John Grey
Der Henker wartet auf McCall Ronco Band Nr. 225/26
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im J...
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John Grey
Der Henker wartet auf McCall Ronco Band Nr. 225/26
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Findet durch Zufall Gold und fast den folgenschweren Entschluß, es auszubeuten. Jack McCall – Wird Roncos Partner und endet am Galgen. Jim Connor – Dreht total durch, als ihn der Goldrausch packt. Henry Plummer – Sheriff des Beaver Head County, der für Recht und Ordnung eintritt und dennoch genügend Tricks kennt, um sich die Taschen vollzustopfen. Edward Tranter – Ein mieser Spitzel, der zuviel herumschnüffelt und im Dreck wühlt.
Der Henker wartet auf McCall 6. Mai 1880 Ich befinde mich kurz vor dem Ziel. Dennoch weiß ich im Moment nicht, ob ich es erreichen werde. Meine Gegner wissen, daß es um ihren Kopf geht. Sie wissen, daß sie alle sehr tief stürzen werden, wenn ich jetzt Erfolg habe. Dann werden sie die Rolle des Gejagten übernehmen müssen. Davor fürchten sie sich. Sie haben in den letzten Tagen alles mobilisiert, um mich doch noch auszuschalten. Lobo, Lee Bradford und ich sind bis in die Wüste nach Mexiko ausgewichen. Wir lagern im Schatten einiger Felsen. Um mich abzulenken, habe ich mein Tagebuch hervorgeholt. Ich muß mich in das Jahr 1863 zurückversetzen. In Montana war Gold entdeckt worden. Ich war den Gerüchten erst skeptisch nachgeritten, hatte dann aber feststellen können, daß die Berichte stimmten. Damals ahnte noch niemand, daß es sich bei den ersten Funden um die größten Goldvorkommen ganz Montanas handelte. Ich ritt in die Goldregionen und dachte mir, daß es dort nicht schlechter war als anderswo. So beschloß ich zu bleiben. Ich hatte Shita bei mir. Das war mir Gesellschaft genug. Es kümmerte sich ohnehin niemand um den anderen. Alle hatten nur eines im Sinn: Gold. Ich nicht. Ich suchte mir eine Arbeit als Postreiter. Das erschien mir sicherer. Es gab in dem wilden, zerklüfteten Land kaum Wege und Pfade und fast keine Nachrichtenverbindungen. Daher erschien mir die Arbeit lohnend. Ich hatte das Gefühl, gebraucht zu werden und war froh, vom Goldfieber verschont geblieben zu sein, das täglich Hunderte von Menschen in einen wilden Taumel riß.
1. Der Himmel über mir bewölkte sich. Ein kühler Wind strich mir entgegen, als ich die Pionier Gulch vor mir auftauchen sah. Graue
Wolkenbänke ballten sich über den zerklüfteten Spitzen der Berge zusammen und schoben sich langsam heran. Ich saß im Sattel des häßlichen, braunen Hengstes, den ich zwei Jahre zuvor in Salt Lake City gekauft hatte, nachdem ich den Pony Expreß verlassen hatte. Er hatte mich in den vergangenen Jahren nie enttäuscht. Er war ein treues, zuverlässiges und ungemein zähes Tier. Shita lief neben mir her. Er strengte sich mächtig an, um Schritt zu halten. Die Zunge hing ihm weit aus dem Maul. Jetzt bellte er. Ich wandte den Kopf und sah auf einem Felsgrat in kaum fünfzig Yards Entfernung einen Indianer stehen. Er war hochgewachsen und sehr athletisch. Sein langes Haar wehte im Wind. Ein ledernes Stirnband hielt eine große Adlerfeder. Er spähte zu uns herüber und verschwand unvermittelt, als habe ihn der Boden verschluckt. Es war ein Sioux gewesen. Die Indianer hatten sich seit der Entdeckung des Goldes erstaunlich ruhig verhalten. Ich war sicher, daß sich das bald ändern würde. Aber sie hatten keine Chance, die Goldsucher, die täglich zu Hunderten in Montana eindrangen, zu verjagen. Trotzdem würden sich die Sioux bald bemerkbar machen, und es würde eine Menge Blutvergießen geben. Ich hielt nicht an. Das Auftauchen des Kriegers beunruhigte mich nicht. Ich wurde nur wachsamer. Ich mußte meinen Weg fortsetzen, obwohl Indianer in der Nähe waren. Dafür wurde ich bezahlt. Seit vier Wochen brachte ich alle drei Tage Post von Salmon City nach Bannack, einer Stadt, die Durchgangsstation für jeden war, der in die Goldfelder der Alder Gulch wollte. Salmon City lag in Idaho, nur dreißig Meilen von der Grenze des Montana-Territoriums entfernt. Dort und in Bannack gab es die einzigen Poststationen, die das riesige Gebiet mit den stärker besiedelten Regionen im Westen und Norden Idahos verbanden. Wahrscheinlich würde schon bald eine Kutschenlinie nach Bannack eingerichtet werden. Aber bis es soweit war, mußte der Postdienst durch Reiter aufrecht erhalten werden. Die Pionier Gulch rückte immer näher. Der ausgefahrene Wagenweg, auf dem ich meinen Hengst ostwärts lenkte, führte direkt darauf zu. Es war eine schlauchartige Schlucht, die sich nach zwei
Meilen stark verbreiterte und in ein Flußtal führte. Der Fluß trug den Namen Fox Creek. Wenn ich ihn erreicht hatte, trennten mich von Bannack noch fast zwanzig Meilen. In der Ferne grollte dumpf der Donner. Über den Bergen braute sich ein Unwetter zusammen. Ich ritt in die Pionier Gulch. Hohe Felswände stiegen rechts und links vom Weg auf. Der Hufschlag meines Braunen klang hohl auf dem steinigen Boden. Wieder grollte der Donner, jetzt viel näher als beim erstenmal. Ein Blitz zuckte über den wolkenverhangenen Himmel, dann donnerte es abermals. Der Wind verstärkte sich. Ein paar Regentropfen fielen kühl auf mein Gesicht. Unwillkürlich trieb ich meinen Braunen zu rascherem Tempo an. Ich hoffte, die Schlucht hinter mich gebracht zu haben, bevor das Wetter mit voller Wucht losbrach. Dann begann es unvermittelt zu regnen. Der reinste Sturzbach ergoß sich über das Land. Es schüttete wie aus Kübeln. Fast schlagartig wurde es dunkel. Ich konnte keine zehn Yards weit mehr sehen. Der Regen klatschte mir ins Gesicht, rann über meine Wangen, in den Kragen meiner festen Leinenjacke, brannte in meinen Augen. Binnen weniger Minuten war ich völlig durchnäßt. Es donnerte jetzt ununterbrochen. Blitz folgte auf Blitz. Um mich herum tobte eine Hölle. Die Felsen schienen zu zerspringen. Ein Dröhnen, Tosen und Rauschen erfüllte die Luft. Ich zügelte den Braunen und rutschte aus dem Sattel. Das Leder quietschte vor Nässe. Shita drängte sich neben mich. Ich zerrte den Braunen vom Weg hinter einen Felsvorsprung, der aus den Regenschleiern vor mir auftauchte. Hier hockte ich mich nieder. Shita preßte sich an mich. Er fuhr mir mit seiner warmen Zunge rasch über das Gesicht und schob dann seinen Kopf schutzsuchend unter meinen linken Arm. Über mir schien der Himmel einzustürzen. Das Unwetter schwoll von Minute zu Minute an. Der Sturm orgelte über die zerklüfteten Felsgrate. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein, duckte mich noch tiefer und preßte mich noch fester gegen die rauhe Felswand. Aber der Wind trieb den Regen auch in mein Versteck. Ich zog meinen
Hut tiefer in die Stirn. Regen troff an der Krempe hinunter und durchweichte den alten Filz. Ich fror und fluchte leise vor mich hin. Unweit von mir schlug ein Blitz in eine Geröllhalde ein. Mit ohrenbetäubendem Krachen wirbelten kopfgroße Steine durch die Luft und prallten auf den Wagenweg. Ich schloß geblendet die Augen und glaubte zu fühlen, wie der Fels, an den ich mich lehnte, erzitterte. Shita winselte leise in mein Ohr. Das Unwetter fing sich direkt über mir zwischen mehreren Gipfeln und tobte wie ein gefangener urweltlicher Riese. Es dauerte Stunden. Manchmal erlahmte seine Kraft, wenig später aber mobilisierte es neue Reserven, und ein knatterndes Tremolo von Blitzen und Donnerschlägen ließ den Boden erbeben. Irgendwann gegen Mitternacht, als ich das Gefühl hatte, völlig durchweicht zu sein, als ich sicher war, vor Kälte kein Glied mehr rühren zu können, überwand das Gewitter endlich das Gebirge und zog grollend nach Westen ab. Es wurde still. Nur das Rauschen des Regens war noch zu hören. Ich richtete mich auf und bewegte mich auf den Weg hinaus. Es war stockfinster. Der Regen fiel fadendicht. Ein leichter Wind trieb ihn gegen mich. Der Sturm hatte aufgehört. Ich watete durch knöcheltiefe Pfützen zurück unter den Felsvorsprung. Die Sicht war noch immer schlecht, ich fühlte mich müde und zerschlagen, aber ich wollte weiter. Je rascher ich offenes Land erreichte, um so besser. Was ich brauchte, war ein Dach über dem Kopf, eine warme Stube und ein halbwegs weiches Bett oder zumindest ein Platz im Stroh. Aber um das zu kriegen, mußte ich erst einmal Bannack erreichen. Ich wollte keine Zeit mehr verlieren. Shita blickte mich unwillig an, als er sah, daß ich die Sattelgurte festzog. Ich strich ihm über den Kopf. Er schüttelte sich und verließ unsere Deckung. Steifbeinig stand er auf dem Weg. Als er mit der rechten Vorderpfote in eine Pfütze trat, hob er die Pfote angewidert hoch und schüttelte sie. Ich stieg in den Sattel und trieb den Braunen an. Shita lief neben mir her, als ich durch den Regen ritt, vorbei an dem Steinschlag, den der Blitz ausgelöst hatte. Das monotone Rauschen des Regens erstickte das Klappern der Pferdehufe auf dem steinigen Boden und
das Knirschen und Quietschen des Sattelleders. * Der Regen ließ nach, als sich die Schlucht vor mir verbreiterte. Es mochte eine Stunde vergangen sein, seit ich wieder aufgebrochen war. Die Sicht wurde besser. Wolkenschleier lösten sich auf. Eine schmale Mondsichel erschien. Milchiges Licht erhellte unvermittelt meinen Weg. Die hohen Felswände rechts und links von mir verflachten. Die letzten Regentropfen fielen. Dann sah ich keine fünfzig Yards entfernt von mir die Indianer. Es waren vier Krieger. Sie saßen in den Sätteln von stämmigen Pferden und hatten sich Mäntel aus Büffelhaut um die Schultern geworfen. Einer hielt eine Lanze in der rechten Faust. Sie befanden sich auf einem kleinen Plateau und starrten zu mir herüber. Mir fiel der einzelne Krieger ein, den ich vor dem Unwetter gesehen hatte. Ich war sicher, daß er zu den vieren gehörte. Ich hatte das Gefühl, daß sie es auf mich abgesehen hatten. Der Wagenweg, auf dem ich ostwärts ritt, war bis jetzt leicht angestiegen. Nun fiel er nach vorn ab. Seitlich wichen die Wände der Schlucht mehr und mehr zurück. Ich konnte bereits das Tal des Fox Creek vor mir sehen. Der Regen hatte die Niederungen des kleinen Flusses in eine Seenplatte verwandelt. Ich wandte den Kopf und schaute zurück. Da sah ich, daß sich die Indianer in Bewegung gesetzt hatten. Sie ritten einen Hang hinab und nahmen die Verfolgung auf. Ich versuchte, den Braunen zu größerem Tempo anzutreiben. Aber mir wurde bald klar, daß die Sioux über die ausgeruhteren Pferde verfügten. Sie holten rasch auf. Die Schlucht endete vor mir. Ich sprengte hinaus und auf den Fluß zu, der von Norden nach Süden das Land durchschnitt. Der Wagenweg führte schnurgerade auf eine Furt zu, aber das Unwetter hatte den Strom anschwellen lassen und einen Teil des Weges überschwemmt. Ich war nicht ganz sicher, ob ich den richtigen Kurs hielt. Aber ich hatte keine Wahl. Ich mußte den Fluß zwischen mich
und die Indianer bringen und durfte nicht anhalten. Im vollen Galopp jagte ich durch tiefe Pfützen. Schlammiges Wasser spritzte auf. Ich erreichte das Flußufer. Der Braune rutschte die aufgeweichte Böschung hinunter und versank fast völlig in den Fluten. Für einen Moment ging mir das Wasser bis zur Brust. Ich vermochte kaum noch, mich im Sattel zu halten. Die Strömung war stark und riß mich fast vom Pferderücken. Dann hatte der Hengst wieder Boden unter den Hufen. Das Wasser reichte zwar fast bis zum Sattel, und er mußte den Kopf hochhalten, aber er vermochte, sich gegen die Strömung zu stemmen und ihr zu widerstehen. Neben mir tauchte Shita auf. Ich sah nur seinen struppigen Kopf. Er schwamm mit aller Kraft, trieb ein wenig ab, hielt sich aber recht gut. Die letzten Wolken über dem Fluß zogen davon. Der Nachthimmel wurde klar. Das Mondlicht gewann an Kraft. Als ich mich umdrehte, sah ich die vier Krieger auf den Fluß zusprengen. Ihre Silhouetten glichen konturenscharf gezeichneten Scherenschnitten. Sie begannen unvermittelt zu schießen. Sie waren höchstens vierzig Yards von mir entfernt. Das Peitschen ihrer Karabiner übertönte den hämmernden Hufschlag der Pferde. Mündungsblitze zuckten, Kugeln schlugen unweit von Shita und mir auf die Oberfläche des Fox Creek und zauberten Fontänen aus dem Wasser. Das andere Ufer rückte näher. Mir schien es minutenlang, als würde der Braune auf der Stelle treten. Dann aber kämpfte er sich schnaubend die Uferböschung hoch und trabte aus dem Wasser. Kurz danach ging Shita ein Stück flußabwärts an Land, ebenfalls völlig erschöpft. Aber wir durften uns keine Pause gönnen. Ich spürte den Luftzug eines Geschosses, und als ich mich umschaute, sah ich, daß die vier Krieger ihre Pferde in den Fluß trieben. Ich hämmerte dem Braunen die Absätze in die Weichen und ritt auf einen dichten Mischwald zu, der am Fuße eines flachen Felshangs begann und fast den ganzen Hang in einer Breite von gewiß einer Meile bedeckte. Ich erreichte den Wald, als die Sioux den Fluß verließen. Ohne zu zögern, jagte ich den braunen Hengst durch das dichte Unterholz am
Waldrand. Ich duckte mich tief im Sattel nach vorn, um nicht von tief hängenden Ästen getroffen und verletzt zu werden und ritt in waghalsigem Tempo zwischen den dichtstehenden Bäumen hindurch. Kohlrabenschwarze Finsternis umfing mich. Ich konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Seitlich von mir hörte ich ein Knacken und Rascheln im Gehölz. Das war Shita, der neben mir her eilte. Von der Ebene vor dem Wald war das dumpfe Pochen von Pferdehufen zu vernehmen wie ein drohender, monotoner Trommelwirbel. Ich drehte mich um und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Es war unmöglich. Als ich mich wieder vorbeugte, traf mich ein höllischer Schlag gegen die Stirn. Mir schwanden fast die Sinne, und ich konnte mich gerade noch im Sattel halten. Ich fühlte einen heftigen Schmerz und ließ mich instinktiv auf den Pferdehals fallen. Der Braune schien zu spüren, daß etwas nicht stimmte und stoppte unvermittelt. Ich rutschte schwerfällig aus dem Sattel und blieb einen Moment gegen den Hengst gelehnt stehen. Ein tiefhängender Ast hatte mich getroffen. Ich konnte von Glück sagen, daß ich nicht verletzt worden war. In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Ich lauschte nach meinen Verfolgern und fühlte wenig später einen warmen, pelzigen Körper an meinen Beinen. Shita war da. Er hechelte geräuschvoll. Ich griff nach den Zügeln des Pferdes und setzte meinen Weg zu Fuß fort, das Tier hinter mir her zerrend. Vor mir lichtete sich das Dickicht etwas, als ich hörte, daß die Indianer hinter mir in den Wald eindrangen. Ein schmaler Streifen Mondlicht durchdrang das Unterholz. Ich sah eine kleine Lichtung vor mir und die Öffnung zu einer Felsenhöhle. Direkt am Eingang des breiten Spalts entsprang eine kleine Quelle. Ich bewegte mich darauf zu. Wenn die Krieger mich schon einholten, wollte ich wenigstens eine Deckung haben, und eine bessere würde ich nicht finden. Die Höhle war tiefer, als ich gedacht hatte. Sie war groß genug, um auch den Hengst mit aufzunehmen. Hinter dem Eingang machte sie eine Biegung, so daß man von außen gut geschützt war.
Es war kühl und klamm. Die Höhlenwände glänzten vor Feuchtigkeit. Von der Decke tropfte es. Ich nahm den nassen Hut ab, zog den Sharps-Karabiner aus dem Sattelschuh und stellte mich an den Höhleneingang. Shita hockte sich neben mich. Er lauschte angespannt hinaus, genau wie ich. Das Mondlicht über der Lichtung verblaßte nach und nach. Feine Nebel wallten über den Bergen, Sie stiegen aus den Niederungen des Fox Creek, sickerten in die Felsspalten und Bodenvertiefungen, krochen die Hänge hinauf und überzogen das Land mit einem grauen Schwadenteppich. Ich wurde innerlich ganz ruhig. Meine Kleidung war noch immer völlig durchnäßt. Ich fror. Mit etwas Bewegung hätte ich die Kälte überwinden können, aber ich traute mich nicht, hin und her zu gehen, um mich ganz auf die Geräusche konzentrieren zu können, die aus dem Wald zu hören waren. Vor mir sprudelte mit leisem Plätschern die Quelle. Ein leichter Wind rauschte in den Wipfeln der Bäume. Ab und zu knackte es im Unterholz, wenn ein Marder oder ein Wildkaninchen vorüberhuschte. Der Schatten eines Vogels schwebte über mich hinweg. Leise war der Flügelschlag zu hören. Irgendwo in der Dunkelheit des Dickichts befanden sich die Krieger, die mich jagten. Ich fühlte mich plötzlich sicher vor ihnen. Ich glaubte nicht, daß sie mich finden würden. Sobald die Sonne aufgegangen war, wollte ich meinen Weg fortsetzen. Ich sah, daß Shita an der Quelle stand und durstig soff. Auch ich verspürte Durst. Als der Hund schnüffelnd davonstrich, hockte ich mich neben die Quelle und schöpfte mit hohlen Händen Wasser heraus. Das Wasser war eiskalt. Ich trank mit kleinen Schlucken. Als ich mich wieder erheben wollte, sah ich im Bett des kleinen Baches, der sich aus der Quelle entwickelte, kaum drei Yards entfernt von mir etwas blinken. Ich dachte mir nichts dabei, aber irgend etwas in mir trieb mich dazu, am Ufer entlangzugehen und schließlich mit der Rechten ins Wasser zu langen. Das Bachbett war sehr flach. Als ich meine Finger in den Sand stieß, färbte sich das Wasser gelblich und wurde trübe.
Ich spürte etwas Hartes, griff zu und holte eine Handvoll Bachsand heraus. Wasser tropfte von meiner Hand, als ich sie öffnete und den Sand darin betrachtete. Ich hatte einen blanken Kiesel herausgefischt. Als ich mit dem Zeigefinger der Linken in dem Sand herumrührte, sah ich wieder etwas blinken, genauso wie vorhin, als ich an der Quelle gehockt und ins Wasser geschaut hatte. Mein Herz schlug unwillkürlich schneller. Ich hielt den Atem an, als ich mit spitzen Fingern ein kleines, seltsam geformtes, hell schimmerndes Steinchen aus dem Sand holte. Ich hielt es hoch. Es war höchstens halb so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers. Es war gelb, und es war weich. Als ich versuchte, meine Fingernägel hineinzudrücken, gab es nach, und zwei schmale Scharten blieben zurück. Ich hatte Gold gefunden.
2. Die Sonne ging auf, als die Indianer erschienen. Ich hatte gerade den Braunen bestiegen, als zwei Krieger aus dem Unterholz brachen und die Lichtung betraten. Sie hatten ihre Pferde am Zügel mitgeführt. Als sie mich sahen, verhielten sie erschrocken, rissen aber nach kurzem Zögern sofort ihre Waffen hoch. Ich trieb den Braunen an und schoß gleichzeitig. Mit der Linken hielt ich die Zügel des Braunen, in der Rechten lag schwer der alte Navy Colt mit der fleckigen Brünierung und den Rostnarben an Lauf und Rahmen, den ich seit Jahren mit mir führte. Ein greller Mündungsblitz zuckte aus dem Lauf. Eins der Indianerponys wieherte schrill und bäumte sich auf. Dann brach es, von meiner Kugel in den Hals getroffen, zusammen und stieß seinen Besitzer mit zu Boden. Mit grellem Schnauben wälzte sich das Pferd über den Waldboden und zuckte mit den Läufen. Ich preschte quer über die Lichtung, hinein ins dichteste Unterholz. Das Risiko, das ich einging, war mir voll bewußt. Wenn ich Pech hatte, so wie in der Nacht, würde mich ein tiefhängender Ast aus dem Sattel fegen, und dann konnte ich noch von Glück
sagen, wenn ich mit gebrochenem Genick liegenblieb und sofort tot war. Irgendwie schaffte ich es, unversehrt in das Dickicht einzutauchen. Hinter mir krachten zwei Schüsse. Dicht neben meinem Kopf schlug eine Kugel in einen Baumstamm und fetzte ein fingerlanges Rindenstück heraus. Da war ich bereits vorbei und jagte auf und davon. Den Revolver behielt ich in der Faust, denn irgendwo im Wald befanden sich weitere zwei Krieger, denen ich ohne weiteres in die Arme laufen konnte. Ich stieß auf einen Wildpfad und riß sofort die Zügel des Braunen herum, um darauf einzuschwenken. Da tauchte ein dritter Krieger vor mir auf. Er saß im Sattel seines Pferdes und versperrte mir den Weg. Er war mindestens genauso überrascht über mein plötzliches Auftauchen wie ich über seinen Anblick. Im ersten Moment wollte ich die Zügel zurückreißen, dann aber ließ ich mich nach vorn auf den Pferdehals fallen und jagte den Braunen direkt auf den Krieger zu. Kurz bevor wir zusammenprallten, steilte das Indianerpony und warf sich mit erschrockenem Wiehern zur Seite. Ich hörte kaum die Detonation des Schusses, den der Krieger abfeuerte. Ich fühlte nur den sengenden Luftzug an meiner linken Wange und sah aus den Augenwinkeln, daß der Krieger im Sattel schwankte und Mühe hatte, sich auf dem Pferderücken zu halten. Mit dem linken Hinterteil streifte mein Brauner den Sioux-Hengst noch und drängte ihn mit Wucht vom Weg ab. Das Pferd taumelte, bäumte sich abermals auf und verlor auf dem noch immer durchweichten, glitschigen Boden den Halt. Ich hörte es im Gehölz knacken und krachen, als das Pferd mitsamt dem Reiter stürzte. Dann bog der Wildpfad vor mir scharf um, und ich verschwand dahinter. Den vierten Krieger kriegte ich nicht mehr zu Gesicht. Knapp eine Viertelstunde, nachdem ich die Höhle verlassen hatte, galoppierte ich auf die Ebene beiderseits des Fox Creek hinaus und lenkte den Braunen ostwärts. Shita verließ wenig später den Wald und folgte mir. Er kläffte laut, und seine Zunge hing ihm weit aus dem Maul.
Er schien mir zurufen zu wollen: »Na, wie haben wir das hingekriegt?« Ich drehte mich um. Am Wald blieb alles ruhig. Ich erreichte den Wagenweg, der in gerader Linie durch das Hügelland nach Bannack führte. Hier standen noch immer große Pfützen, deren Oberfläche in der Morgensonne wie schieres Silber glitzerte. Ich ließ den Braunen etwas langsamer laufen und wich ihnen aus, so gut es ging. Irgendwann sah ich die Indianer wieder hinter mir. Aber mein Vorsprung war zu groß. Während sie die ganze Nacht nach mir gesucht hatten, hatte ich mich in der Höhle ausruhen und neue Kraft sammeln können. Nach einiger Zeit gaben sie es auf. Ich dachte nicht mehr lange an sie. Ich dachte nur an das, was ich in meiner linken Jackentasche trug. Gold! Nachdem ich das erste Goldklümpchen entdeckt hatte, hatte ich weitergesucht und festgestellt, daß der Sand des kleinen Baches voll von Goldkörnchen verschiedener Größe war. Dicht unterhalb der Stelle, wo das Wasser aus dem Fels austrat, hatte ich ein erbsengroßes Nugget gefunden. Soweit ich bei der flüchtigen Untersuchung mit den bloßen Händen hatte feststellen können, gab es in dem Bach auf einer Länge von fast zwanzig Yards Goldablagerungen. Ich war innerlich völlig ruhig, als ich jetzt über meine Entdeckung nachdachte. Die Erziehung bei den Indianern hatte mich gelehrt, materielle Güter gering zu schätzen. Was für einen Mann zählte, waren ein gutes Pferd und gute Waffen. Was noch mehr zählte, war der Mann selbst und das, was er aus sich zu machen verstand. Gold zählte für einen Indianer nichts. Er verachtete den weißen Mann, der nach dem gelben Metall gierte und dafür alles aufgab, was nach Ansicht eines Indianers lebenswert war. Beim Anblick glitzernder Nuggets wurde der weiße Mann verrückt. Aber jeder Indianer wußte, daß er für Gold von den Weißen Waffen erhalten konnte, und Whisky, Pulver und Blei und andere Dinge, die er zu besitzen wünschte. Auch ich war lange genug unter Weißen, um mich wieder voll in ihre Sitten und Gebräuche eingefügt zu haben, auch wenn ich meine indianische Erziehung nie vergessen
hatte. Ich kannte den Wert des Goldes, auch wenn er mich persönlich nicht beeindruckte. Bis heute bin ich überzeugt, daß es Wichtigeres gibt als Geld und Gold oder andere Reichtümer. Bis heute bin ich immun gewesen gegen das Goldfieber. Damals war ich es auch schon, und ich war froh darüber. Andererseits war ich mir der Möglichkeiten, die meine Entdeckung bot, voll bewußt. Ich dachte darüber nach, ob ich alles vergessen oder Nutzen aus meinem Fund ziehen sollte. Zweifellos würde ich mir viel Ärger ersparen, wenn ich nicht weiter darüber nachdachte. Andererseits reizte mich der Gedanke, viel Gold zu besitzen. Ich, ein armes Waisenkind, ohne Heimat, ohne festes Quartier. Es war schön, sich vorzustellen, alles kaufen und sich alle Wünsche erfüllen zu können. Aber ich verlor darüber nicht den Verstand. Ich blieb innerlich ruhig und überdachte meine Möglichkeiten. Ich konnte versuchen, das Gold aus dem Bachbett herauszuwaschen. Dazu brauchte ich ein paar Werkzeuge und die Schürfgenehmigung. Ich mußte den Bach als Claim amtlich für mich eintragen lassen. Genau das aber ging nicht. Denn dazu war ich zu jung. Ich war erst sechzehn. Auch daß ich wie achtzehn aussah, nutzte mir nichts. Um einen Claim eintragen zu lassen, mußte man einundzwanzig Jahre alt sein oder zumindest in der Armee der Vereinigten Staaten gedient haben. Ich erfüllte keine dieser Bedingungen. Ich konnte also nicht einmal meine Rechte an der Entdeckung des Goldes geltend machen. Ich konnte nichts unternehmen, wenn jemand, der durch irgendeine Unvorsichtigkeit von mir von dem Gold erfuhr, die Fundstelle für sich beanspruchte. Ritt ich aber zurück und begann auf eigene Faust mit dem Abbau, konnte ich mich rasch im Gefängnis wiederfinden. Solange keine Claimrechte eingetragen waren, gehörte der Bach mitsamt dem Gold darin dem Staat. Ich konnte wegen Diebstahls bestraft werden und würde alles, was ich geschürft hatte, abgeben müssen. Ich brauchte mir auch nicht einzubilden, daß ich den Fundort lange würde geheimhalten können. In Bannack lungerten genügend Männer herum, die auf ihre Chance in den Goldfeldern warteten und jedem Menschen, der eine Ausrüstung zum Goldabbau erwarb, in der
Hoffnung folgten, ebenfalls das große Glück zu finden. Im Nu würde das Tal des Fox Creek von goldgierigen Männern überflutet sein. Mein Bach würde entdeckt und ich sehr schnell ausgeschaltet werden. Ich langte in meine Jackentasche und ließ die Goldkörnchen, die ich aus dem Bachbett geholt hatte, durch meine Finger rieseln. Ich fragte mich, was man mir in Bannack dafür geben würde. Gleichzeitig war mir klar, daß ich in einer ungeheuren Gefahr schwebte. Es wimmelte von Straßenräubern, für die das Leben eines Menschen kaum einen Schuß Pulver wert war. In diesem Moment verfluchte ich meine Entdeckung. Gleichzeitig sträubte sich etwas in mir, den Fund zu vergessen. Was sollte ich tun? Ich hatte noch nie nach Gold geschürft. Es erschien mir besser, als gegen Lohn für andere zu arbeiten. Ich wollte mein eigener Herr sein. Das zählte für mich sogar mehr als der Wert, den das Gold darstellte. So wenig mich die Ansammlung von Reichtum interessierte, so wußte ich doch, daß Besitz das Gefühl von Freiheit vermittelte, von Unabhängigkeit. Das war ein guter Grund, den Claim auszubeuten. Mir war klar, daß mir dazu nur eine Möglichkeit blieb: Ich mußte mir einen Partner suchen, einen Mann, der an meiner Stelle die Claimrechte beantragen konnte. Das war ein Gedanke, der mir nicht sonderlich gefiel. Ich kannte niemanden, dem ich so weit vertrauen und bei dem ich sicher sein konnte, nicht betrogen zu werden. Es gab keine anständigen Männer mehr in Montana. Dafür hatte das Goldfieber gesorgt. Der Weg führte vor mir in weitem Bogen um eine Hügelkette herum. Ich wußte, daß ich in kurzer Zeit von einer Anhöhe aus Bannack sehen würde. Die Sonne stand bereits hoch. Es war heiß. Die regennasse Erde trocknete aus, kleine Spalten öffneten sich im Boden. Regenwürmer wanden sich in den grellen Strahlen. Die Pfützen verdunsteten nach und nach. Ich erreichte die Anhöhe, von der aus ich Bannack sehen konnte, und zügelte den Braunen. Shita hielt hechelnd neben mir an. Er setzte sich sofort ins Gras und kratzte sich mit einer Hinterpfote am linken Ohr.
Ich sah das graue, gewundene Band der Wagenstraße, das in eine großflächige, von hohen Bergen umgebene Senke führte. Mitten darin lag Bannack. Ein Drecknest. Die erste Stadt des Montana-Territoriums. Sie war schon vor der Entdeckung des Goldes in der Alder Schlucht, die ein ganzes Stück weiter östlich lag, gegründet worden. Damals hatte sie nur aus ein paar windschiefen Hütten bestanden. Jetzt war Bannack eine kaum überschaubare Ansammlung von dreckigen Holzbuden. Es gab keine festen Straßen, keine Gehsteige, nicht mal eine halbwegs gerade Anordnung der Budenreihen, die sich täglich vermehrten. Jeder schlug da sein Quartier auf, wo es ihm gerade paßte, errichtete ein Zelt oder sammelte alte Kistenbretter und hämmerte sich einen Verschlag zusammen. Da das Holz in letzter Zeit knapp geworden war, entstanden immer mehr Zelte aus einfachen Planen oder Pferdedecken. Die meisten Neuankömmlinge nahmen sich allerdings auch dazu schon keine Zeit mehr. Sie richteten sich die Wagen, mit denen sie hergezogen waren, als Wohnstatt ein und begaben sich sofort auf die Suche nach einem Claim. Die meisten träumten davon, binnen weniger Wochen steinreich zu werden, mit ihrem Wagen voller Gold gen Osten fahren und von da an ein Leben in Saus und Braus führen zu können. Es gab auch einen Friedhof in Bannack, wo neben vielen Goldgräbern auch zahllose Träume und Hoffnungen begraben lagen. Aber um den Friedhof kümmerten sich nur die zahlreichen Sargtischler der Stadt. Die meisten derer, die mit hochfliegenden Erwartungen Bannack erreichten, verdrängten die Tatsache seiner Existenz völlig. In Bannack und den Goldfeldern wurde gelebt, gestorben wurde hinter den Hütten, hinter den Zelten, wenn es dunkel war, wenn niemand es sah. Ich trieb den Braunen wieder an und ritt in die Senke. Die Sicht war klar und täuschte über die Entfernung. Ich hatte noch gut vier Meilen bis Bannack zurückzulegen. In reichlich einer Stunde erst würde ich den Ort erreichen. Aber jetzt schon sah ich die vielen Krähen über den Dächern von Bannack kreisen. Sie lebten vom
Abfall, der sich überall stinkend häufte, und manchmal auch von den Leichen, die in irgendeinem Winkel unentdeckt geblieben waren und verwesten. Ein Leben zählte hier nicht viel. Hier zählte nur Gold, wie ich es in meiner Tasche trug. Und ich war wohl der einzige Mensch, dem der Besitz von Gold Kopfzerbrechen bereitete. Je mehr ich mich Bannack näherte, desto weiter entfernte ich mich von einer Lösung meines Problems.
3. »Du kommst verdammt spät«, sagte Mr. Domingo Trevor. Er war ein kleiner, schmächtiger Mann mit einer glänzenden Glatze. Er betrieb einen Store in Bannack, mit dem zugleich die Posthalterei verbunden war. Ich kannte ihn seit vier Wochen, seit ich Post von Salmon City nach Bannack brachte. Immer war er griesgrämig, immer meckerte er an irgend etwas herum. Ich hatte ihn noch nie lachen sehen, und ich war mittlerweile davon überzeugt, daß er gar nicht wußte, wie man das anstellte. »Haben Sie nichts von dem Unwetter gemerkt?« fragte ich. »Es hat geschüttet wie aus Kübeln. Ich mußte mich in einer Felsspalte verkriechen und konnte erst weiterreiten, als es vorbei war.« »Du läßt sehr nach, Junge«, sagte Mr. Trevor. »Wir bezahlen dir monatlich hundert Dollar dafür, daß du durch die Gegend reitest. Ein verdammt guter Lohn, wenn du mich fragst. Ich glaube, daß wir ein Anrecht darauf haben, daß du pünktlich bist.« »Sind Sie schon mal durch einen Gewittersturm geritten, Mr. Trevor?« sagte ich. Ich fühlte, wie sich eine kalte Wut in mir zusammenballte. »Außerdem waren Indianer hinter mir her. Sie können von Glück sagen, daß ich überhaupt hier stehe.« »Das ist deine Pflicht. Dafür wirst du bezahlt. Ob Indianer oder nicht«, sagte er und starrte mich unwillig an. Am liebsten wäre ich ihm ins Gesicht gesprungen. Ich knallte den Postsack auf den Tisch und drehte mich um, um den Store von Mr. Domingo Trevor zu verlassen. »Du hast vergessen, guten Tag zu sagen«, hörte ich ihn hinter mir
krähen. »Außerdem mußt du heute abend zurück nach Salmon City reiten. Es liegt ein Haufen Post hier, der weitertransportiert werden muß.« Ich drehte mich um, und jetzt kochte es wirklich in mir. »Ich bin müde, Mr. Trevor«, sagte ich. »Ich bin gestern den ganzen Tag geritten und habe auch die ganze letzte Nacht kein Auge zugetan. Ich war völlig durchnäßt vom Regen und habe mich mit ein paar Sioux herumgeprügelt. Ich werde heute nacht nicht bereits wieder losreiten, sondern mich jetzt aufs Ohr hauen und bis zum nächsten Morgen durchschlafen. Morgen früh breche ich dann mit der Post nach Salmon City auf.« Er schnappte nach Luft wie ein Katzenfisch, den man aus dem Wasser geholt und an Land gelegt hatte. »Du – du widersprichst mir?« schnaufte er. »Ich bezahle einen Teil deines Lohns, und du wagst es, meinen Anweisungen nicht zu gehorchen?« »Ich wage es, Mr. Trevor«, sagte ich, ging hinaus und knallte die Tür laut und vernehmlich hinter mir zu. Ich hatte eine Stinkwut und ging die ausgefahrene Straße hinunter, die die Mainstreet von Bannack darstellte. Ich suchte den Mietstall auf, wo ich meinen Braunen unterstellte. Shita wartete hier auf mich. Er hatte einen abgenagten Knochen gefunden und knabberte daran herum, obwohl beim besten Willen nichts mehr daran war, was die Mühe gelohnt hätte. Der Stallknecht stand mit einem Rutenbesen in den Händen und einer abgewetzten Leinenschürze vor dem Bauch neben dem Brunnen auf dem Hof und nickte mir zu. Er kannte mich. Er war grauhaarig und mußte uralt sein. Ich wußte, daß er als einer der ersten in die Alder Gulch gezogen war. Er hatte mal einen der reichsten Claims besessen und pro Tag mehr als dreihundert Dollar Gold aus dem Boden geholt. Sein Fehler war, daß er gern pokerte, und so hatte er seinen Claim in einer Nacht verspielt. Danach hatte er noch ein paarmal versucht, fündig zu werden. Aber seine Glückssträhne war vorbei gewesen. Er arbeitete für einen Hungerlohn im Mietstall und säuberte manchmal sogar in den Saloons die Spucknäpfe. »Du siehst verdammt müde aus, Ronco«, sagte er.
»Du wirst lachen«, sagte ich. »Ich bin's. Außerdem hat Mr. Trevor mal wieder gemeckert. Ich könnte kotzen vor Wut.« »Wenn man jung ist, nimmt man alles so schwer«, sagte er. Er blickte versonnen über mich weg. »Es gibt Schlimmeres.« Ich wußte, was er meinte und ging an ihm vorbei. Ich pflegte im Mietstall zu schlafen, wenn ich in Bannack war. Das kostete einen halben Dollar. Wenn ich ein Boardinghouse aufsuchte und dort ein Dreckloch mit zwanzig anderen Männern teilte, wurde ich zwei bis drei Dollar los. Da war mir der Mietstall lieber. In der hintersten Ecke des Stalles fand ich ein freies Plätzchen im Stroh und ließ mich hineinfallen. Ich fühlte mich jetzt ausgepumpt und wie gerädert. Zwar verspürte ich Hunger, aber die Müdigkeit war stärker. Shita tauchte auf und streckte sich neben mir aus. Ich tastete unwillkürlich nach meinem Gold in der Jackentasche und dachte, während ich die Augen schloß, darüber nach, wie ich mich verhalten sollte. Aber ich fand auch jetzt keine Lösung und schlief ziemlich schnell ein. Gegen Abend wachte ich auf. Meine Glieder waren noch immer bleischwer, und die Müdigkeit erfüllte mich bis in die Haarspitzen. Ich kriegte kaum die Augen auf. Neben dem Mietstall lag eine Spielhölle, in der auch getanzt wurde. Ein Pianist, ein Fiedler und ein Gitarrespieler bearbeiteten gnadenlos ihre Instrumente. Mit einiger Mühe konnte man ab und zu eine Melodie heraushören. Besonders schlimm wurde es, als ein Mann mit einer Stimme, die aus einem Whiskyfaß zu dringen schien, zu singen begann. Ich wälzte mich wütend herum und preßte die Fäuste auf die Ohren. Aber es nutzte nichts. Der höllische Lärm, den die anspruchslosen, angetrunkenen Goldgräber sicherlich schön fanden, raubte mir die Ruhe. Als ich mich aufrichtete, verspürte ich einen feinen Schmerz in meinen Schläfen. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und wankte zwischen den Boxen hindurch zum Tor. Shita trottete neben mir her. Neben einer Futterkiste am Stalleingang lag der alte Knecht und schnarchte geräuschvoll. Neben ihm lag eine fast geleerte Flasche am Boden, in der sich ein Rest bräunlich schimmernder Flüssigkeit befand. Ich bückte mich, schnupperte nur kurz und verzog
angewidert das Gesicht. Billigster Fusel. Ich verließ den Stall und sog die klare Abendluft in meine Lungen. Ich dachte daran, daß Mr. Trevor mich gern mit einem Sack voll Post losjagen würde, aber ich hatte keine Lust dazu und schlenderte ziellos durch das dunkle Gewirr von Hütten, Zelten und Planwagen, das den anspruchsvollen Namen Bannack City trug. Ich blieb vor einem Zelt stehen, vor dem Schilder verkündeten, daß hier ein Barbier sein Geschäft aufgeschlagen habe und Tag und Nacht bereit sei, ehrenwerten Gentlemen den Bart zu schaben oder ihnen ein heißes Bad zu verschaffen. Einen Moment überlegte ich, ob ich mir nicht ein Bad leisten sollte. Ich fuhr auch mit der Rechten über meinen Stoppelbart, der mein Kinn und meine Wangen bedeckte. Dann setzte ich meinen Weg fort. Die Preise in Bannack waren sehr hoch, und ich hatte von meinem letzten Lohn nicht mehr viel übrig. Ich hatte zwar noch das Gold, aber ich traute mich nicht, es auszugeben. Es war eine beschissene Situation. Vor mir sah ich einen Betrunkenen seines Weges torkeln. Neben einer alten Hütte brach er plötzlich zusammen, wälzte sich durch den Unrat, der sich hier angesammelt hatte, und übergab sich. Shita bellte empört und schlug einen großen Bogen um den Mann, der am Boden liegenblieb und mit seinen Armen und Beinen unkontrollierte Bewegungen vollführte. Ich schwenkte auf die Wagenstraße ein, die nach Osten aus dem Ort hinausführte und auf der man in die Alder Gulch gelangen konnte und nach Virginia City, einem Nest, das eine noch schlimmere Pestbeule darstellte als Bannack. Ein flacher Wagen rollte mir entgegen. Auf dem Bock saß ein blonder Mann mit schwarzem Hut und schwarzer Weste. Der Wagen wurde von einem Schimmel gezogen. Auf der Ladefläche lagen ein paar Geräte, wie sie zum Goldschürfen gebraucht wurden. Hinter einigen Zelten tauchten unvermittelt ein paar schattenhafte Gestalten auf. Sie huschten auf den ausgefahrenen Weg und sprangen am Wagen hoch. Ein Messer blitzte im schwachen Schimmer einer Petroleumlaterne vor einer Hütte. Ich hörte einen leisen Ruf. Der blonde Mann hatte sich auf dem Bock aufgerichtet und kämpfte mit den Straßenräubern.
Einen Moment blieb ich stehen und schaute zu, wie die dunklen Gestalten miteinander rangen. Es wimmelte in den Goldfeldern von Halunken, vor denen niemand sicher war. Aber es war hier das erstemal, daß ich Zeuge eines Überfalls wurde. Ich kannte den blonden Mann nicht. Ich hatte keinen Grund, mich einzumischen. Dennoch setzte ich mich in Bewegung und hastete den Weg hinunter auf den Wagen zu. Ich hatte meine eigenen Probleme und wußte selbst nicht genau, warum ich eingriff. Ich dachte auch in diesem Moment nicht darüber nach. Ich fühlte einfach, daß es eine Schweinerei gewesen wäre, nicht zu helfen. Shita sprang an mir vorbei und begann wie wild zu bellen. Ich riß meinen Navy Colt aus dem Halfter, das ich an der rechten Hüfte trug. Die Banditen hatten den blonden Kutscher inzwischen vom Bock gerissen. Er lag auf dem Rücken am Boden und wehrte sich immer noch. Wieder sah ich das Messer blitzen, und ich wußte, daß der blonde Mann verloren war. Ich schoß von der Hüfte aus. Fast gleichzeitig sprang Shita einen der Strauchdiebe an und riß ihn zu Boden. Er knurrte und bellte dumpf und voller Wut, als wolle er den Mann mit Haut und Haaren verschlingen. Meine Kugel traf den Mann, der das Messer schwang, in das rechte Bein. Er brüllte wie am Spieß, ließ das Messer fallen und wurde vom Aufprall der Kugel zu Boden gestoßen. Schreiend wälzte er sich durch den Staub und kam dann wieder hoch. Mit beiden Händen umklammerte er den getroffenen Oberschenkel und humpelte zum Straßenrand. Ich stürmte hinter ihm her. Die anderen Banditen ließen von ihrem Opfer ab und flüchteten. Einer hastete unmittelbar an mir vorbei. Ich hob den Colt und wollte schießen. Da drehte er sich um und schlug mit beiden Fäusten zu. Bevor ich abdrücken konnte, wurde ich von den wuchtigen Hieben getroffen. Ich fühlte einen heftigen Schmerz. Dann wurde mir schwarz vor Augen, und ich stürzte. Mir schwanden die Sinne. *
Ein Schatten fiel auf mich. Ich zwinkerte unsicher mit den Augen. Noch immer wallten dichte Schwaden vor meinen Blicken. Hämmernder Schmerz erfüllte meinen Schädel. Ich richtete mich auf und sah, daß Shita neben mir stand. Ich hörte, daß er knurrte. Dann sah ich den blonden Mann, der von den Straßenräubern überfallen worden war. Er stand in respektvoller Entfernung von mir und blickte Shita unsicher an. Sein Haar hing ihm etwas wirr ins Gesicht. Er blutete am linken Arm. Der Stoff seines Hemdes hatte sich über der Schulter dunkel gefärbt. Ein durchbluteter Fetzen hing herunter. Seine Stirn trug eine breite Schramme. »Bist du wieder klar, Junge?« hörte ich ihn sagen. »Du hast einen verdammt scharfen Hund. Ich glaube, der hätte mich glatt zerrissen, wenn ich dich angefaßt hätte.« »Schon gut, Shita«, sagte ich. Ich strich ihm durch das Fell, und seine Haltung entspannte sich fast augenblicklich. Ich erkannte meine Stimme kaum wieder. Sie klang dumpf und schlapp. Meine Zunge lag wie ein altes Stück Leder in meinem Mund. »Wasser?« Der andere hielt eine Feldflasche in der Rechten und hielt sie mir hin. Ich stand etwas wacklig auf den Beinen und ging auf den Mann zu. Er hatte den Hut verloren. Ich sah ihn zerdrückt neben dem Wagen im Staub liegen. Ich nahm die Feldflasche und trank gierig einige Schlucke. Das Wasser war etwas abgestanden, aber es schmeckte und ließ mich halbwegs wieder klar werden. »Danke«, sagte ich, als ich die Flasche zurückreichte. »Ich muß mich bedanken«, sagte er. »Ohne dich und deinen Hund wäre ich jetzt wahrscheinlich tot.« »Tragen Sie so wertvolle Dinge mit sich herum, daß es sich lohnt, Sie umzubringen?« »Nein«, sagte er. »Aber was zählt das schon, jetzt in dieser Zeit, in diesem Land? Wer einen Dollar in der Tasche hat, kann seines Lebens nicht mehr sicher sein. Ich habe einen Mann gekannt, der auf dem Weg in die Goldfelder zwischen Beaver Head und Virginia City dreimal überfallen worden ist. Beim erstenmal wurde ihm sein letztes Geld gestohlen, beim zweitenmal seine Ausrüstung, und beim
drittenmal nahmen sie ihm seine Proviantvorräte und brachten ihn beinahe um, aus Zorn darüber, daß er nicht mehr besaß.« »Ich konnte nicht zuschauen, wie Sie umgebracht wurden«, sagte ich. »So denkt nicht jeder«, sagte er. »Ich bin dir sehr dankbar.« »Sie sind verletzt.« »Halb so schlimm. Wenn ich das Messer in den Hals gekriegt hätte, würde mir kein Steak mehr schmecken.« »Dann ist es gut«, sagte ich. Ich klopfte mir den Staub von den Hosen und der Jacke. »Ich hoffe, Sie haben von jetzt an mehr Glück.« »Von Strauchdieben überfallen zu werden und Hilfe zu erhalten, ist eigentlich hier in Bannack schon Glück genug«, sagte er. »Vielleicht kann ich mich mal revanchieren.« »Das kann man nie wissen.« Ich hob meinen Hut auf, den ich ebenfalls beim Sturz verloren hatte, nickte dem anderen zu und schlenderte zurück. Hinter mir setzte sich der blonde Mann auf das linke Wagenrad, riß sein Hemd über der linken Schulter völlig auf und begann sich notdürftig zu verbinden. Mir brummte der Schädel von dem wuchtigen Schlag, den der Bandit mir versetzt hatte. Ich beschloß, in den Mietstall zurückzukehren und mich wieder ins Stroh zu legen. Vielleicht waren die Kopfschmerzen am nächsten Morgen vorbei. Unterwegs wurde mir klar, daß der Hieb mich härter getroffen hatte, als es mir zunächst bewußt geworden war. Ich wurde unvermittelt von einem heftigen Schwindelgefühl befallen und mußte mehrfach anhalten und mich gegen Hüttenwände lehnen und ausruhen. Menschen gingen vorbei. Ein Mann, der selbst nach Alkohol stank, als habe er eine Woche lang in einem Whiskyfaß gewohnt, lallte lauthals: »So jung und schon stockbesoffen! Eine Schande!« Er torkelte weiter, und ich kümmerte mich nicht darum. Ich erreichte den Mietstall, obwohl es vor meinen Augen flimmerte und meine Füße schwer wie Felsklumpen waren. Shita, dem nicht verborgen blieb, daß mit mir nicht alles in Ordnung war, strich besorgt winselnd um meine Beine.
Der alte Stallmann stand am Tor, als ich in den Stall wankte. Es war für mich ein Wunder, daß er gerade auf den Beinen stehen konnte, obwohl er am Abend fast eine Flasche Whisky geleert hatte. Die Flasche lag noch immer neben der Futterkiste, wo er geschlafen hatte, als ich weggegangen war. »Na?« sagte er. »Einen gehoben?« Dann stutzte er. »Du blutest.« Ich tastete nach meinem Kopf und fühlte etwas Warmes, Klebriges. »Nur eine Platzwunde«, sagte ich. Er beugte sich vor und blickte mich ernst an. Sein stinkender Atem traf mich. Ich wandte unwillkürlich das Gesicht zur Seite. »Hast du dich herumgeprügelt?« »So ungefähr.« Ich bewegte mich an ihm vorbei und schaffte es gerade noch bis zum Ende des Stalls. Dort ließ ich mich auf mein Strohlager fallen. Mein Atem ging schwer, Shita fuhr mir mit seiner heißen Zunge über das Gesicht und legte sich dann neben mich. Nach einiger Zeit spürte ich, daß der hämmernde Schmerz in meinem Schädel nachließ und auch die Anspannung aus meinem Körper wich. Ich dachte voll Befriedigung daran, daß ich einem der verdammten Kerle eine Kugel verpaßt hatte, an der er seine Freude haben würde, und daß Shita einem anderen ein Loch in den Pelz gebissen hatte. Seltsamerweise verspürte ich in diesem Moment weder Hunger noch Durst. Eine lähmende, warme Schwere durchfloß meinen Körper. Ich bemerkte noch eine dicke, schwarze Spinne, die direkt über mir zwischen zwei verrosteten Haken, die aus einem Stützbalken ragten, ein dichtes Netz gesponnen hatte. Sie kroch auf hurtigen Beinen hin und her und war damit beschäftigt, eine wild zappelnde Fliege, die sich an den klebrigen Fäden gefangen hatte, zu einem kleinen Paket zu verschnüren und zu ihren Vorräten zu schleppen. Ich glaubte für einen kurzen Augenblick, die Fliege schreien zu hören. Aber das war wohl eine Folge des heftigen Schlages auf den Kopf. Mir fielen die Augen zu, und ich schlief sofort ein.
4. Mr. Domingo Trevor stand hinter einem hohen Pult seitlich der Ladentheke in seinem Store. Er hatte ein Tintenfaß vor sich stehen, in das er ab und zu einen Federkiel tunkte. Leise kratzte die Feder über das Papier, wenn er schrieb. Er hatte einen randlosen Kneifer auf seiner Nase. Als ich ihn ansprach, hob er nicht den Kopf. Er schielte mich nur über die Gläser seines Kneifers hinweg an. »Guten Morgen, Mr. Trevor«, sagte ich. Ich schob mir den Hut in den Nacken. Mir ging es wieder gut. Ich hatte keine Kopfschmerzen mehr, nur eine ziemlich große Beule erinnerte mich noch an den Vorfall in der gestrigen Nacht. Der Tag war noch jung. Die Sonne hing wie eine frische, saftige Orange über den östlichen Bergen. Ein leichter Wind strich über die Dächer der Stadt und trieb die letzten Fetzen des Frühnebels vor sich her. Mr. Trevor musterte mich wie einen besonders erbärmlichen Regenwurm, den er am liebsten zertreten würde. Er gab mir keine Antwort, wandte sich statt dessen wieder dem Buch zu, in dem er schrieb, und tauchte den Federkiel in die Tinte. »Ich will die Post nach Salmon City holen, Mr. Trevor«, sagte ich. Er schrieb weiter, als habe er nicht gehört, was ich gesagt hatte. Dann legte er mit großer Geste den Federkiel zur Seite, stützte die knochigen Hände auf die Kanten des Pults und starrte mich eine Weile schweigend an. »Mr. Ronco bequemt sich zu mir. Mr. Ronco geruhen, seine Arbeit anzutreten«, sagte er. In mir begann es wieder zu kochen. Aber ich beherrschte mich und sprach kein Wort. »Ich hatte dir gesagt, daß die Post gestern abend abgeholt werden sollte.« »Ich hatte Ihnen geantwortet, daß ich sehr müde sei«, erwiderte ich. Ich versuchte, ruhig zu bleiben. »Ich hatte Ihnen gesagt, daß ich Schlaf brauchte.« »Du kannst weiterschlafen«, sagte er. »Du bist entlassen. Ich habe
einen anderen Mann engagiert, der bereits gestern abend mit der Post losgeritten ist. Ein zuverlässiger Mann, arbeitswillig und hilfsbereit. Er gibt keine Widerworte und erlaubt sich keine Zicken.« »Würden Sie mir bitte sagen, Mr. Trevor, wann ich mir etwas habe zuschulden kommen lassen«, sagte ich. »Du bist ein renitenter Bengel!« schrie er unvermittelt los. »Du hast dich meinen Anweisungen widersetzt. Du hast die Post zu spät abgeliefert. Du bist durch und durch unzuverlässig.« »Ich glaube nicht, daß Sie das sagen sollten, Mr. Trevor«, erwiderte ich. »Sie hatten kein Recht, einen anderen Mann einzustellen. Aber ich sage Ihnen was: Ich bin froh, daß ich für Sie nicht mehr arbeiten muß. Geben Sie mir meinen restlichen Lohn.« »Lohn?« Trevor riß sich den Kneifer von der Nase. »Lohn erwartest du auch noch? Freu dich, daß ich dich nicht mit der Peitsche auf die Straße jage.« »Versuchen Sie es nur, Mr. Trevor«, sagte ich. Und dann zog ich einfach meinen Revolver. »Ich lasse mich nicht betrügen. Ich habe Lohn von Ihnen zu kriegen, und Sie werden mir geben, was mir zusteht.« Er wurde blaß wie eine frischgekalkte Wand. »Das – das ist ein Überfall«, stotterte er. »Ich werde den Sheriff holen und …« »Erst holen Sie mein Geld, Mr. Tevor«, sagte ich. »Sie wissen, daß das kein Überfall ist. Holen Sie nur den Sheriff, dann erzähle ich ihm, daß Sie mich betrügen wollen.« Er blickte erst mich und dann meinen Revolver an. Dann ging er hastig hinter die Ladentheke und holte die Kasse hervor. »Das wirst du noch bereuen«, sagte er, während er zwanzig Dollar vor mich hinlegte. Ich steckte meinen Revolver ein und schob das Geld in dieselbe Jackentasche, in der ich die Goldkörnchen verstaut hatte. »Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Geschäfte, Mr. Trevor«, sagte ich. »Versuchen Sie besser nicht mehr, jemanden zu betrügen. Es könnte sein, daß beim nächstenmal einer seinen Revolver nicht nur zieht, sondern auch abdrückt.« Er schnappte nach Luft. Ich drehte mich um und ging hinaus. Ich
hatte zwar meine Arbeit verloren und wußte im Augenblick nicht, was ich tun sollte, aber ich fühlte mich nicht schlecht. Eigentlich war ich sogar recht froh, nicht mehr für Mr. Domingo Trevor arbeiten zu müssen. Als ich an sein dummes Gesicht dachte, das er beim Anblick meines Revolvers geschnitten hatte, mußte ich unwillkürlich lachen. Shita, der neben mir her trottete, kläffte überrascht. Ich bog in die Seitengasse ein, die zum Mietstall führte. Da sah ich ihn vor mir. Er winkte mir zu. Es war der große, blonde Mann, dem ich in der Nacht geholfen hatte. Ich blieb stehen. Er näherte sich und grinste breit. Er hatte ein offenes, sympathisches Gesicht. Daß er verletzt war, war ihm kaum anzumerken. »Hallo«, sagte er. »Noch Kopfschmerzen?« »Nein«, sagte ich. »Und Sie?« »Es geht.« Er grinste noch immer. »Ich hab noch in der Nacht nach dir gesucht, aber es ist nicht einfach, jemanden in Bannack zu finden.« »Im Zweifelsfall immer auf dem Friedhof«, sagte ich. »Das wollen wir doch nicht hoffen.« Er griff mit der Rechten in die Tasche seiner Weste und zog etwas heraus. »Du hast bei dem Kampf etwas verloren«, sagte er. »Ich hab's gefunden, als du gerade weg warst. Es lag auf dem Weg.« Er öffnete die Hand. In der großen, schwieligen Rechten lagen zwei kleine, hell schimmernde Goldkörnchen. Sie mußten mir beim Sturz aus der Jackentasche gefallen sein. Unwillkürlich lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. An das Gold hatte ich überhaupt nicht gedacht, seit ich am Morgen aufgestanden war. Jetzt stand der blonde Fremde vor mir. Er kannte mein Geheimnis. Sekundenlang schloß ich die Augen und versuchte, ruhig zu werden. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich sah den blonden Mann an. Er lächelte noch immer. Auf seiner Handfläche glitzerte mein Gold. * »Danke«, sagte ich. Meine Hand zitterte etwas, als ich zugriff und
die Goldkörnchen in meiner Tasche verschwinden ließ. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Ich wußte nicht, was ich von dem Verhalten des Fremden halten sollte. Jeder andere hätte das Gold eingesteckt und für sich behalten. Was bezweckte der Mann damit, daß er es mir zurückbrachte? Meinte er es ehrlich? Wollte er mich aufs Kreuz legen? »Du solltest vorsichtig sein«, hörte ich ihn sagen. »Eine Menge Leute, die Gold so sorglos mit sich herumgetragen haben, waren sehr schnell tot.« Ich hob den Kopf. Der Mann blickte mich unbefangen und offen an. Er sah nicht aus wie ein Gauner. Aber welcher Mensch in den Goldfeldern war nicht irgendwie verdorben. Wahrscheinlich war ich es ebenfalls auf irgendeine Art und Weise. Ein Gedanke durchzuckte mich jäh. Ich wollte ihn beiseite schieben, aber er kehrte immer wieder zurück. Es war verrückt, denn ich kannte den Mann vor mir ja gar nicht. Aber ich mußte immer wieder daran denken, daß ich einen Partner brauchte, um mit meinem Goldfund etwas anfangen zu können. Ich hatte gerade meine Arbeit verloren, und es war eigentlich die beste aller Möglichkeiten, wenn ich mich, statt mir erneut einen Job zu suchen, um meinen Claim kümmerte. »Haben Sie nichts anderes zu tun, als mir Gold hinterherzutragen?« fragte ich. »Ich wollte, es gehörte mir«, sagte er. »Aber ich habe kein Glück, deshalb habe ich nichts anderes zu tun.« »Ich hab noch mehr davon«, sagte ich. Ich war mir meiner Sache plötzlich sehr sicher. Ich war zwar noch jung, aber ich konnte mich auf meinen Instinkt und meine Erfahrungen verlassen. Der Mann war in Ordnung. Er hatte mir die beiden Goldkörnchen nicht aus irgendwelchen finsteren Absichten heraus nachgetragen. Er hatte keine Hintergedanken. Er war mir dankbar, daß ich ihm geholfen hatte. Das war der einzige Grund. Davon war ich überzeugt. »Dann hast du mehr Glück als ich«, sagte er. »Ich habe die ganze Alder Gulch abgegrast, ohne auch nur ein Stäubchen Gold zu entdecken.« »Ich kenne einen Ort«, sagte ich, »wo mehr als ein paar Stäubchen
zu holen sind.« »Sprich nicht so laut«, sagte er. »So etwas posaunt man nicht hinaus.« »Es nutzt mir nicht viel«, sagte ich. »Ich bin zu jung, um einen Claim auf meinen Namen eintragen zu lassen.« Er musterte mich seltsam berührt. Ich glaubte, eine gewisse Verständnislosigkeit in seinen Augen zu entdecken. Auch ein Mißtrauen. Einen Moment zögerte ich. Vielleicht ging ich wirklich zu weit. Das Risiko, auf das ich mich einließ, war groß. Aber was sollte ich tun? Der Mann erschien mir vertrauenswürdig. Mehr als reinfallen konnte ich nicht. Und wenn das geschah, würde ich dem Gold keine Träne nachweinen, aber um eine Erfahrung reicher sein. »Wo befindet sich Ihr Wagen?« fragte ich. »Bei dem Mietstall, wo dein Pferd steht.« »Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen«, sagte ich. »Haben Sie was dagegen, wenn wir zu Ihrem Wagen gehen?« »Ich glaube auch, daß das besser ist«, sagte er. »Übrigens, ich heiße McCall, Jack McCall.« »Ronco«, sagte ich. »Nur Ronco, sonst nichts.« Ich sah aus den Augenwinkeln einen unrasierten Mann in schmutzigem, zerrissenen Hemd, der in unserer Nähe stehengeblieben war und sich auffällig mit einem nicht vorhandenen Schnürsenkel an seinem linken Schuh befaßte. Er schielte zu uns herüber. Ich glaubte nicht, daß er uns belauscht hatte. Aber vielleicht hatte er gesehen, wie McCall mir das Gold zurückgab. Wir gingen nebeneinander die ausgefahrene Straße hinunter. Ich drehte mich einmal um. Da sah ich den zerlumpten Kerl wieder. Er folgte uns. Als ich den Kopf wandte, schien er zu erschrecken, blieb stehen und schaute in eine andere Richtung. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als wir den Wagen McCalls erreichten. Er stand direkt vor dem Eingang des Mietstalls. McCall stieg auf den Bock, und ich setzte mich neben ihn. Shita hockte sich wachsam neben das rechte Vorderrad. »Ich habe Gold gefunden, Mr. McCall«, begann ich. »Ich heiße Jack«, sagte er. »Ich weiß, daß du Gold gefunden hast, und ich glaube, daß es besser für dich wäre, nicht darüber zu
sprechen.« »Du bist der erste, mit dem ich darüber spreche, Jack«, sagte ich. »Du hast die Nuggets gefunden und weißt ohnehin Bescheid. Ich kenne den Platz, wo noch mehr liegt, genug für zwei oder drei oder noch mehr Leute. Aber ich kann damit nichts anfangen, weil ich zu jung bin.« »Bist du sicher, daß du genau weißt, was du tust«, unterbrach er mich. »Bevor du zuviel sagst …« »Ich weiß, was ich tue«, sagte ich. »Und wenn ich einen Fehler begehe, bin ich nicht schlimmer dran als jetzt im Moment. Ich habe gerade meine Arbeit verloren, und mit dem Gold kann ich nichts anfangen. Wenn ich es verliere, ist es so, als hätte ich es nie gehabt.« »Wenn du es so siehst, ist es gut«, sagte er. »Ich sehe es so«, erklärte ich. »Ich kann mit dem Claim nur etwas anfangen, wenn ich einen Partner finde, der ihn amtlich registrieren lassen kann. Ich habe keine große Auswahl, und ich glaube, daß du besser als Partner geeignet bist als manch anderer.« »Wieso?« Er grinste schief. »Du hast mir das Gold zurückgebracht, das ich verloren habe. Ich glaube nicht, daß das ein anderer getan hätte.« »Das konnte Taktik sein«, sagte er. »Dir war aber unbekannt, daß ich weiß, wo mehr zu holen ist.« »Wie sehen die Bedingungen aus?« fragte er. »Du nimmst also an?« »Wir können es zusammen versuchen«, erwiderte er. »Ich teile«, sagte ich. »Ohne einen Partner kriegte ich gar nichts. Also teile ich.« »Einverstanden«, sagte McCall. »Hast du etwas dagegen, wenn ich meinen Anteil noch mal teile?« »Bist du verheiratet?« »Nein, ich habe einen Freund, der schon seit ein paar Tagen hier ist. Er ist zuverlässig.« »Das ist deine Sache«, sagte ich. »Du kannst mit deinem Anteil tun, was du willst.« »Wo ist der Claim?« »Oberhalb des Tales am Fox Creek. Dort gibt es einen Wald, in
dem eine Quelle entspringt. Der Bach ist voller Gold.« »Ich habe alle Geräte, die wir brauchen«, sagte McCall. Ich griff in die Tasche und zog einige der kleinen Nuggets heraus. Er hob sie prüfend hoch. »Erstklassige Qualität«, meinte er. »Fast völlig rein. Ein so sauberes Gold haben die nicht mal in der Alder Gulch.« »Melde am besten gleich den Claim an«, sagte ich. »Ich muß nur mein Pferd satteln, dann bin ich fertig.« »Ich sage meinem Freund Bescheid. Spätestens gegen Mittag können wir aufbrechen.« »Hast du genug Pulver und Blei für dein Gewehr?« fragte ich. »Ich denke schon.« »Es gibt Indianer dort. Sioux.« »Sonst noch was?« »Nein.« Er schien nicht sonderlich beeindruckt. Ich gelangte immer mehr zu der Ansicht, daß ich ein unverschämtes Glück gehabt hatte, Jack McCall getroffen zu haben. Er war genau der richtige Partner für mich. Ich stieg vom Bock, und er hob die Zügel an. Der Schimmel vor dem Wagen stemmte sich ins Geschirr. Das Gefährt ruckte an. »Gegen Mittag treffe ich dich hier!« rief McCall. Ich nickte, und ich sah plötzlich den zerlumpen Mann wieder, der uns bis hierhin verfolgt haben mußte. Er stand neben einem Lagerschuppen, fast dreißig Yards vom Mietstall entfernt, und spähte herüber. Sein Kopf erinnerte mich an einen Geier. Die Verschlagenheit und Gier in seinen Augen unterstrichen diesen Eindruck noch. Als er bemerkte, daß ich ihn beobachtete, bückte er sich rasch, wieselte geschäftig umher und sammelte fortgeworfene Zigarettenkippen auf, die er sodann sorgfältig öffnete. Er schüttete den Tabak auf einen Streifen Zeitungspapier, drehte ihn zusammen und schob ihn in den Mund. Ich wandte mich angewidert ab. McCall bog gerade mit seinem Wagen in die Main Street von Bannack ein. Ich ging in den Stall und ordnete meine wenigen Besitztümer. Außer den Nuggets besaß ich noch vierzig Dollar, meinen Revolver,
Pulver, Blei und Zündhütchen, dazu Patronen für meinen SharpsKarabiner. In den Satteltaschen hatte ich ein wenig Trockenfleisch. Es war nicht viel, aber mehr brauchte ich nicht. Ich ging zu dem alten Stallmann und bezahlte mein Quartier. »Mr. Trevor hat mich rausgeschmissen«, sagte ich, und ich lachte dabei. Das schien er nicht zu verstehen. Er schüttelte den Kopf. Ich sattelte meinen Braunen und verließ mit ihm und Shita den Mietstall. Ich war heilfroh, endlich aus Bannack rauszukommen.
5. »Das ist Jim Connor«, sagte Jack McCall. »Und das ist Ronco.« Er zeigte erst auf einen untersetzten, rotbärtigen, stämmigen Mann mit einer Knollennase und hellen, wäßrig schimmernden Augen, und dann auf mich. Der andere streckte mir die Hand entgegen. »Hallo, Ronco.« »Freut mich, Jim«, sagte ich. Er gefiel mir. Nicht so gut wie Jack McCall, aber ich war sicher, mich mit ihm vertragen zu können. Er besaß nur einen rotbraunen Hengst und ein Maultier, auf das er seine Habe geschnürt hatte, die aus zwei Deckenbündeln bestand. Aus dem einen ragte der Stiel eines Spatens heraus. »Wir haben alles«, sagte McCall. »Ich auch«, sagte ich. »Ist der Claim registriert?« McCall griff in die Brusttasche seines Hemdes und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. Er hielt es mir hin. Ich sah einen amtlichen Stempel, einige handschriftliche Vermerke und einen Landkartenausschnitt mit genauer Ortsbezeichnung. »Der Clerk im Claim Office hat mich für verrückt erklärt«, sagte McCall. »Er hat gesagt, daß es in der Nähe vom Fox Creek garantiert kein Gold gäbe und ich dort nur mein eigenes Grab schaufeln könne.« »Es würde mir nicht gefallen, wenn er etwas anderes gesagt hätte«, erwiderte ich. »Solange nur wir Bescheid wissen, haben wir unsere Ruhe.« »Wir sind seit vier Wochen in Montana«, sagte Jim Connor. »Wir haben die ganze Alder Gulch abgegrast.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Jack hat davon erzählt.« »Dann weißt du Bescheid«, sagte er. »Selbst wenn es ein Reinfall wird, haben wir nichts verloren. Vor vier Wochen haben wir noch geglaubt, wir brauchten das Gold nur vom Boden aufzuklauben. Inzwischen sind wir klüger.« »Diesmal wird es kein Reinfall«, erklärte ich. »Jack hat das Gold gesehen.« »Jack versteht was davon«, sagte Jim Connor. »Er hat schon in Kalifornien nach Gold geschürft. Wenn er sagt, die Sache ist in Ordnung, dann glaube ich das auch.« Ich schwang mich auf den Braunen. Es war gerade Mittag. Die Sonne hatte den Zenit erreicht und brannte gnadenlos auf die dreckige Menschenansammlung, die sich Bannack nannte. Jack McCall war pünktlich gewesen. Es gab für mich keinen Zweifel mehr, daß ich den richtigen Partner gewählt hatte. Shita bellte erfreut, als ich den Braunen antrieb und an dem Wagen vorbeiritt. Er setzte mit großen Sprüngen neben mir her und rannte beinahe eine Frau über den Haufen, die sich trotz der Hitze in löchrige Decken gehüllt hatte. Ihr runzliges Gesicht verzog sich. Sie setzte zu einem Beschimpfungsschwall an. Ihre keifende Stimme hallte mir noch lange nach. Hinter mir ritt Jim Connor. Er führte sein Packtier am langen Zügel mit. Als letzter folgte Jack McCall mit seinem Wagen. Wir vermieden es, die Stadt über die Hauptstraße zu verlassen. Das konnte die Aufmerksamkeit von herumlungernden Strauchdieben erregen. Ich kannte mich gut in Bannack aus, obwohl täglich neue Straßenzüge entstanden. Ohne größere Schwierigkeiten fand ich einen Weg aus der Stadt und ritt mit meinen Begleitern westwärts. Über uns schrien die Krähen, die über den Abfallbergen am Rand von Bannack kreisten. Wir schwenkten auf die Wagenstraße ein, auf der ich die Stadt erreicht hatte. Mehrere Planwagen rollten uns entgegen. Auf den Wagenböcken saßen Männer und Frauen mit erwartungsfrohen Gesichtern. Sie würden bald anders aussehen. Ihre Illusionen würden zerplatzen, ihre Träume würden einer Ernüchterung, ihre Hoffnungen vielleicht sogar
Bitterkeit weichen. Wir zogen zügig voran. Unterwegs sprachen wir kaum. Als wir nach gut zwei Stunden die Anhöhe erreichten, von der aus wir einen letzten Blick auf Bannack werfen konnten, zügelte McCall den Wagen, und Jim und ich hielten die Pferde an. Wir drehten uns um und schauten zurück. »Ein Misthaufen«, sagte Jim Connor. »Petroleum darüber gießen und anzünden«, meinte Jack McCall. Sie hatten recht. Ich sagte: »Hoffentlich kriegt nicht so bald einer raus, daß es auch am Fox Creek Gold gibt, dann sieht es dort sehr schnell genauso aus.« »Irgendwann läßt es sich ohnehin nicht mehr geheimhalten«, sagte McCall. »Wir müssen das Gold ja irgendwann umtauschen. Dann ist es mit der Ruhe vorbei. Aber wir haben den ersten Claim. Wir sind die ersten. Wenn der ganze Trubel losgeht, sind wir vielleicht schon wieder verschwunden.« Ich hob die linke Hand über die Augen, da mich die Sonne etwas blendete. Ich glaubte, eine Bewegung seitlich der grauen Wagenstraße in etwa zwei Meilen Entfernung wahrgenommen zu haben. Ich starrte intensiv nach Osten. Meine Augen begannen zu schmerzen. Ich glaubte, mich getäuscht zu haben. Dann, gerade als ich mich abwenden wollte, bemerkte ich wieder etwas. Zwischen Bannack und der Anhöhe, auf der wir uns befanden, wurde die Wagenstraße über eine weite Strecke hin von hohen Pecan- und Mesquitebüschen gesäumt. Hinter den Sträuchern bewegte sich etwas. Ich beobachtete sie weiter. Schließlich sah ich einen Reiter. Es überlief mich kalt. Die Tatsache, daß der Mann nicht auf dem Weg ritt, sondern versuchte, unsichtbar zu bleiben, konnte nur bedeuten, daß er jemandem folgte. Uns! Wir waren die einzigen, die Bannack an diesem Mittag westwärts verlassen hatten. Er konnte nur uns folgen. Ich dachte an den zerlumpten, unrasierten Mann, der mich und McCall in Bannack bereits beobachtet hatte. »Seien wir froh, aus Bannack weg zu sein«, sagte McCall in diesem Moment. »Glaubst du, daß wir es bis heute abend noch bis zu
dem Claim schaffen?« »Bis zum Fox Creek bestimmt«, erwiderte ich. »Vielleicht ist es besser, wenn wir zum Claim erst morgen früh weiterreiten, damit wir ihn am hellen Tag erreichen.« »Ich möchte auch lieber wissen, wie es dort aussieht, bevor ich zum erstenmal dort schlafe«, sagte Jim Connor. »Es soll immerhin Indianer in der Gegend geben.« »Es gibt welche«, sagte ich. »Und außerdem folgt uns jemand.« Ich streckte den rechten Arm aus und deutete auf die Wagenstraße hinunter. McCall und Connor starrten mich entgeistert an und suchten dann selbst mit Blicken den Weg ab. Sie entdeckten den Reiter sehr schnell, und ich war sicher, daß ihre Empfindungen bei seinem Anblick den meinen sehr ähnlich waren. »Wir werden am Fox Creek rasten«, sagte ich. »Bevor morgen früh die Sonne aufgeht, brechen wir auf und ziehen in das Waldgebiet. Solange es noch nicht hell ist, können wir unsere Spuren verwischen, dann kann uns keiner folgen. Es ist nicht einfach, sich in dem Wald zurechtzufinden, und wer die Höhle und die kleine Quelle nicht kennt, kann sie nur durch Zufall finden. Vielleicht können wir den Kerl abschütteln.« »Solche Geier riechen eine Spur sogar, wenn sie wissen, daß Gold daran hängt«, sagte McCall. Ich zog meinen Braunen herum. »Wir können es nicht ändern«, sagte ich. »Ziehen wir weiter.« Shita sprang voraus, und ich trieb den Braunen wieder an und ritt weiter nach Westen. Zögernd folgten mir Connor und McCall. Ihre Gesichter drückten Besorgnis aus. Ich konnte sie verstehen. Mir ging es nicht anders. Wir hatten zwar unsere Claimrechte amtlich registrieren lassen. Aber was bedeutete das in der Wildnis schon? Es war eine Basis, es gab uns einen gesetzlichen Rückhalt. Dafür aber, daß dieses Recht respektiert wurde, mußten wir notfalls selbst sorgen. Wenn wir dazu nicht in der Lage waren, war das Claimdokument nicht einmal die Tinte wert, mit der es beschrieben worden war. Wenn es jemand darauf anlegte, uns die Besitzrechte streitig zu machen, dann hatte er hier draußen eine gute Chance dazu. Es gab
kein Gericht im ganzen Montana-Territorium. Den einzigen Sheriff des Landes gab es in Bannack. Er hieß Henry Plummer, aber ich hatte noch nie gehört, daß er sich groß um die Rechte betrogener Goldsucher gekümmert hätte. Über ihn wurden ganz andere Dinge gemunkelt. Es hieß, daß er selbst schmutzige Geschäfte betreibe. Aber bisher hatte noch niemand gewagt, so etwas öffentlich zu behaupten und es nachzuweisen. Ich kannte sogar sehr viele Leute, die Sheriff Plummer für einen Ehrenmann und vorbildlichen Bürger hielten. Jedenfalls hatten wir hier draußen in der Wildnis keine Hilfe von ihm zu erwarten, wenn es uns an den Kragen gehen sollte. Wir mußten uns auf uns selbst verlassen. Das bedeutete, daß wir uns anfangs nicht sofort dem Goldabbau widmen konnten, sondern zunächst für Sicherheitsvorkehrungen zu sorgen hatten. Ich dachte einen Moment darüber nach, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn ich den Goldfund vergessen und mich den Schikanen von Mr. Domingo Trevor gebeugt hätte. Aber solche Zweifel plagten mich nicht sehr lange. Ich fühlte mich frei und war mein eigener Herr. Dafür lohnte es sich schon, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen und auch zu kämpfen. * Ich wälzte mich herum und robbte geräuschlos zu einigen Büschen dicht am Ufer des Fox Creek hinüber. Das Wasser plätscherte leise. Es schimmerte silbrig im Mondlicht. Als ich die Büsche erreichte, richtete ich mich in ihrem Schutz auf. Ich drehte mich um. Jack McCall hatte wieder seinen Platz eingenommen. Er hockte auf einem umgestürzten Baumstamm. Shita lag noch immer neben meiner Decke. Ich lauschte in die Nacht. Ein leichter Wind rauschte in den Sträuchern am Fluß. Der Hangwald, in den wir morgen früh aufbrechen würden, wirkte von unserem Lager aus wie eine drohende, undurchdringliche schwarze Masse. Es war Mitternacht, als McCall mich weckte. Shita knurrte leise. Ich schlug die Augen auf. McCall hockte neben mir. Mit der Linken
stützte er sich auf den Lauf eines Spencer-Karabiners. Am Himmel stand eine schmale Mondsichel, die die Nacht mit einem milchigen Schimmer erfüllte. Ich schob meine Decke beiseite und wollte mich aufrichten. McCall schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich blieb liegen. Er bewegte die Lippen nur schwach, als er sagte: »Es ist jemand in der Nähe.« Ich dachte an den Fremden, der uns von Bannack aus verfolgt hatte. Im Liegen tastete ich nach meinem Revolver, der griffbereit neben meiner Hüfte lag. Unweit von mir schnarchte Jim Connor leise. »Geh wieder auf deinen Posten«, sagte ich. »Wer immer es auch ist, er muß nicht unbedingt wissen, daß er entdeckt ist.« Die Zeit verstrich zäh. Aber Geduld war eine Stärke von mir. Ich hatte sie bei den Indianern gelernt. Mit Geduld konnte man jeden Gegner besiegen. Ich wartete. Plötzlich hörte ich schwach ein schabendes Geräusch. Dann gluckste es leise im Wasser. Ich beugte mich vor. Erst glaubte ich, mich zu täuschen. Dann sah ich zwei oder drei dunkle Gegenstände auf dem Fluß treiben. Sie strebten dem Ufer zu, an dem wir unser Lager hatten. Es waren Menschenköpfe – Indianer. Einige mußten den Fluß bereits überquert haben und sich ganz in unserer Nähe verborgen halten. Ich hob meinen Revolver. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, erst auf die Suche nach den Kriegern zu gehen, die bereits an Land waren. Dann verwarf ich diesen Plan. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Gegner uns gegenüberstanden. Bis ich ihre Deckung gefunden hatte, hatten auch die Sioux, die sich jetzt noch im Wasser befanden, das Ufer erreicht. Dagegen konnte ich jetzt die Zahl der Angreifer noch klein halten. Ich zog geräuschlos den Hammer zurück und schoß. Der grelle Mündungsblitz reflektierte auf der Wasserfläche. Die Detonation krachte belfernd durch die Nacht. Sie wurde von einem dröhnenden Echo verstärkt, das von den Berghängen zurückschallte. Ich spannte den Hahn sofort wieder und schoß abermals. Hinter mir hörte ich Shita bellen und Jim Connor mit einem erschrockenen Ruf von seinem Lager hochfahren. Seitlich von mir raschelte es im Gebüsch. Ein Schatten huschte auf mich zu. Ich riß den Revolver
herum und feuerte sofort wieder. »Im Wasser!« schrie ich Jack McCall zu. »Sie kommen durch das Wasser!« Der Schatten, der vor mir auftauchte, zuckte zusammen, als das Mündungsfeuer auf ihn zustach. Ich hörte einen erstickten Schrei, dann torkelte der Angreifer davon. Ich blickte wieder auf den Fluß. Noch immer sah ich die Schwimmer im Wasser. Einer erreichte gerade die Uferböschung und sprang aus dem Wasser. Hinter mir krachte peitschend der Spencer-Karabiner McCalls. Außerdem war das dumpfe Donnern eines schweren Revolvers zu hören. Jim Connor stand breitbeinig neben unserer kalten Feuerstelle und hielt einen langläufigen Army Colt in der Faust. Der Indianer, der gerade das Wasser verlassen hatte, wurde vom Aufprall einer Kugel steil hochgerissen und zurückgestoßen. Er prallte klatschend auf die Wasseroberfläche und versank ohne einen Laut. Der Mann, den ich getroffen hatte, tauchte ein Stück flußabwärts auf und taumelte aufs Wasser zu. Ein Schuß traf ihn, bevor er sich hineinwerfen konnte. Er stürzte kopfüber in den Fluß. Unmittelbar nach ihm flohen zwei weitere Krieger, die sich bereits an Land befunden hatten. Sie sprangen in den Fluß und schwammen davon. Die Männer, die sich noch im Wasser befanden, drehten ab und versuchten, aus unserem Schußfeld zu gelangen. Ich schoß weiter, genauso wie McCall und Connor, die neben mich getreten waren. Gerade, als die Indianer auf der anderen Seite des Fox Creek wieder an Land gingen, schob sich eine Wolke vor die Mondsichel. Es wurde stockfinster. Wir stellten das Feuer ein. »Ich hab gedacht, der Teufel hat mich schon an der Hose«, sagte Jim Connor. Er lud die abgeschossenen Kammern seines Revolvers wieder auf. »Warum habt ihr mich nicht geweckt?« »Wir wußten nicht, wer da um unser Lager schlich«, sagte McCall. »Wir wollten erst abwarten. Ich bin selbst erschrocken, als Ronco zu schießen begann.« »Wenn die anderen Krieger Gelegenheit gehabt hätten, das Wasser zu verlassen, wären wir nicht so leicht mit ihnen fertiggeworden«, sagte ich. »Ob sie zurückkehren?« Jim Connor blickte besorgt über den
Fluß. »Nicht in dieser Nacht«, sagte ich. »Jetzt haben sie erst mal genug. Aber sie werden in der Nähe bleiben. Wenn wir ab morgen neben dem Claim lagern, dürfen wir uns nie sehr weit vom Lagerplatz, entfernen, am besten nie allein. Die Sioux können überall im Wald lauern.« »Gold will verdient werden«, sagte McCall. »Wir werden es schon schaffen.« »Es wird nicht bei den Indianern bleiben«, sagte ich. »Ich frage mich, wo der Kerl steckt, der uns gestern gefolgt ist.« »Vielleicht ist er wieder umgekehrt«, sagte Connor. »Nie und nimmer«, sagte ich. Ich schaute zum Himmel. Gerade tauchte die Mondsichel wieder hinter den Wolken auf. »Wir haben noch etwa drei Stunden bis zum Morgengrauen«, sagte ich. »Das reicht, um noch einen Hut voll Schlaf zu nehmen. Vor Sonnenaufgang brechen wir auf.« »Deine Wache, Jim«, sagte McCall. Connor nickte. Er schob seinen Revolver in die Halfter und holte sein Gewehr, das neben seiner Decke im Gras lag. McCall und ich begaben uns zu unseren Lagern. Shita streckte sich neben mir aus, als ich mich in die Decke rollte. »Sag mal«, hörte ich McCall plötzlich leise sagen, »woher kannst du so gut schießen? Du bist noch verdammt jung.« »Sechzehn«, sagte ich. »Alt genug, um schießen zu können. Wer in diesem Land nicht schießen kann, hat keine Chance, alt zu werden.« »Du siehst älter aus«, sagte McCall. »Du benimmst dich auch nicht wie ein sechzehnjähriger Junge. Du siehst sogar verdammt rauh aus. Und du weißt eine Menge über Indianer.« »Ich bin im Süden aufgewachsen«, sagte ich. »Bei Apachen. Die Indianer hier im Norden sind in vielen Dingen anders. Aber es gibt auch vieles in dem sie sich gleichen. Ihre Art zu denken und ihre Einstellung zum Leben ähneln sich.« »Ich habe nie viel mit Indianern zu tun gehabt«, sagte McCall. »Die Stämme in Kalifornien waren nicht besonders kriegerisch, und in Idaho habe ich nie einen Indianer zu Gesicht gekriegt.«
»Wir werden nicht viel Ärger mit ihnen haben«, sagte ich. »Wenn wir von Anfang an zeigen, daß wir uns nicht einschüchtern lassen, wenn wir ihnen beweisen, daß sie sich an uns die Zähne ausbeißen, werden sie uns bald wieder in Ruhe lassen.« »Hoffentlich«, sagte McCall. »Der Kerl, der uns gefolgt ist, bereitet mir mehr Sorgen.« »Er ist allein«, sagte McCall. »Im Moment noch. Wenn er erst einmal weiß, wo unser Claim liegt, wird er schon Leute finden, die sich ihm anschließen.« Ich wälzte mich auf die andere Seite und schloß die Augen. McCall sagte noch etwas. Ich hörte es nicht. Ich schlief ein.
6. Die Sonne stand schräg über dem Wald, als wir die Höhle mit der Quelle erreichten. Ich hatte sie ohne größere Schwierigkeiten wiedergefunden. Es war alles so, wie ich es seit meiner überstürzten Flucht in Erinnerung behalten hatte. McCall hatte einige Schwierigkeiten, seinen Wagen durch das dichte Unterholz zu lenken. Aber er schaffte es schließlich. Vor der Höhle stiegen wir gemeinsam ab. Ich war ein wenig aufgeregt. Immerhin hatte ich nicht viel Zeit gehabt, den Goldgehalt des Bachbetts zu überprüfen. Ein wenig Unsicherheit erfaßte mich in diesem Moment. Ich blieb am Höhleneingang stehen. Shita tappte sofort zur Quelle und soff gierig. Jim Connor kniete sich am Ufer des Baches nieder und ließ den weichen Sand des Bettes durch die Finger seiner Rechten gleiten. Jack McCall holte eine Goldwaschpfanne von seinem Wagen, einen flachen, hölzernen Behälter mit einem feinmaschigen Netz als Boden. Er krempelte die Hosenbeine hoch, stieg in den flachen Bach, tauchte die Pfanne ins Wasser und schaufelte mit den bloßen Händen Sand hinein. Dann hob er sie hoch und schüttelte sie. Er tauchte sie immer wieder ins Wasser, spülte den Sand durch und blickte dabei aufmerksam in das Netz. Jim Connor stand längst neben ihm. Er hatte sich nicht mal die
Zeit genommen, die Hosen hochzuziehen. Gebannt starrte er in die Pfanne, und auch ich stieg in den Bach und blieb erwartungsvoll neben McCall stehen. Er hielt plötzlich inne, beugte seinen Kopf noch tiefer über das Netz und langte dann mit der Rechten hinein. Mit spitzen Fingern holte er etwas matt Schimmerndes aus dem feuchten Sand und hielt es hoch. Die Vormittagssonne fiel darauf. Es blinkte gelblich. Gold. Ein linsengroßes Nugget. »Hier – hier ist noch was«, sagte Jim Connor plötzlich. Seine Stimme klang heiser. Er beugte sich vor und fingerte nervös in dem restlichen Sand, der noch im Netz verblieben war. Dann hob er ein etwas kleineres Goldklümpchen hoch. »Mann«, flüsterte er. »Oh, Mann. So was Schönes habe ich noch nie gesehen.« »Was meinst du, wie viele so etwas nie in ihrem Leben sehen werden«, sagte McCall. »Ist es gut?« fragte ich. »Es müßte genauer untersucht werden«, sagte McCall. »Aber es ist ebensogut wie das, was du mir in Bannack gezeigt hast, und das ist, soweit ich das beurteilen kann, sehr gut.« »Der Abbau lohnt sich?« »Wenn ich mit jeder Pfanne zwei solche Nuggets heraushole, werden wir alle in kurzer Zeit steinreich«, sagte McCall. Wir verließen das Wasser. McCall setzte die Pfanne ab und betrachtete die beiden Goldklümpchen auf seiner Hand. »Ich suche seit zwölf Jahren nach Gold«, sagte er andächtig. »Manchmal habe ich etwas gefunden. Manchmal. Nicht oft. Und jedesmal war der Claim nicht besonders fündig. Meistens habe ich nach zwei oder drei Tagen schon umsonst im Boden herumgekratzt oder den Flußsand durchgesiebt.« »Ich habe nie nach Gold gesucht«, sagte ich. »Es war reiner Zufall, daß ich das hier gefunden habe.« »Man hat Glück, oder man hat es nicht«, sagte Connor. »Es gehört uns allen«, sagte ich. »Wir sollten den Wagen abladen und unser Lager aufschlagen. Am besten in der Höhle. Den Wagen können wir schräg davorstellen, dann sind wir gut gedeckt, falls uns
jemand an den Kragen will.« Wir führten die Pferde in die Höhle, auch McCalls Schimmel, den wir vorher ausspannten. Wir schafften unsere Decken und unsere Proviantvorräte hinein, dann schoben wir den Wagen vor den Eingang, so daß er eine ausgezeichnete Brustwehr bildete. Es wurde Mittag, bis wir uns richtig eingerichtet hatten. Ich verließ unser Lager, um Reisig zu suchen. McCall hatte ein Fäßchen mit Pökelfleisch bei sich, und wir hatten alle das Bedürfnis nach einer warmen Mahlzeit. Ich war vorsichtig. Ich dachte weniger an die Indianer als an den seltsamen Fremden aus Bannack. Während der ganzen Zeit hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber ich fand keinen Hinweis, nicht die geringste Spur, die auf die Nähe eines Fremden hätte schließen lassen. Mit einem Arm voll Reisig trat ich den Rückweg an. Ich hatte mich nicht sehr weit von der Quelle entfernt. Axtschläge hallten mir entgegen, als ich auf die Lichtung vor der Höhle trat. Jim Connor war bereits damit beschäftigt, einige junge Bäume zu fällen und zu entästen. Wir wollten daraus ein Gerüst für die Waschpfannen bauen, um nicht ständig mit den schweren Pfannen im Arm im Wasser stehen zu müssen. Es reichte, wenn wir den Bachsand in die Pfannen schaufelten und durchspülten. Darunter wollten wir eine einfache Holzrinne anlegen, die das abfließende Wasser wieder in den Bach zurückleitete. McCall hantierte mit einem großen, rußigen Topf, als ich die Höhle erreichte. Er hatte Wasser hineingefüllt. Das Fäßchen mit dem Pökelfleisch hatte er bereits geöffnet. Am Höhleneingang scharrte ich mit einer Hacke eine flache Mulde und legte das Holz hinein. Dann entfachte ich ein Feuer. Ich verspürte Hunger, und ich war froh, hier draußen zu sein, weg aus Bannack, weg von den vielen Menschen. Ob es Gold hier gab oder nicht, ich gehörte hierhin. Ich blickte in die züngelnden Flammen und hockte mich neben das Feuer, während McCall den Topf an einem Dreibein aufhängte und Pökelfleisch hineingab. Jim Connor trat ans Feuer. Er ließ sich neben mir nieder. Seine Augen glänzten. Schweiß rann ihm über die Stirn.
»Spätestens morgen früh können wir anfangen«, sagte er. »Das Gerüst kriegen wir heute noch fertig, die Rinne auch.« »Wir haben Zeit«, sagte McCall. »Das Gold gehört uns. Es ist unser Claim. Wer immer sich hier noch blicken läßt, er kann uns nicht ein Goldstäubchen wegnehmen.« Ich sagte nichts, ich schaute zu, wie Jim Connor sich eine selbst geschnitzte Maiskolbenpfeife stopfte. Als er sie anzündete, sah ich, daß seine Hände leicht zitterten. Ich beobachtete ihn aufmerksam. Er wirkte nervös. In seinen Augen lag ein schwacher, seltsamer Glanz. Ich versuchte, die gleichen Zeichen bei McCall zu entdecken, aber der wirkte sehr ruhig und gar nicht aufgeregt über die Tatsache, daß er Mitbesitzer eines reichen Claims geworden war. Bei Jim Connor dagegen glaubte ich, erste Anzeichen von Goldfieber zu bemerken. Ich beschloß, ihn im Auge zu behalten, war aber sicher, mich auf McCall verlassen zu können. Er kannte seinen Freund und würde wissen, wie er sich verhalten mußte, wenn Jim Connor auf die Idee verfallen sollte, durchzudrehen. Das Fleisch war fertig. McCall teilte Blechteller aus. Er lud dampfendes Fleisch darauf, dazu gab es hartes Maisschrotbrot. Ich begann mit Heißhunger zu essen und hatte meinen Teller erst zur Hälfte geleert, als im Wald ein Schuß fiel. Es war ein Karabinerschuß, hell und peitschend. Ich ließ meinen Teller sinken. McCall und Connor hoben die Köpfe. Wir lauschten wortlos in den Wald. Es blieb still. »Was hatte das zu bedeuten?« Jim Connor richtete sich auf. »Wir müssen nachschauen, was passiert ist.« »Auf keinen Fall«, sagte ich. »Wir dürfen uns nicht von hier weglocken lassen.« »Aber vielleicht haben die Rothäute jemanden erwischt«, sagte Connor. »Dann dürfen wir erst recht nicht von hier weg.« »Aber – vielleicht verblutet irgendwo einer. Wir können doch nicht einfach hier sitzen und weiteressen, wenn im Wald ein Mensch verreckt.« »Und wie wir das können«, sagte ich. »Weil sich auch niemand darum kümmern würde, wenn wir irgendwo im Wald lägen und
verreckten.« »Ich meine auch, daß wir uns darum kümmern müssen«, sagte McCall. »Denk daran, daß ich tot wäre, wenn du mir in Bannack nicht geholfen hättest. Vielleicht geht es da draußen einem armen Teufel genauso.« »Es kann eine Falle sein«, sagte ich. »Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Hier bei der Höhle sind wir sicher. Da draußen im Wald nicht.« »Es klang so, als wäre es ganz in der Nähe«, sagte Jim Connor. »Wir können ja sofort wieder zurückkehren.« Ich schaute McCall an. »Es ist Leichtsinn«, sagte ich. »Vielleicht.« Er erwiderte meinen Blick skeptisch, und ich hatte den Eindruck, er hielt mich für ziemlich abgebrüht. Das schien ihn zu überraschen. Vielleicht hatte er sogar recht, und ich war wirklich kaltblütig. Aber ich schätzte mein Risiko stets ab, bevor ich etwas tat. Sinnloser Opfermut war nicht meine Sache. Das hatte ich bei den Indianern gelernt. Ein Mann, der sich sinnlos opferte, verdiente es nicht, als Krieger behandelt zu werden, er verhielt sich unüberlegt wie ein Kind. Abgesehen davon schätzte ich die Chancen, daß wir in eine Falle stolpern konnten, ziemlich hoch ein. Ich glaubte nicht an einen armen Verletzten, der von Indianern bedroht irgendwo im Wald lag. McCall griff nach seinem Spencer-Karabiner. Jim Connor zog seinen Army-Colt. »Bleib hier, wenn du meinst, daß es zu gefährlich ist«, sagte Connor. »Es ist Wahnsinn«, erwiderte ich. »Aber ich bleibe bei unseren Sachen, damit wir nicht ausgeplündert werden, während ihr im Wald herumirrt.« Sie hörten nicht auf mich und stürmten los. Ich dachte, daß Jim Connor ein völlig unerfahrener Mann war und Jack McCall zwar von Gold und davon, wie man es aus dem Boden holte, eine Menge verstand, sonst aber ebenfalls nicht viel Ahnung von der Wildnis und ihren Gesetzen hatte. Ich schaute ihnen nach, dann erhob ich mich, strich Shita über den Kopf und ging in die Höhle, um meinen Sharps-Karabiner zu holen.
Im Schatten von McCalls Wagen hockte ich mich nieder und spähte auf die Lichtung. Die Sonne hatte den Zenit bereits ein Stück überschritten. Die Luft schien zu kochen. Kein Lüftchen regte sich. Ich lehnte mich zurück, aber meine Haltung blieb gespannt, genau wie meine Sinne. Ich lauschte in den Wald. Shita streckte sich neben mir aus. Lange Zeit geschah nichts. Dann spitzte er plötzlich die Ohren, ohne sich sonst zu rühren. Ich beugte mich vor, konnte aber nichts hören. Er hob unvermittelt den Kopf und knurrte leise. Dann hörte ich es im Unterholz knacken. Wenig später tauchte ein Schatten zwischen den Bäumen auf, spähte zur Höhle herüber, konnte mich und Shita aber nicht entdecken, da wir von McCalls Wagen geschützt wurden, und eilte schließlich auf die Lichtung. Ich war nicht im geringsten überrascht. Ich hatte mir von Anfang an nichts anderes gedacht. Den Schuß hatte der Mann nur abgefeuert, um uns zu beunruhigen und von unserem Lager wegzulocken. Das war ihm nur halb geglückt, aber davon ahnte er noch nichts. Ich konnte ihn zwischen den Speichen der Wagenräder hindurch genau erkennen. Es war derselbe Mann, der in Bannack McCall und mich beobachtet und verfolgt hatte. Ich sah die verlotterte Kleidung, die zerschlissenen Hosen, das geflickte, verwaschene Hemd, sah das häßliche, unrasierte Gesicht mit den kleinen, unsteten Augen. Ich rührte mich nicht, und Shita gab keinen Laut mehr von sich, nachdem ich mit der Linken seine Schnauze kurz berührt hatte. Der Mann hastete zum Bach. Er befand sich jetzt kaum noch zehn Yards von mir entfernt. Er beugte sich am Ufer über das Wasser und starrte hinein. Ich betrachtete ihn von hinten. Er schien keine Waffe bei sich zu tragen, aber das konnte täuschen. Es gab genügend kleine Revolver, die verborgen getragen werden konnten. Ich sah, wie er mit der Rechten ins Wasser griff und im Sand des Bettes herumwühlte. Dann entdeckte er unsere Goldpfanne, mit der wir auf Anhieb zwei Nuggets aus dem Sand gewaschen hatten. Er kroch auf allen vieren hinüber und kratzte mit seinen Fingern durch den Sand, der im Netz verblieben war. Ich hielt es für an der Zeit, mich zu melden, hob meinen Sharps-
Karabiner leicht an und sagte, ohne mich zu erheben: »Haben Sie schon gefunden, was Sie suchen, Mister?« Er erschrak dermaßen, daß ich im ersten Moment dachte, er würde in den Bach stürzen. Dann blieb er wie angewurzelt am Boden hocken und sagte kein Wort. »Ich habe das bestimmte Gefühl, daß wir uns schon mal gesehen haben«, sagte ich. »Ich bin an vielen Orten gewesen«, sagte er. Seine Stimme klang heiser. Sie zitterte etwas. Er hatte Angst. »Sicher«, sagte ich. »Es wimmelt ja hier nur so von Städten. Ich hab Sie in Bannack gesehen, Mister. Stehen Sie auf und nehmen Sie die Hände hoch. Falten Sie sie hinter dem Nacken.« Er stand auf, und auch ich richtete mich auf. Aber er stand kaum, da stürmte er bereits im Zickzack über die Lichtung davon auf den Waldrand zu. Ich schoß. Der Sharps-Karabiner bellte dröhnend. Das Geschoß grub sich unweit von dem Kerl in einen Baumstamm, riß die Rinde auf und fetzte einen handlangen Span aus dem Holz. Fast gleichzeitig jagte Shita los und hetzte hinter dem Halunken her. Der Kerl verschwand im Wald. Shita auch. Ich überlegte, ob ich ihn ebenfalls verfolgen sollte, blieb dann aber zurück, da der Mann Komplicen haben konnte, die uns bisher verborgen geblieben waren. Ich wartete, hörte Shita bellen und knurren, es knackte und raschelte im Unterholz, und ich vernahm erregte Männerstimmen, von denen ich eine als die McCalls identifizierte. Dann fiel ein Schuß, wenig später noch einer. Ich lauschte angespannt. Nichts geschah. Eine reichliche Viertelstunde verging. In einiger Entfernung klang Hufschlag auf, der sich rasch entfernte. Meine Haltung entspannte sich. Mir war klar, daß es vorbei war. Ich lehnte mein Gewehr gegen den Wagen und ließ mich wieder an der Feuerstelle nieder. Ich griff nach meinem Teller, auf dem das Fleisch mittlerweile kalt geworden war. Zuerst kehrte Shita zurück. Er trug stolz einen Fetzen Stoff in seinem Maul und wedelte eifrig mit dem Schwanz. Ich strich ihm
über den Kopf und warf ihm den Rest meines Fleisches hin. Als er es verschlungen hatte, tauchten Jim Connor und Jack McCall auf. Sie sahen verschwitzt, abgehetzt und wütend aus. McCall sagte, als er vor mir stand: »Das nächstemal höre ich auf dich.« Jim Connor sagte gar nichts. Er ließ sich nieder und stierte keuchend ins Feuer. »Es war nichts, absolut nichts«, sagte McCall. Er griff nach seiner Feldflasche, entkorkte sie und trank. »Wir sind herumgelaufen wie ein paar verrückte Affen. Dann fiel hier oben am Lager ein Schuß, und wir wußten, daß du recht behalten hattest. Wir liefen sofort zurück. Da tauchte dieser Tramp vor uns auf. Wie der leibhaftige Teufel raste er auf uns zu. Dein Hund war dicht hinter ihm und erwischte ihn an der Hose. Er zog eine Derringer, und ich jagte ihm eine Kugel in die linke Schulter. Aber er rannte trotzdem weiter. Wir waren dicht hinter ihm, aber er hatte sein Pferd in der Nähe und konnte abhauen.« »Der Kerl ist mir schon in Bannack aufgefallen«, sagte ich. »Der kommt nicht mehr wieder«, sagte Jim Connor. »Der kommt bestimmt wieder«, sagte ich. »Er ist nur hier herumgeschlichen, um zu erfahren, wie gut unser Claim ist. Er hatte nicht die Absicht, uns zu beklauen. Er wollte nur herumspionieren. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn er in Bannack Kumpane hat, mit denen er uns bald auf den Pelz rückt.« »Ich werde mich nicht mehr vom Lager weglocken lassen«, sagte McCall. »Das nächstemal sind wir vorbereitet. Und wenn draußen im Wald ein sterbendes Kind brüllt, werde ich mich nicht mehr von hier fort rühren.« Jim Connor sagte immer noch nichts. Er schien sich zu ärgern, daß er als erste auf den plumpen Trick des Fremden hereingefallen war. Er stopfte stumm den Rest seiner Mahlzeit in sich hinein und erhob sich dann, immer noch schweigend, um an dem Gerüst für die Waschpfannen weiterzuarbeiten. Wenig später begannen McCall und ich, die Abflußrinne zu zimmern. Wir hatten zu tun, bis die Sonne sank. Wir waren schweißgebadet und spürten jeden Muskel. Aber unsere Vorbereitungen waren
abgeschlossen. Wir hatten gute Arbeit geleistet und hätten todmüde sein müssen. Erregung hatte uns jedoch erfaßt, nicht nur Jim Connor, auch Jack McCall und mich. Wir redeten nur noch davon, daß wir am nächsten Morgen beginnen konnten, das Gold aus dem Sand des Bachbetts herauszuwaschen. Den Zwischenfall vom Mittag hatten wir in diesem Moment verdrängt.
7. Der Boden der Waschpfanne glitzerte und blinkte, als seien ein paar Sterne vom Himmel gefallen. Wir beugten uns darüber und stießen fast mit den Köpfen zusammen. Dann faßten wir uns wie auf Kommando an den Händen und tanzten wie verrückt um das Gerüst herum, auf dem die Waschpfanne lag. Wir arbeiteten seit drei Tagen und hatten jeden Tag mehr Gold aus dem Bachbett geholt, als ich je zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Aber heute schien unser Glückstag zu sein. Wir waren auf eine Stelle im Bach gestoßen, an der sich Goldablagerungen zu konzentrieren schienen. Der Sand schien völlig mit Goldkörnchen durchsetzt zu sein. Wir hatten das Sieb auf dem Holzgerüst vollgeschaufelt und dann Wasser nachgegossen, um den Sand durchzuspülen. Das Ergebnis war überwältigend. Was auf dem Boden der Pfanne lag, war fast mehr als das, was wir an den Tagen vorher aus dem Bach geholt hatten. »Wir haben es geschafft!« schrie McCall. Er rannte zur Höhle und kehrte mit einem kleinen Lederbeutel zurück. Wir hatten bisher einen solchen Beutel gefüllt. Er lag im tiefsten Winkel der Höhle, hinter ein wenig Geröll verborgen. McCall hielt den Beutel auf, während Connor und ich mit spitzen Fingern die Goldkörnchen aus dem Sand klaubten und in den Beutel warfen. Wir hatten eine Menge zu tun, und der Beutel wurde tatsächlich fast voll. Wir waren völlig aus dem Häuschen. McCall, der schon in vielen Goldgräbercamps gewesen und große Funde miterlebt hatte, hatte so etwas noch nie gesehen. Während Jim Connor den Beutel in die Höhle trug, griffen McCall und ich zu unseren Schaufeln und stiegen in den Bach. Wir
schaufelten Flußsand in das Sieb und schütteten mit einem zerbeulten Eimer Wasser nach. Das Wasser spülte den Sand durch die Maschen des Siebes in die flache Holzrinne, die unter dem Pfannengerüst angebracht war und das Wasser zurück in den Bach leitete. Der grobe Sand und kleine Steinchen blieben zurück im Sieb, und wieder glitzerte es hier und da. Wir arbeiteten fieberhaft. Bevor es Mittag wurde, hatten wir einen weiteren Beutel gefüllt. Wir verspürten keinen Hunger, und auch die Hitze, die drückend auf dem Land lastete, nahmen wir kaum wahr. Shita jaulte. Ich wandte mich nach ihm um. Er hockte neben der kalten Feuerstelle, und ich wußte, daß er hungrig war. »Wir sollten etwas essen«, sagte ich. »Hier läuft uns nichts weg.« »Ich habe keinen Hunger«, sagte Jim Connor. »Ich schon«, sagte ich, obwohl es nicht stimmte. Ich legte meine Schaufel beiseite und ging zur Höhle hinüber. Shita wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Es war noch ein Rest Pökelfleisch da, und ich teilte es mit ihm, während ich zuschaute, wie McCall und Jim Connor weiterarbeiteten. Plötzlich wandte Shita sich ab. Er knurrte verhalten. Ich richtete mich auf und hörte ein Knacken im Unterholz. Ein Pferd schnaubte. McCall und Connor waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie nichts gehört hatten. »Da kommt jemand!« rief ich hinüber. Jim Connor arbeitete weiter. McCall richtete sich auf und stützte sich auf den Stiel seiner Schaufel, Shita bellte jetzt laut. Ich bückte mich und strich ihm über den Kopf. »Still!« befahl ich. Er gehorchte und setzte sich, aber seine Haltung blieb gespannt. Reiter tauchten zwischen den Bäumen auf. Sie lenkten ihre Pferde auf die Lichtung. Es waren drei Männer. Einer davon war jener unrasierte, schmutzige Tramp, der bei unserem Claim herumspioniert hatte. Er trug einen fleckigen Verband um die linke Schulter und hatte den Arm in einer Schlinge liegen. Sein Gesicht wirkte noch hohlwangiger als vorher. Neben ihm ritt ein schnauzbärtiger, untersetzter Mann mit einem matt schimmernden Abzeichen am Hemd. Vor ihnen zügelte jetzt ein breitschultriger, großer Mann mit mächtigem, schwarzen Bart sein
Pferd. Er hatte ein angenehmes Äußeres und trug einen gepflegten, gut sitzenden Leinenanzug. Auf dem Jackenaufschlag steckte ein sechszackiger Stern. Ich kannte ihn. Ich hatte ihn schon einige Male in Bannack gesehen. Es war der zur Zeit einzige Sheriff im ganzen Montana-Territorium. Er hieß Henry Plummer. Er ließ seine Blicke über die Lichtung und unser Lager schweifen. Dann glitt er schwerfällig aus dem Sattel und zupfte sein Jackett zurecht. Unter der Jacke trug er in einer hochgeschnallten Halfter einen Revolver. Der Kolben der Waffe bauschte den Stoff. Als Plummer mit schweren Schritten nähertrat, stieg auch der Deputy ab. Der Tramp blieb im Sattel sitzen. Ein hämisches Grinsen spielte um seine Mundwinkel. Ich hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen und zweifelte daran, daß der Tag, der so gut begonnen hatte, auch so enden würde. Jack McCall ging vom Bach weg und blieb neben dem Wagen stehen, nur unweit von mir entfernt. Er stützte sich noch immer auf seine Schaufel. Ich konnte sein Gesicht von der Seite sehen und glaubte, einen erstaunten Zug darin zu erkennen. Mein Blick wanderte weiter zu Plummer, der mitten auf der kleinen Lichtung stehenblieb. Er hatte sein Gesicht gut in er Gewalt, außerdem verdeckte der gut gestutzte, mächtige Bart einen großen Teil seiner Züge. Aber ich sah, daß er kaum merklich die Augenbrauen hochzog. Was hatte das zu bedeuten? Kannten Plummer und McCall sich? »Mein Name ist Plummer«, sagte er. Er hatte eine angenehm klingende, sonore Stimme. »Ich bin der Sheriff des Beaver Head County, in dessen Grenzen Sie sich ebenfalls befinden, Gentlemen.« »Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen, Sheriff?« sagte McCall. »Ich glaube nicht, Mister«, sagte Plummer. Obwohl seine Stimme völlig kalt klang, war ich ganz sicher, daß er log. »Wie ist ihr Name?« »McCall«, sagte Jack McCall. »Und Sie?« Plummer blickte Connor an.
»Jim Connor.« »Ronco«, sagte ich, als Plummer mich ins Auge faßte. Er musterte mich und Shita nur kurz und sah dann wieder zu McCall hinüber. Ohne ihn aus dem Auge zu lassen, fragte er über die Schulter zurück: »War er das, Tranter?« »Das war er, Sheriff«, sagte der Tramp. Seine Stimme zitterte vor freudiger Erregung. »Er wollte mein Pferd klauen, und als ich auftauchte, jagte er mir eine Kugel in die Schulter. Ich habe wirklich mehr Glück als Verstand gehabt, daß ich lebend davongekommen bin.« »Tja, Mr. McCall«, sagte Plummer. »Ich muß Sie verhaften.« »Sind Sie verrückt?« McCall ballte die Hände zu Fäusten, versuchte aber, ruhig zu bleiben. »Dieser Halunke tauchte hier auf und spionierte bei unserem Claim herum. Er versuchte uns zu beklauen. Wir haben uns nur verteidigt. Als er eine Waffe zog, habe ich geschossen.« »Mr. Edward Tranter besitzt keine Waffe«, sagte Plummer. »Mr. Edward Tranter besitzt gerade genug, um nicht zu verhungern. Er kann sich keine Waffe leisten, folglich kann er auch keine Waffe gezogen haben.« »Vergessen Sie nicht den Jungen, der den Hund auf mich gehetzt hat!« kreischte der Tramp vom Pferderücken aus. »Lassen wir das, Tranter«, sagte Plummer. »Für Hundebisse bin ich nicht zuständig, aber für Schießereien. Sie werden meinen Deputy und mich jetzt begleiten, McCall.« »Ich denke gar nicht daran«, sagte McCall. »Wollen Sie Widerstand leisten?« Ich sah, daß der Deputy schräg von uns Position bezog und eine doppelläufige Schrotflinte in den Fäusten hielt. »Das ist doch ein abgekartetes Spiel«, sagte McCall. »Was wollen Sie wirklich, Plummer?« »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte der Sheriff. »Ich will es auch gar nicht wissen. Ich kann Sie nur warnen, Dinge zu sagen, die ehrenwerte Menschen beleidigen.« »Sehen Sie sich den Kerl doch an«, sagte McCall. »Den habe ich beklauen wollen? Glauben Sie, daß ich das nötig habe?«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle. Mr. Tranter hat Sie verklagt. Sie haben es in der Hand, ob Sie nur wegen Körperverletzung oder auch wegen versuchten Diebstahls und Widerstand angeklagt werden wollen, vielleicht sogar wegen Mordversuchs.« »Rutschen Sie mir den Buckel runter«, sagte McCall. Er hatte die Schaufel angehoben. Der Deputy zielte jetzt mit der Schrotflinte auf ihn, und Plummer schlug seinen rechten Rockschoß zurück, so daß seine Waffe sichtbar wurde. »Reiten Sie freiwillig mit, oder müssen wir sie als toten Mann nach Bannack transportieren. Denn Sie werden uns begleiten, McCall, so oder so.« Ich sah, wie es in McCalls Gesicht arbeitete. Seine Züge hatten sich vor Wut verzerrt. Er ließ die Schaufel schließlich sinken und warf sie einfach ins Gras. Plummer näherte sich. Er hieß McCall, sich gegen seinen Wagen zu lehnen und die Hände hochzunehmen, dann klopfte er ihn auf Waffen ab. Von hinten näherte sich der Deputy. Als McCall die Hände herunternehmen durfte, fesselte er sie ihm auf dem Rücken. »Sein Pferd«, befahl Plummer. Ich ging in die Höhle und holte seinen Schimmel. McCall stieg auf den Rücken des Tieres. Ich half ihm dabei, damit er mit seinen gefesselten Händen nicht das Gleichgewicht verlor. »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »In ein paar Tagen reite ich in die Stadt, wenn du bis dahin nicht zurück bist, und tausche das erste Gold um. Dann besuche ich dich. Halt die Ohren steif.« Er nickte, und ich sah den kalten Zorn in seinen Augen. Plummer ging an uns vorbei und schwang sich auf sein Pferd. Auch der Deputy stieg auf. Er ritt heran und zog den Zügel von McCalls Schimmel zu sich herüber. »Vieles bei uns mag noch unzulänglich sein«, sagte Plummer zu uns und McCall gewandt. »Wir sind erst eine Stadt im Werden. Das Land ist im Aufbau begriffen. Vieles ist noch nicht so, wie es sein sollte. Aber es geht fair bei uns zu, und jeder kriegt seine Chance. Die Gerechtigkeit ist ein hohes Gut, das von jedem von uns geachtet wird.«
»Hören Sie auf«, sagte McCall. »Gleich muß ich kotzen.« »Die Bürger dieses Landes haben mich zum Sheriff gewählt, Mr. McCall«, sagte Plummer. »In geheimer Wahl. Ich kann Ihnen versichern, daß ich mein Amt zum Nutzen jedes anständigen Bürgers ausüben werde.« Er trieb sein Pferd an und ritt von der Lichtung. Der Tramp folgte ihm. Er grinste von einem Ohr zum anderen, und in seinen Augen flackerte wilder Triumph. Der Deputy zerrte McCalls Schimmel hinter sich her. Jim Connor und ich standen wie erschlagen da und starrten auf das Unterholz, das sich hinter den Männern wieder geschlossen hatte. Als wir uns dann anschauten, sagten wir kein Wort. Wir waren sprachlos. Ich verspürte einen eigenartigen Druck in meiner Kehle. Grelles Sonnenlicht fiel auf die Lichtung und spiegelte sich im Bach, aber mir erschien es genauso zu gehen. Er warf seine Schaufel weg und setzte sich lustlos ins Gras neben das Gerüst für die Goldpfannen. Shita winselte leise. Ich lauschte in den Wald, aber es war bereits alles still. Plummer und seine Begleiter hatten sich mit McCall bereits weit entfernt. * »McCall hat gesagt, es sei ein abgekartetes Spiel«, sagte ich. »Ich glaube, er hat recht.« Die Schatten waren lang. Die Sonne stand weit im Westen, der Himmel färbte sich bereits rötlich. »Aber warum?« Jim Connor knetete seine schwieligen Hände. Er schien in solchen Dingen immer schwer von Begriff zu sein. Denken war nicht seine Stärke. »Der Tramp hat sich wahrscheinlich rächen wollen, weil Jack ihm ein Loch in den Pelz geblasen hat«, sagte Jim Connor. »Er wird es ihm heimzahlen wollen. Deshalb ist er zum Sheriff gelaufen und hat diese Lügengeschichte erzählt.« »Jack hat ein Pferd«, sagte ich. »Jack hat einen Wagen, und Jack ist Besitzer eines Claims. Dieser Tranter hat nichts, außer dem, was er auf dem Leibe trägt und seinem Pferd. Warum sollte Jack ihn
beklauen wollen? Diese Geschichte ist so dämlich, daß selbst ein völlig verrückter Sheriff sie durchschauen müßte. Und Plummer weiß genau, daß sie nicht stimmt. Ich glaube, Jack kennt ihn, und Plummer kennt Jack.« »Woher?« »Was weiß ich! Hast du nicht gesehen, wie sie sich angeschaut haben?« »Nein«, sagte Jim Connor. »Wie haben sie sich angeschaut?« »Wie zwei Männer, die überrascht sind, sich plötzlich zu sehen.« Ich griff nach meinem Kaffeebecher. Über dem niederbrennenden Feuer hing der rußige Kessel mit dampfendem Arbuckle-Kaffee am Dreibein. »Jack ahnt auch, warum Plummer – erschienen ist, um ihn zu verhaften. Ich bin sicher, er kennt ihn von früher, und er weiß, was von Plummer zu halten ist.« »Ich habe nur Gutes über ihn gehört«, sagte Connor. »Es gibt auch Leute, die anders reden«, sagte ich. »Wer sagt uns, daß Plummer nicht mit Tranter unter einer Decke steckt und ebenfalls an unserem Claim interessiert ist?« »Er ist Sheriff«, sagte Connor. »Was heißt das?« erwiderte ich. »Ein Sheriff wird nicht unbedingt reich.« »Wir können das alles nicht beweisen«, sagte Connor. »Das nicht«, sagte ich. »Aber es gibt einen logischen Grund, warum Plummer McCall verhaftet hat. Die Geschichte von Tranter ist kein Grund.« »Ich kann's nicht glauben, daß dieser dreckige Satteltramp etwas mit dem Sheriff zu tun haben soll«, sagte Connor. »Ich kann auch nicht glauben, daß der Sheriff ein Bandit ist, der es auf unseren Claim abgesehen hat.« Ich sah ein, daß es sinnlos war, weiterzureden. Jim Connor hatte einen begrenzten Horizont. In seinem Denken hatten alle Dinge ihre Ordnung, und wenn etwas innerhalb dieser Ordnung nicht ganz stimmte, dann ignorierte er es einfach, weil er es nicht verstehen konnte. Ein Sheriff war für ihn eine integere Amtsperson, ein Gauner war ein Gauner, dem man sein Vorhaben sofort anmerkte, und ein
Satteltramp war kein gefährlicher Gegner, da seine Lügen von jedem ehrenwerten Menschen rasch durchschaut werden konnten. Daß sich ein Sheriff und ein Strauchdieb verbünden könnten, ging nicht in seinen Schädel hinein. Ich beschloß, in spätestens zwei Tagen nach Bannack zu reiten, wenn McCall bis dahin nicht zurückgekehrt sein sollte. Ich traute Plummer nicht über den Weg … Er war mir zu glatt. Außerdem sagte mir mein Instinkt, daß etwas mit ihm nicht in Ordnung war, und auf meinen Instinkt hatte ich mich bisher immer verlassen können. Wir hatten nach McCalls Verhaftung nur wenig weitergearbeitet. Obwohl wir eine Menge Gold aus dem Sand wuschen, waren wir nur lustlos bei der Sache gewesen. Ich richtete mich auf, nachdem ich meinen Becher geleert hatte. Shita fraß die Reste meines Abendessens, das aus hartem Brot, Speck und ein paar gebratenen Bohnen bestanden hatte. Jim Connor hatte nichts gegessen. »Wir müssen uns beim Wachen abwechseln«, sagte ich. »Ich übernehme die erste Wache.« »Ach, laß nur«, sagte er. Er blickte versonnen in den Wald, über den sich die Schleier der Dämmerung senkten. »Ich kann ohnehin nicht schlafen. Ich wecke dich rechtzeitig.« »Tu das«, sagte ich. »Aber vergiß es nicht. Wir müssen morgen wieder arbeiten, es hat keinen Sinn, daß du die ganze Nacht hier wach herumsitzt und morgen früh vor Müdigkeit umkippst. Davon kehrt Jack nicht zurück.« Er nickte nur und sagte: »Schon gut, ich wecke dich.« Ich begab mich in die Höhle und war froh, daß Shita da war. Er würde auch wachen und dafür sorgen, daß uns nichts passierte. Ich rollte mich in meine Decke und streckte mich auf dem harten Boden aus. Auch ich hatte es schwer, einzuschlafen, auch mich erfüllte eine kaum erträgliche Spannung. Ich fragte mich, was aus dieser Sache werden würde. Für mich stand fest, daß es in erster Linie einigen Leuten, zu denen Plummer zu gehören schien, darum ging, Informationen über unseren Claim zu sammeln. Ich hoffte, daß McCall nichts zustieß, und ich stellte mir die Frage, ob ich, wenn es sein mußte, für den Claim kämpfen würde?
So sehr ich mich über unsere Abbauerfolge freute, mein Verhältnis zum Gold hatte sich nicht geändert. Ich hielt es nicht für wertvoll genug, um dafür zu sterben. Meine Selbstachtung und meine Ehre waren für mich wertvoller als die größte Goldmine, so hatte ich es bei den Indianern gelernt. Allerdings hatte ich auch wenig Lust, mir etwas fortnehmen zu lassen, das mir gehörte. Kein Mensch hatte ein Recht dazu. Und dafür lohnte es sich, zu kämpfen – um das Recht, um mein gutes Recht, nicht um das Gold. Auf das Objekt kam es dabei nicht an, nur auf das Prinzip. So war ich erzogen worden, und ich war nicht traurig darüber. Ich schloß die Augen und wälzte mich auf die Seite. Shita brummte leise neben mir und schmiegte sich an mich. Die Spannung in mir hatte etwas nachgelassen. Ich spürte, wie die Müdigkeit mich angenehm warm und lähmend durchfloß. Während ich einschlief, dachte ich an McCall.
8. Ich beugte mich tief über den Bach und betrachtete skeptisch mein Spiegelbild im Wasser. Ich hatte ein jungenhaftes und doch schon sehr männlich wirkendes Gesicht. Die Linien waren hart und tief eingekerbt, ein etwas trotziger Zug lag um meinen Mund. Ich hatte Kinn und Wangen mit Seifenschaum eingerieben und hielt mein Jagdmesser in der Rechten. Vorsichtig begann ich, mich damit zu rasieren. Ich schabte mir sehr sorgfältig den weichen Bartflaum herunter. Obwohl ich mich in acht nahm, schnitt ich mich in den rechten Kinnwinkel. Es blutete ein wenig, war aber nicht sonderlich schlimm. Als ich fertig war, wusch ich mein Gesicht mit dem kühlen, klaren Wasser des Baches ab und ging zur Höhle. Jim Connor saß hier und kaute lustlos auf einem Stück Brot. Die Sonne war gerade aufgegangen. Über der Lichtung hing noch ein feiner Nebelschwaden. Ich dachte an Jack McCall. Jim Connor schien es genauso zu gehen. Zwei Tage waren vergangen, seit McCall abgeholt worden
war. Wir vermißten ihn. Unsere Stimmung wurde seitdem immer schlechter, obwohl wir eine Menge Gold aus dem Bach holten. Ich blieb vor Connor stehen und sagte: »Hör zu, ich werde in die Stadt reiten und unser Gold mitnehmen, damit es umgetauscht wird. Außerdem werde ich mich um McCall kümmern.« Connor nickte nur, müde und erschöpft. »Glaubst du, daß du allein hier fertig wirst?« »Ich denke schon«, sagte er. Es klang nicht sehr überzeugend. »Es gibt Indianer hier, das weißt du«, sagte ich. »Sie haben uns bis jetzt zufrieden gelassen, aber ich bin sicher, daß sie uns nicht vergessen haben.« »Ich paß schon auf.« »Am besten arbeitest du nicht weiter, bis ich zurück bin. Bleib in der Höhle.« Er antwortete nicht. Er stierte nur vor sich hin und knetete seine schwieligen Hände. Ich ging in die Höhle und holte meinen Braunen. Einen Moment überlegte ich, ob ich Shita hierlassen sollte, dann entschied ich mich dafür, ihn lieber mitzunehmen. Wenn Jim Connor nicht allein in der Lage war, sich bei Gefahr zu helfen, dann konnte auch Shita nichts für ihn tun, und opfern wollte ich ihn nicht. Ich sattelte meinen Braunen, füllte meine Feldflasche auf und steckte mir ein wenig Brot ein. Dann schwang ich mich in den Sattel und winkte Jim Connor zu. Er nickte wieder nur und schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Ich lenkte den Braunen in den Wald. Shita sprang neben mir her. Ich hatte meinen Sharps-Karabiner quer vor mit im Sattel liegen. Aufmerksam ließ ich meine Blicke schweifen, achtete auf jeden Schatten, lauschte jedem Geräusch nach, registrierte jede Bewegung im Unterholz. Es geschah aber nichts. Shita und ich erreichten unangefochten den Waldrand und ritten in das Tal des Fox Creek hinaus. Ich ließ den Braunen ausgreifen, beugte mich im Sattel vor und trieb ihn zu raschem Tempo an. Auch Shita schien es zu genießen, wieder einmal ungehindert durch das Gras jagen zu können. Ich ritt auf den Fluß zu und durchfurtete ihn. Dann schwenkte ich
auf die Wagenstraße nach Bannack ein. Als ich mich einmal umdrehte und zum Wald zurückschaute, sah ich auf einem Hügel seitlich vom Fluß einen Indianer. Er saß im Sattel eines rabenschwarzen Hengstes. Er trug ein langes, mit Fransen und Glasperlen verziertes Jagdhemd und hatte das Haar zu Zöpfen geflochten. In einem Stirnband steckten drei Adlerfedern. Er schaute mir nach. Meine Kehle zog sich unwillkürlich zusammen. Ich dachte an Jim Connor. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ob ich nicht umkehren und zurückreiten sollte. Jim Connor hatte auf mich nicht so gewirkt, als sei er im Augenblick in der Lage, allein einen Kampf mit Indianern auszufechten. Ich war sicher, daß die Sioux ihm schon bald auf die Pelle rücken würden, denn sie wußten garantiert, daß wir seit zwei Tagen nur noch zu zweit waren, und jetzt war Jim Connor allein. Diese Gelegenheit würden sie nutzen. Jim Connor hatte eine Chance, wenn er tat, was ich ihm gesagt hatte, und in der Höhle blieb. Von dort aus konnte er ganze Heerscharen abwehren. Aber ich war nicht ganz sicher, ob er klar und überlegt handeln würde. Ich kehrte nicht um, denn ich gelangte zu der Überzeugung, daß ich ohnehin keine Chance mehr hatte, unbeschadet den Claim zu erreichen, wenn tatsächlich Indianer im Wald steckten, die es auf uns abgesehen hatten. Ich konnte Jim Connor nicht helfen, außerdem trug ich unser Gold in den Satteltaschen, und in Bannack saß Jack McCall im Gefängnis und brauchte mich. Ich schaute wieder nach vorn. Der Reitwind traf mein Gesicht. Staub wehte mir entgegen. Ich versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was vor mir lag. Es fiel mir schwer, die Gedanken an Jim Connor zu verdrängen. Aber die Probleme, die mich in Bannack erwarteten, würden nicht viel kleiner sein als das, was Jim Connor vermutlich bald zu bewältigen haben würde. Zum einen würde ich auf mein Gold aufpassen müssen, zum anderen befand sich McCall in den Händen des mächtigen Henry Plummer. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm helfen konnte. Aber vielleicht genügte schon meine Anwesenheit, ihm etwas Mut zu
geben, damit er das Gefühl hatte, nicht vergessen zu sein. Ich ritt in stetigem, schnellen Tempo. Ich hielt nicht an. Meile um Meile legte ich zurück. Die Sonne hatte den Zenit ein Stück überschritten, als ich auf Bannack zuritt. In diesem Moment dachte ich zum letztenmal an Jim Connor, von jetzt an würde ich mit mir selbst genug zu tun haben. Shita trottete erschöpft neben mir her, als ich den Braunen zügelte und gemächlich durch die Hauptstraße von Bannack ritt. Der Ort war wieder gewachsen, seit ich zuletzt hiergewesen war. Ich sah neue Wagen, neue Zelte und hier und da auch ein paar neue Hütten. Wie immer wimmelte es von Menschen, und keiner achtete auf den anderen. Im Schatten einer Hütte sah ich einen Betrunkenen liegen. Er sah zerlumpt und verdreckt aus. Unweit von ihm lag eine zerbrochene Flasche, unmittelbar daneben hatte er sich erbrochen. Mein Blick streifte ihn nur, ich war schon fast vorbei, als ich mich im Sattel umwandte und noch einmal auf den Mann schaute. Ich erkannte ihn. Es war Edward Tranter, der Tramp, der uns nachspioniert und McCall ins Jail gebracht hatte. Ich hielt an und zog meinen Braunen herum. Langsam ritt ich zu dem Betrunkenen hinüber und stieg ab. Niemand achtete auf mich. Ich bückte mich neben Tranter und wich rasch angewidert zurück. Tranter stank wie ein ganzes Schnapsfaß. Ich versetzte ihm einen Tritt in die Seite, so daß er auf den Rücken rollte. Die Sonne, die schräg über Bannack stand und gnadenlos auf die Stadt herunterbrannte, traf ihn voll ins Gesicht. Er grunzte, rülpste und blinzelte unwillig. Ich blieb breitbeinig neben ihm stehen und versetzte ihm ungerührt noch einmal einen Tritt in die Seite. Er hob die zitternden Hände vor die Augen und starrte mich aus trüben Augen an. Es dauerte eine Weile, bis er mich erkannte. Seine Mundwinkel zuckten plötzlich, verzogen sich für einen kurzen Moment zu einem hämischen Grinsen, dann schien er zu erkennen, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt und er in keiner sehr guten Lage war. Er stützte sich auf die Ellenbogen, rutschte von mir weg bis zur Wand des Schuppens, in dessen Schatten er gelegen hatte, und lehnte sich mit dem Rücken gegen die rauhe Bretterwand. »Wo ist McCall?« fragte ich.
»Was willst du, Kleiner?« fragte er. Seine Stimme knarrte wie eine rostige Türangel. »Ich frage immer nur einmal«, sagte ich. »Wo ist McCall. Entweder, Sie antworten, oder Sie werden in den nächsten Tagen keinen Schluck Fusel mehr schlucken können.« »Im Jail sitzt er«, sagte Tranter. »Da wo er hingehört.« Er tastete mit der Rechten nach seiner linken Schulter. Die Verletzung konnte nicht sehr schlimm gewesen sein. Er trug keinen sichtbaren Verband mehr und hatte den Arm auch nicht mehr in der Schlinge. »Ich hoffe, es geht ihm gut«, sagte ich. »Wieviel hat dir Plummer gezahlt, daß du diese Sauerei eingefädelt hast?« Es war einfach ein Versuch, ein sehr plumper noch dazu. Tranter schien trotz seines vernebelten Gehirns die Gefahr zu begreifen, die in meiner Frage lag. »Was sagst du da?« sagte er. »Der Sheriff soll mir was bezahlt haben? Du spinnst wohl, Kleiner?« Er redete noch weiter, ich achtete nicht darauf. Ich sah nur, daß er blaß geworden war und seine Augen unsicher flackerten. Ich hatte getroffen. Die Reaktion Tranters sagte genug. »Du willst mir doch nicht erzählen, daß du es allein auf unseren Claim abgesehen hast«, sagte ich. »Du weißt doch gar nicht, wie man eine Waschpfanne hält.« »Ich weiß nicht, von was du redest«, sagte Tranter. »Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mich mit dir unterhalte. Ich hole gleich den Sheriff.« »Ich trete dir gleich die Zähne ein«, sagte ich und hob drohend den rechten Stiefel. »Ich sag dir nur eins, und das kannst du auch denen sagen, für die du arbeitest. Wir werden neben dem Claim einen Friedhof anlegen und jeden dort begraben, der versucht, uns auf die Füße zu treten.« »Wenn du mich bedrohst, schreie ich um Hilfe«, sagte Tranter. Ich ließ meine Rechte auf den Griff meines Navy Colts fallen. Tranter verstummte sofort, und jetzt sah ich Angst in seinem Blick. »Ich warne dich nur, Tranter«, sagte ich. »Ich werde jetzt McCall besuchen. Wenn es ihm schlecht geht, wird es dir bald nicht besser gehen, wenn ihm etwas passiert sein sollte, wird auch dir bald etwas
passieren, und wenn du vergißt, was ich dir gesagt habe, wirst du bald gar nichts mehr denken können.« »Verschwinde«, sagte Tranter. Seine Stimme zitterte und klang schrill. In diesem Moment bellte Shita. Ich fuhr herum und sah einen Mann, der um mein Pferd herumschlich. »He, was wollen Sie da?« rief ich. Ich riß meinen Revolver heraus. Da sprang Shita den Mann schon an und warf ihn um. Der Mann schrie wie am Spieß, konnte sich befreien, sprang auf und hetzte davon. Er blutete an der linken Hand, wo Shita ihn erwischt hatte. Er lief wie ein Hase. Ich stieß einen scharfen Pfiff aus, und Shita, der die Verfolgung aufnehmen wollte, kehrte sofort, wenn auch sichtlich unbefriedigt, zurück. Ich drehte mich zu Tranter um. Da sah ich ihn laufen. Er hatte meine Unaufmerksamkeit genutzt, war aufgesprungen und verschwand gerade hinter ein paar Zelten. Er war nicht ganz sicher auf den Beinen, aber er war schnell genug, um mich abzuhängen. Ich steckte den Revolver wieder ein und ging zu meinem Pferd. Ein paar Männer auf der Main Street waren stehengeblieben und starrten mich an. Ich achtete nicht darauf, schwang mich in den Sattel und lenkte den Braunen auf die Straße zurück. Shita trottete neben mir her und knurrte die Männer an, die mich neugierig betrachteten. Sie schwiegen, wandten sich ab und gingen rasch weiter. Ein Stück vor mir sah ich ein halbwegs solides Holzgebäude, über dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift »Montana-Territory-Bank« hing. Darauf lenkte ich mein Pferd zu. * Der Clerk nahm den letzten Beutel von der Waage auf seinem Pult. Er notierte gewissenhaft die Zahl in ein Buch und warf dann noch einmal einen Blick auf die fünf kleinen Beutel, von denen jeder randvoll mit Goldkörnchen gefüllt war. Dann schielte er mich über seinen Kneifer hinweg an. »Das Gold gehört dir?« »Ich habe Ihnen schon dreimal erklärt, daß das Gold mir und
meinen beiden Partnern gehört«, sagte ich. »Wenn Sie es nicht haben wollen, nehme ich es wieder mit.« »Nein, nein«, sagte er hastig. »Schon gut. Du mußt wissen, daß wir verpflichtet sind, Vorsicht walten zu lassen.« »Wieviel kriege ich?« fragte ich, seinen Redefluß unterbrechend. »Wieviel? Nun, das Gold hat ein Gewicht von insgesamt …« Er rechnete und kritzelte mit seinem Bleistiftstummel eine Zahl auf ein Stück Papier. »Neunhundertdreiundachtzig Gramm«, verkündete er nach einiger Zeit stolz, als sei das Gold sein Eigentum. Er blätterte in einigen Listen herum, nachdem ich ihm keine Antwort gab. Dann sagte er: »Wir zahlen momentan pro zehn Gramm Gold fünf Dollar.« »Mehr nicht?« entfuhr es mir. »Das ist der Kurs, tut mir leid.« Er zuckte mit den Schultern, und ich sah ihm an, daß es ihm keineswegs leid tat. »Du mußt bedenken, daß es ein erhebliches Risiko für uns ist, Gold einzutauschen. Wir müssen es schließlich weitertransportieren, wir können es nicht hier behalten. Das Risiko ist groß, die Transporte sind teuer.« »Was kriege ich?« Ich war wütend, versuchte aber, mich zu beherrschen. »Du erhältst um die vierhundertneunzig Dollar«, sagte er. »Aber ich will großzügig sein. Ich zahle dir fünfhundert Dollar. Ich hoffe, daß du mein Entgegenkommen zu würdigen weißt.« »Danke sehr«, sagte ich. »Verdammt wenig Geld für soviel Arbeit und so eine Menge Gold.« »Willst du das Geld oder nicht?« »Geben Sie es schon her«, sagte ich. Der Clerk klemmte sich meine Beutel unter den Arm und trug sie zu einem großen Stahlschrank. Hier schloß er sie ein und kehrte mit einer Kassette zurück. »Willst du eine Schuldverschreibung, die du bei einer unserer großen Filialen einlösen kannst, oder soll ich dir den Betrag in Münzen auszahlen?« »In Münzen«, sagte ich. Das schien ihm nicht zu passen, aber er öffnete die Kassette und
holte mehrere Leinensäckchen heraus. Er wollte mir einfach einen davon zuschieben, aber ich bestand darauf, daß er ihn öffnete und mir den Betrag vorzählte. Es waren Zwanzig-Dollar-Stücke, insgesamt fünfundzwanzig Stück. Ich verschnürte den Beutel sorgfältig und schob ihn in die Tasche. Ohne mich zu bedanken; ging ich zusammen mit Shita hinaus. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß mir das Fell über die Ohren gezogen worden war, aber ich konnte es nicht beweisen. Ich löste den Zügel des Braunen von dem Querholm vor dem Gebäude und zog das Pferd hinter mir her, als ich die Main Street überquerte und auf die Suche nach dem Office des Sheriffs ging. Durch die Neuankömmlinge änderte sich der Straßenverlauf fast jede Woche ein wenig, und es war schwer, sich in dem Gewirr zurecht zu finden. Ich schwitzte. Die Hitze des Mittags staute sich zwischen den Hütten, Zelten und Wagen. Es regte sich kein Windhauch. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, wie das Gefängnis von Bannack aussah und die Hitze sich dort auswirkte. McCall mußte sich wie in einem Backofen fühlen, wenn er noch lebte, wenn er noch halbwegs gesund war. Ich würde es bald wissen. Irgendwie fühlte ich mich unsicher. Ich fragte mich, was ich tun sollte, wenn McCall etwas passiert war. Immerhin war Henry Plummer der Sheriff. Ich konnte ihn nicht einfach niederknallen. Ihm standen auch genug Mittel zur Verfügung, um mich zu erledigen und zu verhindern, daß ich überhaupt etwas gegen ihn unternehmen konnte. Ich fühlte die Hilflosigkeit meiner Situation und wußte nicht, wie ich das ändern sollte. Ich mußte einfach darauf vertrauen, daß ich Glück hatte.
9. »Ich möchte wissen, wie lange Sie Mr. McCall noch festhalten wollen«, sagte ich. Ich fühlte mich nicht so sicher, wie ich mich gab. Ich stand vor dem wackligen, wurmstichigen Schreibtisch, hinter dem Henry Plummer auf einem alten Drehstuhl saß. Er strich sich über seinen
Bart und musterte mich mit kalten Augen. Sein Office war sehr klein und vollgestopft mit Aktenordnern, alten Zeitungen und Steckbriefen. In einer Ecke hatte sich ein Deputy auf einer Ofenbank ausgestreckt. Er schien mich nicht zu bemerken, hatte eine Verbrechervisage, die ich mir gut auf einem Steckbrief vorstellen konnte, und war damit beschäftigt, sich mit einem Taschenmesser die Fingernägel zu reinigen. »Es liegt nicht an mir, wenn Mr. McCall noch im Gefängnis sitzt«, sagte Henry Plummer. »Ich bin nur der Sheriff. Ich mußte Mr. McCall verhaften, weil eine Anzeige gegen ihn vorliegt. Sie ist bisher nicht zurückgezogen worden. Ob Anklage gegen ihn erhoben, ob er freigelassen oder festgehalten wird, hängt von der Entscheidung einer Geschworenenjury ab.« »Wann tritt die zusammen?« »Keine Ahnung.« Plummer zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja nicht einmal, wo die Geschworenen, die nach meiner Wahl ernannt worden sind, im Augenblick stecken. Sie halten sich irgendwo in den Goldfeldern auf, vielleicht sind sie auch schon weitergezogen oder gestorben oder krank. Was weiß ich! Wir haben ja nicht mal einen Richter.« »Wenn Sie keinen Richter haben, können Sie Mr. McCall auch nicht verurteilen«, sagte ich. »Dann könnten Sie ihn ja für alle Ewigkeiten festhalten.« »Nun«, sagte Plummer gedehnt. »Mr. McCall hat sich sehr unvernünftig bei seiner Verhaftung benommen. Soweit ich gehört habe, hast auch du erst heute wieder versucht, Mr. Tranter zu bedrohen, der die Anzeige erstattet hat. Du sollst ihm gegenüber sogar Verdächtigungen geäußert haben, die mich berechtigten, dich ebenfalls einzusperren. Ich will das alles einer verständlichen Erregung zugute halten. Man vertraut mir in diesem Land. Man erwartet von mir, daß ich fair und ohne Willkür mein Amt ausübe und mich durch unüberlegte, vorschnelle Taten nicht beeinflussen lasse, sofern sie die Allgemeinheit nicht bedrohen. Du bist noch sehr jung, ich will das berücksichtigen und das, was du gesagt hast, vergessen. Wenden wir uns also Mr. McCall zu. Er wird immerhin angeklagt, einen Bürger dieses Landes angeschossen zu haben. Ein
schweres Verbrechen.« »Sie wissen, daß es nicht so war, Sheriff«, sagte ich. »Woher? War ich dabei?« Plummer schaute mich an wie die Unschuld und Ehrenhaftigkeit in Person. »Finden Sie, daß Tranter ein so glaubwürdiger Mann ist?« »Mir liegen keine Gegenbeweise vor«, sagte Plummer. Seine Augen wurden schmal. Er musterte mich von unten herauf, faltete die Hände und blickte dann eine Weile stumm auf den Schreibtisch. »Mr. McCall ist Besitzer des Claims am Fox Creek?« fragte er dann. »Ja.« »Ist er in der Lage, eine Kaution zu hinterlegen?« »Das hängt von der Höhe ab.« Ich begann zu begreifen. Plummer wollte Geld. Für sich. Denn ein Gericht existierte ja nicht, wie er selbst zugegeben hatte. Also gab es auch niemanden außer ihm, der die Kaution einstreichen konnte. Aber das konnte nicht der einzige Grund für sein plötzliches Entgegenkommen sein. All sein Gefasel von Gerechtigkeit und Fairneß beeindruckte mich nicht. Plummer selbst glaubte nicht eine Silbe von dem, was er verkündete. »Ist er in der Lage, zweihundert Dollar in Bargeld aufzubringen? Nicht in Gold, nicht in Schuldverschreibungen.« »Ich habe das Eigentum von Mr. McCall bei mir«, sagte ich, und ich mußte mich beherrschen, um nicht loszufluchen. Zweihundert Dollar waren eine Unverschämtheit. »Ich kann sofort bezahlen.« »Dann regeln wir den Fall so.« Plummer vollführte eine joviale Handbewegung und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich bin überzeugt, der Fall wird vergessen werden. Mr. McCall wird sich sicher in Zukunft nichts mehr zuschulden kommen lassen.« Plummer drehte sich zu dem Deputy um und sagte: »Hol Mr. McCall aus seiner Zelle. Er wird entlassen.« Ich zog das Leinensäckchen, das ich auf der Bank erhalten hatte, aus der Tasche und zählte zehn Double Eagle ab. Plummers, Augen glänzten, als er das Geld sah. Er strich es ein, dachte aber gar nicht daran, mir eine Quittung auszustellen. Ich meinerseits hütete mich davor, eine solche zu fordern. Ich wollte McCalls Freilassung nicht im letzten Moment noch gefährden. Irgendwie schmeckte mir die
ganze Sache ohnehin nicht. Plummer hatte sich zu schnell konziliant gezeigt. Ich war plötzlich sicher, daß der Fall ganz und gar nicht abgeschlossen war und der Sheriff etwas im Schilde führte. Aber ich vermochte mir nicht zu erklären, was. Außer meinem Gefühl hatte ich keinen Anhaltspunkt. Mein Verdacht, daß das ganze Theater, das Edward Tranter aufgeführt hatte, ein abgekartetes Spiel gewesen war, bestand noch immer, und ich war noch immer sicher, daß Henry Plummer mit Tranter unter einer Decke steckte und es im Endeffekt um unseren Claim ging. Vielleicht, so dachte ich plötzlich, hatte Plummer nur deshalb eine Kaution gefordert, um zu prüfen, wie ergiebig unser Claim war. Da das Leben in den Goldfeldern sehr teuer war, wurden nur wenige Goldgräber wirklich reich, und es gab nicht viele, die ohne weiteres einige hundert Dollar aus der Tasche ziehen konnten. Das war immerhin eine Möglichkeit. Aber warum ließ er McCall frei? War ihm vielleicht das Risiko, hier in Bannack etwas gegen uns zu unternehmen, zu groß, wollte er uns lieber draußen in der Wildnis haben, wo kein Hahn nach uns krähte? Die wildesten Phantasien wirbelten durch meinen Kopf, und ich war ganz sicher, daß in all diesen Gedanken ein Körnchen Wahrheit enthalten war. Ich hatte mich immer auf meinen Instinkt verlassen können. Er hatte mir häufig das Leben gerettet. Aber was immer auch für Absichten Henry Plummer hegte, ich konnte in diesem Moment nichts weiter tun, als sein Spiel mitzuspielen. Er hielt die Fäden in der Hand, und ich mußte tun, was er wollte. Ich schätzte das nicht, aber es war nicht zu ändern. Die Tür öffnete sich. Der Deputy trat mit McCall ein, der übel aussah. Er war stark abgemagert, sein Gesicht wirkte hohlwangig, was von einem tagealten Stoppelbart unterstrichen wurde. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Über seinem linken Auge klebte verkrustetes Blut. Wahrscheinlich hatte er sich bei seiner Einlieferung ins Jail noch einmal gewehrt. Ein schwaches Leuchten trat in seine Augen, als er mich erblickte. »Sie können gehen«, sagte Henry Plummer. »Der Junge hat für Sie gezahlt, und ich will ein Auge zudrücken. Aber lassen Sie sich nichts
mehr zuschulden kommen.« McCall erwiderte nichts, und das war gut so. Ich drückte ihm die Hand und ging zur Tür. »Auf Wiedersehen, Sheriff«, sagte ich. Er nickte nur, und ich ging hinaus. McCall folgte mir. Die Tür fiel hinter uns zu. Wir standen auf der ausgefahrenen Main Street. Ich schaute ihn an und sah die Wut in seinen Augen. »Dieses Schwein«, sagte er. »So ein gottverfluchtes Schwein.« »Nicht so laut«, sagte ich. »Ich bin froh, daß du draußen bist. Das hat mich zweihundert Dollar gekostet.« »Zweihundert Dollar?« Er schnaufte laut. »Hast du Gold eingetauscht?« »Fast ein ganzes Kilo«, sagte ich. »Was hast du dafür gekriegt?« »Fünfhundert Dollar«, sagte ich. Sein Kiefer klappte herunter. Er starrte mich ungläubig an. Dann sagte er: »Erzählst du Witze?« »Nein«, sagte ich. »Ist das zuviel?« »Das sind mindestens tausend Dollar zu wenig«, sagte er. Jetzt wurde ich blaß, und mich packte die Wut. »Das habe ich nicht gewußt«, sagte ich. »Woher auch.« Er faßte mich am Arm. »Wir verlassen die Stadt, und dann werde ich dir einiges von Plummer erzählen. Aber vorher kümmern wir uns um den Kerl, der dir nur fünfhundert Dollar gegeben hat.« »Es war in der Bank dort hinten«, sagte ich und zeigte auf die Montana-Territory-Bank. »Der Clerk sagte, er sei sehr großzügig.« »Das soll er mir ins Gesicht sagen«, erwiderte McCall. Er zog mich mit. Ich führte die Pferde. Der Deputy von Plummer hatte nicht nur McCall aus dem Jail geholt, er hatte auch seinen Schimmel bereitgestellt. Shita sprang uns voraus. Wir erreichten die Bank und traten ein. Vor uns stand ein bärtiger Goldgräber, der aus seinen Taschen die Nuggets klaubte und auf die Schaltertheke legte. Der Clerk wog sie, rechnete und nannte ihm schließlich eine Summe. Ich traute meinen Ohren kaum. Der Goldgräber hatte höchstens zwei Drittel von dem abgeliefert, was ich
gebracht hatte, aber er erhielt genausoviel wie ich. Fünfhundert Dollar. Er akzeptierte einen bunt bedruckten Schuldschein, auf dem der Betrag eingetragen wurde, steckte ihn ein und ging. McCall und ich traten an den Schalter. »Hallo«, sagte ich. »Ich war vorhin schon einmal hier.« Er musterte mich kurz. Ich sah, wie es in seinen Augen aufblinkte. Sein Gesicht aber blieb ausdruckslos, und es verschlug mir fast die Sprache, als er sagte: »Keine Ahnung. Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube nicht, daß ich dich schon einmal gesehen habe, Junge.« »Hören Sie mal«, sagte ich. »Es ist keine halbe Stunde her, da haben Sie mir Gold eingetauscht.« »Tut mir leid«, sagte der Clerk. »Es gibt noch zwei andere Banken hier. Vielleicht warst du bei denen.« »Bei Ihnen piept's wohl?« Ich wurde langsam wütend. »Sie wissen ganz genau, daß ich hier war, und Sie wissen auch ganz genau, warum Sie jetzt so tun, als hätten Sie mich noch nie gesehen. Sie haben mich beschissen, verstehen Sie? Sie haben mich reingelegt, weil ich keine Ahnung über den Kurs des Goldes hatte.« »Ich weiß gar nicht, was du redest«, sagte der Clerk. Er wich ein wenig von seinem Pult zurück und zuckte nervös mit den Augenlidern. »Schrei mich nicht so an, hörst du? Du hast kein Recht, hier so zu schreien. Ich habe dich nie gesehen, und ich weiß nicht, was du willst. Das ist ein ehrenwertes Unternehmen. Hier wird niemand betrogen.« »Leute, die Bescheid wissen, lassen sich auch nicht betrügen«, sagte ich. »Aber ich habe nicht Bescheid gewußt. Sie haben mir für fast ein Kilo Gold ganze fünfhundert Dollar ausgezahlt. Das ist Betrug.« »Ich sage dir noch einmal, daß ich dich nie gesehen habe, Junge«, erklärte der Clerk. »Und jetzt verschwinde, sonst hole ich den Sheriff. Oder hast du eine Quittung für den Umtausch?« »Sie wissen, daß ich keine habe«, sagte ich und wußte, daß ich wieder etwas dazugelernt hatte. Daran hätte ich denken müssen, an eine Quittung. Fast bereute ich jetzt, daß ich keine Gutschrift akzeptiert hatte. Zwar hätte ich dann McCall nicht so leicht auslösen können, aber ich hätte den Betrug nachweisen können.
»Hören Sie zu«, sagte McCall, der bis jetzt geschwiegen hatte. »Kreaturen wie Sie sind mir schon häufig über den Weg gelaufen. Ich war schon in vielen Goldgräbernestern und weiß, wie Halunken Ihres Schlages die Leute betrügen. Sie berechnen einen falschen Kurs und stecken sich das übrige Geld selbst ein. Ich seh dir an der Nasenspitze an, daß du lügst. Du hast den Jungen hier um tausend Dollar betrogen. Das Gold, daß er eingetauscht hat, gehörte zum Teil mir. Du hast also auch mich betrogen. Rück sofort das Geld heraus.« Der Clerk wich hastig bis zur Wand zurück. »Das ist ein Überfall«, schnaufte er. In diesem Moment ging die Tür auf. Ich drehte mich um. Henry Plummer trat ein. Er ließ seine Blicke durch den Raum gleiten. »Was ist hier los?« fragte er. »Ich habe eure Pferde hier gesehen. Ich dachte, McCall, Sie würden die Stadt schnell verlassen.« »Bin ich frei oder nicht?« schnappte McCall. »Ich habe Ihnen aufgetragen, sich anständig zu verhalten«, sagte Plummer. »Was ist hier los, Mr. Sutter?« Er schaute den Clerk an, dessen Gesicht sichtlich wieder Farbe kriegte. »Ein Überfall, Sheriff!« schrie er sofort los. »Die beiden wollten mich ausplündern.« »Er hat mich betrogen«, sagte ich. »Er hat mich beim Goldumtausch um tausend Dollar betrogen, weil ich den Kurs nicht kannte.« »Alles Lüge!« schrie der Clerk dazwischen. »Ich bin ein ehrlicher Mann. Ich habe noch niemals jemanden betrogen.« »Verschwindet«, sagte Plummer. Er öffnete die Tür. »Haut ab aus der Stadt, sonst sperre ich euch beide ein. Ich dulde keinen Ärger hier. Ihr seid Unruhestifter, und ich fange langsam an, zu bereuen, daß ich dich rausgelassen habe, McCall.« Ich hatte begriffen. Wir hatten keine Chance. Ich blickte McCall warnend an, als ich sah, daß er nahe daran war, zu explodieren. Dann marschierte ich auf die Tür los und wortlos an Henry Plummer vorbei. McCall folgte mir. Wir bestiegen draußen unsere Pferde. Shita blieb stehen und bellte den Sheriff an, der uns nachschaute. Dann folgte er uns, als wir westwärts aus der Stadt ritten.
»Dieser Hund!« sagte McCall. »Dem drehe ich noch mal den Hals um. Ich möchte wissen, wie der Sheriff geworden ist.« »Ich frage mich, warum er uns laufengelassen hat«, sagte ich. »Irgend etwas steckt dahinter. Wahrscheinlich will er uns aus der Stadt haben, weil er draußen in der Wildnis unauffälliger mit uns fertig werden kann.« »Dieser Mann steckt voller Gemeinheit«, sagte McCall. »Jetzt werden schon Verbrecher zu Sheriffs. Kein Wunder, daß in den Goldfeldern solche Zustände herrschen.« »Du kennst ihn?« »Ich habe es erst nicht genau gewußt. Er kam mir gleich bekannt vor, und ich bin sicher, er hat mich auch erkannt. Ich habe ihn in Idaho getroffen. Er war damals Berufsspieler. Er hat ein paar Männer erschossen und mußte sich ein paarmal absetzen, um nicht gelyncht zu werden. Außerdem soll er in Kalifornien im Gefängnis gesessen haben. Er hat damals mit Straßenräubern zusammengearbeitet. Ein paar seiner Freunde sind gehenkt worden, und er setzte sich schleunigst ab. O ja, ich kenne ihn. Ich habe gedacht, mich rührt der Schlag, als ich ihn mit einem Sheriffstern an der Jacke vor mir gesehen habe.« »Ich möchte jetzt erst recht wissen, warum er uns laufenlassen hat«, sagte ich. »Vielleicht ist er sich nicht ganz sicher. Ich war damals dabei, als er in Idaho einen Barkeeper erschoß. Er hat mich gesehen, aber ob er sich erinnert? Ich hatte ein paarmal das Gefühl, daß er mich wiedererkannt hat. Aber er kann sich gut beherrschen.« »Ich habe nicht gewußt, daß Plummer im Jail war«, sagte ich. »Die meisten Leute halten ihn für einen Ehrenmann.« »Ich nicht«, sagte McCall! »Ich glaube auch, daß er es auf unseren Claim abgesehen hat. Wenn er mich aber erkannt hat, hat er es auch auf mich abgesehen. Dieser Tranter steckt übrigens laufend bei ihm. Ich habe ihn jeden Tag einmal zu Plummer gehen sehen.« »Das war mir klar«, sagte ich. »Jim wollte es nicht glauben, aber ich habe es von Anfang an gewußt. Wahrscheinlich schnüffelt er für Plummer herum.« »Er hat schon in Idaho Zuträger gehabt«, sagte McCall. »Wir
müssen uns in acht nehmen. Plummer ist kein Mann, der plump vorgeht. Er ist verdammt schlau. Deswegen hat er uns auch laufenlassen. Er weiß immer genau, was er tut, sonst wäre er nicht mehr am Leben.« »Davon bin ich überzeugt«, sagte ich. »Aber die Sache mit der Bank war eine Schweinerei. Beim nächstenmal bin ich klüger.« »Ich frage mich, wie wir das alles Jim beibringen«, sagte McCall. »Lausige dreihundert Dollar bringen wir ihm mit, für so einen Haufen Gold.« »Jim …« Mir fiel plötzlich alles wieder ein, was ich wegen der Erlebnisse in Bannack völlig vergessen hatte. In mir hatte sich in den letzten Stunden dermaßen viel aufgestaut, daß ich alle Gedanken an den Claim verdrängt hatte. Die Indianer! Ich dachte an den Krieger, den ich bei meinem Aufbruch am Morgen beobachtet hatte. Ob Jim Connor noch lebte? Ich sagte Jack McCall, der mit düsterem Gesicht neben mir herritt, was ich vermutete. Er war dermaßen in Gedanken versunken, daß er zweimal hören mußte, was ich ihm erzählte. Dann trieben wir unsere Pferde an und jagten im Höllentempo nach Westen, so daß Shita kaum mithalten konnte.
10. Das letzte Tageslicht verglühte in der Wölbung des Himmels, als wir auf völlig erschöpften Pferden den Fox Creek durchfurteten und zum Hangwald hochjagten. Von weitem hörten wir bereits die Schüsse. Schweißflocken tropften aus den Nüstern unserer Tiere. Wir selbst waren staubbedeckt. Wir drangen, ohne zu zögern, in den Wald ein und ritten schnurgerade auf unseren Claim zu. Das Krachen der Schüsse wurde lauter. Knapp zehn Minuten später erreichten wir die Lichtung und sahen die Indianer, die gegen die Höhle vordrangen. McCall und ich verließen unsere Pferde und huschten hinter Felsen und Büsche, um Deckung zu suchen. Wir hielten unsere Gewehre in den Fäusten. Es waren höchstens fünf Indianer, die
gegen die Höhle anrannten. Auf der Lichtung, unmittelbar neben dem Waschpfannengerüst, sah ich einen toten Krieger im Gras liegen. Jim Connor verteidigte sich offenbar geschickter, als ich es ihm zugetraut hatte. Ich war froh, daß er noch lebte. Während des Ritts hierher hatte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, daß ich ihn in Bannack vergessen hatte. Obwohl es Unsinn gewesen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich Vorwürfe gemacht, wenn ihm etwas passiert wäre. Die Indianer befanden sich auf der Lichtung und schossen auf den Höhleneingang. Sie hatten nicht gemerkt, daß wir uns von hinten genähert hatten. Jim Connor wehrte sich verbissen und trieb die Krieger zum Waldrand zurück. Hier waren wir und empfingen sie mit einem heißen Bleiregen. Die Sioux waren so überrascht, daß sie kopflos umkehrten und abermals gegen die Höhle anrannten, wo Jim Connor saß. Wir hatten sie in der Zange, und sie waren zu überrascht, als daß sie planvoll reagiert hätten. Ich verletzte einen Krieger, aber der Mann fing sich, klammerte sich an seinem Pferd fest und jagte es geradewegs ins dichteste Unterholz. Für einen Moment sah es so aus, als würde ihn ein tiefhängender Ast aus dem Sattel fegen, sein Pferd steckenbleiben oder stolpern, stürzen und ihn abwerfen. Aber es durchbrach mit schrillem Wiehern das Dickicht, taumelte, fing sich und preschte davon. Jack McCall schoß einen Sioux aus dem Sattel. Die anderen konnten ebenfalls in den Wald eindringen und zwischen den Bäumen untertauchen. Der Hufschlag ihrer Pferde verhallte. Wir ließen unsere Gewehre sinken und verließen unsere Deckungen. Als wir auf die Lichtung hinaustraten, erschien Jim Connor am Höhleneingang. Er blutete aus einer Schramme an der Stirn. Er hielt einen rauchenden Revolver in der Faust und starrte uns aus tiefliegenden Augen ungläubig an. »Jack!« Er schüttelte den Kopf. Im Gesicht trug er Pulverspuren. Ätzender Pulverdampf hing über der Lichtung, über die sich jetzt der Abend senkte. Jim Connor schaute auf mich. Er sagte: »Ich hatte
gedacht, dich hätten die Rothäute kassiert. Du warst keine zwei Stunden weg, da tauchten sie plötzlich auf. Ich hab nicht mehr daran geglaubt, noch lebend davonzukommen.« »Ich wäre schneller zurückgewesen«, sagte ich entschuldigend. »Es ging leider nicht. Ich mußte Jack erst aus dem Jail holen. Das hat zweihundert Dollar gekostet. Dieser Plummer ist ein Erzgauner.« »Der Sheriff?« Connor steckte seinen Revolver ein und setzte sich erschöpft neben dem Bach zu Boden. »Schöner Sheriff«, sagte McCall. »Ein Halunke, der in Idaho fast gehenkt worden wäre.« Er sattelte seinen Schimmel ab und setzte sich dann ebenfalls ins Gras. Auch ich hatte mich niedergelassen, und unweit von uns streckte Shita sich müde und ausgepumpt aus. »Aber er ist doch Sheriff …« Jim Connor schien die Welt nicht mehr zu verstehen. Dann wandte er den Kopf wieder zu mir. »Hast du das Gold umgetauscht?« Vor dieser Frage hatte ich mich gefürchtet. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. »Ja«, sagte ich schließlich. »Wieviel?« fragte er. »Weißt du …« Ich zögerte. »Wir sind betrogen worden«, fiel mir McCall ins Wort. Er schaute Jim Connor ernst an. »Ronco kannte den Kurs für das Gold nicht. Er hat es eingetauscht, um mich aus dem Gefängnis zu holen. Ich habe sofort kapiert, daß er reingelegt worden ist. Dann sind wir zurück zu der Bank gegangen, aber der Clerk rückte keinen Cent raus, und bevor etwas passieren konnte, tauchte Plummer auf und spielte den großen Sheriff. Er hat uns aus der Stadt gejagt. Wir konnten von Glück sagen, daß er uns nicht beide eingesperrt hat. Der Clerk behauptete, wir hätten ihn überfallen wollen.« »Wieviel habt ihr gekriegt?« fragte Jim Connor noch einmal. »Fünfhundert Dollar«, sagte ich. »Davon gingen zweihundert Dollar weg für Jacks Freilassung.« »Fünfhundert Dollar?« Jim Connor starrte erst mich, dann Jack McCall an. »Seid ihr verrückt?« »Es ist so«, sagte McCall. »Das nächstemal wird einer von uns das Gold umtauschen und zu einer anderen Bank gehen.«
»Lausige fünfhundert Dollar?« schrie Jim Connor. Sein Gesicht verzerrte sich. Seine Augen glänzten fiebrig. »Und zweihundert hat dieser sogenannte Sheriff eingesteckt? Das heißt, daß ihr nur dreihundert Dollar mitgebracht habt. Dreihundert Dollar für so eine Menge Arbeit und einen so großen Haufen Gold.« »Es läßt sich nicht ändern«, sagte ich. »Ich habe nicht gewußt, wie Gold bewertet wird. Ich werde das nächstemal auf meinen Anteil verzichten, in Ordnung?« Jim Connor drehte sich wortlos um und ging in die Höhle. Ich schaute McCall an. Er zuckte mit den Schultern und wirkte irgendwie betroffen. »Glaubst du, daß es die Indianer noch einmal versuchen?« fragte er. Ich hatte das Gefühl, daß ihn die Antwort darauf gar nicht interessierte. Jim Connors Verhalten schien ihn mehr zu beschäftigen. Mich auch. Immerhin war Jim Connor gerade einer Todesgefahr entronnen, aber er hatte sofort wieder an das Gold gedacht, und in seinen Augen hatte ich die Gier gesehen. »Ich glaube, die Sioux haben jetzt erst mal die Nase voll«, sagte ich und führte die Pferde in die Höhle. Jim Connor hockte neben seinem Deckenlager und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Er schien mich nicht zu bemerken. Ich rieb die Pferde ab und ging wieder hinaus. Jack McCall hatte Feuerholz gesammelt und die beiden toten Indianer in den Wald geschafft. Schweigend bereiteten wir unsere Abendmahlzeit zu. Ich war froh, daß McCall wieder hier war. Ich wußte nicht, wie Jim Connor reagiert hätte, wenn ich allein zurückgekehrt wäre und ihm davon erzählt hätte, daß ich mich hatte betrügen lassen. Ich befürchtete, daß uns Connor noch Ärger bereiten würde, und ich versuchte, ihn zu verstehen. Aber schließlich war ich nicht allein schuld. Der wahre Schuldige war der Bankclerk, der mich reingelegt hatte. Es war dunkel, als McCall und ich mich ans Feuer setzten, schwarzen Kaffee tranken und ein paar gebratene Bohnen verspeisten. Ein paar Sterne blinkten am Himmel. Leise plätscherte das Wasser des Baches. »Wir werden hier nicht mehr lange Ruhe haben«, sagte McCall
nach einiger Zeit. Er schenkte sich Kaffee nach. »Abgesehen davon, daß Plummer etwas im Schilde führt, wird bald jeder wissen, daß es hier Gold gibt. Dann werden mehr Männer hier auftauchen, das Bachbett um und um wühlen und den Boden aufreißen.« »Wenn Plummer uns an den Kragen will, wird er es vorher tun«, sagte ich. »Je weniger Zeugen er hat, um so besser. Ich glaube, er wird sich schon bald melden.« »Ich glaube auch.« McCall starrte düster in die Flammen. Shita, der unweit von uns lag, hob plötzlich den Kopf und knurrte leise. Ich wollte nach meinem Revolver greifen. Da tauchte Jim Connor im Höhleneingang auf. Das Haar hing ihm wirr um den Kopf. In seinen Augen flackerte es eigenartig. »Ihr glaubt vielleicht, daß ich ein bißchen bekloppt bin!« schrie er uns an. »Ihr denkt vielleicht, mit mir werdet ihr fertig. Aber ihr irrt euch! Ich lasse mich nicht bescheißen, nicht von euch. Ich habe genauso mitgearbeitet wie ihr. Mehr sogar. Ich habe geschuftet bis ich jeden Knochen in meinem Leib gespürt habe. Ich habe ein Anrecht auf meinen Anteil. Ich lasse mich nicht reinlegen.« »Jim.« Jack McCall stellte seinen Becher zur Seite und stand auf. Ich blieb sitzen. Shita knurrte noch immer leise und blickte den Mann erstaunt an. »Jim, beruhige dich«, sagte McCall. »Kein Mensch denkt daran, dich um deinen Anteil zu betrügen. Hör auf, dir so was einzureden. Wir sind Partner, und jeder kriegt das, was ihm zusteht. Wir können doch nichts dafür, daß wir reingelegt worden sind.« »Reingelegt?« Jim Connor lachte hysterisch. »Ihr und reingelegt. Wer soll euch diese schöne Geschichte glauben? Über so was hätte sogar meine Großmutter gelacht. Ihr habt euch das fein ausgedacht, um mich mit ein paar lausigen Dollars abspeisen zu können. Aber so dumm bin ich nicht.« Tränen rannen plötzlich über seine Wangen. Seine Stimme schnappte fast über. Er zitterte am ganzen Körper vor Wut. Er war verrückt, kein Zweifel. Ihn hatte das Goldfieber gepackt und ihm den Verstand geraubt. »Das nächstemal reitest du nach Bannack und tauschst das Gold um«, sagte Jack McCall, immer noch sehr ruhig.
»Einen Dreck werde ich tun. Ihr werdet es schon fertigbringen, etwas auf die Seite zu schaffen, von dem ich nichts merke. Ihr habt euch doch zusammengetan, um mich zu betrügen. Aber ich werde aufpassen. Ich schlafe neben dem Bach, schon in dieser Nacht. Ihr werdet nicht hinter meinem Rücken Gold aus dem Sand waschen. Und ich werde mein Gewehr neben mir liegen haben, und meinen Revolver, falls ihr auf die Idee verfallt, mich zu erledigen.« »Du spinnst, Jim«, sagte McCall. »So, ich spinne?« Er stand jetzt dicht bei uns am Feuer und beugte sich vor. Die flackernden Flammen verwandelten sein Gesicht in eine unnatürlich verzerrte Schattenmaske. »Ich weiß, was ihr vorhabt. Ihr könnt mich nicht täuschen. Ich weiß genau Bescheid.« Er drehte sich abrupt um und stürmte in die Höhle zurück. Wenig später kehrte er mit seiner Decke und seinen übrigen Habseligkeiten zurück, lief an uns vorbei und schlug sein Lager neben dem Gerüst für die Goldwaschpfannen auf. Er würdigte uns keines Blickes, stellte aber sein Gewehr so an das Gerüst, daß wir es sehen mußten, und legte seinen Gürtel mit dem Army-Colt ebenfalls demonstrativ neben seine Decke ins Gras. »Was ist mit dem Wachestehen?« fragte ich. »Jim fällt aus.« »Wir werden uns ablösen«, sagte McCall. »Jim wird schon wieder normal werden.« Ich glaubte nicht daran. Ich hatte seine Augen gesehen, und ich wußte, daß ein Mensch, der vom Goldfieber gepackt wurde, unrettbar verloren war. Es ließ ihn nicht mehr los, es zerstörte ihn. Ich gab McCall keine Antwort. Ich nickte nur, dann erhob ich mich und schüttete den Rest des Kaffees im Kessel in die Flammen. Es zischte. Rauch stieg auf. Ich trat die Glut auseinander und sagte: »Übernimmst du die erste Wache?« »Sicher«, sagte er. »Ich habe lange genug Gelegenheit gehabt, mich im Jail auszuruhen. Schlaf nur. Ich weck dich.« Ich ging in die Höhle. Shita starrte einen Moment zu Jim Connor hinüber, der sich in seine Decke gerollt hatte und mit dem Rücken an dem Gerüst der Waschpfanne lehnte. Dann folgte er mir müde und streckte sich neben mir aus, als ich mich zum Schlafen niederlegte.
Lange Zeit wälzte ich mich unruhig hin und her und lauschte besorgt nach draußen. Aber es blieb alles still. Nur der Nachtwind sang leise in den Wipfeln des Waldes. * Jim Connor rammte die Schaufel in den weichen Ufergrund des Baches und starrte mich aus glühenden Augen an. »Du hast dir gerade ein Nugget eingesteckt«, sagte er. Ich fühlte, wie sich eine eisige Masse in meinem Magen zusammenzog. Ich antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, daß Jack McCall, der bis zu den Knien im Bach stand, sich umdrehte und langsam heranwatete. »'raus mit dem Gold!« schrie Jim Connor mich an. Er war wirklich völlig verrückt. Ich hatte den Sand, der sich im Sieb befand, durchgespült und mit den Fingern etwas verteilt, aber ich hatte kein Goldkörnchen herausgenommen. Wortlos zog ich das Futter meiner Hosentasche nach außen. Es befand sich nichts darin. Ich hob die leeren Hände hoch. »Ich hab gesehen, wie du einen Nugget eingesteckt hast!« brüllte Jim Connor. »Ich weiß nicht, welche Tricks du auf Lager hast, aber ich habe es gesehen, und wenn du mir hundertmal deine leeren Taschen zeigst.« Er rannte an mir vorbei in die Höhle und blieb dort. McCall hatte den Bach verlassen, stand neben mir und schaute ihm nach. »Ich habe mir kein Nugget eingesteckt«, sagte ich. »Er ist verrückt«, sagte McCall. »Arbeiten wir weiter«, sagte ich. Ich merkte, wie ich langsam die Lust verlor. Der Claim interessierte mich immer weniger. Am liebsten hätte ich in diesem Moment alles hingeschmissen, meinen Braunen bestiegen und wäre mit Shita davongezogen. Es widerte mich an, mich weiter mit Connor auseinandersetzen zu müssen. Warum ich nicht einfach davonritt, wußte ich selbst nicht. Jedenfalls tat ich es nicht. Ich füllte einen Eimer mit Wasser und spülte den Sand in der Waschpfanne durch. Zahlreiche Goldkörnchen blinkten im Netz. Ich sammelte sie
ein und füllte sie in ein bereitstehendes Ledersäckchen. McCall schaufelte neuen Sand in das Sieb. Später wechselten wir uns ab. Jim Connor erschien nach einer Weile wieder und blieb nahe des Wagens stehen. Er beobachtete uns voll Mißtrauen und Haß, rührte aber selbst keinen Finger. Er stand so bis zum Abend da und beobachtete später, wie wir ein Feuer anfachten und unsere Mahlzeit zubereiteten. Wir kochten auch Kaffee für ihn, aber er setzte sich nicht an unser Feuer. Wahrscheinlich befürchtete er, daß wir ihn vergiften würden. Er umschlich uns wie ein hungriger Schakal und verschwand kurz in der Höhle, wo er sich wahrscheinlich über ein wenig trockenes Brot hermachte, das er in seinen Satteltaschen hatte. Danach ging er zu dem Beutel mit den Nuggets, den wir heute gefüllt hatten. Er betrachtete ihn mit leuchtenden Augen, hob ihn an und wog ihn in der Rechten. Ein verzückter Ausdruck trat in sein Gesicht. Als es dunkel wurde, schlug er sein Lager wieder neben der Waschpfanne auf. Diesmal legte er sich das Gewehr quer über den Schoß. McCall hatte mir gesagt, daß Connor in der vergangenen Nacht bis nach Mitternacht wach gewesen wäre. Als ich die Wache übernommen hatte, hatte er unruhig geschlafen, war oft hoch geschreckt und hatte versucht! sich gewaltsam wachzuhalten. Es war ihm nicht ganz gelungen. Am Morgen war er völlig steif und wie gerädert aus seiner Decke gekrochen, war aber ohne zu murren an die Arbeit gegangen. Jetzt starrte er wieder zu uns herüber, beobachtete jede unserer Bewegungen und schien darauf zu warten, daß wir gegen ihn vorgingen. McCall hatte am Morgen versucht, mit ihm zu reden. Es war unmöglich gewesen. Jim Connor war keinem vernünftigen Wort mehr zugänglich. Er war überzeugt, daß wir ihn betrügen, bestehlen und bei passender Gelegenheit umbringen wollten. Ich trank meinen Kaffeebecher leer und dachte wieder daran, einfach abzuhauen. Ich tat es wieder nicht. Irgend etwas in mir hielt mich an diesem Ort fest. Vielleicht war es einfach das Gefühl, daß ich so nicht aufgeben durfte, daß ich McCall, der wirklich ein guter Partner war, nicht einfach sitzenlassen durfte. Ich wußte es nicht genau. Als es dunkel wurde, begab ich mich wieder in die Höhle.
McCall übernahm die erste Wache, und ich war noch unruhiger als am gestrigen Abend und lag sehr lange wach. Merkwürdigerweise dachte ich nicht nur an Jim Connor und daran, was sich aus den Problemen mit ihm noch entwickeln würde. Ich dachte auch an Henry Plummer, obwohl wir von ihm den ganzen Tag über nicht gesprochen hatten. Das war ein böses Omen, denn ich hatte es immer im Gefühl, wenn eine Gefahr drohte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß der plötzliche Gedanke an den Sheriff von Bannack nichts zu bedeuten hatte. Schließlich übermannte mich der Schlaf. Wilde Träume quälten mich.
11. Das wütende, scharfe Bellen Shitas riß mich aus dem Schlaf. Ich wälzte mich herum und stemmte mich hoch. Ich war sofort hellwach, obwohl mich heftige Kopfschmerzen durchzuckten. Ich war schweißgebadet und hatte teilweise noch immer die Bilder des letzten Traumes im Kopf, der mich gepeinigt hatte. Ich sah das Gesicht Henry Plummers, und jemand winkte mit einer Henkerschlinge. Ich streifte die Decke ab und griff instinktiv nach meinem Gewehr. Dann wankte ich zum Höhleneingang. Shita hatte die Höhle bereits verlassen. Es war kurz vor Mitternacht. Als ich den Höhleneingang erreichte, hörte ich das Keuchen zweier Männer. Wenig später sah ich sie auf der Lichtung stehen: Jim Connor und Jack McCall. Sie rangen miteinander. Jim Connor stieß jetzt ein hysterisches Gebrüll aus und schlug mit beiden Fäusten auf McCall ein, ihn wüst beschimpfend. McCall versuchte, sich der heftigen Angriffe zu erwehren, ohne sich auf einen echten Kampf einzulassen. »Connor!« schrie ich. »Hören Sie auf, Sie wahnsinniger Idiot!« Er hörte nicht, und auch McCall schien mich nicht zu bemerken. Jim Connor traf ihn jetzt voll ins Gesicht. McCall wurde zu Boden
gestoßen. Er wälzte sich herum und versuchte, aufzustehen. Da stürzte sich Connor bereits auf ihn und drosch mit aller Kraft auf seinen Kopf ein. McCall riß schützend die Arme hoch. Es gelang ihm, ein wenig Luft zu kriegen. Er packte Connors Kehle und drückte zu. Connor gurgelte und wand sich wie ein Aal. Er konnte sich befreien, ineinanderverkrallt rollten die beiden Männer durch das Gras. Shita sprang wild bellend um sie herum. »Du Schwein!« hörte ich Jim Connor brüllen. »Du verdammtes Dreckstück. Du Betrüger. Ich hab dir vertraut. Ich hab gedacht, du seist mein Partner. Du wirst mich nicht umbringen. Du wirst mir nicht meinen Anteil nehmen. Du gönnst mir nicht, daß ich reich werde. Du willst alles haben. Du kannst den Hals nicht voll genug kriegen. Du sollst an deiner Gier ersticken!« McCall konnte sich von dem Tobenden lösen und sich aufrichten. Sein Hemd war vorn aufgerissen. Ein paar Knöpfe waren abgeplatzt. Jack McCall blutete aus dem linken Mundwinkel. Er rang nach Atem. Jim Connor sprang hoch wie ein Panther. McCall erwischte ihn mit einem Tritt gegen die rechte Schulter. Connor wurde zurückgeschleudert. Er stürzte auf den Rücken und zappelte einen Moment mit Armen und Beinen wie ein Käfer. Ein geradezu tierischer Wutschrei drang aus seiner Kehle. Er taumelte auf die Beine. »Mein Gold!« kreischte er. »Ich will mein Gold! Ich lasse mich nicht um mein Gold bringen!« Er stürmte wie ein Stier auf McCall los und erreichte ihn, bevor der ausweichen konnte. Ein wilder Kampf begann. Ich hob unwillkürlich meinen Sharps-Karabiner, obwohl ich nichts tun konnte. Wenn ich schoß, konnte ich McCall treffen. Connor riß McCalls Messer an sich und hob es zum Stoß hoch. McCall wehrte den Stich ab. Er wandte sich um und versuchte Connor zu entkommen. »Bist du verrückt!« schrie er. »Jim, hör auf!« Aber Connor hörte nicht. Ich schoß jetzt doch, obwohl Connor dicht an McCall dran war. Ich hoffte, ihn mit dem Schuß zu erschrecken oder zurückzuhalten. Meine Kugel schlitzte die
Grasnarbe dicht vor Connors Füßen auf. Er bemerkte es nicht einmal. Er schien auch die Detonation, die unnatürlich laut in der Stille der Nacht klang, nicht zu hören. Er holte McCall ein, als der den Wagen erreichte. Abermals riß er das Messer zum Stoß hoch. McCall wirbelte herum. Er hatte einen Sattel vom Wagenbock gerissen und schleuderte ihn gegen den rasenden Mann. Connor wurde von dem schweren Sattel in den Leib getroffen und stürzte kopfüber zu Boden. Er überschlug sich fast und blieb in seltsam verkrümmter Haltung liegen. Shita bellte nicht mehr. Ich setzte mich in Bewegung und hatte das Gefühl, an unsichtbaren Fäden zu hängen, die mich langsam voranzogen. Jack McCall stand keuchend und etwas hilflos vor dem Mann, der sich nicht mehr rührte. »Jim«, sagte er leise. »Jim, was ist los?« Connor antwortete nicht. Ich bückte mich sehr tief, denn Connor lag im Schatten des Wagens und das Mondlicht war zu schwach, um sein Gesicht zu erhellen. Shita winselte plötzlich, und ich richtete mich langsam wieder auf. Die Nacht war schwül, aber ich fröstelte und zog die Schultern hoch. »Er ist tot«, sagte ich. * Ich wälzte Jim Connor auf den Rücken. Sein Mund stand weit offen, genau wie seine Augen, die starr und gläsern schimmerten. Er hatte sich im Sturz das Messer selbst in die Brust gerammt. Seine rechte Faust war noch immer um den Messergriff verkrallt. Ich löste sie, jeden Finger einzeln, und ich mußte mich dabei anstrengen. Dann zog ich das Messer aus der Wunde und reichte es McCall. Er sah es erst gar nicht. Dann griff er wie in Trance zu und schob es in die Scheide an seinem Gürtel. »Ich – ich wollte es nicht«, flüsterte er. »Es war Notwehr«, sagte ich. »Er war völlig verrückt. Wenn das
nicht passiert wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich erschossen.« »Er fiel plötzlich über mich her«, sagte McCall. Er starrte auf den Toten. »Ich war müde und ein bißchen eingenickt. Plötzlich war er da und schlug auf mich ein.« »Er hatte den Verstand verloren«, sagte ich. »Goldfieber. Ich habe das schon ein paarmal erlebt.« »Ich auch«, sagte McCall. »Aber von Jim … Ich kannte ihn seit drei Jahren.« »Manche Leute werden uralt und sind völlig normal. Dann packt sie auf einmal das Goldfieber, und sie bringen ihre nächsten Verwandten um. Er hätte uns alle getötet.« McCall erwiderte nichts. Ich sah, daß seine Hände zitterten. »Wir müssen ihn begraben«, sagte ich. »Pack mit an.« Er zögerte, dann bückte er sich und faßte den Toten unter den Achseln. Ich nahm die Füße. Wir hoben Jim Connor hoch und trugen ihn zum Rand der Lichtung. Ich holte einen Spaten, während Jack McCall noch immer fassungslos vor dem Toten stand. Als ich zurückkehrte, hörte ich ihn leise vor sich hin flüstern. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Ich begann, eine flache Grube auszuheben. McCall stand daneben und rührte sich nicht, bis ich fertig war. Gemeinsam betteten wir die Leiche hinein. Dann schloß ich das Grab. »Erspar dir die Vorwürfe«, sagte ich. »Ich hab noch nie getötet«, sagte er. »Indianer schon – im Kampf. Sonst bin ich jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Und Jim – ich dachte, er sei mein Freund.« »Er war dein Freund«, sagte ich. »Der, den du getötet hast, war ein anderer Mann. Er hätte dich und mich umgebracht. Früher oder später hätte er sich selbst den Hals gebrochen.« McCall sagte nichts. Er wandte sich um und ging mit unsicheren Schritten zur Höhle zurück. »Versuch zu schlafen«, sagte ich. »Ich werde bis zum Morgen wachen.« »Ich kann nicht schlafen.« »Versuch es. Du kannst es nicht mehr ändern. Connor ist tot. Du
hast ihn ja gar nicht getötet. Er ist in dein Messer gefallen.« »Es war mein Messer, und ich habe ihn in das Messer stürzen lassen.« »Blödsinn«, sagte ich. »Du hast mit ihm gekämpft. Er hat dich töten wollen. Du hast dich gewehrt. Das ist alles. Leg dich hin.« »Wenn es so einfach wäre.« Er ging in die Höhle. Ich schaute ihm nach. Ich war sicher, daß er nicht schlafen würde. Ich verstand ihn, aber ich konnte nicht sagen, daß mir die Entwicklung leid tat. Jim Connor hätte früher oder später uns alle um Kopf und Kragen gebracht. Ihn waren wir los. Jetzt gab es nur noch ein Problem: Henry Plummer. Mir war klar, daß diese Überlegungen von ziemlicher Kaltblütigkeit zeugten. Aber ich war in der Wildnis aufgewachsen und hatte deren Gesetze lernen müssen. Es waren grausame Gesetze, aber es waren Regeln, die das Überleben garantierten. Unsicherheitsfaktoren mußten ausgeschaltet werden. Wer anderen die Lebensgrundlage entzog, war vogelfrei. Mir war lieber, Jim Connor war tot als ich. Ich haßte das Töten. Aber es gehörte zu diesem Land in dieser Zeit. Ich konnte es nicht ändern. Ich mußte mich anpassen, wenn ich nicht untergehen wollte. Es gefiel mir nicht, aber danach fragte niemand. Ich setzte mich mit Shita an den Rand des Baches. Fern im Osten, hinter den Spitzen der Bäume, erschien ein schmaler heller Streifen. Ich blickte auf das Wasser des Baches, in dem soviel Gold verborgen lag. Ich verfluchte das Gold. Ich verfluchte den Tag, an dem ich es entdeckt hatte. Aber das alles war genausowenig rückgängig zu machen wie der Tod von Jim Connor. Wieder dachte ich daran, einfach fortzureiten. Aber in diesem Moment erschienen mir diese Gedanken wie Verrat. Es wäre schäbig gewesen, Jack McCall jetzt zu verlassen. Ich schaute nach Osten, wo der Morgen zu grauen begann. Es wurde kühl. Feine Nebelschleier schwebten über den Wald. Ich fröstelte und fragte mich, wie es weitergehen sollte. Eine Antwort fand ich nicht. *
Es war sehr heiß. Ich hatte mir das Hemd ausgezogen und stand mit bloßem Oberkörper im Bach. Die Sonne stand hoch. Ich schaufelte den Sand des Bettes in die Goldpfanne. McCall spülte ihn durch das feinmaschige Netz. Er war nicht bei der Sache. Er wirkte müde und zerfahren. Ich verspürte Hunger und verließ das Wasser. Fast gleichzeitig bellte Shita, dann hörten auch wir das Schnauben eines Pferdes und ein Knacken im Unterholz. Wenig später tauchten drei Reiter auf. Ich griff nach meinem Hemd und streifte es über, und ich bedauerte, meinen Revolver nicht umgeschnallt zu haben. Es waren Henry Plummer, der Sheriff, zusammen mit einem Deputy und einem dritten Mann, den ich noch nie vorher gesehen hatte, der wenig vertrauenswürdig wirkte, obwohl er sauber gekleidet war und auf den ersten Blick seriös aussah. Seine engen, tückischen Augen und die Verschlagenheit in seinem Gesichtsausdruck zerstörten diesen ersten Eindruck jedoch völlig. Die drei Männer zügelten ihre Pferde auf der Lichtung. Ich sah, wie Plummer überrascht auf den Grabhügel schaute, sich dann aber uns zuwandte und aus dem Sattel stieg, genauso wie sein Deputy und der andere Begleiter. »Sie sind ein widerborstiger Mensch, McCall«, sagte Plummer. Er grüßte nicht einmal. »Ich habe geahnt, daß wir uns noch einmal sehen würden.« McCall antwortete nicht. Shita knurrte leise. Ich bückte mich und strich ihm beruhigend über den Kopf. »Sie sind Inhaber dieses Claims, McCall?« fragte Plummer. »Er ist auf meinen Namen eingetragen«, sagte McCall. »Ich möchte die Urkunde sehen«, sagte Plummer. McCall ging zu seinem Wagen. Er holte die zusammengefaltete Urkunde unter dem Bock hervor und brachte sie dem Sheriff. Plummer faltete sie auseinander und betrachtete sie sorgfältig. Dann winkte er den fremden Mann heran, und auch dieser zog eine Urkunde aus der Tasche. Plummer verglich beide und faltete McCalls Dokument schließlich wieder zusammen. Sein bärtiges Gesicht war ausdruckslos, als er sagte: »Ein bedauerlicher Irrtum des Claim-Offices, McCall. Der Claim gehört
Ihnen nicht. Er ist schon ein Jahr zuvor vergeben worden. An Mr. George Anders.« Er zeigte auf den Fremden, der sich leicht verbeugte und überlegen lächelte. »Sie spinnen wohl?« sagte McCall. »Werden Sie nicht frech«, sagte Plummer. »Wenn Sie nicht aufgrund eines amtlichen Irrtums hier wären, könnte ich Sie wegen Diebstahl festnehmen. Jeder kann sich irren. Der Beamte, der Ihre Claimrechte eingetragen hat, hat geschlafen. Das passiert immer wieder. Mr. Anders besitzt einen Rechtstitel auf den Claim, der zwei Jahre älter ist als der Ihre. Damit ist alles klar. Ich habe Sie aufzufordern, alles, was Sie bisher geschürft haben, herauszugeben. Sie haben bereits einiges Gold in Bannack umgetauscht. Den Geldbetrag, den Sie dabei erzielt haben, müssen Sie ebenfalls abgeben.« Ich fühlte einen Kloß in meiner Kehle und dachte, daß Henry Plummer ein verdammt cleverer Mann war. Inzwischen hatte er sicherlich durch Tranter und auch den betrügerischen Bankclerk in Erfahrung gebracht, wie pfundig dieser Claim war. Er nahm ihn uns einfach weg. Ganz legal. Sehr geschickt. Mein Herz schlug heftig, aber ich blieb ruhig und sagte kein Wort, denn ich befürchtete, daß das noch nicht alles war. »Wir haben hier geschuftet«, hörte ich McCall sagen. »Wir haben schwer gearbeitet. Ich habe eine ordentliche Besitzurkunde. Nur das zählt für mich. Sie haben sich das sehr geschickt ausgedacht, Plummer. Wie immer. Sie haben schon früher so gute Ideen gehabt, damals in Idaho. So wollen Sie uns also den Claim abnehmen, um ihn in die Tasche zu stecken. War es schwer, die andere Urkunde zu kriegen? Aber mit einem Sheriffstern kann man wohl alles. Wir sind nicht so dumm, wie Sie glauben, Plummer. Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich kenne Sie von früher. Ich werde um mein Recht kämpfen.« »Eine lange Rede, McCall«, sagte Plummer. Er sprach leise und gemessen, aber die Erregung, die sich in ihm zusammengeballt hatte, war nicht zu überhören. »Sie sind mit Beschuldigungen schnell bei der Hand. Sie sagen
Dinge, die mir nicht gefallen, weil es sich um Verleumdungen handelt, um Verdächtigungen, die Sie nicht beweisen können. Ich bin nie in Idaho gewesen, McCall. Ich weiß nicht, von was Sie reden. Ich werde Sie wegen Beleidigung festnehmen, weil Sie behauptet haben, ich hätte Mr. Anders eine gefälschte Urkunde verschafft, um mir Ihren Claim aneignen zu können. Einmal habe ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Diesmal kommen Sie mir nicht so einfach davon.« Er gab dem Deputy einen Wink, worauf sich der Mann langsam in Bewegung setzte und auf McCall zuging. »Wo ist eigentlich Ihr dritter Partner?« fragte Plummer. »Ich erinnere mich, daß ein anderer Mann hier war, als ich Sie zum erstenmal verhaften mußte.« »Er ist tot«, sagte McCall. »Da ist sein Grab.« »Er sah nicht krank aus«, sagte Plummer. »Er sah auch nicht aus, als würde er so rasch an Altersschwäche sterben.« »Er glaubte, daß ich ihn betrügen würde«, sagte McCall. »Er griff mich an und wollte mich umbringen. Ich habe ihn töten müssen.« »Sie haben einen Mord begangen, McCall.« Plummer zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe Ihnen gesagt, was passiert ist«, sagte McCall. »Sie haben hier vor Zeugen gestanden, Ihre Partner getötet zu haben«, sagte Plummer. »Sie sind ein Mörder. Das kostet Sie den Hals.« »Auf diese Weise werden Sie mich nicht los!« rief McCall. »Ich weiß zuviel über Sie. Sie haben mich schon beim erstenmal erkannt. Ich war dabei, als Sie in Idaho einen Mann erschossen haben. Ich weiß eine Menge über Sie, Plummer. Sie wollen mich ausschalten, aber das gelingt Ihnen nicht.« »Sie sind ja gemeingefährlich, Mann«, sagte Plummer. Er war blaß geworden. In seinen Augen flackerte es nervös. »Ich verhafte Sie wegen Mordes.« In diesem Moment erreichte sein Deputy McCall. Der aber fuhr herum. Sein Gesicht war rot vor Wut. Er schlug blitzschnell mit beiden Fäusten zu und traf den Deputy voll. Der Mann fiel wie ein gefällter Baum um und blieb im Gras liegen, während McCall mit langen Sätzen zur Höhle lief und sich auf den Rücken seines
Schimmels warf. Er hämmerte dem Pferd die Absätze in die Weichen und jagte in den Wald. Plummer schoß mit seinem Revolver, aber er traf nicht. »Hinter ihm her!« schrie der Sheriff. »Wir müssen ihn kriegen!« Ich lief zur Höhle und dachte beinahe, ich würde sie noch erreichen, nachdem der seltsame Mr. Anders sein Pferd herumzog und die Verfolgung aufnahm, und Plummers Deputy sich leicht benommen aufrappelte und niemand auf mich achtete. Da ertönte hinter mir Plummers Stimme, die plötzlich einen stahlharten Klang angenommen hatte. »Keine Bewegung! Bleib stehen, wo du bist.« Ein Revolverhahn knackte metallisch. Ein unangenehmes Kribbeln floß meinen Rücken hinunter. Meine Haltung versteifte sich. Langsam ließ ich meine Hände nach oben kriechen. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß der Deputy sich ebenfalls auf sein Pferd schwang und im Höllentempo, in den Wald davonpreschte, um McCall zu jagen. Ich war mit Plummer allein.
12. »Ich weiß nicht, was mich daran hindert, dich einfach niederzuschießen«, sagte Plummer. »Das wäre Mord«, sagte ich. »Ich trage keine Waffe.« »Ja«, sagte er. »Das wäre Mord. Aber ich weiß einiges über dich. Du hast vor kurzem noch als Postreiter gearbeitet. Du bist also hier nicht unbekannt. Wenn plötzlich deine Leiche auftauchte, würden einige Leute vielleicht Nachforschungen anstellen und feststellen, daß ich hier draußen war.« »Ich könnte überall erzählen, was Sie jetzt gesagt haben«, erwiderte ich. »Das könntest du«, sagte Plummer. »Aber es würde dir niemand glauben. Ich würde es dir auch nicht raten. Du bist noch jung. Vielleicht bist du vernünftiger als dein Freund McCall. Ich habe einen langen Arm. Wer gegen mich ist, hat nichts zu lachen. Ich tue dir nichts, weil hier der Verdacht sofort auf mich fallen würde. Aber das bedeutet nicht, daß ich nicht dafür sorgen kann, daß es dich –
woanders erwischt.« »Schon gut«, sagte ich. »Ich rede nicht. Sie haben recht. Es würde mir ohnehin niemand glauben. Ich muß ja selbst mit mir kämpfen, um es glauben zu können.« Ich drehte mich um. Plummer grinste mich an. Er hatte den Revolver gesenkt. »Nimm deine Siebensachen und besteig dein Pferd. Der Wagen kann hierbleiben. Alles andere auch. Ihr werdet es nicht mehr brauchen. Eure Claimrechte sind erloschen.« »Was werden Sie mit mir anstellen?« »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte er. »Du lebst noch. Ist das nicht genug? Die Frage ist, ob du so unvorsichtig bist wie McCall.« Ich wußte, was er meinte. McCall hatte sein eigenes Todesurteil verkündet, als er lauthals herausgebrüllt hatte, was er alles über Plummer wußte. Plummer war klar, daß ich von McCall über ihn Bescheid wußte. Das Risiko, mich einfach abzuknallen, war ihm zu groß. Ich hatte eine Chance, wenn ich mich dumm stellte und den Mund hielt. Ich antwortete nicht. Er schien es als Eingehen auf seine Vorstellungen zu werten. »Steig auf dein Pferd«, sagte er. Ich holte meinen Braunen und sattelte ihn. Ich lieferte Plummer auch meinen Revolver ab. Es hatte keinen Sinn, Widerstand zu versuchen. Er war im Vorteil, und da ich wußte, daß er mich am liebsten tot sah, dachte ich gar nicht daran, ihm einen Grund dafür zu liefern, mich niederzuknallen. Ich ritt vor ihm her, als wir die Lichtung verließen. Ich schaute nicht zurück. In meinem Innern war diese Episode meines Lebens längst abgeschlossen. Ich trauerte dem Claim nicht eine Minute nach. Ich dachte jetzt nur an McCall, dem ich es gönnte, daß er lebend davonkam. Plummer sprach kein Wort mit mir. Er interessierte sich auch nicht dafür, daß Shita neben mir herlief. Ich dachte merkwürdigerweise nicht ein einziges Mal daran, zu fliehen. Ich wußte, er hatte mich vor der Revolvermündung und brauchte nur abzudrücken. Als ich mit ihm den Wald verließ und zum Fox Creek hinunterritt, sahen wir vor uns McCall. Er preschte auf seinem Schimmel dahin,
dichtauf gefolgt von dem Deputy und jenem Mr. Anders, dem angeblich unser Claim gehörte. Wie gebannt starrte ich hinter McCall her. Da strauchelte sein Pferd, begann zu humpeln und blieb stehen. McCall war verloren, aber er gab nicht auf. Er zog seinen Revolver und begann, auf seine Verfolger zu schießen. In diesem Moment traf eine Kugel den Schimmel. Der Hengst brach zusammen und begrub McCall fast völlig unter sich. Wenig später erreichten der Deputy und Anders ihn und sprangen aus den Sätteln. »McCall ist sehr dumm«, sagte Plummer hinter mir. »Der Henker wartet schon auf ihn.« Ich trieb den Braunen an und ritt vor Plummer her, der mich auf McCall zudirigierte. Als wir ihn erreichten, zogen ihn der Deputy und der andere unter seinem toten Schimmel hervor. Er versuchte, sich loszureißen. Er schlug um sich, aber er hatte keine Chance. Sie fesselten ihm die Hände auf den Rücken. Dann hielten sie ihn zwischen sich fest, als Plummer sich im Sattel vorbeugte und ihn anschaute. »Dein Strick ist schon gedreht, McCall«, sagte er. »Du Hund!« schrie McCall. »Eines Tages bist du dran. Du kannst die Leute nicht ewig belügen. Irgendwann merken Sie, wer du wirklich bist.« »Ich werde dich selbst aufhängen«, sagte Plummer. »Es wird mir eine wahre Freude sein.« Er zog sein Pferd herum und stierte mich zornig an. »Vorwärts!« befahl er. »Du reitest voraus. Im Jail von Bannack ist eine Zelle für dich reserviert.« Ich hätte gern noch einmal mit McCall gesprochen. Aber ich erhielt keine Gelegenheit dazu. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Jack McCall ein Lasso umgelegt erhielt, dessen Ende sich der Deputy um sein Sattelhorn schlang. Dann ritt er an. Das Lasso straffte sich. McCall wurde mitgezerrt. Er mußte laufen und versuchen, Schritt zu halten, wenn er nicht bis nach Bannack geschleift werden und dort tot eintreffen wollte. Wir hatten verloren. Plummer saß am längeren Hebel. McCall
konnte noch so viel über ihn wissen, es nutzte nichts. Plummer war der Sheriff. Sein Wort galt. Wer aber kannte McCall? Niemand. Und was wurde aus mir? Die Ungewißheit nagte in mir, während ich vor Plummer herritt. Ich dachte auch daran, wie Shita leben sollte, wenn er ohne mich auskommen mußte. Hinter mir hörte ich McCalls Stöhnen. Er stolperte und stürzte zum erstenmal, wurde ein Stück mitgeschleift, richtete sich wieder auf und lief weiter. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Er kämpfte sich voran. Er wollte keine Schwäche zeigen. Wenigstens diesen Triumph wollte er ihnen nicht gönnen. Aber der Weg nach Bannack war weit. * Der Morgen graute über den Hütten und Zelten. Das war die Zeit, als sie McCall holten. Ich erwachte von dem Lärm nebenan und wälzte mich auf meiner Pritsche herum. Dann hörte ich McCalls Stimme. Er stieß wilde Verwünschungen aus. Wildes Lachen ertönte. Die Geräusche von Fausthieben waren zu hören. Ich wollte mir die Ohren zuhalten, aber ich konnte es nicht. Ich erhob mich und ging zu dem winzigen, vergitterten Fenster der kleinen, stinkenden Zelle, in der ich mich befand. Wenig später sah ich Henry Plummer. Er stand neben einem primitiven Holzgerüst. Ringsherum hatten sich einige Menschen versammelt, die trotz der frühen Morgenstunde erschienen waren. Jack McCall wurde gebracht. Er schrie mit überschnappender Stimme. Er stieß Beschuldigungen gegen Plummer aus. Niemand hörte darauf. Plummer legte ihm die Schlinge um. Deputys hoben McCall auf eine Kiste und stießen sie unter ihm um, noch bevor er richtig stand. Er fiel nach unten. Der Strick straffte sich jäh. Ich wandte mich ab. Jack McCall pendelte im Seil hin und her. Er war tot. Plummers Stimme war von draußen zu hören. Er hielt wieder einmal einen Vortrag über Gerechtigkeit, Gesetze und Zivilisation. Jetzt hielt ich mir wirklich die Ohren zu. Ich konnte soviel Heuchelei nicht ertragen.
Ich legte mich auf meine Pritsche und schloß die Augen. McCall war tot. Er hatte sterben müssen, weil er zuviel über Henry Plummer gewußt hatte. Der Tod von Jim Connor hatte Plummers Handeln legal erscheinen lassen. Aber der eigentliche Grund war gewesen, daß er Plummer von früher gekannt hatte. Und jetzt war ich dran. Es verging keine Viertelstunde, dann wurde meine Zellentür geöffnet. Henry Plummer trat ein. Er trug seinen Revolver in der Faust und musterte mich abwartend und skeptisch. »Gerade ist McCall gehenkt worden«, sagte er. Ich antwortete nicht. »Ich habe mir lange überlegt, was ich mit dir tue. Du bist noch sehr jung. Ich hätte dich auch aufhängen können, aber das wäre mir übel angekreidet worden, wenn ich einen so blutjungen Burschen wie dich getötet hätte. Es wird meinem Ansehen nur nutzen, wenn ich mich nachgiebig zeige und dir eine Chance gebe. Ich hoffe, du nutzt sie und verläßt Bannack. Ich hoffe auch, daß du weißt, über was man zu schweigen hat, daß du nicht die gleichen Fehler begehst wie McCall. Du weißt, ich habe dir gesagt, daß ich einen langen Arm habe.« »Ich kann schweigen«, sagte ich. »Ich verlasse Bannack. Sie sind ein gottverdammter Drecksack, Sheriff.« Er grinste spöttisch, spuckte aus und ging. Ein Deputy holte mich wenig später ab. Kurz darauf war ich frei und erhielt meine Waffen zurück. Vor dem Mietstall, wo mein Brauner stand, wartete Shita auf mich. Er sprang mich an, riß mich beinahe von den Beinen, wedelte mit dem Schwanz und versuchte, mein Gesicht abzulecken. Als ich danach den Braunen aus dem Stall führte und mich in den Sattel schwang, sah ich Henry Plummer unweit von mir stehen und aufmerksam herüberschauen. Ich hätte ihn umbringen können. Der Haß erfaßte mich so sehr, daß ich kaum meiner Sinne noch mächtig war. Ich zog den Braunen herum und lenkte ihn nach Osten aus der Stadt. Shita trottete neben mir her. Ich schwor mir, Bannack nicht mehr zu betreten. Die Goldfelder wollte ich dennoch nicht verlassen. Ich wollte nach Virginia City reiten. Dort wollte ich weitersehen. Eins würde ich ganz gewiß nicht mehr tun, nach Gold schürfen. Das Gold hatte mir
nichts als Unglück gebracht, mir und denen, die ich als Partner mitgenommen hatte. Jim Connor und Jack McCall waren tot. Nur ich lebte noch. Ich hatte Glück gehabt, trotz allem Unglück. Ich besaß wenigstens noch mein Leben. In meinen Taschen aber hatte ich keinen Cent mehr und nicht ein Stäubchen Gold. Ich war nicht ein bißchen traurig darüber. Ich wollte nichts mehr besitzen, was mich an den Claim und Jack McCall erinnerte. In Virginia City wollte ich etwas Neues beginnen. Ich hoffte, dazu eine Chance zu erhalten und Henry Plummer nie wiederzusehen. Der Haß in meinem Herzen, der mich zu verzehren schien, wenn ich nur an den Namen des Sheriffs dachte, ließ nach, je weiter ich mich von Bannack entfernte. Ich schaute nicht mehr zurück.
ENDE
Vorschau Asa Ashe spuckte Gift und Galle und griff nach seinem Colt. Ronco warf sich mit einem Hechtsprung zur Seite. Als Asa Ashe die Waffe auf ihn anschlug, krachte Lobos Winchester. Sekunden später feuerte auch Lee Bradford. Ronco wälzte sich herum, den Colt in der Faust. Aber er brauchte nicht mehr zu schießen. Asa Ashe rollte die Düne, die er so mühsam hochgekrochen war, wieder hinunter. In dem Ledersack auf seinem Rücken klirrte es. Er blieb auf der linken Seite liegen und rührte sich nicht mehr. Ein fratzenhafter Ausdruck verzerrte sein Geiergesicht. Tot sah er noch übler aus als lebend. Ronco richtete sich auf. Lobo stieg aus dem Sattel und stieß die Winchester zurück in den Scabbard. »Das war's wohl«, sagte er ruhig. Er ging zu dem Toten, nahm ihm den Ledersack ab, knüpfte ihn auf und griff hinein. Er holte eine Goldkette heraus. »Indianischer Grabschmuck«, sagte er und blickte zu Ronco hoch … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, steht vor ihrem Höhepunkt. Lesen Sie nächste Woche Band 226 dieser großen deutschen Western-Serie:
Das Urteil