Nr. 127
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Nr. 127
Der Eremit von Condagia Kampf auf der Springerwelt Lordadmiral Atlan sucht den Retter von Ammavol von H. G. Francis
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Ende Dezember des Jahres 2842 – eines Jahres, dessen erste Hälfte äußerst turbulent verlief, wie die vorangegangenen Ereignisse eindeutig bewiesen. Jetzt herrscht in der Galaxis relative Ruhe. Der Aufbau des Solaren Imperiums geht kontinuierlich voran. Von den üblichen Geplänkeln und Reibereien an den Grenzen des Imperiums abgesehen, gibt es nach der erfolgreichen Ausschaltung des Plasma-Mutanten gegenwärtig keine Schwierigkeiten für die Menschen und die mit ihnen verbündeten Sternenvölker. Man blickt daher mit Optimismus in die Zukunft, denn man weiß zu diesem Zeitpunkt noch nichts von einem Ereignis, das sich, obwohl es sich fern von der Erde und in ferner Vergangenheit abspielte, in zunehmendem Maße auch auf die Menschheit selbst auszuwirken beginnt. Alles begann in dem Augenblick, da das Sternenvolk der Bernaler die Grenze der Dimensionen überschritt, sich aus den Fesseln der Körperlichkeit löste und zu Zeitnomaden wurde. Die programmierten Urgene der Bernaler sind jedoch in diesem unserem Universum zurückgeblieben und finden Kontakt zu einzelnen Menschen, denen sie unheimliche Fähigkeiten verleihen – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Einen solchen »Kontaktler« aufzuspüren, ist Lordadmiral Atlans dringendes Anliegen. Und so läßt er den Mann suchen, der sich ausgibt als DER EREMIT VON CONDAGIA …
Der Eremit von Condagia
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Lordadmiral sucht einen neuen Mutanten anzuwerben. Lelle Salgouz - Der Retter von Ammavol wird zum Eremiten. Kervania Reallah und Meinja Idrak - Lelles Lebensgefährtinnen. Fenomera Falkass - Spezialistin der USO. Erret Ponktong - Patriarch einer Springersippe.
1. Serpe Allak ging dem Patriarchen entgegen, der vom Raumhafen kam. Er konnte seine kleine und massige Gestalt, die aufrecht auf der Flugplattform stand, deutlich sehen. Sie hob sich scharf gegen den tiefroten Himmel ab und schien direkt aus der untergehenden Sonne Karrout zu kommen. Er flog so dicht an einem Mann vorbei, daß er diesen nahezu streifte. Dafür erntete er eine Reihe von Schimpfwörtern. Serpe Allak grinste. Er sah, daß zwei Frauen aus einer Senke auftauchten und sich zu dem Passagier gesellten. Mehrere Hunde folgten ihnen. Sie rannten bellend hinter dem Fluggerät her, doch der Fremde pfiff sie zurück, und sie gehorchten sofort. Erret Ponktong landete. Er winkte Allak zu und wartete, bis dieser zu ihm gekommen war. Mit kleinen, listigen Augen musterte er ihn. »Seit wann transportiert ein Patriarch wie Erret Ponktong Passagiere – und noch dazu solche?« fragte Allak. Der Springer lachte leise. »Wahrscheinlich haben mich die Geister der Leere geritten«, antwortete er. »Dieser fette Terraner hat mir eine ganze Menge Geld dafür geboten, daß ich ihn mitnehme. Er hat alles gegeben, was er hatte, und die Bevölkerung von Ammavol half mit einer kleinen Spende nach. Erst haben sie ihn wie einen Helden gefeiert, aber dann hat er es doch wohl zu toll getrieben.« Serpe Allak schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich dennoch nicht, Erret«, sagte er. »Oder sollten sich die Pläne geändert haben?«
»Keineswegs.« »Jeder Terraner mehr vergrößert das Problem.« Erret Ponktong sprang von der Plattform herunter. Er boxte Allak scherzhaft gegen die Schulter und sagte: »Für uns spielt es keine Rolle, ob wir einen mehr oder weniger zu den Geistern der Leere schicken müssen. Dieser Kerl wird uns ohnehin keine Schwierigkeiten machen. Ich habe ihn noch nicht ein einziges Mal nüchtern gesehen, seit wir Ammavol verlassen haben.« Der Passagier kam auf sie zu. Die beiden Frauen und die Hunde zogen weiter. Neugierig blickte Serpe Allak den Mann an, der sich ihm mit schwerfälligen Bewegungen näherte. Die mächtige, aufgeschwemmt wirkende Gestalt schwankte leicht. Als der Terraner vor dem Patriarchen stehenblieb, sah Allak, daß die kleinen, grauen Augen fast unter den schweren Lidern verschwanden. Das rotgeäderte Gesicht glänzte vor Schweiß. Ein mehrere Tage alter Bart vertiefte noch den Eindruck der Ungepflegtheit. »Patriarch«, sagte der Mann mit rauher Stimme. »Sie haben noch für einen Schaden aufzukommen, den Ihre Leute angerichtet haben.« »Habe ich das?« »Ich denke schon. Man hat mir meinen Destillierapparat zerschlagen.« Die beiden Männer blickten sich starr an. Der Terraner kratzte sich das Kinn. »Ihre Männer haben behauptet, es sei verboten, an Bord alkoholische Getränke herzustellen. Das habe ich auch akzeptiert. Ich wollte die Produktion einstellen, doch man ließ mich nicht.« »Man wird einen Grund dafür gehabt haben«, sagte Serpe Allak scharf. »Bisher ist noch niemand auf den Gedanken gekom-
4 men, an Bord eines unserer Schiffe Schnaps zu brennen. Sie müssen vollkommen verrückt sein, wenn Sie so etwas versucht haben. Seien Sie froh, daß die Mannschaft Sie nicht einfach über Bord geworfen hat.« »Ich habe Kopfschmerzen«, erklärte der Passagier. »Das kommt vom Saufen«, entgegnete der Patriarch mit einem sardonischen Lächeln. »Die nächsten Tage werden noch viel schlimmer werden.« »Sie können mir bestimmt ein paar Sachen geben, mit denen ich mir etwas destillieren kann. Also, tun Sie etwas, damit ich Sie in guter Erinnerung behalte.« Erret Ponktong zupfte an seinem roten Bart. »Da fällt mir etwas ein, Serpe. Gib dem fetten Knaben, was er braucht und schenke ihm noch eine Handvoll Villeham.« »Was ist das?« fragte der Terraner. »Daraus läßt sich ein hervorragender Schnaps brauen.« »Dann kann ich das Zeug gebrauchen.« »Warte hier«, befahl Serpe Allak. Die beiden Springer entfernten sich. Der Terraner ließ sich auf den Boden sinken und blickte sich um. Tief atmete er die frische Luft ein. Sie war nicht sehr dicht, aber sie roch würzig, obwohl es nicht viel Vegetation auf dieser Hochebene zu geben schien, auf der er sich befand. Jedenfalls konnte er nur Moos, Gras und niederes Gebüsch sehen. Auch in größerer Entfernung von dem Raumhafen und der Springersiedlung änderte sich das Bild nicht. Lediglich an den Hängen der fernen Berge entdeckte er einige gelbe und braune Flecke. »Du hättest auf einer mieseren Welt landen können, Lelle Salgouz«, sagte er zu sich selbst. »Jedenfalls leben hier nicht sehr viele Menschen und das ist das Wichtigste.« Er beobachtete die beiden Springer, die das Hauptschott zu dem halbkugelförmigen Gebäude erreicht hatten, das dem Landefeld am nächsten war. Die Niederlassung der Händler war recht groß. Salgouz schätzte, daß hier wenigstens dreitausend Springer
H. G. Francis lebten. Die zwölf Walzenschiffe, die auf dem Raumhafen standen, ließen darauf schließen, daß dieser Stützpunkt nicht ganz unbedeutend war. Ächzend drehte er sich um und betrachtete die Gebäude. Er zählte allein in seiner Nähe zwanzig Halbkugeln. Sie wurden von einem rötlich flimmernden Energiezaun eingefaßt, der mehrere Meter hoch war. Weiter hinten senkte sich der Boden ab, so daß der Terraner nicht mehr den ganzen Stützpunkt überblicken konnte. Er interessierte ihn auch nicht sehr. Es wurde Zeit, daß er einen guten Tropfen bekam.
* Serpe Allak blickte zu dem Passagier zurück, als er zusammen mit dem Patriarchen durch das Hauptschott ging. »Willst du ihm wirklich Villeham geben?« fragte er. Der Patriarch grinste. »Warum nicht?« »Es wird ihn umbringen. Wer aus diesem Zeug Schnaps brennen will, der muß schon eine Menge davon verstehen.« »Das ist seine Sache – oder soll ich ihm auch noch das Verfahren beibringen?« Erret Ponktong blieb stehen. Sie befanden sich in einem kleinen Vorraum. »Mich interessiert viel mehr, wie es hier aussieht«, sagte er. »Wie steht es um den Patriarchen Romon Rye? Hat er sich endlich zu Entscheidungen aufraffen können?« »Keineswegs, und dennoch führt er das Wort unter den Patriarchen. Die anderen beugen sich ihm und respektieren ihn. Kein einziger hat ihn auch nur kritisiert.« »Ist er gewählt worden?« Serpe Allak schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände, um zu unterstreichen, wie abwegig dieser Gedanke war. »Nein. Niemand hat an eine Wahl gedacht. Die Patriarchen haben ihm freiwillig das Wort überlassen. Sie tun, was er sagt. Er ist der Herr über Kontok.«
Der Eremit von Condagia »Dann sieht es nicht gut aus für uns«, stellte Ponktong beunruhigt fest. Er zerrte an seinem Bart und preßte die Lippen zornig zusammen. »Dieser alte Narr sollte sich mir nicht in den Weg stellen.« »Es wird nicht leicht sein, seine Autorität zu brechen«, sagte Allak. »Genaugenommen gibt es nur eine Möglichkeit, wenn du dich auf lange Sicht durchsetzen willst. Du weißt, was ich meine?« »Natürlich«, antwortete der Patriarch. Er blickte Allak in die Augen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich werde einen Mann brauchen, der für mich tut, was ich nicht tun kann.« »Du weißt, daß ich dein Freund bin, Erret. Ich werde für dich da sein, wenn du mich brauchst. Gib mir ein Zeichen, wenn es soweit ist, dann werde ich Romon Rye in einen Desintegratorstrahl laufen lassen.« »Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann, Serpe. Romon Rye muß verschwinden. Kontok kann sich unter seiner Leitung nicht so entwickeln, wie es nötig ist.« Er lächelte versteckt. »Und was machen wir mit den terranischen Eremiten?« »Auch hier gibt es nur eine Möglichkeit. Deine Pläne mit Kontok können nicht aufgehen, wenn die Eremiten hier sind. Wir werden einen nach dem anderen erledigen.« »Das muß aber schnell gehen.« Allak machte eine bestätigende Geste. »Das wird es auch. Bevor wir jedoch losschlagen können, müssen wir genau wissen, wie viele es sind und wo sie leben. Noch habe ich nicht alle Informationen, die ich benötige, aber in einigen Tagen habe ich alles zusammen.« »Du bist ein tüchtiger Mann, Serpe. Ich bin froh, daß du auf meiner Seite bist. Ich weiß deine Dienste zu schätzen.« Er blickte auf sein Chronometer. »Es wird Zeit für mich. Sei so gut und bringe dem Saufbold da draußen, was er haben will.« »Du willst ihm wirklich noch etwas hinterherwerfen?« »Diese kleinen Geschenke machen mich nicht arm, aber sie erhöhen mein Vergnü-
5 gen.« Der Patriarch ging auf ein großes Innenschott zu, das die Symbole des Patriarchen Romon Rye trug. Es öffnete sich vor ihm, als er einen unsichtbaren Kontaktstrahl durchschritt. Erret Ponktong betrat eine kreisrunde Halle, in der zehn Männer versammelt waren. Einige erhoben sich und kamen ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Mit düsterem Gesicht beobachtete Romon Rye die Szene.
* Quinto-Center war 36.800 Lichtjahre vom Karrout-System entfernt. Am 18.12.2842 traf hier der USO-Spezialist Plantez Garvarenz ein. Er kam – wie Lelle Salgouz – von der Kolonie Ammavol, und er erreichte sein Ziel etwa zur gleichen Zeit wie dieser. Schon sehr bald nach seiner Ankunft hatte er eine Unterredung mit Lordadmiral Atlan, dem er die Vorgänge auf Ammavol schilderte. »Lelle Salgouz heißt der Mann?« fragte Atlan. Er ging zusammen mit dem Spezialisten durch einen Gang, der zu der Großpositronik des ausgehöhlten Mondes führte. »Man darf sich von seinem Äußeren und von seinem Benehmen nicht täuschen lassen.« Der Arkonide lächelte unmerklich. »Völlig unwichtig sind diese Dinge nun auch wieder nicht«, erwiderte er. »Dennoch bin ich in diesem Fall Ihrer Meinung. Dieser Mann wird einen Grund für seine Leistungsverweigerung haben. Sie sind doch nicht nur Hyperfunktechniker, sondern auch Psychologe. Ist das richtig?« »Ja, das stimmt, Sir, aber Sie irren, wenn Sie meinen, ich könnte Ihnen erklären, weshalb Salgouz die Einsamkeit sucht. Er hat ein gestörtes Verhältnis zur menschlichen Gesellschaft und ihrem Leistungsstreben. Das ist richtig. Aber einen Grund dafür kann ich Ihnen nicht nennen.«
6 Atlan blieb stehen. Einer seiner administrativen Mitarbeiter kam zu ihm und reichte ihm mehrere Akten. Er blätterte sie eilig durch und unterzeichnete einige Schriftstücke. Danach gab er eine Reihe von mündlichen Anweisungen, die, wie es Garvarenz erschien, mit einem guten Dutzend anderer Fälle zu tun haben mußten. Dann wandte er sich dem Spezialisten wieder zu. Er lächelte. »Ehrlich gesagt – ich habe auch keine Psychoanalyse von Ihnen erwartet. Glauben Sie, daß Lelle Salgouz ein Mutant ist?« Plantez Garvarenz strich sich mit den Fingerspitzen über das schmale Oberlippenbärtchen. Er war ein kleiner und schlanker Mann, der neben dem Lordadmiral geradezu schmächtig wirkte. »Ich bin davon überzeugt«, antwortete er. »Das ist auch der Grund dafür, daß ich gebeten habe, Ihnen meinen Bericht direkt vorlegen zu dürfen. Mutanten sind für uns außerordentlich wichtig.« »Vollkommen richtig. Auch ich glaube, daß wir es mit einem Mutanten zu tun haben, der in unsere Reihen passen würde.« »Vorausgesetzt, daß es uns gelingt, ihn aus seiner Trägheit aufzuscheuchen und einen gewissen Leistungswillen in ihm zu wecken.« Atlan blickte auf sein Chronometer. »Ich glaube, daß ich mich auf Sie verlassen kann«, erklärte er. »In wenigen Minuten beginnt eine wichtige Besprechung. Sie ist nicht aufschiebbar, weil über Hyperkom einige Herren von der Erde daran teilnehmen werden. Gehen Sie, bitte, direkt zur Großpositronik, und wählen Sie zusammen mit dem Einsatzoffizier einen geeigneten Spezialisten aus.« »Ich könnte versuchen, ihn …« Atlan schüttelte ablehnend den Kopf. »Sie bleiben hier«, entschied er. »Ich will, daß ein anderer Spezialist Salgouz folgt. Geben Sie also Ihren Bericht ab. Die Positronik wird danach jemanden auswählen, der alle Voraussetzungen dafür erbringt, Salgouz für uns zu gewinnen.« Er reichte dem Spezialisten die Hand.
H. G. Francis »Ich verlasse mich ganz auf Sie«, sagte er. »Danke, Sir.« Plantez Garvarenz blickte dem weißhaarigen Lordadmiral nach, der sich mit einem Offizier zu unterhalten begann. Garvarenz wollte sich abwenden, als ein schlankes Mädchen auf ihn zutrat. »Plantez«, sagte sie mit rauchiger Stimme. »Daß man dich noch einmal wieder trifft!« Er zögerte kurz, legte ihr die Hände dann an die Hüften, zog sie an sich und küßte sie leicht auf die Wange. »Fen – ich muß dich unbedingt sprechen.« »Ach, wirklich? Das überrascht mich«, erwiderte sie spöttisch. Er lachte. »Ich habe nur noch einen kurzen Auftrag bei der Positronik zu erledigen, dann stehe ich dir zur Verfügung. Wartest du auf mich?« »Entschuldigen Sie bitte«, rief Atlan. »Nur noch eine Frage.« Plantez Garvarenz fuhr herum. »Bis gleich«, flüsterte er dem Mädchen zu und eilte zu dem Lordadmiral, der zusammen mit dem Offizier auf ihn wartete. »Sir?« »Glauben Sie, daß Salgouz süchtig ist?« »Das ist eine schwere Frage. Ich kann sie nicht eindeutig beantworten, aber ich meine, daß Salgouz ganz gut mit dem Alkohol umgehen kann. Zur Alkoholabhängigkeit gehört auch eine gewisse charakterliche Labilität. Diese aber habe ich bei ihm nicht erkennen können. Im Gegenteil. Er scheint bei aller Faulheit und Gleichgültigkeit doch ziemlich genau zu wissen, was er will. Eben das wird den Einsatz eines Spezialisten schwierig machen.« »Gut«, entgegnete Atlan und nickte. »Das war es eigentlich, was ich wissen wollte.« Garvarenz verabschiedete sich. Er hörte, wie der Offizier sagte: »Der Spezialist Reltat Neserp hat einen Notruf gesendet. Er ist auf Stealaway tätig.«
Der Eremit von Condagia »Können Sie mir nähere Einzelheiten nennen?« fragte Atlan. »Ich kenne die Zusammenhänge nicht exakt.« »Uns ist noch nicht sehr viel bekannt.« »Schicken Sie einen Flottenverband«, befahl der Arkonide. »Sondieren Sie den Fall, und entscheiden Sie danach, wie stark der Flottenverband sein soll.« Die weiteren Worte konnte Garvarenz nicht verstehen. Sie interessierten ihn auch nicht. Fenomera wartete auf ihn. Sie hakte sich bei ihm unter. »Geht es um Sekundenbruchteile?« fragte sie ironisch. »Ganz so eilig haben wir es auch nicht. Der Mann, mit dem wir uns beschäftigen, läuft uns ganz bestimmt nicht weg. Im Gegenteil. Unser Problem ist, wie wir ihm Beine machen können.« »Dann bestehe ich darauf, daß du erst einen Cocktail mit mir trinkst.« »Hat das nicht noch eine halbe Stunde Zeit?« »Leider nicht«, gab sie schnippisch zurück. »Mein Dienst beginnt in zehn Minuten, und ich habe einen charmanten Abteilungsleiter bekommen. Wenn du …« »Na schön. Ich lasse mich erpressen«, unterbrach Garvarenz sie lachend. »Aber ich habe wirklich nur ein paar Minuten Zeit.«
* Sally Ürbanü blickte auf ihr Chronometer und runzelte die Stirn. »Sie haben erstaunlich lange benötigt, um von der einen Seite des Eingangsschotts auf die andere zu kommen«, stellte sie fest. Plantez Garvarenz verzog die Lippen. »Sie haben ja recht mit Ihrer Kritik«, erwiderte er. »Es tut mir leid, daß ich mich verspätet habe.« Der Programmoffizier setzte sich seufzend hinter das Steuerpult in einer Nebenkabine, die durch Glaswände von dem großen Innenraum der zentralen Großpositronik von Quinto-Center abgetrennt war. In anderen Kabinen gleicher Art sah Garvarenz andere
7 Spezialisten, die mit den ihnen zugeteilten Programmoffizieren über den Einsatz von USO-Kräften sprachen. Er betrat den kleinen Raum und schloß die Glassittür hinter sich. Dabei bemerkte er beunruhigt, daß der Cocktail ein wenig zu hochprozentig gewesen war. Er ärgerte sich, daß er sich von Fen hatte überreden lassen. Erst hätte er den ihm erteilten Auftrag erledigen müssen. »Also. Sie kennen das Verfahren«, begann das Mädchen. »Schildern Sie mir das Problem.« Sie richtete die Mikrophone auf ihn, damit die Informationen direkt von der Großpositronik aufgenommen werden konnten. Plantez Garvarenz berichtete knapp und präzise über seinen letzten Einsatzort, den Planeten Ammavol im Ammuses-System. »Dort begegnete ich Lelle Salgouz«, fuhr er fort. »Dieser Mann fand heraus, daß sich eine energetische Vibrationsspange von Pol zu Pol des Planeten spannte. Sie war dafür verantwortlich, daß die Bauten der Kolonisten zusammenbrachen. Sie wurden teilweise regelrecht pulverisiert.« »Wie fand er es heraus?« fragte Sally Ürbanü und berührte einige Tasten. »Vermutlich auf telepathischem Wege. Ich weiß es nicht genau. Er behauptete, die Vibrationsspange sei von den Lemuren errichtet worden, die mit ihrer Hilfe alle verjagen wollten, die an diesem Planeten interessiert sein könnten.« »Also, wie fand er es heraus?« wiederholte das Mädchen ungeduldig. Sie spürte, daß Garvarenz nicht so konzentriert mitarbeitete, wie sie es für notwendig hielt. »Ich kann Ihnen wirklich keine exakten Angaben machen«, erklärte der Spezialist. »Salgouz erwähnte den Begriff des ›Zeitflimmerns‹. Ich glaube, daß er damit andeuten wollte, er könne in eine andere Dimension eindringen. Wahrscheinlich begegnet er dort einer anderen Lebensform, von der er Informationen erhält. Er deutete so etwas an.« Das Mädchen blickte ihn prüfend an. Al-
8 les in ihr schaltete auf Ablehnung. Sie wußte, daß sie sich frei von Emotionen halten mußte, wenn sie ihre Arbeit präzise erledigen wollte. Aber sie schaffte es nicht, kühl und nüchtern zu bleiben. Sie hatte kein Verständnis für die kleine menschliche Schwäche, die Plantez Garvarenz sich geleistet hatte. Natürlich wußte sie längst, wo er gewesen war, als sie auf ihn gewartet hatte. Und sie war auch darüber informiert, daß er einen Cocktail »Stardust II« zu sich genommen hatte. Da er seit seiner Ankunft in QuintoCenter noch keine Zeit gehabt hatte, etwas zu essen, konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie das hochprozentige Getränk bei ihm wirkte. Und gerade das gefiel ihr nicht. Die Situation forderte ihre Kritik heraus. Sally Ürbanü merkte nicht, daß sie sich ebenfalls falsch verhielt. Durch ihr Verhalten erschwerte sie sich ihre Arbeit selbst und minderte zugleich den Wert ihres Berichts. »Informationen aus einer anderen Dimension – von Wesen, die dort leben?« fragte das Mädchen. »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie sagen.« Plantez Garvarenz sah sie erstaunt an. Er spürte die Wirkung des Cocktails. Er ärgerte sich über seinen Fehler. Zugleich begriff er, daß Sally Ürbanü an seinen Worten zweifelte, und das steigerte seinen Zorn. »Es ist nicht Ihre Aufgabe, meinen Bericht zu werten und zu kritisieren«, erklärte er so scharf, daß sie zusammenfuhr. »Sie sind lediglich dazu da, meine Worte so umzusetzen, daß die Großpositronik in die Lage versetzt wird, einen Spezialisten auszuwählen. Sie sollen helfen, jemanden zu finden, der die größten Chancen hat, das anstehende Problem zu bewältigen. Alles Weitere geht Sie nichts an. Haben Sie das begriffen?« Sie schluckte und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Beleidigt senkte sie den Kopf. »Sie waren sehr deutlich«, erwiderte sie tonlos. »Also? Sie sprachen von den besonderen Fähigkeiten von Salgouz.« »Seltsamerweise verschwindet dieser Mutant hin und wieder im Nichts«, fuhr der Spezialist fort. »Er wird nicht einfach nur
H. G. Francis unsichtbar, sondern er verschwindet. Wahrscheinlich wechselt er dann in die andere Dimension über.« »Ohne den Ort tatsächlich zu wechseln?« erkundigte sie sich. »Ich meine, wenn er zurückkehrt, dann materialisiert er an der gleichen Stelle, an der er vorher gewesen ist?« »Das ist richtig«, stimmte Garvarenz zu. »Gut. Das habe ich verzeichnet. Wo ist das Problem, das sich uns stellt?« »Es liegt in der Persönlichkeit dieses Mannes«, erläuterte der Spezialist. »Genauer bitte.« Sie blickte auf. Garvarenz erklärte: »Salgouz ist ein Säufer.« Er bemerkte, wie sich ihre Augen veränderten, und errötete vor Zorn. Er glaubte, ihre Gedanken lesen zu können. »Salgouz braut sich seinen Schnaps selbst. Er verweigert darüber hinaus jegliche Leistung.« »Er hat die Vibrationsspange zerstört – oder nicht?« Wieder klang die Kritik an seinen Worten deutlich mit. Garvarenz beeilte sich, den Widerspruch aufzuklären, der sich auf der Leistungsverweigerung auf der einen und der Zerstörung der Vibrationsspange auf der anderen Seite ergab. »Salgouz fand heraus, was die Ursache für die Zerstörungen auf dem Planeten war. Er berichtete den führenden Politikern von seiner Entdeckung, aber man lachte ihn aus. Man hielt ihn für verrückt und meinte, der Alkohol habe bei ihm geistige Schäden bewirkt. Aus Wut darüber tat er sich mit mir zusammen und ging gegen die Station am Pol vor.« Garvarenz lächelte unmerklich. »Danach allerdings fiel er in seine alte Haltung zurück. Er verweigerte jegliche Leistung und war lediglich fürs Feiern zu haben. Aber auch das reichte ihm schon bald. Er hat Ammavol mit einem Springerschiff verlassen und ist nach Condagia geflogen.« »Gut«, lobte sie ihn. »Die Positronik signalisiert aber, daß die Informationen noch
Der Eremit von Condagia nicht ausreichend sind. Wenn ich die Eingangsmitteilungen richtig verstanden habe, dann geht es darum, diesen Lelle Salgouz als USO-Spezialisten zu gewinnen. Ist das richtig?« »Vollkommen.« »Dann müssen wir also einen Spezialisten finden, der Salgouz dazu veranlaßt, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Das ist eine schwierige Aufgabe, Sir.« »Ich habe es nicht geschafft, also muß es ein anderer versuchen. Was wollen Sie noch wissen?« Sally Ürbanü hatte noch eine Reihe von Fragen. Sie war unerbittlich. Plantez Garvarenz fiel es immer schwerer, sich zu konzentrieren, denn der Cocktail wirkte immer mehr. So war er froh, als sich das Mädchen endlich in ihrem Sessel zurücklehnte und ihm zunickte. »Ich glaube, das wär's. Nur noch eine Frage: Warum schickt Atlan nicht einen Flottenverband nach Condagia? Nimmt er Rücksicht auf die Springer, die dort eine Niederlassung haben?« »Keineswegs«, antwortete der Spezialist müde. »Mutanten kann man mit einer Flotte nicht imponieren. Und einem Mann wie Salgouz schon gar nicht. Er würde höchstens fragen, ob man ihm nicht ein paar Flaschen Schnaps abtreten kann.« Sally versuchte einen Scherz. »Mir scheint, wir müssen einen trinkfesten Mann nach Condagia schicken«, sagte sie.
* Zwei Stunden später kehrte Plantez Garvarenz in einem der zahlreichen Antigravschächte aus seiner Unterkunft zurück. Er hatte nur schlecht geschlafen. Als er auf die Plattform vor einer Offiziersmesse heraustrat, kamen ihm Atlan und Fenomera Falkass entgegen. Er hörte, wie der Lordadmiral sagte: »… kommt es darauf an, diesen Mann zu bekehren und ihn zu einem wertvollen Mit-
9 glied der menschlichen Gesellschaft zu machen. Salgouz scheint ein ganz besonders schwieriger Fall zu sein.« Er bemerkte Garvarenz. »Ich habe eine Überraschung für Sie«, sagte er, »die Großpositronik hat Miß Falkass ausgewählt. Sie wird nach Condagia fliegen.« »Fen? Äh – Entschuldigung, ich meinte, Miß Falkass?« fragte der Spezialist entgeistert. »Damit hätte ich allerdings nicht gerechnet.« »Hoppla«, sagte sie. »Du willst damit doch wohl nicht behaupten, ich sei für diesen Auftrag nicht geeignet? Salgouz mag zwar zwei bildschöne Frauen mit sich herumschleppen, aber ich denke doch, daß auch ich meine Wirkung auf ihn nicht verfehlen werde.« »Ganz bestimmt nicht«, erklärte Garvarenz verstört. »Aber so viel, wie du glaubst, macht er sich auch wieder nicht aus Frauen.« Atlan lachte. »Lassen Sie sich nicht durcheinanderbringen«, riet er. »Fen hat ganz gewiß nicht den Auftrag, diesen Mann zu verführen. Warum überrascht es Sie so, daß die Großpositronik sie ausgewählt hat?« »Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Lordadmiral. Ich habe nur nicht damit gerechnet, daß Fen es sein würde. Sollte es möglich sein, daß ich bei der Befragung für die Positronik unbewußt Angaben gemacht habe, die auf Fen zutreffen?« »Das halte ich für ausgeschlossen.« »Sir, ich muß Ihnen gestehen, daß ich vorher zusammen mit Miß Falkass einen Cocktail getrunken habe.« Atlan wurde ernst. Er musterte den Spezialisten mit wachen Augen, doch dann entspannte sich seine Miene wieder. »Wir werden darüber noch miteinander reden«, sagte er. »Aber ich glaube, daß Miß Falkass tödlich beleidigt wäre, falls Sie damit andeuten wollen, daß Ihre Aussagen von dem Cocktail beeinflußt worden sind.« »Tatsächlich«, rief sie empört. »Willst du
10 damit etwa sagen, die Positronik habe mich nur deshalb ausgesucht, weil du … betrunken warst und mich in diesem Zustand möglichst weit weg gewünscht hast?« Plantez Garvarenz hob abwehrend die Hände. »Bitte«, sagte er schnell. »Ich bin nur deshalb so überrascht, weil ausgerechnet du weggeschickt wirst. Und das gerade zu diesem Zeitpunkt, da ich angekommen bin und kaum Gelegenheit hatte, mehr als drei Worte mit dir zu reden.« »Ich weiß auch nicht, ob es gut wäre, wenn wir uns noch öfter treffen könnten«, erwiderte sie schnippisch. »Mir scheint, wir reden schon jetzt aneinander vorbei, und das wird kaum besser werden, wenn wir uns häufiger sehen.« »Darf ich fragen, wann Miß Falkass Quinto-Center verlassen wird?« fragte der Spezialist steif. Atlan lächelte bedauernd. »In wenigen Minuten schon. Wir haben ja von Ihnen erfahren, daß Lelle Salgouz an Bord des Schiffes PONKTONG XXXVII geflogen ist. Der Raumer gehört dem Springerpatriarchen Erret Ponktong, einem Mann, den wir mit besonderer Aufmerksamkeit beobachten.« »Darf ich nach dem Grund fragen?« »Das ist kein Geheimnis«, erklärte Atlan. »Wir glauben annehmen zu dürfen, daß Ponktong den Patriarchen Romon Rye ablösen will. Rye ist ein Mann, der uns bisher keine Schwierigkeiten gemacht hat. Sollte Ponktong die Macht über die Springersippen auf Condagia ergreifen, könnte es unangenehme Komplikationen geben. Miß Falkass hat also auch die Aufgabe, diesen Springer ein wenig im Auge zu behalten. Je früher sie auf Condagia eintrifft, desto besser für Romon Rye – und damit auch für uns.« »Du siehst«, sagte Fen Falkass ironisch, »ich habe also überhaupt keine Zeit, mit dir zu schmusen.« »Ich muß dich enttäuschen«, entgegnete Plantez grinsend. »Das hatte ich auch nicht vor.«
H. G. Francis »Was denn?« fragte Fen neugierig. Garvarenz blickte Atlan an, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich verstehe nicht, daß du derartige Fragen in Anwesenheit des Lordadmirals stellen kannst.« Er wandte sich an den Arkoniden: »Sir – ich möchte nicht länger stören.« Fenomera Falkass errötete. Wütend blickte sie dem Spezialisten nach. Sie nahm sich fest vor, es Plantez heimzuzahlen, wenn sie von diesem Auftrag zurückkam.
2. Über der Springersiedlung auf Condagia war die Sonne bereits aufgegangen, als Erret Ponktong, Romon Rye und drei weitere Patriarchen beim Frühstück zusammensaßen. Sie hielten sich in den überaus luxuriös eingerichteten Räumen Ryes auf, der zu diesem frühen Essen geladen hatte. An den Wänden und den Fenstern lehnten die Adjutanten der Patriarchen. Sie beobachteten das Geschehen mit argwöhnischen Augen. Serpe Allak war jedoch der einzige unter ihnen, der es wagte, seine Waffe, einen schweren Energiestrahler, offen zu tragen. Mehrere knapp bekleidete Mädchen aus der Sippe des Patriarchen Rye bedienten die Männer an der Tafel. »Machen wir uns doch nichts vor«, sagte Romon Rye. »Condagia eignet sich nicht für einen geheimen Stützpunkt.« »Und warum nicht?« fragte Ponktong scharf. Rye stopfte sich etwas Gebackenes, das er mit gebeiztem Fleisch belegt hatte, in den Mund. »Weil Terraner hier leben«, antwortete er schmatzend. »Was machen wir mit ihnen? Wir können sie nicht von hier vertreiben, ohne die halbe Galaxis darauf aufmerksam zu machen, daß wir hier etwas planen. Wir müßten sie schon umbringen. Wollten Sie so etwas vorschlagen, Ponktong?« Ponktong nahm einen üppig belegten Teller mit hauchdünnen Fruchtscheiben von einem der Mädchen entgegen. Er bediente
Der Eremit von Condagia sich gelassen, bevor er antwortete: »Warum nicht?« Romon Rye schüttelte den Kopf. Die drei roten Zöpfe rutschten ihm dabei über die Schultern nach vorn. Sein rundes Gesicht rötete sich. »Sie sind brutal und mordlüstern, Patriarch Ponktong, aber leider nicht im gleichen Maße klug.« Serpe Allak trat einen Schritt vor. Seine Hand legte sich auf den Kolben des Energiestrahlers, doch sein Patriarch tat, als habe er die Beleidigung überhört. »Condagia hat eine außerordentlich günstige Lage in der Galaxis. Durch neue wirtschaftliche und politische Entwicklungen wird dieser Planet in Zukunft immer bedeutungsvoller werden. Er bietet sich als Stützpunkt für uns geradezu an«, erklärte er gelassen. »Was spielen da ein paar Terraner für eine Rolle? Um wen handelt es sich denn hier? Um einige heruntergekommene Vagabunden. Wenn sie verschwinden, ändert sich überhaupt nichts. Kein Mensch wird etwas merken.« »Sind Sie da so ganz sicher?« fragte Romon Rye mit einem seltsamen Unterton. Ponktong richtete sich auf. Seine Augen verengten sich. »Absolut«, erwiderte er. »Oder wollten Sie mit Ihren Worten andeuten, daß es Verräter in Ihren Reihen gibt, die eine Nachricht an die USO absenden, wenn wir auf die Terraner Jagd machen?« Rye sprang auf. Seine Männer traten an die Tafel heran, doch Ponktong speiste ruhig weiter, als sei überhaupt nichts geschehen. Er biß von einer Fruchtscheibe ab und blickte sich um. Ein spöttisches Lächeln lag auf seinen Lippen. »Sie sind mein Gast«, erklärte Romon Rye erregt. »Andernfalls hätte ich Ihnen die passende Antwort gegeben.« Ponktong warf sein Mundtuch verächtlich auf den Tisch und erhob sich. Er richtete seinen Bartzopf aus, so daß er genau der Magnetverschlußlinie seiner Hemdbluse folgte, und ging auf die Tür zu. Serpe Allak stand
11 bereits dort. Er stützte seine Hand mit unmißverständlicher Gebärde auf den Kolben seines Energiestrahlers. »Ihre Reaktion beweist mir, daß meine Vermutung richtig ist«, sagte Ponktong furchtlos. »Es gibt einen oder mehrere Männer in Ihren Reihen, auf die wir uns nicht verlassen können. Man scheute sich also nicht, mit Terra zusammenzuarbeiten. Unter diesen Umständen ist es allerdings besser, Pläne um Condagia nicht vor aller Ohren zu besprechen.« Er verließ den Raum. Als sich die Schotte hinter ihm schlossen, blickte er Serpe Allak lächelnd an. »Die Herren fühlen sich provoziert«, sagte er. »Jetzt wird sich zeigen, wie fest Rye auf seinem Stuhl sitzt. Ich glaube nicht, daß man Verständnis dafür haben wird, wenn ein Springerpatriarch Verbindungen zum Solaren Imperium pflegt.« »Bist du sicher, daß er das tut?« fragte der Adjutant. »Natürlich nicht«, erwiderte der Patriarch. »Aber spielt das eine Rolle?« Die beiden Männer stiegen in einen nach unten gepolten Antigravschacht. Sie fühlten sich sicher. Das Gastrecht schützte sie. Weder in diesem Haus noch in der Siedlung würde es jemand wagen, sie anzugreifen. Waren sie in den Raum gestartet, durften sie nicht mehr so ganz sicher sein, daß es nicht zu unerwünschten Zwischenfällen kommen würde. Ponktong plante jedoch noch lange nicht, diesen Planeten zu verlassen. Er war entschlossen, seine Pläne zu verwirklichen, auch wenn dabei ein paar Terraner sterben mußten.
* Fenomera Falkass blickte auf das Bordchronometer. Sie nickte unwillkürlich. Sie hatten sich genau an den Zeitplan gehalten. Das Instrument zeigte den 20.12.2842 an. Vor ihr leuchtete ein kleiner Bildschirm. Auf ihm konnte sie das kantige Gesicht des Piloten sehen. Er blickte direkt in die Auf-
12 nahmesysteme. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« fragte er. »Von mir aus kann es losgehen«, erwiderte sie. »Wir verlassen den Ortungsschatten von Karrout und nähern uns Condagia«, erklärte der Spezialist, der die SpaceJet lenkte. »Sie haben noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Dann werden wir Sie ausschleusen.« »Wie sieht es mit der Ortung der Springer aus?« erkundigte sie sich. »Haben Sie etwas feststellen können?« Er lächelte leicht. »Die galaktischen Händler fühlen sich sicher auf Condagia. Sie rechnen mit keinem Angriff und schon gar nicht mit einer Aktion, wie wir sie durchführen. Auf Condagia gibt es nichts, was uns interessieren könnte. Das glauben sie wenigstens. Entsprechend gering ist ihre Aufmerksamkeit. Sie werden ungefährdet und unbeobachtet landen können. Es muß ja nicht direkt vor den Türen der Springer sein.« »Danke«, entgegnete sie. »Auf diesen Gedanken wäre ich natürlich ohne Ihren Hinweis nicht gekommen.« Sie lachten beide. Wenig später meldete er, daß die Jet die Bahn des zweiten Planeten von Karrout überflogen habe. »Es ist soweit, Miß Falkass.« »Danke.« Sie überprüfte die Ausrüstung und die Instrumente abermals. Dann gab sie das Zeichen. Sie fühlte, wie die Raumlinse angehoben und in die Schleuse gedrängt wurde. Ihre Finger glitten über die Kontakttastatur. Die Bildschirme flammten auf. Die robuste Hochleistungsapparatur der Linse erwachte zum Leben. Das winzige Raumschiff schüttelte sich ein wenig, dann glitt es schwerelos aus der Jet in den Raum hinaus. Fenomera hatte den Piloten bereits vergessen. Sie konzentrierte sich voll auf ihre Arbeit. Sie lag auf dem Konturlager, auf dem auch noch ein zweites Besatzungsmitglied ausreichend Platz gefunden hätte. Das Im-
H. G. Francis pulstriebwerk zündete. Fen wartete, bis alle Instrumente ausreichende Werte anzeigten, dann beschleunigte sie voll. Die Entfernung bis Condagia betrug noch fast 20 Millionen Kilometer. Deutlich war der Planet auf dem Bildschirm zu erkennen. Sie richtete sich auf und blickte durch die Aussichtskanzel hinaus. Von jetzt an würde die Bordpositronik die Hauptarbeit erledigen. Condagia hing als hellbraune Scheibe vor ihr in der samtenen Schwärze des Alls. Die nächsten Sterne waren so weit entfernt, daß sie nur als Lichtpunkte zu erkennen waren. Der kleine, ovale Mond stieg über den Horizont des Planeten. Er würde Condagia halb umrundet haben, wenn sie mit der Raumlinse eintraf, so daß sie sich aus seinem Ortungsschatten heraus nähern konnte. Fenomera Falkass hatte das Gefühl, mit ungeheurer Geschwindigkeit auf Condagia zuzustürzen. Sie glaubte, sehen zu können, wie diese Welt anwuchs. Hauchdünne Wolkenschleier machten deutlich, daß es wenig Wasser auf diesem Planeten gab. Meere existierten nicht. Fen wußte jedoch, daß es mehrere große Seen gab, die auf den Hochplateaus lagen. Die Spezialistin richtete ihr Augenmerk wieder auf die Ortungsinstrumente. Bis jetzt war die Linse von keinem Suchstrahl erfaßt worden. Damit war auch nicht zu rechnen, denn der Anflug erfolgte auf die Halbkugel von Condagia, die der Springersiedlung gegenüberlag. Dennoch blieb das Unternehmen in dieser Phase riskant. Jederzeit konnte ein Walzenraumer starten oder sich ebenfalls dem Stützpunkt nähern. Ihm bot sich dann ein völlig anderer Ortungswinkel, dem sich die Linse nicht entziehen konnte. Das winzige Raumschiff war zwar mit Ortungsschutzeinrichtungen versehen, doch eine Zufallsentdeckung war niemals auszuschließen. Fenomera spürte, daß es um ihre Ruhe geschehen war, als sie mit der Doppellinse in die Atmosphäre von Condagia eindrang. Sie flog mit hoher Geschwindigkeit. Ionisierte Luftmassen umloderten das Schiff. Mühelos
Der Eremit von Condagia wurden die Schutzschirme mit dem Hitzestau fertig. Die Spezialistin überprüfte Kurs und Einflugwinkel. Alles war in Ordnung. Der Springerstützpunkt war über zwanzigtausend Kilometer von ihr entfernt. Sie blickte nach unten. Die Raumlinse strich über schroffe Felsrücken hinweg, die bis zu fünfzehntausend Meter hoch waren. Die Gesteine glänzten bläulichschwarz im Licht der Sonne. Nur ganz vereinzelt entdeckte Fen Vegetationsinseln. Sie drückte das Raumschiff noch tiefer hinab und verzögerte. Sie war unbeobachtet in die Lufthülle von Condagia eingedrungen. Eine direkte Ortungsgefahr bestand nicht mehr. Zu schnell zu fliegen wäre riskant gewesen. Sie überquerte einen flachen See, der einen Durchmesser von etwa dreißig Kilometern hatte. Die Linse raste mit nahezu vierfacher Schallgeschwindigkeit über einen Bergrücken hinweg. Dahinter dehnte sich ein wüstenartiges Gebiet. Fen hatte es schon aus dem Weltraum gesehen. Es zog sich Hunderte von Kilometern durch das äquatoriale Hochland. Sie brauchte ihm nur zu folgen. Wenn sie die Gebirgszüge erreichte, die es in östlicher Richtung begrenzten, trennten sie nur noch wenige hundert Kilometer vom Stützpunkt der Springer. Sie drückte das Raumschiff noch weiter herunter. Die Wüste glitt so schnell unter ihr weg, daß sie keine Einzelheiten erkennen konnte. Dann tauchten die Berge auf. Sie verzögerte stärker. Gleichzeitig näherte sie sich dem Wüstenboden. Mit ruhiger Hand lenkte die Spezialistin die Linse. Sie beobachtete die Bildschirme und entdeckte plötzlich jene Felsschlucht, die ihr auf QuintoCenter bezeichnet worden war. Sie brauchte den Kurs der Maschine nur geringfügig zu ändern. Die Raumlinse schwebte zwischen schwarze, steil aufragende Felswände und glitt schließlich unter einige Gesteinsplatten, die eine natürliche Höhle bildeten. Kreischend rutschte sie noch einige Meter
13 über den rauhen Untergrund und blieb dann vor einer Wand stehen. Fen atmete auf. Sie schaltete das Triebwerk aus und legte alle Einrichtungen still, die von einer Energieortung erfaßt werden konnten. Dann wartete sie. Die Positronik nahm ihr die Hauptarbeit ab. Sie würde es ihr sofort melden, falls eine Gefahr drohte, doch ganz mochte sich Fen nicht auf sie verlassen. Sie bereitete ihre Ausrüstung vor und schleppte sie hinaus. Zunächst machte es ihr einige Mühe, in der dünnen Luft zu arbeiten, doch sie gewöhnte sich schnell an die neuen Bedingungen. Als zwei Stunden verstrichen waren, ohne daß die Positronik Alarm gegeben hatte, war sie davon überzeugt, daß es ihr gelungen war, unbeobachtet zu landen. Sie verschloß die Raumlinse und streifte sich einen leichten Kampfanzug über. An ihrem Gürtel befestigte sie die verschiedenen Ausrüstungspakete und ruckte schließlich mit Hilfe eines leichten Antigravitators einige Felsbrocken vor die Höhle. Dann flog sie aus der Schlucht heraus. Die Wüste lag offen vor ihr. Ein kalter Wind strich über sie hinweg und trieb Staubwolken vor sich her, in denen grüne, federleichte Pflanzen schwebten. Schon jetzt war die Spur nicht mehr zu erkennen, die der kleine Raumer bei seinem Anflug auf die Felsgrotte in den Wüstensand gezeichnet hatte. Fenomera Falkass wandte sich nach Norden. Mit Hilfe ihres Fluggeräts stieg sie an und glitt über die Spitzen der Berge hinweg. Die Luft war kristallklar. Ihr Blick reichte nahezu an hundert Kilometer weit über schroffe, braune Gebirgsrücken hinweg. Sie schrak auf, als sich überraschend ein grüner Pflanzenteppich von einer Felswand erhob. Doch das seltsame Wesen griff sie nicht an, sondern flüchtete.
*
14 Von einer Bergspitze aus konnte Fen den Stützpunkt der Springer sehen. Er war noch weit von ihr entfernt. Wie Quecksilberkügelchen lagen die Gebäude der galaktischen Händler auf dem kargen Boden. Davor lag ein breiter Vegetationsgürtel, der überwiegend grün war. Die Spezialistin verzichtete darauf, noch näher an die Niederlassung heranzufliegen. Sie hatte einige große Felsbrocken entdeckt, unter denen sie ihre Ausrüstung verstecken konnte. Sie streifte ihren Kampfanzug ab und behielt lediglich einen leichten Pulli, zerschlissene Hosen und Sandalen an. Um ihre Hüften schlang sie sich einen breiten Ledergürtel, der völlig harmlos aussah, jedoch eine Reihe von USO-Spezialitäten in sich barg. Ihre Waffen mußte sie zurücklassen. Als sie an den Berghängen hinablief, öffnete sie sich ihr rotblondes Haar, bis es ihr lang über die Schultern herabfiel. Erst als sie die ersten niedrigen Bäume erreichte, blieb sie stehen. Sie lauschte mit allen Sinnen. Irgendwo in diesem Gebiet zwischen den Bergen und der Springerniederlassung lebten Terraner. Sie wußte nicht genau, wie viele es waren. In Quinto-Center hatte man ihr eine Zahl von etwa hundert Männern und Frauen genannt, die hier ein kümmerliches Dasein führten. Sie meisten von ihnen waren Eremiten. Sie versuchten, mit dem auszukommen, was ihnen Condagia bot. Genügte das nicht, dann zogen sie zum Stützpunkt der galaktischen Händler und erbettelten sich, was sie brauchten. Sie schienen das keineswegs als entwürdigend zu empfinden. Fen Falkass war eine schwache Telepathin. Sie konnte sich in die Gefühle anderer Menschen und Lebewesen hineinversetzen, wobei es allerdings eine Reihe von Ausnahmen gab. Sie hatte versucht, etwas von den Gefühlen zu erfassen, die Lordadmiral Atlan bewegten. Erfolglos. Auch mentalstabilisierte Menschen blieben ihr verschlossen. Hier aber spürte sie deutlich die emotionellen Impulse, die von den verschiedenen
H. G. Francis Eremiten in ihren Schlupfwinkeln ausgingen. Sie würden es ihr erleichtern, jenen Mann zu finden, den sie suchte. Lelle Salgouz lebte hier. Auch er hatte sich eine Höhle gesucht oder eine primitive Hütte gebaut, in der er mit seinen Frauen hausen konnte. Fen fragte sich, was der Grund dafür sein mochte, daß diese beiden Frauen bei ihm blieben. Sie führten alles andere als ein erstrebenswertes Dasein an seiner Seite. »Aus deiner Sicht, Fen«, sagte sie sich laut, während sie einen Bach überquerte. »In ihren Augen sieht wahrscheinlich alles ganz anders aus.« Sie war gespannt auf Lelle Salgouz. Plötzlich entdeckte sie eine Hütte zwischen den Bäumen. Sie stand auf einer kleinen Lichtung und war grob aus unbehauenen Baumstämmen zusammengesetzt. Fen wunderte sich, daß sie nicht schon längst zusammengebrochen war, denn eine stabile Verbindung zwischen den Stämmen schien es nicht zu geben. Sie blickte zur Sonne, die noch nicht sehr hoch über dem Horizont stand. Es war noch früh. Fenomera sprang über eine Mulde hinweg, in der ameisenähnliche Insekten eine rote, fleischige Pflanze verzehrten. Sie konzentrierte sich ganz auf den Terraner in der Hütte. Sie konnte seine Gefühle erfassen, und sie erschauerte. Der Mann war wach, aber er weilte nur körperlich auf dieser Welt. Geistig und emotionell bewegte er sich irgendwo zwischen den Dimensionen. Sie umkreiste das primitive Gebäude und blieb neben einem Feuer stehen, über dem an einem Dreibein ein Metallgefäß hing. Sie sah, daß eine Brühe darin kochte. Ein süßlicher Geruch stieg auf. Sie trat einige Schritte zur Seite, weil ihr übel wurde. Dabei ließ sie den bartlosen Mann jedoch nicht aus den Augen, der mit untergeschlagenen Beinen auf dem kahlen Boden kauerte. Er blickte starr in die Sonne und nahm ihr Licht in sich auf. Obwohl er nicht blind war, schien er keineswegs geblendet zu werden.
Der Eremit von Condagia Fen ging zögernd auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. Er beachtete sie nicht – zumindest äußerlich nicht. Die Spezialistin esperte aber emotionelle Schwankungen, die ihr eindeutig bewiesen, daß er sie sehr wohl bemerkt hatte. So etwas wie Haßimpulse klangen in ihm an. Seine Lippen bewegten sich, doch sie vernahm keinen Laut. Irgend etwas warnte sie. Sie wußte nicht genau, was es war, aber sie spürte die Gefahr auf sich zukommen. Dies war nicht Lelle Salgouz. Daher war dieser Mann praktisch bedeutungslos für sie. Fen wich zurück und blickte sich suchend um. Da fiel ihr auf, daß sie überall um sich herum feuerrote Käfer sah. Viele von ihnen krochen scheinbar ziellos im grünlichbraunen Gras herum, die meisten aber strebten eilig auf sie zu. Sie streckten gezackte Zangen aus. Erschreckt blickte Fen den Eremiten an. Jetzt wußte sie, was seine eigenartigen Lippenbewegungen zu sagen hatten. Er befehligte die Insekten, wobei er Töne so hoher Frequenz von sich gab, daß sie für das menschliche Ohr unhörbar blieben. »Ich verschwinde ja schon«, sagte sie. Dabei rannte sie von dem Einsiedler fort und setzte mit einem weiten Sprung über die anrückenden Insekten hinweg. Sie kam in einer flachen Mulde auf, in der sich zwei Käfer befanden. Blitzschnell griffen die Tiere an. Sie schlugen ihr die Zangen in die nackten Knöchel. Fen schrie gellend auf. Rasender Schmerz durchzog ihr Bein. Für einen kurzen Moment glaubte sie, sich nicht mehr halten zu können. Wie wild schlug sie auf die Käfer ein, um sie von ihren Knöcheln zu entfernen. Die Zangen hatten sich bereits so tief eingegraben, daß blutige Stellen zurückblieben. »Sie Teufel«, schrie sie dem Eremiten zu. Er reagierte nicht. Unverwandt blickte er in die Sonne. Die Spezialistin rannte davon, bis sie sicher war, den Insekten entkommen zu sein. Dann zog sie aus ihrem Gürtel einige farblo-
15 se Schutzstreifen und drückte das selbstklebende Material auf die Wunden. Sie hoffte, daß die Insekten ihr kein Gift ins Bein gespritzt hatten. Um sich zu vergewissern, strich sie mehrere dünne Teststreifen durch das Blut, das ihr bis auf den Fuß hinabgelaufen war. Sie verfärbten sich nicht. Erleichtert atmete Fen auf. Sie brauchte nicht mit Schwellungen und Entzündungen zu rechnen. Nachdenklich blickte sie zu der Hütte mit dem Einsiedler zurück. Sie mußte zugeben, daß sie von dem Angriff überrascht worden war. Das behagte ihr nicht, denn sie hatte nicht mit derartigen Schwierigkeiten gerechnet. Jetzt fragte sie sich, was sie von den anderen Eremiten zu erwarten hatte. Bestanden alle so entschlossen darauf, alleingelassen zu werden? Würden alle so ausgesprochen feindlich reagieren? Dann würde sie es sehr schwer haben, Lelle Salgouz und seine beiden Frauen zu finden. Fenomera runzelte die Stirn. Sie setzte sich auf einen großen Stein, zog die Beine an und stützte das Kinn auf die Knie. Nachdenklich blickte sie durch eine Baumlücke auf einen weiten Hang hinauf. Sie sah drei Hütten, die weit voneinander entfernt waren. Vielleicht lebte Salgouz da oben. Bis jetzt hatte sie sich schon allerlei Gedanken darüber gemacht, wie sie mit ihm reden wollte. Sie war überzeugt davon gewesen, daß sie es schaffen würde, ihn aus seinem Einsiedlerdasein herauszuholen. Doch nun begann sie zu zweifeln. Was sollte sie tun, wenn er sich ähnlich verhielt wie dieser Insekten-Eremit? Sie konnte und durfte sich auf keinen Kampf mit ihm einlassen, denn damit würde sie die schlechtesten aller denkbaren Argumente benutzen.
3. Die Hütte stand zwischen vier haushohen Felsen. Sie war aus ausgemusterten Raumschiffsteilen errichtet worden. Kräftige
16 Baumstämme stützten das primitive Bauwerk, aber es machte dennoch den Eindruck, als werde es beim nächsten Windstoß davonfliegen. Fenster oder Türen gab es nicht. Vor dem Eingang hingen Tierfelle, die bereits so abgewetzt aussahen, daß Fen Falkass ihr Alter auf einige Jahrzehnte schätzte. An einem Bach, der dicht an dieser Notunterkunft vorbeilief, kauerten zwei Frauen und versuchten, Fische zu fangen. Dabei benutzten sie ihre Kopftücher und hatten offensichtlich nur geringen Erfolg. Fen erkannte die vollschlanke Kervania Reallah und die zierlichere Meinja Idrak in ihnen. Sie wußte, daß sie ihr Ziel erreicht hatte. Aber dazu hätte sie die beiden Frauen gar nicht erst zu sehen brauchen. Schon in einer Entfernung von mehreren hundert Metern hatte sie den Geruch bemerkt, der ihr eindeutig verriet, daß sie sich einem Ort näherte, an dem ein Destillationsapparat in Betrieb war. Sie wunderte sich, daß die beiden Frauen es so nahe bei der Quelle derart übler Gerüche aushielten, aber weder Kervania noch Meinja schienen sich belästigt zu fühlen. Sie schwatzten miteinander und kreischten laut auf, wenn sie meinten, Beute gemacht zu haben. Fenomera Falkass rutschte einen Felsen herunter und sprang ins Gras hinab. Dann schritt sie langsam auf die beiden Frauen zu, die sie nicht zu bemerken schienen. Selbst als sie unmittelbar hinter ihnen stand, reagierten sie nicht. »Hallo«, sagte die Spezialistin. Die beiden Frauen erhoben sich, nahmen die drei Fische aus dem Gras auf, die sie gefangen hatten, und eilten schwatzend in die Hütte. Fen blickte ihnen nach. Dies war ihre zweite Begegnung mit Terranern auf dieser Welt. Sie hatte sich anderen Eremiten vorsichtshalber nicht genähert, um keine weiteren Zwischenfälle zu provozieren. Jetzt neigte sich der Tag bereits dem Abend zu. Sie war froh, Lelle Salgouz gefunden zu haben, und dachte nicht daran, sich abwimmeln zu lassen. Sie ging zur Hütte und
H. G. Francis schlug die Felle zur Seite. In der Mitte eines winzigen Raumes stand der Destillierapparat und verbreitete einen stechenden Gestank nach billigem Fusel. Die beiden Frauen waren mit einem offenen Feuer beschäftigt, das im Hintergrund brannte. Fen hielt die Felle hoch, damit ein wenig mehr Licht in die Hütte fiel. Jetzt entdeckte sie Lelle Salgouz, der auf einem Lager im hintersten Winkel ruhte. Er lag auf dem Rücken und hielt die großen, fleischigen Hände über dem Bauch gefaltet. Sein aufgedunsenes Gesicht sah bleich und blutleer aus. Wirr und unordentlich hing ihm das Haar um den Kopf. Fen fühlte, daß ihr übel wurde. Sie wandte sich um und trat an die frische Luft hinaus, als zwei dunkle Schatten auf sie zuschossen. Sie hörte das wütende Knurren der großen Wolfshunde und fühlte einen harten Schlag. Rücklings flog sie gegen die Wand der Hütte. Sie riß die Arme hoch, um sich gegen die wütend nach ihrer Kehle schnappenden Tiere zu schützen. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, daß noch zwei weitere Hunde heranhetzten. »Kervania! Meinja!« rief sie, während sie kräftige Hiebe gegen die Tierleiber führte und die Hunde zurückschleuderte. Für einen kurzen Moment bekam sie Luft, dann mußte sie bereits die nächsten beiden Angreifer abwehren. Noch einmal kam sie davon, ohne verletzt zu werden dann aber sprangen die vier Hunde sie gleichzeitig an. Fen flog durch die Felle in die Hütte hinein. Einer der Hunde erwischte ihr linkes Handgelenk. Er zerrte ihren Arm von ihrem Kopf und ihrem Hals fort, so daß die anderen Tiere eine günstigere Angriffsposition bekamen. Verzweifelt warf Fen sich herum. Genau in dieser Sekunde griff Lelle Salgouz ein. Mit unglaublicher Geschwindigkeit kam er von seinem Lager hoch. Er rief einen Befehl, mit dem er seine Hunde zurücktrieb. Er packte Fenomera bei den Beinen und riß sie mit brutaler Gewalt zurück. Sie stürzte auf
Der Eremit von Condagia den Boden. »Das war knapp«, sagte er mit schwerer Zunge. »Beinahe hättest du mir meine Destille zerschmettert.« Fen rollte sich von dem Feuer weg, das den Glaskessel erhitzte. Sie sah Salgouz nach, der heftig schwankend zu seinem Bett zurückkehrte und sich ächzend darauffallen ließ. Kervania Reallah und Meinja Idrak wandten sich wieder dem Feuer und den Fischen zu. Die vier Wolfshunde kauerten mit gebleckten Zähnen neben Fen und bewachten sie. Als sie sich aufrichten wollte, schnappte eines der Tiere nach ihrem Kopf. Sie sah ein, daß sie allein nichts tun konnte, und legte sich wieder zurück. »Kervania«, sagte sie. »Bitte, helfen Sie mir.« Die beiden Frauen sprachen leise miteinander. Sie taten, als sei sie überhaupt nicht vorhanden. »Miß Idrak«, rief die Spezialistin. »Bitte.« Die jüngere der beiden Frauen erhob sich und kam zu Fen. Dicht neben ihrem Kopf blieb sie stehen und blickte kühl auf sie herab. »Bleiben Sie, wo Sie sind, bis Lelle aufwacht«, riet sie Fen. »Wir können nichts tun. Die Hunde gehorchen uns nicht.« »Lelle ist wach.« Das Mädchen lachte. »Der schläft jetzt mindestens drei Tage. Er ist nur hochgekommen, weil Sie beinahe seinen Destillierapparat zerstört hätten. Und nun halten Sie endlich den Mund. Wir wollen in Ruhe essen.« Fenomera Falkass entspannte sich. »Nun gut«, erwiderte sie. »Ich bin geduldig. Das ist eine meiner ganz großen Tugenden.« Sie hätte die vier Wolfshunde ohne weiteres töten können, aber das durfte sie nicht tun. Damit hätte sie sich alle Chancen zerstört, Lelle Salgouz zu gewinnen. Sie befand sich in der Hütte des Mutanten, und das genügte ihr für den Anfang. Sie schloß die Augen. Ihr Handgelenk
17 schmerzte ein wenig, aber es blutete nicht. Der Hund hatte es nur mit den Zähnen gehalten, nicht aber verletzt.
* Fenomera glaubte, ersticken zu müssen. Ihr Mund brannte, als habe sie kochendes Wasser getrunken. Mit einem gequälten Aufschrei richtete sie sich auf. Dabei stieß sie Lelle Salgouz das Glas fast aus der Hand, das er an ihre Lippen gesetzt hatte. Sie hustete und würgte. Tränen schossen ihr aus den Augen. »Wasser«, rief sie röchelnd. »Bitte, geben Sie mir Wasser.« Salgouz lachte dröhnend. »Kervania«, brüllte er. »Gib ihr, was sie haben will.« Fen drehte sich halb um, in der Hoffnung, einen kühlen Schluck zu trinken zu bekommen. Aber Kervania machte nicht viel Umstände. Sie nahm einen Holzeimer, der auf einem Bord stand, schwang ihn herum und goß den eiskalten Inhalt über das rotblonde Mädchen. Fenomera bewahrte Haltung. Sie benetzte sich die Lippen mit den Fingern, nachdem sie sich das Wasser aus dem Gesicht gestrichen hatte. »Besten Dank für den erfrischenden Schluck«, sagte sie. Gern hätte sie Salgouz noch einige Flüche an den Kopf geworfen, aber ihre Stimme versagte. »Das war wohl ein bißchen scharf, was?« erkundigte er sich. Er nahm das Glas und trank den Rest aus. Aus trüben Augen blickte er sie an. Sein Gesicht war rot und aufgedunsen. »Du hast mich schon richtig verstanden, Van«, sagte er mit heiserer Stimme. »Also, beeile dich.« Die vollschlanke Frau gehorchte. Sie reichte Fenomera einen Becher Wasser. Lelle Salgouz beobachtete sie, als sie trank. Er grinste. Ihre Reaktion auf seinen selbstgebrannten Schnaps schien ihn köstlich zu amüsieren.
18 »Wollen Sie noch einen?« fragte er. »Ich habe ihn aus Villeham gebrannt. Das ist so ungefähr das beste Zeug, das mir je unter die Finger gekommen ist.« Seine Hände zitterten, als er das Glas erneut füllte. »Na, was ist, Mädchen?« Fen schüttelte den Kopf. Lelle Salgouz lächelte breit und trank das Glas selbst aus. Danach betrachtete er seine Hände und wartete darauf, daß sie aufhörten zu zittern. Die Spezialistin erhob sich, griff nach einem Stofflappen und trocknete sich damit ab, so gut es eben ging. Die beiden Frauen beachtete sie nicht. Salgouz, der bis jetzt auf dem Boden gekniet hatte, stemmte sich hoch. Er rülpste laut und nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Danach kratzte er sich den Bauch und stopfte das verrutschte Hemd in die Hose. Fenomera beobachtete ihn. Alles an ihm sah schmutzig und verkommen aus. Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Er hatte sich seit einigen Tagen schon nicht mehr rasiert und gewaschen. Seine Kleidung war dementsprechend. Offensichtlich legte er sie nie ab. Lelle Salgouz setzte die Flasche erneut an, trank und ging hinaus. Fenomera Falkass fröstelte. Das nasse Hemd klebte kalt auf dem bloßen Körper. Sie hätte es am liebsten abgestreift, tat es jedoch nicht, weil sie Salgouz nicht auf falsche Gedanken bringen wollte. Sie ging ihm nach. Er hockte auf einem Stein am Bach und trank. Die Flasche war fast leer. Aus trüben Augen blickte er ihr entgegen. Sein Oberkörper schwankte. Sie hockte sich vor ihm ins Gras. Seltsam, dachte sie. Dieser Mann sieht heruntergekommen, disziplinlos und schmutzig aus, und doch hat er etwas Besonderes an sich. Das ist nicht einfach nur ein Trinker. »Was wollen Sie hier?« fragte er mit schwerer Zunge. »Ich habe an zwei Weibern genug. Drei sind mir zuviel.«
H. G. Francis Er musterte sie, wobei er sich bemühte, die Augen ein wenig weiter zu öffnen. Fen zweifelte daran, daß er in seinem Zustand noch klar denken konnte. Wahrscheinlich nahm er gar nicht bewußt in sich auf, was er sah. »Verdammt hübsch«, murmelte er. »An sich stehe ich auf rothaarige Weiber. Aber was soll's. Zwei sind genug.« Er mußte sich mit der Hand abstützen, weil er sonst ins Gras gefallen wäre. »Außerdem«, erklärte er kaum verständlich, »kann ich nicht mehr als zwei Frauen ernähren. Hier wächst kaum etwas. Und Wild gibt es auch wenig. Also – verschwinden Sie!« Er trank die Flasche aus und ließ sie achtlos ins Gras fallen. »Warum gehen Sie nicht?« fragte er. Er schloß die Augen und atmete geräuschvoll durch die Nase. Sie hatte den Eindruck, daß er eingeschlafen war. Doch sie irrte sich. Er rief nach Kervania, und die vollschlanke Frau kam. Sie brachte ihm eine volle Flasche mit einer bräunlichen Flüssigkeit. Sie reichte sie ihm mit einem Kommentar, den Fen nicht verstehen konnte. Doch erfaßte sie immerhin, daß es keine freundlichen Worte waren. »Ich will nicht bei Ihnen bleiben, Mr. Salgouz«, erklärte Fen Falkass. »Ich habe vielmehr die Absicht, Sie von hier wegzubringen.« Er blickte sie an und hielt ihr die Flasche hin. Als sie ablehnte, bediente er sich selbst. »Villeham ist aber wirklich gut«, sagte er. Dann schien er erfaßt zu haben, was sie gesagt hatte. Er riß die Augen auf und starrte sie an. »Was wollen Sie? Mich von hier wegbringen?« fragte er mit erstaunlich klarer Stimme. »Sind Sie verrückt geworden?« »Warum?« »Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß ich mich mit einem Mädchen unterhalte, das nichts trinkt?« Er hielt ihr die Flasche hin. »Also, entweder nehmen Sie einen
Der Eremit von Condagia Schluck, oder Sie verschwinden. Entscheiden Sie sich.« Sie glaubte zu träumen. Sein Gesicht war nach wie vor aufgedunsen und trug unübersehbare Spuren des Alkohols, aber es war nicht das Gesicht eines Betrunkenen, sondern eines Mannes, der hellwach war. In den Augen erkannte sie einen unbeugsamen Willen und die Härte eines Mannes, der sich durchzusetzen weiß. Zögernd griff sie nach der Flasche. »Haben Sie nicht ein Glas für mich?« fragte sie unsicher. »Meinja!« brüllte er. Das Mädchen kam sofort. Es schien schon zu wissen, was er wollte, denn sie brachte mehrere kleine Becher mit. Freundlich lächelnd reichte sie Fen einen und schenkte ihn bis zum Rand voll. »Sie müssen mit ihm trinken«, sagte sie flüsternd. »Sonst kann man nicht mit ihm reden. Wollen Sie ihn uns wegnehmen?« »Natürlich nicht«, entgegnete sie. »Keine Angst.« Meinja schien sehr erleichtert zu sein. »Rajvan!« rief Salgouz. »Rajvan«, sagte Fen. »Was immer das auch heißt.« Er antwortete nicht, sondern trank sein Glas aus. Neugierig beobachtete er, wie das Mädchen mit dem scharfen Schnaps fertig wurde. Fen wagte es nicht, etwas zu verschütten, wie sie es zunächst geplant hatte. Sie quälte sich das Gebräu hinunter. Ihre Kehle brannte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Lelle Salgouz nickte zufrieden und füllte ihren Becher erneut. »Rajvan«, sagte er. Als sie zögerte, blickte er sie drohend an. »Rajvan«, entgegnete Fen unsicher. Auch diesen Becher leerte sie bis auf den letzten Tropfen. Lelle Salgouz hielt ihr die Flasche auffordernd hin. »Danke. Mir reicht es im Augenblick.« »Ich bestimme hier, wann es genug ist. Nicht Sie!« Sie dachte an ihre Aufgabe und duldete,
19 daß er das Gefäß erneut bis zum Rand füllte. »Rajvan«, sagte er in herrischem Ton. »Nein, nein«, erwiderte sie schwach. Sie fühlte die Wirkung des Alkohols bereits sehr deutlich. »Wieviel Prozent hat dieser Rajvan eigentlich?« Er lachte rauh. »Das ist kein Rajvan, Mädchen. Das ist ein Villeham-Spezial, Sonderabfüllung Condagia. Er erreicht knapp 75 Prozent. Warum? Ist er Ihnen zu milde?« »Keineswegs«; entgegnete sie mit schwerer Zunge. Vor ihren Augen begann sich alles zu drehen. »Rajvan«, befahl er. »Rajvan«, sagte sie stöhnend. Der Schnaps brannte jetzt nicht mehr so stark in ihrer Kehle wie zu Anfang. Benommen blickte sie auf ihre Hand, die den Becher hielt. Sie sah, daß Lelle Salgouz ihn wiederum füllte. Sie wollte sich dagegen wehren, schaffte es aber nicht. Seine Stimme kam wie aus weiter Ferne zu ihr. »Rajvan!« »Rajvan!« Er saß vor ihr, und sie sah ihn doppelt. Er hatte zwei Gesichter, die aus rötlichen, verquollenen Stücken zusammengesetzt zu sein schienen. Und er hielt zwei Flaschen in den Händen. »Ich muß mit Ihnen reden, Lelle Salgouz«, erklärte sie stockend. »Es ist sehr wichtig. Bestimmt.« »Rajvan.« »Rajvan.« Es wurde dunkel um sie. Sie spürte nur noch, daß sie nach hinten kippte und ins Wasser fiel. Sie wußte, daß sie etwas tun mußte, aber sie war nicht mehr dazu in der Lage, irgend etwas zu unternehmen. Das Wasser war kalt, aber es machte sie nicht munter. Fenomera Falkass hatte das Gefühl, in eine Zentrifuge geraten zu sein, in der sie erbarmungslos herumgeschleudert wurde.
*
20 Dieses Gefühl, ständig herumgedreht zu werden, wich auch noch nicht, als sie wieder zu sich kam. Es war kalt. Sie lag auf einem weichen Untergrund und war bis zum Kinn mit Decken zugedeckt worden. Ihre Blicke fielen durch die offene Tür nach draußen, wo ein kleines Feuer brannte. Es war Nacht. Fen wußte nicht, wieviel Stunden vergangen waren. Auf jeden Fall schienen es noch nicht genügend zu sein, denn die Wirkung des Alkohols und seiner Abbauprodukte war noch unerträglich kräftig vorhanden. Sie glaubte, ihr Kopf müsse zerplatzen. Zugleich war ihr so übel, daß sie sich nicht bewegen mochte. Sie fror, und erst jetzt merkte sie, daß sie völlig unbekleidet war. Am Feuer hockten die beiden Frauen von Lelle Salgouz. Ihn selbst konnte sie nicht sehen. Er war auch nicht in der Hütte, denn sonst hätte sie ihn vermutlich schnarchen gehört. Ihre Kleider hingen auf einer Leine neben dem Eingang. Fen brauchte etwa eine Viertelstunde, bis sie sich aufgerafft und zu ihnen hinübergeschleppt hatte. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie schwankte stark und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie hörte die Hunde bellen. Rasch streifte sie sich Hemd und Hose über. Mit zitternden Fingern zog sie einige Tabletten aus einem verborgenen Schlitz im Ledergürtel. Sie versuchte, sie trocken hinunterzuschlucken, schaffte es aber nicht. Da sie nichts Trinkbares in der Hütte entdeckte, ging sie langsam und wankend zum Bach hinüber. Sie trank aus der hohlen Hand und spülte die Tabletten hinunter. Dann kehrte sie in die Hütte zurück und ließ sich wieder auf das Lager sinken. Sie schlief augenblicklich wieder ein. Als sie erneut erwachte, war es draußen hell. Die beiden Frauen hockten schon wieder an einem Feuer. Auf einem primitiven Gestell darüber drehte sich ein großes, braungebranntes Fleischstück. Fenomera fühlte sich ein wenig besser.
H. G. Francis Ihr war nicht mehr so übel, und die Kopfschmerzen hatten auch nachgelassen. Sie erhob sich, ging nach draußen und wusch sich am Bach das Gesicht. Erst danach sah sie, daß Lelle Salgouz auf dem Boden saß, sich mit dem Rücken an die Hütte lehnte und ein Stück Fleisch verzehrte. In der linken Hand hielt er eine fast geleerte Flasche. Er war schon wieder betrunken. Fen strich sich das Haar in den Nacken zurück. War dieser Mann wirklich so wichtig für die USO? Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er ein Mutant mit überragenden Fähigkeiten war. Würde denn ein solcher Mann sich derart gehenlassen? »Guten Morgen«, sagte er mit rauher Stimme. »Wollen Sie auch einen Schluck? Das hilft gegen den Kater.« »Danke, ich verzichte«, erwiderte sie. »Tragen Sie die Nase nur nicht zu hoch, junge Dame«, rief Kervania Reallah. »Lelle kann tun und lassen, was er will. Wenn er sich besäuft, dann ist das seine Sache. Vielleicht haben wir ein Recht, mit ihm herumzuzanken. Sie aber bestimmt nicht.« »Ich wollte Sie nicht ärgern. Weder Sie noch Lelle«, sagte Fen. »Entschuldigen Sie bitte. Geben Sie mir etwas Fleisch?« »Bedienen Sie sich«, antwortete Kervania mürrisch. Sie schnitt sich einen großen Brocken ab, drehte sich zu Salgouz um und schrie wütend: »Kannst du nicht mehr klar denken? Das bißchen reicht doch nicht für uns alle. Warum hast du nicht mehr mitgebracht?« »Rajvan«, entgegnete er, hob die Flasche, grinste und trank. »Reg dich nicht auf, Vania«, bat Meinja Idrak schüchtern. »Ich esse ohnehin nicht viel.« Sie reichte Fenomera einen kräftigen Bissen. Die USO-Spezialistin nahm ihn dankbar entgegen. Schweigend aß sie. Dabei beobachtete sie die beiden Frauen, Lelle Salgouz und die vier Wolfshunde, die im Gras lagen und schliefen. Sie war ratlos. Natürlich war es ein Fehler gewesen, soviel zu trinken.
Der Eremit von Condagia Auf diese Weise würde sie Lelle Salgouz bestimmt nicht dafür gewinnen können, für die USO zu arbeiten. Das Fleisch bekam ihr nicht. Ihr Magen rebellierte. Sie konnte gerade noch verhindern, daß sie alles wieder von sich gab. »Trinken Sie einen Schnaps«, riet Salgouz. »Er hilft wirklich.« Sie zögerte. »Trinken Sie schon«, sagte Kervania Reallah wütend. »Wenn er in dieser Stimmung ist, dann ist es nicht ratsam, ihm etwas auszuschlagen.« Sie nahm den Becher mit dem »Villeham-Spezial« entgegen und trank einen kleinen Schluck. Das Gebräu wärmte und beruhigte ihren Magen. »Geht's besser?« fragte er. Sie nickte. »Na also.« Er lächelte zufrieden. »Unter diesen Umständen können wir uns vielleicht vernünftig miteinander unterhalten.«
* »Wer sind Sie?« fragte Lelle Salgouz. »Fenomera Falkass. Ich bin USOSpezialistin.« »Ach, nein!« Er betrachtete sie, als habe er sie vorher nie gesehen. »Wir haben erfahren, was auf Ammavol im Ammuses-System geschehen ist«, fuhr sie fort. Er hielt ihr die Flasche hin, aber sie tat, als bemerke sie es nicht. Salgouz verzog das Gesicht, erhob sich, setzte die Flasche an die Lippen und trank sie halb aus. Dann drehte er sich um und ging davon. Fen sprang auf und ging ihm nach. Am Eingang zur Hütte erreichte sie ihn. »Mr. Salgouz«, sagte sie. Er blickte sie über die Schulter hinweg an, lächelte geringschätzig und betrat die Hütte. Der Fellvorhang fiel vor ihr zu. Ärgerlich biß sie sich auf die Lippen. Was erwartete er von ihr? Sollte sie sich ständig betrinken? Kervania Reallah stieß sie zur Seite. Sie
21 stellte sich in den Eingang der Hütte und sagte: »Verschwinden Sie von hier. Niemand will Sie sehen. Lelle nicht. Ich nicht und auch Meinja nicht.« Fen ging zum Bach und setzte sich dort auf einen Stein. Kervania rief den Hunden etwas zu. Die Tiere schnellten hoch und rannten auf die Spezialistin zu, griffen sie jedoch nicht an. Unmittelbar vor ihr blieben sie knurrend stehen. Fen sah, daß Kervania in die Hütte ging. Beruhigend sprach sie auf die Tiere ein. Sie spürte die Wirkung der Worte. Die Hunde waren bei weitem nicht so aggressiv, wie Kervania wohl erwartet hatte. Lelle Salgouz kam aus der Hütte. Er beachtete sie nicht. Mit unsicheren Schritten entfernte er sich. Fen stand auf. Sorgfältig beobachtete sie die Wolfshunde. Mit ihren schwach entwickelten telepathischen Sinnen konnte sie recht gut verfolgen, was in ihnen vorging. Eine echte Bedrohung ging nicht von ihnen aus. Ungehindert ging sie zwischen den Tieren durch und folgte Lelle Salgouz. Sie konnte ihn sehen. Die Bäume standen nicht sehr dicht, und die Büsche waren niedrig. Außerdem gab er sich keinerlei Mühe, sich vor ihr zu verstecken. Rasch holte sie auf. Sie versuchte, etwas von seinen Gedanken oder Gefühlen zu erfassen, aber das gelang ihr nicht. Ihr war, als stoße sie gegen eine Wand, die nicht zu durchdringen war. Salgouz lief am Ufer des Bachs entlang. Ab und zu blieb er stehen und neigte sich nach vorn, als horche er. Hin und wieder nahm er einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. Als er eine Felsgruppe mit schlanken Nadelbäumen erreichte, bückte er sich blitzschnell. Er richtete sich auf und schleuderte einen Stein auf einen Busch. Fen hörte einen Schrei. Ein antilopenähnliches Tier sprang auf und versuchte, zu entkommen. Aber Salgouz warf einen zweiten Stein, mit dem er es am Kopf traf. Langsam ging er zu seiner Beute hinüber. Er bewegte sich wie ein Mann, der sich sei-
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ner Sache absolut sicher ist. Er schien überhaupt nicht auf den Gedanken zu kommen, daß er nicht gut genug gezielt haben könnte. Als Fen neben ihm stand, blickte er kurz auf. Er war dabei, das Tier zu schälen und auszuweiden. Im Gras stand seine Flasche, die er bis auf einen kleinen Schluck geleert hatte. Er nahm sie und reichte sie ihr. »Nun?« fragte er und blickte sie mit verengten Augen an. Sie spürte, daß sie nicht weiterkommen würde, wenn sie nicht nachgab. Sie nahm die Flasche, wischte mit der Handfläche über den Hals und trank. Die Augen traten ihr fast aus dem Kopf, und die Kehle schnürte sich ihr zu. Sie glaubte, ersticken zu müssen. »Rajvan«, sagte er spöttisch. »Dieser Villeham hat 80 Prozent.«
4. An diesem Tag war Lelle Salgouz nicht mehr ansprechbar. Erst am nächsten Morgen kam er zu den Fragen zurück, die Fenomera Falkass interessierten. Sie hatte es vorgezogen, bei den Hunden in der frischen Luft zu schlafen. Unter einigen Fellen war es ihr warm genug gewesen. Als sie die keifende Stimme von Kervania Reallah hörte, wachte sie auf. Noch immer spürte sie die Wirkung des Alkohols. Von dem Geschmack in ihrem Mund wurde ihr fast übel. So beeilte sie sich, an den Bach zu kommen und sich zu waschen. Als sie die Morgentoilette erledigt hatte, fiel ihr auf, daß Lelle Salgouz bereits am Feuer saß. Er trank eine heiße Brühe, die seine beiden Frauen ihm zubereitet hatten. Fen pfiff überrascht durch die Zähne. Salgouz hatte sich über Nacht verändert. Er war glattrasiert. Die Haare lagen ordentlich gekämmt am Kopf. Er trug ein sauberes Hemd und eine relativ neue Hose. Auch seine Füße sahen frisch gewaschen aus. Die Spuren des Alkohols hatte er jedoch noch nicht so schnell verwischen können. Nach wie vor sah sein Gesicht aufgedunsen aus.
»Kommen Sie, Geheimagentin«, rief er fröhlich. »Das Frühstück ist fertig.« »Die Dame kann ruhig ein bißchen mit anfassen«, sagte Kervania wütend. »Ich habe keine Lust, sie auch noch zu bedienen.« »Laß doch, Vania«, bat Meinja verlegen. »Ich mache das schon für sie. Sie ist doch unser Gast.« »Je schneller die Gäste verschwinden, desto lieber sind sie mir.« »Ärgern Sie sich nicht über Vania«, riet Salgouz der Spezialistin. »Sie fühlt sich am wohlsten, wenn sie mit jemandem herumstreiten kann, aber sie meint es nicht so. Im Grunde genommen ist sie ein nettes Mädchen.« Er schien vollkommen nüchtern zu sein. Fen beobachtete seine fleischigen Hände. Sie zitterten nicht. Sie setzte sich ihm gegenüber an das Feuer und nahm von Meinja die Holzschale mit der Brühe entgegen. »Einen Löffel habe ich leider nicht für Sie«, murmelte das Mädchen schüchtern. »Sie haben also davon gehört, daß ich auf Ammavol die Vibrationsspange der Lemuren entdeckt habe«, sagte Salgouz. »Und das hat Sie auf einen Gedanken gebracht. Auf welchen?« »Plantez Garvarenz hat von Ihnen berichtet. Bei der USO war man von Ihren Taten und Ihren Fähigkeiten beeindruckt, Lordadmiral Atlan braucht Männer wie Sie sehr dringend. Er möchte Sie für die USO gewinnen.« »Ach, du meine Güte«, sagte er seufzend. »Ein Säufer bei der USO. Wer hätte das gedacht!« »Das ist ein Problem von untergeordneter Bedeutung«, erwiderte sie unsicher. Er lachte dröhnend. »Nun reden Sie mal nicht so gestelzt herum, Mädchen. Einen Mann wie mich kann man nur gebrauchen, wenn er das Trinken aufgibt. Das ist aber nicht meine Absicht. Ganz und gar nicht. Ich wüßte überhaupt nicht, wie ich ohne meine Destille auskommen sollte.« »Man wird Sie von Ihrer Sucht befreien«,
Der Eremit von Condagia erklärte Fen. »Wer sagt denn, daß ich das will?« fragte er. »Nein, Mädchen, ich gehe nicht mit, und ich werde nicht für die USO arbeiten. Ich werde mich niemals mehr um Dinge wie die Vibrationsspange oder so kümmern. Hier auf Condagia ist mein Platz. Ich bin froh, daß ich hierhergekommen bin, und ich bleibe hier – bis zu meinem Ende.« »Das kann sehr bald kommen, wenn Sie so weitermachen.« Er grinste sie an, holte eine Flasche hinter seinem Rücken hervor und trank sie zu einem Drittel aus. »Na und?« fragte er höhnisch. »Lieber im Vollrausch sterben, als bei einem USOEinsatz von irgendwelchen bösartigen Kreaturen fertiggemacht zu werden.« »Hören Sie, Lelle, ich …« »Halten Sie endlich den Mund«, schrie Kervania Reallah unerwartet heftig. Ihre Stimme überschlug sich fast. »Sie sehen doch, daß er nicht will. Meinja und ich werden auch nicht zulassen, daß Sie ihn von hier wegbringen. Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann passiert etwas.« »Mäßige dich, Van«, bat Salgouz und nahm noch einen Schluck. Sie fuhr temperamentvoll herum. Dabei riß sie ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer. Ganz offensichtlich wollte sie damit nach ihm schlagen, doch dazu kam es nicht mehr. Lelle Salgouz verschwand einfach. Die Stelle, an der er eben noch gesessen hatte, war plötzlich leer. Kervania und Meinja sprangen entsetzt auf. Die vollschlanke Frau ließ das Holzscheit fallen. Zusammen mit dem Mädchen floh sie in die Hütte. Fenomera Falkass blieb sitzen, wo sie war. Sie wurde nicht überrascht, denn der Bericht, den Plantez Garvarenz abgegeben hatte, hatte sie auf derartige Zwischenfälle vorbereitet. Sie nahm einen Stock, der neben ihr im Gras lag, und strich damit langsam über den Platz von Salgouz weg. Sie stieß auf keinerlei Widerstand.
23 Lelle Salgouz war in eine andere Dimension übergewechselt.
* In der Springerniederlassung ahnte niemand etwas von den Vorgängen in den nahen Bergen. Man interessierte sich nicht für die terranischen Eremiten. Serpe Allak flog auf einer Gleiterplattform in eine der riesigen Lagerhallen, in denen sich die Waren aus allen Teilen der Galaxis stapelten. Er stoppte seine Fahrt neben einer Gruppe von Männern, unter denen sich auch Erret Ponktong befand. Der Patriarch unterbrach sein Gespräch mit den anderen Springern sofort und wandte sich seinem Adjutanten zu. Dieser gab ihm mit einer verstohlenen Geste zu verstehen, daß er auf die Plattform steigen sollte. Ponktong trat neben Allak, der die Maschine sofort wieder beschleunigte und aus der Halle herauslenkte. »Was gibt es, Serpe?« »Du brauchst jetzt ein Alibi, Erret. In wenigen Augenblicken wird einer der Vertrauten von Romon Rye verunglücken.« Sie flogen auf ein halbkugelförmiges Gebäude zu, vor dem mehrere Männer an einem Luxusgleiter standen. Allak landete unmittelbar neben dem Flugzeug. »Gratuliere!« rief Erret Ponktong einem der Männer zu. Er ging zu ihm und schlug ihm kräftig auf die Schulter. »Das ist das eleganteste Modell von Hayschlik, das ich je gesehen habe. Ist es ganz neu?« Der Patriarch Ronkon lächelte stolz. Er war ein schwergewichtiger Mann, der noch größer war als Ponktong. »Es ist eigentlich noch gar nicht im Handel«, erklärte er. »Ich habe es im Rahmen eines ganz besonderen Geschäftes erwerben können.« Erret Ponktong pfiff bewundernd. Langsam ging er um den Gleiter herum, ohne sich wirklich für ihn zu interessieren. Dabei redete er ununterbrochen auf den anderen Patriarchen ein. Hin und wieder warf er Ser-
24 pe Allak einen kurzen Blick zu. Er beobachtete, daß ein mit mehreren Männern besetzter Transportgleiter hinter einem Gebäude hervorkam, das etwa einhundert Meter von ihnen entfernt war. Allak nickte unmerklich. Ponktong sah, daß sein Adjutant die Hand in die Jackentasche schob. Im gleichen Augenblick explodierte der Lastengleiter. Die Springer, die darauf saßen, wurden durch die Luft geschleudert. Eine gewaltige Stichflamme schoß empor. Dann gab es eine zweite Explosion, die alles zerstörte, was bis jetzt noch heil geblieben war. Serpe Allak zog die Hand aus der Jackentasche und rannte zusammen mit Erret Ponktong, dem Patriarchen Ronkon und den anderen Springern auf die Unglücksstätte zu. Von dem Flugzeug, seiner Last und seiner Besatzung war nichts übriggeblieben. Wenig später traf der Patriarch Romon Rye ein, das Oberhaupt aller Springer auf Condagia. Er war bleich bis in die Lippen. Sein feistes Gesicht bebte, und seine Hände strichen ständig nervös über seinen gewaltigen Leib. Zornig trat er auf Ponktong zu. »Meine besten und wichtigsten Leute hat es getroffen«, schrie er. »Das scheint Ihnen nicht unrecht zu sein.« Erret Ponktong blickte auf die Hände herab, die ihn an der Bluse gepackt hatten. Gelassen schob er sie zur Seite. »Ich kann verstehen, daß Sie voller Trauer sind«, sagte er ruhig. »Sie wollen aber doch wohl nicht behaupten, ich hätte etwas mit diesem Unglück zu tun?« »Es kommt Ihnen nicht ungelegen.« »Sie gehen zu weit, Patriarch«, warf Ronkon verstört ein. »Ponktong hat mit diesem Vorfall nichts zu tun. Er war bei mir, als es geschah.« »Sie sind ein leichtgläubiger Narr«, erwiderte Rye mühsam beherrscht. »Wenn in einer solchen Situation, wie wir sie haben, etwas Derartiges geschieht, dann ist das kein Zufall.« Erret Ponktong und Serpe Allak blickten
H. G. Francis sich an. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Romon Rye hatte sein eigenes Todesurteil gesprochen. Die beiden Männer wandten sich schweigend ab und gingen davon. Sie sprachen erst wieder, als sie sicher sein konnten, auch mit Hilfe raffinierter Technik nicht abgehört zu werden. Das war, als die massiven Schotte des Hauptbüros der von Erret Ponktong verwalteten Sektion sich hinter ihnen geschlossen hatten. »Condagia wird geheimer Großstützpunkt werden«, erklärte der Patriarch. Serpe Allak lächelte drohend. »Und Romon Rye wird verunglücken.« »Weißt du, wieviel Terraner in den Bergen leben?« »Es sind etwas mehr als einhundert. Ich könnte sie an einem einzigen Tage beseitigen. Ich brauche nur mit einem Gleiter von einer Hütte zur anderen zu fliegen. Die Siedler sind kein Problem.« Der Patriarch setzte sich hinter einen Arbeitstisch. Er nickte Allak zu. »Schritt eins: Romon Rye muß sterben. Das soll heute abend geschehen.« »Soll ich ihn erschießen?« Ponktong schüttelte den Kopf. Er griff nach seinem Bartzopf und zog daran. »Nein – das wäre zu plump. Nach diesem Vorfall würde jeder der anderen Patriarchen so etwas erwarten. Sein Ende würde mir keine Sympathien einbringen. Nein, ein anderer wird ihn töten.« »Wer?« »Der Patriarch Ray Reynak.« »Er ist ein Freund des Alten.« »Gerade deshalb wird er es tun.« »Das begreife ich nicht. Wie soll das vor sich gehen?« »Ich habe zufällig erfahren, daß Reynak eine Partie Virgan mitgebracht hat. Das ist eine Süßspeise, die Rye liebt. Er ist geradezu verrückt nach diesem Zeug. Reynak wird ihm heute abend beim gemeinsamen Essen, an dem auch ich teilnehmen werde, ein Geschenk überreichen. Wie ich Rye kenne,
Der Eremit von Condagia wird er sofort etwas von dem Virgan probieren wollen. Das wird sein Ende sein.« »Ich verstehe immer noch nicht.« Der Patriarch zog eine flache Schachtel aus der Innentasche seiner Bluse und reichte sie einem Adjutanten. »Darin ist der Schlüssel zu dem Sicherheitsschrank, in dem Reynak das Zeug aufbewahrt. Du wirst das Geschenk sofort erkennen. Daneben liegt eine Injektionspistole. Du wirst die Giftkapsel einlegen, die sich in dieser Schachtel befindet, und das Virgan für Rye präparieren. Alles klar?« »Woher hast du den Schlüssel und die Informationen?« fragte Serpe Allak überrascht. Ponktong hob abwehrend die Hände. »Ich habe sie. Das genügt. Romon Rye wird noch heute sterben. Morgen werde ich mich von den anderen Patriarchen wählen lassen. Danach beginnen wir mit der Planung für den Großstützpunkt. Deine Aufgabe wird es sein, das TerranerProblem so schnell wie möglich zu lösen.«
* Lelle Salgouz kehrte plötzlich wieder zurück. Er erschien auf dem Platz, auf dem er vorher gesessen hatte, und tat, als sei überhaupt nichts vorgefallen. Die beiden Frauen blickten verängstigt durch den Fellvorhang zu ihm hinüber. Fenomera Falkass aß eine Wurzel, die sie sich geschält hatte. Salgouz strich sich mit der Hand über das Kinn, seufzte und erhob sich. Mit zögernden Schritten ging er zur Hütte. »Kervania, gib mir eine Flasche«, befahl er. Sie gehorchte. Sie reichte ihm das Getränk. Fen sah, daß ihre Hände zitterten. Kervania hatte Angst. »Ich komme auf meine Worte zurück«, sagte die USO-Spezialistin, als er sich ihr gegenüber ins Gras setzte. »Die USO braucht einen Mann wie Sie. Kommen Sie mit mir, und reden Sie mit Atlan.« »Das Thema ist abgeschlossen«, erwider-
25 te er. »Ich habe keine Lust mehr, mich noch länger darüber zu unterhalten. Kehren Sie zu Ihrem Boß zurück, und sagen Sie ihm, daß Sie gescheitert sind. Tut mir leid für Sie.« Fen gab noch nicht auf. »Wo sind Sie gewesen?« Er blickte sie nachdenklich an. Dann entblößte er seine brüchigen Zähne, hielt Fen die Flasche hin und sagte: »Das werde ich Ihnen nur sagen, wenn Sie diese Pulle mit mir leeren.« »Nein. Wir drehen uns im Kreis, Lelle«, erwiderte sie. »Ich werde nichts trinken, weil wir dann nicht weiterkommen. Sie sind ein wichtiger Mann durch ihre besonderen Fähigkeiten. Sie dürfen sich nicht einfach der menschlichen Gesellschaft entziehen. Jeder Mensch hat Pflichten, die er erfüllen muß.« Er lachte ihr ins Gesicht. »Ich habe keine Pflichten«, antwortete er verächtlich. »Nichts und niemand kann mich zwingen, irgend etwas zu tun, was ich nicht will. Ich bin ein freier Mensch. Ich kann tun und lassen, was ich will. Also, bleiben Sie mir mit Ihrem dummen Gerede vom Hals.« »So einfach ist das alles nicht, Lelle. Selbst wenn Sie Ihre besonderen Fähigkeiten nicht hätten, dürften Sie nicht das Recht für sich in Anspruch nehmen, wie ein Tier dahinzuvegetieren. Sie sind ein Mensch, und damit haben Sie auch eine Verantwortung.« »Blablabla.« Lelle Salgouz nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche, erhob sich und fragte: »Wollen Sie mich begleiten? Ich will zu den Springern!« »Was wollen Sie dort?« Unwillkürlich blickte sie in die Ebene hinab, die sich vor den Bergen erstreckte. Dort unten lag die Springersiedlung. Sie war etwa dreißig Kilometer von der Hütte entfernt, in der Salgouz mit seinen beiden Frauen untergekommen war. Vier Walzenraumschiffe standen auf dem Raumhafen, der lediglich aus einer ausgedehnten Plastikbetonfläche, einigen Positionslampen und automatischen Funkpeilgeräten bestand. »Betteln will ich dort«, antwortete Lelle
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Salgouz ungeniert. »Sie wollen wirklich betteln? Ein Mann wie Sie, der mühelos mehr Geld verdienen könnte, als er zum Leben braucht? Das glaube ich nicht.« Geringschätzig zuckte Lelle mit den Achseln. »Na und? Die Springer geben mir, was ich brauche. Das ist nicht viel, aber es reicht für Kervania, Meinja und mich. Vor allem kann ich Villeham von ihnen bekommen. Und dafür würde ich zur Not auch rund um den Planeten laufen.« »Sie sind ein maßloser Egoist.« »Unsinn«, erwiderte er höhnisch. »Ich sorge in geradezu rührender Weise für meine beiden Frauen. Stimmt das, Vania? Was sagst du, Meinja?« Die beiden Frauen, die aus der Hütte gekommen waren, verschwanden wieder darin, ohne eine Antwort zu geben. Salgouz lachte, drehte sich um und ging davon, ohne auf Fenomera Falkass zu achten. Die USOSpezialistin blickte ihm enttäuscht nach. »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, Lelle«, sagte sie leise. »Ich muß dich zwingen.«
* Fen wartete, bis es in der Hütte ruhig war. Dann stahl sie sich davon. Vorsichtig eilte sie den Berghang hinauf, wobei sie den Höhlen und Hütten der Eremiten weit auswich. Sie wollte nicht gesehen werden. Ihre telepathische Begabung half ihr, die Unterkünfte der Männer und Frauen rechtzeitig herauszufinden. Auf diese Weise verlor sie nur wenig Zeit und konnte das Risiko, bemerkt zu werden, niedrig halten. Dennoch brauchte sie bis zum späten Abend, um zu dem Versteck zu kommen, in dem ihr Kampfanzug und ein großer Teil ihrer Ausrüstung lagen. Sie schaltete zunächst die Funkgeräte ein und richtete sie auf die Frequenzen der Springersiedlung aus. Danach hörte sie etwa zwei Stunden lang die Gespräche ab, die
dort geführt wurden, ohne etwas zu erfahren, was ihr wichtig erschien. Sie streifte sich den Kampfanzug über, als es völlig dunkel geworden war, und genoß die wohlige Wärme. Sorgfältig sondierte sie ihre Umgebung mit technischen und mit parapsychischen Mitteln. Sie startete erst, als sie ganz sicher war, daß sich niemand in ihrer Nähe aufhielt. Lautlos glitt sie über den Berghang ins Tal. Sie flog langsam und hielt sich in geringer Höhe, so daß sie den Baumkronen ausweichen mußte. Schon bald erreichte sie eine Höhle, vor der ein kleines Feuer brannte. Ein asketischer Mann mit einem ungepflegten Bart kauerte sinnend davor. Sie näherte sich ihm bis auf wenige Meter und zielte dann mit einer kleinen Handwaffe auf ihn. Es klickte kaum vernehmbar, als der winzige Giftpfeil den Lauf verließ. Der Eremit strich sich mit den Fingerspitzen über die Wange, als das Geschoß einschlug. Er war jedoch nicht beunruhigt. Arglos wandte er sich wieder seinem Feuer zu. Fenomera Falkass umflog den Platz und glitt lautlos an eine Hütte heran, vor der ein anderer Eremit ebenfalls an seinem Feuer saß. Sie erkannte ihn wieder. Dieser Mann hatte die roten Käfer auf sie gehetzt. Die USO-Spezialistin versah auch ihn mit einem Giftpfeil. In der nächsten Stunde infizierte sie nahezu dreißig Männer und Frauen, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Sie wandte sich den Behausungen zu, die am Rande des Hanges lagen, dort wo sich das Grün der Bäume und Büsche verlor und hauptsächlich braune und gelbe Farben vorherrschten. Da sie einen Schutzanzug trug, brauchte sie sich nicht vorzusehen. Lelle Salgouz hatte sie gewarnt, diese Vegetationsbereiche zu betreten, da die Zweige und die Blätter der Bäume, die hier wuchsen, äußerst giftig sein sollten. Sie erinnerte sich sehr genau an seine Worte, als sie in die Richtung zu diesem Pflanzengürtel flog. Nur mit äußerstem Unbehagen ging Lelle Salgouz durch diesen Wald. Er tat es nur, wenn er zur Springersiedlung gelangen
Der Eremit von Condagia mußte. »Die Blätter sind so giftig, daß ein Mensch innerhalb von wenigen Sekunden stirbt, wenn er sie berührt«, hatte er erklärt. Er hatte es wiederum von einem Eremiten erfahren, der noch vor diesem Vegetationsgürtel in der wüstenartigen Ebene lebte. Etwa zwanzig Einsiedler hielten sich in diesem Giftwald auf. Sie hatten hier ihre Hütten errichtet, weil sie sich im Schutze der Giftpflanzen sicher fühlten. Sie selbst schienen sich vor den Bäumen nicht zu fürchten. Sie kannten sich mit ihnen aus, und sie wußten, wie man auf Schleichwegen aus dem Gestrüpp herauskam, ohne ein einziges Blatt zu berühren. Fenomera Falkass flog dicht über die Wipfel der Bäume hinweg, deren Laub nicht sehr dicht war. Der Mond von Condagia stieg über den Horizont und erhellte die Landschaft. Sie mußte sich beeilen, denn von nun an wurden ihre Chancen immer geringer, unentdeckt zu bleiben. Aus der Höhe bemerkte sie den ersten Eremiten, der unbekleidet auf einer Lichtung hockte, das Gesicht dem aufgehenden Mond zugewandt. In der Dunkelheit war er kaum zu erkennen. Fen zielte und schoß. Sie traf seinen Rücken. Sie sah, wie der Mann zusammenzuckte und mit einer Hand nach der Schußwunde tastete. Er würde nichts finden. Sie zog sich lautlos zurück und wandte sich dem nächsten Mann zu, dessen geistige Impulse sie klar ausmachen konnte. Da schoß aus der Dunkelheit, die zwischen den Bäumen herrschte, eine massige Gestalt auf sie zu. Im letzten Moment erfaßte sie die Haßgefühle, die von dem Mann ausgingen, und warf sich herum. So entging sie dem fürchterlichen Schlag, den er gegen ihren Kopf führte. Er traf nur ihre Schulter, erzielte aber nur eine geringe Wirkung, weil der Schutzanzug ausreichend gepolstert war. Jetzt bereute sie, daß sie keinen Helm angelegt hatte. Er hätte sie noch besser abgesichert. In der Hand ihres Gegners blitzte ein
27 Dolch auf. Er wurde kraftvoll gegen sie geführt. Die Spitze bohrte sich ihr in die Hüfte, konnte jedoch den Anzug nicht durchdringen. Doch sie fühlte einen heftigen Stoß. Unter ihnen klangen vereinzelt Schreie auf. Die Einsiedler merkten, daß etwas nicht in Ordnung war, ohne erkennen zu können, was wirklich geschah. Fen nutzte den Antigrav, um sich mit einem mächtigen Schwung dem nächsten Angriff zu entziehen. Ihr Gegner schien ihre Gedanken gelesen zu haben. Er folgte ihr mit fast synchroner Bewegung, holte rasch auf und packte sie am Kopf. Er drehte ihn mit einem wuchtigen Ruck zur Seite, so daß Fen fürchtete, er werde ihr das Genick brechen. Sie stöhnte unterdrückt auf und drehte sich aus dem Griff. Er konnte sie nicht halten. Sie ergriff sein Bein und hebelte den Unbekannten herum. Auch er trug keinen Schutzhelm. Sie faßte ihn an den Haaren und spürte einen Zopf in den Händen. Jetzt wußte sie, daß sie es mit einem Springer zu tun hatte. Gleichzeitig erkannte sie, in welcher Gefahr sie wirklich schwebte. Dieser galaktische Händler hatte nicht die Absicht gehabt, sie zu töten. Er wollte wissen, wer sie war. Jetzt aber hatte sie die anfängliche Überraschung überwunden und wurde überlegen. Damit schwand seine Ruhe. Er hatte nur noch den Wunsch, sie zu töten. Mit geradezu wütenden Anstrengungen versuchte er, seinen Energiestrahler aus der Halfter zu ziehen. Fen kämpfte nicht minder verzweifelt darum, ihn daran zu hindern. Dieser Mann verfügte über gewaltige Kräfte. Mit Ellenbogen und Fäusten schlug er auf sie ein, wo immer er konnte. Und er traf sie mehrfach empfindlich am Kopf. Fen hielt ihn fest umklammert, als er versehentlich die Schaltung für sein Antigravgerät berührte. Sie stürzten ineinander verkrallt in die Tiefe. Sie erfaßte die ungeheure Gefahr sofort, riß sich los und stieß sich mit aller Kraft von
28 ihm ab. Ihr eigener Antigrav fing sie ab und gab ihr dicht über den ersten Zweigen der Bäume einen ausreichenden Aufschwung. Nur noch ihre Füße schlugen in die Blätter, während ihr Gegner mit voller Wucht durch das Geäst der Bäume stürzte. Sie hörte ihn panikerfüllt schreien, doch schaffte auch er es, seinen Antigrav zu betätigen. Der dumpfe Aufprall, auf den Fen gewartet hatte, blieb aus. Dafür blitzte es zwischen den Bäumen auf. Ein nadelfeiner Energiestrahl zuckte dicht an ihr vorbei und blendete sie. Fen begriff, daß sie dem Springer ein ausgezeichnetes Ziel bot, da sie sich gegen den helleren Himmel gut abhob. Ihr blieb nichts anderes übrig als die Flucht. Sie ließ sich absinken und beschleunigte in horizontaler Richtung. Ein zweiter Schuß verfehlte sie. Der Energiestrahl durchschlug aber einige Zweige und setzte die Bäume unter ihr in Brand. Abermals hörte sie den Springer schreien. Er stieg aus dem Pflanzengewirr auf und löste die Waffe aus. Der Energiestrahl fuhr ins Leere. Fen zog sich bis hinter einige Felsen zurück, hinter denen sie sich einigermaßen sicher fühlte. Sie lauschte mit allen Sinnen. Erschauernd stellte sie fest, daß Lelle Salgouz nicht gelogen hatte. Die Pflanzen waren tatsächlich äußerst giftig. Das Leben des Springers erlosch. Seine geistigen Impulse wurden immer schwächer. Zwischen den Bäumen flackerten Feuer auf. Wohin die USO-Spezialistin auch blickte, überall entdeckte sie Eremiten. Auch auf dem Berghang regte es sich. Sie glaubte, unter diesen Umständen nur eine geringe Chance zu haben, sich ungesehen zurückziehen zu können. Die vielen Feuer erhellten den Hang, und das Mondlicht machte alles noch viel schwieriger. Fen entschloß sich, steil in die Höhe zu fliegen. Sie stieg mit hoher Geschwindigkeit auf, wobei sie die Beine anzog und die Knie mit den Armen umschlang. So konnte sie von unten nur schwer als menschliche Gestalt er-
H. G. Francis kannt werden, falls sie jemand zufällig sah. Die Luft wurde sehr schnell spürbar dünner, so daß sie bereits in einer Höhe von fünfhundert Metern zu einem horizontalen Flug überging, der sie in weitem Bogen zu ihrem Versteck auf dem Bergrücken führte. Sie fand es sehr schnell. Erschöpft ließ sie sich auf die Felsen sinken und schaltete die Funkgeräte ein. Wie erwartet, war es in der Springersiedlung unruhig geworden. Die Händler hatten Notsignale empfangen. Unter diesen Umständen mußte sie damit rechnen, daß bald weitere Springer auftauchen und die Gegend genau durchsuchen würden. Fen entschied sich dafür, sich zunächst zurückzuziehen. Sie sagte sich, daß sie ihre Erfolgschancen selbst minderte, wenn sie in der Nähe der Eremiten blieb. Wenn die galaktischen Händler sie mit Hilfe der Energieortung aufspürten, dann beraubte sie sich selbst der Möglichkeiten, Salgouz zu bekehren. Sie flog über den Bergrücken hinweg und ließ sich in das anschließende Tal absinken. Sie folgte ihm, bis sie über hundert Kilometer von der Hütte von Lelle Salgouz entfernt war. Da sie ungestört und ungefährdet schlafen wollte, klappte sie ihren Schutzhelm über den Kopf und legte sich auf einem Felsplateau hinter einige große Steine. Hier – so glaubte sie – war sie zunächst ungefährdet.
5. Karrout stand bereits gelblichweiß im Zenit, als Fenomera Falkass sich wieder der Hütte von Lelle Salgouz näherte. Über dem Hang lag eine eigenartige Stimmung, die sich aus den emotionellen und geistigen Sphären von den hier angesiedelten Eremiten zusammensetzte. In ihr mischten sich Furcht mit Gelassenheit, Entsetzen und Ekel mit Gleichgültigkeit. Es waren passive Gefühle – so empfand sie Fen jedenfalls. An einigen Stellen waren deutliche Spu-
Der Eremit von Condagia ren eines Brandes vorhanden. Einige Rauchsäulen zeugten davon, daß die Feuer bis in die Morgenstunden hinein gewütet hatten. Am Rand eines steilen Abhangs setzte die USO-Spezialistin sich auf einen Stein. Sie befand sich in einem seelischen Zwiespalt. Auf der einen Seite machte sie sich Vorwürfe, daß sie sich zurückgezogen und die Eremiten allein gelassen hatte. Auf der anderen Seite sagte sie sich, daß sie keine andere Wahl gehabt hatte. Unter den Einsiedlern waren einige Männer, deren Gedanken sie relativ gut erfassen konnte, während andere ihr nahezu vollkommen verschlossen blieben. So erfuhr sie, daß eine Expedition von der Niederlassung der Springer gekommen war und das Gelände durchsucht hatte. Die Händler waren für die Feuer verantwortlich, die ausgebrochen waren, und es schien, als hätten sie einige Männer mitgenommen, um sie in Ruhe verhören zu können. Fen war sich dessen sicher, daß keiner von den Eremiten den Springern verraten konnte, was wirklich geschehen war. Dennoch war sie beunruhigt. In dem Stützpunkt wußte man jetzt, daß hier irgend etwas geschehen war, das nicht direkt mit den Einsiedlern zu tun hatte. Man mußte sich eigentlich ausrechnen können, daß der von den Bäumen vergiftete Mann hier auf einen gleichwertig ausgerüsteten Gegner gestoßen war. Fenomera hörte schnelle Schritte hinter sich. Sie fuhr herum. Kervania Reallah rannte auf sie zu. Sie hielt einen kräftigen Stock in den Händen und wollte sie damit schlagen. Fen sprang auf. »Kervania«, rief sie. »Seien Sie vernünftig!« Die braunen Augen der vollschlanken Frau starrten sie haßerfüllt an. Wie von Sinnen stürzte sich die Frau des Eremiten auf sie. Der Stock zischte dicht an ihrem Kopf vorbei und traf sie mit voller Wucht an der Schulter. Fen spürte nur einen kurzen Schmerz. Sie ließ sich auf die Knie fallen und rettete sich
29 mit einem entschlossenen Sprung nach vorn. Kervania flog aufschreiend über sie hinweg und rutschte haltlos auf den Abgrund zu. Die USO-Spezialistin erkannte, daß die Frau kaum noch zu retten war, versuchte aber dennoch, sie zu halten. Für einen kurzen Moment umklammerte sie den rechten Fuß Kervanias, die mit dem anderen Fuß nach ihr schlug, dann entglitt er ihr. Entsetzt beobachtete sie, wie die Frau über die Felskante rollte und in die Tiefe stürzte. Sie kroch nach vorn und starrte ihr mit brennenden Augen nach. Kervania fiel auf eine Geröllhalde zu, die etwa dreihundert Meter tiefer lag. Sie hatte keine Chance mehr.
* »Lelle«, flüsterte Meinja Idrak. »Komm zu dir.« Er blickte sie aus trüben Augen an. Wie so oft, saß er auch an diesem Morgen auf dem Stein am Bach. Die Flasche, die zwischen seinen Füßen im Gras stand, enthielt nur noch wenige Tropfen. »Ich muß wieder hin zu den Springern, Meinja«, antwortete er geistesabwesend. »Sie haben mir zuwenig Villeham gegeben. Ich habe nur drei Flaschen füllen können.« »Natürlich mußt du wieder zu ihnen gehen«, stimmte sie milde zu, »aber zunächst mußt du Vania zur Vernunft bringen.« Er verzog die Lippen zu einem schwachen Lächeln. »Ich habe ihr das Fell versohlt. Wahrscheinlich wurde es auch Zeit. Ist sie mir böse?« »Dir nicht«, erwiderte sie ruhig. »Aber sie will die USO-Spezialistin umbringen. Sie will sie töten.« Lelle Salgouz starrte das Mädchen an, ohne zu begreifen. Sie mußte ihre Worte wiederholen. Dann endlich sah sie an seinen Augen, daß er erfaßt hatte, um was es ging. »Vania weiß, daß du sie nur verprügelt hast, weil du das fremde Mädchen liebst. Sie
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ist eifersüchtig und will die andere töten.« »Sie ist verrückt«, stellte er fest. Meinja erschrak, als er sich erhob. Er war vollkommen betrunken und kaum noch seiner Sinne mächtig. »Du mußt etwas unternehmen«, sagte sie drängend. »Du darfst nicht warten. Vania hat das Mädchen gesehen. Es war da oben auf den Hängen.« Sie zeigte zu den Bergen hinauf, aber Lelle Salgouz folgte nicht mit seinen Blicken. Er verschwand einfach. Meinja blickte auf die Stelle, an der er noch eben gestanden hatte. Tränen füllten ihre Augen. Sie fürchtete, von ihm verlassen worden zu sein. Doch es dauerte nicht lange, bis er zurückkehrte. Er wirkte ernüchtert. Die Alkoholwirkung schien verflogen zu sein. Sein Gesicht hatte sich gestrafft. Ohne sie zu beachten, ging er mit großen Schritten an ihr vorbei. Sie blickte ihm nach, bis die hohe, massige Gestalt zwischen den Bäumen verschwand. Sein Verhalten flößte ihr Furcht ein. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte, daß er hin und wieder verschwand, denn er hatte ihr nie ausreichend erklärt, wo er dann blieb. Auf der anderen Seite wußte sie, daß er jetzt in der Lage war, etwas für Kervania zu unternehmen.
* Fenomera Falkass wollte sich gerade zurückziehen und abwenden, als etwas Seltsames geschah. Tief unter sich sah sie Kervania, die mit flatternden Kleidern in die Tiefe stürzte, wobei sie sich immer wieder überschlug. Plötzlich aber stabilisierte sich ihr Flug. Sie drehte sich langsam um sich selbst, wobei sie immer sanfter fiel. Als Fen erwartete, sie zwischen den Gesteinsmassen aufschlagen zu sehen, glitt sie zur Seite weg und schwebte, wie von einem Antigravgerät getragen, davon. Fen hielt unwillkürlich den Atem an. Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.
Dann aber sichtete sie eine männliche Gestalt zwischen den Felsen. Lelle Salgouz! Er hatte Kervania gerettet. Die USO-Spezialistin verspürte eine erschreckende Sehnsucht, in die Tiefe zu springen. Sie fühlte, wie sie etwas mit nahezu unwiderstehlicher Gewalt dazu drängte, sich über die Felskante fallen zu lassen. Die Geröllhalde, die tief unter ihr lag, gewann eine magische Anziehungskraft für sie. Sie wußte, daß dort unten Lelle Salgouz war, der sie auffangen würde. Er würde sie nicht auf den Felsen aufprallen lassen, sondern sie mit seinen geheimnisvollen Kräften umgeben und beschützen. Fen biß sich auf die Lippen. Sie wußte, daß die Tiefe für viele Menschen eine ganz besondere Faszination besaß und daß viele sich versucht fühlten, in die Tiefe zu springen, wenn sie von einer Brücke herabblickten. Sie selbst aber hatte niemals etwas davon verspürt. Sie wagte es nicht, sich zu erheben. Auf allen vieren kroch sie vorsichtig rückwärts, bis der gefährliche Sog nachließ. Aufatmend lehnte sie sich gegen einen Felsen. Sie preßte beide Hände vor das Gesicht. Was war wirklich geschehen? Hatte Lelle Salgouz versucht, sie in den Tod zu locken? Hatte er die Absicht gehabt, sich auf diese Weise von ihr zu befreien? Sie wußte es nicht. Unvermittelt mußte sie an Plantez Garvarenz denken. Sie erinnerte sich an die Ereignisse in Quinto-Center, als sie von der Großpositronik für diesen Auftrag ausgesucht worden war. Sie konnte sich kaum erklären, wo die Gründe dafür lagen. Natürlich hatte sie ihre besonderen Qualifikationen, aber diese schienen in keiner Beziehung zu Lelle Salgouz zu stehen. Hatte sich ein Fehler eingeschlichen? Hatte Plantez zum Teil unrichtige Informationen an die Positronik gegeben, weil er unter dem Einfluß von Alkohol gestanden hatte? Sie schüttelte den Kopf. Das erschien ausgeschlossen. Also mußte sie über eine oder
Der Eremit von Condagia mehrere Eigenschaften verfügen, die sie für diesen Einsatz besonders geeignet machten. Sie wußte nur nicht, welche das waren. Aber mußte sie das unbedingt wissen? Sie lief über die Felsen und folgte einem Abbruch, der sanft nach unten führte. Auf diesem Weg benötigte sie fast drei Stunden, bis sie in die Nähe der Hütte von Lelle Salgouz kam. Sie ging jedoch nicht direkt zu ihm, sondern machte zunächst einen Abstecher zu einem Eremiten, der mitten in einem Wald aus pinienähnlichen Bäumen lebte. Der weiche Boden war durchlöchert von den Höhlen kleiner Nager, die terranischen Mäusen recht ähnlich waren, jedoch buschige Schwänze hatten. An ihrer Unterseite befanden sich zahlreiche Stacheln, die sie blitzschnell bewegen konnten. Mit ihnen liefen sie wenigstens so schnell wie die Mäuse der Erde. Fen Falkass blieb stehen, als sie den Rand der Lichtung erreichte, auf der die Hütte stand. Der Eremit war ein noch sehr junger Mann. Sie schätzte ihn auf höchstens dreißig Jahre. Er lag auf dem Rücken im Gras und breitete die Arme weit aus. Sein Gesicht hatte sich blauschwarz verfärbt. Die Lippen sahen dick und verquollen aus. Er hielt die Augen fest geschlossen. Wahrscheinlich konnte er sie gar nicht mehr öffnen, denn die tiefroten Lider sahen aus, als seien sie bis zum Platzen mit Wasser gefüllt. Fen wußte, daß dieser Mann keine Schmerzen hatte. Sein gesamtes Nervensystem war weitgehend ausgeschaltet. Nur das Vegetativum funktionierte noch einwandfrei. Sie wandte sich ab und lief weiter. Wenig später schon erreichte sie die Höhle, in der eine ältere Frau hauste. Fen fand sie in ähnlicher Haltung auf dem Boden liegen. Sie träufelte ihr ein wenig Wasser auf die ausgetrockneten Lippen. Dann endlich näherte sie sich der Hütte, in der Salgouz und seine beiden Frauen lebten. Sie ging vorsichtig und langsam, um jedes Risiko, überrascht zu werden, auszu-
31 schließen. Bald aber merkte sie, daß keine unmittelbare Gefahr drohte. Bei der primitiven Behausung war alles still. Von den beiden Frauen gingen keine feindseligen Gedanken aus. Kervania stand offensichtlich noch unter einem tiefgreifenden Schock. Fen verließ die Deckung der Bäume und sprang über den Bach. Lelle Salgouz bemerkte sie nicht. Er lag auf dem Rücken und lehnte den Kopf gegen den Stein, auf dem er sonst zu sitzen pflegte. Er war vollkommen betrunken. Zwei leere Flaschen neben seinen Schultern zeigten deutlich an, daß mit ihm in den nächsten Stunden nicht zu rechnen war. Meinja Idrak hatte ein Feuer angemacht. Sie kochte Fleisch in einem Metalltopf. Als sie Fen sah, lächelte sie freundlich. Stumm zeigte sie auf einen Holzhocker, der am Feuer stand. Die USO-Spezialistin nahm Platz. »Wie geht es Kervania?« »Ich weiß nicht«, antwortete das Mädchen. »Lelle hat ihr etwas zu trinken gegeben. Sie schläft.« »Lelle darf nichts mehr bekommen«, sagte Fenomera. »Er darf keinen Alkohol mehr zu sich nehmen. Die anderen Eremiten sind krank. Er muß ihnen helfen.« Sie schilderte Meinja, was sie bei den anderen Hütten und Höhlen gesehen hatte.
* Zwanzig Stunden später war Lelle Salgouz so weit, daß sie mit ihm reden konnte. »Was ist eigentlich passiert?« fragte sie. »Ich meine, was haben die Springer getan?« »Sie haben einige Hütten angesteckt. Sonst ist nichts vorgefallen«, entgegnete er brummig. Kervania hatte ihren Schock überwunden. Fen wunderte sich, daß es so schnell gegangen war. Sie vermutete, daß Salgouz ihr dabei geholfen hatte. Nach und nach erfuhr sie, was passiert war. Lelle Salgouz hatte nach ihr gesucht, als er von der Springersiedlung zurückgekommen war. Als er sie nicht gefunden hatte,
32 hatte er Kervania verdächtigt, sie vertrieben zu haben. Es war zu einem bösen Streit gekommen, bei dem Kervania von ihm geschlagen worden war. Danach hatte Salgouz sich betrunken. Kervania aber hatte geschworen, sich zu rächen. Fen wußte, daß sie das auch versucht hatte. Sie fragte sich, ob Salgouz sie mit seinen parapsychischen Kräften auch aufgefangen hätte, wenn sie anstelle von Kervania über die Felskante gestürzt wäre. Sie musterte den Mann, der ihr gegenübersaß, wie er mit seinen großen, fleischigen Händen seine Brühe löffelte. Sie würde nie erfahren, wie er sich verhalten hätte. Es war nicht ausgeschlossen, daß er nicht eingegriffen und damit das Problem als gelöst betrachtet hätte. Wahrscheinlich kannte er die USO nicht. Er begriff nicht, daß er sich ihr nicht auf die Dauer entziehen konnte. Es half ihm überhaupt nichts, wenn er sie – Fen – verunglücken ließ. »Ich sagte schon einmal, Lelle. Die Eremiten brauchen Ihre Hilfe. Sie sind krank.« »Meine Hilfe?« Er schnaubte verächtlich. »Sie brauchen mich nicht. Wenn sie krank sind, so ist das ihre eigene Schuld.« »Wollen Sie zusehen, wie diese Menschen zugrunde gehen?« Er blickte sie ernst an. »Warum nicht?« fragte er. Sie spürte, daß er die Situation ganz nüchtern und kalt beurteilte. »Jeder von ihnen wußte, daß er keine ärztliche Hilfe finden würde, wenn er sich hier ansiedelt. Wir alle haben uns bewußt aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, weil wir die Nase voll von ihr haben. Sie ist krank.« »Bleiben Sie gesund, wenn Sie hier in der Wildnis leben – und trinken?« »Das ist meine Sache«, wies er sie ab. »Es geht Sie nichts an, wenn ich mich ruiniere, und es geht Sie nichts an, wenn die anderen Terraner, die hier leben, krank werden.« »Meinen Sie wirklich?« »Ihre Ironie läßt mich kalt, Fen«, sagte er heftig. »Jeder von uns Terranern hier auf Condagia weiß, daß er früher oder später sterben muß. Das ist jedem von uns wirklich
H. G. Francis sonnenklar. Wer von Ihnen hat sich aber schon mit dieser Tatsache abgefunden? Sie alle schieben den Gedanken an den Tod vor sich her. Sie versuchen, die Realität zu verdrängen, weil sie genau wissen, daß sie ihr Leben ganz anders einrichten würden, wenn sie es nicht täten. Wie alt sind Sie?« »32 Jahre«, antwortete sie freimütig. »Sie sind noch sehr jung, Fen. Das Leben scheint noch vor Ihnen zu liegen. Sie glauben, daß es noch gut einhundertfünfzig oder einhundertachtzig Jahre dauern kann. Das ist so lang, daß Sie es sich kaum vorstellen können. Daran zu denken, daß es eines Tages vorbei ist, halten Sie für ziemlich unsinnig. Dennoch ist es so. Jeder von uns hier am Hang hat akzeptiert, daß seine Existenz eines Tages beendet ist. Deshalb ist es uns egal, ob es heute ist oder morgen. Haben Sie begriffen? Ich werde niemandem helfen, länger zu leben.« »Sie wollen es auch dann nicht tun, wenn Sie jemand darum bittet?« »Nein.« »Lelle, überlegen Sie, bitte. Ich will …« »Nein!« »Lelle, ich …« Kervania kam aus der Hütte. Sie fuhr auf Fenomera zu und schrie: »Sie haben doch gehört, daß er nein gesagt hat!« Sie reichte ihm eine volle Flasche. »Hier trink. Es ist Villeham, und er ist noch warm.« »Sie töten ihn mit dem Zeug.« Die Frau lachte ihr ins Gesicht. »Na und? Wir müssen alle früher oder später sterben. Sie haben es doch gehört.« »Bitte, trinken Sie nicht, Lelle«, sagte Fen. Er setzte die Flasche an die Lippen und ließ das hochprozentige Getränk in sich hineinlaufen. Als er die Flasche absetzte, war sie halbleer. Er rülpste lautstark und sagte: »So, und nun unternehmen Sie etwas, Sie superintelligente USO-Spezialistin!« Fenomera preßte die Hände vor das Gesicht.
Der Eremit von Condagia Sie fühlte sich überfordert. Ihre telepathischen Sinne prallten an ihm wirkungslos ab. Sie spürte nur die kalte Ablehnung, die von ihm ausging. Er wollte den Kranken nicht helfen, und er würde es nicht tun, sosehr sie sich auch bemühte. Er würde sie noch nicht einmal ansehen. Würde er aber auch zusehen, wenn Kervania und Meinja litten? Als Lelle Salgouz sich seufzend auf den Rücken fallen ließ, lächelten die beiden Frauen hämisch. Sie wandten sich ab und gingen in die Hütte. Fen griff an ihren Gürtel, holte zwei kleine Tabletten hervor und ließ sie in die Suppe fallen. Wenige Minuten später kehrten die Frauen zurück und leerten den Topf. »Wollen Sie nichts essen?« fragte Meinja. »Danke«, erwiderte sie. »Mir ist der Appetit vergangen.«
* Am nächsten Tag sah Fen ein, daß Lelle Salgouz wirklich nicht daran dachte, den erkrankten Eremiten zu helfen. Sie mußte etwas tun. Salgouz hatte ununterbrochen getrunken. Er wäre gar nicht in der Lage gewesen, auch nur zehn Schritte zu gehen. Zunächst hatte sie noch Hochachtung vor diesem Mann gehabt. Jetzt änderte sich ihre Einstellung. Je länger sie ihn beobachtete, desto mehr glaubte sie daran, daß Plantez Garvarenz sich in ihm geirrt hatte. Er schien ihr absolut nicht für die USO geeignet zu sein, da er psychisch labil war, wie sie meinte. Bei Kervania und Meinja zeigten sich die ersten Symptome der Krankheit. Sie waren müde und fühlten sich kraftlos. Sie schliefen in der Hütte. Lelle Salgouz lag im Gras. Er war nahezu bewußtlos. Fen verließ den Platz erneut und machte sich auf den Weg zu den erkrankten Einsiedlern. Sie fand sie unverändert vor. Verfärbt und aufgequollen lagen sie auf dem Rücken. Es wurde Zeit, daß sie behandelt wurden.
33 Die USO-Spezialistin untersuchte sie. Keiner von ihnen würde gesundheitliche Schäden zurückbehalten. Die wenigsten von ihnen würden sich später überhaupt noch an das erinnern können, was geschehen war. Die Erscheinungen, die so gefährlich und abstoßend aussahen, waren tatsächlich harmlos, vorausgesetzt, das Gegengift wurde innerhalb der ersten zehn Tage nach der Infektion gegeben. Geschah das nicht, dann waren die Patienten nicht mehr zu retten. Fen verabreichte das Gegenmittel. Damit durchkreuzte sie ihren Plan mit Lelle Salgouz, aber sie glaubte ohnehin nicht mehr daran, daß er aufgehen konnte. Als sie den letzten der infizierten Eremiten behandelte, hörte sie Zweige hinter sich knacken. Sie fuhr herum und eilte an den Rand der Lichtung. Niemand war zu sehen. Dennoch war sie ganz sicher, daß irgend jemand hinter ihr gewesen war und sie beobachtet hatte. Sie versuchte, den Unbekannten mit Hilfe ihrer telepathischen Sinne zu erfühlen, aber sie stieß ins Nichts. Schritt für Schritt suchte sie die Umgebung der Lichtung ab, aber sie fand keine Spuren. Nachdenklich kehrte sie zu dem Eremiten zurück. Sie nahm ihr winziges Krankenbesteck auf und schob es wieder in den Gürtel. Keineswegs beruhigt, durchforschte sie nunmehr die weitere Umgebung der Hütte, bis sie auf den nächsten Eremiten stieß. Dieser vertrieb sie mit wütendem Geschrei. Dieser Mann war nicht infiziert. Sie hatte ihn auch noch nie gesehen. Er war groß und massig. Seine Gedanken konnte sie nicht erfassen.
* Lelle Salgouz lag noch immer im Gras, und die beiden Frauen schliefen, als Fen die Hütte erreichte. Hier hatte sich nichts verändert. Sie atmete auf. Zunächst hatte sie befürchtet, der Trinker habe sie überlistet, jetzt aber wußte sie, daß das nicht der Fall sein konnte. Sein Schlaf glich einer tiefen Be-
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wußtlosigkeit. Dennoch ging sie zu ihm und schob ihm die Lider hoch. Er merkte nichts davon. Fen setzte sich ans Feuer und fachte es wieder an. In der Hütte fand sie noch ein angebratenes Stückchen Fleisch. Sie erhitzte es über der Flamme und verzehrte es ohne großen Appetit. Durch die Bäume hindurch blickte sie in die Ebene hinaus. Bei der Springerniederlassung regte sich nichts. Dort war alles ruhig.
* Im Springerstützpunkt war es durchaus nicht ruhig. Die Krise trieb ihrem Höhepunkt zu, als Patriarch Romon Rye zu einer Konferenz rief. Anlaß dafür war der Tod eines seiner Männer. Das gab er auch offen zu, als die elf anderen Patriarchen an seiner Tafel Platz genommen hatten. Einige Mädchen reichten die Vorspeisen. »Ich habe mehrere meiner Männer ausgeschickt. Sie sollten die Lage bei den Terranern sondieren. Einer von ihnen ist überfallen und getötet worden.« Er blickte Erret Ponktong an, der die Süßspeise lächelnd zurückwies. »Wir haben herausgefunden, daß in letzter Zeit öfter Beobachter bei den Terranern gewesen sind«, fuhr Rye fort. »Die Leute zeigten sich beunruhigt. Sie sind es nicht gewohnt, daß wir uns um sie kümmern.« Erret Ponktong schob das Glas zurück, aus dem er getrunken hatte. Er erhob sich. Überrascht sah Rye ihn an. Bis jetzt fungierte er noch als Oberhaupt aller Patriarchen. Niemand hatte es bisher gewagt, ihn in dieser Weise zu brüskieren. »Wir sind die Verdächtigungen leid«, erklärte Ponktong. Romon Rye dachte nicht daran, sich das Heft so schnell aus der Hand nehmen zu lassen. Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Er stemmte die Hände auf den Tisch, und sein mächtiger Körper schien zu erstarren. »Ich halte es für besser, wenn die Sippe
Ponktong sich aus unserem Kreis zurückzieht«, sagte er drohend. »Sie wird ein gutes Geschäft machen, denn sie wird überleben.« Erret Ponktong verzog keine Miene. »Da draußen stehen jetzt vier meiner Raumschiffe. Soeben ist die PONKTONG XXX gelandet, das stärkste Schiff meiner Flotte. Jeder hier weiß, daß dieser Raumer es mit jedem Zerstörer der Überschweren aufnehmen kann.« Erregt sprachen die Patriarchen durcheinander. Romon Rye wurde um eine Nuance blasser. Er wurde von der Mitteilung völlig überrascht. »Nun nennen wir unseren Freund Romon Rye zwar hinter der vorgehaltenen Hand ebenfalls einen Überschweren, aber das ist einzig und allein auf sein übermäßiges Gewicht, nicht aber auf seine Bewaffnung zurückzuführen.« Einige Patriarchen lachten. »Diese Worte werden Sie zu bereuen haben, Erret Ponktong«, schrie Rye. »Warten wir es ab. Zunächst verbitte ich mir jede Beleidigung. Ich erwarte Sachlichkeit, denn mir geht es um das Wohl aller Sippen und um einen Großstützpunkt, wie wir ihn hier dringend brauchen. Wer darüber befiehlt, ist mir gleich.« »Das ist eine Lüge«, behauptete Romon Rye erregt. Erret Ponktong erhob sein Glas. »Ich biete Ihnen meine Freundschaft und Zusammenarbeit an«, sagte er mit einer eleganten Geste. Romon Rye zögerte lange, bis er zu seinem Glas griff. Er kämpfte mit sich. Offensichtlich wollte er diesen Trinkspruch nicht akzeptieren. »Trinken Sie«, riefen einige der anderen Patriarchen. Sie griffen ebenfalls zu ihren Gläsern und erhoben sich. Der »Überschwere« führte seine zitternde Hand zum Glas, hob es an und setzte es an die Lippen. Er trank. Erret Ponktong lächelte zynisch. Er wechselte einen kurzen Blick mit seinem Adjutanten Serpe Allak, der im Hintergrund an
Der Eremit von Condagia der Wand stand und seine Hand lässig auf den Kolben seiner Waffe stützte. Allak gab ihm das vereinbarte Zeichen. Erret Ponktong atmete unmerklich auf. Er beobachtete Romon Rye, der plötzlich bleich wurde. Das Glas fiel dem Patriarchen aus der Hand, und er griff sich an die Brust. Betroffen wandten sich die anderen Patriarchen ihm zu. Sie hörten ihn stöhnen. »Erret Ponktong – was hast du mit mir gemacht?« fragte der Springer ächzend. Er griff mit unsicherer Hand nach seinem Energiestrahler und zog ihn mühsam hervor. Unter Aufbietung aller Willenskraft richtete er ihn auf Erret Ponktong, der gelassen stehenblieb und aus seinem Glas trank. Romon Rye konnte die Waffe nicht mehr auslösen. Sie entfiel seiner kraftlosen Hand, ebenso wie zuvor das Glas. Dann brach Rye wie vom Blitz getroffen zusammen. Er stürzte vornüber auf die Tafel und blieb mit dem Oberkörper darauf liegen. Die Wachen und Adjutanten des toten Patriarchen rissen ihre Waffen aus den Halftern und richteten sie auf Erret Ponktong. Dieser blieb auch jetzt noch ruhig und gefaßt. »Ich erinnere daran, daß auf dem Landefeld meine Schiffe stehen«, sagte er. »Muß ich Ihnen erläutern, welche Befehle ich für den Fall erteilt habe, daß ich nicht lebend hier herauskomme?« Er lächelte herablassend. »Ich bin nicht schuld am Tode unseres verehrten Romon Rye. Das wird eine ärztliche Untersuchung ergeben.« Er stellte sein Glas ab und ging zur Ausgangstür. »Ich erwarte Sie in einer halben Stunde zu einer Lagebesprechung.« Serpe Allak kam zu ihm. Zusammen gingen sie hinaus.
6. »Frohe Weihnachten«, sagte Lelle Salgouz. Fenomera Falkass fuhr schlaftrunken
35 hoch. »Wie bitte?« fragte sie. »Ich erlaubte mir, Ihnen ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen«, erklärte Salgouz. Er ergriff ihren Arm und bog ihn mit brutalem Griff so herum, daß sie das Chronometer sehen konnte. Es zeigte den 24.12.2843 an. Sie entzog ihm ihren Arm und rieb sich das schmerzende Handgelenk. Lelle war betrunken, daran bestand kein Zweifel. Dennoch hielt er sich gerade auf den Beinen, und seine Augen waren klar. Seine Unterlippe zitterte. Fen krauste die Stirn. »Was ist los mit Ihnen, Lelle?« fragte sie. »Weshalb sind Sie so zynisch?« Sie erhob sich und ging zum Bach, um sich das Gesicht zu waschen. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Sie hatte lange geschlafen. Ein Schwarm von insektenartig kleinen Vögeln zog über den Hang hinweg. Ein einzelner Raubvogel folgte ihnen in großem Abstand. Er wartete mit seiner Antwort, bis sie zurückkehrte. »Wenn Sie in die Hütte gehen, wissen Sie, was ich meine. Oder sollten Sie es schon jetzt wissen?« »Sie sprechen in Rätseln.« Fen tat, als ahnte sie überhaupt nichts. Sie blickte in den Verschlag, wo die beiden Frauen lagen. Beide boten das gleiche Bild: Die Gesichter waren verquollen und hatten sich schwärzlich verfärbt. Sie streckten Arme und Beine schlaff von sich. Die USO-Spezialistin drehte sich um, lehnte sich an einen Türpfosten und kreuzte die Arme vor der Brust. »Na und?« sagte sie. Voller Spannung beobachtete sie Lelle Salgouz. Er war einmal aus sich herausgekommen, um Kervania zu retten, als sie von den Felsen stürzte. Er mußte auch jetzt etwas unternehmen. Er mußte aus seiner Gleichgültigkeit aufgeweckt werden. Die beiden Frauen bedeuteten ihm offensichtlich sehr viel. Davon war Fen fest überzeugt. »Was heißt, na und?« fragte er gereizt.
36 »Na und heißt, daß sie sterben werden. Na und? Wir müssen doch alle früher oder später einmal sterben. Irgendwann erwischt es uns. Ist es nicht egal, ob es heute oder morgen ist?« Er sprang auf und kam schwankend auf sie zu. Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Mir gefallen Ihre Worte nicht.« »Es sind nicht meine Worte, Lelle. Ich gebe nur das wieder, was Sie mir gesagt haben.« Er blieb stehen und schloß die Augen. Angestrengt dachte er nach. »Sie haben recht«, erwiderte er schließlich und nickte mehrmals. »Ich muß mich damit abfinden. Die beiden haben eben Pech gehabt.« Er drehte sich um und kehrte zum Feuer zurück, wo er sich schwer auf den Boden fallen ließ. Fen ging erregt zu ihm. »Wollen Sie nicht endlich etwas tun?« Mit einem überraschenden Griff packte er sie am Pulli und zog sie dicht an sich heran. Er hielt sie mit der rechten Hand. Mit der linken nahm er eine Flasche und reichte sie ihr. »Ich werde die beiden Frauen retten, wenn Sie diesen kleinen Rest mit mir austrinken.« Fen sah eine Chance. Sie befreite sich mit sanfter Gewalt und nahm einen Schluck. Der Schnaps brannte wie Feuer. Sie brachte ihn kaum über die Zunge. Als sie Lelle Salgouz anblickte, erschrak sie. Er grinste sie so hämisch und bösartig an, daß sie augenblicklich begriff. »Was haben Sie getan?« fragte sie mühsam. Sie schluckte mehrmals, weil ihr Hals wie zugeschnürt war. Lelle Salgouz nahm die Flasche und schleuderte sie weg. Sie zerschellte auf den Felsen. Unter einer zerschlissenen Decke holte er eine zweite Flasche hervor, die noch randvoll war. Er öffnete sie und trank. »Frohe Weihnachten«, sagte er, als er sie absetzte. Aber er richtete diese Worte nicht an Fen, sondern sprach sie so vor sich hin, als sei er völlig allein. Sein Blick ging auf
H. G. Francis die Ebene hinaus, wo ein großer Walzenraumer der Springer startete. In den nächsten Stunden sprach er kein einziges Wort mehr mit Fenomera. Zunächst konnte sie sich sein Verhalten nicht erklären, aber als die Sonne den Zenit überschritt, spürte sie, wie sich Muskelspannungen in ihr aufbauten. Zugleich wurden ihre Extremitäten gefühllos und verfärbten sich. Als sie endlich begriff, daß er sie infiziert hatte, durchsuchte sie ihren Gürtel nach dem Gegengift. Lelle Salgouz wandte sich ihr zu und beobachtete sie dabei. Er grinste hinterhältig. Der Gürtel war leer. Fen blickte Lelle fassungslos an. Er nickte ihr zu. »Ja, kleines Mädchen. Es ist schon so. Sie haben meine Frauen vergiftet, und ich habe Sie krank gemacht. Nun sehen Sie, wie Sie mit dem Problem fertig werden. Mich interessiert das alles nicht mehr.« »Lelle«, sagte sie eindringlich. »Das dürfen Sie nicht tun. Diese Krankheit verläuft tödlich.« »Wir müssen alle sterben«, erwiderte er kalt. Er erhob sich und ging in der Richtung zur Springersiedlung davon. Fen versuchte, ihm zu folgen, aber schon nach wenigen Schritten brach sie kraftlos zusammen. Sie streckte ihre Arme und Beine aus, weil sie das Gefühl hatte, sie nicht mehr am Körper ertragen zu können. Die Luft wurde ihr knapp. Ihre Haut spannte sich, und die Lider quollen an. Sie wußte, daß sich ihr Gesicht schon jetzt schwärzlich verfärbte. »Lelle«, rief sie stöhnend, aber er hörte sie nicht. Fenomera Falkass fürchtete, den Verstand zu verlieren. Sie zermürbte sich in Selbstvorwürfen, weil sie zu unaufmerksam gewesen war. Niemals hätte er ihr den Gürtel wegnehmen dürfen. Sie begriff überhaupt nicht, daß ihm dieses Kunststück gelungen war. Er konnte es nur geschafft haben, wenn er parapsychische Kräfte gegen sie eingesetzt hatte.
Der Eremit von Condagia Sie hatte noch weitere Medikamente bei ihrer versteckten Ausrüstung in den Bergen, aber sie konnte es unter den gegebenen Umständen niemals mehr schaffen, dorthin zu kommen. Niemand außer Lelle Salgouz konnte jetzt noch helfen. Sie bereute, daß sie den anderen Eremiten das Gegengift so schnell gegeben hatte. Sie machte sich Vorwürfe und sagte sich, daß sie wenigstens eine Woche hätte warten müssen. In dieser Zeit steigerten sich die Qualen der Befallenen, aber das wäre vielleicht noch zu vertreten gewesen, wenn Salgouz dadurch bekehrt worden wäre. Sie vermutete, daß er sie doch beobachtet hatte. Nur er konnte es gewesen sein, der in ihrer Nähe aufgetaucht und dann spurlos verschwunden war. Die Stunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Fen konnte bald nur noch das sehen, was über ihr war. Den Kopf konnte sie nicht mehr zu den Seiten wenden. Hin und wieder strichen ein paar Vögel oder Insekten über sie hinweg. Aus der Hütte kam zuweilen das Stöhnen der beiden Frauen. Irgendwann kehrte Lelle Salgouz zurück. Er war so betrunken, daß er nicht mehr aufrecht gehen konnte.
* Fen hatte lange wach gelegen und nachgedacht. Sie hatte alle Hoffnung verloren, ihren Auftrag noch erfolgreich abschließen zu können. Alles war vorbei. Irgendwann war sie eingeschlafen. Sie wachte erst am nächsten Tag wieder auf, als ihr jemand Wasser auf die spröden Lippen träufelte. Ihre Lider waren so angeschwollen, daß sie kaum noch etwas sehen konnte. Sie glaubte, Meinja erkennen zu können. »Lelle hat uns gesund gemacht«, sagte die junge Frau leise. »Er wird auch Ihnen helfen. Bestimmt.« Fenomera begann, wieder zu hoffen. War es nicht ein wirklich gutes Zeichen, daß der
37 Trinker seine geheimnisvollen Kräfte mobil gemacht hatte, um die Giftstoffe aus Meinja und Kervania zu entfernen? Er konnte es nur mit parapsychischen Mitteln erreicht haben, gleichgültig, ob er diese direkt angewendet oder mit ihrer Hilfe die Codebezeichnungen der Medikamente im Gürtel enträtselt hatte. Kam er jetzt endlich aus seiner Reserve heraus? Fen zwang sich zur Ruhe. Sie konnte nichts tun. Sie konnte nur warten und sich auf den Moment vorbereiten, in dem sie wieder aktionsfähig wurde. Sie erinnerte sich an die Trainingsprogramme, die sie bei der USO absolviert hatte. Solange noch nichts entschieden war, durfte sie nicht aufgeben. Lelle hatte es ihr mit gleicher Münze heimgezahlt. Das war eine Reaktion, die für sich sprach, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Sie mußte das anerkennen. Sie horchte, um sich nichts entgehen zu lassen. Immer wieder versuchte sie, mit ihren telepathischen Sinnen die Gedanken der anderen zu erfassen. Bei Salgouz stieß sie nach wie vor ins Nichts. Bei Kervania und Meinja konnte sie immerhin die Gefühle ertasten und daraus auf ihre Handlungen und Reaktionen schließen. Die Geräusche verrieten ihr zudem, was in der Nähe der Hütte geschah. Meinja bemühte sich um Salgouz. Sie schwatzte mit kindlichnaiven Worten auf ihn ein und versuchte, ihn dazu zu überreden, der Spezialistin zu helfen. Er hörte nicht auf sie. Kervania war nicht mit ihrem Verhalten einverstanden. Sie griff immer wieder ein, wenn sie das Gefühl hatte, Salgouz könnte weich werden. Sie haßte Fen, weil sie eifersüchtig war. Sie spürte, daß der Mann, den sie liebte, von dem fremden Mädchen beeindruckt war und daß ihre Schönheit ihn faszinierte. Sie wußte, daß ihre Intelligenz ihn anzog und daß sie selbst nur wenig Chancen gegen sie hatte, weil sie sich nicht mit ihr messen konnte. Fen hatte erfahren, daß Kervania eine Ausgestoßene war. Man hatte sie aus einem Raumschiff ausgewiesen und war ohne sie
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H. G. Francis
weitergeflogen. Lelle Salgouz hatte sie aufgelesen, und sie war ihm zunächst mehr aus Dankbarkeit denn aus Liebe gefolgt. Meinja war ein liebes Mädchen. Sie begriff nicht, was vorging. In ihrer Harmlosigkeit war sie selbst mit einem Mann wie Lelle Salgouz zufrieden. Ihr kam gar nicht der Gedanke, daß sie auch für einen anderen Mann interessant sein konnte. Für sie war es eine gewaltige Energieleistung, sich gegen Lelle Salgouz aufzulehnen und für das fremde Mädchen zu bitten, zumal sie ständig von Kervania zurechtgewiesen wurde. Vielleicht hätte Meinja nicht die Kraft gehabt, wenn Salgouz Fen nicht so offen vor der Hütte hätte liegenlassen, wo Meinja sie ständig sah. Mitleidig deckte sie die USOSpezialistin mit Fellen zu. Fenomera war das keineswegs recht, denn sie fror nicht. Ihr war auch nachts nicht kalt. Im Gegenteil. Sie glaubte, von innen her verbrennen zu müssen, und sie wäre froh gewesen, wenn Meinja ihr die Decken nicht gegeben hätte. Aber sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ihre Lippen waren so verquollen, daß sie nicht mehr sprechen konnte. Drei Tage verstrichen. Nichts geschah. Fen fühlte, daß ihre Kräfte nachließen.
* Danach verschwand Salgouz. Meinja kümmerte sich von nun an aufopfernd um Fen. Sie versuchte alles, um ihr zu helfen, ohne zu ahnen, daß alles vergeblich sein mußte. Ohne das Gegengift oder einen parapsychischen Eingriff war nichts zu erreichen. Immer wieder bemühte sich Fen, dem Mädchen mitzuteilen, wo ihre Ausrüstung war, aber es kamen keine verständlichen Worte über ihre Lippen. Meinja begriff auch nicht, um was es ihr ging. Sobald sie versuchte, mit ihr zu sprechen, redete sie beruhigend auf sie ein und bat sie, sich nicht anzustrengen. Sie meinte, das könne ihr nur schaden und sie weiter entkräften.
Diese Stunden waren am schwersten für Fen zu ertragen. Ihre Kräfte verfielen. Sie spürte, daß das Ende kam. Immer häufiger sank sie in einen tiefen Schlaf, in dem sie sich jedoch keineswegs erholte. Sie konnte die Tage nicht mehr zählen, und sie wußte schließlich nicht mehr, wieviel Zeit vergangen war. Spätestens zehn Tage nach der Infektion würde der Tod eintreten. Lelle Salgouz konnte das nicht wissen. Fenomera gab die Hoffnung auf. Sosehr sie sich auch bemühte, geistige Disziplin zu wahren, es half alles nichts. Da sie sich mit niemandem verständigen konnte, gab es keine Möglichkeit mehr, das Blatt noch einmal zu wenden. Ihre Wahrnehmungsfähigkeit ließ nach. Ihre telepathischen Kräfte schwanden völlig. Ihr Verstand klärte sich erst wieder, als Lelle Salgouz zurückkam. Er schrie wie ein Besessener. Irgend jemand goß einen Eimer Wasser über Fen. Sie fühlte, wie es eiskalt über ihr Gesicht lief. Vielleicht wurde ihr dadurch etwas wohler. »Die Springer haben mir nichts gegeben«, brüllte Salgouz, der offensichtlich nüchtern war. »Nichts. Versteht ihr? Wir werden umkommen, wenn sie nichts mehr herausrücken.« Klatschende Geräusche und Schreie verrieten Fen, daß er die beiden Frauen schlug. Danach wurde es still. Die beiden Frauen schienen weggelaufen zu sein. Fen hörte nur noch Lelle Salgouz, der in der Hütte nach irgend etwas zu suchen schien. Später verriet ihr ein stechender Geruch, daß er seinen Destillationsapparat wieder in Gang gesetzt hatte. Die Ereignisse wurden zusammenhanglos für sie, da sie zwischenzeitlich das Bewußtsein verlor. Sie begriff nur, daß die beiden Frauen nicht wieder auftauchten. Überraschend ließ das unerträgliche Spannungsgefühl in ihren Lidern, ihren Wangen und ihren Lippen nach. War das bereits das Ende? Es dämmerte bereits, als Fen das erstemal
Der Eremit von Condagia wieder etwas sehen konnte. Zunächst bemerkte sie nur einen mächtigen Schatten, der sich über ihr erhob. Anhand der Umrisse erkannte sie Lelle Salgouz. Er schwankte, und sie fürchtete, daß er auf sie fallen werde. Er schüttete ihr Wasser über das Gesicht. Danach konnte sie besser sehen. Der Mond schimmerte voll durch die tiefhängenden Wolken. Salgouz träufelte ihr etwas Wasser auf die Lippen, wartete und gab ihr dann eine lauwarme Brühe zu trinken. Sie erholte sich etwas. »Wie geht es Ihnen?« fragte er. Allmählich klärten sich ihre Blicke, sie konnte sein Gesicht erkennen. Nichts an ihm hatte sich verändert. Die Spuren des Alkohols waren nach wie vor vorhanden. »Jämmerlich«, entgegnete sie. Er lachte. »Das gönne ich Ihnen, Fenomera. Sie sehen ziemlich schlecht aus. Ich glaube, es geht mit Ihnen zu Ende. Wollen Sie sterben?« »Blöde Frage.« »Ich sehe, ihr bildschöner Körper geht dahin, aber im Kopf sind Sie immer noch voll da. Das gefällt mir. Sagen Sie bitte, bitte, damit ich Sie rette?« »Sie meinen, jetzt sei ich weich, wie?« Er lachte. »Sie brauchen nur zu bitten, dann beseitige ich das Gift aus Ihrem Körper. In einigen Tagen sind Sie dann wieder fit.« Fen musterte ihn. Sie war überzeugt davon, daß sie gesiegt hatte. Er brachte es nicht fertig, sie sterben zu lassen. Sie hatte ihn gezwungen, seine Kräfte mobil zu machen und nicht nur an sich selbst zu denken. »Bitte, bitte«, sagte sie leise. Er lachte dröhnend. »Bilden Sie sich nur nichts ein, Fen. Ich helfe Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen, mit mir Silvester zu feiern. Heute ist der 31. Dezember. Was halten Sie davon?« Sie wußte nicht, was sie denken sollte. Wollte er ihr tatsächlich nur helfen, damit sie sich zusammen mit ihm betrank? Sie
39 hielt diese Bemerkung für einen Bluff. »Ich habe es satt, hier zu liegen und zusehen zu müssen, wie Sie den Villeham allein vernichten, Lelle.« »Das ist ein Wort.« Fen wollte noch etwas sagen, aber ihre Arme und Beine wurden schwer wie Blei. Sie hatte das Gefühl, in schwarzer Watte zu versinken. Krampfhaft bemühte sie sich, wach zu bleiben, aber es gelang ihr nicht. Ihr war, als wehre sie sich gegen eine Narkose vor einer Operation. Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sich frei. Sie konnte die Arme und Beine wieder bewegen, und die Muskelspannungen waren behoben. Langsam führte sie die Hände zum Gesicht und tastete es mit den Fingerspitzen ab. Die Schwellungen waren abgeklungen. Sie versuchte sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht, weil sie zu schwach war. Mit aller Kraft wälzte sie sich auf den Bauch herum und kroch zum Bach. Sie brauchte sehr lange dafür und mußte immer wieder Pausen einlegen, in denen sie ohnmächtig zu werden drohte. Als sie das Wasser schließlich erreicht hatte, war sie vollkommen erschöpft. Sie ließ die Arme hineinfallen und tauchte das Gesicht hinein. Danach fühlte sie sich wohler. Lelle Salgouz kam, ergriff sie bei den Schultern und schleppte sie wie einen nassen Sack zum Feuer. Dort setzte er sie gegen einen großen Stein und stopfte ihr ein Fell in den Rücken. Er reichte ihr ein Stück gebratenes Fleisch und stellte ihr eine Brühe hin. »Essen Sie, damit Sie wieder zu Kräften kommen«, befahl er mit rauher Stimme. »Sonst kippen Sie mir gleich aus den Sandalen, wenn Sie den Schnaps trinken.« Fen wurde übel bei dem Gedanken, etwas aus seiner Destillation trinken zu müssen. Hungrig schlürfte sie die Brühe und war danach bereits gesättigt, obwohl sie vorher soviel Appetit auf das Fleisch gehabt hatte. »Wo sind Meinja und Kervania?« fragte sie. Er setzte sich ihr gegenüber und stützte eine volle Flasche auf sein Knie. Bevor er
40 ihr antwortete, trank er einen Schluck. »Irgendwo da oben in den Bergen«, erklärte er. »Ich habe sie verjagt, weil sie nicht mit mir feiern wollten. Sie werden in den nächsten Tagen wiederkommen. Mir ist das auch recht. Silvester habe ich noch immer gefeiert, und ich werde es auch heute tun. Rajvan!« »Wenn ich in meinem Zustand auch nur einen Schnaps trinke, bin ich sofort hinüber«, erwiderte Fen. »Erlauben Sie mir, ihn mit Wasser zu verdünnen?« Er überlegte. »Ausnahmsweise.« Er stand auf und holte einen kleinen Holzeimer voll Wasser. Dann schüttete er die halbe Flasche »Villeham« hinein und schob ihn Fen zu. »Wenn Sie nicht mit mir feiern, Fen, dann sorge ich dafür, daß das Gift in Ihren Körper zurückkehrt. Sie wissen, daß ich die Fähigkeit dazu habe. Also – tun Sie, was ich sage. Und verderben Sie mir den Silvesterabend nicht. In dieser Hinsicht kann ich sehr empfindlich sein.« Fen versuchte das Villeham-Wasser-Gemisch. Ihr wurde übel. Vor ihren Augen begann sich alles zu drehen. »Essen Sie etwas Fleisch«, riet er ihr. »Dann geht alles besser.« Sie tat, wie er geheißen hatte. Dabei überlegte sie fieberhaft, wie sie ihn übertölpeln konnte. Sie durfte sich auf gar keinen Fall betrinken, sondern sie mußte die Chance nutzen, ihn endlich so zu packen, daß er nicht mehr ausweichen konnte. »Rajvan!« rief er. Sie zögerte. Da stand er auf und flößte ihr etwas ein. Fen hatte das Gefühl, auf ein fahrendes Karussell gesprungen zu sein. Nur der Gedanke, daß sie einen wichtigen Zwischensieg errungen hatte, hielt sie aufrecht. Sie aß etwas von dem Fleisch, weil sie hoffte, die Alkoholwirkung dadurch etwas neutralisieren zu können. Er hatte ihr geholfen und ihr damit ungewollt bewiesen, daß die Situation keineswegs hoffnungslos war. Sie war fest davon
H. G. Francis überzeugt, daß er es nicht nur getan hatte, weil er keine Lust hatte, an diesem Abend allein zu trinken. Er verbarg sich nur hinter dieser Schutzbehauptung, weil er wußte, daß er verloren hatte. »Rajvan«, rief sie fröhlich. »Lelle, Sie trinken ja gar nicht. Haben Sie sich etwa vom Alkohol abgewendet?« »Rajvan, Sie Biest«, antwortete er. »Glauben Sie nur nicht, daß Sie mich schaffen. Ich tue, was ich will, und niemand wird mich daran hindern. Auch Sie nicht. Rajvan.« »Rajvan, Lelle. Sie gefallen mir immer besser.« »Sie sind ja betrunken«, gab er lallend zurück.
7. Fenomera erlebte diese Nacht wie im Traum. Sie nahm immer nur tropfenweise etwas zu sich und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten. Ihr durchtrainierter Körper erwies sich trotz der durchstandenen Strapazen als außerordentlich widerstandsfähig. Sie konnte sich der Wirkung des Alkohols zwar nicht völlig entziehen, wurde aber doch nicht so beeinträchtigt wie Lelle Salgouz, der am Ende nahezu besinnungslos auf dem Boden lag und nicht mehr ansprechbar war. Fen kroch zum Wasser und wusch sich die Arme und das Gesicht, die Schultern und die Füße, bis sie sich wieder frisch fühlte. Danach stärkte sie sich mit ein bißchen Fleisch und etwas Brühe. Wohlige Müdigkeit überfiel sie, aber sie schlief nicht ein. Das Feuer erlosch. Sie erhob sich, um etwas Holz zu sammeln, als sie die Stimmen von Meinja und Kervania hörte. Die beiden Frauen kehrten zurück. Fen blieb stehen und wartete. Die Sonne würde bald aufgehen. Der Horizont erhellte sich bereits. Bei der Springersiedlung brannten zahlreiche Lichter. Die beiden Frauen kamen nicht. Fen rief, aber ihre Stimme war zu schwach. Sie drang
Der Eremit von Condagia nicht weit. Sie sah ein, daß sie nicht viel ausrichten konnte, und entfernte sich von der Hütte. Als sie zurückkehrte, war es bereits hell. Die beiden Frauen standen vor der Hütte. Als sie Fen sahen, drehten sie sich um und gingen hinein. Der Trinker hatte sie kräftig verprügelt. Das konnte Fen den geröteten und verquollenen Gesichtern ansehen. Sie nahm sich vor, ein paar tröstende Worte mit den beiden zu reden, und wandte sich zunächst dem Feuer zu. Sie versuchte, die Glut zu schüren und wieder anzufachen, als ihr Blick zufällig zur Ebene hinunter fiel. Zwei große Fluggleiter näherten sich den Bergen. Das war absolut ungewöhnlich. »Kervania, Meinja«, rief sie in befehlendem Ton. Als sich nichts rührte, wiederholte sie die Namen noch energischer. Die jüngere der beiden Frauen kam aus der Hütte. Schüchtern näherte sie sich ihr. »Was gibt es?« fragte sie verängstigt. Fen deutete schweigend auf die Gleiter. Sie sah, daß Meinja erschrak. »Was wollen die hier?« fragte die Frau. Sie fuhr herum und schrie gellend nach Kervania. Diese kam sofort. Sie fluchte, als sie die Flugzeuge sah. »Das hat nichts Gutes zu bedeuten«, erklärte sie. »Lelle, aufwachen. Ich habe schon immer gesagt, daß sie uns eines Tages wie die Hasen jagen werden, weil wir ihnen im Weg sind.« Lelle Salgouz schlief weiter, obwohl Kervania ihn aufrichtete und ihm mit einem nassen Lappen über das Gesicht fuhr. Sie gab ihre Bemühungen mit einer verächtlichen Bemerkung auf und ließ ihn einfach wieder ins Gras fallen. »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß die Springer uns töten wollen«, sagte Fen. Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß die galaktischen Händler etwas Derartiges unternehmen würden. Doch da blitzte es bei einem der beiden Gleiter auf. Ein nadelfeiner Energiestrahl fuhr weit unterhalb der Hütte von Salgouz in den Berg. Ein gellender Schrei drang zu den
41 drei Frauen herauf. In der kristallklaren Morgenluft drangen alle Geräusche besonders weit. Sie hörten, daß unten bei den anderen Eremiten Bewegung entstand. Felsgeröll polterte über den Hang, und Bäume brachen. »Sie versuchen zu fliehen«, flüsterte Meinja und schlug sich entsetzt die Hände vor das Gesicht. Fen stieg auf einige Felsen, von denen aus sie eine bessere Sicht nach unten hatte. Die beiden Gleiter hatten sich getrennt. Sie flogen voneinander weg und durchsuchten die unteren Bereiche des Berghangs. Immer wieder blitzen die Energiestrahler auf. Die sonnenheißen Strahlen schlugen in die Büsche und Bäume und setzten sie in Brand. Die Flammen loderten auf. Gefährlich wurde die Situation, weil der Wind aus der wüstenartigen Ebene kam und die Flammen nicht nur anfachte, sondern auch vor sich her den Hang hinauftrieb. Immer mehr Bäume fingen Feuer. Schon jetzt zeichnete sich für Fen ganz klar ab, daß die Eremiten keine Chance hatten. Das Feuer mußte sie aus ihren Höhlen und Hütten direkt vor die Energiestrahlgewehre der Springer treiben. Fen beobachtete einen alten, weißhaarigen Mann, der etwa zwei Kilometer von ihr entfernt war. In der klaren Luft konnte sie deutlich erkennen, wie er über die Steine floh. Ein Gleiter folgte ihm. Die Springer ließen sich Zeit. Sie töteten den Einsiedler, kurz bevor er eine Höhle erreichte, die ihm Deckung geboten hätte. Fen sprang vom Felsen herunter. Vor Schwäche brach sie fast zusammen. Sie schleppte sich zu Lelle Salgouz und schrie die beiden Frauen an: »Helft mir doch. Nur er kann uns noch retten.« Meinja und Kervania gehorchten. Sie nahmen Salgouz auf und zerrten ihn zum Bach. Sie warfen ihn hinein, und während Meinja seinen Kopf über Wasser hielt, massierte Kervania ihn durch. Aber damit erreichten sie nichts. Der Terraner stand viel zu stark
42 unter der Wirkung des »Villeham-Spezial«. Er kam noch nicht einmal zu sich. »Man könnte auch versuchen, einen Toten aufzuwecken«, schrie Kervania schließlich enttäuscht. Fen hatte inzwischen die beiden Gleiter beobachtet. Sie waren weiter vorgedrungen. Systematisch suchten sie den Hang ab. Die Art, wie sie vorgingen, verriet der USOSpezialistin, daß sie genau wußten, wo die gesuchten Siedler lebten. »Hört zu«, sagte sie zu den beiden Frauen. »Jetzt gibt es nur noch eine einzige, allerdings sehr kleine Chance. Oben in den Bergen liegt meine Ausrüstung. Ich habe Waffen, die ich gegen die Springer einsetzen könnte.« Kervania kauerte auf dem Boden. An ihrer Brust lehnte Lelles Kopf. Sie streichelte ihn. »Das ist doch alles sinnlos«, antwortete sie. »Was hilft es wirklich, wenn wir diese beiden Gleiter zerstören können? Innerhalb einer Stunde wäre der nächste hier. Die Springer würden nur um so härter zuschlagen.« »Wir hätten Zeit gewonnen, Kervania«, sagte Fen ruhig. »Und darauf kommt es an. Ich habe einen Hypersender dabei, mit dem ich ein Notsignal abstrahlen kann. Damit ist nicht gesagt, daß wir sofort Hilfe erhalten, aber …« »Was soll das alles?« fragte Kervania erregt. »Das hilft doch nicht weiter.« »Lassen Sie mich aussprechen. Die Springer werden den Notruf zweifellos abhören, und damit muß ihnen klarwerden, daß wir ihnen das Konzept verdorben haben. Ihr Plan funktioniert nur, wenn sie alle Terraner innerhalb kurzer Zeit umbringen können. Es darf niemand überleben, so daß keiner berichten kann, was hier geschehen ist. Verstehen Sie?« »Nein.« »Aber ich«, ereiferte sich Meinja. »Wenn Fen einen Notruf abschickt, dann wissen die Springer, daß sie diese Mordaktion nicht mehr geheimhalten können. Sie
H. G. Francis werden aufhören und zu verhandeln versuchen.« Kervania blickte Meinja mit offenem Munde an. Sie war verblüfft und schien es nicht fassen zu können, daß sie psychologische Zusammenhänge schneller erkannt hatte als sie. »Sie müssen mir helfen, zu meinen Sachen zu kommen«, sagte Fen rasch. »Allein schaffe ich es nicht.« »Einer muß bei Lelle bleiben«, erklärte Kervania. »Er kann uns bestimmt auch helfen, wenn er wach wird.« »Sie bleiben hier«, bestimmte Fen. »Meinja geht mit mir.« Wie nicht anders zu erwarten, war Kervania einverstanden. Sie vertraute Lelle Salgouz blind und erwartete von ihm selbst in seinem derzeitigen Zustand eine größere und wirksamere Unterstützung als von der USOSpezialistin. »Können Sie sich mit ihm irgendwo verstecken?« fragte Fen. Kervania zeigte den Hang hinauf. »Dort oben ist eine kleine Höhle. Dort werden wir sein.« Fenomera stieg wieder auf den Felsen. Die beiden Gleiter hatten sich von ihnen entfernt. Sie operierten in einem Felseinschnitt, in dem sie kaum zu sehen gewesen wären, wenn sie nicht pausenlos geschossen hätten. Fen beobachtete zwei verwundete Eremiten, die ganz in der Nähe an der Hütte von Salgouz vorbeiliefen und sich zwischen die Felsen zu retten versuchten. »Kommen Sie, Meinja.« Sie faßte die junge Frau bei der Hand und lief mit ihr davon. Zurückblickend sah sie Kervania bei Lelle Salgouz. Sie übergoß seinen Kopf mit kaltem Wasser, um ihn auf diese Weise zu sich zu bringen.
* Als sie etwa eine Stunde lang geklettert waren, wurden sie bemerkt. Einer der beiden Gleiter stieg plötzlich steil nach oben und gewann innerhalb weniger Sekunden die
Der Eremit von Condagia gleiche Höhe wie die beiden Frauen. Diese liefen über einen schmalen Felsgrat, auf dem sie keinerlei Deckung hatten. Meinja bemerkte die Gefahr zuerst. »Fenomera!« schrie sie panikerfüllt. In ihrer Angst rutschte sie aus und schlitterte einige Meter abwärts über die Felsen. Die USO-Spezialistin kam ihr sofort zu Hilfe. Sie zerrte sie wieder nach oben. Dabei beobachtete sie das Flugzeug, das sich ihnen mit hoher Fahrt näherte. »Ich habe mir den Fuß verstaucht«, sagte Meinja stöhnend. »Ich kann nicht laufen.« Fen blickte sich gehetzt um. Schließlich entdeckte sie unter den Felsen eine Höhle. Sie schob die widerstrebende Frau hinein und rannte wieder zum Grat hinauf. Die Maschine war nur noch etwa einhundert Meter von ihr entfernt. Ein Energiestrahler blitzte auf. Fen jagte auf eine schützende Felsgruppe zu. Sie machte alle Kräfte mobil, die noch in ihr steckten. Als sie die Deckung erreichte, schossen die Springer erneut. Abermals verfehlten sie sie. Die Spezialistin brach zusammen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Wild rang sie nach Atem. Sie spürte, daß sie nicht noch einmal davonkommen würde. Seltsamerweise berührte es sie nicht so sehr, daß ihr Tod unmittelbar bevorstand. Sie dachte nur an Lelle Salgouz und daran, daß sie den Auftrag hatte, ihn für die USO zu gewinnen. Alles war vorbei. Sie hatte sich jede nur erdenkliche Mühe gegeben, ihn aus seinem nutzlosen Leben herauszuführen. Es war ihr nicht gelungen. In Quinto-Center mußte man sie für eine Versagerin halten. Niemand hatte damit rechnen können, daß die Springer ihre Haltung zu den terranischen Siedlern so radikal ändern würden. Zunächst hatte Fen sich nicht erklären können, was die galaktischen Händler dazu veranlaßt haben mochte. Jetzt sagte sie sich, daß der Grund nur in einer Änderung der Machtverhältnisse in dem Springerstützpunkt Kontok zu suchen sein konnte. Sie kroch durch eine niedrige Felsspalte. Der Gleiter der Springer befand sich ganz in
43 der Nähe. Sie konnte das Summen seiner Antriebsaggregate hören. Die beiden Männer brauchten nur zu warten. Sie mußte bald aus ihrem Versteck herauskommen. Vielleicht würden die Springer mit ihrer Energiekanone in die Felsen schießen und sie dabei so erhitzen, daß sie sich hier nicht mehr halten konnte. Vielleicht aber würden sie ihre Maschine auch verlassen, um sie mit einer Handwaffe zu erledigen. Fen erreichte das Ende der Spalte. Durch einen schmalen Ausschnitt konnte sie auf den Hang sehen, auf dem ihre Ausrüstung unter einem Felsen lag. Nur noch etwa hundert Meter trennten sie von ihrem Energiestrahler, mit dem sie sich hätte zur Wehr setzen können. Sie konnte nicht mehr verhindern, daß sie von den Springern wie ein Stück Wild abgeschossen wurde. Waffenlos konnte sie nichts ausrichten. Oder doch? Besaß sie denn wirklich keine Waffen? Sie straffte ihren Pulli und fuhr sich ordnend mit den Händen durch das Haar. Dann blickte sie prüfend an sich herunter. Sie konnte sich immer noch sehen lassen. Langsam trat sie aus dem Spalt heraus. Den Pulli rollte sie etwas hoch, so daß sie ihre Taille entblößte. Sie war noch keine drei Schritte von ihrem Versteck entfernt, als der Gleiter um die Gesteinsbrocken herumkam, die sie bis dahin gedeckt hatten. Das Mädchen blieb stehen, als sei die Situation keineswegs ungewöhnlich. Sie ordnete sich ihr schulterlanges Haar und blickte die beiden Springer herausfordernd an. Der Gleiter schwebte auf sie zu. Drohend glühten die Abstrahlmündungen der Energiestrahlwaffen. Fen konnte die beiden Männer durch die Scheiben sehen. Sie saßen auf ihren Plätzen und starrten sie verblüfft an. Einer von ihnen hatte aus einem Papierbecher getrunken. Er warf ihn durch das offene Fenster hinaus. Der andere lenkte die Maschine. Seine Hände lagen in lockerer Haltung auf den Tasten,
44 mit denen er die tödlichen Waffen abfeuern konnte. Fenomera lächelte herablassend, drehte sich um und zog den Pulli mit einer energischen Geste straff über die Hüften. Dann fuhr sie sich erneut durch das Haar und ging davon. Ihre Blicke richteten sich auf das Versteck, in dem sie ihre Ausrüstung verborgen hatte. Die Sonne stand hinter ihr. So fiel der Schatten des Gleiters an ihr vorbei, und sie konnte sehen, daß er ihr folgte. Mit ihren telepathischen Sinnen konnte sie die Emotionen der beiden Männer erfassen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ihre Herausforderung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Ganz ohne Zweifel war sie das hübscheste Mädchen hier in den Bergen. Die beiden Männer dachten genau das, was sie hatte erreichen wollen: warum sie jetzt schon töten? Man konnte sich doch erst ein wenig mit ihr amüsieren. Danach blieb immer noch Zeit genug, diese Zeugin zu beseitigen. Einer der beiden Männer dachte sogar daran, sie als seine Geliebte mit in den Stützpunkt zu nehmen. Er überlegte nur noch, wie er seinem Begleiter diese Absicht klarmachen sollte. Fen lächelte. Von Schritt zu Schritt fühlte sie sich sicherer. Sie hütete sich, sich umzusehen, da sie genau wußte, daß sie damit ihre Wirkung auf die beiden Männer herabmindern mußte. Gerade weil sie die Springer ignorierte, beherrschte sie sie. Als sie nur noch zwanzig Meter von ihrem Versteck entfernt war, hörte sie, wie eine Tür aufging. »He, Mädchen«, rief einer der beiden Springer. Er hatte einen abgrundtiefen Baß. Fen ging noch etwa zehn Meter weiter. Er rief erneut. Sie hörte seine Schritte hinter sich. Betont langsam drehte sie sich um. Sie erschrak. Der Springer war sicherlich über zwei Meter groß und 150 kg schwer. Diesen Mann zu überwältigen, würde nicht leicht
H. G. Francis sein. Der Gleiter war gelandet. Der zweite Springer stieg aus und näherte sich ebenfalls. Beide Männer waren mit schweren Energiestrahlern bewaffnet. Fen lächelte. Sie stützte eine Hand auf die Hüfte und fuhr sich mit der anderen durchs Haar. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte der Springer mit dem Baß. »Wir werden dich nicht töten.« »Warum nicht? Was unterscheidet mich von den anderen am Berg?« »Du bist jung und schön. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied.« Er stand vor ihr und streckte seine fleischigen Hände nach ihr aus. Sie sträubte sich nicht, als er sie an sich zog. Doch als er seine bärtigen Lippen auf ihren Mund pressen wollte, verwandelte sie sich in eine lebende Kampfmaschine. Ihre Arme wirbelten durch die Luft, nachdem sie die Umklammerung mühelos gesprengt hatten. Die stahlharten Handkanten zerschmetterten den Widerstand des riesigen Mannes, und ihre gestreckten Finger bohrten sich ihm in die Nervenzentren am Hals und in der Herzgegend. Bevor der galaktische Händler überhaupt begriffen hatte, was geschah, sackte er bewußtlos zusammen. Fen packte ihn und hielt ihn halb aufrecht, um sich schützend hinter ihn zu ducken. Dabei riß sie ihm den Energiestrahler aus der Halfter. Der andere Mann stand ihr mit angeschlagener Waffe gegenüber, schoß aber nicht, weil er seinen Begleiter nicht töten wollte. Er zögerte viel zu lange und überlegte, was er tun sollte. »Leg die Waffe weg«, befahl Fen. Er schüttelte den Kopf und ging langsam rückwärts. Aus seinen verwirrten Gedanken konnte sie herauslesen, daß er in den Gleiter springen und sie dann mit den Bordwaffen paralysieren wollte. Sie hatte die Wahl zwischen ihm und der Maschine. Im Kampf gegen die Springer
Der Eremit von Condagia konnte der Gleiter von unschätzbarem Wert sein, aber dann hätte sie ihn erschießen müssen. Und das wollte sie nicht. Auch sie zögerte die Entscheidung hinaus. Da kam der Springer, den sie niedergeschlagen hatte, zu sich. Er lenkte sie für einen kurzen Moment ab, als er sich regte und ihr dadurch fast entglitten wäre. Der andere nutzte die Chance, die sich ihm bot. Er rannte zum Gleiter, riß die Tür auf und stieg ein. Jetzt hatte Fen keine Wahl mehr. Sie sprang auf und lief auf die Maschine zu. Dabei streckte sie den Arm aus und feuerte den Energiestrahler ab. Die Scheiben zersprangen unter der ungeheuren Hitzeeinwirkung. Der Springer versuchte, die Auslösetasten für die Bordwaffen zu erreichen. Fen schoß erneut. Der Energiestrahl durchschlug die Unterseite des Gleiters und erreichte die Energiekammern des Antigravs. Das Flugzeug explodierte. Eine grelle Stichflamme brach aus der Unterseite hervor und drang in die Kabine, in der der Springer saß. Im nächsten Moment hüllten Flammen die ganze Maschine ein. Fen wußte, daß die Entscheidung gefallen war. Hier konnte sie nichts mehr tun. Sie drehte sich um, weil sie zu dem anderen Springer zurückkehren wollte, als sich dieser auf sie warf. Er hatte sich an sie herangeschlichen, ohne daß sie es gemerkt hatte. Sie prallten zusammen, und Fen wurde umgerissen. Sie stürzte zu Boden und schlug schwer mit dem Kopf auf. Ihr wurde schwarz vor Augen. Ihr Gegner krallte ihr beide Hände um den Hals. Dabei hätte er mühelos ihre Waffe nehmen und sie töten können, doch er wollte sie mit bloßen Händen umbringen. Die USO-Spezialistin erfaßte die Impulse ungeheuren Hasses, die von ihm ausgingen. Sie spürte seine ganze Mordlust, und sie bäumte sich auf. Sie erkannte, daß ihr nur noch Sekunden blieben, sich zu retten. Sie versuchte, die Hände von ihrem Hals zu lösen, doch gegen seine übermächtigen Kräfte kam sie nicht an. Sie versetzte ihm einige äußerst schmerzhaften Hiebe gegen
45 den Nacken und den Kopf. Er stöhnte gequält auf, gab sie aber nicht frei. Fen spürte, wie ihre Kräfte nachließen. Vor ihren Augen begann es zu flimmern. Mit letzter, verzweifelter Anstrengung packte sie seinen Kopf. Sie zerrte an seinen Haaren und drehte ihm den Kopf zur Seite. Als er fürchtete, sie werde ihm auf diese Weise das Genick brechen, ließ er sie los. Sie rang wild nach Atem und nutzte die winzige Chance, die sich ihr bot. Sie schmetterte ihm die Handkante gegen den Hals. Er brach bewußtlos über ihr zusammen. Fen blieb einige Minuten so liegen, bis sie die Kraft fand, sich zu befreien. Sie kroch über den Boden und nahm den Energiestrahler auf, den sie verloren hatte. Sie fühlte sich so müde und zerschlagen, daß sie sich nicht aufrichten konnte. Meter für Meter schleppte sie sich an das Versteck mit ihrer Ausrüstung heran. Als sie es erreichte, blieb sie liegen, um sich ein wenig auszuruhen. Sie hatte das Gefühl, auf einem Planeten mit plötzlich erhöhter Schwerkraft zu sein. Ihre Glieder waren bleischwer. Sie öffnete die Ausrüstungsbehälter und trank ein wenig Wasser. Dann nahm sie einige Tabletten mit Nahrungskonzentraten und rasch wirkenden Aufbaustoffen zu sich Sie konnte auf die Wirkung warten. Das Gefühl lähmender Schwere verschwand. Fen richtete sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Felsen. Von hier aus konnte sie den Springer beobachten, der zu sich gekommen war und auf allen vieren näher kam. Keuchend richtete er sich auf, als sie etwa noch zehn Schritte trennten. Sein bärtiges Gesicht war vor Haß verzerrt. »Noch nie hat mich eine Frau besiegt«, sagte er mühsam. Er wollte noch mehr sagen, aber seine Stimme versagte. Er schluckte. Fenomera richtete den erbeuteten Energiestrahler auf ihn. »Wenn Sie noch näher kommen, werde ich schießen.« »Das werden Sie auch tun, wenn ich mich
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umdrehe und weggehe«, erwiderte er. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Springer«, antwortete sie. »Mit anderen Worten, ich bin kein Mörder. Also – gehen Sie.« Er zögerte. Sie löste den Strahler aus. Der Energiefinger glitt dicht an ihm vorbei. Sie sah, daß die Hitze ihm die Haare versengte. Er wurde blaß, drehte sich um und rannte davon. Sie ließ ihn laufen.
8. Fenomera streifte sich den Kampfanzug über und nahm an Ausrüstung mit, was sie glaubte, gebrauchen zu können. Dann flog sie sofort an den Hang zurück. Die Szene hatte sich weiter verändert. Jetzt bot sich ihrem Blick ein einziges Feuermeer. Die Springer hatten mit ihren Bordkanonen Büsche und Bäume in Flammen gesetzt. Mitten in dem Feuer und Rauch entdeckte sie Eremiten, die nicht wußten, wohin sie sich bei ihrer Flucht wenden sollten. Sie sah sich versucht, diese Menschen aufzulesen und auszufliegen, aber sie wußte, daß sie dann höchstens zwei oder drei von ihnen retten konnte. Danach würde sie entdeckt werden. Und damit war praktisch nichts gewonnen. Sie flog zwischen den Flammen auf die Hütte von Lelle Salgouz zu. Die Einrichtung hatte Feuer gefangen. Ihre telepathischen Sinne sagten ihr, daß sich niemand mehr darin befand. Sie näherte sich der Höhle, die ihr bezeichnet worden war, und erfaßte dabei die geistige Ausstrahlung Kervanias, des Mannes und der Hunde. Der Gleiter war weit von ihr entfernt. Nur durch einen Zufall konnte sie entdeckt werden. Sie landete vor der Höhle und ging hinein. Die Hunde kamen ihr knurrend entgegen, griffen sie jedoch nicht an, als sie sie ansprach. Kervania lehnte verängstigt an einer Felswand in der Höhle. Lelle Salgouz kauerte auf dem Boden und starrte sie mit leeren
Augen an. Er war noch immer betrunken. Fen kniete vor ihm nieder. »Nun, Lelle, wie geht es Ihnen?« fragte sie sanft. »Wollen Sie noch immer nichts tun? Wollen Sie zusehen, wie Ihre Freunde, Ihre Frauen und Ihre Hunde umgebracht werden?« Er versuchte, ihr zu antworten, brachte aber keine verständlichen Worte über die Lippen. Enttäuscht wandte sich die USOSpezialistin von ihm ab. »Kervania, versuchen Sie, ihm zu helfen«, bat sie. »Sie müssen ihn wach bekommen. Hat er noch etwas zu trinken?« »Nichts«, antwortete Kervania verstört. »Der ganze Vorrat liegt in der Hütte.« »Das ist vielleicht ganz gut.« Sie nickte ihr zu und verließ das Versteck. Draußen schaltete sie den Antigrav ihres Kampfanzugs wieder ein. Sie glitt mit hoher Geschwindigkeit über den Hang. Dabei hielt sie sich sehr dicht über dem Boden, so daß sie durch Flammen und Rauch gut gegen den Springergleiter gedeckt war. Die beiden galaktischen Händler kämmten den Hang ab. Immer wieder blitzten die Energiestrahler auf. Fen wußte, daß nahezu jeder Schuß das Ende für einen der Eremiten deutete. Plötzlich wendete das Flugzeug. Es kam auf sie zu. Fen preßte sich hinter einen Felsbrocken. Sie stand inmitten der Flammen, doch die Hitze machte ihr nur wenig aus, da der Kampfanzug sie ausreichend schützte. Sie klappte den Schutzhelm über den Kopf, um besser atmen zu können. Ruß und Schmutz schlugen sich auf der Sichtscheibe nieder. Sie wartete. Die Sekunden strichen endlos langsam dahin. Hatten die Springer sie geortet? Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Nein, damit war nicht zu rechnen. Die Mörder jagten harmlose Einsiedler, heruntergekommene Terraner, die oft kaum mehr auf dem Leib trugen als ein Hemd und eine Hose. Sie rechneten nicht damit, hier auf einen unge-
Der Eremit von Condagia wöhnlichen Gegner zu stoßen, und würden daher die Energieortung gar nicht erst einsetzen. Sie versuchte, die Gedanken und Gefühle der beiden Männer zu erfassen. Es gelang ihr nicht vollkommen. Sie esperte nur Gedankenfetzen – die nichts mit dem blutigen Geschehen hier zu tun hatten – und Gleichgültigkeit. Die Springer empfanden praktisch nichts. Sie führten Befehle aus, ohne sich etwas dabei zu denken. Der Gleiter schwebte so dicht an ihr vorbei, daß sie die Gesichter der beiden Männer sehen konnte. Sie fürchtete bereits, vorzeitig entdeckt zu werden, doch keiner der beiden Springer wandte den Kopf zur Seite. Fen wartete, bis die Maschine einige Meter von ihr entfernt war, dann schaltete sie ihren Antigrav wieder ein. Sie flog auf das Heck des Gleiters und feuerte ihren Energiestrahler auf die Glassitscheiben ab. Laut krachend zerplatzte das sonst so widerstandsfähige Material. Die beiden Springer fuhren herum und starrten entsetzt in die Mündung des Blasters. »Aussteigen«, befahl Fen. »Los, schnell!« Einer der beiden Männer versuchte, zu seiner Waffe zu greifen, doch als Fens Strahler sich auf ihn richtete, zog er die Hand zurück. Die Spezialistin ließ sich in die Kabine des Flugzeugs gleiten. Mit sicherem Griff entwaffnete sie die beiden Springer. »Ich sagte es schon einmal: Aussteigen!« Die Springer blickten nach draußen in die Flammenhölle. »Das wäre unser Tod!« »Unsinn«, entgegnete sie ironisch »Sie haben genauso viele Chancen wie die Leute, die Sie gejagt haben. Also, darf ich bitten?« Die beiden Springer blickten sich an. Dann öffnete einer von ihnen die Tür an seiner Seite und sprang hinaus. Der andere folgte ihm. Fen sah, daß sie in einem Aschehaufen landeten. Sie rannten durch aufwirbelnde Glut auf einen Felsen zu, um sich auf ihn zu retten.
47 Von dort aus hatten sie einen guten Überblick über den Hang. Dort konnten sie aber auch von den Eremiten gut gesehen werden. Fenomera beschleunigte. Der Gleiter jagte flach über den Berg hinweg.
* Die Raumlinse befand sich noch in ihrem Versteck. Niemand hatte sich an ihr zu schaffen gemacht. Das konnte Fen sehr leicht feststellen. Sie setzte sich in die Maschine, fuhr die Hyperfunkantennen aus und richtete sie sehr genau aus. Sie mußte eine der zahlreichen Relaisstationen erreichen. Quinto-Center war für einen direkten Funkspruch viel zu weit entfernt. Sie formulierte knapp und präzise und schickte den Notruf dann fünfzehnmal hinaus. Dann schaltete sie alle Geräte wieder ab und verließ die Linse. Sie lief zu dem Gleiter zurück, den sie im Wüstensand abgesetzt hatte, und startete. Um die Spuren zu verwischen, die sie hinterlassen hatte, flog sie mehrere Male dicht über den Landeplatz hinweg, so daß der Sand aufgewirbelt wurde.
* Die Situation am Hang der Eremiten hatte sich kaum verändert. Noch immer wütete der Buschbrand und trieb die Einsiedler aus ihren Verstecken. Ein Gleiter war jedoch nicht zu sehen. Fen schloß daraus, daß die Springer entweder noch nicht gemerkt hatten, was hier geschehen war, oder sich zu einem zweiten Schlag zurückgezogen hatten. Wenn es so war, dann würden sie zunächst klären wollen, was passiert war, um dann mit geballter Wucht anzugreifen. Sie landete unmittelbar vor dem Höhleneingang, in dem sie Lelle Salgouz wußte. Meinja war inzwischen eingetroffen. Sie lächelte erleichtert, als sie die Spezialistin sah. Kervania kniete bei Salgouz am Boden und massierte ihm den Nacken. Die Hunde
48 lagen im Hintergrund. Sie verhielten sich ruhig. »Jetzt haben Sie Ihre letzte Chance, Lelle«, sagte Fen. Er blickte sie verlegen an. Mit zitternden Fingern strich er sich über die trockenen Lippen. Sie sah ihm an, daß er Durst hatte. »Wie meinen Sie das?« fragte er mit belegter Stimme. »Kommen Sie mit mir.« »Wohin wollen Sie?« »Zunächst will ich so viele Männer und Frauen aus dem Feuer holen, wie ich kann. Danach werde ich zum Springerstützpunkt fliegen und dort Ordnung schaffen.« »Was habe ich damit zu tun?« »Das fragen Sie? Lelle, Sie haben kein Recht, hier oder irgendwo sonst zu leben, wenn Sie nichts für sich und andere tun. Sie haben nur die Alternative, sich aufzulehnen oder unterzugehen. Glauben Sie nur nicht, als Schmarotzer leben zu können. Das ist so, wie Sie es sich vorstellen, auch nicht möglich.« Er errötete. »Warum quälen Sie mich? Lassen Sie mich doch in Ruhe.« »In Ordnung«, stimmte sie zu. »Vergessen wir Sie!« Sie wandte sich an die beiden Frauen. »Unter den gegebenen Umständen können Sie sich hier nicht halten«, erklärte sie. »Ich habe auf meinem Flug zu meinem Raumschiff einige Täler entdeckt, in denen wesentlich bessere Lebensbedingungen vorhanden sind als hier. Sie können dort sogar ohne die Unterstützung anderer existieren. Wenn Sie einverstanden sind, bringe ich Sie und die Hunde dorthin. Ich habe mir vorgenommen, auch die anderen Terraner dort abzusetzen.« Die beiden Frauen zögerten. Sie blickten Lelle Salgouz an. Ein Windstoß fachte draußen die Flammen erneut an und trieb eine Hitzewelle in die Höhle. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das für mich täten«, sagte Meinja schüchtern. »Ich gehe auch«, stimmte Kervania.
H. G. Francis »Kommen Sie.« »Schon jetzt?« »Wie lange wollen Sie denn noch warten? Wollen Sie hierbleiben, bis die Springer wiederkommen?« Sie verließ die Höhle. Die beiden Frauen folgten ihr. Als sie in den Polstern saßen, lief Lelle Salgouz auf den Gleiter zu. Sein Gesicht war feuerrot. »Warten Sie, bitte«, rief er. Fenomera startete. Der Gleiter löste sich vom Boden. Lelle Salgouz sprang hoch. Seine Hände krallten sich an die Türkanten. »Sie dürfen mich nicht allein lassen«, schrie er. Fen öffnete das Fenster. Der Gleiter schwebte unbeweglich etwa drei Meter über dem Boden. »Warum nicht?« fragte sie. »Ich bin nicht für Sie da. Niemand ist dafür da, daß Sie bequem leben können. Also, verschwinden Sie endlich.« Sein Gesicht straffte sich. »Hören Sie, Fen«, sagte er heiser. »Ich sehe ein, daß Sie recht haben. Ich gehe mit Ihnen nach Kontok und räume dort auf. Sie haben gewonnen, verdammt noch mal.« Sie senkte den Gleiter ab und öffnete die Tür. »Unter diesen Umständen ist es besser, wenn Meinja und Kervania hierbleiben«, sagte sie. »Ich benötige noch einige Minuten für die Vorbereitung, Fen. Warten Sie auf mich.« Lelle Salgouz verschwand. Er trat in das Zeitflimmern ein.
* Salgouz hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Vor seinen Augen flimmerte es, und der Gleiter mit den drei Frauen verschwand. Er hörte das Knistern des Feuers nicht mehr, und er roch den Rauch nicht mehr. Seine Haut fühlte sich kühl und angenehm an. Er befand sich in einem milchigtrüben Nichts, in dem es keine Schwerkraft
Der Eremit von Condagia gab. Die bekannten, echoähnlichen Stimmen fehlten nicht. Salgouz suchte die telepathische Verbindung zu jenen seltsamen Existenzformen, die als Zeitnomaden bezeichnet wurden. Ohne genau sagen zu können, wie es geschah, bekam er Kontakt mit diesen rätselhaften Intelligenzen. Sie waren ihm weit überlegen, und sie dachten in Begriffskomplexen, die für ihn kaum verständlich waren. Ihnen gegenüber fühlte er sich wie ein Kind, das zahllose Fragen stellen muß, um ein winziges Teilstück eines großen Geschehens begreifen zu können. Wie bei seinen früheren Begegnungen erwiesen sich die Bernaler auch jetzt als äußerst geduldig und hilfsbereit. Sie schienen geradezu versessen darauf zu sein, den Kontakt mit jener Existenzebene, aus der er kam, zu verbessern und zu vertiefen. Salgouz öffnete seinen Geist. Er gab Informationen darüber ab, was auf Condagia geschehen war. Zugleich versuchte er, das milchige Nichts zu durchdringen. Irgendwo mußte es auch hier Klarheit und Übersichtlichkeit geben. Es gelang ihm nicht. Ihm war, als seien die Bernaler unmittelbar vor ihm, als brauche er nur die Hand auszustrecken, um sie zu berühren. Aber das konnte er nicht. Obwohl er wußte, daß es nicht so war, glaubte er, seinen Körper verloren zu haben. Plötzlich drängte es ihn zurück in die Flammenhölle von Condagia. Lelle Salgouz drehte sich um sich selbst. Aus den milchigen Schleiern tauchte der Gleiter auf. Was er bei seinen bisherigen Ausflügen zu den Bernalern immer wieder erlebt hatte, trat auch jetzt ein. Er erkannte die Zusammenhänge des Geschehens bis in die Details. Er wußte, wer Romon Rye gewesen war und welche Bedeutung Erret Ponktong und sein Adjutant Serpe Allak hatten. Er wußte, daß Allak den Patriarchen Rye vergiftet und nicht – wie anfangs geplant – mit einem Desintegrator ermordet hatte. Er wußte aber auch, wer Fenomera Fal-
49 kass war und welche Gefühle sie mit dem USO-Spezialisten Plantez Garvarenz verbanden. Er war sich klar darüber geworden, was er für sie empfand und was ihm ihre Achtung bedeutete. Er blickte ihr in die blauen Augen. Das ausdrucksvolle Gesicht mit der schmalen Nase und den vollen Lippen ließ soviel Persönlichkeit erkennen, daß er sich klein neben ihr fühlte. Er biß sich auf die Lippen. »Worauf warten wir noch?« fragte er rauh. »Die Springer werden bald angreifen. Wir müssen ihnen zuvorkommen.« »An mir soll es wahrhaftig nicht liegen«, entgegnete Fen ruhig. »Macht's gut, ihr beiden«, sagte Salgouz zu Meinja und Kervania, die den Gleiter verlassen hatten und am Höhleneingang standen. »Ihr seid hier sicher.« »Können Sie etwas gegen das Feuer tun?« fragte Fen. Er stieg in die Maschine und schüttelte den Kopf. »Ich benötige meine Kräfte für Kontok«, erwiderte er. »Das Feuer ist nicht mehr so schlimm. Wer den Angriff überlebt hat, kann sich aus eigener Kraft retten.« Die USO-Spezialistin beschleunigte. Das Flugzeug glitt am Hang abwärts und raste dann auf die Springerniederlassung zu. Fen hielt es ständig in einer Höhe von nur wenigen Metern. Sie wollte nicht, daß man sie vorzeitig entdeckte. Voller Spannung wartete sie darauf, was Lelle Salgouz unternehmen würde. Sie vertraute ihm. Er hatte sich in den letzten Minuten vollkommen verändert. Ein ganz anderer Mensch schien neben ihr zu sitzen. »Ich hoffe, daß die Springer einen guten Tropfen in ihrer Vorratskammer haben«, sagte er. Sie blickte ihn schockiert an. »Greifen Sie Kontok nur an, weil Sie nichts mehr zu trinken haben?« Er grinste breit und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er nickte. »Natürlich«, entgegnete er. »Mein eigener Destillationsapparat ist geplatzt. Glauben
50 Sie denn, mein Durst sei gleichzeitig erloschen?« Seine sonst so trüben Augen funkelten. Fen begriff, daß er seine Worte nicht ganz so gemeint hatte, wie sie sich angehört hatten. Sie versuchte, etwas von seinen Gedanken und Gefühlen zu erfassen, aber das gelang ihr auch jetzt nicht. Lelle Salgouz deutete nach vorn. Der Energiezaun hatte sich geöffnet. Etwa zwanzig große Kampfgleiter flogen aus der Kuppelstadt heraus. Selbst aus großer Entfernung war deutlich zu erkennen, daß die Maschinen mit vielen schwerbewaffneten Springern besetzt waren. »Man will endgültig aufräumen. Wahrscheinlich hat man gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung ist.« »Das hat man schon vor vier Stunden, Fen«, antwortete er. »Bisher hat Erret Ponktong jedoch gezögert, weil er im Grunde ein Feigling ist. Er weiß nicht, was wirklich geschehen ist. Deshalb hat er Angst, in eine Falle zu laufen. Genau das wird auch passieren.« Er bedeutete ihr mit einer Geste, daß sie landen sollte. Sie gehorchte. Die Kampfgleiter verharrten vor der Springerstadt. Lelle Salgouz sprang auf den sandigen Boden hinab. Er schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte auf die Maschinen zu. Fen blickte ihm nach. Sie lächelte. Wer diesen Mann so sah, der konnte sich wirklich nicht vorstellen, welche Macht sich bei ihm konzentrierte. Sein Hemd und seine Hose waren zerrissen und teilweise verbrannt. Sie hingen ihm nur noch in Fetzen um den Körper. Die Hose hielt er mit einem Strick, den er sich um die Hüften gebunden hatte. Die Sandalen hatte er verloren, so daß er jetzt mit bloßen Füßen durch den Sand ging. Die Springer kamen zu der Ansicht, daß sie sich vor ihm nicht zu fürchten brauchten. Das Funkgerät des Gleiters sprach an. Fen schaltete es ein. Das scharfkantige Gesicht eines Springers erschien im Bild. Der Mann legte die linke
H. G. Francis Hand an seinen geflochtenen Bart und zupfte leicht daran. »Mein Name ist Erret Ponktong«, sagte er. »Sie sitzen in einem unserer Gleiter. Erklären Sie, was vorgefallen ist.« »Sie sind also der Schurke, der befohlen hat, die Eremiten zu töten«, erwiderte sie. »Dafür werden Sie bezahlen müssen, Patriarch.« Sein Gesicht verzerrte sich zu einem verächtlichen Lächeln. »Ich rate Ihnen, den Gleiter sofort zu verlassen, sonst vernichten wir ihn.« »Dazu werden Sie nicht mehr kommen«, behauptete Fen. Sie sah, daß Lelle Salgouz beide Arme hoch erhoben hatte. Er war nur noch etwa zweihundert Meter von den großen Kampfgleitern entfernt. Was hatte er vor? Fen lenkte den Gleiter zu ihm hin. Fünf Meter hinter ihm landete sie und sprang heraus. Sie ging zu ihm. »Was passiert jetzt?« fragte sie. Er lächelte unmerklich. »Gleich wird unter einigen der Gleiter ein sehr hohes Schwerkraftfeld entstehen. Warten Sie ab, was dann passiert!« Sie blickte gespannt auf die Gleiter, bei denen jetzt die Projektionsfelder einiger Bordkanonen aufflammten. Bevor die Springer feuern konnten, stürzten sechs Gleiter schlagartig zu Boden. Obwohl sie nur aus einer Höhe von etwa zwei Metern fielen, gruben sie sich tief in den wüstenartigen Boden ein. Fen sah, daß die Springer von einer unsichtbaren Gewalt zusammengestaucht wurden. Die Seitenscheiben zerplatzten und die Stahlplastikpanzerung zerbrach wie sprödes Eis. Bevor die anderen Gleiter in den Kampf eingreifen konnten, erlitten sie das gleiche Schicksal. Sie prallten krachend auf den Boden und verwandelten sich dabei in flugunfähige Wracks. Fen hörte wütende Schreie. Eine dunkle Stimme brüllte Befehle. Lelle Salgouz wartete gelassen ab, bis die Springer die zerstörten Maschinen verlassen hatten.
Der Eremit von Condagia »Jetzt kehren wir die Schwerkraftverhältnisse ein wenig um«, kündigte er amüsiert an. Unmittelbar darauf wirbelten die Männer von Kontok hilflos durch die Luft. Sie verloren den Boden unter den Füßen und stiegen, von aller Schwerkraft befreit, auf. Die meisten überschlugen sich. Einige lösten panikerfüllt ihre Energiestrahler aus, ohne damit jedoch einen Schaden anzurichten. Fen beobachtete Salgouz. Sie fragte sich, ob er wirklich ein Mutant war. »Wenn Sie sie noch höher steigen lassen, ersticken sie«, mahnte sie. »Diese Männer haben ohnehin jeglichen Kampfeswillen verloren.« Er nickte. Fen blickte zum Himmel hinauf. Die Springer waren nur noch als kleine Punkte zu erkennen. Salgouz entwaffnete sie. Es regnete Energiestrahler. Langsam sanken auch die Männer von Kontok wieder herab. Lelle Salgouz zog eine kleine Gruppe zu sich heran. »Lassen Sie sie nicht auf den Boden fallen«, bat Fen. »Ich will nicht töten«, erwiderte er. Wenige Minuten später stürzten die Springer in den Sand. Panikerfüllt versuchten sie zu fliehen, doch unsichtbare Kräfte hielten sie fest. Lelle Salgouz zwang zwei Männer, zu ihm zu kommen. In einem von ihnen erkannte die Spezialistin Erret Ponktong. Den anderen identifizierte sie mit ihren telepathischen Sinnen als Serpe Allak. Fassungslos starrte der Springerpatriarch die zerlumpte Gestalt an. Dann wandte er sich Fenomera zu, doch sie zeigte auf Salgouz. »An ihn müssen Sie sich wenden, Patriarch«, sagte sie kühl. »Er ist der Mann, der die Macht hat. Er wird, falls Sie sich nicht fügen, den gesamten Stützpunkt in einen Trümmerhaufen verwandeln.« »Das … das kann er nicht«, sagte Ponktong stammelnd. Lelle Salgouz befreite einen der Kampfgleiter aus der Schwerkraftfessel. Das Wrack stieg etwa zweihundert Meter in die
51 Höhe und stürzte dann ab. Jetzt blieb nur noch ein Trümmerhaufen übrig. »Das gleiche könnte ich mit jedem von diesen Kuppelbauten machen«, verkündete Salgouz. »Möchten Sie eine Demonstration?« Einige andere Springer kamen zu ihnen. Sie umringten Ponktong und führten ihn zur Seite. Ein untersetzter Mann ging auf Lelle Salgouz zu. »Mein Name ist Richan. Ich hoffe, Sie werden uns Ponktong und seinen Adjutanten überlassen.« Fen lächelte. Es war geschafft. Sie kehrte zu dem Gleiter zurück und setzte sich hinein. Wenig später gesellte sich Lelle Salgouz zu ihr. »Die Springer werden den Schaden ersetzen, den sie angerichtet haben«, berichtete er. »Von jetzt an werden beide Gruppen hier leben können. Die Händler und wir Eremiten.« »Sie, Lelle, werden nicht länger hierbleiben.« »Doch – das werde ich. Man braucht mich hier.« »Man braucht Sie nicht nur hier, sondern auch noch woanders. Wo – das werden Sie bald erfahren.« »Ich hoffe, daß die Springer mir bald eine Flasche Schnaps bringen. Ich komme um vor Durst«, erwiderte er.
* Lordadmiral Atlan landete auf der Ebene zwischen Kontok und dem Hang der Eremiten. Fenomera Falkass erwartete ihn mit dem Gleiter, den sie den Springern weggenommen hatte. Der Arkonide begrüßte sie freundlich. »Sie scheinen es geschafft zu haben«, sagte er. Fen schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, erwiderte sie. »Salgouz hat von den Springern etwas zu trinken bekommen. Er ist seit zwei Tagen nicht mehr nüchtern geworden. Und auch jetzt sieht es nicht
52 besonders gut aus.« Atlan setzte sich in den Gleiter. Fen startete. »Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie kommen würden«, gestand sie. Der Arkonide antwortete nicht. Er blickte zum Hang hinüber, wo Arbeitsroboter von Kontok stabile Expeditionszelte für die Eremiten errichteten. Die Anstrengungen der galaktischen Händler, das Unrecht wiedergutzumachen, waren nicht zu übersehen. Solange der Lordadmiral neben ihr in dem Gleiter saß, hatte sie nicht das Gefühl, etwas Außergewöhnliches sei geschehen. Sie wunderte sich darüber, daß er selbst gekommen war, und konnte keine Erklärung dafür finden. Das änderte sich erst, als sie Atlan in den Bungalow führte, den die Springer für Salgouz erbaut hatten. Er lag mitten in einem künstlich angelegten Park. Mit knappen Worten erläuterte Fen, was geschehen war und mit welchen Mitteln Salgouz die Händler eingeschüchtert hatte. Kervania empfing sie mit verschlossener Miene. »Er ist im Wohnzimmer«, sagte sie. Ihr Tonfall verriet Fen, wie es um ihn stand. Lelle Salgouz lag auf einem Diwan. Zwei leere Flaschen standen auf dem Tisch neben ihm. Dennoch wirkte er keineswegs so betrunken, wie Fen befürchtet hatte. Als er Atlan sah, erhob er sich langsam. Seine Wangen röteten sich. »Ist das nicht etwas ungewöhnlich?« fragte er mit schwerer Zunge. Der Arkonide setzte sich in einen Sessel. »Keineswegs. Wenn Sie wissen, was geschehen ist, werden Sie wissen, wie wichtig es für uns ist, daß Sie uns helfen.« Salgouz schüttelte den Kopf. »Ich habe es Fen schon gesagt. Ich werde Condagia nicht verlassen. Mein Platz ist hier.« »Ich habe Nachrichten von Stealaway. Das ist ein Planet der Sonne Snowpoke. Bei dieser Welt handelt es sich um einen vorgeschobenen Stützpunkt Terras im BluesBe-
H. G. Francis reich. Dort ist etwas geschehen, was Ihnen vielleicht bekannt vorkommen wird«, sagte Atlan, als habe er Salgouz überhaupt nicht gehört. »Ein Mann namens Bilfnei Gloddus beherrscht den ganzen Stützpunkt. Er hat den USO-Spezialisten Neserp getötet. Von diesem Gloddus berichtet man, daß er zuweilen im Nichts verschwindet. Er hat immer mehr Macht, wenn er zurückkehrt. Auffällig ist, daß dieser Mann aus seiner Anonymität herausgetreten ist, als Sie Ihre Kräfte zum erstenmal entfalten konnten. Ich glaube daher nicht an einen Zufall, sondern sehe eine deutliche Parallelität.« Lelle Salgouz griff nach seiner Flasche. »Gloddus ist uns entkommen«, fuhr Atlan in sachlichem Tone fort. »Aber wir werden sehr bald wieder mit ihm zu tun haben. Ein Mann wie er braucht Bestätigung. Es genügt ihm nicht, seine Macht ohne Zeugen ausüben zu können. Er will bewundert und gefürchtet werden.« Lelle Salgouz blickte Atlan in die Augen. Er kämpfte mit sich. Endlich nickte er. »Ich glaube, ich kenne diesen Mann«, erklärte er. »Wir sind uns einmal im Zeitflimmern begegnet, ohne es zu merken. Es wird mir erst jetzt bewußt.« »Erzählen Sie uns etwas über diesen Mann«, forderte der Lordadmiral ihn auf. »Wir müssen alles über seine Fähigkeiten und die Hintergründe seines Handelns wissen.« Lelle Salgouz erhob sich wortlos. Er ging ins Nebenzimmer. Atlan und Fen hörten, daß Wasser lief. Minuten später kehrte er zurück. Er war gewaschen, rasiert und gekämmt. In neuer Kleidung sah er völlig verändert aus. »Ich weiß, daß ich meine Fähigkeiten noch einmal einsetzen muß«, sagte er brummig. »Ich weiß, welche Macht im Zeitflimmern zu gewinnen ist, und ich darf wohl nicht zulassen, daß Gloddus sie bekommt.« Er starrte Fenomera mißmutig an. »Gibt es an Bord etwas zu trinken?« fragte er. »Natürlich«, erwiderte sie freundlich.
Der Eremit von Condagia
53
»Frische, kühle Milch.« »Diese Existenzebene ist die Hölle«, gab Salgouz knurrend zurück. »Sie können natürlich auch klares Wasser bekommen«, ergänzte Fen. »Mir wird schon jetzt schlecht.« Er blickte Atlan fragend an. »Was wird mit meinen beiden besseren Dritteln?«
»Die bleiben hier.« »Einverstanden«, sagte er mürrisch. »Ich will mich nur noch von ihnen verabschieden, dann können wir gehen.« ENDE
ENDE