GORDON BLACK Band 10
Der Dämon aus der Hölle von Norman Thackery
Es sollte nur ein kleines Experiment werden, ein win...
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GORDON BLACK Band 10
Der Dämon aus der Hölle von Norman Thackery
Es sollte nur ein kleines Experiment werden, ein winziger Versuch, für ein entbehrungsreiches Leben nun endlich Glück und Wohlstand einzutauschen. Der Versuch mißlang, denn als der Dämon im Zimmer erschien, hatte der Professor den zweiten Teil der Beschwörung vergessen. Das nutzte der Dämon eiskalt. Er entzog sich dem Bannfluch, der seit eineinhalbtausend Jahren auf ihm lastete und ihn in einem Turm festhielt. Jetzt war er endlich frei. Jetzt begann seine Zeit…
Mit zitternden Lippen las Rodalba die uralte lateinische Beschwörungsformel. Leise, ganz leise, damit ja kein Ton hinausdrang aus seinem Studierzimmer, das aussah wie eine Rumpelkammer aus dem Mittelalter. Seine vertrockneten Finger fuhren unter den verschnörkelten Worten her. Die Handschrift war schwer zu entziffern. Immer wieder stockten seine Finger, und sein Gemurmel erstarb. Er suchte das Wort zu deuten, zog Vergleiche, kramte in seinem Gedächtnis, bis ihm Sinn und Zweck des Geschriebenen aufgingen. Ein gieriges Leuchten erfüllte sein Gesicht von innen heraus. Er hatte gewußt, daß es dieses uralte geheime Buch
gab. Und zwar hier in Doringham. Zwanzig Jahre lang hatte er in den Archiven der Universitäten drüben im alten Europa und hier in Amerika gestöbert und gegraben, bis er die Spur hatte. Und zehn Jahre hatte er noch zusätzlich darauf verwandt, die unermeßlichen Schätze an Schriften, Urkunden, Dokumenten und Büchern zu sichten, die Leach Manning seinerzeit als ganze Schiffsladung aus Europa herübergeholt hatte. Rodalba hatte manchmal schier verzweifeln wollen angesichts dieser Berge von Material und des immer mißtrauischeren Benehmens der Manning-Sippe. Ein Verrückter wurde er genannt – und nicht bloß von den Mannings. Landauf, landab spotteten die Leute hinter ihm her, wenn er zu seinem baufälligen schäbigen Sommerhaus fuhr, das nichts anderes als eine Bretterhütte von einem übergeschnappten Goldgräber war. Vielleicht stellten die Leute auch deshalb eine ganz bestimmte Gedankenverbindung her. Jedenfalls riefen die Kinder hinter ihm her, er sei der beknackte Professor. Die Erwachsenen nannten ihn »Rodalba mit der weichen Birne«. Und die Mannings wären heilfroh gewesen, wenn sie ihn endlich los gehabt hätten. Er war ihnen unheimlich, wie er kichernd und schlurfend fast jeden Tag durch die Kellerräume ihres feudalen Landsitzes wanderte und Kisten aufbrach, die seit ihrer Ankunft vor rund hundert Jahren noch unausgepackt herumstanden. Altes Zeug war das, Plunder, manches gefälscht, vor allem die griechischen Skulpturen, die sich Leach Manning damals hatte andrehen lassen. Und überhaupt war es nur vor der Jahrhundertwende beliebt gewesen, sich das Haus mit antikem Krempel vollzustellen. Aber selbst dazu war Leach Manning nicht mehr
gekommen. Eines Morgens traf ihn der Schlag im Sitzen, und seine Nachkommen waren weit mehr damit beschäftigt, seine Eisenbahngesellschaft in gerechte Anteile aufzustückeln, als ein paar hundert Kisten auszupacken. Das hatte dann erst Professor Rodalba besorgt. Der spinnenfingrige schrullige Gelehrte hatte in den zehn Jahren seines Sichtens und Forschens doch so manchen kostbaren Fund gemacht und die Manning-Nachfahren darauf aufmerksam gemacht. Aber die hatten nur wenige der wertvollen Entdeckungen droben im Haus aufgestellt. Der größere Teil war an Museen gegeben worden. Dort konnten die teueren Staubfänger wenigstens vom interessierten Publikum begafft werden. Wonach Rodalba in Wahrheit aber suchte, das war ein französisches Grimorium. Ein Hexenbuch. Ein geheimes Buch. Bis etwa zu der Zeit, da Leach Manning seine gewaltige Einkaufsreise durchs alte Europa machte, hatte es sich im Kloster St. Vigor in Bayeux befunden. Mit ziemlicher Sicherheit jedenfalls. Und dann war es weg. Fort, einfach verschwunden. Aber Leach Manning war in der Stadt gewesen, und zwei nichtsnutzige Burschen mit denkbar schlechtem Ruf fielen noch ein Jahr danach durch unverhältnismäßig hohe Ausgaben und ein flottes Leben auf. Bis dann einer im Suff ins Wasser fiel und jämmerlich ertrank und der andere genau so spurlos verschwand wie das geheime Hexenbuch. Es war eine Heidenarbeit für Rodalba gewesen, die Ereignisse zu rekonstruieren, die viele Jahrzehnte zurücklagen. Viele falsche Informationen waren ihm zugeflossen. Er war von Universität zu Universität geirrt und hatte das geheime Hexenbuch gesucht. Aber er war immer wieder nur Gerüchten aufgesessen. In Padua endlich gab es ein Schriftstück, in dem Passagen aus dem Grimorium zitiert wurden. Das Dokument datierte aus
dem vierzehnten Jahrhundert. In Upsala erwähnte ein Abt in einem Brief jenes Grimorium. Natürlich gab es auch noch andere Hexenbücher, und sie waren nicht weniger geheim. Gerade dieses eine aber befaßte sich angeblich mit dem Beschwören von Höllendämonen und wie man Gewalt über sie erlangte und sie sich dienstbar machte. Aus diesem Grunde war Rodalba so unendlich viel an diesem Hexenbuch gelegen. Seine Seligkeit hätte er dafür hergegeben – wenn sie ihm jemand abverlangt hätte. Vor vierzehn Tagen erst hatte er in einer geborstenen Kiste mit zerbrochenen Fayencen eine Art Inventarliste gefunden. Darin waren numerierte Kisten angegeben, ohne daß viel über ihren Inhalt gesagt wurde. Er hatte sich dann einfach an die Angabe »Antike Bücher« gehalten. Aber die Kistennummern auf den Brettern waren unleserlich gewesen. Oder sie waren damals schon auf dem Transport zerkratzt oder abgescheuert worden. Durch den Inhalt von achtundzwanzig Kisten hatte er sich gearbeitet, bis er endlich einen Folianten in Händen hielt, der das gesuchte Grimorium sein konnte. Der Einband war aus Holz mit Lederüberzug gefertigt, ganz im Stil der damaligen Zeit. Natürlich war der Holzwurm in den schweren Einband geraten. Die Pergamentblätter mit der verschnörkelten Schrift hatten sie jedoch verschont. Als Rodalba das geheime Hexenbuch zum ersten Male öffnete, hatte er es sehr vorsichtig und unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen getan. Entsetzliche Flüche sollten darauf liegen und den treffen, der die finsteren Mächte frevelhaft herausforderte. Nichts war passiert. Das hatte ihn mutiger gemacht.
Er hatte begonnen, die Beschwörungsformeln zu entziffern und zu übersetzen, so gut es ging. Heute war er auf die richtige Formel gestoßen. Alle Beschwörungen mußten laut gesprochen werden, wenn sie wirken sollten. Er übte erst einmal, er murmelte die Worte, und immer wieder lauschte er in die Ecken seines Studierzimmers, wenn es dort geheimnisvoll knackte. Aber es waren nur die Regalbretter, die sich unter dem Gewicht der Bücher bogen. Rodalbas Stirn glühte wie im Fieber. Vorbei war die Zeit des Suchens und Forschens, vorbei die Zeit der Entbehrungen. Er war ein alter Sonderling geworden, aber die dreißig Jahre hatten sich gelohnt. Er war entschlossen, einen Dämon zu beschwören. Der mußte ihm zu Reichtum verhelfen, er mußte ihm Jugendkraft beschaffen. Er würde ein mächtiger und geachteter Mann sein und nicht der Spinner, hinter dem die Leute hergrinsten und sich bezeichnend an die Stirn tippten. Ihnen allen würde er es noch zeigen! Er las die Beschwörungsformel an diesem Abend so oft, bis er sich zutraute, sie flüssig und ohne zu stocken herzusagen. Dann sann er über eine Aufgabe nach, mit der er nachprüfen konnte, ob der Dämon zur Stelle war und ihm auch dienstbar sein wollte. Er holte ein Glas Wasser, zündete zwei schwarze Kerzen an und stellte sie auf die äußersten Ecken des überladenen Schreibtisches. Draußen war es warm und windig und staubtrocken. Ein kleines, ein winziges Unwetter nur wäre ein guter Beweis, daß der Dämon zur Stelle war. Rodalba hatte eine dumpfe Angst davor, daß vielleicht nicht alles so glatt ablaufen würde wie erhofft. Aber die Gier, endlich für ein trostloses Leben überreichlich entschädigt zu werden, überwog seine Bedenken. Und es war ja auch nur eine Probe.
Er stellte sich so, daß er mit den brennenden Kerzen ein gleichseitiges Dreieck bildete, faßte das Glas Wasser mit der linken Hand und sagte mit bebender Stimme: »Besticitum consolatio veni ad me vertat Creon …« Nachdem er die Formel gesprochen hatte, schüttete er das Wasser über die linke Achsel hinter sich. Unheimliche beklemmende Stille herrschte mit einem Schlag. Nicht einmal der Wind vor den Fenstern rührte sich mehr, und die Regalbretter hatten aufgehört, unter dem Gewicht der Bücher zu knarren. Sekunden vergingen. Ratlos drehte Rodalba das leere Glas zwischen den Fingern. Sein Experiment hatte nicht geklappt, wie es aussah. Aber dann zuckte er zusammen, duckte sich und schrie gellend auf. Ein berstender Krach erschütterte das Haus bis in seine Grundfesten, Tür und Fenster sprangen auf, aus dem Nachthimmel zuckten geisterhafte Blitze nieder, denen sofort das schmetternde Tosen der Donnerschläge folgte. Die Blitze schufen draußen fahle Helligkeit. Der Schatten einer grauenerregenden Gestalt fiel plötzlich ins Zimmer und wurde ins Groteske verzerrt. Das elektrische Licht erlosch. Seltsamerweise brannten die schwarzen Kerzen weiter, auch wenn heftige Windstöße an den Flammen zerrten. Ein scharfes Klirren wie von Eisen mischte sich in das Toben der unerklärlichen Gewalten. Von Furcht gepeitscht hob Rodalba den Kopf. Auf dem Fenstersims saß jemand. Er wußte sofort, daß es der Dämon war, den er beschworen hatte. Das Wesen war da, und er wußte nicht weiter. Die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Vergessen war alles, was er dem Dämon befehlen wollte. Sein Gehirn war wie leergeblasen. Der Dämon zeigte menschliche Gestalt, war aber von Kopf bis Fuß behaart. Sein Kopf war länglich, fast wie gedrückt, und
die Augen schauten fuchsteufelswild. Mit den Armen machte er drohende Gebärden. Sofort klang das Eisengeklirr viel lauter. Rodalba sah, daß der Dämon schwere Eisenringe um die Handgelenke trug und daß sie mit einer Kette verbunden waren. Von einem Ring baumelte ein loses Kettenende herab. Das bedeutete nur eines – das Höllenwesen war irgendwo durch einen Bannfluch festgekettet gewesen. Durch die Beschwörung hatte es sich losreißen können und war hier erschienen. Rodalba begriff in seinem namenlosen Entsetzen endlich, daß er etwas unternehmen mußte. Sonst ergriff der Dämon die Initiative. Er trat nach vorn, um das Dreieck zu zerstören. Seine Füße konnte er nur unter unsäglichen Mühen vom Boden lösen, und um ein Haar wäre er nach vorne geschlagen und auf den Schreibtisch gestürzt. Wieder zuckten draußen Blitze nieder und rüttelten die Donnerschläge an den Mauern des Hauses. Der Dämon hüpfte vom Fenstersims ins Zimmer und richtete sich auf. Er wurde größer, immer größer, bis er Rodalba um Haupteslänge überragte. Seine behaarten Hände griffen nach dem vor Angst halb irrsinnigen Professor, der jämmerliche Klagelaute ausstieß. Die Dämonenhände verbogen sich zu Klauen, die langen Nägel wurden spitz wie Dolche. Rodalba brachte kein vernünftiges Wort zusammen, auch nicht einen zusammenhängenden Gedanken. Nur sein Instinkt sagte ihm, daß er das Hexenbuch haben mußte, daß er damit dem Dämon wehren konnte. Der schien die Absicht zu erkennen. Ein satanisches Lachen verzerrte das Gesicht, die Töne aus der Kehle des Wesens hörten sich noch schauriger an als das Getöse des herbeigezauberten Unwetters.
Rodalba spürte, wie seine Beine von einer unsichtbaren Kraft wie in Schraubstöcken festgehalten wurden. Er kam nicht mehr vom Fleck! Aber wenn er sich nach vorn fallen ließ, prallte er doch auf den Schreibtisch und konnte das Buch packen! Der Dämon brüllte gräßlich auf, als der Professor sich nach vorne warf. Die behaarten Arme zuckten hoch, das lose Kettenende zischte durch die Luft und zerschmetterte Rodalbas Hände, bevor sie das Buch greifen konnten. Ein paar Kettenglieder hieben tiefe Kerben in die Tischplatte. Rodalba winselte vor Schmerz und Furcht. Er spürte die haarigen harten Hände an seinem Hals und kaltes Eisen. Der Dämon zerrte ihm die Kette um die Kehle! Er hatte das Wesen beschworen, und es war gekommen! Aber er hatte keine Befehle für den Sendboten der Hölle! Darum war der Dämon so wütend! Er bestrafte ihn für den Frevel! Mit einem mörderischen Ruck zogen die behaarten Hände die Kette zusammen. Rodalbas verzweifelter Hilfeschrei erstickte in einem Gurgeln. *** Das größte Anwesen weit und breit war der Besitz der Mannings. Da kam kein Haus in Doringham mit. Und da wohnten nicht gerade die armen Leute. Die Nachfahren Leach Mannings hatten sich beizeiten vom Eisenbahngeschäft getrennt, als sie merkten, daß damit keine Gewinne mehr zu erwirtschaften waren. Die großen Profite machte man heutzutage mit Elektronik, mit Öl und Erdgas. Da fiel noch ordentlich etwas ab. Und weil die Nachfahren von Leach Manning alles etwas anders machten als andere Leute, hatten sie Erfolg. Jedenfalls
konnte niemand behaupten, einen von den Mannings je übervorteilt oder zu einem ungünstigen Geschäftsabschluß getrieben zu haben. Wer mit dem großen Geld noch mehr Geld scheffelte, glaubte, er müsse unbedingt ein Büro in New York oder wenigstens in San Francisco haben. Die Mannings hielten das für einen alten Zopf und betrieben ihre Geschäfte von Doringham aus. Ihre größten Konkurrenten verstanden das nicht, aber es funktionierte, und das war schließlich die Hauptsache. Natürlich waren Telefonleitungen zu den wichtigsten Handelsplätzen der Welt geschaltet; es gab auch ein Dutzend Fernschreibverbindungen, die Tag und Nacht offen waren, und für alle Fälle, bei denen ein Manning selber anwesend sein mußte, standen zwei Geschäftsflugzeuge auf dem städtischen Flugplatz von Doringham bereit. Die meiste Zeit des Jahres waren die Mannings jedoch in dem weitläufigen Gebäude versammelt, das Leach seinerzeit einfach in die Gegend gebaut hatte, weil ihm der Winkel am Fluß so gut gefiel. Es war mehrfach umgebaut und modernisiert worden, und die Bungalows von einem halben Hundert Mitarbeiter gruppierten sich mittlerweile drum herum. An diesem Abend saßen die Mannings wie fast jeden Abend zusammen, um den Familienzusammenhalt zu unterstreichen. Jeder sollte jederzeit das Gefühl und die Gewißheit haben, daß er auf die große Familie zählen konnte und daß sie geschlossen hinter ihm stand. Darauf beruhte der Erfolg der Sippe. Und auch der Erfolg vieler anderer Familienclans in diesem Land. Thomas Philby, der mit Vera Manning verheiratet war und deshalb nur Veras Mann genannt wurde, mixte sich einen Drink zurecht, der einen Bären stockbetrunken gemacht hätte.
Thomas Philby war das Gehirn der Manning-Sippe, von ihm kamen die meisten Anregungen, die besseren Ideen und die kühnsten Geschäftsvorschläge. Er war ein rücksichtsloser Mensch, hatte mindestens zwei Dutzend Konkurrenten an den Bettelstab gebracht, bevor er ihre Firmen für einen Apfel und ein Ei aufkaufte, und er war auch privat ein rüder Patron. Das Hauspersonal und die Geschäftsmitarbeiter behaupteten, manchmal könnte man hören, wie er Vera verprügelte, bevor er nach Houston oder Dallas oder Los Angeles oder Miami flog, wo er Freundinnen hatte. Angeblich lebten auch noch ein paar Flittchen ganz einträglich von ihm. Mit dem Glas in der Hand trat er an eines der Fenster und schaute über den nach mexikanischer Art angelegten Innenhof zum Gebäudeflügel, in dem der bescheuerte verhutzelte Professor Rodalba seine Studien betreiben durfte. Drüben brannte Licht, der seltsame Kerl hockte wieder über den Büchern, die außer ihm kein Mensch verstand. Tagsüber stöberte er in den Kellerräumen und packte Leachs schon fast vergessene Schätze aus, die kaum noch jemand haben wollte. »Komischer Knabe, der!« murmelte Thomas Philby. »Der gehört schon fast zum Haus wie die alten Kisten und die Möbel. Zehn Jahre kriecht der in dem alten Zeug zwischen lauter Spinnweben herum.« »Was sagst du?« erkundigte sich Dyer Manning. Vom Geschäft verstand er nicht allzu viel, dagegen war er Experte, was Frauen betraf. »Der wunderliche Kerl drüben arbeitet immer noch«, antwortete Philby. »Bei dem Tempo müßte er doch mal fertig werden. Was treibt er eigentlich für Studien, wenn er nicht gerade Kisten ausräumt?« Dyer grinste und schlenderte heran. »Kürzlich war ich drüben, habe mir seine Notizen angesehen. Lauter gelehrtes Zeug in Sprachen, die kein Mensch versteht. Ich jedenfalls bin
nicht mitgekommen. Und Bücher, die noch von Hand auf Pergament geschrieben sind. Ich sage dir, die Leute, die damals diese Arbeit gemacht haben, müssen jahrelang an so einem Buch geschuftet haben.« »Das macht die Dinger ja auch wertvoll«, meinte Philby grinsend. »Ich will doch hoffen, daß der alte Knabe nicht heimlich welche von den Büchern wegschleppt.« Dyer schüttelte den Kopf. »Hat er noch nie versucht. Manchmal kramen die Wächter in seinen Sachen herum, wenn er zu seinem Holzhaus rauffährt. Eine durch und durch ehrliche Haut.« »Dann ist er erst recht blöd«, urteilte Philby. »Kein Wunder, daß er’s in seinem ganzen langen Leben nicht weiter als bis zum Hungerleider gebracht hat.« »Nicht jeder ist wie du. Lauter Philbys, das hält die Welt nicht aus!« spottete Dyer und wandte sich ab. Thomas Philby knurrte ihm etwas nach, das sich mächtig unfreundlich anhörte. Dyer konnte es sich aussuchen, ob es auf ihn oder allgemein auf die Mannings gemünzt war. Aber Philby machte ja kein Geheimnis aus seiner Meinung über die männlichen Mannings, die er allesamt für degeneriert hielt. Seit Leach hatten sie keinen tollen Kerl mehr hervorgebracht, der die Welt in seine Hosentasche steckte. »Der Teufel soll dieses ganze Pack von Nichtstuern holen und den seltsamen Alten dazu«, murmelte Philby. »Vielleicht schmeiße ich ihn raus. Einer muß es ja tun. Und außer mir getraut sich keiner.« Da war schon etwas dran. Vor Rodalba gruselte ihnen. Besonders den Frauen. Die hüteten sich, dem alten Kauz zu begegnen. Gerade wollte sich Philby abwenden, als sich die windgebeugten Palmen im Hof aufrichteten. Verwundert beugte er sich vor. Das Rauschen des Windes in den Palmen war eine Musik, die man die ganze Nacht hindurch hörte. Jetzt
trat Stille ein. Das war mehr als ungewöhnlich. Drunten im Hof bewegten sich Schatten und erstarrten. Es war einer der Wächter mit zwei Bluthunden. Für ihn kam das Aussetzen des Windes ebenso überraschend. Thomas Philby entblößte die Zähne wie ein Raubtier vor dem Zupacken, als er bemerkte, daß die Bluthunde sich an den hellen Steinboden drückten und ängstlich den Kopf zwischen die Vorderpfoten steckten. Die Tiere wurden zu gut gehalten, das war’s. Die waren neurotisch. Denen ging schon eine plötzliche Windstille aufs Gemüt. Aber das ließ sich ändern. Dann wurden die Biester eben auf Hungerkost gesetzt. Und wenn das nichts brachte, wurden sie ausgetauscht! Der Wächter blickte genau zu Thomas Philby herauf. Dich tausche ich auch aus, denn du hast die Biester zu sehr verwöhnt, dachte Philby. Er war in streitlustiger Stimmung. Aber das war nichts Besonderes bei ihm, das war der Dauerzustand, in dem sie ihn alle kannten. Die Familie und die, die beruflich mit ihm zu schaffen hatten. Die jähe Stille, die draußen eintrat, wirkte bis ins Haus hinein. Eine eigentümliche Atmosphäre kam auf, Gespräche wurden einfach unterbrochen. Vera hatte wie jeden Abend bereits einen sitzen. Sie schaute auf den breiten Rücken ihres Mannes am Fenster und fragte mit unüberhörbarem Zungenschlag: »Was – hick, was ist da draußen los, Thomas? Was bedeutet das?« »Daß du schon wieder besoff…«, rutschte es Philby heraus. Was er noch sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken. Ein berstender Schlag ließ das Haus wanken. Türen flogen wie von Geisterhand geschleudert auf. Glasscherben landeten klirrend auf dem Steinboden, zwei Bilder fielen von der Wand, und genau vor Philbys Nase zerplatzte die Scheibe, bevor der Fensterrahmen aus dem Leim
ging. »Erdbeben!« brüllte Dyer mit überkippender Stimme. Die Frauen begannen zu kreischen. Aus der Tiefe des Hauses ertönten Entsetzensschreie des Personals, das ebenfalls ein Erdbeben fürchtete und sich schon unter den Trümmern des Hauses begraben sah. Fahle Blitze zuckten plötzlich draußen nieder. Thomas Philby behauptete immer von sich, ihn könne nichts aus der Ruhe bringen. Was er dort draußen im Licht der Blitze aber sah, ließ ihn fast überschnappen. Hämmernde Donnerschläge rüttelten an den Mauern von Leachs Haus und übertönten das Winseln der Bluthunde und die Entsetzensschreie der Menschen. Philby griff Halt suchend an die Wand. Die Blitze zeichneten die Umrisse eines seltsamen Turmes nach, ja sie schienen in ihn einzuschlagen und daran zum Boden herabzulaufen. Aber Thomas Philby wollte bei seiner hartherzigen Seele schwören, daß es auf dem ganzen gottverdammten Besitz von Leach keinen solchen Turm gab und auch nie einen gegeben hatte! Das Ding sah aus wie von einer Burg. Ein Turm, aus mächtigen Quadern gebaut, mit dunklen schmalen Fensterhöhlen und Schießscharten und oben mit einer Zinne. Die Blitze schienen auch inwendig in diesem Turm zur Erde zu laufen. Hinter den schmalen Fensterlöchern flackerte es gespenstisch hell und gerade ein Augenzwinkern lang auf. Das nackte Entsetzen packte Thomas Philby. Sah denn niemand außer ihm diesen geisterhaften Turm? Aber da gellten hinter ihm Veras Schreie auf. Er wirbelte herum. Sonst ging ihm Vera auf den Geist, wenn sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Heute und jetzt war ihm ihr exzentrisches
Getue geradezu willkommen. Sie sah auch diesen Geisterturm, den es gar nicht gab. Jedenfalls stand sie mit vorquellenden Augen und offenem Mund, zeigte auf das offene Fenster und schrie wie am Spieß. Hinter ihr fuhr Dyer herum und zeigte ein Gesicht, als würde ihm eben der Teufel die Hand schütteln. Und jetzt entdeckten auch die anderen diesen gespenstischen Turm. »Was’n das?« brachte Dyer gerade heraus. Es kam alles zu unverhofft. Dieser mörderische Donnerschlag erst, dann das Unwetter, das sich gar nicht angekündigt hatte und das es auf so engem Raum gar nicht geben konnte, und jetzt noch ein richtiger Turm drüben hinter dem Seitenflügel, wo »Rodalba mit der weichen Birne« über den uralten Büchern hockte! Für etliche der Mannings war das schlicht zuviel. Zwei Frauen fielen in Ohnmacht, und Nash, der älteste Manning, schloß sich ihnen einfach an. Mit ihm war noch nie viel los gewesen. Thomas Philby fuhr wieder herum und starrte auf diesen von Blitzen umflossenen Turm drüben. Eine seltsame Helligkeit breitete sich aus und sickerte in den Raum. Sie kam von draußen, und ihr Mittelpunkt war klar erkennbar dieser Turm. Aber ihre Quelle war nicht zu sehen. Die Helligkeit entstand einfach aus dem Nichts. Von einem Fenster des Turms löste sich eine Gestalt. Im ersten Moment dachte Philby an einen Nachtvogel. Aber das Ding wurde größer, und es hatte überhaupt keine Flügel. Aber es segelte durch die Luft. Es schwang sich aus der Höhe nieder, drehte über dem mexikanischen Innenhof eine Kurve und landete drüben auf dem Sims eines Fensters, wo Licht brannte und wo Philby den alten Kauz im Zimmer stehen sah. In diesem Augenblick erlosch überall das Licht. In den Räumen des Manning-Hauses wurde es düster.
Aber sofort zuckten wieder Blitze nieder und sandten ihr fahles Licht aus. Philby begriff nur eines – hier ging nichts mit rechten Dingen zu, aber rein überhaupt nichts! Das Unwetter konzentrierte sich ausschließlich auf das Anwesen. Und wo kam so plötzlich dieser Turm her, der aussah wie tausend Jahre alt? Und dann die Gestalt, die flog und keine Flügel hatte? Drüben war schwache Helligkeit. Es sah aus, als würden im Zimmer des verrückten Professors Kerzen brennen. Die Gestalt auf dem Sims richtete sich auf und sprang ins Zimmer. Thomas Philby hörte hinter sich Dyer ächzen, und er war richtig froh darüber. Es bewies ihm nämlich, daß nicht nur er diese affenartige Gestalt bemerkt hatte. Ein Affe, der flog – das hatte Philby im Leben noch nicht gehört. Er bezweifelte auch, daß es so was gab. Einmal hörte Philby ein Geräusch, das ihn an das Klirren einer Eisenkette denken ließ. Das Tosen und Brüllen und Grollen und Poltern draußen war aber übermächtig laut, so daß er sich sagte, er müsse sich getäuscht haben. »Sieh doch!« schrie Dyer hinter ihm. »Beim Alten!« Philby sah es, er starrte ja aus schreckgeweiteten Augen die ganze Zeit hinüber. Etwas Grauenvolles ging auf dem Anwesen vor, etwas Entsetzliches, für das sie keine Erklärung hatten. Rodalba schien mit dem Affenwesen zu kämpfen. Es waren hastige Bewegungen zu erkennen. Ein Handgemenge war im Gange. Das Wesen, daß bei Rodalba eingedrungen war, mußte sich auf gespenstische Art vergrößert haben. Es verdeckte das Fenster. Nach ein paar Atemzügen erschien es auf dem Fenstersims.
Es schleppte eine Gestalt mit sich und schien keinerlei Mühe mit ihr zu haben. Philby, Dyer und wer sonst noch hinsah, hatten es fast erwartet. Es traf sie dennoch wie ein Schlag in den Magen, als sie es mit eigenen Augen sahen – das Affenwesen schwang sich in die Luft und trug die Gestalt mit sich fort. Im Licht neuer Blitze sahen die entsetzten Augenzeugen, daß es der Professor war. Wie er in den Händen des fürchterlichen Wesens hing und wie sein Kopf und seine Arme und Beine baumelten, war nicht ein Funken Leben mehr in ihm. Philby glaubte, in einem dieser abgeschmackten Monsterfilme zu sitzen, die er sich manchmal mit seinen Flittchen anschaute, weil die Mädchen auf so etwas standen. Das hier war kein Film. Das war bitterer Ernst. Das war die Wirklichkeit. Die gediegene Alkoholfahne aus dem Mund seiner Frau machte ihm das deutlich. Vera klammerte sich angstbebend an ihn. Und sie sprach es aus, was sie alle dachten, aber sich nicht zu sagen getrauten. Sie waren ja aufgeklärte Menschen, und außer an Geld und Erfolg glaubten sie an nichts. »Ein Gespenst!« schrie Vera. »O Gott, ein Gespenst!« Sie bohrte ihre Finger mit den spitzen Nägeln in seinen Arm, daß er unwillig das Gesicht verzog und mit einer wütenden Bewegung ihre Hand abschüttelte. Das fliegende Wesen ohne Flügel hielt auf den Geisterturm zu. Aber der löste sich von einem zum anderen Augenblick auf. Er war einfach nicht mehr da. Das Wesen war nicht beeindruckt. Fast schien es mit dieser Entwicklung gerechnet zu haben. Es überflog die Bungalowsiedlung der Mitarbeiter der Manning-Sippe und verschwand zum Fluß hinunter. Das fahle Licht ohne erkennbare Quelle wurde schwächer
und verschwand, zwei, drei Blitze zuckten noch nieder und überschütteten das Anwesen und die nähere Umgebung mit blendender Helligkeit. Und die reichte vollkommen aus, um das entsetzliche Wesen noch einmal sichtbar werden zu lassen, das den Professor mitgenommen hatte. Es stürzte wie ein Stein nieder und versank im Fluß. Auch die Wellen waren noch zu sehen, die sich gegen die Ufer ausbreiteten. So jäh, wie das Tosen und Lärmen draußen begonnen hatte, so plötzlich senkte sich Stille nieder. Eine gespenstische Stille, in die nur das erbärmliche Winseln der Bluthunde und das monotone Murmeln betender Frauen drang. Das Hauspersonal bestand überwiegend aus Mexikanern. »Tut doch endlich was!« brüllte Dyer los. »Warum tut denn keiner was?« Jetzt, nachdem es vorbei war, spielten seine Nerven nicht mehr mit. Er war auf dem besten Weg, durchzudrehen. Thomas Philby fuhr herum, packte ihn, drehte ihm das schweißnasse Hemd auf der Brust zusammen und haute ihm zwei herunter. »Reiß dich zusammen, Schwager!« drohte er. »Ich weiß nicht, was das da draußen war, aber ich weiß, daß es nicht gut für uns ist.« Er stieß Dyer von sich. Dyer fiel rücklings über ein Sofa. »Waschlappen!« sagte Philby verächtlich. Er straffte die Schultern. »Na, dann sehe ich mich mal drüben um!« Die elektrische Beleuchtung ging wieder an. Die Mannings, die eben noch gereizt und ängstlich waren, legten ihre äußere Nervosität ab. *** Philby kam nur bis zur Tür, als er von Vera zurückgerufen
wurde. Das Telefon hatte geläutet, aber er hatte sich nicht dafür interessiert. Schließlich waren ja genug erwachsene Menschen im Raum, die auch wußten, wie man einen Telefonhörer hielt. Aber wie es aussah, blieb auch der Anruf an ihm hängen. »Yeah, Philby?« knurrte er unfreundlich. Es war der örtliche Polizeichef. In Doringham hatte man das entsetzliche Getöse gehört und erst an eine Explosion auf dem Anwesen der Mannings gedacht. Bis dann das Unwetter zu sehen war. »Ist bei Ihnen wirklich alles in Ordnung, Mister Philby?« fragte der Polizeichef. »Mann, ich sage Ihnen, ich habe so etwas noch nie gesehen! Ein Unwetter nur über einem Haus. Na ja, Ihr Anwesen da droben ist natürlich ein ganz schöner Komplex, aber trotzdem habe ich so was noch nie im Leben gesehen.« Thomas Philby hatte den starken Eindruck, daß der Mann noch etwas sagen wollte und sich bloß nicht getraute. »Reden Sie schon, Meeker, was drückt Ihnen noch auf den Magen?« »Yeah, man will sich ja nicht das Maul verbrennen, nicht wahr? Und manchmal sieht man Dinge, die man besser nicht sieht.« Meeker hielt sich ein Türchen für den Rückzug offen. »Meinen Sie diesen verdammten Turm, den es hier überhaupt nicht gibt?« Philby redete nie um eine Sache herum. Er ging immer direkt auf sein Ziel los. »Genau den, Mister Philby.« Meeker strengte sein Hirnschmalz an. »Dann haben Sie ihn auch gesehen? Sir, hier hat das vielleicht eine Aufregung gegeben! Die halbe Stadt war auf den Straßen und hat sich das Schauspiel zu Gemüte geführt, weil ja wirklich jedermann weiß, daß es bei Ihnen droben gar keinen Turm gibt.« »Eben, Meeker. Und deshalb wäre es mir ganz lieb, wenn Sie gleich heraufkommen würden. Der Professor ist nämlich
verschwunden.« Mit einer gewissen lauernden Erwartung spannte Philby auf die Reaktion des Polizeichefs. Schön, den gespenstischen Turm, die Blitze und das übrige Spektakel hatten die Leute von Doringham gesehen. Und weil sie nicht taub waren, natürlich auch gehört. Er glaubte aber nicht daran, daß sie auch die fliegende Gestalt und die Beute gesehen hatten, die sie mit sich zum Fluß hinunterführte. Dafür war die Entfernung doch zu groß. Und es war Nacht. Philby atmete auf, als er an Meekers Reaktion merkte, daß er in dieser Hinsicht ahnungslos war. Das fehlte noch, daß die Mannings ins Gerede kamen und mit Geistern und Gespenstern und anderem Zeug in Verbindung gebracht wurden. Für die mannigfachen Geschäfte war das gar nicht gut. Es konnte sogar tödlich sein. »Der seltsame alte Knabe?« wunderte sich Meeker, aber seiner Stimme fehlte die rechte Anteilnahme. »Ja, war der bei Ihnen oben?« »Er ist ja fast immer hier oben und stöbert in Leachs alten Sachen. Also bewegen Sie sich und kommen Sie her, Mann!« »Yeah, Sir, ich bin in zehn Minuten da!« versprach Meeker. Seine Stimme verriet, daß er eingerastet war. So sprangen die Mannings immer mit ihm um. Nicht einmal anständig um einen Gefallen bitten konnten sie! Philby knallte den Hörer auf. Wütend schaute er sich um. In der offenen Tür zur großen Halle stand Chavez, der so eine Art Stelle als Haushofmeister bekleidete. Chavez betrachtete die ramponierte Tür, die zersprungenen Scheiben und geborstenen Fenster, die Bilder am Boden und die Gläser, die zu Bruch gegangen waren. Seine Augen zuckten nur einmal, als er hinter einem Sofa Dyer hervorkriechen und blöd grinsen sah. Dann entdeckte er zwei ohnmächtige Frauen.
»Schaffen Sie hier Ordnung!« wies Philby den Mexikaner an. »Dyer, du kommst mit mir!« Dyer grinste unsicher. »Ich prügle mich nicht mit dir!« sagte er vorbeugend. Philby überhörte es. Mit solchen Nebensächlichkeiten gab er sich nicht ab. »Wir sehen uns drüben um!« bestimmte Philby. »Ist ja wahrscheinlich Unsinn, aber vielleicht hat uns der verdammte Alte den Krach eingebrockt. Ich habe jedenfalls ein ganz komisches Gefühl.« Das hatte Dyer auch, und nicht zu knapp. Aber er gab’s nicht zu. »Geh nur allein rüber«, sagte er mit einem flachen Grinsen. »Mich interessiert es nicht.« »Auf einmal? Aber kürzlich hast du in seinen Unterlagen und Studien rumgeschnüffelt!« Dyer wußte, was die Uhr geschlagen hatte. Er konnte sich nicht drücken. Und wenn er’s wagte, klebte ihm Philby vor versammelter Familie noch ein paar. Dem ungehobelten Kerl machte das nichts aus. Wer seine Frau schlug, der schlug auch seinen Schwager noch einmal. In der Halle nahm Dyer ein Jagdgewehr aus dem Waffenschrank und schob ein paar Patronen ins Magazin. »Für alle Fälle!« meinte er. *** Sie spürten die fremdartige und unheimliche Atmosphäre, die immer noch im Studierzimmer herrschte. Philby war in Jahren nicht hier gewesen, für ihn war der Anblick des vollgestopften Studierzimmers neu – und beklemmend. Da waren die beiden geborstenen Fenster und die Scherben am Boden. Da war die Tür, deren untere Angel abgerissen war.
Und da waren zwei schwarze brennende Kerzen auf einem mit uralten Büchern, Schriftrollen und Papierbündeln bedeckten Schreibtisch. Von Rodalba mit der weichen Birne war nichts zu sehen. Was auch nicht gut möglich war. Philby hatte ja gesehen, wie ihn jenes unheimliche Wesen fortgeschleppt hatte. Einfach durch die Lüfte mitgenommen. Dyer schmeckte die Atmosphäre nicht und noch weniger der Zustand des Zimmers. Der alte Stuhl war umgestürzt, zwei Bücher lagen auf dem Boden. Er fuchtelte mit dem Jagdgewehr herum, daß es Philby mit der Angst bekam. »Ziele gefälligst woanders hin und nicht auf mich!« sagte er heiser. »Meeker wird in ein paar Minuten hier sein. Er würde sich verdammt wundern, wie es kommt, daß ich eben noch mit ihm telefoniert habe und plötzlich eine Menge Blei im Leib habe.« Dyer hatte ein Ohr für Untertöne. »Angst, lieber Schwager? Das ist ja eine Seite, die ich noch gar nicht an dir kenne!« Dyer richtete die Waffe auf Philby. Aber als er dessen mörderischen Blick gewahrte, gab er der Waffe rasch eine andere Richtung. Außerdem nahm er sich vor, Philby in nächster Zeit nicht den Rücken zuzukehren. Sein Schwager war nachtragend, und in diesem Punkt hatte er ein Gedächtnis wie ein Elefant. Dyer beschränkte sich darauf, in sämtliche Ecken zu schauen, ob sich der Alte nicht doch aus Furcht vor dem Unwetter verkrochen hatte, für das es keine vernünftige Erklärung gab. Dyer verdrängte einfach, was er gesehen hatte. In dieser Sache war er genau so ein Phantast wie in geschäftlichen Angelegenheiten. Da war Thomas Philby der praktischere Typ. Mit dem alten Rodalba war etwas Entsetzliches geschehen, und der Mann war und blieb verschwunden. Eine Suchaktion
unten am Fluß würde kaum einen Erfolg bringen. Immerhin wollte er aber Meeker mit der Nase in diese Richtung stoßen, wenn es nicht jemand anderes besorgte. Er schaute sich aufmerksam im Raum um. Die unsagbar fremde Atmosphäre ließ ihn eine Menge Überlegungen anstellen, und jede neue war schlimmer als die vorhergehende. Wie ein Studierzimmer sah der Raum ja wirklich aus, aber warum hatte Rodalba nur Bücher und Schriftstücke heraufgeschleppt, die in lateinischer Sprache abgefaßt waren? Philby hatte Latein mal an der Universität gehört und es für eine trostlos langweilige Sprache gefunden. Immerhin war so viel in seinem Gedächtnis haften geblieben, daß er ein paar Inschriften wenigstens lesen, wenn schon nicht übersetzen konnte. Leach hatte doch bestimmt auch andere Bücher zusammengekauft! Zeug, mit dem man mehr Spaß haben konnte als mit diesen wurmstichigen muffig riechenden Schwarten, aus denen der Staub flog, wenn man in ihrer Nähe nur eine unvorsichtige Bewegung machte. Warum hatte Rodalba nur den allerältesten Krempel heraufgeschleppt? Philby trat hinter den Schreibtisch und pustete die schwarzen Kerzen aus, bevor sie niederbrannten und vielleicht das leicht brennbare alte Zeug ansteckten und das ganze Anwesen in Schutt und Asche legten. Ein aufgeklapptes Buch mit Pergamentblättern lag so, daß der Schluß zu ziehen war, der Alte könnte darin gelesen haben, bis das geheimnisvolle Unwetter lostobte und ihn störte. Aber mit dieser vagen Möglichkeit war Philby nicht zufrieden. Sie war ihm zu leicht, zu glatt. Und wozu hatte der Kauz die Kerzen angezündet? Und dann auch noch so weit auseinandergerückt, daß ihr Licht beim Lesen in dem aufgeklappten Buch überhaupt nicht hilfreich war? Schwarze Kerzen?
Philby faßte das Buch mit spitzen Fingern und klappte es zu. Eine Staubwolke puffte heraus. Unter einem Stapel Schriften sah er ein Blatt Papier herausragen, das englisch beschriftet war. Er zog es ganz heraus. Es war eine Art Inventurliste, und es war Leach Mannings Schrift. Philby legte sie auf den Schreibtisch. Und dann sah er das Blut. »Dyer!« Sein Schwager kam langsam herüber und hielt das Jagdgewehr mit der Mündung zu Boden, aber so, daß er es jederzeit hochschwingen und benützen konnte. »Auf dem Holz ist Blut!« Philby deutete auf die Stelle. »Sieht noch verdammt frisch aus. Ich denke, das zeigen wir Meeker.« »Du bestimmst!« meinte Dyer und schob damit Philby die ganze Verantwortung zu. Wie immer. Und wie sie es alle taten. Im Notfall war Philby immer die letzte Instanz. Dyer deutete auf seltsam ovale Einkerbungen neben dem Blut. »Und was ist das?« Philby beugte sich vor und betrachtete die ovalen Löcher gründlich. »Als hätte einer mit einer Kette draufgeschlagen«, meinte er vorsichtig. »Aber was besagt das schon? Der Tisch ist uralt, den hat Leach schon mit ins Land gebracht.« »Als ich kürzlich hier reingesehen habe, war der Tisch sauber abgeräumt, die Bücher waren am Boden gestapelt«, sagte Dyer nachdenklich. »Und bei meiner Seele, da war der Tisch unversehrt.« »So?« machte Philby. »Na, dann lassen wir Meeker auch noch über dieses Problem nachdenken. Jedenfalls sind wir den Alten los, wie es aussieht. Und es tut mir überhaupt nicht leid.« Dyer beobachtete ihn. »Du brauchst das nicht erst zu sagen.
Deine Augen verraten es schon.« Sie knipsten das Licht aus. Auf dem Rückweg stiegen sie Treppen hinab und hielten unten auf dem Innenhof Ausschau, ob sie nicht etwas von Rodalba fanden. Von Doringham herauf näherte sich das entnervende Jaulen einer Polizeisirene. Aus einer dunklen Mauernische, vor der tropische Pflanzen wuchsen, trat der völlig verstörte Wächter. Seine beiden Bluthunde hatten sich noch immer nicht eingekriegt; sicherheitshalber hielt er sie aber ganz kurz an der Leine. »Sir, Sir, ich höre die Polizei kommen!« sagte er aufgeregt und ganz überflüssig. »Und ich habe da so seltsame Sachen gesehen. Einen Turm! Und einen Menschen, der ohne Flügel geflogen ist! Und …« Philby sah Verwicklungen heraufziehen. Deshalb fragte er spöttisch: »Gibt es hier einen Turm? Ich lebe lange genug hier, aber ich habe bis heute keinen gesehen.« »Aha!« machte der Wächter und hegte Zweifel an dem, was er seinen Augen zutrauen konnte. »Und überhaupt – wie kann ein Mensch ohne Flügel fliegen?« fuhr Philby fort. »Denken Sie erst mal gründlich nach, bevor Sie was sagen. Manchmal macht man voreilig den Mund auf und steht dann ganz dumm da.« »Yeah, Sir!« Der Wächter nickte und zerrte an der Leine. Er hatte verstanden. Philby und Dyer kehrten ins Haupthaus zurück und hörten vom Portal Lärm. Chavez kam ihnen entgegen. »Was geschieht da?« fragte Philby. »Wollen irgendwelche Leute ins Haus eindringen?« »Sir, es sind die Mitarbeiter der Firma, sie sind sehr beunruhigt, Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Familie könnte etwas zugestoßen sein«, sagte Chavez würdevoll. Er verlor nie die Ruhe. Philby grinste boshaft. »Gehen Sie, bereiten Sie den Leuten eine herbe Enttäuschung. Sagen Sie ihnen, daß wir alle am
Leben sind. Und sie sollen mit dem Krach aufhören! Ich finde es ungehörig, vor der Tür des Nachbarn herumzulärmen.« Er schaute Chavez nach, der sich auf den Rückweg machte. »Ach ja, drüben sind sicher auch eine Menge Scheiben zum Teufel gegangen. Jemand soll eine Aufstellung machen und sie herübergeben. Die Versicherung wird das Regeln.« »Sicher, Sir, die Versicherung!« meinte Chavez steif und verschwand endgültig. *** Meeker sah aus wie ein ausgestopfter Präriehund. Nur viel größer natürlich. Aber genau so mißtrauisch. Er hörte sich erst einmal an, was die Mitglieder der Familie zu sagen hatten. Meist redete Philby. Meeker nickte, das hatte er erwartet. Einer seiner Mitarbeiter schrieb sich ab und zu etwas auf. Meeker fragte plötzlich: »Und was ist nun mit diesem Turm? Die halbe Stadt hat ihn gesehen. Ich habe ihn gesehen. Und jetzt frage ich mich – warum hat niemand von Ihnen das verdammte Ding gesehen?« Schweigen antwortete seinem unverhüllten Vorwurf, sie hätten sich abgestimmt. »Dann eben nicht«, maulte Meeker. »Auch gut.« Er ließ sich von Chavez zum Studierzimmer des verrückten Professors bringen und blickte grimmig über den Hof zu den Fenstern hinüber, hinter denen sich die Manning-Sippe wieder zusammenfand. Meeker entdeckte das Blut auf dem Schreibtisch und die Einkerbung vom Schlag mit einer Kette. Nur stellte er keine Verbindung her. Er sammelte von dem trocknenden Blut eine Probe und tat sie in ein Röhrchen. Falls man den Professor doch noch irgendwo fand. Große Hoffnungen hatte er nicht.
Das Treiben des Alten war ihm all die Jahre unheimlich gewesen. Aber ihn war’s ja nichts angegangen. Das war ganz allein die Sache der Mannings gewesen. Nach und nach trafen seine Mitarbeiter wieder ein, die er in die Umgebung des Manning-Anwesens ausgeschickt hatte. Er richtete es so ein, daß sie ihm in der großen Halle Bericht erstatteten. Es war seine Absicht, den Mannings unter die Nase zu reiben – und ganz besonders Philby –, daß er zwar von ihnen in gewissem Sinne abhängig, aber deswegen kein Trottel war. Und der Sachverhalt war nun einmal, daß eine Menge Leute einen Turm gesehen hatten, um den die Blitze nur so herumzischten, obschon es überhaupt im ganzen Land keinen solchen Turm gab. Und daß dieses Unwetter eine mehr als unheimliche Geschichte war. Es war urplötzlich über dem Manning-Anwesen entstanden, hatte entsetzlich getobt, und war verschwunden. Und genau das war es, was Meeker nicht schmeckte. Er war in dieser Ecke aufgewachsen. Er wußte, daß sich ein Unwetter über Stunden hinweg zusammenbraute und dann auch etliche Stunden tobte. Und wenn es endlich abzog, konnte man seinen Weg mit Augen und Ohren verfolgen. Obendrein pflegten die Unwetter sintflutartigen Regen zu bringen. Dieses seltsame Wetter hatte nicht einen Tropfen auf die Erde geschüttet. Dann hörte Meeker noch eine viel verrücktere Sache. Leute aus den Bungalows, Mitarbeiter der Mannings also, wollten eine davonfliegende Gestalt gesehen haben. Eine Menschengestalt, die einen anderen Menschen wegschleppte. Einfach so durch die Luft. Unten überm Fluß hätte sie die Beute verloren. Oder vielleicht auch fallen lassen. Der Mitarbeiter von Meeker, der dieses Detail beibrachte,
grinste unsicher. »Ist vielleicht alles Unsinn, Chef. Aber ich dachte, Sie sollten es wissen.« »Und wenn’s kein Unsinn wäre, Fitter, was dann? Also, nimm dir ein paar Leute und suche den Fluß ab. Jemand wird doch noch Netze haben. Zieht sie durchs Wasser und geht auch mit Stangen ans Werk. Wenn da ‘ne Leiche drin liegt, will ich, daß sie gefunden wird.« »Klar, Chef, und wir finden sie auch.« Meeker ließ sich ein paar Augenzeugen vorführen. Er quetschte sie auf seine Art aus. Ob es so ein Unwetter schon einmal gegeben habe. Und wann man denn den Turm früher schon gesehen hatte. Er war mit dem Ergebnis seiner Befragung gar nicht zufrieden. Er zog nämlich lauter Nieten. Den Turm hatte nie zuvor jemand gesehen. Und ein derart seltsames Unwetter hatte auch noch nie jemand auf dem Anwesen erlebt. Meeker ließ den ungefähren Ort bestimmen, wo der Turm zu sehen gewesen war. Im Schein von Handlampen zeigten sich nur ein paar Mandelbäume und wilde Oliven mit dicken weißen Blüten. Der Boden war trocken und staubig. Außerdem lag der Ort am Hang. Was für den Standort eines Turmes ohnehin schon reichlich fragwürdig war. Soweit Meeker wußte, war in der Gegend nur mal eine spanische Mission gewesen, aber noch weiter den Berg hinauf. Und die hatte bestimmt keinen Turm besessen, wie ihn die Augenzeugen übereinstimmend beschreiben konnten. Er ließ den Platz markieren und versprach, am Tag herzukommen. *** Es war nicht später als fünf Uhr in der Frühe, als die Bewohner
des Manning-Hauses von einem dumpfen Brüllen und Grollen aus dem unruhigen Schlaf gerissen wurden. Die entsetzlichen Geräusche hörten sich an, als kämen sie aus der Erde. Oder aus dem Innenhof. Philby brüllte nach den Wächtern. Er machte eine bestürzende Entdeckung. Die Wächter kamen zwar, aber die Bluthunde, die zum Schutz in Manning House gehalten wurden, weigerten sich, auch nur einen Schritt zu machen. Eine rasch organisierte Suche ergab, daß sich im Innenhof niemand verborgen hielt. Da blieben eigentlich nur noch die Kellerräume. Und da hinunter wollten die Wächter nach dieser Nacht schon gar nicht mehr. »Feiglinge!« zischte Philby und stieg allein hinunter. Das Brüllen und Rumoren und Grollen drang von allen Seiten an seine Ohren. Es schien aus dem Boden, aus den Wänden und aus der Decke zu kommen. Nachdenklich betrachtete er die massiven Steinwände. Leach hatte seinem Haus ein erstklassiges Fundament verpaßt. Wie für die Ewigkeit gebaut. Hatte Leach etwa ein paar Geheimnisse mit einmauern lassen? Philby hörte plötzlich ein Ächzen und Stöhnen ganz in der Nähe. War das jemand vom Hauspersonal? Oder trieb sich sonst jemand hier unten herum, der da nichts zu suchen hatte? Ein kalter Luftzug wehte ihn an. Philby blieb stehen und lauschte. Wieso zog es hier unten neuerdings? Hatte jemand ein Fenster geöffnet oder eine Tür nicht geschlossen? Oder waren Türen in der Nacht bei diesem verdammten Rütteln und Stoßen des ganzen Hauses auch hier unten entzweigegangen? Chavez hatte behauptet, das sei nicht der Fall. Aber auf den Burschen war auch kein Verlaß mehr, wie es aussah. Der
wurde auch jeden Tag bequemer. Das Ächzen und Stöhnen ging in ein geheimnisvolles Wispern über. Es klang ganz nah. Nur um die nächste Ecke herum. Philby packte die Handlampe fester und hob die Hand zum Schlag, als er um die Ecke sprang. Nichts. Er hatte die elektrische Beleuchtung angeknipst, und die brannte auch hier in diesem Raum, in den er gesprungen war. Aber niemand, der diese seltsamen Töne und Geräusche produzierte. Nur zwei Kisten standen an der Erde, und die losgelösten Deckel lehnten ordentlich an der Wand. Philby zog die Brauen hoch, als er wieder das Jammern hörte. Jetzt kam es aus dem nächsten Raum. Er war mit ein paar wilden Sätzen in der offenen Tür. Er war sportgestählt, und er kam in Wut. Jemand hielt ihn hier zum Narren, das war ihm schon klar! Aber in dem Raum war auch niemand. Nackte Birnen hingen in altmodischen Fassungen von den gewölbten Decken. Die Leitungen waren morsch und brüchig. Auf dem Boden standen Dutzende Kisten, teils ausgepackt, teils noch so, wie sie damals hergebracht worden waren. Vielleicht versteckte sich hinter ihnen der unverschämte Tropf, der hier seine Späße trieb! Philby untersuchte den Kellerraum gründlich. Nach zehn Minuten war er voller Staub und Spinnweben. Er hatte den düsteren Verdacht, daß nicht einmal der alte Kauz hier herumgestöbert hatte. Jedenfalls nicht in den letzten Monaten. Wo hätten denn sonst die vielen Spinnweben herkommen sollen? Er richtete sich mit einem Ruck auf, als er ganz in der Nähe das Stöhnen hörte. Hinter seinem Rücken! Er wirbelte herum. Aus der Wand kam ein Wesen, wie er es noch nie gesehen hatte.
Es kam tatsächlich aus der Wand, obwohl es dort keine Öffnung gab. Nicht einmal ein Loch, das einer Maus als Versteck hätte dienen können. Philbys Mund öffnete sich zu einem Schrei des Entsetzens, als er die Ketten an den behaarten Armen des Wesens entdeckte. Eisenketten! Was er in dieser Nacht gesehen hatte, stand wieder vor seinen Augen auf. Dieses behaarte Wesen hatte er doch von dem Geisterturm herabfliegen und auf dem Sims von Rodalbas Fenster landen sehen! Und dann hatte er die Kerben einer dicken schweren Kette im Holz des Schreibtisches entdeckt! Er schrie in höchster Not. Das Wesen war kein Affe. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Menschen. Es war behaart vom Kopf bis zu den Zehen, und es sah scheußlich aus. Es hatte etwas mit ihm im Sinn, denn es kam auf ihn zu. Und dabei stieß es diese schrecklichen Töne aus, die ihn durch die Kellerräume und Gewölbe gelockt hatten. Philby ging schrittweise rückwärts und brüllte immer noch. Das Gesicht, diese entsetzliche Fratze vor ihm, verzog sich in dämonischer Freude. Der Mund klaffte, und ein widerliches Fauchen kam aus der Kehle. Das Wesen holte aus und schlug mit dem losen Kettenende nach Thomas Philby. Mit einem verzweifelten Satz kam Philby diesmal noch davon. Aber den zweiten blitzschnell geführten Hieb mußte er voll hinnehmen. Er verspürte höllische Schmerzen und wußte, daß einige Knochen gebrochen waren. In der rechten Achsel wütete es wie Feuer. Das Schlüsselbein, dachte er, und der Oberarmknochen! Er konnte den rechten Arm nicht mehr heben. Die Handlampe fiel ihm aus der Hand. Philby wurde fast ohnmächtig unter der Wucht der Schmerzen. Sein Verstand indes funktionierte. Weg! signalisierte der ihm. Nichts wie weg, diese Kreatur schlägt dich sonst tot!
Er warf sich herum, sprang über zwei Kisten und hörte ein Kichern dicht hinter sich. Wie von allen Furien der Hölle gehetzt schoß er aus der Tür und warf einen Blick über die Achsel. Das Wesen war verschwunden. Es hatte sich aufgelöst und ließ weniger zurück als Rauch oder Dunst, Mochte der Himmel wissen, wo es wieder zum Vorschein kam! Rechtzeitig fiel Philby ein, daß er es aus einer dicken Quaderwand hatte treten sehen. Wenn diese Mißgeburt die Fähigkeit hatte, durch Wände zu gehen, dann konnte es ihm den Weg abschneiden! Mitten im vollen Lauf stoppte er, dachte nach, wo eine Treppe war, und hetzte in die entgegengesetzte Richtung, aus der er gekommen war. Er hatte sich nie genaue Kenntnis davon verschafft, wie viele Räume es hier unten gab. Er merkte nur, daß Leach von dem Gedanken besessen gewesen sein mußte, einen regelrechten Fuchsbau anzulegen, in den er seine Schätze einlagern konnte. Bloß einen Haken hatte alles – im Gegensatz zu einem Fuchsbau gab es nicht genügend Ausgänge. Aber Philby sah jetzt voraus eine eiserne Wendeltreppe. Sie führte nach oben. Mochte der Himmel wissen, wo er herauskam. Aber das zählte jetzt nicht, das war ihm egal. Und wenn er plötzlich im Schlafzimmer der dicken mexikanischen Köchin stand! Er biß die Zähne zusammen, weil er die Schmerzen kaum noch ertragen konnte. Seine jagenden Schritte hämmerten die verrosteten Eisenstufen hinauf. Oben stoppte eine alte Tür seine Flucht. Er trat einen Schritt zurück, holte mit dem Fuß aus und trat zu. Die Tür hatte einen Riegel. Durch ein Loch im Holz konnte er ihn sehen. Aber die Tür hatte ihn drüben. Das Holz knirschte und knackte unter dem Tritt, ein wüstes
Dröhnen hallte hohl und geisterhaft durch einen großen Raum, wie ihm schien. Aber die verdammte Tür hielt. Er trat wieder zu, noch wuchtiger, noch wütender. Er spürte, es ging um sein Leben. Ein unheimliches Kichern ließ ihn herumfahren. Das Wesen mit der Dämonenfratze stand hinter ihm und hatte beide Arme hoch über den Kopf gehoben. Eine Kette spannte sich zwischen Eisenreifen, die um die Gelenke geschmiedet waren. Wie die Kreatur so lautlos die Treppe heraufgekommen war, verstand Philby nicht. Er hatte nichts gehört. In seinem Kopf brannte eine Sicherung durch, denn er deutete die hocherhobenen Arme und die gespannte Kette richtig. Das entsetzliche Wesen wollte die Arme über ihn werfen und ihm mit der Kette den Hals zudrehen! In blinder Panik trat Philby mit dem Absatz gegen die Holztür, daß das Hämmern wie Getrommel durch die Kellerräume klang. Die Tür sprang noch immer nicht auf. Das Wesen stand mit dem Rücken zur schmalen Eisentreppe. Es ging ziemlich tief hinab – und da war kein Geländer, das einen Halt bot. Mit einem irrsinnigen Schrei sprang Philby auf das Wesen los, stieß den linken Arm nach vorn und wollte es in die Tiefe stoßen, damit er diesen Alptraum endlich los wurde. Sein Arm stieß mitten in das Wesen hinein – und hindurch! Da war nichts. Die gespenstische Kreatur löste sich einfach auf. Wie Rauch. Oder Dampf. Philby fand keinen Halt und stürzte in die Tiefe. Sein Schrei brach mit seinem Aufprall ab. Die Lichter in den Kellerräumen erloschen. Nach einer Weile drang ein anderes Geräusch aus der Dunkelheit. Es hörte sich wie ein Schmatzen an.
*** Meeker richtete es die Haare auf. Es war früher Vormittag, und sie hatten ihn schon wieder nach Manning House gerufen. »Und das ist Mister Philbys Handlampe, ist das sicher?« fragte er und schaute sich in den düsteren Kellerräumen um. Dyer nickte. Chavez auch. »Ich habe sie Mister Philby gegeben«, betonte der mexikanische Haushofmeister. Meeker steckte die Handlampe in einen Plastikbeutel und beschriftete ihn. Dann folgte er Chavez und Dyer Manning zu einer alten eisernen Wendeltreppe, an deren Fuß ein gewaltiger schmieriger Blutfleck eingetrocknet war und wo ein paar Kleidungsfetzen und zwei Schuhe herumlagen. Er hatte diesen Ort schon besichtigt, aber das Feld erst einmal seinen Leuten überlassen. Inzwischen waren die Fotos gemacht und die Fundstücke numeriert. »Also, Chef, ich will ja nichts behaupten, was ich nicht beweisen kann, aber das sieht mir gerade so aus, als seien die Bluthunde – na ja, Sie wissen schon, was ich meine«, sagte der Polizist. »Halt das Maul und rede nur, wenn du gefragt bist!« schnauzte Meeker seinen Untergebenen an. Dann stieg er hinauf und ließ sich die Wächter mitsamt den Bluthunden kommen. Er konnte sich mit den Hunden nicht anfreunden und sie nicht mit ihm. Sie knurrten ihn an und zerrten an den Leinen. Meeker hatte es auf ihre Schnauzen abgesehen. Aber an denen entdeckte er nichts, was den Verdacht seines Mannes untermauert hätte. Und außerdem erklärten die Wächter auf seine scharfen Fragen, daß die Bluthunde nicht eine Sekunde ohne Aufsicht gewesen wären.
Er konnte den Männern nicht das Gegenteil beweisen und schickte sie davon. Es war zum Mausemelken. Fitter hatte eine Meile Fluß abfischen lassen und außer Autoreifen und einem halben Traktor nichts ans Ufer ziehen können, das eine halbwegs brauchbare Spur abgab. Und draußen bei dem markierten Platz auf dem Hang unter den Mandelbäumen gruben seit dem frühen Morgen sechs Männer aus Doringham. Jetzt waren sie zwölf Fuß tief und auf Fels gestoßen, aber auf keine Grundmauern eines alten Turmes oder überhaupt eines Bauwerkes. Auf sein Geheiß war die Arbeit nun eingestellt. Die brachte nichts. Ein tiefes Grollen schien aus der Erde zu dringen. Das Geräusch entstand ganz plötzlich. Meeker dachte an ein Erdbeben. Aber dieses Grollen hatten ihm die Mannings und das Hauspersonal schon in der Nacht geschildert und auch vorhin, als man ihn wegen der Kleiderreste von Thomas Philby erneut hergerufen hatte. Und dann hörte er dumpf und fern Schreie und dann drei Schüsse. Das kam doch aus diesen unheimlichen Kellergewölben, die mit lauter altem Zeug vollgestellt waren oder leergefegt waren wie ein Kornspeicher nach vierjähriger Dürreperiode! Meeker stieß einen lästerlichen Fluch aus und rannte los. Jetzt hatte er überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit einem ausgestopften Präriehund. Jetzt wirkte er wie ein angreifender Bulle mit seinem gesenkten Schädel und dem dicken Nacken. Dyer spurtete hinter ihm her. Chavez schloß sich auch an. Und er brachte es fertig, dabei sogar noch einigermaßen würdevoll auszusehen. Der Haupteingang zu den Kelleranlagen befand sich in einer Durchfahrt, die früher den Kutschen zur festlichen Auffahrt gedient hatte. Alte Säulen trugen runde Gewölberippen,
Eisenringe in den Wänden hatten einmal die Halteleinen von Pferdegespannen aufgenommen. Eine hohe alte Halle tat sich auf. Dort befand sich der Abgang. Meeker blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Das Grollen und Beben war lauter zu hören, ohne daß die Wände des gewaltigen Hauses geschüttelt wurden. Das war es aber nicht, was ihn so jäh anhalten ließ. Aus der dicken massiven Mauer gegenüber kam eine unwirkliche Gestalt zum Vorschein, ein Wesen wie ein Affe, aber mit einem so entsetzlichen Gesicht und so böse blickenden Augen, daß Meeker an die Hüfte griff, wo er üblicherweise die Pistole trug. Jetzt trug er sie nicht. Sie lag im Stadthaus in der Schublade seines Schreibtisches. Sie hätte auch auf dem Mond sein können. Jedenfalls war sie unerreichbar. Das Wesen kam mit grotesken Sprüngen auf ihn zu. Man konnte Meeker eine Menge vorwerfen. Auch, daß er nicht besonders helle war. Aber er hatte Mut. Er löste sich aus seiner Erstarrung. Was da auf ihn zukam, war nicht mit herkömmlichen Mitteln anzupacken. Das bewies schon, daß das Ding, was immer es war, aus einer Wand hatte kommen können. Meeker ging zum Angriff über. Das schien eine völlig neue Erfahrung für das Wesen zu sein. Es wich zurück. Hinter sich hörte Meeker Chavez etwas rufen. Dyer brüllte entsetzt auf. Dann verrieten jagende Schritte, daß zumindest einer der Männer Fersengeld gab. Meekers zupackende Hände griffen ins Leere. Das Wesen löste sich blitzschnell auf, wie er glaubte. Aber dann begriff er, daß er einfach hindurchgegriffen hatte! Daß das Ding gar keinen festen Körper besaß. Ein brenzliger Geruch stieg Meeker in die Nase. Wie von
brennendem Schwefel und anderem Zeug. Und dann stieg das Wesen in die Luft und schwebte über Meeker! Irgendwo ertönte angstvolles Murmeln. Mexikanisch. Also war bloß Dyer abgehauen. Chavez war noch da. Eine wahnsinnige Vorstellung zuckte durch Meekers Schädel. Die alten Leute redeten manchmal noch von Hexenspuk und Geistern und unheimlichen Erscheinungen. Er hatte immer gegrinst und nicht ein Wort davon geglaubt. Wenn es aber doch stimmte? Wenn die alten Leute keine Spinner waren? »Chavez, beten Sie etwas!« brüllte er und paßte auf, daß er nicht ganz plötzlich aus der Höhe angegriffen wurde. »Irgend etwas! Und laut, Mensch!« Im selben Augenblick hörte er das hastige Trappeln von Schritten und aufgeregte Stimmen, in denen die Panik mitklang. Seine Leute stürmten die Treppe herauf. Ein Mann brüllte voller Entsetzen: »Da ist ja auch einer!« Meeker verstand. Er begriff mehr als seine Leute. Die waren mit diesem entsetzlichen Gespenst im Keller zusammengeraten. Einer hatte sogar geschossen. Aber das Ding war ihnen entwischt. Und es war hier oben aus der Wand erschienen. Wahrscheinlich, um den Männern den Rückweg abzuschneiden oder sie oben an der Treppe abzupassen. Fünf Männer drängten sich oben an der Treppe. Ihre Gesichter zeigten ein namenloses Entsetzen. Als ob sie den Teufel selber gesehen hätten. Einer machte eine Bewegung, und Meeker sah aus den Augenwinkeln eine Pistole. Er wollte noch rufen, daß es wohl sinnlos sei, auf die Erscheinung zu feuern. Da krachten schon zwei Schüsse. Mit Sicherheit trafen die Kugeln das Ding in der Luft. Aber sie gingen einfach hindurch und fuhren mit einem lauten Knacken in die Wand über dem Eingang.
Und dann lachte die Erscheinung. So laut und schaurig, daß das tosende Krachen der beiden Schüsse gar nichts dagegen war. »Aufhören!« brüllte Meeker und meinte den Schützen. Chavez hatte endlich seinen klaren Verstand wieder beisammen. Er betete laut und mit zittriger Stimme. Wie ein Stein fiel die Erscheinung aus der Luft. Genau auf Meeker. Der hatte so etwas erwartet und bewegte sich mit einer jähen Behendigkeit wie eine gereizte Klapperschlange. Zwei Schritte neben ihm landete die Erscheinung auf den Füßen. Meeker entsann sich plötzlich einer Szene, die er mal in einem Fernsehfilm gesehen hatte. Er reckte dem Ding die Arme entgegen und hielt beide Zeigefinger zum Kreuzsymbol zusammen. Der wüste Schrei aus dem Mund der Erscheinung peinigte seine Trommelfelle. Und nicht nur seine. Alle Wut und aller Haß, die nur vorstellbar waren, lagen darin. Dann wich die Erscheinung fauchend und spuckend zurück. Und plötzlich löste sie sich auf. Atemlose Stille trat ein. Nach Sekunden wischte sich Meeker über die Augen, als könnte er den bösen Spuk fortwischen und ungeschehen machen. Einer seiner Männer war grün im Gesicht und hielt sich am Treppengeländer fest. Und dann klang ein schwerer Fall durch das tiefe Schweigen. Chavez hatte die Besinnung verloren. »Bringt ihn rüber!« befahl Meeker. »Und bleibt aus dem verdammten Kellerraum raus, für Philby können wir doch nichts mehr tun.« In Gedanken fügte er hinzu: Den hat dieses Spukwesen aufgefressen oder ich will nicht länger Meeker heißen! Und dann fiel ihm ein Name ein. Der Mann mußte her. Hier
hatte die Polizei nichts zu suchen, hier konnte er mit seinen Leuten nichts ausrichten. Für Geister oder Gespenster war die Polizei nicht zuständig. Er pfiff darauf, ob es der Manning-Sippe gefiel oder nicht, daß er jemand zuzog. Aber mit Geistern kam dieser Kerl aus New York am besten zurecht, von dem er schon etliche Male gehört hatte. *** »Die Flugzeuge werden immer kleiner«, bemerkte Hanako Kamara und betrachtete den einstrahligen Jet, zu dem ein Bodensteward sie gebracht hatte. »Vielleicht ist der Vogel nach dem letzten Regen ein wenig eingelaufen«, ulkte Gordon Black. »Im übrigen ist das ein Jet der Mannings, wenn ich diesen aufgeregten Polizeimenschen richtig verstanden habe.« Sie waren am frühen Morgen aus New York mit einer vierstrahligen Maschine heruntergekommen und in Houston in ein zweistrahliges Flugzeug umgestiegen, um wieder ein Stück nordwärts bis Dallas zu fliegen. Jetzt standen sie vor dem einstrahligen Vogel, der sie in ein Nest mit Namen Doringham bringen sollte. Hanako strich eine Strähne ihres blauschwarzen Haares aus der Stirn. »Allein auf Versprechungen am Telefon würde ich eine solche Reise nicht gründen.« »Manchmal muß man auch Vertrauen haben«, widersprach Gordon Black. »Und die Stimme dieses Meeker klang nicht, als wollte er sich einen dummen Spaß mit uns erlauben. Bitte, die Plätze waren dann ja auch gebucht gewesen.« »Aber worum es geht, hat er nicht gesagt, oder?« »Er ist nicht sehr konkret geworden«, räumte der Anwalt und Geisterjäger aus New York ein. »Ein Gespenst oder so beunruhigt die Gegend, und ein Mitglied der Mannings soll
ihm zum Opfer gefallen sein.« »Huh!« machte Hanako. »Ich lese für dich eine Menge Zeitungen, aber ein Manning ist nicht erwähnt worden.« »Das entspricht nicht ihrer Art«, belehrte Gordon Black seine Mitarbeiterin. »Oder liest du etwas über die Rockefellers oder Vanderbilts? Wenn ein Filmschauspieler den Schnupfen kriegt oder sich den Finger verstaucht, sorgt er dafür, daß das in die Presse kommt. Die großen Familien dieses Landes setzen alle Hebel in Bewegung, daß sie aus der Presse heraus bleiben. Das ist der ganze Unterschied, aber er ist gravierend. Daß dieses niedliche Flugzeug bereitsteht, ist der beste Beweis dafür, daß man uns braucht. Also zier dich nicht und steige ein.« »Vorausgesetzt, die Maschine ist wirklich für uns.« Hanako, die bildschöne Asiatin, bewahrte ihre Skepsis. Dieser Ruf nach Doringham und die Eile, mit der Gordon Black sein Kommen zugesagt hatte, gefielen ihr nicht. Sonst pflegte Gordon reiflicher und länger zu überlegen. Vor allem zog er diskrete Erkundigungen ein. Oder hatte ihn der Klang des Namens Manning gelockt – wenn das wirklich so große Tiere waren, wie er sagte? In der Tür der Maschine zeigte sich ein sonnengebräuntes Runzelgesicht. Ein Mann sagte in breitestem Texas-Slang: »Hiiiyaah, Mann, sind Sie der Rechtsverdreher aus New York?, Kommen Sie, Sie sind fünfzehn Minuten hinter der Zeit. Ihre Puppe verladen wir natürlich auch. – Hallo, Madam, immer willkommen!« Er redete nicht nur wie ein waschechter Texaner, er war auch genau so unkompliziert. »Und ich dachte immer, ihr Texaner hättet wenigstens noch Zeit!« erwiderte Gordon Black und half Hanako die dreistufige Klappleiter hinauf. Von einem Flugstern schnurrte ein Elektrokarren herüber. Er brachte das wenige Gepäck des Geisterjägers und seiner
Mitarbeiterin. Gordon hatte es selber tragen wollen, aber die freundlichen Leute von der Fluggesellschaft hatten höflich und bestimmt abgewinkt. Der runzelgesichtige Bursche stellte sich als der Pilot Ranse vor. Gordon Black guckte etwas verwundert ins Cockpit, ob da nicht ein zweiter Mann war. Ranse bemerkte das gezielte Interesse und grinste breit. »Ist nur ein Lufthopser von einer Stunde, Mann!« beruhigte er. »Dafür braucht’s keinen zweiten Mann. Oder denken Sie, ich hätte mir meine Lizenz vom Versandhaus schicken lassen?« Oha, dachte Gordon Black, der Mann ist empfindlich, er sieht bloß so robust aus! Wenn alle Leute in der Umgebung der Mannings und diese selber so dünnhäutig sind, dann stehen uns ja einige Überraschungen bevor! Die kleine Maschine bot Platz für acht Passagiere. Gordon und Hanako konnten sich aussuchen, wo sie sitzen wollten. Ranse holte das Gepäck herein, klappte die Treppe hoch und schloß den Einstieg. Zwei Minuten später ließ er den Jet schon rollen. Er hatte die unangenehme Angewohnheit wie fast alle texanischen Piloten, von der Fluggäste aus aller Welt ein bewegtes Klagelied zu singen vermögen – ob sie nun in einem Riesenvogel oder in einer kleinen Maschine unterwegs waren: Ranse zog den Jet in haarsträubendem Tempo durch die enge Kurve zur Startbahn und gab vollen Schub, daß Gordon Black fürchtete, das Fahrgestell würde in der nächsten Sekunde wegbrechen. Von der Fliehkraft wurde Hanako auf den nächsten Sitz geschoben. Gordon Black fand sich mit der Schulter an der Kabinenwand klebend. Ranse schaute über die Achsel. Lachend verzog sich sein Runzelgesicht. »Yeah, anschnallen sollten Sie sich wohl!«
empfahl er und scheuchte den Jet die Piste entlang. Mit einem sanften Hupfer hob sich das Flugzeug. Der Platz fiel unter den Tragflächen rasend schnell zurück. »Wenn Sie scharf auf ‘n Drink sind, hinten in der Kabine ist ‘n Kühlschrank«, pries Ranse an. »Oder soll ich Ihnen was zusammenmixen?« Er fand seinen Witz vortrefflich und lachte unbändig. Gordon Black lachte nicht mit, um Ranse nicht zu ermutigen, wirklich den Steuerknüppel loszulassen und sich am Kühlschrank zu schaffen zu machen. Die Verrücktheit traute er ihm glattweg zu. »Nein, danke, man hat uns unterwegs schon mit genügend eiskaltem Zeug umzubringen versucht«, lehnte der Geisterjäger ab. »Ich würde mich viel lieber mit Ihnen unterhalten.« Das Grinsen gefror augenblicklich im Gesicht von Ranse. »Mann, damit wir uns verstehen – mein Job ist die Fliegerei, und Ihr Job ist ‘n anderer, klar?« Das war eine deutliche Abfuhr. Ranse wollte nicht reden. Eigentlich sprach das für ihn. Aber Gordon Black hätte doch ein wenig mehr über die Umstände erfahren, als ihm Meeker am Telefon auseinandergesetzt hatte. »Lassen wir’s eben«, sagte er. »Genau das meine ich!« pflichtet Ranse bei. Nach Minuten fragte der Geisterjäger »Meeker ist der Polizeichef von Doringham. Was wissen Sie über ihn?« Jetzt grinste Ranse wieder. »Also, wenn Sie ‘n Kerl sehen, der Ihnen wie ein Präriehund vorkommt, das ist Meeker. Aber lassen Sie sich nicht vor Äußerlichkeiten zu falschen Schlüssen verleiten.« Ranse sagte es mit einem Anstrich von Hochachtung. Gordon Black zog daraus eine erste Lehre. Wahrscheinlich wurde dieser Meeker gern unterschätzt. Das Flugwetter war angenehm. Ranse knüppelte den Jet in knapp einer Stunde nach Doringham.
*** Von Meeker hätte es keine treffendere Beschreibung geben können als die von Ranse. Gordon Black vergaß jedoch nicht, was der Pilot sonst noch gesagt hatte. Darum deutete er das wache Funkeln in Meekers Augen auch richtig. Es galt nicht Hanako, die für einiges Aufsehen sorgte, sondern ihnen beiden. Und dem, was sie sich zum zweiten Beruf erwählt hatten. Ein Freund von großen Förmlichkeiten war Meeker so wenig wie Ranse. Er stellte sich vor und brachte seine Gäste zu seinem Dienstwagen. Ein Mann, den er mit Nash ansprach, sollte sich um das Gepäck kümmern. Auf der Fahrt in die Stadt sagte Meeker: »Damit wir uns gleich verstehen – offiziell arbeiten Sie mit mir zusammen. Es soll jedes übermäßige Aufsehen vermieden werden. Die Mannings kommen jedoch für Ihre Spesen auf.« Er verlangsamte das Tempo und betrachtete auf der Hauptstraße, durch die er den Wagen lenkte, mit sichtbarem Mißbehagen ein paar Männer, die erkennbar nicht in diese Gegend gehörten. Sie waren großstädtisch gekleidet, und sie ließen die kräftige Sonnenbräune vermissen, die die Bewohner dieses Landstriches auszeichnete. Mit dem Daumen wies er auf die Gruppe, die sich vor einem ganz passabel wirkenden Hotel zusammenfand. »Aasgeier!« meinte er sachverständig. »Etwas ist natürlich durchgesickert und die Burschen beginnen zu wühlen.« Wie er es sagte, klang darin die Bitte an den Geisterjäger mit, sich von den Männern fernzuhalten. Vielleicht waren es Presseleute. Sie sahen aber eher wie Abgesandte der Konkurrenten des Manning-Clans aus. Und wie hochbezahlte Zuträger. »Es wird sich auf Dauer nicht geheimhalten lassen«, gab
Gordon Black zu bedenken. Meeker hatte ihn dahingehend informiert, daß ein Mitglied der Manning-Sippe und Angehöriger der Führungsspitze ihres Imperiums durch böse Mächte ums Leben gekommen war. Aber er hatte nicht gesagt, um wen es sich handelte, noch hatte er die genaueren Umstände nennen wollen. »Das bestimmt nicht, aber es kommt auf den Zeitpunkt an. Gerade jetzt könnten gerissene Börsenjobber den Mannings gewaltigen Schaden zufügen. Sie müssen erst ihre Geschäfte abschotten.« »Und wer ist nun umgekommen?« fragte Gordon Black. »Thomas Philby«, sagte Meeker seufzend. »Ein Mann, so ungemütlich wie ein alter Kaktus und so rauflustig wie ein betrunkener Cowboy, aber der schlaueste und gerissenste Kopf, der mir je begegnet ist. Hat in die Familie eingeheiratet. Es gibt Leute, die sogar sagen, er sei ein Saukerl gewesen. Jedenfalls hatte es seine Frau bei ihm nicht gerade gut. Aber er hielt die Geschäfte eisern in seinen Händen. Wird mächtig schwer werden für die Sippe, die Lücke zu schließen. Das Wasser kann ihm keiner reichen.« Gordon Black nickte. Das war eine recht plastische Einführung in die familiären Verhältnisse der Mannings. »Und daß jemand Mister Philby aus dem Weg geräumt hat, können Sie ausschließen? Jemand, der einen Nutzen davon hat. Der meinetwegen seinen Platz einnehmen will!« Gordon Black schaute aus den Fenstern. Dieses Städtchen Doringham gefiel ihm. Es war sauber und anheimelnd. »Mann, Philby ist von ‘nem unnatürlichen Wesen umgebracht und verspeist worden. Wir haben seine zerrissene Kleidung, die Schuhe und auch so allerlei eindeutige Beweise dafür gefunden.« Meeker machte eine eindrucksvolle Pause. »Und außerdem habe ich das Ding mit eigenen Augen gesehen. Und einige von meinen Mitarbeitern auch. Ich habe den Jungens das Ehrenwort abgenommen, daß sie das Maul halten.
Einer hat auch noch auf dieses – na ja, auf diese Erscheinung geschossen. Es war ein unliebsamer Aufruhr, kann ich Ihnen sagen.« In der Erinnerung mußte der Polizeichef von Doringham eine ganze Menge unangenehme Empfindungen erleben, denn er zog den Kopf zwischen seine massigen Achseln. »Sie sagten etwas von einer Wand, Mister Meeker!« half Gordon Black dem Gedächtnis des Mannes nach. »Freilich. Das Ding sah wie ‘n Tier aus. Ein Affe, wenn Sie sich darunter was vorstellen können. Ganz und gar behaart. Ich hab’s aus einer alten und ganz dicken Mauer kommen sehen. Es hat sich auch noch in die Luft erhoben, und die Kugeln von meinem Mitarbeiter sind glattweg durch seinen Körper durchgegangen und haben es nicht mal angekratzt. Mir ist das alles sehr sonderbar vorgekommen.« Sonderbar war noch ein recht milder Ausdruck für das Vorkommnis. »Und dabei ist Mister Philby ums Leben gekommen?« fragte Gordon Black. Er wollte etwas Ordnung in Meekers Geschichte bringen und vor allem die chronologische Reihenfolge festgelegt wissen. So, wie Meeker die Geschichte erzählte, stellte sie sich ziemlich wirr dar. »Irrtum!« Der Polizeichef schüttelte den Kopf. »Da muß Philby schon ‘ne ganze Weile tot gewesen sein. Außerdem ist noch jemand verschwunden. So ‘n seltsamer Kauz namens Rodalba. Professor von irgendwas. Hat seit zehn Jahren in einer Menge altem Zeug rumgeschnüffelt, das der alte Leach Manning seinerzeit aus Europa herübergebracht hat. Antike Sachen und so.« Gordon Black nickte. Von dieser unbeschreiblichen Sammlung hatte er schon gehört. Allerdings in einem anderen Zusammenhang. Es sollte sich um eine völlig ungeordnete Sammlung handeln, wahllos zusammengekauft. Strenggenommen war das natürlich keine Sammlung.
»Rodalba?« meinte er. »Nie gehört!« »Wundert mich auch nicht.« Meeker nickte. »Ein ziemlich verrückter Kerl. Bloß sind die Umstände, unter denen er verschwunden ist, genauso seltsam wie der Tod von Philby.« »Lassen Sie hören«, ermunterte Gordon Black den Polizeichef. Wieder zog Meeker den dicken Kopf zwischen die Achseln. »In der Nacht tobte ein wildes Unwetter über Manning House. Aber auch bloß dort. Blitz und Donner. Aber was soll ich Ihnen sagen – es ist nicht ein Tropfen Regen runtergekommen. Dabei könnten wir einen Guß ganz nötig gebrauchen.« Er machte eine vage Handbewegung in die Gegend. »Drüben ist die Wüste. Die macht hier unser Klima und trocknet uns aus. Sie werden das schor noch merken. Ja, und diese Blitze haben einen Turm sichtbar gemacht, den es gar nicht gibt.« Im Spiegel sah der Geisterjäger, daß er ein unglückliches Gesicht schnitt. Er kam sich wohl selber lächerlich vor. »Ein Turm? Darf ich das so verstehen, daß der während des Unwetters zu sehen war?« »He, Mann, Sie kennen sich aus, wie? Klar, die halbe Stadt war auf der Straße und hat sich das Schauspiel angeguckt. Manning House liegt außerhalb der Stadt und obendrein auf einem Hügel. Es hat gekracht, als würden Geschütze abgefeuert. Die Leute haben den Turm gesehen. Ich auch, nebenbei bemerkt. Da oben hat es weder früher noch jetzt einen Turm gegeben.« »Beschreiben Sie ihn!« bat Gordon Black. Meeker bewies, daß er eine gute Auffassungsgabe hatte und vor allem Beobachtungen knapp und plastisch wiedergeben konnte. Der Geisterjäger hätte den Turm nachzeichnen können. »Und die Blitze sind einfach daran heruntergelaufen«, fuhr Meeker fort. »Ich dachte mir schon, daß wir einen Spuk erlebt haben. Ich habe an der Stelle graben lassen. Wir haben aber nicht mal Grundmauern oder etwas in der Art gefunden.«
»Wie kamen Sie auf den Gedanken?« Meeker grinste etwas verlegen. »Hier draußen hört man noch auf die alten Leute, die manchmal haarsträubende Gespenstergeschichten loslassen oder von seltsamen Begebenheiten zu berichten wissen. In der Stadt ist das sicher anders, da lachen die Leute drüber und sagen, es sei Unfug und Aberglaube und sonst nichts. Na, und ein Spuk geht doch meist auf eine wahre Begebenheit zurück.« »Fast immer«, bestätigte der Geisterjäger. Diese freundliche Zustimmung ermunterte Meeker. »Daß wir es hier mit einem Spuk zu tun haben könnten, ist mir dann auch gerade noch eingefallen, als dieses Wesen keine Wirkung auf die Kugeln meines Mannes gezeigt hat. Es hat sich auf mich runterfallen lassen. Fehlte nicht viel, und es hätte mich gehabt. Da habe ich mit den Fingern ein Kreuz geformt und ihm entgegengehalten.« »Und das Kreuz hat es vertrieben?« Meeker nickte bedeutungsvoll. »Es hat sich aufgelöst, aber davor hat es noch ein ziemliches Getöse veranstaltet. Ich glaube, es kann auch so eine Art Erdbeben machen. Wir haben alle ein dumpfes Grollen ganz tief aus der Erde gehört, aber oben hat sich kein Stein bewegt.« Auf einen Spuk deutete das nicht gerade hin. Gordon Black hatte einen Verdacht, der auf einen Dämon zielte. Und zwar auf einen der allerschlimmsten Sorte. Damit war nicht zu spaßen. »Das klingt nicht sehr beruhigend«, bestätigte er Meeker. »Ist seitdem wieder etwas passiert?« »Letzte Nacht haben die Bluthunde angeschlagen. Manning House wird scharf bewacht, müssen Sie wissen. Heute morgen fehlten zwei Tiere.« Meeker ließ offen, ob der Dämon sie geholt hatte. »Was wissen Sie noch?« forschte der Geisterjäger. »Jedes Detail kann ungemein wichtig sein.«
Der Polizeichef dachte nach. Dann sprach er von der fliegenden Gestalt, die etliche Leute um den Turm hatten herumsegeln sehen. Von dem Flug zum Fluß, wo etwas hineingeworfen wurde oder hineingefallen war, daß eine gründliche Suche aber nur einen Berg Schrott an den Tag gefördert hatte. Und daß er bis jetzt noch nicht die Mordkommission in Amarillo verständigt habe, was eigentlich seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit sei. Aber die Mannings hätten ihn gebeten, damit noch zu warten. Das ging Gordon Black nichts an. Wenn Meeker es verantworten konnte und wenn die texanische Justiz das Spiel mitmachte, sollte es ihm recht sein. »Und davor ist auf Manning House oder in der Gegend nie etwas in dieser Art vorgekommen?« fragte er Meeker. Der Mann schüttelte den massigen Schädel. »Nie. – Hm, mir kam jetzt schon mal der Verdacht, daß der beknackte Professor was damit zu schaffen haben könnte.« »Worauf begründen Sie den?« »In dem Zimmer, das ihm die Mannings für seine Studien zur Verfügung gestellt haben und wo er nächtelang über alten Büchern hockte, wenn er nicht in den Kellerräumen Leachs Schätze durchwühlte, haben zwei schwarze Kerzen gebrannt, und auf der Tischplatte ist der Abdruck einer Kette. Ich habe Abgüsse machen lassen. Muß ‘ne verdammt alte Kette gewesen sein. So macht man die schon lange nicht mehr…« »Schwarze Kerzen?« wiederholte Gordon Black, nachdem Hanako ihn angestoßen hatte. »Das müssen Sie mir zeigen! Ich hoffe, es ist nichts verändert worden.« »Das habe ich den Leuten gesagt, aber ob sie sich auch daran gehalten haben?« Meeker hob die Achseln. »Als dieses seltsame Unwetter getobt und gekracht hat, sind eine Menge Fenster zu Bruch gegangen. Türen hat es auch aufgesprengt. Das muß ja schließlich in Ordnung gebracht werden.« »Sicher, sicher«, stimmte Gordon Black zu. »Wo befindet
sich der Abguß der Kette?« »In meinem Büro!« Meeker guckte in den Innenspiegel, als kämen ihm Zweifel, ob Black wirklich der richtige Mann für die Aufklärung der grauenhaften Vorgänge war. »Dann fahren wir dort vorbei«, schlug Gordon Black sehr bestimmt vor. »Den Abguß möchte ich sehen. Wo gedenken Sie uns unterzubringen?« »Auf Manning House, wo denn sonst? Da sind Sie sozusagen an Ort und Stelle.« »Ist mir auch recht.« Meeker bog an der nächsten Ampel rechts ab. Nach zweihundert Wagenlängen stoppte er vor einem flachen Bau, der das örtliche Polizeiquartier und das Stadtgefängnis enthielt. Vier Fahrzeuge waren davor geparkt. Die Gegend war schon etwas besser als die Hauptstraße, wo sich nur eingeschossige Häuser aneinanderreihten. Meeker nahm seine Besucher aus New York mit hinein und führte ihnen einen dilettantisch angefertigten Gipsabguß vor. Entschuldigend meinte er, als er das Stirnrunzeln des Geisterjägers richtig deutete: »Mit so ‘nem Kram haben wir hier keine Erfahrung, Mann! Wenn bei uns was passiert, dann wird geschossen. Das ist was Solides.« »Schon recht.« Der Geisterjäger winkte ab. Er reichte den Abguß an Hanako weiter. Es waren nur Teile von Kettengliedern abgebildet. Zwei waren nicht nahtlos geschmiedet, sondern mehr zusammengeklemmt. Entweder war sehr schlampig gearbeitet worden oder die Kette war so alt, daß man feinere Methoden noch gar nicht kannte. Zudem waren die Kettenglieder nicht schön gerundet, sondern kantig und sehr ungleichmäßig. Das traf auch auf die Stärke zu. »Hm!« machte der Geisterjäger. »Ich überlege, aber ich komme im Augenblick nicht weiter. Haben Sie eine Ahnung,
wozu die Kette gedient haben könnte? Sie haben sich doch auch ein paar Gedanken gemacht.« Meekers Augen weiteten sich plötzlich. Als sei ihm in diesem Moment eine Sache von höchster Wichtigkeit eingefallen. Er hob die Hand und bezähmte seine erkennbare Unruhe. »Immer der Reihe nach, Mister. Wir sind hier nicht in New York! Also, auf dem Tisch habe ich Blutreste gefunden. Wäre möglich, daß sie von dem Professor stammen. Aber wir können keine Gegenprobe machen. Aber wie Sie davon geredet haben, ist mir was eingefallen. Dieses – dieses Spukding hat ‘ne Eisenkette zwischen den Armen hängen gehabt. Und trug Eisenringe an den Gelenken. Als ob es mal gefesselt oder angekettet gewesen wäre. Eine Kette hält ihm ja noch die Arme zusammen. Aber ich habe auch ein loses Ende herunterbaumeln sehen. Mann, vielleicht ist Rodalba damit erschlagen worden! In seinem Zimmer! Ein Hieb ging daneben und hat die Löcher ins Holz gehauen! Das wäre doch denkbar.« »Durchaus, und es klingt auch am wahrscheinlichsten. Vielen Dank, bewahren Sie den Abguß auf.« Er reichte das Gipsgebilde zurück. Meeker schloß es in seinen Schreibtisch. Aus der Schublade holte er eine großkalibrige Pistole im Holster und band sich den Gurt um den Leib. Erklärend meinte er: »Als ich mit dem Ding zusammengetroffen bin, hatte ich keine Waffe dabei und kam mir ziemlich nackt vor. Gut, Kugeln richten nichts aus, das weiß ich mittlerweile, aber so eine Pistole beruhigt die Nerven.« »Ansichtssache«, erklärte der Geisterjäger zu dieser nicht sehr logischen Ausführung. »Ja, dann fahren wir wohl weiter!« Meeker ließ erkennen, daß er sie möglichst schnell los sein wollte. Der tiefere Sinn war natürlich auch, daß er dann die direkte Verantwortung los
war. Er fuhr Gordon Black und Hanako aus der Stadt und erklärte von einem Parkplatz aus das Panorama. Auf einem Hügel erhob sich zwischen staubigem Baumgrün ein weitläufiges Haus, das nach Art der mexikanischen Haziendas errichtet war. Es mußte eine ganze Menge Geld für die Anlage eines tauglichen Bewässerungssystems ausgegeben worden sein, denn unter den Bäumen blühte es in allen Farben. Selbst auf diese beträchtliche Entfernung war das zu erkennen. Unterhalb von Manning House schmiegten sich Bungalows an den Hang. Dort wuchsen auch schattenspendende Bäume, aber die Art ließ erkennen, daß sie gepflanzt worden waren. Sie ließen eine strenge Planung erkennen. Und sie waren nicht einmal halb so groß wie die alten Bäume oben auf dem Hügel. Dort gab es natürlich kein Grundwasser. Ein Beweis mehr dafür, daß Wasser hinaufgepumpt wurde. Hanako zog den unbedeckten Arm aus dem Sonnenschein. Ihre Haut brannte schmerzhaft. »Ich kann mir gut vorstellen, wie die Leute zusammengelaufen sind und da hinaufgestarrt haben«, sagte sie. »Es muß ein gewaltiges Schauspiel gewesen sein.« »Gewaltig? Na, ich danke! Die Bewohner haben mir ganz schön mit Fragen eingeheizt.« Meekers Haltung drückte auch jetzt noch sein Unbehagen aus. »Sehen Sie den Erdaushub links von den Schwarzeichen? Dort habe ich graben lassen. Da hat man diesen verfluchten Turm gesehen. So echt, als würde er wirklich da stehen. Einen Reim kann ich mir immer noch nicht darauf machen. Jedenfalls keinen, den ich in mein Protokoll schreiben könnte, ohne Gefahr zu laufen, aus dem Amt gejagt zu werden. Ich fahre Sie jetzt zum Fluß rüber.« Er lenkte den Wagen vom Parkplatz herunter. Gordon Black und Hanako prägten sich das Aussehen der Gegend genau ein. Ganz besonders achteten sie auf die Höhenunterschiede. Manning House lag bestimmt zweihundert
Fuß höher als Doringham. Der alte Leach Manning hatte sich den schönsten Punkt in der ganzen Gegend ausgesucht. Wahrscheinlich war seine Wahl der guten Aussicht wegen auf diesen Fleck Erde gefallen. Leach Manning war in diesem Land gar nicht zu Hause gewesen. Seine Eltern hatten noch in einem Blockhaus droben bei den Großen Seen gelebt und sich damit abgemüht, dem Boden jedes Jahr eine bescheidene Ernte abzuringen. Leach hatte gefunden, daß er nicht für das Leben eines Farmers taugte. Er hatte dem Blockhaus beizeiten den Rücken gekehrt und war zu einem Vermessungstrupp für die Transkontinentaleisenbahn gegangen. Dort hatte er so viel gelernt, daß er eines Tages selber ins Geschäft mit dem Bahnbau einsteigen konnte. Seine Bahnlinien hatte er dann hier unten im Süden gebaut. Er hatte damit ein gewaltiges Vermögen gemacht. Und er war in diesem Land hängengeblieben. »Ist das die einzige Straße zum Besitz der Mannings?« erkundigte sich der Geisterjäger. »Oder führt sie weiter?« »Nur den Hügel hinauf«, bestätigte Meeker. »Eine andere Verbindung gibt es nicht. Oder Sie gehen zu Fuß. Aber wer macht das hier schon?« In diesem Punkt hatte er recht. Die Entfernungen waren riesig, und bis zur nächsten Stadt war man mit dem Auto oft genug einen halben Tag unterwegs. Meeker bog an einer Tankstelle links in einen besseren Feldweg ein. Der schien indes häufig benutzt zu werden. Er war ausgeleiert, und auf den Blättern und Ästen der umstehenden Büsche und Bäume lag der Staub fast fingerdick. Auf dem hohen Ufer des Flusses stoppte Meeker den Wagen. Schlammbedeckte alte Autoreifen lagen herum. Der Schlamm war trocken und rissig. Ein verrosteter ausgeschlachteter Traktor lag unter einem Baum. Eine tiefe
Schleifspur führte vom Fluß herauf. »Diesen Mist haben wir herausgefischt«, erläuterte der Polizeichef. »Aber den Professor nicht. Wer weiß, vielleicht haben wir uns auch bloß etwas eingebildet.« »Nicht unbedingt«, widersprach Gordon Black. »Aber manchmal sieht man Dinge, die es nicht gibt, und es gibt Dinge, die man nicht sieht.« »Ha?« machte Meeker mißtrauisch. »Sie reden fast so wunderlich wie der beknackte Professor.« »Ich danke für das Kompliment!« sagte der Geisterjäger mit deutlichem Spott. Jetzt wußte er, woran er mit Meeker war. Der nahm alles furchtbar Ernst, bewahrte aber einen gewissen Abstand und vor allem seinen gesunden Menschenverstand. Aber mit hintersinnigen Späßen durfte er dem nicht kommen. »In der ganzen Gegend ist nie ein Spuk vorgekommen?« fragte, er. »Mir fällt es ein, weil Sie vorhin die alten Leute erwähnten, die für solche Sachen noch ein gutes Gedächtnis haben.« »Die Frage haben Sie mir schon einmal gestellt«, maulte Meeker. »Ich habe auch ein gutes Gedächtnis, und ich bin noch nicht alt. Nein, ich habe nie etwas gehört, und es hat auch nie jemand eine Anzeige gemacht oder Hilfe verlangt.« Sehr viel schlauer war der Geisterjäger immer noch nicht. »Und auf Manning House ist auch nie ein Verbrechen begangen worden? Ich meine ein Verbrechen, das nie gesühnt wurde?« Meeker schaute ihn an wie einen Verrückten. »Die Leute sind immer eines natürlichen Todes gestorben, wenn ihre Zeit gekommen war«, sagte er dann weise wie ein alter Uhu. Plötzlich zuckte ein Verstehen in seinen Augen auf. »Ah, Sie meinen, da wäre mal was vertuscht worden? Weil ich Philbys Tod noch nicht an die Mordkommission gemeldet habe? Kommt noch, Mister, kommt alles noch. Ich dachte, Sie freuen
sich ‘n Loch in den Bauch, weil ich Ihnen das Feld freigehalten habe, und da kommen Sie mir mit Unterstellungen!« »Nichts liegt mir ferner, als Ihnen etwas zu unterstellen«, beschwichtigte Gordon Black den Mann. »Und ich weiß Ihre kluge Voraussicht auch zu schätzen. Aber ich muß mich eben nach allen Seiten absichern. Wenn wir es hier wirklich mit einer überirdischen Erscheinung zu tun haben, und eine Menge spricht dafür, dann ist das ein risikoreiches Unternehmen für jeden, der sich näher damit befaßt. Ein Mann ist bereits tot, einer vermißt. Das sollte Ihnen zu denken geben.« Meeker klopfte sich eine Zigarette aus einer Packung und rauchte. Er schaute zum anderen Flußufer, wo ein paar Männer und Kinder fischten. Drüben war die Fließgeschwindigkeit des Wassers größer, der Platz taugte nicht recht zum Fischen. Aber wahrscheinlich war den Leuten das diesseitige Ufer nicht geheuer, und darum blieben sie drüben. »Heißt das. Sie übernehmen die Sache nicht?« fragte er schließlich und vermied es, den Geisterjäger anzusehen, von dem er einiges gelesen und gehört hatte. »Ich stehe mit beiden Füßen schon mittendrin«, sagte Gordon Black. »Aber ich kaufe keine Katze im Sack. Schließlich trage ich meine Haut zu Markte.« Meeker paffte eine Wolke in die heiße Luft, die auch hier unter den Bäumen am Fluß nicht angenehmer war als in der Stadt. »Ich habe Ihnen alles gesagt und nichts verschwiegen, und Sie bekommen von mir jede Unterstützung, die ich Ihnen als Chef der hiesigen Polizei geben kann. Aber aus der Spuksache halte ich mich heraus.« »Einverstanden.« Gordon Black zündete sich auch eine Zigarette an, um mit dem Rauch die lästigen kleinen Stechfliegen abzuwehren, die sich wie die Aasgeier herabstürzten. Die Beräucherung nützte nicht viel. Die Plagegeister waren hart im Nehmen.
Die drei Menschen flüchteten schließlich in den Polizeiwagen, und Meeker stellte die Klimaanlage auf volle Leistung. Die Stechfliegen, die mit hereingeschlüpft waren, verloren in der Kühle ihre Angriffslust. Meeker wendete den Wagen und fuhr zur Tankstelle zurück. Dort setzte er einen Funkspruch ab, daß er jetzt bei den Mannings zu erreichen sei. Er fuhr den Geisterjäger und Hanako die steil hinaufführende Straße hoch. *** Die gegenseitige Vorstellung verlief in jener steif-zurückhaltenden Atmosphäre, die man einem sehr, sehr weit entfernten Verwandten entgegenbringt, der sich unverhofft zur Erbverteilung einfindet und den man am liebsten mit ein paar Worten abspeisen möchte. Gordon Black machte sich nicht viel daraus. Solches Benehmen kannte er von etlichen seiner Klienten, die trotz ihres enormen Vermögens in die Verlegenheit kamen, sich des Beistandes eines versierten Anwalts zu versichern. Aber Hanako war dünnhäutiger und bezog die kühle Aufnahme auf sich. Farbige waren in Texas nicht gerade geschätzt, und farbig war alles, was nicht weiß war. Dieser Zustand der gegenseitigen kühlen Respektierung dauerte indes nicht lange. Dyer Manning fragte Hanako in einer unverschämt offenen Art: »Sind Sie seine Freundin oder so?« Er ließ seinen berühmten Charme wirken, stellte aber schnell fest, daß er nicht auf der Wellenlänge der Asiatin lag. »Wäre es für Sie von großer Bedeutung?« gab Hanako zurück. »Sie können doch hier in der Gegend jede Menge Mädchen haben, wenn Sie es darauf anlegen.« Dyer grinste. »Die kenne ich alle schon«, murmelte er mit der Stimme eines Verschwörers.
Sein ältester Bruder Nash rief ihn zur Ordnung. »Dyer, deine Bemerkungen sind unangebracht!« »Freilich, freilich! Die Würde der Familie, der Ruf des guten Namens!« Dyer schaute Hanako an. »Werden Sie nie reich, den guten Rat gebe ich Ihnen. Sie werden zum Leisetreter erzogen.« Hanako war versucht, über seine Worte zu lachen. Aber sie begriff, daß eine Menge bittere Wahrheit darin steckte. Und außerdem war ein Lachen in dieser Situation bestimmt nicht angebracht. Vera, die Witwe des so jäh und geheimnisvoll verblichenen Thomas Philby, trug gemessene Trauer und kippte sich schon während des Bekanntmachens zwei doppelstöckige Whisky ein. Gordon schätzte die Frau richtig ein. Sie war Alkoholikerin, und es war ihr reichlich gleichgültig, wie und wo und wann ihr Mann diese Erde verlassen hatte. Die Verbindung der beiden schien nicht dem Idealbild einer Ehe entsprochen zu haben. Meeker schaute unbehaglich. »Mister Black und seine Mitarbeiterin würden sich gerne die Örtlichkeiten ansehen. Ich denke, das war’s dann!« Er wollte weg, er machte kein Hehl daraus. Das paßte nicht ins Konzept des Geisterjägers. »Ich denke, Sie führen uns«, sagte er. »Es könnte doch sein, daß sich Fragen ergeben, die Sie am besten beantworten können.« Er hatte den starken Eindruck, daß ihm Meeker in diesem Augenblick liebend gern einen Fausthieb versetzt hätte. Dem Polizeichef behagte diese Umgebung auch nicht. »Wenn es sein muß!« maulte Meeker. »Aber Sie kommen natürlich mit, Dyer.« »Ungern«, gestand der. Aber er fügte sich. Hanako und der Geisterjäger bekamen einen Eindruck von den Ausmaßen des Besitzes, der sich um den weitläufigen
Innenhof gruppierte. Im einen Flügel wohnten die Mitglieder der Sippe. In zweien befanden sich die Büros der vielfältigen Unternehmensgruppen der Mannings. Nur ein Flügel machte einen etwas vernachlässigten Eindruck. Wie Dyer erklärte, war dies auch der älteste Teil des Anwesens. Dort befand sich die Auffahrt mit dem Hauptzugang zu den Kellerräumen. Dem Geisterjäger entging nicht die mißtrauische Vorsicht, mit der sich Meeker dort umsah. Gordon Black entdeckte über der Tür, die von der alten Kutschenauffahrt in die alte Halle hereinführte, zwei handtellergroße Placken in der getünchten Wand und genau im Zentrum einen dunklen Punkt. Meeker bekam spitz, worauf er seine Aufmerksamkeit richtete. »Da sind die Kugeln reingegangen. Sie wissen schon«, erläuterte er mit gedämpfter Stimme. Fast schien es, als wollte er vermeiden, jenes Unaussprechliche zu wecken, das hier irgendwo schlummerte. Gordon Black konzentrierte sich und verständigte sich mit Hanako. Sie mußten erst einmal herausfinden, ob sie die Ausstrahlung des Bösen wahrnehmen konnten. Und wie sie beschaffen war. Hanako hielt die Augen geschlossen. Sie machte den Eindruck, als sei sie mit den Gedanken ganz weit weg. Einmal zuckte sie zusammen. Und im selben Sekundenbruchteil spürte auch Gordon Black etwas. Er konnte es nicht in Worte fassen. Es war so fremd und kalt und fern, aber es war in keinem Falle gut. Es drückte einerseits unbändige Freude und andererseits Unzufriedenheit aus. Aber was wichtig war – es befand sich im Umkreis von einer Meile. Und es schlummerte nicht. Es beobachtete und
wartete ab. Es war satt. Gordon Black erschrak, als sich ihm diese Empfindung mitteilte. Satt! Das setzte voraus, daß das Unsagbare darauf angewiesen war, Nahrung zu sich zu nehmen. Gordon Black brach entsetzt seine Tastversuche ab, als ihm aufging, in welche Richtung seine Überlegungen gingen. Meeker hatte doch gesagt, daß man von Philby nur noch die zerrissene Kleidung und die Schuhe gefunden hatte! Und daß Bluthunde in der vergangenen Nacht verschwunden waren. Hanako stöhnte plötzlich auf und taumelte. Dyer stand ihr am nächsten und stützte sie. Er blickte ehrlich besorgt. »Ist Ihnen nicht gut? Vielleicht bringe ich Sie raus an die frische Luft. Dieses alte Gemäuer…« Sie streifte seine Hand ab und schaute Gordon an. Ihre Augen hatten den Ausdruck eines Menschen, der einen Blick in die Hölle getan hat. »Es ist grauenhaft«, sagte sie mit matter Stimme. »Es ist durch und durch böse. Es wird wiederkommen.« »Da sei Gott vor!« stieß Meeker aus. Er legte die Hand auf seine Pistolentasche. Dyer bewegte unbehaglich den Kopf, als sei ihm der Hals zu kurz geworden. Dann entschied er sich für schnoddriges Benehmen und für Spott. »Ich spüre nichts, aber vielleicht liegt es daran, weil ich ganz und gar unwissend bin. War das eine Gratisvorstellung oder muß ich Eintritt bezahlen?« Mit einem durchdringenden Blick brachte ihn Gordon Black zum Schweigen. Er verständigte sich mit Hanako. Und dann sagte er: »Ich möchte etwas aus meinem Gepäck holen, bevor wir die Besichtigung fortsetzen. Es erscheint mir wichtig. Unser Leben kann davon abhängen.« Dyer legte noch einmal die spaßhafte Platte auf. »Jedenfalls kann keiner behaupten, Sie würden sich nicht gut verkaufen«,
sagte er. »Allen Respekt, von Ihnen kann sogar ich noch etwas lernen!« Er redete wie ein dummer Junge. Gordon Black ließ ihn gewähren. Dyer war der Tod seines Schwagers nicht nahe gegangen, den beeindruckten auch warnende Worte nicht. Man mußte ihn verbrauchen, wie er war. Gordon ging hinüber in den Wohnflügel und geriet an den würdevollen Mexikaner Chavez, der sie in der Haupthalle in Empfang genommen hatte. »Mein Zimmer, bitte!« sagte der Geisterjäger. Chavez zeigte Zutrauen. Das eine kleine Wort »bitte« bewirkte das. Dieser Gentleman aus New York wußte, was sich gehört. Der war nicht so ungehobelt wie die Yankees, die sonst herkamen. »Folgen Sie mir!« forderte Chavez würdevoll auf. Die Gästezimmer lagen im Erdgeschoß. So weit ging die Gastfreundschaft der Manning-Sippe nun auch nicht, daß sie ihre Besucher oben in ihrem Wohnflügel unterbrachten. Das Zimmer sah Gordon zum ersten Male. Es gefiel ihm, es war im altmexikanischen Stil eingerichtet. Und wie er schätzte, waren die Möbel nicht nachgemacht. Er entnahm seinem nicht sehr umfangreichen Gepäck das Athame, seinen Hexendolch, und steckte ihn ein. Dann hängte er sich ein silbernes Kreuz um und schob es unter das Hemd. Und schließlich ergriff er die Dämonenpeitsche, die fürchterlichste aller Waffen, deren Wirkungsweise selbst ihm unverständlich blieb. Es war nicht sicher, ob er sie einsetzen mußte oder konnte. Aber er war nicht leichtsinnig. Was hier auf Manning House geschah, war kein amüsantes Spiel, sondern eine tödliche Auseinandersetzung einer Erscheinungsform des Bösen gegen Menschen. Chavez bemühte sich, ein nichtssagendes Gesicht zu machen. Er wartete in der Tür, er hatte gesehen, was Gordon
alles an sich genommen hatte. Man schien die Gäste nicht gerne allein im Haus herumstreifen lassen zu wollen. »Danke, ich finde den Rückweg schon«, sagte der Geisterjäger freundlich. Plötzlich verzerrte sich das Gesicht von Chavez. Er senkte die Stimme. »Sir, ich habe gebetet, als Mister Meeker von dem Gespenst angegriffen wurde! Ich glaube, mein Gebet hat es vertrieben.« Das war nicht einmal auszuschließen – zusammen mit dem Kreuzsymbol, das Meeker mit den Fingern geformt hatte. Bloß hatte Meeker kein Wort davon erwähnt. Vielleicht hatte er’s auch nur vergessen. Oder er hatte es für unwesentlich gehalten, weil Chavez ja bloß ein Mexikaner war. »Das ist ein sehr wichtiger Hinweis, für den ich Ihnen danke.« Gordon zog die Tür hinter sich zu. Chavez zeigte auf Gordons Hemdbrust, unter der sich das Silberkreuz abzeichnete. »Nicht wahr, Sie sind ein großer Zauberer?« »Zauberer? Wer sagt das?« Dem Geisterjäger verschlug es fast die Sprache. »Man hört, ohne daß man es möchte«, wich Chavez diplomatisch aus. »Und man drückte sich auch nur sinngemäß aus.« »Wie denn richtig?« »Hokuspokus und fauler Zauber.« Chavez war über seine Kühnheit ziemlich erschrocken. Gordon Black winkte beruhigend ab. »Ich habe den kühlen Empfang hinter mir und kann mir ein hinreichendes Bild machen. Mister Meeker hat dafür gesorgt, daß ich mit Miß Kamara hier bin, ich bin informiert. Ich möchte weder mir etwas beweisen noch den Mannings etwas vorführen, um damit zu zeigen, daß ich recht habe. Aber man scheint den Ernst der Lage nicht zu begreifen.« Er sparte sich den Hinweis, daß es wenigstens einen Toten
gegeben hatte. Chavez schien seine Gedanken lesen zu können, denn er sagte: »An Mister Philby war nur seine Geschäftstüchtigkeit geschätzt, Sir.« Damit zog er sich lautlos zurück. Der Mann hatte ein grenzenloses Vertrauen zu ihm, daß er sich in dieser Form offenbarte. Jedenfalls war bei den Mannings auch nicht alles pures Gold, was glänzte. Aber wo war es das schon? Etwas wurmte den Geisterjäger jedoch, daß ihn die Familie nicht für voll zu nehmen schien. Die Leute schienen ihn für jemand zu halten, der seine Tricks auf dem Jahrmarkt vorführte. Ein Gaukler gewissermaßen! Er kehrte zu Meeker, Hanako und Dyer zurück. Die hatten sich nicht vom Fleck gerührt, wie es schien. Dyer erklärte gerade noch, wann die letzte Kutsche draußen angehalten hatte. Dann schaute er spöttisch auf den Geisterjäger. »Na, Ihre Lebensretter scheinen aber verdammt wenig Platz zu beanspruchen, Black! Oder haben Sie Ihre Zauberrequisiten in New York vergessen?« Die feine Art war es nicht, wie sich Dyer aufführte. Gordon hatte auch den Verdacht, daß es gar nicht so sehr gegen ihn ging, sondern daß sich Dyer Manning vor Hanako aufspielen wollte. Das war die primitivste Art, Eindruck zu schinden – und meist die verkehrte. Hanako zwinkerte Gordon beruhigend zu. Meeker merkte, daß die Situation plötzlich schwül wurde. »Also machen wir im Keller weiter«, schlug er vor. Er ging aber nicht zur Treppe, sondern zur Wand gegenüber dem Eingang. Mit der Hand klopfte er gegen die großen Steine. »Da ist er rausgekommen, bei meiner Seele! Das werde ich nie vergessen, und wenn ich hundert Jahre alt werde.« Gordon Black trat hinzu und schaute sich die Mauer genauer an. Alte Bauwerke hatten mitunter ihre Geheimnisse, die einem dann böse Überraschungen bescherten. Er hatte schon Falltüren
kennengelernt und Drehwände und Decken, die plötzlich heruntersausten. An der Wand war mit mehr Eifer als Sachverstand herumgehämmert worden. Kürzlich erst. Die Schrammen und Kratzer waren noch weiß. Hanako hatte ihr Dogu dabei. Für einen Nichteingeweihten sah das Zaubermittel wie ein Schmuckgegenstand aus. Oder wie ein Talisman. Zwar unverhältnismäßig groß, aber was hängten sich die Leute heutzutage nicht alles um den Hals, bloß weil sie es dufte fanden? »Wir haben hier alles abgeklopft«, versicherte Meeker, der Gordon Blacks Verweilen vor der Mauer richtig deutete. »Sie sehen hoffentlich die Spuren. Da ist nichts hohl, da sind keine verborgenen Türen.« »Das will ich gerade überprüfen lassen«, sagte Gordon Black geduldig. Hanako verstand. Sie nahm das Dogu fest in beide Hände, schloß die Augen, reckte das Dogu gegen die Mauer und konzentrierte sich. Nichts geschah. Dyer lachte beschämend laut. »Schade, daß die Familie sich diesen Spaß versagt hat!« lärmte er. Hanako schenkte ihm einen bösen Blick. Wenigstens lachte der Kerl daraufhin nicht mehr so laut. Meeker übernahm die Spitze und knipste an einem Schaltkasten drunten im Keller die Beleuchtung für sämtliche Räume und Gänge und Gewölbe an, wie er erklärte. Einerseits war das ja praktisch, überlegte der Geisterjäger, denn so wurde nicht vergessen, in irgendeinem Raum das Licht auszuschalten. Aber andererseits konnte jemandem, der sich gerade im allerhintersten Raum befand, von einem böswilligen Menschen ein übler Streich gespielt werden, indem er ihn plötzlich in der Finsternis stehenließ. Es roch leicht muffig und staubig, aber es war nicht feucht.
Und die Temperatur war angenehm. Beim Anblick der ersten Kisten und Bücher und Gemälde merkte der Geisterjäger obendrein, daß die Temperatur auch kaum schwankte. Sonst wären die Dinge nicht so gut erhalten gewesen. Im Verlauf der nächsten Stunde bekamen er und seine Mitarbeiterin einen ungefähren Eindruck von der Größe der Sammlung des alten Leach, einen sehr genauen aber von der Anordnung der Räume. Es gab schlichte Kellerräume, die in den letzten Jahrzehnten da und dort mit Beton ausgebessert worden waren, und dann auch Flure, die wie vorgefertigt wirkten. Aber die alte Bausubstanz überwog. Da waren Steinquader zu groben Mauern aufgeschichtet. Und Tonnengewölbe trugen die Last des Gebäudes. Dyer glaubte, eine Erklärung zu dem Sammelsurium abgeben zu müssen, das sich auf viele Räume verteilte. »Es wird vielleicht noch einmal zehn Jahre dauern, bis alle Kisten ausgepackt sind. Wäre das nichts für Sie?« »Jedes Museum wäre für eine Schenkung dankbar. Denken Sie einmal darüber nach«, sagte Gordon Black, und er gab seiner Stimme einen scharfen Beiklang. Dieser Dyer war unverschämt. Der tat nicht bloß so. Meeker blieb schließlich am Fuß einer alten eisernen Wendeltreppe stehen. Ein rostbrauner unregelmäßiger Fleck am Boden war mit Kreidestrichen umrissen. »Da haben wir gefunden, was von ihm übrig war«, erklärte Meeker. Seine Stimme war nicht sehr fest. Gordon Black zeigte auf die Treppe. »Und wo führt die hin?« »In einen Vorratsraum in der Nähe der Küche«, sagte Dyer. »Aber Sie können nicht hinauf, oben ist die Tür zu.« Das war wie ein wohltuendes Stichwort. Gordon Black atmete auf und nickte Hanako unmerklich zu.
»Na, dann öffnen wir sie doch einfach!« Meeker schaltete sich ein. »Von der anderen Seite, meint er.« »Macht nichts. So etwas ist ein Klacks. Und eine gute Demonstration für gewisse Leute, die an der falschen Stelle zu lachen belieben. Nicht alles, was sie nicht verstehen, ist unseriös. Es könnte einfach auch an der geistigen Kapazität liegen.« Meeker war das zu hoch, er guckte verständnislos. Aber Dyer steckte sich die Blumen an den Hut; jedenfalls lief er ziemlich rot an und schaute noch unfreundlicher als zuvor auf den Geisterjäger. Sie kletterten die Treppe hinauf. Hanako zog fröstelnd die Achseln hoch. Plötzlich spürte sie besonders stark den Ansturm von bösen Empfindungen. Diese Treppe mußte irgendeine Rolle gespielt haben, als Thomas Philby ums Leben kam. Sie konnte sich vorstellen, daß er vor der verschlossenen Tür gestanden hatte, hinter sich das schreckliche Wesen, und daß er Entsetzliches ausgestanden hatte. Die Tür war alt und aus Holz. Von der anderen Seite war sie mit einem Riegel gesichert. Gordon Black rüttelte an ihr. Sie ließ sich etwas bewegen, aber mehr war mit ihr nicht anzustellen. Er trat zurück und überließ seinen Platz Hanako. Die Asiatin faßte wieder das Dogu und reckte es gegen die Tür. Mit einem kreischenden Knirschen bewegte sich auf der anderen Seite der Riegel. Dem Lärm nach bestand er aus Eisen, und vielleicht war er seit Leach Mannings Zeiten nie mehr bewegt worden. Meeker guckte etwas eigenartig und gestattete sich dann ein hauchdünnes Grinsen. Ihm schien eine Tonnenlast von der Seele zu fallen, daß er doch keine Flasche aus New York hatte
herunterkommen lassen. Dyer kriegte den Mund nicht mehr zu. Er zwickte sich in den Arm, und er trat vorsorglich einen Schritt von der Asiatin fort, als Hanako auch noch aus fünf Schritt Entfernung die Tür aufschwingen ließ. »Ich glaube, das genügt schon«, sagte Gordon Black zufrieden, »du kannst wieder zuriegeln.« Der Vorgang wiederholte sich in umgekehrter Reihenfolge. Die Tür schlug zu, und der Riegel rückte kreischend in seine Halterungen. »Etwas Öl wäre nützlich«, empfahl der Geisterjäger grinsend. Er war nicht sicher, ob seine Worte überhaupt von Dyer verstanden wurden. Der hatte einen irren Ausdruck in den Augen, Aber der verlor sich nach kurzer Zeit. Meeker übernahm wieder den Vorantritt. Jetzt ging es aus den Kellerräumen hinauf in das obere Stockwerk, wo Professor Rodalba sein Studierzimmer eingerichtet hatte. Gordon Black sah schon, daß die Fensterscheiben erneuert waren und daß auch die Tür frisch eingepaßt war. »Ist sehr viel verändert worden?« erkundigte er sich. Meeker peilte in die Runde und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, und diese alten Schwarten sehen ja auch alle gleich aus.« »Ist etwas entfernt worden? – Mister Manning, Sie waren doch mit Ihrem Schwager hier, befindet sich der Raum noch in dem Zustand, in dem Sie ihn angetroffen haben?« Dyer schaute sich um. Der Ort sagte ihm nicht zu. Er deutete auf den Tisch. »Da haben schwarze Kerzen gebrannt. Wir haben sie ausgeblasen, damit nicht noch etwas in Flammen aufging. Der Alte hat ja alles herumliegen lassen. Auf Ordnung hat der nicht gehalten. So wenig wie in seiner Hütte.« »Hütte?« Gordon Blacks Kopf flog herum. »Was für eine Hütte?«
»Wo er eigentlich gewohnt hat«, erklärte Meeker. »Ein paar Meilen von hier. Er hat aber nur ganz selten dort geschlafen. Die meiste Zeit hat er hier verbracht. Ich habe mich in der Hütte umgesehen. Ein paar Konserven, ein alter glänzender Anzug und ein paar Briefe aus dem Ausland, sonst war nichts da.« »Die Briefe hätte ich gerne«, sagte der Geisterjäger. »Angehörige sind nicht aufzutreiben?« »Wir stehen erst am Anfang, Mann!« knurrte Meeker. »Bei uns geht’s nicht so schnell wie in New York, aber gründlich. Vielleicht hat er Verwandte, vielleicht nicht. Um ihn gekümmert hat sich jedenfalls niemand.« »Wovon hat er denn gelebt? Er muß doch Einkünfte gehabt haben.« Meeker kratzte sich arn Schädel. »Als er damals herkam, hat er bei der Bank ein Konto eröffnet und Geld eingezahlt. Davon hat er dann und wann etwas abgehoben. Er hat nicht viel benötigt, er war bescheiden.« »Aber gesponnen hat er trotzdem!« versetzte Dyer boshaft. »Wir haben ihn am Leben gehalten, er hatte zu essen und zu trinken, und manchmal schenkten wir ihm abgelegte Hemden oder ein paar Schuhe. Er war Wissenschaftler, er war besessen, Kleidung und so war für ihn unwichtig.« »Sie reden von ihm wie von einem Verstorbenen«, sagte der Geisterjäger. »Wie ich informiert bin, gibt es dafür keine Anhaltspunkte.« »Der – der – das Ding hat ihn doch mitgenommen!« platzte Dyer heraus. »Durch die Luft getragen und in den Fluß geschmissen – oh, verdammt!« »Ja, verdammt!« schimpfte Meeker zornig los. »Und mir haben Sie und Ihre Familienangehörigen erzählt, Sie hätten nichts gesehen, gar nichts! In der Nacht muß drüben im Haus alles mit Blindheit geschlagen gewesen sein. Also, was stimmt denn nun?«
»Bloß nicht noch mehr Aufsehen!« knurrte Dyer. »Also gut, da war der Turm, und da ist dieses Ding rausgeflogen gekommen und genau hier auf Rodalbas Fenstersims gelandet. Es ist dann ins Zimmer reingesprungen, und es sah aus, als käme es zum Handgemenge. Dann ist das Ding fortgeflogen, und da erst haben Thomas und ich gesehen, daß es den Alten mit sich forttrug. Deshalb sind wir doch gleich herübergegangen, wir wollten es einfach nicht glauben. Aber der seltsame Kerl war wirklich verschwunden, die Kerzen haben gebrannt, auf dem Tisch war Blut und eine tiefe Kettenkerbe. Wenn wir nicht nachgesehen hätten, wäre das Haus abgebrannt.« Das war sogar sehr wahrscheinlich. Aber Gordon Black hatte schon eine ganz andere Vorstellung. Wenn die Kerzen gebrannt hatten, ausgerechnet zwei und auch noch schwarze, und wenn sie so gestanden hatten, wie sie sich jetzt befanden, dann ließ das auf eine Beschwörung schließen. Und die war schiefgegangen. Der seltsame Professor mußte etwas falsch gemacht haben. »Lag etwas auf dem Tisch?« fragte er Dyer. »Ein Schriftstück, ein Bild oder ein Symbol?« Dyer dachte nach. »Nein, ein Buch, glaube ich. Es war aufgeklappt. Altes Zeug, das niemand lesen konnte außer dem Alten selber.« »Wo ist das Buch?« Dyer hob die Achseln. »Thomas hat es zugeklappt. Aber es muß sich noch hier befinden. Es ist nichts fortgekommen.« »Hoffentlich!« sagte Gordon Black. »Meine Mitarbeiterin und ich würden uns hier dann ganz gerne umsehen. Hat der Professor irgendwelche Aufzeichnungen gemacht?« Dyer guckte noch ratloser. »Darum haben wir uns nie gekümmert. Aber denkbar ist es schon. Das Zeug müßte sich auch hier befinden.« »Er hat nur in diesem Raum gearbeitet?« »Und ob. Ganze Nächte hindurch, und dann hockte er
wieder ein paar Tage unten bei dem alten Zeug und hat in den Kisten gekramt. Er war zehn Jahre hier, aber ich habe keine zehn Sätze mit ihm gesprochen. Er hörte einem einfach nicht zu. Er war unheimlich. Er hat gekichert und gesabbert, und wenn er herumgeschlurft ist, hat er lauter unverständliches Zeug gemurmelt. Er war nicht auf der Höhe.« Dyer tippte sich an die Stirn. »Möglich«, räumte Gordon Black ein. »Aber er hat genau gewußt, was er sucht. Er hat etwas ausprobiert, denke ich mir, und es ist ihm gründlich mißlungen.« »Sie denken, das – das – also was da passiert ist, hat er angerichtet?« »Das wäre Spekulation, und die ist unverantwortlich. Wir werden suchen, und vielleicht finden wir die Antwort. Jetzt möchte ich noch den Platz sehen, wo die Hunde letzte Nacht verschwunden sind.« *** Die Besichtigung des Platzes brachte keinen Hinweis. Sicher war nur, daß zwei Bluthunde fehlten. Einer der Wächter allerdings entsann sich, daß er ein schreckliches Heulen gehört hatte und daß seine Hunde, mit denen er auf Wache war, sich recht eigenartig benommen hatten. Sie hatten sich einfach auf den Boden gelegt und waren weder mit Lockungen noch mit Schlägen zu bewegen gewesen, aufzustehen und mit ihm zu kommen. Nach bald fünf Minuten hatten sie sich erhoben und waren mit ihm getrottet, als ob nichts gewesen wäre. Der Geisterjäger schärfte dem Mann ein, künftig genau auf das Verhalten seiner Tiere zu achten und ihn sofort zu verständigen, er sei ja im Haus. So gänzlich unbekannt schien ihre Ankunft nicht gewesen zu sein. Und auch nicht der Zweck ihres Aufenthaltes.
Jedenfalls guckte der Mann hoffnungsvoll. Aber er hatte Angst, das war ihm deutlich anzusehen. »Ja, jetzt brauchen Sie mich ja wohl nicht mehr«, meinte Meeker. »Ich fahre dann zu der Hütte rauf und hole die Briefe. Morgen früh bringe ich sie vorbei. Und das andere ist ja besprochen.« Gordon Black ließ ihn ziehen. Der Polizeichef war froh, aus der unheimlichen Umgebung fortzukommen. Dyer schützte auch anderweitige Verpflichtungen vor. Er warf einen langen Blick auf das Dogu an Hanakos Hals und zog sich zurück. Er zeigte keine Lust mehr, dumme Witze zu reißen. Der Geisterjäger schätzte die Lage richtig ein. In spätestens fünf Minuten wußte die Familie, was sich mit der Tür ereignet hatte. Na ja, schaden konnte es nicht, wenn die Mannings eine etwas andere Einstellung zu den grauenhaften und unerklärlichen Vorgängen fanden. Hanako und Gordon standen allein auf weiter Flur. »Wie bestellt und nicht abgeholt«, mokierte sich die Asiatin. »Mir paßt es gerade. Sehen wir uns in dem Studierzimmer um. Wenn der Professor wirklich was los hatte, hätte ich von ihm mal hören müssen. Aber der Name sagt mir gar nichts.« Sie kehrten in den ältesten Flügel des Hauses zurück und begannen die zusammengetragenen Bücher und Schriften zu sichten. Draußen wurde es allmählich dunkel, im Zimmer war bald nicht mehr die Hand vor den Augen zu erkennen. »Mach mal das Licht an!« bat der Geisterjäger. »Zünde doch die Kerzen an«, schlug Hanako vor, aber es war nicht ernsthaft gemeint. »Das könnte dir so passen! Ich komme ebenfalls abhanden, und dieser Dyer kann dir in Ruhe den Kopf verdrehen.« »Er hat sich Mühe gegeben, aber er ist nicht mein Typ, das zu deiner Beruhigung. Und jetzt hat er Angst vor mir. Hast du
gesehen, wie er das Dogu gemustert hat?« »Ja, wie einer, der sich überlegt, wie er das Ding in seinen Besitz bringt, ohne dafür was auf die Finger zu kriegen.« »So habe ich das nicht betrachtet«, räumte Hanako ein. Sie knipste das Licht an und schaute aus dem Fenster auf den Innenhof. Drunten drehte ein Wächter mit zwei Bluthunden seine Runde. »Die reinste Festung«, stellte sie fest. »Hoffentlich werden die Hunde gut gefüttert. Ich möchte ihnen nicht mitten in der Nacht auf dem Hof begegnen.« »Anständige Leute schlafen auch mitten in der Nacht.« Gordon Black zog die Schublade auf. Rodalba hatte eine zittrige Schrift, wenn die Notizen von seiner Hand stammten. Es war eine Liste. In der ersten Spalte standen Nummern. Vielleicht waren es Kisten, die er in eine Reihenfolge gebracht hatte. Dahinter waren Abkürzungen notiert. Manches war auch durchgestrichen. Gerade, als hätte er es für bedeutungslos erachtet, was er zuvor niedergeschrieben hatte. Hanako sortierte Folianten auf dem Schreibtisch. Plötzlich ergriff sie eine Liste und hielt sie Gordon Black hin. Er sah sofort, daß eine andere Hand sie geschrieben hatte. Die Schrift war energisch und steil. Es war eine Inventarliste. Die Tintenschrift war bereits bräunlich verblaßt. Vielleicht hatte Leach Manning sie angefertigt. Gordon Black verglich sie mit den Notizen, die er in der Schublade entdeckt hatte. Es gab gewisse Übereinstimmungen, und die Abkürzungen erhielten nun einen Sinn. Rodalba hatte nur Kisten gesucht und vermutlich auch ausgeräumt, die Bücher enthielten. Wo er einen Mißgriff getan hatte, war er mit dem Bleistift drangegangen und hatte seine Notizen durchgestrichen. »Er hat tatsächlich nur Bücher gesucht«, staunte der Geisterjäger. »In welche Richtung ging sein Interesse?«
»Er wird es uns nicht mehr verraten. Okkultismus?« »Was denn sonst? Schau dir mal die Buchtitel an! Ich habe einen Blick hineingeworfen. Es sind fast alles Handschriften. Die Mannings könnten mit den Büchern zwanzig Vermögen machen, wenn sie sie auf eine Versteigerung geben würden.« »Ich könnte mir aber vorstellen, daß sie das gar nicht wollen.« »Die haben keine Ahnung. Hier verkommt das Zeug langsam, aber sicher. Sie haben kein Interesse. Man könnte sich die Haare ausraufen, wenn man diese Vergeudung sieht.« Sie sichteten und suchten. Rodalba hatte Schriften der Mystiker herausgeschleppt. Aber er hatte keine Lesezeichen oder Zettel eingelegt, und so blieb offen, worauf sich sein Interesse gerichtet hatte. Nach zwei Stunden gaben der Geisterjäger und seine Mitarbeiterin auf. Der Magen knurrte ihnen. Sie gingen ins Haus hinüber, wo sich das Leben abspielte. Chavez tauchte fast lautlos auf. »Das Abendessen wird Ihnen gleich serviert«, versprach er. Er ging voran zu einem kleinen Raum, der gemütlich mit Decken und Fellen und alten Waffen geschmückt war. Dann verschwand er genauso lautlos, wie er in Erscheinung getreten war. »Mit anderen Worten legt die Familie keinen gesteigerten Wert darauf, uns näher kennenzulernen«, meinte Hanako. »Sie bleibt unter sich.« »Mir ist es lieber so. Außerdem, was hast du erwartet? Daß sie uns vor Freude um den Hals fallen, uns ihre goldenen Schüsseln anbieten und in ihren Betten schlafen lassen?« Hanako hatte den starken Eindruck, daß er nur so heftig redete, weil er Dyer nicht mochte. Spöttisch fragte sie: »Haben sie wirklich goldene Schüsseln?« »Das werden wir ja gleich erleben, wobei ich allerdings nicht glaube, daß sie vor Gästen ihren Wohlstand ausbreiten.«
Gordon zeigte in Richtung Tür. Draußen näherten sich Schritte. Es war Chavez. Er führte eine kleine Prozession von Hauspersonal an, das Gesottenes und Gebratenes herbeitrug. Es roch alles verführerisch, und es war appetitlich zurechtgemacht. Aber nicht auf goldenen Schüsseln. Man konnte den Mannings nachsagen, was man wollte – lumpen ließen sie sich nicht. Sie führten ein gastfreies Haus. Chavez schickte die Leute fort und wollte einen Wein ausgießen. Eine gehobene Marke aus Kalifornien. Der Geisterjäger winkte ab. »Wasser, wenn’s Ihnen keine Umstände macht.« Chavez brachte Wasser und wünschte eine gute Nacht. Es ging auf Mitternacht, er hatte einen langen Tag gehabt. Na, und wo Gordon und Hanako wohnten, wußte zumindest der Geisterjäger. Die beiden Räume lagen nur einen Flur weiter. Auf dem Weg dahin konnten sie sich bestimmt nicht verirren. »Mexikanische Küche!« lobte Hanako und langte zu, als hätte sie daheim vier Wochen lang Punktediät gemacht und müßte nun ordentlich was zufuttern. So gegen Ende des späten Abendessens erschauerte sie plötzlich wie unter einem Fieberanfall, und in einem jähen Anflug von Mißtrauen zuckte Gordon der böse Verdacht durch den Kopf, man hätte ihr etwas ins Essen gerührt und ihm auch, nur daß es bei Hanako schneller wirkte. »Was ist mit dir?« fragte er besorgt. Hanakos Gesicht war fast starr vor Entsetzen. »Hinter dir – o Gott!« *** Der Geisterjäger fuhr herum und schnellte dabei gleichzeitig vom Stuhl hoch. Das Möbel schlug polternd auf den Steinboden.
Hinter ihm war nichts. Er sah jedenfalls auf Anhieb nichts Verdächtiges. Aber dann entdeckte er das Gesicht! Es schaute aus der Mauer, an der Jagdgerätschaften hingen. Es sah auf den ersten Blick wie eine täuschend echte Gesichtsmaske eines Unholdes aus. Aber die Maske lebte, sie bewegte sich. Und die Augen bewegten sich ebenfalls. Es war keine Maske. Es war ein richtiges Gesicht. Allerdings behaart. Und böse im Ausdruck. Die Augen schauten voller Gier. Und wilder Wut. Voller Schrecken dachte der Geisterjäger an den Bericht von Meeker. Das Wesen, das ihn dann angegriffen hatte, war aus einer massiven Steinwand gekommen! Keine Frage, das Wesen war da. Es kam nicht aus der Wand, aber es schaute heraus. Damit war klar, daß es die Fähigkeit besaß, durch feste Materie zu gehen. Auch durch die dicken Wände dieses Hauses. Und das bedeutete, daß sich niemand seines Lebens sicher fühlen konnte. Der Mund des Wesens klaffte, ein Schmatzen erfüllte den Raum. Dann war ein Knurren zu hören. Gordon Black tastete nach dem Hexendolch, dem Athame. Er wurde etwas ruhiger, als er den Griff in der Hand spürte. Den Hexendolch vorgereckt, schritt er auf das Gesicht in der Mauer zu. Das Wesen spuckte nach ihm. Ein seltsamer Geruch begann den Raum zu füllen. Brenzlig irgendwie. Und dann, als würde jemand irgendwo Schwefel abbrennen. Ein fürchterlicher Verdacht bemächtigte sich des Geisterjägers. Er stieß blitzschnell mit dem Hexendolch nach dem Gesicht. Es löste sich einfach auf und erschien eine Armlänge entfernt. Die gierigen Augen glotzten, und jetzt konzentrierten sich die Blicke auf Hanako.
Gordon Black brach der Schweiß aus. Er hatte es befürchtet, aber er hatte sich erst Gewißheit verschaffen müssen. Das Wesen war kein Geist und kein Gespenst. Es war nur vor der Schärfe der Klinge zurückgewichen, nicht vor der magischen Kraft, die dem Dolch innewohnte. Diese Kraft konnte ihm gar nichts anhaben. Gordon Black steckte das Athame ein. Es nützte ihm nichts. Statt dessen griff er nach dem Silberkreuz an seinem Hals. Die Augen beobachteten ihn mißtrauisch. Plötzlich schossen zwei lange affenartige Arme aus der Mauer und trachteten, ihn zu packen. Er war so überrascht, daß er einen Schrei ausstieß und dann erst reagierte, indem er einen Satz rückwärts machte. Soviel verstand er – das Wesen schien zu spüren, daß er das Kreuz hervorholen wollte. Und das gefiel ihm nicht, das wollte es verhindern. Mit einem Ruck riß der Geisterjäger das heilige Symbol heraus. Im nächsten Augenblick begann der Boden zu dröhnen, und ein dumpfes Rumpeln und Rumoren schien aus allen Wänden zu dringen. Dazu schrie das Gesicht in der Wand so entsetzlich, daß sich Hanako die Ohren zuhielt. Eine unsichtbare Kraft packte Gordon Black und stieß ihn zu Boden. Er rutschte am Tisch vorbei, aber er ließ das Silberkreuz nicht los und reckte es der Fratze entgegen. Jagdgeräte fielen von den Wänden, die Tür sprang mit einem wüsten Knall auf. Aus der Tiefe des Hauses gellten Entsetzensrufe. Das Hauspersonal war in Panik. Also war der geisterhafte Krach überall zu hören und nicht nur in diesem kleinen Raum. Das Silberkreuz war die Ursache. Gordon Black verstand. Das Wesen sah in ihm eine Gefahr und wehrte sich, und zugleich äußerte es seinen Unwillen und seine Besorgnis. Das geht in die religiöse Richtung, zuckte es durch Gordons
Kopf. Ich muß es genau wissen! Er behielt das Silberkreuz in der linken Hand und griff nach der Dämonenpeitsche, die er bei sich trug. Sie war nicht entrollt, und er hatte bisher immer geglaubt, sie entfalte ihre furchtbare Wirkung nur, wenn alle Schnüre draußen waren. Allein der Umstand, daß er sie zur Hand nahm und damit ausholte, um die Schnüre herausschnellen zu lassen, versetzte das Wesen in allergrößte Wut. Es brüllte so laut, daß Gordon fürchtete, es wäre noch in Doringham zu hören. Dann sprengte es die Wand, daß ein großer Spalt entstand. Und dann war es verschwunden, als hätte es sich in Luft aufgelöst! Nur der Spalt in der Wand war Wirklichkeit und der Staub, der herumtrieb und in den Nasenlöchern kitzelte. Gordon Black starrte die Peitsche an. Endlich fand er Worte. »Lieber Himmel, es ist ein Dämon! Ein richtiger Höllendämon. Stehe Aradia unseren Seelen bei!« *** Chavez bewies den meisten Mut, er kam nach ein paar Minuten, während die Unruhe im Haus anhielt. Dann erschienen Dyer und Vera Manning. Die Frau hatte noch eine Menge Drinks zu sich genommen, jedenfalls bekam sie gar nicht mit, worum es ging. Sie lächelte Gordon Black an und schwebte mit schrägem Kurs hinaus. Sie war ohne Frage ein Problem für die Familie. Im Augenblick nahm sich Chavez des Problems an. Dyer guckte herum und bekam schmale Lippen und eine spitze Nase, als er den Spalt sah und die Brocken, die auf den Boden geschlagen waren. »Haben Sie Versuche mit einem neuen Pulver gemacht, oder was?« fragte er gereizt.
»Das würden Sie gerne industriell auswerten, wie?« fragte der Geisterjäger dagegen. »Es war Ihr netter Hausgenosse. Ein ziemlicher Kraftprotz, alle Wetter!« »Wer?« »Das, was Meeker als Wesen bezeichnet. Es ist ein Dämon. Ich kann nur vermuten, daß Rodalba sein Erscheinen bewerkstelligt hat. Und es spielt jetzt auch keine große Rolle. Der Dämon kann durch Wände gehen. Veranlassen Sie Ihre Familie, daß Sie sofort Manning House verläßt. Auch das Personal muß sofort weg. Der Dämon kann jederzeit woanders erscheinen und zuschlagen.« »Aber Sie bleiben natürlich, was?« Dyer schien gar nicht zu begreifen, in welcher Gefahr sie alle schwebten. »Behalten Sie Ihre schlauen Vorschläge für sich. Niemand verläßt Manning House. Das ganze Haus offen und nicht oder nur ungenügend bewacht, und in der Stadt die Schnüffler unserer Konkurrenz – Mann, Sie müssen mich aber für sehr einfältig halten!« »Hier geht es nicht um Geschäfte, sondern um Menschenleben! Nehmen Sie doch Vernunft an!« »Das rate ich Ihnen, Black! Dämon! Es ist zum Lachen. Okay, Sie haben was auf dem Kasten, das Mädchen auch, und der Trick mit der Tür ist fabelhaft. Aber kommen Sie mir nicht mit dem Kindermärchen von einem Dämon. Wie sollte einer herkommen, vorausgesetzt, es gibt welche?« »Rodalba muß ihn beschworen haben. Aber er konnte ihn nicht bändigen. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, daß bei einem Experiment etwas schiefgegangen ist. Der Professor hat eine Beschwörung vorgenommen, und die hat einen anderen Verlauf als den gewünschten genommen.« Dyer grinste unsicher. »Dann machen Sie halt auch eine Beschwörung und lassen den Dämon verschwinden.« Gordon Black gab es auf. So redete nur einer, der von nichts eine Ahnung hatte. »Meeker und seine Leute haben ja wohl nicht gesponnen,
als sie den Dämon aus der Wand haben kommen sehen, und der Pistolenschütze hat wohl schwerlich auf ein Trugbild gefeuert, das nur in seiner Einbildung bestand. Und dieser mächtige Spalt ist nicht dadurch entstanden, daß ich versucht habe, einen kleinen Nagel in die Wand zu klopfen. Gebrauchen Sie Ihren Menschenverstand!« Gordon sagte es eindringlich. Er hätte auch versuchen können, einer der alten Säulen gut zuzureden. Dyer wollte nicht hören, er war uneinsichtig. Aber der Geisterjäger schätzte, daß es die Furcht war, die Dyers Verstand blockierte. Er war Zeuge eines unfaßlichen Vorganges, und er weigerte sich, die Tatsachen anzuerkennen. Weil es einfach den Gesetzen der Logik widersprach. Gordon Black seufzte. Logik war genau das, was in diesem Fall überhaupt nicht zu verwenden war. Die Mächte des Bösen unterlagen nicht irdischen Normen und Richtlinien. Aber völlig unpraktisch dachte Dyer nun doch nicht. Ihm schien zu dämmern, daß etwas dran sein konnte an den kühnen Behauptungen. »Dann stöbern Sie doch Ihren Dämon auf und vertreiben Sie ihn!,« schlug er vor. »Es ist nicht mein Dämon, und ich würde ihn gerne aufstöbern. Leider fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Und vertreiben möchte ich ihn schon gar nicht. Er würde die ganze Gegend unsicher machen und nach und nach entvölkern.« Der Geisterjäger hörte Chavez die Leute wegschicken. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Aber wenn sich Dyer bockbeinig anstellte, konnte er vom Personal nicht Einsicht verlangen. »Ich kann nur meine Mitarbeiterin und mich notdürftig schützen«, sagte er wieder. »Aber ich kann nicht überall gleichzeitig sein.« Dyer legte den Kopf schief. »Und wenn die Leute alle auf einen Haufen beisammen wären?« »Das wäre in dieser Situation die beste Lösung, aber Ihre
Familie dürfte sich nicht ausschließen.« »Das ließe sich arrangieren, glaube ich.« Dyer lenkte ein. Und der Geisterjäger atmete auf. Zehn Minuten später versammelte sich alles, was sich im Haus aufhielt, in der großen Eingangshalle. Sitzgelegenheiten wurden herbeigeschleppt. Es war eine Notlösung, aber immerhin eine. Nur war der Zustand unhaltbar und konnte nicht Nacht für Nacht wiederholt werden. Außerdem waren Dämonen nicht auf die Nacht angewiesen im Gegensatz zu Geistern. Sie konnten jederzeit zuschlagen. Gordon Black besprach sich mit Hanako. »Wir starten einen Wettlauf gegen die Zeit und gegen den Dämon«, sagte er. »Wir müssen herausfinden, wie und warum Rodalba die Beschwörung vorgenommen hat. Wir müssen sämtliche Bücher drüben in seinem Studierzimmer durchsehen. Hoffentlich stoßen wir auf eine Spur.« Ein Hausmädchen war der nervlichen Anspannung nicht gewachsen, es begann zu weinen. Von den Mannings kümmerte sich niemand um die Kleine. Das überließ man wieder Chavez und einer rundlichen Matrone, die wie die Köchin aussah. Jedenfalls hatte sie viel Autorität. Gegen drei Uhr schliefen dann einige Leute ein. Gordon Black und Hanako hatten den anstrengenden Flug hinter sich und waren noch nicht dazu gekommen, ein Auge voll Schlaf zu nehmen. Das war nicht gut, der Geisterjäger wußte es. Müdigkeit macht nachlässig und schläfert die Wachsamkeit ein. Gegen vier Uhr gellte ein entsetzter Schrei von draußen herein. Sofort war der Geisterjäger auf den Füßen. So schrie nur jemand, der an der Schwelle zur Ewigkeit steht. Hunde bellten. Das Bellen ging in ein klägliches Jaulen über. »Wo war das?« rief der Geisterjäger.
Chavez hatte sich verfärbt, seine Haut sah ungesund aus. »Im Patio!« sagte er leise und blickte furchtsam. Patio war der Innenhof. Draußen jagten Schritte vorbei. Eine Faust hämmerte gegen eine Tür. Jetzt kreischte die Matrone auf. Und jemand rief in größter Furcht: »Das ist er! Nicht öffnen, bitte nicht öffnen!« Gordon Black lief los. Der Dämon hatte es auch gerade nötig, an eine verschlossene Tür zu pochen. Der kam durch die Wände, wenn ihm danach war. Dennoch faßte er den Griff der Dämonenpeitsche und fand endlich die Tür, hinter der er ein Keuchen hörte. »Warten Sie, ich öffne!« sagte er. Draußen stand einer der Wächter. Er fiel fast ins Haus. Er war mit den Nerven fertig. »Er hat ihn geholt«, murmelte er. »Er hat ihn geholt!« »Wer hat wen geholt?« Gordon Black rüttelte den Mann. »Kommen Sie zu sich!« An der Tür kratzte es. Dann bellten Bluthunde. Die Tiere wollten auch ins Haus. Aber der Geisterjäger traute ihnen nicht und ließ sie, wo sie waren. Er wußte auch nicht, wie man mit Bluthunden umging und wie sie nach der Aufregung gelaunt waren. »Der Teufel hat ihn geholt!« stammelte der Wächter. Sein Blick irrte umher. »Wen hat er geholt?« »Alvy. Alvy Beswick.« Der Mann hob den Kopf, er schien den Geisterjäger erst jetzt zu erkennen. »Beruhigen Sie sich erst einmal. Wo hat Beswick Wache?« »Drüben.« Drüben konnte nur bedeuten, daß es sich um den alten Flügel handelte. »Kommen Sie mit, wir sehen nach!« sagte der Geisterjäger
bestimmt. »Sind Sie verrückt? Da kriegt mich niemand hinaus!« Der Wächter wurde aufsässig, und das war sogar verständlich. »Sie werden schon mitkommen müssen«, sagte Gordon Black. »Ich möchte nicht von den Bluthunden zerfleischt werden. Auf Sie hören sie, auf mich nicht.« Er redete bald fünf Minuten auf den Mann ein, bis er ihn so weit hatte, daß er mitkommen wollte. Die Bluthunde machten auch wirklich Anstalten, Gordon an den Anzug zu fahren. Mit scharfen Kommandos trieb der Wächter sie zurück. Weit brauchten sie nicht zu gehen. Der Himmel hatte schon eine messingfarbene Tönung angenommen, die Sterne begannen zu verblassen, aber auf den hellen Steinen des Innenhofes war der dunkle Fleck deutlich zu sehen. Gordon Black ließ das Feuerzeug aufflammen. Es war Blut. Und verstreut lagen Kleiderfetzen herum. Und vor der alten Kutschenauffahrt auch ein Schuh. Der Dämon hatte sich ein neues Opfer geholt. So entsetzlich es auch klang und war, aber jetzt war er satt. Und das bedeutete, daß die Menschen in Manning House für einige Stunden in relativer Sicherheit waren. Gordon Black packte den Wächter am Arm und schleppte ihn ins Haus zurück. Chavez und Dyer und Nash, der älteste Manning, kamen ihnen entgegen. »Ist Ihr Platz nicht draußen?« fragte Nash Manning in beleidigendem Ton. »Der Mann ist fertig, sehen Sie das nicht?« sagte der Geisterjäger scharf. »Verständigen Sie besser Meeker, er soll heraufkommen, sobald es hell ist.« »Wozu?« Nash Mannings Augen funkelten. »Alvy Beswick steht nicht mehr auf der Liste Ihrer Wächter!« versetzte der Geisterjäger grob. »Er ist tot.« Dyer zeigte nun doch Wirkung. Er wurde fahl im Gesicht
und begann zu würgen. »Ich glaube, mir wird schlecht!« stieß er hervor und eilte davon. *** Meeker kam gegen sieben Uhr. Ihm blieb nur die traurige Aufgabe, die Kleidungsstücke und den Schuh einzusammeln und einen Bericht zu schreiben. »Ich muß jetzt doch in Amarillo anrufen«, sagte er düster. »Sonst jagen sie mich mit Schimpf und Schande aus dem Amt. Mehr kann ich nicht auf meine Verantwortung nehmen.« Nash Manning stand in der Nähe und kniff die Lippen zusammen. Er sah zerknittert aus. Nach der Entdeckung des Todes von Beswick hatte sich die Ansammlung in der Halle zwar zögernd aufgelöst, aber niemand hatte an Schlaf gedacht. Entsprechend langsam lief nun auch das Leben in Manning House an. Meeker griff in die Jackentasche und zerrte ein Bündel Briefe hervor. »Ich war gestern noch in der Hütte«, erklärte er. »Dachte mir, es sei besser, bevor andere sich dort umtun. Mehr habe ich nicht gefunden.« »Danke, Meeker. Vielleicht hilft uns das weiter!« Gordon Black sichtete die Umschläge. Sie stammten aus aller Herren Länder, jedenfalls zum überwiegenden Teil aus Europa, und sie trugen Briefmarken, die Gordon gar nicht kannte. Auf einigen konnte er noch den Poststempel und das Datum entziffern. Sie waren vor ungefähr zehn Jahren aufgegeben worden. Adressiert waren sie an Professor Zachary Milton Rodalba, aber die Anschrift wechselte. Nur bei fünf Briefen lautete sie Doringham, Texas. Nash Manning hatte mit Argusaugen beobachtet. Nun trat er näher und streckte die Hand aus. »Es könnte sich um Dinge
handeln, die unsere Familie betreffen! Also bitte!« »Unverfroren sind Sie aber gar nicht!« platzte der Geisterjäger heraus. »Mit Sicherheit geht es nicht um Ihre Familie. Der Professor ist seit zehn Jahren hier tätig gewesen, aber etliche der Briefe datieren vor diesem Zeitpunkt, und auch die Anschrift ist eine andere. Ich denke nicht, daß die Briefe für Sie von irgendeinem Interesse sind.« Meeker hatte es nicht gern, wenn er in Interessenkonflikte hineingezogen wurde. Er murmelte etwas und rückte mit seinen Leuten ab. Nash Manning schaute den Geisterjäger an wie eine tote Maus, die er gleich auf den Müll werfen läßt, und ging davon. Gordon Black hörte ihn aber im Flur mit Dyer reden. Dem schilderte er in bewegten Worten seine Klage. Nash Manning kehrte nur den harten Mann heraus. Aber der war er nicht. Und es zeigte sich, daß Thomas Philby fehlte. Der hatte immer seinen Kopf durchgesetzt. Dyer kam heran. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und rotgeränderte Augen. »Mein Bruder Nash beschwert sich über Sie!« »Ich kann es ihm nicht verwehren!« »Sie haben Briefe bekommen!« Das war eine Feststellung. »Meeker hat sie gebracht. Aus dem Besitz des Professors. Ich hoffe, sie bringen uns auf die Spur, wonach er gesucht hat.« »Und was ist mit den Büchern drüben?« »Die sind auch nützlich, wenn wir wissen, in welchen wir nachschauen müssen – vielleicht. Aber wir können nicht auf Verdacht alle durcharbeiten. Ich bin kein Wissenschaftler. Das wäre eine Aufgabe für Jahre.« »Kann ich mir denken.« Dyer ließ Verständnis und Bereitschaft zur Mitarbeit erkennen. Der Tod des Wächters Beswick mußte diesen Gesinnungswandel herbeigeführt haben. »Sind es Briefe aus Europa?« »Was wissen Sie darüber?« Gordon war ehrlich verblüfft.
»Gar nichts, aber ich dachte es mir. Nash sprach von alten Briefmarken, er sammelt sie, er kennt sich darin aus. – Der schrullige Professor hat zwei Jahrzehnte Reisen in Europa gemacht. Universitäten, Staatsbibliotheken, Klöster – weiß der liebe Himmel, wo er überall vorstellig geworden ist. Das haben wir über ihn herausgebracht.« »Sehr interessant«, murmelte der Geisterjäger. Wenn er alles richtig zusammensetzte, dann war Rodalba hinter etwas hergewesen. Seine beispiellose Suche hatte ihn schließlich auf die Spur von Leach Mannings kurioser Sammlung geführt. Und der hatte er zehn Jahre seines Lebens geopfert. Er mußte sich davon etwas versprochen haben. Kein Buch, das er über die Sammlung schrieb. Keine Veröffentlichung anderer Art. Gordon Black kannte die Antwort. Die Existenz des Dämons gab sie. Rodalba hatte eine Beschwörungsformel gesucht und gefunden. Er hatte einen Dämon herbeizitiert, aber er hatte keine Gewalt über ihn erlangt, sondern der Dämon über ihn. Und das hatte sein Ende bedeutet. »Wenn Sie etwas benötigen, wenden Sie sich an mich«, sagte Dyer in diesem Augenblick friedfertig. »Ganz bestimmt«, versicherte der Geisterjäger. Er suchte Hanako auf und sichtete mit ihrer Hilfe den Inhalt der Briefe. Im wesentlichen ging es immer um dasselbe Thema – Rodalba hatte wegen eines bestimmten frühmittelalterlichen Buches angefragt, und man teilte ihm höflich und bedauernd mit, nichts dazu sagen zu können. Nur in einem Brief war die Rede davon, es könne sich um das Grimorium des Mönchs Gulielmus handeln, der aber auch nur eine Abschrift der geheimen Schriften des heiligen Gildas vorgenommen hätte. Gordon Black war plötzlich wie elektrisiert. Einen Mönch Wilhelm, denn das bedeutete der Name
Gulielmus, kannte er nicht, aber über den heiligen Gildas wußte er eine Menge. Der galt als der früheste englische Historiker und starb im sechsten Jahrhundert nach Christus irgendwo in der Bretagne. Es war anzunehmen, daß Gildas die mächtigen Druiden der Kelten alle gekannt hatte, jene Priester, die über unvorstellbare Fähigkeiten verfügten. Wenn Rodalba hinter diesen Schriften hergewesen war und sie auch gefunden hatte, dann wurde die Existenz dieses Dämons besser verständlich. Aber das war nur eine von vielen denkbaren Möglichkeiten. »Dieser Brief sollte vorerst in keine unberufene Hand geraten«, sagte Gordon. »Nimmst du ihn an dich?« »Hast du dir Feinde gemacht?« Hanako steckte den Brief ein. »Ich traue Nash Manning nicht weiter, als ich springen kann. Er ist schwach, er kann die Familie nicht führen und zusammenhalten, und das weiß er. Er entwickelt Minderwertigkeitskomplexe, und diese kompensiert er, indem er auf Menschen in seiner Umgebung auf dumme Art einzuwirken bemüht ist. Dyer wandelt sich, er schafft es vielleicht, Philbys Stelle einzunehmen.« »Nash wird ihm die streitig machen, er ist der jüngste.« »Ich weiß nicht, ob sich Nash einer solchen Auseinandersetzung überhaupt stellen mag. Ich sehe mich drüben in den Kellergewölben um.« »Ich komme selbstverständlich mit!« Gordon Black schüttelte den Kopf. »Du bist meine Rückendeckung, falls auch bei mir etwas schiefgeht. Ich weiß nicht, ob Dämonen einen bevorzugten Schlupfwinkel benützen, aber ich will versuchen, unseren aufzuspüren. Ich denke, er hat gemerkt, daß ich eine Gefahr darstelle. Ich hoffe, daß er meinen Gedankengang nachvollzieht.« Eine Unmutsfalte erschien auf Hanakos Stirn. »Daß er diese
Gefahr beseitigen muß? Du hast schon bessere Vorschläge gemacht. Ich halte nichts davon.« »Letzte Nacht hat er wieder ein Opfer geholt. Wenn ihn jemand aufhalten kann, dann wir.« »Schon, aber der Dämon könnte dich auch als so große Gefahr ansehen, daß er dir aus dem Weg geht. Dann erreichst du auch nichts.« »Aber es wäre für dich der größere Trost«, meinte der Geisterjäger. »Ich kenne deine Gedanken genau.« Er hielt sich nicht lange mit Dyer auf, der noch einmal vorbeikam. Der jüngste Manning zeigte plötzlich doch Nerven. Er wollte wissen, ob für ihn etwas zu tun blieb. Der Geisterjäger legte ihm nahe, sich mit den Angehörigen des Wächters Beswick in Verbindung zu setzen und nicht alles Chavez zu überlassen. *** Als der Geisterjäger den Kellerabgang erreichte, sah er, daß jemand vor ihm war. Jedenfalls brannte Licht. Er lauschte, hörte aber nichts. Also rief er. Seine Stimme weckte nur ein hohles geisterhaftes Echo in den Kellergewölben. Sonst trat keine Wirkung ein. Eingedenk der Fähigkeit des Dämons, durch Wände zu kommen und sich dabei völlig lautlos zu benehmen, hielt der Geisterjäger die Dämonenpeitsche bereit. Er stieg die Treppe hinab. Einmal war ihm, als hörte er aus weiter Ferne ein Knacken. Machte sich da jemand an irgendwelchen Kisten zu schaffen? Ein Fremder gewiß nicht, der bekam keinen Zugang zum Anwesen. Das Bewachungssystem war durch das Durcheinander zwar lückenhaft geworden, aber wer in den Keller wollte, mußte durchs Hauptportal kommen. Und dort
wachte Chavez mit strengem Blick. Also konnte nur jemand im Keller rumoren, der zum Haus gehörte. Der Dämon, falls er sich hier unten aufhielt, war nicht darauf angewiesen, die elektrische Beleuchtung anzuknipsen. Gordon erinnerte sich an seine gestrige Überlegung hinsichtlich der Tücken des Zentralschalters. Sollte er das Licht ausmachen und denjenigen provozieren, der sich im Keller herumtrieb? Probieren konnte er es ja mal. Er streckte die Hand aus. Fast zu spät hörte er einen schleichenden Schritt hinter sich. Er fuhr herum – und sah Nash Mannings verzerrtes Gesicht und seinen mageren niederfahrenden Arm. Für die nächsten Augenblicke sah er dann nur noch tanzende Sterne vor den Augen. Nash Manning hatte ihm einen verdammt harten Gegenstand auf den Schädel gehauen. Er prallte neben dem Schaltkasten an die Wand und rutschte daran herab. Er war nicht groggy, aber er konnte sich nicht auf den Beinen halten. Hände tasteten über ihn hin. Gordon Blacks Gedanken waren träge. Nash war von allen guten Geistern verlassen. Der Mensch suchte doch wahrhaftig die alten Briefe mit den seltenen Marken. Der Bursche übertrieb seine Sammelleidenschaft. Er spürte einen heftigen Ruck, und dann ließ ihn der Mann in Ruhe. Aber dennoch war der Geisterjäger plötzlich alarmiert! Wie roch denn Nash Manning auf einmal? Lieber Himmel so brenzlig hatte es doch auch in dem kleinen Zimmer gerochen, wo er gestern ganz spät mit Hanako das Abendessen eingenommen hatte. Nach Schwefeldunst! Einbildung, sagte er sich. Deine Sinne spielen dir einen Streich! Er tastete mit den Händen an der Wand herum und schaffte es, langsam auf die Füße zu kommen. Keuchend und etwas benommen lehnte er neben dem Schaltkasten an der rauhen
Mauer. Nash Manning hatte ihm tüchtig was übergebraten. Aber womit? Es lag nichts herum. Und es wunderte ihn auch, weshalb sein Schädel so wenig aushielt. Er hatte schon ganz andere Dinger kassiert und war trotzdem auf den Füßen geblieben. Überhaupt hatte er sich noch nie so schlapp gefühlt. Gerade, als hätte man ihm die Lebenskräfte abgezapft. Hier vorne war die Luft noch ganz ordentlich. Er atmete tief durch und merkte, daß ihm allmählich besser wurde. Er konnte sogar grinsen bei der Vorstellung von Nash Mannings blödem Gesicht, als der die Briefe nicht bei ihm fand. Das Grinsen verging ihm und wich einem gewaltigen Erschrecken. Er vermißte den Druck der Dämonenpeitsche! Er hatte sie in den Gürtel geklemmt. Jetzt war sie nicht mehr da! Er wollte ja niemand verdächtigen, auch nicht Nash Manning. Deshalb schaute er auf dem Boden herum. Aber da lag die Peitsche nicht. Es richtete ihm die Haare einzeln auf. Mit der Peitsche konnte Manning eine Menge Unheil anrichten. Dann stutzte er. Woher wußte der Mann überhaupt etwas von der Peitsche? Und von ihrer Bedeutung? Er konnte sie auch gar nicht als Peitsche erkannt haben, denn sie war nicht entrollt, die Schnüre steckten im hohlen Schaft. Nach der Waffe war aber sehr zielstrebig gesucht worden. Die herumtastenden Hände hatte er deutlich gespürt. Gordon Black stieß sich von der Wand ab und torkelte die Treppe hinauf. Im Patio stieß er auf einen Wächter. »Haben Sie Mister Nash Manning hier vorbeikommen sehen?« fragte er den. Der Mann schaute ihn etwas seltsam an und nickte schließlich. »Vor ungefähr zehn Minuten. Da ist er in den alten Flügel gegangen.« »Er muß wieder herausgekommen sein«, sagte Gordon
Black eigensinnig. Der Wächter schüttelte sehr bestimmt den Kopf. »Das kann Mister Manning nicht gut, denn ich drehe hier meine Runden und hatte die ganze Zeit die Kutschenauffahrt im Auge. Sie habe ich vor ein paar Minuten auch hineingehen sehen, Sir.« Es war zwecklos, sich mit dem Mann zu streiten. Und er sagte wahrscheinlich auch die Wahrheit. Das hieß, daß Nash Manning noch im Keller war. »Der soll sich auf was gefaßt machen!« murmelte der Geisterjäger. »Mir hat noch keiner ungestraft die Haare gebügelt!« Er war so wütend, daß er fast nicht an seine eigene Sicherheit dachte. Gerade noch fiel ihm die ungeheuere Gefahr ein, in die er sich begab. Er nahm sein Athame in die eine Hand und das Silberkreuz in die andere. Das Licht brannte immer noch. Er pirschte sich in den Keller und lauschte immer wieder. In die Räume, die Teile der Sammlung enthielten, horchte und schaute er besonders gründlich hinein. Und dann zuckte er zurück, als hätte ihn eine Wespe in die Nase gestochen! Weit war Nash Manning nicht gelaufen. Und besondere Mühe, sich zu verbergen, gab er sich auch nicht. Er stand in einer Ecke und war mit etwas beschäftigt, das er dort an die Wand gelehnt hatte. Eine Statue oder so etwas. Sein Körper warf einen kräftigen Schatten. Der Geisterjäger konnte keine Einzelheiten ausmachen, er mußte sich auf seine Ahnungen verlassen. Aber dieser entsetzliche Schwefelgeruch wieder! Der alarmierte ihn im höchsten Grade. Er streckte den Kopf vor. Und dann fielen ihm ein paar Absonderlichkeiten auf. Zum Teufel, war denn Nash Manning plötzlich verrückt geworden? Es sah so aus, als wollte er sich anziehen.
Wieso hatte er sich denn überhaupt ausgezogen, wenn er jetzt wieder die Kleidungsstücke an den Körper zerrte? Die Sache wurde dem Geisterjäger immer unheimlicher. Eine innere Stimme riet ihm zu verschwinden. Aber Manning hatte ihm die Dämonenpeitsche gestohlen. Die wollte er wiederhaben. Er faßte das Athame fester für den Fall, daß Manning wirklich von Sinnen war und ihn angriff. Dann trat er um die Kante in den Kellerraum und sah auf einer Kiste neben Nash Manning seine Dämonenpeitsche liegen. Sie war nicht entrollt. Ein Seufzer der Erleichterung hob seine Brust. Er machte zwei, drei Schritte. Der Mann hörte ihn nicht, er war so sehr damit beschäftigt, seine Jacke überzuziehen, daß er auf seine Umgebung nicht achtete. Gordon Black berücksichtigte die nackte Birne an der Decke. Wenn er genau auf Manning zuging, warf er zwangsläufig einen Schatten, und dann mußte der Mann doch etwas merken und herumfahren. Er brauchte aber bloß den Arm auszustrecken, um die Dämonenpeitsche zu packen. Also nahm Gordon Black einen kleinen Umweg in Kauf. Nicht immer erwies sich der kürzeste Weg auch als der erfolgreichste. Unbemerkt gelangte er zwischen die Kisten. Seine Rechnung war richtig, er warf einen Schatten in die andere Ecke. Noch zwei Schritte – noch einen! Er tauchte aus seiner gebückten Haltung auf und streckte die Hand nach dem Peitschenschaft aus. Genau in diesem Moment merkte Manning etwas. Er wirbelte herum. Es war gar nicht Manning. Es war der Dämon, und er hatte sich Nash Mannings Kleider angezogen. In der Ecke lehnte ein nackter blutender Körper. Das war der richtige Nash Manning. Aber er war tot. Solche
Verletzungen führten innerhalb weniger Augenblicke zum sicheren Tod. Gordon Black war so entsetzt, daß er einen fürchterlichen Schrei ausstieß. *** Der Dämon hatte offenbar versucht, Nash Mannings Gestalt und sein Aussehen anzunehmen. Es war ihm nur mangelhaft gelungen. Da hatte er mit der Kleidung etwas nachhelfen wollen. Vielleicht war der Umwandlungsprozeß auch noch nicht abgeschlossen. Von seinen dämonischen Fähigkeiten hatte das Wesen nichts eingebüßt. Es kannte auch keine Schrecksekunde. Seine Hände schossen vor und griffen nach der Peitsche. Der Dämon hatte genau erkannt, welche Gefahr ihm von ihr drohte. Diese blitzartige Erkenntnis half Gordon Black, über das Entsetzen hinwegzukommen. Er handelte ebenfalls. Die behaarten Arme waren schneller, die Hände schlossen sich um den Peitschenschaft. Was der Geisterjäger aber nicht bedachte – er hielt in seiner rechten Hand das Silberkreuz, und damit berührte er einen Sekundenbruchteil später die Peitsche und versehentlich auch die linke Hand des Dämons. Das Wesen stieß einen brüllenden Schrei aus, daß Gordon Black fürchtete, seine Trommelfelle würden zerreißen und die Wände des Kellers zerspringen. Stinkender Rauch stieg auf. Es zischte. Das Silberkreuz brannte sich in die Hand des Dämons. Im nächsten Augenblick zuckte die Hand zurück. Ein fürchterliches Knurren schlug dem Geisterjäger entgegen. Aber er ließ sich nicht einschüchtern, er drückte das Silberkreuz
auch auf die rechte Hand des Dämons. Wieder zischte es widerlich. Rauch stieg auf. Das Kreuz war geweiht, und jede Berührung mit ihm bereitete dem Dämon Schmerzen und Pein. Aber er wollte die Peitsche, die einzige vernichtende Waffe gegen sich und seinesgleichen, nicht hergeben. Gordon Black drückte ihm das Kreuz mit aller Macht auf den Handrücken. Jetzt erst lösten sich die behaarten Finger, das Gesicht verzerrte sich zur teuflischen Fratze. Der Geisterjäger ahnte eine Hinterlist und packte mit der linken Hand zu. Der Dämon hatte wohl nicht damit gerechnet, denn der Geisterjäger hielt da ja den Hexendolch. Aber das Kunststück klappte. Im selben Augenblick trat der Dämon gegen die Kiste. Sie kippte zur Seite. Hätte die Peitsche noch obenauf gelegen, wäre sie weit außerhalb Gordon Blacks Reichweite gefallen. Sie wäre verloren gewesen. Der Geisterjäger ließ die linke Hand niederzucken und die Schnüre herausschießen. Mit einem satanischen Schrei löste sich der Dämon so geschwind auf, daß er schon verschwunden war, bevor die Kleider den Boden berührten. Er hatte sie nicht mitgenommen, er war einfach aus ihnen herausgefahren. Gordon Black erwartete einen Überraschungsangriff. Aber gegen die Peitsche, die bereit war, ihre Urgewalten zu entfalten, wagte der Dämon nicht anzutreten. Minutenlang wartete der Geisterjäger und behielt auch die Wände im Auge. Schließlich war er sicher, daß er vorläufig unbehelligt blieb. Was mit Philby geschehen war, wußte er. Und der verschwundene Wächter machte deutlich, von welcher Art der Dämon war. Ein Höllendiener, eine Ausgeburt der Finsternis! Er war jetzt noch satt, aber bestimmt würde er
zurückkommen und Nash Mannings Leiche holen. Gordon Black leerte eine Holzkiste und legte den Toten hinein. Es war eine ungewohnte und unangenehme Arbeit. Aber das war er Nash Manning schuldig. Der Dämon sollte den Mann nicht haben. Er zerrte die Kiste über den Kellerboden und den Gang entlang. Immer wieder legte er eine Pause ein, lauschte, schnupperte und war abwehrbereit. Der Dämon ließ ihn in Ruhe. Der Höllendiener hatte sich zurückgezogen. Daß er indes wieder zuschlagen würde, war so sicher, wie morgen ein neuer Tag war. Unter allergrößter Mühe nur gelang es dem Geisterjäger, die Kiste Stufe für Stufe die Kellertreppe hinaufzuwuchten. Er rief nach dem Wächter im Patio und bat ihn, Dyer Manning herzuholen. *** Dyer alterte binnen weniger Minuten um Jahre. Sein Gesicht fiel ein, Falten gruben sich tief in die Haut. »Sie sollten der Familie vielleicht seinen Anblick ersparen«, sagte Gordon Black. »Ihnen mußte ich ihn zeigen.« Er schloß die Kiste. »Warum?« Dyer schüttelte den Kopf. »Was haben wir denn getan? Warum trifft es uns so?« Er verstand es nicht. »Der Dämon wurde hier beschworen, und hier ist es ihm gelungen, seine Bannfesseln abzustreifen«, erklärte der Geisterjäger. »Es ist ein Zufall. Aber das ist Ihnen kein Trost. Es hätte jede Familie in diesem Land oder auf dieser Erde treffen können. Dämonen kommen aus einer anderen Welt. Wir können sie nur zurücktreiben oder vernichten, aber wir müssen immer damit rechnen, daß sie in unsere Welt vordringen.« Dyer schaute ihn verständnislos an. Er konnte die Gedanken nicht nachvollziehen. Er wußte nur, daß das Unheil etwas mit
dem verdammten alten Kerl namens Rodalba zu schaffen hatte. Auf den stieß er neben der Kiste, in der sein toter Bruder lag, einen bösen Fluch aus. Gordon Black war unangenehm berührt. Dyer hatte seine Gefühle und Empfindungen zu wenig unter Kontrolle. Er reagierte zu impulsiv. Aber er stieß ihn auf das Hauptproblem – Rodalba. Der alte Mann hatte das Unheil heraufbeschworen. Er war mit Sicherheit tot und konnte sein Versehen nicht rückgängig machen. Gordon Black ließ Dyer allein und suchte Hanako. Wie ein Lauffeuer hatte sich der entsetzliche Tod von Nash Manning herumgesprochen. Die Frauen und Mädchen vom Hauspersonal bekreuzigten sich. Chavez litt, aber er hielt sich wacker. Hanako kam aus der Halle zurück und hatte einen Notizzettel in der Hand. »Ich habe Meeker verständigt«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Niemand fühlte sich dazu in der Lage.« »Kommt er?« »Nur zusammen mit der Mordkommission aus Amarillo. Er bittet dich, die nötigen Erklärungen abzugeben, dir könne ja nichts passieren.« »Er meint, wenn sie mich in die Irrenanstalt sperren, ist es viel lustiger, als wenn er hineinkommt! – Mal sehen, was es überhaupt zu erklären gibt. Wir müssen drüben in Rodalbas Zimmer suchen, und uns bleibt nur wenig Zeit. Der Dämon fängt an, Spaß an Verwandlungen zu finden. Und er tötet vermutlich aus Freude. Außerdem betätigt er sich als Wegelagerer und Dieb.« Er informierte Hanako mit präzisen Worten, was ihm im Keller zugestoßen war. Nicht der richtige Nash Manning hatte ihm am Lichtkasten einen Schlag auf den Schädel verpaßt, sondern der Dämon. Und der hatte keinen harten Gegenstand dafür benötigt, sondern einfach die Faust
genommen. Hanakos Augen weiteten sich schreckhaft. »Stell dir vor, er hätte mit der Dämonenpeitsche verschwinden können! Nicht auszudenken!« Und nach ein paar Atemzügen siegte die weibliche Neugierde über ihr Entsetzen. »Was hätte er damit anfangen können?« »Ein Schreckensregiment errichten. Unter seinesgleichen.« »Hätte er die Peitsche mit hinübernehmen können?« »Wahrscheinlich. Auf einen Versuch möchte ich es nach der Erfahrung gar nicht erst ankommen lassen. Der Dämon ist gefährlicher als eine Raffinerie voller Nitroglyzerin. Er hat Nash Manning im Keller aufgelauert, und er hat nicht gezögert, mir eins auf die Birne zu geben, als ich ihm so günstig in die Quere kam. Ich fürchte fast, wenn er Nash Manning nicht abgefangen hätte, wäre mir das furchtbare Schicksal zuteil geworden. So mußte sich der Dämon auf zwei Vorgänge konzentrieren. Er hat es nicht ganz verkraftet. Aber er lernt. Er hat mächtig gut gewußt, wie man Kleidung anlegt. Ich habe nur noch staunen können.« Chavez kam mit bedrückter Miene vorbei. Der Geisterjäger sagte ihm, daß sie drüben im Studierzimmer zu erreichen seien, und daß die Leute Kruzifixe aufstellen sollten. Die würden ihnen halbwegs Schutz vor dem Dämon geben, wenn sie sich in der Nähe aufhielten. An das Vorhandensein eines Dämons glaubten die Leute nicht so recht, der Geisterjäger entnahm es aus etlichen Äußerungen. Sie hielten das Wesen vielmehr für den leibhaftigen Teufel und zuckten bei jedem Geräusch und jeder fremden Bewegung zusammen. Dieser Nervenbelastung waren die Leute nicht lange gewachsen, das war sicher. Früher oder später drehten sie durch. Oder sie liefen in blinder Angst davon und dem Dämon womöglich genau in die Arme. Und ein Ende dieses Dramas war gar nicht abzusehen.
Hanako und er mußten das entsetzliche Geheimnis von Professor Rodalba finden. Jetzt, sofort. Zumindest mußten sie mit der Suche beginnen. Einen Anhaltspunkt hatten sie immerhin – es handelte sich wahrscheinlich um ein Grimorium, zusammengetragen von einem Gulielmus. Die Schwierigkeit war nur, daß sie keine Experten waren und die Zeit niemals ausreichte, um einen Fachmann aufzutreiben und nach Doringham zu bitten. Das konnte Tage und Wochen dauern. Gordon Black vertraute auf ein ganz klein wenig Glück. *** Es war nicht anzunehmen, daß der Mönch Gulielmus auf den heiligen Gildas Bezug nahm. Außerdem war die Schrift in einem Latein abgefaßt, das auch heute nur noch mühsam zu verstehen war. Und damit konnte Gordon Black nicht dienen. Er war kein Fachmann für alte Sprachen. Und bei Hanako war es auch nicht weit her damit. Sie kannte sich mehr in den alten Sprachen ihrer Heimat aus. Sie suchten unverdrossen. Plötzlich fiel dem Geisterjäger die Inventarliste ein, die ihm Hanako unter die Nase gehalten hatte. »Mädchen, wo hast du eigentlich die Liste hergenommen?« »Die lag auf dem Schreibtisch. Sie hat unter einem dieser alten Bücher herausgeschaut. Nur ein Rand, da bin ich neugierig geworden.« »Unter welchem Buch?« Hanako betrachtete die Folianten. Schließlich zeigte sie auf eines, das schon arg mitgenommen aussah. Holzwürmer hatten den hölzernen Einband zernagt und auch das Leder nicht verschont, mit dem Teile des Holzes
überzogen waren. »Das könnte es gewesen sein«, meinte sie. »Probieren geht über Studieren«, murmelte der Geisterjäger und nahm sich den Folianten vor. Das Buch hatte einmal Schloßbügel besessen. Aber die Schlösser waren samt Bügeln kunstgerecht abmontiert worden. Er schlug es behutsam auf. Die Pergamentblätter waren fleckig und nicht immer sauber geglättet. Einzelne Blätter waren sogar mit Stichen zusammengeheftet. Manche Initialen waren sehr kunstvoll ausgemalt und verziert. Dann wieder war offenbar in höchster Eile geschrieben worden. Vermutlich abgeschrieben. Als hätte der Schreiber gewußt, daß er Verbotenes trieb. Oder zumindest nur ungern Geduldetes. Aber die einzigen Schreibkundigen waren ja meist Mönche gewesen. Denen war es vorbehalten, die wenigen Schriften zu kopieren. Gordon Black hatte so die Ahnung, daß der Text im sogenannten Vulgärlatein des frühen Mittelalters abgefaßt war. Wo sich der Schreiber bemüht hatte, konnte er nicht nur einzelne Worte, sondern fortlaufende Zeilen lesen. Aber der Sinn blieb ihm verborgen. Aber vielleicht kam es darauf überhaupt nicht an! Er entsann sich eines Tricks, den er in der Schule immer mit gutem Erfolg angewandt hatte, vornehmlich bei Arbeiten. Er hatte es nie für erforderlich gehalten, sich auf schriftliche Arbeiten besonders intensiv vorzubereiten. Damit er keine Pleite erlebte, hatte er seine Bücher präpariert. Und zwar hatte er die Seiten besonders fest ausgestreift, auf denen der zu prüfende Stoff behandelt wurde. Seine Bücher hatten diese schäbige Behandlung damit quittiert, daß sie stets schneller aus der Heftung fielen als die seiner Schulfreunde.
Ein Lehrer hatte dann doch den Schwindel durchschaut. Aber er hatte den Trick sofort verfeinert. Er hatte nicht mehr mit roher Gewalt die Seiten ausgestrichen und den Buchrücken gequetscht, sondern hatte das der Natur überlassen. Indem er nämlich die fraglichen Seiten aufschlug und einen Tag so beließ. Wenn er dann das geschlossene Buch aufklappte, fielen die Blätter genau an der präparierten Stelle auseinander. Später hatte er festgestellt, daß auch andere Leute diesen Trick kannten. In den Büchereien der Universitäten hatte er sich manchmal schwarz geärgert, wenn ihm beim Aufklappen eines Buches gleich Blätter auseinanderfielen, die sein Vorgänger markiert hatte. Daran erinnerte er sich. Rodalba hatte bestimmt lang mit seiner Beschwörungsformel zu tun gehabt, und mit einigem Recht durfte Gordon darum annehmen, daß die Pergamentblätter an der richtigen Stelle auseinanderklappten. Vorausgesetzt, es ging überhaupt mit Tierhaut. Seine Erfahrungen hatte er mit papierenen Büchern gemacht. »Jetzt drück uns mal die Daumen, Mädchen!« sagte er und wagte die Probe. Es klappte nicht wie gewünscht, die Pergamentblätter waren zu schwer. Also blätterte er sie langsam um, stellte sie senkrecht und achtete darauf, wie sie fielen. Er hatte dabei auch Gelegenheit, die Texte zu überfliegen. Möglich, daß Rodalba eine kleine Anmerkung mit Bleistift gemacht hatte, die leicht wieder entfernt werden konnte. Plötzlich stutzte er. Zwei Blätter klappten auseinander, als seien sie nichts anderes gewöhnt. Und sie lagen schön flach, als seien sie tagelang der Luft ausgesetzt gewesen. Das konnte natürlich auch ein Irrtum sein. Aber
unverkennbar war am Text dieser Blätter gearbeitet worden. Gordon Black buchstabierte mühsam. Als er ein Wort fand, das er als »Gildum« las, war er wie elektrisiert. Damit konnte der heilige Gildas gemeint sein. Er stellte sich vor, daß der Kopist Gulielmus die Quelle nannte und den heiligen Gildas anführte. Weil ihm der folgende Text als zu gefährlich oder zu sündhaft oder was auch immer vorgekommen war. Wenn nach dem damaligen Glauben jemand der Fluch traf, dann den Urheber und nicht den armen Menschen, der das Werk nur abschrieb. Schlitzohrigkeit war zu allen Zeiten eine gern geübte Tugend gewesen, an dieser Erkenntnis führte kein Weg vorbei. Aufmerksam las Gordon Black die Schrift, die wieder kunstvoll geschnörkelt war. Der Schreiber hatte sich viel Zeit gelassen und in seiner Kunst geschwelgt. Plötzlich verengte der Geisterjäger ungläubig die Augen. Teile des Textes konnte er mühelos lesen. Lieber Himmel, das war doch die Beschwörungsformel, die auch in der Weißen Magie angewendet wurde! Er atmete scharf und keuchend, so daß Hanako ihm beunruhigte Blicke zuwarf und dann das Zimmer beobachtete, ob sich da etwas tat. War der Dämon wieder aus der Wand getreten? »Das – das gibt es doch gar nicht!« stieß Gordon Black schließlich heraus. »Das ist doch genau die Formel, die aufgesagt werden muß, wenn man einen Dämon beschwört, um ihn dann bannen zu können.« Hanako schaltete schnell. »Heißt das, diese ganze Suche hätten wir uns sparen können?« »Das könnte es heißen!« bestätigte er. »Ich hatte keine Ahnung, daß die Beschwörungsformel auf den heiligen Gildas zurückgeht. Aber warum nicht? Der kannte noch alle großen
Zauberer und Magier der Kelten. Er wird ihnen ihre Bannsprüche und Flüche abgelauscht haben. Hier siehst du einen.« Hanako war nicht so rückhaltlos überzeugt. »Du müßtest es ausprobieren.« »Das schon. Einen Haken hat die Sache natürlich.« »Und der wäre?« »Wenn es nicht die Beschwörung ist, mit der Rodalba den Dämon hergeholt hat, hole ich auch einen her. Dann haben wir zwei, die uns in Atem halten.« »Es käme auf einen Versuch an. Und was kann schon passieren? Du hast die Dämonenpeitsche wieder, und ich bin ja auch noch da«, versicherte Hanako treuherzig. Gordon Black überlegte hin und her, aber es war schon so, wie Hanako sagte – es kam auf einen Versuch an. »Schließ die Tür!« bat er seine Mitarbeiterin. »Nicht auszudenken, wenn im entscheidenden Moment jemand hereinkäme.« Die Folgen malte sich Hanako lieber auch nicht aus. Gordon Black zündete die Kerzen an, legte die Dämonenpeitsche griffbereit und konzentrierte sich. Aber er spürte keine Resonanz, er bekam keinen Kontakt. Irgend etwas packte er falsch an. Lief er am Ende auch Gefahr, wie Rodalba für alle Zeiten zu verschwinden? Er brach den Versuch ab, dachte nach, aus welcher Zeit die Beschwörungsformel stammte, und vermutete, daß als Symbol bei der Beschwörung vielleicht der Drudenfuß eine maßgebliche Rolle spielte. Damals hatte man sich noch entsetzlich vor Nachtgeistern gefürchtet, trotz des sich ausbreitenden Christentums. Mit einem Drudenfuß hatte man seine Hütte gegen die bösen Geister geschützt. Sicher war sicher. Auf Gebete allein verließ man sich besser nicht. Beim Drudenfuß mußte der Beschwörer Bestandteil des
Symbols sein. Gordon Black schätzte die Entfernung der beiden schwarzen Kerzen voneinander, nahm in einiger Entfernung Aufstellung und näherte sich den Kerzen, bis er die dritte Ecke eines gleichseitigen Dreiecks markierte. Ein unangenehmes Kribbeln überzog seinen Körper. Da war etwas in der Nähe, er spürte es. Aber er konnte noch nicht sagen, ob es gut oder böse war. »Paß jetzt genau auf!« ermahnte er Hanako. »Ich spüre etwas. Es kann uns überraschen, und das wäre unser Ende. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen verhindert bin, hast du die Aufgabe, die Dämonenpeitsche zu schwingen. Du mußt treffen, das ist die einzige Garantie für dich, mit dem Leben davonzukommen.« »Aber ich…« Hanako hatte Bedenken und Einwände. »Fertig!« kommandierte der Geisterjäger. »Ich beginne mit der Beschwörung.« Er sammelte sich, schloß die Augen und sagte dann laut und langsam: »Besticitum consolatio veni ad …« Ein wüstes Krachen ließ ihn zusammenfahren und verstummen. Dröhnende Schläge erschütterten das Haus. Die geflickte Tür sprang auf. Die Fensterscheiben klirrten. Hanako schaute verstört und sagte verängstigt: »Ich glaube, das haben die Leute hier schon einmal erlebt.« Gordon nagte an der Unterlippe. Hatte er etwas falsch gemacht? Oder war er absichtlich in der Aufsagung der Beschwörung unterbrochen worden, damit sie unvollendet blieb? Ein übler Trick des Dämons also! Vielleicht war Rodalba damit in die eigene Falle geraten. Gerade wollte der Geisterjäger die Formel zu Ende aufsagen, als Hanako einen Schrei ausstieß und vor einer schrecklichen Gestalt zurückwich, die mir nichts, dir nichts aus der Wand gekommen war.
Gordon Black erkannte den Dämon wieder. Und der ihn. Seine Fratze verzerrte sich höhnisch. Langsam öffnete er den Mund. Dann sagte er ziemlich hölzern: »Der Fluch kommt auf dich, der Fluch trifft deine Seele. Verdammt sollst du sein und…« Er bewegte die runzligen Lippen, aber nicht synchron zu den Worten, wie der Geisterjäger und Hanako sie hörten. Sie bezweifelten plötzlich, daß es überhaupt ein Hören war. Der Dämon schien Gedanken in ihr Gehirn zu sprechen, und zwar in der Sprache, die sie verstanden. Er redete in einer ganz anderen, aber die hörten sie nicht. Gordon Black erkannte die Heimtücke. Der Dämon versuchte ihn zu beschäftigen und hinzuhalten, damit er die Formel nicht zu Ende brachte. Dem hustete er etwas! Er starrte in das satanische Gesicht, das alle paar Augenblicke einen anderen Ausdruck annahm, und sagte die Beschwörung weiter. Entsetzen und Wut drückten sich in der Fratze aus. Ansatzlos holte der Dämon mit beiden Armen aus und schlug mit dem losen Kettenende nach dem Geisterjäger. Hanako sah Gordon schon mit zerschmettertem Schädel hinsinken und schrie. In diesem Augenblick sprühten Funken auf. Eine unsichtbare Glocke schien sich schützend über Gordon gelegt zu haben. Die Eisenkette traf die Glocke und sprühte auf. Aber durchdringen konnte sie sie nicht. Natürlich hatte Gordon Black die Augen zugekniffen, aber er hatte gewußt, was der Drudenfuß an Schutz bot und was die Formel bewirkte. Er sprach weiter. Wenn er die Beschwörung zu Ende brachte, mußte er sich dem Dämon gegenüber als dessen neuer Meister und Herr erklären. So wollten es die Regeln der finsteren Mächte. Inbrünstig hoffte er, daß er auch keinen Fehler machte.
Endlich hatte er die Formel gesprochen. Er wandte sich langsam um, ohne den Platz zu verlassen, der ihm Schutz bot. Lange Speichelfäden troffen aus dem Maul des Dämons. Er bot ganz das Bild einer Kreatur, die bereit ist, sich zu unterwerfen. »Du bist mein Diener, ich bin dein Meister«, sagte der Geisterjäger mit fester Stimme. Und den Rest verschlug es ihm. Der Dämon richtete sich aus seiner unterwürfigen Haltung auf, lachte wild und maßlos und machte eine Bewegung, die bewirkte, daß wieder ein Grollen das Haus erbeben ließ. Dann bewegte er den Mund und sprach direkt in das Gehirn von Gordon Black und Hanako: »Ich bin der gefürchtete Kor, der Gebieter über Meer und Land. Ich bin frei nach einer Ewigkeit der Knechtschaft. Verdammt sei Gildas, der mich bezwang und in Ketten legte. Fluch seiner Seele, die ihre Unsterblichkeit verlieren soll…« »Gildas?« unterbrach Gordon die höllische Kreatur. »Er hat dich gebannt?« Der Dämon schüttelte die Eisenfesseln. »Er hat mich in zwei Tagen und zwei Nächten besiegt und in Ketten geschmiedet und in den Turm gebracht. Aber jetzt bin ich frei, ich werde wieder der Gebieter über Meer und Land sein, und ich werde das Reich der Angst und der Niedertracht neu aufrichten.« Das klang nicht gut. Der Dämon Kor sprach offensichtlich die Wahrheit. Aber welch entsetzliche Wahrheit! Ein neues Reich des Bösen wollte er errichten. Und Gildas hatte damals gegen ihn gekämpft und ihn bezwungen. Und seit dieser Zeit hatte er gebannt und angekettet in seinem Turm gewartet, bis seine Stunde kam. Gildas mußte gewußt haben, weshalb er Kor mit dem stärksten Bann belegt und obendrein mit Ketten gefesselt hatte. Professor Rodalba hatte nicht den Schimmer einer blassen Ahnung gehabt, was er mit seiner Beschwörung eines
vermeintlich dienstbaren Geistes anrichten würde und welche Folgen es für ihn haben mußte. Gordon Black hatte es auch nicht gewußt. Aber es leuchtete ein. Er hatte den Text von Gildas benützt, der damals Kor bezwungen hatte. Durch diese feinen und feinsten Verknüpfungen von Geist und Materie, die sich auf unerklärliche Art Jahrhunderte hielten, vielleicht sogar eine ganze Ewigkeit lang, mußte natürlich Kor erscheinen, wenn die Beschwörung von Gildas gesprochen wurde. Aber in dem Text stand nirgendwo, daß Kor ein allmächtiger Dämon war. Als Rodalba die Beschwörung vorgenommen hatte, war Kor mitsamt seinem Gefängnisturm erschienen, und er hatte eine Probe seiner Macht geliefert und ein Unwetter über Manning House toben lassen. Rodalba mußte der Verstand verlassen haben, als die Schreckgestalt plötzlich zum Fenster hereinkam. Wenn er nur einen Zusatz gesprochen hätte, dann wäre ihm sein Schicksal… Gordon Black unterbrach seine Überlegungen. Zum Teufel, er hatte doch den Zusatz gesprochen! Er hatte doch dem Höllenknecht Kor erklärt, daß er nun der Herr sei und Kor der Diener! Beeindruckt hatte das Kor aber gar nicht. In einem Augenblick furchtbarer Erstarrung begriff der Geisterjäger, was die Ursache war. Kor war viel stärker als er. Zehnmal, vielleicht auch hundertmal. Der nahm von ihm keine Befehle an. Nie! Gildas hatte ihn bezwungen, aber Gildas war seit über eintausendfünfhundert Jahren tot. Aber sein Feind Kor lebte. Er war aus dem Schattenreich zurückgekehrt, er hatte den Ort seiner Verbannung verlassen. Und er hatte sich schon
Menschen als Opfer geholt. Gordon Black blieb als dritter Punkt im Dreieck, als er das Silberkreuz zog und Kor zurücktrieb, der neugierig herankam und mit vorgestreckten Händen zu ertasten suchte, was da eben seinen mörderischen Schlag mit der Kette aufgehalten hatte. Noch konzentrierte sich Kor ganz auf den Geisterjäger und den unbekannten Schutzmechanismus. Wehe, wenn er seine Aufmerksamkeit auf Hanako richtete. Die Asiatin hatte die Dämonenpeitsche aus der Hand gelegt, als Kor aus der Wand gekommen war. Jetzt war sie fast zu weit entfernt, um sie zu erreichen. Sie wußte nicht, wie schnell der Dämon war, aber sie traute ihm zu, daß er sie übertraf. Einmal hatte Gordon der Kreatur die Dämonenpeitsche abjagen können, noch einmal würde das schwerlich gelingen. Kor machte heftige Armbewegungen. Noch immer trug er die Kette, die die beiden Eisenringe um seine Handgelenke verband. Die hatte er noch nicht zerbrechen und abstreifen können. Sie schienen noch mit besonderen Weihen behaftet zu sein, die Gildas benutzt hatte, um Kor für alle Zeiten von der Erde fernzuhalten. Aber vielleicht verloren sie schon bald ihre Wirkung. Dann wahrscheinlich, wenn das Böse in Kor mächtig genug war. Wenn er über das Gute triumphierte. Der Geisterjäger stieß mit dem Silberkreuz gegen die lose herabbaumelnde Kette. Eine Flamme zuckte auf, so hell wie die Sonne. Aber es war ein kaltes Licht, es verströmte keine Wärme. Gordon verspürte Schmerzen. Von den Energien war etwas zurückgeflossen und in seinem rechten Arm aufwärts gewandert. Plötzlich litt er unter Atemnot, und wie durch einen Nebel sah er Kors grinsendes Fratzengesicht. Ein Angriff! Kor leitete die Energie zurück! Mit einem blitzschnellen Griff hatte Gordon das Athame in der linken Hand und stieß mit der Klinge nach Kors Arm.
Die Dolchspitze traf, aber es hörte sich an, als würde sie über Stein kratzen. »Vorsicht!« brüllte Gordon. »Er wandelt sich laufend um, er kann es schneller, als wir zu denken vermögen. Tu, was du tun mußt!« Er vermied es, an die Dämonenpeitsche zu denken, weil er nun sicher war, daß der Dämon in ihren Gedanken las. Wie ein abgeschnellter Pfeil flog Hanako vorwärts. Kor brüllte auf und schlug mit dem Kettenende nach ihr. Er verfehlte sie nur knapp, und er kam auch nicht mehr an die Dämonenpeitsche heran. Hanako hatte sie fest gepackt und schleuderte die Schnüre aus dem Schaft. Der erste Schlag mußte sitzen! Sie holte aus… Wo gerade noch Kors scheußliche Gestalt gestanden hatte, war nichts. Nicht einmal ein Flimmern war zu sehen. Nur schlechte Luft ließ der Dämon zurück. Gerade, als hätte er anderthalbtausend Jahre in einem Schwefellager zugebracht und nicht in seinem Turm. Kor war ganz knapp entkommen. Er war außer sich vor Zorn und Entsetzen, daß er um ein Haar wieder einem Menschen in die Falle gegangen wäre. Im ganzen Haus war sein Brüllen und Toben zu hören. Türen barsten, Fenster splitterten. Ein Regen von Glasscherben prasselte in den Innenhof hinab. Der Aufruhr wurde immer schlimmer. Was zuvor Gordons eindringliche Worte an die Bewohner nicht geschafft hatten, das bewirkte jetzt der entsetzliche Lärm, der ganz entfernt auch an ein Erdbeben denken ließ. Das Personal und auch die Manning-Sippe verließen das Gebäude. In höchster Eile schlossen sich die Mitarbeiter an. Nur eine einsame Gestalt irrte verloren durch den Patio. Chavez! Er ging nicht, er blieb, wie es sich für einen guten Haushofmeister gehörte. Gordon Black beugte sich aus dem Fenster. »Fort mit Ihnen!
Gehen Sie zu den anderen! Es ist zu gefährlich, hier zu bleiben.« Chavez legte den Kopf in den Nacken und schaute herauf. Dann rief er: »Ich bedauere, Ihnen widersprechen zu müssen, Señor, ich bleibe.« »Dickschädel!« schimpfte der Geisterjäger und eilte ins Zimmer zu Hanako zurück. »Es hört sich an, als würde er das Haus kurz und klein schlagen. Die Mannings können wahrhaftig nichts dafür. Ein blöder Zufall, daß der Professor hier seinen Spruch aufgesagt hat und Kor in diese Gegend zog. Es hätte auch Italien oder England oder Brasilien sein können.« Gordon zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an und inhalierte tief den Rauch. Seine Nervosität verging davon nicht, im Gegenteil. »Wenn er sich erst darauf besinnt, daß er auch das Land durchstreifen kann, wird er nach und nach die Stadt entvölkern und lustig weitermachen. Wundert mich eigentlich, daß er es noch nicht probiert hat. Fliegen kann er, das macht ihn unberechenbar.« »Und durch Mauern geht er auch. Das macht ihn doppelt gefährlich.« Hanako hielt die Dämonenpeitsche immer noch krampfhaft fest. Sie hatte eine Scheu vor dieser Waffe, die so harmlos aussah und so entsetzlich wirkte. Aus dem Patio ertönte ein gräßliches Hundeheulen, das plötzlich abbrach. Kor! Schon wieder hatte er sich Bluthunde geholt. Gordon lief zum Fenster und schaute hinunter. Gerade löste sich Kor auf. Er nahm tatsächlich einen Bluthund mit. Wo Gordon vor knapp zwei Minuten noch Chavez gesehen hatte, breitete sich eine häßliche rote Blutlache auf den hellen Steinen aus. Chavez auch. Und er war gestorben, ohne daß ein Ton über
seine Lippen kam. Das Gesicht des Geisterjägers wurde blaß und starr. Kor zu bannen war aussichtslos. Der Dämon entwickelte schon zu starke Gegenkräfte. Er mußte vernichtet werden. Oder er mußte ihn zurückjagen ins Schattenreich, aber dann lief er ständig Gefahr, daß Kor wiederkehrte. Und daß er Helfer mitbrachte. Ein Heer von Dämonen, die sich die Erde und die Menschen Untertan machten. »Ich muß ihn noch einmal beschwören«, sagte Gordon mit rauher Stimme. »Ich muß es zu einem Ende bringen.« »Er wird nicht kommen!« »Doch. Er muß, auch er unterliegt diesem Gesetz. Aber er kann sofort verschwinden, sobald er sich gezeigt hat. Dann braucht er keinen Befehl anzunehmen, wogegen er sich ja ohnehin auflehnt. Gib mir die Peitsche.« »Was hast du vor?« In Gordons Augen erkannte Hanako eine Art Entschluß zu einer Verzweiflungstat. »Ich bilde noch einmal das Dreieck. Wenn sich die Kräfte berühren, kann es Kor und mich ins Nichts reißen. Aber ich muß das Wagnis eingehen.« »Welche Kräfte?« Hanako packte ihn an den Armen und schüttelte ihn. »Die des Dreiecks und die der Peitsche. Vielleicht heben sie sich auch auf. Ich weiß es nicht, ich habe es nie ausprobiert.« »Mach es nicht!« flehte sie. Sie hatte Tränen in den Augen. »Einer muß es tun. Geh hinaus.« Sie ging nicht, sie versuchte noch einmal, ihn umzustimmen. Als auch das nichts brachte, lehnte sie sich neben der geborstenen Tür an die Wand und nahm ihr Dogu in beide Hände. ***
Gordon sprach mit geschlossenen Augen noch einmal die Beschwörung. Das Gesetz hatte Kraft und Gültigkeit. Kor mußte erscheinen. Er brüllte, daß die Wände wackelten. Und er wuchs und wuchs, als wollte er die Decke zum Himmel heben. Er sah die Dämonenpeitsche, die er selber so heiß begehrte, in der Hand Blacks. Er versuchte, in den Gedanken zu lesen. Aber da war alles blockiert. Er spürte, daß es gegen ihn ging. Etwas tat sich, das er nicht verstand. Die Bedrohung kam von der Seite. Er wandte den Kopf, der unförmig aufgequollen war. Die Frau hielt einen Gegenstand in der Hand, von dem eine ganz neuartige Bedrohung ausging. Das Ding war vielleicht so gut wie die Peitsche. Oder noch besser. Seine Augen funkelten listig und bösartig zugleich. Er machte einen gewollt tapsigen Schritt vorwärts – und fuhr mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit herum, um die Frau und den Gegenstand zu packen. Gordon Black ließ sich fast noch überrumpeln. Er biß die Zähne zusammen und hoffte, daß ihm der Himmel und alle guten Geister und besonders Adonay beistehen mochten, und schlug mit der Dämonenpeitsche zu. Kor hatte gerade Hanako gepackt. Aber sie stieß ihm das Dogu in die Fratze, und er prallte entsetzt zurück vor der Gewalt der Schmerzen, die ihn peitschten. Er ließ auch die Frau los. Die Schnüre der Dämonenpeitsche zischten durch die Luft. Kor riß den Kopf herum. Sein Mund öffnete sich weit und zeigte ein richtiges Raubtiergebiß. Er rief etwas in höchster Not. »Nein!« verstanden Gordon und Hanako in ihrem Gehirn. Dann schlangen sich die Schnüre um Kor. Ein Blitz zuckte auf. Jetzt ist’s passiert, jetzt hat es mich doch mitgerissen! dachte Gordon und erwartete ein sanftes Schweben und tiefe Stille
oder sonst etwas. Statt dessen hörte er einen grausigen Schrei wie von tausend gequälten Seelen. Der Schrei wurde schwächer und verlor sich. Und dann war ein geisterhaftes Seufzen zu hören. Und dann ein dumpfer Fall. Der war aber sehr irdischer Natur. Hanako war den zuckenden Schnüren ausgewichen, die vor ihren Augen Kor verbrannt oder verwandelt hatten. Oder vielleicht auch zurückgeschleudert in sein Reich der Nacht und der Finsternis. Dabei war sie über Teile der Tür gestolpert und hatte das Dogu loslassen müssen. Gordon merkte, daß er nicht in der Ewigkeit herumschwebte, sondern in Professor Rodalbas Studierzimmer auf Manning House stand und daß ihn etwas kolossal faszinierte. Das Dogu hüpfte, und überall, wo es den Boden berührte, begann der in allen Regenbogenfarben zu leuchten. Hanako fing das hüpfende Dogu ein und wurde verlegen. Gordon ließ den Arm sinken und holte die Schnüre ein, um sie in den Peitschenschaft zurückzuschieben. »Was kann das Ding denn noch alles?« fragte er. »Das ist neu«, sagte Hanako. »Ich glaube, es lernt noch.« Die Antwort machte den Geisterjäger ratlos. »Aber das ist doch kein Lebewesen!« »Das Prinzip kann man nicht verstehen«, sagte Hanako, »aber es funktioniert. Die Dämonenpeitsche verstehe ich doch auch nicht.« »So fremd sind sie sich in der Wirkung aber nicht. Kor hat auf die Kraft des Dogu reagiert. Ich dachte schon, er würde dich mitreißen. Hat er dieses Geheul noch ausgestoßen?« »Ja, ich glaube schon. Aber dieses Seufzen«, sagte Hanako, »ist hier aus diesen Büchern gekommen.« »Was?« sagte der Geisterjäger. »Noch ein Geheimnis? Das halten meine Nerven nicht aus!«
Hanako wagte ein winziges scheues Lächeln. »Es hörte sich nicht geheimnisvoll an, sondern eher glücklich und zufrieden. Vielleicht war es ein umherirrender Gedanke von dem seltsamen alten Professor. Wer weiß, Gordon?« Gordon hob die Achseln. Keiner wußte es. Und er war auch nicht erpicht darauf, die letzten Geheimnisse zu ergründen. Der Dämon aus der Hölle war für alle Zeiten von der Erde gebannt. ENDE
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