Der Kristallprinz und der
Meuterer
Atlan in der Stadt der Raumschiffe - unter
Söldnern und Rebellen
von H. G. Ewers...
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Der Kristallprinz und der
Meuterer
Atlan in der Stadt der Raumschiffe - unter
Söldnern und Rebellen
von H. G. Ewers
Atlan - Held von Arkon - Nr. 112
erschienen November 1973
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Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man das Jahr 10.497 v.A. – eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht, eine Zeit also, da die Erdbewohner in Barbarei und Primitivität verharren und nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen – obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich – steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und li stiger Mann, der den Tod seines Bruders Gonozal VII inszeniert hat um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben, der kurz nach dem Tode Gonozals zusammen mit Fartuloon, dessen Leib arzt, spurlos verschwand und bei der Allgemeinheit längst als verschollen oder tot gilt. Doch der junge Kristallprinz ist quicklebendig! Nachdem man ihn über seine wahre Herkunft informiert und sein Extrahirn aktiviert hat, ist sein ganzes Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet, den Usurpator zu stür zen. Um diese seine Pläne schnellstens voranzutreiben, läßt Atlan sein Aussehen verändern und begibt sich zusammen mit einem Begleiter nach Trumschvaar, der Welt der Kralasenen. Und hier kommt es zum ersten di rekten Konflikt mit dem übermächtigen Gegner. Auf der einen Seite steht der Blinde Sofgart, der Henker und Kopfjäger des Imperators – und auf der anderen stehen DER KRISTALLPRINZ UND DIE MEUTERER …
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz begibt sich in die Stadt der Raumschiffe.
Tirako Gamno - Atlans Begleiter.
Fartuloon - Atlans Lehrmeister und väterlicher Freund.
Der Blinde Sofgart - Anführer der berüchtigten Kralasenen.
Guurth von Afkinis, Parthos, Soltharius und Kelatos - Sofgarts
Unterführer.
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1.
Ich war soeben auf einem Felsband zum Kleinen Plateau gestiegen, um mir den Stützpunkt im Tal von oben anzusehen, als ein scharfes Zischen mich aus meinen Grübeleien riß. Ich schrak auf und hatte bereits die Strahlwaffe gezogen, bevor mein Verstand die Ursache des Zischens voll erfaßte. Meine Reflexe hatten in den antrainierten Bahnen reagiert. Im nächsten Augenblick tastete ich nach den Gürtelschaltungen meines Flugaggregats – bis mir einfiel, daß ich mein Tornistergerät nicht mitge nommen hatte. Es lag in Fartuloons Raumschiff am anderen Ende des Ta les. Das Zischen hielt unvermindert an. Es kam von einem drachenähnli chen Tier mit silbergrauer Schuppenhaut, kurzen halbschirmartigen Flü geln und schlangenartig endendem Schwanz. Der Kopf des Tieres war langgestreckt, hatte eine platte Schnauze mit großen Nüstern, zwei unter Nickhäuten verborgenen Augen an den Kopfseiten und einen hochgestell ten ziegelroten Kamm, der zwischen den Schultern endete. Der Drache versperrte mir den Weg aufs Kleine Plateau – und hinter mir lag der Abgrund, der zirka fünfhundert Schritt tief abfiel. Ich stand nur auf einem schmalen Felsband, das sich dicht an der Steilwand entlang schlängelte. Auf diesem Wege ausweichen zu wollen, wäre ein halsbre cherisches Unterfangen gewesen. Außerdem erweckte der Drache den Ein druck, als könne er mich mühelos einholen. Du mußt ihn töten! meldete sich der Logiksektor meines Extragehirns, das erst vor kurzem auf dem Planeten Largamenia aktiviert worden war, wo ich die ARK SUMMIA Dritter Stufe errungen hatte. »Nur im Notfall«, erwiderte ich laut, als hätte ich einen echten Ge sprächspartner vor mir. Ich hatte mich noch immer nicht völlig daran ge wöhnt, ab und zu den Ratschlag einer inneren Stimme zu vernehmen. Der Drache spreizte beim Klang meiner Stimme die Flügel. Das Zi schen verstummte. Gleich darauf aber ertönte es abermals, und nun sah ich auch, daß es erzeugt wurde, wenn die lange gespaltene Zunge witternd ausgestreckt wurde. Ich bewegte mich nicht, als die Zunge dicht vor meinem Gesicht vibrie rend verharrte. Zu meinem eigenen Erstaunen verspürte ich keine Furcht, obwohl ich sicher war, daß das Tier mich durch einen blitzschnellen An griff töten konnte, auch wenn es mir dabei noch gelang, meine Waffe ab zufeuern und das Tier dadurch ebenfalls zu töten. Vielleicht war es diese doppelte Gewißheit, die mir den Entschluß er leichterte, nicht tatenlos stehenzubleiben.
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Ich sprach leise auf das Tier ein und bewegte mich dabei behutsam nach vorn. Die lange gespaltene Zunge zuckte zurück, als sie mein Gesicht be rührte. Langsam wich der Drache zur Seite, so daß ich das Kleine Plateau betreten konnte. Sein linkes Auge verfolgte jede meiner Bewegungen, während das rechte über den Rand des Plateaus ins Tal spähte. Ich streckte die freie Hand aus und klopfte damit leicht auf den Rücken des Tieres. Im nächsten Moment vernahm ich einen halberstickten Aufschrei. Eine kompakte Gestalt im Fluganzug schwebte heran und landete auf dem win zigen freien Fleck zwischen der Schwanzpartie des Tieres und mir. Ich erkannte an den blauroten Brandnarben der unteren Gesichtshälfte den Kopfjäger Corpkor. Corpkors Augen wirkten erschrocken. »Nehmen Sie Ihre Hand da weg, Atlan!« flüsterte er eindringlich. »Hegelunt könnte Sie in Augenblickschnelle in Stücke reißen.« Ich zog meine Hand zurück und erwiderte: »Ist das eines Ihrer Tiere, Corpkor? Es war bisher ausgesprochen fried lich.« Der Kopfjäger schluckte; sein Kehlkopf tanzte dabei auf und ab. »Normalerweise greift Hegelunt sofort an«, erklärte er. »Ich begreife einfach nicht, daß Sie noch leben. Es war unvorsichtig von Ihnen, sich dem Tier so weit zu nähern.« Ich lächelte ihm freimütig ins Gesicht. Noch vor kurzem hatte der Mann mich töten wollen, um dem Imperator Orbanaschol III. meinen Kopf zu bringen und die darauf ausgesetzte Prämie zu kassieren. Seine Tiergruppe hatte ihm dabei geholfen. Dennoch hatte ich ihn besiegen und davon über zeugen können, daß es Unrecht gewesen wäre, länger für den Mörder mei nes Vaters zu arbeiten, der mich nur deshalb ermorden lassen wollte, da mit ich nicht die rechtmäßige Nachfolge meines Vaters antreten konnte. »Vielleicht hat Hegelunt gewittert, daß zwischen seinem Herrn und mir keine Feindschaft mehr besteht, Corpkor«, entgegnete ich. Corpkor wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Vielleicht, Atlan«, meinte er. »Ich hatte jedenfalls einen tüchtigen Schreck bekommen, als ich Sie neben Hegelunt auf dem Kleinen Plateau entdeckte.« Kr umfaßte den Hals des Drachen und redete leise auf das Tier ein. Ich wußte, daß der Kopfjäger einige hundert Tiersprachen nicht nur beherrsch te, sondern sie auch weiterentwickelt hatte. Seine Fähigkeit der Kommuni kation mit Tieren war erstaunlich. Sie war sogar einmalig. Wahrscheinlich beruhte sie auf einer parapsychischen Begabung, für die es in der PsiWissenschaft noch keine Bezeichnung gab. Der Drache antwortete seinem Herrn mit ähnlichen Lauten, wie Corp kor sie ausgestoßen hatte, dann spreizte er abermals die Flügel und stieß
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sich mit den Hinterbeinen vom Plateau ab. Die Flügel rotierten mit hoher Geschwindigkeit, ähnlich wie die Rotoren eines Tragschraubers – und wie ein Tragschrauber senkte sich Hegelunt ins Tal hinab. Ich folgte ihm mit den Augen. Insgesamt siebenundvierzig Gebäude waren in dem paradiesisch anmu tenden Tal gruppiert. Sieben davon waren große Kuppelbauten, achtzehn flache Rundgebäude und drei Türme. Der Rest bestand aus rechteckig ge formten, unterschiedlich großen Lagerhäusern. Dies alles gehörte zum Geheimstützpunkt des Bauchaufschneiders Far tuloon, meines besten Freundes und Beschützers, der mir mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Zwischen den Gebäuden wimmelte es von Arbeitsrobotern. Sie reparier ten die Einrichtungen, die beim Kampf gegen die Gespensterarmee und später im Verlauf der Auseinandersetzung mit Corpkor und seiner Tier gruppe beschädigt worden war. Die überlebenden Tiere des Kopfjägers waren in geräumigen Gehegen untergebracht. »Sie hätten Ihr Flugaggregat mitnehmen sollen«, sagte Corpkor. »Soll ich Ihnen meines leihen?« »Das ist nicht nötig«, antwortete ich. »Fliegen Sie nur voraus. Ich kom me zu Fuß nach. Sie können Fartuloon ausrichten, daß ich bald bei ihm sein werde.« »Wie Sie befehlen, Atlan«, erwiderte Corpkor. Er schaltete sein Flugaggregat an und folgte seinem Drachen, um ihn zu anderen Tieren in ein Gehege zu sperren. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte hinüber zu dem großen Kugelraumschiff Fartuloons, das auf seinem Landeplatz stand. Es gehörte ebenfalls zum Inventar dieses Stützpunktes auf Kraumon. Ich fragte mich zum wiederholten Male, wie viele Geheimnisse Fartuloon noch besaß, von denen ich nichts ahnte. Er war von Beruf Arzt, oder, wie man auf Gortavor dazu sagte, Bauchaufschneider. Aber er mußte eine Ver gangenheit haben, die er bisher erfolgreich vor mir und meinen Freunden verborgen gehalten hatte. Vorsichtig begann ich den Abstieg ins Tal. Unten angekommen, ent deckte ich den Chretkor Eiskralle. Eiskralle stand auf einer Antigravplatt form und dirigierte mit Hilfe eines Kommandopultes die Roboterkolonne, die einen während der letzten Kämpfe zerschossenen Turmbau instand setzten. Der zwergenhaft kleine Körper des Chretkors wirkte im Licht der roten Sonne Kraumons wie die verkleinerte Ausgabe eines gläsernen Arkoniden. Unter der eisähnlichen Oberfläche war das bunte Gewirr von Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und großen Organen deutlich zu sehen. Auch der auf einem kurzen Hals sitzende Schädel war völlig transparent. Die Extre
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mitäten waren allerdings arkonidisch geformt. Eiskralle winkte mir freundlich zu, als ich an ihm vorbeiging. Er fühlte sich in dem gemäßigten Klima Kraumons außerordentlich wohl. Es war gerade warm genug, um ihm ausreichend Beweglichkeit zu verleihen, aber nicht so warm, daß er Gefahr lief, in der Hitze zu zerfließen. Auf halbem Wege zum Kugelschiff kam mir Tirako Gamno mit einem Gleiter entgegen, um mich zu holen. Tirako war Arkonide wie ich. Wir hatten uns kennengelernt, als wir auf dem Prüfungsplaneten Largamenia zahlreichen harten Tests unterzogen worden waren. Zum Abschluß der Prüfung waren wir von der Kommission als Gegner aufgestellt worden, so daß nur einer die ARK SUMMIA erhalten konnte. Wir hatten beide ver sucht, den anderen gewinnen zu lassen, doch Tirako Gamno war in dieser Beziehung besser gewesen als ich. Deshalb hatte von uns beiden nur ich die ARK SUMMIA erhalten. Seitdem waren wir Freunde – und seit Tirako wußte, wer ich wirklich war, was Fartuloon mir bis zur Aktivierung meines Extragehirns ebenfalls verheimlicht hatte, unterstützte er mich in meinem Kampf gegen die Intri gen Orbanaschols. Er hielt seinen Gleiter dicht über dem Boden neben mir an und deutete einladend auf den freien Sitz neben sich. »Fartuloon hat mich gebeten, dich zu ihm zu bringen«, sagte er. »Er wartet in der Zentrale seines Schiffes.« »Danke«, erwiderte ich und setzte mich neben ihn. Tirako Gamno startete. Er flog den Gleiter mit schlafwandlerischer Si cherheit. Ich warf dem jungen Adligen einen Seitenblick zu. Wenn man Tirako so ansah, dann vermutete man in der großen, schlaksig wirkenden Gestalt mit der hohen Stirn und dem weichen Gesicht keinesfalls den har ten Burschen, der es geschafft hatte, die lebensgefährlichen Prüfungen auf Largamenia mit Bravour zu meistern. »Ich sah vorhin einen Drachen aus der Gegend kommen, in der du her umgeklettert bist«, meinte Tirako beiläufig. »Kurz danach schwebte unser Kopfjäger ins Tal. Hattest du eine unangenehme Begegnung?« Ich lachte. »Nicht der Rede wert, Tirako. Hegelunt und ich begegneten uns zufällig auf dem Kleinen Plateau. Wir vertrugen uns recht gut. Nur Corpkor war ziemlich besorgt um meine Sicherheit.« Tirako lachte ebenfalls. »Corpkor unterschätzt offenbar seinen Einfluß auf die Tiere. Ich denke, der Drache griff dich deshalb nicht an, weil sein Herr inzwischen dein Ge folgsmann ist.« »Das habe ich Corpkor bereits erklärt«, erwiderte ich. Tirako Gamno legte den Gleiter in eine scharfe Linkskurve. Wir flogen
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dicht über einen großen Kuppelbau hinweg, dann richtete sich der Gleiter wieder auf und fegte auf die offene Schleuse des Kugelschiffes zu. Das Feldaggregat heulte auf, als Gamno auf Umkehrpolung schaltete und dadurch die Geschwindigkeit stark herabsetzte. Wir wischten durch die offene Schleuse und setzten sanft auf dem Boden des erleuchteten Hangars auf. »Kommst du mit?« fragte ich. »Nein«, erwiderte Tirako. »Fartuloon will mit dir allein sprechen, At lan.« Unterwegs zur Zentrale des Schiffes begegnete ich Morvoner Sprangk, dem arkonidischen Kommandanten, der als einziger lebend aus dem Kampf der arkonidischen und maahkschen Geisterarmeen hervorgegangen war. Sprangk war der älteste Mann unserer kleinen Gruppe; er war achtzig Arkonjahre alt, hatte ein narbiges Gesicht und einen kahlen Schädel. Morvoner Sprangk grüßte militärisch und schritt in straffer Haltung an mir vorbei. Das brachte mich etwas in Verlegenheit, denn gegen ihn war ich ein unerfahrener junger Mann, während er seine Feuerprobe im Me thankrieg schon bestanden hatte, als ich noch nicht lebte. Sein einziger Mi nuspunkt war der destruktive Haß gegen die Maahks, der ihn zeitweilig völlig beherrschte. Auch wir anderen haßten die Methaner, aber wir hatten diesen Haß unter Kontrolle. Ich erwiderte seinen Gruß, konnte mich aber nicht dazu überwinden, ebenfalls in eine militärisch steife, beinahe hölzern zu nennende Gangart zu fallen. Wenig später glitten die Schotthälften der Zentrale vor mir auf. Fartuloon stand denkmalgleich mitten in dem mit Kontrollen und Bild schirmen angefüllten scheibenförmigen Raum. Er war nur mittelgroß und wirkte auf den ersten Blick unglaublich fett. Doch das vermeintliche Fett waren harte und zugleich geschmeidige Muskeln. Wie immer trug Fartuloon auch diesmal seinen verbeulten und blankge wetzten Harnisch. Im Waffengurt steckte – ebenfalls wie immer – das Skarg, ein kurzes Breitschwert mit einem Knauf, der eine seltsame Figur zeigte. Wieder einmal versuchte ich, Einzelheiten dieser silbrig schimmernden Figur zu erkennen – und wieder einmal schienen ihre Konturen bei nähe rem Hinsehen zu zerfließen. Fartuloon lächelte mit den Augen, die hinter den Muskelwülsten seines breiten Gesichts kaum zu sehen waren. Der blanke Kahlkopf kontrastierte wirkungsvoll mit dem schwarzen gekrausten Vollbart. »Ich grüße dich, Atlan!« rief Fartuloon. Ich legte meine Rechte auf die linke Brustseite. »Ich grüße dich auch, Fartuloon«, erwiderte ich. »Ist dein Raumschiff
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startbereit?« Das Lächeln verschwand aus Fartuloons Augen. »Das Schiff ist bereit, aber wir sind es noch nicht, mein Junge«, sagte er ernst. »Ich weiß, daß du es nicht erwarten kannst, den Kampf gegen den Thronräuber Orbanaschol aufzunehmen, aber du wirst diesen Kampf nicht gewinnen, wenn du nicht dafür gerüstet bist.« »Der Kampf gegen Orbanaschol ist keine Sache, die zwischen Raum flotten ausgetragen werden kann«, entgegnete ich hitzig. »In dieser Hin sicht wird er uns immer überlegen sein. Wir müssen einen Anfang ma chen, dann sehen wir weiter.« »Der Anfang ist gemacht, Atlan«, erwiderte Fartuloon ruhig. »Ich weiß, du möchtest als Anfang einen spektakulären Schlag gegen Orbanaschol se hen, aber dafür ist unsere Gruppe noch zu klein. Erst müssen wir mehr Männer anwerben, bevor wir offen losschlagen können.« Ich ging zum positronisch gespeisten Kartentank, in dem die Sternenfül le des galaktischen Zentrumssektors glitzerte. Der Halosektor mit dem Ku gelhaufen, der das Zentrum der Macht des Großen Imperiums darstellte, wurde nicht abgebildet; dazu waren wir zu weit von ihm entfernt. »Ich denke an eine Taktik, die vorerst auf psychologische Wirkung ab zielt, Fartuloon«, erklärte ich. »Orbanaschol hat einen hohen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt. Vielleicht glaubt er, ich wäre längst von den Hä schern gestellt und getötet worden. Deshalb halte ich es für notwendig, ihm klarzumachen, daß ich noch lebe und mir seinen Sturz zum Ziel ge setzt habe.« »Deine Überlegungen sind prinzipiell richtig«, antwortete Fartuloon. »Aber hast du auch bedacht, was geschehen wird, sobald Orbanaschol von deiner ersten Aktion erfährt? Er wird eine Treibjagd auf uns veranstalten lassen, wie sie die Geschichte des Großen Imperiums noch nicht gesehen hat. Ganze Flotten werden uns hetzen.« Ich überdachte Fartuloons Warnung, während ich mich in den Kontur sessel vor den Hauptkontrollen setzte und die Schaltungen musterte. Mit diesen Schaltungen konnte man dieses Schiff von Transition zu Transition treiben, von einer Kolonialwelt zur anderen. Im Geiste stellte ich mir vor, wie auf der Kristallwelt die Meldungen von unseren Überraschungsschlägen einliefen und den Thronräuber immer nervöser machten, bis er schließlich den Überblick verlor und unklug rea gierte. Das ist Wunschdenken ohne realen Hintergrund! mahnte der Logiksek tor meines aktivierten Extragehirns. Einem Imperator des Großen Imperi ums stehen hochwertige Positroniken zur Verfügung, mit deren Hilfe er auch in verworrenster Lage den Überblick behalten kann. Nur dann, wenn du gleichzeitig an mehreren Orten zuschlägst, wirst du Orbanaschol III.
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beeindrucken können. Ich verwarf die Mahnung meines Logiksektors, obwohl sie überzeugend erschien. Außerdem wußte ich, daß Orbanaschol III. sich nicht nur von reiner Logik leiten lassen würde. Furcht und Haß waren Faktoren, die Denken und Handeln eines Verbrechers seines Formats beeinflussen wür den. Ich lächelte. »Wir werden Verbündete haben, die uns nicht kennen und die wir nicht kennen, Fartuloon«, erklärte ich zuversichtlich. »Es gibt viele Unzufriede ne im Großen Imperium, viele, die sich gegen die Herrschaft Arkons auf lehnen. Wenn Orbanaschol nach unserer ersten Aktion eine Kampfansage erhält, die eindeutig von mir stammt, wird er künftig viele der von anderen Gruppen verübten Anschläge auf das Konto ›meiner‹ Rebellen-Armee bu chen.« Fartuloon lachte leise. »Du bist gerissen, Atlan. In dir steckt wahrhaftig das Zeug für einen gu ten Imperator, den das Große Imperium bitter nötig hat.« Er wurde wieder ernst. »Aber gerade deshalb darf ich nichts zulassen, was dein Leben gefähr den könnte. Ich schlage dir einen Kompromiß vor. Setzen wir doch von ir gendwo im Raum eine Hyperfunkbotschaft an den Imperator ab und ver schwinden wir anschließend wieder. Damit erzielen wir fast den gleichen Effekt.« Ich schwang mich mit meinem Kontursessel so herum, daß ich Fartu loon in die Augen sehen konnte. »Willst du mir vorschreiben, wie ich, der rechtmäßige Imperator, vorge hen soll?« erkundigte ich mich mit einiger Schärfe. »Mit einer verbalen Kampfansage erreichen wir so gut wie nichts. Nein, wir brauchen die Be gleitmusik einer harten Aktion, Fartuloon.« Fartuloons Gesicht verfinsterte sich. »Aus dir spricht die Ungeduld der Jugend, Atlan«, erwiderte er. »Ich kann dich sogar verstehen, aber deshalb brauche ich dir noch lange nicht bedingungslos zuzustimmen.« »Das sollst du auch nicht«, sagte ich beschwichtigend. »Ich lege großen Wert auf deinen Rat, denn ohne dich wäre ich nicht das, was ich bin. Aber wenn ich von etwas überzeugt bin, versuche ich es auch durchzusetzen.« Ich erhob mich, ging auf Fartuloon zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Es geht nicht nur darum, dem Großen Imperium seinen rechtmäßigen Herrscher zu geben, Fartuloon, sondern ebenso sehr darum, den Mordan schlägen des Usurpators durch eigene Angriffe zuvorzukommen. Deshalb bitte ich dich, mir eine Welt zu nennen, auf der ein Schlag die größtmögli
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che Wirkung auf Orbanaschol hat.« Fartuloons starke Brauen wölbten sich nachdenklich, während seine Rechte den Knauf des Breitschwertes umfaßte. Eine Weile stand er reglos da, dann ging er zum Kartentank und nahm einige Schaltungen vor. Ich erhob mich und trat neben meinen väterlichen Freund. Gebannt mu sterte ich die dreidimensionale Sternenprojektion, aus der sich wie durch Zauberhand schließlich eine gelbrote Sonne mit vier Planeten herausschäl te. Im Informationsstreifen erschienen in Leuchtschrift die wichtigsten Da ten des zweiten Planeten mit dem Namen Trumschvaar. Demnach war Trumschvaar eine Sauerstoffwelt mit relativ unbedeuten der Fauna und Flora, die Gravitation betrug 1,12 Gravos, die Eigenrotation 26,8 Arkonstunden, das Klima war mild. Das waren aber auch schon alle Daten, die im Informationsstreifen er schienen. Ich blickte Fartuloon fragend an. Er verzog sein Gesicht zu einem düsteren Lächeln. »Das Wichtigste steht nicht frei abrufbereit«, erklärte er. »Ich könnte die restlichen Informationen durch ein Kodesignal aus der Bordpositronik abrufen, aber in meinem Gehirn sind sie ebenfalls verankert.« Er hob die Stimme. »Trumschvaar ist eine Welt der Kralasenen, der Söldner des Blinden Sofgart.« Blitzartig entstand vor meinem geistigen Auge die Szene im Tal der Schneegeister auf dem Planeten Gortavor, wo zwei Söldner des Blinden Sofgart meine Farnathia verschleppt hatten, ohne daß ich etwas dagegen tun konnte. Wieder fühlte ich Hilflosigkeit und brennenden Schmerz, aber auch Haß auf die Kralasenen, die Farnathia geraubt hatten. Farnathia und ich liebten uns, und ich war sicher, daß diese Liebe ewig dauern würde. »Farnathia!« flüsterte ich. »Ihr wird schon nichts geschehen, Atlan«, versuchte mich Fartuloon zu trösten. »Schließlich ist sie die Tochter des Statthalters von Gortavor.« »Das bedeutet dem Blinden Sofgart überhaupt nichts«, entgegnete ich heftig. Ich holte tief Luft. »Aber gerade wegen Farnathia ist Trumschvaar die Welt, die sich geradezu für einen Schlag gegen die Macht Orbana schols anbietet.« »Was hast du vor?« fragte Fartuloon. »Erzähle mir mehr von Trumschvaar«, bat ich. »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, meinte Fartuloon. »Trumschvaar ist eine Wohnwelt der Kralasenen und gleichzeitig die Hauptbasis des Blin den Sofgart. Außerdem werden dort ständig neue Söldner für die Kralase
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nen angeworben.« Er blinzelte mich listig an. Ich verstand, aber ich hätte auch ohne sein listiges Blinzeln gewußt, was ich zu tun hatte. »Du siehst vor dir einen künftigen Kralasenen, Meister«, erklärte ich. »Ich bin davon überzeugt, daß ich genug von dir gelernt habe, um als voll wertiger Söldner in der Armee des Blinden Sofgart zu dienen. Allerdings beabsichtige ich nicht, diese Dienstzeit über Gebühr auszudehnen.« Fartuloon blickte mich lange an, dann räusperte er sich. »Du bist so wagemutig wie jung, Atlan. Es widerstrebt mir, dich in die Gefahr ziehen zu lassen. Erlaube mir wenigstens, dich zu begleiten.« Ich hob abwehrend die Hand. »Nein, Fartuloon, du hast schon so viel für mich getan, daß ich dein An gebot nicht annehmen kann. Außerdem ist deine äußere Erscheinung so auffällig, daß man dich sofort erkennen würde, auch wenn du dein Gesicht kosmetochirurgisch verändern ließest. Ich gehe allein.« »Das lasse ich nicht zu«, widersprach Fartuloon. »Ein Arkonide allein kann auf Trumschvaar nichts ausrichten, ohne gefaßt zu werden. Du brauchst einen Gefährten, auf den du dich in jeder Lage verlassen kannst. Wenn du schon gehen willst, dann nimm Tirako Gamno mit. Er ist intelli gent, ein tüchtiger Kämpfer – und vor allem, er ist dir treu ergeben, seit er weiß, daß du der rechtmäßige Imperator bist.« Ich wollte ablehnen. Eine innere Stimme sagte mir, daß ich Tirako nicht den Gefahren aussetzen durfte, die uns auf Trumschvaar erwarteten. Doch wieder meldete sich der Logiksektor meines Extragehirns und erklärte mit geradezu schmerzender Eindringlichkeit, daß ich keinen besseren Gefähr ten für meinen ersten Schlag gegen den Usurpator Orbanaschol III. finden würde. »Einverstanden«, antwortete ich schließlich widerstrebend.
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2.
»Fertig!« sagte Fartuloon und trat von dem Behandlungsstuhl zurück, in dem ich die maskentechnische Prozedur hatte über mich ergehen lassen. Ich betastete vorsichtig mein Gesicht, konnte aber keine wesentlichen Veränderungen feststellen. Fartuloon wandte sich um und schaltete den Feldspiegel an. Ich erhob mich und trat auf das reflektierende Feld zu, das jedes Objekt naturgetreu und seitengerecht widerspiegelte. Letzterer Effekt wurde durch eine vollrobotische Umkehrschaltung innerhalb des Reflexionsfeldes er zielt. Die auffälligste Veränderung an mir war das schwarze Haar. Es handel te sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Färbevorgang, sondern um eine biochemische Modifikation von innen heraus, die bewirkte, daß mein Haar für absehbare Zeit auch schwarz nachwachsen würde. Die andere, weniger auffällige Veränderung betraf mein Gesicht. Die charakteristischen Züge waren erhalten geblieben, nur hatte der Bauchauf schneider durch subtile Mittel eine Tiefenschichtalterung erzielt. Ich sah aus, als wäre ich mein um zwanzig Arkonjahre älterer Bruder. »Du hättest Maskentechniker werden sollen, Fartuloon«, sagte ich. »Warum hätte ich mich einseitig spezialisieren sollen«, entgegnete Far tuloon. »Ich bin ein vielseitiges Genie, Satago Werbot.« »Wie …?« fragte ich gedehnt. Fartuloon grinste. »Satago Werbot. Das wird dein künftiger Name sein, Atlan. Ich habe die entsprechenden Identifikationsschablonen bereits vorbereitet. Oder wolltest du lieber unter deinem richtigen Namen auftreten.« »Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Satago Werbot! Hm, das klingt er träglich. Ich hoffe, daß ich diesen Namen nur für kurze Zeit tragen muß.« »Oft erweisen sich unsere Hoffnungen als eitel, Atlan«, meinte der Bauchaufschneider. Er grinste nicht mehr. »Aber nun will ich dir deinen Gefährten vorstellen.« Er öffnete die Tür zum Nebenraum und rief: »Bitte, treten Sie ein, Sonper Tesslet!« Der Mann, der wenige Augenblicke später eintrat, war hochgewachsen, schlaksig und bewegte sich wie Tirako Gamno. Es war auch Tirako Gamno, nur war sein schmales Gesicht kosmetochirurgisch »aufgefüllt« worden, was die vertrauten Gesichtszüge frappierend verändert hatte. Auch die Augenfarbe war verändert. »Zu deinem Vorteil hast du dich nicht gerade verwandelt, Tirako«, sag te ich scherzhaft.
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»Sonper!« warf Fartuloon streng ein. »Vergeßt niemals, euch mit euren falschen Namen anzureden!« »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte Tirako Gamno lächelnd. »Wie war doch Ihr werter Falschname?« »Satago Werbot«, antwortete ich. Fartuloon legte uns seine schweren Hände auf die Schultern und zog uns näher an sich heran. »Hört gut zu!« mahnte er. »Was ihr vorhabt, ist alles andere als ein harmloser Jungenstreich. Hämmert euch das in eure verdammten Dick schädel ein, sonst seid ihr auf Trumschvaar verloren. Ich wollte, ihr wür det es euch noch anders überlegen. Die Welt der Kralasenen ist keine Sa natoriumswelt.« »Das ist uns vollkommen klar, Bauchaufschneider«, entgegnete ich. »Desto besser!« sagte Fartuloon grimmig. »Prägt euch jetzt eure soge nannte Legende ein. Ihr seid Mannschaftsmitglieder des arkonidischen Frachters HEKUAH und habt die Langeweile an Bord des lahmen Fracht schiffes satt. Ihr wollt etwas erleben. Deshalb seid ihr mit einem Beiboot geflohen, als die HEKUAH in der Nähe des Trumsch-Systems ein Orien tierungsmanöver durchführte. Ihr habt von dem abenteuerlichen Leben der Kralasenen gehört und beschlossen, euch den Söldnern anzuschließen.« »Gibt es die HEKUAH wirklich?« erkundigte ich mich. »Selbstverständlich gibt es sie!« antwortete Fartuloon heftig. »Denkst du vielleicht, ich würde euch Daten nennen, die einer Überprüfung nicht standhielten? Die Kralasenen sind zwar bekannt dafür, daß sie Bewerbern keine unnötigen Fragen stellen. Für sie zählt einzig und allein, ob ein Mann kämpfen und Disziplin halten kann. Aber wir wollen jedes Risiko ausschließen. Sollte jemand auf Trumschvaar tatsächlich auf den Gedan ken kommen, sich bei der Zentralkartei von Arkon über euch zu erkundi gen, so wird er erfahren, daß die beiden Arkoniden Satago Werbot und Sonper Tesslet Dienst auf der HEKUAH tun, und daß dieses Schiff in un regelmäßigen Abständen den Raumsektor durchkreuzt, zu dem das Trum sch-System gehört.« »Woher weißt du das?« fragte ich erstaunt, obwohl mich bei Fartuloon eigentlich nichts mehr wundern sollte. »Das tut nichts zur Sache«, tat der Rauchaufschneider meine Frage ab. »Paßt lieber genau auf, wenn ich euch jetzt weitere Daten über die HE KUAH, seinen Kapitän und die Besatzungsmitglieder nenne.« Wir prägten uns die folgenden Daten sehr genau ein, was mir leichter fiel als meinem Freund Tirako, da ich über ein photographisches Gedächt nis verfügte, er jedoch nicht. Zum Schluß aber wußte er ebensogut Be scheid wie ich. Einige der Besatzungsmitglieder sah ich direkt plastisch vor meinem geistigen Auge, vor allem den Kapitän, der ein brutaler Leute
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schinder war und bei einer Meuterei beide Beine verloren hatte. Anschließend kehrten wir in die Zentrale zurück, in der uns Eiskralle, Morvoner Sprangk und Corpkor erwarteten. Sprangk hatte während unse rer Abwesenheit das Schiff gesteuert. Die beiden Transitionen, die wir da bei durchgeführt hatten, waren von Fartuloon, Tirako und mir natürlich an den schmerzhaften Ent- und Rematerialisierungseffekten wahrgenommen worden. »Noch eine Transition, dann sind wir in der Nähe des Trumsch-Sy stems«, meldete Morvoner Sprangk. Eiskralle bewegte sich unbehaglich in seinem Kontursessel. »Es wäre mir lieber, wenn wir vor der nächsten Transition eine längere Pause einlegen könnten«, meinte er. »Ich hatte bei der letzten das Gefühl, als würde ich in lauter winzige Splitter zerspringen.« »Die a-priori-Wahrscheinlichkeit dafür ist gering«, erklärte Fartuloon, »was allerdings nichts über die statistische Wahrscheinlichkeit besagt, da mir entsprechende Unterlagen fehlen.« »Sehr trostreich«, erwiderte Eiskralle. »Es freut mich, daß ich dich trösten konnte«, sagte Fartuloon. »Übrigens werden wir tatsächlich eine etwas längere Pause einlegen, da mit Atlan und Tirako das Beiboot durchtesten können, mit dem sie uns nach der nächsten Transition verlassen werden.« »Wie verhalten wir uns, nachdem Atlan und Tirako uns verlassen ha ben?« erkundigte sich Morvoner Sprangk. »Bleiben wir in der Nähe des Trumsch-Systems?« »Das wäre zu auffällig«, antwortete Fartuloon. »Da die Strukturlaster auf Trumschvaar die Strukturerschütterung unserer Rematerialisation an messen, werden die Kralasenen darauf warten, daß wir bald danach aber mals springen. Auch die dabei entstehende Strukturerschütterung läßt sich anmessen. Wir werden also diese Erwartung erfüllen.« Er lächelte. »Aber wir werden nicht lange fortbleiben. Der Raumsektor rings um das Trumsch-System wird wegen eines regelmäßig pulsierenden Sterns als Orientierungspunkt benutzt. Wir werden in der Nähe warten und unsere Transition der des nächsten Schiffes, das in die Nähe des Trumsch-Sy stems kommt, angleichen, so daß wir im Ortungsschutz seiner Strukturer schütterung rematerialisieren. Danach schalten wir alle entbehrlichen Energiesysteme aus und gehen auf Lauschposition.« Der Kopfjäger Corpkor, der bisher, entsprechend seinem Naturell, ge schwiegen hatte, wandte mir sein entstelltes Gesicht zu und fragte: »Was haben Sie auf Trumschvaar vor. Atlan?« »Das weiß ich noch nicht«, antwortete ich ehrlich. »Zuerst werden Tira ko und ich die Lage sondieren. Was wir unternehmen, wird sich nach den
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Gegebenheiten richten, die wir dort vorfinden.« »Jedenfalls halten wir uns zum Eingreifen bereit«, erklärte Fartuloon. »Sobald deine Aktion abgeschlossen ist, gibst du nach Möglichkeit eine kurze Funkmeldung ab, dann fliegen wir euch entgegen.« »Ich wünsche euch viel Glück«, sagte Eiskralle. Durch sein Gesicht zuckte eine undefinierbare Bewegung. Er hob die zu Krallen gekrümmten Hände, die jede organische Substanz, die er damit umschloß, zu Eis erstar ren ließen. »Leider kann ich euch nicht begleiten. Ich bin zu auffällig.« Ich winkte allen zu. »Auf baldiges Wiedersehen, Freunde!« Ich verließ die Zentrale, und Tirako Gamno folgte mir. Wir begaben uns zu dem kleinen Beiboot, das Fartuloon uns bezeichnet hatte, stiegen ein und, testeten alle Systeme durch. Anschließend schaltete ich den Telekom ein und meldete mich bei Fartuloon. Das Gesicht des Bauchaufschneiders blickte mich vom Bildschirm ernst an. »Alle Systeme klar«, sagte ich. »Wir werden starten, sobald die nächste Transition beendet ist.« »Noch könnt ihr es euch anders überlegen«, erwiderte Fartuloon. »Die Wahrscheinlichkeit, daß ihr auf Trumschvaar in gefährliche Situationen kommt, ist relativ groß. Leider läßt sich keine konkrete Voraussage anstel len, da ich die gegenwärtige Situation auf der Welt der Kralasenen nicht kenne.« »Unser Entschluß steht fest«, erklärte ich bestimmt. »Viel Glück für euch, Bauchaufschneider!« »Für Atlan und Arkon! Auf Leben und Tod!« antwortete Fartuloon mir mit dem Wahlspruch, den sich meine Freunde gegeben hatten. Ich schaltete den Telekom ab und konzentrierte mich ganz auf das be vorstehende Manöver. Als die Transition begann, hatte ich das Gefühl, als risse unser Schiff auseinander. Mein Bewußtsein verlöschte, als der Körper – und mit ihm das Gehirn – zu einer fünfdimensionalen Energiespirale wurde und die Raumkrümmung innerhalb des Hyperkontinuums auf kürzestem Wege und praktisch ohne Zeitverlust überwand. Zusammen mit der Rematerialisation baute sich auch das Bewußtsein wieder innerhalb des dreidimensionalen Raumes auf. Die Nervenbahnen wurden durch kurzzeitige Überbelastung zu Ausstrahlungsbahnen eines reißenden Schmerzes, der sich vor allem im Gebiet des Kleinhirns und des verlängerten Rückenmarks konzentrierte. Noch bohrte der Schmerz in meinem Hinterkopf, noch war die Umge bung nur ein Fülle vager, wogender Schemen, da hieb ich mit der geball ten Faust die Schaltplatte nieder, durch die der vorprogrammierte Ablauf
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des Ausschleusungsmanövers eingeleitet wurde. Da unser Beiboot mit höchsten Werten aus dem Tubenhangar geschleu dert wurde, kamen für die Dauer eines Herzschlags einige Gravos durch, bevor die Andruckabsorber völlig simultan arbeiteten. Als ich wieder klar sehen konnte, befanden wir uns bereits tief im Welt raum. Von Fartuloons Kugelschiff war nichts mehr zu sehen. Die nächsten Sonnen waren zu weit entfernt, als daß ihr Licht erkennbare Reflexe auf der Schiffshülle erzeugt hätte. Eine Sonne leuchtete ein wenig heller als die anderen, doch das war re lativ, weil die Entfernung zu ihr geringer war. Es handelte sich um die Sonne Trumsch. Tirako Gamno und ich überprüften gemeinsam den Kurs unseres Bei bootes und stellten fest, daß er genau auf Trumsch anlag, wie wir es vor programmiert hatten. Wir brauchten vorerst nicht einzugreifen, da der Au topilot in der Lage war, eventuell erforderliche Korrekturen selbständig vorzunehmen. Da das Beiboot allerdings kein Transitionstriebwerk besaß, mußten wir uns im Unterlichtbereich an Trumschvaar heranquälen. Wir benötigten da zu, weil wir uns zeitweise im relativistischen Geschwindigkeitsbereich be wegten, anderthalb Arkontage, während zur gleichen Zeit auf den Planeten der Galaxis fast zwei Zehnerperioden verstrichen. Endlich aber sichteten wir mit dem kleinen Elektronenteleskop die vier Planeten, die Trumsch umkreisten. Zur gleichen Zeit aber tauchte auch das erste Wachschiff der Kralasenen auf. Der Kommandant rief uns über Hyperfunk an und forderte unsere Iden tifikation. Ich meldete mich mit unserem kleinen Hyperfunkgerät und sagte: »Galaktonaut Werbot und Galaktonaut Tesslet bitten um Landeerlaub nis für Trumschvaar. Wir haben von dem arkonidischen Frachtschiff HE KUAH abgemustert und beabsichtigen, uns auf Trumschvaar anwerben zu lassen.« Der Kralasene, ein vierschrötiger Mann mit kahlem Schädel und einer tiefen Narbe vom rechten Ohr bis zum linken Unterkiefer, grinste wissend. »Ihr habt euch selbst abgemustert, wie?« »Unser Kapitän hätte uns niemals freiwillig gehen lassen«, antwortete ich. »Wir waren seine besten Raumfahrer. Aber uns war es zu langweilig auf der HEKUAH.« »Könnt ihr mit tödlichen Waffen umgehen?« erkundigte sich der Krala sene. »Wir sind mit einem Thermostrahler in der Hand geboren worden«, er klärte Tirako prahlerisch. Der Kralasene wandte den Kopf. Wir konnten trotzdem hören, wie er
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leise zu einem für uns nicht sichtbaren Gesprächspartner sagte: »Zwei ar me Irre.« Dann wandte er sich wieder uns zu. »Ihr habt Einflugerlaubnis für das Trumsch-System. Ich melde euch weiter an die Zentrale Raumkontrolle Trumschvaar. Dort soll man entscheiden, ob ihr Landeerlaubnis bekommt. Man wird sich mit euch in Verbindung setzen. Ende!« Er schaltete einfach ab. Tirako und ich schauten uns an, dann lachten wir. »Na, du armer Irrer«, meinte Tirako. »Ich denke, wir haben genau den richtigen Eindruck erweckt.« »Wenn ich mir bildlich vorstelle, wie du mit einem Thermostrahler in der Hand auf die Welt kamst, dann muß ich dem Kralasenen sogar beipflichten«, erwiderte ich. Es dauerte nicht lange, da meldete sich die Zentrale Raumkontrolle von Trumschvaar. Wir wurden angewiesen, auf dem Raumhafen von Uzruh zu landen und erhielten einen entsprechenden Peilstrahl. Nach der Landung sollten wir uns beim Hafenmeister registrieren lassen. »Das wäre geschafft«, meinte Tirako danach. »Weißt du eigentlich, was Uzruh für eine Stadt ist?« »Ich weiß nur, daß es die einzige richtige Stadt von Trumschvaar ist und daß sie auf dem Hauptkontinent liegt«, antwortete ich. »Das ist alles.« »Das genügt vorerst«, erwiderte Tirako. Keiner von uns ahnte, welche Überraschung uns noch bevorstand. Der Peilstrahl wurde vom Autopiloten unseres Beiboots aufgefangen und in die entsprechenden Steuerimpulse umgesetzt. Tirako Gamno und ich brauchten weiter nichts zu tun, als das einwandfreie Funktionieren der Ro botautomatik ständig zu kontrollieren. Die eigentliche Landung wollten wir selbst übernehmen. Man sollte uns auf Trumschvaar nicht als angeberische Abenteurer ansehen, die sich nicht einmal an eine manuell gesteuerte Landung wagten. Allerdings hatten wir nicht vor, eine Schau abzuziehen und mit unserem Können zu protzen. Alle diese Dinge waren das Ergebnis genauer psychotaktischer Überle gungen. Wir wollten nicht als unbedarft, aber auch nicht als zu gut einge stuft werden. Es war immer nützlich, wenn der Gegner einen unterschätzte – und die Kralasenen waren unsere potentiellen Gegner, auch wenn sie noch nichts davon ahnten. Als wir jedoch in die Atmosphäre von Trumschvaar eintauchten und tief unter uns zum erstenmal die Stadt Uzruh erblickten, hätten wir beinahe die Details unserer Planung vergessen, so sehr verschlug uns der ungewöhnli che Anblick den Atem. Uzruh war die seltsamste Stadt, die ich jemals gesehen hatte. Es gab kein einziges der typisch arkonidischen Trichterhäuser. Statt dessen wur den die wenigen Straßen von ausgedienten Raumschiffen aller Typen und
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Größen gesäumt. Tirako und ich schalteten sofort unser Elektronenteleskop ein und rich teten es auf die Stadt. Der Projektionsschirm zeigte uns Einzelheiten, die mit dem bloßen Auge aus unserer Höhe nicht zu erkennen gewesen wären. Mittelpunkt der Stadt war ein großes, mindestens sechshundert Schritt durchmessendes Kugelraumschiff, dessen unterer Pol von einem Strahl schuß förmlich wegrasiert worden war. Um dieses Schiff herum lag ein weiter Platz, von dem auch acht breite Straßen strahlenförmig nach allen Seiten abgingen. Längs dieser Straßen standen oder lagen kugelförmige, eiförmige, diskusförmige und walzenförmige Raumschiffe unterschiedli cher Größen. Sie waren sämtlich mehr oder weniger stark beschädigt. Zum Teil waren sie nur noch ausgeglühte Wracks, die man notdürftig ausgebes sert hatte. »Ein Raumschiffsfriedhof!« rief Tirako staunend. »Irrtum!« erwiderte ich. »Das ist eine Wohnstadt, genau nach dem aus gefallenen Geschmack der Kralasenen.« Ich warf einen Blick auf den Höhenanzeiger und erkannte, daß in weni gen Augenblicken der Autopilot selbsttätig das Landemanöver einleiten würde, wenn wir das Boot nicht endlich in Manuellsteuerung übernahmen. Unsere Abstiegsgeschwindigkeit war bereits so angestiegen, daß die Bootshülle glühte. Ich aktivierte den Prallfeldschirm und schaltete die Bugdüsen hoch. Ein harter Ruck ging durch das Boot, als es plötzlich abgebremst wurde. Die Luftmassen wurden vom Prallfeldschirm ionisiert und abgelenkt. Hinter uns bildete sich ein Schlauch leuchtender Moleküle. Tirako arbeitete mit Hilfe des kleinen Bordrechners die Schub- und Steuerdaten für den weiteren Verlauf des Landemanövers aus und gab sie an mich weiter. Ich steuerte das Beiboot in einer weiten Spiralbahn auf das Landefeld des Raumhafens hinab und wunderte mich darüber, daß dort kein einziges Raumschiff abgestellt war. Es gab nicht einmal vollroboti sche Raumabwehrstellungen, was mir angesichts des in der ganzen Gala xis tobenden Methankrieges als grobe Unterlassungssünde vorkam. Ledig lich sechs total veraltete Raketenwerfer mit manuellen Bedienungselemen ten waren aufgestellt, aber es gab dort nicht einmal Wachtposten. Die Welt der Kralasenen schien ein Sonderfall innerhalb des Machtbe reichs des Großen Imperiums zu sein. Niemand beachtete unsere Landung, wenn man von dem Taststrahl ab sah, der ständig auf unser Boot gerichtet war und erst ausgeschaltet wurde, als wir in einem der rotmarkierten Landefelder aufsetzten. Ich schaltete alle Energiesysteme ab, bis auf diejenigen, die zur Versor gung der Servomechanismen, wie beispielsweise der Schotte, erforderlich waren.
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»Gehen wir also zum Hafenmeister«, meinte ich. »Hast du eine Ah nung, wo wir ihn finden können?« »Wahrscheinlich in dem verrückten Gebilde dort«, antwortete Tirako und deutete auf ein ausgeglühtes Raumschiffswrack am Rande des Raum hafens. Das Wrack hatte die Form eines Vielflächners. Ich schätzte die Anzahl der Außenflächen auf mindestens dreißig. Aber sie waren nicht etwa glatt, sondern mit Ein- und Ausbuchtungen sowie unsymmetrischen Türmchen versehen. Man konnte tatsächlich auf den Gedanken kommen, es handele sich um das Werk eines Geistesgestörten. Aber Geistesgestörte entwickeln keine Raumschiffindustrie, und dieses seltsame Schiff war offenkundig das Produkt einer hochentwickelten Technologie. »Ich würde am liebsten bei der Zentralkartei von Arkon anfragen, wel ches Volk derartige Raumschiffe baut«, sagte ich. »Leider sind uns die Hände gebunden. Aber vielleicht kann uns der Hafenmeister die Frage be antworten, woher das verrückte Raumschiff stammt.« Wir schnallten unsere Waffengurte um, hängten uns die Plastiksäcke mit unseren Habseligkeiten über den Rücken und verließen das Beiboot. Niemand begegnete uns, als wir die zirka zweitausend Schritt Entfer nung zwischen dem Boot und dem skurrilen Schiff zurücklegten. Dann standen wir vor dem Gebilde. Ich schätzte seine Höhe auf dreihundert Schritt. Die Breite mochte im Durchschnitt den gleichen Wert aufweisen. Folglich war die Grundform des verrückten Schiffes als Würfel anzusehen. »Eigenartig, ich kann nicht ein Leck finden«, meinte Tirako Gamno verwundert. »Dabei muß das Würfelschiff im konzentrischen Feuer eines ganzen Verbandes gelegen haben. Oder wie sollten wir uns sonst erklären, daß die Außenhülle völlig ausgeglüht ist?« »Es könnte auch in eine Sonnenprotuberanz geraten sein«, erwiderte ich und trat auf etwas zu, das ich für ein geschlossenes Schott hielt. Jedenfalls war die Fuge um einer ovalen Platte durchaus als Fuge eines Schottes zu deuten. Als ich die Hand auf das Schott legte, spürte ich ein schwaches Vibrie ren. Kurz darauf glitt das Schott nach oben. Ich fragte mich, wohin es wohl verschwunden sein könnte, denn einen halben Schritt über ihm knickte die Wand um etwa sechzig Grad nach hinten ab. Hinter der Öffnung war es finster. Erst nach einiger Zeit, als meine Au gen sich umgestellt hatten, konnte ich einen matten grünlichen Schimmer bemerken, der allerdings nicht heller war als eine mondlose Nacht in ei nem sternenarmen Raumsektor. »Sehr aufmerksam sind die Leute hier nicht«, sagte Tirako verärgert. »Ich hätte große Lust, auf den Besuch beim Hafenmeister zu verzichten.«
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»Wir wurden angewiesen, uns beim Hafenmeister registrieren zu las sen«, entgegnete ich. »Folglich bringen wir es hinter uns. Wir wollen kein Mißfallen erregen – noch nicht jedenfalls.« Entschlossen stieg ich durch die Öffnung und versuchte mich dahinter zu orientieren. Ich befand mich offenbar in einem Gang, konnte aber we gen der schwachen Beleuchtung kaum weiter als einen Schritt sehen. Nach vier Schritten knickte der Gang scharf nach rechts ab, kurz darauf nach links – und so weiter. Bald wußten wir nicht mehr, wie viele Abzwei gungen wir schon hinter uns gebracht hatten. Um uns war noch immer nur das matte grünliche Leuchten. Ich blieb stehen, als ich beim nächsten Schritt keine Wände mehr an den Seiten sah. »Eine solche Hafenmeisterei habe ich wirklich noch nie gesehen«, er klärte ich. »Vielleicht ist der Hafenmeister gerade abwesend«, meinte Tirako. »Wir sollten umkehren und uns beim nächsten Arkoniden erkundigen, wie wir den Hafenmeister erreichen können, ohne tagelang in dem Raumschiff von Verrückten umherzuirren.« »Zwanzig Schritte noch«, erwiderte ich. »Wenn wir dann keine Spur von einer Hafenmeisterei gefunden haben, kehren wir um.« Wie zur Antwort darauf erklang ein Ton, als würde eine Metallsaite leicht angeschlagen. Langsam verebbte er wieder. »Was war das?« fragte Tirako. »Ich habe den Eindruck, als würden alle Neuankömmlinge in diesem Gruselschiff einer Mutprobe unterzogen«, antwortete ich. Unwillkürlich mußte ich lachen. »Wir werden den Kralasenen jedenfalls nicht den Gefal len tun, in panischer Angst aus diesem Kasten zu flüchten. Gehen wir wei ter!« Ich wandte mich wieder nach vorn. Im gleichen Augenblick wurde es eine Spur heller. Ich sah, daß vor uns ein saalartiger Raum war. Deshalb also hatte ich vorhin, als die Beleuch tung noch schwächer gewesen war, keine Wände entdecken können. Jetzt konnte ich die Wände sehen – und ich sah auch die stumpfkegel förmigen Gebilde, die ringsum an den Wänden standen. Welchen Zweck sie erfüllten, das allerdings ließ sich nicht erkennen. »Hörst du das Summen?« flüsterte Tirako Gamno. Ich machte eine bestätigende Handbewegung. Das Summen war zwar schwach, aber in der geisterhaften Stille, die in dem ganzen Kastenschiff herrschte, doch nicht zu überhören. Irgendwo ar beiteten Maschinen. Vorsichtig ging ich auf das nächststehende Kegelgebilde zu und berühr te es mit den Fingerspitzen.
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Im nächsten Moment zuckte ich zurück. In meinem Gehirn war eine undefinierbare Regung gewesen, etwas, das fragte, ohne zu artikulieren. Es war allerdings sofort wieder verschwunden, als ich die Hand von dem Kegelgebilde zurückgezogen hatte. Ich teilte meine Entdeckung Tirako mit. »Vielleicht befinden sich in den Kegelgebilden denkende Lebewesen«, meinte er zögernd. Dieser Gedanke war mir ebenfalls gekommen. »Versuchen wir es gleichzeitig bei zwei Kegeln«, sagte ich. Wieder streckte ich die Finger aus und berührte den Kegel vor mir. Ti rako streckte die Hand nach einem zweiten Kegel aus. Diesmal zuckte ich nicht zurück, denn ich war auf das gefaßt, was kam. Abermals regte sich etwas Fremdes in meinem Gehirn – und jetzt konn te ich die Frage verstehen. Was fühlst du? Es kostete mich einige Überwindung, die Hand nicht wieder zurückzu ziehen. Die Frage war so seltsam, daß ich aus ihr auf eine fremdartige Mentalität schloß. Zahllose Antworten drängten sich mir auf, aber ich war nicht in der Lage, auch nur eine klar zu formulieren. Die Frage hat dich verwirrt, gab mir mein Logiksektor zu verstehen. Du mußt versuchen, eine Gegenfrage gedanklich zu formulieren. Wer bist du? dachte ich konzentriert. Eine Welle absoluten Nichtverstehens schlug mir so heftig entgegen, daß ich unwillkürlich meine Hand zurücknahm. Tirako trat ebenfalls von »seinem« Kegelstumpf zurück. Wir blickten uns an. »Wurdest du ebenfalls gefragt, was du fühlst?« erkundigte ich mich. »So ungefähr«, antwortete Tirako zögernd. »Eigentlich war es keine klare Frage, sondern mehr eine emotionelle Aufwallung.« »Stimmt«, erwiderte ich. »Die Lebewesen in den Kegeln werden offen bar nicht von pragmatischer Vernunft, sondern von Emotionen geleitet. Mein Kontaktpartner verstand beispielsweise nichts, als ich danach fragte, wer er sei.« »Ich stellte eine ähnliche Frage«, erklärte Tirako. »Sie wurde offenkun dig ebenfalls nicht verstanden. Aber wie können Lebewesen, deren Ver halten ausschließlich von Emotionen bestimmt wird, Raumschiffe bauen?« »Sie können keine Technologie entwickeln«, sagte ich. »Folglich dürf ten sie nicht identisch mit den Erbauern dieses Kastenschiffes sein. Ich halte es auch nicht für wahrscheinlich, daß die Kralasenen zulassen, daß an Bord eines fremden Raumschiffes auf ihrem Planeten eine intelligente Besatzung verbleibt.«
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Tirako musterte die Kegelstümpfe. Es waren insgesamt elf, wie wir in zwischen festgestellt hatten. »Sie müssen aber wichtig für die eigentliche Besatzung gewesen sein«, meinte er nachdenklich. »Sonst befänden sie sich nicht hier.« Mir war ein Gedanke gekommen. Erneut streckte ich die Hand aus und berührte »meinen« Kegelstumpf mit den Fingerspitzen. Ich fühle Verbundenheit mit allem Leben, formulierte ich gedanklich. Diesmal schlug mir eine Woge der Sympathie entgegen, die mich beina he überwältigte. Eine Zeitlang vergaß ich meine Umgebung und ließ mich von der Woge davontragen. Ich empfand mich als Teil einer das Univer sum ausfüllenden Liebe, die alles Leben miteinander verband. Gleichzeitig aber spürte ich zaghafte Impulse der Unsicherheit, die ersten Anzeichen der Entwicklung von Denkprozessen. Es kostete mich einige Selbstüberwindung, den Kontakt zu unterbre chen, indem ich meine Hand zurückzog. Erst danach wurde mir bewußt, daß ich beinahe den Kontakt zur Umwelt verloren hatte. Tirako Gamno musterte besorgt mein Gesicht. »Du warst weit weg, Atlan«, sagte er. »So weit weg, daß ich schon um deinen Verstand fürchtete.« Ich lächelte beruhigend. »Es ist alles in Ordnung, Tirako. Dieses Wesen ist nicht böse. Es weiß wahrscheinlich nicht einmal, daß man zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Aber seine Emotionen sind für uns Ar koniden so gefährlich wie eine berauschende Droge. Möglicherweise war es diese Wirkung, die die eigentliche Schiffsbesatzung veranlaßte, solche Wesen auf ihren Raumflügen mitzunehmen.« »Ich wüßte gern, wie die Besatzung ausgesehen hat«, meinte Tirako. »Vielleicht wissen es die Kralasenen«, erwiderte ich. »Sie haben dieses Schiff schließlich auf ihren Planeten geholt. Aber ich denke, wir werden hier keinen Hafenmeister finden. Wahrscheinlich amüsieren sich die Kralasenen köstlich darüber, daß wir das Kastenschiff betreten haben. Ich könnte mir vorstellen, daß ihnen dieses Gebilde dazu dient, Neuankömm linge zu testen. Deshalb werden wir das Schiff verlassen und so tun, als wäre nichts geschehen.« Wir kehrten um und suchten uns den Weg zurück. Ich mußte dabei im mer wieder an die Wesenheiten in den Kegelbehältern denken. Ein Gefühl tiefer emotioneller Verbundenheit zog mich zu ihnen, aber ich unterdrück te den Drang, umzukehren und den Kontakt zu erneuern. Ich ahnte, daß ich dabei meine eigentliche Aufgabe vergessen hätte. Als wir endlich den Ausgang wiedergefunden hatten, wunderten wir uns, daß draußen nur ein einziger Kralasene wartete. Wir hatten angenom men, eine Menge Neugieriger anzutreffen. Der Kralasene war ein hochgewachsener, breitschultriger Arkonide mit
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langem weißem Haar, das von einer schlichten Arkonitspange zusammen gehalten wurde. Er trug einen Brustharnisch aus Arkonit. Aber in seinen Gürtelhalftern steckten hochmoderne Strahlwaffen. Als er uns erblickte, verzog er sein braungebranntes Gesicht zu einem fragenden Lächeln. »Wie hat es euch dort gefallen?« erkundigte er sich. »Gut«, antwortete ich. »Es ist ein interessantes Schiff. Welche Rasse hat es gebaut?« »Das fragen wir uns selbst«, erwiderte der Hüne. »Ein Trägerschiff von uns fand es im Zentrumssektor treibend. Es war von seiner Besatzung ver lassen worden.« Er musterte aufmerksam mein Gesicht. »Wer bist du?« fragte er. Ich fragte mich, ob er trotz meiner künstlich gealterten Gesichtszüge ei ne Ähnlichkeit mit dem Manne erkannte, hinter dem der Anführer der Kralasenen her war. »Mein Name ist Satago Werbot«, antwortete ich, »und mein Gefährte heißt Sonper Tesslet. Wir kamen von dem Frachtschiff HEKUAH, das …« »Ist mir bekannt!« unterbrach er mich. »Ich heiße Horkate. Ihr wollt euch also der Söldnertruppe des Blinden Sofgart anschließen, wie?« »Wir hörten, daß der Blinde Sofgart immer tüchtige Männer braucht«, antwortete Tirako. »Prüft er neue Bewerber selbst, Horkate?« »Manchmal«, sagte der Kralasene. »Zur Zeit ist er jedoch nicht auf Trumschvaar. Es heißt, daß er persönlich die Überführung eines sehr wichtigen Gefangenen zu seiner Folterwelt überwacht. Auf dem Wege dorthin will er auf Trumschvaar zwischenlanden.« Er runzelte die Stirn. »Aber ich bin eigentlich nicht da, um eure Fragen zu beantworten. Ich soll euch zum Musterungsbüro bringen.« »Und der Hafenmeister?« fragte ich. Horkate grinste. »Es gibt keinen Hafenmeister bei uns. Das war nur ein Trick, um euch zum Betreten des Geisterschiffes zu verleiten.« Er musterte mich abermals sehr genau. »Ihr seht nicht aus, als hätten die Geister euch einen Schrecken einge jagt. Oder seid ihr ihnen gar nicht begegnet?« »Doch, wir sind«, antwortete ich. »Was sind das für Wesenheiten, die offenkundig nur von Gefühlen geleitet werden?« »Es handelt sich um eine Art Bioplasma, das auf Proteinbasis entstan den ist«, erklärte der Kralasene. »Aber es läßt sich nicht mit unseren Kör perzellen vergleichen. Mehr ist darüber auch nicht bekannt.« »Wer ist mit den Untersuchungen beauftragt?« erkundigte sich Tirako.
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»Niemand«, erwiderte Horkate. »Wir hatten einen Biochemiker hier, der das Plasma untersuchte. Er wurde hingerichtet, weil er die Arbeitsme thoden des Blinden Sofgart kritisierte.« Er blickte uns drohend an. »Ihr fragt zuviel. Dabei sollt ihr befragt werden. Wenn ihr in unserer Truppe vorwärtskommen wollt, müßt ihr lernen, Fragen zu beantworten und Befehlen zu gehorchen und ansonsten immer wieder zu trainieren, um eure Kampftechnik zu verbessern.« Er drehte sich um und führte uns zu einem in der Nähe wartenden Glei ter. Tirako und ich stiegen schweigend ein. Wir hatten begriffen, daß wir uns durch zu viele Fragen nur verdächtig machen würden. In Gedanken stellte ich mir bereits vor, wie wir nach Sofgarts Ankunft einen Anschlag auf sein Schiff verübten, eine Botschaft an den Usurpator Orbanaschol hinterließen und von Trumschvaar flohen. Es würde alles andere als leicht sein, diese Absicht in die Tat umzuset zen. Zwar stand unser Beiboot noch immer unberührt auf dem Landefeld, aber es erschien mir unwahrscheinlich, daß wir damit entkommen konn ten. Wir würden uns ein anderes, größeres Schiff beschaffen müssen. Horkate startete den Gleiter. Es handelte sich um eine offene Halbscha le, die sich auf Prallfeldern fortbewegte. Der Kralasene steuerte sie, als legte er Wert darauf, sich und uns damit umzubringen. Er fuhr ständig mit Höchstgeschwindigkeit und lachte nur, als der Gleiter aus einer Kurve ge tragen wurde und mit dem Boden über die zernarbte Hülle eines Walzen schiffes schrammte. Das Fahrzeug schlingerte eine ganze Weile bedenklich und drehte sich mehrmals um die Längsachse, als Horkate es schließlich vor einem eiför migen Raumschiff mit breiten Heckflossen anhielt. »Ah, ihr seid also noch da!« meinte er zu uns. »Und ich dachte, ihr wärt vorhin herausgeflogen.« »Das muß eine Halluzination gewesen sein«, erwiderte ich kalt. »Bei Säufern soll so etwas vorkommen. Ich hoffe, du rast heute noch gegen eines dieser Wracks, damit wir nie wieder mit dir fahren müssen.« Horkates Gesicht verfinsterte sich. Ich dachte schon, er würde im näch sten Moment zur Waffe greifen, doch dann schlug er sich auf die Ober schenkel und lachte dröhnend. Tirako und ich warteten nicht, bis dieser »liebenswerte« Arkonide sich wieder erholt hatte. Wir stiegen aus und betraten das eiförmige Schiff durch die offene Bodenschleuse. Die Außenhülle dieses Wracks wies mehrere große Einschußlöcher von Strahlkanonen auf, innen war es je doch völlig in Ordnung. Wir fuhren in einem Antigravschacht zum Oberdeck. Dort begegneten wir einem Roboter, der uns weiterschickte. Vor einem Schott, das sich von
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den anderen Schotten nur durch eine aufgeklebte Folie in Kometenform unterschied, blieben wir stehen. Ich legte die Hand auf das Schott, und es öffnete sich automatisch. Vor uns lag ein großer, halbkreisförmiger Raum, in dem mehrere Rechner klickten und summten. Hinter einem Schalttisch saß ein korpulenter Mann mit kahlem Schädel, muskulösem Nacken und schaufeiförmigen Händen. Er sah bei unserem Eintreten auf und musterte uns aus kalten grauen Augen. Die feinen rötlichen Linien an seinem Schädel verrieten mir, daß er vor nicht allzu langer Zeit eine Gehirnoperation durchgemacht hatte. »Eure Namen!« forderte er, nachdem er uns eingehend betrachtet hatte. Wir nannten unsere Namen. Ein Speichergerät hielt sie fest. »Warum seid ihr nach Trumschvaar gekommen?« fragte der Mann. »Die Arbeit an Bord unseres Frachters war zu langweilig«, antwortete ich. »Wir hielten es dort nicht mehr aus.« »So, ihr hieltet es nicht mehr aus!« erwiderte der Mann sarkastisch. »Und ihr meint, als Kralasenen könntet ihr ein leichteres Leben führen?« »Nicht leichter, sondern interessanter«, warf Tirako ein. »Wie dürfen wir Sie nennen?« Über das Gesicht des Mannes huschte ein Lächeln. »Man nennt mich den Guurth von Afkunis, aber es genügt, wenn ihr Admiral zu mir sagt. Das war jedenfalls mein Rang in der Flotte des Großen Imperiums, bevor ich bei der Schlacht im Siebengestirnsektor mein Schiff verlor und in die Hände der Methaner geriet. Sie versuchten, mir mit grausamen Methoden mein Wissen zu rauben. Doch ich schwieg. Es gelang mir, mich eines ihrer Boote zu bemächtigen und zu entkom men.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Das Flottenkommando glaubte mir nicht, daß ich den Verhörmethoden der Methans widerstanden hatte. Deshalb nahm ich meinen Abschied und ging zu Sofgart.« Er blickte meinen Freund leicht verwirrt an. »Wie kommst du dazu, mich auszufragen, Sonper? Das ist mir bisher noch nicht passiert.« Tirako neigte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung, Admiral, aber ich wollte Sie nicht ausfragen, sondern nur wissen, wie wir Sie anzureden haben.« Der Admiral strich sich mit den Fingerspitzen über die Operationsnar ben an seinem Schädel. Es war eine unbewußte Bewegung. Dann sah er mich an. »Habt ihr Kampferfahrung?« erkundigte er sich. »Etwas«, untertrieb ich. »Wir hatten Gelegenheit, uns in den wichtig sten Kampftechniken auszubilden und mit einem Übungsroboter zu trai
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nieren. Natürlich werden wir noch viel lernen müssen.« »Das ist die richtige Einstellung, vorausgesetzt, du redest mir nicht nur nach dem Munde, Satago«, erwiderte der Admiral. »Ihr werdet euch einer Prüfung unterziehen müssen, bevor ich entscheide, ob ihr aufgenommen werden könnt.« »Wir sind bereit«, versicherte ich. Der Admiral lächelte eigentümlich und nahm eine Schaltung an seinem Tisch vor. Hinter ihm öffnete sich ein schmales Schott, das vorher nicht zu erkennen gewesen war. Ein dunkelhäutiger, sehr muskulöser Mann mit unwahrscheinlich lan gen Armen trat ein. Der untere Teil seines Gesichts bestand aus Bioplastik. Nur Augenpartie und Stirn waren noch erhalten. »Gib den beiden Bewerbern eine C-Ausrüstung und führe sie in den ent sprechenden Trainingsraum, Arunt!« befahl der Admiral. »Wie Sie befehlen, Admiral«, sagte Arunt. Sein Mund öffnete sich da bei leicht, aber er bewegte die Bioplastiklippen nicht beim Sprechen. Ich erschauderte unwillkürlich. Arunt drehte sich um und ging durch das schmale Schott. Tirako und ich folgten ihm. Wir fuhren mit einem Antigravlift zwei Decks tiefer, und dort führte uns der Dunkelhäutige in die Rüstkammer, die aus mehreren Abteilungen bestand. Ich fragte mich, von welchem Kolonialplaneten Ar unt stammen mochte. Wahrscheinlich war er der Nachkomme von modifi zierten arkonidischen Kolonisten. Mir war allerdings keine Welt bekannt, deren Bewohner derart dunkelhäutig waren. Arunt stieß die Gittertür zu einer Abteilung auf, in der in zahlreichen schmalen Wandnischen gepanzerte Expeditionsanzüge mit stählernen Funkhelmen hingen. Zu jedem Anzug gehörten ein Buckelschild, ein kurz es Krummschwert und eine Armbrust, die Stahlbolzen mit Explosivladun gen verschoß. »Bedient euch!« befahl Arunt. Wir hatten schnell passende Anzüge gefunden und übergestreift. Als ich den linken Unterarm durch die Halteschlaufe meines Buckelschildes schob, entdeckte ich in der Schlaufe einen eingesenkten flachen Knopf. Offenbar diente er dazu, eine im Schildstachel verborgene Energiewaffe zu betätigen. Als ich Arunts lauernden Blick bemerkte, tat ich so, als wäre mir nichts aufgefallen. Um die Augenwinkel des Mannes bildeten sich kleine Falten. Anscheinend lächelte er, was aber wegen der Starre seines Bioplastikge sichts ansonsten unsichtbar blieb. »Folgt mir!« sagte er. Diesmal benutzten wir keinen Antigravlift, sondern betraten einen brei ten Korridor und ließen uns von dem Transportband etwa hundert Schritt
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weit tragen. Danach öffnete Arunt ein Tor. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als ich hinter dem Tor eine graue, nebelerfüllte Landschaft sah. Seltsam knorrige Bäume wuchsen darin, und aus dem Schilf eines Sumpfes drangen quakende und glucksende Laute. Am meisten aber erstaunte mich, daß diese Landschaft sich anscheinend bis zu einem mindestens fünftausend Schritt entfernten Horizont erstreck te, obwohl der größte Horizontaldurchmesser des eiförmigen Schiffes nicht mehr als dreihundert Schritt betrug. Ein großer Teil der Landschaft mußte demnach eine perfekte Illusion sein. Arunt deutete mit ausgestrecktem Arm hinein. »Wenn ihr die andere Seite erreicht, habt ihr die Prüfung bestanden«, erklärte er. »Zahlreiche Gefahren lauern auf eurem Weg. Nehmt euch also in acht!« Ich fragte mich, ob unter den Gefahren auch solche waren, die uns um bringen konnten, wollte mich aber nicht erkundigen, um mir keine Blöße zu geben. Also nickte ich meinem Gefährten schweigend zu und ging voran. Hin ter uns schloß sich das Tor. Arunt blieb draußen. Anscheinend verfolgte er unseren Weg mittels einer Fernbeobachtungsanlage. »Hast du den Knopf in deiner Schildschlaufe gefunden?« raunte Tirako mir zu. »Natürlich«, antwortete ich. »Aber Arunt ist sich offenbar nicht sicher, ob wir das Geheimnis unserer Schilder entdeckt haben. Wir werden es nur anwenden, wenn es sich nicht umgehen läßt.« Wir beobachteten aufmerksam unsere Umgebung, während wir durch einen Nebel wateten, der vom Boden bis zu den Oberschenkeln reichte. Die Vegetation war karg und fremdartig, obwohl es auf vielen Planeten Bäume, Sträucher und Gräser gab. Ich war jedoch sicher, daß ich den Pla neten, dessen Landschaft hier rekonstruiert worden war, noch nicht betre ten hatte. Neben einer Gruppe von großen Bäumen mit dunkelbraunen, fast schwarzen Stämmen blieben wir stehen. Ich blickte an dem Stamm entlang nach oben zu der ausladenden Krone. Die dunkelgrünen Blätter hatten doppelt gesägte Ränder, waren wechselständig und teilweise behaart. Die Früchte bestanden aus hellbraunen Flügeln mit kleinen Nüssen im Zen trum. »Eine rauhe, unfreundliche Welt«, meinte Tirako. »Aber bisher habe ich noch keine Gefahren entdecken können.« Ich sah zurück und bemerkte, daß wir erst etwa fünfzig Schritt zurück gelegt hatten. Der Blick auf das Tor wurde uns von einem großen Strauch
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mit langen, schmalen, dunkelgrün glänzenden Blättern verdeckt. Vor uns gluckste ein Bach. An seinen Ufern standen hohe Bäume mit schwarzbrauner Rinde und ovalen Blättern, die dort eingebuchtet waren, wo sonst eine Spitze zu sein pflegte. Auch diese Pflanzenart war mir nicht bekannt. »Gehen wir weiter!« sagte ich. Wir gingen bis zum diesseitigen Ufer des Baches, der schnell dahin strömte. Das Wasser war klar und hüpfte und sprang über blanke Steine. Kleine Fische huschten bei unserem Anblick in die Deckung von Steinen. Ansonsten waren keine Tiere zu sehen. Da der Bach uns den Weg versperrte, wateten wir hindurch. Das Wasser war eiskalt, und die Kälte drang durch unsere gepanzerten Anzüge. Wir befanden uns gerade in der Mitte, als ich in den Büschen am gegenüberlie genden Ufer eine Bewegung bemerkte. Ich flüsterte meinem Gefährten eine Warnung zu und tat einen schnel len Schritt nach rechts. Das bewahrte mich zumindest vor einer Verlet zung, denn im nächsten Augenblick bohrte sich ein Wurfspeer mit hölzer nem Schaft und rötlichgelber Metallspitze neben meinem linken Fuß in den Bachkies. Von da an handelten Tirako und ich so, wie wir aufeinander eingespielt waren. Wir liefen geduckt nach links und rechts auseinander und eilten zum gegenüberliegenden Ufer, während wir gleichzeitig unsere Armbrüste spannten und Bolzen auflegten. Vor uns raschelte es, dann flogen weitere Wurfspeere heran. Ein dump fes Signal dröhnte durch den Nebel, dann klapperte Metall auf Metall. Ich sah wenige Schritte vor mir den Kopf eines Mannes mit Helmkappe und hellem Bart auftauchen. Die Helmkappe wurde von zwei mächtigen geschwungenen Hörnern geziert. Ich schoß meinen Bolzen ab, hörte den Aufschlag und eine dumpfe Ex plosion. Ein schwerer Körper fiel raschelnd und krachend durch Äste und Zweige. Auch von dort, wo Tirako sich befand, ertönte die dumpfe Explosion ei nes Bolzens. Jemand stieß einen kehligen Schrei aus. Im nächsten Moment wurde es vor uns lebendig. Männer in uneinheitlicher Fellkleidung und mit gehörnten Helmen stürmten aus dem Dickicht. Sie schwangen langstielige Streitäxte und Kurzschwerter mit breiten Klingen. Ich ließ meine Armbrust fallen und riß das Schwert aus der Scheide. Ein wahrer Riese von Mann drang mit einer Streitaxt auf mich ein. Hellbrau nes Haar flatterte mähnengleich um seinen Kopf. Am linken Arm trug er einen lederbespannten Holzschild. Ich parierte den ersten Angriff, doch da waren auch schon die anderen Fremden heran. Unter diesen Umständen war ein fairer Kampf unmöglich.
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Es widerstrebte mir, gegen diese primitiv bewaffneten Männer moderne Energiewaffen einzusetzen, aber ich hatte nur die Wahl zwischen ihrem und meinem Tod. Außerdem glaubte ich nicht, daß man uns Gegner aus Fleisch und Blut gegeben hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um plas maverkleidete Roboter oder um Projektionen. Ich wich zurück, preßte den Daumen auf den Knopf meiner Gürtel schlaufe und schwenkte den Schild hin und her. Aber aus dem Schildstachel brach kein Energiestrahl, wie ich erwartet hatte. Dennoch lösten sich die Gestalten, auf die ich zielte, plötzlich auf. Innerhalb kurzer Zeit war der Kampf beendet. Auch Tirakos Gegner hatten sich einfach aufgelöst, nachdem er seine Schildwaffe benutzt hatte. Wir blickten uns erleichtert an. »Es waren Projektionen«, sagte Tirako. »Der Schildstachel sandte of fenbar Impulse aus, die die Projektionen löschten.« Ich hob die Streitaxt meines ersten Gegners auf. »Die Waffen waren jedenfalls real«, erwiderte ich. »Sie hätten uns töten können, nehme ich an.« Wir schoben die Schwerter in ihre Scheiden zurück, nahmen unsere Armbrüste an uns und gingen weiter. Nachdem wir uns durch einen brei ten Gestrüppstreifen gearbeitet hatten, kamen wir an eine Waldlichtung, auf der eine Gruppe großer vierbeiniger Tiere stand. Die Tiere glichen unseren arkonidischen Parkrindern, waren aber im Unterschied zu diesen kleingezüchteten Luxusgeschöpfen riesengroß. Vor allem die männlichen Tiere mit dem zottigen schwarzbraunen Fell und weißem Rückenstreifen wirkten gewaltig. Ihre mächtigen Hörner waren erst seitlich, dann nach vorn aufwärts geschwungen. Die weiblichen Tiere hatten rötliches Fell und waren erheblich kleiner als die Bullen, aber im mer noch doppelt so groß wie arkonidische Parkrinder. Als die Herde uns entdeckte, wandten die Bullen uns ihre Köpfe zu. Ih re Nüstern bliesen weißlichen Dampf aus, und ihren Kehlen entrang sich dumpfes Dröhnen. Tirako und ich ließen die Schilde fallen und spannten die Armbrüste. Kaum hatten wir die Bolzen aufgelegt, da stürmten auch schon die beiden stärksten Bullen auf uns los. Mit gesenkten Hörnern rasten sie heran. Ge gen sie würden die gepanzerten Expeditionsanzüge wahrscheinlich nur dürftig schützen. Deshalb zögerten wir nicht. Die Bolzen flogen davon. Meiner traf den auf mich losrasenden Bullen genau ins Genick, explodierte dort und warf das Tier zu Boden. Tirako hatte weniger Glück. Sein Bolzen durchschlug den Ristbuckel und explodierte erst danach wirkungslos in der Luft. Der Bulle raste schnaubend weiter und hätte mei
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nen Gefährten auf die Hörner genommen, wenn Tirako sich nicht mit ei nem mächtigen Satz in Sicherheit gebracht hätte. Aber Tirako stürzte. Dadurch wurde er praktisch wehrlos. Ich schrie das Tier an und wedelte mit den Armen, um es auf mich zu lenken. Es reagierte sofort, warf sich herum und stürmte auf mich los. Da es zu spät war, einen neuen Bolzen aufzulegen, ließ ich den Bullen an mich herankommen und sprang mit beiden Füßen genau zwischen die Hörner. Das Tier warf den Schädel zurück, und ich flog in die Luft, wo ich mich mit angezogenen Knien zweimal drehte, bevor ich mit beiden Beinen wieder sicher landete. Inzwischen hatte der Bulle sich herumgeworfen. Er blickte aus blutun terlaufenen Augen zu mir, brüllte und raste wieder auf mich los. Auf halb em Wege traf ihn Tirakos Bolzen genau ins Herz. Er lief noch einige Schritte, dann knickten ihm die Beine ein. Die übrigen Tiere ergriffen die Flucht. Nach einer kurzen Erholungspause setzten wir unseren Marsch fort. Wie ich erwartet hatte, standen wir nach insgesamt rund dreihundert Schritten vor einer Projektionswand, die die Illusion einer weiten Landschaft er weckte. Eine Öffnung bildete sich vor uns. Arunt erschien in ihr und winkte. »Ihr habt eure Sache gut gemacht«, lobte er. »Der Test sollte eure Beob achtungsgabe, eure Geistesgegenwart und eure Fähigkeit zu opferbereitem Zusammenspiel prüfen. Ihr habt euch in allen drei Dingen bewährt.« »Und wenn wir uns nicht bewährt hätten?« fragte ich. Arunt blickte mich eigentümlich an. »Dann wäret ihr jetzt tot«, antwortete er trocken.
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3.
Der Guurth von Afkunis stand hinter seinem Schalttisch, als wir in sein Büro zurückkehrten. Arunt hatte uns endgültig eingekleidet. Tirako Gamno und ich trugen die Kombinationen von Raumlandesoldaten. Unsere Bewaffnung bestand aus zwei Handwaffen, einem Desintegrator und einem Thermostrahler, so wie aus scharfgeschliffenen Arkonitstahläxten für den Nahkampf. Dem Guurth von Afkunis gegenüber stand ein hochgewachsener Arko nide mit hagerem Gesicht und fanatisch leuchtenden Augen. Er mochte ungefähr sechzig Arkonjahre alt sein. Sein kurzer Schulterumhang trug das stilisierte Symbol eines Greifvogels. Bei unserem Anblick färbte sich sein Gesicht rot. Er deutete auf Tirako und mich und sagte scharf: »Sie haben die beiden Neuen einfach dem Raumlandekorps zugeteilt, ohne mich zu fragen. Das ist eine Eigenmächtigkeit, die ich nicht durchge hen lassen kann.« »Sie irren sich, Parthos«, entgegnete der Admiral gelassen. »Ich habe darüber zu entscheiden, welcher Abteilung Neuerwerbungen zugeteilt wer den.« »So war es, als Sofgart noch auf Trumschvaar lebte«, erwiderte Parthos hitzig. »Solange er abwesend ist, bestimme ich, was hier geschieht. Ich bin sein Stellvertreter.« Der Admiral lächelte höhnisch. »Sie sind einer seiner vier Stellvertreter«, erklärte er. »Mehr nicht. Jeder von uns Stellvertretern hat seinen bestimmten Aufgabenbereich. Ich ver bitte mir jegliche Einmischung.« Parthos blickte Arunt an, der schweigend hinter Tirako und mir stand. »Die Neuen kommen zur Flugpanzertruppe!« ordnete er an. »Rüste sie dementsprechend aus, Arunt!« »Ich erhalte meine Befehle vom Admiral«, sagte Arunt ungerührt. Parthos errötete stärker. Sein Blick heftete sich auf mich. »Sie und Ihr Kamerad unterstehen ab sofort mir und haben meine Be fehle zu befolgen. Ich befehle Ihnen hiermit, Arunt zu verhaften, da er un gehorsam war.« Ich nahm Haltung an. »Ich bedaure, Ihren Befehl nicht befolgen zu können«, erklärte ich fest. »Aber ich halte mich nicht für befugt, in die hiesigen Kompetenzstreitig keiten einzugreifen. Da der Admiral uns angemustert hat, fühle ich mich unter seiner Befehlsgewalt.« »Das ist richtig«, sagte der Guurth von Afkunis. »Parthos, ich fordere
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Sie auf, unverzüglich mein Büro zu verlassen. Sollten Sie noch einmal versuchen, sich in mein Ressort einzumischen, würde ich mich leider ge zwungen sehen. Sie festnehmen zu lassen.« Parthos griff nach seiner Strahlwaffe. Aber bevor er sie nur halb aus dem Gürtelhalfter gezogen hatte, hielten Tirako und ich unsere Desintegratoren in den Händen. Die spiralförmigen Abstrahlmündungen zeigten auf Parthos. Fluchend nahm Parthos die Hand von seiner Waffe. »Das werden Sie bereuen!« drohte er, dann wandte er sich brüsk um und verließ den Raum. »Ich danke euch, Satago und Sonper«, sagte der Admiral. »Ihr habt euch vorbildlich verhalten. Leider machen sich einige Männer selbst zu Narren, indem sie die zeitweilige Abwesenheit Sofgarts auszunutzen ver suchen, um sich in die zweite Position zu schieben. Wenn Sofgart zurück kommt, wird er sie bestrafen. Bis dahin seht euch vor. Parthos wird euch seine Niederlage nicht verzeihen. Er ist ein rachsüchtiger Mann.« Er wandte sich an Arunt. »Auch dir danke ich, obwohl deine Treue zu mir sich von selbst ver steht. Führe die Neuen zum Quartier der Siebten Brigade!« »Ja, Admiral!« erwiderte Arunt. Er führte uns in einen Fluggleiterhangar. Dort wies er Tirako an, als Pi lot zu fungieren. Er selbst nahm neben ihm Platz. Ich mußte mich mit ei nem Platz auf den Rücksitzen begnügen. Mir war das allerdings recht, denn so konnte ich während des Fluges über die Lage nachdenken, ohne daß Arunt aus meinem Gesichtsausdruck meine Gedanken erraten konnte. Der Machtkampf auf Trumschvaar kam mir natürlich sehr gelegen, denn wenn die Stellvertreter des Blinden Sofgart sich gegenseitig belauer ten und jeder auf eine Blöße seiner Gegner wartete, konnten sie nicht auf eventuelle Feinde achten, die von außen kamen und sich unter die Truppe mischten. Und wenn der Blinde Sofgart zurückkehrte, würde er erst einmal alle Hände voll zu tun haben, um die Ordnung wiederherzustellen. Unter die sen Umständen müßte es Tirako und mir relativ leichtfallen, einen Schlag gegen Sofgarts Schiff zu führen. Vielleicht konnten wir es sogar zerstören. Das größte Problem war nach wie vor, wie wir nach dem Anschlag den Planeten schnell wieder verlassen konnten, so daß wir nicht durch die Nachforschungen gefährdet wurden, die Sofgart nach unserem Schlag an ordnen würde. Nach kurzem Flug erreichten wir das Quartier der Siebten Raumlande brigade. Es befand sich in einem großen Walzenschiff, dessen Bewaffnung bewies, daß es sich um ein ehemaliges Kampfschiff der Überschweren handelte. Die Überschweren hatten sich vor einiger Zeit aus den Nach
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kommen einer abgesplitterten Springersippe entwickelt und waren infolge erblicher Umweltanpassung an einen Planeten mit hohem Luftdruck und 2,1 Gravos so breit wie hoch und sehr stabil gebaut. Ich musterte die notdürftig geflickten Schmelzlöcher der Schiffshülle sowie die ihrer Kanonen beraubten Waffendrehkuppeln und fragte: »Wie kommt ein Kampfschiff der Überschweren nach Trumschvaar, Arunt?« »Ihr solltet nicht soviel fragen«, erwiderte Arunt. »Das ist bei uns manchmal ungesund.« Er blickte mich warnend an, aber ich ließ mich davon nicht beein drucken. »Falls ihr einen Kampf mit Überschweren provoziert habt, verstößt das gegen die Gesetze des Imperiums«, erklärte ich. Arunt schwieg, aber ich merkte, daß meine Bemerkung einen wunden Punkt getroffen hatte. Offenbar ließ es ihn nicht gleichgültig, wenn Teile von Sofgarts Söldnertruppe sich ungesetzliche Übergriffe erlaubten. Die beiden Wachtposten an der Hauptschleuse des Walzenschiffes salu tierten vor Arunt, als wir eintraten. Der Dunkelhäutige führte uns in die Zentrale des Schiffes. Vier Männer erhoben sich bei unserem Eintritt. Einer war ein sehr großer, dürrer Arkonide mit gelblicher Gesichtsfarbe und hohlen Wangen. Er hatte tiefschwarzes Haar, eine ausgesprochene Seltenheit bei unserem Volk. Arunt ballte die Rechte zur Faust und schlug sie gegen seine linke Brustseite. »Ich grüße Sie, Soltharius!« sagte er zu dem dürren Schwarzhaarigen. »Der Admiral schickt Ihnen zwei Neue, Satago Werbot und Sonper Tes slet. Sie haben den Test in der C-Kulisse bestanden.« Soltharius musterte uns prüfend. Die Musterung schien zu seiner Zufrie denheit auszufallen, denn er lächelte. »Danke, Arunt«, sagte er. »Richte deinem Herrn meine besten Grüße aus.« »Das werde ich tun«, erwiderte Arunt. Er neigte den Kopf, wandte sich um und verließ die Zentrale. Als sich das Schott hinter ihm geschlossen hatte, sagte Soltharius be dächtig: »Ich habe schon von euch gehört, Satago und Sonper. Ihr habt euch ei nem Befehl von Parthos widersetzt und seid damit bei ihm in Ungnade ge fallen.« »Der Befehl war widerrechtlich!« protestierte Tirako Gamno. »Ich weiß«, erwiderte Soltharius. »Aber Parthos ist der Gatte von Sof garts ältester Tochter und hat deshalb einen gewissen Einfluß auf ihn. Er
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kann euch zu einem Todeskommando versetzen lassen, sobald Sofgart wieder auf Trumschvaar ist.« »Wir stehen unter dem Schutz des Admirals«, sagte ich. »Nicht mehr«, meinte Soltharius. »Ihr steht jetzt unter meinem Schutz, und ich werde euch gegen alle Übergriffe des Parthos schützen können – solange Sofgart nicht auf Trumschvaar weilt.« »Du solltest ihnen nicht zuviel sagen«, warf einer der übrigen drei Män ner ein. »Ich werde ihnen sogar alles sagen«, entgegnete Soltharius. »Diese bei den Männer haben, wenn Sofgart zurückkehrt, nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen.« »Wie sollen wir das verstehen, Soltharius?« erkundigte ich mich. Ich ahnte, daß Soltharius die Rückkehr Sofgarts fürchtete und irgendeinen Plan hatte, um sich selbst zu schützen. Offenbar wollte er uns für seinen Plan gewinnen. »Setzt euch!« befahl Soltharius. Als wir saßen, erklärte er: »Der Blinde Sofgart ist bei vielen Söldnern verhaßt, denn er ist ein Tyrann, der nicht nur jeden Fehler grausam be straft, sondern uns auch ständig um einen Teil unseres Soldes betrügt. Deshalb hat sich auf Trumschvaar eine Gruppe gebildet, die aus dem Dienst Sofgarts austreten will. Da er niemanden freiwillig gehenlassen wird, gibt es nur die Möglichkeit, Trumschvaar heimlich oder gewaltsam zu verlassen.« »Ich verstehe«, sagte ich. »Wir ahnten nicht, welche Zustände auf Trumschvaar herrschen, sonst wären wir nicht hierhergekommen.« »Noch ist es nicht zu spät«, meinte Soltharius. »Ihr sollt die Gelegenheit erhalten, euch der erwähnten Gruppe anzuschließen. Leider hatte es eine Panne gegeben. Drei führende Mitglieder der Gruppe wurden von Parthos' Leuten verhaftet, darunter unser Anführer Kelatos.« Er blinzelte listig. »Übrigens ist Kelatos mein Stiefbruder. Deshalb wer de ich euch nicht länger schützen können, sobald Sofgart nach Trumsch vaar zurückgekehrt ist. Parthos wird ihm einreden, ich hätte gemeinsam mit meinem Stiefbruder ein Komplott gegen ihn geschmiedet.« »Stimmt das denn nicht?« fragte Tirako. Soltharius lachte. »Ihr begreift schnell. Aber könnt ihr auch schnell han deln?« »Das käme auf einen Versuch an«, erklärte ich. »Ich nehme an, Sie möchten uns dafür gewinnen, an der Befreiung Ihres Stiefbruders mitzu wirken.« Soltharius holte tief Luft. »Mit deinem Verstand könntest du bald ein gutbezahlter Unterführer der Kelatos-Söldner sein, Satago«, sagte er. »Du hast recht, wir wollen meinen Stiefbruder befreien. Er ist der geborene Or
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ganisator und Anführer. Mit ihm wird es uns gelingen, Trumschvaar zu verlassen und eine eigene Söldnertruppe aufzubauen.« Tirako und ich sahen uns an. Das war die Gelegenheit, wie sie sich uns auf Trumschvaar bestimmt nur einmal bot. Wir konnten es uns einfach nicht leisten, sie ungenutzt verstreichen zu lassen. »Verfügen Sie über uns, Soltharius«, erklärte ich. Soltharius unterrichtete uns darüber, daß Kelatos in einem schwergepan zerten Raumschiff in der Nähe des Zentrums von Uzruh gefangengehalten wurde. Danach weihte er uns in seinen Plan ein. Insgesamt gehörten mit Tirako und mir siebenundzwanzig Mann zu der Gruppe von Kralasenen, die das Söldnerdasein unter dem Blinden Sofgart satt hatten. Unter ihnen überwogen die Raumschiffstechniker, vornehm lich Triebwerksingenieure und Galaktonauten. Sie hatten ihre Flucht von Trumschvaar seit langer Zeit vorbereitet und bereits vier der alten Raum schiffe einigermaßen startklar gemacht. Diese vier Schiffe sollten von je einem kleinen Trupp besetzt werden, während die restlichen zehn Männer das Gefängnisschiff angreifen und Kelatos befreien sollten. Anschließend sollten wir uns in die Raumschiffe begeben und sofort starten. »Wieviel Wachtposten befinden sich im Gefängnisschiff?« erkundigte ich mich. »Zwanzig Mann von Parthos' Truppe«, antwortete Soltharius. Ich hatte Mühe, ein mitleidiges Lächeln zu unterdrücken. Soltharius war ein Stümper, wenn er versuchen wollte, mit zehn Männern offen ein von zwanzig Männern bewachtes Schiff anzugreifen. Aber wahrscheinlich wollte er das Ergebnis der Befreiungsaktion in einem der vier instand ge setzten Raumschiffe abwarten und hatte deshalb keine Skrupel, große Ver luste beim Befreiungskommando einzukalkulieren. »Der Plan ist schlecht«, erklärte ich unverblümt. »Ich meine erstens, weil wir offen angreifen sollen und zweitens, weil Parthos sicher mit ei nem Befreiungsversuch rechnet und entsprechende Vorkehrungen getrof fen hat.« »Wie sprichst du mit deinem Vorgesetzten?« fuhr Soltharius mich an. »Er hat recht«, warf einer seiner Offiziere ein. »Die gleichen Einwände haben wir auch vorgebracht, aber du wolltest nicht auf uns hören.« »Ich erlaube mir eine offene Sprache, weil ich sicher bin, daß wir, wenn wir nach dem bisherigen Plan vorgehen, nicht nur große Verluste erleiden würden, sondern außerdem Kelatos nicht befreien könnten«, stellte ich fest. »Wahrscheinlich würde Parthos Ihren Stiefbruder nach einem ge scheiterten Befreiungsversuch hinrichten lassen.«
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Soltharius beruhigte sich wieder. Offenbar erkannte er, daß meine Argu mente stichhaltig waren. »Was schlägst du vor, Satago?« erkundigte er sich. »Wir brauchen einen Verräter«, antwortete ich. »Jemand muß heimlich zu Parthos gehen und ihm ›verraten‹, daß wir im Bunde mit dem Admiral sein Hauptquartier stürmen wollen. Zu der von ihm angegebenen Zeit sollten sich dann tat sächlich einige Männer an Parthos' Hauptquartier heranmachen und die Posten in ein Geplänkel verwickeln. Das wäre dann der Zeitpunkt, zu dem wir losschlagen könnten. Natürlich nicht offen. Unser Trupp muß die Klei dung von Parthos' Truppe tragen und mit einem Flugpanzer am Gefängnis schiff vorbeifahren, angeblich mit einem Befehl von Parthos, den Gefan genen umzuquartieren, da mit einem Befreiungsversuch zu rechnen sei.« Soltharius blickte mich erstaunt an. »Was ist das für eine komplizierte Taktik, Satago?« Ich lächelte. »Eine sogenannte Einsickerungstaktik«, antwortete ich. »Sie wurde so eben von mir erfunden. Unter den gegebenen Umständen verspricht sie bei kleinem Risiko den größten Erfolg.« Soltharius' Miene war anzusehen, daß er meinen Vorschlag ablehnen wollte, und sei es nur, weil er nicht von ihm stammte. Doch zwei seiner Offiziere pflichteten mir bei. Es kam zu einer Diskussion, in deren Verlauf schließlich sowohl die drei Offiziere als auch Soltharius selbst meinem Plan zustimmten. Allerdings stellte er zur Bedingung, daß ich selbst den Verräter spielen und zu Parthos gehen sollte. Wahrscheinlich dachte er, ich würde mich vor einer Begegnung mit Par thos fürchten, weil ich im Büro des Admirals seinen Zorn erregt hatte. Er konnte nicht ahnen, daß es von Anfang an meine Absicht gewesen war, keinem anderen die Rolle des Verräters zu überlassen. Nachdem wir die letzten Einzelheiten durchgesprochen hatten, gingen wir an die praktische Durchführung meines Planes. Natürlich konnte ich nicht einfach zu Parthos gehen und moralische Entrüstung über einen Plan heucheln, den ich zufällig erfahren hatte. Das hätte diesen Mann ganz ge wiß nicht überzeugt. Ich mußte ihm ein Motiv nennen, das ein hochgestellter Söldnerführer, der ständig intrigierte und Intrigen abzuwehren hatte, auch als mögliches eigenes Motiv ansah. Als die Nacht hereinbrach, schlich ich mich aus dem Walzenschiff. Aus dem Nachbarschiff, einem pyramidenförmigen Gebilde, drang das Grölen betrunkener Kralasenen. Zwei Männer lagen reglos auf der Straße. Ein dritter Mann wankte aus dem Schatten auf mich zu und wollte mich fest halten.
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Ich stieß ihn vor die Brust. Doch er taumelte nicht zurück, sondern hatte im nächsten Augenblick meine Handgelenke umklammert. An seinem Atem merkte ich, daß er kei nen Tropfen Alkohol getrunken hatte. Ich hielt mich noch zurück. »Was willst du?« fragte ich leise. »Du bist einer von den Neuen«, sagte er. »Ich halte es nicht für gut, wenn du unser Schiff verläßt. Soviel ich weiß, hat Soltharius mit dir und deinem Freund über unseren Plan gesprochen. Ich will nicht, daß du dich irgendwo betrinkst und dann redest.« »Ich habe nicht vor, mich zu betrinken«, entgegnete ich. »Ich will nur ein wenig an die frische Luft. Laß mich los!« Er umklammerte meine Handgelenke nur noch fester. Dabei versuchte er, mich zum Walzenschiff zurückzudrängen. Er war unwahrscheinlich stark. Kurz entschlossen wandte ich einen jener Dagorgriffe an, die mir Fartu loon beigebracht hatte. Der Mann sackte stöhnend zusammen. Ich eilte davon und massierte mir die schmerzenden Handgelenke. Sol tharius hatte mir beschrieben, welches Raumschiff Parthos als Hauptquar tier diente und wo es stand. Es war eines der wenigen großen Kugelraum schiffe auf Trumschvaar, und es war kaum beschädigt. Als ich es erreichte, entdeckte ich die Flugpanzer, die rings um Parthos' Schiff standen. Dieser Söldnerführer hatte vorgesorgt, daß seine Rivalen ihn nicht ausheben konnten. Ich zögerte eine Weile – und fiel dadurch bereits auf. Ein Flugpanzer glitt beinahe lautlos heran, hielt dicht neben mir, und dann öffnete sich ei ne Luke. Zwei Bewaffnete sprangen heraus, nahmen mich in ihre Mitte und führten mich schnell zur Bodenschleuse des Kugelschiffes, während der Flugpanzer den Vorgang gegen neugierige Augen abschirmte. Ich wurde in eine Wachstube gestoßen. »Wer bist du – und was treibst du hier?« fuhr mich ein untersetzter Offi zier an. »Das sage ich nur Parthos«, erklärte ich. Im nächsten Moment mußte ich erkennen, daß ich die rauhen Sitten der Söldner unterschätzt hatte. Drei Männer verprügelten mich systematisch, bis ich halb bewußtlos am Boden lag. Ich wurde aufgehoben und in eine Naßzelle geführt, wo man meinen Kopf in kaltes Wasser steckte. Anschließend injizierte man mir ein Auf putschmittel. Dann stand ich wieder vor dem wachthabenden Offizier. »Wirst du jetzt reden?« fragte er ohne jeden Spott. Sein Gesicht verriet lediglich Interesse.
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»Wenn Parthos erfährt, daß ihr schuld seid, daß ihm eine wichtige Mel dung vorenthalten wird, möchte ich nicht in eurer Haut stecken«, erwider te ich. »Das könnte jeder behaupten«, sagte der Offizier. Aber ich bemerkte, daß er unsicher geworden war. »Natürlich«, entgegnete ich möglichst gleichgültig, »aber ich kann es beweisen, wenn ihr mich zu Parthos laßt.« »Er hat noch nicht genug«, sagte einer der Posten. In seiner Stimme schwang Bewunderung mit. »Sollen wir ihm eine Spezialbehandlung zu kommen lassen?« Ein anderer Offizier steckte seinen Kopf in die Wachstube und meinte: »Ich würde ihn zu Parthos bringen. Das ist einer der neuen Männer von Soltharius. Einer unserer Beobachter meldete, daß er aus Soltharius' Quar tier kam. Er schlug einen von Soltharius' Leuten nieder, der ihn aufhalten wollte.« »Also gut, ich riskiere es«, meinte der Wachthabende. Er winkte den beiden Posten. »Behaltet ihn im Auge.« Die beiden Posten nahmen mich wieder in ihre Mitte und führten mich zu einem Antigravlift. Der Offizier folgte uns. Wir schwebten ins Mittel deck hinauf und betraten wenig später die Kommandozentrale des Schif fes. »Wen bringt ihr da?« tönte uns eine mir bekannte Stimme entgegen, die Stimme von Parthos. Der Offizier salutierte stramm. »Dieser Mann gehört zu Soltharius' Leuten, General. Er trieb sich vor dem Hauptquartier herum, deshalb nahmen wir ihn fest. Da er nicht spre chen wollte, mußten wir ihn etwas hart anfassen. Er weigerte sich jedoch weiterhin, zu verraten, was er hier wollte. Das will er nur Ihnen persönlich sagen, General.« Parthos war während der Erklärungen seines Offiziers näher getreten. Er blickte mich scharf an, konnte mich aber wegen der durch die Schläge ver ursachten Schwellungen nicht sogleich erkennen. Nach einer Weile aber weiteten sich seine Augen. »Das ist doch dieser Neue, der mir den Gehorsam verweigerte und so gar seine Waffe gegen mich zog!« rief er verblüfft. »Satago Werbot, wenn ich mich nicht irre?« »Sie irren sich nicht, General«, erklärte ich. »Ich mußte damals zum Admiral halten, da ich die Verhältnisse auf Trumschvaar noch nicht kann te.« »Und jetzt kennst du sie?« fragte Parthos spöttisch. »Kannst du mir einen Grund nennen, warum ich dich nicht sofort erschießen lassen soll?« »Selbstverständlich, General«, antwortete ich. »Andernfalls hätte ich
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mich niemals hierher gewagt.« »Intelligent scheinst du wenigstens zu sein«, meinte der General und Schwiegersohn Sofgarts. »Also, ich höre …!« Ich erzählte ihm die Geschichte, die ich mir ausgedacht hatte, und schloß: »Ich hätte Ihnen diesen Plan niemals verraten, wenn ich nicht selbst ver raten worden wäre. Der Admiral hatte mir in seinem Büro zugesichert, ich würde nach unserer Flucht das Kommando über ein Raumschiff erhalten. Soltharius aber lachte mich aus, als ich ihn danach fragte. Er meinte, wir hätten erstens noch kein Raumschiff und zweitens sollte ich erst einmal zwei Jahre als einfacher Soldat dienen.« »Soltharius ist ein arroganter Narr«, sagte Parthos dazu. »Er fühlt sich wahrscheinlich schon als Söldnerführer, seit sein Stiefbruder Kelatos im Gefängnis sitzt. Aber er hat nicht dessen Format, sonst würde er nicht ver suchen, mein Hauptquartier zu stürmen.« »Könnte es nicht sein, daß er gleichzeitig seinen Stiefbruder zu befreien versucht?« warf ein Offizier aus der Zentrale ein. »Er wird sich hüten«, erwiderte Parthos ironisch. »Vor zwei Tagen ver suchte ein Wärter, Kelatos zu Vergiften. Als ich ihn verhörte, stellte sich heraus, daß Soltharius ihn dazu angestiftet hat. Nein, Soltharius ist heil froh, daß sich sein Stiefbruder nicht in Freiheit befindet. Sonst könnte er nämlich nicht kommandieren. Gegen Kelatos ist er ein Nichts.« Mir wurde einiges klar. Ich hatte es bisher der Unfähigkeit von Soltharius zugeschrieben, daß sein Plan ursprünglich vorsah, Kelatos in offenem Angriff auf das Gefäng nisschiff zu befreien. Wahrscheinlich hatte er das Scheitern dieses Ver suchs einkalkuliert gehabt und den Zwischenfall nur zur Tarnung der eige nen Flucht benutzen wollen. Ich mußte unbedingt im Gefängnisschiff sein, wenn es angegriffen wur de, damit ich notfalls verhindern konnte, daß Kelatos unter den Strahl schüssen eines gedungenen Mörders starb. Parthos musterte mich mit eigentümlichem Lächeln. »Der Admiral und Soltharius haben sich also gegen mich verbündet, Sa tago?« fragte er. »So ist es, General«, antwortete ich. »Und du stellst dich auf meine Seite, weil Soltharius dich betrügen wollte?« »Nicht nur deshalb«, sagte ich. »Als ich erfuhr, daß Sofgart Ihr Schwie gervater ist, wurde mir klar, daß ich auf der falschen Seite stand. Aber da für konnte ich nichts, denn ich war in diese Position gedrängt worden, als ich die Verhältnisse auf Trumschvaar noch nicht durchschaute.« »Und du rechnest damit, daß ich dir das gewähre, was Soltharius dir
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verweigerte?« forschte Parthos weiter. »Nein, General«, erwiderte ich. »Sie haben mir nichts versprochen, folglich darf ich von Ihnen auch nichts erwarten. Ich hoffe jedoch, daß Sie mir mein Verhalten beim Admiral verzeihen und mir die Möglichkeit ge ben, mich in Ihrer Truppe zu bewähren.« »Das wäre möglich«, sagte Parthos bedächtig. »Aber damit du hier kei nen Unfug stiftest, während Soltharius mein Hauptquartier angreift, wirst du diese Nacht Kelatos Gesellschaft leisten.« Er gab dem Offizier der Wache einen Wink. »Bringt ihn ins Gefängnis!« Ich gab mich keineswegs der Illusion hin, daß Parthos mir vertrauen könn te. In Sofgarts Söldnerbande konnte niemand bis zum General aufsteigen, der vertrauensselig war. Zweifellos wollte Parthos mich mit Kelatos zusammensperren lassen, um mich zu testen. Sicherlich gab es im Gefängnisschiff versteckte Abhör anlagen, mit denen die Gespräche der Gefangenen abgehört werden konn ten. Drei Mann brachten mich in einen Flugpanzer, der mich zum Gefäng nisschiff transportierte. Als wir ausstiegen, sah ich, daß es sich um ein et wa hundert Schritt durchmessendes Kugelschiff mit stark abgeplatteten Polen handelte. Mir war nicht bekannt, welches Volk diesen Schiffstyp baute, doch inzwischen hatte ich mich damit abgefunden, daß die Kralase nen offenkundig Beutezüge in galaktische Bezirke durchführten, die dem Großen Imperium offiziell völlig unbekannt waren. Derartige Beutezüge stellten allerdings eine Gefährdung der Sicherheit des Reiches dar, denn sie provozierten ständig fremde Rassen und Völker und konnten eines Tages zu Vergeltungsschlägen führen, die uns in einen großen Krieg verwickelten. Ich beschloß, nicht nur Sofgarts Söldnerarmee aufzulösen, sobald ich das Erbe meines ermordeten Vaters angetreten hatte, sondern zusätzlich al le anderen Söldnerverbände straff kontrollieren zu lassen. Vorerst jedoch mußte ich mich damit abfinden, in einem Gefängnis der Kralasenen zu landen. Die drei Soldaten, die mich zum Flugpanzer ge bracht hatten, führten mich auch in das Gefängnisschiff. Innen war es prin zipiell genauso wie die Kampfschiffe des Großen Imperiums gestaltet, aber an zahlreichen Kleinigkeiten erkannte ich, daß die Erbauer größeren Wert auf technische Vollkommenheit gelegt hatten als wir. Es waren die Feinheiten, die ihre Konstruktion von unserer unterschieden. Als die Soldaten mich zu Kelatos sperrten, wurde ich angenehm über rascht. Ich hatte erwartet, in eine triste Gefängniszelle zu kommen. Statt dessen fand ich eine kleine Kuppelhalle vor, deren Inneres als Erholungs park gestaltet war. Dicht unter der Decke schwebte eine von Fesselfeldern
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gehaltene Kunstsonne. Kaum hatte sich das Schott hinter mir geschlossen, erblickte ich einen etwa fünfzig Arkonjahre alten, athletisch gebauten Mann mit langem wei ßem Haar, einem gestutzten Kinnbart und wachsamen, rötlichen Augen. Der Mann war mir vom ersten Augenblick an sympathisch. Es war jene Art persönlicher Zuneigung, die nicht langsam heranreift, sondern schlag artig da ist. »Wer bist du?« fragte der Mann. Zweifellos war es Kelatos. »Ich heiße Satago Werbot«, antwortete ich, obwohl mein Unterbewußt sein mich drängte, meinen richtigen Namen zu nennen. Wäre ich mir nicht der Anwesenheit verborgener Abhörgeräte gewiß gewesen, hätte ich viel leicht die Wahrheit gesagt. »Dein Name sagt mir nichts«, erwiderte der Mann. »Ich bin übrigens Kelatos.« »Ich weiß«, sagte ich. »Dein Stiefbruder verriet mir, daß du hier gefan gengehalten wirst.« »Und wie kommst du hierher?« erkundigte sich Kelatos argwöhnisch. Ich lächelte. »Ich habe Parthos verraten, daß Soltharius heute nacht das Hauptquar tier von Parthos ausheben will. Parthos ließ mich nur deshalb einsperren, weil er sichergehen will, daß ich Soltharius' Angriff nicht von innen her aus unterstütze.« Kelatos runzelte die Stirn. Der erwartete Zornesausbruch blieb jedoch aus. Das war ein weiterer Beweis für Kelatos' praktische Intelligenz. Er mußte sich sagen, daß ein echter Verräter seinen Verrat dem Stiefbruder des Verratenen gegenüber niemals freimütig eingestanden hätte. Wenn er es dennoch tat, mußte es dafür einen besonderen Grund geben. Ich faßte unauffällig an mein rechtes Ohr und blickte mich danach um. Kelatos verstand diese Geste sofort. Er wußte, daß ich mit Abhöranla gen rechnete und ihn darauf hinweisen wollte. Er begriff außerdem, daß die heimlichen Zuhörer eine bestimmte Reaktion von ihm erwarteten. »Du hast meinen Bruder verraten?« fragte er drohend und blinzelte da bei verstohlen. »Dafür bringe ich dich um!« »Warum?« erkundigte ich mich in ironischem Tonfall. »Um dich später von deinem Stiefbruder umbringen zu lassen?« »Weshalb sollte Soltharius mich umbringen wollen?« fragte Kelatos. »Weil du ihm im Wege bist«, erwiderte ich. »Erkundige dich bei Par thos. Der General hat das Geständnis eines Mannes, der dich im Auftrag von Soltharius vergiften wollte.« »Das hat Parthos mir bereits erzählt«, sagte Kelatos. »Aber warum soll te ich den Worten meines Feindes glauben, Satago?«
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»Dein Einwand ist berechtigt«, entgegnete ich. »Aber wie erklärst du dir, daß Soltharius gemeinsam mit dem Admiral die Macht auf Trumsch vaar an sich reißen will, ohne an deine Befreiung zu denken?« »Gemeinsam mit dem Admiral?« entfuhr es Kelatos. »Das ist …«, er brach ab, und in seinem Gesicht arbeitete es, »… eine Gemeinheit.« Ich wußte, er hatte ursprünglich sagen wollen, das sei völlig undenkbar. Gerade noch rechtzeitig hatte er sich an die Abhöranlagen erinnert und sei ne Aussage abgeändert. »So ist es«, sagte ich. »Deshalb habe ich deinen Stiefbruder an Parthos verraten. Ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie ein Schurke das Komman do auf Trumschvaar an sich reißt, während ein aufrechter Mann im Ge fängnis schmachtet.« Kelatos lächelte flüchtig. Offenbar fand er den Ausdruck »schmachtet« angesichts seiner luxuriösen Unterkunft amüsant. Ich fragte mich, was Parthos dazu bewogen haben mochte, seinem intel ligentesten Gegenspieler einen derartigen Luxus zu gewähren. Möglicher weise hoffte er, Kelatos auf seine Seite ziehen zu können. Aber wie ich diesen Mann einschätzte, würde er niemals mit seinem Gegner gemeinsa me Sache machen, auch wenn sein Bruder ihn auszuschalten trachtete. Männer wie er kämpften lieber gegen zwei Feinde, als ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. »Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll oder nicht«, sagte Kelatos. »Die Entwicklung wird zeigen, ob du gelogen hast. Du bist noch nicht lange bei den Kralasenen, nicht wahr?« »Stimmt, erst seit heute«, antwortete ich. »Mein Freund und ich entfern ten uns von unserem Frachtschiff, als es in der Nähe des Trumsch-Systems ein Orientierungsmanöver durchführte.« Ich spürte, wie es hinter Kelatos' Stirn arbeitete. Wenn ich ihn richtig eingeschätzt hatte, war er ein genialer Taktiker. Das würde auch erklären, warum Parthos versuchte, ihn für sich zu gewinnen, obwohl sie Gegner waren. Traf meine Einschätzung zu, dann mußte Kelatos sich jetzt fragen, wie so jemand, der gerade erst von seinem Schiff geflohen und auf Trumsch vaar angekommen war, bereits so tief in das Intrigenspiel der Söldnerfüh rer verwickelt sein konnte. Ich hoffte, daß Kelatos den richtigen Schluß daraus zog, den nämlich, daß ich kein gewöhnlicher Raumfahrer war, sondern spezielle Ziele auf Trumschvaar verfolgte. Der Blick, den er mir kurz darauf zuwarf, bestätigte meine Vermutung. Kelatos hatte mich durchschaut, wenn er natürlich auch nicht ahnte, wer ich wirklich war. »Setzen wir uns dorthin«, sagte er und wies mit einer Kopfbewegung zu
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einer Sesselgruppe, die um einen Servotisch angeordnet war. Nachdem wir uns gesetzt hatten, tastete Kelatos zwei Becher eines erfri schenden Getränkes. Er saß mir genau gegenüber, und als er seinen Becher an die Lippen hob, bemerkte ich die lautlosen Bewegungen seines Mun des. Das Lippenlesen war eine der Künste, die Fartuloon mir beigebracht und die ich zu einiger Brauchbarkeit weiterentwickelt hatte. Deshalb ver stand ich, was Kelatos mir durch die Bewegungen seiner Lippen mitteilte. Die erste Botschaft war eine Frage. »Kannst du mich verstehen?« Ich führte ebenfalls den Becher zum Mund und erwiderte auf die glei che Weise: »Ausgezeichnet. Der Angriff gilt dem Gefängnis, nicht dem Hauptquar tier.« Kelatos zeigte keine Überraschung. Offensichtlich hatte er eine solche Aufklärung erwartet gehabt. »Wann?« fragte er mit sparsamen Lippenbewegungen. »Kurz nach Mitternacht«, antwortete ich. »Als Soldaten von Parthos verkleidete Männer sollen dich mit einem Flugpanzer abholen. Ich nehme jedoch an, daß Soltharius versuchen wird, dich im Verlauf der Aktion tö ten zu lassen.« Kelatos setzte seinen Becher an und sagte laut: »Ich bin nicht sehr gesprächig, aber du wirst verstehen, daß ein echtes Gespräch erst zustande kommen kann, wenn ich mich von deiner Aufrich tigkeit überzeugt habe.« »Ich hoffe, dich bald davon überzeugen zu können«, erwiderte ich eben falls laut. »Außerdem bin ich kein Freund vieler Reden. Ich schweige gern.« Mit lautlosen Lippenbewegungen meinte Kelatos: »Wir werden uns befreien lassen, uns aber anschließend selbständig ma chen. Ich kenne einen Ort, an dem wir uns verborgen halten können, bis ich klarsehe.« »Einverstanden«, erklärte ich, ebenfalls lautlos. »Wir müssen die Besat zung des Flugpanzers überwältigen.« Kelatos reckte sich, stand auf und sagte laut: »Ich bin müde. Erlaubst du, daß ich dir eine Schlafzelle zeige, Satago?« »Ich wäre dir dankbar dafür«, erwiderte ich laut. Kelatos führte mich zu einer von mehreren ovalen Öffnungen an der In nenwand der Kuppelhalle. Dahinter erblickte ich ein breites Pneumobett. »Ich benutzte die Schlafzelle nebenan«, erklärte Kelatos und ließ mich stehen. Ich legte mich angekleidet auf das Bett und schloß die Augen. Aller
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dings hatte ich nicht die Absicht, einzuschlafen. Bis Mitternacht war es nicht mehr lange hin. Dann würde sich zeigen, ob mein Plan gut war.
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4.
Pünktlich kurz nach Mitternacht kamen sie. Es waren zwei Wächter, und in ihrer Mitte ging mein Freund Tirako. Tirako trug die Kampfuniformen von Parthos' Flugpanzertruppe mit den Rangsymbolen eines Unterführers. Ich stellte mich schlafend und ließ mich durch einen der beiden Wächter »wecken«. »Was soll die Störung?« fragte ich mißmutig. »Mitkommen!« befahl der Wächter. »Du wirst verlegt.« Ich stand auf und wankte, mich schlaftrunken stellend, aus der Schlaf zelle. Aus der Nachbarzelle wurde soeben Kelatos geführt. »Ich protestiere!« sagte Kelatos. »Warum soll ich mitten in der Nacht verlegt werden?« »Befehl von General Parthos«, sagte Tirako mit unbewegtem Gesicht. »Stellt keine Fragen, sondern kommt mit!« Er ging voraus, und die Wächter schoben uns hinter ihm her. Als wir das Gefängnisschiff durch eine Schleuse im Mitteldeck verlie ßen, schwebte vor der Öffnung ein Flugpanzer. Eine schmale Rampe war von der Schleuse zu seinem Eingang gefahren. »Hinüber!« befahl Tirako. Ein heller Schein flammte am Nachthimmel auf und verlosch flackernd. Kurz darauf krachte der Donnerschlag einer heftigen Entladung. »Was ist das? Ein Gewitter?« fragte ich, obwohl ich wußte, daß es sich nur um das Scheingefecht handeln konnte, das sich Soltharius' Leute bei Parthos' Hauptquartier lieferten. Niemand antwortete mir. Im nächsten Augenblick flammte es mehrmals hintereinander auf, und die Energieentladungen folgten dicht aufeinander. »Wer kämpft dort gegen wen?« erkundigte sich Kelatos. »Das geht euch nichts an«, sagte Tirako, getreu seiner Rolle als Unter führer des Parthos, der in aller Heimlichkeit zwei wichtige Gefangene ver legen soll. Kelatos und ich wurden über die Rampe getrieben. Hinter uns kam Tira ko. Er hatte den Flugpanzer noch nicht erreicht, als mehrere schwerbe waffnete Soldaten aus Parthos' Truppe in die Schleusenkammer des Ge fängnisschiffes stürmten. »Aufhalten!« riefen sie unseren Wächtern zu. »Das sind Soltharius' Leute!« Bevor die Wächter begriffen hatten, hatte sich Tirako in den Flugpanzer gezwängt und das Schott hinter sich verschlossen. Das Fahrzeug schwank
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te bedrohlich, als es von mehreren Energieschüssen getroffen wurde. Doch mit Handwaffen konnte der molekülverdichtete Stahl nicht durchschlagen werden. Der Flugpanzer beschleunigte mit aufheulenden Pulsationstriebwerken und raste davon. Ich hob warnend die Hand, als Kelatos sich auf Tirako stürzen wollte. »Er gehört zu mir«, flüsterte ich. Kelatos hielt sich zurück. »Wer seid ihr wirklich?« wollte er wissen. »Später!« erwiderte ich. »Zuerst müssen wir die Besatzung überwälti gen. Wieviel Männer sind es außer dir, Sonper?« wandte ich mich an Tira ko. »Zwei«, antwortete mein Gefährte. »Sie sitzen in der Steuerkanzel.« Kelatos drehte sich um und stieg die schmale Metallplastikleiter zur Steuerkanzel hinauf. Die beiden Männer dort oben strahlten erfreut, als sie ihn sahen. Mir wurde klar, daß sie nichts von Soltharius' Doppelspiel ge genüber seinem Stiefbruder ahnten. Sie glaubten tatsächlich, sie hätten le diglich Kelatos befreien sollen. Wenn das stimmte, so ging die Auf deckung des Befreiungsmanövers auf das Konto von Soltharius. Er hatte offenbar gehofft, Parthos' Soldaten würden Kelatos töten, bevor er entkam. »Etwas verläuft anders als geplant«, teilte uns einer der beiden Männer mit, während wir dicht über den Raumschiffen dahinflogen. »Es wird nicht nur bei Parthos' Hauptquartier gekämpft, sondern auch beim Schiff des Admirals.« »Anscheinend versucht Parthos, die Gelegenheit auszunutzen, um sei nen stärksten Rivalen um die zweite Position zu beseitigen«, sagte ich. »Das könnte sein Untergang sein«, meinte Kelatos. »Der Admiral hat mehr Anhänger unter den Söldnern, als die meisten Arkoniden ahnen. Er wird hart zurückschlagen.« »Wir werden verfolgt«, sagte Tirako und deutete nach hinten. Als ich mich umdrehte, sah ich, schemenhaft erkennbar, drei andere Flugpanzer hinter uns herjagen. Im nächsten Moment blendeten sie ihre Scheinwerfer voll auf. Die transparente Steuerkanzel wurde in gleißende Helligkeit getaucht. »Tiefergehen!« befahl ich, während ich mich gleichzeitig hinter das Be dienungspult für die Waffen zwängte und die Lichtfilteranlage aktivierte. »Ich habe den Schutzschirm eingeschaltet«, teilte Kelatos uns mit. Der Pilot hatte unseren Flugpanzer inzwischen unter die durchschnittli che Höhe der Schiffshäuser gedrückt, so daß die Verfolger uns vorerst aus den Augen verloren. Wir rasten zwischen den Raumschiffen einer Straße dahin, aber bald mußten wir das Stadtgebiet verlassen. Dann würden wir den Verfolgern ein gutes Ziel bieten.
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Als zwei der anderen Flugpanzer wieder auftauchten, ermittelte die klei ne Gefechtspositronik in Gedankenschnelle, welcher von ihnen uns am ge fährlichsten war. Sie richtete die Zielautomatik entsprechend aus, so daß ich nur noch den Feuerknopf drücken mußte. Der scharfgebündelte Energiestrahl unserer Thermokanone schlug gleichzeitig mit dem blaßgrünen Flimmern des Desintegrationsstrahls drü ben ein. Der Schutzschirm des feindlichen Flugpanzers flackerte bedenk lich, hielt jedoch. Allerdings wurde das Fahrzeug von der Auftreffwucht des Energiestrahls aus dem Kurs geworfen, prallte gegen den oberen Pol eines Kugelschiffes und setzte torkelnd zu einer Notlandung an. Der dritte Flugpanzer war inzwischen auch wieder aufgetaucht. Er und der zweite eröffneten gleichzeitig das Feuer auf uns. Unser Schutzschirm dehnte sich unter der Überbelastung zu einer violett schillernden Ener gieblase und zerplatzte kurz darauf. Ein Treffer aus einem Desintegrati onsgeschütz löste den Bug unseres Fahrzeugs teilweise auf. Ich konnte noch einen der beiden Flugpanzer abschießen, bevor unser Pilot die Steuerkanzel absprengte. Unser Fahrzeug fiel wie ein Stein in die Tiefe, während die Antigravaggregate der Steuerkanzel uns sanft neben ei nem einförmigen Raumschiffswrack absetzten. Tirako löste die Dachabwurfautomatik aus. Wir kletterten hastig ins Freie, denn das Triebwerksgeräusch des dritten Verfolgers näherte sich un verkennbar. Kelatos deutete auf die Bodenschleuse des eiförmigen Schiffes. »Wir müssen dort hinein!« rief er. Ich wollte ihm entgegen, daß das Schleusenschott geschlossen sei und daß sich die Bewohner des Schiffes weigern würden, uns einzulassen und sich damit in einen fremden Machtkampf einzumischen, als die Nacht plötzlich taghell erleuchtet wurde. Im Zentrum der Stadt blähte sich ein orangeroter Feuerball auf. Ich kannte Fusionsexplosionen zu gut, als daß ich an der Art dieses Energie ausbruchs gezweifelt hätte. Wo ich gerade stand, warf ich mich hin und zog die Jacke über meinen Kopf. Die Druckwelle kam als brüllender Orkan, der alles davonfegte, das ihm im Wege stand. Wir befanden uns glücklicherweise im toten Winkel zum Explosionszentrum, aber der uns verfolgende Flugpanzer wurde voll erfaßt und mit Wucht gegen das eiförmige Raumschiffswrack geworfen. Er zer barst in zahllose Stücke, die auf uns herabregneten. Als es still wurde, richtete ich mich halb auf und blickte mich um. Über dem Zentrum der Raumschiffsstadt stand ein Dampf- und Rauchpilz. Er kletterte immer noch höher und würde bald die Stratosphäre erreicht ha ben. Kelatos und Tirako Gamno richteten sich ebenfalls auf. Sie schienen un
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verletzt zu sein. Aber die beiden Piloten unseres Flugpanzers lebten nicht mehr. Ein türgroßes Trümmerstück hatte sie erschlagen. »Welcher Idiot hat die Anwendung von Kernwaffen angeordnet?« rief Kelatos mit wutverzerrtem Gesicht. Tirako deutete nach oben. »Keiner von uns«, sagte er tonlos. »Der Planet wird aus dem Raum an gegriffen.« Ich blickte ebenfalls nach oben – und da sah ich sie. Es waren ungefähr zehn elliptische Fahrzeuge, die sich lautlos aus dem Nachthimmel auf die Stadt herabsenkten. Sie waren nur zu sehen, weil an mehreren Stellen Brände ausgebrochen waren und das zuckende Licht der Flammen sich auf den metallenen Rumpfunterseiten der Fahrzeuge wider spiegelte. »Maahks!« schrie Kelatos. »Das sind Maahks! Die Methans greifen Trumschvaar an!« Unterdessen waren zahllose Söldner aus den umliegenden Raumschif fen gestürzt, um nachzusehen, was der Kampflärm und die darauffolgende Kernexplosion zu bedeuten hatten. Als sie Kelatos' Schreie vernahmen, pflanzte sich die Alarmmeldung mit Windeseile fort. Die Männer stürzten in die Raumschiffe zurück. Ein Teil von ihnen kehrte schwerbewaffnet ins Freie zurück, die anderen besetzten die intak ten Gefechtsstationen, wie an den ausfahrenden Waffenkuppeln und sich öffnenden Mündungspforten zu sehen war. Tirako, Kelatos und ich eilten in das eiförmige Schiffswrack. Unbe kannte Männer drückten uns Waffen in die Hand. Ich bekam einen kurz läufigen Raketenwerfer mit drei Magazinen sowie eine Desintegrations-Hand waffe. »Ich alarmiere meine Leute über Funk!« rief Kelatos uns zu. »Versucht draußen die Abwehr zu organisieren!« Ich winkte Zustimmung und eilte wieder nach draußen. In der Nähe des eiförmigen Wracks waren zwei der elliptischen Lan dungsboote niedergegangen. Eine Gruppe von Söldnern, die darauf zu rannte, wurde von Bordwaffen getötet. Dann öffneten sich große Luken und spien die ersten Invasoren aus. Sie trugen ausnahmslos schwere Kampfanzüge, aber durch die transparenten, geschweiften Druckhelme hindurch konnte ich die für Maahks charakteri stischen halbmondförmigen Wulstköpfe sehen, die von einer Schulter zur anderen reichten. Die Methans waren durchschnittlich eine Schrittlänge größer als Arkoniden und sehr breit gebaut. Auf ihren Heimatwelten herrschten schließlich Schwerkraftbedingungen zwischen 2,9 und 3,1 Gra vos. An den trichterförmig auslaufenden Tentakelarmen befanden sich kno
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chenlose, aber unwahrscheinlich kräftige Hände. In diesen Händen trugen die Angreifer schwere Strahlwaffen. Tirako und ich warfen uns hinter das Trümmerstück, unter dem die bei den toten Piloten lagen. Mein Gefährte hatte ebenfalls einen Raketenwer fer bekommen. Wir brauchten uns nicht zu verständigen, sondern erfaßten jeder für sich, wie wir zu handeln hatten. Eine Serie von Raketen mit atomaren Schmelzladungen schossen auf die beiden Landungsfahrzeuge zu, explodierten und hüllten die Boote in Gluten, denen kein Metallplastik widerstehen konnte. Die ausgestiegenen Maahks preschten nach allen Seiten davon. Augen blicke später wurden wir unter Beschuß genommen. Wir wären verloren gewesen, wenn uns aus dem eiförmigen Wrack nicht andere Söldner zu Hilfe gekommen wären. Sie schossen mit Thermostrahlern, während drei Desintegrationsgeschütze des Wracks systematisch einen Maahk nach dem anderen ausschalteten. »Das war knapp«, sagte Tirako und zog sich vor einem brodelnden Kra ter zurück, den der Strahlschuß eines Maahks knapp zwei Schritte neben ihm in den Boden gebrannt hatte. »Aber es war erst der Anfang«, erwiderte ich grimmig, während ich auf den anschwellenden Kampflärm aus allen Richtungen lauschte. »Die Me thans sind überall gelandet.« Ich winkte einige der Söldner zu mir. »Wir müssen eine Kampftruppe zusammenstellen und uns von Schiff zu Schiff durchkämpfen!« sagte ich. »Nur so können wir die Methaner zu rückschlagen.« Die Männer schwenkten zustimmend ihre Waffen. Sie waren offenkun dig froh, daß sie jemanden gefunden hatten, der ihnen sagte, was zu tun war. Kelatos kam aus dem eiförmigen Wrack. »Ich habe über Funk mit Parthos gesprochen«, rief er. »Der General schickt uns einige Flugpanzer. Wir sollen eine Kampftruppe zusammen stellen, die die Panzer beim Gegenstoß begleitet.« Tirako lachte. »Hier ist unsere Kampftruppe«, sagte ich und deutete auf die Männer, die sich um mich versammelt hatten. Ich fragte nicht, weshalb Parthos ausgerechnet seinen Gegenspieler Ke latos unterstützte. Eine solche Frage stellte sich gar nicht. Es war selbst verständlich, daß wir alle zusammenhielten, wenn die Maahks angriffen. Diese Wasserstoffatmer waren nicht nur Kriegsgegner des Großen Imperi ums, sondern die Todfeinde aller Sauerstoffatmer. Wenig später schwebten sechs Flugpanzer heran. Die Steuerkanzel des ersten Fahrzeugs war geöffnet, und wir sahen General Parthos aufrecht
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darin stehen. »Die Methans haben das Schiff des Admirals eingekreist!« rief Parthos uns zu. »Wir werden den Ring aufbrechen. Vorwärts, Männer!« Wir liefen auf die Panzer zu und kletterten auf die Aufbauten. Auch das war selbstverständlich, daß wir nicht danach fragten, wer am meisten zu sagen hatte. Gehorsam verdiente derjenige, der einen Kampfauftrag nann te. Kaum saßen wir oben, als die Flugpanzer auch schon abhoben und mit hoher Geschwindigkeit davonrasten. Etwa dreihundert Schritt weiter stan den sich rund zwanzig Söldner und etwa sechs Maahks gegenüber. Die Söldner winkten, als sie unsere Panzer erblickten. Wir verlangsamten den Flug nicht, sondern schossen aus den Geschützen der Fahrzeuge und aus unseren Handwaffen auf die Maahks, die sich vergeblich in Sicherheit zu bringen suchten. Auf unserer rasenden Fahrt kamen wir mehrmals an brennenden Schif fen vorbei, aber wir sahen relativ wenige tote Söldner. Das wunderte mich. Außerdem fragte ich mich, warum die Maahks nicht einfach eine größere Fusionsrakete auf die Stadt abgeschossen und sie damit auf einen Schlag zerstört hatten. Dieses für Methans recht zaghafte Verhalten widersprach allen Erfahrungen, die Arkon mit ihnen gesammelt hatte. Doch ich kam zu keinem Ergebnis meiner Überlegungen, denn wir er reichten das Hauptkampfgebiet, in dessen Zentrum das große eiförmige Raumschiff mit den breiten Seitenflossen stand, in dem der Admiral uns empfangen halte. Auf dieses Schiff konzentrierte sich offenbar der Angriff der Wasser stoffatmer. Doch auch hier kämpften sie nicht mit jener kompromißlosen Vernichtungswut, die sie bisher ausgezeichnet hatte. Sie beschränkten sich im Gegenteil darauf, die einzelnen Widerstandsnester rings um das Schiff niederzukämpfen und sich näher an das Schiff heranzuschieben. Das Schiff des Admirals feuerte noch aus zwei Geschützkuppeln. Sie ben kraterähnliche Löcher mit zerlaufenen Schmelzrändern zeigten an, wo die übrigen Geschütze gewesen waren. Parthos hatte sich wieder gesetzt und die Steuerkanzel seines Flugpan zers geschlossen. Da ich kein Funkgerät besaß, konnte ich daher seine Be fehle nicht hören, aber ich sah ihre Auswirkungen. Unsere sechs Flugpanzer senkten sich auf den Boden herab und brachen in Keilformation durch den maahkschen Einschließungsring. Wir, d.h. die aufgesessenen Soldaten, sprangen von den Aufbauten und kämmten im Feuerschutz der Panzer das von Trümmern bedeckte Gelände nach Me thans ab, die sich von den Panzern hatten überrollen lassen. Anschließend schwenkten drei der Panzer nach links und die anderen drei nach rechts ab. Die Infanterie teilte sich ebenfalls. Schritt um Schritt
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rollten wir die Linie der Maahks auf. Es war ein mörderischer Kampf, denn die Wasserstoffatmer verfügten über die bessere physische Konstitution. Die 1,12 Gravos von Trumsch vaar befähigten sie zu Sprüngen von über zwanzig Schritt Länge. Außer dem konnten sie mit ihren vier Doppelaugen auf dem Kopfgrat gleichzei tig nach vorn und hinten sehen, und ihre Waffen waren einfach deshalb stärker als unsere Handwaffen, weil sie wegen ihrer enormen Körperkräfte erheblich schwerere Waffen tragen konnten. Dennoch entschieden wir den Kampf schließlich für uns. Wir waren den Maahks zahlenmäßig weit überlegen, konnten Verluste also rasch erset zen, und verfügten seit dem Eintreffen der Flugpanzer auch über die stär keren Waffen. Allerdings wurden drei der Panzer abgeschossen, doch inzwischen wa ren siebzehn weitere angekommen und griffen in den Kampf ein. Arkoni den hätten sich bei diesem Stand des Gefechts zurückgezogen. Nicht so die Methans. Sie wechselten zwar immer wieder ihre Stellungen, aber sie harrten trotz ihrer großen Verluste stur aus. Das lag in ihrer andersartigen Mentalität begründet. Maahks waren kei ne Säuger, sondern eierlegende Intelligenzen, die massenhaft Nachwuchs produzierten. Entsprechend geringer achteten sie die Existenz des einzel nen Individuums. Sie scheuten sich nicht, einen dichtbesiedelten feindli chen Planeten zu verbrennen, aber ebensowenig schraken sie davor zu rück, in aussichtsloser Lage bis zum Tod auszuharren. Ich fragte mich bereits, warum das Landungskommando der Maahks nicht von dem Raumschiff unterstützt wurde, das sie auf Trumschvaar ab gesetzt hatte, als hoch oben am Nachthimmel ein neuer heller Stern auf ging. »Dort wird gekämpft«, sagte Tirako zu mir. »Offenbar ist ein arkonidisches Schiff auf das Raumschiff der Maahks gestoßen«, erwiderte ich. »Es fragt sich nur, wer gewonnen hat.« Wir zogen unsere Köpfe ein, als vor uns ein Flugpanzer explodierte. Ein paar Männer schrien. Ein elliptischer Schatten huschte über uns hinweg und auf das Schiff des Admirals zu. Ich spähte über den Rand unserer Deckung und sah, daß außerdem fünf Maahks auf das Schiff zuliefen. Sie bewegten sich in großen, beinahe grotesk anmutenden Sprüngen vorwärts. Gebannt beobachtete ich, wie sich die Bodenschleuse des Schiffes öff nete. Eine Gruppe von Söldnern warf sich den Maahks entgegen. Ein kurz er, aber harter Kampf entbrannte. Danach rührte sich drüben niemand mehr. Tirako und ich sprangen auf und liefen zu der Stelle hinüber. Das ellip tische Landungsboot brannte aus. Daneben lagen tote Maahks und Arkoni den.
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Einer der Toten war der Admiral. Er starrte mit blicklosen Augen in den Nachthimmel. Seine Rechte hielt noch einen Thermostrahler umklammert. Neben uns bremste ein Panzer. General Parthos schwang sich aus der Steuerkanzel, beugte sich über den Admiral und zog ihm die Lider herab. Dann richtete er sich wieder auf und blickte uns ernst an. »Er war aus der Gefangenschaft der Methans entkommen«, sagte er lei se, und es war offensichtlich, daß er damit den Admiral meinte. »So etwas ist in den Augen der Maahks eine Schmach, die nur dadurch ausgelöscht werden kann, indem der Entflohene wieder eingefangen wird. Das war wahrscheinlich das einzige Ziel der Landungsoperation auf Trumschvaar. Als die Methans erkannten, daß sie den Admiral nicht le bend in ihre Hand bekommen würden, beschlossen sie, ihn zu töten.« »Aber er hätte nur in seinem Schiff zu bleiben brauchen, um diesem Tod zu entgehen!« sagte Tirako. »Er konnte nicht in seinem Schiff bleiben«, erklärte jemand dumpf hin ter uns. Es war Kelatos, der sich in geschwärzter und teilweise zerfetzter Kombination genähert hatte. »Der Admiral wußte, daß die Maahks nur seinetwegen gekommen waren. Als sie ihren letzten verzweifelten Angriff begannen, war er es seiner Ehre schuldig, ihnen persönlich entgegenzutre ten.« Ich blickte nach oben. »Wenn die Maahks wußten, daß ihr Spiel verloren war, müssen sie er fahren haben, daß ihr Schiff vernichtet wurde«, sagte ich. »Wahrscheinlich dadurch, daß der Funkkontakt abbrach«, erklärte Par thos. »Danach sprach die Explosion im Raum für sich.« Er lächelte ausdruckslos. »Übrigens war es Sofgarts Flaggschiff, das das Schiff der Maahks ver nichtete. Kurz nach der Explosion teilte Sofgart mir über Funk mit, daß er gegen Morgen auf dein Raumhafen landen wird.« Parthos blickte Kelatos an. »Angesichts Ihres tapferen Einsatzes beim Kampf gegen die Maahks verzichte ich darauf, Sie abermals festnehmen zu lassen. Ich gebe Ihnen bis zur Landung Sofgarts Zeit, die Stadt zu verlassen. Satago Werbot und Sonper Tesslet können Sie begleiten.« »Ich danke Ihnen«, erwiderte Kelatos. »Was ist mit meinem Stiefbru der, General?« »Soltharius befand sich an Bord eines der Schiffe, die von den Maahks in Brand geschossen wurden, um uns vom wirklichen Ziel Ihres Unterneh mens abzulenken«, antwortete Parthos. »Er wird seitdem vermißt.« Er wandte sich an mich. »Ich bedaure, daß ich dich nicht in meiner Truppe behalten kann, Sata go – oder wie immer du heißen magst. Aber wenn mein Schwiegervater
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erfährt, daß du Kelatos befreien wolltest, bist du reif für einen Aufenthalt auf seiner Folterwelt.« »Warum halten Sie zu einem Scheusal wie dem Blinden Sofgart?« frag te ich. Parthos überhörte meine Frage geflissentlich, salutierte und kletterte in seinen Flugpanzer zurück, der kurz danach abhob und sich in Richtung des Raumhafens entfernte. »Gehen wir!« sagte Kelatos. Er winkte den etwa dreißig Söldnern, die sich um uns versammelt hat ten. Offenbar handelte es sich um Anhänger von ihm. Sie hatten offene Fluggleiter mitgebracht. Wir stiegen ein, dann flogen wir in Richtung Süden davon. Ich wußte, daß dort die Küste eines kleinen Meeres lag. Wahrscheinlich befand sich irgendwo an der felsigen Küste ein geheimes Lager des Kela tos. Vorerst konnte ich also meinen Plan, einen Anschlag auf das Schiff des Blinden Sofgart zu verüben, nicht ausführen. Doch deshalb war ich noch lange nicht bereit, ihn aufzugeben. Wir erreichten den Zufluchtsort des Kelatos auf einem großen Umweg, der uns zuerst an die Südküste des Meeres führte und danach in ein westlich von Uzruh gelegenes vegetationsloses Gebirge am Rand einer von Kratern übersäten Wüste. Dort, an einem engen finsteren Tal, hielten wir oberhalb einer Schutt halde vor dem Eingang einer Höhle. Die Piloten bugsierten unsere Flug gleiter unter großen Schwierigkeiten in die Höhle hinein, so daß sie nicht gesehen werden konnten. Wir folgten ihnen unter Kelatos' Führung. Mehrere Männer trugen starke Scheinwerfer. In ihrem Licht sah ich, daß die Höhlendecke ungewöhnlich glatt und fugenlos war – ungewöhnlich je denfalls für eine natürlich entstandene Höhle. Als ich gegenüber Kelatos eine entsprechende Bemerkung machte, lä chelte er nur eigentümlich. Der Höhlengang führte etwa zweihundert Schritt leicht abwärts und en dete in einem quadratischen Raum. Kelatos bedeutete uns mit einer Hand bewegung, zu warten. Er schaltete an einem Kommando-Armband, dann begab er sich in den Raum. »Ihr könnt kommen!« rief er wenig später. Als wir den Raum betraten, wurde mir klar, warum er uns hatte warten lassen. Zwei schwere Kampfroboter, wie ihn sonst nur die Flotte des Großen Imperiums benutzte, standen mit angewinkelten Waffen im Hin tergrund des Raumes. Das Licht der Scheinwerfer spiegelte sich auf ihrem molekülverdichteten Metallplastik.
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»Sie verhalten sich nur passiv, wenn ich vorher einen entsprechenden Geheimkode abstrahle«, erklärte Kelatos. »Außerdem muß ich ihnen je desmal persönlich gegenübertreten, damit sie mein Gehirnwellenmuster als das ihres Befehlshabers einstufen. Es wäre nicht ratsam, etwas gegen mich zu unternehmen, solange sie sich in Ortungsreichweite befinden – und das ist praktisch überall in meinem Stützpunkt.« »Haben Sie den Höhlengang und diesen Raum anlegen lassen?« erkun digte sich Tirako. Kelatos machte eine Geste der Verneinung und forderte uns auf, ihm durch die gegenüberliegende Öffnung des quadratischen Raumes zu fol gen. Abermals tat sich ein Höhlengang vor uns auf, aber hier war nicht nur die Decke völlig eben, die Seitenwände und der Boden waren es auch. Wieder führte der Weg in schwacher Neigung abwärts. Nach einiger Zeit weitete sich der Gang zu einer Kuppelhalle. Als ein Scheinwerferkegel die Decke traf, stockte mir unwillkürlich der Atem. Oben an der Kuppeldecke war die unverkennbare Zeichnung eines Sonnensystems mit zehn Planeten eingraviert, wahrscheinlich mit Hilfe ei nes scharf gebündelten Energiestrahls. Das war unzweifelhaft das Werk intelligenter Wesen, die zumindest die interplanetarische Raumfahrt beherrschten. Ich nahm jedoch an, daß sie die überlichtschnelle interstellare Raumfahrt gekannt hatten. Es gab einen eindeutigen Hinweis darauf. »Sie müssen aus einem anderen Sonnensystem gekommen sein«, erklär te ich. »Das Trumsch-System hat nur vier Planeten, hier aber sind zehn eingezeichnet.« Ich blickte mich um. »Wie alt ist diese Halle?« »Unsere Analysen ergaben ein ungefähres Alter von dreißigtausend Ar konjahren«, antwortete Kelatos. »Die Fremden haben also schon zwanzigtausend Jahre vor Beginn unse rer Zeitrechnung die interstellare Raumfahrt beherrscht!« sagte ich beein druckt. »Was mag aus ihnen geworden sein? Unsere Forschungsschiffe stießen nie auf eine Rasse, die schon seit so langer Zeit interstellare Raum fahrt betreibt.« Wieder lächelte Kelatos eigentümlich. »Woher kennt ein einfacher Frachtschiffer die Forschungsergebnisse unserer Erkundungsflotte so gut, daß er diese Behauptung aufstellen kann?« fragte er. Als ich mich nach der Öffnung umsah, durch die wir die Halle betreten hatten, meinte er: »Meine Männer sind in den Nebengang abgebogen, den wir vorhin pas
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sierten. Niemand belauscht uns. Du darfst also offen reden.« Ich entschloß mich, meine Identität preiszugeben, nicht nur, weil Kela tos mir von Anfang an sympathisch gewesen war, sondern weil ich spürte, daß er mir die gleiche Sympathie entgegenbrachte – und weil mir mein Logiksektor sagte, daß ich sein volles Vertrauen nur durch absolute Offen heit gewinnen konnte. Und ich brauchte Kelatos' Vertrauen, wenn ich auf Trumschvaar den ersten Schlag gegen Orbanaschol III. führen wollte. »Ich bin Atlan, der rechtmäßige Nachfolger Gonozals VII.«, erklärte ich, »und mein Freund und Begleiter ist Tirako Gamno, ein arkonidischer Adeliger.« Nur ein winziges Zucken in Kelatos' Gesicht verriet, wie überrascht der Mann war. Im nächsten Augenblick salutierte er. »Verfügen Sie über mich, Imperator!« rief er aus. »Ich werde jeden Ih rer Befehle ausführen. Nur wegen Orbanaschols Willkürherrschaft bin ich in die Söldnerarmee des Blinden Sofgart eingetreten. Mein richtiger Name ist Trontor Semian. Ich bin der älteste Sohn von Irsanth Semian, der Ihrem hochverehrten Herrn Vater als Erster Berater für Verteidigungsfragen diente. Nach Orbanaschols Machtübernahme verschwand er spurlos; wahr scheinlich hat der Usurpator ihn heimlich beseitigen lassen.« Ich fühlte mich eigentümlich berührt, denn ich erinnerte mich schlagar tig an Irsanth Semian, den ich immer »Onkel Irsanth« genannt hatte – in glücklichen Tagen. Nun wußte ich auch, warum ich »Kelatos« gegenüber vom ersten Au genblick an uneingeschränkte Sympathie empfunden hatte. Mein Unterbe wußtsein mußte gespürt haben, daß ich einem Sohn von Onkel Irsanth ge genübergestanden hatte. »Es ist mir eine Ehre, Sie als meinen Freund betrachten zu dürfen, Trontor«, sagte ich. »Doch Sie müssen wissen, daß Orbanaschol III. mich überall in der Galaxis suchen läßt. Er hat einen Preis auf meinen Kopf aus gesetzt. Auf dem Planeten Gortavor bin ich Sofgart und seinen Söldnern nur mit knapper Not entgangen. Auf einem anderen Planeten mußte ich mich gegen den Kopfjäger Corpkor wehren; er wurde allerdings inzwi schen mein Verbündeter. Sie sehen, es ist gefährlich, in diesen Zeiten zu mir zu halten.« »Mein Platz ist an der Seite des rechtmäßigen Imperators, Atlan«, erwi derte Trontor Semian. »Ganz gleich, was auch kommen mag.« Er runzelte die Stirn. »Sie haben den Kopfjäger Corpkor als Verbündeten gewinnen können? Das spricht für Ihre natürliche Führerpersönlichkeit, Atlan. Bisher galt Corpkor als gnadenloser Jäger, dem noch nie ein Opfer entkommen ist. Hat Corpkor seine Tiergruppe noch?« Ich bejahte.
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»Dann ist Ihr Erfolg noch erstaunlicher«, meinte Trontor. »Ich habe sehr tüchtige Freunde«, erklärte ich. »Kennen Sie Fartu loon?« »Natürlich, er war doch der Leibarzt Ihres Herrn Vaters«, antwortete Trontor Semian. »Er verschwand nach dem Tod Ihres Vaters spurlos.« Trontors Augen weiteten sich. »Er verschwand zur gleichen Zeit wie Sie, Atlan. Bedeutet das etwa, daß er mit Ihnen zusammen untertauchte?« »Er brachte mich in Sicherheit«, sagte ich, »und er wartet in der Nähe des Trumsch-Systems mit seinem Raumschiff auf mich.« »Das ist gut«, erwiderte Trontor. Er blinzelte mir zu. »Sie sind gewiß nicht nach Trumschvaar gekommen, um sich vor dem Blinden Sofgart zu verkriechen. Darf ich Ihre Pläne erfahren?« »Ich habe nur einen Plan«, erklärte ich. »Sofgarts Schiff zu zerstören oder zumindest schwer zu beschädigen und eine Botschaft an Orbanaschol zu hinterlassen, daß er von nun an keine Ruhe mehr vor mir finden wird, bis ich ihn gestürzt habe.« »Meine Männer und ich werden Ihnen dabei helfen, Imperator«, sagte Trontor. »Wir könnten einen ferngesteuerten Flugkörper mit Fusions sprengkopf auf Sofgarts Schiff stürzen lassen.« »Nein!« wehrte ich ab. »Dabei würden viele Unschuldige sterben. Wir müssen anders vorgehen. Vor allem aber muß ich zuerst wissen, wer der geheimnisvolle Gefangene ist, den der Blinde Sofgart zu seiner Folterwelt bringen will.« »Das kann ich feststellen lassen«, versicherte mir Trontor Semian. »Mich interessiert es ebenfalls, wer diesmal nach Ganberaan gebracht wer den soll.« »Ganberaan – ist das die berüchtigte Folterwelt Sofgarts?« erkundigte ich mich. »Was wissen Sie darüber?« »Nur, daß Sofgart dort Männer foltert, die irgendwie sein Mißfallen er regt haben«, sagte Trontor. »Ich habe keine Ahnung, wo sich dieser Planet befindet und wie er beschaffen ist. Aber es soll eine Welt des Grauens sein.« Das wußte ich bereits. In dieser Beziehung konnte mir also Trontor Se mian nichts Neues erzählen. Aber es war schon viel wert, daß er die Mög lichkeit besaß, feststellen zu lassen, wer der geheimnisvolle Gefangene an Bord von Sofgarts Schiff war. Das interessierte mich brennend, denn jeder Gegner des berüchtigten Söldnerführers war automatisch mein potentieller Verbündeter. Vielleicht konnten wir diesen Gefangenen befreien und für unseren Kampf gegen den Usurpator gewinnen. Trontor führte Tirako und mich in den Nebengang, in den seine Männer vorhin abgebogen waren. Dieser Gang führte zu einem etwa hundert Schritt tiefen Schacht, an dessen Grund ein Antigravgenerator stand. Mit
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der Maschine konnte der Schacht in einen Antigravlift verwandelt werden. Wir stiegen allerdings mit Hilfe einer Strickleiter ab, denn es war möglich, daß man uns bereits suchte, und die Streustrahlung eines Antigravgenera tors ließ sich wegen ihrer fünfdimensionalen Beschaffenheit auf sehr große Entfernungen anmessen. Unterhalb des Schachtes befand sich der eigentliche Geheimstützpunkt Trontors. Es handelte sich um regelrechte Kasematten, die ebenfalls vor langer Zeit in den Fels gebrannt worden sein mußten. »Es scheint, als hätten die Raumfahrer aus dem Zehnplanetensystem hier eine regelrechte Festung angelegt«, meinte Tirako Gamno. »Das läßt den Schluß zu, daß sie sich im Krieg mit einer anderen Rasse befunden hatten, die ebenfalls interstellare Raumfahrt betrieb.« Trontor Semian lächelte geheimnisvoll. »Es ist alles schon einmal dagewesen«, sagte er. »Mein Vater erzählte mir, daß geheime Forschungskommandos von Gonozal VII. auf mehreren Planeten Spuren intelligenter Rassen vorfanden, darunter auch jener Raumfahrer aus dem Zehnerplanetensystem.« Er wurde nachdenklich. »In einer anderen Kuppelhöhle wurde übrigens eine Zeichnung gefun den, auf der sich nur neun Planeten befanden.« »Vielleicht das Heimatsystem der Feinde jener Raumfahrer, die diese Festung anlegten«, meinte ich. »Nein, es handelt sich um das gleiche Sonnensystem«, erwiderte Tron tor. »Dort, wo in unserer Kuppelhalle der fünfte Planet eingezeichnet ist, klafft in dieser anderen Zeichnung eine Lücke, in die viele winzige Punkte eingraviert sind. Es scheint, als wäre der fünfte Planet im Verlauf jenes ur alten interstellaren Krieges zerstört worden.« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Rasse, die interstellare Raum fahrt betreibt, durch einen Krieg völlig ausgelöscht worden sein soll«, wandte ich ein. »Es muß auf vielen entlegenen Welten zumindest Gruppen von Überlebenden gegeben haben. Warum sind wir niemals ihren Nach kommen begegnet?« »Vielleicht, weil man sich nicht selbst begegnen kann«, meinte Trontor Semian grübelnd. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine unhaltbare Spekulation«, entgegnete ich. »Unsere Rasse hat sich auf dem ersten Arkonplaneten mitten in einem Kugelstern haufen außerhalb der galaktischen Ebene entwickelt und sich später von dort ausgebreitet. Wahrscheinlich sind die Überlebenden jenes zerfallenen Sternenreiches in die Primitivität zurückgefallen und haben sich nicht wie der davon erholt.« Trontor machte eine Geste der Ratlosigkeit.
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»Vielleicht werden wir es einmal erfahren, vielleicht auch nicht.« Er rief zwei seiner Männer zu sich und befahl ihnen, sich in die Stadt Uzruh zu schleichen und sich nach der Landung von Sofgarts Raumschiff unter die Landgänger zu mischen, um zu erfahren, wer der geheimnisvolle Gefangene des Söldnerführers war. Anschließend wies er Tirako und mir einen Raum in den Kasematten zu, in dem sich zwei Liegen und die notwendigsten Einrichtungsgegen stände befanden, die man für einen vorübergehenden Aufenthalt brauchte. Tirako und ich legten uns hin. Plötzlich merkte ich, wie die Strapazen des letzten Tages und der Nacht, besonders aber die Kämpfe gegen die Maahks, mich mitgenommen hatten. Ich fiel fast augenblicklich in einen tiefen, betäubungsähnlichen Schlaf. Als ich erwachte, brauchte ich einige Zeit, um mich zu erinnern, wo ich mich befand und wie ich hierhergekommen war. Meine Glieder waren schwer wie Blei. Ich mußte mich dazu zwingen, wach zu bleiben. Nach einiger Zeit riß ich mich gewaltsam zusammen und schwang mich mit einem Satz von der Liege. Ich absolvierte ein kurzes Körpertraining und spürte, wie danach die Kraft wieder in meine Glieder zurückkehrte. Inzwischen war Tirako ebenfalls erwacht. Auch er benötigte eine gewis se Anlaufzeit, um wieder munter zu werden. Wir öffneten ein paar der im Raum gestapelten Konserven und früh stückten. Anschließend überprüften wir unsere Waffen und die sonstige Ausrüstung. Die Kombinationen hatten beim Kampf gegen die Maahks stark gelitten. Wir säuberten sie notdürftig und flickten die größten Risse mit selbstklebender Metallplastikfolie. Wir waren noch nicht ganz fertig damit, da betrat Trontor Semian unse re Unterkunft. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und blickte uns schweigend an. »Was gibt es Neues?« fragte ich. »Ich habe Nachricht über den Gefangenen«, sagte Trontor mit düsterer Miene. »Es ist kein Mann, sondern ein Mädchen. Ich begreife nicht, wieso der Blinde Sofgart ein Mädchen zu seiner Folterwelt bringen will. Er kann sie nicht hassen, denn sie ist politisch völlig unbedeutend. Auch ihr Vater ist, soviel ich weiß, nicht in galaktopolitische Verwicklungen verstrickt. Sie müßten den Mann eigentlich kennen.« Ich horchte auf. Plötzlich hatte ich ein ungutes Gefühl, eine innere Unruhe, die meine Knie weich werden ließ. Ich setzte mich auf meine Liege. »Wie heißt er?« fragte ich ahnungsvoll. »Es ist Armanck Declanter, der Tato von Gortavor, dem Planeten, auf dem Sie dem Blinden Sofgart mit Mühe entkamen«, antwortete Trontor.
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Er blickte mich prüfend an, da er offenbar die Veränderung in mir spürte. »Die Gefangene ist seine Tochter Farnathia. Kennen Sie das Mädchen et wa?« Ich hatte das Gefühl, als würde im nächsten Augenblick das Gefüge des Universums zusammenbrechen. Farnathia – das Mädchen, in das ich unsterblich verliebt war! Plötzlich verschwamm alles vor meinen Augen, dann wurde es schwarz. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich nasse Tücher auf meinem Gesicht. Jemand schlug mir leicht auf die Wangen. Ich öffnete die Augen. »Was war los?« fragte ich matt. »Du hattest das Bewußtsein verloren«, sagte Tirako. Vor meinem Gesicht tauchte Trontors Gesicht auf. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen eine böse Nachricht gebracht habe«, sag te Trontor. »Ich konnte nicht ahnen, wie Sie zu Farnathia Declanter ste hen.« »Ich liebe sie!« stieß ich hervor. »Wenn ihr etwas zustößt, hat das Le ben keinen Sinn mehr für mich! Trontor …«, ich umklammerte seinen Arm, »… wir müssen sie befreien!« Die nassen Tücher wurden von meinem Gesicht weggenommen. Tirako faßte mich an den Schultern und richtete mich auf. Vor mir sah ich noch immer Trontors Gesicht. Es wirkte seltsam unbeweglich, wie aus Avunta holz geschnitzt. Nur die Augen zeugten von Leben. Sie blickten mich ein dringlich, fast beschwörend an. »Sie sind achtzehn, Farnathia ist erst sechzehn Arkonjahre alt, Atlan«, flüsterte Trontor Semian. »In diesem Alter glaubt man noch, die erste Lie be müßte auch die einzige sein. Das trifft aber nur in den seltensten Fällen zu. In Ihrem Fall liegt die Sache noch anders. Sie sind der künftige Impe rator des Großen Imperiums. Ihre Liebe hat in erster Linie dem arkonidi schen Volk zu gelten. Persönliche Beziehungen rangieren erst danach. Verlieren Sie das große Ziel nicht aus den Augen, Atlan!« »Sie verstehen mich nicht«, erwiderte ich heftig. »Für mich gibt es nur eine einzige Frau im Universum – und das ist Farnathia. Der Gedanke, daß sie zu dieser abscheulichen Folterwelt gebracht werden soll, ist mir uner träglich.« Das ist so beabsichtigt! teilte mir der Logiksektor meines Extragehirns mit. Der Blinde Sofgart will, daß du von Farnathias Entführung auf die Folterwelt erfährst. Er rechnet damit, daß du dann unüberlegt reagieren wirst, so daß du gefaßt werden kannst. Jemand rüttelte mich an den Schultern. Trontor sagte: »Haben Sie verstanden, was ich Ihnen sagte?« Ich schüttelte den Kopf.
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»Nein, aber ich habe begriffen, daß der Blinde Sofgart mir mit Hilfe von Farnathia eine Falle stellen will. Aber er ist im Nachteil, denn er ahnt nicht, daß ich mich auf Trumschvaar befinde. Das gibt uns die Möglich keit, Farnathia zu befreien.« Trontor atmete auf. »Sie reden schon wieder vernünftiger, Atlan. Daran, daß Sofgart Farna thia Declanter als Köder benutzen will, hatte ich gar nicht gedacht. Aber es leuchtet mir ein. Doch wollen Sie wirklich das Risiko eingehen, Sof garts Schiff zu stürmen?« »Ich muß es tun«, erwiderte ich fest. »Das gebietet nicht nur meine Lie be zu Farnathia, sondern auch die Logik. Der Blinde Sofgart wird sie zu erst auf seine Folterwelt bringen und erst danach die Nachricht ausstreuen, daß sie sich dort befindet. Folglich rechnet er nicht schon vorher mit ei nem Befreiungsversuch. Die Aussichten, sie zu befreien, sind also jetzt er heblich besser als später.« Trontor Semian dachte nach. »Ja, das erscheint auch mir logisch«, gab er zu. »Außerdem könnte der Blinde Sofgart Sie nicht erpressen, wenn Farnathia Declanter nicht mehr seine Gefangene ist. Das allein genügt mir, um Ihnen beizupflichten. Selbstverständlich werde ich persönlich die Aktion leiten und meine be sten Männer mitnehmen.« »Ich mache ebenfalls mit«, erklärte Tirako. »Danke«, sagte ich. »Wir werden es schaffen.« »Ich hoffe es«, sagte Trontor. »Bitte, warten Sie hier. Ich werde bald wieder zurück sein. Übrigens, meinen Männern gegenüber sind Sie für mich weiterhin Satago Werbot. Ich werde Sie als einen Freund ausgeben, in dessen Schuld ich stehe. Selbstverständlich muß ich Sie wieder duzen.« Zum erstenmal seit der schlimmen Nachricht lächelte ich wieder. »Wir sind ja tatsächlich Freunde, Trontor«, erwiderte ich. »In dieser Be ziehung brauchst du also nicht zu lügen.« Bald darauf kehrte Trontor Semian zurück. Er brachte vier seiner Män ner mit. Die geringe Zahl enttäuschte mich. Trontor mußte mir diese Enttäu schung angesehen haben, denn er sagte verlegen: »Das sind meine Getreuen, Satago. Leider halten die anderen Männer die Aktion für zu gefährlich. Sie sind der Meinung, daß ein Überfall auf Sofgarts Raumschiff scheitern muß.« »Und deine vier Getreuen?« erkundigte ich mich. »Sind sie nicht der gleichen Meinung?« »Kelatos sagte uns, daß für ihn und für dich sehr viel davon abhängt, ob Farnathia Declanter befreit wird oder nicht«, erklärte ein hünenhafter Söldner. »Das genügt uns. Wir werden entweder siegen oder sterben.«
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»So ist es«, sagten die anderen drei Söldner wie mit einer Stimme. »Setzt euch!« befahl Trontor alias Kelatos. »Ich habe mir überlegt, was wir zu tun haben, sobald Farnathia befreit ist. Es erscheint mir undenkbar, danach auf Trumschvaar zu bleiben. Der Blinde Sofgart würde nicht eher ruhen, bis er uns gefaßt hätte. Also müssen wir nicht nur Farnathia befrei en, sondern das Schiff in unsere Gewalt bringen und mit ihm den Planeten verlassen.« Genau das gleiche hatte ich mir inzwischen ebenfalls überlegt. Deshalb stimmte ich Trontor vorbehaltlos zu. Aber ich hatte mir schon ausgedacht, wie wir in Sofgarts Schiff hineinkommen konnten. »Ein offener Angriff scheidet aus«, erklärte ich. »Seit ich weiß, daß wir nur sieben Mann sind, sowieso. Ich schlage deshalb vor, wir maskieren uns und stellen eine Abordnung von Söldnern dar, die im Namen ihrer Ka meraden bei Sofgart vorsprechen wollen, um gewisse Verbesserungen zu fordern.« »Der Gedanke ist brauchbar«, sagte Trontor. »Natürlich müssen wir uns maskieren. Das ist jedoch kein Problem. Jotorsch …«, er deutete auf einen der vier Getreuen, »… hat drei Jahre Bioplastchirurgie studiert. Natürlich kann er ohne entsprechende Ausrüstung keine bioplastischen Operationen durchführen, aber zumindest kann er unsere Gesichter so verändern, daß uns niemand erkennt.« »Das dürfte genügen«, meinte Tirako. Ich erhob mich. »Also fangen wir an!« Trontor Semian erhob sich ebenfalls, und die anderen Männer folgten seinem Beispiel. »Du kannst es nicht erwarten, mein Freund«, sagte er leise zu mir. »Fangen wir also an. Aber eines Tages wirst du wissen, daß eine der höch sten Tugenden des Anführers die Geduld ist.«
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Jotorsch erwies sich tatsächlich als recht brauchbarer Maskentechniker. Allerdings ließ sich nicht vermeiden, daß er die kosmotechnischen Verän derungen erkannte, die Fartuloon an Tirako und mir vorgenommen hatte. Er enthielt sich jedoch jeder Frage, und ich war ihm dafür dankbar. Ei nerseits wollte ich ihn nicht belügen, und andererseits durfte ich ihm mei ne wahre Identität nicht verraten. Fartuloon hatte mich gelehrt, daß ein Mann vor einer Auseinandersetzung nicht nur seinen Sieg, sondern auch seine Niederlage einzukalkulieren hatte, wenn die eventuelle Niederlage keine endgültige werden sollte. Dementsprechend mußte ich berücksichtigen, daß bei einer denkbaren Niederlage einer von uns oder auch mehrere in Gefangenschaft geraten konnten. In einem solchen Falle würde der Blinde Sofgart sicher Folteroder Drogenverhöre anwenden, um Informationen zu erhalten. Was ein Mann nicht wußte, konnte er jedoch nicht verraten. Bevor wir aufbrachen, gingen wir alle Einzelheiten und Variationen un seres Planes wieder und wieder durch. Es kam vor allem darauf an, daß je der von uns sich genau an Bord von Sofgarts Raumschiff auskannte. Au ßerdem mußte jeder Mann wissen, welche Stationen er zu besetzen und welche Schaltungen er vorzunehmen hatte und wer für wen einspringen mußte, wenn es zu Ausfällen kam. Ich bewunderte dabei Trontors sachliche Logik, die sich jeglicher Emo tionen enthielt. Doch bald merkte ich, daß sein Detailplan darauf abzielte, mir jene Aufgaben zu übertragen, die die geringsten persönlichen Risiken bargen. Als ich ihn daraufhin beiseite nahm und ihn aufforderte, mich auf kei nen Fall zu schonen, schüttelte er den Kopf und meinte: »Es ist meine erste Pflicht, dem Imperium seinen rechtmäßigen Herr scher zu erhalten, Atlan. Wir anderen sind entbehrlich, aber Sie nicht. Wenn Sie sterben, gibt es keinen profilierten Thronanwärter mehr und de mentsprechend keine brauchbare Alternative zu Orbanaschols Herrschaft. Die Gegner des Usurpators würden sich mit seinem Regime notgedrungen arrangieren müssen, um das Große Imperium nicht führerlos werden zu lassen. Nein, Atlan, es bleibt so, wie ich es gesagt habe. Sie müßten mich töten, um es zu ändern.« Ich gab meinen Widerstand auf. Trontor Semian hatte recht, und ich mußte mich der besseren Einsicht unterwerfen, auch wenn es mir widerstrebte, meine Freunde und Kampf gefährten das größere Risiko tragen zu lassen. Gegen Abend waren wir endlich soweit. Am Tage hätten wir sowieso
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nicht ungesehen in die Stadt einsickern können. Doch am Abend wurde in Uzruh auf Veranlassung des Blinden Sofgart ein großes Fest gefeiert, wie Trontors Kundschafter erfahren hatten. Das war die beste Gelegenheit für uns. Wir brachen mit zwei offenen Gleitern auf, und als wir von Ferne die Silhouette von Uzruh erblickten, war es bereits Nacht. Aber fast alle Raumschiffe waren hell erleuchtet. Nur im Zentrum, wo die Fusionsrakete der Maahks explodiert war, herrschte absolute Finsternis. Wir ließen die Gleiter am Stadtrand stehen und mischten uns zu Fuß un ter die Menge, die den Sieg über die Maahks feierte. Viele Arkoniden wa ren bereits angetrunken. Der Blinde Sofgart hatte Fässer voller hochpro zentiger Alkoholika auf die Straßen rollen lassen. Hier und da erschollen rauhe Gesänge. Auf zwei riesigen flammenden Scheiterhaufen wurden die Leichen der gefallenen Söldner und Maahks verbrannt, eine barbarische Sitte, die mich anwiderte. Es wäre pietätvoller gewesen, die Leichen mit Desintegrationsstrahlen auf zulösen. Langsam arbeiteten wir uns durch das Gewühl bis zum Raumhafen vor. Sofgarts Raumschiff, ein Riese von zweihundert Schritt Durchmesser, be herrschte mit der vollen Illumination aller Positionslampen und Tiefstrah ler die Szene. Von unserem kleinen Beiboot war nichts mehr zu sehen. Wir blieben am Rand des Raumhafens stehen. Etwa fünfhundert Schritt trennten uns von dem Schiff. »Sofgart hat keine Posten aufgestellt«, flüsterte Tirako. »Das hat nichts zu bedeuten«, erklärte Trontor. »Die Umgebung läßt sich besser von innen überwachen als von außen. Wir werden nicht unge sehen herankommen, aber das war ja auch nicht unsere Absicht. Wir müs sen ganz offen über die freie Fläche gehen. Unsere einzige Aussicht auf Erfolg besteht darin, daß man uns als harmlose Besucher einstuft.« Er ging entschlossen voran, und wir folgten ihm. Wir hatten uns Sofgarts Schiff bis auf zirka hundert Schritt genähert, als sich ein Scheinwerfer auf uns richtete und eine Lautsprecherstimme rief: »Schiffswache an Besuchergruppe! Wer sind Sie, und was wollen Sie? Antworten Sie! Ein Richtmikrophon ist auf Sie ausgerichtet.« Trontor hob die Hand. »Wir kommen als Delegation der einzelnen Verbände in Uzruh und bit ten darum, bei unserem ruhmreichen Anführer vorgelassen zu werden, da mit wir einige wichtige Anliegen vortragen können.« Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Meiner Meinung nach hing Erfolg oder Mißerfolg unseres Unternehmens von der Reaktion der Schiffswache ab. Deshalb atmete ich auf, als die Lautsprecherstimme antwortete: »Der Anführer ist einverstanden. Legen Sie Ihre Waffen ab, und betre
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ten Sie das Schiff durch die Bodenschleuse!« Es hatte nichts zu bedeuten, daß wir unsere Waffen vor dem Betreten des Schiffes ablegen mußten. Im Schiff selbst gab es genug Waffen; wir brauchten sie nur der Besatzung abzunehmen. Also gehorchten wir der Forderung, legten unsere Waffen vor uns auf den Platzbelag und gingen zum Schiff hinüber. Zwei schwerbewaffnete Posten empfingen uns an der offenen Bodenschleuse. Hinter ihnen stand ein Mann mit einem kleinen Detektorgerät. Demnach war man vorsichtig und wollte sich davon überzeugen, daß keiner von uns Waffen unter seiner Kleidung verbarg. Wahrscheinlich wäre alles gutgegangen, wenn zwei von Trontors Ge treuen es nicht zu gut gemeint hatten. Als der Detektor sich auf sie richte te, verriet das helle Zirpen, daß sie verborgene Energiewaffen trugen. Die beiden Männer sprangen sofort vor und überwältigten die Posten sowie den Mann mit dem Detektorgerät, aber dieser Vorgang löste augen blicklich Alarm aus. Als die Alarmpfeifen heulten, eröffneten wir mit den Waffen der Posten das Feuer auf das geschlossene Innenschott der Schleuse. Es kam jetzt dar auf an, den Moment der Überraschung auszunutzen, soweit das noch mög lich war. Eine Flucht hätte unseren sicheren Tod bedeutet, denn die Schiffswaffen konnten die gesamte Fläche des Raumhafengeländes be streichen. Wir kamen bis zum zweiten Unterdeck, dann brach unser Angriff im Abwehrfeuer der rasch zusammengezogenen Männer Sofgarts zusammen. Entsetzt mußte ich mit an sehen, wie Trontor Semian und einer seiner Ge treuen unter den blaßgrünen Auflösungsstrahlen von Desintegratoren ver gingen. »Wir müssen zurück!« rief ich, während ich gleichzeitig das Dauerfeuer aus meinem Thermostrahler auf die heranstürmenden Männer des Söldner führers eröffnete. Einige fielen, die anderen rückten unerbittlich weiter vor. Wir hatten es mit der Leibgarde des Blinden Sofgart zu tun, und diese Männer kämpften wie die Teufel. Als ich sah, daß die drei überlebenden Getreuen Trontors zurückliefen, winkte ich Tirako und eilte ebenfalls zurück. Es war eine Flucht, an deren Ende der sichere Tod stand, denn außerhalb des Schiffes gab es keine Deckung mehr für uns. Aber die Lage im Innern war unhaltbar geworden. Doch als wir aus der zerschossenen Bodenschleuse stürmten, hatte sich die Lage grundlegend geändert. Der Kampflärm in Sofgarts Schiff war auch in der Stadt gehört worden, und diejenigen Söldner, die ohnehin un zufrieden mit Sofgarts Herrschaft gewesen waren, hatten an so etwas wie eine Palastrevolte geglaubt. Sie waren auf Kampfpanzer und Gleiter ge stiegen und näherten sich in rasender Fahrt.
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Die Besatzung des Schiffes sah die Meute heranjagen. Sie verzichtete auf Fragen und eröffnete das Feuer aus den schweren Bordwaffen. Die Folge davon waren schwere Verluste unter den Rebellen. Diejenigen, die den ersten Feuerschlag überlebten, eröffneten nunmehr selbst das Feuer auf das Schiff, teils aus Verzweiflung, teils aus Zorn über das Massaker, das unter ihren Kameraden angerichtet worden war. Innerhalb kürzester Zeit herrschte draußen ein unvorstellbares Chaos. Tirako und ich blieben stehen. Wir überlegten beide, ob der Ansturm der Rebellen uns die Möglichkeit bot, das Schiff des Blinden Sofgart doch noch zu erobern und Farnathia zu befreien. Doch wir sahen bald ein, daß die Lage aussichtslos war. Die Schiffsge schütze dezimierten die Angreifer, überall explodierten Fahrzeuge und Energiewaffen. »Wir brauchen ein Fahrzeug!« rief Tirako mir zu. Als hätte er damit ein Zauberwort ausgesprochen, hielt neben uns ein flammengeschwärzter Gleiter. Einer der Getreuen Trontors saß hinter dem. Steuer. »Einsteigen!« herrschte er uns an. Wir stellten keine Fragen, sondern schwangen uns über den Bordrand. Der Gleiter fuhr sofort mit voller Beschleunigung an, so daß Tirako und ich hilflos an die Rücklehnen gepreßt wurden. In der Nähe eröffnete ein Flugpanzer mit seinen Geschützen das Feuer auf Sofgarts Schiff. »Das sind Jotorsch und Bracko!« rief unser Pilot. »Sie geben uns Feuer schutz.« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da flog der Flugpanzer mit donnerndem Getöse in die Luft. Für die noch lebenden Rebellen gab es kein Halten mehr. Sie strebten in regelloser Flucht davon. Immer wieder zuckten schwere Strahlschüsse zwischen sie. Plötzlich wirbelte die Welt in einem irren Tanz um mich herum. Ich klammerte mich am Bordrand des Gleiters fest. Die Luft war kochendheiß und schien zu glühen. Krachend prallte der Gleiter gegen ein Hindernis. Ich richtete mich benommen auf und sah mich um. Der vordere Teil unseres Fahrzeugs hatte einen Volltreffer erhalten. Vom Piloten war nichts mehr zu sehen. Tirako Gamno krümmte sich stöh nend auf dem Boden des Gleiters. Ich beugte mich über ihn und sah, daß er schwere Verbrennungen erlitten hatte. Ohne lange zu überlegen, legte ich mir meinen Freund über die Schulter und stieg aus. Erst dann bemerkte ich, daß ich vor dem offenen Schott je nes Kastenschiffes stand, in dem Tirako und ich uns nach der Landung auf
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Trumschvaar beinahe verirrt hatten. Ich lief mit Tirako auf der Schulter in das seltsame Schiff hinein, ohne zu wissen, warum. Mein einziges Bestreben war nur, Tirako vorerst in Si cherheit zu bringen und seine Verletzungen zu behandeln. Eine Medobox für Erste Hilfe gehörte zu meiner Ausrüstung, und Fartuloon hatte mich gelehrt, mit einem Minimum an medizinischen Hilfsmitteln ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Mit sicherem Instinkt fand ich den Raum mit den fühlenden Wesenhei ten wieder. Dort war es hell genug, Tirakos Verletzungen zu behandeln. Vorsichtig ließ ich den Freund zu Boden gleiten. Als ich die Kleidung von seinem Oberkörper schnitt, öffnete er die vor Schmerz verschleierten Augen. Er bewegte die Lippen, ohne daß ein Laut zu hören war. Ich beugte mich über ihn. »Für Atlan und Arkon!« hauchte Tirako, dann fiel sein Kopf schlaff auf die Seite. Ich kannte die Zeichen. Dennoch war ich fassungslos und wollte es nicht wahrhaben, daß das Leben aus meinem Freund und Kampfgefährten gewichen war. Lange Zeit verharrte ich so, dann drückte ich Tirakos Au gen zu. »Ich werde deinen Tod rächen!« schwor ich. Als der neue Morgen graute, verließ ich das Kastenschiff. Ich war inner lich völlig ausgehöhlt und abgestumpft. Anders wäre es mir wohl nicht möglich gewesen, das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte, als ich während der Nacht die Totenwache bei Tirako gehalten hatte. Ich hatte seinen Leichnam in einer der kugelförmigen Reaktorkammern des Kugelschiffes versteckt, damit sie nicht von Sofgarts Häschern gefun den werden konnte. Außerdem wollte ich vermeiden, daß jemand einen Zusammenhang zwischen ihm und mir herstellte, obwohl das naturgemäß nicht auszuschließen war, da wir beide zusammen auf Trumschvaar gelan det waren. Meine Absicht, Farnathia zu befreien, hatte ich nicht aufgegeben. Da ich nach dem Tod von Trontor Semian und seinen Getreuen jedoch auf mich selbst angewiesen war, mußte ich meine Taktik grundlegend ändern. Ich hatte deshalb beschlossen, die Flucht nach vorn anzutreten. Jotorschs flüchtige Maskierung hatte ich leicht entfernen können. Nun mehr sah ich wieder aus wie der Frachtschiffer Satago Werbot, der vor zwei Tagen und zwei Nächten auf Trumschvaar angekommen war, um in die Söldnertruppe des Blinden Sofgart einzutreten. Als ich ins Freie trat, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich hatte nicht damit gerechnet, die gesamte Garnison von Trumschvaar auf dem Raumhafen vorzufinden.
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Die Söldner waren truppweise angetreten. Ihre Formationen bildeten ein zum Raumschiff hin geöffnetes Karree. Die Toten der Nacht waren von Räummaschinen zu zwei Haufen zusammengeschoben worden, die außer halb des Karrees lagen. Ich merkte, daß ich von niemanden gesehen worden war. Vorsichtig zog ich mich ein Stück in die Schleuse des Kastenschiffes zurück und beob achtete, was auf dem Raumhafen vorging. Den Söldnern mußte unbehaglich zumute sein, denn aus den Waffen kuppeln des Schiffes drohten schwere Energiegeschütze in ihre Richtung. Nach einiger Zeit ertönten Trommelwirbel. Die Bodenschleuse des Schiffes öffnete sich. Begleitet von acht überschweren Kampfrobotern und zehn Leibgardisten, trat der Mann ins Freie, den ich nach Orbanaschol am meisten haßte. Der Blinde Sofgart! Er war nicht zu erkennen, da er über den leeren Augenhöhlen zwei trichterförmige, durch eine Silberklammer miteinander verbundene Me tallgebilde auf der Stirn trug. Dieses Gerät übermittelte ihm die optischen Eindrücke seiner Umwelt. Dennoch bewegte er sich nur zaudernd und ruckartig, was bewies, daß auch das Sehzentrum seines Gehirns geschädigt war. Nach ungefähr zwanzig Schritten blieb Sofgart stehen. Er hob die rechte Hand und sagte etwas, das ich wegen der großen Entfernung nicht ver stand. Sechs der Kampfroboter und sechs Leibgardisten marschierten weiter, während die anderen stehenblieben. Ich sah, daß sie zu den Formationen der Söldner gingen und sämtliche Truppführer verhafteten und vor Sofgart brachten. Parthos wurde ebenfallsverhaftet. Abermals sprach der Blinde Sofgart. Diesmal konnte ich ihn verstehen, da seine Stimme von mehreren Lautsprechern verstärkt wurde. »Die Vorfälle der letzten Nacht haben gezeigt, daß während meiner Ab wesenheit die Disziplin der Truppe stark vernachlässigt wurde«, erklärte Sofgart. »Um dieses Verbrechen zu bestrafen und vor weiteren Disziplin losigkeiten zu warnen, habe ich alle Truppführer ausnahmslos zum Tode verurteilt. Ihre Stellvertreter werden ihre Posten einnehmen. Das Urteil wird sofort vollstreckt.« Abermals hob er den Arm. Die Desintegrationskanonen der Roboter spien blaßblaue Energiebah nen. Ich war starr vor Entsetzen und fühlte Übelkeit in mir aufsteigen ange sichts der kalten Brutalität dieses Söldnerführers. Aber noch waren die Schrecken nicht vorbei. Die Söldner waren noch immer vor Entsetzen gelähmt, als es in der
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Stadt zu dröhnen und zu donnern begann. Kurz darauf erhoben sich vier Raumschiffe und strebten torkelnd in den Himmel. Das mußten die Schiffe sein, die unter der Leitung von Kelatos und spä ter von Soltharius provisorisch startklar gemacht worden waren. Anschei nend versuchten diejenigen Söldner, die vom Blinden Sofgart keine Gnade erwarten durften, mit ihnen von Trumschvaar zu entkommen. Es war eine Verzweiflungstat. Und an Sofgarts Reaktion merkte ich, daß er sie erwartet hatte. Vielleicht hatte er sie sogar absichtlich provoziert, um seine Überlegen heit eindrucksvoll demonstrieren zu können. Jedenfalls vergingen nur wenige Augenblicke, bis Sofgarts Raumschiff aus allen Rohren das Wirkungsfeuer auf die vier Schiffe eröffnete. Zwei Raumschiffe explodierten kurz nach dem Start. Das dritte wurde zwar getroffen, versuchte aber noch eine Notlandung. Aber bevor es auf setzte, hüllte es sich in Flammen und löste sich in seine Einzelteile auf. Das vierte Schiff jedoch entkam. Die Kanonen von Sofgarts Schiff feuerten immer noch im Salventakt, als es schon längst verschwunden war. Offenbar fürchteten die Kanoniere die Strafe ihres Herrn. Endlich aber stellten sie ihr Feuer ein. Eine bedrückende Stille senkte sich über den Raumhafen. Sie wurde von Sofgarts Stimme gebrochen. Der Söldnerführer drohte seinen Männern harte Strafen an, wenn sie sich noch das geringste Vergehen zuschulden kommen ließen. Dann be fahl er ihnen, in ihre Quartiere zurückzukehren und weitere Befehle abzu warten. Schweigend rückten die Kolonnen der Söldner ab. Ich aber mußte erkennen, daß es eine Illusion von mir gewesen war zu glauben, ich wäre nicht entdeckt worden. Wahrscheinlich hatte man mich an Bord des Schiffes mit einem Mentaltaster erfaßt. Jedenfalls verließ kurz nach dem Abrücken der Söldner ein Fluggleiter mit drei schwerbewaffne ten Männern das Schiff, flog auf mein Versteck zu und landete vor der Schleuse. Drei Strahlwaffen wiesen drohend auf mich. Ich trat ins Freie. »Wer bist du?« fragte einer der Männer. »Satago Werbet«, antwortete ich. »Ich kam vor zwei Tagen und zwei Nächten nach Trumschvaar, um mich anwerben zu lassen. Aber ich wurde nur hin und her geschoben. Deshalb versteckte ich mich, um die Entwick lung abzuwarten.« Einer der Männer grinste breit. »Ein kluger Entschluß. Satago«, sagte er. »Was hast du getan, bevor du den Entschluß faßtest, Söldner zu werden?«
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Die Antwort darauf hatte ich mir während der Totenwache zurechtge legt. Sie entsprach meinem festen Willen, an Bord von Sofgarts Raum schiff zu kommen. »Ich war Zweiter Maschineningenieur auf einem Expreßfrachter«, ant wortete ich deshalb. »Aber die Arbeit auf einem Frachter bietet wenig Ab wechslung. Man fliegt immer die gleichen Routen, sieht immer die glei chen Gesichter. Das ist nichts für mich.« Der Mann musterte mich prüfend. »Wir haben in der Nacht mehrere gute Männer verloren und brauchen Ersatz. Wärest du bereit, jeden Posten an Bord von Sofgarts Schiff anzu nehmen, den man dir anbietet?« »Sofort!« sagte ich schnell. »Auf Trumschvaar ist es zu verrückt für mich. Meint ihr denn, daß der Blinde Sofgart mich aufnimmt?« »Wenn du einwandfrei bist, bestimmt«, lautete die Antwort. »Steige ein. Satago!« Ich gehorchte. Der Gleiter brachte mich in rasender Fahret zu jenem Schiff, das ich noch in der Nacht zu erobern versucht hatte. Wieder mußte ich an Tirako und die anderen guten Männer denken, die dabei gestorben waren. Aber stärker als alles andere bewegten mich die Gedanken an Farnathia, die Blume meines Herzens, die man auf Gortavor brutal von mir getrennt hatte und die auf die schreckliche Folterwelt des Blinden Sofgart gebracht werden sollte. Ihr zuliebe wollte ich alle Gefahren und Erniedrigungen auf mich nehmen, die mich an Bord von Sofgarts Raumschiff mit Sicherheit erwarteten. Als der Gleiter in die magnetischen Verankerungsfelder seines Hangars glitt, stieß mich der Anführer der drei Kralasenen unsanft an. »He, du träumst wohl, Satago? Hast wohl irgendwo ein Mädchen zu rückgelassen, was?« »Stimmt«, erwiderte ich kurz angebunden und stieg aus. Der Anführer schaltete sein Armband-Funkgerät ein und sprach mit ei nem Mann namens Vadrakin. Danach nickte er mir zu und erklärte: »Du hast unglaubliches Glück, Satago. Der Blinde Sofgart ist bereit, dich zu prüfen. Allerdings rate ich dir, in seiner Gegenwart nicht mit offe nen Augen zu träumen wie vorhin.« Seine Begleiter lachten. Es störte mich nicht. Sie brachten mich in die Zentrale des großen Schiffes, allerdings nicht, ohne mich vorher gründlich zu durchsuchen. Das störte mich jedoch nicht, da ich vorsichtshalber keine Waffen bei mir trug. Dann stand ich dem berüchtigten Söldnerführer zum erstenmal von An gesicht zu Angesicht gegenüber. Der Blinde Sofgart war unglaublich mager. Praktisch bestand er nur aus
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Haut und Knochen, und die Knochen zeichneten sich deutlich unter der enganliegenden Lederkleidung ab, die er trug. Das Gesicht erinnerte ma kaber an einen mit Leder bespannten Totenschädel, den ich in einem Ku riositätenkabinett auf Gortavor gesehen hatte. Auf dem Kopf trug Sofgart eine abgewetzte, speckige Lederkappe. An seinem rechten Unterarm war eine Strahlwaffe so befestigt, daß er nicht erst ziehen mußte, um auf einen Gegner zu schießen. Das Abstoßendste aber waren die leeren Augenhöhlen und der auf der Stirn befestigte elektronische Sehapparat. Als Sofgart mir den Kopf zu wandte, glaubte ich in den kurzen Trichtern das Glitzern von Linsensyste men zu entdecken. »Du heißt also Satago Werbot und möchtest in meine Söldnertruppe eintreten«, stellte der Blinde Sofgart mit eigenartig heiserer Stimme fest. Ich mußte mich unter Aufbietung aller Willenskraft beherrschen, um diesem Scheusal nicht sofort an die Kehle zu springen. »Ja, Herr«, antwortete ich. »Sehr begeistert klang das aber nicht«, meinte Sofgart ironisch. »Die letzten Ereignisse auf Trumschvaar haben mich etwas erschüttert«, erklärte ich. Sofgart lachte. Es klang wie das heisere Bellen eines Schneeräubers. »So, du bist also ›etwas‹ erschüttert, Satago«, erwiderte er. »Es ist im merhin etwas wert, daß du nicht völlig den Mut verloren hast. Die Meute rer wollten sogar mein Schiff erobern.« Er lachte abermals. »Das ist durchaus verständlich, wenn man bedenkt, daß ihnen die Todesstrafe droh te und daß sie wußten, wie wenig sie sich auf die notdürftig wiederherge stellten vier Wracks verlassen konnten. Dennoch war es eine Narretei, aus gerechnet mein Schiff anzugreifen.« Ich atmete innerlich auf. Dem Blinden Sofgart war ein schwerer Denkfehler unterlaufen, wenn er annahm, der Überfall auf sein Schiff hätte nur den Zweck gehabt, es zur Flucht zu benutzen. Demnach ahnte er nicht, daß Farnathia der Grund ge wesen war. Doch wie sollte er auch! Er wußte ja nicht, daß ausgerechnet der Mann vor ihm stand, den er im Auftrag Orbanaschols jagte und der unsterblich in Farnathia verliebt war. Die nächsten Worte Sofgarts zeigten, daß die Gefahr für mich noch nicht vorbei war. »Man sagte mir, du wärest zusammen mit einem Freund auf Trumsch vaar gelandet«, sagte er lauernd. »Wo ist dieser Freund, Satago?« Ich drehte ratlos die Handflächen nach oben. »Ich weiß es nicht, Herr. Wir sollten zuletzt der Truppe von Soltharius zugeteilt werden. Ich drückte mich davor, da ich von einem Machtkampf
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auf Trumschvaar gehört hatte und nicht in Angelegenheiten verwickelt werden wollte, die ich nicht durchschauen konnte. Sonper Tesslet schien die Sache zu reizen. Er war schon immer ein leichtfertiger Abenteurer. Je denfalls trennte er sich von mir. Seitdem habe ich ihn nicht wieder gese hen und auch nichts mehr von ihm gehört.« »Dein Freund war ein Dummkopf«, meinte Sofgart. »Wahrscheinlich ist er mit anderen Meuterern zusammen umgekommen.« »Oder er ist mit dem entkommenen Schiff geflohen«, warf ich ein. »Niemand kann auf die Dauer vor mir fliehen!« schrie der Blinde Sof gart mich an. »Merke dir das, Satago!« »Ich bin davon überzeugt«, erwiderte ich. Abermals lachte Sofgart. »Das ist gut. Du kannst vorläufig in den Ma schinenräumen arbeiten. Mein Erster Maschineningenieur wird dir deine Aufgabe zuweisen.« Er wandte den Kopf, schien eine Weile zu suchen und befahl dann ei nem der Anwesenden, mich in meine Kabine zu bringen. Ich war froh, als ich die Zentrale verlassen hatte. Viel länger hätte ich es nicht bei diesem Scheusal ausgehalten, ohne die Beherrschung zu verlie ren. Unsere Herzen schlugen unter der gleichen Schiffshülle, dennoch hatten wir uns bisher nicht gesehen. Immerhin war es ein Trost für mich, daß ich Farnathia nahe war. Man hatte mich in einer Dreimannkabine untergebracht, die zur Zeit au ßer mir von nur einem Besatzungsmitglied bewohnt war. Die beiden ande ren Männer waren bei unserem Angriff auf das Schiff getötet worden. Ich hatte meinen Mitbewohner allerdings noch nicht zu Gesicht bekom men, denn man hatte mir nur Zeit gelassen, mich frisch zu machen und ei ne Bordkombination anzuziehen. Danach war ich in den Maschinensektor gebracht worden. Andor Skofol, der Erste Maschineningenieur, musterte mich finster und sagte dann: »Es gibt eben immer wieder Narren. Wie heißt du?« »Satago Werbot«, antwortete ich, ohne auf seine Anspielung einzuge hen. »Satago also«, meinte Skofol. »Was verstehst du von Antriebsaggrega ten?« »Ich kenne ihre Funktionsprinzipien, weiß, wie sie wirken und kann sie bedienen«, antwortete ich ohne falsche Bescheidenheit. »Das ist eine ganze Menge«, erwiderte Skofol. »Kannst du Diplome vorweisen?« »Ich besitze keine«, bekannte ich freimütig. »Aber ich bin bereit, mich prüfen zu lassen. Wenn Sie eine extreme Gefechtssituation simulieren und
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mich den Leitstand übernehmen lassen, werden Sie feststellen, daß ich je der Situation gewachsen bin.« Er grinste höhnisch. »Das klingt reichlich arrogant, mein Junge. Wahrscheinlich bist du ein verarmter Adliger, der sich einbildet, er könnte wieder zu Macht und Reichtum kommen.« »Und wenn es so wäre?« erwiderte ich. Andor Skofol blickte mich drohend an. Ich erwiderte seinen Blick mit kühler Gelassenheit. Dieser Mann war sicher nicht mein Feind, aber ich würde mich weder von ihm noch von einem anderen wie ein Sklave be handeln lassen. Nach einer Weile wich Skofol meinem Blick aus und sagte: »Du wirst vorerst als Prüftechniker für Reaktorpreßfelder arbeiten. Spä ter sehen wir weiter. Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß ich gewissenhafte Arbeit verlange, oder?« Ich nickte. »Stimmt, das hätten Sie nicht besonders zu betonen brauchen, Chef. Darf ich gleich anfangen?« Es sah aus, als wolle er mich zurechtweisen, aber dann zuckte er nur die Schultern und meinte: »Deshalb bist du hier, Satago.« Ich ging wortlos zur Ausrüstungskammer, streifte den gelben Schutzan zug über meine Bordkombination, setzte den blauen Funkhelm auf und stellte die schwere Prüfapparatur auf eine kleine Antigravplattform. Vor dem Kraftwerkssektor angekommen, schaltete ich meine Helm funkanlage ein und sagte: »Prüftechniker Werbot meldet Arbeitsantritt. Ich beginne mit der Mes sung des Formfeldes von Reaktorkammer eins. Bitte, bestätigen!« »Bestätigung«, ertönte Skofols Stimme. Ich öffnete das Panzerschott und betrat die Außenkammer des ersten der insgesamt sechs Fusionsgeneratoren, die kreisförmig um den zentralen, zellenförmig unterteilten Deuteriumtank angeordnet waren. Jeder Genera tor war von den benachbarten Aggregaten durch eine starke Doppelwand aus molekülverdichtetem Arkonit getrennt, und zwischen den Doppelwän den floß stetig ein Strom von Zirkonium, dessen Temperatur sich nahe am absoluten Nullpunkt befand. Als sich das Panzerschott automatisch hinter mir geschlossen hatte, koppelte ich die Prüfapparatur mit dem Sensoranschluß des Generators und schaltete das Gerät ein. Auf den elektronischen Anzeigetafeln erschie nen die Werte für den hochverdichteten Protonenstrom, der je nach Fern schaltung vom Maschinenleitstand aus starker oder schwächer vom Tank zum Generator floß sowie die Werte für das Preßfeld, das den Protonen
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strom formte und von der Wandung des Zuleitungsrohres fernhielt. »Erste Prüfmeldung«, sprach ich in das Mikrophon meines Helmsen ders. »Alle Werte sind normal. Keine Besonderheiten.« »Erste Prüfmeldung bestätigt«, antwortete Skofol. Im nächsten Augenblick schlugen die elektronischen Leuchtbalken auf allen Anzeigetafeln weit aus. Der Protonenstrom schwoll mit rasender Ge schwindigkeit an. Gleichzeitig verstärkte sich die Dichte des Preßfeldes sowohl in der Zuleitung als auch im Generatorkern. »Werte steigen rapide an«, meldete ich. »Generatorkernfeld ist leicht in stabil. Emission von Gammastrahlung überschreitet Grünwerte um drei einhalb Einheiten. Ich bitte um Prüfung der Zentralen Simulationsschal tung.« Niemand antwortete mir. Ich beobachtete gespannt die Emissionsanzeige. Noch war die emittierte harte Gammastrahlung innerhalb des Bereichs, der vom arkonidischen Körper toleriert wurde, aber innerhalb der nächsten Zeiteinheiten würde sie in Rotwerte steigen, wenn die Zentrale Simulationsschaltung nicht vom Maschinenhauptleitstand korrigiert wurde. »Ich stelle Gefahrenstufe zwei fest«, sprach ich in mein Helmmikro phon. »Werden Rotwerte erreicht, desaktiviere ich mit Hilfe der manuellen Sammelschaltung alle Reaktoren.« Im nächsten Augenblick stabilisierte sich das Generatorkernfeld. Im Helmempfänger klang Skofols Stimme auf. »Simulationsschaltung korrigiert«, sagte der Erste Ingenieur. »Du hast gut aufgepaßt und korrekt reagiert, Techniker Satago. Fahre mit der routi nemäßigen Überprüfung fort. Zu deiner Information: Das Schiff ist gestar tet und hat Trumschvaar verlassen. Ende.« »Verstanden, Ende«, erwiderte ich mit belegter Stimme. Eine Weile war ich unfähig, etwas zu tun. Das Schiff war gestartet. Demnach befand es sich auf dem Flug zur Fol terwelt des Blinden Sofgart. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, die Befreiung Farnathias vorzubereiten. Plötzlich wurde mir klar, welche Schwierigkeiten sich dieser Aufgabe an Bord des Raumschiffs entgegenstellten. Ich mußte Farnathia nicht nur aus ihrer Zelle holen, sondern mit ihr zusammen in einem Beiboot fliehen. Das war einfach zuviel für einen einzelnen Mann, der zudem noch fremd an Bord dieses Schiffes war und sicher beobachtet wurde. Dennoch mußte ich es schaffen. Farnathia durfte nicht auf die berüchtigte Folterwelt gebracht und miß handelt werden. Ich absolvierte die restliche Zeit meiner Schicht geistesabwesend und automatenhaft. Immer wieder fragte ich mich, ob Fartuloon ahnte, daß ich
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mich an Bord jenes Raumschiffs befand, das vor kurzem den Planeten Trumschvaar verlassen hatte. Ich wußte es nicht. Doch ich kannte den Bauchaufschneider gut genug, um sicher zu sein, daß er Ankunft und Start von Sofgarts Schiff bemerkt hatte, zumal ja die Ankunft mit einem Knalleffekt in Form der Vernichtung des maahkschen Raumschiffes verbunden gewesen war. Fartuloon würde zumindest die Strukturerschütterungen unserer Transitionen genau registrieren lassen und danach ausrechnen, in welchen Raumsektor das Schiff geflogen war. Vielleicht hatte er sogar einen Verbindungsmann auf Trumschvaar und wußte inzwischen, daß sich Farnathia als Gefangene an Bord von Sofgarts Raumschiff befand. Dann würde er dem Schiff direkt folgen. Aber auf keine dieser Möglichkeiten durfte ich mich verlassen. Ich hatte so zu handeln, als sei ich völlig auf mich allein gestellt. Deshalb nahm ich mir vor, mich nach dem Ende meiner Schicht etwas im Schiff umzusehen. Vordringlich mußte ich in Erfahrung bringen, wo Farnathia gefangengehalten wurde. Vielleicht konnte ich sogar Kontakt mit ihr aufnehmen. Als ich in meine Kabine zurückkehrte, erkannte ich an einigen untrügli chen Anzeichen, daß mein Mitbewohner während meiner Abwesenheit da gewesen war. Er hatte die Kabine jedoch wieder verlassen. Ich störte mich nicht daran, daß er mein Gepäck untersucht hatte. Es be stand ohnehin nur aus einer beschädigten Kralasenenkombination und ei nigen unbedeutenden Ausrüstungsgegenständen. Nachdem ich mir ein Glas Wasser getastet und es hastig geleert hatte, verließ ich die Kabine wieder und begab mich auf die Suche nach dem Gefängnistrakt. Zuerst schlenderte ich scheinbar gelangweilt durch das Mitteldeck, auf dem sich auch die Kommandozentrale befand. Niemand begegnete mir. Das machte mich jedoch nicht leichtsinnig. Ich rechnete damit, daß von der Zentrale aus ständig alle Schiffssektionen über eine Monitoranlage be obachtet wurden. Als ich auf dem Mitteldeck keine Anzeichen dafür entdeckte, daß dort jemand gefangengehalten wurde, fuhr ich mit dem Antigravlift ein Deck tiefer. Doch auch dort gab es offenbar keinen Gefängnistrakt. Erst im dritten Unterdeck stieß ich auf den gesuchten Trakt – und das war bereits das Ende meines Weges. Als ich mich dem Steuerbordsektor des dritten Unterdecks zuwandte, traten mir plötzlich zwei schwerbewaffnete Söldner entgegen. Im Hinter grund erblickte ich einen Kampfroboter. »Was suchst du hier?« fuhr mich einer der Söldner an. Ich tat erstaunt. »Was soll ich schon suchen, Kamerad? Ich sehe mich ein wenig im
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Schiff um. Ich bin neu an Bord und kenne mich noch nicht aus.« »Welcher Sektion bist du zugeteilt?« fragte der Mann weiter. »Der Maschinensektion«, antwortete, ich. »Dann gehst du am besten wieder dorthin zurück«, meinte der Söldner. »Der Zutritt zu diesem Sektor ist streng verboten.« »Aber warum denn?« erkundigte ich mich hartnäckig. »Der Blinde Sofgart hat es angeordnet«, erklärte der andere Söldner. Ich tat, als wäre ich durch diese Antwort erst recht neugierig geworden, schob die beiden Männer ein wenig beiseite und reckte den Hals, um et was mehr zu sehen. Tatsächlich sah ich mehr – aber es war nicht dazu angetan, mich zu er mutigen. An der Biegung, vor der der Kampfroboter stand, flimmerte der Rand eines starken Energiefelds. Demnach war der Gefängnistrakt zusätz lich durch Schutzschirme abgesperrt. »Jetzt reicht es aber!« sagte der erste Söldner energisch. »Dein Verhal ten ist dazu angetan, dich in den Sperrsektor zu bringen. Von dort gäbe es aber nur noch den Weg auf die Folterwelt des Blinden Sofgart.« Ich stellte mich erschrocken und wich zurück. »Die Folterwelt! Bei den flammenden Wolken des Zentrumssektors! Damit will ich nichts zu tun haben. Es interessiert mich nicht im gering sten, was mit dem Sperrsektor los ist.« Der zweite Söldner grinste verstehend. »Jetzt ist dir ganz anders, Kamerad, wie!« Beide Männer lachten schallend, als ich mich eiligst von ihnen entfern te. Ich kehrte in meine Kabine zurück und warf mich mutlos auf mein Pneumobett. Es sah so aus, als sollte ich keine Gelegenheit bekommen, auf dem Schiff Kontakt zu Farnathia aufzunehmen. Gegen Wachtposten, Kampfro boter und Energieschirme hatte ich keinerlei Erfolgsaussichten. Dennoch war ich nicht gewillt. Farnathia in den Krallen des Blinden Sofgart zu lassen. Wenn ich sie nicht hier an Bord befreien konnte, mußte ich versuchen, am Ziel in ihrer Nähe zu bleiben und auf meine Chance zu warten. Mein größtes Plus war immer noch, daß der Blinde Sofgart nicht ahnte, wer ich wirklich war. Ich schlug mit der Faust auf die Bettkante, ohne auf den Schmerz zu achten. Nein, ich würde niemals aufgeben, so wahr ich Atlan hieß! ENDE
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