Der kopflose Rächer
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 147 von Jason Dark, erschienen am 29.06.1993, Titelbild: G. Man...
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Der kopflose Rächer
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 147 von Jason Dark, erschienen am 29.06.1993, Titelbild: G. Mangoni
Einer jagte die Bande der schwarzen Henker wie ein Bluthund die Beute: Richter Jerome T. Harker. Die Bande war schneller. Sie entführte den Richter und köpfte ihn. Doch Harker kehrte zurück. Als Kopfloser und mit einer Machete bewaffnet geisterte er durch London. Und hinterließ eine Blutspur. Harker wurde zu einem Fall für uns. Für Suko und mich entwickelte sich die Jagd auf den kopflosen Rächer zu einem wahren Höllentrip...
Seit Tagen schon lag in Brenda Tradlins Augen der leere Blick der Trauer. Sie konnte den Tod ihres Chefs noch immer nicht fassen. Ein derartig vitaler Mensch, der mitten im Leben gestanden hatte. Dreiundfünfzig Jahre war doch kein Alter. Ihre Arbeit am Gericht würde sie behalten, doch jeder Schritt würde sie in der ersten Zeit an den Verstorbenen erinnern. Brenda dachte daran, Urlaub zu nehmen. Allerdings wäre das jetzt der falsche Zeitpunkt gewesen. Auch im Urlaub hätte sie den Richter nicht vergessen können. Vor seinem Büro blieb sie stehen. Es war ungewöhnlich ruhig. Kein Klappern hochhackiger Absätze, keine Stimmen, nur die abendliche Leere und das kalte Licht der Kugellampen, das sich auf dem glatten Boden spiegelte. Reiß dich zusammen! befahl sie sich. Alles im Leben hat einmal ein Ende. Warum zittere ich denn? Sie lachte nervig über sich selbst, als sie den Arm anhob und so tat, als wollte sie gegen die Bürotür klopfen. Die alte Gewohnheit eben… Das Schild mit dem Namen ihres toten Chefs hing noch immer dort. Die schwarzen Buchstaben hoben sich deutlich vor dem matten Untergrund ab. JEROME T. HARKER Nicht mehr und nicht weniger. Keine Berufsbezeichnung, kein Schnickschnack, aber dieses Schild stimmte. Es gab in seiner Schlichtheit eigentlich das Wesen des Verstorbenen wieder. Die Frau schüttelte sich, als sie die Klinke nach unten drückte. Wie immer klemmte die Tür etwas. Selbst diese Tatsache packte Brenda in die Schublade ihrer Erinnerungen. Sie betrat das Büro. Den Kopf hielt sie gesenkt und schaute auf den graugrünen Teppichboden. Sie war diesen Weg nicht sehr oft gegangen, normalerweise betrat sie das Büro durch die Seitentür des eigentlichen Sekretariats. Heute nicht. Er war ja nicht mehr da. Doch, er war da! Er saß hinter seinem Schreibtisch. Brenda sah ihn im Licht der Lampe überdeutlich. Er trug sein braungraues Jackett, darunter das weiße Hemd mit dem Stehkragen und der korrekt gebundenen Fliege. Seine Arme lagen auf dem Schreibtisch, die Hände waren leicht gekrümmt, als wollten sie den Besucher näherbitten. Es war wie immer. Oder fast wie immer. Nur etwas fehlte bei Jerome T. Harker! Sein Kopf!
Brenda Tradlin schrie, schrie und schrie – bis sie von einer Ohnmacht erlöst wurde und umfiel… ***
Erinnerungen Wie so oft war es ein harter Tag gewesen, und wie so oft hatte sich wieder einmal alles auf den Freitag konzentriert. Dabei hatte sich Jerome T. Harker vorgenommen, einmal pünktlich das Gericht zu verlassen, um in sein Landhaus zu fahren, doch das war ihm wie so oft nicht gelungen. Zusammen mit seiner Sekretärin, Brenda Tradlin, hatte er noch einige Akten durcharbeiten müssen, und beide hatten sich anschließend gefreut, auf den Punkt gestoßen zu sein, der ungemein wichtig war. Sie hatten die Beweise gefunden, jetzt konnten sie einer der gefährlichen Banden Londons etwas ans Zeug flicken und sie zerstören. Der Richter war ein Tüftler, der am Ball blieb, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er wollte nicht an die Kleinen, sondern an die Großen herankommen. Fleißig arbeitete er die Akten durch und bereitete sich sorgfältig auf die Prozesse vor. Die Täter sollten überführt und bestraft werden. Das sollte bei seinem neuen Fall ebenso sein. Es war noch nicht zu einer Anklage gekommen, die Polizei hatte nicht mal zugegriffen, aber sie war dabei, den Chef der schwarzen Henker, Mac Maschke, in eine Falle zu locken. Harker gab ihm nicht mehr als zwei Wochen. Dann konnten die Kollegen zuschlagen. »Fahren Sie noch zu Ihrem Landhaus?« erkundigte sich Brenda, als sie das Gericht verließen. »Ja, das werde ich.« »So allein?« Harker hob die Schultern. »Was wollen Sie machen, Brenda? Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben, das sitzt noch tief, wissen Sie? Jeden Abend muß ich daran denken.« »Verstehe, Sir.« Sie gingen gemeinsam auf den Parkplatz, der um diese Zeit ziemlich leer war. Ein reines Wochenendwetter war es auch nicht. Der Himmel zeigte sich von seiner bedeckten Seite, es würde Regen geben und natürlich Wind, doch das war für Oktober auch normal. Er reichte ihr die Hand. »Ja, Brenda, dann machen Sie es mal gut. Wir sehen uns am Montag.« »Auch Ihnen ein schönes Weekend, Sir. Ich hoffe nur, daß sie sich nicht zuviel Arbeit mitgenommen haben.« »Nein, nein, nur Kleinigkeiten.«
Brenda lächelte noch einmal, drehte sich um und ging davon. Sie ärgerte sich darüber, daß ihr Chef zwar nett und freundlich war, ihrer Ansicht nach hätte er ruhig noch netter sein können, wo seine Frau seit zwei Jahren tot war. Was nicht ist, kann ja noch werden, dachte sie und setzte sich in ihren Wagen. Auch der Richter hatte seinen Jaguar schon gestartet. Er liebte diesen alten Wagen, der bereits eine zweistellige Jahreszahl auf der Karosse hatte. Solange der Wagen noch fuhr, sah Harker keinen Grund, ihn zu verkaufen. Der Moloch London schluckte ihn und seinen flaschengrünen Wagen. Es würde seine Zeit dauern, bis er den abendlichen Verkehr hinter sich gelassen hatte. Um sich zu entspannen, legte er eine Kassette ein. Musik von Vivaldi, die auch seine Frau so gern gehört hatte. Als er an sie dachte, überkam ihn wieder die Erinnerung. Obwohl es schon zwei Jahre her war, setzte sich bei dem Gedanken an sie noch immer ein Kloß in seinem Hals fest, und er spürte auch den Druck hinter seinen Augen. Hinzu kam die Musik, die seine Einsamkeit auch nicht vertrieb und ihm jetzt bewußt machte, in welch einer Leere er sich nach Dienstschluß bewegte. Zudem gefiel es ihm nicht, daß er allein im Wagen saß. Er hätte seine Frau Mary liebend gern neben sich auf dem Sitz gehabt. Zum Glück mußte er sich auf den Verkehr konzentrieren, und die depressive Stimmung verschwand. Die Fahrt führte ihn in südliche Richtung. Sein Wochenendhaus lag nicht direkt an der Küste, sondern im Hügelland davor. Da entging er auch dem Trubel, der sich in Küstennähe ausbreitete, und konnte noch etwas von der Natur genießen. Jenseits der Millionenstadt lichtete sich der Verkehr. Noch brauchte er kein Licht einzuschalten, aber die Wolken zogen sich immer mehr zusammen, und bis zum Einbruch der Dämmerung war es auch nicht mehr lange hin. Manchmal sah er sein Gesicht im Spiegel. Nach dem Tod seiner Frau waren die Falten noch tiefer und die Haare weiß geworden. Er hatte sie kurz geschnitten, sie standen in die Höhe wie das Gras im Garten. Der blaue Wagen war ihm schon vor einiger Zeit aufgefallen. Einem anderen Menschen wäre es kaum passiert, doch Harker hatte sich angewöhnt, auf seine Umgebung zu achten. Auch Richter lebten gefährlich, und er besonders, weil es sich herumgesprochen hatte, daß er vor den großen Fischen keine Angst zeigte. Da ging es ihm wie den italienischen Richtern und Staatsanwälten, die das organisierte Verbrechen bekämpften. Die konnten keinen Schritt mehr ohne Bewachung gehen und schliefen jede Nacht woanders, denn sie befanden sich permanent im Fadenkreuz der Mafia.
Der hellblaue Peugeot blieb in seiner Nähe, aber er fuhr nicht nur hinter ihm her, sondern beschleunigte plötzlich und glitt an den Jaguar heran. Sehr schnell hatte er ihn überholt. Harker sah, daß dieses Fahrzeug mit zwei Männern besetzt war. Viel konnte er von ihnen nicht erkennen. Sie trugen wohl dunkle Jacken, und einer hatte eine flache Mütze auf dem Kopf. Sie wischten an ihm vorbei, aber Harker lächelte kalt. Er war davon überzeugt, daß sie ihn beobachteten. Wenig später zweifelte er an seiner eigenen Meinung, denn der Peugeot beschleunigte und huschte ihm praktisch davon. Er tauchte auch nicht wieder auf. Harker lächelte und nannte sich einen alten Narren. Er sah überall Gespenster, glaubte, daß ihm jeder auf den Fersen war. Die Zeitungsberichte aus Italien hatten ihn auch nervös werden lassen. Seine Kollegen lebten dort mehr als gefährlich. Aber hier war England… Dennoch beschäftigten sich seine Gedanken mit den letzten Fällen. Bei der Bande der schwarzen Henker blieben sie hängen. Angeführt wurde sie von einem Typ namens Mac Maschke. Woher der Knabe gekommen war, wußte niemand so richtig, er gehörte aber zur Spitze in der Unterwelt, und zwar zur aktiven. Mit der Mafia und damit mit ihrem Chef Logan Costello, hatte er nichts zu tun. Dieser Maschke kochte sein eigenes Süppchen, das heißt, er war der Abkocher. Die Bande lebte von Raub, Erpressung und auch von Mord. Sie nahm sich die kleinen Geschäftsleute vor. Da spielte es für die Bande der schwarzen Henker keine Rolle, ob jemand einen Gemüsestand auf dem Wochenmarkt betrieb oder sein Geld als Brötchenbäcker verdiente. Überall trieben sie ihr >Schutzgeld< ein. Wer nicht zahlte, dem ging es bei der ersten Warnung schlecht, bei der zweiten noch schlechter, und eine dritte gab es dann nicht mehr. Da waren die Verweigerer bereits tot. Und dafür mußten Beweise gesammelt werden. So wie es aussah, konnte der Fall bald abgeschlossen werden, und genau auf diesen Prozeß freute sich Jerome T. Harker. Da wollte er der Öffentlichkeit beweisen, wie man diesen Terror stoppte, daß Typen wie Maschke keine Chance hatten. Möglicherweise kam diesem Prozeß auch so etwas wie eine Vorbildfunktion zu. Vielleicht konnte man ihn auf die Mafia übertragen. Nein, es war kein blauer Peugeot mehr zu sehen. Auch dann nicht, als er von der Straße abbog und in den Weg hineinrollte, der hoch zur kleinen Siedlung führte, wo auch er ein Haus besaß. Die Häuser konnte man als bessere Blockhütten bezeichnen, die verstreut und dennoch siedlungsartig plaziert waren. Um jedes Haus war ein mehr oder minder großer parkähnlicher Garten angelegt worden.
Wer im Oktober hinfuhr, mußte schon zu den Enthusiasten gehören. Die meisten Häuser waren bereits winterfest gemacht worden: Sie sahen verlassen aus. Das lag an den heruntergelassenen Rolläden. Längst war es dunkel geworden, und Harker folgte dem Weg der Lichtfülle, die ihn dorthin führte, wo die letzten Häuser standen. Dahinter begann das flache, mit Büschen bewachsene Gelände, das erst am Ufer eines kleinen Sees aufhörte. Im Sommer ein idealer Badeplatz, im Herbst und Winter kahl und leer. Der Nachbar war nicht da. Neben dem Haus stellte Harker seinen Wagen ab, nahm den Koffer und die Aktentasche vom Rücksitz und schloß auf. Er machte Licht. Sofort sah es anders aus. Durch die Bauweise war wenig Holz, dafür viel Glas verwendet worden. Die Frontseite oberhalb der Haustür glich einem großen Fenster. Das Haus bestand praktisch aus einem großen Wohnraum. Die Küche und der Schlafraum waren nur sehr enge Kammern, ebenso wie das Bad mit Dusche, Waschbecken und Toilette. Harker schnüffelte. Im gefiel der Geruch nicht. Die Luft war abgestanden. Er stellte die Koffer ab. Danach inspizierte er sämtliche Räume, lüftete sie auch durch und zeigte sich zufrieden darüber, daß sich niemand für das kleine Domizil interessiert hatte. Er wusch seine Hände, dachte daran, etwas zu essen, aber zuvor wollte ersieh umziehen. Jeans und einen Pullover, das war die Kleidung, die er am Wochenende liebte. In der Mikrowelle machte er sich eine kleine Pizza heiß, trank dazu Mineralwasser. Dazu nahm er an seinem Schreibtisch Platz. Er stand im Wohnraum an einer guten Stelle, denn vom Schreibtisch aus hatte der Richter einen perfekten Überblick. Nicht nur, daß er auf den Fernseher, das Video-Gerät und die Stereoanlage schauen konnte, sein Blick konnte auch nach draußen gleiten, wo er jetzt allerdings nicht viel sehen konnte. Die Finsternis hatte sich über das Gelände gelegt, und die Lampen im Garten hatte er noch nicht eingeschaltet. Die Fernbedienung lag griffbereit. Das Licht hatte er durch den Dimmer zurückgedreht und eine heimelige Atmosphäre geschaffen, die ihn trotzdem nicht zufriedenstellen konnte, wie sie es damals getan hatte, als seine Frau noch am Leben gewesen war. Was da über den Bildschirm flackerte, gefiel ihm zwar nicht, er ließ die Kiste trotzdem laufen und schaltete nur die einzelnen Programme durch, wobei er sich immer wieder über die Werbespots ärgerte, denen er als Zuschauer einfach nicht entwischen konnte. Schließlich erwischte er eine Talkshow. Da redeten die Gäste mit dem Moderator über die Ärgernisse der Welt, ohne allerdings eine Lösung anbieten zu können.
Harker schüttelte immer wieder den Kopf, wenn er sich die Argumente anhörte. Er als Richter hätte dazu etwas anderes sagen können, doch seine Meinung war nicht gefragt. Der Sessel hinter seinem Schreibtisch war bequem. Harker hatte ihn gekippt und die Beine hochgelegt. Mit den Hacken berührte er den Schreibtisch. Die Diskussion wollte kein Ende nehmen, er schaltete weiter, sah kurz in einen alten Schwarzweißfilm hinein, der ihn auch nicht störte, dafür aber das dumpfe Geräusch aus dem Hintergrund. Das war nicht aus den Lautsprechern der Glotze gedrungen. Harker schaltete den Ton ab. Auf der Mattscheibe bewegten sich die Gestalten weiter. Sie wirkten lächerlich ohne Ton, aber das kümmerte ihn nicht, denn über seinen Rücken rann plötzlich eine Gänsehaut. Harker hatte das unbestimmte Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Wieder fiel ihm der blaue Peugeot mit den beiden Männern darin ein. Er stand auf. Im selben Augenblick geschah es. Die Tür im Hintergrund flog auf. Schatten huschten in den Raum, fingen an zu schreien, verteilten sich blitzschnell, und Harker zog unwillkürlich den Kopf ein, als der Typ mit dem flachen Hut vor seinem Schreibtisch zur Ruhe kam und die Mündung eines Schnellfeuergewehr auf ihn richtete. Da wußte der Richter, daß sie ihn hatten! *** Harker blieb ganz ruhig, und er wunderte sich darüber. Kein Laut drang über seine Lippen. Wenn er atmete, dann durch die Nase. Er wurde allmählich blasser. Totenblaß. Harker schaute sich den Kerl an. Der war noch jung, trug eine braune Lederjacke und enge Röhrenjeans. Sein Gesicht wirkte verkniffen, in den Augen stand ein böses Leuchten. Der zweite stand nicht still. Er wanderte durch den großen Raum und hielt den Kopf immer so, daß er den Richter gut im Blick behalten konnte. Der Mann trug einen gut geschnittenen Anzug und darunter einen dünnen schwarzen Pullover mit Rollkragen. Er ging weiter, schaute sich alles an, hatte seine Hände in die Taschen gebohrt, und als er vor der Glotze stehenblieb, tippte er gegen den Bildschirm, bevor er sich langsam umdrehte. »Wäre doch schade, wenn Sie das hier nicht genießen könnten, Richter.« Harker blieb auch weiterhin ruhig. »Was wollen Sie?«
»Gute Frage.« Der andere kam näher. Er war sehr schlank und geschmeidig, hatte ein glattes, ausdrucksloses Gesicht, und sein braunes Haar zeigte einen braven Scheitelschnitt. Der Richter ließ sich nicht täuschen. Er hatte im Laufe der Jahre seine Erfahrungen sammeln können und wußte, daß aus einem derartigen Holz Killer geschnitzt worden waren. Er scheuchte den Mützenträger etwas zur Seite, aber eine Chance bekam Harker trotzdem nicht. Nach wie vor zielte die Mündung des Schnellfeuergewehrs auf ihn, wenn auch jetzt aus einem anderen Winkel. Vor dem Schreibtisch blieb der Schlanke stehen. Beide Männer waren ungefähr gleichgroß und schauten sich über die Platte hinweg in die Augen. Jerome spürte den leichten Schweißfilm auf seinen Handflächen, mehr nicht. Er lauschte auch in sich hinein, um herauszufinden, ob er sich in einer tödlichen Gefahr befand, denn manchmal sagte das Unterbewußtsein mehr als das Bewußtsein, aber noch war nichts zu spüren. Er glaubte nicht, daß sie ihn umbringen wollten. »Ich warte auf eine Antwort.« Der Schlanke nickte. »Ja, kann ich mir denken.« Er schaute sich um. »Nett haben Sie es hier. Ich frage mich, weshalb Sie das hier alles aufs Spiel setzen wollen.« »Wieso?« »Nun ja, Sie kümmern sich um Dinge, die Sie eigentlich nichts angehen, Mister.« »Pardon, aber S ie vergessen meinen Beruf.« »Nein, das tue ich nicht, überhaupt nicht. Ich finde es gut, daß es Leute wie Sie gibt. Schließlich muß die Gesellschaft vor gewissen Parasiten befreit werden.« »Sehr richtig!« lobte Harker. Er hatte so gesprochen, daß der andere wußte, wer damit gemeint war. Der ging nicht darauf ein. »Es gibt so viel Elend in London, Richter. Kümmern Sie sich doch darum!« »Ich bin bereits dabei.« Der Mann wiegte den Kopf. Dabei erschien ein säuerliches Grinsen auf seinen Lippen. »So habe ich das wirklich nicht gemeint. Es wäre besser, wenn Sie einen bestimmten Fall vergessen. Geben Sie ihn ab oder lassen Sie ihn ganz fallen.« »Wovon sprechen Sie?« »Das wissen Sie genau.« »Kann sein.« »Dann brauche ich mehr nicht zu sagen.« »Ich aber auch nicht.« Der Elegante lächelte. »Wie schön für uns. Sie haben sich also entschlossen?«
»Das habe ich.« »Darf ich es erfahren?« »Ich mache weiter!« Er hatte laut gesprochen, um zu unterstreichen, daß er sich nicht einschüchtern lassen wollte. Der Mützenträger hatte bisher nichts gesagt. Plötzlich fing er an zu kichern, wahrscheinlich freute er sich schon auf die Fortsetzung. Sein Kumpan hatte den Kopf gesenkt. Er schaute zum Schreibtisch, wo Schreibutensilien, eine Schere und ein Brieföffner lagen. Danach griff er… Harker sah es. Seine Lippen preßten sich noch mehr zusammen. Der Eindringling hob den Brieföffner. Wie zufällig deutete die Spitze auf den Richter. »Habe ich mich verhört?« »Nein, das haben Sie nicht!« »Okay, dann weiß ich Bescheid. He, Sliccer…« »Komme schon.« Der Mützenträger setzte sich in Bewegung. Harker bewegte nur die Augen, um ihn anschielen zu können. Sliccer beschrieb einen leichten Bogen, und Sekunden später wußte der Richter, wo der Kerl hinwollte, in seinen Rücken nämlich. Der Mann roch nach fremdländischen Gewürzen. Er stieß den Lauf seines Gewehres in Harkers Rücken, der diesen Druck nicht erwartet hatte und deshalb nach vorn fiel. Automatisch stemmte er sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte ab. Darauf hatte der andere nur gewartet. Der Brieföffner beschrieb einen Halbkreis nach oben und dann einen nach unten. Er rammte wuchtig in das Holz der Platte, nur mit dem einen Unterschied, daß ihm die linke Hand des Richters im Weg war, der Öffner glatt hindurchstieß und die Hand an der Platte festnagelte. Zitternd blieb er noch stecken, und beide Eindringlinge warteten auf den Schrei des Richters. Aus Jerome T. Harkers Mund drang kein Laut. Nicht einmal ein Stöhnen war zu hören. Dafür breitete sich eine bedrückende Stille aus. Und noch etwas war unglaublich. Normalerweise hätte aus der Hand eine Blutfontäne schießen müssen. Hier passierte gar nichts. Es sah aus, als wäre der Brieföffner mit seiner Spitze in eine künstliche Hand gerammt, die per Fernlenkung bewegt wurde. »Scheiße!« flüsterte der Elegante. »Ich leg’ ihn um!« kreischte der Mützentyp. »Nein!« Harker aber lächelte. »War was?« fragte er, bevor er seine rechte Hand anhob und sie einen Moment später um den Griff des Brieföffners schloß. Mit einem Ruck zog er den spitzen Gegenstand wieder aus dem Holz, schaute ihn sich an, hob die Schultern und legte den Brieföffner
wieder an seinen Platz zurück. Kein Blut strömte aus der Wunde, doch in der Hand befand sich ein Loch. »O Gott, das ist Wahnsinn!« röchelte der Elegante. Er ging langsam zurück. Er war völlig fertig, so etwas überstieg seinen Horizont, und auch Sliccer bewegte sich von dem Richter fort. Für ihn war ebenfalls eine Welt zusammengebrochen. Nicht für den Richter. Der räusperte sich und fragte mit leiser Stimme: »Ist noch etwas? Gibt es Probleme…?« Seine Stimme troff dabei vor Hohn und Spott. Er erhielt keine Antwort. Sliccer stöhnte vor Wut. Er stand neben dem Eleganten. Die Waffe zitterte, aber er schoß nicht. »Ich warte auf eine Antwort.« »Wir sehen uns noch.« »Nun ja.« Harker lächelte. »Das kann sein. Ich wollte Sie alle vor Gericht haben, und ihr Auftreten hat mich in dieser Meinung bestärkt.« Er hob seine linke Hand. »Manchmal hat man eben Pech«, sagte er. »Bestellen Sie einem gewissen Mac Maschke die besten Grüße. Ich werde ihn mir vor den Richtertisch holen. Mit ihm mache ich den Anfang. Andere werden folgen, bis hin zu Costello…« Die letzten Worte hörten die beiden Verbrecher nicht mehr. Durch die Hintertür waren sie gekommen, durch die Vordertür flüchteten sie nach draußen… *** »Muß das sein?« fragte ich meinen Chef, Sir James. Der nickte. »Ja, es muß sein.« »Aber die spinnt doch, diese Frau!« »Kennen Sie Brenda Tradlin?« »Nein!« »Dann können Sie auch nicht behaupten, daß sie spinnt. Was sie gesehen hat, das hat sie gesehen, darauf besteht sie, und deshalb werden wir uns ihre Geschichte anhören. Immerhin war sie die persönliche Sekretärin des Richters Jerome T. Harker.« »Eines toten Richters.« »Eines geköpften sogar. Und wie Sie vielleicht aus der Presse wissen, ist sein Schädel niemals gefunden worden.« »Dafür sein Körper, wie?« fragte ich mit leisem Spott in der Stimme. »Ja, Brenda sah ihn.« Der Superintendent blieb bei seiner Meinung, der ich allerdings nicht folgen konnte. Für mich war das alles das Hirngespinst einer überdrehten Frau, die einfach zu stark an ihrem Chef gehangen hatte. Daß er zurückkehrte, war wohl ein Wunschtraum von ihr gewesen, der sich im Laufe der Zeit so fest in ihr manifestiert hatte, daß sie sich meiner
Ansicht nach die Erscheinung ihres Chefs eingebildet hatte. Er sollte als Kopfloser hinter dem Schreibtisch gesessen haben, was mir nicht in den Schädel wollte. Aber Brenda Tradlin war bei ihrer Meinung geblieben, und sie hatte, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fall aufzuklären. Somit war sie zu Sir James gelangt, unterstützt von hohen Justizbeamten, bei denen auch mein Chef passen mußte, wenn er um etwas gebeten wurde. Wir erwarteten Brenda um die Mittagszeit. Ich hockte in Sir James’ Büro, hatte mir aus dem Sekretariat Kaffee mitgenommen und wartete ebenso auf die Frau wie mein Gegenüber. Endlich meldete uns Glenda Perkins Brendas Ankunft. Wenig später erhoben wir uns, um Brenda Tradlin zu begrüßen. Sie hatte das sichere Auftreten einer Karrierefrau, war etwa vierzig, war bekleidet mit einem grauen Tweedkostüm, zu dem der rote Pullover einen Farbkontrast bildete. Das blonde Haar umgab ihr Gesicht in hohen, dichten Wellen. Es war halblang geschnitten und endete im Nacken. Sie trug eine Brille mit ebenfalls rotem Gestell und hatte die Lippen blaß geschminkt. Hinter den Brillengläsern schauten uns hellwache Augen an. Daß sie nervös war, konnte sie nicht verhehlen, denn sie spielte permanent mit dem Bügel der Handtasche. »Ich bin ja so froh, daß Sie Zeit für mich gefunden haben, Sir James. Sie glauben gar nicht, welchen Mut mir das gibt.« Die Worte richtete sie nach der Begrüßung an meinen Chef und kümmerte sich dann um mich. »Sie müssen John Sinclair sein.« Da ich stand, sagte ich: »Sogar in Lebensgröße.« »Sehr witzig.« Ich hob die Schultern und nahm wieder Platz. Auch Brenda Tradlin setzte sich. Sie schlug die Beine übereinander, streifte den Rock nach unten und nickte uns zu. »Ich kann mir vorstellen, was Sie über mich gedacht haben, aber vergessen Sie alle Vorurteile. Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. Ich bin keine verrückte Spinnerin. Mein Chef hat, als ich das Büro betrat, an seinem alten Stammplatz hinter dem Schreibtisch gesessen. Daran gibt es nichts zu rütteln, da können Sie auch sagen, was Sie wollen, meine Herren.« »Wir haben nichts gesagt.« »Ich kann mir vorstellen, was Sie denken, Sir James.« »Sie sind ohnmächtig geworden?« fragte ich. Brenda Tradlin drehte sich nach links, um mich anschauen zu können. »Ja, ich bin gefallen. Zum Glück auf den Teppich und nicht gegen die Wand. Ich habe es recht gut überstanden.« »Wie war das dann, als sie wieder erwachten?« »Da gab es den Richter nicht mehr.« »Er war also weg!«
Sie lächelte süffisant. »Das sagte ich Ihnen bereits, Mr. Sinclair. Er war nicht mehr da.« »Aber zuvor?« Ihre Augen funkelten. »Kann es sein, daß Sie mir nicht glauben, Mr. Sinclair?« Sir James stand mir bei. »Das ist nicht entscheidend. Wir müssen uns nur absichern und die Wahrheit herauskriegen.« »Ja, ich weiß. Ich kenne den Job, ich mache ihn lange genug, wenn auch auf einem etwas anderen Gebiet. Was Sie mich hier jetzt fragen, das können Sie sich sparen. Da brauchen Sie nur in den Aussageprotokollen nachschauen.« Sie klopfte mit der flachen Hand auf die Lehne. »Ich will, daß Sie den Fall bearbeiten, und zwar von dem Zeitpunkt an, wo ich den kopflosen Jerome T. Harker hinter seinem Schreibtisch habe sitzen sehen.« Sir James nickte mir zu, ein Zeichen, daß ich mich mit dieser energischen Person herumschlagen sollte, und ich kniff auch nicht. »Mrs. Tradlin«, sagte ich, »lassen wir mal Ihre schreckliche Entdeckung zunächst beiseite, sondern kümmern wir uns um die Zeit, als der Richter noch gelebt hat.« »Warum das denn?« »Lassen Sie mich ausreden.« »Ja – schon gut«, erwiderte sie etwas unwillig. »Der Richter war hier in London ein sehr bekannter Mann. Er galt als ein aufrechter, unbestechlicher Mensch, der zudem mit einem Auge nach Italien schielte, wo man versucht, der Mafia Herr zu werden. Das war auch das Ziel seiner Arbeit.« »Nicht nur das!« korrigierte sie mich. »Er wollte von unten anfangen und sich weiter hocharbeiten, aber er starb.« »Durch wen?« Brenda Tradlin verzog den Mund. »Ihre Kollegen haben es leider nicht geschafft, den Mörder zu finden, obwohl ich ihn kenne. Ich weiß, daß er die Bande der schwarzen Henker gejagt hat, an deren Spitze ein Mann namens Mac Maschke steht.« Ich hatte von dieser Bande am Rande gehört und wußte, daß ihr Gebiet die Erpressung war. Das fiel nicht in meinen Bereich, doch in diesem Fall mußte ich mich darum kümmern. »Maschke ist noch frei«, sagte Sir James. »So ist es leider.« »Kommen wir noch einmal auf Sie zurück«, sagte ich, »denn das erscheint mir wichtig.« »Was habe ich damit zu tun?« »Nun, es geht mir um Ihr Verhältnis zu Richter Harker.«
Brenda Tradlin sah aus, als wollte sie von ihrem Stuhl in die Höhe schnellen. »Was erlauben Sie sich! Ich hatte kein Verhältnis mit dem Richter, obwohl er seit zwei Jahren Witwer war.« »So habe ich es nicht gemeint. Ich denke mehr an das berufliche Verhältnis.« »Das ist etwas anderes.« »Schön, wenn Sie es so sehen. Auch ich habe eine Sekretärin, mit der ich schon lange zusammenarbeite. Da ergibt sich ein vertrauensvolles Verhältnis, und ich glaube, daß es bei Ihnen auch nicht viel anders gewesen ist.« »Stimmt.« »Sie haben sehr an Ihrem Chef gehangen?« »Stimmt auch.« »Sie waren sehr traurig, als er starb.« »Das brauche ich nicht besonders zu betonen.« »Und Sie haben auch nach seinem Tod oft an ihn gedacht?« »Natürlich.« »Sehr oft?« »Was soll das?« Hinter den Brillengläsern verengten sich ihre Augen. »Bitte, Mrs. Tradlin, beantworten Sie meine Frage.« Die Frau senkte den Kopf. »Ja, ich habe oft an ihn gedacht.« Die flachen Hände strichen über das Leder der Handtasche wie über die Haut eines Menschen. »Vielleicht sogar viel zu oft, tagsüber, wenn ich im Büro saß, aber auch in der Nacht, weil ich nicht schlafen konnte. Er wollte mir einfach nicht aus dem Kopf.« »Sie haben auch getrauert?« »Das gehört dazu!« erwiderte sie mit einer wesentlich fester klingenden Stimme. »Und Sie haben sich gewünscht, daß Richter Harker wieder zurückkommen würde.« Diesmal schwieg sie. Dafür traf mich ihr lauernder Blick. »Worauf, Mr. Sinclair, wollen Sie hinaus?« »Nur auf eine Beantwortung der Frage.« »Wollen Sie meine Seele durchleuchten. Spielen Sie jetzt hier den großen Psychologen?« »Mit Verlaub gesagt, dazu wäre ich nicht in der Lage. Ich möchte von Ihnen nur eine Bestätigung meiner Theorie haben. Ist das zuviel verlangt?« »Nein, ist es nicht. Ja, ich habe an ihn gedacht, verdammt noch mal. Ich habe mir auch gewünscht, daß er noch am Leben ist, und ich kann in diesem Wunsch nichts Unnormales sehen. Ich war auch, das gebe ich ebenfalls zu, verliebt in ihn. Hätte er mich gefragt, ob ich mit ihm zusammenziehen wollte, ich hätte nicht nein gesagt. Aber zwischen uns beiden ist es niemals zu irgendwelchen Zärtlichkeiten gekommen, wir
haben auch nie ein Wort über das Thema verloren. Zudem kannte ich seine Frau und hatte zu ihr ein gutes Verhältnis.« »Das wollte ich nur wissen, danke.« Brenda Tradlin lachte auf. »Ist das alles? Kann ich jetzt aufstehen und gehen?« »Nein, sicherlich nicht. Es ist erst der Anfang, auf den Kern wollte ich noch kommen.« »Da bin ich gespannt.« »Gut, ich habe Informationen und kann mir sogar vorstellen, daß Sie sich immer gewünscht haben, ihn noch einmal zu sehen.« Sie wollte etwas sagen, doch ich redete schnell weiter. »Dieser Wunsch festigte sich von Tag zu Tag, er steigerte sich zu einer Manie, zu einer Halluzination. Sie sahen ihn dann, obwohl er überhaupt nicht vorhanden war. Es war ihr Wunschbild, das Sie hinter dem Schreibtisch haben sitzen sehen.« Da hatte ich ihr verdammt viel zugemutet. Sie schnellte in die Höhe, hochrot im Gesicht, fuhr mich an wie eine Furie. »Hören Sie auf, verdammt noch mal, hören Sie mit diesen verrückten Spekulationen endlich auf, Sinclair!« Ich schwieg, auch Sir James sagte nichts. Deshalb hörten wir auch ihr lautes Atmen. »Das ist eine Unverschämtheit. Ich brauche mir so etwas nicht anzuhören. Was ich gesehen habe, Sinclair, das habe ich mir nicht eingebildet, auch wenn Sie sich dabei auf den Kopf stellen. Das ist echt gewesen, verdammt noch mal.« Bei jedem zweiten Wort zuckte ihr ausgestreckter Zeigefinger vor und zurück, und jedesmal war ich das Ziel. »Haben Sie mich verstanden?« »Ja, Sie redeten laut genug.« Mit einem wütenden Schnaufen fuhr sie herum, und jetzt kam Sir James an die Reihe. »Mit wem, zum Teufel, haben Sie mich da eigentlich zusammengebracht? Soll dieser Mensch Ihr bester Mann sein? Wenn das so ist, dann möchte ich mal sehen, wie die schlechten sind.« Der Superintendent war ein höflicher Mensch Damen gegenüber. Aber diese Frau hatte es tatsächlich geschafft, die Schale zu durchbrechen und ihn zu verärgern. Sir James rückte seine Brille zurecht. Dabei legte er die Stirn in Falten. »Hören Sie mir bitte für einen Augenblick zu, Mrs. Tradlin. Ich kann Ihre Erregung durchaus verstehen. Ihre Kritik an meinen Leuten kann ich trotzdem nicht unterstützen. Sie ist erstens unsachlich und stimmt zum zweiten überhaupt nicht. Was Mr. Sinclair geleistet hat, steht hier nicht zur Debatte, aber wenn es jemand schafft, Ihr Problem aufzuklären, dann er. Noch etwas. Ich stehe voll und ganz hinter seinen an Sie gestellten Fragen. Gerade Sie sollten wissen, daß zur Aufklärung eines Falles eine gründliche Recherche gehört. Die genau hat Mr. Sinclair durch seine Fragen eingeleitet.« »Nein, nein, er hat an meinen Aussagen gezweifelt.«
»Stimmt. Ich habe ebenfalls daran gezweifelt. Solange nichts bewiesen ist, werde ich auch weiterhin daran zweifeln. Erst wenn einer von uns Ihrem ehemaligen Chef gegenübersteht, können wir Ihnen voll und ganz zustimmen.« Sir James hatte die Frau noch immer nicht überzeugt. Ziemlich wütend schaute sie von ihm zu mir. »Ich bleibe bei meiner Meinung, und ich nehme nichts von dem zurück. Ich habe meinen ehemaligen Chef gesehen. Es ist mein Pech gewesen, daß ich in Ohnmacht fiel. Sollte mir das gleiche noch einmal widerfahren, so schwöre ich Ihnen, daß ich dann nicht mehr ohnmächtig werde. Eine Frage habe ich dann noch. Werden Sie den Fall übernehmen, oder muß ich mich an eine andere Institution wenden?« Sir James antwortete. »Abgesehen davon, daß wir Sie unterstützen werden, an welche Institution dachten Sie denn da?« »Ich weiß es noch nicht genau. Sie könnte jedoch einige Etagen über der Ihren liegen. Sie wissen sicherlieh, daß der Richter ein sehr bekannter Mann mit den allerbesten Beziehungen zum Ministerium gewesen ist.« »Das ist uns bekannt«, erklärte Sir James. »Wenn ich mich nicht zu sehr täusche, hat man Sie doch an uns verwiesen, als sie dort um Rat nachfragten.« Dieser Satz hatte gesessen, und die Selbstsicherheit der Frau geknackt. Sie schaute zu Boden. »Stimmt«, gab sie kleinlaut zu. »Falls Sie noch Fragen haben, Sie wissen ja, wo ich wohne und Sie sich hinwenden können.« Mit einem Nicken verabschiedete sie sich von uns beiden und ging auf die Tür zu. »Au Backe«, sagte ich leise. »Das ist ja eine gewesen. Mit der möchte ich nicht einen Tag verheiratet sein.« Sir James lächelte. »Da sehen Sie mal, was Ihnen entgangen ist, John.« »Oder wie gut ich es habe.« »Auch das.« Ich setzte mich bequemer hin. »Und was halten Sie von diesem Fall, wenn ich mal fragen darf?« Sir James spielte mit einem Kugelschreiber. »Tja, das ist natürlich nicht einfach…« »Kann es stimmen?« »Das fragen gerade Sie mich, John? Ich bitte Sie.« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind doch der Fachmann. Möglich ist alles, davon wollen wir mal ausgehen. Ich habe natürlich noch Erkundigungen eingezogen und muß Ihnen sagen, daß der Richter normal begraben wurde.« »In diesem Fall heißt das kopflos – oder?« »So makaber es sich anhört, aber Sie haben recht, John.« »Und der Kopf wurde nie gefunden?« »Nein.«
»Auch nicht bei der Leiche?« »Leider nicht. Sie lag auf einer Müllhalde. Die Kollegen sind allerdings der Ansicht, daß diese Halde nicht der Ort seines Todes ist.« »Okay. Wo fange ich an?« »Gute Frage, wobei es nur ein Problem gibt. Der Körper des Richters ist wieder aufgetaucht. Stellt sich natürlich das Problem, ob er als kopflose Leiche sein Grab verlassen hat…« Ich strich über meinen Hals. »Das ist schwer vorstellbar.« »Für mich auch. Wenn wir uns um den Fall kümmern, müssen wir alles in Betracht ziehen.« »Sie denken an eine Exhumierung?« »Das wäre eine Möglichkeit.« Ich nickte. »Ja, später vielleicht. Zuvor aber möchte ich meine Ermittlungen ohne die Öffnung des Grabs vorantreiben.« »Sehr gut, John. Wie ich Sie kenne, haben Sie bereits eine Idee.« »Klar. Ich ziehe sie zusammen mit Suko durch.« Mein Lächeln fiel breit aus. »Wir können natürlich nicht alle Fälle durchgehen, um die sich der Richter gekümmert hat. Er war als Gesetzesmann beliebt, in der Unterwelt jedoch gefürchtet. Dort hat man gejubelt, als er gestorben war. Ich kann mir vorstellen, daß einer aus diesem Kreis ein besonderes Interesse daran gehabt hat.« »Mac Maschke?« »So ist es.« Sir James lächelte. »Ich dachte ähnlich wie Sie und habe mir bereits vor dieser Unterhaltung die entsprechenden Unterlagen über ihn kommen lassen.« Sir James hob einen Schnellhefter hoch und ließ ihn wieder fallen. »Er ist nicht sehr dünn, John, daran sehen Sie, daß diese Bande der schwarzen Henker einiges auf dem Kerbholz hat.« »Warum schwarze Henker?« »So nennen sie sich. So treten sie auf, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie sind vor allen Dingen in den Vierteln mit hohem Ausländeranteil aktiv. Sie kassieren von jedem Geschäftsmann, auch von Privatleuten, und ich habe mir sagen lassen, daß einige Morde auf ihr Konto gehen. Nur haben wir nichts beweisen können.« »Und dieser Maschke?« Sir James lachte. »Ist ein Biedermann nach außen hin. Er betreibt einen Frisör-Salon. Geht seinem Job tagtäglich nach, zieht die große Schau ab, was nicht ungesetzlich ist.« Sir James schaute mich prüfend an. »Wäre es nicht an der Zeit, John, wenn Sie mal wieder zum Frisör gehen? Ihr Haar ist im Nacken schon ziemlichMang.« Ich strich über meine Wolle. »Keine schlechte Idee. Bei meinem wertvollsten Stück möchte ich mich aber gern vom Chef persönlich bedienen lassen.« »Versuchen Sie es.«
»Und wer kümmert sich um die nette Dame?« Sir James begriff nicht. »Wieso? Muß das jemand? Haben Sie einen besonderen Grund?« »Nein, das nicht, aber ich habe einfach nur eins und eins addiert. Sollten die Aussagen dieser Lady zutreffen, dann kann ich mir durchaus vorstellen, daß ihr der Kopflose noch einmal erscheint.« »Aha.« Sir James schmunzelte. »Darf ich fragen, was Sie noch denken, John?« »Gut erkannt. Ich gehe weiterhin davon aus, daß alles stimmt, was uns Brenda Tradlin gesagt hat. Dann müßte der Richter, falls er noch existiert, damit anfangen, sich zu rächen. Oder das zu erledigen, was er in seinem alten Job nicht geschafft hat, weil ihn die entsprechenden Gesetze daran hinderten.« »Sie denken an eine blutige Rachetour.« »Genau an die. Ich hoffe, daß sehr bald einige Banden etwas dezimiert werden. Wir sollten uns die eingehenden Mordmeldungen besonders gut anschauen, denke ich.« »Ja, das meine ich auch.« Ich stand auf. Sir James gab mir noch die Unterlagen. Mit ihnen unter dem Arm, marschierte ich wieder zurück in mein Büro, wo Glenda mich lachend im Vorzimmer empfing. »Mein lieber John, diese Brenda Tradlin ist aber eine gewesen.« »Wieso?« »Ich habe sie nur kurz erlebt, doch das hat mir gereicht. Die hat Haare auf den Zähnen.« »Und nicht nur da«, sagte Suko, der grinsend in der offenen Tür erschienen war. »Ja, ich habe schon zu ihm gesagt, wie glücklich ihr euch schätzen könnt, mich als Sekretärin zu haben.« Ich verbeugte mich vor ihr. »Wir werden dir auch ewig dankbar sein, liebe Glenda.« »Oh, nicht nötig.« »Was hat es denn gegeben?« fragte Suko. »Erzähle ich dir im Büro.« Ich deutete auf die Tür. »Darf ich auch mitkommen?« fragte Glenda. »Klar, aber nicht ohne Kaffee.« »Und mit einem Sandwich, John, den haben wir dir nämlich aus der Pause mitgebracht. Da siehst du mal, wie wir wieder an dich denken.« »Ja«, sagte ich, »da bin ich platt…« ***
Erinnerungen
Sie waren in der Nacht gekommen, hatten ihn im Schlaf überrascht und ihn gefesselt. Seine Handgelenke waren ebenso mit dünnem Blumendraht umwickelt worden wie die Fußgelenke. Das ließ sich noch ertragen, aber die Schlinge um seinem Hals war viel schlimmer. Sie schnitt in die Haut hinein, so daß er Mühe hatte, Luft zu bekommen. Zu viert waren sie, und sie hatten sich einen großen Wagen ausgesucht, in dem fünf Personen Platz hatten. So saß der Richter gefesselt zwischen zwei Typen im Fond, und es war die Bande der schwarzen Henker, die ihn aus dem Schlaf geholt hatte. Sie trugen Lederjacken mit der entsprechenden Aufschrift auf dem Rücken, und in ihren Gesichtern stand die absolute Mordlust. Sie würden ihn nicht mehr entkommen lassen. Er hatte sich auch nicht gewehrt, nein, den Gefallen wollte er ihnen nicht tun. Er hatte alles schicksalergeben mit sich geschehen lassen, im Vertrauen auf seine Stärke, über die nur er selbst richtig Bescheid wußte. Es waren die Stunden zwischen ein und vier Uhr morgens, wo die große Stadt London zwar nicht schlief, der Moloch jedoch sein Maul geöffnet hatte, um auszuatmen und sich auf die Hektik des nächsten Tages vorzubereiten. Da war es ruhig, da hatte man Platz^und im Gebiet des alten Hafens herrschte ebenfalls so gut wie kein Betrieb. Erst hatte Harker damit gerechnet, daß sie ihn in ein Hafenbecken werfen würden, doch sie fuhren in eine andere Richtung, weg von den Kais und dort hinein, wo sich die Industrieanlagen befanden, und auch die Gleise der Hafenbahn das Gelände durchschnitten. Harker saß zwischen den Typen und hatte den Kopf nach hinten gedrückt. Er berührte die Rückenstütze, hielt die Augen offen, schaute gegen den Wagenhimmel, lauschte dem leisen Motor des Sechszylinders und sah hin und wieder die Reflexe der wenigen Lichter geisterhaft durch das Wageninnere huschen. Mit seinen beiden Körperseiten berührte er die Kerle neben sich. Hin und wieder scheuerte und knarrte das Leder ihrer Jacken. Er nahm auch den fremden Geruch auf, der ihn störte. Sie rochen nach Gewalt, nach Schweiß, alter Kleidung und nach Gewürzen. Nein, das war niemals seine Welt gewesen. Sie würde es auch nie werden, auch später nicht… Er lächelte, als er daran dachte. Sie wußten nichts, nur er war informiert. Und er würde ihnen beweisen, wie man es anstellte, die Verbrechersyndikate zu zerschlagen. Leider hatte er davon zu spät erfahren, sonst hätte es schon einige Verbrecher weniger in London gegeben. Die Gegend veränderte noch stärker ihr Gesicht. Die Finsternis nahm zu, immer weniger Lichter dienten als Orientierungspunkte. Mauern sahen
aus wie drohende Schatten, und auch die hohen Fabrikgebäude machten einen nahezu gefährlichen Eindruck, wenn sie in ihrem Schatten daran entlangfuhren. Es war eben eine andere, eine düstere Welt, in die der Richter kaum hineingeraten war. Hin und wieder sah er einen Kran wie ein urweltliches Ungeheuer über ihm hochragen. Ein starrer Arm, der jeden Augenblick nach unten fallen und den fahrenden Wagen mit einem wuchtigen Schlag zerschmettern konnte. Dazu kam es nie. Dafür wurde die Strecke schlechter. Der Fahrer dachte nicht im Traum daran, den Schlaglöchern auszuweichen. Er fuhr voll hindurch. Die Schläge wurden nicht hundertprozentig abgefedert, sie erwischten auch die im Wagen sitzenden Männer, was den Killern nichts ausmachte. Mit jedem Rucken bohrte sich der Draht noch tiefer in seinen Hals. Blut sickerte aus einer dünnen Wunde. Er lächelte, als er daran dachte, daß aus dieser kleinen Wunde Blut floß und aus seiner Hand damals keines geströmt war. Es würde auch keines aus der Brust strömen, erst am Hals begann er, normal zu werden. Der rechts von ihm Sitzende sprach ihn an. »Du brauchst nicht mehr lange zu leiden, Richter, wir sind gleich da.« »Ja, wie schön.« Beide Typen neben ihm lachten, als sie die krächzenden Worte gehört hatten. Einer meinte sogar: »Der scheint sich auf seinen Tod zu freuen, dieser Scheißer.« Wie recht du doch hast, dachte Harker, wie recht… »Ich habe noch nie einen Richter umgelegt, weißt du?« Harker schwieg. Der andere sprach weiter. »Und wenn du deinen dummen Kopf verlierst, werde ich lachen und Beifall klatschen, darauf kannst du dich verlassen. Du hast schon zu viele von uns auf dem Gewissen. Am liebsten würde ich dich mit meinem Messer zersäbeln.« »Halt dein Maul!« meldete sich der Mann auf dem Beifahrersitz. Er war der Boß dieser Gruppe. Schweigen breitete sich aus. Jerome T. Harker schielte aus dem Fenster und erkannte, daß an der linken Seite zwei stählerne Schlangen über den Boden führten. Es waren die Gleise der Hafenbahn, zudem näherten sie sich einem Gebiet, in dem auch in der Nacht gearbeitet wurde. Sie sahen das als helle Insel in der Dunkelheit. Soviel Harker erkennen konnte, führten die Schienen der Hafenbahn direkt auf dieses Gebiet zu. Wenig später hielten sie an und mußten allesamt an der rechten Seite aussteigen, weil das Fahrzeug an der anderen zu dicht an einer Mauer geparkt stand.
Zwei Männer zerrten den Richter aus dem Wagen. Er konnte nicht allein stehen, mußte auch weiterhin gestützt werden und wurde so herumgedreht, daß sein Blick auf den matt schimmernden Schienenstrang fiel, der nur wenige Yards von ihm entfernt durch die Dunkelheit führte. Harker wußte es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen, doch er glaubte fest daran, daß dieser Schienenstrang in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Erscheinen hier stand. Fuhr hier eine Bahn? Bisher hatte er noch nichts davon gesehen, doch er wurde mißtrauisch, als der Beifahrer auf die Uhr schaute und den beiden Männern zunickte, die Harker hielten. »Jetzt wirst du was erleben, Richterlein.« Sie zerrten ihn vor. Seine gefesselten Füße schleiften über den Boden. Er stolperte über Steine und Buckel hinweg, er stieß sich auch die Knöchel, was er kaum wahrnahm, denn dicht vor dem Gleis drückten ihn die Hände nach unten. Das Gewicht verlagerte sich auf seinen Rücken, er kam dagegen nicht an und gab nach. Sie legten ihn auf den Boden. Ein Fuß preßte ihn auf den Boden. Er spürte den Dreck an den Lippen, er roch das Öl und den Rost, und er kam sich gedemütigt vor. Aber Harker wußte auch, daß andere Zeiten kommen würden. Zeiten nach den normalen Zeiten. Sie sprachen miteinander. Sie verglichen die Uhrzeiten, und der Anführer gab den entsprechenden Befehl. »Legt ihn auf die Schienen!« Das ließen sich die Hundesöhne nicht zweimal sagen. Der Richter wurde, mit dem Gesicht nach unten, über den Boden geschleift. Auf den Schienen ließen sie los. Genau dort, wo der Draht in die dünne Halshaut hineinschnitt, spürte der Richter die Kälte der Schiene. Sein Kopf war nach vorn gedrückt worden, mit der Stirn berührte Harker eine schmutzige Schwelle. Da wußte er, was sie mit ihm vorhatten und wie er sterben sollte. »Noch drei Minuten!« »Wird er pünktlich sein?« »Das ist er meistens.« »Und der Lokführer?« »Wird ihn nicht sehen, denn die Maschine schiebt die Wagen.« »Erstklassig.« »Ja, meine ich auch.« Einer lachte. »Wenn ich mir vorstelle, daß ich dort liegen würde, ich würde schreien.« »Sicher, ich auch.« »Warum sagt er denn nichts?« »Will wohl den harten Mann spielen.«
»Mal sehen.« Harker hörte Schritte, die erst dicht neben ihm verstummten. Jemand schlug gegen seinen Kopf. »He, Richter, willst du uns den harten Mann vorspielen? Wir haben eigentlich gedacht, daß du jaulst und schreist…« Er schwieg. »Der redet nicht mit uns.« »Dann tritt ihm doch in den Arsch.« »Mach’ ich auch!« »Nein!« Der Anführer hatte gesprochen. »Ihr werdet euch in den Wagen setzen, und zwar sofort.« »Fahren wir schon?« »Ja, in Deckung.« Harker blieb liegen. Er hörte die Tritte, doch er wagte es nicht, sich zu bewegen. Einer blieb zurück. Als der Motor ansprang, spürte Harker die Berührung. Es war der Anführer, der ihm klarmachte, daß er bei ihm bleiben würde. »Nicht daß du auf krumme Gedanken kommst, mein Lieber.« »Wieso denn?« »Du weißt schon.« Jerome T. Harker sagte nichts mehr. Ein anderes Geräusch hatte ihn abgelenkt. Wahrscheinlich war es nur deshalb zu hören, weil er auf den Schienen lag, ein leichtes Vibrieren und fernes Singen, das immer dann entstand, wenn sich ein Zug näherte. »Er kommt!« erklärte ihm die Stimme. »Ich weiß es.« »Willst du noch beten, Richter?« »Was ist das, beten?« Der Kerl lachte. »Gut gesprochen, wirklich. Was ist das schon? Ich halte davon auch nichts. Nicht mal eine Minute wird vergehen, und du kannst dem Teufel die Hand schütteln.« »Darauf freue ich mich.« »Tatsächlich?« »Und ob.« »Na dann, warten wir mal ab.« Der Sprecher trat zurück. »Ich jedenfalls wünsche dir eine gute Höllenfahrt.« »Wir sehen uns noch!« Mit allem hatte der Gangster gerechnet, mit dieser Antwort allerdings nicht. Er zeigte sich dementsprechend irritiert, was sich darin ausdrückte, daß er die Worte für eine Erwiderung nicht fand. Wie konnte jemand kurz vor seinem Tod noch so reden? Er hatte darüber lachen wollen, was ihm nicht gelang, statt dessen rann ein Frösteln über seinen Rücken, und er spürte, daß ihm diese gefesselte Gestalt Furcht einjagte. Dann wurde er von den Geräuschen des heranfahrenden Zugs abgelenkt. Er schaute nach rechts, denn von dort näherte sich das
drohende Ungetüm wie ein schnell und wuchtig dahingleitender Schatten mit schwachen Lampen. Der Güterzug wirkte wie ein Rammbock, den niemand aufhalten konnte. Auch der Gangster ging zurück. Er befand sich noch in der Bewegung, als erden Richter lachen hörte. Dieser Mann schien sich auf seinen Tod regelrecht zu freuen. Zuerst war der Wind da. Anschließend der Waggon. Ein dunkles Ungetüm auf Rädern, das über das Hindernis hinwegrollte. Andere Wagen folgten, das aber sah der Mann nicht mehr. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und war dorthin gelaufen, wo seine Kumpane im Auto auf ihn warteten. Wuchtig riß er die Tür auf und warf sich auf den Beifahrersitz. »Und?« fragte der Fahrer. »Alles okay.« Der Mann hinter dem Lenkrad startete. Er und die anderen beiden hörten die Bemerkung ihres Anführers. »Es ist nicht zu glauben, aber der Richter scheint sich sogar auf seinen Tod gefreut zu haben.« »Wieso?« »Er hat gelacht.« Im Fond lachte auch jemand. »Klar, hätte ich an seiner Stelle auch. Es ist doch besser zu sterben, als mit uns im Streit zu liegen…« *** Brenda Tradlin gehörte zu den Menschen, die sich aufregen konnten. Das hatte sie wieder einmal in ihrer Unterhaltung mit den beiden YardBeamten bewiesen. Ob sie ihr alles geglaubt hatten oder nicht, war jetzt zweitrangig, für sie zählte nur, daß Sinclair etwas tat, und das so schnell wie möglich. Auf der einen Seite ärgerte sie sich, denn sie hatte vergessen zu erzählen, daß auch sie bedroht worden war. Und zwar durch Anrufe, die sich in der letzten Zeit gehäuft hatten. Der oder die Mörder des Richters mußten genau gewußt haben, daß sie zu den Eingeweihten gehörte. Wahrscheinlich hatten sie Furcht davor, daß sie ihr Wissen hätte weitergeben können. Bisher war noch nichts geschehen, sie fragte sich allerdings, ob das so bleiben würde. Ihr war auch der Gedanke an einen Polizeischutz gekommen. Den hatte sie schnell wieder verworfen, denn sie hätte erklären müssen, daß sie sich in einer Gefahr befand, und das wäre ihr schwergefallen. Auf einen Verdacht hin wurden keine Leute abgestellt, die woanders besser eingesetzt werden konnten. Also blieb sie allein, und das in einer Wohnung, die ziemlich groß war. Brenda wohnte in der ersten Etage eines Hauses aus viktorianischer
Zeit. Geerbt hatte sie die Wohnung von ihren Eltern. Beide waren tot. Der Vater war erst vor einem Jahr gestorben. Lungenkrebs. Vier große Zimmer, dazu ein geräumiges Bad. In der Wohnung konnte man sich verlaufen. Hätte sie die Wohnung zum Kauf angeboten, sie wäre mit Kußhand genommen worden. Nach ihrem Einzug hatte Brenda zuerst die Küche modernisiert. Sie hatte eine neue gekauft und einbauen lassen. Brenda hielt sich sehr oft in der Küche auf, deshalb auch die Bank und die beiden Stühle und die kleine Kommode, auf der die Glotze stand. Das Programm vertrieb ihr die Einsamkeit nach dem Dienst. Sie hatte die langen Abende des öfteren verflucht, und so manches Mal hatte sie sich nach einem Mann gesehnt, wobei vor ihrem geistigen Auge stets die Gestalt des Richters erschienen war. Das war vorbei. Erinnerung… An diesem Abend hatte sie vorgehabt, sich ein Stück Fisch zu braten. Sie beließ es beim Vorsatz, der Appetit wollte einfach nicht kommen. Um wenigstens etwas zu essen, begnügte sie sich mit einer Scheibe Toast, auf die sie kaltes Roastbeaf legte. Essend stand sie am Fenster und schaute in die Dunkelheit. Die Anrufe kamen ihr in den Sinn. Sie waren nicht zu unterschätzen, sie hatten sich in der letzten Zeit immer drohender angehört. Die Bande wollte von ihr erfahren, wie weit die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sie gediehen waren. Brenda war nicht informiert. Zwar hatte sie in ihrer neuen Position einen Blick in die Akten werfen können, doch der Richter, bei dem sie jetzt arbeitete, beschäftigte sich zudem noch mit anderen Verbrechen. Es machte sich schon bemerkbar, wenn ein Kollege fehlte. Den letzten Bissen spülte sie mit dem mittlerweile kalt gewordenen Kaffee herunter und holte aus dem Schrank die Schachtel mit den Zigarillos. Im Büro rauchte sie nicht, hier zu Hause konnte sie den kleinen Lastern nachgehen, dazu gehörte auch der Schluck aus der Weinflasche. Auf eine halbe Flasche pro Abend hatte sie es schon gebracht, und Brenda lief Gefahr, daß es mehr wurde. Die Flasche stand auf dem Tisch, das Glas daneben, und Brenda wollte sich setzen, als das Telefon klingelte. Ein Apparat stand in der Küche auf einem Holzregal. Der moderne Quälgeist stand in Brendas Reichweite, dennoch traute sie sich nicht, sofort nach dem Hörer zu greifen. Denn da war wieder die Angst, und sie dachte an die Anrufe der Bande. Man wollte etwas von ihr, sie war als einzige Person noch übriggeblieben. Die Bande war gut informiert über das Vertrauensverhältnis zwischen Brenda und ihrem ehemaligen Chef.
Das Telefon hörte nicht auf. Brenda Tradlin wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich zu weigern. Wenn sie nicht abhob, würden sie auf eine andere Art und Weise versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Es mußte ja kein Mitglied der Bande sein, das anrief. Vielleicht hatte Sinclair es sich überlegt. Möglicherweise brauchte er eine Information, oder er hatte mittlerweile selbst etwas herausgefunden. Sie war ziemlich durcheinander. Ihre Gedanken wirbelten, trotzdem spürte sie eine Blockade. Auch das Herzklopfen paßte ihr nicht, und als sie schließlich abhob, wäre ihr der Hörer beinahe wieder aus der schweißfeuchten Hand gerutscht. »Hallo…« Es war nicht Sinclair, dessen kratzige Stimme da an ihr Ohr drang. Augenblicklich schlug ihr Herz schneller. Am liebsten hätte sie aufgelegt. Brenda unterdrückte den Wunsch und lauschte. »Hast du es dir überlegt?« Eine Frage nur, mehr nicht. Nur brachte sie es einfach nicht fertig, eine Antwort zu geben. »He, hast du es dir überlegt?« »Was denn?« »Die Akten. Wir wollen die Akten haben. Du solltest sie mit nach Hause nehmen, wir haben dir alles sehr genau gesagt, Brenda. Wo sind die verdammten Akten?« »Ich… ich habe sie nicht.« Der Anrufer schwieg. Brenda hörte ein seltsames Kratzen und Rauschen in der Leitung. Sie ging davon aus, daß der Mann von einem Autotelefon aus sprach. »Bitte, ich komme nicht…« »Wir wollen keine Ausreden hören, das mußt du doch wissen. Wir haben es dir schon vor Tagen gesagt. Jetzt hast du den Bogen überspannt, Brenda Tradlin!« Die Frau schnappte nach Luft. Durch ihren Kopf wirbelten Worte, die sie zu einer Antwort zusammenfügen mußte, was sie aber nicht schaffte. Es blieb ein Loch. Mit Anrufen eines derartigen Inhalts war sie nie zuvor konfrontiert worden, deshalb auch ihre Lähmung. Brenda merkte erst spät, daß die Verbindung längst unterbrochen war. Die andere Seite hatte sie mit den Problemen allein gelassen. Sie legte wieder auf. Schauer durchrieselten sie. Kälte und Hitze zugleich. Die Küche drehte sich vor ihren Augen, und die Wände schienen zu tanzen. Was tun? Brenda Tradlin sank am Tisch zusammen. Sie war verzweifelt und wußte es nicht. Nie zuvor war sie in eine derartige Lage geraten. Nicht nur, daß sie ihren kopflosen Chef am Schreibtisch hatte sitzen sehen, jetzt wurde sie auch noch durch diese Anrufe gequält. Natürlich dachte sie an Sir James und ihren Auftritt bei ihm. Der Gedanke, sich falsch benommen zu haben, kam ihr ebenfalls in den Sinn. Sie hatte den richtigen Weg
verpaßt, und sie würde sich neue Pfade suchen müssen, um zu einem Ziel zu gelangen, das ihr gefiel. Aber wie? Sinclair! Sie war zu ihm gegangen, er war demnach ihre letzte Hoffnung. Er mußte einfach über den Anruf informiert werden, wobei das bei dem eigentlichen Problem ja nicht half, denn da war es um andere Vorgänge gegangen, um ein unerklärliches Phänomen, eben diese kopflose Erscheinung des Richters. Dennoch hingen beide Dinge zusammen, und es war auch etwas, für das sich die Polizei einfach interessieren mußte. »Nein!« sagte sie. Dabei hatte sie nicht mit sich selbst gesprochen. Brenda meinte den Mann, der plötzlich an der Küchentür erschienen war und sie kalt angrinste. Eiswasser floß durch ihren Körper. Kein Blut mehr, nur diese unnatürliche Kälte, geboren durch den Schreck. Der Eindringling hatte es geschafft, die Wohnung lautlos zu betreten, und jetzt stand er da wie das Fleisch gewordene Böse. Noch relativ jung, keine dreißig. Schwarz gekleidet. Auf der Brust funkelte eine silberne Kette, die Augen waren zu Schlitzen verengt, in denen die Pupillen leuchteten wie dunkle Wassertropfen. Die Gesichtshaut war sehr blaß, als hätte er sie gepudert, und als er vorging, hörte Brenda keinen Laut. In Turnschuhen ging man leise. Der Mann sagte nichts, er schaute sich nur um. Die Stille in der Küche war unnatürlich. Brenda hielt den Atem an. Aus dem Flur hörte sie ein Geräusch. Es war für sie nicht zu identifizieren. Sie konnte sich leicht vorstellen, daß sich noch ein zweiter Typ in der Wohnung aufhielt. Klar, diese Kerle gingen auf Nummer Sicher, die deckten sich gegenseitig, wenn sie einen Auftrag durchführten. Der erste setzte sich hin. Bei ihr am Tisch nahm er Platz. Er hatte nichts gesagt, schaute sie nur an, und als er schließlich saß, nahm sie den Geruch der Pomade in seinem Haar wahr. Seine etwas breiten Lippen verzog er zu einem Lächeln und schaute dann zur Tür hin, weil dort sein Kumpan erschienen war. Der erinnerte an eine Witzfigur. Möglicherweise wegen seiner Glatze und dem breiten Gesicht. Helle Brauen, helle Lippen, ein heller Mund – im krassen Gegensatz dazu stand die schwarze Kleidung. Es waren Mitglieder der Bande. Glatze blieb an der Tür stehen und rührte sich dort nicht vom Fleck. Er spielte mit seinen Fingern. Sie sahen aus wie weiße Würste mit abgekauten Nägeln. »Wo sind sie?« flüsterte der Mann am Tisch. Brenda schüttelte den Kopf. »Gib sie her!«
»Nein!« »Wir werden dich zwingen!« »Ich weiß, ich weiß«, flüsterte die Frau, die sich darüber wunderte, daß sie noch reden konnte. »Aber es wird keinen Sinn haben. Ich… ich besitze diese Akten nicht. Der Richter ist tot, jemand anderer hat den Fall übernommen, und ich…« »Du bist ihm zugeteilt worden!« »Ja, das bin ich!« keuchte die Frau. »Und?« »Da habe ich andere Fälle zu bearbeiten. Man kann das Ausscheiden eines Richters nicht so ohne weiteres verkraften. Das müßt ihr doch verstehen, verdammt.« »Tun wir aber nicht. Wir haben dir Zeit genug gegeben, dies durchzuziehen. Du hast dich geweigert. Ich frage dich, weshalb du dich gegen uns stellst. Bist du vielleicht lebensmüde? Ist es das, was dich stört, zum Teufel?« »Ich kann Ihnen nur das geben, was ich habe.« Der Kerl am Tisch nickte. »Die Akten hast du also nicht?« »So ist es!« Der Mann lehnte sich zurück. »Ich heiße Shayne«, erklärte er, »einfach nur Shayne, und ich bin bekannt dafür, daß ich nicht lange zögere, wenn ich etwas haben will. Bei dir habe ich schon zu lange gezögert, meine Liebe. Das hört auf. Du willst nicht reden, wir wollen dir nicht glauben. Du bekommst eine letzte Chance. Ich werde meinem Freund Kojak jetzt den Auftrag geben, die Wohnung zu durchsuchen. Ich bleibe hier in der Küche. Sollte Kojak etwas finden, nun gut, sollte er nichts finden, wird es dir schlecht ergehen. Du weißt, was mit deinem geliebten Richter passiert ist. Das geht oft ganz schnell, dann hat man seinen Kopf verloren. Pech für ihn.« Brenda Tradlin hatte zuhören müssen, ob sie es wollte oder nicht. Sie fing auch an zu zittern, und über ihren Nacken rann eine kalte Haut. Die Augen brannten, der Hals saß zu, sie wollte zur Seite schauen, aber ihr Blick blieb immer wieder am Gesicht ihres Gegenübers hängen. Besonders an dessen kalten Augen, und sie merkte, daß sie fror wie selten. Eine innerliche Kälte, die in ihr hochdrang und selbst den Kopf wie einen Reif umschloß. Wegen seiner Glatze hieß der zweite Kojak. Er bekam den Befehl, sich in der Wohnung umzuschauen. Brendas Gedanken irrten ab. Sie gehörte zu den Menschen, die mit dem Verbrechen beruflich zu tun hatten. Sie kannte die Theorie und auch die Regeln. Ihr war klar, daß sie nichts tun konnte, sie mußte ja froh sein, daß Shayne sie nicht folterte. Gerade in diesen Augenblicken erinnerte sie sich wieder an die zahlreichen Protokolle, die sie gelesen hatte. Es waren die schriftlich niedergelegten Zeugnisse der Verbrechen gewesen,
und sie hatte erfahren, wie diese Gangster mit den Menschen umgingen, die als Zeugen dastanden. Nicht alle hatten überlebt. Wer zuviel von den Killern sah und wußte, wurde umgelegt. Sie hatte viel von ihnen. Sie hätten sie beschreiben können, und ihnen wäre der Prozeß sicher gewesen. Das brauchte sie den beiden nicht zu sagen, Shayne knappes Grinsen ließ darauf schließen, daß sich seine Gedanken in ähnliche Richtungen bewegten. Die Lippen hatte er dabei zusammengepreßt, wieder funkelten seine Augen sehr böse, und wahrscheinlich verfolgte er den gleichen Gedanken wie sie. Kojak war verschwunden. Am quietschenden Geräusch einer Tür erkannte Brenda, daß er in den Wohnraum ging, der groß genug war, um auch einen Schreibtisch aufzunehmen. Shayne nickte ihr zu. »Kojak sucht jetzt«, sagte er. »Du hast ihn gesehen, nicht?« Sie schob ihre Brille hoch. »Ja, das habe ich.« »Kannst du dir vorstellen, daß er Mitleid kennt?« »N… nein…« »Ich auch nicht«, erwiderte Shayne lachend. »Mitleid ist ein fremdes Wort. Denk mal an seine hellen Wurstfinger. Hast du sie dir angesehen – hast du das?« »Kaum…« »Das hättest du aber tun sollen, Brenda. Ja, das hättest du.« Shayne setzte sich bequemer hin und schlug ein Bein über das andere. Er grinste breit. »Denkmal an die Finger. Er liebt sie, er hat sie schon immer geliebt. Er ist besonders stolz auf sie und seine Taten. Weißt du eigentlich, was er immer so gern getan hat und auch heute noch gern tut? Nein, du kannst es nicht wissen, aber ich werde es dir sagen.« »Bitte nicht.« »Doch, meine Liebe, doch.« Er sprach weiter, diesmal mit leiserer Stimme. »Er kann einfach an keinem Vogelkäfig vorbeigehen. Immer, wenn er einen mit Vögeln besetzten Käfig sieht, dreht er durch. Dann öffnet er die kleine Tür, streckt seine weiße Hand hinein und packt sich eines der Tierchen. Es sind zumeist Wellensittiche, die keine Chance gegen ihn haben, denn er zerquetscht sie zwischen…« »Hören Sie auf!« keuchte die Frau. »Ich… ich will das nicht mehr hören. Ich hasse es, wenn…« »Ach ja?« »Es interessiert mich nicht.« »Muß dich aber interessieren, denn ebenso schaffte es unser Freund, die Hälse seiner Opfer zusammenzudrücken.« Shayne machte es vor und legte seine Finger um den eigenen Hals. »Einfach so, verstehst du? Einfach so.«
Brenda schaute weg. Sie wollte es nicht sehen, sie wollte es sich auch nicht vorstellen, aber sie hatte instinktiv erfaßt, daß diese Erzählung keine Lüge gewesen war. Diesem Glatzkopf war alles zuzutrauen, er nahm keine Rücksicht, wenn es darum ging, ein Ziel zu erreichen. »Deshalb bete zu Gott, falls du an einen solchen glaubst, daß Kojak die Unterlagen findet.« Brenda wollte sagen, daß es sie nicht gibt. Das brachte sie nicht hervor. Die eigene Stimme erstickte im Hals. Wahrscheinlich hätte Shayne seinen Kumpan schon jetzt zurückgeholt, um die schreckliche Tat zu vollenden. »Es liegt an dir.« Brenda Tradlin gab keine Antwort. Sie wollte auch nicht mehr in Shaynes Gesicht blicken, deshalb sah sie an ihm vorbei und nahm das Fenster in Augenschein. Dahinter lag die Dunkelheit. Nicht so finster wie auf dem Land. Ein schwacher Laternenschein glitt noch in unmittelbarer Nähe vorbei und schuf jenseits der Scheibe eine diffuse, irgendwo auch unruhige und unheimlich anmutende Fläche, die sich in ihrem Innern zuckend zu bewegen schien. Dort hinein glitt etwas. Sie konnte es nicht erkennen, aber sie hatte sich auch nicht getäuscht. Es war ein Gegenstand, der keinen Kontakt mit dem Boden besaß und durch die Luft schwebte. Ein Ballon… Nein, kein Ballon… Heller, auch nicht so rund, der sah mehr aus wie ein… Brenda erstarrte. Sie fror ein, denn plötzlich hatte sie den Gegenstand erkannt. Es war ein Kopf. Nicht irgendeiner. Der Kopf des Richters! *** Sie sagte nichts. Brenda hatte das Gefühl, aus der normalen Welt herausgerissen worden zu sein, um hineinzutauchen in eine andere, die es einfach nicht geben konnte. Wenn es so wäre, dann hätte das Jenseits es geschafft, einen Weg in das Diesseits zu finden. Eine irrsinnige Konstellation, unglaublich, aber deshalb auch falsch? Der Kopf war eine Tatsache. Zwei Augen ebenfalls. Weit geöffnet, und sie glotzten durch die Scheibe in die Küche wie die Augen einer Halloween-Maske, die erschienen war, um die Menschen zu warnen. »Was ist denn?« Brenda rührte sich nicht. »Sag was!« »Ich… ich kann nicht!«
Shayne holte tief Luft. »Verdammt noch mal, was glotzt du an mir vorbei!« Auf dem Stuhl drehte er sich herum, um auch einen Blick auf das Fenster zu werfen. Brenda schloß die Augen. Sie wollte nicht miterleben, was geschah, wenn dieser Kerl den schwebenden Kopf des toten Richters vor der Scheibe sah. Möglicherweise würde er durchdrehen und zusammen mit seinem Kumpan ein Blutbad anrichten. Sekunden vergingen. Jetzt, dachte sie immer wieder, jetzt muß es doch einfach geschehen. Es geschah nicht. Und als Shayne anfing zu sprechen, da klang seine Stimme normal. »Drehst du schon durch, wenn du eine normale Fensterscheibe siehst?« Er lachte. »Das ist doch Irrsinn.« Die Worte waren schwer zu verdauen, sie klangen auch einfach zu unglaublich, und nur sehr langsam kam sie wieder zu sich und fand sich in der Wirklichkeit zurecht. Sie hob den Kopf, um abermals auf das Fenster zu schauen. Nichts tat sich dort. Sie sah die leere Fensterscheibe und hinte ihr die normale Nacht. »Na…?« Brenda wußte nicht, was sie noch sagen sollte und hob mit einer vagen Bewegung die Schultern. Sie fühlte sich eingekesselt und von zahlreichen Tentakeln umgeben, die wie unsichtbare Arme an ihrem Körper hochgeglitten waren, um sie umschlingen. Etwas stimmte nicht. Die Angst hatte sie verändert und ihr diese Halluzinationen geschickt. In dieser Streßlage hatte sie nicht mehr so cool reagieren können wie sonst, da waren die Wunschträume stärker als das reale Denken gewesen. Sie biß sich auf die Lippe. »Scheiße, nicht?« »Wieso?« »Deine Angst, deine Vorwürfe. Allmählich scheinst du zu begreifen, daß du was falsch gemacht hast. Noch ist es nicht zu spät, doch der Faden der Geduld wird immer kürzer.« »Ich weiß.« Hinter der Brille wirkten die Augen starr wie Kugeln. »Dann tu etwas?« »Nein, ich kann es nicht.« Shayne setzte sich noch bequemer hin. »Sorry«, sagte er, »dein Pech, aber wir brauchen die Akten. Und von Kojak haben wir noch immer nichts gehört. Eigentlich hätte er Bescheid gesagt, wenn es ihm gelungen wäre, die Akten zu finden. Aber das ist nicht geschehen. Normalerweise müßte er die Wohnung schon längst durchsucht haben, denke ich.« Er grinste Brenda an. »Oder meinst du nicht?« »Ich… ich weiß nicht.« »Solltest du aber, denn…« Er verstummte, weil er aus dem Flur Tritte gehört hatte.
Auch Brenda sagte nichts mehr, sie lauschte ebenso wie ihr unheimlicher Besucher. Shayne rieb seine Hände. »Er kommt zurück, und ich glaube nicht, daß er gute Nachrichten für dich haben wird.« Das glaubte Brenda zwar auch nicht, im Gegensatz zu Shayne war sie sich jedoch nicht so sicher, daß es der Glatzkopf war, der zurückkehrte. Aber wer dann? Sie war gespannt, drehte ihren Kopf der Tür zu und hörte, wie die Tritte an Lautstärke zunahmen. Die Person hatte einen schweren Gang und setzte die Füße unregelmäßig auf. Shaynes Grinsen zerbrach in dem Augenblick, als die Küchentür nach innen gestoßen wurde… *** Der Glatzkopf verließ den Raum, ging durch den Flur, der mit Holzbohlen ausgelegt worden war. Ein Teppich dämpfte die Laufgeräusche. Er bewegte nicht nur seine Beine, sondern auch die Hände mit den kurzen, schweißigen Fingern. Er hatte wieder das Gefühl, das er so gut kannte und auch liebte. Als ginge er durch eine Tierhandlung, und der Flur verwandelte sich vor seinem geistigen Auge in einen derartigen Ort. Überall sah er die Käfige. Sie standen rechts und links, einige höher, andere tiefer. In ihnen tobten die kleinen Vögel. Ihr Gefieder schillerte in vielen Farben, und er war dabei, die kleinen Türen zu öffnen. Plötzlich verfügte er über zahlreiche Hände, die blitzschnell dort hingriffen, wo er es wollte. Er fand die Beute. Er hatte sie, er hatte sie alle bekommen. Kojak blieb stehen. Er schaute auf seine Hände. Sie waren leer, aber schweißnaß geworden. Das Blut schäumte durch die Adern, er stand dicht vor dem großen Rausch. Heute noch würde es geschehen, heute würden die Finger wieder zupacken können, heute würde er es wieder all denjenigen zeigen, die ihn damals, als er ein Kind gewesen war, wegen seiner zu kurzen Finger ausgelacht hatten. Wundern würden sie sich, alle… Da war die breite Tür, die in den Wohnraum führte. Ihr Anblick erinnerte ihn wieder an seinen Auftrag. Er mußte die Zimmer durchsuchen und die Akten finden. Nicht mehr und nicht weniger… Er betrat den Wohnraum und staunte zunächst einmal über dessen Größe. Wenn er da an seine verdammte Bude dachte, die nicht größer war als ein Taubenschlag in einem Anbau, dann war das hier schon
etwas anderes, und er nickte sich selbst zu, als wollte er sich durch seine Gedanken selbst bestätigen. Diesmal schluckte ein dicker Teppich seine Tritte. Alte, dunkle Möbel verteilten sich im Raum. Das Licht, das er angeknipst hatte, fiel auch gegen die beiden, bis zum Boden reichenden Vorhänge, die Fenster unsichtbar machten. Er lächelte. Der Schreibtisch war ihm sofort ins Auge gefallen. Sehr groß und halbrund, ein außergewöhnliches und sicherlich auch wertvolles Möbel, in dem vieles aufbewahrt werden konnte. Zum Beispiel Akten… Auf dem Schreibtisch stand auch die schwere Lampe mit dem Metallfuß. Die Schnur ringelte sich wie eine weiße Schlange über die dunkle Oberfläche. Der Glatzkopf fand den Schalter und machte Licht. Es verteilte sich über die Fläche, ohne dabei die Schubladen an der Vorderseite zu erreichen. Dort stand der Stuhl, mehr ein Sessel, sehr modern im Vergleich zum Schreibtisch. Kojak setzte sich hin. Er stöhnte auf, als der weiche Belag unter seinem Gewicht nachgab. Dann schaute er sich die einzelnen Schubladen an, zerrte am Griff der ersten und mußte feststellen, daß sie verschlossen war. Das gleiche passierte ihm auch mit den anderen, allmählich stieg die Wut in ihm hoch, er machte trotzdem weiter und hatte Glück. Fast wäre sie ihm noch aus der Hand gerutscht. Bevor sie zurückschnellen konnte, stoppte er sie und starrte hinein. Leer? Nein, nicht ganz, Glückwunschkarten und Schreibpapier hatte die Frau darin aufbewahrt, leider keine Akten, die der Chef so gern haben wollte. Der Glatzkopf trat sie wieder zu. Der Knurrlaut, den er ausstieß, glich dem eines Tieres. Seine Hände waren wieder feucht geworden. In seinem Kopf hörte er das Schrillen der Vogelstimmen. Er dachte an den Hals dieser Brenda Tradlin und daran, wie er ihn langsam zudrücken würde. Sie sollte es büßen, ja, das sollte sie. Und dann hörte er die Schritte. Der Glatzkopf hatte sich noch n icht wieder aufgerichtet. Er sah die Person auch nicht, die näher kam. Als er seine Augen verdrehte, fiel ihm die Form des Schattens auf, die sich über den Boden bewegte. Es war ein sehr seltsamer Schatten. Zwar menschlich, aber doch nicht vollkommen. Da fehlte etwas. Dafür war etwas anderes wiederum da. Es schwang in der Seite und bewegte sich in einem bestimmten Rhythmus. Als dieser Schatten in die Höhe geschwungen wurde, bekam Glatze es plötzlich mit der Angst zu tun. Auch er schnellte hoch. Genau das war sein Fehler. Er hörte noch das Pfeifen, dann nichts mehr, denn seine Sinne konnten nicht mehr reagieren.
Dafür rutschte etwas von seiner Schulter weg, prallte auf den Schreibtisch und blieb dort liegen. Ein Kopf ohne Haare… *** Shayne fühlte sich wie aus der Wirklichkeit herausgerissen oder wie als Darsteller in einem bösen alptraumhaften Film. Was da durch die Tür trat, das war ein alptraumhaftes Geschöpf, eine Horrorgestalt, ein Mann ohne Kopf und bewaffnet mit einem Schwert oder einer Machete, von deren Klinge Blut tropfte. Auch Brenda Tradlin sah die Gestalt. Zuerst hatte auch sie ein tiefer Schreck erfaßt. Er war wie glühende Nadeln durch ihren Körper gestoßen. Wenig später hatte sich dieser erste Schreck in Erkennen gewandelt, denn die Gestalt trug die gleiche Kleidung wie der tote Richter. Die braune Jacke, das helle Hemd, und obwohl der Kopf nicht vorhanden war, sah sie noch den Stehkragen und die Fliege an der Vorderseite. Sehr exakt war sie gebunden, es fehlte eben nur der Kopf, der so glatt abgetrennt worden war. Kein Stumpf mehr. Kein Blut, keine Adern, die aus der Öffnung gequollen wären, das alles hätte doch sein müssen, es war aber nicht. Eines stand fest: Diese Gestalt lebte oder existierte, und sie wirkte auf Brenda wie ein Kunstgeschöpf. Er ging etwas breitbeinig. Setzte seine Füße dabei vorsichtig auf und ging erst dann los, wenn er den richtigen Stand gefunden hatte. Dennoch brachte er sich zielsicher voran, und wenn er die Richtung beibehielt, würde er auch bald den Tisch erreicht haben, an dem die beiden so unterschiedlichen Personen saßen. Die Küche war geräumig, sie hatten also noch Zeit, bis sie die Schreckensgestalt erreicht hatte. Brenda wunderte sich darüber, daß sie immer weniger Furcht spürte. Erwartung und Neugierde hatten das andere Gefühl abgelöst. Bei Shayne war es anders. Er wußte, was da auf ihn zukam. Ob er Reue empfand, war nicht festzustellen, jedenfalls konnte er nicht länger zuschauen, ohne etwas zu unternehmen. Deshalb schob er seine Hand unter das Jackett und holte einen mit Schalldämpfer bestückten Revolver hervor, dessen Mündung er auf den Kopflosen richtete. »Ich werde dich durchlöchern!« keuchte er, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. »Du wirst mir nicht entkommen, das kann ich dir schwören. Ich mache dich alle.« Dann schoß er. Die erste Kugel traf, die zweite auch. Brenda Tradlin sah sie in den Körper einschlagen. Die Treffer glichen wuchtigen Schlägen, und die
Einschußlöcher waren sehr deutlich zu sehen. Aus ihnen hätte Blut quellen müssen, das wiederum passierte nicht, der Richter stoppte für einen Moment, aber er fiel nicht. Durch seine kopflose Gestalt ging ein Ruck, dann marschierte er weiter. Brenda bewegte sich. Sie rückte von Shayne weg. Instinktiv hatte sie erfaßt, daß die Gefahr in seiner unmittelbaren Nähe größer war. Sie stand sogar auf, und Shayne kümmerte sich nicht um sie. Er konnte nur den Kopflosen ansehen. Der Gangster war totenbleich geworden. Der Schweiß schimmerte auf seinem Gesicht. Was er da erlebt hatte, war für ihn nicht zu begreifen. Ihn interessierte auch der Auftrag nicht mehr. Er wußte nur, daß er so schnell wie möglich weg mußte, denn das Blut an der Klinge sagte ihm genug. Er wollte nicht das gleiche Schicksal erleiden wie Kojak. Die beiden Kugeln hatten die Gestalt nicht stoppen können. Nur kurz aufgehalten, mehr nicht, und sie setzte ihren Weg fort. Shayne wuchtete sich hoch. Er schrie dabei und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Er rannte weg. Vielleicht hätte er es geschafft, aber die Gestalt war raffiniert genug, um ihn zu stoppen. Shayne spürte einen harten Widerstand zwischen seinen Beinen in Wadenhöhe. Er geriet ins Stolpern, und einen Augenblick später fiel er hin. Damit war er verloren. Zwar gelang es Shayne noch, sich zur Seite zu drehen, das aber war alles. Der kopflose Richter ließ ihn nicht mehr in die Höhe kommen. Er schlug zu, als sich Shayne in der Bewegung befand und sich zu sehr um sich selbst kümmerte. Brenda Tradlin schloß die Augen. Sie wollte und konnte nicht hinschauen. Dafür hörte sie noch ein Poltern, dann kehrte eine seltsame Stille ein, in der sich Brenda fühlte, als würde sie allmählich der Wirklichkeit entschweben… *** Viel später bewegte sich die Frau wie im Traum. Sie >räumte< in ihrer Wohnung auf. Sie wischte das Blut in den Zimmern weg, und sie kümmerte sich auch um die Köpfe. Im Bad gab es einen Schrank, in dem sie die Schädel verstaute. Sie hatte die Köpfe zuvor in zwei Tüten gepackt und diese dann mit Handtüchern umwickelt. Auch für die beiden Körper fand sie einen Platz. Im ziemlich breiten Flur bot sich der dunkle Einbauschrank an der linken Seite nahezu an. Es gelang ihr unter großen Anstrengungen, die Torsi hineinzustellen und so gegen die Wand zu kippen, daß sie nicht fielen. Wie sie es geschafft
hatte, wußte sie selbst nicht. Brenda war nur froh, daß sie alles hinter sich hatte, und als sie aufatmete, klang es wie ein Zischen. Sie hatte es hinter sich und wunderte sich noch immer, daß sie nicht zusammengebrochen war. Sie ging in die Küche und fand ihren Gast dort vor. Der Kopflose hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er saß am Tisch, vergleichbar mit einem Nachbar, der nur mal kurz auf einen Sprung vorbeigekommen war. Auch Brenda setzte sich. Der Richter saß ihr gegenüber. Sie mußte ihn immer nur anschauen und fragte sich, wo sein Kopf war. Sie hatte ihn vor einiger Zeit hinter dem Fenster gesehen, danach war er allerdings nicht wieder aufgetaucht. Nur der Körper saß vor ihr. Die Waffe lag auf dem Tisch. Einige Blutspritzer hatten sich von ihr gelöst und sich wie Farbe auf dem Tisch verteilt. Der Richter konnte nicht sprechen, dennoch suchte die Frau verzweifelt nach einer Möglichkeit, um mit ihm in Kontakt zu treten. Es war unmöglich. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte daran, daß sie sich falsch verhalten hatte. Sie hätte die Polizei rufen müssen, das hatte sie nicht getan. Sie konnte den Grund selbst nicht nennen, jedenfalls hatte sie jetzt Probleme. Nur keine Angst. Das wunderte sie in der Tat. Eigentlich hätte sie schreien müssen oder einfach weglaufen, nur konnte sie sich nicht erheben. Der Stuhl war mit Leim bestrichen. Sie hatte den Eindruck, bei ihm in der Wohnung bleiben zu müssen. Er tat nichts. Er konnte sie nicht einmal anstarren, er saß da wie eine Figur, bis ein Zucken durch seinen Körper ging, und er plötzlich den rechten Arm bewegte. Brenda Tradlin schaute zu. Die Bewegung an der Schulter breitete sich aus, sie rann durch den Arm und erreichte die Hand und damit auch die Finger. Die bewegten sich zusammen mit der Hand über die Tischplatte hinweg, und Brenda wußte, was sie tun mußte. Auch sie hob ihren Arm an und ließ die Hand auf die des Richters zugleiten. Es würde nicht lange dauern, bis sie einen Kontakt bekamen. Ein wenig fürchtete sie sich davor, dann war es überstanden. Ihre Hand lag auf der seinen. Für einen Moment schloß sie die Augen und stellte sich vor, daß sie sich eine ähnlich intime Berührung in einer gewissen Zweisamkeit immer gewünscht hatte. Nur mit einem lebenden Jerome T. Harker und nicht mit einem toten. Oder war er nicht tot?
Lebte er trotzdem weiter? Er konnte sich bewegen, er konnte gehen, und er verstand es auch, seine Waffe einzusetzen. Dann war er eben nicht tot, sondern einer der lebte und gleichzeitig… Die Gedanken verquirlten sich miteinander. Sie kam damit nicht mehr zurecht, bis ihr der Begriff des lebenden Toten einfiel und einer, den sie auch einsetzen konnte. Zombie! Ja, ein Zombie. Jerome T. Harker war ein Zombie, eine Leiche, die nicht nur lebte, sondern eine Aufgabe hatte, denn sie ging auf Rachetour. Sie würde sich bei denen rächen, die ihr das alles angetan hatten, und sie würde sich einen nach dem anderen holen. Zwei waren schon tot. Brenda fing an zu kichern. Völlig unmotiviert. Es war nicht zum Lachen, dennoch hatte sie nicht anders gekonnt. Sie dachte an die Hundesöhne, die den Richter umgebracht hatten. Ihr war nicht bekannt, wie viele Mitglieder die Bande der schwarzen Henker zählte, aber sie konnte sich durchaus vorstellen, daß diese Typen sehr gefährlich lebten, falls es überhaupt noch dazu kam in der nächsten Zeit. Seine Hand war nicht mehr warm. Die Kälte des Todes hatte in den Fingern ein Erbe hinterlassen. Auch fühlte sich die Haut viel rauher an als die des normal lebenden Richters. Noch immer spürte Brenda Tradlin keine Angst. Sie hatte so etwas wie Geborgenheit überkommen, die Nähe des Richters tat ihr gut. Jetzt hatte sie ihn endlich da, wo sie ihn eigentlich früher immer hatte haben wollen. Er war bei ihr! Und er würde bei ihr bleiben! Um ihre Lippen glitt ein Lächeln, in die Augen trat ein Funkeln. Sie atmete tief ein und nickte sich dann selbst zu. Ja, das war am besten. Er würde bei ihr bleiben, sie wollte ihn nicht mehr aus der Wohnung herauslassen, sollten die Bullen ihn suchen wo auch immer. Auf sie würden sie kaum kommen. »Ja, Jerome«, flüsterte sie, und endlich konnte sie ihn auch duzen. »Du bleibst hier. Du bleibst bei mir, denn hier wird dich niemand finden, glaub mir…« *** Es war anders, es war alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte, denn das war kein Geschäft, das war schon eine richtige Schau, die Mac Maschke da aufgezogen hatte. Innerhalb einer Einkaufspassage hatte er sich seinen kleinen Palast bauen lassen, einen Laden mit einem sehr breiten Eingang, hell glitzernd, lichtüberflutet, das aus verschiedenfarbigen Röhren drang, die
verschlungene Muster bildeten und wahrscheinlich ein modernes Kunstwerk darstellen sollten. Ich stand davor, schaute mir dieses Kunstwerk an und stellte nach einigen Sekunden scharfsinnig fest, daß dieses Muster kein Kunstwerk war, sondern einen Namen bildete. Maschkes Hair Studio! Genau da wollte ich hin. Ich stand am Eingang, schaute durch die Glasscheibe und sah die Frisösen in roten und weißen Minikitteln, herausgeputzt wie Mannequins für den Laufsteg. Hoffentlich konnten sie auch die Haare schneiden, und an der Kasse, die auf zwei griechischen Säulen stand, hielt sich eine hochbeinige Blondine auf, die so etwas wie die Oberfrisöse war und die Kundschaft empfing. Sie geleitete die Leute entweder zu den Warteplätzen, einer mit schwarzem Leder bezogenen Bank, oder sie brachte sie direkt zu ihrem Folterstuhl, wo dann geschnibbelt, rasiert oder gepinselt wurde. Ich betrag den Laden und wurde umweht von weichen Musikklängen und einem Geruchskonglomerat, wie man es nur in Frisörläden und Kosmetikgeschäften vorfand. Haarspray und Parfüm, Shampoo, Rasierwasser und das alles war von einer Feuchtigkeit durchweht, die sich zum Glück nicht auf den Spiegelflächen abgesetzt hatte. Schon am relativ frühen Morgen herrschte hier Hochbetrieb. Ich hatte in der letzten Nacht hervorragend geschlafen, fühlte mich fit und traute mich kaum, meine Füße auf den glatten hellen Marmorboden zu setzen. Mit ihren Argusaugen hatte mich die Blonde schon entdeckt. Sie trug keinen Kittel, dafür ein Kostüm aus lindgrünem Stoff. Darunter schimmerte ein weißes Top, und ihre Füße steckten im rehbraunen Leder der eleganten Schuhe. Sie war perfekt gestylt und lächelte mich ebenso perfekt an. Ich hatte auf ihre Beine geschaut, denn der Rocksaum war bei ihr nicht so hoch. Er endete über dem Knie, so konnte man sich durchaus eine Karrierefrau vorstellen. Sie grüßte mich. Ich grüßte zurück und schaute kurz in den Hintergrund des langgestreckten Raumes. »Sie waren angemeldet, Sir?« »Nein, das war ich nicht.« Für einen Moment flackerte Unsicherheit in den Augen. Die perfekte Maske zerbrach. Das war ihr wohl noch nicht vorgekommen. Es glich schon einem Sakrileg, bei Mac Maschke zu erscheinen, ohne sich angemeldet zu haben. »Dann tut es mir sehr leid«, sagte sie, »aber wir können Sie leider nicht bedienen, wir sind ausgebucht.« Ich schaufelte durch mein Haar. »Für einen Schnitt werden Sie doch Zeit haben.«
»Nein, tut mir leid.« »Auch Sie persönlich nicht, Cleo?« Den Namen hatte ich auf dem kleinen Schild gelesen, das sie am Revers trug. Da hatte ich etwas gesagt. Sie fror förmlich ein. »Ich… ich… soll Sie… soll Ihnen…?« Ich grinste locker. »Ja, die Haare schneiden. Ist das etwa so unüblich hier?« »Aber ich doch nicht.« »Können Sie es nicht?« Cleo war verunsichert. Sie lächelte, wurde wieder ernst und erklärte mir dann, daß sie ihr Geld nicht damit verdiene, den Kunden die Haare zu schneiden. Ich wollte nicht indiskret werden und persönliche Fragen stellen, zudem wurde sie abgelenkt, denn eine Kundin, aufgetakelt bis zum Geht-nichtmehr und eigentlich schon weit jenseits von Gut und Böse, bat um ihre Rechnung. Was Cleo dieser komischen Lady an Komplimenten ins Ohr flüsterte, ließ bei mir die Konzentration der Magensäure leicht ansteigen. Bevor ich richtig Sodbrennen bekam, verließ ich meinen Standplatz und schlenderte hinein in den Salon, wo tatsächlich jeder Platz belegt war und die Frisösen zu Akkordarbeiterinnen wurden. Sie wuschen, sie schnibbelten, sie drehten Haare auf, sie tönten und färbten, und sie unterhielten sich dabei mit ihren Kundinnen, ohne sich allerdings richtig um die Probleme und Sorgen der Ladies zu interessieren. Es war immer gut, wenn man ihnen zustimmte, nur nicht dagegen sprechen, denn wer sich beschwerte, kam nicht mehr wieder. Rechts und links des Mittelganges schimmerten die Spiegel an den Wänden. Gnadenlos, denn im hellen Licht war das Alter der Kundinnen deutlich zu erkennen. An der Stirnseite des Raumes, wo die Illustrierten lagen und auch all die Mittelchen und Wässerchen standen, sah ich unter anderem drei Türen. Eine davon führte dorthin, wo der Kunde Finger- und Fußnägel behandeln lassen konnte, eine andere trug die Aufschrift Toilette, und die dritte Tür führte in Mac Maschkes Privaträume. Sie war für mich interessant. Natürlich hatte man mich gesehen und hielt mich auch unter Kontrolle, denn ich wirkte in diesem Laden wie ein Fremdkörper. Anders hätte ein Papagei am Nordpol auch nicht ausgesehen, doch das kümmerte mich nicht. Hinter mir hörte ich ein hartes Klappern. Ich brauchte mich nicht umzuschauen, sondern nur kurz in den Spiegel zu sehen, um erkennen zu können, daß es Cleo sehr eilig hatte, mich zu erreichen. Das geschäftsmäßige Lächeln war aus ihren Zügen verschwunden. Einige der Frisösen kannten den Gesichtsausdruck wohl, sie schauten
gespannt zu, was da jetzt passieren würde. Ich drehte mich schnell auf der Stelle um und schaute die Heraneilende an. Sie erschrak und blieb stehen. »Mister, es tut mir leid, aber ich habe Ihnen gesagt, daß wir für Sie keinen Platz mehr frei haben. Wir sind ausgebucht.« »Ich sehe es.« »Dann gehen Sie bitte oder machen Sie einen Termin.« »Hören Sie, Cleopatra«, sagte ich so laut, daß andere Frisösen den Namen hörten und mehr oder weniger auffällig grinsten und kicherten. Anscheinend >gönnte< man Cleo diese Anrede, die sie nicht leiden konnte, denn sie war zusammengezuckt und hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Ja bitte.« »Es gibt doch hier einen Chef. Mac Maschke, nicht wahr?« »Ja, den gibt es.« »Dann kann er mir doch die Haare schneiden. Mir ist es egal, von wem ich bedient werde.« Ich hatte etwas Schreckliches gesagt, denn Cleo sah aus, als würde sie jeden Moment umfallen. Sie schwankte und verdrehte dabei die Augen. »Haben Sie was?« »Ja«, flüsterte sie und fing sich wieder. »Ja, ich möchte, daß Sie gehen und nicht mehr…« »Was ist mit dem Chef?« »Sie werden bei ihm keinen Termin kriegen. Außerdem schneidet er kaum noch selbst, und wenn, dann nur bei besonderen Kunden.« Sie schaute mich mit einem Blick an, der mir klarmachte, daß ich nicht zu den besonderen Kunden gehörte. »Meinen Sie?« »Ja, das meine ich!« »Ich werde es trotzdem versuchen.« Mein Daumen zeigte auf die Tür mit der Aufschrift Privat. »Dort kann ich ihn doch finden, oder nicht?« »Sie können nicht…« »Passen Sie mal auf, schöne Cleo. Bisher war es Spaß, jetzt wird es ernst.« Ich hielt ihr meinen Ausweis so hin, daß sie ihn auch lesen konnte. Sie schaute ihn sich an. Erst einmal, dann noch einmal. Ihre Lippen bewegten sich. Von ihrem Mund las ich ab, daß sie den Namen Scotland Yard buchstabierte, ohne jedoch einen Ton dabei zu sagen. »Polizei?« »Ja, so ist es.« »Aber wieso…?« »Ich muß mit Ihrem Chef reden.«
Sie sagte nicht, daß er nicht da wäre, schon ein Vorteil, statt dessen hatte sie mit sich selbst zu tun, um die Fassung zu bewahren. »Da… da… muß ich Sie trotzdem anmelden…« Ich nickte ihr lächelnd zu. »Das lassen Sie mal bleiben, Sie schöne Barbie-Puppe. Ich gehöre zu den Menschen, die sich überall zurechtfinden. Sogar in Frisörläden.« Cleo verdrehte die Augen. »Frisörläden… meine Güte, wie sich das anhört. Das ist ja…« »Habe ich denn unrecht?« fragte ich nur und ließ sie stehen. Ein großer Schritt brachte mich auf die leicht beige lackierte Tür zu. Die golden schimmernde Klinke drückte ich nach unten und betrat einen Gang, in dem es nicht mehr so stark nach Parfüm roch wie vorn im Laden. Auch das Ambiente hatte mit dem nichts mehr zu tun. Vorne hui, hinten pfui, das traf genau zu, denn die kahlen Wände des Gangs strömten im Vergleich zum vorderen Raum das Flair einer Leichenhalle aus. Ich konnte unter mehreren Türen wählen. Im kalten Licht der Deckenleuchte sah ich einen Typen herumlungern, auf den hervorragend der Begriff Gorilla paßte. Er war ein Aufpasser, Typ Catcher, der wohl jeden Tag in ein Fitneß-Studio latschte. Er trug ein TShirt, eine leichte Jacke und auf dem Kopf nur einen dünnen Flaum von blonden Haaren. Ich ging, ohne zu zögern, auf ihn zu und blieb erst dann stehen, als er mich ansprach. »Sie haben sich doch hoffentlich verlaufen, Mister?« Er grinste so freundlich, daß ich nicht anders konnte und einfach zurücklächeln mußte. »Nein, ich habe mich nicht verlaufen. Ich suche den großen Meister hier. Mac Maschke, den Mann mit den Scherenhänden, den Meister des Föns und des Kamms. Da bin ich doch richtig.« »Ja.« »Wunderbar, ich danke Ihnen.« Ich wollte mich der Tür zuwenden, aber dagegen hatte der Knabe etwas. Er legte mir seine Catcherpranke vor die Brust und sagte nur: »Hau ab, du Schweinebacke, sonst setzt es Hiebe! Klar?« »Haben Sie sich das auch gut überlegt?« fragte ich cool. »Sehr gut sogar.« »Das glaube ich nicht. Sollten Sie mich nicht zu Mac Maschke vorlassen, könnten Sie Ärger kriegen.« »Den kriegst du gleich, wenn du nicht…« »Scotland Yard«, sagte ich nur. Es war gleichzeitig ein Versuchsballon, den ich gestartet hatte, aber er reichte aus. Vielleicht hatte der Knabe schon mal Ärger mit uns bekommen, jedenfalls wurde er ruhig und wollte meinen Ausweis sehen. »Sobald Sie Ihre Finger von meiner Figur genommen haben«, sagte ich. Seine Hand sank nach unten. Wenig später las er den Ausweis.
Er machte ein Gesicht wie jemand, der vor dem Frühstück auf bitteren Schalen kauen mußte. Als er wieder normal schaute, wollte er mich anmelden, das wiederum paßte mir nicht. »Ich bin schon groß, Meister, und finde mich auch allein zurecht. Vielen Dank für die Liebesmüh.« Ich hatte ihn überrumpelt und ließ mich auch nicht stoppen, als ich die Tür öffnete. Es war ganz einfach. Wie von zarten Händen geführt, schwang die Tür nach innen, und ich brauchte kein Vorzimmer mehr zu durchschreiten, um in das Allerheiligste treten zu können. Es war ein Raum der Zukunft. Und in ihm saß Mac Maschke, der Chef der schwarzen Henker! *** Er machte ein Gesicht, als wäre ihm das Essen versalzen worden. Er starrte mich nur an, ein schwarzes Gespenst mit einem sehr hartgeschnittenen bleichen Gesicht und einer ebenfalls lackschwarzen Haarpracht auf dem Kopf, die er nach der neuesten Mode geschnitten hatte, denn im Nacken wuchsen sie lang und hinter den Ohren leicht zusammen. Ein schwarzes Hemd, eine schwarze Hose – ich konnte sie deshalb sehen, weil der Schreibtisch aus Acrylglas bestand – , eine schwarze Lederweste ohne Ärmel, einige Silberketten um den Hals und die dazu passenden oder unpassenden Ringe an den Fingern. »He… he…«, sagte er und winkte mir mit einer läppisch wirkenden Bewegung zu. Ich schloß die Tür ziemlich schnell. Der Zufall wollte es, daß der Leibwächter sie mitbekam. Wo, konnte ich nicht sehen. Jedenfalls lief er dagegen, und ich hörte einen dumpfen Laut. »Hallo, Mac«, sagte ich nur. »Scheiße, wer bist du?« Bevor ich ihm den Ausweis auf den Schreibtisch legen konnte, wurde die Tür wieder aufgezogen. »Das ist ein Bulle!« rief der Gorilla. »Sogar einer vom Yard!« Maschke blieb ruhig, ich aber sagte: »Ihr Dampfbeißer da hinten hat recht.« »Was wollen Sie?« »Reden. Allerdings unter vier Augen.« »Hau ab!« Der Leibwächter verzog sich lautlos. Ich aber ging vor. Es war ein großer Raum, und er war in Maschkes Lieblingsfarbe eingerichtet, nämlich schwarz. Für Licht sorgten Strahler, die ihren Schein auf den teerdunklen Teppich schössen und die Stellen erhellten, die wichtig waren, so zum Beispiel der Schreibtisch,
durchsichtig und mit gewissen Utensilien versehen, die ebenfalls aus dem gleichen Material bestanden. Natürlich zählte das Telefon auf durchsichtigem Acryl dazu, dann die Schalen für Schreibgeräte, und ganz rechts stand eine Box für Briefe und schmale Ordner. Ich holte mir einen schwarzen Besucherstuhl und ließ mich darauf nieder. Das straff gespannte Leder der Sitzfläche federte unter meinem Gewicht, und Maschke, der von meiner Selbstsicherheit überrascht war, fand erst jetzt die Sprache wieder. Zuvor aber strich er über den schmalen Rücken seiner leicht gekrümmten Nase, dann lachte er etwas ins Leere hinein und fragte, was dieser Besuch denn solle. »Ein Gespräch.« »Aha.« Wenn ich ihn mir so anschaute, machte er auf mich nicht den Eindruck eines Killer- oder Bandenchefs. Maschke konnte durchaus als lockerer Typ durchgehen, ich wußte aus den Akten, daß er tatsächlich von Beruf aus Frisör war, sich heute Stylist nannte, aber das richtige Geld über andere Kanäle hereinbrachte. Ob er mit der Mafia zusammenarbeitete, konnte ich nicht sagen, es bestand aber der Verdacht, denn Costello und seine Leute ließen keinen anderen in London hochkommen. Jerome T. Harker hatte fast agiert wie ein Staatsanwalt. Er hatte Maschke und seine Bande vor Gericht stellen wollen. Dazu war es ja nicht mehr gekommen. Seine dunklen Augenbrauen zuckten immer wieder. Er versuchte, mich einzuschätzen, was ihm wohl schlecht gelang, denn er fand nicht den richtigen Ansatz für ein Gespräch. »Nervös?« fragte ich ihn. »Nein, warum?« »Nicht jeder bekommt am frühen Morgen Besuch von der Polizei.« »Ich kann damit leben.« Ich grinste ihn an. »Fragt sich nur, wie lange noch?« Mac Maschke reagierte erst nach einer Weile. »Verdammt, was soll das denn heißen?« »Es könnte sein, daß jemand noch eine alte Rechnung bei Ihnen offen hat.« Er lachte knarrend. »Tatsächlich? Wer denn?« »JeromeT. Harker!« Ich hatte den Namen sehr langsam und deutlich ausgesprochen und war auf Maschkes Reaktion gespannt. Die erfolgte erst mal nicht. Er zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch Richtung Decke und schüttelte den Kopf. »Da komme ich überhaupt nicht mehr mit.« »Sie kennen den Mann nicht?« Maschke stäubte Asche ab. »Es könnte sein, daß ich mich schwach an ihn erinnere.«
»Auch gut. Vielleicht werden Sie sich gleich besser erinnern, Mr. Maschke.« »Glaube ich nicht.« »Warum nicht?« »Er ist doch tot – oder?« »Aha, Sie erinnern sich doch.« »Ja, allmählich.« »Und das ist das Problem, Mr. Maschke.« Ich nickte betrübt. »Man kann nicht sicher sein, ob er tatsächlich tot ist. Im Moment ist alles offen. Es gibt jedenfalls einen Zeugen, der praktisch das Gegenteil von dem behauptet.« »Wer ist das denn?« Ich winkte ab. »Das tut doch nichts zur Sache, Mr. Maschke. Jedenfalls ist mir dieser Zeuge bekannt, und der schwört, den Richter gesehen zu haben.« »Unmöglich.« Maschke schlug auf seinen Schenkel. »Das geht nicht. Harker wurde, wenn ich mich recht erinnere, geköpft.« »Ja, es war ein schlimmes Ende. Man hat den Richter auf die Schienen gelegt.« »Ohne seine Mörder zu finden?« »Leider.« Mac Maschke grinste mich an. »Wirft ja ein schlechtes Licht auf die Polizei.« »Stimmt.« Er hob die Arme. »So leid es mir tut, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich bin da aus dem Schneider, wenn Sie verstehen. Ich…« Das Telefon meldete sich. Es spielte dabei eine Melodie, und Maschke hob ab. Sein Pech war, daß der Anrufer ziemlich laut sprach, und ich die Sätze verstehen konnte. »Chef, Kojak und Shayne sind verschwunden. Sie sollten doch…« »Halt’s Maul, ich bin nicht allein.« Schweigen! Ich spitzte die Ohren, um zu hören, wie Maschke den Anrufer beruhigte und ihm erklärte, daß sie sicher bald erscheinen würden. Dann legte er auf. Diesmal etwas verunsichert, denn ich sah Schweißtropfen auf seiner Stirn, die er schnell abwischte. »Probleme?« erkundigte ich mich. Er spielte mit seinen Silberketten. »Manchmal läuft es eben nicht so, wie man es gern hätte.« »Da sagen Sie was!« Er kam mir vor, als wäre er aus einer tiefen Erstarrung erwacht, als er sich aufrichtete. »So, Mr. Sinclair, jetzt sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen.« »Sie kennen meinen Namen?«
»Ja, zufällig. Ich habe schon mal was über Sie gehört und Sie auch gesehen.« »Wunderbar, dann wissen wir ja, was wir voneinander zu halten haben.« Ich räusperte mich. »Sie können mich für einen Spinner halten, Mac Maschke, aber manchmal – zum Glück geschieht es nur selten – kehren die Toten wieder zurück.« Er grinste breit. »Ahm – Zombies, wie?« »Sie kennen sich aus.« »Klar, ich bin Horror-Fan. Habe schon genügend Filme gesehen. Die ziehe ich mir noch immer rein.« »Dann kann Sie ja nichts mehr überraschen – oder?« »Genau.« »Dann wird es Sie auch bestimmt nicht überraschen, wenn jemand auftaucht, der eigentlich tot sein müßte, und der sich bewegt, obwohl er keinen Kopf mehr hat.« Maschke starrte mich an. Er leckte über seine Lippen, dann hauchte er: »Soll das ein Witz sein?« »Nein, damit mache ich keine Witze. Ich habe einen anderen Humor, wie Sie sich denken können. Ich will Ihnen sogar den Namen des angeblich Toten sagen.« »Bin gespannt.« »Der Richter Harker.« Maschke lachte meckernd und schlug sich dabei auf die Schenkel. Seine flachen Hände klatschten dabei auf das weiche Leder der Hose, aber seine Reaktion konnte mich nicht überzeugen, denn sie wirkte auf mich einfach zu überzogen und gespielt. Er stoppte das Gelächter und seine Bewegungen abrupt. »Hören Sie, Sinclair, Sie sind doch nicht hier erschienen, um mich zu verarschen?« Sein Blick war lauernd, und aus den Augen strömte mir Kälte entgegen. »Überhaupt nicht. Ich denke, diejenigen, die den Richter hatten loswerden wollen, haben einen großen Fehler begangen, den sie nicht mehr korrigieren können.« »Inwiefern denn? Interessiert mich mal rein prophylaktisch.« »Ob vorbeugend oder nicht«, sagte ich, »die Personen hätten sich mehr mit dem Background des Richters beschäftigen sollen. Wahrscheinlich sind sie dabei an den Falschen geraten. Auch Richter sind nur Menschen, doch manchmal sind die etwas Besonderes. Da ist es möglich, daß sie mit Mächten im Bunde stehen, die uns haushoch überlegen sind. Ich beschäftige mich damit, es ist mein Job, und ich will Ihnen wirklich keine Angst einjagen.« »Was denn?« »Ich wollte Sie durch meinen Besuch auffordern, ein wenig nachzudenken.« »Schön. Und dann? Was ist, wenn ich nachgedacht habe?«
»Vielleicht erinnern Sie sich dann an die Wahrheit. Einfach daran, wie es wirklich gewesen sein soll.« »Und an was, verdammt?« »An Harkers Tod.« Er schnaufte mich an. »Verflucht noch mal, das hört sich an, als würden Sie mich verdächtigen, den Richter umgebracht zu haben.« »Sein Mörder wurde noch nicht gefunden.« »Weiß ich. Und ich weiß auch, daß er und seine Kumpane mir etwas ans Zeug flicken wollten, aber das war nicht drin. Ich habe hier mein Geschäft, ich zahle Steuern…« »Und Sie haben einen Leibwächter vor der Tür stehen. Etwas ungewöhnlich für einen Frisör, finden Sie nicht auch?« »Das geht nur mich etwas an!« »Klar.« Ich lächelte. »Wie gesagt, ich bin gekommen, um Sie zu warnen oder einzuweihen. Wenn Ihnen jemand begegnet, der nicht mehr aussieht, wie man sich einen normalen Menschen vorstellt, kann es für Sie zu spät sein.« »Ja«, sagte er, »es ist für mich zu spät. Aber anders als Sie meinen, ich habe zu tun und möchte mir Ihr komisches Gewäsch nicht mehr anhören. Gehen Sie jetzt!« »Das werde ich.« Als ich aufstand, erhob auch er sich. Sei ne Hände hatte er zu Fäusten geballt, der Blick war nicht mehr so sicher und überheblich. Ich glaubte sogar, Angst in seinen Pupillen zu erkennen. Als ich zur Tür ging, blieb er dicht hinter mir. Ich öffnete, wollte hinaustreten – und wäre fast über die dunkle Pfütze gestolpert, die sich vor der Tür ausbreitete. Ich zuckte nicht zurück, sondern schaute genauer nach. Das Licht war hell genug, um die Pfütze als Blutlache erkennen zu können! Und als ich nach rechts schaute, war das Grauen perfekt. Auf dem Boden lag der Leibwächter. Er war geköpft worden! *** Suko war froh, einen Parkplatz gefunden zu haben. Er hatte nicht seinen BMW mitgenommen, sondern sich auf einen älteren Dienstwagen des Yard verlassen, der auf einem Hinterhof parkte, dem Parkplatz eines kleinen Baumarkts. Von seiner Aufgabe war er nicht eben begeistert, doch es war eine Chance, die Spur aufzunehmen, die ihn zur Bande der schwarzen Henker führte. Sie hatte ihr Domizil in einem Gebiet, in dem die Bevölkerung ziemlich dicht beisammen wohnte. Entsprechend mußte auch für das Wohl dieser Menschen gesorgt werden. Geschäfte, Kneipen, kleine Billigrestaurants, hier und da ein Sex-Shop, zwei kleine Kinos, auch drei nicht
subventionierte Theater, ein Markt, das alles fand sich in diesem Gebiet des östlichen Londons und südlich der Themse. Hier sollte die Bande der schwarzen Henker regieren! Suko wußte es nicht mit Bestimmtheit, er mußte sich da auf gewisse Quellen verlassen. Das Problem war nur, die Spur zu finden und auch Menschen zum Reden zu bringen. Mit den normalen Bewohnern hatte die Bande wohl nicht viel zu tun. Wichtig waren die Geschäftsleute, die von den schwarzen Henkern erpreßt wurden, was natürlich kaum jemand zugeben wollte. Da hatte Suko manch harte Nuß zu knacken. Bei den Kollegen hatte er sich Informationen geholt und eine Liste mit den Namen der Geschäftsleute erhalten, die aller Wahrscheinlichkeit nach erpreßt wurden. Es standen einige auf seiner Liste, die Adressen waren ebenfalls angegeben worden, und Suko konnte sich aussuchen, wo er anfangen wollte. Leider befand sich keiner seiner Landsleute darunter. Bei ihnen hätte er den Bogen des Vertrauens schnell spannen können, bei anderen würde es mit Sicherheit Schwierigkeiten geben. Suko rechnete damit, daß keiner dieser Leute den Mund aufmachen würde, und deshalb wollte er nicht mit der Tür ins Haus fallen. Er hatte sich einen anderen Plan zurechtgelegt. Suko wollte den Beobachter spielen. Sich die Gegend anschauen, hinter die Kulissen blicken, beobachten, denn es war damit zu rechnen, daß sich die Bande hier in der Gegend zeigte. Den Informationen der Kollegen nach zu urteilen, waren die schwarzen Henker immer aktiv. Sie kassierten das Schutzgeld Tag für Tag und hatten wohl ihre bestimmte Route. Wo sie allerdings anfangen würden, hatte man Suko leider nicht sagen können. Einen Vorteil verbuchte er für sich, das Wetter nämlich. Es regnete nicht. Zwar war der Himmel bedeckt, es trieb auch weicher Dunst durch die Straßen, aber der Regen hielt sich zurück, das fand er gut. Es herrschte auch in der Morgenstunde ziemlich viel Betrieb. Auf den Gehsteigen ebenso wie auf den Straßen, durch die Suko wanderte. Ihm begegneten zahlreiche Menschen der unterschiedlichsten Hautfarben. Diese Gegend hier war ein Schmelztiegel, aber Chinesen sah Suko so gut wie keine. Die lebten woanders. Er passierte die Geschäfte, er sprach hin und wieder mit Leuten, um sich nach Wegen zu erkundigen und hielt die Augen offen, denn die schwarzen Henker mußten eigentlich zu erkennen sein. Sie waren so frech und abgebrüht, Jacken zu tragen, die auf der Rückseite die Aufschrift ihres Kampfnamens trugen.
Als er durch einen schmalen Querweg gegangen war und eine weitere Straße erreicht hatte, da blieb er an der Einmündung stehen und war alarmiert. Schräg gegenüber befand sich ein Imbiß. Sally’s Eating House! Sehr großspurig für diesen kleinen Laden, aber das störte Suko nicht. Ihn interessierten die beiden Typen, die wie normale Kunden die kleine Treppe hochgingen und die Ladentür aufstießen. Er hatte die dunklen Jacken gesehen und und die weiße Aufschrift auf den Rücken der Gestalten und wußte Bescheid. Suko konnte über die Frechheit der Typen nur den Kopf schütteln. Sie mußten doch wissen, daß man Ihnen auf den Fersen war, und trotzdem traten sie hier öffentlich auf. Sie waren dreist wie bisher und fühlten sich wohl noch immer sicher, denn die Geschäftsleute kuschten vor ihnen. Suko überquerte die Straße. Er ging normal, er fiel nicht auf, und er passierte den alten Opel, mit dem die beiden gekommen waren. Der Wagen stand schräg auf dem Gehsteig. Im Schaufenster stand ein künstlicher Tannenbaum neben der Preistafel. Der Tannenbaum erinnerte daran, daß in einigen Wochen Weihnachten war. Die Preistafel interessierte Suko nicht. Er stieß Sekunden später die Tür auf und betrat den Eßraum, in dem es nach kaltem Fett und Braten roch. Sally war eine Schwarze mit wilden, lockigen Haaren. Sie trug eine schneeweiße Schürze vor dem Leib und war dabei, flache Fleischstücke auf den Grill zu legen. An einer Stelle, wo die Hitze geringer war, toastete sie vier Brötchenhälften. Als Suko eintrat, drehte die Frau den Kopf und nickte ihm zu. Ihre Blicke kamen Suko leer vor. »Sie können sich an den Tisch setzen, ich komme dann.« »Danke, werde ich machen«, entgegnete Suko lächelnd. Zwei Männer außer Suko befanden sich in der Imbißstube. Es waren die schwarzen Henker. Sie hatten sich an einen Nebentisch gesetzt und ihre Beine auf die Stühle gelegt. Mit kalten Blicken beobachteten sie, wie der Inspektor seinen Platz einnahm. Sally kam und erkundigte sich nach seinen Wünschen. Sie war eine schlanke Person mit großen, goldenen Ohrringen. »Einen Hot Dog hätte ich gern.« »Mach’ ich Ihnen. Mit Ketchup?« »Ja, gern.« »Gut, auch etwas zu trinken?« »Ein Wasser.« »Danke sehr.« Sally hatte zwar gelächelt, doch Suko fand es sehr aufgesetzt. Diese Frau schien unter einem Druck zu stehen und Angst zu haben. Während sie sich um die Zubereitung der Speisen kümmerte, den beiden anderen
Gästen hatte sie zwei Dosen Bier gebracht, glitt ihr Blick immer wieder zu den Männern hin, die sie kalt und frecht angrinsten. Auch Suko beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Die Typen taten nichts, sie lungerten nur herum, aber sie sahen auch aus, als ließen sie sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen. Beide waren Weiße, beide trugen Schwarz und ihre fettigen Haare ziemlich lang. An den Fingern steckten Ringe, die Gesichter zeigten jenen Ausdruck der Brutalität, die anderen Menschen Furcht einjagte. Da war keine Freundlichkeit vorhanden, aber auch keine direkte Sicherheit, denn sie machten beide den Eindruck, als würden sie über ein schwerwiegendes Problem nachdenken. Suko saß am Nebentisch und dabei äußerst günstig. Er war nahe an den anderen Tisch und damit an sie herangerückt, so konnte er ihrer Unterhaltung lauschen, obwohl sie leise sprachen. Beide Männer vermißten ihre Kumpane. Suko hörte heraus, daß sie sich die Arbeit eigentlich hatten teilen wollen, doch dazu war es nicht gekommen, weil die anderen fehlten. Sie hatten sich auch nicht abgemeldet, was die Typen hier nervös machte, und Suko bekam auch mit, daß der Chef bereits Bescheid wußte. »Fertig?« rief einer von ihnen zur Kochtheke rüber. »Gleich.« »Wir haben heute nicht viel Zeit, Sally.« Der Mann, der gesprochen hatte, war ein kantiger, nicht sehr großer Typ mit einem vorstehenden Kinn und trüben Augen. Er trug einen dunklen Rollkragenpullover, der seinen Hals nicht völlig bedeckte. Der obere Teil lag frei, deshalb sah Suko auch die rote Narbe. Die beiden bekamen ihr Essen. Flache Hamburger von gerösteten Brötchenhälften bedeckt. Die Flasche Ketchup stellte Sally ebenfalls hin und sagte mit leicht zittriger Stimme: »Guten Appetit.« Der Narbige lächelte kalt. »Danke, daß du so nett bist und uns ein Essen spendierst. Wir werden es zu schätzen wissen.« »Natürlich.« Auch Suko bekam seinen Hot Dog. Er zahlte direkt und legte ein kleines Trinkgeld hinzu. Sally bedankte sich, bevor sie wieder zurück an ihren Platz ging und anfing, Pommes frites aus einem Karton in eine große Schublade zu schaufeln. Allmählich setzten sich die Stäbchen auch auf der Insel durch, ohne allerdings die Fish & Ships ablösen zu können. Sie zu essen, war für viele Briten Tradition, doch Suko konnte sich daran nicht gewöhnen. Die beiden anderen Gäste aßen und tranken. Sie gaben sich ganz normal, unterhielten sich auch, wobei sie nur allgemeine Themen ansprachen, bis der Narbige nickte und sich erhob.
Sally hatte die beiden beobachtet. Sie schreckte zusammen, als sie die Bewegung sah. Suko schluckte den letzten Rest seiner Wurst runter. Mit einer langsamen Bewegung hob er das Glas mit dem Mineralwasser und schaute über den Rand hinweg zur Eßtheke hin, wo Sally die Geste verstanden hatte, nickte und ihren Platz verließ. Durch eine schmale Tür gelangte sie in einen hinteren Raum. Sie schloß die Tür erst, nachdem der Narbige den Raum ebenfalls betreten hatte. Suko stand auf. Er wurde vom Nebentisch aus beobachtet, was ihn nicht störte. Erst als er auf die Tür zu den Toiletten zuging, die ziemlich dicht an der Theke lag, sprach der Typ ihn an. »Wo willst du denn hin?« »Mein Ende betrachten.« Der andere lachte. »Stark gesagt. Aber gib acht, daß du dich nicht verläufst.« »Keine Sorge, ich bin schon groß.« Hinter der Tür fand sich Suko in einem zugigen Gang wieder. Sein Plan war, in den hinteren Raum zu gelangen, wohin auch Sally und der Gast verschwunden waren. Leider hatte dieser keinen zweiten Eingang von der Seite her, aber Suko konnte durchaus einen Hinterhof erreichen, vorausgesetzt, die Tür am Ende des Ganges war nicht verschlossen. Er hatte Glück. Kalter Wind fuhr ihm ins Gesicht. Er verengte die Augen etwas, denn nur wenige Schritte entfernt parkte ein dunkler Mercedes Combi, dessen Fenster geschwärzt waren. Er gehört nicht den Typen, und Suko wunderte sich eigentlich über den Wagen. Er ging auf ihn zu, weil er das unbestimmte Gefühl hatte, daß dieser Mercedes wichtig für ihn sein konnte. – Von der linken Seite her erwischte ihn der Schlag. Er hatte sich noch darüber gewundert, daß ein Parfümgeruch in seine Nase geweht war, dann blitzte es vor seinen Augen auf, und er sackte auf der Stelle zusammen. Zwischen Wagen und Haustür blieb er liegen… *** »Das Geld!« forderte der Narbige. Sally nickte und zog die Schublade eines hölzernen Küchentischs aus, der in der Raummitte stand. Aus der Lade holte sie die schlichte breite Geldbörse hervor, ohne sie jedoch zu öffnen. Sie hatte ihr flache Hand auf den Reißverschluß gelegt. »Was ist los?«
»Ich… ich kann in dieser Woche nicht soviel zahlen. Das geht einfach nicht.« »Das stört mich doch nicht, was du für Probleme gehabt hast. Wenn du nicht zahlst, wird deine Bude bald in die Luft fliegen.« Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Gib das Geld her, wir müssen weiter.« Sally nickte. Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück. Sie zerrte den Reißverschluß der Geldbörse auf und griff mit spitzen Fingern in die Öffnung. Die Scheine knisterten. Sally hatte nicht viel. In der Kasse etwas Wechselgeld, das war alles. Sie fror, und sie spürte den eisigen Blick des Mannes auf sich gerichtet. Sie stand kurz vor dem Weinen. Ihre Haut war kalt, die großen Augen schwammen im Wasser, und der Narbige wollte keine Sekunde länger warten. Er rammte den Küchentisch aus dem Weg und riß der Frau die Geldbörse aus der Hand. »Her damit!« »Ich habe…« »Halt dein Maul!« Der Mann schüttete die Geldtasche aus. Etwas Kleingeld rollte hervor, dann faßte er nach den Scheinen, faltete sie auseinander und zählte nach. »Genau zweiunddreißig Pfund, Sally.« »Ich weiß, aber mehr habe ich nicht.« »Es sollten fünfzig Pfund sein.« Sie hob die Schultern und senkte den Kopf. »Fünfzig!« peitschte seine Stimme, und einen Augenblick später war er bei ihr. Sally schrie, als er sie mit der Faust schlug. Sie sank wimmernd zu Boden, wurde in die Höhe gezerrt und gegen die Wand geschleudert. »Fünfzig Pfund, du kleine Nutte!« Sally heulte. »Ich habe sie aber nicht!« »Dann mache ich dich fertig!« Sie rutschte vor ihm auf die Knie. »Wenn du mich totschlägst, kriegt ihr nichts mehr.« »Irrtum, Süße! Deine Bude hier kann immer vermietet werden.« Er trat sie, und Sally schrie klagend auf. In dieses Geräusch mischte sich ein anderes. Hinter dem Narbigen platzte die schmutzige Scheibe des Fensters auseinander. Der Mann fluchte, drehte sich herum – und glaubte, eine Halluzination zu erleben. Durch das zerstörte Fenster kletterte ein Mann ohne Kopf! *** Hätte ich nicht vor ihm gestanden, Maschke wäre gefallen. So konnte er sich an mir festklammern, sonst hätte ihm der Schreck des Anblicks die Beine weggerissen.
Ich hörte, wie er würgte und spürte auch seinen warmen Atem an meinem Ohr. Das alles ließ mich kalt, denn was ging mich dieser Gangster an? Ich schüttelte ihn ab und hetzte auf eine zweite Tür zu, die nicht geschlossen war. Wuchtig zerrte ich sie auf. Mein Blick fiel in einen Hinterhof. Er bildete so etwas wie eine zentrale Anlieferstelle für zahlreiche Geschäfte, die in dem Einkaufszentrum ihren Platz gefunden hatten. Große Rolltore unterbrachen die Monotonie der Rückseiten, wenige Wagen parkten kreuz und quer, doch für die hatte ich keinen Blick, ein Fahrzeug war wichtiger. Es war der dunkle Mercedes, auf den eine Gestalt zuhuschte, die auch mich erschreckte, obwohl ich mit ihrem Auftauchen hatte rechnen müssen. Daß ich sie so plötzlich sah, bekam ich nicht sofort auf die Reihe. Es war Jerome T. Harker, der Richter. Nein, jetzt war es der kopflose Zombie! Er hetzte auf den Wagen zu, dessen Motor lief. Er lief breitbeinig und hielt seine Waffe noch in der rechten Hand. Es war ein Schwert oder ein ähnlicher Gegenstand, jedenfalls schimmerte an der Klinge das Blut. Ich war einfach zu weit entfernt, um ihn stellen zu können. Ich wollte ihn mit einer Silberkugel stoppen, da setzte sich der Wagen bereits in Bewegung, und der Kopflose stieß sich ab. Zielgenau warf er sich durch die offene Hintertür in den Fond, als der Fahrer das Auto in eine Kurve riß, fiel die Tür von allein zu. Es gelang mir auch nicht mehr, den einen oder anderen Reifen zu treffen, der Schußwinkel war einfach zu schlecht, und der Fahrer, den ich nicht hatte erkennen können, zog den Wagen noch weiter herum, dann raste er auf eine Durchfahrt zu und verschwand. Ich hatte nicht einmal das Nummernschild erkennen können, wußte jetzt leider genau, daß es den Kopflosen gab. Auf meinem Rücken spürte ich einen eisigen Schauer. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zurückzugehen, und das tat ich sehr schnell. Ich fand Mac Maschke in seinem Büro. Er hockte totenbleich hinter dem Schreibtisch und trank Whisky aus der Flasche. Um ihn kümmerte ich mich nicht. Das Telefon war wichtiger. Ich alarmierte die Zentrale, denn es blieb mir nur die Chance einer Fahndung. Gleichzeitig mußte ich die Kollegen warnen, denn wer immer den Wagen zu stoppen versuchte, würde mit einem brutalen Widerstand zu rechnen haben. Anrufe wie den meinen war man dort gewohnt. Die Kollegen reagierten schnell, und ich ließ mich anschließend mit Sir James Powell verbinden, der sprachlos war, als er meinen Bericht hörte. »Das ist doch…« »Sagen Sie nicht unmöglich, Sir. Es gibt den kopflosen Rächer.« »Nicht den Richter?«
»Er hat keinen Kopf mehr. Ich habe ihn nicht erkannt. Aller Wahrscheinlichkeit ist er es gewesen.« »Klar. Er hat sogar einen Helfer.« »Das stimmt, Sir.« »Sie haben nichts von dem Fahrzeug erkannt?« »Nein, nur die Marke.« »Dann hoffe ich, daß wir ihn finden und es nicht noch mehr Tote gibt.« »Ich weiß nicht, Sir, ob ich das unterschreiben kann. Die Bande vermißt zwei ihrer Mitglieder. Es ist durchaus möglich, daß auch sie geköpft worden sind.« »Meine Güte, das ist ja unaussprechlich. Das ist… eine Katastrophe, John. Wenn die Presse davon Wind bekommt, daß durch London ein Köpfer irrt…« »Wir müssen es geheimhalten.« »Gut. Ich höre von Ihnen.« »Und was ist mit Suko, Sir?« »Er ist im Gebiet der Bande unterwegs, ohne sich allerdings gemeldet zu haben.« »Ja, das dachte ich mir.« »Was machen Sie?« »Schicken Sie bitte die Mordkommission her, und ich werde mich um Mac Maschke kümmern.« »Denken Sie, daß er redet?« Ich warf dem Haarartisten einen schrägen Blick zu. Er trank nicht mehr und starrte aus glasigen Augen ins Leere. Die halbleere Flasche stand auf dem Schreibtisch. »Viel ist mit ihm nicht anzufangen, Sir. Mal sehen, was ich erreichen kann.« »Gut, ich warte.« Der Hörer lag wieder auf, und ich drehte mich zu Maschke herum. Gerade rechtzeitig, um zu verhindern, daß er sich erneut die Flasche schnappte und wieder trank. Ich war schneller, stellte die Flasche in sicherer Entfernung ab, und Maschke schaute mich wütend an. »Laß mich doch trinken, du Arsch!« »Nein!« Er lachte glucksend und lag dabei mehr im Sessel, als daß er saß. »Was willst du denn, Bulle? Ich habe gerade einen Kumpel gesehen, der keinen Kopf mehr hat. Abgeschlagen, einfach so! Ist doch stark, nicht wahr? Richtig irre…« »Nein, es ist nicht stark.« Ich ging auf ihn zu und zerrte ihn hoch. Er kam mir vor wie eine Puppe. Ich konnte mit Maschke machen, was ich wollte, ihn auch durchschütteln, was ihn nicht weiter störte, denn er schaute mich mit seinem glasigen Blick an und hatte die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen. »Können Sie sich vorstellen, daß Sie als
nächster an der Reihe sind? Daß jemand hier erscheint und auch Ihnen den Schädel abschlägt?« Er lachte. Ich versuchte es noch einmal, ohne Erfolg. Maschke hatte einfach zu viel getrunken. Ich ärgerte mich darüber, denn normalerweise wäre ich bestimmt in der Lage gewesen, einiges aus ihm herauszubekommen. So aber konnte ich mich anstrengen, wie ich wollte, Maschke würde nicht reden. Er war total betrunken. Die Lücke im Zaun war wieder dicht. Ich konnte nichts tun und nur darauf hoffen, daß Suko vielleicht mehr Glück bei seinen Nachforschungen hatte. *** Daß Sally über den Boden und damit von dem Narbigen wegkroch, war ihm egal. Die Verkäuferin interessierte ihn überhaupt nicht, er schaute nur der kopflosen Gestalt zu, die langsam und mit großen Schritten näher kam und dabei die Waffe von einer Seite zur anderen schwang. Der Mann dachte nichts mehr. Erstand da und lachte. Kichernd, nicht laut, mehr wie eine alte Frau, und seine Augen weiteten sich immer stärker. Beinahe sahen sie aus, als wollten sie aus den Höhlen springen. Der Mund zuckte, immer wieder schüttelte er den Kopf und dachte nicht einmal daran, eine Waffe zu ziehen. So kam der Kopflose näher! Er holte aus. Der Narbige kicherte noch immer. Zwei Sekunden später nicht mehr. Da war sein Kopf vom Körper geschlagen worden. Der Kopf lag auf dem Boden, aber der dümmliche Ausdruck auf seinem Mund hatte sich wie eingeätzt. Die Augen starrten entsetzt. Der Kopflose drehte sich um. Seine Waffe beschrieb den Bogen mit. Blut spritzte in dicken Tropfen zu Boden. Sally lag neben dem Tisch. Sie erlebte alles mit. Ihr war heiß und kalt. Sie wußte nicht, ob es Wirklichkeit war oder sie nur einem Traum nachhing, jedenfalls stierte sie gegen die Beine des Kopflosen. Nach oben wollte sie ihren Blick nicht wenden. Das… das konnte sie einfach nicht übers Herz bringen. Zuviel Grauenvolles und Unerklärliches war geschehen. Mit einer schwerfälligen und stampfenden Bewegung drehte sich der kopflose Rächer um. Seine Frontseite wies wieder auf das zerstörte Fenster, auf das er zuging. Er wollte auf dem Weg zurück, den er auch gekommen war. Er kletterte hinaus, als wäre nichts geschehen. Sally sah seinen Rücken. Die Schmerzen an ihrem Körper spürte sie nicht mehr, denn das war alles zweitrangig geworden.
Sie schaute dem Kopflosen nach. Er plumpste nach draußen… Jetzt erst kam Sally dazu, auch Luft zu holen. Noch immer auf Händen und Füßen bewegte sie sich voran. Mit der Schulter stieß sie gegen ein Tischbein, sie drehte deshalb das Möbelstück ein wenig nach rechts, und durch diese Bewegung wurde der Blick frei. Sie sah das Blut, den Körper – und auch den Kopf. In diesem Augenblick brach der Damm, und Sally schrie wie noch nie in ihrem Leben… *** Der Schlag, mit welchem Gegenstand auch immer geführt, hatte den Inspektor zwar hart erwischt, aber nicht so hart, als daß er für eine längere Zeit bewußtlos gewesen wäre. Er war groggy, ausgeschaltet, er nahm Geräusche wahr, er hörte sie wie aus weiter Ferne und wie durch Watte gedämpft. Immer wieder kämpfte er gegen die Wogen an, die ihn in das Dunkelgrau der Bewußtlosigkeit zerren wollten, doch er hielt sich tapfer, er durfte den Faden jetzt nicht völlig verlieren und mußte sich einfach zusammenreißen. Er rollte sich auf die Seite. Mit dem Kopf schrammte er über den Boden, dann holte er Luft und hatte das Gefühl, einen Schwamm im Hals stecken zu haben. Er schob den Arm vor, ertastete die Hauswand und stützte sich daran ab. Liegenbleiben, sich noch etwas erholen, dafür sorgen, daß die grauen Nebel wichen. Tritte in seiner Nähe. Wer ging dort? Suko schaffte es nicht, sich umzudrehen. Wieder rollte lautlos eine Welle an, aber diesmal war sie nicht so stark, um ihn direkt fortzureißen. Er hielt sich. Und es klappte jetzt besser. Bis ihn der gellende Schrei erreichte. Wie eine Sirene durchdrang er die Stille, schnitt messerscharf in sein Gehirn, sorgte sogar für Schmerzen, aber gleichzeitig auch dafür, daß er sich noch mehr zusammenriß. Er hob den Oberkörper an und drehte den Kopf, daß er in den Hof hineinblicken konnte. Schwammiger Nebel… Konturen. Ein Auto, eine Gestalt – und eine zweite. Die letztere tauchte von der linken Seite her auf, als hätte sie zuvor im Schatten der Hauswand gelauert. Suko, der mittlerweile kniete, hatte Mühe, sie zu erkennen. Für ihn war diese Gestalt nicht mehr als ein formloses Gebilde, dabei ziemlich klein oder gedrungen geraten, zudem auch schwankend.
Er stützte beide Hände gegen den Boden, wartete einen Augenblick und hörte, wie ein Motor zuviel Gas bekam und dabei ziemlich laut aufheulte. Einen Moment später kam Suko aus der Hocke hoch. Plötzlich stand er wieder. Zwar schwankte er, doch er fiel nicht um. Die Mauer gab ihm Halt, und als er seinen Blick dorthin richtete, wo er das Motorengeräusch hörte, da sah er den Kopflosen, wie dieser soeben in den Wagen stieg und die Tür zuknallte. Dann fuhr der Wagen weg. Gleichzeitig drang Suko auch der gellende Schrei ins Bewußtsein. Er mußte im Haus aufgeklungen sein. Suko löste sich von der Hauswand, er taumelte auf das zerstörte Parterre-Fenster zu, das zu seinem Glück nicht zu hoch lag. Obwohl er noch immer ziemlich angeschlagen war, schaffte er es, in den Raum zu klettern. Einige Splitter zogen Schrammen in die Lederjacke, worum er sich nicht kümmerte, denn für ihn waren andere Dinge wichtiger. Er fiel in den Raum hinein. Das Schreien hatte nicht aufgehört, war leiser geworden, und Suko, wieder kniend, schaute nach vorn. Er sah das entsetzliche Bild, das der Tote bot. Er wollte es nicht sehen und ließ seinen Blick wandern. In der Tür stand einer der beiden Gäste. Er war grün im Gesicht. Beide Hände hielt er vor seinen Mund gepreßt. Auf Suko achtete er nicht. Irgendwann drehte er sich um und rannte davon. Suko blieb, ebenso wie Sally, die nicht mehr schrie. Sie hockte auf dem Boden und hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen. Die vormals weiße Schürze zeigte rote Blutflecken, die sich wie ein Sprenkelmuster verteilten. Suko raffte sich auf. Er wollte zu ihr gehen, um sie zu trösten. Seine Schritte schleiften über den Belag. Er war einfach noch zu schwach, doch da er wußte, daß viel auf ihn ankam, holte er sich auch die Kraft zurück, die er benötigte. Neben Sally blieb er stehen. Als er sie anfaßte, zuckte sie zuerst zusammen, schrie dann auf und schüttelte sich. »Kommen Sie, Sally, kommen Sie…« »Neiiinnn!« würgte sie hervor. »Ich kann nicht. Laß mich in Ruhe, laß mich in Ruhe!« Sie schüttelte dabei den Kopf, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen. Suko sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sie in den Laden zu bringen. Fr ging allein und versuchte dabei, den Schwindel zu stoppen, der ihn überfallen hatte. Zwei Kinder standen vor der Theke. Sie schauten ihn aus großen Augen an. »Wo ist Sally?« »Geht!« keuchte Suko. »Bitte, Sally kommt heute nicht mehr. Geht lieber.«
Die beiden sahen aus, als hätte Suko ihnen Angst eingejagt. Sie nickten und zogen sich zurück. Suko konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Mit unsicheren Bewegungen zog er sich zurück. Er glitt an der Verkaufstheke entlang und stützte sich dort mit beiden Händen ab. Hinter der Theke hatte er ein Telefon entdeckt. Er mußte beim Yard anrufen und die Mordkommission alarmieren. Suko hatte Mühe. Der Hörer kam ihm schwer vor, die Tastatur verschwamm vor seinen Augen. Dennoch dachte er über den Fall nach, und immer wieder kam ihm in den Sinn, daß der Rächer ohne Kopf einen Komplizen gehabt haben mußte. Einer, der den Fluchtwagen fuhr. Doch, wer, zum Henker, hatte die Nerven, sich mit einer derartigen Gestalt einzulassen? Suko wußte es nicht. *** Töpfeweise hatte Mac Maschke den Kaffee in sich hineingeschüttet. Der Salon vorn war geschlossen worden, die Kundinnen hatten mit ihren unfertigen Frisuren nach Hause gehen müssen, was natürlich zu Aufständen geführt hatte. Doch darauf konnte keiner von uns Rücksicht nehmen. Hier ging es um ein makabres brutales Verbrechen, das wir aufklären mußten. Dabei sollte uns Mac Maschke helfen. Die Mordkommission war erschienen. Sie wurde von einem alten Bekannten und Freund geleitet. Chiefinspektor Tanner, der Mann mit dem Hut, dirigierte seine Mannschaft, und er, der sonst um Worte nicht verlegen gewesen war, hatte ziemlich hart schlucken müssen, als er den Tatort betrat. Er und ich saßen Mac Maschke gegenüber. Tanner hatte von ihm die Zustimmung erhalten, ein kleines Band mitlaufen zu lassen, und ich hatte mich mit Cleo in Verbindung gesetzt. Sie war jetzt die Kaffeeköchin. Das tat sie zwar nicht gern, doch ich hatte ihr keine andere Wahl gelassen und sie gescheucht. Sie kam mit frischem Kaffee, und ich schenkte Maschke die Tasse wieder voll, weil er es mit seinen zittrigen Händen nicht konnte. Auch die Tasse mußte er mit zwei Händen halten. Bevor wir Fragen stellen konnten, betrat einer von Tanners Männern den Raum. Er zerrte die Tür des kleinen Raumes auf, in den wir uns zurückgezogen hatten und der normalerweise als Lager diente, denn wir waren von mit Gläschen und Tiegeln gefüllten Regalen umgeben und nahmen auch den entsprechenden Geruch auf. »Für Sie, Mr. Sinclair – Telefon!« Erreichte mir einen tragbaren Apparat. Ich kam nicht dazu, mich zu melden, es war Sir James, der mich sprechen wollte. Schon beim ersten, neutral klingenden Wort wußte ich, daß etwas passiert war.
»Suko hat sich gemeldet, und er hat den kopflosen Killer gesehen, den Richter.« »Wo, Sir?« Ich bekam die Erklärung. Tanner hatte sich zur Seite gebeugt und konnte mithören, da Sir James ziemlich laut redete. Wir erfuhren, daß Suko persönlich viel Glück gehabt hatte, was allerdings den Fall anging, da hatten wir Pech gehabt, denn dieser kopflose Rächer war wieder entkommen. Ich erfuhr auch, daß er mit demselben Wagen unterwegs gewesen war. Allmählich bekam ich einen heiligen Zorn darüber, daß uns dieses Fahrzeug noch nicht ins Netz gegangen war. »Wir haben die Fahndung auf jeden Fall intensiviert«, sagte Sir James, »und können uns selbst nur die Daumen drücken, daß uns der Wagen ins Netz fährt.« »Wird schwierig sein, denn der Fahrer wird sich sicherlich auskennen und ahnen, was seine Gegner unternehmen.« »Damit müssen wir rechnen. Wie geht es bei Ihnen weiter, John?« Ich erklärte, wo und mit wem ich zusammensaß, und daß wir versuchen wollten, Mac Maschke endgültig zum Reden zu bringen. Alles andere hatte keinen Sinn. Möglicherweise kamen wir durch seine Aussagen der Lösung des Falles ein Stück näher. »Einverstanden, John, und Sie geben mir dann bitte Bescheid, falls sich etwas verändert hat.« »Das mache ich.« Als ich aufgelegt hatte, stellte Tanner den kleinen Apparat wieder an. Seinen Hut hatte er in den Nacken geschoben, auf der beiten Stirn schimmerten Schweißperlen, und als er mir einen fragenden Blick zuwarf, nickte ich. Ich konzentrierte mich auf Mac Maschke. Er hockte wie ein Häufchen Elend auf dem unbequemen Plastikstuhl. Sein Gesicht war noch immer bleich, nur zeigten die Augen jetzt dunkle Ränder, und auf den Wangen hatten sich die Schatten wie ein graues Muster verteilt. Er qualmte eine filterlose Zigarette, stampfte sie jedoch schnell auf dem Boden aus und hustete seine Kehle frei. »Ich habe Durst.« »Da ist Kaffee.« »Scheiß Zeug.« »Etwas anderes gibt es nicht.« Maschke schlürfte die braune Brühe, stellte die Tasse dann scheppernd zur Seite und schaute uns an. Sein Blick wechselte zwischen Tanner und mir hin und her. »Was wollt ihr wissen, ihr Bullen? Wollt ihr mich jetzt fertigmachen?« »Davon war nie die Rede.« »Ja, Mann mit dem Hut. Ich kenne eure Sprüche. Das sagt ihr immer. Wer euch auf den Leim geht, der bleibt kleben.«
»Der Killer will auch Ihren Kopf, Maschke«, sagte ich nur. Er schrak zusammen und schien im nächsten Augenblick in sich hineinzukriechen. Dabei wußte er, daß ich eine Antwort erwartete. Er gab sie mir als Frage. »Wieso denn?« »Einer nach dem anderen, Mac«, flüsterte ich. »Ihr müßt ihm verdammt übel mitgespielt haben, denke ich.« »Was soll das denn wieder heißen?« »Soll ich Ihnen sagen, was ich denke?« »Das werden Sie sowieso, Sinclair, ob ich zustimme oder nicht. Rücken Sie schon raus damit!« »Ich bin davon überzeugt, Mr. Maschke, daß Sie und die Mitglieder Ihrer Bande den Richter Jerome T. Harker umgebracht haben.« Chiefinspektor Tanner fügte meinen Worten nur ein Nicken hinzu. Also stand er auf meiner Seite. Unsere Blicke durchbohrten den Frisör, der auf seine Fingernägel schaute und fieberhaft nach einer Antwort suchte. Wahrscheinlich hatte er Mühe, glaubwürdig zu wirken, und auch sein Lachen klang künstlich. »Ist das so spaßig?« »Ja, Sinclair, ist es. Ich überlege gerade, nein, ich stelle mir vor, wie meine Mädchen den Richter gekillt haben. Das ist doch Quatsch. Geistiger Dünnschiß hoch drei. Die Girls sind meine Leute, die benutzen ihre Scheren, um den Kunden die Haare zu schneiden, aber nicht, um ihnen den Hals zu durchstechen und sie ihnen ins Herz zu rammen.« »Sie lenken ab. Das Geschäft habe ich nicht gemeint. Sie sind Anführer einer Bande, die sich die schwarzen Henker nennen. Der Richter und der Staatsanwalt sammelten Beweise gegen sie, eingeschlossen meine Kollegen. Die Beweise lagen so gut wie vor, die Anklage war schon beinahe überfällig, da haben Sie und Ihre Leute zum letzten Mittel gegriffen und den Richter getötet. Sie haben ihn geköpft.« »Blödsinn.« »Man fand seinen Kopf und seinen Torso neben den Schienen einer Hafenbahn!« flüsterte Tanner. »Das war kein guter Anblick, Maschke. Das war eine bodenlose Schweinerei, aber Sie haben nicht damit gerechnet, daß der Richter zurückkehren und seinen Rachezug beginnen könnte. Das genau war ihr Fehler.« Der Haareschneider schaute uns mit offenem Mund und aus großen Augen an. Er lachte tief im Hals. »Das ist doch nicht wahr, glauben Sie etwa daran?« »Sonst hätte ich es Ihnen nicht gesagt.« »Ein Toter, wie?« »Ein Untoter!« korrigierte ich ihn. »Ein Zombie, ein Kopfloser, der genau wußte, was er tat.« Ich lächelte eisig und weidete mich an Maschkes Unsicherheit. »Das gibt es doch nicht. Wer tot ist, der ist tot!« Er schrie uns die Antwort entgegen. Bei jedem Wort schlug er auf seinen rechten Oberschenkel.
»Manchmal nicht«, sagte ich. Maschke stoppte die Schläge. »Was soll das heißen?« »Ich will es Ihnen sagen. Oft genug habe ich Menschen erlebt, die es schafften, sich mit anderen Kräften zu verbünden. Mächte der Finsternis, aus anderen Welten, aus schrecklichen Tiefen, aus dem Pandämonium. Grauenhaft und furchtbar. Killer aus dem Jenseits, lebende Leichen, blutsaugende Monstren und so weiter. Das alles gibt es. Manchmal werden Filme auch zur Wirklichkeit, Maschke.« »So einen habe ich noch nie gesehen!« keuchte er. »Ein Kopfloser, der killt.« »Der Tote im Flur ist das beste Beispiel dafür.« »Ja, Sinclair, stimmt. Er ist tot, er ist kopflos, aber sein Killer nicht.« »Woher wollen Sie das wissen?« »Ihr seid doch immer für Beweise«, flüsterte er, »und die könnt ihr mir nicht liefern.« »Ich habe ihn gesehen.« »Den Killer ohne Kopf?« »Genau den!« Maschke wollte lachen, unterdrückte es aber, indem er eine Hand vor seine Lippen preßte. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist Blödsinn. Wann haben Sie ihn denn gesehen?« »Es ist noch nicht lange her. Ich verfolgte ihn, als sie zum Alkohol griffen.« »Wo denn?« »Ich sah ihn auf Ihrem Hinterhof.« Maschke lachte. »Auf dem Hinterhof, das ist doch…« »Da stand sein Fluchtwagen.« Mac Maschke sah aus, als wollte er schreien. »Jetzt erzählen Sie mir nur nicht, daß er ohne Kopf Auto gefahren ist.« »So gut war er nicht.« »Dann ist das Mist, was Sie mir hier erzählen.« »Auch da liegen Sie falsch, Maschke, richtig daneben. Sie hätten nachdenken sollen. Ich weiß nicht, ob der Kopflose fahren kann, in diesem speziellen Fall hat er es nicht getan. Er hatte einen Helfer, der ihn chauffierte.« Mac Maschke sagte nichts. Er starrte ins Leere. Auch über meinen Freund Tanner hatte ich mich in den letzten Minuten gewundert. So still wie heute hatte ich ihn selten erlebt. Der Frisör spielte mit seinen Ketten. »Wer, wer ist es denn gewesen?« Er hob den linken Arm an und strich mit der Kuppe des Zeigefingers über den funkelnden Brilli im Ohrläppchen. »Ich habe ihn leider nicht gesehen.« »Aber den Wagen doch.« »Ja!«
Maschke war plötzlich wiederwach. »Dann beschreiben Sie ihn mir doch. Vielleicht kenne ich ihn.« »Ein dunler Mercedes-Kombi.« »Mehr nicht?« »Nein.« Maschke überlegte tatsächlich. Schließlich hob er die Schultern. »Keine Ahnung, so einen Wagen kenne ich nicht.« »Welchen hat der Richter denn gefahren?« »Weiß ich doch nicht!« Schade, ich hatte ihn nicht aufs Glatteis führen können. Das Verhör hatte uns nicht viel gebracht. Maschke hatte sich einfach keine Blöße geben wollen. Er war trotz seines Schocks raffiniert genug, um sich darauf nicht einzulassen. Ich sah das nur als ein Strohfeuer an. Maschke mußte sich eigentlich darüber im klaren sein, daß die Zeit der schwarzen Henker vorbei war. Wahrscheinlich dachte Maschke darüber nach, als er den Kopf senkte und auf seine Füße starrte. Tanner schaute mich an. Er hatte das Gerät ausgestellt. »Ich denke, John, daß ich mich um meine Leute kümmern muß. Sie werden hier fertig sein.« »Gut, wir sehen und telefonieren.« Der Chiefinspektor stand auf. Er rückte seinen Hut zurecht, bevor er das Zimmer verließ. In der Tür warf er Maschke noch einen kalten Blick zu. Mitleid konnten wir mit ihm nicht haben, auch er hatte es dem Richter gegenüber nicht gekannt. Die Tür fiel zu. Maschke und ich waren allein. Der Mann mit dem bleichen Gesicht hob den Kopf. »So, was wollen Sie noch, Sinclair?« »Ihnen nur etwas sagen.« »Machen Sie schnell, ich habe nicht ewig Zeit.« »Sie werden sich die Zeit nehmen müssen, Maschke. Sie werden zudem auch noch einiges erleben. Ihre Zukunft sieht nicht gerade gut aus, das wissen Sie selbst. Der kopflose Rächer wird sich nicht nur Ihre Leute vornehmen. Er ist auch hinter Ihnen her, und in Ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Sie werden Angst haben, Sie werden den Tag verfluchen, an dem Sie geboren sind. Sie werden nach Verstecken suchen, aber keines finden, wo Sie sich sicher sein können. Und es wird in London kaum jemand geben, der Ihnen hilft. Selbst die Mafia nicht. Sollten Sie versuchen, bei Costello anzuklopfen, wird er sie abweisen. Und irgendwann wird der Kopflose dann vor Ihnen stehen. Er wird seine Waffe in der rechten Hand halten, denn er will Ihren Kopf. Und er wird ihn kriegen. Sie können sich nicht wehren, er ist besser als Sie.« Es war möglich, ich hätte es auch nicht gedacht, aber Maschkes Gesicht wurde noch blasser. Dann sprang er auf. »Hauen Sie ab, Sinclair! Gehen Sie jetzt.«
Ich erhob mich ebenfalls. »Natürlich werde ich gehen. Sie wissen, was ich von Ihnen denke, wir können Sie allerdings nicht verhaften, uns fehlen die Beweise.« »Raus!« Er deutete auf die Tür. Der Mann zitterte. Er sah aus, als stünde er dicht vor dem Sauerstoffzelt. Ich ging auf die Tür zu, blieb stehen, ließ meine Hand auf der Klinke ruhen, bevor ich mich zu ihm umdrehte. »Denken Sie an meine Worte. Schon jetzt haben Sie Angst, doch das ist nichts im Vergleich zu der, die Sie noch überfallen wird.« Nach diesen Worten verließ ich das Zimmer. Ich hatte die Tür kaum hinter mir geschlossen, als ich ihn toben hörte. Er zertrümmerte einiges von dem, was in seinem Lager stand. Mir war es egal, ich hob nur die Schultern und ging. Eines aber wußte ich. Maschke war die Spur, ich würde ihn so leicht nicht mehr aus den Augen lassen… *** Brenda Tradlin hatte den Motor abgestellt, blieb für einen Moment im Wagen sitzen, um ihr klopfendes Herz und die zitternden Glieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war viel in der letzten Zeit passiert, und sie wunderte sich noch jetzt darüber, daß alles so gut verlaufen war. Jetzt empfand sie es als einen großen Schutz, eine Garage zu haben, die zum Haus gehörte. Sie diente gleichzeitig als Versteck für den Mercedes. Die Frau war lange genug im Geschäft, um die Regeln zu kennen. Ihr war klar, daß der dunkle Benz-Kombi auf der Fahndungsliste stand. Gefunden war er noch nicht, wenn er auf die Fahndungsliste kam. Bei den vielen Fahrzeugen in London keine leichte Aufgabe für die Polizisten. Das alles kam bei ihr zusammen, damit mußte sie rechnen, doch bisher hatte sie Glück gehabt. Der Mercedes war noch keinem Fahnder aufgefallen. Es bestand ein Risiko. Sie hatte Sinclair nach dem Mord am Frisiersalon gesehen, und sie konnte nur hoffen, daß er sich nicht die Autonummer gemerkt hatte. Zwar wußten zahlreiche Menschen – eigentlich schon zu viele – , daß sie den Wagen fuhr, aber es waren wohl keine darunter, die mit der unmittelbaren Fahndung zu tun hatten. Das wiederum ließ hoffen. Das nächste Problem bestand darin, den Kopflosen von der Garage ins Haus und damit in ihre Wohnung zu transportieren.Damit waren die Probleme nicht aus der Welt geschafft. Sie mußte sich mit dem Kopflosen herumschlagen, und sie dachte an die beiden Toten, die sie oben in der Wohnung versteckt hielt. Jerome T. Harker wollte seine Rache, und er hatte Brenda zu seinem Werkzeug gemacht. Obwohl er im wahrsten Sinne kopflos war, war er in der Lage, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Er schrieb alles auf. Wenn er
das tat, bewegten sich seine Hände wie im Krampf, so hart und zuckend wie die Klauen eines Roboters. Die Garage war breit genug, um bequem aussteigen zu können. Danach galt es, ihn ungesehen in das Haus zu schaffen, aber auch da hatte sich die Frau etwas einfallen lassen. Zuerst stieg sie aus und öffnete anschließend die Fondtür. Die hinteren Scheiben des Wagens hatte sie in aller Hast schwarz angepinselt. Hineinschauen konnte niemand. Im Licht der Wagenbeleuchtung sah sie den Kopflosen auf dem Rücksitz hocken. Für einen Fremden hätte er ein makabres Bild geboten, nicht für Brenda, die ihrem heißgeliebten Richter endlich so nahe war. Sie rechnete auch damit, daß der Kopf wieder erscheinen würde, einmal schon hatte sie ihn gesehen. Er hatte sich bestimmt nicht in Luft aufgelöst. Neben dem Richter lag eine alte Decke. Sie zerrte sie mit aus dem Wagen und gab Harker ein Zeichen, jetzt auszusteigen. Er gehorchte ihr aufs Wort. Das gefiel ihr auch. Als er neben dem Wagen stand, nahm sie die Decke und hängte sie über seine Gestalt. Brenda sorgte auch dafür, daß die Gestalt hinter ihr blieb, als sie die Garage verließ. Ein schneller Blick über den Hof. Zum Glück standen noch Bäume hier. Ein Mieter verließ das Haus mit schnellen Schritten. Er ging nicht zu den Garagen, sondern direkt auf die schmale Straße. Brenda faßte die kalte Totenhand des Richters an. Sie zerrte ihn aus der Garage, nahm sich noch die Zeit, das Tor zu schließen und hetzte dann mit dem Richter auf den Hauseingang zu. Es kam jetzt die schwierigste Zeit für beide. Wenn ihnen ein Hausbewohner entgegenkam und Verdacht schöpfte, war alles vorbei. Sie hatten Glück, es kam niemand. So erreichten sie ungesehen die erste Etage. Erst dann hörten sie weiter oben Schritte, da aber hatte Brenda schon die Wohnungstür aufgeschlossen und den Kopflosen in Sicherheit geschoben. Ein Mann tauchte auf. Es war ein rüstiger Rentner, der eine Zigarre rauchte, seinen Hut zog, als er Brenda sah und danach schweigend weiterging. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Mit vor der Brust gedrückten rechten Hand taumelte sie zurück in die Düsternis des Wohnungsflurs, wo sie sich mit dem Rücken an die Wand lehnte und in den folgenden Sekunden erst einmal nach Luft schnappte. Das war geschafft! Lange würde sie diesen Streß jedoch nicht mehr durchhalten, das stand fest. Doch hier kam es nicht mehr allein auf sie an, sondern auf den Richter. Der hatte ihr seine Aufgabe genau dargelegt, und er würde sie bis zum bitteren Ende mit ihrer Hilfe durchführen.
Brenda fragte sich mittlerweile, ob sie sich nicht zuviel zugemutet hatte. Sie hatte sich blenden lassen, sie war einfach zu verrückt gewesen, und jetzt mußte sie die Folgen tragen. Von Stunde zu Stunde verschlimmerten sich diese, und Brenda ging davon aus, daß die Polizei ihre Spur fand. Die Leute waren ja nicht dumm. Was tun? Sie wußte es nicht, sie überlegte, aber die Macht des Richters über sie war einfach zu stark. Jetzt kam sie sich vor wie der Zauberlehrling, der die Geister einfach nicht mehr los wurde. Über ihren Rücken kroch mehr als einmal ein Schauer, und sie fühlte sich auch nicht mehr gut. Einen wollte er auf jeden Fall noch. Mac Maschke, den Chef! Er war am Mord des Richters zwar nicht unmittelbar beteiligt gewesen, aber er hatte ihn befohlen, und dafür sollte Maschke ebenfalls mit dem Verlust seines Kopfes büßen. Jerome T. Harker war nicht zu bremsen. Er wollte alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Am Tag hatte er schon genug Aufsehen erregt, die nächsten Taten würden bei Dunkelheit geschehen, und das wiederum ließ Brenda Tradlin hoffen. Früher hatte sie die Dunkelheit nicht gemocht, heute war das anders. Sie stand noch immer im Flur. Allmählich hatte sie sich beruhigt, aber da gab es etwas, über das sie nicht hinwegkam. Es war einfach der widerliche Geruch, der sich nicht vertreiben ließ. Er hing überall. Er hatte sich in den Wänden ebenso festgesetzt wie in der Kleidung, der Decke und dem Fußboden. Es war der Geruch von Glut und – ja, wonach roch es sonst noch? Brenda überlegte, wobei es ihr nicht gelang, so schnell eine Antwort zu finden. So roch keine alte Kleidung, eher fauliges und brakiges Wasser. Brenda schüttelte sich und dachte daran, daß sie kein Putzwasser im Eimer hatte stehenlassen. Es mußte einen anderen Grund haben. Sie schluckte, denn sie kannte ihn sehr genau, sie wollte nur nicht zugeben, wonach es roch. In der Wohnung befanden sich zwei Leichen. Eigentlich hätten sie in ein Kühlhaus gehört, das aber stand ihr leider nicht zur Verfügung, so hatte sie die beiden Körper in den Wandschrank gestopft und die Köpfe umwickelt im Bad versteckt. Es gab keinen Raum in der Wohnung, in dem sich der Geruch nicht gehalten hätte. Langsam ging Brenda in die Küche. Der Kopflose saß am Küchentisch. Als Brenda die Tür weit aufdrückte, sah sie ihn vorsieh. Er hatte die Decke abgenommen, trug noch immer seine Jacke und die Fliege auf seinem Hemd, das schon lange nicht mehr weiß war.
Bevor sie das Licht einschaltete, bedeckte sie das Fenster mit dem Vorhang. Über dem Küchentisch leuchtete die Lampe, und ihr Licht schien auch gegen den Kopflosen. Brenda Tradlin hatte sich eigentlich setzen wollen, doch jetzt blieb sie stehen. Der Anblick des kopflosen Zombies hatte sie zutiefst erschreckt. Nicht daß er sich großartig verändert hätte, er war nur mehr verfallen. Sie konnte es am besten an seinen Händen erkennen, die auf dem Tisch lagen und ein Blatt Papier festhielten. Es war teilweise beschrieben. Auf dem Blatt lag noch der Kugelsch rei ber. Die Haut war nicht mehr wie sonst. Sie war übersät mit dunklen Flecken, die Brenda an übergroße Muttermale erinnerten, es aber nicht sein konnten, denn diese Flecken sahen irgendwie anders aus. Sie waren dunkler, zugleich auch heller. Leichen flecken! Die ersten Anzeichen einer fortschreitenden Verwesung. Sie schluckte. Langsam setzte sie sich nieder, ohne den Richter aus den Augen zu lassen. Viel mehr als die Hände war von seiner Haut nicht zu sehen. Brenda konnte sich sehr gut vorstellen, daß es auf seinem Oberkörper kaum anders aussah. Ihr wurde plötzlich bewußt, daß sie trotz allem einen Toten in ihrer Wohnung beherbergte. Jemand, der sich zwar bewegen konnte, dennoch aber zerfiel. Er war eine Abart des Traumes von der ewigen Jugend oder des ewigen Lebens, das gab es nicht, denn der Körper machte da nicht mit. Sie wußte nicht, wie er im Endstadium aussehen würde, dazu reichte ihre Vorstellungskraft nicht aus, aber es würde für sie einfach widerlich sein, darauf mußte sie sich schon einstellen. Ihr Magen rebellierte. Sie spürte den Druck und auch den sauren Geschmack, der sich vom Hals her löste und allmählich über die Zunge glitt. Und sie nahm den Geruch wahr, den ihr Gegenüber ausströmte. Ein widerlicher Gestank, denn so rochen verwesende Leichen. Sie schüttelte sich plötzlich, wollte aber nicht daran denken, was sie falsch gemacht haben könnte, sondern schaute zu, wie sich die Hände des Kopflosen zuckend bewegten und wie er den teilweise beschriebenen Zettel verschob. Es war eine Nachricht für sie, und Brenda nahm ihn mit zitternden Fingern entgegen. Sie las die Worte. Danach flüsterte sie die Botschaft vor sich hin. »Wir werden uns in dieser Nacht Mac Maschke holen. Du wirst mir helfen, du rufst ihn an.« Brenda schwieg eine Weile. Sie mußte ihre Gedanken erst ordnen. Dann stand sie auf, holte sich etwas zu trinken und starrte zu Boden. Durch ihren Kopf irrten verschiedene Gedanken, und sie gestand sich allmählich ein, daß sie vor dem Kopflosen Angst hatte.
Ja, eine irre Furcht, denn diese lebende Leiche würde sehr bald alles kontrollieren. John Sinclair! An ihn hatte sie sich in ihrer ersten Panik gewandt, und auch jetzt dachte sie an ihn. Wenn ihr einer helfen konnte, dann war es es! Sie mußte ihn finden, er mußte kommen, aber sie mußte es geschickt anfangen. Plötzlich wollte sie nicht länger mit dieser Gestalt zusammenbleiben. Wenn sie daran dachte, daß der Körper immer stärker verweste, er sein Leichengift abgab, und… Sie ging auf den Tisch zu. Die Gedanken hatte sie verdrängt. Auch den an die beiden Toten im Schrank und an die verfluchten Köpfe im Badezimmer. Sie setzte sich nieder und dachte darüber nach, daß diese Gestalt es tatsächlich schaffte, auch ohne Kopf Gedanken zu formulieren. Wo, zum Henker, befand sich denn jetzt sein Zentrum, wenn er seinen Kopf verloren hatte? Nein, der war noch da. Brenda erinnerte sich, ihn hinter dem Fenster gesehen zu haben. Er war dann zusammen mit dem Körper aus dem Leichenhaus verschwunden gewesen, so zumindest hatte es in den Protokollen gestanden. Es war alles sehr seltsam für sie und gleichzeitig auch nicht zu begreifen. Brenda wußte, daß Jerome T. Harker von ihr eine Antwort auf das Geschriebene erwartete, deshalb griff sie nach einem neuen Zettel und schrieb ihre Frage auf. Sie war gespannt darauf, ob er – als Kopfloser – sie >lesen< konnte. Was soll ich tun? Wie soll ich ihn erreichen? Soll ich versuchen, ihn anzurufen und ihm eine Falle stellen? Soll er herkommen, damit du ihn töten kannst? Brenda las die Fragen noch einmal durch und fand nichts, was ihr nicht gefallen hätte. Dann schob sie den Schrieb dem Kopflosen zu. Obwohl der Richter weder etwas sehen noch hören konnte, wußte er über die Handlung der Frau Bescheid. Er nahm den Zettel mit gekrümmten Händen entgegen. Brenda Tradlin schaute dabei auf die Finger. Sie waren widerlich und kamen ihr vor wie vertrocknete Würmer, dazu mit einer Haut versehen, die sich immer mehr veränderte und irgendwann auseinanderfallen würde. Er hatte den Zettel vor sich liegen. Die schon aufgefaulten Kuppen tasteten das Papier ab. Sie glitten über das Geschriebene hinweg, und Brenda bekam plötzlich große Augen. Sollte es denn möglich sein, daß er durch Tasten, ähnlich wie ein blinder Mensch, lesen konnte? Es schien tatsächlich so zu sein, denn als er auch den letzten Buchstaben abgetastet hatte, suchte seine rechte Hand nach dem Kugelschreiber, um eine Nachricht für Brenda zu hinterlassen.
Sie schaute ihm staunend zu, wie er mit krakeligen Buchstaben eine neue Botschaft schrieb. Sie war nur kurz, und er schob Brenda den Zettel wieder rüber, so daß sie ihn lesen konnte. Ja, ruf ihn an. Er soll kommen. Du bist unverdächtig. Brenda Tradlin schloß die Augen. Nicht weil sie den Kopflosen nicht mehr sehen wollte, sie brauchte Zeit, um sich zu konzentrieren und nachzudenken. Sie mußte alles in die Reihe kriegen. Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. Sie dachte daran, daß sie jetzt die große Chance erhalten hatte. Brenda öffnete die Augen wieder. Sie nickte, obwohl der andere das nicht sehen konnte, wahrscheinlich spürte er es. Er bewegte sich auch nicht, als sie den Stuhl zurückschob und langsam aufstand. Das Telefon war die große Chance! Brenda ging auf die Küchentür zu. Sie bewegte sich dabei ziemlich langsam, und sie hatte das Gefühl, durch eine dichte Nebelwand zu schreiten. Es lag einfach an der Luft in der Küche. War sie dicker geworden? Brenda dachte darüber nicht nach, sie wollte sich auch nicht an die beiden Torsi und die Köfpe erinnern. Eine neue Lebensphase hatte für sie begonnen. Als sie die Küchentür hinter sich zuzog, da war es ihr, als hätte sie das alte Leben verlassen, um auf der Schwelle zu einem neuen zu stehen. Das Telefon spielte jetzt die wichtigste Rolle. Allerdings hätte sie auch die Chance nutzen und fliehen können, doch das wollte sie nicht. Sie fand sich zudem schuldig, und sie wollte gewisse Dinge bis zum bitteren Ende durchstehen. Der Apparat stand im Wohnzimmer. Sie blieb davor stehen und schaute auf ihn nieder. Auch in diesem Raum hatte der Gestank seinen Weg gefunden. Sie telefonierte noch nicht. Aus dem Schrank holte sie einen Parfümflakon, drückte mehrere Male auf den kleinen Gummiball und verteilte den Sprüh im Zimmer. Ein süßlicher Geruch überlagerte den Gestank des Moders. Wer nicht genau informiert war, würde den ersten kaum riechen. Brenda Tradlin war zufrieden. Sie blieb vor dem Apparat stehen und hob den Hörer ab. Das Freizeichen kam ihr wie ein Geschenk des Himmels vor. Da sie über die Rachetour des Kopflosen informiert worden war, hatte sie sich wichtige Telefonnummern notiert. So etwas kannte sie von ihrem Job her, und davon kam sie einfach nicht ab. Ihr Finger zitterte schon, als sie die Tasten drückte. Hoffentlich war Maschke zu Hause, hoffentlich… ***
Ja, Mac Maschke hockte noch in seinem Laden. Er hatte das Grauen noch nicht verdaut, aber er war froh gewesen, daß die Bullen abgezogen waren. Jetzt mußte er seine eigene Flucht vorbereiten. Aber wie? Sinclair hatte recht gehabt. Es würde wohl kaum jemand geben, der bereit war, ihn aufzunehmen. Wenn er den Grund erzählte, würden sie ihn aus dem Haus stoßen oder vielleicht killen. Da machte dann auch die Magie keine Ausnahme. Allein fliehen. So schnell wie möglich weg. Nur hatte er nicht viel Bargeld. Das meiste Schwarzgeld lag in verschiedenen Schließfächern unterschiedlicher Banken. Es sah also nicht gut für ihn aus. Aus der Kasse hatte er die Einnahme des letzten Tages genommen. Viel war es nicht im Vergleich zu dem, was noch vor ihm lag. Etwa tausend Pfund Bargeld besaß er so noch. Für eine Woche oder zwei konnte das reichen, wenn er sparsam lebte. Das kalte Licht der Lampen irritierte ihn. Maschke stand in seinem durchgestylten Salon, der bis auf ihn menschenleer war und den Eindruck einer futuristischen Filmkulisse machte, die jemand aufgebaut hatte, um ihn zu erschrecken. Maschke fühlte sich einsam, so leer und innerlich verlassen. Er sah keine Chance mehr, denn auf Freunde hatte er nie gesetzt, und Helfer hatte er auch keine. Auf dem Boden spiegelte sich das Licht. Es war nicht gefegt worden. In den Ecken lagen die Haare unterschiedlichster Farben. Handtücher stapelten sich in einem Korb, es roch nach Shampoos, Parfüms und Sprays. Es war der normale Geruch, mit dem er immer zu tun hatte, aber plötzlich widerte er ihn an. Er schlug ihm auf den Magen. Die Wut keimte in ihm hoch. Mit seinen krausen Haaren sah er aus wie ein dunkler Teufel, der frisch aus dem Höllenfeuer gekrochen war. Voller Zorn trat er gegen einen der am Boden befestigten Stühle und brachte ihn ins Rotieren. Dann klingelte das Telefon. Dieses Geräusch ließ ihn innehalten. Er verkniff sich den zweiten Tritt und lauschte dem Echo, das sich seltsam laut anhörte in dem menschenleeren Salon. Maschke bekam eine Gänsehaut. War das der Kopflose? Unsinn, wer keinen Kopf mehr hatte, der würde auch nicht hören. Alles Mist, alles Quatsch.
Nach dem vierten Klingeln setzte er sich in Bewegung. Maschke schlich auf den Apparat zu, als wäre dieser ein Fremdling für ihn. Seine ringebewehrte Rechte schnappte wie die Klaue eines Geiers nach dem Hörer und zerrte ihn hoch. Dann preßte er ihn gegen sein Ohr. Der Kunststoff fühlte sich kühl an. »Ja…« »Maschke, sind Sie es?« Der Haar-Stylist erschrak im ersten Moment, war sofort danach wieder beruhigt, denn er hatte erkannt, daß er mit einer Frau sprach. Von ihr gingen normalerweise weniger Gefahren aus. »Wer sind Sie?« »Später. Spreche ich mit Maschke, dem Frisör?« »Sie tun es.« »Das ist gut.« Er hörte, wie die Frau aufatmete. Sie schien erleichtert zu sein. Maschke wollte wissen, was die Person von ihm wollte. »Das werde ich Ihnen sagen, Mac. Sie müssen kommen. Sie müssen so schnell wie möglich kommen.« »Ach ja? Wohin denn?« »Nach Chelsea.« »Das ist groß, ich…« »Die Adresse kriegen Sie. Wollen Sie mitschreiben, oder werden Sie sie behalten?« »Das letztere.« Er hörte zu, wiederholte die Anschrift noch einmal und fragte erst dann, wen er denn antreffen würde. »Mich.« »Den Namen, verdammt!« »Haben Sie mich nicht erkannt?« »Nein!« »Ich bin Brenda Tradlin.« Mac Maschke schluckte. Er konnte mit dem Namen zwar nichts anfangen, doch so unbekannt kam er ihm auch nicht vor. Irgendwann war er einmal darüber gestolpert, und er wollte nähere Informationen. »Ich bin Sekretärin am Gericht. Tun Sie nicht so, Maschke, Sie kennen mich. Sie haben mir doch die beiden Männer geschickt, damit ich ihnen Akten ausliefere.« Erst jetzt fiel es Maschke wie Schuppen von den Augen. Natürlich, es war Brenda Tradlin. Daß er den Namen vergessen hatte, das hatte einfach an der Aufregung gelegen, derer er kaum Herr werden konnte. Nur beruhigte ihn das nicht, und er wollte wissen, weshalb er nach Chelsea kommen sollte. »Wir werden den Fall gemeinsam klären.« »Welchen denn?«
»Stellen Sie sich nicht noch einmal dumm an. Oder wollen Sie, daß man Ihnen den Kopf abschlägt?« flüsterte sie scharf. »Nein, das auf keinen Fall.« »Dann geben Sie sich einen Ruck und kommen Sie her. Sie werden es nicht bereuen.« »Wann?« »So schnell wie möglich. Schellen Sie, ich werde Ihnen die Tür öffnen.« Sie räusperte sich. »Maschke, ich erwarte Sie!« »Ja, ist gut…« Als er den Hörer wieder auflegte, fühlte er sich reif für eine Dusche. So sehr bedeckte der Schweiß seinen Körper. Seine Lippen waren trocken, er spürte den Nachdurst, trank Wasser aus der Leitung, schüttelte sich und ging dann zurück in sein Büro, wo er sich hinter den Schreibtisch setzte, um die beiden 38er hervorzuholen, die er links und rechts in seinen Hosengürtel steckte. Der Stahl schimmerte matt, das Licht brach sich auf dem Metall, er schaute gegen den Schreibtisch und dachte darüber nach, daß er sich wehren würde, wenn die Frau ihm eine Falle stellte. Daß dies der Fall sein würde, damit rechnete er. Dann stand er auf. Wohl fühlte er sich nicht, aber besser, denn jetzt hatte er eine Aufgabe. Sollte der Kopflose kommen, würde er ihn mit Kugeln spicken… *** Ich war zurück ins Büro gefahren, wo ich einen Suko traf, der zwar nicht ramponiert aussah, sich allerdings auch nicht in Topform präsentierte. Er hatte zwei Tabletten geschluckt, aber noch immer einen leichten Brummschädel. Sir James gesellte sich mit einer schlechten Nachricht zu uns. »Wir haben den Wagen leider nicht finden können«, sagte er und ließ sich auf den Besucherstuhl fallen. »Das war vorauszusehen.« »Wieso?« Ich verzog den Mund zu einem Grinsen. »Wen immer sich der Richter auch als Helfer ausgesucht hat, es ist eine Person, die viele Tricks und Kniffe kennt.« »Stimmt, John. Dann müssen wir eben besser sein und diese Person finden.« »Habt ihr denn einen Verdacht?« erkundigte sich Suko. Ich schaute ins Leere, das war Antwort genug. Bisher war ich noch nicht dazu gekommen, mir Gedanken darüber zu machen, und es war Sir James, der fragte: »Wer, meine Herren, legt sich schon mit einem
kopflosen Zombie an oder beschäftigt sich mit ihm? Die meisten Menschen würden doch durchdrehen oder sonst etwas tun.« »Da haben Sie recht, Sir.« »Was sagen Sie dazu, John?« Ich hob die Schultern. »Nichts Genaues, nichts Konkretes – leider. Meiner Ansicht nach muß es eine Person sein, die dem Richter nahegestanden hat.« »Wer? Er war Witwer, und Kinder hatte er keine«, erklärte Sir James. »Hatte er Freunde?« fragte Suko. Sir James hob die Schultern. »Ich habe versucht, dies herauszukriegen. Es war, das muß ich ehrlich gestehen, ziemlich schwierig, denn ich erfuhr zumeist, daß Jerome T. Harker nicht nur ein harter und gerechter Mensch gewesen ist, sondern auch ein ziemlicher Einzelgänger war, der sich kaum hat in die Karten schauen lassen.« »Gab es wirklich keine Freunde?« »John, Sie brauchen Freunde, der Richter wohl nicht. Er hat sich hin und wieder mit Kollegen zu einem JournalistenStammtisch getroffen. Von ihnen habe ich keine Informationen erhalten, die uns weiterhelfen können. Ich habe mit zwei Staatsanwälten und dem Richterkollegen gesprochen, der Harkers Aufgaben übernommen hat, doch sie wußten so gut wie nichts. Harker war immer verschlossen gewesen, auch wenn er was getrunken hatte.« Sir James schüttelte den Kopf. »Keiner der Herren kommt meiner Ansicht nach als Helfer für Harker in Frage.« »Und seine Frau ist tot«, murmelte Suko. »Was meinst du damit?« Er hob Augen und Brauen. »Ist sie tatsächlich tot, John?« »Ja!« »Kann sie ein Zombie sein?« Suko lachte selbst. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber wir müssen doch an alles denken. Vielleicht ist sie aus dem Grab gestiegen, um ihrem Mann zu helfen. Wir wissen doch, daß es Vorfälle gibt, die es eigentlich nicht geben kann, und so denke ich, daß es hier gewesen ist.« »Theorie«, sagte Sir James. »Was sich leicht feststellen ließ, indem wir das Grab der Mrs. Harker öffnen.« Unser Chef war davon nicht sehr begeistert, was wir ihm auch ansahen. Er winkte mit beiden Händen ab. »Nein, nein, lieber nicht. Laß uns das mal dahingestellt sein lassen. Um Himmels willen, ich habe überhaupt keine Lust, dies in die Wege zu leiten. Es kostet Zeit, und die, meine Herren, haben wir nicht. Der kopflose Rächer kann jeden Augenblick wieder zuschlagen, wir sollten uns trotz allem um Maschke kümmern, denn ich denke, daß er auf der Liste steht.«
Ich hob den rechten Arm. »Mac Maschke steht unter Kontrolle. Wir haben ihn beobachten lassen.« »Wäre es nicht besser, wenn Sie es persönlich übernehmen würden?« Der leichte Vorwurf in der Stimme war nicht zu überhören. »In knapp einer Stunde ist es soweit, Sir, da lösen wir den Kollegen ab.« Der Superintendent war beruhigt und etwas verlegen, er räusperte sich, kam dann wieder auf das Thema zu sprechen und erkundigte sich bei Suko, was mit dem zweiten Mann aus dieser Imbißbude war. Wo er geblieben sein könnte? »Ich habe keine Ahnung, Sir. Der ist wie von Furien gehetzt verschwunden. Wahrscheinlich hat er sich verkrochen.« »Oder er wird zu seinem Chef gehen.« »Das kann auch sein.« »Jedenfalls ist Maschke die Person, an die wir uns halten müssen.« Ich stand auf. »Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir die Kollegen schon jetzt ablösen. Fühlst du dich fit, Alter?« Suko zeigte sich über meine Frage beinahe beleidigt. »Und ob ich mich fit fühle. Dafür immer.« »Dann komm mit.« Das wiederum schafften wir nicht, denn wieder einmal meldete sich das Telefon und bei mir das Gefühl, daß der Fall durch diesen Anruf eine entscheidende Wende bekommen konnte. Ja, es war einfach da. Ich konnte mich auch nicht wehren, so etwas wie ein sechster Sinn, auf den ich mich schon des öfteren verlassen hatte, und ich war der erste, der den Hörer an sich nahm. Suko handelte auch und schaltete die Mithöranlage ein, durch deren Lautsprecher zunächst ein zischendes Geräusch drang, das sich als schweres Atmen eines Menschen herausstellte. »Hallo…« »Bin ich mit John Sinclair verbunden?« fragte eine Frauenstimme, die ich sofort erkannte, die Hand auf den Hörer legte und den anderen zuflüsterte: »Das ist Brenda Tradlin, die Sekretärin.« Sir James und Suko nickten nur. »Haben Sie meine Stimme erkannt, Mr. Sinclair?« »Ja, ich weiß Bescheid.« »Ich… ich möchte…« »Bitte, Mrs. Tradlin, versuchen Sie, normal zu sprechen und sich zu beruhigen – ja?« »Natürlich, aber es eilt. Sie suchen doch einen Mercedes-Kombi, nicht wahr?« »Wie die Nadel im Heuhaufen.« Sie räusperte sich. »Ich fahre ihn.« Jetzt hatte sie uns erwischt. Wir waren überrascht und starrten uns an. Das also war die Lösung.
»Sind Sie noch da?« »Selbstverständlich.« »Also, ich fahre den Wagen, ich bin die Helferin, aber mir sind die Dinge über den Kopf gewachsen.« Ihre Stimme bekam mehr Hektik. »Ich kann es nicht mehr in die Reihe bringen. Es ist furchtbar für mich, mit einem derartigen Wesen zu leben, das können Sie sicherlich verstehen. Und deshalb möchte ich, daß Sie jetzt und so schnell wie möglich zu mir kommen. Ich gebe Ihnen die Adresse.« Das tat sie auch. Suko schrieb mit, während ich fragte, ob der Kopflose denn in ihrer Wohnung sei. »Ja, er ist hier.« »Wir sind schon unterwegs…« »Halt, Mr. Sinclair, da ist noch etwas. Sie… Sie werden nicht allein kommen, ich habe noch jemand bestellt. Ich mußte es auf Anordnung des Richters tun.« »Okay, wer kommt?« »Maschke!« »Was?« »Ja, Mr. Sinclair, er wird kommen. Ich habe ihn herbestellt. Er traut sich auch.« »Weiß er, daß…« »Nein, weiß er nicht. Beeilen Sie sich, ich werde mein Bestes tun, Mr. Sinclair. Bis gleich.« Sie legte auf, ich ebenfalls, und ich dachte über die letzten Worte nach. Ihr Bestes hätte sie vorher tun sollen, nicht jetzt, wo das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. »Sie also«, flüsterte Sir James. »Haben Sie damit gerechnet? Mal ehrlich, bitte.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das haben wir nicht, Sir. Das ist ein Hammer.« »Finde ich auch.« »Warum nur?« Ich gab Suko keine Antwort, sondern winkte ihm schon von der Tür aus zu. »Das wird sie uns sicherlich selbst sagen wollen, denke ich.« »Ja, hoffen wir es…« *** Brenda Tradlin war froh, beide Anrufe endlich hinter sich zu haben. Und die Männer hatten auch so reagiert, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie konnte sich keine Vorwürfe machen, denn sie hatte ihre Pflicht getan und damit den Weg zur Rückkehr und ins Normale beschritten. Schon jetzt konnte sie sich nicht erklären, welcher Teufel sie geritten hatte, so zu handeln. Sie mußte blind und verrückt zugleich gewesen sein, und sie wollte auch nicht mehr darüber nachdenken, daß sie sich mit zwei
Leichen und einer lebenden Leiche in einer Wohnung befand. Sie wollte überhaupt nicht mehr denken, und sie würde auch nicht so ruhig auf die Ankunft der Männer warten, sondern die Wohnung verlassen, um sie vor der Haustür kurzerhand abzufangen. Da genau spürte sie das ungute Gefühl. Ein schlechtes Feeling hatte sie in den letzten Minuten permanent gehabt, aber das neue hier war anders, völlig fremd, und sie konnte es nicht in die Reihe bringen. Brendas Meinung nach hatte sich etwas verändert. Nicht äußerlich im Zimmer zu sehen, sondern mehr von der Atmosphäre her. Noch immer schwebte der Parfümgeruch durch die Luft und hatte sich schwer über den Modergestank gelegt, das aber war es nicht, was sie störte. Auch nicht der Schatten der anbrechenden Dämmerung, die ihren Weg auch durch die Fenster fand, es war einfach etwas anderes, das sie sich nicht erklären konnte. Die-Düsternis des Zimmers machte ihr zusätzlich Angst. Ihre Möbel kamen ihr so fremd vor, als hätte ihr jemand kalte, kompakte Schatten in den Raum gestellt. Hier lauerte etwas. Hier war etwas gekommen. Aber was? Noch immer stand Brenda auf demselben Fleck. Bisher hatte sie sich nicht getraut, sich zu bewegen oder sich umzudrehen, dazu benötigte sie noch einige Sekunden, um die Kraft zu finden. Hinter ihr lag die Tür. Beim Telefonieren hatte sie den Ausgang nicht sehen können. Es war gleichzeitig auch ein Eingang, und er würde einem Ankömmling keinen Widerstand entgegensetzen. Der Kopflose konnte es nicht gewesen sein. Seine tappenden, unregelmäßigen Schritte hätte sie gehört. Es mußte etwas anderes gewesen sein, das sich freie Bahn verschafft hatte. Wer denn – wer, verdammt? Brenda merkte, daß die erste Angst verflogen, und sie wieder cooler geworden war. Sie fuhr herum! Schnell sogar und gleichzeitig auch abwehrbereit. Das hatte sie nicht zu sein brauchen, denn niemand stand vor ihr, um ihr den Kopf vom Körper zu schlagen. Sie schaute auf die Tür, die.weiterhin offenstand, wie bei ihrem Eintritt. Also doch…? Da sah sie den Schatten! Nicht direkt über dem Boden, sondern halbhoch und genau dort, wo sich die offene Tür befand. Es war ein runder Gegenstand, mehr ein Klumpen, kompakt, dazu mit kalten Augen und einer in sich zusammengezogenen Haut, einem breiten Mund. Er, das war er!
Plötzlich schwankte das Zimmer vor ihren Augen. Die Wände bewegten sich ebenso wie der Fußboden. Der Raum verwandelte sich in ein Schiff, das gegen die schwere See ankämpfte. Brenda merkte kaum, daß sie nach vorn taumelte, sie griff einfach um sich, weil sie irgendwo auch Halt finden wollte. Dann fiel sie in einen Sessel. Er war weich, er gab nach, und sie fühlte sich für einen Moment sicher. So sicher, daß sie ihren Blick wieder auf den Türspalt richtete – und nichts sah. Keinen schwebenden Kopf, kein Gesicht, keine bösen Augen, die sie anglotzten, es war alles normal. So normal, daß sich Brenda fragte, ob ihr die Nerven einen Streich gespielt hatten, was wegen dieser Überreizung leicht möglich war. Nein, so war das nicht, sie hatte sich diesen Schädel nicht eingebildet. Es war immerhin derselbe gewesen wie der am Fenster. Auch jetzt hatte er sie regelrecht angeglotzt. Dieser Kopf gehörte einfach nicht hierher. Sie wollte ihn nicht mehr sehen, weil er Teil Richter Jerome T. Harkers war, den sie so sehr geliebt hatte. Nun war es vorbei… In ihrer Kehle lag trockener Zementstaub, ihr Schädel brummte, und die Knie zitterten ihr. Brenda Tradlin riß sich zusammen und dachte an ihren Plan, den sie durchführen mußte, vorausgesetzt, man ließ es auch zu. Deshalb ging sie zur Tür. Es war der einzige Weg, auch wenn er ihr vorkam wie eine Folterstrecke. Die Wohnung war zu einem fremden Käfig geworden, in dem sich die Gefahr immer mehr verdichtete. Der süßliche Parfümgeruch beeinträchtigte ihre Atmung, er schlug ihr auf den Magen und steckte in der Kehle. Er wurde schwächer, als sie in die Nähe der Tür geriet. Hier spürte sie den anderen Geruch deutlicher, und Brenda hatte den Eindruck, über eine unsichtbare Grenze hinweg in ein mit Moder gefülltes Grab zu treten. Sie streckte die Arme aus und kam sich dabei unsicher vor wie ein Kind, das in die Fremde geschickt worden war. Erst der Kontakt mit dem Türholz gab ihr wieder die nötige Sicherheit. Die nächsten beiden Schritte legte sie schneller zurück. Im Flur blieb sie stehen. Er war ziemlich breit, sie konnte sich dort wirklich gut bewegen, aber auch andere. Sie spürte die Gefahr und schaute zufällig in eine andere Richtung, der Wohnungstür entgegen. Der Richter stand rechts von ihr. Er hatte sich gegen die Wand gepreßt, und er hatte seine Killerwaffe mitgebracht. Als erden Umriß der aus der Tür tretenden Frau sah, hob er die Waffe an, und einen Moment später spürte Brenda den kalten Stahl der Klinge an ihrer Kehle…
*** Jetzt ist es aus! Jetzt ist es vorbei! Jetzt wird er zudrücken und dir langsam die Kehle einschneiden. Er wird sich darauf freuen, wie du stirbst, er wird sich daran ergötzen, obwohl er keine Augen mehr hat. Er kann es spüren, fühlen und auf andere Weise mitbekommen. Sie regte sich nicht. Wie ein Eiszapfen stand sie im Flur und berührte mit dem Rücken die Wand. Sie kam ihr seltsam kalt vor, wie ein altes Leichentuch, das als Hemd zweckentfremdet worden war. Das Blut hatte sich in Eis verwandelt. Es floß nicht mehr, es war einfach starr. Als noch kälter empfand sie die Klinge im Hals. Es dauerte seine Zeit, bis ihr bewußt wurde, daß der kopflose Jerome T. Harker nicht die Absicht hatte, ihr die Kehle durchzuschneiden, denn als sie nach unten schielte, da sah sie, daß der Stahl mit der breiten Seite ihre Kehle berührte, nicht mit der Schnittfläche. Selbst diese Tatsache verschaffte ihr keine Erleichterung. Sie steckte in der Falle. Das Vorhaben, die Tür zu erreichen und damit aus der Wohnung zu fliehen, war gescheitert. Hier kam sie nicht weg, solange es die andere Seite nicht wollte. Sie mußte bleiben, und sie mußte leiden. Eine Hand hatte der Kopflose frei. Er bewegte sie, und Brenda spürte, wie sie sich an sie herantastete und plötzlich mit rissigen, kalten Totenfingern ihr Gelenk umschloß. Jetzt hatte er sie. Die Klinge bewegte sich. Zuerst ein Zucken, das sie auch auf der Haut spürte, dann schleifte sie am Hals entlang und sank endlich dem Boden entgegen. Aufatmen – aber nur kurz! Dann spürte sie den Ruck, und Brenda wußte genau, was der andere wollte. Er zerrte sie weiter durch den Flur, aber nicht auf die Küche zu, sondern auf das Bad. Plump taumelte Brenda neben ihm her. Einmal wäre sie beinahe über die eigenen Beine gestolpert, sie konnte sich aber fangen und ging weiter. Vor der Badezimmertür blieb sie stehen, weil auch der Kopflose angehalten hatte. Er bewegte seinen rechten Arm und damit auch die Waffe. Den Stahl legte er auf die Klinke. Durch einen Druck glitt sie auch nach unten, so daß er die Tür öffnen konnte, als er mit der Fußspitze gegen das Holz stieß. Sie schwang nach innen, während die Frau nach links schaute. Noch sah sie die Wohnungstür, aber sie traute sich nicht, hinzugehen, denn der Kopflose würde sie immer einholen.
Durch den Druck seiner Hand machte er ihr klar, daß sie das Bad betreten sollte. Brenda weigerte sich nicht, denn das alles hätte keinen Sinn gehabt. Und wieder kam es ihr vor, als würde sie eine andere Welt betreten. Der Leichengeruch schwang ihr als widerliche Wolke entgegen. Er legte sich wie Schleim auf ihr Gesicht. Brenda würgte. Dann ging sie weiter. Neben ihr blieb das kopflose Monstrum. Ein wandelnder Alptraum, ein abstruses Zerrbild eines Menschen, und die Frau wunderte sich darüber, daß sie noch nicht zusammengebrochen war und sich auf den Beinen halten konnte. Sie hätte sich eine tiefe Ohnmacht oder eine Bewußtlosigkeit gewünscht, um alles vergessen zu können, das aber war ihr nicht vergönnt. Sie mußte sich den Tatsachen stellen, diesen verfluchten, auf den Kopf gestellten Realitäten, die sie selbst in ihr Leben hineingeschafft hatte. Hinter dem Fenster mit der Milchglasscheibe sah sie einen verschwommenen Lichtfleck. Er stammte von einer Laterne, die vor dem Nachbarhaus stand. Nicht einmal weit entfernt, für sie aber Lichtjahre weg. Der Geruch drehte ihr beinahe den Magen um. Sie schluckte einige Male, besser wurde es davon auch nicht. Mit zu Boden gerichteten Blick ließ sie sich weiterführen und auch herumdrehen, damit sie das Ziel anschauen konnte, das Harker für sie ausgesucht hatte. Es war der schmale, aber bis zur Decke reichende hohe Schrank, in dem sie Handtücher und sonstige Dinge aufbewahrt, aber seit neuestem auch die furchtbare Beute. Zwei Köpfe! Einer mit, der andere ohne Haare. Sie hatte kein Licht gemacht. Diffuses Dämmerlicht trieb durch den Raum. Wenn Brenda in den Spiegel schaute, sah sie sich als schattenhaftes, graues Gespenst. Neben ihr bewegte der Kopflose seine Waffe. Er hob sie an, und die Klinge warf einen Schatten auf den Boden, der ebenfalls mit ihr in die Höhe wanderte. Die etwas abgeschrägte und dabei als Rechteck auslaufende Spitze der Machete wies direkt auf den Schrank, damit Brenda wußte, was sie zu tun hatte. Als die Waffe dumpf gegen den Griff knallte, da wußte sie, was der andere von ihr verlangte. Sie sollte öffnen. Und sie wußte auch, was hinter der kleinen Tür verborgen lag, denn sie hatte die beiden Köpfe dort hineingestellt und die Handtücher um sie gewickelte. Der Richter wollte sie, doch den Grund kannte Brenda nicht. Sie öffnete die Tür wie im Traum, rechnete mit dem Schlimmsten, aber kein Kopf rollte hervor. Sie standen noch immer so dort, wie Brenda sie hingestellt
hatte. Wegen der Handtücher wirkten sie sogar ziemlich hell, wie zwei unförmige Kugeln. Wieder hob ihr unheimlicher Begleiter seine Waffe an und deutete auf die beiden Köpfe. Zuerst auf den rechten, dann auf den linken. Die eine Geste reichte aus. Brenda Tradlin wußte, wie sie sich zu verhalten hatte. Es kostete sie eine wahnsinnige Überwindung, die Arme hochzurecken, und sie spürte in ihrem Innern den Ekel wie eine Wand, aber es gab keine andere Möglichkeit, sie mußte dem Befehl nachkommen und holte die Köpfe der Reihe nach hervor. Unter dem Stoff des Handtuchs spürte sie die Sinnesorgane wie Nasen, Ohren, Augen, auch die beiden Münder. Brenda wollte nicht daran denken, sie schaltete all ihre Gedanken völlig aus und verwandelte sich selbst in einen innerlichen Eisblock. Der Kopflose zeigte ihr an, wohin sie zu gehen hatte, denn er bewegte sich bereits tappend auf die Tür zu, die weit aufgeschwungen war. Er schritt vor ihr her, und für die Dauer einer Sekunde durchströmte die Frau die wahnsinnige Hoffnung, daß er die Wohnung verlassen wollte, doch da irrte sie sich. Der kopflose Richter bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung auf die Küchentür zu. Dorthin würde sie auch hingehen müssen, und wieder überschwemmte sie das andere Gefühl, als wäre der Boden zu einem Wellenmeer geworden, das sie überwinden mußte. Brenda fiel kaum auf, daß sie die Arme zu beiden Seiten hin ausgestreckt hatte. Die zwei Köpfe lagen auf ihren Handflächen. Sie zitterten im Rhythmus ihrer Schritte mit, aber sie rollten nicht von den Händen, und das hätte dem Kopflosen auch nicht gefallen, denn er verfolgte seine eigenen Pläne. Der Richter betrat vor ihr die Küche. Er ging seinen normalen Weg, bis er den Platz erreicht hatte, wo er sich nicht hinsetzte, sondern nur seine rechte Hand bewegte und mit der Waffe auf zwei bestimmte Stellen des Tisches klopfte. Mehr brauchte er nicht zu tun, Brenda Tradlin hatte verstanden. Sie setzte die Köpfe genau an den Stellen ab und war darüber erleichtert, sie endlich losgeworden zu sein. Leider war der Horror für sie noch nicht beendet. Der Kopflose berührte mit der Machetenspitze das Handtuch des ersten Kopfes und schnitt es auf. Das gleiche geschah mit dem zweiten Kopf. So konnte Brenda sehen, wie scharf diese Klinge letztendlich war, und sie überkam ein leichtes eisiges Frösteln. Sie wußte, daß sie die Handtücher abwickeln sollte, um die Köpfe normal auf dem Tisch stehen zu lassen. Draußen war es mittlerweile graufinster geworden. Nur in der Küche brannte Licht. Es fiel auf den Tisch und schuf eine helle Insel fernab von
der übrigen Welt, wie in einem Operationssaal, wo der große Eingriff bald unternommen werden sollte. Brenda wickelte die Köpfe aus. Sie ekelte sich davor, ihre Lippen zuckten, und aus den Handtüchern strömte ihr der widerliche Verwesungsgeruch entgegen. Zuerst lag der haarlose Schädel frei! Er sah aus wie eine leicht nachgedunkelte, übergroße Billardkugel. Erst wenn sie sich bückte, sah sie das Gesicht mit den starren Augen und dem eingemeißelten Schrecken um die Mundwinkel herum. Der nächste Schädel sah nicht besser aus. Das schwarze Haar klebte auf ihm. Eine bleiche Haut, Blutfäden an Mund und Kinn. Hier konnte sie sich leicht vorstellen, daß plötzlich Würmer und anderes Getier aus Mund, Nase und Ohren quollen, um ihren Weg ins Freie zu suchen. Alles war so widerlich abartig und unmenschlich. Der Kopflose setzte sich wieder auf seinen Platz und legte die Waffe neben sich auf die Eckbank. Die Machete hatte sie kaum berührt, da schellte es. Der Richter hob den Arm, er deutete zur Tür. Hatte er etwas gehört? Das war unmöglich, oder war es doch…? Brenda überlegte nicht mehr weiter, sondern drehte sich um und verließ die Küche. Genau das war die Chance! Zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit hatte sie die Möglichkeit erhalten, und sie spürte die Veränderung in sich. Brenda war so aufgeregt, daß sie einen Fieberstoß gekam. Wieder schwankte der Flur, aber sie lief schneller, um die Tür zu öffnen. Weg von diesem verfluchten Monstrum und seiner gnadenlosen Waffe. Die Tür öffnen, Maschke in den Flur stoßen und mit ihm zusammen fliehen. Die Treppen hinunter, dann weg aus dem Haus, hinein in die Dunkelheit, zudem konnte es nicht mehr lange dauern, bis Sinclair den Weg nach Chelsea gefunden hatte. Noch zwei Schritte. Dann nur noch einen. Brenda jubelte innerlich. Bis sie den Schädel sah! Der Kopf des Richters. Er schwebte genau vor und über ihr. Oberhalb der Tür, wo noch Platz zwischen dem Rand und der Decke war. Böse, von kaltem Licht erfüllte Augen starrten auf sie nieder, als wollten sie ihr die Seele aus dem Körper saugen. Brenda spürte, wie ihre Beine nachgaben. Als sie die Klinke anfaßte, da fiel sie ihr förmlich entgegen. Einen Augenblick später zog sie die Tür auf. ***
Zuerst war Mac Maschke ja voll Mutes gewesen, als er in seinen Jaguar stieg. Später jedoch – auf der Fahrt – war er schon ins Grübeln geraten, denn er hatte sich gefragt, ob er auch das Richtige tat. Einer Person das volle Vertrauen zu schenken, dessen Tod er befohlen hatte. Das war irgendwo schon pervers, aber nicht anders zu machen, in seiner Lage. Die Angst vor dem kopflosen Richter schüttelte ihn. Sie saß in seinem Nacken wie ein unsichtbarer Alpdruck. Er atmete hektisch und nur durch den Mund. Die Augen waren weit geöffnet. Er stierte nach vorn in die Dunkelheit, die jedoch von zahlreichen hellen Lichtern und Reflexen durchbrochen wurde und ihm vorkam wie eine nie abreißende Milchstraße, durch die er schoß. Er schwitzte, obwohl die Heizung nicht lief. Maschke fuhr automatisch, ohne sich mit seinen Gedanken voll auf den Verkehr konzentrieren zu können. Er brachte sich über die Themse, denn sein Salon lag im vornehmen Belgravia, während seine Leute in anderen Gebieten abkassierten. Am Sloane Square ordnete er sich korrekt ein, um auf die King’s Road zu gelangen. Dort konnte er beschleunigen. Sie war breit genug, um auch starke Verkehrsströme aufnehmen zu können. Er rollte in Richtung Südwesten und mußte noch vor dem St. Stephan’s Hospital ab. Lichter und Schatten. Scheinwerfer gleißten. Manchmal kamen sie ihm wie blendende Augen vor. Er hörte hinter sich das schrille Signal einer Hupe. Es galt ihm, denn er hatte die Spur nicht gehalten und war zu weit nach rechts abgedriftet. Ein Lieferwagen huschte vorbei, und der Fahrer zeigte ihm einen Vogel. »Fuck it!« keuchte der Frisör und wischte abwechselnd seine schweißfeuchten Hände an den Hosenbeinen ab. Dann kam er wieder besser voran, bog schließlich von der King’s Road ab und erreichte einen Wirrwarr von kleinen Straßen, in denen sich noch die alte Bausubstanz erhalten hatte. Einiges verfiel, was den Leuten, die sich nach Chelsea zurückgezogen hatten, nicht viel ausmachte, denn sie gehörten zumeist Künstlergruppen an. Der Stadtteil in London war zu einem Dorado für Maler und Bildhauer geworden, aber auch einige Schriftsteller hatten sich dort zurückgezogen. Der Zwölfzylinder war tempomäßig gedrosselt worden und schlich jetzt durch die engen Straßen. Die Lichtkegel seiner Scheinwerfer stachen in die Finsternis hinein. Der Dunst reflektierte und verschluckte viel von dem Licht. Maschke suchte das Haus. Er hatte sich nach rechts gebeugt, doch in der Dunkelheit war nur wenig zu sehen. Zudem lagen die Häuser oft hinter Bäumen, deren kahles winterliches Geäst auch jetzt seinen freien Blick störte.
Maschke befand sich in der richtigen Straße, fand eine Lücke am Rand und klemmte den Jaguar hinein. Den Rest wollte er, falls es nicht zu weit war, zu Fuß zurücklegen. Bevor er ausstieg, wischte er mit beiden Handflächen durch sein Gesicht. Als er sie wieder sinken ließ, fühlten sie sich feucht an, so stark hatte er geschwitzt. Trotzdem rann es kalt über seinen Rücken hinweg, er schüttelte sich und stieg aus. Durch die krumme Bewegung merkte er den Druck der beiden Waffen. Die Tatsache wiederum beruhigte ihn, auch wenn er nicht glücklich war, aber er würde sich zur Wehr setzen können, das stand fest. Zu Fuß ging es besser. Die Hausnummer 43 war leicht zu finden. Er las sie an einer kleinen Mauer. Über die Krone hinweg schauten die glatten, feuchten Zweige eines knorrigen Gebüschs. Dahinter schimmerten Lichter. Sie drangen aus den Fenstern eines Hauses, in dem Brenda Tradlin wohnte. Die Mauer führte nur an einem kleinen Teil des Grundstücks entlang. Es war genügend Platz für ihn und auch für heranfahrende Fahrzeuge. Mit gemischten Gefühlen und einer Gänsehaut auf dem Rücken betrat er das Grundstück. Stille umgab ihn. Die Luft drückte, denn sie war schwer und auch feucht geworden. Er atmete durch die Zähne ein und konzentrierte sich auf die erste Etage des Hauses, dessen Mauer zum Teil mit dichten Efeuranken bewachsen war. Maschke konnte nicht viel erkennen, auch nicht, ob in der ersten Etage hinter den Fenstern Licht brannte. Wenn ja, dann nicht in den Räumen, die zur Straßenseite hin lagen, sondern nach hinten zum Garten hin. Er ärgerte sich darüber, daß sein Herz so schnell klopfte und er noch immer schwitzte. Verdammt noch mal, er war der Führer der schwarzen Henker, von ihm mußte man einfach mehr Nervenkraft erwarten können, doch erst, als er seine Hände auf die Griffe der Waffen gelegt hatte, da ging es ihm wieder etwas besser. Mac Maschke schlich auf den Eingang zu. Wenig später stand er im Hausflur, denn die Tür war nicht verschlossen gewesen. Es war düster, und er traute sich auch nicht, das Licht einzuschalten, weil er auf keinen Fall gesehen werden wollte. Die Treppe konnte er trotzdem sehen. Als kantiges, schattiges Gebilde zeichnete sie sich vor ihm ab. Es führte in die Höhe, und er sah auf halber Strecke den blassen Fleck. Es war die Helligkeit, die durch das Fenster gefallen war und sich dort ausgebreitet hatte. Er ging die Stufen hoch. Die ersten noch recht locker, später aber mit schweren Schritten. Vor dem schmalen Flurfenster auf dem ersten Absatz blieb er stehen und schaute hinaus in einen kleinen Garten. Licht
aus den Fenstern der Nachbarhäuser schimmerte durch das Geäst der Bäume und ließ die Zweige golden aussehen. Noch einmal wischte er seine Hände am Taschentuch trocken, dann setzte er sich in Bewegung. Vor sich sah er die Tür. Dunkel gestrichen oder gebeizt. Nein, sie kam ihm nicht wie das Tor zur Hölle vor, aber er wußte, daß sich in den folgenden Sekunden einiges ändern würde. Hinter der Tür wartete man auf ihn. Er rechnete mit einer Falle, aber er war auch gerüstet, denn beide Hände hatte er wieder auf die Griffe der 38er gelegt. Er sah den Knopf der Klingel, der leuchtete wie ein weißer Punkt. Als Maschke seinen Finger darauflegte, verschwand er. Er drückte ihn nieder. In der Wohnung hörte er die Klingel. Abwarten… Er atmete tief ein, verzog das Gesicht, denn trotz der geschlossenen Tür hatte er etwas von dem fremden und auch widerlichen Geruch gespürt, der an seine Nase drang. Was war das nur? Er fand es nicht heraus, denn einen Moment später zog Brenda Tradlin die Tür auf… *** Beide starrten sich an! Brenda Tradlin erkannte Mac Maschke kaum wieder. Hatte er sich denn so stark verändert, oder lag es einfach nur an der schlechten Beleuchtung im Flur? Er war noch bleicher. Sein Haar umtanzte den Kopf wie eine schwarze Masse. Die Augen bewegten sich, der Atem drang zischend aus seinem Mund. Er schaute sich auch um, doch im düsteren Treppenhaus tauchte kein Verfolger auf. »Ich bin da!« sagte er. Brenda nickte und streckte ihm mit einer raschen Geste die Hand entgegen. »Kommen Sie herein!« Maschke zögerte. Er faßte auch die Hand nicht an. Der Mann steckte voller Mißtrauen, und Brenda hätte ihm am liebsten zugerufen, daß er wieder verschwinden sollte, das aber brachte sie nicht fertig. Dann wäre es auch um sie geschehen, denn Gnade kannte die andere Seite nicht. Jerome T. Harker hatte alles unter Kontrolle. »Und… und… er?« preßte Maschke schmallippig hervor. Brenda wußte, wen er meinte. Sie gab dem Frisör eine indirekte Antwort. »Ich lebe noch, wie Sie sehen. Aber ich weiß mehr, Mr. Maschke.«
»Sie wollten mit mir den Fall klären?« »So ist es.« »Wie denn?« »Das erzählte ich Ihnen nicht hier zwischen Tür und Angel. Auch ich habe Angst.« Maschke schlug seine schwarze Lederjacke zurück. »Da, sehen Sie, Mrs. Tradlin.« »Waffen?« »Ja.« Ihr Blick huschte wieder hoch zu seinem Gesicht, und sie verkniff sich ein Lächeln. Was konnte Maschke denn schon mit Waffen gegen eine Gestalt wie Jerome T. Harker ausrichten? Nichts, gar nichts. Sie dachte an den Kopf über der Tür und spürte wieder den Schauer. »Das ist gut, Mr. Maschke. Dann kann man sich auf Sie verlassen, aber jetzt kommen Sie.« Er wollte noch immer nicht und fragte: »Was ist das für ein komischer Geruch, verdammt?« »Wo?« »In der Wohnung.« »Ich habe vergessen, das Fenster zu öffnen.« Maschke schnüffelte wieder. »Das riecht, als hätten sie hier ein Grab geöffnet.« »Ich rieche nur Parfüm.« »Das auch, aber…« »Kommen Sie endlich, Mr. Maschke. Wir müssen über den Fall sprechen, wir müssen es. Das wird uns einiges erleichtern, uns wird es dann gemeinsam besser gehen.« Mac war zwar nicht überzeugt, er sah jedoch ein, daß es keinen Sinn hatte, wenn er jetzt einen Rückzieher machte. Er nickte und gab sich damit einen innerlichen Ruck. Er betrat die Wohnung. Brenda Tradlin atmete auf. Sie schaute zur Decke und erkannte, daß der Schädel verschwunden war. Hinter Maschkes Rücken fiel die Tür wieder ins Schloß. Er schrak zusammen, als er das Geräusch hörte. Obwohl zur Wohnung ein breiter Flur gehörte, kam er sich eingeschlossen vor. Es brannte kein Licht. Helligkeit floß aus einem anderen Raum herein. Eine Tür stand offen, aber Maschke konnte nicht erkennen, welches Zimmer dahinter lag. »Sie wohnen hier allein?« fragte er. »Ja.« »Ziemlich groß, alles.« Er nickte in die Runde. »Für eine Person, meine ich.« »Früher habe ich hier mit meinen Eltern gewohnt, heute werde ich einen Teufel tun und die Wohnung verkaufen.« Ihr Lächeln fiel knapp aus.
»Wie Sie schon sagten, die Wohnung ist groß. Deshalb sollten wir auch nicht hier im Flur stehenbleiben.« Maschke wollte noch nicht. »Und der Richter? Was ist mit ihm?« Brenda spürte den Stich. Jetzt mußte sie aufpassen. Genau aufpassen. Sie tat ahnungslos. »Was soll denn mit ihm sein?« »Er lebt, nicht?« Es hatte keinen Sinn, ihm etwas vorlügen zu wollen. Deshalb senkte die Frau den Kopf. Aber sie gab nicht alle Geheimnisse preis. »Ich weiß nicht, ob man da von einem Leben sprechen kann…« »Die Bullen haben mit mir gesprochen.« »Und?« »Sie sind ihm auf der Spur, habe ich das Gefühl. Die Bullen haben es geschafft!« »Was?« »Ihn zu…« Sie schwieg, und sie zuckte auch zusammen, als hätte sie Angst davor, zuviel gesagt zu haben. Maschke achtete zum Glück nicht auf derartige Situationen. Er schaute sich um, weil er nach einer Falle suchte. Er fand sie nicht. Dann spürte er die flache Hand der Frau an seinem Rücken. »Gehen Sie vor. In den Raum, aus dem auch das Licht fällt.« »Was ist dort?« »Die Küche.« Es klang harmlos, und diese beiden Worte hatte den Haar-Artisten tatsächlich beruhigt. Dennoch glühte in Maschkes dunklen Augen das Mißtrauen, und seine Lippen lagen dicht zusammen. Er atmete nur durch die Nase. Mit dem Fuß stieß er die Tür auf. Sie gab kein Geräusch von sich. Die Angeln waren gut geölt. Hinter der Tür lag die Küche, ein normaler, ein harmloser Raum, doch Maschke, der auf der Schwelle stand, schaute hinein, und die Küche verwandelte sich für ihn in eine Schreckenskammer. Ihn packte das blanke Entsetzen! *** »Ich hoffe nur, daß wir uns auf die Tradlin verlassen können«, sagte Suko und schimpfte im nächsten Moment über das Wetter, das nicht nach seinem Geschmack war, denn es hatte sich Dunst gebildet, der in und über den Straßen wie dünne Watte hing. Ein typisches Wetter für diese Jahreszeit, und der Rover fuhr über den Asphalt mit schmatzenden Reifen, als wollten sie die Feuchtigkeit aufsaugen.
Der Himmel hing tief. Zwischen ihm und dem Dunst gab es keine Lücke. Hauswände wurden zu Schatten, das Wetter erschwerte die Sicht, und auch ich ärgerte mich über den plötzlichen Wetterumschwung. Der Rover fuhr nur langsam. Wir rollten bereits durch Chelsea und auch durch das Viertel, in dem Brenda Tradlin wohnen mußte. Beide konnten wir uns nicht vorstellen, was sie dazu getrieben hatte, sich einer lebenden Leiche ohne Kopf anzunehmen. Für uns war es unverständlich, doch wer kannte einen Menschen schon richtig? Brenda war nie verheiratet gewesen. Sie hatte praktisch nur für ihren Beruf und auch für ihren Chef gelebt. So etwas färbte ab. Wahrscheinlich hatte sie gelitten, als er gestorben war. Dann war er zurückgekehrt, auf eine irrationale Art und Weise, die kein Mensch verstehen konnte. Es mußte für sie furchtbar gewesen sein, allerdings hatte sie sich dann zusammengerissen und war selbst dieser Gestalt hörig geworden. Soweit unsere Version. Ob sie allerdings stimmte, stand in den Sternen. Wir hofften, von ihr mehr erfahren zu können. Suko hatte sich gedanklich mehr mit den Hausnummern beschäftigt, die leider wegen des Wetters nicht zu erkennen waren. Auf unser Gefühl konnten wir uns nicht verlassen. Es war deshalb am besten, wenn ich nach einer Parklücke Ausschau hielt und den Wagen dort abstellte. Das gelang mir sogar. Es war zwar eng, ich mußte rangieren, schließlich stand der Wagen, und wir konnten ihn verlassen. Wir traten hinein in eine dumpfe Welt. Die Geräusche wurden vom Nebel irgendwie verfremdet. Manchmal muß man Glück haben. In diesem Fall kam es uns in der Gestalt eines Mannes entgegen, der seinen Hundn an der Leine führte. Es war ein Pudel, ein ziemlich frecher Kläffer, der an meinen Beinen kratzte, als ich den Mann ansprach. Er wußte Bescheid und schickte uns noch weiter vor. »Das vierte Haus von hier aus gesehen ist es.« »Danke.« »Keine Ursache.« Er zerrte den Pudel von mir fort, der immer noch kratzen wollte. Ich sah Sukos Grinsen und fragte ihn, was er so lustig fände. »Ganz einfach. Du kannst froh sein, daß dieses Hündchen sein Bein nicht gehoben hat.« »Ha, ha…« Wir setzten den Weg durch den Nebel fort. Ein schwammiges Wetter. Uberall zogen die Schwaden. Der leichte Wind trieb sie weiter. Sie hüllten uns ein, sie streiften wie kalte Totengewänder über unsere Gesichter hinweg, und wir hatten die Kragen der Jacken in die Höhe gestellt.
Suko fühlte sich auch besser. Zwei Tabletten hatten ihm zunächst geholfen. Einen Plan, wie wir genau vorgehen wollten, den hatten wir nicht aufstellen können. Das alles mußte die Situation ergeben, jedenfalls waren wir darauf gefaßt, den Kopflosen zu sehen. Nur konnten wir uns nicht erklären, wie es überhaupt dazu gekommen war, daß eine derartige Gestalt >lebte