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Buch Embra, die mystische Zauberin, und ihre Freunde Craer, der listige Dieb, Hawkril, der tapfere Krieger, und Sarasper, der weise Heiler, haben den Fluch, der auf dem Schlafenden König lastet, gebrochen: Der legendäre Monarch erwacht aus seinem jahrhundertelangen Schlummer. Doch noch ist der Frieden in Aglirta nicht wieder hergestellt: Die Fürsten und Magier kämpfen um die Vorherrschaft im Land, und finstere Mächte lauern darauf, die Bewohner unter ihren Einfluss zu bringen. Die Vier müssen erneut auf Abenteuerfahrt gehen und eine gefährliche Mission erfüllen: Es gilt, die verschollenen Dwaer-Steine zu finden, damit die Mächte des Bösen zurückgeschlagen werden können ...
Autor Ed Greenwood, geboren 1959 in Toronto, hat mit den »Forgotten Realms« eine der beliebtesten Welten für die FantasyLeser und Rollenspieler erschaffen. Er hat sie in zahlreichen Veröffentlichungen beschrieben und dazu Romane verfasst, unter anderem den populären Zyklus »Die Legende von Elminster«. Ed Greenwood ist Bibliothekar und lebt in einem alten Farmhaus bei Ontario.
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Ed Greenwood
Der leere Thron Der Ring der Vier 2 Ins Deutsche übertragen von Marcel Bieger
BLANVALET
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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Vacant Throne. A Tale of the Band of Four (vol. 2)« bei Tor Books, New York. Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH. 1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung 2/2004 Copyright © 2001 by Ed Greenwood Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schluck GmbH, 30827 Garbsen. Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Agt. Schlück/Don Maitz Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: GGP Media, Pößneck Titelnummer: 24242 Redaktion: Cornelia Köhler Bearbeitung des Glossars: Marcel Bieger und Cornelia Köhler VB · Herstellung: Peter Papenbrok Printed in Germany ISBN 3-442-24242-8 www.blanvalet-verlag. de
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Für Sal, meinen Mitträumer, für den der Weg immer so hell leuchtet wie das Ziel.
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Was macht einen König aus? Eine hehre Gestalt auf einem Thron Verflucht und verehrt Die Zielscheibe gemurmelten Tadels Und geflüsterter Intrigen Jener, welche nach immer mehr streben. Bejubelt und mit Gerüchten bedacht Und erst im Nachhinein geliebt Gefürchtet nur, wenn nahe und im Glänze der Macht Der Eine, welcher führt Der Eine, dessen Licht erstrahlt Der Eine, dessen leisestes Wort zu töten vermag. Werft die Könige nieder, die euch Missfallen oder euch ausrauben. Denn die Götter liefern euch Einen endlosen Strom von Nachfolgern. Stünden mir der Platz und die Mittel zur Verfügung So würde ich ein paar mit nach Hause nehmen Und sie richtig anlernen. Das würde dem Königreich Allerhand Verschleiß ersparen. Kastlan von Lithrie, Barde KRONEN ZU VERKAUFEN niedergeschrieben in den Tagen des Königs Mortrymm (also vor Urzeiten)
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Prolog C Der alte Barde schüttelte den Kopf. »Das vermag man kaum zu glauben, Bursche«, sagte er in die Tiefen seines leeren Kruges, »selbst solchen wie uns fällt das schwer. Zum Leben erwachte Sagengestalten – vier vagabundierende Abenteurer, darunter gar die Herrin der Edelsteine, umflammt von ihren Zaubern wie von Feuer, und dazu der zu uns zurückgerufene Auferstandene König!« Flaeros Delkamper nickte mit blitzenden Augen. »Ich weiß«, sprudelte es nachgerade aus ihm heraus, »aber es ist genau so passiert, wie ich es erzählt habe! Ich war dabei! Ich stand im Thronsaal auf der Flussschaum-Insel und sah zu, wie die Fürsten die Knie vor dem Auferstandenen König beugten!« Seine Stimme wurde immer lauter, aber Flaeros scherte sich nicht darum. Was machte es schon aus, wenn ihn die Erinnerung an die Aufregung brabbeln ließ? Er befand sich wieder daheim in Ragalar, in dem mit Krügen geschmückten Hinterzimmer des »Alten Löwen«, und der Mann, welcher ihm am Tisch gegenübersaß, hatte nahezu ein ganzes Jahrhundert lang den Delkampern als Hausbarde ge-
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dient und Flaeros schon unterrichtet, als der noch ein kleiner Junge mit schlammverschmiertem Gesicht gewesen war. Der alte Baergin lächelte und schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf, obwohl sich inzwischen in ganz Darsar die Kunde davon verbreitet hatte, dass der König nach Aglirta zurückgekehrt war. Ebenso hatten alle gehört, dass sich durchaus eine glänzende, von Frieden und Reichtum erfüllte Zukunft vor jedem Burschen und jeder Maid auftun mochte, welche die Sonne aufsteigen und den Mond untergehen sahen. Die Hände, welche Flaeros’ tastende Finger bei dessen ersten Versuchen, an den Saiten einer Harfe zu zupfen oder an einer Flöte hinauf- und hinunterzuwandern, geführt hatten, setzten den Krug ab, und ihr Besitzer fragte leise: »Und was treiben die berühmten Vier jetzt, Bursche? Was habt Ihr als Letztes von ihnen zu Gesicht bekommen?« Flaeros nahm einen großzügig bemessenen Schluck aus seinem eigenen Krug und erwiderte fröhlich: »Der Auferstandene König lud sie zu einer Privataudienz, kurz bevor ich die Insel verließ, und schickte sie anschließend auf einen mysteriösen Botengang!« Baergin nickte erneut und warf einen kurzen Blick über die Schulter. Die Gäste des Löwen hatten sich näher herangedrängt und standen jetzt lauschend da, während sie sich den Anschein gaben, genau das nicht zu tun. Baergin fragte mit dem Anflug eines schiefen Lächelns: »Und Ihr habt schon mit Eurer Ballade über all das angefangen?« »Noch nicht«, gab Flaeros ein wenig beschämt zurück. »Bald, aber im Moment noch nicht.«
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Baergin hob die Schultern zu einem Achselzucken und sagte mit einer Stimme, die wenig mehr war als ein grimmiges Flüstern: »Das ist ein Jammer. Ich hätte sie zu gern gehört.« Er erhob sich mit einer geschmeidigen, gelassenen Bewegung und lehnte sich dann über den Tisch – und in seiner seitlich nach hinten gehaltenen, jederzeit zum Vorschnellen bereiten Hand schimmerte die lange, bösartige Klinge eines gezogenen Dolches. Die Waffe fuhr nieder, aber der überraschte Flaeros schlug sie eher zufällig mit seinem Krug beiseite. Sein langjähriger Lehrer stach erneut bösartig zu, und Flaeros warf sich verzweifelt auf seinem Stuhl zur Seite und trat, vor Überraschung und Schreck laut fluchend, nach Baergins Knien. Der glitzernde Stahlzahn biss nur wenige Zoll vom Ohr des jungen Barden entfernt in die Wandvertäfelung, und Flaeros schüttete Baergin den Rest Bier aus seinem Krug ins Gesicht, während der alte Barde an der Klinge zerrte, um sie frei zu bekommen. Baergin spuckte Bier und hieb blindlings um sich, aber der junge Sänger wirbelte bereits um das Ende des Tisches herum und hastete zur nächsten Tür. Und zum nächsten auf ihn wartenden Ärger. Noch bevor Baergin hinter ihm »Zu mir!« geschrien hatte, wand sich Flaeros bereits um die fettigen, ledernen Vorhänge, welche als Windschutz vor der Tür hingen – als ein Ritter mit grimmiger Miene und gezücktem Schwert hereinplatzte. Dem ersten Kämpen folgte ein zweiter, und beide trugen volle Rüstung ohne irgendwelche Abzeichen auf den Brust-
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platten. Einige der Gäste des Löwen hatten jetzt ebenfalls ihre Waffen gezogen und rückten vorsichtig, aber fest entschlossen gegen Flaeros vor. Vom hinteren Ende des mit vielen Säulen versehenen Schankraumes blitzten noch mehr Rüstungen herüber, dazu kamen die schwankenden Helme weiterer Ritter. Bei den Göttern, er würde sterben. Etwas blitzte in Augenhöhe an dem jungen Barden vorbei, streichelte im Vorbeifliegen mit der leichtesten nur denkbaren Berührung seine Schulter und klirrte dann scheppernd zu Boden, vorbei an der Nase eines Bauern, welcher sich tief über seinen Krug geduckt hatte. Flaeros drehte sich knurrend gerade noch rechtzeitig um, um Baergin einen weiteren Dolch ziehen zu sehen. Dann wirbelte der junge Barde wieder zu dem einzigen noch freien Weg herum, welcher ihm noch blieb: zur Treppe. Er polterte die knarrenden Stufen hinauf in die Dunkelheit der Mietzimmer des »Löwen«, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wen er über den Haufen rannte oder mit den Schultern zur Seite stieß. In dem Raum unter ihm erklangen Schreie, als die Ritter hinter ihm her stürmten. Der inzwischen keuchende Flaeros sprang die nächste Treppenflucht hinauf und hörte mit einer zeitweiligen Erleichterung das Krachen, mit dem der vorderste Ritter geradewegs gegen die Kante einer Tür rannte, welche ein erstaunter Mieter eben öffnete. Dann rannte er schnell wie der Wind durch das oberste Stockwerk des Löwen mit der niedrigen Decke. An der Außenmauer gab es eine Hintertreppe, und wenn es ihm gelin-
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gen würde ... Die Tür war versperrt. Der junge Barde wimmerte vor Furcht, während er wie wild den Vorlegebalken und die daran befestigte Kette zur Seite stieß, den Bolzen des Schnappschlosses nach oben schob und – Sich drei, nein fünf wölfisch grinsenden Rittern gegenübersah, welche gerade mit erhobenen, nach Blut lechzenden Schwertern die letzten Treppenstufen heraufstürmten. Flaeros starrte sie verzagt an und hastete dann verzweifelt die oberste Treppenstufe hoch und auf den kleinen Balkon, auf welchem Kessra die Wäsche aufzuhängen pflegte. Die Leine schien viel zu alt, grau und aufgedröselt zu sein, als dass sie sein Gewicht hätte tragen können, und sie überspannte einen sehr breiten, gepflasterten Abgrund zwischen zwei Ställen. Aber das Haus gegenüber verfügte über einen eigenen Balkon, und dessen Geländer war erheblich weniger weit entfernt. Vielleicht zwölf Fuß. Oder mehr. Flaeros starrte auf den Abgrund zwischen den beiden Baikonen, während hinter ihm die Ritter hochstampften. Er fragte sich, ob es schmerzhafter sein würde, hinunter auf die von Pferdemist schlüpfrigen Pflastersteine zu prallen oder ein paar Schwerter in die Eingeweide zu bekommen ... Ein Ritter schrie direkt hinter ihm triumphierend auf, und Flaeros stieß einen verzweifelten Fluch aus, sprang auf das Geländer, nahm sich zusammen und – Als der verzweifelte Schrei des jungen Barden von den Stallwänden im Hof des Löwen widerhallte, erschien eine verhüllte Gestalt mit Kapuze auf einem Balkon hoch über den ausschwärmenden Rittern und ihren gezückten Klingen,
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schaute nach unten und zischte erwartungsvoll. Die Hand, welche sich Halt suchend um das Balkongeländer schloss, während sich der Zuschauer vorbeugte, um das Schicksal von Flaeros Delkamper zu beobachten, war grau und von Schuppen bedeckt.
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Eins
Kein Schild kommt der Treue gleich C Vögel schwirrten umher, piepsten und ließen reichlich Kot auf den zerstörten, in Trümmern liegenden Ort fallen, bei dem es sich bis vor kurzem um eine hochgewölbte Bibliothek gehandelt hatte (obschon es lange Zeit her war, dass ihre Regale mit Büchern Bekanntschaft gemacht hatten und ihre Gänge mit den Schritten von Besuchern, welche die Folianten lesen wollten). Der dichte Wald hatte seinen grünen Griff beinahe widerstrebend um die Ruinen des verlassenen Indraewyn geschlossen, als rechne er jeden Moment damit, noch mehr Krieger und Zauberer aus den überwucherten Steinen brodeln zu sehen, welche die sanften Töne des Waldes mit dem Klirren von Schwert auf Schwert und dem ohrenbetäubenden Krachen von zuschlagenden Schlachtzaubern zerreißen würden. Aber Tage und Nächte waren verstrichen, ohne dass noch mehr dieser Kämpfer erschienen. Die Aasfresser hatten an den ausgestreckten Körpern der Gefallenen gezupft, waren auf ihnen herumgeklettert und hatten an ihrem Fleisch genagt,
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wobei sie Knochen zerknackten und um sich herum verstreuten, ohne dass ein neuerlicher Alarm erklungen wäre. Die Kriechpflanzen hatten ihre geduldigen Ranken ausgeschickt, gefolgt von quiekenden, vorwärts schliddernden Geschöpfen, und der Loaurimm hatte die Hand wieder über Indraewyn geschlossen. Der Wald hatte ungestört dagestanden, bis Menschen zum Silberflusstal gekommen waren und hackten, brannten und pflügten – aber wenn der Tag anbrach, an welchem alle Menschen gegangen waren, würde der Wald langsam und unbeirrbar die gerodeten Ufer des Silberflusses für sich beanspruchen und schließlich auch die letzte Straße und den letzten Turm verschlucken. Nach blutiger Schlacht und dem vorausgegangenen Roden und Brennen, welches so viele Mauern und Türen freigelegt hatte, sah Indraewyn eher wie ein von Wald bedeckter Steinhaufen aus und nicht wie etwas, das einst Menschen errichtet hatten. Ein flüchtiges Auge hätte raue Natur gesehen, nicht gescheitertes Menschenwerk. Mit Ausnahme von sechs unheimlich glühenden Lichtsäulen, welche in stiller, lotrechter Reihe im Herzen der zerstörten Bibliothek hingen und deren jede ein reglos schwebendes Buch in ihrem Inneren barg. Etwas bewegte sich zwischen diesen Säulen aus glühendem Nichts. Es schlurfte immer wieder in die unteren Bereiche der Lichtspeere, stand da und schaute vergeblich Stunde um Stunde nach oben, bevor es wieder über zerbrochene und versengte Steinplatten zur nächsten Säule taumelte und wieder zur nächsten.
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Bei dem Etwas mochte es sich einst um einen Menschen gehandelt haben, obwohl es eher an die braun gesprenkelten Überreste einer schlecht gearbeiteten und überdies zerschlagenen Skulptur eines solchen erinnerte mit seinen spindeldürren, verschieden langen Armen, den schiefen Schultern und einem Kopf, welcher zu lang, zu dünn und noch dazu eingekerbt wirkte. Aber all dies hielt das Wesen nicht davon ab, sich schlurfend und kriechend seinen unheimlichen Weg um die Ruinen herum zu suchen, immer wieder zu der Bibliothek zurückzukehren mit den sechs stillen Säulen aus Licht – dieses Mal schlurfte es in die nördlichste der Säulen aus schimmernder Luft. Und es stand da wie immer, den Kopf erhoben zu den Büchern, welche außerhalb seiner Reichweite dahintrieben, zu den Folianten, welche seine schwachen Zaubersprüche nicht zu durchdringen vermochten ... genauso, wie sie für jeden einzelnen Felsen und Zweig nicht vorhanden zu sein schienen, welche das Geschöpf hochzuwerfen versucht hatte, um die Bücher zu treffen und sie zu durchfahren. Aber es hatte keinen anderen Ort, zu dem es hätte gehen können, und keine andere Magie, sich am Leben zu erhalten, als den endlosen Schimmer des Herzens von Indraewyn. Sobald es sich aus der Bibliothek hinausbewegte, schwand seine ohnedies geringe Zauberkraft noch mehr – also stand das Wesen wieder da und wartete mit einer Geduld, welche weniger auf Vernunft denn auf brennendem Hunger gründete. Die Fetzen von Gewändern, welche nicht ihm gehörten, hingen von seinen Schultern, und sie wirkten ebenso zerris-
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sen wie das Fleisch darunter. Verdorrtes Fleisch und eingeschrumpfte Sehnen klebten braun und trocken wie totes Laub an seinen zerschmetterten Knochen. Wer den Zauberer zu Lebzeiten gekannt hatte, hätte lange und angestrengt auf das verwelkte, skelettartige Ding starren müssen, um Phalagh von Ornentar zu erkennen – obwohl er inzwischen seiner alten Lebenskraft viel näher war als zum Zeitpunkt seines Todes. Damals war er, in glitzernde Brocken zerrissen, blutig in die Grube geplatscht, welche so lange den Stein des Lebens enthalten hatte. Seither hatte ihm Zeit genug zur Verfügung gestanden, die unnatürlichen Zauberbanne hinter sich zu lassen, welche mit quälender Langsamkeit einen Mann wiederhergestellt hatten, indem sie Knochen und verrottendes Fleisch zu einem immer höher anwachsenden Haufen zusammenfügte, welcher eines Tages stand, Arme erhob und kletterte. Das stille Ding schaffte es bis in die zerstörte Halle über der Grube, wo Phalagh gestorben war, und stolperte endlos und beinahe achtlos auskundschaftend in dem trübsinnigen Schutt herum. Es untersuchte jeden Spalt und jede Ecke, jeden niedergefallenen Stein und jedes zusammengestürzte Bücherregal, und es schlurfte Tag um Tag umher, bis es sie alle kannte. Es sonnte sich bisweilen in unverhüllter Magie, als handele es sich um wärmende Teiche aus Sonnenlicht, dann streckte es plötzlich die Hände aus, um stockende Magie zu wirken und eine Wand zu errichten, wobei der niedergestürzte Schutt wie ein umgekehrter Steinschlag in einem unheimlichen Fluss nach oben sprang und einen Bogen des Gewölbes hoch droben wieder aufrichtete.
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Das Wesen baute den Ort wieder auf, an welchem es zu Tode gekommen war, als wolle es sein eigenes Mausoleum errichten. Und all das, ohne ein Wort zu sprechen und einen anderen Ton hervorzubringen als das Schlurfen und Scharren seines hinkenden Umherwanderns. Das schweigende Etwas drehte nun plötzlich den Kopf und versteifte sich wie ein Hund, welcher etwas erschnüffelt hat. Zwei kalte, winzige Lichtpunkte glommen in leeren Augenhöhlen. Etwas nahte heran – etwas hatte die Warnbanne gestört. Das untote Skelett, welches einst Phalagh gewesen war, schlurfte ein paar Schritte vorwärts und zog sich dann in den nächsten Schatten zurück wie ein vom heimkehrenden Eigentümer aufgestörter Dieb. Zwei Männer betraten die ihres Daches beraubte Bibliothek. Ihre vorsichtigen Schritte waren beinahe genauso lautlos wie die des skelettartigen Wesens, dessen Augen jetzt aufmerksam in der Dunkelheit glommen. Bei einem der Neuankömmlinge handelte es sich um einen klein gewachsenen, schlanken und anmutigen Mann, bei dem anderen um einen unbeholfenen Krieger von der Höhe und Breite einer Tür. Das Schwert in seiner Hand übertraf an Länge beinahe seinen Kameraden. Zwei weitere Gestalten folgten dieser Vorhut, und alle vier bewegten sich mit großer Vorsicht und schauten sich im Näherkommen zwischen den zerfallenen Mauern und den zusammengebrochenen Regalen um. Alle Mitglieder der Viererbande erinnerten sich nur zu gut an ihren letzten Besuch an diesem Ort. Als sie schließlich zu einer Stelle kamen, von der aus sie die Lichtsäulen deutlich
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sehen konnten, murmelte Craer: »Fast abgeschlachtet zu werden, hat uns letztes Mal nicht gereicht, was, Herrin? Ihr habt uns zurückgebracht, um es noch einmal zu versuchen, bis wir es richtig hinbekommen, oder?« Als die einzige Frau der Gruppe die Lippen verzog und zu einer Antwort ansetzte, hob der untote Zauberer eine klauenartige Hand, und der Schimmer eines Aufbauzaubers flackerte rings um seine Finger auf. Dunkelrot und blau glomm der Bann, und die Farben verhießen nichts Gutes. Als der Zauberbann in wütenden Flammenzungen aufloderte, blitzten die glitzernden Augen dahinter ebenfalls rot und schwarz auf. Das nicht tote Wesen, das einst Phalagh gewesen war, schien zu wachsen und immer größer zu werden, als die zerstörerische Magie seine Arme hinauf und hinab wütete, skelettartige Finger sich reckten und auf die vier Eindringlinge wiesen ... »Euer Majestät«, sagte der Tersept von Helvland mit beinahe brechender Stimme, »ich vermag Euch nicht länger der Treue der Kaufleute von Helvland zu versichern, wenn unseren – ihren Plänen, neue Handelsbarken auszusenden, keine königliche Zustimmung gewährt wird. Mit jedem Tag, den Helvland wartet, geht uns Geld verloren!« »Aber«, schnarrte der Tersept von Yarsimbra auf der anderen Seite des Flussthrones, »Eure Majestät können kaum umhin zu beachten, dass in drei aufeinander folgenden Nächten Feuer auf den Segelschiffen von Yarsimbra ausbrachen, während sie im Hafen lagen. Da seien Blitze eingeschlagen, behauptet Helvland, dabei tobte in den fraglichen Nächten gar
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kein Sturm über den Himmel. Blitze aus einem klaren Himmel? Ausgerechnet dann, wenn Helvland ganz zufällig eine neue Schiffswerft eröffnet hat? Ich persönlich bezweifle ja, dass der Auferstandene König wirklich so dumm ist, wie Helvland zu glauben scheint!« »Majestät«, zischte der Tersept von Helvland, »müssen wir den wilden Lügengeschichten lauschen, welche dieser Mann erzählt? Gibt ihm sein Titel das Recht, nach Lust und Laune anzufechten, zu spotten und sich in übler Nachrede zu ergehen?« König Schneestern trug eine ausdruckslose und von ruhiger Gelassenheit geprägte Miene zur Schau, welche nachgerade steinern wirkte, und bewegte lediglich die Augen, um die beiden streitenden Tersepte mit einem dunklen, unverwandten Blick abwechselnd zu mustern. Hinter dieser steinernen Miene rangen Zorn und das Bedürfnis zu gähnen miteinander, aber er ließ lediglich zu, dass diese inneren Wallungen seinen Augen anzusehen waren. Helvland bemerkte diese subtilen Warnzeichen. Wie die Männer, welchen er diente, schritt der Mann mit Namen Ulgund zielbewusst durchs Leben, wobei er jeden niedertrampelte oder zu Boden stieß, der sich ihm in den Weg stellte. Helvland war der nördliche Uferstreifen des Silberflusses ein kleines Stück flussaufwärts von Sirlptar, eine Folge von bewaldeten Landgütern im Besitz von Kaufleuten, welche genug Reichtümer aufgehäuft hatten, um sich über das Gedränge der Glitzernden Stadt zu erheben und ihre eigenen sicheren Burgen zu errichten. Allerdings hieß das nicht, dass sie sich von dem Hauen und Stechen zurückzogen, welches in Sirlptar üblich war ... oder das Knie allzu übereifrig vor
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einem König beugten, welcher aus einer Sage hervorgetreten war und auf einem staubigen Thron ein Stück weit den Fluss hinunter saß. »Was Helvland wünscht, das bekommt Helvland auch«, hatte dieser stolze Tersept vor ein paar Atemzügen den König gewarnt, und der Tonfall seiner unausgesprochenen Drohung, wenn nicht noch Schlimmerem, hatte die anwesenden Höflinge sichtbar zusammenzucken lassen. Yarsimbra war auch nicht viel besser. Der seit langer Zeit unabhängige Landstrich, welcher nördlich von Sart vorragte und den Silberfluss in eine letzte Folge von Windungen zwang, bevor er das Meer erreichte, hatte schon vor Jahren den Reichtum und die Weltlichkeit erreicht, welche die Kauf leute von Helvland nun so eifrig für sich in Anspruch nahmen – und es sah ganz danach aus, als wolle Yarsimbra nachgerade alles tun, um sich nicht nur den reichlichen Fluss des Geldes, sondern noch dazu die Oberhoheit über den Handel am unteren Fluss zu sichern. Giftmorde und das Anheuern von Söldnern gehörten bereits zu den bevorzugten Mitteln. Der König konnte getrost davon ausgehen, dass keiner auch nur die kleinste Pause eingelegt hatte, um darüber nachzudenken, welche Gefahr solche Maßnahmen nach Aglirta brachten. Keiner scherte sich um die Folgen, und das brachte den König in Schwierigkeiten, zumal so gut wie alle unter den von ihm eingesetzten Verwaltern sowie auch noch der letzte der großspurigen Adligen unter dieser Krankheit litten. Diesen beiden Tersepten mochte vielleicht entfallen sein, dass er sie nach Belieben ihres Amtes entheben konnte. Vielleicht waren sie aber auch darauf vorbereitet, jede Amtsent-
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hebung, die er anordnen mochte, einfach zu missachten und diesem neuen König nicht mehr Autorität zuzubilligen als dem Plappermaul irgendeiner alten, matronenhaften Tante, welche man irgendwo weggeschlossen hatte, so dass sie bloß noch auf Dienern herumhacken konnte, wo sie doch einstmals Tag für Tag einer ganzen Baronie Moral gepredigt hatte. Von einem Augenblick auf den anderen war er der ganzen Angelegenheit schrecklich müde. König Kelgrael Schneestern erhob sich mit einer würdevollen Bewegung wie ein sich aufbäumender Löwe und führte, die Handflächen nach unten gerichtet, ein paar wilde Hackbewegungen aus, welche dafür sorgten, dass sich plötzliche Stille im Raum ausbreitete. Wenigstens das konnte er tun: seinen Hof durch seine schiere Anwesenheit und seine drohende Unzufriedenheit beherrschen. Der Blick aus hundert Augen haftete nun auf ihm, und alles versuchte, von jeder noch so kleinen Bewegung des Herrschers, jeder Geste, jedem Wort und jeder Veränderung seiner Miene eine Bedeutung abzulesen. Er ließ ihnen wenig Raum für tückische Auslegungen. »Beide habt ihr stichhaltige Punkte vorgebracht, meine Herren – Punkte, für die selbst ein weiserer Herrscher als ich Zeit aufbringen müsste, um darüber nachzugrübeln und schließlich so gerecht und weitsichtig zu urteilen, wie es einem Herrscher geziemt. Wenn ich aufbrause, wird mich das auch nicht schneller zu einer Entscheidung bringen, mein lieber Fürst von Yarsimbra –« Er warf dem älteren, kürzer gewachsenen Tersept einen kälteren Blick zu als zuvor, und der begegnete ihm mit einem teilnahmslosen Starren, das viel zu wenig Furcht enthielt ...
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oder Respekt. »Noch sind, werter Tersept von Helvland, Drohungen Eurem König gegenüber dazu geeignet, seine Zunge in die Richtung zu zwingen, die Ihr Euch wünscht.« Der jüngere Tersept brodelte vor siedend heißer Wut und sah auch genau danach aus; der König hatte weder Scham noch Ehrerbietung in diesen glitzernden Augen erwartet und fand auch weder das eine noch das andere. Der König sprach weiter, und seine Stimme hörte sich ruhiger an, als er sich fühlte. »Ihr mögt einwenden, dass ihr weder zu beleidigen noch zu bedrohen beabsichtigtet und ich euch falsch eingeschätzt habe. Seid daran erinnert, dass Fehlurteile ein königliches Vorrecht sind – und mehr, meine Herren, dass ihr nämlich alle beide meine Verwalter seid, welche ich nach Belieben ernennen oder entlassen kann. Fürsten mögen ein gewisses Blutrecht in Anspruch nehmen, über den Teil von Aglirta zu wachen und dafür zu kämpfen, welcher die Herrschaft ihrer Väter und Vorväter kannte; euch, meine Herren, steht das nicht zu. Seid meine Vertreter in euren Besitztümern, nicht ihre Advokaten. Seid das – oder gar nichts.« »Aber –« Der Tersept von Yarsimbra erkannte das Abschweifen in übermäßige Kühnheit in dem Augenblick, in dem der König die Worte ausgesprochen hatte, verfiel in entschiedenes Schweigen und beugte den Kopf, sei es nun, um sich zu entschuldigen oder um einen Kniefall anzuzeigen. Sein rivalisierender Tersept verhielt sich nicht so vorsichtig. »Mein Vater war vor mir der Herr von Helvland«, schnarrte der jüngere Tersept mit vor Zorn weißem Gesicht und zitternder Stimme, »und sein Vater war davor der Herr – während Aglirta keinen König hatte und Fürsten wie Straßen-
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räuber taten, was ihnen gefiel. Wir taten für unser Volk, was wir tun mussten, und fragten keinen nach ›königlicher Erlaubnis‹ für irgendwas. Und bevor Ihr jetzt von mir verlangt, oh König von Aglirta, dass ich mich verteidige und vor Eurem Thron krieche, beantwortet mir eine Frage: Welchen Vorteil haben ich und das gute Volk von Helvland, welches hinter mir steht, davon, dass wieder jemand auf dem Flussthron sitzt? Was nützt mir ein König?« Die letzten Worte hallten in einem Raum wider, in welchem ansonsten tiefstes Schweigen herrschte – das angespannte Schweigen wartender Krieger mit den Händen am Schwertknauf und bereit für einen bald ausbrechenden Kampf. Ein junger Bursche in ihrer Mitte – ein Junge mit kohlschwarzen Augen, welche er vor Ehrfurcht weit aufgerissen hatte – zitterte und schien gleich in Tränen ausbrechen zu wollen. Aller Augen ruhten auf dem König, und alle Anwesenden starrten ihn an und warteten ab. Kelgrael Schneestern erhob sich langsam zu seiner vollen Größe, so dass er hoch über dem Tersept aufragte, welcher eine Stufe unter ihm stand – der Fürst von Helvland hatte sich zwar vorsichtig einen Schritt zurückgezogen, stand aber jetzt mit der Hand am Gürtel da ... mit den Fingern auf dem Knauf des langen Messers, welches dort in seiner Scheide steckte. Er war bereit für einen Kampf. Der König lächelte in das lastende, immer schwerer wiegende Schweigen und sagte: »Ihr stellt mir eine sehr wichtige Frage, Ulgund von Helvland: Was an Gutem bedeutet ein König für das Volk von Aglirta heutzutage? Auf diese Frage verdient das ganze Reich eine Antwort – aber Ihr verlangt
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die Antwort von dem falschen Mann. Ich bin der König, wie ich schon König gewesen bin, bevor der Ahnherr, von welchem Ihr spracht, als Tersept über Helvland herrschte.« Der Auferstandene König bedachte den jüngeren Tersepten mit einem Blick, der stählern wirkte, bevor er die Augen hob und den ganzen Thronsaal musterte. »Und meine Antwort mag von den meisten unter euch als eigensüchtig verstanden werden. Ihr seid die geeigneten Leute, um die Frage zu beantworten ... denn wer ist besser geeignet zu sagen, was ein König heutigentags Gutes bedeutet, als das Volk von Aglirta?« Er legte den Zepter von Aglirta in seine Armbeuge und schritt mit gekreuzten Armen zum Ende der erhobenen Plattform, auf welcher der Thron stand. Dann hielt er an und blickte groß und bedrohlich wie ein gezücktes Schwert auf alle Versammelten nieder. »Deshalb habt ihr Zeit, darüber nachzudenken, und zwar von jetzt an bis zur Jahreswende. Zu diesem Zeitpunkt soll erneut eine Krönung in diesem Saal stattfinden. Ich hoffe, dass alle Aglirtaner, welche über die Angelegenheit nachgedacht und beschlossen haben, dass sie einen König brauchen, anwesend sein werden. An diesem Tag werde ich von allen Fürsten und Tersepten des Reiches erwarten, dass sie mir von neuem den Lehnseid schwören. Jene, welche sich dagegen entscheiden oder nicht teilzunehmen gedenken, mögen sehr wohl ersetzt werden.« König Schneestern ließ seinen ruhigen, gleichmütigen Blick langsam von Gesicht zu Gesicht wandern, von einem der verblüfften Höflinge zum nächsten, und fügte hinzu: »Sollten hingegen ausreichend Aglirtaner von Rang beschlie-
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ßen, sich gegen mich zu wenden statt den rechtmäßigen König ihrer Treue zu versichern, dann soll es um des Wohlergehens des Reiches willen meine Pflicht sein, sowohl dem Thron zu entsagen als auch meinen Nachfolger zu benennen. Alles andere würde das schöne Aglirta in einen Krieg stürzen. Jene, welche keinen König wünschen oder keinen Herrscher meiner Wahl, täten gut daran, über diesen letzten Punkt nachzudenken und dann zu entscheiden, wie gut sie das Reich verteidigen könnten, wenn sie es in die Wirren der Gesetzlosigkeit trieben. Oder besser gesagt das ungezügelte Gesetz von Baronen, Räubern und Zauberern, welche sich während meines langen Schlafes erhoben haben.« Etwas, das die Anflüge eines Lächelns sein mochten, spielte um einen Mundwinkel des Königs, als er seinen noblen Hof betrachtete. Eben die eifrig flüsternden Männer, deren schmeichlerische Zungen und herzlosen Pläne ihn heimgesucht hatten, sahen sich – wenn auch nur für einige wenige Minuten, dessen war sich der König sicher – vereint durch ihr verblüfftes Schweigen. Er hatte jedermann überrascht, wenn nicht sogar schockiert. Einer der beiden Tersepte, welche dem Thron am nächsten standen, regte sich, öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, und verfiel dann mit betont missbilligend gerunzelter Stirn wieder in Schweigen. »Ja, Pelard von Yarsimbra?«, fragte König Schneestern freundlich und gestattete sich zum ersten Mal ein echtes Lächeln. Als der Mann den Kopf schüttelte und keine Worte fand, welche trotz seiner rasenden Gedanken höflich genug gewe-
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sen wären, wurde das Lächeln auf dem Gesicht des Auferstandenen Königs immer breiter und breiter, bis es so hell erstrahlte wie eine jede der Trauben von Edelsteinen, welche die vorzüglich gewandeten Edelleute von den TreibschaumInseln so gern zur Schau stellten. »Ein unheimlicher Ort, so viel ist mal sicher«, murmelte Hawkril, trat einen Schritt zurück und bedeutete seinen Gefährten mit einem Winken, es ihm nachzutun. Etwas Kleines mit einem schwarzen Rücken flitzte hinter einem niedergestürzten Felsbrocken weiter vorn hervor und schoss hinter einen anderen. Craer nickte. »Das mag so sein, aber ich bin lieber hier – sogar mitsamt den Ungeheuern oder Räubern, welche vielleicht hinter jedem dritten Türbogen warten mögen – als in dieser Schlangengrube um den König herum.« Embra hob eine Augenbraue. »Ihr sprecht vom Königlichen Hof von Aglirta, nehme ich an?« »Von genau dem. Ich frage mich, wie viele der Zauberer der Fürsten einfach in andere Gesichter und Namen hineingeschmolzen sind und nach Treibschaum eilten, um Höflinge zu werden, damit sie so nahe an der Macht sein konnten wie schon zuvor.« Sarasper runzelte die Stirn. »Nun, das ist einen Gedanken wert. Wo kamen bloß überhaupt all diese Gecken und Schlangenzüngigen her? Sie können sich schließlich nicht in all ihrer Pracht aus den Höhlen und Bauernkaten der Treibschaum-Insel erhoben haben – nicht wenn der verfluchte Fürst höchstpersönlich – tut mir Leid, Mädchen –« »Eine Entschuldigung ist überflüssig«, murmelte Embra
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und bedeutete ihm mit einer Geste, doch fortzufahren. »– über eine bewaffnete und wachsame Festung auf der Spitze der ganzen Insel verfügte!« »Die Koglaur?«, fragte Hawkril. »Gibt es so viele von denen? Und aus welchem Grund sollten sie sich so kühn mitten in das Herz von Dingen begeben, wenn es doch eigentlich ihre Art ist, sich zu verstecken und im Verborgenen zu wirken?« »Mit aller Kühnheit mitten hinein in Gier, Dummheit und noch dazu eigensüchtiges Ränkeschmieden«, fügte Craer hinzu. Er fing einen wissenden Blick des Ritters auf und fuhr mit einem Lächeln fort: »Für einige unter uns träfe das zu, sicher, aber das entspricht nicht der Art der Koglaur, glaube ich.« »Und wo kamen sie also allesamt her?«, fragte Embra Silberbaum leise. Sarasper nickte. »Ich glaube, wir täuschen uns alle sehr, wenn wir sie als eine Armee von Verbündeten und nicht als Feinde und Rivalen sehen, welche in endlosen Disputen gefangen sind. Aber eigentlich, Mädchen, meint Ihr doch drei grundlegendere Fragen: Wer sind sie, wem dienen sie in Wirklichkeit, und wie sehen ihre Pläne für Aglirta aus?« Embra nickte. »Das stimmt. Ich glaube, dass das Auffinden der Antworten die Aufgabe ist, welche wir tatsächlich für den König erledigen müssen, jedenfalls eher als die Jagd nach den Dwaerindim, auf welche er uns ausschickte.« »Und ich glaube«, polterte Hawkril und nahm mit gezücktem, zum Zuschlagen bereitem Kriegsschwert sein vorsichtiges Vordringen wieder auf, »dass unser König kein Narr ist – und dass die Aufgabe, welche Ihr erwähnt habt, ein und dieselbe Sache ist wie Eure Königliche Mission.«
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Zwei
Keine Zauberer ohne Geheimnisse C Hohe Kerzen flackerten schwach in Reihen schimmernder, mannshoher hölzerner Halter, als ein Mann mit einem Gesicht, das manch einer Jungfer gut angestanden hätte, sich zwischen ihnen hindurchschlängelte. Man zählte eine fortgeschrittene Stunde, viel später, als der Fürst Audeman Glarond für gewöhnlich noch angezogen herumzuwandern gewohnt war. Der Fürst von Glarond war nicht als Mann von Ausdauer oder festen Vorsätzen bekannt. Aber jetzt wirkten seine riesigen dunklen Augen durchaus hart und entschlossen, als er eine Lampe über einem Lesepult zurechtrückte und das Buch, welches er getragen hatte, in ihrem Lichtschein ablegte und an einer gekennzeichneten Stelle öffnete. »Wahrlich, das betrügerische Geschwätz erhob sich speergleich gegen die Sonne, und es begleitete seinen gleißenden Aufstieg mit einem Klang, welcher die Himmelskörper jener überwältigte, welche so elend seinen kühnen Flug beobachteten«, murmelte er laut vor sich hin, bevor er das Buch mit
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einem lauten Knall schloss und beinahe wild hinzufügte: »Großer Barde oder nicht, ich verstehe nicht ein Wort davon! Gefasel um mich herum, nichts als Gefasel!« Das Licht in seinem Rücken änderte sich, und der Fürst von Glarond wirbelte herum mit einer Plötzlichkeit, die besser zu einem Mann des Krieges denn zu einem Liebhaber der Poesie gepasst hätte. Die angespannte Wachsamkeit war nicht verschwendet auf den Mann, dessen Näherkommen das Licht der Kerzen entlang des Korridors versperrt hatte, und sein mit leiser Stimme gesprochenes Gemurmel erklang geschwind. »Ich, Fürst. Nur Margurpin.« Der Verwalter des Fürsten achtete sorgfältig darauf, wegen des Tonfalls seines Herrn nicht einmal eine Braue zu heben, aber sie kannten einander seit langen Jahren. Als ihre Blicke sich trafen, sagte seine bemüht ausdruckslose Miene ziemlich genau das Gleiche aus. Margurpin wurde zusehends immer hagerer und älter, als er an Jahren im Dienste von Glarond verbracht hatte, da ihn unentwegt kleine Sorgen plagten – so wie die Sache, die jetzt an ihm nagte. »Fürst«, sagte er ohne Umschweife, »Ihr habt Besucher. Zwei Männer, in Kapuzen gehüllt, und den Stimmen nach zu schließen scheinen sie mir Fremde zu sein. Sie stehen jetzt an Eurem Gartentor, behaupten, sie würden erwartet und hätten etwas mit Euch zu klären, und ansonsten sagen sie nichts weiter. Sie müssen drei Wachposten passiert oder sich mit Gewalt Zugang verschafft haben, um so weit vorzudringen – ohne ein Hornsignal oder auch nur einen Ruf.« Die müden grauen Augen des Verwalters schauten beinahe vorwurfsvoll drein, als er aus langer Gewohnheit die Hand
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hob und über seinen dünnen Schnurrbart strich. Der Fürst nickte nur und meinte: »Führt sie herein, in diesen Raum, und dann zieht Euch für die Nacht zurück, guter Verwalter. Alles ist in Ordnung, und das wird auch so bleiben.« Die letzten Worte waren eine bedeutungslose Phrase, die dem Fürsten mindestens zweimal oder mehr pro Tag über die Lippen kam, aber Margurpin schien Trost aus der Zuversicht aus den Worten seines Herrn zu schöpfen und verbeugte sich würdevoll, während er »In Ordnung, und das wird auch so bleiben« echote. Das Licht der Kerzen fing sich auf den geschmackvoll auf die Vorderseite seines Wappenrockes gestickten drei fliegenden Schwänen von Glarond, als er sich zum Gehen umwandte. Der Fürst klaubte das ärgerliche Gedichtbuch mit einer Hand auf und vollführte mit den Fingern der anderen ein gewisses Zeichen; zur Antwort schwang ein Vorhang auf der anderen Seite des Zimmers zur Seite und enthüllte einen alten Mann mit verkniffenem Gesicht und langer, spitzer Nase in großartigen Gewändern mit hohem Kragen. Als er vorwärts trat, haftete trotz all seiner Pracht seinem Gang und Gehabe etwas Verschlagenes an. Nicht umsonst nannten manche Rustal Faulkron, Hofmagier von Glarond, hinter seinem Rücken und in dunklen Straßen »Alte Menschenratte«. »Margurpin scheint sich Sorgen zu machen«, stellte der Fürst in leicht amüsiertem Ton fest. »Das tut er doch immer«, antwortete Faulkron, während seine Finger geschickt Gesten in der Luft vollführten, wor-
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aufhin um seine Hände herum Funken für kurze Zeit zum Leben erwachten, »und trotzdem geht die Sonne am nächsten Morgen immer wieder auf, ganz ungerührt von seinen Ängsten.« Der Zauberer wurde kleiner, während er sprach, und schrumpfte zu etwas Grauem und Haarigem. Etwas Niedrigem und Krummem, das sich katzengleich streckte, während der Fürst wie gebannt zuschaute. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bevor eine große graue Katze für einen Moment innehielt, Audeman Glarond nachdenklich anschaute und dann unter den Sessel des Fürsten glitt. Der Zauberstab, welchen der Magier dort griffbereit hingelegt hatte, blinkte mit winzigen Hexenlichtern erwachender Macht, aber die Katze ringelte sich darauf zusammen, als handele es sich um das weichste ihrer Schlaffelle, und verbarg das Zauberwerkzeug auf diese Weise vor aller Augen. Dann schloss sie die Augen in vorgetäuschtem Schlaf zu schmalen Schlitzen. Inzwischen hatte der Fürst seine eigenen Vorbereitungen für den Empfang wichtiger Gäste getroffen. Das Buch mit den Gedichten lag flach auf dem breiten, leeren Rand eines Bücherregals, und hinter den Büchern, welche sich dicht auf dem Regal drängten, hatte ihr Besitzer etwas Kleines, Stacheliges hervorgezogen, das ohne weiteres in die Handfläche des Fürsten passte. Er verbarg die Hand hinter dem Rücken, drehte sich um und wandte das Gesicht dem von Kerzenschein erhellten Korridor zu. Die Flammen dort flackerten bereits, und Margurpins vorsichtig verzogenes Gesicht schien beinahe in ihrer Mitte zu
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schwimmen, als er herannahte. Jetzt wo der Verwalter in den Raum trat und zur Seite auswich, schienen die von Kapuzen bedeckten Gesichter mit bösartiger Grazie hinter ihm her zu schweben, so wie viel zu viele von sich selbst überzeugte Priester, die dem Fürsten von Glarond schon unter die Augen gekommen waren. »Meine Herren«, kündigte der Verwalter an, »erblickt den Fürsten Audeman Glarond, die Sonne all unsrer Tage in diesem schönen Fürstentum.« Zwei Köpfe neigten sich kurz zur Bestätigung, aber keiner der beiden Besucher sprach ein Wort. Der Verwalter wandte sich von ihnen ab und seinem Herrn zu und fügte gelangweilt hinzu: »Mein Fürst, zwei Gäste für Euch«, bevor er sich mit einer geschickten Bewegung einmal um sich selbst drehte und in den Korridor zurückschritt. Einer der kapuzenverhüllten Köpfe wandte sich um und beobachtete, wie der Verwalter verschwand; der andere musterte den Fürsten Glarond, diesen großen, muskulösen Mann, welcher sein großartiges grünseidenes Abendgewand mit der sorglosen Grazie eines Löwen trug, welcher weiß, dass er atemberaubend ausschaut. Er verfugte über eine makellose Haut, eine Mähne langen, fließenden, von Parfüm durchtränkten kastanienbraunen Lockenhaares, welches ein Gesicht umrahmte, in dem vor allem die riesigen dunklen, beinahe weiblich wirkenden Augen auffielen, die beinahe von dem wissenden, schwach spöttischen Lächeln darunter ablenkten. Der hinterste Gast wandte den Blick von dem Korridor, und er und sein Gefährte nahmen gleichzeitig die Kapuzen
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ab. »Maerlin«, begrüßte der Fürst Glarond den vordersten Mann in aller Höflichkeit. Sie tauschten ein knappes Lächeln aus, welches allerdings nicht bis zu ihren Augen reichte, und der Fürst Urwythe Maerlin hob eine mit zahlreichen Ringen geschmückte Hand in einer beinahe träge wirkenden Geste. »Mein Hofzauberer«, erklärte er, »Korloun.« Bei dem Zauberer handelte es sich um einen stämmigen Mann mit Haaren von der Farbe schmutzigen Strohes und blassgrauen Augen, welche an Eissplitter erinnerten. Statt eines Grußes stellte er eine einzige unverblümte Frage: »Seid Ihr allein?« Glarond lächelte schwach. »Wohl kaum.« Die Hände des Magiers bewegten sich in hastigen Gesten und formten einen Abwehrbann, welcher alle Versuche abwehren sollte, die Versammelten zu beobachten und zu belauschen, sei es nun von einer nahe gelegenen Kammer aus oder von weiter entfernt. Der Bann erblühte in einem plötzlichen Wirbel flammengleichen Aufblitzens in der Luft um Korloun herum, was anzeigte, dass er sich vergeblich in einen bereits vorhandenen magischen Abwehrschild verkrallte, welcher verhinderte, dass sich der erste Zauber entfaltete. Der Zauberer hob eine Hand und bedachte den Fürsten Glarond mit einem Stirnrunzeln. »Ihr wirkt Magie?« Der Fürst sah ihn wieder mit diesem schwachen Lächeln an und antwortete beinahe sanft: »Offenkundig.« Korlouns Gesicht nahm eine dunklere Färbung an, und er öffnete den Mund zum Sprechen, aber Fürst Maerlin legte eine Hand auf die Schulter des Zauberers, um ihn, daran
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konnte kein Zweifel bestehen, zum Schweigen zu bringen. Sein säuberlich geschnittener Kinnbart und sein rundes Gesicht verliehen ihm etwas Katzenartiges, als er nun einen Schritt näher trat und fragte: »Ihr habt, so nehme ich an, die neuesten Nachrichten gehört?« Glarond nickte. »Meine ›Augen‹ bei Hofe sind so aufmerksam wie die Euren. Nur wenige Atemzüge nachdem der Auferstandene König die Versammelten zu schockieren beliebte, wurde ich auf magische Weise davon unterrichtet.« »So wie ich auch«, meinte Maerlin. Er wandte sich um und begann im Raum herumzuwandern. »Neue Treueschwüre für uns alle – neue Beleidigungen – und eine neuerliche Krönung, welche nicht stattfinden darf.« Maerlins Zauberer machte einen geschmeidigen Schritt zur Seite, so dass er beiden Männern ungehindert ins Gesicht blicken konnte. Korloun hielt seine Hände in den Falten seines Gewandes versteckt und hielt ohne jeden Zweifel irgendeine Form von Zauberbann bereit, aber keiner der Fürsten würdigte ihn eines Blickes. Der Fürst von Glarond kreuzte ruhig die Arme vor der Brust. »Und das macht dieses unser Treffen umso dringlicher.« Maerlin schüttelte eher vor anwachsendem Zorn denn deshalb den Kopf, weil er anderer Meinung gewesen wäre, und gestattete sich einen bitteren Tonfall. »Er wird seine Speichellecker in Silberbaum, Schwarzgult und Hellbanner unterbringen, dazu vielleicht auch noch in Phelinndar und Tarlagar, außerdem Adeln und unter Umständen auch Loushoond in Angst und Schrecken versetzen und dazu bringen, das zu tun, was auch immer er befehlen mag – und wir wer-
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den niemals Platz oder Mittel genug haben, um ihn mit dem Schwert zu überwältigen.« »Aber wir müssen ihn überwältigen«, erwiderte Glarond, verzog die Lippen zu einem höhnischen Lächeln und fügte hinzu: »So wie das jeder leidenschaftliche Herrscher im Tal tun muss, zumal doch die Schlangenpriester wieder zum Vorschein gekommen sind und hier und überall mit Klingen, dunkler Magie und gut bezahlten Intrigen mitmischen. Wir tun lediglich unsere Pflicht, wenn wir unser Land verteidigen.« Maerlin erlaubte sich ein unfrohes Lächeln. »Genug der Rechtfertigungen«, stimmte er zu, »denn das ist die Wahrheit. Ohne die Geschuppten müssten wir nicht annähernd so wachsam sein – und jedes Anwerben von Söldnern unsererseits würde bereits als eine deutliche Kriegswarnung gedeutet. Wohingegen Ornentars verzweifeltes Flehen ohne jeden Zweifel erkennen lässt, dass einer von uns bereits heimlich die berühmten Schwerter von Sirlptar angeheuert hat ... und diese Neuigkeit überrascht keinen von uns.« Er starrte den anderen Fürsten ernst an und fragte dann: »Glaubt Dir, dass irgendeiner von uns närrisch ... oder verzweifelt genug ist, um den Versuch zu unternehmen, die Schlangen als Verbündete zu gewinnen?« Glarond zuckte mit den Achseln. »Ornentar vielleicht. Ohne seine Magier und seine Krieger zieht er vielleicht die Klinge des Verräters vor, statt uns mit leeren Händen entgegenzutreten.« »Die Schlangen mögen sich erheben und wieder untergehen, aber nie zuvor habe ich sie sagen hören, die Schlange durchwandere das Tal«, warf Maerlin ein und nahm seine
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Wanderung durch das Zimmer wieder auf. »Was glaubt Ihr, benutzen sie vielleicht lediglich Angst als Waffe?« Wieder zuckte Glarond die Schultern. »Den Sagen nach erwacht die Schlange, wenn der Schlafende König geweckt wird. Das mag der Wahrheit entsprechen oder auch nicht, jedenfalls zwingt es uns dazu, Waffenschmiede anzuheuern, auszubilden und sie ihre Arbeit aufnehmen zu lassen. Und wenn wir alle recht aufgeregt sind, dann sind unser aller Ohren nur zu bereit für die Einflüsterungen von Priestern, welche versuchen, uns einander an die Kehle zu hetzen.« »Sind sie denn verrückt geworden?«, knurrte Maerlin. »Warum wollen sie Aglirta zerstören? Was gewinnen sie denn, wenn nichts übrig bleibt, über das sich Macht auszuüben lohnt?« Wieder hob Glarond die Schultern. »Zauberer«, wandte er sich an den aufmerksam lauschenden Korloun, »warum streben Magier überhaupt danach, immer neuere und stärkere Banne zu wirken, wenn es doch viel sicherer wäre, sich der altbekannten Waffenarsenale ihrer Kunst zu bedienen?« Der Magier bedachte seinen Gastgeber mit einem giftigen Blick, aber seine Lippen blieben fest geschlossen. Maerlin unterbrach das Schweigen und meinte mit betont heiterer Stimme: »Ihr bringt uns zu den althergebrachten, wirrköpfigen Fragen nach der Wichtigkeit im Tal. Werden Männer nicht deshalb zu Zauberern, weil sie sich danach sehnen, möglichst viel Macht mit ihren eigenen Händen wirken zu können? Und sind solche Männer nicht unweigerlich aufsässig? Ich achte darauf, dass mein Magier Vorteile hat, indem er Maerlin dient, so wie ich mich des Schutzes seiner Banne bediene. Andere sind weniger sorgsam vorgegangen.«
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Glarond nickte. »Wer ist derzeit nicht zum Fürsten oder Tersepten ernannt worden?« Maerlin lächelte. »Ich glaube nicht, dass meine Agenten andere Dinge sehen als die Euren.« Wortlos bedeutete ihm Glarond mit einem Winken, er solle trotzdem fortfahren, und sein Gast nahm seine Wanderung von neuem auf. »Wenn Ihr diejenigen meint, die tatsächlich aus dem Tal stammen oder nachweislich über Macht verfügen, und jene außer Acht lasst, welche Gewänder in allen Farben des Regenbogens tragen, großspurig durch die Straßen von Sirlptar laufen und alle möglichen Gaunereien für eine Hand voll Münzen ausführen ... dann bleiben Tharlorn von den Donnern und Bodemmon Sarr übrig. Ach ja – und Embra Silberbaum.« Audeman Glarond hob eine anmutig geschwungene Braue. »Und wie steht es mit dieser Viererbande?« »Die aus dem Pöbel stammenden Schwerter des Königs und seine hinterrücks zustechenden Zauberwirker«, spottete Maerlin verächtlich. »Eine Hand voll von Rüpeln, welche Silberbaums zierliche Tochter angeworben hat, weil sie sich der Hoffnung hingibt, sich auf diese Weise in das Bett des Königs schleimen zu können, ohne ihres Kopfes verlustig zu gehen.« Glarond runzelte die Stirn. »Da bin ich mir nicht so sicher.« Er rührte sich zum ersten Mal und schritt langsam zu seinem Bücherregal und wieder zurück. »Silberbaum war der Stärkste von uns allen, sowohl im Hinblick auf seine Klingen als auch auf seine Zauberbanne – und seine Tochter tötete ihn und gleichzeitig seinen Meisterzauberer, nachdem sich die Vier ihren Weg durch alle Wach-
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posten von Burg Silberbaum gekämpft hatten.« »Pah!«, gab Maerlin zum Besten. »Sie benutzte Magie, um sich an all den Wachen vorbeizuschleichen, und erwischte die beiden in einem Moment der Unachtsamkeit. Vielleicht hatten sie gerade ihre Zauberstäbe in irgendeinem anderen Raum abgelegt. Was haben sie und ihre drei Bettgenossen denn seitdem fertig gebracht?« »Sie haben sich auf diese ach so geheime Königliche Mission begeben«, antwortete Glarond, »welche, schenkt man gewissen Beobachtern Glauben, darin besteht, sie geradewegs und eben jetzt nach Glarond zu bringen.« Die Brauen des Fürsten Maerlin bewegten sich nach oben und senkten sich dann wieder, als sich seine Augen verengten. »Habt Ihr deshalb Verbindung mit mir aufgenommen?«, fragte er leise. »Weil Ihr Euch vor vier herumvagabundierenden Narren fürchtet?« »Eher deshalb«, erwiderte Glarond ruhig, »weil ich glaube, dass das Geheimnis, welches Euer Magier hergestellt hat, dazu dienen wird, sie ebenso rasch zu zerstören, wie es den Auferstandenen König zu Fall bringen soll und auch wird.« »Und was für ein Geheimnis soll das sein?«, fragte Maerlin noch leiser, während hinter ihm Korloun die Hände zum Vorschein brachte und den Fürsten von Glarond aus dunklen Augen unverwandt anstarrte. Die hungrige Röte wachgerufener Magie leckte flackernd über die Hände des Zauberers. Erwachte Magie leckte flackernd wie schattige Flammen über die Hände der Herrin der Edelsteine. Irgendetwas hatte sich bewegt – mit dem denkbar leisesten
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trockenen Schaben, sicher, aber es hatte sich ganz gewiss bewegt – dort vorn in den dunklen Schatten und zwischen den niedergestürzten Steinen. »Mir gefällt das nicht«, beschwerte sich Hawkril mit einem tiefen, unglücklichen Grollen. »Die Dinge sind nicht mehr so, wie wir sie zurückgelassen haben. Das Dach ist wieder ganz, und viel von dem, was niedergefallen war, steht wieder. Jemand hat hier eine ganze Menge Zauberei eingesetzt.« »Vielleicht stellt sich das alles selbst wieder her«, bemerkte Sarasper bedächtig und versuchte, durch die sechs stillen Lichtspeere hindurch in den Dämmer zu spähen, welcher sich dahinter erstreckte. »Aber ich würde mich bedeutend glücklicher fühlen, wenn ich das wirklich glauben könnte.« Craer nickte voller Grimm. »Genauso würde ich mich auch fühlen«, stimmte er zu, während er sich wie ein geschmeidiger geduckter Schatten vorwärts bewegte. Das geschwärzte Wurfmesser in seiner Hand sah aus wie ein dunkler Reißzahn. In der Dunkelheit nicht allzu weit von ihnen entfernt vollführten zwei Knochenhände eine abschließende Geste, woraufhin sie ein dunkelrotes Glühen umhüllte, das jedoch von einem plötzlichen, unerwarteten Aufbrodeln übertroffen wurde, als die kalten, schwarzen Flammen eines vollendeten Zaubers fortwirbelten ins Nichts. Es handelte sich um den zweiten Zauber, welcher in rascher Folge von den braunen, knöchernen Fingern wegwirbelte. Ein unheimliches Brüllen hallte plötzlich durch die zerborstene Bibliothek und wurde von jeder Wand und jedem Schutthaufen zurückgeworfen. Die vier Eindringlinge spähten
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erschreckt und voller Anspannung angestrengt in alle Richtungen. Dunkelrote und schwarze Feuer loderten Unheil verkündend auf, als Phalagh das Getöse seines ersten Zaubers um sich herum donnern hörte – viel mehr als Lärm bewirkte der nicht, sollte er doch nur den unvermeidlichen Krach seines zweiten Zaubers übertönen. Jetzt. Das Skelett in seinen Fetzen von einem Gewand schlurfte vorwärts, um die Eindringlinge zu stellen. Nun, da im Schein der kriechenden roten und schwarzen Zauberflammen die Knochen der zahlreichen, in der Bibliothek zu Grunde Gegangenen inmitten der niedergestürzten Steine aufeinander zuglitten und zurutschten. Die Augen der Eindringlinge hafteten auf ihm, ja, und nicht auf den beiden dunkel flackernden Knochenhänden, welche sich im Staub und der Zerstörung hinter ihnen erhoben. Sie waren beinahe so groß wie der Dieb, welcher die Führung übernommen hatte – gigantische Hände aus den herbeigefluteten Knochen der Gefallenen ... und jetzt trieben sie mit gespreizten Fingern vorwärts, zum Zuschlagen bereit ... Das dahinschlurfende Skelett breitete die Arme in einer dramatischen, schwungvollen Bewegung aus, und die Vier sahen das Glühen von Zauberbannen, welche die Knochen hinauf- und hinabrasten. »Bei den Hörnern!«, fluchte Craer, schleuderte seine Klinge und warf sich dann zur Seite. Es ist nie empfehlenswert, stehen zu bleiben, wenn ein Magier – mag er ein Knochenbündel sein oder nicht – Banne in deine Richtung ausschickt.
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»Potzblitz!«, schloss sich Hawkril an und wich zur anderen Seite aus. Beide sahen zu, wie die Klinge des Beschaffers durch den Brustkorb des Skelettes fuhr, ohne Schaden anzurichten, und dann scheppernd in der Dunkelheit verschwand. Dann hörten die beiden Männer ein schwaches, ersticktes »Aargh!« und Geräusche wie von einem Handgemenge, welche hinter ihnen erklangen. Der Ritter und der Beschaffer drehten sich erstaunt und wie ein Mann um. Sarasper gurgelte in dem knöchernen Würgegriff einer in der Luft schwebenden Hand, deren Finger aus zahlreichen dahintreibenden, wirbelnden Knochen bestanden, welche sich um den Kopf, den Brustkorb und die Kehle des Heilers schlossen. Embra wurde von vielen kleineren Knochenansammlungen festgehalten, die wie ein Dutzend oder mehr Hände an ihr zerrten. Die Knochen hatten sie von den Füßen in die Luft gerissen, wo sie in einem wild kämpfend krampfhaft um sich schlug und hilflos mit den Beinen austrat. »Sargh!«, keuchten Craer und Hawkril zur gleichen Zeit, dann sprangen sie los, um ihren Freunden zu Hilfe zu eilen. Hinter ihnen verbreiterte sich Phalaghs knöchernes Lächeln, und er hob seine knöcherne Hand, um einen weiteren Zauberbann zu wirken ...
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Ein Geheimnis zum Dahinschmelzen C Mit einem sorglosen Lächeln auf dem Gesicht lehnte sich der Fürst Audeman Glarond vor. Falls er irgendwelche Furcht verspürte, von einem Zauberbann getroffen zu werden, so wusste er dies gut zu verbergen. »Das Geheimnis«, sagte er ruhig zu dem Baron Maerlin, »kennen wenigstens vier Eurer Fürstengenossen – also würde es auch nicht bewahrt, wenn ich vernichtet würde. Ich spreche von Flammen und schmelzenden Männern.« Seine beiden Besucher erstarrten. Der Zauberer Korloun zischte wie eine wütende Schlange, wohingegen sein Herr kalt fragte: »Und was genau wisst Ihr von Feuer und Männern, welche schmelzen?« Der Fürst von Glarond zuckte die Achseln. »Ein Feuer, welches zum Teil aus Korlouns Zaubern besteht und dessen Flammen in grellem Blau und Grün lodern. Männer, die hineingezwungen werden, werden nicht versengt und gebraten, sondern sie schmelzen wie Wachs ... und sie scheinen unter die Kontrolle des Zauberers zu fallen, als seien sie von einem
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Zauberbann gelenkt.« Er streckte die Hand aus, welche er vor sich gehalten hatte, und vollführte eine wellenförmige Bewegung, zuckte gleichzeitig noch einmal die Schultern und fügte hinzu: »Das ist alles, was ich weiß. Ich würde gern mehr erfahren.« Während seine Besucher ihn anstarrten, herrschte Schweigen. Ihre Gesichter waren weiß vor Wut und Furcht. Dann drehten sie sich beinahe widerstrebend um und schauten einander an. »Wenn er es weiß ...«, zischte der Zauberer schließlich, nachdem die stillen Botschaften in ihren Blicken fehlgegangen waren. Die Worte bewirkten, dass Maerlins Kopf zurückzuckte, und der Fürst bemerkte, wie sich die Augen seines Gastgebers verengten. »Welche vier anderen Fürsten wissen von den – schmelzenden Männern?« Glarond schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein«, sagte er leise, »dieses kleine Geheimnis ist im Moment mein einziger Schutz vor euch beiden. Wenn wir einander trauen sollen, dann belasst es mir.« Der Schatten eines Lächelns spielte über sein Gesicht, bevor er hinzufügte: »Das macht also fünf Fürsten, die euch bei dem Auferstandenen König verraten könnten. Ich hoffe, unsere kleine Verschwörung ermöglicht es uns, rasch zuzuschlagen, was auch immer wir Schneestern zufügen wollen.« Maerlins Augen glitzerten. »Wie Ihr bemerktet«, stieß er wütend hervor, »seid Ihr gegen uns gewappnet. Welchen Schutz haben wir vor Euch?« »Nichts, was die vier anderen Fürsten zur gleichen Zeit aufhalten könnte«, antwortete der Fürst von Glarond. »Der
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beste Weg, weiterzukommen, besteht nach meinem Dafürhalten darin, mir alles zu enthüllen – und mich damit ebenfalls zu einem Verräter zu machen, sollte ein Magier des Königs mittels seiner Zauber in unseren Geist spähen.« Dieses Mal tauchten die beiden Besucher länger Blicke aus, aber auch jetzt sagten sie kein Wort. Als Maerlin schließlich schroff nickte, trat Korloun wie zur Antwort vor und erklärte Glarond kurz und bündig: »Gewisse Bestandteile meines Zaubers, welche Ihr nie und nimmer kennen werdet, sind mein Schutz.« Der Fürst von Glarond nickte, sagte jedoch kein Wort, als der Zauberer fortfuhr: »Bei dem Feuerzauber steht es so, wie Ihr es beschrieben habt; soweit mir bekannt ist, handelt es sich dabei um die einzige Magie, welche Flammen so lebhaft grün und blau färbt, wenn man einmal von gewissen Illusionen absieht, welche eigens dazu geschaffen wurden, solche Farbtöne nachzuäffen.« Er schritt träge vorwärts und rieb die Hände aneinander, als sei er in Gedanken versunken. Falls er die Katze bemerkte, die sich gerade unter dem Sessel regte, so zeigte er dies mit keiner Regung an. »Anstatt zu sterben und zu Asche zu zerfallen, wurden Männer, welche in ihm brannten, zu etwas, das ich ›Die Geschmolzenen‹ nenne. Das Fleisch schmilzt ihnen von den Knochen, rinnt und verzerrt sich auf groteske Weise, und ihre Knochen werden gummiartig und sehr stark – und sie sind meinem Willen ausgeliefert.« »Wenn Ihr schlaft, streifen sie dann frei herum?« »Nein«, antwortete der Zauberer entschieden, und statt genauere Angaben zu machen, fügte er hinzu: »Wann immer
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es mir beliebt, kann ich jeden meiner ›Geschmolzenen‹ aus der Ferne ›entzünden‹. Sobald ich einen Zauber zu einem von ihnen schicke, flammt er wie eine Fackel auf. Die Magie fährt in den Geschmolzenen und schießt dann aus seinen Fingerspitzen, wenn er den Richtigen berührt. Dann zerfällt er zu Asche und Staub, und die ganze Raserei meiner Magie sucht denjenigen heim, welcher berührt wurde ... sei es nun der König oder ein Mitglied seiner kostbaren Viererbande.« »Oder vielleicht ein verräterischer Fürst«, murmelte Audeman Glarond milde und betrachtete seine Fingernägel. »Die Warnung ist angekommen, oh feinsinnigster aller Magier.« Ja, feinsinnig in höchstem Maße. Lügnerische Zungen, Verräter und Feiglinge. Der Auferstandene König von Aglirta lächelte grimmig, als ein in verschwenderische Gewänder gehüllter Höfling nach dem anderen durch die vergoldeten Bogentüren hereinschlüpfte und sich der anschwellenden Menge zugesellte, welche sich bereits an den Wänden entlang im Thronsaal bewegte. Keiner von ihnen näherte sich dem Flussthron selbst; der König saß allein in der Mitte einer beträchtlichen Fläche freier Bodenkacheln, und lediglich seine jungen Pagen leisteten ihm Gesellschaft. Er konnte sie allerdings nicht sehen, da ihm die gemeißelten knienden Steinritter, welche den Thron umgrenzten, die Sicht verstellten. König Kelgrael Schneestern bewegte die Muskeln seiner Arme und unterdrückte das Bedürfnis, sich auf seinem Thron zur Seite zu drehen und die Beine über dessen massive Marmorlehnen baumeln zu lassen. Soweit er sich erinnerte, war
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diese Haltung bei weitem bequemer, als aufrecht sitzend und von oben herab auf die Versammelten niederzustarren. Und es fiel ihm noch schwerer, ein Gähnen zu unterdrücken. Eigentlich sollte er Erregung verspüren – ärgerlich sein oder belustigt oder gespannt auf das, was ihn erwartete. Stattdessen verspürte der König von Aglirta eine gewisse Ermüdung, einen Anflug von Unbehagen hinsichtlich dessen, was nun kommen würde, und eine große, düstere Leere. Er hielt das Zepter auf seinen Knien nicht mehr mit festem Griff, sondern berührte das alte, glatte Metall nur noch mit leicht darauf ruhenden Fingerspitzen. Er musste sich entschieden dazu zwingen, nicht rhythmisch auf das Zepter zu trommeln, und umfasste es wieder mit festem Griff. Einige der aufmerksamen Augenpaare würden dieses Umklammern als etwas deuten, das aus Furcht geboren war. Als Zeichen von Schwäche – nein, als ein weiteres Zeichen von Schwäche. Nach so vielen Jahren des Schlafes wurde er vielleicht hierfür zu alt. Bei diesem Gedanken lächelte Kelgrael ein wenig und berührte den Griff des Schwertes an seiner Seite, wobei er den Drang unterdrückte, es zu ziehen und auf seine Bereitschaft zu untersuchen (was er früher und ohne Beobachter bereits getan hatte; wenn er es noch einmal tat, würde das alle möglichen Vorwarnungen und Botschaften mitteilen, die er keinesfalls der anwachsenden, aufgeregt murmelnden Menge vermitteln wollte). Er beobachtete die immer größere Zahl umherstolzierender Kaufmannsfürsten und die Ankunft selbst ernannter »Fürsten des Hofes«, welche ihn flüchtig anstarrten, den Blick abwandten und dann in den Raum schlüpften, ohne sich dem
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Flussthron mit dem einsam darauf sitzenden Mann zu nähern. Wie immer gab es nur eine Person, welche mit etwas, das Bewunderung ähnelte, zu ihrem König hochstarrte, nämlich diesen jungen Burschen mit den durchdringenden schwarzen Augen – der Sohn des toten Barden Helgrym Burgmäntel. Dort stand er ja ... Raulin, so lautete sein Name ... und bedachte Kelgrael mit einem unsicheren Lächeln. Der Auferstandene König lächelte warm zurück, woraufhin der sichtlich in Verlegenheit gebrachte Junge regelrecht zu seinem gewohnten Platz an der Wand zurückflitzte. Bei den Göttern, die Treibschaum-Insel konnte ein zwar bevölkerter, aber dennoch einsamer Ort sein. Das war nicht immer so gewesen, aber Aglirta war zerschlagen worden, während er geschlafen hatte, und das stolze, reiche Land seiner Erinnerung war ins Reich der Sagen hinweggefegt worden; zu viele verängstigte Bewohner duckten sich unter zu vielen gewalttätigen, grausamen Fürsten und Tersepten. Solchen wie der, welcher jetzt hereinkam. Der König hielt an diesem Tag Hof, um königliche Justiz über den Tersept von Rithrym auszuüben – einen Mann, welcher dafür bekannt war, das zu tun, was ihm beliebte, und zwar oft und mit brutalen Folgen für jeden, der ihm im Weg stand. All die Höflinge, Speichellecker, Aasfresser und Ehrgeizlinge inmitten der wenigen anständigen Leute und denen, die sich einfach nur zur Macht hingezogen fühlten, hatten sich hier eingefunden, um die Auseinandersetzung mitzuerleben ... und sie wollten sehen, ob die lebende Legende auf dem Thron sich als Dummkopf oder Schwächling erwies oder ob Aglirta wieder einen richtigen König hatte. Es hatte während der verflossenen Monate so viele solcher
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Proben gegeben. Fürst nach Fürst war unter Getöse, Prunk und der Zurschaustellung von Macht nach Treibschaum gekommen, um ihre eigenen Separatfrieden mit dem Mann aus der Sage zu treffen, welcher lästigerweise zum Leben erwacht war. Sie konnten seine Vorladungen nicht einfach ignorieren, weil seine bloße Anwesenheit Hoffnung in den Herzen des leidenden Volkes von Aglirta entzündet hatte. Aber keiner der Fürsten war darauf erpicht, die eigene großspurige Macht zu verlieren – oder gar klingender Münze verlustig zu gehen – im Gegenzug für eine Justiz, welche keiner von ihnen anerkannte, oder einen Frieden, dem niemand traute. Manche hatten sich offen widersetzt – und warum auch nicht? Welche Zauberer hatte der König und welche Armee, wenn man einmal von den zu Alten und zu Schwachen absah, die sonst nirgendwo mehr in Dienst genommen wurden, oder die allzu Jungen, welche noch zu grün hinter den Ohren waren, um etwas anderes für sich in Anspruch nehmen zu können als Hoffnung und – wenn sie nicht getötet wurden – all die Jahre, die noch vor ihnen lagen? Der Tersept von Rithrym hieß mit vollem Namen Augrath Naerimdon, aber man hätte ihn ebenso gut – und durchaus passend – auch »Trotzkopf« oder »Prahlhans« nennen können. Er war an den Hof zitiert worden, um sich wegen gewisser Beschlagnahmungen von Kaufmannsgütern zu verantworten, welche von den Händlern in Sirlptar als »tyrannisch« bezeichnet worden waren, und König Schneestern hatte vor dem versammelten Hof bereits den Ausdruck »Banditentum« be-
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nutzt. Er zweifelte nicht daran, dass sein Urteil bereits vor geraumer Zeit an gewisse Ohren in Rithrym gedrungen war, und das nahm auch der gesamte Hof an. Deshalb hatte sich alles hier versammelt: um dem Spaß zuzuschauen. Am anderen Ende der Halle dröhnten die Türen: Dem Klang nach rührte der Lärm vom heftigen Klopfen von Speerschäften her. Dieses Mal schlüpfte niemand unauffällig herein, um sich der schwatzenden Menschenmenge anzuschließen. Das entsprach nicht Tersept Augraths Art. Binnen Sekundenbruchteilen wurde das Gemurmel der Höflinge schrill und laut vor Erregung, dann verstummte es, und tödliches Schweigen breitete sich aus. In diese plötzliche Stille dröhnte das laute Krachen der Türen, welche so heftig aufgestoßen wurden, dass sie gegen die Wände donnerten, wo aus Erfahrung kluge Höflinge bereits eilig die Plätze geräumt hatten. Das Geräusch wurde von den Schreien und dem Wehklagen weniger weltgewandter Gäste untermalt, die im Weg gewesen waren und nun mit Quetschungen dort auf dem Boden lagen, wo die hohen, hervorragend geölten Türen vorbeigeschwungen waren. Quer über die leere Weite seines Thronsaales hinweg starrte der König von Aglirta den Neuankömmlingen entgegen: einem halben Dutzend groß gewachsener Krieger, welche nun reglos in ihren glitzernden, vollständigen Kriegsrüstungen nebeneinander zu einer Linie aufgereiht dastanden, offenkundig als Vorhut für andere. Sie trugen keine Schilde, und ihre Schwerter und Dolche steckten in den Scheiden, aber sie hatten die Helmvisiere heruntergeklappt und begrüßten ihren König nicht, weder mit Worten noch durch das Beugen der Knie.
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Auf ein Signal hin, welches Kelgrael Schneestern nicht hören konnte, teilten sich die sechs Krieger in zwei Dreiertrupps auf, von denen sich ein jeder zur Seite bewegte, neben der Tür aufbaute und die Höflinge ins Auge fasste. Die Schwerter fuhren heraus, und ein Murmeln erhob sich, während in prunkvolle Gewänder gehüllte Männer vor geschwungenem Stahl zurückwichen. Die Krieger drangen indes nicht weiter in den Raum vor, hielten jedoch aufmerksam Wache auf ihrem Posten. Dann erschienen andere Bewaffnete mit dem schwarzen Pfeil quer über dem goldenen Schild von Rithrym auf der Brust. Die Kortaharen von Rithrym betraten den Thronsaal nicht gleichzeitig, sondern wie Kämpfer auf einem Schlachtfeld. Sie hielten Schwerter und Streitkolben in den Händen und schienen bei jedem Schritt, den sie vorwärts drangen, nach Feinden und Gefahren Ausschau zu halten. In ihrer Mitte schritt ein Mann einher, der keinen Helm auf dem Kopf trug. Sein Haar loderte wie eine orangefarbene Flamme, und seine dunklen Augen unter finster gerunzelten Brauen starrten den König mit hartem Blick an. Das musste Augrath Naerimdon sein, Tersept von Rithrym, daran bestand kein Zweifel – denn Rithrym verfügte über keinen Zauberer, welcher auf magische Weise die Gestalt seines Herrschers einem anderen Mann aufzuzwingen vermocht hätte. Keine Zauberer, aber dafür jede Menge Krieger. Über einhundert von ihnen befanden sich nun hier und drängten in den Thronsaal, während sich die Höflinge an den Wänden entlang verdrückten und nun wirklich von Furcht erfülltes
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Gemurmel von sich gaben. So viele Schwerter und so viele Männer, welche sich nichts Besseres vorstellen konnten, als sie auch zu benutzen ... Männer drängten sich jetzt unter Einsatz ihrer Schultern durch die Menge der Höflinge zu beiden Seiten der Tür, als der Tersept herrisch mit den Armen winkte. Sie sicherten die Tür, stellten sich mit breiten, gepanzerten Rücken gegen den Eingang und starrten mit zum Zuschlagen bereiten Schwertern in der Hand jeden an, der sich in die Nähe verirrte. Es erklangen von Furcht erfüllte Worte, die an das Quieken aufgeschreckter Mäuse erinnerte, als der eine oder andere Höfling versuchte, den Thronsaal zu verlassen, und daran gehindert wurde. Der Tersept von Rithrym lächelte grimmig, als sich seine Falle schloss. Er hob die Hände, und seine etliche hundert Mann starke Armee von Kriegern rührte sich nicht mehr. Er tat vielleicht ein halbes Dutzend weitere Schritte in den Thronsaal hinein, stellte sich dann breitbeinig hin und kreuzte die Arme über der Brust. Seine Haltung erinnerte nicht im Geringsten an die eines Bittstellers, eines ergebenen Untertanen oder gar an einen Mann, welcher Furcht empfand. »Ihr haltet mich für einen Banditen, Schneestern«, sagte er ohne Einleitung, »und habt mich deshalb hergerufen. Ich bin nicht gekommen, um das Knie vor Euch zu beugen, sondern weil ich sehen will, welche Sorte Mann es wagt, sich als König zu bezeichnen, und behauptet, der zum Leben erweckte Schläfer aus den Sagen zu sein. Ich schaue, und ich sehe einen Mann ... ganz allein.« Das letzte Wort hatte er mit erhobener Stimme ausgestoßen, so dass es durch die Kammer hallte. Dann fügte er ein
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wenig leiser hinzu: »Und ich bin nicht beeindruckt.« »Ich bedarf nicht Eurer Ehrfurcht«, erklärte der Auferstandene König ruhig, »aber ich befehle Euch Gehorsam. Kein Tersept übt sein Amt aus ohne die Erlaubnis des Königs; Ihr verfügt über keinerlei Macht, es sei denn, ich hätte sie Euch verliehen.« »Ah, aber genau das tue ich«, antwortete der Tersept von Rithrym mit einem freudlosen Lächeln und hob die in Panzerhandschuhen steckenden Hände. »Meine Schwerter sind meine Macht, und sie sind all die Macht, die ich brauche. Jeder Aglirtaner versteht ihre Sprache, und keiner wagt es, Einwände zu erheben. Sie sind vertrauenswürdiger als Zauberer und stärker und weniger zu einem Disput bereit als jeder Anspruch auf das Königtum oder irgendwelche Rechtmäßigkeit. Schaut her, oh Mann, der Ihr in Anspruch nehmt, König zu sein. Seht Ihr die Männer, welche mir zur Seite stehen?« Er spähte mit einem deutlich weniger angespannten Lächeln am Thron vorbei und meinte: »Ich nehme zur Kenntnis, dass Euch regelrechte Kinder beistehen, außerdem zwei Lanzenträger, die in den hinteren Ecken hocken. Wenn ich die zu denen hinzuzähle, an welchen ich beim Betreten des Saales vorbeigekommen bin, so sind das alles in allem ein Dutzend Bewaffnete. Ich kann auch keinen Magier von Rang ausmachen – jedenfalls keinen, welcher den Zauberern aus Sirlptar das Wasser reichen könnte, welche ich angeheuert habe, auf dass sie mich in den vor uns liegenden Monaten vor den fürstlichen Magiern schützen ... gewisslich viel mehr als Ihr. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Treibschaum es fertig gebracht hat, ein bedauerlich spärliches Auf-
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gebot gegen meine erheblich stärkere Streitmacht aufzustellen. Um es ganz schlicht und einfach zu sagen, Auferstandener König – Ihr könnt wählen, ob Dir hier und jetzt Eure Krone aufgeben oder sterben wollt.« Träge hob er eine Hand. Auf dieses Zeichen hin holte ein in der Nähe der Südwand stehender Kortahar lässig mit seinem Kriegsschwert aus und schlitzte die Kehle des ihm am nächsten befindlichen Höflings auf. Eine Blutfontäne schoss in die Luft, und der Mann taumelte ein paar Schritte vorwärts, bevor er zu Boden stürzte, alle viere von sich streckte und röchelnd an seinem eigenen Blut erstickte. Im ganzen Thronsaal erklangen Schreie, und plötzlich erwachte der Raum zum Leben, als entsetzte Höflinge wie von Panik erfasste Hasen in alle Richtungen davonschossen. »Stehen bleiben!«, bellte der Tersept, und das Donnern seiner Stimme erfüllte den Thronsaal bis hinauf zu der hohen Decke. »Bleibt alle stehen – oder sterbt!« Plötzliche Stille breitete sich aus, und während alles schwieg, lächelte Augrath Naerimdon den König Schneestern selbstgefällig und spröde an. Dann bewegte er die Finger zu einem weiteren Signal. Zwei Krieger mit gespannten und schussbereiten Armbrüsten traten aus dem Pulk von Gewappneten hervor und bauten sich auf beiden Seiten ihres Herrn auf. Ihre Waffen hielten sie bedrohlich auf den König gerichtet. Augrath Naerimdons höhnisches Lächeln verstärkte sich. Der König von Aglirta antwortete nun seinerseits mit einem frostigen Lächeln. Dann hob er kaum sichtbar das Zepter
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in seiner Hand. Als dessen uraltes Metall in einem plötzlichen Blitzen funkelnder Lichter aufloderte, vernahmen die Anwesenden einen knirschenden Ton – und eine Bodenfliese verschwand und ließ den vor einem Augenblick noch darauf stehenden Bogenschützen vor Überraschung aufschreiend in bodenloses Nichts stürzen. Dann folgte ein Rumpeln – und die Schreie der um sich schlagenden Pagen –, als die beiden gemeißelten Steinritter auf beiden Seiten des Flussthrones sich langsam und steif erhoben. Stein seufzte, als sei er lebendig, und die Steinfiguren richteten sich auf, schüttelten sich und bewegten sich dann vorwärts, wobei die Fliesen unter jedem ihrer Schritte erbebten. In die lauten Flüche der überraschten Krieger von Rithrym mischten sich Entsetzensschreie und -rufe von außerhalb der Halle, wo ihre Kortaharkameraden und die Höflinge aufschrien, welche es nicht gewagt hatten, den Thronsaal zu betreten, und der Lärm kündigte das Erwachen weiterer Steinritter überall in den Korridoren an. König Kelgrael Schneestern wandte den Blick nicht von dem des Tersepten und bemerkte, wie der Mann langsam erblasste. Der Armbrustschütze neben dem Fürsten von Rithrym schoss hastig seinen Bolzen auf den König ab, aber Kelgrael bewegte sich nicht einmal um Haaresbreite. Der singende Flug des Bolzens endete einen Herzschlag später mit einem scharfen Knacken und einem auseinander stiebenden Schauer fallender Splitter, als der Bolzen auf eine unsichtbare Schranke traf und zerbarst. »Er wird von Magie abgeschirmt!«, knurrte ein von Furcht
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gepackter Krieger und zog sich hastig zurück. König Schneestern erhob sich mit einer anmutigen, alles andere als hastigen Bewegung, legte sein Zepter, dessen Enden immer noch magisch funkelten, auf dem Thron hinter sich nieder und zog langsam sein Schwert. Der Armbrustschütze drehte sich auf dem Absatz um und floh, während seine Waffe auf den Boden schepperte. Der Tersept von Rithrym beobachtete seinen Abgang, warf einen kurzen Blick auf den herannahenden König und drehte sich ebenfalls um. Nach ein paar zögernden Schritten schloss er sich der eiligen Flucht des Schützen an. Männer in Rüstung drängten einander beiseite, und ihre Schulterplatten dröhnten, während sie auf die großen Doppeltüren zustrebten, welche sie vor kurzem noch so grob aufgestoßen hatten. Männer fluchten, schoben und schlugen um sich – bis sich etwas Dunkles in den Steinen über dem Türbogen regte und sich in lange Arme verwandelte, welchen der Kopf und die Schultern eines weiteren Steinritters folgten. Die Arme bewegten sich nach oben – und dann nach unten, um zu blutigem Brei zerschmetterte Krieger auf den Boden zu schleudern. Die Kortahare von Rithrym schienen einander mit ihrem Geschrei und Gebrüll übertreffen zu wollen, als sie sich umdrehten und versuchten, von der Tür wegzukommen. Der Tersept kam zu einem unfreiwilligen Halt vor der sich auf ihn zu wälzenden Menschenmenge, welche panisch einhertramplte. Er warf einen Blick zurück auf den König, welcher groß und schrecklich auf ihn zuschritt. Dann fiel er auf die Knie.
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»Gnade, oh König!«, wimmerte er. »Lasst mich am Leben!« »Gnade«, sprach Kelgrael Schneestern beinahe traurig, machte einen langsamen Schritt vorwärts und schwang sein Schwert in hohem Bogen, welches Augrath Naerindom den Kopf vom Rumpf trennen würde, »liegt jenseits dessen, was ich mir derzeit leisten kann. Ihr habt dafür gesorgt, dass ich Euch dringend brauche, um ein Exempel zu statuieren.« Es folgte ein feuchtes, lautes Geräusch, und die Klinge traf ihr Ziel. »Oh Narr von Rithrym.« Blut spritzte auf, und eine Rüstung kippte mit um sich schlagenden Armen vornüber. Der Auferstandene König schaute an dem Leichnam vorbei auf die Krieger, die sich in wilder Flucht durch die Seitentüren quetschten, dann starrte er in die vor Furcht verzerrten Gesichter der Höflinge, welche sich überall im Thronsaal auf den Boden gekauert hatten. Er hob eine Hand und deutete auf einen Mann, dessen Hohnlächeln er bereits früher am Tag bemerkt hatte. Er hielt den Blick des Mannes fest und ließ den ausgestreckten Zeigefinger sinken, bis er auf den kopflosen zusammengebrochenen Körper zu seinen Füßen zeigte. »Räumt das da weg«, befahl er knapp. Der Mann wankte und leckte sich die blassen Lippen, und der König fügte ruhig hinzu: »Das ist ein königlicher Befehl.« Der Mann schluckte und trat zögernd einen Schritt vor – und übergab sich so heftig, dass ihm das Erbrochene auf die Knie spritzte. Als sein gequälter Blick wieder dem des Königs begegnete, deutete Kelgrael auf die Schweinerei auf den Fliesen und meinte: »Und das da ebenfalls!« Der Mann wurde grau im Gesicht und fiel kopfüber ohn-
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mächtig in seinen eigenen Mageninhalt. König Schneestern seufzte und zeigte auf den nächsten Höfling.
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Vier
Das Schwert richtet alles C Kalt krallende Finger krabbelten ihre Wangen empor und waren nur Augenblicke davon entfernt, sie mit einem grausamen Zustechen für immer zu blenden. Tränen versperrten ihr bereits die Sicht, und die Welt schien sich wie verrückt zu drehen, als ein Dutzend harter Hände zukniffen, an ihr zerrten und sie zu ersticken drohten. Embra schlug wie wahnsinnig um sich, hilflos einem Meer von Schmerzen ausgeliefert, und alles um sie herum wurde dunkel, als sich der Griff der Hände um ihre Kehle verstärkte. Sie mochte zwar eine mächtige Zauberin sein, aber jetzt konnte sie nicht einmal den Boden berühren, ganz zu schweigen von irgendetwas anderem, sie konnte einfach nicht ... Die Edle kämpfte kraftlos gegen zerrende Finger an und versuchte, die Arme zu heben, damit sie die spinnenartigen Knochen erreichen und wegreißen konnte, welche auf ihr Gesicht kletterten, bevor sie – bevor sie – Als ein erstickter Schrei in ihrer Kehle hochstieg und die ersten knöchernen Finger trotz ihres wilden Kopfschüttelns eines ihrer Augenlider erreichten, fuhren Embras Finger über
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den Dwaer auf ihrer Brust. Macht überrollte sie wie eine Woge und brandete in blendend heller Magie von ihr weg, bevor sie noch richtig bemerkt hatte, was sie gerade getan hatte. Goldene Luft kräuselte sich im Kielwasser der zauberischen Woge, welche sie ausgeschickt hatte, und Embra sah, dass sich ein Schutzzauber aufbaute, der alle Knochen hinwegfegte, zerschmetterte und wie eine wütende Meeresbrandung, welche auf Sand donnert, zu Staub zerfallen ließ. Beinerne Finger flogen durch die Luft und zerschlugen einen Großteil der Knochenhand, welche Saraspers sich windenden Köper umklammert hielt. Weiter und weiter heulte die aus ihrer Angst, ihrem Abscheu und schierer Not geborene Magie. So plötzlich und unter so viel Schmerz war Embra Silberbaum an den Rand des Todes oder der Verstümmelung getrieben worden, dass ihr nun alles nicht wirklich erschien. Aus schwimmenden Augen starrte sie in den Staub geschleuderte und in Splitter zerberstende Knochen an und sah zu, wie die brüllende Magie Sarasper und Craer zur Seite schleuderte und sie durch die zerstörten Bücherregale taumeln ließ. Die Woge des Zauberschilds traf Hawkril mit voller Wucht und fegte wütend die klappernden Knochen von seiner Rüstung. Der Hüne wurde durch die Finsternis gewirbelt und krachte genau in die in Fetzen gehüllte Knochengestalt, welche sie alle mit ihrer Magie bedroht hatte. Verzweifelt krallten sich braune Knochen in die Luft, als der Ritter in seiner Rüstung mitten in sie hineingeschleudert wurde – und von einem Augenblick auf den anderen standen
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zwei knöcherne Beine allein da, verbunden durch den Beckenknochen, und taumelten wie betrunken, während sich der Ritter fluchend über den von Geröll übersäten Boden rollte. Unter ihm knirschten bleich schimmernde Knochen, und ein Schädel schnappte vergeblich mit den Zähnen nach seinem Gesicht. Embra fühlte wieder festen Fels unter ihren Füßen, und sie machte dankbar ein paar taumelnde Schritte, bevor sie sich zusammennahm, sich gerade aufrichtete und die magischen Worte aussprach, welche sie brauchte. Ihre Kehle fühlte sich rau an und schmerzte, als hielten diese würgenden Finger sie immer noch fest umklammert, aber irgendwie gelang es der Fürstentochter, die Worte hervorzukrächzen. Ihr Schmerz und ihr Abscheu verliehen ihr die Kraft, die Hände zu heben und Aglirta darum zu bitten, dass nie wieder Knochen diesen Ort betreten sollten. Dieses Mal gab es keine brüllende Woge und kein Aufbranden von Licht, sondern nur einen Chor aus leisen Seufzern, als hier und da Knochen in den Staub fielen. Die Knochenbündel, welche umhergehüpft waren und sich zu einer beinernen Hand zusammengefügt hatten, zerbröckelten und wurden hinweggeweht. Sarasper hustete schwach und begann zu fluchen – gerade eben kräftig genug, um ihr, ohne dass sie hinsehen musste, mitzuteilen, dass er noch am Leben war. Das halbierte Skelett, gegen welches Hawkril kämpfte, verwandelte sich plötzlich in eine Ansammlung nicht zusammenhängender Knochen, die um sich schlugen und hüpfende Versuche unternahmen, in Dutzende verschiedener Richtungen zu entfliehen.
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Der Hüne erhob sich knurrend aus ihrer Mitte und hieb mit den Fäusten, den Stiefeln und seiner Klinge zu, weil er jeden Knochen, den er sah, zu Staub zerhauen wollte. Embra sah die beiden Knochenhände ein kleines Stück hinter ihm – sie zuckten hin und her, als versuchten sie, einen letzten, verzweifelten Zauber zu wirken, und die junge Frau öffnete den Mund, um Hawkril eine Warnung zuzurufen. Sie schloss ihn aber wieder und unterdrückte ihren Schrei, denn schon hackte Hawkrils Klinge durch die vor Magie glühenden Finger. Er warf sich nach vorn auf die Überbleibsel, während sie noch zu Boden fielen, rollte sich auf den uralten Steinen hin und her und drosch mit seinen Fäusten in den Panzerhandschuhen hierhin und dorthin. Rasch erstarb das rote und schwarze Glühen, und Stille senkte sich über die Ruinen der Bibliothek – eine Stille, in welcher nur das schnelle, erschöpfte Atemholen von vier Menschen zu hören war, welche grimmig über diese neuerliche Warnung nachdachten, wie schnell der Tod in Aglirta zuschlagen konnte, um die nicht Vorbereiteten zu sich zu holen. Selbst als jeder der vier keuchenden Abenteurer in dem großartigsten der noch erhaltenen Räume von Indraewyn den Blick der anderen drei suchte, blühte nicht allzu weit entfernt in der in Ruinen liegenden Stadt ein rötlich schwarzes Schimmern auf. Irgendwo tief unten, wo es dunkel war und feucht tropfte. Der Zauberschein erglühte wie dunkle Sterne in vollkommener Leere, pulsierte und tanzte über Augen, welche sich aufgeschreckt weiteten ... und sich dann vor Zorn verengten.
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Die goldenen Augen gehörten zu einem wolfsköpfigen Ungeheuer von der Größe eines Pferdes. Es klebte wie eine Spinne an einem Sims in etwas, das einst ein Keller gewesen sein musste. Dichter, rötlich grauer Pelz bedeckte seine langen, kräftigen Beine, und aus den Gelenken, die bei einem Menschen die Ellenbogen und die Knie gewesen wären, sprossen knöcherne Stacheln. Sogar in den Sagen, von denen die Barden berichteten, kamen wenige Langzähne vor, die so groß gewesen wären wie dieses Exemplar. Das Ungeheuer zog sich hastig von den roten und schwarzen Lichtern zurück und fletschte in dem vergeblichen Versuch, das Schimmern in die Flucht zu jagen, die Zähne. Stattdessen schwebten die Lichter rasch nach unten und ließen sich dann nieder – und die riesigen goldenen Augen des erschauernden Langzahns verdunkelten sich, bis nur noch zwei kalte, winzige Lichtpunkte aus dunklen Augenhöhlen glitzernd die Welt beäugten. Der Langzahn hatte vor nicht allzu langer Zeit gefressen und eigentlich nicht vor, den Sims zu verlassen, bevor die Nacht sich schwarz über das Land gesenkt hatte. Das, was jetzt auf ihm ritt, verspürte allerdings die Gier zu jagen. Der wolfsköpfige, spinnenartige Jäger reckte seine haarigen Glieder wie eine Katze, bog sich durch und bewegte sich dann gleichmäßig vorwärts. Für ein solch riesiges Geschöpf bewegte er sich erschreckend lautlos, und seine Füße berührten den Boden mit samtiger Geschmeidigkeit und beinahe ausgesuchter Grazie. Der Langzahn lief quer durch einen Kellerraum und betrat dann ohne Zögern den nächsten, ohne davonhuschenden Spinnen und blass glitzernden Höhlen-
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schlangen die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Er war auf der Suche nach seltenerer Beute: Menschen. Vier ganz bestimmten Menschen – welche jetzt in einem zerborstenen Raum irgendwo über ihm standen. Geduldig machte sich der Langzahn auf die Pirsch ... »Seid Ihr fertig, Gurkyn?« »Ich sage Euch Bescheid, Mararr«, erwiderte der über das Feuer gebeugte Mann säuerlich in die Flammen, welche seine Nase zu schwärzen drohten. »Es wird bald vollbracht sein.« Mararr beugte sich über den Topf und erhaschte einen Blick auf den brutzelnden Inhalt. »Jawohl, Gurkyn, es sieht jetzt richtig tot aus«, stellte er ruhig fest. »Jetzt wird es bald so weit sein.« Gurkyn Oblarram zischte vor Zorn. Unachtsame Eltern mochten ihm einen Namen gegeben haben, der so klang, als würge ein Betrunkener eine Mahlzeit aus lebendigen Fröschen aus, aber es war nicht die Tat eines Freundes, ihn auch noch daran zu erinnern. Eine flinke, bissige Zunge wog keineswegs gutes Aussehen, breite Schultern und Größe auf. »He, warum macht Ihr Euch nicht auf und erobert ein Königreich?«, knurrte er demzufolge, ohne indes von dem sich schnell schwärzenden Kaninchen aufzublicken, das er in die Flammen hielt. »Das hier wird binnen kurzem fertig sein. Ihr habt gerade noch genug Zeit!« Der Ritter, welcher ein Bandelier mit zahlreichen Kurzschwertern trug, tat einen hastigen Schritt zurück, um außer Reichweite plötzlicher Stiche mit der heißen Bratgabel zu gelangen, und kicherte. »Ich würde Eure Zunge vermissen, wenn ich sie nicht
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mehr hören würde.« Mararr hob die Augen und schaute den Koch mit einem ruhigen, gleichmäßigen Blick an, bevor er hinzufügte: »Ich würde es ein bisschen abkühlen lassen, wenn ich Ihr wäre ... selbst nach all dem Wein in Sirlptar ist es Euch noch nicht ganz gelungen, Eure Lippen und Eure Zunge in Leder zu verwandeln.« Gurkyn antwortete mit einem Grunzen. »Um meinen Mund auszuleiern, bedürfte es einer verflucht längeren Folge von Festen, als wir sie seit dem Wiedererstehen von Aglirta gefeiert haben. Einer von den Göttern verflucht längeren!« Die sich dem Feuer von allen Seiten her nähernden dunklen Gestalten gaben widerstrebend zustimmendes Gemurre von sich. Etliche knurrende Mägen erhoben wie zum Echo eigene Einwände, und ihre Besitzer hüllten sich fester in ihre Mäntel und starrten aus alter Gewohnheit in die Nacht hinaus. Jeder einzelne unter ihnen hatte das Tal als stolzer, starker Soldat von Schwarzgult verlassen, hatte auf den Inseln, auf welche er im Auftrag seines Herrn stürmte, blutige Schlachten und Niederlagen miterlebt, um schließlich erschöpft den Weg nach Hause anzutreten, während Schwarzgults Träume in Trümmern lagen. Die Männer mussten feststellen, dass ihr Herr entweder tot oder geflohen und sein Fürstentum gefallen war und Schwarzgults ärgster Feind, Fürst Silberbaum, sie zu Gesetzlosen erklärt hatte. In dem Moment, als sie einen Fuß außerhalb von Sirlptar setzten – und die Börse eines ehrlichen Kriegers blieb in dieser überfüllten, teuren Stadt nicht lange wohlgefüllt – machte jeder Fürst Jagd auf sie. Mehr als zwanzig von ihnen hatten bereits in ebenso vielen
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Tagen einen raschen Tod gefunden, und der Rest der Männer hatte schnell gelernt, zu fliehen und sich versteckt zu halten. Und sie hielten sich noch immer versteckt. Die zurückgekehrten Soldaten von Schwarzgult waren wie Ungeziefer und Straßenräuber behandelt worden, bis selbst diejenigen unter ihnen, welche es kaum ertrugen, sich so verhalten zu müssen, zu heimlichen Dieben und Mördern in der Nacht wurden, brutal und wild mit ihren Klingen und schnell bei der Hand, sich das anzueignen, was ihnen nicht gehörte. Das Tal wimmelte nur so von fürstlichen Truppen, fürstlichen Magiern mit neu gewonnener Macht und Schlangenanbetern mit ihren vergifteten Klingen. Wer all dies überlebt hatte, war dadurch zu einem wahrlich harten Mann geworden. Viele von denen, welche sich in dieser Nacht mitten im Hochland an einem Feuer – sorgfältig abgeschirmt durch Wälle inzwischen angesengten Rasens – im Fürstentum Silberbaum nicht weit entfernt von den Treibschaum-Inseln zusammendrängten, sehnten sich jedoch nach irgendeinem Hoffnungsschimmer. Einer unter ihnen, ein kühner, unter dem Namen »Blutklinge« bekannter Ritter, hatte den sich verbergenden Ausgestoßenen die Nachricht übermitteln lassen, dass er einen Plan geschmiedet hatte, der ihnen allen vielleicht eine bessere Zukunft verheißen mochte. Etliche unter den Männern fragten sich, was die Auswahl des Ortes, an dem sie mehr erfahren sollten, wohl bedeuten mochte ... aber sie waren schon verzweifelte Männer gewesen, lange bevor ein Mann aus der Sage getreten war und sich
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selbst zum Auferstandenen König erklärt hatte, und inzwischen waren sie jenseits aller Hoffnung. Ein riesiger Mann mit zahlreichen Narben namens Lultus hob eine buschige Augenbraue. »Ist das Karnickel endlich fertig? Wenn ich etwas schwarz Verkohltes essen wollte, könnte ich auch alte Feuerstellen durchwühlen, denke ich, ohne das Risiko einzugehen, hierher zu kommen, geradewegs vor die Schwertspitzen dieses neuen Königs!« Gurkyn grummelte wortlos vor sich hin und drehte seine Gabel vom Feuer weg, wodurch der Braten eine wohlriechende Spur in die Luft steigen ließ. Angezogen von dem Duft kamen die schattengleichen Männer näher heran, und als der Koch sein Messer aufblitzen ließ, entrangen sich vielen Kehlen hungrige Laute. »Ein Stück für jeden Mann«, erklärte Gurkyn, »aber einige unter euch müssen warten, bis das zweite Kaninchen gar ist.« »Ihr habt zwei?«, fragte ein Mann, dessen Stimme man den Hunger anhörte. »Wo ist das andere?« Gurkyn bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick. »Ich sitze darauf.« Ein paar Männer lachten halbherzig, aber das Geräusch erstarb rasch. »Wie viel länger sollen wir hier stehen und warten, während der eine oder andere Zauberer Bogenschützen ausschickt, um uns einzukreisen?«, knurrte ein anderer Krieger. »Wo ist Blutklinge?« »Duthjack ist auf dem Bergrücken dort drüben und sorgt dafür, dass sich niemand an uns heranschleicht«, sagte Gurkyn. »Sobald alle etwas zwischen die Zähne bekommen haben, kommt er herunter.«
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»Und führt uns geradewegs über das Wasser«, warf jemand spöttisch ein, »wobei er über die Wellen schreitet, als sei er ein Zauberer.« »Das möge Sargh verhüten!«, brummte ein anderer Mann ängstlich, und sein Nachbar zischte: »Seid ruhig! Wartet ab und hört erst Blutklinge zu, und erspart uns Eure Gedanken über das, was er sagen mag. Bislang habe ich noch keinen Beweis dafür erhalten, dass Ihr überhaupt denken könnt!« »Wir alle haben Schlachten gesehen, Gloun«, warf ein in der Nähe sitzender Soldat müde ein. »Wir sind keine Narren. Was für einen Grund sollte er wohl haben, uns hierher zu rufen, als nach dem Thron greifen zu wollen?« »Ach ja?«, fragte Gloun trocken. »Und wer von uns würde wohl einen König abgeben? Ich kannte Sendrith Duthjack schon, als er noch ein junges Bürschlein war und seinen Aufgaben als Holzfäller auszuweichen trachtete. Das war lange vor der Zeit, bevor Ihr ihn als Blutklinge kennen gelernt habt – und selbst wenn er auf diesem Thron säße mit einer Krone auf dem Kopf und gleich zwei Zauberinnen, die kichernd auf seinem Schoß sitzen, so wäre er doch genauso wenig ein König wie ich!« »Ja? Und genau das würdet Ihr ihm erzählen, gerade so laut wie eben, wenn er vor Euch stünde und die Spitze seines Schwertes auf Euch gerichtet hielte?« »Aber sicher«, erklärte Gloun, wenn auch ein wenig leiser. »Ich frage mich, ob der Rest von euch das ebenfalls tun würde.« »Ich schon«, sagte eine Stimme, welche so tief klang wie das Verhängnis und so scharf wie die Schneide einer Holzfälleraxt.
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Köpfe drehten sich um. Der Sprecher bahnte sich mit den Schultern einen Weg aus den Schatten, und man konnte jetzt sehen, dass er die meisten Männer um Haupteslänge überragte. Der Widerschein des Feuers spielte hier und da an Stellen über seine Rüstung, wo die Schicht aus Ruß und Schlamm weggewischt worden war. Harte smaragdgrüne Augen, ein weißer Schnurrbart... »Kalarth?«, fragte der von den Flammen aufblickende Gloun. »Ja«, erwiderte der Mann, ohne seine Schritte zu verlangsamen, und fügte nur ein Wort hinzu: »Kaninchen.« Das Wort war ein Befehl. Ein Dutzend Hände fuhr zu den Schwertgriffen, und man hörte, wie ein Dutzend Männer sich unruhig bewegten, den Atem einsogen und sich für einen Kampf bereitmachten. Kalarth hatte einst allein eine Brücke gegen einen Silberbaum-Spähtrupp gehalten und alle Soldaten getötet – vierzehn Krieger insgesamt. Auf den Inseln hatte seine gleißende Klinge mit Leichtigkeit ganze Boote und Dörfer geleert, und vor ein paar Monaten in Sirlptar hatte er mitten auf der Straße dem berühmten Magier Arliin von Karaglas ins Auge geblickt und ihn bekämpft – und gewonnen. Der Zauberer war auf den Pflastersteinen zusammengebrochen zurückgeblieben, und sein Lebenssaft hatte sich in der Gosse gesammelt. Kalarth kaute und wandte sich dann um. Plötzlich hielt er sein Schwert in der Hand. Der Krieger, der zornig einen Schritt vorgetreten war, zog sich eilig wieder zurück, und Kalarth drückte ihm lächelnd das Kaninchen samt Gabel in die Hand. »Einen Bissen, vergesst das nicht«, meinte er, und seine Augen versprachen den Tod, »und dann gebt es weiter,
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oder ...« Er hielt sich nicht damit auf, den Satz zu beenden. Und auch keiner der Krieger wagte es, auch nur den Hauch eines Widerwortes zu äußern. Die Gabel wurde schweigend herumgereicht, und kauende Männer zogen sich langsam zurück, wobei sie die Hände auf den Scheiden behielten, als könnten sie kaum glauben, dass ihnen Zeit genug zum Schlucken blieb, bevor der eine oder andere Feind auf sie niederfahren würde. Von der Stelle her, wo Gurkyn sorgfältig über dem Feuer kauerte, erklang erneut ein Brutzeln, und als ob dies das Zeichen eines Heroldes wäre, trat ein Mann aus der Nacht heraus, dicht gefolgt von zwei weiteren Kriegern, welche gezogene Schwerter in den Händen hielten. Mit einer weichen Bewegung drehte sich Kalarth um und nahm den Neuankömmling in Augenschein; die Blicke der beiden Männer kreuzten sich wie Klingen zu Beginn eines Duells. Der Neuankömmling hob eine Augenbraue. »Ihr seid den ganzen Weg vom Felsstarn hierher gekommen, Kalarth? Ich bin beeindruckt.« »Ich habe nicht vor, mich von Zauberern und Hunden stellen zu lassen, bloß weil Ihr ganz Aglirta aufgescheucht habt in dem Versuch, etwas übermäßig Kühnes zu bewerkstelligen, Duthjack«, erklärte Kalarth mit ausdrucksloser Stimme. »Gerade haben sich die Verhältnisse im Tal ein wenig beruhigt –« »Ja, weil wir verhungern«, unterbrach ihn der Mann, welcher sich gern Blutklinge nennen ließ. »Wenn wir alle verschwunden sind, wenden sich die Fürsten dem neuen König
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zu ... aber wir werden alle viel zu mausetot sein, um dem Spaß zuzuschauen.« »Und was schlagt Ihr vor?«, unterbrach ihn Kalarth und starrte in die Nacht ringsumher, als erwarte er, dass plötzlich aus allen Richtungen fürstliche Armeen aus den Bäumen wüchsen. Sendrith Duthjack hob die Stimme ein wenig, so dass sie klar und deutlich durch die Senke klang. »Einen Angriff auf Treibschaum noch in dieser Nacht. Tötet diesen angeblichen König, stecht alle Fürsten und Tersepte und Zauberer nieder, welche dort zu finden sind, und erobert die Burg. Schlagt euch die Mägen voll, durchsucht den Ort morgen früh und entscheidet dann, ob ihr ihn halten und einen neuen König auf den Flussthron setzen oder alles, was euch beliebt, mit zurück in die Wildnis nehmen wollt.« »Einen neuen König namens Blutklinge vielleicht?«, fragte Kalarth und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, ohne jedoch Duthjack aus den Augen zu lassen. Blutklinge hob betont beiläufig die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Vielleicht. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, Schneestern zu töten und so viele Vorteile wie möglich aus dem zu schlagen, was dann folgt, denn überall im Tal wird dann ein Fürst auf den anderen einschlagen. Ich dachte eher daran, die Insel zu verteidigen, statt uns in den Wildfelsen zu verstecken oder Zuflucht im Wald zu suchen.« »Das ist keine richtige Wahl«, murrte Gloun. »Bäume sind ein schlechter Mantel, wenn es regnet oder schneit.« Blutklinge zuckte die Achseln. »Andererseits – wenn ein Zauberer nach dem anderen Banne gegen uns ausschickt – oder Armeen –, weil sie wissen, dass wir über den Flussthron
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wachen, dann könnte es durchaus sein, dass wir uns lediglich ein großartigeres Grab schaufeln als andere. Wenn wir uns wieder verstecken, könnte es uns durchaus gelingen, mit nicht mehr als ein paar Schwerthieben ein Fürstentum zu erobern, sobald es seine Kraft im Kampf gegen einen rivalisierenden Fürsten erschöpft hat.« »Das sind nichts als schön klingende Worte«, befand Kalarth, »und sie lenken mich nicht davon ab, dass Ihr vorhabt, uns durch einen eiskalten Fluss zu einer Insel schwimmen zu lassen, welche von – die Drei allein mögen wissen wie vielen – Wächtern bewacht wird –, und wenn die Hälfte der Geschichten über Fürst Silberbaum wahr sind, dann erwarten uns dort außerdem tödliche Wächterungeheuer oder Wartezauber oder sogar beides, ganz abgesehen davon, dass wir uns unseren Weg durch eine uns nicht bekannte Anzahl von Magiern hacken müssen, nur um einen Mann zu töten, welcher auf einem steinernen Thron sitzt. Ein Dutzend Magier haben uns in den vergangenen langen Monaten gejagt, und Ihr sitzt hier und plant eine kühne Tat, wo wir alle hier versammelt sind und zur Schau gestellt sind wie Tavernentänzerinnen! Sie können uns mit einem Schlag in die Luft jagen! Sie könnten uns auch in die Gestalt von Ungeheuern verwandeln und uns mit Geistesschmerzen quälen! Ich bin allzu oft Narren gefolgt und habe bereitwillig mein Blut für ihre Siege vergossen – und zwar ein oder zwei Mal zu oft. Seid Ihr auch einer dieser Narren, frage ich mich? Wie gut habt Ihr diesen Euren Plan durchdacht, Duthjack?« »Gut genug, um ein Boot bereitliegen zu haben«, erklärte Blutklinge kalt, »zudem genaue Ziele, zu denen jeder von uns in dem Augenblick eilen muss, in welchem wir den Fuß auf
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Treibschaum gesetzt haben. Eines dieser Ziele wird der Küchentrakt sein mit Bergen von Essen, welches gerade jetzt für die Morgenmahlzeit vor sich hin köchelt, während die meisten der Köche schlafen.« Auf diese Worte hin konnten manche Männer nicht an sich halten, und es erhob sich ein Gemurmel, das sich beinahe wie ein Wehklagen anhörte, und auf Blutklinges Gesicht erschien ein schwaches Lächeln, während er nichts tat, um die Männer zum Schweigen zu bringen. Aber das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. »Und jetzt hört mir wieder zu!«, fügte er in scharfem Ton hinzu. »Wenn dieser Hieb so schnell und sicher niederfahren soll, wie wir das brauchen, um überhaupt eine Hoffnung auf Überleben zu haben, dann müsst ihr mir gehorchen, als sei ich euer aller Fürst – oder sogar noch mehr als das!« Eine gewisse Erheiterung breitete sich aus, dann verfielen die Männer in plötzliches Schweigen, und aller Augen starrten auf die beiden Männer, welche sich ansahen. »Nun, Kalarth?«, fragte Blutklinge leise. »Werdet Ihr mir gehorchen? Oder sollen wir die Sache jetzt zwischen uns ausmachen, Klinge gegen Klinge?« »Gibt es keine anderen Möglichkeiten?«, fragte Kalarth beinahe höhnisch zurück. »Wie zum Beispiel einfach wieder in der Dunkelheit zu verschwinden und Euch ohne meine Begleitung Eurem Untergang entgegengehen zu lassen?« Ein Rascheln ertönte, als einer der Soldaten aus Duthjacks Begleitung eine gespannte Armbrust unter seinem Mantel hervorzog und sorgsam einen Bolzen in den Schusskanal einlegte. Er hob langsam die Waffe und zielte auf Kalarth. »Nein, fürchte ich«, antwortete Blutklinge milde. »Ich wa-
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ge es nicht, unser aller Leben so leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ihr könntet immerhin auf geradem Weg zu einem Magier gehen und Treibschaum vor unserem Kommen warnen.« »Wohingegen Ihr«, gab Kalarth mit seiner tiefen Stimme zurück, »dies bereits getan haben könntet und uns alle in den Tod schickt, während Ihr hier sicher und bequem auf Eure Belohnung wartet.« Das Lächeln auf Blutklinges Gesicht erlosch. »Ich glaube, alle hier kennen mich gut genug, um dies auszuschließen.« »Nein«, mischte sich jemand ein, der bisher kein Wort gesprochen hatte und ein Stück vom Feuer entfernt saß. »Nein, eben weil ich Euch kenne, fürchte ich genau das.« »Und mich bringt es dazu, genau das zu erwarten«, fügte Kalarth schell hinzu, während Blutklinge um ihn herumzuspähen versuchte, um herauszufinden, wer da gesprochen hatte. »Das zweite Karnickel ist fertig«, kündigte Gurkyn plötzlich an. Als sich ihm alle Köpfe zuwandten, bewegte sich Kalarth. Seine Hand peitschte nieder und dann wieder nach oben, und im Licht des Feuers blitzte etwas für einen flackernden Moment auf, während es sich durch die Luft drehte. Der Mann mit der Armbrust gab ein seltsames Husten von sich und drehte den Kopf abrupt nach Westen, während das Blut aus seiner aufgeschlitzten Kehle schoss. Seine Armbrust schoss den Bolzen hoch in den schwarzen Himmel irgendwo über Glouns Schulter – und die Nacht wimmelte plötzlich von sich hastig bewegenden Männern, dröhnenden Schritten und gezückten Schwertern. Blutklinge Duthjack und Kalarth rannten fest entschlossen
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und mit wild ausholenden Klingen direkt aufeinander zu. Ihre stählernen Schwerter prallten so heftig aufeinander, dass Funken sprühten. Die Klingen schrammten klirrend aneinander vorbei – und Blutklinge warf Kalarth eine Hand voll Sand ins Gesicht. Krampfhaft schüttelte der große Krieger den Kopf und zerteilte wie wild die Luft, als er geblendet zurücksprang, um Duthjacks Schwerthieben auszuweichen – aber sei es nun aus Zufall oder aus Absicht, jedenfalls stolperte ihm Lultus in den Weg, und als Kalarth sich umdrehte, um sich mit diesem neuen Feind zu befassen, fegte ihn Blutklinge mit einem mächtigen Schwertstreich von den Beinen und rannte hinter dem davonrollenden, fluchenden Kalarth her, stürzte sich auf ihn, stach wild und immer wieder auf das Gesicht des Mannes ein. Kalarth lag bereits nach dem ersten Schwertstreich im Sterben, aber Duthjack stach mit seiner feuchten Klinge vier oder fünf Mal zu, bevor er endlich zurücksprang – und dabei beinahe Mararr enthauptet hätte, welcher sich zu Beginn des Kampfes schützend über Gurkyn gekauert hatte – und zu dem Feuer raste, welches sich zwischen ihm und den meisten der versammelten Krieger befand. »Seid ihr auf meiner Seite, Männer von Schwarzgult?«, schnarrte er und hob seine scharlachrote Klinge. »Oder stellt ihr euch gegen mich und bringt Kalarths Schicksal über euch? He! Sprecht jetzt! Die Nacht senkt sich nieder, und ich würde sie lieber damit verbringen, Fürsten auf der TreibschaumInsel abzustechen, als hier meine eigenen Waffenbrüder niederzumetzeln. Was sagt ihr dazu?« Gloun erhob sein Schwert in Richtung der Sterne – ein
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wenig freudlos, wie es Mararr erschien – und brüllte: »Ich bin auf Eurer Seite, Blutklinge!« »Jawohl!«, wiederholte Lultus das bärenhafte Gebrüll seines Kameraden. »Für Blutklinge!« Überall erhoben sich Schwerter, und aus allen Richtungen erklangen Beifallsrufe, in die Gurkyn säuerlich einwandte: »Wollt ihr alle Narren auf der Insel dort drüben warnen – oder nur die tauben?« Er verfügte über eine laute Stimme, und augenblicklich verfielen die eben noch brüllenden Krieger in Schweigen. Blutklinge wandte sich um, musterte den Mann beim Feuer aus Augen, die immer noch vor Wut blitzten, und flüsterte: »Seid Ihr auf meiner Seite, Gurkyn Oblarram?« Der Koch erhob sich langsam, schob mit den Füßen Erdklumpen über das Feuer und sagte in die plötzlich Funken sprühende Glut: »Das bin ich. Ich hoffe nur, Eure Pläne befassen sich auch damit, wie man Aglirta regiert – und nicht nur mit seiner Eroberung.« Ein paar Herzschläge lang betrachtete ihn Sendrith Duthjack mit regloser Miene und wog das Schwert in seinen Händen, als jucke es ihn in den Fingern, es bei dem kleinen Mann zum Einsatz zu bringen. Doch dann meinte er ruhig: »Weil sich die Dinge unter der Beobachtung der Drei abspielen werden, wird dem so sein. Seid Ihr bereit, das Königreich zu befreien, Gurkyn?« Der Koch nahm einen Bissen von dem Kaninchen, gab die Gabel an den am nächsten stehenden Krieger weiter und zog sein Schwert. »Führt mich zu einem Fürsten, welcher das dringende Bedürfnis verspürt, meine Größe anzunehmen«, knurrte er.
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Die versammelten Soldaten brachen in Lachen aus, und der Mann, den alle Blutklinge nannten, befahl: »Zum Fluss!« »Richtig, so sieht Eure kühne, zurückhaltende Verschwörung aus«, brummte Lultus, als sie sich gemeinsam vorwärts bewegten. »Und wo ist jetzt dieses Boot?«
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Zauber und Spiegel C Und wo ist jetzt dieses Buch?«, scherzte Craer mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern. Er schaute nach oben. »Wollen wir doch mal sehen ...« Die offenen Bücher schwebten hoch über dem zerborstenen Boden mitten in der Luft und hingen bewegungslos und still in den unheimlichen Säulen aus Licht, wie sie das seit Jahrhunderten getan haben mochten. Um was für eine Magie es sich handelte, wusste keiner unter den Vieren ganz genau, aber auf diese Weise blieben die Bücher unberührt von Feuer, Blitzen, Schnee, Regen und dem Zusammenbruch der riesigen gewölbten Steinkuppel, welche einst die Säulen umschlossen hatte. Jetzt verschwanden die oberen Enden der leuchtenden Säulen einfach in der Luft, und das Wetter tobte ungehindert durch die Bibliothek, wie es durch das gesamte vergessene, überwucherte Indraewyn heulte. Drei Nacken waren müde geworden vom vielen Hälserecken und Hinauf schauen zu dem unveränderlichen Bild, welches die Säulen der Welt darboten. Ihre Besitzer schritten recht vorsichtig und mit gezückten Schwertern die Bibliothek
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ab und hielten Ausschau nach Gegenständen, welche sich vielleicht bewegten oder sich zu verstecken trachteten – ganz besonders nach Knochen. Nach einer Weile seufzte einer der Vier und starrte hoch zu den still schwebenden Büchern. »Fürstin Embra«, rief Sarasper, »dauert es wirklich so lange, ein paar Zeilen zu lesen?« Die über den Büchern schwebende Edle blickte mit gerunzelter Stirn und beinahe liebevoll auf ihn nieder, wobei ihre Augen blitzten, und dann las sie laut und betont vor: »›Es gibt der Weltensteine viere, und keiner ist Herr über die anderen. Sie scheinen Quadersteine zu sein, braun und grau, aber heller, und sind rund geformt, so dass sie in eine Hand passen. Nichts kann sie zerbrechen, und sie zu trennen würde zweifelsfrei bedeuten, ihre Magie zu zerstören und ein solches Feuer hervorzurufen, dass es die Welt erzittern ließe.‹« Sie drehte den Kopf in Richtung des nächsten offenen Buches und schaute nicht auf die drei ihr zugewandten Gesichter tief unten nieder, sondern las, was das Manuskript der Welt offenbarte. Die Männer am Boden hielten inne, um ihr zu lauschen. »›Ihr mögt die Dwaerindim unterscheiden, einen vom anderen, anhand der tief eingegrabenen Runen, welche sie tragen. Wenn die Rune so aussieht –‹«, Embra betonte die Worte nicht länger, sondern sprach mit ihrer eigenen, sanfter klingenden Stimme: »Wie ein Fischhaken mit Widerhaken.« Sie warf Sarasper einen Blick zu, ging wieder zu der lauten, klaren Sprechweise über und fuhr fort: »›– dann schaut ihr auf Kandalath, den Stein des Lebens. Weist der Stein diese Rune auf –‹« Wieder sprach sie mit ihrer eigenen Stimme. »Ein Kreis mit vier Sternspitzen, die von ihm ausgehen.«
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Craer grinste jetzt zu ihr hoch und vollführte eine großartige Geste, auf dass sie fortführe. Sie nickte ihm in gebieterischer Anerkennung zu und nahm wieder ihren dozierenden Ton auf. »›– dann ist das Hilimm, der Stein der Erneuerung, welchen ihr in der Hand haltet. Eine Rune‹ – sie sieht aus wie eine Reihe von Zähnen«, erklärte sie und fuhr dann fort: »›– kennzeichnet Mlarr, den Stein des Krieges, und wenn das Symbol so aussieht – nämlich wie ein Türmchen oder ein spitz zulaufender Burgfried –, ›dann haltet ihr Quarlar in Händen, den Stein des Bauens.‹« »Also hatte der Zaubermeister zuletzt, als wir ihn bekämpften, den Stein des Krieges in der Hand«, sagte Hawkril langsam. »Was sorgt dafür, dass er für den Krieg geeignet ist und der Eure für das Leben, werte Fürstin?« Embra zuckte mit den Schultern und spreizte die Hände, um anzuzeigen, dass sie keine Antwort wusste. Dann trieb sie zur Seite, um weiter laut aus dem nächsten Buch vorzulesen. »›Zauberer mögen sie verwenden, um Banne zu wirken, aber die Dwaerindim verfügen über eigene starke Kräfte, welche schwieriger zu erwecken sind, aber in Reichweite derer liegen, die keine Begabung für die Zauberei ihr Eigen nennen können. Jeder Dwaer-Stein verfügt über einzigartige Kräfte, ein jeder teilt eine gewisse Macht mit den anderen, und bestimmte Mächte können nur aufgerufen werden, wenn bestimmte Steine gemeinsam verwendet und richtig angeordnet werden.‹« »Wie immer«, murmelte Craer seinem besten Freund zu, »ist der Gebrauch eines Schwertes viel einfacher.« Über Hawkrils Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln
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aus, und er nickte. Über ihren Köpfen trieb die Herrin der Edelsteine bereits zum nächsten Buch. »›Sofern sie nicht willens sind, einem Zauber Macht zu verleihen oder einen Bann umzuleiten, zu verstärken oder zu verändern, welchen ein anderer gewirkt hat, um einen Dwaer oder seinen Träger zu berühren oder zu beeinflussen, saugen die Dwaerindim beinahe jede bekannte Magie in sich auf und verschlucken sie vollständig und ohne jede Spur zu hinterlassen. Auf diese Weise können sie verwendet werden, um eine Nische, einen Gegenstand unter oder hinter ihnen oder auch ihren Träger vor feindlicher Magie zu beschützen. Allerdings muss deutlich davor gewarnt werden, dass sich gewisse Zauber der Kontrolle durch die Dwaerindim widersetzen‹« »Und leider folgt natürlich keine Liste, um welche gefährliche Magie es sich handelt«, mutmaßte Sarasper laut und ebenso überzeugt wie trocken. Embra bedachte ihn mit einem bestätigenden Nicken und einem reuevollen Lächeln, bevor sie sich dem nächsten Buch zuwandte. »›Alle Dwaerindim können zum Glühen gebracht werden‹«, las sie laut vor. »›Die Stärke und die Tönung des Schimmers können beeinflusst werden – und verändert – durch einen Erwecker, welcher einen starken Willen besitzt, oder durch einen Zauberer, der Magie zu verwenden weiß, welche jede Art von Glühen beherrscht. Jeder der Dwaerindim kann dazu gebracht werden, lautlos und so lange wie gewünscht in der Luft zu schweben, aber was die Richtung anbetrifft, so muss dies gelernt werden. Wenn sie von jemandem befehligt werden, der sich darauf versteht, so können die Dwaerindim jedes Wasser, in das sie
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getaucht werden, reinigen, verschmutzen oder gar vergiften. Große Vorsicht ist geboten, denn starke Getränke entstehen durch diese Macht aus Wasser, und die Verzauberungen, welche durch solch starke Zaubertränke entstehen, müssen zusätzlich für alle Zeiten gebannt werden.‹« »Bei den Dreien, das klingt wie ein Höfling, der in groben Zügen einen Verrat umreißt«, knurrte Hawkril. »Ob uns das dabei helfen wird, Aglirta zu retten?« Sarasper warf ihm einen Blick zu. »Kennt Eure Waffe, Krieger«, zitierte er das alte Sprichwort, »und lebt ein wenig länger.« Seufzend nickte der Hüne; hoch über seinem Kopf erreichte Embra das letzte Buch, setzte sich auf leere Luft und verkündete beinahe pedantisch genau: »›Einer, welcher einen Dwaer in der Hand hält und sich auf die Kunst versteht, vermag unter Bedingungen zu überleben, welche ihn sonst umbringen oder seiner Kraft berauben würden. Wo die sengende Sonne verbrennt und kein Schatten zu finden ist, wo im Winter der Schnee gefriert und keine Wärme vorhanden ist, wo jemand ohne Wasser vor Durst zugrunde ginge, da kann der Dwaer das Leben erhalten und nützlich sein. Mehr als das: Einer, welcher einen Dwaer in Händen hält, vermag im Dunkeln zu sehen wie die Kreaturen der Nacht. Und es gibt noch mehr: Ein Zauberer, welcher einen Dwaer ergreift, kann ihn dazu benutzen, jedem Zauber, welchen er sich in Gedanken vorzustellen und zu wirken vermag, Macht zu verleihen. Aber der Stein verleiht diese Fähigkeit zum Wirken von Magie nicht denjenigen, welche kein Talent dazu haben.‹« »Ich glaube, wir sind alle recht vertraut mit der letzten
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Kraft«, meinte Sarasper trocken. »Diese Beschreibungen sind in meinen Augen geradlinig und einfach, werte Dame; ich frage noch einmal, was sie so lange erhalten haben mag.« Embra ließ sich um eine Körperlänge niedersinken, blieb dann dicht über dem Kopf des alten Heilers in der Luft stehen und starrte ihn an. »Was ich euch vorgelesen habe, sind die Worte, die jetzt in den Büchern stehen. Das letzte Mal, als wir hier waren, standen andere Worte darin zu lesen. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Wir befanden uns in großer Eile, weil uns die Schlacht bevorstand, aber soweit ich mir ins Gedächtnis zurückrufen kann, teilte mir das letzte Buch damals mit: ›Einst raste der Goldene Greif/Gegen den Erzfeind auf dem Thron/Im Glanz eines neuen, zur Stärke aufgezogenen Horstes.‹ Dann drehte ich die Seite um und entdeckte die folgenden Worte: ›Der Ort gefallener Majestäten, dessen Herr und Namenspatron inzwischen vergangen ist mit all seinen Bestrebungen, eine Perle im Silberfluss, ein emporgeschleuderter Bug von Schildern, um die Winter wellen zu brechen.‹ Mit anderen Worten, es war damals in kryptischen Worten davon die Rede, wo die Dwaer gefunden werden konnten. Aber es gab noch mehr, etwas darüber, dass die Dwaer von Zeit zu Zeit ihren eigenen Willen haben oder doch Dinge tun, welche ihre Träger nicht wollen und nach denen sie auch nicht gerufen haben ... und das wollte ich wirklich ganz genau lesen.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Aber damals konnte ich das Buch nicht berühren, genauso wenig wie jetzt. Damals wendete ich mittels des Steines die Seiten des letzten um ... aber heute will mir das nicht gelingen. Nichts be-
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wegt sich. Etwas hat sich verändert. Und der Versuch, die Ursache zu finden, Heiler, ist das, was mich bei der Stange gehalten hat. Das und der Versuch, mir diese neuen Worte einzuprägen.« Sarasper hob eine Braue. »Einzuprägen? Ich kann schreiben, müsst Ihr wissen.« Embra Silberbaum zog eine Grimasse in seine Richtung, seufzte und stieg wieder zu den Büchern hoch, über welchen sie in der Luft hängen blieb, und Sarasper machte sich mittels Feder und Pergament an die Arbeit und sprach nach, was sie noch einmal laut und deutlich vorlas. Craer und Hawkril spähten einerseits auf die Ruinen und hielten Ausschau nach einer sich möglicherweise nähernden Gefahr, gleichzeitig warfen sie der Herrin in ihrer Begleitung aber auch freimütig bewundernde Blicke zu. Eine der reichsten Edlen von Aglirta zu sein, brachte durchaus Vorteile mit sich. Auch war es nicht von Nachteil, jemand so atemberaubend Schönen wie Tlarinda Silberbaum zur Mutter zu haben. Natürlich musste man dies gegen den Nachteil aufwiegen, die Tochter von Fürst Faerod Silberbaum zu sein. Ein Nachteil, der Tlarinda das Leben gekostet hatte, Embra in Sklaverei und Zaubertorturen gezwungen und sie in die Flucht und in schwierige Abenteuer gejagt hatte ... und hierher. Embra Silberbaum trug lederne Kleidung und Stiefel so weich und geschmeidig wie die, welche Craer wie eine zweite Haut trug, und so dunkel wie ihr Haar, dessen für gewöhnlich seidige Fülle in ihrem Nacken zusammengefasst und hochgebunden war. Ein schwacher, pulsierender Schimmer von Magie umgab
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die junge Zauberin, welcher den graubraun gesprenkelten, handgroßen Stein zum Mittelpunkt hatte, den Embra an einem Geschirr aus feinen Ketten auf der Brust trug: Kandalath, den Stein des Lebens. Bei dem Erwachen seiner Mächte hatte er sie mit einem Netz von Magie umgürtet, welches sie dazu befähigte, zu fliegen und in der Luft stehen zu bleiben, zudem schützte er sie vor magischen Angriffen und dem Biss von allem Metallischen – wie der Spitze eines Armbrustbolzens. Er vereitelte außerdem alle zauberischen Spähangriffe aus der Ferne und sorgte sogar dafür, dass sie auf magische Weise nicht aufzuspüren war. Vor allem lenkte er alle Spähzauber ab, welche mittels anderer Dwaerindim ausgeschickt wurden ... »Also können die Dwaerindim alle möglichen tollen Dinge vollbringen, sofern man lernt, wie man sie zum Gehorsam zwingt«, grummelte Hawkril bedächtig. Der Hüne betrachtete die vorlesende Embra und dachte, dass er selten in seinem Leben etwas so Schönes gesehen hatte wie ihr Gesicht. »Und einen eisernen Willen hat.« »Mit anderen Worten«, stimmte ihm Craer zu und winkte zu der Herrin der Edelsteine hoch, »wir überlassen ihr das Spiel mit den Dwaer-Steinen.« »Aber der König hat uns darum gebeten, die anderen Steine zu finden und sie zu ihm zurückzubringen, oder wenigstens ohne jeden Zweifel festzustellen, wer sie in Händen hält, und das haben wir ihm geschworen«, sagte Hawkril und schaute mit plötzlich ernüchterter Miene auf seinen Freund nieder. »Ich weiß mein Schwert zu gebrauchen, aber gegen so etwas wie das da ist es wirkungslos.« Er bewegte eine seiner großen Hände in Richtung des
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Schimmers unter Embras wohlgeformtem Kinn und brummte: »Es wird lange dauern, bevor ich den Anblick einer Burg aus meinem Gedächtnis tilgen kann, welche auf uns fällt.« Craer zuckte die Achseln. »Ich denke, wir werden des Herumwanderns und Suchens so überdrüssig werden, dass es beinahe eine Erleichterung sein wird, mit jemandem zu kämpfen, den wir mit einem Dwaer in der Hand aufspüren! Selbst wenn der, welcher einen besitzt, nicht mehr Verstand hat als eine Fledermaus, so wird er ihn uns ganz gewiss nicht zeigen ... und jemand, der dümmer ist als eine Fledermaus, wird vielleicht auch nicht allzu lange im Besitz eines Dwaer oder seines Lebens bleiben mit all den Zauberern und Schlangenpriestern und den Gesichtslosen, welche nach ihm Ausschau halten.« »Danke für Eure beruhigenden Worte«, knurrte der große Ritter und schaute sich ein weiteres Mal in der zerstörten Bibliothek nach heranschleichenden Feinden um. »Ich habe mir Mühe gegeben, die derzeitige Krise, welche Darsar bedroht, zu vergessen in der Hoffnung, dass sich wenigstens ein Mal jemand anderer darum kümmert.« »Wenn wir hier länger unsere Zeit vertrödeln«, warf Sarasper säuerlich ein und legte seine Schreibfeder zur Seite, »dann werden sich lange Jahre in unseren Knochen sammeln, und jemand anderer wird sich darum kümmern müssen.« »Nichts als Gewimmer, Gejammer und Gebrumme«, meinte Embra spöttisch und schwebte zu ihren Gefährten herab. »Äußern Männer, welche zu Abenteuern ausziehen, jemals etwas anderes?« Craer blinzelte. »Aber ja doch«, antwortete er, »und für gewöhnlich schicken sie solchen Äußerungen ein ›Ho, Frau-
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enzimmer!‹ voraus. Soll ich Euch eine Probe aufs Exempel liefern?« Embra rümpfte die Nase und bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen, wobei sie mit ihren flinken Fingern ein äußerst rüdes Zeichen formte. Craer stemmte die Hände in die Hüften und gab die Parodie einer aufs äußerste beleidigten hochwohlgeborenen Dame zum Besten, stieß Laute des Abscheus aus und verdrehte die Augen. »Ich habe da eine Idee«, meldete sich Sarasper trockenen Tones zu Wort. »Lassen wir doch ihn das Tal hoch- und herunterstolzieren, bis jedermann, der einen Dwaer besitzt, verärgert genug ist, dass er versucht, ihn zu Staub zu zerblasen. Dann wüssten wir natürlich, wer einen besitzt.« »Und wenn ihr Versuch, mich zu zerblasen, nicht fehlschlägt?«, erkundigte sich Craer verletzt. Der alte Heiler zuckte mit den Schultern. »Der Armee von Schwarzgult mangelte es nicht an Beschaffern, wenn ich mich recht entsinne – und fast jeder unter denen wäre weniger lästig gewesen.« Craer wandte sich zu Sarasper um und ahmte Embras rüde Geste nach, nicht ohne ein paar kunstvolle Ergänzungen hinzuzufügen. »Sollen wir uns also auf den Weg machen?«, erkundigte sich Sarasper, ohne weiter auf den Beschaffer zu achten. »Wohin denn genau?«, knurrte Hawkril. »Ich habe keine Lust, das ganze Tal entlangzuspazieren, wenn ich mir vor Augen halte, wie sehr uns die verschiedensten Fürsten lieben.« »Darüber wollte ich sprechen«, sagte Embra mit einem Nicken. Der Stein auf ihrer Brust pulsierte einmal hell, und sie blickte mit einem Stirnrunzeln darauf nieder. »Jemand ver-
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sucht, uns aufzuspüren.« Schweigend drängten sich die drei Männer um Embra herum und starrten angestrengt auf die stillen Ruinen, als erwarteten sie, dass Zauberer, Ungeheuer und Bogenschützen triumphierend hinter jedem Stein hervorsprängen. »Sprecht, Mädchen«, knurrte Hawkril, wog sein Kriegsschwert in der Hand und hielt den Blick auf den Teil des Waldes gerichtet, welchen er durch die zerborstenen Wände sehen konnte. »Ich denke, wir sollten die guten Ratschläge von Craer für einen oder zwei Momente außer Acht lassen.« »Das war ein freundlicher Hinweis, nicht wahr?«, murmelte der Beschaffer. »Ja, Embra, wie hören Euch zu. Sprecht.« Embra hielt den Blicken ihrer Kameraden stand und meinte dann leise: »Ich möchte nicht, dass ich jetzt zu euch spreche und ihr im Inneren denkt, dass ich euch in etwas hineinzwinge. Um der Liebe der Drei willen, murrt jetzt, und –« »Wartet damit, bis einer von uns getötet wurde«, ergänzte Craer leise. Die drei Männer sahen zu, wie die Zauberin tief Luft holte, die Augen für einen Moment schloss und dann mit fast tränenerstickter Stimme sagte: »Ja. Ja, das ist genau das, was ich meinte. Wir wissen nicht, wer die anderen Steine hat, aber sie müssen wissen, wer wir sind. Die Chancen stehen mehr als gut, dass wir sterben, bevor wir das getan haben, um was uns der König bat.« »Kann uns nicht ein Dwaer ins Leben zurückrufen?«, brummte Hawkril beinahe im Flüsterton und warf Blicke um sich, als belauschten ihn die zerbröckelnden Mauern. Embra zuckte die Achseln. »Vielleicht, aber ich weiß nicht, wie ich diesen hier dazu bringe, also lautet die Antwort nein.
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Aber vernehmt, was ich zu eurer Aufgabe zu sagen habe. Wenn ihr durch die Lande tappt und herauszufinden versucht, wo sich die Dwaerindim befinden, indem ihr in jeder Schänke jedem geschwätzigen Kärrner oder Bauern die neuesten Neuigkeiten aus der Nase zieht, dann macht ihr Narren und noch zudem leicht zu treffende Ziele aus uns allen. Ähnliches gilt für das Ausspionieren von Fürsten, Tersepten und Zauberern – schlicht allen, die etwas zu verbergen oder vor Dieben zu verstecken haben, selbst wenn sie noch nie im Leben etwas von einem Dwaer gehört haben. Sie werden davon ausgehen, dass wir gekommen sind, um sie anzugreifen. So stehen die Dinge. Ich werde, falls ihr mich unterstützt, meine Magie benutzen, um die anderen Steine aufzuspüren.« Sarasper wies auf den Dwaer auf Embras Brust. »Und wie wollt Ihr Erfolg haben, wenn Suchzauber so einfach blockiert werden können?« Die Fürstin Silberbaum nickte und beugte sich voller ungeduldigem Eifer vor. »Ich werde nicht den offenen Spähzauber gebrauchen, welchen andere benutzt haben, so wie den, welchen ich hier abgewehrt habe und damals, als wir mit dem König sprachen. Dieser Weg kann von denen, welche die Mittel kennen und wachsam und aufmerksam genug sind, auf einfache Weise abgewehrt werden. Sollte der Zauber gelingen, so sehen die beiden Träger der Steine einander, und eine magische Verbindung öffnet sich zwischen den beiden – ein Durchgang, dessen Schwelle sich über Meilen erstrecken kann, von einem Ende des bekannten Darsar zum anderen, sollte dies notwendig sein, so dass einen
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ein einziger Schritt über eine Strecke trägt, für welche man sonst monatelang reisen müsste. Ungeheuer und Geschosse mögen durch diese Tür rasen oder durch sie hindurchgewirbelt werden, ebenso Zauberbanne. Nichts und niemand in der Nähe der beiden Enden kann von einer vorsichtigen Person als in Sicherheit befindlich erklärt werden.« »Und stattdessen –?«, warf Craer ein und klopfte nachdenklich mit der flachen Dolchklinge gegen die Nägel seiner eingezogenen Finger. »Stattdessen«, antwortete Embra, »werde ich eine subtiler vorgehende Magie einsetzen, welche wie ein Hund, welcher einem Hasen nachschnüffelt, freigesetzte Dwaer-Magie aufspürt. Einen langsamen, ›Diese Richtung fühlt sich besser an‹Zauber, welcher der Entdeckung entgehen dürfte.« Auf diese Worte hin erschien ein verzerrtes Lächeln auf einem Gesicht im Raum. Es gehörte keinem der drei Männer um die Zauberin herum, und keiner der Vier ahnte überhaupt, dass es dieses Gesicht gab. Das Lächeln zierte die grauen Züge eines Kopfes, welcher unbemerkt in den Schatten lauerte: eines schwebenden, körperlosen menschlichen Kopfes, dessen Lippen sich zu einem lautlosen Grinsen verzerrten – kurz bevor er stumm und mit einem kurzen Aufblinken verschwand. Aber dieses Verschwinden ging nicht unbemerkt vonstatten. In den rabenschwarzen Schatten hinter der Stelle, an der sich der Kopf befunden hatte, neben dem herabhängenden Ende eines zusammengebrochenen Regals, lächelte jetzt anstelle des Kopfes ein anderes Gesicht. Dieses Gesicht besaß einen Körper, zudem einen Bart – und die ganze Gestalt zog sich Augenblicke, bevor Craer den Kopf hob und in ihre
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Richtung schaute, lautlos und geschmeidig hinter das Regal zurück. Der Bärtige erschien nicht wieder, als Craer woandershin schaute – aber etwas anderes regte sich, sogar noch weiter entfernt im Dunkeln. Eine kleine Fledermaus löste sich von der Stelle, an welcher sie an der Decke gehangen hatte, schwebte aus einem Spalt in der Wand und flog über die Ruine davon. Auch sie schien zu lächeln, während sie verschwand. Eine andere Fledermaus flog an dem Fenster vorbei. Im Gegensatz zu ihm stand es ihr frei, nachts zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebte. Der Mann saß in tiefer, abwartender Stille allein auf seinem Sessel und versuchte, seine wachsende Bitterkeit hinunterzuschlucken. Die Stimme schien aus dem Dunkel gleich neben Fürst Loushoonds Ellbogen zu kommen. »Ihr seid allein und sitzt im Dunkeln?« Beinahe hätte er einen Fluch ausgestoßen und musste an sich halten, nicht zurückzuweichen, aber er bezwang den Drang, aus seinem Sessel aufzuspringen und vor Furcht zu stöhnen. Stattdessen sagte er langsam und mit bemüht ruhiger, tiefer Stimme: »Das bin ich. Loushoond hält sich an seine Abmachungen.« »Das«, antwortete die Stimme trocken, »ist auch gut so.« Die rechte Faust des Fürsten Loushoond schloss sich um den beruhigenden Griff seines Schwertes, welches er unter seinen Gewändern trug, und er fragte: »Soll ich die Laterne aufblenden?«
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»Tut das«, kam die Antwort, und als das Licht aufschien, sah sich der Fürst von Loushoond der Gestalt in langen Gewändern und mit einem von einer Kapuze beschatteten Gesicht gegenüber, welche er erwartet hatte. Der verhüllte Kopf war nach vorn geneigt, damit das Gesicht im Verborgenen blieb, und die weiten Ärmel des Gewandes bedeckten die Hände, so dass der Fürst auch diese nicht erkennen konnte. Sein Auge erblickte nur das, was die Gestalt ihm entgegenhielt: eine Kugel aus grünem Glas, größer als der Kopf eines Mannes. Mit der Kugel hatte er nicht gerechnet. Es konnte sich nur um den einen oder den anderen Zauber handeln, was ihm als schlechtes Vorzeichen erschien. Aber Berias Loushoond zwang sich dazu, eine sorglose Miene zur Schau zu tragen und den Mund zu halten, als sein geheimnisvoller Besucher die unter den Ärmeln verborgenen Finger in verzwickter Weise bewegte, anscheinend angestrengt lauschte und dann meinte: »Wir sind allein. Das ist gut. Ich hegte keinen Zweifel an Eurer Ehrenhaftigkeit, werter Fürst, aber ich befürchtete, dieser Idiot von Eurem Tersept könnte uns ausspionieren.« Loushoond lächelte dünn. »Das hätte er auch getan, wenn ich ihn nicht mit dem Hinweis, es gäbe da einen räuberischen Überfall, in die hinterste Ecke des Fürstentums geschickt hätte.« Zufrieden gestellt nickte der Besucher und trat rasch einen Schritt näher heran, so dass er im Licht der Laterne stand. Dann warf er den Kopf zurück, so dass die Kapuze nach hinten glitt – und der Fürst starrte in ein auf düstere Weise schönes weibliches Gesicht. Es wies keine Schuppen auf und gehörte auch ganz gewiss nicht einem Mann.
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»Ihr seid nicht –«, schnappte er, während eine seiner Hände zu einem Klingelzug schoss und die andere nach dem Schwert griff. Die Frau regte sich nicht und wich auch nicht zurück, als die Spitze seiner Klinge dicht vor ihrer Brust aufglitzerte. Die Alarmglocke schlug nicht an, und als er noch einmal am Seil zog, musste er feststellen, dass er ein abgetrenntes, ausgefranstes Ende in den Fingern hielt. Seine Besucherin lächelte, bewegte sich aber immer noch nicht. Die Augen des Fürsten verengten sich zu Schlitzen. »Wer seid Ihr?« »Derjenige, welchen Ihr erwartet habt, ist an einem anderen Ort. Ich diene ebenfalls der Schlange«, sagte sie, und ihre Stimme klang jetzt heller als zuvor. Eine schmale Hand zog langsam das Gewand zur Seite und enthüllte nacktes Fleisch. Ohne jede Hast zeigte sie sich ihm vom Scheitel bis zur Sohle. »Schaut gut hin und sehet: Ich bringe heute Nacht keine andere Waffe zu Euch als die Wahrheit. Ihr braucht weder Wächter noch Zauberer noch Alarmglocken.« Der Fürst schluckte, und seine Kehle fühlte sich plötzlich trocken an. Ihr Blick aus dunklen, glitzernden Augen schien mit einem wortlosen Versprechen in den seinen hineinzuschmelzen, und wohlgeformte Gliedmaßen fingen den Schimmer der Laterne auf, als die Besucherin ein paar Schritte zurückglitt und sich lächelnd dergestalt gegen seinen Schrank mit den Karaffen lehnte, dass ihr Gewand nach hinten rutschte und alles enthüllte ... »Im Moment«, schnurrte sie, »bitte ich Euch darum, Euch
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mit Hinsehen zu begnügen.« Beinahe träge warf sie die Glaskugel in die Höhe – wo diese sich mit einem Aufblitzen lautlosen Zauberfeuers in einen schimmernden Spiegel verwandelte. Die Lichter auf seiner Oberfläche nahmen Gestalt an – und verwandelten sich in Menschen, die so wirkten, als sähe man sie durch eine Fensterscheibe. Loushoond beugte sich in seinem Sessel vor und starrte auf das Bild, welches sich ihm bot. Er blickte in ein Zimmer mit dunklen Wandvertäfelungen, das seinem eigenen sehr ähnlich sah, und auf zwei Gestalten, welche er kannte. Bei der einen handelte es sich um seinen alten Rivalen Fürst Eldagh Ornentar, bei dem anderen um den Mann, den er in dieser Nacht in seinem eigenen Gemach erwartet hatte. »So enthüllt mir denn Eure Bedenken«, befahl die Gestalt mit der Kapuze leise. Fürst Ornentars allseits berühmte steinerne Miene hatte Stunden zuvor Risse bekommen: Die Hand mit den vielen Ringen, welche er jetzt durch die Luft in Richtung seiner schwebenden Wahrsagekugel bewegte, zitterte sichtlich. »All meine Zauberer sind verloren!« Sein Schrei hallte von der Decke und den polierten Schilden an den Wänden wider. »Ornentar steht nun ungeschützt da vor den Armeen von Silberbaum und all den anderen aufgescheuchten, niedergezwungenen Fürstentümern!« »Seid leise!«, zischte der Priester der Schlange. »Ich habe ebenfalls die Schlacht von Indraewyn beobachtet, zudem
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auch andere. So eindrucksvoll sind die Reihen der Magier im Tal während der letzten Tage gelichtet worden, dass Ihr Euch keine übermäßigen Sorgen machen müsst. Ernst zu nehmender ist eine Versammlung unbedeutenderer Zauberer aus mehreren Fürstentümern in Sirlptar. Sie treffen sich, um sich darüber zu verständigen, wie man mit der Bedrohung umgehen soll, welche von Sirlptars davongelaufenen Zauberern ausgeht.« Wie festgefroren saß der Fürst in seinem Sessel. Eine lange, unbehagliche Zeitspanne verstrich, bevor er antwortete. »Wir wurden nicht eingeladen. Ornentar wurde nicht einmal benachrichtigt.« Der Priester nickte. »Nicht einmal das«, bestätigte er ruhig und mit tonloser Stimme. »Alle Fürstentümer haben sich gemeinsam gegen mich erhoben«, flüsterte Fürst Ornentar. »Wir sind dem Untergang geweiht.« Der Priester zuckte die Achseln. »Nicht wenn Hilfe auf dem Weg ist.« »Hilfe?« Der Fürst starrte ihn an. »Von wem denn?« Der Schlangenpriester hob langsam eine Hand. Der Fürst starrte ihn nach wie vor an. »Von Euch? Ja. Ja«, sagte er, und seine Stimme überschlug sich fast vor Erleichterung – aber dann zögerte er. »Und was verlangt Ihr dafür?« »Die Hilfe der Ssschlange isst Euch gewisss«, erklärte die Gestalt mit der Kapuze feierlich, »wenn Ornentar im Gegensssug die Ssschlange anbetet.« Schweigend saß der Fürst für einen endlosen Augenblick in seinem Sessel und nickte schließlich zögernd. Der Priester
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löste sich von der Wand, schritt leicht schaukelnd auf den Herrscher von Ornentar zu und sagte: »Es bedarf einer Zeremonie. Entfernt Euren Waffenrock und die goldenen Ketten, welche Ihr tragt.« Die Augen des Fürsten verengten sich, aber er gehorchte, wenn auch mit zunehmendem Unbehagen. Als Ornentars weißer, stark behaarter Oberkörper freilag, streckte der Priester eine Hand vor, welche er bislang hinter seinem Rücken verborgen hatte. In der Hand schien sich nichts zu befinden, aber als er einen Finger nach der schlaffen Brust und dem Wanst des Fürsten ausstreckte, fühlte sich die Berührung kalt an. Kalt und schleimig. Als der Finger eine komplizierte Figur auf den Rumpf des Fürsten zeichnete, hinterließ er eine glitzernde Spur ... eine Spur, welche in einem dumpfen Weißgrün zu leuchten begann. Der Priester blies die am nächsten stehende Lampe aus, so dass nur noch die flackernden Flämmchen der Wandleuchter übrig blieben. Im Dämmerlicht glühte der von dem Fürsten ausgehende Schimmer viel stärker. Unangenehm berührt blickte der Herrscher von Ornentar auf seine Brust nieder. »Kniet nieder«, zischte der Schlangenpriester. Der Fürst starrte ihn an, aber der Priester blieb so reglos und stumm wie eine Steinfigur, während lange, schweigende Augenblicke verstrichen. Der Baron zuckte mit den Schultern, starrte für eine Weile ins Leere und erhob sich dann langsam aus seinem Sessel und ließ sich auf die Knie nieder. Zwischen jedem einzelnen Schild an den Wänden kräuselten sich die Wandteppiche, und wie der Priester in lange
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Gewänder und Kapuzen gehüllte Gestalten kamen zum Vorschein und stellten sich im Kreis um Eldagh Ornentar auf. Sie sagten kein Wort, ihre an Mönchskutten erinnernden Gewänder verbargen sie vollkommen, und ihre Hände steckten unsichtbar in den weiten Ärmeln. Aber der Fürst konnte den Blick ihrer Augen spüren. Er starrte zu den verhüllten Gestalten hoch, und Furcht und ein entsetzlicher Verdacht stiegen in ihm auf und ließen seine Augen blitzen – und dann flammte die Zeichnung auf seiner Brust zu weißem Feuer auf, und in dem blendenden Schein sah er, wie die Gestalten jeweils einen Ärmel hochschoben und einen Arm nach ihm ausstreckten. Alle gemeinsam traten einen Schritt auf ihn zu, und er fühlte, wie ihn von allen Seiten Fingerknöchel streiften. Dann bemerkte er auf zwanzig Schultern eine Bewegung, und Schlangen kamen in Sicht gekrochen und glitten rasch an jedem einzelnen Arm herunter. Der Fürst starrte von Entsetzen erfüllt auf die sich windenden Leiber und dann nach oben in eine Reihe ruhiger, zuversichtlicher Gesichter – und dann bissen Zähne zu, bissen und bissen und bissen. Der Fürst schluckte – was beinahe wie ein Schluchzen klang –, als Zungen vorzuckten und Schlangenköpfe sich drehten und ihn aus glitzernden Augen anblickten. Das Gift hinterließ ein Brennen in seinen Adern, dem eine Welle von Taubheit folgte ... Die Gestalten zogen sich wie ein Mann zurück, und ihre Ärmel rutschten wieder nach unten und verbargen die darin enthaltenen Schlangen, während der Schlangenpriester nach vorn trat und sich so aufstellte, dass er über dem Herrn über
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Burg Ornentar aufragte. Als der Schatten der schwarzen Kapuze auf ihn fiel, blickte Eldagh Ornentar entsetzt auf und keuchte: »Gift! Ich lebe nur – solange es Euch gefällt!« Der Priester schob seine Kapuze nach hinten und ließ den Fürsten sein Lächeln auf dem mit Schuppen bedeckten Schlangenkopf sehen. »Das ist richtig«, bestätigte er triumphierend. Seine Stimme schien aus unmöglichen Höhen herabzuhallen, während sich Dunkelheit verbreitete und herantrieb und Eldagh Ornentars Welt hinweggewirbelt wurde ... Das Geschehen im Spiegel vor ihm wogte auf ihn zu wie eine gläserne Schlange, welche durch die Luft schwimmt. Etwas unglaublich Kaltes schlug gegen seine Hand, so dass er das Schwert fahren ließ. Loushoond stieß einen wortlosen Fluch aus und kämpfte darum, aus seinem Sessel hochzukommen, aber schon hatte sich das Glas, aus dem vor kurzem noch der Spiegel und vorher die Kugel bestanden hatte, in Fesseln verwandelt, welche ihn auf seinem Sessel festhielten. Die Priesterin ließ ihr Gewand zu Boden gleiten und kam direkt und schnell auf ihn zu. »Bei den Dreien!«, keuchte er, und seine Stimme klang plötzlich laut und schrill, weil er echte Angst verspürte. »Sie sehen zweifellos zu«, gurrte sie, und ihre Augen leuchteten triumphierend auf, als sich ihre Lippen den seinen näherten. »Aber ich fürchte, das ist auch alles, was sie tun.« Finger wie aus Eisen bohrten sich in seine Wangen und zwangen seine Kiefer auf, während ihr Mund immer näher kam – und aus dessen warmen Tiefen glitt eine kleine grüne Schlange, deren Augen ihn mit ihrem eigenen winzigen Tri-
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umph anglitzerten, als sich ihr Maul öffnete ... In Loushoonds letzten gurgelnden Augenblicken wurde ihm undeutlich bewusst, dass er an der Kreatur erstickte, welche sich seinen Schlund hinunterringelte, während sich ein warmer Körper an den seinen drückte und er nichts dagegen unternehmen konnte, sich Ornentars Schicksal anzuschließen ...
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Gepflastert mit Zaubersteinen C Stundenlang stolperten sie von Indraewyn weg, bevor sie den Ort fanden: einen grünen Hügel inmitten des endlosen Waldes, welcher sich auf einer riesigen Lichtung in dem ansonsten an offenen Bereichen armen Forst befand. Embra hatte ihn als den idealen Ort erklärt, aber ihre Kameraden hatten die Erhebung vorsichtig schnüffelnd und spähend umrundet, als erwarteten sie, dass sich darin unvermittelt Höhlenmünder öffneten oder der ganze Hügel sich aufbäumte und sich herausstellte, dass es sich in Wirklichkeit um den gepanzerten Rücken eines aufgeschreckten Drachen handelte. Die Zauberin hatte mit vor der Brust gekreuzten Armen und einem teilnahmsvollen Lächeln auf den Lippen ihre Suche beobachtet und nicht ein Wort der Ungeduld geäußert. Die Zeit verstrich, und die Männer schüttelten die Köpfe und teilten sich auf ihre jeweils unterschiedliche Weise mit, dass sie nichts finden konnten, mit dem etwas nicht in Ordnung gewesen wäre – dass es sich hier aber ganz gewiss nicht
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richtig anfühlte. Aber es gab weder einen Alarm noch einen Angriff, und Craer drehte eine zusätzliche Runde durch die Bäume rund um die Lichtung, ohne etwas Bedrohliches zu finden. Zu guter Letzt sammelten sich die Männer um den Baum, unter welchem die Fürstentochter stand, und gaben bekannt, dass mit dem Ort alles in Ordnung zu sein schien. Abgesehen von einem Gefühl... beobachtet zu werden. »Werte Herren, wir befinden uns in den Loaurimm«, rief ihnen die Herrin der Edelsteine ins Gedächtnis. »Alles hier ist lebendig, und hier krabbeln mehr Kreaturen herum, als mein Vater jemals an Schwertträgern hatte oder Schwarzgults Armee an Leuten zur Verfügung stand. Gerade jetzt müssen Dutzende kleiner Augen auf uns ruhen. Und doch sehe ich einen Mangel an Schützen und Zauberern, und deshalb bin ich zufrieden. Lasst dies der Ort sein und die richtige Zeit.« Die Edle öffnete die Arme in einer Geste, welche ihre drei Kameraden zwischen die Bäume zurücktrieb, und trat allein auf die von Moos bewachsenen Flanken des Hügels. »Sind wir uns alle einig? Sarasper hat alles überprüft?« »Ja«, antworteten Craer und Hawkril widerstrebend und beinahe gleichzeitig. »Wir wissen, was wir tun müssen«, fügte Craer hinzu, und die Männer beobachteten, wie Embra die Spitze des Hügels erreichte, nickte, die Augen schloss und das Gesicht in Richtung Westen drehte, nach Aglirta. Der Beschaffer beugte sich zu Sarasper und murmelte: »Ich bin mir dessen gewiss, was wir hier tun, aber eins wüsste ich doch gern: Wie viel Magie – von dem Heilen abgesehen; ich spreche hier von Zauberbannen wie Embras Künsten – be-
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herrscht Ihr überhaupt?« Der alte Heiler brachte seinen Kopf ganz nahe an den von Craer. »Genug, um zu wissen, dass ich mich eigentlich nicht in so etwas einmischen sollte«, murmelte er finster. »Ich wünschte, ein paar der jungen und beflissenen Zauberer würden zu der gleichen Einsicht gelangen.« Dann stakste er um die Ecke der Lichtung davon, wobei er Craer mit einer Geste bedeutete, er solle seine Position einnehmen. Über die freie Fläche hinweg warf Hawkril den beiden sich bewegenden Männern einen Blick zu. Er hielt sein Schwert in der Hand und ließ den Blick nicht von den Bäumen um den Hügel herum abschweifen. Er schien so angespannt wie ein an der Leine zerrender Jagdhund, jederzeit bereit, in die Schlacht zu stürmen, während die drei Männer der Viererbande ihre Posten um die Lichtung herum einnahmen. Kein Feind zeigte sich. Embra kniete nieder, stimmte einen Singsang an, legte den Dwaer-Stein zwischen ihre Füße, erhob sich langsam und zeichnete mit den Händen seltsam verschlungene Muster in die Luft. Schließlich breitete sie die Arme mit nach unten gerichteten Handflächen aus, und sie machte ganz den Eindruck eines Schöpfers, welcher eine langwierige Aufgabe bewältigt hat. Stilles weißes Feuer brach aus jeder ihrer Fingerspitzen, schoss auf den Boden zu und schien dort festzukleben, wobei es spuckte, ohne jedoch zu sengen. Embra schloss wieder die Augen und schien zu erbeben. Dann kippte ihr Kopf langsam nach hinten, bis ihr Gesicht dem Himmel zugewandt war. Stärkere Feuer strahlen pulsierten jetzt an den Lichtstrahlen entlang zu Boden und von dort aus in die Bäume. Die schimmernden Wellen schienen aus
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den umstehenden Bäumen zurückzublitzen und ein Blätterrascheln auszulösen. Sarasper sah zu, kniff die Augen zusammen und winkte, bis der Hüne auf ihn aufmerksam wurde. Der Heiler runzelte die Brauen und deutete zur Sicherheit auf das Schwert des Recken; der schwerfällige Krieger nickte langsam. Zufrieden hob Sarasper bedächtig eine Hand, bereit, das Signal zu geben. Was sie zu tun beschlossen hatten, würde sie sehr rasch schwächen – ihnen stand wenig Zeit zur Verfügung, die sie zudem nicht verschwenden durften, denn binnen kurzem würden ihre Kräfte erschöpft sein, also musste alles genau zum richtigen Zeitpunkt geschehen ... Der Stein musste von der Magie getrennt werden, so dass keiner, der ebenfalls einen Stein trug und von Embra ›erblickt‹ wurde, den Dwaer und den Ort, an welchem er sich befand, aufspüren konnte. Und deshalb blieb dem Strömen weißen Lichts nur eine Möglichkeit, eine Quelle der Energie zu finden – nämlich durch einen Heiler, einen Ritter und einen Beschaffer. Es gab einen zweideutigen alten Reim, welcher sich auf ein solches Trio bezog, aber die Götter sollten ihn zu Boden schleudern, wenn er ihm jetzt einfiel ... Langsam, atemberaubend anzusehen und von Feuer umkränzt schwebte die Herrin der Edelsteine hinauf in die Luft und bog im Steigen den Rücken durch, bis sie in etwa zweifache Mannhöhe aufgestiegen war und mit ausgestreckten Armen flach auf dem Rücken trieb. Ein Netz rastloser, stiller Zauberflammen verband sie mit dem Boden unter ihr. Saraspers Hand bewegte sich nach unten.
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»Jetzt!«, knurrte er, obwohl er nicht mit Sicherheit wusste, ob sowohl Hawkril als auch Craer nahe genug standen, um ihn tatsächlich hören zu können. »Und denkt daran: Macht es genauso, wie ich es euch gezeigt habe.« Hawkril stieß sein Schwert sorgfältig in den Boden hinter ihm, so dass es aufrecht wie ein Wachtposten stehen blieb, und schritt dann vorwärts den Hügel hinauf. Sobald er den steilen Teil der Flanke erreicht hatte, duckte er sich und kroch beinahe auf allen vieren weiter nach oben. Feuerzungen brüllten auf und schlugen nach dem Hünen aus, wirbelten dicht an seinem Kopf und seinen Schultern vorbei, während ihr Schein den Schweiß auf dem Gesicht des Ritters glitzern ließ. Hawkril Anharu, so stellte Sarasper plötzlich fest, verspürte Angst. Nun, genau genommen fühlte sich auch der Heiler nicht sonderlich wohl in seiner Haut. Genau wie Craer hatte er die Hände in die in der Nähe fließenden Ströme magischen Feuers gestoßen – und beide Männer schwankten. Es fühlte sich an, als wate man in dahinfließendem Wasser, welches in die andere Richtung strömt, einem endlosen, unermüdlichen Strom, der zwar keine Schmerzen hervorruft, einem aber bei jedem Schritt das Leben aussaugt ... Die Feuersbrunst wogte jetzt durch seinen Körper und um ihn herum und entzog ihm bei jedem Hinundherschwappen einen Teil seiner Energie. Sarasper bemerkte undeutlich, dass er mit langsamen, ziellosen Schritten seitwärts taumelte wie ein Betrunkener, wobei ihm das Haar in alle Richtungen vom Kopf abstand und im Rhythmus des pulsierenden Zauberfeuers hin und her tanzte ...
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Hawkril war grimmig durch die Flammen gekrochen, die nach ihm zu greifen schienen und nach seinem Gesicht, seinen Armen und der Rüstung langten – und dem Geruch, der Rötung und den immer stärker schmerzenden Falten seines Gesichts nach zu schließen, nahmen sie an Hitze zu. Aber wie Sarasper erkennen konnte, blieb die Hand des Recken ruhig, als er sie ohne jedes Anzeichen von Zögern oder gar Furcht ausstreckte und die Finger um den summenden, schimmernden Stein des Lebens schloss, aus welchem eine lautlose Feuersäule bis zu Embras Körper hochloderte und von da aus durch ihre Finger auf den Boden – und bis zu zwei Narren, welche um den Fuß des Hügels herumtaumelten. Sarasper und Craer schauten sich an, angetrieben von dem Bedürfnis, den Fluss des Feuers zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Das Gesicht des kleinen Mannes troff vor Schweiß wie das von Hawkril, seine Hände zitterten, und sein Gesicht war totenbleich. Sarasper schluckte und riss sich von dem Anblick los, schaute hoch zu Embra, welche blicklos starrend im Himmel über ihnen hing. Ihr Köper zitterte in den Flammen, welche sie selbst heraufbeschworen hatte. Bei den Göttern, sie würden alle sterben, wenn das hier noch länger so weiterging ... Hawkril kroch jetzt wieder zurück, den Hügel herunter, ohne es jedoch zu wagen, sich umzudrehen. Den Dwaer hielt er fest an seine Brust gepresst. Die Feuerwellen wogten jetzt schneller und immer schneller und immer tiefer, wobei sie mehr Energie aus Sarasper und Craer heraussaugten, als sie zurückfließen ließen, so als wüssten sie, dass der Stein in Kür-
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ze für sie verloren sein würde. Feuer brandete über Saraspers Augen, so dass er ganz benommen wurde, und rollte dann wieder von ihm weg. Undeutlich wurde Sarasper bewusst, dass er auf die Knie gesunken war. Die Gestalt der alle viere von sich streckenden Embra waberte vor seinen Augen, als wehte eine stürmische Brise, und sie schwebte nicht mehr als ein paar Fuß über der Hügelspitze. Craer musste zu Boden gestürzt sein. Von der Stelle aus, an der er sich befand, vermochte der zitternde Heiler nur Hawkril zu sehen, der langsam zurück zu seinem Schwert kroch. Der Hüne setzte sich mit dem Rücken gegen den Stahl, als handele es sich um einen Stuhl, warf den Kopf in den Nacken und schnappte, wie es schien, für eine Ewigkeit nach Luft. Dann kroch er noch ein Stück weiter, bis er sich hinter dem Schwert befand. Feuer heulte wie abgeschnitten zurück, brauste in tonloser Wut durch Sarasper, bis der Heiler geblendet war und weißes Feuer seine Augen füllte, ohne jedoch zu versengen. Aber es stahl ihm seinen Atem, seine Kraft, sein ... alles ... Zu seiner Linken befanden sich Blätter – tief herunterhängend und in dunkelgrünen Büscheln, und in der Ferne erklang schwaches Vogelgezwitscher. Unter ihm strömte die weiche Erde ihren feuchten Geruch nach alten Blättern, Verfall und Pilzen aus, und kleine Schösslinge bohrten sich gemeinsam mit ein paar harten Wurzeln oder Steinen in seinen Rücken. Hawkril ächzte. Er fühlte sich innerlich schwach und leer, als ob ihn jemand aufgeschlitzt und all seine Stärke aus ihm
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herausgeschüttet hätte. Es bedurfte dreier schnaufender, Kräfte zehrender Versuche, bis es ihm gelang, sich auf einen Ellbogen hochzuwuchten, und danach keuchte er wie ein Mann, der meilenweit gerannt ist. Hawkril schaute sich um. Während er sich hochgeschoben hatte, war der Stein auf den Boden gefallen; unwillkürlich griff er danach, um ihn am Wegrollen zu hindern, aber seine Augen suchten nur eines: Embra. Die Frau, welche er, die Götter mochten ihm helfen, allmählich zu lieben begann. Mehr als seine eigene Haut, mehr als die Freundschaft zu Craer, mehr als die Schönheiten von Aglirta. Trotz ihrer scharfen Zunge und der Tatsache, dass sie ihre Magie bedenkenlos anwendete, um ihn zu lenken ... bei den Dreien, so war sie doch wunderschön! Wenn sie ihn anschaute – Gerade jetzt starrte die Edle in den Himmel, und ihre blicklosen Augen schimmerten wolkig grau. Sie lag auf der Spitze des Hügels flach auf dem Rücken ... und sie rührte sich nicht. Von plötzlicher Angst um sie gepackt nahm Hawkril den Stein hoch und versuchte, sich den Hügel hinaufzukämpfen, ohne sich die Zeit für einen Fluch zu nehmen. Er fiel aufs Gesicht, und die Welt um ihn herum wurde undeutlich. Was stimmte nicht mit ihm? Ihre Magie. Ihre Magie musste ihn ebenso ausgelaugt haben wie Craer und Sarasper. Die beiden lagen aneinander gedrängt und so reglos wie ein Paar Felsen ebenfalls auf dem Hügel, und ihre weißen, schweißüberströmten Gesichter starrten ins Nichts. Hawkril schluckte, biss die Zähne zusammen und kroch
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den Hügel hinauf, wobei er den Stein ungeschickt an sich presste. Seine Arme fühlten sich wie ausgehöhlt an und so weich wie Blumenstängel, und er zitterte. Wenn sie nicht mehr am Leben war ... Er zwang sich dazu, diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen und sich stattdessen mit dem verfluchten Schmerz zu befassen, den jedes Greifen und jedes Festklammern verursachte, jedes ... Er hatte sie erreicht und beugte sich über sie. Sie lag ganz still und ohne Atem zu holen da, und ihre Augen sahen aus wie erloschene Kerzen. »Herrin«, flüsterte er und legte den Stein vorsichtig auf ihre Brust. »Oh Mädchen, lebt!« Sanft zog er eine ihrer Hände zu ihrer Kehle und bog ihre Finger um den Stein. Das wiederholte er mit der anderen Hand. Er wagte es nicht, sich vorzustellen, was er tun würde, wenn nichts geschah. Das winzige Flackern einer kalten Flamme sammelte sich um den Dwaer, welche sich aus ihrer Kehle unter dem Stein zu erheben schien. Ihrer Kehle, welche sich leicht wölbte, während ihre Brust sich langsam – oh so langsam – zu heben und zu senken begann. Die Dreifaltigkeit sei gepriesen! Er hielt die den Stein umfassenden Hände fest, und ein seltsames kriechendes Prickeln stahl sich seinen Arm empor. »Oh Mädchen«, brummte er, »kommt zurück zu mir!« Dunkelblaue Augen flatterten auf und blickten ihn an. Tränen quollen aus ihnen hervor, und die Hände der Edlen griffen nach seinen Armen, während ein plötzlicher Schauder ihren Leib erzittern ließ, als schüttele sich ein Hund. Dann hauchte sie: »Hawkril!« Ihre Augen schienen ihn zu ihr nieder zu ziehen. Hawkrils
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Lippen berührten die ihren, bevor er noch so recht wusste, was er da tat. Ihre Münder begegneten sich und verschmolzen miteinander. Ihre Zunge liebkoste seinen Mund, und sie stöhnte unter ihm auf. Stöhnte und bewegte sich dann unter ihm, eifrig bemüht – – ihn abzuwerfen. Hawkrils Herz setzte für einen Schlag aus, als ihre schmalen Hände ihn wegstießen. Als er sich zurücksetzte und ihm die Welt plötzlich grausam erschien, gestand er sich ein: Ja, er war in sie verliebt. »Später«, keuchte ihm die Herrin der Edelsteine ungeduldig ins unglücklich dreinschauende Gesicht und befreite sich aus seinem Griff. »Wir sind hier in Gefahr!« »Mädchen?«, fragte er und blickte wild um sich und dann zurück zu der Stelle, an welcher sein Schwert steckte. »Helft mir«, zischte sie und zog sich mit den Fingern an ihm hoch, als seien ihr in der Eile plötzlich Krallen gewachsen, bis sie schwankend auf den Füßen stand. Ihr Bauch presste sich gegen seinen Kopf, und sie klammerte sich, das Gleichgewicht suchend, an seine Schultern. »Bringt mich zu Sarasper«, stöhnte sie und versuchte, den Hünen durchzuschütteln. Sie hätte ebenso gut der Wind sein können, der einen Felsblock zu verrücken versucht, aber nach ein paar Augenblicken erhob er sich schwerfällig auf die Beine – und blieb schwankend stehen. Angst stieg in Embras Kehle hoch, denn sie fürchtete um ihn wie um sich selbst – wenn er auf sie fiel und sie zerquetschte, wer würde ihr dann zu Hilfe kommen? Wer würde sie alle retten? Wer – Starke Arme zupften an ihren Schultern und umfassten sie,
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und die vertraute tiefe Stimme, die sie, da ihre Körper aneinander gepresst waren, ebenso gut fühlen wie hören konnte, brummte: »Haltet Euch an mir fest, Mädchen – beeilt Euch.« Dann drehte sich die Welt ganz verrückt um sie herum, und schon wurde sie sanft auf den Boden gesetzt, gleich neben dem ausgestreckten Körper des leer vor sich hin starrenden alten Heilers. Sie kniete sich hastig hin, und der Stein des Lebens pulsierte, als sie ihn in der ausgestreckten Hand nach unten bewegte und mit dem Dwaer eine runzlige, von Altersflecken bedeckte Hand berührte. Saraspers grau verfärbter Unterkiefer hing schlaff nach unten, und er sah mausetot aus. Der Dwaer blitzte nachgerade ärgerlich auf, als er den alten Mann berührte, und Embra stellte fest, dass sie plötzlich den Tränen nahe war. Sie hätten vertrauensvoll ihr Leben für diese Sache hingegeben, diese drei Männer ... die ersten drei Männer, denen sie je ihrerseits ihr Vertrauen geschenkt hatte. Nur drei. Manch einer vermochte vielleicht nicht so viele verlässliche Freunde im Leben zu finden, aber die Zahl schien auch nicht so groß zu sein, dass sie es sich leisten konnte, auch nur einen zu verlieren. Schwere Bedenken stiegen in den Augenblicken in ihr auf, bevor der Heiler stöhnte, eine schwache Hand hob und versuchte, die Welt vor seinen Augen wegzuwischen, und schließlich murmelte: »Ihr Götter, was habe ich getrunken?« Sie wechselte einen erstaunten Blick mit Hawkril. Dann brachen die beiden in ein hilfloses Gekicher aus, beugten sich vor und lachten so laut, dass ihnen die Tränen in die Augen schossen.
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»Ich finde das nicht allzu lustig«, beschwerte sich Sarasper nach einer Weile, und noch dazu in einem Ton, der bewirkte, dass sie von einem neuen Heiterkeitsausbruch geschüttelt wurden. Deshalb dauerte es eine Weile, bis Embra endlich dazu kam, sich über den zusammengesackten Körper des Beschaffers zu beugen. Ihr verging das Lachen, und ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. Bei den Göttern, er wirkte so klein. Konnte ein solcher Köper, ungeachtet seiner scharfen Zunge, einen solchen Aderlass überleben? Konnte – Craer hustete in dem Augenblick, als der Stein ihn berührte. Er verzog das Gesicht und erklärte dann der Welt: »Keine Wirbelzauberer mehr für mich!« »Er ist aufgewacht«, grummelte Hawkril und schwang sein zurückgeholtes Schwert als Ausdruck der Erleichterung über ihren Köpfen. »Aber jetzt sagt uns, weshalb diese Eile notwendig war, Mädchen! Was war das für eine Gefahr?« Embra blickte aus großen, ernsten Augen erst ihn und dann die beiden anderen Männer an. »Nun«, sagte sie und holte tief Luft, »die Magie hat gewirkt, aber ich konnte nur einen einzigen Stein ausmachen – weil er uns so nahe ist, dass er mich beinahe geblendet und überwältigt hätte!« »Und wie nahe dürfte das sein?«, fragte Sarasper und kniff die Augen zusammen. Embra zuckte die Achseln. »Vielleicht eine Meile ... keinesfalls mehr.«
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»Keine leere Höflichkeit mehr, das möchte ich mir ausbitten. Seid willkommen, ihr Herren«, sagte der Tersept von Sart lebhaft, als sich ihre Handflächen berührten. Er machte eine Geste, um zu bedeuten, dass seine Gäste sich auf den hohen Sesseln mit den bogenförmigen Rückenlehnen niederlassen sollten, welche wie stolze Schwertwachen rund um den großen glänzenden Tisch standen. Dessen üppige Schnitzereien und der kleine, schimmernde Wald von Karaffen und Kelchgläsern auf der Tischplatte sprangen jedem, der darauf blickte, ins Auge und kündeten von Sarts Reichtum, ebenso wie die dunklen, wunderbaren Kommoden, die großen Truhen und sonstigen großartigen, sich entlang der Wände abzeichnenden Möbel. »Bedient euch doch, schenkt euch vom Weine ein und esst. Wir kümmern uns hier nicht weiter um verschüttetes Essen und halten uns auch an keine Tischzeremonie – esst, trinkt und fühlt euch wie zu Hause!« »Wenn ich zu Hause wäre«, antwortete ein Mann mit dunklen, finster zusammengezogenen Brauen und einem wettergegerbten Gesicht unverhohlen, »dann würde ich mich erheblich sicherer fühlen als hier und jetzt an diesem Ort. Wie können wir sicher sein, dass die Zauberer des Königs nicht jedem unserer Worte lauschen?« »Das haben mir die Magier von Sart versichert, welche eigens angeworbenen wurden, um dies zu verhindern«, erklärte der Tersept glatt, »und zusätzlich versichern sie, dass sie diesen paar Feierabendmagiern, welche dem Flussthron dienen, sowohl hinsichtlich ihrer Zahl als auch bezüglich der Stärke bei weitem überlegen sind. Und keine geringere Kriegerbande als die gefürchteten Schwerter von Sirlptar verteidigen unsere
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Tore, verborgen hinter den Wächtern, welche ihr gesehen habt. Seid beruhigt, mein verehrter Agent.« »Oh?« Der Tonfall des Handelsagenten aus Gilth klang spöttisch, aber er ließ sich in einen der großartigsten Sessel sinken und langte nach einem Kelch, während er sprach. »Die Herrin der Edelsteine ist also jetzt eine Feierabendzauberin, was?« »Und wenn die Zauberer sie als eine solche bezeichnen, was sagt das über ihr Urteilsvermögen aus?«, fragte ein Agent aus Sirl, dessen grüne Seidengewänder, geschmückt mit Dutzenden goldener Filligranmedaillons, ganz so aussahen, als hätten sie mehr gekostet als sechs solcher Festtafeln. Als er sich niedersetzte, gab er ein Klingeln von sich, wo die anderen raschelten. »Soweit wir es beurteilen können«, erzählte der Tersept seinem eigenen Kelch, während er nach einer Karaffe griff und den drei Agenten aus Sirlptar bedeutete, sich doch ebenfalls zu setzen, »hat die Silberbaumzauberin gemeinsam mit ihren drei Liebhabern Treibschaum verlassen, da sie eine persönliche Mission für den König ausführen sollen. Einige am Hof flüstern, es habe damit zu tun, die Schlange zu töten – welche ebenfalls erwacht sein soll, aber das behaupteten ihre Priester schon damals, als ich gerade das Sprechen lernte –, während andere meinen, die Viererbande sei ausgezogen, die Schätze des gefallenen Fürsten Schwarzgult zu bergen, damit der Flussthron eine Armee bezahlen und uns alle niederzwingen kann.« »Das glaube ich schon eher«, erklärte Daragus aus Gilth. »Wenn Silberbaum ihn vor seinem eigenen Tod besiegte und seine Magier es versäumten, sich mit dem Schatz davonzuma-
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chen, bevor sie zugrunde gingen, dann ist in ganz Aglirta seine Tochter am ehesten geeignet, ihn aufzuspüren.« »Wissen wir denn mit Sicherheit, dass Silberbaum tot ist?«, fragte der größere der beiden Agenten aus Sirl und hob eine Braue. »Sein Leichnam wurde nie gefunden.« »Genauso wenig«, warf der kleinste und dickste Agent ein, ein bärtiger Mann in rotem Samt, geschmückt mit vielerlei goldenen Schnüren und Troddeln, »wie die Körper seiner Zauberer.« Daragus zuckte die Achseln und spreizte die Finger, an denen zahlreiche massive Goldringe blitzten. »Die Monate verstreichen, und es gibt nicht ein einziges Zeichen von ihnen.« »Darf ich Euch ins Gedächtnis rufen«, warf der Agent in Grün ein, »dass Zauberer ihre Gesichtszüge und so weiter viel leichter ändern können als die meisten Männer?« Daragus bedachte ihn mit einem säuerlichen Blick. »Und ich darf Euch daran erinnern, werter Phelodiir, dass am Herdfeuer erzählte Geschichten eines sind, die Arbeit, welche Zauberer im richtigen Aglirta auf sich nehmen, und zwar Tag für Tag, etwas ganz anderes? Es kostet Mühen und Geld und das, woraus das Leben gemacht ist, um Zauber zu wirken, und noch mehr, um sie aufrechtzuerhalten. Warum sollten wir uns darum Gedanken machen? Wenn Ihr über ausreichend Magie verfügt, um welche darauf verwenden zu können, dann habt Ihr so viel, dass es keinen Grund mehr gibt, Euch zu verstecken. Handelt offen und zerblast alles zu Staub, was angeritten kommt und Euch Schaden zufügen will – das ist die Art der Magier.« »Ich muss sagen, dass Ihr anscheinend besonders dickköpfigen Magiern begegnet seid«, erklärte der große Agent mit ei-
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nem Kopfschütteln. »Edle Herren, edle Herren«, sagte der Tersept von Sart rasch und ein wenig zu offenkundig beschwichtigend, »lasst uns da kämpfen, wo es sich zu kämpfen lohnt, nämlich gegen den so genannten Auferstandenen König und nicht gegeneinander. Durch seine Schuld sehen wir uns alle der gleichen Bedrohung ausgesetzt. Uns allen droht der Verlust unserer Freiheit, dank ihm. Im ganzen Tal suchen sich die Schlangenpriester Verbündete und stoßen mit vergifteten Klingen zu ... wegen ihm.« »Glarsimber«, knurrte der Agent aus Gilth, »erspart uns Eure großartigen Worte. Nur Narren und Tyrannen erwarten, dass Rivalen – und seid ehrlich, genau das sind wir – in dem Augenblick mit einer Zunge und in süßem Einklang sprechen, wenn ein gemeinsamer Feind in Sicht kommt. Das sind wieder Ammenmärchen.« »Hat er wirklich gefordert, dass die Armeen aller Fürstentümer und Städte vor ihm kapitulieren?«, fragte der bärtige Agent. »Wie lauteten seine genauen Worte?« »Er wünscht eine neue Krönung, Carthel, und wir alle sollen ihm den Treueschwur leisten«, antwortete Daragus von Gilth ungestüm. »Wohingegen er auf der Stelle alle möglichen Befehle an jene ausgeben wird, welche einem von uns dienen, mit ihren Schwertern hierhin und mit den Lanzen sonst wohin zu eilen, möglichst weit weg von uns, die wir ihnen Schutz boten und sie ausbildeten. Er brauchte seine Absichten und Ziele gar nicht erst in klare Worte zu fassen. Nicht ein –« »Wartet, wartet ein wenig«, unterbrach ihn der Agent Phelodiir. »Keines Euerer Worte ist uns neu. Werter Herr von
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Sart, Euch treibt mehr als das an – ich wusste das bereits, als Ihr diese Versammlung einberufen habt, und ich kann es eben jetzt Euren Augen ansehen ... und mehr als das: auch Eure Ungeduld. Wie lauten also die Neuigkeiten?« Der Tersept von Sart war sich zum ersten Mal seit seiner Aufforderung, doch Platz zu nehmen, der vollen Aufmerksamkeit seiner Gäste bewusst. Ohne Eile wählte er eine Karaffe aus, hielt sie ins Licht und starrte abwägend auf ihren Inhalt, bevor er seinen Kelch füllte. In das Schweigen, das der Fürst von Sart entstehen ließ, murmelte der Agent Carthel: »Es stimmt. Ich kann es ihm jetzt ansehen, wie es ihn juckt und ans Tageslicht will. Sprecht, Belklarravus.« Tersept Glarsimber Belklarravus von Sart schaute über seinen Kelch hinweg die vier Agenten an – seinen alten Rivalen Daragus und die drei aus Sirlptar, Phelodiir, Carthel und den großen Mann ... Telabras, so lautete sein Name, ja – und stellte fest, dass wieder Ärger in ihm hochstieg wie in dem Moment, als er die Neuigkeit gehört hatte. Er setzte seinen Kelch ab, damit niemand sehen konnte, wie seine Hand zitterte. Aber gegen die Röte, welche sich höchstwahrscheinlich auf seinem Gesicht ausbreitete, konnte er nichts ausrichten. Also sagte er laut und deutlich: »Eine Quelle bei Hofe, welcher ich zu trauen lernte, teilte mir mit –« »Sagt uns, um wen es sich handelt«, forderte Daragus unwirsch, »denn wenn es ein vertrauenswürdiger Höfling ist, dann ist er der Erste seiner Art!« Belklarravus schrie beinahe auf vor Wut ob der Unterbrechung, aber der Drang verschwand binnen eines Augenblicks,
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und er war froh über das unterdrückte Kichern rings um den Tisch, ermöglichte es ihm doch, sich wieder zu fassen. Als wieder alles schwieg, bedachte er die Versammelten mit einem dünnlippigen Lächeln und begann von neuem. »Eine Quelle bei Hofe, welcher ich zu trauen lernte, teilte mir mit, dass der König das Fürstentum von Hellbanner wiederherzustellen gedenkt, was bedeutet, dass Sart und Gilth ihren Status als unabhängige Städte verlieren werden.« »Die Städte würden ihre Tersepte verlieren«, murmelte Telabras. »Und Ihr seid fest entschlossen, das unter allen Umständen zu verhindern.« »Ich – ganz genau«, stotterte der Fürst von Sart. Er stellte fest, dass ein anderer die Worte ausgesprochen hatte, die eigentlich aus seinem Mund hätten kommen sollen. »Werte Herren, das Tal muss von dem Auferstandenen König befreit werden!« Vor Aufregung schrie er diese Worte beinahe heraus, und die Lautstärke ließ die Karaffen leise klingen, während seine Gäste schweigend dasaßen und nickten. Schließlich sagte Phelodiir von Sirlptar in mildem Ton: »Nun, das ist gewisslich ein Ziel, welches klar genug formuliert ist, um uns nicht dem Verdacht der ›heimtückischen Verschwörung‹ auszusetzen. Wenn wir Hochverrat begehen, dann sollten wir aber wenigstens etwas Sinnvolles beschließen; es wäre ein Jammer, wenn uns wegen leerer Worte die Knochen aus dem Leib gerissen und wir zum Sterben in die Sonnenhitze geworfen würden.« »Dann lasst uns mit leerer Höflichkeit und Streitgesprächen aufhören«, stieß Daragus hervor, »und Klartext reden! Lasst uns folgendermaßen beginnen: Der Aufstieg Aglirtas unter
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einem starken König kann unter allen Umständen nur eine starke Bedrohung unser aller Reichtum und unserer gegenwärtigen Unabhängigkeit bedeuten. Stimmt ihr mit mir überein?« Alles um den Tisch herum nickte. Der Tersept von Sart öffnete den Mund, um wieder die Führung des Gesprächs zu übernehmen, aber der Agent aus Gilth schnappte: »Noch einen Augenblick, mein Fürst. Bevor wir uns in wilden Vermutungen ergehen, lasst uns doch über die Spieler in diesem Spiel nachdenken. Fürsten und Tersepte überall im ganzen Tal sitzen mit uns im gleichen Boot: Alle müssen ihre Herrschaft aufgeben und die Schwerter, welche ihnen gehorchen, und keiner traut sich so recht, das offen auszusprechen oder sich Treibschaum zu widersetzen. Allesamt warten sie darauf, dass sich irgendeine Gelegenheit ergibt, welche sie von der Unterwerfung unter Schneestern befreit. Wenn wir ihnen eine bieten, werden sie auch danach greifen.« »Und das Tal zurück in Blutvergießen stürzen«, warf Daragus rasch ein, »aber lasst uns jetzt nicht in diese Richtung abschweifen. Die anderen Spieler sind von alters her die Zauberer, von denen es drei Sorten gibt: diejenigen, welche zu kümmerlich sind, um von Bedeutung zu sein, dann solche, die allein nicht stark genug sind und deshalb an der Seite dieses oder jenes Fürsten oder Tersepten stehen, und dann die wenigen mit echter Macht, welche den tödlichen Bannen von Silberbaums Dunklen Drei entkommen sind.« »Das wären also Tharlorn von den Donnern und Bodemmon Sarr«, bemerkte der Fürst von Sart, »und außerdem Embra Silberbaum und ein jeder der Drei, welcher noch am Leben ist.«
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»Oh, aber –«, widersprach Carthel, wurde jedoch von dem Agenten aus Gilth unterbrochen. »Geht davon aus, dass noch der eine oder andere am Leben sein mag«, sagte Daragus ungehalten, »und zieht zusätzlich auch noch weitere Fremdlinge oder andere verborgene Magie in Betracht, welche zum Vorschein kommen mögen, und geht weiter zu den anderen Spielern, an die wir nicht so gewöhnt sind: dieses Schlangenvolk und die Gesichtslosen.« »Noch mehr leere Worte!«, spuckte Phelodiir. »Wer erzählt jetzt Ammenmärchen?« Der Agent aus Gilth bedachte den in grüne Seide gehüllten Mann mit einem kalten Blick. »Stellt euch weiterhin vor, dass irgendwer, der einen Dwaer benutzt, sei es nun ein Koglaur oder nicht, diese letzte Gruppe der Spieler bildet. Überlegt außerdem, dass wir nichts Genaues über die wahre Macht der Dwaerindim wissen, dass sie aber mit großer Wahrscheinlichkeit groß genug ist, das Königreich für den zu gewinnen, welcher die meisten von ihnen ergreifen kann.« »Man soll Aglirta mit einem verzauberten Stein bedrohen, den man in der Hand tragen kann?«, spottete der Herr von Sart. »Haltet Euch von jetzt an ein wenig mit dem Trinken zurück, Daragus!« »Die Berichte aus Indraewyn«, schnappte der Agent aus Gilth, »sind sehr unterschiedlich, aber alle sagen übereinstimmend aus, dass in einer Zeitspanne, welche ein Mann für ein paar Atemzüge braucht, Gebäude zerstört und Zauberer – und zwar etliche – getötet wurden. Zauberer, welchen Banne zur Verteidigung zur Verfügung standen und die damit rechneten, bekannten Gefahren entgegenzutreten, vergesst das nicht. Nun stellt euch einen Mann vor mit einem der Steine
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in der Hand, der an einer Stelle steht, von welcher aus er eine Armee, eine Straße oder einen ahnungslosen Zauberer zu Staub zerblasen kann ... nun?« »Eure Worte leuchten mir ein«, stimmte ihm Telabras ruhig zu. »Wie schätzt Ihr die Schlangenpriester ein?« »Das sind schlimmere Tyrannen als der König«, erklärte Daragus ohne zu zögern, »und deshalb als Verbündete undenkbar – aber sollte ihre Macht rasch anwachsen, dann wäre es vielleicht tödlich, sie länger zu unseren Feinden zu zählen oder uns ihnen zu lange zu widersetzen.« »Nun, eins ist sicher, Eure Worte stimmen mich höchst heiter«, meinte Phelodiir von Sirlptar spöttisch. »Ich bin mir sicher, dass Ihr die Spieler, mit welchen wir rechnen müssen, bereits recht genau ausgemacht habt – aber ich hörte in Euren Worten keine Beschreibung der glänzenden Straße zum Sieg. Sicherlich habt Ihr einen Plan im Sinn.« »Nein, werter Agent, das habe ich nicht«, erwiderte Daragus klipp und klar. »Die halbgaren Pläne von Träumern sind zum Teil dafür verantwortlich, dass sich viel zu viele Jahre lang Fürsten bekriegten und Zauberer zu den Tyrannen von eigenen Gnaden wurden, als die wir sie kennen. Ich sehe keinen klaren Anführer für das Tal, ebenso wenig einen klaren Gewinner, abgesehen vielleicht von den Schlangenpriestern – aber nur als Heimlichtuer, die überleben, um die Überreste aufzuklauben, nachdem wir uns gegenseitig in Stücke gerissen haben, und nicht als Sieger auf einem Schlachtfeld oder in den Herzen des Volkes von Aglirta.« »Jetzt haben wir geredet und geredet«, sagte Carthel von Sirlptar schwerfällig, »und stehen noch genau da, wo wir uns befanden, als wir die Schwelle unseres guten Fürsten von Sart
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überschritten: in Sorge wegen des Zustandes des Tals, entschlossen, den gierigen Griff des Königs abzuwehren – und nicht einen Schritt weiter auf der Straße, welche wir gemeinsam ausgewählt haben. Und so stehen wir noch so da wie seit Jahrzehnten: Wir schauen zu, wie das Tal von einem Streit nach dem anderen zerrissen wird, während wir von dem träumen, was sein könnte, und dabei zusehen, wie unser Geld und unsere Macht entschwinden.« »Ich habe keine großartigen Pläne«, erklärte Daragus den anderen. »Ich kam her in der Hoffnung, der Fürst von Sart könne mit einem aufwarten. Ich bin mir hinsichtlich der tatsächlichen Macht des Königs nicht sicher genug – ganz zu schweigen von dem, was geschieht, wenn ein Fürst sich ihm widersetzt. Dann werden wir vielleicht wissen, ob uns ein Löwe regiert oder eine tönerne Stimme oder jemand, der Blitze aus den Sagen herunterbefehlen kann, welche ihn hervorbrachten.« »Ich halte es für zu früh, uns jetzt schon zu erklären«, stimmte ihm Phelodiir zu, »aber es ist gewiss nicht zu früh, unsere Vorbereitungen zu treffen ... Wir sollten eine Übereinkunft treffen, ihr Herren, sonst war all unsere Zeit, all unser Wagemut verschwendet.« »Nun gut«, meinte der Tersept von Sart und beugte sich vor. »Lasst es so vonstatten gehen: Wir verständigen uns hier und jetzt auf eine neue Versammlung – und zwischen heute und diesem Tag schmieden wir Pläne, welche uns als Erfolg versprechend erscheinen, und besprechen sie bei diesem Treffen miteinander. In der Zwischenzeit wird jeder königliche Herold, jeder Gesandte oder Bote, der nach Sart kommt und lediglich von
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einer Hand voll oder noch weniger Leibwächtern begleitet wird, verschwinden, so fürchte ich. Der Tumult, welchen des Königs eigene Anordnungen und sein Mangel an Schwertern der Gerechtigkeit verursachen, hat die Straßenräuber in letzter Zeit so dreist werden lassen. Ich kann kaum glauben, dass der Rest des Tals – Gilth zum Beispiel, und sogar Sirlptar – viel sicherer ist. So viele der Bewohner von Aglirta fürchten schließlich die Finger eines Königs, welchen sie kaum kennen ...« Die drei Männer aus Sirl brachen wie ein Mann in Gekicher aus. »Seidene Worte, so scharf wie ein Schwert«, murmelte Telabras, »und so süß wie gute Sangeskunst. Wo sollen wir uns wieder treffen?« »In Sirlptar«, schlug Daragus von Gilth eilig vor. »Wenn wir uns dort treffen, erregt das am wenigsten Aufmerksamkeit – und ich bin mir sicher, dass drei von uns an diesem Tisch genug Macht übrig haben, um den Ort, an welchem wir uns treffen werden, gegen königliche Spione abzusichern. Jetzt müssen wir uns nur noch über das ›Wann‹ einig werden.« Phelodiir von Sirlptar schaute seinen Gastgeber an, welcher stumm fragend die Brauen hochgezogen hatte, nahm das leichte Nicken des Tersepten von Sart wahr und sagte: »Nun, dann lasst das nächste Treffen doch in genau einem Monat stattfinden, und zwar in der Nacht vor dem Fest des Drachenfalles. Wir treffen uns im obersten Stockwerk des ›Lindwurms von Windmark‹ in der Semblestraße, und ich werde mich darum kümmern, dass uns Räume zur Verfügung stehen. Das Wirtshaus befindet sich gleich unter dem Laternen-
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turm, auf der seewärtigen Seite in der Nähe von Orthils Löffel.« »Ich kenne es«, meinte der Agent aus Gilth und setzte seinen Kelch ab. »Wir sind uns also einig?« Ihr Gastgeber nickte und erklärte förmlich: »So lasst uns denn auseinander gehen. Ihr seid immer in diesem Hause willkommen.« »Meint Ihr das auch ehrlich?«, murmelte der Agent Carthel, als sich alle Männer gleichzeitig erhoben. Der Tersept von Sart musterte ihn für einen Moment, ohne zu lächeln, und erwiderte ruhig: »Nein. Nein, das tue ich nicht.« »Nein.« Der Zauberer hob sein vor Schweiß triefendes Gesicht und murmelte: »Nein, sie haben keine Magie hinterlassen, Herr.« Der Tersept von Sart nickte und befahl barsch: »Lasst mich allein!« Nachdem das Scharren des Krückstockes des alten Zauberers verklungen und durch das laute Dröhnen der zugeschlagenen Eingangstür ersetzt worden war, begab sich der Tersept zum Fenster. Die Handelsagenten von Sirl und ihre beiden Angestellten, welche ihnen gleichzeitig als Leibwächter dienten, trabten gerade mit ihren prächtig aufeinander abgestimmten Rössern inmitten einer Staubwolke aus der Burg. Er beobachtete, wie sie die Flussstraße entlang und allmählich außer Sicht ritten, bevor er die leere Luft fragte: »Ihr habt zugehört?« Eine riesige, staubige Schüssel aus getriebenem Metall stand oben auf einem dunkel glänzenden Schrank, welcher
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sich an der rückwärtigen Wand des Raumes befand. Etwas erhob sich aus der Schüssel und schwebte nach oben, obwohl es weder über Flügel verfügte noch über Hände, um sich hochzustemmen. Es handelte sich um einen abgetrennten menschlichen Kopf, welcher vor ausreichend langer Zeit den dazugehörigen Körper verlassen hatte, so dass jetzt graues, von Verwesung befallenes Fleisch den Schädelknochen bedeckte ... aber noch nicht lange genug, dass der Kiefer sich gelöst hätte. Ein dünner Schleimfaden troff von dem lose baumelnden Kiefer, als der Kopf sich zu dem Tersept von Sart umdrehte. In seinen Augenhöhlen glomm grausames, kaltes Leben. Der Kiefer bewegte sich für einen Augenblick, bis es ihm gelang, so etwas wie ein Lächeln zustande zu bringen. »Ja«, zischte der Schädel. »Mehr als genug.« Der Tersept nickte, da ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können. Er hatte den Zaubermeister von Silberbaum schon gefürchtet, als Ingryl Ambelter noch lebendig, heil und im fernen Silberbaum gewesen war. Er fürchtete den Kopf, welcher nur ein paar Fuß entfernt vor ihm in der Luft schwebte, unsagbar mehr. Der Schädel flog von den Ruinen von Indraewyn irgendwo in den Wäldern von Silberbaum hierher und wieder zurück, ohne sichtbare Mühe und schneller als ein Falke – und er schien in der Lage zu sein, Magie ganz nach Belieben zu wirken. Die trockene, rasselnde Stimme des Zaubermeisterkopfes erklang schon wieder, und dieses Mal noch ein Stückchen näher bei dem Tersept. »Wenn Ihr dieser Versammlung in Sirlptar beiwohnt«, be-
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fahl der Kopf, »versucht, Euch nicht überrascht zu zeigen, wenn alle von euch den gleichen Plan vorweisen.« Tersept Glarsimber Belklarravus schaute den grauen Kopf nicht an, als dieser noch näher heranschwebte und noch breiter grinste. Eisige Furcht schloss ihre Klauen um sein Herz, und er war viel zu sehr damit beschäftigt, heftig zu zittern.
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Schlachten und Tod C Hawkril schaute sich jeden Baum an, als lauere in jedem ein Feind mit gezogenem Schwert. »Hat der Zauber nicht angezeigt, in welcher Richtung sich der Stein befindet?« »Nein«, antwortete Embra knapp, »das hat er nicht. Ich habe nur ein blendendes Licht gesehen, das mir die Sicht nahm.« Dichte Brauen zogen sich zu einem Runzeln zusammen. »Also sind wir beinahe für ... nichts gestorben?« Die Zauberin stieß einen tiefen Seufzer aus und setzte sich auf die moosige Hügelflanke. Bei den Dreien, sie fühlte sich so müde. »Das könntet Ihr so sagen«, gab die Edle zu. »Andererseits teilt der Zauber uns Folgendes mit: Wir befinden uns ganz in der Nähe des Steins, welchen wir suchen – und wir können uns fast sicher sein, dass ein Feind des Königreichs ganz nahe ist. Ich kann nicht glauben, dass auch nur einer der Dwaerindim nicht benutzt wird. Ich nehme auch nicht an, dass auch nur einer derjenigen, welche derzeit einen Dwaer in Händen
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halten, nach all dem Hader ein Freund des Königs sein wird ... oder sonst jemandes, welcher ihnen im Weg steht.« Der Ritter nickte ebenso knapp, wie sie ihn zurückgewiesen hatte, stampfte mit den Füßen, wog sein Schwert in der Hand und schritt ein paar Schritte von ihr weg, um dann wieder herumzuwirbeln und zurückzustampfen. Embra machte keine Anstalten aufzustehen, trotz Hawkrils offensichtlicher Unruhe und dem Gefühl von Spannung, welches über dem Hügel hing. Der Stein klopfte in ihrer Hand, und sie konnte ihren Gefährten von den Gesichtern ablesen, dass diese sich genauso fühlten wie sie – benommen und wirr im Kopf wie ein Zauberer, der einen ganzen Tag lang ohne Rast Banne gewirkt hat. Hawkril musterte die Bäume mit einem weiteren misstrauischen Blick, drehte sich auf dem Absatz um, schaute in alle Richtungen und fragte zögerlich: »Saugen einem alle Zauber so viel Leben aus, um zu wirken?« Die Herrin der Edelsteine zuckte mit den Schultern. »Viele nehmen einem viel mehr; dieser hier war milde, da ich ihn mit dem Stein gewirkt und ihn erst auf euch drei gelenkt habe, nachdem er begonnen hatte.« Der Hüne runzelte die Stirn. »Dieser Zauber – was war das eigentlich genau?« »Ein Fehler«, erwiderte Embra unumwunden. »Still jetzt!«, fügte sie hinzu und streckte einen Finger aus. »Craer hat etwas gehört.« Der Beschaffer kauerte geduckt unter den Blättern des nächsten Baumes und hatte den Kopf dicht an den Boden gepresst. Eine Hand hatte er erhoben, um nötigenfalls ein Zei-
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chen geben zu können. Er hatte lange Zeit in dieser Stellung ausgeharrt, während Sarasper sich langsam am Fuß des Hügels entlangbewegte und in eine andere Richtung lauschte. Der Hügel hatte irgendetwas an sich, das Unbehagen auslöste; es schien hier eine Wachsamkeit zu geben, eine Spannung in der Luft. Vielleicht stand ja gerade jetzt ein Feind gleich hinter ihnen und benutzte einen Dwaer-Stein, um seine wahre Gestalt zu verbergen und wie ein Baum auszusehen. Oder vielleicht – Craers Arm fuhr nach unten. Einen Augenblick später wirbelte der Beschaffer herum, raste den Hügel hinauf und schrie: »Langzahn! So groß wie ein Pferd – oder noch größer!« »Wo?«, knurrte Hawkril, als sein Freund an ihm vorbeischoss. Der Ritter starrte angestrengt auf die Stelle, an der sich eben noch sein Freund befunden hatte. In seiner Hast, von dort wegzukommen, hatte der Beschaffer Zweige in Bewegung versetzt, welche jetzt auf und nieder wippten. Die Zweige schnellten nach unten, fuhren raschelnd wieder nach oben – und wurden zur Seite gefegt, als das beutegierige Ungeheuer aus ihnen hervorbrach, wobei es eine Wolke aus abgerissenen, zerfetzten Blättern aufwirbelte. Manche bezeichneten dieses Wesen als »Wolfsspinne« wegen seines Aussehens, obwohl es zu keiner der beiden Tierarten zählte. Seine zahlreichen Glieder bewegten sich zwar wie die Beine einer Spinne, aber es wies Fell auf und einen Wolfskopf, dessen vor Speichel tropfende Fänge so weit aufklafften wie eine offene Tür. Dieses Exemplar war zweimal so
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groß wie Sarasper, wenn dieser die Langzahngestalt annahm, und seine zottigen grauen Schultern maßen dreimal die Breite von Hawkril. Dicke, grau behaarte Muskelstränge zogen sich an seinem Rücken und Hals entlang, als es in einer unheimlichen Bewegung herbeinahte – denn für alle Welt sah es so aus, als schwebe es über den Boden, statt ihn zu berühren, so wie ein Pfeil, welcher langsam genug fliegt, dass man seinem Flug zuschauen kann, aber haarsträubenderweise zu schnell, um vor ihm davonrennen zu können. Hawkril knurrte, stemmte seine Füße in den Boden und hielt sein Kriegsschwert mit beiden Händen hoch über seinen Kopf, schwang es vor und zurück und summte wortlos vor sich hin, als warte er nur darauf, das Untier zu sich zu locken und in Stücke zu hauen. Craer hatte sich ein Stück über seinem Kameraden keuchend umgedreht und zog seine Dolche, welche er an allen möglichen Stellen an sich geschnallt trug, bis er drei fächerförmig in einer Hand hielt und einen vierten in der anderen, um ihn den ersten hinzuzufügen. Die Augen des Langzahns sahen wie kalte, weiße Todeslichtlein aus und nicht wie die goldschimmernden, welche an dieser Stelle eigentlich hätten leuchten sollen. Embra schrie Sarasper bereits eine Warnung zu, er solle einen Zauber vorbereiten, denn das Ungeheuer raste schon den Hügel hinauf und stürzte sich auf den Hünen. Seltsamerweise unternahm es keinen Versuch, dem Schwert des Ritters auszuweichen. Stattdessen empfing es einen mächtigen Hieb, welcher zwei seiner Beine verkürzte und ein Brustbein freilegte. Aber der Langzahn verlangsamte
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seinen Lauf nicht und schreckte auch sonst nicht zurück, sondern rannte den Ritter samt seinem Schwert über den Haufen. Heißes schwarzes Blut durchnässte Hawkril und rauchte auf dem Moos, als der Langzahn den Ritter umklammerte, herumrollte und immer wieder herumrollte und dabei versuchte, sich durch die Rüstung zu beißen. Craer sprang ihm nach, trieb einen Dolch bis zum Heft in das Ungeheuer und benutzte den Griff als Steigeisen, um bis zum Hals des Untiers hochzuklettern. Dort klammerte er sich verzweifelt fest, da es ihm nicht gelang, bis an das Auge heranzureichen, in das er seinen zweiten Dolch stoßen wollte. Während er die Finger in das stinkende Fell grub und inmitten all des Gebrülls und Getöses die Zähne zusammenbiss, schrie er laut, was ihm gerade in den Sinn kam: »Dieses Biest macht geradezu den Eindruck, als wisse es nicht, was es bedeutet, ein Langzahn zu sein!« »Bis jetzt ... schafft ... es das ... ganz gut!«, gurgelte Hawkril von irgendwo unter dem Ungeheuer. Er rang unter dem Gewicht, das sich auf ihn gesenkt hatte, nach Luft. Embra hatte ein paar Worte auf den Stein gehaucht und trat dann zurück, um die Ergebnisse zu beobachten. Wie riesige Rosendornen geformte beinerne Zähne ragten aus beinahe allen Gliedergelenken des Langzahns. Die einzige Ausnahme bildeten zwei nackte Vorderbeine, an deren Enden sich kleine, zuschnappende Kiefer befanden. Dieser Langzahn war so riesig, dass diese »kleinen« Vorderbeine größer waren als Hawkrils Kopf – und eines dieser Beine langte nun nach hinten über den Wolfskopf und schnappte nach dem Mann auf seinem Rücken.
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Craer zog sich mit einem Wimmern zurück und stach mit seinem Dolch nach den bedrohlichen Fängen. Knurrlaute teilten ihm mit, dass Hawkril sich tief unter ihm anstrengte, irgendetwas zu tun, und Sarasper schoss mit gezückter Klinge vorbei in Richtung des Langzahn-Hinterteils, aber dem Beschaffer blieb nicht die Zeit, mehr zu sehen, denn das zweite Bein streckte sich nach ihm aus! Der Langzahn hatte allem Anschein nach zeitweise den Versuch hintangestellt, sich durch Hawkrils Rüstung zu fressen, und zog es vor, dieses zustechende Ärgernis auf seinem Rücken zu beseitigen. Craer duckte sich krampfhaft unter den über ihn hinwegschwingenden Vorderbeinen weg und fühlte brennenden Schmerz und etwas Feuchtes, als ihm ein Zahn den Unterarm aufschlitzte und dabei den abgetragenen Lederärmel wegschob, als bestünde der aus Nebel. Er wandte sich von diesen Fängen ab und bemerkte dann, dass das andere Bein nach hinten zuckte, mit den Zähnen knirschte und in die Luft biss, bevor es zu ihm herunterschwang wie ein glitzernder, zuschlagender Streitkolben ... Es würde ihm nicht gelingen, den Zähnen zu entkommen, er würde – Im letzten Augenblick vor dem Zuschnappen klafften die Fänge weit auf – unmöglich weit. Die Zähne wuchsen und krümmten sich nach innen, während sie in rasender Schnelle länger wurden. Was geschah denn da? Was vermochte – Die Beinkiefer schlossen sich. Wenige Zoll vor seinem Gesicht knirschten Zähne zusammen und verklemmten sich. Sie verhedderten sich in einem Gewirr, welches immer dichter wurde, während Craer zuschaute ... und die Zähne wuch-
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sen immer weiter. Der Langzahn entließ ein überraschtes Brüllen in die Welt und schüttelte seine Beinkiefer. Als das nichts half, schlug das Untier mit zunehmender Wut die ineinander verhedderten Fänge aneinander in dem Versuch, das abzuschütteln, was sie halb geschlossen hielt. Der glitzernde Verhau von Zähnen bildete jetzt zwei unentwirrbare Dickichte, und beide Beinkiefer wuchsen zu – allerdings blieb der Kopf des Langzahns mit seinem vor Geifer triefenden Schlund davon unbeeinflusst. Furcht und Ärger gesellten sich zu dem Toben im Gebrüll des Untiers. Mitten in dem stürmischen Tumult hörte Craer Embra triumphierend auflachen, und daraufhin wusste er, wer seine Haut gerettet hatte. Der Langzahn bäumte sich auf wie ein Berg, der sich plötzlich dazu entschlossen hat, die Wolken zu berühren. Dann ließ er den Kopf niederfallen, um zuzubeißen, und der Beschaffer rutschte hilflos den Rücken des Wesens hinunter. Craer umklammerte jedoch krampfhaft den Dolchgriff, welcher in dem Langzahn steckte, und pflügte, vom Schwung des Wolfskopfes mitgerissen, holpernd über den Hügel, als er Hawkril schwach von irgendwo unter dem Untier her fluchen hörte. Der Ritter stieß knurrend Worte aus, die in einem feuchten Gurgeln endeten. »Hawkril?«, schrie der Beschaffer und kämpfte sich wieder auf das zottige Untier zurück. Dann duckte er sich seitlich tief hinunter, um zu verhindern, dass ihn die wild ausschlagenden Vorderbeine erschlugen. Dessen Fell glitzerte an mehr als einer Stelle dunkelrot, und Craer hörte Sarasper die Grunzlaute ausstoßen, welche immer anzuzeigen pflegten, dass der Heiler
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sein Schwert mit aller Kraft geschwungen und etwas so hart getroffen hatte, dass sich seine Hände taub anfühlten. Craer zog einen anderen seiner Dolche heraus, krümmte sich beinahe zu einer Kugel auf dem Hals zusammen, welcher jetzt wieder hochfuhr, und schrie: »Hawkril!« Irgendwo unter der haarigen, sich aufrichtenden Masse stöhnte der Ritter. Craer stieß den Dolch, an welchem er sich nicht festklammerte, mit aller Kraft in das Fell an seiner Seite, traf einen ziemlich tief liegenden Knochen und beobachtete, wie schwarzes Blut hervorquoll und ihm die Hand verätzte, bevor er die Klinge freibekam. Sein Freund war verletzt, und – Etwas traf Craer so fest an der Schläfe, dass er nur noch Dunkelheit vor Augen sah, durchsetzt mit einem Schauer blitzender Sterne, bevor die Welt mit einem Rauschen von ihm wegwogte. Er blinzelte ausreichend Tränen zurück, um etwas Großes, Dunkles über sich schwanken zu sehen, dann traf ihn auch schon der nächste Schlag, dieses Mal so hart, dass seine Zähne klapperten. Er wurde von dem Dolch weggerissen, an den er sich geklammert hatte, und von einem der Vorderbeine durch die Luft geschleudert, wobei das Gliedmaß ihm eine Rippe brach. Schmerz schoss durch seine rechte Seite und brannte noch schlimmer, sobald er auf dem Boden aufprallte, durch das nachgiebige Moos schlidderte und schließlich niesend zum Halten kam, wobei sein Kinn die feuchte Erde der halben Hügelflanke durchpflügte. Embra schrie unverständliche Worte, und ihre Stimme klang gleichermaßen von Furcht erfüllt wie dringlich, und hinter Craer erscholl ein furchtbares, krachendes und nagen-
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des Geräusch. Der Langzahn biss auf etwas herum wie ein Hund auf einem Knochen, welcher sich seinen Zähnen widersetzt. Hawkrils Rüstung, daran konnte kein Zweifel bestehen. Craer taumelte wimmernd auf die Füße – ja, gewiss war eine Rippe oder noch Schlimmeres gebrochen –, klappte zusammen, biss aber die Zähne zusammen und fasste den Entschluss, dem ins Gesicht zu sehen, was er als Nächstes zu tun hatte, und zog eines seiner langen Messer aus dem Stiefel. Der Langzahn warf den Kopf zurück, um etwas zu zerreißen, und für einen Augenblick, in welchem sein Herz auszusetzen drohte, glaubte Craer, es sei eines von Hawkrils Beinen. Dann sah er Stofffetzen und eingebeultes Metall, und er wusste, dass es sich lediglich um ein Bein von des Hünen hochgeschätzter Rüstung handelte – ohne Fleisch und Knochen darinnen. Hawkril lag, alle viere von sich gestreckt und blutend, neben der Wolfsspirtne und starrte regungslos in den Himmel. »Drei muss ich schützen!«, keuchte Craer und rannte gleichermaßen erschöpft wie verzweifelt los. Embra hatte die Arme ausgebreitet, und zwischen ihnen wogte ein schimmernder Lichtbogen, als ihr letzter Zauber versagte. Was auch immer sie gewirkt haben mochte, der Langzahn schien sich nicht darum zu kümmern – und während seines Laufes sah Craer die Edle unter den niedersinkenden Wolfskopf springen und sich den hungrigen Kiefern anbieten, um das Untier daran zu hindern, seine Zähne in Hawkrils hilflosen Körper zu bohren. Sarasper hockte ein Stück weit entfernt und fingerte fie-
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berhaft an einigen kleinen Gegenständen herum, welche er unter seiner Kleidung mit sich trug. Schon breitete er sie vor sich auf dem Boden aus und suchte zusammen, was er für seinen Zauber benötigte – aber würde ihm der rechtzeitig gelingen? Craer wusste, dass ein gewisser dahinschießender Beschaffer zu spät kommen würde – selbst wenn sein dünnes, fußlanges Messer diesen Menschenfresser irgendwie erwischen würde. Der Langzahn biss zu. Embra sprang zur Seite und lenkte seinen Kopf weg von dem festgenagelten und bewusstlosen Recken. »Ihr Götter«, keuchte Craer, »erlöst uns von diesem Monstrum!« Er ließ der Dreifaltigkeit keine Zeit, sein Stoßgebet zu beantworten, sondern sprang zum Hals des Langzahns und versenkte den stählernen Zahn in seiner Hand bis zum Heft. Das Untier brüllte vor Schmerz ohrenbetäubend auf und schwang den Kopf wütend zu dem Beschaffer herum. Aber er befand sich hinter den tödlichen Kiefern, dicht hinter dem herumfahrenden Schädel, und dort tanzte er hin und her, wobei er sich so mit dem Kopf bewegte, dass dieser sich nie ausreichend umdrehen und zubeißen konnte. Craer hackte und stach mit aller Kraft zu. Leider geriet Hawkril unter die Stiefel seines Freundes, und eine solche Wut packte Craer, dass sich ein Schrei seiner Kehle entrang. Er stieß zu, immer wieder zu, bis ihn sein eigener in Strömen fließender Schweiß blendete und ihn der Schmerz in seiner Seite schluchzen ließ. Er hämmerte mit der Faust auf das Untier ein, wann immer sich ihm eine Gelegenheit bot,
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und bewegte sich mit dem Langzahn im Kreis herum. Das Untier ließ den alle viere von sich streckenden Ritter links liegen, schleuderte Embra zur Seite und versuchte, den lästigen Quälgeist loszuwerden, der wieder und wieder zustach ... Der nicht allzu weit entfernt kniende Sarasper Kodelmer fand endlich die drei kleinen Figuren, nach welchen er gesucht hatte: die letzte Hand voll verzauberter Kleinigkeiten, welche er aus dem Schweigenden Haus mitgenommen hatte. Er schob zwei von ihnen zurück in seine Gürteltasche, wischte sich ein Endchen Band, welches er früher aufgelesen hatte, von den Lippen und band es mit zitternden Fingern um die kleine Figur, wobei er die immer näher kommende Wolfsspinne mit ihren immer bedrohlicher herabsausenden haarigen Beinen nicht aus den Augen ließ. Auf sein Drängen hin hatten vor einer Weile alle Mitglieder der Viererbande über das Band geleckt und somit Spuren ihrer selbst darauf hinterlassen. So es der Herrin des Hornes gefiel und er sich vollständig an den erforderlichen Zauber erinnerte, dann sollte es ihm gelingen, die derzeit in größter Gefahr schwebenden – und bei der Dreifaltigkeit nicht sonderlich mächtigen – Helden des Königs von diesem Untier aus den Hinterlanden wegzureißen und sie binnen eines Augenblicks in sein Lieblingszimmer im Meilen über Meilen entfernten Schweigenden Haus zu schaffen. Seinen Unterschlupf während seiner langen Zeit in Gestalt eines Langzahns. Bei diesem Gedanken lächelte Sarasper grimmig, hob das Figürchen und murmelte eine Beschwörung, welche aus irgendeinem gemütlichen Winkel seines Gedächtnisses in seinen Kopf schoss, als habe sie nur darauf gewartet, hinter einer Tür hervorzubrechen, welche er
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so lange für verschlossen gehalten hatte. Eine plötzliche Wärme durchflutete Sarasper, und eine prickelnde Flut überschwemmte seine Arme und sein Gesicht. Aus seinen Augen und seinem Mund sprühten leuchtende Funken, als die Flut hoch und aus ihm hinausströmte. Er zischte die letzten Worte des Zauberbanns und breitete die Arme aus, damit die Magie besser vorwärts floss. Ihre Macht brandete über ihn hinweg und versengte ihn, zerrte an seinem Inneren und ließ ihn erzittern und am dunklen Rand des Vergessens taumeln, während sich die sanfte Kurve des Mooses erhob und auf ihn zukam ... Einen Augenblick bevor sich Saraspers Gesicht in den Boden grub, wirbelte die Welt durch einen plötzlichen, alles verhüllenden Strudel blitzenden Lichts und vollkommener Finsternis – und er befand sich unvermittelt an einem ganz anderen Ort. Unter seinen Knien spürte er feuchten Stein, und Staub kitzelte seine Nase, bevor diese einen Moment darauf auf kalten Stein prallte und schmerzhaft darüber schrammte. Als er den Kopf zur Seite wandte, erhob sich in dem bierfarbenen Licht der vertrauten Höhle eine graue Masse, und ein überraschter Schmerzensschrei gellte in seinen Ohren. Ein tierischer Schrei, der beinahe Craers leises Fluchen übertönte. Er war wieder im Schweigenden Haus, und seine Gefährten ebenfalls. Bedauerlicherweise hatte der Zauber auch den Langzahn mit hierher gebracht ... Höflinge ziehen es vor, in Luxus zu schwelgen. Daher benötigen sie prächtige Gemächer, Quartiere für die Dienerschaft in diskreter Entfernung, Festhallen und andere großartige
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Räume, zudem eine ausreichende Anzahl von Küchen, Vorratskammern und Weinkeller. Wenn der König, welchem sie eigentlich gehorchen, Ratschläge erteilen und den sie bewachen sollen, keine große Zahl von Kriegern sein Eigen nennen kann, bedarf es keiner meilenlangen Korridore mit von Spinnen und Ratten bevölkerten steinernen Schlafkojen, Waffenkammern und Korridoren. Deswegen lagen weite Teile der Untergeschosse von Burg Silberbaum, welche vor der Rückkehr des Auferstandenen Königs eben solchen Zwecken gedient hatten, nun dunkel und still hinter Türen, die niemand mehr öffnete. Kein erschöpfter Mensch betrat mehr mit Fackeln oder Laternen die leeren Räume und Gänge, welche nun das Reich kleiner, dunkler, eilig umherhuschender Wesen mit schwarzen Knopfaugen waren und der geduldigen Schlangen, welche Jagd auf sie machten. In einem der Räume, der durch immer noch großartige dunkle Wandvertäfelungen noch düsterer wirkte als die umliegenden Korridore, erschien plötzlich etwas in der Luft. Etwas Rundes, Grinsendes, das auf unheimliche Weise in der Luft waberte, als es sich umdrehte, um nach nicht vorhandenen Feinden zu spähen. Es handelte sich um einen abgetrennten menschlichen Kopf, dessen graues, verwesendes Fleisch den Schädel umhüllte und in dessen Augenhöhlen ein kaltes, tödliches Glühen wohnte. »Nun denn«, sagte der Kopf in die dunkle Leere, »das ist nicht gerade ein Willkommen, das ein Barde besingen würde ... aber passend, denn der Schrecken kehrt nach Hause zu-
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rück.« Seine Kiefer mahlten für einen Herzschlag oder zwei in lautlosem Gelächter, während er sich wieder umwandte, die Kammer musterte, bis er auf einem hoch oben angebrachten Regalbrett das fand, wonach er gesucht hatte, und darauf zuglitt. Sie lagen noch so da, wie er sie hingelegt hatte: die mit einem niemals vollendeten, rastlosen Zauber belegten Zepter des verrückten Magiers Ladazzur von Arlund. Die Aufgabe zu Ende zu bringen hatte zu den Dingen gehört, für welche ein viel beschäftigter Magierfürst niemals die Zeit übrig gehabt hatte. Nun gut. Sie würden eben für immer unvollendet bleiben. Der schwebende Kopf des Ingryl Ambelter hing über den beiden Silberzeptern in ihren Futteralen und zischte ein Wort, das nachgerade durch die Unaussprechlichkeit zu kriechen schien, bis es schließlich herauskam. Grünes Feuer erwachte in den Kristallen im Inneren der Futterale, und es blitzte und blinkte und lief in zwei Linien kalten Feuers der Länge nach über Ladazzurs schlanke, unerfüllte Träume. Die gespenstischen Lichter in den Augenhöhlen des Schädels schienen jetzt stärker zu glühen, während der Kopf weitere Worte über die Zepter murmelte – und dann die Kiefer öffnete und das plötzliche Aufflammen hochschießender grüner Flammen in sich einsaugte, welche von dem dunkel anlaufenden, zerbröckelnden Silber aufröhrten. Grünes Feuer umhüllte einen lachenden Schädel und versengte die Decke, während die Zepter zu Asche zerfielen. Dann drehte sich Ingryl von der Wand weg und schwebte
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hoch, so dass er sich in der Höhe befand, in welcher sein Kopf sich befunden hätte, wäre der Magier noch am Leben gewesen. Dort hing er dann, während grünes Feuer zu dünnen Nebeloder Rauchfäden verging, welche sich aus dem Schädel wanden und zu Boden strömten, wo sie sich versammelten und wieder aufstiegen. Für eine lange Zeit, in welcher kein Laut erklang, schwebten sie auf und nieder, strömten hin und her in einer sich drehenden, langsam schwindenden Säule, welche sich jedoch an manchen Stellen zu verfestigen schien. Die solideren Stellen breiteten sich aus, formten sich zu Schultern und Ellbogen, bis ein letzter Nebelhauch erstarb und ein geisterhafter Körper unter dem Schädel hing. Der Körper machte ein paar vorsichtige Schritte, Füße ohne Zehen scharrten über die staubigen Bodenfliesen, und die Beine kämpften für einen Augenblick darum, Form anzunehmen. Der Schädel sank nach unten und erhob sich dann wieder, als der Körper unter ihm größer wurde und dunkler. Gespenstische Nebel hüllten den Schädel in Haut, welche jedoch keineswegs das formlose, verwüstete Grau, die kahlen Stellen, durch welche der nackte Schädelknochen schimmerte, noch die kalten Lichter anstelle der Augen verbarg. Ingryls neuer Köper erschauerte, wankte unter seinem stetig wachsenden Gewicht und holte zum ersten Mal Luft. Er benutzte sie, um einen langen, lauten Seufzer auszustoßen, da ihm sein wirklicher, zerstörter Körper in den Sinn kam, der jetzt verdreht und zerquetscht in einer dunklen Höhle am Fluss lag, mitten auf einem Haufen aus Felsbrocken, rostigen
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Schwertern und vielerlei verzauberten Gegenständen, welche ihn am Leben erhalten hatten, als er eigentlich dem Tode geweiht gewesen war. Zerbrochen, verrottet und ohne Hände und Füße – ein Gliedmaß war in die Luft gejagt worden, an den anderen hatten sich die Cray-Krabben und Blutaale des Silberflusses gütlich getan. Und jetzt sogar ohne Kopf ... aber das war jetzt Vergangenheit. Er würde diese Höhle für seine Zauberbanne wieder finden, falls nötig, aber jetzt musste er erst einmal seinen neuen, immer noch in Verzauberung befangenen Körper wirklich zum Leben erwecken und vervollständigen. Zu diesem Zweck musste er sein eigenes Fleisch verschlingen: ein Scheibchen, welches er einstens vor langer Zeit sorgfältig ganz in der Nähe in den Gewölben der Burg in einer Phiole zauberischen Elixiers verborgen hatte. Anschließend würde es an der Zeit sein, seinen einstigen Lehrmeister zu besuchen, um an die Lebenskraft zu gelangen, welche er benötigte. Jetzt gefunden zu werden, da er noch umherstolperte und verwundbar war, wäre alles andere als gut. Ingryl kämpfte gegen jede Voreiligkeit an und zwang die schwachen, ungeschickten Anfänge seines neuen Körpers dazu, sich langsam und mit Vorsicht zu bewegen. Als Erstes lehnte er sich in einer Ecke in den Winkel der dort zusammenlaufenden Wände, dann zwang er seine Essenz langsam bis in jede Fingerspitze der zitternden und bebenden Gestalt, auf dass sie auch wahrlich die seine würde. Weiter oben warteten Türen, welche sich nur auf die Berührung Ingryl Ambelters hin öffnen würden. Ganz zu schwei-
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gen von den Fallen ... Auf dem Boden befand sich ein verwischter Aschefleck. Ingryls Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. Der Fürst hatte also einen unglücklichen Wachtposten ausgeschickt, welcher das mit einem Zauberbann belegte Schloss aufbrechen sollte, und anschließend dessen Überreste beseitigen lassen. Fürsten waren solch vorhersehbare, brutale Narren. Ingryl küsste eine steinerne Tür an einer bestimmten Stelle und murmelte ein bedeutsames Wort. Viel lauter sagte er dann ein zweites, welches aber barer Unsinn war, und legte an einer anderen Stelle die Hand auf die Tür, welche daraufhin für einen kurzen Moment wegzuschmelzen schien. Wenige Augenblicke darauf hatte sie wieder ihre feste Form angenommen, aber in der Zwischenzeit hatte sich der Zauberfürst hindurchgeduckt und hinter den Vorhängen verborgen. Er hasste ihren feuchten, lauernden Schleim, aber sie waren notwendig: Netze, dick besetzt mit einem Vorhang aus kleinen, glitschigen Schleimwürmern, welche wie große, blasse aufgeblähte Maden aussahen mit ihren sich unentwegt windenden, umhertastenden Enden. Der Schleim seiner kleinen glitschigen Wächter fügte ihm kein Leid zu, wirkte aber tödlich auf andere Besucher. Nach all der Zeit waren sie immer noch am Leben und so geduldig und todbringend wie ihr Meister. Dahinter lag eine kleine, dunkle Kammer aus Stein, an deren Wänden Regale voller zerbeulter alter Schatullen befestigt waren. In einer befanden sich Salben und Zauberbücher, alle an-
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deren enthielten skelettartige Wesen, welche nach jedem greifen und ihn umklammern würden, welcher dumm genug war, sie zu öffnen. In der Mitte der Kammer stand ein niedriger Tisch mit einem Sarg darauf – mit Ausnahme von Ingryl Ambelter würden jedem, der ihn berührte, Blitze in die Hand fahren. Der Zauberer fragte sich kurz, ob der Fürst je geahnt hatte, wer hinter seinem Rücken in Wahrheit die Burg Silberbaum beherrschte. Und falls er sich nicht beeilte, würde das ganz gewiss nie wieder Ingryl Ambelter sein. Brennender Schmerz schoss in die Brust des Magiers, so dass er nur noch rasselnd zu atmen vermochte. Ingryl öffnete den Sargdeckel, schaute auf das Skelett in seinem hölzernen Gehäuse und legte die Hände auf die drei kräftigen Querstreben, welche sein Gewicht tragen würden. Die Mängel der von ihm gewirkten Magie – oder der Zahn der Zeit im Bezug auf Ladazzurs Zepter – wogen schwerer, als er angenommen hatte; die Anstrengung, zuerst auf den Tisch zu steigen und anschließend in den Sarg, ließ ihn zittern. Ingryl streckte sich auf den Querstreben aus, welche verhinderten, dass er das nur wenige Zoll unter ihm liegende Skelett zerdrückte, und umarmte das grinsende Gebein und keuchte einen Zauberbann. Ein unheimliches, pulsierendes Licht kroch über die Knochen und zog über den Zauberfürsten, ehe es wieder verschwand. Ingryl lag still da, lauschte auf das leise Geräusch eines an der Knochenhand zerbröckelnden Fingerknochens, dessen Überreste in die Tiefe des Sarges fielen, und lächelte.
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Er war wiederhergestellt und kräftig. Hütet euch, ihr Bewohner des Tales, denn Ingryl Ambelter schreitet wieder durch das Land! Oder würde das tun, sobald er wieder aus dem Sarg geklettert war. Ingryl nahm sich Zeit und ging die Sache mit Vorsicht an, und nachdem er die Aufgabe bewältigt hatte, stand er schweigend da, blickte auf die Knochen Gadaster Mulkyns nieder, des berühmtesten und zumindest bis jetzt gefürchtetsten aller Magier von Silberbaum. Außer Ingryl wusste niemand, dass er hier ruhte ... genauso wenig wie über sein tatsächliches Schicksal. Nach einem Augenblick versteifte sich der Zauberfürst. »Eine Ansammlung von Magie um mein ... Portal in Sirl?«, meinte er langsam und hob eine Braue. »Vielen Dank, Gadaster.« Er wandte sich zum Gehen und rief sich die Folge von Bannen ins Gedächtnis, welche er gewirkt hatte, um Gadasters Macht zu stehlen (und letzten Ende auch das Leben des alten Magiers). Keiner, Gadaster eingeschlossen, hatte je seine Klugheit übertroffen. Sein Werk befriedigte ihn zutiefst, zumal sein Geheimnis gewahrt geblieben war. Es handelte sich um meisterhafte Zauberei, und er hatte es nie gewagt, jemandem davon zu erzählen. Nun gut. Wie die Dinge standen, schien es höchste Zeit zu sein, aufs Neue meisterliche Zauberbanne zu wirken ...
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Acht
Eines Kämpfers Heim ist seine Burg C Die Wolfsspinne türmte sich über ihr auf. Embra streckte die leeren Hände vor in dem Wissen, dass sie keinen auch nur halbwegs wirksamen Zauber rechtzeitig genug zustande bringen würde. Sie wich mit wild um ihre Schultern schwingenden Haaren zurück, wobei sie hier und da Bruchstücke wirkte und versuchte, Wege nach draußen aufzuspüren und etwas über den Aufenthaltsort ihrer Gefährten herauszufinden. Die Fürstentochter kannte diesen Raum; sie befanden sich wieder im Schweigenden Haus, hergeschafft durch Saraspers verzweifelten Zauberbann ... Hawkril lag augestreckt und blutig in seiner angefressenen Rüstung da, und Craer schoss um haarige Beine herum und hackte und hieb mit einem langen Messer zu, während Sarasper erschöpft und mit aschfahlem Gesicht gegen eine Wand gesunken war. Embras kostbarer Dwaer befand sich irgendwo in den Eingeweiden der Wolfsspinne, denn das Untier hatte den Stein
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mit Stumpf und Stiel verschluckt, als es auf dem Hügel nach Embras emporgeschwungenem Arm geschnappt hatte. Die Viererbande war nicht in der Verfassung, diesen Kampf zu gewinnen. »Flieht!«, schrie Embra, aber vor allem, um herauszufinden, wie es um Sarasper stand. Seine Augen schlossen sich, als er wieder an die Wand zurücksackte, aber seine Lippen bewegten sich. Sie versuchte, seine Worte zu verstehen, aber ... »Torkeln würde eher passen«, rief ihr Craer zu. Einen Augenblick darauf hörte sie ihn vor Schmerz grunzen, als ihn ein durch die Luft peitschendes Bein zu Boden schleuderte und sein Messer von ihm fortklappern ließ. Er rollte einmal um die eigenen Achse, dann vor Schmerz wimmernd immer wieder vor und zurück und wand sich auf dem kalten Steinboden. Der Langzahn knurrte triumphierend und stelzte vorwärts. Ohne weiter nachzudenken eilte die Zauberin mit wedelnden Armen auf das Ungeheuer zu. Der zottige Kopf hob sich von dem Beschaffer, und die Wolfsspinne starrte Embra aus hungrigen goldenen Augen an. Das butterweiche Starren des Untiers verschärfte sich, als ihre Blicke sich trafen, bis die unheimlichen, von einem Zauber umfangenen Augen des Todes sie erneut anblickten. Ein tiefes Grollen löste sich aus der Kehle des Langzahns, und er schoss auf die Zauberin zu. Die Edle runzelte die Stirn. Die Schmerzen, welche sie dem Ungeheuer zugefügt hatten, mussten den Zugriff des Knochenzauberers auf die Wolfsspinne geschwächt haben, so dass sie manchmal ein Langzahn auf der Jagd und dann wieder der Diener eines Zauberers war, welcher über den Tod
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hinweg versuchte, die Herrschaft über das Ungeheuer zu behalten. Gerade jetzt beherrschte der Knochenzauberer den Geist der wütenden Wolfsspinne, und dafür, so mutmaßte Embra, musste sie dankbar sein. Aufgrund des Einflusses des Zauberers bewegte sich der Langzahn nämlich auf sie zu, statt sich Hawkril oder Craer zu schnappen, ihnen die Köpfe abzureißen und sicherzustellen, dass sie tot waren. Oder sie zu fressen. Embra wich zurück und schrie dem Ungetüm ihren wortlosen Zorn entgegen, wandte sich dann um und rannte davon. Wenn es ihr rechtzeitig gelang, zu Saraspers Beutel zu gelangen ... »Herrin«, zischte der alte Heiler mit zusammengebissenen Zähnen. Sein schweißüberströmtes Gesicht glich einer Maske des Schmerzes. »Zieht Euch zurück. Gebt mir Zeit!« Einer seiner Arme war länger, als er sein sollte, und hatte eine merkwürdige gelbe Farbe angenommen. Graues Fell spross hier und da aus dem sich verdickenden Gliedmaß und wurde immer dichter, während die Herrin der Edelsteine auf den Heiler zueilte. »Nein, Sarasper!«, schrie sie. »Sie ist zweimal so groß wie Ihr – falls es Euch überhaupt gelingt, Langzahngestalt anzunehmen, ehe sie ihre Zähne in Euch schlägt!« Er schüttelte den Kopf, als wolle er ihre Worte hinwegwischen, und sein Körper bebte. Als Embra nach seinem Beutel langte, verdrehte der alte Heiler die Augen, und sein Mund wurde schlaff. Dann kippte er um und zog sie mit sich. Embra wand sich verzweifelt unter Sarasper hervor und tastete dabei blind in dem zwischen ihren Körpern einge-
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klemmten Beutel herum. Sarasper hatte nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, um eine andere Gestalt anzunehmen, und Embra blieb nicht mehr die Zeit, irgendeine Art von Schlachtzauber zu wirken. Wie hieß es noch in dem alten Lied? »Zu wenig Zeit und zu viel Dringliches«. Als die Fürstentochter vor Hilflosigkeit und Verzweiflung laut seufzte, schlossen sich ihre Finger um die glatte Härte eines der Figürchen. Sie umklammerte es fest und rollte sich wild zur Seite, ohne sich darum zu scheren, ob sie den Beutel in Fetzen riss. Über ihr hockte der Langzahn, und in seinen Augen glommen noch immer die kalten weißen Lichtpunkte, während sich seine vor Speichel tropfenden Fänge öffneten. Die inzwischen von zerbrochenen, lächerlich lang gewachsenen Zähnen strotzenden Vorderbeinkiefer schwebten hoch in der Luft wie Keulen, welche nur darauf warteten, auf sie niederzukrachen. Embra rollte weiter und versuchte, unter dem Untier wegzukommen, bevor es sie gegen die Steine ihres eigenen Palastes schleudern konnte. Aber sie wusste, dass ihr das nicht gelingen würde. Der Boden neben ihr dröhnte, und die Fürstin Silberbaum fühlte ein plötzliches, scharf brennendes Gefühl an der Kopfhaut, als sie sich im Wegrollen Haare ausriss, welche sich irgendwo verfangen hatten. Ein Schauer von nadelspitzen Zahnsplittern regnete auf ihr Gesicht – die Vorderbeine schwangen nach dem mächtigen Schlag wieder zurück, und die Wolfsspinne drehte sich um, starrte sie direkt an, senkte ihre weit klaffenden Kiefer und stieß auf sie nieder ...
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Embra kannte nicht mehr als vielleicht sechs Räume hinter diesem hier, ganz zu schweigen von den nicht ausgelösten Fallen im Schweigenden Haus. Einzig Sarasper konnte diese Verteidigungsvorrichtungen gegen dieses Ungeheuer benutzen – und Sarasper lag bewusstlos oder tot gleich hinter ihr. Es blieb der Herrin der Edelsteine überlassen, den Langzahn zu besiegen, welcher zubeißen und sie alle in einen Brei aus Blut und Knochen verwandeln konnte. Verdammt – immer blieb alles der Herrin der Edelsteine überlassen. Ihr war nicht bewusst, dass sie ihren Gedanken laut herausgeschrien hatte, bis Craers spöttische Stimme aus der Dunkelheit auf der anderen Seite des Langzahns erklang. »Natürlich. Manche Leute brauchen so lange, bis sie die kleinen Lektionen des Lebens begriffen haben.« Das Echo eines Stroms von Verwünschungen hallte durch den Raum, als sie ihn anschrie. Der Langzahn achtete nicht weiter auf den Beschaffer, welcher jetzt wieder auf den Füßen stand und mit dem Dolch zustach, sondern blieb Embra auf den Fersen. Sie rollte sich hinter eine Säule, und der Langzahn krachte in den steinernen Pfeiler, als sei der gar nicht vorhanden. Die Säule maß vier Fuß im Durchmesser und stützte seit Jahrhunderten die hohe Decke. Das feine Netz von Rissen, welche die in den Stein eingemeißelten Runen durchzog, breitete sich nicht aus, als der Raum erbebte und Staubwolken niedersanken, und die Säule bewegte sich auch nicht. Der Langzahn brüllte vor Schmerz und taumelte weg, versuchte dann aber, die Säule zu umrunden und nach der Zau-
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berin zu schnappen, welche rollend zu entkommen trachtete. Sie hatte noch all ihre Gliedmaßen, außerdem besaß sie noch das Figürchen. Aber ihr blieb keine Zeit, Atem zu schöpfen, noch sich einen Zauberbann ins Gedächtnis zu rufen oder gar zu wirken. Brüllend vor Zorn kam sie auf die Füße und schoss davon, und dicht hinter ihr schlossen sich die mächtigen Kiefer des Langzahns um leere Luft. »Fürstin Embra!«, erklang irgendwo zu ihrer Rechten Craers Stimme. »Kann Euer Zauber heilen? Benutzt den Stein!« Der Langzahn krachte gegen eine weitere Säule und zerschmetterte mit einem seiner nutzlosen Vorderbeine den Boden neben ihr. Embra sprang aus dem Weg und schrie zurück: »Der ist im Inneren des Ungeheuers. Hawkril ist verletzt, oder?« Der Beschaffer überraschte sie. »Es geht ihm schlecht«, rief Craer nach ein paar leise ausgestoßenen Flüchen, »aber wir brauchen Sarasper dringender. Ich kann den Weg nach Adeln zurückverfolgen, aber ich weiß nicht, wie wir von hier aus dorthin gelangen ... und dieses Ende des Hauses ist mit Fallen gespickt!« »Bei den Klauen des fröhlich tanzenden Dunklen!«, spuckte Embra. »Will denn gar nichts zu unseren Gunsten ausfallen?« »Wo bliebe denn dann unser Abenteuer?«, rief der Beschaffer fröhlichen Tones zurück. »Und unser Heldentum? Die Taten der mächtigen Viererbande, von welchen die Barden künden sollen?« »Craer«, stieß Embra wild hervor, während sie eine kurze
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Treppenflucht zu einer in den Raum ragenden Galerie hinaufkeuchte, deren unvollständiges Geländer schon vor einer ganzen Weile weggebrochen sein musste, »Barden singen über so gut wie alles. Und wenn wir nichts vollbrächten, dann würden sie etwas erfinden!« Zahne schrammten über Stein, als Vorderbeine versuchten, sie von den Füßen zu fegen. »Mir wäre es lieber, sie jetzt alle hier versammelt zu sehen«, fügte sie hinzu und warf sich zwischen gezackte Steine, wo ein Loch in der Galerie klaffte, um so weit wie möglich aus der Reichweite des Langzahns zu gelangen. »Sie könnten uns beim Kampf gegen dieses Ungetüm hier helfen!« »Herrin«, schrie Craer zurück, »erinnert Ihr Euch daran, wie Dir seinerzeit in den Ruinen diesen Nachtlindwurm beschworen habt – als Ihr noch versklavt wart? Könntet Ihr das wieder tun, auf dass er dem Untier in den Schlund fliegt?« »Bei Sargh, Craer«, schrie sie beinahe, »das würde ewig dauern ...« Der von dem Zauberer beherrschte Langzahn versuchte, sich auf die Galerie zu hieven in dem Glauben, Embra sitze in der Falle. Aber die bröckeligen Steine, geschwächt vom Wasser, welches hier seit Jahren eindrang und jeden Winter zu eisenharten Fängen gefror, brachen unter seinem Gewicht und senkten sich mit ihm nach unten. Embra mochte eben genug Zeit bleiben. Sie stemmte ihre Schultern gegen zerborstenen Stein, hielt das Figürchen hoch, richtete ihren Willen darauf und stimmte einen erschreckend einfachen magischen Singsang an. Der von dem vom Zauberer beherrschten Langzahn vergessene Craer machte sich vorsichtig auf den Weg quer durch
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den Raum zu dem auf dem Boden liegenden Sarasper. Dank all der Menschen mit ihren Bögen und des Vergnügens, welches die Nachtlindwürmer daran fanden, Menschen wie auch ihr Vieh zu verschlingen, nahm es einen nicht wunder, dass die fledermausartigen fliegenden Schrecken heutzutage nicht mehr allzu häufig im Tal anzutreffen waren. Aber warum hatten sich Zauberer nicht mit Hilfe von Schwärmen dieser Kreaturen gegenseitig bekriegt? Sarasper lag seltsam verdreht und inmitten von vor langer Zeit von der Decke gefallener Steinsplitter auf dem Rücken. Craer streichelte die Hand des alten Heilers wie eine ängstlich besorgte Mutter, die ein krankes Kind aufwecken möchte. »Sarasper?«, flüsterte er. »Könnt Ihr mich hören?« Der auf dem Steinboden alle viere von sich streckende Mann gab ein leises Stöhnen von sich, dann drehte er den Kopf ein wenig und murmelte etwas. Craer beugte sich über ihn und brachte sein Ohr so nahe wie möglich an die stammelnden Lippen. »Scheint, wir mussten immer ... rennen ... und kämpfen ... und hielten dabei Aglirtas Schicksal in Händen ... es zu retten oder dem Untergang zu weihen«, flüsterte Sarasper in die Dunkelheit. »So müde ... lasst es fallen. Lasst es fallen, auf dass es zerbricht und wir all der Mühen ledig sind ...« Craer überlief ein Schaudern. Nur einmal zuvor hatte er einen Mann so sprechen hören. Der Mann hatte das Leben fahren lassen, war zusammengesackt und gestorben, und all das binnen eines Tages und einer Nacht, und noch dazu ohne eine Wunde oder sonst irgendeine Spur an seinem Leib. Aber war Sarasper zu Tode erschöpft oder befand er sich wieder in
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der Gewalt irgendeines lauernden Magiers? Sie brauchten ihn. Sie brauchten seine Gewitztheit, seine Heilkraft und seinen feurigen Kampfeswillen ... oder sie würden hier alle sterben. Aber wie sollte er das Feuer wieder zum Aufflackern bringen? »Embra?«, schrie er und schaute gerade zur rechten Zeit hoch, um den Langzahn endgültig auf die Galerie krabbeln zu sehen. Um das Untier herum erklang das Knirschen sich verschiebender Steine. »Embra, ich brauche Euch hier!« Der Langzahn suchte sich hierhin und dahin tastend seinen Weg, schob sich weiter, spähte zögernd nach vorn, suchte – Und fand. Aus dem Dunkel schoss ein Sturzbach dunkler Schwingen, schlug so rasch und geschickt zu wie eine Schwertklinge, mitten in den Schlund der Wolfsspinne, erstickte deren Brüllen und wirbelte das den Hals verdrehende Untier von den stolpernden Beinen. Die aufgeschreckten, wütenden Schreie des Langzahns verwandelten sich in eine Kakophonie erstickten Gurgelns; schwarze Schwingen schlugen wie entfesselt auf und nieder – und mittels schierer Entschlossenheit drängte die heraufbeschworene Kreatur die Wolfsspinne in die Bresche in der Galeriebrüstung und stopfte sie in den leeren Raum dahinter, wobei sich die Langzahnbeine zu einem Wust aus ausschlagenden, krabbelnden Gliedmaßen verschlangen. Der Nachtlindwurm löste sich bereits wieder in Nichts auf, während Craer noch zusah. »Bei der Dreifaltigkeit«, sagte er inbrünstig in die Leere des Raums. »Ich kann darauf verzichten, von irgendeinem Zauberer gejagt zu werden!«
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Schluchzend stolperte die Fürstentochter aus der Dunkelheit. Sie fiel schwer auf die Knie, umklammerte den offenbar schmerzenden Kopf und keuchte: »Was um alles in der Welt sollen wir jetzt tun, Craer?« »Herrin«, zischte Craer, »ich brauche Euch hier. Es geht um Sarasper! Er –« Die Herrin der Edelsteine hob mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf und fragte erschöpft: »Er liegt immer noch im Sterben, nicht wahr?« Craer stolperte auf die Füße. »Ja«, schnappte er. »Das tut er. Könnt Ihr ihm helfen ... oder taugen Zauberinnen nur zum In-Stücke-Blasen und Verbrennen und Betrügen?« Embra Silberbaum kroch auf Händen und Füßen ein Stück die Galeriekante entlang, bevor sie den dunklen Blick hob und über den Raum mit den vielen Säulen hinweg den Beschaffer anschaute. »Solltet Ihr versuchen, mich anzustacheln, Craer, dann hört bitte damit auf. Wenn Ihr indes Eure Frage ernst gemeint habt, dann muss ich mit ja antworten ...« Sie schloss die Augen und sank auf die Steine nieder. »Bei den Göttern!«, schrie Craer. »Muss denn jeder um mich herum umfallen und sterben?« Der Langzahn antwortete ihm mit einem feuchten Brüllen, welches eher von Wut denn von Schmerz kündete, und Craer hörte sein wütendes Scharren, als das Untier versuchte, sich aus dem Spalt zu befreien, in den es gestoßen worden war, und die Freiheit wiederzuerlangen. Und, so vermutete Craer, sich auf die Jagd auf das einzige Wesen zu begeben, das im Schweigenden Haus noch auf den Füßen stand: den Beschaffer.
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Seine Verzweiflung verlieh ihm Schnelligkeit. Einige wenige keuchende Augenblicke später, nachdem er über sich unter seinen Füßen drehende Steine gesprungen war, langte er hoch und berührte das Gesicht der Fürstin Silberbaum. Embra lag zusammengekrümmt da, und ihr Kopf hing halb über den Rand der bröckelnden Galerie. »Herrin«, sagte er und schüttelte sie so kräftig, wie er es nur wagte. »Herrin!« »Craer«, murmelte die Zauberin, »wenn Ihr wollt, dass ich mir Sarasper ansehe, dann müsst Ihr mich zu ihm tragen.« »Das kann ich nicht«, knurrte ihr Craer ins Gesicht. »Ich bin nicht groß genug!« Aber dann biss er die Zähne zusammen, griff nach oben, umfasste ihre Schultern und zog. Die Edle kam über die Kante gerutscht wie ein voller Sack Weizen und schleuderte ihn flach auf den Boden. Beide stöhnten gleichzeitig auf. Der Langzahn brüllte eine zornige Antwort, und Embra wälzte sich auf Craer, wobei ihm ihre Knie und Ellbogen blaue Flecke beibrachten, als sie sich unsicher hochkämpfte. »Helft mir, Craer«, stieß sie hervor und wankte weiter. »Ich ... kann ... nicht...« »Das ist merkwürdig«, meinte er und humpelte stöhnend auf sie zu, um ihr einen Arm um die Schultern legen zu können, »das habe ich doch glatt gemerkt!« Eine weiche und doch erstaunlich feste Brust presste sich gegen seine Wange. Craer sog einen tiefen Atemzug von ihrem Parfüm ein, hauchte ihn wieder hinaus und führte sie vorwärts. Als der Langzahn wieder brüllte, dieses Mal lauter und er-
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heblich eifriger, kam ihm ein Gedanke. Wenn er jetzt zu summen anfing, würde das Embra gewiss ein wenig wacher machen; sie würde das Vibrieren in der Brust spüren, und ... Er summte also, während sie sich ihren Weg über die Steine suchten, bis Embra kichernd in sein Ohr flüsterte: »Wenn Ihr mich zum Lachen bringt, werde ich nicht in der Lage sein, was auch immer zu tun Ihr von mir verlangt, ehe der Langzahn uns alle verschlingt!« »Das Risiko gehe ich ein«, erklärte Craer fröhlich. »Hauptsache, Ihr liegt nicht mehr einfach da und wartet darauf, aufgefressen zu werden, so wie Hawkril und Sarasper.« Dank seiner entschlossenen Worte schafften sie es bis zu dem Heiler. Sarasper lag immer noch mitten zwischen den Steinen auf dem Rücken, so wie sie ihn verlassen hatten. Embra blickte auf ihn nieder und seufzte. »Ich bin keine Heilerin, Craer.« »Herrin, wir brauchen sein Wissen – wo wir mehr Familienzauberbanne finden, welche Ihr für Eure Magie anzapfen könnt, wenn sonst nichts anderes«, sagte Craer wild und zwang sie beinahe in die Knie. »Er hat noch eines dieser Spielzeuge übrig – nur noch eines –, und ich brauche Euch, auf dass Ihr ihn damit heilt und wieder aufweckt und wieder munter macht!« »Craer, ich kann das nicht«, erklärte ihm Embra. »Ich weiß einfach nicht, wie. Ich kann Verbrennungen rückgängig machen und vor meinen Augen geschlagene Schwertwunden, ja, aber ...« »Herrin, er hat den Willen verloren, hier bei uns zu sein«, unterbrach der Beschaffer die Zauberin und packte sie so hart bei den Schultern, dass die Herrin der Edelsteine aufkeuchte
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und ihn aus Augen anstarrte, welche vor Schreck und Schmerz weit aufgerissen waren. »Ich brauche Euch, um ihm den Lebenswillen zurückzugeben und ihn dazu zu bringen, sich selbst zu heilen. Könnt Ihr die Magie dieses Tandes in seinem Beutel aufnehmen und in ihn einfließen lassen, damit er die Heilung vollziehen kann? Und verdammt, kann er Hawkril helfen?« Embra nickte. »Zum Sargh noch mal, Craer, lasst mich los«, befahl sie mit einem leisen Wimmern. »Ihm seinen Lebenswillen zurückgeben?« »Küsst ihn, Herrin«, erwiderte Craer mit noch immer wilder Miene. »Haltet ihn, streichelt ihn und flüstert seinen Namen wie den eines Liebhabers. Sorgt dafür, dass er es fühlt, gebraucht zu werden, und erinnert ihn daran, wie es ist, in Armen gewiegt zu werden – bei der Dreifaltigkeit, leckt meinetwegen die Spitze seiner von der Schlange verdammten Nase!« »Und während ich mich derart über Sarasper hermache, was wollt Ihr indessen tun?« Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung beugte sich der Beschaffer zu seinem Fußknöchel nieder und straffte sich auch schon wieder. Etwas Glänzendes schoss in die Luft – nur um mitten im Flug von geschickten Fingern gepackt und zum Stillstand gebracht zu werden. Craer winkte schwungvoll mit dem Messer und wies mit dessen Spitze auf die Galerie. »Ich werde«, kündete er großspurig an und wies auf die auf und nieder fahrenden Beine, welche anzeigten, dass der Langzahn Anstalten machte, sich freizukämpfen, »einen Langzahn aufhalten. Allein.«
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Embra schüttelte den Kopf und schenkte ihm ein reumütiges Lächeln. »Beschaffer«, sagte die Edle schließlich, »haben Jahrhunderte gebraucht, bis einer von ihnen eine sinnvolle Tätigkeit gefunden hat. Und ich bin Zeugin dieses Ereignisses.« »Herrin«, brummte Craer, »Ihr mögt nicht vertraut sein mit all den rüden Gesten, welche die niederen Ränge im Tal benutzen, aber –« Er führte ihr voller Begeisterung eine vor und verbeugte sich dann mit respektvollem Schwung, bevor er sich umdrehte und mit gezogenem Dolch wieder durch den Raum eilte. Embra schüttelte den Kopf und beugte sich vor, um nach dem letzten Figürchen in Saraspers Beutel zu tasten. »Das ist nicht die Art Benehmen«, teilte sie der regungslosen Gestalt des Heilers unter ihr mit, »welche man von einer Zauberin dieses oder irgendeines anderen Reiches erwartet. Ich hoffe, Ihr fühlt Euch geehrt.« Von den Lippen des alten Mannes drang ein ersticktes Geräusch, bei dem es sich um ein Ächzen, vielleicht aber auch um Zustimmung handeln mochte. Wie zum Echo erklang einen Augenblick darauf das Brüllen des Langzahns, begleitet von Craers gellendem Geschrei. Von irgendwo am anderen Ende des Raumes drang das Scharren von Metall auf Stein herüber, als der Lärm Hawkril Anharu aufweckte. Der Hüne stöhnte vor Schmerz. »Ihr Götter da oben«, fragte Embra die Wölbung der Decke, »kann ein Mädchen nicht ein wenig ungestört und für sich ganz allein bleiben? Nun?« Der Fürst von Glarond wandte sich von seinem Fenster ab.
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»Nun?« Sein Hofmagier hielt sich nicht mit einem Lächeln auf. »Ihr hattet Recht, werter Fürst. Sie sind zu den Ruinen zurückgekehrt und haben einiges in den Büchern gelesen, bevor sie angegriffen wurden.« »Angegriffen? « »Von einem Knochenzauberer und später von einem Langzahn. Sie verschwanden – ohne jeden Zweifel weggewirbelt von einem Silberbaumzauber. Seitdem ist es mir nicht mehr gelungen, eine Spur von ihnen zu finden.« »Zu dieser Aufgabe werdet Ihr unverzüglich zurückkehren«, bemerkte der Fürst in trockenem, unbeteiligtem Ton, welcher anzeigte, dass er gerade einen Befehl gab. Rustal Faulkron neigte den Kopf. »Selbstverständlich«, antwortete er und drehte sich eilig zum Gehen um, fügte dann aber schnell hinzu: »Mein Bericht ist damit beendet. Gibt es sonst noch etwas zu tun?« Der Fürst von Glarond lächelte. »Nein, Faulkron.« Der Hofmagier schritt bereits davon, als der Fürst meinte: »Nun, eine Sache vielleicht. Wie kommt es, dass die Herrin der Edelsteine, dieses behütete Mädchen, die Zaubersklavin ihres Vaters, diese schwebenden Bücher lesen kann, während der Rest von euch Zauberern des Tals dies nicht vermag? Haben die Götter sie besonders gesegnet?« Faulkrons Miene versteinerte. »Zum Ersten: Das weiß ich nicht. Zum Zweiten: Verehrter Fürst, die von den Göttern Ausgezeichneten erfahren selten mehr als eine kurze Begünstigung. Viel öfter droht ihnen ein dunkles, verhängnisvolles Schicksal, und Barden reißen sich darum, tragische Lieder darüber zu verfassen. Ich möchte um keinen Preis der Welt
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von den Göttern auserwählt werden.« Er schaute den Fürsten an, und die beiden Männer starrten einander für eine scheinbar endlose Zeit still und stumm in die Augen. Schließlich fuhr sich der Fürst langsam mit der Zunge über die Lippen und sagte: »Faulkron, Eure Weisheit erschreckt mich. Wieder einmal. Vielleicht haben die Götter Euch ausgezeichnet.« Der Hofmagier von Glarond antwortete nicht, sondern verließ das Zimmer, aber Fürst Audeman von Glarond kannte ihn lange genug, dass ihm die kaum merkliche Schutzgeste auffiel, welche der Zauberer vollführt hatte, bevor er sich in Bewegung setzte.
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Neun
Zuflucht in der Nacht C Manchmal glaubte Sarasper, die Götter hätten ihn auserwählt und bezögen ein besonderes Vergnügen daraus, einen alten, einsamen und zudem flüchtigen Heiler zu ärgern. Kein Traum konnte ihm die süße Wärme von Lippen auf den seinen vorgaukeln, auch nicht die Zunge, die kurz in seinen Mund schoss, und schon gar nicht dieses zärtliche Gurren: »Sarasper, kommt zu mir zurück. Kommt zurück!« Das war tatsächlich kein Traum. Das Prickeln, welches er verspürte, stammte von dem erwachten Feuer von Magie. Es wirbelte um ihn herum und durch ihn hindurch, ausgehend von einer schwindenden Härte auf seiner Brust – eine der Figuren aus seinem Beutel –, auf seinen Leib gepresst von dem warmen, weichen Gewicht von ... von ... Embra? »F-Fürstin Silberbaum?«, fragte er ungläubig in den Mund, der nach dem seinen suchte. Er versuchte sich aufzusetzen, stieß gegen Steine, welche wackelten und sich verschoben, und während er das Gleichgewicht wieder zu finden suchte, schloss sich seine Hand um etwas Warmes, Festes, bei dem es sich mit Sicherheit um keinen Stein handelte.
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Etwas Nacktes. Schockiert starrte er in die Augen der Herrin der Edelsteine, welche sich kaum ein paar Zoll von ihm entfernt befanden, und riss die Hand zurück, als hätte er einen brennenden Zweig berührt. »Was, Herrin –?« »Sarasper«, sagte die Zauberin entschlossen, »ich brauche Euch wach. Versteht Ihr mich?« Der Langzahn wählte diesen Augenblick aus, um ein Brüllen auszustoßen, und sie hörten Steine poltern und Craer fluchen. Zwei Köpfe drehten sich gleichzeitig um und sahen gerade noch, wie der Beschaffer hilflos von der Galerie weg auf den Boden taumelte und die Wolfsspinne wütend hinter ihm her fuhr. Ihre Köpfe fuhren wieder herum, wobei sich ihre Nasen beinahe berührten, und der alte Heiler verzog den Mund. »Nun, werte Dame, das habt Ihr«, meinte er, »aber –« Embra griff nach seinen Fingern und führte sie wieder zurück an ihre Brust. »Jetzt?«, murmelte sie. Sarasper entriss ihr wieder die Hand. »Herrin – Mädchen – lasst das sein!«, murrte er. »Sagt mir, was Ihr mich zu tun wünscht!« »Nutzt die Magie, welche ich mittels der Berührung unserer Haut in Euch fließen lasse, um Euch zu heilen«, erklärte Embra dem alten Mann, »und falls es Euch dann möglich ist, helft Hawkril, auf dass er wieder auf die Füße kommt und sich bewegen kann.« Die Edle schenkte dem alten Heiler ein brüchiges Lächeln und fügte rasch hinzu: »Danach brauchen wir Euch, um uns von diesem Langzahn wegzuführen, ohne dass wir in Fallen laufen. Außerdem müsst Ihr uns mehr Magie verschaffen, die
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wir beide wirken können –« Sarasper nickte beinahe krampfhaft. »Herrin«, knurrte er und versuchte, sie wegzustoßen, »zum Sargh, zählt Eure Wünsche später auf!« Der Langzahn krabbelte über die Steine, ohne auf den um ihn herumtänzelnden Beschaffer zu achten, welcher weiter auf das Untier einstach, wegsprang, wieder auf es zuhüpfte und wieder zustach und sich dann erneut wegduckte. Die Wolfsspinne lief geradewegs auf die Zauberin zu. »Heilt Euch!«, zischte sie, bevor sie sich in aller Ruhe aufrichtete, ihr Mieder zurechtrückte, ihre Ärmel ausschüttelte und dem heraneilenden Ungeheuer entgegenblickte. Sarasper starrte zu ihr hoch, während die Magie tröstlich und stärkend zugleich in ihn flutete. Bei der Dreifaltigkeit, es fühlte sich gut an. Eine reinigende, belebende Woge, welche seinen veränderten Arm zurück in die menschliche Form zwang und das schreckliche, leere Gefühl der Erschöpfung vertrieb. Aber er brauchte ein paar Augenblicke, nur ein bisschen mehr Zeit, und der Langzahn war schon so nahe. Embra Silberbaum schrappte mit den Fingern, und zwischen ihnen schoss Feuer heraus – ein kurzer, sengender Stoß, welcher die Augen der Wolfsspinne zum Ziel hatte. Der Langzahn schrie auf, kam aber weiter auf sie zu. Die Zauberin bewegte sich bereits zielbewusst von ihm weg, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich das entschlossene Lächeln kriegerischer Erregung ab. Wie erwartet folgte ihr der Langzahn. Sarasper blieb ruhig liegen, während ihn die letzten magischen Zungen ins volle und kribbelnde Bewusstsein zurück-
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peitschten. Er beobachtete den anmutigen Tanz der inzwischen zurückgewichenen Herrin der Edelsteine. Sie wich dem knurrenden Untier aus und umkreiste seinen gesenkten Kopf mit den gefährlich geifernden, weit aufgerissenen und nach ihr schnappenden Fängen. Die Augen der Wolfsspinne schimmerten einmal golden wie die eines Löwen, dann wieder kalt in einem allzu wissenden Licht. Wo befand sich der Dwaer-Stein? Die Edle hob warnend eine Hand, umfasste leere Luft, als könne sie sie greifen und von sich schleudern, und rief immer wieder in beinahe zärtlichem Ton: »Oh, Sarasper, braucht Ihr denn den ganzen Tag? Mir bleibt kaum noch genug Magie übrig, dieses Untier bei Laune zu halten!« Hatten sie den Stein verloren? Eine Ewigkeit schien zu verstreichen, bevor Sarasper auf die Füße kam, ihr wortlos zur Bestätigung zuwinkte und sich über einen Wald aus losen, sich unter seinen Füßen gefährlich verschiebenden Steinen auf den Weg machte zu der Stelle, wo der Ritter lag. Ungeschickt stolpernd, mit wedelnden Armen und leise und unablässig fluchend erreichte der Heiler schließlich Hawkril, wobei er ständig die immer näher kommende Wolfsspinne im Auge behielt. Als Sarasper auf den Ritter niederblickte, entfuhr ihm ein Wimmern. Der niedergestreckte Recke lag auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt und voller Blut. Seine Rüstung wies Beulen und Löcher auf, sofern sie nicht ganz fehlte. In ganz Darsar gab es keinen Heiler, welcher über genug Macht verfugte, all die Verletzungen zu richten und den Ritter wieder
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heil und gesund auf die Füße zu bringen. Aber vielleicht würde ein bisschen weniger für den Anfang ja genügen ... Sarasper verzog das Gesicht, biss die Zähne zusammen und zerrte hier und da zerfetzte Brustplattenstücke weg und entfernte verbeultes Metall von dem darunter liegenden bläulich verfärbten Fleisch. Als er gebrochene Knochen unter Geknirsche zurück an ihren Platz schob, stieß Hawkril ein leises Murmeln aus und rührte sich unter den Fingern des Heilers. »Und?«, schrie Embra zu Sarasper herüber, und ihrer Stimme konnte man Aufregung und Angst anhören. Sarasper blickte sie an und schüttelte den Kopf. »Geduld«, schimpfte er, »habt ein wenig Geduld!« »Erzählt das diesem Langzahn«, gab die Zauberin zurück, »und nicht mir!« Sarasper schenkte ihr ein freudloses Lächeln und beugte sich wieder zu seiner Arbeit nieder. Er spürte, wie ihn die Kräfte verließen und er wieder schwach und müde wurde, während seine Lebenskraft durch seine Finger in das mählich wärmer werdende Fleisch unter seinen Händen floss. Er musste diesen zerstörten, zerfallenden Teil des Hauses mit all den bröckelnden Möbeln und den Fallen verlassen und gewisse südlich und östlich gelegene Gemächer in den Tiefen des Schweigenden Hauses aufsuchen, welche nie von Plünderern heimgesucht und auch nicht von übertrieben kühnen Abenteurern im Dienste des vormaligen Fürsten Silberbaum durchstöbert worden waren. Er erinnerte sich an eine Kammer mit Wandvertäfelungen aus glänzendem grünem Marmor, in welcher ein großer
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Schrank stand mit der Spieluhrensammlung eines längst verblichenen Silberbaums, deren jede einzelne mit einem Zauberbann belegt worden war. Manche der verschwenderisch gearbeiteten Automaten glommen und pulsierten sogar geduldig über all die langen Jahre hinweg noch an Ort und Stelle. Dort musste er hin, um die Grundlage für das Heilen zu finden und dann Embra das gesammelte Feuer zu übergeben, welches ihre Schlachtzauber nähren würde, aber mehr als zwanzig Fallen warteten auf dem Weg zwischen hier und dort, und ... »Fürstin Embra!«, rief er, und die Aufregung ließ ihn beinahe brüllen. »Erinnert Ihr Euch an Thaalens Dunkle Zuflucht?« Die Fürstin Silberbaum verlor im knöcheltiefen losen Schutt den Halt und stolperte hilflos zur Seite, wobei sie einen Fluch in Richtung der grau behaarten Gliedmaßen ausstieß, die auf sie niederfuhren. Ein Messer blitzte auf, und die Beine zuckten zurück. Craer sprang über die Zauberin und summte fröhlich vor sich hin, während er mit dem Zahn seines hell blitzenden Dolches stach und hackte. Embra rollte sich auf Hände und Knie und knurrte, als Steine unter ihren verzweifelt zupackenden Fingern zerbröckelten. Dann schrie sie zurück: »Ja, zum Sargh, und was –« Als sie sich wieder auf die Füße gekämpft hatte, kam die Erinnerung an das Versteck im Schweigenden Haus zurück, eine innere Festung, welche ein sich vor jedem Gesicht, hinter welchem sich ein Mörder verbergen mochte, fürchtender Fürst erbaut hatte. Dorthin hatte er sich nächtens zurückge-
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zogen, das fiel ihr jetzt wieder ein, und sie fügte in ganz anderem Ton hinzu: »Oh.« »Genau«, rief Sarasper, als Hawkril unter seinen Händen aufstöhnte und die ersten schwachen Versuche unternahm, sich aufzurichten. »Falls Ihr als die Erbin von Silberbaum die Worte kennt, welche die Mächte der Dunklen Zuflucht heraufbeschwören –« »Die kenne ich«, rief die Zauberin zurück. »Diese Zauberbanne – sie wurden allen vom Blute der Silberbaums beigebracht als amüsanter Bestandteil der Familiengeschichte, da man glaubte, der Fluch mache sie wirkungslos – lieferten meinem Vater die Grundlagen zu seinen zur ›Lebenden Burg‹ gehörenden magischen Ketten, mit welchen er mich band. Aber wir müssen erst dorthin gelangen, und da sind die Fallen ...« »Überlasst die mir«, schrie der alte Heiler, »und merkt auf! Euer Liebling Hawkril weilt wieder unter uns!« Mit einem Knurren erhob sich der Hüne schwerfällig und versuchte sich an einem Lächeln. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Versuch, und er wankte bedenklich, als er mit wedelnden Armen in einem Halbkreis und unter Winseln vorwärts taumelte. Dann sah er den Langzahn. Hawkril erstarrte und stieß ein Knurren aus, und eine Hand schoss zu der Stelle, an welcher sich sein Schwert hätte befinden müssen. »Langsam«, grummelte Sarasper und packte die zerrissene, blutige Kleidung, welche den anderen Arm des Recken bedeckte. »Wenn Ihr direkt in diese Fänge lauft, dann wird das keine glorreiche, sinnvolle oder überhaupt irgendwie nützliche Sache sein! Ich brauche Euch dafür, dass Ihr das Untier
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anlockt und dann gleich weglauft.« »Oh?«, machte Hawkril und zerrte sein Kriegsschwert aus der zerfetzten Wattierung der Rüstung über seiner Brust und an seiner rechten Seite, wo die Waffe aufgrund des lastenden Gewichts und der zerschmetternden Schläge des Langzahns hineingetrieben worden war. »Und wie soll ich es weglocken, wenn es mich gar nicht beachtet?« »Bei den Göttern, Ihr werdet doch irgendeinen Auslöser für einen weiteren hirnlosen Kampf finden«, schnappte der alte Heiler. »Nun, achtet darauf, dass Ihr das Untier durch diese Tür lenkt, und passt auf – hört Ihr mir überhaupt zu?« »Aber sicher, Fürst aller Schlachten«, knurrte der Ritter, »durch die Tür dort drüben!« Dann stieß er ein wortloses Wutgebrüll aus, welches wie ein Angriffssignal schallte, und stürmte dann quer durch den Raum. Sein Angriff machte die Herrschaft des Knochenzauberers über den Langzahn einstweilen zunichte, und das Ungeheuer brüllte zur Antwort, während es sich herumschwang, um dem Ritter entgegenzublicken. Vergessen waren der Beschaffer, welchen es ohnehin nicht weiter beachtet hatte, und die Zauberin, welche es unter Aufbietung all seiner Geschicklichkeit zu töten versucht hatte. Die Gefährten schauten mit erstaunten Gesichtern den heranstürmenden Hünen an – wurden aber von dem wie wild winkenden Heiler abgelenkt. »Her zu mir!«, schrie Sarasper. »Dort herum!« Die Zauberin und der Beschaffer wechselten Blicke, und dann stieß Craer Embra in Richtung der Tür und grollte:
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»Geht! Es ist nicht so, dass uns hier irgendwelche Barden dabei zuschauen, wie wir eine kühne Heldentat vermasseln! Setzt Euch in Bewegung!« »Ohne Euch?«, neckte ihn Embra über die Schulter hinweg. Craer antwortete schon wieder mit einer im ganzen Tal bekannten rüden Geste, und beide spurteten los. Hawkril brach mit einem wilden Grinsen auf dem Gesicht zwischen ihnen hindurch und rannte begeistert in die andere Richtung. Während die beiden über lose Steine eilten, hörten sie hinter sich klar und deutlich den ersten, feucht klingenden Hieb seines Schwertes und das schmerzerfüllte Quieken des aufs Äußerste gereizten Langzahns. »Hawkril!«, hörte das davoneilende Paar Saraspers Warnschrei. »Lasst Euch jetzt in keinen Kampf ein – lockt es nur hierher zurück!« »Heiler«, knurrte der Hüne zwischen keuchenden Atemzügen und dem wütenden Stöhnen, welches seine kräftigen Hiebe gegen nach ihm greifende Beine oder zuschnappende Vorderbeinkiefer begleitete, »sage ich Euch, wie Ihr zu heilen habt?« »Hawkril«, rügte der alte Mann den Recken, »ich schwang bereits ein Schwert, bevor Ihr –« »Ich ein Glitzern in den Augen der ungeborenen Enkelin jener Maid war, welche geboren wurde, als Ihr Eure erste Klinge am falschen Ende aufhobt, ich weiß«, schrie Hawkril. »Nur noch diesen Schlag hier – uhhh! Und den! – und ich mache Euch begeistert den Lockvogel!« »Was ist nur aus den Kriegern geworden, welche einst
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grimmig und stumm Befehle befolgten?«, fragte sich Embra laut, als sie keuchend eine kurze Treppe hinaufhastete, welche zu der Tür führte, vor welcher Sarasper wartete – und den Weg dahinter versperrte. »Sie kamen alle um, weil sie fraglos die Befehle von vollkommenen Idioten befolgten«, grollte der Heiler zurück. »Das soll keine Beleidigung sein, werte Fürstin.« »Das fasse ich auch nicht so auf«, erwiderte Embra, »wenn Ihr Euch zurückhaltet und mich nicht so nennt.« Craer schloss sich ihnen an, und die drei Gefährten wandten sich um und beobachteten den Recken, von dessen Klinge dunkel und feucht das Blut des Langzahns troff. Hawkril kam schwerfällig über die Steine auf sie zu, die verletzte, eilig dahinschleichende Wolfsspinne auf den Fersen. »Erfreut ihr euch an dem Anblick?«, schrie Hawkril. »Oder schließt ihr gar Wetten ab? Oder steht ihr mir wie die Volltrottel im Weg?« »Vor uns befinden sich Fallen, werter Ritter Ohnehirn«, teilte dun Sarasper mit. »Wendet euch hinter dieser Tür hart und so schnell wie möglich nach links um und rennt geradeaus, bis ihr zu einem Raum gelangt, welchen ein schwaches Glühen erhellt. Betretet ihn nicht, sondern legt die Hand auf den Türsturz, wendet euch sofort nach rechts und lauft geduckt den Gang entlang, welcher dann vor euch liegt. Er führt in einen Raum mit vielen Säulen. Wartet dort auf mich – aber berührt, falls euch euer Leben lieb ist, keinesfalls auch nur eine einzige Säule!« »Hinein, links, rechts vor dem Licht, keine der Säulen berühren, während wir warten«, wiederholte Embra. »Ganz richtig«, bestätigte der Heiler. Gleichzeitig sagte
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Craer, welcher die wilde Jagd quer durch den Raum beobachtete, in ruhigem Ton: »Die Augen des Ungeheuers haben sich gerade wieder verändert. Eure Anweisungen führen es vielleicht ebenso wie uns.« »Verdammt und zugenäht!«, schimpfte Sarasper. »Warum können Zauberer nicht einfach tot bleiben?« Embra zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Aber wenn sie es denn täten, dann hätten wir keinen König, keine Schlange würde das Reich gefährden, und wir alle würden uns unter dem Schwert desjenigen Fürsten ducken, welcher am brutalsten vorgeht.« »Ich bin froh, dass Ihr das gesagt habt, werte Fürstin«, meinte Craer. In diesem Augenblick gab Sarasper seinen Gefährten ein Zeichen, indem er jeden am Arm berührte, dann duckte er sich durch die Tür in die Dunkelheit. Sie sprangen ihm nach und wandten sich, Saraspers Anweisung folgend, hart nach links. Der Gang war dunkel und roch nach Erde und schien insgesamt kälter und feuchter zu sein als der Raum, welchen sie gerade verlassen hatten. Hinter ihnen erklang Klirren und dann ein Fluch, da Hawkrils Kriegsschwert von der unsichtbaren Steinwand abprallte und er schon um die Schneide fürchtete. Der Weg entsprach in allen Einzelheiten Saraspers Beschreibung. Die eilig vorwärts hastende Viererbande fand es schwierig, in diesem Wald von gleich aussehenden, glatten Steinsäulen keine zu berühren, während jeder von ihnen ungeschickt anhielt – besonders Hawkril, der das Scharren der verletzten Wolfsspinne hören konnte, die ihm dicht auf den Fersen folgte.
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Als der Recke schwerfällig in den Raum kam, zischte ihm Sarasper zu: »Zu dieser Wand hier bei mir!« Der Heiler stand zwischen zwei engen, bogenförmigen Öffnungen. Als seine Gefährten zu ihm aufschlossen, zeigte er auf eine der Öffnungen und meinte: »Durch diese hier. In der anderen wartet der sichere Tod.« Als die Gefährten in den von Sarasper bezeichneten Gang tauchten, gab es hinter ihnen eine Folge von scharfen Explosionsgeräuschen – ein lautes Klacken und Rattern, unterbrochen von einem schrillen, zerrissenen Schmerzensschrei. »Der Langzahn hat eine Säule berührt«, erklärte Sarasper zufrieden. Sie betraten einen Raum mit verblassten Wandgemälden, in dessen Mitte eine einzelne, passend zu den Wandmalereien verzierte Säule aufragte. Außerdem gab es noch einige Haufen verrottenden Holzes zu sehen, bei denen es sich um die Überreste von Möbeln handeln musste. In einer der Wände befanden sich drei Türen. »Dadurch gewinnen wir Zeit«, fuhr der Heiler rasch im Flüsterton fort. »Die linke Tür ist der sichere Weg. Lasst die offen, um den Langzahn weiterzulocken: Hinter den anderen Türen liegen Räume, welche tödlich für die Wolfsspinne sein mögen oder auch nicht, aber –« »Die Dunkle Zuflucht liegt in dieser Richtung?«, fragte Embra eifrig. »Ja«, bestätigte Sarasper, »aber rechnet mit keinem luxuriösen Heiligtum oder auch nur einer Waffenkammer oder einem mit Möbeln ausgestatteten Gemach.« Er führte sie durch einen ansteigenden Gang mit unregelmäßigem Boden in einen großen, widerhallenden Raum,
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welchen bröckelnde Galerien schmückten und Dutzende dunkler, hoch droben in den Wänden klaffender Fenster, welche sich in unsichtbare Kammern öffneten. In den Wänden befanden sich zahlreiche Türen. Zwei waren so weit oben angebracht, dass sie nur über geländerlose Treppen erreicht werden konnten. Sarasper wählte die Treppe zur Rechten und machte sich an den Aufstieg. »Genau dort«, keuchte er und wies nach oben auf die Bogentür am Ende der Stufen, »sollt Ihr das Wort aussprechen, welches die Dunkle Zuflucht öffnet!« »Ohne Zweifel in genau dem Augenblick, in welchem die Wolfsspinne darunter hindurchkriecht«, meinte Embra mit einem Lächeln, welches jedoch so schnell verschwand, wie es gekommen war. »Und wenn ich mich verschätze und das Ungeheuer mit uns gemeinsam in die Dunkle Zuflucht gelangt?« Der Heiler musterte Hawkril. »Sobald wir die Treppe hinter uns haben«, meinte er, »müsst Ihr das sich dahinschleppende, verwundete Opfer spielen ...« Ein langsames Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Hünen aus. »Ist das der Alte Gierschlund, welchen ich herankommen höre?« Keiner seiner Gefährten machte sich die Mühe, eine Antwort zu geben, als im Gang hinter ihnen das ungleichmäßige, zögernde Scharren lauter wurde. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, die Treppe hinaufzuklimmen. »Dahinter sind wir in Sicherheit«, rief Sarasper. »Hawkril?« »Ooooh«, stöhnte der Ritter überzeugend und brach auf
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der untersten Stufe zusammen. Dann verschmierte er mit drei Fingern Blut aus der Wunde in seiner Brust. Er langte mit bebenden Fingern nach der nächsthöheren Stufe und warf einen verzweifelten Blick über die Schulter auf den unsicher in den Raum kriechenden Langzahn. Das Fell der Wolfsspinne war dunkel von Blut, und ihre Augen wirkten wie zwei Lampen, in welchen der eisige Tod brannte. »Die Dreifaltigkeit möge mich beschützen!«, stöhnte der Hüne und kroch schwächlich eine Treppenstufe weiter. »Hawkril!«, zischte Craer warnend. »Es kommt schnell heran!« »Unterbrecht«, keuchte Hawkril, »mir bloß meine großartige Darstellungskunst nicht! Ich mag zwar nicht der berühmte Schauspieler Halivaerus von Sirlptar sein, aber ...« Vorgeblich vor Schmerz brüllend zog sich der Recke mühsam eine Stufe höher – und sackte dann wieder zurück in gespielter Todespein, wobei er auf das unregelmäßige Scharren horchte, welches rasend schnell lauter wurde. Mit einer anscheinend titanischen Anstrengung hievte sich der Hüne wieder auf die Stufe hinauf und dann sofort auf die nächste. »Hawkril!«, schrie Craer erneut. »Es ist –« »Manche Beschaffer sind grundsätzlich nicht in der Lage, den Fähigkeiten anderer zu trauen«, knurrte Hawkril, »oder, was das betrifft, überhaupt irgendetwas. Das mag sie zu guten Beschaffern machen, aber –« »Manche Recken«, schrie Craer zurück, »verlassen sich grundsätzlich auf ihre eigenen Kampffertigkeiten, und zwar gegen jegliche Vernunft. Das mag sie zu guten Leichen machen, aber –« »Ist schon gut, ist schon gut«, schimpfte Hawkril und lang-
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te nach der obersten Stufe. Der Langzahn stieg mit beängstigender Geschwindigkeit hinter ihm auf und holte mit einem Vorderbein zu einem alles zerschmetternden Schlag aus. Hawkril warf sich schnell zur Seite, als das Bein niederkrachte, dann wieder zurück, um dem zweiten Schlag auszuweichen. Dann kam er auf die Füße und stürmte überraschend durch die Tür. Mit Augen wie zwei eiskalte Lichtpunkte kroch der Langzahn unheimlich still die Treppenstufen hoch. Ein Wald haariger Beine griff nach dem rennenden Krieger. Embra holte tief Luft und sprach laut und deutlich: »Cathka-ratha lamarmtha thauriir!« Und die Luft fing Feuer – kaltes, kriechendes blaues Feuer, welches die Dunkelheit mit einem Netz plötzlicher und betäubender Macht durchbrach. Der Schein verschwand rasch, blendete die Vier jedoch, während Steine unter Donnergetöse und rasend schnell niederfielen und den Raum unter ohrenbetäubendem Lärm erbeben ließen. Dann befand sich plötzlich eine riesige Steinplatte vor der Öffnung – eine Tür, deren unteres Ende feucht und dunkel schimmerte. Ein Teich breitete sich aus, in dessen Mitte die vordere Hälfte der Wolfsspinne schwach zuckte. Die Vier konnten zusehen, wie die Beine niedersanken und zu Boden glitten und die kalten Lichter in den Augenhöhlen des verwundeten Kopfes langsam erloschen – und Embra stieß einen langen, bebenden Seufzer aus. »Keine Sorge«, scherzte Craer. »Die untere Hälfte des Untiers rennt vielleicht wütend auf der anderen Seite der Tür herum und tanzt vielleicht vor Ungeduld, weil es uns erwischen und zu Tode treten möchte! Aus welchem Grund, ist
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mir nicht ganz –« Ihm klappte der Unterkiefer herunter, als sein Blick zufällig über den Bogen der Tür schweifte. Im Niederfallen hatte die Tür eine dunkle Höhlung über dem Bogen freigegeben: eine bislang verborgene Kammer. Craer machte einen Schritt darauf zu und fragte leise: »Embra, wo haben die Silberbaums eigentlich mit Vorliebe ihre Schätze verborgen?« »Nein, Craer, ich glaube wirklich nicht –«, begann die Edle und schwieg plötzlich still, als sie sah, dass der Beschaffer so schnell und geschickt die glatte Steinplatte hochkletterte, als handele es sich um eine Treppe, und in der dunklen Öffnung verschwand. »Wenn es dort Schätze gibt, dann findet er sie«, knurrte Hawkril und schüttelte lächelnd den Kopf. »Ein alter Stiefel hier, ein zerbrochener Nachttopf dort –« »Schätze sind das, was man daraus macht«, stimmte ihm Sarasper zu, »und –« Craer erschien wieder in dem Loch – oder tauchte eher daraus hervor, ehe er geschickt auf den Boden sprang. Die Augen hatte er weit aufgerissen. »Die Dreifaltigkeit möge mich schützen!«, schrie er, nachdem er mit einer Rolle vorwärts aufgekommen war. Skeletthände erschienen in der Öffnung – menschliche Arme, deren sich hastig bewegende Knochen an den Schultern endeten – und schwärmten die Tür herunter wie Schlangen, welche über glatten Sand gleiten. Hawkril packte sein Kriegsschwert fester und beäugte säuerlich die herannahenden Knochen. »Verwandte von Euch, Herrin?«, knurrte er.
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Embra zuckte mit den Schultern. »Eher die Lehrlinge von Familienzauberern lange vor meiner Zeit.« Hawkril nickte, musterte das Dutzend der knöchernen Arme, welche nun das untere Ende der Tür erreicht hatten, und händigte der jungen Frau sein Schwert aus. Die Edle fluchte ob seines Gewichtes und packte das Heft der Waffe mit beiden Händen, als es in Richtung Boden fuhr. Mit zwei schnellen Schritten durchquerte Hawkril den Raum, griff sich einen riesigen dunklen Tisch und wandte sich, das Möbel von sich schleudernd, in einer einzigen, schnellen Bewegung auch schon wieder um. Der Tisch flog durch den Raum wie ein großer, sich drehender Kriegsschild, und krachte dann so heftig auf den Boden, dass er gegen die Tür rutschte und den ganzen Raum zum Beben brachte. Der laute Aufprall ließ Splitter zerschmetterter Knochen durch die Luft schießen, selbst dann noch, als eine Wand aus Staub sich wie ein schwerer Vorhang niedersenkte. »Entschuldigung«, riefen Sarasper und Embra wie aus einem Mund, »das ist ...« Sie verstummten, blickten sich an und murmelten dann unbehaglich: »Mein Zuhause.« Die Mitglieder der Viererbande wechselten Blicke, und jeder für sich begann zu kichern, bis alle gemeinsam schallend lachten. In einer nicht weit entfernten Kammer voller Säulen weckte das Lachen etwas auf. Etwas, das sich in kaltem Stein bewegte, niederstieg und schließlich schimmernd aus der Säule schmolz, in welcher es sich über Jahrhunderte hinweg versteckt hatte.
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Etwas mit einer harten Schale und riesigen Klauen, das sich für lange Augenblicke schüttelte, während es Gestalt gewann und Festigkeit. Dann erwachte es vollends und machte sich auf, die lärmenden zukünftigen Opfer zu fressen ...
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Wie man einen König tötet C Das Ende eines Seiles ringelte sich aus der Nacht herunter und wischte so dicht an Gurkyn Oblarrams Gesicht vorbei, dass der erfahrene alte Krieger an sich halten musste, um nicht mit einem Schrei zurückzufahren. Er krallte die Finger in die Schultern des Mannes neben ihm und zischte wie eine aufgeschreckte Felsenschlange. »Bei Sargh, lasst mich los!«, schnarrte Mararr atemlos und entwand sich dem Griff. »Ich bin doch kein Feind – oder war jedenfalls keiner!« »Verzeihung, bei der Dreifaltigkeit, Verzeihung«, murmelte Gurkyn hastig und beäugte die vielen Kurzschwerter, welche, vom schwachen Mondlicht beschienen, an Mararrs Bandelier baumelten und aneinander klirrten. »Ich dachte, es sei eine Schlange oder so etwas in der Richtung gewesen.« »Irgendetwas wird es sein«, versprach ihm Mararr Guldalmin in harschem Flüsterton, stemmte die Füße gegen die Wand und hievte sich eine Armlänge das Seil hoch, »falls das wieder passieren sollte. Verlasst Euch darauf, oh Meister der Kochtöpfe!«
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Gurkyn antwortete mit einem tiefen Grollen, wie es sonst jagenden Hügelkatzen aus der Kehle zu dringen pflegt. Der Recke, welcher einen regelrechten Wald von Kurzschwertern mit sich führte, lief die Wand hoch in die Dunkelheit über ihren Köpfen, indem er sich kraftvoll und gleichmäßig Arm für Arm das Seil hochhievte. Gurkyn beobachtete das tanzende Seilende für eine Weile und musterte dann die um ihn herumstehenden Männer mit einem langsamen, säuerlichen Blick. Lultus war erheblich größer und schwerer als ein gewisser, oft betrunkener Koch, und Gloun eignete sich noch weniger zum Klettern. Die anderen beiden, Peldrus und Tathil – nein, Tathtorn, so lautete sein Name – kannte Gurkyn kaum. Sie waren erst spät in die Dienste des Fürsten getreten, kaum drei Wochen, bevor sie abgesegelt waren. Damals wie heute bewegten sie sich wie ein Mann, ohne sich mit Worten oder Gesten abstimmen zu müssen, und sie schienen von den gleichen Gedanken getrieben zu sein. Sie hatten verhindert, dass das Boot an der Hafenmole entlangschrammte, indem sie es festhielten, während zwei mal sieben Männer – jetzt Duthjacks Klingen, jeder einzelne von ihnen – hinausgeklettert waren ... und sie hatten schnell festgemacht, während sie die Augen nicht von den Reihen von Männern ließen, welche langsam die Mauern von Treibschaum erklommen, zuerst mit zukrallenden Händen, dann an den Seilen, welche die ersten Tapferen herabgelassen hatten. Duthjack selbst hatte mit vor Aufregung großen, dunklen Augen und mit seinen Leibwächtern Calarg und Naor vor und hinter sich den Aufstieg bereits bewältigt. Kein Alarm wurde gegeben, während sich ein Krieger nach
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dem anderen die Wand hochkämpfte und ungesehen auf die königliche Insel vordrang. Ein guter Anfang, wenn man einen kurzen Besuch abstattete, um einen König zu töten. Zu gut, argwöhnte Gurkyn; wie konnte es möglich sein, dass niemand sie bemerkte? Immerhin handelte es sich um eine Burg, welche einst dem im ganzen Tal gefürchteten, grausamen Fürsten Silberbaum gehört hatte – vor ihnen mochten Dutzende tödlicher Fallen auf sie warten. Oder Beobachter auf den Zinnen, welche gerade ihre Armbrüste luden und bereits auf die Männer zielten und nur darauf warteten, dass der letzte Krieger oben ankam, so dass sie alle auf einen Schlag erledigen konnten? Oder war dieser Schneestern bereits so lax und übermäßig stolz oder gar machtlos, dass er keine Wachen auf die Mauern von Treibschaum gestellt hatte? Gurkyn schüttelte den Kopf. Insgesamt sechzehn Soldaten hatten die kalten Fluten des Silberflusses überquert, Schulter an Schulter in Duthjacks gestohlenes Boot gedrängt. Sechzehn Mann, um gegen die Übermacht an Schwertern einer Burg zu kämpfen. Nicht viele. Aber andererseits ... welche Übermacht an Schwertern? Ganz Treibschaum schien in dieser Nacht zu schlafen, und man sah nicht einmal eine Fackel auf dieser Seite der Insel. Ganz zu schweigen von einer Menschenseele auf dem Wehrgang, welchen verzweifelte Männer erklommen hatten. Dort hockten sie jetzt und schmiedeten Pläne wie Ratten, welche sich um den gleichen Fetzen Fleisch versammeln.
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Ja, wie hungrige Ratten, welche sich ein Mahl teilen. Man konnte nur hoffen, dass es für alle ausreichte und nicht zu einem Schlachtfeld für verzweifelte Männer wurde, welche alle zugleich an einem zu mageren Brocken Futters zerrten. Gurkyn starrte in Gedanken versunken in die Nacht und sah zu, wie das Mondlicht den eilig dahinfließenden Strom in ein Bett blitzender Sterne verwandelte. Er fragte sich, was alles schief gehen mochte – und ob er den Morgen erleben oder seinen langen, harten Lebensweg in der Dunkelheit röchelnd mit einem Schwert im Bauch beenden würde. Das Ende des Seils kam wild hin und her tanzend wieder in Sicht, und der wie ein dunkler Berg wirkende Lultus streckte schwerfällig einen Arm aus und berührte Gurkyns Schulter. Der Koch warf einen letzten Blick auf den schimmernden Fluss, seufzte und legte die Hände um das Seil. In dem Augenblick, als seine Stiefel die Mauer berührten, zog ihn jemand nach oben. Sein Aufstieg erschien ihm wie ein rascher, leichter Spaziergang und keineswegs so mühselig und die Arme ermüdend, wie er das befürchtet hatte. Nach ein paar keuchenden Atemzügen stand er oben auf den Zinnen, welche ein spöttischer Silberbaum errichtet haben musste, mitten unter einem schweigenden, misstrauischen Trupp von Kriegern, welche alle auf die jenseits der Burgmauer wachsenden Bäume starrten. Ein vom Mond beschienener Wald schien sich ein gutes Stück von der Mauer weg auszubreiten, und an seinem Ende erkannte man freie Flächen – Gärten, denn hier und dort
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schimmerten Teiche mit kleinen steinernen Bogenbrücken. In der Ferne erhob sich die dunkle Masse von Treibschaum mit all seinen Balkonen und Türmchen. In den Fenstern blitzten ein paar Lichter – aber ansonsten schien sich auf dem Gelände, welches sich vor den hungrigen Kriegern erstreckte, kein waches, bewusstes Leben aufzuhalten. »Das wird so sein, als schlachte man Säuglinge in ihren Wiegen ab«, murmelte jemand, als der immer größer werdende Trupp von Duthjacks Männern die Schwerter hob und versuchte, die Entfernung zum im Dunkel unsichtbaren Boden abzuschätzen. »Sagt niemals so etwas«, knurrte ein anderer Mann säuerlich. »Wann immer ich diese Worte höre, dann ist das, bevor etwas schief geht. Schrecklich schief.« »Lultus, seid Ihr der Letzte?«, fragte Mararr, und als ein bestätigendes Knurren ertönte, fügte er hinzu: »Dann zieht das Seil hoch – und lasst es festgebunden, so wie es ist. Dann lasst es an der anderen Seite hinunter! Bewegt Euch, Mann!« »Ein Kampf zwingt uns offenkundig zu einer Eile, deren Notwendigkeit mir bislang verborgen war«, bemerkte Lultus mit einem tiefen, spöttischen Schnurren, welches mehr als einen Mann grinsen ließ, während er tat wie geheißen. »Ich flehe Euch an, oh tapferer Mararr, vergebt mir meinen Fehler.« »Genug des Geschwätzes!«, erwiderte Blutklinge kalt, bevor der Mann mit den vielen Kurzschwertern antworten konnte. »Ich bezweifle, dass selbst ein Trottel von einem König stocktaube Wachen aufstellen würde.« »Irgendetwas stimmt nicht«, meldete sich Gurkyn plötzlich zu Wort und schritt auf Duthjack zu, bis er bemerkte, dass er
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kurz davor stand, von Naors gezücktem Schwert aufgespießt zu werden. »Ich kann das fühlen.« »Ihr könnt das fühlen! Nun –«, warf ein Mann höhnischen Tones ein, aber Blutklinge wirbelte herum und schnappte: »Genug. Etwas ... geht hier wirklich nicht mit rechten Dingen zu.« »Ja«, stimmte Calarg zu und schüttelte sein Schwert, als handele es sich um die Rassel eines Barden, »ich spüre es auch. Es ist so, als ob –« Er erstarrte und ging urplötzlich in die Hocke, wobei ihn fünfzehn Krieger alarmiert beobachteten. »Die Steine«, sagte er unvermittelt und stampfte mit einem Stiefel auf. »Sie sind lebendig!« »Was?«, kam es ungläubig aus zahlreichen Kehlen, aber Blutklinge zischte: »Nein – schweigt still!« In der Stille, die seinen Worten folgte, spürten es alle: ein kaum wahrnehmbares Wogen unter ihren Füßen, als ob die Steine der Mauer atmeten oder sich zusammenzogen wie ein sich verstohlen regender, gigantischer Muskel, um – »Runter von der Mauer!«, stieß Blutklinge hervor. »Springt! In die Bäume!« Die Zinnen explodierten in einem Tumult von umherhastenden und springenden Männern, und Calargs plötzlich ausgestoßener Schrei beschleunigte ihre wilde Flucht nur noch. Steinerne Finger hatten sich unbemerkt erhoben und umklammerten jetzt die Knöchel des Mannes; sein Streben in Richtung der Gärten wurde zu einem Fall kopfüber auf den Gang entlang der Mauer – wo sein Gesicht in die auffahrenden, grausam zustechenden Finger einer anderen Hand krachte. Naor schaute gerade rechtzeitig zurück, um mit an-
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zusehen, wie seinem Leibwächterkameraden das Gesicht abgerissen wurde. Als das Blut über die Steine spritzte und er den Mund öffnete, um einen Entsetzensschrei auszustoßen, befand er sich bereits in der Luft – dann krachte er auch schon durch Blätter und Äste, welche durch den Sprung anderer Krieger zum Beben gebracht worden waren. »Bei der Dreifaltigkeit!«, keuchte jemand, als das dumpfe Aufkommen landender Männer allmählich nachließ und die Krieger hören konnten, wie Calargs Blut hoch über ihnen hervorsprudelte. »Was war das?« »Die Klauen des Dunklen«, schrie ein anderer Krieger und deutete auf die Mauer. »Was ist das?« Die Steine wölbten sich vor in einer Form, welche ganz nach einem steif durch einen Vorhang schreitenden Krieger mit dem Schwert in der Hand aussah. Mit kaum vernehmbarem Ächzen löste sich Stein von Stein – und dann trat wirklich ein Kämpfer heraus: ein Mann aus Stein mit schwarzer Glätte anstelle eines Gesichts. Ein Steinschwert fuhr nach oben, um zuzuschlagen, und der schwerfällige Steinritter drehte sich überraschend schnell um und schien den am nächsten stehenden, entsetzt glotzenden menschlichen Krieger anzustarren. »Bei Sargh!«, schrie Gloun. »Er ist lebendig!« »Und da ist noch einer!«, brüllte Lultus mit einer sich vor Angst fast überschlagenden Stimme. »Dort drüben!« Dort, wo seine bebende Hand hinzeigte, flossen die Mauersteine wie zäher Schlamm zusammen und wölbten sich vor wie der Bug eines Schiffes, der sich in zwei steinerne Ritter verwandelte, und schon bewegten sich die Gestalten schwer-
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fällig auf die Männer zu. Einer schrie: »Ein Zauberer. Der König hat einen Zauberer! Wir sind verloren!« Ein anderer, nämlich Gloun, kreischte vor Entsetzen und rannte davon. »Zu mir!«, brüllte Blutklinge und brachte mit einem einzigen Schlag seiner gepanzerten Faust den Mann, welcher sich so sehr vor Zauberern fürchtete, zum Schweigen, welcher schluchzend etwas von Verhängnis und der Entdeckung durch Zauberer faselte. »Wir dürfen nicht –« Noch während der Mann sich mit gebrochenem Kiefer um die eigene Achse drehte und zu Boden fiel und auf Blutklinges Panzerhandschuh Blutstropfen von der Farbe dunklen Weins hinterließ, sah der Mann, welcher die abgerissenen Krieger anführte, ein halbes Dutzend von ihnen im Wald verschwinden, während der Rest noch schwankte, sich ihnen anzuschließen. Ein Steinschwert traf so hart auf dem Boden auf, dass die am nächsten stehenden Bäume bebten und ihre Blätter raschelten. Der Mann, der panisch von dem Schlag weggerollt war, schrie wie ein verängstigtes Kind, kämpfte sich im Unterholz auf die Beine und rannte blindlings in die Nacht. Zum Dunklen mit Heimlichtuerei, Standhalten und Kampf! »Zur Burg!«, brüllte Blutklinge und wies auf die schwarzen Bäume vor ihnen und die sich dahinter befindenden, vom Mondlicht schwach beschienenen Lichtungen. »Im Sturmschritt!« Dieses Mal wartete keiner der Soldaten ab oder stellte seinen Befehl in Frage. Duthjacks Klingen wirbelten unter Entsetzensgeschrei weg von den heranschreitenden Steinrittern und stürmten los.
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Die Angst verlieh ihnen Flügel, und ihr Entsetzen bewirkte, dass sie wie wahnsinnig durch Buschwerk krachten und über feuchte Blumenbeete trampelten, wo sie sonst besonnen geschlichen wären oder sich verborgen gehalten hätten. Nach sehr kurzer Zeit stampften sie keuchend über Wege und über Lauben hinweg, immer deutlicher sichtbar im kalten Silberlicht des Mondes, und ließen schließlich den Wald hinter sich. »Keine sehr kluge Idee«, beschwerte sich einer der dahinhastenden Männer. »Falls der König mehr Zauberer hat als ein Fürst, dann sind wir –« Blutklinge fuhr herum, drosch mit dem ganzen Schwung seines Laufs auf den Mann ein und fällte ihn mit einem wilden Schlag beider Hände mitten ins Gesicht. Er fühlte, dass etwas unter seinen Panzerhandschuhen nachgab, als die beiden Männer gemeinsam zu Boden gingen. Er rollte von der sich ausbreitenden Nässe weg, kam wieder auf die Füße und rannte weiter. Keine sehr kluge Idee, in der Tat. Sechs oder sieben der steinernen Ritter schritten mit erhobenen Schwertern geduldig durch die Bäume hinter ihnen her. Bei den Göttern! Sie mussten den Zauberer finden, welcher diese Kreaturen lenkte, um wen auch immer es sich handeln mochte, und zwar möglichst schnell. Wenn sich unter den Männern von Schwarzgult nur ein paar gute Bogenschützen befunden hätten, dann – Aber nein. Diese Art von Überlegung eignete sich besser für Prahlereien am Kaminfeuer und diente nicht dem Überleben beim Königsmord. Sendrith »Blutklinge« Duthjack biss die Zähne zusammen
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und schwang seine Klinge im Kreis über dem Kopf. »Her zu mir!«, schrie er so laut, wie er es nur wagte. »Her zu mir!« Wenn sie weiter so ungeschickt vorwärts stolperten, dann würden sie den Palast erreichen und die Pfeile der königlichen Bogenschützen – sofern es die gab – mitten in die Kehle bekommen. Er musste seine Männer sammeln, und zwar dort, bei diesem kleinen Lusttürmchen. »Versteckt euch dort!«, schrie er und wies ihnen den Weg mit seiner Klinge. »Her zu mir!« Der Turm war im Grunde genommen nichts weiter als ein Raum mit drei Wänden und öffnete sich auf der Seite, welche in Richtung der Burg zeigte. Große, bogenförmige Fenster – schlichte leere Öffnungen ohne Läden oder Vorhänge – klafften in den drei Wänden. Das Bauwerk verjüngte sich schnell zu einer mit Schindeln besetzten Spitze und thronte auf einem kleinen Hügelchen inmitten von Blumenbeeten. Das Ganze wirkte wie ein Burgtürmchen, welches von den zugrabschenden Fingern eines vorbeikommenden Riesen auf den Boden gesetzt worden war. Zwar lag es weniger als einen Bogenschuss entfernt von den Mauern des Palastes, aber sie würden sich damit begnügen müssen. Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr. Diese Steinwesen mochten zwar mit nachgerade komischer Bedächtigkeit einherschreiten und ihre Schwerter entsprechend langsam schwingen, aber sie kamen unaufhaltsam näher, und Blutklinge hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob sie aufgehalten, zerstört oder überhaupt irgendwie bekämpft werden konnten. Sie konnten ihrer Größe wegen den Palast nicht betreten, sofern der über normal große Eingangstore verfügte. Eine na-
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he gelegene Tür würde er ohnehin so schnell wie möglich finden müssen. Bei den Göttern, das hier verwandelte sich in einen Albtraum aus Rennen und Verzweiflung und – Plötzlich öffnete sich eine Tür in der Palastmauer, und ein helles, flackerndes Band aus Licht drang in die Nacht, während ein Schwert aufblitzte und Köpfe herausschauten. Ihr Schreien war gehört worden. Kein Befehl war nötig, um Duthjacks Krieger dazu zu bringen, sich auf den Boden zu werfen und sich nicht mehr zu rühren; sie hätten ebenso gut verstreute dunkle Felsbrocken in der Dunkelheit sein können, als jetzt drei Höflinge in Mänteln und seidenen Hemden hell leuchtende Laternen hoben und in die Nacht spähten. »Hallo?« Das entsprach nicht den Gepflogenheiten von Männern des Krieges, welche einen Angriff erwarteten, und kündete nicht einmal von Klugheit. Sie hatten nicht einmal die Schwerter gezückt, obwohl glänzend polierte, versilberte Klingen an ihren Hüften schimmerten. Die dem Tod geweihten Höflinge machten ein paar zögerliche Schritte ins Freie und riefen wieder. Mondlicht spielte auf Ohrringen in parfümierten, sorgfältig gestutzten Backenbärten und wie fliegende Vögel mit erhobenen Schwingen geformten Brustplatten. »Ist dort jemand?« »Hallo?« Die Höflinge wechselten Blicke und trennten sich dann, um die Umgebung eingehender zu untersuchen. Um den Mann herum, welcher sich Blutklinge nannte,
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zitterten Krieger vor Eifer, und nur ihre Augen bewegten sich, während sie einander, auf ein Signal wartend, anschauten. Der Boden bebte. Die Steinritter kamen näher. »Schlagt zu!«, bellte Duthjack, fuhr in die Höhe und schwenkte sein Schwert, so dass es im Mondlicht aufblitzte. Die Höflinge starrten ihn an und hoben ihre Laternen ein wenig höher. Für zwei von ihnen war das das Letzte, was sie taten, denn dunkle Schatten erhoben sich vom Boden und durchbohrten sie mit ihren Schwertern. Der dritte Höfling, welcher hinter seinen Gefährten zurückgeblieben war, quiekte wie eine aufgeschreckte Maus und wirbelte herum, um zu fliehen. Ein Krieger sprang auf und folgte dem Fliehenden dichtauf, erreichte den Mann im Handumdrehen und hob seine Klinge, um sie seinem Opfer in die Kehle zu stoßen. Der Höfling warf seine Laterne nach hinten, seinem Verfolger mitten ins Gesicht. Gloun Unmertyde fiel schreiend und mit brennenden Haaren zu Boden, und Flammen züngelten zwischen seinen Fingern hervor, als er verzweifelt nach seinen Augen krallte. Dunkle Schatten tauchten hinter ihm auf und verfolgten den heulenden Höfling, welcher mit wehendem Mantel und voller Todesangst in Richtung der offenen Tür strebte. Hände in Panzerhandschuhen streckten sich aus, gekerbte, geschwärzte Klingen stachen verzweifelt zu, trafen aber nichts als leere Luft. Sie würden ihn nicht rechtzeitig erwischen. »Was zum –«, grollte eine eindrucksvolle Stimme in die Nacht, als neue Gesichter in der Tür erschienen. Der Spre-
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cher konnte seinen Satz nicht vollenden, sondern grunzte nur überrascht, als der entsetzte Höfling in ihn krachte und von den Füßen holte. Beide Männer rollten über den gefliesten Boden hinter der Tür und brachten etwas unter Krachen und Klappern zu Fall. »Hinein mit euch!«, brüllte Blutklinge. »Bevor jemand die Tür schließen kann! Hinein, bei den Hörnern!« Mararr erreichte als Erster die Tür. Er stieß sie weit auf und schoss in die Burg; die versammelten Krieger sahen, dass er auf etwas ausrutschte und dann heftig mit seinem Kurzschwert zustieß, welches er in der Linken trug – einmal tief unten, einmal weiter oben. Jemand versuchte zu schreien, brachte aber nur ein feuchtes, ersticktes Gurgeln zustande. Und dann stürmten auch schon alle durch die Türöffnung, wobei sie die Klingen nach oben hielten, um sich nicht gegenseitig aufzuspießen, während sie sich durch den Eingang drängten. Blutklinge warf einen kurzen Blick zurück auf den vom Mondlicht beschienenen Wald und sah glatte Steingesichter, welche ihn anstarrten – fünf, wenn nicht noch mehr, und ihre Besitzer stampften geduldig immer näher heran. Er fluchte und warf die Tür krachend zu. Naor stand schon mit der Türstange bereit, ließ sie in die Verankerung gleiten und nickte Duthjack zu, während der Mann, welcher in dieser Nacht einen König ermorden wollte, sich von der Tür abwandte und den Raum musterte, welchen sie erstürmt hatten. Drei Männer aus dem Palast – bei einem handelte es sich eher um einen Jungen, und alle trugen Dienerlivreen – lagen niedergestreckt auf dem Boden, und seine Krieger eilten be-
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reits in alle Richtungen, öffneten Türen und spähten hierhin und dorthin. Blutklinge unterdrückte einen Fluch – bei den Göttern, hatten denn alle vergessen, zusammenzubleiben und auf seine Befehle zu warten? Aber da wandten sich ihm auch schon Gesichter zu. »In diese Richtung!«, schnarrte er und wies auf eine Tür, welche in die richtige Richtung führte. »Und bleibt zusammen, verflucht und zugenäht!« Sie drängten sich durch die Türöffnung, wobei sie sich rasch, aber leiser als zuvor bewegten, und betraten einen von Lampen erhellten Gang mit vielen geschlossenen Türen, welcher sich auf der einen Seite zu einer Art Quergang öffnete und auf der anderen durch eine Bogentür in einen beeindruckenden Saal führte. Über eine weite Strecke polierten, marmornen Bodens hinweg starrten überraschte Gesichter zu ihnen herüber. »Auf sie! Sie dürfen keinen Alarm schlagen!«, bellte Blutklinge, griff nach einem Schwertarm und zischte: »Mararr – nehmt Euch zwei Männer und sucht nach Treppen, welche nach oben führen – Zauberer ziehen es immer vor, von hoch oben auf die Welt niederzublicken!« Der Ritter salutierte, wobei die vielen Kurzschwerter an seinem Bandelier hin- und herschwangen, und stürmte dann mit zwei Männern auf den Fersen in den Quergang. Blutklinge schaute Naor an, welcher sich an seinem gewohnten Platz an der Seite seines Herrn befand, und murmelte: »Behaltet unseren Rücken im Auge, und wenn Ihr irgendwelche Armbrüste seht, dann schreit!« Seine Krieger schwärmten bereits durch den großen, hal-
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lenden Saal mit der hohen, gewölbten Decke, den riesigen Gemälden von Hirschjagden durch grün schimmernde Gehölze und den gebogenen Nischen, in welchen sich blassgesichtige, in Seide gehüllte Männer mit Weinkelchen in der Hand erhoben und vergeblich nach schlanken Schwertern griffen, welche an ihren Hüften baumelten. Duthjacks Soldaten schlugen mit brutaler Tüchtigkeit zu, schlitzten Gesichter auf und brachen Hälse mit beinahe magischer Schnelligkeit. Manchen Höflingen blieb nicht einmal die Zeit zum Schreien, bevor sie zu Boden stürzten. Einer, welcher auf den Knien um Gnade flehte, wurde ohne Zögern erstochen. Man hörte ein klapperndes Geräusch, als ein weißhaariger, livrierter Diener, welcher gerade rückwärts mit einem Tablett gefüllter Goldkelche den Raum betrat, die Schlächter erblickte und seine Last entsetzt von sich warf. Als der Mann herumwirbelte und die Klinke der Tür packte, durch welche er gerade hereingekommen war, schleuderte Lultus sein Schwert mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit. Die Klinge erwischte den alten Mann in Höhe der Ohren, und Blut spritzte auf. Der Diener warf den Kopf zurück, fiel gegen die Tür, welche er vergeblich zu öffnen versucht hatte, und glitt lautlos zu Boden. »Guter Wein«, sagte Gurkyn mit einem Seufzer und setzte einen leeren Kelch mit einem lauten Knall nieder. Blutklinge öffnete den Mund und wollte schon lospoltern ob solcher Narretei – schloss ihn aber wieder. Acht Kelche wurden bereits geleert, und ihre Stiele wiesen in Richtung Decke, da die Krieger den Inhalt mit einem Zurückwerfen
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des Kopfes hinunterkippten. Bei den Hörnern der Herrin, was hätten seine Einwände schon genützt? Wenigstens hatte niemand Alarm geschlagen. »Setzt die Leichen vor diese Tür«, befahl er und wies zu der Stelle, wo der Diener zusammengebrochen war, »und dann nichts wie weg hier – zurück durch die Bogentür und den anderen Gang entlang in die Richtung, in welche ich Mararr geschickt habe.« Seine Krieger schaufelten mit beiden Händen Pasteten und etwas, bei dem es sich um handtellergroße Brotstücke mit Flussaustern in Soße handeln mochte, in sich hinein, aber sie blickten ihn an und nickten. Blutklinge verdrehte angeekelt die Augen und schritt dann rasch zurück über den Marmorboden. Am Ende folgten ihnen die Steinritter doch hier drinnen ... Der Quergang führte über eine kurze Folge von Treppenstufen und weitete sich zu einer Galerie voller Statuen, um dann in einen weiteren Gang mit ein paar Stufen überzugehen, der in einen Raum führte, von welchem wiederum zwei Gänge abzweigten, einer nach Norden und einer nach Nordwesten. In dem Raum stieg eine breite Treppenflucht nach Westen hoch, und eine riesige, üppig geschmückte Doppeltür prangte in der südlichen Mauer. Der Körper eines zusammengebrochenen Dieners lag über die ersten drei Stufen hingestreckt, und dünne Rinnsale von Blut befleckten den weißen Marmor. Blutklinge lächelte beifällig angesichts dieses Zeichens von Mararr und führte seine Männer die Treppe hoch. Er wies mit der Schwertspitze auf den Boden, um sie zur Vorsicht zu gemahnen, als er hörte, dass ihre Schritte auf die ersten Stufen
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von einer hohen, sich unsichtbar irgendwo hoch über ihren Köpfen erstreckenden Decke widerhallten. Bei den Dreien, welche herniederschauen, der ganze Ort schien verlassen zu sein! Dies sollte der Hof des Königs von Aglirta sein? Man gewann den Eindruck, in einem vornehmen Haus zu stehen, welches für diese Saison geschlossen worden war und in dem man lediglich einige wenige Diener zurückgelassen hatte. Natürlich handelte es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme: Leichen, welche alle viere von sich streckten, liefen wohl kaum noch schreiend durch die Gegend. Blutklinge lächelte verkniffen und stieg weiter die Stufen empor. Am Ende der Treppe trafen sie auf noch mehr Leichen, die um ein knisterndes Feuer herum auf dem Boden lagen. Die meisten trugen teure Kleidung, und es befanden sich keine Frauen unter ihnen. Einige hatten versucht zu kämpfen: Eines der dünnen, nutzlosen Nadelschwerter lag, von einem Fußtritt zerbrochen, auf einem aus vielerlei Fellen zusammengesetzten Teppich inmitten von blutigen Fußspuren. Duthjack blickte in alle Richtungen auf der Suche nach einer weiteren Treppe, aber er fand keine. Er zuckte die Achseln und durchquerte den Raum in Richtung eines Türbogens am anderen Ende, wo Mararr einen weiteren Toten hinterlassen hatte. Ein Arm der Leiche war ausgestreckt und wies auf den von ihr wegführenden Gang. Die um ihren Anführer gescharten Krieger folgten eifrig der Richtung und bewegten sich fast wie Tänzer mit ihren blutigen Schwertern, welche sie, zum Zustoßen bereit, tief an
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den Seiten trugen. Weitere Leichen lagen vor ihnen, und weitere Bogentüren führten die Männer durch eine Flucht von Räumen – durch eine Art Bibliothek, dann durch einen Raum mit einer Vielzahl von Geweihen und anderen Jagdtrophäen – bis hin zu einer letzten, von brennenden Fackeln flankierten Tür: einer Kapelle der Herrin. Blutklinge kniff die Augen zusammen. Dies hier war Burg Silberbaum, und viele fürstliche Familien benutzten ihr Haus der Jägerin für Verabredungen und mehr: Falls dieser König Liebhaberinnen hatte, dann mochte er sehr wohl in einem der mit Vorhängen abgetrennten, schwach beleuchteten Zimmer hinter der Tür zu finden sein. Ein niedergestreckter Wachtposten – der erste Mann in dieser Burg in Rüstung – gab dieser Vermutung Nahrung und bewies, dass auch Mararr Ähnliches vermutet hatte. Vorsichtig betraten sie die Kapelle und fanden den üblichen Altar der Hörner und die Reihe dunkler, mit Vorhängen abgeteilter Räume dahinter vor. Vor einem der Räume lag eine Priesterin der Herrin tot auf dem Gesicht, und um sie herum breitete sich eine Lache von Blut aus. Die Finger hatte sie in den Vorhang gekrallt. Blutklinge presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Die Götter waren jenen nicht wohlgesonnen, welche Krieg in ihre Tempel trugen. Die Tür dahinter stand offen, und – Mararr verfügte über gute Instinkte. Eine dunkle, enge Treppe führte nach oben, und jede dritte Stufe glomm vor Magie, welche ohne jeden Zweifel jemanden irgendwo in der Burg vor hochsteigenden Füßen
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warnte. Es stand zu hoffen, dass oben niemand mehr am Leben war, um die Warnung zu beherzigen. Naor legte eine Hand auf den Arm seines Herrn, so lange er brauchte, um an Blutklinge vorbeizuschlüpfen und als Erster die Treppe zu erklimmen. In dem Raum hinter dem Ende der Treppe lag eine weitere Leiche – ein Diener in erheblich prachtvollerer Livree. Der Mann war mit leeren, niederbaumelnden Händen über einem Sofa zusammengebrochen. Sie mussten sich dem König nähern oder dem Zauberer – oder beiden. Es war an der Zeit, Vorsicht walten zu lasen. Blutklinge hielt an, winkte einige seiner Männer mit dem Schwert an sich vorbei und sagte zu Lultus und Gurkyn: »Bleibt hier und bewacht die Treppe, ihr beiden – Anfang und Ende. Benachrichtigt einander und uns, falls hier jemand auftaucht, um die Klinge mit euch zu kreuzen ... oder einen Zauber wirkt.« Sie gingen durch drei weitere Räume mit Toten und bemerkten in der vierten Kammer das in die dicke Mittelsäule geschnitzte Gesicht nicht, dessen herausgehauene Augenhöhlen echte Augen enthielten – die Augen von Ingryl Ambelter, dem alten und neuen, wenn auch nicht offiziell ernannten Zauberfürsten von Burg Silberbaum. Die Augen starrten verkniffen auf die Eindringlinge, zogen sich dann in die Tiefen der Säule zurück und verschwanden. »Obacht!«, schrie Lultus, und auch seine Augen verengten sich, während er sich bis zur untersten Stufe zurückzog. »Schaut nur!« Gurkyn schaute nach unten und bemerkte in der Kapelle ein Glänzen. »Magie!«, zischte er überflüssigerweise.
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Das Licht war aus dem Nichts gekommen und löste sich zu einer Woge winziger goldener Sterne auf, so wie Funken eines Feuers, welche sich irgendwie weigern zu erlöschen. Im Herzen des Sternchenwirbels stand ein Mann. Ein kleiner, schmaler Mann in Lederkleidung, welcher erstaunt um sich blickte und dem ein schmales Schwert in die Hand hüpfte. Lultus wartete nicht ab, dass sich herausstellte, ob es sich bei der Erscheinung um Freund oder Feind handelte. Er zog eines seiner langen Messer aus den Stiefeln und warf es, so fest er konnte. Der Kopf des schmalen Mannes fuhr bei dem Geräusch hoch, und er tauchte zur Seite weg, wobei das Schwert in seinem Kielwasser zustach. Ein melodisches Geräusch erklang, als das Messer auf die Klinge traf und dann zur Seite taumelte. Dann rannte der Neuankömmling auch schon los. Gurkyn stieg bedächtig und mit zum Zustechen bereiter Klinge die Treppe hinunter. Lultus würde sich nicht sonderlich über Hilfe freuen, derer er gar nicht bedurfte, und – »Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen«, hörte er den kleinen Mann fröhlich sagen, als Lultus vorwärts sprang und Stahl auf Stahl prallte. »Wie kurz das auch immer sein mag.« Klingen sangen und schnellten durch die Luft – und schon kippte Lultus, dem das Blut aus der Kehle schoss, um, und der kleine Mann sprang die Treppe hoch. Er lächelte Gurkyn breit an und winkte mit seiner blutigen Klinge. »Craer Delnbein, zu Euren Diensten«, sagte er heiter. »Wollt Ihr auch versuchen, mich umzubringen?« Gurkyn Oblarram wagte einen Blick in die tanzenden Au-
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gen, dann drehte er sich um und floh die Treppe so schnell hoch, wie er es vermochte. Während Blutklinges Bande einen weiteren Raum durchquerte, stürmte Mararr Guldalmin aus einem Torbogen, so schnell ihn seine Füße trugen. Er kam keuchend auf die Männer zugerannt, und aus seiner aufgeschlitzten Wange tropfte das Blut. Noch mehr quoll aus einer Wunde an einer nutzlos herabbaumelnden Hand mit mehreren fast abgetrennten Fingern. »Halt!«, bellte Peldrus – das erste Wort, welches er in dieser Nacht aussprach. »Was –?« Mararr stieß ihn schluchzend zur Seite und wand sich verzweifelt an ihm vorbei. Die anderen wichen aus, um Mararr vorbeizulassen, und bemerkten, dass etliche seiner Kurzschwerter fehlten. Während der Ritter keuchend seine Flucht fortsetzte, sah Blutklinge, um wen es sich handelte, und brüllte: »Guldalmin, angehalten und stehen geblieben! Ich befehle es Euch!« Mararr verlangsamte seinen Lauf, erwischte eine Säule und schwang sich um sie herum, bis er nach Atem ringend zum Stehen gekommen war. »Was ist es?«, knurrte Duthjack. »Auf was seid Ihr gestoßen?« Unruhe machte sich im nächsten Raum bemerkbar, und aller Augen wandten sich gerade rechtzeitig in diese Richtung, um zwei grimmige Höflinge dabei zu beobachten, wie sie die Leiche von Skuldus – einem der beiden Männer, welche Mararr auf seinen Streifzug mitgenommen hatte – in den Raum hereinzerrten. Hinter ihnen drängte sich ein dichtes Knäuel von Höflingen mit Schwertern in der Hand und von
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Furcht und Entschlossenheit gezeichneten Gesichtern. An ihrer Spitze schritt ein Mann in voller Rüstung und mit niedergelassenem Visier, der in beiden Händen eine Klinge trug. Beide Schneiden glänzten rot von Blut. Mararr deutete wortlos auf die Höflinge. »Tötet sie«, befahl Blutklinge voller Sorge, wobei er seine Stimme nur ganz wenig hob. Während seine Männer vorwärts drangen, tat er zwei Schritte, griff sich einen üppig verzierten Stuhl und schleuderte ihn quer durch den Raum. Der Stuhl zerbrach krachend inmitten der Höflinge und ließ etliche fluchend zur Seite springen, aber keiner der Männer wurde getroffen. Dann klirrten auf allen Seiten Schwerter aufeinander, und der Kampf begann mit vollem Ernst. Duthjacks Kämpfer waren Vollblutveteranen, verzweifelte Ausgestoßene, welche noch nicht allzu lange das Schlachtfeld verlassen hatten und immer noch alle Kunstgriffe des Schlachtengetümmels kannten, und sie sahen sich offenkundig entsetzten Männern ohne Rüstung gegenüber, die seit Jahren nicht mehr die Verzweiflung einer Schlacht erlebt hatten. Aber inmitten der übermäßig vorsichtigen Verteidiger schritt der Riese in voller Rüstung, und seine Klinge biss zu wie eine Schlange, als er eine Parade abwehrte und erst Peldrus, dann Braerim die Kehle aufschlitzte, und zwar binnen zweier Atemzüge. »Nehmt euch den Ritter in der Rüstung vor!«, bellte Blutklinge und riss einen weiteren Stuhl hoch. Wenn es ihm gelang, das Möbelstück über aller Köpfe zu schleudern und den Helm rechtzeitig zu treffen ... Der Stuhl traf eine Schulter, wurde zur Seite gelenkt und
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traf einen von Duthjacks eigenen Leuten, und der Mann taumelte zu Boden. Ein Höfling sprang herbei und stieß dem Gestürzten sein Schwert in die Kehle, und schon gehorchte ein Schwert weniger Blutklinges Befehlen. Ein Höfling ging zu Boden, dann ein zweiter. Dann fällte der Ritter mit einem Aufblitzen seines Schwertes inmitten eines Knäuels von Feinden Nluthkin und Tathtorn und trieb einen dritten Mann – Earlevus – zurück. Earlevus warf Blutklinge einen entsetzten Blick zu und schoss dann an seinem Anführer vorbei, um aus dem Raum zu hasten. »Halt, oder Sargh soll Euch holen!«, brüllte Blutklinge und holte mit dem Schwert aus, um die Flucht des Mannes zu beenden und ihn niederzustechen – aber seine Reichweite war nicht groß genug. Bei den Hörnern, verdammt noch mal! Andere Männer drehten sich jetzt ebenfalls um und rannten quer durch den Raum zurück. »Halt, ihr Hunde!«, wütete Duthjack und griff nach einem Mann, was aber die anderen nicht von ihrer wilden Flucht abbrachte. »Bleibt stehen und kämpft! Wir haben ein Königreich zu gewinnen!« »Die Dreifaltigkeit möge verhüten«, erklang eine Stimme aus dem geschlossenen Helm, »dass noch mehr Volltrottel versuchen, Aglirta mit ihren Schwertern zu erobern. Die Herrin möge mir helfen.« Blutklinge fuhr wieder zu dem Kampfgetümmel herum, rannte mit einer gewissen Befriedigung einen Höfling über den Haufen und trat einem weiteren wütend in den Schritt,
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während der erste noch blutüberströmt und gurgelnd zu Boden fiel. Dann erklang hinter ihm ein Schrei, und Blutklinge drehte den Kopf gerade rechtzeitig um, um Earlevus zurück in den Raum hasten und fallen zu sehen, während sein Schlächter sein Schwert aus dem Körper des Mannes zerrte. Es handelte sich um einen schnellen, kleinen Mann in lederner Kleidung, welchen Blutklinge nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte – ein Beschaffer, bei der Dreifaltigkeit, und kein Höfling. Bei den Göttern, versuchte außer ihnen noch jemand, in dieser Nacht den König zu töten? Blutklinge wirbelte wieder herum, machte einen verzweifelten Ausfall und tanzte von einem stolpernden Höfling weg. Zu beiden Seiten sangen Schwerter, ein weiterer seiner Männer duckte sich zur Seite – und Blutklinge fand sich Klinge an Klinge mit dem Ritter in Rüstung wieder. Seine Lippen kräuselten sich. Der Helm des geheimnisvollen Schwertkämpfers war von alter Machart, und eine Schwertspitze vermochte mit Leichtigkeit in die Visieröffnung einzudringen. Sendrith Duthjack hob seine bluttriefende Klinge und zischte: »Seht dem Tod ins Auge, Mann!« »Oh?«, ertönte die tiefe Stimme aus dem Helm. »Ich suche den Dunklen seit langer, langer Zeit – aber ich scheine ihn nie zu finden, wenn ein Krieger versucht, mir den Weg zu zeigen.« »Dann lasst heute den Tag des Findens sein!«, bellte Blutklinge und sprang in die Luft, um sein ganzes Gewicht in einen schwungvollen Schwerthieb zu legen, der die Verteidigung des Feindes durchbrechen und in den Helm eindringen
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sollte. Stahl kreischte auf – verkeilte sich – und hielt stand. Die beiden Männer brachten all ihre Kräfte auf, während ihre Klingen aneinander zu kleben schienen, und ihre Gesichter trafen beinahe aufeinander. Dann wirbelte Duthjack weg und schlug rasch und tief zu: Sein bester Kampftrick, mit welchem er vor sechs Sommern den alten Sarnor getötet hatte, und davor den Ausgestoßenen Largrath. Sein Schwert wurde von einem Stahl zur Seite gewischt, welcher aus dem Nichts zu kommen schien. Die Parade ging dann zu Blutklinges Verwirrung in einen Hieb über, welcher schmerzhaft Duthjacks Rippen traf und ihm eine Brustplatte wegschlug, welche klirrend an dem übrig gebliebenen Lederriemen hin und her baumelte. »Wer seid Ihr?«, keuchte Duthjack und zog sich von der geschickten Klinge seines Feindes zurück. Der Ritter schob sein Visier hoch. Kalte Augen starrten den Gesetzlosen an. »Euer König«, erklang eine Stimme womöglich noch kälter. Duthjack schluckte, brachte etwas heraus, das wie ein Schluchzen klang – und floh.
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Elf
Über Schlangen, Steine und Brunnen C Blicke fanden sich für flüchtige Momente, und ein jedes Augenpaar erblickte Hoffnungsschimmer in dem anderen. Dies mochte sich als die große Gelegenheit erweisen, auf welche sie gewartet hatten. Die beiden Zauberlehrlinge mussten sich nicht durch ein Lächeln anzeigen, dass sie diesen Gedanken teilten, und das sollte ihnen recht sein, denn ohnehin wagte keiner von ihnen solches. Vielleicht, nur ganz vielleicht, war der Tag angebrochen, an welchem der mächtige und weithin gefürchtete Tharlorn von den Donnern fallen würde ... sein Leben aushauchte oder doch wenigstens ins tiefste Verlies stürzte und dort grässlichste Foltern erlitt ... Und dies dank zweier junger Leute, welche sich in der Magie übten und von denen noch nie jemand gehört hatte. Das Tal hatte allen Grund, ihnen dafür zu danken. Tharlorns schwarze Magie war mehr als einmal wie ein Peitschenhieb über diejenigen gekommen, welche er zu seinen Fein-
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den auserkoren hatte. Seine Zauberbanne hatten Menschen lebendig von innen aufgefressen oder aber ihre Gliedmaßen in weiche Tentakel verwandelt, so dass sie weder laufen noch sich aufstützen konnten – den glücklicheren unter diesen hatte ein mitfühlender Nachbar den Schädel eingeschlagen. Und noch anderen hatte Tharlorn Flugaale entgegengesandt, welche seinen Widersachern bei lebendigem Leib die Augen aus den Höhlen gefressen hatten. Unter den Feinden des Schwarzkünstlers fanden sich auch Zauberer, sogar welche von Rang. Zuerst nur einzelne, doch dann auch kleinere und schließlich größere Gruppen. Sie alle einte die wachsende Furcht vor einem Mann, welcher einem wolkenlosen Himmel Blitze zu entlocken vermochte, oder Menschen, welche auf sein Land vordrangen, in hilflose Statuen verwandelte. Dies bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein, bis sie elendiglich an Hunger und Durst zu Grunde gehen mussten und nicht selten von Aasgeiern gefressen wurden. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Tharlorn von den Donnern drei Zauberlehrlinge in seinen Diensten gehabt. Beflissene und ehrgeizige Jugendliche voller Wissbegier und eifrig bedacht, ihrem Lehrmeister zu Willen zu sein. Die beiden Jüngeren waren Knaben gewesen, die Ältere ein Mädchen, das seinem Herrn auch im Bett zu Gefallen sein musste. Sie hieß Cathaleira Bogendrachen und stammte von den Bogendrachen in Arlund ab. Ihre Familie hatte berühmte Zauberer hervorgebracht, und die jüngste Tochter versprach jetzt schon, sich dieser Herkunft mehr als nur würdig zu er-
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weisen. Doch kaum hatte sie Tharlorn kennen gelernt, da kannte sie kein größeres Glück mehr, als ihm als Sklavin zu dienen. Das war vor zwölf Sommern oder noch ein wenig länger gewesen, und irgendwann im Laufe dieser Jahre hatte der große Zauberer Überdruss verspürt – im Hinblick auf seine Sklavinnen, welche sich ihm willig hingaben und hinter seinem Rücken dennoch versuchten, sich kleine Vorteile und Bevorzugungen zu erschleichen. Solcherart Gier hatte den Erzmagier bald nur noch abgestoßen ... Aus diesem Grunde standen heute auch nur noch zwei Zauberlehrlinge in den kalten Tiefen der vordersten Zauberspruchhöhle im verborgenen Donnergard, und kein Mädchen mehr. »Und siehe«, sprach Tharlorn unvermittelt und hob beide Arme. Die weiten Ärmel seines Gewands blähten sich wie von selbst auf, als die Zauberenergie aus dem Mann hinausströmte – eine unsichtbare Flut von solcher Kraft und Mächtigkeit, dass die Luft selbst erbebte. »Nun ist es vollbracht.« Dies waren die ersten Worte, welche der Erzmagier nach dem Gemurmel der zehn Anrufungen gesprochen hatte. Mit Letzteren hatte er sein Meisterstück vollbracht – nämlich eine harmlose kleine Bodenschlange in einen Magierfresser verwandelt. Cathaleiras Körper hatte da noch gedampft. Aufgeschnitten und ausgenommen hatte sie wie ein Schwein auf der Schlachtbank dagelegen ... ... bis die um ein Vielfaches angewachsene Schlange sich
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mit den Reißzähnen ihrer vielen Köpfe auf den Leichnam gestürzt und sich daran gütlich getan hatte. Bis zum letzten Knochen hatten die Schlangenköpfe den jüngsten Spross aus dem Hause Bogendrachen verschlungen. Tharlorn würde sich um die Rachegelüste ihrer Familie später kümmern. Wenn die Bogendrachens vom Tod des Mädchens erfuhren, wäre immer noch Zeit genug dafür. Und dann würde es ihm vermutlich auch großen Spaß bereiten, unter ihnen aufzuräumen. Schließlich bedurfte auch ein mächtiger Erzmagier hin und wieder der Unterhaltung. Die gekrümmten Finger des Zauberers malten Halbkreise in die Luft. Die beiden Lehrlinge verfolgten verwundert, wie ihr Herr immer stärker zitterte. Schließlich wagte sich der ältere von beiden einen vorsichtigen Schritt voran, nur um einen Blick auf die Miene Tharlorns zu erhaschen. Der Meister der Donner schwitzte heftig, und an seinem Hals traten die Adern hervor. Seine Lippen formten lautlos Worte, und seine Züge verzerrten sich immer mehr. Tharlorn schien einen inneren Kampf auszufechten, in dessen Verlauf die Schlange sich immer höher aufrichtete. Wie eine leicht schwankende Säule stand sie schließlich da, und ihr Blick kreuzte sich mit dem des Erzmagiers. Kräftig und schwer erschien die Schlange dem Betrachter, und die Lehrlinge nannten sie bei sich »Schulter«. Denn genau so wirkten die Muskelpakete auf die Knaben, und breit wie bei einer Pferdebrust ging der schuppige Leib in den glänzenden Schädel über, der, um im Bild zu bleiben, einer geballten Faust ähnelte.
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Doch von diesen gab es ja ein ganzes Dutzend. Zwölf Schädel schaukelten auf je einem aaldicken Hals auf diesen »Schultern«. Goldene Augenpaare blickten aus den Schädeln, welcher ansonsten nur aus unheimlich langen Zähnen zu bestehen schien. Diese scharfen Fänge schnappten andauernd in die Luft und schienen schon wieder auf der Suche nach etwas Essbarem zu sein. Sie näherten sich dem Erzmagier, welcher sie erschaffen hatte, und machten Miene, ihn ebenfalls zu verschlingen. Doch dann ging ein Ruck durch die Riesenschlange. Ein Zucken setzte sich wellenförmig über die gesamte Länge ihres Leibs fort. Dennoch versuchte das Ungeheuer weiterhin, sich voranzubewegen, bloß um am viel stärkeren Willen Tharlorns zu scheitern. Aus dem See goldener Augenpaare strömte dem Erzmagier ein solcher Hass entgegen, dass man ihn körperlich spüren konnte. Cathaleira lag hinter diesen leuchtenden Scheiben gefangen. Sie war nicht nur erwacht, sondern auch sonst wieder bei Bewusstsein. Unhörbar schreiend versuchte sie, sich gegen ihr neues Gefängnis zu wehren – wie auch gegen Tharlorns Willen. Doch sie blieb in den Tiefen dieses widernatürlichen Körpers gefangen, welchen der Magier geschaffen hatte. Die junge Frau hörte und spürte das Knirschen und Reißen von Fleisch und Knochen, als Tharlorn mit seinen Zaubersprüchen immer neue Geschöpfe an das erste Wesen anband ... um daraus ein wahrhaftiges Albtraumgebilde zu erschaffen.
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Cathaleira Bogendrachen spürte, dass nur selten ein Mensch so verdammt worden war wie sie. Dabei hatte sie sich nicht mehr zu Schulden kommen lassen, als ihrem Ehrgeiz nachzugeben – und ihrem Herrn und Meister allzu beflissen zu Willen zu sein. Ein Dröhnen wie tiefes Grollen ließ den Raum erbeben und stammte von dem Magierfresser, der zu brüllen oder zu zischen versuchte. Doch trotz der vielen Zahnreihen und Kiefer, über welche das Ungeheuer mittlerweile verfügte, gelang es Cathaleira nicht, irgendeinen Laut aus ihrer Kehle auszustoßen. Die beiden Lehrlinge standen wie erstarrte Salzsäulen da. Mit ausdruckslosen Mienen und zu Masken erstarrten Zügen verfolgten sie das Treiben des Tharlorn. Bebend und zitternd versuchte der Erzzauberer schon wieder, das Untier unter seinen Willen zu beugen. Es sollte ihm so selbstverständlich und augenblicklich gehorchen wie seine Hände. Aber allem Anschein nach wollte ihm die Bezähmung der Schlange nicht so recht glücken. Zwar war es dem Ungeheuer nicht gelungen, näher heranzurücken, aber das Wesen bebte und zitterte mindestens ebenso stark wie der Magier. Tharlorn schwitzte so sehr vor Anstrengung, dass ihm die Kleider am Leib klebten. Seine Gedanken rangen darum, in einem unsichtbaren Netz der Magie nach Mitteln und Wegen zu suchen, Cathaleiras Geist zu überwältigen und zu erobern, wie ihm das doch früher so oft möglich gewesen war – manchmal mit Zärtlichkeiten, manchmal mit roher Gewalt und manchmal auch mit beidem.
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Die beiden Zauberlehrlinge wagten nicht zu atmen noch sich zu rühren – aus Furcht, dann von dem Magier oder der Schlange bemerkt zu werden. Wie gefangen zwischen Hammer und Amboss fühlten sie sich, und die Angst ließ ihnen die Tränen in die Augen treten. Genauso wenig, wie sie sich zu bewegen wagten, wollten sie an diesem grässlichen Ort bleiben. Wenn ihr Herr unterlag, würde die vielköpfige Schlange sich auf sie stürzen, um sie zu zermalmen und zu fressen. Viel zu spät würde Cathaleira dann erkennen, dass sie die Hilfe ihrer beiden ehemaligen Mitlehrlinge benötigte, um wieder in ihren alten Körper zurückkehren zu können. Gar nicht erst zu reden von ihrer Wut über das, was ihr widerfahren war. Die junge Frau hatte sich immer schon schlecht beherrschen können. Doch wer wusste schon zu sagen, wie es ihnen wohl erginge, wenn der Erzmagier triumphierte? Er hatte bedenkenlos seinen ältesten Lehrling geopfert. Sobald er den Magierfresser seinem Willen unterworfen hatte, würde er sich gewiss der beiden verbliebenen Lehrlinge bedienen, um der Schlange Gelegenheit zu geben, sich im Töten zu üben. Oder nur, um den Hunger der Bestie zu stillen. Doch jetzt lächelte der Herr der Donner unvermittelt, zeigte seine zusammengebissenen Zähne und richtete sich gerade auf. »So ist es doch schon viel besser ...« Seine Stimme klang wie von jemandem, der ihn übertrieben nachäffte, um ihn zu veralbern.
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»Jetzt gehört Ihr wieder mir, kleine Cathaleira, so wie Ihr mir immer schon gehört habt. Mir und niemandem anderem. Vergesst das nicht mehr!« Der Magier stieß eine Hand in die Luft, und die Riesenschlange kippte nach hinten über. Ihre vielen Mäuler schnappten hilflos nach der Luft, und die Zungen stießen immer wieder wie ein Wald von Pfeilen aus ihnen heraus. Dann verfolgte Tharlorn befriedigt, wie die Schädel am Boden lagen und ihn anstarrten. Doch dann rollte sich der Magierfresser urplötzlich herum und stieß mit seinen Reißzähnen nach den zu Tode erschrockenen Zauberlehrlingen. Die Blicke aus den goldenen Augen bohrten sich in die braunen der beiden Unglücklichen. Nur drei Hände breit von ihren Gesichtern entfernt funkelte der Blick der Schlange sie voller Tücke an. Aber dann wandte das Ungeheuer sich ebenso unvermittelt von den Jünglingen ab. »Seht ihr«, erklärte Tharlorn den beiden, »ich sende einen Gedanken aus, und sie gehorcht. Ohne Zögern und ohne Bedauern.« Er ließ die Schlange sich drehen, bis sie einen Kranz bildete und die Schädel sich im Takt wiegten – so dass sie aussah wie ein Jongleur, der bei Hof seine Künste vorführt. »Ihre Schuppen sind meine begnadetste Erfindung«, verkündete der Magier stolz. »Sie werfen Banne und Zauber auf ihren Verursacher zurück.« Wieder betrachtete er die spitzen und erbleichten Gesichter seiner Lehrlinge, lächelte und fügte hinzu: »Behaltet das
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im Gedächtnis. Eine solche Erfindung dürfte allzu großem Ehrgeiz doch einen kleinen Dämpfer versetzen, oder?« Tharlorn wartete gar nicht erst ab, ob die Jünglinge darauf etwas zu entgegnen hatten, und wandte sich wieder der gewundenen Bestie zu. »Ich habe Euch erschaffen, um Personen, welche ich noch bestimme, zu vernichten. Lasst Euch bei solchem Tun doch von der Wut leiten, welche Ihr deswegen gegen mich im Busen hegt, was ich Euch angetan habe. Und erblickt nun den Ersten, welchen Ihr zu töten habt.« Er wedelte mit den Fingern, und die vielen goldenen Augen wurden im selben Moment groß, während vor Speichel triefende Kiefer im Chor den Namen des Opfers riefen: »Bodemmon Sarr!« »Natürlich, wen habt Ihr denn erwartet?«, lächelte Tharlorn, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen. Der Magierfresser schwang seine Schädel zu den zwei immer noch erstarrt dastehenden Lehrlingen herum. Die Jünglinge spürten, dass es einem unter dem Blick so vieler goldener Augenpaare ganz schön mulmig werden konnte. Schon nach wenigen Atemzügen bibberten die beiden vor Angst um die Wette. Die Schlange zog ihre Häupter zurück und schüttelte sie voller Verachtung. Dann setzte sie sich in Bewegung und schob sich aus dem Raum – ebenfalls, ohne sich noch einmal umzudrehen. Nach einer Weile wagten es die Jünglinge, den Blick von dem sich windenden Leib zu wenden und einander anzusehen. Sie leckten sich über ihre spröden Lippen, brachten aber
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keinen Ton heraus. In den Augen des jeweils anderen erkannten sie die gleiche Furcht davor, dass Cathaleiras furchtbares Schicksal auch sie eines nahen Tages treffen könnte – wenn sie ihre ehemaligen Gefährten nicht vorher schon auffraß. Die Herrin der Edelsteine streckte die langen und wohlgeformten Arme über den Kopf und ließ sie dann langsam wieder nach unten sinken. Dabei raschelte ihr langes, gelöstes Haar über die Schultern. Heiter sprach sie zu den drei Männern in ihrer Begleitung: »Wie wohl es doch tut, mit euch zusammen wieder das Tal zu retten.« Craer grunzte nur dazu, aber Hawkril und Sarasper sahen sie an und bestätigten ihr, jeder auf seine Weise, dass sie ganz genauso darüber dächten und sich über ihre Anwesenheit freuten. Erfrischt und bester Dinge fühlte sich die Viererbande auf ihrem Spaziergang durch das Oberland von Aglirta einfach nur wohl. Sie befanden sich hier im allerärmsten und am spärlichsten bebauten Hinterland. Einst hatte sich hier die Grafschaft Phelinndar ausgebreitet, ein Fürstentum voller kleiner Höfe, Mauern aus Bruchsteinen und den großen, breiten Stümpfen alter Baumriesen. Viel Wald hatte dieser Landstrich immer schon vorzuweisen gehabt. Der Loaurimm zögerte, die gefallene Grafschaft aus seinem Zugriff zu lassen. Craer war fast so weit, der Fürstentochter wieder zu ver-
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trauen. Embra hatte ebenso verwirrt wie die anderen gewirkt, als er sich plötzlich wieder bei seinen Gefährten im Schweigenden Haus befunden hatte – nachdem er doch gerade noch in vollem Lauf und sich der Schurken erwehrend, welche unbedingt den König ermorden wollten, über Treibschaum gestürmt war. Die Herrin der Edelsteine hatte geschworen, keine Ahnung von seinem plötzlichen Ortswechsel zu haben. Aber das brauchte sie auch gar nicht, denn mittlerweile wusste der Beschaffer nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn Dwaer-Magie im Spiel war. Aber wenn Embra nichts damit zu tun hatte, wer dann? Konnte ihm das jemand beantworten, bitte schön? Die Fürstentochter hatte sich auch anerboten, sich von Sarasper mit einem Wahrheitszauber belegen zu lassen, um ihre Aussagen zu überprüfen. Unter Tränen hatte die junge Frau ihm dann geschworen, auf gar keinen Fall hinter seiner unfreiwilligen Reise zu stecken. Und bei der Dreifaltigkeit, Craer hatte ihr geglaubt. Oder mit anderen Worten, jemand, der sich im Besitz eines der Steine sah, folgte der Viererbande auf Schritt und Tritt. Doch das konnte eigentlich kaum überraschen. Immerhin hatten sie es jetzt bis hierher geschafft. Aller Hader zwischen ihnen war einstweilen vergessen und beiseite gelegt. Jetzt hieß das Gebot der Stunde wieder, die Dwaerindim aufzuspüren. Embra hatte ihren Stein eingesetzt, um sie auf die Lichtung zurückzubringen, auf welcher sie vor Zeiten ihren Suchbann
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ausgesprochen hatte. Mittlerweile lag dieser Ort einen Tagesmarsch hinter ihnen. Ein hurtiger Spähzauber, bei dem eine Öllampe von ausgesuchter Hässlichkeit hatte dran glauben müssen, hatte der Zauberin verraten, dass der gesuchte Stein sich nicht mehr weit von ihnen befände. Die Öllampe hatte zu dem Vorrat von zauberischem Krimskrams gehört, mit dem die Vier sich reichlich eingedeckt hatten. Diese Schätze aus längst vergangenen Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hatte, verstopften den Gefährten die Rucksäcke, die Gürtelbeutel und selbst die Täschchen in der Unterwäsche. Obwohl Embra den Dwaer mitführte – er hing wieder an der Halskette, welche Hawkril nach einigen ausgesucht blutigen Eingriffen bei einem Langzahn geborgen hatte – benötigten sie Zauberkraft gegen feindlich gesonnene Magier, gierige Fürsten und natürlich alle Arten von Schlangenpriestern. Sehr viele Abwehrzauber schienen sogar vonnöten zu sein. Die Möglichkeiten, einen Angriffszauber gegen die Viererbande zu schleudern oder sie in eine Bannfalle laufen zu lassen, waren Legion. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich mit einem Dwaer einem anderen dieser Steine näherten. Selbst schwach begabte Magiekundige mussten auf so etwas aufmerksam werden. Eine Aufmerksamkeit, welche sich vermutlich feindselig und todbringend äußern würde. »Herrin, wird es nicht langsam Zeit für unsere Verkleidung?«, fragte Sarasper mit einem Mal. »In den Liedern der Sänger lassen sich böse Zauberer gelegentlich von wagemuti-
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gen Helden übertölpeln. Doch im wirklichen Leben neigen sie weniger dazu, zumindest kann ich das für mein Leben bestätigen.« »Vielleicht liegt das an Eurer tollpatschigen Art«, frotzelte Craer. Rasch verdrängte er die wieder aufkommenden Erinnerungen, wie er von einem Moment auf den anderen in den Palast versetzt worden war, um dann einige Räume weiter und einige Schwertkämpfe später wieder zurückversetzt zu werden. Bei den Göttern, du bist Craer, sagte er sich. Dich haut nichts so leicht um, solange du dir nur deinen Humor bewahrst. »Ohne das Unheil, welches Ihr mit Euch bringt, Heiler, wären wir immer noch in der Lage, uns überallhin zu begeben und schlafenden Zauberern Haare aus der Nase zu stehlen – ohne sie dabei in ihrem Schnarchen zu stören! Bei der Dreifaltigkeit! Wie lange dauert es jetzt wohl, bis ich genug zusammengestohlen habe, um mich aus dem harten Arbeitsleben in ein Dasein voller Muße und Genuss zurückziehen zu können?« »Wenn man in Betracht zieht, welche ungeheuren Mengen an Geld und Geschmeide notwendig wären, um Eure Bedürfnisse an ›Muße und Genuss‹ zu befriedigen, würde ich meinen ... sechsmal zwei Dutzend Jahre«, grollte Hawkril. »Aber der Heiler hat Recht. Höchste Zeit, die Verkleidung anzulegen. Die Pfeile, welche von den Wildererbögen der Bauern schnellen, vermögen genau so unwiderruflich zu töten wie die Schwerter der Soldaten ... oder der Blitzzauber eines Heckenmagiers.«
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Die Herrin seufzte, breitete die Arme aus und stieß die Hände mehrmals mit den Handtellern nach unten, um Ruhe zu gebieten. »Ihr sprecht natürlich wahr«, verkündete sie den Freunden, »und ich muss endlich damit aufhören, das hier als eine Lustfahrt ins Blaue anzusehen. Dafür stehen die Dinge in Aglirta zu ernst. Das Land hat wieder oder immer noch keinen Herrscher. Und jetzt bleibt bitte still stehen, damit ich anfangen kann.« Craer blökte zwar kurz, aber auch er gehorchte wie die beiden anderen. »Sind wir diesmal wieder die Edle mit drei Höflingen, welche ihrer Rösser verlustig gegangen sind?«, fragte der Hüne und verzog den Mund auf die ihm ganz eigene Art. Bei Hawkril bedeutete das, dass er eine Scherzfrage gestellt habe. »Warum uns mit verlausten Höflingen zufrieden geben?«, entgegnete der Beschaffer. »Warum nicht gleich der Auferstandene König für Embra und für uns drei hochstehende Fürsten? Ich wäre zu gern einmal ein hochmütiger Baron, welcher alle Welt durch die Gegend scheucht.« »Wenn wir uns das wirklich aussuchen können«, wandte Sarasper säuerlich ein, »hülfe es uns sicher mehr, nicht länger den Possenreißer zu spielen und uns das Aussehen von Schlangenpriestern zu verleihen. Jeder, dem wir begegnen, würde uns dann bereitwillig Platz machen.« »Und würde sich aus Angst vor uns verkriechen und keinen Finger zu unserer Unterstützung rühren«, widersprach Embra. »Nein, ich sage, lasst uns als Pilger durch das Land reisen, welche sich auf die Suche nach einer Reliquie unserer
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Hohen Frau begeben haben.« »Nein, nein«, wehrte Hawkril ab, »dann müssten wir ständig überall Fragen stellen: nach Jagdkatzen, nach weißen Falken und dergleichen. Ihr wisst doch, dass die Pilger der Jagdgöttin hauptsächlich solch seltenes Getier suchen. Da sollten wir lieber dem Vorvater folgen.« Sarasper stöhnte auf, aber davon ließ der Hüne sich nicht von seinem Vorschlag abbringen. »Dann brauchten wir nämlich nur Blumen zu pflücken oder in ehrfürchtigem Schweigen bestimmte Pflanzenschösslinge zu suchen. Und den Mund müssten wir nur öffnen, um leise einen Segen auszusprechen.« »Gesegneter Hoaradrim«, meinte Craer, »dann eben das. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass es viele Jahre her ist, seit ich zum letzten Mal Pilger im Tal gesehen habe.« »Ja gut, aber inzwischen ist der König zurückgekehrt«, entgegnete die Fürstentochter mit triumphierendem Blick. »Der neue Friede steht bevor, und indem wir unser Vertrauen in die schützende Hand des Königs zeigen, bringen wir den Menschen neue Zuversicht. Ich werde für uns alle härene Kutten zaubern. Die sind weit und formlos. So müssen wir nicht ein ganz eigenes Gewand für Craer und seine hundert Dolche erschaffen.« »Oder für Saraspers tausendundein Bedenken«, murmelte der Beschaffer und wich geflissentlich dem finsteren Blick des Alten aus. »Der Eiche zu folgen, beunruhigt mich nicht im Mindesten«, erklärte Sarasper. »Drum flugs ans Werk, Mädchen.« »Euer Wunsch ist mir Befehl«, entgegnete Embra und ver-
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beugte sich übertrieben tief vor ihm. Das löste bei Craer und Hawkril Grinsen aus. Der Heiler verdrehte die Augen und fragte überdrüssig: »Nehmt ihr Kindsköpfe eigentlich auch mal etwas ernst? Irgendwann einmal?« »Nun ja, alles, was Leib und Seele stärkt«, antwortete der Beschaffer. »Hawkril nimmt es sehr genau damit, nicht welches, sondern wie viel Essen in seinen Bauch gerät, wahrend ich mich mehr um den Inhalt von Flaschen –« »Jetzt reicht es aber!«, rief Sarasper. »Bei der Dreifaltigkeit, das ist ja schlimmer, als mit Sängern zu reisen. Die können nur immerzu jammern.« »Das ist ja wohl die Höhe!«, rief Craer in gespielter Empörung und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Da reisen wir durch das halbe Königreich heran, um Euch Beistand zu leisten und aus der einsamen Finsternis des Silberbaum-Hauses zu befreien, da bieten wir Euch in kurzer Zeit mehr Abenteuer und Zerstreuung, als andere ihr ganzes Leben lang bekommen, und Ihr habt in Eurem Undank nichts Besseres dazu zu sagen, als –« »Craer!«, brachte die Fürstentochter ihn zum Schweigen und stieß ihm ein Vorvater-Eiche-Figürchen ins Gemächte. »Gebt Ruhe! Also, meine Herrschaften, euch ist doch sicher nicht daran gelegen, dass bei meinem Zauber etwas schief geht und ihr in Kröten mit starken Blähungen verwandelt werdet, oder?« »Ach, Herrin, Ihr kennt den Beschaffer zu wenig«, warf der Hüne ein, »er hätte sicher seinen Spaß daran, als furzende Kröte herumzuspringen –« »Und ein solches Tier würde man doch allein schon der
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Geruchsbildung wegen gern mit einem Fußtritt weit fort befördern«, lächelte Sarasper. »Jetzt schweigt endlich, alle drei!«, gebot die Herrin der Edelsteine und funkelte die drei Männer der Reihe nach böse an. Am grimmigsten fiel ihr Blick auf Craer aus, der sie verlegen anlächelte, aber den Mund hielt. Dafür sprach sein Schweigen Bände. Embra hielt warnend das Figürchen hoch und begann ohne weitere Vorrede mit der Beschwörung derselben. Ein weißer Nebel entstand aus dem Nichts und legte sich um ihre Hände. Während die Edle weitersang, breitete sich der Nebel weiter aus und verband die Gefährten mit dem Vorvater, welcher in Embras Hand zusammenschrumpfte. Während die Beschwörung fortschritt, drehte der Hüne langsam den Kopf und fasste die Felder und Wälder in ihrer Umgebung ins Auge – hauptsächlich, um festzustellen, ob dort jemand, gleich ob Mensch, Tier oder Ungeheuer, auf der Lauer läge, sie zu beobachten. Aber Embra hatte einen ausgezeichneten Ort gewählt. Sie standen unter dem schützenden Laubdach einer uralten Eiche. Hier bog der Pfad, den sie bislang beschritten hatten, vor einem Hügel sanft ab, auf welchem man Gerste angebaut hatte. Auf der anderen Seite befand sich ein ausgetrocknetes Flussbett. Der Wasserlauf hatte vor Zeiten eine kleine Schlucht gegraben, doch die war mittlerweile vollständig mit Gestrüpp und Dornbüschen zugewachsen, so dass man von der Niederung in der Landschaft kaum noch etwas sehen konnte. Aus dieser Mulde wuchs die alte Eiche und wurde von ei-
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nigen verkrüppelten anderen Bäumen umrahmt, welche sich gegen sie nicht hatten durchsetzen können. Die Vier standen inmitten einer Senke, und wenn jemand sie ausspähen wollte, musste er schon sehr nah herankommen. Oder sich der Zauberei bedienen. Bei letzterem Gedanken wurde es dem groß gewachsenen Ritter ganz anders. Eine ganze Weile noch lief es ihm kalt den Rücken hinunter, während er und seine Freunde sich langsam in Gläubige des Vorvaters verwandelten. Aus Embra wurde eine aufgedunsene Alte mit gewaltigem Busen, einigen fehlenden Zähnen, abstoßenden Warzen und einem mütterlichen Lächeln. Sarasper zeigte sich als ihr Gemahl mit noch mächtigerem Schmerbauch und Augen, welche unter den vielen Fleischfalten im Gesicht kaum noch zu erkennen waren. Den Beschaffer verzauberte die Edle in ein Mädchen mit Schmollmund und knabenhaftem Körperbau, und der Hüne erkannte sich wieder als – »Bei den Göttern! Ihr habt mich zu einer Frau gemacht!« »Und auch noch zu einer richtigen Augenweide!«, feixte Craer. »Natürlich nur, wenn man Schenkeln wie Bunkerstützen und Brüsten wie Kartoffelsäcke den Vorzug gibt. Kommt in meine Arme, Ihr sanftes Reh – oder wie heißt das Tier mit dem Horn auf der Nase?« Während dieser Worte nahm Sarasper die formlose Lederkappe vom Kopf, welche der Bann dorthin gesetzt hatte, und zog sie Craer über den Schädel und über das Gesicht, bis hinunter zum Kinn. Lockenenden quollen hier und da unter dem Rand der
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Mütze hervor, aber darüber hinaus war nichts mehr vom Gesicht des »Mädchens« zu erkennen. Hawkril schnaubte erheitert, und Embra kicherte, während Craer mit gedämpfter Stimme erklärte: »Wahrscheinlich glaubt der eine oder andere von euch jetzt, dass das eine Verbesserung für mich bedeute. Doch seht es mir bitte nach, Freunde, wenn ich darüber ein wenig anders denke.« »Hm, ich bin mir noch nicht so ganz sicher«, bemerkte der Hüne. »Bleibt doch noch eine Weile so, ja, damit ich Euch weiter betrachten und mir ein endgültiges Urteil bilden kann.« »Und auf welchen lieblichen Namen hört Ihr, schöne Maid?«, fragte der Beschaffer und verschränkte die Arme vor dem kaum wahrnehmbaren Busen. Hawkril stellte sich in aller Vornehmheit hin und erklärte geziert: »Ihr dürft mich Vordra nennen.« Sarasper brach in lautes Gelächter aus, und Craer tat es ihm gleich. Embra hingegen zog fragend eine Augenbraue hoch: »Was ist denn bitte so unglaublich komisch an diesem Namen?« »Vordra war eine der preisgekrönten Zuchtkühe Eures Vaters«, klärte der Heiler sie auf, »und eine gute Milchkuh obendrein.« Dann runzelte der Alte die Stirn. »Bei allem, was recht ist, man hat Euch aber ganz schön von der Außenwelt abgeschirmt.« »Gütiger Himmel«, stieß Craer, der sich endlich von der Lederkappe befreit hatte, ins gleiche Horn, »ich dachte, das wisse jeder.« Embra seufzte. »Ganz im Ernst, meine Herren, das, was ich wirklich weiß, ist winzig verglichen mit dem, was ich wissen sollte.«
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Craer nickte feierlich. »Weise Worte, Gnädigste. Zu schade, dass nicht viel mehr Menschen sie beherzigen. Besonders solche, auf welche sie höchst gewisslich zutreffen.« »Und wer könnte das sein?«, erkundigte sich Sarasper mit gefährlich drohendem Unterton. »Bewahre, Heiler«, beeilte der Kleine sich, ihm zu versichern. »Ausnahmsweise habe ich keinen von uns gemeint, sondern die Fürsten und ähnliches Gesindel.« »Wohl gesprochen«, grummelte Hawkril. »Und jetzt wollen wir endlich unseren Weg fortsetzen.« Er breitete die Arme aus und trieb die anderen wie seine Herde vor sich her zurück auf die Straße. An der Spitze schritt Olim, gefolgt von seinem Weib Vordra. Züchtig hinter ihren Eltern lief Tochter Rendree und wurde von Lassa begleitet, einer Freundin ihrer Mutter. Letztere erteilte in ihrer vornehmen Fürstentochtersprache den anderen letzte Ermahnungen. Solange Hawkril sein Grollen und Grummeln nicht einzustellen vermöchte, solle er sich mit dem Reden tunlichst zurückhalten. Und Craer gebe am besten keinen Mucks von sich, wenn er nicht Lassas Stiefel im Kreuz spüren wolle. Die anderen grinsten und kicherten noch darüber, als Olim/Sarasper das Straßenschild ausmachte. Rendree/Craer besaß von den Vieren immer noch die besten Augen. Er blinzelte voraus und las schließlich den Gefährten vor: »Tarlarnastar. Ein kleines Dorf, das stolz darauf ist, nicht größer zu sein.« »Unfug!«, grollte Vordra. »Das steht da gar nicht. Verschont uns für eine Weile mit Eurem Witz, Freund Craer,
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Verzeihung, Tochter Rendree. Von einem Ort dieses Namens habe ich noch nie gehört.« »Und ich verwette mein seit Jahren ausstehendes Taschengeld«, gab das knabenhafte Mädchen zurück, »dass sie dort auch noch nie von Euch vernommen haben, liebste Mutter.« »Ich dachte, Ihr wolltet ihn bei solcher Rede ins verlängerte Rückgrat treten«, bemerkte Vater Olim zur Freundin seiner Gattin. Lassa lächelte kurz, sprang auf den Beschaffer zu und beförderte ihn an Kragen und Hosenbund in den Straßengraben. Einen Moment später kletterte Craer heraus. »Das war überhaupt nicht komisch.« Die anderen grölten vor Lachen, und so schimpfte er: »Gehört es vielleicht zu den Pilgerpflichten der Vorvatergläubigen, sich wie Thekenschlampen aufzuführen und einen solchen Radau zu veranstalten?« Das Lachen seiner Gefährten ließ nach und verstummte vollends, als Embra plötzlich erstarrte. Sie legte dem Beschaffer eine Hand auf den Unterarm und sah ihn kurz warnend an. Einen Moment später verging ihnen die Fähigkeit, einander in der neuen Verkleidung statt in ihrem wahren Aussehen zu schauen. Mochte Craer auch für jede Alberei zu haben sein, so wusste er in der Regel doch, was die Stunde gerade geschlagen hatte. Embra musste einen Zauber gespürt haben. Und da ihnen weder Feuerbälle noch fliegende Schwerter noch herumzappelnde Skelette entgegenrasten, konnte es sich dabei nur um
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einen Spähzauber handeln. Jemand beobachtete sie. Craer näherte sich wie zufällig Sarasper. Er konnte seine Gefährten wieder in ihrer wahren Gestalt wahrnehmen. Damit wurde klar, dass die Edle ihre Bemühungen beendet hatte und darauf hoffte, dass ihr Bann weit genug gediehen war, um die Vier als Pilger erscheinen zu lassen. »Bereitet die Hüfte Euch immer noch Schmerzen, Herr Vater?«, fragte er und legte die Stirn besorgt wie ein junges Mädchen in Falten. »Ich habe Euch eben wieder stöhnen gehört.« Der Heiler sah den Kleinen einen Moment lang eigenartig an und antwortete dann: »Ja, Mädchen, Eure Ohren haben Euch wie üblich nicht getäuscht. Der Vorvater hat noch nicht geruht, mich von meinen Schmerzen zu befreien.« Der Alte bewegte sich mit übertriebenem Humpeln weiter. »Aber es tut meinem Herzen wohl, uns alle zusammen lachen zu hören. Doch wollen wir jetzt weiter. Irgendetwas sagt mir, dass dieses Tarlarnastar die Heilung für mich bereithalten könnte. Bestimmt stoßen wir dort aber auf ein Zeichen der Eiche.« Craer verdrehte die Augen, um Sarasper anzuzeigen, dass er seine Rolle als frommer Pilger fast schon zu gut spielte. Dann rannte er wie ein junges Mädchen nach vorn den Hang hinauf, sah sich oben um und kam endlich zu dem Heiler zurückgelaufen. »Ich sehe dort keine Türme, Herr Vater, nur Hütten«, wusste er zu berichten. »Und alles, was für uns bedeutsam sein könnte, wollt Ihr mit einem kurzen Blick von außen festgestellt haben«, meinte
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Vordra voller Zweifel. »Jetzt bleibt gefälligst bei uns Mädchen, sonst kommt Ihr mir noch unter die Räder. Wir wollen gemeinsam in das Dorf ziehen. Gut möglich, dass Hoffnung, Hilfe und sogar Errettung an anderem Ort zu finden sind als in Türmen.« »Wohl gesprochen«, lobte ihre Freundin Lassa und hakte sich bei der Mutter ein. »Der Vorvater liebt nämlich die Bäume und alles was wächst, aber nicht unbedingt eitel Menschenwerk. Und handelt es sich bei einem Turm nicht um das nichtige Streben der Menschen, einen Baum nachzubauen?« Der Blick, welchen Rendree den beiden daraufhin schenkte, enthielt ein gerüttelt Maß an Zweifel und Ungläubigkeit. Selbige erstarben aber sofort, als der Beschaffer entdeckte, dass Embra kurz vor einem Lachanfall stand. »Uns mangelt es noch erheblich an Übung, was?«, meinte Lassa, als sie sich wieder im Griff hatte. »Anderen dagegen gebricht es doch deutlich an Gehorsam, was, Mädchen?«, grollte Vordra. »Hakt Euch endlich bei uns ein, Tochter.« So kam es, dass vier Pilger Arm in Arm das kleine Dorf betraten, in welchem Embra den Dwaer-Stein aufgespürt zu haben glaubte. Tarlarnastar war tatsächlich klein, aber durchaus schmuck. Ein paar Hunde bellten und zerrten an ihren Ketten. Statt ihrer liefen ihnen aber nur ein paar Hühner vor die Füße. Wie Rendree verkündet hatte, fehlten in diesem Ort die Türme. Dafür zogen sich an den Rändern der Straße die
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Bauernhäuser wie Perlen auf einer Kette dahin. Bei allen führte der Garten nach hinten hinaus und in den Wald hinein. Ungnädiges Blöken kündete davon, dass hier auch Schafe gehalten wurden. Vielleicht in den Gärten oder auf einer eigens dafür angelegten Wiese. Dazu ertönte nun das helle Klirren eines Schmiedehammers. Dann erreichten die Vier einen größeren Platz, aus dessen Mitte sich ein Steinhaus erhob. Darin arbeitete der Schmied im Schatten des Vordachs. Er arbeitete an einem Stück Eisen, aus dem wohl ein Axtblatt oder eine Schaufel, vielleicht aber auch eine Hacke entstehen sollte. Der Mann schwitzte sehr, und man sah seinem Gesicht mit dem dichten Bart an, dass es schon so manche Schlacht gesehen hatte. Davon kündete auch die lange Narbe an seiner Schulter. Und wie in jedem Dorf landauf, landab arbeitete der Schmied vor Publikum, nämlich den versammelten alten Männern des Ortes. Neugierige Blicke aus zusammengekniffenen Augen eilten den vier Pilgern entgegen, die eben das Dorf betraten. Nur der Schmied ließ sich nicht anmerken, ob er sie hörte oder sah. Mit gleichmäßigen Schlägen fuhr er damit fort, das Stück Eisen zu bearbeiten. Rendree wollte sofort dorthin, aber Vordra zog ihre kleine Freundin zurück. Lassa blieb es schließlich vorbehalten, auf die Bank mit den Großvätern zuzuschreiten. »Friede sei mit euch und mit dem ganzen Tal«, begrüßte
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sie die Dorfältesten und begegnete deren argwöhnischen Blicken mit der allerfreundlichsten Miene. »Wir sind vier Gläubige der Eiche, und der Mann in unserer Mitte ist verletzt. Gibt es in diesem Dorf einen Heiler, ein Kräuterweiblein oder sonst jemanden, der sich um ihn kümmern kann? Selbst ein Zauberer wäre uns willkommen.« Diese Frage löste einiges Interesse aus, aber dennoch schwiegen die Alten noch eine ganze Weile. Der Schmied hämmerte dazu die Begleitmusik. Endlich bequemte sich der Mann, welcher vor der Edlen saß, zu einer Antwort. »Da begebt ihr euch am besten ins Steinhaus dort. Der Herr ist zugegen und wird euch sagen, was zu tun ist.« »Bitte um Vergebung«, fragte Lassa weiter, »aber wer ist denn der Herr von Tarlarnastar?« Der Alte spuckte aus und dachte dann nach, ehe er es für unbedenklich genug hielt, der Pilgerin diese Auskunft zu erteilen. »Er heißt Turnhelm und war einst ein großer Kriegsmann.« Ein paar mehr Frauen als vorher hingen jetzt in den Fenstern, und auf dem Anger hörten die Feldarbeiter immer wieder auf, Unkraut zu schneiden. Die kleine Pilgerschar setzte sich wieder in Bewegung, und etliche Blicke folgten ihnen. »Haben diese Leute denn noch nie Pilger gesehen?«, grollte Vordra und gab sich sichtlich Mühe, leise zu klingen. »Wer weiß, vielleicht ist bei dem Tarnzauber etwas schief gegangen«, meinte Rendree, »und wir erscheinen ihnen mit Fledermausflügeln und schuppigem Schweif. Ich kann mir kaum vorstellen, dass hier niemals Fremde
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durchkommen. Holzfäller wandern doch das ganze Jahr hindurch den Fluss hinauf nach Loaurimm und flößen das geschlagene Holz wieder herunter.« Olim zuckte die Achseln und hob eine Hand. Die anderen bemerkten den Knauf seines Dolches, der zwischen den Fingern seiner Hand zu sehen war. Der Rest der Waffe lag noch in seinem Ärmel verborgen. »Seid fest im Glauben an den Vorvater, wie ich es auch bin«, ermahnte er die Gefährten, um dann leise hinzuzufügen: »und macht euch bereit.« Jetzt erkannten sie, dass Tarlarnastar doch über einen Turm verfügte. Bei dem Steinhaus handelte es sich nämlich um ein rundes Gemäuer, das jedoch nicht einmal Vordra überragte. In dessen Inneres passten jedoch drei Bauernhäuser, wenn nicht mehr. Durch das Tor konnte ein beladener Wagen fahren. Zurzeit stand es ein Stück weit auf, und irgendwo weiter drinnen brannte entweder eine Laterne oder eine Fackel. Lassa stieß das Tor mit der Schwertspitze an, um es vollends zu öffnen, und trat dann ein – – um im nächsten Moment von einer aufgeregten Rendree zur Seite gerissen zu werden. Das Tor öffnete sich in einen überdachten Hof mit Brunnen. Der ragte aus fest gestampftem Lehmboden, auf dem man Stroh ausgestreut hatte. In einer Ecke rotteten weggeworfene Eimer vor sich hin – – und ein Dutzend oder mehr Ritter erwartete die Vier mit gezücktem Schwert und gehässigem Lächeln. »Sieh mal einer an, Zwerge und Mädchen bilden heutzutage beim Sturmangriff die Vorhut«, höhnte einer der Ritter.
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»Man glaubt es einfach nicht, was die Strategen sich immer wieder Neues ausdenken.« Er schleuderte ein Messer auf Embra, aber Craer riss rasch die Hand hoch und lenkte die Klinge ab. Vier Tarnzauber hatten sich anscheinend in Luft aufgelöst. »Lasst die Jungfer am Leben!«, rief ein anderer Ritter. »Die können wir noch gut gebrauchen. Der Rest kann uns gleich sein.« »Also so etwas kann ich nicht leiden!«, rief der Beschaffer, sprang einen Recken an, der sich an ihm vorbeischleichen wollte, und stieß ihm einen seiner Dolche bis zum Heft ins Ohr. Der Angreifer gab nur noch ein ersticktes Ächzen von sich. Als er zusammengebrochen war, zog Craer ihn sich vor die Füße, nahm Anlauf, nutzte den Toten als Absprungrampe und fiel über den nächsten Gegner her. Dabei teilte er den Rittern mit: »Und erst recht geht es mir gegen den Strich, wenn jemand glaubt, mich als ganz unwichtig abtun zu können. Jetzt hört mir gut zu, ihr Einfaltspinsel, jeder Mensch ist wichtig. Selbst euer bevorstehender Tod ist mir nicht gleich, und er bekümmert mich sogar, wenn auch nicht übermäßig viel.« Doch noch bevor er das letzte Wort ausgestoßen hatte, brach in dem runden Raum das größte Durcheinander aus. Die Ritter stürmten vor und hieben mit ihren Schwertern drauflos. Die Klingen prallten von Mauern und Balken ab. Hinter Craer brüllte Hawkril wie ein Bär und stampfte dann den Angreifern entgegen. Ein Blitz zuckte aus Embras Händen, und in dessen Licht erkannten die Gefährten, dass sich hier noch viel mehr Feinde aufhielten als ursprünglich
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angenommen. Craer prallte mit den Stiefeln voran gegen den Bauch eines Gewappneten, welcher daraufhin zusammenklappte. Stöhnend blieb er liegen und presste sich die Hände, welche Schwert und Dolch nicht mehr hatten halten können, auf den Magen. Der Blitz zwischen den Händen der Edlen raste nun bis zum anderen Ende des Raums und sauste Funken sprühend hin und her. Die Ritter sprangen keuchend beiseite, um nicht von ihm getroffen zu werden. »Ergreift die Hexe!«, rief einer seinen Kameraden zu. Zu sechst versuchten sie, an Hawkril vorbeizukommen. »Macht sie unschädlich!« Einige Recken kamen durch, und Craer kam unter ihrem Lauf zu Fall. Sie huschten aus der Reichweite von Hawkrils Schwert. In diesem Moment taumelte der Heiler zurück. Blut spritzte aus seinem Kopf. Schon sprangen zwei oder drei Angreifer durch die Lücke, welche der Heiler hinterließ. Einer stach der Fürstentochter mit der Schwertspitze durch die Hand. Sie kreischte, und Licht strömte aus dem Loch in ihrer Rechten. Dahinter quoll Blut hervor. Die Herrin der Edelsteine hob mit einem Ruck den Kopf, und Feuer loderte in ihren Augen. Dann schrie sie eine Beschwörung, unter welcher die Luft erbebte. Ringsherum an ihrem Gürtel explodierten die kleinen Figürchen. Etwas Unsichtbares, aber Schweres wogte, von Embra ausgehend, durch die Luft und schwemmte die Angreifer wie
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eine Sturmwelle von den Füßen. Krachend, klirrend und klappernd landeten sie an der Mauer. Die Ritter schrien vor Furcht und Entsetzen, doch die Edle schleuderte ihnen weiter ihre Wut entgegen. Hawkril fing mit seinem Schwert einen Mann wie mit einem Bratspieß mitten aus der Luft. Der drehte sich mehrmals um die Klinge, spuckte große Mengen Blut und sank dann schlaff herab. Craer kam behände wieder hoch und sprang zu Sarasper, um ihm aufzuhelfen. Zwischen ihnen und der Wand befand sich niemand mehr. Die Luftwoge hatte die Ritter in die hinterste Ecke gefegt. Der Alte hielt sich krampfhaft an den Steinen fest, bis er wieder sicherer stehen konnte. Eine ganze Weile noch musste er sich an dem Beschaffer festhalten. Für einen einzigen Moment rührte sich nichts in der runden Kammer. Embra stand mit erhobenen Händen da und ließ mit ihrer Zauberkraft die Angreifer nicht von der gegenüberliegenden Wand entkommen. Sich windend und stöhnend hingen sie an den Mauersteinen, und das höhnische Lachen verging ihnen. Mit einem Mal bemerkte die Fürstentochter, dass ein Mann sich nicht länger festhalten ließ, sondern auf sie zuschritt. Er trug keine Rüstung, nicht einmal ein Kettenhemd, aber eine Kapuze, so dass man sein Gesicht nicht erkennen konnte. Warum konnte ihm ihre Zauberenergie nichts anhaben? Der Verhüllte hatte eine Hand unter sein Hemd gescho-
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ben, so als hielte er sich die schmerzende Brust. Aber seinen Bewegungen nach zu urteilen, konnte er keine Verwundung davongetragen haben. Und überhaupt wirkte der Fremde ganz so, als wolle er Embra ans Leben. Sie schleuderte ihren letzten Blitz auf ihn. Normalerweise hätte der ihn packen und davonwirbeln sollen. Aber er schritt ungehindert durch den Blitz hindurch, als handele es sich bei diesem um nicht mehr als Sonnenstrahlen. Auch wenn sie sein Gesicht nicht erkennen konnte, hätte sie schwören können, dass der Fremde hämisch grinste. Noch während sie darüber nachdachte, drang etwas anderes in ihr Bewusstsein. Der Stein, welchen sie an ihrer Brust trug, hatte angefangen zu summen und erwärmte sich zusehends. Bald würde er sich so erhitzt haben, dass er ihr Fleisch verbrannte und zerkochte. Das konnte nur eines bedeuten: Ein anderer DwaerZauberstein musste sich ganz in der Nähe befinden und das bewirken. »Wer seid Ihr?«, fuhr die Edle den Fremden an und griff sich mit beiden Händen ins Mieder. Selbst die Kette, an welcher der Stein hing, schien bereits zu glühen. Craer, Hawkril und sogar der noch etwas wacklige Sarasper stellten sich schützend vor ihre Gefährtin und hielten die Waffen in den Händen. Und das nicht ohne Grund; denn die ersten Ritter lösten sich von der hinteren Wand und folgten dem Verhüllten. Mit ihnen im Rücken schritt er wie eine Pfeilspitze auf die
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Zauberin zu. Jetzt ertönte eine Stimme aus der Kapuze, welche Embra schon einmal irgendwo gehört hatte: »Kniet nieder vor dem rechtmäßigen Herrn von Tarlarnastar, vor Turnhelm dem Mächtigen!« Craer johlte vor Lachen, aber die drei anderen teilten seine Heiterkeit nicht. Dafür starrten sie auf das Leuchten des Steins, der an der Brust des Herrn von Tarlarnastar glühte und einen unheimlichen Schimmer auf das Gesicht unter der Kapuze warf. Ja, diese Züge kannte die Edle schon ihr ganzes Leben lang. Dieses Gesicht hatte schon immer kalte Furcht in ihr ausgelöst. Angewidert legte sie ihre verwundete Hand auf ihren eigenen Dwaer. Während ihr Blut auf dessen Oberfläche brutzelte, versuchte sie, den Stein zum Abkühlen zu zwingen. Aber das würde ihr wohl nie gelingen, nicht nachdem der Anblick des Verhüllten ihr einen solchen Schock versetzt hatte. Gar nicht erst zu reden von den vielen Bewaffneten, welche ihr ans Leben wollten. Auch diese waren ihr nun nicht mehr fremd. »Willkommen, meine Tochter«, sprach Fürst Faerod Silberbaum mit einem Lächeln, das noch kälter war als der Winter. Ein Bann, den sie nicht kannte, entstand hinter ihrem Vater, raste über Embras Schulter und explodierte in grünem Leuchten hinter ihr. Grünes Feuer wütete am Eingang des Steinhauses, und die
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Flammen stachen auf den Rücken und die Beine der Edlen ein. Bis sie nach vorn gestoßen wurde. Alles Fluchen half nichts. Sie und ihre Gefährten waren vom Grün eingeschlossen. Embra wusste, dass ihr Vater sich gelegentlich ein wenig mit der Zauberei beschäftigt hatte, die aber nie mehr als ein Steckenpferd für ihn gewesen war. Zu einem solchen Bann wie diesem hier dürfte er eigentlich gar nicht in der Lage sein ... Also musste sich ein Magier in diesem Raum befinden und ihren Erzeuger mit großer Zaubermacht ausstatten. Ausgerechnet ihren Vater, den sie noch mehr hasste als ihre schlimmsten Feinde. Und dennoch war und blieb er ihr Vater, und er hatte sich in den Besitz eines magischen Steins gebracht. Diesen benutzte Faerod jetzt dazu, ihren eigenen Dwaer gegen sie zu wenden. Embra umschloss den Stein an ihrer Brust und war entschlossen, sich nicht von der schmerzenden Hitze ablenken zu lassen. Sie wusste, dass ihre Zauberkraft stärker war als die ihres Vaters. So bereitete es ihr keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, Faerods Einfluss auf ihren Stein zurückzudrängen. Ihrer beider Willenskräfte rangen miteinander, doch der Fürst musste sich immer weiter vor seiner Tochter zurückziehen. Hastige Zauber waren ihm von dem Magier zugeflossen, und nur sie allein verhinderten, dass Embra in den Stein ihres Vaters hineingreifen und durch ihn nach ihm schlagen konn-
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te. Der Verhüllte war mittlerweile stehen geblieben, nur einen Fingerbreit von Hawkrils Schwertspitze entfernt. Aber die Krieger rückten von hinten weiter voran. Einer nach dem anderen lösten sie sich von der Wand, und Hass auf Embra verzerrte ihre Mienen. Sie rückten heran, übertraten aber die unsichtbare Linie nicht, welche dort entstanden war, wo ihr Herr angehalten hatte. Die Edle erkannte in einigen von ihnen die Leibwächter ihres Vaters auf Burg Silberstein wieder. Einige gehörten zu denjenigen, welche die Prinzessin gepeinigt und gefoltert hatten. Sie stellten sich in langer Reihe links und rechts vom Fürsten auf, und als alle, die noch laufen konnten, sich dort eingefunden hatten, traten sie wie ein Mann einen Schritt vorwärts. Hinter der Viererbande flammte das grüne Feuer auf und bedrängte die Gefährten wie mit Nadelstichen. »Dann habt Ihr also einen Stein gefunden, Herr Vater«, sprach seine Tochter ganz gefasst, aber ohne ihn auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Faerod verzog ein wenig den Mund. »Ein Ausgestoßener hatte ihn vor Jahren an sich gebracht, wusste aber nichts Rechtes mit ihm anzufangen. Ganz im Gegensatz zu mir, und das wollte ich unter Beweis stellen. Der Ausgestoßene fand ein rasches Ende und hat nicht gelitten. Seitdem heile ich mich selbst. Ich bin fast wiederhergestellt.« Sein Lächeln verging. »Aber eben nur fast.«
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Feuerhände wogten hinter ihm auf und sausten um ihn herum ... griffen nach den Gefährten. Wie spitze Finger stach das Feuer in die drei Männer und die eine Frau. Die Gefährten stöhnten und wankten, und als Erster brach Sarasper auf dem mit Stroh bedeckten Boden zusammen. »Der alte Zausel«, brummte der Fürst verächtlich. »Vergesst diese Versager, Tochter. Eure Schwäche für solche Gestalten war Euch schon immer der größte Feind. Kommt zu mir, denn ich brauche Euch immer noch als mein starkes Schwert.« Embra fletschte die Zähne und wollte ihm ein »Niemals!« entgegenschleudern. Aber ehe sie dazu kam, trat der Magier hinter dem Herrn Turnhelm hervor und badete förmlich in seinem Triumph. Der Herr der Fledermäuse zeigte sich nun den Gefährten. »Ergebt Euch, dann lebt Ihr weiter!«, lachte der Magier, von, dem Embra glaubte, sie hätte ihn erschlagen, sie aus. Seinen kalten Augen wohnte jedoch keinerlei Heiterkeit inne, als er die Gefährten abschätzig musterte. »Wenn Ihr uns jedoch trotzen wollt, sollt Ihr ...«
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Aglirta in Bedrängnis C Sterben!«, murrte einer der Soldaten so leise, dass nur sein Nebenmann ihn hören konnte. Und als der ihn verständnislos anstarrte, erläuterte der Soldat: »Wer dem König trotzen will, muss sterben!« Sie befanden sich in einer Mulde, welche sich auf den ersten Blick kaum von anderen unterschied. Farn bedeckte jede Ritze und Spalte, und die großen Äste alter Bäume ragten über die Senke hinweg. Hier flatterten Vögel und schwirrten Insekten von Strauch zu mit Moos bewachsenem Stein und durch Schatten, um sich dann höheren Orts wieder niederzulassen und laut zu tirilieren. An einer Stelle teilten sich die gefiederten Freunde das Buschwerk mit zwei grimmigen Kriegern, welche unablässig und schweigend über den Muldenrand in das Stromtal spähten. Dort unten lief der Silberbaum-Wald aus und ging in sanftes Ackerland über. In der Ferne wand sich das silberne Band des Stroms dem Horizont zu. Die Mulde selbst enthielt hingegen nicht weitere Vögel
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und pelzige Kleintiere, sondern eine Schar von Kriegsmännern. Vier von ihnen trugen Rüstungen, welchen man ansah, dass sie schon einiges hinter sich hatten. Die drei anderen, welche zum Schutz lediglich ein Lederwams trugen, hatten ihr Schwert gezogen und griffbereit vor sich auf die Knie gelegt. Doch allen waren die Verbände voller getrocknetem Blut gemeinsam. Der eine von ihnen, welcher nicht saß, sondern unruhig auf und ab schritt, hatte nicht nur an der Stirn, sondern auch an den Armen deutlich sichtbare Verwundungen davongetragen. Diesen nannten sie Blutklinge, denn er hatte kürzlich versucht, den König zu erschlagen, und feststellen müssen, dass sich solches Freizeitvergnügen nicht bar jeglicher Anstrengung vollzog. Die Männer in Blutklinges Begleitung waren ihm ursprünglich eifrig zu diesem Unternehmen gefolgt. Doch wenn man sich jetzt in der Mulde umsah, konnte man nur noch wenig Begeisterung feststellen. Sie waren viele Meilen gelaufen, um hierher zu gelangen. Und das nicht im geordneten Marsch, sondern springend und rennend, weil ihnen immer wieder die Streife des einen oder anderen Fürsten über den Weg gelaufen war. Seit ihrer Rückkehr von den Inseln hatten sie kaum einen Moment Ruhe gefunden. Die Krieger waren bis zum Umfallen gelaufen. Das Schreien ihrer sterbenden Kameraden gellte ihnen noch lange in den Ohren. Dabei war allerlei in dem Palast zu Bruch gegan-
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gen. Ein kühner Mann hatte sie mit einigen entschlossenen Wächtern verjagt. Man konnte diesem selbst ernannten König von Aglirta ja einiges Schlechte nachsagen, aber er verstand es zu kämpfen. Blutklinge selbst hatte es nur einem Sessel zu verdanken, dass er dem Wüten des Königs hatte entkommen können. Einem vergoldeten, reichlich gepolsterten Sessel, den im rechten Moment Mararr in das Getümmel geschleudert hatte. Dieses gute Stück hatte Schneestern mit seiner Klinge beiseite geschoben und von Sendrith Duthjacks Kehle abgelenkt. Der Anführer der Freischärler hatte diesen Moment nutzen und sich der auf ihn eindringenden Übermacht empfehlen können. Bis zu diesem Augenblick hatte er glauben müssen, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Doch nach dieser wunderbaren Atempause war er wie ein in Panik geratenes Kind aus dem Palast hinausgerannt. In seinem dringenden Wunsch, den gefährlich gut geführten feindlichen Klingen zu entkommen, hatte er alles zurückgelassen. Besonders das eine Schwert, welches der König geschwungen hatte, hatte immer wieder seine Deckung durchstoßen und ihm eine Wunde nach der anderen beigebracht. Diese Verletzungen juckten jetzt, und die von ihnen ausgelöste Furcht legte sich schwer wie ein Bleimantel auf seine Wut. Blutklinge hatte noch nie zuvor Angst verspürt. Und nach einer Weile musste er feststellen, dass er diese neue Empfindung wie nichts sonst auf der Welt hasste. Und darum musste König Schneestern sterben. Nicht et-
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wa, weil Sendrith sich selbst auf den Thron setzen wollte, sondern damit er diese bislang unbekannte Furcht loswürde und nie mehr verspüren musste. Jeden Moment rechnete der Anführer damit, Speerspitzen und Helme am nächsten Hügelkamm auftauchen zu sehen, aus denen Reiter heranwuchsen, welche den Hang heruntergeritten kamen. Angetrieben würden sie vermutlich von einem Magier, welcher ganz versessen darauf war, die Männer endlich zu töten, welche Schneesterns königlichem Schwert hatten entkommen können. Wenn Sendrith der König gewesen wäre, hätte er jedenfalls mehrere Trupps zu eben diesem Zweck ausgeschickt. Um diesen Schurken nur ja keine Zeit zu lassen, ihr Versteck aufzusuchen oder sich Hilfe zu besorgen. »Bei den Klauen des Finsteren!«, zischte einer der Wächter im Buschwerk. Die Blätter rauschten, als er sich vorbeugte, um besser sehen zu können. Alle Köpfe ruckten zu ihm herum, aber er wollte sich erst Gewissheit verschaffen und schwieg deswegen. »Was gibt es denn?«, knurrte Mararr schließlich grimmig. »Ich weiß nicht so recht«, antwortete der Wächter. »Sieht mir nach einem Tier aus.« Mararr konnte sich nur mühsam beherrschen. »Was denn für ein Tier?« Aber da kam der Mann schon aus dem Strauch gekrochen. »Seht doch selbst. Ein solches Geschöpf ist mir vollkommen fremd.« Die Krieger sahen sich verwundert an, bis schließlich einer
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von ihnen vorsichtig den Muldenrand hinanstieg und sich zwischen die Felsen auf dem Kamm schob. Ein Wesen, welches sich halb aus einer Echse und halb aus einer Kuh zusammenzusetzen schien, trottete nicht weit von der Mulde über Feld und Flur und zog einen spitz zulaufenden Schwanz hinter sich her. Zwei Scheren oder Zangen ragten unten aus dem Schädel, und das Wesen war so grau wie eine Inselschildkröte – und ebenso hässlich. Dabei wies es die Größe eines Fuhrwerks auf. Jetzt erkannte der Beobachter auch, dass das Graue nicht die Haut, sondern den Außenpanzer der Bestie darstellte. »Die Dreifaltigkeit stehe uns bei!«, fluchte der erste Wächter. »Das ist einer der Riesenkrebse, welche aus der Tiefe hervorgekrabbelt kommen.« »Etwa ein Landkrebs?« Mararr schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum sollte so ein Tier sich so weit vom Meer entfernen?« »Vielleicht hat Magie da nachgeholfen«, wandte Blutklinge ein. »Irgendein Zauberer, der sich an einer Sache versuchte, von welcher er besser die Finger gelassen hätte. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er das Ungeheuer ausgesandt hat, uns zu jagen.« Das Wesen gelangte an ein Feld, an dessen Rand jemand all die Steine, welche er beim Pflügen aus dem Boden geholt, zu einer Mauer aufgeschichtet hatte. Die Männer am Muldenrand sahen ganz genau hin. Wenn das Untier an der Mauer entlanggelaufen wäre, würde es unweigerlich ihrer Senke zu nahe kommen. Und wenn es die Mauer übersteigen sollte, ließ sich daran feststellen, wie schnell und beweglich es war.
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Aber die Landkrabbe tat weder das eine noch das andere, sondern schob sich einfach in die Steine hinein. Ohne Anstrengung und auch ohne irgendeine der üblichen Erscheinungsformen der Magie verschmolz das Wesen mit der Mauer. Bald war es ganz darin verschwunden und zog nur noch den langen Schwanz hinterher. Die Männer auf dem Beobachtungsposten verharrten unbeweglich wie Statuen. Auf dem Feld, welches von dieser Mauer umgrenzt wurde, grasten eine Hand voll Kühe. In aller Ruhe fraßen sie die Gräser, und darüber hinaus bewegten sich bei ihnen nur die Quastenschwänze, um lästige Fliegen zu verscheuchen. Da kam die Krabbe auch schon auf der anderen Seite der Mauer heraus. Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit welcher sie hineingestiegen war. Die erste Kuh hob langsam den Kopf, ohne sich im Kauen stören zu lassen. Da sauste schon die erste graue Schere auf sie zu und schloss sich um eines der Rinderbeine. Dabei hielt das Untier nicht etwa an, sondern stampfte unablässig weiter und schob die gefangene Kuh – sehr zu deren Unbequemlichkeit – vor sich her. Wenig später folgte die zweite Schere und schloss sich um ein anderes Bein, und beide hoben das unglückliche Tier hoch und ließen es auf den breiten grauen Panzerrücken krachen. Die Scheren schlossen sich und schnitten die Beine einfach ab. Das Rind fing furchtbar an zu schreien, bis der Landkrebs ihm die Kehle durchbiss.
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Blut spritzte in alle Richtungen, und das Untier tat sich an seiner Beute gütlich, ohne sich von den um sich schlagenden Beinstümpfen dabei stören zu lassen. In aller Gemütsruhe verspeiste das Untier die Kuh. In der Zeit, die ein Krieger dazu benötigte, ausgiebig zu gähnen, seine Rüstung Stück für Stück abzulegen und sich dann auf die Bettstatt fallen zu lassen, waren von der Kuh nicht mehr als die Knochen übrig geblieben. »Bei allem, was recht ist«, keuchte einer der Krieger, »was ist das bloß für ein Wesen?« »Meiner Meinung nach eine Felseidechse oder eine kleine Krabbe, welche irgendein übler Magier zu solcher Größe ausgedehnt hat«, entgegnete Mararr. Alle Krieger hatten sich inzwischen am Muldenrand versammelt und sahen in einer Mischung aus Furcht und unwiderstehlicher Neugier zu, wie das Untier nach beendetem Mahl seinen Weg fortsetzte. »Gewiss von einem Zauberer des Auferstandenen Königs«, fügte Mararr hinzu. »Erschaffen aus der Magie, um alle Feinde des neuen Herrschers zu vernichten ...« »Tatsächlich?«, brummte Gurkyn. »Dann hätte es aber auf Jahre zu tun.« »Bei Sargh!«, entfuhr es einem Beobachter mit erstickter Stimme, und ein anderer Freischärler fing an zu wimmern. Denn auf dem Weidefeld mit den Kühen erschien eben aus einer anderen Richtung ein neues Ungeheuer. Ebenfalls ohne Eile schlängelte es voran und beachtete die Rinder überhaupt nicht, welche sich schnaubend beeilten, ihm aus dem Weg zu kommen. Ebenso wenig schien diese Bestie sich etwas aus der Krab-
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be zu machen, welche sich längst schon wieder auf dem Weg befand. Eine so riesige Schlange hatten die Krieger noch nie gesehen. Ein Dutzend Schädel wuchsen ihr aus dem Hals, und aus jedem ragten lange Reißzähne. Goldene Augenpaare warfen finstere Blicke ins Stromtal. Die Männer wagten es nicht, sich zu rühren; denn einige der Köpfe drehten sich in Richtung der Hügel, zwischen welchen sich die Mulde befand. Aber die Schlange wich nicht von ihrem Kurs ab und glitt unbeirrt auf den Strom zu. »Möge die Dreifaltigkeit doch alle Magier möglichst rasch von der Erde abberufen!«, jammerte einer der Kriegsmänner. »Ja, am besten noch vor Sonnenuntergang!«, brummte Mararr zustimmend. Die Schlange hatte inzwischen das Feld hinter sich gebracht und verschwand über der dortigen Mauer. Sie biss die Zähne zusammen und zitterte. Die Edle wusste, was sie zu tun hatte. Tu es doch jetzt! Jetzt sofort! Solange sie sich in ihrer Begeisterung noch gegenseitig auf die Schulter klopfen. Embra beendete von einem Moment auf den anderen den Kampf mit ihrem Vater um die Dwaerindim. Dann stellte sie sich auf den Ansturm des grünen Feuers ein. Als die Flammen dann auch schon nach ihr stachen, griff die Herrin der Edelsteine danach, bekam das Feuer zu packen, drehte es gegen sich selbst und sandte es dann Sarasper als kühlenden Heilstrom.
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Die Feuerwand stellte kein Hindernis mehr dar. Embra ballte die Energie ihres Steins zu einem Schild, um den Zorn ihres Vaters abzuwehren. Fast wäre es ihr gelungen, alle seine Strömungen abzulenken und gegen die Wand zu schicken. Doch nur ein Teil davon gehorchte ihr, der Rest durchdrang ihren Schild und stach wie Klingen aus Eis auf die junge Edle ein. Sie schrie vor Schreck und Schmerzen, was bei ihrem Vater, dem Zauberer und den Leibwächtern neue Begeisterung auslöste. Dann verlor Embra den Boden unter den Füßen, drehte sich rückwärts um die eigene Achse, flog durch die Luft und krachte mit den Beinen gegen die Wand. Sie glaubte, die Beine nie mehr bewegen zu können, und rollte mit dem Kopf voran an der Wand nach unten. Ihre Gedanken gerieten durcheinander, und ihre Zauberenergie strömte ziellos dahin. Als die Edle zuckend im Stroh liegen blieb, raffte sie das lose Ende ihrer Kräfte zusammen und schleuderte sie gebündelt gegen Silberbaum und seinen Zauberer. Beide prallten zurück, und alle kindische Heiterkeit verging ihnen. Jetzt fingen auch die Ritter an zu schreien, und Embra erkannte, dass Sarasper sich in eine LangzahnRiesenspinne verwandelte. Craer und Hawkril bauten sich vor ihrem Gefährten auf, damit er die Umwandlung in Ruhe durchführen konnte. »Erschlagt sie!«, befahl der Fürst, denn er wusste, was aus dem alten Heiler werden würde. Dann wandte Faerod sich an den Herrn der Fledermäuse.
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Der Zauberer Huldaerus schenkte dem Fürsten ein angespanntes Lächeln und breitete dann Arme und Umhang aus. In dessen Tiefe entstanden Geraschel und Bewegung ... Eine ganze Wolke von Fledermäusen sauste wie ungeduldiger Rauch unter die Decke des Steinhauses. »Die Spinne wird nicht irgendwohin entschwinden können, und die beiden Kriegsmänner, welche zu ihr gehören, werden uns nicht mehr lange Widerstand leisten ... ... sobald ihnen meine kleinen Lieblinge die Augen herausgerissen haben!« Nach diesen Worten versuchte Embra sich aufzurichten, aber das Steinhaus drehte sich um sie. Ihre Knie gaben nach, und seufzend fiel sie auf den Boden zurück. Sie suchte an der Brust nach ihrem Stein, um von ihm Stärke zu beziehen. Die Soldaten des Fürsten stürmten gerade wie eine mörderische Welle gegen die beiden Gefährten an. So viele Klingen blitzten vor Hawkril und Craer auf, dass sie ihrer nicht mehr Herr werden konnten. Aber wenn diese beiden erst in ihrem Blut dalägen, wäre es endgültig um die Viererbande geschehen. »Weidet sie aus«, gebot der Fürst mit einem Lächeln. »Sie sollen einen langsamen und qualvollen Tod sterben. Meine Tochter soll dabei zusehen. Gut möglich, dass sie ja doch noch etwas lernt.« Der Mann, welcher in das recht kleine Dörflein Dlaenriptel hinein gerannt kam, keuchte so furchtbar, dass er zunächst kein Wort herausbrachte. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an den erstaunten
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Fuhrmann und sank schließlich auf die Knie nieder. »Was ist denn, Kerl?«, fuhr der Kutscher ihn an und hatte nicht übel Lust, ihn durchzuschütteln. »Was ist denn geschehen?« »Ungeheuer!«, würgte der Keuchende hervor. »Sie ... kommen ... hierher ... sind gleich da!« »Was denn für Ungeheuer?« »Ein Krebs mit Riesenscheren ... oder mit Klauen ... Er frisst ganze Rinder ... Bringt Euer Vieh in ... Sicherheit!« Der Wagenlenker starrte den Mann ungläubig an, riss sich dann von ihm los und lief dann zum Brunnen, wo das Horn hing, mit dem sich alle zusammenrufen ließen. In Treibschaum ging es wieder einmal zu wie in einem Ameisenhaufen. König Kelgrael Schneestern lehnte sich gegen den Flussthron und versuchte, ein von Herzen kommendes Seufzen zu unterdrücken. Und einen Moment später ein noch viel dringlicheres Gähnen. Schon wieder ein Tag voller Ränke und Verschwörung. Unvorstellbar, dass es immer noch Dummköpfe gab, die ganz versessen darauf waren, König zu werden. Im Thronsaal kam man sich heute tatsächlich wie im Herzen eines Ameisenhaufens vor. Überall eilten Höflinge und Bedienstete hin und her, und dadurch entstand ein Summen und Brummen, welches von der hohen Decke gesammelt und vielfach verstärkt zurückgeworfen wurde. Seit dem Morgengrauen waren die Kammerherren Seiner Majestät damit beschäftigt, Bittsteller zurückzuhalten, die auf
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den Thron zustürmten, als stürmten Eroberer durch eine Bresche in einer Verteidigungsmauer. Die Kammerherren hatten immer noch keine Ruhe gefunden. Ihre Mienen drückten deutlich aus, wie sehr solches Verhalten sie empörte und wie es sie ermüdete, ständig die gleichen Anweisungen zu geben. Einen nach dem anderen ließen sie diese Jammergestalten vor Schneestern treten, und jeden einzelnen hörte der König bis zu Ende an. Wie viele verschiedene Gerüche hatte seine Nase erdulden, wie viele Schmeicheleien seine Ohren ertragen und wie viel Pomp seine Augen erblicken müssen. »Aber gewiss doch, Euer durchlauchtigste Majestät«, sprach der gerade, welcher jetzt vor ihm stand. Dieser konnte sich kaum eines abschätzigen Blickes enthalten, so als dächte er: Was weiß ein gerade Auferstandener König schon von solchen Dingen? »Ohne Frage werdet auch Ihr erkennen, dass die Familie Halidynor die älteren und besseren Rechte an Phelinndar besitzt. Sobald Onthalus Halidynor vor Euch stünde, würdet Ihr in ihm Euren treuesten Gefolgsmann erblicken. Wenn Ihr nur noch ein wenig Geduld aufbrächtet, der Edle könnte in zwei Tagen vor Euch treten, und –« Der Fürsprecher kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn eben entstand am Eingang Unruhe. Stimmen erhoben sich erregt, viele drehten sich um, und die Kammerherren schlossen erneut ihre Reihen. Ein Mann, der vor Dreck starrte, schob sich grob nach vorn und stieß alle Aufseher beiseite, welche ihm den Weg versperren wollten.
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Als er den König erblickte, rief er laut und vernehmlich: »Ich kann mich nicht darum kümmern, ob die hier Versammelten schon drei Tage oder länger auf eine Audienz warten. Meine Nachricht duldet nämlich keinen Aufschub. Der Schwertarm des Königs wird dringend benötigt!« Von allen Seiten strömten nun Aufseher und Wächter zu dem Störer. »Aglirta befindet sich in tödlicher Gefahr!«, rief der Mann in höchster Verzweiflung. Die Soldaten ergriffen ihn und zerrten ihn nach draußen. »Rettet uns, mein König! Ihr seid unsere letzte Hoffnung, Herr!« König Schneestern erhob sich, brachte den Fürsprecher, der gerade wieder ansetzen wollte, mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen und schritt die Throntreppe hinab. »Haltet ein!«, gebot der König. Stille senkte sich über den Saal. Aller Augen waren auf Seine Majestät gerichtet – nur nicht die der Kammerherren, welche ihm den Rücken zukehrten, da sie die Bittsteller abzuhalten hatten. »Ihr Aufseher, lasst von ihm ab«, sprach der König. »Führt diesen Mann vor mich.« Natürlich rief das bei den anderen Bittstellern größten Unmut hervor. Aber auch den Aufsehern schien es nicht recht zu sein, einem dahergelaufenen Bauerntölpel weiterhelfen zu müssen. Einigen gelang es, sich äußerlich nichts davon anmerken zu lassen. Der König verfolgte jedoch mit einiger Belustigung, wie die meisten sichtlich darin scheitertern, als getreue
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Diener ihres Herrn zu erscheinen und sich gleichzeitig nicht zu deutlich über diesen Befehl zu ärgern. »Wie lange muss ich denn hier noch warten?«, goss Schneestern mit strenger Stimme Öl in dieses Feuer. Die Wächter sahen einander an, und ihre Blicke wanderten untereinander hin und her, so als berieten sie sich. »Bedenkt bitte auch die anderen Bittsteller, welchen ihr ebenfalls die Zeit stehlt«, bohrte Seine Majestät noch mehr nach. Schon setzte sich der Zug in Bewegung. Sechs Aufseher hatten den Bauernburschen in die Mitte genommen und strebten jetzt dem Thron zu. Rücksichtslos stießen sie alle beiseite, welche ihnen nicht rechtzeitig Platz machten. Man sah dem Mann an, welche Anstrengungen hinter ihm lagen, und dass er es nun doch schaffen sollte, vor den König zu gelangen, löste bei ihm vor allem Erleichterung aus – keinesfalls aber Häme den Wartenden gegenüber. »Sprecht, braver Mann«, forderte Schneestern ihn auf und stellte sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihn hin. »Die Sorgen aller Bürger Aglirtas sollen hier gehört werden.« Der Bauer senkte zur Ehrerbietung das Haupt und atmete tief durch, ehe es aus ihm hervorsprudelte: »Ein grässliches Ungeheuer sucht Euer Reich heim, Herr. Eine Bestie, wie keiner es sein Lebtag gesehen hat. Ein Wesen so groß wie ein beladener Heuwagen und vom Aussehen her einer Riesenkrabbe ähnlich ...« Er musste kurz verschnaufen. »Es krabbelt über das Land und frisst mit Vorliebe Kühe. Und wenn Bauern sich ihm
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entgegenstellen, verputzt es die ebenfalls. Sogar Ritter sollen ihm schon zum Opfer gefallen sein. Darüber hinaus tut das Untier jedoch keinem etwas zu Leide. Und es lässt sich durch nichts und niemanden von seinem Kurs abbringen. Der führt sturheil stromaufwärts ... Mittlerweile dürfte es das alte Phelinndar erreicht haben!« Der Mann musste jetzt endgültig innehalten, um wieder zu Atem zu kommen. Diese Pause nutzten alle Anwesenden, um aufgeregt miteinander zu plappern und diese Neuigkeit durchzukauen. Der Schmutzige sah sich verwundert um, schüttelte den Kopf, als er die vielen ungläubigen Mienen sah, und sprach dann laut genug, um das allgemeine Schwirren der Stimmen zu übertönen. »Glarthrail schickt mich. Wir haben weder Vorsteher noch Fürst, deswegen will ich hier für alle sprechen; das heißt, für die Flecken Aundlestone, Brethrithyn und Klaendor ... Silberbaum kann uns keinen Edlen schicken, der uns von solchen Unbilden befreite. Deswegen wenden wir uns an den König, auf dass er uns gegen Ungeheuer verteidigt, welche aus Magie geboren sind.« Der Auferstandene richtete sich zur vollen Größe auf und zog sich dann einen Schritt in Richtung seines Herrschersitzes zurück. »Der Thron wird Euch helfen«, verkündete seine Majestät laut genug, dass alle im Saal ihn verstehen konnten. »Kammerherren, bereitet mein Burgherrenschwert vor, wir ziehen hinaus in die Schlacht. Weiters sollen ein Wagen voller Lanzen und ein Fass mit Pech bereitgestellt werden. Alles soll bis Sonnenuntergang auf der Staatsbarke bereitste-
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hen.« Ein Moment vollständigen Schweigens, in welchem jeder erst einmal das Gehörte verdauen musste, kam und verging gleich wieder. An seine Stelle traten Beifall und Gebrüll, aber auch Zweifel und entschiedene Ablehnung. Jeder hatte zu dieser Angelegenheit eine Meinung und folglich etwas zu sagen. Bei den Göttern, dieser Auferstandene König schien ein Heißsporn zu sein, welcher bei jeder Gelegenheit ausritt, das Schlachtenglück zu suchen. Warum schickte er nicht seine Leibwächter aus, sich eines bloßen Untiers zu entledigen? Warum nicht die jungen Recken des Landes? Denen man zum Lohn doch leicht irgendeine Tochter aus gutem Hause andienen konnte? Nein, nein, dieser Mann musste an der Spitze seines Gefolges ausreiten! Aber wer würde das Reich regieren, solange Ihre Majestät sich auf Bestienjagd befand? Steckte am Ende ein besonders durchtriebener Fürst dahinter, welcher dieses Untier allein zu dem Zweck losgelassen hatte, den König aus seiner Burg und dann in eine Falle zu locken? So schwatzten die Höflinge. Am meisten gifteten sie jedoch über den ungewaschenen Bauerntölpel, welcher es einfach so gewagt hatte, hier am Hof zu erscheinen und dann auch noch mit einer Geschichte, welche so offensichtlich an den Haaren herbeigezogen war. »Erzählt mir mehr von dieser Bestie«, forderte der König
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den Mann auf, trat zu ihm und führte ihn am Arm zu seinem Thron hinauf. Dort stand ein Beistelltisch mit einer Karaffe Wein und einem Teller mit Gebäck und einem mit Käse. Zwei Bedienstete standen bereit, einen Imbiss zu reichen. Die erregten Stimmen legten sich rasch, weil jeder mitbekommen wollte, was Seine Majestät und der Flegel aus Glarthrail dort oben zu bereden hatten. »Ein großes Wesen, Euer Hoheit, und zur Gänze von grauer Farbe. Und wegen seiner Masse bewegt es sich nicht sehr schnell. Ein harter Panzer bedeckt seinen Leib ... Wenn das Ungeheuer nicht über seine Scheren verfügte – so lang wie ein ausgestreckt liegender Mann –, könnte man leicht glauben, eine große Schildkröte sei aus dem Fluss gekrabbelt ...« Er legte die Stirn in Falten, so als dächte er nach, was es noch Berichtenswertes gebe. »Auf seinen Stummelbeinen – auch die lassen es wie eine Schildkröte erscheinen – läuft es immer geradeaus. Immer der Nase nach, wie man so schön sagt ... Wenn ein leckerer Happen lockt, weicht das Tier auch schon einmal ein Stück zur Seite aus, aber das ist sicher die Ausnahme. Ein paar Bauern haben versucht, die Bestie mit Mistgabeln vom Kurs abzubringen. Anfangs sah es so aus, als würde ihnen das auch gelingen, aber dann hat sie die Feldgeräte aufgefressen und die Hände von denjenigen noch dazu, welche nicht rasch genug losgelassen hatten. Anschließend setzte das Wesen sich wieder auf seinen alten Kurs und folgte dem, als hinge sein Seelenheil davon ab.« »Und woher wollt Ihr wissen«, fragte Ranthalus, ein
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Kammerherr mit einem beeindruckenden Bart, »dass dieses Wesen aus Magie entstanden ist?« Er gehörte zu den ältesten Kammerherren der Burg und besaß daher das Recht, als Erster das Wort zu ergreifen. Er gab vor, sich auf den einen oder anderen Zauberbann zu verstehen. Doch hatte ihn noch nie jemand mehr bewirken sehen, als sämtliche Fackeln im Saal gleichzeitig aufflammen zu lassen oder ihr Feuer entweder zu entfachen oder zu dämpfen – je nachdem, wie viel Licht gewünscht wurde. »Das haben uns die Mauersteine verraten«, antwortete der Bauernbursche, und weil er den Alten nicht kannte, wusste er auch nicht, mit welchem Titel man ihn anzureden hatte. »Aber was denn für Steine?«, verlangte Ranthalus ebenso gebieterisch wie verwundert zu erfahren. »Ja, also, das Untier läuft einfach durch die Steine hindurch. So als bestünden sie aus nicht mehr als Nebel oder Wolken. Ich meine die Steine, mit welchen wir an den Feldrändern Mauern bauen.« Ranthalus starrte ihn voller Zweifel an, und im ganzen Saal taten es ihm viele nach. »Wir haben es also mit einem Landkrebs zu tun«, fasste der älteste Kammerherr zusammen, »welcher gerade wie ein fliegender Pfeil durch das Tal stampft, Menschen und Rinder gleichermaßen verspeist und auch noch durch Steinmauern gehen kann ... Mann, wie viel habt Ihr heute schon getrunken?« Und gleich erhielt er zur Antwort: »Den einen oder anderen Humpen habe ich zu mir genommen, Graubart, seit wir gegen das Ungeheuer gekämpft haben. Aber auf meine Augen habe ich mich immer verlassen
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können, und das trifft auch auf die Männer aus den sechs weiteren Dörfern zu, welche bislang der Bestie begegnet sind.« »Ihr selbst habt mit dem Ungeheuer gerungen? Ei, was hat es dann da mit Euch angestellt?« Die Frage des Kammerherrn troff vor Hohn. »Als es das Ende meiner Mistgabel abbiss, fühlten sich meine Hände wie gelähmt an«, antwortete der Bote aus den Dörfern. »Und ich habe auch den alten Nurgar vom Schlachtfeld gezogen, obwohl der doch schon mehr tot als lebendig war ... Die Bestie hatte ihm ein Bein genommen, und Nurgars Blut bespritzte mich von oben bis unten ... Die Krabbe kann also durchaus Schaden zufügen und ist keine Sinnestäuschung, welche ein Magier ausgesandt hat. Oder was wolltet Ihr wissen?« »Möge die Dreifaltigkeit Euch zerschmettern, wenn auch nur ein Wort von Eurer Geschichte unwahr sein sollte!«, erregte sich Ranthalus. »Gar nicht erst zu reden von der königlichen Gerechtigkeit, welche –« Am Eingang entstand neue Unruhe, und das im Verein mit dem erregten Gemurmel der Anwesenden machte es unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen. Der älteste Kammerherr drehte sich um und spähte in die Richtung, in welche die anderen schauten. »Wen haben wir denn da? Noch jemand, der uns von Untieren berichten will?« Diesmal führten die Aufseher schon nach wenigen Minuten den Neuankömmling in ihrer Mitte vor den Thron. Auch der wirkte nicht eben sauber und war von einer langen Reise verschwitzt.
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Die Bittsteller und Höflinge murmelten empört, weil sie schon wieder jemanden vorlassen mussten. Schneestern legte Ranthalus eine Hand auf den Arm, um ihn zur Mäßigung zu bewegen. Der neue Bote erreichte den König und fiel vor ihm auf die Knie. »Großer König!«, rief der Mann atemlos. »Ich bringe Kunde von einem Ungeheuer, wie die Menschheit es noch nicht gesehen hat!« »Doch nicht etwa ein Riesenkrebs, der Kühe verschlingt?«, fragte Ranthalus mit strenger Stimme und spöttischem Blick. Er tat so, als sei ihm der warnende Blick Schneesterns entgangen. Der Bote starrte den Kammerherrn verwirrt an. »Wie kommt Ihr denn darauf, Herr? Ich spreche von einer Schlange mit vielen Köpfen. Sie ist so groß wie ein Haus.« »Die Götter mögen uns beistehen!«, rief Ranthalus und starrte an die Decke, als hätten sich dort die himmlischen Wesen versammelt, um ihrem bedrängten Diener Beistand zu leisten. »Ist denn heute die ganze Welt verrückt geworden – huch!« Unter der Decke hielten sich zwar keine Götter auf, dafür aber ein Mann in Lederkleidung. Dieser hatte gerade ein Oberlicht geöffnet, so als wolle er frische Luft hereinlassen, und machte es sich jetzt wieder auf seinem Hochsitz bequem. Wollte er sich dort in luftiger Höhe etwa für länger einrichten? Der Fremde hockte in einer Schlinge, welche von einem Wasserspeier herabhing.
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Er schien gerade darüber nachzudenken, was er sonst noch erledigen könne, wo er sich schon einmal hier oben befand. Man konnte ihn nicht genau erkennen, weil er eine Geistermaske mit Hauern aufgesetzt hatte – so wie man sie in Houlborn an heißen Sommertagen trug. Während er da so schaukelte, hielt er lässig ein nadeldünnes Florett in der Hand. Wie war er dort hinaufgekommen? Und warum hatte ihn vorher niemand bemerkt? Wer hatte außerdem die Schlinge dort oben angebunden und aufgehängt? Der Fremde ließ sich, noch während der Erste Kammerherr mit offenem Mund hinauf starrte, an einer Leine mühelos in den überfüllten Saal herab. Rauch quoll plötzlich aus einem Gebilde, welches der Mann in der Hand hielt. Ein rundes Ding, wie man es nie zuvor in dieser Stadt gesehen hatte. Doch dafür hatte Ranthalus jetzt kein Auge – sondern nur für die Spitze der Klinge, welche genau auf ihn zuraste und seinen gerade erst im Entstehen begriffenen Schrei erstickte ...
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Dreizehn
Was für eine unangenehme Überraschung C Während sein Gewürzrauch die Höflinge reihenweise zu Boden zwang, wo sie sich in irren Zuckungen wanden, ließ sich der Mann, welcher sich Samtfuß nannte, immer tiefer hinab. Fast befand er sich schon mittendrin im Geschrei und Gebrüll der Versammelten. Aber noch wartete er damit ab, denn schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Vor Jahren hatte Samtfuß viel Mühe und Geld darauf verwendet, den Beinamen »ein tödlicher Erfolg« zu erhalten. Das war ihm gelungen, aber seitdem hatte er einigen Ärger auszustehen gehabt, und war zudem in einen etwas eigenartigen Todesfall verwickelt gewesen, an welchem er aber nachweislich keinen Anteil gehabt hatte. Bei dem Verblichenen hatte es sich um einen Zauberer gehandelt, in dessen Diensten Samtfuß stand. Der Magier hatte in den Ruinen von Indraewyn einen Dwaer aufgespürt und den Mann eingestellt, ihm selbigen zu besorgen, auf dass das Ritual zur Erweckung der Schlange In
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den Schatten eingeleitet werden könne. Samtfuß hatte sich in Gedanken ausführlich bei dem Mann bedankt, welcher den Magier von seinem Erdendasein befreit hatte, und ihn dann seinerseits erschlagen. Denn schon damals hatte er gewusst, was man seinem Ruf schuldig war. Ihm kam der hochwillkommene Umstand zugute, dass ein Toter kein Urteil mehr darüber abzugeben vermag, ob der Mörder seine Arbeit gut oder schlampig erledigt habe. Folglich können Tote auch nicht zu- oder abraten. So galt Samtfuß bald als durchaus zuverlässiger Auftragsmörder. Und eines Tages hatte jemand ihn einem anderen weiterempfohlen, und dieser hatte sich ebenfalls anderenorts lobend über ihn geäußert. Bis der Name Samtfuß an das Ohr von jemandem gedrungen war, welchem daran gelegen war, einem zur Unzeit Auferstandenen König das Lebenslicht auszublasen. Der Mörder vertrat selbst die Ansicht, dass es unklug sei, Schneestern jetzt schon zu töten. Denn dann wäre Aglirta im Sumpf eines blutigen Bürgerkrieges versunken. Um dem entgegenzuwirken, musste der neue Hof erst stark gemacht werden und genügend Macht ansammeln, um sich seinen Gegnern stellen zu können. Wenn man den König aber vorher schon umbrächte, würden zu viele Fürsten sich berufen fühlen, selbst auf dem Thron Platz zu nehmen und sich krönen zu lassen. In einem Land, in welchem das Gesetz nichts mehr galt, würde an jeder Ecke jemand umgebracht. Auftragsmörder konnten dann kaum etwas verdienen.
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In einem geordneten Staat hingegen, wo das Recht durchgesetzt worden war, getrauten sich die meisten Bürger nicht, ihren Feind umzubringen. Dann musste ein Auftragsmörder her, und der konnte dann als Lohn verlangen, was er wollte. Genau so schwebte es Samtfuß vor, denn in einem solchen Land wäre er wirklich reich geworden. Deswegen hatte er heute auch nicht seine Armbrust mit den vergifteten Bolzen mitgebracht. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sein Opfer damit zu töten. Aber wie man sehen konnte, stand Schneestern noch unverletzt neben seinem Thron. Samtfuß hatte außerdem erfahren, dass einer seiner schärfsten Widersacher, ein Mann mit Namen Andalus, welcher bei der Arbeit stets eine Geistermaske trug, von anderen interessierten Gruppen beauftragt worden war, den König zu töten. Dieser Hinweis stammte aus einer vollkommen zuverlässigen Quelle. Nun denn, Andalus war derjenige gewesen, welcher so freundlich gewesen war, Samtfußens Herrn zu ermorden. Zum Dank dafür hatte Samtfuß ihn dann ja ebenfalls vom Leben zum Tode befördert. Letzteres jedoch in aller Stille, so dass er jetzt gefahrlos als Andalus auftreten und das Attentat wie ein Anfänger vermasseln konnte. Und genau so sollte es geschehen. Andalus würde heute kläglich bei dem Versuch scheitern, ein Attentat auf den König auszuführen. Nicht zum ersten Mal hatte der Auftragsmörder, welcher bisher diese Maske getragen hatte, mit seinem jeweiligen Auftraggeber darüber gestritten, ob der bestellte Mord zum ge-
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genwärtigen Zeitpunkt wirklich so günstig wäre. Leider kam es bei solchen Auseinandersetzungen zwischen Mörder und Auftraggeber immer wieder zum plötzlichen Verscheiden eines der beiden ... oder eines unbeteiligten Dritten. Samtfußens Schwert fuhr durch den offen stehenden Mund tief in die Kehle eines eingebildeten und alten Ersten Kammerherrn. Diesem eilte der Ruf voraus, sich in der Magie auszukennen. Nach der unmaßgeblichen Meinung des Auftragsmörders nutzte ein solcher Zauberer Aglirta tot viel mehr als lebendig. Blut schoss zusammen mit unverständlichem Gurgeln aus der Kehle des Ranthalus. Samtfuß landete mit den Füßen voran auf der Brust seines Opfers. Dessen Rippen zerbrachen darunter knackend wie Zweige. Der Auftragsmörder riss sein Florett heraus und schwang es in hohem Bogen – wobei er um ein Haar einem Gesandten die Kehle aufgeschlitzt hätte. Samtfuß schritt durch rote Fontänen zum König, und dabei fiel ihm auf, dass es grün, weiß und goldfarben von seiner Klinge tropfte. Die Spitze musste dem alten Kammerherren ins Gehirn gedrungen sein. Die Farben von Gloit. Samtfuß würde sich das gut merken. Jetzt ging es erst einmal darum, wie er auf den König einen Anschlag verübte und diesen gründlich vermurkste, ohne das allzu offensichtlich aussehen zu lassen. Am besten stolperte er mitten im Attentat. Damit erhielte
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Schneestern die Gelegenheit, rasch nach hinten oder zur Seite zu springen – oder gleich zu entfliehen. Vor seinen Höflingen, Dienern und all den anderen hier Angetretenen würde er damit nicht das Gesicht verlieren; denn immerhin bedrohte nichts weniger als ein maskierter Mörder sein Leben ... Aber der König tänzelte hin und her, wedelte mit seinem königlichen Schwert und machte Miene, den Anschlag persönlich zu vereiteln. Vielleicht sollte Samtfuß ihm einen entscheidenden Hieb auf den Schwertarm verpassen. Das königliche Schwert blitzte blauweiß auf, und augenblicklich kühlte sich die Luft rings herum spürbar ab. Jeder, der sich nur halbwegs damit auskannte, wusste, dass Zauberei im Spiel war. Samtfuß sprang behände beiseite, als der zweite Bestienbote ihn zu packen versuchte. Er tauchte unter den ausgestreckten Armen des Bauern hinweg und verpasste ihm einen harten Schlag in den Magen. Der Mann schnaufte wie ein Blasebalg, knickte in der Mitte ein und kippte in Richtung des leuchtenden magischen Netzes, welches sich gerade rings um den König herum aufbaute. Kaum geriet er damit in Berührung, erstarrte er und fiel steif wie ein Baumstamm zu Boden. Seine weit aufgerissenen Augen ließen ahnen, was gerade in ihm vorging. Einen besseren Grund fürs Scheitern konnte man sich kaum wünschen, sagte sich Samtfuß. Überall ertönten jetzt auch Alarmhörner und Gongs. Die Aufseher waren offenbar froh, endlich eine Aufgabe
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gefunden zu haben. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, welches dank der Maske natürlich unbemerkt blieb, drehte sich der falsche Attentäter um und floh. Er bezweifelte, dass dieser königliche Held da oben auf dem Thron ihm durch alle Geheimgänge und Falltüren der Burg folgen würde. Und die anderen Trottel im Thronsaal ließen sich leicht abschütteln. Deswegen konnte Samtfuß sich Zeit lassen, sobald er einmal diese Räumlichkeit hinter sich gelassen hatte, und die Ohren spitzen. Vielleicht würde er ja etwas Nützliches erfahren. Der Attentäter sprang beiseite, als ein Höfling sich ihm tapfer in den Weg stellte. Aber nein, erkannte Samtfuß rasch, kein dem König bis in den Tod hinein treu ergebener Gefolgsmann, sondern nur ein Angeber, welcher sich darauf verstand, sich in Pose zu setzen. Während der Edle noch sein Schwert so schwang, dass auch ja jeder das mitbekam, sprang Samtfuß auf den Rücken eines anderen, der sich gerade bückte. Er flitzte zwischen den Säulen hindurch, erreichte einen Bogengang nach draußen und hatte binnen weniger Herzschläge den Saal hinter sich gebracht. Dann dauerte es noch ein Weilchen länger, ehe die ersten Soldaten durch eben diesen Gang in den Thronsaal rannten, um mit viel Gebrüll ihrem Herrscher zu Hilfe zu eilen. Sie gelangten gerade rechtzeitig vor den Thron, um mit zu verfolgen, wie ein unvorsichtiger Höfling dem königlichen Schwert zu nahe kam und sich nicht mehr rühren konnte. Irgendwie war Schneestern an seine Amtswaffe geraten,
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welche alles lähmte, sobald ihre Magie erwacht war. Die Soldaten stürmten vor, um den Erstarrten fortzuschaffen und so ihrem Herrn zu dienen – aber der König winkte sie nur ärgerlich fort. Seine schlechte Laune war verständlich; denn innerhalb weniger Tage hatte man zum zweiten Mal an diesem Ort einen Anschlag auf ihn verübt. Auf seinen Wink hin räumten die Soldaten alles fort, was inzwischen Platz auf dem Boden gefunden hatte: Tote, Gelähmte, Schwerter und die leere Frucht, aus welcher der Gewürzrauch geströmt war. »Sorgt dafür, dass meine Rüstung auf das Staatsschiff gebracht wird«, brummte er noch, ehe er einem seiner Kammerherrn zuwinkte und dieser den nächsten Bittsteller vorließ. Die Leibwächter nahmen wieder ihren Platz rings um den Thron ein, und von dort aus breitete sich wellenförmig erneut Ordnung in dem großen Raum aus. Nach so viel Ablenkung – Boten, welche von Ungeheuern berichteten, Attentäter und magische Waffen – brodelte die Gerüchteküche und hatte man Gesprächsstoff für Monate. Gar nicht erst zu reden davon, dass Seine Majestät höchstselbst gegen die Bestien ins Feld ziehen und seinen Hof für einige Wochen (oder noch länger?) allein lassen wollte. Doch bis es so weit war, gab es für die meisten Höflinge Dringenderes zu erledigen. So sollte der König gefälligst diesen Edlen besonders ehren und jenen verdammen und verbannen. Auch wollte man von Ihrer Majestät Sonderrechte erlangen, welche irgendeinem anderen abgenommen werden muss-
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ten. »Wer beschreibt meine Freude, Euer Majestät aus allen diesen Unannehmlichkeiten so gestärkt und vor allem unbeschadet hervorgegangen zu sehen«, sprach auch der inzwischen sechzehnte Bittsteller. »Seid versichert, dass ich niemals eine so kühne und elegante Tat sah wie die Euerer Majestät, als Ihr Euch gegen den feigen Mörder zu wehren beliebtet.« Auch das hörte Schneestern nicht zum ersten Mal. »Darf ich für ganz Aglirta sprechen, wenn ich betone, dass uns ein großes Glück zuteil geworden ist, eine so unerschütterliche Säule von einem Herrscher auf unserem Thron zu wissen.« Kelgrael Schneestern gelang seine tapferste Tat dadurch, dass er nicht einmal laut gähnte oder sich auf sonst eine Weise seine Ermüdung anmerken ließ. »Unter Eurer weisen Führung wird Aglirta zu ungeahnten Höhen aufsteigen«, schmeichelte der Nächste schon. »Vielleicht solltet Ihr Euer Augenmerk auf die Inseln jenseits des Tales richten ... ... oder auch auf die Ländereien hinter den Bergen. In wenigen Jahren schon könntet Ihr der Gebieter von ganz Asmarand sein!« »Und was müsste ich dafür tun?«, fragte Schneestern, um den Wortfluss abzukürzen. »Die edelste Tat von allen begehen«, antwortete der Mann im Flüsterton, »nämlich mit dem Volk der Schlange Frieden zu halten, statt es wie die Fürsten ständig mit Krieg zu überziehen. Lasst in Eurem Reich jeden die Gottheit verehren, welche er möchte, und lernt den Dank dafür kennen.
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Gemeinsam zu neuer Größe heranwachsen, so lautet das Gebot der Stunde – natürlich mit Euch als unantastbarem Oberhaupt.« Für einen winzigen Moment wurde Schneesterns Miene hart wie Stein, und seine Augen strahlten kalt wie Diamanten. Doch gleich hatte er sich wieder im Griff und erklärte unverbindlich: »Darüber werden wir bei Gelegenheit noch zu reden haben.« »Ich verlasse mich darauf, Euer Majestät«, entgegnete der Mann, richtete sich wieder gerade auf und verließ den Thron. Nur wer genau hinsah, bemerkte sein leises Lächeln und den triumphierenden Blick. »Keine Sorge, ich werde es schon nicht vergessen«, sagte der König so leise, dass nicht einmal die Kammerherren in nächster Nähe ihn hören konnten. Doch schon kam einer auf ihn zu und sprach: »Vergebung, Herr, ich konnte Euch nur schlecht verstehen. Wie kann ich Euch dienen?« »Habt Ihr den Mann gesehen, der mir gerade sein Gesuch vorgetragen hat?« »Gewiss, Euer Majestät.« »Folgt ihm, und stellt fest, wohin er sich wendet und was er unternimmt. Beobachtet ihn rund um die Uhr. Sucht Euch Helfer, welche Euch bei dieser Tätigkeit ablösen. Sollte er jedoch Treibschaum verlassen, stellt Ihr diese Arbeit ein.« »Soll ich gleich damit beginnen, Herr?« Der König nickte, und der Kammerherr entfernte sich. An seine Stelle trat der nächste Höfling in der Reihe. Dieser beließ es bei einer knappen Verbeugung und setzte dann sein
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gewinnendstes Lächeln auf. Dem begegnete Schneestern mit dem bloßen Anflug eines Lächelns und forderte den Mann mit einer so gleichmütigen Stimme, dass sich darunter die Ermüdung bestens verbergen ließ, auf, sein Begehr vorzutragen. Viele hungrige kleine Mäuler, die mit wie zum Lächeln gefletschten Zähnen zubissen ... Die Fledermäuse ergossen sich wie eine flirrende, zwitschernde Flut über Embra, nagten mit nadelscharfen Zähnen an ihrem Gesicht und ihren Händen und versperrten ihr die Sicht ... Ihre Gefährten wurden erschlagen! In höchster Verzweiflung versuchte die Fürstentochter, die spitzen Zähne und das flatternde Gewimmel vor sich fortzustoßen, um sich einen Überblick verschaffen, tief durchatmen und den Zauberstein erreichen zu können ... Doch unmittelbar vor ihr wimmelten die Fledermäuse so dicht an dicht, dass Embra einfach nicht in ihr Mieder greifen konnte. Die Tiere bissen sogar nach dem Dwaer, aber nicht, um ihn zu zerstören, sondern um ihn zu packen und davonzutragen. Die Herrin der Edelsteine konnte diese Barriere nicht überwinden, und damit war ihr der Zugriff auf den Stein versperrt. Wie sollte und konnte sie ihren Freunden noch beistehen? Der Fürst und sein Zauberer beobachteten die flatternde Säule aus Fledermäusen, welche in ihrer Mitte die Edle festhielten.
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Das rief bei den beiden Zuschauern ein ebenso befriedigtes wie kaltes Lächeln hervor. Sie wandten sich nach links und nach rechts, um sich einen Überblick zu verschaffen, wie es inzwischen dem Recken und dem kleinen Dieb erging. Diesen wurde sehr übel mitgespielt. Dem Hünen zertrümmerte man gerade die Rüstung. Bald würde nur noch ein Langzahn übrig sein, und dem Herrn der Fledermäuse standen genug Banne zur Verfügung, um mit zwei Dutzend solcher Wesen fertig zu werden. Aber da klapperten Helme und Panzerplatten aneinander. Die Masse der Leibwächter stürmte heran, und sie rissen ihre Schwerter hoch. Dann wogten sie unvermittelt zur Seite, als würden sie fortgeschoben. Einige von ihnen gerieten sogar ins Stolpern. »Was soll denn das?«, rief Faerod Silberbaum verwirrt. Rüstungsteile flogen hoch in die Luft oder zur Seite. Panzerhandschuh krachte gegen Helm, Brustplatten prallten gegen Stein, und schon floss Blut. Unsichtbare Klingen mähten die Ritter nieder. Dem Fürsten fiel Hawkril ins Auge, welcher sich gerade seiner Haut wehrte und ebenso verwirrt auf die unsichtbaren Angreifer starrte wie Silberbaum. Diesem hatte er die Störung also nicht zu verdanken. Faerods Blick fiel auf seine Tochter. Aber er sah nur die Fledermäuse, welche die junge Frau lückenlos umschwirrten. Nur eine ihrer schlanken Hände ragte mutig aus der Masse. Mit anderen Worten, sie konnte nicht an ihren Stein gelangen ... Die Armee der unsichtbaren Klingen, welchen seine Män-
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ner zum Opfer fielen, musste also von jemand anderem gerufen worden sein. Als der letzte seiner Ritter zerhackt am Boden lag, wandte der Fürst sich wütend an seinen Magier. Doch der starrte hilflos zu Embra und stammelte: »Das war eindeutig das Werk eines Dwaer ... doch wer um alles in der Welt könnte –« Das Ende seines Satzes ging in einer Explosion unter, welche das Steinhaus in seinen Grundfesten erbeben ließ. Unter ihrer Wucht flogen Hawkril und Craer gegen die Wand und riss es den Langzahn von der Decke. Embra wurde wie ein Blatt im Herbstwind davongeweht und krachte zwischen Regale und Balken. Sie begrub zahllose Fledermäuse unter sich. Sie schüttelte sich, und die Balken stöhnten. Dann fiel ihr Kopf zur Seite – sie hatte das Bewusstsein verloren. Trotz Glockenläuten in den Ohren und einem Schleier vor den Augen kämpfte Hawkril darum, wach zu bleiben. Seine Feinde waren verschwunden, stellte er fest. Und als er mehr sehen konnte, fiel ihm auch anderes auf: Von Faerod Silberbaum war nicht mehr übrig geblieben als einer der Dwaerindim, welcher inmitten zerschmetterter Knochen strahlte. An den Herrn der Fledermäuse erinnerten nur noch die Scharen der Tiere gleichen Namens, welche ziellos umherflatterten, und ein, zwei Stiefel, aus denen Rauch aufstieg. Allmählich kehrte Klarheit in Hawkrils Kopf zurück. Nach einer Weile machte er etwas aus, was für seinen immer noch benommenen Geist ein unlösbares Rätsel darstellte. Aus den tiefsten Schatten am hinteren Ende des Steinhauses kam ein Leuchten ... dieses stammte von einem faustgro-
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ßen Stein ... und der schaukelte sanft an einer Kette, welche von einem Mann gehalten wurde. Dabei konnte es sich nur um einen weiteren Dwaer handeln. Jetzt trat der Träger vor, aber die Schatten umhüllten ihn weiterhin. Bevor Hawkril einen Blick auf das Gesicht des Mannes erhaschen konnte, entstand ein greller Blitz und blendete ihn. Als der Recke in Ohnmacht gefallen war, flammte der Stein erneut auf und richtete seinen Schein auf die Fledermäuse. Diese erstarrten mitten im Flug und fielen besinnungslos auf den Boden. Nun sah der Träger sich um, ob er auch niemanden übersehen hatte und alles hübsch entweder tot oder bewusstlos verstreut herumlag. Lächelnd trat er auf eine freie Stelle, löste die ihn umgebenden Schatten auf und brachte dann das an sich, was ihn hier hauptsächlich interessierte. »Gestatten, Inderos Sturmharfe«, stellte er sich höflich vor. »Zu Euren Diensten ... oder besser gesagt, zu meinen eigenen.« Die Burg von Treibschaum hatte durchaus ihre Reize. Vor allem, was ihre Geheimgänge anging. Einige dieser Wege hingen so voller Spinnweben und Staub, dass man annehmen musste, sie seien seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden. Vermutlich hatte man sie längst vergessen. Auf andere traf das genaue Gegenteil zu. Diese dienten Lakaien dazu, Speisen und Getränke rasch von der Küche auf
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die Tafel zu befördern. Samtfuß drückte sich in die schwärzeste Ecke, und seinen wachsamen Augen entging nichts von dem, was sich hier tat. Viele Köche, Botenjungen und Kammermädchen liefen hin und her. Dem Beobachter aber fiel auf, dass hier eine ordnende Hand fehlte. Nur wenige Wächter standen auf ihrem Posten, und das ließ Samtfuß vermuten, dass der König hier auf seiner Burg weder über einen Kanzler noch einen Kastellan noch einen Schwertmeister verfügte. Wenn man alle Höflinge und Bittsteller nach Hause geschickt oder sonst wie verjagt hätte, stünden Seiner Majestät weniger Diener zur Verfügung als einem mittelprächtig reichen Kaufmann in dessen Haus – ganz zu schweigen vom Haushalt der großen Fürsten. Natürlich musste man dem Auferstandenen König zugute halten, dass er noch nicht sehr lange über Aglirta herrschte. Gewisse Dinge benötigten eben ihre Zeit. Dennoch verwunderte sich der Auftragsmörder immer wieder, wenn er ganze Gänge mitsamt den von ihnen ausgehenden Kammern leer vorfand. Samtfuß stieß auf einen Gang, welcher vom Thronsaal über eine schmale Treppe in den Kleiderschrank im königlichen Schlafgemach führte – und nicht ein einziger Wächter ließ sich hier blicken! Kopfschüttelnd sah Samtfuß sich in dem Gemach um. Er betrachtete die Wände und Regale und fand eine Marmorvertäfelung, welche sich durch eine hellere Färbung von ihrer Umgebung unterschied. Wenn ich so dumm und eitel wäre, jeden daraufhinweisen zu
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wollen, dass ich eine Geheimtür eingebaut hätte, würde ich sie so und nicht anders kennzeichnen ... Seine Fingerkuppen wanderten rasch über die Ränder, fanden das Schloss und drückten dagegen. Geräuschlos öffnete sich ein Stück Wand. Na, wenigstens das ist in jüngster Zeit benutzt worden ... Dieser Gang schien nach oben zu führen – oder auch hinter den Thronsaal – und mündete schließlich in einem Privatraum, wohin man sich in aller Ruhe zurückziehen konnte. Diese Burg hatte früher dem Fürsten Silberstein gehört. Der schien sich allem Anschein nach wenig Sorgen um Angreifer oder Attentäter gemacht zu haben ... es sei denn, an den Gerüchten über die »Lebende Burg« war doch etwas dran ... Nach allem, was Samtfuß gehört hatte, sollte die von sich aus Eindringlinge ausschalten. Während er so darüber nachdachte, lief es ihm plötzlich eiskalt den Rücken hinunter. Er blieb noch eine Weile stehen und lauschte in die vollkommene Stille hinein. Dann setzte er sich vorsichtig in Bewegung und fand sich wie vermutet in einem Gang wieder, welcher unter einem Hauptflur verlief. Dann gewann er den Eindruck, ein Stück voraus Schritte zu vernehmen. Rasch zog er sich aus diesem Gang zurück und schlich in einen Empfangsraum, wo er sich hinter einem Wandteppich verbarg. Siehe da, jemand hatte in Augenhöhe zwei Löchlein hineingeschnitten! Samtfuß spähte gerade hindurch, als der König hereinmarschiert kam. Er hielt sein Schwert in der Hand
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und blieb nach wenigen Schritten stehen ... Weil er auf eine Leiche gestoßen war! Das Licht brannte hier ausreichend hell, um Ihrer Majestät und dem Spion das Gesicht des Mannes zu zeigen, welcher da in seinem Blut lag. Der Kammerherr, welchen Schneestern dem Freund der Schlangenpriester hinterhergeschickt hatte. Als Kelgrael vor dem Mann in die Hocke ging und dessen Kopf sachte anhob, löste sich oben von einem anderen Wandbehang eine Fledermaus und flatterte davon. Samtfuß schaute ihr mit klopfendem Herzen hinterher. Fledermäuse flogen nicht am helllichten Tag einfach so durch die Gegend. Hier musste es sich ... um einen übernatürlichen Vorgang handeln ... Einen Moment später hätte der Auftragsmörder beinahe laut gekeucht. Nicht weit vom König entfernt verschwamm die Wand, und in dem Stein ließ sich jetzt ein Augenpaar erkennen. Dieses beobachtete Schneestern mit kalter und unfreundlicher Belustigung. Samtfuß konnte das dazugehörige Gesicht nur für einen Moment sehen, aber das reichte schon aus, um ihm den Magen umzudrehen. Das war doch der Hofzauberer von Fürst Silberbaum gewesen, oder? Aber hieß es nicht, der sei vor einiger Zeit getötet worden? Offensichtlich sprachen Gerüchte nicht immer die Wahrheit ... Der Auftragsmörder zitterte immer noch hinter dem
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Wandteppich, denn er wusste nur zu gut, dass er sich nicht lange vor dem Magier würde verborgen halten können. Dieser Zauberer war im ganzen Tal für seine Grausamkeit berüchtigt. Samtfuß hatte sich noch nicht von seinem Schrecken erholt, als einige Schritte weiter ein Stück Wand lautlos beiseite glitt. Kurz darauf erschien dort ein Gesicht. Das eines Bartträgers mit großen grünen Augen, einem finsteren Gesicht und einem fleckigen Reisewams aus Leder ... Während der Auftragsmörder hinschaute, zerschmolzen die Züge des Mannes wie Kerzenwachs. Schneestern bekam von alledem nichts mit; denn er betrachtete mit betrübten Zügen sein zerfallendes Schwert. Späne lösten sich in einer Wolke daraus, sanken zu Boden und hatten sich schon in Staub aufgelöst, noch ehe sie gelandet waren. Wo der Staub das Parkett berührte, stieg Staub auf und verzog sich in den Gang, durch welchen die Majestät gekommen war. Schneestern hielt den nutzlosen Schwertgriff in der Hand und schaute dem Rauch hinterher. Dieser verzog sich so geschwind, als könne er nicht rasch genug von Treibschaum fortkommen. Ein bedenkliches Vorzeichen? fragte sich Schneestern. Wenn er doch nur wüsste ... »So rasch zerfällt das Schwert«, murmelte der König, »und das schon aus nichtigem Anlass. So kann es nicht weitergehen, sonst ist Aglirta dem Unter-
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gang geweiht ... ... denn dann erhebt sich niemand mehr gegen die Schlange!«
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Vierzehn
Debatten, Entscheidungen, Tod C In dem Grabgewölbe war es furchtbar kalt und roch nach alter Erde und Moder. Das Werk der Alten – ein einzelner Raum in einen Hang hineingeschlagen, und von dort führte eine Treppe in die Gruft hinunter, in welche noch nie ein Sonnenstrahl gedrungen war. Tageslicht fiel aber durch den Bogengang, in welchem keine Tür eingelassen war, und reichte bis an die Betbänke heran und flutete auch über den Steinblock, auf welchen man den Toten aufbahrte, während die Priester seine Seele der Dreifaltigkeit anempfahlen. Der Mann, welcher jetzt im Eingang stand, spähte misstrauisch in den Raum hinein. Ein beleibter Besucher in bunter Kleidung. Man brauchte ihm jedoch nur ins Gesicht zu schauen, um ihn weder für träge noch für einen dummen Stutzer zu halten. Er erkannte gleich, dass die Anhänger der Schlange diesen Steinblock unlängst als Altar für ihre widerwärtigen Rituale benutzt hatten. Die Spuren verrieten ihm auch, dass dabei
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Schlangen, Kerzen und Blut zur Anwendung gekommen waren. Der Mann hatte einmal einen raschen, vorsichtigen Blick auf einen solchen Götzendienst werfen können – an einem Ort, an den ein ehrbarer Bürger niemals seinen Fuß setzen würde. Nur kurz war der Blick gewesen, aber der hatte ihm schon gereicht: Nackte junge Frauen hatten auf dem Altar gelegen, Schlangen waren über sie gekrochen, und Männer in Kapuzen hatten dazu gesungen. Was für eine Bande von Spinnern! Aber ziemlich gefährlichen Spinnern. Der Mann war froh, dass sich jetzt hier keine Schlangenanhänger aufhielten. Nur der alte Gelgen kam aus der Gruft hochgeschlurft. Die Toten, welche dort ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, behielten sie auch – dank der großen Steinplatte auf ihrem Grab. Solches Gewicht bekamen auch die Schlangenmenschen nicht gehoben. Hier in der Gegend hoffte man, dass die dort unten bestatteten Toten – sie stammten aus dem Dorf Waendaster – niemals in ihrem ewigen Schlaf gestört werden würden. »Habt Ihr auch genau nachgesehen?«, fragte der Mann im Eingang streng und zeigte hinab in die Gruft. Ohne die Antwort abzuwarten, hockte er sich dann auf die Bank, welche der Tür am nächsten stand, und wickelte sich fester in seinen Wettermantel. Der hagere Alte in den abgetragenen Sachen verneigte sich leicht. »Jawohl, gnädigster Tersept, das habe ich«, antwortete Imbert Gelgen in seiner gewohnt ernsten Art. »Die Toten
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rühren sich nicht, und an diesem Ort findet sich auch keine Magie.« »Dann trollt Euch, Magier«, entließ ihn der Tersept von Sart mit harter Stimme. »Aber haltet Euch zu meiner Verfügung, und lasst Euch nicht erwischen.« Der alte Zauberer verneigte sich noch einmal und setzte seinen Weg nach draußen fort. Tersept Glarsimber Belklarravus schenkte aber dem Rücken des Mannes ein freundliches Lächeln. Im Tal nannte man den Fürsten den Lächelnden Wolf von Sart. Aber er hatte sich den Grundsatz zu Eigen gemacht, dass manche Hunde umso treuer dienten, je öfter man sie trat. Durch den Eingang konnte der Fürst die rollenden Hügel erkennen, welche den Blick auf die dahinter liegende Straße versperrten. Eine Baumreihe trennte zwei Felder voneinander. Darüber zog eine Todesschwinge träge und auf der Suche nach Aas ihre Kreise. Und dahinter leuchtete das silberne Band des Stroms, der das ganze Tal prägte. Er musste den Verstand verloren haben, dass er sich hier in der Gruft mit anderen traf, um sich gegen den König zu verschwören und seine Ermordung zu planen. Dabei standen dem Tersept als Schutz nur ein paar magische Taschenspielertricks und der alte Gelgen zur Verfügung ... Als Schutz gegen Räuberbanden, Schlangenanbeter, Soldaten des Königs und verräterische Fürsten. Da zeigte sich auch schon der erste von ihnen auf der Hügelkuppe. Er trottete dahin, als sei er sehr erschöpft. Manch-
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mal taumelte der Mitverschwörer sogar ... Aber er kam allein, wie sie es vereinbart hatten, und trug an Waffen auch nur ein Messer am Gürtel, welches der Tersept deutlich sehen konnte. Ja, das war unzweifelhaft Baron Berias Loushoond. Wenn die Bauern der Umgegend sie sehen und sich fragen würden, was denn ein Tersept und ein Baron in einer abgelegenen Gruft mitten in den Hügeln verloren hätten, sollten sie solche Neugier teuer bezahlen. Der Herrscher von Sart widerstand der Versuchung, sich selbst hinunter in die Gruftkammer zu begeben, um dort nachzusehen. Stattdessen erhob er sich und stellte sich zwischen die Bänke, welche vollkommen im Schatten lagen. Der Baron schob den Kopf in die Hügelkammer, schien nicht im Mindesten beunruhigt zu sein und torkelte dann wie ein Betrunkener herein. »Loushoond? Was ist Euch?«, fragte der Tersept forsch und streng. Der Angesprochene drehte sich schwankend zu der Stelle um, von welcher die Stimme ertönt war, und spähte blinzelnd dorthin. Die Antwort schien ihm Mühe zu bereiten, denn er ließ sich viel Zeit damit. »Nichts, gar nichts, Fürst Sart«, entgegnete er mit seiner tiefen Stimme, welche er immer dann einzusetzen pflegte, wenn er jemanden beeindrucken wollte. Glarsimber lächelte im Schatten in sich hinein. Also fühlte auch ein Baron sich nicht immer wohl in seiner Haut, was? Und bevor es an Verschwörung und Königsmord ging, trank man sich lieber erst etwas Mut an, oder?
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Damit erwies sich Loushoond als schwacher Schild. Doch als solcher brauchte er ja nur bis zu Schneesterns Untergang zu halten. Danach würde der neue König Glarsimber der Erste sich mit Adligen umgeben, welche ihm ebenso selbstlos wie treu dienten ... auch wenn solche in diesen Zeiten nicht leicht zu finden waren. »Dann nehmt doch bitte Platz, wir haben allerlei zu bereden.« Der Baron zuckte die Achseln und ließ sich steifbeinig auf einer Bank nieder. Seine unbeholfenen Bewegungen ließen keinen Zweifel daran übrig, dass der Mann getrunken hatte. Aber welchem Getränk hatte er so eifrig zugesprochen? Dem Tersept strömte keine Fahne entgegen. »Die Lanzenreiter von Loushoond gehorchen mir aufs Wort«, begann der Baron unvermittelt. »Aber ich kann mir keinen unverdächtigen Grund denken, mit ihnen durch das Stromtal zu reiten ... es sei denn zu Schneesterns Wiederkrönung ... Aber auch dann nur, wenn er uns alle auffordert, in kriegerischer Macht zu erscheinen ... oder wenn es den anderen Fürsten gefallen sollte, mit starker Bedeckung anzurücken.« Glarsimber lächelte knapp. »Ihr scheint in dieser Frage die Dinge genauso zu sehen wie ich. Darüber hinaus versorgen die Felder von Loushoond uns mit ausreichend Proviant, wie sie das schon seit vielen Jahren leisten. Deswegen gibt es in Eurem schönen Land ja auch nur so wenige Bäume. Leider.« Irgendwo an einem finsteren Ort, wo in einem leuchtenden Teich das Bildnis zweier Männer zu erkennen war, welche in
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einer Gruft saßen und sich unterhielten, schreckte eine Frau auf und zischte: »Was denn für Bäume?« Sie drehte sich rasch um, damit sie Antwort und Erläuterung erhielte. Mit ihrer Hast störte sie die beiden Schlangen, welche ihr um den Hals hingen und schon ihre ganze Bekleidung darstellten. Daraufhin bissen sie die Frau in die Brustwarzen, und rotes Blut, vermischt mit dem weißen Speichel der Kriechtiere, rann ihr über den Bauch. Die Frau erschauerte und schloss die Augen. »Verliert Eusss ssspäter in Euren Giftträumen, Ssswessster«, mahnte der Mann mit dem Schlangenkopf, »diessse Angelegenheit issst sssogar noch wissstiger alsss der alte Trottel Sssart glaubt ... Dessswegen lassst jetssst unsssere liebe Puppe ssspresssen.« Der Fürst legte die Stirn in Falten, und auch diesmal erfolgte seine Antwort erst nach einer längeren Pause. »Ja, so verhält es sich leider«, sprach er in einem Tonfall, als verstünde er nicht, was er da sagte. »Jeden Herbst müssen wir ganze Schiffsladungen Feuerholz einführen.« »Würde es denn Loushoond so manches Gold- oder Silberstück sparen, wenn seine starken und kräftigen Kriegsmänner selbst irgendwo Holz schlagen könnten, ohne dass jemand ihnen das verwehren wollte?« Der Fürst zog die Stirn noch mehr kraus. »Das würde es, oberflächlich betrachtet, aber damit wäre leider auch eine kriegerische Auseinandersetzung mit unseren Nachbarn verbunden. Denn anders als über sie ließe sich kaum an Wald
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gelangen.« Er schüttelte heftig den Kopf, ehe er fortfuhr: »Das Blut meiner Ritter und das Misstrauen meiner Nachbarn erscheinen mir doch als ziemlich hoher Preis dafür, ungehindert Holz schlagen zu dürfen.« Der Wolf von Sart hob eine Hand und erwiderte für seine Verhältnisse ungewohnt heiter: »Und wenn der weitsichtige und kühne Fürst Loushoond die Nachrichten über die wilden Schlachten in den Ruinen von Indraewyn bedächte ... ... und sich dann weniger magische Steine oder Herrschertitel vorstellte, sondern Bäume, so weit das Auge reicht?« Der Fürst schaute über die Bänke hinweg den Tersept an. »Ich soll also meine Armee aussenden, damit sie mit geschulterter Axt stromaufwärts marschiert, durch all die kleinen und großen Fürstentümer im Tal? Was meint Ihr denn, wie lange Eure Tersepten und die anderen Fürsten dem tatenlos zuschauen würden?« Glarsimber schüttelte den Kopf, ohne sein Lächeln zu verlieren. »Und wenn Eure Soldaten über einen anderen Weg zögen?« Das ganze Gesicht des Fürsten wirkte jetzt zerknautscht. »Wie, etwa durch die Wildfelsen und dann durch die Hügel? Das würden die anderen Fürsten sicher nicht mit großem Wohlwollen verfolgen. Ich würde Dutzende von Männern durch Unfälle verlieren ... und noch ein paar Dutzend mehr, weil sie sich den Banditen anschlossen oder von diesen überfallen und niedergemacht würden! Bei der Dreifaltigkeit! Sind das vielleicht die garantiert erfolgreichen Pläne, Sart, von denen Euer Magier in seiner
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Botschaft kündete?« Auch nach diesen Worten kam dem Tersepten das Lächeln nicht abhanden. »Jedes Jahr kommen die Schiffe mit dem Feuerholz zu Euch, und Ihr verkauft ihnen im Gegenzug Geschirr, Nüsse und Käse, das sie dann andernorts weiterveräußern. So verhält es sich doch, oder?« »Ja, natürlich, werter Tersept. Aber worauf wollt Ihr hinaus?« »Ihr besitzt aber auch viele Lanzen und starke Männer, welche damit umgehen können, oder?« »Ja, gewiss, aber ich –« »Nun, könnte man Lanzen nicht auch als eine Art von Rudern ansehen? Die Schiffer aus Adeln und Brostos bewegen ihre Boote jedes Jahr den Strom hinauf und den Strom hinunter ... Was hindert Loushoond denn daran, ein, zwei oder ein halbes Dutzend Schiffe nach Loaurimm auszusenden? Von dort aus könnten die Krieger dann, sobald sie mit der Holzfällerei fertig wären, so um die Zeit der Krönung herum, plötzlich unbändige Lust bekommen, ihr Kettenhemd wieder überzustreifen und das Schwert zu schwingen. Von Loaurimm ist es nur ein Stück den Fluss hinunter bis nach Treibschaum ...« Dem Fürsten kippte die Kinnlade nach unten, er blinzelte den Tersept an, und seine Augen drohten schließlich aus den Höhlen zu treten. Weiter unten, genauer gesagt in der eigentlichen Gruft hockte ein kleiner und schmächtiger Mann in zerlumpter Kleidung an der Wand und glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. So viel Verrat hatte er nicht erwartet.
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Er fühlte sich noch zu schwach, um aufstehen und sich bewegen zu können. Wie konnte er seinen Gliedmaßen trauen, nachdem er mittels Magie aus einem Steinhaus in dieses Grabgewölbe hier geschleudert worden war? Wer immer es auch sein mochte, der Craer Delnbein gerne Aglirta hinauf- und hinunterschleuderte, der Beschaffer wünschte, derjenige würde sich jemand anderen zum Spielen aussuchen. Denn früher oder später würde er bei einer dieser unfreiwilligen Reisen den Tod finden. »Verstehe ...«, erklärte Loushoond schließlich in der Kammer über Craer. »Und was würden meine Soldaten fällen, wenn sie statt der Axt das Schwert schwängen?« »Könige und Fürsten«, grinste der Tersept. »Wie viele denn, wenn ich fragen darf?« Loushoond schien Gefallen daran zu finden. »Ach, ich weiß nicht so genau. Eine ganze Menge, würde ich vermuten.« Dann runzelte der Baron wieder die Stirn. »Und Tersepte? Wie viele würden von denen fallen?« Der lächelnde Wolf zuckte die Achseln: »Ein paar, aber nicht alle. Wir brauchen sie noch, um vor Aglirtas neuem König das Knie zu beugen, vor Seiner Majestät Berias Loushoond.« Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf den Zügen des Barons aus. »Tss, tss«, machte die Priesterin am Teich und hatte für das, was ihr darin geboten wurde, nur Verachtung übrig. »Er geht
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nicht gerade übermäßig geschickt vor, was?« »Ssswessster«, erklärte ihr der Priester mit einem überlegenen Lächeln, »das musss er doch auch gar nicht. Wir haben esss hier sschliessslich mit Aglirta zu tun.« Er streichelte ihren Schlangen über den Schädel, damit sie die Frau wieder bissen, und legte dann einen Arm um ihre Schultern, um ihr in ihrer Ekstase Halt zu verschaffen. »Das Königreich der Einfaltspinsel«, murmelte die Priesterin schon deutlich benommen. Einen Moment später rollte ihr Kopf zur Seite. Das Schlangengift hatte sie endgültig ins Land der Träume geschickt. Der Priester lächelte nachsichtig und kümmerte sich dann selbst um den Bann, unter welchem der Trottel von Loushoond stand, damit er das Gespräch mit dem Tersept bis zu Ende durchstand. Wahrscheinlich würde die Sitzung nicht mehr lange dauern. Der Wolf von Sart hatte schon so viel geprahlt, dass nicht mehr allzu viel kommen konnte. Umso rascher konnte die Geheiligte Schlange über Aglirta aufsteigen. Bei allen Göttern, dachte Hawkril, als ihn Schmerzen wie glühende Dolche durchstießen. Andererseits beruhigte ihn diese Pein auch, zeigte sie doch deutlich an, dass er noch lebte. Er stöhnte und verwünschte sich gleich darauf ob seiner Unvorsichtigkeit. Dieses Geräusch konnte ihm immer noch den Tod einbringen. Wenn man ihn bislang für tot gehalten hatte, hatte er ge-
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rade das Gegenteil bewiesen. Wer weiß, wer sich hier gerade alles herumtrieb? Zum Beispiel der Mann mit dem dritten Dwaer. Verdammt und zugenäht, um wen mochte es sich bei diesem bloß handeln? Wie üblich erhielt er von den Göttern keine Antwort. Hawkril lächelte, weil er das erwartet hatte, und versuchte, sich aufzurichten. Dem Himmel sei Dank, zumindest besaß er noch seinen linken Arm, denn auf den stützte er sich gerade. Aber zur Hölle mit diesen Schmerzen. Er brauchte sich nur ein wenig zu regen, schon überfielen sie ihn mit doppelter Kraft. Langsam, ächzend und mit zusammengebissenen Zähnen versuchte der Recke es erneut, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Stechender Schmerz breitete sich durch die Hand und den Arm bis zur Schulter hinauf aus. Vorsichtig bewegte der Hüne seine Finger, streckte sie und krümmte sie. Nachdem es ihm auch gelungen war, eine Faust zu ballen, legte er die Hand auf den Boden. Sie kam auf Lehmboden und Stroh zu liegen – also befand er sich noch in dem Steinhaus. Auf dem Schlachtfeld, wo sie wiederum nur beinahe den Sieg errungen hatten. Nun waren die Augen an der Reihe, und als Erstes musste er sie aufbekommen. Auch wenn er halb damit rechnete, die mit Dung verschmierten Zinken einer Mistgabel zu Gesicht zu bekommen, welche ein wütender Bauersmann aus Tarlarnastar auf ihn richtete.
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Doch als Hawkril lange genug geblinzelt hatte, um etwas ausmachen zu können, schaute er nichts, was sich irgendwie regte. Vom Eingang und von einem Loch in der Decke drang Tageslicht herein. Neben ihm lag ein Schwert auf dem Boden, bei welchem es sich aber nicht um das seinige handelte. Er brachte es an sich, schwang es durch die Luft und stellte fest, dass der Stahl gut in der Hand lag. Dann begab er sich an das Wagnis, sich umzudrehen und den Eingang in Augenschein zu nehmen. Dabei überfielen ihn jedoch solch gewaltige Schmerzen, dass er fast wieder in Ohnmacht gefallen wäre. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, und er schrie vor Pein. Am Ende gelang es ihm aber, sich wenigstens sitzend an die Wand zu lehnen, so dass er den Eingang im Blick hatte. Draußen mussten sich die Dörfler aufhalten. Der Hüne schob sich an der Wand hoch, und dabei behinderten ihn nicht nur seine Schmerzen, sondern auch die Leichen von vier oder fünf Leibwächtern, welche auf seine Beine gefallen waren. Jetzt sah er auch die Bauersleute, welche gehörigen Abstand zum Steinhaus hielten. Hawkrils Gebrüll hatte ihnen einen tüchtigen Schrecken eingejagt. Vermutlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass jemand das Gemetzel überlebt haben könnte. Als der Hüne sich umschaute, entdeckte er, dass überall in dem Haus Tote herumlagen. Er versuchte, ein Bein unter den Leichen hervorzuziehen. Aber es gelang ihm nicht.
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Dann machte er sich daran, den ersten Schwertkämpfer herunterzuziehen. Auch das ging über seine Kräfte. Ein roter Schleier trat vor seine Augen, und nur die grässliche Vorstellung ließ ihn fortfahren, nach allem, was er durchgemacht hatte, am Ende von ein paar Dörflern die Gurgel durchgeschnitten zu bekommen, welche ihn einfach nur ausrauben wollten. Gott, dieser Gestank und diese Fliegenschwärme! Als er sich japsend wieder an die Wand lehnte, entdeckte er Sarasper. Der Heiler lag mit offenem Mund auf dem Rücken. Fliegen krabbelten über sein Gesicht, und er sah sehr tot aus. Verdammt und zugenäht! Wo steckten Craer und das Mädchen? Was war das denn dort drüben? Mit einem brummenden Schrei, in welchen sich Schmerz und Wut mischten, wuchtete der Hüne sich auf ein Knie hoch, stützte sich aufs Schwert, um sich ganz aufzurichten, blieb einen Moment lang schwankend stehen und fiel dann mitten aufs Gesicht. Draußen erhob sich neue Unruhe. Aber die Bauern schienen sich mehr zu verwundern als zur Tat schreiten zu wollen. Knurrend mühte der Hüne sich ab, noch einmal auf die Knie zu kommen. Als er sich in solcher Stellung auch noch auf sein Schwert stützte, besaß er Halt genug, um sein Augenmerk auf das zu richten, was ihm eben aufgefallen war ... Ja, da lag tatsächlich Embra – ausgebreitet zwischen zerschmetterten Regalbrettern und geborstenen Balken. Die Edle und das Gerumpel waren zusätzlich mit einer dicken Schicht toter Fledermäuse bedeckt.
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Die Flugtiere lagen mit gebrochenen Hügeln da und hatten im Tod das Maul aufgerissen, um es nie wieder zu schließen. Embras Gesicht wies eine ungesunde Blässe auf. Hawkril mühte sich zu ihr, und natürlich kam er für seinen Geschmack viel zu langsam voran. Das Herz drohte ihm stehen zu bleiben, wenn er daran dachte, dass ein Holzsplitter sie durchbohrt oder sie sich das Genick gebrochen haben könnte. Endlich, endlich ... Der Hüne drehte die Jungfer auf die Seite und auf den Bauch und fand nichts, was ihr Leben vorzeitig beendet haben könnte. Während der Riese die Gefährtin noch von Kopf bis Fuß abtastete, flatterten Embras Lider, legte sie die Stirn in Falten, streckte eine Hand aus und berührte das Gesicht des Recken. Ihre Hand sank sofort wieder kraftlos nach unten, aber ihm trieb deren sanfte Berührung die Tränen in die Augen. Er küsste die Fingerspitzen und versuchte dann ein weiteres Mal, sich aufzurichten. Pest und Hölle? Warum gelang das denn nicht? Er war doch ein gewaltiger Krieger, von dem man erwartete, dass er als Erster aufstand und als Letzter fiel. Das Steinhaus drehte sich um Hawkril Anharu, als die Schmerzen seine ganze Seite zu lähmen drohten ... Er sank rasch wieder auf die Knie zurück, ehe er erneut auf dem Gesicht landete. Nach einer Weile ließ das Schnaufen nach. Der Recke hob den Kopf und gewahrte einen kecken Bauern, der sich am Eingang herumdrückte, um einen Blick in das Haus werfen zu können.
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Hawkril lächelte grimmig und wedelte kurz mit dem Schwert. Der Dörfler rannte davon, als seien alle Dämonen hinter ihm her. »Tja, mein Bester!«, rief der Recke ihm hinterher. »Hat ganz den Anschein, als sei hier noch jemand am Leben.« »Tatsächlich? Dann wären wir ja schon zwei«, bemerkte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raums. »Allerdings kann ich nicht behaupten, dass es mir sonderlich gut ginge.« »Craer!«, schrie Hawkril, krabbelte auf allen vieren über den Boden, erreichte seinen Freund und riss ihn in seiner Wiedersehensfreude hoch. Der Beschaffer heulte auf vor Schmerzen. »Himmel, Hawkril, müsst Ihr denn unbedingt so stürmisch sein?« »Dass Ihr noch lebt!« »Das merke ich eigentlich nur daran, dass mir alles so wehtut. Darüber hinaus bin ich mir gar nicht so sicher.« Er zog sich am Arm des Recken hoch, bis er aufrecht dasaß. Ächzend meinte er dann: »Das Totsein hat auch seine Vorteile.« Der Hüne grinste und reichte dem Gefährten das gefundene Schwert als Stütze. »Wenn Ihr schon wieder herumalbern könnt, wird es Euch schon nicht so schlecht gehen.« Nachdem der Beschaffer sich mit Hilfe der Wand und des Schwertes aufgerichtet hatte, fragte er: »Was ist überhaupt geschehen?« Hawkril kratzte sich am Kopf. »Jemand mit dem dritten Zauberstein ist hier aufgetaucht.« Craers Kopf flog hoch, und seine Blicke schossen quer durch den Raum. »Nein, sie sind alle fort«, erklärte Hawkril gleich, weil er ahnte, wonach sein alter Freund Ausschau hielt. »Sie sind alle
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fort – der geheimnisvolle Fremde ebenso wie die drei Dwaerindim. Vorher hat er noch den Fürsten und seinen Hofmagier zu Staub und Rauch zerblasen.« »Donner und Doria!«, entfuhr es dem Beschaffer. »Er muss ja hier furchtbar gewütet haben.« Ihm fiel etwas ins Auge, das unter den glimmenden Resten eines Menschen lag. Er griff danach und zog Hawkrils Schwert hervor. »Vermutlich derselbe, welcher mich weit fortgeschleudert hat«, berichtete Craer nun. »In ein Grabgewölbe. Ich lag dort und konnte zwei Verräter belauschen, welche eine Verschwörung gegen den König planen.« »Erzählt mir mehr davon«, forderte der Recke ihn auf. Aber sein Gefährte winkte ab. »Später ... wenn ich dann endlich wieder klar denken kann.« In diesem Moment ließ Sarasper sich mit einem Hüsteln vernehmen. Auch er klang noch schwach, rappelte sich aber stöhnend auf. »Was war denn los?«, fragte er mit einer Stimme, die andeutete, dass er noch nicht sehr aufnahmefähig war. Hawkril begab sich zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ihr dürftet doch mittlerweile erkannt haben, wie wenig das Schlachtglück uns hold ist.« Der Alte stöhnte vernehmlich und legte eine Hand an die Stirn. Unter dieser Berührung verschwanden die letzten Langzahnfellreste von seiner Haut. Craer warf derweil einen Blick durch den Eingang, bemerkte die Dörfler draußen und fing an, Schwerter einzusammeln und wie Dolche vor sich hin zu legen. »Mir sind sie auch schon aufgefallen«, brummte der Recke.
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»Haltet sie mir fern, bis ich das Mädchen geweckt habe, ja?« »Und ich werde mich eines Großteils der SilberbaumZauberkräfte bedienen, um uns alle wiederherzustellen«, verkündete Sarasper. Der Hüne hockte bereits neben der Edlen und stieß sie sachte an. »Embra?« Ihr Gesicht war mit zerfetztem Fledermausfleisch übersät. Die Herrin der Edelsteine bewegte die Lippen, aber er musste sich ganz dicht über sie beugen, um zu verstehen, was sie zu sagen hatte. Nachdem die Fürstentochter seinen Namen gemurmelt hatte, schlug sie die Augen auf, verzog das Gesicht vor Schmerzen und bat: »Lasst mich einfach noch ein Weilchen liegen, und, ich bitt Euch, berichtet mir, was genau hier vorgefallen ist.« »Ein Mann ist im Haus aufgetaucht, welchen ich jedoch nicht genau erkennen konnte«, begann der Recke. »Er war mit dem dritten Dwaer bewaffnet und hat mit dessen Hilfe unsichtbare Klingen erzeugt, welche die Leibwächter Eures Vaters zerstückelt haben. Dann sprengte er Euren Vater und den Hofmagier in die Luft. Und schließlich hat er furchtbar unter den Fledermäusen gewütet. Ich glaube nicht, dass auch nur eine von ihnen davongekommen ist.« Embra schüttelte in der einsetzenden Erinnerung den Kopf. »Und was hat er mit uns angestellt?« »Irgendetwas überkam mich, was mich in tiefen Schlaf versetzte. Wer oder was immer er gewesen sein mochte, er ist jetzt weg – und mit ihm die drei Zaubersteine.« »Ja, das habe ich gleich gespürt, als Ihr mich wecktet. Wie
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haben die Gefährten es überstanden?« »Sarasper hat etliche Figürchen, von selbst leuchtende Türklinken, Salzstreuer und sonstige Zauberstücke aus dem Palast der Silberbaums aufgebaut und will sich gleich um Euch kümmern.« »Brav«, sagte die Edle leise und sank wieder zurück. »Meine rechte Schulter scheint gebrochen zu sein ... und ich kann mich nicht entsinnen, jemals solche Schmerzen verspürt zu haben.« »Wenn Ihr Euch sowieso nicht regen könnt«, rief Craer, »könntet Ihr doch fein darüber nachdenken, wie es nun mit uns weitergehen soll.« Sie drehte sich zu ihm um, und die beiden lächelten sich an. »Dann bin ich jetzt also eure Anführerin? Und ich dachte, einige von euch hätten die Nase voll davon, sich von einer verwöhnten Fürstentochter hierhin und dorthin befehlen zu lassen.« »Ich habe nicht gesagt, dass Ihr Euch als Einzige den Kopf zerbrechen sollt«, erwiderte der Beschaffer. »Es ist nur so, dass Ihr Euch am besten mit diesen Dwaer-Steinen auskennt.« »Wenn ihr nur eine Ahnung davon hättet, wie wenig ich von ihnen weiß«, bekannte die Edle traurig. »Herrin«, fühlte der Recke sich verpflichtet zu erklären, »Craer und ich kommen ganz gut ohne jemanden zurecht, welcher uns sagt, was wir zu tun und zu lassen haben. Aber als fahrende Krieger haben wir gelernt, dass man die Magie fürchten muss. Entweder zerstört man sie auf der Stelle, oder man läuft vor ihr davon und versteckt sich. Den meisten Menschen ergeht es ähnlich. Wir eilen zum König, wenn er uns ruft, und für ihn wagen wir auch unser
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Leben. Aber wenn Seine Majestät das Reich retten und die feindlichen Zauberer besiegen und auch noch die Dwaerindim finden will, sollte er sich nicht so sehr auf uns verlassen. So etwas fällt nämlich in Euren Bereich.« Die Herrin des Geschmeides lächelte, ohne die Augen zu öffnen. »Helft mir bitte auf und lehnt mich gegen die Wand oder sonst wohin, ohne dass meine verletzte Schulter belastet wird. Und wenn ich schreie, lasst Ihr mich sofort los.« Hawkril betrachtete sie für einen Moment, so als überlege er, wo er sie am besten anfassen sollte. Embra verzog einmal unter seinem Griff das Gesicht, zischte gelegentlich oder sog vernehmlich Luft ein – aber schreien musste sie nicht ein einziges Mal. Auch dann nicht, als der Recke die junge Frau, weil er sie schlecht halten konnte, etwas grober als beabsichtigt gegen die Wand lehnte. »Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt. Sie lächelte matt. »Ich habe es lebend überstanden, Ihr großer Ochse. Besorgt mir von Sarasper eines der Figürchen.« Doch schon trat der Heiler selbst hinzu und reichte ihr einen der kleinen Zaubergegenstände. »Craer ist schlimmer verletzt, als ich dachte. Seid Ihr Euch ganz sicher, dass ich Euch zuerst heilen soll – bevor Ihr irgendeinen Firle- ... bevor Ihr das anstellt, was immer Ihr tun müsst?« Der Hüne verzog das Gesicht, aber Embra lächelte nur. »Treffend ausgedrückt, mein Bester. Aber macht Euch keine Sorgen, ich habe nicht vor, eine der alles zerstörenden Fallen auszulösen, welche der Mann gewiss hinterlassen hat, der sich jetzt im Besitz von drei Dwaerindim befindet. Das würde dann nämlich noch mehr Arbeit für Euch bedeuten und wäre eine unverzeihliche Verschwendung Eurer
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Kräfte und der silberbaumschen Magie. Doch wenn es Euch beruhigt, bleibt hier neben mir hocken. Wenn meine Augen aufleuchten, rot oder gelb oder in einer anderen Farbe und ich mit einer fremden Stimme spreche, schlagt Ihr mich sofort und ohne Vorwarnung bewusstlos.« »Das hört sich aber an, als müssten wir ganz besonders auf Euch aufpassen«, besorgte sich der Recke. »Und wie war es damals, als Ihr in Burg Silberbaum eingedrungen seid?«, entgegnete das Fräulein. »War das etwa ein Kinderspiel?« Hawkril seufzte leise, für ihn das Zeichen, dass er seine Niederlage eingestand. »Also gut, was möchtet Ihr, dass wir jetzt tun?« »Mich beobachten«, antwortete die Fürstentochter, »aber aus sicherer Entfernung – damit ihr rasch entkommen könnt, wenn ich irgendwelche Energie oder sonst was verschleudere. Und ja, besorgt mir einen Eimer voll zu trinken.« Der Recke bot ihr seine Feldflasche an. »Nein, nichts Stärkeres als Wasser«, lehnte sie ab, »wenn ich versuche, seine Spur aufzunehmen.« »Die Eures Zaubersteins?«, fragte Sarasper. »Nicht gerade das Klügste, wenn der einem eben gestohlen wurde und man keinen Ersatz zur Hand hat.« »Nichts an dieser ganzen Suche nach Dwaer-Steinen ist klug oder weise. Ganz gewiss nicht, sich dabei mit feindlichen Magiern einzulassen«, gab die Edle leicht gereizt zurück. »Dennoch bleibt einem nichts anderes übrig, Herr der Langzähne ... es sei denn, man gewinnt mehr Lebensfreude daraus, in einem Schankraum oder bei sich zu Hause herum-
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zusitzen, einen Humpen Bier zu trinken und in aller Seelenruhe dabei zuzusehen, wie ganz Aglirta in den Untergang abgleitet.« Der Heiler wandte sich an den Recken. »Wer so schnippisch ist, ist auch in der Lage, seinen Dwaer zu suchen.« Lächelnd fügte er hinzu: »Und nun bringt euch alle in Sicherheit.« Embra sah zu, wie die drei sich ansahen und sich dann zurückzogen. Die Herrin schloss die Augen, hielt kopfschüttelnd das Figürchen hoch und murmelte leise Worte vor sich hin. Etwas knisterte, etwas summte, und rings um ihre Hände entluden sich kleine Blitze. Diese sausten an ihren Armen hinauf und hinab. Ein Leuchten quoll aus ihren Fingern, und helles Strahlen überspülte die Herrin. Sie zitterte, bis das Licht vergangen war. Dann rollte ihr Kopf zur Seite, und Rauchwölkchen stiegen aus ihren leeren Händen. »Mädchen? Fräulein? Edle?«, stammelte der Hüne aufgeregt. »Kluger Versuch, gepaart mit jämmerlicher Ausführung. Gescheiter, es zu lassen, besonders wenn über Aglirta die Sonne scheint. Bei schlechtem Wetter findet die Suche im Saale statt. Muss jemand haben, der den Worthahn in meinem Kopf abdreht, sonst reisen wir zum Mond und kleben unterwegs Tüten –« »Abgesehen von Eurem Geisteszustand geht es Euch gut?« Hawkril schüttelte sie durch. »Wenn ich ein richtig verlogenes Miststück wäre, würde ich sagen, klar doch, warum auch nicht?« Aber in ihren Au-
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gen funkelte es schon wieder. »Also habt Ihr die Spur nicht gefunden«, erklärte Sarasper und warf einen Blick auf den Beschaffer. Der hockte immer noch hinter seinem halben Kranz aus Schwertern und hielt zusätzlich einen Dolch in der Hand. Er ließ die Dörfler nicht aus den Augen. Wenn man ihre vorsichtigen Bewegungen richtig deutete, konnte man zu dem Schluss gelangen, dass sie es für gesünder hielten, Craer lediglich unter Beobachtung zu halten. »Leider ja«, bestätigte die Fürstentochter und sah sich erschöpft im halbdunklen Steinhaus um. »Wer immer sich der Dwaerindim bemächtigt hat, er weiß, wie man ihre Spur verwischt. Mit einem Bann, welcher vielfach stärker ist als meine Zauberkünste ... Ohne einen Altar oder dergleichen mit ausreichender magischer Grundkraft zur Unterstützung zu haben, werde ich niemals in der Lage sein, auch nur ungefähr herauszufinden, wohin es meinen Zauberstein verschlagen hat. Dazu müsste ich ihm schon durch blanken Zufall so nahe gekommen sein, dass ich ihn berühren könnte.« »Also haben wir den Befehl des Königs nicht ausführen können«, sprach Hawkril niedergeschlagen. »Sagen wir lieber, wir haben eine kleine Schlacht verloren«, wandte Sarasper ein. »Einen Rückschlag erlitten, welcher von uns verlangt, uns an einer Feuerstelle niederzulassen und gründlich darüber nachzudenken, wie jetzt zu verfahren ist ... Und am Morgen danach fühlen wir uns frisch und ausgeruht und bersten vor Tatendrang.« Der Beschaffer verdrehte die Augen zum Himmel. »Bei al-
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lem, was recht ist, Ihr hört Euch an wie ein salbungsvoller Würdenträger.« »Hochwürden Silberzunge«, entgegnete der Alte und verbeugte sich gekonnt. »Ich stehe Euch zu Diensten, denn einst war ich Höfling.« »Jetzt wird mir einiges klar«, teilte Embra mit Unschuldsmiene der Decke mit. Der Hüne schüttelte den Kopf. »Sobald Ihr damit fertig seid, mit klugen Sprüchen um Euch zu werfen, sollten wir uns vielleicht der Frage zuwenden, wie wir weiter vorgehen sollen.« »Also gut, ich beginne«, meldete sich Craer zu Wort. »Ich sehe zwei Möglichkeiten für uns: Entweder laufen wir kreuz und quer durch Aglirta, bis wir auf einen Schlangenpriester oder einen Zauberer stoßen, der sich noch merkwürdiger aufführt als sonst – denn dort finden wir sicher einen Zauberstein – und bewirken damit nicht mehr, als dass der betreffende Priester, Fürst oder Tersept uns einen Hinterhalt legt und umbringt –« »Oder wir folgen dem wie stets auch diesmal klugen Rat von Meister Craer Delnbein«, warf Embra ein, »denn der lautet ...« Der Beschaffer lächelte. »Oder wir legen selbst eine Falle. Dazu suchen wir uns einen Ort, welcher sich mit unseren Möglichkeiten bestens verteidigen lässt. Dort richten wir alles her und begeben uns dann ins nächste Wirtshaus ...« Er sah die anderen erwartungsvoll an und erkannte, dass deren Aufmerksamkeit ihm zwar sicher war, sie sich aber noch längst nicht überzeugt zeigten. »Dort unterhalten wir uns lautstark darüber, wie wir unse-
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ren Dwaerindim dazu benutzen wollen, um das sagenhafte Schwert der Verlorenen, den Lieblingszauberer des Auferstandenen Königs oder die Edelsteine an uns zu bringen, welche es nur in der Vergangenheit gibt ... Dann warten wir einfach ab, wer uns überfällt.« »Also das ist ja mal wirklich ein gelungener Plan«, lobte Sarasper mit vor Spott triefender Stimme. »So einfach, so sicher und so unfehlbar. Warum haben wir es nicht gleich so angefangen, statt bis hierher zu irren und uns von Fledermäusen drangsalieren zu lassen?« Aber Hawkril erklärte: »Ich wusste doch, dass unser Dieb mal wieder den besten Einfall haben würde. Den hat er doch immer.« Sarasper und Embra sahen sich an, belustigt die eine, fassungslos der andere. Dann meinte die Fürstentochter: »Der Plan hört sich zwar hirnrissig an, aber mir fällt im Moment auch nichts Besseres ein.« »Na ja«, sprach der Heiler, »ich sehe da ein kleines Hindernis: Wo finden wir einen solchen Ort, welcher sich so leicht verteidigen lässt?« »Das Schweigende Haus«, klärte der Beschaffer ihn auf, als handele es sich um das Selbstverständlichste der Welt. »Wo auch sonst?« Die Edle nickte dem Alten zu. »Ihr seid der einzige lebende Fachmann für den Umgang mit diesem Ort. Also sollt Ehr auch bestimmen, ob wir es dort versuchen sollten.« Der Heiler verdrehte die Augen, nickte dann aber ergeben. »Also gut, dann eben das Schweigende Haus. Wollen wir nur hoffen, dass es dort keine Kräfte gibt, welche Embra
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für sich beanspruchen und uns entführen ... Aber ganz im Ernst, wenn niemand uns stören kommt, hätten wir dort wenigstens einen hübschen und warmen Ort, an welchem sich bequem der nächste Winter überstehen ließe ... Habe ich das jetzt richtig verstanden? Wir spazieren einfach aus Tarlarnastar hinaus und reisen zum Schweigenden Haus? Was, wenn die Dörfler zu der Ansicht gelangen, wir hätten ihren Fürsten erschlagen? Und mit ihm all seine Soldaten? Und auch noch das Steinhaus zertrümmert?« Craer lächelte wölfisch: »Ehrlich gesagt wäre es mir jetzt durchaus recht, den Bauern hier das Fell zu gerben.« Ein Dolch ruhte schon in seiner Rechten ...
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Ein schlechter Tag für Zauberer C Der verbrannte Mann mit dem wirren Haar besaß zwar nur noch eine Hand, die er jedoch geschickt benutzte und dabei unentwegt zischend vor sich hin fluchte. Wie ein von einem Bann Getriebener riss er heftig Moosbewuchs von Steinen. Hinter ihm regneten die grünen Klumpen vom Himmel, und er stolperte immer weiter über die Klippen und verwünschte Himmel, Götter und Schöpfung. Hin und wieder löste sich eine Fledermaus mit zerfetzten Flügeln vom Himmel, trudelte hernieder, ließ sich auf den Schultern des Mannes nieder, pfiff und kreischte aufgeregt, suchte sich dann einen Platz im Umhang des Besessenen und verschmolz dort. Der Flucher achtete nicht darauf, obwohl doch jede neue gelandete Fledermaus ihn ein Stückchen stärker machte. Er wuchs dann ebenfalls ein wenig und sah ein bisschen weniger verbraucht und gramgebeugt aus. Während er im Moos wütete, beherrschte ihn nur ein ein-
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ziger Gedanke – etwas Bestimmtes unter den dicken Matten zu finden. Ein zufällig vorbeikommender Beobachter hätte allerdings aus dem Benehmen des Verbrannten geschlossen, dass dieser den Großteil seiner Kräfte darauf verwandte, immer neue Beschimpfungen auszustoßen. »Verblödete Schwertschwinger! Das ist alles, was sie können!«, wütete der Herr der Fledermäuse. »Ich hätte ja nicht so dämlich dagestanden, sondern mich auch nach hinten umgesehen. Und ich hätte mich auch mit Schutzzaubern umgeben, damit mich nicht ein tückischer Pfeil aus einem Hinterhalt fällte. Aber nein, die hohen Herren haben ja bislang immer schon alles besser gewusst – bislang jedenfalls, doch nun nimmermehr!« In einem plötzlichen Wutanfall schrie und kreischte der Magier. Wie von Sinnen fiel er über das Moos her ... und hielt plötzlich befriedigt inne. In der Senke vor ihm befand sich das Gesuchte. Sofort buddelte er den vergilbten Menschenschädel aus, welchen er vor langer Zeit hier eingegraben hatte, um ihn vor neugierigen Blicken zu verbergen. Der Herr der Fledermäuse starrte in die leeren Augenhöhlen und schob sich in plötzlicher grimmiger Entschlossenheit den Knochen hart über den Armstumpf. »Warum sollte man auch den getreuen alten Huldaerus wissen lassen, dass man über noch einen Dwaer gebietet? Der ist doch bloß derjenige, welcher Euch wiederhergestellt hat ... welcher Euch gezeigt hat, wie Ihr Eure kümmerlichen magischen Fähigkeiten am besten einsetzen könnt ... Warum
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auch? Wer hätte jemals einem Zauberer vertraut? Und einen so wichtigen Magier wie den Herrn der Fledermäuse hält man am besten aus allem heraus. Denn so bleibt er ahnungslos, und man kann ihn herrlich auslachen, wenn er völlig unvorbereitet in eine Falle tappt!« Er hielt sich den Schädel ans Ohr, als wolle er hören, was der zu sagen hätte. Dann griff er mit den Fingern der Linken in die Senke am Boden und fand dort etwas, das sich drehen ließ. Dann rumpelte es rechts von ihm in den Klippen, und er grinste noch breiter als der Totenschädel. Er drehte sich um und sah einen Felsen, welcher eine Handbreit über dem Boden schwebte. Der Zauberer nickte befriedigt, verlor dann sein Lächeln und schrie den Stein in einem neuen Wutanfall an: »Nein, nein, ihr vornehmen Fürsten traut nichts und niemandem. Und Magier lasst ihr gleich im Dutzend bedenkenlos fallen und sorgt euch dabei um nicht mehr als die Frage, ob es noch eine Flasche von dem leckeren Roten gibt. Auch müsst ihr euch ständig mit euren ebenso blöden wie hochgerüsteten Rittern umgeben, welche nichts anderes im Sinn haben, als armen Bauersleuten einen Schrecken einzujagen und ihren Töchtern an die Wäsche zu gehen. Und natürlich auch Zauberer einzuschüchtern. Männer von Geist und Sitte wollt ihr gar nicht erst in eurer Nähe sehen! Jetzt endlich weiß ich, dass ich es nur mit Klotzköpfen zu tun habe, welche mich mit ihren verächtlichen Blicken beleidigen, welche mir rülpsend ihren stinkenden Atem entgegenpusten und welche mich mit ihrem durch nichts gerechtfer-
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tigten Hochmut demütigen!« Huldaerus geriet derart in Rage, dass er den Schädel gegen den schwebenden Stein schleuderte. Ersterer zersplitterte, und der Zauberer reckte den wieder nackten Armstumpf gegen die Sonne. Danach wurde er wieder ruhiger und atmete flacher. Sein allerdings immer noch zorniger Blick richtete sich gegen die Bäume, welche den Hang hinunterzuwandern schienen. Der Herr der Fledermäuse hielt sich ganz allein in diesem verlassenen Landstrich auf. Früher hatte der zum Fürstentum Schwarzgult gehört. Für einen Magier war es höchst ungewöhnlich, so sehr die Beherrschung zu verlieren. Schließlich sollte man als Zauberer ständig bedenken, dass buchstäblich jeder andere einen aus Furcht hasste. Wenn man da für einen Moment nicht aufpasste ... Huldaerus konnte sich nicht daran entsinnen, wann er sich das letzte Mal so hatte gehen lassen. Jetzt schämte er sich dafür. Er betrachtete seinen rechten Armstumpf und zwang sich wieder unter den Willen seines Verstands, bis er ganz kalt und gelassen war. Dann reckte er den Stumpf noch einmal der Sonne entgegen und sprach dazu sorgsam erlernte Worte. Sein Wille war jetzt hart wie Stahl, oder, wie er es lieber sah, so hart wie erkaltete Lava. Der Herr der Fledermäuse wusste, dass er überleben und gestärkt aus der letzten Niederlage hervorgehen würde. Sein Wille hatte ihm stets weitergeholfen, durch die schwere Jugendzeit, durch die Ausbildung, durch Verrat, Hinterhalt und
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Schurkerei ... und auch dieses Mal wieder. Eine Niederlage, gewiss, aber nur eine weitere in einer langen Reihe. An dieser jüngsten trug er noch nicht einmal die Schuld. Die war allein der Eselei eines anderen zu verdanken. Dummheit aus Hochmut und Saumseligkeit geboren. Das einzige Gute daran war sicher, dass die Wände des Steinhauses seinen Untergang vor den Blicken der Dorftrottel draußen verborgen hatten. Nicht auszudenken, wenn diese Einfaltspinsel erkannt hätten, wie leicht man einen Magier niederstrecken konnte. Mit einer einfachen Mistgabel – selbst mit einem Holzscheit, welches man ihm an den Kopf warf. Zauberenergie stieg in ihm auf, als er die letzten Worte der Beschwörung sprach. Wärme erfüllte ihn und schwemmte alle unguten Gefühle und alle Schmerzen fort ... Und dann zierte den Armstumpf ein Schädel. Kein alter, vergilbter Knochen wie der vorhin ausgegrabene ... sondern ein frischer, an welchem noch rotes Blut klebte. Doch vermochte niemand auf Anhieb zu erkennen, dass es sich dabei keineswegs um einen beliebigen Totenschädel handelte, sondern um den des vorhin getöteten Barons Faerod Silberbaum. Huldaerus überschüttete ihn gleich mit neuen Verwünschungen und hartem Tadel, aber nicht mehr wutschnaubend, sondern recht gleichmütig. Natürlich gab der verblichene Baron darauf keine Antwort, aber damit hatte der Herr der Fledermäuse auch nicht
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gerechnet. Danach legte er die gesunde Hand auf den Felsen, welcher immer noch über den Klippen schwebte. Dahinter tauchte eine Spalte auf, die sich noch weitete, als der Magier zusätzlich mit der Schulter gegen den Fels drückte. Jetzt erkannte er die Äste und Zweige, welche er darin übereinander gelegt hatte. Natürlich so verrottet, dass sie unter seiner Berührung sofort zerkrümelten. Aber sie lagen noch genau so da, wie er sie zurückgelassen hatte. Wieder bedankte sich der Herr der Fledermäuse für zwei Dinge bei einem ihm gewogenen Schicksal: Zum Ersten, dass man hier in den Höhen von Schwarzgult offenbar nie auf die Idee gekommen war, Bergbau zu betreiben. Und zum Zweiten, dass es ihm vorbehalten geblieben war, dieses uralte Grabgewölbe eines Magiers zu entdecken. Damit stand ihm ein vorzügliches Versteck zur Verfügung. Die Zaubergegenstände, welche er darin im Lauf der Jahre zusammengetragen hatte, würden ihm jetzt zugute kommen. Damit ließe sich die abhanden gekommene Rechte ersetzen, und damit ließen sich die anderen erlittenen Verletzungen und Verwundungen heilen. Zu seiner eigenen Verwunderung stellte er fest, wie verlockend ihm die Vorstellung erschien, sich hier zu verkriechen und für eine Weile von der Bildfläche zu verschwinden. Vorsicht und Umsicht hatten bislang nicht zu den Haupttugenden des Huldaerus gehört. Doch bewies sich seine Klugheit darin, dass er jetzt deren Wert durchaus einsah. Er würde sich hierher zurückziehen
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und den weiteren Verlauf der Ereignisse durch Spähzauber verfolgen. »Ich werde ganz gemächlich hier sitzen«, erklärte er dem Steinthron neben dem Eingang, »warte alles ganz gelassen ab und suche mir in aller Ruhe den rechten Moment aus, in welchem es sich für mich lohnt, wieder ins Geschehen einzugreifen. Sollen die anderen sich doch in der Zwischenzeit gegenseitig die Köpfe einschlagen!« Der Herr der Fledermäuse ließ sich auf dem Sitz nieder, legte die Füße hoch und döste leise vor sich hin ... Vor ihnen an der Straßenkehre blitzte unvermittelt Licht auf. »Zauberei!«, grollte der Ritter und sah sich nach seinem Freund um. »Craer? Verdammt, wo steckt Ihr?« Der Beschaffer war vorausgeeilt, um den Weg zu erkunden. Wenn nun oben an der Biegung ein Hinterhalt auf ihn lauerte ... Hawkril rannte schon los und ließ sich auch von Embras Rufen nicht aufhalten. Wenn dem Kleinen etwas zugestoßen war ... Das Land, welches sich vor ihm ausbreitete, hatte vor Jahren eine Feuersbrunst über sich ergehen lassen müssen. Wie mit dem Lineal gezogen zeigte sich eine Reihe von Hügeln und Hängen bar jeder Bäume und nur mit Gräsern, Ranken und Gestrüpp bewachsen. Dort mochte sich ja ein Beschaffer verbergen können, aber niemals Soldaten ... oder gar Ritter ... oder ... Der Recke entdeckte einen verwirrten Knaben, welcher mitten auf der Straße stand. Lichtflecke umtanzten ihn. Ein zarter Junge mit mädchenhaften Zügen.
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Der zarte Knabe sah den Hünen im Panzer verwirrt aus großen Augen an. Seine Kleidung ähnelte der eines fahrenden Sängers. »He da, Ihr da vorne!«, schnauzte Hawkril ihn an, ehe er sich besann. »Junger Freund, habt Ihr hier einen Mann vorbeikommen sehen? Ungefähr von Eurer Größe, ganz in Leder gekleidet und mit einem Schwert und mehreren Dolchen bewaffnet?« Der Junge schüttelte erschrocken den Kopf und fragte dann stammelnd: »Wer seid Ihr? Und was ist das für ein merkwürdiger Ort?« Sein Blick wanderte über die versengten Hügel und den verbliebenen Grünbewuchs, als habe er sich noch nie in der freien Natur aufgehalten. Der Recke vermutete, dass der Bengel aus einer Burg stammte. »Ich heiße Hawkril, und wie werdet Ihr genannt?« »Raulin, Herr. Raulin Tilgbar Burgmäntel. Mein Vater war der berühmte Sänger Helgrym Burgmäntel.« Der Ritter grunzte nur, betrachtete den Knaben aber mit neuer Achtung. Raulin versuchte, sein Gegenüber mit einem Lächeln gnädiger zu stimmen. Hawkril ließ sofort seine Klinge sinken, und kurz darauf erreichten ihn die Edle und Sarasper. »Wie seid Ihr denn hierher gelangt, junger Freund?«, erkundigte sich der Recke. »Durch Dwaer-Magie«, platzte es schon aus Embra heraus, bevor der Knabe Gelegenheit zur Antwort gefunden hatte. »Ich erkenne die Ausstrahlung. Deswegen habe ich Euch eben zurückgerufen.« Der Heiler betrachtete den Knaben eingehender. »Vor einem Moment habt Ihr Euch noch in der Burg aufgehalten,
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stimmt’s?« Raulin nickte erregt. »Ja, und mit einem Mal war ich ...« Er zuckte die Achseln und beließ seine Ausführungen bei einem »Na, hier«. Sarasper und die Fürstentochter nickten einander zu. »Und im selben Moment hat es Craer in die Burg verschlagen.« »Wie, er ist wieder fortgeschleudert worden?«, fragte Hawkril wütend. »Bei der Dreifaltigkeit! Wenn ich endlich den vermaledeiten Burschen zu fassen bekomme, welcher dahinter steckt!« »Da müsst Ihr Euch hinten anstellen«, beschied ihn Embra, »andere haben sich nämlich schon vorher dafür angemeldet, diesen Schurken zwischen die Finger zu bekommen!« Nun betrachtete auch sie den Knaben eingehender und stellte fest, dass er unter ihrem Blick errötete. »Junger Freund«, sprach ihn das Fräulein dann an, »unser Sarasper hier wird Euch nun ein wenig der Magie unterziehen. Wenn Ihr wirklich der seid, für den Ihr Euch ausgebt, wird Euch kein Leid geschehen. Der Sohn von Helgrym Burgmäntel soll uns nämlich herzlich willkommen sein. Wollt Ihr Euch uns denn anschließen? Auch wenn wir viele Gefahren zu überwinden und Abenteuer zu bestehen haben?« »Aber klar doch!«, entgegnete der Junge freudestrahlend und fügte dann etwas nüchterner hinzu: »Wo sollte ich denn sonst hingehen?« Der Mann mit den harten Augen, dem rabenschwarzen Bart und der lilafarbenen Kleidung ritt aus zwei Gründen über die Nebenstraßen des Tals.
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Zum Ersten mochte Bodemmon Sarr es nicht, wenn Zauberbanne sinn- und nutzlos verschleudert wurden. Für ihn war die Magie ein feines Instrument und kein Vorschlaghammer zur Zertrümmerung von Burgen. Daher setzte der Lilagewandete die Zauberkraft nur selten ein; denn sein heiteres Gemüt vermochten nur wenige Dinge nachhaltig zu beschädigen. So lächelte er gern, aber wenn es dann doch einmal darauf ankam, zögerte er nicht, seine Kräfte einzusetzen. Zum Zweiten ritt Bodemmon Sarr für sein Leben gern. Nur wenige wagten es, ihn zum Duell zu fordern oder ihm sonst wie den Weg zu versperren, wenn er nach Lust und Laune Aglirta zu Pferd durchquerte. Folglich führte er sich auch gern so auf, als gehöre ihm hier jeder Baum und jeder Busch. Kräftige Leibwächter, auf deren Brustpanzer Sarrs Wappen prangte – ein goldfarbener Sonnenuntergangsfalke mit ausgebreiteten Schwingen auf schwarzem Grund –, ritten paarweise vor ihm und hinter ihm. Zu seinem weiteren Gefolge gehörten ein Koch und zwei Mägde, welche ihm nicht nur bei Tisch, sondern auch zur Nacht aufwarteten, zehn Packesel und vier weitere Soldaten, die am Schluss ritten – und natürlich dieser Jüngling, sein Zauberlehrling. Von Zeit zu Zeit streifte der Mann, welcher sich selbst als bester Zauberer des ganzen Stromtals sah – ob das nun so lächerlichen Figuren wie Tharlorn gefiel oder nicht –, seine Scharlachroten Handschuhe über und schickte seinen Jagdfalken in die Lüfte. Jahre waren vergangen, seit er zum letzten Mal seinen
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Jagdspieß hatte einsetzen können. Die verwünschten Fürsten hatten im Tal das Wildschwein so überjagt, dass man kaum noch eines antreffen konnte. Das verdross Bodemmon so sehr, dass er nicht zum ersten Mal mit dem Gedanken spielte, eine neue Beute zur Strecke zu bringen: Fürsten in Aglirta. Aber selbst denen war Frau Fortuna ja in letzter Zeit nicht mehr so hold, sagte sich Sarr, ohne darüber sein berühmtes Lächeln zu verlieren. Was nun das große Spiel anging, so bot sich ihm dieser neue König, der Auferstandene, wie von selbst als Beute an. Doch bis der rechte Zeitpunkt dafür gekommen war, fand er sicher genug Zerstreuung bei den immerwährenden Verschwörungen der Fürsten in Aglirta. Nach dem Sturz von Schwarzgult und Silberbaum schienen die Edlen überhaupt keine andere Freizeitbeschäftigung mehr zu kennen. Dazu boten sich noch an: die fortwährenden Magierkriege in den Ruinen von Indraewyn, die Lindwurmangriffe auf Sirlptar und natürlich diese ganze Narrenbande von Schlangenanbetern. Aber nicht nur die Edlen hatten damit ihren Spaß. Jedermann im Tal schien bei der Gerüchteküche, den Verschwörungen und Morden aus dem Hinterhalt dabei sein zu wollen. Und eben zum Zwecke einer Beteiligung an solcher Lustbarkeit ritt der beste Magier im Tal nun zu einem Gasthof. Dort wollte er sich mit einigen Verschwörern treffen, welche bereits damit beschäftigt waren, eine Armee zusammenzuziehen, um den Fürsten von Kardassa dazu zu überreden, bei ihnen mitzumachen.
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Im Weigerungsfalle wollten sie sein Fürstentum dem Erdboden gleichmachen. Ach ja, bei ihrer Verschwörung ging es darum, sich des Flussthrons zu bemächtigen. Während die Fürsten allein nach der Macht strebten und ihrem Ruhmbedürfnis frönen wollten, war es Bodemmon mehr darum zu tun, ebenso ehrgeizigen Damen auf diesen Thron zu verhelfen, einer nach der anderen. Sie würden sich gewiss dafür im Bett bei ihm bedanken und später Ränke gegen ihn spinnen. Hei, was würde das für ein Spaß! Zauberer Sarr würde alles tun, um die Langeweile aus dem tristen Einerlei seiner Tage zu verbannen. Der Lilafarbene seufzte und warf einen Blick auf seinen Lehrling. Wie üblich beantwortete der viel zu rasch das Lächeln seines Herrn mit einem eigenen. Angeödet wandte der Größte Zauberer des Tals sich ab und seufzte noch tiefer. Bei der Dreifaltigkeit, das Leben wurde von Tag zu Tag eintöniger. Einer der Leibwächter an der Spitze rief eine Warnung und drehte sich im Sattel zu seinem Herrn um. Er zog mit der Hand einen Kreis in die Luft, und dieses Zeichen bedeutete »Untier«. Eine gefährliche, oder besser gesagt, unerwartete Störung der Reise. Bodemmon gab seinen Leuten das Zeichen, ihm Platz zu machen, und spornte sein Ross an. Auf der nächsten Anhöhe angekommen, erblickte er unter sich ein graues Gebilde, welches langsam auf ihn zustampfte und zwei große Scheren vor sich her trug. Das Wesen wirkte
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wie ein Krebs, auch wenn der Erzmagier noch niemals einen von solchen Ausmaßen zu Gesicht bekommen hatte. Das Untier besaß die Größe eines halben Planwagens, und der Lilafarbene blieb ganz ruhig im Sattel sitzen, um es eingehend zu studieren. Der Krebs stampfte immer weiter und ließ sich von nichts und niemandem vom Kurs abbringen. Aus einer Laune heraus zauberte Bodemmon dem Wesen einen leuchtenden Wall in den Weg. Das Wesen beschleunigte weder, noch hielt es davor an. Es stürmte auch nicht gegen die Mauer, sondern rammte sie einfach. Die Scheren trafen auf den leuchtenden Stein und kreischten darüber – aber der Zauberwall hielt. Der beste Magier von allen verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte etwas breiter als vorher. Mal sehen, zu welcher Lösung das Untier gelangte: Entweder Anlauf nehmen und den Wall noch mal rammen oder an ihm entlanglaufen, bis sein Ende gefunden war und es weiterging. Bodemmon freute sich schon darauf zu erfahren, wie seine neueste Beute ihren Verstand gebrauchte – natürlich insofern, als sie etwas Vergleichbares besaß. Er selbst war längst zu der Überlegung gelangt, dass es sich bei diesem Wesen um ein Zaubertier handelte, welches von weither ins Tal gelangt war. Möglicherweise hatte auch irgendein Zauberer Versuche mit kleinen Tieren unternommen – und das war dabei herausgekommen. Wie dem auch sei, der Riesenkrebs musste jüngeren Datums sein, denn sonst wäre er längst aufgefallen. Der Magier rieb sich im Geiste die Hände. Das Untier
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wollte doch nicht etwa versuchen, das Hindernis zu überklettern? Doch einen Moment später riss er die Augen weit auf: Der Krebs marschierte einfach durch die Steine hindurch, gelangte durch den Wall, als handele es sich bei dem lediglich um zauberisches Blendwerk. Nur wenig später sah sich Bodemmon einem großen und wütend dreinschauenden Auge gegenüber. Das Wesen hatte den flachen und kahlen Kopf erhoben, der so hässlich wie bei einem Geier oder eine Schildkröte wirkte, und schien sich doch tatsächlich den Verursacher der Störung genauer anschauen zu wollen. Bei allen Launen der Dreifaltigkeit, was war das für ein Geschöpf? Doch einen oder zwei Momente später schien es genug gesehen zu haben und setzte seinen Marsch fort. Sein Kurs verlief jetzt etwas mehr in Richtung Norden und damit fort von der Straße – aber dafür auf das Gefolge des weltbesten Magiers zu. Als der gefährdetste Leibwächter sich fragend zu Bodemmon umdrehte, war dieser zunächst versucht, nicht einzuschreiten und abzuwarten, was sich im nächsten Augenblick tun würde. Doch dann musste Sarr entdecken, dass der Weg des Krebses ihn viel eher mitten zwischen die Packesel führen würde – wo sich all seine Reisehabe und die beiden Mägde befanden. Das erzürnte ihn so sehr, dass er den Soldaten das Zeichen zum Angriff gab. Der erste näherte sich rittlings dem Untier und verfolgte den Plan, die eine Schere zu unterlaufen und das Schwert in das dahinter liegende große Auge zu stechen.
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Ein hervorragender Plan! Doch dann schrie er vor Schmerz und Überraschung. Der kahle Geierschädel schoss nämlich unvermittelt hoch und biss dem Leibwächter ohne große Umstände den ausgestreckten Schwertarm ab! »Gott im Himmel!«, entfuhr es dem weltbesten Zauberer. Blut spritzte immer noch aus dem Restarm, als der zusammen mit dem Schwert auf dem Boden landete. Der Soldat kippte im Sattel immer mehr nach vorn, während sein Pferd zuckte und sprang, als sei es selbst der Verwundete. Schnaubend zertrampelte es Wildblumen und wollte eigentlich nur weit fort. Das Krebsgebiss hatte ohne die geringste Mühe Knochen und Armschienen durchtrennt! Das Untier setzte sich wieder in Bewegung. Zwischen den Bäumen fand es nicht viel Platz, und so bewegte es sich in Richtung des Pferdes mit dem schwer verletzten Reiter. Schon schnellte eine der Scheren nach vorn, und jetzt verlor das Pferd ein Bein. Als es jämmerlich schreiend auf dem Boden zusammenbrach, sandte Bodemmon Pfeile aus lilafarbenem Feuer aus seinen erhobenen Händen. Die Geschosse trafen den Panzer, flammten dort auf ... und verloschen. Das Untier zermahlte Ross und Reiter und fand darüber hinaus noch die Zeit, nach dem Zauberer Ausschau zu halten und ihm einen tödlichen Blick zu senden. Jetzt reichte es Sarr. Er rief alle Soldaten zusammen und schickte sie von allen Seiten gegen das Ungeheuer. Selbst ritt
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der Erzmagier nach hinten zu den Packeseln, den Mädchen und seinem nicht allzu zuverlässigen Lehrling Glarth. Die Leibwächter hatten gesehen, wie rasch das Wesen zuschlug, und waren deshalb so klug, mit ihren Waffen nach den Augen des Untiers zu stechen. Von allen Seiten bedrängt fand das Ungeheuer keinen Platz mehr, wohin es seinen Schädel in Sicherheit bringen konnte. Waren die Augen erst durchbohrt, würde man ihm den Kopf abschlagen, und das dürfte das Geschöpf bestimmt nicht überleben. Allerdings überwand Zauberkraft immer noch Stahlklingen, und das Wesen hatte seine Fähigkeit zur Magie hinreichend bewiesen, als es mühelos durch den Wall geglitten war ... Vermutlich steckte Tharlorn von den Donnern dahinter, der wieder einmal seinen alten Widersacher schwächen und ärgern wollte. Bodemmon beschloss, mit diesem Geschöpf kurzen Prozess zu machen. Sobald er seinem Feind das schöne neue Spielzeug zerstört hatte, würde er sich etwas Feines ausdenken, was er ihm im Gegenzug schicken könnte. Eine Überraschung, die sich gewaschen hatte und diesem Feld-, Wald- und Wiesenzauberer endgültig die Flausen aus dem Kopf vertreiben würde! Die Soldaten hatten jetzt ihre Waffen gezogen und umringten den grauen Feind. Der weltbeste Magier hatte beim Tross alle Hände voll damit zu tun, Esel, Mädchen und Lehrling daran zu hindern, das Heil in der Flucht zu suchen.
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Die alte Köchin – hässlich wie die Nacht, aber am Herd eine Künstlerin – hielt bereits die Zügel in der Hand. Während er seine Dienerschaft hier beruhigte, ertönten hinter ihm neue Flüche und Schreie. »Glarth, meine Lindwurmtruhe, rasch!«, befahl er seinem Lehrling. »Brithra, Ihr und die Mädchen bindet die Esel an. Dann kommt Ihr zu mir. Ich brauche Euch, um verschiedene Pulver auszustreuen.« Während der Lehrling in seiner Aufregung Einwände stammelte, machte sich die Köchin ausnahmsweise ohne ein weiteres Wort mit den Mägden an die Arbeit. Als Glarth aber die Kiste gebracht hatte, wagte Bodemmon einen Blick nach hinten. Er sah gerade noch, wie einer seiner Soldaten zu Fuß durch den Wald floh ... ... und außer ihm hielt sich dort niemand mehr auf den Beinen. Der weltbeste Magier starrte auf das Gemetzel. Der Krebs biss immer neue Stücke aus den gepanzerten Leibern. Bodemmon zwang sich zur Ruhe, zog einen Zauberstab aus seinem Stiefel und sandte dem Flüchtigen einen Todesstrahl hinterher. Der letzte Ritter rannte kopflos noch ein paar Schritte weiter, ehe er zur Seite kippte. Sarr wandte seine Aufmerksamkeit dem grauen Ungeheuer zu. Fast schon zu spät, denn das Wesen war fast über ihm. Die Scheren knackten, und aus dem Maul troff Blut. Bodemmon schluckte und sprach einen kurzen Bann. Die Runen auf seinem Zauberstab glühten, und eine Feuerexplosion raste auf die Bestie zu.
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Die Luft selbst schien zu brennen, und die Haare auf Bodemmons Armen wurden abgeflammt, und ... das Ungeheuer ragte voller Schmerzen, aber noch höchst lebendig über ihm auf. In seinem rasenden Zorn biss es dem besten Magier des Tals den rechten Fuß ab. Bodemmon, nicht faul, hüpfte um sein Leben und warf sich auf der anderen Seite der Straße in den Graben. Zu seinem Glück kam der Bestie einer der Packesel in die Quere, und so musste der dran glauben. Das grässliche Knirschen von Fleisch und das Brechen von Knochen hallten in Bodemmons Ohren wider. Er wischte sich übers Gesicht und sandte einen Zauber aus, welcher die Luft mit grünen Blitzen anfüllte. Darunter kippte eines der Mädchen um, und Rauchfäden stiegen aus ihren sämtlichen Körperöffnungen hoch, sogar aus denen, in welchen sich bis eben noch ihre Augen befunden hatten. Nur das dreimal verfluchte Ungeheuer blieb davon vollkommen unbehelligt. Glarth heulte, jammerte und umklammerte die Fußknöchel der alten Köchin. Sie schlug – indes vergebens – mit dem Kochlöffel auf ihn ein, um sich von ihm zu befreien. Kurz bevor Bodemmon sie erreichte, tauschte Brithra den Kochlöffel gegen eine gusseiserne Bratpfanne aus. Der Zauberlehrling blieb leblos liegen. Die Köchin starrte ihren Herrn entgeistert an. »Vergebung, Erhabener, ich ... ich –« Bodemmon packte sie mit eisenhartem Griff und schüttelte sie: »Ruhe jetzt! Helft mir lieber, ihn umzudrehen.«
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Ein fürchterlicher Schrei und das noch schrecklichere Geräusch von zerreißendem Fleisch ließen darauf schließen, dass das nächste Lasttier ein Opfer der Krebsscheren geworden war – vielleicht hatte es aber auch das andere Mädchen erwischt. Als der Meister und die Köchin mit dem Jungen fertig waren, befahl Bodemmon ihr barsch: »Zurück! Fort mit Euch!«, und schrie einen gewaltigen Zauber hinaus, ohne abzuwarten, ob Brithra ihm auch gehorchte. Glarths ganzer Körper überzog sich mit einem hässlichen gelben Leuchten, welches sich kurz darauf dank Bodemmons Bemühungen wieder zurückzog. Das Untier schien sich an dem zweiten Packesel gütlich getan zu haben, denn es drehte sich nun zu den dreien um – dem Zauberer, dem Zauberlehrling und der Köchin. Als das gelbe Licht sich nur noch in Glarths Augen zeigte, murmelte der Magier einen weiteren Bann und brachte sich dann in Sicherheit. Der Krebs verschlang mit dem ersten Biss Kopf und Schulter des Zauberlehrlings. Blut spritzte einen Meter hoch aus der Wunde. Der andere Arm und der Großteil von Glarths rechter Seite bildeten den zweiten Bissen. Bodemmon legte der wimmernden Köchin eine Hand auf die Schulter und zog sie mit sich fort. Nach dem dritten Biss waren von dem Zauberlehrling nicht mehr als die Beine und ein Stück Unterleib übrig. Unvermittelt hob die Bestie den Kopf und entdeckte den sich zurückziehenden Meisterzauberer. Bodemmon hätte schwören können, dass das Untier ihn
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anlächelte. Schon hatte es den armen Glarth vergessen und bekam plötzlich Appetit auf dessen Herrn. Bodemmon wartete, bis es auf ihn zukam, und löste dann den Bann aus, welchen er seinem Lehrling eingepflanzt hatte. Dann ließ er Brithra stehen und humpelte fort, so rasch ihm das nur möglich war. Eine klatschende Explosion hinter ihm sandte Fleischklumpen in die umliegenden Baumwipfel. Er spürte klebrige Flüssigkeiten an seine Schultern platschen und dann seinen Rücken hinabrinnen. Dann traf ihn die Woge des Luftdrucks und sandte ihn kopfüber in einen Dornbusch. Nachdem der weltbeste Magier seine Benommenheit abgeschüttelt hatte, kroch er aus dem Gestrüpp und betrachtete das Schlachtfeld. Doch da war nicht viel zu erkennen: eine blutüberströmte Gestalt, bei der es sich vermutlich um seine Köchin handelte. Von dem Krebsungeheuer war hingegen nichts mehr auszumachen. Sarr lächelte. Er war eben doch der allerbeste Zauberer der Welt, daran konnte nicht der geringste Zweifel bestehen. Aber er musste doch zugeben, dass Tharlorn seinen Angriff sehr geschickt vorbereitet hatte. Bodemmon hatte die meisten seiner Banne einsetzen müssen, und die hatten nicht einmal etwas gegen die Bestie bewirkt. Aber nicht geschickt genug, um jemanden von Sarrs Größe bezwingen zu können. Dass Bodemmon einen Getöteten so zu verändern vermochte, dass er im Bauch des Untiers
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explodierte ... das hatte selbst Tharlorn nicht vorhersehen können. Wie hatte es einmal ein berühmter Magier ausgedrückt: »Es gibt immer mehrere Wege, einen Drachen mit Zauber zu erlegen.« Brithra stöhnte, aber das hieß ja auch, dass sie noch am Leben war. Also konnte er sie einstweilen liegen lassen und brauchte erst später nach ihr zu sehen. Zuerst musste er an seine Satteltasche gelangen. Darin befanden sich nämlich die Zauberzutaten, um sich von hier in Sicherheit zu befördern. Und er sollte auch etwas tun, um den fehlenden rechten Fuß zu ersetzen. Das behinderte ihn doch ganz erheblich. Als er sich mit beidem versorgt hatte, humpelte er zu der Blutlache, welche von der Bestie übrig geblieben war. »Tharlorn, was seid Ihr doch für ein ausgemachter Narr –« In diesem Moment schob sich eine Riesenschlange mit mehreren garstigen Schädeln aus den Bäumen, fuhr mit dem Hals zurück und ließ dann das Dutzend Schnauzen vorschnellen. Elf Mäuler schlossen sich um Luft, doch das zwölfte riss dem weltbesten Magier mit einem Biss den Kopf von den Schultern. Der schädellose Bodemmon hüpfte noch ein Stückchen weit die Straße entlang, Funken und Feuerstöße von nicht zu Ende ausgesprochenen Zaubern prasselten von seinen Fingern, und dann brach der Mann zusammen und blieb zuckend im Straßenstaub liegen. Die Köpfe der Schlange machten sich über den Leib Sarrs her und zerrissen ihn in Stücke. Danach richtete Tharlorns
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Magierfresser sich zu voller Größe auf und sah sich nach allen Seiten um. Erst nach langer Zeit zog die Schlange den Hals wieder ein und glitt dann in Richtung Westen weiter. Erst als nichts mehr von ihr zu sehen war, kroch eine blutverklebte Köchin aus ihrem Versteck, nahm die Faust aus dem Mund und schrie aus Leibeskräften. Craer seufzte, hockte sich auf einen bequem aussehenden Stein, legte die Füße auf einen anderen und machte sich seelenruhig ans Warten. Nur nichts überstürzen, sagte er sich. Es kommt ja doch alles so, wie es kommen muss, und darüber muss ich mir nicht auch noch den Kopf zerbrechen. Gewiss steckte ein Grund dahinter, warum es ihn ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Und auch, warum er nun in einem so aufgedunsenen Körper steckte, welcher ein wenig streng roch und welchen er noch nie gesehen hatte. Der Beschaffer spreizte zum ersten Mal in seinem Leben die Finger großer, behaarter Hände. Außerdem trug er eine vollständige Rüstung und einen Umhang. Offenbar war aus ihm ein Ritter, oder besser der Führer einer ganzen Ritterschar geworden. Er schaute sich um und schloss, dass er sich irgendwo talabwärts befinden musste, vermutlich auf der anderen Seite des Kardassa, in einem der weiter oben liegenden Fürstentümer ... Craer konnte nur hoffen, dass die Pläne des geheimnisvollen Besitzers der Zaubersteine für ihn vorsahen, noch eine Weile am Leben zu bleiben. Dass er ihn außerdem bei bester Gesundheit erhielte ...
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und dass er es ihm auch sonst gut ergehen ließe, so richtig gut ... Ja, hoffentlich so richtig gut! Frömmigkeit hatte nie zu den herausragenden Tugenden des Beschaffers gehört, aber schon ein paar Momente später betete Craer zu allen Göttern in sämtlichen Himmeln – zumindest denen, welche ihm in diesem aufgeregten Moment einfallen wollten. Einer würde doch darunter sein, der gerade nichts Besseres zu tun hatte und ihm zuhören würde ... Gleichzeitig schlossen sich die sich fremdartig anfühlenden Finger um den Schwertgriff.
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Haufenweise Flaschen und ausreichend Blut, sie zu füllen C Die ersten zaghaften Abendschatten schlichen sich aus den Bäumen auf die Straße, als die vier Wanderer aus der Tiefen Senke herankamen, welche dafür berüchtigt war, dass man in ihr Strauchdiebe und allerlei lichtscheues Gesindel antraf. Sie strebten der Lichtung zu, auf welcher sich der Gasthof »Flasche und Handschuh« befand, ein alter Hof, der sich ziemlich gut gehalten hatte. Hunde waren dort angekettet und bellten, wann immer sich jemand näherte. Bei diesem Haus handelte es sich übrigens um die einzige Herberge auf der Straße zwischen dem Weideland von Phelinndar und den Höfen und Mühlen von Silberbaum. Das »Flasche und Handschuh« breitete sich auf einer Fläche von drei Lichtungen aus, und man hatte den Grund mit einer Palisade umzäunt, um sich vor Bären, Raubkatzen und anderen unangenehmen Nachtgeschöpfen zu schützen – wie zum
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Beispiel Räuberbanden, welche sich von hinten anschlichen und einem die Gurgel durchschnitten. Männer mit Armbrust hielten auf den Laufgängen und vor allem dem Tor Wache – dem einzigen Zugang für Wandersleute. Wer hier Einlass begehrte, musste sich manch misstrauischem Blick und argwöhnischen Fragen stellen. Die Wachen standen kurz davor, Alarm zu geben, als sie den Hünen erblickten, welcher da mit drei Gefährten heranschritt. Er hatte sein Schwert gezogen, und seine Gesichtszüge wiesen ihn als harten Kämpfer aus. Der Recke ging an der Spitze, und ihm folgte eine Frau mit hochmütigem Blick. Entweder hielt sie sich für etwas Besseres, oder sie entstammte tatsächlich dem Hochadel. Danach kam jemand, der so alt war, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und den Schluss bildete der Jüngste, ein Knabe mit feinen, aber schmerzverzerrten Zügen. »Mir tut der Fuß weh«, beschwerte sich Raulin, als sie dem Tor ein Stück näher gekommen waren. »Ist all diese Schauspielerei denn wirklich notwendig? Wenn sie jeden niederschießen würden, der hier des Wegs gezogen kommt, könnten sie ihre Herberge aber bald schließen.« »Mein lieber junger Freund«, bemerkte Embra über die Schulter, »treibt es nur noch ein Weilchen weiter so bunt. Denn ich brauche nur ein paar Beschwörungsworte zu sprechen, und dann bekommt Ihr für Euer Humpeln einen handfesten Grund.« Raulins Erwiderung ging in einem Murmeln unter, denn schon rief sie der Wächter vom Tor an: »He da, begehrt ihr
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Einlass und freundliche Aufnahme? Dann nennt uns flugs eure Namen und den Grund eurer Reise.« Die Abendschatten streckten ihre langen Finger aus und verdeckten vieles von all dem Unangenehmen in den Gassen und Hinterhöfen. Der Müllkutscher war schon als Kind keine liebenswürdige Erscheinung gewesen, und das harte Leben, welches ihn erwartete, hatte wenig dazu beigetragen, sein Aussehen gefälliger zu machen. Narben bedeckten seinen Kopf und sein Gesicht, und sein Mund erinnerte an eine Hundeschnauze. Er pfiff irgendetwas vor sich hin, das er vermutlich nicht einmal selbst wieder erkannte, und stieg in die Abwässerkanäle von Sirlptar hinab, um einen Sack mit Abfällen aufzunehmen. Fast wäre er unter dessen Gewicht zusammengebrochen. Die Dunkelheit kroch jetzt auch die Stufen zu den Kanälen herab – nun würde es nicht mehr lange dauern, bis die unterirdischen Wege zum Leben erwachten. Hier unten trieb sich allerlei Gesindel herum, das, wenn es darauf ankam, auch nicht davor zurückschreckte, einem armen Müllkutscher ein Messer in den Rücken zu stoßen. Sei es, um ihm seine paar armseligen Kupferlinge abzunehmen, sei es aus purer Mordlust. Deswegen beschleunigte der Mann mit der Hundeschnauze jetzt seine Schritte. Dabei erwiesen sich die Stufen heute als besonders glitschig und klebrig. Der alles beherrschende Gestank und die einsetzende Dunkelheit verhinderten, dass der Müllkutscher sehen konn-
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te, was genau sich unter seinen Füßen auf der Treppe ausgebreitet hatte. Jetzt machte er besser, dass er davonkam ... und nächstes Mal würde er den Treffpunkt bestimmen. Da regte sich etwas hinter einer Steinsäule. Der Mann blieb stehen, schwang den schweren Sack wie einen Schild vor sich und rief: »Wer ist da?« Eine Frau trat vor, welche ihr Gesicht hinter einer Halbmaske verbarg. »Keine Angst«, antwortete sie sanft. »Ich bin es nur, Oblarma.« Tatsächlich beruhigte sich der Müllkutscher wieder. Er setzte den Sack ab und verpasste ihm einen Tritt, so dass der Inhalt hinauspurzelte und sich in das nächste Abwasser ergoss. »Lasst mich Euch vorstellen, Oblarma«, erklärte er dann in der formellen Händlersprache von Sirlptar. »Man ruft mich Ingle. Seid Ihr allein und verspüret den Wunsch, nicht länger dies zu bleiben?« »Ja«, antwortete die Frau mit der elfenbeinweißen Haut und trat noch ein Stück vor, damit er sehen konnte, dass sie keine Waffe in der Hand trug. Ingle hielt zwei Finger hoch, und sie zeigte ihm vier. Rasch einigten sie sich auf drei. Arm in Arm gingen sie durch den dunklen Eingang. Drinnen löste sich Oblarma von ihm, um rasch und geschickt die Abdeckung von der Lampe zu nehmen und die Tür zu verriegeln. Denn die beiden wollten keine ungebetenen Zuschauer. »Hübsche Brüste«, lobte er, als sie sich vor ihm entkleidete. »Beeindruckende Narben«, entgegnete sie und löschte das Licht. Noch während sie redete, veränderte sich das Freu-
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denmädchen. Dir Körper zerschmolz, ihre Züge zerflossen, ihre Brüste bildeten sich zurück und all ihre weiblichen Reize vergingen. Ähnlich erging es dem Müllkutscher. Er wurde schmal wie eine Bohnenstange, und sein Gesicht verlor alle Form. Dann wuchsen den beiden Koglaur ein röhrenförmiges Maul und ein blütenförmiges Ohr. Sie schoben den Mund ins Ohr des anderen, und der Unterhaltung, welche sie jetzt führten, konnte auch der hellhörigste Lauscher nicht folgen. »Haben die Schlangenanhänger schon einen Spion in Treibschaum einsetzen können?« »Esabras sagt, so weit sei es noch nicht. Sie kämen aber immer weiter in den Fürstentümern voran.« »Und fürchten sich die Bürger schon, oder ahnen sie noch nichts vom Treiben der Schlangen?« »Die Fürsten veranstalten unter- und gegeneinander so viel Getöse, dass man von anderen Dingen nicht viel mitbekommen kann.« »Sind alle von uns jetzt so weit, dem Schlangengift widerstehen zu können?« »Ja, bis auf Tlalasch. Ich fürchte, er wird sich niemals mit einem Schlangenkrieger messen können.« »Dann sind wir also bereit. Besser vermögen wir uns kaum vorzubereiten. Ich wüsste gern, wie Ihr über Aschenes Plan denkt ...« Die beiden Koglaur tauschten sich noch eine Weile aus. Dann öffneten sie die Tür und schlichen nach draußen. Sie hatten schon wieder ihr Äußeres verändert.
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»Belgur«, murrte Weldrin und schob dem Mann noch mehr Gold in die Hand, »wie viele Münzen habt Ihr schon beisammen?« Der Mann mit dem Rattengesicht warf einen Blick auf das Geldhäuf lein und antwortete dann: »Sechs ... sechs, glaube ich.« »Richtig gerechnet«, lobte der Schwertträger. »Ich mache die zehn voll, wenn Ihr Artheld oder Nimmor zurückbringt, ehe das nächste Feuer angezündet wird.« Belgur musste nicht lange in die Küche des Gasthofes spähen, um herauszufinden, wie wenig Zeit ihm damit noch blieb. »Ich soll die Schlangenpriester holen?«, entgegnete er verblüfft. »Ihr wollt tatsächlich Schlangenpriester vorgeführt bekommen?« »Eine dringende Angelegenheit«, erklärte Weldrin. »Ich muss rasch mit einem von beiden reden. Hier in dieser Nische, und allein.« Er sah sich nach links und rechts um. »Außerhalb des Vorhangs kennt Ihr weder mich noch sie. Wenn die Schlangenpriester misstrauisch sind, so ist das ihre Angelegenheit. Aber sagt ihnen, ich würde sie darum bitten, leise aufzutreten und die Gesichter zu verdecken.« Der Kleine mit dem Rattengesicht nickte und verschwand aus der Nische. Weldrin wartete, bis das nächste dicke Holzscheit im Ofen nach unten rollte. Als die Funken aufstoben, folgte er dem Kleinen. Der kleine Raum, in welchem er sich befunden hatte, öffnete sich sowohl zum lärmenden Schankraum als auch zu ei-
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ner Reihe weiterer Nischen. Ein Knabe hockte im Gang und nahm von jedem, der eine solche Örtlichkeit aufsuchen wollte, die dafür anstehende Gebühr. Ein Stück weiter stand ein bewaffneter Mann, der Kunden, welche zu bezahlen vergaßen, auf seine Weise an den Jungen erinnerte. Weldrin begab sich ans Ende der Reihe und betrat eine etwas größere Nische. Diese war besser beleuchtet und befand sich genau an der Kreuzung der Gänge von Küche, Keller und Schankraum. Das »Flasche und Handschuh« befand sich zwar mitten im Wald, aber in Nächten wie dieser entstand hier so etwas wie eine eigene Gemeinde. Und alle die kamen, hatten Hunger und Durst. Im Schankraum brodelte die Gerüchteküche. Eine Edle war zusammen mit ihrem Hauslehrer und zwei Leibwächtern eingetroffen und verbreitete Neuigkeiten. Die berühmte Viererbande, welche im Auftrag des Königs handelte, sei unterwegs, die sagenhaften Dwaerindim ins Schweigende Haus zu bringen. Mit Unterstützung der Steine sollte dort uralte Magie aus der Goldenen Zeit Aglirtas geborgen werden – um mit deren Hilfe das Reich gegen alle seine Feinde verteidigen zu können. Ganz so, wie es in der Prophezeiung geschrieben steht, beharrten die einen. Welche Weissagung, es gibt doch so viele, hielten andere dagegen. Weiters dachte man lautstark darüber nach, wer mit den Feinden des Reiches wohl gemeint sein könnte.
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Ganz klar, eine Verschwörung der Zauberer zur Eroberung des Throns. – Nicht ganz, eher steckten wohl die Fürsten dahinter. Die Magier mischten sich doch nie in die Tagespolitik ein. »So ist es recht«, lächelte Weldrin in sich hinein, als er gestört wurde. »Herr«, machte ihn einer seiner Soldaten aufmerksam, »bei der Edlen, die kurz vor Einbruch der Nacht hier mit ihrem kleinen Gefolge aufgetaucht ist, handelt es sich um die Herrin der Edelsteine.« »Ja, das stimmt«, fiel es jetzt auch einem anderen seiner Bewaffneten auf. »Das ist eindeutig die Tochter des Fürsten. Was sollen wir jetzt tun, Weldrin?« »Ihr ein Schwert in den Leib jagen«, schlug ein dritter vor. »Besser erst etwas anderes in sie hineinstoßen«, meinte der vierte und zwirbelte sich den Schnurrbart. Ihr Anführer hob eine Hand, um die Männer zur Ruhe zu bringen. »Sie hört uns so deutlich wie wir sie. Deswegen sollten wir keine Namen mehr nennen.« Die Soldaten schwiegen und richteten ihren Blick auf ihn. Weldrin nickte zufrieden und schnitt sich mit seinem Messer ein Stück von dem Käserad auf dem Teller ab. Schon vor dem Untergang des Fürsten war er der Hauptmann von zwanzig Soldaten gewesen, von denen jetzt leider nur noch acht übrig geblieben waren. Er hatte zu den besten Männern Silberbaums gehört, und seine Männer schauten zu ihm auf – sonst wären sie ihm wohl nie durch das Hinterland des Stromtals und durch die ebenfalls untergegangene Baronie Phelinndar gefolgt. Seit zwölf Tagen hielten sie sich nun hier auf und ritten
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zum Plündern in die öden Länder und rafften alles an sich, was nicht niet- und nagelfest war. Wenn sich dickköpfige Bauern oder deren Söhne, welche sich auf lachhafte Weise selbst überschätzten, in den Weg stellten, wurden sie erbarmungslos niedergemacht. Und gelegentlich gehörte auch eine Bauernmaid zur Beute. Zwei von ihnen lagen jetzt gefesselt und geknebelt oben in der Stube der Soldaten. Aber diese Maid dort im Schankraum, welche gerade an ihrem Tisch das große Wort führte, war mehr wert als alles, was das heruntergekommene Phelinndar ihnen jemals würde bieten können. Die Schlangenpriester würden eine Unsumme bezahlen, um die Fürstentochter lebend ausgehändigt zu bekommen. Zu Weldrins Glück ahnten die Soldaten nichts von seiner Neigung zu den Schlangenanbetern ... oder davon, dass diese ihn zu ihren Verbündeten zählten. Andernfalls hätten sie ihn auf der Stelle verlassen. Und ihm vermutlich vorher noch das Schwert in den Bauch gestoßen. Weldrin wusste, dass die Priester nicht nur tödliches Schlangengift zur Verfügung hatten. Dieses verdünnten sie zu verschiedenen Lösungen, mit welchen sich Menschen in tiefen Schlaf versetzen ließen. Wenn seine Soldaten später wieder erwachen würden, müssten sie feststellen, dass ihre Beute, die Edle, verschwunden war. Der Hauptmann müsste sich dann den ganzen Weg nach Sirlptar ihr Murren und ihr Wehgeschrei anhören, aber das erschien ihm als geringer Preis verglichen mit dem, was die
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Schlangen ihm zahlten. Besser jedoch, er ließe sich das Kopfgeld in Perlen auszahlen. Denn es lief sich doch beschwerlich mit hundert Goldstücken im Stiefel. Die Viererbande hatte sich hier im Gasthof Zimmer genommen. Später, wenn sie sich dorthin zurückgezogen hätten und der Großteil der Zecher an ihren Tischen eingeschlafen wären, könnte der Spaß beginnen. »Ihr hört jetzt sofort auf zu trinken«, gebot Weldrin seinen Getreuen. »Wir müssen wach und nüchtern bleiben.« Einige murrten über seine Worte, aber niemand hatte ernsthaft Einwände vorzubringen. Stattdessen kamen sie alle näher, um den Plan ihres Hauptmanns zu hören. »Wie würde es euch gefallen, reich zu sein?«, fragte er sie mit einem breiten Lächeln. Als disziplinierte Soldaten brachen sie nicht gleich in Jubelgeschrei aus, sondern warteten gespannt auf das, was er weiter zu sagen hatte. »Ich habe die Herrin natürlich gleich erkannt und Belgur ausgeschickt, um sie auszuspionieren. Sie und ihre Begleiter haben zwei Kammern genommen, aber vermutlich schläft die Fürstentochter nicht allein ... Könnte also sein, dass wir unsere Klingen benutzen müssen, um sie von einem oder auch mehreren Liebhabern zu lösen. Ich habe einen Jungen vom Gasthof angestellt, die Augen aufzuhalten.« Er sah seine verbliebenen Soldaten der Reihe nach an. »Der Knabe wird mir mitteilen, wer von den Vieren wohin geht.« Die Männer sahen ihn erwartungsvoll an. Sie ahnten, dass
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ihr Hauptmann etwas Großes beabsichtigte. »Tot ist die Edle für uns nichts wert. Wahrscheinlich müssen wir ihr aber die Hände fesseln und den Mund stopfen. Die Augen verbinden ist sicher auch vonnöten – schließlich versteht die Jungfer sich ja auf die Zauberei.« Der Hauptmann lächelte wieder so breit, und jeder wusste, dass er jetzt zum Kern kommen würde. »Wenn wir sie dem Auferstandenen König in Ketten vorführen und als Zaubererverräterin übergeben, wird sein Dank keine Grenzen kennen.« Der Anführer ließ die Worte aushallen, um die Vorstellungskraft seiner Getreuen zu kitzeln. »Gut möglich, dass der König uns keinen Sack Gold aushändigt. Aber ein mittlerer Posten an seinem Hof oder ein Stück Land aus den erledigten Fürstentümern Silberbaum und Schwarzgult wären ja auch nicht zu verachten, nicht wahr?« »Die Fürstentochter hat gerade gegähnt«, teilte einer der Soldaten seinen Kameraden aufgeregt mit. »Dann dauert es nicht mehr lange, Männer.« Belgur eilte so rasch durch den Wald, wie er sich nur getraute. Wenn man zu schnell lief, verursachte man unweigerlich verräterische Geräusche. Nicht zu vergessen die Fallen und Fußangeln, in welche nicht nur Tiere geraten konnten. Er hielt sich aus dem hellen Licht des Mondes, damit ihn niemand entdecken konnte – zumindest so lange nicht, wie er selbst keinen Blick auf sein Gegenüber geworfen hatte. Belgur hatte seinen Dolch bereits gezückt. Man wusste ja nie.
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Bei der Dreifaltigkeit, wie er die Schlangenpriester und ihre Anhänger hasste! Er verstand auch nicht, warum sein Hauptmann sich mit ihnen einlassen wollte. Daraus konnte doch nichts Gutes erwachsen! Die Hand, welche ihm den Dolch aus der Hand schlug, kam aus einem der dunklen Baumstämme. Eben noch hatte Belgur sich geduckt unter einem Ast hindurchbewegt, und im nächsten Moment wurde er von etwas festgehalten, was sich wie zwölf starke Arme anfühlte. Sie umschlossen ihn so fest, dass er kaum atmen konnte, Finger schoben sich in seinen Mund und dehnten sich dort aus. Sechs Messer drangen gleichzeitig langsam in ihn ein. Er bekam keine Luft mehr, konnte sich nicht regen und versank immer tiefer in Finsternis. Jetzt beugte sich sein Mörder über ihn, und als letzter Gedanke ging Belgur durch den Sinn, dass dieses Wesen mit den vielen Armen überhaupt keine Gesichtszüge besaß! »Mit dem Diebsgesindel ist in diesen Zeiten auch nicht mehr viel los«, murmelte eine Stimme, während sich ein Sumpf über der Leiche von Belgur schloss. »Zu schade. Schon wieder kommt eine Nachricht nicht bei den Schlangenpriestern an.« »Prahlt später mit Euren Erfolgen«, mahnte eine zweite Stimme. »Wir haben noch ein weites Stück Wegs bis zum Gasthof vor uns. Und wenn es uns wirklich gelingen sollte, die Schlangen auszuschalten, müssen wir immer noch mit den Bluthunden Silberbaums fertig werden.« Zur Antwort ertönte ein so tiefes Grollen, dass eine Raubkatze ganz in der Nähe mit ausgestreckten Beinen senkrecht in die Luft sprang.
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Die Träger der beiden Stimmen verwandelten sich in Falken und erhoben sich in die Lüfte. Sie ließen ein Seufzen vernehmen, welches sich menschlich anhörte ... ... und doch ganz anders. Embra gähnte wieder und wäre fast mit der Nase in den Bierkrug gefallen, welchen der Wirt ungefragt vor sie gestellt hatte. Sie warf den Kopf in den Nacken, schüttelte das lange, jetzt strähnige Haar und meinte: »Ihr Götter, bin ich müde. Zeige mir doch bitte jemand den Weg nach oben.« Noch vor einer halben Kerzenlänge wären auf eine solche Bitte hin mindestens ein Dutzend Männer aufgesprungen. Aber es war schon sehr spät geworden. Viele lagen in Ecken oder unter dem Tisch und schnarchten vor sich hin. Nur in einer Nische hinter einem Vorhang schien man noch nicht dem Rausch erlegen zu sein, denn eben bemerkte eine Stimme: »Auf wen auch immer Ihr wartet, Weldrin, sie kommen nicht mehr. Also hört auf, herumzulaufen, und setzt Euch endlich hin.« Auch an einigen wenigen Tischen waren noch Gäste wach. Bei diesen handelte es sich in der Regel um Kaufleute, die nach Bier und Flussforelle endlich zu ihren Geschäften kamen. Die vier Gefährten hatten einen eigenen Tisch, und auf dem breiteten sich die Reste einer mehrgängigen Mahlzeit mit Wildschwein, Fasan und einem Dutzend weiterer Speisen aus.
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Drei leere Karaffen Wein und ein kleines Fass Bier erhoben sich wie Türme aus dieser Unordnung. »Herrin, hört bitte damit auf«, flehte Raulin, als Embra ein weiteres Mal gähnte. »Wir sollten jetzt besser nach oben gehen«, erklärte Hawkril und betrachtete Sarasper. Tatsächlich, der Alte war bereits eingeschlafen, auch wenn seine Augen noch offen standen. Der Recke stieß ihn an und musste ihn dann abfangen, weil er von der Bank zu kippen drohte. Doch auch unter dem festen Griff Hawkrils erwachte der Heiler nicht. Nachdem er wieder gerade auf der Bank saß, fing er an zu schnarchen. Raulin musste darüber so lachen, dass er sich verschluckte. Die Herrin warf dem Hünen einen missbilligenden Blick zu, sagte: »Also wirklich ...«, und erhob sich. Dann musste sie sich jedoch gleich an der Rückenlehne ihres Stuhls festhalten, weil ihre Beine einzuknicken drohten. »Raulin, lasst Euren Krug stehen«, forderte sie ihn auf, »sonst schlaft Ihr noch hier am Tisch ein.« Hawkril hob den Heiler mit der einen und den hustenden Knaben mit der anderen Hand auf. »Wehe der Kammermagd, welche mich morgen früh wecken will«, knurrte die Edle. Der Hüne kicherte bei der Vorstellung einer schlaftrunkenen Embra, welche eine unschuldige Zimmermaid in eine Kröte verwandelte, bloß um weiterschlafen zu können. Sie hatten Kammern am Ende eines Ganges zugewiesen bekommen, und in denen würde es kalt, zugig und finster sein. Embra schaute sich in ihrem kleinen Raum um. Hier fan-
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den sich ein Bett, ein Nachttopf und eine Schüssel mit gefülltem Wasserkrug, um sich am Morgen zu waschen. Zu dieser Stunde hatte sie auch keine weiteren Wünsche mehr an die Welt. Wenn es bloß nicht so eiskalt gewesen wäre ... und vermutlich hatten sich in ihrem Bett längst Scharen von Ungeziefer breit gemacht. Die Edle überlegte kurz, ob sie sich nicht einfach darauf fallen lassen und dem Schlummer hingeben sollte. Aber dann würde sie noch tagelang an den vielen Flohbissen herumkratzen müssen. Und das würde Craer sicher schamlos zu ganzen Salven von frechen Bemerkungen ausnutzen. Vorausgesetzt natürlich, er kehrte von dem Ort zurück, an welchen der geheimnisvolle Zauberer ihn geschickt hatte. Seufzend fing die Fürstentochter an, sich auszuziehen. Nackt und frierend fuhr sie sich dann durch das strähnige Haar. Bei den Göttern, wie sehr sie sich nach einer gründlichen Wäsche sehnte. Embra weigerte sich, auch noch die Stiefel auszuziehen. Wenn sie hier mit nackten Füßen herumlaufen müsste, würde sie sich gar nicht mehr vor der Kälte schützen können. Als sie sich ein paar Momente später noch einmal aufrichtete, um das Nachtlicht auszublasen, fiel ihr auf, dass sie immer noch die Stiefel trug. Dann donnerte es krachend von draußen an ihre Zimmertür, und die Fürstentochter war sofort hellwach. »Hawkril? Sarasper? Was ist denn los?« Dem Krachen folgte ein unterdrückter Fluch, wie ihn Männer von sich geben, wenn sie von etwas überrascht wer-
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den, das ziemlich stark ist. Und dann kreuzten sich klirrend Klingen. Die Edle schlich sich aus ihrem Bett und näherte sich der Tür zum Flur. Dort überprüfte sie den Balken, mit welchem der Eingang verriegelt war. Ein Flüstern drang an ihr Ohr. Das kam von der anderen Tür. Der zu der Kammer, in welcher zwei ihrer Gefährten ruhten, während der dritte vor ihrer Flurtür Wache halten wollte. Hawkril hatte die erste Wache übernommen, wenn sie sich recht erinnerte. Was war aus ihm geworden? Hatte das Getöse vorhin mit ihm zu tun gehabt? »Herrin? Fürstin Embra? Seid Dir dort drinnen? Bitte, es ist sehr wichtig!« Die Edle begab sich leise zu der Verbindungstür. »Wer spricht denn da?« Zur Antwort wurde ein Schwert durch das Türblatt gestoßen. Genau dorthin, wo man sie nach ihrer Stimme vermutete. Doch die Fürstentochter war weise und vorsichtig genug gewesen, drei Schritte vor der Tür stehen zu bleiben ...
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Siebzehn
Hübsche Stiefel, heftige Schlacht C Embra starrte auf die im Mondlicht schimmernde Schwertspitze, welche auf ihren Bauch zielte. Aber der Stahl flößte ihr keine Angst ein, sondern machte sie eher wütend. Aber sie schrie nicht, sondern atmete scharf ein und ächzte, um den Schwertkämpfer auf der anderen Seite glauben zu machen, er habe sie verwundet. Tatsächlich zog der Unbekannte seine Waffe zurück, und im selben Moment zischte jemand wütend: »Ihr Narr, wir brauchen sie lebend!« Noch vor einem Jahr hätte die Edle nun die Hände gehoben und mit ihren Feuerbällen die Tür, den Gang dahinter und alles, was sich dort bewegte, vernichtet. Doch seitdem hatte die Fürstentochter sich weiter entwickelt und an Reife gewonnen. Sie stampfte zum Nebenraum, öffnete die Verbindungstür und schrie: »Welcher elendigliche Hundsfott macht denn um diese Zeit einen solchen Radau da –« Sie unterbrach sich, als sie Hawkril nur in Hose und ohne
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Rüstung in der Tür zum Flur entdeckte. Von draußen stachen und hackten drei Gegner auf ihn ein. Wie Embra war auch der Recke offensichtlich nicht dazu gekommen, seine Stiefel auszuziehen, und rings um ihn lagen die Reste der Tür auf dem Boden. Hatte man die Tür bearbeitet, dass sie ohne viel Gelärme in Dutzende Teile zerfallen war? Noch während Embra hinstarrte, bemerkte sie etwas aus dem Augenwinkel. Da kroch jemand über den Boden ... Sarasper! Ein großer Holzsplitter von Messers Länge und offenbar aus der geborstenen Tür stammend, war ihm in die Schulter eingedrungen und ragte vorn aus der Brust heraus. Raulin folgte ihm in der Hocke, tupfte ihm das Blut von der Brust und zog mit der anderen Hand die Lampe hinterher, um etwas sehen zu können. Der Junge hatte offensichtlich Angst, der Alte könne ihm unter den Händen wegsterben. Er wandte sich Hilfe suchend an Embra und erstarrte, als er ihre bloße Haut bemerkte. Die Edle konnte sich aber nicht um seine Jünglingsgefühle kümmern, sondern musste dem Heiler helfen. Sie drückte eine Hand in seine Brustwunde und sprach den einzigen Heilungsbann, welcher ihr geläufig war. Mattes Strahlen, das aussah, als würde es jeden Moment erlöschen, strömte aus Embras Hand in den Körper des Alten. Sie verfolgte den Vorgang mit grimmiger Miene. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, wandte sie sich an den Knaben. »Was immer Ihr jetzt gerade sagen möchtet, verkneift es Euch und schweigt. Oder gebt etwas ganz anderes von Euch.«
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Der Junge öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Sein bleiches Gesicht färbte sich mit einem Mal purpurrot. »Ihr, äh, tragt hübsche Stiefel.« Die Herrin der Edelsteine verdrehte die Augen und legte ihm zwei blutverschmierte Finger auf die Lippen. »Sucht mir alle Figürchen, Kisten und Dosen zusammen, welche Sarasper mit sich führt.« Er griff in die Taschen des Alten, öffnete die Beutel an seinem Gürtel und kramte nach Geheimfächern. Bevor er noch etwas sagen konnte, fiel sein Blick auf das Gesicht der Herrin (denn tiefer zu schauen, getraute er sich nicht mehr) ... Feuer strömte aus ihrem Mund, als sei sie ein Drache, wie ihn die Barden besangen. Die Flammen rasten auf ihn zu, und der Knabe ließ sich halb vor Schreck und halb aus Selbstschutz nach hinten fallen. Doch das Feuer jagte an ihm vorüber, sauste an Hawkril vorbei und stürzte sich auf einen der Feinde, welche ihn von draußen bedrängten. Der Mann schrie schrill wie ein Mädchen und kippte nach hinten weg. Sein ganzes Gesicht stand in Flammen, und diese loderten hinauf bis an die Decke. »Raulin«, drängte die Edle, »sucht weiter nach diesen Figürchen, ja?« Der Junge fuhr zusammen, nickte eifrig und machte sich gleich wieder daran, die Taschen und Behälter des Heilers zu durchstöbern. Kurz darauf hatte er die erste Kleinfigur gefunden und drückte sie Embra in die Hand. Wenig später grub der Knabe einen winzigen Tiegel aus, welchen die Herrin zwischen Daumen und Zeigefinger nahm.
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Dabei bewölkte sich ihre Miene, sie murmelte leise vor sich hin, und schließlich legte sie sich den kleinen Gegenstand auf die Handfläche. Daraufhin begann sie einen fremdartigen Gesang, welcher Raulin in den Ohren widerhallte. Selbst Hawkril drehte sich für einen kurzen Moment nach ihr um, obwohl doch immer noch an der Tür gefochten wurde. Lichter drangen zwischen den Ritzen ihrer Finger hervor und verwoben sich grün und blau. Als die Strahlung sich verstärkte, öffnete die Fürstentochter die Hände, und Figürchen wie kleiner Tiegel waren verschwunden. Sie legte eine Hand über das Ende des großen Holzsplitters, so als wollte sie es umschließen. Doch stattdessen zog Embra die Hand langsam zurück, und das Holz folgte dieser und fuhr aus der Wunde. Ein Blutschwall spritzte aus dem unvermittelt vom Pfropfen befreiten Loch in Saraspers Brust. Raulin drückte mit beiden Händen ein Stück Stoff auf die Wunde. Blaugrünes Licht umspülte seine Finger, und er sah sich erschrocken zu der Herrin um. Auf ihren Wink hin strömten die leuchtenden Flammen vorbei und fuhren in die Wunde. Kaum hatte die Strahlung Saraspers offenes Fleisch erreicht, verlosch sie schon. Gleichzeitig damit versiegte auch der Blutstrom. Doch die Wunde selbst schloss sich nicht, und die Züge des alten Mannes blieben weiterhin verzerrt. »Bewacht ihn, Raulin«, befahl die Edle, legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter und entfernte sich. »Herrin, wird er wieder –« »Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Jetzt benötigt Hawkril meinen Zauber dringender.«
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Der Knabe richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tür. Der Recke krümmte sich vor Schmerz, und das große Schwert zitterte in seiner Hand. Eine Klinge ragte aus seinem Bauch, und offenbar hielt nur die Furcht vor einem neuen Feuerball Embras die Angreifer davon zurück, in die Kammer zu stürmen. Sie versuchten, weiter auf den Hünen einzustechen, aber dank der neuen Feuerkugeln, welche die Herrin nun auf sie schleuderte, kamen sie nicht nahe genug an ihren Gegner heran. Die Edle eilte zu dem Hünen, zog ihn am Arm halb zu sich herum und begutachtete die Wunde. Doch schon begannen ihre Feuerkugeln zu verblassen, und sie schrie in höchster Lautstärke: »Raulin!« Der Knabe fuhr hoch, als hätte er einen Peitschenhieb erhalten, kam sofort zu der Zauberin gelaufen und drückte ihr das nächste Figürchen in die Hand. Damit nicht genug, sprang er zum Türpfosten, packte den dort stehenden Stuhl und schleuderte ihn in genau dem Moment hinaus auf den Flur, als die nächsten Feuerbälle Embras dorthin flogen. Tumult entstand, Stiefel stampften, Männer stolperten übereinander, und überhaupt wurde draußen viel geflucht. Knurrend erhob sich der Knabe aus seiner Deckung, griff mit beiden Händen nach einem weiteren Stuhl, hielt den in die Feuerkugeln der Herrin, und als die Flammen auf ihn übergegriffen hatten, hinaus auf den Gang. Die Edle nickte, denn sie erkannte, dass der Junge genau wusste, was er tat. Sie konnte sich jetzt wieder um Hawkril kümmern.
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Der hockte da, biss die Zähne zusammen und sah sie mit schweißglänzender Miene an. »Das wird jetzt wehtun. Versucht bitte, Euch aufrecht hinzustellen ... aber fallt ja nicht auf mich!« Er erhob sich ächzend. Sie nahm das Figürchen zwischen die Zähne und zog ihm mit beiden Händen das Schwert aus dem Bauch. Heißes Blut spritzte heraus, und sie legte rasch zwei Finger auf die Wunde, welche sie dann, einen nach dem anderen, durch das Zauberfigürchen ersetzte, welches der Knabe ihr gebracht hatte. Dazu rief sie die Worte des magischen Heilzaubers, denn die kannte sie mittlerweile auswendig. Doch die Fürstentochter hätte sich die kleinen Stücke aus dem Schweigenden Haus ein wenig besser anschauen sollen; denn das letzte entfaltete eine ungeheure Menge an Zauberenergie. Hawkril wurde von deren Macht fortgeschleudert. Er drehte und wand sich, bis er, alle viere ausgestreckt, mitten in einem weißen Feuerkreis steckte. Embra erging es nicht viel besser. Die Energie erfüllte sie erst mit eiskaltem Feuer und fegte die junge Frau dann zur Tür und auf den Flur hinaus. Dort krachte sie mit klingelnden Ohren gegen eine Wand. Zu ihrem Glück war Raulins brennender Stuhl in eine andere Richtung geflogen und hielten die Angreifer sich gerade in den übrigen Ecken auf, und ehe jemand doch noch sein Schwert in sie stechen konnte, rappelte Embra sich trotz aller Benommenheit auf. Doch als sie loslaufen wollte, musste sie sich an der Wand festhalten, weil ihre Beine sofort nachgaben. Während sie
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noch nach einem Ausweg suchte, lief Hawkril grinsend an ihr vorbei. Er schien vollständig geheilt zu sein und schwang sein Schwert wie ein übermütiger Junge sein neues Spielzeug. Die Herrin versuchte weiterzukommen, schwankte dafür viel zu sehr und rief wieder den Knaben zu sich. Doch Raulin schien sie nicht gehört zu haben. Dafür veranstaltete der Recke auch viel zu viel Lärm mit seinen Waffen. Und die Gegner blieben ihm in dieser Hinsicht nichts schuldig, wenn sie mit dem Hünen die Klingen kreuzten. Da öffnete sich die Tür eines etwas weiter gelegenen Zimmers nach außen, und ein Mann mit kaum geöffneten Augen und vielen Bartstoppeln schaute heraus. »Geht es, bitte, auch ein bisschen leiser –« Das Erste, was er dann zu sehen bekam, war Embra, welche bis auf ihre hohen Stiefel nichts am Körper trug. Dass diese ihn wütend anstarrte, fiel dem Mann gar nicht auf. Raulin verpasste der Tür einen Tritt. Der Schläfer prallte wie ein Kartoffelsack zurück, und der Knabe zog die Tür zu, ehe er sich an die Fürstentochter wandte. »Was wünscht Ihr, Herrin?« Embra zog ihn am Arm in ihre Kammern zurück: »Hört endlich damit auf, überallhin zu starren, nur nicht auf meine Blöße. Ich will, dass Ihr Sarasper versteckt und dann bewacht.« »Herrin, wenn Ihr beabsichtigt, Euch währenddessen in die Schlacht zu stürzen, so kann ich das nicht zulassen ...« Er sah sie jetzt überhaupt nicht mehr an. Ihre Finger schlossen sich erneut wie Schraubstöcke um seinen Arm. »Raulin, Ihr bildet Euch doch wohl nicht ein,
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mich aufhalten zu können? Aber keine Sorge, ich habe nicht vor, mich an der Schlacht zu beteiligen.« Die Edle sah sich nach links und rechts um, ehe sie fortfuhr: »Wenn ich mich dort draußen den Feinden entgegenstellte, wären sie im Nu über mir ... noch ehe ich mein Schwert gehoben hätte. Dann würden einige von ihnen Hawkril töten und die anderen sich auf mir vergnügen ... Und nach einer Weile würden beide Gruppen sich ablösen.« Sie sah dem Jungen ernst in die Augen. »Raulin, tut bitte, um was ich Euch bitte. Schafft den Heiler in einen anderen Raum. Möglichst in einen mit einem Riegel vor der Tür.« Der Knabe sprang schon los, drehte sich aber noch einmal um. »Wollt Ihr etwa auch wieder Figürchen und Ähnliches haben?« »Wenn Euch das nicht zu viel ausmacht?«, lächelte Embra zuckersüß. Die Antwort, welche sie erhielt, drehte sich vornehmlich um die Körperöffnungen, in welche sie sich die Figürchen schieben könne. So ein frecher kleiner Kerl! Hawkril schlug mit grimmiger Miene sein Schwert nach links und nach rechts. Eben noch dem Tode nahe, fühlte er sich jetzt wieder voller Tatendrang. Das Schwert ließ sich leicht wie eine Feder führen, und er vermochte sich so flink zu bewegen, dass er alle vier Gegner in Schach halten konnte. Dazu fand er auch noch die Zeit, sich Embras blanke Kurven ins Gedächtnis einzuprägen. Und siehe da, statt vier
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wehrten sich jetzt nur noch drei Feinde gegen ihn. Der Hüne hatte diese Männer nie zuvor gesehen, aber gleich erkannt, dass es sich bei ihnen um altgediente Krieger handelte. Einer spähte plötzlich über ihn hinweg, und der Recke verlor keine Zeit. Er stieß dem Mann rasch den Knauf seines Schwertes in die Achselhöhle. Der Gegner riss die Arme hoch und prallte zurück. Schon trat Hawkril ihn mit voller Wucht in den Bauch. Der Mann ächzte atemlos und wälzte sich schon am Boden. Nun starrte auch der nächste Angreifer über Hawkrils Schulter hinweg. Der Recke ließ sich aber nicht dazu verleiten, ebenfalls nach hinten zu schauen. Plötzlich hörte er Embras Stimme neben sich. »Hallo, großer, starker Mann, habt Ihr mich vermisst?« »Das habe ich, Herrin. Und, mangelt es Euch immer noch an der Kleidung?« »Leider, aber zum Glück im Unglück hat es den Anschein, als würde ich im momentanen Zustand Männer vortrefflich ablenken.« Hawkril grinste und trieb den nächsten Gegner mit furchtbaren Hieben durch den Flur. Stahl krachte an Stahl, und der Hüne drängte die Angreifer unnachgiebig in Richtung Treppenabsatz. Eigentlich verwunderlich, dachte Embra, dass noch nicht viel mehr Gäste vor ihre Zimmer getreten sind und sich über die Lärmbelästigung beschwert haben. Vielleicht war man aber auch daran gewöhnt, dass es hier nachts hoch herging. Als die beiden Gegner die Stufen hinuntermussten, kam
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ihnen ein Kamerad zu Hilfe. Der Recke ließ seine Klinge wie eine Sichel kreisen, und die Feinde verloren bei ihrem Versuch, der auszuweichen, das Gleichgewicht. »Weldrin? Wo habt Ihr denn gesteckt?«, fragte einer der beiden anderen den Neuankömmling. Die drei waren behände wieder hochgekommen. »Keine Namen, Ihr Trottel!«, erwiderte Weldrin. »Und ich habe die Alarmleinen durchtrennt. Oder wäre es Euch lieber gewesen, alle Wächter des Gasthofes wären hierher zusammengelaufen?« Nortreen Jhalanwyluk war seit beinahe zwei Jahrzehnten Miteigentümer und stolzer Schankwirt des Gasthofs »Flasche und Handschuh«. Davor hatte er hier schon als zweiter Kellermeister gewirkt. Die alten schwarzen Balken mit der eingeritzten Eule über ihm war ihm ein so vertrauter Anblick wie seine rechte Hand. Weniger vertraut erschien ihm hingegen der Tumult draußen auf dem Flur. Ein Blick aus dem Fenster belehrte ihn, dass es mitten in der Nacht war. Wer hatte sich zu dieser Stunde denn unbedingt mit dem Schwert zu schlagen? Nach einer Weile bemerkte er, dass ein Geräusch in diesem grässlichen Konzert fehlte und er vermutlich gerade von diesem Ausbleiben wach geworden war. Das gewohnte Schnaufen und Schnarchen seiner geliebten Margathe ließ sich nicht vernehmen! Er hielt nach seiner Gemahlin Ausschau und entdeckte nur am Bettende einen Schattenberg. Das musste Margathe sein,
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welche von dem Getöse erwacht war und sich aufgerichtet hatte. Heute Nacht hatte sie sich lange vor ihm zu Bett begeben – und daran waren die verwünschten Spätgäste schuld, welche anzunehmen schienen, zu jeder Tages- und Nachtzeit hier aufs Beste mit Speise und Trank versorgt zu werden. Als er dann endlich ins Bett gefunden hatte, hatte Margathe ihn bereits mit dem gewohnten Schnarchen empfangen und gleich ihre eiskalten Füße an seinen Rücken gelegt. Als Nortreen einmal Essensabfälle zu den Schweinen hinter dem Haus gebracht hatte, konnte er hören, wie ein älterer Kaufmann die beiden Wirtsleute einem jüngeren Begleiter beschrieb. »Beide sind rund wie ein Fass, aber doch von höchst verschiedenem Wesen. Während Nortreen sich um alles kümmert und jeden Gast freundlich aufnimmt, steckt seine Margathe voller Gift und Bosheit ...« Hier grunzte ein Schwein, und ein paar Worte entgingen ihm. »... nur mit sauertöpfischem Gesicht. In der Küche herrscht sie wie eine böse Magierin und lässt ihren Gehilfen nicht die kleinste Kleinigkeit durchgehen ...« Wieder eine Unterbrechung. »... mit allem an ihn wenden. Haltet Euch aber von ihr fern. Genau wie ihre Mägde und Knechte, wenn sie nicht von ihr gerufen werden.« Damals hatte Nortreen sich über solche Worte geärgert. Aber irgendwann hatte der Wirt sich eingestehen müssen, dass der alte Kaufmann damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
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Margathe hatte immer schon davon geträumt, in einem Schloss zu wohnen, vornehme Kleider zu tragen und sich nur in den höchsten Kreisen zu bewegen. Doch die Jahre gingen ins Land, sie wurde älter und dicker, und Nortreen machte immer noch keine Anstalten, dieses Hinterwäldlerland zu verlassen, in dem er geboren worden war. Deswegen wurde sie immer verbitterter und überzog ihren Gemahl mit allerlei spitzen Bemerkungen und Giftigkeiten. Dabei war dieser Gasthof sein ein und alles, seine ganze Welt. Er hatte noch zwei Mitinhaber, welche aber weit weg wohnten und sich in den vergangenen siebzehn Jahren erst einmal hier hatten blicken lassen ... Der Lärm draußen riss ihn aus seinen Gedanken. Wenn man sich dort draußen schlug, bedeutete das zertrümmerte Einrichtung, viel Blut überall, und womöglich steckten diese Trottel noch alles in Brand! »Höchste Zeit, dass Ihr geruht, wach zu werden!«, höhnte Margathe auch schon. Er zog den Kopf ein, als könne er sich so vor ihren Worthieben schützen. Doch die prasselten wie Peitschen auf ihn nieder. »Bei der Dreifaltigkeit! Ich könnte hier ermordet werden, ohne dass Ihr etwas davon mitbekommen hättet. Ihr liegt da und schnarcht wie ein Walross, während man Euch das Haus über dem Kopf anzündet! In aller Seelenruhe verbringt Ihr die Nacht, während draußen die Möbel zerschlagen werden, Menschen tot in Ecken zusammensinken und man über meine Kellnerinnen herfällt! Da frage ich mich doch, ob Ihr wenigstens wach werden
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würdet, wenn man Euch an einen Spieß steckte und über einem Feuer briete. Aber wahrscheinlich könnte Euch nicht einmal der Auferstandene König aus Eurem Schlummer reißen. Er müsste dann elendiglich im Schankraum verdursten. Euch wäre es ja vermutlich sogar egal, wenn der König Euch aus diesem Bett schubsen würde, um sich dann mit mir zu vergnügen!« Letzteres Bild verwirrte den Wirt doch einigermaßen, weil er sich so etwas eigentlich nicht vorstellen konnte. Er schwang die Beine aus dem Bett und stellte sich auf die nackten Füße. Vielleicht würde das ihn so richtig wach machen. Dennoch benötigte er noch ein paar Momente, die Willenskraft aufzubringen, sich in Bewegung zu setzen. »Bei der Dreifaltigkeit! Man könnte uns ausrauben und das Haus in Brand stecken, ehe Ihr Euch bequemt, zur Tat zu schreiten!« Margathe war nun wirklich wütend. Das ganze Bett schaukelte und knarrte, als sie aufstand und sich dann auf den Weg zu ihren Stiefeln machte. »Muss ich denn hier alles allein machen? Dabei war es doch Euer Wille, in diesem Kaff zu bleiben und auf eine glänzende Zukunft in der nächsten Kreisstadt zu verzichten!« »Ja, mein Täubchen. Ich gehe ja schon. Bleibt Ihr ruhig –« »Oh nein! Ich bleibe doch nicht allein und schutzlos im Bett liegen, damit irgend so ein Halunke hier eindringt und mich zu Dingen nötigt, welche jeder ehrbaren Dame die Schamesröte ins Gesicht treiben!« Sie näherte sich ihm.
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»Wie könnt Ihr es nur wagen, mich solchen Gefahren auszusetzen? Warum wollt Ihr auf meine Hilfe verzichten? Ich könnte doch die Küchenmägde wecken, auf dass diese unsere Wächter herbeirufen!« Nortreen schüttelte den Kopf. »Glaubt Ihr wirklich, die Wächter würden Eure Mädchen ungeschoren lassen?« Vielleicht konnte er Margathe ja von ihren Gifttiraden ablenken, indem er sie auf die logischen Fehler in ihren Ausführungen hinwies. Aber damit lag er so falsch, wie er sich das nicht vorgestellt hätte. »Glaubt Ihr etwa, ich hätte die Mädchen nicht für solche Situationen ausgebildet? Damit sie genau wissen, was sie dann zu tun haben? Nortreen, ich hätte nie gedacht, dass Ihr mir so etwas zutraut!« Himmel und Hölle, fluchte der Wirt innerlich. Aber eines Tages kriege ich sie doch dran, und wenn es das Letzte ist, was ich tue! Einen Moment später betrat er mit seiner Axt den dunklen Flur. Aber Margathe hielt ihn zurück und fragte, warum er denn keine Laterne mitnähme. »Das wollte ich Euch überlassen, mein Zuckerschnäuzchen.« Damit lief er los, als wolle er den Gegner im ersten Ansturm überrennen ... wenn er nur weit genug von Margathes Haaren auf den Zähnen wegkäme. Seine Gemahlin schnaubte vernehmlich, und er beschleunigte seine Schritte noch mehr. Er wollte jetzt nicht mit den Küchenmägden tauschen ... Stahl klirrte und schnitt, und eine weitere Ecke brach aus der Klinge des Kriegers, um im hohen Bogen durch die Luft zu
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fliegen. Als Hawkrils Schwert wieder heransauste, bog sich die Klinge bereits bedenklich. Der Hüne hatte den Kameraden des Kriegers mit einem Ellenbogen zum Treppenabsatz hinuntergestoßen. Dort rappelte er sich gerade ächzend und mühselig wieder auf. Mit seiner Klinge kam er nun nicht mehr nahe genug an den bärenstarken Gegner heran. »Streckt ihn doch endlich nieder!«, knurrte Weldrin, welcher sich hinter den beiden befand, und schob den Hinteren weiter nach oben. Zum Teufel auch! Seine Männer waren gute Krieger, aber dieser Recke dort focht schnell und geschickt. Man kam einfach nicht an ihm vorbei. Weldrin hatte noch nie gesehen, dass jemand eine so schwere Klinge leicht wie ein Florett zu bedienen verstand. Ganz zu schweigen von dieser verwünschten Hexe, welche immer wieder ihre entblößten Reize zeigte und die Kämpfer im entscheidenden Moment ablenkte. Jalard schrie auf, als das Riesenschwert seine Klinge entzweischlug und ihm einige Stahlsplitter ins Gesicht flogen. Weldrin drückte dem vorderen Mann sein eigenes Schwert in die Hand und befahl ihm: »Nicht weichen!« Doch der Hüne begann einen neuen Angriff. Der Anführer sah, wie der erste wuchtige Hieb des Recken Jalard beinahe den Kopf von den Schultern getrennt hätte, und wandte sich zur Flucht. Verfolgt von Hawkrils schallendem Gelächter lief er die ganze Treppe hinunter. »Weldrin!«, heulte Murgin voller Zorn und Verzweiflung. »Bleibt hier, Ihr Feigling! Ihr elender Feigling!«
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Der Anführer sagte sich, dass diese beiden die heutige Nacht nicht überleben durften, sonst würde in seiner Schar niemand mehr auf ihn hören. Dann tröstete er sich mit der Gewissheit, dass der Recke ihm diese Arbeit abnähme. So wie der dreinzuschlagen verstand, gab Weldrin für das Leben seiner beiden Kämpfer keinen Pfifferling mehr. Plötzlich öffnete sich an seiner Seite eine Tür, und Licht drang auf den Gang heraus. Der Anführer lief viel zu schnell, um dort hinein abbiegen zu können. »Dort oben sind drei mit Schwertern!«, rief er zur Warnung. »Roldrick, wacht auf!«, drängte eine Stimme nahe bei seinem Ohr. Wie eigenartig von dem alten Mann, so etwas zu sagen, nachdem Roldrick ihn mit sechs Schwertern durchbohrt hatte und jetzt auch noch zu erwürgen suchte. Aber der alte Deldroun wollte einfach noch nicht sterben. Im Gegenteil, er schien immer mehr Kräfte zu gewinnen, je länger ihm der Hals zugedrückt wurde. »Roldrick, aufwachen!« Seit wann hatte der Alte denn eine weibliche Stimme? Der Krieger drehte sich auf der lilafarbenen Ebene mit den roten Sandstürmen und den Skeletten von uralten Riesenwesen um – und schaute mitten in die goldenen Augen eines Drachen, der ihm so nahe kam, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Roldrick schüttelte sich, zog die Lider hoch und blickte immer noch in die goldenen Augen – doch ansonsten hatte
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sich alles geändert. Er lag in seinem Bett, und Jelenna aus der Küche beugte sich über ihn. Sie trug nur eine Laterne in der Hand und einen Schal um die Schulter. Trotz seiner Müdigkeit starrte er sofort auf die bloßen Brüste, bis er eine Ohrfeige und die Mahnung empfing: »Schluss mit der Gafferei, steht jetzt endlich auf!« Roldrick grinste sie an, streckte die Arme aus und wollte sie zu sich heranziehen. »Wie wäre es denn mit einem Küsschen, um mich munter zu machen?« Er erhielt die zweite Maulschelle. »Hoch mit Euch! Und holt Euer Schwert! Auf der Haupttreppe ist eine Schlacht im Gange!« »Warum weckt Ihr dann mich? Zur Wache sind doch genug andere eingeteilt.« Er drehte sich um und stellte fest, dass dieses Luder ihm die Decke heruntergezogen hatte. Wahrscheinlich um sich erst anzusehen, was er so als Mann zu bieten hatte ... Jelenna aber hieb auf ihn ein, wie er selbst es bei den letzten Zechern zu tun pflegte, welche einfach nicht nach Hause gehen wollten. »Hört genau zu, Ihr Spatzenhirn!«, schimpfte die Küchenmagd. »Der Herr verlangt ausdrücklich, dass Ihr kommt!« Sie riss die Decke endgültig von seinem Lager. Er wälzte sich wieder herum, sah die Magd an und verfolgte, wie ihre Züge sich im flackernden Licht der Laterne immer wieder neu verzerrten. »Jetzt wollen wir mal die Kirche im Dorf lassen –« Von nebenan ertönte ein wütendes Gekreische, und dem folgte ein dumpfer Schlag.
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»Das ist die Herrin Margathe«, teilte Jelenna ihm mit, »wie sie gerade Holdyn weckt. Wollt Ihr nun auf mich hören, oder soll ich die Herrin herbeiholen?« »Au Backe! Wo ist die Schlacht, ich bin schon unterwegs!«
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Achtzehn
Bitte nicht in meinem Gasthof! C Weldrin glaubte, dass die Götter ihm in dieser Nacht gnädig gestimmt waren. Denn tatsächlich erschien ein Bewaffneter in der Tür, welcher allerdings noch ein wenig schläfrig aussah. Um ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen, trat Weldrin ihn mit voller Wucht in den Hintern. Der Schwertkämpfer riss die Augen weit auf und hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu wahren. Aber der Anführer war schon weiter. Hinter ihm ertönte weibliches Gekreische, und dem folgte das Stolpern eines weiteren schläfrigen Mannes. Weldrin erreichte die Hintertreppe und fand hier einen Wächter vor, welcher auf einem Schemel eingenickt war. Der Anführer griff nach dem Möbelstück und zog es dem Schlummernden unter dem Hintern weg. Dann gelangte er durch eine Tür auf einen Gang und dort vor eine Kammer, deren gegenwärtige Bewohner er kannte. Die Götter waren heute Nacht wahrhaftig auf seiner Seite! Wenn die Edle Embra gewusst hätte, dass sich diese beiden
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hier im Gasthof aufhielten, wäre es schon viel früher zur Schlacht gekommen, und Weldrin hätte gar nicht mit seinen Mannen einzugreifen brauchen. Die beiden hießen Vandur und Kethgan. Bis vor kurzem hatten sie noch im Dienst des Fürsten Silberbaum gestanden. Sie arbeiteten als Fänger und brachten ihm gesuchte Personen zurück – ganz gleich, wo diese sich im Tal versteckt hatten. Bislang hatten die beiden noch nicht einmal einen Auftrag unerledigt gelassen. Weldrin trat neben die Tür – und nicht etwa vor sie, weil er nicht ahnen konnte, welche Sicherheitsmaßnahmen die Fänger ergriffen hatten. Er klopfte mit dem Griff seines Dolches an. »Vandur, Kethgan! Ich bin allein gekommen und benötige dringend die Dienste von Männern wie Euch.« Der Anführer musste ein weiteres Mal klopfen und sein Begehr vorbringen, ehe die Tür entriegelt und geöffnet wurde. Doch er blickte nur in Finsternis. »Kann man bei Euch auch die günstige Ratenzahlung in Anspruch nehmen?«, fragte Weldrin aus keinem anderen Grund, als die andere Seite zum Zug zu bringen. Eine behandschuhte Hand erschien, und ein Finger winkte den Anführer zu sich in das Zimmer. Weldrin schluckte, bevor er eintrat. Nach zwei Schritten wurde die Tür hinter ihm geschlossen, und der Anführer fand sich in völliger Dunkelheit wieder. Er blieb stehen, versuchte, sich im Griff zu behalten, und lauschte nach Schritten, Atmung oder sonst etwas. Als seine Augen sich ein wenig an die Finsternis gewöhnt hatten, machte er zwei Schwertspitzen aus, welche auf seine
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Augäpfel gerichtet waren. »Welche Bedingungen stellt ihr?«, fragte Weldrin, weil er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen. »Sagt uns erst, worum es sich dreht«, erhielt er zur Antwort. Der Anführer zwang sich dazu, nicht mit zu zittriger Stimme zu sprechen, und damit rettete er sein Leben. Zumindest für eine Weile. Embra fühlte sich auf eigenartige Weise glücklich. Und nach dem Summen aus Hawkrils Kehle zu schließen, erging es ihm ähnlich. Obwohl die Schwertkämpfer immer noch grimmig auf sie eindrangen, war es doch höchst befriedigend, endlich wieder Feinden aus Fleisch und Blut gegenüberzustehen. Doch plötzlich hörte die Fürstentochter hinter sich leise Geräusche. Sie fuhr ruckartig herum und hob beide Hände, um Feuerkugeln zu verschleudern. Doch da sah sie sich dem aufgeregten Lächeln Raulins gegenüber. Er hielt ihr Saraspers Gürtel hin, an welchem mehrere prall gefüllte Beutel hingen. »Hier Eure Spielzeugfiguren. Hängt sie Euch über die Schulter, denn hier kommt noch mehr.« Der Knabe reichte ihr eine hölzerne Stange, welche wie ein gedrechseltes Tischbein aussah. »Eine nützliche Waffe«, erklärte er der Edlen und legte ihre Finger über die seinen. »Ein kleiner Tisch ein Stück den Gang hinunter hat gern eines seiner Beine gespendet. Damit könnt Ihr leicht Schwertklingen zur Seite schlagen.« Damit machte er sich wieder auf den Weg zurück. »Ich
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würde ja noch gern etwas plaudern, muss mich aber um Sarasper kümmern. Viel Glück, meine Gute.« Der Junge war schon nicht mehr zu sehen, als Embra immer noch keuchte: »Meine Gute?« Getöse auf der Treppe riss sie aus ihrer Fassungslosigkeit. Zwei neue Schwertkämpfer stürmten gegen Hawkril an. Die Herrin der Edelsteine schüttelte den Kopf, ging in die Hocke und öffnete das erste Säckchen am Gürtel des Heilers. »So beeilt euch doch! Sputet euch! Sonst haben diese Spitzbuben das ganze Anwesen in Brand gesteckt!« Noch nie hatten sie Nortreen so aufgebracht gesehen. Normalerweise bewegte sich der Wirt nur im Watschelgang, und wenn er nicht gerade laut lachte oder Bestellungen durchgab, schnaufte er vor sich hin. Aber jetzt polterte Nortreen mit solch erstaunlicher Geschwindigkeit die Treppe hinunter, dass die Stufen laut ächzten. »Bei den Klauen des Dunklen!«, fluchte der Wirt, als das Schlachtgetöse von der Treppe oben zu hören war. Die beiden Wächter, welche so vorzeitig geweckt worden waren, zogen ihre Schwerter. Der Hausherr blieb so unvermittelt stehen, dass ihn der dichtauf folgende erste Wächter beinahe mit seinem Schwert aufgespießt hätte. In seiner Not sprang der Mann um Nortreen herum und stand dann am Fuß der Treppe. Und starrte nach oben. Dort hieben und stachen vier Krieger in unterschiedlichen Rüstungen auf einen Riesen ein, welcher sie mit einem gewaltigen Schwert abwehrte.
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An seiner Seite tauchte immer wieder eine Frau mit langem schwarzem Haar auf, welche bis auf ein Paar Stiefel und einen über die Schultern gehängten Gürtel keinen Faden am Leib trug... »Die Dreifaltigkeit hat meine Gebete erhört!«, entfuhr es dem zweiten Wächter. Die Frau versetzte immer wieder blitzschnelle Hiebe mit einem Tischbein, und sie wehrte sich darüber hinaus mit einer Klinge, welche aus reinem Feuer bestand und aus ihrer Handfläche zu entspringen schien. »Hexerei!«, riefen Nortreen und der erste Wächter wie aus einem Munde. Im selben Moment schleuderte einer der Angreifer ein Messer auf den Recken, welches dieser jedoch mühelos zur Seite schlug. Der abgewehrte Dolch flog auf den Wirt zu und bohrte sich neben seinem Gesicht ins Holz eines Balkens. Zur Strafe warf die Fürstentochter einen neuen Feuerball in die Angreiferschar. Der Messerwerfer riss schreiend die Hände vor sein Gesicht und taumelte rückwärts die Stufen herunter. »Jetzt reicht es aber!«, grollte der Wirt und schlug mit seiner Waffe auf den Gong. Doch der Widerhall von den anderen Klangscheiben im Wirtshaus blieb aus. Nortreen begriff im ersten Moment nicht, wie das möglich sein konnte. Dann erbleichte er und schrie: »Jemand hat die Leinen durchgeschnitten! Alarm! Wir werden angegriffen!« »Was sollen wir jetzt tun?«, wollte einer der beiden Wächter wissen. »Das, wofür ihr gut bezahlt werdet, ihr Trottel!«, gab der Hausherr ungnädig zurück. »Wo bleibt denn die Nachtwa-
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che? Sind die verwünschten Kerle plötzlich alle taub geworden?« »Und wenn sie ermordet worden sind ... und in ihrem Blute schwimmen?«, fragte der andere Wächter verzagt. Nortreen lief es heiß und kalt den Rücken hinunter. Schwärzeste Furcht befiel ihn. »Die Dreifaltigkeit sei mein Zeuge, mir war noch nie so kalt.« Kether sah zu, wie sein Atem in weißen Wölkchen davonflog. Borthor grunzte nur dazu. Die beiden stampften verdrossen weiter an der Palisade entlang. Zu ihrer Linken erstreckte sich der dunkle Schatten des Waldes, aus welchem Äste wie Stacheln ragten. Jeder, der hier abends Wache ging, hatte dabei ständig das Gefühl, aus dem Gehölz beobachtet zu werden. Kether erging es heute nicht anders. Auf der Rechten erhob sich jenseits des matschigen Hofes wie ein Klotz der Gasthof mit seinen vielen Regenrohren, Leitern und geschlossenen Fensterläden. Die beiden Männer achteten darauf, sich niemals zu weit voneinander zu entfernen. Sie gingen oft gemeinsam auf Streife, und ihre Gespräche drehten sich immer über haufenweise Reichtümer, Frauen und warme Betten. Sie verloren nie ein Wort über die Gefahren ihres Dienstes, waren sich aber beide bewusst, dass der andere oft daran dachte. Raubkatzen, Bären und Räuber schlichen durch den Wald und suchten nach einer Gelegenheit, die Palisade zu überwinden.
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Wenn man sich im Schatten der Bäume bewegte, lief man Gefahr, von einem Raubtier oder einem Menschen angesprungen zu werden. Wenn man sich von den Bäumen fern hielt, bewegte man sich durch das helle Mondlicht, und ein Schütze mochte einen dann schon längst ins Visier genommen haben. Aus dem Gasthof selbst trieben immer wieder gedämpfte Geräusche heran, welche auf ein heftiges Getöse schließen ließen. Die beiden Wächter sahen sich zum wiederholten Mal besorgt an. »Heute Abend geht es im Schankraum ja wieder mal hoch her«, bemerkte Borthor. Sie lauschten noch einen Moment, wunderten sich darüber, dass ihr Gong nicht ertönte, und nahmen ihren Rundgang wieder auf. »Manche haben eine Ausdauer, das ist einfach sagenhaft«, brummte Borthor dann. »Wie üblich sind wir wieder nicht dabei, wenn die anderen ihren Spaß haben«, meinte Kether. »Es muss ja nicht so viel los sein wie heute Abend«, bedauerte Borthor, »aber wenigstens ein bisschen von dem abkriegen, was die anderen genießen – das ist doch wohl nicht zu viel verlangt, Ihr Götter!« »Ach, so viel Glück haben wir bestimmt nie.« Stahl rieb sich an Stahl, als Hawkril sich mit dem größten seiner Gegner maß. Die Zauberin hielt derweil die anderen mit ihren Feuerkugeln zurück. »Ihr dachtet wohl, wir wären leichte Beute, was?«, knurrte der Hüne, während er gegen den anderen drückte, bis sie das
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Treppengeländer erreichten. Sein Gegner schwitzte und keuchte so heftig, dass er nichts antworten konnte. Die Kameraden konnten ihm nicht zu Hilfe kommen, denn vorn wehrte die Hexe sie ab, und von hinten rückten die Wächter des Gasthauses vor. »Holla! He da, runter mit den Waffen! Aber ein bisschen flott. Wir wollen doch hier keinen Schaden anrichten, oder?« Einer der Krieger wirbelte herum und schlug dem ersten Wächter mit der Klinge ins Gesicht. Blut spritzte durch die Luft. Der Getroffene taumelte zurück, ein Dutzend Männer schrien wütend oder entsetzt auf, und Nortreen starrte auf den Blutenden, welcher vor seinen Füßen zu liegen kam. »Zu mir! Zu mir, ihr Helden dieses Hauses!«, brüllte der Wirt todesmutig und fuchtelte mit seinem Schwert durch die Luft. Weiter oben trafen sich wieder die Klingen von Hawkril und seinem Gegner. Beide Schneiden bohrten sich ins Treppengeländer. Der hünenhafte Kämpfer trat den Angreifer in die Brust. Dieser flog zwar zurück, wollte aber nicht von seinem Schwert lassen, welches sich jedoch viel zu tief in das Holz gebohrt hatte. Hawkril trat ihn noch einmal, und jetzt durchbrach der gepanzerte Feind den Handlauf, um zusammen mit einem Regen von Holzsplittern in die Tiefe zu stürzen. Weiter unten strömten immer mehr schlaftrunkene Wächter zusammen, starrten nach oben, entdeckten das Gefecht und reckten ihre Klingen. Einer von ihnen hatte Pech. Der abstürzende Kämpfer
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landete genau auf ihm. Sofort stürmten die anderen herbei und schnitten dem Halunken die Gurgel durch, ehe er sich wieder aufzurichten vermochte. »Irgendwie läuft das alles nicht so«, bemerkte Embra, während sie einem der Angreifer erst eine Feuerkugel und dann ihr Tischbein zu schmecken gab, »wie diese Spitzbuben sich das vorgestellt haben.« Als Hawkril zustimmend grunzte, fuhr sie fort: »Vielleicht sollten wir einen von ihnen am Leben lassen, um ihn auszuquetschen. Nur ein kleines bisschen Leben reicht doch wohl, was?« »Ein oder zwei Fragen dürften genügen«, bestätigte der Recke und fluchte, weil eine feindliche Klinge seine Brust aufritzte. Einer der Kämpfer stieß einem Wächter sein Schwert ins Gesicht. Dieser hatte versucht, an der Außenseite des Treppengeländers zu ihnen hinaufzusteigen. Gurgelnd krachte der Getroffene in die Schar seiner Kameraden. »Wir müssen entscheiden, welche Fragen das sein sollen«, fügte Hawkril hinzu und schlug einem Feind die Faust auf die Nase. Während dieser sich um die eigene Achse drehte, hieb der Hüne ihm mit der Klinge die Schwerthand vom Arm. »Wenn ich mir übrigens die Bemerkung erlauben dürfte«, meinte der Hüne dann noch, »für ein Gemetzel seid Ihr doch ein wenig unpassend gekleidet.« »Nein, dürft Ihr nicht«, entgegnete sie übertrieben freundlich. »Verstehe, dann sollte ich mich in solchen Fragen wohl besser zurückhalten.«
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Überall flogen Türen krachend auf, füllten Menschen die Flure, sahen sich verwirrt um und hielten nach Bewaffneten Ausschau. Befehle wurden gerufen, Füße stampften, mancher bemerkte, dass er viel zu wenig anhatte, und bald herrschte hier mehr Treiben als zu der Stunde, in welcher es im Schankraum am vollsten war. »Aus dem Weg, ihr Esel!« »Was ist denn hier los?« »Nehmt das, Schurke!« »Zu Hilfe, ich bin verwundet! Weh mir!« »Nehmt diesen Stich!« »Passt doch auf! Wisst Ihr denn nicht, wie man eine Dame behandeln muss?« »Aus dem Weg, Geschmeiß, ich bin ein enger Freund des Fürsten Brostos!« »Tatsächlich? Nun, ich bin Fürst Brostos!« Bald flogen die Fäuste und klirrten die Klingen. Alles lief durcheinander, und wer hinfiel, den traf ein schlimmes Los. Dutzende fielen über Gestürzte. »Was ist denn geschehen?«, fragte jemand laut. »Ist etwa ein Feuer ausgebrochen?« »Feuer?«, nahm ein anderer diese Neuigkeit gleich auf, und der Ruf pflanzte sich in Windeseile fort. »Feuer! Feuer! Feuer!« Jetzt wollte jeder zum nächsten Ausgang, auch wenn kaum einer wusste, wo der zu finden war. Vor den Türen nach draußen entstanden dann wilde Prügeleien. »Aus dem Weg, Schweinegesicht. Was wollt Ihr mit dem Schwert da, was? Oh das ... Aargh!«
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Ein Mann sank entleibt zu Boden, und sein Mörder quetschte sich erleichtert durch die Tür. Er fand eine Treppe, stolperte die Stufen hinunter und betete darum, von hier verschwunden zu sein, ehe die Rauchwolken alles einhüllten. Und noch rechtzeitig sein Ross aus den Stallungen retten. Als er fast den Ausgang erreicht hatte, wurde vor ihm eine Tür aufgestoßen, und er krachte mit dem Gesicht dagegen. Das Schwert flog ihm aus der Hand. Vor ihm drehte sich alles, und die Knie wurden ihm weich. Sechs Männer stürmten heraus und trampelten über ihn, noch ehe die Schwärze der Ohnmacht ihn umfasste. »Halt!«, brüllte einer der Hauswächter. »Stehen bleiben, sofort! Ihr alle!« Natürlich gehorchte niemand. Der Wächter bemerkte drei Männer, die ein Fenster aufzubrechen versuchten. Zu denen eilte er und hätte dabei beinahe eine ältliche Frau umgerannt, welche etwas verwirrt im Nachthemd durch den Gang irrte. Sie sah ihn auf sich zueilen, glaubte sich in ihrer Jungfräulichkeit bedroht und holte mit ihrem Nachttopf aus. Das Geschirr landete auf dem Kopf des Mannes und zersprang in tausend Stücke. Der Wächter machte noch einen Schritt, beim zweiten knickte sein linkes Bein ein, und beim dritten versagten beide Beine ihren Dienst ... Kaum noch bei Bewusstsein, rutschte er ein Stück weit über den Boden, riss dabei einem beleibten Kaufmann die Beine unter dem Hintern weg und spürte nicht mehr, wie dieser auf ihm landete. Zusammen rollten die beiden polternd die Hintertreppe
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hinunter. Die Frau, welche nur noch den Griff des Nachttopfes in der Hand hielt, kreischte, und ihre Zimmernachbarin, eine noch ältere Frau und dazu fast taub, fragte: »Geht es in solch abgelegenen Gasthöfen immer so zu? Wird man als Dame denn überall belästigt?« Die Laternen an der Decke schwangen heftig hin und her, als sich wie ein Sturzbach eine Menschenflut die Treppe hinunter ergoss. Aus allen Richtungen kamen die Menschen herbeigelaufen, und mitten in diesem Tohuwabohu erhob sich die schwergewichtige Wirtin des Gasthauses. Margathe versandte haufenweise wütende Blicke, entdeckte die Zauberin weiter oben, welche mit Feuerkugeln um sich warf und dabei nicht einmal die Schicklichkeit besaß, sich etwas anzuziehen. »Was soll diese Zuchtlosigkeit dort oben?«, donnerte die Hausherrin. »Wir sind hier kein Bordell, und Zauberbanne dulden wir hier erst recht nicht! Kein Wunder, dass alle Welt aufgewacht und aus den Zimmern gekommen ist! Sofort Schluss damit! So etwas dulde ich in meinem Gasthof nicht!« Kochend vor Wut stieß Margathe ihr Schwert so fest in die Dielenbretter, dass es hin und her zitterte. Dann ging sie mit dem Schüreisen auf Embra Silberbaum los. Aber sie blieb mit der Stange im Treppengeländer hängen und ließ die Waffe fahren. Diese fiel einem unglücklichen Handelsmann weiter unten auf den Kopf, und fortan brauchte er sich nicht mehr darum zu bemühen, dem Feuer zu entrin-
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nen. Aber die Edle wurde nun auf ihre neue Feindin aufmerksam. Als sie sich nach ihr umdrehte, sah sie einem wahren Geschossregen entgegen. Die Wirtsfrau warf haufenweise Blumenvasen auf sie, welche an der Decke, dem Handlauf oder sonst wo zerplatzten. Noch während sich alles vor den Scherben in Sicherheit zu bringen versuchte, bekam die Edle einen Eimer eiskalten Wassers ab. Und als Nächstes traf sie ein Stiefel im Gesicht, welchen jemand zum Putzen vor seinem Zimmer abgestellt hatte. Fuchsteufelswild ging Embra wieder in die Hocke, holte den nächsten Gegenstand aus Saraspers Gürtel und sprach finster eine neue Beschwörung. Ihr Energiestoß zerfetzte das Treppengeländer und den Großteil der Stufen. Das alles krachte gegen die Wand, zerplatzte und regnete auf Margathe hinab. Der Bann dröhnte so laut, dass buchstäblich jeder im ganzen Haus stehen blieb und sich ängstlich umsah. Und die, welche sich in der Nähe aufhielten, starrten auf die wütende Zauberin. Embra standen die Haare in alle Richtungen ab, und Rauchwölkchen trieben über ihren Händen und aus ihrem Mund. Aber sie wirkte ebenso verwirrt wie die Menge unter ihr. »Ach, du meine Güte ...«, entfuhr es der Herrin der Edelsteine, als ihr Blick auf die beiden Wächter fiel, welche größere Holzsplitter an die Wand genagelt hatten. »So etwas ist mir ja noch nie gelungen ...« Weil keiner etwas zu sagen wusste, schwiegen alle, und in
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dieser Stille griff Embra in die Taschen von Saraspers Gürtel. Die Zauberin musste feststellen, dass alle leer waren. Ungefähr zur selben Zeit löste sich mit einem schmatzenden Geräusch ein Kopf von der Decke, welchen es ohne dazugehörigen Körper dorthin geschleudert hatte. Er plumpste mit dumpfem Klatschen auf den Boden. »Was war das denn?«, fragte Borthor. »Wir sollten wohl besser mal nachsehen gehen«, entgegnete Kether leise wie jemand, der sich nicht wohl in seiner Haut fühlt. Schon setzte das Tosen, Krachen und Donnern wieder ein. Dazwischen Geschrei und das Klirren von Stahl. Der ganze Gasthof bebte, wie die Wächter durch ihre Stiefelsohlen spürten. Die beiden sahen sich an, zogen ihre Schwerter und rannten los. »Wir sind die größten Narren, das ist Euch doch wohl hoffentlich klar«, knurrte Borthor. »Einfach nicht drüber nachdenken«, erwiderte Kether, und schon waren sie im Haus. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und der ganze Hof lag im Mondlicht leer da. »Ich dachte schon, die würden sich nie verziehen«, bemerkte ein Schatten, der sich auf einem Baum nahe der Palisade bewegte. »Richtig«, sprach ein Zweiter, und gemeinsam setzten sie über den hölzernen Wall und sprangen auf den Hof. Im Mondlicht sah man zwei Gestalten, die Menschen nicht unähnlich sahen – nur dort, wo sich sonst das Gesicht befand, zeigte sich bei ihnen eine glatte rosafarbene Fläche. Die Koglaur glitten durch die Tür, ohne sie zu öffnen.
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Kaum einen Moment später kam schon ein Mann um die Ecke gerannt, verbarg sich hinter ein paar Fässern und setzte ein Grinsen auf. Wenn die Götter Weldrin immer noch wohl gesonnen waren, brauchte er hier nur zu warten, dann würde schon alles so kommen, wie er es haben wollte. Die Gäste des Hauses wussten nicht ein noch aus. Vorher hatten sie geglaubt, sich über die Treppe vor dem Feuer in Sicherheit bringen zu können. Doch jetzt stand dort diese Hexe. Und von hinten näherten sich zwei Männer wie schweigende Schatten. Einer der Gäste, ein Kaufmann, beging den Fehler, einen der beiden aufhalten zu wollen: »Hoppla, das ist doch meine Tagesdecke –« Eine nadeldünne Klinge bohrte sich in sein Auge, und er fiel ohne weiteres Lebenszeichen zu Boden. Danach wagte niemand mehr, sich den beiden Männern entgegenzustellen oder sie auch nur anzusehen. Vandur und Kethgan lächelten nicht einmal darüber, dass sich alle in diesem Raum starr wie Statuen verhielten. Schon seit langem empfanden sie bei ihrer Arbeit als Fänger keine Erregung und keine Belustigung mehr. Alle ihre Sinne waren allein für die bevorstehende Aufgabe geschärft, und sie bewegten sich mit kalter Entschlossenheit. Schließlich hatten sie einen Vertrag zu erfüllen. Ein gutes Stück voraus, genauer gesagt an der Treppe, kam es wieder zu Tumulten. Hier hieb man erneut mit Schwert und sonstigen Waffen aufeinander ein.
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Der Wirt trieb seine Wächter vorwärts. Weldrins Kämpfer hatten sich nicht nur ihrer, sondern auch des Volks zu erwehren, das ständig im Weg stand. Zu allem Überfluss war auch Margathe wieder auf den Beinen. Voller blauer Flecke und fremdem Blut, näherte sie sich aus dem Gang, in welchen sie vorhin geflogen war. Der Ritter stand weiterhin oben auf dem Treppenabsatz und wuchtete sein Schwert hin und her. Hinter ihm schwankte die Zauberin, als befinde sich ihr Geist in einer anderen Welt. Ohne Figürchen und andere Hilfsmittel waren ihr die Hände gebunden. Aber sie konnte Hawkril doch nicht allein und seinem Schicksal überlassen. Embra zermarterte sich das Gehirn nach einer Lösung. Dann fiel ihr die Lösung ein. Sie musste zurück in ihr Zimmer und dort nach neuen Verstärkern suchen. Wenn sie sich beeilte, käme der Hüne wohl auch ohne sie zurecht – »Ihr!«, zeterte ein Walross von einer Frau, deren verquollenes Gesicht an das einer Kröte erinnerte. Embra brauchte einen Moment, um in ihr die Hausherrin zu erkennen. Margathe zeigte auf die Fürstentochter, als sei die für alles Übel in der Welt verantwortlich. So bemerkte die Fürstentochter auch erst viel zu spät, was hinter ihr vorging. Ein Bettlaken wurde ihr über den Kopf und den Oberkörper gezogen. Dann schlug man sie nieder und schleifte sie unter Triumphgeheul davon. Embra versuchte, sich zu befreien, würgte angesichts des stinkenden Stoffs und musste sich Margathes Beschimpfungen anhören. Dann prasselten Hiebe auf sie nieder, bis ihr schwarz vor Augen wurde ...
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Damit war die Zauberin fort, und es konnte weitergehen. Aber nun rangen die Menschen darum, als Erste die Treppe zu betreten. Schon tobte auf den Stufen die nächste Schlacht. Die Wächter versuchten, mit geraden Haken Ordnung zu schaffen, Frauen kreischten, und in der Luft schwirrte es hin und her, weil die Gäste sich mit allem Möglichen bewarfen. Die Menge spülte schließlich den Hünen, die Kämpfer und die Wächter einfach mit sich fort. Das allgemeine Gekreische steigerte sich zu einer Lautstärke, welche Trommelfelle zum Zerreißen brachte, als eine Art Riesenschlange krachend aus dem Schankraum erschien. Das Ungeheuer schob Bänke und Vorhänge vor sich her. Goldene Augen glänzten in dem Dutzend Köpfe der Schlange, und ebenso viele Mäuler öffneten sich, um lange Fänge zu zeigen. Wollte eben noch alles nach vorn, machte nun ein jeder kehrt und suchte sich vor der Bestie in Sicherheit zu bringen. Die Schlange glitt mitten in das Gewirr hinein, und die Köpfe stießen auf die entsetzten Menschen nieder, um so viele wie möglich zu beißen. Die Gänge leerten sich schneller, als sie sich gefüllt hatten. Doch einige blieben zurück, und das waren nicht nur die, welche gebissen worden waren. Diese stachen, hackten und hieben auf den Magierfresser ein. Tatsächlich gelang es ihnen, fünf Köpfe abzuschlagen, ehe die Riesenschlange sich wieder hoch aufrichtete. Auch Nortreen stellte sich der Bedrohung, wenn auch am ganzen Körper zitternd. Bislang hatte er immer nur gelacht, wenn die Sänger von solchen Schreckenswesen kündeten ... Goldene Augen richteten sich auf den Wirt, welcher sei-
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nen Gasthof verteidigen oder mit ihm untergehen wollte. Er hörte Margathe hinter sich vor Furcht zittern und suchte sie zu trösten. Aber dann übertönte ihn vielstimmiges Schlachtgebrüll. Eine Schar Wächter und Gäste stürmte auf das Ungeheuer ein. Waffen blitzten und Schlangenköpfe schnellten von oben auf Unglückliche herab ... Am Ende war der Boden rings um die Treppe von blutigen Schlangenkörperfetzen übersät, und für jeden abgeschlagenen Kopf lag ein toter Schwertträger reglos da. Der Wirt stand nur da, und Tränen traten ihm in die Augen. Sein schöner Gasthof sah verheerend aus ... Aber sie hatten überlebt, und das Ungeheuer schwamm in seinem Blut ... Nur die Schlacht war noch nicht vorüber. Schon blitzten wieder die Klingen und forderten sich die verschiedenen Parteien mit Schmähungen heraus. Drei Wächter rannten nach vorn auf das Gemetzel zu, entdeckten unterwegs den Wirt, dem die Knie weich wurden, und kamen nach kurzer Überlegung zu dem Schluss, dass sie weiter vorn dringender benötigt wurden. Nortreen landete wenig später auf seinem Hinterteil und weinte bitterlich. Die beiden Männer trugen das Bündel durch die Dienstbotengänge und die Küchenräume, wo die Mägde kreischend vor ihnen zurückwichen. Die meisten glaubten, da würde eine in ein Laken eingewickelte Leiche fortgeschafft, und darüber fielen einige in Ohnmacht. Dagegen schenkten die Fänger ihnen nicht die geringste
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Beachtung. Schließlich wartete vor dem Haus die Bezahlung auf sie. Wenn sie ihre Beute bei dem Auftraggeber abgeliefert hätten, wäre der Vertrag von ihrer Seite erfüllt. Dann könnten die beiden sich wieder ins Bett legen und in dem wohligen Bewusstsein einschlafen, um einiges reicher geworden zu sein. Weldrin trat ihnen hinter den Fässern entgegen. »Habt ihr sie erwischt?« Vandur liebte solche überflüssigen Fragen überhaupt nicht und hätte am liebsten mit »Nein« geantwortet. Doch schließlich war der Kunde König, und so zog er einfach das Laken ein Stück weit zurück. Embras weißes Gesicht zeigte sich, das im Mondenschein noch bleicher wirkte. Weldrin wirkte unendlich erleichtert. »Gepriesen sollt ihr sein«, lobte er. »Ich habe den Betrag hier schon bereitgelegt, und –« In diesem Moment flog die Tür krachend auf, und jemand mit einem Doppelkinn stampfte heraus. »Wie könnt ihr es wagen?«, schrie Margathe und verteilte wahllos Kopfnüsse und Backpfeifen unter den drei Männern. »In mein anständiges Haus schleppt niemand seine schamlosen Dirnen hinein!« Vandur und Kethgan drehten sich zu dieser Plage um, sahen einander kurz an und zückten dann ihre Messer. Die Fänger waren schnell, aber nicht schnell genug. Denn schon schnellten Arme heran, rissen sie von den Füßen und brachen ihnen das Genick. Margathe starrte unvermittelt in Gesichter ohne Formen und Züge, gab einen leisen quietschenden Laut von sich und
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fiel in Ohnmacht. Glatte Gesichter sahen einander an, und Weldrin hielt es für geboten, sich zu verdrücken. Diese Wesen erinnerten ihn doch zu sehr an Gestalten aus den Albträumen seiner Kindheit ... Er schrie ungefähr im selben Moment, als die Wesen ihre Hände nach ihm ausstreckten. Sie packten ihn, trugen ihn um das halbe Haus herum und schleuderten ihn dann durch das Fenster der Kammer, welche sie für die seine hielten. Weldrin kam auf diese Weise zu der Erkenntnis, dass die Götter einem nur für kurze Zeit ihre Gunst gewähren – und es dann andersherum geht. Denn leider hatten die beiden Wesen sich geirrt. Raulin wirbelte herum, als etwas Schreiendes durchs Fenster geflogen kam. Er riss zwei Messer an sich, sprang auf, stach die Klingen in den Fliegenden und krachte zusammen mit ihm auf den Boden. Der Mann war schon tot, als er auf die Dielen traf. »Wo steckt sie?«, grollte Hawkril und stampfte weiter durch den Gang. »Was habt ihr mit ihr angestellt?« Ein Wächter sah ihn herablassend an. »Sucht Ihr Eure Dirne, oder warum schreit Ihr hier herum?« Der Hüne sah rot und schlug so hart zu, dass der Mann in die nächste Ecke flog und sich die schmerzende Brust hielt. »Wo habt ihr die Herrin hingebracht?«, verlangte der Recke erneut zu erfahren. »Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns um entsprungene Bettmägde zu kümmern«, entgegnete der nächste Wächter; der gehörte aber zu einer ganzen Gruppe, welche sich Hawkril
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näherte. Der Hüne knurrte und trat ihnen mit seinem Riesenschwert entgegen. Dem Anführer der Schar entging diese Klinge nicht, und er hob eine Hand, um die Wächter zum Innehalten zu bewegen. »Von wem sprecht Ihr eigentlich?« »Von der Herrin der Edelsteine«, antwortete der Recke. »Von der Fürstin Silberbaum.« Nun verging den Wächtern endgültig die Lust am Kämpfen, und Hawkril streute Salz in die Wunde, als er hinzufügte: »Ich hoffe nur, dass euch eine gute Ausrede einfällt, wenn ihr euch vor dem König dafür verantworten müsst!« »Ritter!«, rief eine neue Stimme. Diese gehörte dem Wirt, und er fuhr fort: »Beendet das Blutvergießen. Hier befindet sich die Dame, nach welcher Ihr sucht.« Hawkril begab sich in den Schankraum, hielt das Schwert aber kampfbereit in der Hand. Auf dem Tisch, an dem die vier Gefährten vor Stunden gegessen und getrunken hatten, lag die Herrin. Eingewickelt in ein Laken und mit geschlossenen Augen, so als schliefe sie oder sei bewusstlos. Der Hüne stellte sich an den Tisch, betrachtete sie und grollte dann: »Wie ist die Fürstin in diese Lage geraten?« Nortreen winkte seinen Wächtern zu, sich zurückzuhalten, und trat dann zu dem Ritter. Sein Gesicht verlor alle Farbe, als der Riese ihn streng anschaute. »Zwei Männer sind vorhin von draußen hereingekommen, haben diesen Tisch hier leer gefegt und dann die Edle darauf gelegt.« »Habt Ihr sie erkannt?«, wollte Hawkril gleich wissen.
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»Habt Ihr ihre Gesichter gesehen?« »Sie hatten keine Gesichter.« Das schien den Recken nicht zu überraschen, denn er nickte nur. Der Hausherr trat unsicher noch einen Schritt näher. »Herr, in meinem Gasthof ist einstweilen genug Blut vergossen worden. Ich möchte Euch daher höflich ersuchen, Eure Waffe wieder einzustecken und Euch auf Euer Zimmer zu begeben.« Der Hüne zog nur eine Braue hoch, sagte aber nichts dazu. »Zu meiner Zeit galt ich als großer Krieger«, redete der Wirt weiter auf ihn ein. »Im ganzen Tal fürchtete man meinen Namen, und es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mich hier niedergelassen habe. Wenn Ihr Euch also Ärger ersparen wollt, solltet Ihr meinem Wunsch entsprechen.« Der Recke legte sein Schwert auf einen Tisch. »Lasst gut sein, Wirt, ich habe keinen Hader mit Euch.« »Fein. Braucht Eure Herrin Hilfe? Oder Versorgung für ihre Wunden?« Der Wirt zog das Laken zurück ... da schnellte das Riesenschwert heran und schnitt ihm die andere Hand ab. Der Dolch, welchen Nortreen in dieser verborgen gehalten hatte, prasselte zusammen mit den Fingern auf den Boden. Ihm wurde schwarz vor Augen, und Hawkril versetzte ihm einen Stoß, damit er nicht auf die Herrin fiele und sie womöglich doch noch zu Schaden käme. Offenbar hatte Nortreen die Frau entleiben wollen, welche
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ihm und seinem geliebten Gasthof so viel Schaden zugefügt hatte. Als der Wirt auf dem Boden landete, regte sich etwas in der dunkelsten Ecke des Schankraums. Eine Fledermaus, welche die Vorgänge des Abends und der Nacht sorgfältig beobachtet hatte, erhob sich lautlos aus ihrem Versteck und flog zum nächsten Fenster hinaus und davon.
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Neunzehn
Möglichkeit zur Ränke C Aufgeschreckt von dem Lärm, erhoben sich die Fledermäuse von ihren Lieblingsplätzen und flatterten davon. Trotz der brennenden Kohlepfannen herrschte in der Höhle ziemliche Kälte. Deren Flammen speisten die Ränder einer großen und sich langsam drehenden Feuerscheibe, welche gegen die Dunkelheit in dem Bergloch ankämpfte. Wesen in langen Gewändern und mit ins Gesicht gezogenen Kapuzen schritten um den Feuerring herum. Gelegentlich warf eines von ihnen die Kapuze zurück, und darunter kam ein Schlangenkopf mit langen Zähnen zum Vorschein. Die meisten Roben spannten sich an der Rückseite, so als habe man dort einen Schwanz zusammengezogen. Beim Schreiten sangen die Priester ihre eigentümlichen, unheimlichen Lieder. Je schneller diese Wesen ausschritten, desto mächtiger schwoll auch der Gesang an – bis er von einem Moment auf den anderen aussetzte. In diese Stille hinein hoben die Priester ihre Hände. Dann zogen sich die Flammen zum äußersten Rand der Scheibe zurück, und in der Mitte zeigte sich ein Bild.
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Dieses stammte aus einem kleinen Tal zwischen den Bergen, in welchen sich auch diese Höhle befand. Mehr eine überwucherte Senke, welche nach oben zu immer schmaler wurde. Am Ende befanden sich ein Teich und eine zerfallende Steinburg. Ein einsamer Reiter strebte auf die Turmruine zu. Er trug eine vollständige Rüstung; nur sein Kopf war frei geblieben. Er wirkte müde, und seine Bewegungen erfolgten langsam und träge. »Haltet Eusss nur noch ein Weilsssen im Sssattel, isss bitt Eusss, Fürssst Dummkopf«, höhnte einer der hinschauenden Schlangenpriester, »esss sssind doch gerade noch ein paar Sssritte.« Der Reiter zuckte das eine oder andere Mal zusammen, weil sein Ross sich seinen eigenen Weg suchte, welcher nicht immer zur vollen Bequemlichkeit des Ritters ausfiel. »Nun treffen wir alssso den geheimnisssvollsssten aller Magier«, verkündete der Priester voller Triumph der Priesterin an seiner Seite, welche am Körper nichts weiter als ein paar Schlangen trug. »Ssson bald wird er sssich den wachsssenden Legionen der Ssslange ansssliesssen, oder den Tod finden. Die Entssseidung liegt allein bei ihm.« »Ach, es ist doch immer dasselbe«, stöhnte die Priesterin und erhob sich. Der Priester drehte sich ob solcher unerlaubter Eigenmächtigkeit wütend zu ihr um und starrte sie streng an. Die junge Frau aber streckte eine Hand aus, bis die Fingerspitzen seine Brust berührten.
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Einen Moment später explodierte sein Kopf, und Tausende Tropfen und Klümpchen erfüllten die Luft. Kurz darauf erlitten die anderen Schlangenpriester das gleiche Schicksal. Die blutbespritzte Priesterin watete durch die feucht glänzende Masse, murmelte eine Beschwörung und hob eine Hand. Einer der Kopflosen erhob sich vom Boden und blieb mitten in der Luft hängen. Die Hände hatte er an die Seiten gelegt. Die junge Frau wedelte mit den Fingern und stellte fest, dass der Leichnam sich ohne Mühe bewegen ließ. Sie brachte ihn in die richtige Stellung. Dann begab sie sich lächelnd zum nächsten verschiedenen Schlangenpriester. Und so stiegen die gehorsamen Körper einer nach dem anderen auf. Schließlich schwebten alle über der Feuerscheibe, und zwar dergestalt mit den Schultern nach unten, dass ihr Blut auf die Kohlepfannen rann. Die Priesterin ließ den Oberpriester nun zur Mitte der Scheibe fliegen und dort bis auf dieselbe absteigen. Das Bild verschwand unter einer Woge von Blut. Nun veränderte sich die Priesterin. Ihr Körper wölbte sich, einzelne Gliedmaßen standen ab, und schließlich hatte sie sich in Ingryl Ambelter verwandelt. »Unter den Händen, welche nach Aglirta greifen, befinden sich auch einige brutale«, meinte der Zauberer und betrachtete das Gemetzel. »Nun dürft ihr mit eurer Feier fortfahren, meine Kinder, aber diesmal ohne dass die Schlange alles mitbekommt und die Möglichkeit zum Eingreifen erhält.«
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Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung von den Kopflosen, entfernte sich von der Feuerscheibe und trat ins Nichts. Fürst Berias Loushoond brachte die letzten Stufen hinter sich, welche ihn in die Burg Kaerath führten, und blieb stehen. Dieses Gemäuer war schon so lange zerfallen, dass niemand sich mehr an Kaerath erinnern konnte. Der Fürst schüttelte sich, schüttelte heftig den Kopf und sah sich dann hier um, als sei er zum ersten Mal an diesen Ort gelangt. Nach dieser kurzen Unterbrechung setzte er seinen Weg fort, behielt aber fortan die Hand lieber am Schwertgriff. Der Boden der Halle war mit Steintrümmern bedeckt, und die Rückwand fehlte. Durch die Lücke drang Tageslicht ein und beleuchtete die Bäume, welche hier Wurzeln geschlagen hatten, und umgestürzte Statuen. »Herr Magier?«, rief der Fürst leise in die Dunkelheit hinein. »Hallo, Herr Zauberer, wo seid Ihr? Ich bin es, pünktlich zum Treffen erschienen.« Der Magier der Sterne wurde von den fahrenden Sängern als der mächtigste Zauberer gepriesen, welchen Aglirta jemals hervorgebracht habe. Dieser Mann hatte vor vielen Jahrhunderten regiert, den Geist der Fürsten wie auch der Kinder beherrscht. Sie alle waren seine Sklaven und erledigten für ihn kleine und große Dinge. Niemand wusste mehr zu sagen, wann genau der Herr der Sterne verschwunden war. Da man auch von seinem mögli-
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chen Tod nichts gehört hatte, nahm man bald an, er sei unsterblich. Ja, auch sagte man sich, dass er noch irgendwo in der Nähe sein müsse und sich aus Gründen, welche nur ihm bekannt seien, verborgen hielte. »Bis der Zauberer wieder umgeht«, gehörte daher zu den geflügelten Worten im Oberland. Manche waren schon der Überzeugung, dass dieser Magier länger regierte als jeder König. Als Loushoond die Nachricht erhielt, der Magier der Sterne wolle ihn sprechen, waren die alles beobachtenden Schlangenpriester in gehörige Aufregung versetzt worden. Wie gern würden sie diesen mächtigen Mann für sich gewinnen, um mit ihm dem Auferstandenen König den Todesstoß zu versetzen. Vielleicht wäre dieser Zauberer sogar stark genug, um ihm alle Arbeit zu überlassen. Dann brauchten die Schlangenpriester gar nicht erst ins Licht der Öffentlichkeit zu treten. Ja, sollten die beiden sich doch jetzt treffen. Sollte der Magier, welcher glaubte, sich den Fürsten gefügig machen zu können, doch in die Falle gehen und selbst zum Sklaven werden ... zur Mehrung des Ruhmes der Schlange! Loushoond kam es jetzt so vor, als habe sich ein Nebel über seinen Gedanken gelichtet. Allein und ein wenig verwirrt stand er in der kleinen Talsenke, betrachtete die Burgruine, welche einem anderen Fürsten gehörte, und fragte sich, wer ihm denn hier wohl gleich entgegentreten würde. Unvermittelt schwebte ein Gespenst aus dem Nichts heran und machte es sich auf einem Steinsitz bequem. Mit leisem Lächeln betrachtete es den Besucher.
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Die Erscheinung wirkte irgendwie menschlich, und wenn das Gedächtnis den Fürsten nicht trog, sah sie tatsächlich wie der Mächtigste unter den Dunklen Dreien aus ... ... den Magiern, welche in Diensten des Fürsten Silberbaum gestanden hatten. »Seid mir gegrüßt, Bannmeister«, sprach der Fürst und erhielt einen überraschten Blick zur Antwort. »Ich darf Euch wohl meine geistige Freiheit verdanken, oder?« Ingryl Ambelter nickte. »Ihr vermutet richtig. Auch bin ich die Ursache dafür, dass die Schlangen uns hier weder sehen noch hören können. Aber bedenkt bitte, dass Ihr auch weiterhin so tun müsst, als stündet Ihr unter dem Einfluss der Geschuppten. Sonst ist Euer Leben verwirkt.« Der Magier lächelte noch breiter. »Damit die Schlangen Euch aber nicht wirklich wieder im Griff haben, werde ich einige Zauber tief in Euren Geist versenken.« »Tief?« Zur Antwort sauste ein Lichtfaden aus dem Zeigefinger des Ingryl und fuhr Loushoond durch eines seiner Nasenlöcher ins Gehirn. Der Fürst erstarrte, griff in seiner Not nach seinem Schwert, seufzte dann schwer und beruhigte sich wieder. Er zitterte noch ein wenig, als ein neuer Lichtpfeil heranschnellte. Diesmal verzerrte sich Loushoonds Gesicht vor Schmerzen. »Seid doch bitte so freundlich«, sprach der Fürst, »und erklärt mir, worin der Unterschied zwischen Euren Bannen und denen der Schlangenanhänger besteht. Bei beiden steht
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man doch unter der Knute eines anderen.« »Sind wird nicht alle von einem anderen abhängig?« Ingryl zuckte die Achseln. »Und jetzt steht Ihr eben unter meinem Willen. Doch im Gegensatz zu unseren Schlangenfreunden lehne ich es ab, andere nach meiner Pfeife tanzen zu lassen. Solche Diener erweisen sich in der Regel als unbeholfen und tölpelhaft.« Der mächtigste Magier breitete die Arme aus: »Die Schlangenpriester verhöhnen uns gern als Trottel, übersehen aber ihre eigenen Eseleien, welche die unseren noch übertreffen. Die Schlangen kämpfen mit dickem Knüppel, ich aber mit feiner Klinge. Sie setzen Zauber ein, um Euch ihrem Willen zu unterwerfen, und das tue ich nicht. Die Schlangen bestimmen jedes Eurer Worte und jeden Eurer Schritte. Ich aber lasse Euch die Freiheit, selbst Euer Glück zu suchen. Mehr noch hoffe ich, Euch überzeugen zu können, dass wir uns für eine Weile zusammentun sollten, um unsere gemeinsamen Ziele zu verfolgen. Wäre ich Schlangenpriester, würde ich mich solchen Mühen gar nicht erst unterziehen, sondern Euch einfach zwingen – und wie es dann in Eurem gemarterten Geist aussähe, wäre mir von Herzen egal.« Loushoond nickte langsam. »Also schön, hier stehe ich im Besitz meiner geistigen Freiheit. Dann überzeugt mich mal.« Das Gespenst betrachtete den Fürsten. Dann beugte es sich vor und erklärte langsam und eindringlich: »Wir wollen einen Streich aushecken. Ich kenne einiges von der Magie, welche
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den Auferstandenen König schützt. Wenn man deren Energie bewegt, ließe sich Seine Majestät dazu bringen, nach meinem Willen zu handeln. Auf ähnliche Weise, wie das die Schlangen bei Euch bewirkt haben.« »Und welche Rolle spiele ich dabei?«, fragte der Fürst. Ingryl breitete wieder die Arme aus. »Bedenkt bitte, dass man mit solcher Macht sehr behutsam umgehen muss. Ich gedenke, sie nur zweimal einzusetzen.« Der Magier erhob sich und schritt über den Boden. Seine Füße bewegten die Steine nicht. »Zum Ersten bringe ich den König dazu, mitten in ein geheimes Ritual der Schlangenanhänger hineinzuplatzen. Sobald er sich dort blicken lässt, wird er bestimmt von der vereinten Priesterschaft angegriffen. Und dann sorgen Mitarbeiter von mir, welche unter meinem Zauber stehen, dafür, dass wohl bewaffnete Ritter Seine Majestät retten.« »Und wie geht es dann weiter?«, fragte der Fürst mit gespannter Miene. »Die Schlangengläubigen werden alle erschlagen. Der König wird sich seinen Rettern erkenntlich zeigen. Und wir beide schauen vom sicheren Hort aus zu, wie meine Agenten die Toten und die ganze Gegend sorgfältig durchsuchen.« »Und vielleicht auch nach den Dwaer-Steinen Ausschau halten, welche sich angeblich in den Händen der Schlangenpriester befinden sollen?« Ingryl lächelte. »Damit wären wir schon beim zweiten Punkt: Ich lasse seine durchlauchtigste Majestät zu uns führen. Und bei diesem Treffen zeigt Ihr Euch ihm als der einzige Fürst, welcher dem Flussthron die ganzen Jahre über treu
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ergeben gewesen ist.« Der Zauberer schien abzuwarten, welchen Eindruck diese Worte bei seinem Gegenüber hinterließen, ehe er fortfuhr: »Ihr verweist auch darauf, welche Gefahren Ihr auf Euch nehmen musstet. Erzählt ruhig Eure ganze Geschichte: dass die Schlangen Euch verzauberten, dass Ihr diesem Bann aber trotzen konntet und dass Ihr Euch mit einem ausländischen Zauberer gemein gemacht habt ... Als der werde ich mich natürlich vorstellen – allerdings mit einem anderen Äußeren und auch unter einem anderen Namen. Wir beide hätten uns zusammengetan, berichtet Ihr dann, um dem rechtmäßigen König gegen das Gift der Schlange beizustehen. Solcherart gewinnen wir die Aufmerksamkeit des Königs, welche Euch ja schon lange zusteht.« Loushoond nickte mit wachem Blick in den Augen. »Damit stehen wir also dem Oberherrn über ganz Aglirta gegenüber und versuchen, ihn uns gewogen zu machen. Aber zu welchem Behufe, frage ich.« »Wir erklären Seiner Majestät, wenn er uns Titel und Einfluss verschaffe, Euch zum Beispiel zum Ersten Fürsten ernennte und über alle anderen erhöbe, könnten wir das Heer zusammenziehen, welches er für seinen Feldzug gegen die Schlangen brauchte.« »Und sollte er sich weigern?« »Dann würde ich ein wenig nachhelfen. Allerdings wäre es mir lieber, er würde sich aus freien Stücken mit unserem Vorhaben einverstanden erklären.«
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»Wenn er sich aber doch weigert?« »Dann treffen wir beide uns noch einmal an einem verschwiegenen Ort und überlegen uns etwas Neues. Aber ich glaube, dass Seine Majestät sich schon beim ersten Mal verständig zeigen wird.« Wahrscheinlich, weil Ihr es gar nicht erst so weit kommen lasst, sagte sich der Fürst. Wenn Ihr meine Gedanken lesen könnt, sei’s drum, ich vermag ja doch nichts daran zu ändern. »Also gut. Was geschieht, wenn der König mitspielen will?«, fragte Loushoond laut. »Wir stellen natürlich die Armee auf. Vor allem mit Söldnern. Ich habe genug Geld, um sie zu bezahlen. Wir mieten sie in Sirlptar, in den Südländern und auf den Inseln an. Dort finden sich genug Kämpfer, welche liebend gern ein paar unserer Fürsten und Soldaten ins Jenseits befördern möchten. Mit solcher Unterstützung ließe sich auch ein vorläufiger Friedensvertrag zwischen Aglirta und den Meergebieten erreichen. Wir ziehen also gegen die Fürsten des Stromtals ins Feld und erledigen natürlich zuerst Eure persönlichen Feinde ... ... und in einer dieser Schlachten wird der ausländische Zauberer beweisen, wie sehr er den König liebt, indem er nämlich für ihn sein Leben opfert.« »Mit anderen Worten, Ihr verlasst die Hülle, in welcher Ihr Euch Seiner Majestät zeigt. Und wer soll in dem Körper an Eure Stelle treten?« »Der getreueste Gefolgsmann des Königs natürlich«, grinste der Magier. »Denn ich werde in dessen Stiefel treten. So bin ich Seiner Majestät immer ganz nah.«
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»Wie freundlich von Euch, den ganzen Plan vor mir auszubreiten. Darf ich annehmen, dass Euer Abwehrschirm gegen die Schlangen nur noch kurz bestehen wird? Eine Frage hätte ich allerdings noch: Was geschieht mit mir und all den Geheimnissen, welche Ihr mir offenbartet, wenn ich den Schlangenpriestern in die Hände fallen sollte und sie in mein Gehirn eindringen? Ich meine, immerhin gehen sie doch davon aus, dass ich immer noch unter ihrem Zwang stehe.« Ingryl drehte sich lächelnd um. »Aha. Wenn irgendein Schlangenpriester in Euer Gehirn eindringen und sich an meinen dort eingepflanzten Bannen zu schaffen machen sollte, erfahre ich augenblicklich davon und eile geschwind herbei, um den Betreffenden meine ganz besondere Magie schmecken zu lassen.« Der Fürst verbeugte sich höfisch. »Ich bin sehr erleichtert, das zu hören.« Das klang so sarkastisch in Ingryls Ohren, dass er am liebsten die Hand gehoben und einen Feuerball auf den Unverschämten geworfen hätte. »Ich darf annehmen, dass wir beide uns einer Sache bewusst sind: Wir haben ein Abkommen miteinander.« Er konnte nur hoffen, dass Ingryl ihn verstanden hatte. Gleich wo man sich in Aglirta aufhält, der Silberfluss ist nie weit von einem entfernt. Die Schiffe, welche ihn befahren und den reichsten, verrücktesten und mächtigsten Männern des Tals gehören, sind mit den buntesten Wimpeln und Bannern geschmückt. Doch wenn die Zeiten wieder einmal schlimm standen,
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verzichteten die Reichen auf solche Pracht und ließen ihre Schiffe lieber von einem Zauberer tarnen. Am selben Tag, an welchem Loushoond zu den Ruinen von Kaeraths Burg ausritt, begab sich der Hofmeister von Tathkaladorn, der im Wald gelegenen Jagdburg von Fürst Kardassa, persönlich zum Tor, weil dort jemand angeklopft hatte. Ihn erwartete der Anblick etwa eines Dutzends Männer mit Gesichtsmasken und Kapuzen auf dem Kopf. Sie ritten prachtvolle Pferde, und ihr Begehr, eingelassen zu werden, klang doch sehr nach einem Befehl. Voller Diensteifer führte der Hofmeister die Herren auf den Vorhof, schlug unterwegs auf den Gong, welcher bei den Bogenschützen Alarm auslöste, auf dass sie die Wehrgänge bemannten. Er hieß die Reiter im Vorraum warten und eilte von dannen. Er erreichte den inneren Burghof, gab hier den Hauptleuten der Wache ein Zeichen und ließ auch den Hauszauberer benachrichtigen, ehe er an der Tür anklopfte, welche zum ganz persönlichen Esszimmer des Fürsten von Kardassa führte. Ithklammert Kardassa sah von seinem Weinkelch auf. Zur Linken die nie fehlende Mappe mit den Verträgen, den Abkommen und den Briefen, welche seiner Unterschrift harrten, in der Mitte der Kerzenständer und rechts das Geschirr mit den Resten des Fasanenbratens und der Schildkrötensuppe. »Haben wir Besuch?«, fragte seine Erhabenheit. Der Hofmeister kannte seinen Herrn lange genug, um sich nicht davon verblüffen zu lassen, dass der richtig geraten hatte. »Vierzehn Reiter sind erschienen, Euer Durchlaucht. Alle
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tragen Rüstung, und unter ihnen befindet sich mehr als nur einer, welcher es gewohnt ist, Befehle zu erteilen. Sie warten in der Vorhalle. Ich habe die Bogner gerufen, die Soldaten alarmiert und unseren Magier verständigt.« Der Fürst rief einen Diener herbei und befahl diesem: »Bringt mir mein Schwert und lasst das Geschirr abräumen. Wenn es Grund zu feiern gibt, holen wir das später nach. Viel eher aber werde ich so grimmigem Besuch nur Wein und Worte reichen.« Als der Diener losgeeilt war, wandte Kardassa sich an seinen Hofmeister: »Das war wohl getan, mein lieber Taurym. Nun lasst alle innerhalb der Burg wecken und gebt Bescheid, dass sie sich zur Abreise bereitmachen sollen. Jeder, der nicht zur Wache oder zur Küchenbedienung gehört, soll so viel fortschaffen, wie er nur tragen kann. Man soll auch alles Vieh fortführen und die Pferde freilassen. Doch dies nur in dem Fall, dass ich das entsprechende Zeichen gebe oder mein Leben verliere.« Der Hofmeister wollte sich sofort auf den Weg machen, aber der Fürst hatte ihm noch etwas mitzuteilen. »Mein teurer Taurym. Wenn Ihr unsere Gäste in den Innenhof führt, stellt sicher, dass unser Zauberer alles im Blick hat. Auch sollen seine sämtlichen Lehrlinge bereitstehen, seine Anordnungen augenblicklich in die Tat umzusetzen. Ebenso sollen sie sich bewaffnen und sich, wenn alle gehen, zur Flucht wenden.« Der Hofmeister diente dem Fürsten, welcher auch Krähe von Kardassa genannt wurde, schon so lange, dass er es wagte zu säumen und eine Frage zu stellen:
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»Herr, wusstet Ihr, dass diese vierzehn kommen würden?« »Nein. Genauso wenig wie ich weiß, um wen es sich bei ihnen handelt. Aber sagen wir, ich habe so eine gewisse Ahnung.« Taurym verbeugte sich und sprach: »Es war mir immer schon eine besondere Ehre, Euch dienen zu dürfen.« Der Fürst sah seinem Getreuen hinterher, und kein Muskel regte sich in seinem Körper. Doch als er allein war und den Kelch wieder ansetzte, zitterten seine Finger so stark, dass er beide Hände nehmen musste.
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Ankunft der Fürsten C Kein Klopfen ertönte an der Tür, als diese sich öffnete, aber man brach sie auch nicht mit Gewalt auf. Der Fürst schaute nach einem Moment von seinen Papieren auf und sah draußen eine Reihe von maskierten und verhüllten Männern vor sich. »Willkommen auf Burg Tathkaladorn. Wein findet ihr dort an der Wand und daneben Haken für eure Mäntel. Wollt ihr mir die Freude gewähren, mich wissen zu lassen, wer heute Abend die Gastfreundschaft dieser Burg genießen darf?« Der Größte und Bestgepanzerte trat ein, schaute sich vorher aber nach links und rechts um und zählte die Leibwächter – acht an der Zahl. Kardassa saß mit dem Schwert neben sich da und verzog keine Miene. Wenn sein Besucher sich aufs Schweigen verlegen wollte, bitte sehr, auf dieses Spiel verstand er sich auch. Während der Fürst sich wieder seinen Papieren widmete, überzeugte sich der Gepanzerte davon, dass sich niemand außer dem Burgherrn in dieser Kammer aufhielt. Er nickte den anderen zu. Diese traten nun ein, schlossen
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alle Türen, legten die Riegel vor und bauten sich dann vor Kardassa auf. Alle zugleich nahmen sie ihre Maske ab und stellten sich dann der Reihe nach vor: »Adeln.« – »Ornentar.« – »Tarlagar.« – »Mauweiron.« – »Kaladasch.« und »Talasorn«. Der Fürst lächelte jedem Einzelnen zu. »Ich erkenne unter euch auch den Kriegsmann Narwim, der einst im Dienste Schwarzgults stand und seitdem häufiger auf Burg Adeln zu sehen ist. Neben ihm, das dürfte Marthith von Burg Ornentar sein.« Er schaute an der Reihe entlang. »Und den anderen gebricht es an einer eigenen Zunge?« »Nein, ebenso wenig wie an Disziplin«, entgegnete Fürst Eskulph Adeln. Kardassa zog die Augenbrauen hoch. »Tatsächlich? Aber doch wohl hoffentlich nicht im Gegensatz zu den anderen ... Welche Angelegenheit könnte denn so dringlich sein, dass sich mitten in der Nacht zwei Fürsten des Reiches, ein Erbprinz und drei Magier gemeinsam auf den Weg machen? Was zwingt diese Herrschaften dazu, sich im Schutz der Nacht in die Burg eines Mannes zu schleichen? Warum konnten sie ihre Botschaft nicht im hellen Tageslicht überbringen?« Einige der Angesprochenen erröteten leicht, und einer der Namenlosen gestattete sich den Anflug eines Lächelns. »Ich bin nicht den ganzen Weg geritten«, übernahm Adeln wieder das Wort, »um mich mit Euch auf Wortgefechte einzulassen. Wir sind gekommen, Euch aufzufordern, Euch uns in einer Sache anzuschließen, welche schon in Bälde Auswirkun-
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gen auf den Thron von Aglirta haben wird.« »Eine Verschwörung gegen den Mann, welcher sich der Auferstandene König nennt?«, fragte Kardassa und notierte sich etwas an den Rand des Pergaments vor ihm. »Ohne Umschweife – ja«, antwortete der Magier Kaladasch mit seiner unangenehmen Stimme. »Und Ihr seid schon die ganze Verschwörerschar?«, fragte der Burgherr. »Oder bekäme ich noch andere gleichen Sinnes zu sehen, wenn ich mich Euch anschlosse?« »Nein«, entgegnete Fürst Ornentar, »und –« Adeln stellte sich vor ihn und fragte laut: »Was wollt Ihr damit sagen?« Die Namenlosen, welche der Fürst mittlerweile für Leibwächter seines Gegenübers hielt, beugten sich vor, als dürfe ihnen kein Lidzucken Kardassas entgehen. »Ich meine damit zum Beispiel, dass ich in eurer Runde jemanden vermisse, welcher schon so manchen eurer Händel angeführt hat, nämlich Bodemmon Sarr.« Einige in der Reihe erstarrten, und Kaladasch öffnete wieder den Mund. Aber Adeln brachte ihn erneut zum Schweigen. »Bodemmon Sarr ist, so hat es den Anschein, aus Aglirta verschwunden. Ich weiß nicht, was Ihr mit unseren Händeln zu meinen beliebt, aber Sarr ist in vielen Punkten mit uns einer Meinung.« »Wenn Ihr es so auszudrücken beliebt«, entgegnete Kardassa mit einem leisen Lächeln. »Ihr scheint über mehr als nur eine Störung ungehalten zu sein«, fuhr der Tersept von Tarlagar ihn an. »Sagt uns jetzt klipp und klar, welchen Standpunkt Ihr in dieser Frage ein-
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nehmt.« Der Burgherr notierte sich erst noch etwas, ehe er antwortete: »Wie kommt es, dass Ihr ein Fürstentum für Euch beansprucht und Euch doch so wenig mit der Höflichkeit auskennt, welche im Reich gepflegt wird? Ich bin hier der Hausherr und ihr nicht geladene Gäste. Wie könnt ihr da die Stirn haben, etwas von mir zu verlangen, noch ehe ich Adelns nicht eben leichtfertige Frage beantwortet habe?« Der Tersept lief dunkelrot an und grollte: »Mich deuchte, Ihr hättet zu der Angelegenheit nichts weiter zu sagen. Dass Bodemmon nicht unter uns weilt, dürfte mittlerweile hinreichend festgestellt sein. Was bliebe Euch also noch anzumerken?« »Meine strikte Weigerung, mich mit jemandem zu verbinden, welcher sich auf die Seite der Schlange gestellt hat. Mögen seine sonstigen Ziele und Vorhaben auch noch so ehrenhaft sein.« »Was soll das heißen?«, riefen der Tersept und der Zauberer Mauweiron wie aus einem Munde. »Ist Euch entgangen, wie schweigsam Adeln sich verhält?«, entgegnete Kardassa. »Er weiß nämlich genauso gut wie ich, warum Ornentars Gesicht sich so blau verfärbt hat. Das Gift der Schlange wütet in ihm, und er muss den verhüllten Priestern zu Diensten sein, weil sie ihm sonst das Gebräu nicht verabreichen, welches das Gift in ihm zurückhält ... Deswegen dürfte wohl klar sein: Wer mit Ornentar gemeinsame Sache macht, macht mit der Schlange gemeinsame Sache.
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Nach allem was ich von den Anhängern dieser Gottheit mitbekommen habe, lieben sie Aglirta nicht.« »Glaubt Ihr etwa, wir fielen auf einen so durchsichtigen Versuch herein«, rief Kaladasch, »einen Keil zwischen uns zu treiben?« Der Hausherr zuckte nur die Achseln. »Genug von diesem Geschwätz«, verschaffte sich Adeln Gehör. »Fürst, es kann wohl kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Ihr unserer Sache feindlich gegenübersteht. Ich frage Euch daher: Verhält es sich so?« Kardassa richtete den Blick auf das, was er eben geschrieben hatte, und entgegnete dann: »Als der Schlafende König aufgetaucht ist, war ich genauso erstaunt wie Ihr auch. Eine Gestalt aus einer alten Sage tritt plötzlich zwischen uns, das ist doch nur etwas für fahrende Sänger und zum Erschrecken von Kindern. Dieser Mann trat also auf, setzte sich auf den Thron und verlangte unsere Gefolgschaft und Treue. Von uns, die wir jahrhundertelang nur unsere eigenen Fehden verfolgt haben ...« Der Fürst legte die Feder ab. »Ich erwarte nicht, dass Schneestern sich lange hält, und ich fürchte, er versteht auch nicht, was seit damals aus Aglirta geworden ist. Ich halte auch nichts von einigen seiner Erlasse, einige seiner Ideen sind meiner Ansicht nach hirnrissig, und was er sonst noch so vorhat – schweigen wir lieber darüber. Aber selbst wenn es sich bei ihm um einen sabbernden Geistesschwachen handelt, änderte das nichts an der Tatsache, dass Schneestern der rechtmäßige König ist.«
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»Rechtmäßig, von wegen«, höhnte Kaladasch. Wieder zuckte der Hausherr die Achseln. »Tja, wenn man einen rechtmäßigen König einfach so für ›nicht berufen‹ erklären darf, kommt es vielleicht noch so weit, dass man die Rechtmäßigkeit eines Fürsten anzweifelt. Und wenn man uns nicht mehr will, wer bliebe dem Reich dann noch, wenn nicht ein Tyrann?« Wieder nahm er die Feder auf und schrieb drei Worte. »Aber jetzt haben wir einen König auf Treibschaum, und das stellt, gelinde gesagt, eine Verbesserung gegenüber den früheren Zeiten dar. Damals haben die Fürsten sich in Kleinkriegen, Ränken und Rachetaten gegenseitig aufgerieben ... gar nicht erst zu reden von Verschwörern, welche sich nachts in eine fremde Burg geschlichen haben ... so wie hier und heute. Und wer es immer noch nicht begriffen haben sollte, dem erkläre ich es in aller Deutlichkeit: Kardassa wird sich niemals gegen den rechtmäßigen König wenden!« »Ist das Euer letztes Wort, Kardassa?«, fuhr Kaladasch ihn an. Der Hausherr lächelte ihn kalt an: »Wenn ihr Herren mir etwa drohen wollt, so lasst euch gesagt sein, dass ihr niemals genug Macht ansammeln werdet, um das wahr werden zu lassen!« »Genug des Geschwätzes! Sterbt, Ihr Narr!« Flammen entstanden in Kaladaschs Händen, und ein weißer Blitz zuckte in Richtung des Hausherrn, dicht gefolgt von den grünen Energiegeschossen der Zauberer Mauweiron und Talasorn. Sie flogen zwar in Richtung des Fürsten, prallten jedoch
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kurz vor Erreichen desselben ab und sausten durch den Raum. Die Zauberer wurden getroffen und sackten schon rauchend auf dem Boden zusammen, noch ehe die Leibwächter eingreifen konnten. Als dann zehn Klingen gleichzeitig aus ihren Scheiden fuhren, hob Kardassa den Kopf und blickte dem tödlichen Stahl unbeeindruckt entgegen. »Wenn ein Magier so dumm ist zu glauben, dass ein Burgherr in seiner eigenen Burg keinen Schutzschild habe«, sprach er, »dann ist er zu blöde, als dass man ihm erlauben dürfte, irgendetwas über die Zukunft des Reiches bestimmen zu dürfen.« »Auch uns quillt das Herz nicht vor Liebe für die Magier über«, knurrte Adeln, »aber ich wette, Ihr habt auch für uns andere ein paar Überraschungen parat.« Kardassa sah ihn mit eiskalten Augen an und erklärte mit freundlicher Stimme: »Ich hatte mir den heutigen Abend so vorgestellt, dass ich ihn mit einem Schoppen Wein beginne und in einem bereits von einer Magd vorgewärmten Bett beschließe.« Er prostete ihnen zu und meinte dann: »Niemals wäre mir etwas so Gewaltiges in den Sinn gekommen, wie durch die Nacht zu reiten, um einen neuen König über Aglirta einzusetzen.« »Pah!«, schnaubte der Tersept: »Wollen wir doch feststellen, ob die Schildbanne unseres feinen Gastgebers auch gegen mehrere Schwerthiebe gleichzeitig halten!« Die Männer zogen ihre Waffen und hieben gemeinsam auf den Fürsten ein – nur um von einer unsichtbaren Mauer ab-
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zuprallen. Kardassa zog nur eine Braue hoch und schlug dann einen bestimmten Dreiklang auf den Gong hinter ihm an der Wand. Als Klöppel diente ihm ein merkwürdiges Zepter. Die Menschen auf der Burg erfuhren dadurch, dass es für sie an der Zeit war, die Flucht zu ergreifen. Der Fürst selbst trat zu einer Tür, welche nicht weit von dem Gong in die Wand eingelassen war. »Wie mein Herr Großvater vor vielen Jahren zu sagen pflegte«, unterhielt er dabei seine Besucher im Plauderton, »waren Verräter noch nie auf dieser Burg willkommen.« Der Fürst verbeugte sich noch einmal vor den Männern. »Euer freundliches Einverständnis vorausgesetzt, werde ich euch nun verlassen und mich nach Treibschaum begeben, um den König zu warnen, dass wieder einmal eine Verschwörung gegen ihn angezettelt worden ist.« Als er die dicke Tür hinter sich geschlossen hatte, konnte er von ihrem Wutgeschrei nichts mehr hören. Das leise Zittern in seinen Händen verging rasch. Als er seine Privatgewölbe erreichte, war es ganz verschwunden. Das bereitete ihm Genugtuung. Kardassa wusste, dass er heute Nacht hier sterben würde und nie mehr Amanthala, Nreene oder eine der Larantas im Arm halten könnte. Sie würden seines Danks ebenso entbehren müssen wie seines Geldes und seines dringlichen Rates, sich irgendwo zu verstecken, damit seine ungeborenen Kinder in Sicherheit wären – – und das auch blieben, bis wenigstens eines von ihnen groß und alt genug geworden wäre, vorzutreten, Anspruch
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auf den Thron zu erheben und wieder über das Fürstentum Kardassa zu herrschen. Wenigstens hatte er seinen Vertrauten Anweisung geben können, seinen Damen in allem zu helfen und über sie zu wachen. Leider handelte es sich bei diesen um Magier, und die Geschichte des Reiches wusste von keinem Fall zu berichten, in dem zwei Zauberer auf Dauer gut zusammengearbeitet hätten. Außerdem hatten die beiden Magier ihn stets mehr gefürchtet als geliebt. Und womöglich glaubten sie, er habe noch die eine oder andere Rechnung bei ihnen offen. Der Hofmeister Taurym würde die Warnung vor der neuen Verschwörung nach Treibschaum bringen – wenn er nur den Nachstellungen Adelns und Ornentars entkäme. Der Fürst selbst könnte seine Burg Tathkaladorn nur tot verlassen. Doch wollte er sein Leben so teuer wie möglich verkaufen und so viele seiner Bedränger wie möglich mit ins Grab nehmen. Damit wäre dann eine weitere Verschwörung gegen den Flussthron gescheitert, und damit bliebe dem Auferstandenen König etwas mehr Zeit, die Verhältnisse in Aglirta zu ordnen und das Reich wieder stark zu machen. Die gefährlichsten Männer, mit denen Schneestern es zu tun hatte, waren Adeln und Ornentar. Ersterer stellte zweifelsohne das Haupt und das Rückgrat der Verschwörung dar. Aber der andere stand mit den Schlangenpriestern im Bunde, und das machte ihn zu einer viel unberechenbareren Gefahr. Wenn Kardassa heute Nacht nur einen Gegner bezwingen
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würde, dann musste es Ornentar sein! Bodemmon Sarr gehörte ebenfalls zu den bedeutenden Feinden des Reiches und war dem König mindestens ebenso gefährlich wie die Schlangenpriester. Doch aus irgendwelchen Gründen hatten sowohl Sarr wie auch die Priester Abstand von dieser Verschwörung genommen und hielten sich heraus. Wahrscheinlich warteten sie auf eine bessere Gelegenheit. Doch darüber konnte der Fürst sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Er war schließlich nicht Haupt des Reiches, und seine Möglichkeiten beschränkten sich darauf, lediglich eine Verschwörung zunichte zu machen. »Behaltet mich dafür in guter Erinnerung, Schneestern«, sprach er leise, während er sich die Rüstung anzog, welche er seit ewigen Zeiten nicht mehr getragen hatte. Er spreizte die Finger in den Handschuhen, mit denen er fliegen konnte. Danach setzte er den Helm auf, welcher ebenfalls über besondere Fähigkeiten verfügte. Während der Fürst ein Teil nach dem anderen anlegte, betete er darum, dass die Verschwörer die verzauberte Rüstung, welche seine Vorväter in vielen Jahren zusammengetragen hatten, nicht nach seinem Tod gegen den König einsetzen würden. »Gedenket meiner«, sprach er noch einmal gefasst und erfreute sich innerer Ruhe, »denn ich hätte es mir auch einfacher machen und mich den Verrätern anschließen können.« Als er später im Spiegel den Sitz der Rüstung überprüfte, sprach er: »Aber ich habe mich für den schwierigeren Weg entschieden ... ... um zu beweisen, dass es in Aglirta immer noch Männer
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gibt, welche des festen Glaubens sind, dass es sich für die Einheit des Reiches zu kämpfen lohnt!« Zum Schluss nahm er den Streitkolben und summte dabei ein Lied, welches er von seinem Vater gehört hatte, wenn der in die Schlacht gezogen war. Das Lied fand ein plötzliches Ende, als ein Donnerschlag ertönte, die Tür aufplatzte und es nach Feuer und Magie roch. »Ergebt Euch uns, Kardassa!«, brüllte Adeln hinter dem Feuerwall zu dem Fürsten herüber. »Und dann könnt Ihr uns auch gleich diese Waffenkammer überlassen, zu welcher Ihr uns freundlicherweise geführt habt.« Das Haupt der Verschwörung sah sich um. »Der Falkenspeer, der rechtmäßig mir gehört, muss sich doch irgendwo hier befinden ... Und ist das dort drüben nicht der gehörnte Helm von Tarlagar?« »So wie mein Großvater Eurem Großvater den Speer abgenommen hat«, erwiderte Kardassa, »mögt Ihr nun versuchen, ihn mir abzunehmen – falls Ihr Euch das getraut.« Sofort nach dem letzten Wort eilte er zur Seite, um den Blitzen zu entgehen, welche nun aus der Flammenwand fegten. »Genau das werden wir jetzt tun«, ließ sich Tarlagar vernehmen. Das Feuer teilte sich wie ein Vorhang, und schon zeigten sich die Verschwörer in breiter Reihe. »Freut Euch schon auf einige Überraschungen, welche wir für Euch vorbereitet haben.« Kardassa erblickte einen seiner vertrauten Magier bei den Verschwörern und wusste, dass sein Ende unabwendbar war und furchtbar ausfallen würde.
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Er schlug auf einen versteckt angebrachten Gong, und das ließ den verräterischen Zauberer laut auflachen. »Ruft Ihr etwa andere, Krähe von Kardassa, auf dass sie Euch beim Sterben Gesellschaft leisten? Wie überaus selbstsüchtig von Euch!« Der Fürst hatte den blonden jungen Mann aus dem Heer der arbeitslosen kleinen Magier bei sich aufgenommen, um ihm voranzuhelfen und die Gelegenheit zu geben, sich weiter zu entwickeln. Doch dabei hatte er anscheinend eine Natter an seinem Busen genährt. Wie so viele Fürsten musste auch er die Erfahrung machen, dass man Zauberern nicht trauen darf. Die Leibwächter der Verschwörer rückten jetzt mit geschlossenem Visier gegen ihn vor. Der Fürst unternahm nichts, bis sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren. Dann trat er auf einen bestimmten Stein. Drei schwere Fallgitter lösten sich von der Decke und spießten mit ihren spitzen Enden jeden auf, welcher sich nicht rasch genug in Sicherheit bringen konnte. Fünf Gepanzerte fielen ihnen zum Opfer. Einer wurde jedoch nur leicht verletzt und konnte sich befreien und zu den Herren zurückhumpeln. Diese aber kümmerten sich nicht um ihn und würdigten die schreienden Aufgespießten keines Blickes. Stattdessen riefen die beiden Zauberer: »Angriff!« Drei Ritter traten vor und liefen an den Leibwächtern vorbei, welche jetzt endgültig ihr Leben aushauchten. Kardassa ballte die Fäuste in den Zauberhandschuhen. Die an den Knöcheln angebrachten Edelsteine leuchteten auf, und aus der Luft erschienen Schilde, welche langsam um den
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Fürsten kreisten. Als der erste Gegner auf wenige Schritte herangerückt war, bediente sich der Burgherr des anderen Zaubers seiner Handschuhe. Er stieg in die Lüfte auf, übersprang den Mann und schlug ihm im Überflug aufs Haupt. Der Streitkolben dellte den Helm ein, der Ritter taumelte zurück, und Blut strömte über seine glänzende Rüstung. Die beiden anderen Gegner stürmten auf die Stelle zu, an welcher Kardassa eben landete. Doch der sprang gleich wieder in die Höhe. Derweil wurden weiter hinten Beschwörungsformeln gesungen. Der Tersept, welcher seine Zauberkünste bislang geheim gehalten hatte, und der falsche Magier an seiner Seite zeigten auf die Waffen an den Wänden. Kraft des Willens dieser beiden lösten sich Schwerter, Äxte, Keulen und Lanzen von ihren Halterungen und schwebten in Richtung des Fürsten, bis die Luft voll von ihnen war. Die Krähe wusste, was die Stunde geschlagen hatte, und sank auf den Boden zurück – mitten zwischen die drei Ritter. Die Schilde umkreisten ihn immer noch, und die Gegner hieben verbissen auf diese ein. Die beiden Zauberer warteten mit wachsender Ungeduld, dass ihre Kämpfer beiseite traten. Doch als das Schwertgeklirr nach einigen Minuten immer noch nicht erlahmen wollte, gaben die beiden das Warten auf. Sie sandten die von der Wand genommenen Waffen in das Getümmel und scherten sich nicht darum, ob Freund oder Feind getroffen wurde. So starben drei Ritter der Verschwörung, weil deren
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Häupter sie für entbehrlich hielten. Die beiden Zauberer und die beiden Fürsten starrten auf die Stelle, wo inmitten eines kreisenden Schildschirms ihr Feind immer noch aufrecht stand. Er war an mindestens einem Dutzend Stellen getroffen worden, aber nicht entscheidend, ja, es gelang ihm sogar, einige der fliegenden Waffen auf einen neuen Kurs durch die Fallgatter zu schicken. Die eine oder andere kam sogar durch und näherte sich dem Quartett, welches hastig Banne aussandte, diesen Stahl zu zerpulvern. Unvermittelt flog zwischen den Waffenhaken eine Tür auf, und Soldaten mit dem Wappen Kardassas stürmten herein. Sie wurden jedoch rasch von den fliegenden Speeren niedergemäht. Die beiden Zauber lachten wie Wahnsinnige, und der letzte von Kardassas Getreuen fiel. Seine Soldaten hingen jetzt wie Trophäen an der Wand – aufgespießt von Speeren und Lanzen. Der Burgherr zischte einen Befehl, und aus den Türen wuchsen neue Klingen, welche auf die Feinde zusausten. Adeln verlor seinen halben Ellenbogen, und Ornentar drang ein Schwert tief in die Seite ein. Die Zauberer traten rasch hinter die beiden Edlen, sahen sich sorgfältig nach neuen fliegenden Gefahren um und hoben dann gemeinsam die Hände. »Sterbt, Ihr elender Wurm!«, drohte der Tersept, so als habe Kardassa ihm erst Treue geschworen und ihn dann schändlich im Stich gelassen. Der Burgherr schwebte wieder in der Luft, aber nicht aus
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eigenem Antrieb. Mit seinen magischen Handschuhen kämpfte er gegen die stärkeren Zauberkräfte an. Schon sausten Speere und Dolche heran und drangen in ihn ein, bis er wie gespickt aussah. Darlassitur von Sirlptar sandte ihm einen Heilbann, aber nicht etwa, um ihm die Schmerzen zu linden, sondern um ihn für neue Qualen am Leben zu lassen. »Sprecht, alte Krähe«, höhnten die beiden Magier, während sie mit geschickten Handbewegungen dafür sorgten, dass sich die Waffenspitzen in Kardassas Wunden drehten. »Verratet uns, was Ihr hier noch an Bannen und Waffen aufbewahrt, damit wir das gegen den König einsetzen können.« »Niemals ...«, ächzte der Burgherr. Lange Schneiden schlitzten ihm den Bauch auf, und seine Innereien fielen heraus. »Verratet es uns, und wir wollen Eure Leiden beenden«, rief Ilisker Baerund. »Wenn Ihr uns aber weiter trotzt, werden wir Euch endlos lange quälen.« »Welche Zauber habt Ihr hier verborgen?«, verlangte der Tersept noch einmal zu erfahren. »Ja, sagt es uns, Kardassa!«, rief auch Adeln und hielt sich den Ellenbogen. Die Blutung wollte trotz des Verbandes nicht aufhören. Die Antwort des Fürsten war nicht zu verstehen und ging in einem Blutschwall unter. Dann verdrehte er die Augen, als könne er sich nicht länger bei Bewusstsein halten. Verärgert setzte Darlassitur einen weiteren Heilzauber ein. Der Schwall endete, und der Schwebende hustete nur noch. »Ich besitze noch sehr viel Magie«, erklärte der Burgherr. »Aber die werdet ihr niemals finden, ihr wertlosen Hunde,
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ihr Verräter an –« Weiter kam er nicht, denn die Zauberer misshandelten ihn wieder mit Klingen, welche wie Pflugscharen durch sein Fleisch schnitten. »Ich ... ich ... arrgh ...« Kardassa versuchte, noch mehr zu sagen, aber dann fiel sein Kopf zur Seite, und sein Körper wurde schlaff. Während sie alle auf den Sterbenden starrten, bemerkte niemand den Krieger, welcher vorhin von den Fallgittern verwundet worden war und sich nun erhob. Er trat hinter den Magier Darlassitur und stach ihm sein Schwert in den Nacken. Der Hauszauberer von Kardassa starrte verwirrt auf den toten Fürsten, welchen er schändlich verraten hatte, und brach zusammen. Der tapfere Soldat aber legte sich rasch wieder zwischen die Balken des Fallgitters und täuschte erneut seinen Tod vor. Der Tersept fluchte, denn kein Heilzauber vermochte die gebrochenen Augen des Burgherrn wieder sehend zu machen. »Macht ihn wieder lebendig!«, verlangte Adeln und baute sich drohend vor Baerund von Tarlagar auf. »Ich will seine Geheimnisse erfahren!« Der Tersept lief vor Zorn rot an und hob eine Hand, als wolle er den nächsten Fürsten niederstrecken. Adeln war vernünftig genug, zurückzuweichen, bebte aber vor Verdruss. »Das geht nicht«, erhielt er von Tarlagar zur Antwort. »Weder Darlassitur noch ich sind in der Lage, einen Toten zu erwecken. Dazu bedarf es schon eines Dwaers oder weiterer Magier zu unserer Unterstützung.«
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»Dann war dies alles umsonst ...«, stöhnte Adeln. »Nicht unbedingt. Wir haben all die Waffen hier, und das Fürstentum Kardassa gehört jetzt uns. Wir können alle seine Burgen, sein Geld und seine Soldaten in unserem Kampf gegen den Inhaber des Flussthrones einsetzen.« Erst jetzt bemerkte der Tersept den Soldaten, welcher sich eben mit einer nur leichten Verletzung unter dem Fallgitter hatte retten können, und sandte ihm gnädig einen Heilzauber. Dann aber fiel sein Blick auf den getöteten Zauberer am Boden, und er beäugte den Soldaten misstrauisch. Unter seinem Tarnhelm fing der Mann, bei dem es sich in Wahrheit um Craer handelte, an zu schwitzen, und er griff heimlich nach seiner Waffe. Wenn er sich vor einem Zauber schützen wollte, musste er schnell und zielsicher werfen. »Ja, Ihr habt schon Recht«, gestand Adeln ein. »Aber wir hätten so viel mehr erreichen können, wenn Kardassa sich uns angeschlossen –« »Und noch besser wäre es«, unterbrach ihn Ornentar, »wenn der Auferstandene König selbst zu uns gekommen wäre und uns gebeten hätte, ihn von der Last des Thrones zu befreien.« Der Tersept und Ornentar sahen sich an und schüttelten den Kopf. Dann fuhr Letzterer fort: »Solche Gedanken auszusprechen, ist nichts als Zeitverschwendung. Kardassa ist tot, und sein Reich liegt offen vor uns. Nehmen wir uns, was uns gefällt. Oder habt Ihr das Plündern und Schänden nie gelernt?« Adeln seufzte und ließ den Blick über die Toten schwei-
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fen. »Was hätten wir nicht noch alles von ihm bekommen können ...« Nach einem Moment des Nachdenkens wandte er sich übellaunig an den Tersepten. »Dann wendet wenigstens einen Zauber dafür auf, dieses Aas hinauszuschaffen.« Ihm schien ein weiterer Einfall zu kommen: »Wir spießen ihn auf eine Lanze auf, in dem Tor, durch welches wir eingeritten sind – als Warnung an alle, welche immer noch Treue zu den Kardassas verspüren.« »Das ließe sich machen«, erklärte der Magier. »Doch zuerst will ich mich um Ornentar kümmern.« Adeln nickte und wandte sich ab, und so kam es, dass keiner der Verschwörer zu der Wand schaute, an welcher die Soldaten des Fürsten aufgespießt hingen. Einer von ihnen regte sich jetzt und hob lächelnd eine Hand, in welcher sich ein runder Stein befand. Aus diesem strömten helle Strahlen an die Decke. Die Strahlen trafen auf zwei andere Steine von ähnlichem Aussehen, und die Verschwörer schrien überrascht auf, als die drei Dwaer-Steine im Gleichklang pochten. Energiestrahlen rasten aus ihnen durch die Balken der Fallgitter und stachen in die Fürsten und den Tersepten. Der Krieger nutzte den Moment, um seine Klinge auf den Tersepten zu schleudern. Doch der wurde bereits vorher von einem Strahl getroffen und sank zu Boden. Die Klinge sauste durch die Luft und knallte klirrend an die gegenüberliegende Wand. Ornentar drehte sich um die eigene Achse und glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Doch da erschien aus dem Nichts ein grünes Leuchten und hüllte ihn wie ein Man-
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tel ein. Dieser zischte und krabbelte wie ein Schlangennest. Darunter richtete Ornentar sich wieder gerade auf, und die schützende Hand eines Schlangenpriesters beförderte ihn an einen anderen Ort. Der Mann an der Wand richtete alle Strahlen auf Ornentar, doch der Verschwörer war schon verschwunden und hatte dem Tod ein Schnippchen geschlagen. Jetzt stand nur noch der Krieger da, und er und der Mann an der Wand sahen sich an, bis Letzterer schließlich gebieterisch sagte: »Gehabt Euch wohl, Craer. Ihr habt Euch hervorragend als Mitarbeiter bewährt. Vielleicht sollte ich Euch dennoch in Zukunft Eure Aufgaben deutlicher stellen.« Der Zaubersteine Glanz umhüllte Craer. Der Mann an der Wand stieg von dieser herunter und rief die Dwaer-Steine zu sich. Die Waffen lösten sich aus den tödlichen Wunden der Leichen und kehrten an ihre angestammten Plätze zurück. In ihrer Mitte lächelte der Mann und verwandelte sich in Inderos Sturmharfe zurück. »Ihr seid alle Narren.« Er schüttelte den Kopf und löste sich langsam auf. Einen Moment später vergingen die Waffen ebenfalls und folgten Sturmharfe. Nach einer Weile war die Gruft vollkommen leer. Dieser Zustand hielt nur drei Herzschläge lang an, dann stürmten von überall Krieger mit dem Wappen von Adeln oder Ornentar herein. Sie schwangen ihre Waffen, hielten dann aber verwirrt inne, weil sich in dieser verwünschten Burg so gar nichts mehr
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finden ließ. In ihrer Hast, die Herrschaften zu finden und sich neue Befehle geben zu lassen, bemerkten sie die Papiere nicht, welche vom Luftzug hochgewirbelt wurden. Dies in einem Esszimmer, in welchem die Kerzen verlöschten und der Wein und das Brot nicht angerührt worden waren. Sie schwebten langsam zu Boden zurück, und einige von ihnen trugen Randnotizen von Fürst Kardassa. Dabei handelte es sich um die Namen der Verschwörer und ihre Vorhaben. Vielleicht konnten diese ja noch irgendwie dem König zugestellt werden.
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Im Tal braut sich ein Sturm zusammen C Die vier Gefährten standen im Schatten unter alten Bäumen am Wegrand und betrachteten die sonnenbeschienenen Hänge. Genauer gesagt schauten sie an einer zerfallenden Wand vorbei, welche Gräber, Grüfte und Grabsteine umschloss, hin zu einem ihnen bekannten Steingebäude, von welchem aus man einen weiten Blick auf den Strom hatte. Das Schweigende Haus sah noch immer genau so aus, wie sie es verlassen hatten: Die Eingangshalle war eingestürzt und hatte viele Krieger Silberbaums unter sich begraben. Bislang schien sich niemand die Mühe gemacht zu haben, sie zu bergen. Den Vieren blieb es jedoch erspart, sich durch diese Trümmer kämpfen zu müssen – denn das Haus verfügte über etliche weitere Eingänge. Mit denen musste man sich allerdings auskennen, sonst endete man unweigerlich in einer tödlichen Falle. »Na, wenigstens kein weiterer Gasthof«, stöhnte Raulin in
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gespielter Erleichterung. Die anderen sahen ihn voller Mitleid an. Schließlich wusste der Knabe ja nicht, welche Gefahren hier lauerten. Embra wandte sich an Sarasper und fragte ihn leise: »Ich hoffe, Ihr kennt einen sicheren Zugang. Ich zermartere mir das Gehirn, aber mir will nichts einfallen.« Der Heiler lächelte. »Gewiss doch, Herrin. Durch jene Gruft dort drüben.« Damit setzte er sich auch schon in Bewegung. »Beeilung bitte, Herrschaften«, drängte der Alte, als die anderen ihm nicht gleich folgten. »Ich möchte gern das Innere des Hauses erreichen, ehe schon wieder wild gewordene Banden über uns herfallen und uns auf der Suche nach Zaubersteinen mit ihren Schwertern durchlöchern.« Die Herrin nickte. Sie hatten in den Schänken einen Köder ausgelegt und durften sich nicht wundern, wenn jetzt danach geschnappt wurde. Dabei hatten sie sich die Leichtgläubigkeit der Bewohner Aglirtas zu Nutze gemacht. Die gierten ständig nach neuen Geschichten über Schurkenstreiche der Fürsten und grausame Riten der Schlangenpriester. Auf Anweisung der Gefährten hatte Raulin im letzten Gasthaus ein paar Bemerkungen fallen lassen. Darüber, dass seine Gefährten gute Bekannte des neuen Königs seien ... Dass sie ihn sogar aus seinem langen Schlummer geweckt haben sollten ... Dass sie nun auf dem Weg zum Schweigenden Haus seien, dem Untergang des ganzen Geschlechtes der Silberbaums, um dort den sagenhaften letzten Dwaer zu finden ... Und die geheimnisvollen Schwerter der Verlorenen, mit
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deren Hilfe das Reich für alle seine Feinde unüberwindlich würde ... Der Knabe hatte dann im Gegenzug eben solche absonderlichen Geschichten zu hören bekommen: Dass der Fluch des Schweigenden Hauses Embra Silberbaum bereits in ein widerwärtiges Ungeheuer verwandelt habe, das sich auf einer Schleimspur vorwärts bewege ... Dass Embra, kaum dass sie das Schweigende Haus betreten, einen ihrer Gefährten bei lebendigem Leib aufgefressen habe ... Dass die beiden anderen sich in den tiefsten Kellern vor ihr versteckten ... Ein fahrender Händler trumpfte mit der Neuigkeit auf, dass die Viererbande bereits zwei der Schwerter der Verlorenen an sich gebracht habe. Das habe keinen geringeren Zauberer als Bodemmon Sarr auf den Plan gerufen. Er sei in das Schweigende Haus eingedrungen, habe die Riesenschnecke Embra in eine schöne Frau verwandelt und sich gleich mit ihr gepaart ... Die letzte der Silberbaums trage nun seine Leibesfrucht in sich. Dieses Ungeborene sei bereits in der Lage, Banne zu verschleudern, wie die Welt sie noch nicht erlebt habe ... Nun wollte sich natürlich keiner in der Schänke lumpen lassen, und jeder versuchte, die anderen zu übertrumpfen. Der Erste behauptete, das Kind des Bodemmon und der Embra vermöchte sich in alle Arten von Untieren zu verwandeln ... Nein, widersprach ein Zweiter, es träte ganz nach seinem Willen mal als Frau und mal als Mann auf ... Der Dritte schrie die beiden nieder, dass der Kleine, kaum
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dem Mutterleib entkrochen, schon den Flussthron besteigen würde, um dann mit den Schwertern der Verlorenen alle Fürsten und falschen Könige niederzumähen ... Als Raulin den Gefährten davon berichtete, hatte er sich kaum zwei Sätze lang ernst halten können. »Da habt Ihr was gelernt«, brummte Hawkril, »denn auf solche Weise finden Barden den Stoff für ihre Lieder. Sie schreiben sich all diesen blühenden Unsinn auf und fügen ihn in Reimform.« Während die Vier sich auf das Haus zubewegten, zeigte sich plötzlich ein Schimmern vor ihnen in der Luft. Der Hüne streckte die Arme aus und schickte zur Linken Raulin und zur Rechten Sarasper in den Straßengraben, damit sie in Sicherheit wären. Das Flimmern verdichtete sich zu einem Lichtvorhang, und aus dem stolperte ein Mann in einer viel zu großen und daher klappernden Rüstung. Nach zwei Schritten fiel er der Länge nach hin und rollte den restlichen Weg zu den Gefährten. »Craer!«, rief der Recke da aber schon und lief zu dem Beschaffer, um ihm aufzuhelfen. »Ihr lebt noch!« Beim Rollen waren ihm fast alle Teile der Rüstung abhanden gekommen, und in seinem Unterzeug sah er mehr als erbärmlich aus. »Ja, scheint so, als wäre ich noch am Leben«, entgegnete der Beschaffer. »Dabei habe ich haufenweise Zauberer und Fürsten vom Leben zum Tod befördert, und das macht durstig. Dir habt nicht zufällig –« »Nehmt das hier!« Raulin bot ihm eine Feldflasche an, welche er im letzten Gasthof mit dem Wein gefüllt hatte, den
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er nicht mehr hatte trinken mögen. »Wer seid Ihr denn?«, fragte Craer zwischen zwei Schlucken. Der Knabe richtete sich zur vollen Größe auf: »Raulin Tilgbar Burgmäntel, wenn es beliebt. Der Sohn des Sängers Helgrym.« »Tatsächlich? Ihr seht aber ein bisschen zu alt aus, als dass Embra Eure Mutter sein könnte. Andererseits, wenn man so verfolgt, wie sie rangeht ...« »Das reicht jetzt, Craer«, warf die Edle eisig ein. »Gebt dem Jungen lieber seinen Wein zurück, ehe Ihr ihm noch alles weggetrunken habt.« Sie berichtete ihm, welche Abenteuer Raulin mit ihnen bestanden und wie er ihnen in mancher Notlage beigestanden hatte. »Und jetzt überlege ich schon die ganze Zeit«, schloss die Herrin der Edelsteine, »wie wir uns höflich und in Freundschaft von ihm trennen können, ehe wir diese Todesfalle dort betreten und uns fortan gegen alle Glücksritter des Reiches zur Wehr setzen müssen.« »Wie bitte, edle Dame!«, rief der Knabe. »Das kann doch wohl nicht Euer Ernst sein! Es ist noch viel zu früh, uns zu verabschieden! Nicht jetzt schon, bitte ...« »Richtig, das Beste kommt ja erst noch«, sprach der Beschaffer, »wenn Euch nämlich jemand mit seinem Schwert die Eingeweide herausschneidet ... und wenn es dann dunkel wird, und die Wölfe vom Blutgeruch angelockt werden.« »Ihr wollt mir nur Angst einjagen!«, beschwerte sich Raulin. Der Beschaffer trat zu dem Knaben, der ihn fast an Kör-
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pergröße übertraf. »Aber woher denn, so etwas würde ich doch nie tun!« »Ihr ... Ihr seid ja so gemein!«, erregte sich der Junge. Craer verpasste ihm spielerisch einen Kinnhaken. Der reichte allerdings aus, um den Knaben zurück in den Straßengraben zu befördern. »Craer!«, empörte sich Embra. »Wie könnt Ihr den Jungen denn so schlagen?« »Weil er sonst hinter uns hergeschlichen wäre«, antwortete der Beschaffer. »Und so sicher, wie der Strom das Meer findet, hätte ihn irgendein Zauberer erwischt, um ihn gegen uns einzusetzen oder ihm die Kehle durchzuschneiden.« Er grinste seinem Freund Hawkril zu und meinte dann noch: »Außerdem hat der Knabe meine Größe. Ich habe also keinen Kleineren geschlagen.« Die Herrin verdrehte die Augen. »Schön, dass Ihr wieder bei uns seid.« »Habt Ihr mich so sehr vermisst?« »Ja, ungefähr so wie einen Furunkel am Hintern.« »Oho, während meiner Abwesenheit hat das adlige Fräulein gelernt!« »Leider müssen hier andere noch viel mehr als Embra lernen«, warf Sarasper ein. Sie trugen den Knaben in ein Dickicht und verbargen ihn dort vor allen Blicken. Das kostete die Edle ein Figürchen und dann noch eins, um Craer die gewohnten Messer zurückzugeben. Die Gefährten liefen dann vorsichtig zum Schweigenden Haus. Nicht alle Zecher in den Schänken waren harmlose Schwätzer. Einige schienen tatsächlich willens, sich persönlich
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auf den Weg zu machen. Als sie auf der letzten Höhe vor dem Bauwerk standen, bemerkten sie dann tatsächlich einen behelmten Kopf. Der zog sich aber sofort in seine Deckung zurück, als er sah, dass er erkannt worden war. Hawkril und Craer sahen sich nur kurz an und schlichen dann schon auf das Versteck des Beobachters zu. »Schon wieder Blutvergießen?«, stöhnte Sarasper. »Gibt es für die beiden denn nichts anderes?« »Für sie ist es nur ein Spiel«, entgegnete die Edle. Sarasper knurrte nur, bückte sich und trat in eine Grabkammer voller Spinnweben. Dort bewegte er sich auf den Steinsarg in der Mitte zu. Er griff dort in einen Hohlraum an der Seite und entfernte das Fuchsskelett, welches er als Zeichen zurückgelassen hatte. Endlich ertasteten seine Finger einen Hebel und zogen daran. Als eine Steinplatte zur Seite fuhr, erhob er sich wieder. »Wo bleiben diese beiden schwertschwingenden Narren?«, schimpfte Sarasper. Embra lächelte und nickte nach draußen. Dort klirrte jetzt Stahl auf Stahl. Dann ertönte ein erstickter Schrei, und gleich darauf hörte man schweres Brechen durch Ranken und Zweige. Einen Moment später kam Craer in Sicht. In der einen Hand hielt er eine Flasche, und mit der anderen hatte er Dolche und Schwerter mitsamt ihren Scheiden zusammengerafft. »Trinken und Spielsachen!«, rief er den Freunden fröhlich zu. »Kommt Hawkril noch, oder habt Ihr den unterwegs ver-
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loren?«, fragte Sarasper ungehalten. »Nein, wir haben uns getrennt. Der Große räumt drüben mit einer anderen Bande auf. Die kochen gerade etwas auf einem Lagerfeuer.« Sarasper nahm die erbeutete Flasche entgegen, roch daran, zerrieb zwei Tropfen zwischen den Fingern und schien endlich zufrieden gestellt zu sein. »Das gefällt Euch wohl nicht, meine Dame?«, erkundigte sich Craer übertrieben besorgt, als er bemerkte, wie Embra das Gesicht verzog. »Hätte unser Haudrauf nicht warten können, bis die Burschen das Frühstück fertig zubereitet hätten?«, erwiderte die Edle. Zur Betonung ihrer Worte knurrte prompt ihr Magen, und der Beschaffer meinte: »Der wahre Fluch, welcher auf den Silberbaums lastet – die maßlose Völlerei.« »Wenn ihr zwei fertig seid mit euren Albereien, könntet Ihr mir damit helfen, diese Steinplatte hier hochzuheben«, sprach Sarasper leicht griesgrämig. »Oh, sucht Dir nach besonderen Leckereien, vielleicht Knochensuppe?«, entgegnete der Kleine. »Einfach nur hier schieben«, forderte der Alte ihn auf, ohne weiter auf seine Bemerkung einzugehen. Craer ließ sich davon nicht die Laune verderben und kam der Aufforderung nach. Als sie die Steinplatte ganz beiseite geschoben hatten, kam darunter der Einstieg zu einem dunklen Gang zum Vorschein. Plötzlich raschelte es hinter ihnen, und alle drei fuhren herum. Doch von draußen kam nur Hawkril herein.
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Lächelnd hielt er ihnen eine große Bratpfanne hin, die mit Fisch und Hasenstreifen gefüllt war ... und noch wohl duftend zischte. »Habt Dir je eine solche Pfanne gesehen?«, rief der Recke. »Die kann man ja als Schild einsetzen.« »Groß genug jedenfalls, um dort ein ganz bestimmtes Wild zu braten.« Sarasper stieß beziehungsreich Craer in die Seite. Der Beschaffer warf einen prüfenden Blick auf das Essen. »Hawkril und ich haben schon gegessen, und da sollten wir doch unserem Hungerhaken hier eine Freude machen.« »Ehrlich, alles für mich?«, rief Embra. Dazu knurrte ihr Magen nochmals, und die drei anderen hielten sich den Bauch vor Lachen. Der Hunger erwies sich als stärker als die Lust, es diesen Burschen heimzuzahlen. Sie griff in die Pfanne und schloss nach dem ersten Bissen genießerisch die Augen. Sie stöhnte genüsslich, während sie sich ein Stück nach dem anderen in den Mund schob. Embra leckte sich immer noch die Finger ab, als der Hüne mit der mit Gras gereinigten Pfanne zurückkehrte. Hawkril fragte: »Ich nehme an, ihr habt zwischenzeitlich einen Eingang ins Haus gefunden ... und dass dieser sich als zu klein und zu eng für mich erweist, oder?« »Natürlich«, bestätigte der Alte. »Die Erbauer suchten schließlich nach einer Möglichkeit, ihre Geheimwege für die Mitglieder der Familie Silberbaum zu sperren.« »Was soll das denn heißen?«, ärgerte sich die Fürstentochter. »Hackt Ihr jetzt auch schon auf meiner Figur herum?« Einen Moment später hatte der Beschaffer eine Lampe entzündet. Embra warf einen Blick auf Hawkril, der oben
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zurückbleiben würde. »Lassen wir diesen Eingang offen, oder sollten wir nicht besser ...« »Wenn wir alle in dem Gang sind«, teilte Craer ihr mit, »schiebt Hawkril die Steinplatte wieder darüber.« »Lasst mich doch vorbei, Ihr junger Spund«, schimpfte der Heiler, weil es nicht voranging. »Und kommt mir unten nicht zu nahe. Und passt auf diese Flasche hier auf – aber ohne sie auszutrinken!« »Wie bitte ... oh!« Craer nahm alles entgegen und verfolgte, wie der Alte sich unten im Gang in einen Langzahn verwandelte. »Draußen wimmelt es von Glücksrittern und Schatzsuchern«, bemerkte Hawkril. »Gut möglich, dass die eine oder andere Gruppe bereits einen Weg hinein gefunden hat.« »Allmählich gelange ich zu der Überzeugung«, meinte Embra, »dass es genauso blöd ist, hier unten nach einem Dwaer zu suchen, wie das offene Land danach abzuklappern.« »Wie, es behagt Euch nicht, von Schänke zu Schänke zu ziehen?«, fragte Craer. »Wenn ich es recht verstanden habe, haben Eure Auftritte dort doch mindestens in einem Fall größten Erfolg erzielt.« »Mein lieber Freund«, schnaubte die Herrin, »ich habe wohl kaum so viele Leute zu Tode befördert wie unser großer Freund da draußen. Davon abgesehen haben wir nicht den Hauch eines Dwaers gesehen. Und darüber hinaus kann ich es nicht leiden, wenn nachts jemand mit gezogenem Schwert in mein Zimmer eindringen will!« Als der Beschaffer zu einer neuen Entgegnung ansetzte, kam aus dem Dunkel eine behaarte Klaue und schlug ihm hart auf die Schulter.
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»Ruhe!«, zischte der Langzahn. »Und Hawkril soll versuchen, mitzukommen.« Damit verschwand er wieder. Die beiden Gefährten machten Platz, und der Hüne quetschte sich durch die schmale Öffnung. Im Gang kam er etwas besser voran. Sie schlichen vorsichtig vorwärts und schwiegen, bis Sarasper zu ihnen zurückkehrte. »Einen Umhang, rasch, mir ist kalt.« »Könnte vielleicht damit zu tun haben, dass Ihr Euch vorhin ausgezogen habt«, bemerkte Craer. »Vielleicht sollten wir jemand Jüngeren nehmen, dem es nicht ganz so viel ausmacht, nackt herumzulaufen – Embra, sagt ...« »Was habt Ihr herausgefunden?«, fragte die Edle aber und zog dem Beschaffer heftig an den Ohren. »Bis jetzt habe ich sechs Eindringlinge entdeckt, welche in einer der Todesfallen ihr Ende gefunden haben. Zwei weitere hat ein Langzahn erwischt. Und mindestens vier müssen noch irgendwo im Haus herumirren.« »Gefährliche Biester, diese Langzähne«, stellte Hawkril ohne sichtbare Regung fest. »Wollt Ihr, dass Craer und ich mitkommen?« Der Heiler schüttelte den Kopf und zog sich die Stiefel wieder an. »Die laufen sich früher oder später ohnehin über den Weg. Wir müssen nur etwas warten, dann haben wir es nur noch mit einem oder zweien zu tun, und so –« Er unterbrach sich plötzlich und hob warnend eine Hand. Dann lauschte er mit einem Ohr an der Wand und winkte den Hünen zu sich heran. Als Hawkril neben ihm stand, bedeutete Sarasper ihm, mit der Lampe eine bestimmte Stelle zu beleuchten. Nachdem er
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diese gefunden hatte, blies er das Licht des Recken aus. Craer verbarg derweil seine Lampe unter seinem Umhang, und der alte Heiler drückte auf eine andere Stelle in der Wand. Als sich ein Stein verschob, stieß Hawkril auf Saraspers Zeichen hin seine Klinge in die Lücke. Sie stieß auf Widerstand, und der Hüne musste kräftig daran ziehen, um sie wieder frei zu bekommen. Nachdem Sarasper die Lücke wieder geschlossen hatte, hielt Craer seine Lampe über das riesige Schwert. Die Klinge war über eine Länge von zwei Fuß mit Blut bedeckt. »Wahrlich ein gefährlicher Ort, dieses Schweigende Haus«, bemerkte der Heiler. »Ja wirklich, ein Ort der Gefahren«, erklärte der Kaufmann mit den weichen Gesichtszügen hart. »Deswegen hat man Euch ja auch so gut bezahlt.« Er schaute sich um. »Ich sorge dafür, dass meine Herren von der Anwesenheit der Viererbande erfahren. Ihr geht schon einmal hinein.« Und als es ihm nicht flott genug ging: »Nun, auf mit Euch, beim Geldempfang habt Ihr doch auch nicht gezögert. Oder soll ich melden, dass ich einen Feigling mitgenommen habe?« Der Mann mit der Narbe im Gesicht und dem Schwert in der Hand knurrte nur und betrat geduckt den Eingang in einer Seitenwand des Schweigenden Hauses. Der Kaufmann trat einen Schritt zurück und machte sich schon darauf gefasst, gleich einen Todesschrei zu vernehmen. Doch der blieb aus.
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Als er zur Seite trat, sauste ein Pfeil heran und riss ihn von den Füßen. Ihm spritzte das Blut aus der Kehle, und mit einem Ausdruck völliger Verständnislosigkeit lag er dann auf dem Boden. Der Mann, welcher sich kurz darauf über den Leichnam beugte, fragte nur: »Einer von Adelns Leuten?« »Kaum«, entgegnete sein Kamerad. »Der steht eher im Auftrag eines der kleinen Fürsten flussabwärts. Die liegen sich doch alle ständig gegenseitig in den Haaren.« »Ja, und sie wissen nicht, dass sie in Wahrheit das Geschäft der Schlangen besorgen.« »Unser Herr ist wenigstens so – arrgh!« Ein ausgebildeter Würger braucht für gewöhnlich nicht viel Zeit, um seine Arbeit zu verrichten. Aber sein Opfer strampelte noch, als dem Mörder von hinten ein Dolch durch den Rücken fuhr und an der Brust wieder austrat. Würger und Opfer brachen beide über dem toten Kaufmann zusammen. Derselbe Dolch senkte sich nur einen Moment später in das Gesicht vom Kameraden des Opfers, und eine Stimme bemerkte: »Langsam muss hier wegen Überfüllung geschlossen werden.« »Na ja«, sprach eine gedämpfte Stimme und schlang dem Mann mit dem Dolch eine Würgeschnur um den Hals, »es kommt ja auch nicht jeden Tag vor, dass Dwaer-Steine und andere Kostbarkeiten zu erwerben sind.« Ein weiterer Bote entfernte sich, um seinem Herrn den Fortgang der Unternehmung zu melden. Währenddessen nickten die Überlebenden einander zu und drangen dann in das Haus ein.
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Die Toten blieben unbeachtet zurück, und am Himmel rotteten sich schon die Geier zusammen. Eine Fledermaus, welche in einem Baum saß, beobachtete die Aasfresser. Einen Moment später hob die Fledermaus ab und stieg hinauf in den Himmel – bloß um schon nach wenigen Metern von etwas Silbrigem aufgehalten zu werden und tot zu Boden zu stürzen. Ein Mann trat hinzu und zog seinen Dolch heraus. »Diese Zauberer werden auch immer lästiger«, bemerkte er, während er die Klinge abwischte. »Eine unerquickliche Entwicklung.« Wie ein Schatten schlich der Mann mit dem Namen Samtfuß zu einer Öffnung in der Wand und glitt durch sie ins Haus. Immerhin ging es hier um einen Dwaer, und dafür konnte man einiges in Kauf nehmen. Mit den Goldstücken der Familie Delkamper konnte man sich in Ragalar einiges kaufen. Ganze Straßen samt den in ihnen liegenden Geschäften, die Schiffe, um diese mit Waren zu beliefern, und auch noch die Treue der Männer, all diese Arbeiten zu erledigen – und noch die besten Heilkünste der Dreifaltigkeitspriester von Ragalar dazu. Aus diesem Grund hatte Flaeros Delkamper auch noch nicht das Zeitliche gesegnet – obwohl von ihm kaum mehr als ein Bündel gebrochener Knochen übrig geblieben war. Ein weiterer Tag in Reglosigkeit erwartete ihn in seinem schwer bewachten Krankenlager, welches er nun schon so lange hüten musste. Die Geschichte von seiner Flucht vor den Schlangenpries-
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tern hatte längst in der ganzen Stadt ihre Runde gemacht. Zwei Dutzend Söldner und sein alter Lehrer, der aus dieser Stadt stammende Baergin, hatten die Flucht mit ihrem Leben bezahlt. Auch schon anderenorts erzählte man sich davon, und die Geschichte gehörte zum festen Bestand der Sagen und Heldentaten des Ortes. Jedes Kind konnte sie aufsagen ... wie die Schlangenpriester alle Männer niedergemacht hatten ... wie Delkamper sich nur durch einen kühnen Sprung aus großer Höhe auf einen Mistkarren hatte retten können ... Wie die verfolgenden Schlangenpriester einer Schar Zauberer über den Weg gelaufen waren, welche die Schuppenträger buchstäblich zerrissen hatten ... Alte Männer erzählten diese Geschichte beim Dämmerschoppen, denn ihr gelang es bestens, alle Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Selbst Delkampers Onkel, welche früher verächtlich auf den jungen Springinsfeld hinabgeschaut hatten, weil der lieber mit einer Harfe herumziehen als tüchtig arbeiten wollte, erzählten nun voller Stolz und Begeisterung von seinen Taten. Astalen hatte mit dieser Geschichte sein Glück gemacht. Der Müllkutscher hatte den Jüngling aus seinem Karren gezogen und so gerettet. Die Familie Delkamper hatte sich nicht lumpen lassen und ihn reichlich dafür belohnt ... Auch wenn einige behaupteten, Astalen habe den Jungen nur verprügeln wollen, weil der ihm durch seinen Sturz den Müllwagen zertrümmert hatte. Die Delkampers sonnten sich in ihrem neuen Ruhm, wel-
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chen Flaeros ihnen eingebracht hatte. Welche andere Familie konnte sich schon damit brüsten, dass die Schlangenpriester hinter einem der ihren her waren. Weil der Neffe ihnen so viel Reichtum beschert hatte, übernahmen sie die Pflicht, dass immer einer der ihren an seinem Krankenlager wachte. An demselben Tag, an welchem die Viererbande in das Schweigende Haus zurückkehrte, kam ein fahrender Sänger ins Haus der Delkampers und wünschte, zu Flaeros vorgelassen zu werden. Er konnte alle Fragen der Tanten zu ihrer Zufriedenheit beantworten, und so führte man ihn unter Bewachung ans Krankenlager. »Was wollt Ihr hier?«, fragte ihn sofort der Onkel, welcher an der Bettstatt wachte. Der Sänger mit dem Namen Kaulistur Peldratha, ein hübscher junger Mann mit einer einschmeichelnden Stimme und einem angenehmen Wesen, schluckte. »Dem Flaeros Delkamper meine Achtung erweisen, Herr. Er ist schließlich am Hofe des Auferstandenen Königs aufgetreten und hat sogar mit Schneestern gesprochen. Da ist es doch nur recht und billig, dass einer der unseren zu ihm kommt und ihm von den Neuigkeiten in Aglirta kündet.« Nachdem der Onkel ihn einen Moment betrachtet hatte, nickte er nur. Dann führte er den Jüngling über eine Stiege und an etlichen Wächtern vorbei zu einem weiteren Onkel, welcher am eigentlichen Krankenlager ausharrte. Nachdem dieser vernommen hatte, worum es ging, sprach er zu Kaulistur: »Sprecht offen und so, als wenn wir gar nicht
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zugegen wären.« Zögernd grüßte der Sänger den fahlgesichtigen Kranken im Bett, denn er hatte zu jenen gehört, welche den Flaeros einst verhöhnt hatten. Der kranke Fahrensmann trug ihm jedoch nichts nach und hieß ihn willkommen, woraufhin der Jüngling immer freier und flüssiger von den Ereignissen im Reich zu berichten anhub. Kaulistur kündete von den Fürsten, welche sich einer nach dem anderen einer Verschwörung anschlossen. Dann von der Viererbande und ihrer Suche nach den sagenhaften Dwaerindim. Mit Tränen in den Augen raffte sich der Kranke unter Mühen auf und schob ein abgemagertes Bein aus dem Bett. »Ich muss aufbrechen, ich muss dorthin ...« Flaeros fiel entkräftet zu Boden und riss den Besucher mit sich. »Ihr Herren, ich habe ihm kein Leids getan!«, schrie der Jüngling, als sich die Wächter und die Onkel anscheinend auf ihn stürzen wollten. »Nun beruhigt Euch, junger Freund, das wissen wir auch«, brachte ihn einer der Onkel zum Schweigen. »Warum musste unser Neffe auch so töricht sein, in seinem geschwächten Zustand aufstehen zu wollen?« »Seine noch nicht verheilten Knochen haben ihn zu Fall gebracht«, wandte der andere Onkel ein. Die beiden nahmen Kaulistur Peldratha nun in die Mitte und trugen ihn halb zu einem Tisch, auf welchem eine ganze Kompanie Karaffen voll köstlichsten Weines aufgestellt wartete.
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»Nun labt und stärkt Euch erst einmal«, forderte der erste Onkel den jungen Mann auf. Der fahrende Sänger bediente sich und drehte sich dann langsam um. Die Wächter betrachteten ihn grimmig und ließen ihn keinen Moment aus den Augen. Der andere Onkel und einige Priester hoben Flaeros gerade mit äußerster Sorgfalt und Umsicht vom Boden ins Bett zurück. Danach gesellte sich der zweite Onkel zu ihnen an den Weintisch, goss sich ein großes Glas voll und erklärte: »Endlich haben die Delkampers ihren eigenen Barden, einen wahrhaft großen Sänger!«
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Zweiundzwanzig
Wenn Magie sich in Luft auflöst C An immer noch demselben Tag, doch diesmal in Treibschaum, lief ein Mann mit einem gar nicht glücklichen Gesicht durch die langen Flure. Niemand stellte sich ihm in den Weg, und man grüßte ihn voller Achtung und Ehrfurcht; denn bei diesem Mann handelte es sich um den Auferstandenen König. Er liebte das Land Aglirta mit dem Stromtal. Jeder Baum und jede Biegung des Stroms waren ihm ans Herz gewachsen. Aber ihm wollte überhaupt nicht gefallen, was aus den Menschen geworden war, welche dieses schöne Land führten. In den langen Jahren seines Schlafes hatten die sich ständig untereinander bekriegenden Fürsten Aglirta in den Ruin getrieben. Seien diese Edlen nun brutale Schlagetots oder durchtriebene Ränkeschmiede, sie alle verdienten Schneesterns Verachtung. Und noch hatte diese Selbstzerfleischung kein Ende gefunden!
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Nach endlosem Lauf durch die Gänge der Königsburg lehnte sich Kelgrael Schneestern an eines der hohen Fenster, welches noch der schlimmste Fürst von allen hatte einsetzen lassen. Müde schaute der König hinab auf das endlose Band des silbernen Flusses und seufzte. Seit seinem Erwachen hatte sich das Reich noch längst nicht wieder gefestigt. Der Arm Schneesterns reichte gerade so weit, wie der Blick seines Auges. Dabei stand Aglirta das Furchtbarste ja noch bevor: Ein Bürgerkrieg drohte auszubrechen, in welchem dieses schöne Land vermutlich endgültig untergehen würde. Und er konnte nichts tun, um diese Entwicklung aufzuhalten. Dabei würde der Schrecken gar nicht einmal so sehr die Fürsten treffen, und auch nicht die Bürger, welche reich genug waren, sich in Sirlptar einzuschiffen und weit fortzufahren. Nein, die Bauern, Handwerker und kleinen Geschäftsleute würden es wieder einmal abbekommen, all die Menschen, welche die Säulen des Reiches bildeten. Alles, was Kelgrael getan hatte oder noch tun würde, erledigte er in Wahrheit für diese Menschen. Und wenn er sie nicht verteidigen konnte, hatte er im Grund genommen rein gar nichts für sie getan! Der König seufzte wieder und erzählte dem vorbeiwehenden Wind, dass er die Fürsten und die anderen Emporkömmlinge von Herzen verabscheue. Seine Burg war weitgehend verlassen, denn mittlerweile hatte auch der kleinste Höfling erfahren, was bevorstand.
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Viele Fürsten trafen in aller Offenheit Kriegsvorbereitungen, und so hatten sich viele Höflinge auf ihre eigenen Burgen zurückgezogen, um diese gegen alle Feinde zu verteidigen. Andere waren gleich ganz aus Aglirta geflohen, und der König argwöhnte, dass einige von ihnen das nur vorgegeben hatten, um sich in Wahrheit der einen oder anderen Verschwörung anzuschließen. Kelgrael lächelte grimmig, weil er sich vorstellte, wie die einzelnen Parteien sich gegenseitig umbrachten. Wenn er doch nur lange genug leben würde, um mit anzusehen, wer am Ende als Sieger dastünde. Es war nicht auszuschließen, dass es selbst dann noch einen Verräter gäbe, welcher den Sieger hinterrücks erdolchte. Wenn doch nur nicht hinter einem Großteil der Fürsten, Tersepte und reichen Bürger in Wahrheit die Schlange stecken würde. Dass sie für einen überwiegenden Teil des Schadens verantwortlich war, zeigte sich jeden Tag ein Stück deutlicher – denn die Schlange konnte nur deswegen an Stärke gewinnen, weil der Schlafende König erwacht war. Ein leises Geräusch riss Schneestern aus seinen Gedanken. Er fuhr mit grimmiger Miene herum und hatte sein Schwert schon gezückt, noch ehe der Attentäter zur Gänze hinter dem Wandteppich vorgetreten war. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, die verbliebenen Höflinge hätten Treibschaum nur aus dem Grund noch nicht verlassen, weil sie unbedingt noch dem König ans Leben wollten. Zu Kelgraels Glück überfielen sie ihn einzeln. Wenn sie
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sich alle zusammengetan hätten, dann wäre es ihnen bestimmt längst gelungen, Schneestern umzubringen. Aber so hatte er bereits sechs Mörder niederstechen können. Warum sich jedoch mit solchen Gedanken belasten? Ein Mann in vollständiger Rüstung, jedoch ohne sich durch ein Wappen zu erkennen zu geben, stapfte mit einem Schwert in der einen und einem Dolch in der anderen Hand heran, gewillt, den König zu ermorden. »Deswegen bin ich doch nicht erwacht«, erklärte Seine Majestät und tänzelte vor dem schwer gewappneten Gegner hin und her, »dass so viele mich töten wollen.« Doch anders als frühere Attentäter gab der Unbekannte hinter dem geschlossenen Visier keine Antwort. Er griff sofort mit seiner Klinge an und versuchte, die Deckung Seiner Majestät zu durchdringen und ihn in die rechte Seite zu treffen. Als Kelgrael parierte, stach der Mörder ihm seinen Dolch in die andere Seite. Doch die Klinge prallte an der Rüstung unter der Kleidung ab. Mit einem kalten Lächeln drehte der König dem Mann die Dolchhand herum und brachte ihn zu Fall. Er landete auf dem Attentäter, und durch sein Gewicht wurde der Stahl tief in die ungeschützte Achselhöhle seines Gegners getrieben. Blut spritzte aus der Wunde, und der König sprang auf. Er nahm sein Schwert und stach es dem Attentäter zwischen Helmansatz und Brünne in den Hals. Mehr Blut spritzte, und sein Gegner erschlaffte. Donnernd näherten sich die Stiefel der Wächter. Kelgrael wartete nicht auf sie, sondern ging gleich neben
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dem Toten in die Hocke und öffnete dessen Visier. Darunter zeigte sich kein Antlitz, doch bei dem Mann handelte es sich keineswegs um einen der geheimnisvollen Gesichtslosen. Stattdessen erwartete ihn ein Totenschädel, von dem das Fleisch geschmolzen zu sein schien. Die Wächter fluchten, als sie das mit eigenen Augen sahen. Der König aber gab ihnen kein Wort der Erklärung und ließ sie mit dem Leichnam allein. Schneestern verschwand durch die Geheimgänge der Burg, bis er die verborgene Kammer erreichte, in welcher er einst seinen vier Erweckern begegnet war. Dort zog er einen goldenen Zylinder aus seinem Gürtel, drehte die Kappe ab und malte mit dem Leuchtstift bestimmte Zeichen an Türen, Wände und Läden. Danach war der Boden an der Reihe, und schließlich stellte er sich auf einen Stuhl und verzierte in gleicher Weise die Decke. Als er so ausreichend für Sicherheit gesorgt hatte, vollführte der König mit den Fingern eine Geste, welche so manchen Zauberer in Erstaunen versetzt hätte. Nun nahm er den Schwertgurt ab und befreite sich von Armschützern, Brünne und anderen Rüstungsteilen. Jedes Stück trieb in Brusthöhe eines ausgewachsenen Mannes durch die Luft. Nur wenige Bewohner von Aglirta ahnten, um wen es sich bei Kelgrael in Wirklichkeit handelte. Ein wahrer Held, welcher eine Krone auf dem Kopf trug und manche Dinge ein wenig zu einfältig sah. Letzteres rief bei ihm ein bitteres Lächeln hervor. Dann fuhr er damit fort, sich von all dem zu befreien, was er an
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magischen Gegenständen am Leib trug. Von Dolchen, Ringen, unsichtbaren Schilden und schließlich dem Hosenband der Langsamen Heilung, welches zu seiner Zeit viele am Hof von Aglirta getragen hatten. Danach zog er seine Hose wieder an. Dabei fiel ihm der letzte Gegenstand ein, welchen er schon so lange trug, dass er ihn schon halb vergessen hatte. Ein ledernes Glücksband, welches er sich um den Bauch gebunden hatte. Viele sonderbare Knoten waren darin eingeknüpft. Kelgrael löste es vorsichtig und erinnerte sich der nunmehr toten Hände, welche einst die Knoten gebunden hatten. Eigentlich wollte er das gar nicht, was er hier tat. Wie sehr es ihn schmerzte, Aglirta wieder genommen zu bekommen. Wenn er sich jetzt wieder der Dunkelheit ergäbe, würde er vielleicht nie wieder aus ihr erwachen ... Wäre es nicht besser, kämpfend unterzugehen, um wenigstens etwas für sein geliebtes Reich getan zu haben? Und danach brauchte es ihn doch nicht mehr zu kümmern, ob alles in Flammen und Blut unterginge ... Nein, er würde dieses Wissen bis in alle Ewigkeit behalten. Die Götter würden über das richten, was er für Aglirta getan hatte. Außerdem bliebe ihm dann jede Möglichkeit verwehrt, sich wieder zum Schlaf niederzulegen – um irgendwann später in einem besseren und blühenderen Reich zu erwachen. Deswegen blieb Kelgrael keine Wahl. Als er sich wieder angezogen und sich von allem Überflüssigen befreit hatte, machte er sich daran, die Knoten am ledernen Glücksgürtel aufzubinden.
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Bei jedem entstand eine kleine Lichtwolke, und kleine magische Punkte stiegen auf. Sobald sie vergangen waren, blieb ein zauberischer Gegenstand zurück. Truhen, Karaffen, Figürchen, Armbänder, Zepter, Kelche, Schalen, Lampen und vieles mehr ... auch diese trieben gleich in die Luft und bedeckten nun fast eine ganze Wand. Als Letztes nahm der König einen kleinen Dolch aus seinem Stiefelabsatz ... den einzigen Gegenstand in seinem Besitz ohne magische Kräfte ... und schnitt sich damit in die Handfläche. Als sein Blut floss, nahm er den Ledergürtel und presste ihn mit den Fingern gegen den Handteller, um ihn mit seinem Lebenssaft zu tränken. Nachdem der Gürtel fortgeschmolzen war, erschien vor dem König ein Buch. Ein schmaler Band, welcher sechs Zaubersprüche enthielt. Schneestern brauchte jetzt nur einen davon. Der Letzte seines Geschlechts atmete tief durch und bewegte die Hände, und das Buch blätterte sich auf, bis es eine bestimmte Seite erreicht hatte. Er sprach die ihm bereits bekannte Formel, welche ihn erneut in Schlaf versetzen sollte. Die Worte entstammten einer uralten Sprache. Als noch niemand an Aglirta dachte, galt sie schon als alt und wurde nur von wenigen verstanden. Dennoch besaßen die Worte immer noch die Kraft, die Welt so zu formen, wie Kelgrael sie jetzt haben wollte. Mit ihnen würde er nicht nur sich selbst in neuen Schlaf versetzen, sondern auch die Schlange auf diese Reise mitnehmen.
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Beide wären dann an einen anderen Ort gebunden, damit Aglirta sich frei von Schneestern und Schlange weiterentwickeln könne. Der Dreifaltigkeit sei Dank, dass die Schlange langsamer als er aus dem Schlummer erwachte, sonst wäre ihm das hier womöglich nicht gelungen. Das Schlafritual verschlang Unmengen anderer Zauberenergie. Wenn man es bei jemandem anwandte, welcher sich nicht dazu bereit fand, war sogar unvorstellbar viel Magie als Hilfsmittel vonnöten. Als Kelgrael das Ritual zum ersten Mal angewandt hatte, mussten ihn ein Dutzend starker Zauberer unterstützen. Doch heute konnte er keinem Magier mehr trauen ... außer einer einzigen, und die hatte er auf Reisen durchs Reich geschickt. Sie sollte mit ihren Gefährten die Feinde von ihm ablenken, auch wenn sie dabei ihren Untergang fände. Vielleicht gelänge es ihr ja tatsächlich, alle Dwaerindim zusammenzubekommen. Nur mit ihnen wäre es möglich, die Schlange endgültig zu vertreiben. Aber Embra war eine Silberbaum. Wenn sie jetzt hier bei ihm stünde, in dieser Kammer der Magie, würde es sie womöglich auch überkommen ... Dann würde sie vielleicht versuchen, ihn wie die anderen vor ihr zu ermorden, um sich selbst auf den Thron setzen zu können ... Vielleicht sähe er den Strom nie wieder, genauso wenig wie er den Wind noch einmal hören würde, wenn der durch das Tal blies.
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»Ammador«, sprach der König jetzt, und eine Karaffe, welche vor seiner Nase schwebte, seufzte leise und löste sich auf. »Thalpartim«, ließ er sich dann vernehmen. Eine Krone zerfiel, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. »Haiadreeos«, las er das dritte Wort aus dem Buch, und eine Schüssel teilte das Schicksal der beiden anderen Gegenstände. Ob er noch genügend Magie um sich herum versammelt hatte, das Ritual zu Ende zu führen? Nicht mehr lange, dann würde die Schlange genau wissen, was er hier veranstaltete ... Dann wäre sie auch in der Lage, hier zu erscheinen. Sechs Worte später zeigten sich die ersten Schuppenschatten. Als einer seiner Lieblingsdolche sich auflöste, verging die Scheide in einem Funkenregen. Kelgrael ließ sich davon aber nicht beirren. Wenn es ihm gelang, das Ritual bis zum Ende durchzuführen, könnte er die Schlange aus Aglirta verbannen. »Marindra«, lautete das zehnte Wort, und bei diesem handelte es sich um den Namen einer Hexe, welche vor Urzeiten ihr Leben gegeben hatte, um dieses Ritual zu formen. Überhaupt versammelte es in sich die Zauberkunst vieler alter und uralter Magier, welche einen ganz besonderen Bann entwickelt hatten: Dieser konnte einen aus allen erdenklichen Gefahren an einen anderen Ort versetzen und in einen tiefen Schlaf sinken lassen, welcher nur beendet werden konnte, wenn man daraus befreit wurde. Schneesterns Schwert ging in Flammen auf, die sich aber rasch in Rauch verflüchtigten. Die Asche der Scheide fiel, als stürze sie zwischen die Welten. In der Kammer wurde es immer dunkler, und in den E-
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cken, welche sich am weitesten von ihm entfernt befanden, erschien die Schlange. Ein riesengroßes Ungeheuer. Nicht einmal sein Schädel würde hier Platz finden. Doch es bedurfte auch nur der vergifteten Zungenspitze, um Kelgrael zu töten und seinen Zauber zu zerschmettern. Er erinnerte sich an ein fleischiges Organ von Mannsgröße und einer Schnelligkeit, wie er sie niemals übertrumpfen konnte. Der König beschloss, einfach weiterzumachen, und sprach ruhig: »Hamdaereth.« Im nächsten Moment rummste etwas hinter der Wand zu seiner Linken. »Tessyre«, trug er wieder einen Zauberinnennamen vor. Sie hatte flammend rotes Haar besessen und ein dazu passendes feuriges Wesen gehabt. Vielleicht lebte sie aber noch und schlief ihren eigenen Schlummer – aber dazu würde man die alten Lieder wohl zu gutgläubig für bare Münze nehmen müssen. Wieder krachte es gegen die Wand, so als wolle jemand sie mit einer Axt aufschlagen. Nach dem dritten Hieb flogen Splitter in die Kammer ... Der König aber trug unbewegt weiter aus dem Zauberbuch vor und beachtete die glänzende Spitze des Axtblatts nicht, welche jetzt in dem Loch in der Wand erschien. Und nun wurde überall gegen die Wände gehämmert. Die ganze Kammer erbebte darunter, aber der König hatte noch eine Seite zu lesen. Als die erste Wand auseinander flog, erschien eine gepanzerte Hand in der Kammer. Der dazugehörige Ritter hatte sein Visier offen stehen, und dahinter erkannte man wieder-
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um ein geschmolzenes Gesicht. Er versuchte mit einiger Mühe, das Loch zu weiten, und als das nicht gelingen wollte, holte er noch einmal mit seiner Axt aus. In der nächsten Wand erschien ein Loch, und die dritte krachte gar ganz ins Zimmer. Überall zeigten sich Geschmolzene dafür verantwortlich. Kelgrael aber las mit entschlossener Miene weiter. Er beachtete die wie Wachs zerschmolzenen Gesichter nicht, behielt aber seine schwindende Ansammlung von Zaubergegenständen im Auge. Eben löste sich eine kleine Schatulle auf, und der folgte eine Reiseharfe. Der Rest würde niemals für alle Wörter ausreichen! Eine Tür platzte auf, und dann fielen zwei Teilstücke aus einer Wand. Ein Luftzug streifte Schneesterns Ohr. Doch bevor er sich in Verzweiflung ergehen konnte, sauste jemand an ihm vorbei und duckte sich unter den schwebenden Zauberstücken durch. Und ihm folgte ein weiterer ... Die beiden schwangen Waffen, und deren Stahl landete in Bauch und Brust der Ritter mit den geschmolzenen Gesichtern. Und so las Kelgrael weiter. Seine Helfer kreuzten die Klingen mit den Feinden und drangen in die Schuppenschatten vor. In einer Ecke schob ein Mann seine Kapuze zurück und zog eine Schärpe durch die Flamme einer Handlampe. Der Fremde besaß kein Gesicht, unterschied sich aber deutlich von den Geschmolzenen. Trotz seiner fehlenden
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Augen sah er den König eindringlich an. Die Schärpe fing Feuer, und in den Schatten formte sich die gespaltene Schlangenzunge. Doch dort, wohin die Schärpe wehte, wagte die Zunge sich nicht hin ... Ein Feuerball raste durch den Raum, und einer der Gesichtslosen taumelte zurück. Vor ihm explodierte einer der Geschmolzenen. Kelgrael sprach laut und deutlich das Wort, nach dem der letzte schwebende Gegenstand sich auflöste ... Da drehte sich einer der Gesichtslosen zu ihm um und schleuderte einen Schwarm Gegenstände unter die Decke: zwei Kerzenständer, einen Ochsenziemer, ein Kästchen mit Edelsteinen und ein Fußkettchen. Schneestern verschwendete seine Zeit nicht damit, sie alle zu erkennen und zu zählen, sondern las weiter und weiter. Ein weiterer Geschmolzener explodierte, und kurz darauf der nächste. Rotes Blut bedeckte bald alles in der Kammer. Die Geschmolzenen und die Koglaur verschmolzen in ihrem Ringen zu einer Masse, welche der König nicht mehr auseinander zu halten vermochte. Mit unvorstellbarer Wut hieben und stachen sie aufeinander ein; dennoch fanden die Gesichtslosen immer wieder eine Gelegenheit, neue zauberische Gegenstände in die Luft zu werfen. Und diese brachte Kelgrael dann gleich zur Auflösung. Der blaue Donner, welchen er früher schon unter seinen Stiefelsohlen gespürt hatte, stellte sich ein, noch bevor er das letzte Wort lesen konnte. Der allerletzte Zaubergegenstand verging in einem Fun-
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kenregen ... Alle Verzweiflung fiel von Kelgrael ab, und er konnte laut lachen. Die gespaltene Zunge der Schlange hielt sich nur noch in der hintersten Ecke auf, dort, wohin die Koglaur mittlerweile die Geschmolzenen zurückgedrängt hatten. Doch noch immer tobte dort eine Schlacht, und blaues Licht hüllte den König ein ... wurde dichter ... wurde dunkler ... und sah schließlich aus wie ein von Sternen übersäter Nachthimmel. Kelgrael Schneestern schwebte nun dahin und befand sich in einer Stille, in welcher ihn keine Schlange mehr erreichen konnte. Auch von den Geschmolzenen oder den Gesichtslosen bekam der König nichts mehr mit, denn er befand sich schon auf der Reise des langen Schlafes. Leb wohl, Aglirta, bis es der Dreifaltigkeit wieder gefällt, mich dich wieder sehen zu lassen ... Ruhig und ohne Widerstand ließ der König es erneut zu, dass er sich auflöste. Und davontrieb ...
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Lügen, Tod und andere Gewissheiten C Die Edle seufzte, als man sie in eine Rüstung band. »Sorgt Ihr Euch etwa um den Silberbaum-Fluch, liebste Freundin?«, fragte Craer, während seine Finger über ihren samtigen Oberkörper wanderten. Ihr Blick traf den seinen. »Ein wenig. Aber viel mehr verdrießt mich, dass wir hier so viel Zeit mit allen möglichen Banditen, Galgenstricken und Glücksrittern verloren haben.« Sie verzog das Gesicht, weil ein wenig Haut zwischen zwei Stahlkanten eingeklemmt wurde. »Dabei lacht sich jeder, der bereits einen Dwaer besitzt, ins Fäustchen und schickt lieber Bewaffnete hierher, statt sich selbst die Finger schmutzig zu machen.« Sarasper zuckte dazu die Achseln, soweit ein Langzahn in der Lage ist, dies zu tun, und Hawkril knurrte: »Das lässt sich nun einmal nicht ändern. Wir müssen das Geschmeiß abwehren – oder hat einer von euch eine bessere Idee?« Die Fürstentochter zuckte noch einmal zusammen, weil ihr Hinterteil nicht für die schmale Rückfront der Rüstung
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geschaffen zu sein schien. »Oh, habe ich Euch wehgetan?«, fragte der Hüne. »Geht schon. Mir ginge es auch deutlich besser, wenn Craer sich entschließen könnte, die Bewegungen seiner Hände auf die Metallteile zu beschränken.« Der Beschaffer grinste und tat ganz unschuldig. Dann fragte er: »Ist es denn meine Schuld, dass Embra an einigen Stellen zu rund ausfällt? Das Geschlecht derer von Silberbaum hat seine Töchter wohl nur selten in eine Rüstung gesteckt ...« Die vier Gefährten hatten sich bislang in den dunklen Gängen und Räumen des Schweigenden Hauses gegen insgesamt sechs Eindringlinge wehren müssen – und fünf davon erschlagen. Der letzte hatte wieselflink das Weite gesucht, und sie hatten ihn nicht mehr einholen können. Doch er stellte nicht die einzige Gefahr dar. Die Gefährten hörten, wie weitere Glücksritter durch das Bauwerk liefen. Die Edle hatte dabei besonderes Pech gehabt. Erst schlitzte ihr ein Dolch den Unterarm auf, dann entging sie nur knapp einem Schwerthieb gegen ihren Hals. Als eine weitere Klinge ihr beinahe eine Brust abgeschnitten hätte, packte Hawkril die Edle, warf sie sich über die Schulter und trug sie durch mehrere dunkle Gänge bis zu einer Waffenkammer. »Wir haben es hier nicht mehr mit irgendwelchen Trunkenbolden und Dorftrotteln in Schänken zu tun«, erklärte er ihr. »Wer uns in diesem Haus auflauert, muss einiges hinter sich gebracht haben, um überhaupt so weit zu kommen.« »Aus Eurem Mund klingt das ziemlich beruhigend«, spottete der Beschaffer und steckte sich einen Dolch nach dem
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anderen aus dem Besitz der Silberbaums ein. Dann begann er damit, sich alle möglichen kleinen Gegenstände aus ihren Verstecken an seinem Körper zu nehmen und auf die Edle zu werfen. Eine größere Anzahl magischer Figürchen, Salzstreuer und schimmernde Flaschenverschlüsse und Ähnliches hagelten auf Embra nieder. Als Embra ihn anfuhr, er solle nicht ihr ganzes Erbe stehlen, hatte er nur gelacht. Die Herrin der Edelsteine hatte ihn daraufhin mit einer Flut von Schimpfwörtern überzogen, was wiederum Hawkril und den Heiler sehr belustigte. Die Laune der Edlen verschlechterte sich weiter, weil es ihr in der Rüstung unerträglich heiß wurde. Dabei trug sie schon weniger an Wattierung zwischen dem Stahl und der Haut, als eigentlich vorgesehen war. Aber wenigstens war sie jetzt vor Schwertstreichen aus dem Hinterhalt geschützt, und die Gefährten mussten nicht mehr befürchten, sie von einem Moment auf den anderen zu verlieren. Hawkril versorgte sich in dieser Waffenkammer ebenfalls und hatte an seinen Neuerwerbungen so viel Freude wie ein Junge an einem neuen Spielzeug. Embra schnaubte nur darüber. »Wenn ich nun in aller Eile einen Zauber sprechen muss«, maulte sie, »dann ist mir diese unhandliche Rüstung doch arg im Weg.« »Sarasper hat sich vorhin schon dazu geäußert«, teilte Craer ihr mit Blick auf den Langzahn mit. »Am besten versucht Ihr es gar nicht erst mit der Zauberei. Blitze und Feuerkugeln werden vom Stahl der Rüstung angezogen und treffen Euch ebenso wie Euren Gegner.« »Das ist ja eine schöne Bescherung«, seufzte die Herrin.
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»Eine tolle Truppe steht dem König da zur Verfügung.« »Für mich sieht es so aus«, warf der Recke ein, »als stünden Seiner Majestät nicht allzu viele getreue Untertanen zur Verfügung, unter welchen er auswählen könnte.« Er warf dem Beschaffer einen Blick zu. »Dennoch meine ich, dass er mit uns ganz zufrieden sein kann, weil zumindest Craer und ich heute besser dastehen als noch an jenem Abend, als wir am Ufer des Stromes lauerten und uns überlegten, wie wir Eure Gewänder stehlen könnten ...« »In jener Nacht habt Ihr mir die Freiheit gewonnen«, lächelte Embra, »und mich auch danach vor Schaden bewahrt. Vor allem vor den Zauberbannen, welche die Dunklen Drei meines Vaters uns hinterhersandten.« Sie setzte den offenen Helm auf, welchen der Hüne für sie ausgesucht hatte, und lief in der nun vollständigen Rüstung ein paar Schritte. Als sie mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden war, drehte sie sich zu ihren Gefährten um. »Wenn wir dieses Abenteuer hinter uns gebracht haben, dürft Ihr zwei Euch gern all meine Kleider nehmen.« »Wie, und Ihr lauft dann nackt herum?«, fragte der Kleine mit Unschuldsmiene. »Meine Herren«, wandte sie sich an den Recken und den Langzahn, »ist es für den erfolgreichen Abschluss unseres Unternehmens wirklich unabdingbar, dass eine gewisse widerwärtige Made unbeschadet bei uns bleibt?« Sie verschränkte mit einiger Mühe die gepanzerten Arme vor der Brust. »Oder darf man diesem Wicht in regelmäßigen Abständen furchtbare Schmerzen zufügen?« »Bitte, wenn Ihr mir die Arbeit abnehmen wollt ...«, er-
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tönte eine Stimme von der Tür, und ein Armbrustbolzen wurde abgefeuert. Das Geschoss traf gegen eine Wand und verspritzte Putz und Mörtel. Craer, der sich unter mehreren Tischen hindurchduckte, ließ es sich nicht nehmen, etwas zu entgegnen. »Ob regelmäßige Misshandlungen mir helfen werden, die Kleider einer Frau zu tragen, welche nicht nur doppelt so groß, sondern auch doppelt so dick ist wie ich?« »Aufgepasst, Freunde, sie sind zu mehreren!«, rief Hawkril und setzte sich einen Helm auf. »Nein, nicht mehr ...«, sprach Embra langsam und zuckte zusammen, als die Langzahnspinne, welche unter der Decke hing, dem letzten Feind den Kopf abriss. Im Gang vor der Waffenkammer lagen überall Leiber mit fehlenden Gliedmaßen. Der Hüne beugte sich über die Leichen. »Sie standen in Diensten von Adeln«, erklärte er nach einem Blick auf deren Wappen auf der Brust. »Wohl Söldner, welcher dieser Fürst für diese Aufgabe angeworben hat.« Craer erschien neben seinem Freund und untersuchte die Toten ebenfalls. Er stimmte dem Befund Hawkrils zu und hielt dann nach weiteren Feinden Ausschau. Erst jetzt traf Embra bei ihnen ein. »Wie halten Ritter das bloß aus? Man kommt sich ja vor wie ein Packesel!« Der Beschaffer setzte eine feierliche Miene auf. »Und es begab sich zu jener Zeit, dass die Tapfersten aller Helden sich einer Übermacht der Feinde zu erwehren hatten ... Sie fochten voller Kühnheit, doch alle Schurken und Schufte aus ganz Aglirta schienen zusammengeströmt zu sein,
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ihnen den Garaus zu machen. Stunde um Stunde, Tag und Nacht wogte der Kampf, doch es hätte rascher vonstatten gehen können. Wenn nämlich die Edle Embra weiter mitgekämpft und nicht gemurrt hätte: ›Nein, für einen Schwertkampf fühle ich mich jetzt viel zu verschwitzt, und einen Fingernagel habe ich mir auch gerade abgebrochen ...‹« Die Herrin legte ihm eine Eisenhand um den Hals. »Habe ich eben von ›grässlichen‹ oder nicht eher von ›dauerhaften‹ Schmerzen gesprochen?« Sie kam nicht mehr dazu, die Drohung wahr zu machen, denn ein pelziges Spinnenbein schleuderte sie auf den Steinboden. Schon raste eine Flut von Knochensplittern heran. Hawkril ließ sich nach links fallen, und Craer kroch unter die Leichen. Der Langzahn aber huschte über die Decke nach vorn. Mit einem tierischen Schrei stürzte sich die Wolfsspinne auf den Verursacher des Knochenbeschusses. Der Schlangenpriester, welcher da so unvermittelt im Gang aufgetaucht war, glaubte nicht, dass ein so großes Untier sich so flink bewegen konnte. Und das erwies sich als sein tödlicher Fehler. Er bereitete noch seinen nächsten Bann vor, als ein Wolfsspinnenvorderbein nach seinem Hals tastete und ihm den Kopf von den Schultern trennte. Dann ließ der Langzahn sich mit voller Wucht auf den Körper fallen und zerdrückte ihn. Natürlich war der Mann nicht allein gekommen. Seine Unterpriesterin und vermutliche Liebessklavin floh mit blei-
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cher Miene und zitternden Gliedern nach hinten. Gleichzeitig zogen sich ein Stück weiter den Gang hinunter etwa ein Dutzend Söldner zurück. Sie hatten das Ende des Priesters verfolgt und sagten sich zu Recht, dass sie nicht mehr auf ihren Sold zu warten brauchten. Doch schon stürmte Hawkril ihnen entgegen, und auch Sarasper krabbelte über die Decke in ihre Richtung. »Sind wir denn Mörder?«, fragte Embra bitter. »Warum sollen sie denn auch noch sterben?« Craer drehte sich kurz zu ihr um, bevor er den Gefährten folgte. »Ja, denn aus genau dem Grund sind wir hier. Wenn es Euch leichter fällt, seht unseren Einsatz doch als Vorgehen gegen alle Feinde des Reiches an. Leider erwischen wir ja bloß diejenigen, welche die Mühe auf sich nehmen, in das Schweigende Haus einzudringen.« Die Edle hatte alle Farbe aus dem Gesicht verloren, als sie entgegnete: »Ja, ist ja schon gut.« Der Beschaffer sah sie lange an, während weiter vorn die Schreie der Sterbenden die Luft erschütterten. »Willkommen in der Welt der Helden, edle Fürstin. Wir sind wie auch der König im Grunde so etwas wie Gärtner, die einerseits die Pflanzen hegen, sie andererseits aber auch zurückstutzen.« Er wollte endlich los, erkannte dann aber, dass die Schlacht vorn bereits ihr Ende gefunden hatte. Also wandte er sich wieder an die Herrin. »Euer Vater hat in ähnlicher Weise gewirkt, wenn auch aus anderen Beweggründen und mit anderen Zielen. Doch anders als Euer Vater scheint Ihr keine Freude an solcher Arbeit zu haben.«
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»Und das alles hat damit angefangen, dass Ihr eines meiner Kleider stehlen wolltet, um Euch für den Erlös etwas zu essen zu kaufen?« Der Kleine zuckte die Achseln. »Zu jener Zeit stand ich noch in den Diensten des Fürsten Schwarzgult. Wie ein Bauer, ein Schankwirt oder ein edles Fräulein, welches in eine ›lebende Burg‹ verwandelt werden soll, habe ich nur das getan, was man mir aufgetragen hat.« Die beiden begaben sich jetzt gemeinsam zu den anderen. »Aber wenn Ihr solchen Wirkens müde wart, wenn Ihr die Nase gestrichen voll hattet, was trieb Euch dann dennoch weiter voran?«, wollte Embra wissen. »Dafür hatte ich Hawkril, genau wie er mich.« »Eine üble Überraschung«, begrüßte sie der Recke. Er stand vor der Unterpriesterin, welche mit verwirrter Miene auf dem Boden lag – so als könne sie es noch nicht fassen, dem Tod zum Opfer gefallen zu sein. Einer ihrer schlanken Arme lief statt in einer Hand in einem Schlangenkopf aus. Den hatte ihr der Recke halb vom Arm abgehackt. Lilafarbenes Blut quoll aus der Wunde. »Den Schlangenkopf musste ich zusätzlich töten«, erklärte der Hüne. »Den habe ich mir zuerst vorgenommen, und ich habe versucht, ihn vom Arm zu trennen. Das ist mir nicht ganz gelungen, aber wenigstens vermochte er sich nicht mehr so weit zu erheben, um mich zu beißen. Deswegen habe ich wieder und wieder drauf gehauen ... aber Arm und Kopf sind immer aufs Neue zusammengewachsen. Erst als ich die Priesterin tödlich getroffen hatte, hörte das auf ... Die Schlange hat sich offensichtlich von der jungen Frau
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ernährt!« Die Edle schüttelte sich, und Hawkril legte ihr den Arm um die Schultern, um sie zu beruhigen. Der Kleine begab sich zu Sarasper. »Seid Ihr in Ordnung, Freund? Ich habe gesehen, wie die Knochensplitter in Euch hineingefahren sind.« Der Langzahn zuckte nur die vielen Achseln und krabbelte dann weiter die Decke entlang. Nach ein paar Metern hielt er an und winkte den anderen zu. »Kommt, meine Helden«, forderte der Beschaffer die Gefährten auf, »er spürt voraus einige weitere unerwünschte Besucher.« Der Mann, den sie Samtfuß nannten, lächelte kalt, als er an dem neunten Toten vorbeikam. Dieser hing von einem Rammstein, welcher vorgeschnellt war, als der Krieger durch das Fenster hatte einsteigen wollen. Hier wurde mit dem ganzen Gesindel des Reiches aufgeräumt. Zu schade, dass die Fürsten sich nicht auf den Weg machten und in dieses Haus eindrangen. Der Iithraba-Saft an seinen Handflächen und Fußsohlen war beinahe aufgebraucht, und er würde sich nicht mehr allzu lange an der Decke halten können. Die Viererbande durfte sich nur im Südteil des Hauses einigermaßen sicher fühlen – und dorthin gelangte man allein durch den mit vielen Edelsteinen besetzten Thron der Silberbaums. Wenn ihm genügend Zeit bliebe, würde er den Gefährten dort ihr Grabmal bereiten ... wenn nicht, würde er eine andere Gelegenheit abwarten; denn die käme bestimmt.
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Der Thron sah noch genau so aus, wie Samtfuß ihn in Erinnerung hatte. An den Wänden hingen nicht mehr ganz so viele Teppiche, und die waren noch mehr zu Fetzen verkommen. Aber er ließ das alles links liegen und strebte auf die Säulen zu, denn hinter denen konnte Samtfuß seine Vorbereitungen treffen. Er ging rasch und geschickt zu Werk. Hier eine Schnur gespannt, dort einen Haken befestigt. Darüber reichlich Iithraba-Saft aus dem Schlauch an seinem Gürtel. Als alles erledigt war, stellte Samtfuß sich hinter die größte Säule. Er bestrich die Spitzen seiner fünf Wurfsterne mit einem rasch wirkenden Gift. Gerade noch rechtzeitig, denn schon zwei Atemzüge später traten die Vier schon durch den Eingang, in welchem er sie erwartet hatte. Craer und Hawkril bildeten die Spitze, und Samtfuß wartete, denn Embra musste als Erste fallen ... Dann kam sie, mit bleicher Miene. Samtfuß maß im Geist die Entfernung, spannte den Arm an und schleuderte den ersten Wurfstern. Nun tauchte er den nächsten noch einmal in das Gift und holte aus. Den Heiler konnte er vernachlässigen, denn der war viel zu schwach und zu langsam. Der Recke wäre das geeignete nächste Ziel ... Bei allem, was recht war, die Gefährten bewegten sich unglaublich flink. Hawkril griff ihn bereits an. Samtfuß warf den nächsten Stern, aber nicht auf den Recken, sondern auf den Kleinen, welcher sich zur Seite bewegte und ihn aus der Flanke an-
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greifen wollte. Gleichzeitig zog er an der Schnur, welche ... das Netz über den Hünen senkte. Der riss sein Schwert hoch und stürmte noch schneller voran. Womöglich gelang es ihm, das Netz zu zerreißen und weiterzukommen. Der Stern verfehlte den Beschaffer. Samtfuß nahm die nächsten beiden in die Hand und entfernte sich von der großen Säule – denn schon machte sich der Kleine daran, dahinter aufzutauchen. Das Netz lag nun auf dem Hünen und seinem Schwert, aber der ließ sich davon nicht aufhalten. Der klebrige Saft an den Maschen würde jedoch dafür sorgen, dass Hawkril das Netz nicht mehr loswürde. Craer flitzte aus der Dunkelheit heran, und Samtfuß blieb die Zeit für zwei Würfe. Den ersten lenkte der Beschaffer mit einem gezielten Dolch ab, entblößte damit aber seine Deckung. Als der Beschaffer hinter der größten Säule anlangte, ging er dort zu Boden. Samtfuß war aber schon längst losgerannt, lief an dem Ritter vorbei und zielte mit dem letzten Stern auf die Edle. Doch da erhielt er einen Schlag ins Gesicht, und ein starkes, behaartes Wesen schlang sich um seinen Kopf. Der bedeutendste »Tödliche Schatten« von ganz Sirlptar erhielt gerade noch die Zeit, sich zu fragen, wie ihm geschah ... Dann drehte der Langzahn ihm den Kopf herum und ab. Der hauptlose Körper lief noch eine Weile weiter, wenn auch mit zuckenden Gliedern, und plumpste schließlich auf
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den Saum des Netzes. Offensichtlich war Samtfuß schwer genug, das Netz festzuhalten, so dass der Hüne sich daraus befreien konnte. Allerdings waren ein paar kräftige Schwerthiebe dafür erforderlich. Der Langzahn fand eine Lampe und schlug mit einem Wurfstern Funken darüber. Als die Flamme brannte, hielt die Wolfsspinne sie an das Netz, welches sofort lichterloh brannte. Der Recke entdeckte in dem flackernden Schein Craer und auch Embra, die beide auf dem Gesicht lagen. »Sarasper«, sprach er langsam, »ich glaube, ich benötige Euch jetzt mehr denn je.« Die Wolfsspinne sah ihn einen Moment lang an und schrumpfte dann zusammen, bis wieder der ergraute alte Mann vor dem Recken stand. Er humpelte beim Gehen, und von seinem Unterarm tropfte Blut. »Damit könntet Ihr Recht haben, Schwertschwinger«, erklärte Sarasper mit seinem trockenen Humor. Der Heiler begab sich zuerst zu der Fürstin. Als Hawkril zu ihm eilte, um ihm zu helfen, schüttelte der Alte den Kopf. »Wenn Ihr nicht mehr stur darauf beharrt, dass die Edle dieses Ding von einer Rüstung tragen muss, könnten wir damit beginnen, sie davon zu befreien.« Der Recke wollte den Grund dafür wissen. »Weil ich sie von Kopf bis Fuß untersuchen möchte. Außerdem trägt sie einige Zauber am Körper. Die könnten sich für ihre Heilung als recht nützlich erweisen.« Der Hüne nickte und fiel schon über die Verschlüsse und Bänder her. Er hatte die Hälfte geschafft, als ein gelbes Licht aufblitzte.
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Beide Männer wirbelten herum, denn solcher Schimmer bedeutete unweigerlich Magie. Eine Wolke von gelb leuchtenden Kugeln schwebte von oben herab, und in ihrer Mitte zeigte sich deren Quelle: ein übergroßer Ring am Finger eines verdutzten Mannes in kostbaren Gewändern. Hawkril hob sein Schwert, um es notfalls sofort auf den Neuankömmling zu schleudern. Der Fremde erweckte aber nicht den Eindruck, als wolle er seinerseits angreifen. Er nannte eine große Leibesfülle sein Eigen und schwitzte am ganzen Körper. Seine Wangen hingen wie bei einer Bulldogge herab, und der schwarze Bart betonte das noch mehr. Im Blick seiner Augen steckten viel Angst und Verzweiflung – und ein kleines bisschen Hoffnung. Auf seiner vornehmen Kleidung aus Pelz und Leder hing eine Brustplatte mit einem Wappen: ein schwarzer Drache auf bronzefarbenem Grund. Bei den Göttern, bei diesem Mann konnte es sich nur um Fürst Thanglar Brostos handeln! »Seid ihr ...«, begann er, schien sich eines Besseren zu besinnen und fuhr fort: »Gehört ihr am Ende gar zur Viererbande?« »Ganz recht«, bestätigte Hawkril, »und bei Euch handelt es sich gewiss um Fürst Brostos.« »Derselbe«, bestätigte der Edle. »Ich brauche dringend Eure Hilfe und die eines Dwaer. Ein Heer verwüstet mein Land und stürmt bereits gegen meine Burg!« »Wenn wir Euch aber keinen Zauberstein überlassen wollen?«, entgegnete der Recke.
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»Nein, nein!«, rief der Fürst. »Ihr sollt mit mir kommen und ihn gegen den Feind richten. Zusammen mit aller anderen Magie des Hauses Silberbaum.« Er landete auf dem Boden, kam auf sie zu und streckte flehentlich die Hände aus. Hawkril schob den Alten zurück und hob wieder sein Schwert. »Um der Liebe zu Aglirta willen, Ihr Königshelden!«, heulte Brostos. »Ich weiß mir niemanden mehr, an welchen ich mich noch um Hilfe wenden könnte ... Arrgh!« Der Fürst löste sich vor ihnen auf, bis er durchsichtig wurde. »Ihre Zauberer greifen annnnn ...« Und damit verschwand der Edle. Hawkril und der Heiler sahen sich verwirrt an. »Er hat uns Königshelden genannt«, flüsterte der Recke, »und wir haben nichts für ihn getan ...« »Hawkril«, begann Sarasper ernst, »es gibt Schlimmeres. Craer ist schon wieder verschwunden.«
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Reiche Ernte unter den Fürsten C Licht drang durch die Finsternis und breitete sich in magischen Funken aus, welche in der Vorwärtsbewegung aufglühten und erloschen. Der Schrank war nicht länger leer, denn soeben war ein Mann im Herzen des pochenden Lichtes aufgetaucht. Jeder fahrende Sänger hätte in ihm sofort den großen Barden Inderos Sturmharfe erkannt. Aber wohl niemand hätte diesen Mann in dunklem Leder und in Rüstung erwartet – und auch nicht mit dem langen Zauberschwert in der Hand. Sturmharfe hob den Kopf und lauschte dem Geschrei und dem Gerenne, welches aus einiger Entfernung an sein Ohr drang. Allem Anschein nach standen die Soldaten von Glarond und Maerlin nicht mehr vor den Toren von Brostos, sondern drangen bereits in die Burg ein! Das gefährdete sein ohnehin kühnes Unterfangen noch weiter, aber er war noch nie vor einer Bedrohung zurückge-
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schreckt. Lächernd stieg er aus dem Schrank der verstorbenen Fürstenwitwe Maegla Brostos, der Mutter des derzeitigen Amtsinhabers. Rasch lief er die Treppe hinunter in den Gang zum nächsten Turm der Burg. Dabei zog er einen Lappen von Halstuchgröße aus seinem Gürtel. Der Stoff wirkte wie aus Schatten genäht, und das kam nicht von ungefähr, denn bei diesem Stück handelte es sich um das Tuch der Schläfrigkeit. Jahrelang hatte Sturmharfe sich mit kaum etwas anderem als dem Ansammeln von magischen Gegenständen befasst. Dabei hatte ihn nicht nur die Begeisterung für solche Gerätschaften getrieben, sondern auch der Wunsch, diese vor dem Zugriff gewisser anderer Personen zu bewahren. Schließlich wusste man in ganz Aglirta, dass Fürsten ein besonderes Interesse für Magie an den Tag legten. Denn zum einen fürchteten sie ihre eigenen Zauberer, und zum Zweiten wollten sie ihren Standeskollegen gern eins auswischen. Vor Inderos lagen die Privatgemächer von Thanglar Brostos. Der Fürst war ein ebenso gerissener wie kalter Kaufmann und Steuereintreiber, und der Ausbruch des Krieges hatte ihn ganz gewiss mit Panik erfüllt. Vielleicht befand er sich ja in seinen Gemächern und suchte gerade alle Schränke und Geheimfächer nach Zaubergegenständen ab, um sie eiligst in Beutel und Taschen zu stopfen. Mit einem zu kleinen Heer, um gegen die Soldaten der beiden feindlichen Fürstentümer bestehen zu können, war Brostos dem Untergang geweiht.
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Sturmharfe hatte das Land zweimal besucht und war jedes Mal Zeuge geworden, wie Dörfer und auch Städte den Angreifern kampflos in die Hände gefallen waren. Diese Reisen wurden für den Sänger immer gefährlicher. Denn heutzutage wurde das Schwert schnell gezogen, und man fackelte bei einem Fremden nicht lange. Außerdem hatte er seine drei Dwaerindim zurücklassen müssen – und sie in einer Mönchszelle in Orlordaern unter dem Fußboden versteckt. Dieses älteste Kloster im ganzen Tal wurde durch einen Abwehrkranz vor aller Art feindlicher Zauberei geschützt. Dort trat Sturmharfe aber nur unter Verkleidung in Erscheinung. Man kannte ihn im Kloster als den Sucher Aldus. Inderos allein wusste, dass der echte Aldus nie mehr erscheinen würde. Er hatte den sterbenden Priester oben in den Wildfelsen angetroffen und ihn nach seinem Ableben dort begraben. Sturmharfe hatte seine Steine gestern Abend dorthin gebracht; denn die Abwehrmaßnahmen erschienen ihm als so hervorragend, dass nicht einmal der beste Suchzauber sie aufspüren konnte. Solange Inderos noch nicht herausgefunden hatte, wer den letzten Dwaerindim besaß, wagte er es nicht, die Macht seiner drei einzusetzen. Aber er besaß auch so genügend Zaubermacht, hatte der fahrende Sänger sich doch sein halbes Leben mit nichts anderem beschäftigt. Als er um eine Biegung lief, standen dort zwei Wächter, welche sofort ihre Waffen auf ihn richteten. »Einen schönen Tag wünsche ich. Thanglar hat nach mir
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geschickt.« Er wedelte mit einem Dufttuch vor seiner Nase herum. Die Wächter starrten ihn in einer Mischung aus Wut und Furcht an. In den letzten Minuten hatten sie viel Geschrei und Waffengeklirr zu hören bekommen. Der Tod näherte sich ihnen ... »Wer seid Ihr?«, herrschten sie den Fremden an. »Ich bin fahrender Sänger und heiße Inderos Sturmharfe. Thanglar will mich hier in der Nähe haben, und glaubt mir, dass ich ihn keinen Moment länger warten lassen will.« Er sah die Wächter an, als habe er ihnen etwas Vertrauliches mitzuteilen. »Die Magie, über welche ich gebiete, wird uns allen erlauben, den näher rückenden Feinden zu entkommen.« Der erste Wächter wollte widersprechen, aber der zweite stieß ihn in die Seite und sperrte die Tür auf. Der Barde verabschiedete sich von ihnen mit den Worten: »Bitte haltet euch hier bereit, bis wir euch rufen. Das dürfte nicht lange dauern.« Damit trat er in den Turm und gelangte in eine Ankleidekammer, in welcher bequem eine Großfamilie hätte einziehen können. An den Pelzen, Samtroben und Seidengewändern konnte man leicht ablesen, über welchen Reichtum die Fürsten von Brostos geboten. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Mitglieder dieser Familie kein Kleidungsstück zweimal anzogen. Inderos wanderte an den Ständern entlang auf eine offen stehende Tür zu. Der Boden war hier überall mit edlen Fellen ausgelegt, so dass Sturmharfes Stiefel keinen Lärm mach-
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ten. Doch nur wenige Fackeln brannten in dieser Kammer. Offenbar plante seine Hoheit nicht, sich in Kürze umzuziehen. Der Sänger drehte sich um und überzeugte sich davon, dass ihm niemand gefolgt war. Er bewegte sich weiter und schlich sich hinter die Tür. Vorsichtig spähte er um die Ecke in den dahinter liegenden Raum. Stimmen waren zu vernehmen. Wenn jetzt einer in Richtung der Kleiderkammer blicken sollte, würde er den Barden sofort entdecken ... Drei Personen hielten sich im Nebenraum auf. Doch die eine von ihnen konnte nicht sehen, und die beiden anderen sahen nur einander. Auf dem Boden kniete ein Mann, der wie eine noch mehr verfettete Ausgabe von Thanglar Brostos aussah. Er heulte und flehte sein Gegenüber an. Bei diesem handelte es sich um den Zauberer Huldaerus, um den Herrn der Fledermäuse, welchem der Tod offenbar wenig anhaben konnte. Und die dritte schlurfte mit ausgestreckten Armen auf den Edlen zu, um ihn zu erwürgen. Ihren Bewegungen nach zu schließen, musste sie ein Toter sein, welchen der Magier erweckt hatte. »Wenn Ihr noch einmal schreit oder kreischt«, warnte Huldaerus gerade, »wird Euch der Fürst Silberbaum hier den Hals zudrücken.« Thanglar gab ein leises, schrilles Geräusch von sich, als der Tote sich ihm weiter näherte. »Ja, bei diesem hier handelt es sich wirklich um Faerod Silberbaum«, lächelte der Herr der Fledermäuse. »Nur sein
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Körper gehörte bislang jemand anderem, einem Eurer bedauernswerten Stallburschen.« Der tote Fürst legte die Hände um den Hals des Fürsten und schüttelte ihn. Jammernd hielt Brostos die starren Finger fest und sah den Zauberer flehentlich an. »Leidet Ihr etwa unter Atemnot?«, höhnte der Magier. »Aber nein, Ihr könnt ja noch wimmern, nicht wahr? Solange Ihr brav meine Fragen beantwortet, wird es Euch auch nicht schlimmer ergehen.« Er lief ein wenig auf und ab, so als müsse er nachdenken. Dabei betrachtete er die Einrichtung des fürstlichen Schlafgemachs. Das wirkte nicht so sehr wie eine Ruhestätte, sondern mehr wie der Salon in einem Freudenhaus. »Was für ein glücklicher Umstand für Euch, dass ich Euch aus dem Schweigenden Haus herausgezogen habe. Denn dort lauern ja so viele Gefahren ...« Der Magier trat einen Schritt vor, und jetzt erkannte der fahrende Sänger, dass kleine Gegenstände hinter ihm her schwebten: Ein Zepter, ein Ring, ein blauer Edelstein von der Länge eines Mittelfingers und einiges mehr. »Ich bin aus einem bestimmten Grund gekommen, Graf, denn eigentlich sollte ich mich auf die Suche nach einem besseren Körper für meinen Freund Silberbaum machen.« Er faltete die Finger zusammen. »Ich interessiere mich nämlich für die Magie, welche Ihr angesammelt habt. Die schönen Stücke hier hinter mir sind ganz hübsch, aber noch nicht annähernd alles.« Huldaerus beugte sich zu dem Fürsten hinunter. »Ich will aber alles, versteht Ihr, jeden noch so kleinen Gegenstand.
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Sonst wird unser Freund Silberbaum hier Euch einen Finger nach dem anderen brechen.« Brostos röchelte, obwohl sein Peiniger gar nicht fester zudrückte. »Na gut, gehen wir der Reihe nach vor«, sprach der Herr der Fledermäuse, »wie wäre es zuerst einmal mit einem weiteren Ring?« Der Zauberer wandte den Blick von seinem Opfer, ließ ihn durch die Räumlichkeit schweifen und blieb mit ihm unvermittelt an Sturmharfe hängen. Schon im nächsten Moment fuhren Blitze krachend zwischen Pelze, Ständer und Stoffe. Doch der Barde, welcher eigentlich getroffen werden sollte, stürmte bereits geduckt voran. Der Lauscher hielt ein Schwert in der Hand, an dessen Schneiden Magie leuchtete, und sein lächelndes Gesicht kam Huldaerus irgendwie bekannt vor ... »Faerod Silberbaum!«, rief er nach hinten. Der Tote stieß Brostos beiseite und taumelte heran, wieder mit ausgestreckten Händen. Doch der wiedererweckte Fürst war viel zu langsam. Schon fuhr dem Herrn der Fledermäuse eine behandschuhte Faust in den Magen. Huldaerus konnte nur ächzen und zusammenknicken. Dun blieb nur noch eins zu tun übrig – nämlich Blitze auf den Gegner zu schleudern, und das aus nächster Nähe ... mitten in die Augen. Doch diese Energiegeschosse konnten ihr Ziel nicht erreichen. Dafür explodierte ein Ring Sturmharfes mitsamt dem daran hängenden Finger.
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Aber das Schwert befand sich bereits im Hieb abwärts und konnte von dieser Verletzung nicht mehr aufgehalten werden ... Huldaerus fühlte plötzlich etwas Kaltes am Hals, schaute dann unvermittelt an die bemalte Decke, und endlich wurde um ihn herum alles dunkel. Während der Magier starb, hieb Inderos auf einen ganzen Schwarm Fledermäuse ein. Dutzende fielen seinen Streichen zum Opfer, aber inmitten des Gekreischs konnten dann doch einige durch Türen und Fenster entkommen ... »Wie lange braucht dieser Erzmagier wohl, um sich einen neuen Körper zu schaffen?«, knurrte der Sänger grimmig. Dann spürte er eine harte Hand an seiner Schulter und sprang rasch zurück, weil er befürchtete, der Fürst könne dem Irrsinn anheim gefallen sein. Doch hinter ihm stand der Tote und schwang ein Zepter wie eine Keule. Mit einem Mal hielt Silberbaum inne, starrte mit großen Augen auf den sterbenden Huldaerus und brach klappernd zusammen. Thanglar Brostos zitterte am ganzen Leib. Seine Hängebacken wackelten ebenso wie sein Doppelkinn, und seine Augen schienen nichts mehr zu sehen. Sturmharfe hatte vorhin schon den Eindruck gewonnen, der Fürst sei nicht mehr Herr seiner Sinne, aber jetzt schien sein Verstand sich endgültig verabschiedet zu haben. Während Brostos die Lippen bewegte, als wolle er sprechen, hielt der Sänger Abstand zu ihm. Mit der Spitze seines Schwertes sammelte er die schwebenden Gegenstände ein, damit der Fürst sich ihrer nicht bedienen konnte.
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Er ersparte sich die Mühe, Brostos über die neue Lage aufzuklären ... der Mann hätte ihn wahrscheinlich nicht verstanden. Inderos suchte das Zimmer nach weiteren Gegenständen gleich welcher Art ab, wenn sie denn nur Magie enthielten. Und irgendwann setzte sich der Fürst in Bewegung und folgte ihm Schritt für Schritt. Der Sänger fluchte leise, als er etwas später Kampfeslärm aus der Kleiderkammer vernahm. Ihm blieb kaum noch Zeit. Rasch stopfte er alle aufgenommenen Gegenstände in seinen Gürtelbeutel. Als Sturmharfe den fingerlangen Edelstein einstecken wollte, zeigte der ihm, wozu er in der Lage war. Das Schweigende Haus ... Nicht schlecht, dort könnte er also unverzüglich hingelangen. »Ihr könnt mir nicht zufällig ein paar Fragen beantworten, oder?«, fragte er den Fürsten. Jemand stieß in der Kleiderkammer einen schrillen Todesschrei aus. Höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Einen Schildring hatte er verloren und dafür einen Reisering gewonnen. Kein umwerfender Tausch, aber immerhin. Da tauchte plötzlich ein triumphierendes Blitzen in Brostos’ Augen auf, und er zog mit beiden Händen an einer vergoldeten Schnur. Das hochkant stehende, breite Riesenbett fiel von der Wand, und Sturmharfe tat den Sprung seines Lebens ... Doch da traf ihn der Fuß eines Bettpfostens, wie eine Löwentatze geschnitzt, an rechter Schulter und Seite. Danach konnte er den Arm nicht mehr bewegen. Unnötig zu erwähnen, dass ihm auch das Schwert aus der
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Hand geschlagen wurde. Während er noch dalag, sprang schon Brostos auf ihn zu. »Ich weiß genau, wer Ihr seid!«, schrie der Fürst, doch mit einer dunklen Stimme, welche nicht zu ihm zu gehören schien. Eine harte Hand fuhr ihm in die Haare und riss seinen Kopf hoch. Der Sänger ahnte, was jetzt kommen musste. Sein Gegner würde ihm den Schädel wieder und wieder auf den Boden knallen. »Ihr seid Schwarzgult, gesteht es!«, schrie der Dicke und erhob sich. Statt Sturmharfes Hinterkopf zu misshandeln, zog er den Barden am Haarschopf hinter sich her. Es ging rund um das Bett. »Euer Körper nützt mir viel mehr als der dieses verfetteten Riesensäuglings!« Der Mann, welcher manchmal als Sturmharfe, manchmal als Schwarzgult auftrat, griff verzweifelt in seine Gürteltasche. Doch jeder magische Gegenstand, welchen er berührte, löste sich sofort in nichts auf. Faerod Silberbaum lachte seinem alten Feind ins Gesicht. »Ich weiß jetzt dieses Zepter auf die rechte Weise zu gebrauchen. Ihr werdet gleich Thanglar Brostos sein und am eigenen Leib miterleben dürfen, wie die Feinde mit dem Burgherrn umspringen. Gleich kommen sie, und dann werdet Ihr sterben, Schwarzgult. Glaubt mir, ich weiß, wie sich das anfühlt; denn ich wäre schon lange tot, wenn der Magier mich nicht wiedererschaffen hätte!« Da tauchte unvermittelt Craer auf, hörte die Stimme, welche er nie mehr zu vernehmen gehofft hatte, und stach mit seinem Dolch zu.
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Die zweite Verwundung ließ Silberbaum zusammenbrechen, und Schwarzgult wehrte sich verzweifelt dagegen, von dessen massigem Körper zerdrückt zu werden. Im letzten Moment konnte Sturmharfe/Schwarzgult sich zur Seite rollen und erheben. Wenigstens sein Schwert wollte er mitnehmen. Die feindlichen Soldaten, welche gleich hier hereinkommen würden, sollten das Vergnügen haben, Silberbaum zu erschlagen. »Ihr entkommt mir nicht!«, schrie Silberbaum mit zerhackter Stimme, weil er sich gegen Brostos wehren musste, welcher in Resten noch in ihm vorhanden war. Der fette Mann stürzte sich auf den Barden und schleuderte ihn zu Boden. Schwarzgult kam auf dem verletzten Arm auf und schrie vor Schmerzen. Vergeblich wehrte er sich gegen das ungeheure Gewicht, als Silberbaum sich auf ihn warf. Diesmal schlug er den Hinterkopf des Erzfeindes wieder und wieder auf den Boden. Die beiden wälzten sich miteinander ringend durch den Raum. Silberbaum hielt von Zeit zu Zeit ächzend inne, wenn der Wahnsinn des Grafen sich wieder in seinem Verstand Bahn brach. Schwarzgult hingegen, dessen rechter Arm verletzt war, konnte kaum mehr versuchen, als sich keuchend von seinem Gegner zu entfernen. Aber nie erhielt er dadurch genügend Freiraum, um sich des einen Rings zu bedienen, welcher ihn zu heilen vermochte. Wenn Silberbaum Herr seiner selbst war, versuchte er wiederum, sich und Schwarzgult zu der Stelle zu bewegen, an welcher der tote Stallknecht lag ... mit dem Zauberzepter in
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der Hand. Silberbaum heulte wie von Sinnen, als er die Ecke des Bettes erreichte, hinter welcher der Tote lag. Unter anderen Umständen hätte Sturmharfe keine Mühe gehabt, mit diesem ungeübten, verfetteten Körper fertig zu werden. Aber die Schmerzen in seiner rechten Seite brachten ihn fast um den Verstand. Im nächsten Moment fühlte Schwarzgult sich wieder gezogen und landete auf einem Fellteppich ... und einem Tuch, das aussah wie aus Schatten gemacht. Er trat nach seinem Peiniger. Craer, der sich wieder im Irgendwo befand, sah eine Stiefelsohle auf sich zukommen. Er zog daran, und Faerod Silberbaum verlor das Gleichgewicht. Auf allen vieren kam Faerod über Schwarzgult und legte ihm die Hände um die Kehle, um ihn zu würgen und so seinen Widerstand zu brechen. Doch Sturmharfe stieß ihm das Tuch der Schläfrigkeit ins Gesicht. Faerod Silberbaum, Thanglar Brostos und wer sich gerade sonst noch in dem beleibten Körper befinden mochte, kippten zur Seite und blieben reglos liegen. »Sterbt!«, knurrte Craer und stach zum dritten Mal zu. »Zur Hölle mit Euch, Silberbaum!« Dann fiel der Beschaffer auf den Fellteppich und blutete heftig. Neben ihm lag der fahrende Sänger und schluchzte vor Schmerzen. Ohne die Augen zu öffnen, setzte er die Kräfte des Heilrings frei ... Die roten Nebel vor ihm verzogen sich, und Fürst
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Schwarzgult konnte sich wieder bewegen. Erst auf die Knie aufstützen, und dann sogar aufstehen. Er brachte das Zepter an sich, fühlte sich bei jedem Schritt besser und lief um das Bett herum, um sein Schwert zu finden. Unterwegs kam er an dem Beschaffer vorbei, hielt inne und berührte ihn mit dem Heilring. Dabei beugte er sich über den Bewusstlosen. »Ihr habt mir stets bestens gedient, Craer Delnbein. Viel besser als jeder Krieger und alle Eure Vorgänger ... Nun will ich Eure Blutung aufhalten und mit Euch zum Schweigenden Haus zurückkehren. Denn dort sind Eure Freunde in Not und bedürfen Eurer ...« Craers Lider flatterten, und Sturmharfe lächelte. Er wob den Zauber, welcher den Beschaffer forttragen würde, und so geschah es, noch während der kleine Mann stöhnend erwachte und gleich seinen Dolch hob ... Als das Flimmern erstarb und der Beschaffer verschwunden war, stürmten die Soldaten mit dem Wappen der Fürsten Glarond und Maerlin herein. Fürst Schwarzgult lächelte ihnen zu, als sie mit wildem Kriegsgeschrei und blutbeschmierten Schwertern auf ihn zustürmten. Er brachte rasch sein Schwert und ein mit Juwelen besetztes Kästchen an sich. Dann drehte er an dem Ring, in welchem so viel Magie brodelte ... Und ließ sich forttragen. Zur Tarnung setzte er vorher noch den Bettvorhang in Brand. Dann trug ihn der Dwaer ins Schweigende Haus.
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Fünfundzwanzig
Mangel herrscht an Königen C Zwei Männer in kostbaren Gewändern schritten über den Marmorboden, welcher sich endlos auszudehnen schien. Sie kamen an steinernen Nachbildungen von Wachsoldaten und offenherzigen Frauen vorbei, würdigten diese aber keinen Blickes. Lebende Wächter mit ähnlich steinernen Mienen öffneten ihnen schon die Türen des königlichen Hofes, als sie der beiden ansichtig wurden. Dahinter gelangten sie in einen Saal, dessen Dunkelheit nach ihrem Eintreten sofort durch zauberische Lichtpunkte vertrieben wurde. Im Leuchten wurden Wandteppiche mit lebendigen Jagddarstellungen sichtbar. Doch die beiden hatten weder für das eine noch das andere Wunder Augen. Endlich erreichten sie die Tür zum inneren Hof. Hier trugen die Wächter vergoldete Waffen. Und auch sie öffneten den Ankömmlingen gleich den Zugang. Die beiden schritten hindurch und ohne anzuhalten weiter bis zur Mitte des riesigen Raumes, wo der Flussthron aufgestellt war.
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Auch hier schauten die Edlen weder nach links noch nach rechts, denn was sie zu erledigen hatten, ging nur den König etwas an und duldete keinen Aufschub. An der untersten Stufe beugten die Edlen das Knie. Aber gerade nur so tief, wie es Männer zu tun pflegen, welche sich für zu wichtig halten, um vor jemandem niederzuknien. Dann warteten sie mit gesenktem Blick darauf, von Seiner Majestät angesprochen zu werden. Im ganzen Saal herrschte Schweigen. Jeder wusste, dass die beiden im Hader miteinander lagen. Tatsächlich waren sie von der Mündung des Stroms hierher gereist, um ihren Streit klären zu lassen. Als sich nach einer Weile noch nichts getan hatte, richteten sie ihren Blick nach oben – und fanden den Thron leer vor. Nach einem langen Moment der Ungläubigkeit sahen sie zögernd einander an und drehten sich dann suchend in alle Richtungen. Niemand hielt sich in dem Saal auf, nicht einmal ein Diener. Verwirrt sahen die beiden wieder einander an. Was war hier vorgefallen? Da kam dem einen eine Idee, und er lief nach links, wo eine Tür leicht offen stand. Ihr Gegenstück auf der rechten Seite war hingegen geschlossen. Der andere hatte natürlich keine Lust, allein vor dem leeren Thron zu verweilen, und lief dem ersten hinterher. Notgedrungen schoben sie die schwere Tür gemeinsam auf und staunten danach erneut: Der große Gang hinter der Tür wies Teppiche, Wandbehänge und Topfpflanzen auf – aber keinen einzigen Menschen.
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Die beiden setzten sich wieder in Bewegung und liefen im Gleichschritt und so schnell, wie es ihre Würde eben noch zuließ, über die Bodenfliesen. Der lange Gang endete vor einer breiten Treppe. Links und rechts davon verliefen Galerien mit vielen Türen. Hier verlangsamten die beiden ihre Schritte. Nun galt es, sich zu entscheiden. Da ertönte von der linken Galerie ein Krachen, so als wäre etwas Metallenes auf den Boden gefallen. Dem folgte ein Schmerzensschrei. Die beiden Edlen verschluckten eine Verwünschung, vergaßen alles vornehme Getue und rannten in die Richtung, aus welcher die Geräusche gekommen sein mussten. Doch hinter jeder Tür erwartete sie ein neuer Gang, eine weitere Treppe oder ein bisher unbekannter Saal ... Nur die Geräusche wurden lauter und kündeten von einem schweren Kampf ... gar einer Schlacht? Nach einer Weile glaubten sie schon, eine Eroberungsarmee sei in den Palast eingedrungen. Jetzt klirrten voraus nicht nur Waffen, sondern es fauchte auch von magischen Blitzen. Und Schmerzensschreie ertönten. Die beiden Edlen zogen ihre Klingen und wünschten sich im selben Moment, sie hätten richtige Waffen dabei und nicht nur ihre Zierschwerter. Dennoch rannten sie voller Mut los. Nach ein paar Ecken gerieten sie in Rauch, welcher ihnen anzeigte, dass sie sich auf dem rechten Weg mitten in die Schlacht befanden. Jetzt krachte es voraus unaufhörlich, hackten Äxte in Holz und schwirrte es so eigentümlich in der Luft, wie es nur Ma-
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gie kann. Dann erkannten die beiden vor blauem Flimmern die ersten Krieger, welche aufeinander einschlugen. Die Edlen stürmten vor und hieben alles nieder, was sich ihnen in den Weg zu stellen wagte ... und fluchten, als sie feststellen mussten, dass das Fleisch ihrer Gegner wie Kerzenwachs herunterschmolz. Als dann einige dieser merkwürdigen Krieger vor ihnen zerplatzten, erblickten sie endlich den Auferstandenen König, der in blauem Licht schwebte und zu ihnen herablächelte ... Ein dichter Ring von Soldaten umgab den Herrscher. »Aufhören!«, rief einer der beiden. Die Strahlung war so hell, dass sie glaubten, durch den König hindurchsehen zu können. Die beiden hoben ihr Schwert, um den Magier zu erschlagen, welcher Seiner Majestät das antat – entdeckten aber keinen. Einmal versuchte der König, aus dem Ring auszubrechen, aber da vollführten die Soldaten eine halbe Drehung, und Schneestern prallte zurück. Die beiden Höflinge entdeckten, dass die Krieger überhaupt kein Gesicht besaßen. Keine Nase, keine Augen, keinen Mund – nur eine glatte Fläche. Bei anderen hingegen zerlief das Gesicht, als bestünde es aus Kerzenwachs. Mitunter trat an einigen Stellen der bloße Knochen zu Tage. Die beiden Edlen schrien um die Wette und gaben dann Fersengeld. »Eines schönen Tages findet Ihr nicht mehr den Weg zu-
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rück!«, grollte Hawkril und umarmte den Kleinen so fest, dass dieser schmerzlich das Gesicht verzog. Craers Blick fiel auf den mit Blut beschmierten Dolch in seiner Hand, und er entgegnete: »Ihr habt leicht reden, Leuchtturm ... Wenn ich nur eine Ahnung hätte, wer mir das antut. Alles, was ich weiß, ist, dass es sich um denselben Mann handeln muss, der Embra den Dwaer gestohlen hat.« »Wenn wir ihn erwischen, schneiden wir ihm zuerst die Hände ab«, sagte der Hüne. »Dann nehmen wir ihm die Steine ab, und schließlich händigen wir ihn der Herrin aus, damit sie mit ihm abrechnen kann.« »Und was machen wir mit ihm«, fragte der Beschaffer, »während sie noch nachdenkt?« »Wir benutzen seine Knochen als Hüpfkissen«, schlug der Recke vor. Ingryl Ambelter, ehemaliger Hofzauberer bei den Silberbaums, zog das Gesicht aus der verzauberten Maske und setzte statt ihrer ein Lächeln auf. »Ihr Narren«, murmelte er in Richtung der Schlangenpriester. Suchten die sich doch tatsächlich den Tempel von Hoaradrim für ihre Verschwörung aus! Fürchteten sie sich denn weder vor Zauberfallen noch vor dem Zorn der Götter? Dieses Bauwerk erhob sich unweit der Insel Treibschaum und damit nahe beim Flussthron. Verschwörer suchten es gern als Schlupfwinkel aus. Wie alle alten Tempel fanden sich hier reichlich Bildnisse von Vorvater Eiche. Waren die Schlangenpriester denn so dumm zu glauben, Zauberer würden wegen dieser Steinge-
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sichter davor zurückschrecken, einen Bann dorthin zu schleudern? Ambelter brauchte nicht mehr zu tun, als mit der Hilfe seines Maskenzaubers Ausschau nach den Schlangen zu halten. Wenn einer herankäme, brauchte der Magier nur sein Gesicht in die Maske zu stecken und konnte schon alles sehen und hören ... Bei zweien der Verschwörer hatte es sich um Schlangengläubige aus den umliegenden Orten gehandelt. Sie waren ganz aufgeregt darüber, mit so vielen wichtigen Personen zusammenzukommen. Die beiden Nächsten waren Priester aus der mittleren Ebene gewesen. Sie rechneten damit, dass die Schlangenanhänger sich erheben und den Flussthron angreifen würden. Schließlich zeigte sich ein Priester von höchstem Rang. Ein Wesen, halb Mensch und halb Schlange, in einen übergroßen Umhang gehüllt. Eine Botschaft, welche er tunlichst für sich behielt, schien ihn sehr aufzuregen. So viel ließ sich aber erkennen: Die Neuigkeit wirkte sich nicht unbedingt zum Vorteil der Schlangen aus. Sie begannen ihren Götzendienst, als der Mond über den Tempelruinen aufging. Wenn die Oberpriester mit ihrer Wandlung begännen, wenn sich ihr Leib verlängerte und sich ihre Beine zurückbildeten, wenn sie also wahrlich halb Mensch und halb Schlange geworden waren – Dann würde Ingryl den König und einige Höflinge unter einem Vorwand nach draußen locken und zu den Tempelruinen führen, damit sie es mit eigenen Augen sehen konnten
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... Der Bannmeister lächelte ob der Klugheit seines Plans und schenkte sich noch ein Glas Sirler Roten ein. Wahrlich, ein köstlicher Tropfen. Wenn er erst auf dem Flussthron säße ... Nicht so voreilig! ermahnte er sich. Erst war Faerod Silberbaum an der Reihe, und danach würde sein ach so treuer Hofmagier seine Gelegenheit erhalten. Er grinste breit und richtete den Blick auf seinen Arbeitsplatz, wo er die vertracktesten Zauber entwickelte. Zuerst den Zauber des Flüchtigen Hauchs, ein Bann, mit welchem sich klammheimlich die Banne aufspüren ließen, von denen der König umgeben war. Dann eine Verbindung zu ihnen hergestellt und in den Geist Schneesterns eingedrungen. Umso leichter würde er sich später überreden lassen, die Burg zu verlassen und die Tempelruinen aufzusuchen. Über die Verbindung ließ sich nach Belieben nachhelfen. Ambelter bevorzugte keine Gewalt. Dafür gab es schließlich Soldaten und andere Schwertschwinger. Und nun frisch ans Werk. Ingryl sandte den Suchzauber aus ... und wartete. Diesmal dauerte es aber lange. War der König denn außer Haus? Und wenn ja, wo steckte er? Ambelter wartete noch länger, und die drei Kerzen, welche er für diesen Zauber angezündet hatte, brannten immer tiefer herab. Der Magier runzelte die Stirn und entwickelte rasch einen Zusatzzauber, um herauszufinden, ob Schneestern entweder seine drei Banne abgelegt hatte ... oder am Ende verstorben war ... Zu seiner großen Verwunderung half ihm auch der Zusatz
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nicht weiter. Aber das war doch unmöglich. Seit ewigen Zeiten bestand ein besonderes Band zwischen Schneestern und der Schlange ... Damit konnte der König sich nicht erfolgreich vor Suchzaubern verbergen. Und wenn Schneestern sich eines stärkeren Banns bedienen sollte, würde Ambelters Magie das leicht bemerken. Aber all diese Gewissheit half ihm nichts – der König von Aglirta blieb wie vom Erdboden verschluckt. Ambelter stattete seinen Zauber mit einem weiteren Zusatz aus, welcher an die Feuerabwehrbanne am Flussthron anknüpfte. Und da sah er ihn auch schon in aller Deutlichkeit vor sich: den Thron, aber nicht den König. Ingryl kam zu der Erkenntnis, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich persönlich an Ort und Stelle umzusehen. Er fädelte sich in die Verbindung ein ... ... und spürte schon den Marmorboden unter seinen Stiefeln, und ein Wächter schrie erschrocken auf. »Wer seid Ihr, Herr?«, fragte der Soldat einen Moment später. »Jemand, der sich große Sorgen um den Verbleib Seiner Majestät macht«, antwortete Ingryl. »Könnt Ihr mir da vielleicht Auskunft geben?« »Nicht so recht. Einige haben erklärt, er sei mitten aus einer Schlacht bei seinen Privatgemächern entschwunden.« Nach diesen Worten war die Überraschung auf Ambelters Miene nicht geschauspielert. »Wer behauptet denn solches?«, fasste er sich rasch wieder. »Agent Saerlor zum Beispiel, Herr. Er behauptet, das mit
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eigenen Augen gesehen zu haben. Im ganzen Palast redet man von nichts anderem mehr –« »Führt mich zu diesem Mann!«, unterbrach der Magier ihn barsch. »Aber wer soll dann so lange den Thron bewachen, edler Herr?« »Seit wann muss denn ein leerer Thron bewacht werden, Mann?« »Was soll denn das?«, schimpfte die Edle und versuchte, sich aufzurichten. »Na, das lassen wir aber mal schön bleiben«, sprach Sarasper und drückte Embra sanft, aber bestimmt zurück. »Erst heile ich Euch zu Ende, mein Fräulein, und dann dürft Ihr gern wieder versuchen, Euch erschlagen und erstechen zu lassen.« »Danke ...«, entgegnete die Herrin der Edelsteine leise, schloss die Augen und streckte sich wohlig, während der Schmerz nachließ. Als sie das nächste Mal erwachte, fuhr sie gleich wieder hoch, und diesmal drückte der Heiler sie fester nach unten. »Alter Mann!«, fuhr sie ihn an. »Wer, glaubt Ihr eigentlich, gibt Euch das Recht –« Der Armbrustbolzen krachte gegen die Wand und prallte ab. Steinsplitter regneten auf Embras Beine. »Ich nehme es mir einfach, weil die Ehre mir gebietet, Euch wenigstens zu Ende zu heilen, ehe Ihr gleich wieder umgebracht werdet.« Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Aber meinetwegen, hebt erst den einen und dann den anderen Arm, immer ab-
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wechselnd, habt Ihr verstanden?« »Habt Ihr eine neue Taktik entwickelt, unsere Feinde zu verwirren?« Embra ging es offensichtlich schon bedeutend besser. In diesem Moment flog Craer mit einem schrillen Schrei über die Edle hinweg und schleuderte einen Dolch auf einen unsichtbaren Feind. »In unserer Lage müssen wir alles versuchen«, gab Sarasper zurück, ohne die Miene zu verziehen. Er packte die junge Frau und drückte sich mit ihr in den Schutz eines Torbogens. »Aber gewiss doch«, entgegnete Saerlor, warf sich in die Brust und zwirbelte seine Schnurrbartenden. »Ich habe selbst gesehen, wie Seine Majestät verging.« »Schön, schön!« Ingryl vermochte kaum, seine Ungeduld zu zügeln. Aber zunächst wandte er sich an den Wachsoldaten, welcher ihn hierher geführt hatte. »Ihr dürft Euch jetzt zurückziehen.« Als der Mann zögerte, fügte Ambelter hinzu: »Ich werde Euch vor dem König loben.« Und gleichzeitig gab er ihm zauberisch den Zwang ein, sich sofort zu verziehen. »Und mit wem habe ich die Ehre?«, fragte der Tersept von oben herab. Ingryl verbeugte sich tief vor dem Beamten, aber nur, um sein Triumphlächeln vor ihm zu verbergen. Und um das Wort zu flüstern, welches den nächsten Bann wirksam werden ließe. Einen Moment später gab Saerlor ein spitzes Geräusch von sich, und Ambelter erhob sich, um ihm siegesgewiss ins Gesicht zu sehen.
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Die beiden starrten sich an, während der Zauberwurm sich im Gehirn des Tersepten ausbreitete. Der Mann zuckte und hüpfte. Der Magier hielt ihm sicherheitshalber mit einer Hand den Mund zu. Der Wurm nährte sich vom Gehirn seines Opfers, grub neue Windungen. Das störte Ingryl aber nicht, denn er benötigte nur einige bestimmte Erinnerungen von seinem Gegenüber. Und die erhielt er sogleich. Das Ritual des Vergehens war vollzogen worden, und soweit sich das absehen ließ, hatte der König selbst es in die Wege geleitet. Gut möglich aber auch, dass die gesichtlosen Krieger ihn dazu gezwungen hatten. Wie dem auch sei, die Schlange war ebenfalls erschienen, um Schneestern zu töten. Aber das war ihr nicht gelungen, und jetzt musste sie mit dem König in den Schlummer zurück. Kein Wunder, dass der Schlangenpriester vorhin so verstört gewirkt hatte ... Der Agent erwies sich trotz seiner Gefallsucht als überraschend genauer Beobachter. Ingryl hätte nie gedacht, dass es so viele Gesichtslose gab. Woher mochten sie gekommen sein, und wohin waren sie jetzt verschwunden? Fast könnte man meinen, dass jeder Zweite im Palast zu den Koglaur gehörte. Saerlor hatte sich mittlerweile in einen sabbernden Idioten verwandelt. Ambelter hatte genug erfahren und ließ den Taumelnden einfach zurück. Er eilte zur nächsten Geheimtür, welche zwischen zwei Säulen angebracht war, und betätigte den geheimen Öffnungshebel.
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Die vielen Spinnweben verrieten ihm, dass der König den dahinter liegenden Gang noch nicht entdeckt hatte. Aber schließlich gab es in diesem Palast drei Dutzend davon. Nicht auszuschließen, dass Schneestern einfach noch nicht genügend Zeit gefunden hatte, sie alle zu erkunden. Ingryl lief durch die Dunkelheit, rannte die Treppe hinunter und zählte die Stufen. Nach der festgelegten Zahl stand er vor einer Tür, welche sich durch Druck auf den rechten Pfosten öffnen ließ. Er durchquerte den Gang, welcher sich in den unteren Stockwerken der Burg befand. Durch die wenigen Fenster drang Sonnenlicht herein. Bald stand Ambelter vor einer Tür, welche sich scheinbar durch nichts von den anderen unterschied. Aber als er sie an einer bestimmten Stelle küsste und ein Wort flüsterte, welches keiner bekannten Sprache anzugehören schien, löste sich die Tür auf. Der Zauberer schob die Hand hindurch und berührte die Hängenden Würmer, welche dahinter hingen und einen besonderen Schutz darstellten. Ingryl gehörte zu den wenigen, welche durch dieses Hindernis gelangen konnten. Er ekelte sich vor den Würmern, aber leider gab es keinen anderen Weg. Im nächsten Moment erstarrte er und blickte verständnislos auf das Schwert, welches aus dem Nichts gekommen zu sein schien und nun bluttriefend aus seiner Brust ragte. Ebenso ohne Vorwarnung schnellte die Hand vor, welche ihn auf die Nase boxte. Der nachfolgende Arm nahm seinen Kopf in die Beuge und drehte ihn einmal hart nach links und einmal hart nach rechts, um dem Zaubermeister das Genick
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zu brechen. Doch gleichzeitig verfolgte Ambelter, wie sich die Hängenden Würmer um den Feind schlossen, welcher ihn angegriffen hatte. Er wusste, dass sein Gegner des Todes war. Wenig später löste sich die Hand von ihm, und im Fallen riss der Mann auch das Schwert aus seiner Brust. Im selben Moment hielt der Magier die Hand mit den Heilringen an seine Brust. Doch im nächsten Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und er fiel auf seinen Attentäter. Das Letzte, was er zu sehen bekam, war, dass sein Gegner überhaupt kein Gesicht hatte. Sehr viel später kam Ambelter wieder zu sich. Magisches Feuer durchströmte ihn, und der Heilprozess, von seinen Ringen ausgelöst, war fast abgeschlossen. Der Zauberer fühlte sich schon wieder kräftig genug, sich von dem Toten zu befreien, welcher auf ihm lag. Nun galt es, seinen Körper gegen einen neuen, besseren auszutauschen. Aus dem Körper dieses Koglaur würde er sich einen neuen schaffen, und der musste nicht unbedingt ein menschliches Äußeres haben. Nur wenige beherrschten so viel Magie wie Ingryl Ambelter. Er sandte seinen starken Willen aus und spürte mit einem Mal Fleisch, das sich von etwas löste. Die Schleimwürmer, wie die Hängenden Tiere wegen ihrer tödlichen Absonderungen auch genannt wurden, drehten sich zu ihm um, als sich ein Kopf aus dem Leib des Zaubermeisters Bahn brach. Als er ganz aus dem alten Körper gestiegen war, teilte sich
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der Vorhang der Würmer vor ihm. Ingryl hatte zwar mit einigem gerechnet, aber das verblüffte selbst ihn. Er begab sich in den Raum dahinter und gleich zu dem Tisch mit dem Sarg. Dessen Abwehrblitze konnten ihm nichts anhaben. Aber sie hinderten ihn daran, den schweren Deckel mit Hilfe seiner Magie zu heben. Im Grab lagen die sterblichen Überreste seines ehemaligen Herrn Gadaster Mulkyn – und mit ihm eine große Menge magischer Energie. Auf die hatte Ingryl es abgesehen. Wenn er sie nur erreichen und rechtzeitig ein bestimmtes Wort ausstoßen könnte. Natürlich würde Gadasters Hülle darunter noch mehr zerfallen, aber schließlich wurde so etwas doch von einer Leiche erwartet, oder? Ambelter stemmte sich gegen den Deckel und stellte überrascht fest, dass der so leicht war wie Papier. Er stieß ihn ganz fort, so dass der auf den Tisch und dann auf den Boden fiel. Nun beugte sich der Zaubermeister vor und sprach das bewusste Wort, um Gadasters Kaltes Feuer zu erwecken ... Damit würde er seine neuen Körper vervollständigen und sich eine Weile in diesem Sarg auf die Lauer legen ... und die Koglaur beobachten. Um sich ein Bild davon zu machen, in welcher Verkleidung sie auftraten. Dann würde er in die Träume der Schlangengläubigen eindringen und ihnen befehlen, diese Feinde der Schlange zu töten. Mehr noch, er würde so tun, als sei er die Schlange selbst. Ein Magier von seinen Möglichkeiten war durchaus dazu in der Lage.
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Wenn er wieder zur alten Form zurückgefunden hatte, würde er sich das Aussehen des Auferstandenen Königs geben, sich auf den Flussthron setzen und ganz Aglirta beherrschen. Wer würde ihn dann schon durchschauen können? Jeder, der sich gegen ihn stellte, sollte eines schrecklichen Todes sterben ... so wie die Gesichtslosen, welche er zu Feinden des Reiches erklären wollte. Als ersten königlichen Befehl würde er verkünden, dass der Fürst Berias Loushoond ihm am Hof als Ratgeber dienen solle. Natürlich würde er vorher in den Geist dieses Narren eindringen, damit der Fürst nicht wieder alles falsch machte. Und um ihm aufzutragen, mit einem ganzen Regiment Ritter zu erscheinen. Schließlich musste Treibschaum ja von irgendwem verteidigt werden. Herrliche Zeiten standen vielleicht nicht unbedingt dem Reich, aber ganz gewiss Ingryl Ambelter bevor ... Da der König und die Schlange gemeinsam ins Reich des Schlummers zurückgekehrt waren, würden wieder die Waffen und die Banne zu ihrem Recht kommen. Und all die streitsüchtigen Fürsten würden zu ihm, dem allermächtigsten Zauberer kommen, würden sich vor seinem Thron verneigen ... ... und von ihm Beistand und vor allem Kampfzauber erbitten. Im Sarg des Gadaster Mulkyn lag ein blutiges Gebilde wie eine Mischung zwischen Mensch und Schleimwurm. Ingryl lachte laut, als er an all die Banne dachte, welche er in der ehemaligen Burg Silberbaum verborgen hatte.
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Wie viele davon würde er gegen seine Feinde einsetzen? Ja, er besaß mehr Zauber als Gegner. Und was Embra und die drei in sie verliebten Trottel anging, da hätte Samtfuß eben besser aufpassen sollen. Hätte er diese Landplage doch schon viel früher ausgeschaltet...
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Sechsundzwanzig
Vom Tod, von alten Zaubern und von noch älteren Feinden C Die Herrin der Edelsteine schüttelte ungläubig das Haupt. »Was für ein Glück, dass meine Vorfahren jeden Unsinn für bare Münze genommen haben, wenn er nur mit Magie zu tun hatte.« So viel Krimskrams, Nippes und Kitsch hatte sie nicht erwartet, stopfte aber brav einen Gegenstand nach dem anderen in die Tasche. »Wenn man bedenkt, dass sich hier noch mehrere Räume voll von solchem Zeugs befinden ...« »Seid doch froh darüber«, wandte Hawkril ein. »Ich finde diese Figürchen auch abscheulich, aber fünf davon haben ausgereicht, Euch zu heilen.« Auf der anderen Seite des Raums war Sarasper damit beschäftigt, alles einzustecken, was nicht niet- und nagelfest war. Man konnte ja nie wissen ... Sie waren in eine hohe Kammer mitten in dem runden Turm am Südende des Schweigenden Hauses gelangt. Über ihnen stützten massive Säulen das hohe Kuppeldach.
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Zwei weitere Schlachten in den dunklen Gängen lagen hinter der Viererbande. Danach hatte Sarasper alle drei Gefährten behandeln müssen. Seitdem führte der Heiler die Gruppe an. Hier in der Kammer durften sie sich halbwegs sicher fühlen. Nicht weniger als sechs hintereinander liegende versperrte und verrammelte Türen schützten sie vor der Außenwelt. Hier hatten sie erst einmal gegessen und sich ausgeruht – obwohl die Feinde keine Ruhe gaben. Mindestens zwei der sechs Türen hatten diese bereits aufbrechen können. Überall im Schweigenden Haus trieben sich Eindringlinge herum. Wo immer die einzelnen Gruppen aufeinander trafen, kam es gleich zur Schlacht. Immer wieder waren von irgendwo Todesschreie zu vernehmen. Die Gefährten waren auf Jäger mit dressierten Nachtkatzen gestoßen, auf Söldnerbanden und auf einen Magier, welcher Tote wiederbelebt hatte. War denn halb Aglirta dem Dwaer-Rausch verfallen? Im verfallenen Palast der Silberbaums trieben bereits mehr Banden ihr Unwesen als in den Ruinen von Indraewyn. Embra stampfte durch den Raum und warf den Helm in eine Ecke, welchen Hawkril ihr wieder aufgesetzt hatte. »So etwas trage ich nicht«, verkündete sie. Als der Hüne etwas entgegnen wollte, hob die Edle eine Hand und sprach: »Nichts von dem, was wir bislang unternommen haben, hat uns auch nur einen Dwaer eingebracht – nur noch mehr Feinde!« Die drei anderen nickten und harrten ihrer weiteren Ausführungen. Doch die blieben aus, weil jetzt die Tür zu dieser Kammer aufbrach und Scharen von Kriegern schreiend ein-
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drangen. »Oh, wir bekommen Besuch!«, rief der Beschaffer. Er stand auf einem Schrank und schleuderte den Soldaten ein Fass entgegen, welches er hier oben entdeckt hatte. »Eine hohe Ehre für uns«, blies Hawkril ins gleiche Horn und schickte den Angreifern einen großen Tisch entgegen. Die Krieger sahen sich einer ganzen Flut von Möbelstücken gegenüber, welche ihnen entgegenschwappte. Krachen, Stöhnen und Schreien waren zu hören. Und dann plötzlich nichts mehr. Die Gefährten hielten die Waffen bereit und warteten. Aber da war nur einer, der kraftlos auf allen vieren davonkroch. Die Vier sahen sich an und wussten, dass die nächste Bande sich nicht lange bitten lassen würde. Noch keine Stunde verging, da ertönten aus dem Gang Befehle. Da schien ein Offizier mit Soldaten zu kommen, oder? Embra und Craer konnten sich gerade noch einen Blick zuwerfen, da stürmten sie schon herein. Doch es kamen lediglich zwei. Beide in Plattenrüstung und mit geöffnetem Visier: links eine Frau, rechts ein Mann. »Wir halten hier die Stellung, bis unsere Fähnlein eingetroffen sind«, ordnete der Bärtige an. Nacheinander erschienen zwei Männer mit Maske, welche jeder mehrere Wurfmesser in der Hand trugen. Ihnen folgten vier Harfenspieler ... und dann vier Pfeifer mit Flöten. »Seid gewarnt, Kameraden«, wandte sich der Hauptmann an seine Truppe, »vielleicht erwartet uns hier ein furchtbares Ungeheuer.
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Oder grässlicher noch, die Hexe Silberbaum. Gut möglich, dass sie mit ihrem Zauber die Möbel hier zum Fliegen gebracht hat, damit sie auf die Kämpfer nieder fahren!« Er warf sich in die Brust: »Ich, Amarandus der Löwe, kenne keine Furcht, denn niemals musste ich eine Niederlage schmecken. Wir, die Klirrende Klinge und die Hoffnung Aglirtas, werden nicht rasten noch ruhen, bis wir den Ruhm errungen haben. Gebt Acht, ihr Schurken weit und breit –« »Gebt lieber Ruhe!«, rief Craer und schleuderte eines seiner Messer auf den blitzenden Ritter. Amarandus schlug es wieselflink mit seinem Schwert aus der Bahn. Doch der Beschaffer hatte gleich einen zweiten Dolch hinterhergeworfen, und der traf den Löwen mitten in den Bart. Der Mann vergaß auch jetzt seinen Auftritt nicht. Er fasste sich an die Kehle, drehte sich zweimal um die eigene Achse und fiel dann der Länge nach hin. Die beiden Messerwerfer in der Begleitung des Amarandus schleuderten nun ihrerseits ein Messer nach dem anderen. Doch da erhob sich Hawkril wie ein neu entstandener Berg mitten aus dem Möbelmeer, und von seiner Rüstung prallten die Klingen ab. Er watete auf die Gruppe zu und schwang dabei langsam sein Riesenschwert von der einen auf die andere Seite. Die Messerwerfer sprangen rasch in Sicherheit. Als die Frau dem Hünen entgegentrat, reihten sich die Musiker dahinter wie Zuschauer bei einem Turnier auf. Zwei weitere Dolche flogen den Gefährten entgegen, woraufhin die das nicht unbeantwortet ließen. Der eine der
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beiden Messerwerfer war nicht schnell genug. »Haben die denn keinen Zauberer dabei?«, entfuhr es Embra. »Handelt es sich bei diesem selbst ernannten Löwen nur um einen Tölpel?« »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht ...«, murmelte Sarasper, und das nicht ohne Grund. Die Frau hatte sich knapp außerhalb der Reichweite von Hawkrils Schwert befunden, und sein Hieb ritzte ihr die Handfläche auf. Darauf zog sie sich lächelnd den Handschuh aus, streute ein wenig Rost in das Blut und murmelte etwas dazu. »Hawkril, zurück!«, schrie Embra. »Der Bann löst Metall auf!« Und schon flog ein Dolch des verbliebenen Messerwerfers auf sie zu. Zu spät, dachte die Edle, dem kann ich nicht mehr ausweichen. Doch da geschah zweierlei: Ein zweiter Dolch fing den des Messerwerfers in der Luft ab, und ein dritter drang dem Schleuderer tief in die Brust ein. Offenbar hatte Craer heute seine Freude daran, seine Messer paarweise zu werfen. Die Kriegerin stampfte nun vorwärts, und die Rüstung fiel von ihr ab. Genauso erging es Hawkril und seinen Panzerplatten. Er wich zurück und schleuderte in höchster Not das Langschwert so weit wie möglich von sich. Zu schade, wenn er dieser Waffe verlustig gegangen wäre! Unter dem Panzer der Kriegerin kamen zahllose Gurte mit Messerscheiden zum Vorschein. Sie schleuderte einen Dolch nach dem anderen auf den Recken. Bei genauerem Hinsehen stellte Embra fest, dass es sich dabei eher um armlange Dornen handelte, welche aus den
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Urwäldern im Süden stammen mussten. Sobald der Hüne das Möbelmeer hinter sich gebracht hatte, ging er hinter einem Schrank in Deckung. »Wandert der Bann mit ihr?« »Nein«, riefen die Herrin und der Heiler wie aus einem Munde. »Dann ist es ja gut«, entgegnete Hawkril, erhob sich und trat der Ritterin entgegen. »Ergebt Euch«, forderte er sie auf. »Nein, Ihr werdet sterben!«, kreischte sie und stürzte sich auf den Hünen. Schon rangen die beiden miteinander, und die Musikanten stießen sich gegenseitig fort, um besser sehen zu können. Die Kriegerin stach mit ihren Dornen auf Hawkril ein. Nach dem zweiten Treffer fing er ihre Hand ab, blockierte die andere mit dem Ellenbogen und hieb ihr ins Gesicht. Sie drehte sich um ihren eigenen Arm, weil er die Hand nicht losließ, und nach einigem Knacken ihrer Knochen schleuderte der Hüne sie mitten hinein in die Möbel. Schlaff versuchte die Kriegerin, sich aufzurichten, und sackte gleich darauf reglos zusammen. Die Musikanten spendeten Beifall, und Hawkril bedachte sie mit einem düsteren Blick. Als die Gefährten wieder beieinander standen, bemerkte der Recke: »Ohne Rüstung fühle ich mich nackt.« »Hier gibt es auch eine Waffenkammer«, teilte Sarasper ihm mit, »aber wir müssen erst zu ihr hingelangen.« Hawkril sah sich nach seinem Riesenschwert um. »Ist es noch heil?« »Wenn es auf dem Boden zerbrochen wäre, dann hätten wir es klirren gehört«, beruhigte ihn die Herrin. Der Hüne
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ging aber lieber selbst nachsehen. Die Musikanten standen immer noch an der Tür, weil sie sich neue Aufregung versprachen, und das wurde ihr Untergang. Der Erste von ihnen sah eine Klinge aus seiner Brust herauswachsen. Er kippte erst langsam nach vorn und dann sehr schnell, weil ein Fußtritt von hinten nachhalf. Während die anderen Musikanten auseinander spritzten, befahl eine dunkle Stimme aus dem Gang: »Lasst sie doch in Ruhe!« Craer und Embra brachten sich hinter den Möbelstücken in Sicherheit. Sarasper zog sich aus, verbarg seine Taschen und Beutel unter den Sachen und verwandelte sich wieder in eine Wolfsspinne. Hawkril kehrte aus einer der hinteren Ecken zurück und hielt sein geliebtes Kriegsschwert – und das nicht vergeblich, denn schon erlebten die Gefährten den nächsten Auftritt. Drei Ritter hatten sich bereits dort aufgebaut, wo vorhin die Pfeifer gestanden hatten. Drei weitere stellten sich gerade neben sie. Zwischen ihnen erschienen zwei Magier. Der eine trug einen mannshohen Zauberstab. Die acht machten den Eindruck, alles kurz und klein schlagen zu wollen. »Viererbande!«, rief einer der Zauberer. »Ergebt Euch uns, und händigt uns zum Wohle des Reiches Eure Dwaerindim aus!« Craer hielt der Edlen eine Hand vor den Mund. »Ich kenne einen der Zauberer dort drüben, wenn auch eher aus Erzählungen über seine Taten denn persönlich.« Dann rief er laut zurück: »Wie könnte es dem Reiche frommen, einer
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Bande von Halsabschneidern aus Sirlptar solch mächtigen Zauber zu überlassen?« »Wir verfügen bereits jetzt über ausreichend Macht, jeden einzelnen der Fürsten, welche sich auf dem Marsch zum Palast befinden, in seine Burg zurückzujagen. Wir sind auch stark genug, die Anhänger der Schlange in Angst und Schrecken zu versetzen. Und wir fühlen uns in der Lage, dem Land den Frieden zurückzugeben. Mit Hilfe der Zaubersteine könnten wir das sogar binnen weniger Tage bewerkstelligen.« »Wir dienen dem Auferstandenen König!«, sprach der Beschaffer. »Wem aber dient Ihr?« »Wir alle dienen dem rechtmäßigen König! Niemand sollte es wagen, die Treue der Schwerter von Sirlptar in Frage zu stellen!« »Bullenscheiße!«, erwiderte Craer. »Noch nie hat ein Zauberer aus Sirl jemand anderem als sich selbst gedient!« »Glaubt Ihr das wirklich, Beschaffer?«, ließ sich zum ersten Mal der zweite Magier vernehmen. Er trat mit seinem überlangen Zauberstab vor. Dieser schien aus einem dunklen Metall angefertigt zu sein und wies an seiner gesamten Länge Haken und Widerhaken auf. Der zweite Zauberer hielt den Stab so, dass sich das eine Ende auf Craer und das andere auf Hawkril richtete. Also handelte es sich dabei um einen so genannten echten Zauberstab, der zweimal auf einmal Feuerkugeln spucken konnte. »Dann seid Ihr bislang wohl nur Menschen niederen Sinnes begegnet. Dabei findet man in Sirlptar sowohl Reiche wie auch Arme, Ehrenhafte und Ehrlose.
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Wir sind ein großer Hafen und ziehen alle Arten von Menschen an. Alle leben unter dem einen Dach unserer Stadt. Und deswegen sind wir auch eher geeignet, das Reich zu führen, als irgendein Tölpel von Fürst aus dem Hinterland.« »Oho«, entgegnete Craer, »Ihr fühlt Euch also geeignet, über das Reich zu herrschen? Wird es für euch acht nicht ein wenig eng auf dem Thron?« »Das haben wir nicht gesagt!«, widersprach der erste Magier. »Und wir pflegen auch nicht unsere Zeit mit sinnlosem Geschwätz zu vertun. Deswegen fordern wir euch alle nochmals auf, uns euch und die Steine zu übergeben. Seid gewarnt, dass wir uns alles auch mit Gewalt nehmen können!« Jetzt war es an Embra, ihren beiden Gefährten zu bedeuten, dass sie schweigen sollten. Sie erhob sich und trat zu den Neuankömmlingen vor. »Bevor ich euch mit einem Bann niederstrecke, wüsste ich gern genauer, mit wem ich es zu tun habe.« Der erste Magier verbeugte sich übertrieben und sprach: »Verzeiht bitte meine schlechte Kinderstube. Herrin Silberbaum, ich möchte Euch Nlorwold Doppelstab vorstellen. Wir haben uns vor Jahren angelegentlich einer Jagd kennen gelernt. Mich selbst nennt man übrigens Ressheven von den Zwei Monden.« Craer räusperte sich vernehmlich. Der Name hatte sich in allen Schänken den Strom hinauf und hinab herumgesprochen. In Zwei Monden lernten Zauberlehrlinge, Magie als Kriegswaffe zu benutzen.
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»Nun, da wir uns bekannt gemacht worden sind«, erklärte Embra, »sollten wir doch versuchen –« Sie wurde unterbrochen, weil es am Eingang zu gelinder Unruhe kam. Dann traten ein Dutzend Musikanten und Schreiber ein. »Oho!«, rief jetzt auch die Edle. »Ihr bringt die Zeugen gleich mit, welche der Nachwelt von euren Taten künden sollen?« »Schluss jetzt!«, rief Nlorwold. »Die spielen doch nur mit uns. Freiwillig rücken die nie einen Stein heraus! Ihnen geht es allein darum, von den Barden als lustige Hanswurste besungen zu werden!« Er hob den Stab, so dass sich dessen beide Enden auf jeweils ein Ziel richteten, und betätigte ihn. Aber Craer und Hawkril brachten sich noch rascher in Sicherheit. Nlorwold hielt den Stab jetzt längs und versuchte, zuerst den Hünen auszuschalten. Flammenspeere rasten zwischen die Möbel. Embra lächelte verschmitzt und löste den Zauber aus, welchen sie während des Wortwechsels hinter ihrem Rücken vorbereitet hatte. Rings um den Magier mit dem Riesenstab flogen die Fliesen aus dem Boden. Das riss ihn von den Füßen, und er krachte gegen zwei der mitgebrachten Ritter. Inzwischen hatte auch Ressheven einen Bann bereit. Ein Schwarm Dolche mit Krähenflügeln erfüllte mit einem Mal die Luft. Diese stürzten sich auf die Gefährten und die Musikanten aus der ersten Gruppe. Craer ließ sich fallen und rollte sich ab.
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Hawkril wurde zweimal geschnitten, ehe er sein Schwert hochgerissen hatte und die Flugklingen abwehrte. Zwei Musikanten fielen derweil von einem Schrank. Ein Dritter sackte zusammen, als ihm ein fliegendes Messer ins Auge fuhr. Sobald einer dieser Dolche getroffen hatte, so beobachtete die Herrin der Edelsteine, löste er sich auf. Noch während sie hinschaute, sauste eine dieser geflügelten Klingen bereits auf sie zu. Embra schlug mit beiden Händen um sich, weil ihr keine Zeit mehr für einen Abwehrzauber blieb. Tatsächlich konnte sie das Messer abwehren. Und es verging. Die Edle musste gar nicht erst hinsehen, um zu wissen, dass die Schneide ihr die Hand aufgeschlitzt hatte. »Embra, unternehmt etwas dagegen!«, brüllte der Recke, dem eine Klinge durch die Hand gefahren war.
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Siebenundzwanzig
Götter warten gern mit Überraschungen auf C Die Fürstin Silberbaum sah, wie Hawkril von Flugdolchen umschwirrt wurde, und schluckte. Sie besaß keinen Zauber, der mit allen Klingen gleichzeitig fertig wurde ... Anders sähe die Sache aus, wenn sie den Magier selbst treffen könnte ... Doch bevor Embra sich endlich zu etwas durchgerungen hatte, schritt Sarasper längst zur Tat. Unbemerkt von den Gegnern war er an der Hinterseite des Möbelberges hinaufgekrabbelt. Nun sprang er unter die Decke und ließ sich mit aller Wucht gegen die Tische und Schränke schwingen. Eine ganze Lawine ging auf Ressheven nieder, und ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, einen Schrei auszustoßen. Einen Moment später war von den fliegenden Messern nichts mehr zu sehen. Wer von den Rittern nicht unter den Möbeln begraben wurde, sprang rasch fort und wenn möglich aus der Kammer hinaus. Der Langzahn krabbelte bereits wieder den Berg hinauf
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und warf sich mit allen acht Beinen dem Nlorwold gegen die Brust. Der Zauberer ging zum zweiten Mal zu Boden, und die langen Zähne der Wolfsspinne rissen ihm die Kehle auf. Den Kopf warf er den Musikanten zu. Pelzige Spinnenbeine griffen nach dem Doppelstab, doch ein Ritter wollte das vereiteln und hieb mit dem Schwert nach den Klauen, welche die Stange hielten. Sarasper brüllte vor Schmerz, und Blut schoss aus seinen Beinen. Der Ritter fasste Mut und hob erneut das Schwert. Ein weiterer erholte sich von seinem Schrecken und fing an, die Wolfsspinne zu bedrängen. Noch ehe Hawkril seinem Gefährten zu Hilfe eilen konnte, hatten die Ritter bereits mehrfach den Riesenzauberstab getroffen, welcher darunter zerplatzte. Die Explosion schleuderte den Langzahn quer durch den Raum, und Hawkril wurde gegen eine Säule geworfen. Von den Rittern und Musikanten blieben nur Gliedmaßen übrig, welche durch die Luft wirbelten. Flaeros Delkamper sah dem auf seiner Bahre mit Entsetzen entgegen und legte schützend die Arme um den Kopf. Keinen Moment zu früh, denn schon begann sich seine Bahre um die eigene Achse zu drehen. Während er glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, flogen Köpfe und Beine über ihn hinweg. Und dann trat von einem Moment auf den anderen unfassbarerweise Ruhe ein. Flaeros wagte es, die Finger vor seinen Augen zu spreizen und hindurchzuspähen. Er entdeckte vor allem andere, die es ihm gleichtaten. Zwei Ritter krochen auf eine Stelle zu, wo ein dritter un-
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ter Schutt begraben lag. Craer und Embra kamen gerade an einer anderen Stelle wacklig wieder auf die Beine. Ressheven von den Zwei Monden richtete sich kerzengerade auf. Seine kostbaren Gewänder waren beschmutzt und zerrissen, und er wirkte furchtbar wütend. Er suchte und fand die Fürstin, streckte eine Hand aus und rief: »Sterbt, Hure des Königs!« Funken sprühendes Rotweiß schoss aus seiner Hand. Embra schlug Purzelbäume, um dem Energiestrahl zu entgehen. Das Fauchen fuhr in eine der Säulen und zerschmetterte den Stein. Eine Stichflamme und eine Rauchwolke stiegen hoch, und einen Moment später sackte die Säule in sich zusammen. Auch aus der Decke lösten sich Teile, und alles, alles, alles kippte auf Flaeros Delkamper zu ... Ingryl Ambelter erschauerte, als ein magischer Energieschub aus Gadasters Gebeinen aufstieg. »Wer gebraucht denn so viel Magie? Und zu welchem Zweck?« Zuerst wollte der Magier aus dem Sarg steigen und nachschauen gehen. Aber dann blieb er doch liegen und sagte sich, dass es sich hier tief unten in der Kammer aushalten ließe, von welcher außer ihm niemand etwas wusste. Die Säule kam mit ohrenbetäubendem Getöse auf und erschlug gleich zwei Musikanten. Ein dritter lief um sein Leben und hätte dabei beinahe Flaeros auf der Bahre über den Haufen gerannt.
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Der Liegende versuchte, die Räder zu drehen und sich so in Bewegung zu setzen. Schon sprang der Musikus über ihn hinweg und landete im Gang dahinter. Zwei weitere Pfeifer kamen herangelaufen, rissen Flaeros hoch und trugen ihn ein Stück weit auf den Gang hinaus. Delkamper bat, ihn dort liegen zu lassen, und sie liefen weiter. Flaeros richtete sich so weit auf, dass er an der Wand lehnen konnte. Sein Bein schien vollkommen zermalmt zu sein. Er schaute in den Raum zurück und hätte seine Bahre beinahe nicht gesehen, so sehr lag sie mitten unter den Trümmern und dem Schutt. Embra kam es so vor, als krieche sie schon ewig. Ein Bein gehorchte ihr nicht mehr, und der viele Staub in der Luft ließ sie immer wieder husten. Hawkril an einer anderen Säule hatte sich bereits wieder aufgerichtet. Sarasper aber lag noch immer leblos ein Stück weiter auf dem Boden, während er sich langsamer als sonst zurückverwandelte. »Lasst mich das übernehmen!«, hörte man Craer irgendwo aus der Staubwolke. Im nächsten Moment schlug dort ein Energieblitz ein, wo er sich gerade noch befunden hatte. Der Zauberer Ressheven schien noch gut beieinander zu sein. Sein Bann löste die Staubwolke im Zeitraum eines Augenaufschlags auf. Craer kroch zwischen den Möbeltrümmern herum und bewarf den Magier aus Sirl mit Holz- und Menschenbeinen, mit zerbrochenen Schwertern und Regalbrettern. Die Edle hörte hinter sich ein Rumoren und wirbelte her-
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um. Aber da schritt nur Hawkril mit entblößtem Oberkörper auf den Zauberer zu. Er hielt den Rest eines schweren Tisches wie einen Schild vor sich. Embra spürte den Schmerz im Bein, kroch aber trotzdem in Richtung des Heilers weiter. Tatsächlich schlug Sarasper jetzt die Augen auf. Wieder fauchte ein Blitz durch die Luft, aber diesmal galt er dem Beschaffer. »Mein Fräulein«, ächzte der alte Heiler, »gebt mir die Silberbaum-Figürchen ... Rasch, denn mir ... tut jeder einzelne Knochen weh!« »In den Chor könnten wir wohl alle einstimmen«, meinte die Fürstin und schob ihm einen der zauberischen Gegenstände in die Hand. Es bedurfte aber sechs der Figürchen, bis der Alte endlich leise sprach: »Das reicht, nun werde ich überleben.« Gleich hob er eine blutige Hand. Embra küsste sie und drückte sie an sich. Schon spürte die Herrin, wie die Heilenergie in sie einströmte. Sarasper wurde kräftiger, und in gleichem Maße bewegte er seine Hand selbstständiger an ihrem Körper entlang. Er lächelte, als sie leise stöhnte. Aber dann meinte die Edle: »Die Dwaerindim befinden sich irgendwo hier. Nicht nur einer ... Ich spüre sie ganz genau.« Sie riss sich von ihm los und fing an, in den Trümmern zu graben. »Ihr müsst von Sinnen sein!«, tadelte der Alte sie. »Bedenkt doch die Gefahren!« Embra drehte sich um und sah nach Ressheven. Der stimmte gerade eine Beschwörung an. »Ich muss es eben
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drauf ankommen lassen.« Im nächsten Moment flogen die Fliesen aus dem Boden und regneten auf Hawkril und seinen Tisch hinab. Embra stellte ihr Graben ein, weil sie dafür einfach noch zu schwach war. Der Hüne lag an der gegenüberliegenden Wand unter dem Tisch. Und auf diesem türmte sich ein ganzer Berg von Steinfliesen. Die Edle schaute wieder nach dem Magier. Doch er stockte mitten in seiner Beschwörung, obwohl die noch gar nicht abgeschlossen war. Aus seinem Mund kam keine Zunge, denn ein Messer hatte seine beiden Wangen durchbohrt, eine von Craers Wurfwaffen. Die zweite ließ nicht lange auf sich warten und fuhr dem Sirler ins rechte Auge. Damit kehrte erneut Ruhe ein. Kein Feind war übrig geblieben, und von den Musikanten würde wohl keiner so größenwahnsinnig sein, es mit der Viererbande aufnehmen zu wollen. Embra wollte sich erleichtert wieder an die Arbeit machen, als sie entdeckte, dass der Beschaffer entsetzt an ihr vorbeistarrte. Craer wieselte heran, und jetzt wurde auch der alte Heiler darauf aufmerksam, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Er hob den Kopf und bemerkte eine schwebende Wolke über sich, welche lediglich zwei Löcher aufwies, womöglich ihre Augen ... Und ein größeres Loch ... dazu zwei ausgefahrene Streifen, die wohl Arme und Hände darstellten. »Mein Fräulein, wir brauchen einen Abwehrzauber, rasch!«
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Die Fürstin stöhnte und ächzte. Sarasper erkannte, dass sie nicht so sehr unter ihren Schmerzen litt, sondern darunter, viel zu wenig Zeit zur Verfügung zu haben. Unter Aufbietung aller Kräfte packte der Alte die Edle und schob sie fort, möglichst aus dem Bereich der unheimlichen Wolke. Diese bedeckte nun die gesamte Fläche über dem Heiler, und es gab für ihn kein Entkommen mehr. Er schaute sich nach einem Ausweg um. Hawkril versuchte gerade, sich unter dem Berg der Bodenfliesen freizuschaufeln, und Craer war ebenfalls durch Schutthaufen von ihnen getrennt. Der Alte erkannte, dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Er nahm so viele Figürchen, wie er nur zu greifen vermochte. Vielleicht könnte er ja noch sich und die Herrin heilen, ehe die Wolke ihn bedeckte ... »Seht nur, die Tür!«, rief Craer in diesem Moment. Er meinte den Ausgang aus einer Säule, durch welche die Geistwolke gekommen war. Dahinter stolperte der Hüne heran. Doch im Ausgang selbst erschien etwas, ein menschenähnliches Wesen. Etwas wie ein Leichnam voller Spinnweben und Schimmel. Eine Mumie, welche eine Schatulle an sich presste. Einen Moment später kippte sie nach vorn, langsam zuerst und dann immer schneller. Die Mumie zerfiel, einzelne Teile flogen noch hoch, und dann war alles verschwunden. Ein Sturmwind kam auf und wehte den Leichenstaub fort.
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Nicht genug damit, wurde auch die Geistwolke von dem Wehen erfasst und fortgeblasen. Ein leises Heulen war noch zu hören und dann nichts mehr. Embra und der Heiler sahen sich mit großen Augen an. Dann fiel ihr Blick auf die Schatulle, welche nicht zusammen mit der Mumie untergegangen war. Ein Kästlein von doppelter Handlänge und halb so breit. Der Deckel war zu, aber nicht verschlossen. Der Heiler näherte sich der Schatulle, und die Blicke der Fürstin und des Beschaffers folgten ihm. In dem Kästlein befand sich nicht mehr als eine Schrifttafel aus Metall. Trotz der vielen Schnörkel vermochte Sarasper den Text zu lesen. Seine Stirn legte sich in so tiefe Falten, dass Embra es nicht länger aushielt. »Was ist das da?«, fragte sie und beugte sich so weit über ihn, dass sie ihm das Licht nahm. »Magie natürlich«, antwortete der Alte. »Eine Anleitung dafür, wie man durch Geisteskraft in einen Dwaer eindringt und eine Verbindung zu ihm herstellt.« Hawkril traf bei der Gruppe ein, und jetzt waren sie wieder vereint. »Hier steht geschrieben, wie man den Besitzer an den Stein bindet und umgekehrt, und dass der Träger des Dwaer so lange lebt, wie es den Stein gibt. Und der ist dann als Einziger fähig, den Dwaer zu wecken und sich seiner Kräfte zu bedienen ...« Embra sah die drei anderen an. »Wenn einer von euch das je versuchen sollte, werde ich ihn persönlich töten. Um Aglirtas willen – denn eine Schlange ist schon mehr als genug!«
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Sarasper blickte zu ihnen hoch und nickte langsam. »Ich bin der gleichen Ansicht.« Er klappte den Deckel zu und fragte erschöpft: »Und was soll ich jetzt damit anfangen? Soll ich die Truhe zerstören?« »Nein«, erklang eine tiefe, deutliche und beeindruckende Stimme. »Gebt sie mir!« Als die Vier die Köpfe drehten, flammten drei Dwaerindim wie ein einziger Stein auf und glühten in der dunklen Kammer wie gespenstische Sterne. Streifen magischen Schimmers strahlten von dem pochenden Licht aus und umfingen die Schatulle mit einer glühenden Kugel der Macht – und Sarasper, der immer noch mit der Schatulle in der Hand auf dem Boden kniete, umfing eine weitere, wenn auch weniger hell leuchtende Kugel. Alle Mitglieder der Viererbande starrten verwundert auf die drei Dwaerindim, als diese hinter eine andere Säule flogen wie kleine Kolibris, obwohl es sich doch um faustgroße Steine handelte. Als die Dwaerindim auf der anderen Seite der Säule wieder zum Vorschein kamen, beschrieben sie träge Kreise um einen langsam einherschreitenden Mann, welchen keiner der Vier jemals wieder zu sehen erwartet hätte. Den Fürsten Schwarzgult. »Ihr habt euch all der Mühen unterzogen, um einen König aufzuwecken ... und er verschwindet einfach wieder«, bemerkte er spöttisch und mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, als er die verwirrten Blicke bemerkte. »Ich glaube fast, es ist wieder an der Zeit, dass Aglirta einen neuen König bekommt.« Ein Dwaer spuckte Zauberfünkchen, und Ezendor Schwarz-
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gult trug plötzlich eine Krone und hielt ein gespenstisches Zepter aus Licht in Händen. Die Zeichen der Königswürde blitzten in all ihrer Pracht und verschwanden wieder. Das Lächeln des Fürsten wurde breiter. »Ich grüße euch, Bande der Vier. Ich glaube, zwei von euch stehen noch in meinen Diensten.« Embra Silberbaums Augen blitzen auf. »Ihr!« Sie starrte den Feind aller Silberbaums zornbebend an, und um ihre geballten Fäuste herum loderte das Feuer ihrer eigenen Magie. »Habt Ihr meinen Vater getötet?« »Nein«, antwortete Schwarzgult der Zauberin und lächelte müde. »Das ist das Einzige, das nicht in meiner Macht steht, Embra. Denn sehet, ich bin Euer Vater.«
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Achtundzwanzig
Wo ein Fürst, da auch eine Schlacht C Der Lächelnde Wolf von Sart wurde seinem Beinamen gerecht. Er galoppierte auf seinem Ross dahin, während der Tersept von Gilth neben ihm sich kaum im Sattel halten konnte. Hinter ihnen ritten die Tersepte und Kaufleute, welche mutig genug gewesen waren, sich ihnen anzuschließen, und dazu so viele Söldner, wie er sich mit seinem Geld hatte kaufen können. Trotz der dahinjagenden Rösser würden sie nicht mehr rechtzeitig anlangen. Das halbe Reich hatte sich schon auf den Weg zum Schweigenden Haus gemacht. Die ersten Pferde keuchten, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ausfielen. Wenn sie doch nur noch ein Weilchen durchhielten ... Die Reisegruppe jagte um eine Biegung, erblickte vor sich die Hügelkette, auf welcher sich die Ruinen des ehemaligen Silberbaum-Palastes erhoben ... Und konnten sich doch nicht freuen. Denn vor ihnen be-
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fanden sich zwei feindliche Schwadronen Ritter, welche aufeinander einstachen und einhieben. Der Wolf von Sart zügelte sein Ross und hoffte, dass die anderen aufpassten und nicht einer in ihn hineinritt. Er richtete sich im Sattel auf und spähte nach vorn. Ursprünglich hatte er gehofft, der Viererbande das abzunehmen, was sie dort gefunden hätte. Und wenn einer schneller gewesen sein sollte, nun, dann sollte der sich nicht lange daran erfreuen. Die Reihen der Kämpfer vorn faserten auseinander. Banne regneten auf ihre Rücken. Dabei ließ sich nirgends ein Magier entdecken. Doch da, die Gräber – Kapuzengestalten entstiegen ihnen. Einige davon schienen zu kriechen, weil sie keine Beine besaßen, und aus ihren Schuppenhänden stammte der Zauber. »Die Schlangen!«, schrie einer aus der Gruppe des Wolfs. »Die Götter mögen sie verfluchen!« Die Banne fegten auf brutale Weise eine Gasse zwischen die Schwadronen. Die Kapuzenmänner winkten bestimmten Rittern zu. Diese näherten sich ihnen gehorsam und vereinigten sich mit ihnen. Der Wolf erkannte an ihnen die Wappen von Glarond und Maerlin. Einige Gestalten hoben die Schuppenhände, und blaues Feuer schnellte vor, um in einer festen Wand des Schweigenden Hauses ein Tor zu schaffen. Der Wolf schüttelte leise den Kopf. Die einmalige Gelegenheit, sich der Krone zu bemächtigen, war zerstoben. Zunichte gemacht von den Schlangen. Im Halbdunkel eines reichlich zerstörten Raums im
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Schweigenden Haus vollführte Embra eine Geste und schickte so die Schatulle zu Schwarzgult. Der Fürst Schwarzgult lächelte, als die Schatulle schließlich auf den Steinen des Bodens liegen blieb. Ein einzelner Dwaer flammte gehorsam auf – und ein kleiner Wirbelwind aus Steinen erhob sich aus dem Schutt und begrub die Schatulle unter sich. Hawkril blickte seinen einstigen Herrn an und fragte: »Ihr, Fürst – als König?« Bevor Schwarzgult antworten konnte, mischte sich Sarasper ein. »Niemals!«, zischte er, und sein Körper verwandelte sich plötzlich wieder in einen Wirbel aus Zähnen und rötlichen Haaren ... Embra hob die Hand. Ihre Augen wirkten dunkel und riesig in ihrem weißen, zuckenden Gesicht, und sie starrte den Fürsten unverwandt an. Schwarzgult zuckte mit keiner Wimper. »Ihr wollt mein Vater sein? Das glaube ich Euch nicht!«, flüsterte sie schließlich. Als der immer noch lächelnde Schwarzgult den Kopf drehte, um ihr zu antworten, hüpfte Sarasper in der Gestalt des Langzahns auf den Fürsten zu. »Das ist ein Märchen«, erklärte der Fürst und achtete nicht weiter auf die Wolfsspinne. »Eins von den Märchen über Liebe und zwei Fürsten, welche Narren waren – aber es ist das Eure. Eines Tages werdet Ihr es vielleicht hören wollen.« Während er sprach, flammten zwei der Dwaerindim auf und umkreisten einander in einem anmutigen Tanz – und Sarasper Kodelmer war plötzlich wieder er selbst, ein beinahe nackter, zerbrechlicher alter Mann, knochig und mit Alters-
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flecken. Er war mitten in der Bewegung erstarrt, die Augen weit aufgerissen und die Hände wie Klauen vorgestreckt. Am Eingang entstand Unruhe, denn dort räumte man den aufgetürmten Schutt hastig zur Seite. Die Fürsten von Aglirta in der ganzen schimmernden Pracht ihrer besten Rüstungen platzten in die Kammer. Schwarzgult schloss die Neuankömmlinge in das strahlend fröhliche Lächeln ein, mit welchem er die Vier bedacht hatte. »Um all Eure Fragen zu beantworten, Hawkril«, erklärte er, »ich dachte wirklich daran, als Herrscher zu regieren, bis sich der König wieder in der Lage sieht, unter uns zu weilen.« »Gotteslästerung!«, schrie einer der Fürsten, und überall in der Kammer wurden Schwerter aus ihren Scheiden gezogen. Zusätzlich zu den Fürsten drängten sich jetzt auch noch Ritter, Schlangenpriester, Tersepte und vor Furcht weißgesichtige Musikanten in den Raum. Hoch oben an den Wänden wurden unterdessen staubige, mit Brettern versehene Türen aufgebrochen. Noch mehr Männer kamen dort oben zum Vorschein und betraten Treppen, welche lediglich mit einigen wenigen, seit langem zerbröckelten Stufen nach unten führten, bevor sie im Nichts endeten. Trotzdem blieben die Männer auf diesen unzuverlässigen Hühnerstangen stehen und starrten wie gebannt nach unten, wo sich zahlreiche Hände um ebenso viele Schwertgriffe schlossen. Der Fürst Schwarzgult schaute alle Anwesenden an und meinte: »Anscheinend versammelt sich hier zum ersten Mal ganz Aglirta – lasst uns deshalb mehr Platz schaffen.«
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Die drei Dwaerindim flammten gleichzeitig auf und umschwebten den Fürsten in gewundenen Bögen – und der Schutt mitsamt den Leichen und Möbelteilen hob sich vom Boden, flog in eine entfernte Ecke und türmte sich dort zu einem unordentlichen, riesigen Haufen auf. In das ehrfürchtige Schweigen zischte der Fürst Maerlin: »Ihr als Herrscher? Schwarzgult, Euer Schurkentum ist der Grund, warum wir einen Herrscher brauchen! Was macht Euch besser als mich? Warum soll der König nicht Maerlin heißen?« »Maerlin! Maerlin!«, nahmen ein paar seiner Ritter den Vorschlag auf. »Ruhe!«, brüllte ein anderer Fürst. »Im Gegensatz zu Euch, Drückeberger Schwarzgult, sehe ich keinen Grund, so voreilig einen neuen Herrscher zu benennen. Das gilt auch für Euch, Maerlin der Gierige! Lasst doch –« Jemand schleuderte einen Dolch hoch über die Köpfe der Menge, der dann an einem fürstlichen Ohr vorbeipfiff und das Kinn des dahinter stehenden Ritters aufschlitzte. Binnen eines Augenblickes explodierte der Raum, und wildes, lautstarkes Kampfgetümmel brach aus. Schwerter prallten aufeinander, und Männer hackten aufeinander ein, stachen zu und starben. Craer und Hawkril stellten sich schützend vor Embra, als die Luft sich mit fliegenden Dolchen, Schwertern und sogar Steinen füllte. Den Blick hielten sie die meiste Zeit auf die Schlangenpriester in ihren Kutten gerichtet, welche sich in die äußersten Ecken des Raumes zurückgezogen hatten und sich darauf beschränkten, Abschirmzauber zur Verteidigung zu wirken.
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Falls irgendwelche Magier anwesend waren, so hielten sie sich bedeckt. Embra wandte sich Schwarzgult zu, zeigte auf Sarasper und stieß wütend hervor: »Ihr mögt mein Vater sein oder auch nicht, aber lasst ihn herunter! Ich werde auf Leben und Tod mit Euch kämpfen, wenn Ihr ihn nicht herunterlasst!« Der sonst so spöttische Fürst Schwarzgult machte sich nicht über sie lustig, sondern nickte nur und meinte leise: »Das ist erledigt, Embra. Schützt Euch vor anderen, nicht vor mir.« Während er sprach, flammten die Dwaerindim auf, und Sarasper Kodelmer sank sanft auf den Boden zurück. »Zum Sargh noch mal!«, fluchte der alte Heiler, nachdem er geblinzelt und die aufeinander einschlagenden Männer gemustert hatte. »Was nun?« Ein Tersept starb durch ein Schwert, welches ihm durch den Mund ins Hirn drang. Er fiel laut schreiend gegen eine Wand und rutschte dann blutend zu Boden. Dabei zerquetschte er beinahe einen fluchenden, vor Pein wimmernden Barden, welcher noch versuchte, von dem Kampf getümmel wegzukriechen. Flaeros Delkamper war ein Barde von Aglirta und würde nichts von alledem verpassen, solange ihn nicht die Götter selbst vom Ort des Geschehens wegzerrten. Der blutige Sturz des Tersepten brachte ihn auf eine Idee. Er kämpfte sich in eine sitzende Stellung neben einem Toten hoch, täuschte eine Ohnmacht vor und rief den Vodal auf. Der verbeulte Ring, welcher nie seinen Finger verlassen hatte, erwachte zum Leben. Durch halb geschlossene Augen beobachtete Flaeros, wie
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Männer starben und schrien und Befehle brüllten, und insgeheim schaute er nach jenen aus, welche nicht das waren, was ihr Äußeres vorgab. Er brauchte nicht lange, bis er einen fand. Fürst Maerlin war mitnichten ein stämmiger Mann in schimmernder Rüstung, sondern ein Schlangenpriester mit geschupptem Kopf und einer gespaltenen Zunge, ganz abgesehen von einem Schwanzansatz. Darüber hinaus murmelte er etwas vor sich hin und richtete ein Zepter mit Schlangenzähnen an der Spitze auf ... den Fürsten Schwarzgult. Ein grüner Schimmer pulsierte an einem Ende des Zepters und kroch dann langsam über dessen Oberfläche. Bevor er richtig darüber nachgedacht hatte, was er nun tun sollte, hatte Flaeros Delkamper das dünne Schwert gezogen, welches ihm seine Onkel überreicht hatten, und sich an der Wand hochgestemmt. Der junge Barde befeuchtete seine Lippen und stählte sich gegen die Todespein, die ohne jeden Zweifel kommen würde. Ihm blieb nur eine Gelegenheit, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen ... und um ganz Aglirtas willen durfte er sie nicht vertun. Nachdem er tief Atem geschöpft hatte, machte Flaeros Delkamper mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen zwei taumelnde Schritte – und ihm entrang sich nur ein qualvolles Stöhnen, als er von hinten den Schlangenpriester niederschlug und wie wahnsinnig auf den Nacken des zischenden, mit Schuppen bedeckten Mannes einhackte, bis dieser fiel.
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Von den Qualen seines wieder wie in Flammen stehenden Beines übermannt, brach Flaeros über seinem Opfer zusammen und wand dem Priester das Zepter aus der Hand. Er hämmerte damit auf den Boden ein in dem Versuch, es zu zerbrechen. Von allen Seiten kamen Männer mit erhobenen, zum Zustechen bereiten Schwertern auf ihn zugerannt. Schlangenanbeter! »Meine Onkel«, ächzte Flaeros, »ich sterbe einen guten Tod. Für Aglirta!« Aber bevor ihn die schmalen Klingen erreichten, stürzten sich andere Männer auf die Schlangenkrieger, stießen sie zur Seite oder überrannten sie. Flaeros rutschte verzweifelt von dem Priester, welchen er umgebracht hatte, rollte sich von dem Leichnam weg und rief den Vodal an, weil er wissen wollte, um wen es sich bei seinen Rettern handelte. Dann sah er, dass sie keine Gesichter hatten. Flaeros musste schlucken. Aber immer noch griffen Hände nach dem Zepter, welches der junge Barde nicht losgelassen hatte. Eine halbe Raumesbreite von Flaeros entfernt lächelte Ezendor Schwarzgult. Ein Dwaer blitzte auf, und das Zepter in der Hand des jungen Barden fing Feuer und flammte blendend weiß auf. Flaeros schrie auf und ließ das Zepter fallen. Der Spross der Delkampers kroch schmerzgekrümmt weiter und ließ das Zepter auf den Steinen zurück, wo es hingefallen war. Dort lag es, viel zu heiß, als dass irgendein Mann es hätte anfassen, geschweige denn aufheben können, um ei-
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nen Zauber damit zu wirken. Der Fürst von Schwarzgult winkte mit einer Hand, Dwaer-Feuer loderte auf, und der zitternde Flaeros Delkamper fand sich plötzlich zu Füßen des Fürsten auf den Knien wieder. Der Mann, welcher in einer Spirale ihn umringender Dwaerindim stand, sprach zu Sarasper: »Heilt ihn. Ich bitte Euch darum.« Der alte Mann schaute den Fürsten für einen Augenblick schweigend an, drehte sich um, griff sich ein Figürchen aus einem von Embras Beuteln und wandte sich seiner Arbeit zu. Embra starrte Schwarzgult an und dann das Kampfgetümmel, das langsam auf sie zuwogte. Mit vor Angst weißen Gesichtern hasteten Musikanten an den Wänden entlang. Zwar bissen sich viele vor Angst auf die Lippen, aber manche hielten doch jetzt gezückte Dolche in den Händen. Ihre Blicke suchten Flaeros. Und dann gab es etwas Neues zu sehen. Noch mehr Krieger drängten in den Raum – Männer, welchen das Fleisch auf groteske Weise von den Wangenknochen getropft zu sein schien. Die Geschmolzenen traten in die Schlacht ein. In ihrer Mitte schritt ein fetter Magier mit Haaren wie schmutziges Stroh und eisgrauen Augen einher, welcher giftig Beschwörungen sang und Befehle erteilte. Korloun, der Hofmagier von Maerlin, lächelte Embra triumphierend an, als sein Blick den ihren traf – und schickte die Geschmolzenen direkt in ihre Richtung. Wie ein furchtloser, bewaffneter Keil kamen sie hauend
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und stechend heran, und wo ein Geschmolzener auf Männer traf, welche sich ihm mutig in den Weg stellten, so explodierte das Wesen in Blutklumpen und Knochensplitter und nahm seine Feinde mit ins Nichts. Als ob Korlouns Magie das Signal gewesen wäre, füllte sich plötzlich der ganze Raum mit zauberischer Energie – Schlangenpriester und bislang im Verborgenen gebliebene Zauberer leierten ihren Singsang herunter und stammelten wild ausgestoßene Beschwörungen. Flammenbanne zerstörten Treppen und ließen sie krachend in die Tiefe und mitten in das Kampfgetümmel stürzen, und die darauf stehenden Männer fielen hilflos auf die Köpfe von Musikanten wie auch Schlangenpriestern. Aber die schimmernden Zauberflammen, welche mit jedem Biss Fleisch wegfraßen, waren fast allesamt auf die Geschmolzenen gerichtet oder den Magier in ihrer Mitte. Korlouns Keil wurde zu einem kleinen, hart bedrängten Ring, noch bevor Soldaten mit dem Wappen von Adeln durch die Tür hereinströmten und sich ihren eigenen blutigen Weg in das Kampfgetümmel schlugen. Der Boden glänzte feucht vor Blut und war mit Toten übersät, aber immer noch spießten Schwerter schreiende Kämpfer auf. Zauberer kreischten vergeblich Banne und wurden von Äxten in Stücke gehackt; von Todesangst gepackte Barden und Tersepte hasteten zwischen all den zuschlagenden Klingen hierhin und dorthin. Die Geschmolzenen waren an eine Seite abgedrängt worden und rangelten dort mit einer Vielzahl von Kutten tragenden Schlangenpriestern – und wie eine große, schimmernde
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Pfeilspitze schritten die Recken von Adeln unter der Führung eines Riesen in Rüstung genau auf den Fürsten Schwarzgult und die Viererbande zu. »Ihr Götter«, keuchte Craer, als der Riese von einem Mann den dritten Dolch des Beschaffers mühelos zur Seite schlug. »Schaut ihn euch nur an!« »Der gehört mir«, grollte Hawkril und bewegte sich mit starrem Gesicht auf den Gegner zu. Embra sandte einen schnellen Blitzstrahl an dem fast nackten Hünen vorbei, aber als der Zauber die Rüstung des Riesen traf, löste er sich in einen knisternden Nebel auf und zuckte dann zurück zu der Fürstentochter. Die Herrin möge es verhüten, aber sie hatte es hier mit einem Abwehrzauber zu tun! Als der sengende Stahl die Edle traf und zupackte, warf die Herrin der Edelsteine den Kopf in den Nacken und schrie. Sie wurde herumgewirbelt, ihre Gliedmaßen zuckten, und kleine Blitzstöße schossen ihr aus Mund, Nase und sogar den Augen. Schwarzgult warf einen raschen Blick auf die sich windende Zauberin, Dwaerindim flammten auf – und sie war geheilt, bevor Sarasper auch nur eine Hand heben konnte. Embra stöhnte und stand leicht schwankend da. Bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Kampf richtete, warf sie einen kurzen Seitenblick auf den Mann, welcher behauptete, ihr Vater zu sein. Ihre Blicke trafen sich, und die junge Frau schaute schnell weg. Nach einem Augenblick hob sich ihre Hand, als besäße sie einen eigenen Willen, und sie winkte Schwarzgult einen stummen Dank zu.
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Der Fürst lächelte dünn, als er es sah. Der Anführer der Soldaten aus Adeln war größer als Hawkril, und die lange Kriegsaxt mit den beiden Widerhaken in seiner Hand übertraf an Größe und Gewicht das Schwert des Hünen. Aber Hawkril sprang beinahe eifrig vor, um sich seinem Feind zu stellen. Ohne Zeit mit misstrauischem Umkreisen oder Drohgebärden zu verschwenden, krachten die beiden Männer ineinander wie zwei rasende Bullen. Schulter an Schulter knurrten sie sich an, und dann begann ein wahrer Wirbelwind von Schwerthieben. Soldaten aus Adeln drängten von zwei Seiten auf die Kämpfer zu, wobei sie ihre Schwerter gesenkt hielten, um auf Hawkril einstechen zu können und ihm die Achillesferse zu durchtrennen, aber eine grimmig entschlossene Embra sandte ihnen Feuer entgegen. Die Krieger wichen schreiend zurück, als Schwarzgult mit einem Wink die Flammen um die schwerfälligen Hünen herum zu einem purpurroten Kreis anschwellen ließ. Das Feuer loderte mannshoch, und der Ring weitete sich stetig aus, bis er die Soldaten an die Wand zurückgedrängt hatte. Dann kamen die Flammen zum Stillstand und wurden beinahe durchsichtig, wenn auch so heiß, dass durch die Luft geschleuderte Steine und Dolche einfach schmolzen. Daraufhin ließen die Männer solcherlei Versuche bleiben, und allmählich breitete sich Stille in dem Raum aus, denn alles beobachtete die beiden kämpfenden Hünen. Schwert krachte gegen Axt, und die Waffen verhakten sich ineinander. Stahl kreischte gequält auf, als Axt und Schwert langsam hin und her schwankten in einem Wettstreit brutaler
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Kraft, welcher so lange währte, bis die Arme beider Männer zitterten. Dann brach plötzlich ein Widerhaken an der Axt aus Adeln, Hawkrils Schwert glitt ab, und die beiden Männer taumelten auseinander. Ein Schrei erhob sich aus den Reihen der Soldaten aus Adeln, welche durch den Flammenring spähten – denn wo die Arme ihres Favoriten von blau schimmernden Armschienen bedeckt waren, wiesen die Arme seines Gegners nur Haare, Schweiß und eine dünne scharlachrote Linie auf. Ein Widerhaken hatte einen langen, schlangenförmigen Schnitt auf Hawkrils Unterarm hinterlassen. Der Held aus Adeln stelzte jetzt bedrohlich vorwärts, und in wachsendem Triumph lächelte er kalt und mit grausam blitzenden Augen. Er hatte vor, schnell zuzuschlagen und sich dann rasch die Dwaerindim zu greifen, da man ihm versichert hatte, seine Rüstung schütze ihn vor allen Zauberbannen. Alles, was ihm zu tun blieb, war, einen beinahe nackten Mann zu töten. Einen großen Mann, sicher, aber nur einen einzigen, welcher zudem nichts von seinem kleinen Geheimnis ahnte. Der Held von Adeln stampfte mit einem Stiefelabsatz auf den Boden, machte zwei große Sätze nach vorn und trat dann hart aus. Ihm gefiel es, Männer in die Luft zu treten und ihre Eingeweide auf die Stiefelklingen zu spießen, welche er gerade hatte vorschnellen lassen. Aber eigentlich musste er sie nur irgendwo verletzen, selbst wenn sie schnell genug waren, seinen Tritten zu ent-
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kommen, denn sein kleines Geheimnis war dick mit Gift beschmiert ... Beide Männer bewegten sich zu schnell, als dass die Zuschauer deutlich hätten erkennen können, was genau vor sich ging. Einer der beiden Kämpfer trat nach oben, und der andere sprang verzweifelt über seinen Angreifer hinweg. Hawkril sprang den Mann aus Adeln an, dessen Tritt ins Leere ging. Nur eine gepanzerte Wade streifte Hawkrils Stiefel. Aber da hatte schon eine kräftige Anharu-Faust die Adelner Brünne getroffen und eingedellt, und der strangulierte Mann, welcher sie trug, rang verzweifelt nach Luft und kippte um. Zu des Gepanzerten Pech hatte Hawkril einst einen Hinterhofladen in Sirlptar besucht, welcher genau diese Stiefel mit den von Sprungfedern bewegten Stiefelklingen anbot, und sich seinerzeit überlegt, ob er ein Paar kaufen sollte. Deshalb wusste er sehr gut, wie solch heimtückische Fußbekleidung aussah. Zum Glück für Hawkril hatte ihn der Stiefeltritt so misstrauisch gemacht, dass er wegsprang und sich hart nach rechts warf, abrollte und weit von seinem Feind entfernt auf die Füße kam. Irgendwo in der Menge hinter dem Ring aus Flammen stand nämlich ein Zauberer aus Sirl, der beim Verzaubern der Rüstung mitgeholfen hatte und jetzt schon wieder einen üblen Bann wob. Wenn der Recke fiel, wären die hier anwesenden Magier sicherlich in der Lage, diese Silberbaum-Hexe zu überwältigen ... und was bliebe dann von der viel gerühmten Vierer-
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bande noch übrig? Ein alter Mann und ein Dieb. Ha! Sterbt, Ritter! Der blinkende Dwaer, welcher jetzt hinter Schwarzgults Schultern schwebte, beschützte Hawkril ohnedies vor solcherlei Zauberbannen und tat jetzt nichts, um den Zauber des Magiers aus Sirl aufzuhalten. Der Stein wob ein hell leuchtendes Zaubernetz um den Recken, welches einmal aufblitzte – und die Rüstung des Helden aus Adeln explodierte, zerfetzte ihren Träger und schickte Metallfetzen in alle Richtungen. Craer sprang schützend vor Embra – natürlich zu spät. Männer heulten auf, als Schrapnelle durch die Flammen geschossen kamen und sich überall in Fleisch bohrten. Hawkril warf die Hände hoch, um seine Augen zu schützen – was bedeuteten jetzt schon ein paar Schnittwunden mehr –, und von allen Seiten erklang das hohe Klirren und Singen von Metall, wo Schrapnelle auf Rüstungen oder Schwerter prallten. Die Herrin der Edelsteine schrie laut auf, denn ein fliegendes Stück Metall hatte sich in ihre Schulter gebohrt. Sie wurde herumgerissen und fiel nieder, noch bevor Craer, Sarasper oder Schwarzgult sie zu fassen bekamen. Der aus ihrer Zauberkraft geborene Flammenring verschwand – und mit einem hungrigen Brüllen drangen die Soldaten aus Adeln vor. Fürst Schwarzgult ging ihnen entgehen. Er griff sich einen Dwaer aus der Luft und stopfte ihn sich in seinen Gemächteschutz, um den Stein dort in Sicherheit zu bringen, und nach einem weiteren Schritt griff er sich die anderen beiden Dwaerindim.
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Bevor er seinen nächsten Schritt beenden konnte, waren zwei glühende Klingen aus Licht aus den Steinen gesprossen. Sie schimmerten, als hielte der Fürst zwei gezückte Langschwerter in Händen. Er schrieb Linien von Zauberfeuer in die Luft, als er auf die heranstürmenden Soldaten traf – und sobald vordringende Männer oder zuschlagende Klingen dieses Licht berührten, wurden sie zurückgewirbelt. Hawkril rannte herbei, um dem Fürsten beizustehen, und Craer sprang auf Schwarzgults andere Seite, schleuderte Dolche und hüpfte wie ein Wahnsinniger auf und ab in dem Versuch, die Soldaten aus Adeln auf Distanz zu halten. In dem ganzen Raum wurde wieder geschrien und geschoben. Schlangenpriester schlichen an den Wänden entlang, und nur grimmige Musikanten mit gezückten Dolchen in den Händen beobachteten ihr Vordringen. Im größten Kampfgetümmel schien irgendetwas die Männer aus Adeln vorwärts zu treiben, indem es von hinten auf sie einschlug ... Craer schaute kurz in diese Richtung, sprang einem Mann mit den Füßen zuerst ins Gesicht und blickte dann wieder hin. Ja! Die Geschmolzenen hieben die Soldaten aus Adeln nieder! Klingen hoben und senkten sich wie zuschlagende Dreschflegel, dicht zusammengedrängte Männer schrien und zuckten und starben. Manche von ihnen waren so dicht aneinander gepresst, dass nach ihrem Tod Minuten vergingen, bis ihre Leichen zu Boden fielen. Die Reihen der Soldaten aus Adeln lichteten sich mehr und mehr ... und sie kämpften wütender und immer wüten-
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der. Ebenso wütend hieben sie auf Hawkril ein – immer wenigstens drei zur gleichen Zeit, ganz gleich, wie viele er tot oder sterbend zu Boden schickte. Schließlich stachen nicht weniger als fünf Schwerter gleichzeitig auf den Hünen ein. Dann ertönte ein metallisches Seufzen, das an den Laut erinnerte, welchen Embra ausgestoßen hatte, als sie so übel verwundet worden war, und das Kriegsschwert, welches Hawkril über lange Jahre gute Dienste geleistet hatte, zerbrach in drei Stücke. Glitzernde Splitter flogen durch die Luft, und der Recke hielt nur noch den Stumpf seines Schwertes in der Hand. Binnen eines Augenblickes hatte Stahl eine dreifache Furche in die Muskelstränge seines Bauches gegraben, und Hawkril brüllte vor Schmerz. Er stieß die letzte Klinge, welche auf ihn zuschoss, zur Seite, tauchte unter ihr hindurch und packte den Schwertschwinger um die Mitte. Er hob den heftig austretenden und sich windenden Soldaten aus Adeln hoch in die Luft und schleuderte den Mann zu Boden. Das Splittern eines Rückgrates übertönte das für einen Moment leiser gewordene Kampfgetöse, und nicht wenige Männer antworteten mit einem Brüllen – aber das Geschrei brach ab und wich erstauntem Schweigen, denn inzwischen war eine Erscheinung aufgetaucht. In der Luft über Hawkril erschien eine Gestalt aus weißem, glänzendem Licht, als stünde sie auf einem unsichtbaren Podest. Die Männer sahen die geisterhafte Gestalt des Auferstandenen Königs vor sich.
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Ein Schlangenpriester zischte und krümmte die Finger zu einem Verbannungszauber, aber die Erscheinung beachtete ihn nicht weiter. Jetzt wurde Gemurmel laut, und die Soldaten schickten sich an, vorwärts zu drängen – aber sie schwiegen wieder stille, als in ihren Köpfen die Stimme des Königs widerhallte. »Schwarzgult, öffnet mir Euren Geist!« Der Fürst von Schwarzgult fiel auf die Knie. »Selbstverständlich, Majestät«, erklärte er einfach. Die Männer, welche ihn anstarrten, sahen, dass er blass wurde. Die Stille dehnte sich aus. Auf Schwarzgults ruhigem Gesicht erschien plötzlich eine Spur von Schweiß, welcher sich zu Perlen verdichtete und schließlich in Strömen rann. Die Stille wurde immer tiefer. Der kniende Fürst begann zu zittern, und sein Gesicht zuckte in nicht beherrschbaren Krämpfen. »Ich –«, flüsterte er in die angespannte Stille. »Ich bin treu.« Ezendor Schwarzgults Augen schlossen sich, und er schwankte. Gemurmel erhob sich, da alles darauf wartete, dass er fiel. Dann erklang wieder die Stimme des Auferstandenen Königs. »Er spricht die Wahrheit. Erhebt Euch, Schwarzgult, als Herrscher über Aglirta!« Ein immer lauter anschwellendes, wortloses Murren der Unzufriedenheit, der Ehrfurcht und der Angst erklang von den Lippen der zusammengedrängten Männer – und die
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Stimme des Auferstandenen Königs erhob sich über alles und rollte durch ihre Köpfe, bis Männer unter ihrem Donner zusammenzuckten und sich duckten. »Lasst keinen Hader mehr unter meinen Fürsten und den Soldaten von Aglirta herrschen. Vertreibt die Brut der Schlange! Jagt alle aus dem Reich, welche das Knie nicht vor dem Regenten Schwarzgult beugen wollen! Stoßt sie aus, auf dass sie kein Teil von Aglirta mehr sein sollen! Ich habe gesprochen!« Als seine letzten Worte von der Decke hoch über ihren Köpfen widerhallten, lagen alle auf den Knien, zitterten oder hielten sich den Kopf. Eine lange Zeit verstrich, während die im Raum Versammelten vorsichtig um sich blinzelten, sich schließlich erhoben und nach ihren Schwertern tasteten – und derweil sie damit beschäftigt waren, spuckten drei kreisende Dwaerindim dunkle Blitze von Zerstörungszaubern auf einen wölfisch grinsenden Fürsten, welche wie laut knallende Peitschenhiebe trafen und die Umstehenden dazu brachten, zusammenzuzucken und sich die Hände auf die Ohren zu pressen. Benommen sahen die Männer in der großen Kammer, dass die Erscheinung des Auferstandenen Königs verschwunden war – und wo die drei schwarzen Blitze zugeschlagen hatten, röhrten Flammensäulen auf, welche bis zur Decke reichten. Eingeschlossene Männer tanzten in Todesqualen im Herzen einer jeden Flamme: der Magier Korloun, der Fürst Glarond und der Tersept von Tarlagar. Der Körper des Tersepten veränderte sich, während er im Todesschmerz vergeblich in die Luft griff und dann starb – und die Männer, die ihn anstarrten, erkannten das Gesicht des mächtigen Zauberers
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Tharlorn von den Donnern. Die Flammensäulen brachen plötzlich in sich zusammen und erstarben, und die brennenden Männer in ihrem Inneren zerfielen zu Asche – und mit einem Gebrüll aus Dutzenden von Kehlen ertrank der Raum wieder in Blutvergießen. Musikanten stachen auf zischende Schlangenpriester ein, welche in ungeschützte Gesichter bissen und lange Messer in andere bohrten. Männer nahmen sich bestimmte Erzfeinde vor und versuchten, alte Händel auszutragen, bevor der Regent die Ordnung wieder herstellen konnte. Befreit von Korlouns Herrschaft wanderten die Geschmolzenen benommen umher, ohne weiter auf jemanden zu achten, bis einem nach dem anderen die Kehle durchgeschnitten wurde. Nachdem nun die Erscheinung des Auferstandenen Königs verschwunden war, überraschte es nicht, dass die ihren Fürsten treu ergebenen Männer den hastig ausgestoßenen Befehlen ihrer Herren folgten und den Versuch machten, den neu ernannten Regenten zu töten, bevor der noch einen einzigen Befehl aussprechen konnte. Ein Hagel von Pfeilen, geschleuderten Speeren und Schwertern ging auf Schwarzgult nieder, und eine Vielzahl von Soldaten versuchte, ihn zu überrennen oder ihn aus der Entfernung zu töten ... aber die drei Dwaerindim wirbelten um den Kopf des freundlich lächelnden Fürsten, und nichts vermochte das Netz zu durchdringen, welches sie woben. Sarasper ging das Risiko ein, sich niederzuknien und die Hände heilend auf Embra und Hawkril zu legen – während Craer nach einem zu Boden gefallenen Schwert tastete und
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die Waffe dann in die Hand des blutenden Recken drückte. Die beiden Freunde ließen das Kampfgeschehen keinen Augenblick lang aus den Augen. Bald genug mussten sie erblicken, was sie gefürchtet hatten: Schlangenpriester und Zauberer drangen gemeinsam vor, und auf ihren nach oben gerichteten Handflächen drehten sich flimmernde Zauber. Ohne ein Wort der Übereinkunft verfolgten sie einen hinterhältigen Plan, nämlich gemeinsam das zu vollenden, was jeder Einzelne unter ihnen allein nicht zustande gebracht hätte: die Barriere der Dwaerindim zu durchbrechen, so dass jemand den Fürsten Schwarzgult ermorden konnte. Als der Schein eines dahinschwindenden Figürchens unter seinen Fingern erstarb und Embra einen leisen Ton der Erleichterung von sich gab, zerrte Sarasper an Hawkrils Arm und wies auf etwas. Der Hüne alarmierte seinerseits Craer – und gemeinsam zogen und zerrten sie die schlaffe Herrin der Edelsteine vorwärts, bis sie fast Schwarzgults Stiefelspitzen berührte. Der Fürst schaute auf die Edle nieder, sah, was die Gefährten vorhatten, und trat geschmeidig einen Schritt zurück, so dass die blutende Embra vor ihm lag und die drei Männer der Viererbande sich um seine Füße drängten. In diesem Augenblick endete der endlose Hagel von magischen Blitzen, welcher auf das verwobene Zaubernetz der Dwaerindim eingeprasselt und von den Steinen ins Nichts gelenkt worden war. Es folgte ein sengender Ausbruch purpurnen und weißen Lichtes – das Werk eines gewissen siegesgewissen Magiers aus Sirl, dessen vorangegangener Versuch, die Bande der Vier zu
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töten, so kläglich gescheitert war. Ein Schwert sauste durch die schimmernde Bresche und fuhr tief in die Schulter des Fürsten. Ezendor Schwarzgult wurde herumgewirbelt und sackte zusammen, und die Dwaerindim leuchteten schwächer, schwebten nach unten und versammelten sich um den Verwundeten. Mit Gebrüll – welches dieses Mal siegesgewiss klang – stürmten die überlebenden Soldaten vorwärts. Die Männer der Viererbande standen bereit, und zu ihren Füßen lagen die ausgestreckten Körper des Fürsten und seiner Tochter. Als die ersten Schwerter zuschlugen, wechselte Craer einen kurzen Blick mit dem alten Heiler, der auf Hawkrils anderer Seite stand, und schrie: »Keine Langzahn-Gestalt, Sarasper?« »Keine Zeit!«, ertönte die Antwort. Dann schlugen die Schwerter der Angreifer Kerben in die Klingen von Hawkril und Craer. Allerdings wagten sich die Soldaten nicht weit genug an die Gefährten heran, um zu töten oder selbst erschlagen zu werden. Beschaffer wie Heiler grunzten gleichzeitig, und Sarasper lachte plötzlich laut auf. »Glücklich?«, rief Craer dem alten Mann ungläubig zu. Der alte Mann lachte noch einmal. »Das Schicksal des Reiches befindet sich auf Messers Schneide, Hunderte von Rittern versuchen, mich in blutige Stücke zu schlagen, und meine guten Freunde kämpfen an meiner Seite«, schrie Sarasper zurück. »Es gibt keinen Ort, an welchem ich lieber wäre!«
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Neunundzwanzig
Kein Hader bleibt unbemerkt C Der Auferstandene König lächelte ein wenig frostig, als die in glänzenden Rüstungen steckenden Ritter von Loushoond in den Thronsaal drängten. Ihr Herr schritt an ihrer Spitze, und die Höflinge an der Tür zogen sich hastig zurück, so dass der Weg zum Flussthron frei war. »Seid willkommen«, sagte der König ruhig, als sich der Fürst von Loushoond langsam und bedächtig und mit unbewegtem Gesicht dem Podest näherte, auf welchem der reich verzierte Thron stand. »Ich rief Euch heute zu mir, mein verehrter Fürst von Loushoond, da großes Unheil dem Reich droht, und –« Der Fürst hatte sich vielleicht nie zuvor in seinem Leben so schnell bewegt wie jetzt. Sein Schwert fuhr aus der Scheide, und in derselben Bewegung sauste die Waffe nieder – und prallte dann klirrend und Funken sprühend gegen ein unsichtbares Hindernis, welches sich einen Fingerbreit vor dem Gesicht des überraschten Königs befand. Der Auferstandene König ließ sich auf seinen Thron zurückfallen. »Loushoond!«, stieß er rasend vor Zorn hervor. »Ich bin es doch!«
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Sein Gesicht veränderte sich – die Augen zuerst –, als der Fürst mit zwei Dolchen einen Hagel von Stichen auf den magischen Schild niedergehen ließ, welcher den König umhüllte. »Ich bin es, Ingryl!«, zischte der Mann auf dem Thron, und das stimmte tatsächlich: Ingryl Ambelter saß da in königlicher Rüstung. »Hört auf!«, schnappte er. »Ihr Narr, könnt Ihr nicht –« Berias Loushoond verdoppelte seine Anstrengungen, und seine Dolche klirrten wie Glocken in einem Wirbelwind von Stichen und Schnitten, welche jedoch nur verzauberte Luft durchfuhren. Die Augen des Fürsten bohrten sich in die des Zaubermeisters, und zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen drang ein Knurren hervor. »Ich weiß ... verdammt gut ... wer Ihr seid!« Dann zischte ein hellerer Blitz auf, als bis aufs Äußerste strapazierte Magie versagte – und ein Dolch fand sein Ziel und biss in des Zauberers Wange, obwohl Ingryl verzweifelt versuchte, sich wegzudrehen. Der Magier warf eine Hand hoch, um sein Gesicht zu schützen, und dann schoss eine rasende Feuersbrunst zwischen seinen Fingern hervor, welche den Fürsten samt Rüstung verschlang und sich weiter und immer weiter ausbreitete. Unterdessen hatte sich Ingryl Ambelter langsam und mit vor Wut weißem Gesicht vom Thron erhoben. Das Feuer loderte immer weiter, bis zerschmolzene Rüstungsteile klirrend auf den Boden fielen und das Fleisch darunter sich blasig von den schwärzlich verkohlenden Knochen
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löste. Der Fürst Loushoond weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ingryl Ambelter reckte sich langsam und ließ seine rauchenden Hände sinken. Mit glitzernden Augen starrte er auf die schweigend vor ihm stehenden Ritter von Loushoond und stieß hervor: »Sonst noch jemand?« Als Antwort erklang das sirrende Geräusch von Stahl, als auch noch der letzte Ritter stumm das Schwert zog ... und alle wie ein Mann die Treppe hoch drangen und die Klingen zum Zuhauen erhoben. »Zurück!«, donnerte der jetzt in flammendes Licht gehüllte Zauberer und schickte kleine, sich drehende Feuerbälle durch die Luft. Er mühte sich damit ab, seinen Schild wieder zu errichten. Höflinge, welche weiter entfernt standen, schrien und kreischten laut, als die Klingen den Zauberer erreichten und wie eine Wand aus spitzem Stahl zuschlugen. Binnen eines Augenblickes hatten sie Ingryl Ambelter an drei Stellen aufgeschlitzt, gleich darauf an weit mehr, und als Schwertspitzen wie zuschnappende Schlangen zustießen, schrie Ingryl Ambelter ein verzweifeltes Wort heraus – und versetzte seinen neuen Körper an einen weit entfernten Ort. Übrig blieben Klingen, welche gemeinsam mit der Krone, welche von einem Augenblick auf den anderen in der leeren Luft hing, in Richtung Thron niedersausten, von dem sich der Zauberer gerade eben erst erhoben hatte. Klinge traf auf Klinge, und die Waffen verhakten sich ineinander. Fluchend ließen die Ritter von Loushoond ihre Schwerter fallen.
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Einer hob die zu Boden gerollte Krone auf, beäugte sie verwundert und schickte sich an, sie auf dem Flussthron abzusetzen. Aber da nahm sie ihm ein hinter ihm stehender Ritter aus den Händen. Eine gepanzerte Hand schob die Krone auf einen Helm, und dessen Träger wandte sich mit prahlerischer Geste um und verkündete: »Hört mir zu! Ich, Riovryn, bin jetzt der König von ganz Aglirta! Lasst –« Das nächste Wort des Mannes vergurgelte mit einem feuchten Stöhnen. Das Schwert, welches unter seinem Arm durch eine Lücke im Kettenhemd eingedrungen war, wurde wieder herausgezogen. »Schluss mit solchem Unsinn«, grollte sein Mörder, fing die Krone mit seiner blutigen Schwertspitze auf, während der Körper noch umkippte, und setzte sie auf dem leeren Sitz des Thrones ab. »Dort soll sie bleiben und auf einen rechtmäßigen Herrscher warten.« Von den um den Thron herumstehenden Kriegern kam ein leises, zustimmendes Knurren. »Ich glaube nicht, dass Embra bei Anbruch der Nacht zu den allerglücklichsten Mädchen zählen wird«, erklärte der Tersept von Gilth seinem Kollegen aus Sart. Die beiden Männer blickten auf die Öffnung in der Westmauer des Schweigenden Hauses. Ein Magier hatte vor nicht allzu langer Zeit dieses Loch mit magischen Mitteln geschlagen. Der tödliche Zauber, welchen er dabei benutzt hatte, hatte dafür gesorgt, dass die unruhigeren unter den angespannt wartenden Soldaten grimmig
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schwiegen. Keiner der Männer legte Wert darauf, binnen weniger Augenblicke ausgelöscht zu werden – oder wie ein Mann, welcher eben jenen Magier ein wenig zu unhöflich zur Seite gestoßen hatte, einen Arm und ein Bein auf derselben Seite des Körpers zu verlieren. Dem Bedauernswerten waren zwischen zwei Herzschlägen beide Glieder abgeschnitten und ausgebrannt worden, und das mittels eines Zaubers, welcher durch das beiläufige Winken einer Magierhand ausgelöst worden war. Die in ihren Rüstungen heftig schwitzenden Männer tauschten Blicke wie Stahl aus, verscheuchten lästige Fliegenschwärme und warteten ... und warteten. Endlich schien sich etwas in dem Schweigenden Haus zu tun – etwas, das die Erde kurz beben ließ, nachdem ein schrecklich hallender Lärm aus dem Inneren des Gebäudes gedrungen war. Daraufhin ging mindestens ein Zauber schief: Nachdem der Zauberer, welcher den neuen Eingang in die Mauer gesprengt hatte, in dem Gebäude verschwunden war, errichtete er eine unsichtbare Barriere und sperrte die ungeduldig im Freien wartenden Armeen aus. Der Tersept von Sart wandte den Kopf ruckartig um und starrte auf einen Soldaten, der vorsichtig durch das Loch in der Mauer stieg. Endlose Momente darauf erschien der Mann wieder in der Öffnung und winkte seinen Kameraden zu – daraufhin lockerte irgendjemand den Griff um eine Schleuder, und der Mann ging zu Boden. Überall auf dem Hügel wurden Schwerter gezückt.
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»Verteidigt euch«, brüllte der Lächelnde Wolf seinen Männern zu, »aber bleibt wie ein Mann stehen. Keine Angriffe in diese oder jene Richtung – steht wie ein Mann!« Der Tersept von Gilth musterte ihn mit einem kalten Blick. »Ich habe nicht gehört, dass Ihr Euch mit mir beraten hättet, bevor Ihr Euren Befehl erteiltet«, erklärte er mit zusammengepressten Lippen. »Genauso wenig, wie Ihr das tätet«, stieß Glarsimber Belklarravus hervor und brachte sein Gesicht ganz nah vor das seines Verbündeten. »Das hier ist Krieg, und ich werde nicht sterben oder zusehen, wie meine Männer um mich herum aufgeschlitzt werden, weil irgendjemand nicht von seinem Stolz lassen kann, versteht Ihr? Wenn die Zeit zum Reden und zum Verhandeln gekommen ist, dann richte ich mich nach Euch. Hier draußen, wo Männer unerfreulicherweise durch Schwerter sterben, richtet Ihr Euch nach mir!« Inzwischen waren um die Bresche in der Mauer herum ernstliche Kämpfe ausgebrochen. Der Wolf von Sart sah ein paar Momente lang zu, wie die Männer aufeinander einhieben, richtete sich dann in seinen Steigbügeln auf und brüllte: »Nehmt den Weg dort hinten! Bewegt euch!« Der Tersept von Gilth kochte immer noch vor Empörung, als sich die angeworbenen Soldaten um ihn herum erhoben, den Hügel hinaufgaloppierten und mit ihren Schwertern nach allem hieben, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie trafen auf Knäuel von kämpfenden Männern wie die Faust eines Riesen, schleuderten Recken zur Seite und trampelten die nieder, welche nicht schnell genug aus dem Weg
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gehen wollten oder konnten. Binnen einiger weniger Atemzüge hatten sich die Tersepte aus ihren Sätteln gleiten lassen. Um sie herum galoppierten verwirrte reiterlose Pferde und versperrten für kurze Zeit die Bresche in der Wand des Schweigenden Hauses. Dann befanden sich die beiden Männer im düsteren Inneren des Hauses, glitten auf Blut aus und stiegen mit gezückten Klingen über niedergestreckte Körper. Vor ihnen ertönten Rufe, und Männer mit Schwertern kamen auf sie zu und hackten und schlugen wahllos um sich. Männer prallten schluchzend gegen Mauern, Metall kreischte, und überall wurde geächzt oder geschrien und gestorben. Sart schlidderte durch klebriges Blut, hieb mit schneller Präzision auf einen wild knurrenden Soldaten ein, welcher aus dem Nichts auf ihn zustürzte und ihn niederstechen wollte. Dann lief er in einen breiteren Gang – einen Korridor, in welchem sich die Toten und Sterbenden türmten und an dessen Ende ein paar Söldner unschlüssig vor einer Tür standen. »Hier?«, stieß der Wolf von Sart hervor. »Dort kamen sie raus, Fürst«, antwortete einer der Soldaten ruhig, »und dort hinein sind sie auch wieder verschwunden.« Sart nickte und winkte mit einer schwer gepanzerten Hand. »Schickt die anderen durch!« Er schaute einmal zurück, um sicherzugehen, dass Gilth sich nicht anschickte, einem gewissen Wolf sein Schwert in den Rücken zu stoßen, schritt dann durch die Tür und fand sich in einem Quergang wieder. Er stieg über weitere Leichen und bog in einen anderen
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Gang ab, in welchem sich mehr Schlachtopfer und Berge von Trümmern und Schutt befanden. Am gegenüberliegenden Ende des Korridors stand eine Tür offen, und aus dieser erklangen Schreie und das Schwerterklirren eines Kampfes. Glarsimber Belklarravus schaute seine Söldner an und wies gebieterisch auf die Tür. Mit unbewegten Gesichtern erwiderten die Männer den Blick, rührten sich aber nicht von der Stelle. Angeekelt schüttelte der Wolf den Kopf und trat durch die Tür. Er wandte sich nicht um, um festzustellen, ob ihm jemand folgte. Er schaute in einen riesigen Raum mit einer hohen, gewölbten Decke, und überall erblickte er Schutt und niedergestürzte Körper. Eine Säule war geborsten und umgestürzt, und hier und dort waren Treppen von Galerien gebrochen, und auf manchen drängten sich noch immer Zuschauer. Sie schauten auf einen Kampf im Herzen des Raumes nieder – wo ein alter Mann grimmig einen Dwaer in den zitternden Händen hielt. An seiner Seite standen ein großer Recke und ein schmaler Beschaffer, welcher so geschmeidig wirkte wie eine Schlange. Der Alte Mann benutzte die magischen Feuer des Steins, um Ritter und mehrere Fürsten abzuwehren, während weitere Dwaerindim über den Köpfen der kleinen Gruppe kreisten. Entlang der Wände und inmitten zahlreicher Toter und Sterbender kämpften Männer, bei welchen es sich anscheinend um Musikanten handelte, mit Dolchen gegen Schlangenpriester, die sich wie rasend wehrten.
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Der Lächelnde Wolf von Sart schritt mit gezückter Klinge tiefer in den Raum hinein und erkannte einen verwundeten Mann, der auf den Knien kämpfte. Fürst Schwarzgult, bei den Göttern! Und damit nicht genug – die Herrin der Edelsteine lag blutend zu seinen Füßen, demzufolge handelte es sich bei den um den Fürsten versammelten Gaunern um die Viererbande. Noch während Belklarravus von Sart hinstarrte, stieß ein Schlangenpriester ein paar bedrohlich klingende Worte aus. Prompt verbreitete sich magisches Glühen um einen Recken mit geschlossenem Visier, welcher zusammengesunken an einer Wand lehnte. Der Zauber lief wie Feuer über stämmige Gliedmaßen, dann versteifte sich der Ritter, taumelte von der Wand weg und schrie. Mit bebenden Händen riss der zitternde Ritter Helm und Brünne weg. Er schien zu pulsieren und mit jedem Flackern des Zauberfeuers zu wachsen, wobei ihm abgerissene Schmerzensschreie aus der Kehle drangen. Er wurde tatsächlich größer und auch breiter, und seine Rüstung beulte sich vor, brach und sprang klirrend von seinen sich verdickenden Gliedmaßen, enthüllte blutgetränkte Wattierung und unter der Belastung knirschendes Leder. Obwohl Schmerz die inzwischen enthüllten Züge des Ritters verzerrte, erkannte Sart das Gesicht. Es handelte sich um Ornentar, den Fürsten, von dem man allgemein annahm, dass er der Gefangene des Schlangengiftes sei. Jetzt trat Schaum auf die Lippen des Mannes, welche viel breiter waren, als sie hätten sein dürfen – funkelten da etwa
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Reißzähne? –, das Gesicht verfärbte sich purpurn, und pochende blaue Venen durchzogen die Haut. Bei diesem Anblick kamen Sart plötzlich die Gerüchte von Vergiftungen und dunkler Schlangenmagie durchaus glaubhaft vor. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen und laut heulend verwandelte sich der Fürst Ornentar vor aller Augen in eine Art Ungeheuer. Er richtete sich hoch auf, seine Arme schrumpften zu knochenlosen Auswüchsen, und jetzt erschienen überall auf seinem immer dicker werdenden, gesprenkelten Leib Schuppen. Die letzten Reste seiner Rüstung und Unterkleider fielen von ihm ab und sammelten sich um seine Beine, welche sich in die rastlosen Windungen einer riesigen Schlange verwandelt hatten. Schlangenpriester überall im Raum stimmten gleichzeitig einen triumphierenden, zischenden Singsang an, als die letzten Reste von Menschlichkeit von Eldagh Ornentars Gesicht wichen und dieses sich zu einem Schlangenkopf verlängerte. Der Fürst stieß einen letzten, herzzerreißenden Schrei aus. »Nnnnnneeeeeiiiiinnnnn!« Dann hörte man nur noch das feuchte Gurgeln und Zischen des Ungeheuers. »Göttliches Wesen!«, schrie der Schlangenpriester, welcher den Zauber gewirkt hatte. »Schenkt mir Eure Aufmerksamkeit!« Noch bevor die darauf folgenden seltsam zischenden Laute zur Gänze aus dem Maul der Riesenschlange gedrungen waren, hatte Sart wie viele andere Männer im Raum schon seinen Dolch auf den Priester geschleudert.
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Unter einem Hagel zubeißenden Stahls ging der Mann zu Boden. Er fuchtelte in der Luft herum, als könne die ihn abschirmen, aber die monströse Schlange schien ihn ohnehin nicht mehr zu brauchen. Sie richtete sich so hoch auf, dass sie beinahe die von Rissen durchzogene, bröckelnde Decke berührte, und stieß dann auf das Kampfgetümmel gleich vor der Säule nieder – die Kiefer mit den fürchterlichen Zähnen weit aufgerissen. Männer duckten sich weg, als der furchtbare Kopf niederschoss. Die Schlange biss in die Luft, nicht in die Männer – und schnappte sich – die Dwaerindim! Der alte Mann, welcher den dritten Stein in Händen hielt, stolperte und fiel zu Boden, hielt den Stein aber immer noch fest, und die große Schlange richtete sich erneut zu ihrer vollen, dunklen und schrecklichen Größe auf. Die beiden Dwaerindim steckten in ihrem Schlund. »Bei den Göttern, das Verhängnis bricht über uns herein!«, keuchte eine junge Stimme ganz in der Nähe, und Belklarravus musste dem Urteil zustimmen. Die Schlange blickte auf alle im Raum Versammelten nieder, und ihre Augen glitzerten siegesgewiss. Dann öffnete sie die Kiefer, als wolle sie gähnen, und ihre mannsgroßen Giftzähne glitzerten, als sie den Kopf umdrehte und sich im ganzen Raum umblickte, als müsse sie entscheiden, wen sie als Ersten verschlingen wollte. Und dann verdunkelte sich die Luft, als sei die Nacht zu früh hereingebrochen, und der Blick aus dem Schlangenkopf schien sich irgendwie zu verändern. Zwei träge kreisende Steine glommen plötzlich wie Zwil-
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lingslampen auf, als sei die Schlange, welche sie verschlungen hatte, durchsichtig geworden – und flammten dann blendend hell auf. Die Schlange stieß ein entsetzliches Gebrüll aus und explodierte. Heißes, schwarzgrünes Blut durchtränkte den Raum, bespritzte Wände und Männer. Die kopflose Schlange wand sich und zerbrach wie eine Peitsche, wobei sie Männer gegen die Wände quetschte und in blutigen Brei verwandelte. Sart wandte sich um, rutschte auf dem Blut aus und wollte davonrennen – aber wohin? Die dunklen Albtraumwindungen der Schlange waren überall, schlugen dröhnend gegen die Wände. Knochen knackten, und Soldaten und zerfetzte Leichen wurden gleichermaßen durch die Luft geschleudert wie Dreckklumpen von einer kraftvollen Schaufel. Dann verwandelten sich die Schuppen allmählich in Rauch, und der große Körper schwankte. Blutdurchtränkte, grimmige Männer stachen wild entschlossen fliehende Schlangenpriester nieder, und Belklarravus von Sart konnte endlich wieder atmen. Er bekam genug Luft, um einen Schrei der Überraschung auszustoßen, als ihm bloße Hände das Schwert aus der Hand rissen und die hell glänzende Waffe quer durch den Raum schleuderten. Der schmale junge Mann, welcher vor kurzem noch gestöhnt und das Verhängnis beklagt hatte, rannte halb nackt hinter dem Schwert her, und der Wolf von Sart eilte hinter ihm her. Er war viel zu erstaunt, um richtig wütend zu wer-
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den. Der Junge hatte das Schwert geschleudert, um einen Krieger zu erwischen, welcher gerade die Viererbande angriff. Als Sart genauer hinsah, erkannte er, dass ein zähnefletschender Craer ausrutschte und vier Soldaten über ihn trampelten und ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit danach trachteten, ihre Schwerter in Hawkril zu bohren. Das Schwert des Hünen schlitzte eine Kehle auf und schlug einem zweiten Mann das Schwert aus der betäubten Hand, aber die Wildheit ihres Angriffs holte den Recken von den Füßen, und weitere Soldaten drangen auf ihn ein. Ein junger Bursche drang mit bloßen Händen auf die Angreifer ein und stieß wenigstens einen von ihnen zu Boden. Belklarravus von Sart krachte in einen anderen Ritter, als ein Rückhandschlag Raulin Burgmäntel ins Taumeln brachte und den jungen Mann hart auf Embra Silberbaum fallen ließ. »Sie töten Hawkril«, stöhnte die Edle. Sie spuckte ein bisschen Blut und unternahm schwächliche Versuche, auf die Füße zu kommen. Über ihr erklang ein tiefes Lachen. »Oh nein, das werden sie nicht!«, sagte Fürst Schwarzgult fröhlich, als das Dwaer-Feuer niederraste, um ihn zu heilen, und dann wieder hinauf zu den kreisenden Steinen schoss. Der dritte Dwaer sprang aus Saraspers Händen und schloss sich den beiden anderen an. »Ha!«, röhrte der Fürst. Die Steine flammten auf und wirbelten in einem zunehmend schneller dahinsausenden Kreis über seinem Kopf – und plötzlich leuchtete die Luft um Hawkril herum und bildete einen Schild aus schimmerndem Nichts, welcher sich mit ihm bewegte und die Schwertspit-
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zen wegzwang. Ein weiterer Schild erschien um Schwarzgult selbst wie ein Zylinder aus gehärteter Luft, dann bildeten sich andere um Embra, Raulin, Sarasper und Craer – und Belklarravus von Sart wurde zurückgeschleudert. Die Silberbaum-Zauberin keuchte, als ihre Wunden sich zu schließen begannen. Sie schloss kurz die Augen und gab ihrem Drang zu zittern nach, als ihr rings um sie herum ertönende Grunzlaute mitteilten, dass Hawkril und Craer der gleichen Erleichterung teilhaftig wurden. Und dann senkte sich tiefes Schweigen über den Raum. Embra öffnete die Augen und stellte fest, dass der Mann, welcher beanspruchte, ihr Vater zu sein, neben ihr stand. Er hatte die Arme in die Hüften gestemmt und sah lächelnd die Soldaten an, die versucht hatten, ihn zu töten. Die Männer hatten sich inzwischen zurückgezogen und starrten jetzt unsicher und grimmig schweigend auf den Fürsten. »Darauf habe ich lange Zeit gewartet«, sprach Schwarzgult in die Stille des Raums. »Eine lange, lange Zeit.« Wie ein zum Zuschlagen bereiter Zauberer hob er plötzlich die Hände über den Kopf, und seine Augen leuchteten schwarz und schrecklich zugleich. Die Männer, welche bislang dem Tod entronnen waren, wichen zurück und warteten auf ihr Verhängnis. Die Dwaerindim kreisten hell und bedrohlich über dem Kopf des Fürsten durch die Luft. Und dann, inmitten des Schimmerns, welches ihn einhüllte, veränderte sich der Körper des Fürsten Schwarzgult, wogte gespenstisch hin und her, fiel in sich zusammen und ver-
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schob sich, während ihm die entsetzten Männer zuschauten ... und selbst die Vier vor ihm zurückwichen. Sie erblickten nicht länger Ezendor Schwarzgult, den Goldenen Greifen. Verblüfft starrten sie auf den lächelnden alten Inderos Sturmharfe, den vielleicht größten lebenden Barden. Seine langen Finger bewegten sich auf eine Weise, welche jeden der noch unter den Lebenden weilenden Zauberer an das Wirken von Magie denken ließ, und plötzlich hielt er eine Harfe in Händen. »Bei der Dreifaltigkeit«, stieß der Wolf von Sart heiser hervor, und er war in diesem Augenblick nicht der Einzige, dessen Kehle sich ein Fluch entrang. Sturmharfe lächelte sie alle an, drehte kurz den Kopf, um Embra Silberbaum in die erstaunten Augen zu blicken, und kündigte dann mit der Stimme, welche alle zuletzt von den Lippen des Fürsten Schwarzgult vernommen hatten, ruhig an: »Das ruft geradezu nach einer Ballade, um über die Jahre hinweg Widerhall zu finden. Senkt die Schwerter, und zwar alle von euch, und hört mir zu ...« In dem engen, kleinen Tal hoch über dem Fluss, einem kleinen Oval von Büschen und Sturmgras, ragten Felsblöcke so alt wie die Fürstentümer gleich Zähnen aus der rauen Grasnabe. Vögel sangen und schwirrten durch die Luft, Schmetterlinge schwebten flatternd umher – und plötzlich erschien über einem der Felsen ein Schimmern in der Luft. Der Schimmer wurde größer und dunkler, schien langsamer zu werden, drehte sich um die eigenen Achse, verlang-
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samte sich wieder, jetzt mit Silber durchschossen – und bevor er mit einem Mal verging, stand ein blinzelnder, schwankender Mann an seiner Stelle. Ingryl Ambelter schaute sich genau um, lächelte ein wenig und hob dann den Kopf in die Brise. Er begutachtete die Berghänge, welche sich hinter ihm erhoben, und machte ein paar bedächtige Schritte, wobei er blutige Fußstapfen hinterließ. Bei den Göttern, welche Schmerzen! Oh, bei der jetzt schlafenden Schlange, wenn er erst wieder er selbst wäre ... Ja, die Wüstenei um ihn herum sah jetzt vertrauter aus. Wonach er suchte, würde sich hier finden, genau hier. Er steckte die Hand in einen Haufen Steine, drehte sie so, dass er unter die vorstehende Kante einen Felsbrocken so groß wie eine Bauernkate schieben konnte, und fand, wonach er gesucht hatte. Der Zauberfürst zog den Gegenstand vorsichtig ans Tageslicht: den angelaufenen Griff einer verschimmelten Truhe. Das Behältnis wurde von einem Schloss verriegelt, welches selbst dann zum Funktionieren gebracht werden konnte, wenn es braun war vor Rost, und er bewies dies und seufzte vor Erleichterung, als die Heilzauber enthüllt waren. Nach der dritten gemurmelten Beschwörung fühlte er sich sehr viel besser ... aber die Welt bestand immer noch darauf, sich um ihn herum zu drehen. Also legte er sich – oder fiel vielmehr – auf den Boden. Das Licht hatte sich verändert, als er wieder zum Himmel hochblickte und wieder wusste, wo er sich befand. Er musste für Stunden hier gelegen haben. Aber immerhin, der Dreieinigkeit sei Dank, waren die Schmerzen ver-
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schwunden. Und nun – Gras raschelte, und Ingryl stemmte sich hastig auf einem Ellenbogen auf und tastete nach dem Zauberstab an seinem Gürtel. Ein Mann schob sich ungeschickt und schlurfend durch die Blätter, und nach dem ersten Blick auf seine sackenden, missgebildeten Züge entspannte sich der Zauberer. Ingryl lächelte, als der erste Geschmolzene auf die Lichtung trat und ihm ein weiterer folgte ... und schließlich noch einer, bis alle mit leeren Gesichtern vor dem Magier standen. Sein Lächeln wurde immer breiter. »Also hat es geklappt.« Er wies mit der Hand in die Büsche. »Hebt den Baumstamm dort auf.« Die Geschmolzenen drehten sich wie ein Mann um und gehorchten dem Befehl, und der Zauberer kicherte. »Nun, wo hat Tharlorn den Eingang zu seinem Unterschlupf verborgen, frage ich mich«, fragte er die Luft. Dann hörte er wieder ein Rascheln, und ein Dutzend weitere Geschmolzene stapften in sein Tälchen. »Ah, gut«, erzählte er der teilnahmslosen Luft, »mir stehen gewiss genug Opfer zur Verfügung, um all seine Fallen aufzuspüren ...«
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Drei ig
Throne und Hochfürsten und noch mehr C Bevölkert von allen Mächtigen des Reiches wirkte der Thronsaal ganz verändert. Sogar die Echos klangen anders. Ritter und Wächter von Treibschaum standen Schulter an Schulter mit Musikanten an den Wänden aufgereiht, und Herrschaften von Rang drängten sich auf den Bänken – die überlebenden Fürsten und Tersepte saßen mit steinernen Gesichtern und in voller Rüstung in den vorderen Reihen. Alle außer einem. Fürst Schwarzgult in der glänzenden, schwarzen Rüstung, welche viele unter denen in den ersten Reihen von blutigen Schlachtfeldern her nur allzu gut kannten, stand am Fuß des Podestes und blickte in den Saal hinein. Die Arme hatte er vor der Brust gekreuzt, und die sagenumwobenen Dwaerindim kreisten träge um seine Schultern. Er hatte die Hände auf sein gezogenes Schwert gelegt, und um einen seiner Mundwinkel spielte ein leises Lächeln. Von seinen gepanzerten Füßen erstreckte sich ein blauer,
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silbern eingefasster Teppich bis zu den Eingangstüren des Saales, und am Ende jeder Bankreihe stand jeweils ein hoher Kerzenständer. Die Unterhaltung im Saal hatte als leises Gemurmel begonnen, erstarb dann aber. Jetzt herrschte im Thronsaal angespannte, aufmerksame Stille. Aller Augen ruhten auf der dunklen Gestalt vor dem jetzt leeren Flussthron. Nur wenige Anwesende bemerkten das leise Nicken in Richtung der Wachen, welche am anderen Ende des leeren Mittelgangs standen. Die Wachen gehorchten und schlossen donnernd die Türen. Trompeter neben dem Eingang bliesen eine Fanfare, während die Torwächter den Gang entlangschritten und auf ihrem Weg in Richtung Thron alle Kerzen ausbliesen, um den Raum abzudunkeln. Schließlich blieben nur noch ein paar flackernde Kerzen auf dem Thronpodest übrig. Die Fanfare endete mit einem letzten trillernden Ton, welcher sich endlos hinzog. In dem Augenblick, als Stille einkehrte, erschien lautlos der Auferstandene König auf dem Thron. Ein kurzes Keuchen wurde laut, und dann lastete die Stille noch schwerer auf dem Raum. König Kelgrael war von einem weit entfernten Ort zurückgekehrt, und seine geisterhafte, durchsichtige Gestalt flackerte vor Magie; aller Augen vermochten durch seinen gespenstischen Leib hindurch den Flussthron zu erkennen. Der Auferstandene König blickte auf die Versammlung, bewegte den Kopf und musterte seine Höflinge und den Fürsten Schwarzgult, als sei er tatsächlich anwesend – und als
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er sprach, klang seine Stimme so tief und fest wie immer. »Aglirtaner, seid Zeugen dieser meiner neuerlichen Krönung. Ich, Kelgrael Schneestern, der Herr über den Fluss und das Tal, fordere hier und jetzt den Treueschwur von meinen Fürsten und Tersepten. Lasst einen jeden, dessen Namen ich ausspreche und den ich zu mir befehle, näher treten, sein Schwert auf die unterste Stufe legen, daselbst niederknien und mir vor aller Ohren die Treue schwören.« Ein Moment herrschte unruhige Stille, dann sagte die Erscheinung des Auferstandenen Königs abrupt: »Adeln.« Niemand trat vor, und nach einem Augenblick des Zögerns erklärte Schwarzgult über die Schulter: »Den habe ich erschlagen, Euer Majestät.« Im Saal wurde leise geflüstert. Ungerührt nannte der König den nächsten Namen. »Schwarzgult.« Ezendor Schwarzgult drehte sich um, legte sein Schwert nieder, kniete sich daneben und sagte: »Herrscher über Aglirta, hier bin ich.« »Schwört Ihr auf Euer Schwert und Euer Leben, meinen Königlichen Befehlen zu gehorchen, und zwar in vollkommener Ergebenheit und vor allen anderen Wünschen und Verpflichtungen?« »Kelgrael Schneestern, das schwöre ich, so wahr mein Name Ezendor lautet und Schwarzgult mein Fürstentum ist.« Die Worte waren so alt wie Aglirta, aber mit Ausnahme von einem Anwesenden – wenn er sich wirklich im Thronsaal befand – hatten nur Barden sie jemals zuvor vernommen. »Werdet Ihr auch jedem Regenten oder einem Stellvertreter dienen, welcher meine Vollmacht besitzt und in meinem
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Namen spricht?« »Das will ich, Herrscher von Aglirta.« »Wollt Ihr meine Gesetze wie Eure eigenen hochhalten und Aglirta verteidigen, erhalten und lieben so wie ich?« »Majestät, das will ich.« »Dann akzeptiere ich Euren Treueschwur, und ich erkenne Euch als Fürst Schwarzgult an. Erhebt Euch, Ezendor, und nehmt Euer Schwert.« Der Goldene Greif beugte das Haupt zu dem Thronpodest, küsste die oberste Stufe und ergriff sein Schwert. Dann richtete er sich wieder auf und nahm ohne Zögern seine Haltung von vorhin wieder an. »Hellbanner«, nannte der König den nächsten Namen. Es folgte ein Moment der Stille, und dann fuhr der König ruhig fort: Glarsimber Belklarravus von Sart – aber dennoch nicht mehr von Sart, tretet vor!« Blinzelnd vor Erstaunen erhob sich der beunruhigte Wolf von Sart von seinem Platz in der zweiten Bankreihe und räusperte sich. »Wollt Ihr mein Fürst von Hellbanner sein?« »Ich – uh – ähm, Majestät, das will ich«, stammelte der Wolf von Sart, welcher nicht hätte sagen können, wieso man ihn auf Treibschaum überhaupt erkannt hatte. »Dann tretet vor zu den Stufen und bringt Euer Schwert mit!« Diese Worte sorgten für fröhliches, aufgeregtes Geflüster: Neue Männer würden heute ernannt werden! Und so geschah es denn auch, als der König einen Mann nach dem anderen vor sich treten ließ, einige bedeutungslos gewordene Titel zurückzog und Tersepten andere verlieh.
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Kein Fürst verweigerte den Treueschwur oder zeigte Gewalttätigkeit oder mangelnde Ehrerbietung ... denn oft genug entstand nach Nennung eines Namens tiefes Schweigen, welches ihnen das Schicksal derer anzeigte, welche sich widersetzt hatten. Zwei völlig verblüffte Tersepte erhoben sich als die neuen Fürsten von Phelinndar und Tarlagar. Die Anwesenden flüsterten und murmelten aufgeregt, und dann begann Schneestern mit der langen Liste von Tersepten. Ein Name wurde nicht genannt, während die Stunden verstrichen: Silberbaum. Aber alle Männer wussten, dass Silberbaum die Treibschaum-Insel für sich beansprucht und von der Burg aus regiert hatte ... und alle hatten sie Faerod Silberbaum gefürchtet und gehasst. Deshalb hoben alle erstaunt die Köpfe, als der letzte Tersept auf seinen Platz zurückgekehrt war und der König mit fester Stimme sagte: »Silberbaum.« Stille breitete sich aus. Niemand bewegte sich oder sprach. Kelgrael blickte auf den Mittelgang, aber niemand erhob sich und trat für Silberbaum vor. Kelgrael Schneestern rutschte auf seinem Thron hin und her und flüsterte: »Edle Embra, kommt zu mir.« Dort, wo die Viererbande in den Schatten der rückwärtigen Wand stand, versetzte eine riesige, aber zärtliche Hand Embras gepanzerter Hüfte einen Stoß, und ihr Besitzer knurrte: »Geht, Mädchen.« Die Fürstentochter warf Hawkril einen Blick zu, biss sich kurz auf die Lippen, und dann schlüpfte die Herrin der Edelsteine – in voller Rüstung und mit einem schlanken Schwert
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an der Hüfte – widerstrebend zwischen den Türwächtern hindurch und schritt schweigend den Gang entlang. Köpfe drehten sich nach ihr um, und sie beugte das Knie und legte ihr Schwert zu Füßen des Auferstandenen Königs nieder. »Erhebt Euch, Embra Silberbaum«, sagte der König, »und kommt zum Thron.« Zögernd gehorchte die schlanke Zauberin. Als sie dicht vor der leuchtenden Gestalt stand, hob ihr Kelgrael sein Gesicht entgegen und fragte: »Wenn ich, tapferste aller Herrinnen, um Eure Hand anhielte, auf dass Ihr an meiner Seite über Aglirta herrschtet, was würdet Ihr mir antworten?« Ein Keuchen – in machen Fällen sogar beinahe ein Schrei – drang aus hundert Kehlen, und aller Augen starrten auf die Edle Silberbaum, welche hoch gewachsen und ganz allein dastand. In nicht wenigen Augen waren Bestürzung oder gar Entsetzen zu lesen. Unter denen, welche nicht ganz so betroffen dreinschauten, befand sich Raulin Burgmäntel, der an seinem gewohnten Platz an der Wand stand ... mit weißem Gesicht und zitternd vor Aufregung. Wenigstens eine andere Person im Saal war gleichermaßen blass und zitterte ebenfalls. Offenkundig verwundert schluckte Embra Silberbaum etliche Male, bevor sie ein Flüstern zustande brachte. »V-Vergebt mir, Majestät, aber ich wäre dazu gezwungen, Euch zurückzuweisen. Ich –« Sie blickte kurz zu Hawkril Anharu hinüber, welcher wie ein geduldiger Riese bei der Tür stand. Sein Gesicht sah
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ängstlich und dennoch so bemüht ausdruckslos aus, wie er das nur zustande brachte. Dann fügte die Edle hinzu: »Ich habe bereits eine Wahl getroffen.« Obwohl sie im Flüsterton gesprochen hatte, klangen ihre Worte klar und deutlich bis in die hintersten Winkel des stillen Thronsaales. Ruhig beugte der König den Kopf vor ihr, lächelte und sagte: »Und ich würde Euch meine Ehrerbietung für Eure Wahl aussprechen. Eigentlich habe ich so etwas schon vermutet. Nun begebt Euch wieder nach unten als die nach wie vor rechtmäßige Fürstin von Silberbaum.« Embra neigte den Kopf und verließ das Podium mit gesenktem Blick. Bei den Göttern im Himmel, was habe ich getan? Ein schwarz gepanzerter Arm streckte sich nach ihr aus und drehte sie sanft um. »Nehmt Euer Schwert und stellt Euch an meine Seite«, flüsterte Fürst Schwarzgult, der Mann, welcher behauptete, ihr Vater zu sein, aus einem Mundwinkel. Benommen und bemüht, vor Furcht um das Reich und sich selbst nicht zu zittern, gehorchte Embra dem Fürsten. Sobald sie ihren Platz an der Seite Schwarzgults am Anfang des Mittelgangs eingenommen hatte und Vater und Tochter mit gezogenem Schwert in der Hand dastanden, schwebten die Dwaerindim in anmutigen Bögen herbei und umkreisten die beiden. »So vernehmt denn meinen Willen, treue Untertanen von Aglirta«, hob der König so ruhig an, als sei an diesem Morgen außer seinem Erwachen und dem Nippen an einem wohlschmeckenden Getränk nichts weiter geschehen.
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»Ich werde nicht nach Aglirta zurückkehren, sondern stattdessen die fürchterliche Schlange in Banden halten. Schwarzgult soll an meiner Stelle regieren als Fürstmarschall des Reiches. Ihm allein steht es zu, mehr als eine gewöhnliche fürstliche Leibwache von sechzig Soldaten unter Waffen zu stellen. Seine Zunge und seine Hand sollen unser schönes Aglirta leiten, und alle Fürsten müssen sich seinem Willen beugen. Er kann Fürsten ernennen und Tersepte und ihnen ihren Titel auch wieder entziehen. Nur vier Personen sind seinen Befehlen nicht unterworfen, solange sie die Gesetze des Reiches einhalten – vier Hochfürsten von Aglirta, welchen ich hiermit folgende Rechte verleihe: Sie können Urteile aussprechen und königliche Gesetze erlassen wie der Regent, Krieger mit der gleichen Vollmacht befehligen wie er und Mittel, Zuflucht, Verpflegung und Hilfe einfordern wie er. Diese vier heißen Hawkril Anharu, Craer Delnbein, Sarasper Kodelmer und Embra Silberbaum. Sie stehen hier unter uns – merkt euch die Namen gut und gehorcht den Hochfürsten, so wie ihr mir gehorchen würdet.« Die geisterhafte Gestalt auf dem Thron begann zu schwinden. »So lebt denn wohl, Bürger von Aglirta. Macht dieses Land wieder stark und stolz und spart euch Feindseligkeit für Gesetzesbrecher und jene auf, welche sich mit der Schlange verbünden. Lebt in Frieden mit Sirlptar und streckt nicht die Hand nach dieser Stadt aus noch nach den Inseln, ganz gleich, wo diese sich befinden mögen, noch nach anderen Ländereien.
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Benutzt eure Hände lieber dazu, das, was wir haben, noch schöner zu machen. Vergesst diese meine Worte nicht, sonst kehren blutiger Krieg und schwarze Magie wieder nach Aglirta zurück.« Und nachdem er zu Ende gesprochen hatte, verschwand der Auferstandene König einfach. Nach einem endlos langen, verblüfften Schweigen machte sich ein aufgeregtes Flüstern Luft – und als sei ein Damm gebrochen, welcher eine Flut zurückhält, erklangen gleich darauf überall im Thronsaal aufgeregte, laute Stimmen. Schwarzgult wandte den Kopf und zischte Embra dringliche Worte zu, und gemeinsam wirkten sie rasch einen Zauber, welcher so stark zum Leben erwachte, dass sich sogar die Dwaerindim für einen Augenblick verdunkelten. Dann lächelte der neue Herrscher von Aglirta, bestieg das Podest und trat neben den Thron. Dann rief er: »Ihr Fürsten des Reiches, kommt zu mir!« Neben dem Flussthron stehend schaute Schwarzgult auf die Versammelten nieder und sah, dass hier und da Kämpfe ausgebrochen waren und Fäuste flogen. Er lächelte ein wenig traurig und sagte: »Ich sehe, dass einige unter euch bereits entdeckt haben, dass Schwerter, welche hier drinnen gezogen werden, kein Blut hervorquellen lassen, sondern durch Fleisch hindurchfahren wie durch Rauch, ohne Schaden anzurichten. Dies ist nicht die Zeit für Tod und die Begleichung von alten Rechnungen; wir alle machen hier und heute einen Neuanfang. Ihr Fürsten, her zu mir! Die Hochfürsten ebenfalls, falls die so gut sein sollten, mich mit einem einzigen kleinen Akt des
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Gehorsams zu verwöhnen!« Als sich die wenigen Gestalten in ihren Rüstungen näherten und dann die Stufen emporstiegen, begannen die Dwaerindim über dem Kopf des Regenten heller zu leuchten, bis sie aussahen wie goldene Sterne. Schwarzgult schaute zu den Weltensteinen hoch, wobei sich auf seinem Gesicht ganz deutlich Verwirrung abzeichnete. Dann schaute er sich die ängstlichen Gesichter der sich vor ihm drängenden Fürsten an, erkannte sowohl Zorn wie auch Furcht in ihren Mienen und murmelte: »Ich habe keinerlei Bedürfnis, mich zu einem Tyrannen zu entwickeln. Ihr alle, kehrt nach Hause zurück und schafft Ordnung in euren Fürstentümern. Begegnet meinen Botschaftern nicht mit Feindseligkeit, wenn sie zu euch kommen; sie erstatten mir Bericht, sicher, aber sie würden lieber eure offenen Beschwerden und Forderungen hören als eine Menge süß klingender, leerer Worte. Solltet ihr untereinander Komplotte schmieden oder euch verschwören oder euch mit der Schlange gemein machen, so werde ich ganz einfach eure Grenzen für den Rest von Aglirta sperren, bis euch euer eigenes Volk in Stücke reißt. Lasst mir so rasch ihr könnt Kunde übermitteln, falls ihr seltsame Magie oder noch seltsamere Zauberer entdeckt oder Schlangenverehrung, und Hilfe wird euch zuteil. Hochfürsten, wollt ihr meine Botschafter sein?« »Falls Ihr uns finden könnt«, sagte Craer unbedacht. »Wir ziehen es vor, auf Abenteuer auszuziehen.« Ob seiner Unhöflichkeit schnappte ein Fürst nach Luft, aber Schwarzgult lächelte fröhlich und schüttelte anerken-
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nend und ein wenig neidisch den Kopf. »So geht denn«, kicherte er, »das habt ihr euch verdient, und noch viel mehr.« Der Regent musterte erneut die Gesichter der Fürsten und fügte hinzu: »Noch ein letztes Wort. Haltet immer nach gesichtslosen Männern Ausschau – nach den Koglaur, welche ihre Gestalt so rasch ändern können, wie eine Dame ein neues Gewand anlegt. Begegnet ihnen nicht mit Feindseligkeit, denn allem Anschein nach beschützen sie Aglirta genauso beherzt wie unser König. Aber versucht, euch über ihre Anwesenheit auf dem Laufenden zu halten, falls ihr sie je vor etwas warnen müsst – oder uns vor ihnen.« Dann grinste er plötzlich und fragte: »Habt Ihr genug gehört, Flaeros?« Die Blüte der Delkampers hatte still und mit vorquellenden Augen mitten unter den Vieren dagestanden, nachdem er sich mit einer Geschicklichkeit in die Gruppe hineingewunden hatte, die einem Beschaffer besser angestanden hätte als einem Barden. Jetzt lief er dunkelrot an und setzte zu einer stotternden Erwiderung an, aber ein Fürst neben ihm langte ärgerlich zu und packte ihn an der Kehle. Hawkril Anharu nahm das Handgelenk in einen eisenharten Griff und sagte leise zu seinem Besitzer: »Gute Herrscher bewahren so wenige Geheimnisse wie möglich vor ihren Untertanen. Denkt nach: Euer Volk wird Trost daraus schöpfen, wenn es durch die Barden erfährt, was hier wirklich gesprochen wurde.« Langsam und widerstrebend erklang beifälliges Gemurmel, dann blickten die Fürsten den Regenten an. Schwarzgult lächelte und sagte zu dem Hünen, welcher sie
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alle überragte: »Meinen Dank, guter Hawkril. Ihr habt Recht – und ich nicht.« Bedächtig und Schwarzgult in die Augen schauend, langte Embra nach oben und nahm ihren Dwaer aus der Luft. Sie wusste, dass es sich um denjenigen handelte, welchen sie getragen hatte, ohne auch nur einen Blick darauf werfen zu müssen. Schwarzgults Augen verengten sich, und er zog düster die Brauen zusammen – und dann zuckte er mit den Schultern und bedeutete ihr mit einem Winken der Hand, sie solle ihn behalten. »Geht jetzt«, sagte er zu den Vieren, »und herrscht. Wir müssen ein Königreich wieder aufbauen.« Gemeinsam schritt die Viererbande über den langen Teppich, und die Wachen öffneten ihnen die Türen. Wie ein Mann drehten sie sich für einen letzten Blick auf den Flussthron um und auf den Mann in schwarzer Rüstung, welcher daneben stand. Als der Goldene Greif eine Hand hob, um die neuen Hochfürsten von Aglirta zu grüßen, verwandelten sich die Züge einer der Wachen für einen kurzen Moment in glattes Fleisch, gesichtslos außer einem schiefen Lächeln. Die Koglaur beobachteten die Ereignisse – so wie sie das immer taten.
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Epilog C Mondlicht beschien weiß und silbern den Flussthron – welcher stzt leer und still in einem Raum stand, in dem sich nur noch Irei kniende, den Boden schrubbende Mägde aufhielten, einige Vächter in prächtigen Rüstungen ... und ein junger Mann mit dunklen Augen. Als Raulin Burgmäntel auf den Platz starrte, auf welchem der König gesessen und neben dem der große, dunkle Fürst Schwarzgult gestanden hatte, schimmerten ungeweinte Tränen in den Augen des jungen Mannes. So bemerkte er die große, schwarz gepanzerte Gestalt nicht, welche näher kam und sich neben ihm aufbaute. »Junger Mann, das war wirklich erstaunlich anzusehen, sicher«, brummte der Wächter, »aber für Euch ist es hoch an der Zeit, Euch zurückzuziehen. Wir schließen jetzt die Türen. Geht und schlaft Euch aus. Aglirta braucht in den kommenden Jahren starke Jünglinge wie Euch. Es muss noch viel getan werden, Regent oder Hochfürst oder auch nicht.« »Ja«, antwortete Raulin leise, drehte sich um und folgte dem ausgestreckten Zeigefinger des Wächters in Richtung Tür. »Sie haben dasselbe zu mir gesagt.«
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»›Sie‹, Bursche?« »Hawkril und Craer und die Herrin Embra. Und der traurige alte Sarasper. Die Hochfürsten. Sie sagten, ich würde gebraucht ... nur zu bald.« »Sicher haben sie das, Junge«, meinte der Wächter, und seiner Stimme hörte man an, dass er Raulin nicht so recht glaubte. »Sicher haben sie das. Ihr habt ein wenig zu lang ins Mondlicht geschaut und davon geträumt, ein Held zu sein.« Raulin drehte sich vor der Tür um und richtete sich zu seiner ganzen schlanken Höhe auf. »Ich weiß«, antwortete er mit Würde, »aber das ist genau das, was Barden tun.« Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt von dannen, hinunter in den Inneren Hof. Der Wächter schüttelte lächelnd den Kopf und wandte dann seine Aufmerksamkeit der Tür zu. Ilibar Quelver wurde zwar allmählich alt, aber nicht langsam, und er schloss beinahe zu rasch die Tür, um es sehen zu können: Aus dem Nichts im dunkelsten Teil des Inneren Hofes erschien ein gespenstisches Licht ... und verdichtete sich zu dem Auferstandenen König, welcher die Hand zum Gruß hob. Der Jüngling fiel auf die Knie – und während der Wächter noch hinstarrte, schüttelte König Kelgrael den Kopf, lächelte und verschwand. Der Jüngling erhob sich so würdevoll, als habe er den Ritterschlag empfangen, und schritt davon. Dieses Ende des Innernen Hofes mochte zwar dunkel sein, aber wie aus dem Nichts kommendes Mondlicht beschien den Kopf und die Schultern des Jünglings. Der alte Quelver stand da mit der Hand auf dem Tür-
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knauf, und ein kaltes Prickeln überlief seinen Körper. Er gab sich große Mühe, sich jedes einzelne Gebet zu der Dreifaltigkeit, welches ihm je zu Ohren gekommen war, ins Gedächtnis zu rufen und laut aufzusagen. Mondlicht beschien weiß und silbern die Wildfelsen – und in einer besonders hoch gelegenen Höhle über dem Landstrich, welcher jetzt wieder Hellbanner hieß, beleuchtete es vier entblößte Körper. Die Viererbande lag neben einem ersterbenden Feuer, und dank des Dwaer spürte keiner der Gefährten die Kälte der nächtlichen Brise. Der Stein trieb so unansehnlich und unbestimmbar wie immer in der Luft über Embras Brust. Er flackerte, während er, von ihrem Willen angetrieben, Schutzzauber um die Gefährten wob. Mit einer Fingerspitze fuhr die Zauberin in Gedanken versunken die böse, halb verheilte rote Linie nach, welche sich über Hawkrils Unterarm schlängelte. Sie lagen nebeneinander am Feuer, und Craer und Sarasper saßen auf der andere Seite. Plötzlich setzte Embra sich auf. Die drei Männer erstarrten und griffen hastig nach den Schwertern, die sich nie außer Reichweite ihrer Hände befanden. »Was ist los?«, zischte Craer. »Die Dwaerindim leuchteten wie Sterne, in welche man kaum schauen konnte, als Schwa..., als mein Vater uns alle zusammenrief«, murmelte die Herrin der Edelsteine aufgeregt. »Erinnert ihr euch daran?« »Ja«, brummte Hawkril, und die anderen nickten. »Wir alle
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haben es gesehen. Was hat das zu bedeuten?« »Das können sie nur«, erklärte Embra mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern, »wenn alle vier Dwaerindim ganz nahe beieinander sind – nicht mehr als ein paar Schritte voneinander entfernt.« Keiner ihrer Gefährten musste lange nachdenken. »Also befindet sich der vierte Stein im Besitz eines der Fürsten des Reiches – und zwar im Geheimen«, sagte Sarasper in die plötzliche Dunkelheit, denn eine schell dahinziehende Wölke hatte sich vor den Mond geschoben. »Aber wer?«, fragte Craer die Nacht. Irgendwie bemerkten sie trotz der Dunkelheit, dass Hawkril die Achseln zuckte, bevor er sprach. »Um wen auch immer es sich handeln mag, unsere Königliche Mission bleibt dadurch unvollendet. Morgen früh fangen wir damit an, nach ihm zu suchen.« Craer und Sarasper hörten Embra empört aufstöhnen und gleich darauf den spielerischen Schlag, welchen sie dem Recken an ihrer Seite verpasste. Der Hüne konnte sich unheimlich leise bewegen, falls das nötig war; sie hörten ihn nicht, bis die Herrin der Edelsteine einen tiefen, beglückten Seufzer ausstieß, der in ein Kichern überging und dann wieder in einem Seufzer endete. »Also, Heiler«, bemerkte Craer beiläufig in Richtung der glitzernden Sterne, »habe ich Euch eigentlich je die Geschichte erzählt, als ich in Sirlptar versehentlich jemandes linken Stiefel stahl? Derjenige hat jetzt vielleicht meinen, und wenn ich es mir recht überlege, dann versucht er vielleicht immer noch, mich mit meinem Schuh am Fuß zu verfolgen ...«
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»Nein, Herrlichster Hochfürst Delnbein«, antwortete Sarasper gleichermaßen fröhlich wie aus ganzem Herzen, als der Mond wieder zum Vorschein kam und auf der anderen Seite des Feuers ein Brummen erklang, gefolgt von einem erstickten Lachen. »Das habt Ihr, so glaube ich, noch nicht ...«
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Glossar
Adeln, Endulph: Fürst des gleichnamigen Landes am Strom, grausamer Herrscher einer reichen Baronie mit einer großen Armee; ist bei jeder Verschwörung gegen den König dabei. Aglirta: sagenumwobenes untergegangenes Königreich. Sein jetziger Herrscher, der einst von einem Zauber umfangene Schlafende König, wurde von der Viererbande mit Hilfe der Weltensteine erweckt, um seinem Land in der Stunde höchster Bedrohung beizustehen und es zu neuem Glanz zu führen. Das Reich ist jedoch auch nach dem Erscheinen des Auferstandenen Königs nicht geeint, da alle möglichen Feinde versuchen, den König zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Amamndus der Löwe: Anführer einer Bande Abenteurer. Ambelter, Ingryl: einst Zaubermeister der Silberbaums, Stärkster unter den Dunklen Dreien, heute immer noch einer der gefährlichsten Unruhestifter, obwohl er doch eigentlich nicht mehr unter den Lebenden weilt. Andalus von Sirl: berüchtigter Söldner. Baerethos: Zauberer im Dienst des Fürsten Ithklammert, Ratgeber des Fürsten, schärfster Rivale von Ubunter.
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Baergin: Hausbarde bei den Delkampers und Anhänger der Schlange. Baerund, Ilisker: Tersept des Fürstentums Tarlagar. Bogendrachen, Cathaleira: Zauberlehrlingin und Geliebte des Tharlorn. Brithra: Köchin und Geliebte des Bodemmon Sarr. Brostos, Maegla: Fürstenwitwe dieses Landes und Mutter des Thanglar. Brostos, Thanglar: nach dem Tod seiner Mutter Fürst des gleichnamigen Landes. Burgmäntel, Helgrym: seinerzeit einer der bekanntesten fahrenden Sänger der Stromtals. Burgmäntel, Raulin Tilgbar: Sohn des Helgrym und für einige Zeit Gefährte der Viererbande. Carthel, Jolynth: Handelsagent aus Sirlptar. Craer Delnbein: Vogelfreier, ehemals Beschaffer – also Kundschafter und Dieb – im Dienste des Goldenen Greifen, Freund des Hawkril, Mitglied der Viererbande. Daragus, Inther: Handelsagent aus Gilth. Darlassitur: Hausmagier von Kardassa.
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Dathgath, Korstyn: einstiger König von Aglirta, ein großer Krieger. Deldroun, Yisker: militärischer Unterführer bei den Silberbaums. Delkamper, Flaeros: Spross der mächtigen Handelsfamilie, der aber lieber fahrender Sänger wird und so manches Abenteuer bestehen muss. Dunklen Drei, die: die drei mächtigen Hofmagier der Silberbaums, Ambelter, Klamantel und Markoun, vergleiche »Land ohne König«. Duthjack, Sendrith: großer Krieger im Dienste des Fürsten Schwarzgult, der später seine eigene Abenteurerbande gründet. Dwaer: einer der vier Weltensteine. Dwaerindim: die geheimnisvollen vier Weltensteine, welche den Schlafenden König erwecken können und auch sonst über ungeahnte Zauberkräfte verfügen. Die vier Steine sind in alle Winde zerstreut, und so gut wie jede der gegnerischen Parteien versucht, die Steine in die Hände zu bekommen. Dyndrie, Saerlor: Handelsagent aus Sirlptar. Elroumrae: einstige Königin von Aglirta.
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Erluth: Zauberer. Faulkron, Rustal: Hofmagier von Glarond. Geschmolzene: Menschen, welche sich der Magier Korloun mit einem Feuerbann Untertan gemacht hat. Ihre Gesichter sind zerschmolzen, und durch sie vermag er, aus der Ferne Zauber zu bewirken. Glarond, Audeman: Fürst von Glarond. Glarsimber, Belklarravus: Tersept von Sart, auch der »Lächelnde Wolf von Sart« genannt, Rivale von Daragus von Gilth. Goldener Greif. Bezeichnung für Ezendor Fürst Schwarzgult. Halidynor, Onthalus: Oberhaupt einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie. Hawkril Anharu: einst Ritter und Schwertmeister im Dienst des Goldenen Greifen, inzwischen vogelfrei, bester Freund von Craer Delnbein, Mitglied der Viererbande. Holdyn: ehemaliger Krieger bei den Silberbaums. Huldaerus, Herr der Fledermäuse: Zauberer auf der Suche nach den Dwaerindim. Inderos Sturmharfe: Meisterbarde.
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Jhalamvyluk, Margathe: Gemahlin des Nortreen. Jhalanzvyluk, Nortreen: Wirt des »Flasche und Handschuh«. Kaladasch, Bryldar: hochnäsiger Zauberer aus Sirlptar. Kalarth: Krieger, früher in Diensten des Schwarzgult. Kardassa, Ithklammert: ernster und gesetzestreuer Fürst dieses Landes. Kelgrael: aus diesem Hause stammt der einst Schlafende, jetzt Auferstandene König ab. Kessra: Wirtin des »Alten Löwen«. Kether: Krieger, früher in Diensten der Silberbaums. Kethgan: Söldner und Fänger. Klamantel, Beirldoun: einst Zauberer im Dienst des Faerod Silberbaum. Koglaur: gespenstische Gestaltwandler, welche aus eigenen Gründen über Aglirta wachen, auch »Gesichtslose« genannt. Kordul: ausländischer Ritter. Korloun: Hofmagier von Maerlin.
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Land ohne König: Bezeichnung aus der Zeit vor dem Erwachen des Schlafendes Königs für das von politischen Ränken geschüttelte Gebiet, auf dem sich einst das Königreich Aglirta befand. Loushoond, Berias: Fürst des gleichnamigen Landes, ein Mann von Prinzipien, wenngleich zu Zeiten feige. Schließt sich nur widerstrebend der Verschwörung gegen den König an. Lultus: Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Luthtuth, Eeimgur »Samtfuß«: unheimlicher Beschaffer, welcher hinter den Dwaerindim herjagt und auf seine Chance wartet. Maerbotham, Belgur: nicht gerade der mutigste Krieger. Marindra: einstige Zauberin. Markoun, Yarynd: nicht mehr unter den Lebenden weilender tauberer im Dienste des Fürsten Silberbaum. Marthith, Calard: Krieger im Dienste Ornentars. Mauweiron, Ammantas: ausländischer Magier, mit Adeln gegen den Auferstandenen König verbündet. Mulkyn, Gadaster: oberster Bannmeister im Dienst von Faerod Silberbaum, weilt angeblich nicht mehr unter den Lebenden.
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Murgin: Krieger unter Weldrin. Naerimdon, Augrath: Tersept von Rithrym. Naor: Leibwächter von Sendrith Duthjack. Narwim, Uster: Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Nimmor: Schlangenpriester in Phelinndar. Norwold Doppelstab: Zauberer. Oblarram, Gurkyn: Koch und Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Ornentar, Eldagh: Fürst des gleichnamigen Landes, von den khlangenpriestern zwangsvereinnahmt. Pelard, Yonth: Tersept von Yarsimbra. Peldratha, Kaulistur: fahrender Sänger in Aglirta. Peldrus: Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Phalagh von Ornentar: Zauberer, in den Ruinen von Indraewyn erschlagen, aber wiederbelebt. Phelodiir, Monther: Handelsagent in Sirlptar. Quelver, Ilibar: Torwächter im Thronsaal von Burg Treib-
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schaum. Ranthalus, Felder: Erster Kammerherr von Treibschaum. Ressheven von den Zwei Monden: Schlachtzauberer. Riovryn, Stelgar: Krieger aus Loushoond. Roldrick: ehemaliger Krieger bei den Silberbaums, heute Türsteher im »Flasche und Handschuh«. Sarasper Kodelmer: Heiler, der auch die Gestalt einer schrecklichen Langzahn-Wolf sspinne annehmen kann, Mitglied der Viererbande. Sargin: Dieb in einer Abenteurerbande. San, Bodemmon: einer der beiden mächtigsten unabhängigen Zauberer im Stromtal (sein Rivale heißt Tharlorn). Schammurl: Kriegerin und Zauberin. Schlafender König: Bezeichnung für den inzwischen Auferstandenen König, welcher so genannt wurde, bevor er von der Viererbande mittels der Dwaerindim erweckt wurde, um dem Land Aglirta in der Stunde der höchsten Not zu Hilfe zu kommen. Schlange: auch Schattenschlange, Heilige Schlange, Große Schlange genannt. Ein Wesen von großer Bösartigkeit, der
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Sage nach einst ein menschlicher Zauberer, welcher mithalf, die Dwaerindim zu verzaubern, dem Wahnsinn verfiel, Schlangengestalt annahm und wie der König in Schlaf versetzt wurde. Die Schlange gilt als der schlimmste Feind Aglirtas. Sie ist ihren Anhängern heilig und verleiht ihnen im Gegenzug magische Kräfte. Schlangenpriester, unheimlicher Anführer eines Schlangenkultes. Schneestern, Kelgrael: der ehedem Schlafende und mittlerweile Auferstandene König von Aglirta. Schwarzgult, Ezendor Fürst: vor seinem vermeintlichen Tod Hauptwidersacher des Faerod Silberbaum. Silberbaum, Embra Fürstin: Zauberin, entflohene Tochter des Faerod Silberbaum, Mitglied der Viererbande. Silberbaum, Faerod Fürst: skrupelloser Baron, welcher durch den Einsatz übler Machenschaften beinahe das gesamte Land ohne König beherrscht. Vater von Embra. Weilt nicht immer unter den Toten. Silberbaum, Thaalen: Fürst und Ahnherr von Faerod. Skuldus: Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Talasorn, Raevur: Magier von Sirlptar, mit Adeln im Bunde.
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Tanthus: Oberdieb einer Abenteurerbande. Tathtorn: Krieger, einst im Dienste Schwarzgults. Taurym, Imbreth: Hofmeister einer Burg. Telabras, Dirl: Handelsagent aus Sirlptar. Tersept: Herrscher eines Landes, der nicht von Adel ist (meist von einem der Fürsten eingesetzt, manchmal aber auch selbst ernannt). Tessyre: einstige Zauberin. Tharlorn von den Donnern: einer der beiden mächtigsten unabhängigen Zauberer von Aglirta (sein Rivale ist Bodemmon Sarr). Tlalasch: weiblicher Koglaur. Tlarinda: Embras Mutter, Gemahlin des Faerod Silberbaum, von diesem auf bestialische Weise ermordet. Treibschaum: Insel im Silberfluss mit einem Palast gleichen Namens, in welchem der Fürst Faerod Silberbaum herrschte. Inzwischen Regierungssitz des Auferstandenen Königs. Turstrin, Maeloch: Krieger, der mit Weldrin zusammenarbeitet. Ubunter, Velmos: alter, vertrottelter Zauberer von Kardassa.
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Ulgund, Inthris: Tersept von Helvand. Unmertyde, Gloun: Krieger, ehemals im Dienste Schwarzgults. Vandur: Fänger und Söldner. Viererbande: die Helden dieser Geschichte und gleichzeitig die Helden des Königs (sie haben ihn unter anderem aufgeweckt); zu ihnen gehören: Hawkril, Craer, Sarasper und Embra. Weldrin, Sorth: Krieger und Bandenführer. Xavalandro, Fori: Held von Adeln, ein Krieger.
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