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Der Fahrer des Conestoga-Wagens ließ die Peitsche knallen und trieb das Gespann an. Der schwerbeladene Wagen rumpelte die Steigung hinauf. Besorgt blickte der Beifahrer zum Himmel, an dem sich dunkle Regenwolken ballten. „He, Randy", rief er dem Kutscher zu. „Mein Hühnerauge sagt mir, daß bald der große Regen kommt. Kannst du's nicht ein bißchen schneller?" Randy warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ich schon, aber diese verdammten Gäule nicht. Fred, wenn du nicht mit der ewigen Meckerei aufhörst, dann kannst du fahren." „Ich kann es auch nicht besser als du", antwortete Fred grinsend. Sie waren beide keine erfahrenen Kutscher. Genauer gesagt: Es war das erste Mal, daß sie mit einem Ge-
spann umgehen mußten. Sie waren Soldaten. Randolph Kinsley war Sergeant, Alfred Pelham, der Mann neben ihm auf dem Kutschbock war Lieutenant. Der Kutscher Jake Trafford lag im Wagen. Er hatte sich einen Arm gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Auf Taylors Pferdewechsel-Station hatte er Taylors elfjähriger Tochter seine Reitkünste demonstrieren wollen. Das hätte er besser nicht versucht. Denn das Pferd hatte nicht so gewollt wie der Reiter und ihn abgeworfen. Seither mußte Sergeant Randy den Wagen fahren. „Dieser Dummkopf von Trafford", sagte der Sergeant zum wiederholten Male. Und es folgten einige Flüche über Kutscher, über die Armee 3
und über den Job. Nation, wie weit noch bis Lordsburg? „Laß deine Meinung über die Ar- Wir müßten doch schon längst damee nicht einen Vorgesetzten hören", sein. Oder habt ihr euch verfahren?" „Halt die Klappe, du Drückebersagte der Lieutenant grinsend. „Der könnte das in seinem Bericht erwäh- ger", gab der Sergeant grimmig zurück. „Wenn's dir nicht schnell genug nen." Randy lachte. Denn Lieutenant geht, kannst du ja laufen. Wenn wir in Fort Bowie eintreffen, werden wir Pelham war sein Vorgesetzter. „Na und? Was juckt mich das?" rief dich ohnehin vor ein Kriegsgericht Randy. „In vier Wochen werde ich bringen, du Meisterreiter." entlassen. Ob mit Streifen oder ohne Der Kutscher fluchte mit gepreßist mir schnurzegal. Ich sage immer: ter Stimme. „Ich bin Zivilist, ihr Die Uniform macht verdammten Arnicht den Menmy-Hengste.' Ihr Die Hauptpersonen des Romans: schen aus. Auch Lobo — Das Halbblut soll den Mörder könnt mich mal." nach Albuquerque bringen — tot oder nicht der Dienst„Reg ihn nicht lebend. Letzteres gefällt einigen Leugrad ist entscheiten nicht. auf, Randy", Tony — „Der „schönste Mann von Lukdend." Er bedachte mahnte der Lieukenbach'' bemüht sich um die Gunst Pelham mit einem einer schönen Frau. Das bringt ihm tenant. „Er ist ein eine Menge Schwierigkeiten ein. Seitenblick. „Ich armer, kranker Callum — Der Galgen wartet auf ihn. kenne zum Beiund gebrechlicher Er hat nur noch eine Chane, wenn er den Verräter verrät. Da beginnt die spiel einen LieuZivilist." große Jagd auf ihn. tenant, der gar Randy rief: „He, Cindy — Eine atemberaubende Frau, nicht so übel ist, die nicht nur gut tanzen kann. Aber Trafford, was in der Auswahl ihrer Freunde hat sie solange er in Zivil keine glückliche Hand. macht deine Birrumläuft." Oregon — Ein trauriger Mann. Er sieht ne? Immer noch aus, als käme er gerade von einer Der Lieutenant erschüttert?" Beerdigung. Dabei ist er erst auf dem Weg zu einem Begräbnis. Zu seinem. lachte. „Ich kenne „Ja, verdammt", einen Sergeant, der erwiderte der verin Zivil und in Uniform immer der letzte Kutscher mißmutig. gleiche Hurensohn ist. Wie du schon „Na ja, 'ne Gehirnerschütterung sagtest: Die Uniform macht nicht kann's ja wohl nicht sein", brüllte den Menschen." Randy. „Du bist der ekelhafteste Vorge„Wieso nicht? Na klar ist das eine." setzte, der mir bei dieser ekelhaften „Unmöglich", gab Randy zurück Armee je begegnet ist. Ich überlege und zwinkerte dem Lieutenant zu. gerade, ob ich dich überhaupt zum „Wer weiß, was bei dir erschüttert Abschiedsbesäufnis einlade." ist, Trafford - das Gehirn jedenfalls „Es wird mir ein Vergnügen sein, nicht. Wo nichts ist, kann nichts erdeinen Abgang zu feiern. Aus dir schüttert werden." wäre nie ein richtiger Soldat geworTrafford fluchte. den. Die Armee dankt dir für dein Der Wagen schlingerte über felsiAbschiedsgesuch, und ich danke dir gen Boden einen Abhang hinab. für die nette Einladung." Der Lieutenant stemmte sich geRandy nickte grinsend. gen das Wagenbrett, zog seinen Hut Sie kannten sich seit über zehn tiefer in die Stirn und spähte aus enJahren und waren an diesen rauhen, gen Augen über das Land. aber herzlichen Tonfall gewohnt. „In 'ner knappen Stunde müßten wir da sein!" rief er Randy zu Sie waren Freunde geworden. Der Sergeant nickte. „Eine gemütEine Weile waren nur die Fahrgeräusche zu hören. Dann rief plötzlich liche Rast, und dann reißen wir das Trafford, der verhinderte Kutscher letzte Stück bis zum Fort auf einer aus dem Wagen: „He, ihr Helden der Backe ab. Na, ist doch alles prächtig 4
W e r ist Lobo? Sein Name ist LOBO. Er ist ein Einzelgänger. Ein Mann ohne Freunde. Ein Ausgestoßener. Denn Lobo ist ein Halbblut. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter eine Squaw vom Stamme der Pima-Apachen. Sie wollten in Frieden leben, aber weiße Skalpjäger ermordeten sie. LOBO überlebte: ein Junge, der über Nacht begreifen mußte, daß er die falsche Hautfarbe hatte. Daß es nicht genügte, ein Mensch zu sein, sondern daß man weiß oder rot oder schwarz sein mußte, um einen Platz auf der Welt zu haben, wo man hingehörte. LOBO war weder weiß noch rot Er gehörte nirgends hin. Ihn wollte niemand haben — weder die Weißen, noch die Indianer. An seinem Schicksal offenbart sich die starrköpfige Haltung der weißen Siedler in Amerikas Pionierzeit. Sie richtete sich gegen alles, was andersfarbig war. Gegen Schwarze ebenso wie gegen Chinesen, gegen Mexikaner wie gegen Indianer. Vor allem aber gegen Mischlinge. LOBO steht für alle, die in jenen harten Tagen, an denen das Faustrecht Gesetz war, zu denen gehörten, die aufgrund ihrer Herkunft aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen wurden. Die historische Tatsache, daß in der Gesellschaft der Pioniere meist das Recht des Stärkeren galt, war die Tragik der amerikanischen Minderheiten. Ihnen wurde das Lebensrecht, mehr noch, die Menschlichkeit abgesprochen. Sie waren vogelfrei. Heimatlos in einem riesigen Land, das Heimat für so viele war. Gedemütigt und geächtet, auf der Suche nach ihrer verlorenen Ehre. LOBO war einer von ihnen. Ein Mann, der sein Schicksal annahm und nach bitteren Erfahrungen unbeirrt seinen Weg ging. Eine gewalttätige Zeit und ein teilweise unmenschlich wildes und hartes Land ließen keine Alternativen: Alles in der Ära der Westwanderung war Kampf. Jeder, der den Mississippi überschritt, stieß in ein Territorium der Unsicherheit vor, in dem die nahezu totale Abwesenheit von Zivilisation markantes geschichtliches Merkmal war. Jeder neue Tag, jeder Fußbreit Land — buchstäblich alles mußte errungen werden. Männer wie LOBO kämpften um mehr, um das natürliche Lebensrecht. Sie standen mit dem Rücken an der Wand. Ihnen wurden die einfachsten Rechte vorenthalten: Sie wurden in vielen Städten nicht als Bürger geduldet, in vielen Gebieten nicht als Siedler. Sie waren weder vor Betrug noch vor Gewalt geschützt, es sei denn, sie schützten sich selbst. Mord an Farbigen wurde fast nie bestraft. Noch 1920 wurden öffentlich Farbige gelyncht, nur weil sie nicht weiß waren. Es gab Ausnahmen, aber das Unrecht war die Regel. Zum erstenmal ist mit LOBO ein Halbblut, einer jener Verachteten und Verfemten, in den Mittelpunkt einer Romanserie gestellt worden. Zum erstenmal im deutschen Western wird anhand dieses Mannes aufgezeigt, wie farbige Menschen in der Pionierzeit häufig zu leben gezwungen waren. Die LOBO-Redaktion versucht, auf diese Weise einen düsteren, vergessenen Aspekt der Eroberung des Westens darzustellen und gegen möglicherweise noch vorhandenen Ressentiments ein Zeichen zu setzen, Rassenvorurteile abzubauen. Dabei wird dem Kenner der Pioniergeschichte klar sein: Bei allem Bemühen um Realismus war die Wirklichkeit gewalttätiger und härter als jede Phantasie, als jede romanhafte Beschreibung es sein kann. Denn unsere heutige Zeit ist anders. Vorurteile haben abgenommen, wir sind aufgeklärter. Gewalt ist heute keine Lösung mehr. Was damals geschah, übersteigt häufig unsere Vorstellungskraft Die Geschichten um das Halbblut LOBO spiegeln eine vergangene Zeit wider, in der andere Regeln herrschten. Eine Zeit, deren Schattenseiten nicht vergessen werden sollten, zur Mahnung für mehr Toleranz und gegen Rassenvorurteile.
gelaufen, abgesehen von Traffords Ausfall." „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben", sagte der Lieutenant. „Du bist ein Pessimist", sagte Randy. „Was soll schon noch passieren? Keine einzige Rothaut hat sich sehen lassen, und welcher weiße Bandit sollte Interesse an einem Wagen mit Mehl und Salz haben?" Der Lieutenant lachte. Dennoch wurde er das unbehagliche Gefühl nicht los, das ihn immer wieder befiel, wenn er an den Job dachte. Sie transportierten nicht nur Mehl und Salz, sondern Gewehre und Munition für Fort Bowie. In den letzten Monaten waren einige größere Waffen- und Munitionstransporte der Armee überfallen worden. Von Apachen, aber auch von weißen Banditen, die ihre Beute wiederum an die Indianer verkauften. Seit kurzem war die Armee zu einer neuen Taktik übergegangen: Statt großer Transporte, die durch auffällige Eskorten geschützt werden mußten, versuchte man es mit kleineren, unauffälligen Lieferungen. Bisher hatte sich das bewährt. Natürlich war ein einzelner Wagen mit nur zwei Soldaten in Zivil und einem Fahrer leicht zu kapern. Aber die Transporte wurden geheim durchgeführt und gingen über die großen Postkutschen-Strecken. Wer konnte schon ahnen, ob sich ein Überfall lohnte? Der Conestoga-Wagen trug die Aufschrift eines Stores. Und die Waffen und Munition waren gut unter der anderen Fracht versteckt. Ein Blitz zuckte über den grauen Himmel. Donner grollte in der Ferne. Der Trail führte eine Steigung hinauf. „Lauft, ihr müden Möpse!" brüllte Randy und griff wieder zur Peitsche. „Wir wollen in Lordsburg sein, bevor ..." Der Rest ging im Krachen eines 6
Gewehrschusses unter. Das rechte Führpferd brach schrill wiehernd zusammen. Randy hatte Mühe, die Kontrolle über das Gespann zu behalten. Wieder blitzte und krachte es zwischen den Felsen am Rande des Trails. Eine Kugel tötete das zweite Führpferd. „Stop!" rief eine harte Stimme. Die Aufforderung war im Grunde überflüssig. Die Last der beiden toten Führpferde bremste ohnehin das Gespann. Randy tauschte einen schnellen Blick mit Pelham und knurrte: „Da haben wir den Regen!" „Ruhe", mahnte der Lieutenant. „Und kein Risiko eingehen." Als der Wagen stand, ertönte zwischen den Felsen wieder die harte Stimme: „Werft eure Waffen runter und steigt ab, oder wir schießen euch vom Bock!" Die beiden Soldaten gehorchten. Was blieb ihnen anderes übrig? Von den Banditen war nichts zu sehen. Sie hatten sich einen günstigen Platz für ihren Überfall ausgesucht. „Hoffentlich fallen sie auf unseren Bluff herein und begnügen sich mit Mehl und Salz", raunte Randy. Dann tauchten die Banditen zwischen den Felsen auf. Vier Männer. Alle hielten Gewehre im Anschlag. Der Anführer des Quartetts war groß und unglaublich mager. Sein kariertes Hemd war sicherlich zwei Nummern zu groß. Die vor Schmutz starrende Hose schlotterte ebenfalls um seinen Körper. Von weitem hätte man den Mann für einen heruntergekommenen Farmer halten können. Heruntergekommen war er, aber er war ebensowenig ein Farmer wie die anderen drei. Er war auch kein kleiner Strauchdieb, wie die beiden Soldaten annah-
men. Er war ein gnadenloser Killer. Er starrte die beiden Männer aus tiefliegenden, graublauen Augen an. Sein Blick war stechend, und irgend etwas am Ausdruck dieser Augen ließ die beiden Soldaten frösteln. Die schmalen Lippen des Banditen verzogen sich zu einem zufriedenen Grinsen. „Wo ist der dritte Mann?" fragte er ruhig, fast gelangweilt. „Welcher dritte ...", begann Randy. Der Bandit hob wortlos sein schußbereites Gewehr an und drückte ab. Sergeant Randolph Kinsley brach tödlich getroffen zusammen. Der Lieutenant starrte fassungslos auf die Leiche seines Freundes, vor Entsetzen wie gelähmt. Der Verbrecher hebelte eine Patrone in die Kammer seiner Winchester und sagte wie im Plauderton: „Ich hatte ihn etwas gefragt, und wenn ich frage, will ich eine vernünftige Antwort." Er ruckte mit dem Gewehrlauf. „Also . . . ? " Der Lieutenant schluckte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht sprechen. Er wies zum Wagen. Seine Hand zitterte. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde der Verbrecher wieder schießen. Die Mündung der Winchester zielte auf den Lieutenant. Der Finger bewegte sich am Abzug. Doch dann lachte der Bandit. Er hatte gerade einen Menschen getötet und lachte! „Mach dich nicht naß", sagte er spöttisch. Dann hob er die Stimme: „Kletter vom Wagen, oder wir holen dich!" „Nicht schießen!" rief Trafford, und seine Stimme verriet Panik. „Nicht schießen!" Der Lieutenant schluckte. Er stand noch unter einem Schock. „Er - ist verletzt", sagte er zu dem Verbrecher, und er wunderte sich, daß seine Stimme so erstaunlich ru-
hig klang, daß plötzlich eine Eiseskälte in ihm war, wie er sie noch nie empfunden hatte. Trafford kletterte vom Wagen. Der rechte Arm des Kutschers war von dem Stationsmann Taylor geschient worden. Um den Kopf trug er einen Verband, denn er hatte sich beim Sturz vom Pferd eine Platzwunde zugezogen. Sein Gesicht war fast so weiß wie der Verband. Sein Blick irrte von dem Verbrecher zu Randys Leiche, und seine Lippen begannen zu zittern. „Na also", sagte der Verbrecher zufrieden. Er warf einen Blick über die Schulter und rief: „Rick, sieh dich mal auf dem Wagen um!" Einer der Banditen lief zum Heck, schwang sich auf die Ladefläche hinauf und verschwand unter der Zeltplane. „Mister", sagte der Lieutenant, „wir sind Händler, auf dem Weg ..." Sein gellender Aufschrei ging im Krachen des Schusses unter. Lieutenant Pelham wurde vom Einschlag der Kugel herumgewirbelt. Er prallte gegen das hintere Wagenrad und sackte daran herab. Die Kugel hatte ihn in die Brust getroffen. Er rührte sich nicht mehr, aber er war nicht tot. „Den hatte ich nichts gefragt", sagte der Verbrecher kalt und starrte Trafford an. Er schüttelte den Kopf und sagte in spöttischem Tonfall: „Was habt ihr nur für eine Disziplin bei der Armee?" Der Lieutenant war am Rande einer Ohnmacht, aber er bekam diese Worte mit. Der Schwerverletzte brauchte einen Augenblick, bis er den Sinn begriffen hatte. Armee! durchfuhr es ihn, schon halb im Unterbewußtsein. Sie wissen, daß wir Soldaten sind. Sie wissen von dem geheimen Transport... „Was ist, Rick?" rief der Anführer der Verbrecher ungeduldig. „Ich erwarte deine Meldung." 7
„Alles klar", ertönte Ricks Stimme habe die Sache an Land gezogen, und vom Wagen. „Es ist der richtige Wa- ich habe das Sagen. Hat jemand etwas dagegen?" gen." Keiner der Banditen sagte etwas. „Na also", sagte der Anführer. Wieder spielte dieses triumphierend- Keiner hielt dem stechenden Blick spöttische Lächeln um seine dünnen der blaugrauen Augen stand. Lippen. „Wäre doch schade gewesen, „Okay. Holt die Pferde und Packwenn meine Informationen nicht ge- tiere." Er blickte zum Himmel. Die stimmt hätten." Er warf einen Blick ersten Regentropfen fielen. „Und bezu den beiden reglosen Gestalten. eilt euch mit dem Umladen der Beu„Dann wären die Leute ganz um- te. Ich habe keine Lust, hier im Resonst gestorben." gen rumzuhängen." Informationen! dachte der verletzte Lieutenant. Verrat! Jemand muß den Transport verraten haben . . . Dann wurde es dunkel um ihn. EiCaptain Mike Anderson schüttelte ne Ohnmacht erlöste ihn von den den Kopf. „Erwachsene Männer. Schmerzen, die in seiner Brust tob- Prügeln sich wie dumme Jungen! ten. Ein Glück, daß mein Adjutant rechtDer Anführer der Verbrecher zeitig eingreifen und Schlimmeres blickte den Kutscher an. „Was hast verhindern konnte." du denn mit deinem Arm und dem Lobo strich sich über die Beule am Kopf gemacht?" fragte er wie im Hinterkopf und lächelte etwas gePlauderton. zwungen. „Er hätte ruhig etwas „Ein Unfall", beeilte sich der Kut- sanfter zuschlagen können." scher zu sagen. Seine Stimme klang „Wir hatten die Jungs gerade so vor Angst wie erstickt. richtig im Griff", sagte Tony, der mit „Tut das weh?" fragte der Verbre- Lobo im Büro des Captains saß. cher. Mike Anderson hatte Mühe, eine Todesangst ließ den Kutscher ernste Miene zu behalten. würgen. Er nickte hastig und blickte „Das sehe ich", sagte er und blickte in die Mündung der Winchester, die von Lobo zu Tony. der Bandit wie unbeabsichtigt auf Tony, mit vollem Namen Anthony ihn gerichtet hielt, und die er nach Burgess, war zweiunddreißig, mitdem zweiten Schuß repetiert hatte. telgroß und schlank. Sein tiefgebräuntes Gesicht mit den brauDer Verbrecher drückte ab. Mitleidlos blickte er dann auf nen Augen, dem kastanienfarbenen Schnurrbart und dem markanten Traffords Leiche hinab. Kinn schien niemals ganz ernst zu Es herrschte Stille. sein. hatte den Anschein, als läLangsam wandte sich der Mörder chelteEs er immer leicht. zu seinen Kumpanen um. „Was ist Selbst jetzt, obwohl sein linkes Aulos, warum glotzt ihr mich so an?" Sie waren hartgesottene Verbre- ge geschwollen war und sein Gesicht cher, doch auch sie wirkten jetzt zahlreiche Schrammen aufwies. Auch seine Kleidung war ramposchockiert, betroffen. „War das nötig, General?" sagte ei- niert. Sein weißes Hemd war blutig ner von ihnen mit heiserer Stimme. und an der Brust eingerissen, von der „Ich meine, wir hätten sie auch lau- roten Samtschleife fehlte die Hälfte, fenlassen können. Ich meine, wenn einige Knöpfe des Jacketts fehlten, wir den Coup maskiert durchgeführt und die schwarze Tuchhose hatte auch schon eleganter ausgesehen. hätten..." Lobo sah ebenfalls recht mitge„Was du meinst, interessiert mich nicht", sagte der Anführer kalt. „Ich nommen aus. Er hatte bei der Schlä8
gerei nicht nur die eine Beule abbekommen. Seine rechte Wange wies eine blutige Schramme auf. Sie stammte von einem Stuhlbein. „Falls es Sie interessiert, Captain", sagte Tony mit einem schiefen Grinsen. „Die anderen sehen auch nicht besser aus als wir." Der Captain schüttelte von neuem den Kopf. „Ja, ich hörte soeben davon. Mußte das denn sein?" „Eigentlich nicht", erwiderte Lobo trocken. „Gegen sechs Mann hättet ihr zwei doch keine Chance gehabt. Gut, daß Winters..." „Doch", unterbrach Tony den Captain. „Es ging genau auf. Drei für jeden von uns." Die Augen des Captains funkelten amüsiert. „Wer angefangen hat, ist ja geklärt worden. Nach Aussage des Barmannes war es Corporal Hendrix, der Sie angegriffen hat. Er muß mit einer Disziplinarstrafe rechnen. Mich interessiert trotzdem, weshalb ihr beide euch nicht zurückgehalten habt." „Da war nicht viel zurückzuhalten", sagte Tony. „Ein Wort ergab das andere, und plötzlich ging es Schlag auf Schlag. In meinem Bier schwamm 'ne tote Fliege. Der Corporal griff mit drei Fingern in mein Bierglas, manschte darin herum, so daß Bier und Schaum überschwappten und sagte: ,Da ist 'ne Fliege drin'. Ich sagte ihm: ,Das ist meine Fliege, und meine Fliege geht dich nichts an. Wenn du dir die dreckigen Finger waschen willst, dann bitte nicht in meinem Bier." Da schlug der Knabe gleich los. Er war ziemlich blau, und ich konnte leicht mit ihm fertig werden. Aber dann mischten sich seine Kameraden ein ..." „Als gleich ein paar Mann über Tony herfielen, fürchtete ich um seine edlen Gesichtszüge", warf Lobo ein. „Und dann ging's rund", vollendete Tony mit einem Schulterzucken. Captain Mike Anderson blickte noch einmal von einem zum anderen,
dann erhob er sich hinter seinem Schreibtisch, schritt zum Fenster und blickte hinaus. Als er sich wieder umwandte, war seine Miene sehr ernst. Lobo kannte den Captain lange genug, um zu ahnen, daß Anderson sich längst mit einem anderen Thema beschäftigte. Der Captain hatte sie nicht zu sich bestellt, um Einzelheiten über den Zwischenfall im Saloon zu erfahren. Seit Tagen hielten sie sich für einen neuen Job bereit... Da sagte der Captain auch schon: „Ich habe einen neuen Auftrag für euch. Ihr erinnert euch, daß mit eurer Hilfe ein Verräter in der Wachmannschaft überführt werden konnte, der gemeinsame Sache mit Banditen machte und geheime Transporte der Armee verriet. Der Mann wurde zum Tode verurteilt." Lobo und Tony nickten und warteten darauf, daß der Captain fortfuhr. „Wir glaubten, die undichte Stelle gefunden zu haben", sagte Anderson. „Doch das erwies sich als Irrtum. Es muß einen weiteren Verräter geben. Denn schon wieder ist ein Waffentransport überfallen worden. Die Verbrecher gingen mit beispielloser Brutalität vor." Der Captain schritt zum Schreibtisch und nahm einen Aktenhefter. „Es war ein getarnter Transport, streng geheim. Ein Wagen, zwei Soldaten in Zivil, ein Kutscher. Nur einer überlebte den Überfall - wenn auch nur für kurze Zeit." Der Captain überflog den Bericht und sprach mit ernster Stimme weiter. „Ein gewisser Lieutenant Pelham. Die Verbrecher hielten ihn wohl für tot. Aber er lebte noch, als er gefunden wurde. Bevor er seiner schweren Verletzung erlag, konnte er noch ein paar Worte sagen, aus denen hervorging, daß der Transport verraten worden war. Zumindest zwei Morde gehen auf das Konto des Anführers. Eine Beschreibung der Verbrecher konnte der Lieutenant nicht mehr 9
geben." „Wie viele Leute wußten denn außer den direkt Beteiligten von dem Transport?" fragte Tony. „Nur das Department in Albuquerque", sagte der Captain. „Und wie viele arbeiten da?" setzte Tony nach. „Ein halbes Dutzend Personen hat Einsicht in die Materialanforderungen der einzelnen Einheiten und in die Liefertermine." „Streng geheim", sagte Tony spöttisch. „Geheimer geht's nun mal nicht", konterte der Captain mit einem leichten Lächeln. „Unser oberster Boß kann schließlich nicht die Waffen selbst zu jedem Fort bringen, dessen Besatzung verstärkt oder dessen Bestände ergänzt oder erneuert werden. Das alles muß koordiniert, verwaltet, geplant und durchgeführt werden." Lobo holte sein Rauchzeug hervor und drehte sich eine Zigarette. „Wir müssen also davon ausgehen, daß ein Verräter in diesem Department sitzt." Der Captain nickte. „Sind die in Frage kommenden Leute überprüft worden?" fragte Tony. „Selbstverständlich", sagte der Captain. „Aber es gibt keinerlei Anhaltspunkt für einen Verdacht." Lobo blies einen Rauchring. „Könnten nicht andere von dem Transport erfahren haben? Hier im Fort zum Beispiel wußte man doch auch von der Waffenlieferung?" Der Captain schüttelte den Kopf. „Von diesem Transport wußten nur das Department in Albuquerque und die drei Männer, die ihn durchführten." Der Captain blickte Lobo an, und Lobo spürte, daß Mike Anderson noch nicht alles gesagt hatte. Mike Anderson ging zu einem Wandschrank und holte eine Flasche Bourbon und zwei Gläser. „Gute Idee", murmelte Tony, und 10
als der Captain großzügig eingeschenkt hatte, sagte er: „Trinken Sie nicht mit?" Der Captain lächelte. „Ich bin im Dienst, und im Dienst trinke ich niemals." „Das lobe ich mir", sagte Tony, trank sein Glas leer und schielte zur Flasche hin. „Einen guten Tropfen haben Sie da." Mike Anderson verstand und schenkte Tony von neuem Whisky ein. Lobo trank einen Schluck Bourbon und zwinkerte dem Captain zu. „Tony ist ein Whiskykenner. Er ist schließlich im Store von Luckenbach geboren worden - gleich neben den Whiskyfässern." „Ja, die Story kenne ich", sagte der Captain lächelnd. „Der schönste Mann von Luckenbach und Umgebung." Tony zupfte an den Resten seiner Samtschleife. „Wie war das mit dem Auftrag, Captain? Bevor es losgeht, muß ich mich neu einkleiden. Vorausgesetzt, es gibt einen Vorschuß ..." Der Captain überging diese dezente Anfrage. „Ja, kommen wir zur Sache. Wir haben einen Mann, der den Verräter in Albuquerque kennt." Er genoß offensichtlich Lobos und Tonys Überraschung. „Der Mann heißt Jim Callum und sitzt im Gefängnis von Lordsburg. Schnell zur Vorgeschichte: Eine Posse aus Lordsburg verfolgte nach einem Raubüberfall drei Banditen. Zwei konnten entkommen, einer, eben dieser Jim Callum, wurde gefaßt und zum Tode verurteilt. Natürlich setzte er alles daran, um seinen Kopf zu retten. Er verpfiff seine Komplizen. Sie konnten gestellt werden und wurden ebenfalls verurteilt. Sie revanchierten sich für den Verrat, indem sie Jim Callum noch mehr belasteten, ihn weiterer Verbrechen bezichtigten. Callum drohte von neuem der Galgen. Da rückte er mit
einer anderen Sache heraus. Er erzählte, daß er ein ,ganz großes Ding' aufklären könnte. Er wisse, wer für die Überfälle auf Armeetransporte verantwortlich sei. Ein hohes Tier in Albuquerque, sagte er. Der Sheriff Von Lordsburg informierte sofort die Armee. Jim Callum soll nach Albuquerque überführt werden." „Warum sagt er nicht in Lordsburg aus?" fragte Lobo nachdenklich. „Er kennt den Namen des Verräters nicht. Er hat den Mann nur einmal gesehen, als er mit der früheren Bande einen ,Auftrag' bekam. Callum ist bereit, den Mann zu entlarven, wenn ihm das Gesetz Strafmilderung verspricht." „Und?" fragte Tony. „Ist man auf den Kuhhandel eingegangen?" „Noch nicht", erwiderte der Captain. „Das wird erst in Albuquerque entschieden. Aber man wird wohl darauf eingehen. Dem Verräter im Department muß das Handwerk gelegt werden." Er blickte ernst von Tony zu Lobo. „Ihr beide bringt den Gefangenen ins Department." „Wenn das alles ist", sagte Tony, und es klang fast ein wenig enttäuscht. „Da wäre noch eine Kleinigkeit", sagte der Captain. „Auf einem Weg können Sie die Tochter des Kommandeurs mitnehmen. Sie will nach Santa Fé." „Tochter?" sagte Tony und grinste Lobo verschmitzt an. „Habe ich da richtig gehört?" „Ja, Miß Ellen Carmichael. Seit Colonel Carmichaels Frau von Apachen getötet wurde, läßt der Colonel seine Tochter niemals ohne Begleitschutz verreisen. Er hat mich gebeten, gute und zuverlässige Leute anzuwerben ..." „Da haben Sie natürlich sofort an uns gedacht", sagte Tony. Er nestelte an seiner zerrissenen Samtschleife. „Ich werde mich also in Schale werfen müssen. Sie erwähnten vorhin etwas von einem Vorschuß, Captain?"
Mike Anderson nickte lächelnd. „Über das Finanzielle werden wir uns schon einig. Ich denke ..." Es klopfte. Auf Andersons Aufforderung hin wurde die Tür geöffnet, und ein pausbäckiger Corporal erschien. Er grüßte zackig und meldete: „Miß Carmichael, Sir." Lobo und Tony wandten sich um. Dann wirbelte Ellen Carmichael in den Raum. Sie schritt nicht, sie ging nicht, sie wirbelte. Sie war achtzehn, aber man hätte sie auch für fünfzehn halten können. Sie war klein und zierlich - unterentwickelt, wie Tony es später nannte. Sie trug eine weiße Bluse, unter der sich winzige Hügel abzeichneten, hautenge Levishosen und hochhakkige Reitstiefel. Ihr rotblondes Haar war zu Zöpfen geflochten. Das Gesicht war blaß. Eine Stubsnase, grüne Augen, ein Schmollmund. Die Augen blickten irgendwie gelangweilt. Sie reichte Anderson die Hand und sagte: „Hallo Captain. Mein Vater sagt, Sie hätten die Leute gefunden." Sie sprach Texaner-Slang. Der Captain nickte. „Ja, Miß Ellen." Er wies auf Lobo und Tony. „Das sind die Gentlemen, die Sie begleiten werden." Erst jetzt schien das Mädchen die beiden Männer überhaupt wahrzunehmen. Sie streifte Lobo nur mit einem Blick, schaute dann Tony etwas länger an und sagte schnippisch: „Das sollen Gentlemen sein?" Es entstand eine kleine Pause, die etwas Peinliches hatte. Dann stellte der Captain Lobo und Tony vor. Das Mädchen musterte Lobo von oben bis unten. Ihre Augen verrieten Ablehnung. Über Tony rümpfte sie ebenso die Nase. Tony lächelte sie an. 11
„Warum grinsen Sie so blöde?" sagte Ellen. Dann wandte sie sich vorwurfsvoll an den Captain: „Wo haben Sie denn diese Typen aufgegabelt? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich mich denen anvertraue. Igitt, nein. Besorgen Sie andere. Nicht so einen - Schläger und so einen Indianer. Da wird einer Lady ja angst und bange. Ich werde gleich mit Vater sprechen." Sie maß Lobo und Tony noch einmal mißbilligend, wirbelte herum und verließ den Raum, ohne sich zu verabschieden. Die Tür knallte hinter ihr ins Schloß. Der Captain zuckte mit den Schultern. „Eine recht eigenwillige Person." „Persönchen, meinen Sie", sagte Tony. „Aus der wird wohl nie 'ne Lady", murmelte Lobo. Mike Anderson lächelte. „Ich werde mit dem Kommandeur sprechen. Der Colonel wird euch akzeptieren. Er vertraut mir und läßt mir freie Hand bei der Auswahl von Leibwächtern für Miß Ellen. Es ist nicht das erstemal, daß sie ihre Begleiter erst ablehnt und dann doch gnädig in Kauf nimmt. Um ehrlich zu sein, es ist jedesmal das gleiche Spielchen. Gut, daß sie nicht öfter verreist. Ich habe jedesmal große Mühe, verläßliche Männer zu ihrem Schutz anzuheuern. Ich kam auf die Idee, euch anzuwerben, weil ihr ja sowieso nach Albuquerque müßt. So hätten wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können ..." Lobo sagte: „Weiß der Colonel eigentlich, daß wir in Lordsburg einen Gefangenen abholen sollen? Daß dann ein Verbrecher mit seinem Töchterchen reist?" „Nein, das muß ich ihm noch schonend beibringen." Der Captain strich sich über die Wange. „Du meine Güte", sagte Tony. „Ich wette, die Sache können wir vergessen. Captain, Sie sollten sich schon 12
mal nach anderen Leibwächtern für das Trotzköpfchen umsehen." Er sollte recht behalten. Der Colonel lehnte ab, als er erfuhr, daß Lobo und Tony - abgerissene Strolche hatte Ellen sie genannt noch einen anderen Job erledigen sollten. Mike Anderson engagierte einen Detektiv als Leibwächter für die Tochter des Kommandeurs. Der Mann gefiel Ellen zwar auch nicht, aber schließlich sprach ihr Vater ein Machtwort, und Ellen fügte sich. Sie fuhren mit der Kutsche. Lobo und Tony ritten am nächsten Morgen nach Lordsburg. Sie waren froh, daß sie Ellen nicht am Hals hatten. Denn es stellte sich bald heraus, daß sie mit dem Gefangenen schon genug zu tun hatten ... Cindys Hüften zuckten im Rhythmus der Musik. Der Pianist verspielte sich wieder einmal, aber keiner der männlichen Zuschauer störte sich daran. Sie waren nicht in den StarlightSaloon gekommen, um Musik zu hören. Sie waren gekommen, um Cindy zu sehen. Und sie kamen auf ihre Kosten. Cindy war schön, verrucht schön. Ihr flammendrotes Haar flog. Der Blick ihrer nachtschwarzen Augen schien jeden einzelnen Mann im Saloon einzuladen. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre schwellenden Lippen. Sie raffte den Saum des langen grünen Kleides, zog es langsam hoch, aufreizend langsam, und entblößte ihre langen, schlanken Beine. Cindy trug schwarze Strümpfe, und als sie das Kleid immer höher zog, waren Strapse zu sehen. Schließlich ein schwarzes Spitzenhöschen. Sie erlaubte den Männern nur kurz einen Blick auf das knappe Höschen,
dann ließ sie mit gespielt verschämtem Augenaufschlag das Kleid wieder hinab. Die Zuschauer pfiffen und johlten. „Wollt ihr noch mehr sehen?" rief Cindy mit rauchiger Stimme und schaute herausfordernd in die Runde. „Ja!" ertönte es aus vielen Kehlen. „Weiter. Wir wollen alles sehen!" „Aber ich bin ein armes, unschuldiges Mädchen!" rief Cindy und hielt beide Hände vor das Oberteil des Kleides, das wie ein Mieder gearbeitet war. Gelächter brandete auf. Die Zuschauer riefen wild durcheinander. Cindy warf lachend den Kopf zurück, drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger und lutschte daran, als sei er eine Zuckerstange. „Ihr Schlimmen, ihr." Sie hob die Rechte, und der Pianospieler beendete das Lied. „Spiel mal was Scharfes", forderte Cindy ihn auf. Der Pianist ertastete die richtige Tonart und spielte „Midnight Dream". Der Mitternachtstraum Cindys gefiel den Zuschauern. Cindys Bewegungen wurden immer wilder, ekstatischer. Sie begann, ihr Kleid aufzuknöpfen. Gebannt verfolgten die Zuschauer die Darbietung. Nur einer interessierte sich anscheinend nicht besonders für Cindys Schau. Es war ein unscheinbarer Mann Mitte Vierzig, der einen unsäglich traurigen Eindruck erweckte. Vielleicht trug nicht nur die betrübte Miene dazu bei, sondern auch der schwarze Anzug. Es sah aus, als käme der Mann gerade von einem Begräbnis, was natürlich pietätlos gewesen wäre. Gerade fiel Cindys Kleid. Cindy tanzte nur noch in schwarzer Spitzenwäsche. Ihre Haut schimmerte im Schein der Kerosinlampen. Ihre Hände glitten wie streichelnd über
ihren Körper. Der Mann in dem schwarzen Anzug legte eine Geldmünze auf den Tresen, warf noch einen traurigen und irgendwie desinteressierten Blick zu Cindy, deren Tanz auf den Höhepunkt zusteuerte. Dann verließ er den Saloon. Komischer Typ, dachte der Bartender. Gerade wenn's so richtig spannend wird, zahlt der und verduftet. Aber dann nahm Cindy die Aufmerksamkeit des Bartenders wieder ganz in Anspruch, und der seltsame, traurige Fremde war vergessen. Cindys Blick hatte plötzlich etwas Selbstvergessenes, seltsam Entrücktes. Als die Musik aufhörte, schien sie wie aus einer Trance zu erwachen. Für einen Moment hatte sie die Blikke der Männer vergessen, die ihren Körper förmlich abtasteten, und sich ganz dem Tanz hingegeben. Jetzt blickte sie wieder aufreizend lächelnd in die Runde, und jeder einzelne Zuschauer hatte das Gefühl, das Lächeln gelte nur ihm. Cindy posierte, stemmte die Hände in die Taille und sagte: „Hat's euch gefallen, Gentlemen?" Applaus setzte ein. Einige Zuschauer pfiffen und forderten eine Zugabe. Der Bartender begann schon Bier auf Vorrat zu zapfen, denn in den Pausen zwischen Cindys Auftritten brach jedesmal der große Durst bei den Gästen aus. „Zugabe!" rief auch der Bartender, obwohl er wußte, daß Cindy keine geben würde. Jetzt noch nicht. „Du bist vielleicht ein Schlingel!" rief Cindy dem Mann hinter dem Tresen zu. „Sorg lieber dafür, daß die Gentlemen endlich etwas zu Trinken, bekommen." Der Bartender lächelte. Cindy verstand es geschickt, den Umsatz anzukurbeln. „Okay, bei der nächsten Schau gibt's eine Zugabe", versprach Cindy dem Publikum. „Bis dahin seid ihr 13
doch noch alle hier, oder?" Es klang nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung. Und die Zurufe aus dem Publikum ließen darauf schließen, daß die meisten Gäste bleiben würden. Cindy hob ihr Kleid auf, hauchte dem Publikum einen Kuß zu und verschwand hüftschwingend durch die Tür mit der Aufschrift PRIVATE. Sie gelangte auf einen Gang, von dem zwei Zimmer abzweigten. Rechts die Küche, links der kleine Raum, der ihr als Garderobe diente. Sie öffnete die Tür. Das Zimmer war dunkel. Nur ein schwacher Lichtstreifen fiel durch die fast zugezogenen Vorhänge. Cindy schritt zum Garderobentisch, rieb ein Zündholz an und zündete die Lampe an. Dann erschrak sie. Denn sie sah im Spiegel des Frisiertisches den Mann. Sie wirbelte herum, preßte das Kleid vor ihren Körper und starrte den Mann an. Sie hatte ihn vorhin unter den Zuschauern gesehen. Es war der Schwarzgekleidete mit der Leichenbittermiene. Er hockte auf dem Bettrand und blickte sie betrübt, fast sorgenvoll an. „Was - wollen Sie?" stieß Cindy hervor. „Wer sind Sie?" Der Mann erhob sich langsam. Cindy wich unwillkürlich etwas zurück. Der Mann lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. „Ich", sagte er beinahe feierlich, „bin Ihr Freund, der Killer." Der Sheriff von Lordsburg las Steckbriefe, als Lobo und Tony das Office betraten. Er blickte nur kurz auf, musterte die beiden Besucher und vertiefte 14
sich wieder in einen Steckbrief. „Guten Abend", murmelte Lobo. Der Sheriff hob kurz eine Hand und sagte: „Alles der Reihe nach." Lobo und Tony tauschten einen Blick. Dann zuckte Lobo mit den Schultern, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Tony folgte seinem Beispiel. Der Sheriff behandelte sie weiterhin wie Luft. Lobo musterte den Mann. Er schätzte Sheriff Baldwyn auf Anfang Vierzig. Er hatte ein schmales Gesicht mit asketischen Zügen. Schwarze, fettige Haare, streng zurückgekämmt. Schuppen auf dem Kragen der braunen Jacke. Lobo holte den Tabaksbeutel hervor und drehte sich eine Zigarette. Der Sheriff wedelte ohne aufzublicken unmutig mit der Rechten und sagte mit seiner tiefen Stimme: „Hier wird nicht geraucht." „Dann eben nicht", murmelte Lobo und steckte die Zigarette in seine Hemdtasche. Der Sheriff nahm den nächsten Steckbrief und las angestrengt. Seine Augen waren anscheinend nicht mehr die besten, denn er beugte sich weit über das Papier und kniff die Augen zusammen, um die ein Kranz von Fältchen in Bewegung geriet. Lobo räkelte sich. „Er könnte uns wenigstens einen Drink anbieten", raunte Tony. „Hier wird nicht getrunken", sagte der Sheriff entschieden. Tony schaute Lobo an. „Sollen wir nicht erst mal einen im Saloon zwitschern?" fragte er unternehmungslustig. „Alles zu seiner Zeit", murmelte der Sheriff und nahm den nächsten Steckbrief. Tony verdrehte die Augen. Lauter sagte er: „Bis der mal zu Potte kommt, sind meine Mandeln vertrocknet." Er seufzte und warf dem Sheriff einen giftigen Blick zu. Lobo lächelte. „Du hast nur Angst, er könnte deinen Steckbrief erwi-
schen." Der Sheriff blickte auf. Er hatte braune Augen. Sein Blick war hart und durchdringend. Er musterte erst Lobo, dann Tony. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte: „Wenn das ein Scherz sein soll, so kann ich nicht darüber lachen." „Wir sind nicht zum Scherzen gekommen", sagte Tony, der nun doch etwas ungeduldig wurde. „Wir sind gekommen, um .. ." Der Sheriff winkte ab. „Nicht so ungeduldig, junger Freund. Alles der Reihe nach. Sie sehen doch, daß ich beschäftigt bin." Er blätterte weiter Steckbriefe durch. Ein pedantischer Typ, dachte Lobo. „Ich kannte mal einen Mann", sagte Tony, „der war so beschäftigt, daß er darüber seine Arbeit vergaß." Sheriff Baldwyn nahm sich den letzten Steckbrief vor. Tony zupfte an seinem Schnurrbart. „Weißt du was, Lobo? Ich schau mich mal ein bißchen in dieser freundlichen Stadt um. Du kannst derweil abwarten, bis jener ...", er wies auf den Sheriff und tippte sich an die Stirn, „... Zeit und Muße für eine Audienz hat." „Du bleibst hier", sagte Lobo grinsend. „Du siehst doch, wie sich Mr. Baldwyn abhetzt." Der Sheriff ordnete pedantisch genau den Steckbriefstapel, strich ihn glatt und legte ihn in die Schreibtischlade. Nachdem er die Schublade verschlossen hatte, heftete er seinen Blick auf Lobo und sagte: „Sie sind dieser Lobo?" „Welchen meinen Sie mit diesem?" konterte Lobo. Der Sheriff ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Dann ist Ihr ungeduldiger Freund ein gewisser Anthony Burlesk." „Burgess", korrigierte Tony. „Und besonders ein gewisser." Der Sheriff zog eine andere Schreibtischlade auf, kramte darin herum und brachte ein Schriftstück 16
zum Vorschein. Er überflog es und nickte. „Sie haben recht, Mister Burgess. Sie heißen tatsächlich so." Er hob die schmalen Schultern. „Ich hab einfach kein Gedächtnis für komplizierte Namen. Lobo kann ich gerade noch behalten." Die braunen Augen musterten das Halbblut plötzlich etwas interessierter. „Sagen Sie mal, waren Ihre Vorfahren ..." Lobo hatte keine Lust, dem Mann seine Geschichte zu erzählen. Er sprach nicht gern über seine Vergangenheit. Schon gar nicht gegenüber einem Mann, der nicht gerade ein Vorbild an Freundlichkeit und Höflichkeit war. „Alles der Reihe nach", sagte Lobo. „Wir sind hier, um den Gefangenen Jim Callum zu übernehmen." „Ich weiß." Der Sheriff nickte. „Ich erhielt die Nachricht von einem gewissen Captain Anders aus Fort Bowie." „Anderson", korrigierte Tony. „Nun seien Sie doch nicht so pedantisch, Mister", sagte der Sheriff vorwurfsvoll. „Ich sagte doch schon, daß ich kein gutes Namensgedächtnis habe. Und ob dieser Captain Anders oder anders heißt, das ist doch nun wirklich nicht so wichtig." Lobo holte die Papiere hervor, die der Captain ausgestellt hatte. Er reichte sie dem Sheriff. „Wir werden den Gefangenen morgen früh in Empfang nehmen. Wann fährt die Kutsche?" „Um zehn Uhr." Der Sheriff gab Lobo die Papiere zurück. „Ich bin froh, wenn ich den Burschen los bin. Schweres Kaliber, dieser Call -Call warten Sie, mir fällt's sofort ein: Callum. Bob Callum." Tony bekam einen Lachanfall. Der Sheriff blinzelte verwirrt. „Jim Callum", sagte Lobo amüsiert. „Na, jedenfalls ist das ein ganz gefährlicher. Mehrfacher Mörder. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man ihn längst gehängt." Er
seufzte. „Aber die Armee hat wohl etwas anderes mit ihm vor. Nun, das ist dann nicht mehr meine Sache." Er erhob sich und ging um den Schreibtisch herum. Baldwyn war kleiner, als er hinter dem Schreibtisch gewirkt hatte. Ein Sitzriese. Der Oberkörper war der eines großgewachsenen Mannes, die Beine dagegen sahen lustig aus. Stummelbeine, dachte Lobo. Mit schnellen kleinen Schritten ging Baldwyn auf eine Tür zu. „Dann wollen wir uns den Vogel mal ansehen", meinte er. „Nicht nötig", sagte Lobo. Der Sheriff blieb stehen und schaute sich verwundert um. „Sie wollen nicht mit ihm sprechen?" „Alles zu seiner Zeit", sagte Lobo. „Wir sehen ihn ja morgen früh. Und auf der langen Fahrt werden wir ihn schon noch kennenlernen. Warum sollen wir uns jetzt schon den Abend verderben?" Er stand auf. Tony ebenfalls. „Mann, hab ich einen Bärenhunger", sagte Tony. Er zupfte an seiner Samtschleife. Sie war neu. Ebenso der Anzug. Es war ein feiner schwarzer Tuchanzug. Der gesamte Vorschuß, den Captain Anderson herausgerückt hatte, war dafür draufgegangen. Kurz vor der Stadt hatte Tony angehalten, die Bürste aus seinen Satteltaschen geholt und den Staub des Rittes vom Anzug gebürstet. Tony legte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Die Schwellung seines Auges war zurückgegangen, und er sah wieder recht manierlich aus. „Wo kann man hier am besten essen?" fragte Lobo den Sheriff. „Im Restaurant neben dem Lordsburg Palace Hotel", erwiderte Baldwyn. „Ausgezeichnete Küche. Das Restaurant gehört meinem Schwager. Sie können dann gleich im Hotel nebenan übernachten. Das gehört meinem Bruder." „Na prächtig", sagte Tony. „Und wo
empfehlen Sie uns, einen Schlummertrunk zu nehmen?" „Im Starlight-Saloon", antwortete der Sheriff. „Der gehört Ihrer Schwester", sagte Lobo mit leichtem Spott. Der Sheriff blinzelte verwundert. „Nein. Wieso?" „Hätte ja sein können." Baldwyn war wohl nicht gerade mit Humor gesegnet. Ernsthaft sagte er: „Meine Schwester führt den Store gegenüber. Hat dort eingeheiratet." „Ah, sie hat Mister Store geehelicht", spöttelte Tony. „Nein, Mister Cramer", stellte der Sheriff klar. „Ist ja noch besser", grinste Tony. Der Sheriff blieb ernst. „Wenn meine Schwester der Saloon gehörte, wäre es ein anständiges Lokal." „Und jetzt ist es ein unanständiges?" Tonys Frage klang beinahe erfreut. „Eine Lasterhöhle", sagte der Sheriff grimmig. „Seit diese Tänzerin in der Stadt ist." Er sprach Tänzerin voller Verachtung aus. Lobo und Tony wußten, welche Art von Tänzerin der Sheriff meinte. „Und so etwas empfehlen Sie uns", sagte Lobo. „Ich muß doch wirklich sehr bitten", fügte Tony tadelnd hinzu. Der Sheriff nahm auch das ernst. „Nein, nein, Gentlemen, Sie können unbesorgt sein. Diese Tänzerin tritt nur zweimal am Abend auf. Sie können zwischendurch in Ruhe etwas trinken, ohne von dieser - dieser obszönen Person belästigt zu werden. Der Whisky und das Bier sollen, wie man mir sagte, sehr gut sein. Ich selbst trinke ja keinen Alkohol, und ich hasse verräucherte Lokale. Aber selbst der Bürgermeister sagte, die Getränke seien dort einwandfrei. Ich wollte den Saloon nämlich schließen, wegen dieser unzüchtigen Darbietungen. Erst gestern noch habe ich dieser Frau angedroht, sie würde aus der Stadt gewiesen, wenn sie sich nicht mäßigt. Lordsburg war immer 17
eine, anständige Stadt. Sie soll kein Sündenbabel werden." Lobo und Tony tauschten einen Blick. „Was?" sagte Tony mit gespielter Enttäuschung. „Ihr habt hier nicht mal 'nen richtigen Puff?" Dem Sheriff war diese direkte Frage anscheinend peinlich. „Nun, das gewisse Haus war schon vor meiner Amtszeit da. So ganz läßt sich da nicht Einhalt gebieten. Aber ich werde alles daransetzen, daß sich das Laster nicht ausbreitet..." „Wohin gehen wir nun zuerst, Lobo?" fragte Tony mit einem breiten Grinsen. „Restaurant", sagte Lobo. „Ich denke, du hast einen Bärenhunger?" „Wie du meinst", antwortete Tony und warf dem Sheriff einen Blick zu. „Wie sagten Sie vorhin mehrfach so treffend: Alles zu seiner Zeit und alles der Reihe nach."
„Killer?" Cindy starrte den traurig wirkenden, schwarzgekleideten Mann an. „Oh, ich vergaß, mich vorzustellen." Er verneigte sich leicht. „Mein Name ist Oregon. Einfach Oregon. So nennen mich jedenfalls meine Freunde. Auch Braddock nennt mich so." „Braddock?" Er nickte. „Ich soll Sie von ihm grüßen." Cindy atmete auf. Ihre Haltung entspannte sich. Die Wandlung war verblüffend. „Was ist mit Braddock?" fragte sie. „Ich warte schon seit über eine Woche auf ihn." „Er konnte nicht kommen. Er läßt sich entschuldigen. Eine Posse war hinter ihm her. Es gelang ihm zu entkommen. Aber er wurde verletzt. Er liegt noch eine Zeitlang flach. Da bat er mich um den kleinen Gefallen. Er sagte, reite nach Lordsburg und helfe meiner Freundin Cindy. Du wirst 18
sie dort im Starlight-Saloon finden." Cindy ließ das Kleid sinken, das sie vorhin ängstlich vor ihren fast nackten Körper gepreßt hatte. Sie setzte sich an den Frisiertisch und bürstete ihr langes rotes Haar, das im Schein der Lampe wie Kupfer leuchtete. „Setz dich doch, Oregon", sagte sie und suchte im Spiegel den Blick des Mannes. Oregon nahm wieder auf der Bettkante Platz. „Bis zum nächsten Auftritt haben wir zwei Stunden Zeit", fuhr Cindy mit rauchiger Stimme fort. „Mach es dir nur gemütlich." Sie wandte sich wieder um und lächelte ihn an. „Du bist also ein Freund von Braddock. Ich kann dir vertrauen." „Natürlich." „Hat Braddock dich eingeweiht?" „Nein." „Du weißt gar nicht, worum es geht?" „Nein, Miß. Genaues weiß ich nicht. Nur ..." „Du darfst Cindy zu mir sagen." Sie stemmte beide Hände zwischen die gespreizten Schenkel auf den Schemel und musterte ihn unter halbgesenkten Lidern. „Willst du einen Drink, Oregon?" „Ich trinke nicht vor einem Job. Wer ist der Mann?" Cindy lachte. „Du kommst immer schnell zur Sache, wie?" „Geschäft ist Geschäft." Cindy nickte und dachte: Nein, wie ein Killer sieht der nicht aus. Eher wie ein Prediger oder ein Bankier. Aber wie sehen Killer schon aus? Auch Braddock sah nicht wie ein Killer aus. Sie hatte ihn für einen Storekeeper gehalten, als sie ihn in Las Cruces kennengelernt hatte ... „Kommen wir also gleich zum Geschäftlichen", sagte Cindy. „Wieviel?" „Hundert", erwiderte Oregon. „Ein Sonderpreis, weil Braddock mein Freund ist. Ich vertrete ihn, weil er mir auch mal einen Gefallen getan
hat." Cindy lächelte, wie sie vorhin bei ihrer Schau gelächelt hatte: aufreizend, sinnlich. Doch ihre schwarzen Augen lächelten nicht mit. Sie wirkten wie leblos, kalt, ohne Gefühl. „Akzeptiert", sagte sie in zufriedenem Tonfall. Ihre Hände glitten zum Rücken. Langsam öffnete sie den Verschluß des Büstenhalters. Oregons Miene schien noch eine Spur melancholischer zu werden. Cindy bemerkte es nicht. Sie erhob sich vom Schemel und streifte langsam das Höschen ab. Oregon blickte die nackte Frau an. Erst jetzt bemerkte Cindy, daß er keinerlei Reaktion zeigte. „Was ist, Oregon, gefalle ich dir nicht?" Sie schritt mit wiegenden Hüften auf ihn zu. „Stehst du nicht auf Rothaarige?" Oregon sagte: „Ich bin nicht so." Sie blieb dicht vor ihm stehen. „Na also. Wenn du Braddock vertrittst, steht dir auch zu, was ich ihm als Zusatzprämie versprochen habe. Hat er dir nichts davon erzählt?" Sie setzte sich neben ihn auf das Bett. Ihr Schenkel berührte seinen. Oregon schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht so", wiederholte er. Cindy wurde unsicher. „Du brauchst dich nicht zu genieren, Oregon." Sie legte ihre Rechte auf seinen Oberschenkel. Oregon blickte ihr in die Augen. „Es ist wohl ein Mißverständnis", sagte er ruhig. „Braddock hat wohl Wert auf die Zusatzprämie gelegt. Er ist verrückt auf Frauen. Aber ich bin nicht so." Cindy verstand. „Du bist also mit den hundert zufrieden?" sagte sie, und es war eine kühle und geschäftsmäßige Feststellung. Oregon nickte. Und er erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns. „Ich bin sonst nicht billig zu haben. Aber ich sagte ja, es ist ein Sonderpreis." Cindy erhob sich vom Bett und
schritt zum Schrank. Diesmal schwangen ihre Hüften nur ganz leicht. Sie ging natürlicher. „Du willst sicher eine Anzahlung", sagte sie und warf einen Blick über die Schulter zurück. Oregon schüttelte den Kopf. „Ich kassiere immer im voraus," Es klang entschuldigend. „Ich führe den Job aus und verschwinde. Das ist für beide Seiten das beste. Niemand braucht uns zusammen zu sehen." „Wie bist du eigentlich hier reingekommen?" fragte Cindy. „Über den Hof durch die Hintertür." Cindy nickte. Braddock hatte ihr sicherlich keinen Amateur geschickt. Sie überlegte, während sie das Geld hervorholte, das sie unter einem Stapel Wäsche versteckt hatte. Es waren hundertvierundzwanzig Dollar. Sie hatte lange für diesen Tag gespart. Sie zählte hundert Dollar ab, legte das restliche Geld wieder unter die Wäschestücke und schloß den Schrank. Oregon zählte nicht nach, als sie ihm das Geld gab. Er schob die Banknoten in die Innentasche seiner Jacke. „Kommen wir zu den Einzelheiten", sagte er. „Wo finde ich den Mann?" „Er ist in der Stadt." „Ein Bürger?" Cindy schüttelte den Kopf. „Aber es muß in der Stadt geschehen. Morgen früh. Ich werde vom Hotelzimmer aus zuschauen." Oregon blickte sie an, plötzlich interessiert. Aber sie wußte, daß er nur an Einzelheiten für den Mord Interesse hatte - nicht an ihr als Frau. Eigentlich komisch, dachte sie. Einer der wenigen, die einer Frau wie mir in die Augen schauen: Und sie dachte an die lüsternen Blicke der Männer im Saloon. Die hatten woanders hingestarrt. „Sie - du willst zuschauen? Traust 19
du mir etwa doch nicht? Wenn ich einen solchen Job übernehme..." „Das ist es nicht", unterbrach Cindy ihn hastig. „Es ist nur -ich will sehen, wie er stirbt." Plötzlich tanzten kalte Funken in ihren Augen. Der Killer blickte sie einen Augenblick lang nachdenklich an. Schließlich sagte er: „Mir ist es egal, ob ich Publikum habe oder nicht. Hauptsache, niemand stört mich. Wie wäre es mit weiteren Einzelheiten? Wie heißt der Mann?" „Jim Callum", sagte Cindy.
Das Publikum im Starlightsaloon tobte vor Begeisterung. Denn Cindy hatte beim zweiten Auftritt ihre versprochene Zugabe gegeben. Sheriff Baldwyn wären wohl die Augen aus dem Kopf gequollen, wenn er diese Nummer gesehen hätte. „Ein heißes Mädchen, diese Cindy", sagte Tony zu Lobo. Er mußte gegen den Applaus anschreien. „Die wuchert nicht mit ihren Pfunden." Ein Mann am Nebentisch hatte Tonys Bemerkung aufgeschnappt. „Pfunde?" rief er. „Ich würde eher sagen, Kilos." Er lachte. Tony überhörte den Mann in dem Lärm. Er blickte Cindy nach, die durch die Tür mit der Aufschrift PRIVATE verschwand. „Ich wette, die kann nicht nur gut tanzen", sagte Tony, und seine Zähne blitzten. Lobo grinste. „Wenn man ehrlich ist, getanzt hat sie kaum." „Nun gut. Das war eben ein Schauspiel. Ein kleines Theaterstück. Titel: Oh, Cowboy, ich verglühe, wenn du nicht bald kommst." „Ja", stimmte Lobo zu. „Sie ist bestimmt eine gute Schauspielerin." Der Lärm ebbte etwas ab. „Das war echt", behauptete Tony mit etwas gedämpfterer Stimme. 20
„Soviel Leidenschaft kann keine Frau der Welt vorspielen." Manche schon, dachte Lobo. Aber er ließ Tony seine Begeisterung. Tony rief dem stark beschäftigten Bartender zu: „Noch zwei Bier, Mister Zapfhahn!" „Ich kann nicht hexen!" gab der Mann zurück. Es wurde wieder laut im überfüllten Saloon, denn Cindy tauchte von neuem auf. Sie trug jetzt ein schulterfreies langes Seidenkleid, raffiniert in seiner Einfachheit. Der dünne Stoff floß über ihre Formen. Sie schritt lächelnd zur Theke, die von Männern umlagert war. „Ob ich sie zu einem Drink einlade?" überlegte Tony. „Zu spät", erwiderte Lobo. Tony folgte seinem Blick. Cindy wurde förmlich mit Einladungen und Anträgen überschüttet. Fast ein Dutzend Männer drängten sich um sie. Ihr dunkles Lachen tönte durch das Stimmengewirr. Der Bartender geriet ins Schwitzen. Stoßzeit. So war es immer nach Cindys letztem Auftritt. Soviel hatte er sonst den ganzen Tag über nicht zu tun. Seine Stimmung schwankte zwischen Ärger über die hektische Arbeit und Freude über den guten Umsatz. Cindy prostete bereits mehreren Männern gleichzeitig zu. „Schau mal, wie sie alle buhlen", sagte Tony. „Dabei hätte nur einer hier im Saloon eine Chance bei ihr..." „Der schönste Mann von Luckenbach und Umgebung", sagte Lobo. „Na ja, wenn du's schon sagst. Vielleicht würdest du ihr auch noch so gerade gefallen, Indianer. Aber ich weiß, daß du ein guter Freund bist und mir zuliebe verzichtest. Leih mir doch mal ein bißchen Kleingeld. Ich bin nicht mehr so ganz flüssig, nachdem ich mich neu einkleiden mußte."
„Willst du wirklich mitbieten?" fragte Lobo. „Nun ja. Einen Drink kann man schon mal investieren. Wir sehen uns dann morgen früh um halb zehn wieder." Lobo gab Tony einen Dollar. „Optimist", murmelte er. Tony rückte seine Samtschleife zurecht, strich ein Stäubchen von seinem Jackett und erhob sich. Er ging mit selbstbewußter Miene zum Tresen. Ein Betrunkener torkelte ihm über den Weg. Er wollte sich an Tony haltsuchend anlehnen, doch Tony wich aus. Der Mann verlor die Balance und schlug der Länge lang hin. Er fluchte. Tony hatte den Kreis der Männer erreicht, zwängte sich zwischen zwei Gästen hindurch, die sich um Cindys Gunst bemühten. Einer der Männer starrte ihn zornig an. „Eh, vordrängeln gibt's nicht." Tony erwiderte etwas, das Lobo von seinem Platz aus nicht verstehen konnte. Es mußte etwas gewesen sein, was dem Mann nicht gefiel. Der Mann trug die Kleidung eines Weidereiters. Wahrscheinlich war er ein Cowboy von einer der umliegenden Ranches, der sich mal wieder in der Stadt amüsieren wollte. Er hatte wohl schon reichlich Alkohol getrunken. Sein Gesicht war gerötet. Er stieß Tony an der Schulter zur Seite. „Hau ab, du geschniegelter Hurensohn." Cindy lachte. Einige der Männer blickten jetzt zu Tony. Hoffentlich läßt Tony sich nicht gehen, dachte Lobo etwas besorgt. Doch Tony ließ sich gehen. Er gab dem Mann eine schallende Ohrfeige. Ein zorniger Aufschrei, dann stürzte sich der Cowboy auf Tony. Tony wich der Faust aus, doch als er zurücksprang, prallte er gegen den Betrunkenen, der sich inzwischen aufgerappelt hatte und zur Theke
wollte. Der Betrunkene hielt sich an Tony fest und riß ihn mit zu Boden. Tony schüttelte den Mann ab und sprang auf. Die Faust des Cowboys traf ihn am Kinnwinkel. Tony blockte einen weiteren Schlag des Cowboys ab, entdeckte eine Lücke in der Deckung des Mannes und schlug knallhart zu. Der Cowboy taumelte zurück gegen einen anderen Gast. Der verschüttete Whisky. Lobo sah, wie der Betrunkene auf die Beine kam und Tony von hinten angreifen wollte. Er kündigte das durch einen wilden Schrei an, der wie ein Röhren klang. Tony war also gewarnt. Er drehte sich etwas, ging blitzschnell in die Hocke, und der Betrunkene schoß über ihn hinweg gegen den Cowboy, der wieder Tony angreifen wollte. Lobo ahnte, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Er war ein bißchen enttäuscht von Tony. Er hatte ihn für vernünftiger gehalten. Wenn der Cowboy Freunde im Saloon hatte, konnte es schlimm für Tony werden. Von seinem neuen Anzug gar nicht zu reden. Der Cowboy hatte Freunde. Tony konnte zwar mit ihm fertig werden, aber nicht mit den anderen. Sie griffen an. Tony packte einen Angreifer und drehte sich mit ihm. Dann ließ er plötzlich los. Der Mann prallte gegen einen anderen, der wiederum gegen Cindy taumelte. Er hielt sich länger an ihr fest, als nötig gewesen wäre. Das gefiel einem anderen Gast nicht. Er packte den Mann an der Schulter und riß ihn von Cindy fort. Tony war mit drei Gegnern beschäftigt. Er bekam jetzt etwas Hilfe von anderen Gästen, aber es war klar, wie der Kampf ausgehen mußte. Im Nu hatte sich eine wilde Keile21
rei entwickelt, an der über ein Dutzend Männer beteiligt waren. Der Bartender schrie händeringend: „Aufhören! Seid doch vernünftig! Aufhören!" Niemand schenkte ihm Beachtung. Tony schüttelte gerade einen Angreifer ab, der ihn von hinten umklammert hielt. Der Mann rutschte über den Tresen, fegte Flaschen und Gläser um. Cindys Schrei gellte durch das Kampfgetümmel. Ihr Kleid war vorne mit Whisky bespritzt. Der dünne Stoff klebte an ihrer Haut. Lobo sah, wie einige Männer von den Tischen aufsprangen, um auch noch mitzumischen. Lobo hatte keine Lust, sich an der Schlägerei zu beteiligen. Die Kämpfenden konnten anscheinend nicht mehr Freund oder Feind unterscheiden. Wahllos droschen sie um sich. Ein Hut segelte in das Flaschenregal. Flaschen zerklirrten, als sie herunterfielen. Lobo zog den Army Colt und schoß in die mit Sägemehl bestreuten Planken. Es dauerte einen Augenblick, bis die Kämpfenden den Knall überhaupt wahrnahmen. Dann erstarrten alle. Der Bartender hatte jetzt eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf in der Hand. „Schluß!" brüllte er in die einsetzende Stille. „Verdammt noch mal, hört auf!" Wie Tony es schaffte, sich aus dem Staub zu machen, das blieb sein Geheimnis. Während sich die Aufmerksamkeit auf Lobo konzentrierte, verschwand er durch die Tür mit dem Schild PRIVATE. Und Cindy folgte ihm! Lobo sah es nur flüchtig, denn er mußte die anderen Männer im Auge behalten. Besonders den Cowboy und seine Freunde. Der Cowboy, dessen Nase blutete, starrte Lobo mit stierem Blick an. 22
„Verdammter Bastard!" schrie er. „Was mischst du dich ein?" „Seid doch vernünftig!" rief der Bartender. Vergebens. Der Cowboy stürmte los. „Jungs, dem zeigen wir's!" Lobo zeigte ihnen den Army Colt. Sie stoppten abrupt. Erst jetzt erkannten sie die ganze Situation. Der Cowboy blickte in die Mündung des Colts, dann in Lobos Gesicht. Lobo bemerkte eine Bewegung hinter sich. Im nächsten Augenblick bohrte sich eine Revolvermündung in seinen Rücken. „Laß das Eisen fallen", sagte eine rauhe Stimme. Der Cowboy grinste. Lobo brauchte sich nicht umzudrehen. Er wußte auch so, daß der Mann hinter ihm ein Freund des Cowboys sein mußte. Der Druck der Revolvermündung verstärkte sich. Es kribbelte zwischen Lobos Schulterblättern. Die Situation war gefährlich. Die Reaktion Betrunkener war immer schwer vorauszuberechnen. Und zumindest angeheitert waren zu dieser Stunde fast alle Männer im Saloon. Lobo behielt den Colt in der Hand. Im Grunde war die Waffe völlig nutzlos, denn er konnte nicht schießen, ohne Unbeteiligte zu gefährden, die sich vor dem Tresen drängten. Und wenn er geschossen hätte, wäre wohl auch der Mann hinter ihm nicht untätig geblieben. Aber er erreichte eine Patt-Situation, indem er den Colt in der Hand behielt und auf den Cowboy zielte. „Sag deinem Freund, er soll keine Dummheit begehen", sagte Lobo mit ruhiger Stimme zu dem Cowboy. „Einen könnte ich noch mitnehmen und zwar dich!" Der Cowboy wurde unsicher. Sein Blick ging an Lobo vorbei zu dem Mann mit dem Revolver. Er signali-
sierte seinem Freund etwas. Spannung lag in der Luft. Dem Bartender war die Sicht auf die Szene versperrt. Lobo sah, daß jetzt einige andere Männer, halb verdeckt von ihren Vorderleuten, zu den Waffen griffen. Die Situation spitzte sich immer mehr zu. Dieser verdammte Tony, dachte Lobo. Mußte er auch unbedingt den Hahn spielen. Jetzt sitze ich schön in der Klemme. Der Cowboy warf einen Blick zurück. Dann wandte er sich um und schob sich hinter einen der Männer, die ihre Waffen gezogen hatten. Jetzt war die Lage noch schlechter für Lobo. Totenstille herrschte im Saloon. Plötzlich spürte Lobo den Revolver nicht mehr in seinem Rücken. Instinktiv duckte er sich zur Seite weg. Gerade noch rechtzeitig. Der Revolverkolben, der seinen Hinterkopf treffen sollte, schrammte nur über seine rechte Schulter. Der Hieb war wuchtig, und für einen Augenblick war Lobos rechter Arm wie betäubt. „Laß dein Eisen fallen!" sagte die Stimme hinter Lobo. Lobo ließ sich fallen. Er landete halb unter dem Tisch, und der Revolverkolben verfehlte ihn. Lobo stieß den Tisch um, so daß ihn dessen Platte gegen die anderen Männer vor dem Tresen abschirmte, und die Hand mit dem Revolver zuckte zu dem Mann herum, der ihn zum zweiten Mal hatte niederschlagen wollen. Das alles war so schnell gegangen, daß Lobos Aktion den Mann überrascht hatte. Er kam nicht mehr dazu, den Colt - es war ein Remington umzudrehen. Der Mann erstarrte. Er trug ein kariertes Hemd unter einer verkratzten braunen Lederweste, Levishosen und Stiefel mit Sporen. Die Lassonarben auf seinen
Händen verrieten Lobo, daß der Mann wohl auch ein Cowboy war. Er war älter als die anderen, und er wirkte nüchterner. In seinen blauen Augen funkelte Furcht. Unaufgefordert ließ er den Remington fallen. „Stop!" rief eine Stimme von der Saloontür her. „Waffen weg, oder es knallt!" Lobo erkannte die Stimme. Es war Sheriff Baldwyn, der in den Saloon gestürmt war. Lobo atmete auf und schob seinen Army Colt ins Leder, nachdem er ihn entspannt hatte. Aber er blieb noch hinter der Tischplatte liegen. Er hörte Waffen zu Boden poltern und wußte, daß der Sheriff die Situation im Griff hatte. „In Ordnung", sagte Sheriff Baldwyn. „Was war hier los? Wer hat geschossen?" Lobo richtete sich auf. „Ich." „Sie?" Lobo hob seinen Hut auf und setzte ihn auf. „Ich wollte eine Schlägerei beenden. Da hab ich einen Warnschuß in die Planken gesetzt." „Schlägerei, ha!" sagte der Sheriff. Seine Stimme verriet grimmige Zufriedenheit. „Markon, habe ich dir nicht versprochen, den Laden zu schließen?" Mit kurzen schnellen Schritten ging der Sheriff auf die Männer vor dem Tresen zu. Er hielt eine doppelläufige Greener im Anschlag. Die Männer vor dem Tresen wichen etwas zur Seite und gaben den Blick auf den Bartender frei. Auf Markons Stirn glitzerte Schweiß. „Sheriff, es war keine Schlägerei", beteuerte er. „Ehrlich, nur ein kleiner Spaß. Es ist ja gar nichts passiert." Der Sheriff blickte sich um. Er sah erhitzte Gesichter mit Beulen und Schrammen, sah zerbrochene Flaschen und Gläser. Er wandte den Kopf. „Stimmt das, 23
Mister Lobo?" Lobo zuckte nur mit den Schultern. Er wollte keine falsche Aussage machen, er wollte aber auch niemanden unnötig in Schwierigkeiten bringen. Der Mann, der ihn vorhin bedroht und versucht hatte, ihn niederzuschlagen, raunte Lobo zu: „Ich bin Vormann von der WB-Ranch. Ich wollte verhindern, daß es eine Schießerei gibt." Lobo nickte. Das wertete der Sheriff wohl als Zustimmung. „Markon, du weißt Bescheid. Ich warne dich zum letzten Mal." „Aber was soll ich denn machen, wenn sich die Gäste verprügeln, daß die ..." Er verstummte, denn es war ihm klargeworden, daß er schon zuviel gesagt hatte. „Es war also doch eine Schlägerei?" sagte der Sheriff. „Nein, nein. Es war alles nur ein kleiner Spaß." Der Sheriff musterte ihn einen Augenblick lang schweigend. Dann sagte er: „Eines Tages hört der Spaß hier auf. War die Schau von dieser - Tänzerin heute anständig?" Der Bartender nickte. „Und wie", meinte einer der Gäste grinsend. Alle entspannten sich. Die Männer hoben ihre Waffen auf und steckten sie weg. Einige kehrten zu ihren Tischen zurück. Lobo stellte den umgestürzten Tisch wieder auf. Der Sheriff warf noch einen Blick in die Runde, dann ging er. Lobo verzichtete auf einen weiteren Drink und verließ kurz darauf das Lokal. Der Bartender kehrte Scherben zusammen. Er trauerte dem Verlust einiger Flaschen nicht nach. Heute war der Umsatz besonders gut gewesen.
„Mann, war das eine Nacht", sagte 24
Tony am nächsten Morgen. „Gut geschlafen?" fragte Lobo. „Ich hab kein Auge zugetan", bekannte Tony grinsend. „Aber Cindy auch nicht." Lobo blickte Tony ein wenig überrascht an. „Schau nicht so neidisch", sagte Tony. „Ich bin nun mal ein As. Und weißt du, was das Größte war?" Er wartete Lobos Antwort nicht ab. „Ich brauchte ihr nicht mal den Drink zu spendieren." „Dazu hattest du keine Gelegenheit mehr", nickte Lobo. „Mensch, Lobo, ist das eine Frau", sagte Tony schwärmerisch. „Himmel und Hölle - so was hab ich noch nicht erlebt. Zuerst, als wir vor diesen Schlägern flüchteten, war sie noch recht kühl. Ich mimte ein wenig den Verletzten. Da nahm sie mich mit auf ihr Zimmer. Und dann hat sie mich behandelt. Ich kann dir sagen - ich fühle mich jetzt noch wie im siebenten Himmel. Für Cindy könnte ich alle Frauen der Welt vergessen." „Auch deine Kathy?" Lobo erinnerte ihn bewußt an seine Freundin, die mollige Kathy, die er einmal auf Kellys Pferdewechselstation kennengelernt hatte. Er wollte ihn von seiner rosaroten Wolke herunterholen. „Wieso sprichst du von Kathy?" sagte Tony vorwurfsvoll. „Das ist doch etwas ganz anderes. Die werde ich eines Tages heiraten. Aber Cindy - nein, ich glaube nicht, daß ich die heiraten würde. Wäre auf die Dauer zu anstrengend. Sag mal, Indianer, hast du dich auch gut amüsiert?" „Und wie", antwortete Lobo mit leichtem Groll. Er öffnete die Tür zum Sheriff's Office. „Na, dann ist ja alles klar", sagte Tony und folgte ihm in das Büro. „Ich hatte nämlich einen Moment lang Sorgen. Aber dann sah ich, daß du alles im Griff hattest, und Cindy ließ mir auch keine Zeit mehr zum Nachdenken."
Er hatte die letzten Worte im Flüsterton gesprochen, damit der Sheriff sie nicht hören konnte. Sheriff Baldwyn wirkte ziemlich mürrisch an diesem Morgen. Erst als die Sprache auf den Gefangenen kam, hellte sich seine Miene etwas auf. „Gut, daß ich den Kerl loswerde", sagte er. Kurz darauf sahen Lobo und Tony den Gefangenen. Jim Callum war achtundzwanzig, aber er wirkte wie vierzig. Sein breites Gesicht zeigte die Spuren eines wüsten Lebens. Er hatte strähniges, hellblondes Haar, das fast bis zu den Schultern reichte. Seine grünen Augen blickten lauernd und unstet. Die Nase war groß und ein wenig gekrümmt. Der Mund mit wulstigen Lippen war nach unten verzogen. Seine Haut war unrein, die Kleidung ungepflegt. Er war ein stämmiger Mann, und offensichtlich neigte er zu Schweißausbrüchen. Dunkle Flecken waren unter den Achselhöhlen zu sehen. Er hob die mit Handschellen gefesselten Hände und rieb sich über die Stirn. Dann musterte er Lobo, und seine Lippen verzogen sich noch mehr. „Ah, meine Lebensretter", sagte er spöttisch, und Lobo sah, daß Callum ein Schneidezahn fehlte. „Wenn es nach mir ginge, wärst du längst in der Hölle", sagte der Sheriff grimmig. „Aber es geht nicht nach dir", erwiderte Jim Callum. „He, Sheriff, konntest du keine anderen Begleiter auftreiben? Ich reise nicht gern mit Rothäuten." Die grünen Augen funkelten Lobo an. Dann schaute er Tony an. „Und auch nicht gern mit Lackaffen." „Wenn dir was nicht paßt, brauchst du es nur zu sagen", erklärte Tony und rieb sich über den Knöchel der rechten Hand. „Wir erfüllen dir jeden Wunsch." „Darauf lege ich auch Wert. Ich bin
ein wichtiger Mann ..." „Freundchen, du stinkst nicht nur aus dem Hals", sagte Tony. „Über eines mußt du dir im klaren sein. Wir liefern dich in Albuquerque ab - tot oder lebendig. Du kannst es dir aussuchen." „Tot nütze ich euch nichts. Dann erfahrt ihr nichts von mir." Tony lächelte. „Wir könnten auf die Idee kommen, dir dein Wissen aus der Nase zu bohren. Sieh mal, mein Freund Lobo ist ein halber Indianer. Der kennt so einige Tricks, wie man Leute zum Singen bringt..." Callums Grinsen erstarb. „Ich verlange eine anständige Behandlung", sagte er wütend zu dem Sheriff. „Das ist mir zugesichert worden. Und sollten diese Typen
mich auch nur anrühren, dann werde ich..." „In Ordnung, Callum", unterbrach ihn Lobo. „Mein Freund Tony hat das nicht so gemeint. Du stehst unter dem Schutz des Gesetzes, und solange du dich anständig benimmst, hast du nichts zu befürchten. Aber über eines solltest du dir keine Illusionen machen: Ein Fluchtversuch bringt nichts." „Höchstens ein Stück Blei", sagte Tony. Callum zuckte gleichmütig mit den breiten Schultern. „Warum sollte ich fliehen, wenn ich mich freikaufen kann?" „Gut, daß du es so siehst." Lobo erhob sich und nahm seine Winchester. 25
„Dann wollen wir mal." Tony hielt sein Gewehr in der Linken. Die Rechte lag auf dem Revolverkolben. Er schritt zur Tür und forderte dort Callum mit einer Kopfbewegung auf, ihm zu folgen. Lobo und der Sheriff schlossen sich an. Die Main Street lag verlassen in der Morgensonne. Nur vor der Postkutschenstation waren einige Passanten zu sehen. Die Sonne brannte zu dieser Morgenstunde schon heiß vom kaum bewölkten Himmel. Auf dem Weg zur Kutsche wechselten Lobo und der Sheriff noch ein paar Worte. „Machen Sie's gut", sagte Baldwyn leise zu Lobo, so daß der Gefangene, der ein paar Schritte vorausging, die Worte nicht verstehen konnte. „Na ja, viel zu befürchten haben Sie nicht. Seine Komplizen sind gehängt worden, und er allein wird kaum Lust verspüren, bei einem Fluchtversuch Kopf und Kragen zu riskieren. Zu Fuß und gefesselt hat er keine Chance zu entkommen." Ein Gedanke beschäftigte Lobo. „Weiß eigentlich jemand außer uns und der Armee, daß der Gefangene heute auf die Reise geht?" Der Sheriff blickte verständnislos. „Wieso, das sieht doch jeder, der es sehen will." „So meinte ich das nicht", korrigierte sich Lobo. „Weiß jemand, was der Gefangene aussagen will und wohin er gebracht wird?" Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Niemand außer mir und meinem Deputy. Und wer sollte ein Interesse an Callum haben?" „Der Verräter von Albuquerque", sagte Lobo trocken. Sie hatten die Kutsche erreicht. Die frischen Pferde waren noch nicht eingeschirrt, die Passagiere noch nicht zugestiegen. „Sie meinen ...", begann der Sheriff. Der Rest ging im Krachen eines 26
Gewehrschusses unter. Und dann war auf der Main Street von Lordsburg plötzlich die Hölle los. Lobo sah, wie Tony schwankte, und reagierte instinktiv. Mit einem wahren Panthersatz schnellte er sich auf den Gefangenen zu und stieß ihn zu Boden. In letzter Sekunde. Denn wieder peitschte ein Schuß. Das Geschoß pfiff dicht über Lobo und Callum hinweg und knallte in die Kutschentür. „In Deckung!" schrie Lobo Callum zu. Der Verbrecher robbte unter die Kutsche. Ein Geschoß fetzte Staub neben seinen Stiefeln auf. Lobo war in wirbelnder Aktion. Er rollte durch den Staub, riß sein Gewehr hoch, hebelte in einer einzigen fließenden Bewegung eine Patrone in die Kammer und tastete gleichzeitig mit dem Blick die Zeile der gegenüberliegenden Häuser ab. Denn von dort waren die Schüsse gefallen. Von neuem krachte es. Der Sheriff schrie auf. Lobo sah das Blitzen auf einem der Dächer, etwas Dunkles, wohl der Hut des Schützen, und feuerte. Der Hut verschwand sofort. Lobo gab einen weiteren Schuß ab, um den Schützen auf dem Dach in Deckung zu zwingen. Mit einem schnellen Blick erfaßte Lobo die Situation. Jim Callum lag unter der Kutsche in sicherer Deckung. Ein eisiger Schreck durchfuhr Lobo, als er Tony sah. Tony lag reglos vor der Kutsche am Boden. Sein weißes Hemd war an der Brust rot vom Blut. Der Sheriff war verletzt. Er kroch gerade auf allen vieren durch den Staub hinter die Kutsche. „Nicht zu nahe an den Gefangenen heran!" warnte Lobo. „Wenn er sich nur bewegt, Sheriff, dann schießen Sie!" „Worauf Sie sich verlassen kön-
nen." Die Stimme des Sheriffs klang gepreßt. Lobos Gedanken jagten sich. Ein Killer oder mehrere? Nein, nur einer hatte geschossen. Und zwar auf den Gefangenen. Er hatte nicht befreit, sondern getötet werden sollen ... Lobo feuerte zum Dach hin. Dann sprang er auf, packte den bewußtlosen Tony unter den Schultern und zog ihn in Deckung. Tony lebte noch. „Einen Doc!" schrie Lobo, und seine Stimme überschlug sich. Sein Ruf hallte über die Main Street. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Die wenigen Passanten hatten sich beim ersten Schuß eilig in Deckung gebracht. Niemand wagte sich jetzt auf die Straße. Lobo wartete mit schußbereiter Winchester, daß der Killer sich noch einmal sehen ließ. Endlose Sekunden lang geschah gar nichts. Ob der heimtückische Schütze aufgegeben und den Rückzug angetreten hatte? Lobo lauschte. Irgendwo in der Stadt kläffte ein Hund. Jemand schrie lautstark nach dem Sheriff. Sheriff Baldwyn fluchte gepreßt. Dann sah Lobo plötzlich auf dem Dach etwas Metallisches in der Sonne blinken. An einer anderen Stelle als vorhin. Der Killer hatte die Position gewechselt. Lobo schoß fast gleichzeitig mit dem Killer. Ein Geschoß fetzte Staub und Dreck vor der Kutsche hoch. Lobo hörte etwas auf dem Dach poltern. Als ob dem Killer das Gewehr entfallen sei. Ein schneller Blick zu dem Sheriff. Dessen linke Schulter war blutig, sein Gesicht leichenblaß, aber die Hand mit dem Colt, den er auf Jim Callum gerichtet hielt, war ruhig.
„Gut aufpassen und in Deckung bleiben", sagte Lobo gedämpft. „Okay", antwortete der Sheriff. Lobo sprang auf und hetzte im Zickzack über die Main Street. Jede Sekunde konnte es vom Dach aus wieder aufblitzen und krachen. Ich muß ihn schnappen! schrie eine Stimme in Lobo. Tony braucht Hilfe - wenn er nicht schon tot ist. Und solange dieser dreckige Killer noch vom Dach schießt, wagt sich kein Helfer an Tony heran. Ohne Zweifel hatte der Mordanschlag Jim Callum gegolten. Während Lobo mit keuchenden Lungen durch die Seitengasse rannte, rollte das Geschehen noch einmal blitzschnell vor ihm ab. Ja, der erste Schuß hatte den Gefangenen treffen sollen. Tony hatte seitlich hinter Callum gestanden, der sich vorgebeugt hatte, um die Kutschentür zu öffnen. Diese Bewegung hatte Gallum das Leben gerettet. Und Tony war getroffen worden. Tony, der schönste Mann von Lukkenbach und Umgebung. Der im Store neben den Whiskyfässern geboren worden war. Tony, dessen Gesicht niemals ernst wirkte. Lobo schluckte. Er erreichte die Hausecke, bog in die Gasse ein, die parallel zur Main Street verlief. Da sah er den Killer. Der Mann war gerade vom Dach geklettert, und er war genauso überrascht wie Lobo. Er riß sein Gewehr hoch. „Stop!" schrie Lobo. Doch sein Warnruf ging schon im Krachen der Waffen unter. Lobo ließ sich fallen. Er drückte einen Sekundenbruchteil später als der Killer ab, aber er traf, während das Blei des Killers in den Himmel zischte. Lobo landete im Dreck, repetierte und rollte sich zur Seite, das Gewehr an der Hüfte, den Finger am Abzug. Doch der Killer schoß nicht mehr. 27
Er stürzte hintenüber und blieb steif liegen. Sein Gewehr hielt er immer noch umkrampft. Lobos Herz Herz hämmerte. Sein Atem ging schwer. Er sprang auf. Mit der Winchester im Hüftanschlag ging er langsam auf die reglose Gestalt zu. Er blieb wachsam. Schon mancher war auf einen Bluff hereingefallen und hatte seine Unvorsichtigkeit mit dem Leben bezahlen müssen. Doch dann entspannte sich Lobo und atmete tief aus. Der Killer war tot. Lobo rannte zurück zur Main Street. „Ein Doc!" schrie er noch in der Seitengasse. „Es ist vorbei!" Ein Mann kniete bereits neben Tony. Es war ein kleiner, magerer Mann mit weißen Haaren. Neben ihm stand eine braune Ledertasche. Der Weißhaarige blickte nicht auf. Lobo hetzte heran, schaute auf Tony hinab. Tony sah wie tot aus. Lobos Kehle war wie zugeschnürt. „Ist er ...?" Er konnte nicht weitersprechen. Der Weißhaarige wandte ihm sein Gesicht zu. Es war ein schmales, ernstes Gesicht mit grauen, irgendwie illusionslos blickenden Augen. „Er hat Glück im Unglück gehabt", sagte er kühl und gelassen und nannte einige medizinische Fachausdrücke, die Lobo nicht viel sagten. „Was heißt das?" fragte Lobo atemlos. „Es ist nichts Lebensgefährliches", antwortete der Doc mit verständnisvollem Lächeln. „Ihr Freund?" „Ja", sagte Lobo. „Er hätte verbluten können. Gut, daß ich nur ein paar Häuser weiter wohne. Ich denke, daß er in drei, vier 28
Wochen wieder reiten kann." Unsagbare Erleichterung durchflutete Lobo. Inzwischen hatten sich viele Menschen auf den Gehsteigen versammelt. Der Kutscher drängte sich durch die aufgeregte Menge und wollte wissen, was geschehen war. „Später", sagte Lobo nur knapp. Er ging zum Sheriff. Der Doc ordnete an, daß der Verletzte in sein Haus getragen wurde. Lobo schaute Tony nach, als sie ihn wegtrugen. Der Doc verband die Schulter des Sheriffs. Auch Baldwyn hatte trotz allem Glück gehabt, er war mit einem Streifschuß davongekommen. Auf Sheriff Baldwyns fragenden Blick antwortete Lobo: „Der Killer ist tot." „Nicht schade um das Schwein", sagte Jim Callum, der immer noch unter der Kutsche lag. „Du hast keine Ahnung, wer dich abservieren wollte?" fragte Lobo. „Nein", lautete die verdrossene Antwort. „Ich verlange den Schutz, der mir zugesichert worden ist. Ich verlange..." Lobo hörte nicht mehr hin. Ein Mann ritt über die Main Street auf sie zu. Ein Stern reflektierte die Sonnenstrahlen. Der Reiter zügelte sein Pferd. Staub wölkte auf. „Was ist passiert?" rief er und schwang sich behende aus dem Sattel. ,,'ne ganze Menge", erwiderte der Sheriff. Mit einem Blick zu Lobo sagte er: „Mein Deputy. Otis Carmichael." „Carmichael?" fragte Lobo, denn er erinnerte sich an Ellen Carmichael, die Tochter des Colonels in Fort Bowie. „Ja", sagte der Sheriff. „Ich hatte ihn zur Cross Ranch geschickt. Dort waren Rinder gestohlen worden." Er blickte den Deputy an. „Hast du was erreicht?"
Der Deputy schüttelte den Kopf. Lobo schaute sich den Mann genauer an. Nicht die geringste Ähnlichkeit mit Ellen Carmichael. Otis Carmichael war Anfang zwanzig, schlaksig, und auf den ersten Blick hätte man ihn für einen, etwas zu groß geratenen Schuljungen halten können. Doch der Ausdruck seiner olivfarbenen Augen verriet Lobo, daß der junge Mann schon so einiges im Leben gesehen und erfahren hatte. Der Sheriff erhob sich. „Otis, du paßt auf den Vogel auf." Er halfterte seinen Colt und wies auf Jim Callum. Dann warf er Lobo einen Blick zu. „Wir schauen uns den anderen an." „He, soll ich vielleicht den ganzen Tag hier liegen bleiben?" maulte Jim Callum unter der Kutsche hervor. Der Deputy zog seinen Colt. Beachtlich schnell, wie Lobo registrierte. „Du bleibst, wo du bist. Meinetwegen kannst du ein Nickerchen machen, aber halt die Klappe." „Ich fahre in zehn Minuten ab", rief der Kutscher aufgeregt. „Sie warten hier solange, bis alles geregelt ist", sagte der Sheriff. „Alles der Reihe nach." „Aber mein Fahrplan..." „Sie fahren erst, wenn ich die Erlaubnis dazu gebe", sagte Baldwyn schärfer. „Ihr Fahrplan ist mir schnurzegal. Ich hab verdammt genug Ärger am Hals." Der Sheriff von Lordsburg konnte nicht nur energisch werden, wenn es um die Moral der Stadt ging. Lobo und Baldwyn überquerten die Main Street. Einige Bürger folgten neugierig. Auf dem Gehsteig auf der anderen Straßenseite hatten sich ebenfalls Schaulustige eingefunden. Lobo entdeckte unter ihnen die Tänzerin Cindy. Sie stand, vor dem Lordsburg Palace Hotel und blickte aus großen, schwarzen Augen angespannt zur Kutsche hin. Der Nachtfalter ist auch schön bei
Tag, dachte Lobo. Er wunderte sich, daß Cindy in der Menschentraube irgendwie einsam und verloren wirkte. „Also doch der Verräter", sagte der Sheriff zu Lobo, als sie die Seitengasse erreicht hatten. „Er hat einen Killer geschickt, der Caller - äh -Callum für immer zum Schweigen bringen sollte, so sehe ich das jedenfalls. Aber - wie konnte er das so schnell von Albuquerque aus und woher wußte er, daß der Gefangene heute mit der Kutsche fährt?'' Da gibt es mehrere Möglichkeiten, dachte Lobo. Nachdenklich fragte er: „Wem haben Sie eigentlich gemeldet, daß Callum den Verräter kennt?" „Na, der Armeebehörde." „In Albuquerque?" Der Sheriff nickte. „Da haben wir's", sagte Lobo. „Der Verräter hat davon Wind gekriegt und einen Killer beauftragt. Sie müssen jetzt sofort nach Albuquerque melden, daß Callum ermordet worden ist. Sonst müssen wir damit rechnen, daß der Verräter sich aus dem Staub macht oder weitere Killer schickt. Die Einzelheiten besprechen wir gleich noch." Sie hatten die Leiche erreicht. „Ein Fremder", sagte der Sheriff. „Leider kann er uns nicht mehr sagen, wer ihn geschickt hat." Lobo durchsuchte die Taschen des Toten. Er fand ein Bündel Banknoten - kleine Scheine - ein paar Münzen, Zündhölzer, ein Taschentuch. Dann entdeckte er ein Bild in einem Lederetui. Das Porträt eines Mannes. Lobo holte das Bild aus dem Etui und drehte es um. Er entzifferte die Widmung: Für Oregon. Lobo verglich das Porträt des lächelnden jungen Mannes mit dem Gesicht des Toten. Nicht die geringste Ähnlichkeit. Der Sheriff hatte inzwischen das Geld gezählt. „Genau hundert Dollar in Scheinen", sagte er. „Ob das seine 29
Prämie gewesen ist? Oder vielleicht ein Teil davon. Schließlich hat er einen weiten Ritt von Albuquerque hinter sich." Er kann auch aus der nächsten Stadt gekommen sein, dachte Lobo. Aber das interessierte ihn im Augenblick nicht. „Sie wissen nicht, wann er in die Stadt gekommen ist?" fragte er. Baldwyn schüttelte den Kopf. „Aber das läßt sich leicht feststellen. Irgend jemand wird ihn gesehen haben. Im Mietstall, Hotel, Restaurant oder in einem der Saloons. Ich werde mich umhören." „Am besten gleich", sagte Lobo. „Ich will mit dieser Kutsche fahren und möchte es noch vorher wissen." Er hielt dem Sheriff das Porträt hin. „Kennen Sie den?" Der Sheriff kniff die Augen zusammen und blickte angespannt. „Nein, der ist ebensowenig auf meinen Steckbriefen wie der andere." „Das Bild nehme ich an mich", sagte Lobo, „wenn Sie erlauben." „Meinetwegen", sagte der Sheriff. Er wandte sich an die Männer, die in respektvoller Entfernung an der Einmündung der Gasse stehengeblieben waren und neugierig herüberstarrten. „Sagt dem Sargmacher Bescheid. Er soll den Toten abholen." Er warf noch einen Blick auf die Leiche und schüttelte den Kopf. „Nein, den hab ich wirklich auf keinem Steckbrief gesehen." Er blickte wieder Lobo an. „Fragen wir mal Harrods im Mietstall, wann der Kerl in die Stadt gekommen ist. Unterwegs können wir dann alles Weitere besprechen."
Die Kutsche verließ Lordsburg mit fünfunddreißig Minuten Verspätung. Außer Lobo und dem Gefangenen fuhren noch drei weitere Männer 30
mit - und eine Frau. Cindy. Die Tänzerin hatte ihren Entschluß zu der Reise wohl sehr schnell gefaßt, denn sie war eher für einen Auftritt im Starlight-Saloon gekleidet als für eine Fahrt mit der Kutsche. Sie trug das lange, tief ausgeschnittene Seidenkleid, in dem Lobo sie vor dem Hotel unter den Schaulustigen gesehen hatte, und sie nahm nur eine kleine Ledertasche als Gepäck mit. Sie hatte sich auch noch nicht ganz zurechtgemacht. Das holte sie in der Kutsche nach. Fasziniert beobachteten die Männer, wie sie sich schminkte, puderte und parfümierte. Als sie Wimperntusche auftrug, sagte Jim Callum grinsend: „He, Baby, das ist aber 'ne feine Kriegsbemalung." Sie warf ihm nur einen eisigen Blick zu. Jim Callum lachte. „Wie ein Indianer auf dem Kriegspfad." „Seit wann tuschen sich die Rothäute die Wimpern?" sagte einer der anderen Passagiere. Er war ein beleibter Fünfziger mit Halbglatze, der sich als Arthur Granger, Vertreter in Spirituosen, vorgestellt hatte. „Die Roten tuschen sich noch was ganz anderes", sagte Callum und warf Lobo einen hämischen Blick zu. „Nicht wahr?" Lobo ignorierte die Anspielung. „Besonders die Squaws", fuhr Callum fort. „Ich hörte mal, daß sie ...'' Es folgte eine Bemerkung über Indianerfrauen, die nicht nur obszön, sondern auch erlogen war. Lobo hatte Mühe, sich zu beherrschen. Er fing Cindys Blick auf, und Zorn erfaßte ihn. Am liebsten hätte er dem Gefangenen die Faust auf die Nase gesetzt. Keiner der Passagiere lachte über Callums schmutzige Worte. Angewidert starrten sie den Verbrecher an.
Dann nahm Cindy wieder ihre Aufmerksamkeit gefangen. Sie puderte ihre Wangen. Eigentlich überflüssig, dachte Lobo, denn Cindy hatte einen schönen Teint - reine, gesunde Haut. Anschließend parfümierte sie sich. Einen Tupfer Parfüm hinter jedes Ohrläppchen, und als sie die Blicke der Männer auf sich spürte, noch einen Tupfer auf ihren Busenansatz. Sie blickte dabei lächelnd und kokett die Passagiere an, nur Callum nicht. „He, Baby, das stinkt ja wie im Bordell", sagte der Gefangene und lachte über seine eigenen Worte. „Der einzige, der hier stinkt, bist du", sagte der beleibte Spirituosenvertreter. „Noch ein Wort, du Dreckskerl, und ich hau dir auf dein Maul." Jim Callum starrte Granger tükkisch an. Sein verlebtes Gesicht verzog sich. „Das möchte ich sehen, du Fettwanst." Der Vertreter sprang auf. Für seine Leibesfülle erstaunlich schnell. Er stürzte sich auf den Gefangenen. In blinder Wut schlug er zu. Der Verbrecher riß geistesgegenwärtig die Arme hoch und den Kopf zur Seite, um dem Hieb zu entgehen. Ganz schaffte er es nicht mehr. Die Faust des Vertreters streifte sein Ohr. Callum reagierte brutal. Er stieß dem beleibten Mann ein Knie in den Bauch. Stöhnend krümmte sich Granger, preßte beide Hände vor den Leib. Callum riß die mit Handschellen gefesselten Hände hoch, um sie auf den um Atem ringenden Granger niederzuschmettern. Cindy schrie auf. Es wäre ein furchtbarer Schlag geworden, doch Lobo hatte schon reagiert. Er schlug Callum mit dem Coltkolben nieder. Der Verbrecher sank mit einem ächzenden Laut vornüber. Sein
Schlag war wirkungslos. Callum fiel gegen die Beine des Vertreters und blieb reglos liegen. Das Gesicht des Vertreters war krebsrot und verzerrt. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte er nach Callum treten, doch dann fing er Lobos Blick auf und beherrschte sich. Lobo packte den Gefangenen und riß ihn auf den Sitz zurück. Callum war bewußtlos. Lobo holte einen Lederriemen aus der Tasche und legte dem Verbrecher Fußfesseln an. Granger starrte Callum in einer Mischung aus Wut und Haß an, dann setzte er sich wieder, holte ein weißes Taschentuch hervor und wischte sich Schweiß von der Stirn. „Danke, Mister", sagte er zu Lobo. „Der Dreckskerl hätte mich fast erwischt." „Er hätte Ihnen den Schädel spalten können", sagte einer der anderen Passagiere. Granger rieb sich über den Bauch und warf einen zornigen Blick zu Callum. „Na ja, jetzt haben wir wenigstens 'ne Zeitlang Ruhe. Es ist ohnehin eine Zumutung, daß wir zusammen mit einem Verbrecher reisen müssen. Ich werde mich bei der Postkutschenlinie beschweren. Wenn ich nicht dringend nach Socorro müßte, hätte ich auf diese Fahrt verzichtet und die nächste Kutsche genommen." Lobo sagte ruhig: „Ich rate Ihnen allen, aus der Reichweite des Gefangenen zu bleiben. Zu Ihrer eigenen Sicherheit." Die anderen nickten zustimmend. Alle lehnten sich an und rückten etwas von dem Gefangenen fort. Callum saß auf dem Rücksitz am rechten Fenster. Neben ihm Lobo, dann am anderen Fensterplatz ein weiterer Passagier. Ihm gegenüber Cindy, dann ein älterer Mann, der bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte, und Granger, der Vertreter. 31
Eine Zeitlang waren nur die Fahrgeräusche zu hören. Cindys Parfüm hing schwer in der Luft. Für Lobos Geschmack war der Duft etwas zu penetrant. Jim Callum bewegte sich. Blinzelnd schlug er die Augen auf. Er brauchte einen Augenblick, bis er begriff, was geschehen war. Dann fluchte er und hob die gefesselten Hände tastend an den Hinterkopf. Schließlich drehte er den Kopf und starrte Lobo an. Heißer Haß schlug Lobo entgegen. „Das hast du nicht umsonst getan, du Bastard", keuchte Callum. Lobo sagte nichts. „Außerdem", fuhr Callum fort, „war das Gefangenenmißhandlung. Ich kenne meine Rechte. Ich werde dich anzeigen." „Tu das", sagte Lobo gelassen. „Wenn Sie Schwierigkeiten bekommen sollten", sagte der Vertreter zu Lobo, „ich unterschreibe als Zeuge für Sie. Wir alle können beschwören ..." „Halt's Maul, du Fettwanst!" zischte Callum. Lobo sagte ruhig: „Ich rate dir, Callum, still zu sein. Sonst könnte ich auf die Idee kommen, dich zu knebeln." „Das ist..." „Notwehr", sagte Lobo grinsend. Der Verbrecher öffnete wieder den Mund zu einer Erwiderung, doch dann warnte ihn der Ausdruck von Lobos Augen, und er schwieg. Cindy lächelte Lobo an. Der Blick ihrer großen, schwarzen Augen verwirrte ihn etwas. Er schob seinen Hut in den Nacken und lehnte sich zurück. Der Kutscher trieb das Gespann mit der Peitsche an. Der Trail führte durch Hügel eine Steigung hinauf. Der Vertreter versuchte, Cindy in ein Gespräch zu verwickeln. Doch sie antwortete nur sehr wortkarg. „Ich habe gestern abend Ihren Tanz gesehen, Miß, äh, Ma'am." „So?" 32
Er lachte. „Auch den zweiten. Großartig sage ich. Ich habe die ganze Nacht davon geträumt." „So?'' „Ja. Äh -können Sie auch singen?" „Nein." „Aber Ihr Tanz...", seine Stimme klang schwärmerisch, „... der war einsame Spitzenklasse." Er blickte um Zustimmung heischend in die Runde. „Haben Sie die Lady auch gesehen, Gentlemen?" Lobo und der Passagier an seiner Seite nickten. Lobo fing Cindys Blick auf. Diese Augen! dachte er. Schwarz, funkelnd. Ein interessierter, fragender Blick, als wollte sie sagen: „Na, hat's dir auch gefallen?" Der Vertreter sprach weiter: „Fahren Sie auch nach Socorro, Lady?" Cindy tat, als hätte sie die Frage nicht verstanden. Erst als Granger sie wiederholte, antwortete sie knapp: „Nein." Granger wirkte etwas enttäuscht. Lobo spürte, daß der Mann gern nach Cindys Fahrtziel gefragt hätte, es sich aber verkniff. Er versuchte statt dessen auf andere Art, sie für eine Unterhaltung zu gewinnen. „Heiß heute, nicht wahr?" Sie gab keine Antwort. Er lachte etwas verlegen. „Jaja, das Wetter kann man nun mal nicht ändern. Dieses verd - Verzeihung -dieses miese New Mexico! Ich lebte mal eine Zeitlang oben in Montana. Ganz was anderes, kann ich Ihnen sagen. Kennen Sie Montana?" Er blickte sie fragend an. „Nein", sagte Cindy mit rauchiger Stimme und blickte mit gelangweilter Miene aus dem Fenster. „Das ist ein schönes Land", fuhr der Vertreter fort. Er begann begeistert die Vorzüge Monatanas zu schildern. Jim Callum blickte Lobo an und sagte spöttisch: „He, Mann, kannst du diesen Idioten nicht knebeln? Das Gelaber ist ja nicht zum Aushalten!"
In diesem Punkt mußte ihm Lobo recht geben. Aber er sagte nichts. Der Vertreter warf Callum einen giftigen Blick zu, schaute dann zu Cindy. Sie blickte immer noch aus dem Fenster, und es war ihr anzumerken, daß sie keinen Wert darauf legte, sich mit Granger zu unterhalten. Der Vertreter bemerkte das anscheinend nicht. „Lady, darf ich Sie auf der nächsten Station zu einem Drink einladen?" Er lachte. Sie wandte kurz den Kopf und sagte: „Danke." Es klang wie nein, aber Granger wertete es wohl als Zustimmung. Lobo sah es an dem zufriedenen Lächeln. Granger wandte sich jetzt an die anderen. „Gents, wie weit ist es denn noch?" „Noch 'ne gute Stunde", murmelte sein Nachbar. „Wenn alles planmäßig verläuft." „Ja, meinen Sie denn, es könnte etwas passieren? Wir hatten doch schon in Lordsburg Verspätung." Der Nebenmann zuckte nur mit
den schmächtigen Schultern. „Bei so einer Reise kann man nie wissen. Als ich das letzte Mal die Strecke fuhr, brach eine Achse der Kutsche und wir mußten einen halben Tag warten, bis der Schaden behoben war. Und beim vorletzten Mal wurden wir von Apachen angegriffen ..." „Apachen?" Cindy stieß es voller Angst hervor. Sie blickte den älteren Mann aus großen Augen an. „Nun ja, Ma'am, machen Sie sich mal keine Sorgen. Es ging alles glimpflich ab. Es war nur ein kleiner Trupp Apachen. Offenbar hatten sie zuviel Feuerwasser getrunken oder wollten nur ihre Waffen ausprobieren. Jedenfalls gaben sie schnell auf, als sie auf Widerstand stießen." Cindy blickte Lobo an. Sie wirkte immer noch besorgt. „Ich bin erst seit kurzem in diesem Land. Meinen Sie, wir müssen mit einem Überfall rechnen?" Damit muß man immer rechnen, wenn man durch's Indianerland reist, dachte Lobo. Auch, wenn lange Zeit alles friedlich blieb. Auch unter
Indianern gab es immer mal wieder Renegaten oder andere Außenseiter, die sich nicht um Verträge kümmerten - wie bei den Weißen ... Aber er sagte: „Ich denke, Sie können unbesorgt sein. Die Apachen meiden die großen Postkutschenlinien. Die Aussicht auf Beute ist gering, und das Risiko, daß nach Überfällen die Armee anrückt, ist groß." Sie entspannte sich sichtlich. Interessiert musterte sie ihn. „Sie kennen sicher die Indianer gut ..." „Er ist ja selber einer", sagte Jim Callum verächtlich. Lobo ließ sich nicht provozieren. Er lächelte Cindy an. „Ein halber, Ma'am." „War Ihr Vater ein Apache?" „Mein Vater war ein Weißer. Meine Mutter war eine Pirna-Häuptlings tochter." „Und was dabei rauskommt, das..." Callum verstummte, als Lobo sein Halstuch losband und ihn nur anblickte. Achselzuckend lehnte er sich zurück. Cindy fragte: „Stimmt es, was man erzählt - ich meine, daß die Apachen weiße Frauen..." „Niemand sieht Sie in der Kutsche", sagte Lobo kühl. Sie verstand. Ihre schwarzen Augen blickten ihn noch einen Moment lang an, dann strich sie sich eine Strähne des roten Haares aus der Stirn und blickte demonstrativ aus dem Fenster. Sie wirkte wie ein zurechtgewiesenes Schulmädchen, das seine Verlegenheit zu überspielen versucht. Die Kutsche holperte über felsigen Boden. Der Hufschlag des Gespanns hallte von einer Felswand wider. Mannshohe Kakteen, Saguaros, huschten am Fenster vorbei. Es wurde still in der Kutsche. Die monotonen Fahrgeräusche wirkten einlullend. Niemand schien mehr Lust auf eine Unterhaltung zu verspüren. 34
Lobo hing seinen Gedanken nach. Er dachte an Tony. Beinahe wäre die Nacht mit Cindy seine letzte gewesen ... Bevor Lobo Lordsburg verlassen hatte, war er schnell noch zu Tony gegangen. Tony war bei Bewußtsein gewesen und hatte bereits wieder grinsen können, wenn auch etwas schmerzlich. „Cindy wird mich schon gesundpflegen", hatte er erklärt. „Du mußt dich mit diesem Stinktier von Callum abgeben, und ich kann mir in Lordsburg ein paar schöne Tage machen. Schick mir 'ne Nachricht, wenn alles erledigt ist." Lobo hatte es versprochen. Cindy? Sie war nicht in der Stadt geblieben. Tony würde bestimmt enttäuscht sein, wenn er es erfahren würde. Na, er wird sich schon irgendwie trösten, dachte Lobo. Seine Gedanken kehrten zu Sheriff Baldwyn und den Ereignissen in Lordsburg zurück. Der Sheriff hatte versprochen, alles zu erledigen, worum Lobo ihn gebeten hatte. Er würde Callums „Tod" nach Albuquerque melden. Damit war die Gefahr ausgeschaltet, daß der Verräter einen weiteren Killer schickte. Er würde sich sicher fühlen und seine Rolle im Department weiterspielen. Es sollte ein böses Erwachen für ihn geben... Der Killer war, wie sie im Mietstall erfahren hatten, erst am Abend vor dem Mordanschlag in Lordsburg eingetroffen. Er hatte sein Pferd dem Stallmann übergeben und nach dem Starlight-Saloon gefragt. Der Stallmann hatte augenzwinkernd gesagt: „Ah, Sie wollen sich sicher Cindys Schau ansehen?" Daraufhin hatte der Killer gesagt: „Ich mache mir nichts aus diesen Weibern." Dennoch war er, wie der Bartender ausgesagt hatte, im Saloon gewesen. Er hatte nur einen Whisky getrunken und sich Cindys Auftritt angesehen.
Liebe LOBO- und RONCO-Leser! Herr T A Schweiz schrieb uns:
aus
Kriens
in
der
„Ich lese seit Jahren Western-Romane und Sachliteratur über die Erschließung des Westens. Auch über die RONCO-Serie habe ich seit ihrem Bestehen einen Überblick gewonnen. Thematisch stellt sie sicherlich eine Rarität dar — bis zu RONCOS Rehabilitation wenigstens. Auch ist zu bemerken, daß sich die Autoren Mühe zu geben scheinen, möglichst wirklichkeitsgetreu zu schreiben und die bloße Aktion, wie man sie in vielen anderen Heftreihen antrifft, in den Hintergrund zu stellen. Oft wirkt das allerdings nicht sehr überzeugend. Mangelnde Erzählkunst, zu wenig fachliche Kenntnisse und wahrscheinlich oft auch Zeitdruck lassen einen großen Teil der RONCORomane ins Triviale absinken. Durchaus akzeptabel schreibt JOHN GREY. Auch KEN CONAGHERS Humor paßt gut in die Serie. Ein weiteres As war LEE MARTIN, der ja jetzt leider nicht mehr schreibt. Auch die LOBO-Serie scheitert oft an der Erzählkunst der Autoren. Eine Ausnahme bildet LEE ROY JORDAN. Die Titelbilder sind alle hervorragend." Herbe Kritik äußert unser treuer Leser G N aus Hamburg:
„Ich habe bis jetzt alle RONCO-Romane gelesen und war sehr froh, als mit Heft 316 nach der schon langsam ermüdenden Suche RONCOS nach seinem Sohn eine entscheidende Wende in seinem Leben einzutreten schien. Doch schon nach wenigen Heften hatte ich das Gefühl, als seien Hilton unter dem Namen Hollister und Dutch Cassidy unter dem Namen Chester Danton wieder aufgetaucht. Auch fragte ich mich, was wohl aus Saint, Marido, Tabor und Lobo geworden war, welche so plötzlich und endgültig verschwanden. Mit den Heften 326—328 begannen Sie
dann auch noch die bemängelten Fehler der LOBO-Reihe in RONCO einzuführen. Alles waren nur noch Einzelromane und im LOBO-Zuschlagestil. Da ein gewisser Zusammenhang jedoch gewahrt bleiben sollte, passierte es dann, daß der in Heft 326 halbtotgeschlagene RONCO in Heft 327 schon wieder fröhlich durch die Gegend ritt. — Ich möchte vorschlagen, doch im Laufe der Zeit die Schicksale der verschwundenen Personen befriedigend zu klären, Druckfehler in den Titeln und falsche Untertitel zu vermeiden und wieder zum gewohnten seriösen RONCO-Stil zurückzukehren." Herr A
F
aus Kastl schrieb uns:
„Eine Schlüsselrolle für die Siedlertrecks hat immer die Stadt St. Louis eingenommen, wenn man den Romanen und Filmen über die Westbesiedelung glauben soll. Berichten Sie doch einmal über diese Stadt." Eine der wichtigsten Städte an der westlichen Peripherie der Zivilisation im vorigen Jahrhundert war St. Louis am Mississippi. Für Jahrzehnte war diese Stadt das „Tor zum Westen". Die meisten Trecks, die ins Innere von Amerika wollten, fuhren durch St. Louis und rüsteten sich hier aus. Hinter der Stadt begann die Wildnis, und St. Louis wurde zum Warenumschlagplatz und zentralen Handelsposten, zur „Schaltstelle" zwischen dem besiedelten und dem nahezu unbesiedelten Teil Amerikas. Gegründet wurde St. Louis von einem französischen Trapper namens Pierre Laclede im Jahre 1764. Die Franzosen prägten die Stadt zunächst, zumal St. Louis im französisch beherrschten Gebiet Amerikas lag. Ursprünglich war die Stadt als Handelsmarkt für den Pelzhandel am Mississippi gedacht, und zwischen 1815 und 1830 wurden für fast 4 Millionen Dollar Biberpelze in der Stadt umgesetzt. Einer der führenden Händler, die von Beginn an dabei waren, war Auguste Chouteau. Er baute die erste Handelsniederlassung. Bald
waren es mehr, und so trafen sich einmal im Jahr die Trapper und Felljäger aus den Wäldern in St. Louis und lieferten ihre Beute ab, kassierten große Summen Geld dafür und gaben das meiste gleich wieder aus. Bevor sie zurück in die Wildnis gingen, rüsteten sie sich in St. Louis aus und versorgten sich auch mit allen Gütern für den Tauschhandel mit den Indianern. Im Jahre 1820 hatte St. Louis bereits 3 verschiedene Zeitungen, und es gab — der Gipfel der kulturellen Zivilisation — einen Buchladen. Je mehr die Stadt unter amerikanischen Einfluß geriet, um so rascher wuchs sie. Mit dem Aufblühen der Binnenschiffahrt wurde sie zu einem der bedeutendsten Flußhäfen in Amerika, das Ansteigen der Zahl der Trecks nach Westen tat ein übriges für das Prosperieren der Stadt. Sehr viele deutsche Auswanderer ließen sich hier nieder. Sie stellten bald ein Drittel der Bevölkerung von St. Louis und übten geschäftlich und kulturell einen großen Einfluß aus. — Traugott Bromme Schrieb 1853 in seinem Handbuch für Auswanderer: „St. Louis am westlichen Ufer des Mississippi, 18 Meilen unterhalb der Mündung des Missouri auf einer Kalksteinbank gelegen, die sich über zwei Meilen längs dem Fluß hinzieht . . . Im Jahre 1810 hatte St. Louis erst 1 600 Einwohner, 1820 erst 4 508,
1840 nicht über 16 469 Seelen, und 1850 82 744 Seelen. Eine Zunahme binnen zehn Jahren von mehr als 66 000 Einwohnern. Zu diesem Aufschwunge haben die Deutschen das Beste beigetragen." — 1850 hatte St. Louis bereits 49 Kirchen der verschiedensten Religionsgemeinschaften, 68 verschiedene Schulen und 2 Universitäten. Mehrere Bundesbehörden, wie ein Zollamt, ein Schatzamt, ein Landvermessungsamt und ein Arsenal der Armee waren in St. Louis ansässig. In der Nähe der Stadt wurde nach Reorganisation der US Kavallerie in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Garnison, die Jefferson Barracks, eingerichtet, für das 1. US Dragoner-Regiment. — Obwohl Feuer und Überschwemmungen die Stadt mehrfach heimsuchten, war ihr Wachstum nicht aufzuhalten. Allerdings war die Lebenshaltung entsprechend der guten wirtschaftlichen Lage ziemlich teuer. 1890 war St. Louis die fünftgrößte Stadt der USA. Auch heute noch ist sie eine der wichtigsten und größten Städte Amerikas. Ihre historische Rolle bei der Besiedelung der westlichen Weiten, als Durchgangsstation für die riesigen Trecks in die Wildnis, ist unvergessen.
Schaufelraddampfer der US Post im Hafen von St. Louis.
Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Archiv D. Kügler.
„Komischer Typ", hatte der Bartender gesagt. „Er verließ den Saloon, bevor Cindys Tanz zu Ende war. Das Beste hat er versäumt." Ja, irgendwie seltsam, dachte Lobo. Der Killer erkundigt sich zielbewußt nach dem Starlight-Saloon, geht hin, trinkt nur einen Whisky und geht eilig. Er hätte doch die ganze Nacht Zeit genug gehabt... Irgendein Gedanke beschäftigte Lobo, aber er konnte ihn nicht genau erklären. Es war ein Gefühl, das ihm sagte, etwas übersehen zu haben. Das Bild des Mannes, das er bei dem Killer gefunden hatte? Niemand in der Stadt hatte den Mann auf dem Bild je gesehen. Der Sheriff hatte das Porträt herumgezeigt. Auch Callum kannte den Mann nicht, wie er glaubwürdig versichert hatte . . . Jäh wurde Lobo aus seinen Gedanken gerissen. Denn der Kutscher schrie gellend: „Indianer!" Dann peitschten auch schon die ersten Schüsse.
Die Menschen in der Station kämpften um ihr Leben. Denn die Apachen griffen wieder an. Durch das Krachen der Schüsse waren ihre gutturalen Kriegsschreie zu hören. Wie Schemen wirkten die Reiter im wirbelnden Staub. Sie umkreisten die Station, schossen Pfeile ab und feuerten mit Gewehren. Der Angriff währte keine drei Minuten, dann zogen sich die Apachen zurück. Sie hatten wieder Verluste hinnehmen müssen. Die Weißen in der Station atmeten auf. Es waren sechs Personen: Der Stationsmann und seine Frau. Und die vier Überlebenden des Überfalls auf die Postkutsche. Es war am Nachmittag des Vorta-
ges geschehen. Etwa drei Meilen südlich der Station waren die Apachen wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatten angegriffen. Da war es noch eine Horde von über zwanzig Kriegern gewesen. Jetzt war es gerade noch ein Dutzend. Der Beifahrer und die Passagiere hatten auf die Angreifer geschossen und mehrere Ponys und Reiter getroffen. So war ihnen die Flucht zur Station gelungen. Der Kutscher war verletzt, sein Beifahrer und einer der Passagiere getötet worden. Ein weiterer Passagier hatte sich nicht mehr in die Station retten können, und einer der Stationsleute war bei einem der folgenden Apachenangriffe ums Leben gekommen. Eine traurige Bilanz. Und die Menschen in der Station wußten, daß es nur eine vorläufige war. Denn die Apachen belagerten jetzt die Station, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann sie von neuem angriffen. „Mein Gott", sagte Ellen Carmichael und starrte aus der Schießscharte im Fensterladen zu den Indianern hin. „Warum tun sie denn nichts? Warum warten sie nur ab?" Die Tochter des Kommandeurs war leichenblaß. In den grünen Augen flackerte Angst. „Seien Sie froh, Miß, daß sie uns eine Ruhepause gönnen", sagte Bruce Talbot, der Detektiv, der sie als Leibwächter nach Santa Fé begleiten sollte. „Aber können wir denn gar nichts tun? Hilfe herbeiholen oder fliehen?" Talbot schüttelte den Kopf. Der Detektiv war ein großer, muskulöser Mann. Die zierliche Ellen reichte ihm nicht einmal bis zum Schlüsselbein. Das markante Gesicht mit der Hakennase und den hohen Wangenknochen war faltig und von Wind und 37
Wetter gegerbt. Die wäßrigblauen Augen blickten kalt. Talbot trug einen Kreuzgurt mit zwei tiefgeschnallten Halftern. Ellen Carmichael hatte sich zuerst geweigert, diesen Mann als Leibwächter zu akzeptieren. Er hatte ihr Angst eingeflößt. „Da wären mir dieser halbe Indianer und der andere Strolch noch lieber gewesen", hatte Ellen protestiert. Doch ihr Vater hatte sich nicht umstimmen lassen. Unterwegs hatte Ellen kaum ein Wort mit Talbot gewechselt. Jetzt, in der Gefahr, sah sie den Mann mit anderen Augen an. Seine Kälte und Härte stießen sie nicht mehr ab. Er war ihr zwar immer noch unsympathisch, aber in der jetzigen Situation war er wie ein Strohhalm, an den sie sich klammern konnte. Seine kalte Ruhe übertrug sich auf sie. „Eine Flucht wäre sinnlos", sagte er. „Darauf warten die Apachen nur. Wir hätten keine Chance, ihnen zu entkommen. Hier dagegen sind wir sicher. Wir haben noch genug Munition und können noch ein paar Angriffe überstehen. Und nach ein paar Angriffen bleiben wahrscheinlich gar keine Apachen mehr übrig. So schlecht ist die Lage für uns also gar nicht." Er überprüfte seine Winchester und die Revolver. Ellen blickte wieder durch die Schießscharte hinaus, vorbei an der Kutsche und den toten Gespannpferden. Die Apachen hielten sich außer Schußweite. Reglos hockten sie auf ihren ungesattelten Ponys. Sie wirkten wie Statuen. Eine stumme Drohung ging von ihnen aus. Trotz der stickigen Schwüle, die in der Station herrschte, fröstelte Ellen. „Gehen Sie in die Küche zu der Stationsfrau", sagte Talbot ruhig. „Wir passen schon auf. Und sollten die Indianer wieder angreifen, dann blei38
ben Sie in der Küche. Dort gibt es kein Fenster, und Sie sind sicherer als hier." Ellen nickte und verließ den Hauptraum. „Ich frage mich nur, was die Roten vorhaben", sagte der Stationsmann von einem der Fenster. „Sie müßten doch eingesehen haben, daß sie die Station nicht stürmen können ..." „Sie werden auf Verstärkung warten", sagte Talbot. In diesem Augenblick knallte es an der Rückseite des Stationsgebäudes. „Alarm!" schrie einer der Männer, die an den Rückfenstern postiert waren. „Paß hier auf, Carmody!" rief Talbot dem Stationsmann zu und hetzte durch den Hauptraum, um den anderen zu Hilfe zu kommen. Hufschlag entfernte sich. Talbot erreichte eines der Fenster und erfaßte die Situation mit einem Blick. Der Stall! Die Apachen hatten den Stall in Brand gesteckt. Rauch stieg in den Himmel. Flammen züngelten aus dem Dach des Holzbaus. Die Pferde verschwanden in einer Staubwolke. Die Apachen hatten die Tiere fortgetrieben. Talbot fluchte. „Jetzt sitzen wir hier völlig fest", murmelte der Kutscher und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung Schweiß von der Stirn. Er trug einen blutgetränkten Verband an der linken Schulter. „Wir hätten sowieso nicht fliehen können", sagte Talbot und zuckte mit den Schultern. „Ihre Ruhe möchte ich haben", stöhnte der Mann am anderen Fenster. „Wenn ich jemals lebend hier rauskomme, werde ich nie wieder mit der Kutsche fahren." Der Kutscher sagte grimmig: „Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Mister. Sie bekommen doch allerhand geboten für Ihr Ticket, oder?"
Talbot kehrte in den Hauptraum zurück. Ellen tauchte in der Küchentür auf. „Was ist geschehen?" rief sie mit schriller Stimme. „Kein Grund zur Aufregung", sagte Talbot gelassen. „Bleiben Sie in der Küche. Ich glaube, wir können jetzt alle einen guten Kaffee ..." „Reiter!" rief der Stationsmann. Talbot lief zum Fenster. Die Reiter waren noch etwa eine halbe Meile entfernt und nur undeutlich in der Staubwolke auszumachen. Talbots Blick glitt zu den Apachen. Auch sie hatten die Reiter bemerkt. Der Anführer hob die Hand und gab den Kriegern Zeichen. Sie trieben ihre Ponys an. „Sie hauen ab!" Der Ruf des Stationsmannes klang wie ein Jubelschrei. Talbot spähte aus engen Augen durch die Schießscharte. Es stimmte. Die Apachen galoppierten nach Süden. Talbot schaute zu den Reitern hin, die von Norden her auf die Station zujagten. Jetzt waren sie schon deutlicher zu erkennen. Vier Männer. Weiße. Ellen hatte Carmodys Jubelschrei gehört und lief aus der Küche. Ihre roten Zopfe flogen. „Ist es wahr?" rief sie. Talbot nickte. „Mein Gott", sagte Ellen aufatmend. Sie war leichenblaß, und es sah aus, als würde sie jeden Augenblick umkippen. Es war alles zuviel für sie gewesen. „Gerettet", murmelte sie, „wir sind gerettet!" Talbot lief zum Südfenster. Die fliehenden Apachen zogen einen langen Staubschleier hinter sich her. Sie verschwanden in einer Bodensenke, als hätte es sie nie gegeben. Ellen war zu Carmody ans Fenster gelaufen und hatte hinausgespäht.
„Das sind ja nur vier Reiter", rief sie verwundert. „Und ich dachte, es wäre eine Armeepatrouille." Sie blickte sich fragend zu Talbot um. „Vor vier Reitern fliehen ein Dutzend Apachen?" „Apachen gehen nicht gern ein Risiko ein", erwiderte Talbot. „Warum sollten sie kämpfen? Nicht alle von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet. Ihre Chancen wären also nicht allzu groß gewesen. Außerdem haben sie die Pferde erbeutet, das reicht ihnen." „Dann wären sie also auch verschwunden, wenn die Reiter nicht...?" Talbot schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Wir haben viele von ihnen getötet. Dafür wollten sie sich rächen. So leicht hätten die nicht aufgegeben." Er lächelte, und die Härte verschwand für einen Augenblick aus seiner Miene. Plötzlich fand Ellen ihn sympathisch. „Was macht der Kaffee?" fragte er. „Unsere Retter werden auch durstig sein." „Kommt sofort", rief Ellen. Das grazile Mädchen wirbelte förmlich aus dem Raum. Die Anspannung war von ihr abgefallen. Talbot und Carmody beobachteten die Ankunft der Reiter. Die vier Männer zügelten schließlich vor der Station ihre Pferde. Reiter und Pferde waren staubbedeckt. Die Männer betraten die Station. „Hallo, Leute", sagte der Mann an der Spitze des Quartetts mit rauher Stimme. „Da sind wir wohl gerade richtig gekommen." „Das kann man wohl sagen", murmelte Talbot. Der Mann lachte und schob seinen Hut in den Nacken. Talbot musterte den Mann. Er war groß und mager. Sein kariertes Hemd und die verschlissene Hose waren zu weit und schlotterten fast um den Körper. 39
Auch die Kleidung der anderen drei Männer sah ziemlich abgerissen aus. Der magere Mann grinste. Er hatte tiefliegende, graublaue Augen. „Na, mit den paar Roten wärt ihr doch auch fertig geworden. Ihr beide seid doch nicht allein hier, oder?" Er streifte mit einem Blick Talbots Kreuzgurt, die beiden Colts, und sagte freundlich: „Mein Name ist Miller. Wir kamen zufällig hier vorbei. Das sind meine Freunde. Sind Sie Carmody, der Mann, der hier den Laden schmeißt?" „Ich bin Carmody", sagte der Stationsmann, trat ein paar Schritte vor und streckte Miller die Hand hin. „Ich danke Ihnen ..." Miller ergriff die Hand nicht. Statt dessen zog er blitzschnell seinen Revolver. Auch die anderen drei griffen zu ihren Waffen. „Entwaffnen", sagte der Magere, immer noch grinsend. Talbot und Carmody waren vor Schreck wie betäubt. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, waren sie ihre Waffen los. Der Anführer des Quartetts spannte seinen Revolver und heftete seinen Blick auf Talbot. „Du rufst jetzt die anderen. Wie viele sind in der Station?" Talbot zögerte. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Banditen. Ellen. Er war für ihre Sicherheit verantwortlich. Ablenken. Die Kerle ablenken. Die anderen mußten doch hören, was im Hauptraum los war. Wenn sie richtig reagierten, gab es vielleicht eine Chance. Vielleicht..." Der Mann, der sich Miller genannt hatte, drückte ab. Ohne Warnung. Aus nur drei Yards Entfernung. Talbot sah noch die Mündungsflamme, verspürte einen Schlag gegen die Schulter, und mit dem Knall wurde es auch schon schwarz vor seinen Augen. 40
Carmody starrte entsetzt und vom Schock benommen auf den zusammenbrechenden Talbot. Der Verbrecher, der gerade einen Menschen niedergeschossen hatte, lachte. Er lachte! Carmody war es, als streiche eine eisige Hand über seine Wirbelsäule. Es wurde ihm übel. Das ist kein Mensch, durchfuhr es ihn. Das ist eine Bestie. Eine mordende Bestie. „Der ist nicht tot", hörte er den Verbrecher sagen. „Ich hab auf seine rechte Schulter gezielt, und ich treffe immer, was ich treffen will. Ich hatte ihn etwas gefragt, und wenn ich frage, will ich eine Antwort." Er richtete den Revolver auf Carmody. „Du rufst jetzt die anderen, egal, wie viele es sind. Sag ihnen, daß du stirbst, wenn sie nicht sofort waffenlos und mit erhobenen Händen..." Sein Kopf ruckte herum, als der Schrei ertönte. Ellen war in der Tür aufgetaucht. Aus vor Schreck unnatürlich weit aufgerissenen Augen starrte sie auf Talbots reglose Gestalt, preßte die Hände vors Gesicht und schrie wie von Sinnen: „Nein! Nein!" Dann fiel sie ohnmächtig vornüber. Einer der Verbrecher sprang zu ihr, stieß seinen Colt in die Halfter und hob das zierliche Mädchen auf. Grinsend hielt er Ellen auf seinen Armen. „Hat ja nicht viel in der Bluse", sagte er rauh, „aber die kleinen mag ich auch." Die anderen lachten. Und Carmody lief von neuem ein Schauer über den Rücken. Auf der kleinen Station im heißen Niemandsland war das Grauen eingekehrt.
Pausenlos hämmerten Gewehre und Revolver.
Die Apachen verfolgten die Kutsche, die in rasender Fahrt die Ebene erreicht hatte. Der Kutscher holte das letzte aus dem erschöpften Gespann heraus. In der Ferne war wie eine rettende Oase bereits Carmodys Station zu erkennen. Der Begleitfahrer feuerte über das Dach der Kutsche hinweg auf die Verfolger. Lobo schoß mit der Winchester aus dem Fenster. Aus dem anderen Fenster feuerte einer der Passagiere, der mit Cindy den Platz getauscht hatte. Die drei Späher, die der Kutscher auf einem Bergrücken ausgemacht hatte, waren nicht allein gewesen. Als Lobo von dem Ruf des Kutschers und den Schüssen des Begleitfahrers alarmiert ans Fenster gesprungen war und hinausgespäht hatte, waren die Apachen bereits wieder verschwunden gewesen.
Doch kurz darauf waren sie mit Verstärkung wieder aufgetaucht. Der Begleitfahrer hatte einen der Späher getroffen, wie er auch noch stolz behauptet hatte. Er hätte besser nicht geschossen. Vielleicht hätten die Apachen die Kutsche gar nicht angegriffen. Doch jetzt wollten sie Rache. Lobo wünschte in Gedanken den Begleitfahrer zum Teufel. Es war immer das gleiche: Eine falsche Reaktion, eine Fehlentscheidung aus Unerfahrenheit oder in Panik getroffen, löste eine Kettenreaktion aus - eine Eskalation der Gewalt. Lobo zielte sorgfältig auf das Pferd des Apachen, der an der Spitze ritt. Er liebte Pferde, und er bedauerte es zutiefst, auf das unschuldige Tier schießen zu müssen, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Es ging ums Überleben. Um sein Leben, um das der anderen. Das Tier brach zusammen und
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warf seinen Reiter ab. Er verschwand im wirbelnden Staub. Ein nachfolgendes Pony prallte gegen das gestürzte Pferd, und der Reiter landete kopfüber im Sand. Die anderen Apachen hatten Mühe, ihre Ponys unter Kontrolle zu behalten und auszuweichen. Mit wenigen Ausnahmen waren Apachen nun mal keine Meisterreiter wie die Comanchen, die von Spaniern und Amerikanern als „die beste leichte Kavallerie der Welt" bezeichnet wurden. Lobo sah, wie ein Apache getroffen vom Pony stürzte. „Ich hab einen erwischt!" rief der Mann am anderen Fenster triumphierend. „Nur auf die Pferde schießen!" sagte Lobo hart. „Das genügt!" „Ach nein", schrie Jim Callum zornig, „er hat Mitleid mit seinen roten Brüdern! Wenn ich 'ne Waffe hätte, würde ich zeigen, wie man die Pferde schont!" „Sie sind der letzte Dreck!" sagte Cindy. Damit sprach sie Lobo aus der Seele. „Das mußt gerade du sagen, du Nutte!" erwiderte Callum. Granger, der Vertreter, richtete seinen Colt auf den Gefangenen. „Noch ein Wort, und es ist dein letztes!" Lobos Kopf ruckte herum. Er sah das gerötete, schweißglänzende Gesicht des Vertreters, das sich vor Zorn verzerrt hatte, und rief scharf: „Weg mit dem Eisen, Granger!" Der Vertreter starrte ihn an. Dann konnte er Lobos zwingendem Blick nicht standhalten. Er gehorchte. Als Granger die Waffe weggesteckt hatte, sagte Callum spöttisch: „Siehst du, Fettwanst, ich stehe unter dem Schutz des großen Häuptlings." „Lassen Sie sich nicht provozieren!" rief Lobo, dann konzentrierte er sich wieder auf die Verfolger. 42
Die Apachen waren etwas zurückgefallen, doch jetzt holten sie wieder auf. Unaufhaltsam rückten sie näher. Etwa zehn Reiter. Ohne Kriegsbemalung. Soweit das in der Staubfahne, die die Kutsche hinter sich herzog, und am Blitzen der Waffen zu erkennen war, hatten nur etwa die Hälfte der Krieger Gewehre. Sie waren wieder auf Schußweite heran. Durch das Krachen der Schüsse und das Hämmern der Hufe hörte Lobo die Flüche des Kutschers und das Knallen der Peitsche. Nach der langen Fahrt war das Gespann so kurz vor der Pferdewechselstation natürlich am Ende der Kraft. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Indianer die Kutsche einholten. Und wenn es ihnen gelang, eines der Gespannpferde zu treffen, war alles vorbei. Ein Pfeil zischte nur um Armesbreite an Lobos Kopf vorbei. Eine beachtliche Leistung des Schützen bei dieser Distanz und von einem galoppierenden Pony aus. Instinktiv war Lobo zurückgezuckt. Als er wieder aus dem Fenster spähte, sah er, daß die Verfolger zurückfielen. Ihre gutturalen Schreie wurden leiser und leiser. Dann fielen auch keine Schüsse mehr. Die Apachen schwenkten nach Osten ab. „Sie geben auf!" schrie der Begleitfahrer. Lobo blickte nach vorn und erkannte den Grund dafür. Die Station war nur noch eine Viertelmeile entfernt. Und vor der Station stand eine Kutsche. Die Apachen mußten also damit rechnen, daß sie es mit mindestens der doppelten Anzahl von Gegnern zu tun bekommen würde. Deshalb hatten sie aufgegeben. Apachen kämpften nach Möglichkeit aus dem Hinterhalt - im Gegen-
satz zu den Präriestämmen, die im offenen Kampf Ruhm und Ehre gewinnen wollten - und sie riskierten so wenig wie möglich. Lobo atmete auf. Er verließ den Platz am Fenster und blickte sich in der Kutsche um. Allen war Erleichterung anzumerken. Cindy war blaß, aber sie lächelte Lobo bereits wieder zaghaft an. Der Vertreter wischte sich mit einem weißen Taschentuch übers Gesicht. Auch Jim Callums Miene verriet noch die Anspannung der letzten Minuten. Aber er sagte grinsend: „Auf diese Weise hat der Kutscher wenigstens etwas von der Verspätung in Lordsburg 'rausgeholt." Die Bemerkung löste Heiterkeit aus. Vor allem, weil keiner in der Kutsche sie ausgerechnet von Callum erwartet hätte. Von ihm waren alle bisher nur Gemeinheiten gewohnt gewesen. „He, Leute", sagte Callum, „wird auch Zeit für 'ne gemütliche Rast. Ich werd mir gleich 'ne Pulle Whisky genehmigen." „Du trinkst Wasser", sagte Lobo. „Wasser?" Callum blickte entgeistert. „Wasser." „Ich will mir nicht die Füße waschen", murrte Callum. „Könnte aber nicht schaden", sagte Lobo. „Und vergessen Sie nicht das drekkige Maul", sagte Cindy wenig damenhaft. Callum starrte sie an. „He, Schwester, du solltest aufpassen, was du sagst. Ich könnte sonst ... „Du kannst gar nichts", sagte Lobo. Der Verbrecher blickte Lobo tükkisch an. „Ich bekomme Whisky. Verdammt, ich kenne meine Rechte. Ich verlange ..." „Vergiß nicht, daß du ein Gefangener bist", unterbrach ihn Lobo gelassen. „Mein Gefangener. Und ich habe den Auftrag, dich tot oder lebend ab-
zuliefern. Von besoffen hat niemand etwas gesagt." Die Kutsche hatte die Fahrt verlangsamt und hielt jetzt mit einem Ruck. Staub wölkte vor den Fenstern auf. Dann war der überraschte Ausruf des Kutschers zu hören: „Mein Gott - die Kutsche! Die Pferde sind ja tot!" Lobo blickte schnell aus dem Fenster, aber er konnte nur das Heck der anderen Kutsche sehen. „Sie müssen überfallen worden sein!" rief der Kutscher. Der Staub senkte sich, und Lobos Blick tastete das Stationsgebäude ab Jetzt sah er Pfeile im Holz der geschlossenen Fensterläden. Die Station war von Indianern angegriffen worden. Sie wirkte verlassen - wie ausgestorben. Alles war still. Totenstill. Der Vertreter wollte die Tür öffnen, um auszusteigen, doch Lobo hielt ihn davon ab. Irgend etwas warnte ihn. Ruhig sagte er: „Bleiben Sie noch einen Moment. Die Station ist von Indianern angegriffen worden. Sie könnten noch in der Nähe sein. Sogar ..." Sogar im Haus, hatte er sagen wollen. Doch in diesem Augenblick krachten die Schüsse in der Station. Vier Schüsse, in schneller Folge. Dann war ein gellender Schrei zu hören. Der Schrei eines Mädchens. Es war der verletzte Talbot, der den ersten Schuß in der Station abgegeben hatte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt. Er wußte, daß sie so oder so zum Sterben verdammt waren. Die Banditen würden sie nicht am Leben las43
sen. Ihr Anführer hatte es gesagt. Sie wollten den Gefangenen, der mit der Kutsche von Lordsburg kam. Sie wollten ihn nicht etwa befreien. Sie wollten ihn töten. Sie wußten genau, daß er mit dieser Kutsche kommen würde. Es war von langer Hand geplant. Sie hatten die Station besetzt, und sie warteten nur darauf, daß die Passagiere ausstiegen. Dann sollte der Gefangene sterben. Und seine Bewacher. Wahrscheinlich würden die anderen Passagiere die Flucht ergreifen. Sollten sie nur. Sie hatten die Banditen in der Station ja nicht gesehen. Aber die Leute in der Station hatten sie gesehen und konnten sie beschreiben. Deshalb wollten die Banditen sie ermorden, bevor sie davonritten. Talbot war ein erfahrener Mann. Der Detektiv gab sich keinen Illusionen hin. Er wußte, daß er so gut wie keine Überlebenschance haben würde. Dennoch riskierte er es. Die Banditen hatten einen großen Fehler begangen. Sie hatten ihm zwar beide Revolver abgenommen, es aber versäumt, ihn nach weiteren Waffen abzutasten. Der Detektiv besaß einen weiteren Colt. Er steckte in einer speziellen Schulterhalfter. Unter der rechten Achsel.. Das Jackett war so geschneidert, daß keine Ausbuchtung die Schulterhalfter verriet. Es war ein weiterer Fehler der Verbrecher, daß sie dem verletzten Talbot keine besondere Beachtung schenkten. Er lag auf der Couch. Die Gefangenen hielten sich in einer Ecke des Raums auf und wurden von einem der Verbrecher bewacht. Die drei anderen warteten auf die Kutsche und ihre Opfer. Zwei kauerten mit schußbereiten Gewehren an den Schießscharten. Der dritte lauerte hinter der einen 44
Spaltbreit geöffneten Tür. Als die Kutsche hielt, war die Spannung in der Station auf dem Höhepunkt. Und Talbot handelte. Eiskalt. Er wußte, daß er nicht alle vier Banditen ausschalten konnte, aber er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Seine Linke tastete unter das Jakkett. Zuerst der Anführer, dachte er. Dann der Kerl, der eine ständige Bedrohung für Ellen darstellte. Er hatte ihr die Bluse vom Leib gerissen, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Er war zudringlich geworden. Die Ankunft der Kutsche hatte ihn gerade zur rechten Zeit noch abgelenkt. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen", hatte er mit einem schmierigen Grinsen erklärt. Ja, dieser Kerl sollte als zweiter sterben. Die beiden waren die gefährlichsten des Quartetts. Vielleicht geschah ein Wunder. Vielleicht eilten die Passagiere der Kutsche zu Hilfe und überwältigten die anderen. Vielleicht ... Mit diesen Gedanken drückte Talbot ab. Es spielte sich alles rasend schnell ab. Der Colt donnerte. Talbot traf den Anführer der Banditen in den Rücken. Der Verbrecher fiel vornüber gegen den Türrahmen. Talbot sah es nicht. Die Hand mit dem Colt schwenkte bereits zu dem zweiten Verbrecher herum. Er riß den Hammer zurück, feuerte. Auch die zweite Kugel traf. Fast gleichzeitig hatten die beiden anderen Banditen reagiert. Der Bandit am Fenster war herumgeruckt und hatte auf Talbot geschossen. Zu überhastet. Die Kugel pfiff über Talbots Kopf hinweg und bohrte sich in die Wand. Der Bandit bei den Gefangenen schoß ebenfalls. Und er traf Talbot.
In die bereits verletzte Schulter. Ellens gellenden Schrei hörte Talbot nicht mehr. Die Banditen starrten von Talbots regloser Gestalt zu ihren beiden Kumpanen. Beide sahen aus wie tot. Pulverrauch waberte in dem Raum. Immer noch schrie das Mädchen. Es stand unter einem Schock. Der Bandit war mit einem Satz bei ihr und schlug ihr ins Gesicht. Der Schrei ging in ein Wimmern über. Der andere Verbrecher blickte durch die Schießscharte und fluchte wüst. Denn die Kutsche fuhr weiter. Alle in der Station waren wie gelähmt vor Entsetzen. Es dauerte einen Augenblick, bis die Banditen sich von ihrem Schock erholt hatten. Alles war zu schnell gegangen. Die Schüsse schienen noch in ihren Ohren nachzuhalten. „Was machen wir jetzt, Rick?" rief der Mann, der bei den Gefangenen stand. Es klang ziemlich ratlos. Rick zuckte mit den Schultern. „Am besten abhauen." Er starrte aus weiten Augen auf die beiden reglosen Kumpane. „Dogfeet und Bill sind tot, und ich hab keine Lust, hier 'rumzugammeln, bis 'ne Posse auftaucht. Für mich ist der Job erledigt." „Bevor er richtig angefangen hat", sagte sein Kumpan verdrossen. „Schade um die Prämie." Plötzlich erschrak er. Der Anführer bewegte sich. Rick lief zu ihm, legte sein Gewehr ab und untersuchte den Mann, den er für tot gehalten hatte. „Sieht ja furchtbar aus", murmelte er. „Komm, Sam, hilf mir. Er lebt noch. Wir müssen ihn verbinden." Sam setzte sich in Bewegung. „Ihr rührt euch nicht, oder es knallt!" „Stop!" sagte da eine harte Stimme von der hinteren Tür her.
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Der Schrei des Mädchens in der Station war noch nicht verklungen, als Lobo bereits reagierte. „Weiterfahren!" schrie er durch das Fenster dem Kutscher zu. Der Kutscher trieb das Gespann an. „Paßt auf den Gefangenen auf!" rief Lobo. Er war bereits an der linken Kutschentür, öffnete sie und warf sich hinaus. Er rollte sich geschickt ab, sprang auf und hetzte hinter die andere Kutsche, die ihm Deckung bot. Wirbelnder Staub umgab ihn. Kein Schuß fiel. Ob sie ihn nicht bemerkt hatten? Lobo konnte nicht ahnen, daß die noch lebenden Banditen im Augenblick andere Sorgen hatten, als nach draußen zu spähen. Sie hatten gehört und gesehen, daß die Kutsche weiterfuhr, und sie rechneten nicht damit, daß einer der Passagiere während der Fahrt ausstieg. Lobo hetzte zur Hausecke, schlich dicht an der Wand entlang, robbte unter dem Fenster vorbei, sprang wieder auf und umrundete das Stationsgebäude. Vier Pferde waren hinter dem Stationsgebäude angebunden. Kein Laut drang mehr aus der Station. Lobo erreichte die Hintertür und öffnete sie vorsichtig. Ein schmaler Gang. Eine weitere Tür. Mit schußbereitem Army Colt schlich Lobo über den Gang, schnell und lautlos. Die Tür zum Hauptraum war nur angelehnt. Lobo konnte jetzt Stimmen hören. „Ihr rührt euch nicht, oder es knallt..." Lobo sprang in den Raum. „Stop!" Er erfaßte die Situation mit einem Blick. Drei reglose Männer, verletzt oder tot. Blut. Ein Anblick des Grauens.
Ein Mann beugte sich über die Gestalt an der Vordertür. Ein zweiter hielt einen Revolver in der Rechten und hatte Lobo den Rücken zugewandt. Die schreckensbleichen Menschen in der Ecke des Raums. Sie konnten nur in der Gewalt der Bewaffneten sein. Der Mann mit dem Revolver reagierte anders auf den Warnruf, als Lobo erwartet hatte. Unglaublich schnell. Er wirbelte herum, riß noch in der Drehung mit der Linken den Colthammer zurück und feuerte, bevor er sich zur Seite schnellte. Lobo sah das Blitzen des Mündungsfeuers und drückte fast im selben Sekundenbruchteil ab. Das Donnern der Colts klang ohrenbetäubend in dem Raum. Lobos Kugel streifte den Banditen nur am linken Arm. Das Blei des Banditen knallte nur eine Handbreit neben Lobos Kopf in den Türrahmen. Der Bandit war zweifellos reaktionsschnell. Er hielt sich nicht damit auf, noch einmal auf Lobo zu schießen und dabei selbst eine Zielscheibe abzugeben. Er hechtete in die Ecke zu den Gefangenen. Der zweite Bandit hatte sein Gewehr hochgerissen und zielte auf Lobo. Lobo feuerte. Der Bandit schoß noch, doch das Blei klatschte nur in die Decke. Dann brach der Verbrecher getroffen zusammen. Das Gewehr polterte zu Boden. Lobos Colthand ruckte bereits zu dem zweiten Banditen herum. Doch es war zu spät. Der Verbrecher hatte Ellen an sich gerissen und preßte sie an sich als lebendes Schild. Er duckte sich dabei, denn er überragte das Mädchen um gut einen Kopf. Er hielt die Mündung seines Colts gegen Ellens Schläfe.
Todesangst flackerte in den grünen Augen des Mädchens. Lobo erkannte Ellen auf Anhieb wieder. Die kurze Begegnung in Captain Andersons Büro war ihm noch gut in Erinnerung. „Laß fallen", sagte der Bandit, „oder die Kleine stirbt!" Seine Stimme klang drohend, doch Lobo entging nicht, daß sie angespannt war, sogar eine Spur von Panik verriet. Lobo behielt den Army Colt im Anschlag. „Wenn du sie tötest, stirbst du auch", sagte er ruhig. Er warf einen Blick aus den Augenwinkeln zu den Kumpanen des Verbrechers. Von ihnen drohte im Augenblick keine Gefahr. „Von der Tür weg!" forderte der Bandit. Lobo trat zwei Schritte zur Seite. „Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug", sagte der Verbrecher zu dem Mädchen. Carmody, der Stationsmann, nutzte die Chance, sich von den anderen abzusetzen. Er sprang zur Couch, ergriff den Revolver, der Talbot entfallen war, und richtete ihn auf den Verbrecher. „Nicht schießen!" mahnte Lobo. „Sehr vernünftig", sagte der Bandit. „Denkt an das Leben der Kleinen!" Er verstärkte den Druck der Revolvermündung. „Los, geh langsam zur Hintertür und zu den Pferden." Lobo fing den gequälten Blick des halbnackten Mädchens auf und nickte ihr beruhigend zu. Er empfand tiefes Mitleid mit der Tochter des Kommandeurs. Ellen gehorchte. „Eine falsche Bewegung, und ich schieße!" drohte der Bandit. Seine Stimme klang schrill vor Anspannung. So eiskalt er vorhin auch reagiert hatte, er hatte eingesehen, daß sich seine Chancen rapide verschlechtert hatten. Von seinen Kumpanen war keine Hilfe mehr zu erwarten. Ihm blieb 47
nur die Flucht. „Niemand hält dich auf", sagte Lobo, um den Mann zu täuschen. Mit ausdrucksloser Miene schaute Lobo zu, wie der Verbrecher mit seiner Geisel den Hauptraum verließ. Nichts verriet seine Gedanken. Der Verbrecher mußte draußen die Pferde losbinden. Wahrscheinlich würde er zwei Pferde mitnehmen und die anderen davonjagen, um eine schnelle Verfolgung zu verhindern. Dann mußte er mit seiner Geisel aufsitzen. Selbst wenn sie sich nicht wehrte, dauerte das seine Zeit ... Als die Hintertür zufiel, sagte Lobo leise: „Wie kommt man hier schnell aufs Dach?" „Durch die Luke vom Gang", antwortete Carmody hastig und ebenso leise. Lobo hetzte los. Carmody folgte ihm. Die Luke ließ sich leise öffnen. Carmody half Lobo, aufs Dach zu klettern. Lobo kroch lautlos bis zum Rand des Daches. Der Verbrecher band gerade eines der Pferde los. Er hielt immer noch Ellen umklammert. Lobo wartete auf seine Chance, duckte sich zurück, so daß der Verbrecher ihn nicht sehen konnte. Er lauschte auf die Geräusche. Eines der Pferde schnaubte. Hufe scharrten. „Los steig auf", befahl der Verbrecher dem Mädchen. Lobo riskierte einen Blick und sah, daß der Bandit Ellen losgelassen hatte. Er hielt den Revolver auf sie gerichtet. Er warf nervös einen Blick zur Hintertür der Station. Ellen gehorchte. Lobo zog die Beine an. Seine Muskeln spannten sich zum Sprung. Dann war es soweit. Der Verbrecher schwang sich auf eines der Pferde. Lobo sprang auf und hechtete vom Dach. 48
Wie ein Panther schnellte er auf den Banditen zu. Bevor der erschrockene Mann wußte, wie ihm geschah, stieß Lobo ihn schon vom Pferd. Beide Männer landeten im Staub. Lobo fiel halb auf den Verbrecher. Dessen Pferd erschrak und galoppierte davon. Lobo schlug dem Banditen den Revolver aus der Hand. Ein Schuß löste sich. Das Geschoß zischte zwischen den Beinen des Pferdes hindurch, auf dem Ellen saß. Das Pferd geriet in Panik. Es galoppierte los. Lobo nahm es nur am Rande wahr. Der Verbrecher stieß mit dem Knie zu. Er versuchte, Lobo abzuwerfen, doch es gelang ihm nicht. Lobo schlug hart zu. Nach dem zweiten Treffer rührte sich der Verbrecher nicht mehr. Lobo richtete sich auf. Sein Atem ging keuchend. Er sah das durchgehende Pferd. Ellen war offenbar keine erfahrene Reiterin. Sie klammerte sich an der Mähne fest und hatte Mühe, im Sattel zu bleiben. Lobo entwaffnete den bewußtlosen Banditen und rief nach dem Stationsmann. Carmody tauchte sofort auf. ,,Alles okay?" „Bei euch auch?" sagte Lobo hastig. Carmody nickte. „Fesseln und bewachen!" rief Lobo ihm zu und lief auf eines der Pferde zu, das nach etwa zweihundert Yards stehengeblieben war. Er erreichte das Tier mit keuchenden Lungen, redete beruhigend darauf ein. Das Pferd blieb stehen. Lobo warf sich in den Sattel und galoppierte hinter Ellen her, die gerade im Osten hinter einem Hügel verschwand. Ein schneller Blick nach Norden. Von der Kutsche war nichts zu sehen. Hoffentlich ging alles gut mit dem Gefangenen. Hoffentlich ging in der
Station alles gut. Und hoffentlich waren keine Apachen mehr in der Nähe, denen Ellen in die Arme reiten konnte. Lobo wußte nicht, welche Sorgen im Augenblick seine größten waren. Das Pferd ging weich im Galopp. Es war ein großer Schecke. Er flog förmlich über das Land. Lobo erreichte den Hügel, hinter dem Ellen verschwunden war und sah das Mädchen wieder. Ihr Pferd galoppierte immer noch. Sie tat genau das Falsche. Statt dem Pferd Luft zu geben und dann langsam zu parieren, hängte sie sich in die Zügel, und das Tier raste weiter. Wenigstens fällt sie nicht runter, dachte Lobo. Irgendwann dann schaffte Ellen es wohl doch, das Pferd unter Kontrolle zu bekommen, oder das Tier wurde einfach nur müde. Lobo holte schnell auf. Ellen blickte über die Schulter und schrie auf. Offenbar erkannte sie ihn nicht wieder in ihrer Aufregung. Das Pferd, das sie angehalten hatte, bockte, und Ellen fiel doch noch aus dem Sattel. Lobo zügelte den Schecken und saß ab. „Alles in Ordnung?" Sie war benommen, doch unverletzt. Sie rieb über ihre Schulter. „Mein Gott, ich dachte schon, Sie wären ein Indianer. Sind Sie nicht..." Lobo nickte. „Ich bin einer von den Strolchen, die Sie nicht als Leibwächter haben wollten." Er lächelte das Mädchen an. Erst jetzt wurde sie sich ihrer Blößen bewußt. Sie hatte die halb zerfetzte Bluse, die ihr der Bandit vom Leib gerissen hatte, wieder angezogen. Ihre kleinen Brüste waren fast nackt. Sie bemerkte Lobos lächelnden Blick, und ihr blasses Gesicht bekam tatsächlich etwas Farbe. Sie senkte den Blick und zupfte die
Bluse zurecht. Dann lächelte sie Lobo zaghaft an. „Es tut mir leid - das mit den Strolchen." Lobo nickte nur. ,,Dann wollen wir mal schnell zu den anderen zurückreiten." Und scherzhaft fügte er hinzu : „Sonst denken die noch werweißwas." Er half ihr auf. „Mister ..." „Sie dürfen mich Lobo nennen." „Lobo ..." „Ja?" Sie gab ihm eine Antwort, die ihn überraschte. Als er sich niederbeugte, um ihr auf die Beine zu helfen, schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen Kuß auf den Mund. Ellen war ein sehr impulsives Mädchen. Auf dem Ritt erfuhr Lobo von Ellen, was geschehen war. Sie erzählte von dem Indianerangriff, von den Banditen, und immer wieder von der Angst, die sie im Griff gehabt hatte. Lobo überlegte. Der Verräter im Department von Albuquerque mußte die vier Banditen schon auf den Weg geschickt haben, bevor die Nachricht vom angeblichen Tod Jim Callums dort eingetroffen war. In der Station zog Lobo Bilanz. Zwei der Verbrecher waren tot. Der Anführer, den einer der Banditen General und Dogfeet genannt hatte, war ebenso gestorben wie der zweite Mann, den Talbot getroffen hatte. Der Bandit namens Rick war verletzt. Er war ebenso gefesselt worden wie sein Kumpan Sam, den Lobo nach der Geiselnahme ausgeschaltet hatte. Talbot war schwer verletzt, aber er würde es überleben. Er kam für einen Augenblick zu sich, murmelte etwas von einem Wunder und wurde wieder bewußtlos. 49
Carmody holte ihm die Kugel aus der Schulter und legte ihm einen Verband an. Lobo versuchte, von den beiden Banditen zu erfahren, wer ihr Auftraggeber war, doch sie starrten ihn nur haßerfüllt an und hüllten sich in Schweigen. „Diese Lumpen", sagte Carmody zornbebend. „Man sollte sie auf der Stelle aufhängen." Lobo schüttelte den Kopf. Er setzte den Stationsmann unter vier Augen kurz über seinen Auftrag ins Bild. „Sie halten die Kerle gefangen, bis sie abgeholt werden. Ich informiere den Sheriff in der nächsten Stadt. Wenn wir den Verräter in Albuquerque entlarvt haben, werden die beiden in ihrem Prozeß gegen ihn aussagen. Jetzt haben sie wohl noch Angst vor seiner Rache. Vielleicht hoffen sie auch, daß man sie befreien wird. Doch vor der Jury werden sie auspacken." Carmodys schwarze Augen funkelten Lobo an. „Und wenn wir sie mal richtig in die Mangel nehmen? Ich würde diese Dreckskerle schon zum Singen bringen ..." „Machen Sie sich nicht die Finger schmutzig", sagte Lobo. „Den Gefangenen darf kein Haar gekrümmt werden. Kann ich mich auf Sie verlassen?" Carmody zögerte. Dann nickte er widerstrebend. Lobo brannte die Zeit unter den Nägeln. Er mußte zur Kutsche. Weit konnten die Pferde nicht mehr gekommen sein. Sie waren schon am Ende ihrer Kraft gewesen, als sie nach der wilden Fahrt die Station erreicht hatten. Lobo sagte zu Carmody: „Vielleicht überlegen sich's die zwei noch und werden gesprächiger, wenn ich mit der Kutsche und dem Gefangenen zurückkomme." Er ritt mit dem Schecken los. Das Tier hatte sich schon etwas an den Reiter gewöhnt. Es gehorchte willig 50
seinen Kommandos. Lobo fand die Kutsche etwa drei Meilen von der Station entfernt in einer Schlucht abseits des Trails. Der Kutscher hatte einen guten Platz gewählt. Er hatte mit Indianern gerechnet. Die Kutsche stand ziemlich versteckt und war bei einem Angriff gut zu verteidigen. Der Kutscher und der Begleitmann ließen ihre Gewehre sinken, als sie Lobo erkannten. Lobo spürte, daß irgend etwas nicht stimmte. Er sah es den Gesichtern der Männer an. Dann erfuhr er es. Jim Callum war geflohen. Und er hatte Cindy mitgenommen. Der Kutscher berichtete: „Callum hat Granger bis zur Weißglut gereizt. Der Vertreter hat die Nerven verloren und sich auf den Gefangenen gestürzt. In dem Handgemenge gelang es Callum, Granger den Colt abzunehmen. Er bedrohte die Passagiere mit der Waffe. Frank und ich hielten hier draußen Wache. Callum zwang uns, die Waffen wegzuwerfen." Er zuckte mit den Schultern. „Was sollten wir tun? Wir wollten nicht die Passagiere gefährden. Wir gehorchten. Callum entwaffnete die Passagiere und kletterte aus der Kutsche. Wir mußten ihm zwei Pferde ausschirren. Dann nahm er die Tänzerin mit. Seltsam ..." „Was ist seltsam?" fragte Lobo angespannt. „Nun ja, er hat sie zwar mit dem Colt bedroht, aber ich hatte das Gefühl, daß sie überhaupt keine Angst hatte. Sie ging sogar noch mal zurück zur Kutsche, um ihre Tasche zu holen. Callum hat ihr das grinsend erlaubt. ,Na klar kannst du dein Parfüm holen', sagte er. Ich mag duftende Weiber'." Lobo drehte sich in Gedanken eine Zigarette. „Weiter", forderte er den Kutscher auf.
„Ja, und in der Kutsche hat sie sich auch so komisch aufgeführt. Als sie ihre Tasche nahm, hat sie jeden angelächelt und geflüstert, wir sollten uns keine Sorgen machen ..." Lobos Gedanken jagten sich. Der Kutscher sprach aus, was auch Lobo beschäftigte: „Ich hatte fast das Gefühl, daß sie nur auf diesen Augenblick gewartet hat. Ist es möglich, daß sie seine Komplizin ist? Daß sie von Anfang an vorhatte, ihn irgendwann unterwegs zu befreien?" Lobo nickte. Er sah Cindys überstürzte Abreise aus Lordsburg jetzt in einem anderen Licht. Ja, sie war eine Schauspielerin. Vielleicht hatte Tony leichtes Spiel bei ihr gehabt, weil sie es gewollt hatte. Vielleicht hatte sie ihn nur aushorchen wollen ... Es konnte nicht anders sein, oder? Lobo stellte den Passagieren einige Fragen, und der Verdacht verhärtete sich immer mehr. Cindy trat erst seit zwei Wochen in Lordsburg auf. Sie war an dem Tag eingetroffen, an dem Callum zum Tode verurteilt worden war. Das Urteil war nicht vollstreckt worden, weil Callum anbot, den Verräter in Albuquerque zu entlarven. Ob er den Mann wirklich nur vom Sehen kannte? Vielleicht hatte er das auch nur behauptet, um nach Albuquerque gebracht und auf dem Weg von Cindy befreit zu werden ... Die Fährte war noch frisch. Callum und Cindy hatten nur eine knappe Stunde Vorsprung. Sie waren nach Norden geritten. Der Schecke war besser als die Wagenpferde. Lobo nahm die Verfolgung auf. Er hoffte, Callum und Cindy noch vor Einbruch der Dämmerung einzuholen.
„Können wir nicht endlich eine
Rast einlegen?" rief Cindy. Callum gab keine Antwort. Er trieb sein Pferd durch einen Creek. Das Wasser schimmerte rötlich im Schein der untergehenden Sonne. Cindy ritt an seiner Seite. Sie bot einen atemberaubenden Anblick in ihrem Kleid, das eher für einen Auftritt im Saloon als für einen Ritt geeignet war. „Mir tut der Po weh", sagte Cindy, als sie den Creek verlassen hatten und Callum auf die Hügel im Nordosten zuritt. Jetzt blickte Callum sie grinsend an. „Ich werde dich massieren Baby, dann tut dir nichts mehr weh." Cindy lächelte. Es war ein heraus-
forderndes Lächeln. Nicht nur das Lächeln war herausfordernd. Callum wurde es heiß. Vorfreude durchpulste ihn. Du bist ein Glücksjunge, dachte er. Besser hätte es nicht laufen können. Du bist frei und hast noch eine Zugabe. Und was für eine. Diese Cindy ist kein Kind von Traurigkeit. Genau das Richtige für mich. Von so einer Puppe habe ich im Gefängnis nur träumen können ... „Sind es wirklich zwanzigtausend?" fragte Cindy nach einer Weile. Ihre rauchige Stimme klang angespannt. Callum sah das Funkeln ihrer schwarzen Augen. „Na klar, Baby. Du kriegst die Hälfte wie versprochen. Wir brauchen die Mäuse in Santa Fé nur abzuholen." Er grinste in sich hinein. Sie hatte sein Lügenmärchen ge51
glaubt. Er hatte sie richtig eingeschätzt. Für Geld tat diese Frau alles. Die Beute, von der er ihr erzählt hatte, existierte gar nicht. Aber Cindy war interessiert. Für zehntausend würde sie bei ihm bleiben. Zumindest bis Santa Fé. Und das war ein langer Ritt. Sie würde sich im voraus erkenntlich zeigen. Er konnte sicher sein, daß sie keinen Fluchtversuch unternahm, und daß sie ihm freiwillig seine Wünsche erfüllte. Das war besser als mit Gewalt. In Santa Fé konnte man weitersehen. Vielleicht beschaffte er sich dort wirklich Beutegeld, um Cindy an sich zu binden, wenn sie das hielt, was er sich von ihr versprach. Vielleicht lachte er sie aber nur aus, bedankte sich für die schönen Stunden mit ihr und jagte sie zum Teufel. Mal sehen, wie sich alles entwikkelte. „Soviel Geld hätte ich niemals mit Tanzen verdienen können", sagte Cindy in seine Gedanken hinein. „Ich hab immer davon geträumt, einmal reich zu sein." Er lächelte zufrieden. „Ja, Baby, wir werden reich sein. Reich und zufrieden. Wir kassieren in Santa Fé, und dann fangen wir irgendwo ein neues Leben an. Vielleicht in Kansas oder in Oklahoma ..." Cindy brachte ihn auf andere Gedanken. „Glaubst du, daß wir verfolgt werden?" Callum lachte. „Wer sollte uns schon verfolgen? Die Typen von der Kutsche? Die doch nicht." „Und das Halbblut? Dieser Lobo?" „Ich wette, den können wir vergessen. Du hast doch gehört, daß in der Station geschossen wurde. Entweder waren es Apachen oder ein Überfall von Weißen. Jedenfalls ist unser Vorsprung groß genug, und wir haben ein paarmal unsere Fährte verwischt ..." „Aber dann könnten wir doch end52
lich rasten." Sie musterte ihn prüfend von der Seite. „Oder denkst du, daß man dir noch mal einen Killer auf den Hals schicken könnte?" Callums Miene verdüsterte sich. Genau daran hatte er gerade gedacht. Er fluchte lautlos in sich hinein. Dieser verdammte Sheriff von Lordsburg. Er hatte versprochen, daß niemand erfuhr, daß er, Callum, sich freikaufen wollte, indem er den Verräter in Albuquerque entlarvte. Das wäre doch ein guter Handel gewesen, oder? Er hatte den Mann bei einem früheren Coup gesehen. Er brauchte nur mit dem Finger auf ihn zu zeigen und wäre ein freier Mann gewesen. Doch der Kerl mußte von der Sache Wind bekommen haben. Er hatte einen Killer geschickt. Und wenn er erfuhr, daß der Killer versagt hatte, dann würde er einen weiteren schikken, oder? Es war gut, daß sich jetzt die Dinge anders entwickelt hatten. Jetzt konnte er untertauchen, ohne Angst vor der Rache des Verräters haben zu müssen. Wer wußte schon, wie weit dessen Arm reichte. Selbst, wenn das Gesetz ihn festnahm, konnten seine Komplizen Jagd auf den Mann machen, der gesungen hatte. Auf ihn, Callum, der den Verräter verraten hatte. Da war es schon besser, spurlos zu verschwinden. Sicher, er würde weiterhin steckbrieflich gesucht werden, aber daran war er seit langem gewöhnt. Ab über die Grenze, mit Cindy oder ohne ... Er grinste Cindy an, und sein funkelnder Blick tastete über ihre Formen. „Keine Sorge, Baby. Ich will nur ganz auf Nummer Sicher gehen." Er lachte. „Wir suchen uns gleich ein schönes lauschiges Plätzchen, und dann ..." Sein Blick sagte ihr alles.. „He, Jim, du bist wohl ein ganz Vorsichtiger, was? Gehst du immer auf Nummer Sicher . . . ? "
„Immer", sagte er, und es wurde ihm heiß, als er ihr Lächeln sah.
Lobo wurde es nicht heiß, als er Cindy sah. Obwohl sie nackt war. Er hatte das Paar kurz vor Sonnenuntergang von einem Höhenrücken aus entdeckt. Jetzt lag er auf einem Felsvorsprung oberhalb ihres Camps und beobachtete Callum und Cindy. Cindy kam nackt von der Quelle, in der sie gebadet hatte. Der Mond war aufgegangen, und sein silberner Schein schimmerte auf Cindys Körper. Wassertropfen glitzerten auf ihrer Haut. Sie rief Callum, der am Feuer hockte, etwas zu, was Lobo wegen der großen Entfernung nicht verstehen konnte, und lachte. Mit wiegenden Hüften schritt sie in den Lichtkreis des Feuers, und der rötliche Schein tanzte über ihren Körper. Ja, sie war schön. Doch ihre Schönheit ließ Lobo kalt. Die Szene war eindeutig. Cindy mußte Callums Komplizin sein. Ein Mörderliebchen. Lobo spähte aus engen Augen zu Callum hin. Der Verbrecher schien sich sehr sicher zu fühlen, obwohl er offenbar mit einer Verfolgung gerechnet hatte, denn er hatte mehrmals versucht, seine Fährte zu verwischen, worauf Lobo aber nicht hereingefallen war. Callum trug nur noch Überreste der Handschellen. Er mußte es irgendwie geschafft haben, sie zu sprengen. Er konnte beide Arme frei bewegen. Er streckte sie auffordernd nach Cindy aus. Sie lachte wieder und sprach mit ihm. Er nickte. Lobo sah, wie Callum den Colt aus dem Hosenbund zog und neben dem Feuer ablegte. Dann entkleidete sich Callum.
Cindy breitete ihr Kleid im Gras aus und legte sich darauf. Callum ging zu ihr. Er wollte sie küssen, doch sie hob eine Hand und sagte etwas zu ihm. Wieder nickte er. Eilig schritt er zur Quelle. Lobos Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. Cindy hatte Callum wohl zum Baden geschickt. Und ihm, Lobo, damit unbewußt eine dicke Chance verschafft. Er verließ seinen Beobachtungsplatz. Schnell, doch lautlos arbeitete er sich näher an das Camp heran.
Eines der Pferde schnaubte. Lobo verharrte im tiefen Schatten hinter einem Felsen, der nach seiner Schätzung noch etwa zwanzig Yards vom Camp entfernt sein mußte. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Callum kam von der Quelle zurück. Er pfiff vergnügt vor sich hin. Dann rief er: „He, Baby, du hattest recht. Nach so 'nem kleinen Bad fühlt man sich wirklich wie neugeboren." „Und man stinkt nicht mehr so nach Schweiß und Pferd", sagte Cindy. Callum lachte. Das Lachen wird dir gleich vergehen, dachte Lobo und zog seinen Colt. Er glitt lautlos weiter. Ein weiterer Felsen versperrte ihm die Sicht. 53
Und dann stockte Lobos Atem. Es war, als hätte ihn ein Huftritt getroffen. Denn Cindy sagte: „Und vor allem stirbt man sauber. Bleib stehen, oder es knallt."
Callum verharrte, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die Überraschung war zu groß. Cindy, die sich gerade parfümiert hatte, hielt einen Colt auf ihn gerichtet. Sein Blick irrte zur Seite. Es war sein Colt. Die Waffe, die er Granger abgenommen hatte. ,,Was - was soll das?" stammelte er. Er starrte in die Coltmündung, dann in Cindys Gesicht. Cindy lächelte. Kalt. Grausam. „Du wirst jetzt sterben. Sauber sterben. Aber zuvor sollst du noch erfahren, warum." „Du - willst dir nur einen Spaß machen, was?" Callums Stimme klang unsicher. „Rühr dich nicht vom Fleck!" sagte Cindy scharf. „Oder du fährst sofort zur Hölle!" „Aber - Cindy, du kannst doch nicht ..." „Und wie ich kann. Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet. Sehr lange. Ich habe davon geträumt, dich tot zu sehen, du Dreckstück. Und dieser Traum geht jetzt in Erfüllung." „Sei doch vernünftig! Tu die Waffe weg!" „Du wirst genauso sterben wie Barton." „Barton?" „Ja. Hast du den schon vergessen? Um dein Gedächtnis aufzufrischen, er war einer deiner beiden Partner, die du verpfiffen hast, um deine dreckige Haut zu retten." Ihre Stimme klang haßerfüllt. Jetzt begriff Callum schlagartig. „Du kennst - kanntest Barton?" 54
„Wir kannten uns sehr gut. Ich liebte ihn." „Du bist seine Freundin aus Santa Rosa." „Ja, das bin ich." Callum erkannte die tödliche Entschlossenheit in ihrem Blick, und er fröstelte. Er versuchte, sie hinzuhalten. Irgendwie mußte er sie überrumpeln. Aber wie? Er stand fünf Schritte von ihr entfernt. Sie konnte ihn gar nicht verfehlen, wenn sie schoß. „Barton hat von dir erzählt. Nur den Namen wollte er mir nicht sagen, obwohl wir doch Freunde waren." „Freunde?" Cindy lachte verächtlich auf. „Ehrlich. Ich habe ihn nicht verpfiffen." „Nur du kanntest das Versteck. Sonst niemand. Ich habe Barton versprochen, zuzusehen, wie sie auch dich aufhängen. Deshalb bin ich nach Lordsburg gefahren. Aber zu meiner Enttäuschung fand die Party nicht statt. Da habe ich mir geschworen, dich zu töten. Ich habe Barton geliebt wie noch nie einen Menschen. Mehr als meinen Vater und meine Mutter. Barton und ich wollten heiraten. Mit seinem Anteil von eurem letzten Coup wollten wir nach Texas gehen. Wir wollten uns eine große Ranch aufbauen. In der Nähe der Stadt, in der meine Eltern und ich als arme Schlucker gelebt hatten. Ich wollte es all diesen verdammten Spießbürgern zeigen, die immer verächtlich auf uns herabgeblickt hatten. Wir wären reich gewesen und glücklich geworden, Barton und ich. Doch du hast alles zunichte gemacht. Dafür wirst du sterben." „Aber, so hör mich doch an ..." Sie ruckte mit dem Colt und sprach haßerfüllt weiter: „Ich hoffte immer noch, daß sie dich doch hängen würden, daß die Vollstreckung des Todesurteils aus irgendeinem Grund nur hinausgeschoben wurde. Doch dann hörte ich Gerüchte in der Stadt, daß du vielleicht sogar begnadigt
werden würdest. Da schrieb ich an einen alten Freund, den ich mal durch Barton kennengelernt hatte. Er sollte dich umbringen. Aber er kam leider nicht. Und als er einen Stellvertreter schickte, hatte ich gerade erfahren, daß du mit der Kutsche irgendwohin gebracht werden solltest ..." „Du hast diesen Killer angeworben!" „Ja, ich habe Oregon angeworben. Ich hab sogar hundert Dollar bezahlt, und hätte ihm noch 'ne Zusatzprämie gegeben, wenn er gewollt hätte. Aber er stand nicht auf Frauen. Leider hat er versagt, wie du ja erlebt hast. Da entschloß ich mich, mit der Kutsche zu fahren und dich selbst zu erledigen. Nett, daß du mich mitgenommen hast. Ich hatte schon auf der Zunge, dich darum zu bitten. Aber das war ja nicht nötig. Du warst ja scharf genug auf mich ..." „Das bin ich immer noch", sagte Callum hastig. „Sei doch vernünftig. Denk an die zwanzigtausend." Sie lachte kalt. „Glaubst du, ich wäre auf das Märchen reingefallen? Ich hab dir an den Augen angesehen, daß du mich nur verschaukeln willst. Keinen einzigen müden Dollar hast du in Santa Fé zu erwarten. Ich bin keine Anfängerin. Ich hab schon viel im Leben erlebt ..." „Aber, wenn ich dir sage ..." „Du sagst gar nichts mehr. Jetzt wird gestorben!" Sie zuckte zusammen, als seitlich von ihr die Stimme ertönte: „Waffe weg!" Ihr Kopf ruckte herum. Dann sah sie Lobo, der mit dem Colt im Anschlag hinter dem Felsen hervorgesprungen war. Sie überwand erstaunlich schnell ihren Schreck. Lobo hetzte auf die Frau zu. Sie schoß. Nicht auf ihn, sondern auf Callum. Doch der Verbrecher hatte sich geistesgegenwärtig hingeworfen. Wäre er stehengeblieben, hätte Cin-
dy ihn getroffen. Ihre Hand mit dem Colt schwenkte zu Lobo herum. Doch sie kam nicht mehr zum Schuß. Lobo hechtete auf die Frau zu, warf sie um. Er packte mit der Linken ihr Handgelenk, wollte ihr die Waffe entwinden. Sie wehrte sich, wild und verbissen. Er verdrehte ihr Handgelenk. Mit einem gepreßten Laut ließ sie den Colt los. Er spürte Cindys heißen Atem im Gesicht. Sie stieß mit dem Knie nach ihm, wollte ihm die Fingernägel durchs Gesicht ziehen. Er schlug ihre Hand zur Seite. Sie gab nicht auf. Er sah aus den Augenwinkeln Callum aufspringen und wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er schlug Cindy nieder. Da griff Callum auch schon an. Der Verbrecher schlug mit der Handkante zu. Lobos rechter Arm war plötzlich wie gelähmt. Und Callum holte von neuem aus. Lobo konnte dem Hieb in letzter Sekunde noch ausweichen. Verzweifelt schlug er aus der Drehung heraus mit der Linken zu. Er traf Callum mit voller Wucht. Der Verbrecher schwankte. Lobo stürzte sich auf ihn und riß ihn zu Boden. Dann ging alles sehr schnell. Zwei harte Schläge, und Callum rührte sich nicht mehr. Lobo richtete sich schwer atmend auf. Cindy bewegte sich. Sie schüttelte den Kopf, setzte sich auf. Ihr Blick schien durch Lobo hindurchzugehen. Dann setzte ihre Erinnerung ein. Sie starrte zu Callums regloser Gestalt, dann wieder zu Lobo. „Er hat mir alles zerstört. Wie ich ihn hasse! Oh, wie ich ihn hasse! Ich will ihn tot sehen!" Es klang wie ein Aufschrei. Dann trat ein berechnender Ausdruck in ihre Augen. Sie rä56
kelte sich herausfordernd, lächelte mit halbgeöffneten Lippen. „Gib mir den Colt, Lobo. Du kannst alles von mir haben, wenn du ..." „Zieh dich an!" sagte Lobo nur.
Drei Tage später. Lobo fuhr mit der Kutsche, die am Abend in Albuquerque eintreffen sollte. Rechts von ihm saß Jim Callum, mit neuen Handschellen gefesselt, links von ihm Ellen Carmichael. Am Fenster gegenüber saß eine Frau, die Lobo an Cindy erinnerte. Sie war in Socorro zugestiegen und hatte als Reiseziel Santa Fé angegeben. Sie hieß Lucille Balmore und war Witwe, wie sie erzählt hatte. Ihr Mann, ein Deputy-Marshal, war vor zwei Jahren bei einer Schießerei ums Leben gekommen. Sie war eine junge und sehr attraktive Witwe. Sie gefiel Lobo. Und er gefiel ihr offenbar auch. Bei der letzten Rast waren sie ins Gespräch gekommen. Sofort war eine prickelnde Spannung zwischen ihnen gewesen, als ob unsichtbare Funken von einem auf den anderen übergesprungen wären. Gelegentlich trafen sich ihre Blikke. Lucille hatte große braune Augen, schwarzes Haar und lockende Lippen. In dem knappsitzenden grünen Reisekostüm kamen ihre Formen gut zur Geltung. Sie war schlank und langbeinig. Ja, sie war schön. Auch Cindy war schön. Aber sie war zur Verbrecherin geworden. In ihrem Haß war sie imstande gewesen, über Leichen zu gehen . . . Lobo hatte sie in Socorro beim Sheriff abgeliefert. Sie hatte ein Geständnis abgelegt, und es waren auch die letzten Fragen geklärt worden. Zum Beispiel, daß der Killer Oregon
geheißen hatte, und daß der Mann auf dem Bild, das Lobo in Oregons Taschen gefunden hatte, Oregons Freund gewesen sein mußte. „Daß es solche Frauen gibt", hatte Ellen kopfschüttelnd gesagt, als sie auf Carmodys Station erfahren hatte, was geschehen war. „Es gibt auch solche Männer", hatte Lobo darauf erwidert. Vielleicht kam Cindy mit einer milden Strafe davon. Vielleicht gab es irgendwann einen neuen Anfang für sie, wenn sie erkannte, daß Haß alles zerstörte, was gut auf dieser Welt war . . . Lobo blickte Lucille an und vergaß Cindy. Ellen riß ihn aus seinen Gedanken. Sie schob sich näher an ihn heran und sagte: „Was unternehmen wir denn heute abend, Lobo? Führst du mich aus?" Lobo bemerkte, daß Lucille sich sehr für die Antwort interessierte. Es war, als hätte auch sie diese Frage gestellt. Er sagte zu Ellen, blickte dabei aber Lucille an: „Was möchtest du denn unternehmen?" „Na, irgendwas erleben." Er lächelte. „Ich denke, wir haben in den letzten Tagen genug erlebt." Ellen zog einen Schmollmund. „Aber wir können doch nicht einfach nur schlafen gehen." Lobo blickte Lucille an. „Warum nicht?" Lucille lächelte. „Aber das ist doch langweilig", sagte Ellen. „Wenn man dabei einschläft", bemerkte Jim Callum und lachte. Zwei weitere Passagiere schmunzelten. Erst jetzt erkannte Ellen, daß man ihre Worte auch anders auslegen konnte, als sie gemeint gewesen waren. Sie errötete leicht, neigte sich etwas vor und funkelte den Gefangenen zornig an. „Sie mit Ihrer schmutzigen Phantasie!" Sie wandte sich an Lobo, der im-
mer noch Lucille in die Augen schaute. „Lobo, du hast doch verstanden, wie es gemeint war?" Lobo nickte. Täuschte er sich, oder hatte Lucille ebenfalls ganz leicht genickt? „Wir könnten zusammen essen gehen", schlug Ellen vor. „Ich esse leidenschaftlich gern Chinesisch. Ob es in Albuquerque ein chinesisches Restaurant gibt?" Ein saftiges Steak wäre mir lieber, dachte Lobo, aber er sagte: „Wenn es eins gibt, werden wir es finden, Ellen." „Fein. Ich freue mich schon darauf." Ellens grüne Augen strahlten Lobo an. „Und anschließend können wir durch die Stadt bummeln und irgendwo einkehren, um etwas zu trinken. Vielleicht gibt es auch irgendwo Tanz." Callum blickte Lobo grinsend an. „Wird wohl'n anstrengendes Programm, bis die Kleine zur Sache kommt. Ich sage ja immer ..." „Du sagst besser gar nichts", unterbrach ihn Lobo. „He, du kannst mir nicht den Mund verbieten", sagte Callum und blickte Lobo tückisch an. „Verbieten nicht", erwiderte Lobo, „aber ich kann dir draufhauen, wenn du dich in Gegenwart der Ladies nicht benimmst." „Sobald wir in Albuquerque sind, verlange ich einen Anwalt", sagte Callum. Bekommst du", versprach Lobo. „Der kann dich im Käfig besuchen." „Käfig?" „Kittchen, Knast, Bau", sagte Lobo. „Such dir das Passende aus. „Eh, ich denke, ich werde gleich freigelassen? Ich zeige euch nur den Mann und werde begnadigt?" Lobo grinste. „Vielleicht brauchst du uns den Mann gar nicht mehr zu zeigen. Vielleicht wirst du doch noch aufgehängt." Callum starrte ihn entgeistert an. „Wieso?" „Ich weiß nämlich schon, wer der 57
Verräter ist. Die beiden Typen haben auf Carmodys Station gesungen. Wir brauchen dich gar nicht mehr." Das war ein Bluff. Die Banditen, Rick und Sam, hatten nichts ausgesagt. Der Sheriff von Socorro hatte seinen Deputy zur Station geschickt, um die Gefangenen abzuholen. Sie würden des Mordes angeklagt werden. Vielleicht sagten sie in ihrem Prozeß aus. Aber bis dahin mußte der Verräter im Department entlarvt sein. Durch Callum. Aber das brauchte er im Augenblick nicht zu wissen. Er konnte ruhig den Rest der Fahrt ein bißchen schmoren. Callum fluchte, dann verfiel er in dumpfes Schweigen. Die Kutsche traf pünktlich in Albuquerque ein. Lobo lieferte den Gefangenen beim Sheriff ab, der ihn sofort in eine Zelle sperrte. Lobo quartierte Ellen im Hotel ein und bat sie, sich im Zimmer einzuschließen, bis er sie zum Abendessen abholen würde. Sie versprach es. Lobo hatte noch einiges zu erledigen. Er telegraphierte nach Lordsburg und informierte Sheriff Baldwyn. Dann informierte er den Leiter des Departments der Armeebehörde von seiner Ankunft. Wenn der Papierkram erledigt war, sollte Callum den Verräter identifizieren. Vielleicht schon am nächsten Tag. Als sich Lobo auf den Weg zum Sheriff's Büro machte, um weitere Einzelheiten mit dem Sheriff zu besprechen, begegnete ihm Lucille. Ihr Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen. Sie hatte sich umgezogen und trug ein langes olivgrünes Kleid, in dem sie sehr elegant wirkte. Sie blieb stehen. Er blieb stehen. Es entstand eine verlegene Pause. Dann sagte Lucille: „Ich habe gehört, daß Sie auch im Golden Palace wohnen." „Sie haben dort auch ein Zimmer?" 59
sagte Lobo, weil ihm nichts Besseres einfiel. Sie nickte. „Zimmer sechs." Wieder entstand eine Pause. Ihre Blicke tauchten ineinander. „Sechs ist meine Glückszahl", sagte Lucille, „seit ich das erste Mal damit gewonnen habe. Aber ich habe lange nicht mehr gespielt." Ihr Blick sagte ihm, wie ihre Worte gemeint waren. Es wurde ihm heiß. „Dann wird es Zeit, daß Sie wieder mal auf sechs setzen", sagte Lobo. Sie nickte. „Haben Sie schon ein chinesisches Restaurant entdeckt?" fragte sie dann lächelnd. „Nein", erwiderte Lobo. „Hoffentlich gibt es keins." Sie lachte hell. „Ich hab gleich gemerkt, daß Ihnen das Programm der Kleinen nicht sonderlich behagte. Aber Sie sind Kavalier und haben sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Werden Sie jetzt auch zu mir Kavalier sein und mich begleiten?" Sie bot ihm den Arm. Etwas verwirrt nahm er ihn. Sie ging dicht neben ihm über den Gehsteig. Ihre Körper berührten sich. Er konnte einen Hauch von Parfüm riechen. Sie überging seine Anspielung, die reichlich plump war, wie er sich selbst eingestand. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann sagte Lucille: „Ich habe Lust auf einen Drink. In einer verräucherten Männerkneipe. So richtig zünftig. Aber ich wage mich nicht allein in einen Saloon." Lobo ging mit ihr in eine kleine Kneipe. Zu dieser frühen Abendstunde war das Lokal überfüllt. Tabakrauch waberte in der Luft, Stimmengewirr erfüllte das Lokal. Die Gespräche verstummten für einen Moment, als Lobo mit der Frau eintrat. Die Gäste musterten Lobo und Lucille.
Vor allem Lucille. Die Frau war offenbar an bewundernde Männerblicke gewöhnt. Sie lächelte Lobo an und sagte leise: „Nachdem uns alle lang genug angestarrt haben, schlage ich vor, wir setzen uns an den Tisch da hinten und bestellen." Sie setzten sich. Der Barmann brachte die gewünschten Getränke. Lobo hatte ein Bier bestellt, Lucille einen Whisky. Sie prosteten sich zu. Und es war, als würden sie sich schon sehr lange kennen. Es herrschte eine vertraute Atmosphäre zwischen ihnen. Sie plauderten über alles mögliche, und Lucille bewies Witz und Charme. Ganz plötzlich duzten sie sich. Es ergab sich ganz einfach so, ohne Ankündigung, ohne Förmlichkeit. Beide wußten nicht, wer zum Du übergegangen war. Es war ihnen gar nicht aufgefallen. Irgendwann kam dann die Sprache auf Jim Callum. „Du bist sicher froh, daß du den Gefangenen abgeliefert hast", sagte Lucille. „Und wie." „Was hat er eigentlich verbrochen, und warum mußtest du ihn herbringen? Darfst du darüber reden?" Lobo nickte. „Ja, er ist im Gefängnis, und es kann nichts mehr passieren." Er erzählte Lucille in groben Zü-
gen von seinem Auftrag, dessen Hintergrund und von den Ereignissen unterwegs. Natürlich verriet er nicht, was weiter in Albuquerque geschehen sollte. Als er von dem Anschlag auf Callum berichtet hatte, sagte Lucille nachdenklich: „Bist du auch ganz sicher, daß der Mann im Gefängnis sicher ist?" Lobo blickte sie verblüfft an. Lucille fuhr fort: „Ich habe den Gesprächen während der Fahrt entnommen, daß Callum gegen irgend jemanden in Albuquerque aussagen sollte oder wollte. Dieser Jemand könnte etwas dagegen haben." „Jaja", sagte Lobo. „Er hatte etwas dagegen. Deshalb wollte er ihn umbringen lassen." „Und wer sagt dir, daß er das nicht immer noch will?" Lobo blickte sie nachdenklich an. Sie lächelte. „Mein Mann war Deputy, und er las immer Detektivgeschichten. Wir haben uns oft über komplizierte Fälle unterhalten, über Täter und Motive. Ich könnte mir denken, daß dieser Callum im Gefängnis nicht sehr sicher ist." „Aber wer weiß denn, daß er überhaupt im Gefängnis ist? Die Kutsche hat nur kurz vor dem Office gehalten, und Callum ist mit einer Decke vermummt ins Jail gebracht worden. Außerdem war es dunkel." „Sicher. Aber durch einen dummen Zufall könnte doch herauskommen, wer als Gefangener in die Stadt ge-
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bracht worden ist. Zum Beispiel die Passagiere ..." „Außer dir, Ellen, und mir kennt keiner seinen Namen." ,,Aber man könnte ihn beschreiben." Lobo gestand sich ein, daß er daran nicht gedacht hatte. Aber es mußte schon ein verteufelter Zufall sein, wenn der Verräter im Department erfuhr, daß Callum lebte. Lucille sprach leise weiter: „Außerdem hat er einen Anwalt verlangt. Der könnte ihn glatt umbringen." Lobo legte eine Hand auf ihre. „Anwälte sind keine Verbrecher, Lucille. Der Sheriff wird keinen Fremden zu Callum lassen. Der Gefangene wird bewacht. Da kann wirklich nichts passieren." „Ich hab mal einen Detektivroman gelesen, in dem der Anwalt ein Mörder war", beharrte Lucille. „Das war eben ein Detektivroman", sagte Lobo lächelnd. Lucille fuhr ernst fort: „Jedenfalls gibt es immer eine Möglichkeit, daß ein Geheimnis an die Öffentlichkeit kommt. Der Anwalt könnte seiner Frau von Callum erzählen, und die wiederum ihrer Nachbarin, und im Nu weiß es die ganze Stadt." Ihre Augen funkelten. Sie sprach mit leiser Stimme weiter: „Der Mörder erfährt es, schleicht sich während der Nacht ins Gefängnis, und schon ist es passiert." Sie machte die Geste des Halsabschneidens und schaute Lobo mit Verschwörermiene an. Süß ist sie, dachte Lobo. „Dazu kommt es nicht", sagte Lobo mit gespieltem Ernst, „denn der Held lag auf der Lauer und verhindert den Mord. In einem dramatischen Kampf besiegt er den schurkischen Anwalt. Und dann eilt er zu seiner Auserwählten auf Zimmer sechs..." „Ach du", lachte Lucille, „du willst mich nur auf den Arm nehmen." „Ja", sagte Lobo, „das auch." Ihre Blicke verschmolzen mitein60
ander. Ganz leise sagte Lucille: „Wenn du chinesisch gegessen, gebummelt, getanzt und den Mörder zur Strecke gebracht hast, wird die Nacht um sein ..." „Ich werde mich mit allem wahnsinnig beeilen", sagte Lobo lächelnd. Er lächelte immer noch, als er das Sheriff's Office betrat. Dann lächelte er nicht mehr. Das Büro war verwaist. Die Tür zum Zellengang war offen, und Lobo sah eine reglose Gestalt im Halbdunkel liegen. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn. Er zog seinen Army Colt und hetzte zum Zellengang. Sheriff Corner war bewußtlos. Jim Callum war tot. Bevor Lobo das richtig erfaßt hatte, bohrte sich eine Coltmündung in seinen Rücken. „Keine Bewegung!" sagte eine harte Stimme. „Waffe weg! Hände über den Kopf und an die Wand!" Lobo gehorchte. Der Mann mit dem Revolver kickte Lobos Army Colt aus der Reichweite und tastete Lobo nach weiteren Waffen ab. Er nahm ihm das Messer ab und sagte: „Langsam umdrehen!" Lobo wandte sich um. Dann atmete er auf. Der Mann trug einen Stern auf der Lederjacke. Es war Sheriff Corners Deputy. Sie kannten sich nicht. Der Deputy war auf einem Rundgang durch die Stadt gewesen, als Lobo den Gefangenen abgeliefert hatte. „Sie halten mich für den Falschen", sagte Lobo. „Der Richtige könnte inzwischen in aller Ruhe entkommen." „Der entkommt mir nicht", sagte der Deputy grimmig. Er hielt immer noch seinen Colt auf Lobo gerichtet. Sheriff Corner bewegte sich.
Er tastete stöhnend an seinen Hinterkopf und schlug die Augen auf. Er blinzelte, dann setzte die Erinnerung ein. Er fluchte. „Ich hab das Schwein", sagte der Deputy triumphierend. Lobo schaute den Sheriff fast flehend an. „Sagen Sie ihm schnell, daß er sich irrt. Wir verlieren nur Zeit ..." Erst jetzt schien der Sheriff wieder ganz klar zu sehen. „Was soll der Blödsinn, Walt", fuhr er den Deputy an. „Das ist Mister Lobo Gates, der den Gefangenen gebracht hat." „Konnte ich nicht ahnen", sagte Walt und ließ seinen Colt sinken. „Er hat sich mir nicht vorgestellt, und ich dachte ..." „Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst nicht denken, du Dummkopf", unterbrach ihn der Sheriff. „Schnell, wir müssen hinter dem Kerl her. Hast du ihn noch türmen gesehen?" Der Deputy war Anfang Dreißig, mager und klein. Doch er führte sich auf, als hielte er sich für den Größten. Er grinste erst Lobo an, dann den Sheriff und sagte lässig: „Nur die Ruhe, Gentlemen." „Du gehst mir auf die Nerven", sagte der Sheriff ärgerlich. Er sprach Lobo damit aus dem Herzen. Lobo nahm seinen Army Colt und das Messer an sich. „Ich sagte doch, ich hab das Schwein", erklärte der Deputy gelassen. Lobo und der Sheriff schauten den Deputy verblüfft an. Der Mann genoß das offensichtlich. Er wies grinsend zur letzten Zelle, die im Dunkel lag. Lobo konnte die Umrisse eines Mannes erkennen. „Der Anwalt?" fragte er. Der Sheriff schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht, weil die Bewegung ihm Schmerzen verursacht
hatte. „Das war kein Anwalt." „Aber er hat sich dafür ausgegeben?" „Nein. Er sagte, er komme von der Armeebehörde und solle den Gefangenen verhören. Er hatte auch Papiere in seinem Köfferchen und wußte über Callum und den ganzen Vorgang Bescheid. Als ich die Schlüssel nahm und wir zur Zelle gingen, schlug er mich nieder." Der Sheriff blickte zu seinem Deputy. „Den Rest mußt du erzählen, Walt." Der Deputy berichtete. „Nachdem er unserem glorreichen Sheriff einen auf die Nuß gegeben hatte, muß er Callum erstochen haben. Als ich von meinem Rundgang ins Büro zurückkam, hörte ich einen unterdrückten Schrei von den Zellen her. Ich zog meinen Colt und schlich zur Tür. Sie wurde geöffnet, und der Kerl kam ins Büro. Ich drückte ihm mein Eisen ins Kreuz, wie vorhin Ihnen ...", er grinste Lobo an, „ ... aber er war nicht so vernünftig wie Sie. Er wollte mich angreifen. Da hab ich ihn k. o. geschlagen, entwaffnet und eingesperrt. Er trug übrigens einen falschen Bart. Den habe ich sichergestellt." „Walt, du bist ein As", sagte der Sheriff. Auch Lobo nickte anerkennend. „Weiß ich doch", sagte Walt. „Wollt ihr auch noch wissen, wer der Mann ist?" „Spann uns nicht auf die Folter", drängte der Sheriff. „Der Mann aus dem Army-Department", sagte Lobo, „den Callum verraten wollte." Der Deputy nickte. „Callum war noch nicht tot. Er konnte noch ein paar Worte sagen, bevor er starb. Er hat seinen Mörder trotz Bart erkannt. Allerdings zu spät. Den Namen wußte er nicht, aber er hat ihn zweifelsfrei als den Mann identifiziert, der die Armeetransporte verraten und mit Banditen Hand in Hand gearbeitet hat." „Na, dann ist ja alles klar", sagte 61
der Sheriff. „Den Namen erfahren wir im Handumdrehen von der Armee." „Vielleicht verrät er ihn uns, wenn er wach wird", meinte der Deputy. Lobo lächelte. „Das wäre dann sein allerletzter Verrat", sagte er. „Ich darf mich jetzt verabschieden. Alles andere hat wohl bis morgen Zeit." „Nicht alles", widersprach der Deputy, „aber wir sind ja schließlich auch noch da." „Ahja", sagte der Sheriff verständnisvoll. „Auf Sie wartet ja sicher die junge Dame im Hotel, die Sie nach Santa Fé begleiten werden, wie Sie erwähnten."
Die auch, dachte Lobo. „Gibt es eigentlich ein chinesisches Restaurant hier?" fragte er. „Hier nicht", sagte der Deputy grinsend und wies auf den Boden, „aber am Ende der Straße." Lobo seufzte. „Ah, Sie wollen essen gehen", sagte der Sheriff. Lobo nickte und wandte sich zum Gehen. Essen mit Ellen, einen kleinen Bummel, vielleicht sogar ein, zwei Tänze, und dann ... Er dachte an Lucille und lächelte. Er wußte, daß sie auf ihn warten würde. ENDE
Owen Longfields Revolverhand zuckte nach oben. Der Hahn war gespannt, sein Zeigefinger krümmte sich langsam. Seine Stimme überschlug sich vor Haß, als er sagte: „Noch nicht einmal dein Name wird über dem Dreck stehen, in dem sie dich verscharren, Halbblut!" Lobo starrte aus brennenden Augen auf den gekrümmten Zeigefinger Longfields. Er suchte verzweifelt nach einer Chance. Aus den Augenwinkeln sah er einen huschenden Schatten vor dem Fenster. Wenig später verdunkelte sich die Tür des Office. „Owen Longfield!" Der Mann vor Lobo wirbelte herum, und er wirbelte genau in eine abgefeuerte Kugel. Virginia Fargas stand da. Mit wirren Haaren und wirrem Blick, einen rauchenden Revolver in der F a u s t . . . Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbittliche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 118 dieser großartigen Western-Serie:
Longfields wilde Horde von Glenn Lord
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010 Februar 1979
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