerträglich. Wenn ich dich sehen könnte, würde ich dich nämlich hassen.« »Wie die Drugger?« »Wahrscheinlich.« »Haßt du alle Lebewesen?« »Nur die, die ich kenne«, entgegnete er wenig logisch. Ein Signal lenkte mich ab. Die Drugger hatten ihre Funkbotschaft längst eingestellt, aber jetzt sprach der Empfänger erneut an. Wieder erschien eine Schrift auf dem Sichtschirm. FJUJALER! IHR BEFINDET EUCH AUF DEM FALSCHEN KURS. WENN IHR DIESEN NICHT ÄNDERT, FLIEGT IHR DIREKT AUF UNSER GEBIET ZU. DIE UN-ÜBERWINDBARE GRENZE WÜRDE DAS KLEINE SCHIFF UNWEIGERLICH ZERSTÖREN. UND WENN IHR NOCH NICHT ZUR BESINNUNG GEKOMMEN SEID, SO LASST EUCH SAGEN, DASS JEDER ANGRIFF GEGEN UNS VÖLLIG SINNLOS IST.
»Die imaginäre Grenze«, strahlten Tastrans Gedanken ab. »Es gibt sie tatsächlich.« Also hatte er inzwischen auch das in Zweifel gezogen, überlegte ich. Wenn die Drugger sich wirkungsvoll schützen konnten, dann mußten sie über eine viel höhere Technik verfügen als die Fjujaler. Nach Tastrans Erinnerungen konnte die imaginäre Grenze eine Art energetischer Schutzschirm sein. Auch die empfangene Warnung unterstrich diesen Verdacht. »Ich muß dich einen Moment allein lassen, Tastran«, sagte ich zu dem Steinernen. »Es kann diesmal etwas länger dauern. Versprichst du mir, keine Dummheiten zu machen?« »Ich werde mich ruhig verhalten, denn ich bin dir ohnehin ausgeliefert. Geh nur.« Ich überzeugte mich davon, daß er seinen wirklichen Willen ausdrückte. Dann stürzte ich mich in die Funkanlage, um dort durch die Selbstidentifikation mit verschiedenen Teilen Änderungen durchzuführen. Schließlich war meine Arbeit beendet. Nun konnte ich direkt in den Sender sprechen. Zuvor kehrte ich in Tastrans Körper zurück. Der Fjujaler erwartete mich bereits. Ich teilte ihm mit, was ich beabsichtigte, und ich fühlte seine ganze Abscheu, als ich über die Drugger sprach. Dann schaltete ich den Sender hoch und sprach in ein Mikrofon, das ursprünglich einen ganz anderen Verwendungszweck gehabt hatte, jetzt aber durch mich auf die Anlage geschaltet worden war. »Ich rufe die Drugger«, sagte ich langsam und deutlich. »Hier spricht Oggar an Bord des druggerschen Raumboots.« Ich mußte den Anruf dreimal wiederholen, bis ich eine Antwort bekam. »Hallo, Fjujaler Oggar«, erklang eine amüsierte Stimme. »Eine tolle Leistung von euch. Ihr habt sogar den Sender in Betrieb nehmen können. Das übertrifft unsere kühnsten Erwartungen. Was willst du? Du hast nur mehr wenig Zeit, denn die imaginäre Grenze wird dich vernichten.«
»Erstens bin ich kein Fjujaler«, lautete meine Antwort. »Und zweitens werdet ihr euer energetisches Sperrfeld abschalten, damit ich unversehrt landen kann.« Schweigen schlug mir entgegen. Dann meldete sich eine andere Stimme. »Hier spricht Regierungsassistent Rems. Wenn du kein Fjujaler bist, was bist du dann?« »Ich bin Oggar, ein derzeit körperloses Wesen von einem anderen Stern dieser Galaxis. Vielleicht hast du schon einmal etwas von meinem Volk in der Vergangenheit gehört. Ich bin ein Pers-Oggare.« Wieder folgte eine lange Pause. Ich konnte mir denken, daß ich bei den Druggern dort unten einen Schock ausgelöst hatte, aber ich sah keine Veranlassung, ihnen nicht die volle Wahrheit zu präsentieren. »Deine Aussagen sind nicht glaubhaft, Oggar«, meldete sich Rems wieder. »Wie kannst du sprechen, wenn du keinen Körper besitzt?« »Ich fürchte, das ist etwas zu kompliziert für euch. Augenblicklich bediene ich mich eines fjujalischen Körpers. Ich kann diesen jederzeit verlassen, und in meiner körperlosen Form wäre euer Energieschirm für mich auch kein Hindernis. Allerdings möchte ich Tastrans Leben, das ist der Name des Fjujalers, nicht aufgeben.« »Was willst du, Oggar?« Das war verständlicherweise die Kernfrage. Ich antwortete mit der Wahrheit. »Ich brauche eure Hilfe.« Es reizte mich ungemein, Tastran sofort zu verlassen und die Drugger aufzusuchen. Nach den gegenwärtigen Umständen wäre das aber mit großer Wahrscheinlichkeit das Todesurteil für den Steinernen gewesen. Also wartete ich, während sich dort unten die Drugger berieten. Das Boot hielt ich in dieser Zeit in konstanter Höhe und versuchte, durch optische Wahrnehmung mehr von Fjujal zu erfahren. Die Wolkendecke riß nur an wenigen Stellen auf, aber ich erkannte einmal einen grünlichen Schimmer, der sich wie eine Glocke
emporwölbte. Das mußte der Energieschirm sein, den die Fjujaler die imaginäre Grenze nannten. Die Wartezeit vertrieb ich mir durch ein Gespräch mit Tastran. »Was weißt du über die imaginäre Grenze, mein Freund? Du mußt auch dein unbewußtes oder verdrängtes Wissen heranziehen, denn dieses kann ich nur in Bruchstücken erfassen.« »Die imaginäre Grenze wurde von uns errichtet«, entgegnete Tastran bereitwillig, »um uns vor einem Überfall der druggerschen Bestien zu schützen. Die Baumeister waren die Geister aus den Gasvulkanen. Das lehrten mich meine Ausbilder in der Zornesburg. Heute sehe ich die Dinge etwas anders, denn ich glaube diese Geschichten nicht mehr. Wahrscheinlich kommen die Erzählungen der Untergrundlügner der Wahrheit viel näher.« »Das glaube ich auch. Die Grenze ist ein technisches Werk, das einem viel höheren Wissen und Können entstammt, als ihr es besitzt.« »Mein Großonkel Hustan sagte einmal, daß wir früher den Druggern technisch überlegen waren. Das ist doch ein Widerspruch.« »Es mag einmal so gewesen sein, Tastran. Aber ein Volk, das sich aus unerfindlichen Gründen in einen Haßwahn steigert, ist kaum noch zu einem technischen Fortschritt fähig. Alles Handeln wird von den Emotionen überdeckt. Deshalb haben euch die Drugger wahrscheinlich schon vor langer Zeit in jeder Hinsicht überrundet.« »Ich kann das nicht beurteilen, Oggar.« Deutlich spürte ich seine Verzweiflung. »Ich weiß nur, daß unser Haß auf die Drugger berechtigt und richtig ist. Das hat nichts damit zu tun, was ich in der Zornesburg lernte. Aber ich gebe zu, daß es noch andere Widersprüche gibt. Wir sprechen immer von den Gasvulkanen, aber es gibt auf Fjujal nur einen einzigen davon. Das haben sogar die Lehrmeister bestätigt.« »Ich kann mir nicht vorstellen«, antwortete ich, »daß das etwas mit euren wirklichen Problemen zu tun hat. Warum zeigte man euch die
imaginäre Grenze nie?« »Ich weiß es wirklich nicht«, kam es klagend zurück. »Je länger und freier ich über alles nachdenke, desto merkwürdiger kommt es mir vor. Das mag aber auch daran liegen, daß du in mir bist und mich deine Gedanken und Worte beeinflussen. Fast könnte ich glauben, daß mein Haß auf die Drugger allmählich schwindet.« »Würdest du das bedauern?« »Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall würde es mich aber von jedem anderen meines Volkes unterscheiden.« »Nicht von allen, Tastran.« »Du hast recht. Ich würde vielleicht so denken wie die Untergrundlügner oder die Kinder.« Fjujal umgab ein unerklärliches Geheimnis. Das stand für mich fest. Meine Überlegungen gingen jedoch weiter. Wenn ich wieder in Pers-Mohandot Fuß fassen wollte, um mein Volk zu neuem Leben zu erwecken, brauchte ich Helfer. Auch unter diesem Aspekt mußte ich diese Mission verstehen. Daneben konnte ich es einfach nicht dulden, daß hier zwei Völker sich in einem Kriegszustand befanden, der nicht nur widersinnig war, sondern von einer Haßwelle auf der einen Seite und einer Überheblichkeit oder Abartigkeit auf der anderen Seite getragen wurde. Irgendwo in dieser Galaxis lag Vasterstat. Und dort warteten die unbefruchteten Keimlinge meines Volkes auf ihre Erweckung. Das war mein Ziel, und es schien mir augenblicklich bedeutender zu sein, als die Hilfe, die vielleicht Atlan und die SOL benötigten. Ich spürte, daß ich wieder mehr und mehr ein alter Pers-Oggare wurde. Auch wollte ich wieder allein sein, das heißt, ohne Bewußtseinspartner. Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als eine neue Nachricht von den Druggern einlief. »Wir haben unsere Beratungen abgeschlossen«, erklärte Rems. Ich hörte die Unsicherheit, die in seiner Stimme mitschwang, deutlich heraus. »Wir werden nach der nächsten Umrundung das Schutzfeld
kurzzeitig desaktivieren. Dann holen wir dich mit einem Traktorstrahl herunter. Du hast vielleicht schon bemerkt, daß wir auch über eine andere Technik verfügen, als du sie aus dem Robotschiff kennst.« Ich bestätigte das und wartete.
4. Die Lufthülle heulte an dem kleinen Raumboot entlang, als ich in einem steilen Winkel in die Tiefe stürzte. Tastran zitterte am ganzen Leib. Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber er merkte wohl, daß ich mich nicht in einer wirklichen Gefahr befand, und das machte mich unglaubwürdig. Der Traktorstrahl der Drugger war nur an den Auswirkungen auf das Boot spürbar. Entweder beherrschten die Wesen dort unten dieses Instrument nur dürftig oder aber sie wollten mich in Angst versetzen. Der Funkempfänger schwieg. Ich sah auch keine Veranlassung, noch etwas zu sagen. Eine dicke Wolkenschicht nahm uns auf. Sie versperrte jede Sicht. So merkwürdig es war, aber das beruhigte Tastran. Er klammerte sich zwar noch an drei Haltegriffe, zitterte aber nicht mehr. Endlich legte sich das Boot in eine waagrechte Lage. Gleichzeitig verließ ich die Wolkenschicht. Der Blick direkt nach unten war unmöglich, aber in der Ferne erkannte ich den Horizont und davor eine Landschaft ohne Besonderheiten. Der Robotgleiter ging in eine Kurve und sank weiter nach unten. Seine Geschwindigkeit wurde geringer. Der Traktorstrahl lenkte also den Flug. Mit einem sanften Ruck setzte das Boot auf. »Überlasse zunächst alles mir«, bat ich Tastran. »Dir wird ja wohl alles gleich fremd sein.« Der Fjujaler widersprach nicht.
Das Robotschiff klappte mit einem Schlag auseinander. Warme Luft strömte herein. Über mir sah ich die Wolkendecke aus dunklen grauen Schwaden. Ich kletterte über die Maschinenteile ins Freie. Unter Tastrans Fortbewegungsorgan spürte ich eine harte Betonpiste. Nun erst erkannte ich die sinnreiche Konstruktion dieses »Einbeins« aus Kugeln und Flüssigkeit, denn die kurzen Sprünge ließen sich sehr genau ausführen. In einiger Entfernung erhoben sich Türme und Gebäude, wie sie für einen Raumhafen typisch waren. Unmittelbar neben dem Robotschiff standen mehrere gepanzerte Fahrzeuge. Eins davon war in einen grünen Schirm gehüllt, der deutlich in dem trüben Tageslicht flackerte. Auf ihn richtete ich Tastrans Sehzellen. »Nur ein Fjujaler«, dröhnte eine Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher. »Wo ist dieser Oggar?« »Ich bin in diesem Körper«, rief ich laut zurück. »Warum zeigt ihr euch nicht? Habt ihr Angst vor einem Fjujaler und einem Körperlosen?« Mehrere Stimmen sprachen durcheinander. Dann erklang Rems' Stimme, die ich sofort erkannte. »Ich komme zu dir, Oggar und Tastran. Aber ich warne euch vor unüberlegten Handlungen.« An der Seite des Panzerfahrzeugs mit dem Schutzschirm glitt eine Tür zur Seite. Ein großer Ball plumpste daraus hervor, und einige weitere folgten. »Was ist das?« fragte ich Tastran unhörbar. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich eine Teufelei der DruggerBestien.« Der vorderste Ball schien auf mich zuzurollen. Erst als er verharrte, erkannte ich ein etwa menschenfaustgroßes Ei an der Oberseite. »Ich begrüße euch«, sagte der Ball mit der Stimme von Rems, und im gleichen Moment erkannte ich, wie falsch Tastrans Vorstellungen von den Druggern gewesen waren.
Diese Kugel war der Drugger Rems! Ich erwiderte den Gruß und betrachtete das Geschöpf näher. Der Körper durchmaß gut einen Meter. Er war von dunkelbrauner Farbe. Zahlreiche warzenähnliche Ausbuchtungen unterbrachen die Oberfläche. Extremitäten konnte ich nicht erkennen. Im Gegensatz zu den Steinernen, wie ich die Fjujaler genannte hatte, bestand der Drugger aus hochelastischem Material, wahrscheinlich eine Art Plasma. Die Unterseite seines Kugelkörpers drückte sich unter dem Gewicht leicht ein. Der Schutzschirm erlosch für einen Moment, den Rems benutzte, um noch ein Stück näher zu kommen. Dabei erkannte ich, daß er nach Belieben kürze Fortsätze aus seiner Außenhaut schob und diese als Füße benutzte. »Ich sehe dein Erstaunen«, ließ der Drugger vernehmen. Ich sah dabei, daß sich mehrere der Warzen heftig bewegten. In diesen schienen also die Sprechwerkzeuge verborgen zu sein. »Damit du weißt, daß du keine Chance gegen mich hast, bitte ich dich, deine Waffe zu ziehen und auf mich zu schießen.« »Dafür sehe ich keine Veranlassung«, erwiderte ich. »Ich komme mit friedlichen Absichten.« »Selbst wenn dem so ist, Oggar, möchte ich dich nachdrücklich ersuchen, meinem Wunsch nachzukommen. Es hilft beiden Seiten, von vornherein die Grenzen zu erkennen, die uns trennen.« Noch zögerte ich, aber da meldete sich Tastran: »Wenn das ein Drugger ist, verwandle ich mich in einen Gasvulkan. Von mir aus kannst du auf ihn schießen.« Ich zog die Waffe des Steinernen aus dem Futteral und legte an. Bevor ich jedoch abdrücken konnte, schwebte Rems in die Höhe. Er beschleunigte aus dem Stand mit ungeheuerlichen Werten, die seinen Körper für Sekunden in die Länge zogen. Rems beschrieb eine Kurve in der Luft, wobei er mehrere Zickzacks einbaute, so daß ich keinen gezielten Schuß anbringen konnte. Schließlich landete er wieder an dem früheren Platz.
»Du siehst, Oggar«, sagte er etwas überheblich, »daß ich mich jedem Beschuß entziehen kann.« Das faustgroße Gebilde an seiner Oberseite leuchtete in tiefem Blau und schaukelte leicht hin und her. »Du besitzt ein Antigravorgan«, folgerte ich laut. »Schön und gut. Ich betone nochmals, daß ich in friedlicher Absicht gekommen bin.« »Wir werden feststellen, ob du die Wahrheit sagst.« Rems fuhr aus seinem Kugelkörper einen Arm aus und bildete an dessen Ende eine mehrfingrige Hand. Diese glitt in den Hauptleib hinein, wo sich plötzlich eine Falte bildete. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie etwas in der Hand, was zweifellos eine Waffe war. »Es besteht kein Grund, mich zu bedrohen«, erklärte ich und ließ Tastrans Waffe auf die Betonpiste fallen. »Wir haben eine Entscheidung zu treffen, was mit euch geschehen soll, Oggar und Tastran.« Rems' Stimme war eine Nuance schärfer geworden. »Der Fjujaler kann sich hier alles ansehen und dann zu seinem Volk zurückkehren. Die Untergrundlügner werden ihn mit offenen Armen aufnehmen, denn sie warten auf neue Informationen über die Wirklichkeit. Ob dieser eine Schritt den ewigen Haß beseitigen kann, bezweifeln wir.« Ich vernahm Tastrans Erstaunen. »Der Körperlose soll sich uns zeigen, damit wir auch über ihn befinden können«, fuhr Rems fort. »Ich würde das gern tun«, antwortete ich, »aber es ist unmöglich. Ich besitze nichts, das sich zeigen läßt. Allenfalls könnte ich euch einen Beweis für meine Existenz liefern, aber mehr geht nicht.« »Es gibt für jedes Problem eine Lösung«, erklärte der Drugger. »Und es ist einfach für dich, dich uns zu zeigen. Verlasse den Körper Tastrans und suche meinen auf!« Das war ein Angebot, an das ich im Augenblick nicht gedacht hatte. Der Kugelleib des Druggers bot sicher einen Platz für mich, aber ich kannte dieses Volk nicht, und ich bezweifelte nach meinen bisherigen Erfahrungen, daß ein genügend großes Maß an Affinität
vorhanden war. »Ich bin nicht abgeneigt«, gab ich zu, »aber ich weiß nicht, ob sich unsere beiden Bewußtseinsinhalte vertragen. Das Problem liegt tiefer. Ich bin nicht mit jedem Bewußtsein verträglich.« »Versuch es!« forderte Rems. »Wie anders könnte ich sonst etwas über dich erfahren?« Ohne daß es der Drugger hören konnte, verständigte ich mich mit Tastran. »Was hältst du davon?« fragte ich ihn. »Ich kann das alles nicht verstehen und beurteilen. Ich sehe nur, daß sich mein Volk in einen gewaltigen Irrglauben gesteigert hat. Du mußt das tun, was du für richtig hältst. Im übrigen bin ich nicht traurig, wenn du mich verläßt.« »Vielleicht komme ich wieder.« Mit diesen Worten beendete ich durch meinen Willen den geistigen Verbund. Während ich mich dem Drugger Rems näherte, nahm ich dessen Ausstrahlungen auf. Der Körper gefiel mir. Insbesondere die Ausbeulung an der Oberseite, die so herrlich blau glänzte, zog mich magisch an. Dort mußte die Intelligenz des Druggers sitzen, und auf diesen Punkt steuerte ich zu. Eine Welle der Bereitschaft umfing mich, als ich die Zellplasmahaut durchquerte. Rems wartete mit seinem Ich irgendwo. Ich konnte ihn nicht entdecken, während ich die Gegenwart des neuen Körpers genoß. Die blaue Kugel nannte ich »Geistesherz«. Sie pulsierte leicht auf mentaler Basis, als wolle sie sich anbieten und mich zugleich beruhigen. Sie stellte eine Art Instinkt dieses Wesens dar. Wo war das Ich von Rems? fragte ich mich. Beinahe hätte ich meinen Fehler zu spät bemerkt. Wieder einmal mußte ich mit Bedauern feststellen, daß mir Sternfeuers Telepathie fehlte. Früher hatte ich mich blindlings darauf verlassen können. Wie eine gewaltige Woge aus geballter Geistesenergie fiel das Bewußtsein des Druggers über mich her. In Sekundenbruchteilen
wurde ich eingeschnürt. Damit war ich zu keiner Reaktion mehr fähig. Mit letzter Kraft streckte ich einen fragenden Fühler nach dem anderen aus. Ich spürte Härte und einen unnachgiebigen Willen, aber ich bekam keine Antwort. Und dann vernahm ich einen Gedanken, der mich erschaudern ließ. Rems wollte mich töten! * Ich drohte dieses geistige Ringen mit unsichtbaren Waffen sehr schnell zu verlieren, denn ich wollte Rems nichts antun. Die Motive Rems' blieben mir schleierhaft, denn ich kam nicht an das Zentrum seines Bewußtseins heran. Entweder er und seine Artgenossen fürchteten einfach das Fremde, das durch mich von den Sternen gekommen war, oder die Drugger waren in einer ähnlichen Weise von einem Wahn befallen wie die Fjujaler. Ich wehrte mich, indem ich mich abkapselte. Seine Willenswellen legten jedoch eine Fessel um mein Ich. So war ich gefangen, aber in vorübergehender Sicherheit. Deutlich spürte ich die Ausläufer seiner Gedanken. Rems bereitete den entscheidenden Schlag vor, der mich endgültig ausradieren sollte. Ich schrie meine Fragen auf geistiger Ebene heraus, denn ich wollte mich immer noch verständigen. Er reagierte nicht darauf. Ich spürte, wie ich mich unter seinem Druck aufzuteilen drohte. Das Ende war absehbar. Mein Bewußtsein würde in ein Nichts zerfließen, aus dem es keine Wiederkehr geben konnte. In diesem Augenblick der größten Gefahr vollzog sich der letzte Schritt meiner inneren Wandlung. Noch begriff ich nicht, was geschah, aber ich war plötzlich in der Lage, den Körper zu verlassen. Es war aber ein gänzlich anderes Verlassen, als ich es bislang praktiziert hatte. Etwas von mir blieb in dem Kugelleib zurück. Mit diesem Teil fühlte ich mich weiterhin verbunden. Ich erkannte, daß dieser Teil eine Markierungsboje war. Ich erkannte, daß dieser Teil dafür sorgen würde, daß der Körper seine Funktionen nicht einstellte, die ihn am Leben erhielten. Ich erkannte,
daß dieser Teil ohne Rücksicht auf das Vorhandensein des Druggerbewußtseins arbeitete und sich von diesem nicht beeinflussen ließ. Ich erkannte, daß sich mein angebliches Ich nun in einer neuen Weise bewegen konnte, in der auch die Zeit kein Hindernis mehr darstellte. Ich erkannte, daß ich das Ende einer Umwandlung erreicht hatte, von der ich ein Leben lang unbewußt geträumt hatte. Ich war ein Seher geworden, ein Seher, wie mein Lehrmeister Fastrap es vor Äonen gewesen war. Zweifellos war dieser letzte Schritt durch die Anwesenheit des druggerschen Körpers ausgelöst worden. Mein Bewußtsein hatte eine Entwicklung gemacht, an deren Ende ich wahrscheinlich schon gewesen war, bevor ich Rems getroffen hatte. Noch beherrschte ich mich trotz dieser elementaren Erkenntnisse nicht genügend gut. Der Sog zu dem Rest von mir, dem Orientierungspunkt in dem Kugelkörper, wurde übermächtig. Er riß mich wieder in die unmittelbare Nähe des Druggers. Erneut stürzte sich Rems mit aller Gewalt auf mich. Jetzt jedoch handelte ich aus einer ganz anderen Position heraus. Töten galt für mich nun als ein noch größeres Übel, als es es ohnehin schon immer gewesen war. Dennoch zögerte ich keine Sekunde, als ich das andere Bewußtsein spürte. Sein unabdingbarer Vernichtungswille machte es mir leicht, mit aller Macht zurückzuschlagen. Den ersten geistigen Hieb verkraftete Rems noch. Verblüfft ging er in eine Warteposition. Diesen Augenblick nutzte ich, um ihm einen Großteil seines Wissens zu entreißen. Zu mehr reichte die Zeit nicht, denn erneut ging er zum Angriff über. Ich zerriß seine geistigen Fesseln und seine aggressiven Ströme aus mentaler Gewalt. Dann faßte ich nach dem Bewußtsein von Rems, aber was ich spürte, war nur noch ein verwehendes Etwas, das sich irgendwo verlor. Kein Echo hallte nach. Da war nichts mehr.
»Hast du das Geisteswesen besiegt?« erklang eine Stimme in mir. Ich brauchte Sekunden, um zu begreifen, daß ein anderer Drugger diese Frage an mich gerichtet hatte. Im gleichen Moment holte ich aus dem übernommenen Wissen Rems' die Information hervor, daß dieses Volk von Anfang an beschlossen hatte, den körperlosen Oggar zu vernichten. Es tat mir irgendwie leid, daß ich diesen Intelligenzen zu unheimlich und fremdartig vorgekommen war. In gewisser Hinsicht konnte ich sie sogar verstehen. Ich mußte eine unverfängliche Antwort geben, sonst würde mein rasch gefaßter Plan gefährdet sein. »Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen«, stöhnte ich, »aber ich habe es geschafft. Oggar existiert nicht mehr.« Die Drugger waren zufrieden.
* Die nächsten drei Tage auf Fjujal verliefen in einer vorsichtigen Erkundung der näheren Umstände, also jener Fakten, die ich nicht aus dem Wissen des Druggers hatte entnehmen können, in dessen Körper ich nun steckte. Dabei mußte ich vorsichtig sein, um mich nicht zu verraten. Größere Schwierigkeiten gab es allerdings nicht, denn Rems war ein Einzelgänger gewesen, der in seiner Aufgabe als Regierungsassistent zudem große Freiheiten besessen hatte. Ich zog mich in mein Büro zurück, um – so sagte ich – einen ausführlichen Bericht über den fremden Körperlosen zu verfassen, den ich vertrieben oder getötet hatte. Der neue Körper gefiel mir, auch wenn er gänzlich anders war als mein früherer Wysterein-Stamm oder der Androidenkörper, in dem ich lange Zeit mit meinen beiden Freunden von der SOL gelebt hatte. Das Innere meiner Kugel bestand aus einer hochkomplizierten Anordnung organischer Teile, die von einem weichen und
fließenden Zellplasma eingehüllt wurden. Diese Zellmasse ließ sich nach Belieben verformen. Ich konnte lange Arme, Tastsensoren oder Beine damit erzeugen, was immer ich wollte. Wie ich schon bei der ersten Begegnung mit den Druggern vermutet hatte, waren die warzenförmigen Auswüchse auf der Außenhaut feinfühlige Sinnesorgane zum Hören, Sehen, Sprechen und Riechen. Darüber hinaus konnte ich mit dem Zellplasma weitere Hilfsorgane nachbilden, wenn dies erforderlich war. Auch ließen sich in der Außenhaut beliebige Taschen erzeugen, in denen ich Utensilien mittragen konnte. Die Kugel des Hauptkörpers wurde von einem Knorpelgerüst gestützt, dessen Ausläufer bis fast an die Außenhaut reichten. In der Oberhälfte der Kugel saß das wichtigste Organ, die Antigravblase. Sie arbeitete mit dem Geistesherz eng zusammen. Das dortige Instinktbewußtsein von Rems war bei dessen Auslöschung erhalten geblieben und stand jetzt mir zur Verfügung. Ich probierte die Antigravblase mehrfach heimlich aus. Mit ihr ließ sich nicht nur Schwerelosigkeit erzeugen, sondern auch Geschwindigkeiten bis zu 100 Kilometern pro Stunde. Die Nahrungsversorgung war denkbar einfach, denn ich konnte das, was man einen Mund nennen würde, an einer beliebigen Stelle entstehen lassen. Der Druggerkörper genoß jede Art von pflanzlichen Stoffen, und er war nicht wählerisch dabei. Die braune Außenhaut, so leicht sie auch verformbar war, bewies eine hohe Widerstandsfähigkeit. Natürlich war sie selbst dann bei weitem nicht mit der wunderbaren Hülle Waggaldans vergleichbar, aber es ließ sich damit leben. Meine Rumpfkugel betrug einen Durchmesser von genau 1.09 Metern. Damit war ich etwas »dicker« als die durchschnittlichen Drugger. Auch in anderer Hinsicht war ich etwas einmalig, denn bei mir hatte das Geistesherz eine tiefblaue Farbe, die ich bei den anderen Druggern gar nicht feststellen konnte, obwohl deren Instinktorgane in allen denkbaren Farbschattierungen vertreten waren.
Da ich aus Rems' Wissen erfahren hatte, daß ich noch eine unbestimmt lange Zeit zu leben hatte, kümmerte ich mich nicht weiter um mein tatsächliches Alter. Irgendwann würde ich ohnehin einen anderen Körper haben müssen. Über den Sinn des merkwürdigen Kampfes, den die Drugger mit den Fjujalern führten, erfuhr ich nur wenig. Kennzeichnend war, daß diese Auseinandersetzungen schon seit vielen Generationen abliefen. Teilweise betrachteten die Drugger sie als eine Art Sport. Sie fühlten sich den Fjujalern nicht nur haushoch überlegen, sie waren es auch. Daß sie dennoch keine stellare Raumfahrt betrieben, lag einfach in ihrer Mentalität begründet. Sie hatten auf Fjujal all das, was sie zum Leben brauchten. Einen Drang zu den Sternen besaßen sie nicht. Vor Urzeiten hatten sie den Energieschirm aufgebaut, der sie nicht nur vor den haßerfüllten Fjujalern schützte, sondern auch vor allem Fremden aus dem All. Unter diesen Gesichtspunkten war es logisch für sie gewesen, mich mit allen Mitteln anzugreifen, denn sie wollten mit nichts und niemand von woanders etwas zu tun haben. Rems galt sogar als Held. Diese Rolle war mir lästig, denn sie hielt mich mehrmals von der Verfolgung meiner Ziele ab. Die Gleichgültigkeit und das eigenartige »sportliche« Verhalten gegenüber den Fjujalern weckten in mir schlicht und einfach Unverständnis. Kein Drugger hatte sich je Gedanken darüber gemacht, warum ihre Nachbarn so waren. Man hatte sich einfach abgekapselt, von Zeit zu Zeit einen Brocken für die Aufrechterhaltung eines Kampfes vor die Füße der anderen geworfen und sich ansonsten um die eigenen Belange gekümmert. Ich lernte viele Drugger kennen, die gar nichts von der Existenz der Fjujaler wußten, obwohl diese auf der gleichen Welt lebten. Den Sperrschirm nahmen diese Lebewesen als Gegebenheit hin, über die man nicht diskutierte. Diese Gleichgültigkeit und Ignoranz verleideten mir etwas meinen neuen Körper. Dadurch wurde ich aber wiederum angestachelt, den Dingen eine schnelle Wende zu
geben, denn eigentlich hielt mich nichts auf Fjujal. Dieser Entschluß wurde bekräftigt, als ich Tastran erneut traf. Eigentlich war es so, daß er mich aufsuchte. Wir sprachen in dem offiziellen Büro, in dem ich mich die meiste Zeit aufhielt. »Sind wir unter uns?« fragte der Fjujaler vorsichtig. »Natürlich«, antwortete ich in dem etwas schroffen und überheblichen Ton, der den höheren Druggern zu eigen war. »Was willst du?« »Bevor ich mein eigentliches Anliegen nenne, möchte ich von dir wissen, wer du wirklich bist.« Ich konnte mein Erstaunen kaum verbergen. »Das weißt du«, sagte ich daher ausweichend. »Wenn ich es weiß«, sagte Tastran listig, »dann bist du dieser körperlose Oggar, der sich ein neues Versteck gesucht hat.« Schweigen schien mir die beste Antwort zu sein. Prompt fuhr der Steinerne fort: »Ich habe deine Nähe gespürt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du von dem Bewußtsein eines Druggers überwältigt worden bist. Wo ist Rems?« Das war mehr als deutlich, und ich beschloß, mit offenen Karten zu spielen, zumal dies meinen Plänen entgegenkam. »Er existiert nicht mehr.« »Das ist vielleicht bedauerlich, vielleicht gut. Du mußt nämlich wissen, Oggar-Rems – soll ich dich nun so nennen? –, daß mein Haß auf die Drugger inzwischen vollkommen abgeklungen ist. Glaube aber nicht, daß dies daran liegt, daß ich ihre Welt kennenlernen konnte. Damit hat es nichts zu tun. Der Grund muß ein anderer sein.« »Welcher?« »Diese Antwort erhoffe ich von dir, denn du bist mir bei weitem überlegen.« Erneut war ich verblüfft. Zugegeben, ich hatte mich gedanklich schon mit der Frage befaßt, was die Fjujaler zu solch extremen
Hassern gemacht haben könnte. Ich hatte dieses Problem jedoch mehr unter dem Gesichtspunkt gesehen, warum die Drugger dieser Erscheinung so gleichgültig gegenüberstanden. »Ich kann dir keine Erklärung geben, Tastran«, sagte ich schließlich, und das entsprach der Wahrheit. »Dann solltest du sie finden. Allein kann ich das nicht. Oder bist du auch so uninteressiert wie die Drugger? Oder bist du feige? Oder willst du den Rest deines Lebens hier auf Fjujal verbringen?« Die Veränderungen an Tastrans Verhalten waren gravierend. Mir schien es, als ob eine Last von ihm abgefallen sei. Ich überlegte, ob ich Rems' Körper für einen Moment verlassen sollte, um direkten Kontakt mit Tastran aufzunehmen und so vielleicht die Hintergründe zu erfahren. »Welche Absichten verfolgst du?« fragte ich, ohne auf seine Fragen einzugehen. »Ich könnte mit meinem jetzigen Wissen zu meinem Volk heimkehren. Dort müßte ich mich den Untergrundlügnern anschließen, jenem Häufchen verzweifelter Kämpfer, die nicht dem Zwang zum Haß unterliegen. Das wäre ein Tropfen auf den heißen Gasvulkan. Vielleicht würde man mich irgendwann aufspüren, vielleicht würde der Haß wieder nach mir greifen. Erreichen würde ich letztlich nichts. Das Übel liegt an einer anderen Stelle. Und diese müßte ich finden. Das ist meine Absicht.« »Du sprichst erstaunlich klar und vernünftig, Tastran«, räumte ich anerkennend ein. »Ich würde gern deine ganzen Gedanken durch einen direkten Kontakt mit dir aufnehmen.« »Ich werde dich nicht daran hindern. Komm.« Er breitete seine vier Arme einladend aus. »Die Sache hat einen Haken«, mußte ich gestehen. »Wenn ich diesen Körper verlasse, ist er ohne Bewußtsein. Ich weiß nicht, was dann mit ihm geschehen wird.« »Das kann ich viel weniger beurteilen, Oggar.« Bedauern schwang in seiner Stimme mit. »Nur du kannst das Risiko beurteilen.«
»Ich werde es versuchen und kurz machen.« Die Loslösung vollzog sich ohne Schwierigkeiten. Meine Befürchtungen, es könnte etwas schiefgehen, wurden sofort zerstreut. Ich fühlte, wie ein Rest von mir in Rems' Körper blieb, der Bezugspunkt für einen Seher, der auf eine Wanderung ging. Zwar hatte ich etwas Mühe, in der realen Zeit zu bleiben, denn mein Geist wollte sich automatisch sofort in die Zukunft stürzen, aber es klappte. Der Kontakt mit Tastran ergab nichts wesentlich Neues. Ich war aber jetzt restlos davon überzeugt, daß der Steinerne wirklich das verfolgte, was er gesagt hatte. »Wundere dich nicht«, teilte ich ihm mit, während ich noch mit seinem Bewußtsein im direkten Kontakt stand, »aber ich werde nicht sogleich in den Körper des Druggers zurückkehren. Bleib hier und halte Wache, damit niemand den Raum betritt.« Ich wartete seine Zustimmung ab, dann trat ich die erste Reise in die Zukunft an. Ich schwebte einfach davon, getragen von meinen Wünschen und meiner Neugier und dem Verlangen, das Rätsel der Fjujaler zu lösen.
5. Es war nicht ganz leicht für mich, eine ständige Orientierung zu behalten, denn mein Ich neigte dazu, Veränderungen des Ortes mit den Veränderungen der Zeit zu verwechseln. Ich kam mir vor, als müsse ich zwei Dinge gleichzeitig mit einem Werkzeug oder mit einer Hand machen. So beschränkte ich mich zunächst darauf, meine neuen Fähigkeiten zu trainieren. Die tatsächlich verstreichende Zeit, auf die ich keinen Einfluß hatte, wie ich von Fastrap wußte, mußte ich dabei ebenso außer acht lassen, wie die Umgebungseindrücke. Schließlich wagte ich es, mich mehr instinktiv treiben zu lassen. Das öffnete meine Sinne für die Umgebung. Ich war irgendwo in der
ganz nahen Zukunft, vielleicht drei oder vier Tage von dem Zeitpunkt entfernt, zu dem mein neuer Körper auf meine Rückkehr wartete. Ich sah ein hochmodernes Raumschiff. Es hatte einen Durchmesser von 22 Metern und eine Höhe von 6,5 Metern und die Form eines Diskus. Es ähnelte sehr den Space-Jets, die ich auf der SOL gesehen hatte. Das Schiff flog in schnellem Flug über die Oberfläche von Fjujal, direkt auf die imaginäre Grenze zu. Ich folgte ihm, was mir unabhängig von der Geschwindigkeit dieses Objekts mit spielerischer Leichtigkeit gelang. Es war auch kein Problem, in das Schiff selbst einzudringen. So entdeckte ich eine Positronik, die typische Merkmale der druggerschen Technik aufwies, und dazu Hochenergiewaffen, einen paratronähnlichen Schutzschirmgenerator und einen Überlichtantrieb. Das machte mich stutzig, denn aus Rems' Wissen war mir von einer Überlichttechnik der Drugger nichts bekannt. Dem Diskusschiff öffnete sich durch eine Automatik, die es an Bord mitführte, der energetische Schutzwall. Es glitt hindurch und beschleunigte nun noch schneller. Zweifellos wollte es Fjujal verlassen. Ein unbekannter Einfluß hielt mich davon ab, die Besatzung aufzusuchen. Eine Kontaktaufnahme oder die Übernahme eines Körpers wäre in meiner jetzigen Zustandsform sowieso unmöglich gewesen. So begnügte ich mich, den Diskus von außen noch einmal zu umrunden, bevor ich nach Fjujal zurückkehren wollte. Ich erlebte eine saftige Überraschung. Dicht unter der Kuppel auf der Oberseite glänzte ein Name auf diesem Schiff. Die Schrift war mit einem Impulsstrahler in das Metall eingebrannt worden und lautete FASTRAP. Daß der Name meines längst verstorbenen Lehrers hier stand, konnte nur eins bedeuten. Ich erkannte, was mich davon abgehalten hatte, die Mannschaft dieses Schiffes aufzusuchen, denn ich konnte
mir leicht ausmalen, daß sie nur aus einer Person bestand – aus mir selbst im Körper von Rems. Aus Fastraps Lehren wußte ich, daß eine beobachtete Zukunftsituation stets nur eine Wahrscheinlichkeit beinhaltete. Diese war zwar sehr hoch, aber das besagte nicht, daß alles anders kommen könnte. Mit dieser Unsicherheit hatten schon die alten Seher der Pers-Oggaren gelebt, und mit ihr mußte nun auch ich zurechtkommen. Immerhin hatte meine Wanderung mir einen entscheidenden Hinweis gegeben. Irgendwo bei den Druggern existierte dieses wundervolle Diskusschiff. Ich setzte diese Erkenntnis in meine weiteren Pläne um. Dann kehrte ich nach Fjujal zurück. Diesmal suchte ich den Abschnitt des Planeten auf, in dem die Steinernen lebten. Der Zufall führte mich direkt zu dem geheimnisvollen Objekt, das die Denkweise der Fjujaler so sehr beeinflußte, zu dem Gasvulkan. Der gut 3000 Meter hohe Berg stand inmitten einer Wüstenlandschaft. Der Krater war weit geöffnet, und aus ihm strömten unablässig gelbliche Rauchschwaden, die sich mit den Winden vermischten und über das Land davongetragen wurden. Diese Gegend war vollkommen unbewohnt. Auch erblickte ich keine Tiere oder Pflanzen. Ich nahm eine zeitliche Orientierung vor und stellte fest, daß ich bei meinem Rückflug zu dem Planeten auch wieder näher an die Realgegenwart gekommen war. Wahrscheinlich war dies ein automatischer Prozeß, der eine natürliche Voraussetzung für die Rückkehr in meinen Körper darstellte. Auch erinnerte ich mich, daß Fastrap dies einmal erwähnt hatte. Ich spürte bereits das, was ich eine Markierungsboje genannt hatte, und was nichts anderes als ein Teil meines körperlosen Ichs war. Es zog mich magisch an, wenn ich mich einfach treiben ließ. Nun stemmte ich mich dagegen und glitt erneut in die Zukunft, ohne dabei meinen Aufenthaltsort zu verändern. Wieder erlebte ich eine Überraschung, denn plötzlich war der Gasvulkan
verschwunden. An seiner Stelle erblickte ich zerschmolzenes Gestein, das den Krater total abgedichtet hatte. Ich verstand diese Änderung nicht und maß ihr auch keine entscheidende Bedeutung bei. Vielleicht hatten die Drugger einen Angriff auf dieses Symbolgebilde der Fjujaler durchgeführt. Als dann eine merkwürdige Müdigkeit nach mir griff, ließ ich mich steuerlos treiben und fand so selbstständig in meinen Körper zurück. Tastran wartete noch auf mich und versicherte mir, daß niemand während meiner »Abwesenheit« den Raum betreten hätte. Ich beschloß, ihm nicht die volle Wahrheit zu sagen, weil ihn dies womöglich nur verunsichert hätte. »Die Drugger besitzen mindestens ein hochmodernes Raumschiff«, verriet ich nur. »Ich habe es sozusagen gesehen, aber ich weiß nicht, wo es jetzt ist. Auch aus Rems' Wissen gibt es keine Informationen dazu. Vielleicht handelt es sich um ein geheimes Projekt.« »Ein geheimes Projekt?« Der Steinerne wirkte nachdenklich. »Ich durfte an jeden Ort und alles ansehen, was ich wollte. Nur einmal verweigerte man mir die Erlaubnis. Im Süden dieser Stadt gibt es jenseits des Flughafens ein riesiges Gebäude, das von außen einer Fabrik gleicht. Da durfte ich nicht hinein.« Ich war zu müde, um nach der gerade beendeten Wanderung eine neue zu starten. Außerdem war ich mir darüber in klaren, daß ich nur mit meinem neuen Körper das Ziel erreichen konnte. »Sind wir Verbündete?« fragte ich Tastran. »Hilfst du mir, das Rätsel meines Volkes zulösen, damit es eine bessere Zukunft bekommt?« »Ich werde tun, was ich kann.« Der Steinerne neigte als Zeichen seines Einverständnisses seinen Körper nach vorn. »Dann werden wir beide morgen diese Fabrik aufsuchen. Jetzt brauche ich etwas Ruhe. Bitte sei kurz nach Sonnenaufgang wieder hier. Ich besorge einen Gleiter.«
»Ich werde pünktlich sein, Oggar-Rems«, versprach Tastran.
* Als wir mit meinem offiziellen Gleiter am nächsten Morgen in die Nähe des von Tastran bezeichneten Gebiets kamen, erlebte ich eine Überraschung. In dem Funkempfänger war plötzlich ein scharfer Pfeifton zu hören, und unmittelbar darauf war die Steuerung des Fahrzeugs blockiert. Äußere Kräfte, die ich nur an ihren Auswirkungen feststellen konnte, packten nach dem Gefährt und zwangen uns am Rand des Flughafens zu Boden. Polizeigleiter preschten heran und kreisten uns ein. Ich erfuhr so, daß dieses Gebiet hermetisch abgesichert wurde, und das erschwerte meine Pläne erheblich. Zwei Drugger kamen auf uns zu und musterten uns auffällig mit den Warzensinnen. »Du bist unbefugt ins Sperrgebiet eingeflogen, Rems«, stellte der eine von ihnen fest. Er kannte mich also, aber ich wußte nicht, wer dieser Drugger war. Das mochte an dem unvollständigen Wissen liegen, das ich von Rems übernommen hatte, oder aber daran, daß dieser Polizist von seiner beruflichen Stellung her wichtige Persönlichkeiten kannte. »Warum?« »Warum nicht?« wich ich aus. »Nach meinen Informationen hat Tastran freien Zugang zu allen Plätzen. Wir flogen zufällig in diesen Abschnitt, von dem selbst ich nicht mehr wußte, daß er noch Sperrgebiet ist.« Ich wählte diese vorsichtige Begründung, um mir jede weitere Ausrede offen zu lassen. Der Polizist musterte mich mißtrauisch. »Du willst doch nicht etwa behaupten«, sagte er dann vorwurfsvoll, »du hättest vergessen, daß hier eine Sperrzone ist?« Es wurde brenzlig, das merkte ich. Wieder mußte ich ein Ausweichmanöver starten. »Ich habe mich nie mit derartigen Dingen befaßt«, behauptete ich.
»Natürlich bedaure ich diesen kleinen Zwischenfall, aber jetzt möchte ich meinen Weg fortsetzen.« Die Drugger schienen sich nicht so recht einig zu sein, aber schließlich kam ihr Sprecher zu mir heran: »In Ordnung, Rems.« Dann zeigte er mir einen Weg, den ich zu nehmen hatte, und löste die Sperre in meinem Gleiter. Aus seinen Angaben konnte ich indirekt schließen, daß mein Ziel am Ende der Fabrikhalle liegen mußte, denn er schickte mich genau in die andere Richtung. Wir starteten erneut. »Tastran«, bat ich den Fjujaler, »setze den Flug für ein paar Momente allein fort. Ich bin gleich zurück.« »Du willst wieder eine körperlose Reise antreten?« »So ist es. Ich muß wissen, wo das Objekt genau liegt, das ich für die Lösung unser beider Probleme benötige.« Ich wartete keine weitere Antwort ab und trennte mich von meinem Druggerkörper. Ohne Mühe drang ich in die Halle des Fabrikgebäudes ein. Meine Erwartungen wurden in jeder Hinsicht bestätigt. Hier fand ich das Diskusschiff, dem ich schon bald den Namen FASTRAP geben würde. Voraussetzen mußte ich allerdings, daß mein Vorhaben wirklich gelingen würde. Noch während ich zu Tastran zurückkehrte, begann ich mit meinen Überlegungen. Das Haupthindernis waren die Sperrsysteme, über die ich nicht viel wußte. Offensichtlich besaßen aber alle Gleiter eine Vorrichtung, die ein Einfliegen in die Zone unmöglich machte. Es war klar, daß ich dieses Gerät, das die Steuerung blockierte, ausfindig machen mußte. Weit außerhalb der Stadt landete ich den Gleiter in einem Waldgebiet und machte mich sofort an die Lösung dieses Problems. Tastran war mir bei meiner Arbeit behilflich, obwohl er gar nicht genau wußte, was ich beabsichtigte. Gegen Mittag war ich fertig. Auf dem Rückflug probierte ich sofort aus, ob alles so funktionierte, wie ich es mir vorstellte. Ich flog
dicht an das Sperrgebiet heran und überquerte die unsichtbare Grenze für kurze Zeit um ein paar Meter. Nichts geschah, und so konnte ich sicher sein, daß mein Vorstoß, den ich für die kommende Nacht einplante, Erfolg haben könnte. Bei diesem Flug beobachtete ich andere Gleiter, die mit meinem baugleich waren. Sie passierten ungehindert das Sperrgebiet, weil sie zu den Befugten gehörten. Als solcher würde auch ich mich ausgeben, aber das bedeutete auch, daß ich diesmal auf Tastrans Begleitung verzichten mußte. Ich erklärte Tastran meine Absicht und zeigte ihm einen Platz außerhalb der Stadt, wo er auf mich warten sollte. Bei völliger Dunkelheit startete ich erneut, diesmal allein. Mein Flug führte mich direkt auf den erkundeten Abschnitt der Fabrikhalle zu. Aus der Ausrüstung von Rems, die ich in seinem Arbeitsraum gefunden hatte, führte ich verschiedene Werkzeuge und Waffen mit. Wenn mein Versuch, das Diskusschiff zu entführen, beim erstenmal nicht klappen würde, wäre meine Chance wohl endgültig vertan, denn ich würde die Drugger nur aufmerksam machen. Das Fahrzeug stellte ich in einer nicht von Licht beschienenen Ecke ab und ging von dort zunächst zu Fuß weiter. Meine Eindrücke von der Werkshalle waren sehr genau. In der oberen Hälfte gab es mehrere Öffnungen, durch die ich leicht eindringen konnte. Für normale Drugger waren solche Überlegungen völlig abartig, deshalb gab es hier mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Abwehr- oder Alarmeinrichtungen. Die Benutzung des Antigravorgans war so simpel wie das Laufen oder Denken. Trotz fehlender Übung hatte ich keine Schwierigkeiten. In einer Schattenzone glitt ich an der Hauswand in die Höhe. Durch die Fenster der Werkshalle schimmerte nur schwaches Licht nach draußen. Ich schlüpfte durch eine Öffnung. Warme Luft und der Geruch von Öl und Metall schlug mir entgegen. Zunächst verbarg ich mich schwebend hinter einem Lüftungsschacht, um die Lage zu
sondieren. Unten in der Halle arbeiteten zwei Drugger. Mehrere Maschinen liefen, und Roboter bedienten Aggregate und Werkbänke. »Das Modell muß heute noch fertig werden«, sagte einer der Drugger. »Ich wollte zwar um Mitternacht nach Hause, aber wenn wir morgen dem Rat etwas zeigen wollen, brauchen wir es.« Der andere ließ seine Werkzeuge sinken. »Ich verstehe das nicht«, klagte er. »Warum sind die hohen Tiere des Rates so fein, daß sie sich nicht direkt hierher wagen?« »Sie sind nun einmal so. Daß unser eigentliches Superschiff fertig ist, interessiert sie nur am Rand. Unser Volk hat nun einmal nicht die Absicht, zu den anderen Sternen zu fliegen.« Ich jubelte innerlich, denn das Gehörte bewies eindeutig, daß die FASTRAP schon in allen Punkten betriebsbereit war. Länger zögern wollte ich nicht. So ließ ich mich in die Tiefe sinken und zog dabei gleichzeitig den Narkosestrahler aus einer Tasche meines Körpers. Er funktionierte lautlos, und da ich eine Überdosis abstrahlte, fielen die beiden Drugger sofort schlaff in sich zusammen. Nun galt mein Augenmerk den Robotern, aber ich stellte zu meiner Zufriedenheit fest, daß es sich um primitive Maschinen handelte, die den Vorgang gar nicht registriert hatten. Ich glitt in das offene Luk des Diskusschiffs. Automatisch sprang die Beleuchtung an. Nun galt es, mich schnell mit diesen Einrichtungen vertraut zu machen, was mir bei meinem Grundwissen nicht schwerfiel. Ich benötigte allerdings mehrere Stunden. Zwischendurch vergewisserte ich mich immer wieder, daß die beiden Drugger noch bewußtlos waren und daß keine Kontrollen in der Halle auftauchten. Lange nach Mitternacht war ich soweit, daß ich mir zutraute, mit diesem Schiff zu fliegen. Auch mit dem Öffnungsmechanismus der Halle hatte ich mich inzwischen vertraut gemacht. Bevor ich jedoch startete, kletterte ich auf die Hülle aus hochverdichtetem Metall und brannte mit meinem Impulsstrahler den Namen FASTRAP unter der Kanzel ein.
Das Hallentor glitt auf, und ich sah mindestens drei Dutzend bewaffnete Drugger und ebenso viele Roboter mit schweren Strahlern vor mir. Die beiden Kraftwerke der FASTRAP liefen bereits auf vollen Touren, aber hier sah es nun so aus, als gäbe es kein Durchkommen. »Rems oder Oggar! Oder wie immer du dich nennst, gib auf«, dröhnte eine Stimme aus einem Lautsprecher. Hatte Tastran mich doch verraten? Das war meine erste Überlegung. »Komm heraus! Oder wir heizen dir ein!« klang es weiter. Ich zögerte. Die Drugger waren mir zwar nicht sonderlich sympathisch, aber ich hätte es nicht fertiggebracht, auf sie zu schießen. Umkehren oder aufgeben wollte ich aber auch nicht. Ich fuhr mehrere Arme aus meinem Körper und legte die feinen Enden auf die Schalt- und Steuereinrichtungen der FASTRAP. Zuerst schaltete ich die Schutzschirme ein. Sie leuchteten in allen Farben des Regenbogens, bis die Energien sich stabilisiert hatten. Im gleichen Augenblick eröffneten die Roboter das Feuer. Für Sekunden ergriff mich Panik, aber dann sah ich, daß die Flammenbahnen nach allen Seiten abgelenkt wurden und daß die Belastung des Schutzschirms minimal war. Durch die entfachte Glut wichen die Drugger zurück, denn sie strahlte nach allen Seiten ab und setzte Teile der Werkshalle in Brand. Für mich war der Weg damit frei, denn auf die Roboter brauchte ich keine Rücksicht zu nehmen. Die Zwillingsbordkanone gab einen Feuerstoß von sich, und die Roboter wurden teils in Schrott verwandelt oder von dem gewaltigen Druck nach allen Seiten auseinandergetrieben. Das Triebwerk heulte auf, als ich startete. Über die Köpfe der Drugger hinweg raste ich in den Nachthimmel. Die Schüsse, die man mir nachjagte, erzielten keine Wirkung mehr. Nun erst schaltete ich die Positronik hinzu. Ich übermittelte ihr die Koordinaten des Ortes, an dem sich Tastran aufhalten sollte. Die Positronik übernahm den Flug, während ich mich mit den
Ortungsanlagen befaßte. Die Gleiterfahrzeuge, die mir folgten, erreichten nicht annähernd die Geschwindigkeit der FASTRAP. Vorsichtig näherte ich mich dem Versteck des Fjujalers, weil ich hier eine weitere Falle vermutete. Da sprachen die Funkempfänger an. Ich hörte Mitglieder des obersten Rates, die mich zur Umkehr bewegen wollten. Man versprach mir alles Denkbare, aber ich reagierte nicht darauf. Tastran blinkte mit einer Lampe. Die Ortung zeigte keine verdächtigen Objekte in seiner Nähe, und so landete ich kurz und nahm den Steinernen an Bord. »Ein tolles Schiff«, staunte Tastran. »Haben das die Drugger gebaut?« »Eine Spezialistengruppe«, antwortete ich. »Diese Leute haben die volle Technik der Drugger verwendet, die ansonsten als verpönt gilt, weil man den eigenen Planeten nicht verlassen will.« »Du hast dieses Schiff gegen den Willen der Staatsführung in deine Gewalt gebracht? Man wird uns jagen und töten.« »Ich habe nicht vor, noch lange auf Fjujal zu verbleiben, mein Freund. Da es meines Wissens nur dieses eine moderne Schiff gibt, sind die Chancen, daß man uns aufspürt, recht gering.« »Du willst fort«, stellte Tastran ernüchtert fest. »Das heißt dann wohl auch, daß du das mir gegebene Versprechen nicht einlösen wirst.« »Falsch. Ich hoffe, es mit Hilfe der FASTRAP zu lösen.« Während ich so den Fjujaler beruhigte, startete ich erneut. Die Ortungsanzeigen blieben dunkel, also verfolgte man mich nicht einmal. Ich hielt direkt auf die Planetenhälfte zu, die die Fjujaler bewohnten. So gelangte ich bald wieder in die Tagzone, wo dann der Energieschirm der Drugger sichtbar wurde. Die Bordpositronik hatte längst nach meinen Weisungen eine Steuerung vorbereitet, durch die sich eine Lücke in dem Schirm erzeugen lassen würde. Auch dieses Manöver klappte ohne Schwierigkeiten.
Ich schaltete wieder auf automatischen Flug und prüfte die Laboreinrichtungen, die ich an Bord vorgefunden hatte. Es war alles vorhanden, was ich benötigte. Schon bald würde sich zeigen, ob mein Verdacht zu Recht bestand. Tastran beobachtete meine Aktivitäten schweigend und neugierig. Erst als wir schon tief in sein Heimatgebiet geflogen waren, wandte er sich an mich. »Ich frage mich«, meinte er, »wohin du fliegst. Dies ist nicht der Abschnitt, in dem mein Volk lebt.« »Du kennst dich hier aus?« fragte ich zurück, aber der Steinerne verneinte, und ich erinnerte mich daran, daß er von seiner eigenen Welt noch nicht viel gesehen hatte. »Wenn meine Überlegungen richtig sind«, erklärte ich nun, »dann gibt es eine ganz einfache Ursache für die merkwürdigen Verhältnisse auf Fjujal. Es hat eine Weile gedauert, bis ich auf den richtigen Gedanken gekommen bin. Auch bei meiner Wanderung habe ich Hinweise dafür gefunden, denn ich habe im körperlosen Zustand deine Heimat schon besucht.« Tastran staunte mich an, aber er verstand offensichtlich kein Wort. »Bist du bereit, mir bei einem Experiment zu helfen?« fragte ich ihn. Er willigte ein. »Ich werde jetzt durch eine Schleuse Luft von draußen in die FASTRAP lassen. Zuvor mußt du mir sagen, was du für die Drugger empfindest.« »Ich hasse sie nicht mehr«, gab der Fjujaler zu. »Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es ist so. Ansonsten sind sie mir ziemlich gleichgültig.« Ich nahm die Luftaustauschung vor und beobachtete den Steinernen. Es dauerte nicht lange, da wurde er unruhig. »Was ist los mit dir?« wollte ich wissen. »Ich kann es nicht aussprechen.« »Ohne deine Aussage, komme ich keinen Schritt weiter. Sprich!« »Ich finde dich scheußlich und gemein«, platzte er heraus. »Wenn
ich könnte, würde ich dich auf der Stelle umbringen. Auch sehe ich jetzt, welches Täuschungsmanöver du an mir begangen hast. Du bist in Wirklichkeit eine von diesen Bestien. Natürlich hast du dich maskiert. Deine wahren Absichten habe ich durchschaut. Du willst mich ermorden. Sogar die Art des Todes, den du für mich ausgewählt hast, habe ich erkannt. Du willst mich in den Gasvulkan werfen.« Es war purer Zufall, daß kurz nach diesem Moment der mächtige Berg mit seiner wehenden Fahne draußen erkennbar wurde. Tastrans Verhalten bestätigte meinen Verdacht. Ich drückte ein paar Tasten an der Laboreinheit, damit die Luft wieder durch eine Atmosphäre aus den Vorratstanks ersetzt wurde. Dann hielt ich das Schiff in der Nähe des Vulkanbergs an und wartete, bis sich der Fjujaler wieder beruhigte. »Komm her, Tastran.« Ich holte ihn bis ans Fenster und deutete auf den Vulkan. »Dieser Berg ist die Ursache allen Übels. Die Laborproben sind ausgewertet. Es sind Mikrolebewesen, die in diesen Gasen existieren. Sie dringen in eure Körper ein und erzeugen die Haßpsychose. Irgendwann in der fernen Vergangenheit müssen ein paar kluge Drugger das erkannt haben. Sie errichteten den Schutzschirm, der sie von dieser Krankheit befreite. Bei euch tobte sie sich jedoch aus. Sie ist die Ursache des Hasses und des Rückschritts deines Volkes und des sinnlosen Kampfes. Die dummen Drugger haben die Zusammenhänge aus dem Griff verloren. Sie beteiligen sich an dem Unsinn, ohne die Wahrheit noch zu kennen.« »Der Gasvulkan!« staunte der Steinerne. »Welch ein Wahnsinn!« »Wir werden ihm ein Ende setzen. Und dann kannst du zu deinem Volk heimkehren. Ohne den Vulkan können diese Mikrowesen nicht mehr leben.« Ich bereitete die Waffen der FASTRAP für einen Feuerschlag vor.
6. Drei Stunden später strebte ich allein mit der FASTRAP aus diesem Sonnensystem, denn hier gab es nichts mehr zu erledigen für mich. Das Zuschmelzen des Gasvulkans war vollkommen gelungen, so, wie ich es bei meiner Zukunftswanderung gesehen hatte. Biologische Untersuchungen und Berechnungen meiner Bordpositronik hatten ergeben, daß innerhalb weniger Tage die Mikrolebewesen sterben würden, wenn der Nachschub an den Gasen aus dem Innern von Fjujal unterbrochen war. Die Atmosphäre des Planeten würde sich so selbst reinigen und den unseligen Zwang zum Haß abbauen. Die Fjujaler sahen damit einer friedfertigen und besseren Zukunft entgegen. Tastran hatte ich mit diesem Wissen entlassen. Er wollte die Weichen für sein Volk stellen und auch eine Einigung mit den Druggern herbeiführen. Leicht würde das nicht werden, das war mir und auch Tastran klar gewesen. Und so hatte ich für mich beschlossen, zu gegebener Zeit dem Planeten Fjujal noch einmal einen Besuch abzustatten. Drugger und Fjujaler hatten die Chance für eine gemeinsame und bessere Zukunft, und ich dachte darüber so, daß sie sie in erster Linie selbst wahrzunehmen hatten. Mein schlechtes Gewissen plagte mich doch ein wenig, denn was ich gemacht hatte, war ein glatter Raub. Die FASTRAP war die Spitze der technischen Errungenschaften der Drugger. Und ich hatte doch ziemlich brutal dieses Schiff in meinen Besitz gebracht, um meine Ziele zu verwirklichen. Ich blieb zunächst in der Nähe Fjujals, um mir Sternenkarten von Pers-Mohandot anzufertigen, denn solche hatte ich in dem Diskusschiff nicht vorgefunden. Das dauerte längere Zeit. Parallel dazu arbeitete ich mit Hilfe der Positronik einen Text aus, den ich den Druggern übermitteln wollte. Es handelte sich dabei um eine Erklärung und Entschuldigung sowie um ein Versprechen, ihnen ihr Raumschiff später zurückzubringen. Auch auf die Umstände auf
Fjujal und die Geschichte mit dem Gasvulkan ging ich dabei ein, und ich sparte auch nicht mit ein paar Vorwürfen, die die merkwürdige Lebenseinstellung der Drugger betrafen. Es dauerte längere Zeit, bis ich einen Funkkontakt mit den Druggern bekam, aber schließlich konnte ich meine Botschaft an den Mann bringen. Es war typisch für diese Wesen, daß sie den Empfang zwar quittierten, ansonsten aber keinen Kommentar dazu gaben. Damit war das Kapitel Fjujal-Drugger für mich vorerst geschlossen. Was blieb, waren mein neuer Rems-Körper und die FASTRAP. In Pers-Mohandot warteten andere Aufgaben auf mich. Und ich durfte, so vorrangig mir die Probleme meines eigenen Volkes jetzt auch erschienen, Atlan, die SOL und Hidden-X nicht ganz vergessen. Auf meinem Weg nach Vasterstat lag eine ehemalige Kolonialwelt meines Volkes, wo noch einige Hundert Pers-Oggaren leben mußten. Ich hatte sie einmal im Körper Waggaldans kurz aufgesucht, um ihnen eine Rückkehr zu ihrer Heimatwelt Vasterstat zu verkünden. Das war gewesen, als die SOL noch im Sternenuniversum verschollen gewesen war. Viel Zeit hatte ich damals nicht gehabt, aber ich hoffte doch, daß meine Gedanken auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Die Wahrheit war, daß ich Helfer brauchte, um Vasterstat neu aufzubauen und um die tiefgekühlten Keime Auxonias mit den meinen zu neuen Pers-Oggaren werden zu lassen. Das war ein Problem. Ein anderes, das jetzt auf mich zukam, war mein neuer Körper. Wie sollte ich den Pers-Oggaren erklärlich machen, daß in diesem Kugelleib einer der Ihren lebte? Ich schwenkte in eine Umlaufbahn um den namenlosen Planeten ein und bemühte mich einen geeigneten Landeplatz zu finden. Ich entdeckte wieder die kleine Siedlung am Rand eines Sees, wo die Nachkommen meines Volkes in einer bäuerlichen Gemeinschaft existierten. Dort ging ich mit der FASTRAP nieder.
Der Sprecher des Dorfes hieß Enterer. An ihn erinnerte ich mich gut, denn er war meinen Botschaften besonders offen gegenübergestanden. Ihm hatte ich mehrere Unterlagen über die Vergangenheit und die ehemalige Technik der Pers-Oggaren hinterlassen und gehofft, daß er meine Gedanken bei seinen Leuten fördern würde. Eine Gruppe von drei Pers-Oggaren kam auf ihren Wurzeln auf das gelandete Raumschiff zugeeilt. Es berührte mich seltsam, wieder einmal daran erinnert zu werden, wie mein ursprünglicher Körper mit dem Namen Wysterein ausgesehen hatte. Nach den Maßstäben und Ansichten der Solaner handelte es sich bei den Pers-Oggaren um Pflanzenabkömmlinge. Der Hauptkörper war ein knorriger, durchschnittlich zwei Meter großer Baumstumpf, aus dem viele gut einen halben Meter lange Wurzeln und Arme, die eher Äste waren, sprossen. Enterer winkte zur Begrüßung. Er rechnete wohl mit meiner Rückkehr, wie ich es ihm vor vielen Monaten versprochen hatte. Vorsorglich schaltete ich den Außenlautsprecher ein. »Ich freue mich«, erklärte ich, »Angehörige meines Volkes und ihren Sprecher Enterer zu sehen. Ich bin Oggar-Wysterein oder Oggar oder Oggar-Rems, und ich bin gekommen, um Freiwillige von euch mit nach Vasterstat zu nehmen, um unser Volk neu aufzubauen.« »Auch wir begrüßen dich«, antwortete Enterer zögernd. »Bei deinem Besuch nanntest du dich Oggar-Waggaldan und Sternfeuer und Cpt'Carch. Warum benutzt du jetzt diese anderen Namen?« »Es hat sich einiges verändert«, teilte ich Enterer und seinen Begleitern mit. Mein Entschluß, ihnen mit der ganzen Wahrheit zu begegnen, stand fest. Wie sie reagieren würden, war eine andere Frage. »Ich besitze nicht mehr den Körper, in dem ihr mich gesehen habt. Auch weilen Sternfeuer und Cpt'Carch nicht mehr mit mir in einem Verbund.« »Da bin ich ja richtig neugierig.« Schwang da etwas Hohn in
Enterers Stimme mit? Ich öffnete die Schleuse und schwebte ins Freie. Entsetzt prallten die Pers-Oggaren zurück. Zu fremdartig erschien ihnen der Kugelkörper des Druggers. Ich erkannte zu spät, daß ich die Situation und mein doch sehr verändertes Aussehen falsch eingeschätzt hatte. Aus den nahen Büschen stürmten viele Dutzend Pers-Oggaren. Sie waren mit Schleudern, Speeren und Netzen bewaffnet, wie es den Jägern dieser Gruppe meines Volkes entsprach. Steine und Spieße wurden gegen mich geschleudert. Eine Gruppe der Angreifer stürzte sich auf die drei Pers-Oggaren, die mich begrüßt hatten. Netze wurden über sie und mich geworfen. Wie sollte ich diese Narren von meinen guten Absichten überzeugen? Mit Hilfe meines Antigravorgans war es für mich einfach, den ersten Wurfgeschossen auszuweichen, so daß ich nicht verletzt wurde. Gegen ein großes Netz kam meine Reaktion jedoch zu spät. Natürlich hätte ich auch jetzt noch die Möglichkeit einer harten Gegenwehr gehabt, aber das wollte ich nicht, denn dadurch hätte ich die Pers-Oggaren wahrscheinlich nur noch mehr in Rage gebracht. Ich mußte in Erfahrung bringen, was diesen Stimmungswechsel bewirkt hatte. Da man auch Enterer und seine beiden Begleiter festgesetzt hatte, lag der Schluß nahe, daß sich hier eine oppositionelle Gruppe gebildet hatte. In einer Ausbuchtung meines Körpers trug ich ein Schutzschirmaggregat, das ich jederzeit aktivieren konnte. In wirklicher Gefahr befand ich mich also nicht. Auch meine Waffen waren den Augen der Angreifer verborgen. So beschränkte ich mich darauf, der Positronik ein paar Anweisungen zuzurufen. Sie verriegelte die FASTRAP, so daß die Pers-Oggaren keinen Unsinn anrichten konnten. Dann ließ ich mich in eine Hütte abtransportieren. Auch Enterer und seine beiden Begleiter wurden hier untergebracht.
Die Netze ließ man über unseren Körpern, aber als die Tür ins Schloß fiel und draußen eine erregte Diskussion zu hören war, trennte ich in aller Ruhe die Baststränge durch und befreite auch die drei Pers-Oggaren. Enterer flatterte aufgeregt mit seinen Armen. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte ich ihn. »Sie werden uns töten«, stieß der Dorfsprecher ängstlich hervor. »Ich habe nicht damit gerechnet, daß Plaus und seine Anhänger so radikal gegen uns vorgehen würden. Und ich habe nicht damit gerechnet, daß sie Oggar übertölpeln könnten. Bist du es wirklich?« »Ich bin es«, beruhigte ich den Pers-Oggaren. »Und niemand kann mich übertölpeln. Das siehst du doch. Warum stellte sich dieser Plaus gegen meine Absichten?« »Er hat eine eigene Theorie aufgestellt«, antwortete einer der Begleiter Enterers. »Er glaubt nicht, daß in dem zweibeinigen Körper, in dem du uns besucht hast, ein Pers-Oggare steckt. Er hat Anhänger dafür gefunden, alles, was nicht pers-oggarisch ist, zu vernichten. Und die, die den Fremden helfen, will er ebenfalls ausschalten.« »So ist das also«, stellte ich fest. »Ich werde ihm eine Lehre erteilen müssen, sonst kann ich meine Pläne nicht verwirklichen. Ihr wißt, daß auf Vasterstat in einem unterirdischen Versteck die tiefgekühlten Samen einer Pers-Oggarin und eines Pers-Oggaren darauf warten, zu neuem Leben vereinigt zu werden.« Enterer machte eine Geste der Zustimmung. »Auxonias und Wystereins Samen. Und du bist früher einmal dieser Wysterein gewesen. Ich habe alles das mein Volk wissen lassen, was du mir überlassen hast. Etwa hundert von uns würden dir sofort folgen, wenn es diesen verrückten Plaus nicht gäbe.« »Eigentlich bin ich noch heute dieser Wysterein«, behauptete ich, und das entsprach sogar der Wahrheit. »Das Ich eines Wesens sollte man losgelöst von seinem Körper und seinem Namen sehen.« »Wir glauben dir«, bekräftigte Enterer, »denn wir kennen die
uralten Überlieferungen unseres Volkes, die du durch deinen ersten Besuch bestätigt hast.« Ich mußte handeln. Nun, da ich einen hinreichenden Überblick über die verworrene Situation bei Enterers Volk gewonnen hatte, durfte es eigentlich keine größeren Schwierigkeiten mehr geben. Draußen war es merkwürdig still geworden. Mehr instinktiv als bewußt tastete ich mich mit meinem Bewußtsein nach draußen. Enterer würde sicher erstaunt sein, wenn mein Druggerkörper plötzlich starr verharrte. Ich drang nur wenige Minuten in die Zukunft. Was ich sah, ließ mich sofort umkehren. Die Hütte, in die man uns verfrachtet hatte, die Körper der drei Pers-Oggaren und auch ich existierten nicht mehr. Eine riesige Rauchwolke zeigte sich als Ergebnis einer gewaltigen Explosion. »Erschreckt nicht«, erklärte ich den drei Oggaren, als ich wieder im Körper von Rems weilte. »Aber ich muß schnell handeln.« Ich holte zuerst das Schutzschirmaggregat aus meinem Körper und baute ein Schirmfeld auf, das uns alle umschloß. Ängstlich und befremdet drängten sich die drei zusammen. Eine letzte Scheu vor meinem fremdartigen Körper konnten sie auch jetzt noch nicht ablegen. Dann schoß ich mir mit meinen Waffen ein Loch in die Hüttenwand. Im gleichen Moment wurden wir in eine gräßliche Helligkeit getaucht. Das Schirmaggregat heulte auf und verstärkte automatisch seine Energien. Die Explosion fand direkt unter uns statt. Also hatten Plaus und seine Anhänger uns in eine gut vorbereitete und tödliche Falle gesteckt. Die glühenden Bahnen chemischer Energien verpufften jedoch wirkungslos. Die Holzhütte versank in Schutt und Asche, aber uns konnten die tobenden Gewalten nichts anhaben. Das kleine Aggregat konnte sogar den Druck ausgleichen, so daß wir an unserem Ort blieben, bis der Schutt zu Boden sank. Enterer und die beiden anderen verbargen ängstlich und
schockiert ihre Stielaugen mit den Händen. »Keine Aufregung, meine Freunde«, tröstete ich sie. Ich aktivierte mein Antigravorgan und trug so die ganze Energieblase mit den drei Pers-Oggaren aus den Trümmern hinaus. Wir landeten direkt vor Plaus und seinen Gesinnungsgenossen, die nun ihrerseits in helle Aufregung gerieten. Den Energieschirm ließ ich aktiviert, weil mich die Pers-Oggaren auch durch diesen hindurch gut hören und verstehen konnten. »Ihr Narren!« schimpfte ich. »Seht auf mein Raumschiff. Lest den Namen, den es trägt! Erinnert euch an die Überlieferungen unseres Volkes, und ihr werdet erkennen, wie sehr ihr euch versündigt habt. Im übrigen war euer Handeln sinnlos, denn ein Seher weiß, was die Zukunft bringt, und so war es nicht schwer, euren schändlichen Plan zu durchschauen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.« Dann schaltete ich den Schutzschirm ab. Enterer ging auf Plaus zu und berührte ihn sanft. »Er ist Oggar«, behauptete der Pers-Oggare. »Er wird uns in eine bessere Zukunft führen, in der die alten Legenden zu neuem Leben erwachen werden. Wenn wir an die Überlieferungen und Weissagungen glauben, und der Name FASTRAP steht für all das, und wenn wir diesem Pers-Oggaren in einem fremden Körper vertrauen und folgen, werden wir dieses Ziel erreichen.« »Ich sehe ein«, antwortete Plaus dumpf, »daß ich mich geirrt habe. Das ändert aber nichts daran, daß ich diese Welt nie gegen meinen Willen verlassen werde.« »Niemand wird gezwungen«, schaltete ich mich nun ein. »Mir ist nur mit freiwilligen Helfern gedient.« Inzwischen hatte sich das ganze Dorf versammelt. Ich ließ den Pers-Oggaren Zeit, sich zu beraten. Das große Palaver dauerte den ganzen Rest des Tages an, und als zur beginnenden Nacht die wenigen elektrischen Lichter und die Lagerfeuer angezündet wurden, fanden viele Pers-Oggaren immer noch keine Ruhe. Ich
mußte viele Fragen beantworten, wobei mir dies manchmal schwerfiel, denn in ihrer jahrhundertelangen Isolation hatten diese Angehörigen meines Volkes manch seltsame Vorstellung von der rauhen Wirklichkeit entwickelt oder die alten Überlieferungen verfälscht. Schließlich ließ ich sie allein und begab mich in die FASTRAP, um auch etwas Ruhe zu genießen. Am nächsten Mittag teilte mir Enterer das Ergebnis der Beratungen mit. Rund 100 Pers-Oggaren waren bereit, mir zu folgen und beim Wiederaufbau unseres Volkes zu helfen. Die meisten jedoch zogen es vor, auf diesem Planeten zu verbleiben. Diese große Gruppe bat jedoch darum, daß man später zurückkehren möchte, um die Kontakte zu pflegen. Sie wählte einen neuen Sprecher, denn Enterer gehörte zu denen, die sich mir anschlossen. Es bereitete mir eine gewisse Genugtuung, daß Plaus, der ebenfalls als Sprecher nominiert worden war, den geringsten Stimmenanteil bekam. In der FASTRAP würde ich zur Not etwa 50 Pers-Oggaren unterbringen. Es wurde so zwar sehr eng, aber mit zwei Flügen würde ich die Freiwilligen nach Vasterstat bringen können. Die astronomischen Koordinaten der Sonne hatte ich inzwischen mit Hilfe der Einrichtungen der FASTRAP sicher ermittelt. Von einem Besuch dort wußte ich, daß sich dort zwar vieles verändert hatte, aber auch, daß die unterirdische Station meines früheren Meisters Fastrap unversehrt war. Einfach würde meine Aufgabe nicht werden, denn der Zahn der Zeit konnte Zerstörungen bewirkt haben, die ich noch gar nicht in ihrer Tragweite überschauen konnte. Ich startete noch am gleichen Tag und versprach den zurückbleibenden freiwilligen Helfern, daß ich baldmöglichst kommen würde, um auch sie zu holen. Für die aufgeschlossenen Pers-Oggaren war der Flug ein völlig neues Erleben, aber sie hielten ihre Neugier in Grenzen. Dadurch fand ich Zeit, die Lage in Pers-Mohandot genauer zu
überprüfen. Während die Positronik den Flug lenkte und die Fragen meiner Passagiere beantwortete, kümmerte ich mich fast ausschließlich um die Ortungsanlagen. Eine dumpfe Vorahnung, die vielleicht etwas mit meiner jüngst erwachten Seherfähigkeit zu tun haben mochte, beschlich mich. Bei jedem Sektor, den ich absuchte und in dem ich keine verdächtigen Hinweise fand, legte sich meine Unruhe wieder etwas. Aber ein Rest Sorge blieb. Da ich das Schiff und meine Helfer nicht allein lassen wollte, schied eine neuerliche Wanderung meines Bewußtseins vorerst aus. Das Überlichttriebwerk der FASTRAP arbeitete fehlerfrei, und nach zwei Tagen tauchte vor mir die Sonne Auxon auf den Bildschirmen auf. Ein Gefühl der Sehnsucht griff nach mir, als aus einem kleinen Ortungsreflex sich langsam aber stetig der Planet Vasterstat herausschälte. Ich erklärte meinen neuen Freunden, wo wir waren. Als ich zur Landung ansetzte, fingen meine ständig betriebsbereiten Hyperfunkempfänger erstmals Signale auf. Dumpfe und grollende Stimmen erklangen in einer unverständlichen Sprache. Aus irgendwelchen technischen Gründen war es mir nicht möglich, dazugehörige Bilder darzustellen, obwohl diese Sendungen zweifellos nach den Parametern einen Bildanteil enthielten. Die Übersetzungseinrichtung der FASTRAP, die ich noch nicht erprobt hatte, reagierte nicht. Entweder waren die aufgenommenen Texte vom Umfang her nicht ausreichend oder der Translator hatte einfach Schwierigkeiten. Dann brachen die Sendungen wieder ab. Ich mußte mich sowieso um die Landung kümmern. Meine Begleiter verstanden nicht, warum ich plötzlich unruhig geworden war, und ich verschwieg ihnen meine Ahnungen einer neuen Gefahr noch. Bei der Wahl meines Landeplatzes mußte ich mich weitgehend an meine Erinnerungen halten, denn ich war nicht mehr im Besitz irgendwelcher Karten oder Aufzeichnungen aus der früheren Zeit. So setzte ich die FASTRAP in einer Steppe ab, die an einen Urwald
angrenzte. Wenn mich nicht alles täuschte, so war dort, wo jetzt die Wildnis üppig wucherte, früher einmal das mächtige Massiv der Berge der Ewigkeit gewesen, wo tief im Innern die alte Station lag. Mit den Bordmitteln hatte ich mir schon längst einen Kodegeber gebaut, auf den die im Ruhezustand befindlichen Einrichtungen robotischer Natur hoffentlich reagieren würden. Wir verließen alle zusammen die FASTRAP. Die Pers-Oggaren zeigten unverhohlen ihre Neugier, denn sie konnten sich nicht so recht vorstellen, was nun geschehen sollte. Ich baute das kleine Gerät auf und überprüfte noch einmal seine Funktion. Dann gab ich das verabredete Kennwort ein, das die Anlagen wieder aktivieren sollte. Ein unsichtbarer Energiestrahl verließ den Kodegeber und trug die Worte AUXONIA und WYSTEREIN hinaus. Nun mußte ich warten. Ich hatte keine Vorstellung über die Zeit, die vergehen würde, bis die Robotanlagen sich meldeten. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Mein einziger Trost waren ein paar schäbige Ortungsergebnisse, die ich mit den Anlagen der FASTRAP erzielt hatte. Danach gab es die metallischen Ansammlungen in der Tiefe der Planetenkruste wohl noch. Als meine Begleiter schon unruhig wurden, passierte endlich etwas. Aus dem nahen Urwald schwebte in niedrigem Flug ein Gleiter heran. Ich erkannte in dem offenen Gefährt Mnemofax VII, einen der wenigen alten Roboter, die ich damals auf Vasterstat halbaktiviert zurückgelassen hatte. Der Gleiter hielt auf uns zu, und Mnemofax VII sprang heraus. »Wer von euch hat gerufen?« fragte er barsch und musterte die Pers-Oggaren. Seine Außenhülle sah arg mitgenommen aus. Es war wohl ein Wunder, daß er überhaupt noch funktionierte. »Ich habe den Ruf abgestrahlt, Mnemofax«, antwortete ich und schwebte mit dem Antigravorgan auf ihn zu. Sein Waffenarm zuckte hoch, aber ich erzeugte schnell ein paar Arme, die denen der Pers-Oggaren glichen und machte damit Gesten der Beschwichtigung.
»Du wirst mich nicht erkennen, alter Gefährte«, erklärte ich. »Aber ich bin Wysterein, dein Herr.« »Wir hatten ein zweites Kodewort zur Identifizierung vereinbart«, erklärte der Roboter. »Wenn in dir Wysterein stecken sollte, der einmal unser Oggar werden sollte, dann mußt du dieses Wort kennen.« Statt einer Antwort deutete ich auf das Diskusschiff in meinem Rücken. Die optischen Sensoren von Mnemofax VII lasen, was ich unter der transparenten Kanzel eingebrannt hatte. Dann blickte er mich an und sagte: »Willkommen, Oggar. Es gibt viel zu tun. Du hast Pers-Oggaren mitgebracht. Du wirst sie brauchen.« Er gab ein unhörbares Signal, und mehrere unbemannte Gleiter kamen aus dem Wald, um meine Begleiter und Helfer aufzunehmen. Mnemofax VII flog voran. Ich folgte ihm in sein unterirdisches Reich mit der FASTRAP.
7. Zwei Tage später war ich schon wieder unterwegs, um die restlichen Pers-Oggaren zu holen. Aufmerksam lauschte ich während des Hinflugs auf die Hyperfunkempfänger, denn das drohende Gefühl einer Gefahr beschlich mich auch jetzt immer noch. Zwar nahm ich verschiedene verschwommene Sendungen auf, aber diese waren so unklar, daß ich nichts entziffern konnte. Daß jemand im Kernbereich von Pers-Mohandot Hyperfunk anwendete, stand jedoch fest. Nach meinem bisherigen Kenntnisstand war dies unmöglich, denn seit der Vernichtung der blühenden Zivilisation der Pers-Oggaren hatte es kein technisch so hochstehendes Volk hier mehr gegeben. Aus diesem Grund betrachtete ich auch meine Aufgabe und ihre Bedeutung. Das Wesen, das man heute Hidden-X nannte, hatte für den Untergang
des pers-oggarischen Reiches gesorgt. Damit war es zu meinem Feind geworden, und damit stand auch fest, daß ich alles tun mußte, um mein Volk zu neuer Blüte zu führen. Mit den wenigen Überlebenden aus jener Zeit, die durch die Umstände in Primitivität zurückfallen mußten, war das unmöglich. Der alte Geist mußte neu erwachen. Dazu gehörte einfach Vasterstat, die Wiege meines Volkes. Als ich mich mit weiteren 50 Pers-Oggaren an Bord dem AuxonSystem bis auf zehn Lichtjahre genähert hatte und routinemäßig in den Normalraum zurückkehrte, sprachen sofort die Empfänger an. Ich stoppte meinen Flug. Die aufgenommenen Signale waren so deutlich, daß die Entfernung zu den Sendern trotz geringer abgestrahlter Leistungen nicht mehr allzu groß sein konnte. Ich schaltete den Translator auf die Empfänger und wartete darauf, daß er die Sprache erkennen konnte. Inzwischen versuchte ich den Bildempfang zu justieren. In diesem Punkt war die druggerische Technik etwas zu rückständig, so daß es mir auch diesmal nicht gelang. Dafür sprach plötzlich der Sprachanalysator an. Die Übersetzung war noch etwas holprig, aber verständlich. »… ist ein Befehl von Vizeadmiral Zaut-Zy. Die GLORIA wird selbst eingreifen, wenn sich eine Spur vom Wiedererstarken dieser Pers-Oggaren zeigen sollte. Die Koordinaten des Zieles sind unbekannt. Deshalb ist auf jede Bewegung im Raum zu achten und sofort zu berichten. Es folgen jetzt Bilder vom Aussehen der PersOggaren, damit auch die Zyaner, die neu aus dem anderen Raum gekommen sind, informiert werden. Mit dieser Durchsage und Information tritt wieder die generelle Funkstille ein.« Es folgten die Quittungen von etwa 20 »Kommandanten«, und dann war wieder Ruhe auf allen Hyperfrequenzen. »Was hat das zu bedeuten?« fragte mich einer der Pers-Oggaren. »Ihr braucht euch nicht darum zu kümmern, Freunde.« Ich hielt es für besser, noch keine Information an meine Helfer weiterzugeben.
»Jetzt bringe ich euch nach Vasterstat.« Den Rest meines Fluges richtete ich so ein, daß ich ihn in einer einzigen Etappe bewältigte, um den Unbekannten, die sich Zyaner nannten, keine Möglichkeit der Ortung zu geben. FASTRAP tauchte wenig später in unmittelbarer Nähe der Sonne Auxon auf, die mir mit ihren Hyperkomponenten zugleich einen Schutz bot. Den Flug nach Vasterstat legte ich dann mit gedrosseltem Antrieb zurück. Das erforderte zwar etwas mehr Zeit, war aber wieder der sicherste Weg, um unentdeckt zu bleiben. Da die Hyperfunkempfänger auch jetzt stumm blieben, nahm ich an, daß mein Manöver erfolgreich gewesen war. Ich setzte die PersOggaren in der Station ab und versammelte ein paar meiner neuen Leute und dazu Mnemofax VII. »Ich muß euch wieder verlassen«, erklärte ich. »Es geschehen Dinge in Pers-Mohandot, die mich zum sofortigen Handeln zwingen, denn sehr wahrscheinlich ist unser Vorhaben bedroht. Baut die Station wieder auf, rodet Wälder und legt Felder für die zukünftige Saat an. Die Einrichtungen der Station werden euch behilflich sein, euch anlernen und einweisen. Ich weiß nicht, wann ich zurückkehre, aber sorgt euch nicht, wenn euch die Zeit zu lang wird. Ich bin ein Seher, und ich werde notfalls ohne Körper oder in einem anderen Körper wieder auftauchen. Ich weiß mein Projekt bei euch in guten Händen. Baut die Zentrale aus, und seid wachsam. Traut keinem Fremden, der nicht unsere Codeworte kennt. Bis später.« Die unbedarften Pers-Oggaren starrten mich etwas verwundert an, aber es erhob sich kein Widerspruch. Wenn der alte Geist meines Volkes in ihnen lebte, dann würden sie es schaffen. Von dieser Gewißheit konnte ich ausgehen. Ich mußte wissen, wer diese geheimnisvollen Zyaner waren, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Automatisch mußte ich annehmen, daß sie nicht aus Pers-Mohandot stammen konnten, denn ihre Sprache wirkte völlig fremd auf mich. Wenn sie außerdem
nach Vasterstat suchten oder nach Pers-Oggaren, dann mußte ich sie auf eine falsche Fährte locken, damit meine Leute genügend Zeit für die erste Phase des Neuaufbaus bekamen. Ich verließ das Auxon-System auf die gleiche Weise, so daß ich mich einer Entdeckung wohl entziehen konnte. Dann programmierte ich einen Kurs zu dem ehemaligen Kolonialplaneten Zwaach-Egerlin, von dem ich wußte, daß er noch zahlreiche erhaltene Bauten und Anlagen aus der Vergangenheit hatte. Dort lebten aber keine Pers-Oggaren mehr, und auch bei meinem letzten Besuch dort hatte ich keine andere intelligente Lebensform auf Zwaach-Egerlin entdecken können. Nahe der äußeren Planetenbahn des Systems kehrte ich ziemlich plump in den Normalraum zurück und begann sofort, einen vorbereiteten und einfach verschlüsselten Funkspruch mit Richtstrahl nach dem Planeten abzusetzen. Darin kündigte ich meine Ankunft an und bat darum, die unüberwindlichen Sperrfelder für die Dauer von fünfzehn Minuten abzuschalten. Eine Sonde, die ich gleichzeitig nach Zwaach-Egerlin geschickt hatte, simulierte die Antwort und teilte mir den Zeitpunkt der Öffnung der Abwehrschirme mit. Nun wartete ich auf einem kosmischen Trümmerbrocken, der teilweise ausgehöhlt war, auf das, was geschehen würde. Vorsichtig, wie ich nun einmal war, schaltete ich sämtliche Energiesysteme der FASTRAP ab. Auch die Positronik wurde praktisch auf Null gesetzt. Dann zog ich meinen druggerschen Raumanzug über und kletterte auf den Felsbrocken, um von dort mit optischen Mitteln eines Passivverstärkers zu verfolgen, was geschah. Zwaach-Egerlin war etwa zwei Lichtminuten von mir entfernt und als kleiner Lichtfleck deutlich zu erkennen. Bis zu dem angekündigten Zeitpunkt, zu dem die Abwehrschirme abgeschaltet werden sollten, waren es nur noch wenige Minuten. Geduldiges Warten und der Verzicht meiner Fähigkeiten als Seher (die mir zeitlich so nah an einem Ereignis nur wenig genützt hätten)
bereiteten mir keine Probleme. Ich verankerte mich mit künstlicher Schwerkraft an dem Asteroiden, denn dessen Anziehungskraft war kaum spürbar. Meine Gedanken glitten ab zu Atlan und der SOL, die, so vermutete ich wenigstens, noch im Kampf mit Hidden-X standen. Ich hoffte inständig, daß dem Arkoniden ein entscheidender Sieg vergönnt war, damit diese böse Macht nicht wieder meine Pläne beim Wiederaufbau von Pers-Mohandot kreuzen würde. Die Anwesenheit der Fremden, die sich Zyaner nannten, deuteten darauf hin, daß meine Hoffnung unbegründet war. Fast hätte ich über meinen Grübeleien meine aktuelle Situation ganz vergessen. Die Schiffe der Angreifer konnte ich mit meinen augenblicklichen Mitteln weder sehen noch orten. Das Aufflammen des kleinen Lichtflecks Zwaach-Egerlin zu einer lohenden Kugel entging mir jedoch nicht. Plötzlich stand da eine zweite Sonne an dem pechschwarzen Firmament. Ich wußte nun, daß mein relativ primitiver Plan aufgegangen war. Die Zyaner hatten meine Funksendungen empfangen und daraus geschlossen, daß ZwaachEgerlin der Stützpunkt der Pers-Oggaren war. Und sie hatten diese Welt schlagartig mit allen Mitteln angegriffen und vernichtet. Die Grausamkeit dieser Vorgehensweise ließ mich innerlich erschaudern, aber ich hatte nun die berechtigte Hoffnung, daß Vasterstat für die nächste Zeit, vielleicht für immer, unentdeckt bleiben würde. Damit war das Problem freilich nicht gelöst, überlegte ich weiter. Die Gefahr einer Entdeckung war zwar gemildert, sie bestand aber noch. Und eigentlich wußte ich über diesen Feind nichts. Ich kannte weder sein Aussehen noch seine Motivation. Da ich im Augenblick eine Rückkehr nach dem Auxon-System sowieso noch nicht wagen konnte, entschloß ich mich dazu, die FASTRAP in ihrem Versteck zu belassen. Ich kletterte wieder an Bord und instruierte die Positronik. Diese wollte zwar nicht so recht einsehen, daß ich mit meinem Körper an
Bord bleiben wollte und dennoch selbst verschwand, so daß ich eine Änderung in der Basisprogrammierung durchführen mußte. Dann klappte das. Ich gab die Anweisung, die FASTRAP unter keinen Umständen und für niemand zu öffnen und ständig für eine gute Atemluft zu sorgen. Nahrung brauchte ich während der Abwesenheit meines Bewußtseins nicht. Die Schutzschirme sollten nur zugeschaltet werden, wenn eine unabwendbare Gefahr drohte. Für diesen Fall hatte die Positronik viel Entscheidungsfreiheit, aber sie durfte niemand an Bord lassen. Ansonsten galt auch weiterhin, daß jede unnötige Abstrahlung von Energie vermieden werden mußte. Schließlich glaubte ich, alles Erdenkbare an Vorsichtsmaßnahmen getroffen zu haben. Ich legte mich in den Kontursessel und schnallte mich an. Dann gab ich meinem Bewußtsein einen Ruck. Die Orientierungsboje, ein Bruchteil meines Ichs, blieb zurück und klammerte sich an das Geistesherz des Druggerkörpers. Ich selbst aber glitt davon, hinaus in Raum und Zeit, ohne deren Grenzen zu spüren. Ich fühlte mich unbeschreiblich und geriet in einen Rausch, der mich an die ungezügelte Tatkraft und Energie meiner Jugend erinnerte. Wieder verlor die real verstreichende Zeit fast jegliche Bedeutung, und ich mußte mir einen Impuls der Besinnung geben, um mich an meine eigentliche Aufgabe zu erinnern. Es galt, die Zyaner zu finden und ihre Absichten zu erkennen. Sie stellten im Augenblick die entscheidende Bedrohung für mich dar. Der Glutball des untergegangenen Planeten Zwaach-Egerlin strahlte auch jetzt noch so stark, daß er mir eine ausgezeichnete Orientierungshilfe bot. Daß ich im körperlosen Zustand über ausgezeichnete Sinne verfügte, war mir bekannt. Ich rätselte über diese eigentlich unerklärbare Tatsache nicht mehr nach, denn auch Fastrap hatte mir dies bei seinen Lehren in der Vergangenheit oft gesagt. Auch er hatte diese wunderbare Fähigkeit der Seher nicht deuten können.
Ich befand mich bereits ein paar Tage in der Zukunft. So eilte ich gleichzeitig in Richtung Zwaach-Egerlin und auch wieder in Richtung Realgegenwart. Der instinktive Sog der Orientierungsboje wurde spürbar, aber ich konnte ihn abblocken, da ich weit genug von meinem Körper entfernt war. Hier, nahe der Realgewalt, hoffte ich die Zyaner zu treffen. Sie mußten bei ihrem brutalen Angriff schließlich in die Nähe des untergegangenen Planeten gekommen sein. Ich streifte durch das Sonnensystem und öffnete mein Bewußtsein, so weit es ging. Zunächst spürte ich nichts. Dann drang etwas Fremdartiges in mich hinein. Es dauerte eine Weile, bis ich in der Lage war, zwischen den einzelnen Gedanken der Zyaner zu unterscheiden. Dann drangen auch ihre individuellen Empfindungen zu mir durch. So begann ich mit der Suche nach einem Bewußtsein, mit dem ich mich verwandt fühlte, ähnlich wie es seinerzeit bei Sternfeuer und Cpt'Carch der Fall gewesen war. Ein Erfolg stellte sich zunächst nicht ein, denn es waren zu viele Eindrücke, die auf mich hereinprasselten. Ich stellte diese Bemühungen ein und versuchte stattdessen, mich räumlich näher an die Zyaner zu bewegen. Das war einfach. Ich entnahm einiges an Grundwissen aus dem Gedankendurcheinander und erfuhr so, daß das Flaggschiff GLORIA mit dem Vizeadmiral Zaut-Zy diesen Verband von 51 Raumschiffen anführte. Dann geriet ich in die Nähe dieser Schiffe, die mir trotz allen Bemühens verschlossen blieben. Ich konnte nur feststellen, daß die Flotte sich nach dem erfolgreichen Angriff auf Zwaach-Egerlin zum Abflug formierte und startete. Das Ziel lag irgendwo in Richtung des Zentrums von PersMohandot oder dahinter. Körperlos schloß ich mich dem Verband an. Natürlich versuchte ich, mich dem Flaggschiff GLORIA zu nähern. Das Herausfinden dieser Einheit war schwieriger, denn noch immer konnte ich nicht genau unterscheiden, welches Schiff welches war.
Die Zyaner strahlten eine große Fremdartigkeit aus. Umso überraschter war ich, daß ich plötzlich eine deutliche Affinität mit einem Bewußtsein spürte. Es handelte sich dabei zweifelsfrei auch um einen Zyaner, und zwar um einen männlichen. Warum gerade dieser eine der Fremden so verwandtschaftlich auf mich wirkte, blieb ein Rätsel. Ich versuchte auch gar nicht, dieses zu lösen, denn ich wußte aus meiner Erfahrung mit der Solanerin Sternfeuer und Cpt'Carch, daß es solche Bindungen einfach gab und daß sie sich nicht erklären ließen. Diesem Zyaner konnte ich mich nun zielstrebig nähern. Damit veränderte sich auch meine Umgebung. Ich wechselte aus dem freien Weltraum in das Innere eines zyanischen Schiffes. Nun drang ich in Körper und Bewußtsein dieses Wesens ein. Ich ging dabei so behutsam vor, daß dieser es nicht bemerken konnte. Ich belauerte ihn sozusagen aus nächster Nähe, um ein paar grundsätzliche Informationen in Erfahrung zu bringen und um zu prüfen, ob eine vollständige Übernahme seines Körpers für eine begrenzte Zeit möglich sei. Der Zyaner hieß Gyar-Ya, und er war der Waffenmeister des zyanischen Flaggschiffs GLORIA. Der Name GLORIA war nur bedingt richtig, stellte ich dann fest. Er stammte ja von dem Translator der FASTRAP, der nicht besonders hochwertig war. Nun erkannte ich die Bedeutung der zyanischen Sprache mit meinen eigenen Möglichkeiten, und da stand für den Schiffsnamen »YthlooEtmall-Pysteron« meine Übersetzung »Der leuchtende Schein des alleswissenden Admirals von Bars, der Ewigsiegende«. Mir gefiel der Name GLORIA besser, und so behielt ich ihn bei. Was mit Bars gemeint war, konnte ich nur vermuten. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um das Heimatsystem der Zyaner. Jedenfalls war auch dieser Name neu für mich. Immerhin hatte mich der Zufall so in das Flaggschiff gebracht, und ich wähnte mich meinem Ziel schon ein Stück näher. Eine Entdeckung brauchte ich nicht zu befürchten, denn für die Zyaner
war ich ganz und gar nicht vorhanden. Gyar-Yas Bewußtsein würde mir nicht widerstehen können, das ließ sich abschätzen. So wagte ich den zweiten Vorstoß und klammerte das Bewußtsein meines Wirtskörpers ein. Gleichzeitig übernahm ich sein Wissen und konnte mit seinen Sinnesorganen wahrnehmen. Da kein anderer Zyaner in der Nähe war (das wußte Gyar-Ya und damit war es nun auch mir bekannt), hatte ich etwas Zeit, um die Umstände zu studieren. Mit Verblüffung stellte ich fest, daß Gyar-Ya keine exakte oder bewußte Erinnerung an sein früheres Leben besaß. Er war nach den Maßstäben der Solaner etwa 60 Jahre alt, aber sein Wissen begann erst vor einer kurzen Zeitspanne von einigen Monaten oder vielleicht ein oder zwei Jahren. Es gab keine Erklärung für diesen Umstand. Die Fähigkeiten, die Gyar-Ya in seinem unbekannten »Vorleben« erworben hatte, waren diesem jedoch verblieben. Es konnte also nicht so sein, daß ihm einfach die Erinnerung genommen worden war. Die Zyaner waren ein entfernt hominides Volk. Äußerlich glichen sie Echsen, die etwa eine Größe von zwei Metern erreichten und aufrecht auf zwei Beinen gingen. Der grüngrau geschuppte Körper besaß auch zwei Arme. Nur die Gesichtsfläche und die Innenseiten der fünffingrigen Hände waren ohne Schuppen. Auf der Kopfoberseite standen diese wie dicke und borstige Haare kreuz und quer in die Höhe. Der Mund war für solanische Verhältnisse überbreit und verfügte über ein raubtierartiges Gebiß. Eine eigentliche Nase besaßen die Zyaner nicht, wohl aber zwei Atemlöcher über dem Mund. Die Ohren waren klein und lagen in den Schuppen verborgen. Da der Kopf ohne Hals auf dem Rumpf saß, war er nur wenig beweglich. In der Regel verdrehten die Zyaner den ganzen Oberkörper, um in eine bestimmte Richtung zu blicken. Arme und Beine waren muskulös und kräftig, aber im Vergleich zu dem ganzen Körper etwas zu kurz geraten.
Aus einem Lautsprecher hörte ich die Durchsagen des Vizeadmirals Zaut-Zy, und ich erkannte die dumpfe und grollende Stimme wieder, die ich bei meinem Anflug auf Vasterstat gehört hatte. Der Herr dieser Flotte sprach in knappen Worten seine Anerkennung für den überwältigenden Sieg aus und verlangte für die Zukunft noch mehr Einsatzbereitschaft, Mut und Tatkraft. Es waren Worte, wie ich sie schon oft von absolutistischen Regenten gehört hatte. Ich bewegte mich in dem Arbeitsraum Gyar-Yas hin und her, um mich mit der vollen Beherrschung dieses Körpers vertraut zu machen. Der Gang ließ sich nur schwankend durchführen, denn die Beine waren nach meinem Empfinden einfach zu kurz. Dennoch waren schnelle und geschmeidige Bewegungen möglich. Einen Schwanz, wie ihn fast alle Echsenwesen besaßen, hatten die Zyaner nicht, so daß ich mich nicht zusätzlich abstützen konnte. Meine Kleidung bestand aus einer lederartigen Substanz. Zahlreiche Instrumente und Handwaffen hingen an dem Körper, die Gyar-Ya für seine Arbeiten und Aufgaben in der Waffenzentrale benötigte. Über das Volk selbst besaß der Zyaner nur wenig Wissen. Etwa 100.000 dieser Echsenwesen lebten zur Zeit in Pers-Mohandot und »in dem anderen Raum«. Mit dieser Aussage konnte ich nur wenig anfangen. Sie blieb vorerst ein weiteres Rätsel. Eine Heimatwelt kannte Gyar-Ya nicht, aber er wußte, daß es eine solche gab. Dieser Widerspruch stand im Einklang mit dem fehlenden Wissen aus der Zeit vor seiner Ankunft in Pers-Mohandot. Die hiesigen Zyaner gehörten ausnahmslos zu dem Kampfverband, den der Vizeadmiral Zaut-Zy befehligte. Das Führungssystem war diktatorisch, und über dem Vizeadmiral stand derzeit noch ein anderes Wesen, über das Gyar-Ya nichts Genaues wußte. Für ihn stand nur fest, daß dieses Wesen »in dem anderen Raum« lebte und daß es sehr mächtig war. Ein erster schrecklicher Verdacht drängte sich mir auf, aber GyarYas Wissen enthielt nicht das Wort Hidden-X.
Auf einem Bildschirm wurde eine kleine Sonne mit zwei Planeten schnell größer. Der Zyaner kannte die Namen dieser Gestirne. Die Sonne wurde Deignar genannt, und die Planeten hießen bei den Echsenwesen Stützpunkt I und Stützpunkt II. Diese beiden Welten bildeten, wie ihre Namen schon sagten, das Domizil der Zyaner. Sie hatten sie in waffenstarrende Festungen verwandelt, um ein Objekt zu schützen, das sie die Dimensionsspindel nannten. Dieses Objekt konnte ich jedoch nicht entdecken, während wir Stützpunkt II anflogen. Kurz vor der Landung der Flotte meldete sich der Vizeadmiral erneut. Er teilte der Besatzung der GLORIA mit, daß das Flaggschiff nicht landen würde. Man würde durch die Dimensionsspindel »in den anderen Raum« fliegen, weil Zaut-Zy eine Botschaft zu überbringen hätte. Ich merkte, daß ich dem Geheimnis der Zyaner immer mehr auf die Spur kam.
8. Nach einem kurzen Aufenthalt im Orbit von Stützpunkt I startete die GLORIA wieder. Für mich (beziehungsweise für Gyar-Ya) gab es wenig zu tun. Ich nahm Meldungen von verschiedenen Sektionen des Flaggschiffs entgegen, die besagten, daß nach dem Einsatz auf Zwaach-Egerlin die Waffensysteme gewartet und in einen kampfbereiten Zustand versetzt worden waren. Allmählich ließen auch diese Routinemeldungen nach. Ein Roboter auf vier Rädern brachte mir eine Mahlzeit, die ich dem Zyanerkörper auch gern gönnte. Da es sich vorwiegend um fleischliche Nahrung handelte, kapselte ich mein Geschmacksempfinden jedoch ab, denn diese entsprach weder meinen ursprünglichen pers-oggarischen Bedürfnissen noch denen meines jetzigen Druggerkörpers. Auf mehreren ständig aktivierten Bildschirmen konnte ich den
Flug der GLORIA verfolgen. Für mich war alles neu. Gyar-Ya dachte jedoch über diese Geschehnisse fast gar nicht nach. Für ihn war die Dimensionsspindel »nur ein notwendiges Objekt«, über das er nicht viel wußte. Er kümmerte sich nur um seine Aufgabe, da überflüssiges Denken oder gar das Nachgrübeln über die unbekannte Vergangenheit oder über die Aufgaben anderer oder den Sinn dieser Mission streng verboten waren. Es war mir ein Rätsel, wie der Zyaner all diese Überlegungen von sich ferngehalten hatte. Ich spürte die panische Angst vor dem Tod, der die unweigerliche Folge gewesen wäre, wenn er gegen diese Regeln verstoßen würde. Ohne eine äußere Beeinflussung war ein solches Geistesverhalten jedenfalls nicht zu deuten. Die rote Sonne Deignar kam schnell näher. Die GLORIA flog etwa mit halber Lichtgeschwindigkeit auf den Himmelskörper zu. Aus der Zentrale kam ein Kommando. Die Schutzschirme wurden eingeschaltet und eine bedingte Kampfbereitschaft hergestellt. Letzteres war, das hatte ich Gyar-Yas Wissen entnommen, eine übliche Vorsichtsmaßnahme, weil man sich nun der Dimensionsspindel näherte. Als wir uns schon am Rand der schwachen Protuberanzen von Deignar befanden, wurde die Fahrt abgebremst. Die Dimensionsspindel kam in Sichtweite, und ich betrachtete staunend dieses Objekt, dem Gyar-Yas Bewußtsein keine größere Bedeutung beimaß, als es für einen kleinen Gleiter der Fall sein mußte. Die Spindel trug diesen Teil ihres Namens zu Recht. Zwei Kegelstümpfe von je etwa 1100 Metern Länge ragten mit ihren kleinen Grundflächen in den Hauptkörper, der einem abgerundeten Quader glich. Das ganze Gebilde war rein technischer oder künstlerischer Natur. Die Oberfläche war mit einer unüberschaubaren Vielzahl von Platten, Waffen, Energieabsorbern und anderen Auswüchsen bedeckt. Da die GLORIA in unmittelbarer Nähe der Dimensionsspindel anhielt und zunächst nichts Bemerkenswertes geschah, hatte ich
Zeit, alle Eindrücke in mich aufzunehmen. Ich erkannte Aggregate, die zweifellos Schutzschirmprojektoren waren, und solche, die mich an die solanischen Transformkanonen erinnerten. Die hier verwendete Technik war mir jedoch unbekannt. Ich war mir nun noch sicherer, daß sie nicht aus Pers-Mohandot stammen konnte. Ich justierte eine Entfernungs- und Maßskala auf das Bild, um die Größe der Spindel noch besser abzuschätzen. Ihr größter Durchmesser im Mittelteil betrug etwa 1700 Meter. Die großen Grundflächen der beiden äußerlich identischen Kegelstümpfe durchmaßen etwa 1300 Meter. Hier war etwas besonders Auffälliges festzustellen, denn in diesen Flächen gähnten dunkle kreisrunde Löcher, die tief in die Dimensionsspindel hineinliefen. Obwohl ich im Augenblick nur eine solche Grundfläche sehen konnte, drängte sich mir die Vorstellung auf, daß sich diese fast 600 Meter durchmessende Röhre durch das ganze Objekt zog. Ich begann im Wissen Gyar-Yas nachzuforschen. Dabei mußte ich seine panische Angst überwinden, sich mit Unerlaubtem zu befassen. Er wehrte sich mit allen Mitteln, aber ich entriß ihm eine Menge an Informationen. Die Dimensionsspindel diente nur einem einzigen Zweck, nämlich dem Überwechseln »in den anderen Raum«. Auch in dieser Beziehung trug sie also ihren Namen mit allem Anspruch. Die gähnenden Öffnungen in den Böden der Kegelstümpfe waren normalerweise durch energetische Felder verschlossen. Hierfür besaß die Spindel eigene Projektoren. Zusätzlich schützten sogenannte Hy-Bombenwerfer die Eingänge vor unbefugten Benutzern. Damit war das Sicherheitssystem aber noch nicht komplett. Es folgte im ersten inneren Ring ein weiterer Objektprüfer, der über eine Vernichtungsschaltung verfügte, die auch nach dem Einflug in die Röhre noch aktiviert werden konnte. Die Maschinen und Hyperaggregate im Innern bewirkten eine energetische Aufladung, die ein Objekt, das die Dimensionsspindel passierte, stufenweise auflud und damit dem Universum
entfremdete, aus dem es kam. Eine vollautomatische Steuereinrichtung regelte den gesamten Prozeß. In deren Nähe gab es auch etwas, das dem Empfang von mentalen Weisungen diente, die derjenige aussenden konnte, der über dem Vizeadmiral stand, sowie eine Korrektureinrichtung, die bestimmte, in welche Daseinsebene ein Objekt befördert werden sollte. Möglicherweise konnte man also mit der Dimensionsspindel auf ganz verschiedene Daseinsebenen wechseln. An weiteren wichtigen Aggregaten waren Hyperenergiezapfer, ein Ausgleichsystem für verschiedene Zeitabläufe und ein Verankerungssystem der Spindel an einem bestimmten Platz zu erwähnen. Letzteres arbeitete zur Zeit mit der Sonne Deignar zusammen, so daß die Spindel eine feste Position besaß. Alles in allem stellte sie ein Produkt einer sehr hochstehenden Technik dar, ein waffenstarrendes Ungeheuer, das mit einer Seite in die Korona des Sternes ragte. Plötzlich begann der mir abgewandte Kegelstumpf zu verschwimmen. Zuerst dachte ich, daß das Metall von den Protuberanzen verdeckt wurde, dann aber sah ich, daß es sich scheinbar auflöste. Der hintere Kegelstumpf blieb noch schemenhaft sichtbar. Seine Konturen verschwammen in eine unbegreifliche und rätselhafte Energieform. Gleichzeitig begann die Öffnung des mir zugewandten Stumpfes sanft aufzuglühen. Der rötliche Schimmer vermischte sich mit dem grellen Licht Deignars, das ohnehin von den Filtern der optischen Anlagen der GLORIA gedämpft wurde. Also mußte das Innere der Röhre nun noch gewaltiger strahlen. Über dem Hyperenergiezapfer des Mittelteils entstand ein blaues Flimmern, ein deutliches Zeichen, daß der Sonne riesige Energien entzogen wurden. Die Aufladungen wurden immer stärker, aber der schemenhafte Kegelstumpf blieb auch jetzt noch in gewisser Hinsicht erkennbar. Was ich bereits ahnte, geschah nun. Die GLORIA setzte sich in
Bewegung und glitt in langsamem Flug auf die leuchtende Öffnung zu. Daß dazu keine Kommandos aus der Leitzentrale zu hören waren, ließ mich vermuten, daß auch dieser Vorgang von der Dimensionsspindel aus gesteuert wurde. Die Waffentürme am Eingang folgten jeder Bewegung des Schiffes. Ich meinte das Prasseln der Energie körperlich zu hören, aber das mußte einfach ein Trugschluß sein, der von den phantastischen Bildern erzeugt wurde, von denen ich mich nicht wenden konnte. Als die GLORIA in die Spindel eindrang, empfand ich eisige Kälte. Auch darin sah ich nur eine Gefühlstäuschung, obwohl ich nicht ausschließen konnte, daß mein Seher-Bewußtsein einfach unnormal auf diese Ereignisse reagierte. Wie im Zeitlupentempo zogen die Innenwände auf den Bildschirmen vorbei. Verschiedenfarbige Zonen wurden passiert. Längst mußten wir im Mittelteil angekommen sein, aber noch war kein Ende dieser Röhre abzusehen. Wieder wechselten die Farben der Energiefelder, die die GLORIA passierte. Das Zyanerschiff begann sich zu schütteln, als sich der Ausgangskegel in mein Blickfeld schob. Gleichzeitig begann der Teil der Spindel zu verschwimmen, der nun hinter dem Schiff lag. Dies war die Grenze zwischen den beiden Dimensionen, das wurde mir bewußt. Der eigentliche Wechsel vollzog sich ähnlich wie die Aufladungsphase, aber ich merkte dennoch mit meinen SeherSinnen, daß sich etwas verändert hatte. Die letzte Bindung zu meiner Orientierungsboje wurde zerrissen. Die Zeit schien stillzustehen oder davonzurasen. Ich konnte es nicht genau definieren, aber etwas war einfach anders. Die Fahrt durch das letzte Drittel der Dimensionsspindel vollzog sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Beschleunigte die GLORIA? Ich fand keinen konkreten Hinweis darauf, aber es mußte wohl so sein. Dann nahm uns der Weltraum wieder auf. In der Nähe stand eine lodernde Sonne, die aber keinesfalls der Stern Deignar war. Ein
Drittel der Dimensionsspindel ragte aus den glühenden Plasmaströmen. Jetzt beschleunigte das Schiff wirklich. Ein leises Rumoren war aus der Tiefe des Rumpfes zu hören. Ich warf einen gründlichen Blick auf das, was die Bildschirme nun zeigten. Keinesfalls waren wir in einer anderen Galaxis erschienen, aber daran, daß dies der erwähnte »andere Raum« war, zweifelte ich nicht. Die Halbkugel des Zyanerschiffs raste davon. Die wenigen Sterne, die ich irgendwo in der Ferne ausmachen konnte, wurden zu Strichen. Dann gab ein Signal bekannt, daß wir in den Hyperraum wechselten. Gleichzeitig wurde die bedingte Waffenbereitschaft aufgehoben. Während der kurzen Hyperraumetappe, sie dauerte höchstens drei oder vier Minuten, konnte ich auf einem allgemeinen Ortungsschirm erkennen, wie dünn dieser Teil des »anderen Raumes« mit Sternen besät war. Genaue Messungen waren unmöglich, aber ich schätzte die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Sternen auf mehrere hundert Lichtjahre. Ein dumpfes Gefühl beschlich mich, und ich begann Reue zu empfinden, dieser Spur gefolgt zu sein. Mein Rems-Körper war unendlich weit entfernt, so weit, daß sich dies mit keiner Entfernungsangabe mehr beschreiben ließ. Die GLORIA fiel in das zurück, was hier wohl der Normalraum war. In unserer Nähe stand eine Sonne, aber das Ortungsbild zeigte keinen Planeten. Ich forschte in Gyar-Yas Erinnerung nach und erfuhr, daß er insgesamt einundzwanzigmal in dem »anderen Raum« gewesen war und nie einen Planeten gesehen hatte. Nie? Was, so mußte ich mich fragen, wollte Zaut-Zy, der Vizeadmiral, dann hier? Nach meinem Wissen war Leben stets in irgendeiner Form an Planeten gebunden, es sei denn … Ich brach den Gedanken ab, weil er mir Schmerzen auf geistiger Ebene bereitete. Dafür konzentrierte ich mich wieder auf den Flug
der GLORIA. Aus den Bewegungen der wenigen fernen Sterne erkannte ich, daß die Geschwindigkeit verringert wurde. In dem Raumgebiet, das wir ansteuerten, war jedoch nichts Bemerkenswertes auf dem Orterschirm zu erkennen. Es sei denn, jemand würde diese gähnende Leere als Besonderheit bezeichnen wollen. Aus der Zentrale kamen keine Kommentare oder Hinweise. Da Waffenruhe angeordnet war, folgerte ich daraus, daß uns hier keine Gefahr drohte. So lehnte ich mich in den Sessel zurück und ließ die Eindrücke der eingespielten Bilder auf mich wirken. Die Leere des umgebenden Raumes hatte etwas Sinnloses an sich. Mein Mißtrauen wuchs, und schließlich beschloß ich, diesem Rätsel auf die Spur zu gehen. Langsam trennte ich mein eigentliches Ich von dem umklammerten Bewußtsein Gyar-Yas. Dabei achtete ich sorgfältig darauf, daß keine Erinnerung an meine Anwesenheit zurückblieb. Als die Ablösung vollzogen war, beobachtete ich den Zyaner noch eine Weile, bis ich ganz sicher war, daß er unauffällig seinen normalen Tätigkeiten nachging. Da ich seinem Bewußtsein alle äußerlichen Eindrücke seit meiner Anwesenheit nicht vorenthalten hatte, konnte Gyar-Ya eigentlich keinen Verdacht schöpfen. Auch konnte ich mich darauf verlassen, daß er es gar nicht wagen würde, an andere Dinge zu denken als an die, die seine eigentliche Arbeit betrafen. Schließlich schwebte ich davon. Das Zurücklassen einer weiteren Orientierungsboje war unmöglich, wie ich feststellte. Ich war mir aber sicher, daß ich Gyar-Ya auch ohne dieses Hilfsmittel wieder aufspüren könnte. Das war wichtig, denn seit dem Durchflug durch die Dimensionsspindel fehlte der Kontakt zu meinem Druggerkörper. Meine Anwesenheit in dem Fremden hatte meine Sinne für die Äußerlichkeiten geschärft. Vielleicht lag es auch daran, daß hier nur ein einzelnes Raumschiff stand, das ich in seiner Form und materiellen Zusammensetzung nun gut erfassen konnte.
Die GLORIA war, wie ich schon aus dem Wissen Gyar-Yas entnommen hatte, eine Halbkugel. Die Grundfläche, die nach der künstlichen Gravitation unten war, war kreisförmig und hatte einen Durchmesser von 240 Metern. Damit war klar, daß das Schiff die Röhre der Dimensionsspindel mit ihren knapp 600 Metern bequem hatte passieren können. Da ich ferner wußte, daß dieses Flaggschiff der Zyaner deren größte Einheit war, stand auch fest, daß alle Halbkugelschiffe diesen Weg nehmen konnten, nicht jedoch die SOL oder eine ihrer Zellen, falls das Hantelschiff je noch nach Pers-Mohandot kommen sollte. Ich orientierte mich in der Flugrichtung der GLORIA, obwohl das Schiff praktisch stand. Irgendwo voraus mußte das Ziel dieser merkwürdigen Reise sein. Das stand für mich fest. Auch glaubte ich, daß dieses Ziel mit den Sinnen Gyar-Yas nicht feststellbar gewesen war. Folglich mußte ich mich auf die Wahrnehmungsmöglichkeiten stützen, die ich bei meiner körperlosen Wanderung hatte. Tatsächlich spürte ich voraus auch gewaltige Mengen von Materie, aber aus der momentanen Entfernung war nicht auszumachen, was dort wirklich war. Um mir eine Rückkehrmöglichkeit zur GLORIA und zu Gyar-Ya nicht zu verbauen, wollte ich feststellen, wie lange das Schiff noch hier weilen würde. Das mußte sich leicht durch einen kurzen Abstecher in die nahe Zukunft feststellen lassen. So sehr ich mich aber auch bemühte, es gelang mir nicht, mich zeitlich zu verändern. Dieser merkwürdige Raum mußte eine andere zeitliche Struktur besitzen, die mir ein Hindernis war. Vielleicht, so überlegte ich noch, lag es aber auch daran, daß ich gar keine Bindung mehr zu meinem Körper im heimatlichen Universum besaß. Ich mußte mich einfach auf mein Glück verlassen und außerdem schnell handeln. Sofort beschleunigte ich wieder in Richtung der festgestellten Materie. Diese kam schnell näher, und plötzlich durchstieß ich eine magische Grenze. Vor meinem geistigen Auge öffnete sich ein Bild der Unmöglichkeit.
In einem überschaubaren Raumgebiet standen Abertausende von großen und kleinen Planeten ganz eng zusammen. Das Bild war ohne jegliche Bewegung und war von daher schon ein Widerspruch in sich selbst, denn was neutralisierte die gewaltigen Gravitationskräfte, die hier wirken mußten? Wer oder was erzeugte den Tarnschirm, der diese Planeten sogar vor den Ortungssystemen der GLORIA verbarg? Und welchen Sinn hatte diese kosmische Unmöglichkeit? Rätsel über Rätsel! Mein Weg seit der Energieübergabe durch Chybrain war ein Weg des kontinuierlichen Fortschritts gewesen. Jetzt jedoch fühlte ich, daß ich in eine Sackgasse geraten war. Die Sterne dieser fremden Dimension besaßen keine Planeten, nach dem was ich beobachtet beziehungsweise aus dem Wissen des Zyaners entnommen hatte. Waren dafür alle denkbaren Welten ohne eine einzige Sonne an diesem Ort versammelt worden? Wer vermochte so gewaltige Veränderungen herbeizuführen? Ich streifte durch die leblos wirkenden Planeten hindurch. Manche standen so nah beieinander, daß sie sich fast berührten. Irgendwo, so vermutete ich, mußte es eine gigantische Maschine geben, die das alles in einem stabilen Gleichgewicht hielt. Davon fand ich jedoch keine Spur. Unsicherheit ergriff von mir Besitz. Die Wolke aus Planeten nahm kein Ende. Schließlich lenkte ich meinen Flug in eine seitliche Richtung, denn dort spürte ich wieder die Leere des Nichts. Ich verließ die Ansammlung von erstarrten Welten und wandte mich dem Rückflug zur GLORIA zu, als meine Sinne in unmittelbarer Nähe etwas erfaßten, das mich taumeln ließ. Wenige Gedankensprünge von mir entfernt strahlte ein künstliches Gebilde im Raum, dessen skurrile Formen ich nur zu gut kannte, denn diese Bilder verfolgten mich sogar in meinen tiefsten Träumen. Eine bizarre Anordnung von blanken Metallflächen und kleinen Spiegeln, und mitten darin der gewaltige große Spiegel. Das
Licht aus den Öffnungen brach sich mannigfach an den Nickelflächen. Das Flekto-Yn des Hidden-X!
9. Ich war noch benommen und lenkte mich wie in Trance auf das Gebilde zu. Meine unbewußten Gedanken rissen die nahe Vergangenheit wieder auf und mit ihr all das, was ich von Atlan und seinen Freunden erfahren hatte. Die Kette von Gedanken war von verblüffender Einfachheit. Nach dem Scheitern der Landschaft im Nichts, durch deren Einsatz die SOL entvölkert und in die Hände von Hidden-X gebracht werden sollte, hatte das mächtige Wesen das Hantelschiff gezielt von sich geschleudert – in eine fast unwirkliche und einsame Dimension: das Sternenuniversum! Es kannte dieses also! Nach den Attacken der SOL in der Zone-X hatte Hidden-X mit seiner Heimstatt die Flucht ergriffen. Wohin? In das Sternenuniversum! Diese Dimension, in der ich mich nun befand, konnte eigentlich nur das Sternenuniversum sein. Alle Anzeichen sprachen dafür, eines ausgenommen. Ich hatte diese gewaltige Ansammlung von Planeten entdeckt, von Planeten, die hinter einem Tarnschirm verborgen waren, so daß ich sie nur durch meine Seher-Fähigkeiten hatte finden können. Fast sah es so aus, als habe Hidden-X nahezu alle Planeten des öden Sternenuniversums an diesem Ort versammelt. Auf die Frage, welchen Sinn das haben konnte, fand ich jedoch keine Antwort. Etwas anderes wurde mir jedoch klar. Das Sternenuniversum (ich ging davon aus, das ich mich in diesem befand) unterlag nach den Feststellungen der SOL einem anderen Zeitablauf. Dieser war mit Bestimmtheit die Ursache dafür, daß ich mich hier nicht in gewohnter Weise durch die Zeit in die Zukunft bewegen konnte,
denn mein eigentlicher Zeitablauf war ja ein gänzlich anderer. Auch der Eigenzeitkorrektor der Dimensionsspindel bekam nun einen einleuchtenden Sinn. In irgendeiner Weise wurden die Passierenden an einen anderen Zeitablauf angepaßt. Ich trieb noch immer instinktiv auf das Flekto-Yn zu, während ich weitere Überlegungen anstellte. Atlan war es also nicht gelungen, diesen Erzfeind auszuschalten. Noch schlimmer, ich mußte annehmen, daß er sogar dessen Spur verloren hatte. Die SOL hatte schon erhebliche Schwierigkeiten gehabt, damals das Sternenuniversum wieder zu verlassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es ihr gelungen war, nun wieder in diese Dimension, die die Zyaner »den anderen Raum« nannten, vorzustoßen. Auch konnte ich nicht ausschließen, daß Atlan und seinen Helfern etwas zugestoßen war. Hidden-X hatte bestimmt noch manchen Trumpf in der Hand gehabt oder eingesetzt. Mein Plan, das Reich der Pers-Oggaren neu aufzubauen und eine friedliche und fortschrittliche Galaxis aus Pers-Mohandot zu machen, zeigte erste Erfolge. Dennoch mußte ich dieses Ziel noch einmal zur Seite schieben, denn mir war klar, daß es meine Pflicht war, Atlan zu warnen und zu informieren. Wo mochte er jetzt stecken? Als ich mit den ersten Nickelteilen des Flekto-Yns in geistige Berührung kam, merkte ich, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Was ich als instinktives Treibenlassen bezeichnet hatte, war in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Ich war systematisch angelockt worden und hatte dies gar nicht bemerkt. Mit einer geistigen Wucht fiel etwas Unbegreifbares über mich her. Ich konnte nicht einmal mehr denken, daß dies nur Hidden-X sein konnte. Es schnürte mich ein und zerrte mich in das Innere des Flekto-Yn. Nickelwände flogen an mir vorbei, gewaltige Hallen, Schaltwerke, Symbole und verwirrende Strukturen, kleine Wesen und heruntergekommene künstliche Landschaften, langgezogene Röhren und ein verwirrendes Labyrinth von Spiegelflächen,
Maschinen und Aggregaten, deren Sinn mir verschlossen blieb. Endlich fand die grausame Reise einen plötzlichen Stillstand. Ich befand mich in einer Kugel, die kaum größer war als mein druggerscher Körper. Die Innenwand strahlte in den mir hinreichend von Berichten bekannten Farben der Jenseitsmaterie, hellrosa und fahlgrün. Mein alter Freund Oggar, hörte ich etwas, das wie eine höhnische Stimme klang. Es bereitet mir Freude, daß wenigstens einer meiner lächerlichen Widersacher noch den Weg zu mir gefunden hat. Eigentlich konntest es nur du sein, denn von deinen Freunden von der SOL werde ich wohl keinen wiedersehen können. Mach dir keine falschen Hoffnungen, Oggar. Oder Oggar-Rems, wie du dich jetzt nennst. Atlan und die SOL sitzen für die Ewigkeit im Nichts der perfekten Falle. Sie können dir nicht mehr helfen, denn sie können sich selbst nicht mehr helfen. Ihre Uhr ist stehengeblieben, aber deine ist nun abgelaufen. »Beantworte mir eine Frage, Hidden-X!« brüllte ich auf geistiger Ebene heraus, aber ich bekam keine Antwort. Stattdessen begann sich die Kugel aus Jenseitsmaterie zusammenzuziehen. Ich wollte fliehen und sie durchdringen, aber das war unmöglich. Zwar besaß ich keine körperlichen Abmessungen, aber einen gewissen Raum benötigte sogar mein körperloses Ich. Als die Kugel noch etwa faustgroß war, setzte der Todesschmerz ein. Lange würde ich diese Qual nicht aushalten, und dem Druck der Jenseitsmaterie hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich probierte alle meine noch wenig geübten Fähigkeiten als Seher durch, aber ein Wandern durch die Zeit war hier unmöglich. Oder machte ich etwas falsch? Der Schmerz aktivierte meine Gedanken erneut. Im Sternenuniversum herrschte ein Zeitablauf, der nach Atlans damaligen Feststellungen um den Faktor 75 bis 76 größer oder schneller war. Meine Bemühungen, durch die Zukunft zu entfliehen, mußten ja scheitern, denn ich bewegte mich gänzlich falsch in diese
hinein. Ich mußte den Umrechnungsfaktor auch für meine zeitlichen Wanderungen berücksichtigen! Als Hidden-X den letzten Impuls auf die Kugel aus Jenseitsmaterie lenkte und mein Bewußtsein damit vernichten wollte, zog sich die Jenseitsmaterie schlagartig zusammen. Ich aber aktivierte mich in die Zukunft und beschleunigte mich mit Werten, die ungefähr dem Fünfundsiebzigfachen der normalen entsprachen. Plötzlich befand ich mich im leeren Raum. Ich war so geschwächt, daß ich noch gar nicht verstehen konnte, daß ich in letzter Sekunde dem sicheren Tod entronnen war. Hidden-X würde triumphieren, denn es mußte nun annehmen, daß es seinen letzten großen Feind besiegt hatte. Das Flekto-Yn stand nur unweit von mir. Ich mußte mich in der Todesgefahr auch ein Stück räumlich versetzt haben. Die Angst benebelte noch meine Sinne. Ich wollte weg von diesem Ort des Schreckens. Ziellos strebte ich durch diesen Raum, nur einfach fort. Ich wußte nicht, ob es Zufall oder Instinkt war, daß ich wieder auf die GLORIA stieß, die gerade beschleunigte und in Richtung der Sonne steuerte, in deren Korona ein Teil der Dimensionsspindel stand. Ich fand Gyar-Ya und drang in seinen Körper ein. Da ich noch zu schwach war, beschränkte ich mich darauf, seinen Körper als Rastort zu benutzen und das Bewußtsein des Zyaners zu verschonen. Gyar-Ya merkte nicht einmal, was er jetzt transportierte. Die GLORIA strebte zurück in das heimatliche Universum. Die Rückkehr durch die Dimensionsspindel verfolgte ich nur mit wenig Interesse. Erst als ich wieder die Nähe meiner Orientierungsboje in der FASTRAP spürte, wurde mir wohler. Ich wartete noch, um zu verfolgen, wie das Flaggschiff der Zyaner den Planeten Stützpunkt I ansteuerte, dann verließ ich Gyar-Ya. Im heimatlichen Universum und dazu noch in Pers-Mohandot, das mobilisierte meine Kräfte. Mein Instinkt trieb mich fast
automatisch zurück zur FASTRAP und dem kleinen Planetoiden unweit von Zwaach-Egerlin. Dort ruhte ich mich aus und versorgte auch meinen DruggerKörper mit Nahrung und etwas Schlaf. Als ich mich nach einhundert Stunden wieder frisch und tatkräftig fühlte, machte ich einen kurzen körperlosen Besuch auf Vasterstat. Meine unterirdische Kolonie war in Ordnung. Die Zyaner hatten den Planeten meines alten und meines neuen, zukünftigen Volkes nicht entdeckt. So blieb mir etwas Zeit, um meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich mußte Atlan finden! Diese körperlose Wanderung führte mich zurück an den Ort, wo ich den Arkoniden und die SOL zum letztenmal gesehen hatte, in jenen sternenlosen Abschnitt, den man die Zone-X nannte. Dort hatte mein früherer Körper sein Ende gefunden, und dort war die endgültige Trennung von meinen Freunden Sternfeuer und Cpt'Carch vollzogen worden. Für die Solaner galt ich bestimmt als tot, denn ich hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, mich ihnen mitzuteilen. Meine Enttäuschung war riesig, denn ich fand weder von der SOL noch von einem ihrer Beiboote irgendeine Spur. Auch von den Auswirkungen der Zone-X oder von den Dunkelplaneten war nichts mehr festzustellen. Der Sektor war öd und leer und ohne jeden Hinweis auf das Geschehen und die Kämpfe, die hier stattgefunden hatten. Ich überprüfte mehrfach meine Position, bis ich ganz sicher war, daß ich mich am richtigen Ort befand. Der Raum blieb leer und ohne jede Ausstrahlung. So wagte ich mich in die nahe Zukunft, um nach Wahrscheinlichkeiten zu suchen, wie diese aussehen könnte. Meine Sinne als Seher waren weit geöffnet, aber ich fand nichts. Es gab nicht einmal mehr die Trümmerspuren der vergangenen Kämpfe. Dieser Umstand zwang mich zum Nachdenken. Etwas stimmte hier nicht. Ich hätte bestimmt irgendwelche Spuren finden müssen, denn es hatte viele zerstörte Beiboote gegeben, und
nicht zuletzt war hier mein HORT zerschossen worden. Es war einfach unmöglich, daß jegliche Materie verschwunden war. Ich rief in meine Erinnerung zurück, was Hidden-X mir mitgeteilt hatte, kurz bevor es mit der tödlichen Einschnürung der Jenseitsmaterie begonnen hatte. Es hatte von der perfekten Falle für die Ewigkeit gesprochen. Und es hatte erwähnt, daß die Uhren der SOL stehengeblieben waren. Diese Worte mußten einen bestimmten Sinn gehabt haben, und darauf mußte ich mein weiteres Handeln aufbauen. Wenn die perfekte Falle hier war, dann konnte ich sie nur hier finden. War sie jedoch an einem anderen Ort, so war meine ganze Suche sinnlos und ich konnte sie einstellen. Dann würde mir allenfalls noch ein Zufall helfen. Für die SOL sind die Uhren stehengeblieben, überlegte ich. Das konnte bedeuten, daß für sie keine reale Zeit mehr verstrich. Oder daß sie in der realen Zeit nicht mehr vorhanden war. Wo aber war sie dann? Und wie konnte ich an diesen »Ort« gelangen? Ich startete ein Experiment, das auf den Folgerungen aus den Aussagen von Hidden-X aufbaute. Für mich verging ja ständig der Zeitanteil, der dem normalen Ablauf entsprach, egal, in welcher wahrscheinlichen Zukunft ich mich befand. Ich »erlebte« also auch jetzt Zeit. Andererseits konnte ich mich in der Zeit rückwärts bewegen. Das ging zwar nur bis zu jenem Punkt meiner Realgegenwart, zu dem ich meinen Körper verlassen hatte, zuzüglich der während der Geisteswanderung verstrichenen Zeit. Es mußte also möglich sein, diese beiden gegenläufigen Zeitströme durch Steuerung meiner Rückkehr in die Realgegenwart gegenseitig aufzuheben. Dann würden auch für mich die Uhren »stehenbleiben«. Durch diese Gleichschaltung zwischen meiner Zeit und der vermutlichen der SOL erhoffte ich mir weitere Aufschlüsse. Schon die ersten Versuche zeigten mir, daß die Sache viel schwieriger war, als ich sie mir in der Theorie überlegt hatte. Es kam
ganz offensichtlich auf ganz wichtige Bruchteile der Zeit an, um eine wirkliche Synchronisation herzustellen. Nach mehreren Versuchen vernahm ich erstmals für ein paar Sekunden Gedankenfetzen. Auch spürte ich Materie und energetische Ausstrahlungen in meiner Nähe. Identifizieren konnte ich jedoch noch kein Wort. Meine Bemühungen dauerten an, und je länger ich übte, desto besser wurden die Ergebnisse. Die bruchstückhaften Bilder ergaben zwar nur ein unfertiges Mosaik, aber ich wußte zumindest, daß ich auf der richtigen Spur war. Schließlich war es soweit, daß ich mich stabil in der gewünschten Nullzeit halten konnte. Von hier aus startete ich nun eine räumliche Bewegung, die mich auf das zuführte, was hier irgendwo verborgen war. Schon nach einer kurzen Distanz prallte ich auf ein Hindernis. Es war von einer Struktur, wie ich sie noch nicht erlebt hatte, und hielt auch keinem Vergleich mit der Kugel aus Jenseitsmaterie stand, die mich im Flekto-Yn hatte töten wollen. Gefahr stellte dieses Hindernis nicht dar, aber es war undurchdringlich. Daher blieb mir nur eine Möglichkeit. Unter Aufbietung aller Kräfte mußte ich von hier aus herausfinden, was geschehen war und wie die Falle aussah, in der die SOL steckte. Erst wenn das geschehen war, war es sinnvoll, weitere Schritte zu überlegen. So richtete ich denn mein Augenmerk auf das, was ich mit meinen Sinnen sah. Jenseits der unüberwindlichen Barriere »verging« Zeit, das spürte ich. Natürlich war das unlogisch, denn für mich stand die Zeit ja still, und folglich mußte es dort nicht anders sein. Diese Erscheinung mußte etwas mit der Falle zu tun haben, von der Hidden-X gesprochen hatte. Ich nahm eine gewaltige Raumzone wahr, die in zwei Teile gespalten war. In beiden Hälften herrschte die Fremdartigkeit. Die Abgrenzungen waren aus einer unbegreiflichen Energie. In der Mitte der Trennfläche zwischen den Halbkugeln strahlte ein heller Fleck. Diesen betrachtete ich nun genauer. Ein energetisches Wesen
bewegte sich dort. Es war dieser Fleck, und er hing wie eine gigantische Spinne in dieser Raumzone. Allmählich wurde mir das ganze Gebilde klarer, und ich nannte es ein Zeittal, das aus der Realität heraus entstanden war. Das Wesen in der Mitte war ein Wächter oder Hüter dieser künstlichen Ordnung. Allein konnte dieses Wesen diese Struktur nicht aufrechterhalten. Es mußte irgendwo ein technisches Hilfsmittel besitzen, das die gewaltigen Energien lenkte. Nach diesem begann ich nun zu suchen, und dabei entdeckte ich zuerst die SOL und die Plattform, die die Solaner gebaut und CHART DECCON genannt hatten. Beide standen in einer Kugelhälfte. Es gelang mir, eine reale Zeitinformation von dort aufzunehmen, und ich stellte mit Erstaunen fest, daß man bereits den 3. März des Jahres 3805 schrieb. Nach meinem Zeitablauf war dies absolut unbegreiflich. Ich schloß daraus, daß die realen Zeitabläufe für die Solaner entweder gar nicht existierten oder daß ich durch meine Erlebnisse und den Aufenthalt in dem vermutlichen Sternenuniversum einer Veränderung unterlegen war. Auf Vasterstat würde ich dieses Rätsel lösen können. In der Nähe der SOL entdeckte ich auch die vermißten Trümmer der früheren Kämpfe. Mir wurde klar, daß eine ganze Raumzone transformiert worden war. Nun richtete ich mein Augenmerk auf die zweite Halbkugel. Bei genauem Analysieren stellte ich dort eine kleine Sonne und sieben Planeten fest. Fünf dieser Planeten waren tote Himmelskörper, aber auf dem innersten glaubte ich Atlans Gefühlsströmungen zu spüren und auch die von Bjo Breiskoll. Ferner befand sich dort ein Raumschiff, das zu den Beibooten der SOL gehörte. Mehr konnte ich von dort nicht in Erfahrung bringen. Es war ein verflixt schwacher Trost zu wissen, daß Atlan noch lebte, denn so, wie die Sache aussah, war er mit einigen seiner Leute von der SOL getrennt worden. Es bestand kein Zweifel für mich darüber, daß die für mich in meiner jetzigen Form schon unüberwindlichen
Hindernisse für ihn erst recht eine absolute Grenze des Nichts darstellten. Ich machte eine weitere Entdeckung. Der äußere Planet des Sonnensystems war zu einem technischen Gebilde umstrukturiert worden. Er war in einen Energieschirm gehüllt, und dahinter befanden sich gewaltige Maschinen. Das mußte die technische Einrichtung sein, die das Energiewesen im Zentrum des Zeittals unterstützte. Meine Kräfte begannen zu erlahmen, denn das ständige Synchronisieren der Zeit erforderte einen ungeheuren Aufwand. Mehrmals entglitt mir das Bild, und ich mußte es neu suchen. Schließlich zog ich mich von der unüberwindbaren Grenze zurück, um mich zu erholen. Ich ruhte eine bestimmte Zeit aus, in der ich nur nachdachte. Atlan und der SOL mußte geholfen werden. Nach dem, was ich gesehen hatte, kamen sie ohne Hilfe von draußen nicht aus dieser Falle, dem Zeittal des Hidden-X. Als ich mich genügend stark fühlte, wagte ich einen neuen Vorstoß. Mit den gemachten Erfahrungen und dem Training fiel es mir diesmal leichter, schnell an die Barriere zu gelangen. Ich konzentrierte mich nun ganz darauf, einen geistigen Kontakt zu Sternfeuer oder Cpt'Carch herzustellen. Diesen beiden konnte ich mich noch am ehesten mitteilen, denn ihre Bewußtseinsinhalte schwangen auf meiner Frequenz. Der Versuch scheiterte vollkommen. Irgend etwas funktionierte nicht. Ob es dieses Zeittal war oder aber die größere Entfernung zu den beiden, vermochte ich nicht zu sagen. Jedenfalls fand ich meine alten Freunde überhaupt nicht. Als ich mich enttäuscht zurückzog, dabei meine Eigenzeit, die Nullzeit, noch festhielt, streiften meine ausgestreckten Sinne wie automatisch die SOL und die vielen tausend Menschen dort. Ich zuckte zusammen, denn da war etwas außerhalb des Hantelschiffs, auf das sich meine Sinne wie automatisch einstellten. Ein Solaner, dessen Gedanken auf einer ähnlichen Ebene schwangen wie die
meinen. Ich versuchte körperlos nach ihm zu fassen, um ihm all das zuzurufen, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Es gelang nicht. Inzwischen durchschaute ich diese hinterhältige Falle in einigen wesentlichen Punkten, aber mein Wissen nützte mir nichts, wenn ich es den dort gefangenen Solanern nicht übermitteln konnte. Meine Kräfte erlahmten immer mehr. Als ich merkte, daß ich mich zurückziehen mußte, wagte ich einen letzten Versuch. Ich dachte den mir so gefühlsmäßig verwandten Solaner mit aller Kraft an. Ob dies etwas Positives bewirkte, blieb zunächst unklar. Erst als ich eine Weile später beobachten konnte, daß der Mann schlaff in sich zusammensank, merkte ich, daß er zumindest von meinen Geistesströmungen getroffen worden war. Man brachte ihn in die SOL. Das waren die letzten Eindrücke, die ich aufnehmen konnte. Danach versagten meine Sinne. Mein körperloses Ich krümmte sich und suchte Halt, aber da war nichts, nicht einmal ein Planet, und schon gar kein Lebewesen, das mir neue Kräfte gespendet hätte. Ich dachte an Chybrain, der mir in einer ähnlichen Lage geholfen hatte, als meine körperlose Wanderung begonnen hatte, durch die ich zu einem Seher geworden war. Und an Tastran, den haßerfüllten und von Mikrolebewesen fehlgeleiteten Fjujaler. Ich dachte an den Gasvulkan und an Rems, dem ich seinen Körper gestohlen hatte, und an die Drugger, die auf den Tag warteten, daß ein Körperloser namens Oggar zu ihnen käme, um ihnen die Spitze ihrer technischen Errungenschaft, die FASTRAP, zurückzubringen. Das waren die Stationen meiner Wanderung von der Zone-X nach Pers-Mohandot, wo ich mit meinen neuen Freunden begonnen hatte, dem Volk der Pers-Oggaren eine neue Zukunft aufzubauen. Es waren ein paar Stationen, dachte ich, während ich ziellos dahintrieb, Stationen, die mich geformt hatten und die mir jetzt noch zeigten, welches meine wirkliche Aufgabe war. Die Stationen kosmischer Bedeutung hatten andere Namen. Gyar-
Ya war unbedeutend. Vielleicht zählte Zaut-Zy, vielleicht das Halbkugelschiff GLORIA. Bestimmt gehörte die Dimensionsspindel, die zwei oder mehr Existenzebenen miteinander verband, zu den wichtigen Fakten in dem kosmischen Kräftespiel zwischen Hidden-X und seinen Gegnern. Seinen Gegnern? Zählte ich noch dazu? Konnte ich noch auf den Arkoniden Atlan und seine Solaner zählen? Ich mußte auf sie zählen, denn ich brauchte sie. Mein Plan von den neuen Pers-Oggaren würde nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn Hidden-X nicht mehr existierte. Atlan war eine Station in meinem neuen Leben als Oggar, ohne die an die Verwirklichung des alten Planes, der noch auf Fastraps Ideen aufbaute, nicht zu denken gewesen wäre. Hatte ich dem Arkoniden genügend geholfen? Ich wußte es nicht, aber ich wußte, daß auf Vasterstat eine Aufgabe auf mich wartete. Diese mußte erfüllt werden, denn auch die konnte vielleicht dem Wohl aller Völker dienen und damit letztlich auch den Solanern. Mein Instinkt hatte mich fast unbemerkt an den Ausgangspunkt meiner Wanderung zurückgeführt. Ich sank in meinen druggerischen Körper, und ich fühlte mich wie neugeboren. Bevor ich mir eine längere Ruhepause gönnte, die ich brauchte, um von den Zyanern unbemerkt nach Vasterstat zu gelangen, schaltete ich die Hyperfunkanlage an, um auf den charakteristischen Ton der SOL zu warten. Es sollte eine verdammt lange Zeit werden, eine Zeit, in der neue Pers-Oggaren wuchsen. Aber mein Gefühl sagte mir ganz sicher, daß der Ton kommen würde. Das Signal der SOL. Das Signal von Atlan.
ENDE
Das Gefangensein in der Zeitfalle, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint, führt naturgemäß zu Unruhen an Bord der SOL. Die Lage wird immer bedrohlicher, zumal auch SENECA, das Bordgehirn, keinen Ausweg weiß. Doch eine Gruppe stellt sich dem Chaos entgegen – es sind DIE ATLANTREUEN … DIE ATLANTREUEN – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Band. Als Autor des Romans zeichnet Hubert Haensel.